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German Pages [650] Year 2022
JUS PRIVATUM Beiträge zum Privatrecht Band 255
Stefan Frederic Thönissen
Subjektive Privatrechte und Normvollzug
Mohr Siebeck
Stefan Frederic Thönissen, geboren 1991; Studium der Rechtswissenschaften an der Universität Freiburg; 2013 Erste juristische Staatsprüfung; 2015 Zweite juristische Staatsprüfung; 2016 Master of Laws (LL.M.), Yale Law School; 2017 Promotion (Freiburg); 2021 Habilitation (Freiburg); seit 2013 wissenschaftlicher Mitarbeiter/seit 2018 akademischer Rat a.Z. am Institut für deutsches und ausländisches Zivilprozessrecht, Abt. II, Universität Freiburg.
ISBN 978-3-16-160885-8 / eISBN 978-3-16-160886-5 DOI 10.1628/978-3-16-160886-5 ISSN 0940-9610 / eISSN 2568-8472 (Jus Privatum) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2022 Mohr Siebeck Tübingen. www.mohrsiebeck.com Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für die Verbreitung, Vervielfältigung, Übersetzung sowie die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Textservice Zink in Schwarzach gesetzt, von Gulde Druck in Tübingen auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und von der Buchbinderei Spinner in Ottersweier gebunden. Printed in Germany.
Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 2020/2021 von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg als schriftliche Habilitationsleistung angenommen. Sie wurde auf dem Stand der Gesetzgebung, Rechtsprechung und Literatur vom Oktober 2020 abgeschlossen; Änderungen sind bis Juni 2021 berücksichtigt. Mein ganz besonderer Dank gilt meinem verehrten akademischen Lehrer, Herrn Professor Dr. Alexander Bruns, LL.M. (Duke Univ.). Er hat die Arbeit ebenso wie die Themenstellung angeregt, an seinem Freiburger Institut für deutsches und ausländisches Zivilprozessrecht, Abt. II betreut und das Erstgutachten erstellt. Großer Dank gebührt weiterhin Herrn Professor Dr. Hanno Merkt, LL.M. (Univ. of Chicago) und Herrn Professor Dr. Dr. h.c. mult. Michael Pawlik, LL.M. (Cantab.) für die zügige Erstellung der weiteren Habilitationsgutachten. Dankbar bin ich zudem Herrn Professor Dr. Michael Heese, LL.M. (Yale), der stets für hilfreiche Diskussionen und Gespräche zur Verfügung stand. Ferner danke ich der Wissenschaftlichen Gesellschaft Freiburg im Breisgau für die Gewährung eines Druckkostenzuschusses sowie Herrn Ehrensenator Georg Mehl für die Stiftung des Peter Schlechtriem-Preises, mit dem diese Habilitationsschrift durch die Rechtswissenschaftliche Fakultät der Universität Freiburg ausgezeichnet worden ist. Dank schulde ich schließlich auch Frau Dr. Julia Caroline Scherpe-Blessing, LL.M. (Cantab.) vom Verlag Mohr Siebeck für die hervorragende Betreuung bis zur Drucklegung. Freiburg im Breisgau, im Februar 2022
Stefan Frederic Thönissen
Inhaltsverzeichnis Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XXI
Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
I. Zivil- und Zivilprozessrecht im Umbruch . . . . . . . . . . . . . . . .
1
II. Die Dialektik rechtlicher Veränderung . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3
1. Die Suche nach dem richtigen Maßstab . . . . . . . . . . . . . . . . 3 2. Rechtliche Entwicklung und das 19. Jahrhundert . . . . . . . . . . 3 a) Hegels „Fortschritt im Bewußtsein der Freiheit“ . . . . . . . . . 3 b) Der Fortschrittsgedanke in der Rechtswissenschaft . . . . . . . 4 aa) Rechtsentwicklung als Entwicklung zu subjektiven Rechten und Vertragsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 bb) Pounds „Socialization of Law“ . . . . . . . . . . . . . . . . 6 c) Die soziale Korrektur des liberalen 19. Jahrhunderts im 20. Jahrhundert? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 d) „Erste Moderne“ und „reflexive Moderne“ . . . . . . . . . . . . 8 e) Die Begriffsjurisprudenz und ein „zeitloses“ Rechtsdenken? . . 9 3. Der Traditionsgedanke und die Tradition der „Metaphysik der Freiheit“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 a) Bermans „Westliche Rechtstradition“ . . . . . . . . . . . . . . . 11 b) Die Tradition der „Metaphysik der Freiheit“ . . . . . . . . . . . 12 III. Normative Vorprägung rechtlicher Veränderung . . . . . . . . . . . . 13 IV. Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14
1. Teil
Die Konstituenten des Zivil- und Zivilprozessrechts in Gegenwart und Vergangenheit 1. Kapitel: Die Konstituenten des Zivil- und Zivilprozessrechts der Gegenwart . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 I. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 II. Person, Wille und (Willens-)Freiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20
VIII
Inhaltsverzeichnis
1. Person, Rechtssubjekt und Rechtsfähigkeit . . . . . . . . . . . . . 2. Wille, Willenserklärung und (Willens-)Freiheit . . . . . . . . . . . III. Subjektives Privatrecht 1. 2. 3. 4. 5.
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Der zivilrechtliche Begriff des subjektiven Rechts . . Subjektives Recht, Rechtsverhältnis und Rechtssubjekt Arten von subjektiven Rechten . . . . . . . . . . . . . Relatives Recht und absolutes Recht . . . . . . . . . . Anspruch, Forderung und Schuldverhältnis . . . . . .
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23
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23 24 26 26 27
IV. Willenserklärung, Vertrag und Vertragsfreiheit . . . . . . . . . . . . .
28
1. Wille und Vertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Vertragsfreiheit und Privatautonomie . . . . . . . . . . . . . . . .
28 29
V. Rechtsgüterschutz und Haftungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . .
31
VI. Die Trennung von Straf- und Zivilrecht . . . . . . . . . . . . . . . . .
32
VII. Rechtsdurchsetzung und Selbsthilfeverbot
. . . . . . . . .
20 22
. . . . . . . . . . . . . . .
33
1. Gerichtliche Rechtsdurchsetzung und subjektives Recht . . . . . . 2. Das Verhältnis von Prozessrecht und materiellem Recht . . . . . . 3. Außergerichtliche Rechtsdurchsetzung und Selbsthilfeverbot . . .
33 33 34
VIII. Kritische Anfragen
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
35
2. Kapitel: Die Entstehung der Konstituenten . . . . . . . . . . .
39
I. Römisches Recht und ius commune . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
39
1. 2. 3. 4.
Actio . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Eigentum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Deliktsrecht (delicta privata) und aquilische Haftung . . . a) Die Deliktsklagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Haftungsfolgen und der pönale Charakter . . . . . c) Die gemeinrechtliche Entwicklung und die Ausweitung der aquilischen Haftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Prozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Formularprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Kognitionsprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Romanisch-kanonischer Prozess . . . . . . . . . . . . . .
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40 43 44 47 47 48
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50 52 52 53 53
II. Das Naturrecht und die „Metaphysik der Freiheit“ . . . . . . . . . .
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1. Recht und Gerechtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Der Rechtsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Recht als Gegenstand der Gerechtigkeit . . . . . . . bb) Rechtspflichten und moralische Pflichten . . . . . . b) Recht als System . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Naturrechtstheorie bei Thomas v. Aquin und Suárez
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56 56 56 58 60 60
IX
Inhaltsverzeichnis
bb) Die „methodologische Neubegründung“ des Naturrechts bei Pufendorf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Das naturrechtliche System bei Wolff . . . . . . . . . . . . 2. Person, Wille und Willensfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Freiheit, Vernunft und Wille . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Willensfreiheit und Rechtsfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . c) Die Lehre vom moralischen Sein . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Suárez’ Lehre vom moralischen Sein . . . . . . . . . . . . (1) Person . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Person im römischen Recht . . . . . . . . . . . . . (b) Person im juristischen Humanismus . . . . . . . . (c) Person in der Scholastik . . . . . . . . . . . . . . . (2) Moralisches Sein, Freiheit und Wille . . . . . . . . . . (3) Moralisches Sein und Person . . . . . . . . . . . . . . . (a) Person als zentrale Kategorie . . . . . . . . . . . . . (b) persona vera und persona ficta . . . . . . . . . . . . (4) Moralische Kausalität und Recht . . . . . . . . . . . . . bb) Pufendorfs persona moralis . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Wolffs homo moralis und die Rechtsfähigkeit . . . . . . . 3. Subjektive Rechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Recht als moralische Befugnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Inhalt und Arten des subjektiven Rechts . . . . . . . . . . cc) Das subjektive Recht und der Gegenstand des Rechts . . (1) Recht als Maß des Unrechts bei Molina . . . . . . . . . (2) Recht als Bestimmung des „Mein und Dein“ bei Lugo . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Recht als Abgrenzung von Freiheiten und die Würde der Person bei Antonio Pérez . . . . . . . . . . . . . . dd) Rechtsverletzung und Haftungsrecht . . . . . . . . . . . . ee) Recht und (Willens-)Freiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . ff) Die Relationalität des Rechts und sein relativer Charakter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . gg) Recht und moralisches Sein . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Differenzierung von Recht (ius), Verpflichtung (obligatio) und Klagrecht (actio) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Die Differenzierung von subjektivem Recht und actio . . bb) Die Differenzierung von obligatio naturalis und obligatio civilis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Die Rechtspflicht und der Zwang als Merkmal des Rechts 4. Vertragsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Freiheit und Wille . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Vertrag, Willensakte und Wirkung des Vertrags . . . . . . bb) Vertrag als moralische Vereinigung von Antrag und Annahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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61 62 63 63 67 72 72 72 72 73 74 76 82 82 86 91 93 98 100 100 100 103 105 105
. 106 . 108 . 110 . 111 . 112 . 115 . 115 . 115 . . . . .
116 119 121 121 121
. 125
X
Inhaltsverzeichnis
cc) Vertrag und rechtliche Bindung . . . . . . . . . . . dd) Freiheit des Konsenses und Defekte in der Willensbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Rezeptionswege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Äquivalenz und gerechter Preis . . . . . . . . . . . . . . 5. Rechtsgüterschutz und Haftungsrecht . . . . . . . . . . . . a) Rechtsverletzung und Haftung . . . . . . . . . . . . . . aa) Die Begründung der Haftung durch die Verletzung subjektiver Rechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Die Unterscheidung von Bereicherungs- und Schadensersatzhaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Pflichtenlehre und Haftung . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Die Trennung von Schadensersatz und Strafe . . . . . . . . a) Die materielle Trennung von Schadensersatz und Strafe b) Die prozessuale Trennung von Straf- und Zivilprozess . c) Das naturrechtliche Staatsverständnis, das öffentliche Strafmonopol und der staatliche Strafanspruch . . . . .
. . . . 128 . . . . .
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129 130 130 131 132
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134 135 139 139 143
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III. Die rechtliche Moderne und die Historische Rechtsschule . . . . . . 1. Kant, Hegel und die „Metaphysik der Freiheit“ . . . . . . . . . . a) Kant . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Das Neue bei Kant . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Homo noumenon und homo phaenomenon – Verstandeswelt und Sinnenwelt . . . . . . . . . . . . . . (2) Autonomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Der Rechtsbegriff und seine Bedeutung für das Privatrecht (1) Recht als Abgrenzung von Freiheitssphären . . . . . . . (2) Privatrecht als Bestimmung des „äußeren Mein und Dein“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Person, Freiheit und Würde . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) „Eher Hegel als Kant“? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Der Wille bei Hegel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Die Rechtsbegriffe bei Hegel . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Das 19. Jahrhundert, die Historische Rechtsschule und das Bürgerliche Gesetzbuch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Die Historische Rechtsschule und die zentralen Kategorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Von der „Metaphysik der Freiheit“ zur „Begriffsjurisprudenz“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Person, Rechtsfähigkeit und Freiheit . . . . . . . . . . . . . . . c) „Juristische Tatsachen“ und „juristische Kausalität“ . . . . . . . aa) Savignys juristische Tatsachen . . . . . . . . . . . . . . . . bb) „Juristische Kausalität“ und „Rechtswelt“ . . . . . . . . . . cc) Rechtliches „Sein“ und die „Rechtsform“ . . . . . . . . . . d) Subjektives Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
148 148 148 148 148 151 153 153 154 155 156 156 157 158 158 158 163 166 172 172 177 180 185
XI
Inhaltsverzeichnis
aa) Begriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Subjektives Recht als Willensmacht . . . . . . . . . . . (2) Rechtsverhältnis als rechtliche „Beziehung einer Person zu einem Gut“ bei Neuner . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Anspruch, actio und Klage . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Das Verhältnis von subjektivem Recht und actio . . . (2) Der Anspruch bei Windscheid . . . . . . . . . . . . . . e) System . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Wille, Willenserklärung und Vertrag . . . . . . . . . . . . . . . g) Die deliktische Haftung, die Rechtsverletzung und die Trennung von Schadensersatz und Strafe . . . . . . . . . . aa) Schadensausgleich und Privatstrafen . . . . . . . . . . . . bb) Die Verletzung subjektiver Rechte als Haftungsgrund? . . cc) Das Deliktsrecht im Bürgerlichen Gesetzbuch . . . . . . . h) Prozess, materielles Recht und Rechtskraft . . . . . . . . . . . 3. Die bürgerlich-rechtliche Denkform . . . . . . . . . . . . . . . .
. 185 . 185 . . . . . .
187 189 189 191 195 197
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204 204 206 211 215 218
3. Kapitel: Die Kritik und die Zivilrechtsentwicklung der Gegenwart . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 I. Die Kritik und ihr ideengeschichtlicher Hintergrund . . . 1. Der Ausgangspunkt: Wilhelm v. Ockham . . . . . . . a) Die Ablehnung eines moralischen Seinsbereichs . . b) Der Voluntarismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Thomasius’ Kritik an der Lehre vom moralischen Sein 3. Jherings „Zweck im Recht“ . . . . . . . . . . . . . . . a) Jherings Kritik am Rechtsbegriff und an der „Begriffsjurisprudenz“ . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Wille, Willensfreiheit und Kausalität . . . . . . . . . c) Jhering und die Kontinuität der Kritik . . . . . . . 4. Freirechtsbewegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Thons Imperativentheorie . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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219 219 219 222 223 224
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224 227 231 236 238 241
II. Tendenzen in der Rechtsentwicklung der Gegenwart . . . . . . 1. Zivilrechtsfremde Instrumentalisierung des Zivil- und Zivilprozessrechts? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zivilrecht als Instrument der Verhaltenssteuerung und private law enforcement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Private law enforcement im Kontext der Europäischen Union . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zivilprozess als Instrument des objektiven Normvollzugs . . 4. Die Konstituenten unter Druck . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . 243 . . . 243 . . . 243 . . . 243 . . . 247 . . . 248 . . . 249
XII
Inhaltsverzeichnis
4. Kapitel: Die Rechtsentwicklung in den USA . . . . . . . . . . 251 I. Formalism und Realism . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Common Law, Formalism und das 19. Jahrhundert . . . . . . a) Common Law, Civil Law und Naturrecht . . . . . . . . . . b) American Legal Formalism . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Law as a science im 19. Jahrhundert . . . . . . . . . . . bb) Langdells Orthodoxy . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die Prozessrechtsreform des 19. Jahrhunderts . . . . . . . . d) Substantive rights . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Contract law und freedom of contract . . . . . . . . . . . . f) Torts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . g) Die Trennung von Straf- und Zivilrecht . . . . . . . . . . . 2. Der American Legal Realism, das 20. Jahrhundert und die „Dekonstruktion“ des Systems subjektiver Privatrechte . . a) American Legal Realism . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Holmes’ Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Llewellyns real rights . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Llewellyns law-jobs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Der Legal Realism im ideengeschichtlichen Kontext . . (1) Die zentralen Argumente der Kritik . . . . . . . . . (2) Corbins legal relations und die realistische Kritik an der Form des Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Der Legal Realism, seine Auswirkungen und die Prozessreform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Law and Economics . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die rechtliche Gegenwart und die Krise des private law enforcement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Zivil- und Prozessrechtsentwicklung des 20. Jahrhunderts 2. Private law enforcement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Begriff und Idee des private law enforcement . . . . . . . . b) FRCP und subjektive Privatrechte . . . . . . . . . . . . . . aa) Corbins Begriff von right und legal relation . . . . . . . bb) Clarks cause of action . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Die Desintegration von subjektiven Privatrechten und Prozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Der Prozesszweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Franks private attorney general und der New Deal . . c) Private Klagrechte und der private attorney general . . . . . d) Instrumente des private law enforcement . . . . . . . . . . . e) American rule of costs, fee shifting und contingency fees . . f) Die Krise des private law enforcement . . . . . . . . . . . . g) Torts und punitive damages . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Bedeutung, Funktion und Gegenstand von punitive damages . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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253 253 253 255 255 256 257 259 261 262 263
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283 283 286 286 289 289 291
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293 295 296 297 299 301 302 303
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XIII
Inhaltsverzeichnis
3.
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5.
6.
7.
bb) Der Supreme Court und „the end of total harm punitive damages“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Procedure . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) FRCP und trial . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) The Disappearance of Civil Trial . . . . . . . . . . . . . . . . c) Pleading und summary judgment . . . . . . . . . . . . . . . aa) Bedeutung und Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Der Supreme Court und „Twiqbal“ . . . . . . . . . . . . d) Discovery . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Bedeutung und Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Der Supreme Court und die Beschränkung der discovery . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Class action . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Ausgestaltung und Struktur der class action . . . . . . . . . . b) Judicial management . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Idee und Entstehung der class action . . . . . . . . . . . . . . d) Der Supreme Court und „the decline of class actions“ . . . Arbitration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Bedeutung und Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Der Supreme Court und die Ausweitung der arbitration . . „The Erosion of Substantive Law“ . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Entwicklung des materiellen Rechts . . . . . . . . . . . . b) Joseph Story, das general Common Law und Erie . . . . . . c) Restatements, Uniform Acts und Legal Realism . . . . . . . d) Prozessreform und „the Erosion of Substantive Law“ . . . . Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . .
. . . . . . . . .
305 306 306 307 309 309 311 313 313
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. . . . . . . . . . . . . . .
314 315 315 315 316 319 319 320 321 322 322 324 325 326 327
2. Teil
Möglichkeiten und Grenzen zivil- und zivilprozessrechtlicher Rechtsentwicklung 5. Kapitel: Der Maßstab . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335 I. Zivil- und zivilprozessrechtsimmanente Grenzen? . . . . . . . . . . . 335 1. Maßstabsbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335 2. Notwendigkeit und Interdependenz der Kategorien? . . . . . . . . 335 II. Verfassungsrechtlicher Maßstab . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 337 1. Nationale Gesetzgebungsakte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 337 2. Europäische Gesetzgebungsakte und Identitätskontrolle . . . . . . 338
XIV
Inhaltsverzeichnis
6. Kapitel: Verfassungsrechtliche Grenzen und Anforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 341 I. Zivil- und Zivilprozessrecht und die „Bestandsfunktion“ des Grundgesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 341 II. Grundrechte und Privatrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Gesetzgebungsvorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Ausgestaltungsbedürftige Grundrechte und rechtserzeugte Schutzgüter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Schutzpflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Verhältnis von Schutzpflichten und Abwehrrechten . . . b) Begründung und Gegenstand der Schutzpflichten . . . . . c) Schutzpflicht bei Rechtsverletzungen durch private Dritte d) Schutzpflichten, Gewaltmonopol und Privatrecht . . . . . e) Anforderungen an den Gesetzgeber zur Erfüllung der Schutzpflichten und Gesetzgebungsauftrag . . . . . . . . . 3. Institutsgarantien und Ausgestaltung bei normgeprägten Grundrechten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Institutsgarantien und normgeprägte Grundrechte . . . . b) Herleitung und Wirkung von Institutsgarantien . . . . . . c) Inhaltliche Anforderungen an die Ausgestaltung . . . . . d) Die Abgrenzung von Ausgestaltung und Erfüllung der Schutzpflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Weitere objektiv-rechtliche Vorgaben . . . . . . . . . . . . 4. Prozessgrundrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Relevanz von Abwehrrechten und mittelbarer Drittwirkung? III. Die Ausgestaltungsvorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Erforderlichkeit der Privat- und Prozessrechtsordnung von Institutsgarantien und Schutzpflichten . . . . . . 2. Gesetzgebungsauftrag und Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . 342 . . . 342 . . . 342 . . . . . .
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343 344 344 345 346 347
. . . 348 . . . .
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349 349 349 351
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352 352 353 353
. . . . . . . 354 aufgrund . . . . . . . 354 . . . . . . . 356
7. Kapitel: Die Entwicklung der Konstituenten in der Gegenwart . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 359 I. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 359 II. Person, Wille und Willensfreiheit . . . . . . . . . . . . . 1. Person . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Verfassungsrechtliche Vorgaben . . . . . . . . . . . c) Orientierungslinien normativer Ausgestaltung . . . aa) Person, Rechtsfähigkeit und Rechtssubjektivität bb) Außer-rechtliche Person? . . . . . . . . . . . .
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359 359 359 363 365 365 366
XV
Inhaltsverzeichnis
cc) Person, Eigenwirksamkeit und rechtliche Kausalität dd) Nicht-menschliche Personen? . . . . . . . . . . . . . ee) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Wille . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Verfassungsrechtliche Vorgaben . . . . . . . . . . . . . . c) Orientierungslinien normativer Ausgestaltung . . . . . . 3. Willensfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Verfassungsrechtliche Vorgaben . . . . . . . . . . . . . . aa) Menschenbild des Grundgesetzes und Willensfreiheit bb) Relevanz für das Zivilrecht? . . . . . . . . . . . . . . c) Orientierungslinien normativer Ausgestaltung . . . . . .
. . . . . . . . . . . . .
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370 374 375 376 376 379 380 382 382 385 385 386 386
III. Subjektive Privatrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Infragestellung der „Form subjektiver Rechte“ . . . . . b) Der Streit um den Begriff des subjektiven Rechts . . . . . . 2. Verfassungsrechtliche Vorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Orientierungslinien normativer Ausgestaltung . . . . . . . . . . a) Subjektives Recht und Klagrecht . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Grundlage subjektiver Rechte: Person, Wille und (Willens-)Freiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Die Notwendigkeit subjektiver Privatrechte . . . . . . . (1) Subjektives Recht und Person . . . . . . . . . . . . . (2) Subjektives Recht als rechtliche Wirkform der Person bb) Rechtsinhalt, Zuordnung und Disposition . . . . . . . . cc) Die Wirkungen subjektiver Rechte . . . . . . . . . . . . dd) Subjektives Recht und Klagbarkeit . . . . . . . . . . . . (1) Klagrecht, Rechtsschutzanspruch und Justizgewähranspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Die Abgrenzung von Rechtsschutzanspruch und selbständigem Klagrecht . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Relationalität: Der Zusammenhang von Person und subjektivem Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Subjektives Recht und Rechtsverhältnis . . . . . . . . (2) Rechtsverhältnisse zwischen Personen . . . . . . . . (3) Das Verhältnis von subjektivem Recht und Anspruch ff) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Subjektives Privatrecht als rechtliche Befugnis mit relationaler Struktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Die Notwendigkeit der Form subjektiver Privatrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Der Gegenstand subjektiver Privatrechte . . . . . . . . . . . d) Das Verhältnis von subjektiven Rechten und private law enforcement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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388 388 388 391 393 395 395
. . 396 . . 396 . . 396 . 397 . . 399 . . 401 . . 402 . . 402 . . 404 . . . . .
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406 406 409 411 412
. . 412 . . 414 . . 414 . . 416
XVI
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aa) Unterschiedlichkeit? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Phänomenologisch-rechtsvergleichende Abgrenzung . cc) Private law enforcement aus der Perspektive des subjektiven Rechtsbegriffs . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Zielsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Eingeschränkte Relationalität und die Zentralität der Pflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Die Klagebezogenheit . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Die Möglichkeit des private law enforcement und das Verhältnis zum subjektiv-rechtlichen Privatrechtsmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Die allgemeinen Vorgaben . . . . . . . . . . . . . . (2) Die Konkurrenz von private law enforcement- und subjektiv-rechtlichem Privatrechtsmodell . . . . .
. . . 416 . . . 418 . . . 419 . . . 419 . . . 422 . . . 424
. . . 426 . . . 426 . . . 427
IV. Vertrag und Vertragsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verfassungsrechtliche Vorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Schutzbereich und relevante Grundrechte . . . . . . . . . . . aa) Handlungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Privatautonomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Besondere Gewährleistungen von Vertragsfreiheit und Privatautonomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Ausgestaltung und Schranken der Vertragsfreiheit . . . . . . . aa) Ausgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Beschränkungen der Vertragsfreiheit . . . . . . . . . . . . c) Konkrete Ausgestaltungsvorgaben für das zivilrechtliche Vertragsrecht? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Orientierungslinien normativer Ausgestaltung . . . . . . . . . . a) Das Verhältnis von Willensfreiheit und Privatautonomie . . . aa) Die historische Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Unterschiede? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Das komplementäre Verhältnis von rechtlicher Kausalität und Privatautonomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Privatautonomie als Prinzip und Institutsgarantie . . . (2) Das Verhältnis zur Geltungstheorie . . . . . . . . . . b) Wille, Willenserklärung und Voraussetzungen rechtsgeschäftlicher Bindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die Wirkung des Vertrags, die Kategorie subjektiver Rechte und der Vertragsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Die Bedeutung der Struktur subjektiver Rechte und Rechtsverhältnisse für den Vertragsbegriff . . . . . . . . . bb) Die Relationalität subjektiver Rechte . . . . . . . . . . . . cc) Die Notwendigkeit des Vertragsbegriffs und die Möglichkeit alternativer Rechtsformen . . . . . . . . d) Typenfreiheit und Typenzwang . . . . . . . . . . . . . . . . .
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430 430 434 434 434 435
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436 436 436 438
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439 441 441 441 444
. 448 . 448 . 450 . 452 . 454 . 454 . 456 . 456 . 457
XVII
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aa) Die Reichweite der Geltung von Typenfreiheit . . . . bb) Die Diskrepranz zwischen Schuld- und Sachenrecht . cc) Typenzwang im Bereich schuldrechtlicher Verträge? . e) Klagbarkeit von Verträgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Der Zusammenhang von Privatautonomie und Justizgewährleistung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Möglichkeit und Grenzen eines generellen gesetzlichen Ausschlusses der Klagbarkeit . . . . . . . . . . . . . . f) Inhaltsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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457 459 460 461
. . . 461 . . . 462 . . . 463
V. Rechtsgüterschutz und Haftungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . 465 1. Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Subjektives Recht oder Pflicht als Paradigma des Haftungsrechts? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Auseinandersetzung um das Haftungsrecht in der Gegenwart . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Das subjektiv-rechtliche Modell . . . . . . . . . . . . . . bb) Die Krise des subjektiv-rechtlichen Modells . . . . . . . c) Subjektives Recht und Disposition . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verfassungsrechtliche Vorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Verfassungsrechtliche Schutzpflichten . . . . . . . . . . . . . b) Die Rechtsprechung des BVerfG zu Verletzungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts . . . . . . . . . . . . . . . c) Die Rechtsprechung des BVerfG zu Verletzungen von Leben und Gesundheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Eigentum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Privatautonomie und Justizgewähranspruch . . . . . . . . . 3. Orientierungslinien normativer Ausgestaltung . . . . . . . . . . a) Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Der Haftungsgrund und die Bedeutung der Form subjektiver Privatrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Die Bedeutung der subjektiven Privatrechte . . . . . . . (1) Folgerungen aus der Form subjektiver Privatrechte . (2) Die Insuffizienz des Schutzpflichtenansatzes . . . . . bb) Das Verhältnis zum Pflichtenmodell . . . . . . . . . . . (1) Die Möglichkeit des Pflichtenmodells . . . . . . . . . (2) Die Erforderlichkeit der Konkretisierung der Pflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die Abwehr von Rechtsverletzungen und der negatorische Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Schadensersatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Ausgleichsbezug der Haftung . . . . . . . . . . . . . . . cc) Verhältnis zu Sanktion und Strafe . . . . . . . . . . . . . e) Bereicherungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . 465 . . 465 . . . . . .
. . . . . .
469 469 471 475 475 475
. . 477 . . . . .
. . . . .
479 480 481 481 481
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482 482 482 485 487 487
. . 488 . . . . . .
. . . . . .
489 490 490 491 492 493
XVIII
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VI. Die Trennung von Straf- und Zivilrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . 494 1. Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die mehrdimensionale Abgrenzung von Straf- und Zivilrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Privatstrafe und Strafschadensersatz . . . . . . . . . . . . . . . d) Regelungsmodelle und geltendes Recht . . . . . . . . . . . . . 2. Verfassungsrechtliche Vorgaben und Orientierungslinien normativer Ausgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Garantie des Straf- und Strafprozessrechts aufgrund staatlicher Pflicht? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Pflicht des Staates zur Durchsetzung des Strafanspruchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Reichweite der Pflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Schuldgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Anwendungsbereich und Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . bb) Willensfreiheit, Schuld und Strafe . . . . . . . . . . . . . cc) Das Differenzierungsgebot des Schuldgrundsatzes . . . . dd) Strafe und „strafähnliche Sanktion“ im Sinne des Schuldgrundsatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Die Geltung des Schuldgrundsatzes für Privatstrafen? . . (1) Die Geltung des Schuldgrundsatzes für „echte“ Privatstrafen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) „Unechte“ Privatstrafen? . . . . . . . . . . . . . . . . (3) „Präventivfunktion“ und allgemeines Persönlichkeitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Selbständiger Präventivschadensersatz? . . . . . . . . . ff) Schuldgrundsatz und Gewinnabschöpfung . . . . . . . . (1) Strafrechtliche Gewinnabschöpfung und Schuldgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Zivilrechtliche Gewinnabschöpfung . . . . . . . . . . (3) Anforderungen an nicht-pönale Gewinnabschöpfungsansprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . gg) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Doppelbestrafungsverbot (Art. 103 Abs. 3 GG) . . . . . . . . aa) Geltung des Doppelbestrafungsverbots für Privatstrafen und Strafschadensersatz? . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Strafe nach Art. 103 Abs. 3 GG in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts . . . . . . . . . . . . . . . (1) Disziplinarstrafen und Maßregeln der Besserung und Sicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Ordnungswidrigkeiten? . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Privatstrafe als Kriminalstrafe im Sinne von Art. 103 Abs. 3 GG? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. 494 . 494 . 496 . 498 . 499 . 500 . 500 . 502 . . . . . .
502 505 507 507 508 509
. 511 . 513 . 513 . 513 . 515 . 517 . 521 . 521 . 523 . 524 . 526 . 526 . 526 . 528 . 528 . 529 . 530
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XIX
dd) Zivilrechtliches Unrecht? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 530 ee) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 532 3. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 533 VII. Zivilprozess und Rechtsdurchsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verfassungsrechtliche Vorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Der Justizgewähranspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Der Justizgewähranspruch und sein Inhalt . . . . . . . . . bb) Die Herleitung des Justizgewähranspruchs . . . . . . . . . b) Rechtsprechende Gewalt und Richtervorbehalt (Art. 92 Hs. 1 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) . . . . . . . . . . . . d) Staatliches Gewaltmonopol . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Herleitung und Begründung . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Inhalt und Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Orientierungslinien normativer Ausgestaltung . . . . . . . . . . . a) Justizgewähranspruch und Rechtsschutzanspruch . . . . . . . aa) Herleitung aus den Grundrechten oder den durch einfaches Gesetz geschaffenen Privatrechten? . . . . . . . bb) Justizgewähranspruch und subjektives Privatrecht . . . . . (1) Justizgewähranspruch auch bei nur behauptetem Recht? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Justizanspruch und Rechtsschutzanspruch . . . . . . . (3) Materiell-rechtlich anknüpfender Justizgewähranspruch und prozessualer Justizgewähranspruch . . . . . . . . . b) Die Ausgestaltung des Zivilprozesses: Verfahrensgrundsätze und Prozessmaximen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Dispositionsgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Begriff und Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Klägerische Prozesseinleitung, Verfahrensbeendigung und Verbot der Offizialmaxime . . . . . . . . . . . . . c) Rechtsdurchsetzung durch private Dritte und Kollektivklagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Arten der Rechtsschutzformen . . . . . . . . . . . . . . . (1) Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Verbandsklagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Gruppenklagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Justizgewährleistung, subjektive Privatrechte und prozessuale Dispositionsbefugnis . . . . . . . . . . . . . . (1) Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Die Geltendmachung fremder subjektiver Privatrechte in Gruppen- oder Verbandsklagen . . . . . . . . . . . . (a) Erforderlichkeit eines Dispositionsakts des Rechtsinhabers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . .
534 534 537 537 537 538
. . . . . . .
540 541 541 541 542 543 543
. 543 . 546 . 546 . 547 . 548 . . . .
550 550 550 550
. 551 . . . . .
552 552 552 553 554
. 555 . 555 . 556 . 556
XX
Inhaltsverzeichnis
(b) Inhaltliche Abweichung von den materiellrechtlichen Vorgaben . . . . . . . . . . . . . (3) Die Geltendmachung eigener (Klag-)Rechte in Verbands- oder Gruppenklagen . . . . . . . . . (a) Eigene (Klag-)Rechte . . . . . . . . . . . . . (b) Inhaltliche Anforderungen an die „eigenen“ (Klag-)Rechte . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Rechtliche Beurteilung von opt-in-Gruppenklagen (1) Abkopplung vom materiellen Recht . . . . . . (2) Der Justizgewähranspruch in seiner negativen Ausprägung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . 559 . . . . . 559 . . . . . 559 . . . . . 561 . . . . . 563 . . . . . 563 . . . . . 565
Zusammenfassung und Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 567 I. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 567 II. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 571
Kurzbiographien . . Literaturverzeichnis Personenregister . . Sachregister . . . . .
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575 581 621 623
Abkürzungsverzeichnis a.A. aaO Abs. AcP a.E. a.F. AGB Alt. Am. J. Comp. L. Am. J. Juris. Am. J. Legal Hist. AöR Bd. Bearb. BGB BGH BGHZ BT-Drs. BVerfG BVerfGE bzw. Cap. Chi.-Kent ders. d.h. dies. Dig. Disp. Disp. Met. Dreier/Bearbeiter DZPhil ed. eds. et. al. etc. Epping/Hillgruber/ Bearbeiter EU f. ff. fn. Fn. Fordham Urb. L.J. FRCP
andere/r Ansicht am angegebenen Ort Absatz Archiv für die civilistische Praxis am Ende alte Fassung Allgemeine Geschäftsbedingungen Alternative The American Journal of Comparative Law American Journal of Jurisprudence American Journal of Legal History Archiv des öffentlichen Rechts Band Bearbeiter Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen Drucksachen des Deutschen Bundestages Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts beziehungsweise Kapitel Chicago Kent derselbe das heißt dieselbe(n) Digesten Disputatio Disputationes Metaphysicae Dreier, Horst (Hrsg.): Grundgesetz Kommentar Deutsche Zeitschrift für Philosophie editor/editore/edition editors et alii et cetera Epping, Volker/Hillgruber, Christian (Hrsg.): BeckOK Grundgesetz Europäische Union folgende(r), Singular folgende, Plural footnote Fußnote Fordham Urban Law Journal Federal Rules of Civil Procedure
XXII FS Grünhut’s Zeitschrift GWB GWR Hist. HKK-BGB/Bearbeiter h.L. h.M. HRRS Hrsg. Immenga/Mestmäcker/ Bearbeiter Inst. iSd iSv iVm J. Jauernig/Bearbeiter
JBl. Jhd. Jherings Jahrbücher JR JuS JZ Kap. Karlsruher Kommentar OWiG/Bearbeiter Law Q. Rev. L. Lec. Lib. L.J. L. Rev. Maunz/Dürig/Bearbeiter MedR Minn. m.Nw. Motive BGB I/II/III
MünchKomm BGB/ Bearbeiter
Abkürzungsverzeichnis Festschrift Zeitschrift für das Privat- und öffentliche Recht der Gegenwart Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen Gesellschafts- und Wirtschaftsrecht History Schmoeckel, Mathias/Rückert, Joachim/Zimmermann, Reinhard (Hrsg.): Historisch-kritischer Kommentar zum BGB herrschende Lehre herrschende Meinung Höchstrichterliche Rechtsprechung Strafrecht Herausgeber Körber, Torsten/Schweitzer, Heike/Zimmer, Daniel (Hrsg.): Wettbewerbsrecht, begründet von Ulrich Immenga/ErnstJoachim Mestmäcker Institutiones im Sinne der/des im Sinne von in Verbindung mit Journal Stürner, Rolf (Hrsg.): Jauernig – Bürgerliches Gesetzbuch mit Rom-I-, Rom-II-VO, EuUnthVO/HUntProt und EuErbVO. Kommentar Juristische Blätter Jahrhundert v. Jhering, Rudolf/Unger, Joseph (Hrsg.): Jahrbücher für die Dogmatik des heutigen römischen und deutschen Privatrechts Juristische Rundschau Juristische Schulung JuristenZeitung Kapitel Mitsch, Wolfgang (Hrsg.): Karlsruher Kommentar zum Gesetz über Ordnungswidrigkeiten The Law Quarterly Review Law Lectio Liber Law Journal Law Review Herzog, Roman/Herdegen, Matthias/Scholz, Rupert/Klein, Hans H. (Hrsg.): Grundgesetz Kommentar Medizinrecht Minnesota mit Nachweisen Motive zu dem Entwurfe eines Bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich. – Band I. Allgemeiner Theil, Amtliche Ausgabe, 2. Aufl., Berlin 1896 – Band II. Recht der Schuldverhältnisse, Amtliche Ausgabe, 2. Aufl., Berlin 1896 – Band III. Sachenrecht, Amtliche Ausgabe, 2. Aufl., Berlin 1896 Säcker, Franz Jürgen (u.a.) (Hrsg.): Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch
Abkürzungsverzeichnis MünchKomm ZPO/ Bearbeiter m.w.N. N. N.C. NJW NJW-RR NStZ N.Y.U. L. Rev. Obs. p. Pol’y pr. Pub. q. resp. RG RGZ Rn. Rsp. RW s. s. S. Sachs/Bearbeiter Schönke/Schröder/ Bearbeiter Sec. Soergel/Bearbeiter sog. Sp. ss. Staudinger/Bearbeiter STh Tex. Tract. U. u.a. U. Chi. L. Rev. UKlaG U. Miami Int’l & Comp. L. Rev. U. Pitt. L. Rev. U.S. UWG v./vs. Vand. VersR
XXIII
Krüger, Wolfgang/Rauscher, Thomas (Hrsg.): Münchener Kommentar zur Zivilprozessordnung mit Gerichtsverfassungsgesetz und Nebengesetzen mit weiteren Nachweisen Nummer North Carolina Neue Juristische Wochenschrift Neue Juristische Wochenschrift – Rechtsprechungsreport Neue Zeitschrift für Strafrecht New York University Law Review Observatio page (Seite) Policy principium Public Frage (quaestio) Antwort (respondeo) Reichsgericht Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen Randnummer Rechtsprechung Rechtswissenschaft: Zeitschrift für rechtswissenschaftliche Forschung sequens (folgende(r), Singular) siehe Seite Sachs, Michael (Hrsg.): Grundgesetz Kommentar Eser, Albin (Gesamtredaktion)/Perron, Walter (u.a.) (Bearb.): Schönke/Schröder Strafgesetzbuch Kommentar Sectio(n) Baur, Jürgen F. (u.a.) (Hrsg.): Soergel. Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch sogenannt Spalte sequentes (folgende, Plural) J. von Staudingers Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch mit Einführungsgesetz und Nebengesetzen Summa Theologiae Texas Traktat University unter anderem(n) The University of Chicago Law Review Unterlassungsklagengesetz University of Miami International and Comparative Law Review University of Pittsburgh Law Review United States Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb versus Vanderbilt Versicherungsrecht – Zeitschrift für Versicherungsrecht, Haftungs- und Schadensrecht
XXIV vgl. v. Mangoldt/Bearbeiter
v. Münch/Bearbeiter VuR Wash. Wm. & Mary L. Rev. Yale J. Int’l L. ZEuP ZfA ZfPW ZHR ZIP zit. ZPO ZStW ZZP ZZPInt
Abkürzungsverzeichnis vergleiche Huber, Peter M./Voßkuhle, Andreas (Hrsg.): Grundgesetz Kommentar begründet von Hermann v. Mangoldt/Friedrich Klein/Christian Starck Kunig, Philip (Hrsg.): Grundgesetz Kommentar begründet von Ingo von Münch Verbraucher und Recht Washington William and Mary Law Review The Yale Journal of International Law Zeitschrift für Europäisches Privatrecht Zeitschrift für Arbeitsrecht Zeitschrift für die gesamte Privatrechtswissenschaft Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht Zeitschrift für Wirtschaftsrecht zitiert Zivilprozessordnung Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft Zeitschrift für Zivilprozess Zeitschrift für Zivilprozess International. Jahrbuch des Internationalen Zivilprozessrechts
Einführung Se vogliamo che tutto rimanga come è, bisogna che tutto cambi Il Gattopardo, Giuseppe Tomasi di Lampedusa
I. Zivil- und Zivilprozessrecht im Umbruch Die Zivil- und Zivilprozessrechtsordnung der Gegenwart befindet sich in einem Umbruchprozess. Die grundlegenden Fragen der Privatrechtsordnung werden neu gestellt: Was ist Ziel und Gegenstand des Zivilrechts und des Zivilprozesses? Gibt es überhaupt so etwas wie ein eigenständiges Zivilrecht?1 Wie kann oder muss man das Zivilrecht heute denken?2 Ausgangspunkt und Gegenstand dieser Untersuchung ist der zivil- und zivilprozessrechtliche Wandel der Gegenwart. Dass eine Rechtsordnung sich ändert, sich ändern muss, erscheint einerseits selbstverständlich. Ist es nicht das Wesen des Zivilrechts, in ständiger dynamischer Veränderung zu sein und sich den gesellschaftlichen Erfordernissen der Zeit anzupassen?3 In der Gegenwart greift andererseits ein Wandel grundsätzlicher Art Platz, nach dem nichts mehr zu sein scheint, wie es vorher war. Welche Teile der Zivilrechtsordnung sind veränderlich, unterliegen der Veränderlichkeit? Gibt es überhaupt etwas im Zivilrecht, das rechtlicher Veränderung entzogen ist?4 Die Dimensionen des Wandels zeigen sich in rechtstatsächlicher und rechtswissenschaftlicher Hinsicht. Es gibt vielfältige Reformen des deutschen und europäischen Gesetzgebers mit je eigener Herangehensweise, die sich in Form und Inhalt vom „klassischen“ privatrechtlichen Denken und seinen Grundla1
Zu dieser Fragestellung (vor allem im Hinblick auf die Abgrenzung von Privat- und öffentlichem Recht) s. Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, S. 522 ff., 545 ff., 558 ff. („Was bleibt vom Privatrecht?“), ferner S. 325 ff. (zur „(Privat-)Rechtswissenschaft als Regulierungswissenschaft“ und zur Dekonstruktion des bisherigen Privatrechtsbegriffs); s.a. Auer, Der privatrechtliche Diskurs, S. 1 ff., 63 ff.; Schweitzer, AcP 220 (2020), 544 ff. 2 Vgl. auch zu dieser Fragestellung im Hinblick auf den „Privatrechtsdiskurs der Moderne“ und die privatrechtliche Gegenwart Auer, Der privatrechtliche Diskurs, S. 1 ff., 8 („In welche Richtung bewegt sich das moderne Privatrechtsdenken darüber hinaus insgesamt?“), 165 ff. 3 Vgl. Reinach, Phänomenologie des Rechts, S. 11. 4 Vgl. zu dieser Fragestellung auch Reinach, Phänomenologie des Rechts, S. 11 ff., 14 ff. (im Kontext der Phänomenologie; „apriorische Grundlagen des bürgerlichen Rechts“).
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Einführung
gen grundsätzlich unterscheiden.5 Dazu kommt ein deutlicher Rückgang der zivilgerichtlichen Verfahrensneuzugänge innerhalb weniger Jahrzehnte.6 Zugleich zeigen sich grundsätzliche rechtsdogmatische und rechtstheoretische Diskussionen der Gegenwart, die die Identität der Zivilrechtsordnung betreffen: Zivilrecht als Regulierungsrecht7 und das Konzept des private law enforcement8; die Kritik von Person-, Willens- und Willensfreiheitsbegriff sowie der Kategorie subjektiver (Privat-)Rechte9; Präventivschadensersatz, Privatstrafe und Strafschadensersatz als Vermischungen von Straf- und Zivilrecht10; class actions und andere kollektive Rechtsschutzinstrumente11; die Kritik der Privatautonomie und die zunehmende Einschränkung der Vertragsfreiheit durch zwingendes Recht12. Die vorliegende Untersuchung zielt zum einen auf eine dogmatische, rechtsphilosophische und ideengeschichtliche Verortung dieser Rechtsentwicklungen; zum anderen zeigt sie, dass es normative Vorgaben für die Rechtsentwicklung in der Gegenwart gibt und entwickelt diese im Einzelnen.
5 S. dazu unten S. 243 ff. im Einzelnen; vgl. dazu auch Picker, in: Riesenhuber (Hrsg.), Privatrechtsgesellschaft, S. 207, 214 ff.; Schweitzer, AcP 220 (2020), 544, 546, 555; s. beispielsweise insoweit zu einem Aspekt (Privatrecht als Regulierungsrecht) Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, S. 187 ff. (zum „Privatrecht als Mittel der Durchsetzung von Unionsrecht“); Wagner, in: Dreier (Hrsg.), Rechtswissenschaft als Beruf, S. 67, 179 f. 6 S. Statistisches Bundesamt (Hrsg.), Rechtspflege Zivilgerichte 2018, Fachserie 10, Reihe 2.1., S. 12 f., 42 f. (Verfahren Zivilsachen Amtsgerichte, Neuzugänge 2005: 1.400.724; Neuzugänge 2018: 923.933; Verfahren Zivilsachen Landgerichte in erster Instanz, Neuzugänge 2005: 424.525; Neuzugänge 2018: 338.021). 7 Dazu Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, S. 1 ff. et passim; zur Diskussion s. Schweitzer, AcP 220 (2020), 544 ff., 556 ff. 8 Dazu unten ausführlich S. 243 ff., 286 ff. sowie zum Begriff und Konzept des private law enforcement Carrington, Bitburger Gespräche 2003, S. 33 ff.; Reimann, Bitburger Gespräche 2008, S. 105 ff.; Bruns, ZZP 125 (2012), 399, 402, 405 f. 9 S. dazu unten die Nachweise S. 359 ff.; zur Kritik an den subjektiven (Privat-)Rechten s. etwa Menke, Kritik der Rechte, S. 164 ff., 175 ff.; ferner zur „Dekonstruktion des subjektiven Rechts“ Auer, Der privatrechtliche Diskurs, S. 55 ff. 10 S. zu diesen Diskussionen etwa Schubert, Die Wiedergutmachung, S. 673 ff., 723 ff., 795 ff., 833 ff., 860 ff.; befürwortend etwa Schlobach, Das Präventionsprinzip, S. 456 f.; Poelzig, Normdurchsetzung durch Privatrecht, S. 16 f., 477 ff.; grundlegend Wagner, Gutachten, 66. DJT, A14 f., A72 ff., A82 f. 11 S. dazu nur Meller-Hannich, Gutachten, 72. DJT, A9 ff.; Poelzig, Normdurchsetzung durch Privatrecht, S. 526 ff., 532 ff., 540 ff.; ferner zu dieser Diskussion Stadler, ZHR 182 (2018), 623, 624 ff. 12 S. dazu etwa Schön, in: Heldrich/Prölss/Koller (Hrsg.), FS Canaris, Bd. 1, S. 1191, 1192 f.; Wagner, in: Dreier (Hrsg.), Rechtswissenschaft als Beruf, S. 68, 98 ff.; ferner zum Wandel und zur „Krise“ der Privatautonomie Röthel, in: Bumke/Röthel (Hrsg.), Autonomie, S. 91, 92 ff., 98 ff.; vgl. dazu auch Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, S. 78 ff.; Picker, in: Riesenhuber (Hrsg.), Privatrechtsgesellschaft, S. 207, 214 ff.
II. Die Dialektik rechtlicher Veränderung
3
II. Die Dialektik rechtlicher Veränderung 1. Die Suche nach dem richtigen Maßstab Bevor darauf näher eingegangen wird, ist auf die Frage der zivilrechtlichen Veränderung zurückzukommen: Wie und nach welchen Kriterien vollzieht sich zivilrechtliche Rechtsentwicklung?13 Die Frage nach der Entwicklung des Rechts ist keine neue, sondern zentrales Moment der Philosophie und Rechtswissenschaft des 19. Jahrhundert.14 Wie sich im Folgenden zeigen wird, waren dabei lange Zeit finalisierende Entwicklungsmodelle prägend.15 Rechtsentwicklung ist danach ein Fortschrittsprozess, der gleichsam einem historischen Ziel entgegenläuft.16 Bis in die Gegenwart zeigen sich Fortschrittserzählungen zur Beschreibung rechtlicher Veränderung, wenn etwa gefordert wird, dass der Zivilprozess endlich in der „Moderne“ ankommen müsse.17
2. Rechtliche Entwicklung und das 19. Jahrhundert a) Hegels „Fortschritt im Bewußtsein der Freiheit“ Dass sich rechtliche Entwicklung als (Fortschritts-)Prozess vollzieht und einem Ziel entgegenläuft, ist eine im 19. Jahrhundert häufig begegnende Auffassung und zunächst vor allem mit Hegels18 Geschichtsphilosophie verbunden.19 Danach ist „Bestimmung der geistigen Welt“ und „Endzweck der Welt“ das „Bewußtsein des Geistes von seiner Freiheit, und ebendamit die Wirklichkeit seiner Freiheit überhaupt“.20 Dieser Prozess hin zur Freiheit ist ein Fort13 Vgl. dazu (auf die Rechtswissenschaft sowie die „Differenzierungsprozesse“ des Rechts bezogen) auch Jansen, Recht und gesellschaftliche Differenzierung, S. 1 ff. et passim. 14 S. etwa Reimann, Historische Rechtsschule und Common Law, S. 79 ff., 82 ff. im Hinblick auf Savigny und die US-amerikanische Rechtswissenschaft des 19. Jhd. 15 S. hierzu sogleich sowie etwa Reimann, Historische Rechtsschule und Common Law, S. 82 ff. vor allem im Hinblick auf die US-amerikanische Rechtswissenschaft des 19. Jhd. 16 Reimann, Historische Rechtsschule und Common Law, S. 83 f.; s.a. Grey, 45 U. Pitt. L. Rev. 1, 28 ss. (1983) (zur Vorstellung von progress der Rechtsentwicklung in der US-amerikanischen Rechtswissenschaft des 19. Jhd.). 17 S. Heese, JZ 2019, 429 („Stationen auf dem langen deutschen Weg in die prozessuale Moderne“). 18 Zur Person s. die Kurzbiographie auf S. 576. 19 Zu Hegels Geschichtsphilosophie etwa Rojek, Hegels Begriff der Weltgeschichte, S. 1 ff., 44 ff., 221 ff. 20 Hegel, Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte, S. 24 f., ferner S. 25 („Zugleich ist es die Freiheit in ihr selbst, welche die unendliche Nothwendigkeit in sich schließt, eben sich zum Bewußtsein […] und damit zur Wirklichkeit zu bringen: sie ist sich der Zweck, den sie ausführt, und der einzige Zweck des Geistes“); S. 69 („Diesen Zweck haben wir von Anfang an festgestellt; es ist der Geist, und zwar nach seinem Wesen, dem Begriff der Freiheit. Dies ist der Grundgegenstand, und darum auch das leitende Prinzip der Entwickelung, das, wodurch diese ihren Sinn und ihre Bedeutung erhält […]“).
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Einführung
schrittsprozess, der sich über verschiedene Stufen hin notwendig realisiert: „Die Weltgeschichte ist der Fortschritt im Bewußtsein der Freiheit“.21 Verwirklichung findet „die sittliche Freiheit“ dabei „im Staate“ und dessen Recht.22 Der die Freiheit verwirklichende Staat steht damit gleichsam am Ende des Fortschrittsprozesses hin zur Freiheit.23 b) Der Fortschrittsgedanke in der Rechtswissenschaft aa) Rechtsentwicklung als Entwicklung zu subjektiven Rechten und Vertragsfreiheit Auch die Rechtswissenschaft des 19. Jahrhunderts setzt sich mit der Entwicklung des Rechts auseinander.24 In der deutschen Rechtswissenschaft wird bei Savigny25 die Vorstellung der Rechtsentwicklung als „organischer Entwicklung“ im Kontext seiner „Volksgeist“-Lehre wesentlich.26 Allerdings versteht 21 Hegel, Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte, S. 24, ferner S. 60 („[…] die Idee der Freiheit als der absolute Endzweck […]“); ferner generell zur „Weltgeschichte“ und zum „Volksgeist“ S. 66 („Das Andere und Weitere ist, daß der bestimmte Volksgeist nur Ein Individuum ist im Gange der Weltgeschichte. Denn die Weltgeschichte ist die Darstellung des göttlichen, absoluten Processes des Geistes in seinen höchsten Gestalten, dieses Stufenganges, wodurch er seine Wahrheit, das Selbstbewusstseyn über sich erlangt. Die Gestaltungen dieser Stufen sind die welthistorischen Volksgeister […]“); S. 70 („Die Weltgeschichte stellt nun den Stufengang der Entwickelung des Princips, dessen Gehalt das Bewusstseyn der Freiheit ist, dar.“); s.a. S. 79, 97. 22 Vgl. Hegel, Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte, S. 30; ferner S. 48 („[…] es ist das sittliche Ganze – der Staat, welcher die Wirklichkeit ist, worin das Individuum seine Freiheit hat und genießt […]. […] vielmehr sind Recht, Sittlichkeit, Staat und nur sie, die positive Wirklichkeit und Befriedigung der Freiheit“); S. 60 („Wir haben dann den Staat als das sittliche Ganze und die Realität der Freiheit und damit als die objective Einheit dieser beiden Momente erkannt“); S. 74 („Die Freiheit ist nur das, solche allgemeine substantielle Gegenstände, wie das Recht und das Gesetz zu wissen und zu wollen, und eine Wirklichkeit hervorzubringen, die ihnen gemäß ist, – den Staat“). 23 Hegel, Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte, S. 49 („In der Weltgeschichte kann nur von Völkern die Rede sein, welche einen Staat bilden. Denn man muß wissen, daß ein solcher die Realisation der Freiheit, d.i. des absoluten Endzwecks ist, daß er um sein selbst willen ist; man muß ferner wissen, daß aller Werth, den der Mensch hat, alle geistige Wirklichkeit, er allein durch den Staat hat. […] Der Staat ist die göttliche Idee, wie sie auf Erden vorhanden ist. Er ist so der näher bestimmte Gegenstand der Weltgeschichte überhaupt, worin die Freiheit ihre Objectivität erhält und in dem Genusse dieser Objectivität lebt. Denn das Gesetz ist die Objectivität des Geistes und der Wille in seiner Wahrheit; und nur der Wille, der dem Gesetz gehorcht, ist frei, denn er gehorcht sich selbst und ist bei sich selbst und frei“), ferner S. 50 („[…] daß der Staat die Verwirklichung der Freheit sey“), S. 58 („So ist der Staat die vernünftige und sich objectiv wissende und für sich seyende Freiheit“). 24 Dazu Reimann, Historische Schule und Common Law, S. 79 ff., 82 ff.; s. etwa Savigny, System, Bd. 1, § 7, S. 13 ff. („Allgemeine Entstehung des Rechts“). 25 Zur Person s. die Kurzbiographie auf S. 578. 26 S. Reimann, Historische Schule und Common Law, S. 79 ff. mit Verweis auf Savigny, System, Bd. 1, § 7, S. 17.
II. Die Dialektik rechtlicher Veränderung
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Savigny die Rechtsentwicklung nicht als einem Ziel entgegengehenden Fortschrittsprozess, sondern als Ausdruck des jeweiligen „Volksgeistes“, dem als solchem ein eigenständiger Wert zukommen soll.27 Demgegenüber prägt der „Fortschrittsgedanke“ (progress28) der Rechtsentwicklung vor allem die angloamerikanische Rechtswissenschaft des 19. Jahrhunderts.29 Zwei Motive werden dabei zentral: zum einen die Hinwendung zur Kategorie subjektiver Rechte (rights), zum anderen die Hinwendung zur Kategorie des Vertrages (contract).30 Exemplarisch hierfür steht etwa Henry Maines31 berühmter Ausspruch „From Status to Contract“. Aus einer Gesellschaft, die sich über die Festlegung gesellschaftlicher Status infolge persönlicher Abhängigkeiten konstituiert, wird im Wege des stufenweisen Fortschritts eine Gesellschaft, die auf dem Vertragsgedanken und der rechtlichen Bindung durch freien Konsens aufbaut.32 Unter 27 S. Reimann, Historische Schule und Common Law, S. 84; s. aber zum „Fortschritts“Gedanken bei Savigny Reis, Juristische Tatsachen, S. 171 ff. mit Verweis auf Savigny, System, Bd. 1, S. X, XXII, XXXII; § 15, S. 50 ff.; dagegen aber Reimann, Historische Schule und Common Law, S. 84, der darauf verweist, dass Savigny dem jeweiligen Zeitalter und Volksgeist „gleichmäßige Anerkennung des Werthes und der Selbständigkeit“ zumisst (Savigny, System, Bd. 1, S. XIV), sodass bei Savigny durchaus eine „Verehrung der Vergangenheit“, insbesondere für das römische Recht Platz greife. 28 Z.B. Maine, Ancient Law, p. 170; Pomeroy, Remedies and Remedial Rights, § 7, p. 6 s. (dort auch mit dem Verweis auf verschiedene „Stufen“, die auf dieser Entwicklung zu durchlaufen seien); dazu auch Grey, 45 U. Pitt. L. Rev. 1, 28 s. (1983). 29 Vgl. zu diesem Fortschrittsgedanken in der amerikanischen Jurisprudenz des 19. Jhd. Bone, 89 Columbia L. Rev. 1, 11, 18 ss., 26 (1989) (dort freilich auch mit dem Hinweis auf den spezifischen Common Law-Hintergrund dieses Gedankens; dazu auch unten noch S. 255 ff.); Reimann, Historische Schule und Common Law, S. 55 f., 83 f. – auch mit Verweis auf die Gründe, die vor allem in der Wissenschaftstheorie verortet werden (Einfluss des historisch-evolutionistischen Denkens bei Charles Darwin und Herbert Spencer auf die Rechtswissenschaft, aaO, S. 55 f., 84), dagegen hinsichtlich des Fortschrittsgedankens nicht durch den Einfluss der Historischen Schule und Savigny bestimmt sein sollen; s. z.B. Maine, Ancient Law, p. 170; Pomeroy, Remedies and Remedial Rights, §§ 6 ss., p. 6 ss.; dazu auch Grey, 45 U. Pitt. L. Rev. 1, 28 s. (1983); aus historisch-kritischer Perspektive dazu Gordon, 36 Stanford L. Rev. 57, 59 ss. (1984). 30 S. Bone, 89 Columbia L. Rev. 1, 18 ss., 21 (1989) m.Nw.; zum Vertrag vor allem Maine, Ancient Law, p. 170 („From Status to Contract“). Weiterhin kann auf Holmes und seine Fortschrittsgeschichte zu immer allgemeineren deliktischen Haftungsmaßstäben verwiesen werden, s. Holmes, The Common Law, p. 1 ss., 77 ss.; dazu Reimann, Historische Schule und Common Law, S. 80. 31 S. zur Person unten die Kurzbiographie auf S. 577. 32 Maine, Ancient Law, Chap. 5, p. 170 („The word Status may be usefully employed to construct a formula expressing the law of progress thus indicated, which, whatever be its value, seems to me to be sufficiently ascertained. […] If we then employ Status […] to signify these personal conditions only, and avoid applying the term to such conditions as are the immediate or remote result of agreement, we may say that the movement of the progressive societies has hitherto been a movement from Status to Contract“); dazu Bone, 89 Columbia L. Rev. 1, 19 Fn. 36, 22 (1989); Reimann, Historische Rechtsschule und Common Law, S. 55 f., 84; Bruns, JZ 2007, 385 f.; Bäuerle, Vertragsfreiheit und Grundgesetz, S. 42.
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Einführung
Rekurs auf Maine wird beim US-amerikanischen Rechtswissenschaftler Pomeroy33 der rechtliche Fortschritt darin gesehen, dass ausgehend von einer Rechtsorganisation, die aus strikten Klageformeln und -arten besteht, eine allgemeine Rechtsordnung subjektiver Rechte und damit korrespondierender Pflichten erwächst und der Prozess schließlich der Durchsetzung und dem Schutz dieser subjektiven Rechte dient.34 Kennzeichen des Fortschritts ist danach die Gründung des Rechts auf allgemeinen vernunftbegründeten Prinzipien, wobei der Gedanke eines Systems subjektiver Rechte zentral wird.35 Die US-amerikanischen (Prozess-)Rechtsreformen des 19. Jahrhunderts erscheinen hier als Verwirklichung dieses gesellschaftlichen und rechtlichen Fortschrittsgedankens, hin zu den subjektiven Privatrechten sowie zum Vertrag und zur allgemeinen Vertragsbindung als Grundlagen moderner, „fortschrittlicher“ Rechtsordnungen.36 bb) Pounds „Socialization of Law“ Die Interpretationsoffenheit und Ambivalenz des Fortschrittsnarrativs macht sich indes bald darauf bemerkbar. Anfang des 20. Jahrhunderts greift der USamerikanische Rechtswissenschaftler Roscoe Pound37 das historisch-finalisierende Fortschrittsmodell auf38, transformiert es aber zugleich wesentlich, indem das Ende der Entwicklung nicht durch Freiheit oder individuelle subjektive Rechte, sondern durch die „Sozialisierung des Rechts“ (The Socialization of Law) gekennzeichnet ist.39 Zu Beginn der rechtlichen Entwicklung steht danach die Stufe des archaic law; auf die nachfolgende Stufe des auf Rechtssicherheit bedachten strict law (römisches Recht, common law) folgt als dritte Stufe die equity, der das Naturrecht (natural law) zugeordnet ist, sodann als
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Zur Person s. die Kurzbiographie auf S. 578. S. Pomeroy, Remedies and Remedial Rights, §§ 6 ss., p. 6 ss.; § 28, p. 27 s.; zum Fortschrittsgedanken bei Pomeroy auch Reimann, Historische Schule und Common Law, S. 83; s. ferner noch näher unten S. 215 ff. 35 Pomeroy, Remedies and Remedial Rights, § 32, p. 31 („The fundamental conceptions embodied in the American system are natural and true. They are perfect in accord with the experience of mankind as shown in the history of legal development from an infancy of rude barbarism to a maturity of enlightened civilization. The whole course of such development consists in discarding rules, modes, and institutions, which were arbitrary and formal, and in bringing the law into an agreement with abstract justice and pure morality“); s.a. Bone, 89 Columbia L. Rev. 1, 19, 20 s. (1989). 36 S. deutlich Pomeroy, Remedies and Remedial Rights, § 32, p. 31. Zu den amerikanischen (Prozess-)Rechtsreformen des 19. Jhd. unten noch S. 257 ff.; vgl. ferner mit Verweis auf den Field Code Bone, 89 Columbia L. Rev. 1, 26 (1989). 37 Zu Pound s. etwa Jansen/Reimann, ZEuP 2018, 89, 122 f.; ferner die Kurzbiographie auf S. 578. 38 S. Pound, 27 Harvard L. Rev. 195 ss. (1914). 39 Dazu vor allem Bone, 89 Columbia L. Rev. 1, 89 ss., 91 ss. (1989). 34
II. Die Dialektik rechtlicher Veränderung
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vierte Stufe die Phase der maturity of law.40 Während für die dritte Stufe beispielsweise die Identifizierung des Rechts mit Moral (identification of law with morals), die Rechtsfähigkeit des einzelnen Menschen sowie die Vertragsbindung wesentlich sind41, charakterisieren die vierte Stufe „die Idee individueller Rechte“ (idea of individual rights) – nicht mehr das Klagrecht (actio) des römischen Rechts ist die maßgebliche Kategorie, sondern das Recht (right); jeder rechtlichen Pflicht (duty) steht korrelativ ein Recht gegenüber –, die Zentralität von (Vertrags-)Freiheit und Eigentum sowie ein verschuldensabhängiges Haftungsrecht.42 Diese auf die individuellen Rechte des Einzelnen und deren Schutz zentrierte Stufe, welche zuvor noch als die „Vollendung“ der Rechtsentwicklung angesehen wurde43, ist bei Pound allerdings nur die vorletzte; auf diese folgt schließlich als letzte Stufe die „Sozialisierung des Rechts“ (Socialization of Law).44 Diese Sozialisierung des Rechts korrigiert die vorangegangene Stufe – etwa durch Begrenzungen der Vertragsfreiheit und des Eigentumsrechts, verschuldensunabhängige Haftung45 –, und verweist entsprechend Rudolph Jhering auf die sozialen Zwecke und Interessen, die hinter den Rechten stehen und die individuellen Interessen überlagern.46 Pound sah diese Entwicklung bereits Anfang des 20. Jahrhunderts im Gange, und erkannte auch im damals neuen Bürgerlichen Gesetzbuch Einflüsse dieser Sozialisierung.47 c) Die soziale Korrektur des liberalen 19. Jahrhunderts im 20. Jahrhundert? In gewisser Hinsicht fand und findet dieses Narrativ der „Sozialisierung des Rechts“ auch in der rechtswissenschaftlichen Diskussion in Deutschland Rezeption. Bereits seit Mitte des 20. Jahrhunderts wird ähnlich dem Narrativwechsel bei Pound argumentiert, dass dem liberalen 19. Jahrhundert eine soziale Gegenbewegung gefolgt sei und damit das 20. Jahrhundert zur notwen-
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Pound, 27 Harvard L. Rev. 195, 198 ss. (1914). Pound, 27 Harvard L. Rev. 195, 213 ss. (1914). 42 Pound, 27 Harvard L. Rev. 195, 220 ss. (1914). 43 S. Bone, 89 Columbia L. Rev. 1, 91 (1989) („Late nineteenth century jurists had celebrated Pound’s fourth stage as the fulfillment of law’s teleological end, as the perfection of a rational legal system embodying general principles structured around an ideal system of primary rights“). 44 Pound, 27 Harvard L. Rev. 195, 225 ss. (1914); dazu auch Bone, 89 Columbia L. Rev. 1, 91 ss. (1989). 45 Pound, 27 Harvard L. Rev. 195, 226 ss. (1914). 46 Pound, 27 Harvard L. Rev. 195, 225 s. (1914); dazu Bone, 89 Columbia L. Rev. 1, 91 ss. (1989). 47 Pound, 27 Harvard L. Rev. 195, 228, 232 s. (1914): §§ 226, 528 f., 829 BGB; § 850 ZPO; zu dieser „fragwürdigen“ Bewertung auch Reimann, Historische Schule und Common Law, S. 257. 41
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digen Korrektur des zu (wirtschafts-)liberalen 19. Jahrhunderts geführt habe.48 Die Rechtsveränderungen der Gegenwart werden als soziale Korrekturen des liberal-individualistisch denkenden 19. Jahrhunderts gewertet.49 Allerdings wird inzwischen in der hiesigen Diskussion geltend gemacht, dass dieses Narrativ von der sozialen Korrektur des liberalen 19. Jahrhunderts im 20. Jahrhundert zu kurz greife.50 Zum einen wird gefragt, wie liberal das 19. Jahrhundert gewesen ist; tatsächlich wurde in den vergangenen Jahrzehnten darauf hingewiesen, dass das rechtswissenschaftliche 19. Jahrhundert keineswegs ein Zeitalter „grenzenloser“ Vertragsfreiheit und Privatautonomie gewesen sei.51 d) „Erste Moderne“ und „reflexive Moderne“ Zum anderen hat Marietta Auer ein soziologisch geprägtes Modell von „erster Moderne“ und „zweiter Moderne“ entwickelt, wonach der Prägung durch gewisse Konstituenten der rechtlichen Moderne Kritik und Dekonstruktion („reflexive Moderne“) entgegengetreten seien.52 Maßgeblich sind danach soziologisch geprägte Kategorien von Moderne und „reflexiver Moderne“ sowie von Konstruktion und „Dekonstruktion“.53 Kennzeichnend für die Kritik 48 Dieses Narrativ soll vor allem auf Wieacker, Das Sozialmodell, S. 6 ff., 16 f., 18 ff., 26 f. zurückgehen, so Rückert, in: Klippel (Hrsg.), Naturrecht im 19. Jahrhundert, S. 135, 137 f.; ferner zu diesem Narrativwechsel Raiser, JZ 1958, 1, 2 ff.; kritisch zu diesem Narrativ „liberal-sozial“ Haferkamp, in: Lampe/Pauen/Roth (Hrsg.), Willensfreiheit und rechtliche Ordnung, S. 196, 197 ff.; ferner Hofer, Freiheit ohne Grenzen, S. 1 ff. (dort im Hinblick darauf, dass im 19. Jhd. keineswegs der Gedanke einer „grenzenlosen“ Vertragsfreiheit vorherrschend war); Schapp, Grundfragen der Rechtsgeschäftslehre, S. 24 („Raisers These von der Ablösung eines individualistisch geprägten Zeitalters durch ein sozial geprägtes erscheint bedenklich, wenn man die historische Perspektive etwas weiter faßt“); ferner auch Flume, Allgemeiner Teil, § 1,9 („Das Prinzip der Privatautonomie und der Vertragsfreiheit hat entgegen oft gegebenen Deutungen nichts mit dem Individualismus oder Liberalismus des 18. oder 19. Jahrhunderts zu tun“); s. schließlich auch Canaris, AcP 200 (2000), 273, 289 ff. zu dieser Gegenüberstellung „liberal“ – „sozial“. 49 Vgl. Raiser, JZ 1958, 1, 2 ff.; Wieacker, Das Sozialmodell, S. 16 f., 18 ff.; ferner Bachmann, Private Ordnung, S. 73. 50 Haferkamp, in: Lampe/Pauen/Roth (Hrsg.), Willensfreiheit und rechtliche Ordnung, S. 196, 197 ff.; Hofer, Freiheit ohne Grenzen, S. 1 ff.; Auer, Der privatrechtliche Diskurs, S. 3 ff.; s. ferner auch HKK-BGB/Rückert, vor § 1 BGB Rn. 79; ders., in: Klippel (Hrsg.), Naturrecht im 19. Jahrhundert, S. 135, 136 ff. 51 S. kritisch zu dieser These des liberalen, durch unbeschränkte Vertragsfreiheit geprägten 19. Jhd. Hofer, Freiheit ohne Grenzen, S. 1 ff.; s. ferner auch Auer, Der privatrechtliche Diskurs, S. 4; Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, S. 529 ff. dazu, dass dem Begriff „Privatautonomie“ im 19. Jhd. nur begrenzte Bedeutung zukam und er erst in der 2. Hälfte des 20. Jhd. in der Bundesrepublik zentral wurde. 52 Auer, Der privatrechtliche Diskurs, S. 5 ff., 46 ff., 74 ff., 88 f. 53 Auer, Der privatrechtliche Diskurs, S. 46 ff., 55 ff.; zur „Dekonstruktion“ auch Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, S. 325 (im Hinblick auf den „herrschenden Privatrechtsbegriff“).
II. Die Dialektik rechtlicher Veränderung
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seien die „Dezentrierung des Subjekts“, die „Dekonstruktion des subjektiven Rechts“ und der „Einbruch des Öffentlichen in das Privatrecht“.54 Trotz ihrer „Dekonstruktion“ sei die Kategorie subjektiver Rechte indes immer noch nicht als solche abgelöst.55 e) Die Begriffsjurisprudenz und ein „zeitloses“ Rechtsdenken? Auch wenn, wie erwähnt, der Fortschrittsgedanke die Rechtswissenschaft in Deutschland im 19. Jahrhundert nicht gleichermaßen wie in den USA prägte56, so zeigt sich doch auch bei dieser eine Art Finalität, und zwar im Kontext der sog. „Begriffsjurisprudenz“, wie sie etwa mit Puchta57 und Windscheid58 verbunden wird.59 Maßgeblich ist dabei die Vorstellung einer als System geordneten Rechtsordnung, die aus abstrakten „Rechtsbegriffen“ und allgemeinen Rechtsgrundsätzen besteht.60 Wenngleich es nach Windscheid kein „absolutes Recht“ geben soll61, bricht sich hier dennoch die Vorstellung Bahn, ein „wertneutrales“ und „zeitloses“ Privatrechtssystem mit jeder Rechtsordnung vor-
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Auer, Der privatrechtliche Diskurs, S. 48 ff., 55 ff., 63 ff. Auer, Der privatrechtliche Diskurs, S. 62 f., ferner S. 44 („[…] dass die Willenstheorie trotz der noch zu erörternden gewichtigen Gegenargumente in ihrer praktischen Wirksamkeit bis heute letztlich niemals ernsthaft erschüttert wurde“); s. aber auch S. 53 (zur Dekonstruktion der Grundbegriffe: „Wesentlich ist: Sie bedeutet nicht, dass die Prämissen der ersten Moderne […] offen diskreditiert, widerlegt oder durch antagonistische Gegenprinzipien direkt herausgefordert werden. Der Effekt ist vielmehr subtiler: Während die äußere Wertungsstruktur der ersten Moderne intakt bleibt, erodiert bzw. wandelt sich der Inhalt ihrer Grundbegriffe […]“), ferner dann S. 74 ff. (zur „immanenten Selbstgefährdung“), 80 f. (S. 81: „innere Erosion der normativen Substanz von Grundelementen des klassisch-modernen Privatrechts, die […] durch Verschiebungen der Lebenswirklichkeit ausgelöst wird, die die Wirksamkeit und praktische Durchführbarkeit des normativ individualistischen Wertprogramms in Frage stellt“); vgl. auch Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, S. 327 ff., 338 (zum grundsätzlich trotz der Kritik unveränderten Privatrechtsbegriff), ferner S. 353 ff. (zu den Gründen: „Integrationskraft des freiheitlich-individualistischen Privatrechtsbegriffs“). 56 S. dazu zuvor S. 4 f. sowie Reimann, Historische Schule und Common Law, S. 82 ff. 57 Zur Person s. die Kurzbiographie auf S. 578. 58 Zur Person s. die Kurzbiographie auf S. 579. 59 Zur Begriffsjurisprudenz s. unten noch S. 163 ff. sowie Larenz, Methodenlehre, S. 19 ff., 28 ff.; Wilhelm, Zur juristischen Methodenlehre, S. 79 ff.; Simshäuser, Zur Entwicklung des Verhältnisses, S. 87 ff.; Wieacker, Privatrechtsgeschichte, S. 400 f., 433 ff. 60 S. etwa Wieacker, Privatrechtsgeschichte, S. 430 f., 433 f., 436; Simshäuser, Zur Entwicklung des Verhältnisses, S. 87 ff. 61 S. Windscheid, Lehrbuch des Pandektenrechts, § 6, S. 17, Fn. 5 explizit gegen die Vorstellung eines absoluten keinen Veränderungen unterliegenden Rechts („Das römische Recht ist nicht das absolute Recht; ein absolutes Recht gibt es überhaupt nicht; auf dem Gebiet des Rechts wie auf allen anderen Gebieten enthüllt sich die Wahrheit nur der fortschreitenden Arbeit des Menschengeistes“). 55
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Einführung
ausliegenden Rechtsbegriffen62 zu schaffen, aus denen heraus und um die herum die gesamte Rechtsordnung im Wege deduktiv-logischer Operation erarbeitet werden kann („Construction“63).64 Trotz des aus Perspektive der Historischen Schule eigentlich geschichtlichen Charakters des Rechts65 ist mit einem solchen Denken in abstrakten Rechtsbegriffen auch der Charakter des „Zeitlosen“ verknüpft.66 Doch drängt sich bereits hier die Warnung vor Selbstverständlichkeiten und vor einer Rechtswissenschaft auf, die die „moderne“ Privatrechtsordnung als Notwendigkeit suggeriert, welche sich als logisch geschlossenes System um Person, subjektive Rechte und das Rechtsgeschäft herum aufbaut.67 Für das 19. Jahrhundert mag es eine Selbstverständlichkeit gewesen sein68, dass es so etwas wie subjektive Rechte und Willenserklärungen gibt; dass der Wille verpflichtet; dass die Rechtsordnung ihren Ausgangspunkt in der Freiheit des Einzelnen und im Personbegriff nimmt; dass Zivil- und Strafrecht getrennt sind. Selbstverständlich ist dies aber nicht – weder in der rechtshistorischen
62 S. etwa Windscheid, Lehrbuch des Pandektenrechts, 6. Aufl., § 6, S. 19 („materiellen Rechtsbegriffen und Rechtswahrheiten“). 63 Zu diesem Begriff Windscheid, Lehrbuch des Pandektenrechts, § 24, S. 60. 64 S. W. Hess, Zum Verhältnis von Recht und Sittlichkeit, S. 53 f.; Kasper, Das subjektive Recht, S. 75, 78 („Wertneutralität“); Larenz, Methodenlehre, S. 19 ff., 28 ff., 32; Wieacker, Privatrechtsgeschichte, S. 430 f., 433 f., 436; Simshäuser, Zur Entwicklung des Verhältnisses, S. 87 ff.; Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, S. 332 f. („Die Systematisierung verband sich mit dem Aufkommen der „Begriffsjurisprudenz“, so dass Romanisten wie Puchta die Merkmale des römischen Rechts zu begrifflichen Notwendigkeiten hochstilisierten und andere Gestaltungen für logisch unmöglich erklärten“); vgl. Windscheid, Pandekten, § 6, S. 16 (zur Bedeutung des römischen Rechts: „Einmal deswegen, weil sein Inhalt zu einem großen Theil nicht auf der Besonderheit gerade des römischen beruht, sondern nichts ist, als der Ausdruck allgemein menschlicher Auffassungen allgemein menschlicher Verhältnisse, nur mit einer Meisterschaft entwickelt, welche keine Jurisprudenz und keine Gesetzgebungskunst seitdem zu erreichen verstanden hat – daher unmittelbar verwerthbar, wo civilisierte Menschen zusammenwohnen“; s. aber auch zuvor Fn. 61 zu Windscheid), ferner § 24, S. 58 f. (zu den „Rechtsbegriffen“). 65 Dazu Reimann, Historische Schule und Common Law, S. 75, 97 ff.; Wieacker, Privatrechtsgeschichte, S. 353 ff. 66 Vgl. zu diesem Spannungsverhältnis einerseits des geschichtlichen Charakters und andererseits des abstrakt-systematischen Denkens in scheinbar „zeitlosen“ Begriffen im Hinblick auf Puchta Reimann, Historische Schule und Common Law, S. 142 („Von daher erklären sich auch die unterschiedlichen Auffassungen von der Wandelbarkeit der Grundprinzipien des Rechts. Zwar hatte Savigny sie noch als organisch wachsend gesehen, bei Puchta waren sie aber längst wieder zu einer an das Vernunftrecht erinnernden, zeitlosen Gültigkeit erstarrt“), ferner S. 146; s.a. Wieacker, Privatrechtsgeschichte, S. 433; Wilhelm, Zur juristischen Methodenlehre, S. 86. 67 In diese Richtung etwa Gmür, Rechtswirkungsdenken in der Privatrechtsgeschichte, S. 94 ff. 68 Tatsächlich gab es jedoch bereits im 19. Jhd. an jeder dieser Kategorien Kritik, s. dazu unten die Nachweise S. 158 ff., 166 ff.
II. Die Dialektik rechtlicher Veränderung
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Entwicklung noch zu Beginn des 21. Jahrhunderts.69 Die Begriffe sind wieder unklar geworden.70
3. Der Traditionsgedanke und die Tradition der „Metaphysik der Freiheit“ a) Bermans „Westliche Rechtstradition“ Ein Gegenmodell zu einem Verständnis der Rechtsentwicklung als finalem Prozess bildet das Traditionsmodell, wie es Harold Berman für die „Westliche Rechtstradition“ formuliert hat.71 Rechtliche Veränderung vollzieht sich danach im Kontext eines spezifischen Traditionsgedankens.72 Wenngleich auch die Tradition durch ein „organisches Wachstum“ gekennzeichnet sein soll73, ist sie dennoch kein finaler Prozess.74 Die Tradition geht aus von einer Entwicklung, aber diese Entwicklung ist kontinuierlich (ongoing), das Recht „hat eine Geschichte“75 und entwickelt sich in Kontinuität zu dem Vorangegangenen sowie gewissen Charakteristiken, die diese Tradition seit ihrer formative era prägen.76 Es gibt Elemente, die sich ändern – Reform und Veränderung sind danach gerade Kennzeichen der Tradition.77 Zugleich gibt es aber auch Elemente, die der Tradition ihre Identität verleihen78 – selbst Revolutionen setzen diese Elemente nicht außer Kraft79. Kennzeichen der „Westlichen Rechtstradition“ sind danach etwa die Differenzierung der Rechtswissenschaft von Religion und Politik und die „Autonomie“ des Rechts80; die Bildung eigenständiger rechtlicher Institutionen (Gerichte, Universitäten, „Juristen“), die mit der 69 Vgl. auch Reinach, Phänomenologie des Rechts, S. 11 ff., 14 ff.; ferner auch Raiser, JZ 1958, 1 f. dazu, dass Vertragsfreiheit keine jeder Rechtsordnung immanente Selbstverständlichkeit ist. 70 Vgl. dazu auch im Kontext der „Dekonstruktion des Subjekts“ Auer, Der privatrechtliche Diskurs, S. 53 („Die Dekonstruktion des Subjekts führt letztlich zur Dekonstruktion auch aller anderen individualistisch fundierten Grundbegriffe des Privatrechts, indem diese sich etwa plötzlich aus sich selbst heraus relativieren, mit Gegenprinzipien vereinigen oder als bloße Abwägungs- oder Interessenfragen darstellen lassen“). 71 Dazu vor allem Berman, Law and Revolution, p. 1 ss., 5 ss. 72 S. Berman, Law and Revolution, p. 5 ss. 73 Berman, Law and Revolution, p. 5 ss. 74 S. Berman, Law and Revolution, p. 7 („At the same time, conscious growth does not necessarily mean development toward particular ideal goals. It means something less than moral progress, though something more than mere change or accumulation“). 75 Berman, Law and Revolution, p. 9. 76 Berman, Law and Revolution, p. 5 ss., 7 ss. 77 Vgl. Berman, Law and Revolution, p. 9. 78 Vgl. Berman, Law and Revolution, p. 7 ss., 9. 79 S. Berman, Law and Revolution, p. 5. 80 Berman, Law and Revolution, p. 7 s.; zur Entwicklung der „Autonomie des Rechts“ auch Jansen, Recht und gesellschaftliche Differenzierung, S. 27 ff.
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Einführung
Rechtspflege und -fortbildung betraut sind und die kontinuierlich fortgebildet, erneuert und angepasst werden81; die Herausbildung eines normativen „Korpus“, der die Grundlage des Rechts bildet82; die Bindung von Rechtsprechung und Politik an das Recht und die Herrschaft des Rechts83; schließlich die Pluralität der Rechtsordnungen und verschiedener normativer Systeme84. So sehr dieses Traditionsmodell geeignet sein mag, die zurückliegenden rechtlichen Veränderungen zu beschreiben, so wenig lassen sich ihm Antworten für die Rechtsentwicklung der Gegenwart oder gar der Zukunft entnehmen: Traditionen können enden.85 So sah Harold Berman die „Westliche Rechtstradition“ bereits in den 1980er Jahren in einer tiefen Krise.86 b) Die Tradition der „Metaphysik der Freiheit“ In dieser Untersuchung wird auch einer Tradition nachgegangen, aber nicht so sehr der „Westlichen Rechtstradition“ insgesamt, sondern der sog. Tradition der „Metaphysik der Freiheit“, wie sie bereits vor mehreren Jahrzehnten von Theo Kobusch dargestellt wurde.87 Es geht hierbei um eine spezifische Metaphysiktradition, deren Fundament die Freiheit ist.88 Zentrale Kategorie dieser „Freiheitsmetaphysik“ ist die Person.89 Ausgehend von ihren scholastischen Grundlagen bei Alexander von Hales90 und Johannes Bonaventura91 habe insbesondere Francisco Suárez92 an der Wende des 16. zum 17. Jahrhundert diese Lehre fortentwickelt.93 Über die Entwicklung bei Samuel Pufendorf94 und Christian Wolff95 soll diese Tradition dann auf spezifische Weise auch Kants96 Metaphysik der Sitten zugrunde liegen.97 Schließlich soll eben dieser Tradition 81
Berman, Law and Revolution, p. 5 s., 7 s. Berman, Law and Revolution, p. 9. 83 Berman, Law and Revolution, p. 9 s. 84 Berman, Law and Revolution, p. 10. 85 Vgl. auch Berman, Law and Revolution, p. 33 ss., 37 ss. 86 Dazu Berman, Law and Revolution, p. 33 ss., 37 s. mit dem Hinweis auf die Krise der „Westlichen Rechtstradition“. 87 Kobusch, Die Entdeckung der Person, S. 11 ff., 19 ff.; darauf zurückgreifend Auer, Der privatrechtliche Diskurs, S. 15 ff. („Die Entdeckung der Person“); s. ferner dazu Thönissen, Recht und Gerechtigkeit, 3. Kap. VI.4. 88 Kobusch, Die Entdeckung der Person, S. 11 ff. 89 Kobusch, Die Entdeckung der Person, S. 11 f., 23 ff. 90 Zur Person s. die Kurzbiographie auf S. 576. 91 Zur Person s. die Kurzbiographie auf S. 575. 92 Zur Person s. die Kurzbiographie auf S. 578. 93 Kobusch, Die Entdeckung der Person, S. 19 ff., 23 ff. (u.a. zu Alexander von Hales und Bonaventura), 55 ff. (zu Suárez). 94 Zur Person s. die Kurzbiographie auf S. 578. 95 Zur Person s. die Kurzbiographie auf S. 579. 96 Zur Person s. die Kurzbiographie auf S. 576. 97 Kobusch, Die Entdeckung der Person, S. 67 ff. (zu Pufendorf), 87 ff., 93 ff. (zu Christian Wolff), 129 ff. (zu Kant). 82
III. Normative Vorprägung rechtlicher Veränderung
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auch die Kategorie der Menschenwürde entstammen, die aufs engste mit dem Personsein des Menschen verbunden ist.98 Diese von Kobusch entwickelte Idee ist von Marietta Auer für die Privatrechtswissenschaft aufgegriffen worden.99 Nach Auer hat sich in diesem Kontext bei Kant im Anschluss an Pufendorf der für die privatrechtliche Moderne prägende Rechtsbegriff durchgesetzt, welcher sich über die Elemente „Person, Freiheit, Vernunft, Wille, Recht“100 konstituiert.101 In Zusammenhang damit stehen danach die spezifischen Kategorien der rechtlichen Moderne, d.h. insbesondere die „Form des subjektiven Rechts“ und die „Person“.102 Und gerade diese Kategorien und Denkform – vor allem das subjektive Privatrecht – stehen in der Gegenwart unter Druck.103 Scheinbar geht es danach um den Gegensatz „liberal – sozial“, tatsächlich geht es aber, wie in dieser Untersuchung gezeigt werden soll, um die Freiheitsmetaphysiktradition und ihre Kategorien.104
III. Normative Vorprägung rechtlicher Veränderung Unabhängig davon ist nochmals auf den Maßstab rechtlicher Veränderung zurückzukommen.105 Klar ist, dass, wenn es überhaupt einen Maßstab rechtlicher Veränderung gibt, dieser selbst nur normativ sein kann.106 Hier können nun zwei Ansätze diskutiert werden: zum einen die Zivilrechtsdogmatik, deren Aufgabe es sein kann, einen Maßstab dieser rechtlichen Veränderung zu formulieren.107 Da aber dieser Maßstab im Rechtsstaat kein normativ bindender Maßstab sein kann, kommt zum anderen als einziger wirklich normativ bindender Maßstab nur die Verfassung in Betracht.108 Aus diesem verfassungs98
Kobusch, Die Entdeckung der Person, S. 255 ff., 259 ff. S. Auer, Der privatrechtliche Diskurs, S. 15 ff. („Die Entdeckung der Person“). 100 Auer, Der privatrechtliche Diskurs, S. 17. 101 Auer, Der privatrechtliche Diskurs, S. 16 ff. 102 Vgl. (im Hinblick auf den modernen Privatrechtsbegriff) Auer, Der privatrechtliche Diskurs, S. 22 ff., 28 f. (S. 29: „Mit der Person und dem subjektiven Recht als Strukturmerkmalen des modernen Rechtsdenkens“); ferner S. 29 ff. zur „Trennung von Staat und Gesellschaft“ als weiterer Grundlage des modernen Privatrechtsbegriffs. 103 Vgl. Auer, Der privatrechtliche Diskurs, S. 46 ff., 55 ff. (zur „Dezentrierung des Subjektes“ und zur „Dekonstruktion des subjektiven Rechts“). 104 Vgl. ansatzweise, wenngleich anders, Auer, Der privatrechtliche Diskurs, S. 4 ff. (dort kritisch zur Gegenüberstellung „liberal“ – „sozial“; stattdessen philosophisch-soziologisches Narrativ von „Moderne“ – „zweiter Moderne“). 105 S. dazu unten noch näher S. 335 ff. 106 Vgl. Jestaedt, Grundrechtsentfaltung im Gesetz, S. 288 ff., 292 ff. 107 S. aber jüngst kritisch zur Rolle der Rechtsdogmatik Jansen, Recht und Differenzierung, S. 311 ff., 317 ff., 321 ff. (zur Frage, was überhaupt noch Aufgabe der Rechtswissenschaft in der Gegenwart ist). 108 S. dazu unten S. 337 ff., 341 ff.; vgl. auch Jestaedt, Grundrechtsentfaltung im Gesetz, S. 280 ff., 293 ff., 298 ff.; Grünberger/Jansen, in: dies. (Hrsg.), Privatrechtstheorie heute, S. 1, 2 f. 99
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Einführung
rechtlichen Maßstab können Vorgaben in zweierlei Hinsicht folgen: einmal im Hinblick darauf, was das Ziel der Veränderung ist; sodann im Hinblick auf solche Elemente, die dem einfachen Gesetzgeber schlechthin vorgegeben sind, die also bestands- oder veränderungsfest sind.109 Freilich zeigt sich hier ein Konflikt: Der demokratische Grundsatz, dass alles Recht gesetzgeberischer positivrechtlicher Gestaltung unterliegt110, konfligiert mit dem Selbstverständnis einer privat- und prozessrechtlichen Dogmatik111, die ausgehend von allgemeinen Grundsätzen oder Allgemeinbegriffen („Begriffsjurisprudenz“) konkrete Rechtsfragen beantworten und damit ein privatrechtliches, scheinbar „wertneutrales“ System mit überzeitlicher Geltung erschaffen zu können meint.112 Gerade in diesem Spannungsverhältnis von positiver Rechtsgestaltung und historisch gewachsener Privatrechtsordnung und Privatrechtsdogmatik kommt dem Primärrecht besondere Bedeutung zu113, indem es nämlich vorgibt, inwieweit die geltende Ordnung einerseits Bestand haben darf und inwieweit sie andererseits Bestand haben muss.114
IV. Gang der Untersuchung Die folgende Untersuchung beginnt mit einer Darstellung der Konstituenten der geltenden Zivil- und Zivilprozessrechtsordnung (1. Kapitel). Darauf folgt eine rechts- und ideengeschichtliche Einordnung dieser Konstituenten und ih109 Zu dieser Bestandsfunktion des Grundgesetzes (neben der „Schrittmacherfunktion“) bereits Hesse, Verfassungsrecht und Privatrecht, S. 7, 17, 40 (S. 7: „bewahrende, gewährleistende Funktion“). 110 S. zu diesem Konflikt unten noch S. 341 ff.; vgl. insoweit auch zur Positivierung des Rechts Jansen, Recht und gesellschaftliche Differenzierung, S. 178 ff.; Wagner, in: Dreier (Hrsg.), Rechtswissenschaft als Beruf, S. 67, 97 f. 111 Vgl. zu diesem Konflikt auch Jansen, Recht und gesellschaftliche Differenzierung, S. 305 ff., 311 ff., 317 ff. (im Hinblick auf die Differenzierung von Gesetzgebung, Rechtsprechung und Rechtswissenschaft; ferner S. 319 zum Bedeutungsverlust der Rechtswissenschaft: „Die Wissenschaft hat ihre konstitutive Rolle im Prozess der Rechtserzeugung verloren“); Wagner, in: Dreier (Hrsg.), Rechtswissenschaft als Beruf, S. 67, 172 f., 177 ff.; s. aber auch Rödl, Gerechtigkeit, S. 50 f. im Hinblick auf die „normative Rechtstheorie“; ferner in geschichtlicher Perspektive im Hinblick auf das 19. Jahrhundert Reimann, Historische Rechtsschule und Common Law, S. 239 ff. 112 S. dazu zuvor S. 9 f.; vgl. zur Entstehung dieses Selbstverständnisses im 19. Jhd. Larenz, Methodenlehre, S. 19 ff., 28 ff., 32 ff.; Kasper, Das subjektive Recht, S. 78 („Wertneutralität“). 113 Vgl. auch zu diesem Verhältnis im Hinblick auf vorkonstitutionelle Privatrechtsbegriffe, die von der Verfassung rezipiert werden, Bäuerle, Vertragsfreiheit und Grundgesetz, S. 22 ff., 25 f. 114 S. dazu Hesse, Verfassungsrecht und Privatrecht, S. 7, 17, 40 (S. 7: „bewahrende, gewährleistende Funktion“); s. ferner auch Jansen, Recht und gesellschaftliche Differenzierung, S. 195 zur Bedeutung der Verfassung („[…] gilt das positive Recht auch heute nicht als inhaltlich beliebig“; Fn. weggelassen).
IV. Gang der Untersuchung
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rer Entstehung, wobei insoweit auf das römische Recht und seine gemeinrechtliche Fortentwicklung, das Naturrecht und die Freiheitsmetaphysiktradition sowie auf Kant, Hegel und die Historische Rechtsschule des 19. Jahrhunderts eingegangen wird (2. Kapitel). Im 3. Kapitel wird die Kritik an den Konstituenten thematisiert, wobei zum einen die ideengeschichtlichen Grundlagen dieser Kritik und zum anderen die Kritik in der Gegenwart sowie die alternativen Privat- und Prozessrechtsmodelle dargestellt werden. Im Zentrum der gegenwärtig diskutierten Alternativmodelle steht das für das US-amerikanische Recht zentrale private law enforcement, dessen Entstehung, Entwicklung und aktuelle Ausgestaltung in den USA erörtert wird (4. Kapitel). Nach diesem allgemeinen, ideen- und rechtsgeschichtlichen sowie rechtsvergleichenden 1. Teil wendet sich die Untersuchung der Frage nach den konkreten Möglichkeiten, Grenzen und Entwicklungsperspektiven der Zivil- und Prozessrechtsentwicklung in der Gegenwart zu, wobei hier eine rechtsdogmatische und rechtstheoretische Argumentation zentral wird (2. Teil). Den Ausgangspunkt bildet die Frage nach dem richtigen Maßstab, welcher im Verfassungsrecht verortet wird (5. Kapitel). Sodann werden allgemein die verfassungsrechtlichen Vorgaben für die Ausgestaltung des Zivil- und Prozessrechts dargestellt (6. Kapitel). Im 7. Kapitel werden die einzelnen Konstituenten unter rechtstheoretischen und rechtsdogmatischen Aspekten näher beleuchtet und die konkreten Entwicklungsperspektiven erörtert. Die Untersuchung schließt mit einer Zusammenfassung und einem Fazit.
1. Teil
Die Konstituenten des Zivil- und Zivilprozessrechts in Gegenwart und Vergangenheit
1. Kapitel
Die Konstituenten des Zivil- und Zivilprozessrechts der Gegenwart I. Grundlagen Im Ausgangspunkt steht die Frage nach dem, was eigentlich Gegenstand der rechtlichen Veränderung ist. Die Frage nach den Konstituenten1 einer Rechtsordnung, d.h. nach den Elementen, die als so wesentlich erscheinen, dass sie der Rechtsordnung ihr Gepräge verleihen, ist zweifelsohne eine Wertungsfrage.2 Bei den meisten der im Folgenden genannten Kriterien ist streitig, wie konstitutiv sie tatsächlich sind.3 Insofern ist die Selektion selbst schon wertend. Für die folgende Selektion lassen sich mehrere Argumente ins Feld führen: zunächst kann man pragmatisch argumentieren, dass die folgenden Kategorien regelmäßig in Lehrbüchern des Allgemeinen Teils oder Abhandlungen zu den Grundbegriffen des Bürgerlichen Rechts als Grundprinzipien angeführt werden.4 Ebenso kann man historische Argumente anführen. Betrachtet man die gegenwärtige Privat- und Prozessrechtsordnung im Lichte des sie konstituierenden 19. Jahrhunderts5, so wird man bestimmte Elemente als Konstituenten dieser Ordnung ausmachen können. Prägend für das 19. Jahrhundert waren die Kategorien „Person, Wille und Freiheit“.6 Ferner tritt das 1 Vgl. zu den Begriffen Prinzip, Konstituenten und Grundsatz etwa Riesenhuber, ZfPW 2018, 352, 355 ff. 2 S.a. Rödl, Gerechtigkeit, S. 30 f. (Rödls Ansatz zielt indes auf eine normative Theorie des Privatrechts); vgl. zu Ansätzen, die Grundbegriffe und Konstituenten des Bürgerlichen Rechts zu erfassen, Boehmer, Grundlagen der Bürgerlichen Rechtsordnung, Bd. 1, S. 1 ff.; H. Hattenhauer, Grundbegriffe des Bürgerlichen Rechts, S. 1 ff. (u.a. „Person“, „Rechtsgeschäft“, „Schuldverhältnis“, „Unerlaubte Handlung“, „Eigentum“). 3 S. dazu unten S. 35 ff. sowie S. 359 ff. et passim die Diskussionen. 4 S. dazu unten im Einzelnen die Nachweise; s. ferner z.B. Neuner, Allgemeiner Teil, §§ 10, 11 ff., 19 ff., (vor § 19: „Rechtssubjekt“ und „Rechtsverhältnis“ als „Grundbegriffe des Privatrechts“). 5 Zum 19. Jhd. und zur Zentralität dieser Elemente s. unten noch S. 158 ff., 166 ff.; vgl. auch Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, S. 329 ff. (im Hinblick auf den aus dem 19. Jhd. übernommenen Privatrechtsbegriff), 337 f. (zur nach wie vor vorherrschenden Prägung des Privatrechtsbegriffs durch das 19. Jhd.; S. 338: „[…] ist der freiheitlich-individualistische Privatrechtsbegriff in seinem Kern bis heute erhalten geblieben“); ferner dazu, dass trotz der Kritik und Dekonstruktion die Kategorien (d.h. insbesondere die Form subjektiver Rechte) weiterhin fortbestehen, Auer, Der privatrechtliche Diskurs, S. 44, 62 f. 6 Zur Bedeutung von „Person, Freiheit, Wille“ für die Rechtswissenschaft des 19. Jhd. Kiefner, in: Blühdorn/Ritter (Hrsg.), Philosophie und Rechtswissenschaft, S. 3, 7; Reis, Juris-
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1. Kapitel: Die Konstituenten des Zivil- und Zivilprozessrechts der Gegenwart
„subjektive Recht“ als zentrale Konstituente und Ordnungsprinzip der Privatrechtsordnung hinzu.7
II. Person, Wille und (Willens-)Freiheit 1. Person, Rechtssubjekt und Rechtsfähigkeit Zentralbegriff der Bürgerlichen Rechtsordnung ist derjenige der Person.8 Der Begriff der Person meint nach gängigem Verständnis ein über Rechtsfähigkeit verfügendes Wesen.9 Die Person ist danach rechtsfähig und Rechtssubjekt, d.h. Träger von Rechten und Pflichten.10 Rechtsfähigkeit, Person und Rechtssubjekt werden oftmals synonym gesetzt11, wobei man aber zwischen Rechtsfähigkeit im Sinne der vorgelagerten „Fähigkeit, Träger von Rechten und Pflichten zu sein“12 und Rechtssubjektivität im Sinne der tatsächlichen Trägerschaft subjektiver Rechte und Pflichten differenzieren kann.13 7 tische Tatsachen, S. 118 ff., 123 Fn. 158; S. 181 f. mit Verweis auf v. Bethmann-Hollweg, Erinnerung an Friedrich Carl von Savigny, S. 18 („Persönlichkeit, Freiheit, Wille, die Grundbegriffe der Ethik, die sich in ihrer Beziehung zur Außenwelt zu einem reichen Systeme verschiedenartiger Rechtsverhältnisse entfalten“); Rückert, in: Heldrich (u.a.) (Hrsg.), FS Canaris, S. 1263, 1286, 1296. 7 S. dazu unten S. 185 ff. sowie für die gegenwärtige Diskussion Picker, Privatrechtssystem, S. 47 ff., 54; s. (auch im Hinblick auf das 19. Jhd.) Auer, Der privatrechtliche Diskurs, S. 22, 28 f., 43 f.; Fezer, Teilhabe und Verantwortung, S. 205 ff.; vgl. (aus der Perspektive der Kritik) Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, S. 329 („Das wesentliche Grundprinzip des Privatrechts ist demnach die Privatautonomie, die freie Entfaltung der Persönlichkeit bzw. die Freiheit schlechthin. Das subjektive Recht ist das zentrale Institut eines solchen Privatrechts. […] Prägend für den freiheitlich-individualistischen Privatrechtsbegriff sind die Konzepte der Freiheit und des subjektiven Rechts“). 8 S. etwa Klingbeil, AcP 217 (2017), 848, 849; H. Hattenhauer, Grundbegriffe, S. 1 f.; Rittner, Die werdende juristische Person, S. 159; ferner auch Auer, Der privatrechtliche Diskurs, S. 19 f., 29, 43; auch wenn der Begriff „Person“, ebensowenig wie der Begriff „Rechtsfähigkeit“, vom BGB nicht definiert, sondern nur vorausgesetzt wird, s. Hetterich, Mensch und „Person“, S. 21; MünchKomm BGB/Spickhoff, § 1 Rn. 1, 6 (zur Rechtsfähigkeit). 9 So Staudinger/Kannowski, Vorbem zu § 1, Rn. 1; Hetterich, Mensch und „Person“, S. 20. 10 S. Staudinger/Kannowski, § 1 Rn. 1 (Rechtsfähigkeit als „wesentliche Eigenschaft der Person“; „Wer rechtsfähig ist, ist ein Rechtssubjekt“); Klingbeil, AcP 217 (2017), 848, 858 („möglicher Träger von Rechten und Pflichten“), 859; vgl. Neuner, Allgemeiner Teil, § 11 Rn. 1 (Rechtsfähigkeit als „die Fähigkeit einer Person, Subjekt von Rechtsverhältnissen, d.h. Inhaber von Rechten und Adressat von Rechtspflichten zu sein“). 11 S. dazu H. Hattenhauer, JuS 1982, 405, 407; s. dazu und umfassend (zu den verschiedenden Ansätzen der Begriffsbestimmung) Hetterich, Mensch und „Person“, S. 20 ff., 25, 28 ff.; Eichler, System des Personenrechts, S. 34 f. 12 Zum Begriff der Rechtsfähigkeit etwa MünchKomm BGB/Spickhoff, § 1 Rn. 6; Jauernig/Mansel, § 1 Rn. 1; Bork, Allgemeiner Teil, Rn. 154; Leipold, BGB I, § 11 Rn. 9; Staudinger/Kannowski, Vorbem zu § 1, Rn. 1. 13 Zu Letzterem vgl. Kirste, in: Gröschner/Kirste/Lembcke (Hrsg.), Person und Rechtsperson, S. 345, 350 f., der zwischen Rechtsfähigkeit als „Möglichkeit“ und Rechtssubjektivi-
II. Person, Wille und (Willens-)Freiheit
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Person und rechtsfähig ist zum einen die natürliche Person, d.h. jeder Mensch (§ 1 BGB14), zum anderen die juristische Person.15 Von der Rechtsfähigkeit wird die Handlungsfähigkeit, d.h. die Fähigkeit einer Person, durch ihr Handeln Rechtswirkungen zu erzeugen16, unterschieden: Während jeder Mensch rechtsfähig ist, knüpft die Handlungs-, Delikts- bzw. Geschäftsfähigkeit17 an die Willens-, Einsichts- bzw. Vernunftfähigkeit18 an.19 Nicht jeder tät 14als „Wirklichkeit“ differenziert – daher auch kritisch (aaO, S. 353) zum synonymen Gebrauch der Begriffe Rechtsperson, Rechtsfähigkeit und Rechtssubjektivität, Rechtsperson soll „den Umfang der einem Rechtssubjekt zugewiesenen Rechte“ beschreiben; Klingbeil, AcP 217 (2017), 848, 859 f. (Rechtsfähigkeit im Sinne des abstrakten Habenkönnens), 861 f. (kritisch zum synonymen Verständnis von Rechtssubjekt und Person); vgl. ferner zum Verhältnis von Rechtssubjekt und Rechtsfähigkeit (daraus, dass jemand Subjekt eines Rechts ist, soll bereits die Rechtsfähigkeit folgen, deshalb kritisch zur Teilrechtsfähigkeit) M. Lehmann, AcP 207 (2007), 225, 235; s. aber unten noch S. 359 ff. zur Diskussion, inwieweit der Personbegriff über die Rechtssubjektqualität und die Rechtsfähigkeit hinausgeht. 14 Wobei die Rechtsfähigkeit des Menschen in § 1 BGB nicht explizit ausgeschrieben bzw. definiert, sondern vorausgesetzt wird, s. etwa Westermann, Person und Persönlichkeit, S. 9; MünchKomm BGB/Spickhoff, § 1 Rn. 1, 6; ferner M. Lehmann, AcP 207 (2007), 225, 226 f.; H. Hattenhauer, Grundbegriffe, S. 1 f., 4 ff. 15 S. Staudinger/Kannowski, Vorbem zu § 1, Rn. 1; § 1 Rn. 1; Hetterich, Mensch und „Person“, S. 21; Bork, Allgemeiner Teil, Rn. 153 f., 188; zur „Identität“ von Mensch und Person Westermann, Person und Persönlichkeit, S. 7, wobei aber Identität nur meinen kann, dass jeder Mensch Person ist; nicht jede Person ist dagegen Mensch. 16 Staudinger/Kannowski, § 1, Rn. 2 (Handlungsfähigkeit als „Fähigkeit, durch eigenes Verhalten Rechtswirkungen hervorzubringen“); Neuner, Allgemeiner Teil, § 12 Rn. 1 (Fähigkeit, „Rechtshandlungen wirksam vornehmen zu können, d.h. Rechte und Pflichten durch eigenes Handeln begründen sowie ganz generell Rechtsfolgen herbeiführen zu können“). 17 Die Begriffe werden aber nicht einheitlich definiert bzw. differenziert, was auch daran liegt, dass der Begriff der Handlungsfähigkeit selbst kein gesetzlicher ist, vgl. MünchKomm BGB/Spickhoff, § 1 Rn. 8 ff. (Geschäftsfähigkeit als „die Fähigkeit, Rechtsgeschäfte selbständig vornehmen zu können“, unterschieden von [allgemeiner] Handlungsfähigkeit, Haftungsfähigkeit und Verschuldensfähigkeit); Leipold, BGB I, § 11 Rn. 4, 10a (Geschäftsfähigkeit als „die Fähigkeit, Willenserklärungen wirksam abzugeben oder entgegenzunehmen“; Deliktsfähigkeit als „die Fähigkeit, für eigene unerlaubte Handlungen oder eigene Pflichtverletzungen im Rahmen von Schuldverhältnissen verantwortlich zu sein“; Handlungsfähigkeit als Oberbegriff für Delikts- und Geschäftsfähigkeit); Neuner, Allgemeiner Teil, § 12 Rn. 1 ff., 7 (Deliktsfähigkeit als „besondere Handlungsfähigkeit“). 18 S. Neuner, Allgemeiner Teil, § 12 Rn. 2 ff. („natürliche Willensfähigkeit“); vgl. §§ 104 Nr. 2, 827 S. 1 BGB („[…] in einem die freie Willensbestimmung ausschließendem Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit […]“); § 828 Abs. 3 BGB („[…] nicht die zur Erkenntnis der Verantwortlichkeit erforderliche Einsicht hat“). S. ferner Neuner, AcP 218 (2018), 1, 23 ff. zu Einsichts- und Steuerungsfähigkeit, die zusammen die Willensfreiheit konstituieren: Einsichtsfähigkeit ist die vorgelagerte intellektuelle Fähigkeit, Handlungsalternativen zu erkennen; Steuerungsfähigkeit ist die voluntative Fähigkeit, über die Handlungsalternativen zu entscheiden und entsprechend zu handeln; dazu auch BT-Drs. 15/2494, S. 28; BGH NJW-RR 2016, 385, 386; NJW 2017, 890; Laufs, MedR 2011, 1, 5; s. auch unten noch S. 382 ff. 19 Staudinger/Kannowski, § 1 Rn. 2; Hetterich, Mensch und „Person“, S. 24; M. Lehmann, AcP 207 (2007), 225, 226; MünchKomm BGB/Spickhoff, § 1 Rn. 7 ff.; Leipold, BGB I, § 11 Rn. 1, 4, 9, 15 Fn. 12 („Einsichtsfähigkeit“, „Steuerungsfähigkeit“, „Fähigkeit zur freien
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1. Kapitel: Die Konstituenten des Zivil- und Zivilprozessrechts der Gegenwart
Mensch bzw. jede Person ist damit handlungs-, delikts- und geschäftsfähig, wie etwa Kinder oder Menschen, deren Willens-, Einsichts- oder Vernunftfähigkeit eingeschränkt ist.20
2. Wille, Willenserklärung und (Willens-)Freiheit Für das Bürgerliche Recht relevante Handlungsformen von Personen sind die – insbesondere für das Deliktsrecht relevante – Handlung als solche sowie die Willenserklärung bzw. das Rechtsgeschäft.21 Während unter Handlung „ein menschliches Tun, das der Bewußtseinskontrolle und Willenslenkung unterliegt und somit beherrschbar ist“22, verstanden wird, meint Willenserklärung „die Äußerung eines Willens, der unmittelbar auf die Herbeiführung einer Rechtswirkung gerichtet ist“.23 In den Umschreibungen beider Handlungsformen kommt folglich dem Willensbegriff Bedeutung zu; damit ein Verhalten rechtlich relevant ist, muss es vom Willen getragen24 sein.25 Der Begriff des „Willens“ ist dabei etwas obskur. Einerseits findet er – zumindest als Wortbe-
20 Willensbildung“); Neuner, Allgemeiner Teil, § 12 Rn. 1 ff.; Bork, Allgemeiner Teil, Rn. 155, 971 ff.; s.a. Kirste, in: Gröschner/Kirste/Lembcke (Hrsg.), Person und Rechtsperson, S. 345, 351 f.; a.A. Fabricius, Relativität der Rechtsfähigkeit, S. 31 ff., 43 ff., der einen weiteren Rechtsfähigkeitsbegriff zugrunde legt, der auch das umfasst, was gemeinhin als Handlungsfähigkeit verstanden wird, und insoweit dann einem Konzept gestufter Rechtsfähigkeit folgt. 20 S. §§ 104 f., 106 ff., 827, 828 BGB; s.a. Staudinger/Kannowski, § 1 Rn. 2; M. Lehmann, AcP 207 (2007), 225, 226; Neuner, Allgemeiner Teil, § 12 Rn. 2 ff., 7 ff., 12 ff. – allerdings sind „auch Menschen mit sehr starker geistiger Behinderung oder Kleinkinder prinzipiell handlungsfähig“ (aaO, Rn. 3), jedoch grundsätzlich nicht delikts- oder rechtsgeschäftsfähig. 21 Zu Rechtsgeschäft, Willenserklärung und (Rechts-)Handlung sowie deren Abgrenzung Flume, Allgemeiner Teil, § 2; § 9,1 (ferner § 9,2 a) zu den Realakten); Neuner, Allgemeiner Teil, § 28 Rn. 1 ff., 8 ff. 22 Zu § 823 BGB BGHZ 39, 103, 106; 98, 135, 137; MünchKomm BGB/Wagner, § 823 Rn. 63. 23 BGHZ 145, 343, 346; Musielak, AcP 211 (2011), 769, 770 f.; ferner Neuner, Allgemeiner Teil, § 30 Rn. 1; § 31 Rn. 2; s.a. Motive BGB I, S. 126 (in Rechtsgeschäft/Willenserklärung Tätigwerden eines „auf die Hervorbringung rechtlicher Wirkungen gerichteten Willens“); zur Willenserklärung als „Manifestation des Willens“ s. Flume, Allgemeiner Teil, § 2,3 a); zur Willenserklärung und zu den Willensformen (Handlungs-, Rechtsbindungswille sowie Erklärungsbewusstsein) s. gleich noch im Einzelnen S. 28 f. 24 Neuner, Allgemeiner Teil, § 12 Rn. 2 („natürliche Willensfähigkeit“ als „Minimum“ für „rechtswirksame Handlung“); ferner BGHZ 39, 103, 106; 98, 135, 137. 25 Vgl. Neuner, AcP 218 (2018), 1, 2 ff.; Musielak, AcP 211 (2011), 769, 771 (zur Willenserklärung); Bäuerle, Vertragsfreiheit und Grundgesetz, S. 80 ff. („Wille als zentrales Merkmal des Vertragsmechanismus“). Nur bei Willensbegabung (freier Wille und Vernunftbegabung) des Subjektes könne von „Handlung“ gesprochen werden, s. Imhof, Obligation, 19 f., 27.
III. Subjektives Privatrecht
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standteil – an zahlreichen Stellen des BGB Verwendung.26 Andererseits findet sich weder eine Begriffsklärung noch eine Begründung dessen, dass gerade dem Willen für die Konstituierung von Rechtsgeschäften Bedeutung zukommt.27 Schließlich wird der Begriff der Willensfreiheit zwar nicht explizit im BGB aufgegriffen, soll ihm aber nach verbreiteter Auffassung zugrunde liegen und vorausgesetzt sein.28
III. Subjektives Privatrecht 1. Der zivilrechtliche Begriff des subjektiven Rechts Nächster zivilrechtlicher Zentralbegriff ist der des „subjektiven Rechts“.29 Dem Begriff des „Rechts“ kommen im Wesentlichen zwei Bedeutungen zu, einerseits objektiv im Sinne der „Rechtsordnung“ als Gesamtheit aller Rechtsnormen, andererseits subjektiv im Sinne einer einem individuellen Rechtssubjekt zugewiesenen Rechtsposition bzw. rechtlichen Befugnis.30 Die Zivilrechtsordnung ist dabei nach traditioneller Auffassung31 als Ordnung subjektiver Privatrechte organisiert.32 Wesen des subjektiven Rechts ist nach weit verbreiteter Auffassung, dass es dem Rechtsinhaber eine rechtliche Befugnis bzw. eine „Rechtsmacht“ zuweist.33 Ferner wird es als „Freiraum“ umschrie26 S. Neuner, AcP 218 (2018), 1, 2, 12; s. z.B. §§ 7 f., 104, 116 ff., 133, 153, 678, 827, 1896 Abs. 1a BGB; zur „zentralen Stellung“ des Willens im Hinblick auf die Rechsgeschäfte s.a. R. Singer, Selbstbestimmung, S. 40; s. ferner auch Schapp, Grundfragen der Rechtsgeschäftslehre, S. 4 ff., 8 ff. zum „lebensweltlichen Willen“ und seiner Bedeutung für das Recht. 27 S. unten noch näher zum Willen S. 376 ff. 28 S. etwa Neuner, AcP 218 (2018), 1, 12 („Die Idee einer bedingten Willensfreiheit liegt auch dem BGB zugrunde“); Laufs, MedR 2011, 1, 6; s. dazu unten noch eingehend S. 380 ff.; s. ferner auch Leipold, BGB I, § 11 Rn. 1 („Das Prinzip der Privatautonomie geht von der Vorstellung des freien, eigenverantwortlichen Menschen aus“); a.A. Mankowski, AcP 211 (2011), 153, 173 ff. (im Hinblick auf die Willenserklärungen). 29 S. statt vieler etwa Picker, Privatrechtssystem, S. 47 ff., 54; Kasper, Das subjektive Recht, S. 1; Lobinger, Rechtsgeschäftliche Verpflichtung, S. 89; ferner Auer, Der privatrechtliche Diskurs, S. 22, 28 f., 43 f.; Neuner, Allgemeiner Teil, § 20 Rn. 1; vor § 19 („Rechtssubjekt“ und „Rechtsverhältnis“ als Grundbegriffe des Privatrechts). 30 Neuner, Allgemeiner Teil, § 20 Rn. 1; Medicus/Petersen, Allgemeiner Teil des BGB, Rn. 61; Bucher, Normsetzungsbefugnis, S. 1 f.; Bork, Allgemeiner Teil, Rn. 3 ff., 279 ff. 31 Zur historischen Perspektive s. unten S. 185 ff. 32 S. Picker, Privatrechtssystem, S. 47 ff., 54 (S. 47: „Rechtszuweisungsordnung“; S. 54: „das Privatrecht als eine Ordnung, die gleichsam subjektivrechtlich verfasst ist“) – allerdings auch mit Nachweisen zu dieser sehr streitigen Diskussion; ferner Jansen, AcP 216 (2016), 112, 120 f., 203 ff.; Hoffmann, Zession und Rechtszuweisung, S. 35 ff., 43; Wendelstein, Pflicht und Anspruch, S. 19 ff. 33 S. dazu Bork, Allgemeiner Teil, Rn. 280 f.; Neuner, Allgemeiner Teil, § 19 Rn. 18 f.; § 20 Rn. 6 f.; Enneccerus/Nipperdey, Allgemeiner Teil, § 72, S. 272 f.; Peukert, Güterzuordnung als Rechtsprinzip, S. 55 („von der Rechtsordnung gewährte, selbständige Rechtsmacht“).
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1. Kapitel: Die Konstituenten des Zivil- und Zivilprozessrechts der Gegenwart
ben.34 Die heute herrschende Umschreibung des subjektiven Rechts knüpft an Windscheid und Jhering35 an. Während Windscheid das subjektive Recht als „eine von der Rechtsordnung verliehene Willensmacht oder Willensherrschaft“ definiert36, konkretisiert Jhering das subjektive Recht als „rechtlich geschütztes Interesse“ durch die rechtliche Zwangsbefugnis und den praktischen Zweck37. Gebräuchlich ist dabei die an beide Ansätze anknüpfende Kombinationsformel, wonach ein subjektives Recht „eine dem Einzelnen zum Schutz bestimmter Interessen zugewiesene und seinem Willen unterstellte Rechtsposition“ ist.38
2. Subjektives Recht, Rechtsverhältnis und Rechtssubjekt Übergeordneter Begriff39 zum subjektiven Recht ist das Rechtsverhältnis, das die zwischen Rechtssubjekten bestehende durch das Recht geformte40 Beziehung meint und notwendig zumindest ein subjektives Recht umfasst, aber darüber hinaus auch eine Mehrheit von Rechten, Befugnissen, Pflichten, Obliegenheiten oder sonstige rechtliche Regelungen beinhalten kann.41 Rechtsverhältnisse beziehen sich notwendig auf Beziehungen zwischen Personen, wobei es Rechtsverhältnisse zwischen individuell bestimmten Personen (rela34
Neuner, Allgemeiner Teil, § 20 Rn. 7; Staudinger/Kannowski, Einl zum BGB, Rn. 163; vgl. auch Buchheim, Actio, S. 40, 71 („rechtlicher Freiraum“). 35 Zur Person s. die Kurzbiographie auf S. 576. 36 Windscheid, Lehrbuch des Pandektenrechts, 6. Aufl., § 37, S. 99; dazu auch Medicus/ Petersen, Allgemeiner Teil des BGB, Rn. 70. 37 Jhering, Geist des römischen Rechts, S. 317; s. dazu unten noch S. 224 ff. 38 S. z.B. Leipold, BGB I, § 7 Rn. 34; ferner Staudinger/Kannowski, Einl zum BGB, Rn. 163; Enneccerus/Nipperdey, Allgemeiner Teil, § 72, S. 272 f.; ursprünglich etwa Bekker, System des heutigen Pandektenrechts, Beilage I zu § 18, S. 49; Regelsberger, Pandekten, § 14, S. 76; zur Kombinationslehre aus heutiger Sicht (kritisch) Neuner, Allgemeiner Teil, § 20 Rn. 6; Fezer, Teilhabe und Verantwortung, S. 237 ff.; Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, S. 354 ff.; dazu, dass das BGB den Begriff des subjektiven Rechts nicht näher geklärt und insoweit den Begriffsstreit nicht entschieden hat, s. bereits Schulz-Schaeffer, Das subjektive Recht im Gebiet der unerlaubten Handlung, S. 103. 39 S. etwa Leipold, BGB I, § 7 Rn. 35 („der weitere Begriff“); Bork, Allgemeiner Teil, Rn. 289; ferner zum Verhältnis Rechtsverhältnis – subjektives Recht Neuner, Allgemeiner Teil, vor § 19 („Oberbegriff“); § 19 Rn. 1, 16 f. 40 Zu diesen beiden Spezifika des Rechtsverhältnisses – zwischen Rechtssubjekten bestehend und in Abgrenzung vom Sozial- oder Moralverhältnis durch das Recht gestaltet – Achterberg, Rechtsverhältnisordnung, S. 56 ff. 41 Neuner, Allgemeiner Teil, vor § 19; § 19 Rn. 1; Bork, Allgemeiner Teil, Rn. 289; s.a. Medicus/Petersen, Allgemeiner Teil des BGB, Rn. 59; Staudinger/Kannowski, Einl zum BGB, Rn. 168 („rechtlich geordnetes Lebensverhältnis“); ferner Achterberg, Rechtsverhältnisordnung, S. 20, 31 („rechtsnormgestaltete Beziehung zwischen zwei oder mehreren Subjekten“); ferner BGH NJW 2009, 751; 2013, 1744 („Unter Rechtsverhältnis ist eine bestimmte, rechtlich geregelte Beziehung einer Person zu anderen Personen oder einer Person zu einer Sache zu verstehen“).
III. Subjektives Privatrecht
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tives Recht) oder im Verhältnis zu allen anderen (absolutes Recht) gibt.42 Die Kategorie des Rechtsverhältnisses steht damit in Zusammenhang, dass Korrelat des (relativen) subjektiven Rechts der einen Person die Pflicht der anderen Person ist.43 Mit dem Begriff des subjektiven Rechts ist ferner auch das Rechtssubjekt verbunden, da Rechte einem Rechtsinhaber zugewiesen sein müssen.44 Rechtssubjekt ist derjenige, der über die Fähigkeit verfügt, Rechte zu haben; und dies ist die „Person“, was sowohl natürliche als auch juristische Personen miteinbezieht.45 Die Anerkennung der Person als Rechtssubjekt schließt notwendig als Kehrseite ein, dass die Person auch Adressat von Pflichten ist.46
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Dazu etwa Neuner, Allgemeiner Teil, § 19 Rn. 4 f.; § 20 Rn. 54, 57. Ob auch zwischen Personen und Sachen Rechtsverhältnisse, nämlich in Gestalt des Eigentums bestehen, ist streitig, ablehnend Neuner, Allgemeiner Teil, § 19 Rn. 6; befürwortend BGH NJW 2013, 1744; Leipold, Bürgerliches Recht, § 7 Rn. 35 f.; s.a. Medicus/Petersen, Allgemeiner Teil des BGB, Rn. 54; zu dieser Diskussion auch unten noch S. 409 ff. 43 Achterberg, Rechtsverhältnisordnung, S. 19 („Korrelation von Rechten und Pflichten“; allerdings nur bei symmetrischen Rechtsverhältnissen, aaO, S. 62); Reinach, Phänomenologie des Rechts, S. 27 („Der Verbindlichkeitsgegner ist zugleich der Träger eines inhaltsidentischen Anspruches; auch dieser Anspruch hat notwendig seinen Gegner, der zugleich der Träger der Verbindlichkeit ist. So bestehen eine eigenartige Korrelativität zwischen Anspruch und Verbindlichkeit“); jedoch als konkreter Zusammenhang nur im Hinblick auf die „relativen Rechte“ (zwar auch bei absoluten Rechten Pflichten aller anderen, aber Schuldner nur bei relativem Recht konkret bestimmt), so Gröschner, JZ 2018, 737, 741 („reziprokes Verhältnis von aufeinander bezogenen Rechtspositionen“; im Hinblick auf das relative Recht: „Der korrelativ verpflichtete Anspruchsgegner ist individuell benannt und seine Pflicht gegenüber dem Anspruchsteller konkret bestimmt“); Bucher, Normsetzungsbefugnis, S. 60 f. („Jedem subjektiven Recht steht eine Pflicht gegenüber, jedem Berechtigten ein Verpflichteter“; allerdings ist bei Bucher sein normgeprägter Begriff des subjektiven Rechts zu berücksichtigen, s. daher auch S. 62: „potentielle Pflicht“ – „aktuelle Pflicht“; „aktuelle Pflicht“ als „Korrelat des erhobenen Anspruchs“, S. 78). S. ferner auch zum Begriff der Obligation Imhof, Obligation und subjektives Recht, S. 13 f. („Obligation (oder Rechtsverhältnis), Forderung (oder Berechtigung, Anspruch) und Schuld (oder Verpflichtung, Verbindlichkeit) sind eine Dreiheit von Begriffen, die dasselbe Phänomen aus jeweils anderer Perspektive bezeichnen: Die Forderung nämlich aus der Sicht des Begünstigen, die Schuld aus derjenigen des Belasteten und die Obligation gleichsam aus der Sicht des neutralen Dritten. […] Die Obligation wird dem subjektiven relativen Recht zugeordnet“ – zu letzterem allerdings kritisch, aaO, S. 14 ff.); s. schließlich Henke, Das subjektive öffentliche Recht, S. 4 (subjektives Recht als „intersubjektive Erscheinung“); Portmann, Wesen und System der subjektiven Privatrechte, S. 32, 66, 79; Neuner, Allgemeiner Teil, vor § 19 Rn. 1; § 19 Rn. 4 f., 22. 44 Neuner, Allgemeiner Teil, § 20 Rn. 12 (keine „subjektlosen Rechte“; allerdings str., s. dazu die Diskussion unten S. 408); s. ferner auch Achterberg, Rechtsverhältnisordnung, S. 31, 35 f., 58; H. Lehmann, Allgemeiner Teil, § 11, S. 73 f.; Reinach, Phänomenologie des Rechts, S. 26. 45 Neuner, Allgemeiner Teil, § 10 Rn. 5 f.; s.a. Hetterich, Mensch und „Person“, S. 20, 25, 28. 46 S. Neuner, Allgemeiner Teil, § 10 Rn. 5, 9.
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1. Kapitel: Die Konstituenten des Zivil- und Zivilprozessrechts der Gegenwart
3. Arten von subjektiven Rechten Es gibt dabei verschiedene Arten von Rechten, die unter den Begriff des subjektiven Rechts fallen. Das sind vor allem Herrschaftsrechte, Gestaltungsrechte, Persönlichkeitsrechte und Ansprüche.47 Während Herrschaftsrechte wie das Eigentum dem Rechtsinhaber eine Rechtsmacht im Hinblick auf einen Gegenstand vermitteln48, schützen Persönlichkeitsrechte den Rechtsinhaber in seiner Achtung als Person (d.h. insbesondere die in § 823 Abs. 1 BGB aufgeführten Rechte des Lebens, des Körpers, der Gesundheit und der Freiheit sowie ferner das allgemeine und die besonderen Persönlichkeitsrechte).49 Zentrale Bedeutung für das Zivilrecht kommt weiter dem Begriff des „Anspruchs“ zu, der im Gegensatz zum Begriff des „subjektiven Rechts“ auch eine Legaldefinition erfährt: Nach § 194 Abs. 1 BGB ist ein Anspruch das „Recht, von einem anderen ein Tun oder Unterlassen zu verlangen“.50 Im Gegensatz zu Persönlichkeits- und Herrschaftsrechten gewähren Ansprüche Rechtsmacht nur gegenüber bestimmten Personen (Schuldnern), hingegen nicht gegenüber jedermann.51 Sie bilden also eine bestimmte Form relativer Rechte, die einen konkreten Leistungsinhalt (Tun oder Unterlassen einer anderen Person) haben.52 Das Wesen der Gestaltungsrechte besteht schließlich darin, dass sie dem Berechtigten „die einseitige Einwirkung auf ein Rechtsverhältnis“ ermöglichen, d.h. ihre Rechtsmacht wirkt unmittelbar mit Ausübung des Berechtigten, ohne dass es eines gerichtlichen Tätigwerdens wie bei der Geltendmachung von Ansprüchen bedürfte.53
4. Relatives Recht und absolutes Recht Mit der Unterscheidung der verschiedenen Rechtsarten hängt die Differenzierung zwischen absoluten und relativen Rechten zusammen.54 Während relative Rechte nur gegenüber bestimmten Personen bestehen, ist es das Wesen abso47 Dazu Leipold, BGB I, § 7 Rn. 36 ff.; Neuner, Allgemeiner Teil, § 20 Rn. 14 ff.; Medicus/Petersen, Allgemeiner Teil des BGB, Rn. 66, 69 (Anspruch als „Recht eigener Art“); Bork, Allgemeiner Teil, Rn. 296 f. 48 Neuner, Allgemeiner Teil, § 20 Rn. 17; Medicus/Petersen, Allgemeiner Teil des BGB, Rn. 66. 49 Neuner, Allgemeiner Teil, § 20 Rn. 15. 50 Dazu Leipold, BGB I, § 7 Rn. 35; Neuner, Allgemeiner Teil, § 20 Rn. 24 ff.; Bork, Allgemeiner Teil, Rn. 290 ff. 51 Neuner, Allgemeiner Teil, § 20 Rn. 24; Leipold, BGB I, § 7 Rn. 36. 52 S. etwa Leipold, BGB I, § 7 Rn. 36; Neuner, Allgemeiner Teil, § 20 Rn. 57; Portmann, Wesen und System subjektiver Privatrechte, S. 68 (Forderung als „relatives Recht“). 53 Medicus/Petersen, Allgemeiner Teil des BGB, Rn. 79. 54 Dazu etwa Neuner, Allgemeiner Teil, § 20 Rn. 53 f., 57; Leipold, BGB I, § 7 Rn. 36; Bork, Allgemeiner Teil, Rn. 280, 288.
III. Subjektives Privatrecht
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luter Rechte, dass sie gegenüber jedermann gelten.55 Damit legen Ansprüche als relative Rechte nur dem Schuldner eine mit dem Recht korrespondierende Pflicht auf, während absolute Rechte jedem die Beeinträchtigung und Verletzung des Rechts untersagen.56 Damit korrespondierend unterscheiden sich absolute und relative Rechte auch in ihren Wirkungen: Während absolute Rechte dem Rechtsinhaber Unterlassungs-, Beseitigungs- und Schadensersatzansprüche (§§ 1004 Abs. 1, 823 Abs. 1 BGB) gegenüber jedermann bei drohender oder eingetretener Verletzung des absoluten Rechts gewähren57, ermöglichen relative Rechte nur die Rechtsdurchsetzung gegen den Schuldner bzw. bei Leistungsstörungen die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen (§§ 280 ff. BGB) oder anderen Leistungsstörungsrechten.58 Aus der Verletzung und (drohenden) Beeinträchtigung von absoluten Rechten entstehen wiederum Ansprüche und damit relative subjektive Rechte.59 Insoweit begründet ein absolutes Recht zunächst nur ein „latentes Rechtsverhältnis“, das erst dann zu einer rechtlichen Sonderbeziehung wird, wenn es verletzt wird oder eine Beeinträchtigung droht, mit der Folge, dass dann hieraus auch Ansprüche resultieren.60
5. Anspruch, Forderung und Schuldverhältnis Soweit Recht im Sinne des Anspruchs das Recht meint, von einem anderen ein Tun und Unterlassen zu verlangen, steht dieser Rechtsbegriff weiter in Zusammenhang mit den Begriffen der „Forderung“ und des „Schuldverhältnisses“.61 Insofern ist der Gläubiger nach § 241 Abs. 1 S. 1 BGB kraft des Schuldverhältnisses berechtigt, „von dem Schuldner eine Leistung zu fordern“.62 Hieraus ergibt sich der Begriff der „Forderung“, der sachlich dem Anspruch entspricht und ebenso wie dieser ein relatives Recht ist63, aber insoweit spezieller ist, als 55 Neuner, Allgemeiner Teil, § 20 Rn. 54, 57; Medicus/Petersen, Allgemeiner Teil des BGB, Rn. 62 f.; Bucher, Normsetzungsbefugnis, S. 132 ff. 56 Neuner, Allgemeiner Teil, § 20 Rn. 54, 57; Leipold, BGB I, § 7 Rn. 36; s.a. Steiner, Das Gestaltungsrecht, S. 8 f. 57 Medicus/Petersen, Allgemeiner Teil des BGB, Rn. 62; Neuner, Allgemeiner Teil, § 20 Rn. 60; s. allerdings unten noch S. 465 ff. die Diskussionen, ob bzw. welche Bedeutung den subjektiven absoluten Rechten für das Haftungsrecht zukommt. 58 Neuner, Allgemeiner Teil, § 20 Rn. 61; ferner Leipold, BGB I, § 7 Rn. 36. 59 Medicus/Petersen, Allgemeiner Teil des BGB, Rn. 57; Leipold, BGB I, § 7 Rn. 36. 60 Vgl. Neuner, Allgemeiner Teil, § 19 Rn. 5; § 20 Rn. 60. 61 S. etwa Leipold, BGB I, § 7 Rn. 35 f.; § 3 Rn. 5 f. 62 Dazu auch Leipold, BGB I, § 3 Rn. 5. 63 MünchKomm BGB/Bachmann, § 241 Rn. 11; Jauernig/Mansel, § 241 Rn. 4; Portmann, Wesen und System der subjektiven Privatrechte, S. 68; s. ferner H. Lehmann, Allgemeiner Teil, § 12, S. 77, § 13, S. 86 ff.; zum Aufgehen der Forderungen in den relativen Rechten auch Steiner, Das Gestaltungsrecht, S. 9.
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1. Kapitel: Die Konstituenten des Zivil- und Zivilprozessrechts der Gegenwart
sich die Forderung auf das Schuldrecht bezieht, wohingegen der Anspruchsbegriff auf alle bürgerlich-rechtlichen Forderungsrechte Anwendung findet.64 Wie sich aus § 241 Abs. 1 BGB ergibt, korrespondiert die Forderung dabei wiederum mit dem Begriff des Schuldverhältnisses im engeren Sinn (auf Leistung gerichtete rechtliche Sonderbeziehung zwischen zwei Personen).65
IV. Willenserklärung, Vertrag und Vertragsfreiheit 1. Wille und Vertrag Verträge kommen durch übereinstimmende Willenserklärungen (Angebot und Annahme, § 151, S. 1 BGB66) mindestens zweier Personen zustande.67 Willenserklärungen sind Äußerungen eines unmittelbar auf den Eintritt von Rechtswirkungen gerichteten Willens.68 Die Erklärungshandlung (objektiver Tatbestand der Willenserklärung) muss grundsätzlich69 mit Handlungs-, Geschäfts- und Rechtsbindungswillen sowie Erklärungsbewusstsein (subjektiver Tatbestand) vorgenommen werden.70 Rechtsgeschäft ist eine Willenserklärung, die „auf die Hervorbringung eines rechtlichen Erfolges“ gerichtet ist, „welcher nach der Rechtsordnung deswegen eintritt, weil er gewollt ist“.71 Ziel 64
S. etwa Medicus/Petersen, Allgemeiner Teil des BGB, Rn. 75; Leipold, BGB I, § 7 Rn. 36; Neuner, Allgemeiner Teil, § 20 Rn. 29; Bork, Allgemeiner Teil, Rn. 290; s.a. Jauernig/ Mansel, § 241 Rn. 4. 65 Medicus/Petersen, Allgemeiner Teil des BGB, Rn. 57, 75; Jauernig/Mansel, § 241 Rn. 2; Leipold, BGB I, § 3 Rn. 5; s. ferner auch Hellwig, Anspruch und Klagrecht, § 1, S. 5 f. Schuldverhältnis im weiteren Sinn meint hingegen nicht die einzelne Leistungsbeziehung, sondern die Gesamtheit der zwischen Personen bestehenden Rechtsbeziehungen. Es entspricht damit dem Begriff des Rechtsverhältnisses insoweit, als sich dieser auf schuldrechtliche Rechtsverhältnisse bezieht und damit auch eine Mehrzahl von Schuldverhältnissen im engeren Sinn umfassen kann, s. Jauernig/Mansel, § 241 Rn. 2. Nach MünchKomm BGB/ Bachmann, § 241 Rn. 10 soll das Bestehen einer Forderung zugleich auch die Wirkung des Schuldverhältnisses sein. 66 Dazu etwa Neuner, Allgemeiner Teil, § 37 Rn. 2; Leipold, BGB I, § 6 Rn. 1. 67 S. nur Neuner, Allgemeiner Teil, § 29 Rn. 6; Leipold, BGB I, § 10 Rn. 8; zum „Konsensprinzip“ s. etwa Weller, Die Vertragstreue, S. 65 f. 68 S. oben bereits S. 22; zum Begriff der Willenserklärung s. BGHZ 145, 343, 346; Musielak, AcP 211 (2011), 769, 770 f.; Leipold, BGB I, § 6 Rn. 9; s.a. Schur, in: Lampe/Pauen/ Roth (Hrsg.), Willensfreiheit und rechtliche Ordnung, S. 226, 234 f. (Willenserklärung als „Doppelinstitut, das sich aus den beiden Komponenten des Willens und der Erklärung zusammensetzt“). 69 Zu den Rechtsfolgen, wenn eines der Elemente fehlt, s. MünchKomm BGB/Armbrüster, Vorbemerkung (Vor § 116 BGB) Rn. 22 ff. 70 Dazu etwa Flume, Allgemeiner Teil, § 4,2; Leipold, BGB I, § 10 Rn. 11, 14 ff., 17 ff.; Mankowski, AcP 211 (2011), 153, 175 ff.; Musielak, AcP 211 (2011), 769, 770 f.; kritisch Neuner, Allgemeiner Teil, § 32 Rn. 1, 31 ff. 71 Motive BGB I, S. 126; s.a. Neuner, Allgemeiner Teil, § 28 Rn. 2; s. allerdings auch zum Verhältnis von Rechtsgeschäft und Willenserklärung Leipold, BGB I, § 10 Rn. 6 (Rechtsge-
IV. Willenserklärung, Vertrag und Vertragsfreiheit
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des Rechtsgeschäfts ist die Erzeugung von Rechtswirkungen, d.h. die Begründung, Aufhebung, Änderung oder Übertragung von Rechtsverhältnissen.72 Wirkung des Vertrags als mehrseitiges Rechtsgeschäft73 ist daher die Entstehung (mindestens) eines Schuldverhältnisses im engeren Sinne, d.h. von Recht und Pflicht (§§ 241, 311 Abs. 1 BGB; Verpflichtungsgeschäft74) oder die Änderung, Übertragung und Aufhebung von Rechten und Rechtsverhältnissen (Verfügungsgeschäft75).76 Schuldverhältnisse entstehen durch Rechtsgeschäft, d.h. Willenserklärungen77, grundsätzlich nur mittels Vertrag, dagegen nicht – vorbehaltlich ausdrücklicher gesetzlicher Regelung (§ 311 Abs. 1 Hs. 2 BGB; bspw. Auslobung nach § 657 BGB) – mittels einseitigen Rechtsgeschäfts (sog. Vertragsprinzip, wonach nur Verträge, nicht einseitige Rechtsgeschäfte Rechtsverhältnisse begründen können).78 Abgegrenzt werden Verträge von nicht rechtlichen Gefälligkeitsverhältnissen, bei denen kein Rechtsverhältnis entsteht.79
2. Vertragsfreiheit und Privatautonomie Vertragsfreiheit und Privatautonomie bilden aus zivilrechtlicher Perspektive zentrale Konstituenten der Privatrechtsordnung, die nicht nur das Schuld72 schäft als gesamter „Tatbestand“, der die Willenserklärung enthält); ferner bereits H. Lehmann, Allgemeiner Teil, § 24, S. 133 („Rechtsgeschäfte und Willenserklärungen sind nicht dasselbe. Damit eine Willenserklärung wirken kann, müssen regelmäßig außer den Erfordernissen der Erklärung selbst […] auch noch eine Reihe sonstiger Wirksamkeitsvoraussetzungen […] erfüllt sein. […] Die Gesamtheit dieser sonstigen Wirksamkeitsvoraussetzungen und dazu die Erklärung bezeichnen wir als Rechtsgeschäft“); Flume, Allgemeiner Teil, § 2,3; Neuner, Allgemeiner Teil, § 28 Rn. 2. 72 S. zur Finalität des Rechtsgeschäfts Flume, Allgemeiner Teil, § 2,2; § 4,5; Neuner, Allgemeiner Teil, § 28 Rn. 2; s.a. BGHZ 145, 343, 346 („Begründung, inhaltliche Änderung oder Beendigung eines privaten Rechtsverhältnisses“). 73 Dazu Flume, Allgemeiner Teil, § 11,3; Neuner, Allgemeiner Teil, § 29 Rn. 6. 74 Dazu Neuner, Allgemeiner Teil, § 29 Rn. 28; Leipold, BGB I, § 6 Rn. 15. 75 Zum Begriff des Verfügungsgeschäfts etwa BGHZ 1, 304; Flume, Allgemeiner Teil, § 11,5 a); Neuner, Allgemeiner Teil, § 29 Rn. 31. 76 S. etwa Neuner, Allgemeiner Teil, § 28 Rn. 6, 15, 17, 52 f.; Staudinger/Bork, Vorbemerkungen zu §§ 145–156 Rn. 8; vgl. aber auch zur Terminologie und zum Wirkzusammenhang von Rechtsgeschäft, Willenserklärung und Vertrag Fröde, Willenserklärung, S. 5 ff.; Flume, Allgemeiner Teil, § 2,3. 77 Der Begriff „Rechtsgeschäft“ wird zum Teil synonym zum Begriff der Willenserklärung verwendet, s. dazu sowie näher zum Verhältnis von Willenserklärung und Rechtsgeschäft Flume, Allgemeiner Teil, § 2,3 sowie zuvor bereits Fn. 71. 78 S. Weller, Die Vertragstreue, S. 59 f. (auch zum Begriff des „Vertragsprinzips“); Flume, Allgemeiner Teil, § 11,3; Neuner, Allgemeiner Teil, § 19 Rn. 8; Schur, in: Lampe/Pauen/Roth (Hrsg.), Willensfreiheit und rechtliche Ordnung, S. 226, 232 („Der einzelne Wille vermag nichts, er ist nur als Wille im Vertrag bedeutsam“). 79 Dazu etwa Staudinger/Bork, Vorbemerkungen zu §§ 145–156 Rn. 3, 79 ff.; Neuner, Allgemeiner Teil, § 28 Rn. 17.
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recht, sondern das gesamte Privatrecht betreffen.80 Vertragsfreiheit umfasst dabei Form-, Inhalts- und positive sowie negative Abschlussfreiheit.81 D.h. positiv ist jeder wirksam eingegangene Vertrag mit jeglichem Inhalt grundsätzlich bindend und gerichtlich durchsetzbar, gleichzeitig besteht negativ kein Kontrahierungszwang, sondern die Privaten entscheiden selbst, ob, mit wem und mit welchem Inhalt Verträge abgeschlossen werden.82 Die mit der Vertragsfreiheit in engem Zusammenhang stehende Privatautonomie83 meint dabei „das Prinzip der Selbstgestaltung der Rechtsverhältnisse durch den einzelnen nach seinem Willen“.84 Die positiv-rechtliche Gewährleistung beinhaltet zum einen, dass jeder Vertrag – mit Ausnahme etwa von Spiel und Wette (§ 762 Abs. 1 BGB) – Rechte und Pflichten begründet; zum anderen, dass der Vertragsinhalt klagbarer Verträge – etwa im Gegensatz zum römischen Recht85 – nicht an bestimmte Vertragstypen gebunden ist, sondern auch typenabweichende Verträge rechtlich verbindlich sind.86 Im Bereich des Schuldrechts artikuliert sich die Inhaltsfreiheit also auch über die Typenfreiheit, d.h. jeglicher Vertrag erzeugt unabhängig von der Zuordnung zu einem bestimmten Vertragstyp (Ausnahme §§ 656, 762 BGB) Rechte und Pflichten.87 Grenzen der Inhaltsfreiheit ergeben sich aus zwingendem Gesetzesrecht etwa in Gestalt der Nichtigkeitsanordnung aufgrund Wucher und Sittenwidrigkeit (§ 138 BGB) sowie bei Verstoß gegen ein gesetzliches Verbot (§ 134 BGB)88, ferner durch Inhaltskontrolle (§§ 307 ff. BGB), sofern der Vertrag Allgemeine Geschäftsbedingungen enthält.89
80 Flume, Allgemeiner Teil, § 1,1, § 1,8; Neuner, Allgemeiner Teil, § 10 Rn. 33 f.; H. Lehmann, Allgemeiner Teil, § 24, S. 128 f. 81 Neuner, Allgemeiner Teil, § 10 Rn. 33 ff.; Bäuerle, Vertragsfreiheit und Grundgesetz, S. 82; Flume, Allgemeiner Teil, § 1,8; Leipold, BGB I, § 6 Rn. 1 f., 9 f.; s.a. Isensee/Kirchhof/ Isensee, Handbuch des Staatsrechts, § 150 Rn. 8 f. 82 Vgl. Neuner, Allgemeiner Teil, § 10 Rn. 33 ff.; Leipold, BGB I, § 6 Rn. 1 ff.; § 10 Rn. 3; s.a. Bäuerle, Vertragsfreiheit und Grundgesetz, S. 82 f. 83 Zum Verhältnis von Vertragsfreiheit und Privatautonomie s. unten noch S. 434 ff., 441 ff. 84 Flume, Allgemeiner Teil, § 1,1. 85 S. dazu unten S. 44 ff.; ferner etwa Flume, Allgemeiner Teil, § 2,4. 86 S. nur Leipold, BGB I, § 6 Rn. 9; § 10 Rn. 3; Flume, Allgemeiner Teil, § 1,8 a); vgl. Bäuerle, Vertragsfreiheit und Grundgesetz, S. 83. 87 Flume, Allgemeiner Teil, § 1,8 a); Leipold, BGB I, § 6 Rn. 9; Neuner, Allgemeiner Teil, § 10 Rn. 38; Bäuerle, Vertragsfreiheit und Grundgesetz, S. 83 f. 88 Leipold, BGB I, § 6 Rn. 11; Bäuerle, Vertragsfreiheit und Grundgesetz, S. 84; vgl. Isensee/Kirchhof/Isensee, Handbuch des Staatsrechts, § 150 Rn. 15. 89 Dazu Leipold, BGB I, § 6 Rn. 13; Bäuerle, Vertragsfreiheit und Grundgesetz, S. 83 f.
V. Rechtsgüterschutz und Haftungsrecht
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V. Rechtsgüterschutz und Haftungsrecht Das deliktische Haftungsrecht ist grundsätzlich verschuldensabhängig und rein kompensatorisch ausgestaltet.90 Die allgemeine Schadensersatzhaftung nach § 823 Abs. 1 BGB setzt die dem Willen zurechenbare rechtswidrige und schuldhafte Verletzung absoluter subjektiver Rechte bzw. bestimmter Rechtsgüter voraus.91 Bereichsbezogene Durchbrechungen sehen abweichend vom Verschuldensgrundsatz Gefährdungshaftung vor.92 Schadensersatz als Rechtsfolge deliktischer Haftung ist auf den eingetretenen Schaden begrenzt (Kompensationsprinzip, Bereicherungsverbot)93, dient dem Schadensausgleich (Ausgleichsfunktion)94 und ist seiner Konzeption nach pönaler Elemente entkleidet.95 Schaden und Strafe sind getrennt.96 Kennzeichen der Strafe ist in Abgrenzung zum Schadensersatz – zumindest auch – der Schuldausgleich; wer aus freiem Willen normwidrig gehandelt hat, ist schuldig und kann bzw. muss wegen dieser Schuld bestraft werden.97 Neben dem Schadensersatz wird der Schutz absoluter Rechte durch den präventiven Unterlassungsanspruch (§ 1004 Abs. 1 S. 2 BGB; negatorischer Rechtsschutz) sowie den auf Störungsbeseitigung gerichteten Beseitigungsanspruch (§ 1004 Abs. 1 S. 1 BGB) gewährleistet.98 Über den Wortlaut von § 1004 BGB hinaus wird hierdurch nicht nur der Schutz des Eigentums, son90 S. nur Esser/Weyers, Schuldrecht BT, § 53 I; § 54 I; Larenz/Canaris, Schuldrecht II/2, § 75 I 1./2.; Larenz, Schuldrecht I, § 27 I, S. 421 ff.; Leipold, BGB I, § 9 Rn. 2, 7 ff.; Neuner, Allgemeiner Teil, § 10 Rn. 17 („Verschuldensprinzip“); ferner auch MünchKomm BGB/ Wagner, Vorbem. (vor § 823) Rn. 17, 43; Kötz/Wagner, Deliktsrecht, Rn. 56, 95, 113. 91 Dazu etwa Esser/Weyers, Schuldrecht BT, § 55 I; Leipold, BGB I, § 9 Rn. 4 ff.; Kötz/ Wagner, Deliktsrecht, Rn. 95, 136 ff.; zur umstrittenen Dogmatik s. unten näher S. 469 ff. 92 S. dazu MünchKomm BGB/Wagner, Vorbem. (vor § 823) Rn. 17 ff.; Leipold, BGB I, § 9 Rn. 2; Esser/Weyers, Schuldrecht BT, § 53 II. 93 Dazu BGHZ 118, 312, 338; 154, 395, 398; NJW 2012, 928, 933; MünchKomm BGB/ Oetker, § 249 Rn. 20; Staudinger/Schiemann, Vorbemerkung §§ 249–254 Rn. 2. 94 S. nur BGHZ 98, 212, 217 f.; BGH NJW-RR 2015, 275, 276; NJW 2020, 1962, 1967; MünchKomm BGB/Oetker, § 249 Rn. 10; Esser/Schmidt, Schuldrecht I/2, § 30 II 3; Lange/ Schiemann, Schadensersatz, Einl. III.2, S. 9 ff.; Wilhelmi, Risikoschutz, S. 62 f.; zur Diskussion um die weiteren Haftungszwecke (Präventionsfunktion) auch MünchKomm BGB/ Wagner, Vorbem. (vor § 823) Rn. 43 ff.; s. unten noch näher S. 470, 490 ff., 496. 95 S. dazu sogleich sowie MünchKomm BGB/Oetker, § 249 Rn. 8; Lange/Schiemann, Schadensersatz, Einl. III.2, S. 12 f.; Larenz, Schuldrecht I, § 27 I, S. 423; vgl. auch BGHZ 118, 312, 338; BGH NJW 2012, 928, 933 („eines dem deutschen Recht fremden Strafschadensersatzes“); 2020, 1962, 1970. 96 S. dazu gleich noch S. 32 f. sowie nur etwa Esser/Schmidt, Schuldrecht I/2, § 30 II 1/3; Lange/Schiemann, Schadensersatz, Einl. III.2, S. 12 f.; Larenz, Schuldrecht I, § 27 I, S. 423; Bydlinski, AcP 204 (2002), 309, 343 ff.; Thönissen, AcP 219 (2019), 855, 856. 97 S. insoweit zum Schuldgrundsatz BVerfGE 140, 317, 343 ff.; dazu auch Pawlik, Das Unrecht des Bürgers, S. 83, 87 f.; s. ferner Thönissen, AcP 219 (2019), 855 ff., 858 ff. sowie unten noch S. 507 ff. 98 S. nur Picker, Privatrechtssystem, S. 49 f., 57 f.; Neuner, Allgemeiner Teil, § 20 Rn. 60.
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1. Kapitel: Die Konstituenten des Zivil- und Zivilprozessrechts der Gegenwart
dern sämtlicher deliktisch geschützter Rechte und Rechtsgüter gewährleistet.99 Der Schutz der absoluten subjektiven Privatrechte (Leben, Gesundheit, Freiheit, Eigentum, allgemeines Persönlichkeitsrecht) ist damit in §§ 823 Abs. 1, 1004 Abs. 1 BGB verbürgt und realisiert sich durch Unterlassungs-, Beseitigungs- und Schadensersatzansprüche.100
VI. Die Trennung von Straf- und Zivilrecht Die mit dem Haftungsrecht zusammenhängende Trennung von Straf- und Zivilrecht gehört ebenfalls zu den Konstituenten der Bürgerlichen Rechtsordnung.101 Sie vollzieht sich dabei auf verschiedenen Ebenen. Im Ausgangspunkt steht die funktionale rechtsfolgenbezogene Differenzierung von – dem Schuldausgleich dienender – öffentlicher Strafe und – der Kompensation von Schäden dienendem – privatrechtlichem Schadensersatz.102 Neben dieser funktionalen (Schuldausgleich – Schadensausgleich) sowie inhaltlichen (schuldabhängige Verhängung öffentlicher Strafe – schadensabhängiger privater Anspruch auf Schadensersatz) Differenzierung zwischen zivilrechtlichem Schadensersatz und öffentlich-rechtlicher Strafe steht die prozessuale Trennung von Straf- und Zivilprozess.103 Dem zivilprozessualem Dispositionsgrundsatz (Disposition über Verfahren durch die privaten Parteien)104 stehen der strafprozessuale Offizial-, Akkusations- und Legalitätsgrundsatz gegenüber (ex officio-Strafverfolgung durch die staatlichen Behörden und Strafverfolgungs99 S. MünchKomm/Wagner, Vorbem. (vor § 823) Rn. 40; Wilhelmi, Risikoschutz, S. 44 f.; Baur, JZ 1966, 381 f.; Neuner, Allgemeiner Teil, § 20 Rn. 60. 100 Vgl. nur Neuner, Allgemeiner Teil, § 20 Rn. 60; zu dieser subjektiv-rechtlichen Lesart von §§ 823 Abs. 1, 1004 BGB s.a. Picker, Privatrechtssystem, S. 49 f., 57 f., allerdings auch S. 60 ff., 67 ff. mit Verweis auf die Diskussion, wonach eine zunehmende Verdrängung dieses subjektiv-rechtlichen Ansatzes zugunsten eines verhaltensunrechtsorientierten Ansatzes Platz greift; s. unten noch näher S. 465 ff., 469 ff. zur Frage, inwieweit das Haftungsrecht tatsächlich subjektiv-rechtlich oder nicht eher im Sinne eines Pflichtenmodells ausgestaltet ist. 101 S. dazu Binding, Normen I, S. 225 ff.; Esser/Schmidt, Schuldrecht I/2, § 30 II 1/3; Lange/Schiemann, Schadensersatz, Einl. III.2, S. 12 f.; Bydlinski, AcP 204 (2002), 309, 343 ff.; Deutsch, in: Müller/Soell (Hrsg.), FS Wahl, S. 339, 340 ff.; H. Hattenhauer, Grundbegriffe, S. 119; Hirsch, in: Bockelmann/Kaufmann/Klug (Hrsg.), FS Engisch, S. 304 ff., 317 ff., 327 („das strikte Auseinanderhalten von Strafrecht und Zivilrecht eine der Säulen der Rechtsstaatlichkeit“); s.a. zu dieser Diskussion Ebert, Pönale Elemente im deutschen Privatrecht, S. 410 f.; Schmidt, Schadensersatz und Strafe, S. 7 ff., 69 ff.; Schubert, Die Wiedergutmachung immaterieller Schäden im Privatrecht, S. 677 ff., 833. 102 S. nur Esser/Schmidt, Schuldrecht I/2, § 30 II 1/3; Binding, Normen I, S. 225 ff.; s. ferner Schubert, Die Wiedergutmachung, S. 677 ff., 833; BGHZ 118, 312, 338; vgl. auch BGH NJW 2012, 928, 933; 2020, 1962, 1970 („Dieselskandal“); zu Strafe, Schuldausgleich und Schuldangemessenheit BVerfGE 123, 267, 413 ff.; 140, 317, 343 ff. 103 Vgl. dazu auch Scholz, JZ 1972, 725 ff., 728 ff.; Schlobach, Das Präventionsprinzip im Recht des Schadensersatzes, S. 434 f.; Schäfer, AcP 202 (2002), 397, 425 f. 104 Dazu etwa Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 76 Rn. 1 ff.
VII. Rechtsdurchsetzung und Selbsthilfeverbot
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pflicht; öffentliche Anklage durch Staatsanwaltschaft)105; dem zivilprozessualen Beibringungsgrundsatz (Beibringung der Tatsachen und Beweise durch die privaten Parteien)106 der strafprozessuale Inquisitionsgrundsatz, der eine Sachverhaltsermittlung von Amts wegen vorsieht.107
VII. Rechtsdurchsetzung und Selbsthilfeverbot 1. Gerichtliche Rechtsdurchsetzung und subjektives Recht Weg der Rechtsdurchsetzung ist aufgrund des staatlichen Gewaltmonopols sowie des Selbsthilfeverbots108 die gerichtliche Rechtsdurchsetzung durch Erkenntnis- und Vollstreckungsverfahren.109 (Primär-)Zweck des Prozesses ist nach herrschender Auffassung die Durchsetzung der materiellen subjektiven Privatrechte, d.h. der Prozess zielt auf Verwirklichung der subjektiven Privatrechte.110 Eine (Leistungs-)Klage ist entsprechend nur dann begründet, wenn das geltend gemachte materielle subjektive Privatrecht nach dem zugrunde zu legenden Sachverhalt besteht.111
2. Das Verhältnis von Prozessrecht und materiellem Recht Das Verhältnis von subjektiven Rechten und Rechtsdurchsetzung betrifft dabei auch das Verhältnis von materiellem Recht und Prozessrecht.112 Durch die windscheid’sche Konzeption des Anspruchs als materielles subjektives Recht, 105 Dazu näher Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 12 Rn. 6 f. (Offizialprinzip); § 13 (Akkusationsprinzip); § 14 Rn. 1 (Legalitätsprinzip). 106 Dazu Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 77 Rn. 1 ff., 8 ff. 107 S. Scholz, JZ 1972, 725, 728; Schlobach, Das Präventionsprinzip im Recht des Schadensersatzes, S. 434 f.; zum Inquisitionsgrundsatz Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 15 Rn. 1, 3 („Instruktionsmaxime“). 108 Dazu Baur/Stürner/Bruns, Zwangsvollstreckungsrecht, § 1 Rn. 1; Leipold, BGB I, § 36 Rn. 12; Neuner, Allgemeiner Teil, § 21 Rn. 29, 41. 109 Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 1 Rn. 9 ff.; Baur/Stürner/Bruns, Zwangsvollstreckungsrecht, § 1 Rn. 1 f.; Neuner, Allgemeiner Teil, § 21 Rn. 29; Medicus/Petersen, Allgemeiner Teil des BGB, Rn. 147. 110 Bruns, in: Bruns/Suzuki (eds.), Realization of Substantive Law through Legal Proceedings, p. 3, 4 ss.; Jacobs, Feststellungsverfahren, S. 184 ff.; Musielak/Voit/Musielak, Einleitung Rn. 5; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 1 Rn. 9 ff.; H. Roth, JZ 2016, 1134; BGHZ 161, 138, 143 („Feststellung und Verwirklichung subjektiver Rechte“); s.a. Kaufmann, JZ 1964, 482. 111 S. etwa Neuner, Allgemeiner Teil, § 21 Rn. 30; s.a. bereits Hellwig, Anspruch und Klagrecht, § 17, S. 125 (zur Leistungsklage), § 18, S. 127 ff. (zur Feststellungsklage), S. 131 f. (zur Gestaltungsklage); Kasper, Das subjektive Recht, S. 129. 112 Dazu auch Neuner, Allgemeiner Teil, § 21 Rn. 29 ff.
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1. Kapitel: Die Konstituenten des Zivil- und Zivilprozessrechts der Gegenwart
das vom Klagrecht113 als prozessualer Durchsetzungsbefugnis selbst getrennt ist und damit unabhängig vom Prozessrecht besteht114, drängt sich die Frage auf, ob Gegenstand gerichtlicher Rechtsdurchsetzung jenes materielle Recht oder ein „prozessualer Anspruch“ ist.115 Nach inzwischen herrschender Auffassung ist Streitgegenstand des Zivilprozesses nicht der materiell-rechtliche116, sondern der prozessuale Anspruch, wie er sich entsprechend dem zweigliedrigen Streitgegenstandsbegriff aus prozessualem Antrag und vorgebrachtem Lebenssachverhalt ergibt.117 Damit verbunden ist die Frage nach dem Verhältnis der Rechtskraft eines Urteils zum materiellen Recht, d.h. ob und wie das rechtskräftige Urteil auf das materiell-rechtliche Rechtsverhältnis einwirkt.118 Die nunmehr herrschende „prozessuale Rechtskrafttheorie“ beantwortet dies im Gegensatz zur früher noch vorwiegend vertretenen materiellen Theorie119 dahingehend, dass das rechtskräftige Urteil keine Veränderung der materiellen Rechtsverhältnisse bewirkt, sondern die bestehende materielle Rechtslage nur „erkennt“ und ausschließlich prozessuale Wirkungen entfaltet.120
3. Außergerichtliche Rechtsdurchsetzung und Selbsthilfeverbot Außergerichtliche Rechtsdurchsetzung mit Gewalt oder Zwang ist aufgrund des staatlichen Rechtsprechungs- und Gewaltmonopols grundsätzlich unzulässig und kann Strafbarkeit begründen (§ 240 StGB121).122 Das Selbsthilfeverbot enthält indes verschiedene Ausnahmen, so die Selbsthilferechte des Bürgerlichen Rechts (§§ 229 f. BGB), ferner die Notwehr- und Notstandsrechte 113
Zu den verschiedenen „Klagrechts“-Begriffen s. unten noch S. 388 ff., 402 ff. Zu Windscheid s. unten noch S. 191 ff.; dazu auch Neuner, Allgemeiner Teil, § 21 Rn. 30; Simshäuser, Zur Entwicklung des Verhältnisses, S. 78 f., 81. 115 Zu dieser Frage etwa Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 93 Rn. 1 ff.; Neuner, Allgemeiner Teil, § 21 Rn. 31. 116 Zur materiell-rechtlichen Theorie s. etwa Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 93 Rn. 8 f. 117 S. etwa Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 93 Rn. 10 ff., 27 f.; Neuner, Allgemeiner Teil, § 21 Rn. 31 f.; s.a. Kaufmann, JZ 1964, 482; für die Rechtsprechung BGHZ 117, 1, 5; 157, 47, 50; 154, 342, 347 f.; 198, 294, 298. 118 Dazu etwa Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 152 Rn. 3 ff.; Braun, in: Bernreuther (u.a.) (Hrsg.), FS Schellenberg, S. 69 ff. 119 Dazu etwa Pagenstecher, Zur Lehre von der materiellen Rechtskraft, S. 302 ff., 305 ff. 120 S. nur MünchKomm ZPO/Gottwald, § 322 Rn. 6 ff., 9; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 152 Rn. 3 ff., 6 ff.; kritisch zur prozessualen Theorie Braun, in: Bernreuther (u.a.) (Hrsg.), FS Schellenberg, S. 69 ff., 77 ff. 121 Zur Strafbarkeit nach § 240 StGB in diesem Kontext etwa Schönke/Schröder/Eisele, § 240 StGB Rn. 19a; Kapitza, JuS 2007, 443; s.a. BGH, NStZ 1993, 333, 334 mit Anm. Roxin (NStZ 1993, 335). 122 Neuner, Allgemeiner Teil, § 21 Rn. 29; Medicus/Petersen, Allgemeiner Teil des BGB, Rn. 149 f. 114
VIII. Kritische Anfragen
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(§§ 227 f. BGB).123 Während Notwehr und Notstandsrechte in passiver Hinsicht eine Abwehrbefugnis zur Verteidigung subjektiver Rechte gegen drohende Rechtsverletzungen gewähren, ermöglichen Selbsthilferechte die aktive Durchsetzung bzw. Sicherung bestehender Rechte.124 Wirkung dieser Notwehr-, Notstands- und Selbsthilferechte ist grundsätzlich, dass die vorgenommene Handlung, die ihrerseits in Rechte anderer eingreift, rechtmäßig ist.125 Dem Selbsthilferecht sind aber enge Grenzen gezogen.126 Es setzt das Bestehen eines gerichtlich durchsetzbaren Anspruchs sowie die Gefahr der Vereitelung oder wesentlichen Erschwerung der Anspruchsdurchsetzung voraus, ferner die fehlende Möglichkeit „obrigkeitlicher Hilfe“.127 Da Selbsthilfe gerichtlicher Bestätigung nach § 230 Abs. 2–4 BGB bedarf, bewirkt diese grundsätzlich nicht Rechtsdurchsetzung, sondern vorläufige Rechtssicherung.128
VIII. Kritische Anfragen Die vorangegangenen Ausführungen rekapitulieren zivilrechtliche Elementarkenntnisse, die vielfach als selbstverständlich, unhintergehbar oder nicht näher begründungsbedürftig aufgefasst werden.129 Allerdings mehren sich in jüngerer Zeit kritische Stimmen gegenüber diesen Kategorien.130 Tatsächlich ist es so, dass sämtliche zuvor genannten Kategorien in der Gegenwart unter erheblicher Kritik stehen131, sodass man im Hinblick auf den Diskussionsstand der Privatrechtswissenschaft tatsächlich kaum noch von Konstituenten sprechen kann.132 123
Neuner, Allgemeiner Teil, § 21 Rn. 41 ff.; Leipold, BGB I, § 36 Rn. 3 ff., 12 f.; Medicus/Petersen, Allgemeiner Teil des BGB, Rn. 150 ff.; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 1 Rn. 11. 124 S.a. Neuner, Allgemeiner Teil, § 21 Rn. 41, 72. 125 Neuner, Allgemeiner Teil, § 21 Rn. 57, 65, 78, s. aber zum Aggressivnotstand (§ 904 S. 1 BGB) Rn. 69. 126 S. etwa § 230 BGB zu den „Grenzen der Selbsthilfe“; dazu auch Neuner, Allgemeiner Teil, § 21 Rn. 73 ff., 76 f. 127 Neuner, Allgemeiner Teil, § 21 Rn. 73 f. 128 Medicus/Petersen, Allgemeiner Teil des BGB, Rn. 168; s. aber auch Leipold, BGB I, § 36 Rn. 12. 129 Vgl. dazu oben bereits S. 9 f. 130 S. zur zentralen Kritik am subjektiven Recht z.B. Menke, Kritik der Rechte, S. 164 ff., 175 ff.; s. ferner auch Auer, Der privatrechtliche Diskurs, S. 55 ff.; zur Kritik am nach wie vor vorherrschenden, aus dem 19. Jhd. stammenden Privatrechtsbegriff Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, S. 337 ff. Die Kritik an den Kategorien Person, Wille, Willensfreiheit, subjektives Recht setzt freilich bereits im 19. Jhd. ein, s. dazu unten die Nachweise im Einzelnen S. 158 ff., 166 ff. 131 S. dazu unten noch S. 359 ff. et passim zu den jeweiligen Diskussionen. 132 S. aber Auer, Der privatrechtliche Diskurs, S. 44, 62 f.; Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, S. 329, 337 ff. dazu, dass der Privatrechtsbegriff des 19. Jhd. nach wie vor vorherrschend ist.
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1. Kapitel: Die Konstituenten des Zivil- und Zivilprozessrechts der Gegenwart
Der Personbegriff erscheint in den zivilrechtsdogmatischen Diskussionen kaum noch, oder besser gesagt: er erscheint begrifflich, aber tatsächlich inhaltlich weitgehend entleert.133 Der Willensbegriff soll für das Vertragsrecht keine Rolle mehr spielen.134 Die Willensfreiheit wird unter Bezug auf die Neurowissenschaften generell infrage gestellt; wo sie zivilrechtlich zu verorten ist und ob ihr hierfür Bedeutung zukommt, ist ohnehin umstritten.135 Das subjektive Privatrecht gilt als „dekonstruiert“.136 Zivilrechtsdogmatisch spielt es eigentlich keine Rolle mehr, nachdem die wohl herrschende Auffassung das Haftungsrecht weitgehend von den subjektiven Rechten losgelöst hat.137 Wenn sich im Kontext des private law enforcement ein aktionenrechtliches Modell Bahn bricht138, ist auch der Anspruch als verbliebene besondere Erscheinungsform des subjektiven Privatrechts obsolet.139 Dass das Vertragsrecht erheblichen dogmatischen wie gesetzgeberischen Wandlungen unterliegt, ist bereits weithin bekannt.140 Auf die „Entleerung des Willensprinzips als Grundlage der Vertragsbindung“141 wurde bereits hingewiesen. Ferner stehen die „Privatautonomie“ und ihre Bedeutung in der Kritik.142 Die Trennung von Zivil- und Strafrecht wird zwar nominell aufrechterhalten, aber tatsächlich immer mehr und auf verschiedene Weisen durchbrochen.143 Dass primäre Funktion des zivilrechtlichen Haftungsrechts Kompensation und Ausgleich ist, ist keineswegs ausgemacht – stattdessen wird auf Prävention und Verhaltenssteuerung als wesentliche Ziele des Haftungsrechts
133 S. etwa bereits Rittner, Die werdende juristische Person, S. 159 (Person zwar „Zentralbegriff“, aber „so technisiert oder […] instrumentalisiert, daß sein rechtsethischer Sinn ganz im Verborgenen liegt“; Fn. weggelassen); s. zu den Diskussionen um den Personbegriff Hetterich, Mensch und „Person“, S. 15 ff.; ferner Auer, Der privatrechtliche Diskurs, S. 48 ff. zur „Dezentrierung des Subjekts“. 134 Werba, Willenserklärung ohne Willen, S. 28 ff., 71 ff., 164 (S. 164: „Der Tatbestand der Willenserklärung erfordert keinerlei voluntative Elemente“). 135 Zur Kritik an der Willensfreiheit sowie (kritisch) zu ihrer Bedeutung für das Zivilrecht etwa Mankowski, AcP 211 (2011), 153, 154 ff., 173 ff.; s. ferner unten noch zur Diskussion S. 382 ff. 136 Auer, Der privatrechtliche Diskurs, S. 55 ff.; s.a. Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, S. 339 ff. (insoweit unter Bezugnahme auf Auers Kritik: „Fehlschluss von der Freiheit auf das Recht“); ferner zur „Kritik der Rechte“ Menke, Kritik der Rechte, S. 164 ff., 175 ff. 137 S. dazu unten S. 465 ff., 469 ff.; vgl. kritisch dazu Picker, Privatrechtssystem, S. 60 ff. 138 S. dazu unten S. 419 ff. 139 S. dazu unten S. 388 ff., 416 ff. 140 S. dazu unten noch S. 430 ff. sowie etwa Schön, in: Heldrich/Prölss/Koller (Hrsg.), FS Canaris, Bd. 1, S. 1191, 1192 f.; ferner zur „Krise des liberalen Vertragsdenkens“ Kramer, Krise des Vertragsdenkens, S. 9 f.; Reinhardt, in: FS Schmidt-Rimpler, S. 115. 141 Auer, Der privatrechtliche Diskurs der Moderne, S. 81. 142 Zu dieser Diskussion Röthel, in: Bumke/Röthel (Hrsg.), Autonomie, S. 91, 92 ff.; Riesenhuber, ZfPW 2018, 352 ff.; ferner auch HKK-BGB/Hofer, vor § 145 Rn. 33 f. 143 S. etwa zu entsprechenden Ansätzen Schubert, Die Wiedergutmachung, S. 795 ff., 833 ff.; s.a. Ebert, Pönale Elemente, S. 410 f., 576; s. ferner unten noch S. 494 ff.
VIII. Kritische Anfragen
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rekurriert.144 Vor allem im Kontext des private law enforcement erhalten sanktionsorientierte Haftungssysteme, die der Prävention und Verhaltenssteuerung dienen, breiten Zuspruch – eine strikte Trennung von Strafe und Schadensersatz erscheint als Relikt vergangener Zeiten.145 Dass primärer Zweck des Zivilprozesses die Durchsetzung subjektiver Privatrechte ist, ist ebenfalls eine im Rückzug befindliche Position; stattdessen werden die Konfliktlösung oder die Durchsetzung objektiven Rechts zu Regulierungszwecken als wesentliche Prozessziele angesehen.146 Damit stehen wiederum kollektive Rechtsschutzformen wie class actions in Einklang, die sich typischerweise vom Prozessziel der Durchsetzung subjektiver Privatrechte entfernen und auf objektive Normdurchsetzung zielen.147 Selbst dass es überhaupt so etwas wie ein Ziviloder Privatrecht mit eigenem Gegenstand gibt, ist alles andere als ausgemacht.148 Verwiesen wird insofern auf den „Einbruch des Öffentlichen“ in das Privatrecht.149 Kurzum: Sämtliche Prinzipien, die zumindest für das 19. Jahrhundert als die Konstituenten des Bürgerlichen Rechts schlechthin galten und nominell noch bis in die Gegenwart aufrechterhalten werden150, sind eigentlich in den Augen vieler bereits Rechtsgeschichte. Die hier erwähnten Konstituenten sind fragil geworden und befinden sich in einer prekären Situation. Die Kritik ist keines-
144
S. dazu etwa Wagner, Gutachten, 66. DJT, A14 f., A77 ff. Vgl. dazu Poelzig, Normdurchsetzung durch Privatrecht, S. 16 f., 31 ff., 477 ff.; Wagner, Gutachten, 66. DJT, A14 f., A75 ff.; s. ferner auch Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, S. 200 ff., 461 ff., 471 ff. (aus der Perspektive eines regulatorischen Privatrechtsverständnisses zum Begriff der Sanktionsnormen, unter den gleichermaßen Schadensersatz und Strafe fallen; allerdings auch S. 472 f. zu Unterschieden von Strafe und Schadensersatz); Franck, Marktordnung durch Haftung, S. 54 ff., 86 ff. 146 Vgl. zu dieser Diskussion Bruns, in: Bruns/Suzuki (eds.), Realization of Substantive Law through Legal Proceedings, p. 3, 4 ss.; ferner z.B. Poelzig, Normdurchsetzung durch Privatrecht, S. 509 ff. („marktregulierendes Zivilprozessrecht“). 147 S. etwa Poelzig, Normdurchsetzung durch Privatrecht, S. 509 ff., 526 ff.; vgl. dazu (kritisch) H. Roth, JZ 2016, 1134 ff.; Bruns, ZZP 125 (2012), 399, 406, 416. 148 Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, S. 325 ff., 522 ff., 549 ff., 558 ff. (Unterschiede zwischen Privat-, Straf- und Öffentlichem Recht nur im Hinblick auf die private Verfahrensinitiative, d.h. auf Ebene der Rechtsdurchsetzung, s. aaO, S. 549 ff., 560; S. 552: „Demgegenüber unterscheidet sich das Privatrecht von der strafrechtlichen und der verwaltungsrechtlichen Rechtsdurchsetzung wesentlich dadurch, dass es – jenseits der auch in den anderen Teilrechtsordnungen existierenden Prozessordnung – kein „Verfahrensrecht“ gibt, sondern sowohl das „ob“ als auch die Art und Weise der Rechtsdurchsetzung […] allein den Privaten überlassen ist“; S. 560: „Die Eigenständigkeit des Privatrechts beruht aus Sicht einer funktionalen Rechtstheorie gerade auf diesem Prinzip der Privatinitiative“); Auer, Der privatrechtliche Diskurs, S. 1 ff., 63 ff.; vgl. ferner auch Schweitzer, AcP 220 (2020), 544 ff.; Jestaedt, in: Bruns (u.a.) (Hrsg.), FS Stürner, S. 917 ff., 932 ff. 149 Dazu Auer, Der privatrechtliche Diskurs, S. 63 ff. 150 Vgl. insoweit zum nach wie vor herrschenden, aus dem 19. Jhd. stammenden Privatrechtsbegriff Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, S. 329 ff., 337 f. 145
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1. Kapitel: Die Konstituenten des Zivil- und Zivilprozessrechts der Gegenwart
wegs neu und artikulierte sich bereits im 19. Jahrhundert.151 Gleichwohl scheinen die Fundamente und Beharrungskräfte zunehmend schwächer zu werden.152 Man kann zumindest nicht mehr der Feststellung ausweichen, dass die wesentlichen Grundlagen des Zivilrechts, wie man es bisher kannte, fragil geworden sind. Bedeutet diese prekäre Situation eine Krise des Zivilrechts insgesamt oder nur die Krise einer bestimmten, letztlich in den Kategorien des 19. Jahrhunderts gefangenen Ausgestaltung der Zivilrechtsordnung?
151
S. dazu unten noch S. 159 Fn. 671. Vgl. dazu, wenngleich in der Tendenz anders, Auer, Der privatrechtliche Diskurs, S. 53, 74 ff., 80 f., 87.; s. ferner dazu, dass trotz der Dekonstruktion die Form subjektiver Rechte weiterhin fortbesteht, S. 44, 62, allerdings auch S. 74 ff., 81 zur „immanenten Selbstgefährdung“ (S. 81: „innere Erosion der normativen Substanz von Grundelementen des klassisch-modernen Privatrechts […]“). 152
2. Kapitel
Die Entstehung der Konstituenten Im Folgenden soll zunächst der Entstehung dieser Konstituenten der Privatund Prozessrechtsordnung nachgegangen werden. Wie sich zeigen wird, verdankt sich ihre Entstehung einer dreifachen Spur: zunächst dem römischen Recht und seiner gemeinrechtlichen Entwicklung im Mittelalter; sodann der Naturrechtstradition und der mit dem Naturrecht verbundenen „Tradition der Metaphysik der Freiheit“.1 Gerade die Naturrechtstradition ist es, der maßgebliche Bedeutung für die Ausarbeitung dieser allgemeinen Grundsätze zukommt.2 Schließlich zeigen sich wesentliche Einflüsse von Kant, Hegel, der Historischen Rechtsschule sowie der Rechtsdiskussionen des 19. Jahrhunderts.3
I. Römisches Recht und ius commune So sehr die Bezeichnungen, Wertungen und Rechtsregeln der heutigen westlichen Rechtsordnungen durch das römische Recht geprägt sind4, so wenig lassen sich die vorgenannten Konstituenten der Privatrechtsordnung – Person, Wille, Willensfreiheit, subjektives Privatrecht, ein allgemeiner Vertragsbegriff und Vertragsfreiheit, ein rein kompensationsorientiertes Haftungsrecht, Trennung von Straf- und Zivilrecht – im römischen Recht wiederfinden.5 1
Zu diesem Begriff Kobusch, Die Entdeckung der Person, S. 15 ff. Dazu unten S. 54 ff. 3 Dazu unten S. 148 ff. 4 Grundsätzlich zur Bedeutung des römischen Rechts für die Gegenwart Kaser/Knütel/ Lohsse, Römisches Privatrecht, § 1 Rn. 36 ff.; ferner dazu Zimmermann, AcP 202 (2002), 243, 244 ff.; ders., Law of Obligations, p. 1 ss. et passim. 5 Vgl. dazu auch Gordley, The Philosophical Origins, p. 1 ss.; ferner dazu unten im Einzelnen die Nachweise S. 54 ff. Die Vorstellung, dass diese Kategorien römisch seien, hat freilich viel mit der Pandektenwissenschaft des 19. Jhd. zu tun, vgl. dazu etwa Baldus, in: Lampe/Pauen/Roth (Hrsg.), Willensfreiheit und rechtliche Ordnung, S. 167 f. (im Hinblick auf die Privatautonomie: „Dieser Ansatz ist idealtypisch und für die Folgezeit prägend von der Pandektenwissenschaft des 19. Jahrhunderts gefasst worden. Man neigt dazu, ihn für römisch zu halten, wollte doch die Historische Rechtsschule in ihren romantischen Ursprüngen ein System des heutigen römischen Rechts schaffen. Allein wir wissen, dass diesem Bemühen von vornherein eine innere Spannung zwischen römischer Kasuistik, verbunden in einem inneren System, und dem zeitgenössischen Bedürfnis nach Beseitigung verbleibender Widersprüche und nach Schaffung eines auch äußeren Systems innewohnte; und so neigte 2
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2. Kapitel: Die Entstehung der Konstituenten
1. Actio Zentrale Kategorie des klassischen römischen Rechts ist die actio, d.h. die Klage(-art), aufgrund derer ein Prozess vor dem Richter (iudex) eingesetzt und der Beklagte bei Vorliegen der Voraussetzungen verurteilt werden kann.6 Im Zentrum dieses „aktionenrechtlichen Denkens“ stehen die einzelnen Klagearten bzw. „Klagrechte“ (actiones), die die Rechtsordnung konstituieren7 und deren Voraussetzungen sich vor allem8 aus dem vom Prätor jeweils verkündeten sog. prätorischen Edikt ergeben.9 Die actio impliziert, dass der Kläger die Einsetzung eines Prozesses über diese Klageart vor dem Richter verlangen und hierdurch die Verurteilung des Beklagten erreichen kann.10 Die „Rechtsmacht“ des Einzelnen wird damit vor allem prozessual verstanden.11 Der Begriff des Rechts (ius) im Sinne einer unabhängig vom Prozess bestehenden subjektiven Rechtsbefugnis spielt demgegenüber keine (wesentliche) Rolle; zwar finden sich der Sache nach an verschiedenen Stellen Aussagen, die ein solches subjektives Rechtsverständnis nahelegen12, jedoch wird der Begriff die6 Waagschale sich immer mehr zu einem System des heutigen römischen Rechts hin, das alsbald weithin bruchlos in das BGB überführt werden konnte. Wir können uns also, wenn wir Rom sehen wollen, nicht an dem Bild orientieren, das wir von der Pandektistik haben, und auch nicht an dem Bild, das die Pandektistik selbst von Rom hatte“; Fn. weggelassen); zu letzterem auch bereits Windscheid, Die Actio des römischen Civilrechts, S. 1. 6 Flume, Rechtsakt und Rechtsverhältnis, S. 9; Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, § 4 Rn. 6 f.; § 80 Rn. 1, 11 f.; § 82 Rn. 4, 18; Buchheim, Actio, S. 31 ff.; Coing, in: Coing/Lawson/Grönfors, Das subjektive Recht und der Rechtsschutz der Persönlichkeit, S. 7, 11; Kaufmann, JZ 1964, 482, 483; Dubischar, Zweiteilung der Rechte, S. 5; ferner dazu Martens, JZ 2016, 1021, 1022 ff.; vgl. bereits Windscheid, Die Actio des römischen Civilrechts, S. 1, 3; zum näheren Verständnis der actio s. unten noch beim Prozess S. 52 f. 7 S. Buchheim, Actio, S. 33 („Das Rechtssystem war primär die Ordnung der Begehren, die mit Aussicht auf Erfolg an ein Gericht gestellt werden konnten“). 8 Zu den anderen Edikten (Edikte der kurulischen Ädilen; Edikte der Statthalter) Kaser/ Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, § 2 Rn. 16; dort auch zum edictum perpetuum, das durch Kaiser Hadrian eingesetzt wird. 9 S. dazu im Einzelnen Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, § 2 Rn. 14 ff.; § 80 Rn. 1 f.; § 83 Rn. 2; Flume, Rechtsakt und Rechtsverhältnis, S. 9 („Rechtsakt und actio sind die Pole, auf die das Denken der römischen Jurisprudenz der klassischen Zeit vornehmlich bezogen ist. […] Nicht das Schuldverhältnis, sondern die actio ist das Thema der römischen Jurisprudenz“); Bürge, Römisches Privatrecht, S. 17 ff.; Kaufmann, JZ 1964, 482, 483; Buchheim, Actio, S. 32; Schulz, Prinzipien des römischen Rechts, S. 28 f. 10 S. Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, § 4 Rn. 6; § 80 Rn. 1 f., 11 f.; § 82 Rn. 4, 18. 11 S.a. Auer, Der privatrechtliche Diskurs, S. 22 („Die antike Philosophie und das klassische römische Recht besaßen hingegen noch kein voll entfaltetes Konzept des materiellen Individualrechts. Das römischrechtliche Aktionensystem diente in erster Linie der prozessualen Durchsetzung individueller Interessen, ohne die materiellrechtlichen Berechtigungen hinter den einzelnen Klagearten zu einem Begriff des „Rechts“ zu verallgemeinern“; Fn. weggelassen). 12 So Coing, in: Coing/Lawson/Grönfors, Das subjektive Recht und der Rechtsschutz der Persönlichkeit, S. 7, 11 mit Verweis u.a. auf Dig. 20,4,19; Dig. 4,2,13.
I. Römisches Recht und ius commune
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weder abstrakt ausgearbeitet noch kommt ihm systemtragende Bedeutung zu.13 Eher wird ius im Sinne des objektiven Rechts verstanden oder etwa mit der Gerichtsstätte identifiziert.14 Ein subjektiver Rechtsbegriff im Sinne einer einer Person zustehenden Freiheit, Macht oder Befugnis findet sich dagegen nicht ausgearbeitet.15 Dieser Zugang entspricht dem generellen Verständnis des römischen Rechts, das nicht als System geordnete materiell-rechtliche Rechtsordnung begriffen, sondern vom Prozess her entwickelt wird.16 Es gibt nicht die Idee eines eigenständigen abstrakt existierenden rechtlichen Seinsbereichs, der als materielles Recht unabhängig von der gerichtlichen Geltendmachung „existiert“ und sich durch die Rechtsverhältnisse bzw. subjektiven Privatrechte sowie deren Ursachen, Veränderung und Wirkungen konstituiert.17 Damit kor13
Zu dieser Diskussion Villey, Le droit et les droits de l’homme, p. 69 ss. (grundsätzlich gegen die Annahme eines subjektiven Rechts im römischen Recht); ders., Archives de philosophie du droit N. 9, p. 97 ss., 104 ss.; Dubischar, Zweiteilung der Rechte, S. 11 ff. (Villey folgend); gegen Villey wiederum Coing, in: Coing/Lawson/Grönfors, Das subjektive Recht und der Rechtsschutz der Persönlichkeit, S. 7, 9 f.; Honsell/Mayer-Maly/Selb, Römisches Recht, § 25 II; s.a. zu dieser Diskussion Jansen, Haftungsrecht, S. 313 Fn. 294 m.w.N.; Tierney, The Idea of Natural Rights, p. 13 ss.; Tuck, Natural Rights Theories, p. 7 ss.; Thönissen, Recht und Gerechtigkeit, 3. Kap. V.2.b), 4. Kap. I.1.; s.a. jüngst Schermaier, in: Brinkmann/ Shirvani (Hrsg.), Privatrecht und Eigentumsgrundrecht, S. 23, 36 („Dass die römischen Juristen auch an die subjektive Seite der Berechtigung eines Eigentümers dachten, ist unbestreitbar. Das Konzept des „subjektiven Rechts“ (im heutigen Sinne) kannten die Römer allerdings nicht“; Fn. weggelassen); Simmermacher, Eigentum als ein subjektives Recht, S. 12 ff., 17 („Somit kann also festgehalten werden, dass subjektives Recht im Römischen Recht keine Rolle spielt und in allgemeinen systematischen Schriften zum Recht nicht auftaucht. Im Römischen Recht kann also nicht der historische Ursprung für das subjektive Recht liegen“); Auer, Der privatrechtliche Diskurs, S. 22; Buchheim, Actio, S. 31 f. („[…] deutet demnach darauf, dass die Vorstellung eines materiellen subjektiven Rechts dem römischen Recht nicht fremd war. Sie war allerdings dogmatisch und rechtspraktisch derart wenig durchformt, dass sie nicht in einen eigenen Begriff mündete“); ferner Fezer, Teilhabe und Verantwortung, S. 98 ff. 14 S. etwa Paulus Dig. 1,1,11 („Ius pluribus modis dicitur: uno modo, cum id quod semper aequum ac bonum est ius dicitur, ut est ius naturale. altero modo, quod omnibus aut pluribus in quaque civitate utile est, ut est ius civile. nec minus ius recte appellatur in civitate nostra ius honorarium. […] alia significatione ius dicitur locus in quo ius redditur, appellatione collata ab eo quod fit in eo ubi fit“); zur in ius vocatio im Sinne der Ladung vor Gericht s. etwa Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, § 82 Rn. 2; s. ferner Ulpian Dig. 1,1,1 pr. („ius est ars boni et aequi“); zu den verschiedenen Begriffen auch etwa Auer, Der privatrechtliche Diskurs, S. 22; Coing, in: Coing/Lawson/Grönfors, Das subjektive Recht und der Rechtsschutz der Persönlichkeit, S. 7, 10 f. 15 So Villey, Le droit et les droits de l’homme, p. 69 ss., 77 ss.; ders., Archives de philosophie du droit N. 9, p. 97 ss., 104 ss. sowie zuvor Fn. 13. 16 S. etwa HKK-BGB/Duve, §§ 1–14 Rn. 4; vgl. dazu umfassend auch Bürge, Römisches Privatrecht, S. 1 ff. („Das Recht als Prozess betrachtet“); ferner auch Schulz, Prinzipien des römischen Rechts, S. 28 f. 17 Vgl. Flume, Rechtsakt und Rechtsverhältnis, S. 11 („Die römischen Juristen wissen überhaupt nichts von dem „Schuldverhältnis als Ganzes“ oder dem Schuldverhältnis als Organismus, wie es dem modernrechtlichen Denken entspricht. Sie wissen nichts von dem
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2. Kapitel: Die Entstehung der Konstituenten
respondierend werden im römischen Recht auch nicht die Begriffe der „Rechtsbeziehung“, des „Rechtsverhältnisses“, des „Rechtssubjekts“ oder des „subjektiven Rechts“ reflektiert.18 Neben der actio kommt dem Begriff der obligatio wesentliche Bedeutung zu, dessen Herkunft ebenfalls einen prozessualen Charakter offenbart.19 Ausgehend von der altrömischen persönlichen Haftung, die durch Zahlung abgewendet werden konnte, geht es um eine Vollstreckungsmacht des Gläubigers über den Schuldner im Sinne einer Rechtsverbindlichkeit.20 Dass eine obligatio besteht, bedeutet danach das „Verpflichtetsein“ des Schuldners; ferner kann sie auch den „Verpflichtungsakt“ bezeichnen.21 Bei den Legisten und Kanonisten des Mittelalters ändert sich dies ansatzweise.22 Zum einen wird der actio-Begriff umgeformt, indem zwischen dem prozessualen Klagantrag (petitio) und dem zugrundeliegenden Klagegrund 18 Schuldverhältnis als der Grundlage von Rechten und Pflichten, das geradezu ein eigenes Leben entfaltet, indem es sich ändert, Rechte […] hervorbringt oder Rechte erlöschen lässt […]. Für die römische Jurisprudenz gibt es immer nur das Verhältnis von Rechtsakt und actio, während nach modernrechtlichem Denken die materiellrechtlichen Veränderungen des Schuldverhältnisses die Grundlage des klägerischen Anspruchs sind“); s. aber auch Martens, JZ 2016, 1021, 1024; s. dazu unten noch S. 172 ff. 18 S. etwa Flume, Rechtsakt und Rechtsverhältnis, S. 9 („Nicht das Schuldverhältnis, sondern die actio ist das Thema der römischen Jurisprudenz“), ferner S. 23; s. z.B. Bekker, System des Pandektenrechts, § 17, S. 45 („Der Römischen Lehre felt der Begriff „Rechtsverhältnis“ ebenso, wie eine dem Deutschen Worte ähnliche Bezeichnung“); § 18, S. 46 („“Subjektives Recht“, ius in s. S., ein von den Römern relativ wenig gepflegter Begriff, für die moderne Doktrin der Eckpfeiler des gesamten Rechtsbaues“; Fn. a) „Die Römer kennen Definitionen und systematische Eintheilungen wol der „actio“, aber nicht des „ius“ im subj. S.“); § 20, S. 61 („Der Begriff des Rechtsobjekts ist von den Römern nicht besser gepflegt […] als der des Rsubjekts.“). Zur Entwicklung dieser Begriffe s. unten noch S. 67 ff., 100 ff., 166 ff., 185 ff.; vgl. auch zur „römischen Abstraktionsfeindschaft“ Schulz, Prinzipien des römischen Rechts, S. 30. 19 S. dazu etwa Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, § 32 Rn. 1, 2 ff. 20 Dazu Kaser, Das Römische Privatrecht, Erster Abschnitt, S. 146 ff., 150, ferner dann S. 479 ff.; Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, § 32 Rn. 2 ff.; Imhof, Obligation und subjektives Recht, S. 9 f. 21 S. Flume, Rechtsakt und Rechtsverhältnis, S. 10 f. („Obligatio ist der Terminus sowohl für den Verpflichtungsakt wie für das Verpflichtetsein, dem das Berechtigtsein des Gläubigers entspricht. Die obligatio wird aber […] von den Klassikern anders als es modernrechtlichem Denken entspricht, nicht als gegenüber den Personen verselbständigt, als Gegenstand gedacht. So sehr aber auch das Denken der römischen Jurisprudenz auf die Pole Rechtsakt und actio bezogen ist, selbstverständlich sind debitum und obligatio als das der Person verhaftete Verpflichtetsein und dementsprechend das Recht des Gläubigers den Klassikern geläufig. Es geht dann aber immer nur um das einzelne Verpflichtetsein, nicht um das Schuldverhältnis als Ganzes. […]“), ferner S. 23 f.; Kaser, Das Römische Privatrecht, Erster Abschnitt, S. 479; Tuck, Natural Rights Theories, p. 9; zur obligatio etwa Inst. III,13 pr. („obligatio est iuris vinculum, quo necessitate adstringimur alicuius solvendae rei secundum nostrae civitatis iura“). 22 Dazu etwa Tierney, The Idea of Natural Rights, p. 43 ss.; Tuck, Natural Rights Theories, p. 13 ss.; s.a. Auer, Der privatrechtliche Diskurs, S. 22 f.
I. Römisches Recht und ius commune
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(causa petendi; ius agendi), d.h. vor allem dem klägerischen Tatsachenvortrag, sowie zwischen Klagantrag und Klaganspruch (actio) unterschieden wird; das ius wird so als Grund (causa) der Klage angesehen; gleichzeitig ist die obligatio die „Mutter“ der actio und bringt diese hervor.23 Zum anderen findet sich bei verschiedenen Autoren eine Umschreibung von ius als Macht oder Befugnis (potestas, facultas).24 Einen weiteren Schritt zur Entwicklung des subjektiven Rechtsbegriffs gehen Theologie, Philosophie und Rechtswissenschaft vor allem im Kontext des franziskanischen Armutsstreits Anfang des 14. Jahrhunderts.25
2. Eigentum Weiterer zentraler Begriff des klassischen römischen Rechts ist der des Eigentums (dominium oder proprietas).26 Eigentum bezeichnet die umfassende rechtliche Herrschaft des Eigentümers über eine Sache27, wobei der Begriff des Eigentums hier aber unabhängig vom Begriff des Rechts (ius) steht.28 An das vom Besitz (possessio) unterschiedene Eigentum29 knüpfen verschiedene Klagearten an, so die Klage des Eigentümers auf Feststellung des Eigentums und 23 Coing, in: Coing/Lawson/Grönfors, Das subjektive Recht und der Rechtsschutz der Persönlichkeit, S. 7, 13 f.; Kaufmann, JZ 1964, 482, 484 f.; Buchheim, Actio, S. 34 ff. (generell zum Kontext der Rezeption; s. aber S. 35 f., wonach auch die actio ius ist; die obligatio ist der Grund der actio); Auer, AcP 208 (2008), 584, 589; dazu auch unten noch S. 118 Fn. 442; s.a. etwa im juristischen Humanismus Vultejus, In Institutiones, Commentarius ad Lib. IV, Tit. VI § 1, N. 22 ff., S. 630 („Hae sunt actiones personales ex obligatione, de quibus intelligendum est, quod vulgo dici solet, obligationem esse matrem actionis […] actionis personalis causae sunt duae: una remota, altera propinqua: & remota sit conventio vel delictum, propinqua obligatio […]“); ferner ad Lib. III Tit. XIV Pr. N. 33, S. 441 („obligationi consequens est actio“). 24 S. Tierney, The Idea of Natural Rights, p. 56 ss., 66 ss.; Vonlanthen, Wesen des subjektiven Rechts, S. 15. 25 Dazu unten S. 100 ff. sowie zu diesen Entwicklungen Tierney, The Idea of Natural Rights, p. 93 ss.; Varkemaa, Theory of Individual Rights, p. 13 ss.; s. ferner Thönissen, Recht und Gerechtigkeit, 4. Kap. I.1., 2.b) m.w.N. 26 Zur Bedeutung etwa Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, § 4 Rn. 3 f.; § 22 Rn. 1 ff. – dort auch zur Entwicklung und den verschiedenen Eigentumsbegriffen; Honsell/ Mayer-Maly/Selb, Römisches Recht, § 57; Kaser, Das Römische Privatrecht, Erster Abschnitt, S. 400 ff. 27 Dazu Kaser, Das Römische Privatrecht, Erster Abschnitt, S. 400 f.; Kaser/Knütel/ Lohsse, Römisches Privatrecht, § 22 Rn. 1, 7 ff.; ferner § 19 Rn. 1. 28 S. deutlich dazu, dass dominium im römischen Recht kein „Recht“ ist, Dubischar, Zweiteilung der Rechte, S. 13 ff. Zur Zusammenführung von ius und dominium im Kontext des franziskanischen Armutsstreits, d.h. dazu, dass ius ein Oberbegriff ist, unter den das dominium als eine besondere Art von Rechten fällt, s. unten S. 100 ff., 103 ff. sowie näher Thönissen, Recht und Gerechtigkeit, 4. Kap. I.2. 29 Dazu etwa Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, § 19 Rn. 1; Honsell/MayerMaly/Selb, Römisches Recht, § 56 VI; s. etwa Ulpian Dig. 41,2,12,1 („Nihil commune habet proprietas cum possessione“); Dig. 41,2,17,1.
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Herausgabe der Sache (rei vindicatio)30, ferner etwa die Klagen gegen Störungen des Eigentums31. In der gemeinrechtlichen Rechtswissenschaft des Mittelalters wird die Eigentumsdefinition des Bartolus populär, wonach Eigentum das „Recht ist, über eine körperliche Sache zu verfügen, sofern es nicht durch Gesetz verboten ist“.32
3. Vertrag Kennzeichen des klassischen römischen Vertragsrechts ist das Bestehen verschiedener Vertragsarten, bei denen die Klagbarkeit von jeweils unterschiedlichen Voraussetzungen abhängt.33 Die maßgeblichen Kategorien bilden die sog. Konsensual-, Litteral-, Verbal- und Realkontrakte.34 Zwar bildet bei den Konsensualverträgen grundsätzlich der Konsens der Vertragsparteien (consensus) die maßgebliche Voraussetzung der Klagbarkeit; jedoch beschränkt sich der Anwendungsbereich der Konsensualkontrakte auf bestimmte Vertragstypen, so etwa auf den Kauf (emptio venditio), den Gesellschaftsvertrag (societas), den Auftrag (mandatum) und die Miete (locatio conductio).35 Bei den anderen Vertragsarten ist Voraussetzung der Bindung jeweils die Einhaltung bestimmter Formen oder Geschäftszwecke.36 Die Verbalkontrakte etwa (vor allem die stipulatio37) setzen entsprechend der Formenstrenge des römischen Rechts38 eine mündliche Spruchformel voraus.39 Während das Form30
S. dazu näher Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, § 27 Rn. 1 ff. Dazu Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, § 27 Rn. 23 f. (actio negatoria). 32 Bartolus, Comm. In Dig. 41,2,17 N. 4 ff. („ius de re corporali perfecte disponendi, nisi lege prohibeatur“); mit Verweis auf Bartolus etwa noch die Auseinandersetzung um den dominium-Begriff bei Molina, De Iustitia et Iure, Tract. II Disp. 2 N. 1 ff.; Lugo, De Iustitia et Iure, Disp. II Sec. 1 N. 2; dazu etwa Seelmann, Die Lehre vom dominium, S. 13 f., 37 ff. (zur Auseinandersetzung mit Bartolus’ Begriffsbestimmung bei Fernando Vazquez); Auer, Der privatrechtliche Diskurs, S. 23, 102. 33 Hierzu grundsätzlich Honsell/Mayer-Maly/Selb, Römisches Recht, §§ 39 ff., 98; Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, § 38 ff.; Dulckeit, in: Niedermeier/Flume (Hrsg.), FS Fritz Schulz, Bd. 1, S. 148, 153 ff. 34 Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, § 38 Rn. 6 ff.; Honsell/Mayer-Maly/ Selb, Römisches Recht, § 98 III; s. Inst. III,13,2 („aut enim re contrahuntur aut verbis aut litteris aut consensu“). 35 Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, § 38 Rn. 11; Honsell/Mayer-Maly/Selb, Römisches Recht, § 98 III.4. 36 S. im Einzelnen dazu Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, § 38 Rn. 6 ff.; Honsell/Mayer-Maly/Selb, Römisches Recht, § 98 I, III. 37 Dazu Honsell/Mayer-Maly/Selb, Römisches Recht, § 110 II., III.; Kaser/Knütel/ Lohsse, Römisches Privatrecht, § 7 Rn. 20 ff. 38 Vgl. dazu Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, § 6 Rn. 1 ff.; § 7; § 8 Rn. 5 ff.; Honsell/Mayer-Maly/Selb, Römisches Recht, § 43 II. 39 Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, § 38 Rn. 9; Honsell/Mayer-Maly/Selb, Römisches Recht, § 98 III.1. Zum Litteralkontrakt näher Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, § 38 Rn. 10; § 40 Rn. 14 ff.; Honsell/Mayer-Maly/Selb, Römisches Recht, § 98 III.2. 31
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erfordernis zwar im Laufe der Zeit gelockert wird, bildet es doch auch weiterhin eine Voraussetzung der Bindungskraft.40 Bei den sog. Realkontrakten (z.B. das Darlehen [mutuum]) hängt die Entstehung der Verpflichtung von der realen Bewirkung einer Leistung ab.41 Diese strikte Bindung auf eine bestimmte Anzahl klagbarer Vertragsarten wird dadurch gelockert, dass durch die prätorische Rechtsprechung eine Erweiterung dieser klagbaren Vertragsarten um sog. Innominatkontrakte Platz greift.42 Hiervon abgegrenzt werden die sog. pacta nuda („nackte Verträge“),43 bei denen im Gegensatz zu den zuvor genannten klagbaren Vertragsarten (die später sog. pacta vestita) keine Klagbarkeit gegeben ist.44 Diese pacta nuda umfassen also grundsätzlich sämtliche Verträge mit von den anerkannten Vertragsarten abweichendem Leistungsinhalt.45 Das römische Recht geht insofern nicht von einem allgemeinen Entstehensgrund vertraglicher Verpflichtung und allgemeinen Vertragslehren aus; maßgeblich für eine rechtliche Anerkennung sind vielmehr die jeweilige Geschäftsart oder die Einhaltung einer bestimmten Vertragsform.46 40 Zur stipulatio s. Kaser, Das Römische Privatrecht, Erster Abschnitt, S. 539 f.; Kaser/ Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, § 7 Rn. 20 ff.; Honsell/Mayer-Maly/Selb, Römisches Recht, § 47 II. – zur Entwicklung, wonach anstelle der mündlichen Spruchformeln das schriftliche Schuldversprechen getreten ist. 41 Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, § 38 Rn. 7; Honsell/Mayer-Maly/Selb, Römisches Recht, § 98 III.3. 42 Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, § 38 Rn. 15; § 45 Rn. 1 ff.; s. ferner Honsell/Mayer-Maly/Selb, Römisches Recht, § 98 I, IV zu den sog. pacta praetoria. 43 S. Honsell/Mayer-Maly/Selb, Römisches Recht, § 98 IV; Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, § 38 Rn. 13, 18. 44 S. Decock, Contract Law, p. 110 ss.; Honsell/Mayer-Maly/Selb, Römisches Recht, § 98 IV. Fn. 38 mit Verweis auf Paulus, sent. 2,14,1 („Ex nudo pacto inter cives romanos actio non nascitur“; zitiert nach Honsell/Mayer-Maly/Selb, Römisches Recht, § 98 IV. Fn. 38); s. Ulpian Dig. 2,14,7,4. („nuda pactio obligationem non parit“). 45 Honsell/Mayer-Maly/Selb, Römisches Recht, § 98 IV; s. aber auch zu den nachklassischen Entwicklungen, wo eine Klagbarkeit auch der meisten pacta gegeben war, Kaser, Das Römische Privatrecht, Zweiter Abschnitt, S. 362 f. 46 Honsell/Mayer-Maly/Selb, Römisches Recht, § 39 I., § 98 I., II; Flume, Allgemeiner Teil, § 2,4 („Das römische Recht kennt nur die einzelnen Rechtsgeschäftstypen. Es kennt nicht einmal den allgemeinen Schuldvertrag, sondern nur die einzelnen Schuldvertragstypen wie Kaufvertrag, Mietvertrag etc. […] Selbst als der ursprünglich geschlossene Kreis bestimmter Schuldvertragstypen in der späteren Entwicklung des römischen Rechts erweitert wurde, führte das nicht zur Anerkennung des allgemeinen Schuldvertrages“); vgl. Kaser/ Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, § 5 Rn. 1, 4 ff., § 33 Rn. 3; Dulckeit, in: Niedermeier/ Flume (Hrsg.), FS Fritz Schulz, Bd. 1, S. 148, 156; s.a. Decock, Theologians and Contract Law, p. 2 s., 107 s.; Baldus, in: Lampe/Pauen/Roth (Hrsg.), Willensfreiheit und rechtliche Ordnung, S. 167, 175 f. („Historisch folgt dies daraus, dass in Rom der Konsens ursprünglich keine Wirksamkeitsvoraussetzung für Verträge ist; erst allmählich treten, namentlich unter dem Einfluss der „internationalen“ Geschäfte des iuris gentium, Typen des formfreien Konsensualvertrages neben die alte Formbindung, und konsensuale Elemente werden auch in die überkommenen formgetragenen Geschäfte hineingelegt. Völlig durchgesetzt hat sich
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2. Kapitel: Die Entstehung der Konstituenten
Diese Vorgaben des römischen Rechts bilden auch den Ausgangspunkt der gemeinrechtlichen Entwicklung im Mittelalter.47 Die mittelalterlichen Legisten erkennen alleine im Konsens zweier Parteien keinen allgemeinen Entstehensgrund vertraglicher Verpflichtungen, sondern sehen entsprechend den römischrechtlichen Vorgaben die Klagbarkeit nur bei den anerkannten Vertragsarten als gegeben an.48 Ausgehend von den einzelnen, vertraglichen Entstehungsgründen des römischen Rechts findet durchaus eine Ausweitung der Klagbarkeit statt.49 Es wird eine allgemeine Einteilung in die nicht klagbaren pacta nuda sowie die klagbaren pacta vestita vorgenommen.50 Demgegenüber bildet sich abweichend von diesem vertragsrechtlichen Typenzwang im kanonischen Recht der Grundsatz pacta sunt servanda, wodurch auch die Klagbarkeit der pacta nuda anerkannt wird.51 Dem kanonischen Recht folgend wird auch im Handelsrecht die Klagbarkeit der pacta nuda bis zum 14. Jahhrundert weitgehend anerkannt.52 Die Klagbarkeit der pacta nuda wird schließlich auch im weltlichen Recht des 16. Jahrhunderts zur zunehmend verbreiteten Position53 – trotz durchaus fortbestehender Gegnerschaft durch die juristischen Humanisten, die sich weiterhin den römischen Vorgaben verpflichtet sehen.54 das47vertragliche Konsensprinzip freilich nicht. Es ist historisch also problematisch, den römischen Vertrag in derselben Weise wie den modernen einheitlich als autonome, durch Konsens koordinierte Selbstbindung zu begreifen […]“; Fn. weggelassen); s. ferner auch Jhering, Der Zweck im Recht, S. 272 („Zu dem Gedanken, dass dem Consense als solchem bereits eine rechtlich verbindende Kraft innewohne, hat sich weder das römische Volk, noch auch die römische Jurisprudenz je erhoben, nirgends macht letztere die leiseste Andeutung, dass dies eigentlich der Natur der Sache entspreche, nirgends den Versuch, jene vier Ausnahmsfälle zu erweitern, im Gegentheil ängstlich hütet sie die alten Gränzen und warnt vor der Ueberschreitung derselben wie vor einer ernstlichen Gefahr“). 47 Hierzu und zum Folgenden: P. Landau, Europäische Rechtsgeschichte und kanonisches Recht, S. 761 ff.; Decock, Contract Law, p. 107 s., 109 ss. 48 Decock, Contract Law, p. 109; Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, § 38 Rn. 18; P. Landau, Europäische Rechtsgeschichte und kanonisches Recht, S. 761, 763. 49 Decock, Contract Law, p. 109 ss., 113 s. 50 Decock, Contract Law, p. 110 ss. (auch zu den Differenzierungen, wie aus einem pactum nudum ein pactum vestitum werden konnte); P. Landau, Europäische Rechtsgeschichte und kanonisches Recht, S. 761, 763; s. zu dieser Differenzierung auch etwa Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 17 Dub. 3 N. 17 f. 51 Dazu grundsätzlich P. Landau, Europäische Rechtsgeschichte und kanonisches Recht, S. 761 ff., 766 ff.; Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, § 38 Rn. 18; Decock, Contract Law, p. 121 ss.; Zimmermann, JZ 1990, 825, 827 ff.; s.a. Flume, Allgemeiner Teil, § 12 II 3. 52 P. Landau, Europäische Rechtsgeschichte und kanonisches Recht im Mittelalter, S. 777; Decock, Contract Law, p. 121 s. 53 Dazu im Einzelnen Decock, Contract Law, p. 114, 153 ss. 54 Decock, Contract Law, p. 107, 119 s.; s. vor allem Connanus, Commentarii, Lib. V Cap. II N. 1 f.; Cap. III N. 1 ff., 5; Vultejus, In Institutiones, Commentarius ad Lib. III Tit. 14 N. 23 ff., 33 ff., p. 439, 441 f.; s. dazu auch Jansen, Recht und gesellschaftliche Differenzierung, S. 131 ff.
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4. Deliktsrecht (delicta privata) und aquilische Haftung a) Die Deliktsklagen Prägend für das Haftungsrecht des klassischen römischen Rechts sind verschiedene private Deliktsklagen, die sog. delicta privata.55 Zu diesen gehören die actio iniuriarium als Klage bei Personen- bzw. Persönlichkeitsverletzung56, die actio damnum iniuria datum als Rechtsbehelf bei Sachbeschädigung und Verletzung von Sklaven (die sog. aquilische Haftung, actio legis Aquiliae)57, welche später über diese Fälle ausgeweitet wird und für die gemeinrechtliche Entwicklung von besonderer Bedeutung werden sollte58; ferner beispielsweise die actio furti und die rapina als Klagen bei Sachentziehung59 und Raub60. Charakteristisch ist das Bestehen einzelner Deliktsklagen mit jeweils unterschiedlichen Rechtsfolgen, ohne dass es eine allgemeine Schadensersatzhaftung gibt.61 Die deliktischen Einzelklagen knüpfen tatbestandlich an je unterschiedliche Handlungs- und Schädigungsformen an, wenngleich die Entwicklungen (insbesondere die Fortentwicklung der aquilischen Haftung) über die Zeit dazu führen, dass den Merkmalen der „Rechtswidrigkeit“ (iniuria)62 und des Verschuldens (dolus, teilweise auch culpa)63 als Haftungsvoraussetzungen Bedeutung zukommt.64 Über die zeitliche Entwicklung bis in die nachklassische Zeit sowie die Justinianische Gesetzgebung zeigt sich eine Erweiterung der aquili-
55 Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, § 50 Rn. 1; Honsell/Mayer-Maly/Selb, Römisches Recht, § 99; Jansen, Haftungsrecht, S. 186, ferner S. 189 ff. zum altrömischen Recht und zur Entstehungsgeschichte; s. dazu auch Dig. 47,1 („De privatis delictis“). 56 Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, § 51 Rn. 19 ff., 23; s. dazu auch Dig. 47,10. 57 Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, § 51 Rn. 10 ff.; Jansen, Haftungsrecht, S. 186, 187 f., 202 ff. 58 S. Jansen, Haftungsrecht, S. 224, 226, 241, 247 ff., 266, 273 ff.; Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, § 51 Rn. 18 sowie gleich noch S. 50 f. 59 Zum furtum Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, § 51 Rn. 1 ff.; Zimmermann, Law of Obligations, p. 922 ss.; zum furtum s. Dig. 47,2. 60 Zur rapina s. Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, § 51 Rn. 25; dazu Dig. 47,8. 61 Jansen, Theologie, S. 157, 164; ders., Haftungsrecht, S. 186 f., 225 f.; Kaser/Knütel/ Lohsse, Römisches Privatrecht, § 34 Rn. 20 f., § 51 Rn. 18; Honsell/Mayer-Maly/Selb, Römisches Recht, § 93 III; § 99 I./III.; ferner Fezer, Teilhabe und Verantwortung, S. 469. 62 Zum Begriff iniuria und zu seinen verschiedenen Bedeutungen (einerseits abstrakter Begriff im Sinne von „verbotenem Verhalten“, andererseits besonderes Delikt) s. Jansen, Haftungsrecht, S. 210 ff., 216 ff. (zur Funktion im Kontext der aquilischen Haftung, dort aber nicht als Haftungsvoraussetzung, sondern mit „haftungsausschließender Funktion“, aaO, S. 220); s. etwa Ulpian Dig. 47,10,1 pr. („Iniuria ex eo dicta est, quod non iure fiat“). 63 Zum mehrdeutigen Begriff der culpa und dem nicht ganz klaren Verhältnis zur iniuria auch Jansen, Haftungsrecht, S. 252 ff. 64 Dazu Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, § 36 Rn. 6 ff.; § 50 Rn. 2; § 51 Rn. 11; Honsell/Mayer-Maly/Selb, Römisches Recht, § 93 III.1 (zum Verschulden); vgl. aber auch Jansen, Haftungsrecht, S. 252 zu den Differenzierungen.
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2. Kapitel: Die Entstehung der Konstituenten
schen Haftung, der eine größere Bedeutung zukommt65 und die als zumindest auch ersatzbezogener66 Haftungstatbestand zur Erfassung von Sachbeschädigungen und Körperverletzungen aufgefasst wird.67 b) Die Haftungsfolgen und der pönale Charakter Ziel dieser privaten Deliktsklagen ist zwar regelmäßig auch der Ausgleich des Verlustes, tatsächlich umfassen diese aber grundsätzlich auch pönale68 Elemente, welche den Deliktsklagen aus heutiger Perspektive einen Strafcharakter zuweisen.69 Wenngleich der Strafcharakter über die Zeit zugunsten einer stärkeren Ausgleichsorientierung zurückgedrängt wird70, bestimmt auch im klassischen römischen Recht nicht nur die ausgleichsbezogene Entschädigung für einen erlittenen Verlust, sondern auch der Sanktionsgedanke die Haftungsfolgen, sodass sich eine Vermischung von Straf- und Zivilrecht zeigt.71 Da das Klagziel der privaten Deliktsklagen sanktionsorientiert ist, kommt diesen Kla-
65 Zumindest durch Entwicklung damit verwandter Klagen für den Einzelfall (actio in factum), s. dazu Jansen, Haftungsrecht, S. 249 ff. (S. 251: „tatsächliche Ausweitung der aquilischen Haftung“). 66 Aber auch in ihrer weiterentwickelten Form war die actio legis Aquiliae in den Haftungsfolgen immer noch „sanktionsorientiert“, s. Jansen, Die Struktur des Haftungsrechts, S. 241, 246, 264 f., 266 f. 67 Dazu Jansen, Haftungsrecht, S. 224 (Ausweitung zur Erfassung „mittelbarer Schädigungen“), 226, 241, 247 ff., 266; Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, § 51 Rn. 14 ff. 68 S. zum Begriff der poena und seiner Herkunft Jansen, Haftungsrecht, S. 194 f.; ferner Honsell/Mayer-Maly/Selb, Römisches Recht, § 99 III.2: Ursprünglich bezeichnete poena die Ablösungsmöglichkeit, das Talionsrecht des Geschädigten (Recht zur persönlichen, rächenden Vergeltung des zugefügten Übels am Schädiger) durch Zahlung eines Ersatzbetrages („Loskaufgeld“; eben die poena) abzuwenden; ausgehend hiervon wurde der Begriff dann erweitert verstanden allgemein als „Bußgeld“ bzw. „strafend zugefügtes Übel“, welches die unmittelbare, nicht nur potenzielle Haftungsfolge des Deliktes ist (Jansen, aaO, S. 195, 204 f., 232). Wenn hier nun von „pönal“ die Rede ist, dann ist dieser Begriff stärker im Sinne der eigentlichen „Strafe“ zu verstehen; dazu unten noch S. 139 ff.; vgl. auch Thönissen, Recht und Gerechtigkeit, 4. Kap. IV.4.c). 69 Honsell/Mayer-Maly/Selb, Römisches Recht, § 99 II./III.2.; § 92 I.3.; Kaser/Knütel/ Lohsse, Römisches Privatrecht, § 34 Rn. 30; § 50 Rn. 3, 6; Jansen, Theologie, S. 157; ders., Haftungsrecht, S. 187, 202 ff., 223 ff., 236 f., 240 f.; ferner auch etwa G.K. Neuner, Wesen und Arten der Privatrechtsverhältnisse, § 21, S. 200 ff. 70 Die Sanktion war noch im älteren römischen Recht die einzige wesentliche Funktion, s. Jansen, Haftungsrecht, S. 201 f., 207 ff. (dort auch zur Entwicklung im Kontext der Lex Aquilia), 221, ferner S. 222 ff. zur Zurückdrängung des Sanktionscharakters. 71 Jansen, Theologie, S. 157 ff., 164 f.; ders., Haftungsrecht, S. 223 ff., 236 („[…] daß noch im klassischen römischen Recht kein rechter Gegensatz zwischen dem privaten Deliktsrecht und dem öffentlichen Strafrecht bestand“); Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, § 34 Rn. 30 f.; § 50 Rn. 3; Honsell/Mayer-Maly/Selb, Römisches Recht, § 99 II./ III.2.
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gen ein Charakter als „Privatstrafe“72 zu, was sich auch in ihrer passiven Unvererblichkeit zeigt.73 Allerdings ist insoweit zwischen den einzelnen Strafklagen zu differenzieren.74 Während die reinen Pönalklagen dem Kläger typischerweise eine feste oder nach Ermessen des Prätors zu bestimmende Strafzahlung gewähren und dem Schadensausgleich keine Bedeutung zukommt75, geht es bei den sog. gemischten Strafklagen (actiones mixtae) neben dem Strafcharakter auch um Ausgleich.76 Davon zu trennen sind die rein sachverfolgenden Klagen (actiones reipersecutoriae), die auf das Sachinteresse zielen und grundsätzlich keinen pönalen Charakter haben.77 Diese Differenzierung in den Haftungsfolgen hat dabei auch Einfluss auf das Konkurrenzverhältnis: Während sachverfolgende und rein pönale Klagen nebeneinander geltend gemacht werden können, schließen die gemischten Strafklagen die sachverfolgenden Klagen aus.78 Neben diesem privaten Strafrecht greift ein öffentliches Strafrecht zunächst grundsätzlich nur bei bestimmten gemeinschaftsschädlichen Delikten (iudicia publica/crimina) Platz.79 Dies ändert sich in der Kaiserzeit mit der Ausweitung der staatlichen Befugnisse, die nunmehr verstärkt auch strafrechtliche Aufgaben umfassen und so auch zur Etablierung eines „öffentlichen“ hoheitlichen Strafrechts führen.80 Die privaten Strafklagen verlieren angesichts der Ausbreitung eines öffentlichen Strafrechts zunehmend ihre Bedeutung bzw. ihr pöna-
72 Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, § 50 Rn. 3, 6; Honsell/Mayer-Maly/Selb, Römisches Recht, § 92.I.3; Jansen, Haftungsrecht, S. 197 ff., 223 ff. 73 S. Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, § 50 Rn. 7 f. (demgegenüber aktiv vererblich mit Ausnahme einzelner Klagen); Honsell/Mayer-Maly/Selb, Römisches Recht, § 92 I.3.; ferner Jansen, Haftungsrecht, S. 209 (zur passiven Unvererblichkeit der Haftung nach der Lex Aquilia). 74 Dazu etwa Jansen, Haftungsrecht, S. 187, ferner 223 ff.; Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, § 34 Rn. 31; § 50 Rn. 10 f.; Honsell/Mayer-Maly/Selb, Römisches Privatrecht, § 92.I.3. 75 Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, § 34 Rn. 33; Honsell/Mayer-Maly/Selb, Römisches Recht, § 92 I.3; § 99.III.2. 76 Honsell/Mayer-Maly/Selb, Römisches Recht, § 99 III.2; Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, § 34 Rn. 31; § 50 Rn. 6, 11; Jansen, Haftungsrecht, S. 187 ff., 226, 237 f., 240 (auch die aquilische Haftung wurde zumindest bei Justitinian den gemischten Strafklagen zugeordnet); dazu auch Paulus Dig. 44,7,34,2. 77 Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, § 34 Rn. 31; § 50 Rn. 6; s.a. Jansen, Haftungsrecht, S. 187, 223, 237 ff. 78 Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, § 34 Rn. 31; § 50 Rn. 6, 10 f.; Honsell/ Mayer-Maly/Selb, Römisches Recht, § 99 III.2; s. etwa Paulus Dig. 44,7,34. 79 Honsell/Mayer-Maly/Selb, Römisches Recht, § 99 II; Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, § 50 Rn. 1; s.a. Jansen, Haftungsrecht, S. 199 ff., 227 ff.; ferner dazu Thönissen, Recht und Gerechtigkeit, 4. Kap. IV.2. 80 Dazu Jansen, Haftungsrecht, S. 232 ff. (zu den cognitiones extra ordinem der Kaiserzeit); Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, § 50 Rn. 5.
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2. Kapitel: Die Entstehung der Konstituenten
ler Charakter rückt zugunsten einer stärkeren Ausgleichsorientierung in den Hintergrund, allerdings ohne zu verschwinden.81 Das römische Recht kennt folglich verschiedene Klagearten mit jeweils unterschiedlichen Rechtsfolgen, ohne ein einheitliches Haftungs- und Schadensersatzrecht zu entwickeln.82 Schadensrechtliche Wertungen werden zwar in den einzelnen Klagen entwickelt.83 Jedoch ist damit nicht die Entwicklung eines allgemeinen Schadensrechts verbunden, vielmehr hängt auch der jeweils geltend zu machende Ersatz von der jeweiligen actio ab.84 Zwei Charakteristika bleiben hier festzuhalten: Trotz der schrittweisen Erweiterung der Haftung nach der Lex Aquilia besteht das Deliktsrecht des (nach-)klassischen römischen Rechts aus verschiedenen, jeweils andere Verletzungshandlungen betreffenden Einzelklagen mit je eigenen Voraussetzungen und Rechtsfolgen.85 In den Rechtsfolgen greift keine grundsätzliche Trennung von Ausgleich und Strafe Platz. Vielmehr zielen die privaten Deliktsklagen auch auf Sanktionierung von Fehlverhalten und dienen damit pönalen Zwecken, wenngleich der Privatstrafcharakter angesichts der Ausweitung eines öffentlichen Strafrechts zurückgeht.86 c) Die gemeinrechtliche Entwicklung und die Ausweitung der aquilischen Haftung Das gemeine Recht des Mittelalters greift die einzelnen Deliktsklagen auf und hält an diesen Differenzierungen grundsätzlich fest, wenngleich gewisse Versuche einer Vereinheitlichung etwa der Haftungsfolgen (Entwicklung des sub-
81 Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, § 34 Rn. 32; § 50 Rn. 5; § 51 Rn. 6 (zum furtum); Honsell/Mayer-Maly/Selb, Römisches Recht, § 99 III.2; Jansen, Haftungsrecht, S. 223 ff., 232 ff., 236 f., 264 f., 266 ff. (aaO, S. 224: „[…] allerdings hat das römische Deliktsrecht seinen pönalen Charakter niemals vollständig überwunden“). 82 S. Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, § 34 Rn. 20 f. 83 Dazu etwa Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, § 34 Rn. 26 ff.: Der Haftungsumfang richtet sich je nach Klage entweder nach dem objektiven geschätzten Sachwert (certum) oder dem sog. incertum, das sich nach dem quod interest bestimmt und innerhalb dessen etwa eine Berücksichtigungsfähigkeit des sog. entgangenen Gewinns (lucrum cessans) gegeben ist; dazu auch Honsell/Mayer-Maly/Selb, Römisches Recht, § 92 III. 84 S. Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, § 34 Rn. 20 f., 26 ff., 30 ff.; Honsell/ Mayer-Maly/Selb, Römisches Recht, § 92 III; Jansen, Theologie, S. 157 ff.; ders., Haftungsrecht, S. 241 ff. (zum id quod inter est). 85 S. etwa Jansen, Haftungsrecht, S. 186 f., 225 f.; Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, § 34 Rn. 20 f.; Fezer, Teilhabe und Verantwortung, S. 469; Sampson, The Historical Foundations, p. 35 ss., 44 ss., 60 s. 86 Jansen, Haftungsrecht, S. 187, 236 f., 246; s. ferner Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, § 34 Rn. 30; § 50 Rn. 3, 5; Honsell/Mayer-Maly/Selb, Römisches Recht, § 99 II./ III.2; so ja auch das allgemeine Verständnis des römischen Deliktsrechts im 19. Jhd., s. dazu unten noch S. 204 ff.
I. Römisches Recht und ius commune
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stantivischen Begriffs des interesse87) unternommen werden.88 So führt die Rechtsentwicklung dazu, dass der Anwendungsbereich der deliktischen Klagen (vor allem die aquilische Haftung) ausgedehnt wird und somit Haftungsgrundlagen auch bei anderen, eigentlich vom Anwendungsbereich der Deliktsklagen zunächst nicht erfassten Schäden geschaffen werden.89 Auch wenn den deliktischen Klagen weiter im Grundsatz ein Sanktionscharakter zukommt, werden die pönalen Elemente – auch infolge der Entstehung eines öffentlichen Strafrechts im Kontext sich bildender Staatlichkeit sowie angesichts der Entwicklung des Inquisitionsprozesses90 – in der Praxis zurückgedrängt, sodass die Strafklagen ihre Bedeutung bis in die Frühe Neuzeit zumindest teilweise verlieren, ohne allerdings zu verschwinden.91 Mit der Ausweitung der aquilischen Haftung im Usus Modernus Pandectarum wird schließlich für das gemeine Recht eine allgemeine Schadensersatzhaftung (actio de damno dato) geschaffen.92 Die so ausgeweitete aquilische Haftung wird dabei als allgemeine Haftung bei – infolge von, wenngleich dies letztlich unklar bleibt, Verschulden sowie rechtswidrig93 – eingetretenen Schäden verstanden.94 Der pönale Charakter wird zugleich immer weiter zurückgedrängt, sodass das gemeine Recht im 18. Jahrhundert eine ersatzbezogene Ausgleichshaftung kennt.95
87 Dazu Wieling, Interesse und Privatstrafe, S. 9 ff., 26 ff. et passim; Lange, Schadensersatz und Privatstrafe, S. 13 ff. 88 Dazu Jansen, Theologie, S. 94 f., 159 ff.; ders., Haftungsrecht, S. 272 ff.; Kaser/Knütel/ Lohsse, Römisches Privatrecht, § 34 Rn. 29; Sampson, The Historical Foundations, p. 62 ss.; vgl. auch Wieling, Interesse und Privatstrafe, S. 9 ff., 26 ff. et passim; Lange, Schadensersatz und Privatstrafe, S. 13 ff. 89 Dazu im Einzelnen Jansen, Haftungsrecht, S. 273 ff.; ders., Theologie, S. 161 f., 165; ferner Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, § 51 Rn. 18. 90 S. dazu Jansen, Haftungsrecht, S. 281 f., 291; ferner Thönissen, Recht und Gerechtigkeit, 4. Kap. IV.5. 91 Dazu Jansen, Theologie, S. 94 f., 159 f., 165; ders., Haftungsrecht, S. 273, 280 ff., 283; s.a. Wieling, Interesse und Privatstrafe, S. 241 ff., 243 ff.; Lange, Schadensersatz und Privatstrafe, S. 129 ff., 133 ff.; s. aber auch noch Vultejus, In Institutiones, Commentarius ad Lib. IV Tit. VI § 19, N. 1 ff., S. 737. 92 Jansen, Haftungsrecht, S. 289 ff., 292 ff.; ders., Theologie, S. 165 f.; ferner Zimmermann, Law of Obligations, p. 1017 ss.; a.A. aber Fezer, Teilhabe und Verantwortung, S. 469 („In der Lehre zum gemeinen Recht gelangte die Idee einer allgemeinen Deliktshaftung nicht zum Durchbruch“). 93 Jansen, Haftungsrecht, S. 299 ff. (dort zur Bedeutung der Merkmale iniuria und culpa), 311 f. (einerseits „Haftung für Fehlverhalten“, andererseits „Haftung für zurechenbare Rechtsgutsbeeinträchtigungen“). 94 Jansen, Haftungsrecht, S. 293 f., 299 ff., 311 f. 95 Jansen, Haftungsrecht, S. 294 f.; ders., Theologie, S. 165 f.
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2. Kapitel: Die Entstehung der Konstituenten
5. Prozess a) Formularprozess Entsprechend dem aktionenrechtlichen Denken des römischen Rechts kommt dem Prozess wesentliche Bedeutung zu.96 Über die Zeit entwickeln sich dabei ausgehend vom Legisaktionsverfahren über den Formularprozess bis zum Kognitionsverfahren verschiedene Prozessmodelle.97 Ordentlicher Prozess der Periode des „klassischen“ römischen Rechts ist der Formularprozess98, der für die gemeinrechtliche Entwicklung im Mittelalter relevant werden sollte.99 Der Formularprozess bildet dabei das übliche Verfahren ab der späten Republik bis in die Zeit der klassischen Jurisprudenz.100 Während des Prinzipats wird er zunehmend durch den kaiserlichen, zunächst „außerordentlichen“ Kognitionsprozess verdrängt.101 Der Formularprozess ist in zwei Teile unterteilt, das Verfahren de iure („über das Recht“) und das Verfahren apud iudicem („beim Richter“).102 Nach der Ladung des Beklagten (in ius vocatio)103 wird vor dem Gerichtsmagistraten (Prätor) im Verfahren de iure vom Kläger die Erteilung einer bestimmten Klage (actio) beantragt.104 Entspricht das Vorbringen einer dem prätorischen Edikt entsprechenden Klageart105, gewährt der Prätor nach Festlegung des Streitprogramms durch die Prozessformel106 für das Verfahren apud iudicem107 auf Grundlage der litis contestatio108 das Dekret, durch das das Gericht für das Verfahren apud iudicem eingesetzt wird.109 Entsprechend dem nun festgelegten Prozessprogramm, bestehend aus der jeweiligen Klage (actio) und der Einwendung (exceptio), wird anschließend vor dem Richter (iudex) im Verfahren apud iudicem verhandelt; hier geht es vor allem um die Feststellung des erheb96
Vgl. Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, § 80 Rn. 1; § 4 Rn. 6 f. Dazu Kaser/Hackl, Das Römische Zivilprozessrecht, S. 25 ff., 151 ff., 435 ff.; Kaser/ Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, § 80 Rn. 14 ff.; § 81 (Legisaktionenverfahren); § 82 (Formularprozeß); § 87 (Kognitionsverfahren). 98 S. etwa Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, § 80 Rn. 21. 99 Nörr, Ein geschichtlicher Abriss, S. XIII f., 1 ff., 9. 100 Dazu auch Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, § 80 Rn. 14 ff., 21. 101 Dazu etwa Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, § 80 Rn. 21 ff.; § 87 Rn. 1 f. 102 Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, § 80 Rn. 9 ff., § 82, § 84. 103 Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, § 82 Rn. 2. 104 Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, § 82 Rn. 4. 105 Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, § 82 Rn. 4, 13, 18; ferner zur Möglichkeit der Erteilung einer actio in factum im Einzelfall, wenn keine der festgelegten actiones eingreift, aaO, § 33 Rn. 3. 106 Dazu näher Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, § 83 Rn. 1 ff. 107 Dazu Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, § 84 Rn. 1 ff. 108 Näher zur litis contestatio Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, § 82 Rn. 19 ff., 23 ff. 109 Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, § 82 Rn. 18 f.; Buchheim, Actio, S. 31. 97
I. Römisches Recht und ius commune
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lichen Sachverhalts durch Beweisverfahren, schließlich wird das Urteil gefällt.110 Der iudex ist dabei kein „Jurist“, sondern grundsätzlich ein „Privatmann“, der von den Parteien des Prozesses vorgeschlagen werden kann bzw. vom Magistrat ermittelt wird.111 b) Kognitionsprozess In der Zeit des Prinzipats schaffen die Kaiser, angefangen bei Kaiser Augustus, das Kognitionsverfahren zunächst als außerordentlichen Prozess (cognitio extra ordinem), der aber später das Formularverfahren weitgehend verdrängen sollte.112 Im Gegensatz zum Formularprozess, der in das Verfahren de iure und apud iudicem zweigeteilt ist, wird das Kognitionsverfahren grundsätzlich durch einen Magistraten bis zur Urteilsfällung geleitet.113 Allerdings ist das Verfahren in seiner Gestaltung wesentlich freier als der Formularprozess.114 Es bestehen weniger prozessuale Bindungen für den Richter, das Verfahren liegt weitgehend im Ermessen des Magistraten.115 Im Gegensatz zum Formularverfahren sind die Richter im Kognitionsprozess nicht mehr so strikt an die Klagearten (actiones) gebunden, sondern können Klagen stärker nach Ermessen gewähren.116 c) Romanisch-kanonischer Prozess In Kanonistik und Legistik des Mittelalters bildet sich ein (Zivil-)Prozess, der bis weit in die Neuzeit das Prozessleben Europas bestimmen sollte und schließlich auch zur Grundlage der neuzeitlichen partikularen Prozessordnungen wird: der sog. romanisch-kanonische Prozess.117 Inhaltlich enthält der romanisch-kanonische Prozess vielfach Elemente der verschiedenen römischen Prozessarten, vor allem des Formularverfahrens, setzt diese aber zu ei110 Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, § 82 Rn. 18; § 83 Rn. 1 ff.; Buchheim, Actio, S. 31 f. 111 Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, § 82 Rn. 13 f.; Buchheim, Actio, S. 32. 112 Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, § 80 Rn. 21 ff., § 87 Rn. 1 f. 113 Wobei aber auch hier eine Teilung durch Einsetzung eines beauftragten Richters (iudex pedaneus) für bestimmte Verfahrensabschnitte möglich war, s. Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, § 80 Rn. 21; § 87 Rn. 1, 3. 114 Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, § 80 Rn. 21; § 87 Rn. 4, 5 ff. 115 Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, § 80 Rn. 21; § 87 Rn. 4, 5 ff. 116 Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, § 87 Rn. 7; vgl. Kaufmann, JZ 1964, 482, 484 dazu, dass im Kognitionsverfahren das aktionenrechtliche Denken zunehmend verloren geht, wie sich in der Abschaffung der Aktionsformeln manifestiert; Martens, JZ 2016, 1021, 1024 f. 117 Nörr, Ein geschichtlicher Abriss, S. 11 f., 42; ders., Romanisch-kanonisches Prozessrecht, S. 1 f.; ferner zum „gelehrten Zivilprozessrecht“ Schlosser, Neuere Europäische Rechtsgeschichte, 5. Kap. Rn. 33 ff.
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2. Kapitel: Die Entstehung der Konstituenten
nem letztlich neuen Verfahren zusammen, das sich wesentlich vom Formularprozess sowie vom Kognitionsverfahren unterscheidet.118 Im Gegensatz zum Formularverfahren wird der sog. gelehrte Prozess des ius commune von einem Richter als einheitliches Verfahren geleitet.119 Die formelle Aufteilung des Formularverfahrens in das Verfahren de iure und apud iudicem wird aufgehoben, Verfahrensleitung und Entscheidung über Rechts- und Tatsachenfragen erfolgen einheitlich durch den Richter.120 Der romanisch-kanonische Prozess ist so der „Akt dreier Personen“, nämlich von Kläger, Beklagtem und Richter (iudicium est actum trium personarum).121 Es gelten – nach heutiger Terminologie – Dispositionsmaxime und Beibringungsgrundsatz, d.h. das Verfahren unterliegt grundsätzlich der Parteiherrschaft, sodass der Kläger durch die Klage den Prozess einleitet und den Prozessgegenstand bestimmt sowie die Parteien die Tatsachen und Beweise in den Prozess einzubringen haben, auf deren Grundlage das Urteil gefällt wird.122 Die Rechtsfindung ist an das Recht gebunden und erfolgt durch den Richter.123 Die Beweiswürdigung ist in gewissem Umfang durch sog. Beweisregeln bestimmt, die den Richter bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen binden können.124
II. Das Naturrecht und die „Metaphysik der Freiheit“ Die gemeinrechtliche Tradition, die sich als Folge der rechtswissenschaftlichen Bearbeitung der römisch-rechtlichen Quellen ausgehend von Bologna im 11./ 12. Jahrhundert Bahn bricht, hinterlässt auf vielfältige Weise Spuren in der Rechtsgeschichte.125 Die entscheidende Neuerung geht indes vom Naturrecht
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Nörr, Ein geschichtlicher Abriss, S. XIII f., 9, 11. S. zur „Einheit des Richteramtes“ Nörr, Romanisch-kanonisches Prozessrecht, S. 9 f.; Merzbacher, in: Archiv für katholisches Kirchenrecht 129 (1959–1960), S. 369, 372. 120 Nörr, Romanisch-kanonisches Prozessrecht, S. 10; Merzbacher, in: Archiv für katholisches Kirchenrecht 129 (1959–1960), S. 369, 372. 121 Dazu Nörr, Romanisch-kanonisches Prozessrecht, S. 9; ders., Ein geschichtlicher Abriss, S. 13. 122 Nörr, Romanisch-kanonisches Prozessrecht, S. 187 f. (sententia conformis libello), 188 ff. (secundum allegata et probata partium). 123 Nörr, Romanisch-kanonisches Prozessrecht, S. 123 f. (zumindest beim ius civile und beim ius canonicum, anders bei den partikularrechtlichen Bestimmungen, die teilweise beweisbedürftig waren); Merzbacher, in: Archiv für katholisches Kirchenrecht 129 (1959– 1960), S. 369, 377 f. 124 Dazu Nörr, Romanisch-kanonisches Prozessrecht, S. 153 f., 190 f. (bspw. zwei übereinstimmende glaubwürdige Zeugen erbringen einen Vollbeweis [probatio plena]). 125 S. nur Wieacker, Privatrechtsgeschichte, S. 45 ff.; grundsätzlich zur legistischen Rechtswissenschaft Jansen, Recht und gesellschaftliche Differenzierung, S. 43 ff. 119
II. Das Naturrecht und die „Metaphysik der Freiheit“
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aus.126 Diese Naturrechtstradition nimmt ihren Ausgangspunkt, aufbauend auf Aristoteles’ Gerechtigkeits- und Tugendlehre, der stoisch-ciceronianischen Gesetzeslehre, Elementen des römisch-gemeinen und kanonischen Rechts sowie der spätantiken patristischen Theologie und Philosophie, vor allem im Werk Thomas v. Aquins.127 Ausgehend hiervon entfaltet sich eine eigenständige Tradition, die unter franziskanischen Einflüssen (Ockham128, Duns Scotus129) über die spanische Spätscholastik, Grotius130, Pufendorf, Hobbes131, Domat132, Thomasius133, Pothier134 und Wolff schließlich für die modernen (Zivil-)Rechtsordnungen wegweisend wird.135 Hierdurch erhalten die Begriffe Person, Wille und (subjektives) Recht eine spezifische Bedeutung und werden zusammen etwa mit der allgemeinen Vertragsbindung, einem auf subjektiven Rechten aufbauenden verschuldensabhängigen Haftungsrecht sowie der Trennung von Kompensation und Strafe zu Konstituenten der Rechtsordnung.136 Im Folgenden soll indes nicht das Naturrecht in seiner Gesamtheit auf die Konstituenten untersucht werden, sondern eine Theorie bzw. Lehre, in die das Naturrecht eingebunden wird.137 Diese ist zunächst mit Francisco Suárez verbunden und wird als „Lehre vom moralischen Sein“ bzw. als „Metaphysik der Freiheit“ bezeichnet.138 Kobusch hat diese These der Tradition der „Metaphysik der Freiheit“ bereits vor mehreren Jahrzehnten entwickelt139, wobei sie in jüngerer Zeit auch in der Rechtswissenschaft, etwa bei Auer140, aufgegriffen wurde. Nach Auer hat sich in diesem Kontext vor allem bei Kant im Anschluss 126 Vgl. generell etwa zum Einfluss des Natur- und Vernunftsrechts auch Wieacker, Privatrechtsgeschichte, S. 249 ff., 272 ff. 127 Umfassend dazu Thönissen, Recht und Gerechtigkeit, 3. Kap. Zur Person s. die Kurzbiographie auf S. 575. 128 Zur Person s. die Kurzbiographie auf S. 577. 129 Zur Person s. die Kurzbiographie auf S. 575. 130 Zur Person s. die Kurzbiographie auf S. 576. 131 Zur Person s. die Kurzbiographie auf S. 576. 132 Zur Person s. die Kurzbiographie auf S. 575. 133 Zur Person s. die Kurzbiographie auf S. 578. 134 Zur Person s. die Kurzbiographie auf S. 578. 135 S. Thönissen, Recht und Gerechtigkeit, 3. Kap. I., VII., VIII. 136 Dazu im Einzelnen Thönissen, Recht und Gerechtigkeit, 3. Kap. V., VI., 4. Kap. 137 S. näher zu diesem Aspekt der Einbindung der Naturrechtstradition in die „Form des Moralischen“ Thönissen, Recht und Gerechtigkeit, 3. Kap. VI.4. 138 Zu diesen Begriffen sowie grundlegend Kobusch, Die Entdeckung der Person, S. 12 ff., 15 ff., 23 ff.; vgl. auch Gemmeke, Die Metaphysik, S. 22 f. zur Bedeutung der „Wissenschaft des Sittlichen“. 139 Kobusch, Die Entdeckung der Person, S. 11 ff. et passim. 140 Auer, Der privatrechtliche Diskurs, S. 15 ff. – dort allerdings mit Fokus auf Pufendorf und Kant. In dieser Untersuchung liegt der Fokus dagegen auch auf Suárez und seinen Schülern, weil hierdurch konkrete, durch diese Metaphysiktradition bedingte Transformationen etwa im Rechtsbegriff und im Vertrags- oder Haftungsrecht nachvollziehbar werden; dazu näher Thönissen, Recht und Gerechtigkeit, 3. Kap. VI.4. sowie unten noch im Einzelnen S. 72 ff.
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2. Kapitel: Die Entstehung der Konstituenten
an Pufendorf der für die privatrechtliche Moderne maßgebliche Rechtsbegriff („Person, Freiheit, Vernunft, Wille“) gebildet.141 Der Zugang über die Freiheitsmetaphysiktradition wird hier deshalb gewählt, weil die Kategorien und Denkform, die im Kontext dieser Tradition entwickelt werden, für die Rechtsentwicklung des 19. Jahrhunderts in besonderer Weise prägend sind, wie in einem weiteren Schritt aufzuzeigen sein wird.142 Es zeigt sich dabei, dass nicht die „Form“ des Naturrechts an sich, sondern die Kategorien, die sich in dessen Kontext entwickeln, für die Rechtsentwicklung von entscheidender Bedeutung sind.143 Was hier über Kobusch und Auer hinausgehend in einem ersten Schritt gezeigt werden soll, ist, dass die Kategorien dieser Freiheitsmetaphysiktradition bereits im unmittelbaren Umfeld von Suárez erheblichen Einfluss auf die Transformation der „konkreten Naturrechtsordnung“144 genommen haben.145
1. Recht und Gerechtigkeit a) Der Rechtsbegriff aa) Recht als Gegenstand der Gerechtigkeit Ausgangspunkt der Naturrechtslehre ist die thomistisch-aristotelische Tugend- und Gerechtigkeitslehre.146 Die Tugend der Gerechtigkeit ist unterteilt in die Gesetzesgerechtigkeit (iustitia legalis) – Einhaltung der Gesetze, was jede Tugend betrifft – und in die besondere Tugend der Gerechtigkeit (iustitia
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Auer, Der privatrechtliche Diskurs, S. 16 ff. S. dazu unten S. 158 ff.; vgl. auch – im Hinblick vor allem auf Kant – Auer, Der privatrechtliche Diskurs, S. 20, 28 f., 43. 143 Tatsächlich ist es so, dass diese „Metaphysik der Freiheit“ bzw. die Lehre vom moralischen Sein bereits im 17. Jhd. unmittelbare Anwendung auf diverse Rechtsgebiete findet, so etwa neben Suárez in Pedro de Oñates De Contractibus (dazu grundlegend, allerdings ohne auf die Freiheitsmetaphysiktradition einzugehen, Decock, Contract Law, p. 1 s., 67 s., 168 ss.; dazu, dass Oñate Suárez als seinen Lehrer ansieht, s. Oñate, De Contractibus, Tract. II Disp. 5 Sec. 7 N. 345; ferner zu Oñate s. unten die Kurzbiographie auf S. 577) sowie Juan de Lugos De Iustitia et Iure. Ferner rezipieren auch andere hier aufgeführte Autoren (Vincenzo Filliucci; Antonio Pérez; Franciscus Amicus; Francesco Sforza Pallavicino) für ihre Rechtslehre die Lehre vom moralischen Sein in jeweils unterschiedlicher Form; s. dazu, auch zu den Hintergründen Thönissen, Recht und Gerechtigkeit, 3. Kap. VI.4. 144 Zu diesem Begriff Thönissen, Recht und Gerechtigkeit, 3. Kap. VII.5. 145 Dazu näher Thönissen, Recht und Gerechtigkeit, 3. Kap. VII.5., 4. Kap. I.3., III.2.c) – auch zu den verschiedenen Entwicklungslinien und den theologisch-philosophischen Hintergründen. 146 Dazu und zum Folgenden etwa Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 115 ff., 250 ff., 254 ff.; Lippert, Recht und Gerechtigkeit, S. 75 ff., 83 ff.; Simmermacher, Eigentum als ein subjektives Recht, S. 40 ff. (zu Molina); ferner Thönissen, Recht und Gerechtigkeit, 3. Kap. I.1.c), V. 142
II. Das Naturrecht und die „Metaphysik der Freiheit“
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particularis).147 Mehrere Charakteristika sind dabei für letztere wesentlich: die Gerechtigkeit als besondere Tugend betrifft das Verhältnis zwischen den Menschen, sie ist also auf das zwischenmenschliche Verhältnis ausgerichtet; sie zielt auf einen Ausgleich (aequalitas) in den zwischenmenschlichen Verhältnissen; ihr Gegenstand sind äußere Handlungen zwischen den Menschen.148 Die Gerechtigkeit als besondere Tugend (iustitia particularis; Sondergerechtigkeit) ist ihrerseits untergliedert in die ausgleichende (iustitia commutativa) und die verteilende Gerechtigkeit (iustitia distributiva).149 Während es bei der verteilenden Gerechtigkeit um die Beziehung des Gemeinwesens zu den Einzelnen geht150, betrifft die ausgleichende Gerechtigkeit das Verhältnis zwischen privaten Personen und zielt auf einen Ausgleich in den zwischenmenschlichen Beziehungen (iustitia privata151).152 Von der Gerechtigkeitslehre wird dabei der Rechtsbegriff erschlossen: Recht (ius) bildet den „Gegenstand der Gerechtigkeit“.153 Dabei bricht sich 147 Thomas v. Aquin, STh, II-II, q. 58,5 resp.; q. 58,7 resp.; Aristoteles, Nikomachische Ethik, V, 1129a, 1130b, 1131a; Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 1 Dub. 1 N. 1; Dub. 3 N. 10. 148 Thomas v. Aquin, STh, II-II, q. 57,1 resp.; q. 58,2 resp.; q. 58,7 resp.; q. 58,8 resp.; Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 1 Dub. 1 N. 2, 6; Dub. 2 N. 7; instruktiv auch Amicus, De Iustitia et Iure, Disp. X Sec. 1 N. 1 ff.; Sec. 5 N. 69 ff., 75 ff. (zu den Charakteristika der Gerechtigkeit: alteritas, aequalitas und debitum; dort auch zur alteritas der Gerechtigkeit, die verschiedene Willen und Personen voraussetzt und sich aus der Verschiedenheit der Rechtsträgerschaft ergibt; s. N. 76: „ea alteritas fas est ad perfectam iustitiam, quae fundat distincta iura in quibus debitum & ius fundari possit: quia iustitia formaliter est ad constituendam aequalitatem inter debitum unius, & ius alterius: at ubi sunt distinctae realiter vel virtualiter voluntates, ibi disctincta iura esse possunt, cum ius nihil aliud sit, quam moralis potestas operandi circa rem suam; ergo formaliter est penes liberam voluntatem, per quam res formaliter possidemus, & ius in rebus habemus […] qua propter solae naturae intellectuales liberae sunt iuris capaces“; N. 79: „alteritas, quam formaliter requirit iustitia, est iurium“); ferner Disp. XI Sec. 1 N. 1 ff., 4 („Demum particula illa cuique moralem designat alteritatem ad rationem perfectae iustitiae essentialiter requisita: qui enim est sui iuris, est moraliter alter: nam alter in ordine ad contrahendam iustitiam dicitur is, qui saltem facto proprium ius habet, quod cum altero commutare, vel reddere possit“). Das Verhältnis des Menschen zu sich selbst ist damit nicht Gegenstand der Tugend der Gerechtigkeit. 149 Thomas v. Aquin, STh, II-II, q. 61,1 resp.; dazu auch Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 1 Dub. 4 N. 20 ff.; Amicus, De Iustitia et Iure, Disp. XI Sec. 8 N. 130 ff. 150 Thomas v. Aquin, STh, II-II, q. 61,2 resp.; Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 1 Dub. 4 N. 20 s. 151 S. zu diesem Begriff Suárez, Quaestiones de Iustitia et Iure, Disputatio Quarta, Quaestio secunda, S. 94, 99 f. (S. 99: „propria iustitia, quae ius privatae personae servat“); Quaestio tertia, S. 101. 152 Thomas v. Aquin, STh, II-II, q. 61,1 resp.; Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 1 Dub. 4 N. 20 f. 153 Thomas v. Aquin, STh, II-II, q. 57,1 resp. („ius est obiectum iustitiae“). Das Recht, das den Gegenstand der Sondergerechtigkeit bildet, wird auch als Recht im strengen Sinne (ius stricte dictum bzw. ius speciale) bezeichnet, dazu auch gleich noch S. 59 sowie Suárez, De Legibus, Lib. I Cap. 2 N. 4 f.; Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 2 Dub. 1 N. 1 ff.; Pérez, De Iustitia et Iure, Disp. I Cap. 1 N. 1 („ius […] iuridicum, seu stricte dictum, & obiectum iustitiae particularis“).
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2. Kapitel: Die Entstehung der Konstituenten
aber in den Diskussionen des (Spät-)Mittelalters ein zweifaches Rechtsverständnis Bahn.154 Zum einen meint Recht das Gesetz, die Norm bzw. die Gesamtheit der Gesetze; zum anderen wird Recht als Rechtsmacht, als Befugnis, etwas rechtmäßig zu tun oder zu erhalten (potestas, facultas, potentia) verstanden.155 Suárez umschreibt dieses später sogenannte subjektive156 Recht als „moralische Befugnis“ (facultas moralis) – eine Umschreibung, die auch etwa von Grotius, Wolff oder Achenwall aufgegriffen wird.157 bb) Rechtspflichten und moralische Pflichten Abgegrenzt von den aus der Sondergerechtigkeit folgenden Rechtspflichten (obligatio iustitiae; debitum legale) werden die moralischen Pflichten (debi154
S. dazu unten noch S. 100 ff.; explizit im Anschluss an Gerson bei Summenhart, Tractatus de Contractibus, Tract. I, q. 1, S. 1; dazu und den vorangegangenen Ansätzen Tierney, The Idea of Natural Rights, p. 108 ss. (Marsilius von Padua), 208 ss. (Gerson), 242 ss. (Summenhart); Varkemaa, Theory of Individual Rights, p. 15 ss. (Bonaventura), 30 ss. (Ockham), 44 ss. (Gerson), 63 ss. (Summenhart); Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 353 f., 385; Simmermacher, Eigentum als ein subjektives Recht, S. 23 ff., 27 ff.; Kobusch, Die Entdeckung der Person, S. 32 ff. (zu Ockham und Jean Gerson); Villey, in: Grossi (ed.), La seconda scolastica, p. 53, 62 ss.; Menke, Kritik der Rechte, S. 19 f., 49 ff. (zur Bedeutung Ockhams im Anschluss an Villey); näher und m.w.N. Thönissen, Recht und Gerechtigkeit, 3. Kap. V.2.b), 4. Kap. I.1., 2.b). 155 Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 2 Dub. 1 N. 1 ff.; Molina, De Iustitia et Iure, Tact. I Disp. 2 N. 1 ff., 4; Tract. II Disp. 1 N. 1; Suárez, De Legibus, Lib. I Cap. 2 N. 4 ff.; Lib. II Cap. 17 N. 2; Filliucci, Moralium Quaestionum, Tract. 31 Cap. 3 N. 51 („legitima facultas aliquid faciendi, vel obtinendi, vel alio modo se habendi, cuius violatio iniuriam constituit“); zuvor bereits Summenhart, Tractatus de Contractibus, Tract. I, q. 1, S. 1 („Ius est potestas vel facultas propinqua conveniens alicui secundum dictamen rectae rationis. […] ius capitur dupliciter. Uno modo prout idem est, quod lex […]. Alio modo accipitur ius ut idem est quod potestas […]“); S. 2. Zum Verhältnis der Begriffe facultas, potestas und potentia s. Summenhart, Tractatus de Contractibus, Tract. I, q. 1, S. 2: Facultas und potestas sind gegenüber der potentia spezieller und bedeuten das aktive Vermögen etwas im Hinblick auf etwas zu tun (potentiam active se habentem); facultas ist wiederum spezieller als potestas, weil facultas das Merkmal rechtmäßigen Handelns (licite) einschließt. Facultas bedeutet nämlich, die Macht (potestas) zu haben, etwas im Hinblick auf eine Sache rechtmäßig zu tun („Nam hominem habere facultatem in aliqua re, est eum habere potestatem agendi aliquid in illam rem, vel in illa re; agendi (inquam) non qualitercunque, scilicet licite, vel illicite, sed tantum licite“). 156 Zum Begriff subjektives Recht s. unten noch S. 100 ff.; ursprünglich wohl Achenwall, Ius Naturae, § 23 („Facultas hominis physica, quatenus nulli legi morali adversatur, est facultas moralis et uno verbo ius (morale) late et subiective sive pro affectione personae sumtum“). 157 Suárez, De Legibus, Lib. I Cap. 2 N. 5; Lib. II Cap. 17 N. 2; Grotius, De Iure Belli ac Pacis, Lib. I Cap. 1 N. 4 f. (facultas moralis im Sinne der qualitas moralis perfecta als „ius proprie aut stricte dictum“); Wolff, Institutiones Juris Naturae et Gentium, § 46 („Facultas ista, seu potentia moralis agendi dicitur Jus“); Achenwall, Ius Naturae, § 23 („Facultas hominis physica, quatenus nulli legi morali adversatur, est facultas moralis“); s. ferner Pufendorf, De Iure Naturae et Gentium, Lib. I Cap. I § 20; dazu auch Kobusch, Die Entdeckung der Person, S. 33.
II. Das Naturrecht und die „Metaphysik der Freiheit“
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tum morale), die den Sekundärtugenden der Gerechtigkeit (Wahrheit, Dankbarkeit, Freigebigkeit, Freundschaft etc.) zugeordnet sind.158 Der Verpflichtungsgrad unterscheidet sich, die Rechtspflichten verpflichten stärker, nur bei der Sondergerechtigkeit geht es um Rechte und Pflichten im eigentlichen und strengen Sinn (ius perfectius et strictius, ius speciale; obligatio legalis & stricta159). Nur bei den Pflichten der Gerechtigkeit gibt es ein korrelatives Recht (ius) des anderen Teils – korrelative Rechte im eigentlichen Sinne gibt es also nur bei den rechtlichen Pflichten, nicht bei den moralischen Pflichten.160 158 Thomas v. Aquin, STh, II-II, q. 80 Prooemium, resp.; Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II vor Cap. 46; Cap. 1 Dub. 1 N. 5; dazu auch Decock, Contract Law, p. 197 ss. S. besonders deutlich Amicus, De Iustitia et Iure, Disp. X Sec. 1 N. 6 ff., 10, 19; Sec. 5 N. 72, 89, 93 ff.; Disp. XI Sec. 1 N. 1, der die Unterscheidung von debitum legale und debitum morale anhand der Erzwingbarkeit vornimmt: nur die Rechtspflicht (debitum legale) ist rechtlich erzwingbar (Disp. X Sec. 1 N. 10: „est enim debitum legale, ad quod solvendum lege cogi potest debitor; qui ad debitum morale in sola honestate virtutis fundatum, solvendum, lege cogi non potest“; N. 19: „ius alteri debitum, aut debito perfecto & legali; ad quod solvendum debitor lege cogi potest; aut debito imperfecto & morali fundato in honestate & decentia virtutis, ad quod solvendum debitor lege cogi nequit“). 159 Dazu sowie zu diesen Begriffen s. Suárez, De Legibus, Lib. I Cap. 2 N. 4 f.; ders., Quaestiones de Iustitia et Iure, Disputatio Quarta, Quaestio secunda, S. 100; Quaestio octava, S. 119; Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 18 Dub. 8 N. 54, 57 (debitum perfectum – ius perfectum); vor Cap. 46; Filliucci, Moralium Quaestionum, Tract. 31 Cap. 1 N. 10; Tract. 33 Cap. 5 N. 80, 82 f.; Pérez, De Iustitia et Iure, Disp. I Cap. 1 N. 1 („ius […] iuridicum, seu stricte dictum, & obiectum iustitiae particularis“); Cap. 4 N. 84 („obligationem Iustitiae stricte dictae“); Rebellus, De Obligationibus, Pars I Lib. I Q. 1 Sec. 3 N. 31 („ius magis proprie dicatur de iure, quod iustitia particularis respicit: quae dicitur magis rigorosa iustitia quod circa ius magis rigorosum versetur“); s.a. Decock, Contract Law, p. 198 s.; s. ferner Lugo, De Iustitia et Iure, Disp. I Sec. 1 N. 4 ff., der insoweit zur Abgrenzung der Gerechtigkeit von den anderen Tugenden an seinen speziellen Begriff des subjektiven Rechts („Mein und Dein“; dazu unten noch S. 106 ff.) anknüpft: Nur beim Recht der Gerechtigkeit (ius iustitiae) geht es um diese moralische Verbindung zu einem Gegenstand, kraft derer der Rechtsinhaber gegenüber allen anderen ein moralisches Vorrecht im Hinblick auf diesen Gegenstand hat. D.h. der spezifische Rechtsbegriff, der in der rechtlichen Zuordnung von Gütern besteht, grenzt das Recht bzw. die Gerechtigkeit vom Nicht-Rechtlichen ab. Folglich wird positiv der Rechtsbegriff mit der Güterzuordnung identifiziert. Die Pflicht der eigentlichen Gerechtigkeit – in Abgrenzung zu den anderen Tugenden – besteht dementsprechend darin, die Rechte anderer nicht zu verletzen (vgl. Disp. I Sec. 2 N. 31: „[…] non violare ius alterius […]. Et hoc est debitum propriae iustitiae“; s. ferner ders., De Incarnatione, Disp. III Sec. 2 N. 42). Ebenso ist aber auch bei Suárez der subjektive Rechtsbegriff der facultas moralis nur der Sondertugend der Gerechtigkeit zugeordnet, s. Suárez, De Legibus, Lib. I Cap. 2 N. 4 f. – d.h. mit den Pflichten aus den anderen Tugenden ist kein entsprechendes subjektives Recht im Sinne der facultas moralis verbunden. 160 Vgl. Rebellus, De Obligationibus, Pars I Lib. I Q. 1 Sec. 3 N. 23 f., 28, 31, 32 f.; Sec. 1 N. 8; Lessius, De Iustitia et Iure, Tract. II Cap. 2 Dub. 1 N. 7; Cap. 18 Dub. 8 N. 57; ferner Lugo, De Iustitia et Iure, Disp. XXIII Sec. 3 N. 57 („debitum enim, & creditum correlativa sunt, nec potest intelligi obligatio in aliquo, adversus quam nemo habet ius aliquod, vel actionem“); vgl. dazu auch Decock, Contract Law, p. 80 s., 84, 199 ss.; s.a. Amicus, De Iustitia et Iure, Disp. X Sec. 1 N. 6 ff., 17 ff.; Sec. 5 N. 72 („nam ius, alterum fundatum in actione creditoris, quae dici potest ius activum, & legitimum; activum quia ratione illius agere possumus
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2. Kapitel: Die Entstehung der Konstituenten
Gerade diese Differenzierung wird für die Differenzierung von Recht und Ethik bei Christian Thomasius bedeutsam.161 Nach Christian Thomasius’ Begriffsbestimmung ist nur das „Recht“ im eigentlichen Sinn, was mit Zwang durchgesetzt wird, d.h. das positive Recht; und dem liegt vor allem ebenjenes zugrunde, was den Gegenstand der Gerechtigkeit (iustum) bildet und von den moralischen Pflichten (decorum, honestum) anderer Tugenden abgegrenzt wird.162 Das Naturrecht ist nur insoweit wirkliches Recht im strengen Sinne, als es auf die Gerechtigkeit und deren Pflichten bezogen ist und insoweit auch dem positiven Recht zugrundeliegt.163 b) Recht als System aa) Naturrechtstheorie bei Thomas v. Aquin und Suárez Bevor näher auf die Inhalte und die konkrete Naturrechtsordnung eingegangen wird, ist zunächst auf deren Konstruktion sowie den Systemgedanken einzugehen, der später für die Rechtswissenschaft des 19. Jahrhunderts eine besondere Rolle spielt.164 Der Gedanke, dass Recht als vernünftige Ordnung konstituiert ist und aus allgemeinen Prinzipien und daraus folgenden Schlussfolgerungen besteht, zeigt sich in Ansätzen bei Thomas v. Aquin und Suá-
161 in rem, vel in personam debitoris […]; alterum fundatum in sola honestate virtutis, quae sicut ponit morale debitum agendi in uno, ita ius passivae exigentiae in altero; nam hoc ipso, quod in uno ponit debitum, in altero ponit ius, non quidem activum exigendi, sed passivum recipiendi, per modum condecentiae ortum ex morali honestate virtutis, obligantis subiectum, in quo est, & ius passivae exigentiae tribuentis termino, ad quem est“); N. 89 („debitum quod exigit perfecta iustitia, est debitum exactum, & rigorosum fundatum in activo iure exigendi creditoris, & non in sola honestate virtutis, & passiva exigentia creditoris. […] duplex distinguit debitum, legale & morale: illud, quod & perfectum est, & fundatur in activo iure exigendi creditoris, constituit objectum perfectae iustitiae, hoc, quia imperfectum est, & fundatur in sola honestate virtutis, & passiva duntaxat exigentia creditoris; constituit objectum iustitiae imperfectae“); N. 92 („Concludo, ius simpliciter esse, quod formaliter dicit perfectam iurium alteritatem, exactam aequalitatem secundum rem debitam debito legali, fundato in iure activo exigendi, & non in sola honestate virtutis, & passiva dumtaxat exigentia creditoris“). 161 Dazu etwa, auch zur umstrittenen Frage, inwieweit bei Thomasius tatsächlich eine „Trennung von Recht und Moral“ vollzogen wird, näher Thönissen, Recht und Gerechtigkeit, 3. Kap. VIII.4.b). 162 S. im Einzelnen Thomasius, Fundamenta Iuris Naturae et Gentium, Lib. I Cap. 4 §§ 61 f.; Cap. 5 §§ 2 ff., 20 f., 25, 30, 34, 47, 53 ff., 58; ferner Cap. Prooemiale §§ 8 ff.; zu diesen komplexen Zusammenhängen Thönissen, Recht und Gerechtigkeit, 3. Kap. VIII.4.b); ferner Schreiber, Der Begriff der Rechtspflicht, S. 16 ff., 18 ff., 21 f.; Schneiders, Naturrecht und Liebesethik, S. 273 ff. 163 Vgl. dazu Thomasius, Fundamenta Iuris Naturae et Gentium, Lib. I Cap. 5 §§ 30, 34, 47, 53 ff., 58; s. Schreiber, Der Begriff der Rechtspflicht, S. 21 f.; Schneiders, Naturrecht und Liebesethik, S. 274 ff.; Thönissen, Recht und Gerechtigkeit, 3. Kap. VIII.4.b). 164 Zum Systemgedanken bei Savigny s. unten S. 195 ff.
II. Das Naturrecht und die „Metaphysik der Freiheit“
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rez.165 Naturrecht ist dabei eine Anordnung der rechten Vernunft (dictamen rectae rationis); das natürliche Gesetz wird durch die menschliche Vernunft erkannt.166 Es „gehört zur Vernunft“ – vernunftgemäßes Handeln gehört zur Natur des Menschen167 –, durch Schlussfolgerung „vom Allgemeinen auf das Besondere“ zu schließen.168 Entsprechend können auch aus den allgemeinen Prinzipien des Naturrechts Schlussfolgerungen auf konkretere Rechtssätze gezogen werden.169 Während bei Thomas v. Aquin diese Aufgabe, konkretere Regelungen zu treffen, vor allem dem menschlichen positiven Gesetzgeber zugewiesen wird170, geht Suárez davon aus, dass auch sämtliche evidenten im Wege der Deduktion getroffenen Schlussfolgerungen selbst zum Naturrecht gehören.171 Das Naturrecht besteht so aus „allgemeinen Prinzipien“, die von sich aus einleuchtend und jedem bekannt sind, weiter aus „besonderen Prinzipien“, die nicht jedem bekannt sind, aber durch Vernunfterkenntnis erkannt werden können, sowie schließlich den evidenten „Schlussfolgerungen“, die im Wege des Vernunftschlusses erkannt werden.172 Die Gebote des Naturrechts sind zeitlich und räumlich universal, auch wenn sie nicht jedem bekannt sind.173 Hierdurch bricht sich der Gedanke einer zeitlich und räumlich universalen Rechtsordnung Bahn, die aus allgemeinen Prinzipien sowie daraus abgeleiteten Schlussfolgerungen besteht.174 bb) Die „methodologische Neubegründung“ des Naturrechts bei Pufendorf Der Systemgedanke wird ansatzweise durch Pufendorf ausgearbeitet, der dadurch das Naturrecht „methodologisch neubegründet“.175 Ausgangspunkt ist bei Pufendorf die empirisch erfahrbare Stellung des Menschen, der von Natur aus einerseits ein geselliges Wesen (socialitas) ist, andererseits aber auch der Schwäche (imbecillitas) ausgesetzt ist, und sich deswegen zur Überwindung 165
Dazu Thönissen, Recht und Gerechtigkeit, 3. Kap. VII.2.; ferner auch Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 236 ff., 383 ff. 166 Suárez, De Legibus, Lib. II Cap. 5 N. 10; Thomas v. Aquin, STh, I-II, q. 94,1 resp. 167 Thomas v. Aquin, STh, I-II, q. 94,4 resp. 168 Thomas v. Aquin, STh, I-II, q. 94,4 resp.; q. 90,1 ad sec.; q. 91,3 resp. 169 Thomas v. Aquin, STh, I-II, q. 94,4 resp.; q. 94,6 resp.; q. 95,2 resp. 170 S. Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 239 f., 241 f.; vgl. Thomas v. Aquin, STh, I-II, q. 91,3 resp.; q. 95,2 resp.; q. 94,4 resp. 171 Suárez, De Legibus, Lib. II Cap. 7 N. 4 ff., 7, 9; dazu auch Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 384 f. 172 Suárez, De Legibus, Lib. II Cap. 7 N. 4 ff., 7, 9; dazu auch Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 384 f. 173 Vgl. Suárez, De Legibus, Lib. II Cap. 8 N. 5 ff., 8 f. 174 Dazu näher Thönissen, Recht und Gerechtigkeit, 3. Kap. VII.2.b), 3. m.w.N. 175 So Kobusch, Die Entdeckung der Person, S. 67 ff.; ferner dazu Wieacker, Privatrechtsgeschichte, S. 306 ff.; s.a. zum systematischen Ansatz Pufendorf, De Iure Naturae et Gentium, Lib. I Cap. 2 §§ 1 ff.
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2. Kapitel: Die Entstehung der Konstituenten
dieser Schwäche mit anderen Menschen zusammenschließt und unter Überwindung des Naturzustands das Gemeinwesen gründet.176 Mit dieser Gründung des Gemeinwesens wird der Vertragsgedanke relevant, und von dort aus wird methodologisch die Rechtslehre erschlossen.177 D.h. aus dem empirisch verankerten Gedanken der socialitas erschließt Pufendorf die Gegenstände dessen, was das Recht bildet.178 cc) Das naturrechtliche System bei Wolff Die „Systematisierung“ des Rechts im eigentlichen Sinne ist eine Entwicklung, die sich vor allem bei Christian Wolff Bahn bricht und von dort die Rechtswissenschaft des 19. Jahrhunderts beeinflusst.179 Unter Anwendung des sog. mos geometricus wird das Naturrecht zu einem logisch geschlossenen System entwickelt, das aufbauend auf allgemeinen Grundsätzen und Begriffen im Wege der Schlussfolgerung zu konkreten Rechtssätzen gelangt.180 Der Systemgedanke besteht darin, dass zwischen allen Rechten und Pflichten eine logische Verbindung dergestalt besteht, dass diese im Wege der Schlussfolgerung von einem obersten Prinzip ableitbar und so jeweils miteinander verbunden sind.181 Zu diesem Systemgedanken gehört die methodus mathematica, nach der alle nachfolgend erörterten Begriffe und Sätze immer aus den vorangegangen ableitbar und erklärbar sein müssen.182
176 S. Pufendorf, De Officio, Lib. I Cap. 3 §§ 1 ff.; ferner Praefatio, § 4 (zur socialitas); dazu Denzer, Moralphilosophie und Naturrecht bei Samuel Pufendorf, S. 92 ff.; ferner Röd, Geometrischer Geist und Naturrecht, S. 87 f., 98; Wieacker, Privatrechtsgeschichte, S. 307 f.; Schlosser, Neuere Europäische Rechtsgeschichte, 9. Kap. Rn. 15 f. 177 S. dazu etwa Auer, AcP 208 (2008), 584, 603; Schlosser, Neuere Europäische Rechtsgeschichte, 9. Kap. Rn. 16; vgl. dazu Pufendorf, De Iure Naturae et Gentium, Lib. III Cap. IV § 1 f.; ders., De Officio, Lib I Cap. 3 §§ 7 ff.; Cap. 9 §§ 1 ff. 178 S. Denzer, Moralphilosophie und Naturrecht bei Samuel Pufendorf, S. 92 ff.; ferner Röd, Geometrischer Geist und Naturrecht, S. 81 ff. zur Methode bei Pufendorf. 179 S. dazu unten noch S. 195 ff.; dazu auch Wieacker, Privatrechtsgeschichte, S. 319 f., 373 f. 180 S. dazu Wieacker, Privatrechtsgeschichte, S. 319 f.; Röd, Geometrischer Geist und Naturrecht, S. 122 ff., 128 ff.; s. z.B. Wolff, Ius naturae, Pars I, Cap. I, §§ 15 f. 181 S. Wolff, Institutiones Juris Naturae, § 62 („Constans nimirum omnium obligationum ac jurium inter se nexus est, ut alia ex aliis deduci continuo ratiocinationis filo possint, & veritatum inter se connexarum compagem constituant, quod systema appellatur“); § 43; ders., Philosophia Practica Universalis, Pars II, § 81; dazu Wieacker, Privatrechtsgeschichte, S. 319 f. 182 Wolff, Philosophia Practica Universalis, Pars II, § 82; dazu auch Röd, Geometrischer Geist und Naturrecht, S. 122 f.
II. Das Naturrecht und die „Metaphysik der Freiheit“
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2. Person, Wille und Willensfreiheit a) Freiheit, Vernunft und Wille Entscheidende Bedeutung für die Naturrechtsentwicklung kommt dem Person- und Willensbegriff sowie der Willensfreiheit zu. Spätantiker Hintergrund183 dieser Kategorien sind vor allem Augustinus184 sowie Boethius185. Eine 183 Zur Bedeutung der Spätantike für Person und Wille s. Kobusch, Selbstwerdung und Personalität, S. 205 ff., 348 ff. sowie die Nw. in den folgenden Fn. 184 Dazu etwa Kobusch, Selbstwerdung und Personalität, S. 216 ff.; Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 198 ff.; Thönissen, Recht und Gerechtigkeit, 3. Kap. VI.2., 3.b). S. zur Entwicklung von Willensbegriff und Willensfreiheit bei Augustinus Dihle, Die Vorstellung vom Willen, S. 138 ff., 162; Brachtendorf, in: Augustinus, De libero arbitrio, S. 44 ff.; s. ferner (zur Frage, ob Willensbegriff und Willensfreiheit bereits bei Aristoteles existierten) Jedan, Willensfreiheit bei Aristoteles?, S. 10, 71 ff., 177 f. (Willensbegriff bei Aristoteles bejahend, Willensfreiheit dagegen verneinend); Kobusch, Selbstwerdung und Personalität, S. 205 ff., 209 ff. (zum Willensbegriff: stoischer Hintergrund, Rezeption in der christlichen Philosophie der Spätantike); Simmermacher, Eigentum als ein subjektives Recht, S. 143 („keine Theorie der Willensfreiheit“ bei Aristoteles, aber Bedeutung der „Freiwilligkeit“ für Zurechnung von Handlungen); ferner Ritter (Hrsg.), Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 12, Sp. 763 ff.; im Hinblick auf das Vertragsrecht vgl. Schermaier, ZEuP 1998, 60 ff.; Fröde, Willenserklärung, S. 120 f., 123. Freiheit (libertas) im römischen Recht meint nicht Willensfreiheit im Sinne der Selbstbestimmung, Indifferenz und Nichtdetermination, sondern ist ebenso wie bei Aristoteles vor allem Gegenbegriff zum Sklavensein; vgl. Fezer, Teilhabe und Verantwortung, S. 134 („Die römische libertas war das Gegenteil von servitus. Frei sein war, nicht Sklave zu sein“); s.a. Baldus, in: Lampe/Pauen/Roth (Hrsg.), Willensfreiheit und rechtliche Ordnung, S. 167, 169 („Von liber und libertas wird zumeist in anderen Zusammenhängen gesprochen (etwa der Sklavenfreilassung […]“). Soweit der Begriff voluntas (ebenso wie der des (liberum) arbitrium) im römischen Recht verwendet wird, meint er nicht ein einheitliches Vermögen des Menschen, das Zurechnungsgrund von Handlungen und Wirkungen ist und so auch für das Vertragsrecht zentral wird, sondern fungiert entweder untechnisch oder als Auslegungsregel, s. Dihle, Die Vorstellung vom Willen, S. 152 ff.; s. aber auch Baldus, in: Lampe/Pauen/ Roth (Hrsg.), Willensfreiheit und rechtliche Ordnung, S. 167 ff., zwar S. 169 (zum „nicht philosophischen“ Gebrauch von liberum arbitrium, sondern im Sinne einer „rechtlichen Handlungs- oder Wahlmöglichkeit“; keine „Theoretisierung“ der Willensfreiheit), S. 177 (zum Vertragsrecht: „Grundsätzliche Reflexionen über die Willensfreiheit finden sich also nicht“), ferner S. 190 („Das Ergebnis ist zunächst negativ: Die römischen Juristen arbeiten umfassend mit Begriffen wie „Wille“ und „Freiheit“, gebrauchen diese aber durchgängig rechtstechnisch, etwa im Sinne von Erblasserwille oder Freiheit des Sklaven. Entscheidungstragende Reflexionen über den Grund der Privatautonomie – die der Sache nach unterstellt wird – oder Vergleichbares sind nicht anzutreffen“), jedoch auch S. 168, wonach „die Römer diese Freiheit als selbstverständlich unterstellten“, was „im Umkehrschluss aus den wenigen Quellen, die das Problem auch nur streifen“, folgen soll; S. 178 f. (zum Testamentsrecht: „Überdies wird hier stärker als im Vertragsrecht die voluntas als Grund der rechtsgeschäftlichen Bestimmung betont“); ähnlich wie dort auch Waldstein, in: Strasser/Schwimann/Hoyer (Hrsg.), Festschrift Fritz Schwind, S. 329, 344 ff. 185 Zum Begriff der persona bei Boethius („rationabilis naturae individua substantia“; s. Boethius, Contra Eutychen et Nestorium, IV [in: Die Theologischen Traktate, S. 80]), der ihm zwar aus dem römischen Recht bekannt war, aber zur Übersetzung der griechischen Be-
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2. Kapitel: Die Entstehung der Konstituenten
für die Rechtsentwicklung wesentliche Ausformung erfolgt in Scholastik und Spätscholastik.186 Ausgangspunkt ist bei Thomas v. Aquin, dass es zur Natur des Menschen gehört, dass er über Vernunft (ratio) und Willen (voluntas) verfügt; der Mensch ist ein verstandesbegabtes rationales Wesen, was ihn von den anderen Lebewesen unterscheidet.187 „Durch Vernunft und Willen“ hat der Mensch „Herrschaft“ über seine Handlungen; Herrschaft über seine Handlungen zu haben bedeutet Willensfreiheit (liberum arbitrium).188 Wille und Vernunft sind Vermögen des Menschen; auf ihnen beruhen die menschlichen Handlungen.189 Menschliche Handlungen sind notwendig willentlich; dass sie willentlich sind, bedeutet, dass sie dem Handelnden zugerechnet werden können, wobei Grund der Zurechnung die (Willens-)Freiheit des Menschen ist.190 Umstritten ist, ob die Freiheit (libertas) der Vernunft oder dem Willen zukommt.191 Während bei Thomas v. Aquin die Freiheit zumindest auch der Vernunft und dem Intellekt zugeordnet wird192, setzt sich anknüpfend an Duns 186 griffe hypostasis und prosopon vor allem im Hinblick auf die Christologie (zwei Naturen Christi [göttlich – menschlich], aber eine Person) entwickelt wurde, sowie zur Rezeption und Entwicklung im Mittelalter s. Lutz-Bachmann, in: Klein/Menke (Hrsg.), Der Mensch als Person, S. 109, 110 f.; Kobusch, Die Entdeckung der Person, S. 23 ff., 28; Schaede, in: Gröschner/Kirste/Lembcke (Hrsg.), Person und Rechtsperson, S. 31 ff. Thomas v. Aquin (STh, I, q. 29,1) und Suárez (Disputationes Metaphysicae, Disp. 34 Sec. 1 N. 13) rekurrieren hierauf. Zum Begriff der persona im römischen Recht s. unten noch S. 72 f. 186 S. näher Thönissen, Recht und Gerechtigkeit, 3. Kap. VI.1. 187 S. Thomas v. Aquin, STh, I-II, q. 1,1 resp.; dazu näher Thönissen, Recht und Gerechtigkeit, 3. Kap. VI.1. 188 Thomas v. Aquin, STh, I-II, q. 1,1 resp. („Est autem homo dominus suorum actuum per rationem et voluntatem, unde et liberum arbitrium esse dicitur facultas voluntatis et rationis“); q. 21,2 resp.; I, q. 22,2 ad quint. 189 Vgl. Thomas v. Aquin, STh, I-II, q. 1,1 resp.; I, q. 83,4 resp.; s.a. noch Pütter/Achenwall, Elementa Iuris Naturae, § 5 („Homo constat ex corpore atque anima. Anima humana a ceteris animalibus in eo differt, quod intellectu et voluntate sit instructa“); Heineccius, Elementa Iuris Naturae, Lib. I § 30 („duo esse actionum humanarum ac liberarum principia, intellectum et voluntatem“), § 51; Pufendorf, De Iure Naturae et Gentium, Lib. I Cap. 3 („De intellectu hominis“); Cap. 4 („De voluntate hominis“); Cap. 5 („De actionibus moralibus“); ders., De Officio, Lib. I Cap. 1 §§ 2, 4, 9; Wolff, Philosophia Practica Universalis, Pars I, § 70 („Actio humana ex actionibus intellectus, voluntatis vel noluntatis atque facultatis locomotivae constat“; „In liberis adeo actionibus hominis dijudicandis habenda est ratio & actuum intellectus, ac voluntatis ac noluntatis, & facultatis locomotivae“; zur facultas locomotiva s. § 66: „potentia localiter movendi corpus, ejusque partes“), ferner § 88; s. ferner etwa Gundling, Ius naturae, Cap. IV § 12 („Ergo voluntas omnium actionum humanarum principium est“). 190 S. Thomas v. Aquin, STh, I, q. 22,2 ad quint.; I-II, q. 6,1 resp.; q. 21,2 resp.; q. 71,6 resp. 191 Zu dieser Diskussion näher Thönissen, Recht und Gerechtigkeit, 3. Kap. VI.1.b). 192 Vgl. zu dieser streitigen Diskussion im Hinblick auf Thomas’ Position Hödl, in: Zimmermann (Hrsg.), Thomas von Aquin, S. 23, 37 f.; Schweighöfer, Die Begründung der normativen Kraft, S. 55 f., 87 f., 286; Spindler, Theorie des natürlichen Gesetzes, S. 32 ff., 36; Simmermacher, Eigentum als ein subjektives Recht, S. 133; Thönissen, Recht und Gerechtigkeit, 3. Kap. VI.1.b). S.a. Thomas v. Aquin, STh, I-II, q. 1,1 resp. („liberum arbitrium esse dicitur facultas voluntatis et rationis“); q. 13,1 resp; STh, I, q. 83,4 resp.
II. Das Naturrecht und die „Metaphysik der Freiheit“
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Scotus193 die Vorstellung durch, dass der Wille das eigentlich freie Vermögen des Menschen ist. Die Fähigkeit, freie Ursache von Wirkungen zu sein, kommt dem Willen, nicht dem Intellekt zu (libertatem esse in voluntate, & non in intellectu).194 Zwar ist der Intellekt Wurzel der Freiheit (radix libertatis), der Entscheidung des Willens geht ein Verstandesakt voraus, der erkennende Intellekt informiert den Willen über die Objekte, die Gegenstand der Entscheidung sind – aber die Entscheidung selbst trifft der Wille unabhängig von einem Befehl des Intellektes.195 Der Wille ist indifferent und verfügt im Gegensatz zum Intellekt über die Fähigkeit, sich selbst zu bestimmen (seipsam determinare); der Wille bewegt sich selbst (ipsa se ex sua indifferenti potestate posse movere).196 Diese Indifferenz, Fähigkeit zur Selbstbestimmung und Nichtdetermination des Willens betreffen die Handlungs- wie die Entscheidungsfreiheit, das Ob wie das Wie des Handelns sowie das Wollen an sich.197 Diese Freiheit ist dem Menschen dabei „konnaturell“ und seinem Wesen immanent.198 Weil der
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Duns Scotus, Lect. II Dist. 25 N. 73 f.; dazu auch Honnefelder, Johannes Duns Scotus, S. 24 f.; vgl. Simmermacher, Eigentum als ein subjektives Recht, S. 133 ff. 194 Molina, Concordia, q. 14 Art. 13 disp. 2, S. 9 („Ceterum arbitror libertatem esse in voluntatem, & non in intellectu“); Lessius, De gratia efficaci, Cap. 5 N. 1 ff.; Suárez, De divina gratia, Prolegomenum I, Cap. 3 N. 7; ders., Disp. Met., Disp. 19 Sec. 5 N. 11 ff.; Filliucci, Moralium Quaestionum, Tract. 21 Cap. 2 N. 63 („Libertatem formaliter esse in voluntate. […] Radicaliter autem est in intellectu“); dazu umfassend Schweighöfer, Die Begründung der normativen Kraft, S. 87 ff.; Gemmeke, Die Metaphysik, S. 180 ff.; s.a. Heineccius, Elementa Iuris Naturae, Lib. I § 53 („hominem, quod ad voluntatem attinet, non modo sponte, sed et libere agere“). 195 Molina, Concordia, q. 14 Art. 13 Disp. 2, S. 9; Lessius, De gratia efficaci, Cap. 5 N. 4 f., 15 f. („indifferentiam seu amplitudinem intellectus, esse radicem libertatis in voluntate“); Suárez, De divina gratia, Prolegomenum I, Cap. 3 N. 7; ders., Disp. Met., Disp. 19 Sec. 5 N. 11 ff., 21; s.a. Schweighöfer, Die Begründung der normativen Kraft, S. 87 ff., 109 ff. 196 Lessius, De gratia efficaci, Cap. 5 N. 11; Suárez, De divina gratia, Prolegomenum I, Cap. 3 N. 7; s.a. Filliucci, Moralium Quaestionum, Tract. 21 Cap. 2 N. 62 f.; dazu auch Schweighöfer, Die Begründung der normativen Kraft, S. 109 ff.; Kobusch, Die Entdeckung der Person, S. 58 f.; ferner etwa Heineccius, Elementa Philosophia Rationalis et Moralis, P. II Cap. II Sec. I § 29 („voluntatem in se esse liberam eatenus, ut si in re quadam particulari cognovit boni & mali quiddam mixtum esse, se vel ad adpetendam illam vel aversandam possit determinare“); Darjes, Institutiones, § 52 („Facultas sese praevia consultatione ad aliquid sponte determinandi vocatur libertas“). 197 Zu Suárez insoweit Schweighöfer, Die Begründung der normativen Kraft, S. 109 ff.; Kobusch, Die Entdeckung der Person, S. 58 f.; s.a. Molina, Concordia, q. 14 Art. 13 Disp. 2, S. 9 („[…] potest voluntas sua innata libertate velle, aut nolle, vel neutrum elicere actum“). 198 Suárez, De Voluntario, Disp. 1 Sec. 2 N. 15 („sequitur primo, facultatem libere operandi esse intrinsecam homini, et connaturalem illi. Itaque quod homo libere operetur, non est aliquid extrinsece superadditum homini miraculose, aut per supernaturalia dona infusa, sed est intrinseca proprietas suae naturae“); dazu Kobusch, Die Entdeckung der Person, S. 59 f.
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2. Kapitel: Die Entstehung der Konstituenten
Mensch frei ist und damit moralisch handelt, „braucht er das Gesetz“ – nicht umgekehrt.199 Freiheit in diesem Sinne meint folglich nicht nur die Freiheit von Zwang (coactio), sondern auch die Freiheit von Notwendigkeit, d.h. Freiheit ist der Gegenbegriff der Notwendigkeit (necessitas).200 Gegenbegriff des freien Handelns (agens liberum) ist das natürliche, d.h. notwendige unfreie Handeln (agens naturale).201 Wie Molina202 sagt, ist dasjenige Handelnde „frei“, „das, weil es über alle Voraussetzungen zu handeln verfügt, handeln oder nicht handeln kann oder so handelt, dass es auch das Gegenteil tun könnte. Aufgrund dieser Freiheit wird die Fähigkeit, durch die ein so Handelndes entsprechend handeln kann, frei genannt“.203 Willensfreiheit bezeichnet er daher als den Willen (voluntas), „in dem nach vorangegangenem Vernunfturteil formell die genannte Freiheit besteht“.204
199 S. Kobusch, Die Entdeckung der Person, S. 59 sowie Suárez, De Bonitate, Disp. 1 Sec. 2 N. 10 („posita lege non ideo actus est moralis, quia regulatur per legem, sed e contrario potius, quia homo est morale agens, et non habet voluntatem indefectibilem a bono, ideo indiget lege superioris inclinantis in bonum, et avertentis a malo; ergo esse regulabile per legem, supponit potius esse morale, quam illud constituat“). 200 Molina, Concordia, q. 14 Art. 13 Disp. 2, S. 8 (s.a. S. 7, wonach Freiheit in einem anderen Verständnis das Gegenteil von Zwang [coactio] ist, wobei nach Molina Freiheit in diesem Sinne nicht ausreichend umschrieben wird); dazu auch Piro, in: Aichele/Kaufmann (eds.), A Companion to Luis de Molina, p. 365, 368 ss. (auch zu den mittelalterlichen Vorgängern dieser Formel etwa bei Heinrich von Gent); ferner umfassend zur Willensfreiheit bei Molina Aichele, in: Aichele/Kaufmann (eds.), A Companion to Luis de Molina, p. 3 ss.; ferner Suárez, De Voluntario, Disp. 1 Sec. 3 N. 7; dazu auch Kobusch, Die Entdeckung der Person, S. 59; s.a. etwa Darjes, Institutiones, § 52 („Sch. Generatim libere agere dicitur, qui ita agit, ut ad agendum non determinetur. Qui vero eo agit modo, ad agendum non determinatur vel a principio quodam extrinseco, vel a principio quodam intrinseco. Si posterius, libertas dicitur libertas a necessitate, & si prius, aut ad agendum non determinatur ab imperio principii cuiusdam extrinseco, aut a vi principii cuiusdam extrinseci ad agendum non compellitur. Si illud, libertas vocatur libertas a subiectione, & si hoc, libertas a coactione. Sequitur inde, libertatem, quam ante definivi, esse libertatem a necessitate“). 201 Molina, Concordia, q. 14 Art. 13 Disp. 2, S. 8; zu dieser Gegenüberstellung auch Kobusch, Die Entdeckung der Person, S. 45. 202 Zur Person s. die Kurzbiographie auf S. 577. 203 Molina, Concordia, q. 14 Art. 13 Disp. 2, S. 8 („agens liberum dicitur, quod positis omnibus requisitis ad agendum, potest agere & non agere, aut ita agere unum, ut contrarium etiam agere possit. Atque ab hac libertate facultas, qua tale agens potest ita operari, dicitur libera“); zum Verhältnis von Willens- und Handlungsfreiheit bei Molina s. Simmermacher, Eigentum als ein subjektives Recht, S. 141 ff.; s.a. Filliucci, Moralium Quaestionum, Tract. 21 Cap. 2 N. 62. 204 Molina, Concordia, q. 14 Art. 13 Disp. 2, S. 8 („liberum arbitrium […] non sit aliud, quam voluntas, in qua formaliter sit libertas explicata, praevio iudicio rationis“).
II. Das Naturrecht und die „Metaphysik der Freiheit“
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b) Willensfreiheit und Rechtsfähigkeit Mit der Willensfreiheit hängt nun auch die Rechtsfähigkeit (capax iuris, capax dominii; capacitas dominii) zusammen, wie dies etwa bei Molina im Kontext seiner „Willensmetaphysik“205 ausgearbeitet wird.206 Rechtsfähigkeit wird auf ein einheitliches Grundprinzip gebracht, nämlich den freien Willen (liberum arbitrium).207 Der Mensch ist aufgrund seiner Willensfreiheit und Vernunft 205 Zu diesem Begriff im Hinblick auf Molina und zur Bedeutung für die Rechtslehre Simmermacher, Eigentum als ein subjektives Recht, S. 3 ff., 39, 126 ff.; dazu näher auch Thönissen, Recht und Gerechtigkeit, 3. Kap. VI.3. 206 Molina, De Iustitia et Iure, Tract. II Disp. 18 N. 1 f.; Rebellus, De Obligationibus, Pars I Lib. I Q. 3 N. 14 („At inter creaturas rationales, quae solae inter reliquas sunt dominii, sive iuris capaces […]“); Amicus, De Iustitia et Iure, Disp. V Sec. 5 N. 76 („ergo formaliter est penes liberam voluntatem, per quam res formaliter possidemus, & ius in rebus habemus […] qua propter solae naturae intellectuales liberae sunt iuris capaces“). Während bei den anderen Spätscholastikern häufig von der capacitas dominii die Rede ist (Suárez, Quaestiones de Iustitia et Iure, Quaestio Sexta Decima, S. 76, aber auch S. 77 [capaces ut iniuriae, ita iuris et dominii]), begründet Molina auch die capacitas iuris mit der Willensfreiheit (liberum arbitrium); dazu auch Thönissen, Recht und Gerechtigkeit, 3. Kap. VI.2. 207 Wieso wird die Rechtsfähigkeit durch die Willensfreiheit begründet? Es zeigen sich hier zwei Ansätze: Der eine Ansatz hängt mit Molinas Verständnis des Verhältnisses von ius und dominium zusammen. Grund ist, dass er das Verhältnis von dominium und ius umkehrt (dazu umfassend Simmermacher, Eigentum als ein subjektives Recht, S. 67, 70 f., 136 ff., 152 ff.; Molina, De Iustitia et Iure, Tract. II Disp. 3 N. 1, 2, 5). Während bei den anderen Autoren ius der Oberbegriff ist und unter diesen das dominium fällt, ist nach Molina das dominium das antecedens des ius, es geht dem ius voraus. Beim dominium war dabei ansatzweise bereits seit Thomas v. Aquin und insbesondere seit Francisco de Vitoria anerkannt, dass dominium (Herrschaft) durch die Willensfreiheit bedingt ist (durch die Willensfreiheit hat man „Herrschaft“ über seine Handlungen und so auch über die äußeren Dinge; s. dazu näher Thönissen, Recht und Gerechtigkeit, S. 276 ff., 279 ff., 281 ff.). Die Willensfreiheit ist das „Fundament“ des dominium (Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 4 Dub. 1 N. 1). Durch die Vorverlagerung des dominium vor das ius folgt bei Molina, dass der Mensch kraft der Willensfreiheit nicht nur fähig ist, dominium zu haben, sondern eben auch ius zu haben – dies wird zu einer natürlichen Fähigkeit des Menschen. Der andere Ansatz setzt beim Unrecht (iniuria) an: Wer unrechtsfähig ist (capax iniuriae), ist auch rechts- und eigentumsfähig (capax iuris, capax dominii; s. Suárez, Quaestiones de Iustitia et Iure, Quaestio Sexta Decima, S. 77 [„capaces ut iniuriae, ita iuris et dominii“]; Filliucci, Moralium Quaestionum, Tract. 31 Cap. 4 N. 91; Lugo, De Iustitia et Iure, Disp. III Sec. 1 N. 1). Wie ist das zu verstehen? Meint Unrechtsfähigkeit die aktive Fähigkeit, Unrecht begehen zu können? Oder die passive Fähigkeit, dass gegen jemanden Unrecht begangen wird? Eine interessante Erklärung findet sich bei Lugo (De Iustitia et Iure, Disp. III Sec. 1 N. 1): Unrecht impliziert, dass die Verletzungshandlung gegen den Willen des Rechtsinhabers vorgenommen wird; damit also Unrecht begangen werden kann, muss der Rechtsinhaber willensfähig sein. Es geht dabei aber nicht um irgendeinen Willen, in den Gütern nicht verletzt zu werden, sondern um den Willen, der auf die Verletzung gerade des Rechts bezogen ist. D.h. der Wille muss ein solcher sein, der über das Recht und die damit verbundenen Pflichten disponieren kann. Einen solchen Willen hat aber nur die vernunftbegabte Kreatur, nicht dagegen Tiere; gegen diese begeht man also kein Unrecht im Sinne der Verletzung von deren Rechten. Nur die vernunft- und willensbegabte Natur ist Adressat des Moralischen und kann über Rechte verfügen. Nur derjenige, der über diesen Willen
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2. Kapitel: Die Entstehung der Konstituenten
rechtsfähig (capax iuris) und Rechtssubjekt208 (iuris subiectum).209 Jeder Mensch
208 verfügt, kann auch Unrecht erleiden. Da Unrecht die Verletzung eines fremden Rechts ist, folgt konsequenterweise, dass derjenige, der insoweit unrechtsfähig ist, auch rechts- und eigentumsfähig ist. 208 Der Begriff des Rechtssubjekts (iuris subiectum), den Molina an dieser Stelle (Molina, De Iustitia et Iure, Tract. II Disp. 18 N. 1) explizit verwendet, findet sich ansatzweise bei Summenhart, Tractatus de Contractibus, Tract. I, q. 1, S. 2 und dessen Definition des Rechts: subiectum ist danach die Bezeichnung für denjenigen, dem ein Recht zukommt (conveniens alicui). Wieso erscheint hier der Begriff des subiectum iuris? Subiectum findet, wie auch explizit bei Summenharts Rechtsdefinition, im Kontext der relatio seine Anwendung (zur relatio s.a. noch Suárez, Disp. Met., Disp. 47 Sec. 6 N. 1 ff.). Relatio bedingt ein Subjekt, ein Fundament (fundamentum) und ein Ziel (terminus), s. Summenhart, Tractatus de Contractibus, Tract. I, q. 1, S. 2 f., 5. Es sprechen also gute Gründe dafür, dass subiectum deswegen ein rechtlicher Begriff wird, weil Recht als relatio aufgefasst wird; s. ferner auch Rebellus, De Obligationibus, Pars I Lib. I Q. 7 Sec. 1 N. 4 (der im Hinblick auf das dominium, das er ebenfalls als relatio auffasst, von subiectum dominii spricht; subiectum dominii ist danach natura intellectualis ratione liberi arbitrii); Lugo, De Iustitia et Iure, Disp. III vor Sec. 1 („[…] de subiecto capaci talis dominii, & deinde de termino, scilicet, quarum rerum dominium esse possit“); ferner zur Differenzierung von Subjekt und Objekt beim dominium auch Amicus, De Iustitia et Iure, Disp. XIV (De subiecto dominii); Disp. XV (De obiecto dominii). 209 S. Molina, De Iustitia et Iure, Tract. II Disp. 18 N. 1 f.; s.a. Suárez, Quaestiones de Iustitia et Iure, Quaestio Sexta Decima, S. 76 („Solos homines habere hanc capacitatem […]. Capacitatem dominii intelligi posse dupliciter remotam, quae est per rationem et libertatem. Et hoc est dominii fundamentum“); S. 77 („nulli sunt, qui non sunt capaces ut iniuriae, ita iuris et dominii; et patet ex ipsa natura animi“; „Nullus hominum iure aliquo divino est incapax dominii absolute et simpliciter“). S. ferner Amicus, De Iustitia et Iure, Disp. V Sec. 5 N. 76 („[…] cum ius nihil aliud sit, quam moralis potestas operandi circa rem suam; ergo formaliter est penes liberam voluntatem, per quam res formaliter possidemus, & ius in rebus habemus […] qua propter solae naturae intellectuales liberae sunt iuris capaces“); Disp. XIV N. 2 („Sola & omnis natura intellectualis est dominii naturaliter capax, quia sola haec libere disponere potest de suis actibus, iisque mediantibus, de rebus; quod ad dominii essentiam requiritur, & omnis natura intellectualis libera est“); N. 15 („duplex est capacitas dominii, physica & moralis. Illa consistit in natura rationali intellectu & voluntate praedita, quae & remota seu fundamentalis dicitur, & a lege humana tolli non potest; haec in relatione ad rem sibi perfecte subiicibilem, quae quia pendet & a re externa, ut a termino, & ab aliqua actione exteriori, ut a ratione fundandi, quae humana lege tolli & impediri possunt, potest humana lege tolli“). Teilweise wird die Rechtsfähigkeit nur auf die Vernunft, teilweise auf Vernunft und (Willens-)Freiheit gegründet (s.a. Filliucci, Moralium Quaestionum, Tract. 31 Cap. 4 N. 91: „Ratio est, quia sola ratione praedita habent liberam potestatem disponendi de rebus, & ordinandi ad finem: sola item illa sunt capacia iniuriae; At ad dominium requiritur libertas disponendi de rebus, & capacitas iniuriae, ergo sola illa erunt capacia dominii & iuris“). Im Hintergrund der Vernunft steht freilich, dass diese wiederum „Wurzel der Freiheit“ ist (s. dazu zuvor S. 64 ff.). Bemerkenswert ist hier bei Molina auch die Entstehung der Begriffe capax/capacitas iuris/dominii („Rechtsfähigkeit“) sowie subiectum iuris („Rechtssubjekt“). Nach Gmür sollen die Begriffe Rechtsfähigkeit und Rechtssubjekt erst bei Thibaut aufgekommen sein, s. Gmür, Rechtswirkungsdenken in der Privatrechtsgeschichte, S. 164 mit Verweis auf Thibaut, System des Pandektenrechts, § 207 (ebenso C. Hattenhauer, in: Klein/ Menke [Hrsg.], Der Mensch als Person, S. 39, 59); allerdings finden diese auch bei Wolff Verwendung, s. Wolff, Jus naturae, Pars I, § 70; s. ferner HKK-BGB/Duve, §§ 1–14, Rn. 6 mit Verweis auf Böhmer.
II. Das Naturrecht und die „Metaphysik der Freiheit“
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verfügt damit aufgrund seiner Natur über die Fähigkeit, Träger von Rechten und Pflichten zu sein.210 Auch Schuld- und Zurechnungsfähigkeit sowie Strafwürdigkeit werden auf die (Willens-)Freiheit zurückgeführt.211 Der Mensch ist aufgrund seiner rationalen Natur des Gesetzes fähig (capax legis).212 Aus diesem Grund ist er auch Zurechnungssubjekt von Schuld (culpa) und Strafe; Schuld bedeutet die Zurechnung einer freien schlechten Handlung zum Handelnden aufgrunddessen, dass sie frei ist.213 Auch Menschen, die nur potenziell über diese Fähigkeiten verfügen (Kinder, Menschen mit geistiger Behinderung), sind rechtsfähig, da dies ihrer Natur entspricht; allerdings ist ihre rechtliche Verantwortung eingeschränkt, sie sind nicht zurechnungsfähig.214 Die gleichen Prinzipien schlagen sich schließlich in der Rechtsgeschäftsfähigkeit nieder. Nur vernunftbegabte und willensfähige Wesen, d.h. Personen215 können Verträge eingehen und sind damit rechtsgeschäftsfähig; entscheidend ist, dass sie Personen sind und über einen Willen (voluntas) verfügen.216 Sind sie vom Vernunftgebrauch ausgeschlossen (wie bei Kindern), können sie auch keine Verträge eingehen.217 In dieser Begründung der Rechtsfähigkeit mit der (Willens-)Freiheit und Vernunftbegabung des Menschen, d.h. mit den natürlichen Fähigkeiten eines
210
Vgl. auch Simmermacher, Eigentum als ein subjektives Recht, S. 152 ff. S. Suárez, De Peccatis, Disp. 5 Sec. 1 N. 5 ff.; ders., De Voluntario, Disp. 1 Sec. 2 N. 15; Sec. 3 N. 17 (capax meriti, dignus poenae); ders., De Bonitate, Disp. 1 Sec. 2 N. 8; Molina, Concordia, q. 14 Art. 13 Disp. 2, S. 8 f.; ders., De Iustitia et Iure, Tract. III Disp. 1 N. 4; ferner bereits Thomas v. Aquin, STh, I, q. 22,2 ad quint.; q. 23,3 ad sec. („culpa provenit ex libero arbitrio“). 212 S. Suárez, De Legibus, Lib. I Cap. 3 N. 3; Cap. 6 N. 1; vgl. bereits Thomas v. Aquin, Summa contra Gentiles, Lib. III, Cap. 114 N. 4 („Sola igitur rationalis creatura est susceptiva legis“). 213 Vgl. Suárez, De Legibus, Lib. II Cap. 6 N. 16 (in: Bach/Brieskorn/Stiening [Hrsg.], De Legibus, Lib. II, S. 124/126: „culpa vero dicitur per respectum ad agens cui imputatur; actus autem liber eo ipso quod liber est, imputatur agenti. Ergo si est actus liber et malus, consequenter est peccatum et culpa“; Fn. weggelassen). 214 Molina, Concordia, q. 14 Art. 13 Dub. 2, S. 8 f. (S. 8: „Verum ea ex eo neque ad culpam, neque ad meritum eis imputantur, quod non discernant rationem inter bonum & malum morale, quantum satis est ad culpam aut meritum. Quare licet aliquem usum habent liberi arbitrii, non tamen habent eum, qui ad culpam ac meritum est necessarius“); ders., De Iustitia et Iure, Tract. II Disp. 18 N. 3 („Dominium namque in potentiis fundatur, hoc est, in eo, quod secundum se & suam naturam natus quis sit uti rebus per liberum arbitrium, licet arbitrium ipsum, quoad usum, sit impeditum“); s.a. Lugo, De Iustitia et Iure, Disp. III Sec. 1 N. 14 ff.; dazu auch Simmermacher, Eigentum als ein subjektives Recht, S. 154 f. 215 S. dazu gleich noch S. 126 f., 129. 216 Vgl. Oñate, De Contractibus, Tract. I Disp. 3 Sec. 1 N. 1 ff.; ferner Disp. 4 vor Sec. 1 N. 3 f. („regula est generalis omnes homines posse de rebus suis contrahere, nisi in specie in iure inveniantur prohibiti. […] ratio ipsa naturalis dictat ex hominum libertate, & iure dominii desumpta“). 217 Dazu im Einzelnen Oñate, De Contractibus, Tract. VI Disp. 19 Sec. 3 N. 93 ff. (usum rationis). 211
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2. Kapitel: Die Entstehung der Konstituenten
jeden Menschen218, zeigt sich ein grundsätzlicher Bruch zu den römisch-gemeinrechtlichen Vorgaben bzw. auch zur Rechtslehre des Humanismus, die die Fähigkeit, am Rechtsverkehr teilzunehmen von der Verleihung durch die positive Rechtsordnung abhängig machen.219 Allerdings ist damit keineswegs eine „allgemeine Rechtsfähigkeit“220 gemeint, wonach jeder Mensch notwendig Träger eines jeden Rechts sein kann, was sich insbesondere in der Rechtsstellung der Sklaven zeigt.221 Das Gefälle verkehrt sich gleichwohl durch diese willensmetaphysisch bedingten Änderungen. Naturrechtlich ist jeder Mensch rechtsfähig.222 Die Aberkennung von naturrechtlich gegebenen Rechten durch das positive Recht ist zwar möglich, aber sie ist rechtfertigungsbedürftig und ihr sind Grenzen gesetzt.223 Das positive menschliche Gesetz darf die naturrechtlich gewährte Rechtsfähigkeit nicht gänzlich aufheben; auch Sklaven sind, insofern sie Menschen sind, „eigenen Rechts“224 und in bestimmter Hinsicht rechtsfähig, auch wenn das positive Recht ihnen viele Rechte wegnimmt; sie verfügen über bestimmte Rechte (Leben, Gesundheit, spirituelle Güter, Ehre; Eheschließungsfreiheit; Eigentum an bestimmten Gegenständen), die unveräußerlich sind.225 Es gibt Rechte, die
218 Vgl. Molina, De Iustitia et Iure, Tract. II Disp. 18 N. 1 ff. (N. 3: „secundum se & suam naturam“); s.a. Lugo, De Iustitia et Iure, Disp. III Sec. 1 N. 1. 219 S. unten noch S. 72 f.; zum römischen Recht sowie zum juristischen Humanismus s. insoweit C. Hattenhauer, in: Klein/Menke (Hrsg.), Der Mensch als Person, S. 39, 40 ff. 220 Zu diesem Begriff s. unten noch S. 100 sowie Lipp, Quaderni Fiorentini 11/12 (1982/ 83), 217, 247 f.; Hetterich, Mensch und „Person“, S. 15, 23. Zum Begriff „Rechtsfähigkeit“ s. zuvor bereits S. 67 f. 221 S. dazu und zum Folgenden etwa Simmermacher, Eigentum als ein subjektives Recht, S. 155 f., 171 ff., 213 ff.; Kaufmann, in: Bunge (Hrsg.), Kontroversen um das Recht, S. 291, 305 ff. (jeweils zu Molina); Priesching, Sklaverei im Urteil der Jesuiten, S. 186 ff. (zu Lugo). 222 S. zuvor S. 67 ff. sowie etwa Molina, De Iustitia et Iure, Tract. II Disp. 18 N. 1 f., 9; Suárez, Quaestiones de Iustitia et Iure, Quaestio Sexta Decima, S. 76 f., 85; Filliucci, Moralium Quaestionum, Tract. 31 Cap. 4 N. 91, 99, 107. 223 Vgl. Kaufmann, in: Bunge (Hrsg.), Kontroversen um das Recht, S. 291, 307 f.; Simmermacher, Eigentum als ein subjektives Recht, S. 155 f., 171 ff., 210 ff. (jeweils zu Molina); Priesching, Sklaverei im Urteil der Jesuiten, S. 191 f. (zu Lugo). 224 Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 1 Dub. 1 N. 6 („si tamen spectentur ut sunt homines distincti & in multis rebus liberi, suique iuris, diversa iura habentes, sic potest inter eos esse Iustitia & Iniuria“); Cap. 4 Dub. 4 N. 15, 17. 225 S. Lugo, De Iustitia et Iure, Disp. III Sec. 2 N. 19 („Certum ergo est, servum retinere ius ad vitam, ad membra, ad famam item suam, & alia similia, atque ideo in iis pati posse veram, & propriam iniuriam, non solum ab aliis, sed etiam a domino, quia in iis non consideratur ut servus, sed ut homo“); ders., De Incarnatione, Disp. III Sec. 2 N. 50; Molina, De Iustitia et Iure, Tract. II Disp. 38 N. 3 ff.; Suárez, Quaestiones de Iustitia et Iure, Quaestio Sexta Decima, S. 85; Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 1 Dub. 1 N. 6; Cap. 4 Dub. 4 N. 15, 17; Filliucci, Disputationum Moralium, Tract. 31 Cap. 4 N. 99 („Iura non fecerunt servos incapaces, nec erat legitima causa id agendi“); zu Molina s.a. Simmermacher, Eigentum als ein subjektives Recht, S. 213 ff., 216 ff.; Kaufmann, in: Bunge (Hrsg.), Kontroversen um das Recht, S. 291, 308; Priesching, Sklaverei im Urteil der Jesuiten, S. 191 f. (zu Lugo).
II. Das Naturrecht und die „Metaphysik der Freiheit“
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dem Menschen zustehen, weil er Mensch (qua homo) ist.226 Hier bricht sich die Vorstellung von Rechten Bahn, die dem Menschen als solchem aufgrund seiner (Willens-)Freiheit zustehen.227 Damit erscheint ein Kausalzusammenhang von Menschsein, (Willens-)Freiheit, Rechtsfähigkeit, Rechtssubjekt und Rechten, die dem Menschen zustehen, weil er Mensch ist; dies ist Folge der (molinistischen) Willensmetaphysik.228 Was hier gegenüber dem „modernen“
226 Vgl. Molina, De Iustitia et Iure, Tract. II Disp. 38 N. 4 f.; s.a. Lugo, De Iustitia et Iure, Disp. III Sec. 2 N. 19; Sec. 3 N. 43 f.; hierzu Kaufmann, in: Bunge (Hrsg.), Kontroversen um das Recht, S. 291, 308; Simmermacher, Eigentum als ein subjektives Recht, S. 213 ff., 216 ff. (zu Molina); s. ferner Priesching, Sklaverei im Urteil der Jesuiten, S. 186 ff., 191 f. zu Lugos Auffassung vom Sklaven „als Person“. S. ferner die Auseinandersetzung bei Pérez, De Iustitia et Iure, Disp. I Cap. 9 N. 133, 135 ff. (dazu auch Priesching, Jesuiten und Sklaverei, S. 206 ff.): Pérez unterscheidet hier zwischen der Rechtslage nach positivem Zivil- (ius civile) und Naturrecht. Nach den Regelungen des ius civile würden Sklaven im Wege einer Fiktion so behandelt, als hätten sie keine Rechte und seien keine „Person“ bzw. nicht rechtsfähig (N. 135: „fictio iuris fingens nullitatem personae servi“). Insoweit bezieht sich Pérez auf den humanistisch-gemeinrechtlichen Personbegriff im Sinne der positiv-rechtlichen Rechtsfähigkeit, wonach der Sklave keine „Person“ ist (vgl. N. 136: „servus non censetur in iure Civili habere personam“; „persona Civilis“; s. dazu unten noch S. 73). Tatsächlich legt er aber den scholastischen Personbegriff zugrunde: auch der Sklave ist danach Person, es wird aber durch das positive Recht fingiert, dass er keine Person sei. Das ius civile würde dem Sklaven alle Rechte wegnehmen, soweit dies möglich ist und ihn als „Sache“ behandeln. Diesen Einschränkungen der Rechte des Sklaven durch das ius civile sind aber durch das Naturrecht Grenzen gesetzt. Das Naturrecht besteht nämlich aus zwei Normgruppen, zum einen den essentiellen (ius naturale essentiale), die durch nichts, d.h. auch nicht durch positives Recht oder Völkerrecht aufgehoben werden könnten (N. 129, 135), zum anderen den nicht-essentiellen (non essentiale) (nur letztere können durch das Zivilrecht aufgehoben werden [N. 135: „solum ergo privatur iure impedibili per factum alienum“]; wobei es hier wiederum solche gibt, die nur durch den eigenen Willen des Rechtsinhabers [wie etwa die Gesundheit], dagegen nicht durch Bestimmung anderer aufgehoben werden können, N. 130, 135). Zur Gruppe von durch das Naturrecht gewährten Rechten, die nicht durch Völker- und Zivilrecht aufhebbar sind, gehören verschiedene elementare Rechte. Daraus folgt, dass die Fiktion des positiven Rechts, den Sklaven das Personsein abzusprechen, nicht zu einer Aufhebung jeglicher Rechte führen konnte (N. 135: „Unde haec fictio fingans nullitatem personae servi, nunquam potest illum privare omni iure naturali; cum enim hoc ius competat eo ipso quod sit homo in multis rebus, non potuit penitus illo privari“). „Alle Menschen haben“ umfassende naturrechtlich geschützte Bereiche, die „durch kein Gesetz aufgehoben werden“ könnten (N. 133: „multa habent designata iuridice per designationem naturalem omnes homines, quae nullis legibus auferri possunt“). 227 Vgl. Simmermacher, Eigentum als ein subjektives Recht, S. 213 ff., 216 ff. (zu „Molinas Rechtstheorie als Rohbau einer Theorie von Grundrechten“); Kaufmann, in: Bunge (Hrsg.), Kontroversen um das Recht, S. 291, 307 ff. 228 Vgl. Kaufmann, in: Bunge (Hrsg.), Kontroversen um das Recht, S. 291, 308 f. („Es scheint hier eines der ersten Male in der abendländischen Geschichte von einem Recht als Mensch die Rede zu sein. […] Offenbar gibt es für Molina durchaus unverzichtbare Rechte aller Menschen, auch für Sklaven […]. Es lässt sich somit festhalten, dass Luis de Molina bereits viele Bestandteile der späteren Diskussion um subjektive Rechte und Menschenrechte nutzt“); Simmermacher, Eigentum als ein subjektives Recht, S. 152 ff., 213 ff., 216 ff., 219 ff.
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2. Kapitel: Die Entstehung der Konstituenten
Rechtsbegriff fehlt229, ist neben der Anerkennung einer allgemeinen gleichen Rechtsfähigkeit230 der Begriff der „Person“.231 c) Die Lehre vom moralischen Sein aa) Suárez’ Lehre vom moralischen Sein (1) Person (a) Person im römischen Recht Der Personbegriff gewinnt nun bei Suárez im Kontext der Lehre vom moralischen Sein232 Bedeutung.233 Zwar ist der Begriff der persona bereits im römischen Recht zentral, in dem er ausgehend vom Begriffsverständnis „(Theater-)Maske“234 als Synonym zum Begriff des Menschen Verwendung findet.235 Allerdings war hiermit keine rechtliche Position im Sinne einer „Rechtsfähigkeit“236 verbunden. Die Frage, ob und inwieweit man am Rechtsverkehr teil229
Dazu etwa Auer, Der privatrechtliche Diskurs, S. 13 ff., 17 („Person, Freiheit, Vernunft, Willle, Recht“ als „maßgebliche begriffliche Elemente“ des modernen Rechtsbegriffs). 230 Zu diesem Begriff s. gleich noch S. 100 sowie Lipp, Quaderni Fiorentini 11/12 (1982/ 83), 217, 247 f.; Hetterich, Mensch und „Person“, S. 15, 23. 231 Zur fehlenden Bedeutung des Personbegriffs bei Molina s. Simmermacher, Eigentum als ein subjektives Recht, S. 159, 160. Zu den Gründen, wieso der Personbegriff nicht im Kontext von Molinas Willensmetaphysik, sondern in Zusammenhang mit der Freiheitsmetaphysik bei Suárez zentral wird, s. näher Thönissen, Recht und Gerechtigkeit, 3. Kap. VI.4. 232 Zu diesem Begriff des „Moralischen“ im Sinne von „Freiheit“, der bis ins 18. Jhd. prägend war, umfassend Kobusch, Die Entdeckung der Person, S. 20, 37 ff., ferner S. 141 f. Moralisch im Sinne der Lehre vom moralischen Sein ist Gegenbegriff zum „Physischen“/„Naturhaften“ (s. dazu gleich noch S. 76 ff.) und meint etwas anderes als moralische Verpflichtung (debitum morale) im Sinne des Gegenbegriffs zur rechtlichen Verpflichtung (debitum legale; dazu oben S. 59 f.). 233 Dazu grundlegend Kobusch, Die Entdeckung der Person, S. 55 ff.; Gemmeke, Die Metaphysik, S. 63 ff.; Lutz-Bachmann, in: Klein/Menke (Hrsg.), Der Mensch als Person, S. 109, 114 ff.; Palm, Person im Ertragsteuerrecht, S. 71 ff. S. näher zu Suárez’ Lehre vom moralischen Sein im Kontext des (Natur-)Rechts Thönissen, Recht und Gerechtigkeit, 3. Kap. VI.4.d). 234 S. dazu sowie zur ursprünglichen Verankerung des Personbegriffs im Theater die begriffsgeschichtliche Analyse bei Rheinfelder, Das Wort „Persona“, S. 6 ff. 235 Hetterich, Mensch und „Person“, S. 76 f.; C. Hattenhauer, in: Klein/Menke (Hrsg.), Der Mensch als Person, S. 39, 40 f.; Palm, Der Staat 47 (2008), 41, 43 f.; s. etwa Gaius Dig. 1,5,3 („Summa itaque de iure personarum divisio haec est, quod omnes homines aut liberi sunt aut servi“). 236 Der Begriff ist in Anführungszeichen gesetzt, da weder „Rechtsfähigkeit“ noch „Rechtssubjekt“ Begriffe oder Kategorien des römischen Rechts sind, s. etwa ausdrücklich v. Lübtow, in: Bickel (u.a.) (Hrsg.), Recht und Rechtserkenntnis, S. 421, 440; E. Wolf/Naujoks, Anfang und Ende der Rechtsfähigkeit, S. 53; Schulz, Prinzipien des römischen Rechts, S. 30; Kaser, Das Römische Privatrecht, Erster Abschnitt, S. 271. Die Begriffe „Rechtsfähigkeit“ (capacitas, capax iuris) und „Rechtssubjekt“ (subiectum iuris) entstehen soweit ersichtlich im Kontext der Spätscholastik und erscheinen etwa bei Molina, s. dazu zuvor S. 67 ff.
II. Das Naturrecht und die „Metaphysik der Freiheit“
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nehmen konnte, richtete sich vielmehr danach, welchem Status (Freie – Unfreie/Sklaven; Bürger/Nicht-Bürger [Peregrinen] etc.) man zugehörig war.237 (b) Person im juristischen Humanismus Auch im juristischen Humanismus des 16. Jahrhunderts (Donellus) wird der Personbegriff verwendet, wobei dieser jetzt nicht als Synonym zum Menschen, sondern im Sinne einer „Rechtsperson“ verstanden wird; d.h. wer „Person“ ist, kann am Rechtsverkehr teilnehmen.238 Allerdings ist der Mensch nicht aufgrund intrinsischer Eigenschaften seiner Natur Person im rechtlichen Sinne. Vielmehr ist die Fähigkeit, am Rechtsverkehr teilzunehmen, eine Verleihung des positiven Rechts (ius civile) und abhängig vom jeweiligen Status.239 Nur derjenige, dem das Recht diese Eigenschaft zuweist und insofern als „Person“ behandelt, kann am Rechtsverkehr teilnehmen (d.h. grundsätzlich nur freie Bürger, dagegen nicht Sklaven).240 237 Vgl. Inst. I,3, pr.; Gaius Dig. 1,5,3; s. Hetterich, Mensch und „Person“, S. 76 f.; C. Hattenhauer, in: Klein/Menke (Hrsg.), Der Mensch als Person, S. 39, 40 f.; Kirste, in: Bohnert (u.a.) (Hrsg.), FS Hollerbach, S. 319, 348 f.; Palm, in: Gröschner/Kirste/Lembcke (Hrsg.), Person und Rechtsperson, S. 295, 301 („inhaltsleerer Allgemeinbegriff“); v. Lübtow, in: Bickel (u.a.) (Hrsg.), Recht und Rechtserkenntnis, S. 421, 447 f.; Staudinger/Kannowski, Vorbem zu § 1, Rn. 2. S. aber auch Novellae Theodosii II. Tit. 17, § 1,2, S. 42 („servos […] quasi nec personam habentes“; ferner ansatzweise auch Ulpian Dig. 47,10,1,3), wo persona wohl nicht untechnisch-synonym zum Menschen, sondern als rechtliche Eigenschaft verstanden werden kann (in diese Richtung ja der humanistische Personbegriff, s. dazu sogleich). Insofern gab es möglicherweise doch zwei Verwendungsgebräuche für persona im römischen Recht (einmal synonym zum Menschen, andererseits technisch als „Gegenstand des Rechts“), ohne aber dass persona „zu dem festen juristischen Terminus geworden war, den das Wort im modernen Recht darstellt“ (so Rheinfelder, Das Wort „Persona“, S. 15 f., 142 ff.; a.A. Schlossmann, Persona, S. 96 f., der auch hinsichtlich der erwähnten Textstelle nur von einem untechnischen, synonym zum Menschen erfolgenden Gebrauch, also nicht von einem Verständnis von „Person im Rechtssinne“ ausgeht); s. ferner bereits Windscheid, Lehrbuch des Pandektenrechts, § 44, S. 116, Fn. 5 („Die Römer verstehen unter persona […] nicht Rechtssubject, sondern Person im nichtjuristischen Sinne des Wortes, sodass sie z.B. keinen Anstand daran nehmen, von einer persona servi oder servilis zu reden“); ähnlich Regelsberger, Pandekten, § 56, S. 234 Fn. 1. 238 S. hierzu und zum Folgenden C. Hattenhauer, in: Klein/Menke (Hrsg.), Der Mensch als Person, S. 39 f., 41 ff., 45 ff. (mit Verweis auf Donellus, Althusius und Vultejus, der hierin die Entstehung der Begriffs der rechtlich verstandenen Person [„Rechtsperson“] verortet; Hattenhauer sieht danach zwei weitere Entwicklungsstufen des Personbegriffs, aaO, S. 56 ff., 62 ff.: die in der zweiten Hälfte des 18. Jhd. erfolgte Verbindung von Mensch und Person sowie sodann die Anerkennung einer dem positiven Recht vorgegebenen, allgemeinen Rechtsfähigkeit, die er auf das Ende des 19. Jhd. verortet); Hetterich, Mensch und „Person“, S. 80. 239 S. C. Hattenhauer, in: Klein/Menke (Hrsg.), Der Mensch als Person, S. 39, 45 ff. Im Naturrecht wird später wieder auf den Begriff des status rekurriert, aber dann im Kontext der Lehre vom moralischen Sein, s. dazu unten S. 93 ff. (zu Pufendorf und Wolff). 240 S. dazu C. Hattenhauer, in: Klein/Menke (Hrsg.), Der Mensch als Person, S. 39, 41 ff., 45 ff. Hier sind mehrere Aspekte zu berücksichtigen: Donellus spricht zunächst davon, dass
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2. Kapitel: Die Entstehung der Konstituenten
(c) Person in der Scholastik Die Scholastik nimmt einen konstruktiv unterschiedlichen Ausgangspunkt, der ursprünglich im Kontext der Christologie erarbeitet wird.241 Grundlegend 241 jedem an seiner Person bestimmte Rechtsgüter zukommen (Commentariorum de Iure Civili, Lib. II Cap. VIII: „Quid cuiusque sit in personis & rebus. Suum cuiusque duplex: I. Propriae, quae dominii nostri […]. Proprie nostrum aut in persona cuiusque aut in rebus externis. In persona, quod cuique tribuitur, quisque in se habet, tametsi res externae desint. Huiusmodi vita, incolumitas corporis, libertas, existimatio“). Sodann heißt es aber, dass es vom jeweiligen Status abhängig ist, ob und wem diese Güter zukommen (Cap. IX: „Sed haec pro conditione personae varie immutantur, hinc status hominum, id est, conditio cuiusque a qua differt a iure personarum ut caussa ab effectu“). Sklaven kommen diese Güter nicht zu (Cap. IX: „Divisio est, quod omnes homines aut liberi aut servi […]. Effectus servitutis omnia in potestate domini; omnia servis, quae alias personis attributa, adempta, servus omnino capite & statu caret. Neque ea retinet, quae cuique natura tribuuntur“). Sklaven sind danach Menschen, aber keine Personen, wobei Donellus „Mensch“ als Begriff der Natur, „Person“ dagegen als Begriff des (Zivil-)Rechts einordnet (Cap. IX Notata: „Servus enim homo est, non persona, homo naturae, persona iuris Civ. vocabulum“). Bei Donellus ist also mit der Person verbunden, dass ihr bestimmte Rechtsgüter zugeordnet sind; über diese verfügt man aber nur, sofern sie durch das Recht abhängig vom Status zuerkannt werden. Insofern sagt Donellus, dass Person nur derjenige ist, der über den entsprechenden Status verfügt; d.h. Personsein wird daran geknüpft, dass das Recht bestimmt, wer (Rechts-)Person ist und insofern am „Rechtsverkehr“ teilnehmen kann (dazu auch Hattenhauer, aaO, S. 39, 45 ff.). Ferner verweist Hattenhauer (aaO, S. 39, 47 ff.) auf Vultejus (In Institutiones, Commentarius ad Lib. I Tit. III § 1 N. 1 f., S. 40 [„Persona est homo habens caput civile […]. Hominis appelatio cum appellatione personae non est eadem. Illa enim, quam haec est generalior. Homo vocabulum est naturae, persona, juris civilis. Omnis persona est homo, sed non vicissim. Inde personam definiebamus hominem, qui caput haberet civile. […] Sed caput civile triplex est, libertatis, civitatis & familiae. Horum servus nullum habet, ut servus in usu juris pro persona non habeatur“]; ders., Jurisprudentiae Romanae, Lib. I Cap. IV, S. 7 [„Homo in specie ita dictus est homo, habens caput naturale“]; Cap. VIII, S. 37 [„Persona autem est homo habens caput civile cui opponitur naturale, quod etiam servi habent“]; Cap. IX, S. 47 [„Caput autem illud iure acquiritur, idemque iure amittitur“]; s. ferner auch Connanus, Commentarii, Lib. II Cap. III N. 1: „nam qui liber non est, ne in vivorum quidem numero censetur, cum in nullis populis aut civibus habeat locum, & certe apud nullos & nusquam, & nullus sit. Ac de iure gentium mox. quod ad ius civile attinet, non existimantur servi existere aut vivere: quod iurisconsulti dicunt eos, nec statum habere, nec caput“). Person ist danach der, der nach der Bestimmung der Rechtsordnung (ius civile) am Rechtsverkehr teilnehmen kann. Die Person wird insofern als Rechtsbegriff zu einer „Rechtsperson“; der Zusammenhang von Person und Mensch wird hier freilich aufgegeben, weshalb Sklaven nicht als Personen eingeordnet werden. 241 Dazu umfassend Kobusch, Die Entdeckung der Person, S. 23 ff. m.Nw. (insbesondere zu Alexander von Hales); s.a. Palm, in: Gröschner/Kirste/Lembcke (Hrsg.), Person und Rechtsperson, S. 295, 301 f.; Kirste, in: Bohnert (u.a.) (Hrsg.), FS Hollerbach, S. 319, 349 f.; ferner auch Auer, Der privatrechtliche Diskurs, S. 15 f. Zum christologischen Hintergrund s. Thönissen, Recht und Gerechtigkeit, 3. Kap. VI.4.c). Wie sich im Folgenden zeigen wird, beginnt der Weg, der bei Suárez gegangen wird, beim philosophischen metaphysischen Personbegriff; von dort, nämlich von dem, was die Person konstituiert, wird dann der Übergang zum Recht vollzogen, indem gezeigt wird, dass gerade die Person das ist, was dem Recht zugeordnet ist. Demgegenüber geht der Personbegriff des römischen Rechts bzw. bei den Humanisten vom Recht aus. Person ist im juristischen Humanismus Rechtsperson, d.h. derjenige, der nach der Festlegung des Rechts am Rechtsver-
II. Das Naturrecht und die „Metaphysik der Freiheit“
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ist dabei zunächst Boethius’ Definition der Person als „individuelle Substanz der vernunftbegabten Natur“ (rationabilis naturae individua substantia).242 Unterschieden wird in der Scholastik bei Alexander v. Hales zwischen den Begriffen Subjekt, Individuum und Person.243 Jeder dieser Begriffe wird verschiedenen Seinsbereichen bzw. Disziplinen zugeordnet244: Subjekt gehört dem natürlichen Seinsbereich (esse naturale; Physik, Naturforschung) an, Individuum dem rationalen (esse rationale; Logik); Person wird dagegen dem Bereich des moralischen Seins (esse morale; Morallehre, Ethik) zugeordnet.245 242 kehr teilnehmen kann (s. Fn. zuvor). Nach der Scholastik dagegen ist jeder Mensch als vernunftbegabtes Freiheitswesen Person, wobei als Folge dieses Personseins die – wenngleich einschränkbare – Rechtsfähigkeit sowie bestimmte Rechte resultieren (s. dazu oben S. 67 ff.; vgl. auch Pérez, De Iustitia et Iure, Disp. I Cap. 9 N. 129 ff., 135). Diese beiden Linien von naturrechtlichem und humanistisch-gemeinrechtlichem Personbegriff – philosophisch-ethischer Personbegriff, dessen Folge Rechtsfähigkeit ist; positiv-rechtlicher Personbegriff im Sinne von Rechtsperson – setzen sich bis in die Gegenwart fort, s. dazu unten die Diskussionen S. 359 ff. 242 Boethius, Contra Eutychen et Nestorium, IV (in: Die Theologischen Traktate, S. 80); s.a. Suárez, Disp. Met., Disp. 34 Sec. 1 N. 13; Lugo, De Incarnatione, Disp. 12 Sec. 1 N. 4; s. unten noch näher zum Personbegriff S. 82 ff. sowie Lutz-Bachmann, in: Klein/Menke (Hrsg.), Der Mensch als Person, S. 109, 114 ff.; Schaede, in: Gröschner/Kirste/Lembcke (Hrsg.), Person und Rechtsperson, S. 31 ff. (Duns Scotus, Ockham); s. zuvor Thomas v. Aquin, STh, I, q. 29,1 unter Bezugnahme auf Boethius; zum Personbegriff bei Suárez Gemmeke, Die Metaphysik, S. 64 ff. 243 S. Alexander v. Hales, Glossa, Sententiarum Lib. III, Dist. VI N. 25 (b) („intelligendum est quod differt dicere in Christo individuum, suppositum vel subiectum, et personam. Secundum enim esse rationis, est iste homo individuum; secundum esse naturae, est humana natura subiectum; secundum esse morale vel divinum, accipitur persona“); dazu Kobusch, Die Entdeckung der Person, S. 23 f.; Lutz-Bachmann, in: Klein/Menke (Hrsg.), Der Mensch als Person, S. 109, 113. 244 Kobusch, Die Entdeckung der Person, S. 23 f. („Wirklichkeitsbereiche“); Lutz-Bachmann, in: Klein/Menke (Hrsg.), Der Mensch als Person, S. 109, 113 („Gegenstandsbereiche“); Schaede, in: Gröschner/Kirste/Lembcke (Hrsg.), Person und Rechtsperson, S. 31, 33 („Ordnungssysteme“). 245 S. Alexander v. Hales, Glossa, Sententiarum Lib. III, Dist. VI N. 18 („Est [enim] esse naturale, et morale, et rationale. Et nota quod quando Christus dicitur secundum personam, tunc dicitur secundum esse morale; quando autem secundum naturam humanam, tunc dicitur secundum esse naturale; quando autem secundum essentiam, tunc secundum esse rationale. Unde Christus est unus secundum quod homo et secundum quod Deus, loquendo secundum esse morale; secundum vero esse naturale, Christus est duo, quoniam duae naturae; secundum vero esse rationale, Christus non dicitur quid, sed quale“); N. 25; N. 38 („Ortae autem sunt istae tres opiniones secundum triplex esse: naturale, morale, rationale; et secundum haec tria tripliciter contingit loqui de Christo. Persona res moris est, quid dicit proprietatem dignitatis; personaliter loqui de ipso, est loqui moraliter“); Dist. VII N. 25 („Ut dictum est, triplex est esse; ita quasi tria principia inveniuntur in Christo: suppositum vel subiectum, substantia prima et persona. Moraliter, persona primum est in sustinendo; naturaliter, subiectum, id est anima et corpus: deitas namque non est in ratione subiecti; secundum vero rationem, substantia prima sive iste homo“); dazu Kobusch, Die Entdeckung der Person, S. 23 f. m.Nw. zu Alexander von Hales; s.a. Lutz-Bachmann, in: Klein/Menke (Hrsg.), Der Mensch als Person und Rechtsperson, S. 109, 113 f.
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2. Kapitel: Die Entstehung der Konstituenten
(2) Moralisches Sein, Freiheit und Wille Wie sich in Suárez’ Lehre vom moralischen Sein zeigt, ist der moralische246 Seinsbereich (esse morale; entia moralia) vom realen physischen Seinsbereich (entia realia et physica) ontologisch unterschieden.247 Danach gibt es einen eigenen Bereich moralischer Kausalität (causalitas moralis) mit moralischen Ursachen (causa moralis)248 und moralischen Wirkungen (effectus 246 Es ist bereits hier darauf hinzuweisen, dass der Begriff „moralisch“ mehrdeutig ist, im Kontext der Lehre vom moralischen Sein aber eine ganz bestimmte Bedeutung hat, die u.a. durch Suárez entwickelt wird und von dort aus auch in der weiteren Naturrechtslehre rezipiert wird (s. dazu Suárez, De Bonitate, Disp. 1 Sec. 1 N. 1 ff., 8; Sec. 3 N. 9; Gemmeke, Die Metaphysik, S. 158 ff.; ebenso etwa bei Wolff, s. dazu unten S. 98 ff. mit Nw.). Dabei kann man folgende Bedeutungen unterscheiden: Zunächst „moralisch“ im Sinne der Lehre vom moralischen Sein, insofern bezeichnet moralisch den Bezug zur Freiheit; d.h. „moralisch“ bedeutet vereinfacht ausgedrückt „frei“, s. dazu sogleich ausführlich S. 76 ff. sowie Kobusch, Die Entdeckung der Person, S. 19 ff., 55 ff., 58 f. (zu Suárez), ferner S. 141 f. (zu Kant und der mit Kant verbundenen Begriffsänderung); s. nur neben Suárez Nettelbladt, Systema Elementare, § 74 („actiones liberae, quatenus liberae sunt, morales appellentur“); Achenwall, Ius Naturae, § 23 („Actio libera, quae moraliter indifferens non est, dicitur actio moralis“); Pütter/Achenwall, Elementa Iuris Naturae, § 12 („Actio voluntatis dicitur, actio libera seu moralis“), § 60 („Moralitas itaque actionis est relatio actionis liberae ad agentem, quatenus eum reddit perfectiorem vel imperfectiorem“); Darjes, Observationes, Obs. XIV § 3 („actiones morales esse actiones ad libertatem relatas“); § 4 („moralitatem actionis proprie significare relationem actionis ad libertatem“); ders., Institutiones, §§ 52 ff.; § 217 („Actiones sunt imputabiles, quatenus moralitatem habent“); Heineccius, Elementa Iuris Naturae, Lib. I § 29 (actiones humanae vel morales als actiones liberae – actiones physicae vel naturales als actiones neccessariae). Gegenbegriff zu moralisch in diesem Sinn ist physisch, natürlich, unfrei, notwendig; weiter „moralisch“ im Sinne der moralischen Pflicht (debitum morale), die im Gegensatz zur Rechtspflicht (debitum legale, obligatio iustitiae) nicht aus der Tugend der Gerechtigkeit, sondern aus anderen Tugenden folgt (s. dazu oben S. 59 f.); ferner „moralisch“ im Sinne von „moralisch richtig“, d.h. dass eine Handlung in Übereinstimmung mit dem Gesetz bzw. mit der vernünftigen Natur vorgenommen wird (zu diesem Begriffsverständnis auch Gemmeke, Die Metaphysik, S. 168 ff. im Hinblick auf Gabriel Vázquez; ferner Kobusch, Die Entdeckung der Person, S. 142); schließlich „moralisch“ im Sinne der (guten) Sitten (mores). S. auch etwa noch Bauer, Lehrbuch des Naturrechts, § 2, S. 2 („Gesetz ist eine allgemeine nothwendige Regel für Handlungen. Die Gesetze sind entweder Naturgesetze oder Freiheitsgesetze. I. Die Naturgesetze (physische Gesetze) beziehen sich auf unwillkürliche Handlungen. […] II. Die Freiheitsgesetze (Willensgesetze, sittliche, ethische, moralische Gesetze im weiteren Sinne) beziehen sich auf willkürliche Handlungen a). Die Willkür besteht in dem Vermögen sich selbsthätig zum Handeln zu bestimmen. Durch die sittlichen Gesetze wird die moralische Möglichkeit und Nothwendigkeit der Handlungen bestimmt (das Dürfen und Sollen)“; Fn. a) „Moralisch, ethisch oder sittlich (von mores, ηθη, Sitte, d.h. Uebereinstimmung der freien Handlungen) wird hier in der älteren und weiteren Bedeutung genommen, wo es das Tugendliche und Rechtliche begreift. Im neueren und engeren Sinn beschränkt es sich auf das Tugendliche“). 247 Wenngleich wiederum mit diesem in verschiedener Hinsicht verbunden, s. Kobusch, Die Entdeckung der Person, S. 55 ff., 60 ff., 62 f. 248 Zum Begriff der causa, der bei Suárez zentrale Bedeutung zukommt, s. Suárez, Disp. Met., Disp. 12; zum Begriff der causa moralis s. ders., Disp. Met., Disp. 17 Sec. 2 N. 6 (dazu auch Gemmeke, Die Metaphysik, S. 188 ff.): Es gibt dabei zwei Begriffe der causa moralis;
II. Das Naturrecht und die „Metaphysik der Freiheit“
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moralis).249 Der moralische Seinsbereich wird durch die moralischen Handlungen (actio moralis) konstituiert, d.h. deren Ursachen, Eigenschaften und
249 zum einen gleichbedeutend mit jeder Ursache, die frei wirkt (libere efficit), d.h. als Gegenbegriff zur notwendig und natürlich unfrei wirkenden Ursache (causa physica naturaliter ac necessario agens); in dieser Bedeutung kann die causa moralis zugleich auch causa physica sein. Zum anderen als Gegenbegriff zur causa physica, d.h. insoweit sie nicht etwas wahrhaft bzw. physisch bewirkt, sondern nur so, dass die Wirkung der causa moralis moralisch zugerechnet werden kann (imputative; causalitas physica per accidens) – letzteres ist etwa beim Befehl/ Auftrag/Ratschlag etc. der Fall (vgl. zu diesem Begriff der causa moralis auch Lugo, De Iustitia et Iure, Disp. XIX Sec. 1 N. 5; Sec. 2 N. 23; Sec. 6 N. 120, 123; Heineccius, Elementa Iuris Naturae, Lib. I § 112; Pütter/Achenwall, Elementa Iuris Naturae, § 161 [causa moralis – causa physica]; Darjes, Institutiones, § 178; § 216 [zur causa moralis im Kontext der imputatio moralis]). Causa moralis im Sinne der Lehre vom moralischen Sein ist der erste weite Begriff der causa moralis, d.h. jede Ursache, die frei ist; auch die causa physica ist, sofern sie frei ist, d.h. aus Freiheit, nicht aus Notwendigkeit vorgenommen wird, zugleich causa moralis. Es gibt aber auch causae morales, die nicht zugleich physisch wirken, sondern nur imputativ Ursachen sind, s. Suárez, De Bonitate, Disp. 1 Sec. 3 N. 1 ff. Die Beschäftigung mit diesen causae morales, d.h. die Kausalität, die freien Handlungen zukommt, insoweit sie frei sind (quatenus liberi sunt), ist Gegenstand der Moralphilosophie, nicht der Metaphysik (Suárez, Disp. Met., Disp. 17 Sec. 2 N. 6). Unterschieden wird daher moralische und physische Kausalität (causalitas moralis – causalitas physica; s. Suárez, De Bonitate, Disp. 1 Sec. 3 N. 1). Zur zentralen Bedeutung der Kausalität bei Suárez s.a. Gemmeke, Die Metaphysik, S. 51 ff. Wieso wird bei Suárez die moralische Kausalität so zentral? Der Gedanke der Zurechnung bleibt zwar daneben erhalten (insbesondere die Zurechnung im Hinblick auf die Schuld; imputari ad culpam z.B. Suárez, De Voluntario, Disp. 1 Sec. 4 N. 9; Disp. 4 Sec. 1 N. 5; Sec. 2 N. 3; ferner ders., De Bonitate, Disp. 5 Sec. 2 N. 5, 8), zentrale Denkform ist aber die Kausalität. Mehrere Aspekte kommen hier zusammen: Die Moralontologie geht aus von der Freiheit; denkt man alles in Freiheit, dann scheint die Kausalität naheliegend zu sein. Ferner spielt die generelle Bedeutung des Kausalitätsdenkens in Suárez’ Philosophie eine Rolle. 249 S. Suárez, De Bonitate, Disp. 1 Sec. 3 N. 1 ff.; ferner ders., De Voluntario, Disp. 5 Sec. 1 N. 1 (esse naturae – esse moris); dazu Gemmeke, Die Metaphysik, S. 158 ff., 188 ff., 191 ff.; Kobusch, Die Entdeckung der Person, S. 37, 55 ff., 60 ff.; Lutz-Bachmann, in: Klein/Menke (Hrsg.), Der Mensch als Person, S. 109, 115. S.a. unten noch Fn. 252 sowie S. 75 ff., 78 Fn. 328 zur Einordnung des esse morale. Um zu verdeutlichen, dass die Kategorien der Lehre vom moralischen Sein auch die (Natur-)Rechtslehre des 18./19. Jhd. prägen, werden im Folgenden jeweils auch entsprechende Fundstellen bei Achenwall, Ius Naturae; Darjes, Observationes; ders., Institutiones; Gundling, Ius naturae; Heineccius, Elementa Iuris Naturae; Nettelbladt, Systema Elementare Universae Iurisprudentiae Naturalis; Pütter/Achenwall, Elementa Iuris Naturae; Weber, Systematische Entwicklung sowie Christian Wolff, Institutiones Juris Naturae; ders., Jus Naturae angeführt; ferner auch noch Anton Bauer, Lehrbuch des Naturrechts. Diese Autoren bewegen sich ebenso wie Pufendorf (dazu unten S. 93 ff.) in gewisser Hinsicht in der Tradition des moralischen Seins, wenngleich diese Lehre dort jeweils unterschiedlich ausgearbeitet ist und sich jeweils konstruktiv unterscheidet; es handelt sich keineswegs um eine bloße Fortsetzung, wohl aber zeigt sich eine Kontinuität in bestimmten Begriffen, Kategorien und Denkformen. Von diesen Autoren bezieht wiederum Savigny zumindest teilweise seine Begriffe, Kategorien sowie die Form seiner juristischen Konstruktion, s. dazu unten noch S. 158 ff., 166 ff. m. Nw.
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2. Kapitel: Die Entstehung der Konstituenten
Wirkungen.250 Moralische Handlungen sind alle willentlichen Handlungen bzw. – wie Suárez deutlich macht – alle freien Handlungen (actus liber; actio libera251), d.h. alle menschlichen Handlungen, insoweit sie frei sind.252 Das Freisein ist das Fundament des Moralischen.253 Das moralische Sein kennzeichnet so einen eigenen Seinsbereich der Freiheit: „die Welt des Sittlichen, zu der auch das Recht gehört“.254
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Vgl. Suárez, De Bonitate, Disp. 1 vor Sec. 1; Sec. 3 vor N. 1; Disp. 11 vor Sec. 1; s.a. Kobusch, Die Entdeckung der Person, S. 60 ff. Gegenbegriff zum actus moralis ist der actus naturalis/actus necessarius, d.h. das Natürliche bzw. Notwendige, das nicht Gegenstand des moralischen Seins ist, s. Suárez, De Bonitate, Disp. 1 Sec. 1 N. 8; Sec. 2 N. 10. 251 Zu den Begriffen actio und actus s. Suárez, Disp. Met., Disp. 18 Sec. 10 N. 5 f.; dazu auch Gemmeke, Die Metaphysik, S. 40 ff., 54, 57: Actio meint demnach „Kausalität der Wirkursache“, den „Weg zwischen Ursache und Wirkung“, actus bezieht sich demgegenüber auf die Wirkung. 252 S. dazu im Einzelnen Suárez, De Bonitate, Disp. 1 Sec. 1 N. 4 ff., 8; Sec. 2 N. 1 ff., 15 f., 19; Sec. 3 N. 5; ders., De Legibus, Lib. II Cap. 2 N. 2; dazu Gemmeke, Die Metaphysik, S. 158 ff., 179 ff.; Kobusch, Die Entdeckung der Person, S. 58. Das Besondere bzw. Spezifische der moralischen Handlung, das sie gegenüber der willentlichen Handlung auszeichnet, ist gerade das Frei-sein. Der Substanz nach ist die Handlung etwas Physisches und Natürliches, ihrer Form bzw. der denominatio extrinseca nach dagegen etwas Moralisches. Dies folgt wiederum von ihrem Ursprung, d.h. der Freiheit, und meint den Willen, insoweit er frei handelt, sowie den freien Willensakt (actus liber voluntatis). Das ens morale als solches enthält keine physische Entität, ist aber eine Realität sui generis, nicht bloßes Gedankending (ens rationis; dazu im Einzelnen Gemmeke, Die Metaphysik, S. 171 ff.; für Einordnung als Gedankendinge [entia rationis] dagegen G. Vázquez, Commentaria in I-II, Disp. 129 Cap. 7 N. 23 ff.; in diese Richtung auch Oñate, De Contractibus, Tract. II Disp. 6 Sec. 1 N. 16; s.a. unten noch S. 94 f. Fn. 328). Unterschieden vom actus moralis ist daher der actus necessarius, d.h. das Notwendige bzw. Unfreie, das nicht Gegenstand des moralischen Seins ist (Suárez, De Bonitate, Disp. 1 Sec. 1 N. 8; Sec. 2 N. 10); s.a. Filliucci, Moralium Quaestionum, Tract. 21 Cap. 1 N. 36, Cap. 2 N. 49 (actio necessaria – actio libera); Cap. 2 N. 51 („idem est, actiones esse humanas proprie, & esse liberas, sive morales“); Nettelbladt, Systema Elementare Universae Iurisprudentiae Naturalis, § 74 („actiones liberae, quatenus liberae sunt, morales appellentur“); Achenwall, Ius Naturae, § 23 („Actio libera, quae moraliter indifferens non est, dicitur actio moralis“); Pütter/Achenwall, Elementa Iuris Naturae, § 12 („Actio voluntatis dicitur, actio libera seu moralis“), § 60 („Moralitas itaque actionis est relatio actionis liberae ad agentem, quatenus eum reddit perfectiorem vel imperfectiorem“); Darjes, Observationes, Obs. XIV § 3 („actiones morales esse actiones ad libertatem relatas“); § 4 („moralitatem actionis proprie significare relationem actionis ad libertatem“); Heineccius, Elementa Iuris Naturae, Lib. I § 28 (actiones humanae vel morales, liberae – actiones physicae vel necessariae, naturales); Wolff, Institutiones Iuris Naturae, § 1 („Sunt autem vel liberae, quae a libertate animae quomodocunque dependent, vel naturales, seu necessariae“). 253 Suárez, De Voluntario, Disp. 1 Sec. 3 N. 17, 24 („in hoc esse libero fundatur totum esse morale“); ders., De Bonitate, Disp. 5 Sec. 3 N. 4 („moralitas ex libertate“); dazu Kobusch, Die Entdeckung der Person, S. 58 f.; vgl. auch etwa Darjes, Institutiones, § 74 („Moralium actionum fons est libertas“). 254 Kobusch, Die Entdeckung der Person, S. 63; vgl. Gemmeke, Die Metaphysik, S. 23, 192.
II. Das Naturrecht und die „Metaphysik der Freiheit“
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Gegenstand des moralischen Seins sind moralische Entitäten255, moralische Ursachen, moralische Eigenschaften und moralische Wirkungen; moralische Handlungen und die Regeln moralischer Handlungen.256 Freiheit kommt wiederum dem Willen zu, der das freie und damit moralische Vermögen des Menschen ist.257 Der Wille ist daher moralische Ursache (causa mo255 S. Suárez, De Bonitate, Disp. 1 Sec. 3 N. 1 ff., 4 ff.; Gemmeke, Die Metaphysik, S. 191 ff.: Ähnlich wie bei der causa moralis, die entweder zugleich causa physica ist oder ausschließlich moralisch imputativ wirkt, differenziert Suárez generell bei den entia moralia/effectus morales zwischen ens morale entitative und ens morale denominative (denominatio meint nicht bloße „Bezeichnung“ im Sinne eines ens rationis, sondern reale Zuordnung, s. Gemmeke, Die Metaphysik, S. 89 Fn. 145, 174 sowie Suárez, Disp. Met., Disp. 54 Sec. 2 N. 10). Das ens morale denominative hat zwar ein physisches Substrat, das eine physische Entität ist; das ens morale schließt aber als solches keine physische Entität mit ein; sein moralisches Sein bestimmt sich von seiner Entstehung, d.h. aus seiner realen Zuordnung zur Freiheit bzw. zum freien Willen. Die entia moralia sind den physischen Entitäten insoweit hinzugefügt (superadditi), als sie den Bezug zu ihrem Ursprung (emanatio, productio) bedeuten (denominative). Das ens morale entitative hat demgegenüber kein physisches Substrat als solches, sondern allenfalls ein physisches fundamentum in re. Beispielsweise hat die Belohnung (praemium) als Wirkung eines moralischen Verdienstes ein physisches Substrat (physicum et reale), ist also ein ens/effectus moralis denominative; anders dagegen die vertragliche Verpflichtung, die Eigentumsübertragung oder die Schuld, die nur moralisch existieren, d.h. kein physisches Substrat haben und insofern entia moralia entitative, d.h. ihrem ganzen Sein nach moralisch sind. Sie entstehen zwar aus einer Handlung, existieren aber fort, obwohl die Handlung bereits beendet ist; ihre Existenz wird dann durch die „kluge moralische Bewertung“ anerkannt (moraliter secundum prudentem existimationem; dazu auch Gemmeke, Die Metaphysik, S. 192 f. – dieser Terminus bedeutet nicht, dass die Entität nur in der Vorstellung existiert, vielmehr hat sie eine Realität sui generis, die in der moralischen Bewertung erkannt und aktualisiert wird); dazu auch Kobusch, Die Entdeckung der Person, S. 60 ff., 62. Es geht also bei den moralischen Entitäten nicht um eine Art „Parallelwelt“ (s. zu diesem Begriff Ulrich, Der Erbvertrag, S. 220 f. [zur Rechtsontologie des 19. Jhd.] sowie unten noch S. 180 ff.), sondern darum, dass das moralische Sein in bestimmter Hinsicht das physische Sein überlagert und diesem gleichsam als eigenständige moralische Seinsebene hinzugefügt ist, die ihrerseits aus eigenen Realitäten konstituiert ist; s.a. Gemmeke, Die Metaphysik, S. 192 („Die sittliche Welt und mit ihr die Welt des Rechts haben absolute Realitäten, die real für sich bestehen, unabhängig von der physischen Welt, auch wenn sie mit ihr verbunden und von ihr untrennbar sind“). 256 Vgl. Suárez, De Bonitate, Disp. 1 vor Sec. 1; Disp. 11 vor Sec. 1; dazu auch Gemmeke, Die Metaphysik, S. 22 f. Diese Kategorisierung in Ursache, Wirkung, Entitäten, Veränderungsweisen etc. hinterlässt auch tiefgreifende Spuren in der systematischen Darstellung (s. beispielhaft Suárez, De Voto oder Oñate, De Contractibus: natura/essentia/materia, causa [efficiens], effectus, irritatio/commutatio; s. ferner zur Gliederung in Allgemeines und Besonderes etwa Lessius, De Iustitia et Iure: de Iure in genere – de speciebus Iuris; de contractibus in genere). 257 S. Gemmeke, Die Metaphysik, S. 165 ff., 180 ff.; Kobusch, Die Entdeckung der Person, S. 58 f.; s.a. Suárez, De Voluntario, Disp. 1 Sec. 3 N. 7, 9; ders., De Bonitate, Disp. 1 Sec. 2 N. 16, 21; s. zuvor bereits S. 63 ff. – die Freiheit wurzelt zwar im Intellekt, ihr unmittelbarer Träger aber ist der Wille; s.a. Heineccius, Elementa Iuris Naturae, Lib. I § 30 („actiones humanae, morales, liberae, sint in potestate nostra atque arbitrio […], in potestate autem nostra sit, quidquid a nostra voluntate dirigitur; consequens est, […] ut actiones humanae, vel morales ac liberae a voluntate nostra dirigantur. […] intellectum quoque ad edendas ac-
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2. Kapitel: Die Entstehung der Konstituenten
ralis).258 Weil er frei ist, kommt ihm die Fähigkeit zu, selbst Zurechnungsgrund und damit moralische Ursache moralischer Wirkungen wie der Verpflichtung (obligatio) zu sein (tota vis obligandi sit a voluntate259; vis obligandi, quae proprie est in voluntate260; voluntas habeat vim inducendi obligationem, vel moralem necessitatem261). Diese Verschiebung ist von zentraler Bedeutung. Zwar konstituiert sich die Natur des Menschen über die beiden Vermögen Intellekt und Wille. Im moralischen Sein tritt als (Wirk-)Ursache aber der Wille in Erscheinung.262 Dieser wird so zur maßgeblichen Handlungs- und Zurechnungskategorie.263 Kategorien des moralischen Seins sind so der (freie) Wille bzw. Willenshandlungen als moralische Ursachen; die Entstehung von Verpflichtungen und (subjektiven) Rechten sowie die Rechtsveränderung/-übertragung als moralische Wirkungen.264 (Subjektives) Recht ist eine moralische Befugnis (fa258 tiones humanas liberasque concurrere, ac proinde […] duo esse actionum humanarum ac liberarum principia, intellectum et voluntatem“); Darjes, Institutiones, § 90 („Quicquid libere agimus, id ad voluntatem vel noluntatem nostram referre possumus“);§ 98 („Actiones liberae a voluntate vel noluntate dependent“). 258 Suárez, De Bonitate, Disp. 1 Sec. 2 N. 21; s.a. Gemmeke, Die Metaphysik, S. 183 ff. („Diese Freiheit als Macht der Herrschaft oder der Autorität des freien Willens ist die sittliche Freiheit, die zur causa moralis wird“), 186. Hieraus ergeben sich wesentliche Konsequenzen. Weil der Wille das freie Vermögen ist, entfalten für den Bereich des moralischen Seins nur noch Willenshandlungen eine unmittelbare Relevanz – dass den Willenshandlungen Akte des Intellekts vorangehen, hat zwar Einfluss (s. dazu unten noch im Kontext des Vertragsrechts S. 121 ff.), ist aber als solches für die moralischen Ursachen nicht von Relevanz. Nur Willenshandlungen können moralische Ursachen sein, nur ihnen kommt Verpflichtungskraft zu. 259 Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 18 Dub. 5 N. 33; Dub. 1 N. 6 (zum Vertrag/ Versprechen); vgl. auch Molina, De Iustitia et Iure, Tract. II Disp. 266 N. 9; dazu auch Decock, Theologians and Contract Law, p. 178. 260 Suárez, De Legibus, Lib. I Cap. 5 N. 15 („vim obligandi, quae proprie est in voluntate, & non in intellectu“); ferner N. 17, 21; vgl. dazu Schweighöfer, Die Begründung der normativen Kraft, S. 132 ff., 136. 261 Suárez, De Bonitate, Disp. 2 Sec. 2 N. 15. 262 Vgl. Kobusch, Die Entdeckung der Person, S. 60; Gemmeke, Die Metaphysik, S. 183 f. 263 Vgl. Kobusch, Die Entdeckung der Person, S. 58 f.; ferner zur Zentralität des freien Willens bei Suárez Schweighöfer, Die Begründung der normativen Kraft, S. 55 ff., 66 ff., 101 ff., 132 ff. 264 Suárez, De Bonitate, Disp. 1 Sec. 2 N. 21; Sec. 3 N. 2 f., 4 (zu den effectus morales: „obligatio orta ex promissione, dominium quod transferatur per voluntatem domini“); Disp. 2 Sec. 2 N. 15 („nam hinc etiam est, quod una voluntas possit esse regula alterius, et habeat vim inducendi obligationem, vel moralem necessitatem“); Oñate, De Contractibus, Tract. II Disp. 4 Sec. 1 N. 7 f.; Tract. II Disp. 6 Sec. 1 N. 16 („obligationem […] esse ens non physicum, & naturale, sed ens quoddam morale, quale est […] dominium rei, & caetera iura“); s. ferner Suárez, De Peccatis, Disp. 1 Sec. 1 N. 1, wieso Pflicht und Verpflichtung zum moralischen Sein gehören: „Verpflichtung und Pflicht gibt es auch nur dort, wo es Freiheit gibt; denn wer notwendig handelt, bedarf weder des Gesetzes noch könnte er gerechterweise wegen Überschreitung des Gesetzes bestraft werden“ („non est autem obligatio et debitum nisi ubi libertas: quia qui necessario agit, neque lege indiget, neque propter transgressionem ejus iuste puniri posset“).
II. Das Naturrecht und die „Metaphysik der Freiheit“
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cultas moralis).265 Eigentum, Herrschaft und Rechtsprechungsgewalt (dominium; jurisdictio) gewähren moralische Befugnisse (facultates morales), die aus dem freien Willen hervorgehen.266 Wer Eigentümer einer Sache ist, ist „eine moralische, nicht physische Eigenschaft“ (proprietas moralis) dieser Sache, die aus der Zuordnung bzw. den freien Handlungen der Menschen folgt.267 „Regel moralischer Handlungen“ ist das Gesetz, das seinerseits dem moralischen Seinsbereich zugehörig ist.268 Nächste Regel moralischer Handlungen 265 Suárez, De Legibus, Lib. I Cap. 2 N. 5; Lib. II Cap. 17 N. 2; Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 2 Dub. 1 N. 3 („hanc potestatem non esse quid physicum, sed morale“); s.a. Wolff, Institutiones Juris Naturae et Gentium, § 46 („Facultas ista, seu potentia moralis agendi dicitur Jus“); Achenwall, Ius Naturae, § 23 („Facultas hominis physica, quatenus nulli legi morali adversatur, est facultas moralis“); Darjes, Observationes, Obs. XXXVI § 2 („Ergo & ius subiective sumtum est facultas ea agendi, quae nobis moraliter possibilia sunt“); Nettelbladt, Systema Elementare, § 229 („facultas agendi moralis vero dicitur ius, quando subiective sumitur“; Nettelbladt entwickelt hierbei eine eigene Form juristischer Ontologie: Iuris esse ist demnach verschieden von facti esse [§ 230], unter iuris esse fällt wiederum das, was consistit in facultate agendi morali; so unterscheidet Nettelbladt zuvor bereits zwischen factum [dazu § 108], persona und res iuridica [ens praeter personam et factum; s. § 116]; es scheint, als ob hier die moralontologische Unterscheidung zwischen res physica/naturalis und res moralis auf den juristischen Bereich übertragen wird, nämlich in Gestalt der Differenzierung von factum und res iuridica; die Ausarbeitung eines rechtlichen Seinsbereichs deutet sich hier bereits an, s. dazu unten noch S. 177 ff., 180 ff.; vgl. aber zu Nettelbladt auch Reis, Juristische Tatsachen, S. 71 ff.); s. ferner auch noch Bauer, Lehrbuch des Naturrechts, § 35, S. 48 („Die Pflicht drückt ein Sollen (moralische Nothwendigkeit), das Recht hingegen ein Dürfen (moralische Möglichkeit) aus“). 266 Suárez, De Bonitate, Disp. 1 Sec. 2 N. 19 („dominium, iurisdictio, et similia non addunt rebus physicas entitates, sed morales facultates ortas ex libero consensu voluntatis“); ders., De Legibus, Lib. IV Cap. 1 N. 7 („Iurisdictio autem, sicut & dominium, non consistit in qualitate physica, sed in iure, & potestate morali“); s.a. Lugo, De Incarnatione, Disp. III Sec. 1 N. 6 („perfectum dominium est potestas plena moralis utendi re sua in ordine ad omnem usum“; „dominium vero plenum est facultas moralis utendi re sua sine iniuria alterius in omni casu“), N. 9 („dominium morale est facultas moralis utendi sine iniuria re sua in ordine ad usus“); Sec. 2 N. 42; Sec. 3 N. 62; s. ferner Sec. 5 N. 96 (damit der Wille des Gesetzgebers moralisch wirksam [moraliter efficax] ist, d.h. verpflichtet, bedarf es der Übertragung der entsprechenden Befugnis durch die Menschen auf den Gesetzgeber, damit dessen Wille moralisch wirksam die Verpflichtung begründen kann); zur politischen Theorie s. Thönissen, Recht und Gerechtigkeit, 5. Kap. III.1. 267 S. Suárez, De Bonitate, Disp. 2 Sec. 2 N. 14 f.; vgl. Lugo, De Iustitia et Iure, Disp. I Sec. 1 N. 5, 18 (praelatio moralis; connexio moralis); ferner Disp. II Sec. III N. 41, wo der usus facti und der usus iuris unterschieden wird; während usus facti die faktische Gebrauchshandlung bezeichnet, meint usus iuris „die moralische Macht, diese Handlung wegen eines intrinsischen Rechts, das in der Person verankert ist, vorzunehmen“ („potestas moralis ad haec facienda propter ius intrinsecum, & radiatum in persona“). S.a. ders., De Incarnatione, Disp. III Sec. 2 N. 18, 38: Eigentümer einer Sache ist man nicht, weil man eine physische Herrschaft über eine Sache hat, sondern eine moralische – auch wenn man die physische Herrschaft verliert, verbleibt dennoch die moralische, kraft derer man Eigentümer ist. Verletzung dieser Zuordnung ist Rechtsverletzung (s. ferner ders., De Iustitia et Iure, Disp. II Sec. 2 N. 14). 268 Suárez, De Legibus, Lib. I Cap. 6 N. 7 („regula moralium operationum“), 16; Cap. 7 N. 4; ferner Cap. 4 N. 2; Amicus, De Iustitia et Iure, Disp. I Sec. 1 N. 2, 5, 20 („regula moralium operationum“; „lex sit quaedam moralis regula“; „moralis regula humanarum operatio-
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2. Kapitel: Die Entstehung der Konstituenten
ist das Gewissen, das durch Anwendung des Gesetzes die Verpflichtung im Menschen erzeugt.269 Das Gesetz ist ein Willens- und Verstandesakt, wobei die Verpflichtungskraft dem Willen des Gesetzgebers zukommt; die Freiheit des Gesetzgebers begründet die Verpflichtung des Gesetzes.270 Moralische Wirkung des Gesetzes ist die Entstehung der Verpflichtung (obligatio).271 Die Verpflichtung ist ihrerseits eine moralische Notwendigkeit (necessitas moralis).272 Der Wille des Gesetzgebers erzeugt diese moralische Notwendigkeit.273 (3) Moralisches Sein und Person (a) Person als zentrale Kategorie Vor dem Hintergrund dieser Lehre vom moralischen Sein erklärt sich auch die zentrale Funktion der Person.274 Konstitutiv für den Personbegriff bei Suárez ist zum einen der Bezug auf die rationale verstandesbegabte Natur; zum anderen das „Für-Sich-Existieren“ (per se existere), die Eigenständigkeit (perseitas) sowie die Personalität bzw. Subsistenz als das, was die Person von Natur und Substanz unterscheidet und was die Natur zu ihrer vollständigen Bestimmung 269 num“); s.a. Nettelbladt, Systema Elementare, § 135 („Lex, nimirum moralis de qua hic tantum loquor, est in latissimo significatu regula secundum quam actiones nostras liberas determinare obligamur“); Weber, Systematische Entwicklung, § 2 („Regeln unserer freien Handlungen“). 269 Suárez, De Bonitate, Disp. 12 vor Sec. 1; Sec. 4 N. 1; s. dazu Thönissen, Recht und Gerechtigkeit, 3. Kap. IV.2.e); s.a. Filliucci, Moralium Quaestionum, Tract. 21 Cap. 4 N. 113 ff. („humanae actionis intrinseca regula“); Heineccius, Elementa Iuris Naturae, Lib. I §§ 33 ff., 45 ff., 61 f. (§ 45: „Non ipsa conscientia norma est, sed normam adplicat factis et speciebus obvenientibus“). 270 Suárez, De Legibus, Cap. 5 N. 15, 17, 21; Cap. 4 N. 8; dazu umfassend Schweighöfer, Die Begründung der normativen Kraft, S. 119 ff., 132 ff., 136 f. 271 Suárez, De Legibus, Cap. 5 N. 17; Cap. 4 N. 8. 272 Suárez, De Legibus, Lib. I Cap. 14 N. 1 a.E. („necessitatem […] moralem, quae obligatio dicitur“), 4 („necessitatem quandam operandi, vel non operandi“); Cap. 1 N. 7 f.; Cap. 5 N. 7, 15, 17; ders., De Bonitate, Disp. 2 Sec. 2 N. 15 („obligationem, vel moralem necessitatem“); s.a. Oñate, De Contractibus, Tract. II Disp. 4 Sec. 1 N. 7 („obligatio est entitas quaedam moralis“); s. ferner Achenwall, Ius Naturae, § 7 („necessitas agendi moralis“); Darjes, Observationes, Obs. XVI § 3 („Obligationem itaque moralem definire possumus per moralem neccesitatem agendi“); Nettelbladt, Systema Elementare, § 168 („necessitas agendi moralis vero dicitur obligatio“ – obligatio ist ebenso wie das subjektive Recht [§ 229] eine res incorporalis [s. § 119]); Weber, Systematische Entwicklung, § 2 („moralische Nothwendigkeit, etwas zu thun, oder zu unterlassen“); Wolff, Institutiones Iuris Naturae, § 37 („necessitas moralis agendi obligatio est“), § 51 („obligatio in necessitate agendi morali consistit“); vgl. ferner noch Bauer, Lehrbuch des Naturrechts, § 2, S. 2 („Gesetz ist eine allgemeine nothwendige Regel für Handlungen. […] Durch die sittlichen Gesetze wird die moralische Möglichkeit und Nothwendigkeit der Handlungen bestimmt (das Dürfen und Sollen)“); § 35, S. 48 („Die Pflicht drückt ein Sollen (moralische Nothwendigkeit), das Recht hingegen ein Dürfen (moralische Möglichkeit) aus“). 273 Suárez, De Legibus, Lib. I Cap. 5 N. 17, 20 f.; s.a. Amicus, De Iustitia et Iure, Disp. VI Sec. 8 N. 98 („obligatio legis sit effectus formalis moralis voluntatis principis“). 274 Dazu Gemmeke, Die Metaphysik, S. 63 ff., 84 ff.; Kobusch, Die Erfindung der Person, S. 63 ff.
II. Das Naturrecht und die „Metaphysik der Freiheit“
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im Personsein vollendet.275 Die Person ist eine „Sache eigenen Rechts“ (res sui iuris), weil sie „für sich ist“ (per se est).276 275 S. Suárez, Disp. Met., Disp. 34 Sec. 1 N. 1 ff., 13 („persona idem est quo prima substantia vel suppositum, solumque determinat illam rationem ad naturam intellectualem seu rationalem“); ders., De Incarnatione, Disp. 8 Sec. 4, S. 195 f.; Disp. 11 vor Sec. 1, S. 232; Sec. 3, S. 238 ff.; s. ferner Lugo, De Incarnatione, Disp. 12 Sec. 1 N. 1 ff., 4 („persona vero significat solam naturam rationalem, vel intellectualem incommunicabiliter subsistentem“). Auch wenn Suárez zunächst auf den Personbegriff des Boethius zurückgreift (persona est rationalis naturae individua substantia), zeigen sich hier doch einige Besonderheiten, die die zentrale Bedeutung der Person für die Lehre vom moralischen Sein erklären (umfassend und näher dazu Gemmeke, Die Metaphysik, S. 63 ff.). Es scheint so, dass die Entwicklung des spezifischen Personbegriffs und seiner Zentralität für den Bereich des Normativen bei Suárez in wechselbezüglichem Zusammenhang mit der Ausbildung der Lehre vom moralischen Sein steht. Unterschieden werden die Begriffe natura/substantia, subsistentia/personalitas, suppositum und persona. Natur/Substanz des Menschen ist dessen Menschsein (humanitas), d.h. Materie und vernunftbegabte Seele als vereinigte Elemente (so die konzise Beschreibung bei Lugo, De Incarnatione, Disp. 12 Sec. 1 N. 1 mit Verweis auf Suárez). Subsistenz vollendet die Substanz/ Natur dahingehend, dass durch sie die Natur zu ihrer letzten Bestimmung (ultimus terminus) im Sinne des „durch sich Existierens“ (per se existere) gelangt; durch die Subsistenz wird eine Sache nicht mitteilbar (incommunicabilis) (Suárez, De Incarnatione, Disp. 4 Sec. 4, S. 37: „quidam modus terminans naturam in ratione existendi in se“; Disp. 11 Sec. 3, S. 238; Lugo, De Incarnatione, Disp. 12 Sec. 1 N. 2; zur incommunicabilitas bei Duns Scotus s. Schaede, in: Gröschner/ Kirste/Lembcke (Hrsg.), Person und Rechtsperson, S. 31, 34 ff.). Existere bedeutet ein Sein außerhalb der Ursachen (Suárez, Disp. Met., Disp. 34 Sec. 4 N. 23: „nam existere ex se solum dicit habere entitatem extra causas seu in rerum natura“). Nicht mitteilbar bedeutet, dass jedes suppositum für sich abgegrenzt besteht und nicht mit anderen vereinigt werden kann (vgl. im Einzelnen dazu Suárez, De Incarnatione, Disp. 11 Sec. 3, S. 239). Nichtmitteilbarkeit vollendet die Substanz und konstituiert die Person; eine Person ist notwendig unterschieden von anderen Personen und hat ihre eigene Identität, sie ist insofern „nicht mitteilbar“ (vgl. Suárez, De Incarnatione, Disp. 11 Sec. 3, S. 239). Subsistenz ist also das, was das suppositum bzw. die Person der Natur hinzufügt; die Subsistenz vollendet die Natur in ihrer konkreten Bestimmung, unterscheidet also als Modus die Substanz vom Eigenständigen, für sich Existierenden (perseitas existendi; per se existere; dazu Suárez, De Incarnatione, Disp. 11 Sec. 3, S. 239). Suppositum ist daher die Zusammensetzung von Substanz und Subsistenz, d.h. es meint die nicht mitteilbar subsistierende Substanz (Lugo, De Incarnatione, Disp. 12 Sec. 1 N. 3; Suárez, De Incarnatione, Disp. 11 Sec. 3, S. 238: incommunicabiliter per se existere). Suppositum schließt also die Natur mit ein und fügt ihr etwas positiv hinzu, nämlich die Subsistenz bzw. – bei der rationalen Natur – die Personalität (Suárez, Disp. Met., Disp. 34 Sec. 2 N. 20; Sec. 4 N. 1, 23, 32; ders., De Incarnatione, Disp. 11 Sec. 3, S. 239 f.). Person ist Unterbegriff des suppositum, nämlich im Hinblick auf die rationale und vernunftbegabte Natur („ad naturam intellectualem vel rationalem“). D.h. das vernunftbegabte suppositum ist Person – der Unterschied zwischen beiden liegt nun aber gerade darin, dass der Person in Abgrenzung vom suppositum besondere Würde (dignissima species) zukommt (s.a. Suárez, Disp. Met., Disp. 34 Sec. 1 N. 13), weshalb die Person eine „Realität anderer Ordnung“ ist (Gemmeke, Die Metaphysik, S. 73); „der Mensch ist danach Person, nicht aber das Pferd“ (Lugo, De Incarnatione, Disp. 12 Sec. 1 N. 4). S.a. Lutz-Bachmann, in: Klein/ Menke (Hrsg.), Der Mensch als Person, S. 109 ff. 276 Suárez, De Incarnatione, Disp. 8 Sec. 4, S. 196; Gemmeke, Die Metaphysik, S. 73; zur Wendung sui iuris (als Abgrenzung etwa der Sklaven, die alieni iuris sind) s. Inst. I,8 pr.: „quaedam personae sui iuris sunt, quaedam alieno iuri subiectae sunt“. Gerade dies zeigt den Kontrast: Nach dem römischen Recht gibt es Personen, die nicht eigenen Rechts sind; nach Suárez hingegen ist jede Person notwendig eigenen Rechts.
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2. Kapitel: Die Entstehung der Konstituenten
Ausgehend von dieser Bestimmung des Personbegriffs ergibt sich der Zusammenhang von Person, moralischem Sein und Recht.277 Danach ist die Person Wirkursache (causa efficiens) moralischer Wirkungen.278 Sie ist das Kausalprinzip des moralischen Seins (principium quod).279 Der Person werden die Handlungen zugerechnet – Handlungen sind solche der Person280 – und die Person bestimmt moralisch die Handlungen.281 Ebenso ist die Person Adressat 277
Dazu auch Kobusch, Die Entdeckung der Person, S. 62 ff. S. Suárez, De Voto, Lib. III vor Cap. 1 (persona als causa efficiens, wobei das Vermögen [Wille, Intellekt] des Menschen causa proxima ist; zur Erklärung dessen s. Fn. 281 a.E.); ferner ders., Disp. Met., Disp. 34 Sec. 5 N. 54; s. Gemmeke, Die Metaphysik, S. 84, 87, 91, 187; vgl. Lutz-Bachmann, in: Klein/Menke (Hrsg.), Der Mensch als Person, S. 109, 116. 279 S. Suárez, De Incarnatione, Disp. 4 Sec. 4, S. 36 f.; ders., Disp. Met., Disp. 34 Sec. 7 N. 18; ferner Disp. 18 Sec. 2 N. 1 („principium quod suppositum est, sicut in caeteris actionibus“) sowie sogleich. 280 Suárez, De Incarnatione, Disp. 4 Sec. 4, S. 37 („Actiones enim dicuntur esse suppositi, tamquam eius, quod operatur, quia ipsum est, quod proprie & complete existit“; „actio per se attribuitur subsitenti in tali natura“), S. 38 („Actiones per se sunt suppositorum, & personarum“); Sec. 5, S. 52; ders., Disp. Met., Disp. 34 Sec. 7 N. 8, 18; dazu auch Gemmeke, Die Metaphysik, S. 76, 84 ff., 91. 281 Vgl. Suárez, De Incarnatione, Disp. 4 Sec. 4, S. 35 ff. zum Zusammenhang von moralischem Sein und Person sowie Gemmeke, Die Metaphysik, S. 17, 51 ff., 84 ff., 87: Gegenstand des moralischen Seins sind moralische Handlungen (s. dazu oben S. 76 ff.). Suárez unterscheidet dabei hinsichtlich der Prinzipien von Handlungen zwischen principium quo formale agendi und principium per se quod. Principium ist der Oberbegriff zur Ursache (causa) und meint „das, von dem etwas auf irgendeine Weise ausgeht“ (ders., Disp. Met., Disp. 12 Sec. 1 N. 12, 30). Das Prinzip, mit dem gehandelt wird (principium quo), ist die Natur, d.h. das Menschsein (humanitas, natura) und dessen Vermögen (potentiae; d.h. Wille und Intellekt). Das principium per se quod ist dagegen das suppositum (Suárez, De Incarnatione, Disp. 4 Sec. 4, S. 36 f.; ders., Disp. Met., Disp. 18 Sec. 2 N. 1; Disp. 34 Sec. 7 N. 18), d.h. bei der rationalen Natur die Person. Deshalb ist die Person in moralischer Betrachtungsweise die „Form ihrer Handlung“ („persona operans moraliter est quasi forma propria actionis suae“; Suárez, De Incarnatione, Disp. 4 Sec. 4, S. 38). Die Person, insoweit sie handelt, wählt die Handlungen durch ihre Natur („eliciens illos actus per humanitatem sibi coniunctam“, S. 38), d.h. die Natur ist gleichsam Mittler zwischen Person und Handlung (mediante natura), aber die Person bestimmt moralisch die Handlung („persona operans afficit suam operationem, & moraliter influit in illam; moraliter informat suos actus“, S. 39). Die Person handelt also nicht durch die Subsistenz, sondern durch die Natur als principium quo; aber erst durch die Subsistenz gelangt die Natur zu ihrer vollständigen Bestimmung, und nur kraft dieser vollständigen Bestimmung des „durch sich existierens“ wird die Handlung zugerechnet; Handlung setzt das Sein voraus („operatio sequitur autem esse; & ideo simpliciter tribuitur ei, quod per se existit, scilicet supposito“; Suárez, De Incarnatione, Disp. 4 Sec. 4, S. 37). Nur die Person ist „für sich existierend“ (per se existere; perseitas existendi; s. Suárez, De Incarnatione, Disp. 11 Sec. 3, S. 238 f.). Die Subsistenz ist also notwendige Bedingung dafür, dass der Handelnde zurechenbar handeln kann und wirkursächlich wird (vgl. Suárez, De Incarnatione, Disp. 4 Sec. 4, S. 37; ders., Disp. Met., Disp. 34 Sec. 7 N. 12; s.a. Gemmeke, Die Metaphysik, S. 84 f.). Handlungen sind daher als solche Handlungen der Person, sie werden der Person zugerechnet („Actiones per se sunt suppositorum, & personarum“; Suárez, De Incarnatione, Disp. 4 Sec. 4, S. 38). Während die Handlung in ihrer physischen Entität vom Handlungsprinzip bestimmt wird („actus habet proxime totam suam entitatem physicam a principio agendi“), bestimmt sich der „moralische Wert“ einer Handlung unmittelbar nach der 278
II. Das Naturrecht und die „Metaphysik der Freiheit“
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des Gesetzes (lex fertur ad personam).282 Denn der Mensch ist aufgrund seiner rationalen intellektuellen Natur moralischer Handlungen und damit des Gesetzes fähig (capax legis).283 Das Gesetz gilt nur „für die freie Natur“ und bezieht sich ausschließlich „auf freie Handlungen“.284 Aus der Freiheit folgt das Moralische.285 Wurzel der Freiheit ist wiederum der Intellekt.286 Der Mensch ist seiner rationalen intellektuellen Natur nach wiederum Person.287 Jeder „einzelne Mensch ist wahre Person“ (persona vera).288 Hier zeigt sich folglich der Zusammenhang von moralischem Sein, Recht, Mensch und Person.289 Als ver282 handelnden Person („valor autem moralis immediate sumitur ab ipsa persona operante“; Suárez, De Incarnatione, Disp. 4 Sec. 4, p. 39). Physisch wird die Handlung auf die Natur, d.h. das Menschsein (humanitas) zurückgeführt; moralisch aber auf die Person (vgl. Suárez, De Incarnatione, Disp. 4 Sec. 4, S. 39). Das Moralische bezieht sich zwar auf das Physische (s. dazu oben S. 76 ff.), deswegen wird die Handlung selbst unmittelbar durch die Natur vorgenommen, ihre moralische Bestimmung erhält sie aber von der Person – die Person wird also dem Bereich des Moralischen zugeordnet; nicht die Natur, d.h. die humanitas, sondern die Person ist also das moralisch Relevante. Damit erklärt sich auch, wieso causa efficiens der Verpflichtung zum einen als unmittelbares Vermögen (facultas proxima; principium proximum) Wille und Intellekt, d.h. die Natur sind, zum anderen die Person (Suárez, De Voto, Lib. III vor Cap. 1; vgl. Gemmeke, Die Metaphysik, S. 187). Moralisch wird die Handlung der Person zugerechnet, welche principium quod ist; die moralischen Wirkungen treffen die Person; das principium quo ist demgegenüber der Wille; dieser ist also als Vermögen facultas proxima und insoweit causa efficiens, während die Person causa efficiens im Sinne des Wirkungsgrundes bzw. Zurechnungssubjektes ist. Hieraus erschließt sich wiederum der Zusammenhang zur Unmitteilbarkeit der Person (incommunicabilitas). Unmitteilbarkeit bedeutet die Eigenständigkeit und Abgegrenztheit gegenüber anderen Personen; aber die Person kommuniziert durch ihre Handlungen, deren Wirkursache sie ist (vgl. zu dieser communicatio extrinseca effectiva Suárez, Disp. Met., Disp. 34 Sec. 5 N. 54; dazu auch Gemmeke, Die Metaphysik, S. 84). 282 Suárez, De Legibus, Lib. I Cap. 6 N. 7. 283 Suárez, De Legibus, Lib. I Cap. 3 N. 3; Cap. 6 N. 1; vgl. auch noch Bauer, Lehrbuch des Naturrechts, § 3, S. 3 („Eine sittliche Gesetzgebung ist für den Menschen, wegen seiner sinnlichen Natur nothwendig und vermöge seiner vernünftigen Natur möglich“). 284 Suárez, De Legibus, Lib. I Cap. 3 N. 2 („nam lex non imponitur, nisi naturae liberae, nec habet pro materia nisi actus liberos“); Lib. II Cap. 2 N. 11. 285 Suárez, De Legibus, Lib. II Cap. 2 N. 11 („omne esse morale pendet ex libertate“). 286 Suárez, Disp. Met., Disp. 19 Sec. 5 N. 11 ff.; Lessius, De gratia efficaci, Cap. 5 N. 15 f.; s.a. Achenwall, Ius Naturae, § 7 („Lex igitur est propositio (norma, regula actionum liberarum), secundum quam aliquis actiones suas liberas dirigere obligatur“; „actio libera, quae a libertate mentis dependet, libertas autem mentis humanae (liberum arbitrium hominis) consistit in eius qua entis intellectu praediti facultate, et ad agendum et ad non agendum se ipsum determinandi“). 287 S. Lugo, De Incarnatione, Disp. 12 Sec. 1 N. 4 („persona vero significat solam naturam rationalem, vel intellectualem incommunicabiliter subsistentem. Quare […] homo est persona“); vgl. zum Bezug des Personseins auf die rationale Natur Suárez, Disp. Met., Disp. 34 Sec. 1 N. 13. 288 Suárez, De Legibus, Lib. I Cap. 6 N. 7 („unusquisque autem particularis homo est persona vera“); s.a. Lugo, De Incarnatione, Disp. 12 Sec. 1 N. 4 („homo est persona“). 289 Dazu auch Lutz-Bachmann, in: Klein/Menke (Hrsg.), Der Mensch als Person, S. 109, 114.
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2. Kapitel: Die Entstehung der Konstituenten
nunftbegabtes für sich existierendes Individuum ist der Mensch Person; und als Person ist er rechts-290, gesetzes- und pflichtfähig, da sich Gesetz und Pflicht nur an vernunftbegabte Wesen richten291. Der Mensch ist als Person im moralischen Seinsbereich.292 Personsein ist die rechtlich-moralische Seinsweise des Menschen, auch wenn sich das Personsein nicht darauf beschränkt.293 (b) persona vera und persona ficta Eine Bedeutung dieser Abstraktion zeigt sich darin, dass es nicht nur den einzelnen Menschen (homo singularis) als wahre Person (persona vera) gibt, sondern auch eine Gesamtheit bzw. einen moralischen Zusammenschluss (unio moralis; vinculum morale) von einzelnen Personen als fiktive Person (persona ficta; persona mystica).294 Auch diese fiktiven Personen sind im290
Zur Begründung der Rechtsfähigkeit nur bei der natura rationalis seu intellectualis s. oben bereits S. 67 ff. sowie etwa Lugo, De Iustitia et Iure, Disp. III Sec. I N. 1; Filliucci, Moralium Quaestionum, Tract. 31 Cap. 4 N. 91. 291 Vgl. Suárez, De Legibus, Lib. I Cap. 6 N. 1 f., 7, 17; Lib. II Cap. 2 N. 11; s.a. Palm, in: Gröschner/Kirste/Lembcke (Hrsg.), Person und Rechtsperson, S. 295, 303. 292 S. Gemmeke, Die Metaphysik, S. 87 („Im sittlichen Tun ist der Mensch mit seinem Personsein eingesetzt“). 293 Vgl. Lutz-Bachmann, in: Klein/Menke (Hrsg.), Der Mensch als Person, S. 109, 114 ff., der insoweit Suárez ein Verständnis der Person als „Rechtsperson“ zuschreibt, dabei aber nicht so sehr ein ontologisches Personverständnis als vielmehr ein „dynamisches“ Personverständnis im Sinne einer Aktivität annimmt. M.E. zeigen sich bei Suárez tatsächlich beide Aspekte des Personbegriffs, einmal im Sinne der Aktivität als Wirkgrund und Handelnder im Bereich des moralischen Seins; zum anderen ontologisch als Träger von Rechten und Pflichten, s. dazu gleich noch im Einzelnen. Der Mensch ist aufgrund intrinsischer Eigenschaften seiner Natur, nämlich aufgrund der Vernunftbegabung Person, und insoweit er vernunftbegabt ist, ist er auch zugleich Subjekt im Bereich des moralischen Seins; d.h. durch die Abstraktion von Vernunft und Freiheit, die sich im Personbegriff artikuliert, wird der Mensch mit dem Recht verbunden; s. zur Rechtsfähigkeit und Vertragsfähigkeit die folgenden Fn. D.h. im Gegensatz zu Pufendorf (zur persona moralis unten S. 93 ff.) braucht Suárez keinen Zusatz „moralis“ zu verwenden, um auszudrücken, dass der Mensch als Person dem Bereich des Normativen zugeordnet ist. Dies ergibt sich bereits aus dem Personbegriff selbst, der die Rationalität und Verstandesbegabung zum Wesensmerkmal erhebt und damit den Bezug zum Gesetz und zur Freiheit, und d.h. zum Moralischen herstellt; vgl. auch LutzBachmann, in: Klein/Menke (Hrsg.), Der Mensch als Person, S. 109, 114 ff., der insoweit auch für Suárez von der persona moralis spricht. 294 Suárez, De Legibus, Lib. I Cap. 6 N. 7, ferner N. 17 ff.; Lib. III Cap. 2 N. 4; Cap. 3 N. 6; Cap. 11 N. 7; Cap. 31 N. 7 (persona ficta; corpus mysticum; communitas perfecta; vinculum morale; moralis unio; moraliter unita; moralis coniunctio); ders., Defensio Fidei, Lib. III Cap. 3, S. 117; ders., De Iuramento, Lib. II Cap. 31 N. 8 f.; ders., De Voto, Lib. IV Cap. 9 N. 6 (una persona ficta, seu mystica); ders., De Censuris, Disp. 18 Sec. 2, S. 248 f.; Disp. 29 Sec. 3, S. 385 f. (unum corpus morale); Oñate, De Contractibus, Tract. I Disp. 3 Sec. 1 N. 7 f.; Pérez, De Iustitia et Iure, Disp. IV Cap. 4 N. 62 („respublica, cum sit persona quaedam ficta“); Amicus, De Iustitia et Iure, Disp. XI Sec. 8 N. 154 ff. (zur persona reipublicae: „Princeps sumi potest […] ut gerens personam Reip. […] Sc. ut exprimit personam Reip. non distinguitur moraliter ab illa: quia sub hac formalitate non facit personam distinctam moraliter
II. Das Naturrecht und die „Metaphysik der Freiheit“
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stande, Träger von Rechten und Eigentum zu sein und über diese zu verfü-
a Rep.“); zu Suárez insoweit auch Kobusch, Die Entdeckung der Person, S. 64 f.; Lutz-Bachmann, in: Klein/Menke (Hrsg.), Der Mensch als Person, S. 109, 117; Kirste, in: Bohnert (u.a.) (Hrsg.), FS Hollerbach, S. 319, 351. Zur Diskussion, ob darin der Ursprung der juristischen Person zu sehen ist, gleich S. 96 Fn. 330. Der Begriff persona ficta ist keine Neuschöpfung von Suárez und seinen Schülern, sondern wird bereits von Theologen, Kanonisten und Legisten im Mittelalter verwendet, die neben dem Begriff der persona ficta auch auf die Begriffe persona repraesentata sowie corpus mysticum zurückgreifen; auch von fictio iuris ist dort die Rede, s. umfassend dazu Hofmann, Repräsentation, S. 118 ff., 131 ff. m.Nw.; Todescan, Quaderni Fiorentini 11/12 (1982/83), 59, 63 ff.; Schaede, in: Gröschner/Kirste/Lembcke (Hrsg.), Person und Rechtsperson, S. 31, 51 u.a. mit Verweis auf Bartolus und auf Ockham; vgl. auch Filliucci, Disputationum Moralium, Tract. 44 Cap. 3 mit Verweis auf G. Vázquez, De redditibus ecclesiasticis, Cap. 2 § 1 Dub. 1; bei diesem tauchen zwar die Begriffe persona vera und persona mystica auf, allerdings nicht der der persona ficta, wie dann bei Filliucci; ebensowenig erscheint der Begriff der persona ficta beim frühen Suárez, eher kommt hier das Vermögen den Mitgliedern einer Gemeinschaft/Vereinigung im Sinne eines Kollektivs/Gesamthand zu, s. Suárez, De Iustitia et Iure, Quaestio tertia decima, S. 39; Quaestio quarta decima, S. 58 f.; Quaestio quinta decima, S. 73. Was ist das Neue bei Suárez und den anderen Autoren? Zuvor wurde die persona ficta nicht im Sinne einer „fiktiven Rechtspersönlichkeit“, d.h. als eigenständiger von den einzelnen Personen verschiedener Träger von Rechten und Pflichten, sondern im Sinne einer „ähnlichkeitsweisen Repräsentation“ der Gesamtheit der einzelnen Glieder interpretiert (so Hofmann, Repräsentation, S. 147; s. aber auch Todescan, Quaderni Fiorentini 11/12 [1982/ 83], 59, 64 f.; Schaede, in: Gröschner/Kirste/Lembcke [Hrsg.], Person und Rechtsperson, S. 31, 51). Jetzt aber – und der Grund für diese Entwicklung scheint die Lehre vom moralischen Sein zu sein, die moralontologisch die Schaffung einer künstlichen Person ermöglicht hat, sowie die Verwendung des suarezianischen Personbegriffs – ist die persona ficta selbst Rechtsträger, Rechtssubjekt und vertragsfähig. Sie wird konstituiert durch die moralische Vereinigung, d.h. durch Willensakte der einzelnen Menschen (vgl. Suárez, De Legibus, Lib. III Cap. 3 N. 4: „speciali voluntate, seu communi consensu“; Filliucci, Disputationum Moralium, Tract. 44 Cap. 3 N. 9: certus & determinatus coetus). Die so konstituierte Gesamtheit bildet einen moralischen/rechtlichen Körper (Suárez, De Legibus, Lib. I Cap. 6 N. 20 f.; ders., De Censuris, Disp. 29 Sec. 3, S. 385 f. [unum corpus morale]; Filliucci, Disputationum Moralium, Tract. 44 Cap. 3 N. 39 [unum legitimum corpus]) und wird dadurch selbst ein ens morale, das Zurechnungssubjekt von moralischen Entitäten ist (so auch Kobusch, Die Entdeckung der Person, S. 65, der die persona ficta als ens morale einordnet; s.a. Suárez, De Censuris, Disp. 29 Sec. 3, S. 386). Die persona ficta ist als solche verselbständigt und getrennt von ihren Mitgliedern (dies wird wiederum bei Suárez, De Legibus, Lib. I Cap. 6 N. 7, 17 deutlich, der hier explizit fragt, wer Adressat des Gesetzes ist: die persona ficta als solche und/oder die einzelnen wahren Personen als Mitglieder dieses politischen Körpers?). Insofern unterscheidet Suárez auch (De Censuris, Disp. 18 Sec. 2, S. 248; Disp. 29 Sec. 3, S. 385 f.) zwischen einer communitas als unum corpus politicum/morale und einer Gemeinschaft von Personen, die nicht über eine gemeinsame Organisation verfügt und keinen solchen corpus bildet; nur die erste ist ein corpus morale (aaO, S. 386). Kennzeichen dieses unum corpus morale ist, dass er als solcher (communitas ut communitas) – verselbständigt und verschieden von den Mitgliedern als Einzelpersonen – eigene Handlungen sowie eigene Güter hat (aaO, S. 385: „praecise ut communitas est, id est, quatenus est unum corpus politicum, habens actiones proprias, & bona etiam propria, quae ita pertinent ad totam communitatem, ut ad singulas personas per se non spectent“) sowie dass er selbständig schuldfähig (capax culpae) ist und Subjekt von Strafen sein kann.
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2. Kapitel: Die Entstehung der Konstituenten
gen.295 Fiktive Personen gehen Verträge durch den wahren Willen ihrer Vertreter, d.h. wahrer Personen ein, der für die fiktive Person ihr296 Wille ist.297 Nur Personen, d.h. sowohl die wahre als auch die fiktive Person, sind rechtsfähig298 und können Verträge schließen, weil diese Fähigkeit, Verträge einzugehen, ebenfalls aus Freiheit, Wille und Intellekt folgt.299 Gerade weil die Person – d.h. 295 Auch wenn begrifflich Kontinuität zwischen der kanonistisch-legistischen und der suarezianischen persona ficta zu bestehen scheint, vollzieht sich hier ein grundlegender Wandel: Suárez verwendet einen anderen Personbegriff, der nicht wie im römischen Recht synonym zum Menschen oder positiv-rechtlich als Rechtsträgerschaft bestimmt wird. Deshalb meint persona ficta bei Suárez und den folgenden Autoren etwas anderes als in der mittelalterlichen Rechtswissenschaft und Kanonistik. Was bedeutet es, wenn Suárez hier von einer unio moralis spricht und wie ist das Verhältnis dieser moralischen Einheit zum physischen Substrat, d.h. den einzelnen Menschen? Eine Antwort hierauf gibt Suárez in anderem Kontext, s. Suárez, De Legibus, Lib. I Cap. 5 N. 20: „In his rebus moralibus non oportet quaerere unitatem perfectam & simplicem, sed potest res, quae moraliter una est, ex multis Physice distinctis, & se mutuo iuvantibus constare“. D.h. verschiedene physische Dinge können eine moralische Einheit bilden, die moralisch Eins ist (ebenso können physisch nicht verschiedene Dinge moralisch verschieden sein, Cap. 6 N. 16). Durch den moralischen Zusammenschluss bilden also die einzelnen Menschen eine moralische Entität, nämlich die persona ficta; s.a. Gemmeke, Die Metaphysik, S. 130 f. Vor diesem Hintergrund ist es durchaus plausibel, dass sich gerade in der Lehre vom moralischen Sein ein neues Verständnis der persona ficta nunmehr im Sinne eines verselbständigten eigenständigen Rechtsträgers entsprechend dem suarezianischen Personbegriff etabliert hat. 295 S. Oñate, De Contractibus, Tract. I Disp. 3 Sec. 1 N. 8; vgl. Filliucci, Moralium Quaestionum, Tract. 44 Cap. 3 N. 9, 44. 296 S. dazu, dass die fiktive Person über einen eigenen Willen verfügt, Kobusch, Die Entdeckung der Person, S. 65. 297 Oñate, De Contractibus, Tract. I Disp. 3 Sec. 1 N. 7 f., 24; vgl. auch Suárez, De Iuramento, Lib. II Cap. 31 N. 1, 7 ff. – im Übrigen herrscht aber Mehrheitsprinzip, d.h. die Willensakte der Mehrheit gelten als Willensakt der persona ficta, s. Suárez, De Legibus, Lib. VII Cap. 9 N. 13 („in persona ficta consensus maioris partis censetur totius corporis“). 298 S. Filliucci, Moralium Quaestionum, Tract. 44 Cap. 3 N. 9, 44; ferner Tract. 31 Cap. 4 N. 91: Eigentums- und unrechtsfähig (capax dominii, iniuriae) ist entweder die wahre Person (persona vera), d.h. der einzelne Mensch (homo singularis), oder die persona ficta (N. 9: „qui enim dominus est, debet esse vel persona vera, vel ficta; vera, ut quilibet homo singularis; ficta, ut collegium, vel quaelibet universitas“). Der Grund für den Zusammenhang von Personsein und Rechtsfähigkeit liegt darin, dass nur vernunftfähige freie Wesen rechtsfähig sind (aaO, Tract. 31 Cap. 4 N. 91) – vernunftfähige Wesen sind wiederum Personen (s. dazu oben S. 67 ff., 82 ff.; s.a. aaO, Tract. 44 Cap. 3 N. 44: „personae verae, qualis est homo quilibet particularis“). Mehrere Eigenschaften der persona ficta zeigen sich dabei: die persona ficta muss bestimmt (certa; ex certo & determinato coetu) sein und aus einem bestimmten Zusammenschluss (vgl. zur Erforderlichkeit eines päpstlichen Willensaktes für die Anerkennung und Errichtung kirchlicher persona fictae [aaO, N. 39]) gebildet sein. Unbestimmte Personengruppen (communitas incerta) bilden keine persona ficta (aaO, N. 9, 44). Ferner macht Suárez deutlich, dass ein moralischer Akt der Beteiligten, d.h. eine Willenshandlung (Suárez, De Legibus, Lib. III Cap. 2 N. 4) vorliegen muss, damit auch eine moralische Einheit erzeugt wird, sowie dass eine gewisse Organisation vorhanden sein muss (vgl. ders., De Censuris, Disp. 29 Sec. 3, S. 386). 299 Vgl. Oñate, De Contractibus, Tract. I Disp. 3 Sec. 1 N. 1 f., 7 f., 23 f.; Tract. II Disp. 4 vor Sec. 1 N. 2 ff.; s. ferner (zum votum) Suárez, De Voto, Lib. III vor Cap. 1; Cap. 2 N. 1 ff.,
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nicht nur der Mensch, aber der Mensch als Person300 – für das Recht zentral wird, wird die Abstraktion einer rechtsfähigen persona ficta ermöglicht.301 Damit zeigt sich bei Suárez und anderen in dieser Tradition des moralischen Seins stehenden Autoren der Zusammenhang von Recht, Gesetz und Person.302 300 9; (zum iuramentum) ders., De Iuramento, Lib. I Cap. 14 N. 1; Cap. 14 (2) N. 5; ferner Lib. II Cap. 31 N. 8 ff. (zur persona ficta); Filliucci, Moralium Quaestionum, Tract. 26 Cap. 6 N. 160 ff.; Tract. 33 Cap. 3 N. 38 ff. Der Grund für diesen Zusammenhang von Vertragsfähigkeit und Person besteht darin, dass ein Vertrag einen freien Willensakt (liber consensus) voraussetzt. Ein freier Willensakt wird durch Intellekt und Wille hervorgebracht; Wille und Intellekt sind als facultas proxima die unmittelbare und intrinsische causa efficiens, die Person ist die (extrinsische mittelbare) causa efficiens. Der Mensch ist aufgrund seines Intellekts wiederum Person, der Intellekt ist die Wurzel der Freiheit (s. dazu oben S. 63 ff.) – deswegen können nur Personen Verträge eingehen; Tiere sind dagegen keine Personen und können folglich auch keine Verträge eingehen. Allerdings setzt dies jeweils die Fähigkeit zum Gebrauch der Vernunft voraus, weshalb etwa Kinder und Menschen, die vom Vernunftgebrauch (usus rationis) ausgeschlossen sind, nicht rechtsgeschäftsfähig sind, s. dazu unten noch S. 129. 300 Vgl. Suárez, De Incarnatione, Disp. 11 vor Sec. 1. Die Offenheit des Personbegriffs zeigt sich bereits bei der Definition von Boethius, s. dazu oben S. 75 sowie Lutz-Bachmann, in: Klein/Menke (Hrsg.), Der Mensch als Person, S. 109, 111 („Bei dieser Definition bleibt es wunschgemäß offen, auf welche vernunftbegabten Naturen der Personbegriff Anwendung findet, aber es ist klar, dass der Personbegriff auch allgemein auf die Menschen anwendbar ist. So verstanden wird dem Menschen in seinem Sein der ontologische Status einer „Person“ zugesprochen, da er als ein wirklich individuiertes Wesen mit Vernunftbegabung verstanden werden muss. Person können nach Boethius somit alle vernunftbegabten Naturen genannt werden, die als individuierte Lebenwesen real existieren, also in einem ontologischen Sinne sind“). 301 Vgl. Kobusch, Die Entdeckung der Person, S. 63 ff. 302 Es sind also zwei Elemente des Personbegriffs, die dazu führen, dass dieser zentral wird. Zunächst Suárez’ Aussage, dass die Person kraft Personalität bzw. Subsistenz Zurechnungsgrund ist; Personalität und Subsistenz sind notwendige Bedingung dafür, dass Handlungen zugeordnet werden können (Suárez, De Incarnatione, Disp. 4 Sec. 4, S. 37). Denn Handlungen sind Kausalprozesse, sie bedürfen eines Grundes, der selbst nicht in den Kausalprozess miteingeschaltet ist. Durch die Personalität und Subsistenz, d.h. das Durch-SichExistieren steht die Person außerhalb des Kausalprozesses selbst (s. Suárez, De Incarnatione, Disp. 4 Sec. 4, S. 37: „ipsum est, quod proprie & complete existit: operari sequitur esse; & ideo simpliciter tribuitur ei, quod per se existit, scilicet supposito“). Sie ist nicht Teil des Kausalprozesses, sondern kann diesen als Prinzip in-Gang-setzen (s. zum Vorstehenden oben bereits S. 82 ff. sowie Gemmeke, Die Metaphysik, S. 66 ff., 84 ff.). Deswegen ist die Person principium quod von Handlungen. Aber mit der gleichen Begründung ist auch das suppositum principium quod (s. Suárez, De Incarnatione, Disp. 4 Sec. 4, S. 37). Wieso wird jetzt die Person für das moralische Sein relevant, aber nicht das suppositum? Das moralische Sein hat seinen Grund in der Freiheit; Wurzel der Freiheit sind Vernunft bzw. Intellekt (s. dazu oben S. 63 ff.). Person ist das suppositum der rationalen Natur, d.h. die Person hat Vernunftfähigkeit (s. dazu oben S. 83 Fn. 275). Deswegen ist die Person das principium quod im Bereich des moralischen Seins. Hier kommt jetzt auch der Wille ins Spiel: Während die Person principium quod, d.h. Zurechnungssubjekt ist, ist handelndes principium quo die Natur der Person, d.h. Wille und Intellekt. Weil der Wille das eigentlich freie Vermögen ist, wird dieser zur Wirkursache im moralischen Sein (zum Willen als causa moralis s. Suárez, De Bonitate, Disp. 1 Sec. 2 N. 21). Vor diesem Hintergrund ist wiederum klar, wieso sowohl Person als auch Wille Wirkgrund (causa efficiens)
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Die Person ist die Institution303 bzw. der „Geltungsgrund“304 im Bereich des moralischen Seins. Die Person ist Adressat des Gesetzes und die Person ist – wenngleich hier die erwähnten Einschränkungen der Rechtsfähigkeit305 bestehen – gesetzes-, pflicht-, vertrags- und rechtsfähig. Obwohl die Begriffe „Person“, „Rechtssubjekt“ und „Rechtsfähigkeit“ bei Suárez nicht explizit zusammengefügt werden, liegt das Spezifische dieses Personenverständnisses darin, dass jeder Mensch Person ist.306 Der Mensch steht als Person im moralischen Seinsbereich, wobei die Person Handelnder, Zurechnungssubjekt und Wirkgrund ist.307 Auf diese Weise wird der Personbegriff zu einem normativen Zentralbegriff.308 303 sind: Person als principium quod, d.h. als Zurechnungssubjekt, Wille als principium quo, d.h. als Vermögen, durch das die Person handelt. D.h. erst weil und nachdem dieser spezifische Personbegriff herausgearbeitet wird, der Person als Zurechnungssubjekt im moralischen Sein identifiziert, tritt die Person als rechtlicher Zentralbegriff in Erscheinung. 303 So Kobusch, Die Entdeckung der Person, S. 63 ff. 304 S. Lutz-Bachmann, in: Klein/Menke (Hrsg.), Der Mensch als Person, S. 109, 116 (Person „als die Angabe des Geltungsgrundes moralischer und juridischer Gesetze“); vgl. Suárez, De Incarnatione, Disp. IV Sec. 4, S. 38 („persona operans moraliter est quasi forma propria actionis suae“); ders., De Voluntario, Disp. 5 Sec. 1 N. 1 („personam operantem, quae tamen est causa per se actionis moralis“); ders., De Voto, Lib. III vor Cap. 1 (persona als causa efficiens, wobei das Vermögen [Wille, Intellekt] des Menschen facultas proxima ist). 305 S. dazu oben S. 67 ff. 306 Suárez, De Legibus, Lib. I Cap. 6 N. 7 („unusquisque autem particularis homo est persona vera“); s.a. Lugo, De Incarnatione, Disp. 12 Sec. 1 N. 4 („homo est persona“); Filliucci, Moralium Quaestionum, Tract. 44 Cap. 3 N. 44 („personae verae, qualis est homo quilibet particularis“). 307 Vgl. Gemmeke, Die Metaphysik, S. 91 („Wie die Person Subjekt der sittlichen Akte ist, so ist sie auch Subjekt der sittlichen Wirkungen, Subjekt von Rechsverbindlichkeiten und Rechtsansprüchen“; Fn. weggelassen). 308 Wieso spielt mit und nach Suárez der Personbegriff eine zentrale Rolle? Während etwa Molina (De Iustitia et Iure, Tratc. II Disp. 18) und Lessius (z.B. De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 4 Dub. 1; Cap. 17 Dub. 8) hinsichtlich Rechts- und Geschäftsfähigkeit grundsätzlich vom Menschen sprechen und auch die persona ficta hier noch nicht erscheint, ist bei Suárez, Oñate und Filliucci die persona die zentrale Kategorie (s. etwa Oñate, De Contractibus, Tract. I Disp. 3 Sec. 1 N. 7 f., 23 f.; Tract. II Disp. 4 vor Sec. 1 N. 2; Suárez, De Voto, Lib. III vor Cap. 1; ders., De Iuramento, Lib. I Cap. 14 N. 1; ferner Lib. II Cap. 31 N. 8 ff. [zur persona ficta]; Filliucci, Moralium Quaestionum, Tract. 26 Cap. 6 N. 160 ff.; Tract. 31 Cap. 4; Tract. 32 Cap. 2; Tract. 33 Cap. 3; Tract. 44 Cap. 3 N. 1 ff., 9, 44; vgl. auch noch den frühen Suárez, De Iustitia et Iure, wo weder den Kategorien des moralischen Seins noch der Person eigenständige Bedeutung zukommt). Es heißt nun nicht mehr, qui, sondern quae personae können Verträge eingehen, sind zur Restitution verpflichtet etc. Worin liegt der Grund für diese Verschiebung? Entscheidend ist sicherlich die Lehre vom moralischen Sein, wie im Vorangegangenen deutlich wurde; gerade hieraus erklärt sich die zentrale Stellung des Personbegriffs (auch Oñate und Filliucci sind hiervon besonders beeinflusst). Damit verbunden ist die Verschiebung der rechtlichen Kategorien auf Wille, Intellekt und Freiheit. Ist klar, dass Grundlage der Verpflichtungskraft von Verträgen Wille und Intellekt sind sowie die Rechtsfähigkeit auf Freiheit und Vernunft basiert, dann folgt daraus, dass nur Wesen, die über diese Fähigkeiten verfügen, Verträge eingehen und rechtsfähig sein können. Jeder Vertrag setzt mindestens
II. Das Naturrecht und die „Metaphysik der Freiheit“
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(4) Moralische Kausalität und Recht Vor diesem Hintergrund erschließt sich auch der Zusammenhang von moralischem Sein und Recht. Im moralischen Seinsbereich, dessen Fundament die Freiheit bzw. das Frei-Sein ist, geht es ausschließlich um Seinsweisen der Freiheit, d.h. um moralische Ursachen sowie Wirkungen dieser moralischen Ursachen.309 Die Rechtsübertragung ist ebenso wie die Entstehung einer vertraglichen Verpflichtung moralische Wirkung von Willensakten als moralischen Ursachen.310 Gleichfalls ist die aus einem Gesetz hervorgehende Verpflichtung moralische Wirkung des Willens des Gesetzgebers, die wiederum in dessen Freiheit gründet.311 Der Wille, dem die Freiheit zukommt, ist moralische Ursache.312 Als moralische Ursache bringt er Verpflichtungen sowie beim Vertrag Rechte als Korrelativ der Verpflichtung sowie Rechtsübertragungen hervor.313 309 zwei Personen voraus (Oñate, De Contractibus, Tract. I Disp. 3 Sec. 1 N. 1). Die Person ist nun die entscheidende Kategorie, gleichsam als Oberbegriff für rechtlich tätige Wesen, unter die auch Menschen fallen. Entscheidend ist aber, dass dieser Personbegriff materielle Anforderungen hat, und diese sind dieselben, die gelten, um rechtlich relevant handeln zu können. Im Personbegriff kulminiert gleichsam jene durch die Kategorien des moralischen Seins geprägte Rechtslehre. Die Kategorie der Person betrifft nunmehr auch Personenmehrheiten wie den Staat, Ordensgemeinschaften etc. Können diese Verträge eingehen, Eigentum/Rechte haben? Es bildet sich hierfür wohl nicht zufällig vor allem bei Suárez im Kontext der Staatsphilosophie (s.a. Kobusch, Die Entdeckung der Person, S. 64 f. sowie zuvor) der Sprachgebrauch der persona ficta. Die zunehmende Verselbständigung von Staaten, Ordensgemeinschaften etc. und deren stärker in Erscheinung tretender korporativer Charakter drängen nun die Frage auf, wer Rechtsinhaber ist, d.h. ob auch diese fiktiven Personen Eigentum haben können. Damit zeigen sich verschiedene Entwicklungen am Übergang des 16. zum 17. Jhd., die maßgeblich zur Etablierung des Personbegriffs als zentraler Kategorie beigetragen haben. 309 S. Kobusch, Die Entdeckung der Person, S. 58 f., 60 ff. 310 S. dazu bereits zuvor S. 76 ff., 80 sowie Oñate, De Contractibus, Tract. II Disp. 4 Sec. 1 N. 7 f. 311 S. dazu bereits zuvor S. 81 f. sowie Suárez, De Legibus, Lib. I Cap. 4 N. 8; Cap. 5 N. 17 („obligare autem per legem est effectus moralis, & pendens ex libertate legislatoris“); Cap. 14 N. 4; Lib. III Cap. 20 N. 9 f.; Cap. 27 N. 7. 312 S. dazu zuvor S. 76 ff. 313 S. dazu unten noch S. 121 ff. sowie Oñate, De Contractibus, Tract. II Disp. 4 vor Sec. 1 N. 2 ff.; Sec. 1 N. 7 f.: Unmittelbare Wirkung und causa finalis eines jeden Vertrags ist die Erschaffung der Verpflichtung (N. 7: „Finis intrinsecus immediatus in omni contractu est constituere, seu producere per contractum obligationem“). Die Verpflichtung ist wiederum eine entitas moralis, „die allein durch den freien Willen erschaffen werden“ kann (N. 7: „obligatio est entitas quaedam moralis, & rationis, quae a sola voluntate libera produci, & constitui postulat“). Die Übertragung des Eigentums (dominii translatio) ist mittelbare Wirkung (finis mediatus; Oñate, De Contractibus, Tract. II Disp. 4 Sec. 1 N. 8). Allerdings folgt die Verpflichtung als Wirkung nicht unmittelbar aus dem Willen, sondern aus dem Gesetz; so Suárez, De Legibus, Lib. I Cap. 14 N. 3, 13 mit dem Hinweis, dass die vertragliche Verpflichtung zwar regelmäßig aus dem eigenen Willen folgt („obligatio saepe oritur ex propria voluntate, ut in voto, promissione & quocumque contractu“), dass also das willentliche Versprechen (voluntaria promissio) fundamentum, seu proxima materia der Verpflichtung ist, dass aber ihr Grund (causa) selbst das (Natur-)Recht ist, welches eigentlich
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2. Kapitel: Die Entstehung der Konstituenten
Wirkgrund (causa efficiens) des Vertrags ist als äußere Form bzw. Zurechnungssubjekt (principium quod) die Person, als unmittelbares Vermögen bzw. Mittel (principium quo) dagegen der Wille.314 Moralische Wirkung des Vertrags (productio moralis), dessen Verpflichtungskraft aus dem Willen hervorgeht und der aus der moralischen Vereinigung315 direkter Willensakte, d.h. dem freien Konsens (liber consensus) der vertragsschließenden Personen besteht316, sind die Entstehung von Verpflichtung (obligatio) und Recht sowie die Rechtsveränderung bzw. -übertragung (translatio dominii).317 Rechte, Verpflichtungen, Verträge etc. sind moralische Entitäten (entia moralia).318 Entia moralia können durch andere entia moralia verändert oder aufgehoben wer314 dazu verpflichtet, das Versprechen zu erfüllen. D.h. aus dem Vertrag entsteht die Verpflichtung nur durch das Gesetz (N. 13: „non oritur obligatio, nisi ex virtute legis“). Der Vertrag ist also der Gegenstand, an dessen Vorliegen das Recht die Wirkungen knüpft. Ähnlich Amicus, De Iustitia et Iure, Disp. V Sec. 8 N. 217 („quia obligatio non oritur proxime ex voluntate praecipientis, aut voventis, sed ex materia praecepta aut vota: requiritur autem praeceptum, aut votum ut causa tantum efficiens moralis, constituens rem praeceptam, aut votam in materia virtutis; ea tamen posita, obligatio proxime oritur naturali jure ex materia praecepta, aut vota: praceptum, aut votum praecedit obligationem, ut causa suum effectum“); vgl. auch Achenwall, Ius Naturae, § 182 („omnis obligatio est vel ex lege (tantum seu immediate, puta sine interveniente voluntate personae obligatae) vel ex pacto (simul, quoniam obligatio ex pacto vim suam etiam e lege naturali ad pacta servanda deducit)“). 314 Vgl. zu dieser Diskussion Suárez, De Incarnatione, Disp. 4 Sec. 4, S. 36 f.; ders., De Voto, Lib. III vor Cap. 1 (persona und Wille/Intellekt als causa efficiens; Wille/Intellekt als facultas proxima); Oñate, De Contractibus, Tract. II Disp. 4 vor Sec. 1 N. 2 f. (dafür, dass nur die Person causa efficiens ist, die Willensakte dagegen das Wesen des Vertrags bilden) sowie unten noch S. 121 ff. 315 Oñate, De Contractibus, Tract. I Disp. 3 Sec. 3 N. 44 f. („cum acceptatione coniugatur, & illi debita morali coniunctione uniatur; […] totum esse idem, cum suis partibus simul sumptis, & unitis“). 316 Zur konkreten moralischen Seinsweise des Vertrages, d.h. zu seiner Entstehung, Essenz, Form sowie zur Frage, ob die obligatio nur Wirkung des Vertrages ist oder selbst das „Sein“ (esse) des Vertrags konstituiert, vgl. Oñate, De Contractibus, Tract. I Disp. 1 Sec. 3 N. 20 ff., 24; Tract. II Disp. 6 Sec. 1 N. 13, 17 ff. In der Entstehung (in fieri esse; contractus actualis) ist der Vertrag der Konsens bzw. der Willensakt der Parteien, die das Schuldverhältnis (obligatio) moralisch hervorbringen (productio moralis); in der nachfolgenden habituellen Existenz, d.h. nach seiner Entstehung (in facto esse; contractus habitualis) ist der Vertrag das Schuldverhältnis (obligatio moralis; vinculum morale), das unabhängig vom Fortbestehen des aktuellen Konsenses bis zu seiner Erfüllung oder sonstigem Untergang moralisch besteht. Zugleich ist der Vertrag selbst eine moralische Entität (res moralis), s. Oñate, De Contractibus, Tract. II Disp. 5 Sec. 1 N. 238 („Ratio est, quia contractus est res moralis, unde moralem possibilitatem requirit, & moralem libertatem exigit“); s.a. Disp. 6 Sec. 1 N. 16. 317 Oñate, De Contractibus, Tract. II Disp. 4 Sec. 1 N. 7 f.; Tract. I Disp. 1 Sec. 3 N. 20 ff.; Tract. III vor Disp. 7 N. 1; Disp. 7 Sec. 1 N. 4 ff.; Sec. 2 N. 30. 318 Suárez, De Bonitate, Disp. 1 Sec. 3 N. 5 f.; ders., De Legibus, Lib. III Cap. 3 N. 7; Oñate, De Contractibus, Tract. II Disp. 4 Sec. 1 N. 7 f.; Tract. II Disp. 6 Sec. 1 N. 16 („obligationem […] esse ens non physicum, & naturale, sed ens quoddam morale, quale est […] dominium rei, & caetera iura“); Sec. 4 N. 47 („Nam contractus est compositum quoddam morale ordinatum, & aptum ad transferendum dominium“); Lugo, De Iustitia et Iure, Disp. I Sec. 1 N. 5.
II. Das Naturrecht und die „Metaphysik der Freiheit“
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den, wie die Verpflichtung aus dem Versprechen, die durch einen Erlass untergeht oder angefochten wird.319 Schließlich ist die Schuld (culpa) moralische Wirkung einer freien schlechten Handlung320, wobei Schuld dem Element des Freien der schlechten Handlung entspricht; d.h. aufgrund des Freiseins wird die Handlung dem Handelnden zugerechnet.321 Die zugrundeliegende Konstruktionsform ist bei Suárez die der moralischen Kausalität322, die von der Freiheit, d.h. der Person und ihrem Willen ausgeht.323 Der Bereich des moralischen Seins besteht so als eine eigene, von der Welt des Physischen unterschiedene moralische Wirklichkeit, die durch Person, Freiheit und Wille konstituiert wird.324 bb) Pufendorfs persona moralis Das Neue bei Pufendorf, der die Lehre des moralischen Seins aufgreift325, ist zum einen die bereits erwähnte „methodologische Neubegründung“ des Na319
Suárez, De Bonitate, Disp. 1 Sec. 3 N. 6; ders., De Legibus, Lib. III Cap. 3 N. 7. Suárez, De Bonitate, Disp. 1 Sec. 3 N. 4; s.a. Suárez, De Peccatis, Disp. 7 Sec. 1 N. 3: Auch der reatus poenae, d.h. die Strafbarkeit, ist nichts Physisches, sondern eine moralische Pflicht (debitum morale) mit dem Inhalt, dass derjenige, der die Straftat begangen hat, bestraft werden darf und der Strafende so ein moralisches Recht (ius morale) hierfür hat. 321 S. Suárez, De Legibus, Lib. II Cap. 6 N. 16 (in: Bach/Brieskorn/Stiening [Hrsg.], De Legibus, Lib. II, S. 124/126: „culpa vero dicitur per respectum ad agens cui imputatur; actus autem liber eo ipso quod liber est, imputatur agenti. Ergo si est actus liber et malus, consequenter est peccatum et culpa“; Fn. weggelassen). Wirkung der Schuld ist wiederum die Strafbarkeit, d.h. der reatus poenae (s. Suárez, De Peccatis, Disp. 7 Sec. 1 N. 2 f.). 322 Während die moralische Kausalität die maßgebliche Konstruktionsform bei Suárez ist, wird bei Pufendorf vor allem die Zurechnung (imputatio) die entscheidende Form im Bereich des Moralischen, s. dazu unten S. 96 f. Die moralische Zurechnung (imputatio [moralis]) erscheint zwar auch bei Suárez, aber in spezifischem Kontext (s. dazu unten noch S. 97 Fn. 331). Zur Zurechnung (imputatur, imputatio) der Wirkungen (vor allem zur Schuld; imputari ad culpam) s. z.B. Suárez, De Voluntario, Disp. 1 Sec. 4 N. 9; Disp. 4 Sec. 1 N. 5; Sec. 2 N. 3; ders., De Bonitate, Disp. 5 Sec. 2 N. 5, 8. Wiederum einen anderen Zugriff wählt Lugo (dazu unten S. 106 ff. sowie Lugo, De Incarnatione, Disp. III Sec. 2 N. 42; ders., De Iustitia et Iure, Disp. I Sec. 1 N. 5, 7): bei seiner Konstruktion des moralischen Seins geht es maßgeblich um die moralische Zuordnung von Gegenständen und Objekten. Aus dieser veränderten Konstruktion folgt wiederum ein anderer Rechtsbegriff. 323 Vgl. Kobusch, Die Entdeckung der Person, S. 60, 62, 63. 324 Vgl. Gemmeke, Die Metaphysik, S. 91, 193, 207, die insoweit von der „Welt des Sittlichen“ sowie von der „Welt des sittlichen Seins“ spricht; ebenso Kobusch, Die Entdeckung der Person, S. 63 („Welt des Sittlichen, zu der auch das Recht gehört“). 325 S. Kobusch, Die Entdeckung der Person, S. 67 ff., 71 ff. (unter Hinweis auf die Vermittlung von Pufendorfs Lehrer Weigel; ferner auch Auer, Der privatrechtliche Diskurs, S. 17 ff.; Schweighöfer, Die Begründung der normativen Kraft, S. 12, 169) sowie Pufendorf, De Iure Naturae et Gentium, Lib. I Cap. 1 §§ 2 ff. Die Konzepte und Begriffsbestimmungen ähneln denen von Suárez (zu den Unterschieden gleich noch): ius als qualitas moralis (Cap. 1 § 19 f.); obligatio wird definiert als „per quam quis praestare aut admittere vel pati quid necessitate morali tenetur“ (Cap. 1 § 21); Intellekt und Willen als Vermögen der menschlichen 320
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2. Kapitel: Die Entstehung der Konstituenten
turrechts326; zum anderen die Entwicklung der persona moralis sowie verschiedener Kategorien der entia moralia327 und die seiner Methodik entsprechende systematische Entfaltung dieses Personbegriffs und der Lehre von den entia moralia.328 Der Begriff der persona moralis dient bei Pufendorf der Differen326 Natur (Cap. 3; Cap. 4); Freiheit des Willens (libertas voluntatis; Cap. 4 § 2: „Libertatem vocant facultatem Voluntatis, quae positis omnibus ad agendum requisitis, ex pluribus objectis propositis unum vel aliqua potest eligere, reliqua reiicere; aut uno duntaxat propositio id admittere, vel non admittere, agere vel non agere“); actiones morales als „actiones hominis voluntariae cum imputatione suorum effectuum in vita communi spectati“; actiones voluntariae als „illas, quae a voluntate hominis tanquam a causa libera ita dependent, ut citra ipsius determinationem, ab actibus eiusdem elicitis praevia cognitione intellectus profectam, non fierent; quaeque adeo, ut fiant vel non fiant, in facultate hominis est positum“ (Cap. 5 § 1); causa moralis (Cap. 5 § 3); lex als norma actionum moralium (Cap. 6), deren wesentliches Charakteristikum die obligatio ist (Cap. 6 § 5). 326 Dazu Kobusch, Die Entdeckung der Person, S. 67 ff.; s. dazu oben S. 61. 327 S. Kobusch, Die Entdeckung der Person, S. 75. Zur persona moralis und den entia moralia bei Pufendorf s. etwa Lipp, Quaderni Fiorentini 11/12 (1982/83), 217, 222 ff.; Auer, in: Gröschner/Kirste/Lembcke (Hrsg.), Person und Rechtsperson, S. 81, 84 ff. Zu den Kategorien status und persona moralis s. Pufendorf, De Iure Naturae et Gentium, Lib. I Cap. 1 § 6. 328 Kobusch, Die Entdeckung der Person, S. 74 ff.; Lutz-Bachmann, in: Klein/Menke (Hrsg.), Der Mensch als Person, S. 109, 114 f. (zur Übernahme des Begriffs der persona moralis). Pufendorf deutet den moralischen Seinsbereich dabei nicht als Kreation der Verstandeswelt, d.h. so, als ob die entia moralia selbst Schöpfungen der intelligiblen Entitäten sind, sondern vielmehr als „Beilegungen“, um das Leben und die Freiheit zu ordnen und zu gestalten; s. Pufendorf, De Iure Naturae et Gentium, Lib. I Cap. 1 §§ 3 („superadditi ab entibus intelligentibus“), 4 f. (impositio); zur (nicht ganz eindeutigen) Bedeutung dieser impositio s. Kobusch, Die Entdeckung der Person, S. 73 f.; Lipp, Quaderni Fiorentini 11/12 (1982/83), 217, 223 f.; Röd, Geometrischer Geist und Naturrecht, S. 84. Nach Denzer (Moralphilosophie und Naturrecht bei Samuel Pufendorf, S. 67) sind die entia moralia bei Pufendorf „alles Sein, was über sich selbst in Freiheit entscheiden kann oder was durch schöpferische Willensentscheidung eben diesem Sein zugeordnet wurde“. Nach Auer (in: Gröschner/Kirste/Lembcke [Hrsg.], Person und Rechtsperson, S. 81, 85 f.) versteht Pufendorf die entia moralia mit Ausnahme der persona moralis (Auer, aaO, S. 87) als modi, d.h. als „wesentliche, definierende Eigenschaften“, die „nicht ohne eine bestimmte – physische – Substanz bestehen können“ und „eine impositio, als die normative Überlagerung eines zunächst rein physischen Objekts durch die Beilegung eines Sinn- oder Wertgehalts“ voraussetzen. Dabei wird auch bei Pufendorf „die Freiheit des Willens […] zur naturrechtlichen Prämisse der entia moralia“ (Lipp, Quaderni Fiorentini 11/12 [1982/83], 217, 224 f.), „Entstehungs-, Änderungs- und Erledigungsgrund der entia moralia ist die menschliche Willensfreiheit“ (aaO, S. 227; ähnlich Denzer, Moralphilosophie und Naturrecht bei Samuel Pufendorf, S. 67: „Die Willensfreiheit zur vernunftgemäßen Gestaltung des Lebens und des Handelns ist, was entia moralia von entia physica unterscheidet“; Auer, in: Gröschner/ Kirste/Lembcke [Hrsg.], Person und Rechtsperson, S. 81, 91: „die Welt der entia moralia läßt sich […] geradezu als Welt der Wesen definieren, die über ihr Sein in Freiheit und kraft vernunftgemäßer Gestaltung entscheiden können“). S. aber auch Guarini, Juris naturae et gentium principia, Pars Prior, Cap. 1 §§ 4 f., der Pufendorfs Verständnis der entia moralia dahingehend auslegt, dass deren moralische Seinsweise nicht aus dem Frei-sein, sondern aus ihrem Bezug zum Gesetz, d.h. der (Nicht-)Übereinstimmung mit der moralischen Norm resultiert (in diese Richtung aber eher Achenwall, Elementa Iuris Naturae, § 177 [„et quidem cum facultate legibus moralibus conformi, id est facultati morali“]). Ein solches Verständnis wäre freilich konträr zu Suárez, denn nach ihm ist etwas nicht moralisch wegen des Geset-
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zierung von physischem (entia physica) und moralischem Seinsbereich (entia moralia), d.h. die persona moralis gehört gleichfalls wie ihre Handlungen als ens morale zum moralischen Seinsbereich.329 Persona moralis ist dabei entwezes,329sondern wegen der Freiheit; die Freiheit, die das Moralische begründet, geht nämlich dem Gesetz voraus – weil der Mensch frei ist, kann sein Handeln durch das Gesetz geregelt werden (s. Suárez, De Bonitate, Disp. 1 Sec. 2 N. 10; Kobusch, Die Entdeckung der Person, S. 59). S. ferner zum Verhältnis von Pufendorf zu den Scholastici Darjes, Observationes, Obs. XIV § 4, Sch. III („Itaque secundum Pufendorfium moralitas actionum consistit in imputativitate. Quum vero per imputativitatem Scholastici id intelligant, quod efficit, ut actio possit imputari: & quum actio ea ex ratione imputari possit, quia se ad libertatem refert; manifestum est, Pufendorfium effectum posuisse pro caussa, ideoque & huius Philosophi principiis conveniens esse, moralitatem definire per relationem actionis ad libertatem, quam Imputativitas consequitur“). Einen anderen, zu Suárez konträren Zugang hatte zuvor Gabriel Vázquez genommen (Gabriel Vázquez, Commentaria in I-II, Disp. 129 Cap. 7 N. 23 ff.): Bei ihm sind die entia moralia nichts Reales (ens reale), sondern nur äußere Verstandesprodukte der intellegiblen Wesen, die Handlungen zugeordnet werden. Die entia moralia sind damit keine realen Seinsweisen, sondern nur Gedankendinge bzw. äußere Zuschreibungen mit fundamentum in re. Es gibt damit keinen eigenständig-wirklichen moralischen Seinsbereich (s. Kobusch, Die Entdeckung der Person, S. 55 f.; in diese Richtung, wenngleich offenlassend, auch Oñate, De Contractibus, Tract. II Disp. 6 Sec. 1 N. 16 [„probabilius videtur esse ens rationis. Quia licet resultet ex actibus realibus nostrae voluntatis, praesupponit actus quosdam, & res rationis, & non fit per veram, & realem productionem, sed per resultantiam quandam moralem“]). Demgegenüber ist nach Suárez das esse morale kein ens rationis, d.h. nicht eine bloße Schaffung des Intellekts (Suárez, De Bonitate, Disp. 1 Sec. 2 N. 1, 19; s.a. Lutz-Bachmann, in: Klein/Menke [Hrsg.], Der Mensch als Person, S. 109, 115), sondern eine „Realität sui generis“ (Gemmeke, Die Metaphysik, S. 27, 171 ff.; dazu auch Kobusch, Die Entdeckung der Person, S. 56 ff., 63). Es hat nämlich eine eigene Kausalität und reale Eigenschaften; seine Existenz ist allerdings nicht etwas Physisches bzw. der moralischen Handlung Intrinsisches, sondern leitet sich von seiner Beziehung zum (freien) Willen ab, insoweit dieser frei ist; d.h. das, was das esse morale dem Willensakt hinzufügt, ist seine Abhängigkeit und sein Bezug zu Vernunft und freiem Willen (Suárez, De Bonitate, Disp. 1 Sec. 2 N. 15 ff., 19; s.a. Kobusch, Die Entdeckung der Person, S. 56 ff., 62 f.). 329 S. Kobusch, Die Entdeckung der Person, S. 74 ff.; Lipp, Quaderni Fiorentini 11/12 (1982/83), 217, 223, 231; Auer, in: Gröschner/Kirste/Lembcke (Hrsg.), Person und Rechtsperson, S. 81, 84; dies., Der privatrechtliche Diskurs, S. 18 f.; Kirste, in: Gröschner/Kirste/ Lembcke (Hrsg.), Person und Rechtsperson, S. 345, 362 (der Mensch ist „Person als Teil der vernünftigen moralischen Welt“); ders., in: Bohnert (u.a.) (Hrsg.), FS Hollerbach, S. 319, 351 („Pufendorf versteht die persona moralis als ens morale in einer durch freie Willensentscheidung gesetzten moralischen Ordnung […]. In dieser moralisch-rechtlichen Ordnung als einer Art zweiten Natur durch den Menschen ist die Person Rechtssubjekt und als solches der bloß „natürlichen“ Person entgegengesetzt“); vgl. Pufendorf, De Iure Naturae et Gentium, Lib. I Cap. 1 § 6. Pufendorf trägt mit seinem Begriff der persona moralis teilweise zur Klärung, teilweise aber auch zu einer Unschärfe bei: Einerseits macht er hierdurch die Eigenständigkeit des moralischen Seinsbereichs deutlich, indem er unter dem Begriff der persona moralis die moralische Seinsweise des Menschen besonders zum Ausdruck bringt. Andererseits löst er dadurch den univoken Personbegriff auf und spaltet ihn in verschiedene Unterbegriffe, die die Einheit der Person infragestellen und gleichzeitig die Abgrenzung des Menschen als Einzelperson zur „juristischen Person“ (persona moralis composita) verschwimmen lässt. So wird Pufendorfs Begriffsbestimmung auch nur teilweise gefolgt. Bei Nettelbladt (Systema Elementare, §§ 43 ff.) etwa heißt nur die persona composita, d.h. die eine Einheit
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der der einzelne Mensch (persona moralis simplex) oder eine aus mehreren Menschen bestehende Einheit (persona moralis composita), die durch ein vinculum morale zu einem System zusammengefügt wird und der so ein Wille (una voluntas) zukommt.330 Ferner ist auf zwei weitere Elemente von Pufendorfs Lehre von den entia moralia hinzuweisen, die eine Verschiebung zu Suárez darstellen: zum einen ist hier nicht die Kausalität, sondern die Zurechnung (imputatio) die maß-
330 bildende Personenmehrheit, persona moralis, der einzelne Mensch ist hingegen persona (physica, singularis); ähnlich auch Pütter/Achenwall, Elementa Iuris Naturae, § 540 („socii considerantur ut una persona, qualis persona ficta ex pluribus composita dicitur moralis seu mystica“). 330 S. Pufendorf, De Jure Naturae et Gentium, Lib. I Cap. 1 § 12, § 13; s.a. § 15 (dort zur Auseinandersetzung mit den Begriffen persona ficta; persona vera); dazu auch Kirste, in: Bohnert (u.a.) (Hrsg.), FS Hollerbach, S. 319, 351 f., dabei auch mit dem Hinweis, dass später die persona moralis composita nur noch persona moralis genannt wird, in Abgrenzung zum Menschen als persona physica; Kobusch, Die Entdeckung der Person, S. 75 f. Ist die persona ficta bei Suárez oder die persona moralis composita bei Pufendorf der Vorläufer der „juristischen Person“ bei Savigny (dazu unten S. 171)? Zu dieser Diskussion s. Kobusch, Die Entdeckung der Person, S. 65, 76 f.; kritisch-verneinend Lipp, Quaderni Fiorentini 11/12 (1982/83), 217, 221 f., 230 ff., 233 ff., 243 ff., 248 ff., 253 ff. Die ablehnende Argumentation, die die Entstehung der juristischen Person auf die Wende zum 19. Jhd. und insbesondere Savigny verlagert, stützt sich entscheidend darauf, dass erst dadurch die Vorstellung „eines von der natürlichen Person unabhängigen, eigenständigen Rechtssubjektes“ entwickelt wird, das nicht als moralisches, sondern als juristisches Dasein besteht (vgl. Lipp, aaO, S. 221 f. unter Verweis auf Savigny, System Bd. 2, § 85, S. 240 f.) und dessen wesentliche Bedeutung in der vermögensrechtlichen Verselbständigung in Gestalt eines eigenen Rechtsträgers liegt (Lipp, aaO, S. 237). Ferner wird argumentiert, dass es an der Konzeption einer allgemeinen Rechtsfähigkeit des Rechtssubjekts fehle, was Voraussetzung einer Anerkennung von Rechtsfähigkeit außerhalb des individuellen Menschen sei, d.h. aus der Erfassung als persona moralis folgt nichts für die Frage der Rechtsfähigkeit (Lipp, aaO, S. 233 f.). Natürlich ist es richtig, dass die persona moralis dem Seinsbereich des Moralischen zugehörig ist, der den rein rechtlichen Bereich übersteigt und nicht nur Rechtspflichten zum Gegenstand hat (vgl. Lipp, aaO, S. 230: „Recht und Sittlichkeit als eine uniforme und homogene Sphäre umschließender Charakter“ der entia moralia). Es ist aber gerade das Wesen dieser Entwicklung, dass die Kategorien der Lehre vom moralischen Sein auf den rechtlichen Bereich übertragen bzw. reduziert werden und so zu juristischen Zwecken verwendet werden, gerade in dieser Übertragungsleistung liegt ein wesentlicher Zug der rechtlichen Entwicklungen des 19. Jhd. (s. dazu unten S. 163 ff.). Ferner zeigt sich etwa bei Oñate sehr deutlich der Zusammenhang von Personsein und Rechts(geschäfts-)Fähigkeit: Es geht nämlich um die Frage, wie die persona ficta, die Rechte haben kann, vertraglich über diese Rechte verfügen kann; die persona ficta selbst ist Träger von Rechten und Pflichten und kann darüber verfügen, wenngleich sie hierfür natürlicher Personen mit einem wirklichen Willen als ihrer Vertreter bedarf (Oñate, De Contractibus, Tract. I Disp. 3 Sec. 1 N. 7 f.; die Argumente, die Lipp [aaO, S. 244 ff.] gegen Wolff erhebt, treffen also bei Oñate nicht zu). Insofern ist hier Kontinuität in bestimmter Hinsicht zu bejahen. Sieht man ferner die terminologische Diskussion im 19. Jhd. bei Savigny, Windscheid etc. („moralische Person“, „fingierte Person“; s. die Nw. unten S. 171 im Einzelnen), dann zeigt sich auch eine Kontinuität in der Terminologie.
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gebliche Kategorie.331 Pufendorf wählt danach ein anderes Organisationsprinzip für die Konstruktion des moralischen Seinsbereichs.332 Zum anderen wird nicht das subjektive Recht, sondern vor allem die Pflicht zentral.333 Ins331 Zur Zentralität des Begriffs der Zurechnung (imputatio) bei Pufendorf, s. etwa ders., De Iure Naturae et Gentium, Cap. 5 §§ 1 ff., Cap. 9 §§ 1 ff.; vgl. dazu auch (im Kontext der Lehre vom moralischen Sein) Kobusch, Die Entdeckung der Person, S. 78, 184; ferner zur Zurechnungslehre bei Pufendorf etwa Denzer, Moralphilosophie und Naturrecht bei Samuel Pufendorf, S. 80 ff. Das bedeutet aber nicht, dass bei Suárez Zurechnung keine Rolle spielt. Der Begriff der imputatio ist bereits bei Thomas v. Aquin entwickelt und spielt etwa für die Frage der Schuld (imputari ad culpam) und Strafe (ad poenam) eine zentrale Rolle (dazu umfassend Gläser, Zurechnung, S. 17 ff., 23 ff.; zum Begriff der imputatio moralis z.B. Suárez, De Voto, Lib. I Cap. 10 N. 8), ferner bei der Zurechnung von Schäden im Kontext der Restitutionslehre (s. z.B. Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 9 Dub. 16 N. 110; Dub. 18; Lugo, De Iustitia et Iure, Disp. VIII Sec. 6 N. 72). Schuld bedeutet dabei die Zurechnung einer freien schlechten Handlung insoweit, als sie frei ist; Grund der Zurechnung ist die Willensfreiheit (s. nur Suárez, De Legibus, Lib. II Cap. 6 N. 16 [„actus autem liber eo ipso quod liber est, imputatur agenti“; in: Bach/Brieskorn/Stiening [Hrsg.], De Legibus, Lib. II, S. 124/126; Fn. weggelassen]; ders., De Voluntario, Disp. 4 Sec. 1 N. 5 [„actus enim imputatur ad culpam quatenus voluntarius est“]; ferner bereits Thomas v. Aquin, STh, I, q. 22,2 ad quint.; q. 23,3 ad sec.; I-II, q. 21,2 resp.). Allerdings kommt neben der Zurechnung bei Suárez vor allem der moralischen Kausalität eine wesentliche Bedeutung zu, wohingegen diese bei Pufendorf zwar erscheint, aber eher marginal ist (s. zum Begriff causa moralis Pufendorf, De Iure Naturae et Gentium, Lib. I Cap. 5 § 3). Das Vertragsrecht wird nämlich bei Suárez (vgl. Suárez, De Voto, Lib. I Cap. 10 N. 8: „non contrahitur per moralem imputationem, sed per directam voluntatem“ – insoweit als Gegenbegriff zum direkten Willensakt, der die Verpflichtung begründet) ausdrücklich nicht über die moralische Zurechnung, sondern über die moralische Kausalität konstruiert. Im späteren Naturrecht des 18. Jhd. wird dagegen die Kausalität wieder präsenter, und zwar wiederum im vertragsrechtlichen Kontext, s. dazu unten S. 124 Fn. 468. 332 Vgl. dazu und zum Folgenden auch ansatzweise Gmür, Rechtswirkungsdenken in der Privatrechtsgeschichte, S. 152 (im Hinblick auf das „Rechtswirkungsdenken“: „Zwei der grössten Naturrechtslehrer, Pufendorf und Wolff, konnten das Rechtswirkungsdenken auch deshalb nur beschränkt zur Geltung bringen, weil sie, bewusst oder unbewusst an die scholastische Moralphilosophie anknüpfend, nicht primär nach den Rechten der Menschen, sondern nach den Pflichten fragten, also nach einem durch Gebotssätze zu formulierenden Sollen, während sie die Rechte lediglich als notwendige Konsequenzen von Pflichten aus solchen herleiteten“; Fn. weggelassen). 333 Zur Zentralität der Pflicht (officium) bei Pufendorf s. Fezer, Teilhabe und Verantwortung, S. 186; Jansen, Theologie, S. 197; ders., Haftungsrecht, S. 337; Unberath, Vertragsverletzung, S. 56; E. Wolf, Naturrechtslehre, S. 136; Gmür, Rechtswirkungsdenken in der Privatrechtsgeschichte, S. 152; ferner Auer, AcP 208 (2008), 584, 603, 604 ff.; Pawlik, Das Unrecht des Bürgers, S. 101 f. Fn. 554; vgl. Pufendorf, De Officio, Lib. I Cap. 1 § 1; Cap. 6 §§ 1 ff. (dort vor allem zum Haftungsrecht, das im Gegensatz zur Restitutionshaftung rein pflichtenorientiert ausgestaltet ist, s. dazu unten noch S. 135 ff.). Der Aufbau folgt den verschiedenen Pflichtendimensionen (Pflichten gegenüber Gott, sich selbst und den anderen [auch hinsichtlich dieser Pflichten: neminem laedere]); De Officio, Lib. I Cap. 4 ff. Im Hintergrund dessen, dass bei Pufendorf die Pflicht zentral wird, steht auch seine veränderte Zielbestimmung des Naturrechts, wonach dieses jetzt gesellschaftsbezogen ist (s. dazu oben bereits S. 61 f. sowie Jansen, Theologie, S. 197 Fn. 355; Pufendorf, De Officio, Praefatio, §§ 4, 8; Lib. I Cap. 3 § 9). Ebenso kommt bei Wolff zunächst die Pflicht, Rechte sind die Konsequenzen der Pflichten, die Konstruktion des Systems bei Wolff konstituiert sich um die Pflichten,
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besondere letzter Aspekt wird noch für das Haftungsrecht von Bedeutung sein.334 cc) Wolffs homo moralis und die Rechtsfähigkeit Wolff verbindet in der Folge moralisches Sein und Rechtsfähigkeit explizit, indem er den Menschen, insofern er moralisch (homo moralis) ist, als Rechtssubjekt kennzeichnet.335 Der homo moralis ist Träger von Rechten und Pflichten (homo moralis est subjectum obligationum atque iurium; obligationum atque jurium capax).336 D.h. Rechtssubjekt ist der Mensch nicht in seiner physischnatürlichen Essenz (essentia physica), sondern in seiner moralischen Essenz (essentia moralis)337 als ens morale bzw. persona moralis.338 Grund hierfür ist, 334 s. Wolff, Jus Naturae, Pars I, § 23 („Jus oritur ex obligatione passiva. […] Jus igitur cur sit & cur tale sit rationem sui habet in obligatione passiva“), § 24 („Quoniam jus oritur ex obligatione (§. 23.), id vero, ex quo alterum oritur, eodem prius est (§. 22); obligatio prior est jure, hoc est, ante ponenda est aliqua obligatio quam jus aliquod concipi possit“); s. dazu sogleich. Anders dagegen die scholastische Tradition der De Iustitia et Iure-Traktate, deren Aufbau sich ganz um die subjektiven Rechte bzw. das dominium konstruiert – explizit insoweit Lugo, De Incarnatione, Disp. III Sec. 2 N. 42 f., wonach das (subjektive) Recht das erste Konzept (primus conceptus) ist, Unrecht (iniuria) dagegen erst die Folge; s. ferner zum Aufbau der Traktate, der sich um das ius und dominium herum konstituiert, ders., De Iustitia et Iure, Disp. I ff.; Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 3 ff. 334 S. dazu unten näher S. 135 ff.; dazu auch Jansen, Haftungsrecht, S. 337 ff. 335 S. Wolff, Jus naturae, Pars I Cap. I § 70; s.a. ders., Institutiones Juris Naturae et Gentium, § 96 („Homo persona moralis est, quatenus spectatur tanquam subjectum certarum obligationum atque jurium certorum“); dazu Kobusch, Die Entdeckung der Person, S. 87 ff.; Röd, Geometrischer Geist und Naturrecht, S. 136; Lipp, Quaderni Fiorentini 11/12 (1982/ 83), 217, 238 ff. Letztlich zeigt sich darin in gewisser Hinsicht eine Verbindung von Personbegriff der Freiheitsmetaphysiktradition und humanistischem Personbegriff, vgl. dazu oben S. 73 f. und S. 82 ff. 336 Wolff, Jus naturae, Pars I, § 70. 337 S.a. Wolff, Philosophia Practica Universalis, Pars II, §§ 7, 13: Wolff unterscheidet zwischen dem moralischen und dem physischen Leben („Lebenswandel“) (vita moralis – vita physica). Gegenstand der vita moralis ist der Inbegriff aller freien Handlungen (complexus actionum liberarum), dagegen bezieht sich die vita physica/naturalis auf die natürlichen Handlungen. Freie Handlung ist wiederum diejenige, die im Gegensatz zur natürlichen notwendigen Handlung (actio naturalis/necessaria) „von der Willensfreiheit ausgeht“, s. Wolff, Philosophia Practica Universalis, Pars I, §§ 12, 33 („libera est actio, quae a libertate voluntatis pendet“); s. aber auch ders., Philosophia Practica Universalis, Pars I, § 134 zum Begriff der moralitas, der dort der Richtigkeit einer Handlung zugeschrieben wird; vgl. später etwa auch noch Bauer, Lehrbuch des Naturrechts, § 2, S. 2 Fn. a), der unter „moralisch, ethisch oder sittlich“ „Uebereinstimmung der freien Handlungen“ versteht, was entsprechend „der älteren und weiteren Bedeutung“ „das Tugendliche und Rechtliche begreift“. 338 S. Wolff, Jus naturae, Pars I, § 70 (dort auch zur Unterscheidung von homo moralis und homo physicus); s. ferner ders., Institutiones Juris Naturae et Gentium, § 96, wonach der status moralis durch die Verpflichtungen und Rechte bestimmt wird; s.a. Röd, Geometrischer Geist und Naturrecht, S. 136; Lipp, Quaderni Fiorentini 11/12 (1982/83), 217, 239 ff.; s. ferner Kobusch, in: Gröschner/Kirste/Lembcke (Hrsg.), Person und Rechtsperson, S. 1, 15 f. (homo moralis als „Mensch als Mensch“ bzw. „Mensch als Freiheitswesen“).
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dass nach Wolff jeder Mensch, weil er Mensch ist (quatenus homo est), bestimmte angeborene Rechte (jura connata) hat, über die er nicht verfügen kann.339 Den homo moralis treffen aufgrund seiner Natur und Essenz340 angeborene Pflichten, was die Essenz des homo moralis konstituiert.341 Deswegen hat er auch angeborene Rechte (jura connata) – denn aus der Pflicht folgt bei Wolff das Recht.342 Recht (jus) ist wiederum eine moralische (Handlungs-)Befugnis (facultas moralis agendi).343 Der Mensch ist nun, inso-
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Wolff, Jus Naturae, Pars I, §§ 28, 29, 33, 64; ders., Institutiones Juris Naturae et Gentium, §§ 74, 68; zu diesen angeboren Rechten gehören u.a. aequalitas, libertas, jus securitatis, jus defensionis sowie jus puniendi (aaO, § 95); von den angeborenen Rechten/Pflichten werden die erworbenen Rechte/Pflichten abgegrenzt (aaO, § 100). 340 Diese Begründung hat mit dem Naturrechtsansatz bei Wolff zu tun; so ist das Naturrecht in der Natur und Essenz des Menschen begründet, s. etwa Wolff, Philosophia Practica Universalis, Pars I, §§ 135 f. („lex naturae rationem sufficientem in ipsa hominis rerumque essentia & natura cognoscit“); s.a. ders., Institutiones Juris Naturae et Gentium, § 39. Entsprechend gründet auch die natürliche Verpflichtung in der Natur und Essenz des Menschen, s. ders., Institutiones Juris Naturae et Gentium, § 69; dem folgend auch die angeborene Pflicht, s. ders., Jus Naturae, Pars I, § 17 („Obligatio connata dicitur, cujus ratio proxima in ipsa hominis essentia atque natura continetur“). Die Natur des Menschen wiederum ist in allen Menschen dieselbe, die „Menschen sind ihrer Natur nach gleich“ (naturalis hominum aequalitas), d.h. auch die aus der Natur und Essenz folgenden Rechte und Pflichten der Menschen sind bei allen gleich (ders., Institutiones Juris Naturae et Gentium, §§ 70, 76; ders., Jus Naturae, §§ 80 f.). 341 Wolff, Jus Naturae, Pars I, § 71 („Essentia hominis moralis consistit in obligationibus primitivis“); §§ 11, 17, 40 f.; ders., Institutiones Juris Naturae et Gentium, §§ 74, 68; s. Lipp, Quaderni Fiorentini 11/12 (1982/83), 217, 239 f., 241 f. (zur Identität von obligatio primitiva und obligatio connata); während die „obligatio connata dicitur, cujus ratio promixa in ipsa hominis essentia atque natura continetur“ (Wolff, Jus Naturae, Pars I, § 17), ist die obligatio primitiva (aaO, § 40) die Verpflichtung, die „rationem proximam in essentia atque natura hominis habet“ – und dies ist die Pflicht, seinen eigenen Körper zu erhalten („obligatio conservandi corporis sui“). 342 S. Wolff, Jus Naturae, Pars I, §§ 23, 24 („Jus oritur ex obligatione“; „obligatio prior est jure“); s.a. zu den angeborenen Rechten im vorliegenden Kontext Kobusch, Die Entdeckung der Person, S. 89 f. 343 S. Wolff, Jus naturae, Pars I, §§ 26, 71, ferner § 13 („Jus universale est, quod homini cuilibet competit, quatenus homo est“), § 23 („Jus oritur ex obligatione passiva“); ders., Institutiones Juris Naturae et Gentium, § 74. Zu diesem Zusammenhang bei Wolff, wonach Rechte die Konsequenzen der Pflichten sind, d.h. die Pflicht dem Recht vorausgeht, indem der Mensch auf das, was zur Erfüllung der Pflicht notwendig ist, ein Recht hat, um die Pflicht erfüllen zu können, s.a. Wolff, Institutiones Juris Naturae et Gentium, § 45, § 46 („Facultas ista, seu potentia moralis agendi dicitur Jus. Unde patet, Jus oriri ex obligatione passiva, nec jus ullum fore, si nulla esset obligatio, & lege naturae nobis dari jus ad ea, sine quibus obligationi naturali satisfacere non possumus. […] Quodsi ergo lex naturae obligat ad finem, jus quoque dat ad media“); Gisawi, Der Grundsatz der Totalreparation, S. 72. Pflicht ist zunächst die Pflicht, „die Handlungen vorzunehmen, die auf die Vollendung des Menschen und seines Status zielen“ (aaO, § 43). Weil es Pflicht des Menschen ist, sich selbst zu vervollkommnen und zu erhalten, hat der Mensch auch ein Recht auf Nahrung, s. aaO, §§ 43 ff., 46 („Ita jus datur ad usum ciborum, quia corpus nostrum conservare obligamur, & id consistit in facultate de cibis obligationi huic convenienter disponendi“), ferner § 114; s.a. Achenwall,
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fern er Subjekt von Rechten und Pflichten ist, homo moralis bzw. persona moralis.344 Die moralische Seinsweise des Menschen besteht also (ausschließlich) darin, dass er Rechtssubjekt ist, und diese Seinsweise, Rechtssubjekt zu sein, kommt dem Menschen aufgrund seiner Natur zu.345 Allerdings zeigt die Behandlung etwa der Sklaven bei Wolff346, dass hier keine „allgemeine Rechtsfähigkeit“ zugrunde liegt, d.h. dass „jeder Mensch Träger eines jeden Rechts sein kann“347; sie sind zwar Person und homo moralis, aber verfügen entsprechend dem ihnen zugewiesenen „Status“ nur über einen eingeschränkten Kreis von Rechten.348
3. Subjektive Rechte a) Recht als moralische Befugnis aa) Überblick Mit der Lehre vom moralischen Sein ist ferner die Entwicklung des Rechtsbegriffs verbunden.349 Die Unterscheidung des Rechtsbegriffs in objektives Ius344 Naturae, § 64 („ius naturale internum et perfectum in corporis vitaeque suae conservationem; […] ius naturale externum ad ea agenda omnia, quae conservationi corporis et vitae alterius non adversantur“; „haec iura ipsi competunt, quatenus est homo“). 344 S. die Fn. zuvor sowie Kobusch, Die Entdeckung der Person, S. 88. 345 Vgl. Wolff, Institutiones Iuris Naturae, § 96 („Homo persona moralis est, quatenus spectatur tanquam subjectum certarum obligationum atque jurium certorum“); vgl. auch Darjes, Institutiones, § 9 („Statum ergo moralem definire possumus collectionem iurium, quae in subiecto quodam, ut existentia sumuntur […].“; „Sch. II Ius hic sumitur pro qualitate personae. Ergo persona sensu iuridico est homo certo quodam statu, inde regula Iuris: quidquid nullo statu gaudet, non persona, sed res habetur“); § 24 Sch. („Plures homines unam personam moralem posse constituere, ita evinco: Persona moralis est homo, quatenus certum habet statum moralem. Status moralis iuribus constituitur. Plures itaque homines, quibus ad commune aliquid obtinendum concessa sunt iura, in uno eodemque statu morali vivunt, atque ideo unam personam moralem constituunt. Ex quo manifestum est, a personalitate, ut ita dicam, physica ad personalitatem moralem non valere consequentiam“); s.a. Auer, in: Gröschner/Kirste/Lembcke (Hrsg.), Person und Rechtsperson, S. 81, 96, wonach der moralische Mensch bei Wolff „bloße Umschreibung des normativ allein relevanten Kerns der sittlichen Freiheit des Individuums“ ist; ferner auch Kobusch, Die Entdeckung der Person, S. 88 f. 346 Dazu Wolff, Institutiones Iuris Naturae, §§ 947 ff.; s. ferner auch Pütter/Achenwall, Elementa Iuris Naturae, §§ 636 ff. 347 Lipp, Quaderni Fiorentini 11/12 (1982/83), 217, 247 f. 348 Lipp, Quaderni Fiorentini 11/12 (1982/83), 217, 234 ff. (zu Pufendorf: „Allein der status vermittelt Rechte und Pflichten, nicht die „Person“ des Menschen“, unter Verweis auf Pufendorf, De Iure Naturae et Gentium, Lib. I Cap. 1 § 12 Anm. 1, wonach die Sklaven zwar persona moralis, aber nicht rechtsfähig, sondern alieni iuris seien), 247 f.; Hetterich, Mensch und „Person“, S. 83; C. Hattenhauer, in: Klein/Menke (Hrsg.), Der Mensch als Person, S. 39, 52; ferner Rittner, Die werdende juristische Person, S. 153; zu Molina und Lessius s. oben S. 70 f. 349 Vgl. Suárez, De Legibus, Lib. I Cap. 2 N. 4 f.; Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 2 Dub. 1 N. 3. Kobusch (Die Entdeckung der Person, S. 32 f.) verweist in diesem Kontext auf
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Recht im Sinne der Gesamtheit von Normen und subjektives Recht im Sinne einer subjektiven Rechtsmacht ist das Ergebnis verschiedener Entwicklungen der Theologie, Philosophie und Rechtswissenschaft350 des Mittelalters und der Frühen Neuzeit351, wobei die Bezeichnung subjektives Recht (facultas moralis als ius subjective sumptum) in der Naturrechtslehre des 18. Jahrhunderts wohl bei Achenwall entsteht352. Zum Teil wird diese Entwicklung dem Franziskaner 350 Jean Gerson, der als einer der ersten den doppelten Rechtsbegriff (objektiv im Sinne des Gesetzes – subjektiv im Sinne einer Macht/Befugnis [potestas/facultas]) formuliert hat (zu Gerson näher Varkemaa, Theory of Individual Rights, p. 44 ss.). Gerson spielt dabei auch für die weitere Diskussion um den Rechtsbegriff eine wesentliche Rolle (vgl. Summenhart, De Contractibus, Trac. I q. 1, S. 2). Insofern stellt Kobusch die Entwicklung des subjektiven Rechtsbegriffs in den Kontext der Lehre vom moralischen Sein (aaO, S. 32 ff.). Umgekehrt ist zu berücksichtigen, dass sich bereits vor Gerson die Umschreibung des Rechts als facultas/potestas verbreitet gezeigt hatte und sich insbesondere im Kontext des Franziskanischen Armutsstreits Bahn gebrochen hat (s. Tierney, The Theory of Rights, p. 54 ss., 93 ss.; Varkemaa, Theory of Individual Rights, p. 13 ss.). 350 In diesem Zusammenhang werden häufig zum einen die Legisten und Kanonisten genannt (s. dazu oben bereits S. 42 f.), die zum einen ius als potestas, facultas umschrieben haben und zum anderen im ius den Grund der actio sahen, s. etwa Tierney, The Idea of Natural Rights, p. 56 ss., 66 ss.; Auer, Der privatrechtliche Diskurs, S. 22 f.; Coing, in: Coing/Lawson/Grönfors, Das subjektive Recht und der Rechtsschutz der Persönlichkeit, S. 7, 13 f. Zum anderen wird regelmäßig (z.B. Coing, in: Coing/Lawson/Grönfors, Das subjektive Recht und der Rechtsschutz der Persönlichkeit, S. 7, 15 ff.; Florstedt, Recht als Symmetrie, S. 10 ff.) der humanistische Rechtswissenschaftler Hugo Donellus genannt; s. zu seiner Definition des Rechts Donellus, Commentarius ad Titulum Institutionum De Actionibus, S. 11, N. 5 („Jus, id est, potestas jure tributa“), die freilich Ähnlichkeiten zu Gerson und Summenhart aufweist (Summenhart, Tractatus de Contractibus, Tract. I, q. 1, S. 1: „Ius est potestas vel facultas propinqua conveniens alicui secundum dictamen rectae rationis“, wobei gilt, dass „omnis lex rationabiliter instituta est dictamen rectae rationis“ [aaO, S. 4]). 351 Dazu aus der Literatur Tierney, The Idea of Natural Rights, p. 1 ss. et passim, ferner (zur Unterscheidung von objektivem Recht im Sinne von Gesetz [lex] und subjektivem Recht im Sinne von rechtlicher Befugnis) p. 108 ss., 242 s. (Marsilius von Padua; Summenhart); Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 353 ff., 385 f.; Jansen, Theologie, S. 36 ff., 39 ff.; Kobusch, Die Entdeckung der Person, S. 32 ff.; Menke, Kritik der Rechte, S. 19 ff., 49 ff.; Simmermacher, Eigentum als ein subjektives Recht, S. 17 ff., 30 ff.; s. ferner umfassend Thönissen, Recht und Gerechtigkeit, 3. Kap. V.2.b), 4. Kap. I.1. 352 Wohl erstmals bei Achenwall, Ius Naturae, § 23 („Facultas hominis physica, quatenus nulli legi morali adversatur, est facultas moralis et uno verbo ius (morale) late et subiective sive pro affectione personae sumtum“; die Bezeichnung „subjektives Recht“ bezieht sich also inhaltlich auf den suarezianischen Begriff der facultas moralis); s. Kaufmann, in: Bunge (u.a.) (Hrsg.), Kontroversen um das Recht, S. 291, 292 (zum „ius subiective sumtum“ bei Achenwall), 293 ff.; Kobusch, Die Entdeckung der Person, S. 32; Simmermacher, Eigentum als ein subjektives Recht, S. 9, 12 ff., 34 ff. S. ferner Pütter/Achenwall, Elementa Iuris Naturae, § 182 („Facultas moralis cogendi alterum dicitur ius subiective seu pro qualitate personae sumtum“); Nettelbladt, Systema Elementare, § 229 („facultas agendi moralis vero dicitur ius, quando subiective sumitur“); Darjes, Observationes, Obs. II § 6; Obs. III § 1; Obs. XXXVI § 2 („Ergo & ius subiective sumtum est facultas ea agendi, quae nobis moraliter possibilia sunt“). Der Begriff des „Subjekts“ als Bestandteil der Definition des Rechts erscheint freilich bei Summenhart, Tractatus de Contractibus, Tract. I, q. 1, S. 2 (s.a. Molina, De Iustitia et Iure, Tract. II Disp. 18 N. 1: iuris
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Wilhelm von Ockham zugeschrieben.353 Weithin anerkannt ist jedenfalls der Einfluss der Diskussion um den franziskanischen Armutsstreit, an der Ockham unmittelbar beteiligt war.354 Explizit formuliert findet sich dieses doppelte Rechtsverständnis im Anschluss an Jean Gerson355 bei Conrad Summenhart.356 Recht bezeichnet danach entweder das Gesetz (lex) oder eine rechtliche Macht (potestas) bzw. Befugnis (facultas).357 Recht im letzteren Sinn ist eine aktive oder sonstige Rechtsmacht, „etwas zu tun oder zu erhalten“ (potestas, facultas, potentia).358 Verletzung des Rechts (violatio iuris) ist Unrecht (iniuria).359 Während für das Gesetz die Verpflichtung (obligatio) notwendiges Begriffsmerkmal ist, d.h. jedes Gesetz als 353 subiectum). Bemerkenswerterweise bezeichnet Lugo, De Iustitia et Iure, Disp. II vor Sec. 1, das, was später subjektives Recht genannt wird, als objektives Recht (ius obiectivum); bei Suárez und Pérez werden die Begriffe ius dominativum und ius potestativum verwendet, s. etwa Pérez, De Iustitia et Iure, Disp. I Cap. 4 N. 85 (ius potestativum – ius obiectivum); Suárez, De Legibus, Lib. II Cap. 14 N. 16 (ius naturale dominativum als Gegenbegriff zum ius naturale praeceptivum). 353 Dazu insbesondere Villey, Archives de philosophie du droit N. 9, p. 97, 111 ss., 116 ss.; ders., in: Grossi (ed.), La seconda scolastica, p. 53, 63 ss.; s.a. Schermaier, in: Brinkmann/ Shirvani (Hrsg.), Privatrecht und Eigentumsgrundrecht, S. 23, 43 ff.; Menke, Kritik der Rechte, S. 19 f., 49 ff. 354 Dazu umfassend Tierney, The Idea of Natural Rights, p. 93 ss.; Seelmann, Die Lehre vom dominium, S. 98 ff.; Schermaier, in: Brinkmann/Shirvani (Hrsg.), Privatrecht und Eigentumsgrundrecht, S. 23, 43 ff.; Menke, Kritik der Rechte, S. 19 f., 50 ff.; Simmermacher, Eigentum als ein subjektives Recht, S. 23 ff.; Tuck, Natural Rights Theories, p. 20 ss.; Varkemaa, Theory of Individual Rights, p. 13 ss.; s.a. Thönissen, Recht und Gerechtigkeit, 4. Kap. I.2.b). 355 Gerson, De Vita Spirituali, Lectio tertia: „Ius est facultas seu potestas propinqua conveniens alicui secundum dictamen rectae rationis“; ders., De ecclesiastica potestate, Tredecima consideratio: „ius est facultas seu potestas propinqua conveniens alicui secundum dictamen primae iustitiae. porro dictamen hoc lex dicitur. qua lex est regula conformitatem habens ad dictamen rectae rationis“. Zugleich spielt Gerson eine Rolle in der Entwicklung der Lehre vom moralischen Sein, s. Kobusch, Die Entdeckung der Person, S. 33 f., weshalb Kobusch die Entwicklung des Begriffs des subjektiven Rechts in der Nähe dieser Tradition verortet; ferner zu Gerson s. etwa Tierney, The Idea of Natural Rights, p. 208 ss. 356 Summenhart, Tractatus de Contractibus, Tract. I, q. 1, S. 1: „Ius est potestas vel facultas propinqua conveniens alicui secundum dictamen primae iustitiae. Et iterum. Ius est potestas vel facultas propinqua conveniens alicui secundum dictamen rectae rationis. […] ius capitur dupliciter. Uno modo prout idem est, quod lex […]. Alio modo accipitur ius ut idem est quod potestas […]“; dazu Varkemaa, Theory of Individual Rights, p. 65 ss.; Tierney, The Idea of Natural Rights, p. 242 s., ferner p. 108 ss. (mit Verweis auf Marsilius von Padua, der wohl erstmals diese Unterscheidung von objektivem Recht im Sinne von Gesetz und subjektivem Recht im Sinne von Befugnis durchgeführt hat). 357 Summenhart, Tractatus de Contractibus, Tract. I, q. 1, S. 1; Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 2 Dub. 1 N. 1 ff.; Molina, De Iustitia et Iure, Tact. I Disp. 2 N. 1 ff.; Tract. II Disp. 1 N. 1. 358 Molina, De Iustitia et Iure, Tract. II Disp. 1 N. 1 („facultas aliquid faciendi, sive obtinendi, aut in eo insistendi, vel aliquo alio modo se habendi“); Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 2 Dub. 1 N. 2. 359 Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 2 Dub. 1 N. 2, 3; Filliucci, Moralium Quaestionum, Tract. 31 Cap. 3 N. 51; Lugo, De Iustitia et Iure, Disp. VIII Sec. 1 N. 1; s.a. Wolff, Institutiones Juris Naturae, § 83 („Violatio Juris perfecti alterius Injuria vocatur“).
II. Das Naturrecht und die „Metaphysik der Freiheit“
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Wirkung eine Verpflichtung hervorbringt und jede Verpflichtung letztlich Wirkung eines Gesetzes ist360, vermittelt das Recht dem Rechtsinhaber eine (Handlungs-)Befugnis.361 Was sind die Gründe für diese begriffliche Umformung und Erweiterung? Sicherlich spielt hier das naturrechtliche Denken, das sich losgelöst vom positiven Recht und dem forum externum entwickelt, eine Rolle.362 Weil es nicht um die Klagemöglichkeit vor den Gerichten, sondern um die moralische Beurteilung von Handlungen geht, kann der actio-Begriff nicht die gleiche Bedeutung wie im römischen Recht einnehmen, welches sich vom Gericht und vom Prätor her entwickelte.363 Dieser andere Zugang ist dem mit dem Gewissensforum verbundenen Naturrecht immanent.364 Allerdings ist dies insgesamt eingebettet in einen Abstraktionsprozess, der Recht relational versteht und einen eigenen moralischen Seinsbereich ausbildet.365 An die Stelle der actio treten so nun die Rechte als zentrale Kategorie und Ordnungsprinzip.366 bb) Inhalt und Arten des subjektiven Rechts In dieser Entwicklung gewinnt vor allem die spanische Spätscholastik Bedeutung, wobei hierbei mehrere Aspekte Beachtung verdienen.367 Es gibt danach 360
Vgl. Suárez, De Legibus, Lib. I Cap. 14 N. 1 ff. Vgl. Suárez, De Legibus, Lib. I Cap. 2 N. 5 f.; s.a. Lib. II Cap. 14 N. 16, 18 (zur Abgrenzung von ius naturale praeceptivum als lex und ius naturale dominativum als dominium, d.h. im Sinne der facultas moralis); s. dazu auch Thönissen, Recht und Gerechtigkeit, 3. Kap. VII.2.d). 362 S. dazu Thönissen, Recht und Gerechtigkeit, 3. Kap. IV., VII.4. 363 Vgl. dazu oben S. 40 ff. sowie auch Buchheim, Actio, S. 31 ff., 38; ferner Bucher, Normsetzungsbefugnis, S. 31 f. 364 Eingehend zu Gewissensforum (forum conscientiae) und Naturrecht Thönissen, Recht und Gerechtigkeit, 3. Kap. IV.3.c), VII.4. 365 Der subjektive Rechtsbegriff entwickelt sich u.a. bei Bonaventura und Gerson, die ihrerseits auch in der Entwicklung der Lehre vom moralischen Sein eine besondere Rolle einnehmen, vgl. Kobusch, Die Entdeckung der Person, S. 30, 33 f., 52 f.; ferner zu Bonaventura und Gerson Varkemaa, Theory of Individual Rights, p. 15 ss., 44 ss. S. ferner unten noch zu diesem Abstraktionsprozess S. 112 ff. 366 S. Dubischar, Zweiteilung der Rechte, S. 58 (generell zum Naturrecht); s. ferner Jansen, Theologie, S. 33 ff., 36 ff., 79 ff. zur Zentralität der subjektiven Rechte in der Spätscholastik; vgl. Buchheim, Actio, S. 38. Dies zeigt sich etwa am Aufbau der Traktate, der den einzelnen Rechten, deren Entstehung und Erwerb etc. folgt, bspw. Lessius, De Iustita et Iure, Tract. II Cap. 2 („De ipso Iure in genere“), Cap. 3 („De speciebus iuris realis, ut sunt dominium […]“), Cap. 4 („Quibus & in quae Dominium competat“), Cap. 5 („De modo aquirendi dominii […]“); ferner zur Zentralität des subjektiven Rechts auch Lessius, aaO, Lib. II Cap. 2 Dub. 1 N. 7 a.E. („Ex his patet hanc Iuris acceptionem maxime servire nostro proposito, quia tota Iustitiae ratio ex ea oritur, nam ipsa ratio debiti & obligationis nostrae ex ea pendet“); Lugo, De Incarnatione, Disp. III Sec. 2 N. 42 f. („Itaque ius ipsum, seu praelatio est primus conceptus in ordine ad quem explicatur ratio iniuriae“); Amicus, De Iustitia et Iure, Disp. X Sec. 1 N. 14 („Et hoc ius est prima radix fundans iustitiam: nam ex iure oritur debitum, ex debito iustitia, quae aequalitatem constituit inter tale ius & debitum“). 367 Dazu näher Thönissen, Recht und Gerechtigkeit, 4. Kap. I.1.b), 2.c). 361
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2. Kapitel: Die Entstehung der Konstituenten
bestimmte Rechte wie die Rechte an Leben, Gesundheit, Körper und Ehre sowie Sachen, ferner die (Handlungs-)Freiheit, die dem Menschen von Natur aus zustehen.368 Die Rechte richten sich auf unterschiedliche Güter (bona corporis; fama, honor; bona spiritualia; bona fortunae).369 Unterschieden wird zwischen dem Recht an einer Sache (ius in re) und dem Recht auf eine Sache (ius ad rem) sowie zwischen persönlichem (ius personale; actio in personam) und dinglichem Recht (ius reale, actio in rem).370 Während sich das ius ad rem gegen eine andere Person auf eine zukünftige Handlung bzw. auf eine geschuldete Sache bezieht, ist das Recht an einer Sache (ius in re) insoweit gegen andere Personen gerichtet und damit korrelativ, als hieraus die Pflicht der anderen folgt, dieses Recht nicht zu verletzen.371 368 S. z.B. Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 4 Dub. 1 N. 1, 4; Dub. 10 N. 57; Dub. 11 N. 59; Sforza Pallavicino, De Iustitia et Iure, Cap. II N. 19 („Res, quarum ius, & dominium habemus, sunt duplicis generis, quaedam enim determinato singularis personae dominio addixit Natura, ut illi essent instrumenta felicitatis acquirendae, cuiusmodi sunt potentiae, membra cuique intrinseca, e.g. manus, oculi: haec vero primo & principalissime nostra sunt, cum sint pars nostri: & sunt maxime propria, hoc est maxime prope nos, ut pote intrinsece unita. Alia sunt quae nullius determinato dominio addixit Natura; cuiusmodi sunt exteriora bona“); dazu auch Jansen, Theologie, S. 37; Repgen, in: Stüben (Hrsg.), De iustitia, S. XVII, XXXV ff., LXVIII ff.; s.a. Pütter/Achenwall, Elementa Iuris Naturae, §§ 262 f. („Id, in quod alicui ius est cum exclusione aliorum, dicitur suum proprium“; „Anima, corpus, actiones homines iustae sunt suum cuiuslibet proprium“), § 266 („Homini competit ius in actiones suas“), § 853. S. ferner Kasper, Das subjektive Recht, S. 51 ff. zur Ableitung subjektiver Rechte aus Vernunft und Freiheit im Naturrecht der Aufklärung. Woran hat man Rechte bzw. dominium und was ist deren Grundlage? Bei Lessius sind dies Willensfreiheit und Vernunft als Fundament der Rechte (Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 4 Dub. 1 N. 1). Auch Lugo verlangt eine spezifische Fundierung (connexio particularis) des jeweiligen Rechts in der Person des Rechtsinhabers, wobei diese Verbindung aber vielfältiger Natur sein kann, s. Lugo, De Iustitia et Iure, Disp. 1 Sec. 1 N. 15, 18. 369 Zu dieser Kategorisierung etwa Lugo, De Iustitia et Iure, Disp. I Sec. 2 N. 37 f.; Disp. IX vor Sec. 1; Disp. X; Disp. XIV; Disp. XVI; s.a. Pérez, De Iustitia et Iure, Disp. I Cap. 4 N. 85, der alle Güter als Freiheitsgüter einordnet („Existimo itaque bonum, quod affert iustitia non esse simpliciter loquendo bonum salutis aut pecuniarum, aut honoris, licet materialiter illa comprehendat; sed esse bonum libertatis arbitrii […]“); ferner dazu Jansen, Theologie, S. 37. 370 Zur Differenzierung ius in re/ius ad rem sowie zur Unterscheidung ius reale/actio realis und ius personale/actio personalis, die aus der gemeinrechtlichen Rechtswissenschaft übernommen wird (zu actio in rem/in personam im römischen Recht s. Kaser/Knütel/ Lohsse, Römisches Privatrecht, § 3 Rn. 1 f., 8), s. etwa Rebellus, De Obligationibus, Pars I Lib. I Q. 1 Sec. 3 N. 28 f.; ferner Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 2 Dub. 2 N. 11 f.; Molina, De Iustitia et Iure, Tract. II Disp. 2 N. 1 ff.; Filliucci, Quaestionum Moralium, Tract. 33 Cap. 5 N. 101 f. Zur Frage nach dem Verhältnis dieser Unterscheidung zur erst im 19./20. Jhd. aufkommenden Differenzierung absolutes Recht – relatives Recht s. etwa Regelsberger, Pandekten, § 51, S. 205, ferner § 52, S. 220 („Die Unterscheidung von actiones in rem und in personam ruht demnach auf dem Gegensatz von absoluten und relativen Privatrechten“); s. Bucher, Normsetzungsbefugnis, S. 135 f.; Dubischar, Zweiteilung der Rechte, S. 74 f., 98 ff. 371 S. Rebellus, De Obligationibus, Q. 1 Sec. 3 N. 28 f. („Ius vero ad rem, est ius, quod habetur ex aliquo titulo in ordine ad actum futurum, vel rem debitam, nondum obtentam; quo
II. Das Naturrecht und die „Metaphysik der Freiheit“
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Auch das Eigentum (dominium)372 fällt unter den Begriff des Rechts (ius), welches den Oberbegriff bildet.373 Es gibt veräußerliche (dominium) sowie unveräußerliche Rechte (wie die Rechte am Leben).374 Insbesondere bei Wolff entsteht später die Unterscheidung zwischen angeborenen (iura connata) und erworbenen Rechten. Es gibt danach angeborene unveräußerliche Rechte, die dem Menschen von Natur aus zukommen und unveräußerlich sind.375 Schließlich begründen Verträge Rechte und Verpflichtungen. Die durch den freien Willen geschaffenen Verträge sind Instrumente der Rechtsbegründung.376 cc) Das subjektive Recht und der Gegenstand des Rechts (1) Recht als Maß des Unrechts bei Molina Ferner geht es um den Begriff des subjektiven Rechts und in welchem Verhältnis dieses zum Recht bzw. zur Gerechtigkeit insgesamt steht. D.h. es geht vor allem um die Frage, was eigentlich Gegenstand des Rechts und der (ausglei372 pacto ex promissione assequitur is, cui facta est promissio, ius ad rem sibi promissam […]. Ius vero in re, ut est membrum contradivisum, est quod quis habet in re iam sua, erga alterum ne ab eo laedatur, ut in re sibi promissa, & tradita […]. Dicitur autem actio realis, quae habetur adversus alterum circa rem proprie obligatam alicui debito […]. Personalis vero actio dicitur, quae competit alicui adversus personam sibi aliquo modo obligatam, & non directe in rem certam particuliari ratione obligatam“); vgl. ferner Amicus, De Iustitia et Iure, Disp. X Sec. 1 N. 18 („Hoc ius, quod perfecta iustitia respicit, alterum est in re; quod immediate respicit rem, quam obstrictam tenet, quod & actionem realem tribuit possessori […]; alterum, ad rem, quod non respicit immediate rem, sed certam personam, in quam dumtaxat tribuit actionem: qua de causa non dicitur tribuere actionem realem, sed personalem“). 372 Näher zum dominium als Zentralbegriff s. Thönissen, Recht und Gerechtigkeit, 4. Kap. I.2.; Jansen, Theologie, S. 35, 36 ff.; vgl. auch Simmermacher, Eigentum als ein subjektives Recht, S. 65 ff. (dominium als „Paradigma für subjektives Recht“). 373 Letzteres allerdings streitig; für Recht als Oberbegriff, unter den das dominium als spezielles Recht fällt: Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 3 vor Dub. 1; Filliucci, Moralium Quaestionum, Tract. 31 Cap. 3 N. 51 („ius est quasi genus ad ipsum dominium, & ad alias species“); Lugo, De Incarnatione, Disp. III Sec. 2 N. 42 („ius […], quod ponitur ut genus in definitione dominii“); s.a. etwa Darjes, Institutiones, § 445 („Est itaque dominium species iuris in re“); s. aber dagegen Molina, De Iustitia et Iure, Tract. II Disp. 3 N. 1, 2, 5, der dominium dem ius vorlagert, dominium ist danach ein antecedens des ius; wieder anders Summenhart, De Contractibus, Tract. I, q. 1, S. 1, der von einer Identität von dominium und ius auszugehen scheint. 374 Vgl. die begriffliche Differenzierung bei Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 7 Dub. 3 N. 12 f.; s.a. Lugo, De Iustitia et Iure, Disp. X Sec. 1 N. 9 („potest homo disponere de suis operationibus, quarum dominus est, non de se ipso, vel (quod idem est) de vita sua, cuius dominus non est“), ferner Disp. VIII Sec. 1 N. 12. Die Verfügbarkeit ist somit zumindest bei einigen Autoren Abgrenzungsmerkmal von ius und dominium; dominium bedingt im Anschluss an die Definition des Bartolus (s. dazu oben S. 44 Fn. 32) notwendig Verfügbarkeit; s. aber auch Jansen, Theologie, S. 37 mit Verweis auf die Verwendung des Begriffs dominium bei unveräußerlichen Gütern. 375 S. dazu oben S. 99 sowie etwa Wolff, Jus Naturae, Pars I, §§ 28, 29, 33, 64. 376 S. etwa Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 18 Dub. 8 N. 52 sowie unten noch S. 121 ff.
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chenden) Gerechtigkeit ist.377 Molina versteht das Recht im subjektiven Sinn als „Maß des Unrechts“ (mensura iniuriae). Das Recht des einen stellt die Grenze des rechtmäßigen Handelns des anderen dar, Gegenstand der Gerechtigkeit ist also die Bestimmung des Unrechts sowie des Raums rechtmäßigen Handelns.378 Recht ist nämlich die „Befugnis, etwas zu tun oder zu erhalten“, deren Verletzung „ohne legitimen Grund“ Unrecht ist.379 Demgegenüber soll nach Lessius380 das Recht nicht das Objekt der Gerechtigkeit sein.381 Vielmehr ist Objekt der Gerechtigkeit die Pflicht (debitum), das Recht des einen ist jedoch Korrelat der Pflicht des anderen.382 Recht in diesem Sinne ist eine vom Gesetz erteilte Macht (potestas legitima).383 (2) Recht als Bestimmung des „Mein und Dein“ bei Lugo Einen konstruktiv anderen Ansatz zur Bestimmung des Gegenstandes der ausgleichenden Gerechtigkeit wählt Lugo384, wobei sich hier nun die Auswirkungen der Lehre vom moralischen Sein zeigen. Beim Recht, das den Gegenstand der iustitia commutativa bildet, geht es um das „Mein und Dein“ („meum & tuum“)385, d.h. um eine moralische386 Vorrangbeziehung (praelatio 377 Gerade dies bildete in den De Iustitia et Iure-Traktaten im 17. Jhd. einen zentralen kontroversen Diskussionsgegenstand, s. dazu unten im Einzelnen die Nachweise. 378 Vgl. Molina, De Iustitia et Iure, Tract. II Disp. 1 N. 1; s. ferner aber Tract. I Disp. 2 N. 1 ff.; so zumindest die Interpretation Molinas bei Lugo, s. Lugo, De Iustitia et Iure, Disp. I Sec. 1 N. 4; ders., De Incarnatione, Disp. III Sec. 2 N. 41. 379 Molina, De Iustitia et Iure, Tract. II Disp. 1 N. 1 („facultas aliquid faciendi, sive obtinendi, aut in eo insistendi, vel aliquo alio modo se habendi, cui si, sine legitima causa, contraveniatur, iniuria fit eam habenti“). 380 Zur Person s. die Kurzbiographie auf S. 577. 381 So aber wohl im Hinblick auf die facultas moralis Suárez, De Legibus, Lib. I Cap. 2 N. 4 f.; Lib. II Cap. 17 N. 2; vgl. Rebellus, De Obligationibus, Pars I Lib. I Q. 1 Sec. 3 N. 23. 382 Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 2 Dub. 1 N. 7. 383 Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 2 Dub. 1 N. 2 f. 384 Zur Person s. die Kurzbiographie auf S. 577. 385 Lugo, De Iustitia et Iure, Disp. I Sec. 1 N. 5 („[…] quale sit illud ius, quod respicit iustitia, & quod significamus, quando dicimus meum, & tuum“), N. 6 („quae ordinatio potissimum significatur, quando aliquid dicitur meum, vel tuum“). Diese Bestimmung des Gegenstandes des (Privat-)Rechts als „Mein und Dein“ wird freilich bei Kant zentral, dazu unten noch S. 154 f. 386 Zum Begriff des „Moralischen“ s. oben bereits S. 76 ff.; Gegen- und Abgrenzungsbegriff zum Moralischen ist auch bei Lugo das „Physische“, s. etwa Lugo, De Incarnatione, Disp. III Sec. 1 N. 7, 9, 18 f. Lugos Begriff des Moralischen geht zwar mit Suárez aus von der „Freiheit“, schließt das Frei-Sein ein, setzt aber in gewisser Weise einen anderen Schwerpunkt – es kommt entscheidend auf die Zuordnung, Zurechnung bzw. Bewertung im Sinne der Lob- oder Strafwürdigkeit an (vgl. Lugo, De Incarnatione, Disp. II Sec. 4 N. 72 ff.; Sec. 5 N. 95, 97; Disp. XXVI Sec. 11 N. 144: „illud enim solum dicitur esse in genere moris, quod imputatur subiecto ad laudem, vel vituperium in genere moris, seu in ordine ad mores“). Tatsächlich ist also nicht wie bei Suárez die Kausalität die entscheidende Konstruktionsform, sondern die Zuordnung und Zurechnung sowie die Bewertung im Sinne des Lobens- bzw.
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moralis) eines Menschen in Bezug auf den Gebrauch eines Gegenstandes „kraft einer besonderen Verknüpfung“.387 Gegenstand des Rechts ist also die Güterzuordnung (ordinatio), kraft derer der Rechtsinhaber gegenüber allen anderen hinsichtlich des zugewiesenen Gutes388 einen rechtlichen Vorrang hat und rechtlich geschützt ist.389 Die Verletzung dieser gegenüber jedermann wirkenden moralischen Zuordnung, d.h. dieses Rechts ist Unrecht (iniuria).390 387 Tadelswerten. Daraus erklärt sich möglicherweise auch der spezifische Rechtsbegriff bei Lugo. Dieser ist wohl Folge einer anderen Theorie des moralischen Seins, nämlich einer Theorie, die das moralische Sein stärker in der Zuordnung von Gegenständen und Handlungen zu Personen und deren Bewertung verortet. Lugo hat also deswegen einen anderen Rechtsbegriff als Suárez, weil er eine andere Theorie des moralischen Seins zugrunde legt. In rechtlichem Kontext bedeutet entsprechend diesem Verständnis potestas moralis in Abgrenzung zur physischen Macht (potestas physica) die Macht, etwas ohne Unrecht zu nutzen bzw. die Macht, dass, wenn etwas gegen den Willen des Rechtsinhabers genutzt wird, dies Unrecht ist, vgl. Lugo, De Incarnatione, Disp. III Sec. 1 N. 9 („in dominio physico, quod est potestas physica in ordine ad usus simpliciter possibiles“ – „dominium morale, est facultas moralis utendi sine iniuria re sua in ordine ad usus simpliciter“); N. 18 f. Eigentümer einer Sache ist man damit nicht, weil man eine physische Herrschaft über eine Sache hat, sondern eine moralische (aaO, Disp. III Sec. 2 N. 38). Dies ist auch der Begriff des Moralischen im Sinne der praelatio moralis, vgl. Lugo, De Incarnatione, Disp. III Sec. 2 N. 42. 387 Lugo, De Iustitia et Iure, Disp. I Sec. 1 N. 5 („ius quod respicitur a iustitia commutativa, & ponitur in eius definitione, esse praelationem quandam moralem, qua hic homo praefertur moraliter aliis in usu talis rei propter peculiarem connexionem, quam res habet cum illo“). Diese besondere Verknüpfung oder Beziehung (connexio peculiaris) meint den (Rechts-)Titel (titulus), kraft dessen jemand ein Recht und damit den moralischen Vorrang erwirbt. Beispiel hierfür ist die Aneignung oder der Erwerb durch Kauf, durch den die Verknüpfung, die der Verkäufer hatte, auf den Käufer übertragen wird, s. Lugo, De Iustitia et Iure, Disp. I Sec. 1 N. 18; ders., De Incarnatione, Disp. III Sec. 2 N. 42, 49, 50. 388 Dabei muss aber nicht das Gut ganz dem Rechtsinhaber zugewiesen sein. Vielmehr können die Nutzungsbefugnisse hinsichtlich eines Gegenstandes aufgeteilt werden, sodass der rechtliche Schutz entsprechend dieser Zuweisung reicht – maßgeblich hierfür ist alleine die moralische Zuweisung durch den Willen des Rechtsinhabers, s. explizit Lugo, De Iustitia et Iure, Disp. I Sec. 1 N. 18 (im Hinblick auf die Unterscheidung von Eigentum und anderen Nutzungsrechten); ferner zur Abgrenzung beim dominium Disp. II Sec. 1 N. 3 f., 8 f.; Sec. 3 N. 41. 389 Lugo, De Iustitia et Iure, Disp. I Sec. 1 N. 5, ferner N. 6 („[…] sed praelationem, qua in usu talis rei debet hic homo preferri aliis; quia propter peculiarem connexionem, quam haec habet cum ipso, tota debet ad eius utilitatem referri, & ordinari; quae ordinatio potissimum significatur quando aliquid dicitur meum, vel tuum“); ders., De Incarnatione, Disp. III Sec. 2 N. 42 f. Das Recht selbst besteht in ebenjener moralischen Vorrangbeziehung (aaO, N. 42: „Ex hac autem praelatione, in qua consistit illud ius“). 390 Lugo, De Incarnatione, Disp. III Sec. 2 N. 42 („Sequitur praeterea, quemlibet alium utentem re illa invito domino committere iniuriam, quae nihil aliud est, quam violatio illius iuris, seu praelationis moralis, quam dominus habet adversus omnes alios“); ferner zur iniuria ders., De Iustitia et Iure, Disp. VIII vor Sec. 1; Sec. 1 N. 1: Das Recht ist das erste Konzept (primus conceptus), aus dessen Verletzung sich der Begriff des Unrechts ergibt – nicht umgekehrt (s. ähnlich Amicus, De Iustitia et Iure, Disp. X Sec. 1 N. 14 [„Et hoc ius est prima radix fundans iustitiam: nam ex iure oritur debitum, ex debito iustitia, quae aequalitatem constituit inter tale ius & debitum“]); zu dieser Diskussion aus heutiger Perspektive unten noch S. 465 ff., 469 ff.; ferner zu dieser Frage, was zuerst kommt – Recht oder Pflicht, jeweils
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Das in der moralischen Zuordnung von Gütern bestehende subjektive Recht ist danach das „erste Konzept“, durch das Rechtsverletzung und Pflicht bestimmt werden.391 Zentrale Rechtspflicht ist, fremde Rechte nicht zu verletzen (servare illaesum ius alienum; non inferendi iniuriam). Die Rechtsverletzung begründet die Pflicht, diese wiedergutzumachen oder auszugleichen.392 (3) Recht als Abgrenzung von Freiheiten und die Würde der Person bei Antonio Pérez Einen anderen Akzent legt Antonio Pérez393, der den Bereich des Rechts und die Begriffe Recht und Unrecht ganz auf die Freiheit bezieht.394 Rechtspflicht für391die Pflicht – Wolff, Jus Naturae, Pars I, §§ 23 f.; Darjes, Observationes, Obs. XXXVI §§ 4 ff., §§ 7 f. (§ 8: „Omne ius & stricte sumtum & libertatem moralem significans ex obligatione oriri, illud effective, hoc vero reductive“); ders., Institutiones, § 152 („Omne ius oritur ex obligatione“). Differenziert wird weiterhin zwischen iniuria materialis und iniuria formalis (Lugo, De Iustitia et Iure, Disp. VIII Sec. 1 N. 1; Disp. XV Sec. 1 N. 2): iniuria formalis ist nur die auf den Willen rückführbare verschuldete Rechtsverletzung, iniuria materialis hingegen jeglicher Eingriff in ein Recht ohne Rücksicht darauf, ob diese auf den Willen rückführbar ist. Während die iniuria materialis nur zur Restitution des Erlangten, d.h. „bereicherungsrechtlich“ verpflichtet, begründet die iniuria formalis auch Schadensersatzansprüche (s. dazu unten noch näher S. 131 ff.). 391 S. Lugo, De Incarnatione, Disp. III Sec. 2 N. 42 f. 392 Lugo, De Iustitia et Iure, Disp. VIII vor Sec. 1; ferner Disp. VIII Sec. 2 N. 17 („Duplex videtur esse praeceptum iustitiae saltem secundum apparentiam. Primum non inferendi iniuriam. Secundum, si illata fuit, reparandi, & resarciendi illam, quod fit per restitutionem“). Bereits hier zeigt sich etwas, das später noch näher zu thematisieren sein wird (dazu unten S. 131 ff.), und zwar die Umstellung der Rechtsordnung auf das subjektive Recht. Die Form des subjektiven Rechts wird so zum zentralen Ordnungsprinzip der Rechtsordnung. Entsprechend wird auch das Haftungsrecht auf das subjektive Recht umgestellt. Die grundlegenden Pflichten sind fremde Rechte nicht zu verletzen sowie, wenn die Rechtsverletzung eingetreten ist, diese wiedergutzumachen. 393 Zur Person s. unten die Kurzbiographie auf S. 577 f. Zuvor setzt sich Pérez (De Iustitia et Iure, Disp. I Cap. 2 N. 40 ff.; 56 ff.) mit den Positionen von Lessius und Molina sowie von Lugo auseinander und entwickelt seine eigene Position ausgehend hiervon. Entscheidend für seinen Ansatz ist bei Pérez die Argumentation, dass aufgrund der Willensfreiheit alle Rechtsgüter Freiheitsgüter sind. Die Kontroverse um den richtigen (subjektiven) Rechtsbegriff ist eine der zentralen Auseinandersetzungen der post-suárezianischen Rechtsdiskussionen bis zur Mitte des 17. Jhd., s.a. Thönissen, Recht und Gerechtigkeit, 4. Kap. I.3. Ebenso entwickelt Sforza Pallavicino seinen Rechtsbegriff aus der Kritik an Lugos Rechtsbegriff (s. Sforza Pallavicino, De Iustitia et Iure, Cap. II N. 13 ff.). Sforza Pallavicino versteht unter Recht die „Macht, einen anderen zu einer Handlung oder Unterlassung zu verpflichten, und zwar durch den Willen desjenigen, der das Recht hat“ („potestatem obligandi alterum ad aliquam actionem, vel omissionem, per voluntatem ipsius habentis ius“; aaO, N. 16). Das Recht im subjektiven Sinn ist folglich eine „Verpflichtungsmacht“ (potestas obligandi). Entscheidend für die Frage, ob etwas Recht oder Unrecht ist, ist der Verpflichtungswille (voluntas obligatoria, aaO, N. 16). Wesen der Gerechtigkeit ist, dass sie sich auf den Willen eines anderen bezieht und dieser verpflichtet wird (aaO, N. 26). Das Recht besteht danach in der moralischen, nicht physischen Macht (potestas moralis), den Willen eines anderen verpflichten zu können (s. aaO, N. 26). Das subjektive Recht ist also moralische
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meint die Pflicht, die der eigenen Freiheit durch das Recht gesetzten395 Grenzen nicht zu überschreiten und die Freiheitsrechte (libertatis iura) anderer nicht zu verletzen.396 Recht ist „die freie Macht, innerhalb der Grenzen der eigenen Freiheit zu handeln […] und andere von Überschreitungen dieser Grenzen abzuhalten“.397 Gegenstand der Gerechtigkeit ist danach, dass „die Freiheit eines jeden Einzelnen nicht durch die Freiheit eines anderen in ihrer Ausübung innerhalb der durch das Recht gesetzten Grenzen beeinträchtigt
394 Verpflichtungsmacht, die durch den Willen ausgeübt wird und auf den Willen anderer bezogen ist (s.a. aaO, N. 23). Unrecht (iniuria) ist damit korrespondierend eine Handlung gegen oder ohne den Willen desjenigen, in dessen moralischer Macht diese steht (aaO, Cap. III N. 27). Während Pérez das Recht ganz auf die Freiheit bezieht, sieht Sforza Pallavicino den Willen als den Bezugspunkt des Rechts an. 394 Zur Begründung s. Pérez, De Iustitia et Iure, Disp. I Cap. 3 N. 73 f.: Jede Tugend hat bestimmte Güter zum Gegenstand. Bei der Nächstenliebe (charitas) geht es um das Wohl des Nächsten, bei der Barmherzigkeit (misericordia) um die Linderung des Leids. Bei der Gerechtigkeit geht es zwar materiell um die einzelnen Güter Gesundheit, Vermögen, Ehre etc., tatsächlich aber vor allem um die Willensfreiheit (liberum arbitrium). Die Pflicht der Gerechtigkeit sei es nämlich, das Seine dem, dem es geschuldet wird, zu geben. Damit aber etwas „sein“ ist, bedarf es der Willensfreiheit, diese ist die Voraussetzung des Eigentums („nihil autem dicitur esse suum alicuius proprie nisi cum respectu ad libertatem, & dominium“). Auch Handlungen sind nur deswegen solche eines Menschen, weil er durch die Willensfreiheit deren „Eigentümer“ ist (dazu näher Thönissen, Recht und Gerechtigkeit, 4. Kap. I.2.c)). Zugleich geschieht Unrecht immer nur gegen den Willen des Rechtsinhabers; d.h. auch wenn materiell durch Unrecht bestimmte Güter (Gesundheit etc.) verletzt werden, richtet sich die Rechtsverletzung bei formeller Betrachtungsweise immer gegen die Freiheit des Rechtsinhabers (Pérez, aaO, N. 74 a.E.). 395 Dazu näher Pérez, De Iustitia et Iure, Disp. I Cap. 5 N. 87 ff.: Diese juridischen Grenzen (termini designati; designatio iuridica) ergeben sich nach Pérez aus drei Quellen: aus gesetzlicher Setzung (legitima constituta ex legislatoribus, & ab administratoribus Reipublicae per leges positivas), aus privater Setzung, d.h. Vertrag (constituta per pacta & contractus) sowie aus der Natur der Sache (ex rerum natura). 396 Pérez, De Iustitia et Iure, Disp. I Cap. 4 N. 84 („Dico itaque, obligationem Iustitiae stricte dictae sic posse definiri: Est obligatio conscientiae continendi se intra terminos propriae libertatis, & non invadendi terminos iuridice designatos libertati, & prudentiae alienae. […] Neque haec definitio re ipsa differt ab illa, quam in materia de Incarnatione dedimus dicentes, obligationem iustitiae esse obligationem institutam in favorem, & gratiam alterius ad usum aliquem liberum ipsius. Nam ibi explicantes, & defendentes hanc definitionem diximus, obligationem iustitiae nihil esse aliud, quam obligationem servandi illaesa libertatis iura.“). 397 Pérez, De Iustitia et Iure, Disp. I Cap. 4 N. 85 (zum ius stricte dictum, seu iuridicum, wobei zwischen ius potestativum, ius formale, seu actuale und ius obiectivum unterschieden wird: „ius potestativum est potestas libera agendi intra terminos suae libertati, & prudentiae monasticae designatos, & impediendi aliis illorum terminorum invasionem“; ius formale demgegenüber als „vel ipsa designatio terminorum vel ipsa voluntas utendi tali potestate, vel actus prudentiae monasticae insinuatus alteri, & praescribens ipsi, ne sua electione impediat exequutionem voluntatis habentis ius potestativum“ – danach ist Recht im formalen Sinne entweder die Bestimmung der Grenzen der Freiheit; der Wille, von der Rechtsmacht Gebrauch zu machen oder die Bestimmung, dass die Willensmacht des Rechtsinhabers nicht gestört wird).
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wird“.398 Unrecht ist die Verletzung fremder Freiheitsräume, d.h. ein Handeln jenseits der rechtlichen Grenzen der eigenen Freiheit.399 Jedes Unrecht verletzt die Würde (dignitas) der anderen Person, weil in jedem Unrecht eine Missachtung des anderen liegt – die Würde bedingt, dass die Freiheit der anderen nicht verletzt werden darf.400 dd) Rechtsverletzung und Haftungsrecht Mit der Kategorie der Rechtsverletzung im Sinne der Verletzung eines (subjektiven) Rechts401 sind nach Lugo zwei Pflichten verbunden: erstens die Pflicht, „keine Rechtsverletzung zu begehen“; zweitens die Pflicht, eine eingetretene Rechtsverletzung zu beseitigen oder wiedergutzumachen, d.h. die Restitution.402 Damit verbunden ist, dass sich in der Spätscholastik eine Verbin398 Pérez, De Iustitia et Iure, Disp. I Cap. 4 N. 85 („ius obiectivum est ipsa libertas unius cuiusque non impedita per alienam libertatem ab usu actionum suarum, sive permisso intra terminos iuridice designatos“); ferner Disp. II Cap. 2 N. 21; Cap. 3 N. 40 („iustitia particularis praefert bonum libertatis alienae, seu aequalitatem, quae est bonum commune inaequalitati faventi propriae libertati operantis; & respondenti huic legi, quod tibi non vis fieri in materia libertatis alteri ne feceris“). 399 Pérez, De Iustitia et Iure, Disp. I Cap. 4 N. 86 („Iniuria autem est ipsa perturbatio libertatis, seu excessus quidam ultra designationem iuridicam circa usum libertatis alienae“). 400 Pérez, De Iustitia et Iure, Disp. I Cap. 2 N. 54 („Dico ergo omnem iniuriam sive factam Deo, sive factam homini aut Angelis afferre malum contemptivum dignitatis patientis iniuriam. […] Patet ergo manifeste, omnes iniurias convenire in ratione mali contemptivi contemptu contrario aestimationi verae, quae debetur dignitati cuiusque“); ferner Disp. II Cap. 2 N. 22 („Ad ius polyticum non sufficit distinctio voluntatum physica, sed etiam moralis quatenus ita habentur pro distinctis ut unaquaeque habeat vim obligandi alteram, seu dignitatem, ad quam attendere altera debeat, ne propria utatur libertate cum praeiudicio alienae“ – die Würde des anderen ist also zu achten, sodass die eigene Freiheit nicht zum Schaden der Freiheit anderer ausgeübt wird); zum Begriff der dignitas näher Pérez, De Incarnatione, Tract. V Disp. 5 Cap. 2 N. 4 ff., 21, 26. 401 Zu diesem Verständnis von Rechtsverletzung (iniuria) als Verletzung eines subjektiven Rechts s. Lugo, De Iustitia et Iure, Disp. VIII vor Sec. 1; Sec. 1 N. 1; zur Abgrenzung dieser iniuria (alieni Iuris violatio) von der Gesetzesverletzung (iniquitas; omnis legis violatio), die nicht nur Verletzungen der Rechtspflichten, sondern auch der moralischen Pflichten umfasst, s. Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 7 Dub. 1 N. 1 ff., 4 – nur die iniuria im Sinne der Verletzung von subjektiven Rechten verpflichtet zur Restitution, s. dazu unten noch näher S. 131 ff. 402 Lugo, De Iustitia et Iure, Disp. VIII Sec. 2 N. 17 („Duplex videtur esse praeceptum iustitiae saltem secundum apparentiam. Primum non inferendi iniuriam. Secundum, si illata fuit, reparandi, & resarciendi illam, quod fit per restitutionem“). Zur Restitution, die sowohl die Schadensersatzhaftung als auch eine „bereicherungsrechtliche“ Haftung umfasst, s. unten noch S. 131 ff.; ferner vor Sec. 1 (servare illaesum ius alienum); Sec. 1 N. 1 („iniuria“ als „voluntaria laesio, & violatio iuris alieni“); s. ferner Pérez, De Restitutione, Disp. I Cap. 3 N. 19 f. („Certum est, nos teneri obligatione non inferendi damnum proximo in his, quorum ille est dominus, & consequenter nos teneri non adhibere causam efficacem damni iniuste inferendi. Ex hoc principio aliud infertur debere te si iniuste adhibuisti causam efficacem damni iniuste inferendi eam amovere, & impedire a suo effectu si potes. […] Ex his manifeste infertur, esse restituendi obligationem ratione iniustae acceptionis, aut laesionis: nam ex dicto
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dung von subjektivem Recht und Haftungsrecht Bahn gebrochen hat.403 Die Verletzung des (subjektiven) Rechts (violatio iuris alieni; laesio; iniuria) führt zu einem Entschädigungsanspruch des Verletzten, die Verletzung eines subjektiven Rechts ist so Voraussetzung und Grund der Bereicherungs- und Schadensersatzhaftung.404 Das Haftungsrecht beruht auf den subjektiven Rechten405 – hierauf wird später noch näher einzugehen sein.406 Durch die Verbindung von (subjektivem) Recht und Haftungsrecht sowie die Ordnung des Rechts um die Rechte wird das subjektive Recht zum zentralen Organisationsprinzip der Rechtsordnung.407 ee) Recht und (Willens-)Freiheit Sodann gewinnt die bereits erwähnte Verknüpfung von Willensfreiheit und Rechtsfähigkeit Bedeutung. Folge der Willensfreiheit und Vernunftbegabung ist die Rechtsfähigkeit (capacitas iuris, dominii), der Mensch ist aufgrund seiner Willensfreiheit Subjekt von Rechten (iuris subiectum).408 Es gibt bestimmte Rechte wie die Rechte an Leben, Gesundheit, Körper und Ehre sowie Sachen, ferner die (Handlungs-)Freiheit, die jedem Menschen von Natur aus zustehen und die aus seiner Willensfreiheit folgen; die Willensfreiheit ist deren Fundament.409 403 principio aliud manifeste infertur, scilicet eum, qui sua iniusta acceptione, aut damnificatione causam efficacem adhibuit, vi cuius, si non impediatur, damnificatus, seu laesus minus habebit in suis bonis, quam habiturus esset, si ea causa non fuisset adhibita, aut non impediretur a suo effectu, teneri eam causam impedire. At impedire talem causam est restituere“). 403 Dazu Jansen, Theologie, S. 34 f., 36 ff. 404 Dazu Jansen, Theologie, S. 34 f., 68, 79 ff.; Thönissen, Recht und Gerechtigkeit, 4. Kap. II.1., 4.c); s. etwa Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II vor Cap. 7 („principalis actus Iustitiae commutativae per quem ius violatum instauratur“); Lugo, De Iustitia et Iure, Disp. VIII vor Sec. 1; Sec. 1 N. 1; Sec. 2 N. 17. 405 S. Jansen, Theologie, S. 34 f., 36; ders., Die Struktur des Haftungsrechts, S. 318 ff.; ferner auch Repgen, in: Stüben (Hrsg.), De iustitia, S. XVII, XXXV ff.; Decock, Contract Law, p. 353 s. 406 S. unten S. 131 ff. 407 Vgl. im Einzelnen dazu auch Jansen, Theologie, S. 34 ff., 79 ff. 408 S. dazu oben S. 67 ff. 409 Vgl. Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 4 Dub. 1 N. 1, 4; Dub. 10 N. 57; Dub. 11 N. 59; dazu auch Jansen, Theologie, S. 37; Repgen, in: Stüben (Hrsg.), De iustitia, S. XVII, XXXV ff., LXVIII ff.; Thönissen, Recht und Gerechtigkeit, 4. Kap. I.2.c); s.a. Pütter/Achenwall, Elementa Iuris Naturae, §§ 262 f. („Id, in quod alicui ius est cum exclusione aliorum, dicitur suum proprium“; „Anima, corpus, actiones homines iustae sunt suum cuiuslibet proprium“), § 266 („Homini competit ius in actiones suas“), § 853. S. ferner Kasper, Das subjektive Recht, S. 51 ff. zur Ableitung subjektiver Rechte aus Vernunft und Freiheit im Naturrecht der Aufklärung. Woran hat man Rechte bzw. dominium und was ist deren Grundlage? Bei Lessius sind dies Willensfreiheit und Vernunft als Fundament des dominium (Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 4 Dub. 1 N. 1); ähnlich Pérez, De Iustitia et Iure, Disp. I Cap. 9 N. 128 („libertate & ratione usu, quod est fundamentum iuris“). Auch Lugo verlangt eine spezifische Fundierung
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Damit verbunden bricht sich hier auch eine Verbindung von subjektivem Recht und Freiheit Bahn.410 Das dominium als „Paradigma“ des subjektiven Rechts411 ist nach Lessius „eine freie Macht und die Ausrichtung auf irgendein Ziel“, wobei die freie Ausrichtung auf ein Ziel Sache von Vernunft und Willen ist.412 Das dominium vermittelt dem Rechtsinhaber einen Freiheitsraum, über dessen Zielausrichtung Vernunft und Wille des Rechtsinhabers frei entscheiden.413 Infolge der Zuordnung der Freiheit zum Willen wird der Zusammenhang von Recht und Willen begründet. Sodann wird die (Handlungs-)Freiheit des Menschen, die notwendig aus seiner Willensfreiheit folgt, selbst als Recht verstanden – sie ist ein (Natur-)Recht des Menschen (dominium libertatis).414 Ferner wird die (Willens-)Freiheit ihrerseits als Fundament aller weiteren Rechte angesehen. Sie ist die Grundlage, aus der sich die Rechte ergeben.415 Schließlich identifiziert Pérez, wie gesehen, alle Rechte als Freiheitsrechte.416 ff) Die Relationalität des Rechts und sein relativer Charakter Weiter wird das subjektive Recht als etwas Relationales, d.h. als „Beziehung“ bzw. „Verhältnis“ verstanden. Das artikuliert sich in drei Aspekten. Erstens umschreibt Molina Recht als Relation einer Person (relatio personae) im Hinblick auf etwas, d.h. das Recht wird identifiziert mit einer – wenngleich die Begriffe als eigenständige Kategorien erst später entwickelt werden417 – „Rechtsbeziehung“ bzw. einem „Rechtsverhältnis“ einer Person418. 410 (connexio particularis) des jeweiligen Rechts in der Person des Rechtsinhabers, wobei diese Verbindung aber vielfältiger Natur sein kann, s. Lugo, De Iustitia et Iure, Disp. 1 Sec. 1 N. 15, 18. 410 Zu Fernando Vázquez’ dominium-Begriff, der zur Umschreibung die Definition des römischen Rechts für Freiheit anwendet, s. Seelmann, Die Lehre vom dominium, S. 72 f., 76 ff.; ferner auch Thönissen, Recht und Gerechtigkeit, 4. Kap. I.2.c)ff). 411 So Simmermacher, Eigentum als ein subjektives Recht, S. 65 ff. 412 Lessius, De Iustitia et Iure, Tract. II Cap. 4 Dub. 1 N. 1 („ratio dominii includit liberam potestatem, & ordinationem in aliquem finem“). 413 Lessius, De Iustitia et Iure, Tract. II Cap. 4 Dub. 1 N. 1 („solius rationis & voluntatis est ordinare libere in aliquem finem“). 414 Vgl. Molina, De Iustitia et Iure, Tract. III Disp. 1 N. 4 f.; zum dominium libertatis s. Suárez, De Legibus, Lib. II Cap. 14 N. 16, 18 sowie ders., Quaestiones de Iustitia et Iure, Quaestio duodecima, S. 34. 415 Vgl. Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 4 Dub. 1 N. 1; s.a. Suárez, Quaestiones de Iustitia et Iure, Quaestio Sexta Decima, S. 76; Molina, De Iustitia et Iure, Tract. II Disp. 18 N. 3. 416 S. Pérez, De Iustitia et Iure, Disp. I Cap. 3 N. 73 ff.; Cap. 4 N. 84 ff. 417 S. dazu unten S. 185 ff. 418 Molina, De Iustitia et Iure, Tract. II Disp. 1 N. 2 a.E. („non esse aliud, quam habitudinem seu relationem personae, a qua habent, ad id ad quod est talis facultas“); dazu auch Simmermacher, Eigentum als ein subjektives Recht, S. 64; vgl. zuvor bereits Summenhart, Tractatus de Contractibus, Tract. I, q. 1, S. 1 („ius secundo modo est relatio seu habitudo fundata in illo, qui dicitur habere ius, & terminata in rem, in quam, vel in qua habet ius tanquam ad terminum propinquum“); S. 2 („ius & dominium formaliter sunt relationes“); zum ius als re-
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Zweitens ist das Recht das Korrelativ (correlativum) der Pflicht. Dem Recht des einen steht die Pflicht des anderen korrelativ gegenüber.419 Der Gedanke 419 latio bei Summenhart s. Varkemaa, Theory of Individual Rights, p. 101 ss.; s. ferner zum dominium als relatio Rebellus, De Obligationibus, Pars I Lib. I Q. 7 Sec. 1 N. 3 („relatio & habitudo quaedam ipsius domini ad rem suam“); s. weiter Suárez, De Legibus, Lib. I Cap. 20 N. 11 (zur obligatio als relatio: „Est enim obligatio quasi relatio quaedam, quae pendet ex fundamento, & termino“); Cap. 2 N. 5 („specialem quandam obligationem, aut relationem“); s. schließlich Amicus, De Iustitia et Iure, Disp. X Sec. 5 N. 69; Disp. XIV N. 15, der die Relationalität direkt mit der Gerechtigkeit in Verbindung setzt. Relatio (Summenhart, Tractatus de Contractibus, Tract. I, q. 1, S. 3, 4) setzt sich dabei aus einem Fundament (fundamentum), d.h. etwas, das der relatio vorausgeht bzw. vorausgesetzt wird, und einem Ziel bzw. einer Bestimmung (terminus) zusammen. Rebellus etwa sieht den Rechtsgrund (ratio fundandi) des dominium im Eigentumserwerb (acceptio, traditio; aaO, Pars I Lib. I Q. 7 Sec. 1 N. 3). 419 Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 2 Dub. 1 N. 7 („debitum autem non potest esse sine iure in altero; nam est correlativum eius: Debitum enim, Iuri est debitum. […] unde in altero postulat Ius, in altero debitum“); Oñate, De Contractibus, Tract. I Disp. 1 Sec. 5 N. 73 („quia omni obligationi civili in reo correspondet actio civilis in actore, & omni obligationi naturali in debitore correspondet actio naturalis in actore, quia haec dicunt inter se essentialem relationem, quia omnis obligatio est alicuius obligantis vinculum, quod passive est in obligato, active vero in actore obligante“); Tract. III Disp. 7 Sec. 2 N. 38 („Quod patet, quia cum sint correlativi & mutuam relationem dicant debitor & creditor; eo ipso, quo unus contrahentium est debitor, alter est creditor; unus obligans, alter obligatus“); Disp. 7 Sec. 5 N. 123 (zur Korrelation von obligatio und actio); Lugo, De Iustitia et Iure, Disp. XXIII Sec. 3 N. 57 („debitum enim, & creditum correlativa sunt, nec potest intelligi obligatio in aliquo, adversus quam nemo habet ius aliquod, vel actionem“); Amicus, De Iustitia et Iure, Disp. X Sec. 1 N. 17 („sunt enim haec, ius & debitum correlativa“); s. umfassend zum relativen Charakter des Rechts auch Rebellus, De Obligationibus, Pars I Lib. I Q. 1 Sec. 1 N. 8; Sec. 3 N. 24 („quoddam relativum, & referri ad debitum; & debitum similiter esse correlativum talis iuris, nec unum sine alio concipi posse“), 28, 32 („obligatio, sive, quod idem est, debitum morale de iustitia, a quo quis dicitur debitor, & obligatus alteri quasi creditori obliganti correlativo suo“); ähnlich auch Suárez, De Legibus, Lib. II Cap. 18 N. 4 („ergo est necessaria connexio inter ius concessivum & praeceptivum“), N. 5 („Dici potest, esto verum sit, cum iure concessivo semper coniungi aliquod praeceptivum“). Worin liegt das Neue in diesem korrelativen Verständnis von Recht und Pflicht, das sich zunächst im vertragsrechtlichen Kontext Bahn bricht und von dort generalisiert wird (dazu Albornoz, Arte de los Contractos, Lib. I Tit. 1, Fol. 3 [Action und Obligacion als effectos correlativos des Vertrags]; kritisch Palacio, Praxis Theologica, Cap. V, S. 17 f.; zum Begriff der correlatio im vertraglichen Kontext bereits Gerson, De Contractibus, Prima Pars, Consideratio prima [„Una est venditio altera est emptio, habentes se correlative ad invicem; venditio in agente, & emptio in recipiente. Locatio & conductio, similem habentes correlationem“; wenngleich dort die correlatio freilich nicht auf ius/actio und obligatio bezogen ist])? Die gemeinrechtliche Rechtswissenschaft hat die obligatio als „Mutter“ bzw. „causa“ der actio gewertet (s. dazu oben S. 43). Von diesem Begründungszusammenhang abweichend werden beide nun als korrelativ und gleichgeordnet angesehen. D.h. an die Stelle eines kausalen Verhältnisses von Verpflichtung und Recht tritt jetzt ein solches der (Kor-)Relation. Der Vertrag ist danach nicht „die beiderseitige Verpflichtung“ (ultro citroque obligatio, s. Ulpian, Dig. 50,16,19), wobei diese nach gemeinrechtlicher Lesart „causa“ der actio ist. Vielmehr ist nunmehr der Vertrag der (Wirk-)Grund, der als seine Wirkungen korrelative Rechte und Pflichten hervorbringt (s. dazu unten ausführlich S. 121 ff.). Gleichfalls werden nun ius und obligatio eindeutig unterschieden und getrennt, die obligatio ist kein ius, sondern dessen Korrelat (s. Rebellus, De Obligationibus, Pars I Lib. I Q. 1 Sec. 3 N. 32).
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der Relationalität des Rechts bricht sich hier Bahn. Das Recht ist „seiner Natur nach relativ“, d.h. auf jemand anderen gerichtet, den korrelativ zu dem Recht eine Pflicht trifft.420 Die Recht-Pflicht-Beziehung ist danach selbst ein gegenseitiges Verhältnis (mutua relatio).421 Relationales Denken zeigt sich außerdem im Hinblick auf den Gegenstand von Rechten. Recht meint nach Lugo nämlich die moralische Zuordnung (praelatio; ordinatio; connexio) von Gegenständen. Recht ist eine moralische Beziehung zu einem Gegenstand, kraft derer der Rechtsinhaber gegenüber allen anderen rechtlich geschützt ist.422
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S.a. Heineccius, Elementa Iuris Naturae, Lib. I § 7 („Utriusque vero correlatum quod vocant est ius. Si enim alter est obligatus: alteri ius est, vel facultas aliquid ab altero exigendi“); § 319 („Quum vero correlata sint ius et obligatio, ac proinde, posito iure, ponatur obligatio“); Nettelbladt, Systema Elementare, § 231 („Iuri in uno respondet obligatio in altero“); Pütter/Achenwall, Elementa Iuris Naturae, § 222 („omnis lex perfecta producat in altero obligationem perfectam, in altero ius: […] omni obligationi perfectae in altero ius respondeat, et vice versa“), § 430 („omni iuri respondet obligatio in altero“); Darjes, Observationes, Obs. XXXVI § 7 (allerdings differenzierend: „omne ius ex obligatione oriri, atque ius & obligationem esse correlata“); Bauer, Lehrbuch des Naturrechts, § 36, S. 49 („Recht und Rechtspflicht sind Correlate […]“); ferner auch noch Mackeldey, Lehrbuch des heutigen römischen Rechts, § 10, S. 10 („Recht und Pflicht sind correlate Begriffe, d.h. der eine läßt sich ohne den andern nicht denken“); Seuffert, Grünhut’s Zeitschrift XII (1885), 617, 618 („Denn Recht und Pflicht sind correlative Begriffe […]“). 420 S. deutlich Rebellus, De Obligationibus, Lib. I Pars. 1 Q. 1 Sec. 1 N. 8 (zur facultas moralis: „[…] adversus quemcumque alium obstantem: eiusmodi enim facultas suapte natura relativa est, & ad alterum obstantem, vel obstare potentem per se respectum habet“); Sec. 3 N. 23 („facultas relativa“), N. 28 („nec cogitari potest ius istud, quatenus tale est, sicut nec ipsa iustitia, nisi per ordinem ad alterum“). Auch beim ius in re zeigt sich dieser relationale Charakter: Das ius in re bezieht sich zwar auf eine Sache, richtet sich aber auch insoweit gegen einen anderen, als dieser dieses Recht nicht verletzen darf (s. aaO, N. 28 f.: „Ius vero in re […] est quod quis habet in re iam sua, erga alterum ne ab eo laedatur“). Jedes Recht, auch das ius in re hat daher einen relationalen Charakter, was Rebellus hier unter Rekurs auf den Begriff der Gerechtigkeit begründet: diese betrifft das Verhältnis der Menschen zueinander (ad alterum), näher dazu auch Thönissen, Recht und Gerechtigkeit, 3. Kap. V.2.b)cc), 3. Damit zeigt sich, dass die Relationalität zwei Dimensionen hat, was wiederum auf zwei Wurzeln basiert: Zum einen die Kategorie der „relatio“, die bei Summenhart auf das Recht angewendet wird (s. dazu zuvor S. 112 f. Fn. 418). Zum anderen die aus dem Charakter der Gerechtigkeit abgeleitete Relativität bzw. Korrelation von Recht und Pflicht. 421 So explizit Oñate, De Contractibus, Tract. III Disp. 7 Sec. 2 N. 38 („Quod patet, quia cum sint correlativi & mutuam relationem dicant debitor & creditor; eo ipso, quo unus contrahentium est debitor, alter est creditor; unus obligans, alter obligatus“); Tract. I Disp. 1 Sec. 5 N. 73 („quia omni obligationi civili in reo correspondet actio civilis in actore, & omni obligationi naturali in debitore correspondet actio naturalis in actore, quia haec dicunt inter se essentialem relationem, quia omnis obligatio est alicuius obligantis vinculum, quod passive est in obligato, active vero in actore obligante“). 422 S. Lugo, De Iustitia et Iure, Disp. I Sec. 1 N. 5 f.; ders., De Incarnatione, Disp. III Sec. 2 N. 42.
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gg) Recht und moralisches Sein Wie bereits erwähnt, wird das subjektive Recht mit der Lehre vom moralischen Sein verbunden.423 Recht ist danach nicht etwas Physisches, sondern etwas Moralisches, nämlich eine dem Menschen zukommende moralische Befugnis (facultas moralis; morale competens homini).424 Auch subjektive Rechte gehören zum Bereich des Moralischen. Sie kennzeichnen und umgrenzen die Handlungsmöglichkeiten und Befugnisse im Seinsbereich der Freiheit.425 Ein subjektives Recht impliziert die moralische Zuweisung von Gütern, die den Rechtsinhaber zur Disposition über diese Güter berechtigt und die gegenüber allen anderen geschützt ist, sodass die Verletzung des Rechts Unrecht ist und Restitutionsansprüche begründet.426 Hintergrund ist die beschriebene Lehre vom moralischen Sein. Es gibt einen eigenen Seinsbereich des Moralischen, der sich von dem des Physischen unterscheidet.427 Das subjektive Recht als facultas moralis gehört zu diesem moralischen Seinsbereich und bezeichnet somit einen Bereich moralischer Freiheit.428 b) Die Differenzierung von Recht (ius), Verpflichtung (obligatio) und Klagrecht (actio) aa) Die Differenzierung von subjektivem Recht und actio Als Folge dieser Abstraktion, d.h. der Verlagerung des Rechts in den moralischen Seinsbereich, klammert der subjektive Rechtsbegriff die Klagebefugnis und die Möglichkeit der zwangsweisen Rechtsdurchsetzung vor den Gerichten als Begriffsmerkmal – zumindest bis Christian Thomasius429 – 423
S. dazu oben S. 76 ff., 91 ff. Suárez, De Legibus, Lib. I Cap. 2 N. 5. Ius in diesem Sinne als facultas moralis ist aber nur das, was sich auf die Gerechtigkeit als Sondertugend (iustitia specialis; stricta iuris significatio) bezieht, insoweit also ius proprie; Lib. II Cap. 17 N. 2; Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 2 Dub. 1 N. 3 („non esse quid physicum, sed morale dumtaxat, competens homini“); Rebellus, De Obligationibus, Pars I Lib. I Q. 1 Sec. 1 N. 8; s. ferner Oñate, De Contractibus, Tract. II Disp. 6 Sec. 1 N. 16 („obligationem quae in omni contractu oritur, […] esse ens non physicum, & naturale, sed ens quoddam morale, quale est […] dominium rei, & caetera iura“). 425 S.a. Gemmeke, Die Metaphysik, S. 118; vgl. Kobusch, Die Entdeckung der Person, S. 32 ff., 61 ff. Der Begriff der Handlungsmöglichkeit drängt sich insoweit auf, als Suárez anstelle des Begriffs der facultas moralis auch auf actio moralis rekurriert, s. Suárez, De Legibus, Lib. I Cap. 2 N. 5 f. 426 Lugo, De Iustitia et Iure, Disp. I Sec. 1 N. 5 f.; ders., De Incarnatione, Disp. III Sec. 2 N. 42. 427 S. dazu oben S. 76 ff. 428 S. dazu oben bereits m.Nw. S. 80 ff.; s.a. Kobusch, Die Entdeckung der Person, S. 61 ff. 429 Zu Thomasius s. oben bereits S. 60 sowie unten noch S. 223 f.; ferner im Einzelnen dazu Thönissen, Recht und Gerechtigkeit, 3. Kap. VIII.4.b). 424
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aus.430 Der Begriff des (subjektiven) Rechts im Sinne der moralischen Befugnis (facultas moralis), der die Verpflichtung im Sinne der moralischen Notwendigkeit (necessitas moralis) korrelativ gegenübersteht431, hat sich damit von der prozessual gelagerten actio wesensmäßig separiert und ist nunmehr der zentrale Begriff, um den herum die Rechtslehre entfaltet wird.432 bb) Die Differenzierung von obligatio naturalis und obligatio civilis Zuvor hatte bereits Ockham zwischen positiven Rechten und natürlichen Rechten anhand der Klagbarkeit unterschieden.433 Das positive Recht zeichnet sich im Gegensatz zum natürlichen Recht dadurch aus, dass es gerichtlich einklagbar ist und „niemandem gegen seinen Willen ohne Schuld und einen vernünftigen Grund weggenommen werden darf“.434 Mit dieser Abstraktion des 430 S. explizit Pérez, De Iustitia et Iure, Disp. I Cap. 2 N. 66 („non semper in habente requiritur iustitia coactiva, & compulsiva“); a.A. aber etwa Amicus, De Iustitia et Iure, Disp. X Sec. 1 N. 10 („est enim debitum legale, ad quod solvendum lege cogi potest debitor; qui ad debitum morale in sola honestate virtutis fundatum, solvendum, lege cogi non potest“); N. 19 („ius alteri debitum, aut debito perfecto & legali; ad quod solvendum debitor lege cogi potest; aut debito imperfecto & morali fundato in honestate & decentia virtutis, ad quod solvendum debitor lege cogi nequit“), der explizit die Zwangskraft zum Begriffsmerkmal des Rechts im eigentlichen Sinne erhebt; s.a. Pérez, aaO in Umschreibung der Aufassung von Amicus: „debitum legale, scilicet tale, quod non sit mere honestatis & mere morale; sed det creditori actionem, & potestatem compellendi debitorem ad solutionem“. 431 S. oben S. 80 ff., 112 ff. 432 Zur Zentralität der subjektiven Rechte auch Jansen, Theologie, S. 34 f., 36 ff., 79 ff.; näher Thönissen, Recht und Gerechtigkeit, 4. Kap. I.1., 2., 3.; s. ferner oben bereits S. 111. 433 Vgl. dazu Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 312 ff.; Tierney, The Idea of Natural Rights, p. 121 ss.; Varkemaa, Theory of Individual Rights, p. 34 ss.; Robinson, Ockham’s Early Theory of Property Rights, p. 212 ss., 223 s.; Thönissen, Recht und Gerechtigkeit, 4. Kap. I.2.b). Ockham unterscheidet zwar nicht wie Thomasius im Rechtsbegriff (Recht im engeren Sinn – Recht im weiteren Sinn) selbst nach der Klagbarkeit, wohl aber grenzt er Rechte des Naturrechts und Rechte des positiven Rechts nach der Klagbarkeit ab. Er nimmt also die Abgrenzung zwischen Naturrecht und positivem Recht im Rechtsbegriff selbst vor – Naturrecht und positives Recht unterliegen unterschiedlichen Begriffen des subjektiven Rechts; anders die thomistische Tradition, die einen einheitlichen Begriff des subjektiven Rechts zugrundelegt, aber nach den beiden Foren in der Klagbarkeit unterscheidet und insofern das Naturrecht dem Gewissensforum und das positive Recht dem forum externum zuordnet (dazu näher Thönissen, Recht und Gerechtigkeit, 3. Kap. IV., VII.4.). 434 S. Ockham, Opus nonaginta dierum, Cap. 61 (zum Zusammenhang von ius positivum und ius agendi; „ius suum positivum in iudicio prosequi“; „nullus aut sine culpa et absque causa rationabili debet suo iure privari invitus“; „nemo privandus est iure suo sine culpa et absque causa“), ferner Cap. 6; bei Verletzung dieses positiven Rechts (iniuria) hat der Rechtsinhaber die Befugnis, sein Recht vor Gericht geltend zu machen; s. ferner explizit zu dieser Differenzierung im Hinblick auf das dominium Ockham, Opus nonaginta dierum, Cap. 2 („dominium est potestas humana principalis vendicandi et defendendi in humano iudicio rem aliquam temporalem. […] haec particula in humano iudicio separat hoc domi-
II. Das Naturrecht und die „Metaphysik der Freiheit“
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Rechts vom Prozess wird deutlich, dass es so etwas wie ein Recht im Sinne der Macht bzw. Befugnis auch ohne Klagbarkeit geben kann.435 Noch unter einem anderen Gesichtspunkt hat das Naturrecht dieser Unterscheidung Rechnung getragen, ohne den einheitlichen Rechtsbegriff aufzugeben, und zwar durch die Differenzierung zwischen den beiden Foren (Gewissensforum und forum externum).436 Die naturrechtliche Verpflichtung (obligatio naturalis), die im Gewissensforum verpflichtet und zu der der Gläubiger korrelativ ein Recht (ius) hat437, wird von der zivilrechtlichen Verpflichtung (obligatio civilis) unterschieden. Dieser zivilrechtlichen Verpflichtung steht die actio (civilis) gegenüber, die zur Klage vor den Gerichten (forum externum) berechtigt.438 Die Zwangskraft ist das Charakteristikum des forum exter-
435 nium a dominio quod competit homini ex iure naturali vel ex iure divino primario“); dazu auch Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 313; Robinson, Ockham’s Early Theory of Property Rights, p. 118 ss., 212 ss. 435 Vgl. Varkemaa, Theory of Individual Rights, p. 35 s.; ferner Robinson, Ockham’s Early Theory of Property Rights, p. 116 ss., 212 ss. S. aber auch Varkemaa, Theory of Individual Rights, p. 36 zur Einschränkung der Abstraktion von Rechtlichem und Faktischem bei Ockham sowie unten noch S. 221 dazu, dass Ockham einen einheitlichen Rechtsbegriff aufgibt und einer Reduktion des Rechtsbegriffs auf den Zwang den Weg bahnt. 436 Dazu eingehend Thönissen, Recht und Gerechtigkeit, 3. Kap. IV., VII.4. 437 Rebellus, De Obligationibus, Pars I Lib. I Q. 1 Sec. 3 N. 24, 28, 32; Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 2 Dub. 1 N. 7. 438 Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 17 Dub. 3 N. 14 (obligatio naturalis – obligatio civilis als „id est, quae Iure civili tribuat actionem in foro externo“); Molina, De Iustitia et Iure, Tract. II Disp. 252 N. 5; Disp. 257 N. 1; Lugo, De Iustitia et Iure, Disp. III Sec. 10 N. 222 („Obligatio civilis dicitur illa ad quam datur actio in foro externo; obligatio naturalis est illa, cui leges […] nec concedunt actionem pro illa in foro externo, sed remanet cum sua vi in foro conscientiae, & interno“); Oñate, De Contractibus, Tract. I Disp. 1 Sec. 5 N. 73 („quia omni obligationi civili in reo correspondet actio civilis in actore, & omni obligationi naturali in debitore correspondet actio naturalis in actore, quia haec dicunt inter se essentialem relationem, quia omnis obligatio est alicuius obligantis vinculum, quod passive est in obligato, active vero in actore obligante“); Sec. 6 N. 75 ff.; Tract. III Disp. 7 Sec. 2 N. 38 („Quod patet, quia cum sint correlativi & mutuam relationem dicant debitor & creditor; eo ipso, quo unus contrahentium est debitor, alter est creditor; unus obligans, alter obligatus“); Disp. 7 Sec. 3 N. 58 (Oñate sieht freilich auch eine actio für den Bereich des forum internum; actio meint aber hier nicht Klagrecht, sondern „das Recht, das, was einem geschuldet ist, zu verfolgen“; d.h. er verwendet einen weiten actio-Begriff, der nicht Klagrecht in einem engen Sinne, d.h. im Sinne des forum externum meint, s.a. aaO, Disp. 7 Sec. 4 N. 74 ff. [N. 77: „intelligenda est universaliter“]); s. ferner Filliucci, Moralium Quaestionum, Tract. 33 Cap. 5 N. 82, 99; Suárez, De Legibus, Lib. I Cap. 15 N. 11, wonach die actio in iudiciali foro moralische Wirkung der lex civilis ist; s.a. Rebellus, De Obligationibus, Pars I Lib. I Q. 1 Sec. 3 N. 29, wonach die actio aus dem ius folgt, d.h. deren Resultat ist; Albornoz, Arte de los Contractos, Lib. I Tit. 1, Fol. 3 (zum korrelativen Charakter von actio und obligatio; kritisch dazu Palacio, Praxis Theologica, Cap. V, S. 17 f.); s. ferner zur Unterscheidung obligatio civilis/obligatio naturalis Pufendorf, De Iure naturae et gentium, Lib. III Cap. IV § 5 f.; Pothier, Traité des Obligations, Part. II Chap. I § 1 N. 173 s., 175; ferner Chap. II N. 191 ss.
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num.439 Die actio ist danach „das Recht, das gerichtlich einzufordern, was einem geschuldet ist“440 – und als (Klag-)Recht wird sie abgegrenzt von der prozessualen Klagehandlung (ipsa petitio in iudicio; vel processus iudicialis).441 Die actio ist wiederum das notwendige Korrelativ der obligatio (civilis).442 Ein weiterer Grund ist also, dass das Naturrecht als das Recht des Gewissensforums die Zwangskraft nicht als solche zum Kriterium des Rechts erheben kann443, da andernfalls dem Naturrecht als dem Recht des Gewissensfo439 S. Suárez, De Censuris, Disp. 1 Sect. 2 N. 2, S. 8 f.; Reginaldus, Theologia Moralis, Lib. I Cap. 2 N. 12, 14; Turrecremata, Summa de Ecclesia, Lib. I Cap. 96 Conclusio 1. Eingehend zur Unterscheidung der beiden Foren Thönissen, Recht und Gerechtigkeit, 3. Kap. IV.3. 440 Oñate, De Contractibus, Tract. III Disp. 7 Sec. 4 N. 75 („Est autem actio ius persequendi in iudicio, quod sibi debetur“); s. bereits Celsus Dig. 44,7,51 („Nihil aliud est actio quam ius quod sibi debeatur, iudicio persequendi“). 441 Oñate, De Contractibus, Tract. III Disp. 7 Sec. 1 N. 11; Sec. 3 N. 58 (actio civilis – obligatio civilis); Sec. 4 N. 74 f. („actio vero non est ipsa petitio in iudicio, vel processus iudicialis, quo persequimur debitum; sed ius ad illam“). 442 S. Oñate, De Contractibus, Tract. I Disp. 1 Sec. 5 N. 73 („omni obligationi civili in reo correspondet actio civilis in actore“); Tract. III Disp. 7 Sec. 1 N. 11; Sec. 3 N. 58; Sec. 4 N. 79; Sec. 5 N. 123 im Hinblick auf das Vertragsrecht: „cum ergo obligationes sint de essentia contractuum, & actiones sint de essentia obligationum, & unicuique obligationi sua correspondeat actio; sit de primo ad ultimum, ut & actiones sint de essentia contractuum, tamquam correlativae obligationum; & unicuique obligationi, & unicuique contractui sua correspondeat actio propria, & essentialis“. Bei Oñate wird zwar im Anschluss an eine Formel der Glossatoren (s. dazu Coing, in: Coing/Lawson/Grönfors, Das subjektive Recht und der Rechtsschutz der Persönlichkeit, S. 7, 13 f. mit Verweis auf die Glosse actio autem, wo die obligatio als mater der actio eingeordnet wird; dazu auch Buchheim, Actio, S. 36; so auch etwa noch Vultejus, In Institutiones, Commentarius ad Lib. IV, Tit. VI § 1, N. 22 ff., S. 630 [„Hae sunt actiones personales ex obligatione, de quibus intelligendum est, quod vulgo dici solet, obligationem esse matrem actionis […] actionis personalis causae sunt duae: una remota, altera propinqua: & remota sit conventio vel delictum, propinqua obligatio […]“]; ähnlich Connanus, Commentarii, Lib. V Cap. III N. 5 [„actio autem obligationis effectus“]) die obligatio civilis als „Mutter“ und „causa“ der actio civilis verstanden, das Klagrecht (actio) ist gleichsam die Wirkung der Verpflichtung (obligatio) (s. Oñate, De Contractibus, Tract. III Disp. 7 Sec. 4 N. 74). Dagegen hat aber bereits Albornoz (Arte de los Contractos, Lib. I Tit. 1, Fol. 3) auf den korrelativen Charakter von actio und obligatio hingewiesen; die actio folgt nicht aus der obligatio, sondern ist deren Korrelativ – beide sind die korrelativen Wirkungen des Vertrags (s. dazu die Kritik bei Palacio, Praxis Theologica, Cap. 5, S. 17 f.). Tatsächlich besteht das Neue gerade darin, dass zwischen Pflicht und (Klag-)Recht jetzt ein Verhältnis der Korrelation angenommen wird und dass Wirkung des Vertrags die Entstehung von korrelativen Rechten und Pflichten ist (s. Lessius, De Iustitia et Iure, Cap. II Dub. 1 N. 7; Cap. 18 Dub. 5 N. 31; Dub. 8 N. 52; s.a. Rebellus, De Obligationibus, Pars I Lib. I Q. 1 Sec. 3 N. 24, 28, 32; Lugo, De Iustitia et Iure, Disp. XXIII Sec. 3 N. 57). Wirkung des Vertrags ist entsprechend die Entstehung von Recht und Pflicht. Daran anknüpfend ist nun auch bei Oñate Wirkung eines jeden Vertrags die Entstehung von Verpflichtung des einen sowie korrelativ dazu des (Klag-)Rechts des anderen (s. zu den Wirkungen Oñate, De Contractibus, Tract. III vor Disp. 7 N. 1; Disp. 7 Sec. 1 N. 4 ff., 11 ff.; Sec. 4 N. 79; Sec. 5 N. 123). 443 Vgl. explizit Pérez, De Iustitia et Iure, Disp. I Cap. 2 N. 66 („non semper in habente requiritur iustitia coactiva, & compulsiva“) gegen Amicus, De Iustitia et Iure, Disp. X Sec. 1
II. Das Naturrecht und die „Metaphysik der Freiheit“
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rums444 seine Rechtsqualität abhanden käme – was Thomasius schließlich dazu veranlasst, das Naturrecht als solches nicht mehr als Recht im eigentlichen Sinn einzuordnen, sondern der Ethik zuzuweisen.445 cc) Die Rechtspflicht und der Zwang als Merkmal des Rechts In Anknüpfung an Thomasius folgt so eine weitere Entwicklung in der Naturrechtslehre des 18. Jahrhunderts. Hier bildet sich ein eigenständiger Begriff der naturrechtlichen Rechtspflicht (obligatio naturalis perfecta; obligatio externa; ius naturale stricte, cogens, externum), der diejenigen naturrechtlichen Pflichten erfasst, die im forum externum446 erzwingbar sind.447 Dies sind (vor allem) diejenigen naturrechtlichen Pflichten, die dem Bereich der Gerechtigkeit bzw. des Gerechten (iustum, obligatio iustitiae) unterfallen.448 N. 444 10, 19 („ius alteri debitum, aut debito perfecto & legali; ad quod solvendum debitor lege cogi potest; aut debito imperfecto & morali fundato in honestate & decentia virtutis, ad quod solvendum debitor lege cogi nequit“); Sec. 5 N. 72, 89, 92, der explizit die Zwangskraft zum Begriffsmerkmal des Rechts im eigentlichen Sinne erhebt. 444 Dazu Thönissen, Recht und Gerechtigkeit, 3. Kap. IV.3.c), VII.4. 445 S. Thomasius, Fundamenta Iuris Naturae et Gentium, Cap. Prooemiale §§ 8 ff.; Lib. I Cap. 5 §§ 2 ff., 34; dazu Thönissen, Recht und Gerechtigkeit, 3. Kap. VIII.4.b); Schreiber, Der Begriff der Rechtspflicht, S. 18 ff., 21 ff. 446 S. Achenwall, Prolegomena, § 112 („Obligatio interna vocatur etiam obligatio in foro Divino (interno), sicut externa in foro humano (externo)“), § 138 (forum divinum, forum conscientiae, forum internum, forum poli – forum humanum, forum externum, forum soli); ders., Ius Naturae, § 49 – bei Achenwall wird also wiederum die Zuordnung von obligatio interna und obligatio externa zu den verschiedenen Foren deutlich, d.h. er greift explizit auf die Trennung der Foren zur Abgrenzung von Rechtspflicht und moralischer Pflicht zurück. 447 S. Achenwall, Prolegomena, §§ 98, 99, 109, 110, 111, 112, 130, 132; ders., Ius naturae, §§ 1, 34, 42, 49, 51; s. Schreiber, Der Begriff der Rechtspflicht, S. 30 ff. zu dieser Entwicklung, wonach „das Naturrecht im engeren Sinne […], deutlicher als bei Thomasius, der es „mehr zu den Ratschlägen“ zählen wollte, durch die äußere Zwangspflicht charakterisiert“ wird (aaO, S. 32); s.a. W. Hess, Zum Verhältnis von Recht und Sittlichkeit, S. 14; vgl. auch Pothier, Traité des Obligations, Part. II Chap. I § 1 N. 173 s.; Wolff, Jus naturae, Pars I, §§ 656 ff. Es bildet sich also ein eigenständiger Begriff für bestimmte naturrechtliche Pflichten, die erzwingbar sind. D.h. es gibt bei diesen eine äußere Verpflichtung (obligatio externa). Im Fall ihrer Verletzung hat der andere Teil ein subjektives Recht, das eine Zwangsbefugnis miteinschließt (facultas moralis cogendi; Achenwall, Prolegomena, §§ 98, 106). Diese naturrechtlichen Zwangsrechte koinzidieren in gewisser Hinsicht mit den Verpflichtungen des positiven Rechts (obligatio civilis), denn die äußere Zwangspflicht wird nur durch das positive Recht, d.h. vor den menschlichen Gerichten (forum humanum) geschaffen (vgl. Achenwall, Prolegomena, §§ 112, 138). 448 Vgl. zu Thomasius und dessen Begriff des Naturrechts im engeren Sinne, der dem Bereich des Gerechten bzw. der Gerechtigkeit zugeordnet wird, Thönissen, Recht und Gerechtigkeit, 3. Kap. VIII.4.b) m.Nw.; Schreiber, Der Begriff der Rechtspflicht, S. 21 f.; s. ferner auch Gisawi, Der Grundsatz der Totalreparation, S. 85 ff. zum Zusammenhang von iustum und jus naturae stricte dictum. Bei Achenwall sind erzwingbare Naturrechtspflichten – in Abgrenzung zu den Pflichten gegenüber sich selbst und Gott sowie den Pflichten der Nächstenliebe – nur die Pflichten, das zu unterlassen, was die Selbsterhaltung anderer behin-
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Als Folge dieser Entwicklung wird nun von einigen Autoren auch das Element des Zwangs als zusätzliches notwendiges Begriffsmerkmal des subjektiven Rechts (facultas moralis cogendi)449 gesehen – ein Recht im eigentlichen Sinn ist ein Zwangsrecht.450 Indem jedoch der subjektive Rechtsbegriff im Kontext des Naturrechts als vom Begriff der Klage451 unabhängig entwickelt
449 dert, s. Schreiber, Der Begriff der Rechtspflicht, S. 31 mit Verweis auf Achenwall, Prolegomena, §§ 87, 89, 103, ferner §§ 106 f.; ferner W. Hess, Zum Verhältnis von Recht und Sittlichkeit, S. 14. Schaut man sich an, welche Pflichten Achenwall (Ius Naturae, §§ 64 ff. et passim; Pütter/Achenwall, Elementa Iuris Naturae, §§ 209 ff.) hierunter versteht, dann sind dies im Ergebnis vor allem die Pflichten, die dem Bereich der (ausgleichenden) Gerechtigkeit unterfallen (Rechtsverletzung, Schadensausgleich, Vertrag etc.). 449 Achenwall, Prolegomena, §§ 98 f., 106, ferner § 44. Achenwall unterscheidet aber entsprechend der naturrechtlichen Entwicklung zwischen ius late et subiective sumtum und ius strictum (ius perfectum) subiective sumtum (Ius Naturae, §§ 23, 36; ferner ders., Prolegomena, §§ 100 f.). Nur letzteres ius strictum subiective sumtum, das mit der obligatio perfecta korrespondiert – bei Achenwall ist das inhaltlich das Recht, das zu tun, was zur Selbsterhaltung notwendig ist (Prolegomena, §§ 102, 106 f.; Ius naturae, § 37) –, umschreibt er als facultas moralis cogendi (Ius Naturae, §§ 34, 36; Prolegomena, § 106; ferner § 114). Mit dem ius subiective late sumtum, das nur als facultas moralis umschrieben ist und mit dem die Pflichten gegenüber Gott, sich selbst sowie die der Nächstenliebe korrespondieren, ist demgegenüber keine Zwangsbefugnis verbunden, sondern nur eine obligatio imperfecta (Prolegomena, §§ 106 f.). Diese Differenzierung ist freilich schon bei Suárez vorgezeichnet: Suárez (De Legibus, Lib. I Cap. 2 N. 5) spricht nur hinsichtlich des Rechts im engen Sinne (iuxta strictam iuris significationem), also hinsichtlich des Rechts, das den Gegenstand der (Sonder-)Gerechtigkeit bildet, von facultas moralis. 450 S. Schreiber, Der Begriff der Rechtspflicht, S. 31, 32 f. mit Verweis auf Achenwall, Prolegomena, §§ 98, 103; vgl. auch Gisawi, Der Grundsatz der Totalreparation, S. 85 ff.; zu dieser Diskussion, die im 19. Jhd. wieder neu geführt wird, s. unten S. 189 ff. (Puchta gegen Windscheid). Auch wenn im 19. Jhd. zahlreiche Autoren den Begriff des Zwangs als notwendiges Begriffsmerkmal des subjektiven Rechts ansehen, so wirkt doch die hier beschriebene Abstraktion auch bei ihnen fort. Im Gegensatz zum Begriff der actio geht der Inhalt des subjektiven Rechts nicht in der Klagebefugnis auf. Inhalt ist zunächst einmal eine „Willensmacht“, eine Herrschaft, Rechtsmacht etc. Diese besteht als solche unabhängig von ihrer klagweisen Geltendmachung. Erst ihre Verletzung führt zur Entstehung des Klagrechts (s. dazu unten S. 190 Fn. 801; S. 216). D.h. der einmal vom Klagrecht abstrahierte Begriff des subjektiven Rechts hat sich auch durch die (Wieder-)Einführung des Zwangsmerkmals nicht zur bloßen actio entwickelt, sondern übersteigt diesen. Vor diesem Hintergrund ist dann wiederum Windscheids Auseinandersetzung um die Begriffe subjektives Recht, actio und Anspruch zu sehen, dazu unten S. 191 ff. 451 Der Begriff der actio im Sinne eines (Klag-)Rechts spielt im Naturrecht des 18. Jhd. keine zentrale Rolle. Zentral sind demgegenüber die Begriffe ius und obligatio (vgl. die Register sowie s. etwa Wolff, Institutiones Juris Naturae, § 773; Pütter/Achenwall, Elementa Iuris Naturae, §§ 882 ff.; Achenwall, Ius Naturae, §§ 286 ff.), was auch daran liegen dürfte, dass das Naturrecht sich nur in begrenztem Umfang mit dem Prozessrecht auseinandersetzt, s. dazu aber Nörr, Naturrecht und Zivilprozeß, S. 1 ff.; instruktiv Nettelbladt, Systema Elementare, §§ 1512, 1658 f., der actio als „Rechtsmittel“ umschreibt; die actio civilis ist danach das medium persequendi haec jura (§ 1658), d.h. das Mittel, wodurch auf dem Rechtsweg (via juris, § 386) Rechte durchgesetzt werden können.
II. Das Naturrecht und die „Metaphysik der Freiheit“
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ist, hat sich bereits eine Abstraktion vollzogen452, die das Rechtliche als eigenständige Wirklichkeit vom Bereich des Physisch-Faktischen trennt453. Es wird sich später noch zeigen, wie diese Entwicklung im 19. Jahrhundert ihren (vorläufigen) Abschluss findet.454
4. Vertragsrecht a) Freiheit und Wille aa) Vertrag, Willensakte und Wirkung des Vertrags Die Anwendung der zuvor dargestellten Kategorien455 auf das „Recht“ transformiert in Bruch zu den Kategorien des römischen Rechts in erheblicher Weise das Vertragsrecht. Es bilden sich allgemeine Vertragslehren, die auf Person, Freiheit und Wille aufbauen und in gewisser Hinsicht Vertragsfreiheit verwirklichen.456 Danach gilt, dass jeder Vertrag rechtlich verpflichtet.457 Diese Änderungen lassen sich nur vor dem Hintergrund der Willensmetaphysik, der Lehre vom moralischen Sein sowie der Gerechtigkeitslehre nachvollziehen.458
452 Vgl., wenngleich nur generell auf das Naturrecht verweisend, zu diesem Abstraktionsprozess gegenüber dem auf das „Schaubare, Konkrete“ abstellenden Aktionendenken Bucher, Normsetzungsbefugnis, S. 31 („Das Denken in subjektiven Rechten abstrahiert demgegenüber von der Frage der Durchsetzung und beschränkt sich auf das Problem, welches Verhalten an sich gesollt ist, oder besser, welches Verhalten vom Berechtigten verlangt werden kann“), 32 („Es dürfte der Rationalismus der Aufklärung und das rationalistische Naturrecht […] Ausgangspunkt jener Betrachtung sein, die das Recht als ein Gefüge von Verhaltensnormen und subjektiven Rechten versteht“). 453 S. insoweit oben zur Lehre vom moralischen Sein S. 76 ff.; vgl. auch zu dieser Trennung von Faktischem und Rechtlichem Varkemaa, Theory of Individual Rights, p. 27 ss., 33, 36; s. ferner auch etwa Nettelbladt, Systema Elementare, § 230 („Iuris esse, in oppositione ad id quod facti est (§ 198.), dicitur, quicquid consistit in facultate agendi morali“). 454 S. dazu unten S. 191 ff. 455 D.h. insbesondere die Willensmetaphysik und die Lehre vom moralischen Sein, wie sie in Anküpfung an Molina und Suárez insbesondere bei Lessius und Oñate vollzogen wird. 456 Grundlegend hierzu und zum Folgenden (insbesondere zu Lessius und Oñate) Decock, Contract Law, p. 105 ss., 152 s., 162 ss., 170 ss., 212 s.; ferner auch Gordley, The Philosophical Origins, p. 10 ss., 69 ss.; Thönissen, Recht und Gerechtigkeit, 4. Kap. III.2.c). 457 Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 17 Dub. 4 N. 19 („Omnis contractus, etiam nudus, sponte libereque factus, si contrahentes sint habiles, parit obligationem naturalem“); Cap. 18 Dub. 8 N. 55 („Omnis obligatio contractuum est obligatio Iustitiae, & non oritur nisi promissione: ergo promissio inducit obligationem Iustitiae“); dazu auch Decock, Contract Law, p. 151 s., 162 ss.; zu Oñate s. gleich noch im Einzelnen die Nachweise; s.a. Heineccius, Elementa Iuris Naturae, Lib. I § 390. 458 Vgl. zum Bezug von Vertragsrecht und res moralis Oñate, De Contractibus, Tract. III vor Disp. 7 N. 1; Disp. 7 Sec. 2 N. 30. Bei Oñate zeigt sich deutlich, dass die Kategorien der Lehre des moralischen Seins auf das Vertragsrecht konsequent angewendet werden und dadurch das Vertragsrecht selbst wesentlich transformiert wird.
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2. Kapitel: Die Entstehung der Konstituenten
Wie gezeigt, kommt dem Willen die Freiheit zu.459 Er ist moralische Ursache (causa moralis) und kann als moralische Ursache moralische Wirkungen (effectus morales), d.h. Verpflichtungen (obligatio) und, als deren Korrelat, Rechte hervorbringen.460 Grund der Verpflichtungswirkung des Vertrags sind entsprechend Freiheit461 und Wille.462 Die Verpflichtung geht – vermittelt durch das 459 Dazu auch im vertragsrechtlichen Kontext Oñate, De Contractibus, Tract. I Disp. 3 Sec. 4 N. 73 ff. – formell besteht die Freiheit in den Willensakten, Wurzel der Freiheit ist der Intellekt. 460 So vor allem, aufbauend auf der Lehre vom moralischen Sein, Oñate, De Contractibus, Tract. II Disp. 4 Sec. 1 N. 7 f.; Tract. III Disp. 7 Sec. 1 N. 4 ff.; Sec. 2 N. 30; vgl., wenngleich nicht mit den Kategorien der Lehre vom moralischen Sein, Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 18 Dub. 1 N. 6; Dub. 5 N. 31 ff.; Dub. 8 N. 52. Bei Oñate ist primäre Wirkung eines jeden Vertrages die Entstehung der obligatio. Die obligatio ist korrelativ mit der actio im Sinne des ius persequendi verbunden (s. zuvor sowie Oñate, De Contractibus, Tract. III Disp. 7 Sec. 1 N. 11; Sec. 5 N. 123). Weitere Wirkung des Vertrages ist die Veräußerung von „Eigentum“ (dominii translatio; Oñate, De Contractibus, Tract. II Disp. 4 Sec. 1 N. 8; Disp. 5 Sec. 9 N. 381 ff.; Tract. III Disp. 7 Sec. 1 N. 18), wobei Oñate hier freilich den weiten dominium-Begriff verwendet, der alle veräußerlichen Rechte umfasst und unter den auch das Eigentum an den eigenen Handlungen fällt – auch Handlungen sind damit Gegenstand von Verträgen; ferner Oñate, De Contractibus, Tract. II Disp. 5 Sec. 7 N. 354; Sec. 9 N. 385; zur Einordnung des Vertrags in die Kategorien des moralischen Seins s.a. Suárez, De Bonitate, Disp. 1 Sec. 3 N. 4, 6; ders., De Voto, Lib. I Cap. 6 N. 4, 9; s.a. zu den Wirkungen des Vertrages (Entstehung von ius und obligatio) Nettelbladt, Systema Elementare, §§ 637, 689; Achenwall, Ius Naturae, § 182 (De effectibus pacti – pactum dat ius irrevocabile, imponit obligationem irrevocabilem). 461 S. Oñate, De Contractibus, Tract. II Disp. 4 vor Sec. 1 N. 3 f.; ferner zur Notwendigkeit der Freiheit des Konsenses (consensus liber; libertas) Tract. I Disp. 3 Sec. 4 N. 73 ff. Bei Oñate tritt neben die Freiheit noch ein zweiter Begründungsaspekt: das dominium (freilich im Sinne des weiten dominium-Begriffs, der auch die Handlungsfreiheit umfasst), das den Gegenstand (materia circa quam) des Vertrags bildet (dazu auch Decock, Contract Law, p. 164 ss.). Freiheit und die mit dem dominium verbundene Verfügungsbefugnis sind danach die Grundlage vertraglicher Bindung. Allerdings sind causa efficiens die Willensakte bzw. der Konsens der Vertragsschließenden. Die Freiheit meint wiederum die Fähigkeit zur Selbstbestimmung (s. oben bereits S. 65; s.a. zur Notwendigkeit der Freiheit Suárez, De Voto, Lib. I Cap. 6 N. 1 ff., 4, 9 [weil die Verpflichtung moralisch ist, muss auch der Verpflichtungsakt moralisch, d.h. frei sein]). Die Rechte (dominium), die den Gegenstand des Vertrages bilden, sind demgegenüber causa materialis des Vertrages (Oñate, aaO, Tract. II, vor Disp. V; ebenso auch noch Zitelmann, Irrtum und Rechtsgeschäft, S. 292 [„Dasein des Rechts, welches übertragen werden soll“ als „causa materialis“], S. 401 f.); d.h. beide Kategorien stehen auf unterschiedlichen Ebenen. Dieser Aspekt scheint von zentraler Bedeutung zu sein; der Wille wird erst dann und dadurch zum eigentlichen Verpflichtungsgrund vertraglicher Verpflichtung, weil und nachdem anerkannt ist, dass dem Willen die Freiheit zukommt; Thomas v. Aquin (STh, II-II, q. 88,1 resp.; ad sec.) sieht demgegenüber im Versprechen noch primär einen Vernunftakt (rationis actus), dem ein Willensakt vorausgeht. Entsprechend verortet er Freiheit auch noch sowohl beim Willen als auch bei der Vernunft (s. dazu oben bereits S. 64). 462 Dazu auch Decock, Contract Law, p. 163 ss. Ob wirklich der Willensakt (actus voluntatis) causa efficiens des Vertrages ist oder nicht vielmehr die vertragsschließenden Personen (die Willensakte sind dann essentia des Vertrags), ist allerdings umstritten; s. Oñate, De Contractibus, Tract. II Disp. 4 vor Sec. 1 N. 2 f. (Person als causa efficiens; Willensakte als essentia des Vertrags); ferner Tract. V Disp. 26 Sec. 7 N. 110 („Efficiens pactorum causa (idest personae paciscentes)“); s.a. Suárez, De Voto, Lib. III vor Cap. 1; ders., De Legibus, Lib. VIII
II. Das Naturrecht und die „Metaphysik der Freiheit“
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Gesetz463 – aus dem Willen464 bzw. der Intention, d.h. dem freien Willensakt (actus voluntatis) der Vertragsschließenden hervor. Ein Vertrag besteht aus den Willensakten mindestens zweier Personen, die sich auf dasselbe einigen.465 Zur Begründung der Verpflichtung ist ein direkter Willensakt erforderlich.466 463 Cap. 33 N. 15; Filliucci, Moralium Quaestionum, Tract. 26 Cap. 6 vor N. 160; Tract. 33 Cap. 2 vor N. 17: Vertrag setzt einen freien Willensakt (liber consensus) voraus, ein freier Willensakt wird durch Intellekt und Wille hervorgebracht; Wille und Intellekt sind als facultas proxima die unmittelbare und intrinsische causa efficiens, die Person ist die (extrinsische mittelbare) causa efficiens. Richtigerweise wird man hier an Suárez’ Unterscheidung zwischen principium quod und principium quo anknüpfen müssen (s. dazu oben S. 84): Person ist die causa efficiens im Sinne des principium quod, der Wille im Sinne des principum quo; deswegen sieht Suárez auch sowohl die Person als auch den Willen als causa efficiens an. 463 Zur Frage, ob wirklich der Wille der Vertragsparteien oder nicht vielmehr das Gesetz (Wille des Gesetzgebers) Wirkursache der Entstehung von Pflicht und Recht ist, s. Suárez, De Legibus, Lib. I Cap. 14 N. 3, 13: alle Verpflichtungen folgen danach aus dem Gesetz, d.h. dem Willen des Gesetzgebers; der private Willensakt ist fundamentum/materia, an die das Gesetz die Wirkung knüpft; s. aber auch ders., De Voto, Lib. I Cap. 6 N. 4 („haec obligatio moralis est, ergo ex actu morali nasci debet: nascitur autem ex proprio actu, & non ex sola lege extrinseca superioris“); Lib. III vor Cap. 1 (persona und Wille/Intellekt als causa efficiens). Diese Frage wird zu einem Kontinuum und ist bis in die Gegenwart streitig, s. dazu unten S. 201 f. Fn. 869 sowie S. 444 ff. Ein Lösungsansatz, der sich bei Suárez selbst zeigt, sieht Willen und Person als causa efficiens des Versprechens (Suárez, De Voto, Lib. III vor Cap. 1 zum votum). Wirkung des Versprechens ist zwar die Verpflichtung (obligatio), Grund dieser Wirkung ist dann aber direkt das Gesetz, das an das Versprechen als materia/fundamentum die obligatio knüpft. Damit kann man weiterhin die Person als Wirkgrund des Vertrags ansehen, die Wirkung des Vertrags folgt indes aus dem Gesetz selbst, das an das Rechtsgeschäft als Fundament die Wirkung knüpft. Danach ist der Wille der vertragsschließenden Personen unmittelbar causa efficiens des Vertrags, mittelbar der vertraglichen Verpflichtungen, die selbst unmittelbar aus dem Gesetz folgen, das an die Willenshandlungen als materia/fundamentum die Rechtswirkungen knüpft; s. ferner Amicus, De Iustitia et Iure, Disp. V Sec. 8 N. 217, der das Versprechen als moralische causa efficiens der Verpflichtung ansieht, wobei diese aber unmittelbar aus dem Recht folgt („quia obligatio non oritur proxime ex voluntate praecipientis, aut voventis, sed ex materia praecepta aut vota: requiritur autem praeceptum, aut votum ut causa tantum efficiens moralis, constituens rem praeceptam, aut votam in materia virtutis; ea tamen posita, obligatio proxime oritur naturali iure ex materia praecepta, aut vota: praceptum, aut votum praecedit obligationem, ut causa suum effectum“). 464 S. Oñate, De Contractibus, Tract. II Disp. 4 Sec. 1 N. 7 („obligatio est entitas quaedam moralis, & rationis, quae a sola voluntate libera produci, & constitui postulat“). 465 S. etwa Oñate, De Contractibus, Tract. I Disp. 1 Sec. 3 N. 20; Disp. 3 vor Sec. 1; Sec. 1 N. 1; Sec. 2 N. 26 ff.; Tract. II vor Disp. 4 N. 2 f.; Disp. 4 Sec. 1 N. 10 („actus humanus liberae voluntatis“); Tract. III Disp. 7 Sec. 1 N. 28 („contractus, & consensus sunt actus solius voluntatis“); s. ferner Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 17 Dub. 1 N. 5; Cap. 18 Dub. 6 N. 34 ff., 39; s.a. Heineccius, Elementa Iuris Naturae, Lib. I § 386 („consensus duorum pluriumve in idem placitum de dando aliquo vel facienda […], quum vocetur pactum“), § 391 („pactum sit duorum pluriumve in idem placitus consensus“); Bauer, Lehrbuch des Naturrechts, § 111, S. 149 („Als Subject des Vertrags sind zwei physische, oder moralische Personen erforderlich“). 466 Vgl. Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 40 Dub. 1 N. 4, 6 (actus positivus & directus; directe volita; sciens & volens – Fahrlässigkeit reicht nicht aus, ebensowenig eine Unterlassung); s.a. Suárez, De Voto, Lib. I Cap. 10 N. 8 („[…] non contrahitur per moralem impu-
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2. Kapitel: Die Entstehung der Konstituenten
Wirkung467 des Vertrags sind die Entstehung von Verpflichtung und (Klag-) Recht sowie die Rechtsübertragung.468 Unmittelbarer Gegenstand eines jeden Vertrags sind Rechte und deren (Teil-)Übertragung.469 Der Pflicht des einen 467 tationem, sed per directam voluntatem. Quod etiam videre licet in omni morali obligatione unius hominis ad alium. Et ratio a priori est, quia ad contrahendam obligationem non satis est voluntas proferendi verba promissionis, sed necessaria est voluntas, promittendi, & se obligandi“). 467 S. insoweit bereits zu dieser kausalen Wirkweise des Vertrags, aufgrund deren Vertrag und Vertragswirkungen unterschieden werden, Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 17 Dub. 1 N. 1 f.; dazu auch Decock, Contract Law, p. 176: Obwohl nicht so sehr wie Oñate von der Lehre vom moralischen Sein geprägt, trennt Lessius den Vertragsbegriff ausdrücklich von den Wirkungen des Vertrages (s.a. zuvor bereits zu diesem kausalen Verständnis Summenhart, De Contractibus, Tract. I, q. 16, S. 49: „Contractus est quoddam factum (nam contractus consistit in facto) seu est quidam actus, ex quo actu, vel facto oritur obligatio ex utraque parte“; „obligatio est effectus contractus: quia obligatio nascitur ex contractu; […] ex obligatione nascitur actio“). Damit ist der Vertrag nicht mehr ultro citroque obligatio (s. Ulpian, Dig. 50,16,19), sondern der Vertrag als gegenseitiger Konsens bringt das Recht des einen und die korrelative Pflicht des anderen als Wirkung hervor. Bei Lessius ist gegenüber Summenhart neu, dass im Anschluss an Albornoz (Arte de los Contractos, Lib. I Tit. 1, Fol. 3; zu dieser Diskussion die Kritik bei Palacio, Praxis Theologica, Cap. V, S. 17 f.) Wirkung des Vertrags die Entstehung eines Rechts sowie einer korrelativen Pflicht ist (s. Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 18 Dub. 5 N. 31; Dub. 8 N. 52). An die Stelle des kausalen Verhältnisses von obligatio und actio tritt so ein Verhältnis der Korrelation von Recht und Pflicht. 468 S. Oñate, De Contractibus, Tract. I Disp. 1 Sec. 3 N. 20; Sec. 5 N. 73 („non minus esse de essentia contractus producere actionem in stipulante, quam obligationem in reo, seu promittente: quia omni obligationi civili correspondet actio civilis in actore, & omni obligationi naturali in debitore correspondet actio naturalis in actore, quia haec dicunt inter se essentialem relationem“); Tract. II Disp. 4 Sec. 1 N. 7 f.; Tract. III vor Disp. 7 N. 1; Disp. 7 Sec. 1 N. 4 ff.; Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 17 Dub. 1 N. 1 f.; Cap. 18 Dub. 5 N. 31; Dub. 8 N. 52; s.a. Pütter/Achenwall, Elementa Iuris Naturae, § 359 („[…] pacti validi effectus. Ex pacto iusto nascitur acceptanti ius novum, promittenti obligatio nova“), § 363 („Omne pactum continet praestationem, ideoque translationem sui in alterum, id est alienationem“); Achenwall, Ius Naturae, § 182 ff. („De effectibus pacti“; § 182: „Eatenus pactum dat ius irrevocabile, imponit obligationem irrecovabilem […]“; § 186: „speciatim acceptanti ex pacto nascitur ius in promissorem, ut praestet: quod ius ortum ex facto et voluntate eius, qui promisit, cuius correlata obligatio certae duntaxat personae incumbit, indeque vocatur ius personale“); Darjes, Institutiones, § 420 („Datur ergo in paciscientium altero, qui scilicet promisit, obligatio perfecta ad promissa servanda […], & in altero, qui scilicet promissionem acceptavit, ius cogendi promittentem“); Bauer, Lehrbuch des Naturrechts, § 117, S. 159 („Der Vertrag ist folglich als eine Rechtsnorm für die Contrahenten, als Quelle von Forderungen und Verbindlichkeiten anzusehen“), ferner § 118, S. 160 f. (zu den Wirkungen des Vertrags: „auf Seiten des Promissars ein Recht die versprochene Leistung zu fordern […]. Auf Seiten des Promittenten entsteht eine, diesem persönlichen Recht entsprechende Verbindlichkeit zur Leistung der versprochenen Sache oder Handlung […]“). 469 Oñate, De Contractibus, Tract. II Disp. 5 Sec. 9 N. 381 ff.; Tract. V Disp. 16 Sec. 7 N. 111 („iura vero, quae sunt quasi formalis materia contractuum & pactorum (omnia enim pacta omnes contractus ad commutationem alicuius iuris, circa praedicta pertinent.) ad contractus, & pacta pertinent, non solum dominii pleni commutatio, seu per amissionem, & distractionem, seu per acquisitionem, sed etiam dominii directi, & dominii utilis, seu usufructus […]“). Zur Differenzierung von obligatorischen und dinglichen Verträgen vgl. Lugo, De Iustitia et Iure, Disp. XXII Sec. 4 N. 42, 49.
II. Das Naturrecht und die „Metaphysik der Freiheit“
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steht das Recht des anderen gegenüber, beide sind korrelativ.470 Der Vertrag zielt so auf die Begründung von Rechten und Pflichten und wird zum Instrument der Rechtsbegründung.471 Der Vertrag ist gleichsam ein privates „Gesetz“ (lex privata; lex contractus), das „man sich selbst auferlegt“.472 bb) Vertrag als moralische Vereinigung von Antrag und Annahme Auch wenn der Wille Verpflichtungsgrund ist473, ist der nach außen hin erfolgte474 Willensakt eines Versprechenden alleine nicht hinreichende Bedingung eines wirksamen Vertrags.475 Ein Vertrag (contractus) kommt erst dann 470
Dazu auch oben bereits S. 112 ff. Vgl. Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 18 Dub. 5 N. 31; Dub. 8 N. 52, 55; Cap. 2 Dub. 1 N. 7; Oñate, De Contractibus, Tract. I Disp. 1 Sec. 5 N. 70 ff., 73; Tract. III Disp. 7 Sec. 1 N. 11; Sec. 3 N. 58; Sec. 5 N. 123 („cum ergo obligationes sint de essentia contractuum, & actiones sint de essentia obligationum, & unicuique obligationi, sua correspondeat actio; sit de primo ad ultimum, ut & actiones sint de essentia contractuum, tamquam correlativae obligationum; & unicuique obligationi, & unicuique contractui sua correspondeat actio propria, & essentialis“; actio ist wiederum ein ius persequendi in iudicio, s. aaO, Sec. 4 N. 74 ff.); s. ferner Achenwall, Ius Naturae, § 171 („oritur ius acceptantis promissionem (promissarii) in promittentem (promissionem), ut actu praestet quod promisit, cui iuri respondet obligatio promittentis ad praestandum quod promisit“), § 174 („ut pactum ius atque obligationem, mutuo paciscientium consensui conformiter, producat“); vgl. Nettelbladt, Systema Elementare, §§ 145, 150, 689. 472 Vgl. Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 40 Dub. 1 N. 3 („promissio est lex quaedam & onus, quod sibi quis sponte imponit“), 6 („promissio (quae est veluti lex quaedam, quam quis sibi imponit)“); Filliucci, Moralium Quaestionum, Tract. 33 Cap. 2 N. 17 („cum animo se obligandi ad leges eius contractus, qui celebratur“); s.a. Suárez, De Voto, Lib. I Cap. 6 N. 2 f., 7 (lex privata); dazu auch Decock, Contract Law, p. 178 s.; s. ferner Achenwall, Ius Naturae, § 182 („pacta dant legem inter paciscentes“); Bauer, Lehrbuch des Naturrechts, § 117, S. 158 („so entsteht aus dieser Vereinigung des Willens beider Contrahenten eine positive Rechtsnorm für dieselben“). 473 S. Decock, Contract Law, p. 178 ss. Zur Frage, ob der innere Wille alleine Verpflichtungsgrund ist und welche Bedeutung seiner Erklärung zukommt, vgl. Amicus, De Iustitia et Iure, Disp. XVII N. 17 (auf den Einwand: „Tota vis obligandi in contractu est ab actu interno: expressio autem exterior, solum requiritur ut possit acceptari“ die Antwort: „quidquid sit, an tota ratio formalis obligandi sit a voluntate interna, contendo requiri etiam necessario expressionem aliquam externam, sive illa requiatur ut conditio, sive ut ratio formalis“); Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 18 Dub. 5 N. 30 ff., 33; demgegenüber dafür, dass der innere Wille alleine verpflichtungsbegründend ist, Molina, De Iustitia et Iure, Tract. II Disp. 266 N. 9 ff.; dagegen wiederum Suárez, De Legibus, Lib. VIII Cap. 33 N. 9 ff., 22 f.; zu dieser Diskussion auch Decock, Contract Law, p. 182 ss., 184 ss. 474 Zu diesem Erfordernis Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 18 Dub. 5 N. 30 ff. (actus externus; signa externa); Oñate, De Contractibus, Tract. II Disp. 6 Sec. 2 N. 31 ff., 34 ff.; Decock, Contract Law, p. 182 ss. Zur Diskussion des Auseinanderfallens von (äußeren) Worten (verba externa; consensus externus) und (innerlich fehlendem) Willen (consensus internus) s. Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 18 Dub. 8 N. 58 ff.; Lugo, De Iustitia et Iure, Disp. XXII Sec. 4 N. 44 ff., 49. 475 Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 18 Dub. 6 N. 34 ff., 39, 41; Cap. 17 Dub. 1 N. 5; Oñate, De Contractibus, Tract. I Disp. 3 Sec. 1 N. 12 f.; dazu auch Decock, Contract Law, p. 187 ss. 471
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2. Kapitel: Die Entstehung der Konstituenten
wirksam zustande, wenn sich die Willen mindestens zweier Vertragsparteien476 durch gegenseitigen Konsens auf dasselbe einigen.477 Grund ist, dass es um die Begründung oder die Übertragung von Pflichten und Rechten geht, weshalb der Konsens beider Parteien notwendig ist – die Wirkung (Begründung, Übertragung etc. von subjektiven Rechten und Pflichten) bedingt die Notwendigkeit des gegenseitigen Konsenses.478 Ein Vertrag besteht danach aus den Willenshandlungen mindestens zweier Personen, die sich auf dasselbe einigen.479 Der Wille der einen Partei begründet erst und nur dann die vertragliche Bindung, wenn er nach außen hin durch 476 Zur Notwendigkeit mindestens zweier vertragsschließender rechtsgeschäftsfähiger Personen, da andernfalls der erforderliche Konsens fehlt, s. Oñate, De Contractibus, Tract. VI Disp. 19 Sec. 3 N. 55; Tract. I Disp. 3 Sec. 1 N. 1, 12 f. 477 Oñate, De Contractibus, Tract. I Disp. 3 Sec. 2 N. 26 ff.; Sec. 3 N. 42 ff., 62 ff., 68; Disp. 1 Sec. 4 N. 47; Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 18 Dub. 6 N. 38 f., 41; Cap. 17 Dub. 1 N. 5; Filliucci, Moralium Quaestionum, Tract. 33 Cap. 2 vor N. 17; N. 25; Lugo, De Iustitia et Iure, Tom. II, Disp. XXII Sec. 3 N. 27; Disp. XXIII Sec. 2 N. 31; Sec. 3 N. 38 f.; Amicus, De Iustitia et Iure, Disp. XVII N. 2 („Reciprocus consensus duorum aut plurium, sensibili signo expressus. Reciprocus, quia ad contractum non sat est consensus unius, sed requiritur assensus & acceptatio alterius: ita excluditur simplex promissio nondum acceptata, quae promissorem non obligat, donec accedat assensus, & acceptatio promissarii“); dazu auch Decock, Contract Law, p. 187 ss.; s.a. Achenwall, Ius Naturae, § 170 („Consensus mutuus (reciprocus) in certam praestationem, hoc est, ut aliquid praestetur alteri consentientium ab altero, pactum (pactio, conventio) vocatur“); Gundling, Ius naturae, Cap. XI §§ 10 ff. („Consensus reciprocus promissione & acceptatione absolvitur“; „Hinc ubi nulla acceptatio, ibi nulla pactio“); Pütter/Achenwall, Elementa Iuris Naturae, § 340 („Promissum acceptatum seu consensus reciprocus in idem praestandum dicitur pactum, pactio, conventio“); § 357 („Ubi nulla acceptatio, ibi nullum pactum“); § 358 („Pactum continet consensum reciprocum, consensus declarationem voluntatis, declaratio signa voluntatis […]“); § 359 („Nunc videamus pacti validi effectus. Ex pacto iusto nascitur acceptanti ius novum, promittenti obligatio nova“); Darjes, Institutiones, § 415 („promissiones ab altero efficaciter acceptatae, dicuntur pacta seu conventiones“); s. schließlich zum Ganzen auch Bauer, Lehrbuch des Naturrechts, § 109, S. 146 f. („Rechte auf Leistungen einer Person […] können nur mit dem Willen derselben […] erworben werden. Dieser Wille ist als wirklich vorhanden anzusehn, wenn er äußerlich erklärt wird. Wirksam wird er, sobald der Andere seine Einstimmung in denselben erklärt, und solchergestalt der Wille zweier Personen zu einem Willen vereinigt wird (consensus, Einwilligung). […] Diese besteht auf der einen Seite in einem Versprechen […]; auf der andern Seite in der Annahme […]. Beides vereinigt bildet den Begriff eines Vertrages. Vertrag (conventio, pactum, Contractus) ist ein angenommenes Versprechen.“). 478 In diese Richtung wohl die Argumentation bei Oñate, De Contractibus, Tract. I Disp. I Sec. 4 N. 47; Disp. III Sec. 3 N. 62 ff., 68; Sec. 1 N. 12 f. Hier gibt es indes verschiedene Argumentationen, s. etwa Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 18 Dub. 6 N. 38 ff., 41; mit anderer Begründung, die aber ebenfalls an den relationalen Charakter des Rechts und seiner Übertragung anknüpft, Lugo, De Iustitia et Iure, Tom. II, Disp. XXII Sec. 3 N. 27; Disp. XXIII Sec. 2 N. 31; Sec. 3 N. 38 f.; vgl. auch Gundling, Ius naturae, Cap. XI § 10 („Ad hoc vero consensus itemque reciprocus requiritur, quoniam utrique aliquid accedit: huic obligatio, illi ius“). 479 Oñate, De Contractibus, Tract. I Disp. 1 Sec. 3 N. 20; Disp. 3 Sec. 1 N. 1; Sec. 2 N. 26 ff.; Sec. 3 N. 44.
II. Das Naturrecht und die „Metaphysik der Freiheit“
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Zeichen (signa) erklärt (declaratio; manifestatio)480 und von der anderen Partei angenommen wird.481 Ein Vertrag setzt sich also aus „Antrag“ (promissio)482 und Annahme (acceptatio) zusammen, die durch ihre Verbindung zu einer moralischen Einheit (compositum morale; coniunctio moralis) werden. Erst dadurch gelangt der Vertrag zur Entstehung, der Vertrag besteht also seinsmäßig in der (moralischen) Vereinigung nach außen erklärter Willensakte mindestens zweier Personen.483 480 S. Oñate, De Contractibus, Tract. II Disp. 6 Sec. 2 N. 34 („In omni contractu signa requiri, quibus interior contrahentium consensus declaretur“); s. ferner Sec. 1 N. 11 („declaratio consensus & promissionis“); Amicus, De Iustitia et Iure, Disp. XVII N. 15 ff. (zur Notwendigkeit der externa manifestatio consensus/expressio externa); vgl. auch Suárez, De Legibus, Lib. VIII Cap. 33 N. 23 (zum Verzicht [renunciatio]: „non solum esse necessariam voluntatem internam satis formalem, sed etiam signum externum, satis expresse declarans illam voluntatem“); s.a. Heineccius, Elementa Iuris Naturae, Lib. I § 391 („consensus tamquam internus externo aliquo signo declarandum sit“). Im Naturrecht des 18. Jhd. kommt hierfür dann der substantivische Begriff der declaratio voluntatis (später dann „Willenserklärung“; dazu unten S. 164 Fn. 697) auf; s. etwa Wolff, Institutiones Juris Naturae et Gentium, § 379; Nettelbladt, Systema Elementare, §§ 157, 147 ff. Bei Achenwall (Ius Naturae, § 87, ferner § 165; § 175: „voluntas […] requiritur“; § 176: „voluntas requiritur sufficienter declarata. Consensus quum fit declaratio voluntatis […]“) bedeutet declaratio actionem animae suae internam alteri significare. 481 Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 18 Dub. 5 N. 30 ff.; Dub. 6 N. 39, 41; Oñate, De Contractibus, Tract. I Disp. 3 Sec. 3 N. 44 ff., 68; Tract. II Disp. 6 Sec. 2 N. 39 f.; dazu auch Decock, Contract Law, p. 182 ss., 187 ss. 482 Zu den drei verschiedenen Bedeutungen der promissio (1. als „Antrag“ im Sinne eines von der Annahme verschiedenen Teils des Vertrags, wobei der Vertrag erst durch die Annahme der promissio zustandekommt; 2. als „Vertrag“; 3. als besonderer Schenkungsvertrag) s. Oñate, De Contractibus, Tract. I Disp. 3 Sec. 3 N. 44 ff.: 1. „propositum absolutum, obligandi se alii ex virtute iustitiae commutativae, ante acceptationem“ – ein Vertrag besteht insoweit aus Antrag und Annahme, der Antrag ist ein Teil des Vertrages; Antrag und Annahme sind voneinander getrennt (N. 46 a.E.: „ab acceptatione condistincta“); 2. „propositum […] coniunctum acceptationi, & simul cum illa; & sic promissio est verus contractus“; 3. „specialem contractum a donatione condistinctum“. Oñate selbst verwendet den Begriff der promissio im ersten Sinn, d.h. im Sinne von Antrag/Angebot als Teil eines Vertrags (N. 46 a.E.: „voluntas absoluta, seu propositum absolutum se obligandi alteri ex commutativa iustitia, illi sufficienter significatum“); dazu auch Decock, Contract Law, p. 176 ss. 483 So Oñate, De Contractibus, Tract. I Disp. 1 Sec. 4 N. 42, 47 (N. 47: „promissio & acceptatio sunt necessaria ad contractum, & sufficientes ad perficiendum eum, & alterutra sola non sufficit. Nam contractus est compositum quoddam morale ordinatum, & aptum ad transferendum dominium, vel partem eius“); Disp. 3 Sec. 1 N. 1; Sec. 2 N. 26 ff.; Sec. 3 N. 44 („cum acceptatione coniugatur, & illi debita morali coniunctione uniatur; […] totum esse idem, cum suis partibus simul sumptis, & unitis“); Sec. 3 N. 68 („promissionem & acceptationem in omni contractu concurrere necessario, & essentialiter, tanquam partes integrantes eum“; „promissio, & acceptatio simul sumptae, & unitae sunt, vel efficiunt contractum“); dazu auch Decock, Contract Law, p. 177 s.; s.a. Lugo, De Iustitia et Iure, Tom. II, Disp. XXII Sec. 3 N. 27 („Ratio autem est quia ad valorem contractus requiritur […] acceptatio utriusque contrahentis; debent enim voluntates utriusque coniugi in unum & idem, ad hoc ut fiat pactum, seu contractum“); Filliucci, Moralium Quaestionum, Tract. 33 Cap. 1 N. 3; Cap. 2 N. 24 ff.; Cap. 5 N. 84; Amicus, De Iustitia et Iure, Disp. XVII N. 2 („Reciprocus consensus duorum aut plurium, sensibili signo expressus. Reciprocus, quia ad contractum non satis est
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2. Kapitel: Die Entstehung der Konstituenten
cc) Vertrag und rechtliche Bindung Die Verpflichtung des Vertrags ist notwendig eine rechtliche Verpflichtung (obligatio iustitiae); erzeugt eine Vereinbarung nicht-rechtliche Verpflichtungen, fällt sie nicht unter den Vertragsbegriff.484 Umstritten ist, ob sich die Abgrenzung von rechtlichem Vertrag und nur moralischer Bindung subjektiv oder objektiv am Vertragsinhalt vollzieht.485 Jedenfalls ist Voraussetzung rechtlicher Bindungswirkung der Wille, sich rechtlich binden zu wollen.486 Fehlt der Wille, wird aber der andere Vertragspartner hierüber getäuscht und geht vom Bestehen des Willens aus, haftet der Versprechende.487 Ferner ist der erforderliche Bindungswille von der noch nicht rechtsverbindlichen Absicht (propositum) über zukünftiges Handeln zu unterscheiden.488
484 consensus unius, sed requiritur assensus & acceptatio alterius: ita excluditur simplex promissio nondum acceptata, quae promissorem non obligat, donec accedat assensus, & acceptatio promissarii“); zur Terminologie s.a. Nettelbladt, Systema Elementare, § 150 (promissio u. acceptatio, promissio a promissario acceptata, pactum); Achenwall, Ius Naturae, § 171 („Promissio (promissum) est declaratio voluntatis sufficiens, qua quis sese alteri obligare intendit. Itaque ex promissione acceptata (quae subinde pactum strictius vocatur), oritur ius acceptantis promissionem (promissarii) in promittentem (promissionem), ut actu praestet quod promisit, cui iuri respondet obligatio promittentis ad praestandum quod promisit“), § 172 („Promissio acceptata, qua transfertur ius in obiectum praestandum, dicitur contractus“), § 178; Gundling, Ius naturae, Cap. XI §§ 10 ff.; Pütter/Achenwall, Elementa Iuris Naturae, § 357 („Ubi nulla acceptatio, ibi nullum pactum“); Wolff, Institutiones Juris Naturae et Gentium, §§ 316 ff., 379 ff., 381 („promissio quoque sine acceptatione non est valida, nec ex ea jus ullum acquiritur promissario“); Bauer, Lehrbuch des Naturrechts, § 117, S. 158 („Vereinigung des Willens beider Contrahenten“); § 118, S. 160 („sobald er durch die beiderseitige Willenserklärung sein Daseyn erhalten hat“). 484 S. Oñate, De Contractibus, Tract. I Disp. 1 Sec. 5 N. 55, 70 ff.; Sec. 4 N. 28 (dies als Unterschied zum pactum, das so zum Oberbegriff wird: „Contractus est, pactum obligans ex iustitia commutativa“); Disp. 3 Sec. 2 N. 36; Sec. 3 N. 44, 46; ferner Tract. III Disp. 7 Sec. 1 N. 27: Alle Wirkungen des Vertrages sind rechtlich, nicht faktisch („Effectus omnes iura esse: ac proince in iure consistere, non in facto“); Lugo, De Iustitia et Iure, Disp. XXII Sec. 1 N. 2; Amicus, De Iustitia et Iure, Disp. XVII N. 5 („Impropriissimus est, qui ex neutra parte obligat ex iustitia, sed ad summum ex fidelitate, vel alia virtute, quae obligatio honoraria dicitur“); vgl. auch Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 18 Dub. 8 N. 55, 57; dazu auch Decock, Contract Law, p. 182, 199 ss. 485 S. Decock, Contract Law, p. 179, 200 s.; s. Molina, De Iustitia et Iure, Tract. II Disp. 262 N. 3 ff., 11 („im Gewissensforum hängt die Verpflichtung bei unentgeltlichen Versprechen alleine von der Intention dessen ab, der versprochen hat: d.h. allein vom Willen selbst, inwieweit er sich zum Schuldner machen wollte“ – N. 11: „in conscientiae foro standum in eiusmodi gratuitis est intentioni eius, qui promisit. eo quod ex sola ipsius voluntate pendeat quousque se debitorem voluerit constituere“); vgl. zu dieser Diskussion (mit Verweis auf Molinas Position) Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 18 Dub. 8 N. 54 ff. 486 Decock, Contract Law, p. 178 ss. 487 S. dazu Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 18 Dub. 8 N. 58 ff.; zu dieser Diskussion Decock, Contract Law, p. 201 s., ferner p. 192 ss. 488 Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 18 Dub. 8 N. 52, 58 f.; zu dieser Diskussion näher Decock, Contract Law, p. 179 ss.
II. Das Naturrecht und die „Metaphysik der Freiheit“
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dd) Freiheit des Konsenses und Defekte in der Willensbildung Erforderlich ist ein freier Konsens (consensus liber) – Freiheit begründet die Rechtsgeschäftsfähigkeit; der Konsens ist dann nicht frei, wenn die Ursachen der Freiheit, d.h. Wille und Intellekt, eingeschränkt sind; Defekte in der Willensbildung sowie Defekte im Intellekt hindern die Freiheit des Konsenses.489 Defekte der Willensbildung liegen bei Drohung und Zwang vor; Defekte des Intellekts bei Irrtum und Täuschung.490 Solange die Willentlichkeit als solche nicht aufgehoben ist, ist die Handlung aber selbst willentlich und kann zugerechnet werden; der Wille selbst, d.h. das Wollen an sich wird durch Drohung oder Täuschung grundsätzlich nicht aufgehoben.491 Allerdings berechtigt das zugefügte Unrecht – bei Drohung und Täuschung – zur Aufhebung des Vertrags. Der Vertrag ist nicht nichtig, es besteht aber ein Aufhebungsrecht.492 Beim Irrtum wird bei Lessius eine stillschweigende Bedingung angenommen, die den irrenden Vertragspartner zur Lösung vom Vertrag berechtigt – allerdings nur unter Eingreifen einer Schadensersatzpflicht.493
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Oñate, De Contractibus, Tract. I Disp. 3 Sec. 4 ff., vor allem Sec. 3 N. 73 ff.; Tract. II Disp. 4 vor Sec. 1 N. 3 f.; Filliucci, Moralium Quaestionum, Tract. 33 Cap. 2 N. 17; s. dazu auch (im Kontext des votum) Suárez, De Voto, Lib. I Cap. 6 N. 1 ff., 9; Cap. 7 ff.; umfassend zu dieser Thematik Decock, Contract Law, p. 215 ss.; s. ferner Achenwall, Ius Naturae, § 174 („pactum requirit usum intellectus“), § 175 („Voluntas (volitio, decretum voluntatis, voluntas seria, efficax) requiritur“); Pütter/Achenwall, Elementa Iuris Naturae, § 337 („Consensus verus de quodam praestando requirit […] facultatem consentiendi physicam, ideoque usum intellectus et voluntatis“), §§ 346 f.; Gundling, Ius naturae, Cap. XI §§ 38 f. („Enim vero qui promittere cum effectu vult, facultatem consentiendi tam physicam, quam moralem habeat necesse est“; „Facultas physica intellectum & voluntatem […] praeponit“); Heineccius, Elementa Iuris Naturae, Lib. I § 392; Darjes, Institutiones, § 398 („Qui consentit, aliquid vult […]. Sed voluntas intellectu, ratione atque libertate determinatur […]. Et quoniam porro actiones legibus repugnantes moraliter impossibiles sunt […], nemo etiam consentire potest, nisi qui facultate consentiendi physica, & facultate consentiendi morali praeditus“); Bauer, Lehrbuch des Naturrechts, § 111, S. 149 f. („Zur physischen Möglichkeit der Einwilligung gehört die Fähigkeit seinen Willen zu bestimmen und deutlich zu erklären“). 490 Oñate, De Contractibus, Tract. I Disp. 3 Sec. 4 N. 73 ff., 77 ff.; Sec. 10 N. 174; vgl. Heineccius, Elementa Iuris Naturae, Lib. I §§ 393 ff. 491 S. Decock, Contract Law, p. 221 s., 281 ss.; vgl. Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 17 Dub. 6 N. 36; s.a. Thomas v. Aquin, STh, I-II, q. 6,6 resp.; q. 6,8 resp.; Filliucci, Quaestionum Moralium, Tract. 33 Cap. 2 N. 17, 32 f. 492 Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 17 Dub. 5 N. 29 (nicht irritus, sondern ius irritandi); Dub. 6 N. 36; s.a. Filliucci, Moralium Quaestionum, Tract. 33 Cap. 2 N. 31 ff.; Lugo, De Iustitia et Iure, Disp. XXII Sec. 5 N. 75 ff., 78; Sec. 6 N. 115; dazu Decock, Contract Law, p. 270 s., 311 s., 326 s.; ferner Pütter/Achenwall, Elementa Iuris Naturae, §§ 354, 355. 493 Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 17 Dub. 5 N. 33; dazu (auch zu den Differenzierungen) Decock, Contract Law, p. 315 ss., 323.
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2. Kapitel: Die Entstehung der Konstituenten
ee) Rezeptionswege Die spätscholastischen Vertrags- und Versprechenslehren werden in der folgenden naturrechtlichen Diskussion (Grotius494, Domat495, Thomasius496, Pothier497) in wesentlichen Fragen übernommen.498 Das Vertragsrecht entspricht hier dem äußeren Ergebnis nach den scholastischen Lehren – rechtliche Bindung eines jeden Vertrags aufgrund bloßen Konsenses. Allerdings wird hier der philosophische Hintergrund, d.h. die Willensmetaphysik nur ansatzweise aufgegriffen, die eigentlich freiheitsmetaphysische Konstruktion des Vertragsrechts tritt ebenso wie bei den anderen Naturrechtslehrern – vorerst – in den Hintergrund.499 b) Äquivalenz und gerechter Preis Auch wenn alleiniger Verpflichtungsgrund des Vertrags der freie Wille und Konsens der Parteien ist, so ist in der Naturrechtslehre – abgesehen von Thomasius500 – unstreitig, dass inhaltlich zwischen Leistung und Gegenleistung Äquivalenz herrschen muss.501 Dies beruht auf dem Gedanken der ausgleichenden Gerechtigkeit, wonach ein vertragliches Gleichgewicht herrschen muss, damit der Vertrag nicht zu Lasten einer Partei geht.502 Abweichend vom positiven Recht503 wird so für das Gewissensforum Maßstab der Gegenleistung der sog. gerechte Preis, der entweder als natürlicher Preis aus den Fakto494
S. im Einzelnen Grotius, De Iure Belli ac Pacis, Lib. II Cap. 11 N. 1 ff.; Cap. 12. Domat, Les Loix Civiles, 1re Partie, Livre I, Tit. I Sect. I N. 1 s., 7 s.; Sect. II N. 2, 7. 496 Dazu Nanz, Die Entstehung des allgemeinen Vertragsbegriffs, S. 159 ff. 497 Pothier, Traité des Obligations, Part. I Chap. I Sec. 1 § 1 s., N. 3 ss. 498 S. etwa Decock, Contract Law, p. 208 ss. (insbesondere zu Grotius); Gordley, The Philosophical Origins, p. 69 ss., 71; ferner auch Jansen, Recht und gesellschaftliche Differenzierung, S. 131 ff.; näher auch Thönissen, Recht und Gerechtigkeit, 4. Kap. III.3. 499 Vgl. dazu im Vorangegangenen im Einzelnen die Nachweise; s. dazu (vor allem im Hinblick auf das 19. Jhd.) auch Gordley, The Philosophical Origins, p. 161 ss., ferner p. 112 ss. (zu den philosophischen Umbrüchen im späten Naturrecht). 500 Dazu Oechsler, Vertragsgerechtigkeit, S. 76 f.; Jansen, Recht und gesellschaftliche Differenzierung, S. 142 ff. 501 Thomas v. Aquin, STh, II-II, q. 77,1 resp.; Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 21 Dub. 2 ff.; Dub. 4 N. 21; s.a. Grotius, De Iure Belli ac Pacis, Lib. II Cap. 12 N. 8 ff., 14; Heineccius, Elementa Iuris Naturae, Lib. I §§ 329 ff. („requiritur aequalitas rei operaeve et pretii“), § 352; Pufendorf, De Iure Naturae et Gentium, Lib. V Cap. I §§ 1 ff.; ders., De Officio, Lib. I Cap. XIV §§ 2 ff.; Cap. XV § 3; vgl. auch noch Pothier, Traité des Obligations, Part. I Chap. I Sect. 1 § 4 N. 33 ss. (in N. 34 differenziert Pothier ausdrücklich zwischen der Rechtslage im forum internum und forum externum); s.a. Decock, Contract Law, p. 598 s.; Wieacker, Privatrechtsgeschichte, S. 295 ff., 311. 502 S. Thomas v. Aquin, STh, II-II, q. 77,1 resp.; ad prim.; Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 21 Dub. 4 N. 20 f.; dazu auch Decock, Contract Law, p. 509 ss. 503 Thomas v. Aquin, STh, II-II, q. 77,1 ad prim.; Molina, De Iustitia et Iure, Tract. II Disp. 350 N. 1 ff., 5. 495
II. Das Naturrecht und die „Metaphysik der Freiheit“
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ren Angebot, Nachfrage, Sachwert, Transportkosten etc. resultiert oder als gesetzlicher Preis durch staatliche Taxierung unter Berücksichtigung der Preisfaktoren bestimmt wird.504 Weicht die Gegenleistung hiervon ab, entsteht für das Gewissensforum eine Restitutionspflicht zur Erstattung des abweichenden Preises – im Gegensatz zum positiven Recht, nach dem erst die Abweichung um mehr als die Hälfte zur Unwirksamkeit des Vertrags führt.505 Aus dem Äquivalenzgedanken wird ferner ein Gewährleistungsrecht entwickelt.506 Weicht die Qualität oder Quantität der Leistung vom Vereinbarten ab, so wird hierdurch die Äquivalenz verletzt, sodass dann Gewährleistungspflichten eingreifen.507
5. Rechtsgüterschutz und Haftungsrecht Die naturrechtlichen Entwicklungen führen zur Herausbildung eines umfassenden, allgemeinen verschuldensabhängigen Haftungsrechts, das rein kompensationsorientiert ist und so mit den einzelnen, auch pönalen Klagen des römischen Rechts bricht.508 Im Laufe der naturrechtlichen Entwicklung bilden sich im Kern zwei Haftungsmodelle zur Kompensation von Schäden: zum einen das an den subjektiven Rechten orientierte Modell der Restitutionshaftung, zum anderen das Pflichtenmodell Pufendorfs, das für die Naturrechtskodifikationen besonders wirkmächtig wird.509 Diese beiden Modelle korrespondieren dabei mit zwei unterschiedlichen naturrechtlichen Konstruktionsansätzen. Während für die Spätscholastik das Recht (ius, dominium) die zentrale Kategorie bildet, von dem aus das Naturrecht erschlossen wird510, organisieren Pufendorf und letztlich auch Wolff das Naturrecht von der Pflicht her.511 504 Dazu im Einzelnen Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 21 Dub. 2 N. 7 ff., 10 f.; Molina, De Iustitia et Iure, Tract. II Disp. 347 N. 2 f. 505 Dazu Decock, Contract Law, p. 514 ss., 519 ss. sowie Thomas v. Aquin, STh, II-II, q. 77,1 ad prim.; Molina, De Iustitia et Iure, Tract. II Disp. 350 N. 1 ff., 5; Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 21 Dub. 4 N. 21 ff. 506 Dazu näher Thönissen, Recht und Gerechtigkeit, 4. Kap. III.4. 507 Vgl. Thomas v. Aquin, STh, II-II, q. 77,2 resp.; Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 21 Dub. 11 N. 82 (aequalitas debita); Molina, De Iustitia et Iure, Tract. II Disp. 353 N. 1 ff. 508 Dazu umfassend Jansen, Theologie, S. 24 ff., 33 ff., 36 ff., 79 ff., 94 ff.; Nufer, Restitutionslehre, S. 12 ff.; Sampson, The Historical Foundations, p. 111 ss.; Wolter, Naturalrestitution, S. 26 ff., 56 ff.; ferner Thönissen, Recht und Gerechtigkeit, 4. Kap. II.1., 4.; zu den pönalen Klagen oben S. 47 ff. 509 Umfassend dazu Jansen, Theologie, S. 24 ff., 49 ff., 79 ff. (zur Restitution), 197 ff. (zu Pufendorf; dort auch zu weiteren naturrechtlichen Haftungskonzeptionen). 510 S. dazu Jansen, Theologie, S. 34 f., 36 ff., 79 ff.; Thönissen, Recht und Gerechtigkeit, 4. Kap. II.4.c); ferner zur Zentralität des subjektiven Rechts Lessius, De Iustitia et Iure, Tract. II Cap. 2 Dub. 1 N. 7 a.E. (zum ius im Sinne der potestas legitima: „Ex his patet hanc Iuris acceptationem maxime servire nostro proposito, quia tota Iustitiae ratio ex ea oritur, nam ipsa ratio debiti & obligationis nostrae ex ea pendit“); Lugo, De Incarnatione, Disp. III Sec. 2 N. 42 f.
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2. Kapitel: Die Entstehung der Konstituenten
a) Rechtsverletzung und Haftung aa) Die Begründung der Haftung durch die Verletzung subjektiver Rechte Die scholastische Restitutionshaftung ist zunächst eng mit der Lehre von der ausgleichenden Gerechtigkeit verbunden.512 Zudem zeigen sich hier wiederum Einflüsse der Willensmetaphysik und der Lehre vom moralischen Sein.513 Grundgedanke ist, dass, wenn durch eine Handlung eine Störung der Gleichheit herbeigeführt wird, eine Ausgleichspflicht zur Wiederherstellung der ausgleichenden Gerechtigkeit entsteht.514 Es entwickeln sich dabei zwei Tatbestände der Restitution: zum einen die bereicherungsrechtliche515 restitutio rei acceptae, die dem Ausgleich unberechtigt erfolgter Eigentums- bzw. Vermögensverschiebungen dient; zum anderen die restitutio iniustae acceptionis, die der Kompensation von widerrechtlich und verschuldet herbeigeführten Schäden an Rechtsgütern dient.516 In der Spätscholastik setzt sich die Auffassung durch517, dass diese beiden Restitutionsansprüche letztlich auf der Beeinträchtigung von Rechten518, d.h. 511 (subjektives Recht als primus conceptus); Amicus, De Iustitia et Iure, Disp. X Sec. 1 N. 14 („Et hoc ius est prima radix fundans iustitiam: nam ex iure oritur debitum, ex debito iustitia, quae aequalitatem constituit inter tale ius & debitum“). 511 Vgl. im vorliegenden Kontext Jansen, Theologie, S. 197 ff., 199 f. sowie oben bereits S. 97 Fn. 333. 512 S. Thomas v. Aquin, STh, II-II, q. 62,1 resp.; dazu auch Jansen, Theologie, S. 28 ff.; Wolter, Naturalrestitution, S. 27; Nufer, Restitutionslehre der spanischen Spätscholastiker, S. 13. 513 Dazu näher Thönissen, Recht und Gerechtigkeit, 4. Kap. II.1., 4. 514 Vgl. Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 7 Dub. 4 N. 15 f.; Dub. 5 N. 19; s.a. Jansen, Theologie, S. 30 f. 515 S. Jansen, Theologie, S. 34, 49 („bereicherungs- und sachenrechtlich“). 516 Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 7 Dub. 5 N. 19 f.; Lugo, De Iustitia et Iure, Disp. VIII Sec. 2 N. 17, 25; s. bereits Thomas v. Aquin, STh, II-II, q. 62,6 resp.; q. 62,7 resp.; s.a. Nufer, Restitutionslehre der spanischen Spätscholastiker, S. 13 f., 16 ff., 41 ff.; Jansen, Theologie, S. 33 f., 59 ff., 79 ff. – dort auch zur dritten Fallgruppe (restitutio ex contractu), die sich allerdings zunehmend verselbständigt hat. 517 Hierin wird man durchaus eine Verschiebung zu Thomas v. Aquin erkennen können, die maßgeblich mit der Entwicklung des subjektiven Rechtsbegriffs zu tun hat (s. auch Jansen, Theologie, S. 33 ff.; ursprünglich Vitoria, CommSTh, II-II, q. 62,1 N. 6 [„omnis restitutio fundatur in dominio“]; im Hinblick auf Vitoria Repgen, in: Stüben [Hrsg.], De iustitia, S. XVII, XXXV; ferner Thönissen, Recht und Gerechtigkeit, 4. Kap. II.4.). Während also bei Thomas die Restitution eher noch objektiv-rechtlich als Ausgleich der gestörten ausgleichenden Gerechtigkeit verstanden wird, wird sie nun bei den Spätscholastikern auf die subjektiven Rechte bezogen – Ziel ist hier konkret die Wiederherstellung des verletzten Rechts (vgl. Lugo, De Iustitia et Iure, Disp. VIII vor Sec. 1; Sec. 2 N. 17; Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II vor Cap. 7). 518 Wichtig ist hier die Differenzierung von Rechtsverletzung (iniuria) und Gesetzesverstoß (iniquitas), dazu Lessius, De Iustitia et Iure, Tract. II Cap. 7 Dub. 1 N. 1 ff., 4; Lugo, De Iustitia et Iure, Disp. VIII vor Sec. 1; Sec. 1 N. 1; Sec. 2 N. 17; Filliucci, Disputationum Moralium, Tract. 32 Cap. 1 N. 1 („pro violatione cuiuscumque legis“ – „pro violatione alterius proprie dicti“). Während iniquitas den Gesetzesverstoß im Sinne der iustitia legalis, d.h. im
II. Das Naturrecht und die „Metaphysik der Freiheit“
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auf Rechtsverletzung (iniuria; laesio, violatio iuris alieni) gründen.519 Die Verletzung von Rechten bzw. die rechtswidrige Beeinträchtigung von Rechtsgütern (bona corporis, bona honoris, famae, fortunae520) werden so zur Begründung und Voraussetzung der Restitutionsansprüche.521 Die Restitution ist Folge der Rechtsverletzung und dient der Wiederherstellung bei Rechtsverletzungen.522 Wirkung der subjektiven Rechte ist nach Lugo einerseits die rechtliche Pflicht, keine Rechtsverletzungen zu begehen; andererseits, sofern eine Rechtsverletzung begangen wurde, durch Restitution die Rechtsverletzung „auszugleichen und wiedergutzumachen“.523 519 Kontext aller Tugenden beschreibt und damit jeglichen Gesetzesverstoß umfasst, bezieht sich iniuria nur auf das Unrecht im Sinne der Tugend der Sondergerechtigkeit (iustitia particularis), d.h. gegen die aus der Sondergerechtigkeit folgenden Gebote. Dieses Unrecht bzw. dieser Gesetzesverstoß im Sinne der iniuria fällt nun aber zusammen mit der Verletzung subjektiver Rechte, ist also gleichsam deren Kehrseite – iniuria meint die Verletzung eines fremden Rechts; nur die Verletzung subjektiver Rechte begründet die Restitutionspflicht; dazu auch Pérez, De Restitutione, Disp. III Cap. 1 N. 11; ferner ders., De Iustitia et Iure, Disp. I Cap. 7 N. 114 („Et haec est iniuria proprie dicta, & potest obligare ad restitutionem“). 519 S. dazu umfassend Jansen, Theologie, S. 34 f., 36 ff., 68, 79 ff.; ferner Repgen, in: Stüben (Hrsg.), De iustitia, S. XVII, XXXV ff., XLIX ff.; Thönissen, Recht und Gerechtigkeit, 4. Kap. II.4.c); s.a. Lugo, De Iustitia et Iure, Disp. VIII vor Sec. 1 („servare illaesum ius alienum“; restitutio ob iniuriam debita); Sec. 1 N. 1; Sec. 2 N. 17 („Primum non inferendi iniuriam. Secundum, si illata fuit, reparandi, & resarciendi illam, quod fit per restitutionem“; „redditio illius, quod per laesionem iniustam saltem materialiter oblatum est“); Filliucci, Disputationum Moralium, Tract. 32 Cap. 1 N. 1 ff.; Pérez, De Restitutione, Disp. I Cap. 1 N. 3; Cap. 3 N. 19 f.; Disp. II Cap. 1 N. 1; Disp. III Cap. 1 N. 11. 520 Vgl. Lugo, De Iustitia et Iure, Disp. IX ff., Disp. XVII vor Sec. 1. 521 S. Jansen, Theologie, S. 35 ff., 49, 68, 79 ff. 522 S. Lugo, De Iustitia et Iure, Disp. VIII vor Sec. 1; Sec. 2 N. 17; Disp. IX vor Sec. 1; vgl. Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II vor Cap. 7 („per quem ius violatum instauratur“); Pérez, De Restitutione, Disp. I Cap. 3 N. 20; Disp. III Cap. 2 N. 53; Cap. 9 N. 129; dazu Jansen, Theologie, S. 35 ff., 49, 68, 79 ff.; s.a. Repgen, in: Stüben (Hrsg.), De iustitia, S. XVII, XXXV ff., XLIX ff., LV (zu Vitoria). 523 So Lugo, De Iustitia et Iure, Disp. VIII Sec. 2 N. 17 („Duplex videtur esse praeceptum iustitiae saltem secundum apparentiam. Primum non inferendi iniuriam. Secundum, si illata fuit, reparandi, & resarciendi illam, quod fit per restitutionem“); s.a. Pérez, De Restitutione, Disp. I Cap. 3 N. 19 f.; Cap. 5 N. 36; Disp. III Cap. 2 N. 53. Bei Lugo zeigt sich in besonderer Weise der Einfluss der Lehre vom moralischen Sein auf seinen subjektiven Rechtsbegriff, woraus sich wiederum Folgen für das Haftungsrecht ergeben. Beim subjektiven Recht geht es nämlich um die moralische Zuordnung (praelatio moralis; ordinatio) von Rechtsgütern; hierdurch entsteht eine moralische Beziehung (connexio moralis), kraft derer der Rechtsinhaber gegenüber allen anderen rechtlich geschützt ist und deren Verletzung durch andere gegen den Willen des Rechtsinhabers eine Rechtsverletzung ist – das Recht besteht gerade in dieser moralischen Zuordnung, s. oben bereits S. 106 ff. sowie Lugo, De Iustitia et Iure, Disp. I Sec. 1 N. 5 („ius quod respicitur a iustitia commutativa, & ponitur in eius definitione, esse praelationem quandam moralem, qua hic homo praefertur moraliter aliis in usu talis rei propter peculiarem connexionem, quam res habet cum illo“), N. 6 („[…] sed praelationem, qua in usu talis rei debet hic homo preferri aliis; quia propter peculiarem connexionem, quam haec habet cum ipso, tota debet ad eius utilitatem referri, & ordinari; quae ordinatio potissimum significatur quando aliquid dicitur meum, vel tuum“); ders., De Incarnatione, Disp. III Sec. 2 N. 42 f. („Ex hac autem praelatione, in qua consistit illud ius […]“).
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2. Kapitel: Die Entstehung der Konstituenten
bb) Die Unterscheidung von Bereicherungs- und Schadensersatzhaftung Die Restitution ist dabei wie erwähnt in zwei Tatbestände eingeteilt: zum einen die bereicherungsrechtliche restitutio rei acceptae als Korrektur unberechtigter Vermögensverschiebungen; zum anderen die restitutio iniustae acceptionis/iniuriae als ausgleichsorientierte Schadensersatzhaftung.524 Die restitutio rei acceptae greift bei jeder rechtsgrundlosen Vermögensverschiebung ein, durch die jemand zu Lasten des Eigentümers „mehr hat, als was sein ist“525. Sie setzt aber kein Verschulden voraus und ist in ihrem Haftungsumfang auf die erlangte und noch vorhandene Vermögensmehrung begrenzt.526 Demgegenüber setzt die restitutio iniustae acceptionis die verschuldete widerrechtliche (iniuste)527 Rechtsgutsverletzung, d.h. Rechtsverletzung (laesio iuris) voraus. Folge ist dann die Verpflichtung zur Kompensation des gesam-
524 Dazu etwa Jansen, Theologie, S. 33 f., 59 ff., 79 ff.; Wolter, Naturalrestitution, S. 29; Nufer, Restitutionslehre, S. 13 f., 16 ff., 41 ff.; ferner Thönissen, Recht und Gerechtigkeit, 4. Kap. II.4.c); s. Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 7 Dub. 5 N. 19; Cap. 14 Dub. 1 N. 1; Pérez, De Restitutione, Disp. I Cap. 1 N. 5; Cap. 7 N. 48; Disp. II; Disp. III. 525 Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 7 Dub. 5 N. 19 („habet tamen plus quam suum“). 526 Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 7 Dub. 5 N. 19; Cap. 14 Dub. 1 N. 1; Lugo, De Iustitia et Iure, Disp. VIII Sec. 2 N. 17, 25; Disp. XVII vor Sec. 1; Sec. 1 N. 1; ferner Pérez, De Restitutione, Disp. II Cap. 1 N. 1, der die restitutio rei acceptae unmittelbar auf das ius in re gründet; ähnlich Filliucci, Quaestionum Moralium, Tract. 33 Cap. 5 N. 101 f.; s. umfassend zur restitutio ratione rei acceptae Jansen, Theologie, S. 59 ff., 67 ff. 527 Deutlich wird dies etwa bei Lugo, De Iustitia et Iure, Disp. VIII Sec. 1 N. 1; Sec. 2 N. 17, 25; Lessius, De Iustitita et Iure, Lib. II vor Cap. 7; Cap. 7 Dub. 1 N. 1 ff., 4; Dub. 5 N. 19: Die Widerrechtlichkeit muss gerade eine rechtliche sein, d.h. eine Rechtsverletzung – eine Verletzung anderer moralischer Gesetze bzw. Pflichten (iniquitas als Gegenbegriff zur iniuria) begründet keine Restitutionspflicht. Die Rechtsverletzung besteht in der Verletzung des Gebots, fremde Rechte nicht zu verletzen. Die Verletzung dieses Gebots führt zur Restitutionspflichtigkeit, d.h. in der Verletzung fremder Rechte (iniuria) liegt zugleich die Verletzung des Gesetzes, indem nämlich die Rechtsverletzung gegen das Gebot, fremde Rechte nicht zu verletzen, verstößt; s. ebenso Pérez, De Restitutione, Disp. III vor Cap. 1 („De Restitutione Ratione Iniuriae, Seu Iniustae Acceptionis“); Cap. 1 N. 1 („nomen iniuriae nihil aliud sonat quam laesionem iuris“), 11 („Quaestio tertia, utrum iniuria sit laesio iuris. Respondeo affirmative ex omnium sententia. Sed est difficultas, quid sit ius, quod per iniuriam laeditur. Respondeo simpliciter sumi ius primo pro lege statuente ius. Secundo pro aequalitate arithmetica a nobis explicata. Tertio pro facultate quadam, quae aufertur per iniuriam & conservatur per iustitiam. Dico ergo, iniuriam esse laesionem iuris iuxta has omnes significationes“), 12; ferner Disp. I Cap. 4 N. 86 („Iniuria autem est ipsa perturbatio libertatis, seu excessus quidam ultra designationem iuridicam circa usum libertatis alienae“); ferner Pérez, De Iustitia et Iure, Disp. I Cap. 7 N. 114; vgl. Amicus, De Iustitia et Iure, Disp. XII N. 1; Disp. XXXIV N. 1 ff., 7, 10 („Erga ratio sumenda est a priori ex perfecto iure, quod per iniustitiam violatur, quod non violatur per transgressionem aliarum virtutum a iustitia distinctarum: solius autem perfecti iuris violatio postulat, ut resarciatur: igitur sola violatio iustitiae qua perfectum ius laeditur, restituendi obligationem inducit. Maior constat: nam sola iustitia supponit perfectum ius exigendi in uno, quod suum est, & debitum solvendi in alio, quod alterius est. […] Minor prob. eius solius iuris laesio per se exigit resarciri, quod est proprium eius, qui laeditur“).
II. Das Naturrecht und die „Metaphysik der Freiheit“
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ten Schadens unabhängig davon, ob der Schädiger einen Nutzen hat.528 Notwendig für letztere ist ein Willensakt und ein Verschulden (culpa) des Schädigers, da nur so eine moralische Zurechnung möglich ist.529 Der Wille ist nämlich die „Form“ moralischer Handlungen.530 Nicht verschuldete oder zufällige Handlungen und Schäden werden daher nicht zugerechnet.531 Rechtsfolge der restitutio iniustae acceptionis als allgemeiner Schadensersatzhaftung ist die Verpflichtung zur Kompensation des gesamten kausal entstandenen Schadens.532 Der Haftungsumfang ist nicht schuld-, sondern ausschließlich schadensabhängig.533 b) Pflichtenlehre und Haftung Während Grotius den durch die Restitutionslehre einheitlichen Überbau zugunsten zweier getrennter Haftungstatbestände (Schadensersatzhaftung – He-
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S. Jansen, Theologie, S. 49, 79 ff.; z.B. Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 7 Dub. 5 N. 19 f.; Lugo, De Iustitia et Iure, Disp. VIII Sec. 2 N. 25; Sec. 3 N. 26 ff.; Sec. 4 N. 48 ff.; Sec. 5 N. 56; Pérez, De Restitutione, Disp. I Cap. 3 N. 20; Disp. III Cap. 2 N. 53; Cap. 9 N. 129. 529 S. Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 7 Dub. 3 N. 22 ff.; vgl. Lugo, De Iustitia et Iure, Disp. VIII Sec. 3 N. 26 ff., 41; Sec. 4 N. 48 ff.; 5 N. 55 ff. – auch zu den einzelnen Differenzierungen, die sich insbesondere aus dem unterschiedlichen Begriff der Schuld (culpa theologica – culpa iuridica) ergeben; zu dieser Diskussion näher Jansen, Theologie, S. 120 ff., 127 ff., 136 f. 530 Vgl. Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 7 Dub. 2 N. 10 („a voluntate (quae in moralibus est instar formae)“). 531 S. Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 7 Dub. 3 N. 24 ff.; s.a. Lugo, De Iustitia et Iure, Disp. VIII Sec. 6 N. 71 f. 532 Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 7 Dub. 5 N. 19; Cap. 9 Dub. 23 N. 144; Molina, De Iustitia et Iure, Tract. II Disp. 726 N. 1 („restituere illi tenetur valorem totius damni ita iniuste dati“); Lugo, De Iustitia et Iure, Disp. XV Sec. 2 N. 15 („Certum est imprimis, restituendum esse, ita ut reparetur totum damnum, quod in sua fama proximus passus est, quem contra iustitiam infamasti; quia ad illud totum bonum habebat ius, & ex tua iniuria totum illud amisit“); s. näher zu den Haftungsfolgen Jansen, Theologie, S. 94 ff. Zur Differenzbetrachtung bei der Schadensbemessung s. Pérez, De Restitutione, Disp. I Cap. 3 N. 20 („eum, qui sua iniusta acceptione, aut damnificatione causam efficacem adhibuit, vi cuius, si non impediatur, damnificatus, seu laesus minus habebit in suis bonis, quam habiturus esset, si ea causa non fuisset adhibita, aut non impediretur a suo effectu, teneri eam causam impedire. At impedire talem causam est restituere“); Cap. 1 N. 1; Cap. 4 N. 27 („Cum tamen finis restitutionis sit reducere patientem iniuriam in eundum statum, in quo fuisset, si nullam iniuriam fuisset passus“). 533 Molina, De Iustitia et Iure, Tract. II Disp. 715 N. 9 („poena iuste per vindicativam iustitiam infligenda respondere debeat culpae, quantitatique ac qualitati iniuriae; […] latitudo vero restitutionis respondere debet latitudini solae damni iniuste dati“); ferner Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 9 Dub. 21 N. 134; s.a. Pütter/Achenwall, Elementa Iuris Naturae, § 479 („Quantum est damnum, tantum reparari debet, seu reparatio damni dati ipsi damno proportionata esse debet“).
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2. Kapitel: Die Entstehung der Konstituenten
rausgabepflicht bei Vermögensverschiebungen) aufgibt534, im Übrigen sich aber auch hier weitgehende Kontinuitäten zur Restitutionslehre zeigen535, bricht sich bei Pufendorf hinsichtlich der Schadensersatzhaftung ein pflichtenorientiertes Haftungsrecht Bahn.536 Nicht die Verletzung subjektiver Rechte, sondern die zurechenbare Verletzung der Pflicht, den anderen nicht zu schädigen wird hier zum zentralen Element des haftungsbegründenden Tatbestandes.537 Die Pflichtwidrigkeit konstituiert so den Haftungsgrund der Schadensersatzhaftung.538 Im Hintergrund steht, dass bei Pufendorf nicht das subjektive Recht, sondern die Pflicht (officium) zentrale Kategorie ist.539 Die schuldhafte Verletzung einer Pflicht hat zur Folge, dass der Handelnde den gesamten aus seiner pflichtwidrigen Handlung entstandenen Schaden zu ersetzen hat.540 Pufendorf eliminiert so das subjektive Recht und seine Verletzung aus dem haftungsbegründenden Tatbestand541, bezieht aber trotz seiner „rein sanktionsorientierten Perspektive“542 die Rechtsfolge in Gestalt des rein ausgleichsbezogenen Schadensersatzes letztlich auf die verletzten Rechtsgüter bzw. den Schaden (damnum).543 Schadensersatz und Strafe sind auch hier strikt ge534 S. dazu im Einzelnen Grotius, De Iure Belli ac Pacis, Lib. II Cap. 10 („De obligatione quae ex dominio oritur“); Cap. 17 („De damno per iniuriam dato, & obligatione quae inde oritur“); so vor allem Jansen, Theologie, S. 180 ff., 184 ff.; ders., Recht und gesellschaftliche Differenzierung, S. 126 f. 535 Im Einzelnen dazu Jansen, Theologie, S. 177 ff., 184 ff.; umfassend neuerdings Sampson, The Historic Foundations, p. 5 ss., 111 ss. (p. 243: „Grotius’ natural law model of delict is drawn primarily from Thomist Sources“); s.a. Thönissen, Recht und Gerechtigkeit, 4. Kap. II.5. 536 S. Pufendorf, De Officio, Lib. I Cap. VI §§ 1 ff., 4; ders., De Iure naturae et gentium, Lib. III Cap. I §§ 1 f. (officia); dazu Jansen, Theologie, S. 197 ff.; ders., Haftungsrecht, S. 337 ff.; Wolter, Naturalrestitution, S. 61 f. 537 S. Pufendorf, De Officio, Lib. I Cap. VI §§ 2, 4; ders., De Iure Naturae et Gentium, Lib. III Cap. I § 1 f.; Jansen, Theologie, S. 197 ff.; ders., Haftungsrecht, S. 337 f., 340; Wolter, Naturalrestitution, S. 61 f. 538 So Jansen, Theologie, S. 197 ff.; ders., Haftungsrecht, S. 337 ff., der insoweit von einem Sanktionscharakter der Haftung bei Pufendorf ausgeht (aaO, S. 339: „Schadensersatz systematisch als eine Sanktion für Pflichtverletzungen“). 539 Vgl. Jansen, Theologie, Philosophie und Jurisprudenz, S. 197. Zur Pflichtenlehre und zur Zentralität der Pflicht bei Pufendorf s. oben bereits S. 97 sowie etwa Auer, AcP 208 (2008), 584, 603, 604 ff.; Fezer, Teilhabe und Verantwortung, S. 186; E. Wolf, Naturrechtslehre, S. 136. 540 Pufendorf, De Officio, Lib. I Cap. VI §§ 4 ff., 9; ders., De Iure naturae et gentium, Lib. III Cap. I §§ 1 ff. 541 Jansen, Theologie, S. 198. 542 So Jansen, Haftungsrecht, S. 339, ferner S. 349 ff., 354 ff., 358, 359 (zum „sanktionsorientierten Haftungssystem der herrschenden Naturrechtslehre“); s.a. ders., Theologie, S. 197 f. Dass beim pflichtenbezogenen Ansatz die Begrenzung der Rechtsfolge auf den Schaden im Gegensatz zum subjektiv-rechtlichen Ansatz keineswegs notwendig ist, dazu unten S. 467 f. 543 S. Pufendorf, De Officio, Lib. I Cap. VI §§ 4 f.; ders., De Iure Naturae et Gentium, Lib. III Cap. I §§ 2 f.; Jansen, Haftungsrecht, S. 339, 342; ders., Theologie, S. 191 f., 197 f.
II. Das Naturrecht und die „Metaphysik der Freiheit“
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trennt, die Haftung ist entsprechend der Restitutionslehre rein kompensatorisch.544 Dieser pflichtenorientierte Ansatz erfährt wiederum bei Wolff Modifikation. Wolff erhebt in einer Art Kombinationsmodell Pflichten- und Rechtsverletzung zur Haftungsvoraussetzung des deliktischen Anspruchs.545 Grundlage ist, dass den Rechten Pflichten vorausgehen.546 Wenn die Schadensersatzhaftung an die Verletzung von Rechten anknüpft, dann liegt darin zugleich die Verletzung der hiermit korrespondierenden Pflichten.547 Thomasius’ Aus544 Pufendorf übernimmt also den reinen Ausgleichsbezug der Restitutionshaftung auf Haftungsfolgenseite, transformiert aber den Haftungsgrund. Dass bei der Anknüpfung an die Pflichtverletzung die Haftungsfolgen lediglich schadensausgleichsbezogen sind, ist nicht zwingend – durch die Anknüpfung an die Verletzung objektiven Rechts geht der subjektivrechtliche Einschlag wiederum verloren, s. dazu unten noch S. 467 f.; vgl. Jansen, Theologie, S. 197 f., wonach dadurch „der Anspruch auf Schadensersatz zu einem Mittel zur Durchsetzung gemeinwohlorientierter sozialer Verhaltensstandards“ wird. 544 S. Jansen, Haftungsrecht, S. 339, 342; ders., Theologie, S. 191 f., 197; vgl. auch Pufendorf, De Officiis, Lib. I Cap. VI §§ 4 f.; Lib. II Cap. XIII §§ 4 ff. (zur Unterscheidung von damnum und poena); s.a. z.B. Darjes, Observationes, Obs. XXV § 5 („Porro concedo reparationem damni a poena distinguendam esse“); ders., Institutiones, § 341 („Reparatio damni damno proportionata est“), § 342 („Damni enim reparatio damno semper proportionata esse debet“). 545 Dazu Jansen, Haftungsrecht, S. 351 ff. (Integration des subjektiv-rechtlichen Denkens in die „Pflichtenordnung“); s. Wolff, Institutiones Juris Naturae et Gentium, §§ 269 f.; ferner §§ 62, 83, 85 ff., 88. 546 S. dazu oben bereits S. 99 sowie etwa Wolff, Jus Naturae, Pars I, § 23 („Jus oritur ex obligatione passiva. […] Jus igitur cur sit & cur tale sit rationem sui habet in obligatione passiva“), § 24 („Quoniam jus oritur ex obligatione (§. 23.), id vero, ex quo alterum oritur, eodem prius est (§. 22); obligatio prior est jure, hoc est, ante ponenda est aliqua obligatio quam jus aliquod concipi possit“). 547 Vgl. Wolff, Institutiones Juris Naturae et Gentium, §§ 269 f.; §§ 62, 83, 85 ff., 88; näher dazu Jansen, Theologie, S. 199 f., wonach „sich die Bedeutung dieser Rechte darauf, Verletzungsverbote zu konstituieren“ beschränke (S. 200); ders., AcP 216 (2016), 112, 125 f. (allerdings auch Fn. 85 zur nicht ganz eindeutigen Position bei Wolff); ders., Haftungsrecht, S. 352 f. Wolff scheint zwar unmittelbar die Schadensersatzpflicht an die Verletzung subjektiver Rechte zu knüpfen (nämlich das dominium). Allerdings sind subjektive Rechte bei Wolff immer nur Kehrseiten der Pflichten. Grund ist Wolffs Konzeption, dass Rechte immer aus Pflichten folgen, d.h. Pflichten den Rechten vorausgehen, sodass auch die an die Verletzung subjektiver Rechte anknüpfende Schadensersatzhaftung letztlich auf Pflichten beruht (dazu oben bereits S. 99 sowie Wolff, Institutiones Juris Naturae et Gentium, § 46; s.a. Jansen, Haftungsrecht, S. 352 ff., der darin, trotz der rein ersatzbezogenen Ausrichtung auch bei Wolff, einen sanktionsorientierten Charatker verortet). Indes scheint Wolff tatsächlich nicht so weit entfernt von der Restitutionshaftung zu sein; auch bei diesen ist die Verletzung des subjektiven Rechts zugleich die Verletzung des objektiven Rechts (s. etwa Pérez, De Restitutione, Disp. I Cap. 3 N. 11 sowie oben S. 134 Fn. 527). Der Unterschied zu Wolffs Ansatz liegt aber darin, dass bei ihm die Pflicht das erste Konzept ist, woraus sich die Rechte ergeben, wohingegen in der Spätscholastik das Recht das „erste Konzept“ ist, aus dem sich entsprechende Pflichten ergeben (s. Lugo, De Incarnatione, Disp. III Sec. 2 N. 42 f.; ders., De Iustitia et Iure, Disp. VIII Sec. 2 N. 17).
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2. Kapitel: Die Entstehung der Konstituenten
gangspunkt ist demgegenüber unmittelbar die gemeinrechtlich-aquilische Haftung548; er sagt aber, dass jeder verursachte Schaden (damnum datum) auch unabhängig von einem Verschulden zu ersetzen ist.549 Den Haftungsgrund hierfür sieht Thomasius ebenso wie die Restitutionslehre in den subjektiven Rechten (dominium) des Geschädigten.550 Daran anknüpfend zeigen sich im späten Naturrecht verschiedene Haftungsmodelle551: neben den pflichtenorientieren, die das Haftungsrecht der Naturrechtskodifikationen prägen552, auch solche, die für die Begründung der Schadensersatzhaftung sowie der negatorischen Haftung an die Verletzung
548 S. zur actio de damno dato/damnum iniuria datum oben S. 47 sowie Thomasius, Larva Legis Aquiliae, § 1 (Actio de damno dato). 549 S. Thomasius, Larva Legis Aquiliae, §§ 2 ff. (§ 2: „Damnum, alteri a nobis datum, esse resarciendum […]. Suum cuique tribuendum est: tribuatur & damni restitutio“); § 9 (zur Frage der iniuria); dazu Jansen, Haftungsrecht, S. 342 ff.; ders., Theologie, S. 200 ff. 550 S. Thomasius, Larva Legis Aquiliae, § 10 („Damni in re sua dati reparationem petere ex Dominio fluit. Dum enim res jure Dominii sit propria, non solum Dominus de ejus rei usu regulariter disponere, alios pro libitu ab eo excludere, vel ad illum admittere potest, sed & rem vindicare, alienare, conservare, defendere, & igitur de damno etiam in ea dato satisfactionem petere“) – diese Transformation umschreibt Thomasius dahingehend, dass er entsprechend dem ius gentium der actio de damno dato ihre „aquilische Maske“ abgenommen habe („Larva legis Aquiliae detracta actioni“); s. dazu Jansen, Haftungsrecht, S. 345 ff.; ders., Theologie, S. 201 f. 551 S. etwa Achenwall, Ius naturae, §§ 267 f., §§ 41, 55, 259 (zwar Anknüpfung an die subjektiven Rechte [§ 52: laesio als Verletzung des Rechts eines anderen; iniuria als schuldhafte Verletzung], aber auch §§ 34, 36 [wonach den Rechten die Pflichten vorausgehen]); Pütter/Achenwall, Elementa Iuris Naturae, §§ 214 ff., 224 f., 460, 477 ff. (laesio hier nicht als Verletzung subjektiven, sondern objektiven Rechts [§§ 209, 214]. Soweit laesio freie Handlung ist, liegt eine laesio moralis vor. Nur die laesio moralis [vel culposa vel dolosa] ist iniuria, die zur Ersatzpflicht des damnum iniuria datum führt. Dies ist das damnum morale, § 225); Nettelbladt, Systema, §§ 294 ff.; Darjes, Institutiones, §§ 322, 323, 325, 330 ff., 335 (einerseits objektiv-rechtlich, andererseits wiederum subjektiv-rechtlich durch Anknüpfung an „das Seine“: „Laesio ergo generatim sumta est actio legibus, quae officia erga alios praescribunt contraria“; „Omnis laesio […] est actio, qua quis alterum in usu atque possessione του suum turbat“ [§ 278: „Iura nostra pertinent ad τò nostrum“; § 328: „Nec violes iura alterius“; § 806: „Qui iura alterius violat, hoc facto alterum laedit“]; „Malum ortum ex laesione (scilicet externa) vocatur damnum, (ab aliis iniuria)“; „Reparare damnum, seu alicui damnum praestare idem est, ac efficere, ut malum ex laesione ortum cesset. Si hoc fit redditione rei ablatae, vocatur restituere, si vero aequipollentis exhibitione, satisfacere appellatur“; „Laeso competit ius cogendi laedentem, ad rem ablatam, si fieri potest, restituendam“); Gundling, Ius naturae, Cap. VII §§ 1 ff. („Laedere hic significat damnum in rebus nostris dare“); Cap. X §§ 1 ff., 28 („Nos omnis damni dolo, vel culpa nostra in vita & rebus vere dari restitutionem hoc loco urgemus“); Heineccius, Elementa Iuris Naturae, Lib. I §§ 210 ff., ferner §§ 172 ff., §§ 178 f., §§ 188 ff.; zu Heineccius s.a. Jansen, Haftungsrecht, S. 349 f., der Heineccius’ Haftungsrecht als mittlere Position zwischen Thomasius und Pufendorf verortet. 552 Zur Prägung der Naturrechtskodifikationen durch den pflichtenorientierten Ansatz vgl. Jansen, Theologie, S. 166, 198, 202 f.; vgl. auch etwa Pothier, Traité des Obligations, Part. I Chap. I Sec. II § 2 N. 116 ss.
II. Das Naturrecht und die „Metaphysik der Freiheit“
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subjektiver Rechte anknüpfen.553 Diese Konzeptionen geben neben den gemeinrechtlichen Grundlagen der aquilischen Haftung schließlich auch für das 19. Jahrhundert den Rahmen vor: Ist Haftungsvoraussetzung die Pflichtwidrigkeit im Sinne der Verletzung von Verhaltenspflichten oder die Verletzung eines subjektiven Rechts?554
6. Die Trennung von Schadensersatz und Strafe a) Die materielle Trennung von Schadensersatz und Strafe Mit diesen Entwicklungen des Haftungsrechts steht auch ein Paradigmenwechsel in Zusammenhang, der eine Trennung von Strafe und Schadensersatz bedingt.555 Die Trennung von Strafe und Schadensersatz ist zunächst mit der 553 S. Bauer, Lehrbuch des Naturrechts, § 66, S. 85 („Rechtsverletzung ist jede willkürliche Handlung, welche einen Eingriff in das Rechtsgebiet eines anderen enthält“); § 67, S. 86 („Zum Daseyn einer Läsion im rechtlichen Sinn gehört I. als Subject (Urheber der Läsion, Beleidiger) ein Vernunftwesen. […] II. Das Object der Rechtsverletzung und zwar das nächste Object ist das Recht selbst, welches verletzt wird; das entfernte Object ist die Person, welcher das Recht zusteht. III. Die Handlung muss eine äußere, in der Willkür des Handelnden gegründete und unbefugte seyn.“); § 69, S. 87 f. (Vorsatz, Fahrlässigkeit: „In Ansehung der Willensbestimmung des Handelnden ist die Verletzung entweder eine culpose oder eine dolose“); § 70, S. 88 f. („Schaden im weiteren Sinn ist jede Verminderung oder Entziehung eines Gutes. Der Schaden ist I. in Ansehung seiner Ursache A. entweder aus einer unwillkürlichen Handlung entstanden (zufälliger S.d. physicum s. casuale) oder B. aus einer willkürlichen Handlung (damnum morale)“; ist dieses damnum morale [zu diesem Begriff auch Pütter/Achenwall, Elementa Iuris Naturae, §§ 224 f.] „durch eine Rechtsverletzung bewirkt“, so ist er „Schaden im rechtlichen Sinn“); § 73, S. 92 f. („Entschädigungszwang im weitern Sinn ist derjenige, welcher die Aufhebung des, durch die vollbrachte Rechtsverletzung entstandenen Schadens bezweckt“); § 76, S. 96 f. („Entschädigungszwang im weitern Sinn“ umfasst einerseits den „Vindicationszwang“ [Zurückerstattung des „entzogenen Guts“, tritt auch ohne Verschulden ein], andererseits den „eigentlichen Entschädigungszwang“ [Schadensersatz, „subjective Rechtswidrigkeit“ erforderlich]) – bei Bauer ist nicht die Pflicht, sondern das Recht das erste Konzept (vgl. §§ 31 ff., S. 44 ff.); vgl. auch Jansen, Haftungsrecht, S. 350 f., der insoweit, d.h. für nicht sanktions- bzw. pflichtenorientierte, sondern subjektivrechtliche Haftungsmodelle, (u.a.) auf von Zeiller (Das natürliche Privat-Recht, §§ 1 ff., S. 5 ff.; § 48, S. 76 f.; § 178, S. 245) verweist; vgl. ferner auch Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, §§ 97, 98. 554 S. dazu unten noch S. 206 ff.; vgl. zur Prägung des 19. Jhd. durch diese zwei aus den verschiedenen Entwicklungslinien entstandenen Haftungsmodellen Jansen, Haftungsrecht, S. 271 f., ferner S. 359 f. (zum Einfluss des [verhaltens-]pflichtenorientierten naturrechtlichen Ansatzes auf das 19. Jhd. – Jansen versteht den Gegensatz aber stärker zwischen dem subjektiv-rechtlichen Ansatz und einem „sanktionsorientierten Haftungssystem“, als welches er das pflichtenorientierte Modell einordnet). 555 Dazu Thönissen, Recht und Gerechtigkeit, 4. Kap. II.4.b), IV.6.; vgl. auch Jansen, Theologie, S. 32 f., 94 ff.; Schnyder, Tötung und Diebstahl, S. 100 f. Die grundsätzliche Trennung von Strafe und Schadensersatz wird auch im neuzeitlichen Naturrecht bei Grotius und den anderen Naturrechtslehrern übernommen (s. dazu gleich noch S. 143 Fn. 572; instruktiv dazu Darjes, Observationes, Obs. XXV § 5: „Reparatio vero damni non est poena. […] Porro
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Restitutionslehre und deren Zweck sowie der Entwicklung eines spezifischen Straf- und Schuldbegriffs verbunden. Sie ergibt sich aus der jeweiligen Funktion von Restitution und Strafe.556 Die Restitutionspflicht ist nach der Restitutionslehre Folge der Verletzung subjektiver Rechte und zielt auf Kompensation des zugefügten Schadens.557 Zweck der Restitution ist, einen durch Rechtsverletzung zugefügten Schaden eines anderen oder sonstige unberechtigte Vermögensverschiebungen auszugleichen.558 Von dieser Funktion der Restitution wird die Strafe abgegrenzt, deren Zweck die Vindizierung des begangenen Unrechts und damit der Schuldausgleich ist.559 Während Strafe auf Ausgleich des dem Staat und seinen Gesetzen 556 concedo reparationem damni a poena distinguendam esse“). Allerdings treten andere Begründungen heran (soweit ersichtlich, ausdrücklich eigentlich nur die Diskussion bei Darjes, Observationes, Obs. XXV §§ 2 ff.; sonst wird die Unterscheidung von damnum und poena eigentlich nicht mehr begründet, sondern nur zugrundegelegt; vgl. auch Jansen, Theologie, S. 197 Fn. 359 im Hinblick auf den Kompensationsbezug der Haftung). Hierbei dürfte eine Rolle spielen, dass anknüpfend an Grotius andere Strafzwecke zugrundegelegt werden (s. dazu näher unten noch S. 143 sowie Thönissen, Recht und Gerechtigkeit, 4. Kap. IV.7.b)) sowie dass die Restitutionslehre als einheitliche Theorie des Haftungsrechts im neuzeitlichen Naturrecht nicht übernommen wird (dazu eingehend Jansen, Theologie, S. 184 ff., 197 ff., 200 ff.). 556 Deutlich hierzu und zum Folgenden Pérez, De Restitutione, Disp. I Cap. 4 N. 23 (zum Ziel der Strafe: „Primus & ordinarius est vindicare culpam praeteritam nulla habita ratione damni praesentis, aut imminentis, ut ipsum evitetur; & sic satis pati est tantam poenam sustinere, quantam culpam praeterita iuxta vindicativam iustititam meretur. Huius Satispassionis discrimen a restitutione manifestum est: cum finis restitutionis non sit culpam vindicare, sed damnum imminens ex iniusta laesione impedire“); s. näher auch Thönissen, Recht und Gerechtigkeit, 4. Kap. II.4.b), IV.6.; vgl. bereits Thomas v. Aquin, STh, II-II, q. 62,3 resp.; instruktiv auch Darjes, Observationes, Obs. XXV § 5 („Porro concedo reparationem damni a poena distinguendam esse. […] Illationem damni consideraturus duo distinguere debet, ipsam nimirum turbationem, & eam actionis qualitatem, qua est legis violatio. Qui turbatorem ad praestandum damnum cogit, malum huic infert, non eam ob actionis qualitatem, qua est legis violatio, sed eam ob qualitatem, qua est turbatio. Qui vero punit, mala delinquenti eam ob actionis qualitatem infert, qua ut violatio legis spectatur“). 557 Dazu oben S. 132 ff.; deutlich Lugo, De Iustitia et Iure, Disp. VIII vor Sec. 1; Sec. 1 N. 17; Disp. XV Sec. 1 N. 1 f. („quia restitutio tendit ad reparandum damnum; quare quando nullum damnum illatum est, cessat obiectum restitutionis“); Sec. 2 N. 15; ferner Molina, De Iustitia et Iure, Tract. II Disp. 715 N. 2, 5 f., 9; s. bereits Thomas v. Aquin, STh, II-II, q. 62,3 resp. 558 S. nur Molina, De Iustitia et Iure, Tract. II Disp. 715 N. 2, 5 f.; Pérez, De Restitutione, Disp. I Cap. 4 N. 23; Cap. 5 N. 36. 559 Molina, De Iustitia et Iure, Tract. II Disp. 715 N. 2, 5 f., 9 (N. 5: „In iis nostris peccatis, quae sunt contra iustitiam, duo esse consideranda. Unum est damnum, quod proximis inferunt. Alterum vero est offensa, qua illos offendimus, seu iniuria ac culpa, quam in illos committimus“; N. 6: „Ex illatione damnorum proximis iis nostris peccatis, quae sunt contra iustitiam, consurgere obligationem ex commutativa iustitia illa ad aequalitatem resarciendi ac compensandi […]. At vero ex iniuria & offensa proximi contra iustitiam in eum commissa, considerata praecise a damno in quibuscunque illius bonis, nullam consurgere obligationem illam compensandi ante latam sententiam. […] Hinc dico, iniuriam & offensam proximi contra iustitiam, consideratam praecise a quocunque damno proximo illato, itemque tam ipsam,
II. Das Naturrecht und die „Metaphysik der Freiheit“
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zugefügten Unrechts (iniuria reipublicae) zielt560, bezweckt Restitution den Schadensausgleich für Rechtsverletzungen (damnum, compensatio).561 Bei der Restitution handelt es sich um ein privates Forderungsrecht, wohingegen die Strafe durch gerichtliches Urteil verhängt wird.562 Diese Differenzierung ist die Konsequenz der Bildung individueller Rechte sowie eines eigentlichen Strafbegriffs, der spezifisch auf die Schuld bezogen ist und die Schuld zur notwendigen Voraussetzung der Strafe erhebt sowie die Strafbarkeit als Wirkung der Schuld versteht.563 (Schuld-)Strafe dient dem Ausgleich der durch Unrecht verletzten Gerechtigkeit, deswegen setzt Strafe Schuld voraus und dient dem Schuldausgleich, Strafe muss schuldangemessen 560 quam quodcunque aliud debitum, spectata ut cedunt in iniuriam reipublicae, atque ut sunt contra bonum commune, esse quidem materiam & obiectum iustitiae vindicativae, ut poena debita pro illis infligatur“); Pérez, De Restitutione, Disp. I Cap. 4 N. 23; s.a. Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 47 Dub. 4 N. 21 f.; s. bereits Thomas v. Aquin, STh, II-II, q. 62,3 resp.; I-II, q. 87,6 resp.; II-II, q. 108,4 resp.; III, q. 86,4 resp. Strafe ist nicht auf eine Rechtsverletzung bezogen, hat also im Gegensatz zur Restitution ihren Grund nicht in einem (subjektiven) (Privat-)Recht, s. Lugo, De Incarnatione, Disp. III Sec. 10 N. 148; ders., De Iustitia et Iure, Disp. I Sec. 4 N. 69 (zur iustitia punitiva: „non habet pro obiecto debitum fundatum in aliquo iure alterius; ille enim qui delinquit, nullum habet ius ad poenam accipiendam, sed potius iudex, seu Princeps habet ius ad poenam infligendam“); vgl. auch Schnyder, Tötung und Diebstahl, S. 100 f. 560 Molina, De Iustitia et Iure, Tract. II Disp. 715 N. 5 f., 9; Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 9 Dub. 22 N. 138 („poena infligitur a Iudice; non ut damnum parti laesae compensetur, sed ut iniuria Reipl. & legibus illata vindicetur, aliisque terror incutiatur“); Lugo, De Iustitia et Iure, Disp. VII Sec. 7 N. 97 ff., 101 („actionem non pro damno, sed praecise pro iniuria ad poenam, vel civilem, vel criminalem, ex iniuria resultantem“); vgl. Gómez, Commentariorum variarumque resolutionum, Tom. III Cap. 1 N. 10; Didacus a Cantera, Quaestiones Criminales, De Quaestionibus tangentibus accusatorem, q. 2 N. 3, S. 20. 561 Molina, De Iustitia et Iure, Tract. II Disp. 715 N. 2, 5 f., 9; Lugo, De Iustitia et Iure, Disp. XV Sec. 1 N. 1 („restitutio tendit ad reparandum damnum“; damnum als obiectum restitutionis); ferner Pérez, De Restitutione, Disp. I Cap. 5 N. 36 („Damnum igitur, seu malum, quod per restitutionem impeditur, est distincta ab iniuria, & offensa“); s.a. Heineccius, Elementa Iuris Naturae, Lib. I § 211 („Duo autem lex quaevis perfecta exigit, I. ut, quia facto suo quis alteri damnum dedit, id resarciatur. II., Ut, quia et ipse legislator per denegatum obsequium laesus est, malum aliquod passionis ferat, quisquis alteri contra legem damnum intulit. Quamobrem […] satisfactio semper et poenam, et reparationem damni, suo ambitu complectitur“). 562 Pérez, De Restitutione, Disp. I Cap. 4 N. 23 („nam restituere quis tenetur ante sententiam iudicis, & restitutionem persona privata exigere potest, qua exigente ad eam teneris, non vero ad poenam“); ferner Cap. 1 N. 3; Molina, De Iustitia et Iure, Tract. II Disp. 715 N. 6; zur kontroversen Diskussion, ob Strafe ein richterliches Urteil zwingend voraussetzt, d.h. ob bereits mit der Tat die Verpflichtung zur Strafe entstehen kann, s. etwa Amicus, De Iustitia et Iure, Disp. X Sec. 10 N. 230 ff. 563 S. nur Suárez, De Peccatis, Disp. 7 Sec. 1 N. 1 f. (N. 2: „Omnis culpa est digna aliqua poena, et hoc modo poena et eius reatus est effectus culpae“), 8 („Poena simpliciter semper est effectus alicuius culpae […], quia poena et culpa correlativa sunt“). S. ferner zur poena simpliciter/poena proprie dicta und zu den davon abgegrenzten Medizinalstrafen, die keine Schuld voraussetzen, grundlegend Maihold, Strafe für fremde Schuld?, S. 152 ff., 154 ff., 160 ff.; ferner Thönissen, Recht und Gerechtigkeit, 4. Kap. IV.4.c).
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sein.564 Im Hintergrund steht wiederum ein spezifischer an die Willensfreiheit anknüpfender Schuld- und Strafbegriff, der die Trennung von Strafe und Schaden notwendig macht.565 Die Schuld ist auf die Willensfreiheit bezogen.566 Soweit eine schlechte Handlung frei ist, wird sie dem Handelnden wegen der Freiheit zugerechnet. Diese Zurechnung bedeutet Schuld, Schuld ist also die Zurechnung einer schlechten, d.h. gesetzeswidrigen Handlung aufgrunddessen, dass sie frei ist.567 Wegen der Schuld wird der Handelnde strafwürdig, die Schuld ist der Grund der Strafwürdigkeit.568 Strafe ist in ihrem Umfang schuldabhängig, die Restitution dagegen ausschließlich schadensabhängig.569 Strafe 564 S. Thomas v. Aquin, STh, II-II, q. 108,4 resp.; I-II, q. 87,6 resp.; q. 87,8 resp.; III, q. 86,4 resp.; dazu auch Maihold, Strafe für fremde Schuld?, S. 154 f.; ferner Suárez, De Peccatis, Disp. 7 Sec. 1 N. 1 f. (N. 1: „malum culpae vindicari“), 8; Pérez, De Restitutione, Disp. I Cap. 4 N. 23; Lugo, De Incarnatione, Disp. III Sec. 10 N. 148 („aequalitatem Arithmeticam inter culpam & poenam“); ders., De Iustitia et Iure, Disp. I Sec. 4 N. 69 („aequalitatem poenae cum delicto“); Molina, De Iustitia et Iure, Tract. II Disp. 715 N. 9. 565 Vgl. Thomas v. Aquin, STh, II-II, q. 62,3 resp.; q. 108,4 resp.; I-II, q. 87,6 resp.; III, q. 86,4 resp.; näher Thönissen, Recht und Gerechtigkeit, 4. Kap. IV.4.c); ferner Maihold, Strafe für fremde Schuld?, S. 154 f. 566 Thomas v. Aquin, STh, I, q. 23,3 ad sec. („culpa provenit ex libero arbitrio“); I-II, q. 21,2 resp. 567 Suárez, De Legibus, Lib. II Cap. 6 N. 16 (in: Bach/Brieskorn/Stiening [Hrsg.], De Legibus, Lib. II, S. 124/126); Thomas v. Aquin, STh, I-II, q. 21,2 resp.; I, q. 22,2 ad quint.; ferner Amicus, De Iustitia et Iure, Disp. IV Sec. 1 N. 16 („Omne peccatum & culpa moralis essentialiter est alicuius legis transgressio“); Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 7 Dub. 1 N. 1 (zum Begriff der iniustitia: „Primo pro omni legis violatio […]. Hoc modo omne peccatum est Iniustitia quaedam: quia est violatio aequalitatis seu conformitatis debitae legi vel praecepto Superiori“). 568 S. Suárez, De Peccatis, Disp. 7 Sec. 1 N. 1 f. (N. 2: „Omnis culpa est digna aliqua poena, et hoc modo poena et eius reatus est effectus culpae“), 8 („Poena simpliciter semper est effectus alicuius culpae […], quia poena et culpa correlativa sunt“). 569 Molina, De Iustitia et Iure, Tract. II Disp. 715 N. 9 („poena iuste per vindicativam iustitiam infligenda respondere debeat culpae, quantitatique ac qualitati iniuriae; […] latitudo vero restitutionis respondere debet latitudini solae damni iniuste dati“); Lugo, De Iustitia et Iure, Disp. XV Sec. 1 N. 1 („restitutio tendit ad reparandum damnum“; damnum als obiectum restitutionis); Sec. 2 N. 15; s.a. Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 9 Dub. 21 N. 134 („Non enim quantitas restitutionis, ex iniuriae quantitate aestimanda est, sed ex quantitate damni per iniuriam mortiferam illati. […] Secus est in poena; haec enim respondet iniuriae, non damno“); s.a. Darjes, Observationes, Obs. XL § 6, aber auch (zur Differenzierung von mensura und modus) §§ 7 ff. (§ 6: „Poena proprie sic dicta est malum passionis, quod ob moralem legum violationem infligitur […]. Caussa itaque, ob quam quis poenam meretur, est, quia legem ea ratione violavit, qua actio ad libertatem potest referri. Quare, quum effectus aequalis sit caussae, a qua dependet, sequitur, delinquentem eo maiorem mereri poenam, quo magis actio, qua leges violavit, suam ad libertatem possit referri. Hoc dat quantitatem moralitatis, qua delictum comisit […] Sch. […] Porro inde intelligimus aequalitatem, quae inter culpam & poenam esse debet, non ita nude spectandam esse, ut in ponderibus & mensuris, sed expenso proposito ac voto eius, qui deliquit“); zur quantitas moralitatis als Grundlage der Strafbemessung Obs. XLI §§ 1 ff.; ders., Institutiones, § 341 („Reparatio damni damno proportionata est“), § 342 („Damni enim reparatio damno semper proportionata esse debet“).
II. Das Naturrecht und die „Metaphysik der Freiheit“
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und Restitution stehen unabhängig nebeneinander, das eine „befreit“ nicht vom anderen.570 Eine Verschiebung ergibt sich demgegenüber bei Grotius und nachfolgenden Naturrechtslehrern wie Pufendorf.571 Zwar ist auch hier die Strafe selbständiger, vom Schadensersatz strikt getrennter Begriff.572 Ebenso setzt die (eigentliche) Strafe eigene Schuld voraus.573 Allerdings bilden nicht der Vindikationsgedanke, sondern der Nutzencharakter der Strafe und ihre Abschreckungswirkung den maßgeblichen Zweck der Strafe.574 b) Die prozessuale Trennung von Straf- und Zivilprozess Die Abgrenzung von Strafe und Schadensersatz vollzieht sich weiter prozessual575 durch die Etablierung verschiedener Verfahrensordnungen, welche sich ausgehend vom kanonischen Recht576 bis in die Frühe Neuzeit auch im weltlichen Recht zunehmend durchsetzt.577 Strafverfolgung wird im Rahmen des sog. Inquisitionsprozesses hoheitlich durch das Gericht (ex officio) eingeleitet. 570
S. Lugo, De Iustitia et Iure, Disp. XI Sec. 1 N. 25 („restitutio pro damno oritur ex debito iustitiae commutativae, & ordinatur ad ponendam aequalitatem, quam iustitia intendit, quae aequalitas nullo modo obtinetur per punitionem homicidae, cum per hanc pars laesa nullo modo habeat, quod debebat habere. Quare sicut debet eo etiam casu homicida reddere expensas curationis, & alia damna ex occisione consequuta, a quorum restitutione punitio non liberat“); dazu auch Schnyder, Tötung und Diebstahl, S. 101; s.a. Nettelbladt, Systema Elementare, § 903; Heineccius, Elementa Iuris Naturae, Lib. I § 211 („una alteram vel ideo non tollit“). 571 Dazu näher Thönissen, Recht und Gerechtigkeit, 4. Kap. IV.7.b). 572 S. Grotius, De Iure Belli ac Pacis, Lib. II Cap. 20 N. 1 (poena als „Malum passionis quod infligitur ob malum actionis“); Cap. 17 N. 1 ff. (zum damnum); Pufendorf, De Officio, Lib. II Cap. XIII § 4 („Est igitur poena malum passionis, quod infligitur ob malum actionis“); s.a. Darjes, Observationes, Obs. XXV § 5 („Porro concedo reparationem damni a poena distinguendam esse“); s. ferner Jansen, Theologie, S. 179; ders., in: Haferkamp/Repgen (Hrsg.), Wie pandektistisch war die Pandektistik?, S. 165, 178 Fn. 67. 573 S. Grotius, De Iure Belli ac Pacis, Lib. II Cap. 20 N. 28; Cap. 21 N. 9 ff., 12; Pufendorf, De Officio, Lib. II Cap. XIII § 19 („Porro uti ob alienum delictum in foro humano poena proprie dicta nemo potest affici“); s.a. insoweit zu Grotius Darjes, Observationes, Obs. XL § 6; dazu auch Thönissen, Recht und Gerechtigkeit, 4. Kap. IV.7.b). 574 S. Grotius, De Iure Belli ac Pacis, Lib. II Cap. 20 N. 6 ff., 28; Pufendorf, De Officiis, Lib. II Cap. XIII §§ 4 ff. (§ 4: „Invitis autem poena est infligenda, quia alias illa non obtineret finem suam, qui est acerbitate sua homines a peccatis deterrere“; § 7: „Genuinus poenarum humanarum finis est praecautio laesionum & injuriarum“); dazu näher Thönissen, Recht und Gerechtigkeit, 4. Kap. IV.7.b)aa). 575 Dazu, dass die Entstehung des Inquisitionsverfahrens sowie eines öffentlichen Strafrechts zu einer Entpönalisierung des Haftungsrechts geführt hat, s. etwa Jansen, Haftungsrecht, S. 281 f., 291; ferner Thönissen, Recht und Gerechtigkeit, 4. Kap. IV.5.b), 6. 576 Dazu Hirte, Papst Innozenz III., das IV. Lateranum und die Strafverfahren gegen Kleriker, S. 44 ff., 164 ff.; Dezza, Geschichte des Strafprozesses, S. 4 ff., 15 ff.; Burret, Der Inquisitionsprozess, S. 20 ff.; Trusen, Gelehrtes Recht, S. 81 ff. 577 Hierzu auch Dezza, Geschichte des Strafprozesses, S. 25 ff., 64 f.; Schlosser, Neuere Europäische Rechtsgeschichte, 5. Kap. Rn. 22 ff.
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Es bedarf abweichend vom zunächst noch verbreiteten römisch-rechtlich geprägten Akkusationsverfahren im Gegensatz zum Zivilprozess keines privaten (An-)Klägers.578 Das Verfahren wird einschließlich der Sachverhaltsaufklärung durch den Richter vorangetrieben und dient der Feststellung der Schuld in einem auf Wahrheitsfindung gerichteten Prozess.579 Während ursprünglich nur bei bestimmten Delikten der Inquisitionsprozess eingeleitet werden konnte, entfallen diese Beschränkungen über die Zeit, sodass zunehmend ab dem 16. Jahrhundert bei jeder Straftat, d.h. auch bei den delicta privata ex officio Strafverfolgung eingeleitet werden kann.580 Rechtfertigung ist, dass durch eine Straftat immer auch dem Staat (iniuria reipublicae) und seinen Gesetzen Unrecht zugefügt wird, weshalb auch der Staat immer zur Strafverfolgung zumindest wegen des ihm zugefügten Unrechts berechtigt ist (Ne crimina remaneant impunita581).582 Die Unterscheidung zwischen den delicta privata (Diebstahl, Sachbeschädigung etc.) – hier konnte nur der geschädigte Private zivilrechtliche Strafklage erheben – und delicta publica (Mord, Verbrechen gegen den Staat etc.) – hier konnte grundsätzlich jedermann Strafanklage erheben583 – verliert dadurch an Bedeutung, da ausgehend vom kanonischen Recht auch im weltlichen Recht bei den delicta privata hoheitliche Strafverfolgung ex officio eingeleitet werden kann.584 578 S. Dezza, Geschichte des Strafprozesses, S. 1, 5 f., 27; Burret, Der Inquisitionsprozess, S. 20 („Offizialmaxime“); Schlosser, Neuere Europäische Rechtsgeschichte, 5. Kap. Rn. 22 ff., 22b; s. dazu sowie zum zunehmend verbreiteten Inquisitionsprozess Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 29 Dub. 12 N. 105 f. 579 Schlosser, Neuere Europäische Rechtsgeschichte, 5. Kap. Rn. 22b; Dezza, Geschichte des Strafprozessrechts, S. 1 f., 14, 27; Trusen, Gelehrtes Recht, S. 81 ff., 142 f.; Burret, Der Inquisitionsprozess, S. 20 („Instruktionsmaxime“); s.a. Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 29 Dub. 12 N. 105; Dub. 13 N. 107. 580 Vgl. Grunert, in: Schlosser/Sprandel/Willoweit (Hrsg.), Herrschaftliches Strafen, S. 421, 432, 434 f.; Seelmann, in: Grunert/Seelmann (Hrsg.), Die Ordnung der Praxis, S. 301, 309 f. 581 Zur Entstehung dessen im kanonischen Recht P. Landau, in: Schmoeckel/Condorelli/ Roumy (Hrsg.), Der Einfluss der Kanonistik, S. 23 f., 25 ff. 582 Vgl. Gómez, Commentariorum variarumque resolutionum, Tom. III Cap. 1 N. 10 („ratio est, quia ex quolibet delicto publico, vel privato oritur duplex offensa vel iniuria, una parti & alia reipublicae, unde licet pars offensa non accuset, iudex potest, & debet ex officio procedere pro iniuria reipublicae, cui convenit, ut delicta puniantur, pro pace, & quietudine eius“); Molina, De Iustitia et Iure, Tract. II Disp. 715 N. 5 f.; Tract. III Disp. 47 N. 1, 6; s.a. Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 9 Dub. 22 N. 138; Lugo, De Incarnatione, Disp. III Sec. 10 N. 148 („propter obligationem quam habet in ordine ad Rempublicam, cuius interest delicta non remaneant impunita“); vgl. auch Pérez, De Iustitia et Iure, Disp. IV Cap. 4 N. 62; dazu auch Grunert, in: Schlosser/Sprandel/Willoweit (Hrsg.), Herrschaftliches Strafen, S. 421, 432 f.; Seelmann, in: Grunert/Seelmann (Hrsg.), Die Ordnung der Praxis, S. 301, 310. 583 Dazu Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 30 Dub. 3 N. 19; zur Differenzierung im römischen Recht und in der Spätscholastik Grunert, in: Schlosser/Sprandel/Willoweit (Hrsg.), Herrschaftliches Strafen, S. 421, 422 ff., 427 m.w.N. 584 S. Gómez, Commentariorum variarumque resolutionum, Tom. III Cap. 1 N. 10 („quod licet in delictis privatis non competat accusatio quilibet de populo, sed tantum offenso. ta-
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c) Das naturrechtliche Staatsverständnis, das öffentliche Strafmonopol und der staatliche Strafanspruch In Zusammenhang mit dieser prozessualen Verschiebung ist die Entwicklung einer politischen Theorie zu sehen, nach der die politische Gewalt dem Staat zugewiesen ist.585 Strafen ist eine hoheitliche Befugnis, die dieser politischen Gewalt unterfällt.586 Strafen kommt daher grundsätzlich587 ausschließlich der öffentlichen Gewalt zu.588 Es bildet sich die Vorstellung eines naturrechtlich begründeten staatlichen Strafmonopols, dessen Grund in der politischen Theorie liegt.589 Strafen ist ein hoheitlicher Akt, der ausschließlich der politischen Gewalt zugeordnet ist; es gibt keine private Strafbefugnis, da Strafe neben präventiven Zwecken vor allem der Vindizierung des Unrechts, d.h. des gegen den Staat und seine Gesetze begangenen Unrechts dient.590 585 men bene potest, imo tenetur iudex ex officio suo inquirere, procedere & accusare“); dazu Seelmann, in: Grunert/Seelmann (Hrsg.), Die Ordnung der Praxis, S. 301, 309 f.; Grunert, in: Schlosser/Sprandel/Willoweit (Hrsg.), Herrschaftliches Strafen, S. 421, 432 f., 434 ff. Gleichwohl bestehen die delicta privata weiterhin im weltlichen Recht fort, vgl. dazu auch noch die Auseinandersetzung etwa bei Lugo, De Iustitia et Iure, Disp. VII Sec. 7 N. 97 ff.; s. insoweit auch Molina, De Iustitia et Iure, Tract. III Disp. 47 N. 1 ff. zum Konkurrenzverhältnis, wenn sowohl der Private als auch der Staat Strafklage erheben; zu dieser Diskussion auch Grunert, in: Schlosser/Sprandel/Willoweit (Hrsg.), Herrschaftliches Strafen, S. 421, 432 f., 436 f. 585 Dazu Schnyder, Tötung und Diebstahl, S. 119 ff., 121 ff.; Thönissen, Recht und Gerechtigkeit, 4. Kap. IV.5.; s.a. Suárez, De Legibus, Lib. I Cap. 8 N. 5. 586 Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 9 Dub. 3 N. 5; Cap. 47 Dub. 4 N. 23 f.; Molina, De Iustitia et Iure, Tract. II Disp. 22 N. 9 f.; Disp. 715 N. 5 f., 8; Tract. III Disp. 6 N. 1; Tract. V Disp. 1 N. 2; Suárez, Defensio Fidei, Lib. VI Cap. 4, S. 357; s. Schnyder, Tötung und Diebstahl, S. 121 ff.; vgl. auch Lugo, De Incarnatione, Disp. III Sec. 10 N. 148; ders., De Iustitia et Iure, Disp. I Sec. 4 N. 69; Disp. X Sec. 2 N. 65 ff. Diese für die Scholastik weithin herrschende Position stellt Grotius mit seinem ius ad puniendum infrage, dazu Grotius, De Iure Belli ac Pacis, Lib. II Cap. 20 N. 2, 3, 8, 14, 40; dagegen aber wiederum Pufendorf, De Iure Naturae et Gentium (1716), Lib. VIII Cap. III §§ 1 ff.; ders., De Officio, Lib. II Cap. XIII § 5; s. insoweit näher Thönissen, Recht und Gerechtigkeit, 4. Kap. IV.7.b)bb) m.w.N. 587 Zu den Ausnahmen: Bagatellvergehen (Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 47 Dub. 4 N. 23); (u.a. elterliches) Straf- und Züchtigungsrecht (Molina, De Iustitia et Iure, Tract. III Disp. 2 N. 13 f.); Bestrafung von Staatsfeinden durch Private mit staatlicher Befugnis (Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 9 Dub. 3 N. 5 f.). 588 S. Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 9 Dub. 3 N. 5; Cap. 47 Dub. 4 N. 23 f.; Suárez, Defensio Fidei, Lib. VI Cap. 4, S. 357; s. ferner Pufendorf, De Iure Naturae et Gentium (1716), Lib. VIII Cap. III §§ 1 ff.; anders aber Grotius, De Iure Belli ac Pacis, Lib. II Cap. 20 N. 2, 3, 8, 40. 589 S. näher Thönissen, Recht und Gerechtigkeit, 4. Kap. IV.5.a); Maihold, Strafe für fremde Schuld?, S. 179 f. 590 S. Molina, De Iustitia et Iure, Tract. II Disp. 22 N. 9 f.; Disp. 715 N. 5 f., 8; Tract. III Disp. 6 N. 1; Tract. V Disp. 1 N. 2; vgl. dazu Schnyder, Tötung und Diebstahl, S. 121 ff.; s.a. Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 47 Dub. 4 N. 23 f.; Cap. 9 Dub. 22 N. 138 („poena infligitur a Iudice; non ut damnum parti laesae compensetur, sed ut iniuria Reipl. & legibus illata vindicetur, aliisque terror incutiatur“); ferner zu dieser Diskussion, auch zur Frage, ob
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2. Kapitel: Die Entstehung der Konstituenten
Die Disposition über die Strafe ist zumindest insoweit, als es um das gegen den Staat und seine Gesetze begangene Unrecht geht, dem Geschädigten entzogen.591 Auch wenn der private Geschädigte entsprechend den (früheren bzw. je nach positivem Recht auch weiterhin anwendbaren) privaten Strafklagen592 von einer Strafverfolgung absieht oder sich mit dem Täter vergleicht, kann er dennoch nicht über den staatlichen Strafanspruch disponieren.593 Der Staat kann und muss immer wegen des ihm zugefügten Unrechts Strafverfolgung betreiben.594 Es bildet sich somit ein öffentlicher Strafanspruch595, der im Wege des Inquisitionsprozesses durch das Gericht hoheitlich verfolgt
591 zumindest dann, wenn es keinen Staat und keine staatlichen Strukturen gibt, ein privates Recht auf Strafe eingreift, Lugo, Disp. X Sec. 2 N. 65 ff. in Auseinandersetzung mit Molina. Gegen die Position, die ein solches privates Recht auf Strafe ablehnt, wendet sich insbesondere Grotius, De Iure Belli ac Pacis, Lib. II Cap. 20 N. 2, 3, 8, 40, der von einem zumindest im Naturzustand gegebenen naturrechtlichen privaten ius ad puniendum ausgeht; dazu näher Thönissen, Recht und Gerechtigkeit, 4. Kap. IV.7.b)bb). 591 Vgl. Didacus a Cantera, Quaestiones Criminales, De Quaestionibus tangentibus accusatorem, q. 2 N. 3, S. 20; Gómez, Commentariorum variarumque resolutionum, Tom. III Cap. 1 N. 10; Molina, De Iustitia et Iure, Tract. III Disp. 47 N. 1 ff., 6; dazu auch Grunert, in: Schlosser/Sprandel/Willoweit (Hrsg.), Herrschaftliches Strafen, S. 421, 432 f. 592 S. dazu zuvor noch Fn. 584. 593 Vgl. Didacus a Cantera, Quaestiones Criminales, De Quaestionibus tangentibus accusatorem, q. 2 N. 3, S. 20 („etiam si pars accusaret delinquentem criminaliter, fiscus simul accusat pro interesse fisci & rei publicae. […] quod si privatus recedit ab accusatione, vel non vult accusare, fiscus accusat: & est ratio quia in quolibet delicto etiam privato tribus fit iniuria, s. Deo, parti, & reipublicae, iniuria quae fit Deo, relinquitur, ut satisfaciat reus in confessione, & quae fit parti pars prosequitur, & potest etiam pars remittere, non tamen potest remittere iniuriam quae fit reipublicae, & ideo pro ea potest accusare fiscus“); s.a. Molina, De Iustitia et Iure, Tract. III Disp. 47 N. 1 ff., 6; ferner Grunert, in: Schlosser/Sprandel/Willoweit (Hrsg.), Herrschaftliches Strafen, S. 421, 433. 594 Vgl. Didacus a Cantera, Quaestiones Criminales, De Quaestionibus tangentibus accusatorem, q. 2 N. 3, S. 20; Gómez, Commentariorum variarumque resolutionum, Tom. III Cap. 1 N. 10 („unde licet pars offensa non accuset, iudex potest, & debet ex officio procedere pro iniuria reipublicae, cui convenit, ut delicta puniantur“); dazu auch Seelmann, in: Grunert/Seelmann (Hrsg.), Die Ordnung der Praxis, S. 301, 310; Grunert, in: Schlosser/ Sprandel/Willoweit (Hrsg.), Herrschaftliches Strafen, S. 421, 432 f., 436 f. Zur im gegenwärtigen Diskurs thematisierten Frage, ob es neben dem öffentlichen Unrecht auch ein „privates Unrecht“ (im Sinne eines gegen den Privaten und seine Rechte begangenenen Unrechts) gibt, das separater Anknüpfungspunkt für eine (Privat-)Strafe ist, s. unten S. 530 ff. 595 Vgl. etwa Lugo, De Incarnatione, Disp. III Sec. 10 N. 148 („propter obligationem quam habet in ordine ad Rempublicam, cuius interest delicta non remaneant impunita“); ders., De Iustitia et Iure, Disp. I Sec. 4 N. 69 („iudex, seu Princeps habet ius ad poenam infligendam“); zu diesem öffentlichen Strafanspruch s. Grunert, in: Schlosser/Sprandel/Willoweit (Hrsg.), Herrschaftliches Strafen, S. 421, 432 f., 434, 436; Schnyder, Tötung und Diebstahl, S. 124; ferner auch hierzu sowie zur Entstehung von ne crimina remaneant impunita P. Landau, in: Schmoeckel/Condorelli/Roumy (Hrsg.), Der Einfluss der Kanonistik, S. 23 f., 25 ff.; Hirte, Papst Innozenz III., das IV. Lateranum und die Strafverfahren gegen Kleriker, S. 193 ff.; Dezza, Geschichte des Strafprozessrechts, S. 7 f.
II. Das Naturrecht und die „Metaphysik der Freiheit“
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wird, wobei die Vorstellung einer Strafverfolgungspflicht zunehmend deutlich wird.596 Die Differenzierung von Strafe und Schadensersatz sowie von Straf- und Zivilrecht ist daher durch mehrere Entwicklungen bedingt597: Die Entwicklung einer auf der Verletzung subjektiver Rechte gründenden Restitutionspflicht, die ausschließlich auf Kompensation zielt; die Etablierung eines Begriffs der (Schuld-)Strafe, die wegen der Schuld verhängt wird, in ihrer Zumessung schuldabhängig ist und dem Schuld- und Unrechtsausgleich dient; die Entstehung verschiedener Verfahrensordnungen mit je eigenen Grundsätzen, d.h. insbesondere des Inquisitionsverfahrens, durch das von Amts wegen hoheitlich Straftaten verfolgt werden598; sowie schließlich die Entwicklung einer politischen Theorie, die ausschließlich dem Staat die Strafbefugnis zuweist und von einem öffentlichen Strafanspruch ausgeht, wonach der Staat das gegen ihn und seine Gesetze begangene Unrecht vindizieren darf.599 Mit diesem Gedanken eines staatlichen Strafmonopols geht auch ein Staatsund Rechtsprechungsverständnis einher, das alleine dem Staat als Träger der politischen Gewalt Rechtsprechung und sonstige hoheitliche Befugnisse zuweist.600 Selbsthilferechte (compensatio occulta) zur Durchsetzung privater Rechtsansprüche werden zwar anerkannt, sind aber grundsätzlich auf den Fall der fehlenden Möglichkeit gerichtlicher Rechtsdurchsetzung begrenzt und dürfen keine Gewaltanwendung beinhalten, da es sich bei der Rechtsdurchsetzung um eine eigentlich ausschließlich dem Staat zukommende Aufgabe handelt.601
596
S. Seelmann, in: Grunert/Seelmann (Hrsg.), Die Ordnung der Praxis, S. 301, 310; Grunert, in: Schlosser/Sprandel/Willoweit (Hrsg.), Herrschaftliches Strafen, S. 421, 432 f., 434 ff.; Thönissen, Recht und Gerechtigkeit, 4. Kap. IV.5.a), c). 597 Dazu näher Thönissen, Recht und Gerechtigkeit, 4. Kap. IV.6.c). 598 Dazu, dass dies einer der Gründe der Trennung von Strafe und Schadensersatz ist, vgl. Jansen, Haftungsrecht, S. 281 f., 291; vgl. auch Grunert, in: Schlosser/Sprandel/Willoweit (Hrsg.), Herrschaftliches Strafen, S. 421, 437 zu den Folgen der Ausweitung des Inquisitionsprozesses. 599 Vgl. Grunert, in: Schlosser/Sprandel/Willoweit (Hrsg.), Herrschaftliches Strafen, S. 421, 432 f., 436 f. 600 Vgl. Suárez, De Legibus, Lib. I Cap. 8 N. 5; s.a. bereits Thomas v. Aquin, STh, II-II, q. 60,6 resp.; q. 67,1 resp.; ferner dazu näher Thönissen, Recht und Gerechtigkeit, 5. Kap. III.1. 601 S. dazu etwa Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 12 Dub. 10 N. 56 ff.; ferner Grotius, De Iure Belli ac Pacis, Lib. II Cap. 7 N. 2; dazu auch Decock, Contract Law, p. 101 ss.; Grunert, in: Grunert/Seelmann (Hrsg.), Die Ordnung der Praxis, S. 313, 325 ff.; Schnyder, Tötung und Diebstahl, S. 92 ff.
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2. Kapitel: Die Entstehung der Konstituenten
III. Die rechtliche Moderne und die Historische Rechtsschule 1. Kant, Hegel und die „Metaphysik der Freiheit“ a) Kant aa) Das Neue bei Kant (1) Homo noumenon und homo phaenomenon – Verstandeswelt und Sinnenwelt Wenn Auer argumentiert, dass sich bei Kant „der entscheidende Schritt zur Moderne“ vollzogen und sich hierdurch der moderne (Privat-)Rechtsbegriff gebildet hat602, so ist zunächst zu vergegenwärtigen, dass Kant von Begriffen und Kategorien ausgeht, die er der naturrechtlichen Freiheitsmetaphysiktradition entnimmt: die „Vorbegriffe“ in der „Metaphysik der Sitten“ entstammen ebendieser Tradition.603 Vor dem Hintergrund dieser Tradition sind die Frage-
602 So Auer, Der privatrechtliche Diskurs, S. 16 f., 19 f.; dies., AcP 208 (2008), 584, 618; generell für einen grundlegenden kantischen Einfluss auf die Zivilrechtswissenschaft des 19. Jhd. Kiefner, in: Blühdorn/Ritter (Hrsg.), Philosophie und Rechtswissenschaft, S. 3 ff.; Unberath, Vertragsverletzung, S. 32 ff., 57 ff.; Ulrich, Der Erbvertrag, S. 210 ff. (Bedeutung von Kants Erkenntnistheorie für die Lehre von den juristischen Tatsachen); Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, S. 330 f. (zu Kants Einfluss auf den Privatrechtsbegriff des 19. Jhd.); s.a. Schapp, Grundfragen der Rechtsgeschäftslehre, S. 21 ff. (zur Rechtsgeschäftslehre und zum Willensdogma; S. 22: „Alles was wir im folgenden feststellen können, ist ein gewisser Gleichklang der Intentionen bei Kant einerseits und in der Rechtsgeschäftslehre des 19. und 20. Jhd. andererseits, der allerdings angesichts des überragenden Einflusses Kants auf das Denken der beiden ihm folgenden Jahrhunderte dann doch für einen tatsächlichen Einfluß Kants auch auf die in diesen beiden Jahrhunderten ausgebildete Rechtsgeschäftslehre spricht“); kritisch zu einem prägenden Einfluss Kants auf Savigny dagegen Rückert, in: Klippel (Hrsg.), Naturrecht im 19. Jahrhundert, S. 135, 156 f.; Nörr, Eher Hegel als Kant, S. 22 ff.; ferner umfassend zur Einordnung Savignys Rückert, Idealismus, S. 1 ff. S. grundsätzlich auch Hofer, Vertragsfreiheit ohne Grenzen, S. 2 ff. zur kantisch-liberalen Verortung des 19. Jhd., die erst im 20. Jhd. „rückprojeziert“ wird. 603 Umfassend dazu Kobusch, Die Entdeckung der Person, S. 132 ff., 140; s. im Einzelnen Kant, Die Metaphysik der Sitten, Einleitung in die Metaphysik der Sitten, I. (AA VI, 211 ff.); IV. Vorbegriffe zur Metaphysik der Sitten (AA VI, 221 ff.): „Wille“, „Willkür“, „reine Vernunft“, „Freiheit der Willkür“, „Gesetze“; „Diese Gesetze der Freiheit heißen zum Unterschiede von Naturgesetzen moralisch“ (AA VI, 214); „Freiheit“; „Auf diesem (in praktischer Rücksicht) positiven Begriffe der Freiheit gründen sich unbedingte praktische Gesetze, welche moralisch heißen, die in Ansehung Unser, deren Willkür sinnlich afficirt und so dem reinen Willen nicht von selbst angemessen, sondern oft widerstrebend ist, Imperative (Gebote oder Verbote) und zwar kategorische (unbedingte) Imperative sind […]“ (AA VI, 221); „Verbindlichkeit ist die Nothwendigkeit einer freyen Handlung unter einem kategorischen Imperativ der Vernunft“ (AA VI, 222); „Erlaubt ist eine Handlung (licitum), die der Verbindlichkeit nicht entgegen ist; und diese Freiheit, die durch keinen entgegengesetzten Imperativ eingeschränkt wird, heißt die Befugniß (facultas moralis)“ (AA VI, 222); „Pflicht“; „Person“; „moralische Persönlichkeit“; „Zurechnung“.
III. Die rechtliche Moderne und die Historische Rechtsschule
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stellungen erklärbar. Auch Kant steht ebenso wie Hegel604 in gewisser Hinsicht in der Tradition der „Metaphysik der Freiheit“.605 Was ist also das für die privatrechtlichen Entwicklungen relevante „Neue“ bei Kant?606 Hier steht zum einen der andere erkenntnistheoretische Zugang, der von den apriorischen „Begriffen der reinen Vernunft“607 ausgeht und zwischen „Sinnenwelt“ und „Verstandeswelt“ unterscheidet.608 Damit ist die Differenzierung des Menschseins in Natur- (homo phaenomenon; „Sinnenwelt“) und Geisteswesen (homo noumenon; „Verstandeswelt“609) verbunden.610 Der 604 So insbesondere Kobusch, Die Entdeckung der Person, S. 158, ferner S. 161 zu den Unterschieden („Die Metaphysik des Willens in der Hegelschen Rph ist freilich keine Ontologie der res morales mehr wie z.B. bei Pufendorf, sondern eine moderne Theorie, die den Menschen als Bedürfniswesen und die Güter dieser Welt in ihrem Verhältnis zu den vielen individuellen Bedürfnissen der Menschen sieht“); zustimmend neuerdings Ostritsch, Hegels Rechtsphilosophie als Metaethik, S. 17 Fn. 24. 605 Kobusch, Die Entdeckung der Person, S. 132 ff.; vgl., wenngleich eher die Innovation bei Kant betonend, Auer, Der privatrechtliche Diskurs, S. 15 ff. 606 Vgl. dazu auch Auer, Der privatrechtliche Diskurs, S. 16 f., 19 f., 26 ff.; dies., AcP 208 (2008), 584, 613; ferner Kobusch, Die Entdeckung der Person, S. 136 ff. 607 Dazu Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, Vorrede, AA IV, 389. 608 S. dazu Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, III. Abschnitt, AA IV, 451 ff.; s.a. W. Hess, Zum Verhältnis von Recht und Sittlichkeit, S. 22. S. im Einzelnen Kant, Grundlegung der Metaphysik der Sitten, Vorrede, AA IV, S. 387 ff.: Kant unterscheidet bei der Einteilung der Philosophie zwischen „formaler“ Wissenschaft (Logik) und „materialer“ Wissenschaft (Physik, Ethik), d.h. material insoweit, als sie einen bestimmten Gegenstand („Object“) hat. Bei der Physik („Naturlehre“) ist dies die Natur, bei der Ethik („Sittenlehre“) dagegen die „Freiheit“. Darüber hinaus differenziert Kant aber nun im Rahmen der Ethik bzw. Moralwissenschaft zwischen empirischer Wissenschaft („Anthropologie“) und „reiner Philosophie“ („Metaphysik“, „Moral“; Vorrede, AA IV, 388 f.; II. Abschnitt, AA IV, 410). Die empirische Wissenschaft bezieht sich auf die Erscheinungen der Sinnenwelt (Phaenomene), die Wissenschaft der reinen Vernunft ergibt sich hingegen ganz aus den reinen a priori gewonnenen Begriffen der „reinen Vernunft“ (aaO, II. Abschnitt, AA IV, 411: „daß alle sittliche Begriffe völlig a priori in der Vernunft ihren Sitz und Ursprung haben“). Sie bezieht sich also ganz auf die intelligible Welt (Verstandeswelt) und enthält nichts Empirisches. Diese moralische Wissenschaft („Moral“; „reine Moralphilosophie“) ist die Metaphysik der Sitten (Vorrede, AA IV, 388, 390 f.; ferner Kant, Die Metaphysik der Sitten, Einleitung in die Metaphysik der Sitten, II., AA VI, 214 ff.). Sie nimmt ihren apriorischen Ausgangspunkt in Vernunft, Wille und Freiheit (vgl. Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, III. Abschnitt, AA IV, 447 ff.). 609 Zur Unterscheidung von „Sinnenwelt“ und „Verstandeswelt“ s. Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, III. Abschnitt, AA IV, 451 ff. 610 S. Kant, Metaphysik der Sitten, Einleitung in die Metaphysik der Sitten, IV. (AA VI, 226: „Als Noumen aber, d.i. nach dem Vermögen des Menschen bloß als Intelligenz betrachtet, wie sie in Ansehung der sinnlichen Willkühr nöthigend ist, mithin ihrer positiven Beschaffenheit nach, können wir sie theoretisch gar nicht darstellen. Nur das können wir wohl einsehen: daß, obgleich der Mensch, als Sinnenwesen der Erfahrung nach ein Vermögen zeigt dem Gesetze nicht allein gemäß, sondern auch zuwider zu wählen, dadurch doch nicht seine Freiheit als intelligiblen Wesens definirt werden könne“); Einleitung in die Rechtslehre, Eintheilung der Metaphysik der Sitten überhaupt, II. (AA VI, 239: „Da in der Lehre von den Pflichten der Mensch nach der Eigenschaft seines Freiheitsvermögens, welches ganz über-
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2. Kapitel: Die Entstehung der Konstituenten
gesamte Bereich des Rechts und der Pflichten (Moralität611, „Gesetze der Freyheit“612) wird dabei jener Verstandeswelt zugeordnet, d.h. hier steht der Mensch als homo noumenon.613 In der Verstandeswelt („intelligebele Welt“) geht es um die Freiheit der vernünftigen Wesen614, die „Causalität“615 des Willens616 sowie die „Autonomie“.617 611 sinnlich ist, also auch bloß nach seiner Menschheit, als von physischen Bestimmungen unabhängiger Persönlichkeit, (homo noumenon), vorgestellt werden kann und soll, zum Unterschiede von eben demselben, aber als mit jenen Bestimmungen behafteten Subject, dem Menschen (homo phaenomenon), so werden Recht und Zweck wiederum in dieser zwiefachen Eigenschaft auf die Pflicht bezogen, folgende Eintheilung gebeben“); ders., Grundlegung der Metaphysik der Sitten, III. Abschnitt, AA IV, 458 („Dieser Gedanke führt freilich die Idee einer anderen Ordnung und Gesetzgebung, als die des Naturmechanismus, der die Sinnenwelt trifft, herbei, und macht den Begriff einer intelligibelen Welt (d.i. das Ganze vernünftiger Wesen, als Dinge an sich selbst) nothwendig […]“); dazu auch W. Hess, Zum Verhältnis von Recht und Sittlichkeit, S. 22 f.; Hetterich, Mensch und Person, S. 84. 611 Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, II. Abschnitt, AA IV, 439 („Moralität ist also das Verhältniß der Handlungen zur Autonomie des Willens, das ist, zur möglichen allgemeinen Gesetzgebung durch die Maximen derselben“). 612 Kant, Die Metaphysik der Sitten, Einleitung in die Metaphysik der Sitten, I., AA VI, 214 („Diese Gesetze der Freiheit heißen zum Unterschiede von Naturgesetzen moralisch“). 613 Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, III. Abschnitt, AA IV, 452 („Um deswillen muß ein vernünftiges Wesen sich selbst als Intelligenz, (also nicht von Seiten seiner untern Kräfte), nicht als zur Sinnen-, sondern zur Verstandeswelt gehörig, ansehen; mithin hat es zwei Standpuncte, daraus es sich selbst betrachten und Gesetze des Gebrauchs seiner Kräfte, folglich aller seiner Handlungen erkennen kann, einmal, so fern es zur Sinnenwelt gehört, unter Naturgesetzen (Heteronomie), zweitens als zur intelligibelen Welt gehörig, unter Gesetzen, die, von der Natur unabhängig, nicht empirisch, sondern bloß in der Vernunft gegründet sind“); ders., Die Metaphysik der Sitten, Der Rechtslehre Erster Theil, Erstes Hauptstück, § 5, AA VI, 249 („hier aber ist es ihr um praktische Bestimmung der Willkür nach Gesetzen der Freiheit zu thun, der Gegenstand mag nun durch Sinne, oder auch bloß den reinen Verstand erkennbar sein, und das Recht ist ein solcher reiner practischer Vernunftbegriff der Willkür unter Freiheitsgesetzen. […] denn das Recht ist schon ein intellectueller Besitz eines Gegenstandes“); § 7 (AA VI, 253: „Der Rechtsbegriff, der bloß in der Vernunft liegt […]“). Vgl. dazu auch Fezer, Teilhabe und Verantwortung, S. 255 („Das Freiheitsvermögen des Menschen: seine Menschheit, homo noumenon, nicht der Mensch, homo phaenomenon, als physisch bestimmtes Subjekt ist Gegenstand Kant’scher Rechtsmetaphysik“); ferner W. Hess, Zum Verhältnis von Recht und Sittlichkeit, S. 22 f.; Kobusch, Die Entdeckung der Person, S. 141 ff. 614 Kant, Grundlegung der Metaphysik der Sitten, III. Abschnitt, AA IV, 453 („Das vernünftige Wesen zählt sich als Intelligenz zur Verstandeswelt, und, bloß als eine zu dieser gehörige wirkende Ursache, nennt es seine Causalität einen Willen“). 615 Kant, Grundlegung der Metaphysik der Sitten, III. Abschnitt, AA IV, 446 („Der Wille ist eine Art von Causalität lebender Wesen, so fern sie vernünftig sind, und Freiheit würde diejenige Eigenschaft dieser Causalität sein, da sie unabhängig von fremden sie bestimmenden Ursachen wirkend sein kann; so wie Naturnothwendigkeit die Eigenschaft aller vernunftlosen Wesen, durch den Einfluß fremder Ursachen zur Thätigkeit bestimmt zu werden“); AA IV, 452 („Als ein vernünftiges, mithin zur intelligibelen Welt gehöriges Wesen kann der Mensch die Causalität seines eigenen Willens niemals anders als unter der Idee der Freiheit denken“); AA IV, 457 („Der Mensch, der sich auf solche Weise als Intelligenz betrachtet, setzt sich dadurch in eine andere Ordnung der Dinge und in ein Verhälntiß zu bestimmenden Gründen von ganz anderer Art, wenn er sich als Intelligenz mit einem Willen,
III. Die rechtliche Moderne und die Historische Rechtsschule
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(2) Autonomie Zum anderen entwickelt Kant den Gedanken der „Autonomie“, d.h. dass der Mensch selbst auch Ursprung der Verpflichtungswirkung des Gesetzes ist.618 Der Mensch ist aufgrund von Freiheit, Vernunft und Willen nicht nur Träger von Rechten und Pflichten, sondern auch Ursprung der normativen Kraft des
616 folglich mit Causalität, begabt denkt, als wenn er sich wie ein Phänomen in der Sinnenwelt (welches er wirklich auch ist) wahrnimmt, und seine Causalität äußerer Bestimmung nach Naturgesetzen unterwirft“); AA IV, 457 („Die Causalität derselben liegt in ihm als Intelligenz und in den Gesetzen der Wirkungen und Handlungen nach Principien einer intelligibelen Welt, von der er wohl nichts weiter weiß, als daß darin lediglich die Vernunft und zwar reine, von Sinnlichkeit unabhängige Vernunft das Gesetz gebe, imgleichen da er daselbst nur als Intelligenz das eigentliche Selbst (als Mensch hingegen nur Erscheinung seiner selbst) ist, jene Gesetze ihn unmittelbar und kategorisch angehen“). 616 Zum Willen etwa Kant, Grundlegung der Metaphysik der Sitten, II. Abschnitt, AA IV, 427 („Der Wille wird als ein Vermögen gedacht, der Vorstellung gewisser Gesetze gemäß sich selbst zum Handeln zu bestimmen. Und ein solches Vermögen kann nur in vernünftigen Wesen anzutreffen sein“). Zur Bedeutung des Willens für die Rechtslehre bei Kant Schapp, Grundfragen der Rechtsgeschäftslehre, S. 22 ff. 617 Kant, Grundlegung der Metaphysik der Sitten, II. Abschnitt, AA IV, 440 („Autonomie des Willens ist die Beschaffenheit des Willens, dadurch derselbe ihm selbst (unabhängig von aller Beschaffenheit der Gegenstände des Wollens) ein Gesetz ist“); III. Abschnitt, AA IV, 452 f. („denn Unabhängigkeit von den bestimmenden Ursachen der Sinnenwelt (dergleichen die Vernunft jederzeit sich selbst beilegen muß) ist Freiheit. Mit der Idee der Freiheit ist nun der Begriff der Autonomie unzertrennlich verbunden, mit diesem aber das allgemeine Princip der Sittlichkeit, welches in der Idee allen Handlungen vernünftiger Wesen eben so zum Grunde liegt, als Naturgesetz allen Erscheinungen“); AA IV, 453 („Denn jetzt sehen wir, daß, wenn wir uns als frei denken, so versetzen wir uns als Glieder in die Verstandeswelt und erkennen die Autonomie des Willens, samt ihrer Folge, der Moralität“; „Als bloßen Gliedes der Verstandeswelt würden also alle meine Handlungen dem Princip der Autonomie des reinen Willens vollkommen gemäß sein“); AA IV, 453 f. („Weil aber die Verstandeswelt den Grund der Sinnenwelt, mithin auch der Gesetze derselben, enthält, also in Ansehung meines Willens (der ganz zur Verstandeswelt gehört) unmittelbar gesetzgebend ist und also auch als solche gedacht werden muß, so werde ich mich als Intelligenz, obgleich andererseits wie ein zur Sinnenwelt gehöriges Wesen, dennoch dem Gesetz der ersteren, d.i. der Vernunft, die in der Idee der Freiheit das Gesetz derselben enthält, und also der Autonomie des Willens unterworfen erkennen, folglich die Gesetze der Verstandeswelt für mich als Imperativen und die diesem Princip gemäßen Handlungen als Pflichten ansehen müssen. Und so sind kategorische Imperative möglich, dadurch, daß die Idee der Freiheit mich zu einem Gliede einer intelligibelen Welt macht, wodurch, wenn ich solches allein wäre, alle meine Handlungen der Autonomie des Willens jederzeit gemäß sein würden […]“); dazu auch Fezer, Teilhabe und Verantwortung, S. 255. 618 Kant, Grundlegung der Metaphysik der Sitten, II. Abschnitt, AA IV, 431 („die Idee des Willens jedes vernünftigen Wesens als eines allgemein gesetzgebenden Willens“; „Der Wille wird also nicht lediglich dem Gesetz unterworfen, sondern so unterworfen, dass er auch als selbstgesetzgebend, und eben um deswillen allererst dem Gesetze (davon er selbst sich als Urheber betrachten kann) unterworfen, angesehen werden muß.“); AA IV, 440 f.; s.a. Welzel, Naturrecht und materiale Gerechtigkeit, S. 167 ff.; Auer, Der privatrechtliche Diskurs der Moderne, S. 19 f.; zu diesem Gesichtspunkt als wesentliche Neuerung gegenüber der Freiheitsmetaphysiktradition Kobusch, Die Entdeckung der Person, S. 137 ff.
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2. Kapitel: Die Entstehung der Konstituenten
Gesetzes.619 Statt einer heteronomen Naturrechtsbegründung, wie sie für die Naturrechtslehre konstituierend war620, geht Kant von der autonomen vernunftbegründeten Selbstgesetzgebung des Willens („Autonomie des Willens“) aus.621 Aufbauend auf der Freiheit des Willens, d.h. der „Autonomie, d.i. die Eigenschaft des Willens, sich selbst ein Gesetz zu sein“622 identifiziert Kant den Willen eines jeden vernünftigen Wesens als einen allgemein gesetzgebenden Willen, der als selbstgesetzgebend „dem Gesetze (davon er selbst sich als Urheber betrachten kann) unterworfen“ ist.623 Ausgehend davon bestimmt er auch die Abgrenzung von Ethik und Recht neu.624 Bei beiden Gesetzesarten handelt es sich im Gegensatz zu den Naturgesetzen um moralische Gesetze, d.h. „Gesetze der Freiheit“.625 Für das ethische Gesetz gilt indes, dass „die Idee der Pflicht aus dem Gesetze zugleich die Triebfeder der Handlung“ ist. Dagegen kommt beim juridischen Gesetz „auch eine andere Triebfeder als die Idee der Pflicht“ – nämlich äußerer Zwang – in Betracht.626 Dem auf äußere Verhältnisse und Handlungen zwischen Personen627 zielenden, durch die rechtliche äußere Gesetzgebung normierten „juridischen“ Gesetz („Gesetzmäßigkeit“, „Legalität“) wird so das innere, „ethische“ Gesetz („Sittlichkeit“, „Moralität“) gegenübergestellt.628
619 S. Auer, Der privatrechtliche Diskurs, S. 16 f., 19 f., die gerade darin die Konstituierung des modernen Rechtsbegriffs erblickt; W. Hess, Zum Verhältnis von Recht und Sittlichkeit, S. 23; Kobusch, Die Entdeckung der Person, S. 138. 620 S. dazu im Einzelnen Thönissen, Recht und Gerechtigkeit, 3. Kap. VII.2., VIII.3., 4., 7. 621 S. Kant, Grundlegung der Metaphysik der Sitten, II. Abschnitt, AA IV, 431; AA IV, 440 f. („Autonomie“ – „Heteronomie“); s.a. Welzel, Naturrecht und materiale Gerechtigkeit, S. 167 ff.; Auer, Der privatrechtliche Diskurs der Moderne, S. 19 f. (zur Neuerung Kants gegenüber Pufendorf). 622 Kant, Grundlegung der Metaphysik der Sitten, III. Abschnitt, AA IV, 447; s.a. ders., Die Metapyhsik der Sitten, Einleitung in die Metaphysik der Sitten, IV., AA VI, 226: „Von dem Willen gehen die Gesetze aus; von der Willkür die Maximen“. 623 Kant, Grundlegung der Metaphysik der Sitten, II. Abschnitt, AA IV, 431. 624 Dazu etwa Welzel, Naturrecht und materiale Gerechtigkeit, S. 165 ff. 625 Kant, Die Metaphysik der Sitten, Einleitung in die Metaphysik der Sitten, I., AA VI, 214 („Diese Gesetze der Freiheit heißen zum Unterschiede von Naturgesetzen moralisch“). Während sich die „juridischen Gesetze“ nur auf „die Freiheit im äußeren Gebrauche“ beziehen, ist Gegenstand der „ethischen Gesetze“ „die Freiheit sowohl im äußern als innern Gebrauche der Willkür […], sofern sie durch Vernunftgesetze bestimmt wird“ (AA VI, 214). 626 Kant, Die Metaphysik der Sitten, Einleitung in die Metaphysik der Sitten, III., AA VI, 219; zu dieser Abgrenzung über den Zwang Fezer, Teilhabe und Verantwortung, S. 251; Welzel, Naturrecht und materiale Gerechtigkeit, S. 166. 627 Dazu Kant, Die Metaphysik der Sitten, Einleitung in die Rechtslehre, § B., AA VI, 230. 628 S. Kant, Die Metaphysik der Sitten, Einleitung in die Metaphysik der Sitten, I., AA VI, 214; III., AA VI, 219; Einleitung in die Rechtslehre, § A., AA VI, 229; Eintheilung der Metaphysik der Sitten überhaupt, I., AA VI, 239; dazu auch Auer, AcP 208 (2008), 584, 613 ff., 616 f., wonach entscheidendes Abgrenzungskritierium zwischen Recht und Moral die „äußere Erzwingbarkeit“ des Rechts ist; ferner Kobusch, Die Entdeckung der Person, S. 145; Welzel, Naturrecht und materiale Gerechtigkeit, S. 166 f.
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bb) Der Rechtsbegriff und seine Bedeutung für das Privatrecht (1) Recht als Abgrenzung von Freiheitssphären Für die Privatrechtswissenschaft des 19. Jahrhunderts wird vor allem Kants Bestimmung des Gegenstandes des (Privat-)Rechts629 wirkmächtig, wobei hier die Freiheit zentrale Bedeutung gewinnt.630 Aufgabe des Rechts ist es, die Freiheitssphären zwischen den Menschen abzugrenzen.631 Unter Recht versteht Kant nämlich den „Inbegriff der Bedingungen, unter denen die Willkür des einen mit der Willkür des andern nach einem allgemeinen Gesetze der Freiheit zusammen vereinigt werden kann“.632 Das „allgemeine Rechtsgesetz“ gebietet äußerlich so zu handeln, „daß der freie Gebrauch deiner Willkür mit der Freiheit von jedermann nach einem allgemeinen Gesetze bestehen könne“.633 Eine Handlung ist dann „recht“, wenn sie „mit der Freiheit von jedermann nach einem allgemeinen Gesetze zusammen bestehen kann“.634 Unrecht ist „ein Hin-
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Allerdings greift Kant nicht den Begriff des „subjektiven Rechts“ auf, s. etwa Fezer, Teilhabe und Verantwortung, S. 255 („Kant verwendet den Begriff des subjektiven Rechts nicht. […] Synonym für den Begriff des subjektiven Rechts gebraucht Kant den Terminus Befugnis – verstanden als facultas moralis –, den er als Korrespondenzbegriff zur Pflicht verwendet“); s. aber auch Auer, Der privatrechtliche Diskurs, S. 28: „Die Form des subjektiven Rechts wird bei Kant als solche zur normativen Essenz des freiheitlichen Rechtsbegriffs“ – d.h. insoweit wird bei Kant dann wiederum abgrenzend zum pflichtenorientierten Entwurf Pufendorfs die Form subjektiver Rechte zentral; dazu auch Unberath, Vertragsverletzung, S. 56 f., ferner S. 32 ff., 57 ff. (dort auch zur Bedeutung Kants für die „Privatrechtstheorie des 19. Jahrhunderts“); Ikadatsu, Der Paradigmenwechsel, S. 1 ff., 78 ff. 630 S. insoweit unten noch S. 184; s. zur Bedeutung Kants für den (Privat-)Rechtsbegriff im 19. Jhd. auch Auer, Der privatrechtliche Diskurs, S. 20, 28; dies., AcP 208 (2008), 584, 618; Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, S. 330 f.; ferner Ikadatsu, Der Paradigmenwechsel, S. 1 ff., 78 ff., wonach die Konzeption der Privatrechtsordnung als „System der Rechte“ bei Savigny auf Kant zurückzuführen ist. 631 So gemeinhin die Umschreibung von Kants Position, s. dazu Auer, Der privatrechtliche Diskurs, S. 26 („formal-gegenseitigen Begrenzung der individuellen Freiheitssphären durch die Freiheiten aller anderen“); dies., AcP 208 (2008), 584, 617 f.; s.a. etwa Savigny, System, Bd. 1, § 52, S. 331 f. 632 Kant, Die Metaphysik der Sitten, Einleitung in die Rechtslehre, § B., AA VI, 230. Zum Begriff der „Willkür“ s. Kant, Die Metaphysik der Sitten, Einleitung in die Metaphysik der Sitten, I., AA VI, 213 f.: „Willkür“ fällt (abgegrenzt vom „Wunsch“) unter den Begriff des Willens; „Wille“ ist das „Begehrungsvermögen, dessen innerer Bestimmungsgrund, folglich selbst das Belieben in der Vernunft des Subjects angetroffen wird“. Unter „Begehrungsvermögen“ wird „das Vermögen durch seine Vorstellungen Ursache der Gegenstände dieser Vorstellungen zu sein“ verstanden (AA VI, 211). Sofern die Willkür „durch reine Vernunft bestimmt werden kann“, ist sie „freie Willkür“ (AA VI, 213). Danach meint „Freiheit der Willkür […] jene Unabhängigkeit ihrer Bestimmung durch sinnliche Antriebe“ sowie – in positiver Hinsicht – „das Vermögen der reinen Vernunft für sich selbst praktisch zu sein“ (AA VI, 213 f.). 633 Kant, Die Metaphysik der Sitten, Einleitung in die Rechtslehre, § C., AA VI, 231. 634 Kant, Die Metaphysik der Sitten, Einleitung in die Rechtslehre, § C., AA VI, 230.
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2. Kapitel: Die Entstehung der Konstituenten
derniß der Freiheit nach allgemeinen Gesetzen“.635 Gegen das Unrecht besteht das Recht, d.h. mit dem Recht ist die auf Beseitigung des Hindernisses gerichtete „Befugniß zu zwingen verbunden“.636 Recht im strengen Sinn (ius strictum) ist danach ein Zwangsrecht.637 (2) Privatrecht als Bestimmung des „äußeren Mein und Dein“ Gegenstand des Privatrechts ist „das äußere Mein und Dein“.638 Kant versteht dabei das „rechtlich Meine (meum iuris)“ als „dasjenige, womit ich so verbunden bin, daß der Gebrauch, den ein anderer ohne meine Einwilligung von ihm machen möchte, mich lädiren würde“.639 Etwas „als das Meine zu haben“ meint demnach „die bloß rechtliche Verbindung des Willens des Subjects mit jenem Gegenstande […] nach dem Begriff eines intelligibelen Besitzes“640, kraft dessen „allen andern dadurch eine Verbindlichkeit auferlegt wird […], sich des Gebrauchs desselben zu enthalten“.641 Voraussetzung dafür, dass et-
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Kant, Die Metaphysik der Sitten, Einleitung in die Rechtslehre, § D., AA VI, 231; ferner § C., AA VI, 230 („Wenn also meine Handlung, oder überhaupt mein Zustand mit der Freiheit von jedermann nach einem allgemeinen Gesetze zusammen bestehen kann, so thut der mir Unrecht, der mich daran hindert“). 636 Kant, Die Metaphysik der Sitten, Einleitung in die Rechtslehre, § D., AA VI, 231. 637 Kant, Die Metaphysik der Sitten, Einleitung in die Rechtslehre, § E., AA VI, 232 („[…] so ist das stricte Recht, nämlich das, dem nichts Ethisches beigemischt ist, dasjenige, welches keine andern Bestimmungsgründe der Willkür als bloß die äußern fordert; denn alsdann ist es rein und mit keinen Tugendvorschriften vermengt. Ein strictes (enges) Recht kann man also nur das völlig äußere nennen“); Einleitung in die Rechtslehre, Anhang, AA VI, 233 („Mit jedem Recht in enger Bedeutung (ius strictum) ist die Befugniß zu zwingen verbunden“). 638 Kant, Die Metaphysik der Sitten, Der allgemeinen Rechtslehre Erster Theil, AA VI, 245 („Das Privatrecht vom äußeren Mein und Dein überhaupt“); dazu umfassend, auch zur Herleitung im Einzelnen Auer, AcP 208 (2008), 584, 618 ff.; dies., Der privatrechtliche Diskurs, S. 26 f.; s.a. Kobusch, Die Entdeckung der Person, S. 146 ff. 639 Kant, Die Metaphysik der Sitten, Der allgemeinen Rechtslehre Erster Theil, Erstes Hauptstück, § 1, AA VI, 245 („Etwas Aeußeres aber würde nur dann das Meine sein, wenn ich annehmen darf, es sei möglich, daß ich durch den Gebrauch, den ein anderer von einer Sache macht, in deren Besitz ich doch nicht bin, gleichwohl doch lädirt werden könne“); ferner § 5, AA VI, 248 f. („Das äußere Meine ist dasjenige außer mir, an dessen mir beliebigen Gebrauch mich zu hindern Läsion (Abbruch an meiner Freiheit, die mit der Freiheit von Jedermann nach einem allgemeinen Gesetze zusammen bestehen kann) sein würde“). 640 S. Kant, Die Metaphysik der Sitten, Der allgemeinen Rechtslehre Erster Theil, Erstes Hauptstück, § 7, AA VI, 253 f. Wie gelingt es, dass allen anderen tatsächlich diese Verbindlichkeit auferlegt ist? Maßgeblich hierfür ist bei Kant die Erwägung, dass das „äußere Mein und Dein“ nur „in einem rechtlichen Zustande, unter einer öffentlich-gesetzgebenden Gewalt, d.i. im bürgerlichen Zustande, möglich“ ist (aaO, § 8, AA VI, 255 f.). Näher zu dieser Herleitung des Privatrechtsbegriffs bei Kant Auer, AcP 208 (2008), 584, 620 ff.; ferner auch Kobusch, Die Entdeckung der Person, S. 148 ff. 641 S. Kant, Die Metaphysik der Sitten, Der allgemeinen Rechtslehre Erster Theil, Erstes Hauptstück, § 7, AA VI, 253.
III. Die rechtliche Moderne und die Historische Rechtsschule
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was „rechtlich mein“ wird, ist ein Erwerbungsakt.642 An die Stelle der Unterscheidung zwischen Moralischem und Physischem tritt in Kants Rechtslehre damit die Unterscheidung zwischen „bloßrechtlichem“ („intelligibel“) und „physischem“ („sinnlich“643).644 Dass ein Gegenstand jemandem rechtlich („bloß-rechtlich“) zugeordnet ist, bedeutet also keine „physische“ Zuordnung in der Sinnenwelt, sondern eine „intelligibele“ Zuordnung in der Verstandeswelt, kraft derer der Rechtsinhaber im Gebrauch des Gegenstandes gegen die Rechtsverletzungen anderer rechtlich geschützt ist.645 cc) Person, Freiheit und Würde Ferner kommt dem Personbegriff bei Kant zentrale Bedeutung zu.646 Kant versteht die Person als Zurechnungssubjekt („dasjenige Subject, dessen Handlungen einer Zurechnung fähig sind. Die moralische Persönlichkeit ist also nichts anders, als die Freiheit eines vernünftigen Wesens unter moralischen Gesetzen“).647 Mit dem Personsein ist weiterhin die „Würde der Menschheit“
642 Dazu Kant, Die Metaphysik der Sitten, Der allgemeinen Rechtslehre Erster Theil, Zweites Hauptstück, § 10, AA VI, 258. 643 S. insoweit zur Differenzierung beim Besitz Kant, Die Metaphysik der Sitten, Der allgemeinen Rechtslehre Erster Theil, Erstes Hauptstück, § 1, AA VI, 245 („Also widerspricht es sich selbst, etwas Äußeres als das Seine zu haben, wenn der Begriff des Besitzes nicht einer verschiedenen Bedeutung, nämlich des sinnlichen und des intelligiblen Besitzes, fähig wäre, und unter dem einen der physische, unter dem andern aber ein bloß rechtlicher Besitz ebendesselben Gegenstandes verstanden werden könnte“); ferner § 5, AA VI, 249 („Also muß […] ein intelligibler Besitz (possessio noumenon) als möglich vorausgesetzt werden, wenn es ein äußeres Mein oder Dein geben soll; der empirische Besitz (Inhabung) ist alsdann nur Besitz in der Erscheinung (possessio phaenomenon) […]; hier aber ist es ihr um practische Bestimmung der Willkür nach Gesetzen der Freiheit zu thun, der Gegenstand mag nun durch Sinne, oder auch bloß den reinen Verstand erkennbar sein, und das Recht ist ein solcher reiner praktischer Vernunftbegriff der Willkür unter Freiheitsgesetzen“); § 6, AA VI, 249 („possessio noumenon“; „bloß rechtlicher (intelligibler) Besitz“); § 7, AA VI, 253 („intellectuellen Verhältniß zum Gegenstande“). 644 Vgl. insoweit zur Einordnung des Privatrechtsbegriffs in die Tradition der Lehre vom moralischen Sein auch Kobusch, Die Entdeckung der Person, S. 146 ff. 645 Vgl. Kant, Die Metaphysik der Sitten, Der allgemeinen Rechtslehre Erster Theil, Erstes Hauptstück, § 7, AA VI, 252 ff.; s. Kobusch, Die Entdeckung der Person, S. 147. 646 S. insoweit zum Personbegriff und zur Begründung der Rechtsfähigkeit bei Kant Hetterich, Mensch und Person, S. 83 ff.; Auer, Der privatrechtliche Diskurs, S. 16 f., 19 f.; Fezer, Teilhabe und Verantwortung, S. 253, 255 f. 647 Kant, Die Metaphysik der Sitten, Einleitung in die Metaphysik der Sitten, IV., AA VI, 223; ferner ders., Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, II. Abschnitt, AA VI, 428 („Die Wesen, deren Dasein zwar nicht auf unserm Willen, sondern der Natur beruht, haben dennoch, wenn sie vernunftlose Wesen sind, nur einen relativen Werth, als Mittel, und heißen daher Sachen, dagegen vernünftige Wesen Personen genannt werden, weil ihre Natur sie schon als Zwecke an sich selbst, d.i. als etwas, das nicht bloß als Mittel gebraucht werden darf, auszeichnet […]“); s.a. Palm, in: Gröschner/Kirste/Lembcke (Hrsg.), Person und Rechtsperson, S. 295, 304; Pawlik, Das Unrecht des Bürgers, S. 141 f.
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verbunden, die ihrerseits in der Autonomie des Menschen gründet.648 Entscheidend ist, dass bei Kant die Freiheit als „angebornes Recht“ unveräußerlich ist.649 Im Gegensatz zur Naturrechtslehre ist hier die in der Autonomie gründende Rechtsfähigkeit also notwendig gleich und allgemein.650 b) „Eher Hegel als Kant“?651 aa) Der Wille bei Hegel Neben Kant kommt Hegel Bedeutung für die Rechtswissenschaft des 19. Jahrhunderts zu, wobei auch hier die Frage zu stellen ist, inwiefern.652 Vor allem Hegels Willensbegriff scheint nachhaltigen Einfluss auf die Rechtswissenschaft des 19. Jahrhunderts gehabt zu haben.653 Zentralbegriff 654 der hegeliani648
Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, II. Abschnitt, AA IV, 435 („Also ist Sittlichkeit und die Menschheit, so fern sie derselben fähig ist, dasjenige, was allein Würde hat“); AA IV, 436 („Autonomie ist also der Grund der Würde der menschlichen und jeder vernünftigen Natur“); AA IV, 438 („Nun folgt hieraus unstreitig: daß jedes vernünftige Wesen als Zweck an sich selbst sich in Ansehung aller Gesetze, denen es nur immer unterworfen sein mag, zugleich als allgemein gesetzgebend müsse ansehen können, weil eben diese Schicklichkeit seiner Maximen zur allgemeinen Gesetzgebung es als Zweck an sich selbst auszeichnet, imgleichen daß dieses seine Würde (Prärogativ) vor allen bloßen Naturwesen es mit sich bringe, seine Maximen jederzeit aus dem Gesichtspunkte seiner selbst, zugleich aber auch jedes andern vernünftigen als gesetzgebenden Wesens (die darum auch Personen heißen) nehmen zu müssen. Nun ist auf solche Weise eine Welt vernünftiger Wesen (mundus intelligibilis) als ein Reich der Zwecke möglich, und zwar durch die eigene Gesetzgebung aller Personen als Glieder“). 649 S. Kant, Die Metaphysik der Sitten, Einleitung, Eintheilung der Rechtslehre, § B., AA VI, 237 f.: „Das angeborne Recht ist nur ein einziges. Freiheit (Unabhängigkeit von eines Andern nöthigender Willkür), sofern sie mit jedes Anderen Freiheit nach einem allgemeinen Gesetz zusammen bestehen kann, ist dieses einzige, ursprüngliche, jedem Menschen kraft seiner Menschheit zustehende Recht. – Die angeborne Gleichheit, d.i. die Unabhängigkeit nicht zu mehrerem von Anderen verbunden zu werden, als wozu man sie wechselseitig auch verbinden kann; mithin die Qualität des Menschen sein eigener Herr (sui iuris) zu sein, […] alle diese Befugnisse liegen schon im Princip der angebornen Freiheit und sind wirklich von ihr nicht (als Glieder der Eintheilung unter einen höheren Rechtsbegriff) unterschieden“; dazu auch Hetterich, Mensch und Person, S. 83 ff. 650 So Hetterich, Mensch und Person, S. 85 f.; Lipp, Quaderni Fiorentini 11/12 (1982/83), 217, 255 ff.; ferner Auer, Die Entdeckung der Person, S. 16 f.,19 f. 651 So Nörr, Eher Hegel als Kant, S. 11 ff. 652 Vgl. Nörr, Eher Hegel als Kant, S. 11 ff. (vor allem im Hinblick auf das Privatrechtsverständnis); demgegenüber gegen einen wesentlichen Einfluss von Hegel auf das Privatrecht Wieacker, Privatrechtsgeschichte, S. 414 f.; Bäuerle, Vertragsfreiheit und Grundgesetz, S. 61. 653 Vgl. Schreier, Die Interpretation, S. 9. So wird regelmäßig auf die Bedeutung Hegels für die Willenstheorie beim subjektiven Recht verwiesen, s. dazu unten noch S. 187 sowie etwa Jhering, Geist des römischen Rechts, S. 308 („[…] hat Hegel – und sein Einfluß ist für die neuere positive Jurisprudenz bewußt oder unbewußt ein ganz entscheidender geworden – die Substanz des Rechts sowohl im objectiven als subjectiven Sinn in den Willen gesetzt“); ferner Buchheim, Actio, S. 39; kritisch gegenüber der Annahme hegelianischen Einflusses dagegen Vonlanthen, Wesen des subjektiven Rechts, S. 29. 654 S. Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, Vorrede, Einleitung, § 1 zum Verhältnis von Idee und Begriff.
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schen Rechtsphilosophie ist neben Geist, Vernunft655, Freiheit656 und Person657 der Wille.658 bb) Die Rechtsbegriffe bei Hegel Wille und Freiheit („der freye Wille, der den freyen Willen will“)659 sind so die maßgeblichen Begriffselemente der Rechtsbegriffe: Recht („Daseyn des freyen Willens“660; „das unmittelbare Daseyn, welches sich die Freyheit auf unmittelbare Weise gibt“)661, Eigentum („äußere Sphäre“ der Freiheit; „Daseyn der Persönlichkeit“)662, Vertrag („gemeinsamer Wille“)663, Staat („Wirklichkeit des 655 S. etwa Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, Vorrede, S. XIX ff. („Was vernünftig ist, das ist wirklich; und was wirklich ist, das ist vernünftig“; „Das was ist zu begreifen, ist die Aufgabe der Philosophie, denn das was ist, ist die Vernunft“). 656 Zur „Freyheit des Willens“ Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 7, ferner § 15. 657 Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 35 („Die Allgemeinheit dieses für sich freyen Willens ist die formelle, die selbstbewußte sonst inhaltslose einfache Beziehung auf sich in seiner Einzelheit, – das Subject ist in so fern Person. In der Persönlichkeit liegt, daß ich als Dieser vollkommen nach allen Seiten […] bestimmte und endliche, doch schlechthin reine Beziehung auf mich bin und in der Endlichkeit mich so als das Unendliche, Allgemeine und Freye weiß“); ferner § 36 („Die Persönlichkeit enthält überhaupt die Rechtsfähigkeit und macht den Begriff und die selbst abstracte Grundlage des abstracten und daher formellen Rechtes aus. Das Rechtsgebot ist daher: sey eine Person und respectire die andern als Personen“); § 47 („Als Person bin Ich selbst unmittelbar Einzelner […]. Aber als Person habe ich zugleich mein Leben und Körper, wie andere Sachen, nur in so fern es mein Wille ist“). 658 Kobusch, Die Entdeckung der Person, S. 158 f.; ferner etwa Schreier, Die Interpretation, S. 9 („Gerade die klassische Rechtsphilosophie, die Systeme Kants und Hegels sind dadurch charakterisiert, daß sie den Willen im Rechte die entscheidende Rolle spielen lassen“); vgl. Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 4 („Der Boden des Rechts ist überhaupt das Geistige, und seine nähere Stelle und Ausgangspunkt der Wille, welcher frey ist, so daß die Freyheit seine Substanz und Bestimmung ausmacht, und das Rechtssystem das Reich der verwirklichten Freyheit, die Welt des Geistes aus ihm selbst hervorgebracht, als eine zweyte Natur, ist“); näher zum Willen §§ 5 ff., §§ 21 ff.; zum freien Willen bei Hegel s.a. Ostritsch, Hegels Rechtsphilosophie als Metaethik, S. 55 ff. 659 Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 27 („der abstracte Begriff der Idee des Willens ist überhaupt der freye Wille, der den freyen Willen will“). 660 Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 29 („Dies, daß ein Daseyn überhaupt, Daseyn des freyen Willens ist, ist das Recht. – es ist somit überhaupt die Freyheit, als Idee“); ferner § 30 („Das Recht ist etwas heiliges überhaupt, allein weil es das Daseyn des absoluten Begriffes, der selbstbewußten Freyheit ist“). 661 Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 40. 662 Vgl. Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 41 („Die Person muß sich eine äußere Sphäre ihrer Freyheit geben, um als Idee zu seyn“), § 44 („Die Person hat das Recht, in jede Sache ihren Willen zu legen, welche dadurch die Meinige ist, zu ihrem substantiellen Zwecke, da sie einen solchen nicht in sich selbst hat, ihrer Bestimmung und Seele meinen Willen erhält, – absolutes Zueignungsrecht des Menschen auf alle Sachen“), § 45 („Daß Ich etwas in meiner selbst äußern Gewalt habe, macht den Besitz aus […]. Die Seite aber, daß ich als freyer Wille mir im Besitze gegenständlich und hiemit auch erst wirklicher Wille bin, macht das Wahrhafte und Rechtliche darin, die Bestimmung des Eigenthums aus“), § 49 („Im
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substantiellen Willens“)664, Handlung („Äußerung des Willens als subjektiven oder moralischen“)665.666 Dass der Wille Zentralbegriff der Rechtslehre des 19. Jahrhunderts wird und so auch die Rechtsbegriffe bestimmt, dürfte sich daher auch auf hegelianische Einflüsse zurückführen lassen, was sich etwa beim Begriff des subjektiven Rechts zeigt.667
2. Das 19. Jahrhundert, die Historische Rechtsschule und das Bürgerliche Gesetzbuch a) Einführung aa) Die Historische Rechtsschule und die zentralen Kategorien Die Rechtswissenschaft des 19. Jahrhunderts steht gegenüber dem naturrechtlich geprägten 18. Jahrhundert unter neuen rechtsphilosophischen Voraussetzungen: Nicht der der rationalen Rechtserkenntnis verpflichtete Gedanke des Natur- und Vernunftrechts, sondern Savignys Historische Rechtsschule und die Vorstellung vom „Volksgeist“ konstituieren ihre Rechtsidee.668 Gegen663 Verhältnisse zu äußerlichen Dingen ist das Vernünftige, daß ich Eigenthum besitze“), § 51 („Zum Eigenthum als dem Daseyn der Persönlichkeit, ist meine innerliche Vorstellung und Wille, daß Etwas meyn sein solle, nicht hinreichend, sondern es wird dazu die Besitzergreifung erfordert“); ferner §§ 40, 59 („Durch die Besitznahme erhält die Sache das Prädicat die meinige zu seyn, und der Wille hat eine positive Beziehung auf sie“). 663 S. Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 75 („Da die beyden contrahirenden Theile als unmittelbare selbständige Personen sich zu einander verhalten, so geht der Vertrag ) von der Willkühr aus; ) der identische Wille, der durch den Vertrag in das Daseyn tritt, ist nur ein durch sie gesetzter, somit nur gemeinsamer, nicht an und für sich allgemeiner; ) der Gegenstand des Vertrags ist eine einzelne äußerliche Sache“), §§ 76, 81, 82; ferner § 71 zum Verhältnis von Vertrag und Eigentum („Aber als Daseyn des Willens ist [das Eigenthum] als für anderes nur für den Willen einer andern Person. Diese Beziehung von Willen auf Willen ist der eigenthümliche und wahrhafte Boden, in welchem die Freyheit Daseyn hat. Diese Vermittlung, Eigenthum nicht mehr nur vermittelst einer Sache und meines subjectiven Willens zu haben, sondern ebenso vermittelst eines andern Willens, und hiemit in einem gemeinsamen Willen zu haben, macht die Sphäre des Vertrags aus“). 664 Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 258. 665 Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 113. 666 Kobusch, Die Entdeckung der Person, S. 158. 667 S. dazu unten noch S. 187. 668 Grundsätzlich dazu Wieacker, Privatrechtsgeschichte, S. 348 ff., 353 ff.; Böckenförde, Recht, Staat, Freiheit, S. 9, 10 ff.; Fezer, Teilhabe und Verantwortung, S. 207 ff.; Reimann, Historische Rechtsschule und Common Law, S. 53, 73 f. (insoweit zur „Rechtsentstehungslehre“ [„Ursprung, Charakter und Entwicklung des Rechts“] bei Savigny, welche den Gegensatz zum Naturrecht bildete); Jansen/Reimann, ZEuP 2018, 89, 90 f. (den Prozess als Übergang von rechtsphilosophischem zu rechtsdogmatischem Denken deutend); Schröder, Recht als Wissenschaft, S. 196 ff.; ferner zum Rechtsbegriff bei Savigny Rückert, Idealismus, S. 309 ff.; vgl. Puchta, Cursus der Institutionen, Bd. 1, § 32, S. 83, wonach der Unterschied der „positiven Rechtswissenschaft“ zur „philosophischen Rechtswissenschaft“ darin gese-
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stand der Behandlung ist hier im Gegensatz zur Naturrechtslehre das positive Recht, d.h. konkret „das heutige Römische Recht“.669 Das (positive) Recht wird hier geschichtlich bzw. als etwas „organisch“ Gewachsenes verstanden, das vom „Volksgeist“ ausgeht und erzeugt wird.670 Als sich die Historische Rechtsschule Bahn brach, ging sie von Kategorien und Begriffen aus671, die, wie im vorangegangenen Kapitel deutlich wurde, nur hen669wird, dass letztere sich mit dem Recht, das „aus den Postulaten der allgemeinen Vernunft“ deduziert werde und „ewig unveränderlich aus den unveränderlichen Gesetzen der Vernunft hervorgehe“, d.h. dem Natur- bzw. Vernunftrecht, nicht aber mit dem Recht beschäftige, „das nur in der Freiheit seinen Ursprung haben kann“ (S. 83). 669 Zum „heutigen Römischen Recht“ Savigny, System, Bd. 1, § 1, S. 1 ff.; Vorrede, S. xiv ff.; s.a. noch z.B. Windscheid, Lehrbuch des Pandektenrechts, § 1, S. 1 („Pandektenrecht“ als „das gemeine deutsche Privatrecht römischen Ursprungs“); Hölder, Pandekten, § 1, S. 1 ff. Ferner auch zum positiven Recht, das an die Stelle des Naturrechts tritt, Haferkamp, in: Lampe/Pauen/Roth (Hrsg.), Willensfreiheit und rechtliche Ordnung, S. 196, 199 f.; Wieacker, Privatrechtsgeschichte, S. 353; s.a. zum damit einhergehenden Perspektivenwechsel Jansen/Reimann, ZEuP 2018, 89, 90 f. („wissenschaftlicher Positivismus“ der Pandektenwissenschaft; rechtsdogmatische Innenperspektive anstelle der normativ-rechtsphilosophischen Perspektive des Naturrechts). 670 Savigny, System, Bd. 1, § 7, S. 14 ff.; § 8, S. 18 ff.; § 9, S. 24 („Das Recht hat sein Daseyn in dem gemeinsamen Volksgeist“); ders., Vom Beruf unsrer Zeit, § 2, S. 11; s.a. Puchta, Cursus der Institutionen, Bd. 1, § 32, S. 82, 84 ff.; § 33, S. 87 („Das Recht als ein lebendiger Organismus“); dazu auch Wieacker, Privatrechtsgeschichte, S. 353 f., 357. 671 Das bedeutet freilich nicht, dass diese Kategorien unumstritten gewesen sind; tatsächlich begegnet den meisten Kategorien bereits im ausgehenden 19. Jhd. Kritik, s. dazu unten die Nachweise im Einzelnen S. 166 ff., 201 ff. Instruktiv insoweit die Kritik an diesen Kategorien bei Schlossmann, Der Vertrag, S. V: „Man übersieht, dass der kleinste Riss am Gebäude ebensogut ein Zeichen für die mangelnde Festigkeit des Baugrundes sein könnte; und wenn wir ernstlich fragen, was uns denn die Gewissheit giebt, dass nicht gerade hierin die Ursache für die Unlösbarkeit so vieler tiefgehender Streitfragen liege, so tritt uns nur die eine Thatsache entgegen, dass die Grundbegriffe, mit denen wir operiren, von Alters her ererbte sind, und dass wir in dem hierdurch allein begründeten Glauben an ihre Echtheit noch befestigt worden sind durch die Autorität von Savigny und Puchta, die aus ihnen ein den ästhetischen Sinn in hohem Grade ansprechendes und fesselndes Gebäude zu gestalten wussten“. Schlossmann wendet sich gerade gegen die den Diskurs des 19. Jhd. beherrschenden Kategorien des „Willensdogmas“ und der „bindenden Kraft des Willens“ (§ 11, S. 80 ff.; § 12, S. 99; § 17, S. 138 f.), den „Vertragsbegriff“ und die allgemeine Bindungswirkung der Verträge (S. V; § 2, S. 13; §§ 6 ff., S. 44 ff.; § 10, S. 79 f.; § 40, S. 313), gegen das Rechtswirkungs- und Kausalitätsdenken (§ 3, S. 17 f.; § 12, S. 88), gegen das Verständnis von subjektiven Rechten und Obligationen als „existierende Dinge“ (§ 34, S. 270, 278 [„objektive Existenz der Obligation als eines organischen Wesens“], 280) und den Personbegriff (ders., Persona, § 1, S. 1 ff., 5 ff.; S. 127 f.); ferner kritisch zum herrschenden Verständnis von subjektivem Recht und actio (ders., Der Vertrag, § 29, S. 215 ff.; § 30, S. 227 ff.; § 32, S. 243 ff.). Schlossmanns Kritik thematisiert dabei auch ein Fehlen des historischen bzw. ideengeschichtlichen Bewusstseins der Rechtswissenschaft des 19. Jhd. für die sie tragenden Kategorien und deren Bedeutung (vgl. etwa § 17, S. 128 ff. zur „Herkunft des Willensdogmas“). Ferner legt sie im Grunde bereits verschiedene Ansätze offen (etwa §§ 22 ff., S. 169 ff. zur eigenen Methode; §§ 40 ff., S. 313 ff. für Ausgestaltung des Vertragsrechts als reine Verschuldenshaftung), die seither die Kritik am bürgerlich-rechtlichen Denken bestimmen (s. dazu unten S. 201 ff.). S.a. Ulrich, Der Erbvertrag, S. 245 f. zu Schlossmanns Kritik am rechtsontologischen Verständnis.
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sehr begrenzt mit dem römischen Recht zu tun hatten, sondern deren Entstehung sich im Kontext der naturrechtlichen Entwicklungen sowie der Freiheitsmetaphysiktradition vollzogen hatte672: Die Kategorie subjektiver Rechte als zentrale Konstituente und Organisationsprinzip der Rechtsordnung673; die Kategorien „Person, Wille und Freiheit“674; d.h. die rechtliche Kategorie der 672 S. zu diesem naturrechtlichen Einfluss Wieacker, Privatrechtsgeschichte, S. 373 ff., ferner S. 229, 276; Wilhelm, Zur juristischen Methodenlehre, S. 61 ff.; Hammen, Die Bedeutung Savignys, S. 28; Simshäuser, Zur Entwicklung des Verhältnisses, S. 48 („[…] unmittelbar verwendbaren, vorgeformten juristischen Grundbegriffe, deren systematische Einordnung und inhaltliche Bestimmung durch die naturrechtliche Systematik und rationalistische Jurisprudenz des 18. Jahrhunderts die Pandektenwissenschaft zur Grundlage ihres Privatrechtssystems genommen hatte“); Gmür, Rechtswirkungsdenken in der Privatrechtsgeschichte, S. 163 f. („Bekanntlich haben die Pandektisten sowie einzelne ihrer Zeitgenossen und unmittelbaren Vorläufer nicht nur das von den Naturrechtslehrern verwendete Begriffsgerüst weiterbenützt – so besonders die Begriffe Willenserklärung, Vertrag, Eigentum, Delikt, die teils im Naturrechtszeitalter geprägt worden waren, teils in dieser Epoche eine erweiterte Bedeutung erhalten hatten –, sondern auch ihrerseits neue Allgemeinbegriffe geschaffen“); Jansen, in: Haferkamp/Repgen (Hrsg.), Wie pandektistisch war die Pandektistik?, S. 165 ff. (differenzierend; „Naturrechtsfäden im Gewebe pandektistischer Theoriebildung“); Pound, 44 Harvard L. Rev. 697 (1931) („A Critic of nineteenth-century historical jurisprudence used to deplore that Savigny had non studied under Savigny in his youth. He had been trained in the eighteenth-century natural law and was unable to get away from certain presuppositions and modes of thought which his training had made part of his juristic make-up“). Zu den Begriffen s. im Einzelnen unten S. 166 ff. S. generell zum Einfluss des Naturrechts auf die Rechtswissenschaft des 19. Jhd. Fezer, Teilhabe und Verantwortung, S. 206 ff., 214 f. (vor allem zum subjektiven Recht); Jansen, Haftungsrecht, S. 351 ff., 359 f., 456; Lipp, Die Bedeutung des Naturrechts, S. 17 ff. et passim; Gisawi, Der Grundsatz der Totalreparation, S. 193 ff.; Hammen, Die Bedeutung Savignys, S. 28; Klippel, in: Klippel (Hrsg.), Naturrecht im 19. Jahrhundert, S. VII ff.; Buschmann, in: Gergen (Hrsg.), Vielfalt und Einheit in der Rechtsgeschichte, S. 75, 77; kritisch dagegen Haferkamp, in: Armgardt/Repgen (Hrsg.), Naturrecht in Antike und früher Neuzeit, S. 61 ff., 65 f., 93 ff. 673 Dies als Zentralbegriff für die Rechtswissenschaft des 19. Jhd., s. dazu etwa Auer, Der privatrechtliche Diskurs, S. 22, 28; Bucher, Normsetzungsbefugnis, S. 4 f. („Für die jüngere Pandektenwissenschaft und deren Einfluß für die Privatrechtsdogmatik des beginnenden 20. Jahrhunderts war der Begriff des subjektiven Rechts schlechterdings und unbestritten Angelpunkt allen privatrechtlichen Geschehens“); Coing, in: Blühdorn/Ritter (Hrsg.), Recht und Ethik, S. 11, 17; Fezer, Teilhabe und Verantwortung, S. 205 ff. (S. 205: „Das subjektive Recht steht im Zentrum des Rechtsdenkens innerhalb der deutschen Rechtswissenschaft des 19. Jahrhunderts“); Ikadatsu, Der Paradigmenwechsel, S. 1 ff., 105 ff.; Jansen, in: Haferkamp/Repgen (Hrsg.), Wie pandektistisch war die Pandektistik?, S. 165, 168, 183 (zu den naturrechtlichen Bezügen); Schulz-Schaeffer, Das subjektive Recht im Gebiet der unerlaubten Handlung, S. 83 ff.; Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, S. 329 ff.; aus der Pandektenwissenschaft selbst etwa Bekker, System des Pandektenrechts, § 18, S. 46 („für die moderne Doktrin der Eckpfeiler des ganzen Rechtsbaues“). 674 Zur Bedeutung von „Person, Freiheit, Wille“ für Savigny und die Rechtswissenschaft des 19. Jhd. Kiefner, in: Blühdorn/Ritter (Hrsg.), Philosophie und Rechtswissenschaft, S. 3, 7; Reis, Juristische Tatsachen, S. 118 ff., 123 Fn. 158; S. 181 f. mit Verweis auf v. BethmannHollweg, Erinnerung an Friedrich Carl von Savigny, S. 18; Rückert, in: Heldrich (u.a.) (Hrsg.), FS Canaris, S. 1263, 1286, 1296.
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„Person“675; der Wille als freies Vermögen des Menschen, das (Rechts-)Wirkungen (Verpflichtungen, Rechte) erzeugen und rechtsgestaltend tätig sein kann676, sowie die Zentralität der (Willens-)Freiheit677; die Denkform rechtlicher Kausalität (Lehre von den juristischen Tatsachen678; „Rechtswirkungsdenken“679); eine 675
Vgl. Kirste, in: Bohnert (u.a.) (Hrsg.), FS Hollerbach, S. 319, 354 (im Hinblick auf Savigny: „Es wäre allerdings einseitig, aus dieser rechtstechnischen Ausdifferenzierung der Rechtsperson als eines rechtsfähigen Subjektes auf deren ethisch-moralische Neutralität zu schließen. Dieser Begriff ist nur möglich geworden vor dem Hintergrund der Geschichte der Metaphysica moralis. Die Herausarbeitung eines eigenen ontologischen Bereichs des Moralischen, in dem das Subjekt nicht als einzelner, sondern als Person zählt, war die Grundlage dafür, daß sich nun aus dieser moralischen Welt eine rechtliche ablösen konnte, die ebenfalls auf Naturalismus verzichtet und die Schnittpunkte ihrer Ordnung als Rechtspersonen abstrakt fassen konnte“). 676 S. nur Savigny, System, Bd. 3, § 134, S. 258 („Denn eigentlich muß der Wille an sich als das einzig Wichtige und Wirksame gedacht werden […]“); Puchta, Cursus der Institutionen, Bd. 1, § 5, S. 9 („Das Recht […] faßt den Willen nicht in seiner Entscheidung für das Gute oder das Böse auf, sondern den bloßen Willen selbst, als Potenz, als Macht“), S. 10 („Die rechtliche Freiheit äußert sich […] in der Thätigkeit der Personen als solcher. Diese Thätigkeit ist der Wille, aber nicht in seiner Entscheidung für gut und böse, sondern als Potenz oder Macht“); § 6, S. 11 („Das Recht ist sonach die Anerkennung der rechtlichen Freiheit, die sich in den Personen und ihrem Willen, ihrer Einwirkung auf die Gegenstände äußert“); ders., Pandekten, § 49, S. 69 („Juristische Handlungen heißen die, welchen als solchen eine rechtliche Wirkung zukommt. […] Die Erfordernisse einer juristischen Handlung sind: 1) Willensvermögen in dem Handelnden; 2) Richtung des Willens auf etwas (Entschluß) […]; 3) Aeußerung des Willens (factum) […]“); Regelsberger, Pandekten, § 57, S. 239 („Handlung ist ein durch Willensakt hervorgebrachtes körperliches Verhalten. Elemente der Handlung sind: der auf einen bestimmten Zweck gerichtete Wille (Willensentschluss oder Wille im aktuellen Sinn) und die Umsetzung des Entschlusses in die That. […] Rechtlich handlungsfähig ist, wer durch bewussten Willensakt rechtliche Wirkungen hervorzubringen vermag“); § 129, S. 472; Hölder, Pandekten, § 39, S. 201 („Eine Handlung im Sinne des Rechtes ist diejenige Thatsache, welche von rechtlicher Bedeutung ist als eine durch den Willen einer Person bedingte“); Arndts, Lehrbuch der Pandekten, § 58, S. 66 („Handlung ist eine in der Sinnenwelt hervortretende Aeußerung des Willens. […] Handlungen aber, deren Zweck und Absicht wesentlich eine juristische Wirkung ist, d.i. die darauf gerichteten Willenserklärungen, heißen insbesondere Rechtsgeschäfte, juristische Handlungen i.e.S.“); zur Bedeutung des Willens auch Bäuerle, Vertragsfreiheit und Grundgesetz, S. 59 f., 80; Fezer, Teilhabe und Verantwortung, S. 216 ff. 677 Fezer, Teilhabe und Verantwortung, S. 217 („Axiom im Rechtsdenken Savignys ist die Willensfreiheit des Menschen“); zur Willensfreiheit im 19. Jahrhundert vgl. Haferkamp, in: Lampe/Pauen/Roth (Hrsg.), Willensfreiheit und rechtliche Ordnung, S. 196 ff., 200 ff., 209 ff. (zum „Gedanken der Rechtsentstehung durch Willensfreiheit“ in der Historischen Rechtsschule im Hinblick auf das objektive Recht; ferner zur Bedeutung der Willensfreiheit für die subjektiven Rechte); Bäuerle, Vertragsfreiheit und Grundgesetz, S. 60 (zu Pandektistik/Historischer Schule: „Sie machte das rechtsphilosophische Axiom der Willensfreiheit und sittlichen Selbstverantwortung zu den zentralen Begriffen des Privatrechtssystems: Der freie Mensch wird zum Rechtssubjekt, dessen Willensmacht als subjektives Recht geschützt ist. Rechtsgeschäft und Willenserklärung werden zur Emanation des vorausgesetzten freien Subjektwillens“). 678 S. dazu sogleich S. 172 ff.; ferner dazu sowie zur Zentralität dieser Denkform für die Rechtswissenschaft des 19. Jhd. Ulrich, der Erbvertrag, S. 197 ff., 221 ff., 243 ff. 679 Zu diesem Begriff Gmür, Rechtswirkungsdenken in der Privatrechtsgeschichte, S. 35, 69 ff.
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2. Kapitel: Die Entstehung der Konstituenten
rechtsontologische Vorstellung rechtlicher Kategorien als „Sein“680 sowie die „Rechtsform“681; ein genereller Vertragsbegriff sowie die Vertragsbindung aufgrund Willenseinigung der vertragsschließenden Personen682; eine allgemeine verschuldensabhängige ausgleichsorientierte Schadensersatzhaftung und die strikte Trennung von Strafe und Schadensersatz und Straf- und Zivilrecht683. Diese Entwicklung des 19. Jahrhunderts erscheint paradox.684 Während der Form nach das Naturrecht zugunsten des „heutigen Römischen Rechts“ zurückgewiesen wird, wird das „heutige Römische Recht“ gerade dadurch gebildet, dass tragende Begriffe und Kategorien des Naturrechts und der mit der Naturrechtslehre verbundenen Freiheitsmetaphysiktradition in den Bereich des positiven Rechts übertragen werden und so letztlich das römischgemeine Recht in wesentlichen Fragen umgestaltet wird.685 Der naturrechtliche Überbau und die moralphilosophische Einkleidung werden zugunsten einer juristischen Zielsetzung abgelegt – es geht nicht um „Sittlichkeit“, sondern um das „Recht“, das ein „selbständiges Daseyn“ hat.686 Die Kategorien aber bleiben. 680
Dazu unten S. 180 ff. sowie Ulrich, Der Erbvertrag, S. 206 ff. („Das subjektive Recht als Sein“). 681 S. unten S. 180 ff. sowie zu diesem Begriff Savigny, System, Bd. 1, § 52, S. 333. 682 Dazu unten näher S. 197 ff. 683 S. dazu unten S. 204 ff. 684 Vgl. zu diesem scheinbaren „Paradoxon“ auch Fezer, Teilhabe und Verantwortung, S. 206 f.; ferner Gisawi, Der Grundsatz der Totalreparation, S. 198. 685 Vgl. Wieacker, Privatrechtsgeschichte, S. 228 ff., 373 ff.; Hammen, Die Bedeutung Savignys, S. 28; Gisawi, Der Grundsatz der Totalreparation, S. 189 ff., 193 ff.; s. differenzierend Jansen, in: Haferkamp/Repgen (Hrsg.), Wie pandektistisch war die Pandektistik?, S. 165 ff.; Schermaier, in: Haferkamp/Repgen (Hrsg.), Wie pandektistisch war die Pandektistik?, S. 257, 285 f. Dass die Begriffe der Lehre vom moralischen Sein auch in der Pandektenwissenschaft des 19. Jhd. weiter bekannt sind, zeigt sich etwa in Thibauts System des Pandektenrechts, wobei freilich dessen positiv-rechtliche Ausrichtung zu berücksichtigen ist: Das Gesetz „führt eine gewisse Nothwendigkeit mit sich“ (§ 1). Durch das „moralische Gesetz“ „wird dem Subject eine Nothwendigkeit zu handeln auferlegt, welche insofern Verbindlichkeit (obligatio) heißt“ (§ 2; „Der Begriff der Verindlichkeit als einer moralischen Nothwendigkeit“, § 82). Sofern die Verbindlichkeit mit physischem Zwang durchgesetzt werden kann, ist es eine „Zwangsverbindlichkeit (obligatio perfecta)“ (§ 2). „Recht“ ist „eine moralische Möglichkeit“ oder „Befugniss“, die aus der Zwangsverbindlichkeit folgt; Recht und Pflicht sind Korrelate („ius et obligatio sunt correlata“; §§ 2, 3). Rechte und Verbindlichkeiten sind „Produkt“ des Gesetzes (§ 55). Zum Personbegriff s. auch §§ 221, 298, 302: „moralische Person“. S.a. Mackeldey, Lehrbuch des heutigen römischen Rechts, § 1, S. 1 („Die Rechtswissenschaft hat es nur mit moralischen Gesetzen für das freie menschliche Handeln zu thun“); § 10, S. 10 („So wie nemlich das Recht eine moralische Möglichkeit, ein Dürfen begründet, so begründet die Pflicht eine moralische Nothwendigkeit ein Sollen. Recht und Pflicht sind correlate Begriffe, d.h. der eine läßt sich ohne den andern nicht denken“); s. ferner Mühlenbruch, Lehrbuch des Pandektenrechts, bei dem ebenfalls die Begriffe Recht als „moralische Möglichkeit“ (§ 77, S. 162) und „fingirte“/„moralische Person“ (§ 176, S. 339) erscheinen. 686 S. Savigny, System, Bd. 1, § 52, S. 332 (zum Recht: „Sein Daseyn aber ist ein selbständiges“); § 15, S. 54 zur Selbständigkeit des Rechtsbereichs gegenüber der „Sittlichkeit“; dazu
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bb) Von der „Metaphysik der Freiheit“ zur „Begriffsjurisprudenz“ Auf diese Weise zeigt sich im Laufe des 19. Jahrhunderts eine Entwicklung, die die rechtsphilosophischen Fragestellungen immer weiter in den Hintergrund drängt687, ohne dass aber die Kategorien als solche abgelöst werden. „Positivistisch“ eingeordnete Juristen wie Windscheid gingen von Wille688 und subjektiven Rechten689 als zentralen positiv-rechtlichen Kategorien aus und entwickelten ausgehend von diesen Kategorien ihr positiv-privatrechtliches System durch begriffsjuristische „Konstruktion“, ohne aber die dahinter liegenden rechtsphilosophischen Fragen aufzugreifen.690 Diese Ausklammerung der rechtsphilosophischen Fragen vollzieht sich dabei im Kontext einer „Tren687 auch Hetterich, Mensch und „Person“, S. 105 ff.; s. ferner Rückert, in: Heldrich (u.a.) (Hrsg.), FS Canaris, S. 1263, 1286, 1296; Thomale, in: Gröschner/Kirste/Lembcke (Hrsg.), Person und Rechtsperson, S. 175, 178 ff. 687 S. etwa W. Hess, Zum Verhältnis von Recht und Sittlichkeit, S. 54; vgl. auch Wieacker, Privatrechtsgeschichte, S. 430 f. 688 S. nur Windscheid, Wille und Willenserklärung, S. 3 ff., 5 ff. 689 S. unten noch S. 185 f. sowie etwa Windscheid, Lehrbuch des Pandektenrechts, §§ 37 ff., S. 86 ff.; § 37, S. 87 Fn. 3; § 13, S. 35 Fn. 2; § 24, S. 59 („System der Rechte“); s. insoweit auch Fezer, Teilhabe und Verantwortung, S. 220 („Das subjektive Recht errang zwar eine Zentralstellung in den Pandektensystemen, verkümmerte aber zu einem rechtstechnischen Kalkül im Instrumentarium der klassischen Begriffsjurisprudenz“); s. aber einschränkend zum Personbegriff bei Windscheid unten noch S. 167 f. Fn. 710. 690 S. W. Hess, Zum Verhältnis von Recht und Sittlichkeit, S. 54 („dogmatischer Positivismus“, „logische Durchdringung des gegebenen Rechtsstoffs“; „begriffliche Durcharbeitung positiven Rechts“); Fezer, Teilhabe und Verantwortung, S. 218 f., 220 („Entethisierung der Willenstheorie“); s. ferner auch Gordley, The Philosophical Origins, p. 163. Zur behaupteten Entethisierung bei Windscheid und Puchta s. Haferkamp, in: Lampe/Pauen/Roth (Hrsg.), Willensfreiheit und rechtliche Ordnung, S. 196, 197 f.; ferner Haferkamp, aaO, S. 215 zum „weitgehenden Metaphysikverzicht“ nach 1850 („Die Pandektenlehrbücher nach 1840 vermieden nahezu durchweg theologische und auch philosophische Erwägungen. Methodisch wendete man sich dem „Positiven“ des Rechts zu […]“); im Hinblick auf den Begriff des subjektiven Rechts bei Windscheid Kasper, Das subjektive Recht, S. 69 („Bernhard Windscheid vollzog im Anschluß an die von Savigny und Puchta getroffene Bestimmung des „subjektiven Rechts“ als eine Willensmacht die völlige Eliminierung einer philosophischethischen Begründung“), ferner S. 75, 78; s. schließlich auch Wieacker, Privatrechtsgeschichte, S. 400 f., 430 f., 433 f., 436. Zum Personbegriff s. insoweit Kirste, in: Gröschner/Kirste/Lembcke (Hrsg.), Person und Rechtsperson, S. 345, 363 f. (im Hinblick auf den Personbegriff: „Historische Rechtsschule und positivistische Strömungen des 19. Jahrhunderts werfen einigen metaphysischen Ballast der Person ab“); ders., in: Bohnert (u.a.) (Hrsg.), FS Hollerbach, S. 319, 335 („Damit ging ein Bedeutungsverlust der Person einher, die nun eher in ihren rechtlich relevanten Funktionen der Rechtsfähigkeit erfaßt und diskutiert wurde“), 348 („Es ist auffällig, daß sich im 19. Jahrhundert, als die rechtstheoretische Auseinandersetzung um die Rechtsperson einen Höhepunkt erlebte, kaum bedeutende philosophische Beiträge zum Personbegriff finden. […] hatte sich das Interesse von seiner metaphysischen Begründung weg zu seiner rechtlichen Ausarbeitung verlagert“); Palm, Der Staat 47 (2008), 41, 47 („Die historische Rechtsschule will das Recht zwar von metaphysischen Einflüssen befreien, erhebt aber die Kulturgeschichte zur Rechtsquelle“); v. Lübtow, in: Bickel (u.a.) (Hrsg.), Recht und Rechtserkenntnis, S. 421, 438 f.
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2. Kapitel: Die Entstehung der Konstituenten
nung von Recht und Sittlichkeit“.691 Auf diese Weise werden die freiheitsmetaphysischen Kategorien in „wertneutrale“ „Rechtsbegriffe“ transformiert, welche im Wege rein logischer „Konstruktion“692 gewonnen werden.693 Gegen diese Art der Rechtswissenschaft richtet sich wiederum Jherings Kritik an der „Begriffsjurisprudenz“.694 Savigny selbst wird als „objektiv-idealistisch“695 gedeutet, Kant und/oder Hegel soll wesentlicher Einfluss zukommen.696 Wie sich im Folgenden zeigen wird, gewinnen hierdurch jedenfalls die Kategorien, die historisch betrachtet im Kontext der Freiheitsmetaphysiktradition entstanden sind, d.h. vor allem Person, Wille und Freiheit, zentrale Bedeutung für das positive (Privat-)Recht.697 Aus dem moralischen Seinsbereich, aus der „Welt des 691 Zur „Trennung von Recht und Sittlichkeit“ bei Savigny und Windscheid s. oben bereits S. 163 f. sowie W. Hess, Zum Verhältnis von Recht und Sittlichkeit, S. 44 ff., 51 ff., vor allem S. 44 („Nicht etwa, daß die Historische Schule die Trennung von Recht und Ethik wieder aufgehoben oder auch nur bekämpft hätte. Aber das Problem scheint völlig an den Rand gerückt: Die grundsätzliche Verschiedenheit von Recht und Sittlichkeit wird als selbstverständlich empfunden und ohne eingehende Diskussion vorausgesetzt“); ferner auch Kasper, Das subjektive Recht, S. 69, 75, 78. Allerdings ist bei dieser Aussage Vorsicht geboten: Klar ist zunächst, dass die Trennung formal vollzogen ist, d.h. die rechtliche Beschäftigung beschränkt sich auf das positive Recht, naturrechtliche oder rechtsphilosophische Erörterungen erscheinen nicht mehr (vgl. W. Hess, Zum Verhältnis von Recht und Sittlichkeit, S. 51 f. zu Windscheid). 692 Zum Begriff der „Construktion“ s. Windscheid, Lehrbuch des Pandektenrechts, 6. Aufl., § 24, S. 67; dazu auch Wieacker, Privatrechtsgeschichte, S. 400, 433 f. 693 S. oben S. 9 f. sowie die vorherigen Fn. 690 ff.; Kasper, Das subjektive Recht, S. 69, 75, 78; Wieacker, Privatrechtsgeschichte, S. 373 ff., 430 f., 433 f., 436. 694 S. dazu unten S. 224 ff. sowie Jansen/Reimann, ZEuP 2018, 89, 104 f.; s. etwa Jhering, Scherz und Ernst, S. 337 ff. 695 Rückert, Idealismus, S. 6, 232 ff., 240 ff., 287 ff., 292 ff. 696 Aus der auch neueren Literatur für Kants Bedeutung s. oben bereits S. 148 Fn. 602 sowie bspw. Auer, Der privatrechtliche Diskurs, S. 19 f., 28 f.; Unberath, Vertragsverletzung, S. 32 ff., 57 ff.; Bäuerle, Vertragsfreiheit und Grundgesetz, S. 56 ff. (zu Kants Einfluss auf das Vertragsrecht), S. 61 (gegen Einfluss Hegels); Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, S. 330 f. (Kants Einfluss auf den Privatrechtsbegriff bei Savigny und Windscheid); Ikadatsu, Der Paradigmenwechsel, S. 1 ff., 76 ff. (zu Kants Bedeutung für die Privatrechtskonzeption als „System der Rechte“ sowie für das Vertragsrecht); Ulrich, Der Erbvertrag, S. 210 ff. (Bedeutung von Kants Erkenntnistheorie für die Lehre von den juristischen Tatsachen); ferner bereits Kiefner, in: Blühdorn/Ritter (Hrsg.), Philosophie und Rechtswissenschaft, S. 3 ff.; gegen einen prägenden Einfluss Kants auf Savigny dagegen Rückert, in: Klippel (Hrsg.), Naturrecht im 19. Jahrhundert, S. 135, 156; Behrends, in: Bydlinski/Mayer-Maly (Hrsg.), Die ethischen Grundlagen des Privatrechts, S. 1, 23; Nörr, Eher Hegel als Kant, S. 22 ff.; Haferkamp, in: Grünberger/Jansen (Hrsg.), Privatrechtstheorie heute, S. 45, 49. 697 S.a. Gmür, Rechtswirkungsdenken in der Privatrechtsgeschichte, S. 163 f. zur Übernahme der naturrechtlich geprägten Begriffe „Willenserklärung, Vertrag, Eigentum, Delikt“ durch die Pandektisten, ferner „Rechtsgeschäft“ (dazu auch HKK BGB/Schermaier, vor § 104 Rn. 2 f.). Auch die Begriffe „freie Handlung“ oder „subjektives Recht“, die Savigny verwendet (s. dazu gleich die Nachweise im Einzelnen), sind der Naturrechtstradition entnommen, s. (actio libera; ius subiective sumtum; actus iuridicus; negotia iuridica [rechtliche Geschäfte]; voluntatis declaratio) Nettelbladt, Systema Elementare, §§ 71, 144 ff., 649; Achen-
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Sittlichen“698 wird so ein rechtlicher Seinsbereich entwickelt: die „Rechtswelt“699. Es wäre gleichwohl unzutreffend, Savigny naturrechtlich einzuordnen. Neben der Ablehnung der Naturrechtsidee als solcher und der Hinwendung zum positiven Recht ist Savignys System vor allem auch ein Gegenentwurf zu den naturrechtlichen Ansätzen, die pflichtenorientiert sind, wie dies etwa bei Pufendorf und auch bei Wolff der Fall ist.700 Nicht die Pflicht, sondern das subjektive Recht ist zentrale Kategorie und Ordnungsprinzip bei Savigny und der Pandektenwissenschaft des 19. Jahrhunderts.701 Zugleich ist nicht die Zurech698 wall, Ius Naturae, §§ 23, 165, 171; Weber, Systematische Entwicklung, § 9, S. 15, 24; § 61, S. 179 („Rechtsgeschäft“). Insbesondere Nettelbladt, Achenwall und Weber prägen neue Allgemeinbegriffe für Kategorien der Freiheitsmetaphysiktradition; s. aber auch Reis, Juristische Tatsachen, S. 70 f. (auf Veränderung bei Savigny hinweisend). Der Begriff des „Rechtsverhältnisses“ soll Hugo (Lehrbuch eines civilistischen Cursus, Bd. 1, S. 6 ff.) entnommen sein, ebenso derjenige der „juristischen Person“ (Lehrbuch eines civilistischen Cursus, Bd. 4, S. 20, 28) (Gmür, Rechtswirkungsdenken in der Privatrechtsgeschichte, S. 164 Fn. 10; s.a. Kirste, in: Bohnert [u.a.] [Hrsg.], FS Hollerbach, S. 319, 353 f.) – s. aber zur Entstehung des Personbegriffs und der persona ficta/persona moralis composita oben bereits S. 86 ff., 93 ff. Auch die Begriffe „Rechtssubjekt“ und „Rechtsfähigkeit“, die Gmür Thibaut (System des Pandektenrechts, § 207; s.a. HKK/Duwe, §§ 1–14, Rn. 6: Böhmer und Thibaut) zuschreibt, entstammen der naturrechtlichen Tradition, s. dazu oben S. 67 ff. (capacitas iuris; subiectum iuris). Schließlich (entgegen Gmür, aaO, S. 164) ist auch der Begriff der „juristischen Tatsache“ zumindest naturrechtlich vorgeprägt, s. dazu unten S. 172 Fn. 726 die Verweise. 698 Zu diesem Begriff Gemmeke, Die Metaphysik, S. 91, 193, 207; ferner Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, Vorrede, S. IX („Die sittliche Welt“ – Gegenbegriff zur „Natur“). 699 S. zu diesem Begriff Zitelmann, Irrtum und Rechtsgeschäft, S. 202 („Welt der subjectiven Rechte“; „eine zweite Welt nach dem Ebenbilde der natürlichen Welt“); ferner Motive BGB I, S. 126; s.a. zum Begriff „Rechtswelt“ Windscheid, Wille und Willenserklärung, S. 6; vgl. zu diesem Verständnis des Rechts auch Ulrich, Der Erbvertrag, S. 206 ff., 237 ff.; ferner Kirste, in: Bohnert (u.a.) (Hrsg.), FS Hollerbach, S. 319, 354 („Die Herausarbeitung eines eigenen ontologischen Bereichs des Moralischen, in dem das Subjekt nicht als einzelner, sondern als Person zählt, war die Grundlage dafür, daß sich nun aus dieser moralischen Welt eine rechtliche ablösen konnte, die ebenfalls auf Naturalismus verzichtet und die Schnittpunkte ihrer Ordnung als Rechtspersonen abstrakt fassen konnte“). 700 S. Ikadatsu, Der Paradigmenwechsel, S. 1 ff., der darin einen durch Kant bedingten Paradigmenwechsel erblickt, welcher eine Abkehr vom naturrechtlichen Pflichtensystem bei Pufendorf markiert. Zu diesen Ansätzen, die das Naturrecht als Pflichtenethik deuten, s. oben bereits S. 97 sowie Fezer, Teilhabe und Verantwortung, S. 186 („mehr als ein Kompendium sozialer Pflichten, denn als ein System individueller Rechte“); E. Wolf, Naturrechtslehre, S. 136; Pawlik, Das Unrecht des Bürgers, S. 101 f. Fn. 554; s.a. Wolff, Jus Naturae, Pars I §§ 23, 24 (zur konzeptionellen Priorität der Pflicht gegenüber dem Recht, wonach das Recht aus der Pflicht entsteht); Jansen, Haftungsrecht, S. 337 ff. (zu Pufendorf), 351 ff. (zu Wolff; ferner aaO, S. 351: „Nun hat diese Reduktion des Privatrechts auf eine Ordnung bürgerlicher Verhaltenspflichten eine allgemeine Grundannahme des Naturrechts gebildet“). 701 S. dazu auch Auer, Der privatrechtliche Diskurs, S. 22 („[…] Begriff des subjektiven Individualrechts, das als Gegenbegriff zum objektiven Recht seit Mitte des neunzehnten Jahrhunderts zum Zentralbegriff des Privatrechts und schließlich der gesamten Rechtsordnung avancierte“), 28 (insoweit unter Bezug auf Savigny und Kant, abgrenzend von Pufen-
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2. Kapitel: Die Entstehung der Konstituenten
nung702, sondern die rechtliche Kausalität (Lehre von den „juristischen Tatsachen“) die maßgebliche Konstruktionsform.703 b) Person, Rechtsfähigkeit und Freiheit Bei Savigny werden die Begriffe Person, Rechtssubjekt, Rechtsfähigkeit, Wille, Freiheit und subjektives Recht als Konstituenten der privatrechtlichen Rechtslehre verwendet.704 Gegenstand des Privatrechts sind nach Savigny Rechte und „Rechtsverhältnisse“.705 Unter „Rechtsverhältnis“ wird die durch Rechtsregeln bestimmte „Beziehung“ zwischen „Personen“ verstanden.706 Element des Rechtsverhältnisses ist das (subjektive) Recht.707 (Natürliche)
702 dorfs „Pflichtenkapitel“); Ikadatsu, Der Paradigmenwechsel, S. 1 ff., 105 ff.; ferner Unberath, Vertragsverletzung, S. 56 f. Während also für das Privatrecht das „Recht“ die zentrale Kategorie ist (s. dazu oben bereits S. 20 Fn. 7), ist in Abgrenzung dazu für die Moralphilosophie die Pflicht das Paradigma; s. insoweit zur Zentralität des subjektiven Rechts, nicht der Pflicht für das Recht in Abgrenzung zur Moral bei Windscheid W. Hess, Zum Verhältnis von Recht und Sittlichkeit, S. 52 mit Verweis auf Windscheid, in: Oertmann (Hrsg.), Gesammelte Reden, S. 100 ff. (S. 102: „[…] das Rechtsgesetz gewährt Rechte, das Sittengesetz legt Pflichten auf“); s. ferner Windscheid, Lehrbuch des Pandektenrechts, 6. Aufl., § 37 S. 100 Fn. 4 („Bei dem Sittengesetz ist nichts da, als die Pflicht; bei dem Rechtsgesetz ist die Pflicht da kraft des gewährten Rechts“); vgl. ferner Bauer, Lehrbuch des Naturrechts, § 10, S. 10 („Die Rechtslehre bestimmt die sittliche Möglichkeit; die Tugendlehre bestimmt die sittliche Nothwendigkeit der Handlungen“). 702 Zur Zentralität der Zurechnung (imputatio) bei Pufendorf s. oben S. 97; vgl. auch zu diesem Unterschied bei Pufendorf und Wolff Gmür, Rechtswirkungsdenken in der Privatrechtsgeschichte, S. 152. 703 S. dazu unten S. 172 ff., 177 ff. Die Begriffe „Zurechnung“, „Verantwortung“ bzw. „Imputation“ tauchen in den Pandektenlehrbüchern nur sehr selten (zumindest im Sinne einer „rechtlichen Verantwortung“) auf und dann in der Regel im Kontext des Deliktsrechts, vgl. z.B. Savigny, Obligationenrecht, Bd. 2, § 80, S. 279, 280; § 82, S. 295; Puchta, Pandekten, § 261, S. 374; § 264, S. 378 (Zurechnung im Kontext von Verschulden im Deliktsrecht). 704 S. etwa Auer, Der privatrechtliche Diskurs, S. 20, 28 f.; vgl. auch zur Übernahme der naturrechtlichen Begriffe Wieacker, Privatrechtsgeschichte, S. 373 ff., 397 f. Zur Zentralität von „Person, Wille, Freiheit“ bei Savigny s. Kiefner, in: Blühdorn/Ritter (Hrsg.), Philosophie und Rechtswissenschaft, S. 3, 7; Reis, Juristische Tatsachen, S. 118 ff., 123 Fn. 158; S. 181 f. mit Verweis auf v. Bethmann-Hollweg, Erinnerung an Friedrich Carl von Savigny, S. 18 („Persönlichkeit, Freiheit, Wille“); Rückert, in: Heldrich (u.a.) (Hrsg.), FS Canaris, S. 1263, 1286, 1296. 705 Savigny, System, Bd. 1, § 52, S. 331; Bd. 3, § 104, S. 1. 706 Savigny, System, Bd. 2, § 60, S. 1; Bd. 1, § 52, S. 333; s. aber auch kritisch dazu Windscheid, Lehrbuch des Pandektenrechts, § 37, S. 87 („rechtlich bestimmtes Verhältnis“); Dernburg, Pandekten, Bd. 1, § 40, S. 87 („rechtlich wirksame Beziehung einer Person zu anderen Personen oder zu Sachgütern“). 707 S. Savigny, System, Bd. 1, § 4, S. 7 („[…] Rechtsverhältnis, von welchem jedes einzelne Recht nur eine besondere, durch Abstraction ausgeschiedene Seite darstellt“) sowie unten noch S. 185 f.; s.a. Kiefner, in: Blühdorn/Ritter (Hrsg.), Philosophie und Rechtswissenschaft, S. 3, 10 (subjektives Recht als „Essentiale“ des Rechtsverhältnisses); ebenso Ulrich, Der Erbvertrag, S. 201.
III. Die rechtliche Moderne und die Historische Rechtsschule
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„Person“, „Rechtssubject“ und Mensch sind dabei identisch708; „jeder einzelne Mensch“ ist „Rechtssubject“ und „rechtsfähig“, wobei der Grund darin liegt, dass das Recht „um der sittlichen, jedem einzelnen Menschen inwohnenden Freyheit willen“ vorhanden ist.709 Ähnlich Savigny wird auch bei Puchta die Rechtssubjektqualität des Menschen mit seiner Freiheit, d.h. mit seiner Fähigkeit, sich selbst zu bestimmen, und damit mit seinem Willen begründet; aus Willensfähigkeit und Freiheit folgen das Personsein und die Rechtsfähigkeit des Menschen.710 Wie Puchta fer708 Identität meint hier nur, dass „jeder einzelne Mensch“ Person und rechtsfähig ist (Savigny, System, Bd. 2, § 60, S. 2; zur Frage der Einschränkungen der Rechtsfähigkeit des Menschen s. gleich noch). Aber nicht jede Person ist Mensch: Während zwar „ursprünglich“ Mensch und Person identisch sind, kann durch positives Recht die Rechtsfähigkeit erweitert werden auf „juristische Personen“; juristische Personen sind „künstliche, durch bloße Fiction angenommene Subjecte“ und werden den Menschen als „natürlichen Personen“ gegenübergestellt, s. Savigny, System, Bd. 2, § 60, S. 2; § 85, S. 236, 240 sowie sogleich noch S. 171. Menschen sind also die „natürlichen“ Rechtssubjekte, aber Person und Rechtsfähigkeit sind nicht ausschließlich an den Menschen gekoppelt, sondern unterliegen positiv-rechtlicher Bestimmung, hierzu auch Kirste, in: Bohnert (u.a.) (Hrsg.), FS Hollerbach, S. 319, 335 ff.; Thomale, in: Gröschner/Kirste/Lembcke (Hrsg.), Person und Rechtsperson, S. 175, 181 ff.; Diesselhorst, Quaderni Fiorentini 11/12 (1982/83), 319 ff. 709 Savigny, System, Bd. 2, § 60, S. 2; vgl. Schikorski, Körperschaftsbegriff, S. 43 („Nach ihm folgt aus der metarechtlichen Persönlichkeit des Menschen, die in seiner sittlichen Freiheit bestehen soll, seine Rechtssubjektivität“); Palm, Der Staat 47 (2008), 41, 47 (zum Freiheitsbezug des Personbegriffs bei Savigny: „Der Mensch hat demnach eine Freiheit, die dem positiven Recht voraus liegt und die ihn zur Rechtsperson macht“); s.a. Auer, Der privatrechtliche Diskurs, S. 20. S. aber auch Hetterich, Mensch und „Person“, S. 116 f., 142 f., wonach von Savigny nicht beantwortet werde, wieso „die menschliche Erscheinung bzw. das Menschsein Anknüpfungspunkt der Rechtsfähigkeit sein soll“ (aaO, S. 142). Hetterich (aaO, S. 116 f., 139 f., 142 f., 150) geht insoweit von einem eher positivrechtlichen Rechtsfähigkeitsbegriff bei Savigny aus mit nur begrenzter ethischer Fundierung. Allerdings übersieht eine solche Betrachtungsweise den Zusammenhang von Person, Wille und Freiheit: Selbst dort, wo Person als durch die Rechtsordnung geschaffener Begriff gedeutet wird, sind trotzdem die Kategorien Wille und Willensfreiheit zentral. D.h. unabhängig von der konkreten Bestimmung des Personbegriffs ist Person hier mit den der Freiheitsmetaphysiktradition entnommenen Kategorien Wille und Freiheit verbunden (s. dazu gleich noch S. 172 ff.); vgl. insoweit auch Kirste, in: Bohnert (u.a.) (Hrsg.), FS Hollerbach, S. 319, 354 (im Hinblick auf Savigny: „Es wäre allerdings einseitig, aus dieser rechtstechnischen Ausdifferenzierung der Rechtsperson als eines rechtsfähigen Subjektes auf deren ethisch-moralische Neutralität zu schließen. Dieser Begriff ist nur möglich geworden vor dem Hintergrund der Geschichte der Metaphysica moralis“). 710 S. Puchta, Cursus der Institutionen, Bd. 1, §§ 1 ff., S. 3 ff., 8 („Vermöge der Freiheit ist der Mensch Subject des Rechts. Seine Freiheit ist das Fundament des Rechts, alle Rechtsverhältnisse sind ein Ausfluss derselben“; „Der Mensch ist Subject des Rechts darum, dass ihm jene Möglichkeit, sich zu bestimmen, zukommt, dass er einen Willen hat“; „Der abstracte Begriff der Freiheit ist: Möglichkeit sich zu etwas zu bestimmen“; „Der concrete Begriff der menschlichen Freiheit ist daher: sie ist die Wahl zwischen Gutem und Bösem“); ferner ders., Pandekten, § 22, S. 33 („Als Subjecte eines solchen in der Potenz gedachten Willens heißen die Menschen Personen, mit diesem Wort wird daher ihre Stellung im Recht bezeichnet. Persönlichkeit ist also die subjective Möglichkeit eines rechtlichen Willens, einer rechtlichen Macht,
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ner deutlich macht, steht „der Mensch in dem Recht als Person“; d.h. ebenso wie der homo moralis bzw. die persona (moralis), also der Mensch seiner moradie Fähigkeit zu Rechten, die Eigenschaft, wodurch der Mensch Subject rechtlicher Beziehungen ist“); dazu auch Hetterich, Mensch und „Person“, S. 152, 164 ff., 174 f.; zu Puchtas Freiheitsbegriff Haferkamp, in: Lampe/Pauen/Roth (Hrsg.), Willensfreiheit und rechtliche Ordnung, S. 196, 213; Kasper, Das subjektive Recht, S. 66; ähnlich wie Puchta auch Hölder, Pandekten, § 18, S. 89 („Der Begriff der Person ist identisch mit dem Begriffe des Willenssubjectes. Person im Sinne des Rechts ist dasjenige Wesen, welches das Recht als Willenssubject anerkennt.“), S. 92 (zum Menschen als physische Person: „Existenz des Menschen als eines für sich existirenden willensfähigen Wesens“). S. dagegen aber Windscheid, Lehrbuch des Pandektenrechts, § 49, S. 116, Fn. 5 (vgl. auch Arndts, Kritische Jahrbücher 13 (1843), 289, 298 f.; dazu auch Hetterich, Mensch und „Person“, S. 188 f.), der zwei Bedeutungen des Begriffs „Person“ unterscheidet: zum einen „das mit Selbstbewusstsein und Willensfähigkeit begabte Individuum“; zum anderen „das vom Rechte mit der Fähigkeit, Rechtssubject zu sein, ausgestattete Individuum“, „Persönlichkeit“ werde insoweit mit „Rechtsfähigkeit“ gleichgesetzt. Hier stehen also letztlich zwei Personbegriffe nebeneinander: zum einen ist der Mensch Person aufgrund seiner Natur, d.h. seiner Willensfähigkeit – insoweit ist er aber nicht Rechtssubjekt; ferner sind „juristische Personen“ in diesem Sinne „Nichtpersonen“. Zum anderen ist der Mensch aber auch das „natürliche und nächstliegende Rechtssubject“ (Windscheid, aaO, S. 113), der „Mensch ist fähig, Subject von Rechten und Verbindlichkeiten, Rechtssubject zu sein“ (§ 52, S. 119). Insoweit ist er dann als Rechtssubjekt Person im zweiten Sinn; dass er aber Rechtssubjekt ist, folgt alleine aus der Zuerkennung durch die Rechtsordnung. S. dagegen Puchta, der beide Aspekte des Personseins in ein Kausalitätsverhältnis setzt: Die Freiheit des Menschen begründet seine Fähigkeit, Rechtssubjekt zu sein; insoweit er Rechts- bzw. Willenssubjekt ist und „in dem Recht steht“, ist der Mensch „Person“ (Puchta, Cursus der Institutionen, Bd. 1, § 21, S. 45). Hier wird also ein notwendiger Zusammenhang zwischen Willensfähigkeit, Freiheit, Person und Rechtssubjekt hergestellt (vgl. Hetterich, Mensch und „Person“, S. 162, 164 f., 174, 189), der bei Windscheid durch den doppelten Personbegriff infragegestellt wird. Damit zeigen sich letztlich zwei Linien, die die gesamte Diskussion um den Zusammenhang von Person und Rechtsfähigkeit im 19. Jhd. beeinflussen und die in gewisser Hinsicht bereits durch die verschiedenen Personbegriffe in juristischem Humanismus und Naturrecht vorgezeichnet sind (dazu oben S. 73 ff.; s.a. Hetterich, Mensch und „Person“, S. 25 ff., 34 ff. [zur heutigen Perspektive und zur Frage „positivistischer“ oder „vorrechtlicher Rechtsfähigkeit“], S. 88 [zu positivistischen Personbegriffen im 19. Jhd.], S. 139 f., 150 [zu Savigny], S. 173 ff. [zu Puchta], S. 228 ff. [zu den Materialien des BGB]; ferner Altwicker, in: Gröschner/Kirste/Lembcke [Hrsg.], Person und Rechtsperson, S. 225, 233 f. zur Aufgabe der bei Savigny noch vorhandenen „Ethisierung“ des Personbegriffs bei Windscheid): zum einen diejenigen, die einen rein juristischen, d.h. positiv-rechtlich geschaffenen Personbegriff zugrunde legen. Danach ist „Person“ gleichbedeutend mit „Rechtssubjekt“ und „Rechtsfähigkeit“, enthält aber keine inhaltlichen Begründungsansätze. Der Mensch ist (positivrechtlich anerkanntes) Rechtssubjekt, das Personsein geht auf in der positiv-rechtlichen Anerkennung und Bestimmung als Person im Sinne eines Rechtssubjekts. Zum anderen diejenigen, die den Personbegriff auch philosophisch-inhaltlich bzw. ethisch verstehen, wonach der Mensch aufgrund seiner Natur, Willensfähigkeit bzw. Freiheit Person ist und wiederum als Person Rechtssubjekt, d.h. im Sinne eines nicht nur formell, sondern inhaltlich bestimmten Personbegriffs, der zu einer Anerkennung der Rechtsfähigkeit durch die positive Rechtsordnung nötigt (s.a. Hetterich, Mensch und „Person“, S. 174 zu Puchta: „Die ausnahmslose Geltung des Satzes vom Personsein des Menschen ist somit für Puchta nicht bloß deklaratorische Feststellung des gegenwärtigen Zustandes, sondern verbindliche Vorgabe im modernen Recht und Personenbegriff“).
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lischen Seinsweise nach Person und Rechtssubjekt ist, ist die rechtliche Seinsform des Menschen die „Person“ und als „Person“ ist der Mensch Rechtssubjekt („Das Recht macht den Menschen zur Person“).711 „Beziehungen der Personen als solcher aufeinander“ sind daher notwendig „Rechtsverhältnisse“.712 Die positiv-rechtlichen personenbezogenen Einschränkungen der natürlich gegebenen Rechtsfähigkeit713 etwa der Sklaven werden für nicht mehr gültig 711 Vgl. etwa zum Zusammenhang von Freiheit, Vernunft, Rechtsfähigkeit und Person im frühen 19. Jhd. Bauer, Lehrbuch des Naturrechts, § 48, S. 64 („Rechtssubject kann nur ein vernünftig-sinnliches Wesen seyn (eine Person). Die Eigenschaft, vermöge deren ein Wesen Subject von Rechten seyn kann (Rechtsfähigkeit), ist dessen Persönlichkeit“); in den Pandektenlehrbüchern: v. Wächter, Pandekten Bd. 1, § 39, S. 191 („Person ist schon seiner Natur nach der Mensch, als das mit Vernunft begabte Wesen. Dies erkennt auch unser positives Recht an“); ders., Handbuch, § 34, S. 201 („Die Willensmöglichkeit zeichnet an sich die Person von der Sache aus; Person an sich ist ein mit Willen begabtes Wesen, dem eben deshalb nach dem natürlichen Rechtsbegriffe die Rechtsfähigkeit zukommt“); Arndts, Lehrbuch der Pandekten, § 24, S. 25 („Person ist im juristischen Sinn ein Individuum, das Subject von Rechten ist oder seyn kann. Darin, daß Jemand als solches anerkannt ist, besteht die Persönlichkeit, Rechtsfähigkeit. Von Natur kommt diese allen Menschen zu und nur diesen; aber während dieselbe nach positivem Recht wohl einzelnen Menschen abgesprochen wird […]“); Baron, Pandekten, § 17, S. 38 („Der juristische Begriff der Persönlichkeit fällt mit dem der Rechtsfähigkeit zusammen; demgemäß versteht man unter Person ein rechtsfähiges Wesen, ein Rechtssubject, einen Träger von Rechtsverhältnissen. Da alles Recht um der Menschen willen ist, so ist ursprünglich jeder Mensch und nur er eine Person“); dagegen eher einem positiv-rechtlichen Personbegriff, der in der Rechtsfähigkeit aufgeht, folgend Regelsberger, Pandekten, Bd. 1, § 56, S. 236 („Die Rechtsfähigkeit beruht auf einer Verleihung durch das positive Recht. Ein Wesen ist rechtsfähig oder Person, weil ihm oder seiner Gattung ein geschriebener oder ungeschriebener Rechtssatz die Rechtsfähigkeit zuerkennt“). 711 Puchta, Cursus der Institutionen, Bd. 1, § 21, S. 45 („Denn so wie der Begriff der Person auf einer Abstraction beruht, indem wir nicht das ganze Wesen des Menschen in jenen Begriff herübernehmen, sondern unmittelbar nur die Eigenschaft, dass er Willenssubject ist […]“), S. 68; vgl. auch Hetterich, Mensch und „Person“, S. 159 („Unterscheidung zwischen dem Menschen im natürlichen Dasein einerseits und der Person als Element des Rechts andererseits“); s. ferner noch Endemann, Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts, § 21, S. 85 („Person und Mensch sind keine sich völlig deckenden Begriffe. Person im Rechtssinne bezeichnet vielmehr nur eine bestimmte Seite des menschlichen Individuums: den juristischen Charakter, vermöge dessen der einzelne Mensch fähig ist, Inhaber von Privatrechten zu sein“). 712 Puchta, Cursus der Institutionen, Bd. 1, § 21, S. 45. 713 S.a. Thibaut, System des Pandektenrechts, § 207, der hinsichtlich der Rechtsfähigkeit zwischen „natürlicher Rechtsfähigkeit“ (Natur der Sache) und „bürgerlicher Rechtsfähigkeit“ (positives Recht) unterscheidet. Für die natürliche Rechtsfähigkeit sind danach „Vernunft und Wille“ erforderlich; wer darüber verfügt, ist natürlich rechtsfähig (§ 208: „Wer als natürlich rechtsfähiges Subject betrachtet werden will, muss Vernunft und Willen haben“). Dagegen hängt „die bürgerliche Rechtsfähigkeit […] von willkührlichen Bestimmungen der Gesetze ab. Sie kann aufgehoben werden, theils absolut, theils für gewisse Fälle. […] Unter die erste Rubrik würde die Lehre von den Römischen Sklaven und den peregrinis gehören, welche ersten fast durchaus aller, und die letztern bürgerlich Römischer Rechte unfähig gehalten wurden […]. Da wir aber keine Sklaven mehr haben, und unsre Deutsche Verfassung über Leibeigenschaft und Bürgerrecht von ganz anderer Natur ist: so muss bey dem Pandektenvortrage das, was die Verfassung der Römer betrifft, der Rechtsgeschichte, das Uebrige dem Deutschen Recht überlassen werden“ (§ 213).
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erklärt. Deutlich zeigt sich hier die „allgemeine Rechtsfähigkeit“714, die jedem Menschen als Person zukommt.715 Während jeder Mensch bzw. jede Person rechtsfähig ist, kommt die von der Rechtsfähigkeit zu unterscheidende Handlungsfähigkeit (Geschäftsfähigkeit716, Deliktsfähigkeit) nur Personen zu, deren „Wollen und Wissen rechtlich beachtet wird“717, d.h. nicht Kindern oder Menschen, die vom „vollständig freyen Vernunftgebrauch“718 bzw. von der Willensfähigkeit ausgeschlossen sind.719 714 Zu diesem Begriff s. oben bereits S. 100 sowie Lipp, Quaderni Fiorentini 11/12 (1982/ 83), 217, 247; s. ferner Hetterich, Mensch und „Person“, S. 86. 715 S. Savigny, System, Bd. 2, § 60, S. 2; § 64, S. 23 ff.; § 75, S. 148 ff. (dort zu den Fällen durch positives Recht herbeigeführter „verminderter Rechtsfähigkeit“, die aber im „heutigen Recht“ keine Anwendung mehr finden; dazu auch Hetterich, Mensch und „Person“, S. 119 ff., 134, s. aber auch S. 150 zur Umschreibung von Savignys Position: „In jedem Menschen liegt die Möglichkeit allgemeiner Rechtsfähigkeit (weil Anknüpfungspunkt des gesamten Rechts die sittliche, jedem einzelnen Menschen innewohnende Freiheit ist); er hat die allgemeine Rechtsfähigkeit selbst aber nicht prinzipiell, sondern nur nach Maßgabe positivrechtlicher Ausgestaltung“); s.a. Brinz, Lehrbuch der Pandekten, § 15, S. 30 („Wir haben keine unpersönlichen Menschen mehr“; „Persönlichkeit“ und „Rechtsfähigkeit“ sind gleichgesetzt), § 19, S. 38 („Die Rechtsfähigkeit des Privatrechts ist von unserm heutigen gemeinen Rechte dem Menschen als solchem gewährt“); Windscheid, Lehrbuch des Pandektenrechts, § 55, S. 127, Fn. 8 („Für uns hat die Lehre der capitis diminutio keine Bedeutung mehr; denn der Verlust der Freiheit ist bei uns nicht mehr möglich“); vgl. Arndts, Lehrbuch der Pandekten, § 24, S. 25 („Von Natur kommt diese allen Menschen zu und nur diesen; aber während dieselbe nach positivem Recht wohl einzelnen Menschen abgesprochen wird […]“); § 28, S. 29 („Allein das heutige gemeine Civilrecht kennt keinen Sclavenstand mehr und macht auch zwischen Bürgern und Nichtbürgern, Inländern und Ausländern keinen Unterschied rücksichtlich der Privatrechtsfähigkeit“); Dernburg, Pandekten, Bd. 1, § 49, S. 107; § 50, S. 113 f.; § 52, S. 117. S.a. C Hattenhauer, in: Klein/Menke (Hrsg.), Der Mensch als Person, S. 39, 59 ff., 62 ff. zum Verhältnis von Person, Rechtsfähigkeit und Mensch im 19. Jhd. – während Savigny zwar von der allgemeinen Rechtsfähigkeit ausgehe, aber eine positiv-rechtliche Einschränkung „für möglich“ halte (aaO, S. 61), werde Ende des 19. Jhd. (BGB) die allgemeine, dem positiven Recht vorgegebene Rechtsfähigkeit anerkannt (aaO, S. 62 ff.). 716 S.a. Windscheid, Lehrbuch des Pandektenrechts, § 71, S. 162 f. Fn. 1, der die „juristische Handlungsfähigkeit“ („die vom Recht gewährte Fähigkeit zum Handeln mit rechtlicher Wirkung“) im Hinblick auf die Rechtsgeschäftsfähigkeit behandelt. 717 Dernburg, Pandekten, Bd. 1, § 49, S. 107; s. ferner Regelsberger, Pandekten, § 57, S. 239 f. (S. 239: „Rechtlich handlungsfähig ist, wer durch bewussten Willensakt rechtliche Wirkungen hervorzubringen vermag“; S. 240: Deliktsfähigkeit und Geschäftsfähigkeit als besondere Arten der Handlungsfähigkeit; von Handlungsfähigkeit Rechtsfähigkeit zu unterscheiden). 718 Savigny, System, Bd. 3, § 106, S. 22. 719 Savigny, System, Bd. 2, § 60, S. 1; Bd. 3, § 106, S. 22 ff.; Dernburg, Pandekten, Bd. 1, § 49, S. 107 („Rechtsfähig oder Rechtssubjekt oder Person ist, wer Rechte haben kann […]. Der Rechtsfähige ist in der Regel auch zu rechtlich anerkannten Handlungen fähig. Gleichwohl kann solche Handlungsfähigkeit rechtsfähigen Personen fehlen“); Scheurl, Lehrbuch der Institutionen, § 27, S. 54 („potentielle“ Willensfähigkeit genügt für Rechtsfähigkeit, dagegen nicht für Handlungsfähigkeit); Arndts, Lehrbuch der Pandekten, § 59, S. 67 („Die Handlung setzt vor Allem Willensvermögen in dem Handelnden voraus“); Hölder, Pandekten, § 39, S. 202 ff. (Die Handlungsfähigkeit „fehlt von Rechtswegen demjenigen, dessen Wille für das Recht nicht existirt oder ihm vom Rechte nicht zugerechnet wird“); s.a. Fröde, Willenserklärung, S. 191.
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Verbunden mit diesen Entwicklungen ist eine zumindest begriffliche Änderung.720 An die Stelle der persona ficta bzw. der persona moralis (composita)721 der Naturrechtstradition tritt hier die „juristische Person“722 als von der „natürlichen“ „physischen“ Person verschiedendes eigenständiges Rechtssubjekt, das Träger von Rechten und Pflichten ist.723 In diesem Kontext werden dann auch Theorien zur Konstruktion und Erfassung der juristischen Person ausgearbeitet.724
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S. zu dieser Diskussion oben bereits S. 96 Fn. 330. S. nämlich noch anders Hugo, Institutionen des heutigen Römischen Rechts, § 10 („Jedes dieser Rechte kann einem oder mehrern einzelen Menschen, es kann aber auch einer moralischen Person (collegium, universitas) zustehen“); s. aber später auch ders., Lehrbuch eines civilistischen Cursus, Bd. 4, S. 20 („Eine physische Person ist ein einzelner Mensch; eine blos juristische (gewöhnlich, aber nicht gut: Moralische, gar auch Mystische, zuweilen auch fictae personae) mehrere Menschen, die im Rechtsverstande nur wie ein einzelnes Subject angesehen werden“). 722 Savigny, System, Bd. 2, § 85, S. 236, 239 („ein des Vermögens fähiges künstlich angenommenes Subject“), 240 („Früher war sehr gewöhnlich der Name der moralischen Person, den ich aus zwey Gründen verwerfe […]“); s. ferner § 94, S. 312 („Die juristische Person aber ist […] nur ein Vermögen habendes Wesen […]. Ihr reales Daseyn beruht auf dem vertretenden Willen bestimmter einzelner Menschen, der ihr, in folge einer Fiction, als ihr eigener Wille angerechnet wird“); s.a. Puchta, Cursus der Institutionen, Bd. 1, § 28, S. 69; s. ferner auch Windscheid, Lehrbuch des Pandektenrechts, § 49, S. 115 ff. (kritisch zum Begriff der „juristischen Person“ sowie der „moralischen Person“; eher „fingirte Person“, „künstlich geschaffene Person“); Regelsberger, Pandekten, § 56, S. 238 („juristische Person“ als übliche Bezeichnung; kritisch zur Bezeichnung als „fingierte“, „künstliche“, „mystische“ oder „moralische“ Person). Zur juristischen Person bei Savigny Thomale, in: Gröschner/Kirste/ Lembcke (Hrsg.), Person und Rechtsperson, S. 175 ff. 723 S. etwa Arndts, Lehrbuch der Pandekten, § 24, S. 25 („[…] sind andererseits auch Rechtssubjecte anerkannt, die nicht einzelne Menschen sind und als Personen nur durch den juristischen Begriff da sind. Diese nennt man juristische Personen (moralische, fingirte, mystische Personen), und im Gegensatze davon den einzelnen Menschen, der schon als solcher ein natürliches Rechtssubject ist, physische oder natürliche Person“); s.a. Windscheid, Lehrbuch des Pandektenrechts, § 57, S. 134; § 58, S. 139; ferner § 59, S. 141 ff. zur Frage der („künstlich gewährten“) Handlungsfähigkeit der juristischen Person; § 60, S. 144 f. zur Seinsweise („Die juristische Person existirt nicht in der Wirklichkeit, sondern nur in der Gedankenvorstellung. Aber diese Gedankenvorstellung hat zur Grundlage etwas Thatsächliches, an welches sie sich anlehnt, ein real existirendes Substrat, welches eben in Gedanken zur Person erhoben wird“). Begrifflich erinnert diese Deutung (s. ferner auch aaO, § 137, S. 376, Fn. 1, 2: „Das Gedachte ist für das Recht nicht Sache, aber das Gedachte kann für das Recht Sache sein“) freilich an die Auffassung, die die entia moralia nicht als entia realia, sondern als entia rationis mit fundamentum in re gedeutet hat, s. dazu oben S. 94 f. Fn. 328 (vgl. Ulrich, Der Erbvertrag, S. 258 zur „gegenständlichen Vorstellung des subjektiven Rechts“ bei Windscheid); vgl. auch Arndts, Lehrbuch der Pandekten, § 41, S. 40 (zur juristischen Person: „[…] das als solches nur in der juristischen Vorstellung besteht, nur ein intellectuelles, nicht ein natürliches Daseyn hat“). 724 Savignys „Fiktionstheorie“ steht der sog. „Theorie von der realen Verbandspersönlichkeit“ bei Gierke gegenüber, s. dazu im Einzelnen Dreier, in: Gröschner/Kirste/Lembcke (Hrsg.), Person und Rechtsperson, S. 323, 325; Altwicker, in: Gröschner/Kirste/Lembcke 721
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2. Kapitel: Die Entstehung der Konstituenten
c) „Juristische Tatsachen“ und „juristische Kausalität“ aa) Savignys juristische Tatsachen Weiter kommt bei Savigny der Kategorie der „juristischen Tatsachen“ zentrale Bedeutung zu.725 Die Begründung, der Untergang oder die Veränderung von Rechtsverhältnissen ist nach Savigny die „Wirkung“ von „juristischen Tatsachen“. Juristische Tatsache ist der Begriff für „Ereignisse“, die die Entstehung, die Veränderung oder den Untergang von Rechtsverhältnissen bewirken.726
725 (Hrsg.), Person und Rechtsperson, S. 225, 235; Schikorski, Körperschaftsbegriff, S. 73 ff., 173 ff.; v. Lübtow, in: Bickel (u.a.) (Hrsg.), Recht und Rechtserkenntnis, S. 421, 449 ff.; s. ferner die Diskussion des 19. Jhd. etwa bei Regelsberger, Pandekten, § 76, S. 298 ff. 725 Dazu aus der neueren Literatur etwa Ulrich, Der Erbvertrag, S. 197 ff., 204 ff., 221 ff. 726 Savigny, System, Bd. 3, § 104, S. 3 f. („Ereignisse, wodurch der Anfang oder das Ende der Rechtsverhältnisse bewirkt wird“; „Wirkung der juristischen Thatsachen entweder die Entstehung oder den Untergang der Rechtsverhältnisse“); s.a. Puchta, Pandekten, § 48, S. 68 („Die wichtigsten der Thatsachen, welche als Entstehungs- und Endigungsgründe von Rechten vorkommen, sind Handlung und Zeit […]“); § 49, S. 69 („Juristische Handlungen heißen die, welchen als solche eine rechtliche Wirkung zukommt“); Windscheid, Lehrbuch des Pandektenrechts, § 67, S. 154; Arndts, Lehrbuch der Pandekten, § 57, S. 64 („Thatsachen, positive oder negative, insofern sie Entstehung oder Endigung oder auch nur Aenderung des Rechts bewirken, also eine juristische Wirkung hervorbringen, nennt man juristische Thatsachen“); Baron, Pandekten, § 47, S. 86 („Man nennt jeden Umstand, welcher eine juristische Wirkung d.h. die Entstehung, Erhaltung oder Aenderung eines Rechts hervorbringt, eine juristische Thatsache“); Karlowa, Das Rechtsgeschäft und seine Wirkung, S. 1 („Als juristische Thatsachen pflegt man diejenigen zu bezeichnen, an welche eine rechtliche Wirkung geknüpft ist“). Woher kommt bzw. wodurch ist Savignys Begriff der juristischen Tatsachen beeinflusst? Reis (Juristische Tatsachen, S. 22, 70 ff., 81, 143 ff.) nennt insoweit den im 18. Jhd. wirkenden Naturrechtler Weber, Systematische Entwicklung, §§ 5, 31 sowie Savignys Zeitgenossen Mühlenbruch, Lehrbuch des Pandektenrechts, § 83, S. 173 f. Mühlenbruch (Lehrbuch des Pandektenrechts, § 83, S. 173 f.; dazu sowie zu seinen älteren Ausführungen Reis, aaO, S. 22, 81) spricht von „Handlungen als Grund der Rechte“ sowie vom „Factum im juristischen Sinne“: „Man kann von einem Factum sprechen als Gegenstand, aber auch als Grund von Rechten; in dem letzteren Sinne wird der Ausdruck hier genommen, und zwar beschränken wir ihn nicht auf eigentliche Handlungen, sondern beziehen ihn auf jede Thatsache, wodurch Rechte begründet, verändert, oder aufgehoben werden. Es sind aber zu unterscheiden […] die willkührlichen Ereignisse und die zufälligen, d.s. im gewöhnlichen Sinne: die nicht durch menschliche Willkühr hervorgebrachten […]“. „Tatsache“ ist also der „Grund“ der Rechte, wobei der Begriff „Tatsache“ über den Begriff der Handlung hinausgeht. Recht ist bei Mühlenbruch die „moralische Möglichkeit zu Handlungen und Unterlassungen“ (aaO, § 77, S. 162; ferner § 74, S. 159). Damit „eine willkührliche Handlung Rechte und Pflichten“ begründet, „so müssen a) ein freier und wahrhafter Entschluß, b) ein hinreichend bestimmter Ausdruck des Willens zusammentreffen. Das erste Erfordernis löst sich in die drei Eigenschaften auf: Willensfähigkeit, freie Selbstbestimmung, und ernstliche Absicht“ (§ 90, S. 185). S. dazu Reis, Juristische Tatsache, S. 70 ff., 79 ff., wonach bis Savigny (bzw. Mühlenbruch) der Begriff der „Handlung“ den Oberbegriff für rechtlich relevante Ereignisse bildete, der dann aber im Wege einer fortschreitenden Abstraktion durch den Begriff „Tatsache“ abgelöst wurde, unter den dann die freien Handlungen fielen; ferner Ulrich, Der Erbvertrag, S. 241 f.
III. Die rechtliche Moderne und die Historische Rechtsschule
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Der Begriff der juristischen Tatsachen umfasst nach Savigny zunächst „freie Das engere Verständnis von factum nur im Sinne von Handlung zeigt sich demgegenüber bei Weber (ebenso noch Hugo, Lehrbuch eines civilistischen Cursus, Bd. 4, S. 52: „Eine Handlung in diesem Sinne (actio […], oder auch actus […], auch factum) ist eine von Menschen als vernünftigen Wesen bewirkte Begebenheit, und natürlich in juristischer Rücksicht nur eine Solche, die an Rechtsverhältnissen etwas bestimmt, d.h. sie hervorbringt, oder aufhebt, oder erhält […]“). Nach Weber werden Verbindlichkeiten, die nicht unmittelbar aus dem Gesetz folgen („mittelbare Verbindlichkeiten“), durch ein „factum des Verpflichteten als Bedingung“ (aaO, § 5) begründet. Factum ist entweder ein Vertrag oder eine einseitige Handlung (§ 31, § 21). Bei der mittelbaren Verbindlichkeit ist die „moralische Handlung“ (Vertrag oder einseitige Handlung) deren „causa proxima“ (§ 37). Hier erscheinen also wiederum unmittelbar die Kategorien des moralischen Seins: „Moralische Handlungen“ sind solche Handlungen, die „sich auf Freiheit gründen“; Verbindlichkeit ist die „moralische Nothwendigkeit, etwas zu thun, oder zu unterlassen“; Gesetze sind die „Regeln unserer freien Handlungen“ (§ 2). Das factum „enthält“ demnach die Ursache/causa, letzte Ursache ist aber immer das Gesetz, das bei Vorliegen des factum die obligatio begründet. Ohne Gesetz gibt es auch kein factum (vgl. §§ 21, 30 [„[…] alle Rechte und Verbindlichkeiten zuletzt aus Gesetzen herrühren“], 33, 37). Insofern verwendet Weber in gewisser Hinsicht, d.h. für die Handlungen statt des Begriffs Ursache/causa den des factum; Entstehungsgrund der mittelbaren Verbindlichkeit ist unmittelbar die „moralische Handlung“ (anders die „unmittelbare Verbindlichkeit“, § 32). Damit bezeichnet juristische Tatsache jede Ursache/Ereignis, das zwischen Gesetz und Entstehung einer Verpflichtung steht. Dies verweist freilich auf eine Diskussion, die bereits bei Suárez begegnet ist und auch heute noch relevant ist (s. dazu oben bereits S. 123 Fn. 463; s. Weber, aaO, §§ 30 ff.; zur heutigen Diskussion unten noch S. 444 ff.): Ist nicht Ursache einer jeden Verpflichtung immer das Gesetz? Ist Ursache der vertraglichen Verpflichtung wirklich der eigene Wille oder nicht vielmehr das Gesetz selbst, wobei dann die Willenshandlung proxima materia/fundamentum ist, bei deren Vorliegen das Gesetz die Verpflichtung begründet (s. Suárez, De Legibus, Lib. I Cap. 14 N. 3, 13; s. aber auch Suárez, De Voto, Lib. III vor Cap. 1 – dort aber die Willenshandlung nur als causa efficiens des votum selbst)? Weber (aaO, § 32, S. 82) verweist seinerseits auf Nettelbladt, wobei Nettelbladt den Begriff des actus juridicus sowie des „rechtlichen Geschäfts“ prägt (Nettelbladt, Systema elementare, §§ 144 f.; dazu auch Schermaier, Irrtum, S. 287 ff.). Eine Handlung (actio) wird im Hinblick darauf, dass sie etwas außerhalb des Handelnden bewirkt, als Tatsache (factum) bezeichnet (Nettelbladt, Systema elementare, § 99). Soweit eine äußere Handlung des Menschen (actio hominis externa – innere Handlungen sind keine facta, sondern cogitationes; aaO, § 101) ein factum konstituiert und sie frei ist, liegt ein factum morale vor (§ 100). Tatsachen (facta), die Einfluss auf die Entstehung von Rechten und Verpflichtungen (jura et obligationes) haben oder in anderer Weise Rechte und Verpflichtungen betreffen, werden als actus juridici bezeichnet (§ 144). Handlungen sind also insoweit juristisch, als sie Rechte und Verpflichtungen betreffen, d.h. insbesondere deren Entstehung bewirken. Wenn die actus juridici „Rechte und Verpflichtungen hervorbringen“ („si jura et obligationes producunt“; § 145), heißen sie obligatorische. Verpflichtung ist necessitas agendi moralis (§ 168). Recht ist die facultas moralis agendi (§ 229). Sind die actus juridici rechtmäßig, heißen sie „rechtliche Geschäfte“ (negotia juridica; § 145). Darunter fällt die promissio, die im Falle ihrer Annahme (acceptatio) zum pactum wird („pactum, quod itaque est promissio a promissario acceptata“;§ 150). Causa debendi als der Grund, aus dem die Verpflichtung folgt (§ 199), ist das Gesetz, entweder unmittelbar oder – im Fall des Vertrags (pactum) – mittelbar (§ 201). Ferner verwenden Pütter/Achenwall den Begriff des factum morale sowie des factum obligatorium, s. Pütter/Achenwall, Elementa Iuris Naturae, §§ 121 ff., 818 ff.: Factum ist der
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2. Kapitel: Die Entstehung der Konstituenten
Handlungen“ der „Betheiligten“.727 Während freie Handlungen solche Handlungen sind, in denen „der Wille des Handelnden“ tätig ist728, meint der Begriff „Betheiligte“ solche Personen, deren Rechtsverhältnis oder Recht Gegenstand der Entstehung, Veränderung oder des Untergangs ist.729 Neben diesen umfasst der Begriff der „juristischen Tatsachen“ auch „zufällige Umstände“, worunter Handlungen anderer Personen sowie Unterlassungen fallen.730 Das Spezifische der juristischen Tatsachen besteht zum einen darin, dass hier das rechtliche Denken in die Form einer Kausalitätsbeziehung gebracht wird – es gibt bestimmte Ursachen, die als Wirkung bestimmte rechtliche Entitäten731, nämlich Rechte und Rechtsverhältnisse hervorbringen, verändern oder aufheben.732 Zum anderen besteht es darin, dass nicht jeder Umstand juristische Tatsache und damit Ursache ist, sondern nur bestimmte Ereignisse, nämlich vonseiten der „Beteiligten“ „freie Handlungen“.733 Der Begriff der ju727 Oberbegriff für die Handlung (actio spontanea); ist die Handlung frei (actio libera), liegt ein factum morale vor. Zurechnung (imputatio) ist das Urteil, ein factum morale jemandem als seinem Urheber (auctor) zuzurechnen (§§ 158 f.). Der auctor ist causa des factum morale, wobei die causa entweder physica oder moralis ist; um zurechnen zu können, muss die causa des factum morale im Willen (in voluntate) liegen (§ 161). Nur das factum morale ist moralisch zurechenbar (§ 167). Ein factum obligatorium ist ein solches, das aufgrund des Gesetzes Rechte und Pflichten begründet (§ 818). Es muss zurechenbar sein („Omnia autem facta obligatoria quum imputabilia esse debeant“, § 821 mit Verweis auf § 156). Generell ist zu betonen, dass das Kausalitäts- bzw. Rechtswirkungsdenken vor allem das Vertragsrecht prägt; gerade hier zeigen sich auch unabhängig von der Lehre der juristischen Tatsachen Kontinuitäten, s. dazu oben bereits S. 121 ff. sowie unten noch S. 197 ff. 727 Savigny, System, Bd. 3, § 104, S. 5. 728 S. Savigny, System, Bd. 3, § 104, S. 5; s.a. Thibaut, System des Pandektenrechts, § 131 („Rechte und Verbindlichkeiten müssen durch etwas, außer dem Gesetz existierendes wirklich werden. In der Regel muss dies durch Willenshandlungen des Berechtigten oder Verpflichteten geschehen […]; doch kann auch das Gesetz an andre Thatumstände die Existenz eines Rechts oder einer Verbindlichkeit knüpfen“). 729 Savigny, System, Bd. 3, § 104, S. 5. 730 Savigny, System, Bd. 3, § 104, S. 5 (Fn. (e): „Zufälligkeit“ meint „außer meinem Willen Liegendes“, d.h. des Willens des Beteiligten). 731 Zum rechtsontologischen Charakter von subjektivem Recht und Rechtsverhältnis s. unten noch S. 180 ff. sowie Ulrich, Der Erbvertrag, S. 206 ff. 732 S. ebenso Ulrich, Der Erbvertrag, S. 221 ff., 223 ff. (mit dem Hinweis, dass Savigny den Begriff „Ursache“ – ebenso wie denjenigen der „juristischen Kausalität“ – selbst zwar nicht verwendet, sich aber „der Begriff (juristische) Ursachen aufdrängt“ [aaO, S. 223]). 733 S. Savigny, System, Bd. 3, § 104, S. 5; vgl. ferner Regelsberger, Pandekten, § 57, S. 239 („Die Rechtsverhältnisse verdanken ihre Entstehung nicht allein, aber überwiegend menschlichen Handlungen. Handlung ist ein durch bewussten Willensakt hervorgebrachtes körperliches Verhalten“); § 118, S. 437 („Als Ursache rechtlicher Wirkung tritt daher vor allem die freie That des Menschen, die Handlung auf“); § 129, S. 472; Baron, Pandekten, § 47, S. 87 („Handlungen sind diejenigen juristischen Thatsachen, welche von dem Willen des Menschen hervorgerufen werden“); Arndts, Lehrbuch der Pandekten, § 57, S. 64 („Die juristischen Thatsachen sind überhaupt sehr mannigfaltig […]. Im Allgemeinen sind namentlich hervorzuheben Handlungen und Ablauf der Zeit“); § 58, S. 66 („Handlung ist eine in der Sinnenwelt hervortretende Aeußerung des Willens“); vgl. Reis, Juristische Tatsachen, S. 180 ff., 182 ff.
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ristischen Tatsachen geht ebenso wie der Begriff der causa moralis dahingehend „selektiv“ vor, dass „freie Handlungen“ bzw. der „Wille“ für die Erzeugung rechtlicher Wirkungen relevant sind.734 Wie in der Lehre vom moralischen Sein die causa moralis moralische Wirkungen hat, d.h. moralische Entitäten begründet, verändert oder beendet, begründet, verändert oder beendet die „juristische Tatsache“ „Rechte“ und „Rechtsverhältnisse“.735 Die Kau734 S. ebenso Reis, Juristische Tatsachen, S. 26, 92, 122 f., 182 ff., der die juristische Tatsachen als „Selektion“ deutet, und zwar auf den „Willen“ (aaO, S. 182: „Zentralität des Willens für die Kopplung von juristischer Tatsache und Rechtswirkung“; aaO, S. 184: „Zentralität des Willens als dynamisierender Faktor der Rechtswelt“) sowie die „Freiheit“ hin – im Sinne einer „Normalität“ oder „Regelmäßigkeit“ sind diese juristische Tatsachen (aaO, S. 178 ff., 180 ff., 183); zur Bedeutung des Willens und der Freiheit auch Fröde, Willenserklärung, S. 127 f., 191 („[…] wurde ein individueller Wille als notwendige Voraussetzung jedes rechtsgeschäftlichen Handelns verstanden“); gegen ein Verständnis der juristischen Tatsachen als „Selektion“ aber Ulrich, Der Erbvertrag, S. 221 f. Fn. 129. Vgl. für die Bedeutung gerade des Willens für die Erzeugung der Rechtswirkungen Savigny, System, Bd. 3, § 134, S. 258 („[…] muß der Wille an sich als das einzig Wichtige und Wirksame gedacht werden“); ferner § 115, S. 113 („das Wollen ist eine selbständige Thatsache, die allein für die Bildung der Rechtsverhältnisse von Wichtigkeit ist“); § 104, S. 5 f. 735 S. zur causa moralis oben S. 76 ff. Worin liegt der Unterschied der causa moralis zur „juristischen Tatsache“? Zum einen darin, dass der moralische Seinsbereich über den rechtlichen hinausgeht, d.h. nicht nur rechtliche Pflichten etc. zum Gegenstand hat sowie auf Wirkungsseite nicht nur die Gestaltung von Rechten und Pflichten, sondern auch andere moralische Entitäten vorsieht; zum anderen darin, dass der Begriff der juristischen Tatsache nicht nur freie Handlungen, sondern daneben auch „zufällige Umstände“ umfasst, und insoweit über die causa moralis hinausgeht (vgl. dazu bereits die vorherige Fn. 726). Die juristische Tatsache geht also über die freie Handlung hinaus und umfasst auch andere Umstände, vgl. dazu Reis, Juristische Tatsache, S. 79 ff., ferner S. 70 ff. (dort zum factum). D.h. es zeigen sich folgende Entwicklungen: Zunächst die Schaffung der Kategorie einer Ursache, die (Rechts-)Wirkungen, d.h. Rechte, Pflichten etc. erzeugen kann und der damit korrespondierenden Kategorie der Kausalität. Sodann die inhaltliche Bestimmung dieser causa moralis als Willensakt bzw. freie Handlung. Schließlich, und dies geschieht mit Savigny (bzw. Mühlenbruch), die Erweiterung des Ursachenbegriffs über freie Handlungen hinaus auch auf „zufällige Umstände“, was durch Schaffung des Begriffs der juristischen Tatsache als neuem Oberbegriff für Rechtswirkungen begründende Ereignisse geschieht. Der Begriff der juristischen Tatsachen erfasst also nicht nur freie Handlungen, sondern alle Ereignisse, an deren Eintritt Rechtswirkungen geknüpft sind (vgl. Reis, Juristische Tatsache, S. 79 ff.). Aber: zufällige Umstände sind nicht generelle Ursachen wie die freien Handlungen, die in Gestalt von Willenserklärungen regelmäßig Rechtswirkungen begründen (Reis, Juristische Tatsache, S. 178 ff., 183). Durch diese Erweiterung tritt eine gewisse Entmaterialisierung ein. Da die juristischen Tatsachen nicht nur freie Handlungen, sondern auch andere Umstände sind, stellt sich freilich die Frage, wieso überhaupt „freie Handlungen“ relevant sein sollen bzw. welches generell die Qualität der juristischen Tatsachen ist. Ist das Gesetz nicht frei, an welche Tatsachen es welche Rechtswirkungen knüpft? S. dazu die Diskussion unten S. 201 ff. sowie Dernburg, Pandekten, Bd. 1, § 79, S. 180 f. („Dieser Thatbestand hat rechtliche Wirkung nur unter der Anerkennung und dem Schirm der Rechtsordnung. Doch muß man sich die Rechtsordnung dabei nicht als einen deus ex machina denken, so daß sie willkürlich an Thatsachen Rechtswirkungen knüpft […]. Es wohnen den juristischen Thatsachen rechtsbildende Kräfte inne, welche die Anerkennung des Rechts herausfordern“; Fn. weggelassen).
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2. Kapitel: Die Entstehung der Konstituenten
salität der juristischen Tatsachen ist eine durch das Recht vermittelte.736 Wirkbereich dieser Kausalität sind rechtliche Entitäten, und zwar Rechtsverhältnisse und subjektive Rechte.737 Sofern der Wille bei freien Handlungen unmittelbar „auf die Entstehung oder Auflösung des Rechtsverhältnisses“ gerichtet ist, ist die juristische Tatsache eine „Willenserklärung“ oder ein „Rechtsgeschäft“. Vertrag ist der „übereinstimmende Wille“ mehrerer Personen, der wiederum Rechtsverhältnisse bzw. Rechte begründet.738 Auch hier zeigt sich ein „Selektionsvorgang“. Eine freie Handlung ist nur dann für die Entstehung, den Untergang oder die Veränderung von Rechtsverhältnissen durch Rechtsgeschäft relevant, wenn ihr bzw. dem in ihr tätig werdenden Willen eine bestimmte Finalität zu eigen ist.739 736 Vgl. Hölder, Pandekten, § 36, S. 172 („Indem es das Recht ist, welches den Thatsachen die Bedeutung von Entstehungs- und Aufhebungsgründen der Rechtsverhältnisse verleiht, so besteht die durch diese Bezeichnung angedeutete Causalverbindung als eine vom Rechte statuirte oder als eine solche, welche das Recht anzunehmen gebietet“); s.a. Regelsberger, Pandekten, § 32, S. 128 („Aber nur in der Körperwelt kann der Mensch durch seine Kraftentfaltung allein Wirkungen hervorbringen, das ideale Bereich des Rechts wird ihm erst durch die Hilfe des positiven Rechts zugänglich. So schöpft auch die Privatverfügungsmacht ihren rechtsgestaltenden Einfluss aus dem positiven Recht; was sie zu ordnen vermag, vermag sie nur kraft des positiven Rechts und darum nichts gegen dasselbe“); § 118, S. 437 („Thatsachen und Rechtsfolge werden vom positiven Recht bestimmt, aber geschaffen wird von ihm nur die Rechtsfolge. Die Rechtsfolge freilich von ihm allein, die Privatpersonen können nur den thatsächlichen Grund für die Rechtsfolge setzen. Es ist daher ungenau, von einer rechtschöpferischen Macht der Privatpersonen zu sprechen, zu sagen, die Parteien haben ein Rechtsverhältnis begründet oder aufgehoben. Indes findet diese Ungenauigkeit ihre Erklärung und Rechtfertigung in dem Zusammenhang, welcher kraft der Vorschrift des Rechts zwischen Thatbestand und Rechtsfolge besteht. Wo jener gesetzt ist, tritt diese mit Nothwendigkeit (juris necessitate) ein“; Fn. weggelassen); § 129, S. 473 („Zur juristischen Handlung wird die Willensbethätigung, indem das positive Recht mit ihr eine Rechtsfolge verknüpft und zwar darum, weil die gewollte That eines Menschen vorliegt“); s. dazu unten noch S. 201 Fn. 869; vgl. ferner bereits oben S. 123 Fn. 463 zur Differenzierung zwischen den Willensakten als materia/fundamentum und dem Gesetz als causa efficiens der obligatio als effectus. 737 S. dazu gleich noch näher S. 172 ff. und S. 198 f. 738 Savigny, System, Bd. 3, § 104, S. 6 f.; § 114, S. 98 f.; § 140, S. 309; sowie unten noch S. 197 ff.; s.a. Windscheid, Lehrbuch des Pandektenrechts, § 68, S. 157; § 69, S. 159; Arndts, Lehrbuch der Pandekten, § 63, S. 73 („Die gegenseitig erklärte Einigung des Willens verschiedener Personen aber, bezüglich auf Rechtsverhältnisse, welche dadurch begründet, geändert oder aufgehoben werden sollen, ist ein Vertrag“); § 237, S. 383 („Das Daseyn und der Inhalt eines Schuldvertrags wird durch den übereinstimmenden Willen der Vertragsschließenden bestimmt. Es ist also vor allem ernstlicher und wirklicher Wille beider Theile erforderlich“); s. ferner auch Regelsberger, Pandekten, § 32, S. 128; § 118, S. 438 („Nicht selten müssen sich zur Hervorbringung einer rechtlichen Wirkung mehrere äußere Vorgänge vereinigen: beim Vertrag mindestens zwei Willenserklärungen […]“). 739 S. Reis, Juristische Tatsachen, S. 183 f., 134; vgl. auch Flume, Allgemeiner Teil, § 9,1; deutlich etwa Regelsberger, Pandekten, § 135, S. 488 f. („Die Eigenthümlichkeit des Rechtsgeschäfts gegenüber andern juristischen Handlungen liegt darin, dass sich die Rechtsfolge darstellt als Verwirklichung des im Geschäft sich kund gebenden Strebens der Parteien nach Gestaltung ihrer Rechtsverhältnisse. Deshalb gehört zum Thatbestand des Rechtsgeschäfts
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bb) „Juristische Kausalität“ und „Rechtswelt“ Im weiteren Verlauf der Diskussionen des 19. Jahrhunderts wird zur Umschreibung des geschilderten Zusammenhangs auf den Begriff „juristischer Kausalität“740 rekurriert. Es geht um einen von der natürlichen Kausalität und 740 eine Geschäftsabsicht, die mit der Rechtswirkung in Einklang steht“); vgl. auch zur Frage, ob die Wirkungen aus dem Willen selbst folgen bzw. welche Anforderungen an die juristischen Tatsachen zu stellen sind, Hofer, Freiheit ohne Grenzen?, S. 186 ff. m.Nw. sowie gleich noch im Einzelnen. Hier zeigt sich freilich ein mehraktiger Selektions- und Differenzierungsakt, der durch inhaltliche Anforderungen wie durch die Wirkungen geprägt ist: Erstens sind nur bestimmte Handlungen, nämlich freie willensgetragene Handlungen relevant. Zweitens nur solche freien Handlungen, die unmittelbar auf die Erzeugung der Rechtswirkungen gerichtet sind, d.h. Willenserklärungen. Drittens folgt die Rechtswirkung – zumindest außerhalb des Erbrechts – nicht aus einer Willenserklärung, sondern nur aus dem „übereinstimmenden Willen“. Negativ betrachtet bedeutet dies freilich, dass aus allen anderen Handlungen – unfreie Handlungen, einseitige Willenserklärungen – grundsätzlich keine (rechtsgeschäftlichen) Rechtswirkungen entstehen können; ganz eindeutig ist das bei Savigny aber nicht, ebensowenig wird es explizit begründet, vgl. Savigny, System, Bd. 3, § 104, S. 5 ff. 740 S. Zitelmann, Irrtum und Rechtsgeschäft, S. 200 ff., 206 ff., 214 ff., 220 ff., der die Lehre von den juristischen Tatsachen aufgreift und dabei mit der „Denkform der Causalität“ (aaO, S. 202) verknüpft (zu Zitelmann auch Reis, Juristische Tatsachen, S. 136 ff.; Ulrich, Der Erbvertrag, S. 237 ff.); s. ferner unter Bezugnahme auf Zitelmann Hölder, Pandekten, § 36, S. 172 ff.; zur Auseinandersetzung mit Zitelmanns Ansatz etwa Schuppe, Grünhut’s Zeitschrift X (1883), S. 349 ff., 350 ff., 353 ff. Es geht bei der juristischen Kausalität um die Änderung, Entstehung und den Untergang von subjektiven Rechten und deren Ursachen (Zitelmann, aaO, S. 225 f.). Natürliche und juristische Kausalität, Naturgesetz und Rechtsgesetz werden insoweit parallelisiert. Es gibt Tatsachen und (Rechts-)Wirkungen dieser Tatsachen, d.h. „juristische Ursachen und Wirkungen“ (aaO, S. 225, 228), wobei im Gegensatz zur natürlichen Kausalität im Rechtlichen nicht jede Ursache relevant ist, sondern nur diejenigen, die das Recht als solche (bspw. mit „bewusstem Willen“ vorgenommene menschliche Taten) auswählt (s.a. Hofer, Freiheit ohne Grenzen?, S. 187 f.; Reis, Juristische Tatsachen, S. 139). Ursache (Tatsache bzw. Komplex von Tatsachen) ist dann der juristische Tatbestand, an den Rechtswirkungen („Rechtsfolge“) geknüpft sind. Diese logische Form liege bereits dem geltenden Rechtsverständnis zugrunde (Zitelmann, aaO, S. 209 f.), wenn von „Entstehung, Veränderung, Untergang eines Rechts, von Rechtswirkungen, von Ursachen einer Rechtswirkung“ gesprochen werde. Rechtsnormen kommt dadurch Bedeutung zu, dass der Gesetzgeber die Macht hat, „durch seinen Willen dem Subject (Du) ein Prädicat (Verpflichtetsein) beizulegen, das dem Subject vorher nicht zukam“ (aaO, S. 223). Durch das Gesetz, d.h. den Willen des Gesetzgebers entsteht eine eigene Kausalität (aaO, S. 224 f.). Das Rechtsgeschäft ist Ursache einer Rechtswirkung (aaO, S. 288). Rechtsfolge ist die „unmittelbare Einwirkung auf die Welt der subjectiven Rechte“ (aaO, S. 245), wobei der auf diese Rechtswirkung gerichtete Wille (zum Willen und Willensact, aaO, S. 32 ff.) im Tatbestand relevant ist, nämlich die „juristische Willenserklärung“ (aaO, S. 233 ff., 238 ff.). Allerdings ist die Anerkennung durch das „objective Recht“ erforderlich, das an die Willenserklärung die Rechtswirkung knüpft (aaO, S. 244 f.). Bei Zitelmann erfolgt dieser Zugang freilich im Rahmen einer erkenntnistheoretischen Einkleidung (vgl. aaO, S. 210 ff.; Reis, Juristische Tatsache, S. 136 u. Ulrich, Der Erbvertrag, S. 238 deuten diese als (neu-)kantianisch), wobei er sich auch mit der Frage des „Existierens“ und der „Ding“-Haftigkeit des Rechts beschäftigt. Recht und Obligation sind zwar nicht „körperliche Dinge“, wohl aber werden sie in Analogie zum Körper/Objekt „gedacht“ und sind
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vom physischen Sein unterschiedenen, aus Rechtswirkungen und deren Ursachen („juristische Tatsachen“) bestehenden juristischen Seinsbereich (die sog. „Rechtswelt“741).742 Wenngleich nicht explizit aufgenommen, soll die Denkform juristischer Kausalität auch dem Bürgerlichen Gesetzbuch zugrunde liegen.743 741 insoweit „etwas Wirkliches“ (aaO, S. 212), die Denkform wird also auf sie übertragen (aaO, S. 200 ff., 225 f.); s.a. Ulrich, Der Erbvertrag, S. 240 zur Seinhaftigkeit des subjektiven Rechts bei Zitelmann. 741 Zitelmann, Irrtum und Rechtsgeschäft, S. 202 („Welt der subjectiven Rechte“; „eine zweite Welt nach dem Ebenbilde der natürlichen Welt“); ferner Motive BGB I, S. 126; Windscheid, Wille und Erklärung, S. 6. 742 S. dazu Hammen, Die Bedeutung Savignys, S. 75 ff. mit Verweis auf Dernburg, Pandekten, Bd. 1, § 79, S. 179 ff.; Karlowa, Das Rechtsgeschäft und seine Wirkung, S. 4, 10 f.; Zitelmann, Irrtum und Rechtsgeschäft, S. 200 ff., 206 ff., 220 ff., 228; Enneccerus, Rechtsgeschäft, S. 154 ff., 158 f.; Hölder, Pandekten, § 36, S. 172 ff.; vgl. auch Windscheid, Lehrbuch des Pandektenrechts, 6. Aufl., § 63, S. 176 Fn. 1; § 67, S. 182; § 68, S. 185, Fn. 1; § 69, S. 186 ff.; Lotmar, Über causa im römischen Recht, S. 2 („Causalverhältniss von Thatsache (als Grund) und Recht (als Folge)“); eingehend dazu auch Ulrich, Der Erbvertrag, S. 237 ff. (zu Zitelmann), 243 ff. (zur Zentralität dieser Denkform für das 19. Jhd.), 257 ff. (zu Windscheid), 265 ff. (zu Enneccerus). Ferner umfassend zu diesem Denken in Rechtswirkungen, das auch das BGB prägt, Gmür, Rechtswirkungsdenken in der Privatrechtsgeschichte, S. 38 ff., 66 ff., 69 ff., 76 ff., 79 ff., 178 ff.: Gmür nennt hier „Rechtsgebilde“ (Vertrag, Rechtsgeschäft), „Rechtswirkungen“ (Ansprüche, Pflichten etc. als Wirkungen von Rechtsgebilden) oder „juristische Tatsachen“ etc., die wiederum analog zur physikalischen Welt in der „Rechtswelt“ bestehen. Dies weist insofern Bezüge zum Systemdenken auf, als das Entstehen, die Veränderung oder der Untergang dieser Rechtsgebilde geordnet dargestellt wird (aaO, S. 79), und konstituiert so – neben der Bildung von Allgemeinbegriffen sowie der Einteilung in Allgemeines und Besonderes – den bürgerlich-rechtlichen Systemgedanken (aaO, S. 80 ff.). Kritisch gegen dieses Rechtswirkungsdenken bzw. die Vorstellung von subjektivem Recht/Obligation etc. als „existierende Dinge“, „objektive Existenz der Obligation als eines organischen Wesens“ Schlossmann, Der Vertrag, § 32, S. 247; § 34, S. 270, 278, ferner 280 („Diese ganze Denkweise ruht auf den falschen Hypostasierungen des Rechtes im subjectiven Sinne und der obligatio; sie fällt dahin, sobald man sich klar macht, dass Rechte und Obligationen ausserhalb unseres Denkens gar keine Existenz haben, und nur durch eine irreleitende Denkgewohnheit aus dem Bereiche unserer Vorstellung in die Welt realer Existenz versetzt sind“); s.a. § 3, S. 18 („[…] als bestände zwischen jenen Thatbeständen und den an sie sich knüpfenden Obligationen ein Causalitätsverhältnis, wie in den Erscheinungen der körperlichen Natur. […] Nicht Causalität, sondern Motivation vermittelt den Zusammenhang, wo wir bei rein geistigen Vorgängen von Entstehen, Erzeugen, Zerstören reden“); zu Schlossmann auch Ulrich, Der Erbvertrag, S. 245 f.; s. ferner die gegen Zitelmann gerichtete Kritik bei Bierling, Zur Kritik der juristischen Grundbegriffe, 2. Theil, §§ 246 ff., S. 258 ff. 743 So Hammen, Die Bedeutung Savignys, S. 78; s. etwa Motive BGB I, S. 126 (zum Rechtsgeschäft: „[…] daß der Spruch der Rechtsordnung in Anerkennung dieses Willens die gewollte rechtliche Gestaltung in der Rechtswelt verwirklicht“); s. ferner zum „Rechswirkungsdenken“ im BGB Gmür, Rechtswirkungsdenken in der Privatrechtsgeschichte, S. 79 ff., 221 ff.; vgl. auch noch zum BGB Endemann, Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts, § 57, S. 245 ff. (zu den juristischen Tatsachen); Cosack, Lehrbuch des bürgerlichen Rechts, § 50, S. 150 (zur „Rechtswirkung“ und zur „juristischen Thatsache“); Hellwig, Anspruch und Klagrecht, § 5, S. 39 (zu den Schuldverhältnissen: „Ihr Entstehungsgrund (causa) be-
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Auf diese Weise entsteht ein eigenständiger rechtlicher Seinsbereich in Analogie zum physischen Seinsbereich, d.h. eine eigenständige Rechtsontologie.744 Ursachen in dieser „Rechtswelt“ sind die „juristischen Tatsachen“ („Tatbestand“745), die vor allem die auf den Willen rückführbaren „freien Handlungen“ und deren besondere Erscheinungsformen wie die Willenserklärung umfassen.746
744 steht in dem Komplexe von Thatsachen, von welchen die Rechtsordnung die Begründung des Schuldverhältnisses abhängig macht“). Spielt dieses Denken heute noch eine Rolle? S. im Hinblick auf die juristischen Tatsachen Reis, Juristische Tatsachen, S. 12 ff., ferner S. 1 ff. (zur Kritik an den juristischen Tatsachen bereits bei von Hippel): Es wird darauf verwiesen, dass im 20. Jhd. (Flume, Das Rechtsgeschäft, § 2; § 6 1.; ders., AcP 161 (1962), 52 ff.) an die Stelle der juristischen Tatsachen letztlich das „Rechtsgeschäft“ als zentrale Kategorie getreten ist, der Privatautonomie kommt insoweit Bedeutung zu (Reis, aaO, S. 12 f.). Auf den Begriff bzw. die „Theorie“ der juristischen Tatsachen wird insofern nicht mehr unmittelbar rekurriert (aaO, S. 12). Das Rechtswirkungsdenken im Sinne einer Kausalität wurde bei den Rechtsgeschäften durch die „Geltungstheorie“ verdrängt, d.h. Rechtsgeschäfte schaffen gleichsam eine „Norm“, die das Verhältnis der Parteien regelt (vgl. dazu Ulrich, Der Erbvertrag, S. 416 ff. [zu Larenz], 436 ff., 468 f.; s. dazu unten noch S. 450 ff.). Begrifflich ist anstelle der „juristischen Tatsachen“ und der „Rechtswirkungen“ das Begriffspaar „Tatbestand“ und „Rechtsfolge“ getreten (s. bereits Regelsberger, Pandekten, § 118, S. 436). 744 S. dazu gleich noch S. 180 ff.; vgl. ferner Ulrich, Der Erbvertrag, S. 206 ff., 221 ff., 237 ff.; zum Begriff „Rechtsontologie“ s.a. Reutter, „Objektiv Wirkliches“, S. 7 ff. (wenngleich dort auf das objektive Recht bezogen); Rückert, in: Heldrich (u.a.) (Hrsg.), FS Canaris, S. 1263, 1276 („positive Ontologie“, „Seinslehre“). 745 Zum Verhältnis von juristischer Tatsache und Tatbestand s. Windscheid, Lehrbuch des Pandektenrechts, § 63, S. 150; § 67, S. 154 („Die Rechte entstehen durch die concrete Verwirklichung der Thatbestände, welche die Rechtsordnung mit der Kraft begabt hat, ein Recht dieser Art zu erzeugen. Die Rechte gehen unter durch die concrete Verwirklichung der Thatbestände […]“; „Die einzelnen Momente der Thatbestände, aufgrund deren sich die Entstehung, der Untergang und die Veränderung der Rechte vollzieht, sind die juristischen Thatsachen. Ein Thatbestand kann aus einer einzelnen Thatsache bestehen, er kann aber auch durch ein Zusammensein mehrerer Thatsachen gebildet werden“); ähnlich Dernburg, Pandekten, Bd. 1, § 79, S. 180 („Die Gesammtheit der Thatsachen, welche zu einer Rechtswirkung erforderlich sind, bildet deren juristischen Thatbestand“), S. 181 („Thatbestände als Ursachen von Rechtswirkungen nennt man Titel“); ferner Regelsberger, Pandekten, § 118, S. 436. 746 Zur Diskussion um den Willen als „Ursache“ der Rechtswirkungen etwa Enneccerus, Rechtsgeschäft, S. 152 ff., 154 ff., 158. Windscheid (Lehrbuch des Pandektenrechts, § 68, S. 157) unterscheidet bei den juristischen Tatsachen „Privatwillenserklärungen“ („Rechtsgeschäfte“), „richterliche Willenserklärungen“ und „alle anderen Thatsachen“ (vor allem „unerlaubtes Verhalten“), wobei bei den letzteren „der Wille des Gesetzes“ die Wirkung bzw. die Entstehung der Rechte hervorbringt (Fn. 1 – was aber auch bei den Rechtsgeschäften letztlich der Fall sein soll, da der „Wille des Gesetzes“ den „menschlichen Willen“ „mit rechtlicher Wirksamkeit begabt hat“; s. zu dieser Diskussion, ob die Wirkungen des Vertrags aus dem Willen selbst oder aus der objektiven Rechtsordnung folgen, auch Fröde, Willenserklärung, S. 130 ff.; Hofer, Freiheit ohne Grenzen?, S. 186 ff. sowie zuvor bereits S. 175 f.; unten noch S. 201 f.). „Wirkung“ des „unerlaubten Verhaltens“ ist die „Erzeugung eines obligatorischen Anspruchs“ oder der „Verlust eines Rechts“ für den Handelnden (Windscheid, aaO, § 101, S. 259).
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2. Kapitel: Die Entstehung der Konstituenten
„Rechtliche Wirkungen“747 sind die Entstehung, die Veränderung oder der Untergang von Rechten und Rechtsverhältnissen als „Rechtsgebilden“. Die Subjekte, die die Rechtswirkungen durch ihren Willen hervorbringen und denen die Rechtsverhältnisse zugeordnet werden, sind „Personen“.748 cc) Rechtliches „Sein“ und die „Rechtsform“ Die mit diesem Ansatz verbundene rechtsontologische Dimension749 zeigt sich weiter darin, dass „subjektive Rechte“ und das „Recht“ nach Savigny ein „Da747
Gibt es bestimmte Anforderungen an die Qualität dessen, was juristische Tatsache ist? Bei Savigny kam dem Willen insoweit maßgebliche Bedeutung zu (s. zu dieser Frage bei Savigny oben bereits S. 172 ff. sowie, auch zu den Diskussionen im 19. Jhd., Reis, Juristische Tatsachen, S. 127 ff., 139, 182 ff.)? Bestimmt das Gesetz arbiträr (in diese Richtung Lotmar, Über causa im römischen Recht, S. 1 f., 10), welche Ereignisse juristische Tatsachen sind oder gibt es Vorgaben (vgl. Zitelmann, Irrtum und Rechtsgeschäft, S. 206, 225 f., 244 f.)? Die Frage ist im 19. Jhd./Anfang des 20. Jhd. umstritten. Als Linie wird man aber ausmachen können, dass jedenfalls freie, d.h. auf den Willen rückführbare Handlungen und Willenserklärungen vom Begriff der juristischen Tatsache erfasst sind. S. etwa Dernburg, Pandekten, Bd. 1, § 79, S. 180 f. („Dieser Thatbestand hat rechtliche Wirkung nur unter der Anerkennung und dem Schirm der Rechtsordnung. Doch muß man sich die Rechtsordnung dabei nicht als einen deus ex machina denken, so daß sie willkürlich an Thatsachen Rechtswirkungen knüpft […]. Es wohnen den juristischen Thatsachen rechtsbildende Kräfte inne, welche die Anerkennung des Rechts herausfordern“). „Hauptgruppen“ der juristischen Tatsachen sind „Handlungen“ und „Ereignisse“. Der Begriff „Handlung“ umfasst „Rechtsgeschäfte“ („Willensäußerungen, durch welche der Handelnde seine Rechtsverhältnisse selbstbestimmend gestaltet“) und „Delikte“ („schuldhafte rechtsverletzende Handlungen […]. Auch Delikte sind gewollt wie Rechtsgeschäfte, aber die rechtliche Wirkung des Delikts tritt dem Willen des Delinquenten zum Trotz ein, die des Rechtsgeschäfts ist dem Willen des Handelnden grundsätzlich entsprechend“); ähnlich Endemann, Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts, § 57, S. 246 („Die Auswahl der juristisch wirksamen Handlungen giebt die auf der herrschenden Verkehrsauffassung aufgebaute Rechtsordnung; von ihr hängt es ab, welche Handlungen als des Rechtsschutzes würdig anerkannt werden und welche als rechtlich nicht interessirend abgelehnt werden. Da aber der bürgerliche Rechtsverkehr der freien Selbstbestimmung des Einzelnen unterworfen ist und regelmäßig jedem Subjekte die beliebige Disposition über seine subjektiven Rechte zusteht: so schließt die Rechtsordnung ihre Normen nicht schlechthin an bestimmte äußerlich erkennbare Handlungen an, sondern macht in der Regel den Rechtserfolg noch abhängig von der Absicht und Zustimmung des Handelnden selbst“). 747 Zu diesem Begriff s. etwa Windscheid, Lehrbuch des Pandektenrechts, § 67, S. 155. 748 Vgl. Puchta, Pandekten, § 22, S. 33; v. Wächter, Pandekten, § 39, S. 191; Zitelmann, Irrtum und Rechtsgeschäft, S. 233 f. („[…] eine Person auf dem Gebiete der subjectiven Rechte schaffend wirksam wird“; „schöpferische Tätigkeit der Person auf dem Gebiete der subjectiven Rechte“), S. 237 f. („Wille der Person“). 749 Vgl. auch Zitelmann, Irrtum und Rechtsgeschäft, S. 210 ff. zur Diskussion der „Dingheit“ von Rechten, etwa S. 212: „Das subjective Recht, die Obligation, ist also etwas Wirkliches. Dieses Wirkliche nun vergleichen wir nicht blos mit einem Dinge, andererseits halten wir es auch nicht für ein Ding – wir wissen vielmehr, dass es kein Ding ist –, sondern wir wenden aus praktischen Gründen auf jenes Wirkliche die Kategorie der Dingheit mit allem, was darum und daran hängt, an, wir denken es in denselben Kategorien, wie wir die Dinge der Körperwelt denken“; ferner S. 225: „Wie wir die Rechte selbst wie Dinge auffassen, so fassen wir diese Causalität auch am bequemsten ganz nach Analogie der natürlichen Causalität auf“.
III. Die rechtliche Moderne und die Historische Rechtsschule
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seyn“ haben. Savigny versteht diese ebenso wie die „Rechtsverhältnisse“ als rechtliches „Sein“750, das auf den natürlich bzw. tatsächlich bestehenden „Stoff“ („Materie“) als „Rechtsform“ „angewendet wird“.751 Der rechtsontologische 750 S. zu diesem ontologischen Verständnis der subjektiven Rechte bei Savigny („Das subjektive Recht als Sein“) Ulrich, Der Erbvertrag, S. 206 ff., 210 ff.; s. Savigny, System, Bd. 1, § 4, S. 7 zum subjektiven Recht und Rechtsverhältnis: „Ein solches erscheint vorzugsweise in sichtbarer Gestalt, wenn es bezweifelt oder bestritten, und nun das Daseyn und der Umfang desselben durch ein richterliches Urtheil anerkannt wird. […] Das Rechtsverhältniß aber hat eine organische Natur, und diese offenbart sich theils in dem Zusammenhang seiner sich gegenseitig tragenden und bedingenden Bestandtheile, theils in der fortschreitenden Entwicklung, die wir in demselben wahrnehmen, in der Art seines Entstehens und Vergehens“; vgl. ferner zu diesem ontologischen Verständnis der subjektiven Rechte bei Savigny Vonlanthen, Subjektives Recht, S. 10 f.; s.a. Reutter, „Objektiv Wirkliches“, S. 4, 75 (allerdings vor allem im Hinblick auf das objektive Recht; zur Differenz von objektivem Recht und subjektiven Rechten s. aber auch Ulrich, der Erbvertrag, S. 219 Fn. 122); Rückert, Savigny-Studien, S. 169 („positive Ontologie“); ders., Idealismus, S. 240 f. Savigny geht folglich davon aus, dass dem subjektiven Recht als solchem auch unabhängig von der prozessualen Geltendmachung ein „Daseyn“ zukommt, im Prozess wird es „anerkannt“ und dadurch „sichtbar“ bzw. „real“. Darin, dass das Rechtsverhältnis eine „organische Natur“ hat, zeigt sich freilich Savignys morphologisch geprägtes Verständnis des Rechts als etwas „Organischem“, das die Ontologie überformt. Dem (positiven) Recht kommt wiederum eine Realität zu, es hat ein reelles Dasein, s. Savigny, aaO, § 9, S. 23 („Allein der Staat hat zugleich den mannichfaltigsten Einfluß auf das Privatrecht, und zwar zunächst auf die Realität des Daseyns desselben. […] Wenn wir also außer demselben dem Privatrecht nur ein unsichtbares Daseyn, in übereinstimmenden Gefühlen, Gedanken und Sitten zuschreiben können, so erhält es im Staat, durch Aufstellung des Richteramtes, Leben und Wirklichkeit“); § 12, S. 35; § 57, S. 380 f. („Allein alles Recht überhaupt erhält seine Realität und Vollendung erst im Staate, als positives Recht dieses Staates, und so konnte auch das Eigenthum zu einem wirklichen Daseyn nur dadurch gelangen, das es zunächst auf den Staat und vermittelst der im positiven Recht des Staats ausgebildeten Regeln auf die einzelnen Rechtsgenossen im Staate, als Eigenthümer bezogen wurde“); vgl. ferner Puchta, Cursus der Institutionen, Bd. 1, § 10, S. 21; § 11, S. 23 f. zu dessen Verständnis des „wirklichen Daseins des Rechts“ sowie der „Realität“ des Rechts, das es erst durch den Staat bzw. die Gerichte erhält; s.a. Windscheid, Lehrbuch des Pandektenrechts, § 24, S. 60 (zu den „Lebensphänomenen“ des subjektiven Rechts; aber auch ders., Lehrbuch des Pandektenrechts, 6. Aufl., § 63, S. 176 Fn. 1 [„da das Recht nichts real Existierendes ist“]); zu Puchta und Windscheid insoweit auch Kasper, Das subjektive Recht, S. 68, 72. 751 S. Savigny, System, Bd. 1, § 52, S. 333: „Daher lassen sich in jedem Rechtsverhältnis zwey Stücke unterscheiden: erstlich ein Stoff, das heißt jene Beziehung an sich, und zweytens die rechtliche Bestimmung dieses Stoffs. Das erste Stück können wir als das materielle Element der Rechtsverhältnisse, oder als die bloße Thatsache in denselben bezeichnen: das zweyte als ihr formelles Element, das heißt also dasjenige, wodurch die thatsächliche Beziehung zur Rechtsform erhoben wird“. S. ferner ders., System, Bd. 1, § 54, S. 346 f.: „Dieses Naturverhältniß ist aber für den Menschen nothwendig ein sittliches Verhältniß; und indem endlich noch die Rechtsform hinzutritt, erhält die Familie drey unzertrennlich vereinigte Gestalten, die natürliche, die sittliche und die rechtliche“; ders., System, Bd. 1, Beylage I, S. 416: „Jedes Rechtsverhältnis hat zur Grundlage irgend einen Stoff, auf welchen die Rechtsform angewendet wird, und der also auch abstrahirt von dieser Form gedacht werden kann. Diese Materie ist in den meisten Rechtsverhältnissen insoferne von willkührlicher Art, daß ein dauerndes Bestehen des Menschengeschlechts auch ohne sie gedacht werden kann; so bey dem Eigenthum und den Obligationen. Nicht so bey den zwey oben genannten Ver-
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2. Kapitel: Die Entstehung der Konstituenten
Charakter zeigt sich ferner im Personbegriff, wie vor allem bei Puchta deutlich wird. Im Personsein wird nur eine bestimmte Seinsweise des Menschen, nämlich sein Dasein als „Willenssubject“ als für den Bereich des Rechtlichen relevant aufgegriffen.752 752 hältnissen, die vielmehr allgemeine Naturverhältnisse sind, den Menschen mit den Thieren gemein, und ohne welche das Menschengeschlecht gar kein dauerndes Daseyn haben könnte. In der That also wird nicht das Recht, sondern die Materie des Rechts, das demselben zugrunde liegende Naturverhältniß, den Thieren zugeschrieben“. Zum „Stoff-Form-Modell“ bei Savigny s. Rückert, Idealismus, S. 99, 238. Savigny geht also davon aus, dass die Form des Rechts gleichsam auf eine gewisse Materie gelegt wird, dass es also „Naturverhältnisse“ gibt, die die Materie bilden, auf die sich das Recht dann legt und so in Gestalt der „Rechtsform“ eine eigenständige rechtliche Seinsebene schafft, welche wiederum als solche existiert („Rechtsgebiet“, aaO, S. 333; s. ähnlich Savigny auch G.K. Neuner, Wesen und Arten der Privatrechtsverhältnisse, § 2, S. 9 ff.; § 3, S. 13 [„Lebensverhältnis“ als „faktische Grundlage“; S. 10: „Durch diese Anerkennung von Seiten der Rechtsordnung wird das Lebensverhältnis ein Rechtsverhältnis“]; s.a. Kuntze, Die Obligation, S. 3, 5, 29, 116, 139, 350). Es gibt also etwas „tatsächlich“, real oder natürlich Bestehendes („Stoff“, „Materie“), und auf dieses wird das Recht als „Form“ angewendet, wobei das Recht dann eine eigenständige Seinsebene bildet. Das Recht wird aber nur insoweit auf die tatsächlichen Verhältnisse angewendet, als diese eben „rechtlich“ sind (etwa nicht bei Beziehungen der Freundschaft, s. Savigny, System, Bd. 1, § 52, S. 333 f.). Dies erinnert an Suárez, der zwischen der Substanz, d.h. dem Physischen/Natürlichen als Materie (quid materiale) und dem Moralischen als Form (forma) unterscheidet (Suárez, De Bonitate, Disp. 1 Sec. 2 N. 1). Der Unterschied ist freilich, dass bei Suárez die entia moralia moralontologisch unmittelbar durch ihren Bezug zur Freiheit konstituiert werden, während bei Savigny die Rechtsform positiv-rechtlich durch das objektive Recht geschaffen wird (vgl. Savigny, System, Bd. 1, § 52, S. 333). S.a. Ulrich, Der Erbvertrag, S. 220 f., wonach Savigny den „Rechtsbereich“ nicht als „eine gegenüber den allgemeinen menschlichen Verhältnissen verselbständigte, in Analogie zur Natur bloß gedachte Parallelwelt“, sondern als „ein besonderer Teil – oder besser Aspekt eines Teils – derselben“ verstanden habe. Ulrich (Der Erbvertrag, S. 212 ff.) sieht hierin Einflüsse kantischer Erkenntnistheorie, die aber bei Kant – worauf Gmür (Rechtswirkungsdenken in der Privatrechtsgeschichte, S. 173 ff.) hinweist – gerade nicht auf den rechtlichen Bereich bezogen ist. 752 S. Puchta, Cursus der Institutionen, Bd. 1, § 21, S. 45 („Hier leuchtet nun sogleich ein, dass die menschlichen Verhältnisse nicht in ihrem vollen Umfang in das Gebiet des Rechts, in die Reihe der Rechtsverhältnisse eintreten. Denn so wie der Begriff der Person auf einer Abstraction beruht, indem wir nicht das ganze Wesen des Menschen in jenen Begriff herübernehmen, sondern unmittelbar nur die Eigenschaft, dass er Willenssubject ist, auffassen, […] – eben so erstreckt sich diese Abstraction auf die Verhältnisse der Menschen, die sich manchen Abzug, manche Modification müssen gefallen lassen, um als Verhältnisse der Personen als solcher, als Rechtsverhältnisse gelten zu können“); ders., Pandekten, § 22, S. 33 („Als Subjecte eines solchen in der Potenz gedachten Willens heißen die Menschen Personen, mit diesem Wort wird daher ihre Stellung im Recht bezeichnet“); vgl. Savigny, Vom Beruf unsrer Zeit, S. 30 („Das Recht nämlich hat kein Daseyn für sich, sein Wesen vielmehr ist das Leben der Menschen selbst, von einer besonderen Seite gesehen“); ders., System, Bd. 2, § 85, S. 240 („Ich gebrauche dafür lediglich den Namen der juristischen Person (welcher dann die natürliche Person, das heißt der einzelne Menschen, entgegengesetzt ist), um auszudrücken, daß sie nur durch diesen juristischen Zweck ein Daseyn als Person hat“); vgl. zu Savigny auch Kirste, in: Bohnert (u.a.) (Hrsg.), FS Hollerbach, S. 319, 336 („Andererseits macht Savigny gleich zu Anfang des einschlägigen Kapitels (§ 60) klar, daß ihn dort nicht der ganze Mensch interessieren wird, sondern die „Personen als Träger der Rechtsverhältnisse““).
III. Die rechtliche Moderne und die Historische Rechtsschule
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Äußere Güter sind nicht ihrer physischen Natur nach, sondern nur insoweit rechtlich relevant, als sie der rechtlichen (Verfügungs-)Macht der Person („Eigentum“) unterworfen und auf deren Freiheit bzw. Wille bezogen sind. Eigentum ist keine physisch-faktische, sondern eine „rechtliche Macht“.753 Abzugrenzen vom „Rechtsverhältnis“ sind schließlich die nicht oder nicht nur durch Rechtsregeln bestimmten Beziehungen zwischen Personen – wie dies bei der „Freundschaft“ der Fall ist, die nicht dem „Rechtsgebiet“ unterfällt; diese Beziehungen sind nicht Gegenstand des rechtlichen Seinsbereichs.754 Das Konstitutive dieser „Rechtswelt“ ist nicht nur, dass hier ein selbständiger, vom Bereich des Natürlichen unterschiedener Seinsbereich geschaffen wird und dem (rechtlichen) Kausalitätsdenken Bedeutung zukommt, sondern dass hier die Kategorien „Person, Freiheit, Wille“755 zentral sind. Ebenso wie im Bereich der Moralphilosophie756 ein vom Natürlichen unterschiedener, eigenständiger Seinsbereich des Moralischen um die „moralische Person“, die moralischen Ursachen und die moralischen Wirkungen entstanden war, wird bei Savigny und in der Rechtswissenschaft des 19. Jahrhunderts das materiellrechtliche Rechtssystem als eigenständiger Rechtsbereich757 konstituiert.758 Dieser entfaltet sich um die Kategorien Person, Freiheit, Wille, freie Handlung, subjektive Rechte, Rechtsverhältnis, juristische Tatsache, Vertrag etc. und stellt die „nothwendigen Bedingungen des Zusammenlebens freyer Wesen“759 bereit.
753 S. Puchta, Cursus der Institutionen, Bd. 1, § 28, S. 48 f., ferner § 30, S. 73; Elemente einer rechtsontologischen Denkform zeigen sich an weiteren Stellen; s. etwa § 28, S. 68 f., wo Puchta ähnlich Savigny auf die Begriffe „Stoff“/„natürliche Verhältnisse“ sowie „rechtliche Form“ zurückgreift; § 11, S. 23 („wirkliches Dasein des Rechts“; „Realität“). 754 Savigny, System, Bd. 1, § 52, S. 333 f. – hier gibt es zwar einen „Stoff“ (die Beziehung als solche), allerdings weil diese Beziehung nicht rechtlich relevant ist, wird auf diese auch nicht die Form des Rechts angewendet. Sie bildet also keine Rechtsbeziehung im Sinne einer rechtlichen Entität und gehört daher nicht zum „Rechtsgebiet“. 755 S. Kiefner, in: Blühdorn/Ritter (Hrsg.), Philosophie und Rechtswissenschaft, S. 3, 7 („Person, Freiheit, Wille: Das ist die Nomenklatur, die das ganze System Savignys durchzieht“); vgl. zur zentralen Bedeutung der Kategorien „Persönlichkeit, Freiheit, Wille“ bei Savigny auch Reis, Juristische Tatsachen, S. 118 ff., 123 Fn. 158; S. 181 f. mit Verweis auf Bethmann-Hollweg, Erinnerung an Friedrich Carl von Savigny, S. 18; Rückert, in: Heldrich (u.a.) (Hrsg.), FS Canaris, S. 1263, 1286, 1296. 756 S. dazu oben S. 76 ff. 757 S.a. Ulrich, Der Erbvertrag, S. 219 ff. („Bereich der Rechtsverhältnisse, bzw. subjektiven Rechte“); vgl. Savigny, System, Bd. 1, § 52, S. 332 f. 758 Vgl. Hammen, Die Bedeutung Savignys, S. 76 f. 759 Vgl. Savigny, System, Bd. 5, § 204, S. 1 („In dem durch die Rechtsregeln beherrschten Leben besteht die Rechtsordnung, welche mithin durch Freyheit hervorgebracht und erhalten wird. Indem wir aber das Wesen derselben in die Freyheit setzen […]“).
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2. Kapitel: Die Entstehung der Konstituenten
Vor diesem Hintergrund ist es zu verstehen, wenn Savigny – insoweit dann ganz kantisch760 – vom Recht als „selbständigem Daseyn“ spricht, welches als „unsichtbare Gränze“ zwischen den „freyen Wesen“ den „freyen Raum“ und „die freye Entfaltung ihrer, jedem einzelnen Willen innewohnenden, Kraft sichert“.761 Das Recht wird bei Puchta als „Gebiet der Freiheit“ aufgefasst.762 Windscheid sieht die Aufgabe der Rechtsordnung ebenso wie „der sittlichen Ordnung“ in der „Regelung des menschlichen Wollens“.763 Wie Windscheid weiter bemerkt, entstehen Rechte „durch menschlichen Willen“ oder „durch den Willen des Gesetzes“.764 Damit ist letztlich die gesamte Rechtsordnung auf den Willen rückführbar. Dies und dass etwa (nur) der Wille rechtsgestaltend tätig wird, wird von Savigny nicht näher erläutert765 und lässt sich nur vor dem Hintergrund der Frei-
760 S. dazu oben S. 153 f.; vgl. Wieacker, Privatrechtsgeschichte, S. 397 f.; s. ferner Bauer, Lehrbuch des Naturrechts, § 40, S. 54 f.; § 41, S. 56. Zu dieser Beeinflussung Savignys durch Kant im Hinblick auf die Aufgabe des (Privat-)Rechts W. Hess, Zum Verhältnis von Recht und Sittlichkeit, S. 46; Reimann, Historische Rechtsschule und Common Law, S. 233. 761 S. Savigny, System, Bd. 1, § 52, S. 331 f.; zur zentralen Bedeutung der Freiheit bei Savigny s.a. Reis, Juristische Tatsachen, S. 118 ff., 181 ff. 762 Vgl. Puchta, Cursus der Institutionen, Bd. 1, § 30, S. 73. 763 Windscheid, Lehrbuch des Pandektenrechts, § 37, S. 86; s.a. ders., in: Oertmann (Hrsg.), Gesammelte Reden, S. 100, 101 („Das Recht ist die Ordnung der in der Welt vorhandenen Willensmächte“). Instruktiv auch Kuntze, Die Obligationen, § 23, S. 100, der den Gegenstand des Rechts „der Welt des lebendigen menschlichen Willens“ (aaO, S. 101: „Welt von Rechtsobjekten in der menschlichen Willenssphäre“) zuordnet: „Unser suchender Blick muss sich über die Sachenwelt, auf welche er ja immer zuerst fällt, erheben und sich vergeistigen, um eine Welt von Realitäten zu gewahren, die nicht sichtbar und doch vorhanden ist, die uns in der menschlichen Gesellschaft allenthalben umgibt, umspielt, umflutet“; dazu auch Reis, Juristische Tatsachen, S. 33 ff., 38, 40. Bei Kuntze wird also deutlich, dass der rechtliche Seinsbereich nicht beliebig aufladbar ist, sondern seine Grundlage letztlich im Willen findet. 764 Windscheid, Lehrbuch des Pandektenrechts, § 68, S. 157 Fn. 1. 765 Vgl. Gordley, The Philosophical Origins, p. 163; s. aber Reis, Juristische Tatsachen, S. 182 f., der Savignys „Kopplung von juristischen Tatsachen und Rechtswirkungen“ zutreffend eben im Hinblick auf die Freiheit begründet. Bei Savigny selbst wird aber nicht dargelegt, wieso ausgerechnet „Wille“ und „Freiheit“ in Zusammenhang stehen und wieso der „Wille“ Rechtswirkungen hervorbringen kann; s.a. im Einzelnen Savigny, System, Bd. 3, § 114, S. 98 ff., ferner S. 102 („Mit den speculativen Schwierigkeiten des Freyheitsbegriffs haben wir im Rechtsgebiet nichts zu schaffen; uns berührt blos die Freyheit in der Entscheidung, das heißt die Fähigkeit, unter mehreren denkbaren Entschlüssen eine Wahl zu treffen“); ferner etwa Thibaut, System des Pandektenrechts, § 131, der zwar „Willenshandlungen“ zur maßgeblichen Kategorie für die Entstehung von Rechten und Pflichten erhebt, dies aber nicht begründet. Ausführungen zu den „philosophischen Grundlagen“ finden sich dagegen bei Puchta, Cursus der Institutionen, §§ 1 ff., S. 3 ff.: Der Mensch ist zum einen „Naturwesen“, zum anderen aber auch „ein geistiges Wesen“, welches sich von den anderen Wesen dadurch unterscheidet, „dass ihm zugleich die Möglichkeit gegeben ist, sich selbst zu etwas zu bestimmen, ein Wille, eine Wahl. Diese Möglichkeit ist die Freiheit des Menschen. In dem Geist und der in ihm gegebenen Freiheit liegt die Aehnlichkeit mit Gott […]“.
III. Die rechtliche Moderne und die Historische Rechtsschule
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heitsmetaphysiktradition verstehen.766 Savigny und die Rechtswissenschaft des 19. Jahrhunderts verlagern die Kategorien der Freiheitsmetaphysiktradition in den Bereich des Rechts, das so ein von der „Sittlichkeit“ verschiedenes „selbständiges Daseyn“ hat767. Gerade darin, den Rechtsbereich768, der zuvor nur ein Teilbereich des moralischen Seinsbereichs war, als positiv-rechtlichen Seinsbereich zu verselbständigen und systematisch zu durchdringen769, wird man die eigentlich innovative Leistung Savignys erkennen können. d) Subjektives Recht aa) Begriff (1) Subjektives Recht als Willensmacht In diesem Rechtsbereich kommt dem Begriff des subjektiven Rechts entscheidende Bedeutung zu770, wobei sich hier wiederum der Bezug von subjektivem Recht und Person771 zeigt. „Recht im subjectiven Sinn“ als Element des „Rechtsverhältnisses“772 – unterschieden vom Recht im objektiven Sinn773 – ist 766 S. oben bereits S. 163 ff. zur weitgehenden Ausklammerung der rechtsphilosophischen Fragen in der Rechtswissenschaft des 19. Jhd.; vgl. dazu auch Gordley, The Philosophical Origins, p. 161 ss. 767 S. Savigny, System, Bd. 1, § 52, S. 332; § 15, S. 54; § 54, S. 346 f.; s.a. Kirste, in: Bohnert (u.a.) (Hrsg.), FS Hollerbach, S. 319, 335 („Recht und Sittlichkeit sind zwar inhaltlich aufeinander bezogen, aber der Form nach, in ihrem „Daseyn“, getrennt“); Thomale, in: Gröschner/Kirste/Lembcke (Hrsg.), Person und Rechtsperson, S. 175, 179 („Das Recht ist als System verselbständigt“); ferner zur Trennung von Recht und Sittlichkeit bei Savigny und vor allem bei Windscheid Kasper, Das subjektive Recht, S. 59, 63, 69; W. Hess, Zum Verhältnis von Recht und Sittlichkeit, S. 44 ff., 51 ff. 768 S.a. Ulrich, Der Erbvertrag, S. 219 ff. („Bereich der Rechtsverhältnisse, bzw. subjektiven Rechte“); vgl. Savigny, System, Bd. 1, § 52, S. 332 f. 769 Vgl. etwa Kirste, in: Bohnert (u.a.) (Hrsg.), FS Hollerbach, S. 319, 354 („Die Herausarbeitung eines eigenen ontologischen Bereichs des Moralischen, in dem das Subjekt nicht als einzelner, sondern als Person zählt, war die Grundlage dafür, daß sich nun aus dieser moralischen Welt eine rechtliche ablösen konnte, die ebenfalls auf Naturalismen verzichtet und die Schnittpunkte ihrer Ordnung als Rechtspersonen abstrakt fassen konnte“). Vgl. ferner aus heutiger Perspektive zur Auffassung, wonach bei ontologischer Betrachtungsweise die „Rechtswelt“ eine „Subwelt der Kulturwelt“ sein soll, Klingbeil, AcP 217 (2017), 848, 855 f.; Maihofer, Recht und Sein, S. 53 ff., 69 ff. („regionale Ontologie“), ferner S. 110. 770 S. nur Savigny, System, Bd. 1, § 1, S. 3 („System der Rechte“); Windscheid, Die Actio des römischen Civilrechts, S. 3 („Die Rechtsordnung ist die Ordnung der Rechte“); vgl. Zitelmann, Irrtum und Rechtsgeschäft, S. 202 („Welt der subjectiven Rechte“); z.B. aus der Literatur Fezer, Teilhabe und Verantwortung, S. 205 f.; s. ferner oben bereits S. 165 Fn. 701; s. aber zur Frage, ob bei Savigny der Begriff der Rechtsverhältnisse oder derjenige der subjektiven Rechte zentraler ist, unten noch die Diskussion S. 196 Fn. 840 sowie Ulrich, Der Erbvertrag, S. 200 ff. 771 S. Savigny, System, Bd. 1, § 4, S. 7. 772 Savigny, System, Bd. 1, § 4, S. 7; zur Umschreibung des subjektiven Rechts als „Element des Rechtsverhältnisses“ (allerdings nicht explizit im Hinblick auf Savigny) auch Portmann, Wesen und System der subjektiven Privatrechte, S. 29. 773 Dazu Savigny, System, Bd. 1, § 5, S. 9.
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2. Kapitel: Die Entstehung der Konstituenten
nach Savigny eine „der einzelnen Person zustehende Macht: ein Gebiet, worin ihr Wille herrscht und mit unserer Einstimmung herrscht“, d.h. eine „Befugnis“774, wobei die Zuweisung dieses Gebiets durch eine Rechtsregel erfolgt.775 Gegenstand dieser Willensherrschaft ist entweder „die eigene Person“ oder „die äußere Welt“ – d.h. die „unfreye Natur“ oder eine fremde Person.776 Ähnlich Savigny versteht Windscheid unter „Recht“ die Zuweisung eines „Herrschaftskreises“ an ein Individuum, „in welchem sein Wille Gesetz für die anderen Individuen ist“777, ferner „eine von der Rechtsordnung verliehene Macht oder Herrschaft“778. Dieser subjektive Rechtsbegriff779 (Macht – potestas; Befugnis – facultas; Herrschaft – dominium780) ist der naturrechtlichen Tradition ent774
Savigny, System, Bd. 1, § 4, S. 7: „Betrachten wir den Rechtszustand, so wie er uns im wirklichen Leben von allen Seiten umgibt und durchdringt, so erscheint uns zunächst die der einzelnen Person zustehende Macht: ein Gebiet, worin ihr Wille herrscht und mit unserer Einstimmung herrscht. Diese Macht nennen wir ein Recht dieser Person, gleichbedeutend mit Befugniß: Manche nennen es das Recht im subjektiven Sinn.“ Zu dieser „Willenstheorie“ des subjektiven Rechts s. Fezer, Teilhabe und Verantwortung, S. 216 ff. 775 S. Savigny, System, Bd. 1, § 52, S. 333. 776 Savigny, System, Bd. 1, § 53, S. 334. Das (Ur-)Recht – als Gegenbegriff zum erworbenen Recht (aaO, S. 335) – an der eigenen Person umfasst „die rechtmäßige Macht über sich selbst und seine Kräfte“, wobei diese Macht „die Grundlage und Voraussetzung aller wahren Rechte“ ist (aaO, S. 336). Allerdings soll Gegenstand des Privatrechts nicht dieses Urrecht, das aufgrund der „natürlichen Macht des Menschen über sich selbst“ besteht, keiner positivrechtlichen Anerkennung bedarf und kein „eigentliches Recht“ ist (aaO, S. 344), sondern nur die „erworbenen Rechte“ sein (aaO, S. 338). D.h. tatsächlich bestehen Rechte nur an der „unfreyen Natur“ oder gegenüber fremden Personen, dagegen nicht an der eigenen Person; dazu auch Hetterich, Mensch und „Person“, S. 112 ff.; Ulrich, Der Erbvertrag, S. 203. Ferner gegen Savigny für Persönlichkeitsrechte Puchta, Cursus der Institutionen, Bd. 1, § 30, S. 76; ders., Pandekten, § 114, S. 162 f.; G.K Neuner, Wesen und Arten der Privatrechtsverhältnisse, § 4, S. 15 ff.; zu Puchta insoweit auch Hetterich, Mensch und Person, S. 175 ff. 777 Windscheid, Die Actio des römischen Civilrechts, S. 3; s.a. Windscheid, Lehrbuch des Pandektenrechts, § 38, S. 88; § 43, S. 95 (entscheidend für den Rechtsbegriff ist danach die „Unterwerfung menschlichen Willens“); zur Bedeutung des Willensbegriffs für das subjektive Recht auch Haferkamp, in: Lampe/Pauen/Roth (Hrsg.), Willensfreiheit und rechtliche Ordnung, S. 196, 210 ff. 778 Windscheid, Lehrbuch des Pandektenrechts, § 37, S. 86; s. ferner Arndts, Lehrbuch der Pandekten, § 21, S. 21 („Ein Recht (im subjectiven Sinn) ist eine durch das Recht (im objectiven Sinn) einer Person gewährte Herrschaft des Willens in Ansehung eines Gegenstandes. Jedem Rechte entspricht die Rechtspflicht anderer Personen […]“). 779 Dazu, dass dies („Willensmacht“, „Willensherrschaft“) zunächst die herrschende Umschreibung im 19. Jhd. war, der aber gegen Ende des 19. Jhd. zunehmend Kritik entgegentrat s. Windscheid, Pandekten, 6. Aufl., § 37, S. 98 f. Fn. 3 mit Verweis auf die Kritik (u.a.) bei Jhering und Thon (hierzu unten noch S. 224 ff. und S. 238 ff.); dazu auch Hofer, Freiheit ohne Grenzen?, S. 205 ff. 780 Die Rechtslehre des 19. Jhd. begrenzt den Eigentumsbegriff auf das Eigentum an körperlichen Sachen; Rechte an anderen Gegenständen (wie etwa Rechte) werden nicht als Eigentum bzw. dominium bezeichnet, s. dazu Windscheid, Lehrbuch des Pandektenrechts, § 168, S. 466; a.A. G.K. Neuner, Wesen und Arten der Privatrechtsverhältnisse, § 8, S. 52.
III. Die rechtliche Moderne und die Historische Rechtsschule
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lehnt781, wenngleich die Betonung des Willens für den subjektiven Rechtsbegriff durchaus eine Verschiebung darstellt und durch Hegel beeinflusst sein dürfte.782 (2) Rechtsverhältnis als rechtliche „Beziehung einer Person zu einem Gut“ bei Neuner Wie gesehen, ist bei Savigny das subjektive Recht eng mit dem Begriff des Rechtsverhältnisses verbunden.783 Das subjektive Recht wird so auch weitergehend generell als rechtliche „Beziehung“ bzw. „Verhältnis“ identifiziert.784 In diesem Kontext ist noch auf eine weitere Begriffsbestimmung des subjektiven Rechts bzw. des Rechtsverhältnisses785 zu verweisen, die von Neuner entwickelt wird.786 Das Besondere hieran ist, dass Neuner in diese Bestimmung des Rechtsverhältnisses die verschiedenen Kategorien (Person, subjektives Recht, juristische Tatsachen, Form des Rechts) integriert. Rechtsverhältnis ist danach eine „Beziehung einer Person zu einem Gute des Privatlebens, sofern diese Beziehung der Person vom Rechte anerkannt, und gegen den widerstrebenden Willen Dritter rechtlich geschützt ist“.787 Das Wesen des Rechtsverhältnisses konkretisiert sich hier über eine rechtliche Beziehung zu einem Gegenstand. Kraft dieser „Verknüpfung“788 wird ein „Stoff“ – „ein rechtlich relevantes Gut“789 – einer Person rechtlich zugeordnet und so 781 S. dazu oben S. 58, 100 ff.; vgl. Menke, Kritik der Rechte, S. 19 ff.; Vonlanthen, Wesen des subjektiven Rechts, S. 10 f., 17, 29. 782 So zumindest Dernburg, Pandekten, Bd. 1, § 39, S. 85 Fn. 3; s.a. Jhering, Der Geist des römischen Rechts, S. 308; ferner Haferkamp, in: Lampe/Pauen/Roth (Hrsg.), Willensfreiheit und rechtliche Ordnung, S. 196, 211 (im Hinblick auf Puchta); ders., Puchta, S. 258 f.; Buchheim, Actio, S. 39 (Kant und Hegel); kritisch gegenüber der Annahme hegelianischen Einflusses Vonlanthen, Wesen des subjektiven Rechts, S. 29. 783 S. dazu zuvor S. 185 f.; s.a. zum Verweis auf Savigny G.K. Neuner, Wesen und Arten der Privatrechtsverhältnisse, § 2, S. 6. 784 Z.B. Zitelmann, Irrtum und Rechtsgeschäft, S. 211 f. („Verhältniss einer Person“; „als das Verhältniss nämlich, in welchem eine Person zu anderen Personen dadurch steht, dass gewisse Normen auf sie Anwendung finden. Geben wir diesem Verhältniss, und sei es nur der Kürze halber, den Namen eines subjectiven Rechts“). 785 Zum Verhältnis von Rechtsverhältnis und subjektivem Recht G.K. Neuner, Wesen und Arten der Privatrechtsverhältnisse, § 2, S. 6 ff. (das, was Neuner Rechtsverhältnis, d.h. die rechtliche Beziehung einer Person zu einem Gut nennt, wird sonst als „subjektives Recht“ bezeichnet; Rechte sind nach Neuner hingegen nur das, was aus dem Rechtsverhältnis hervorgeht; Rechtsverhältnis ist damit in Anlehnung an Savigny ein „Oberbegriff […], durch welchen die einzelnen Rechte im Sinne von Befugnissen ursächlich beherrscht werden“ [aaO, S. 8]). 786 S. G.K. Neuner, Wesen und Arten der Privatrechtsverhältnisse, § 2, S. 4 ff. 787 G.K. Neuner, Wesen und Arten der Privatrechtsverhältnisse, § 2, S. 4. 788 G.K. Neuner, Wesen und Arten der Privatrechtsverhältnisse, § 15, S. 107, 108. 789 G.K. Neuner, Wesen und Arten der Privatrechtsverhältnisse, § 15, S. 107 f.; § 16, S. 130 f., 132: Neuner unterscheidet hier verschiedene Arten von Stoffen, nämlich solche mit „natürlichem Dasein“ (körperliche Sachen, Persönlichkeitsrechte) sowie solche mit „juristi-
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2. Kapitel: Die Entstehung der Konstituenten
gegen die anderen Personen rechtlich geschützt.790 Das Rechtsverhältnis setzt neben dem Gut als Objekt eine Person als Subjekt sowie einen „Entstehungsgrund“ voraus.791 Der Entstehungsgrund ist die juristische Tatsache, welche die rechtliche Verknüpfung des Stoffs mit dem Subjekt bewirkt.792 Verbunden ist damit bei Neuner die Form des Rechts, die, ähnlich wie bei Savigny, das „Lebensverhältnis“ bzw. das „Faktische“ – als Gegenbegriff zum „Juristischen“793 – rechtlich überformt und dadurch Rechtsverhältnisse begründet.794 „Unmittelbare Wirkung“ des Rechtsverhältnisses ist zunächst die mit dem Recht korrespondierende Pflicht aller anderen Personen, das Rechtsverhältnis „anzuerkennen und nicht zu verletzen“.795 Bei Störung des Rechtsverhältnisses entsteht ein Anspruch auf Beseitigung dieser Störung („Vorenthalten“), welcher (mittelbare) Wirkung des Rechtsverhältnisses ist.796 Ist aber einmal eine Verletzung eingetreten („Verbringen“)797, dann soll die Entstehung eines Ersatzanspruchs nicht notwendige Wirkung des Privatrechtsverhältnisses selbst sein. Vielmehr bedarf dieser Anspruch der selbständigen Begründung
790 schem Dasein“ (z.B. Forderungsrechte). Ferner weist Neuner darauf hin, dass – je nach Art des Gutes – bestimmt werden muss, was Gegenstand dieser rechtlichen Zuordnung ist und insofern dem Rechtsschutz unterfällt (G.K. Neuner, Wesen und Arten der Privatrechtsverhältnisse, § 18, S. 150 f.). 790 G.K. Neuner, Wesen und Arten der Privatrechtsverhältnisse, § 2, S. 4; § 15, S. 108, 111; § 17, S. 133; § 18, S. 148 f. (dort auch zum „Anerkanntsein des Verhältnisses durch die Rechtsordnung“, aaO, S. 148). 791 G.K. Neuner, Wesen und Arten der Privatrechtsverhältnisse, § 15, S. 107. 792 G.K. Neuner, Wesen und Arten der Privatrechtsverhältnisse, § 15, S. 107 („Denn ein Rechtsverhältnis ist Verknüpfung eines rechtlich relevanten Stoffs mit einem Subjekte, begründet durch eine juristische Thatsache“); S. 111; § 17, S. 133 ff. 793 Hierzu G.K. Neuner, Wesen und Arten der Privatrechtsverhältnisse, § 2, S. 9; § 3, S. 13 („Jedes Rechtsverhältnis hat […] zwei Seiten, eine faktische und eine juristische, daher ein faktisches und ein juristisches Objekt“); ferner § 17, S. 134, 135 zur Abgrenzung von Rechtsverhältnis und „faktischem Verhältnis“ (etwa der Besitz als „faktischer Zustand“). 794 G.K. Neuner, Wesen und Arten der Privatrechtsverhältnisse, § 2, S. 9 f. („Jedes Rechtsverhältnis hat zur faktischen Grundlage ein Lebensverhältnis, die Beziehung einer Person zu einem Lebensgute […]“; S. 10: „An dieses Lebensverhältnis tritt nun das Recht heran, daß es bestimmt, daß, unter welchen Voraussetzungen und mit welchen Wirkungen es dasselbe anerkennt. Durch diese Anerkennung von Seiten der Rechtsordnung wird das Lebensverhältnis ein Rechtsverhältnis“). 795 G.K. Neuner, Wesen und Arten der Privatrechtsverhältnisse, § 18, S. 148 f., ferner § 15, S. 112. 796 G.K. Neuner, Wesen und Arten der Privatrechtsverhältnisse, § 19, S. 171 f., 174: Dieser Anspruch entsteht also anknüpfend an die objektive Störung unabhängig von einem subjektiven Verschulden (s.a. § 22, S. 209) – im Gegensatz zum Ersatzanspruch bei der Verletzung, der Verschulden voraussetzt (§ 20, S. 175 f.; § 22, S. 210). 797 Dazu G.K. Neuner, Wesen und Arten der Privatrechtsverhältnisse, § 20, S. 175 („Ein Verbringen liegt vor, so oft durch Handeln oder Unterlassen eines Dritten ein Privatrechtsverhältnis in der Art gestört worden ist, daß dem Berechtigten etwas verloren gegangen ist, was ihm nicht in Natur wiedergebracht werden kann“).
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durch das positive Recht und zwar dann als Folge nicht einer Rechts-, sondern einer Gesetzesverletzung.798 bb) Anspruch, actio und Klage (1) Das Verhältnis von subjektivem Recht und actio Schließlich wird auf die Notwendigkeit des Zwangs als Merkmal des subjektiven Rechts verwiesen, wenngleich gerade dieses Begriffsmerkmal umstritten bleibt – die Auseinandersetzung um den Zwang verweist auf die Frage nach dem Verhältnis von subjektivem Recht und Klage(-recht) (actio).799 Mit der Erweiterung des Rechtsbegriffs, d.h. mit der Entwicklung der „Form“ subjektiver Rechte, stellt sich für die römisch-rechtlich geprägte Pandektistik die Frage nach der Bedeutung des römisch-rechtlichen Zentralbegriffs der actio.800 Die Vorstellung eines materiellen subjektiven Rechts als Grundlage der Klage,
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G.K. Neuner, Wesen und Arten der Privatrechtsverhältnisse, § 20, S. 177 f.; § 21, S. 197 f., 203. Insofern soll die Entstehung dieser Forderung dann nach dem positiven Recht an eine Verletzung des objektiven Rechts („Gesetzesverletzung“) anküpfen. Neuner argumentiert hier, dass sich das Haftungsrecht nicht bereits notwendig aus dem Wesen der Privatrechtsverhältnisse ergibt, da mit der Verletzung das geschützte Objekt untergegangen sei und deswegen hieraus auch keine Ansprüche mehr als Wirkungen folgen könnten (aaO, S. 199: „Die Wirkungen des Rechtsverhältnisses als solchen haben aufgehört mit dessen Verbrachtsein, es beginnen nunmehr die Wirkungen der Gesetzesverletzung“). Daraus ergeben sich dann auch Folgen für den Inhalt des entstandenen Anspruchs, der mangels Begründetsein im Privatrechtsverhältnis selbst auch nicht auf Ausgleich begrenzt sein muss, sondern auch Strafe umfassen sein kann (vgl. aaO, S. 199). Zum Haftungsrecht bei Neuner auch Jansen, Haftungsrecht, S. 409 f., 460, 463. Tatsächlich erscheint diese Ausklammerung des schadensersatzbezogenen Haftungsrechts etwas überraschend – vor allem wenn man sie mit dem ähnlichen Entwurf Lugos vergleicht, der auch die Haftung auf Schadensersatz subjektivrechtlich begründet (s. dazu oben S. 106 ff.) –, und dürfte sich möglicherweise mit dem römisch-rechtlich geprägtem deliktsrechtlichem Verständnis (Schadensersatzhaftung als Folge einer unerlaubten Handlung) erklären lassen, s. dazu unten S. 204 ff. 799 Puchta, Cursus der Institutionen, Bd. 1, § 29, S. 70; zur Entwicklung dieses Merkmals als Kriterium des subjektiven Rechtsbegriffs im Naturrecht des 18. Jhd. s. oben S. 119 f.; a.A. Windscheid, Lehrbuch des Pandektenrechts, § 37, S. 86 f. („Daß der Staat dieser Macht und Herrschaft nöthigenfalls durch Zwang Geltung verschafft, […] gehört nicht nothwendig zum Begriff des Rechts“); ebenso 6. Aufl., § 37, S. 99 f. – verständlich wird diese Position Windscheids freilich vor dem Hintergrund seines Verständnisses von actio und Anspruch (s. dazu gleich S. 191 ff. sowie auch Henke, Das subjektive öffentliche Recht, S. 134, der in Windscheids Anspruchsbegriff und der damit einhergehenden Trennung von Prozess- und materiellem Recht den Grund dafür erblickt, dass „im Zivilrecht die Klagbarkeit nicht mehr Merkmal des Anspruchs“ gewesen sei; zum Fehlen des „Rechtsschutzmoments“ im Anspruchsbegriff bei Windscheid auch Buchheim, Actio, S. 44, 64 f.); ferner auch gegen Erzwingbarkeit als Merkmal des subjektiven Privatrechts Seuffert, Grünhut’s Zeitschrift XII (1885), S. 617, 622; zu dieser Diskussion auch Bekker, System des Pandektenrechts, § 18, S. 47 Fn. e) („im allgemeinen die Tendenz der Erzwingbarkeit“). 800 Vgl. auch Buchheim, Actio, S. 38.
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wie sie etwa auch bei Savigny deutlich wird801, beginnt sich bereits bei den Legisten des 12. und 13. Jahrhunderts zu entwickeln.802 Das ius wurde dort zum Grund (causa) der Klage (actio).803 Die Weiterführung der Ausdifferenzierung von (subjektivem) Recht (ius) und Klage(-recht) (actio) ist wie gezeigt der Naturrechtstradition geschuldet, die ein Rechtssystem entwickelte, das im Gewissensforum verpflichtet und
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S. Simshäuser, Zur Entwicklung des Verhältnisses, S. 59: „Das Klagrecht Savignys ist vorprozessual aus einem in abstracto von der Rechtsordnung anerkannten und in concreto bestehenden subjektiven Privatrecht abgeleitet und diesem so untergeordnet, daß die Bejahung beider Voraussetzungen darüber entscheidet und bestimmt, ob die Entstehung eines Klagrechts möglich ist, ob sich an einen bestimmten konkreten Sachverhalt überhaupt gerichtliche Verfolgbarkeit, eine Klage im Sinne von Klagrecht anschließen kann“; vgl. im Einzelnen Savigny, System, Bd. 5, § 204, S. 2; § 205, S. 5 f.: jede Klage/Klagrecht (actio) setzt als Bedingungen ein Recht und eine Rechtsverletzung voraus. Die actio ist das Recht „im Zustand der Vertheidigung“ (aaO, § 204, S. 2). Insofern wird das Recht im Falle der Rechtsverletzung zum Klagrecht/actio (aaO, § 205, S. 5 f.; dazu Simshäuser, Zur Entwicklung des Verhältnisses, S. 52 ff., der von einer „Metamorphose“ des materiellen subjektiven Rechts zur actio spricht; aaO, S. 52: „Die actio im Sinne von Klage oder Klagrecht ist das subjektive Recht in einer durch eine Verletzung veränderten Gestalt“). Savigny führt insofern eine Abgrenzung von materiellem Recht und Prozessrecht durch; maßgeblich sind bei Savigny die dem Prozessrecht vorgelagerten materiellen subjektiven Privatrechte (Simshäuser, aaO, S. 58: „vorprozessual zunächst unabhängig vom Prozeß gedachtes materielles Klagrecht“), die im Falle ihrer Verletzung die Klagrechte (actiones) sind und dann die materielle „Befugnis“ bezeichnen, vom Verletzer „die Aufhebung der Rechtsverletzung zu fordern“ (Simshäuser, aaO, S. 54 – auch die Klagrechte haben demnach „einen materiellprivatrechtlichen Gehalt“ [aaO, S. 55]). Abzugrenzen von diesen materiellen Privatrechten ist die Klage im Sinne der (bloß) formellen „Klaghandlung“, die dem Prozessrecht zugeordnet wird (Savigny, aaO, § 205, S. 5 f.; Simshäuser, aaO, S. 53 f. [„Aktionenrecht mit materiell-privatrechtlichem Gehalt“], ferner S. 103); s. unten noch zum Verhältnis von Savigny und Windscheid S. 192 Fn. 815; s. ferner Kasper, Das subjektive Recht, S. 65; Kaufmann, JZ 1964, 482, 488; zum Begriff der actio bei Savigny Buchheim, Actio, S. 41 ff.; s. ferner Arndts, Lehrbuch der Pandekten, § 96, S. 134 („Das Recht selbst ist der Grund der Klage“). 802 S. Coing, in: Coing/Lawson/Grönfors, Das subjektive Recht und der Rechtsschutz der Persönlichkeit, S. 7, 13 f.; Auer, AcP 208 (2008), 584, 589; Buchheim, Actio, S. 34 ff. sowie oben bereits S. 42 f.; vgl. auch Kaufmann, JZ 1964, 482, 484 ff. Buchheim (aaO, S. 34 ff., 37, 54) weist darauf hin, dass dort noch von den actiones auf zugrundeliegende Rechte geschlossen wurde, während im 19. Jhd. umgekehrt von einem materiell-rechtlichen System subjektiver Rechte ausgegangen wurde, von dem aus die Klagbarkeit abgeleitet wurde. 803 So Coing, in: Coing/Lawson/Grönfors, Das subjektive Recht und der Rechtsschutz der Persönlichkeit, S. 7, 13 f.; Buchheim, Actio, S. 37; s.a. Ockham, Opus nonaginta dierum, Cap. 61 („repetitio iudicialis sine ius agendi esse non potest“); s. ferner etwa Rebellus, De Obligationibus, Q. 1 Sec. 3 N. 29, wonach die actio Resultat und Folge des ius ist („dividi solet per ius reale & per ius personale; & sicut ex iure reali oritur actio realis, sive in rem; ita ex iure personali oritur actio personalis, sive in personam“); teilweise wird aber auch die obligatio als unmittelbarer Grund der actio angesehen, vgl. zu dieser Auffassung der Rechtswissenschaft Palacio, Praxis Theologica, Cap. V, S. 17 f. („Censent autem iurisconsulti ex obligatione exoriri actionem“).
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damit unabhängig von einem Klagerecht im forum externum besteht.804 Der naturrechtlichen Verpflichtung des einen steht das subjektive Recht (ius) des anderen als Korrelativ gegenüber.805 Die actio (civilis) ist demgegenüber ein positiv-rechtlicher Begriff des forum externum; der obligatio civilis des einen steht die actio des anderen Teils korrelativ gegenüber.806 (2) Der Anspruch bei Windscheid In dem Moment, in dem die „Form subjektiver Rechte“807 in den Bereich des positiven Rechts übertragen wird und eine zentrale Stellung einnimmt, stellt sich die Frage nach dem Verhältnis von subjektivem Recht und actio.808 Entscheidende Entwicklung geht hier von Windscheid und dem mit ihm assoziierten Vollzug der Trennung von materiellem Recht und Prozessrecht aus.809 Unter Verweis auf das gegenüber dem römischen Recht veränderte Rechtsdenken seiner Zeit ist nach Windscheid nicht mehr wie im römischen Recht die prozessuale actio als „Klagrecht“ zentrales Element der Rechtsordnung810, sondern die „Rechte“. Die Rechte liegen der Klage voraus und erzeugen diese („das Recht das Prius, die Klage das Spätere, das Recht das Erzeugende, die Klage das Erzeugte“), die „Rechtsordnung ist die Ordnung der Rechte“811. 804 S. dazu oben S. 115 ff. sowie Thönissen, Recht und Gerechtigkeit, 3. Kap. IV., VII.1., 5.; vgl. zur Bedeutung der (spätscholastischen) Naturrechtslehre Auer, AcP 208 (2008), 584, 589 f.; ferner Buchheim, Actio, S. 38. 805 S. dazu oben S. 113 f. und 117 f. sowie etwa nur Lessius, De Iustitia et Iure, Tract. II Cap. 2 Dub. 1 N. 7; Cap. 18 Dub. 8 N. 57. 806 Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 17 Dub. 3 N. 14 (obligatio naturalis – obligatio civilis als „id est, quae Iure civili tribuat actionem in foro externo“); Molina, De Iustitia et Iure, Tract. II Disp. 252 N. 5; Disp. 257 N. 1; Lugo, De Iustitia et Iure, Disp. III Sec. 10 N. 222 („Obligatio civilis dicitur illa ad quam datur actio in foro externo; obligatio naturalis est illa, cui leges […] nec concedunt actionem pro illa in foro externo, sed remanet cum sua vi in foro conscientiae, & interno“). 807 Zu diesem Begriff Auer, Der privatrechtliche Diskurs, S. 28 (im Hinblick auf Kant); ferner Menke, Die Kritik der Rechte, S. 9, 12 f. („Form der Rechte“). 808 Vgl. auch Buchheim, Actio, S. 38 f. 809 Dazu Simshäuser, Zur Entwicklung des Verhältnisses, S. 71 ff.; Zöllner, AcP 190 (1990), 471, 473; Buchheim, Actio, S. 43 ff., ferner S. 41 ff. zur teilweisen Vorwegnahme bereits bei Savigny; Henke, Das subjektive öffentliche Recht, S. 5 ff., 134. 810 Vgl. Windscheid, Die Actio des römischen Civilrechts, S. 1, 3 („Aber neben und vor sie drängte sich bei ihnen eine andere. In dieser anderen Auffassung tritt an die Stelle des Rechts die Actio“); s.a. Windscheid, Lehrbuch des Pandektenrechts, § 44, S. 98 f. („Actio ist gerichtliche Verfolgung“, das Recht, „vor Gericht zu verfolgen, was er von einem anderen verlangt“); s. ferner zur römischen actio aus Windscheids Perspektive ders., Die Actio des römischen Civilrechts, S. 3 ff., 7, 134, wonach die actio im Gegensatz zum „heutigen“ Verständnis nicht ein vorgelagertes materielles Recht voraussetzt und von diesem abhängig ist, sondern selbständig „gerichtlich verfolgbar“ ist; dazu auch Simshäuser, Zur Entwicklung des Verhältnisses, S. 74, 76 f.; ferner etwa Kohler, Patentrecht, Nr. 447, S. 421 f. 811 Windscheid, Die Actio des römischen Civilrechts, S. 3, 229 („Aber dasjenige, wonach die juristische Beurtheilung zu suchen hat, kann, meine ich, von dem Standpunkte des heu-
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2. Kapitel: Die Entstehung der Konstituenten
Entsprechend dem geänderten Rechtsdenken steht der Begriff der actio nicht mehr für die gerichtliche Geltendmachung812, sondern „anstatt des Anspruches“813. Windscheid umschreibt dabei den Anspruch als „dasjenige, was man von einem Andern verlangen kann“.814 Aus den „Ansprüchen“ bzw. den materiellen subjektiven Rechten815 folgt die Klagbarkeit – die Klagbarkeit ist aber als solche nicht Begriffsmerkmal des Anspruchs und des subjektiven Rechts.816 812 tigen Rechts aus betrachtet, eben auch nur die Rechtsregel und das durch sie garantirte Recht sein, nicht aber die Klage“); vgl. auch Kaufmann, JZ 1964, 482, 488; Simshäuser, Zur Entwicklung des Verhältnisses, S. 73 ff. 812 Vgl. Windscheid, Die Actio des römischen Civilrechts, S. 7; s. aber noch Brinz, Lehrbuch der Pandekten, § 24, S. 51 („die Macht der gerichtlichen Geltendmachung (actio)“); zu Brinz und dessen auf den physischen Zwang abstellenden subjektiven Rechtsbegriff aber auch Reis, Juristische Tatsachen, S. 36 f. 813 Windscheid, Die Actio des römischen Civilrechts, S. 6. 814 Windscheid, Die Actio des römischen Civilrechts, S. 5. 815 Zum Verhältnis von Anspruch und subjektivem Recht bei Windscheid s. Buchheim, Actio, S. 44 f. Wie ist also das Verhältnis von Windscheids und Savignys Position? Dazu Simshäuser, Zur Entwicklung des Verhältnisses, S. 71 ff., 78 f., 81: Ebenso wie Windscheid trennt auch Savigny das materielle Recht vom Prozessrecht, indem Savigny von einem System subjektiver materieller Rechte ausgeht, das dem Prozessrecht selbst vorgelagert ist und aus dem die Klagrechte folgen (Simshäuser, aaO, S. 53 ff., 58: „vorprozessual, zunächst unabhängig vom Prozeß gedachtes materielles Klagrecht“). Bei beiden gibt es also materielle subjektive Privatrechte, von deren Bestehen die Klagbarkeit abhängt (Simshäuser, aaO, S. 81). Im Unterschied zu Windscheid hat aber das Klagrecht (actio) bei Savigny noch eine selbständige Bedeutung: das Klagrecht (actio) ist das materielle subjektive Recht „im Zustand seiner Vertheidigung“ (Savigny, System, Bd. 5, § 204, S. 2; § 205, S. 5 f.), d.h. das materielle subjektive Recht wird, wenn es verletzt wird, zum Klagrecht (actio) (zu dieser „Metamorphose“ bei Savigny s. Simshäuser, aaO, S. 52 ff., 78). Es gibt also auch bei Savigny noch das Klagrecht zwischen Kläger und Beklagtem im Sinne der Befugnis, die Aufhebung der Rechtsverletzung zu fordern (Simshäuser, aaO, S. 52 f.), wenngleich dieses im Unterschied zum klassischen Verständnis der actio bereits durch das vorgelagerte materielle Privatrecht determiniert ist und von diesem ganz abhängig ist (aaO, S. 59). Es hat also „materiell-privatrechtlichen Gehalt“ (aaO, S. 55) und ist insofern als solches von den prozessualen Elementen unterschieden (aaO, S. 53, 55 f.). Durch die Eliminierung jeglichen prozessualen Elements aus dem Begriff des Anspruchs gibt es demgegenüber bei Windscheid kein zwischen den privaten Personen bestehendes Klagrecht im Sinne dieser „Metamorphose“ (so Simshäuser, Zur Entwicklung des Verhältnisses, S. 78). Die Klagbarkeit und gerichtliche Verfolgbarkeit gehören nicht zum Begriff des Anspruchs, sondern sind lediglich dessen Folge (Simshäuser, Zur Entwicklung des Verhältnisses, S. 77, 78, 81). Wenn Windscheid von Klagrecht spricht, dann meint er dies nicht im Hinblick auf ein Klagrechtsverhältnis zwischen Kläger und Beklagtem, sondern bezeichnet damit die gegen den Staat und seine Gerichte bestehende Klagebefugnis, die aus dem materiellen subjektiven Recht resultiert, aber von diesem selbst getrennt ist (Simshäuser, Zur Entwicklung des Verhältnisses, S. 78 f. zu diesem „publizistischen Klagrecht“ im Sinne des „Rechts auf Hülfe des Staates“ bei Windscheid; Windscheid, Abwehr, S. 26 ff.; s. dazu auch gleich noch Fn. 823). 816 S. Windscheid, Lehrbuch des Pandektenrechts, § 44, S. 99 („Wollten wir heutzutage von Rechten zu gerichtlicher Verfolgung, von Klagerechten, reden, statt von Rechtsansprüchen schlechthin, so würden wir die Folge nennen statt des Grundes; die gerichtliche Ver-
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Windscheid verlagert also die actio817 aus dem prozessualen Bereich in einen vorgelagerten Bereich des „materiellen Rechts“ und „übersetzt“ ihn als „Anspruch“.818 Dadurch verliert der ursprüngliche Begriff der actio bzw. der „Klage“ seine Bedeutung819, er bezeichnet die bloße „Klaghandlung“.820 Rechtlich maßgeblich sind hingegen die „Rechte“ und „Ansprüche“.821 Durch diese begriffliche Veränderung wird der Bereich der prozessualen Durchsetzung vom Bereich des materiellen Rechts getrennt.822 Anspruch als materielles sub817 folgbarkeit versteht sich für uns bei rechtlicher Anerkennung von selbst“); ferner § 37, S. 86 f. („Daß der Staat dieser Macht und Herrschaft nöthigenfalls durch Zwang Geltung verschafft, […] gehört nicht nothwendig zum Begriff des Rechts“); s. Simshäuser, Zur Entwicklung des Verhältnisses, S. 77 („[…] gehört das Element des Gerichtsschutzes nicht mehr in den Anspruchsbegriff, es ist nur noch eine selbstverständliche Folge („Consequenz“) seiner materiellrechtlichen Anerkennung“), ferner S. 81, 134, 140; dazu auch bereits Hellwig, Anspruch und Klagrecht, § 17, S. 121 f.; Wach, Feststellungsanspruch, S. 19 f.; s. dazu auch Buchheim, Actio, S. 44, 64; Zöllner, AcP 190 (1990), 471, 473; Hofer, Freiheit ohne Grenzen?, S. 216; ähnlich Windscheid insoweit auch Regelsberger, Pandekten, § 52, S. 214 („Indem unser „Anspruch“ zwar immer rechtlich verfolgbar, aber nicht immer klagbar ist, reicht er über die römische actio hinaus, die das Moment der Klagbarkeit untrennbar in sich enthält. […] Aus dem Vorstehenden erhellt, dass die Begriffe Anspruch und Klagerecht sich nicht decken“); s. dagegen aber Puchta, Cursus der Institutionen, Bd. 1, § 29, S. 71 („Zu diesem Behuf ist mit den Rechten die Möglichkeit verbunden, die richterliche Hülfe wegen Verletzung derselben nachzusuchen, die Rechte also vor Gericht geltend zu machen“); Brinz, Lehrbuch der Pandekten, § 24, S. 50 („In jedem vollkommenen Rechte (des Privatrechts) ist ein Klagrecht“). 817 Genauer gesagt die „materiell-rechtlichen Elemente aus der römischen actio“, so Simshäuser, Zur Entwicklung des Verhältnisses, S. 79, 113 („Eliminierung der materiellrechtlichen Elemente aus der römischen actio, deren begrifflicher Verselbständigung im Anspruch und ihrer Zuordnung zu den subjektiven Rechten“; „Verselbständigung des materiellrechtlichen Gehalts der actio und dessen Trennung vom prozessualen“). 818 Vgl. Windscheid, Die Actio des römischen Civilrechts, S. 6 f., 228 ff.; dazu Simshäuser, Zur Entwicklung des Verhältnisses, S. 75 ff., 79; Kaufmann, JZ 1964, 482, 488. 819 Windscheid, Die Actio des römischen Civilrechts, S. 231 („Also noch einmal: verweisen wir die Actionen aus unseren Darstellungen des heutigen Rechts, und stellen wir sie dahin, wo sie gehören, in die Rechtsgeschichte“); s.a. Buchheim, Actio, S. 44 („Die Kernfrage der actio, die dem Rechtsschutz galt, ist aus dem materiellen Anspruch gedanklich ausgeklammert“); ferner bereits Wach, Feststellungsanspruch, S. 19 f. 820 Windscheid, Die Actio des römischen Civilrechts, S. 229; vgl. bereits Savigny, System, Bd. 5, § 205, S. 5 f., der dem „materiellen“ Klagrecht die „formelle“ prozessuale Klaghandlung („Klagschrift“) gegenüberstellte, aber seinerseits gleichwohl am Begriff der „Klage“ festhielt; ähnlich Arndts, Lehrbuch der Pandekten, § 96, S. 134 („Klage im processualischen Sinn“ – „Klage im civilrechtlichen Sinn“). 821 Windscheid, Die Actio des römischen Civilrechts, S. 228, 230 (im Hinblick auf die actiones des römischen Rechts: „Die Wissenschaft hat keine dringendere Aufgabe, als sie in das Grab zu legen, welches sie längst suchen. Sie muß das, was in der Sprache der Actionen ausgedrückt ist, in die Sprache der Rechte übersetzen. […] Aber die Wissenschaft sollte einmal einen Generalvorsatz fassen, und sich des Actionenwesens ein für alle Mal abthun“). 822 S. Simshäuser, Zur Entwicklung des Verhältnisses, S. 71, 78 ff.; Hofer, Freiheit ohne Grenzen?, S. 216 („Entsprechend hatte Windscheid […] den Anspruch und die gerichtliche Verfolgung strikt getrennt“); Zöllner, AcP 190 (1990), 471, 473; Martens, JZ 2016, 1021, 1029; s. ferner Windscheid, Abwehr, S. 26, 29.
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jektives Privatrecht und Klagrecht als gegen den Staat und seine Gerichte gerichtetes publizistisches Recht werden unterschieden823, wobei die materielle Rechtsordnung selbst als System subjektiver materieller Rechte824 geordnet ist.825 Auf diese Weise wird auch für das positive Recht aus dem Begriff des subjektiven Rechts das Element der Klagbarkeit eliminiert, indem der Anspruch als materielles subjektives Recht von seinen prozessualen Elementen befreit wird.826 Für den Bereich des positiven Rechts wird hier begrifflich eine Unterscheidung bzw. Veränderung eingeführt, die dem naturrechtlich-freiheitsmetaphysischen Denken – die Unterscheidung von Recht/Verpflichtung und prozessualer Durchsetzung – immanent ist.827 Dieser Zusammenhang fand seinen Ausdruck vor allem in der Umschreibung des subjektiven Rechts als facultas moralis, d.h. als Befugnis, die nicht dem physisch-faktischen, sondern dem moralischen Seinsbereich zugehörig ist.828 Daher erscheint es nicht verfehlt zu argumentieren, dass Windscheid den Abschluss829 eines Abstraktionsprozesses markiert, der den Bereich des „Rechtlichen“ von dem Bereich des „PhysischFaktischen“ unterscheidet.830 823 Windscheid, Abwehr, S. 26 ff.; ders., Lehrbuch des Pandektenrechts, § 122, S. 324 f. Fn. 5; dazu Simshäuser, Zur Entwicklung des Verhältnisses, S. 78 f., 81. Wenn Windscheid also überhaupt noch von Klagrecht spricht, dann versteht er darunter in Anknüpfung an Muther (Zur Lehre von der Römischen Actio, S. 47 ff.) nur die gegen den Staat und seine Gerichte gerichtete Klagebefugnis, die die Konsequenz des materiellen Anspruchs ist (s. dazu Simshäuser, Zur Entwicklung des Verhältnisses, S. 78 f., ferner S. 111 f.). Dieses publizistische Klagrecht wird dann als „Rechtsschutzanspruch“ bezeichnet, s. Hellwig, Anspruch und Klagrecht, § 17, S. 121 f., § 22, S. 145 ff., 149; ursprünglich Degenkolb, Einlassungszwang, S. 31 ff.; Wach, Feststellungsanspruch, S. 15 ff., 19 f.; dazu Simshäuser, Zur Entwicklung des Verhältnisses, S. 113 ff., 116 ff.; ferner bereits Regelsberger, Pandekten, § 52, S. 214; s.a. Hofer, Freiheit ohne Grenzen?, S. 216. 824 Vgl. Windscheid, Die Actio des römischen Civilrechts, S. 3 („Die Rechtsordnung ist die Ordnung der Rechte“). 825 Zu dieser Frage („System der Rechte“ oder „System der Rechtsverhältnisse“ bei Savigny) auch Ulrich, Der Erbvertrag, S. 200 f. m.w.N.; ferner zum „System der Rechte“ gleich noch S. 195 f.; s. ferner etwa Puchta, Cursus der Institutionen, Bd. 1, § 21, S. 45 ff.; § 28, S. 68 ff. („System der Rechtsverhältnisse“; „System der Rechte“). 826 Vgl. Simshäuser, Zur Entwicklung des Verhältnisses, S. 77, 79, 81; Martens, JZ 2016, 1021, 1029; s. ferner zu diesem Abstraktionsprozess Bucher, Normsetzungsbefugnis, S. 17, 31 f. 827 S. dazu oben S. 115 ff. 828 S. dazu oben S. 100 ff., 115. 829 So Zöllner, AcP 190 (1990), 471 („Die uns heute selbstverständliche Trennung von Anspruch und Klage ist kein jahrtausendealter Bestand des mitteleuropäischen Rechts, sondern Endstadium eines in den Einzelheiten vielfach ungeklärten Ablösungsprozesses“); s.a. Bucher, Normsetzungsbefugnis, S. 17. 830 Vgl. Bucher, Normsetzungsbefugnis, S. 17, 31 f.; s.a. Windscheid, Die Actio des römischen Civilrechts, S. 7 („Actio ist die gerichtliche Verfolgung; man kann dieselbe von Seiten ihrer tatsächlichen Existenz, oder von der Seite ihrer möglichen, innerhalb der Befugnisse der betreffenden Person liegenden Verwirklichung auffassen“); vgl. auch Puchta, Cursus der
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e) System Ferner kommt dem Systemgedanken besondere Bedeutung für die Rechtswissenschaft des 19. Jahrhunderts zu.831 Der Systemgedanke ist zwar durch das späte Naturrecht und insbesondere durch Wolff vorgeprägt.832 Savignys System ist allerdings nicht ein System des Naturrechts, sondern ein System des positiven Rechts.833 Im Gegensatz zu Wolff geht es bei Savigny nicht um die Erarbeitung eines in sich geschlossenen deduktiven Systems, das sich aus einem Begriff logisch ableiten lässt und dessen Begriffe sich bereits jeweils aus dem Vorherigen deduzieren lassen.834 Vielmehr ist Savignys Verständnis der Rechtsordnung insoweit systematisch835, als er das Recht als aus „allgemeinen Rechtsregeln“ und „Grundsätzen“836 sowie konkreten Rechtssätzen bestehendes System auffasst, das eine Einheit bildet837 und einen eigenen selbständigen rechtlichen Seinsbereich umfasst.838 Innerhalb dieses Systems kommt dem subjektiven Recht zentrale Bedeutung zu. Savigny versteht das System dabei
831 Institutionen, Bd. 1, § 25, S. 60 („Factum und Recht“); § 29, S. 70; s. ferner generell zum Verhältnis von Faktischem und Normativem bei Savigny Reis, Juristische Tatsachen, S. 33 ff., 56 ff., 85 ff. 831 S. nur Wieacker, Privatrechtsgeschichte, S. 430 ff., 436; Bäuerle, Vertragsfreiheit und Grundgesetz, S. 59, 77; ferner Haferkamp, Die Historische Rechtsschule, S. 228 ff.; s. dazu auch das sog. „Heise’sche System“, das abweichend von der „Institutionenordnung“ den Aufbau- und Systemgedanken der Pandektenwissenschaft durch die zentrale Stellung subjektiver Rechte prägte, Heise, Grundriss eines Systems, S. 1 ff., 15 ff.; dazu auch Fezer, Teilhabe und Verantwortung, S. 212 f.; ferner HKK BGB/Schmoeckel, Der Allgemeine Teil in der Ordnung des BGB, Rn. 20 f. 832 S. dazu oben S. 62 sowie Wolff, Philosophia Practica Universalis, Pars II, §§ 81 ff.; zu den Einflüssen von Wolff auch Wieacker, Privatrechtsgeschichte, S. 320, 373 f.; Larenz, Methodenlehre, S. 19, 23; s. aber auch Gmür, Rechtswirkungsdenken in der Privatrechtsgeschichte, S. 92 unter Hinweis darauf, dass der bei Wolff wirkende Gedanke eines „geordneten Ganzen, dessen Einzelheiten wechselseitig von seinen andern Einzelheiten abgeleitet werden können“ letztlich nur ansatzweise im Privatrecht aufgegriffen wurde. 833 Hammen, Die Bedeutung Savignys, S. 28, 30 ff. 834 Rückert, in: Heldrich (u.a.) (Hrsg.), FS Canaris, S. 1263, 1273, 1291; s. ferner Gmür, Rechtswirkungsdenken in der Privatrechtsgeschichte, S. 92; vgl. auch Savigny, System, Bd. 1, Vorrede, S. xxxviii („Viele fordern von einer systematischen Darstellung, daß in derselben nichts vorkomme, was nicht in dem Vorhergehenden seine vollständige Begründung gefunden habe“); s. aber gleich noch zur „Begriffsjurisprudenz“, die stärker in Richtung eines in sich geschlossenen, logisch-deduktiven Systems geht, S. 196 f.; dazu auch Simshäuser, Zur Entwicklung des Verhältnisses, S. 87 ff. 835 Dazu Savigny, System, Bd. 1, Vorrede, S. xxxvi ff. Zu Savignys System s.a. Rückert, in: Heldrich (u.a.) (Hrsg.), FS Canaris, S. 1263, 1273 f.; Hammen, Die Bedeutung Savignys, S. 30 ff., 34 ff. 836 Zu diesen Begriffen vgl. Savigny, System, Bd. 1, § 34, S. 219 f.; § 16, S. 61; Vorrede, S. xxxvi; dazu auch Hammen, Die Bedeutung Savignys, S. 34 ff. 837 S. Savigny, System, Bd. 1, Vorrede, S. xxxvi. 838 S. dazu oben S. 180 ff.; ferner Hammen, Die Bedeutung Friedrich Carl v. Savignys, S. 30 ff., 34 ff.
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ebenso wie Puchta839 als „System der Rechte“; sein Gegenstand ist das „materielle Privatrecht“.840 Elemente dieses Systemdenkens sind die Widerspruchsfreiheit, der Gedanke einer Ordnung mittels begrifflicher Differenzierung sowie die „Darstellung des inneren Zusammenhangs oder der Verwandtschaft“841 von „Rechtsbegriffen“ und „Rechtsregeln“.842 Bedeutung kommt der Bildung abstrakter (Rechts-/Allgemein-)Begriffe („Kunstausdrücke“) zu.843 Auf diese Weise werden im Anschluss an die Naturrechtslehre des 18. Jahrhunderts auch in der Pandektenwissenschaft etwa die Begriffe „juristische Tatsache“, „Rechtsverhältnis“, „Willenserklärung“ oder „Rechtsgeschäft“844 aufgegriffen bzw. geschaffen.845 Insbesondere mit Puchta und Windscheid ist die „Begriffsjurisprudenz“ verbunden, welche besonderen Wert auf die juristische „Konstruktion“846 sowie 839 S. Puchta, Cursus der Institutionen, Bd. 1, § 28, S. 68 ff.; § 30, S. 79 (dort auch zum Verhältnis des „Systems der Rechte“ zum „System der Rechtsverhältnisse“); s.a. Haferkamp, in: Lampe/Pauen/Roth (Hrsg.), Willensfreiheit und rechtliche Ordnung, S. 196, 210; ders., Puchta, S. 405 ff. 840 Savigny, System, Bd. 1, § 1, S. 3; dazu auch Fezer, Teilhabe und Verantwortung, S. 205 f.; Coing, in: Blühdorn/Ritter (Hrsg.), Recht und Ethik, S. 11, 17 („das ganze Privatrecht als ein System von subjektiven Rechten“); zur Frage aber, ob Savigny von einem „System der Rechte“ oder einem „System der Rechtsverhältnisse“ ausgeht, s. Ulrich, Der Erbvertrag, S. 200 m.w.Nw.; Simshäuser, Zur Entwicklung des Verhältnisses, S. 46 f.; Wilhelm, Zur juristischen Methodenlehre, S. 63; ferner auch Coing, in: Coing/Lawson/Gränfors, Das subjektive Recht und der Rechtsschutz der Persönlichkeit, S. 7, 19; gegen ein Verständnis als „System der Rechte“, sondern „System der Rechtsverhältnisse“ Rückert, in: Heldrich (u.a.) (Hrsg.), FS Canaris, S. 1263, 1286; ders., Savigny-Studien, S. 180; s.a. Windscheid, Lehrbuch des Pandektenrechts, § 13, S. 35 Fn. 2; § 24, S. 59; § 37, S. 87 Fn. 3; zu Windscheid insoweit s. Ulrich, Der Erbvertrag, S. 258 ff.; s. ferner etwa G.K. Neuner, Wesen und Arten der Privatrechtsverhältnisse, § 1, S. 1 f. („System der Privatrechtsverhältnisse“); ebenso Hölder, Pandekten, § 5, S. 20. 841 Savigny, System, Bd. 1, Vorrede, S. xxxvi. 842 Hammen, Die Bedeutung Savignys, S. 34 f., 38, 39 f.; s.a. Savigny, System, Bd. 1, Vorrede, S. xxxvii; vgl. auch Puchta, Cursus der Institutionen, Bd. 1, § 33, S. 87 f. („Zusammenhang“, „Verwandtschaft“ der Rechtssätze); ferner Windscheid, Lehrbuch des Pandektenrechts, § 24, S. 58 f. 843 Vgl. Savigny, System, Bd. 1, Vorrede, S. xliii; s.a. Simshäuser, Zur Entwicklung des Verhältnisses, S. 46. 844 Zur Verwendung dieser Begriffe bei Savigny s. zuvor im Einzelnen die Nachweise. S. bereits (actus iuridicus; negotia iuridica [rechtliche Geschäfte]; mentis declaratio; voluntatis declaratio) Nettelbladt, Systema Elementare, §§ 144 ff., 649; ebenso Achenwall, Ius Naturae, §§ 165, 171; generell zur Begriffsbildung bei Nettelbladt sowie zum Begriff „Rechtsgeschäft“ und dessen Entwicklung Nörr, Naturrecht und Zivilprozeß, S. 19 f.; Flume, Allgemeiner Teil, § 2,4. 845 S.a. Gmür, Rechtswirkungsdenken in der Privatrechtsgeschichte, S. 164 f.; Wieacker, Privatrechtsgeschichte, S. 373 ff., 400 f.; Simshäuser, Zur Entwicklung des Verhältnisses, S. 48. 846 Windscheid, Lehrbuch des Pandektenrechts, 6. Aufl., § 24, S. 67 („Die Zurückführung eines Rechtsverhältnisses auf die ihm zu Grunde liegenden Begriffe nennt man Construction desselben“).
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auf eine logisch-deduktive Entwicklung847 von Begriffen legt.848 Kennzeichen des Systemgedankens ist neben dieser Bildung von Allgemeinbegriffen schließlich die Differenzierung in Allgemeinen und Besonderen Teil849 sowie das bereits erwähnte „Rechtswirkungsdenken“.850 f) Wille, Willenserklärung und Vertrag Die Transformationen zeigen sich weiter im Bereich des Vertragsrechts, dessen zentraler Begriff bei Savigny die „Willenserklärung“ ist.851 Zwar „muß der Wille an sich als das einzig Wichtige und Wirksame gedacht werden“. Da dieser aber „unsichtbar“ ist, ergibt sich die Erforderlichkeit einer Erklärung „als Zeichen, wodurch sich der Wille offenbart“ und anderen mitgeteilt wird – die Willenserklärung.852 Willenserklärungen (bzw. Rechtsgeschäfte853) sind nach 847 Dazu Simshäuser, Zur Entwicklung des Verhältnisses, S. 87 f.; vgl. Puchta, Cursus, Bd. 1, § 17, S. 36 f. 848 Dazu etwa Larenz, Methodenlehre, S. 19 ff.; Wilhelm, Zur juristischen Methodenlehre, S. 70 f., 74 ff., 80 ff.; Simshäuser, Zur Entwicklung des Verhältnisses, S. 86 ff.; Wieacker, Privatrechtsgeschichte, S. 400 f., 430 ff. 849 S. dazu auch Simshäuser, Zur Entwicklung des Verhältnisses, S. 46; Bäuerle, Vertragsfreiheit und Grundgesetz, S. 77. 850 So Gmür, Rechtswirkungsdenken in der Privatrechtsgeschichte, S. 80 ff., 161 ff. 851 Vgl. dazu (auch zum Begriff des „Rechtsgeschäfts“) und zum Folgenden Hammen, Die Bedeutung Savignys, S. 82 ff., 95 ff.; zur Herkunft des Begriffs der Willenserklärung s. oben bereits S. 164 Fn. 697 und S. 196 Fn. 844. 852 Savigny, System, Bd. 3, § 134, S. 258; ferner § 114, S. 99 („Wille“, „Erklärung“ und „Übereinstimmung des Willens mit der Erklärung“); § 115, S. 113 („das Wollen ist eine selbständige Thatsache, die allein für die Bildung der Rechtsverhältnisse von Wichtigkeit ist“); § 131, S. 242 („Der Wille selbst nämlich, als eine innere Thatsache, kann nur mittelbar durch eine sinnlich wahrnehmbare Thatsache, erkannt werden“); s.a. Arndts, Lehrbuch der Pandekten, § 64, S. 74, ferner § 231, S. 371; Hölder, Pandekten, § 41, S. 212 f.; Dernburg, Pandektenrecht, Bd. 1, § 91, S. 215 („Der Wille des Privaten bestimmt das Rechtsgeschäft“). 853 Zur Gleichsetzung von Rechtsgeschäft und Willenserklärung bei Savigny s. Hammen, Die Bedeutung Savignys, S. 83; s.a. Windscheid, Lehrbuch des Pandektenrechts, § 69, S. 158 („Rechtsgeschäft ist die Privatwillenserklärung des Inhalts, daß ein Recht entstehen, untergehen, oder eine Veränderung erleiden solle“); § 70, S. 162; kritisch dagegen zur Gleichsetzung von Rechtsgeschäft und Willenserklärung Regelsberger, Pandekten, § 135, S. 491 f.; ferner zur Diskussion, was das Rechtsgeschäft konkret bezeichnet und in welchem Verhältnis es zu den Rechtswirkungen steht, s. Zitelmann, Irrtum und Rechtsgeschäft, S. 232 f., 281 f. (Rechtsgeschäft nicht als Rechtswirkung selbst, vielmehr „hat“ das Rechtsgeschäft Rechtswirkungen; Rechtsgeschäft als „menschliche Handlungen“ „mit gewillkürter Rechtsfolge“; Identifikation mit dem „Errichtungsact“, aber nur, wenn die beabsichtigten Rechtswirkungen „wirklich eingetreten sind“ [aaO, S. 286] – Letzteres als Abgrenzungskriterium zur Willenserklärung, daher ist nicht jede Willenserklärung Rechtsgeschäft [aaO, S. 294]; S. 288: „Rechtsgeschäft ist die auf Eintreten einer Rechtswirkung gerichtete Willenserklärung, welche Ursache für das Eintreten der Rechtswirkung ist“); anders aber wieder Karlowa, Das Rechtsgeschäft und seine Wirkungen, S. 5 f., 117, 161, der das Rechtsgeschäft (bzw. dessen „Bestand“, „Existenz“) sowohl vom Errichtungsakt als auch von den Wirkungen unterscheidet, vielmehr dazwischen, nämlich in der „Gebundenheit der Parteien bezüglich des Eintritts der (zunächst oder eventuell) beabsichtigten Rechtswirkungen“ (aaO, S. 6) verortet.
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Savigny eine Unterkategorie der juristischen Tatsachen und freien Handlungen, welche „unmittelbar“ auf die Begründung, Veränderung oder Aufhebung von Rechtsverhältnissen gerichtet sind.854 „Die Vereinigung Mehrerer zu einer übereinstimmenden Willenserklärung“ ist der „Vertrag“.855 Der Vertrag kommt insofern durch die Vereinigung von Antrag (Angebot) und Annahme zustande.856 Der Vertrag bewirkt die Gestaltung von Rechtsverhältnissen und begründet in Gestalt des „obligatorischen Vertrags“ „Obligationen“, d.h. Rechtsverhältnisse, die auf die Vornahme einer Handlung einer anderen Person857 gerichtet sind.858 „Rechtseffekt“ als „Produkt des Willens“ ist, wie Dernburg später sagt, 854 Savigny, System, Bd. 3, § 104, S. 6 f.; § 114, S. 98 f.; § 140, S. 307; dazu Hammen, Die Bedeutung Savignys, S. 82 f.; s. dazu auch zuvor bereits S. 172 ff.; s.a. Arndts, Lehrbuch der Pandekten, § 58, S. 66 („Handlungen […], deren Zweck und Absicht wesentlich eine juristische Wirkung ist“); § 63, S. 73; Baron, Pandekten, § 48, S. 90 („Es ist eine unmittelbar auf eine juristische Wirkung gerichtete Willenserklärung“); Dernburg, Pandektenrecht, Bd. 1, § 91, S. 215 („Rechtsgeschäfte sind Willenserklärungen, welche auf Begründung, Abänderung oder Aufhebung eines Rechtsverhältnisses gerichtet sind“). Zur Frage des „Gerichtetseins“ im Hinblick auf das subjektive Recht s.a. Windscheid, Lehrbuch des Pandektenrechts, § 69, S. 188 f. (aber keine „Unmittelbarkeit“ erforderlich; zu Windscheid insoweit auch Ulrich, Der Erbvertrag, S. 262 f.); ferner Regelsberger, Pandekten, § 135, S. 489 („Es muss aus der Handlung die Absicht hervorgehn, die von der Rechtsordnung zur Erreichung des angestrebten praktischen Ziels verheissenen Wirkungen herbeizuführen“). 855 Savigny, Obligationenrecht, Bd. 2, § 52, S. 7; ders., System, Bd. 3, § 140, S. 308 f. Der Vertrag ist so „eine einzelne Anwendung des allgemeineren […] Begriffs der Willenserklärung“, d.h. eine Unterkategorie der Willenserklärung und damit zugleich eine Unterkategorie der juristischen Tatsachen. Das gegenüber der Willenserklärung Besondere des Vertrages besteht in „der Vereinigung mehrerer Willen zu einem einzigen, ganzen ungetheilten Willen“ (dazu auch Ulrich, Der Erbvertrag, S. 204, 231 ff.); s.a. Regelsberger, Pandekten, § 149, S. 544 („durch den Zusammenschluss der Willen ensteht ein neuer Wille, der Vertragswille; dieser wird vom positiven Recht mit Wirkung bekleidet. […] Kurz, der Vertrag ist nicht bloss die Summe von zwei oder mehr Willensäusserungen, er ist eine Einheit.“); Karlowa, Das Rechtsgeschäft und seine Wirkung, S. 17 („Der Vertrag wird errichtet nicht durch die Willenserklärung einer einzigen Person, sondern durch die auf die Begründung derselben rechtlichen Wirkung gerichteten, sich mit einander vereinigenden Willenserklärungen wenigstens zweier Personen. Die auf dasselbe Ziel gerichteten Willenserklärungen müssen mit Beziehung auf einander abgegeben sein“); Arndts, Lehrbuch der Pandekten, § 231, S. 371 („Ein Schuldvertrag ist die gegenseitig erklärte Einigung des Willens verschiedener Personen, welcher auf Begründung einer Verpflichtung der einen oder beider zu einer obligatorischen Leistung gerichtet ist“). 856 Dazu Regelsberger, Pandekten, § 150, S. 546 ff. (S. 547: „Der Antrag schafft im wesentlichen die Grundlage für den künftigen Vertrag und erzeugt mit der hinzutretenden Annahme den Vertrag“); Hölder, Pandekten, § 42, S. 220. 857 Vgl. zum Begriff der „Obligation“ Savigny, System, Bd. 1, § 53, S. 339 („Herrschaft über eine einzelne Handlung der fremden Person“); s.a. Arndts, Lehrbuch der Pandekten, § 201, S. 313 („Obligatio heißt das Rechtsverhältniß, welches darin besteht, daß eine Person (Gläubiger, creditor) ein Recht hat auf eine Handlung einer bestimmten andern Person (Schuldner, debitor)“). 858 Savigny, Obligationenrecht, Bd. 2, § 52, S. 7 f. (zum obligatorischen Vertrag); Savigny, System, Bd. 3, § 140, S. 309 f., 312. Was ist das Neue bei Savigny? In der Literatur wird dar-
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die „Begründung, Aufhebung, Veränderung eines Rechtsverhältnisses“. Der Wille muss darauf gerichtet sein, sich „rechtlich“ zu binden.859 In Abweichung vom römischen Recht begründet grundsätzlich jeder, d.h. auch der „formlose“ Vertrag klagbare Rechtsverhältnisse, unabhängig von der Einordnung der Vertragsart.860 Deutlich zeigt sich hier der Gedanke der Wilauf859 hingewiesen, dass hier ein allgemeiner Vertragsbegriff entwickelt wird, der nicht nur auf die obligatorischen Verträge begrenzt ist, sondern Verträge in allen Rechtsgebieten, d.h. auch im Bereich des Sachenrechts erfasst (aaO, Bd. 3, S. 309 f., 312). Ferner ist mit Savigny der Aspekt der „Willensvereinigung“ verbunden, wonach der Vertrag eine juristische Tatsache bildet (s. Ulrich, Der Erbvertrag, S. 198 ff., 231 ff., 236 f. 249 ff.; s. ferner auch Schulze, Naturalobligation, S. 304 ff.). Zu den ebenfalls durch das Rechtswirkungs- und Kausalitätsdenken geprägten Vertragsbegriffen nach Savigny s. Ulrich, Der Erbvertrag, S. 249 ff., 281 ff. sowie z.B. Arndts, Lehrbuch der Pandekten, § 63, S. 73 („Die gegenseitig erklärte Einigung des Willens verschiedener Personen aber, bezüglich auf Rechtsverhältnisse, welche dadurch begründet, geändert oder aufgehoben werden sollen, ist ein Vertrag“); § 231, S. 371; Regelsberger, Pandekten, § 149, S. 543 (Der Vertrag „dient zur Begründung, Aufhebung und Änderung von Obligationen und von dinglichen Rechten. […] Der Vertrag ist die geäußerte Willenseinigung von zwei oder mehr Personen zur Hervorbringung einer rechtlichen Wirkung […]“). Ist der Vertragsbegriff bei Savigny als lex contractus zu deuten, gleichsam als private Gesetzgebung bzw. im Sinne einer „Geltungserklärung“? Gerade darin wird gelegentlich der Unterschied zu einem naturrechtlichen Vertragsmodell gesehen, das den Vertrag als Rechtsübertragung interpretiert, s. dazu ursprünglich Schmidlin, in: Zimmermann (Hrsg.), Rechtsgeschichte und Privatrechtsdogmatik, S. 187, 198 ff., 201; Flume, Allgemeiner Teil, § 4,7; Schulze, Naturalobligation, S. 304 ff., 307; dagegen aber Ulrich, Der Erbvertrag, S. 199, 233 f., 236, der Savignys Vertragsmodell entsprechend dem Rechtswirkungsdenken als „Rechtsverursachungsmodell“ deutet. 859 Dernburg, Pandektenrecht, Bd. 1, § 91, S. 217, Fn. 11; s.a. noch Motive BGB I, S. 126 („Das Wesen des Rechtsgeschäftes wird darin gefunden, daß ein auf die Hervorbringung rechtlicher Wirkungen gerichteter Wille sich bethätigt, und daß der Spruch der Rechtsordnung in Anerkennung dieses Willens die gewollte rechtliche Gestaltung in der Rechtswelt verwirklicht“); zu den „Wirkungen der Verträge“ s. bereits Thibaut, System des Pandektenrechts, §§ 141, 160 ff.; vgl. ferner Arndts, Lehrbuch der Pandekten, § 233, S. 375 („Ziel des Schuldvertrages ist die Hervorbringung einer Obligatio“), S. 376 („Uebrigens ist es der in dem angenommenen Versprechen kundgegebene Verpflichtungswille an sich, welcher die Obligatio erzeugt“); Regelsberger, Pandekten, § 149, S. 544 („Beim Vertrag ist die Willenseinigung auf Hervorbringung einer rechtlichen Wirkung […] gerichtet“). S. instruktiv zum Verhältnis von Errichtung, Existenz und Rechtswirkung des Rechtsgeschäfts die Auseinandersetzung zwischen Zitelmann (Irrtum und Rechtsgeschäft, S. 281 ff., 302 ff.) und Karlowa (Das Rechtsgeschäft und seine Wirkung, S. 5 f., 117, 161). 860 Vgl. Savigny, Obligationenrecht, Bd. 1, § 14, S. 124 (im Kontext des Verhältnisses von obligatio naturalis und obligatio civilis – aufgeworfen wird die Frage, ob aus jeder obligatio naturalis auch eine obligatio civilis folgt); zum römischen Recht und den pacta nuda sowie zum Verhältnis des „heutigen“ Rechts zum römischen Recht s.a. Savigny, Obligationenrecht, Bd. 2, §§ 72 ff., S. 196 ff.; § 76, S. 231 ff.; § 79, S. 239 ff.; s. ferner bereits Hugo, Lehrbuch eines civilistischen Cursus, Bd. 4, S. 249 („Jedes an sich nicht fehlerhafte Versprechen bewirkt, wenn es angenommen ist, eine streng juristische Forderung“); S. 250 („Die römische Form der Verträge […] ist nicht anwendbar, denn jeder Vertrag ist, nach dem heutigen gemeinen Rechte, so wirksam, als wäre er auf die allergültigste Art des alten Rechts“); Arndts, Lehrbuch der Pandekten, § 232, S. 373 f. („Auch die Klagbarkeit der Verträge ist
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lens- („die vollkommene Freyheit des individuellen Willens“861) sowie der Vertragsfreiheit862, wenngleich der Begriff „Vertragsfreiheit“ erst in den Diskussionen Ende des 19. Jahrhunderts und Anfang des 20. Jahrhunderts zentral wird.863 Der (nach außen erklärte, übereinstimmende und vereinigte) Wille zweier oder mehr Personen wird als Vertrag bzw. Rechtsgeschäft rechtsgestaltend tätig – er ist, vermittelt durch das Gesetz, „wirksam“ und wird rechtlich kausal.864 Der Vertrag begründet und gestaltet als seine Rechtswirkung Rechtsver861 nach heutigem gemeinem Rechte nicht von der Beobachtung einer bestimmten Form abhängig, obgleich dies nach römischem Rechte in großem Umfang der Fall war und dem Vertragssystem desselben sogar die Regel zum Grunde lag, daß aus dem einfachen formlosen Vertrage an sich, abgesehen von einer hinzukommenden Leistung des einen Theils, nur wenige aber wichtige Fälle ausgenommen, eine klagbare Forderung nicht hervorgehe“); § 235, S. 381 („Es sind aber außerdem Verträge von unbegränzter Manchfaltigkeit des Inhalts denkbar, die unter bestimmte Begriffe zu stellen unmöglich ist. Man kann diese noch jetzt unbenannte Contracte […] nennen. Aber keineswegs ist dafür die eigenthümliche Theorie des römischen Rechts über contractus innominati jetzt noch maßgebend. Vielmehr erzeugen nun alle diese Verträge, gleich den römischen Consensualcontracten, sofort durch die beiderseitige Einwilligung gegenseitige klagbare Verbindlichkeiten […]“); dazu sowie zum Gesichtspunkt, dass sich diese Position bereits bis zum 18. Jhd. durchgesetzt hatte, Hofer, Freiheit ohne Grenzen?, S. 226; dazu, dass der Vertragsbegriff des 19. Jhd. der Naturrechtstradition entnommen ist, Nanz, Vertragsbegriff, S. 197 ff. 861 Savigny, Obligationenrecht, Bd. 4, § 142, S. 5 Fn. (d) („Bey der Beurtheilung der Rechtsgeschäfte ist die vollkommene Freyheit des individuellen Willens als Regel anzusehen“); s.a. Zitelmann, Irrtum und Rechtsgeschäft, S. 415 über „die vom Recht erforderte Freiheit des Willens“. 862 S.a. Hammen, Die Bedeutung Savignys, S. 84, 90 zur Frage der (Reichweite der) „Vertragsfreiheit“ bei Savigny; s. aber auch Hofer, Freiheit ohne Grenzen?, S. 158 ff., 239. 863 Dazu, dass der Begriff der Vertragsfreiheit erst im späten 19. Jhd. sowie dann an der Wende zum 20. Jhd. erscheint bzw. zentral wird, s. Hofer, Freiheit ohne Grenzen?, S. 2 ff.; s. ferner unten noch S. 442 f. m.w.N. 864 S. deutlich Zitelmann, Irrtum und Rechtsgeschäft, S. 233 f. („Rechtsgeschäfte wären demnach die Formen rechtsschöpferischer Tätigkeit, diejenigen Typen des Handelns also, in welchen und durch welche eine Person auf dem Gebiete der subjectiven Rechte schaffend wirksam wird. […] Nur da kann also von einer schöpferischen Thätigkeit der Person auf dem Gebiete der subjectiven Rechte die Rede sein, wo […] das objective Recht durch die Rechtsfolge, welche es an die Handlung der Person knüpft, nicht eine Repression gegen den Willen des Handelnden ausüben sondern gemäss seinem eignen Interesse und Wunsch verfahren will“), 237 ff.; Karlowa, Das Rechtsgeschäft und seine Wirkung, S. 161 („Der Wille der Rechtsordnung bringt beim Rechtsgeschäft nicht unmittelbar die Rechtswirkung hervor, sondern anerkennt, sanktionirt nur den auf jene Wirkung gerichteten Privatwillen; der Privatwille bringt die Wirkung hervor, aber er kann sie nur hervorbringen, sofern er von der Rechtsordnung sanktionirt ist, und sofern auf diese Weise eine Rechtsgebundenheit der Parteien bezüglich des Eintritts der Wirkung hergestellt ist“); vgl. auch etwa Regelsberger, Pandekten, § 129, S. 473 („Zur juristischen Handlung wird die Willensbethätigung, indem das positive Recht mit ihr eine Rechtsfolge verknüpft und zwar darum, weil die gewollte That eines Menschen vorliegt“); § 135, S. 491 („Das Wollen des Rechtserfolgs ist für das Dasein des Rechtsgeschäfts wesentlich […]“); § 148, S. 541 („Die Rechtsgeschäfte erhalten Dasein und Inhalt innerhalb der vom Recht gezogenen Schranken durch den Parteiwillen“); vgl. fer-
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hältnisse.865 Unabhängig von den Differenzierungen des römischen Rechts wird entsprechend der Freiheitsmetaphysiktradition die gegenseitige Willensübereinstimmung als allgemeiner Tatbestand des Vertrages anerkannt, der kraft der Willensmacht der Personen die Rechtswirkungen des Vertrages – unter der Voraussetzung gesetzlicher Anerkennung – hervorbringt.866 Auch das Bürgerliche Gesetzbuch verwirklicht dementsprechend Inhalts-, Form- und Abschlussfreiheit, indem grundsätzlich jeder (schuldrechtliche) Vertrag867 Rechtswirkungen begründet.868 Allerdings bleibt die Wirkweise umstritten. Ist wirklich der Wille der Vertragsparteien Wirkgrund (causa efficiens) der Rechtswirkungen oder nicht vielmehr allein das Gesetz, das für bestimmte (äußere) Tatbestände die Rechtswirkungen begründet?869 Ist das Gesetz nicht völlig frei, an welche juristischen ner865Hölder, Pandekten, § 40, S. 200 („Es liegt also im Begriffe der rechtsgültigen Willensäußerung nicht nur die Übereinstimmung der Rechtsfolge mit ihrem Inhalte, sondern auch die Existenz eines zwischen diesem und jener bestehenden Causalzusammenhanges. Dieser Zusammenhang ist aber nicht der reale der Ursache und Wirkung, und er beruht nicht auf dem Willen des Handelnden, sondern auf dem Willen des Rechtes.“); Cosack, Lehrbuch des bürgerlichen Rechts, § 50, S. 151 f. („Nicht jede Willensäußerung ist Rechtsgeschäft, sondern nur diejenige, welche von einer Privatperson ausgeht und vom Gesetz in Gemäßheit des aus der Äußerung zu entnehmenden Willens dieser Person mit Rechtswirkung ausgestattet wird“); § 51, S. 153 („Zwar ist die entscheidende Macht, welche die Rechtswirkungen endgültig schafft, auch bei den Rechtsgeschäften nicht der Wille der beteiligten Privatpersonen, sondern das Gesetz. Aber das Gesetz erscheint hier nur als der Diener des Willens der Privatpersonen; aus diesem Willen entnimmt das Gesetz das Ziel seiner Regeln“); s. ferner zur Diskussion um die Kausalität Pernice, Grünhut’s Zeitschrift VII (1880), 465, 482 ff. 865 S. die Nachweise zuvor; vgl. auch Zitelmann, Irrtum und Rechtsgeschäft, S. 233 ff., 238 ff.; Karlowa, Das Rechtsgeschäft und seine Wirkung, S. 1 ff., 4, 10, 161; Regelsberger, Pandekten, § 149, S. 543 f. 866 S. dazu oben S. 121 ff., 125 ff.; vgl. auch bereits Thibaut, System des Pandektenrechts, § 168 („Nach jetzigem Recht hat jeder simple Vertrag die volle Wirkung eines feierlichen Vertrags der Römer. Hieraus folgt denn, dass bey uns jeder simple Vertrag eine Klage auf Erfüllung des Versprochenen erzeugt […]“; Fn. weggelassen). 867 Anders dagegen im Sachen-, Erb- und Familienrecht, wo Typenzwang herrscht; dazu etwa Endemann, Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts, § 60, S. 254 Fn. 1; zu Typenfreiheit und Typenzwang s.a. unten noch S. 457 ff. 868 S. etwa Endemann, Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts, § 60, S. 255 („[…] zumal für die obligatorischen Rechtsgeschäfte (Schuldverhältnisse) lässt die Rechtsordnung sowohl in der Form des Abschlusses wie bei der Gestaltung des Inhaltes der Rechtsgeschäfte den Betheiligten grundsätzlich die volle Freiheit. Das B.G.B. erkennt jede erlaubte […] Abrede und Verfügung, Begründung und Veränderung der Rechtsbeziehungen als rechtlich wirksames Geschäft an. […] Es tritt scharf hervor, daß im Prinzipe ein Rechtsgeschäft nur dann Einfluß auf meine Rechtsverhältnisse hat, wenn ich dies will und dieser Absicht in meinen Handlungen Ausdruck verleihe“). 869 Zu dieser Diskussion im 19. Jhd. (dazu auch oben bereits S. 176 Fn. 736) aus der Literatur Hofer, Freiheit ohne Grenzen?, S. 186 ff.; Reis, Juristische Tatsachen, S. 135, 145 ff. Wichtig ist im Ausgangspunkt, dass es dabei nicht um die These geht, „der Wille allein bewirke die Rechtsfolge“ (Hofer, Freiheit ohne Grenzen?, S. 186) – auch nach den Auffassungen, die dem Willen Wirksamkeit zuschreiben, treten die Rechtswirkungen nur infolge der
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Tatsachen es Rechtswirkungen knüpft – unabhängig, ob ein „Wille“ vorliegt?870 870 Anerkennung durch die Rechtsordnung ein. S. im Einzelnen die im 19. Jhd. herrschende Auffassung (Hofer, aaO, S. 235 m.Nw.; vgl. auch Schlossmann, Der Vertrag, § 1, S. 3; ferner Pernice, Grünhut’s Zeitschrift VII (1880), 465, 470, 471 ff., 482 ff. zur Diskussion), die dem Willen unter der Voraussetzung der Anerkennung durch die Rechtsordnung eine Wirksamkeit zuschrieb bzw. diesen für den Grund der Rechtswirkungen von Verträgen ansah, Enneccerus, Rechtsgeschäft, S. 153 ff.; ähnlich Karlowa, Das Rechtsgeschäft und seine Wirkung, S. 1 ff., 4, 10, 17, 161 f. (S. 4: „Hier knüpft der Wille des Rechts nicht selbst unmittelbar die Wirkung an die Handlung, sondern er sanktionirt den Willen des oder der Privaten und verhilft diesen dadurch zu einem rechtlichen Bestande und einer Wirkungskraft, welche die rechtliche Wirkung hervorbringen und die unmittelbare Ursache der letzteren sind. Der Wille des Rechts ist hier auf die Ratification der Willenserklärung gerichtet. Demgemäss ist das Geschäft nicht bloss die Voraussetzung oder Bedingung, sondern die causa efficiens der Rechtswirkung“); Zitelmann, Irrtum und Rechtsgeschäft, S. 233 ff., 237 ff., vor allem 244 f., S. 279 f. (S. 280: „Ursache der Rechtswirkung ist in den Fällen der gewillkürten wie der notwendigen Rechtsfolge gleicher Massen der Thatbestand, welchem die Rechtsordnung die Qualität einer Ursache verliehen hat, nur dass bei der gewillkürten Rechtsfolge die auf den Eintritt der Rechtsfolge gerichtete Absicht der Partei Moment des Thatbestandes ist, bei der notwendigen Rechtsfolge nicht“); ferner Hölder, Pandekten, § 40, S. 200 f.; Anm., S. 211 f. (S. 212: „Daß der Privatwille nicht erst durch das Recht ein normirender ist, daß dagegen dieses die private Normirung zur rechtsgültigen macht […]“); eingeschränkt auch Regelsberger, Pandekten, § 32, S. 128; § 118, S. 437 („Thatsachen und Rechtsfolgen werden vom positiven Recht bestimmt, aber geschaffen wird von ihm nur die Rechtsfolge. Die Rechtsfolge freilich von ihm allein, die Privatpersonen können nur den thatsächlichen Grund für die Rechtsfolge setzen. Es ist daher ungenau, von einer rechtschöpferischen Macht der Privatpersonen zu sprechen, zu sagen, die Parteien haben ein Rechtsverhältnis begründet oder aufgehoben. Indes findet diese Ungenauigkeit ihre Erklärung und Rechtfertigung in dem Zusammenhang, welcher kraft der Vorschrift des Rechts zwischen Thatbestand und Rechtsfolge besteht. Wo jener gesetzt ist, tritt diese mit Nothwendigkeit (juris necessitate) ein“); § 129, S. 473 („Zur juristischen Handlung wird die Willensbethätigung, indem das positive Recht mit ihr eine Rechtsfolge verknüpft und zwar darum, weil die gewollte That eines Menschen vorliegt“); später auch Endemann, Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts, § 60, S. 255 Fn. 2 („[…] und daß somit der Privatwille als unentbehrliche Ursache oder als die vom objektiven Rechte mit der Kraft der Autonomie ausgestattete Selbstbestimmung über die eigenen privatrechtlichen Verhältnisse erscheint“), aber auch § 62, S. 259 Fn. 3; Cosack, Lehrbuch des bürgerlichen Rechts, § 51, S. 153 („Zwar ist die entscheidende Macht, welche die Rechtswirkungen endgültig schafft, auch bei den Rechtsgeschäften nicht der Wille der beteiligten Privatpersonen, sondern das Gesetz. Aber das Gesetz erscheint hier nur als der Diener des Willens der Privatpersonen; aus diesem Willen entnimmt das Gesetz das Ziel seiner Regeln“); a.A. Roever, Ueber die Bedeutung des Willens, S. 3 ff., 9, 19 f., 47 („Die Regel: Ohne Willen keine wirksame Erklärung unter Lebenden, ist falsch. Regel ist vielmehr, daß der Mangel des entsprechenden Willens Nichtigkeit einer Erklärung unter Lebenden nicht zu Folge hat“); Bülow, AcP 64 (1881), 1, 75 ff. (Fn. 46), 87 ff. (Fn. 52, S. 88 f.: subjektiver Wille als „Organ des objectiven Rechts“; „ein dem objectiven Recht eingefügtes zur Rechtsnormierung verwendetes Hilfsglied“ ohne „rechtsändernde Kraft“); Kohler, Jherings Jahrbücher 18 (1880), S. 155 f., 159; Lotmar, Über causa im römischen Recht, S. 15 ff.; Schlossmann, Der Vertrag, § 11, S. 80 ff.; § 12, S. 88 ff., 99; § 17, S. 138 f.; Thon, Rechtsnorm, S. 359 („Die Rechtsfolgen gehen immer und stets von der Rechtsordnung aus; bestehen sie doch nur in den Imperativen der letzteren. Die Rechtsordnung hat mithin auch völlig freie Hand, an welches menschliche Verhalten sie Beginn oder Ende ihrer Normen knüpfen will“). 870 Zu dieser Frage Reis, Juristische Tatsachen, S. 127 ff., 139, 182 ff. sowie etwa Dernburg, Pandekten, Bd. 1, § 79, S. 180 f. („Dieser Thatbestand hat rechtliche Wirkung nur un-
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Gegen die herrschende „Willenstheorie“ entwickeln sich weitergehend871 bereits im ausgehenden 19. Jahrhundert alternative Entwürfe, die dem Willen selbst keine konstitutive Bedeutung zumessen, sondern in anderen Momenten (nur die äußere Erklärung – „Erklärungstheorie“) den eigentlichen Wirksamkeitsgrund von Rechtsgeschäften erkennen.872 Das Bürgerliche Gesetzbuch
ter 871 der Anerkennung und dem Schirm der Rechtsordnung. Doch muß man sich die Rechtsordnung dabei nicht als einen deus ex machina denken, so daß sie willkürlich an Thatsachen Rechtswirkungen knüpft […]. Es wohnen den juristischen Thatsachen rechtsbildende Kräfte inne, welche die Anerkennung des Rechts herausfordern“); ähnlich Endemann, Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts, § 57, S. 246 („Die Auswahl der juristisch wirksamen Handlungen giebt die auf der herrschenden Verkehrsauffassung aufgebaute Rechtsordnung; von ihr hängt es ab, welche Handlungen als des Rechtsschutzes würdig anerkannt werden und welche als rechtlich nicht interessirend abgelehnt werden. Da aber der bürgerliche Rechtsverkehr der freien Selbstbestimmung des Einzelnen unterworfen ist und regelmäßig jedem Subjekte die beliebige Disposition über seine subjektiven Rechte zusteht: so schließt die Rechtsordnung ihre Normen nicht schlechthin an bestimmte äußerlich erkennbare Handlungen an, sondern macht in der Regel den Rechtserfolg noch abhängig von der Absicht und Zustimmung des Handelnden selbst“); dagegen wohl Thon, Rechtsnorm und subjectives Recht, S. 359 („Die Rechtsordnung hat mithin auch völlig freie Hand, an welches menschliche Verhalten sie Beginn oder Ende ihrer Normen anknüpfen will“). 871 Vgl. zum Zusammenhang dieser Kontroverse zur zuvor genannten, wenngleich beide zu unterscheiden sind (einmal die Frage, ob Wille oder Gesetz die Rechtswirkungen bewirken; zum anderen die Frage, ob Wille oder Erklärung für die Wirksamkeit des Rechtsgeschäft wesentlich sind), auch Hofer, Freiheit ohne Grenzen?, S. 186; ferner zu diesem Zusammenhang Manigk, Irrtum und Auslegung, S. 42 („Die Theorien gehen bereits hinsichtlich der grundlegenden Vorfrage auseinander, ob die Ursache der Wirkung einer rg. We. in dieser selbst, oder im Gesetz zu erblicken sei. Ja, man muß sagen, daß diese Fragestellung überhaupt erst durch die Erklärungstheorie erzeugt worden ist“). Ferner gibt es eine weitere Kontroverse um die Frage, was Grund der Bindungs- und Verpflichtungswirkung von Verträgen ist, und zwar im Hinblick darauf, ob der Wille der Vertragsschließenden (so die herrschende Auffassung; Hofer, aaO, S. 235) oder nicht vielmehr das Vertrauen des Rechtsverkehrs bzw. die Haftung für dieses Vertrauen Grundlage der Klagbarkeit von Verträgen ist; zu dieser Diskussion Hofer, Freiheit ohne Grenzen?, S. 226 ff.; z.B. für Verschulden als Grundlage der vertraglichen Bindung Schlossmann, Der Vertrag, § 41, S. 324 ff., § 42, S. 334 ff.; § 36, S. 287 ff. (Haftung für Verschulden). 872 Zur Auseinandersetzung zwischen Willenstheorie und Erklärungstheorie im 19. Jhd. s. Hofer, Freiheit ohne Grenzen?, S. 157 ff.; de la Durantaye, Erklärung und Wille, S. 25 ff.; als Vertreter der Willenstheorie: Windscheid, Wille und Willenserklärung, S. 3, 7 ff., 30 ff.; Zitelmann, Irrtum und Rechtsgeschäft, S. 244 f., 276 ff., 383 ff.; v. Kübel, Recht der Schuldverhältnisse, S. 135 f., 138, 141 ff.; Hölder, Pandekten, § 41, S. 212 ff.; ferner, wenngleich streitig (dazu Hofer, aaO, S. 158 ff.), auch Savigny, System, Bd. 3, § 134, S. 257 ff.; für die Erklärungstheorie Bähr, Jherings Jahrbücher XIV (1875), S. 393, 400 f., 404 ff.; Bekker, System des Pandektenrechts, Bd. 2, § 92, S. 54 ff., 62; Roever, Ueber die Bedeutung des Willens, S. 3 ff., 9, 19 f., 47; differenzierend Enneccerus/Lehmann, Das Bürgerliche Recht, Bd. 1, § 55, S. 125 f. (grundsätzlich Willenstheorie, aber Ausnahmen im Sinne der „Verkehrssicherheit“); Regelsberger, Pandekten, § 136, S. 493; § 139, S. 506 ff.; § 140, S. 511 ff. (s. aber auch Hofer, Freiheit ohne Grenzen?, S. 173, wonach Regelsberger der Erklärungstheorie zugeordnet wird).
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selbst folgt schließlich in dieser Frage nach verbreiteter Meinung einem Mittelweg zwischen Willens- und Erklärungstheorie.873 Ungeachtet dieser Parallelen zur Naturrechtstradition zeigt sich eine grundlegende Abweichung in der Abkehr von der materiellen Vertragsgerechtigkeit, d.h. insbesondere von der Lehre vom gerechten Preis.874 Verträge sind klagbar unabhängig von der Äquivalenz von Leistung und Gegenleistung, einzige Grenze sind Wucher und Sittenwidrigkeit.875 g) Die deliktische Haftung, die Rechtsverletzung und die Trennung von Schadensersatz und Strafe aa) Schadensausgleich und Privatstrafen Die historischen Linien der römischen Deliktsklagen bilden zunächst den unmittelbaren Kontext von Savignys Beschäftigung mit dem Haftungsrecht.876 Aus den Delikten folgen danach „Strafklagen“. Hierbei legt Savigny anknüpfend an den römischen Begriff der actiones poenales einen weiten Begriff zugrunde und sieht hiervon neben der dem Schadensausgleich dienenden „einseitigen Strafklage“ auch die „Privatstrafe“ (Zahlung einer Geldsumme unabhängig vom Schadensausgleich) als „zweiseitige Strafklage“ umfasst.877 Vom Deliktsrecht unterschieden ist dabei die „Strafe“ – als aus der Möglichkeit von Rechtsverletzungen folgende „Schutzanstalt der Rechtsordnung“ – „Inhalt des Criminalrechts“878, d.h. des öffentlichen Rechts, und zielt neben der Abschreckung primär auf „juridische Vergeltung“.879 873 Vgl. Motive BGB I, S. 189 ff. (S. 191: „Der Entwurf folgt dem Willensdogma, durchbricht aber dasselbe in verschiedenen Richtungen“); s. zur Auslegung der Position des BGB zu Beginn Enneccerus/Lehmann, Das Bürgerliche Recht, Bd. 1, § 55, S. 127 („prinzipiell“ Willenstheorie); Endemann, Lehrbuch des bürgerlichen Rechts, § 70, S. 294 f., Fn. 5 („vermittelnde Stellung zwischen dem Willensdogma und dem Erklärungsprinzipe“); s. dagegen für Willenstheorie als maßgebliche Theorie Manigk, Irrtum und Auslegung, S. 55; dazu auch aus heutiger Perspektive Flume, Allgemeiner Teil, § 4,6; Schur, in: Lampe/Pauen/Roth (Hrsg.), Willensfreiheit und rechtliche Ordnung, S. 226, 235; de la Durantaye, Erklärung und Wille, S. 30 ff. 874 Dazu auch Bäuerle, Vertragsfreiheit und Grundgesetz, S. 46 f., 59, 67, 79; Wieacker, Privatrechtsgeschichte, S. 296, 482. 875 S. dazu Wieacker, Privatrechtsgeschichte, S. 296, 482; Bäuerle, Vertragsfreiheit und Grundgesetz, S. 79. 876 Zum Festhalten der Pandektistik „an einem System von unverbundenen Einzeltatbeständen […], in dessen Zentrum weiterhin die lex Aquilia stand“ Jansen, Haftungsrecht, S. 361 f.; ferner Fezer, Teilhabe und Verantwortung, S. 469 („Die Pandektisten verschlossen sich weitgehend der – naturrechtlich begründeten – Forderung nach einem einheitlichen Deliktsbegriff“). 877 Savigny, Obligationenrecht, Bd. II, § 82, S. 295 ff., 297. 878 Savigny, System, Bd. 5, § 204, S. 1. 879 Savigny, Obligationenrecht, Bd. II, § 83, S. 301 f.; ders., System, Bd. 1, § 9, S. 26 („Zweytens hat er das verletzte Recht an sich zu vertreten und wiederherzustellen, ohne Rücksicht auf das individuelle Interesse. Dieses geschieht durch die Strafe […]“).
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Die Popularklagen des römischen Rechts880, die von jedermann, d.h. im Gegensatz zu den Privatstrafen nicht nur von der verletzten Privatperson erhoben werden können und auf öffentliche Strafe zielen, sind nach Savigny „zweiseitige Strafklagen“, aber keine Obligationen.881 Diese haben im „heutigen Römischen Recht“ keine Geltung mehr, da ihr Gegenstand vom hoheitlich eingeleiteten Strafprozess und der öffentlichen Strafe abgelöst wurde.882 Auch die Privatstrafen, die durch die verletzte Privatperson klageweise geltend gemacht werden, sollen nach Savigny angesichts der hoheitlichen Strafverfolgung nicht mehr fortgelten883 – mit Ausnahme der auf Persönlichkeits- und Ehrverletzungen Anwendung findenden „Injurienklage“, die wahlweise auf Widerruf oder auf Geldleistung gerichtet ist.884 Dagegen gelten die „einseitigen Strafklagen“ insoweit fort, als sie auf „reinen Schadensersatz“ zielen.885 Damit ist mit Ausnahme der Injurienklage das deliktische Haftungsrecht rein kompensatorisch, sodass, wie Savigny explizit festhält, „der größere Theil der Römischen Lehre von den Delictsobligationen für das heutige Recht seine Bedeutung verloren“ hat.886 880
S. dazu näher Thönissen, Recht und Gerechtigkeit, 4. Kap. IV.2. Savigny, Obligationenrecht, Bd. II, § 83, S. 303, 306; § 84, S. 313 f. 882 Vgl. Savigny, Obligationenrecht, Bd. II, § 84, S. 313 f., 318; s.a. Brinz, Lehrbuch der Pandekten, § 118, S. 512, 514; Arndts, Lehrbuch der Pandekten, § 98, S. 144 (zu den actiones populares: „Heutzutage sind solche Klagen nicht mehr üblich; die Obrigkeit schreitet von Amtswegen ein“). 883 Savigny, Obligationenrecht, Bd. II, § 84, S. 312 ff., 317 ff., 329 („Damit hat denn auch der größere Theil der Römischen Lehre von den Delictsobligationen für das heutige Recht seine Bedeutung verloren“); s.a. Arndts, Lehrbuch der Pandekten, § 243, S. 392 („Nach heutigem Recht sind indessen die Klagen auf Privatstrafe fast durchaus außer Gebrauch gekommen“); § 322, S. 518 („Den Anspruch auf Privatstrafe hat jedoch die gemeinrechtliche Praxis in den meisten Fällen beseitigt“). 884 Savigny, Obligationenrecht, Bd. II, § 84, S. 321 ff., 329 – im Gegensatz etwa zur actio furti, die als zweiseitige Strafklage (aaO, § 82, S. 297 f.) durch unabhängig von der Disposition des Geschädigten hoheitlich eingeleitetes Strafverfahren abgelöst ist (aaO, S. 318); vgl. Brinz, Lehrbuch der Pandekten, § 118, S. 512. 885 Savigny, Obligationenrecht, Bd. II, § 84, S. 312. 886 Savigny, Obligationenrecht, Bd. II, § 84, S. 329; s.a. Arndts, Lehrbuch der Pandekten, § 98, S. 140 („Im heutigen Recht sind indessen die meisten Strafklagen der einen und andern Art, soweit sie dieses sind, unpraktisch geworden“), § 243, S. 392; Hölder, Pandekten, § 59, S. 313 („Dem heutigen Rechte gehören die Privatstrafen des römischen Rechtes nicht mehr an“); G.K. Neuner, Wesen und Arten der Privatrechtsverhältnisse, § 21, S. 202 ff.; ferner bereits Hugo, Lehrbuch eines civilistischen Cursus, Bd. 4, S. 284; s. aber auch noch Windscheid, Lehrbuch des Pandektenrechts, Bd. 2, § 326, S. 222 f., Anm. 5; s. aber wiederum ders., Lehrbuch des Pandektenrechts, Bd. 2, 6. Aufl., § 326, S. 260 f. im Hinblick auf den Ausschluss der Privatstrafen durch § 2 Einführungsgesetz zum Reichsstrafgesetzbuch; abweichend Thon, Rechtsnorm, Vorrede, S. 33 ff. für die Weitergeltung bestimmter Privatstrafen trotz § 2 EGRStGB. Jansen (Haftungsrecht, S. 363 f.) weist insoweit auf eine Diskrepanz von pandektistischer Lehre und Praxis hin: Während die Pandektisten im Grundsatz das Deliktsrecht weiterhin über die einzelnen pönalen Deliktsklagen behandeln, ist spätestens durch das Reichsstrafgesetzbuch und die dadurch erfolgte weitgehende Abschaffung der Privatstrafen diesen in der 881
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bb) Die Verletzung subjektiver Rechte als Haftungsgrund? Die vorangegangenen Ausführungen betreffen die Rechtsfolgen der deliktischen Haftung. Aber wie sieht es mit der Haftungsbegründung aus? Wenngleich die Pandektistik zunächst weiterhin von den einzelnen römisch-gemeinrechtlichen Deliktsklagen ausgeht887, deutet sich bei Savigny an, dass eigentlicher Haftungsgrund der Schadensersatzhaftung die „Rechtsverletzung“, d.h. die Verletzung subjektiver Rechte sein soll.888 So ist bei Savigny „Grundlage eines jeden Delicts […] die Rechtsverletzung“889, wobei aus dieser Rechtsverletzung bei Vorliegen einer „rechtswidrigen Gesinnung“ (dolus/culpa) eine eigenständige Obligation entsteht.890 Dies korrespondiert mit der zentralen Bedeutung des subjektiven Privatrechts für die Pandektistik des 19. Jahrhunderts, welche eine Verbindung von subjektivem Recht und Haftungsrecht nahelegt.891 Entsprechend zeigt sich auch etwa bei Puchta892 ein Haftungsrecht, das im Grundsatz an die Verletzung subjektiver Privatrechte anknüpft: „Die objective Voraussetzung des Delicts ist eine Rechtsverletzung, die dadurch geschehen ist […], die subjective 887 Praxis die Grundlage entzogen worden; s.a. v. Kübel, Recht der Schuldverhältnisse, S. 658 („Ob jene Privatstrafen des römischen Rechtes […] prinzipiell, soweit sie nicht partikularrechtlich aufgehoben wurden, heute noch Geltung haben, darüber herrscht bekanntlich Streit. Von einer Seite wird behauptet, daß sie, mit Ausnahme der actio injuriarum aestimatoria, durch gemeines deutsches Gewohnheitsrecht schon vor dem deutschen Reichsstrafgesetzbuche beseitigt worden seien […]; von anderer Seite wird dies bestritten, dagegen angenommen, daß die Privatstrafen jedenfalls insoweit, als die Delikte, aus denen sie hervorgingen, unter die im Reichs-Strafgesetzbuche behandelten Materien gehören, durch §. 2 des Einführungsgesetzes zu letzterem aufgehoben seien“), sodann aber S. 659 („Für das bürgerliche Gesetzbuch kann jedenfalls die Einführung oder Zulassung von Privatstrafen nicht mehr in Frage kommen“). 887 S. Jansen, Haftungsrecht, S. 361, 457; Fezer, Teilhabe und Verantwortung, S. 469 f. 888 S. Savigny, Obligationenrecht, Bd. II, § 82, S. 293; § 51, S. 3; s. generell zur Diskussion von subjektiven Rechten und Deliktsrecht im 19. Jhd. Jansen, Haftungsrecht, S. 456 ff., 461 ff.; ferner ders., in: Haferkamp/Repgen (Hrsg.), Wie pandektistisch war die Pandektistik?, S. 165, 175 ff. 889 Savigny, Obligationenrecht, Bd. II, § 82, S. 293; ferner § 51, S. 3; Bd. I, § 5, S. 26; vgl. aber ferner zum Begriff der „Rechtsverletzung“ ders., System, Bd. 5, § 204, S. 1 („Verletzung der Rechte“ – „Rechtsordnung“). 890 Savigny, Obligationenrecht, Bd. II, § 82, S. 294 f. Savigny grenzt die deliktischen Obligationen von anderen Klagerechten („einfacher Rechtsschutz“; Klagen aus Eigentum, Verträgen) ab – auch diese setzen zwar eine Rechtsverletzung voraus, aber dort dient die Klage der „Beseitigung des rechtswidrigen Habens“, es entsteht keine neue selbständige Obligation wie bei den Delikten (aaO, S. 294 f.). 891 Vgl. Schulz-Schaeffer, Das subjektive Recht im Gebiet der unerlaubten Handlung, S. 83 ff.; Börgers, Von den „Wandlungen“, S. 56; Jansen, Haftungsrecht, S. 456 ff. Während in eigentlich allen Pandektenlehrbüchern das subjektive Recht eine zentrale Stellung einnimmt, ist die Verbindung von Haftungsrecht und subjektivem Recht umstritten; s. dazu die Nw. in den folgenden Fn. 892 ff., 897 ff.; ferner zu diesem Kontrast auch Fezer, Teilhabe und Verantwortung, S. 469 f. 892 S. Puchta, Pandekten, 9. Aufl., § 261, S. 401 ff.
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die Verschuldung dieses rechtswidrigen Erfolgs […]“.893 Auch bei anderen Pandektisten wird die Rechtsverletzung als der im Hintergrund der einzelnen Deliktsklagen stehende Haftungsgrund identifiziert.894 Im weiteren Verlauf der Diskussionen entwickeln sich weitergehende Ansätze, die ohne Rekurs auf die einzelnen Deliktsklagen für die Entstehung der Schadensersatzpflicht generell an die Verletzung subjektiver Rechte als Haftungsgrund anknüpfen.895 Diese Ansätze beeinflussen auch den Gesetzgebungsprozess zu den entsprechenden Regelungen des BGB.896 893
Puchta, Pandekten, 9. Aufl., § 261, S. 402. Jansen, Haftungsrecht, S. 457 („[…] so hat sich im Laufe der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts doch ganz allgemein die Auffassung durchgesetzt, daß jedes Delikt begrifflich eine Rechtsverletzung voraussetze“); s. ähnlich Puchta v. Wächter, Pandekten, Bd. 1, § 85, S. 440 f. („Unerlaubt ist jede Handlung […], durch welche ein fremdes Recht verletzt wird. […] Es muß durch die That eine Verletzung fremder Rechte wirklich herbeigeführt worden sein“); Arndts, Pandekten, § 84, S. 114 („Handlungen können entweder an sich widerrechtlich seyn oder […]. Im ersten Fall heißen sie […], insofern sie Privatrechte verletzen, delicta privata […]. Jede widerrechtliche Handlung aber setzt voraus objectiv eine Verletzung und subjectiv eine Beziehung zu dem Willen einer Person, vermöge welcher jene dieser zuzurechnen, zu imputiren ist“); § 243, S. 391 f.; Baron, Pandekten, § 71, S. 139 („Unerlaubt (widerrechtlich) im privatrechtlichen Sinne sind solche Handlungen, durch welche bestehende Rechte in rechtswidriger Weise verletzt (geschädigt) werden“); differenzierend Hölder, Pandekten, § 59, S. 311 f. (Grund einer Forderung des Geschädigten gegen den Verletzer entweder das „Delict“/actio ex delicto oder die Verletzung „eines bestimmten Privatrechts“; zu den unterschiedlichen Rechtsfolgen, aaO, S. 312: „Während die auf ein anderes durch den Schuldigen verletztes Recht sich gründende Forderung über den Ersatz des Interesses des Verletzten am Unterbleiben der Verletzung nicht hinausgeht, so war nach römischem Rechte die actio ex delicto theils als eine auf die Forderung jenes Ersatzes sich beschränkende rem persequens theils als eine darüber hinausgehende poenalis“). 895 S. Jansen, Haftungsrecht, S. 458, 463 f. mit Verweis auf Kohler, Patentrecht, Nr. 449 ff., S. 423 ff.; Nr. 469 ff., S. 447 ff.; Nr. 474 ff., S. 457 ff.; ders., Das Autorrecht, § 1, S. 60 („der Autor genießt auch Civilschutz, er genießt ein Anrecht auf Entschädigung. […] Die Entschädigung ist das Aequivalent für ein verletztes Recht, oder genauer gesprochen, für ein verletztes Gut, an welchem man ein Recht hat“); § 3, S. 123 f. („Keine Entschädigung ohne ein beschädigtes Gut, welches den Rechtsschutz genießt, also ohne Eingriff in ein Recht […]. Dieses Recht ist aber hier das Recht, welches man nicht unpassend Individualrecht genannt hat […]. Hätte man dies von jeher erkannt, man hätte anstatt einer regellosen, unsystematischen und unzureichenden Aufzählung von actiones ex delicto ein geordnetes System von Deliktsansprüchen gemäß den jeweils verletzten Rechten; und es ist doch gewiß die Aufgabe der Wissenschaft nicht damit gelöst, daß man ein und für allemal ein bestimmtes Quantum positivrechtlicher Deliktsansprüche aufzählt, ohne den letzten Grund zu bezeichnen, aus welchem die Ansprüche entspringen: das verletzte Recht“); § 8, S. 303 ff., 306 ff.; v. Kübel, Recht der Schuldverhältnisse, S. 658, 660 f.; ferner G.K. Neuner, Wesen und Arten der Privatrechtsverhältnisse, § 20, S. 177; § 21, 198 – Neuner knüpft aber gerade an die Gesetzes-, nicht die Rechtsverletzung an, obwohl das bei ihm eigentlich nahegelegen hätte (zu Neuner s. auch Jansen, Haftungsrecht, S. 409 f., 460, 463, 478). 896 S. v. Kübel, Recht der Schuldverhältnisse, S. 658 („Neben den Verträgen und den einseitigen Willenserklärungen bilden die unerlaubten Handlungen eine weitere Hauptquelle für die Entstehung von Schuldverhältnissen. Unerlaubt im zivilrechtlichen Sinne ist jede Handlung, durch welche jemand widerrechtlich, unbefugter Weise, in eine fremde Rechts894
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2. Kapitel: Die Entstehung der Konstituenten
Indes ist eine subjektiv-rechtliche Konzeption des Haftungsrechts alles andere als unumstritten oder gar herrschend.897 Vielmehr zeigen sich auch im ausgehenden 19. Jahrhundert alternative, vor allem pflichten- bzw. verhaltensunrechtsorientierte Haftungsentwürfe.898 Windscheid899 etwa differenziert zwei Arten des „unerlaubten Verhaltens“: einerseits die Verletzung eines fremden Rechts900, andererseits das „an sich unerlaubte“ (im Sinne von „Widerspruch zur Rechtsordnung“) Verhalten („Delict“, „Vergehen“), ohne dass eine Rechtsverletzung eingetreten sein muss.901 Aus dem Letzteren folgt ein „obli897 sphäre verletzend eingreift. Denn die Rechssphäre einer jeden Person muß von allen anderen Personen geachtet und unangetastet gelassen werden; wer gegen dieses allgemeine Rechtsgebot handelt, ohne hierzu aus besonderen Gründen berechtigt zu sein, begeht ebendaher eine unerlaubte Handlung.“), ferner S. 660 f. (Die Schadensersatzpflicht „beruht darauf, daß eine Person widerrechtlich eine andere Person in einem von der Rechtsordnung als schutzwürdig und schutzbedürftig anerkannten Interesse verletzt und dadurch geschädigt hat. Schadensersatz ist also ein selbständiger Begriff. Damit, daß ein Interesse von der Rechtsordnung als des privatrechtlichen Schutzes würdig anerkannt wird, ist auch im Falle seiner Verletzung und dadurch herbeigeführter Beschädigung der Anspruch auf Schadensersatz gegeben, wenn nicht für einen bestimmten Fall aus besonderen Gründen eine positive Ausnahme gemacht wird. Mit der widerrechtlichen (schuldhaften) Verletzung und Beschädigung und aus derselben entsteht der Anspruch auf Schadensersatz […]. Für den Entwurf gewinnt dieser selbständige allgemeine Rechtsgrund der Schadensersatzpflicht, dessen Anerkennung die Voraussetzung für die in §. 1 Absatz 1 enthaltene Regel bildet, wonach Jedermann für den durch widerrechtliches Eingreifen in eine fremde Rechtssphäre zugefügten Schaden verantwortlich ist, noch besondere Bedeutung, weil von seinem Standpunkt aus nicht nur die in den Kreis des Vermögens gehörigen, sondern überhaupt alle Interessen, welche des privatrechtlichen Schutzes würdig sind und erscheinen, Gegenstand einer Beschädigung werden können“); zu dieser subjektiv-rechtlichen Konzeption bei v. Kübel auch Picker, ZfPW 2015, 385, 387 f.; Jansen, Haftungsrecht, S. 458, 463; zur Bedeutung v. Kübels, der als Redaktor den Vorentwurf der „unerlaubten Handlungen“ für das BGB entworfen hat, auch Börgers, Von den „Wandlungen“, S. 69, allerdings auch S. 70 ff. zu den Unklarheiten; s. ferner zu den (Vor-)Entwürfen Schwitanski, Deliktsrecht, S. 98 ff.; Fraenkel, Tatbestand und Zurechnung, S. 97 ff. 897 S. vor allem Jansen, Haftungsrecht, S. 271 f., 456 ff., 464 ff., ferner S. 482. 898 Vgl. dazu Jansen, Haftungsrecht, S. 271 f., 464 ff.; zu Windscheid s. sogleich; z.B. Regelsberger, Pandekten, § 178, S. 643 f. („Eine Handlung oder Unterlassung ist unerlaubt, wenn dadurch ihr Urheber eine durch rechtliches Verbot oder Gebot begründete Rechtspflicht verletzt. Der durch sie herbeigeführte Erfolg ist ein Unrecht oder eine Rechtsverletzung im Sinne eines rechtspflichtwidrigen Verhaltens, nicht notwendig Verletzung eines subjektiven Rechts“); S. 647 („Das neuere Recht ist zwar zu einer schärferen Scheidung zwischen Strafe und Ersatzpflicht gekommen, es hat aber für die Ersatzpflicht aus Anlass eines Delikts den Thatbestand des Delikts als Grundlage nicht aufgegeben“). 899 Hier wird auf Windscheids Position in der 3. Aufl. (§ 101, S. 258 ff.; ähnlich 6. Aufl., § 101, S. 322 ff.) seines Pandektenlehrbuchs Bezug genommen; zur Position in der 9. Aufl. von Windscheid/Kipp s. Jansen, Haftungsrecht, S. 465. 900 S.a. Windscheid, Lehrbuch des Pandektenrechts, § 122, S. 323, wonach eine Rechtsverletzung dann vorliegt, wenn der „thatsächliche Zustand gegen den Willen des Berechtigten ein dem Rechte nicht entsprechender ist“. 901 Windscheid, Lehrbuch des Pandektenrechts, § 101, S. 258 f.; ferner ders., Lehrbuch des Pandektenrechts, 6. Aufl., § 101, S. 322 („Rechtsverletzung, d.h. Verletzung eines subjectiven Rechts“ – „Verbotenes Verhalten (Vergehen, Delict)“).
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gatorischer Anspruch auf Strafe oder Ersatz“, d.h. „die Verpflichtung zum Ersatz des dadurch verursachten Nachtheils“.902 Windscheids Haftungskonzeption knüpft folglich an die Verletzung des objektiven Rechts an. Diese begründet die Schadensersatzhaftung, sofern dadurch ein Schaden entstanden ist.903 Aus der Rechtsverletzung folgt demgegenüber nur der Anspruch des Berechtigten auf „Wiederaufhebung der Verletzung“.904 Ungeachtet dessen lassen sich mehrere Grundzüge des Haftungsrechts des ausgehenden 19. Jahrhunderts erkennen. Das Haftungsrecht ist grundsätzlich905 rein kompensatorisch und schadensausgleichsorientiert.906 Schadensersatz und Strafe sind getrennt907, die Kategorie der delicta privata bzw. der Privatstrafen hat ihre Bedeutung verloren. Die öffentliche Strafe dient der Vergeltung und dem Ausgleich von Schuld und Unrecht, unterscheidet sich also nach Zweck und Funktion vom Privatrecht908 und ist hoheitliche 902 Windscheid, Lehrbuch des Pandektenrechts, § 101, S. 259, 262; Bd. 2, § 326, S. 222 („Jedes Vergehen, durch welches ein Vermögensschaden verursacht wird, erzeugt ein Forderungsrecht auf Ersatz dieses Schadens“). Für die Entstehung der Schadensersatzpflicht kommt es hier also nicht auf die Verletzung subjektiver Rechte, sondern auf die Rechtswidrigkeit der Handlung an. 903 Vgl. dazu auch Windscheid, Lehrbuch des Pandektenrechts, Bd. 2, § 326, S. 222; ders., Lehrbuch des Pandektenrechts, Bd. 2, 6. Aufl., § 326, S. 259. 904 Windscheid, Lehrbuch des Pandektenrechts, § 122, S. 324. 905 Mit teilweise angenommener Ausnahme der Injurienklage, der aber eigentlich mit dem Inkraftreten des RStGB die Grundlage entzogen ist, s. dazu zuvor bereits S. 205 Fn. 886 sowie Jansen, Haftungsrecht, S. 363. 906 Dazu auch Jansen, Haftungsrecht, S. 373 ff. Bedeutung kommt insoweit auch der Entwicklung der „Differenzhypothese“ durch Mommsen zu, s. Mommsen, Zur Lehre vom Interesse, S. 3 („Unter dem Interesse in seiner technischen Bedeutung verstehen wir nämlich die Differenz zwischen dem Betrage des Vermögens einer Person, wie derselbe in einem gegebenen Zeitpunkte ist, und dem Betrage, welchen dieses Vermögen ohne die Dazwischenkunft eines bestimmten beschädigenden Ereignisses in dem zur Frage stehenden Zeitpunkt haben würde“). 907 Dazu auch Binding, Normen I, S. 225 ff. 908 S. etwa Savigny, System, Bd. 1, § 9, S. 25 f. („Dazu nun führt eine zwiefache Tätigkeit des Staates. Erstlich hat derselbe dem Einzelnen, der in seinem Recht verletzt wird, Schutz zu gewähren gegen diese Verletzung; die Regeln, unter welchen diese Thätigkeit steht, nennen wir den Civilprozeß. Zweytens hat er das verletzte Recht an sich zu vertreten und wiederherzustellen, ohne Rücksicht auf das individuelle Interesse. Dieses geschieht durch die Strafe, durch welche der menschliche Wille, im beschränkteren Gebiet des Rechts, das in der höheren Weltordnung waltende Gesetz sittlicher Vergeltung nachbildet (b). Die Regeln, unter welchen diese Thätigkeit steht, nennen wir das Criminalrecht […]“; „(b) Insoweit kann man sagen, daß die allgemeine sittliche Ordnung der Vergeltung, in einer beschränkten Weise, die Natur einer Rechtsanstalt annimmt, und als solche vom Staate in Ausführung zu bringen ist“; mit Verweis auf Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, §§ 102, 103, 220). Entsprechend differenziert auch Puchta nach dem Zweck zwischen Zivil- und Strafrecht sowie zwischen Zivil- und Strafprozess: Das Strafrecht dient der „Wiederherstellung der rechtlichen Ordnung gegen das Verbrechen“, s. Puchta, Cursus der Institutionen, Bd. 1, § 25, S. 61 f.; vgl. Arndts, Lehrbuch der Pandekten, § 98, S. 140 f. („Ersatzklagen“ – „Strafklagen“).
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Aufgabe des Staates.909 Die Kategorien des römischen Haftungsrechts sind damit hinsichtlich der Rechtsfolgen derogiert und durch naturrechtliche Wertungen ersetzt.910 Ferner sind die Zurechnung zum Willen sowie eine Willenshandlung notwendig.911 Es gilt allgemein für den Schadensersatzanspruch ein 909
S. v. Kübel, Das Recht der Schuldverhältnisse, S. 659 („Für das bürgerliche Gesetzbuch kann jedenfalls die Einführung oder Zulassung von Privatstrafen nicht mehr in Frage kommen. […] Die Verwirklichung jener Reaktion gegen den Thäter und zwar durch die öffentliche Strafe ist aber heutzutage die Aufgabe der vom Staat zu diesem Behufe aufgestellten Organe, während die Schadensersatzpflicht hiervon unabhängig ist und die Herbeiführung des Schadensersatzes allerdings dem Beschädigten überlassen bleiben muß. Demgemäß sind auch Privatstrafen im obigen Sinne als Folgen unerlaubter Handlungen den modernen Kodifikationen fremd“); S. 660 („Das römische Recht basirte in dieser Frage noch auf der Anschauung, daß der Schadensersatz die Folge des Delikts als solchen, d.h. einer bestimmten verpönten Handlung sei; deswegen konnte vielfach der Anspruch auf Schadensersatz […] nur mittels Privatstrafe verfolgt werden und hatte der Ersatzanspruch in allen Fällen, wo er aus einer unerlaubten Handlung zustand, einen Strafcharakter […]. Dies widerspricht der heutigen Rechtsanschauung. Man ist zu der richtigen Erkenntnis gelangt, daß die Strafe ihrem Grund und Zweck entsprechend nicht von Privaten, sondern nur vom Staate in dessen Namen erkannt und eingefordert werden darf, daß aber die Schadensersatzverbindlichkeit unabhängig davon ist, ob ein gewisses rechtswidriges schadenbringenes Verhalten mit öffentlicher Strafe bedroht ist oder nicht. Die legislativen Gründe für öffentliche Strafe und Schadensersatzpflicht liegen auseinander.“); ferner bereits G.K. Neuner, Wesen und Arten der Privatrechtsverhältnisse, § 21, S. 202 („Wesentlich verschieden von der bisher den Grundzügen nach angedeuteten römischen Auffassung ist nun aber die heutige Anschauung. Vor Allem geht der heutige Gedanke dahin, daß das auf Verbringen eines rechtlich geschützten Privatinteresses gesetzte Ausgleichungsmittel keineswegs immer zur Ausgleichung der That bestimmt ist. Bei solchem Verbringen, welches in einer Beschädigung besteht, ist das in Ersatz bestehende Ausgleichungsmittel nach heutiger Anschauung schon direkt und lediglich zur Ausgleichung des gestifteten Schadens, zur Entschädigung des Verletzten bestimmt. […] Wo das Ausgleichungsmittel zur Ausgleichung der That bestimmt ist, da hat dasselbe auch nach heutiger Anschauung den Charakter einer Strafe, das Verbringen den Charakter eines Delikts. Aber es ist dann nicht mehr Privatdelikt mit Privatstrafe, sondern öffentliches Verbrechen mit öffentlicher Strafe. Strafe kann nach dem Geiste der heutigen Zeit nur noch dem Staate gegenüber gebüßt werden. […] Schadensersatz ist bei uns ein selbständiger Begriff.“), ferner S. 205; § 22, S. 206 f.; Binding, Normen I, S. 225 ff.; vgl. auch noch Savigny, System, Bd. 1, § 9, S. 26 Fn. (c). 910 Zum naturrechtlichen Einfluss auf das Schadensrecht s. Gisawi, Der Grundsatz der Totalreparation, S. 224 ff.; Wolter, Naturalrestitution, S. 15 ff., 19 f., 80 ff.; ferner Fezer, Teilhabe und Verantwortung, S. 468 ff., 473 f.; Jansen, in: Haferkamp/Repgen (Hrsg.), Wie pandektistisch war die Pandektistik?, S. 165, 181 f. 911 S. etwa Arndts, Lehrbuch der Pandekten, § 84, S. 114 („Jede widerrechtliche Handlung aber setzt voraus objectiv eine Verletzung und subjectiv eine Beziehung zu dem Willen einer Person, vermöge welcher jene dieser zuzurechnen, zu imputieren ist. Dieses zweite Moment bezeichnet das Wort Schuld, culpa im weitern Sinn“); § 85, S. 114 („Schuld, culpa im weitern Sinn, ist dasjenige Moment in dem Willen eines Menschen, in Beziehung auf eine (positive oder negative) Handlung, vermöge dessen dieser als Urheber einer Rechtswidrigkeit, als Verwirker eines Unrechts erscheint“); Regelsberger, Pandekten, § 178, S. 644 („Handlung ist Willensverwirklichung“), S. 645 („Wenn auch jedes Unrecht aus dem Willen eines Menschen entsprungen ist, so rührt doch nicht jedes aus einer rechtswidrigen Beschaffenheit des Willens her, mit andern Worten: nicht jedes Unrecht ist verschuldet“); ferner § 57, S. 239 (zum Zusammenhang von Handlung und Wille); v. Wächter, Pandekten, Bd. 1,
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Verschuldenserfordernis.912 Unklar ist dagegen, ob der haftungsbegründende Tatbestand an die Verletzung objektiven Rechts bzw. von Verhaltenspflichten („unerlaubte Handlung“) – die Haftung wäre danach Sanktion für Verhaltensunrecht913 – oder die Verletzung subjektiver Rechte anknüpft.914 cc) Das Deliktsrecht im Bürgerlichen Gesetzbuch Diese Grundzüge prägen auch die Regelungen des Bürgerlichen Gesetzbuchs. Auch das Bürgerliche Gesetzbuch bricht im Recht der „unerlaubten Handlungen“ (§§ 823 ff. BGB) mit den privaten Strafklagen.915 Ferner findet die bei Savigny noch diskutierte Injurienklage keine Anerkennung.916 Das Deliktsrecht ist somit in seinen Rechtsfolgen nicht sanktions-, sondern rein ausgleichsorientiert917 und sieht eine strikte Trennung zivilrechtlicher Scha912 § 85, S. 441; Dernburg, Pandekten, § 86, S. 196 („Verschulden ist rechtsverletzender Willensfehler“); s.a., wenngleich unter einem anderen Aspekt, Jansen, Haftungsrecht, S. 440 ff.; Brüggemeier, Deliktsrecht, Rn. 106. 912 S. Jansen, Haftungsrecht, S. 365, ferner aber auch S. 376 ff. zur Kritik am „Verschuldensaxiom“, die sich allerdings nicht durchsetzen konnte. 913 Zur Bedeutung dessen vgl. Jansen, Haftungsrecht, S. 390, 420, 457. 914 Jansen, Haftungsrecht, S. 271 f., 420, 456 f. (einerseits Haftung für verbotenes Verhalten, andererseits Haftung für „die zurechenbare Verletzung eines subjektiven Rechts“; indes soll auch letztere [§ 823 Abs. 1 BGB] „nach der Konzeption des BGB an die Verletzung einer Verhaltenspflicht“ anknüpfen, aaO, S. 272 – s. dazu unten noch S. 213 f. Fn. 930 ff.); s. aber auch Bucher, Normsetzungsbefugnis, S. 121, wonach der pandektistischen Lehre das Kriterium der „Widerrechtlichkeit“ unbekannt gewesen sei („für sie ist die Widerrechtlichkeit eines Verhaltens, das ein subjektives Recht verletzt, selbstverständlich“). 915 S. Jansen, Haftungsrecht, S. 363, 373; Fezer, Teilhabe und Verantwortung, S. 473 f., 490 f.; ferner auch v. Kübel, Das Recht der Schuldverhältnisse, S. 658 („Für das bürgerliche Gesetzbuch kann jedenfalls die Einführung oder Zulassung von Privatstrafen nicht mehr in Frage kommen“); Dernburg, Die Schuldverhältnisse, Bd. 2, § 383, S. 746. 916 Zur Abschaffung der Injurienklage bereits durch die vorangegangene Strafrechtsgesetzgebung Ebert, Pönale Elemente, S. 204 ff., ferner S. 249 f.; vgl. auch Motive BGB II, S. 750 f. 917 Vgl. Picker, ZfPW 2015, 385, 389 („Erst recht bestand das leitende Ziel nicht in der Sanktion von Fehlverhalten als primär gesellschaftsbezogener Zweck“); Jansen, Haftungsrecht, S. 373; s. aber auch aaO, S. 390, 420, 457, ferner S. 47 f., 353 ff. (zu Wolff und den Naturrechtskodifikationen), wonach Jansen als herrschende Auffassung der Schadensersatzhaftung sowohl für das 19. Jhd. als auch für das BGB ein „Sanktionsmodell“ sieht. Wie verträgt sich dies mit der Ausgleichsorientierung? Dabei ist festzustellen, dass insoweit zwischen Haftungsbegründung und Haftungsfolgen zu differenzieren ist. Die Betrachtung als Sanktionsmodell bezieht sich auf die Haftungsbegründung; danach sei der Eintritt der Haftung als „Übel […], das die rechtliche Antwort auf einen Normverstoß bildet“, zu verstehen (Jansen, Haftungsrecht, S. 42). Entsprechend sei das 19. Jhd. nach Jansen (aaO, S. 364, 390; S. 420: „pandektistisches Sanktionsmodell“) hinsichtlich der Haftungsbegründung im Kern der römisch-gemeinrechtlichen aquilischen Haftung sowie der pflichtenorientierten Auffassung des Naturrechts gefolgt, den Eintritt der Schadensersatzhaftung als „Sanktion“ für Unrecht zu betrachten. Nicht nur die Haftung nach §§ 823 Abs. 2 und 826 BGB, sondern auch die Haftung nach § 823 Abs. 1 BGB ist danach trotz der Anknüpfung an die Verletzung subjektiver Rechte Haftung für „die Verletzung einer Verhaltenspflicht“, nämlich derjenigen Ver-
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2. Kapitel: Die Entstehung der Konstituenten
densersatzhaftung und öffentlicher Strafe vor.918 Ebenso wird auch das sog. Gradationssystem, d.h. ein vom Schuldgrad (Fahrlässigkeit, Vorsatz) abhängiger Haftungsumfang abgelehnt.919 Die Haftung ist schadens-, nicht schuldabhängig; greift Haftung ein, so ist der gesamte kausal entstandene Schaden zu ersetzen.920 Im Hinblick auf die Haftungsbegründung zeigt sich eine Abkehr sowohl von den Einzelklagen des römischen Rechts921 als auch von einer zum Ersatz eines jeden Schadens verpflichtenden, verschuldens- und pflichtenbezogenen
918 haltenspflichten, die als „Verletzungsverbote gegenüber jedermann“ aus den subjektiven Rechten folgen (Jansen, aaO, S. 272 – dazu noch näher unten Fn. 931). Allerdings ist darauf hinzuweisen, dass dies in einem zweifachen Spannungsverhältnis steht: zum einen mit dem reinen Kompensationsbezug der Haftungsfolgen, der sich durchsetzt – die Haftungsfolgen sind gerade nicht sanktions-, sondern ausschließlich ausgleichsorientiert (vgl. zu diesem Spannungsverhältnis auch Jansen, aaO, S. 357; Jansen [aaO, S. 42] geht aber davon aus, dass die Sanktionsbegründung gleichwohl mit dem Kompensationsprinzip vereinbar sei). Mit der Begrenzung auf den Schaden geht der Sanktionscharakter auf Rechtsfolgenebene vollständig verloren. Zum anderen die Eingliederung der subjektiven Rechte in die Haftungsbegründung (s. dazu unten noch S. 214 f.) sowie die Umstellung von Einzeldelikten auf allgemeine Tatbestände. Allgemeine Tatbestände tragen nicht gleichermaßen wie (für das Strafrecht wegen des Schuld- und Bestimmtheitsgrundsatzes notwendig) an konkrete Handlungsweisen anknüpfende Einzeltatbestände Sanktionscharakter. Durch die Lösung von der konkreten Handlungsweise auf Ebene der Haftungsbegründung zugunsten allgemeiner Haftungsgründe steht nicht das verbotene Verhalten, sondern der Ausgleichsgrund im Vordergrund, und damit nicht die Sanktion, sondern der Ausgleich. S. aber unten nochmals näher zum Verhältnis von Sanktion und Haftungsrecht S. 465 ff. 918 Ebert, Pönale Elemente, S. 248, 410 f.; vgl. auch Motive BGB II, S. 17 f., 729 f., 750 f.; s. ferner Endemann, Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts, § 200, S. 906 f., Fn. 1. 919 Dafür etwa Jhering, Das Schuldmoment, S. 55 ff.; Hartmann, Der Civilgesetzentwurf, S. 359 ff., 361 ff.; zu dieser Diskussion auch Jansen, Haftungsrecht, S. 355 ff., 364; Ebert, Pönale Elemente, S. 240 ff.; zur Ablehnung s. etwa v. Kübel, Recht der Schuldverhältnisse, S. 661; Motive BGB II, S. 17 f. 920 Ebert, Pönale Elemente, S. 248, 410 f.; Gisawi, Der Grundsatz der Totalreparation, S. 224 ff., 235 ff. S. z.B. Kohler, Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts II/1, § 172, S. 471 (zu den „gemeinsamen Grundsätzen“ des Rechts der unerlaubten Handlung: „den Grundsatz, daß regelmäßig der volle Schaden zu ersetzen ist“). 921 S. Denkschrift zum Entwurf eines Bürgerlichen Gesetzbuchs, S. 148 („Nach dem Vorbilde der meisten neueren Gesetzgebungen […] erkennt der Entwurf nicht, wie das Römische Recht, eine Schadensersatzpflicht nur für bestimmte unerlaubte Handlungen an, sondern er regelt die Voraussetzungen der Haftung aus solchen Handlungen auf allgemeiner Grundlage“); s.a. Endemann, Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts, § 200, S. 907; ferner auch Börgers, Von den „Wandlungen“, S. 70; Fezer, Teilhabe und Verantwortung, S. 473 f.; Schwitanski, Deliktsrecht, S. 97 f., 102 f.; s. aber Jansen, Haftungsrecht, S. 182, 371, 453, der die deliktische Haftung des BGB als unmittelbaren Nachfolgertatbestand zur fortentwickelten aquilischen Haftung des römisch-gemeinen Rechts sieht. Ebenso wie diese folge die Haftung von § 823 Abs. 1 BGB dem Sanktionsmodell, das an eine unerlaubte Handlung die Haftungsfolge setze (dazu zuvor bereits Fn. 917; s. zum „Sanktionsmodell“ Jansen, Haftungsrecht, S. 42).
III. Die rechtliche Moderne und die Historische Rechtsschule
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Generalklausel922, wie sie im Anschluss an Pufendorf unter dem Einfluss von Domat und Pothier923 Einzug in den Code Civil (Art. 1382, 1383 a.F.) gefunden hat924. Vielfach wird die Haftungskonzeption des BGB als unmittelbare Fortsetzung der aquilischen Haftung des gemeinen Rechts bewertet.925 Dieser These steht jedoch die Integration der subjektiven Rechte in § 823 Abs. 1 BGB entgegen.926 So setzt die deliktische Haftung nach § 823 Abs. 1 BGB927 neben der „Widerrechtlichkeit“ und dem Verschuldenserfordernis928 die Verletzung bestimmter Rechte bzw. Rechtsgüter voraus.929 Dementsprechend bleibt die Haftungsbegründung problematisch. So zeigt sich von Beginn an, dass eine vor dem Hintergrund der Entstehungsgeschichte naheliegende subjektiv-rechtliche Interpretation von § 823 Abs. 1 BGB, die in der Verletzung subjektiver Rechte den Haftungsgrund erblickt,930 alles andere 922 Denkschrift zum Entwurf eines Bürgerlichen Gesetzbuchs, S. 148 f. („Andererseits begnügt er sich aber auch nicht nach dem Vorgange des französischen Rechtes mit der Aufstellung des unbestimmten Grundsatzes, daß, wer widerrechtlich aus Vorsatz oder Fahrlässigkeit einem Anderen Schaden zufügt, diesem zum Ersatze des Schadens verpflichtet ist“); ebenso Endemann, Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts, § 200, S. 907; s. Picker, ZfPW 2015, 385, 388 f.; Börgers, Von den „Wandlungen“, S. 46; Schwitanski, Deliktsrecht, S. 97 f.; einschränkend, eher die Ähnlichkeit betonend Jansen, Haftungsrecht, S. 185 f. 923 S. etwa Fezer, Teilhabe und Verantwortung, S. 472. 924 Zu Letzterem s. Jansen, Theologie, S. 166; Zimmermann, The Law of Obligations, p. 1033 s.; s. aber auch zur Frage, inwieweit der Code Civil tatsächlich von einem pflichtenorientierten Ansatz ausgeht und nicht vielmehr der Schaden haftungsbegründend ist bzw. eine subjektiv-rechtliche Orientierung besteht, Jansen, Haftungsrecht, S. 475 Fn. 140. 925 S. Jansen, Haftungsrecht, S. 182, 371, 453. 926 Vgl. Jansen, Haftungsrecht, S. 456 ff., 482 – s. dazu auch gleich noch Fn. 930; ferner ansatzweise auch Fezer, Teilhabe und Verantwortung, S. 469. 927 Zur Diskussion, ob es sich dabei um eine „Generalklausel“ oder letztlich in Anlehnung an das römisch-gemeine Recht, zusammen mit §§ 823 Abs. 2, 826 BGB, um Einzeltatbestände mit Enumerationsprinzip handelt, oder ob ein „Mittelweg“ gewählt wurde, s. Börgers, Von den „Wandlungen“, S. 46 ff.; Deutsch, JZ 1963, 385; Reinhardt, JZ 1961, 713; Schwitanski, Deliktsrecht, S. 98. 928 S. Denkschrift zum Entwurf eines Bürgerlichen Gesetzbuchs, S. 149; Endemann, Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts, § 200, S. 914; Enneccerus/Lehmann, Das Bürgerliche Recht, Bd. 1, § 116, S. 257, 258; dazu Benöhr, Tijdschrift voor Rechtsgeschiedenis 46 (1978), 1, 24 ff.; Jansen, Haftungsrecht, S. 381. 929 Vgl. Denkschrift zum Entwurf eines Bürgerlichen Gesetzbuchs, S. 149; Motive BGB II, S. 725, 726; entsprechend soll die Erwähnung subjektiver Rechte „haftungsbeschränkende“ Funktion haben, s. Schulz-Schaeffer, Das subjective Recht im Gebiet der unerlaubten Handlung, S. 44; dazu auch Brüggemeier, Deliktsrecht, Rn. 95; Schwitanski, Deliktsrecht, S. 99 ff., 121. Die gleich noch näher thematisierte Frage betrifft hingegen, ob die subjektiven Rechte auch haftungsbegründende Funktion haben, vgl. Schulz-Schaeffer, Das subjective Recht im Gebiet der unerlaubten Handlung, S. 44 f. 930 Vgl. zu diesem subjektiv-rechtlichen Verständnis des § 823 Abs. 1 BGB im Hinblick auf die Entstehungsgeschichte Picker, ZfPW 2015, 385, 387 ff. (S. 390: „Insgesamt […] sollte das Deliktsrecht also nach diesem Konzept als auf Restitution gerichteter Schutz der zugewiesenen Rechte fungieren”); ders., Privatrechtssystem, S. 52, 61 Fn. 2 mit Verweis (u.a.) auf Motive BGB II, S. 725; Motive BGB III, S. 392 f.; s. ferner Denkschrift zum Entwurf eines
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2. Kapitel: Die Entstehung der Konstituenten
als sicher ist.931 Insbesondere folgende Fragen geben von Beginn an Anlass zu Diskussionen932: Wieso spricht § 823 Abs. 1 BGB nicht nur von Rechten, sondern führt bestimmte Schutzgüter auf?933 Und was bedeutet der umstrittene 931 Bürgerlichen Gesetzbuchs, S. 149 („Die Vorschriften über unerlaubte Handlungen bezwecken, den Rechtskreis des Einzelnen gegen widerrechtliche Eingriffe Anderer zu sichern. Der Rechtskreis des Einzelnen wird aber bestimmt theils durch die in seiner Person begründeten Rechte, theils durch allgemeine, vorwiegend dem Gebiete des Strafrechts angehörende Vorschriften, welche zum Schutze des Einen eine Handlung des Andern verbieten oder gebieten. Dementsprechend macht der §. 807 die Schadensersatzpflicht davon abhängig, daß die schädigende Handlung entweder das Recht eines Anderen, insbesondere dessen Leben, Gesundheit, Freiheit, Eigenthum verletzt oder gegen ein den Schutz eines Anderen bezweckendes Gesetz verstößt“); ferner bereits Schulz-Schaeffer, Das subjective Recht im Gebiet der unerlaubten Handlung, S. 39 ff., 45 („Indem unser Gesetzgeber als Grund des deliktischen Schadensersatzanspruchs in erster Linie die Verletzung eines subjektiven Rechts bezeichnet hat […]“); ähnlich auch Reinhardt, JZ 1961, 713; Fezer, Teilhabe und Verantwortung, S. 473 ff., 481 ff., 486 ff.; s. aber auch Jansen, Haftungsrecht, S. 456 ff., 482 (ferner gleich noch Fn. 931). S. im Einzelnen zur Entstehungsgeschichte auch Börgers, Von den „Wandlungen“, S. 69 ff., 77 ff., 96 ff.; Brüggemeier, Deliktsrecht, Rn. 81 ff.; Schwitanski, Deliktsrecht, S. 98 ff., 124. 931 Für eine entsprechende subjektiv-rechtliche Auslegung in der Anfangszeit von § 823 Abs. 1 BGB Endemann, Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts, § 200, S. 907 f.; § 201, S. 914; Cosack, Lehrbuch des bürgerlichen Rechts, § 163, S. 601 ff.; Dernburg, Die Schuldverhältnisse, Bd. 2, § 383, S. 748 ff., 754; Jung, Delikte und Schadensverursachung, S. 17 f., 25 ff.; Kohler, Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts II/1, §§ 198 ff., S. 513 ff.; Linckelmann, Die Schadensersatzpflicht aus unerlaubten Handlungen, S. 17 ff.; v. Liszt, Die Deliktsobligationen, § 3, S. 20 ff. (weitergehend sämtliche subjektiven Rechte einschließlich obligatorischer Ansprüche durch § 823 Abs. 1 BGB geschützt; dazu auch Schwitanski, Deliktsrecht, S. 125 f.); Schulz-Schaeffer, Das subjektive Recht im Gebiet der unerlaubten Handlung, S. 4, 39 ff.; dazu Jansen, Haftungsrecht, S. 456 ff., 461 ff.; dazu, dass dies die anfangs herrschende Auffassung war, auch Schwitanski, Deliktsrecht, S. 124 ff.; dagegen für verbots- bzw. verhaltensunrechtliche Auslegung Enneccerus/Lehmann, Das Bürgerliche Recht, § 116, S. 257, 258. Allerdings ist hier zu differenzieren, s. dazu vor allem Jansen, Haftungsrecht, S. 456 ff., 464 ff.; S. 482: „Es wäre freilich offensichtlich falsch zu behaupten, daß eine solche Konzeption von Anfang an auch dem BGB zugrundegelegen habe. So mehrdeutig und schillernd die auf die Verletzung subjektiver Rechte bzw. individuell zugewiesener Rechtsgüter bezogene Formulierung des § 823 I BGB sein mag, so eindeutig steht doch fest, daß sie ein Delikt, also eine „unerlaubte Handlung“ im Sinne verbotenen Verhaltens beschreiben soll. Wer allein auf den Zuweisungsgehalt individueller Rechtsgutszuweisungen abstellen will, um die faktische Entkoppelung der „deliktischen“ Haftung von tatsächlichen Verhaltenspflichten dogmatisch erfassen zu können, muß sich deshalb bewußt sein, daß er damit von der ursprünglichen Konzeption des Gesetzes abweicht“. So zeigen sich unter den frühen subjektiv-rechtlichen Interpretationen auch solche, die letztlich doch auf eine pflichten- bzw. verhaltensunrechtliche Interpretation hinauslaufen (s. dazu Jansen, Haftungsrecht, S. 271 f., 457 f., 464 ff.). 932 S. etwa die Diskussion bei Schulz-Schaeffer, Das subjektive Recht im Gebiet der unerlaubten Handlung (1915), S. 4, 39 ff. (dazu zuvor bereits Fn. 931); zu den Unklarheiten auch Dernburg, Die Schuldverhältnisse, Bd. 2, § 383, S. 747 ff.; zu den Diskussionen auch Börgers, Von den „Wandlungen“, S. 52 ff.; s. ferner Schwitanski, Deliktsrecht, S. 126 ff., 131 ff. 933 Die Differenzierung wird gemeinhin damit erklärt, dass im 19. Jhd. umstritten blieb, ob die persönlichen immateriellen Rechtsgüter wie Leben, Gesundheit, Freiheit, Ehre etc. Rechte sind (s. Reinhardt, JZ 1961, 713 mit Verweis auf Motive BGB II, S. 728; Schulz-Schaeffer, Das subjektive Recht im Gebiet der unerlaubten Handlung, S. 42; Börgers, Von den „Wandlungen“, S. 56 f.); vgl. zu dieser Auseinandersetzung oben bereits S. 186 Fn. 776.
III. Die rechtliche Moderne und die Historische Rechtsschule
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Begriff934 des subjektiven Rechts im deliktsrechtlichen Kontext überhaupt?935 Welche Bedeutung hat das Merkmal der „Widerrechtlichkeit“ neben der Rechts(guts)verletzung?936 Welche Bedeutung kommt dem Zusatz „sonstiges Recht“ zu?937 Wie ist das Verhältnis von § 823 Abs. 1 BGB zu § 823 Abs. 2 BGB sowie § 826 BGB?938 Diese Uneindeutigkeiten führen schließlich dazu, dass das Deliktsrecht in den Diskussionen des 20. Jahrhunderts erheblichen „Wandlungen“939 unterzogen wird. Wenngleich zahlreiche dogmatische Fragen im Hinblick auf § 823 BGB bis in die Gegenwart umstritten bleiben940, wird von der heute wohl herrschenden Auffassung nicht die Verletzung subjektiver Privatrechte als Haftungsgrund des § 823 Abs. 1 BGB angesehen; vielmehr wird sie als Haftung für Verhaltensunrecht gedeutet.941 h) Prozess, materielles Recht und Rechtskraft Schließlich bleibt noch das Verhältnis des materiellen Rechts zum Prozessrecht in der Rechtslehre des 19. Jahrhunderts zu untersuchen.942 Auf Wind934 S. dazu zuvor S. 185 ff. sowie unten noch S. 465 ff.; ferner Jansen, Haftungsrecht, S. 464. 935 S. dazu auch Jansen, Haftungsrecht, S. 456 ff.; Reinhardt, JZ 1961, 713, 714; vgl. SchulzSchaeffer, Das subjektive Recht im Gebiet der unerlaubten Handlung, S. 4, 45, 47 ff., 83 ff. 936 S. dazu aus der damaligen Diskussion etwa Cosack, Lehrbuch des bürgerlichen Rechts, § 163, S. 602 f.; Zitelmann, AcP 99 (1906), 1, 2 ff.; vgl. ferner Brüggemeier, Deliktsrecht, Rn. 94 ff.; zum nach wie vor bestehenden „Problem der Rechtswidrigkeit“ im Rahmen von § 823 Abs. 1 BGB s. Jansen, Haftungsrecht, S. 10 ff., 23 ff.; ders., AcP 202 (2002), 517 ff. 937 Insofern stellt sich die Frage, welche anderen Rechte hierunter zu erfassen sind, was insbesondere die Persönlichkeitsrechte betrifft, s. dazu die Diskussion bei Schulz-Schaeffer, Das subjektive Recht im Gebiet der unerlaubten Handlung, S. 119 ff.; Cosack, Lehrbuch des bürgerlichen Rechts, § 163, S. 601 f.; ferner Reinhardt, JZ 1961, 713, 714; Fezer, Teilhabe und Verantwortung, S. 486 ff.; Jansen, Haftungsrecht, S. 460, 467 ff. v. Liszt erfasst darunter „alle durch das Privatrecht […] anerkannten und geschützten Rechte“, was auch obligatorische Rechte miteinbezogen hätte (v. Liszt, Die Deliktsobligationen, S. 20 ff.; ähnlich wohl auch Endemann, Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts, § 201, S. 914). Dann wäre freilich die Abgrenzung zu § 823 Abs. 2 BGB und § 826 BGB unklar gewesen (s. Börgers, Von den „Wandlungen“, S. 53). 938 Dazu etwa Cosack, Lehrbuch des bürgerlichen Rechts, § 163, S. 604 f.; Schulz-Schaeffer, Das subjektive Recht im Gebiet der unerlaubten Handlung, S. 109 ff.; ferner auch v. Caemmerer, Wandlungen des Deliktsrechts, S. 67 f. 939 Zu diesen „Wandlungen des Deliktsrechts“ v. Caemmerer, Wandlungen des Deliktsrechts, S. 50 ff., 65 ff., 71 ff.; s. dazu auch Börgers, Von den „Wandlungen“, S. 19 ff.; Brüggemeier, Deliktsrecht, Rn. 86, 87 ff. („Vom absoluten subjektiven Recht zur sozialen Schutzposition“); ferner auch Jansen, Haftungsrecht, S. 23 ff., 387, 466 ff., 472 ff. 940 S. dazu unten noch S. 465 ff., 469 ff.; vgl. ferner Jansen, Haftungsrecht, S. 21 ff. 941 S. dazu unten noch S. 471 ff. sowie etwa Brüggemeier, Deliktsrecht, Rn. 86, 99 ff., 174 ff., 178; v. Caemmerer, Wandlungen des Deliktsrechts, S. 75 ff., 80. 942 S. etwa auch Windscheid, Lehrbuch des Pandektenrechts, §§ 124 ff., S. 329 ff. zur Frage nach den Einflüssen des Prozesses auf das materielle Recht.
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2. Kapitel: Die Entstehung der Konstituenten
scheids Anspruchsbegriff und die damit verbundene Trennung von Prozessund materiellem Recht wurde bereits eingegangen.943 Da die Klagbarkeit Folge des Bestehens vorgelagerter materieller subjektiver Privatrechte ist und insofern deren Geltendmachung den Gegenstand des Prozesses bildet944, ergeben sich auch wesentliche Konsequenzen für den Zweck des Zivilprozesses. Puchta etwa sieht ähnlich Savigny945 den Zweck des Zivilprozesses in der Abwehr und der Beseitigung von (relativem) Unrecht – darunter fallen die Nichterfüllung oder das Bestreiten von subjektiven Rechten – und insoweit in einer Angleichung des Faktischen an das Rechtliche.946 Im Übrigen wird der Zweck des Prozesses sonst auch unmittelbar mit der Durchsetzung bzw. Geltendmachung subjektiver Privatrechte identifiziert.947
943
S. dazu zuvor S. 191 ff. S. dazu vor allem Simshäuser, Zur Entwicklung des Verhältnisses, S. 81 ff., auch zu den Folgen von Windscheids Anspruchskonzeption für das Verhältnis von materiellem Recht und Prozessrecht, insbesondere S. 83 zur „Vorstellung, im Prozeß werde das verletzte materielle Recht bzw. der zum Klagrecht gesteigerte materielle Anspruch eingeklagt, erhoben, ausgeübt oder geltend gemacht“ (mit Verweis auf Windscheid, Die Actio des römischen Civilrechts, S. 23, 64, 68, 70, 73, 80, 83, 87, 89, 100, 108, 114); vgl. auch Seuffert, Grünhut’s Zeitschrift XII (1885), S. 617 ff. zum Verhältnis „Recht, Klage, Zwangsvollstreckung“; s. aber ferner Simshäuser, Zur Entwicklung des Verhältnisses, S. 126 ff., 146 f. zur zivilprozessrechtlichen Diskussion, was konkret Streitgegenstand des Zivilprozesses ist (privatrechtlicher Anspruch – publizistischer Rechtsschutzanspruch) mit Verweis (u.a.) auf Hellwig, Klagrecht, S. 61; Wach, Feststellungsanspruch, S. 15, 24 f., 42 f. 945 S. Savigny, System, Bd. 1, § 9, S. 25 f. 946 Puchta, Cursus der Institutionen, Bd. 1, § 25, S. 60, ferner § 29, S. 70, 73, wonach der Zweck des Prozesses in der Beseitigung der faktischen Beeinträchtigungen der rechtlichen Befugnisse besteht, d.h. darin, die „Verhältnisse mit dem, was das Recht fordert, in Uebereinstimmung zu bringen“ und dadurch „einen Zwiespalt zwischen Factum und Recht“ zu beseitigen (S. 60). Ziel ist, dass „die factische Macht, die der rechtlichen entspricht, sich gegen eine Verletzung zwangsweise durchsetzen läßt“ (S. 73); a.A. Regelsberger, Pandekten, § 52, S. 216 („[…] insbesondere ist nicht die Entstehung jedes Anspruchs durch eine Rechtsverletzung bedingt“); gegen die Auffassung, dass Voraussetzung des Anspruchs eine Rechtsverletzung ist, wandte sich bereits Windscheid, Die Actio des römischen Civilrechts, S. 2 („sie ist vorhanden auch vor der Verletzung, wird aber erst realisierbar durch dieselbe“); dazu Simshäuser, Zur Entwicklung des Verhältnisses, S. 71 f. 947 S. Seuffert, Grünhut’s Zeitschrift XII (1885), S. 617 ff., 619, 621 f., 624; s. ferner dann Pagenstecher, Zur Lehre von der materiellen Rechtskraft, S. 20 ff.; vgl. Arndts, Lehrbuch der Pandekten, § 95, S. 133 („Der regelmäßige Weg, auf welchem Rechte gegen Bestreitung und Verletzung Anderer geltend zu machen sind, ist Anrufung der richterlichen Gewalt des Staates, der Rechtsweg“); Regelsberger, Pandekten, § 188, S. 671 („Aber privatrechtlich ist das den Gegenstand des Civilprozesses bildende Rechtsverhältnis“), § 191, S. 678 f. („Die gerichtliche Durchführung der Rechte“); Wach, der Feststellungsanspruch, S. 22 f. („Der durch unsere Rechtspflegeordnung anerkannte zweifache Schutzzweck: Bewährung vorhandenen und Abwehr angemaßten Rechts“); s. aber auch Windscheid, Lehrbuch des Pandektenrechts, § 122, S. 326 („Zwecke der Realisirung der Rechtshülfe“; im Kontext der Rechtsverletzung); vgl. dazu auch Buchheim, Actio, S. 55, 125. 944
III. Die rechtliche Moderne und die Historische Rechtsschule
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Es gilt grundsätzlich948 ein Selbsthilfeverbot, da Selbsthilfe „dem Wesen der staatlichen Ordnung“ zuwiderläuft.949 Wegen des Selbsthilfeverbots wird die Möglichkeit gerichtlicher Rechtsdurchsetzung gewährt, auf die der einzelne gegen den Staat einen Anspruch hat.950 Es bildet sich die Vorstellung eines gegen den Staat und seine Gerichte gerichteten Anspruchs auf gerichtliche Durchsetzung des materiellen Anspruchs, der vom materiellen subjektiven Privatrecht selbst verschieden ist („Klagrecht“; „Rechtsschutzanspruch“).951 Virulent wird die Frage nach dem Verhältnis von Prozess und materiellem Recht nach deren Trennung vor allem für die Wirkungen eines rechtskräftigen Urteils sowie den Streitgegenstand.952 Windscheid etwa sieht die Wirkung eines verurteilenden Urteils darin, dass „der von Anfang an vorhandene Anspruch“ „seine definitive Gestaltung“ erhält, diejenige des abweisenden Urteils in der Beseitigung des klägerischen Anspruchs.953 Das rechtskräftige Urteil entfaltet also materiell-rechtliche Wirkungen durch Einwirkung auf das materiell-rechtliche Rechtsverhältnis.954 Im 20. Jahrhundert setzen sich dann gegen diese materiellen Theorien prozessuale Theorien durch, nach denen 948
Zum Selbsthilferecht s. Windscheid, Lehrbuch des Pandektenrechts, § 123, S. 328; Arndts, Lehrbuch der Pandekten, § 94, S. 132. 949 Windscheid, Lehrbuch des Pandektenrechts, § 123, S. 326; s. Puchta, Cursus der Institutionen, Bd. 1, § 29, S. 70 f. („Bedenklich, weil, wer Partei ist, die Gränzen seines Rechts und des Unrechts des Gegners gewöhnlich nicht richtig beurtheilen […] wird“), ferner S. 60; vgl. ferner Regelsberger, Pandekten, § 188, S. 671; § 190, S. 675 ff. (zur Selbsthilfe, S. 675: „Sie ist erlaubt als Selbstverteidigung […]. Sie ist verboten als Selbstbefriedigung, d.h. als Mittel, um den einem Recht entsprechenden Zustand herzustellen […]“). 950 S. Windscheid, Lehrbuch des Pandektenrechts, § 122, S. 324 f. („Erfolgt die Wiederaufhebung oder ihrer Folgen nicht, so darf sich der Verletzte nicht durch eigene Macht zu dem ihm Gebührenden verhelfen, er muss sich vielmehr klagend an den Staat wenden und diesen um Hülfe angehen“), Fn. 5 („Das Klagrecht in diesem Sinne ist ein Recht gegen den Staat“); ferner Hölder, Pandekten, § 61, S. 323, 324 f.; ursprünglich Degenkolb, Einlassungszwang, S. 31 ff.; dazu auch Simshäuser, Zur Entwicklung des Verhältnisses, S. 112. 951 Vgl. Windscheid, Abwehr, S. 26 ff.; ders., Lehrbuch des Pandektenrechts, § 122, S. 324 f. Fn. 5; ausdrücklich Wach, Feststellungsanspruch, S. 15 ff., 22 ff., 27; Degenkolb, Einlassungszwang, S. 31 ff.; Hellwig, Klagrecht, S. 5 f., 42 ff.; ferner zur Diskussion Seuffert, Grünhut’s Zeitschrift XII (1885), S. 617, 622 ff., 627; dazu Simshäuser, Zur Entwicklung des Verhältnisses, S. 78 f., 111, wonach Windscheid (Abwehr, S. 26 ff.) diese Vorstellung von Muther (Zur Lehre von der Römischen Actio, S. 47 ff.) übernimmt; ferner Simshäuser, aaO, S. 92, 101 ff., 109 ff., 112 zur Diskussion dieses „publizistischen Klagrechts“ im Sinne eines subjektiven öffentlichen Rechts. Zum – heute umstrittenen – Rechtsschutzanspruch sowie seinem Verhältnis zum Justizgewähranspruch s. unten noch S. 547 f. 952 Zur Diskussion um den Streitgegenstand des Zivilprozesses Simshäuser, Zur Entwicklung des Verhältnisses, S. 126 ff. 953 S. Windscheid, Lehrbuch des Pandektenrechts, § 129, S. 347 ff., ferner § 128, S. 341 ff., 343 („Rechtskraft des Urtheils im materiellen Sinn“); ferner Regelsberger, Pandekten, § 188, S. 671 („Die prozessualische Geltendmachung wirkt also auf den Bestand und den Umfang des Privatrechts ein“). 954 So Kohler, in: FS Franz Klein, S. 1 ff.; Pagenstecher, Zur Lehre von der materiellen Rechtskraft, S. 45 ff., 302 ff., 305 ff.; a.A. Hellwig, System des Deutschen Zivilprozessrechts, S. 776 ff.
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2. Kapitel: Die Entstehung der Konstituenten
zum einen die Rechtskraft des Urteils keine Einwirkung auf die materiellen Rechtsverhältnisse hat955, zum anderen der Streitgegenstand des Zivilprozesses nicht materiell-rechtlich, sondern prozessual bestimmt wird.956
3. Die bürgerlich-rechtliche Denkform Im vorangegangenen Abschnitt wurde deutlich, dass für die Formung des bürgerlich-rechtlichen Denkens die Kategorien Person, Wille, Freiheit, subjektives Recht, Anspruch, Rechtsverhältnis, Willenserklärung, Vertrag etc. eine zentrale Bedeutung einnehmen. Diese stehen ihrerseits nicht kontingent oder unverbunden nebeneinander, sondern sind gegenseitig bedingt.957 Ihnen liegt eine bestimmte Denkform zugrunde. Die Kategorien dieser Denkform sind diejenigen, die sich historisch zunächst im Kontext der „Metaphysik der Freiheit“ entwickelt haben. Kennzeichen dieser Denkform ist, dass Gegenstand rechtlichen Denkens nicht das physisch-natürliche Sein, sondern die „Rechtswelt“ ist, deren Fundament Person, Wille und Freiheit sind, deren zentrales Ordnungsprinzip das subjektive Recht ist und dessen Konstruktion der Form einer „juristischen Kausalität“ folgt. Bedeutung kommt somit der Form des Rechts zu. Durch diese Form des Rechts werden aus den zwischenmenschlichen Lebensverhältnissen Rechtsverhältnisse zwischen Personen. Es gibt juristische Ursachen (juristische Tatsachen) und Rechtswirkungen, wobei die juristischen Ursachen vor allem durch Person, Freiheit und Willen konstituiert werden. Rechtlich relevant sind grundsätzlich freie, d.h. willensgetragene Handlungen. Nur Willenserklärungen bzw. Verträge können Rechtsverhältnisse, d.h. Rechte und Pflichten rechtsgeschäftlich begründen, verändern oder beenden. Der gesamte Bereich des Rechtlichen wird damit verselbständigt und findet zugleich sein Fundament in Person, Wille und Freiheit. Das subjektive Privatrecht als zentrales Ordnungsprinzip der „Rechtswelt“ korrespondiert damit: es ist eine rechtliche Willensmacht der Person und ordnet dem Rechtsinhaber Güter rechtlich zu. Im Laufe der Diskussionen des 19. Jahrhunderts werden die philosophischen Fundamente zwar immer weiter in den Hintergrund gedrängt; die Kategorien bleiben aber erhalten.958
955
Zur prozessualen Rechtskrafttheorie s. etwa Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 152 Rn. 5 f., 7 f.; kritisch Braun, in: Bernreuther (u.a.) (Hrsg.), FS Schellenberg, S. 69 ff. 956 Ursprünglich Rosenberg, Zivilprozessrecht, § 88 I.; s.a. noch Rosenberg/Schwab/ Gottwald, Zivilprozessrecht, § 93 Rn. 8 ff., 27 f. 957 Vgl. dazu auch, wenngleich nicht historisch, Gmür, Rechtswirkungsdenken, S. 94 f. 958 S. dazu oben S. 163 ff. sowie die vorangegangenen Nachweise.
3. Kapitel
Die Kritik und die Zivilrechtsentwicklung der Gegenwart I. Die Kritik und ihr ideengeschichtlicher Hintergrund Zuvor wurde festgestellt, dass die Konstituenten der Zivil- und Zivilprozessrechtsordnung in der Gegenwart zunehmend infragegestellt werden und auch der Gesetzgeber bereits zahlreiche Gesetze erlassen hat, die die Verwirklichung der Konstituenten zumindest zurückdrängen.1 Im Folgenden ist dem ideengeschichtlichen Hintergrund dieser Veränderungstendenzen und der dahinter stehenden Kritik nachzugehen.2 Ähnlich wie bei den Änderungen des Zivil- und Zivilprozessrechts in den USA3 ist auch für Europa und Deutschland zu vermuten, dass den Veränderungsprozessen bestimmte ideengeschichtliche Entwicklungen zugrunde liegen. Auch hier geht es indes nicht um historische Genealogien, sondern um die Denkform. Weil es diese spezifische Denkform gibt, gibt es auch spezifische Kritiken, die sich auf ebenjene Denkform beziehen. Dabei zeigt sich, dass die Kritik selbst nicht erst Ergebnis einer „reflexiven Moderne“ als Reaktion auf die „erste Moderne“ ist4, sondern dass die Kritik ihrerseits bereits seit Beginn der Metaphysik der Freiheit bestanden hat.5 Jede der im Folgenden darzustellenden Kritikansätze setzt nämlich in je anderer Weise an der Freiheitsmetaphysik und den Konstituenten Person, Freiheit, Wille und subjektives Recht an.
1. Der Ausgangspunkt: Wilhelm v. Ockham a) Die Ablehnung eines moralischen Seinsbereichs Man kann den Ursprung dieser Kritik bereits zu Beginn der Lehre vom moralischen Sein verorten, nämlich bei Wilhelm v. Ockham und dem mit ihm ver1
S. dazu oben S. 35 ff. Vgl. ansatzweise dazu auch Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, S. 325 ff., 337 ff., 343 ff. 3 S. dazu sogleich S. 267 ff., 283 ff. 4 So Auer, Der privatrechtliche Diskurs, S. 5 ff., 46 ff., 74 ff.; s. dazu oben S. 8 f. 5 S. grundlegend zur Kritik an der Freiheitsmetaphysiktradition Kobusch, Die Entdeckung der Person, S. 56, 173 ff. (vor allem Ockham, Gabriel Vázquez, Christian Thomasius und Schopenhauer, ferner Nietzsche). 2
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3. Kapitel: Die Kritik und die Zivilrechtsentwicklung der Gegenwart
bundenen nominalistischen Denken.6 Diese Kritik, die Gabriel Vázquez7 später explizit auf die entia moralia bezieht8, vollzieht sich im Ausgangspunkt erkenntniskritisch.9 Die entia moralia sind danach – entgegen der Position von Suárez10 – nicht etwas Reales, sondern bloße Vernunft- bzw. Gedankendinge (relatio rationis; entia rationis).11 Das Moralische selbst ist nicht real; real ist nur der Willens- oder Erkenntnisakt, auf den es bezogen ist.12 Dahinter steht Ockhams grundsätzliche erkenntnistheoretische Position, dass alles reale Sein 6
Vgl. Kobusch, Die Entdeckung der Person, S. 56, 178. Zur Person s. die Kurzbiographie auf S. 579; zur weiteren Auseinandersetzung zwischen Gabriel Vázquez und Suárez hinsichtlich der Gesetzes- und Naturrechtstheorie s. Thönissen, Recht und Gerechtigkeit, 3. Kap. VII.2.b). 8 Gabriel Vázquez, Comm. In I-II, Disp. 129 Cap. 7 N. 23; Disp. 95 Cap. 10 N. 46 f.; dazu auch Kobusch, Die Entdeckung der Person, S. 56; Gemmeke, Die Metaphysik des sittlich Guten, S. 12 f., 168 f. 9 Vgl. Kobusch, Die Entdeckung der Person, S. 56. 10 Dazu oben S. 76 ff. 11 Kobusch, Die Entdeckung der Person, S. 56; s. Ockham, In I Sent. Ord. I, Dist. 35 Q. IV, S. 470 („omne imaginabile vel habet esse reale et subiectivum, vel obiectivum. Si subiectivum, igitur est realis. Si obiectivum, igitur tunc cognoscitur vel est volita, et sive sic sive sic, sequitur quod est cognita“), ferner S. 472 (dominium als relativum rationis); Gabriel Vázquez, Comm. In I-II, Disp. 129 Cap. 7 N. 23 („nempe genus moris, quod in actu ipso, & operatione elicita a potentia veluti accidens in subiecto proprio reperitur, in sola relatione convenientiae, aut inconvenientiae cum natura rationali consistere, haec autem supponit ut fundamentum necessarium rationem liberi […]. Suppono deinde, hance rationem convenientiae, & inconvenientiae, & rationem liberi, quod est veluti fundamentum utriusque, consistere in relatione solum rationis ex reali fundamento circumstantiarum realium proveniente […]. Sumuntur autem huiusmodi relationes, quae a nonnullis entia moralia dici consueverunt, ex modo peculiari ipsius causae […]“), 24 f.; Disp. 95 Cap. 10 N. 46 („Dico igitur totum genus moris in relatione rationis positum esse […]“), 47; s. zu den entia rationis Kobusch, Sein und Sprache, S. 181 ff. 12 S. deutlich Gabriel Vázquez, Comm. In I-II, Disp. 95 Cap. 10 N. 47: „Primo in iis, quae sunt mala, quia prohibita, oppositio cum natura rationali pendet ex libera voluntate ferentis legem, ea enim libere posita, idem actus sit peccatum, qui antea non erat, & definit esse ea ablata; relatio autem, quae pendet ex libera voluntate ferentis legem, non est realis, ergo nec malitia moralis, & ratio peccati, sicut relatio rationis, qua vox ad suum significatum refertur, non potest esse realis, quia ex libera impositione hominis pendet“. Es geht hier um eine Handlung, die im Widerspruch zum – durch einen freien Willensakt des Gesetzgebers erlassenen – Gesetz steht und insoweit schlecht ist (peccatum – Sünde). Die moralische Schlechtheit ist aber nichts Reales, sondern nur eine „Gedankenrelation“, die aus der freien Setzung des Gesetzgebers folgt. Nur diese Setzung durch den Gesetzgeber begründet, dass die Handlung, die ohne das Gesetz nicht schlecht wäre, schlecht wird. Die moralische Schlechtheit besteht nur in diesem Bezug auf den freien Willensakt des Gesetzgebers, ist an sich aber nichts Reales. Etwas Ähnliches gilt auch für den Diebstahl, dessen moralische Schlechtheit darin besteht, dass dadurch das Eigentum verletzt wird – der Erwerb des Eigentums setzt aber auch wiederum einen freien Willensakt voraus, ferner ist Voraussetzung des Diebstahls, dass dieser gegen den freien Willen des Eigentümers geschieht; nur in Bezug auf diese freien Willensakte besteht das moralisch Schlechte: „furtum enim, ut sit peccatum, debet esse rei alienae, quae in alterius dominio est. esse autem in alterius Dominio pendet ex libera hominum voluntate, debet etiam fieri contra voluntatem Domini“; dazu auch Gemmeke, Die Metaphysik, S. 12 f., 168 f. 7
I. Die Kritik und ihr ideengeschichtlicher Hintergrund
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entweder das Erkennen des Subjektes selbst (nur insoweit sind die entia rationis „real“) oder die Naturdinge sind, die den Gegenstand der Erkenntnis bilden – im Gegensatz zum Erkannten, dem als solchem keine Realität zukommt.13 Durch die damit verbundene Rückführung des Moralischen auf das erkennende oder wollende Subjekt entfällt die ontologische Eigenständigkeit des moralischen Seinsbereichs und wird an das Subjekt zurückgebunden.14 Auch die entia rationis gehören danach zum Bereich des Physisch-Natürlichen in Gestalt des erkennenden Subjekts; damit wird die Selbständigkeit eines eigenständigen Moralbereichs abgelehnt.15 Gesetz und Recht, d.h. alles Normative ist nichts Reales, sondern bloßes Gedankending. Gerade diese Kritik gegen die Realität des Rechtlichen findet Ende des 19. Jahrhunderts in der deutschen Diskussion Resonanz16, bevor sie dann im 20. Jahrhundert zu einer zentralen Position des Legal Realism in den USA wird.17 Möglicherweise ist mit dieser Position bei Ockham auch sein Rechtsbegriff verknüpft.18 Nur das ist wirkliches positives Recht, was gerichtlich durchgesetzt werden kann.19 Das Naturrecht ist Recht nur von einer anderen Qualität; der univoke Rechtsbegriff wird hier zugunsten eines durch das Merkmal der Klagbarkeit gekennzeichneten positiven Rechtsbegriffs aufgegeben.20
13 S. zu dieser Reduktion der Seinsbereiche Kobusch, Die Entdeckung der Person, S. 56 Fn. 136, 178; ders., Sein und Sprache, S. 181 ff. 14 Kobusch, Die Entdeckung der Person, S. 56, 178. 15 Kobusch, Die Entdeckung der Person, S. 56, ferner S. 178; ders., Sein und Sprache, S. 181 ff. (ens rationis als „reales Naturding“); ferner Gemmeke, Die Metaphysik, S. 12 f., 168 f. 16 S. dazu oben bereits S. 178 Fn. 742. Letztlich stellt Schlossmanns Kritik am Verständnis von subjektiven Rechten und Obligationen als „existierende Dinge“ (Schlossmann, Der Vertrag, S. § 34, S. 270, 278, 280; ferner § 3, S. 17 f.) nur eine Variation dieser Kritik dar; vgl. auch Zitelmann, Irrtum und Rechtsgeschäft, S. 202 f. zur Frage, ob subjektive Rechte („als Dinge gedachte Rechte“), die „Rechtswelt“ etc. etwas Reales oder nur etwas Gedachtes sind. 17 S. dazu unten S. 275 ff.; deutlich etwa Corbin, 30 Yale L.J. 226, 227 (1921): Recht als solches hat keine reale Existenz. Nur das ist real, was physisch ist, d.h. die Handlungen der Gerichte und der Gesellschaft. Nur diese physischen realen Handlungen konstituieren das, was Recht ist. 18 Vgl. ferner dazu – wenngleich unter einem anderen Gesichtspunkt –, dass die klare Dichotomie von Rechtlichem und Faktischem, die zuvor den franziskanischen Armutsstreit geprägt hatte, bei Ockham eingeschränkt wird, Varkemaa, Theory of Individual Rights, p. 36. 19 Vgl. Ockham, Opus nonaginta dierum, Cap. 61 (zum Zusammenhang von ius positivum und ius agendi; „ius suum positivum in iudicio prosequi“; „qui habet ius utendi positivum re determinata habet ius agendi“); Cap. 2, 6; sowie oben bereits S. 116 f.; näher auch Thönissen, Recht und Gerechtigkeit, 4. Kap. I.2.b). 20 Vgl. dazu auch Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 312 ff.; Varkemaa, Theory of Individual Rights, p. 35 s.; ferner Robinson, Ockham’s Early Theory of Property Rights, p. 116 ss., 212 ss., 223 s.; Tierney, The Idea of Natural Rights, p. 121 ss.
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3. Kapitel: Die Kritik und die Zivilrechtsentwicklung der Gegenwart
b) Der Voluntarismus Noch unter einem anderen Gesichtspunkt ist Ockham an dieser Stelle zu erwähnen. Während es allgemeine Grundlage des Naturrechts war, dass dessen Maßstab die Vernunft ist, d.h. dass „etwas verboten ist, weil es schlecht ist“, nimmt Ockham die Gegenposition ein: „Etwas ist schlecht, weil es verboten ist“.21 Der sich hier anbahnende Voluntarismus, der im Willen des Gesetzgebers den alleinigen Maßstab der Richtigkeit der Gesetze und des Rechts sieht, bricht in letzter Konsequenz mit einem möglichen Verständnis des Rechts als etwas Rationalem, dem eine vernünftige Eigengesetzlichkeit zugrunde liegt.22 Während Ockham noch den göttlichen Gesetzgeber vor Augen hat, dessen gesetzgeberische Freiheit als einzige Grenze die Widerspruchsfreiheit hat23, zeigt sich bei Marsilius v. Padua24 und schließlich vor allem Thomas Hobbes25 die Übertragung dieses Gedankens auf den menschlichen Gesetzgeber: alleinige Maßstäbe der Gesetze sind der menschliche Gesetzgeber und dessen Wille.26 Wirkliche Gesetze sind nur solche Regeln, die mit der Zwangskraft der Gesellschaft versehen sind.27 Ziel der Gesetze ist Friedenssicherung und damit die Erhaltung der Gesellschaft.28 Nicht Vernunft, sondern der Wille des Souveräns („from the Will of the Common-wealth, that is to say, from the Will of the Representative“)29 konstituiert die Gesetze und deren Verpflichtungs21
S. Suárez, De Legibus, Lib. II Cap. 6 N. 4 („nullum esse actum malum, nisi quatenus a Deo prohibitus est“) insoweit zur Umschreibung von Ockhams Position; zur eigenen Position aaO, N. 5 („non posse non prohibere ea, quae sunt mala, & contra rationem naturalem“); ferner Thomas v. Aquin, STh, I-II, q. 71,6 ad quart. zur Frage des malum quia prohibitum; s. zu dieser Diskussion Thönissen, Recht und Gerechtigkeit, 3. Kap. VII.2.b). 22 Vgl. dazu Kobusch, Philosophie des Hoch- und Spätmittelalters, S. 424 f., 426 ff.; Thönissen, Recht und Gerechtigkeit, 3. Kap. VII.2.b)aa), ferner III.3.; s. aber auch Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 300 ff., 308 f., ferner S. 274 (zum Begriff des Voluntarismus). 23 S. Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 300 f., 308 f.; Kobusch, Philosophie des Hoch- und Spätmittelalters, S. 424 f., 426 ff.; Thönissen, Recht und Gerechtigkeit, 3. Kap. VII.2.b)aa). 24 S. dazu Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 320 ff., 330 ff.; Thönissen, Recht und Gerechtigkeit, 5. Kap. II.2.a). Zur Person s. die Kurzbiographie auf S. 577. 25 S. insoweit Thönissen, Recht und Gerechtigkeit, 5. Kap. IV.1. 26 S. Marsilius v. Padua, Defensor Pacis, Dic. I Cap. 8 § 1; Cap. 10 §§ 4 f.; Cap. 12 §§ 1 ff.; Dic. II Cap. 12 §§ 3 ff., § 9; Hobbes, Leviathan, of Common-Wealth, Part II, Chap. 29, p. 168 s. („the measure of Good and Evill actions, is the Civill law, and the Judge the Legislator“); ferner Chap. 26, p. 139 s.; zu Marsilius insoweit auch Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 331 ff. 27 Marsilius v. Padua, Defensor Pacis, Dic. I Cap. 10 §§ 4 f.; Cap. 12 § 3; s.a. Hobbes, Leviathan, of Common-Wealth, Part II, Chap. 26, p. 136 s., 138; vgl. zu Marsilius Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 331. 28 S. Hobbes, Leviathan, of Common-Wealth, Part II, Chap. 17, p. 87 s.; Chap. 18, p. 90; Marsilius v. Padua, Defensor Pacis, Dic. I Cap. 1 §§ 1 ff.; Cap. 3 §§ 4 f.; Cap. 4 §§ 1 ff.; dazu auch Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 323 f., 332. 29 Hobbes, Leviathan, of Common-Wealth, Part II, Chap. 26, p. 139; ferner p. 138.
I. Die Kritik und ihr ideengeschichtlicher Hintergrund
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kraft.30 Hierin zeigt sich freilich eine weitgehende Verwirklichung des Voluntarismus.31
2. Thomasius’ Kritik an der Lehre vom moralischen Sein Auch bei Christian Thomasius findet sich eine grundsätzliche Kritik an den entia moralia, die dort allerdings einen konstruktiv anderen Zugang nimmt.32 Christian Thomasius greift die Lehre gleich in zweifacher Hinsicht an, und zwar zunächst den Ausgangspunkt, nämlich die (Willens-)Freiheit, und sodann die Selbständigkeit des moralischen Seinsbereichs selbst.33 Die Lehre vom moralischen Sein trägt die Vorstellung, dass der Mensch über zwei Vermögen, nämlich Intellekt und Wille verfügt, wobei der Intellekt zwar Wurzel der Freiheit ist, die Freiheit aber dem indifferenten, sich selbst bestimmenden Willen zukommt.34 Entgegen dieser Vorstellung einer einheitlichen aus Intellekt und (freiem) Willen bestehenden Natur des Menschen verfügt der Mensch bei Thomasius nur über den Willen als der Natur nach eigenständiges Vermögen, wobei dieser Wille Vorrang vor dem – nicht einheitlich gedachten – Intellekt hat und diesen bewegt.35 Der Wille verfügt nun aber nicht über eine (innere, indifferente) Freiheit.36 Mangels Freiheit ist der Wille kein „moralisches“, sondern nur ein „natürliches“ bzw. notwendiges Vermögen.37 Moralische und willentliche Handlungen werden insofern von Thomasius gleichgesetzt; willentliche Handlungen werden nur deshalb als „moralisch“ bezeichnet, weil das Moralische von 30 S. Marsilius v. Padua, Defensor Pacis, Dic. I Cap. 8 § 1; Cap. 10 §§ 4 f.; Cap. 12 §§ 1 ff.; Dic. II Cap. 12 §§ 3 ff., § 9; Hobbes, Leviathan, of Common-Wealth, Chap. 26, p. 139, 140; vgl. zu Hobbes insoweit auch Jansen, Recht und gesellschaftliche Differenzierung S. 199, 207 ff., 211 ff.; zu Marsilius Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 331 ff., 335 f. 31 Vgl. Ludwig, in: Byrd/Hruschka/Joerden (Hrsg.), Jahrbuch für Recht und Ethik, S. 3, 22 f. (zu Hobbes); Jansen, Recht und gesellschaftliche Differenzierung, S. 211 ff., 219; Schröder, Recht als Wissenschaft, S. 101 ff.; ferner zu Marsilius (wenngleich zurückhaltend) Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 331 ff. 32 Kobusch, Die Entdeckung der Person, S. 173 ff., 178; zu dieser Kritik bei Thomasius auch Schreiber, Der Begriff der Rechtspflicht, S. 13 ff. 33 Kobusch, Die Entdeckung der Person, S. 173 ff., 177 f.; s. ferner zur Änderung des Menschenbildes bei Thomasius W. Hess, Zum Verhältnis von Recht und Sittlichkeit, S. 9 f. 34 S. dazu oben S. 63 ff., 76 ff. 35 S. Thomasius, Fundamenta Iuris Naturae et Gentium, Cap. Prooemiale, § 23 f.; Lib. I Cap. 1 §§ 54, 119, 132; Schreiber, Der Begriff der Rechtspflicht, S. 14 f.; Kobusch, Die Entdeckung der Person, S. 174 ff. 36 Thomasius, Fundamenta Iuris Naturae et Gentium, Lib. I Cap. 1 §§ 56, 66, 99; s. hierzu und zum Folgenden auch Kobusch, Die Entdeckung der Person, S. 176 f.; Schreiber, Der Begriff der Rechtspflicht, S. 14. 37 Thomasius, Fundamenta Iuris Naturae et Gentium, Lib. I Cap. 1 § 56.
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3. Kapitel: Die Kritik und die Zivilrechtsentwicklung der Gegenwart
Handlungen nach Thomasius darin besteht, dass sie durch den Willen bestimmt sind, hingegen nicht weil sie frei wären.38 Willentliche Handlungen unterfallen mangels Freiheit daher ebenfalls dem Bereich des Natürlichen bzw. des Physischen und werden durch dessen Prinzipien bestimmt.39 Die Eigenständigkeit eines eigenen moralischen Seinsbereichs, der durch moralische Handlungen konstituiert wird, entfällt dementsprechend.40 Die Negation der Willensfreiheit41 bedingt das Entfallen des Fundaments des moralischen Seins, sodass auch seine Eigenständigkeit entfällt.42 Mit dieser Kritik und der Zuordnung des Moralischen zum Physischen, die Folge einer veränderten Anthropologie ist43, wird bei Thomasius zugleich eine Änderung des Rechts- und Pflichtbegriffs verbunden: Recht im engen Sinn ist nur das, was physisch erzwingbar ist.44 Recht, Pflicht und Gesetz werden nicht mehr von der Freiheit her gedacht, sondern, weil es keine Freiheit als solche gibt, vom Zwang her erschlossen.45
3. Jherings „Zweck im Recht“ a) Jherings Kritik am Rechtsbegriff und an der „Begriffsjurisprudenz“ Schlüsselfigur der Kritik an der vorherrschenden Ausrichtung der Rechtswissenschaft des 19. Jahrhunderts ist Rudolph Jhering.46 Regelmäßig wird bei der Frage nach der Bedeutung Jherings für die Rechtswissenschaft47 auf die Kritik 38 S. Thomasius, Fundamenta Iuris Naturae et Gentium, Lib. I Cap. 1 § 55, § 56; s.a. Kobusch, Die Entdeckung der Person, S. 176. 39 Vgl. Thomasius, Fundamenta Iuris Naturae et Gentium, Lib. I Cap. 1 §§ 55 ff., 59. 40 Vgl. Thomasius, Fundamenta Iuris Naturae et Gentium, Cap. Prooemiale, §§ 23 f.; Lib. I Cap. 1 §§ 58 ff.; s. Kobusch, Die Entdeckung der Person, S. 176, 177 f.; Schreiber, Der Begriff der Rechtspflicht, S. 15. 41 Dazu und deren Folgen bei Thomasius s.a. Rüping, Die Naturrechtslehre des Christian Thomasius, S. 33 ff., 55; s. aber auch Jansen, Haftungsrecht, S. 344 Fn. 512. 42 Vgl. Thomasius, Fundamenta Iuris Naturae et Gentium, Lib. I Cap. 1 §§ 59 f., § 99 („Denique si nullam liberatem eligendi habet voluntas, haud dubie tota corruit disciplina moralis scholastica“); Kobusch, Die Entdeckung der Person, S. 177 f. 43 Vgl. dazu auch Kobusch, Die Entdeckung der Person, S. 174 ff. 44 S. zu diesem Zusammenhang auch Schreiber, Der Begriff der Rechtspflicht, S. 15 („Daß sich daraus weitreichende Folgerungen für den Begriff der Pflicht ergeben, liegt auf der Hand. Pflicht kann nun nicht mehr sittliche Bindung an ein Ziel sein“); W. Hess, Zum Verhältnis von Recht und Sittlichkeit, S. 9 ff., 12 ff. S. im Einzelnen Thomasius, Fundamenta Iuris Naturae et Gentium, Cap. Prooemiale §§ 8 ff.; Lib. I Cap. 5 §§ 2 ff., 34; Cap. 4 §§ 61 f., 68; ferner dazu Thönissen, Recht und Gerechtigkeit, 3. Kap. VIII.4.b). 45 Vgl. Schreiber, Der Begriff der Rechtspflicht, S. 15, 19, 21 ff. 46 Zu Jhering s. Jansen/Reimann, ZEuP 2018, 89, 90 ff.; Fezer, Teilhabe und Verantwortung, S. 221 ff.; Pleister, Persönlichkeit, S. 1 ff., 31 ff., 221 ff.; s. ferner auch Kasper, Das subjektive Recht, S. 80 ff. 47 Zu seiner Bedeutung als dogmatischer Rechtswissenschaftler s. Jansen/Reimann, ZEuP 2018, 89, 99 ff.
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des späten Jherings48 an der vorherrschenden „Begriffsjurisprudenz“49, seinen rechtssoziologischen Perspektivenwechsel50 sowie seine Neubestimmung des Begriffs des subjektiven Rechts rekurriert.51 Was im Folgenden gezeigt werden soll, ist, dass seine Kritik gleichermaßen die Fundamente der Freiheitsmetaphysiktradition betrifft.52 Jherings Kontrastfolie ist zunächst53 der eine Willensherrschaft kennzeichnende (subjektive) Rechtsbegriff, wie er etwa bei Savigny oder Windscheid begegnet ist und auch sonst die Rechtwissenschaft des 19. Jahrhunderts prägt.54 Gegen diese begriffliche Bestimmung des subjektiven Rechts durch den Willensbegriff wendet sich Jhering. Jedem (Privat-)Recht liegt danach immer auch ein Zweck zugrunde, der, wenngleich auf das Individuum bezogen, immer auch gesellschaftlich ausgerichtet ist, und dieser Zweck ist nicht der subjektive individuelle Wille selbst, sondern der Nutzen des Rechts55: „Rechte sind rechtlich geschützte Interessen“.56 Der Inhalt des Rechts ist damit nicht durch 48 Jherings Werk wird gemeinhin in zwei Phasen eingeteilt, seine rechtsdogmatische sowie später dann nach seinem „Damaskus“ seine gegenüber der „Begriffsjurisprudenz“ kritische Phase, in der die Kategorien des Zwecks und der Interessen zentrale Bedeutung einnehmen (s. nur Wieacker, Privatrechtsgeschichte, S. 450 ff.). Jansen/Reimann (ZEuP 2018, 89, 91 ff., 104 ff., 107 ff., 127) weisen darauf hin, dass es hierbei nicht so sehr um eine „Umkehr“ und Abkehr von seiner früheren dogmatischen Arbeit als vielmehr um zwei wissenschaftliche Perspektiven gehe, die Jhering bereits zuvor beeinflusst hätten, wobei sich Jhering in seinem Spätwerk dann vor allem einer teleologisch-rechtssoziologischen Außenperspektive zugewendet habe und sich so „der Schwerpunkt seines Denkens von der Konstruktion zur Teleologie“ (aaO, S. 106) verschoben habe. 49 Zu diesem auch von Jhering geprägten Begriff, welcher gegen die vorherrschende Richtung der Rechtswissenschaft des 19. Jhd. gerichtet ist, die scheinbar im Wege bloßer logischer Deduktion Rechtsbegriffe konstruiert, Jansen/Reimann, ZEuP 2018, 89, 91, 104 f.; Meder, JZ 2019, 689 f.; s. Jhering, Scherz und Ernst, S. 337 ff. 50 Dazu Jansen/Reimann, ZEuP 2018, 89, 91 f., 107 ff., 110 f. 51 S. etwa Wieacker, Privatrechtsgeschichte, S. 451 f.; zu Letzterem, d.h. der Kritik am subjektiven Recht s. gleich noch im Einzelnen; ferner etwa Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, S. 343 ff. 52 S. dazu unten S. 227 ff. 53 S. nämlich Jhering, Der Geist des römischen Rechts, S. 307 ff.; vgl. zur Zentralität dieser Kritik am herrschenden subjektiven Rechtsbegriff und der neuen Begriffsbestimmung des subjektiven Rechts Jhering, Der Zweck im Recht, Vorrede, S. V. 54 S. Jhering, Der Geist des römischen Rechts, S. 307 ff.; dazu auch Buchheim, Actio, S. 57 f.; Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, S. 343 f. 55 Jhering, Der Zweck im Recht, S. 430 ff., 519 („der Gedanke des gesellschaftlichen Charakters der Privatrechte“); ders., Der Geist des römischen Rechts, S. 309 ff., 315 f. („der Wille ist nicht der Zweck und die bewegende Kraft der Rechte“); dazu auch Villey, in: Wieacker/ Wollschläger (Hrsg.), Jherings Erbe, S. 217, 220; Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, S. 344. 56 Jhering, Der Geist des römischen Rechts, S. 317; ferner ders., Der Zweck im Recht, S. 71 (zum Recht im subjektiven Sinn als „die Form, in der das Recht im objectiven Sinn beiden Interessen seinen Schutz gewährt“ – die beiden Interessen sind „Sicherung des Lebens und des Vermögens“: „Ein Recht haben heisst: es ist etwas für uns da, und die Staatsgewalt erkennt dies an, schützt uns“); ferner aaO, S. 72: „Dem Recht gegenüber steht die Pflicht“.
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„Wahrheit“, sondern durch den relativen, d.h. von der Gesellschaft abhängigen und bedingten „Zweck“ bestimmt.57 Jhering schließt so in die Begriffsbestimmung des subjektiven Rechts den „Grund“ ein, der zu seiner Gewährung führt.58 Damit wendet er sich gegen das inhaltliche Aufgehen des subjektiven Rechtsbegriffs im Willen ebenso wie gegen die Gleichsetzung von Willensund Rechtsfähigkeit.59 Nicht der Wille oder die Willensherrschaft konstituiert das subjektive Recht, sondern der Zweck (Interesse, Vorteil), der zu seiner positiv-rechtlichen Gewährung führt.60 Jhering schreibt dem (subjektiven) Privatrecht einen „gesellschaftlichen Charakter“ zu, d.h. auch dieses ist „beeinflusst und gebunden durch die Rücksicht auf die Gesellschaft“.61 Während das subjektive Recht nach Savignys Verständnis dem Rechtsinhaber einen Freiheitsraum gewährt, über dessen Zielausrichtung sein Wille frei entscheidet62, wird bei Jhering diese Zielausrichtung bereits primär durch das positive Recht selbst vorgegeben und zumindest auch auf die Gesellschaft bezogen.63 57
Jhering, Der Zweck im Recht, S. 427 ff., 430 ff., 434 (dieser Zweck, der den Inhalt des Rechts bestimmt, ist „die Sicherung der Lebensbedingungen der Gesellschaft in Form des Zwangs“), 455 („das ganze Recht ist der Gesellschaft wegen da“), ferner aber auch S. 453 ff. (nicht nur die Gesellschaft als Zweckssubject der Rechtssätze, sondern der einzelne Mensch als „wirkliches Zwecksubject“ sowie weitere Zwecksubjecte; s. zum Inhalt des Rechts und der „socialen Zwecke“ unten noch näher Fn. 63); s. dazu auch W. Hess, Zum Verhältnis von Recht und Sittlichkeit, S. 72 („Inhaltlich hat das Recht die Sicherung der Lebensbedingungen der Gesellschaft zum Gegenstand. Dabei ist der Gesetzgeber jedoch nicht gebunden. Es steht ihm frei, welche Gesellschaftszwecke er durch rechtliche Sanktion schützen will“). 58 So die klassische Interpretation von Jherings Ansatz, s. nur Jansen, Haftungsrecht, S. 462; vgl. ferner Fezer, Teilhabe und Verantwortung, S. 229 f.; Buchheim, Actio, S. 58; dagegen bereits Windscheid, Lehrbuch des Pandektenrechts, 6. Aufl., § 37, S. 98, Fn. 3 („aber in die Definition des Rechts gehört der Zweck, um dessen Willen es verliehen wird, nicht“). 59 Jhering, Der Geist des römischen Rechts, S. 310, 311 f.; s.a. Fezer, Teilhabe und Verantwortung, S. 224 f.; s. aber auch Kasper, Das subjektive Recht, S. 82, wonach es Jhering nicht um eine „Beseitigung der Willenstheorie“ gegangen sei. 60 Vgl. Jhering, Der Geist des römischen Rechts, S. 310 ff., 313 ff.; ferner ders., Der Zweck im Recht, Vorrede, S. V. 61 Jhering, Der Zweck im Recht, S. 519; dagegen sei der naturrechtlichen Theorie „das Individuum der Angelpunkt des ganzen Rechts und Staats“ (aaO S. 523); vgl. dazu auch Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, S. 345 f. 62 S. dazu oben S. 185 f. sowie unten noch S. 391 ff., 396 ff. 63 Vgl. Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, S. 346 f.; ferner Fezer, Teilhabe und Verantwortung, S. 224 ff., 229 ff.; s. Jhering, Der Geist des römischen Rechts, S. 326: Danach wird zwar der Zweck als solcher vorgegeben, aber dem Willen kommt dennoch die Aufgabe zu, über die Ausübung bzw. den „Genuss“ zu bestimmen und insoweit die Ausrichtung zu bestimmen („Indem der Wille sich an das substantielle Element des Rechts: an den Genuss anschmiegt, erhält er statt der öden, dürftigen ihm zugedachten Rolle, den Gedanken der Herrschaft oder Macht zu repräsentiren, die dankbare Aufgabe, überall da, wo nicht das Gesetz die Richtung und die Art und Weise, in der das Recht dem Subject dienstbar werden soll, unabänderlich festgesetzt hat, diese Direction selber zu bestimmen, die Verwendung des Rechts den Bedürfnissen und Zwecken dieses bestimmten Subjects individuell anzupassen“);
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Die Neubestimmung des Rechtsbegriffs bei Jhering steht zugleich im Kontext damit, dass Jhering das Zwangsmoment des Rechts betont: das subjektive Recht ist ein Zwangsrecht, das dem Rechtsinhaber die zwangsweise Erreichung seiner Interessen ermöglicht.64 Dem Zwang kommt ebenso wie dem Zweck65 entscheidende Bedeutung für den Rechtsbegriff zu: Recht ist eine Zwangsordnung zur Verwirklichung von „socialen Zwecken“.66 b) Wille, Willensfreiheit und Kausalität Was ist der Hintergrund? Es zeigt sich, dass Jhering bekannte Kategorien der Tradition der Metaphysik der Freiheit – Wille, Willensfreiheit, Kausalität, subjektives Recht – begrifflich aufgreift, aber grundlegend anders zusammensetzt. Ausgangspunkt von Jherings Erörterungen im ersten Band von „Der Zweck im Recht“ bildet die Frage nach der Kausalität des Willens.67 Während die Natur dem „mechanischen Causalitätsgesetz“ (Ursache im Sinne der causa efficiens – Wirkung) unterliege, gelte für den Willen das Zweckgesetz (Zweck als „causa finalis“; „psychologisches Causalitätsgesetz“).68 Es ist der Zweck, „der 64 s. ferner aaO, S. 531 zur Ausrichtung des Zwecks auf die Gesellschaft („Die Sicherung des Wohls des Individuums ist nicht Selbstzweck, sondern nur Mittel zum Zweck der Sicherung des Wohls der Gesellschaft“). 64 S. Jhering, Der Zweck im Recht, S. 92 f., 238 ff. sowie dazu Buchheim, Actio, S. 58. 65 Jhering, Der Zweck im Recht, S. 79 („Der Begriff des Rechts schließt zwei Momente in sich: ein System der Zwecke und ein System der Verwirklichung derselben“). 66 Zur Zentralität des Zwangs für den Rechtsbegriff Jhering, Der Zweck im Recht, S. 92 f., 238 ff. („Recht ist das System der durch Zwang gesicherten socialen Zwecke“ [aaO, S. 240]; „Die sociale Organisation des Zwanges aber ist gleichbedeutend mit Staat und Recht“ [aaO, S. 306]); S. 318 f.; S. 344 („Inbegriff der in einem Staate geltenden Zwangsnormen“), schließlich S. 499 („Recht ist der Inbegriff der durch äusseren Zwang d.h. durch Staatsgewalt gesicherten Lebensbedingungen der Gesellschaft im weiteren Sinn“); dazu auch W. Hess, Zum Verhältnis von Recht und Sittlichkeit, S. 72; Larenz, Methodenlehre, S. 47. 67 Jhering, Der Zweck im Recht, S. 3 ff. 68 Jhering, Der Zweck im Recht, S. 4. Auch Jhering nimmt also eine Zweiteilung der Welt vor, die hier aber nicht entsprechend der traditionellen Unterscheidung „natürlich“ (Welt des Physischen, Notwendigen) – „moralisch“ (Welt des Sittlichen, Welt der Freiheit und des Willens) erfolgt, sondern entsprechend der Einteilung Natur-Willen, wobei die Natur dem „mechanischen Causalitätsgesetz“, der Wille dem „psychologischen Causalitätsgesetz“, d.h. dem Zweckgesetz unterliegt. Während in der Tradition des moralischen Seins der freie Wille dem „moralischen Gesetz“ unterliegt, welches einem eigenen Seinsbereich des Moralischen und der Freiheit zugeordnet ist (s. dazu oben S. 76 ff.), ist das psychologische Zweckgesetz bei Jhering auch eines, das seinen Wirkbereich im Physischen hat (s. dazu gleich noch S. 233 ff.). D.h. auch der Wille wird hier im Bereich des Physischen verortet, der Seinsbereich des Moralischen verschwindet. Einer der Gründe ist, dass die Freiheit als Fundament des Moralischen bei Jhering infolge seines teleologischen Determinismus wegfällt. In diesen Positionen zeigen sich freilich deutliche Parallelen Jherings zu Schopenhauer (zur Beeinflussung des späten Jhering durch Schopenhauers Philosophie s. unten noch S. 231 Fn. 92 sowie Pleister, Die Persönlichkeit, S. 21 ff., 245 ff.). Vgl. insbesondere Schopenhauer, Die beiden Grundprobleme der Ethik, S. 27 ff., 31 ff., 35 ff. zur Differenzierung von „me-
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3. Kapitel: Die Kritik und die Zivilrechtsentwicklung der Gegenwart
den einzigen psychologischen Grund des Willens enthält“69; „keine Handlung ohne Zweck“70. Der Wille handelt entsprechend dem Überwiegen von Zweckgründen zur Realisierung des Zwecks.71 Auch wenn Jhering weiterhin von Selbstbestimmung und Willensfreiheit spricht72, geht er letztlich von einer teleologischen Determination des Willens durch den Zweck aus.73 Der „sich spontan ohne irgend einen treibenden Grund in Bewegung“ setzende Wille sei
69 chanischer Kausalität“ (aaO, S. 37; Naturkräfte als physikalische/chemische Ursache – Wirkung) und „durch das Medium der Erkenntnis durchgehende Kausalität“, die nur bei Tieren und Menschen (zum Unterschied von Menschen und Tieren aaO, S. 33 ff.) gegeben ist und über die „Motivation“ verläuft („Motive“ [„erkanntes Objekt“] als „den Willen bestimmende Ursache“ [aaO, S. 36, 47; „Motiv“ als „Zweck“, „causa finalis“, vgl. aaO, S. 52] – Wirkung [veranlasstes Verhalten] durch den „Willen“). Zwar ist die auf Motiven beruhende „durch das Medium der Erkenntnis durchgehende Kausalität“ zwischen Ursache und Wirkung „heterogener“ sowie weniger unmittelbar (aaO, S. 36 f.). Beide Kausalitäten verlaufen aber über Notwendigkeit, d.h. die Wirkung tritt notwendig ein (aaO, S. 35 f., 38, 39, 47: „da ja die Motivation nicht im Wesentlichen von der Kausalität verschieden, sondern nur eine Art derselben, nämlich die durch das Medium der Erkenntnis hindurchgehende Kausalität ist. Auch hier also ruft die Ursache nur die Aeußerung einer nicht weiter auf Ursachen zurückzuführenden, folglich nicht weiter zu erklärenden Kraft hervor, welche Kraft, die hier Wille heißt, uns aber nicht bloß von außen, wie die andern Naturkräfte, sondern, vermöge des Selbstbewusstseyns, auch von innen und unmittelbar bekannt ist“; S. 121: „Für den menschlichen Willen gibt es allerdings auch ein Gesetz, sofern der Mensch zur Natur gehört, […] welches nicht, wie der kategorische Imperativ, vel quasi, sondern wirklich Nothwendigkeit mit sich führt: es ist das Gesetz der Motivation, eine Form des Kausalitätsgesetzes, nämlich die durch das Erkennen vermittelte Kausalität. Dies ist das einzige nachweisbare Gesetz für den menschlichen Willen, dem dieser als solcher unterworfen ist“). Hintergrund ist, dass es bei Schopenhauer im Handeln keine „moralische Freiheit“ (liberum arbitrium (indifferentiae), S. 5) gibt (aaO, S. 97 f., 174 f., ferner bereits S. 41 ff., 56 ff.; zur Frage nach der Willensfreiheit bei Schopenhauer s. unten näher S. 231 Fn. 91). 69 Jhering, Der Zweck im Recht, S. 4. 70 Jhering, Der Zweck im Recht, S. 5, 11 („kein Wollen ohne Zweck“). 71 S. Jhering, Der Zweck im Recht, S. 12 („Die Annahme dieses Vorschlags hängt ab von dem Uebergewicht der Gründe, die für ihn, über die, die gegen ihn sprechen. Ohne dieses Uebergewicht setzt sich der Wille ebensowenig in Bewegung, wie die Waage es vermag, wenn das Gewicht in beiden Wagschaalen gleich ist – es ist Buridans bekannter Esel zwischen den beiden Bündeln Heu“), 13, 26, 77. 72 Jhering, Der Zweck im Recht, S. 5, 23 ff. („Der Wille ist der Natur gegenüber frei […]“), ferner S. 101, 346, 348; s.a. Pleister, Persönlichkeit, S. 226 zur nicht ganz eindeutigen Positionierung Jherings. Allerdings ist hier auch zu berücksichtigen, dass Jhering Mensch und Tier im Hinblick auf den Willen in gewisser Hinsicht gleichsetzt – auch Tieren soll „Selbstbestimmung“ möglich sein (Jhering, Der Zweck im Recht, S. 26 ff.). Unterschied ist, dass der Mensch im Gegensatz zum Tier auch durch auf andere Personen bezogene, d.h. nicht nur selbstbezogene Zwecke in seinem Handeln beeinflusst wird, s. Jhering, Der Zweck im Recht, S. 31 ff., 33 ff. Aber auch das „Handeln für andere“ könne egoistisch motiviert sein (s. Jhering, Der Zweck im Recht, S. 62). 73 S. Pleister, Persönlichkeit, S. 226 („kausal determiniert“); zur Teleologie bei Jhering auch Jansen/Reimann, ZEuP 2018, 89, 106 ff.
I. Die Kritik und ihr ideengeschichtlicher Hintergrund
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der „Münchhausen, der sich selber bei seinen Haaren aus dem Sumpf zieht“.74 Vielmehr bestimme „der Zweck den Willen“.75 Aus Perspektive des einzelnen Menschen sind die handlungsbestimmenden Interessen („Hebel“)76, um deren Erreichung willen der Wille nach außen hin tätig wird77, entweder auf sich selbst oder auf andere Menschen bzw. die Gemeinschaft bezogene.78 Zwecke sind dabei generell entweder solche des einzelnen Menschen oder solche der Gesellschaft (die sog. „socialen Zwecke“).79 Damit die Gesellschaft den einzelnen Menschen zur Erreichung ihrer Zwecke (d.h. der von der Gesellschaft gesetzten „socialen Zwecke“)80 bewegen kann,
74
Jhering, Der Zweck im Recht, S. 3 f., ferner S. 14. S. Jhering, Der Zweck im Recht, S. 77, ferner S. 11 (Zweck als „bewegender Grund“ des Willens). 76 Jhering, Der Zweck im Recht, S. 25. 77 Zu dieser Unterscheidung zwischen innerer und äußerer Willenstätigkeit Jhering, Der Zweck im Recht, S. 11, 22, 23: bei der äußeren Willenstätigkeit gelte wiederum das (mechanische) Causalitätsgesetz, nur beim inneren Willensbildungsprozess das Zweckgesetz. 78 S. dazu Jhering, Der Zweck im Recht, S. 26 ff., 30 ff., 33 ff. 79 Jhering, Der Zweck im Recht, S. 64 f. S. ferner zum Verhältnis von Einzelnem und Gesellschaft Jhering, Der Zweck im Recht, S. 79, 81: „Die Erhaltung des physischen Daseins ist nicht möglich ohne den Schutz des Rechts, nicht gesichert ohne das Vermögen, das Vermögen treibt zum Vertrage und zum Verkehr, alle zusammen postuliren die Gesellschaft, das Recht den Staat – es ist kein Halten in dieser Evolution des Zweckgedankens, bis der höchste Punkt desselben erreicht ist“. Gesellschaft ist selbst „ein Zusammenwirken für gemeinsame Zwecke“ bzw. „die thatsächliche Organisation des Lebens für und durch Andere“ (aaO, S. 94 f.). Entscheidend ist dabei für Jhering das Überwiegen der Interessen der Gesellschaft „gegen ein sie bedrohendes Partikularinteresse“ (aaO, S. 291 f.). S. näher zur Entstehung des Rechts als „Kampf um das Recht“ bei Jhering Jansen/Reimann, ZEuP 2018, 89, 107 ff. 80 Welches sind „die socialen Zwecke“, die den Inhalt des Rechts bestimmen (vgl. Jhering, Der Zweck im Recht, S. 425 ff., 433 f.)? Ebenso wie der Mensch selbst auf Selbstbehauptung zielt, ist auch Zweck der Gesellschaft die Selbstbehauptung; Aufgabe des Rechts ist „die Sicherung der Lebensbedingungen der Gesellschaft in Form des Zwanges“, wobei diese wiederum „relativ“ sind (Jhering, Der Zweck im Recht, S. 434; zu den Lebensbedingungen der Gesellschaft und zur Frage, inwieweit diese durch das Recht gesichert werden, näher S. 443 ff.). Auch wenn Inhalt des Rechts „die Sicherung der Lebensbedingungen der Gesellschaft“ ist, bedeutet dies nicht, dass die Zwecke der Einzelnen für das Recht unberücksichtigt blieben; vielmehr gibt es nach Jhering verschiedene „Zwecksubjecte“; neben der Gesellschaft sind dies die Individuen und die Korporationen („das Individuum, der Staat, die Kirche, die Vereine“), immer sei der Mensch „Zwecksubject“, s. Jhering, Der Zweck im Recht, S. 453 ff., 455, 493; dazu auch Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, S. 345 f. Entsprechend diene etwa das Individualeigentum oder die (privatrechtliche) Verbindlichkeit dem Individuum (Jhering, aaO, S. 457 ff., 467). Die subjektiven Rechte dienen daher auch den Einzelnen als Zwecksubjekte – allerdings sind sie immer auch rückgebunden an die gesellschaftlichen Interessen (aaO, S. 506, 510 f., 514, 519 zum Eigentum, zum Vertrag und zum subjektiven Privatrecht; S. 519: „[…] so ist es der Gedanke des gesellschaftlichen Charakters der Privatrechte. Alle Rechte des Privatrechts, wenn sie auch nur zunächst das Individuum zum Zweck haben, sind beeinflusst und gebunden durch die Rücksicht auf die Gesellschaft […]“). Aber gibt es Grenzen für den staatlichen Zugriff bzw. bestimmte Vorgaben, welche Rechte das Individuum notwendig hat (dazu aaO, S. 522 ff.)? 75
230
3. Kapitel: Die Kritik und die Zivilrechtsentwicklung der Gegenwart
greift sie auf egoistische Interessen81 des Einzelnen zurück.82 Egoistische Interessen des Einzelnen werden durch die Inaussichtstellung von Lohn83 oder die Androhung von Strafe, d.h. letztlich Zwang84 aktiviert, welche der Staat und das Recht bei Einhaltung bzw. Zuwiderhandlung vorsehen.85 Medium zur Erreichung der „socialen Zwecke“ ist also das „Recht“.86 Die Rolle des Staates87 besteht darin, durch Recht die Realisierung der Zwecke der Gesellschaft zu erreichen, indem Lohn, Strafe und Zwang als „Hebel der socialen Bewegung“88 für den Einzelnen vorgesehen werden.89 Vor diesem Hintergrund versteht Jhering den Staat als „den äusseren Zwangsapparat“ und das Recht als „das System der durch Zwang gesicherten socialen Zwecke“.90
81
„Interesse“ bedeutet „Zweckbeziehung“ bzw. „Beziehung des Zweckes auf den Handelnden“, s. Jhering, Der Zweck im Recht, S. 30, 58. 82 Jhering, Der Zweck im Recht, S. 65 f.: Neben der Motivation durch egoistische Interessen kann der Einzelne auch aus „ethischer Selbstbehauptung“ bzw. „Pflichtgefühl“ die socialen Zwecke verwirklichen wollen (dazu auch aaO, S. 102 f.: die „sittlichen oder ethischen Hebel der socialen Bewegung“). Zum Egoismus als Motiv des Handelns s. Schopenhauer, Die beiden Grundprobleme der Ethik, S. 163, 196 ff., 205 ff. (S. 206 ff.: „Das Wohl und Wehe, welches […] jeder Handlung, oder Unterlassung, als letzter Zweck zum Grunde liegen muß, ist entweder das des Handelnden selbst, oder das irgend eines Andern, bei der Handlung passive Betheiligten. Im ersten Falle ist die Handlung nothwendig egoistisch; weil ihr ein interessirtes Motiv zugrunde liegt. […] Wenn nun aber meine Handlung allein des Andern wegen geschehen soll; so muß sein Wohl und Wehe unmittelbar mein Motiv seyn: so wie bei allen andern Handlungen das meinige es ist“). 83 Der Lohn nimmt dabei Bedeutung für den „Verkehr“ ein, für den Staat kommt dagegen die „Strafe“ bzw. der „Zwang“ in Betracht, s. Jhering, Der Zweck im Recht, S. 66, 104, 238. 84 S. Jhering, Der Zweck im Recht, S. 48 ff., 50 f., 103 f., 238 f., der zwischen psychologischem Zwang (Beschränkung der Freiheit) und mechanischem Zwang (Ausschluss der Freiheit; „die Vollziehung der Strafen, die Execution der civilrechtlichen Urtheile“, aaO, S. 50) unterscheidet. Die Organisation des Zwangs ist der „Verwirklichungsapparat, den der Staat für seine Zwecke in Ansatz bringt“ (aaO, S. 250). 85 Jhering, Der Zweck im Recht, S. 65, 92 f., 96, 102 ff., ferner S. 49 ff. 86 Jhering, Der Zweck im Recht, S. 240 („Recht ist das System der durch Zwang gesicherten socialen Zwecke“); ferner S. 79 („Der Begriff des Rechts schließt zwei Momente in sich: ein System der Zwecke und ein System der Verwirklichung derselben“). 87 Zum Verhältnis von Staat und Gesellschaft s. Jhering, Der Zweck im Recht, S. 96 (Gesellschaft und Staat fallen insoweit zusammen, „als der Gesellschaftszweck zu seiner Realisierung der Vermittlung durch äusseren Zwang bedarf“), S. 240 („Staat ist die Gesellschaft selber als Inhaberin der organisirten Zwangsgewalt“), ferner S. 305 ff. 88 Jhering, Der Zweck im Recht, S. 66, 102. 89 Jhering, Der Zweck im Recht, S. 66, 79, 102, 230, 240, ferner S. 48 ff. 90 Jhering, Der Zweck im Recht, S. 240.
I. Die Kritik und ihr ideengeschichtlicher Hintergrund
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c) Jhering und die Kontinuität der Kritik Ähnlich wie bei Schopenhauer91, von dem Jhering beeinflusst ist92, fällt auf, dass die Person und ihre Freiheit hier keine zentrale Rolle mehr einnehmen.93 91
S. Kobusch, Die Entdeckung der Person, S. 183 ff. zu „Schopenhauers Fundamentalkritik am Personbegriff“, welche zugleich die Fundamente des moralischen Seins angeht. Schopenhauer lehnt zwar nicht die Freiheit als solche ab, verlagert sie aber von den Handlungen auf das „Sein“ selbst (Schopenhauer, Die beiden Grundprobleme der Ethik, S. 97: „Dieser Weg führt […] dahin, daß wir das Werk unserer Freiheit nicht mehr, wie es die gemeine Ansicht thut, in unsern einzelnen Handlungen, sondern im ganzen Seyn und Wesen (existentia et essentia) des Menschen selbst zu suchen haben […]. Demnach steht für die Welt der Erfahrung das Operari sequitur esse ohne Ausnahme fest. Jedes Ding wirkt gemäß seiner Beschaffenheit, und sein auf Ursachen erfolgendes Wirken giebt diese Beschaffenheit kund. Jeder Mensch handelt nach dem wie er ist, und die demgemäß jedes Mal nothwendige Handlung wird, im individuellen Fall, allein durch die Motive bestimmt. Die Freiheit, welche daher im Operari nicht anzutreffen sein kann, muß im Esse liegen. […] im Esse allein liegt die Freiheit; aber aus ihm und den Motiven folgt das Operari mit Nothwendigkeit: und an dem was wir thun, erkennen wir was wir sind“). Das Handeln des Menschen ist determiniert („nothwendig“) durch seinen Charakter und die Motive (aaO, S. 41 ff., 48, 94 f.; S. 48: Charakter als „speciell und individuell bestimmte Beschaffenheit des Willens, vermöge deren seine Reaktion auf die selben Motive in jedem Menschen eine andere ist“, indem er „die Wirkungsart der verschiedenartigen Motive auf den gegebenen Menschen bestimmt“). Das Handeln selbst ist also nicht frei, sondern notwendig (aaO, S. 56: „Wie jede Wirkung in der unbelebten Natur ein nothwendiges Product zweier Faktoren ist, nämlich der hier sich äußernden allgemeinen Naturkraft und der diese Aeußerung hier hervorrufenden einzelnen Ursache; gerade so ist jede That eines Menschen das nothwendige Produkt seines Charakters und des eingetretenen Motivs. Sind diese Beiden gegeben, so erfolgt sie unausbleiblich“; S. 60: „Alles was geschieht […] geschieht nothwendig“; ferner S. 174 f.). Frei ist nur das Sein des Menschen, d.h. sein Charakter (aaO, S. 94: „so muß auch die Freiheit ebendaselbst liegen, also im Charakter des Menschen“; ferner S. 96). Diese Freiheit ist aber keine in der „empirischen Realität der Erfahrungswelt“, sondern „transcendentale“ Freiheit, sodass „zwar der Wille frei, aber nur an sich selbst und außerhalb der Erscheinung“ ist (aaO, S. 96, ferner S. 98; S. 177: „Die Freiheit gehört nicht dem empirischen, sondern allein dem intelligibeln Charakter an. Das operari eines gegebenen Menschen ist von Außen durch die Motive, von Innen durch seinen Charakter nothwendig bestimmt: daher Alles, was er thut, nothwendig eintritt. Aber in seinem Esse, da liegt die Freiheit. Er hätte ein anderer seyn können: und in dem, was er ist, liegt Schuld und Verdienst. Denn Alles, was er thut, ergiebt sich daraus von selbst, als ein bloßes Korollarium“). Dadurch scheidet auch die Person als Zurechnungspunkt und Prinzip der freien Handlungen aus (s. Kobusch, Die Entdeckung der Person, S. 183 ff., 187). Vielmehr ist moralische Freiheit „das völlig deutliche und sichere Gefühl der Verantwortlichkeit für das was wir thun, der Zurechnungsfähigkeit für unsere Handlungen, beruhend auf der unerschütterlichen Gewißheit, daß wir selbst die Thäter unserer Thaten sind“ (Schopenhauer, aaO, S. 93; ferner S. 175 ff.). 92 S. Pleister, Die Persönlichkeit, S. 21 ff., 245 ff. (gerade im Hinblick auf Jherings Ausführungen zu Wille und Kausalität); s.a. die Verweise auf Schopenhauer bei Jhering, Der Zweck im Recht, S. 55 f., 58. S. ferner zuvor die Fn. mit Nachweisen zu Schopenhauer. 93 Vgl. zur Bedeutung von Jherings Ansatz für Person und Freiheit auch Fezer, Teilhabe und Verantwortung, S. 222 f. („Das Personsein ist gesellschaftlich vermittelt“), ferner S. 225 („Jherings Rechtsdenken setzt nicht an der Willensfreiheit […] des Menschen an“), 230 (zu Jherings Interessentheorie: „[…] verweigert sie sich […] der Notwendigkeit, die rechtliche Eigenwertigkeit der Person als facultas agendi in das Zentrum des Rechts zu rücken […].
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3. Kapitel: Die Kritik und die Zivilrechtsentwicklung der Gegenwart
Nur der Wille erscheint als das handelnde Vermögen.94 Indem Jhering zugleich den Willen durch die Finalkausalität bzw. sein „Zweckgesetz” teleologischdeterministisch versteht und damit die Willensfreiheit bestreitet95, entfallen die Fundamente der Metaphysik der Freiheit. Ebenso wie bei Thomasius96 bleibt bei dieser Betrachtungsweise nur noch die Einordnung der Rechtsordnung als den Willen beugende Zwangsordnung, wobei bei Jhering nun der Zweck die zentrale Bedeutung einnimmt – der Zweck bestimmt letztlich das Handeln und das Recht.97 Indem er zugleich die Zwecksetzung durch die Gesellschaft im Staat für weitgehend frei bestimmbar hält98, zeigen sich voluntaristische Züge.99 94 Jhering kehrt personale Rechtsgeltung um in soziale Rechtsgeltung. Jherings Kontrolle der Rechtswerte ist keine einer personalen Rechtsidee“). Die Person erscheint hier nicht als Handlungs- und Rechtsträger sowie als Zurechnungssubjekt, sondern wird mit ihren durch das Recht geschaffenen Rechtspositionen identifiziert, vgl. Jhering, Der Zweck im Recht, s. S. 79 („Das Recht umfasst die Person nach allen Seiten ihres Daseins hin. Die Behauptung dieser ihr vom Recht eingeräumten Stellung nennen wir die rechtliche Selbstbehauptung der Person. Dieselbe erstreckt sich auf alles, was die Person ist und hat: Leib und Leben, Ehre, Vermögen, Familie, öffentliche Rechtsstellung“); ferner S. 79 („Die Person, d.h. der Zweck ihrer physischen Selbsterhaltung trieb das Vermögen aus sich hervor […]. Beide zusammen treiben wiederum zum Recht […]“). Auch die Person wird damit in das Zweckgesetz integriert, die Person wird auf den Zweck der physischen Selbstbehauptung reduziert, welche schließlich durch das Recht erhalten werden soll; der Zweck bestimmt wiederum den Willen. Zur abgeschwächten Stellung der Person im „Zweck im Recht“ Pleister, Die Persönlichkeit, S. 245. 94 Vgl. Jhering, Der Zweck im Recht, S. 3 ff., 102. S.a. Pleister, Die Persönlichkeit, S. 245 („Viel folgenreicher jedoch ist die Entmachtung des Individuums in intensiver Hinsicht, d.h. was sein scheinbar auch noch in Zweck I so hochgepriesenes Vermögen, eben seinen Willen anbelangt: Ein hoher Stellenwert kommt diesem nämlich nicht mehr deshalb zu, weil er „das schöpferisch gestaltende Organ der Persönlichkeit“ ist, sondern weil an ihm der welthistorische „Hebel“ überhaupt erstmals ansetzen und erst durch ihn zutage treten, Realität werden kann; eben der Zweck“; Fn. weggelassen). In diesem Gesichtspunkt verortet Kobusch (Die Entdeckung der Person, S. 183 ff., 187) bei Schopenhauer die „Fundamentalkritik“ an der Lehre vom moralischen Sein: Als Prinzip erscheint bei Schopenhauer ausschließlich der Wille, die Person nimmt keine Rolle mehr ein, womit auch das Fundament der Lehre vom moralischen Sein entfalle (aaO, S. 187). 95 S. dazu oben S. 228. 96 S. dazu oben S. 223 f. 97 Vgl. Jhering, Der Zweck im Recht, S. 102, 238 ff., 426 ff. 98 Vgl. Jhering, Der Zweck im Recht, S. 522 ff. zur Frage, ob und welche Vorgaben oder Grenzen sich für die „socialen Zwecke“ aus den Rechten des Einzelnen ergeben. 99 Vgl. Auer, Der privatrechtliche Diskurs, S. 61 („Konsequenterweise erkennen die Vertreter der Interessentheorie auch den gesamten vorpositiven, autonomiebasierten, vernunftsrechtlichen „Überbau“ des subjektiven Individualrechts nicht an. Dies kommt etwa in Jherings Definition des subjektiven Rechts zum Ausdruck, wonach es für die Verdichtung eines Interesses zum subjektiven Recht allein auf das klar rechtspositivistische Kriterium des „rechtlichen Schutzes“, d.h. die Pflichtenbewehrung durch positives Recht ankommen soll. […] Eine entsprechende Tiefenbeziehung wie zwischen Autonomie, subjektivem Recht und Willenstheorie besteht auch zwischen der Entstehung der Interessentheorie und der machttheoretisch, positivistisch oder utilitaristisch motivierten Dekonstruktion des autonomieba-
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Daraus ergeben sich wesentliche Folgen für die Rechtsordnung selbst. Auch wenn es sich hierbei nur um einen Perspektivwechsel (weg von der rechtsdogmatischen, hin zu einer rechtssoziologisch-naturwissenschaftlichen Betrachtungsweise) handeln sollte100, liegt in diesem Wechsel zugleich auch notwendig die Negation einer eigenständigen Rechtswelt mit eigener rechtlicher Kausalität. Die Kausalität, die Jhering auf das Gesetz bezieht, ist keine rechtliche, sondern eine rein psychologisch-natürliche, durch den Zweck bestimmte.101 Die Wirkungen des Rechts sind physisch-faktische („Zwang“)102, nicht rechtliche. Es geht um die Verwirklichung von „socialen Zwecken“ durch (physische) Handlungen aufgrund von auf den Willen gerichtetem Zwang („sociale Mechanik“)103, nicht um die Veränderung, Aufhebung oder Begründung rechtlicher Entitäten. Bei dieser Betrachtungsweise bleibt kein Raum für die Person, die durch ihren freien Willen rechtlich kausal werden kann.104 Finalkausalität bedeutet hier, dass die Gesellschaft zur Erreichung ihrer „socialen Zwecke“ Lohn, Strafe und Zwang vorsieht, welche für den Einzelnen „egoistische Interessen” darstellen, die ihn zum Handeln bewegen sollen – es geht um Verhaltenssteuerung.105 Deswegen kann das subjektive Recht auch nicht mehr wie bei Savigny als Freiheitsraum der Person106, sondern nur noch als (faktischer) Zweck und Interesse eingeordnet werden, hinsichtlich derer dem Rechtsinhaber eine zwangsweise Realisierung ermöglicht wird.107 100 sierten Rechtsbegriffs in der zweiten Moderne“); Larenz, Methodenlehre, S. 48; Schröder, Recht als Wissenschaft, S. 288; s.a. Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, S. 347 (zum utilitaristischen und auf Verhaltenssteuerung zielenden Charakter); ferner zum utilitaristischen Charakter von Jherings Ansatz Fezer, Teilhabe und Verantwortung, S. 222 f. 100 So Jansen/Reimann, ZEuP 2018, 89, 107 ff., 111 („kein normatives Programm“); s.a. Jhering, Der Zweck im Recht, S. 529 („naturwissenschaftliche Betrachtung der sittlichen Welt“). 101 Vgl. Jhering, Der Zweck im Recht, S. 4 („Zweckgesetz“ als „psychologisches Causalitätsgesetz“); s. ähnlich auch Schlossmann, Der Vertrag, S. 17 f., 88, der in direkter Abgrenzung von der rechtlichen Kausalität sagt, dass „nicht Causalität, sondern Motivation“ (aaO, S. 18) maßgeblich sei. 102 Vgl. Jhering, Der Zweck im Recht, S. 238 („Unter Zwang im weitern Sinn verstehen wir die Verwirklichung eines Zweckes mittelst Bewältigung eines fremden Willens […]“), ferner S. 92 („Die Sphäre des Zwanges fällt zusammen mit der des Rechts und des Staats“). 103 Vgl. Jhering, Der Zweck im Recht, S. 49 ff., 238 f., ferner S. 102 („Die Gesellschaft besitzt eine zwingende Kraft über den menschlichen Willen, es gibt eben so gut eine sociale Mechanik, um den menschlichen Willen, wie eine physikalische, um eine Maschine zu zwingen. Diese sociale Mechanik ist gleichbedeutend mit der Lehre von den Hebeln, durch welche die Gesellschaft den Willen für ihre Zwecke in Bewegung setzt, oder kurz gesagt: der Lehre von den Hebeln der socialen Bewegung“). 104 So dagegen Zitelmann, Irrtum und Rechtsgeschäft, S. 245. 105 Jhering, Der Zweck im Recht, S. 49 ff., 66, 102, 230; s. Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, S. 347 („Wer das Recht aus der Sicht der damit verfolgten Zwecke betrachtet, nimmt notwendigerweise auch die verhaltenssteuernde Funktion in den Blick“). 106 S. dazu oben S. 185 f. sowie unten noch S. 391 ff., 396 ff. 107 S. dazu oben S. 226 f.
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Die Rechtsordnung wird somit nicht als Eigengesetzlichkeiten unterworfener selbständiger Bereich mit eigenen rechtlichen Entitäten und eigener Kausalität angesehen, sondern naturwissenschaftlich und als von psychologischphysischen Gesetzmäßigkeiten abhängig betrachtet.108 Das Rechtliche besteht ganz im Physischen – es ist nur eine besondere Betrachtungsweise des Physischen, es gibt keinen eigenständigen nicht-physischen rechtlichen Seinsbereich. Auf diese Weise reiht sich Jhering gleich in mehrfacher Hinsicht unmittelbar in die Kritik an der „Metaphysik der Freiheit“ ein.109 Maßgeblich ist eine naturalistische Betrachtungsweise des Rechts, die dieses als faktische, gesellschaftlichen Interessen dienende Zwangsordnung identifiziert – der (Willens-)Freiheit kommt hier keine konstitutive Bedeutung zu.110 Entscheidend für den Rechtsbegriff ist die Zwangsbefugnis111, die Bedeutung des „Tatsächlichen“ als (alleiniger) Gegenstand wissenschaftlicher Betrachtung wird betont.112 Auch das Recht soll insofern in soziologisch-naturwissenschaftlichen Kategorien erfasst werden.113 Die Eigenständigkeit und Eigengesetzlichkeit eines sich um die Freiheit und den Willen der Person entfaltenden rechtlichen Seinsbereichs wird damit letztlich negiert. Das Recht wird gänzlich an die Gesellschaft und ihre Interessen rückgekoppelt. Was dieser Perspektivwechsel konkret bedeutet, zeigt sich auch im Vertragsrecht.114 Gegen das Naturrecht115 und seine abstrakte Begründung der 108
Vgl. dazu auch W. Hess, Zum Verhältnis von Recht und Sittlichkeit, S. 71 ff. Jhering ist dabei von Schopenhauer beeinflusst, vgl. Jhering, Zweck im Recht, S. 55 ff.; dazu Pleister, Persönlichkeit, S. 21 ff., 245 ff.; zu Schopenhauer und seiner Einordnung in die Kritik am moralischen Sein Kobusch, Die Entdeckung der Person, 178 ff., 183 ff. 110 Vgl. W. Hess, Zum Verhältnis von Recht und Sittlichkeit, S. 71 ff. 111 Jhering, Der Zweck im Recht, S. 238 ff. 112 W. Hess, Zum Verhältnis von Recht und Sittlichkeit, S. 72. 113 Vgl. W. Hess, Zum Verhältnis von Recht und Sittlichkeit, S. 71 ff.; s.a. ansatzweise Jhering, Der Zweck im Recht, S. 529 („geschichtliche und naturwissenschaftliche Betrachtung der sittlichen Welt“). 114 Dass sich Jhering nicht schlechthin, sondern nur kraft des Perspektivwechsels gegen das vorherrschende Vertragsrecht wendet, versucht er (Der Zweck im Recht, S. 77) selbst deutlich zu machen: „Der Jurist definiert den Vertrag als die Willenseinigung (consensus) zweier Personen. Vom juristischen Standpunkt aus vollkommen richtig; denn das verbindende Element des Vertrages liegt im Willen. Aber für uns, die wir bei dieser ganzen Untersuchung nicht den Willen als solchen, sondern das bestimmende Element desselben: den Zweck im Auge haben, nimmt die Sache eine andere und, wie ich glaube, instructivere Gestalt an“. 115 S. Jhering, Der Zweck im Recht, S. 264 („Angesichts dieser praktischen Unentbehrlichkeit der bindenden Kraft der Verträge begreift man kaum, wie die naturrechtliche Doctrin darin ein höchst schwieriges Problem hat erblicken können, zu dessen Lösung die Einen die gewaltsamsten Anstrengungen aufboten, während die Andern an einer Lösung völlig verzweifelten. Zu einem Problem ward die Frage nur dadurch, dass man bei ihr das Zweckmoment, die Verkehrsfunction des Versprechens, völlig aus den Augen verlor und die Frage lediglich aus der Natur des Willens zu beantworten versuchte […]”). Immer wieder wendet sich Jhering gegen das Naturrecht, s. Jhering, Der Zweck im Recht, S. 241, 265 f., 511, 523 f., 109
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Bindung der Verträge durch den Willen argumentiert Jhering auch hier mit dem relativen, d.h. von Geschichte und Gesellschaft abhängigen Zweck.116 Grund der Bindung von Verträgen ist das praktische Interesse der Vertragsparteien, dass sie Verträge nur dann eingehen, wenn sie klagbar und zwangsweise durchsetzbar sind117 – nicht dass hier Willensakte von Personen vorliegen, die um ihrer Freiheit willen die Entstehung von Rechten und Pflichten bewirken.118 Es zeigt sich, dass es zu kurz greifen würde, die Kritik Jherings auf den Begriff des subjektiven Rechts zu reduzieren. Indem er Willensfreiheit und Person und damit die „Fundamente“ der Metaphysik der Freiheit angeht119, reicht die Kritik wesentlich tiefer und betrifft ebenso wie den subjektiven Rechtsbegriff auch die anderen Konstituenten des 19. Jahrhunderts sowie die „Rechtswelt“ und die „rechtliche Kausalität“ selbst.120 Man kann, was Jhering selbst nahelegt121, diese Kritik als Perspektivwechsel deuten, nach der an Stelle einer rechtsdogmatischen Binnenperspektive eine rechtssoziologische Außenbetrachtung des Rechts vorgenommen wird.122 Wird indes diese Perspektive unter Negation der rechtsdogmatischen zur allein maßgeblichen und bestimmt sie die Rechtsreform123, dann ergeben sich hieraus auch wesentliche Auswir116 wobei im Fokus seiner Kritik steht, dass das Naturrecht einer individualistisch-atomistischen Perspektive des Rechts und des Willens Vorschub geleistet hätte und hierdurch die Zwecke sowie die Interessen der Gesellschaft vernachlässigt worden wären. 116 S. Jhering, Der Zweck im Recht, S. 264 f., 287 f. 117 Jhering, Der Zweck im Recht, S. 263 („Die Garantie dieser Erfüllung beruht auf dem Zwange. Einräumung der Zwangsbefugniss von Seiten des Schuldners ist die unerlässliche Bedingung der Annahme seines Versprechens von Seiten des Gläubigers“). 118 Vgl. Jhering, Der Zweck im Recht, S. 263 ff., 287 f. („Das Ergebniss, mit dem wir zurückkehren, besteht in der Erkenntniss, dass das Treibende bei der Obligation nicht die abstracte Idee des Willens oder was dasselbe sagt: der formale Begriff des Versprechens, sondern der praktische Zweck ist, ein höchst relativer Begriff, bedingt und bestimmt durch das, was als Lebensbedingung und Lebensziel empfunden wird, und zwar nicht von einem einzelnen, absonderlich gearteten Individuum, sondern von dem typischen Individuum dieser bestimmten Zeit d.i. von der gesamten Gesellschaft”), ferner S. 148 („Es gibt in meinen Augen keinen verhängnissvolleren Irrthum, als ob der Vertrag als solcher, welches immerhin auch sein Inhalt, sofern es nur kein unmoralischer sei, Anspruch auf Schutz des Gesetzes habe“). 119 Vgl. Kobusch, Die Entdeckung der Person, S. 187 (im Hinblick auf die Kritik bei Schopenhauer, der Jhering beeinflusst hat). 120 Zu diesen Kategorien s. oben S. 166 ff., 177 ff.; s.a. Haferkamp, in: Lampe/Pauen/ Roth (Hrsg.), Willensfreiheit und rechtliche Ordnung, S. 196, 197 zu Jherings Kritik an der Willensfreiheit. 121 Vgl. z.B. Jhering, Der Zweck im Recht, S. 77 f. 122 Jansen/Reimann, ZEuP 2018, 89, 91 f., 107 ff.; s. aber auch Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, S. 370 („Das Verständnis des Privatrechts als Instrument zur Beeinflussung des Verhaltens von Menschen ist also keineswegs eine außerrechtliche Sichtweise“). 123 Vgl. auch Jansen/Reimann, ZEuP 2018, 89, 123 f., die den Unterschied von Jhering und Pound darin sehen, dass bei Jhering der Zweck nur „kausal“, bei Pound hingegen final verstanden werde, und dort dieser Aspekt dann auch die Rechtsreform bestimmt: Recht ist als „politisches Mittel“ ein Vehikel zur Verwirklichung bestimmter sozialer Zwecke.
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kungen auf die Ausgestaltung des Rechts selbst. Es wird sich später noch zeigen, dass Jherings Grundsatzkritik insbesondere Ende des 19. Jahrhunderts und Anfang des 20. Jahrhunderts in den USA wirkmächtig wird und von dort aus dann auch rechtspraktische Wirkungen hervorruft.124
4. Freirechtsbewegung Jherings Kritik bildet den Ansatzpunkt für verschiedene rechtswissenschaftliche Bewegungen, die die Konstituenten der Privatrechtswissenschaft des 19. Jahrhunderts infrage stellen.125 Zu Beginn des 20. Jahrhunderts bildet sich so mit der vor allem126 mit Hermann Kantorowicz verbundenen „Freirechtsbewegung“ eine rechtswissenschaftliche Strömung, die die dogmatisch operierende, das Recht als logisch geordnetes „System“ verstehende (Zivil-)Rechtswissenschaft („Begriffsjurisprudenz“) grundsätzlich in Frage stellt.127 Ideen der Freirechtsbewegung werden wirkungsgeschichtlich vor allem im US-amerikanischen Diskurs bedeutsam, worauf später noch einzugehen sein wird.128 Gegen den „Positivismus des 19. Jahrhunderts“ und das mit ihm verbundene Vollständigkeitspostulat, dass aus dem Gesetz sämtliche Rechtsfragen zu beantworten seien, wird geltend gemacht, dass es auch so etwas wie „freies 124
S. dazu unten noch S. 267 ff. sowie Jansen/Reimann, ZEuP 2018, 89, 118 ff. Zu Jherings Einfluss auf die Freirechtsbewegung s. Jansen/Reimann, ZEuP 2018, 89, 112 ff.; wenngleich sich Jherings Kritik nicht hat durchsetzen können, sondern vielmehr nur ergänzend in den klassischen Privatrechtsbegriff integriert wurde, so Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, S. 347, 352, 353 ff., 360 ff. (zu den Kombinationsbegriffen sowie zur „Wertungsjurisprudenz“); vgl. dazu sowie zu den weiteren Diskussionen um den subjektiven Rechtsbegriff im ausgehenden 19. Jhd. auch Fezer, Verantwortung und Teilhabe, S. 231, 233 ff., 237 ff. 126 Als weitere Vertreter der Freirechtsbewegung werden Eugen Ehrlich, François Gény sowie Ernst Fuchs eingeordnet, s. Jansen/Reimann, ZEuP 2018, 89, 113; Riebschläger, Die Freirechtsbewegung, S. 33 ff.; ferner Herget/Wallace, 73 Virginia L. Rev. 399, 407 ss. (1987). 127 Dazu Riebschläger, Die Freirechtsbewegung, S. 1 ff., 33 ff., 39 ff., 90 ff.; Rea-Frauchiger, Der amerikanische Rechtsrealismus, S. 178; Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, S. 348 ff.; grundlegend Kantorowicz, Der Kampf um die Rechtswissenschaft, S. 7 ff. et passim (S. 7: „Die herrschende Idealvorstellung vom Juristen ist die: Ein höherer Staatsbeamter mit akademischer Ausbildung, sitzt er, bewaffnet bloß mit einer Denkmaschine […] in seiner Zelle. Ihr einziges Mobiliar ein grüner Tisch, auf dem das staatliche Gesetzbuch vor ihm liegt. Man reicht ihm einen beliebigen Fall, einen wirklichen oder nur erdachten, und entsprechend seiner Pflicht, ist er imstande, mit Hülfe rein logischer Operationen und einer nur ihm verständlichen Geheimtechnik, die vom Gesetzgeber vorherbestimmte Entscheidung im Gesetzbuch mit absoluter Exaktheit nachzuweisen“), S. 27 ff. (S. 28: „Die Jagd aber nach einem allgemein gültigen System von Sätzen, gleichviel ob staatlichen oder freien Rechtes, ist zumal in einem Zeitalter des steigenden Individualismus nichts als die Utopie einer dilettantischen Logik“). 128 S. dazu unten noch S. 251, 274 f.; s.a. Herget/Wallace, 73 Virginia L. Rev. 399, 401 ss., 422 ss. (1987); Rea-Frauchiger, Rechtsrealismus, S. 178 ff., 180 f.; Jansen/Reimann, ZEuP 2018, 89, 123, 124 f.; ferner auch Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, S. 351 f. 125
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Recht“ gibt.129 Recht besteht damit nicht nur im verschriftlichten Gesetz und den daraus erfolgenden Deduktionen, sondern umfasst auch „freies Recht“, das durch richterliche Urteile „geschöpft“ wird und die vom Gesetz offen gelassenen „Lücken“ schließen soll.130 Nicht logische „Konstruktion“ und „Rationalismus“, sondern „freie Rechtsfindung“ und „Rechtsschöpfung“131 sind das Ideal dieser „voluntaristischen“ Rechtswissenschaft.132 Damit verbunden sind der Gedanke der Rückbindung des Rechts an die richterliche Entscheidungsfindung sowie die Betonung der richterlichen Macht zur Rechtsschöpfung.133 Entscheidend für die Betrachtung des Rechts 129 Kantorowicz, Der Kampf um die Rechtswissenschaft, S. 10 ff., 14 ff., 19 ff. (S. 18: „Nur ganz allein die Jurisprudenz traut sich infolge ihrer angeblich systematischen Vollkommenheit zu, jedes wirkliche und jedes denkbare Problem lösen zu können, und verlangt diese Fähigkeit sogar von dem letzten ihrer Jünger. […] Statt daß man sich zunächst bei jeder Frage erst die Vorfrage stellt: ist unser Fall denn überhaupt lösbar? […] Und doch braucht es bei der unübersehbaren Kompliziertheit der sozialen Zusammenhänge, bei der Gegensätzlichkeit der wirtschaftlichen Interessen und der Lückenhaftigkeit des Gesetzestextes gar nicht erst ausgeführt zu werden, daß auf jede Vorfrage in tausend Fällen ein entschiedenes Nein geboten ist“); dazu Riebschläger, Die Freirechtsbewegung, S. 40 ff., ferner zum (Gesetzes-)Positivismus S. 14 ff., 19 ff. 130 Kantorowicz, Der Kampf um die Rechtswissenschaft, S. 14 ff., 19 ff. (S. 14: „Aus freiem Recht endlich muß das Gesetz in sich geschlossen werden, müssen seine Lücken ausgefüllt werden“). 131 Kantorowicz, Der Kampf um die Rechtswissenschaft, S. 49 („aus den Trümmern der Dogmatik wird, zum Entsetzen aller Unklaren, der Stolz der Zukunft steigen, die Freie Rechtsschöpfung“). 132 Kantorowicz, Der Kampf um die Rechtswissenschaft, S. 20 („Die Wissenschaft hat die Definitionen sämtlicher Begriffe zu liefern – nicht durch „Konstruktion“, sondern durch Ausstattung mit jenen Merkmalen, welche freie Rechtssätze an die Hand geben. […] Sie wird „freie Rechtsfindung“, wo sie Gemeinschaftsrecht entdeckt und zur Anwendung bringt; sie erhebt sich zu freier Rechtsschöpfung, wo sie individuelles Recht hervorbringt und ihm Geltung verschafft. Ist sie selbst Quelle des Rechts, so muß sie dieselbe Natur haben wie alle übrigen Quellen, und wie das Recht selbst muß sie Wille sein. Mit dieser Erkenntnis schließt sich die Rechtswissenschaft dem Zuge der Geisteswissenschaften im 19. Jahrhundert an und tritt in ihre voluntaristische Phase. Gerade aber die Rechtswissenschaft ist das Gebiet, auf welchem die voluntaristische Auffassung ihre höchsten Triumphe feiern kann. Der Primat des Willens ist nirgends unbestreitbarer als hier, wie einfache empirisch-psychologische Beobachtung auch lehren muß, der, wie wir selbst, Schopenhauers Willensmetaphysik weit abweist“), ferner S. 22 ff., 32, 37 („In allen diesen Fällen ist der wahre Acteur eben der Wille; leerer Schein die logische Deduktion“), 38; zum Zusammenhang von Freirechtsbewegung und Voluntarismus s. Larenz, Methodenlehre, S. 59 ff. 133 Vgl. Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, S. 349 f.; Jansen/Reimann, ZEuP 2018, 89, 114; s. ferner Riebschläger, Die Freirechtsbewegung, S. 97 ff.; vgl. dazu auch Kantorowicz, Der Kampf um die Rechtswissenschaft, S. 38 ff. (S. 41: „Wir fordern deshalb, daß der Richter, durch seinen Eid verpflichtet, den Fall so entscheidet, wie nach klarem Wortlaut des Gesetzes zu entscheiden ist. Von diesem darf und soll er absehen erstens, sobald das Gesetz ihm eine zweifellose Entscheidung nicht zu bieten scheint; zweitens, wenn es, seiner freien und gewissenhaften Überzeugung nach, nicht wahrscheinlich ist, daß die zur Zeit der Entscheidung bestehende Staatsgewalt, falls der einzelne Fall ihr vorgeschwebt hätte, getroffen haben würde. Vermag er sich eine solche Überzeugung nicht herzustellen, so soll er nach freiem Recht entscheiden“).
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ist damit auch die Auseinandersetzung mit den Faktoren, die die richterliche Entscheidungsfindung beeinflussen und lenken.134 Der Richter soll bei seiner Entscheidungsfindung die „sozialen“ Faktoren und Wirkungen der Entscheidung („soziale Funktionen/Wirkungen/Tatsachen“) sowie Erkenntnisse anderer Wissenschaften berücksichtigen.135
5. Thons Imperativentheorie Schließlich ist auf Thon und seine „Imperativentheorie“ hinzuweisen.136 Thons Theorie spielte, wenngleich von Beginn an umstritten137, im ausgehenden 19. Jahrhundert und auch für das 20. Jahrhundert eine wichtige Rolle.138 Vor allem scheint Thons Ansatz in verschiedener Hinsicht mit Tendenzen in der Gegenwart in Einklang zu stehen.139 Für diese Untersuchung ist seine Theorie vor allem im Hinblick auf folgende Aspekte von Bedeutung: für den Begriff des subjektiven Rechts140; für das Haftungsrecht und die Frage, was die Folge von Normverstößen ist, sowie die rechtliche Kausalität und das Rechtsgeschäft.141 Thons Theorie baut darauf auf, dass die gesamte Rechtsordnung als ein Komplex von Ge- und Verboten („Imperative“) betrachtet wird, an deren Übertretung Rechtsfolgen geknüpft werden.142 Diese Ge- und Verbote, d.h. 134 Vgl. Kantorowicz, Der Kampf um die Rechtswissenschaft, S. 16 ff. (zur Individualität und Subjektivität der Rechtsfindung), 45 f.; s. dazu auch (zur Berücksichtigung der psychologischen Faktoren bei Rumpf) Rea-Frauchiger, Der amerikanische Rechtsrealismus, S. 180; Riebschläger, Die Freirechtsbewegung, S. 44. 135 Kantorowicz, Der Kampf um die Rechtswissenschaft, S. 45 f. („Wir brauchen Richter, die sowohl mit den im Volke herrschenden Rechtsanschauungen, als mit den Tatsachen des Lebens und den Ergebnissen benachbarter Wissenschaften vertraut sind. […] Spezialisten des Tatbestandes, nicht Tausendkünstler des Rechtssatzes – muß die Lösung sein. […] Und Richter wollen wir, die, auf sie und die eigne Erfahrung gestützt, in voller Kenntnis der sozialen Funktionen jedes Rechtssatzes und der sozialen Wirkungen ihrer Entscheidungen, zu urteilen wissen“). 136 S. Thon, Rechtsnorm, S. 1 ff. et passim.; dazu Jansen, Haftungsrecht, 464 f.; Hofer, Freiheit ohne Grenzen?, S. 195 ff.; Fezer, Teilhabe und Verantwortung, S. 231 ff.; Wendelstein, Pflicht und Anspruch, S. 22 ff. 137 S. etwa Jansen, Haftungsrecht, S. 465. 138 S. etwa Windscheid, Lehrbuch des Pandektenrechts, 6. Aufl., § 37, S. 99 f., Fn. 3; dazu Jansen, Haftungsrecht, S. 465. 139 Vor allem Thons Normübertretungs- und Sanktionsansatz finden Rezeption, vgl. unten noch S. 465 ff.; vgl. Hoffmann, Zession und Rechtszuweisung, S. 41 ff. zu Thons Bedeutung für die Diskussionen der Gegenwart. 140 S. dazu unten S. 392; das subjektive Recht ist auch der eigentliche Ansatzpunkt von Thons Kritik, vgl. Thon, Rechtsnorm, S. V. 141 S. dazu unten noch S. 240 f., 465 ff. 142 Thon, Rechtsnorm, S. 8 („Das gesammte Recht einer Gemeinschaft ist nichts als ein Complex von Imperativen, welche insofern miteinander verknüpft und verbunden sind, als die Nichtbefolgung der einen für andere häufig die Voraussetzung des Befohlenen bildet“), 69 („Alles Recht besteht in Imperativen“), ferner S. 5; dazu auch Fezer, Teilhabe und Verantwortung, S. 232.
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Verhaltenspflichten ergeben sich als Befehle der Rechtsordnung.143 Ziel der Imperative ist, das gewünschte oder untersagte Verhalten zu erreichen.144 Die Festlegung, welches Verhalten ge- oder verboten ist, richtet sich nach der „Gemeinschaft“: „das Interesse der Gemeinschaft bestimmt die Rechtssetzung“.145 Folgen des Verstoßes gegen die Imperative („Uebertretung der Norm“) ist die Verhängung einer Rechtsfolge durch die Rechtsordnung, d.h. in der Regel die Entstehung „neuer“ oder die Zurücknahme „alter“ Imperative.146 Die (schuldhafte) Normübertretung begründet als wesentliche Rechtsfolgen zum einen Strafe, zum anderen die Pflicht zu Ausgleichung und Entschädigung.147 Auch die Schadensersatzhaftung ist Rechtsfolge der Normübertretung und insofern in gewisser Hinsicht Sanktion148 – allerdings unterscheiden sich die Ziele und Gründe von Strafe und Schadensersatz.149 Subjektive Rechte des einen ergeben sich nach diesem Verständnis aus den ihn schützenden Pflichten bzw. der Normübertretung des anderen.150 Das subjektive Recht „erwächst für den durch die Normen Geschützten aus der Bestimmung des objectiven Rechts, wonach ihm für den Fall der Uebertretung der ersteren behufs Verwirklichung des Gebotenen oder Wiederaufhebung des Verbotenen ein Mittel, der Anspruch, gewährt wird“.151 Das Wesen subjektiver Rechte besteht damit im Kern im aus der Nichterfüllung der Pflichten resultierenden Anspruch des Berechtigten „auf Beseitigung der Normwidrigkeit“.152
143
Thon, Rechtsnorm, S. 3 f. Thon, Rechtsnorm, S. 4, 11, 69. 145 Thon, Rechtsnorm, S. 4. 146 S. Thon, Rechtsnorm, S. 5, 8, 19 f., 69. 147 Thon, Rechtsnorm, S. 20 ff., 52, 59, 69 f., ferner auch Erfüllung, s. aaO, S. 62 („Der Gegensatz zwischen Strafe und Erfüllung und Ersatz beherrscht sämmtliche Rechtsfolgen der Normwidrigkeit“), S. 70 („Die Ausgleichung umfasst hiernach Erfüllung, Entschädigung und Sicherung“) – das bedeutet aber nicht, dass es keine Privatstrafen mehr geben darf bzw. die verschiedenen Rechtsfolgen nicht vermischt werden dürfen, vgl. aaO, S. 62 ff. 148 Vgl. auch Jansen, Haftungsrecht, S. 42, 464 ff., der das „Sanktionsmodell“ der Haftung (Schadensersatz als „Übel […], das die rechtliche Antwort auf einen Normverstoß bildet“) mit Thons Imperativentheorie verknüpft. 149 Vgl. Thon, Rechtsnorm, S. 52, 56 f., 61 ff., 65 f., 84. 150 Thon, Rechtsnorm, S. 133, 175 ff., 218, 223 ff.; dazu auch Hoffmann, Zession und Rechtszuweisung, S. 42; Fezer, Teilhabe und Verantwortung, S. 232. 151 Thon, Rechtsnorm, S. 218 – auch mit dem Hinweis auf die Ähnlichkeit zu Jherings Ansatz, allerdings auch mit dem Unterschied, wonach entgegen Jhering „der Zweck des Rechts […] nicht in die Begriffsbestimmung desselben gehört“ (aaO, S. 219); Interessen sind nur „Motiv“ zur Gewährung des Rechts (aaO, S. 220); s. ferner auch aaO, S. 133, 143. 152 S. Thon, Rechtsnorm, S. 133 f., 151, 178, 202, 223 ff., 325; Anspruch als „von der Rechtsordnung gewährtes Mittel, sich Rechtshülfe zu verschaffen“ (aaO, S. 244); Voraussetzung des Anspruchs ist die „Normwidrigkeit“ (aaO, S. 250); dazu auch Hoffmann, Zession und Rechtszuweisung, S. 42. 144
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Es reduziert sich also auf den infolge der normwidrigen Handlung entstehenden Anspruch.153 Folgen ergeben sich auch für den Bereich der Rechtsgeschäfte. Deren Bedeutung besteht darin, „eine Vorbedingung für den Eintritt oder für die Aufhebung einzelner Imperative zu sein“.154 Nicht das auf die Begründung von Rechtswirkungen gerichtete Handeln von Wille und Person155, sondern die Erfüllung der von der Rechtsordnung „zur Erzielung gewünschter rechtlicher Wirkungen“ festgelegten „Vorbedingungen“ (dann Rechtsgeschäft)156 oder die Übertretung von Ge- und Verboten (dann Delict)157 bewirken, dass die Rechtsordnung neue Imperative verhängt.158 Thon verlässt den Boden der herrschenden Meinung zwar nicht schlechthin, wohl aber verengt er sie, indem er die Rechtsordnung ganz auf die Verhaltensgebote und „Imperative“ beschränkt.159 Aus dieser Verengung ergeben 153 S. Jansen, Haftungsrecht, S. 465 sowie Thon, Rechtsnorm, S. 133 („Der Privatanspruch ist das Kennzeichen des Privatrechts“), 178, 223; zu Thons Ansatz und den Folgen für das subjektive Recht (Negation von „Substanzrechten“) auch Hoffmann, Zession und Rechtszuweisung, S. 41 ff. 154 Thon, Rechtsnorm, S. 350 f. („Das Rechtsgeschäft auf dem Gebiete des Privatrechts insbesondere ist die Vorbedingung für den Eintritt oder Wegfall solcher von der Rechtsordnung aufgestellter Imperative, zu deren Erzwingung dem Geschützten ein Privatanspruch zusteht. Die nämliche Function übt aber jede juristische Thatsache aus“), s.a. S. 345 f. (zur Vereinbarkeit des Rechtsgeschäfts mit der Imperativentheorie), ferner S. 12, 358. 155 Vgl. die Kritik an der Willenstheorie Thon, Rechtsnorm, S. 351 ff., 358 ff., 366 („[…] dass nach der hier vertretenen Auffassung zum Rechtsgeschäft ein auf die rechtliche Wirkung desselben gerichteter Parteiwille keineswegs begrifflich gehört“); s. aber auch S. 339 („dass die Rechtsordnung an eine gewisse Ausübung des natürlichen Könnens einer Person ohne Weiteres einen bestimmten rechtlichen Erfolg anknüpft“); s. insoweit auch die Kritik an Thon bei Pernice, Grünhuts Zeitschrift VII (1880), 465, 474 ff. 156 Gerade hierin sieht Thon selbst einen Unterschied zur herrschenden Auffassung, s. Thon, Rechtsnorm, S. 358 f.: Im Gegensatz zu dieser ist „nicht jede Willenserklärung eines Menschen ein Rechtsgeschäft […], sobald dieselbe eine Veränderung des jetzigen Rechtszustandes bezweckt. Nur diejenigen Handlungen verbleiben innerhalb des Begriffes Rechtsgeschäft, welche die Rechtsordnung als geeignete Mittel zur Erreichung rechtlicher Wirkungen anerkennt. Ist weiter das Rechtsgeschäft ein von der Rechtsordnung bezeichnetes Mittel zur Hervorrufung rechtlicher Wirkungen, so ist es zwar denkbar, aber keineswegs nothwendig, dass dies Mittel gerade in dem Wunsche des Handelnden besteht, es möchten jene Rechtswirkungen eintreten“; ferner S. 371 („Von einem Rechtsgeschäfte reden wir nur dann, wenn die Rechtsordnung den Eintritt oder das Aufhören ihrer Imperative davon abhängig macht, dass die von ihr bestimmte Vorbedingung durch die freie That eines handlungsfähigen Menschen verwirklicht wird“). Vgl. oben bereits zur Auffassung der herrschenden Auffassung S. 201 f. 157 Dazu, auch zur Abgrenzung von Delikt und Rechtsgeschäft Thon, Rechtsnorm, S. 356, ferner S. 350 ff., 366 ff. 158 Sowohl Rechtsgeschäft als auch Delict sind also „Vorbedingungen“ für das Eintreten neuer Imperative, s. Thon, Rechtsnorm, S. 351 („Das normwidrige Verhalten ist ebenfalls Vorbedingung für eine grosse Zahl neuer Imperative.“), 357. 159 Vgl. Fezer, Teilhabe und Verantwortung, S. 232, 233; s.a. Hoffmann, Zession und Rechtszuweisung, S. 42; ferner Pernice, Grünhuts Zeitschrift VII (1880), 465, 473 f.
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sich weitere Folgen. Bei der Imperativentheorie ist letztlich nicht bestimmt, welche Imperative es sind, die die Rechtsordnung vorsieht: „Die Rechtsordnung hat mithin auch völlig freie Hand, an welches menschliche Verhalten sie Beginn oder Ende ihrer Normen anknüpfen will“.160 Zentral sind nicht mehr die subjektiven Rechte, sondern die Normen und Pflichten sowie die Sanktionen, die sich an die Normübertretung knüpfen.161 Hierin zeigt sich ein deutlich pflichtenorientierter Charakter; wie bereits im pflichtenorientierten Naturrecht bei Pufendorf steht nicht das subjektive Recht, sondern die Pflicht im Zentrum der Rechtsordnung.162
6. Zusammenfassung Auch wenn die verschiedenen hier dargestellten Kritikansätze ihrerseits disparat sind, lassen sich dennoch verschiedene generelle Muster herausarbeiten. Zentral wird die Ablehnung eines eigenständigen moralisch-rechtlichen Seinsbereichs, der sich um die Kategorien Person, Wille und Freiheit sowie die subjektiven Rechte konstituiert. Die Kritik setzt bei Ockham und Gabriel Vázquez erkenntniskritisch an der Selbständigkeit eines moralischen Seinsbereichs, bei Thomasius an Freiheit und Wille und bei Jhering an Person, Willensfreiheit und am Zweck an. Jherings Beeinflussung durch Schopenhauer reiht ihn unmittelbar in die Kritiklinie ein.163 Mit dieser Kritik verbunden ist die Rückbindung der Rechtsordnung an das Faktische, d.h. im Falle Jherings an die gesellschaftlichen Interessen, die Verhaltenssteuerung und den Zwang.164 Mit der Ablehnung der Freiheit ist zugleich die Umformung des Rechtsbegriffs verbunden. Die Umformung des Rechtsbegriffs zeigt sich ansatzweise bereits bei Ockham und Marsilius v. Padua, sodann vor allem bei Thomasius und Jhering: Rechtsordnung ist Zwangsordnung – weil die Freiheit negiert wird, erhält das Recht seine Konkretisierung aus dem Zwang heraus. Es gibt danach nichts eigenständig Rechtliches, sondern auch das Rechtliche ist letzt160 Vgl. Thon, Rechtsnorm, S. 359 (im Hinblick auf das Rechtsgeschäft); dazu auch Pernice, Grünhuts Zeitschrift VII (1880), 465, 474; s. aber auch die Auslegung von Thons Theorie bei Hofer, Freiheit ohne Grenzen?, S. 195 ff. 161 Vgl. weitergehend auch Hoffmann, Zession und Rechtszuweisung, S. 42, wonach die Imperativentheorie zu einer Negation der Substanzrechte führt; ähnlich Wendelstein, Pflicht und Anspruch, S. 24; s. ferner Fezer, Teilhabe und Verantwortung, S. 233 („Die Imperativentheorie erschwert den Zugang zu der anthropologisch-personalen Funktion des Rechts, deren Wirkungsweise erst das subjektive Recht als Ausdruck des Personseins im Recht verstehbar macht“). 162 S. Jansen, Haftungsrecht, S. 418; Hoffmann, Zession und Rechtszuweisung, S. 43. 163 S. dazu zuvor S. 231; zu Schopenhauers Einordnung in der Kritiklinie der Freiheitsmetaphysiktradition Kobusch, Die Entdeckung der Person, S. 178 ff., 183 ff. 164 Vgl. insoweit zu Jhering im Hinblick auf die Verhaltenssteuerung Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, S. 347, 369.
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lich nur physisch, d.h. es wird zu einem besonderen Teil des Physisch-Faktischen.165 Ablehnung erfährt zugleich der Gedanke eines systematischen, rationalen rechtlichen Seinsbereichs („Rechtswelt“), der durch die subjektiven Rechte konstituiert wird und aus allgemeinen Grundsätzen im Wege des Syllogismus zu konkreten Deduktionen gelangt166 – d.h. jener Idee, die – wie im vorangegangenen Abschnitt gezeigt167 – wesentlichen Grundentscheidungen der Bürgerlichen Rechtsordnung zugrunde liegt. Dieser grundlegende Konflikt betrifft vor allem zwei Gesichtspunkte: zum einen die bürgerlich-rechtliche Denkform als solche, die das materielle Recht als einen eigenständigen Seinsbereich von subjektiven Rechten und Rechtsverhältnissen, von Rechtstatsachen und Rechtswirkungen auffasst; zum anderen die zentrale Idee subjektiver Rechte und damit auch die Bedeutung der Person als Rechtssubjekt, das als Individuum mit seinem Willen im Sinne der zentralen Institution der Rechtsordnung zunehmend von der Gesellschaft als ganzer verdrängt wird.168 Die Kritik an den subjektiven Rechten steht nicht isoliert, sondern hat Ausstrahlungswirkung auf die anderen Konstituenten. Wird die Idee subjektiver Privatrechte abgelehnt, erübrigt sich auch ein Verständnis des Zivilprozesses, das den Zweck des Prozesses in der Durchsetzung subjektiver Privatrechte sieht.169 Das Bemerkenswerte hieran ist, dass die zuvor erwähnten Kritikansätze Anfang des 20. Jahrhunderts in zugespitzter Form zum Programm einer rechtlichen Reformbewegung genommen werden – des American Legal Realism.170
165 S. zu diesem Ansatz, der sich explizit im Legal Realism bei Corbin ausgearbeitet findet, unten S. 275 ff. 166 S. zur Kritik an „abstrakten Begriffen“ und „logischen Deduktionen“ bei Jhering, Pound und Holmes (dazu unten noch S. 267 ff.) Jansen/Reimann, ZEuP 2018, 89, 120 f., 122; vgl. ansatzweise dazu auch Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, S. 347 (zu Jhering), 349 (zur Freirechtsschule), 369, 375 im Hinblick auf die Gegenüberstellung von „prinzipienbasierten und folgenorientierten Privatrechtstheorien“; ferner Wagner, in: Dreier (Hrsg.), Rechtswissenschaft als Beruf, S. 67, 83 ff. 167 S. dazu oben S. 177 ff., 185 ff., 195 ff. 168 Vgl. zu diesen Gesichtspunkten der Kritik auch Auer, Der privatrechtliche Diskurs, S. 48 ff. („Dezentrierung des Subjekts“), 55 ff. („Dekonstruktion des subjektiven Rechts“); ferner auch Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, S. 347, 349, 369, 375. 169 S. dazu oben S. 33 sowie S. 248 f. und S. 189 ff., 216. 170 S. dazu unten S. 267 ff.
II. Tendenzen in der Rechtsentwicklung der Gegenwart
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II. Tendenzen in der Rechtsentwicklung der Gegenwart 1. Zivilrechtsfremde Instrumentalisierung des Zivil- und Zivilprozessrechts? Wenn hier auf den Begriff einer zivilrechtsfremden „Instrumentalisierung“ des Zivil- und Zivilprozessrechts171 Bezug genommen wird, dann stellt sich zunächst die Frage nach dem Begriff des „Zivilrechtsfremden“. Wonach bestimmt sich, was zivilrechtstypisch oder zivilrechtsfremd ist?172 Als Orientierung könnten die herkömmlichen Bestimmungen des Zivilrechts dienen, etwa als „Rechtszuweisungsordnung“, die den einzelnen privaten Personen subjektive Privatrechte zuteilt und diese gegen Rechtsverletzungen schützt.173 Gegen dieses traditionelle Privatrechtsverständnis wird ein „Einbruch des Öffentlichen“174 ins Zivilrecht geltend gemacht, wonach dieses auch der Verwirklichung öffentlicher gesellschaftlicher Interessen dienen soll.175
2. Zivilrecht als Instrument der Verhaltenssteuerung und private law enforcement a) Überblick Hellgardt hat so kürzlich auf die Funktion des Zivilrechts als „Regulierungsrecht“ hingewiesen.176 Aufgabe eines solchen Zivilrechts ist Verhaltenssteuerung bzw. Prävention, deren Ziel die Erreichung bestimmter gesellschaftlicher Interessen ist.177 Instrumente sind zivilrechtliche (Klag-)Rechte, mittels derer 171 Zur „Instrumentalisierung des Zivilprozesses im Kollektivinteresse“ s. Bruns, NJW 2018, 2753; vgl. Picker, Privatrechtssystem, S. 88 (Indienstnahme des Privatrechts „für privatrechtsexterne Zwecke“); Schweitzer, AcP 220 (2020), 544, 552, 559. 172 Vgl. dazu Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, S. 325 ff., 379 ff., 385 ff., 522 ff., 558 ff. (kritisch zum traditionellen Privatrechtsverständnis, für eine Erweiterung unter Integration eines Verständnisses des Privatrechts als Regulierungsrecht); ferner zur Kritik an einem vom öffentlichen Recht verselbständigten Privatrecht Auer, Der privatrechtliche Diskurs, S. 67 ff. („privatrechtsfremd“); s.a. Rödl, Gerechtigkeit, S. 17 ff. 173 S. etwa Picker, Privatrechtssystem, S. 47 ff., 91 m.w.N.; Lobinger, Rechtsgeschäftliche Verpflichtung, S. 89 f.; kritisch zu den klassischen Verständnissen Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, S. 327 ff., 365 ff. 174 Vgl. dazu Auer, Der privatrechtliche Diskurs, S. 63 ff. 175 Vgl. Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, S. 325 ff., 365 ff., 385 ff. 176 S. Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, S. 5 ff. et passim; s. dazu auch Reimann, Bitburger Gespräche 2008, S. 105 ff.; Poelzig, Normdurchsetzung durch Privatrecht, S. 11 ff. et passim. 177 Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, S. 5 ff. (S. 6: „Regulierung“ im Privatrecht als „Verhaltenssteuerung durch Recht“ im Hinblick auf Privatrechtssubjekte), S. 15 ff. (zum Regulierungsbegriff), S. 47 ff. (zur „Regulierung als Funktion des Rechts“; S. 50: „Einsatz von Recht als staatliches Instrument mit einer über den Einzelfall hinausreichenden Steue-
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3. Kapitel: Die Kritik und die Zivilrechtsentwicklung der Gegenwart
die Einhaltung bestimmter öffentlichen Interessen dienender Normen erreicht werden soll.178 Zur effektiven Erreichung dieses Ziels können neben Unterlassungs- und Beseitigungsansprüchen auch weitergehende „Sanktionen“179 (Schadens- und Gewinnabschöpfungsansprüche, ferner Strafschadensersatz) vorgesehen werden.180 Die entsprechenden Instrumente treten neben oder anstelle hoheitlicher Normdurchsetzung durch staatliche Behörden und ergänzen oder ersetzen diese.181 Blaupause für einen entsprechenden Zivilrechtsentwurf ist das im Laufe des 20. Jahrhunderts in den USA entstandene private law enforcement, das später noch näher untersucht wird.182 Das Konzept des private law enforcement be178 rungsintention, die auf die Implementierung politischer Allgemeinwohlziele gerichtet ist“), S. 52 ff. („verhaltenssteuernder Zweck“; „Verfolgung von Allgemeinwohlzielen“), 369 ff. (zur „folgenorientierten Privatrechtstheorie“; „(Privat-)Recht als Gesamtheit der (auf Initiative eines Privaten) potentiell mit Hoheitsmitteln durchsetzbaren Handlungsanweisungen, welche das Verhalten von Menschen in einer bestimmten Weise beeinflussen sollen“); B. Hess, JZ 2011, 66, 67; Reimann, Bitburger Gespräche 2008, S. 105 ff. 178 Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, S. 184 ff., 193 ff. (zum Unionsrecht; S. 195: „Da die Einräumung individueller Rechte […] ein Mittel zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung ist, entspricht es dem Prinzip der effektiven Durchsetzung des Unionsrechts (Effektivitätsgebot), dass die durch das Unionsrecht verfolgten Politikziele soweit wie möglich individuelle Rechte an Einzelne verleihen“), ferner S. 373, 450 ff. (dort generell zu den Regulierungsinstrumenten); s.a. Bruns, ZZP 125 (2012), 399, 402, 405; ders., NJW 2018, 2753, 2754; Poelzig, Normdurchsetzung durch Privatrecht, S. 408 ff.; B. Hess, JZ 2011, 66, 67; H. Roth, JZ 2016, 1134. 179 Zum Sanktionsbegriff insoweit Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, S. 461 ff. (worunter Schadensersatz und Strafen fallen), ferner S. 200 (auch „Ersatzansprüche“ als „Sanktionen“ zur Durchsetzung des Unionsrechts; S. 201 f.: „Hiermit zeigt sich besonders deutlich die regulatorische Funktion der Schadensersatzhaftung, als Sanktion Mitgliedstaaten und Private zur Befolgung des Unionsrechts anzuhalten“) und S. 182 f. (zum unionsrechtlichen „Sanktionsbegriff“); s.a. Schubert, Die Wiedergutmachung, S. 675 f.; Franck, Marktordnung, S. 39 ff., 54 ff., 86 ff. (zur Haftung als Steuerungsinstrument). 180 S. B. Hess, JZ 2011, 66, 67 („wirksame Abschreckung“, Verhinderung von „Vollzugsdefiziten“), 72; H. Roth, JZ 2016, 1134, 1135; Bruns, ZZP 125 (2012), 399, 405; Stadler, ZHR 182 (2018), 623, 636 („verhaltenslenkende Effekte“); ferner zu den Anreizmechanismen des private law enforcement Reimann, Bitburger Gespräche 2008, S. 105, 129 ff.; s.a. grundsätzlich Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, S. 449 ff. (dort generell zu den „Regulierungsinstrumenten), ferner S. 635 (zur Notwendigkeit von „Anreizen“ für die Privaten im Hinblick auf die Rechtsdurchsetzung). 181 B. Hess, JZ 2011, 66, 67; Reimann, Bitburger Gespräche 2008, S. 105, 107 ff., 127; Poelzig, Normdurchsetzung durch Privatrecht, S. 456 f.; s. ferner bereits Marotzke, ZZP 98 (1985), 160 f.; zum Verhältnis behördlicher und privater Rechtsdurchsetzung auch Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, S. 196 ff. (zum Unionsrecht), ferner zur Frage der Alternativität, Ergänzung oder Ersetzung S. 630 ff., 636 ff., 642 ff.; Janssen, Präventive Gewinnabschöpfung, S. 43 ff.; Franck, Marktordnung, S. 17 ff. 182 S. dazu unten S. 286 ff.; dazu etwa Carrington, Bitburger Gespräche 2003, S. 33 ff.; Reimann, Bitburger Gespräche 2008, S. 105, 110 ff.; Bruns, ZZP 125 (2012), 399, 402, 405 f.; B. Hess, JZ 2011, 66, 67; Poelzig, Normdurchsetzung durch Privatrecht, S. 51 ff.; zuvor bereits Buxbaum, Die private Klage, S. 5 ff.; ferner zur Rezeption in Europa Stadler, ZHR 182 (2018), 623 ff., 635; H. Roth, JZ 2016, 1134, 1135.
II. Tendenzen in der Rechtsentwicklung der Gegenwart
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trifft dabei nicht nur das materielle, sondern auch das Prozessrecht.183 Maßgeblich geht es darum, wer welchen objektiv-rechtlichen Verstoß auf welche prozessuale Weise geltend machen kann.184 Die (rechtstheoretische) Diskussion um das private law enforcement verweist also auf die zivilprozessuale Diskussion um kollektive Rechtsbehelfe, Klagemöglichkeiten von Verbänden oder Behörden und alternative Streitbeilegungsmechanismen.185 Beispiel des zunehmende Verbreitung findenden private law enforcement im deutschen Zivilrecht ist etwa das Unterlassungsklagengesetz (§§ 1 ff., 3 UKlaG), das es bestimmten Verbänden unabhängig von einer individuellen Betroffenheit186 ermöglicht, gegen Unternehmen auf Unterlassung der Verwendung unzulässiger Allgemeiner Geschäftsbedingungen zu klagen.187 Ferner wird auf die Unterlassungs- und Gewinnabschöpfungsansprüche des Wettbewerbs- und Kartellrechts (§§ 8, 10 Abs. 1 UWG; §§ 33, 34a GWB) verwiesen, die auch von Verbänden geltend gemacht werden.188 Weitere Kernelemente des private law enforcement werden durch die EUVerbandsklagenrichtlinie verwirklicht.189 Kollektive Klagrechte (Verbandsklagrechte190) bei der Verletzung von verbraucherschützendem Unionsrecht191,
183 Zum Zusammenhang von private law enforcement und Prozessrecht s. etwa B. Hess, JZ 2011, 66 ff.; H. Roth, JZ 2016, 1134 ff.; ferner Bruns, NJW 2018, 2753, 2754; Carrington, Bitburger Gespräche 2003, S. 33, 35, 49 ff.; Reimann, Bitburger Gespräche 2008, S. 105, 132 ff., 135 ff.; Stadler, ZHR 182 (2018), 623, 635 f. 184 S. dazu auch unten noch S. 296 ff. und S. 419 ff. 185 Vgl. Carrington, Bitburger Gespräche 2003, S. 33, 35, 49 ff.; Reimann, Bitburger Gespräche 2008, S. 105, 129, 135 ff.; ferner Bruns, ZZP 125 (2012), 399, 402, 405 ff.; ders., NJW 2018, 2753, 2754; B. Hess, JZ 2011, 66 ff.; Stadler, ZHR 182 (2018), 623, 635 f. S. dazu unten S. 534 ff., 552 ff. 186 Dazu etwa MünchKomm ZPO/Micklitz/Rott, § 3 UKlaG Rn. 3. 187 Dazu etwa H. Roth, JZ 2016, 1134, 1136 (wenngleich abgrenzend gegenüber dem private law enforcement, da die typischen Anreizstrukturen fehlen würden); B. Hess, JZ 2011, 66 f.; dazu auch Bruns, ZZP 125 (2012), 399, 409 f. 188 B. Hess, JZ 2011, 66; Poelzig, Normdurchsetzung im Privatrecht, S. 531 f., ferner umfassend dazu S. 105 ff., 112 ff., 165 ff., 168 ff., 452 ff.; s. ferner H. Roth, JZ 2016, 1134, 1136 f., der insoweit für die Schadensersatzansprüche nach Kartellrecht (§ 33a GWB) gerade eine Einordnung als private law enforcement-Instrument ablehnt (u.a. mangels Strafschadensersatzes; s. zum Kompensationscharakter auch BGH NJW 2012, 928, 933); s. ferner zur „Abschöpfung von Unrechtsvorteilen“ durch Verbandsklagen Alexander, JuS 2009, 590, 594. 189 Richtlinie (EU) 2020/1828 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. November 2020 über Verbandsklagen zum Schutze der Kollektivinteressen der Verbraucher und zur Aufhebung der Richtlinie 2009/22/EG; zum vorherigen Kommissionsentwurf KOM 2018/184 final, v. 11.4.2018 Stadler, ZHR 182 (2018), 623, 625, 627 ff., 629 ff. 190 Zur europäischen Präferenz von Verbandsklagerechten gegenüber Gruppenklagen s. Stadler, ZHR 182 (2018), 623, 628, 629 f.; Bruns, ZZP 125 (2012), 399, 409 ff., 415; s. ferner im Einzelnen Art. 1; Art. 4, Art. 7 Richtlinie (EU) 2020/1828. 191 Zum Unionsrecht, dessen Verletzung mit der Klage geltend gemacht werden kann, s. Art. 2 (1) iVm Anhang I Richtlinie (EU) 2020/1828; dazu auch Stadler, ZHR 182 (2018), 623, 629.
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3. Kapitel: Die Kritik und die Zivilrechtsentwicklung der Gegenwart
auf Rechtsfolgenseite neben Unterlassung192 auch „Abhilfemaßnahmen“, die u.a. Schadensersatz, Ersatzleistung und Minderung umfassen und den Verbrauchern unmittelbar Leistungen verschaffen sollen.193 Deutlich zeigt sich die Anknüpfung an öffentlichen Interessen dienende Normen sowie die Ermöglichung von an den objektiven Normverstoß anknüpfenden „Sanktionen“194, was prozessual durch private (Kollektiv-)Klagen ermöglicht wird und final der Prävention und Verhaltenssteuerung (effektive Durchsetzung des Unionsrechts)195 dienen soll.196 Soweit das Klagrecht bzw. die Rechtsfolgen an Normverstöße (Verletzung objektiven Unionsrecht) anknüpfen, sind sie auf die Realisierung eines konkreten Ziels gerichtet: „Verbraucherschutz“, der durch Normierung bestimmter Pflichten des Unternehmers konkretisiert wird und effektiv durch die privaten Klagrechte erreicht werden soll.197 Prävention, Normverstoß, d.h. Verletzung von Normen, die durch eine durch gesellschaftliche soziale Interessen bestimmte Zielvorgabe bestimmt sind, privates Klagrecht und „Sanktion“ sind hier die maßgeblichen Kategorien.198 Bereits hier deutet sich ein grundsätzlicher Konflikt an. Inwieweit können diese Sonderrechtsregime, die neben die „klassische“ subjektiv-rechtliche Herangehensweise treten, neben dieser bestehen?199 Maßgeblich kommt es darauf an, ob dieses Modell komplementär neben die klassische Durchsetzung subjektiver Privatrechte treten kann oder diese letztlich surrogiert.200 192
S. Art. 8 Richtlinie (EU) 2020/1828; dazu Stadler, ZHR 182 (2018), 623, 630. S. Art. 9 Richtlinie (EU) 2020/1828; s.a. Stadler, ZHR 182 (2018), 623, 631. 194 Dazu, dass aus Perspektive des Unionsrechts auch (Schadens-)Ersatzansprüche „Sanktionen“ zur Durchsetzung des Unionsrechts sind, Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, S. 200, ferner S. 182 Fn. 51; Franck, Marktordnung, S. 54 ff., 168 ff.; zum weiten Sanktionsbegriff aus regulierungsrechtlicher Perspektive S. 461 ff.; s.a. Schubert, Die Wiedergutmachung, S. 675 f. zum Sanktionsbegriff im EU-Kontext. 195 Dazu Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, S. 184 ff., 187 ff., 195, 198 ff. 196 S. im Einzelnen Art. 1, 2, 7, 8, 9; Erwägungsgründe (1), (2), (5), (8), (14) Richtlinie (EU) 2020/1828; vgl. zum Aspekt der Verhaltenssteuerung durch kollektive Rechtsschutzinstrumente Stadler, ZHR 182 (2018), 623, 636. 197 S. Erwägungsgründe (1), (2), (3), (4), (9), (13), (14) Richtlinie (EU) 2020/1828; vgl. auch Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, S. 184 ff., 187 ff., 193 ff. 198 Vgl. Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, S. 52 ff., 187 ff., 193 ff., 200 ff. 199 Zu dieser Frage nach einer „Synthese“ der verschiedenen Modelle auch Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, S. 383 ff. S. ferner bereits ansatzweise zu dieser Frage nach dem Verhältnis von Individualverfahren und „sozialen Rechtsschutzverfahren“ Gilles, ZZP 98 (1985), 1 ff.; ferner zur Frage der Integration in das geltende Zivilprozessrecht B. Hess, JZ 2011, 66 ff., 71; zum Verhältnis von private law enforcement und Prozesszwecklehre H. Roth, JZ 2016, 1134 ff. 200 Vgl. zum Verhältnis dieser Modelle auch Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, S. 379 ff., 385 ff. („Erfordernis eines umfassenden Privatrechtsbegriffs“). Es geht dabei auch um die Frage, ob die Instrumente nur sektoriell Sonderrechtsgebiete oder die Gesamtrechtsordnung betreffen, vgl. dazu Bruns, ZZP 125 (2012), 399, 416 f. Dazu, dass in den USA das private law enforcement nicht auf Sonderrechtsgebiete beschränkt ist, sondern die Gesamt193
II. Tendenzen in der Rechtsentwicklung der Gegenwart
247
b) Private law enforcement im Kontext der Europäischen Union Im Zuge dieser Entwicklungen ist darauf hinzuweisen, dass hier auch eine institutionell-kompetenzrechtliche Dimension im Hintergrund steht, die durch die Europäische Union und ihre institutionelle Verfasstheit bedingt ist.201 Einerseits verfügt die Europäische Union über weitreichende Gesetzgebungskompetenzen; andererseits kann sie die Normdurchsetzung mangels umfassender europäischer Gerichts- und Behördenstruktur nicht selbst erreichen und ist daher auf die Umsetzung und Anwendung durch die Mitgliedsstaaten bzw. private Rechtssubjekte angewiesen.202 Angesichts des Fehlens entsprechender institutioneller Voraussetzungen der Europäischen Union zur eigenen Normdurchsetzung203 eignet sich das private law enforcement besonders für die Normdurchsetzung europäischen Rechts, indem nämlich Private im öffentlichen Interesse als Kompensation nicht vorhandener oder schwacher staatlicher Institutionen Normdurchsetzung durch privatrechtliche Klagen betreiben.204 Neben den durch die jeweiligen Normen intendierten Zielen dient diese „Aktivierung“ Privater durch Schaffung von privaten Klagrechten der Effektivität des Europäischen Rechts (effet utile).205 Um diese Aktivierung zu erreichen, müssen Anreizstrukturen geschaffen werden (Strafschadensersatz, Prämien, Erfolgshonorare).206 Diese privatrechtliche Ausgestaltung steht 201 rechtsordnung betrifft, s. unten noch S. 283 ff. sowie Reimann, Bitburger Gespräche 2008, S. 105, 127 – ferner dort auch zum Verhältnis von private und public enforcement, d.h. ob in diesem Verhältnis eine Ersetzung oder Ergänzung eintritt. Der Entwurf der Verbandsklagenrichtlinie betrifft nicht nur Sonderrechtsgebiete, sondern den Gesamtbereich des Verbraucherrechts und damit letztlich die Gesamtrechtsordnung, vgl. Stadler, ZHR 182 (2018), 623, 629 sowie Art. 2 (1) iVm Anhang I Richtlinie (EU) 2020/1828. 201 S. zu diesem Zusammenhang von private law enforcement und dem institutionellen Gefüge der EU auch Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, S. 176 ff., 184 ff., 187 ff.; Hoffmann, Zession und Rechtszuweisung, S. 45 f., 49; Reimann, Bitburger Gespräche 2008, S. 105, 106 f., 145 f.; Franck, Marktordnung, S. 168 ff.; ferner bereits Kern, ZZPInt 12 (2007), 351, 376 ff.; B. Hess, JZ 2011, 66, 70, 72; H. Roth, JZ 2016, 1134, 1135 f. 202 Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, S. 178 ff., 184 ff., 187 ff.; ferner B. Hess, JZ 2011, 66, 72; Franck, Marktordnung, S. 168 ff.; grundlegend zu diesem Zusammenhang Masing, Die Mobilisierung des Bürgers, S. 176 ff. 203 Masing, Die Mobilisierung des Bürgers, S. 176 f. 204 Vgl. Hoffmann, Zession und Rechtszuweisung, S. 45 f., 49; Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, S. 184 ff., 187 ff. (S. 188: „Aus europarechtlicher Sicht dient das Privatrecht in erster Linie zur Durchsetzung des Unionsrechts und damit zur Verwirklichung der Integration des Binnenmarktes“); Reimann, Bitburger Gespräche 2008, S. 105, 106 f., 145 f.; Franck, Marktordnung, S. 168 ff.; ferner Masing, Die Mobilisierung des Bürgers, S. 176 ff. (im öffentlich-rechtlichen Kontext). 205 S. Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, S. 184 ff., 187 ff., 195 (dort zum Zusammenhang individueller Klagerechte und Effektivitätsprinzip), ferner S. 198 ff. 206 S. dazu sowie zu den Anreizstrukturen des private law enforcement Reimann, Bitburger Gespräche 2008, S. 105, 129 ff.; zur Bedeutung des Haftungsrechts insoweit s. Janssen, Präventive Gewinnabschöpfung, S. 228 ff.; Franck, Marktordnung, S. 168 ff.; zum private law enforcement insoweit noch unten S. 299 ff.
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3. Kapitel: Die Kritik und die Zivilrechtsentwicklung der Gegenwart
in Kontrast zur traditionellen Konzeption staatlicher Aufgabenwahrnehmung, nach der die Durchsetzung öffentlichen Interessen dienender Normen in öffentlich-rechtlichen Formen durch Behörden erreicht werden soll.207 Wie sich später noch zeigen wird, war dieser Gedanke bereits bei der Entstehung des private law enforcement in den USA von unmittelbarer Relevanz. Anstelle der Normdurchsetzung durch Behörden, wie sie vor allem im Kontext des New Deal intendiert war, trat in der zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts die Normdurchsetzung durch Schaffung privater Klagrechte, kraft derer private Kläger die Durchsetzung von US-amerikanischem Bundesrecht gerichtlich geltend machen konnten.208 Auf diese Weise etablierte sich die Idee des private attorney general, also privater Personen, die im öffentlichen Interesse zur Durchsetzung von bestimmten öffentlichen oder gesellschaftlichen Zielen dienenden Normen Zivilklage erheben.209
3. Zivilprozess als Instrument des objektiven Normvollzugs Damit zusammenhängend wird – auch bedingt durch die Diskussionen um Verfahren der alternativen Streitbeilegung, Verbandsklagrechte und kollektive Rechtsschutzinstrumente – der Frage nach dem Prozesszweck vermehrt Aufmerksamkeit geschenkt.210 Die klassische Auffassung, wonach primärer Zweck des Zivilprozesses die Durchsetzung subjektiver Privatrechte, d.h. Rechtsdurchsetzung ist, wird dabei zunehmend infrage gestellt.211 So werden als weitere Primär- oder Sekundärzwecke der objektive Normvollzug (Durchsetzung objektiven, der Verwirklichung gesellschaftlicher Interessen dienenden Rechts) und die Konfliktlösung (dispute resolution) genannt.212 Damit korrespondieren Tendenzen zur Einführung kollektiver oder anderer alternativer Rechtsschutzmodelle, die nicht so sehr der Durchsetzung subjektiver
207 S. Reimann, Bitburger Gespräche 2008, S. 105, 144 ff. sowie oben bereits Fn. 181; vgl. ferner Hoffmann, Zession und Rechtszuweisung, S. 48. 208 Vgl. Carrington, 60 Duke L.J. 597, 605 s. (2010); ders., 45 Duke L.J. 929, 936 (1996); Rubenstein, 57 Vand. L. Rev. 2129, 2133 s., 2135 (2004); Glover, 53 Wm. & Mary L. Rev. 1137, 1147 s. (2012); D. Marcus, 90 Wash. U. L. Rev. 587, 607 s. (2013); Poelzig, Normdurchsetzung im Privatrecht, S. 52 f. 209 S. dazu unten noch S. 296 ff. sowie Rubenstein, 57 Vand. L. Rev. 2129, 2130 ss., 2133 ss. (2004); Reimann, Bitburger Gespräche 2008, S. 105, 143. 210 Dazu etwa Bruns, in: Bruns/Suzuki (eds.), Realization of Substantive Law, p. 3 ss.; H. Roth, JZ 2016, 1134. 211 S. Bruns, in: Bruns/Suzuki (eds.), Realization of Substantive Law, p. 3, 4 ss.; kritisch dazu auch H. Roth, JZ 2016, 1134 ff.; s. ferner Poelzig, Normdurchsetzung im Privatrecht, S. 509 ff. 212 S. Bruns, in: Bruns/Suzuki (eds.), Realization of Substantive Law, p. 3, 6 ss.; H. Roth, JZ 2016, 1134 ff.
II. Tendenzen in der Rechtsentwicklung der Gegenwart
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Privatrechte als vielmehr anderen Zwecken (Realisierung gesellschaftlicher Interessen) dienen.213
4. Die Konstituenten unter Druck Insgesamt zeigt sich, dass die klassischen Auffassungen zu Funktion und Zweck des Zivilrechts und des Zivilprozesses in der jüngeren Vergangenheit vermehrt infrage gestellt werden. Den verschiedenen Diskussionen wird im Einzelnen später nochmals näher nachzugehen sein.214 Jedenfalls hat sich gezeigt, dass die Hypothese, die zivilrechtlichen Konstituenten seien in der Gegenwart „unter Druck“ geraten, weitgehend zutrifft. Es ist zwar nicht absehbar, ob es sich hierbei um ein nur einschränkendes oder eher ein novierendes Phänomen handelt bzw. ob dem ein Erosionsprozess der Zivilrechtsordnung zugrundeliegt oder nur punktuelle Änderungen Platz greifen, die das „System“ selbst nicht verlassen. Allerdings scheinen die Beharrungskräfte der traditionellen Privatrechtsauffassung zunehmend zu schwinden.215 Mit diesem Umbruch im zivil- und zivilprozessualen Denken sind nun auch rechtsphilosophische und privatrechtstheoretische Diskussionen verbunden, was sich im folgenden Kapitel noch stärker zeigen wird. Ideengeschichtlich ist damit vor allem eine durch den Legal Realism beeinflusste Idee der Rechtskritik besonders wirkmächtig.216
213 Vgl. H. Roth, JZ 2016, 1134 ff.; ferner Bruns, ZZP 125 (2012), 399, 405 f., 416; Poelzig, Normdurchsetzung im Privatrecht, S. 510 f.; s. unten noch ausführlich S. 534 ff., 552 ff. 214 S. dazu unten S. 534 ff. 215 Vgl. zu diesen Fragen auch, wenngleich in der Tendenz anders, Auer, Der privatrechtliche Diskurs, S. 53, 74 ff., 80 f., 87. 216 S. dazu sogleich; vgl. auch etwa Auer, Der privatrechtliche Diskurs, S. 56 ff.; Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, S. 340 f., 351 ff. – unter Rekurs auf die Hohfeld-Kritik am subjektiven Recht (s. dazu unten S. 290 Fn. 229), wenngleich man durchaus fragen kann, ob Hohfeld selbst Legal Realist (so etwa Auer, aaO, S. 56: „einer der Begründer des angloamerikanischen Rechtsrealismus“) war (vgl. dazu unten noch S. 271 Fn. 122); Arnold, Vertrag und Verteilung, S. 112 ff.
4. Kapitel
Die Rechtsentwicklung in den USA Im Folgenden soll ein näherer Blick auf die Rechtsentwicklungen in den USA geworfen werden. Im Ausgangspunkt bestehen zwar wesentliche Gemeinsamkeiten mit den kontinentaleuropäischen Zivilrechtsordnungen – gerade aufgrund der naturrechtlich-kontinentaleuropäisch geprägten Rechtsentwicklung des US-amerikanischen Rechts im 19. Jahrhundert1: die Form subjektiver Rechte (rights); Vertragsfreiheit (freedom of contract) und allgemeine Vertragslehren; eine allgemeine deliktsrechtliche Verschuldenshaftung (law of torts); grundsätzliche Trennung von Straf- und Zivilrecht.2 Es gibt allerdings auch Elemente, die mit erheblichen Abweichungen aufwarten: Prozess nicht als Mittel der privaten Rechtsdurchsetzung, sondern der Durchsetzung objektiven, gesellschaftlichen Interessen dienenden Rechts (private law enforcement) sowie der Streitbeilegung (dispute resolution); Vermischungen von Straf- und Zivilrecht (punitive damages); prozessuale discovery und Sammelklagen (class actions).3 Relevant ist die US-amerikanische Rechtsentwicklung insoweit, als hier im Gegensatz zu Deutschland und Europa bereits Anfang des 20. Jahrhunderts eine Rechtskritik wirkmächtig war, die wesentliche Konstituenten ebenso wie das „traditionelle“ Rechtsdenken des 19. Jahrhunderts grundsätzlich ablehnte und deren Ideen in der Gegenwart breite Rezeption in der hiesigen Diskussion zu finden scheinen4: der American Legal Realism.5 Diese Bewegung steht in Zusammenhang mit der Kritik bei Jhering und der Freirechtsbewegung.6 Wie sich zeigen wird, hat diese Bewegung zu erheblichen rechtspraktischen Kon-
1 S. dazu unten im Einzelnen S. 253 ff.; vgl. dazu, aber auch zur Beeinflussung des Common Law durch das Civil Law insgesamt Reimann, Historische Schule und Common Law, S. 18 ff., 25 ff., ferner S. 37, 131. 2 S. dazu sogleich S. 259 ff. und 262 ff.; vgl. auch Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, S. 325 f., 352 (einerseits „gemeinsamer Kernbestand des Privatrechts“; andererseits grundlegende Unterschiede in der Rechtswissenschaft in Gestalt des Privatrechtsverständnisses sowie der Methodik). 3 S. dazu sogleich S. 286 ff., 295 f., 302 ff., 313 f. und 315 ff. 4 S. dazu oben S. 243 ff.; vgl. Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, S. 325 f., 351 ff. 5 S. dazu sogleich S. 267 ff. 6 S. dazu unten noch näher S. 274 f.; zu Jherings Einfluss s. etwa Jansen/Reimann, ZEuP 2018, 89, 118 ff., 128; Meder, JZ 2019, 689, 692 f.; zum Einfluss der Freirechtsbewegung auf den Legal Realism Herget/Wallace, 73 Virginia L. Rev. 399, 401 ss., 422 ss. (1987).
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4. Kapitel: Die Rechtsentwicklung in den USA
sequenzen geführt („we are all realists now“7), wodurch die US-amerikanische Rechtsordnung grundsätzlich umgestaltet wurde. Infolgedessen sowie einer dagegen gerichteten Gegenbewegung ist das US-amerikanische Rechtssystem mittlerweile in eine schwierige Situation geraten.8 Bemerkenswert ist, dass gerade die abweichenden Elemente, deren Entstehung sich den Rechtsentwicklungen des 20. Jahrhunderts verdankt, in den vergangenen Jahrzehnten wesentliche Einschränkungen erfahren haben.9 Die Thematisierung der US-amerikanischen Rechtsentwicklungen ist insoweit angezeigt, als zahlreiche der rechtlichen Instrumente, deren Einführung in Deutschland und Europa gegenwärtig diskutiert werden – class actions, discovery, punitive damages, private law enforcement10, Privatrecht als Regulierungsrecht11 –, Anleihen der US-amerikanischen Rechtsentwicklung des 20. Jahrhunderts sind.12 Deren Herausbildung lässt sich nur vor dem spezifischen ideengeschichtlichen Hintergrund des Legal Realism und dessen Wirkmächtigkeit nachvollziehen.13 Der Legal Realism zielt im Kern gegen eine dogmatische Rechtswissenschaft, die von einem System materieller subjektiver Rechte geprägt ist, das sich um die Kategorien Person, Wille und Freiheit entfaltet.14 Die Kritik des Legal Realism reiht sich in die zuvor aufgezeigte Kritiklinie ein, deren wesentliches Anliegen die Negation einer eigenständigen Form des Rechts sowie die Integration des Rechtlichen in das Faktische ist. Gerade dieser Gesichtspunkt drängt die Frage auf, ob und inwieweit eine isolierte Rezeption einzelner Instrumente überhaupt möglich ist, ohne die Gesamtkonzeption der Rechtsordnung aufgeben zu müssen.15 Umso bemerkenswerter ist es vor diesem Hintergrund, in der gegenwärtigen Privatrechtstheorie in Deutschland eine „Renaissance“ bzw. „Rezeption“
7 Vgl. zu diesem Ausspruch als Charakterisierung der Rechtswissenschaft Green, 46 William & Mary L. Rev. 1915, 1917 (2005); s. allerdings unten noch näher S. 267 ff., 280 ff. zur differenzierten Wirkungsgeschichte des Legal Realism. 8 Dazu unten S. 327 ff. 9 S. dazu sogleich S. 302 ff. 10 Dazu oben bereits S. 243 ff. sowie etwa Bruns, ZZP 125 (2012), 399, 402, 405; B. Hess, JZ 2011, 66, 67. 11 Dazu oben bereits S. 243 ff. sowie Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, S. 5 ff. et passim. 12 Vgl. zu diesem Rezeptionsaspekt auch Reimann, Bitburger Gespräche 2008, S. 105 ff., 109 ff., 128 ff.; Bruns, ZZP 125 (2012), 399, 402; H. Roth, JZ 2016, 1134, 1135; Stadler, ZHR 182 (2018), 623, 635 ff.; Poelzig, Normdurchsetzung im Privatrecht, S. 75 f. 13 Oder, um es vorsichtiger auszudrücken, in einem rechtlichen Umfeld entstanden sind, das durch den Legal Realism und seine Wirkmächtigkeit geprägt worden ist. 14 S. dazu unten S. 267 ff. im Einzelnen. 15 Vgl. zu dieser Frage im Hinblick auf das Prozessrecht auch H. Roth, JZ 2016, 1134, 1135; B. Hess, JZ 2011, 66, 67, 71 ff., 74; ferner Stürner, in: Basedow (ed.), EC Competition Law, p. 163, 167; Poelzig, Normdurchsetzung im Privatrecht, S. 75 f.
I. Formalism und Realism
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nicht nur der Instrumente, sondern auch dieses ideengeschichtlichen Hintergrunds feststellen zu können.16
I. Formalism und Realism 1. Common Law, Formalism und das 19. Jahrhundert a) Common Law, Civil Law und Naturrecht Bevor auf die Veränderungen des US-amerikanischen Privat- und Prozessrechts der jüngeren Vergangenheit eingegangen wird, ist zunächst ein kurzer Blick auf die historische Entwicklung zu werfen. Charakterisiert man das USamerikanische Recht als englisch geprägtes Common Law und schreibt diesem einen eigenständigen Charakter zu, der von der kontinental-europäischen Tradition grundsätzlich getrennt wäre17, so würde man verkennen, dass das englische und insbesondere das US-amerikanische Recht im 18. und 19. Jahrhundert durch das Civil Law sowie das Naturrecht tiefgreifende Veränderungen erfahren hat.18 Erst im Laufe des 19. Jahrhunderts – unter Abkehr von den traditionellen Kategorien und Klageformen (forms of action) des Common Law – bilden sich die wesentlichen Elemente des Vertrags- und Deliktsrechts sowie die Kategorie des subjektiven Rechts heraus.19 Insbesondere im Bereich des Vertrags- (law of contracts) und Deliktsrechts (law of torts) sowie generell in der Vorstellung subjektiver Rechte (rights) und Pflichten (duties) zeigen sich wesentliche Einflüsse naturrechtlicher Denker wie Domat, Grotius, Pufendorf, Wolff sowie Pothier20, aufgrund derer das US16 S. etwa Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, S. 325 ff., 352, 365 ff.; ferner auch Auer, Der privatrechtliche Diskurs, S. 55 ff. (zur Rezeption der Hohfeld-Analyse im Kontext der „Dekonstruktion subjektiver Rechte“); Arnold, Vertrag und Verteilung, S. 112 ff. 17 Kritisch zu diesem lange vorherrschenden Narrativ einer vollständigen Eigenständigkeit des Common Law Helmholtz, 1990 Duke L.J. 1207, 1208 (1990); Reimann, Historische Schule und Common Law, S. 15 Fn. 18. 18 S. dazu Gordley, The Philosophical Origins, p. 134 ss., 161 (insbesondere zum contract law); vgl. F. Kessler, JZ 1988, 109 ff.; Reimann, Historische Schule und Common Law, S. 15, 18 ff. zur Beeinflussung des US-amerikanischen Common Law vor und im 19. Jhd. durch das kontinentaleuropäische Rechtsdenken sowie das Civil Law; zum naturrechtlichen Einfluss S. 25 ff. Reimann (aaO, S. 9 ff., 35 ff., 53 ff., 90 ff.) weist ferner insbesondere für das späte 19. Jhd. einen wesentlichen Einfluss der Historischen Schule auf die amerikanische Rechtswissenschaft nach, wobei insoweit die Beeinflussung vor allem im Wissenschaftsverständnis, in der Rechtsentstehungslehre sowie in der Methode (geschichtliche Wissenschaft) im Vordergrund steht. 19 S. D. Marcus, 44 Georgia L. Rev. 433, 475 (2010); Reimann, Historische Schule und Common Law, S. 37, 124 f., 131. 20 Zur Bedeutung von Pothier und seinem Traité des obligations in den USA Perillo, 11 Tex. Wesleyan L. Rev. 267 ss. (2005); Simpson, 46 U. Chi. L. Rev. 533, 590 (1979); ders., 91 Law Q. Rev. 247, 256 (1975) („Of these writers there can be no doubt that Pothier was far and away the most influential“); ferner F. Kessler, JZ 1988, 108, 111.
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4. Kapitel: Die Rechtsentwicklung in den USA
amerikanische „materielle Recht“ in wesentlichen Grundentscheidungen mit der kontinental-europäischen Rechtstradition übereinstimmt.21 Ähnlich wie die römisch-gemeinrechtliche Rechtstradition in Kontinentaleuropa durch das Naturrecht überformt wurde22, so überlagerte auch in den USA naturrechtliches sowie durch das Civil Law beeinflusstes Denken im 19. Jahrhundert das von England her rezipierte Common Law.23 Bedeutung kommt ferner den im 18. und 19. Jahrhundert in den USA populären „Commentaries on the Law of England“ (1765–1769) von Blackstone zu, der das Common Law unter Einfluss naturrechtlicher Gedanken als rationales System zu ordnen versuchte.24 Die Transformation des Common Law in den USA vollzieht sich unter dem Einfluss der rechtswissenschaftlichen „Traktate“ des 19. Jahrhunderts (treatises25)
21 S. generell zur Konvergenz von Common Law und Civil Law Gordley, The Philosophical Origins of Modern Contract Doctrine, p. 1 ss., 134 ss.; Hermida, 13 U. Miami Int’l & Comp. L. Rev. 163 ss., 167 ss. (2005); Pargendler, 43 Yale J. Int’l L. 143, 149 (2018); Zimmermann, Die Europäisierung des Privatrechts, S. 32 ff.; s. ferner Reimann, Historische Schule und Common Law, S. 20 ff., 35 ff., der indes diese Transformationen der Classical Era eher dem Einfluss der Historischen Schule zuordnet. Zum US-amerikanischen contract law und den naturrechtlichen Einflüssen s. Perillo, 11 Tex. Wesleyan L. Rev. 267 ss. (2005); Hamburger, 7 Law & Hist. Rev. 241, 247, 254 ss., 258 ss., 265 ss. (1989); Simpson, 46 U. Chi. L. Rev. 533, 589 s. (1979); dazu auch Weller, Die Vertragstreue, S. 135. Die Werke der naturrechtlichen Autoren werden im 18./19. Jhd. ins Englische übersetzt und erscheinen in zahlreichen Auflagen, dazu auch Simpson, 48 U. Chicago L. Rev. 632, 655 ss. (1981), ferner zu den naturrechtlichen Werken englischer Autoren im 18. Jhd. Generell zum – vielfach heute verkannten oder ignorierten (natural law als „manifest nonsense“) – Einfluss des Naturrechts auf das Common Law im 17./18. Jhd. Ibbetson, 5 Edinburgh L. Rev. 4 ss. (2001). 22 S. dazu zuvor S. 54 ff. 23 Dazu im Hinblick auf das contract law Gordley, The Philosophical Origins of Modern Contract Doctrine, p. 134 ss. 24 Langbein/Lerner/Smith, History of the Common Law, p. 838 ss., 841 s.; Subrin, 135 U. Pennsylvania L. Rev. 909, 929 s. (1987); Rea-Frauchiger, Der amerikanische Rechtsrealismus, S. 21 f. Zur Charakterisierung von Blackstones Commentaries s.a. Simpson, 48 U. Chicago L. Rev. 632, 652, 655, 658 (1981) („The Commentaries do not arise from the common law“); s. ferner zu Blackstone F. Kessler, JZ 1988, 109, 110; Reimann, Historische Schule und Common Law, S. 27. 25 Für die These, dass sich diese Vermittlung nicht so sehr durch richterliches case law als vielmehr durch text writers und deren treatises vollzogen hat, s. Simpson, 46 U. Chi. L. Rev. 533, 589 s. (1979); ders., 91 Law Q. Rev. 247, 253 ss., 277 (1975). Ferner zum Begriff, zur Entwicklung, zum Zusammenhang von treatise und natural law sowie zum zunehmenden Verschwinden der treatises im 20. Jhd. in den USA Simpson, 48 U. Chicago L. Rev. 632 ss., 651 ss., 662 ss., 668 ss., 676 ss. (1981); s.a. Reimann, Historische Schule und Common Law, S. 26 f.; Doris, 11 Tex. Wesleyan L. Rev. 361, 372 (2005); Gordley, The Philosophical Origins, p. 134 s. S. dagegen zu den Prozessen und Einflüssen bereits im 18. Jhd. – also für die These einer Rezeption über eine lange Dauer, ferner auch zur Behandlung des civil law als jurisprudence, schließlich relativierend gegenüber der Bedeutung von common law treatises und eher direkte Rezeption durch case law annehmend – Hamburger, 7 Law & Hist. Rev. 241, 247, 254 ss., 258 ss., 274 ss. (1989).
I. Formalism und Realism
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und geschieht konkret durch Urteile (case law), die die naturrechtlich begründeten Lehren – teils auch explizit26 – rezipieren27. b) American Legal Formalism aa) Law as a science im 19. Jahrhundert Naturrechtliches und kontinentaleuropäisches Rechtsdenken beeinflusst so auch die amerikanische Rechtswissenschaft des 19. Jahrhunderts28, die häufig unter dem Begriff des American Legal Formalism erfasst wird.29 Recht wird hier als logisch geordnetes System (conceptualism) verstanden, das allgemeine Grundsätze und Prinzipien enthält und aus dem sich heraus Antwor-
26 S. Hamburger, 7 Law & Hist. Rev. 241, 274 ss., fn. 197, 201 (1989) mit Nachweisen entsprechender Urteile; s. ferner auch Perillo, 11 Tex. Wesleyan L. Rev. 267, 271 ss. (2005). 27 S. zu diesem Rezeptionsprozess Hamburger, 7 Law & Hist. Rev. 241, 274 ss. (1989); vgl. etwa zum law of torts die Urteile, in denen sich der negligence standard durchsetzt, bei White, 86 Yale L.J. 671, 685 ss. (1977). 28 S. insbesondere Bone, 89 Columbia L. Rev. 1, 13 s., fn. 24 (1989) – freilich kommt es darauf an, was man unter „Naturrecht“ versteht sowie was damit verbunden ist. Bone weist darauf hin, dass der Begriff des Naturrechts insoweit weit zu verstehen sei und nicht mit einem konkreten Naturrechtsansatz identifiziert werde; prägend sei aber die klassisch naturrechtliche Idee einer idealen Rechtsordnung, die an die menschliche Natur anknüpft und von gewissen allgemeinen Grundsätzen sowie der Idee subjektiver Rechte ausgeht. S. ferner zu den naturrechtlichen Einflüssen Reimann, Historische Schule und Common Law, S. 25 ff., allerdings auch S. 9 ff., 35 ff., 53 ff. et passim zum Einfluss der Historischen Schule insbesondere auf die US-amerikanische Rechtswissenschaft des späten 19. Jhd., wobei diese Einflüsse vor allem das Rechtsdenken und die Rechtsentstehungslehre (S. 53 ff.), die historisch-systematische Methode (S. 90 ff., 121 ff.) sowie das Wissenschaftsverständnis betreffen (s. gleich noch näher zur Classical Legal Science Fn. 36), dagegen nicht so sehr die Dogmatik (S. 141). Grundlage dieser Classical Legal Science seien zum einen die Analytical Jurisprudence (Bentham, Austin), zum anderen die historisch-systematische Methode gewesen (S. 12 ff., 90 ff.); s. ferner zum Einfluss der Historischen Schule auf das US-amerikanische Rechtsdenken im 19. Jhd. Hoeflich, 37 Am. J. Comp. L. 17 ss. (1989); Reimann, 37 Am. J. Comp. L. 95 ss. (1989). 29 Dazu etwa White, 78 Columbia L. Rev. 213, 234 s. (1978) (zu den Begriffen formalism und conceptualism – diese beiden Begriffe waren freilich bereits ursprünglich pejorativ konnotiert und entstammen u.a. der Kritik bei Holmes, vgl. Reimann, Historische Rechtsschule und Common Law, S. 150 ff., 267 f.); s.a. Grey, 45 U. Pitt. L. Rev. 1, 2 s. (1983), der insoweit für die verschiedenen Strömungen der US-amerikanischen Rechtswissenschaft des späten 19. Jhd. den Begriff der classical orthodoxy (insbesondere für Langdell) wählt; s. ferner Horwitz, 19 Am. J. Legal Hist. 251 ss. (1975) zum „Rise of Legal Formalism“ – Horwitz folgt dabei einem Narrativ, das die rechtliche Umgestaltung im 19. Jhd. vor allem mit den sozialen, politischen und wirtschaftlichen Veränderungen in der Post-Revolutionszeit begründet und bei dem der naturrechtliche Einfluss weitgehend unberücksichtigt bleibt; s. ferner Reimann, Historische Rechtsschule und Common Law, S. 12 f., 14, 90 ff., der im Hinblick auf die vor allem mit Langdell verbundene Legal Science von Classical Legal Science spricht und diese zeitlich zwischen 1860 und 1920 einordnet.
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4. Kapitel: Die Rechtsentwicklung in den USA
ten auf Rechtsfragen ableiten (deductions) bzw. entdecken lassen.30 Es bildet sich in den USA eine systematisch und dogmatisch operierende, sich als selbständige Wissenschaftsdiszipilin verstehende Rechtswissenschaft („law as a science“)31, die vor allem in den treatises ausgebildet wird.32 Die treatises stellen ausgehend von abstrakten Begriffsdefinitionen und allgemeinen Grundsätzen logisch und deduktiv die materiell-rechtliche Materie dar, welche ihrerseits im case law verwirklicht ist.33 Das rechtliche Denken des Formalism zielt auf rechtliche Vorhersehbarkeit (predictability), indem aus dem rechtlichen System Rechtsfragen eines konkreten Falls vorhersehbar beantwortet werden können.34 bb) Langdells Orthodoxy35 Im Einzelnen ist diese Idee der Rechtswissenschaft in unterschiedlicher Form verwirklicht, sodass der American Legal Formalism selbst wiederum nur eine Sammelbezeichnung für verschiedene Strömungen darstellt.36 Nach den stärker naturrechtlich geprägten Ansätzen, die mit einer – letztlich gescheiterten – Kodifikationsidee verknüpft sind37, wird insbesondere im späten 19. Jahrhun30 Vgl. zu diesem Systemdenken sowie den Begriffen formalism und conceptualism Grey, 45 U. Pitt. L. Rev. 1, 6 ss., 9 s. (1983); Bone, 89 Columbia L. Rev. 1, 12 ss. (1989); White, 78 Columbia L. Rev. 213, 234 s. (1978); ferner zur systematischen Methode Reimann, Historische Schule und Common Law, S. 121 ff., 127 ff., 136 ff., 142 ff., 144 ff. 31 Vgl. zur Entwicklung von law als science in der 2. Hälfte des 19. Jhd. White, 78 Columbia L. Rev. 213, 214 ss., 220 ss. (1978); s.a. Reimann, Historische Rechtsschule und Common Law, S. 12 f., 37 f. 32 S. Simpson, 48 U. Chicago L. Rev. 632, 671 s. (1981) („The theory of the law that was appropriate to their writings was essentially that of the natural lawyers. The claim that law was a science was a characteristic refrain“). 33 Zum Begriff und Konzept des treatise sowie zu seiner Bedeutung für die US-amerikanische Rechtswissenschaft des 19. Jhd. s. Simpson, 48 U. Chicago L. Rev. 632, 633 s., 666, 668 ss., 672 s. (1981); ferner auch White, 78 Columbia L. Rev. 213, 228 s., 234 (1978); Horwitz, 19 Am. J. Legal Hist. 251, 255 s. (1975). 34 Vgl. Grey, 45 U. Pitt. L. Rev. 1, 32 s. (1983). 35 Zu dieser Bezeichnung s. Grey, 45 U. Pitt. L. Rev. 1 ss. (1983). 36 Vgl. Grey, 45 U. Pitt. L. Rev. 1, 2 s., 40 (1983); White, 78 Columbia L. Rev. 213, 232 s. (1978). Reimann, Historische Rechtsschule und Common Law, S. 12 ff., 90 ff. bezieht sich unter der Bezeichnung „Classical Legal Science“ auf die vorherrschende rechtswissenschaftliche Richtung des späten 19. Jhd., deren Grundlage einerseits die Analytical Jurisprudence, andererseits eine der Historischen Schule verwandte systematisch-historische Methode bildete und die ihre Blütezeit zwischen 1860 und 1920 hatte; s. allerdings aaO, S. 91, 146 ff. zur Schwierigkeit einer einheitlichen Erfassung der Legal Science sowie zur Unterschiedlichkeit der Ansätze. 37 Zum codification movement s. etwa Simpson, 48 U. Chicago L. Rev. 632, 675 s. (1981); White, 86 Yale L.J. 671, 679 (1977); Reimann, 37 Am. J. Comp. L. 95, 98 ss. (1989) (zum letztlich gescheiterten New York Civil Code); ders., Historische Rechtsschule und Common Law, S. 208 ff.; F. Kessler, JZ 1988, 109, 111; zu den Restatements s. unten noch S. 325; zum Bedeutungsverlust naturrechtlichen Denkens insbesondere in der 2. Hälfte des 19. Jhd. Reimann, Historische Rechtsschule und Common Law, S. 35, 55, 138.
I. Formalism und Realism
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dert ein Ansatz zentral, der seinerseits mit Christopher Columbus Langdell38 verbunden ist und im case law das System und seine Grundsätze verwirklicht sieht.39 Das rechtliche Systemdenken40 wird hier mit dem case law verbunden. (Ober-)gerichtliche Urteile werden als Ausprägungen des Systems und der allgemeinen Grundsätze gedeutet; aus der Gesamtheit der relevanten Urteile lassen sich induktiv die Rechtsordnung und ihre Prinzipien erarbeiten, wobei sich aus den so gewonnenen, logisch zu ordnenden Prinzipien wiederum Rechtsregeln ableiten und damit Rechtsfragen in Fällen beantworten lassen.41 Verbunden mit diesem Ansatz ist die auf Langdell zurückgehende Reform des Rechtsstudiums, das sich auf das Studieren von Präzedenzfällen (case method)42, d.h. auf das, was sich „in den Büchern“ befindet (black letter law), fokussiert.43 c) Die Prozessrechtsreform des 19. Jahrhunderts Zu diesen Transformationen des 19. Jahrhunderts hat der prozessrechtliche New Yorker Field Code (1848) beigetragen. Dieser hat in Abkehr von der historisch überkommenen Trennung eine Fusion von Common Law- und Equity-Prozess und -Klagearten (merger of law and equity) bewirkt und ist so auch im Kontext der naturrechtlich geprägten, an Rationalität orientierten Idee des Rechts als Ordnung subjektiver Rechte zu sehen.44 Anstelle der For38
Zur Person s. die Kurzbiographie auf S. 577. Zu Langdells Orthodoxy Grey, 45 U. Pitt. L. Rev. 1 ss. (1983); s.a. Simpson, 48 U. Chicago L. Rev. 632, 677 (1981); White, 78 Columbia L. Rev. 213, 220 ss. (1978); Reimann, Historische Rechtsschule und Common Law, S. 93 ff., 136, 202 ff.; ferner F. Kessler, JZ 1988, 109, 111 f. Grey etwa sieht Langdells Ansatz als Prototyp des Legalism, s. Grey, 106 Yale L.J. 493, 495 s. (1996). 40 Zu Langdells Verständnis von Recht als science s. Grey, 45 U. Pitt. L. Rev. 1, 5 ss. (1983). 41 S. dazu im Einzelnen Grey, 45 U. Pitt. L. Rev. 1, 6 ss., 11 ss., 19 s., 24 ss., 40 (1983); ders., 106 Yale L.J. 493, 495 s. (1996); F. Kessler, JZ 1988, 109, 111 f.; Reimann, Historische Rechtsschule und Common Law, S. 94; vgl. Duxbury, 18 Journal of Law and Society 175, 177 (1991); Simpson, 48 U. Chicago L. Rev. 632, 677 (1981); White, 78 Columbia L. Rev. 213, 221 s., 225 ss. (1978). 42 S. dazu Simpson, 48 U. Chicago L. Rev. 632, 677 (1981) (damit einher geht auch die Veränderung der Rechtsliteratur von den treatises zu den casebooks); Grey, 45 U. Pitt. L. Rev. 1 s., 24 (1983); White, 78 Columbia L. Rev. 213, 220 s. (1978); F. Kessler, JZ 1988, 109, 111 f.; Reimann, Historische Rechtsschule und Common Law, S. 201 ff. 43 S. White, 78 Columbia L. Rev. 213, 220 ss., 224 s. (1978); s.a. Rea-Frauchiger, Der amerikanische Rechtsrealismus, S. 22 ff., 25 ff.; Grey, 45 U. Pitt. L. Rev. 1, 20 (1983); Duxbury, 18 Journal of Law and Society 175, 177 (1991). 44 Dazu Bone, 89 Columbia L. Rev. 1, 9 ss. (1989); ders., 61 Oklahoma L. Rev. 319, 321 s. (2008); s. Code of Civil Procedure (New York, 1850) § 554; dazu aus der Perspektive des 19. Jhd. Pomeroy, Remedies and Remedial Rights, §§ 28 ss., p. 27 ss. Der Field Code, der als Vorbild zahlreicher weiterer einzelstaatlicher Prozesskodifikationen diente, geht zurück auf David Dudley Field; s.a. Weinstein, 54 Brooklyn L. Rev. 1, 5 (1988); Clark/Moore, 44 Yale L.J. 39
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4. Kapitel: Die Rechtsentwicklung in den USA
malismen des Common Law-Prozesses sowie der Technizitäten der klassischen Klageformeln (forms of action; writs)45 tritt eine vereinfachte, am equityVerfahren46 orientierte Prozessordnung, die auf die Verwirklichung materieller subjektiver Rechte (substantive rights) gerichtet ist.47 Die einzelnen forms of action des Common Law werden durch eine einheitliche Klageform (civil action) sowie die causes of action (Klage- bzw. Anspruchsgrund) ersetzt, die auf dem Konzept subjektiver Rechte (rights) und damit korrespondierender Pflichten (duties) sowie allgemeiner Rechtsprinzipien basieren.48 Richterliche Entscheidungsfindung erfolgt – der Idee nach im Wege eines logischen Schlusses ohne Raum für richterliches Ermessen – durch Anwendung des materiellen Rechts auf den von den Parteien vorgetragenen und beigebrachten Sachverhalt. Es geht um die Realisierung der subjektiven Rechte und der materiell-rechtlichen Rechtsordnung (substantive legal order).49
45 387, 393 ss. (1935) (auch generell zum Prozessrecht des 19. Jhd.); D. Marcus, 44 Georgia L. Rev. 433, 476 ss. (2010); ferner Subrin, 135 U. Pennsylvania L. Rev. 909, 932 ss. (1987); Horwitz, 19 Am. J. Legal Hist. 251, 262 ss. (1975); Reimann, Historische Schule und Common Law, S. 124 f. Field zielte nicht nur auf die Kodifikation des Prozessrechts, sondern vor allem auch des materiellen Rechts – die materiell-rechtliche Kodifikationsidee (Civil Code) scheiterte indes, s. dazu Reimann, 37 Am. J. Comp. L. 95, 99 s. (1989); ders., Historische Rechtsschule und Common Law, S. 210 ff. 45 S. im Einzelnen zur common law procedure etwa Subrin, 135 U. Pennsylvania L. Rev. 909, 914 ss. (1987); s. White, 86 Yale L.J. 671, 672, 678 ss. (1977) zum „collapse of the system of common law writ pleading“ im 19. Jhd., den er neben den prozessualen Veränderungen auch mit der Entwicklung des conceptualism in Verbindung bringt (aaO, p. 682). Die einzelnen forms of action verlangten jeweils die Darlegung bestimmter, auf die spezifische Klageart zugeschnittener Voraussetzungen, wobei zum Zugang zu Gericht jeweils die richtige Klageart sowie die entsprechenden pleading technicalities eingehalten werden mussten. 46 Hierzu insbesondere Subrin, 135 U. Pennsylvania L. Rev. 909, 918 ss., 931 ss. (1987). 47 Bone, 89 Columbia L. Rev. 1, 9 ss., 12 ss., 20 s., 24 ss. (1989); D. Marcus, 44 Georgia L. Rev. 433, 479, 480 s. (2010); Subrin, 135 U. Pennsylvania L. Rev. 909, 934 ss. (1987); s. dazu auch Code of Civil Procedure (New York, 1850) § 10 („A civil action arises out of, 1. An obligation: 2. An injury“), § 11 („An obligation is a legal duty […]“), § 16 („A civil action is prosecuted by one party against another, for the enforcement or protection of a right, or the redress or prevention of a wrong“). 48 S. Bone, 89 Columbia L. Rev. 1, 26, 28 s. (1989) mit Verweis auf John Norton Pomeroy; s. dazu gleich noch näher S. 259 f. sowie Pomeroy, Remedies and Remedial Rights, §§ 1 ss., p. 1 ss.; §§ 5 ss., p. 5 ss., §§ 28 ss., p. 27 ss. (dort zur Entwicklung; § 28, p. 27: „The abolition of all common-law forms of action, and the establishment of one ordinary, universal means by which rights are maintained and duties enforced in a judicial controversy, called a “civil action;““); §§ 452 ss., p. 486 ss.; s.a. D. Marcus, 44 Georgia L. Rev. 433, 476 (2010); Subrin, 135 U. Pennsylvania L. Rev. 909, 935 (1987); Reimann, Historische Schule und Common Law, S. 37; ferner White, 86 Yale L.J. 671, 679 ss. (1977) zur Abschaffung des writ system sowie der forms of action durch die Prozessrechtsreformen. 49 D. Marcus, 44 Georgia L. Rev. 433, 479, 481 s. (2010); Subrin, 135 U. Pennsylvania L. Rev. 909, 934 s. (1987); s. Pomeroy, Remedies and Remedial Rights, §§ 1 ss., p. 1 ss.; §§ 452 ss., p. 486 ss.
I. Formalism und Realism
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d) Substantive rights Die Konstituenten des vor allem aus contract, tort und property law bestehenden50 privatrechtlichen Systems sind so materielle subjektive Individualrechte (substantive rights) wie Leben, Eigentum und Freiheit sowie Vertragsfreiheit (life; individual liberty, private property; freedom of contract).51 Die zunächst naturrechtlich geprägte Rechtsidee des 19. Jahrhunderts baut auf einem System subjektiver Individualrechte (rights) auf.52 Die aus der kontinentaleuropäischen Tradition bekannten Kategorien der Systematisierung von Rechten und Rechtsverhältnissen (legal, jural relations) werden aufgegriffen: Absolute und relative Rechte werden unterschieden – bei letzteren steht dem Recht des einen die Pflicht (duty, obligation) des anderen als Korrelat (correlative) gegenüber.53 Daran anknüpfend wird bei Rechtsverletzungen zwischen Delikten (torts) und Pflichtverletzungen (breach of obligation) differenziert.54 Rechte werden in rights in rem und rights in personam eingeteilt, sie gehen den Rechtsbehelfen (remedies) voraus.55 Dies hat wie gesehen auch Einfluss auf den Prozess und sein Verständnis. Nicht mehr die einzelnen prozessualen Klageformen (forms of action), sondern die Form subjektiver Rechte (rights) ist die bestimmende Kategorie, deren Verwirklichung und Durchsetzung das Ziel des Prozesses bildet.56 Um den Zusammenhang von Prozess und subjektiven Rechten zu erklären, wird etwa 50 Vgl. dazu Grey, 45 U. Pitt. L. Rev. 1, 48 (1983); Reimann, Historische Schule und Common Law, S. 37, 131. 51 Vgl. Bone, 89 Columbia L. Rev. 1, 12 ss. (1989); Rea-Frauchiger, Der amerikanische Rechtsrealismus, S. 26 f.; D. Marcus, 44 Georgia L. Rev. 433, 465, 480 (2010). 52 Bone, 89 Columbia L. Rev. 1, 12 ss. (1989); zur Zentralität der Kategorie der rights s. etwa Langdell, 13 Harvard L. Rev. 537 ss. (1900). 53 Langdell, 13 Harvard L. Rev. 537 s., 539, 547 s. (1900); vgl. dazu, dass diese Kriterien prägend sind, auch noch Corbin, 29 Yale L.J. 163, 167 ss. (1919) (right – correlative – duty; right in rem – right in personam; primary rights – secondary rights); ders., 33 Yale L.J. 501 (1923–1924); Hohfeld, 23 Yale L.J. 16, 30 s. (1913); ders., 26 Yale L.J. 710 ss. (1917) (zur Kritik bei Hohfeld und Corbin s. unten noch S. 275 ff.). 54 Langdell, 13 Harvard L. Rev. 659 (1900) („[…] wrongs by which rights may be infringed. Such wrongs are divisible into two classes, namely torts and breaches of obligations. A tort is disobedience to a command of the State […]. The State commands every person within its limits to do not act which will infringe an absolute right of any other person, i.e. it prohibits all such acts. […] It follows, therefore, that every infringement of an absolute right is an affirmative tort […]“). 55 S. dazu im Einzelnen Bone, 89 Columbia L. Rev. 1, 14 ss. (1989); vgl. ferner Langdell, 13 Harvard L. Rev. 538 fn. 1, 546 fn. 1 (1900); Hohfeld, 26 Yale L.J. 710, 712 ss. (1917) (zu rights in rem und rights in personam). 56 S. Pomeroy, Remedies and Remedial Rights, §§ 1 ss., p. 1 ss.; § 28, p. 27; § 34, p. 32 („The single civil action for the protection of all primary rights and the enforcement of all primary duties is the central element of the new procedure“); §§ 452 ss., p. 486 ss.; s. ferner Langdell, 13 Harvard L. Rev. 537 (1900) („[…] those rights which it is the duty of courts of justice to protect and enforce […]“); vgl. Bone, 89 Columbia L. Rev. 1, 12 ss., 15 (1989); Reimann, Historische Schule und Common Law, S. 37.
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bei Pomeroy auf den sog. rights-remedy-Ansatz rekurriert. Danach gibt es materiell-rechtliche primäre Rechte (primary rights) sowie materiell-rechtliche Pflichten (primary duties), die eine rechtliche Beziehung zwischen Personen konstituieren; bei Verletzung dieser primary rights (wrong) wird eine cause of action (Klage- bzw. Anspruchsgrund) begründet.57 Aus diesen causes of action resultieren die Klagrechte (remedial rights) sowie die Rechtsbehelfe selbst (remedies), d.h. vor allem Klagen auf Leistung (performance), Unterlassung (injunction) oder Schadensersatz (damages).58 Prozessrecht und materielles Recht werden auf diese Weise abgegrenzt, die primary rights und causes of action des materiellen Rechts begründen die remedial rights und remedies, zu deren Verwirklichung der Prozess dient.59 Der Prozess wird als Instrument zur Verwirklichung des jeweiligen Rechtsbehelfs (remedy) aufgefasst, wobei dessen Grundlage wiederum die materiellen Rechte und deren subjektiv-rechtliche Konzeption sind.60 Es entwickelt sich so eine „Hierarchie“ von 57 S. vor allem Pomeroy (zur Person s. die Kurzbiographie auf S. 578), Remedies and Remedial Rights, § 453, p. 487 („Every judicial action must therefore involve the following elements: a primary right possessed by the plaintiff, and a corresponding primary duty devolving upon the defendant; a delict or wrong done by the defendant which consisted in a breach of such primary right and duty; a remedial right in favor of the plaintiff, and a remedial duty resting on the defendant springing from this delict, and finally the remedy or relief itself“), ferner bereits § 1 s., p. 1 ss.; dazu Bone, 89 Columbia L. Rev. 1, 27 ss. (1989); D. Marcus, 44 Georgia L. Rev. 433, 481 s. (2010); vgl. ähnlich freilich der Ansatz bei Savigny, System, Bd. 5, §§ 204 f., S. 1 ff., 4 ff., nach dem das Klagrecht (actio) aus der Verletzung eines Rechts resultiert (bzw. das Klagrecht das Recht im „Zustand seiner Vertheidigung“ ist [aaO, § 204, S. 2]), s. dazu oben bereits S. 190 Fn. 801 sowie S. 192 Fn. 815 (vgl. zur allgemeinen Beeinflussung Pomeroys durch Savigny Reimann, Historische Schule und Common Law, S. 58, 75); ferner auch Windscheid, Die Actio des römischen Civilrechts, S. 1 ff. 58 S. Pomeroy, Remedies and Remedial Rights, § 453, p. 487 („[…] the primary right and duty and the delict or wrong combined constitute the cause of action […]. They are the legal cause or foundation whence the right of action springs, this right of action being identical with the “remedial right“ as designated in my analysis“); § 454, p. 488 („The cause of action thus defined is plainly different from the remedial right, and from the remedy or relief itself. The remedial right is the consequence, the secondary right which springs into being from the breach of the plaintiff’s primary right by the defendant’s wrong, while the remedy is the consummation or satisfaction of this remedial right“). Als Beispiel nennt Pomeroy den Vertrag: cause of action ist das Recht aus dem Vertrag auf Leistung (primary right) sowie die Nichterfüllung durch den Schuldner als Pflichtverletzung (wrong). Diese cause of action begründet die remedial rights sowie die remedies; remedial right ist zum einen der Anspruch auf Erfüllung (performance), zum anderen der Anspruch auf Schadensersatz (damages); relief ist die tatsächliche Leistung bzw. Erfüllung; dazu Bone, 89 Columbia L. Rev. 1, 14 ss. (1989); D. Marcus, 44 Georgia L. Rev. 433, 481 s. (2010) – d.h. das traditionelle common-law-Denken in forms of actions wird hier geradezu umgekehrt, remedies sind die Konsequenz außerprozessual bestehender materieller Rechte. 59 Bone, 89 Columbia L. Rev. 1, 15 (1989); s. Pomeroy, Remedies and Remedial Rights, § 454, p. 488. 60 Bone, 89 Columbia L. Rev. 1, 15, 97 (1989) (zu diesem instrumentalen Verständnis des Prozesses, wobei der Rechtsbehelf [remedy] wiederum instrumental für die Durchsetzung der primary rights ist); D. Marcus, 44 Georgia L. Rev. 433, 481 s. (2010).
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rights, remedies und procedure, deren Ziel die Verwirklichung der materiellen subjektiven Rechte ist.61 e) Contract law und freedom of contract Ebenso unterliegt die Entwicklung des Vertragsrechts im 18./19. Jahrhundert wesentlichen Veränderungen, die unter naturrechtlichen Einflüssen in Abkehr von den Differenzierungen und Klagen des Common Law zu einem auf Konsens und Willen sowie allgemeinen Vertragslehren beruhenden Vertragsrecht führen.62 Bedeutung kommt vor allem Pothier zu, dessen Vertragslehre in den USA weite Rezeption erfährt.63 Unter Aufgabe der älteren Klagearten des Common Law (assumpsit, covenant, debt)64 wird vertragliche Bindung hier mit dem gegenseitigen Konsens (consensus theory) der Parteien begründet. Ebenso werden die Lehren von Angebot und Annahme (offer and acceptance) sowie die Irrtumslehren (mistake) rezipiert.65
61
So Bone, 89 Columbia L. Rev. 1, 15, 97 (1989); vgl. Pomeroy, Remedies and Remedial Rights, § 452 s., p. 486 s.; § 1 s., p. 1 s.; s.a. D. Marcus, 44 Georgia L. Rev. 433, 481 s. (2010). 62 S. Perillo, 11 Tex. Wesleyan L. Rev. 267 ss. (2005); Simpson, 46 U. Chi. L. Rev. 533, 589 s. (1979); ders., 91 Law Q. Rev. 247, 250 ss. (1975); Hamburger, 7 Law & Hist. Rev. 241, 265 ss. (1989); Doris, 11 Tex. Wesleyan L. Rev. 361, 369 ss. (2005); Hermida, 13 U. Miami Int’l & Comp. L. Rev. 163, 167 ss. (2005); Gordley, The Philosophical Origins, p. 134 ss.; s.a. Gilmore, 70 Yale L.J. 1037, 1040 (1961) („There is little in our law of contracts, for example, that has any recognizable ancestry before 1800“); F. Kessler, JZ 1988, 109 ff.; Weller, Die Vertragstreue, S. 135 ff.; s. ferner (zu England) Ibbetson, 5 Edinburgh L. Rev. 4, 16 s. (2001); s. aber auch Reimann, Historische Rechtsschule und Common Law, S. 137 f., wonach das Vertragsrecht zwar zunächst durch französische naturrechtliche Autoren beeinflusst wurde, im Laufe des 19. Jhd. aber stärker auf die Autoren der Historischen Schule und deren Begriffe und Kategorien zurückgegriffen wurde. Lange wurde indes auch hier ein alternatives Narrativ entwickelt, wonach die wirtschaftlichen, sozialen Veränderungen der Post-Revolutionszeit sowie der ökonomische Liberalismus (laissez-faire) des 19. Jhd. zu diesen Veränderungen geführt hätten, s. generell zu diesem Narrativ Horwitz, 87 Harvard L. Rev. 917 ss., 936 ss. (1974); ders., 19 Am. J. Legal Hist. 251 ss., 259 ss. (1975); kritisch dazu (im Hinblick auf das law of torts) White, 86 Yale L.J. 671 ss, 692 (1977) (nicht Industrialisierung, sondern Entwicklung der Rechtswissenschaft entscheidend; s. aber auch p. 686). Eher wird man dies dahingehend zu verstehen haben, dass durch die sozio-ökonomischen Veränderungen (Industrialisierung) ein rechtliches Umfeld existierte, das besonders günstig für die Rezeption eines naturrechtlich geprägten systematischen Vertragsrechts war, welches mit diesem ökonomischen Liberalismus vereinbar war, vgl. Doris, 11 Tex. Wesleyan L. Rev. 361, 371, 373 ss. (2005). 63 Perillo, 11 Tex. Wesleyan L. Rev. 267 ss. (2005) („The whole structure of the common law of contracts and sales is based laregly on Pothier’s treatises on obligations and sales“); Simpson, 46 U. Chi. L. Rev. 533, 589 s. (1979); ders., 91 Law Q. Rev. 247, 256, 258 ss. (1975); F. Kessler, JZ 1988, 109, 111. 64 S. dazu Hamburger, 7 Law & Hist. Rev. 241, 248 ss., 277 ss. (1989). 65 Perillo, 11 Tex. Wesleyan L. Rev. 267, 277 ss. (2005) (ferner etwa die von Pothier übernommene Ersatzfähigkeit nur von vorhersehbaren Schäden bei Vertragsbruch, s. Perillo, 11 Tex. Wesleyan L. Rev. 267, 271 ss. [2005]; Simpson, 91 Law Q. Rev. 247, 273 ss. [1975]); Simp-
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Die entscheidenden Kategorien, aus denen die gerichtliche Durchsetzbarkeit von Verträgen resultiert, sind so Konsens (consensus of minds), Rechtsbindungswille (intention to create legal relations66) und Willenstheorie (will theory67), wobei die Rechtsprechung einem eher objektiven, d.h. auf die nach außen hin erfolgte Erklärung abstellenden Ansatz bei der Vertragsauslegung folgt.68 Besonderheit des Common Law-Vertragsrechts ist die doctrine of consideration, die zur gerichtlichen Durchsetzbarkeit eines Vertrages grundsätzlich das Versprechen einer Gegenleistung verlangt.69 Verträge begründen Rechte und damit korrespondierende Pflichten.70 Bei Nichterfüllung oder Verletzung der vertraglichen Pflichten entstehen auf Leistung oder Schadensersatz gerichtete Rechtsbehelfe (remedies).71 f) Torts Eine ähnliche Entwicklung lässt sich auch für das Deliktsrecht des 19. Jahrhunderts beobachten. Unter Ablösung der einzelnen Klagearten des Common Law (trespass; case)72 bricht sich ein an Pufendorfs Konzeption73 orientiertes Deliktsrecht Bahn, das generelle Schadensersatzhaftung für negligence vorsieht, d.h. Verschuldenshaftung (fault liability).74 Voraussetzung dieser negligenceson,66 91 Law Q. Rev. 247, 257 ss., 265 ss. (1975); Doris, 11 Tex. Wesleyan L. Rev. 361, 370 ss. (2005); vgl. auch Reimann, Historische Rechtsschule und Common Law, S. 137 ff., 139 f.; s. aber auch Hamburger, 7 Law & Hist. Rev. 241, 247, 248 ss., 254 ss., 274 ss., 283 ss. (1989), der diesen Prozess nicht als reinen Rezeptionsprozess des Naturrechts und des Civil Law im 19. Jhd. deutet, sondern von einer eigenständigen selektiven Anpassung des Common Law an die naturrechtliche Vertragstheorie über einen langen Zeitraum ausgeht. 66 Dazu Simpson, 91 Law Q. Rev. 247, 263 ss. (1975). 67 Dazu Simpson, 91 Law Q. Rev. 247, 265 ss. (1975); s.a. Horwitz, 87 Harvard L. Rev. 917, 946 ss., 952 (1974); Reimann, Historische Rechtsschule und Common Law, S. 139. 68 Doris, 11 Tex. Wesleyan L. Rev. 361, 372 s. (2005); s.a. Simpson, 91 Law Q. Rev. 247, 269 (1975). 69 Zur doctrine of consideration aus historischer Perspektive auch Gordley, The Philosophical Origins of Contract Law, p. 137, 171 s.; Simpson, 91 Law Q. Rev. 247, 257, 262 s. (1975) – die doctrine of consideration soll in Zusammenhang mit der causa-Lehre des civil law zu sehen sein. Vgl. aber Grey, 45 U. Pitt. L. Rev. 1, 26 s. (1983) im Hinblick auf Langdells Behandlung der Frage, ob die consideration doctrine logisch konsistent bzw. systemadäquat ist. 70 S. zu diesem Aspekt der vertraglichen Begründung von primary rights und primary duties als Wirkung des Vertrags auch Weller, Vertragstreue, S. 139 f. 71 Simpson, 91 Law Q. Rev. 247, 257 (1975); vgl. Langdell, 13 Harvard L. Rev. 537, 539, 542 (1900); Pomeroy, Remedies and Remedial Rights, § 454, p. 488. 72 S. White, 78 Columbia L. Rev. 213, 235 (1978); ders., 86 Yale L.J. 671, 678 ss., 680 s. (1977); dazu auch Ibbetson, 26 UNSW L.J. 475, 478, 487 s., 499 ss. (2003). 73 S. dazu – zum englischen Recht – Ibbetson, 5 Edinburgh L. Rev. 4, 18 s. (2001); ders., 26 UNSW L.J. 475, 476, 485 ss., 488, 508 s. (2003). 74 S. dazu White, 78 Columbia L. Rev. 213 ss., 232 ss. (1978); ders., 86 Yale L.J. 671 ss., 683 ss., 688 (1977); ferner Brüggemeier, AcP 219 (2019), 771, 790 f. White schreibt diesen Prozess der Entwicklung der Rechtswissenschaft als science sowie als formalism/conceptualism in der
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Haftung75 sind Pflichtverletzung (breach of duty) – es gibt eine allgemeine, gegenüber jedermann geschuldete Sorgfaltspflicht (general duty of care)76 –, Fahrlässigkeit/Verschulden (negligence, fault) und darauf kausal (proximate cause) beruhender Schaden (damage).77 Das Deliktsrecht (torts) wird so als Teilrechtsgebiet mit eigenständigen allgemeinen Lehren verselbständigt.78 g) Die Trennung von Straf- und Zivilrecht Damit korrespondierend zeigen sich auch in der stärkeren Trennung von Straf- und Zivilrecht im Laufe des 19. Jahrhunderts ideengeschichtliche Einflüsse. Ähnlich dem römischen Recht79 wurden im Common Law die Aufga75 2. Hälfte des 19. Jhd. zu, die er seinerseits vor allem mit Langdell verbindet. Unberücksichtigt bleibt dabei freilich, dass die naturrechtlich geprägten Kategorien des tort law bereits in England ab dem 18. Jhd. Rezeption finden (s. vorherige Fußnote m. Nw.) und sich hierüber sowie die treatises des 19. Jhd. auch in den USA Bahn brechen. White verweist aber auch darauf, dass bereits ab den 1830er Jahren US-amerikanische Gerichte auf negligence und den fault standard rekurrierten (s. White, 86 Yale L.J. 671, 685 [1977]). 75 S.a. White, 86 Yale L.J. 671, 688 (1977) zur negligence als genereller cause of action. 76 Zur duty s. Langdell, 13 Harvard L. Rev. 537, 545 s. (1900). 77 Dazu White, 78 Columbia L. Rev. 213, 233 s., 236 (1978); ders., 86 Yale L.J. 671, 683 ss., 688 ss. (1977). Auch hier findet sich wiederum ein alternatives Narrativ, wonach die sozioökonomischen Veränderungen des 19. Jhd., d.h. vor allem die Industrialisierung zu einer Änderung des Deliktsrechts geführt haben, s. kritisch dazu White, 86 Yale L.J. 671 s. (1977). Tatsächlich ist die rein pflichtenorientierte Konzeption nicht sicher; so greift Langdell wiederum zugleich auch neben der Pflichtverletzung auf die subjektiven absoluten Rechte zurück (s. zu ähnlichen Ansätzen im ausgehenden 19. Jhd. in Deutschland oben S. 208 f., 213 ff.), s. Langdell, 13 Harvard L. Rev. 659 (1900): „[…] wrongs by which rights may be infringed. Such wrongs are divisible into two classes, namely torts and breaches of obligations. A tort is disobedience to a command of the State, and is affirmative or negative, according as the command is negative or affirmative, the tort being in that respect the converse of the command. The State commands every person within its limits to do not act which will infringe an absolute right of any other person, i.e. it prohibits all such acts. […] It follows, therefore, that every infringement of an absolute right is an affirmative tort, and that every affirmative tort is an infringement of an absolute right. It will be seen, therefore, that an infringement of an absolute right is equally an affirmative tort, whether the right itself be affirmative or negative; and the reason is that the infringement constitutes equally, in either case, an act of disobedience to a prohibitory command of the State. The only important difference between the two cases is that, in the case of an affirmative right, the right exists independently of the command, and the command is issued merely to protect the right, while, in the case of a negative right, the right has no existence until the command is issued, and it is the prohibitory command alone that both creates the right and makes the act of infringement tortious“. Tort ist zwar die Verletzung des Befehls (command) des Staates, allerdings ist dieser Befehl derjenige, fremde Rechte nicht zu verletzen: es gibt nun aber zwei Arten von Rechten. Zum einen „positive“, die unabhängig von der Pflicht bestehen und deren Konsequenz ist, dass die Pflicht entsteht, diese Rechte nicht zu verletzen; zum anderen „negative“, die sich erst reflexiv aus einer Verbotspflicht ergeben. 78 White, 78 Columbia L. Rev. 213, 233 s. (1978); ders., 86 Yale L.J. 671, 672, 682 s. (1977). 79 Zum römischen Recht s. insoweit oben S. 47 ff. Zu römisch-rechtlichen Einflüssen auf das Common Law im Mittelalter Taliadros, 64 Cleveland State L. Rev. 251, 267 ss., 273 ss., 278 ss., 280 ss. (2016).
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ben des Strafrechts zunächst durch von der Straftat geschädigte Private im Wege der Erhebung von Strafklagen wahrgenommen. Diese regelmäßig sowohl auf Strafe als auch auf Kompensation gerichteten Strafklagen wurden durch finanzielle Anreize für den obsiegenden Kläger (Erstattung der Kosten; Vervielfachung der compensation, treble damages) inzentiviert.80 Ferner bildeten sich sog. qui tam-Klagen, bei denen private Personen die Strafklagen unabhängig von individueller Betroffenheit erheben konnten und bei Obsiegen finanziell an den gesetzlich vorgesehenen Bußgeldern beteiligt wurden.81 Wohl unter dem Einfluss naturrechtlicher Gedanken82 sowie der Bildung staatlicher Institutionen der Strafverfolgung vollzieht sich im 18./19. Jahrhundert auch im Common Law eine stärkere Ausdifferenzierung von Deliktsund Strafrecht.83 Bereits im 18. Jahrhundert wird eine Strafverfolgung durch staatliche Stellen (public prosecutors) zumindest bei public crimes eingeführt.84 In den USA wurde mit dem Judiciary Act (1789) das Amt des District Attorney eingeführt, dem es zukam, sämtliche Straftaten gegen Federal Law zu verfolgen.85 Hierdurch wurden Private von der Strafverfolgung zunehmend ausgeschlossen; die Strafverfolgung wurde so verstaatlicht und nahm einen OffizialCharakter (public prosecution system) an.86 Begleitet wird diese Entwicklung von der Vorstellung, dass eine Straftat nicht so sehr dem Opfer als vielmehr 80 Krent, 38 American U. L. Rev. 275, 290 ss. (1989); Cardenas, 9 Harvard L.J. & Publ. Pol’y 357, 359 ss., 366 ss. (1986), auch mit dem Hinweis auf official prosecutions in political crimes durch public officials sowie die Reformen in England im 19. Jhd.; s. ferner Bessier, 47 Arkansas L. Rev. 511, 515 (1994); Colby, 118 Yale L.J. 392, 430 ss. (2009), auch mit dem Hinweis auf die Differenzierung von trespass als schadensersatzorientierter Klage und felony als Strafzwecken dienender durch Private zu erhebender Klage, die allerdings grundsätzlich exklusiv nebeneinander standen – darin wird teilweise bereits eine Differenzierung von tort und crime gesehen (Seipp, 76 Boston U. L. Rev. 59 ss., 68 ss. [1996]; vgl. auch Taliadros, 64 Cleveland State L. Rev. 251, 295 ss. [2016]). 81 Krent, 38 American U. L. Rev. 275, 291, 297 (1989) – also entsprechend den delicta publica des römischen Rechts; s.a. Belli, 49 UMKC L. Rev. 1, 2 s. (1980); Morrison, 103 Michigan L. Rev. 589, 599 s. (2005). 82 Vgl. ansatzweise Harris, 40 Alabama L. Rev. 1079, 1092 s. (1989), die die Trennung von Zivil- und Strafrecht als Entwicklung des 18. Jhd. deutet und insofern vor allem mit Matthew Hale und Blackstone in Verbindung bringt. 83 Vgl. Cardenas, 9 Harvard L.J. & Publ. Pol’y 357, 361 ss., 369 ss., 372 (1986); ferner zu den Entwicklungen Krent, 38 American U. L. Rev. 275, 286 ss., 291 ss., 293 (1989); Harris, 40 Alabama L. Rev. 1079, 1090 ss. (1989). 84 Krent, 38 American U. L. Rev. 275, 291 (1989); s. ferner Cardenas, 9 Harvard L.J. & Publ. Pol’y 357, 369 ss. (1986); Bessier, 47 Arkansas L. Rev. 511, 516 s. (1994) mit dem Hinweis auf public prosecutors nach europäischem Vorbild bereits im 17. Jhd. 85 Wobei ihm aber discretion zukam, sodass kein Legalitätsgrundsatz Platz griff, s. Krent, 38 American U. L. Rev. 275, 296 (1989); s. ferner Colby, 118 Yale L.J. 392, 433 (2009). 86 S. im Einzelnen Krent, 38 American U. L. Rev. 275, 293 ss. (1989); Cardenas, 9 Harvard L.J. & Publ. Pol’y 357, 368 ss. (1986); ferner Goldstein, 52 Mississippi L.J. 515, 518 s. (1982); s. aber auch Bessier, 47 Arkansas L. Rev. 511, 518 ss. (1994) mit Verweis auf Einzelstaaten, in denen trotz der zunehmenden Bedeutung des public prosecutor auch im 19. Jhd. noch private prosecution praktiziert wurde.
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dem Staat Unrecht zufügt, welches Gegenstand der staatlichen Strafverfolgung ist.87 Schließlich bildet sich im 19. Jahrhundert das tort law als eigenständiges, vom criminal law unabhängiges Teilrechtsgebiet heraus.88 Insgesamt zeigen sich in dieser Ausdifferenzierung von Schadensersatz und Strafe sowie in der Ausbildung eines öffentlichen Strafrechts, das durch eine öffentliche Staatsanwaltschaft und ein staatliches Strafverfolgungsmonopol gekennzeichnet ist, Parallelen zur kontinental-europäischen Rechtsentwicklung.89 Gleichwohl hat sich die Trennung im US-amerikanischen Recht historisch nicht in gleicher Striktheit durchsetzen können und ist auch in der Gegenwart durch wesentliche Ausnahmen durchbrochen, weshalb die Differenzierung auch konzeptionell infrage gestellt wird.90 Wenngleich der Staatsanwaltschaft grundsätzlich ausschließliche Zuständigkeit für die Einleitung der gerichtlichen Strafverfolgung zukommt und Private kein Recht zur Strafverfolgung haben91, blieben die funktionell strafrechtliche Funktionen wahrnehmenden privaten Strafklagen (qui tam actions)92 auch im 19. Jahrhundert und teilweise bis in die Gegenwart erhalten.93 Ferner bestehen in der Gegenwart private Klagen auf ein Vielfaches des tatsächlichen Schadens (multiple damages; double, treble damages) und auf Strafschadensersatz (punitive damages, exemplary damages), welche ebenfalls straf-
87
Cardenas, 9 Harvard L.J. & Publ. Pol’y 357, 371, 383 (1986). Vgl. White, 86 Yale L.J. 671, 682, 683 s. (1977); Colby, 87 Minn. L. Rev. 583, 634 (2003); Harris, 40 Alabama L. Rev. 1079, 1097 (1989). 89 S.a. Cardenas, 9 Harvard L.J. & Publ. Pol’y 357, 369, 388 (1986); vgl. Harris, 40 Alabama L. Rev. 1079, 1098 (1989) („The public/private distinction is still one of the foundations of American legal thought. […] However, the distinction is no longer viewed as somehow natural or inevitable“). 90 S. etwa Harris, 40 Alabama L. Rev. 1079, 1093 ss. (1989) zur Diskussion um die Trennung von public/criminal law/punishment und private law/torts/compensation im Hinblick auf punitive damages; vgl. Rendleman, 7 U. St. Thomas L.J. 1, 2 (2009); s. ferner Goldstein, 52 Mississippi L.J. 515, 530 s. (1982); MünchKomm BGB/Wagner, Vorbem. § 823 Rn. 48 (generell zum Common Law); Koch, in: Altmeppen/Fitz/Honsell (Hrsg.), FS Günter Roth, S. 379, 380 ff. 91 S. dazu im Einzelnen Cardenas, 9 Harvard L.J. & Publ. Pol’y 357, 374 ss., 383 (1986) m.Nw.; vgl. ferner zur Frage, ob private prosecution in der Gegenwart überhaupt verfassungsrechtlich zulässig ist, wobei nur sehr wenige Einzelstaaten die Möglichkeit privater Strafklagen anstelle der öffentlichen Staatsanwaltschaft zulassen – regelmäßig ist nur die Unterstützung der öffentlichen Ankläger, die Verfahrensherrschaft haben, durch private prosecutors vorgesehen –, Bessier, 47 Arkansas L. Rev. 511, 521, 529 ss. (1994). 92 Zu deren Qualifikation (penal; criminal, quasi-criminal; civil in form) und zur Anwendbarkeit strafrechtlicher Grundsätze (beyond reasonable doubt, privilege against self-incrimination; double jeopardy mit der Folge der Exklusivität von qui tam actions und public prosecution) s. Krent, 38 American U. L. Rev. 275, 298 ss. (1989) m.Nw. 93 S. dazu auch Miller, 60 Duke L.J. 1, 73 fn. 280 (2010), der in den qui tam actions einen Vorläufer des private law enforcement sieht; Morrison, 103 Michigan L. Rev. 589, 599 ss. (2005). 88
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rechtliche Funktionen94 wahrnehmen und damit die Trennung von Straf- und Zivilrecht durchbrechen.95 Punitive damages lassen sich dabei der Sache nach bis ins Mittelalter zurückverfolgen – Hintergrund dürften hier die delicta privata des römischen Rechts sein96 –, wobei punitive damages erst im 18. Jahrhundert im Common Law explizite Ausformung fanden.97 Die Funktion von punitive damages wurde im 19. Jahrhundert unterschiedlich bewertet, wobei sie zumindest regelmäßig auf Bestrafung des privaten Personen zugefügten Unrechts zielten.98 Kritik hieran kam unter Einfluss des Legal Formalism auf, welche auf die funktionalen Unterschiede von öffentlich-rechtlicher Strafe (punishment) und zivilrechtlichem Schadensersatz (compensation) rekurrierte und die Funktion des Schadensersatzes nicht in Strafe, sondern ausschließlich in schadensausgleichender Kompensation sah.99 Mit dem Rückzug des Legal Formalism ging auch diese Kritik zurück.100 94 Vgl. Goldstein, 52 Mississippi L.J. 515, 531 (1982); Krent, 38 American U. L. Rev. 275, 302 fn. 130 (1989) zum Unterschied von qui tam actions und civil actions, die pönalen Charakter haben (qui tam action wird on behalf of the United States erhoben, ferner gegenseitige Exklusivität bei qui tam action); ferner dazu sowie zum Verhältnis von punitive und treble damages Merkt, Abwehr der Zustellung, S. 64 ff., 90 ff. 95 Rendleman, 7 U. St. Thomas L.J. 1, 2 (2009); Krent, 38 American U. L. Rev. 275, 296 ss. (1989). Zu punitive damages s. insoweit etwa Taliadros, 64 Cleveland State L. Rev. 251, 252 s. (2016). 96 S. zum römisch-rechtlichen Hintergrund der punitive und multiple damages sowie zur Entwicklung seit dem Mittelalter Taliadros, 64 Cleveland State L. Rev. 251, 267 ss., 273 ss., 278 ss., 280 ss., 289 ss. (2016), der diese auf die iniuria-Klage rückbezieht. 97 S. dazu im Einzelnen Motron-Bentley, 17 Roger Williams U. L. Rev. 791, 794 ss. (2012); Taliadros, 64 Cleveland State L. Rev. 251, 257 ss. (2016); Belli, 49 UMKC L. Rev. 1, 3 s. (1980); Sullivan, 61 Minnesota L. Rev. 207, 214 s. (1977); Colby, 87 Minn. L. Rev. 583, 614 (2003); s.a. Colby, 118 Yale L.J. 392, 433 s. (2009), der die Erweiterung der punitive damages als Reaktion auf die zunehmend strikte Trennung von hoheitlicher Strafe und privatem Schadensersatz wertet. 98 Zu dieser kontroversen Diskussion, ob punitive damages im 19. Jhd. nur als Sanktion für das private oder auch für das öffentliche Unrecht (punishment for private wrong – public crime, public wrong) dienten (diese Diskussion erlangt in der Gegenwart angesichts der Rechtsprechungsänderung des Supreme Court Relevanz [s. dazu unten S. 305 f.], wobei lange eine Perspektive vorherrschte, wonach punitive damages auch der Sanktionierung von public wrongs dienten), Colby, 118 Yale L.J. 392, 395, 399, 414 ss. (2009); ders., 87 Minn. L. Rev. 583, 613 ss., 619 ss., 624 ss. (2003); s. ferner Sebok, 78 Chi.-Kent L. Rev. 163, 180 ss., 195 ss. (2003) gegen die Auffassung, wonach punitive damages im 19. Jhd. vor allem kompensatorisch im Hinblick auf immaterielle Schäden bzw. Persönlichkeitsverletzungen (pain and suffering) wirkten, sondern eine Vielfalt verschiedener Gründe (compensation, personal vindication, vindication for the state, punishment, deterrence) annehmend; Sullivan, 61 Minnesota L. Rev. 207, 215 (1977) („predominantly punitive character“). 99 Vgl. Harris, 40 Alabama L. Rev. 1079, 1082, 1088 ss., 1096 (1989), die insoweit aber von Liberal Legalism spricht; Motron-Bentley, 17 Roger Williams U. L. Rev. 791, 797 s. (2012); Colby, 118 Yale L.J. 392, 428 s. (2009); ders., 87 Minn. L. Rev. 583, 630 ss. (2003); Horwitz, 130 U. Pennsylvania L. Rev. 1423, 1425 (1981–1982); ferner Sullivan, 61 Minnesota L. Rev. 207, 215 fn. 55 (1977) mit Verweis auf die Kritik im 19. Jhd.; s.a. Sebok, 78 Chi.-Kent L. Rev. 163, 182 s., 188 (2003); Morris, 44 Harvard L. Rev. 1173 ss., 1176 ss. (1931). 100 Motron-Bentley, 17 Roger Williams U. L. Rev. 791, 798 (2012); s.a. Harris, 40 Alabama L. Rev. 1079 ss.,1082, 1089 s., 1095 s., 1098 (1989) – gleichwohl stehenpunitive damages
I. Formalism und Realism
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2. Der American Legal Realism, das 20. Jahrhundert und die „Dekonstruktion“ des Systems subjektiver Privatrechte a) American Legal Realism aa) Holmes’ Kritik Der American Legal Formalism sah sich Ende des 19. Jahrhunderts und Anfang des 20. Jahrhunderts wesentlicher Kritik ausgesetzt, die insbesondere durch Oliver Wendell Holmes101 und den durch ihn beeinflussten American Legal Realism (Karl Llewellyn, Jerome Frank)102 wirkmächtig und in deren Folge das US-amerikanische Rechtsdenken tiefgreifenden Änderungen unterzogen wurde.103 Gemeinsames Moment ist dabei eine bestimmte Kritik am vorherrschenden tradi101 nunmehr vor allem unter einem verfassungsrechtlichen Argument (due process) in der Kritik, s. dazu unten S. 305 f. sowie Motron-Bentley, 17 Roger Williams U. L. Rev. 791, 798 ss. (2012). Die verfassungsrechtliche Kritik setzte dabei bereits früh ein; wesentliches Argument ist hier neben due process, dass durch die Verhängung ziviler punitive damages eine Umgehung verfassungsrechtlicher Schutzbestimmungen für die Verhängung von Strafen stattfinde, vgl. dazu Colby, 118 Yale L.J. 392, 416 ss. (2009). 101 Holmes, 45 Boston U. L. Rev. 24, 25 ss. (1965); zu Holmes gegen den Formalism gerichteter Kritik Grey, 45 U. Pitt. L. Rev. 1, 39 ss. (1983). Zur Einordnung dieser Kritik und ihren Unterschieden zum Legal Realism s. vor allem Reimann, Historische Rechtsschule und Common Law, S. 147 ff., 254 f., 260, 267 f., der Holmes als Grenz- und Übergangsfigur zwischen der Classical Legal Science und den modernen Ansätzen sowie als Vorläufer des Legal Realism einordnet. Ausgangspunkt von Holmes Kritik ist danach nämlich zunächst die Verteidigung der Eigenständigkeit des Common Law sowohl gegen die zunehmend starken Einflüsse des pandektistischen Civil Law als auch gegen ein gänzliches Aufgehen in abstrakt-rationalem Systemdenken (s. dazu aaO, S. 147 ff., 150 ff.). Grundsätzlich zum Legal Realism und zu seinem gegen den Formalism gerichteten Ansatz Rea-Frauchiger, Der amerikanische Rechtsrealismus, S. 9 ff., 171 ff., die indes Holmes selbst nicht dem Legal Realism zuordnet; ebenso Grey, 106 Yale L.J. 493, 497 ss., 500 ss. (1996), der Holmes den progressives zuordnet und davon die realists abgrenzt; dagegen aber Gilmore, 70 Yale L.J. 1037 s. (1961), der Holmes als Begründer dieser Bewegung ansieht; s.a. Fuller, 82 U. Penn. L. Rev. 429 (1934); Savarese, 3 Houston L. Rev. 180, 186 s. (1965); zu Holmes im Verhältnis zu Jhering – ebenso wie Jhering war Holmes zunächst Vertreter der klassischen Richtung der Rechtswissenschaft, wendete sich aber dann der Kritik hieran zu – Jansen/Reimann, ZEuP 2018, 89, 119 ff. Ein Unterschied zwischen Holmes und Llewellyn wird regelmäßig darin gesehen, dass Llewellyn im Gegensatz zu Holmes gegenüber jeglicher materiell-rechtlicher abstrakter doctrine kritisch war, wohingegen Holmes selbst an der Systematisierung des Rechts arbeitete, s. etwa Goldberg, 125 Harvard L. Rev. 1640, 1643 s. (2012); Grey, 45 U. Pitt. L. Rev. 1, 44, 49 fn. 177 (1983); ders., 106 Yale L.J. 493, 500 s. (1996). 102 Zu diesem Begriff s. Frank, Law and the Modern Mind, p. vii; s. ferner zum Legal Realism Savarese, 3 Houston L. Rev. 180, 187 ss. (1965); Reimann, Historische Rechtsschule und Common Law, S. 260 ff.; Duxbury, 18 Journal of Law and Society 175, 177 ss. (1991) (zu Jerome Frank). 103 Vgl. D. Marcus, 44 Georgia L. Rev. 433, 437 ss. (2010) zur Wirkungsgeschichte des Legal Realism, wonach dieser nicht nur zu einer „Dekonstruktion“ des Legal Formalism geführt hat, sondern auch wesentlich zur Law Reform des 20. Jhd. beigetragen habe; ferner auch Jansen/Reimann, ZEuP 2018, 89, 128; generell zum Übergang von der Classical Legal Science mit ihrer historisch-systematischen Methode zu den modernen soziologisch gepräg-
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4. Kapitel: Die Rechtsentwicklung in den USA
tionellen Verständnis der Rechtswissenschaft, die Recht als logisches, aus allgemeinen Prinzipien und Ableitungen bestehendes autonomes System auffasste (anti-formalism, anti-conceptualism; revolt against formalism).104 Nicht Vernunft oder Deduktionen aus allgemeinen Grundsätzen bilden nach Holmes das Recht, sondern die „prophecies of what the courts will do in fact, and nothing more pretentious, are what I mean by the law“.105 Recht ten104 Strömungen der Sociological Jurisprudence und des Legal Realism Reimann, Historische Rechtsschule und Common Law, S. 13 f., 250 ff., 253 ff., wobei Reimann Holmes und Pound als maßgebliche Figuren dieses Übergangs einordnet; zum Verhältnis von Legal Realism und der Sociological Jurisprudence Reimann, Historische Schule und Common Law, S. 258 ff. S. demgegenüber zum „Scheitern“ des Legal Realism, der zwar einerseits zu einer Dekonstruktion der klassischen Rechtswissenschaft geführt hat, dem es andererseits aber nicht gelang, ein konstruktives neues Modell zu implementieren, Duxbury, 18 Journal of Law and Society 175, 198 (1991); Herget/Wallace, 73 Virginia L. Rev. 399, 434 s. (1987) („Much was torn down; little was built“); Schlegel, 29 Buffalo L. Rev. 195 ss. (1980). 104 S. etwa D. Marcus, 44 Georgia L. Rev. 433, 444 ss., 469 (2010); zu Holmes und generell der realistischen Kritik an Langdell sowie dem Formalism s. Grey, 45 U. Pitt. L. Rev. 1 ss., 39 ss. (1983); Duxbury, 18 Journal of Law and Society 175, 177 s. (1991); s. ferner auch Reimann, Historische Schule und Common Law, S. 147 ff., 150 ff., 254 ff., 258 ff.; Jansen/Reimann, ZEuP 2018, 89, 120 ff. – auch mit dem Hinweis, dass diese Kritik zugleich explizit gegen die deutsche Rechtswissenschaft gerichtet ist. Zur Kritik am rechtlichen Systemdenken bspw. auch Corbin, 16 Iowa L. Rev. 19, 24 s. (1929). S. Frank, Law and the Modern Mind, p. vii s. gegen das Verständnis, eine „Schule“ zu bilden; vielmehr sieht er das Verbindende der verschiedenen Vertreter im „skepticism as to some of the conventional legal theories“; Llewellyn, 44 Harvard L. Rev. 1222, 1233 s. (1931) („There is no school of realists“; sondern: „There is, however, a movement in thought and work about law“); s. ferner zu den gemeinsamen Elementen des Legal Realism Rea-Frauchiger, Der amerikanische Rechtsrealismus, S. 154 ff.; dazu sowie zur Nähe des Realism zu den philosophischen Strömungen des pragmatism und instrumentalism Savarese, 3 Houston L. Rev. 180, 182 s., 187 ss. (1965); zum pragmatism und seinem Einfluss auf den Legal Realism Reimann, Historische Schule und Common Law, S. 262 ff. Wenn im Folgenden auf Einflüsse des Legal Realism verwiesen wird, dann ist Vorsicht geboten; diese Verweise dürfen nicht dahingehend verstanden werden, als ob hier eine einheitliche ideengeschichtliche „Bewegung“ gleichsam als generelles Projekt konkrete Änderungen der Rechtsordnung herbeigeführt hätte. Die Geschichte ist sicherlich komplexer (vgl. auch Grey, 106 Yale L.J. 493, 508 [1996] zu dieser „reduktionistischen“ Sicht, die die Rechtsentwicklung des 20. Jhd. auf einen wiederkehrenden Antagonismus von Realism und Formalism reduziert). Gleichwohl ist es zu wesentlichen Veränderungen gekommen, die das Rechtsdenken und die positive Rechtsordnung wesentlich umgestaltet haben, und diese Änderungen haben neben zeitgeschichtlichen Gründen auch ideengeschichtliche Hintergründe – auch wenn diese nicht monokausal waren, entsprachen gewisse Änderungen in ihrer Zielrichtung den zentralen Anliegen des Legal Realism; vgl. insoweit zu den Prozessrechtsreformen D. Marcus, 44 Georgia L. Rev. 433, 441 (2010) („I do not argue that realism deserves all the credit for the Federal Rules. […] I do believe, however, that a theoretical harmony exists between basic tenets of realist jurisprudence and the procedural reforms the Federal Rules introduced“). Insoweit ist die Kritik wie auch die konstruktive Arbeit der Legal Realists, die gewisse gemeinsame Momente vereint, wirkmächtig geworden. 105 Holmes, 45 Boston U. L. Rev. 24, 27 (1965) = 10 Harvard L. Rev. 457 (1897); dazu auch – im Hinblick auf appellate decisions – Llewellyn, The Common Law Tradition, p. 3 ss., 200 ss.
I. Formalism und Realism
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(law) wird so mit dem Prozess der Entscheidungs- bzw. Rechtsfindung durch den Richter identifiziert. Aufgabe der Rechtswissenschaft ist es, Prinzipien zu entwickeln, um vorherzusehen, wie die Richter in einem konkreten Fall entscheiden.106 Recht ist nicht etwas dem Gesetzgeber oder dem zur Entscheidungsfindung berufenen Richter Vorgegebenes im Sinne einer metaphysischen Realität oder etwas streng Logischem (the fallacy of the logical form), sondern das Ergebnis und das Produkt richterlichen Handelns (law in action; judicial creation of law107) sowie geschichtlicher Entwicklung.108 Damit wendet sich Holmes besonders deutlich gegen die US-amerikanische klassisch-systematische Rechtswissenschaft des 19. Jahrhunderts109 und eine Vermischung von morality and law110. Die Bedeutung vertraglicher Bindung 106
Vgl. Holmes, 45 Boston U. L. Rev. 24, 25 (1965); s.a. Llewellyn, The Common Law Tradition, p. 11 ss.; Frank, Law and the Modern Mind, p. vi; zu diesem Aspekt des Rechts „als blosse Vorhersage“ s. Rea-Frauchiger, Der amerikanische Rechtsrealismus, S. 154 ff.; Green, 46 Wm. & Mary L. Rev. 1915, 1926 ss., 1937 s. (2005). 107 Llewellyn, 44 Harvard L. Rev. 1222, 1236 (1931). 108 Holmes, 45 Boston U. L. Rev. 24, 30 ss. (1965); ders., The Common Law, p. 1 s.; dazu Gilmore, 70 Yale L.J. 1037, 1039 (1961); ferner etwa Corbin, 29 Yale L.J. 163, 167 (1919) („Rules of law, enabling us to determine the operative effect of facts, are not discovered by mere analysis; they are discovered rather by a study of history – by knowledge of written statutes, of precedents, and of social mores“); ders., 33 Yale L.J. 501, 504 (1923–1924) („If such a system exists, it is as yet beyond human knowledge. In invoking such a system as a basis for decision, we are merely applying our own social standards and the mores of our own chosen people and asserting for them the quality of universality and perfection. In fact they have no such quality“). S.a. zu dieser Kritik an der „assumption of a normative science as something differing from other bodies of knowledge in that it starts with postulates where they start with observation“, „a science of pure law, divorced from all subjective speculation“ sowie „a science of law analogous to mathematical physics“ Pound, 44 Harvard L. Rev. 697, 702 ss. (1931); ferner ders., 8 Columbia L. Rev. 605, 610 (1908); vgl. bereits Jhering, Der Geist des römischen Rechts, S. 302 f. („Jener ganze Cultus des Logischen, der die Jurisprudenz zu einer Mathematik des Rechts hinaufzuschrauben gedenkt, ist eine Verirrung und beruht auf einer Verkennung des Wesens des Rechts. […] Nicht was die Logik, sondern was das Leben, der Verkehr, das Rechtsgefühl postulirt, hat zu geschehen, möge es logisch nothwendig oder unmöglich sein“); s. insoweit auch Jansen/Reimann, ZEuP 2018, 89, 120 f. zu den Bezügen zwischen Holmes und Jhering. 109 S.a. Llewellyn, The Common Law Tradition, p. 11 ss., 15, der diese Strömung als logicians bezeichnet; vgl. aber zur Frage, ob der Legal Realism naturrechtskritisch ist, Frank, Law and the Modern Mind, p. xvii s., ferner p. 63 ss.; Corbin, 33 Yale l.J. 501, 503 s. (1923– 1924); s.a. Rea-Frauchiger, Der amerikanische Rechtsrealismus, S. 51 f., 123 f., 163. 110 Holmes, 45 Boston U. L. Rev. 24, 25 ss. (1965); etwa p. 26: „The law talks about rights, and duties, and malice, and intent, and negligence, and so forth, and nothing is easier, or, I may say, more common in legal reasoning, than to take these words in their moral sense, at some stage of the argument, and so to drop into fallacy. For instance, when we speak of the rights of man in a moral sense, we mean to mark the limits of interference with individual freedom which we think are prescribed by conscience, or by our ideal, however reached. Yet it is certain that many laws have been enforced in the past, and it is likely that some are enforced now, which are condemned by the most enlightened opinion of the time, or which at all events pass the limit of interference as many consciences would draw it. Manifestly,
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4. Kapitel: Die Rechtsentwicklung in den USA
beschränkt sich danach ebenso wie die der deliktischen Haftung auf eine Vorhersage, dass bei Nichterfüllung Schadensersatz zu leisten ist; nicht moralische Verpflichtungen oder Rechte (duty, rights) sind relevant, sondern alleine die daraus resultierenden faktischen Folgen (Bestrafung, Verurteilung zu einer Geldzahlung).111 Die Relevanz des Rechts ist somit auf die faktischen Folgen begrenzt, zu denen der Handelnde gerichtlich verurteilt werden kann.112 Recht ist so nichts Moralisches bzw. Logisches, sondern etwas Faktisches bzw. Geschichtliches, und zwar sowohl hinsichtlich seiner Entstehung und Erkenntnis als auch hinsichtlich seiner Wirkungen.113 Aufgabe der Rechtswissenschaft ist, die Entstehung rechtlicher Regelungen geschichtlich nachzuvollziehen, um dadurch zu einer kritischen Neubewertung dieser Regeln zu gelangen.114 Zugleich soll nicht die Kenntnis des black letter law, sondern das Verständnis von Statistik und Wirtschaft (economics) Beschäftigungsgegenstand der Rechtswissenschaftler sein.115 Ausgehend vom gegenwärtigen Stand des Rechts und seinem historischen Zustandekommen sind rechtliche Regelungen auf ihre Ziele (ends) hin zu untersuchen und zu hinterfragen – Recht ist ein Mittel für soziale Zwecke („law as a means to social ends“).116 An die Stelle des traditionellen systematischen Rechtsdenkens tritt so eine soziologische Perspektive auf das Recht, mit der ein „soziologischer Rechts111 therefore, nothing but confusion of thought can result from assuming that the rights of man in a moral sense are equally rights in the sense of the Constitution and the law”; s.a. ReaFrauchiger, Der amerikanische Rechtsrealismus, S. 161. 111 Holmes, 45 Boston U. L. Rev. 24, 27, 28 (1965); gerade dem contract law schreibt Holmes eine besonders starke Vermischung von law and morals zu; vgl. auch Zipursky, 51 Vanderbilt L. Rev. 1, 43 (1998) („Holmes, and the legal realist movement that followed him, maintained that insofar as judges are called upon to decide what the law shall be, ascertaining natural rights should not be part of the job. Rather, judges should assess the desirability of the consequences that flow from one scheme of liability rules rather than another“). 112 Vgl. Holmes, 45 Boston U. L. Rev. 24, 26 (1965); s.a. Fuller, 82 U. Penn. L. Rev. 429, 443 ss., 447 (1934) zur Zuwendung des Legal Realism zum Faktischen und zum Skeptizismus gegenüber Konzeptionalismus. 113 Vgl. Holmes, 45 Boston U. L. Rev. 24, 26 s., 33 ss. (1965); s.a. ders., The Common Law, p. 1 („The life of the law has not been logic: it has been experience“); dazu auch (im Verhältnis zu Jhering) Jansen/Reimann, ZEuP 2018, 89, 120. 114 Holmes, 45 Boston U. L. Rev. 24, 34 (1965): „The rational study of law is still to a large extent the study of history“; s. ferner p. 37 ss. (dort im Hinblick auf die historisch verbliebenen Distinktionen des common law im Bereich des Vertragsrechts, etwa die doctrine of consideration); s.a. ders., The Common Law, p. 1 s. 115 Holmes, 45 Boston U. L. Rev. 24, 34 (1965): „the black-letter man may be the man of the present, but the man of the future is the man of statistics and the master of economics“; dazu auch Reimann, Historische Schule und Common Law, S. 259; s. ferner auch Corbin, 30 Yale L.J. 226, 238 (1921) („The jurist must therefore be educated in legal history, in anthropology, in economics and social science“). 116 Holmes, 45 Boston U. L. Rev. 24, 40 (1965); Llewellyn, 44 Harvard L. Rev. 1222, 1236 (1931) („The conception of law as a means to social ends“); s.a. D. Marcus, 44 Georgia L. Rev. 433, 458 (2010).
I. Formalism und Realism
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begriff“ verbunden ist.117 Richter sollen bei ihrer Rechtsfindung die sozialen Faktoren (social advantage) ihrer Entscheidung sowie die Auswirkungen auf die Gesellschaft118 berücksichtigen.119 Betont werden anknüpfend an Jhering die Interessen (interests) als soziale Faktoren, die hinter den subjektiven Rechten stehen und deren Schutz der Zweck des subjektiven Rechts ist. Die Interessen gehen den Rechten voraus, Rechte werden geschaffen, um bestimmte gesellschaftliche Interessen (social interests) zu verwirklichen.120 Schließlich wird die Bedeutung von Tatsachenfragen gegenüber derjenigen von Rechtsfragen für die Entscheidung betont; den facts, deren Feststellung ihrerseits richterabhängig ist, kommt insoweit maßgebliches Gewicht bei der Entscheidungsfindung zu.121 bb) Llewellyns real rights Die realistische Kritik wendet sich so auch unmittelbar gegen die Idee subjektiver materieller Rechte (substantive rights), die Llewellyn als unsichtbare Erscheinungen von den sichtbaren Rechtsbehelfen (remedies) trennt.122 Der Fokus der Diskussion soll sich von diesen materiellen Rechten auf das eigentlich 117 Reimann, Historische Schule und Common Law, S. 253 ff. („Vom organisch-logischen zum soziologischen Rechtsbegriff“). 118 Llewellyn, 44 Harvard L. Rev. 1222, 1248 s., 1254 (1931). 119 Holmes, 45 Boston U. L. Rev. 24, 33 (1965). 120 Llewellyn, 30 Columbia L. Rev. 431, 441 (1930); s.a. Pound, 44 Harvard L. Rev. 697, 711 (1931); dazu Bone, 89 Columbia L. Rev. 1, 91 ss. (1989); zum Einfluss Jherings auf Holmes und Pound Jansen/Reimann, ZEuP 2018, 89, 118 ff.; Reimann, Historische Schule und Common Law, S. 256 f., 264 f., 269; zum Einfluss Jherings und der Freirechtsschule auf Llewellyn Grisé/Gelter/Whitman, 48 Tulsa L. Rev. 93 ss., 109 ss., 114 ss. (2012); ferner Herget/ Wallace, 73 Virginia L. Rev. 399, 401 ss., 422 ss. (1987). Jansen/Reimann (ZEuP 2018, 89, 123 f.) sehen einen Unterschied zwischen Jhering und Pound darin, dass im Gegensatz zu Jherings „kausalem“ Ansatz bei Pound der Ansatz „final“ ausgerichtet gewesen sei: Recht werde „als politisches Mittel“ eingesetzt – die zugrundeliegende Theorie wird hier also rechtspraktisch umgesetzt. 121 Vgl. Frank, Law and the Modern Mind, p. xi s., xvi; zu Frank insoweit auch Duxbury, 18 Journal of Law and Society 175, 177, 186 (1991); s.a. D. Marcus, 44 Georgia L. Rev. 433, 455 (2010); s. dazu unten noch S. 291 ff. insbesondere zu Clark; s. ferner Reimann, Historische Schule und Common Law, S. 258 zu den „social facts“ („[…] zum einen die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Hintergründe und Wirkungen des Rechts, zum anderen aber auch das tatsächliche Funktionieren des Rechtssystems, vor allem das Verhalten der Richter in Streitfällen“ – s. dazu zuvor bereits). 122 Llewellyn, 30 Columbia L. Rev. 431, 437 ss., 447 ss. (1930). Wesentliche Bedeutung kommt Hohfelds Kritik subjektiver Rechte zu, s. Hohfeld, 23 Yale L.J. 16, 28 ss. (1913– 1914); dazu auch Auer, Der privatrechtliche Diskurs, S. 56 ff.; Bone, 89 Columbia L. Rev. 1, 82 (1989). Hohfeld selbst wird auch gelegentlich dem Legal Realism zugerechnet, jedenfalls beeinflusste seine Theorie den Realism, s. etwa D. Marcus, 44 Georgia L. Rev. 433, 450 (2010). Hohfelds Kritik fand in den vergangenen Jahren breite Rezeption in Deutschland, s. dazu etwa Auer, Der privatrechtliche Diskurs der Moderne, S. 56 ff.; Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, S. 340 f.
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4. Kapitel: Die Rechtsentwicklung in den USA
relevante law in action verschieben, d.h. auf das konkrete gerichtliche Handeln der relevanten Personen (behavior-contact).123 Llewellyn unterscheidet insoweit aus verhaltensanalytischer Sicht zwischen real rights und real rules sowie paper rights und rules.124 Real right ist das, was sich aus den Handlungen vor Gericht ergibt, d.h. den remedies und der Praxis der Gerichte (the practices of the courts).125 Es beschreibt damit eine Wahrscheinlichkeit (likelihood), dass das Gericht eine bestimmte Handlung vornehmen wird. Real rules und rights sind Vorhersagen, was die Gerichte tun werden (predictions) – und damit nicht die materiellen subjektiven Rechte (primary rights) des 19. Jahrhunderts.126 Es gibt zwar auch paper rights und rules, nämlich das, was die traditionelle Rechtswissenschaft als Rechtsregeln (doctrine) ansieht.127 Allerdings kommt hier wiederum die realistische Vorstellung von der Diskrepanz von black letter law und law in action zur Geltung. Nur die real rules und rights, wie sie tatsächlich von den Entscheidern angewendet werden, führen zu faktischen Wirkungen und sind damit auf deskriptiver Ebene relevant.128 Die paper rules richten zwar in faktischer Hinsicht einen Anspruch an die Entscheider (officials), angewendet zu werden.129 Inwieweit sie aber tatsächlich zur Geltung kommen, d.h. inwieweit die paper rules und rights auch zu real rules und rights werden, hängt vom tatsächlichen Verhalten der relevanten Personen ab.130 Die gesamte rechtliche Diskussion soll sich folglich von den subjektiven Rechten und dem Bereich des materiellen Rechts auf das faktische Recht, d.h. das erwartete Verhalten der relevanten Akteure verschieben. Das Recht wird so jedenfalls nicht als vorgegebenes System materieller subjektiver Rechte und Pflichten verstanden.131 Damit in Zusammenhang steht auch der Gedanke der Rechtssicherheit (legal certainty).132 Llewellyn wendet sich gegen die erwähnte traditionelle Auf123
Llewellyn, 30 Columbia L. Rev. 431, 442 s., 452 (1930). Llewellyn, 30 Columbia L. Rev. 431, 447 ss. (1930). 125 Llewellyn, 30 Columbia L. Rev. 431, 448 (1930). 126 Llewellyn, 30 Columbia L. Rev. 431, 448 (1930); s.a. Holmes, 45 Boston U. L. Rev. 24, 25 (1965) („The primary rights and duties with which jurisprudence busies itself again are nothing but prophecies“); zu dieser Kritik am Konzept der primary rights bei Holmes s.a. Zipursky, 51 Vanderbilt L. Rev. 1, 43 (1998); vgl. auch Green, 46 Wm. & Mary L. Rev. 1915, 1965 s. (2005). 127 Llewellyn, 30 Columbia L. Rev. 431, 448 (1930). 128 Vgl. Llewellyn, 30 Columbia L. Rev. 431, 448 (1930). 129 Llewellyn, 30 Columbia L. Rev. 431, 449 (1930) („rules of authoritative ought, adressed to officials, telling officials what the officials ought to do“). 130 Llewellyn, 30 Columbia L. Rev. 431, 449 s. (1930); vgl. auch zu dieser Frage nach der Verpflichtung zur Anwendung geltenden Rechts Green, 46 Wm. & Mary L. Rev. 1915, 1969 ss. (2005). 131 Vgl. Bone, 89 Columbia L. Rev. 1, 84 s., 89 (1989) (zu Clark). 132 Zu einer Auseinandersetzung mit Llewellyn insoweit s. Fuller, 82 U. Penn. L. Rev. 429, 431 ss. (1934). 124
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fassung des Formalism, wonach ein System des materiellen Rechts, d.h. die Rechtsregeln als solche Rechtssicherheit herstellen würden.133 Tatsächlich würden außerhalb der Rechtsregeln liegende faktische Faktoren im Entscheidungsprozess zur Entscheidungsfindung führen. Es gibt nach Llewellyn ein Auseinanderfallen von Sein und Sollen (Is and Ought) zwischen gerichtlicher Praxis und den Rechtsregeln, weshalb die Identifikation von systematischem Rechtsdenken und Rechtssicherheit zurückgewiesen wird.134 Rechtssicherheit im Sinne von Vorhersehbarkeit gerichtlicher Entscheidungen gibt es nur durch den realistischen Ansatz, der diese unlogischen subjektiven135 Faktoren (Entscheider und deren Handeln, facts, soziale Faktoren)136 miteinbezieht137 – mit Folgen für das materielle Recht, dessen Bedeutung für die Rechtssicherheit relativiert wird. cc) Llewellyns law-jobs Mit dieser realistischen Verschiebung geht auch ein verändertes Verständnis der Funktion von Rechtsprechung und Gesetzgebung einher. Aufgabe der Rechtsordnung (law-job)138 ist nach Llewellyn die Lösung von Streitfällen (disposition of trouble cases) und die präventive Verhaltenssteuerung (preventive channeling of behavior).139 Die Streitfälle können entweder die gesamte Gesellschaft oder nur Individuen betreffen; Aufgabe ist jeweils, ähnlich einer garage-repair work, die schnelle, unaufwändige Auflösung eines Konflikts, um die Gesellschaft in ihrer Identität als Gruppe vor einem Auseinanderfallen zu bewahren.140 Um Konflikte bereits präventiv zu verhindern, ist es eine weitere Aufgabe des Rechts, das Verhalten der Menschen zu steuern und dadurch 133 Llewellyn, 44 Harvard L. Rev. 1222, 1237 ss., 1251 s. (1931); ähnlich auch die Kritik bei Jerome Frank, dazu Duxbury, 18 Journal of Law and Society, 175, 181 (1991). 134 Llewellyn, 30 Columbia L. Rev. 431, 438 ss. (1930); ders., 44 Harvard L. Rev. 1222, 1237, 1240 ss. (1931): Soweit die „traditional legal rules“ vorgeben zu beschreiben, was tatsächlich vor Gericht geschieht, kritisiert Llewellyn dies (aaO, p. 1237) – vielmehr weist er auf die Diskrepanz von Sein und Sollen hin, die von den traditionellen Regeln nicht reflektiert werde; zur Thematik der Rechtssicherheit auch Rea-Frauchiger, Der amerikanische Rechtsrealismus, S. 169 f. 135 Pound, 44 Harvard L. Rev. 697, 710 (1931). 136 Llewellyn, 30 Columbia L. Rev. 431, 464 (1930); ders., 44 Harvard L. Rev. 1222, 1242 ss. (1931) (the personality of the judge). 137 Vgl. Llewellyn, 30 Columbia L. Rev. 431, 447 ss. (1930); ders., 44 Harvard L. Rev. 1222, 1237, 1251 s. (1931). 138 Law-job wird danach umschrieben als „such arrangement and adjustment of people’s behavior that the society (or the group) remains a society (or a group) and gets enough energy unleashed and coordinated to keep on with its job as a society (or the group)“, s. Llewellyn, 49 Yale L.J. 1355, 1373 (1940). 139 Llewellyn, 49 Yale L.J. 1355, 1373 (1940). 140 Llewellyn, 49 Yale L.J. 1355, 1375 s. (1940) („To adjust trouble cases with speed, smoothness, deep permanency, minimum outlay of effort and disruption of other activities“ – hier zeigen sich freilich Referenzen auf R. 1 FRCP).
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Kollisionen, die ihrerseits eine Konfliktlösung erfordern, zu vermeiden.141 Aufgabe der gerichtlichen Verfahren ist so die Konfliktlösung (dispute resolution)142 und die Erreichung von Kompromissen.143 Darin zeigt sich wiederum ein Abweichen von der Rechtslehre des 19. Jahrhunderts, die den Zweck des Prozesses in der Verwirklichung materieller Rechte sah.144 Gerichtliche Verfahren sollen der Erreichung von als gerecht angesehenen Ergebnissen im konkreten Fall dienen.145 dd) Der Legal Realism im ideengeschichtlichen Kontext (1) Die zentralen Argumente der Kritik Gemeinsame Elemente bei den Legal Realists sind so die gegen den Formalism gerichtete Kritik146; die Fokussierung auf das Gerichtsverfahren und den Prozess der Entscheidungsfindung (judicial process; law in action) einschließlich der konkreten Faktoren, die diese beeinflussen; die damit verbundene empiristische Herangehensweise unter Einbeziehung von Erkenntnissen der Humanwissenschaften147; die Betonung der sozialen Interessen (social interests, ends of law) im Recht und der Bedeutung der Tatsachen (facts) als Grundlagen der Entscheidung; sowie ein Verständnis des Rechts als Vorhersage148 des Ergebnisses richterlicher Entscheidung.149 In dieser Fokussierung auf die Interessen und den Zweck des Rechts sowie den Prozess der Rechtsentstehung zeigen sich gedankliche Verwandtschaften des Legal Realism mit Jhering sowie der
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Llewellyn, 49 Yale L.J. 1355, 1376 s. (1940). Vgl. dazu Grey, 45 U. Pitt. L. Rev. 1, 41 fn. 152 (1983) (insoweit im Hinblick auf Holmes Kritik, wobei der Begriff bei Holmes nicht explizit verwendet wird). 143 Llewellyn, 49 Yale L.J. 1355, 1373 (1940); Frank, Courts on Trial, p. 387 s.; Rea-Frauchiger, Der amerikanische Rechtsrealismus, S. 50 f., 167. 144 S. dazu oben S. 257 ff.; s. ferner unten noch S. 289 ff., 293 ff. zum private law enforcement. 145 Vgl. D. Marcus, 44 Georgia L. Rev. 433, 484 ss., 487 (2010). 146 Vgl. zur realistischen Kritik gegen deductions/syllogisms, was als mechanical jurisprudence (zu diesem auf Pound zurückgehenden Begriff s. Pound, 8 Columbia L. Rev. 605 ss. [1908]) bezeichnet wird, auch Green, 46 Wm. & Mary L. Rev. 1915, 1982 ss. (2005). S. ferner Savarese, 3 Houston L. Rev. 180, 193 s., 196 s. (1965), wonach die realistische Kritik auch gegen das Denken in Rechtsbegriffen zielt. 147 Zur Berücksichtigung der Psychologie insbesondere bei Frank s. etwa Savarese, 3 Houston L. Rev. 180, 181 s., 194 s. (1965). 148 S. aber auch zu dieser prediction theory Green, 46 Wm. & Mary L. Rev. 1915, 1926 ss. (2005) mit dem Hinweis, dass nach den Legal Realists eher die decisions selbst law sind. 149 Rea-Frauchiger, Der amerikanische Rechtsrealismus, S. 154 ff.; Savarese, 3 Houston L. Rev. 180, 188 ss. (1965); vgl. Grey, 45 U. Pitt. L. Rev. 1, 39 ss. (1983); Duxbury, 18 Journal of Law and Society 175, 177 (1991) (zu Jerome Frank); s.a. Llewellyn, 30 Columbia L. Rev. 431, 464 s. (1930); ders., 44 Harvard L. Rev. 1222, 1235 ss. (1931); s. ferner auch Pound, 44 Harvard L. Rev. 697, 710 s. (1931). 142
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Freirechtsbewegung150, wenngleich seine Eigenheiten vor dem Hintergrund des Common Law zu sehen sind151, welches mit seinem case law den Legal Realism besonders begünstigte.152 (2) Corbins legal relations und die realistische Kritik an der Form des Rechts Mit dieser Kritik des Realism verbunden ist die Ablehnung der Form des Rechts sowie eines eigenen rechtlichen Seinsbereichs, wie sich vor allem bei Arthur Corbin153 zeigt. Nur das, was physisch ist, ist real; damit Recht real ist, kann es nur das sein, was faktisch ist, d.h. die konkreten Handlungen der Gerichte und der Vertreter der Gesellschaft (conduct of societal agents).154 Es gibt daher keinen Unterschied von Physischem und Rechtlichem, denn nur das ist Recht, was auf den Bereich des Physischen Einfluss hat. Auch das Recht gehört zum Bereich des Physischen („There is no supernatural or mystical distinction between physical relations and legal relations. Rules of physics and rules of law are alike in that they enable us to predict physical consequences and to regulate our actions accordingly“).155
150 S. dazu Jansen/Reimann, ZEuP 2018, 89, 118 ff., 128; Reimann, Historische Schule und Common Law, S. 264 f.; Grisé/Gelter/Whitman, 48 Tulsa L. Rev. 93 ss., 109 ss., 114 ss. (2012); Herget/Wallace, 73 Virginia L. Rev. 399, 401 ss., 421 ss. (1987). 151 S. dazu Rea-Frauchiger, Der amerikanische Rechtsrealismus, S. 177 ff.; vgl. ferner Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, S. 351. 152 Fuller, 82 U. Penn. L. Rev. 429, 438 (1934); vgl. Herget/Wallace, 73 Virginia L. Rev. 399, 419 s., 438 (1987) zur unterschiedlichen Bedeutung richterlicher Rechtsfindung im Civil und im Common Law, woraus sich Unterschiede für Freirechtsbewegung und Legal Realism ergeben; s. ferner Reimann, Historische Rechtsschule und Common Law, S. 282 ff. zur Frage, wieso sich der Legal Realism in den USA – im Gegensatz zur Rechtsentwicklung in Deutschland (aaO, S. 287) – gegen die Classical Legal Science hat durchsetzen können; ein entscheidender Gesichtspunkt ist insoweit, dass die Classical Legal Science, die in den USA nur für einige Jahrzehnte vorherrschend war, letztlich insgesamt einen Fremdkörper („Revolution“) für das Common Law – gemessen an dessen Tradition, Entwicklung und Charakter – bildete. 153 Zur Zugehörigkeit Corbins zu den Legal Realists vgl. Llewellyn, 44 Harvard L. Rev. 1222, 1257 (1931); s.a. Savarese, 3 Houston L. Rev. 180, 188 (1965); zu Corbins Rechtsbegriff s. Bone, 89 Columbia L. Rev. 1, 84 s. (1989). 154 Vgl. Corbin, 30 Yale L.J. 226, 227 (1921). 155 S. insoweit Corbin, 30 Yale L.J. 226, 227 (1921) („In dealing with law, therefore, we are considering the conduct of societal agents and the rules expressing that uniformity with which they are expected to act. These rules are rules of law; but the rules that enable us to predict merely the action of natural forces or of individuals who are not societal agents are not rules of law. There is no supernatural or mystical distinction between physical relations and legal relations. Rules of physics and rules of law are alike in that they enable us to predict physical consequences and to regulate our actions accordingly. When the physical event that we are predicting is the conduct of a state agent, executive or judicial, acting for society, the rule that we are applying is called a rule of law; and with respect to the expected action of societal agents, our relations to our fellow men are commonly called legal (or jural) relations“).
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Das Rechtliche reduziert sich danach auf die Tatsachen (facts), soweit sich hiervon ausgehend eine Vorhersage (prediction) treffen lässt, dass sich diese Tatsachen auf das Verhalten der Vertreter der Gesellschaft auswirken. Etwas Tatsächliches/Physisches ist insoweit „rechtlich“ (legal), als das (physische) Verhalten der Gesellschaft und ihrer Vertreter hiervon beeinflusst wird und diese eine Sanktion verhängen.156 Rechtliches bezeichnet daher nur einen besonderen Teil des Physischen, und zwar diejenigen Tatsachen (operative facts), welche für das physische Verhalten der Vertreter der Gesellschaft, d.h. vor allem der Gerichte kausal (causal157) sind.158 Auch hier geht es um Kausalität, aber diese Kausalität ist keine rechtliche, sondern eine physische.159 156 Corbin, 5 Illinois L.Q. 50 (1922) (zu den facts: „If they determine the future conduct of societal agents, acting by rule on behalf of our organized fellow-men, with respect to specific persons, we say that these persons are in a legal relation. What makes the existing “situation“ a legal relation is that it determines societal conduct. The problem is what will society do? A rule is a rule of law when it describes what society will do, either presently or conditionally“); p. 51 („A person needs to know both how this combination of facts will affect the conduct of societal agents and how it will affect the conduct of private individuals. As to the first, he is in the field of what we call a legal relation […]“); ders., 30 Yale L.J. 226, 227 (1921) („In dealing with law, therefore we are considering the conduct of societal agents and the rules expressing that uniformity with which they are expected to act“); ders., 33 Yale L.J. 501, 502 s., 506 (1923–1924). 157 S. Corbin, 29 Yale L.J. 163, 164 (1919); Hohfeld, 23 Yale L.J. 16, 25 (1913). 158 Corbin, 30 Yale L.J. 226, 227, 230, 232 s. (1921) (p. 230: „We speak of the law and of legal relations in this case merely because the physical consequences involve some conduct on the part of the agents of society and because there are rules expressing a degree of uniformity in their action, enabling us to predict with some confidence what that action will do“; p. 232 s.: „the physical conduct of the appointed agents of the community“). 159 Vgl. Corbin, 29 Yale L.J. 163, 164 (1919): „Operative Fact: Any fact the existence or occurrence of which will cause new legal relations between persons. A clear distinction should always be observed between the physical phenomena and the legal relations consequent thereon. The former are in the world of the senses, the latter are intellectual concepts. Operative facts have also been described as “investitive,“ “constitutive,“ “causal,“ and “dispositive.““; ders., 33 Yale L.J. 501, 515 (1923–1924) („The existence of a “right“ is caused by certain operative facts“); zuvor bereits Hohfeld, 23 Yale L.J. 16, 25 (1913) m.Nw. („Operative, constitutive, causal, or “dispositive“ facts are those which, under the general legal rules that are applicable, suffice to change a legal relation, that is either to create a new relation, or to extinguish an old one, or to perform both of these functions simultaneously“). Auf den ersten Blick ähnelt die Konzeption der operative facts („operative Tatsachen“) derjenigen der „juristischen Tatsachen“ sowie der rechtlichen Kausalität (dazu oben S. 172 ff.). Die operative facts haben nämlich Rechtswirkungen („the legal effect of operative facts“, Corbin, 29 Yale L.J. 163, 164 [1919]), für die sie kausal werden; d.h. konkret die Entstehung eines Rechtsverhältnisses (legal relation, zu dem abweichenden Begriffsverständnis s. sogleich). Allerdings ist auch hier wiederum der Unterschied in der Kausalität zu berücksichtigen. Die Wirkungen werden zwar als rechtliche Wirkungen bezeichnet, tatsächlich geht es aber um eine physische Kausalität. Dass operative facts Rechtswirkungen hervorbringen, bedeutet nämlich nichts anderes, als dass das Bestehen der operative facts dazu führt, dass die Vertreter der Gesellschaft (Gerichte) eine Handlung vornehmen bzw. eine Sanktion verhängen: „i.e. it is a statement that certain facts will normally be followed by certain immediate or remote consequences in the form of action or non-action by the judicial and executive agents
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Damit verbunden ist ein verändertes Verständnis des Rechtsverhältnisses (legal relation). Ein Rechtsverhältnis meint nichts anderes als diejenigen Tatsachen (facts), aufgrund derer eine Vorhersage (prediction) getroffen werden kann, dass die Gerichte aufgrund dieser Tatsachen (physische) Handlungen vornehmen, d.h. Sanktionen verhängen.160 Dem Rechtsverhältnis als solchem 160 of society“ (Corbin, aaO, p. 164). Nur insoweit besteht dann eine legal relation, denn eine legal relation meint nach Corbins Begriffsverständnis Tatsachen, aus denen sich die Vorhersage ergibt, dass die Gesellschaft und ihre Vertreter bestimmte physische Handlungen vornehmen. Es geht also letztlich nicht um die Bewirkung von Rechtsfolgen in Gestalt der Veränderung von Rechtsverhältnissen – d.h. um eine eigentliche rechtliche Kausalität –, sondern um die Vornahme von (physischen) Handlungen – d.h. um physische Kausalität; s. nämlich Corbin, 33 Yale L.J. 501, 503 (1923–1924) zur (legal) relation: „It is not a physical thing, but it involves physical relations of cause and effect“. Corbin beruft sich in seiner Analyse unmittelbar auf Hohfeld (s. nur Corbin, 33 Yale L.J. 501 [1923–1924]; zu Hohfeld und seinen Fundamental Legal Conceptions unten noch näher S. 290 Fn. 229 sowie Hohfeld, 23 Yale L.J. 16 [1913]). Hohfeld betont dabei den Gegensatz von legal und non-legal conceptions (aaO, p. 20 ss.) und bildet den Begriff der operative facts aus (aaO, p. 25 ss.). Danach sei zwischen den physical and mental facts und den purely legal relations, die kausal durch die (operative) facts begründet werden, zu unterscheiden (Hohfeld, 23 Yale L.J. 16, 20 ss. [1913], ferner 43 s., 50 s.; s. dazu gleich noch Fn. 161). Die Ursachen sind demnach die operative (physical) facts, die (Rechts-)Wirkungen dagegen rein rechtliche Rechtsverhältnisse. Als Beispiel wird der Vertrag genannt: das agreement sind danach physical and mental facts, die contractual relation die Wirkung dieser facts (Hohfeld, 23 Yale L.J. 16, 24 s., 25 s. [1913]). Es geht Hohfeld um eine begriffliche Differenzierung von Physischem und rein rechtlichen Beziehungen (s.a. Hohfeld, 26 Yale L.J. 710, 721 [1917]: „physical relations are wholly distinct from legal relations. The latter take significance from the law; and, since the purpose of the law is to regulate the conduct of human beings, all jural relations […] must be predicated of such human beings“), wobei er diese in ein Kausalverhältnis (Physisches als Ursache – rein Rechtliches/Rechtsverhältnisse als Wirkung) stellt. Zwar unterscheidet auch Corbin zwischen legal und non-legal conceptions und versteht die (operative) facts als kausal für die legal relations; d.h. er greift insoweit unmittelbar auf Hohfeld zurück. Aber bei Corbin sind letztlich sowohl Ursache als auch Wirkung physisch, weil er das Rechtsverhältnis auf die (physischen) Handlungen der Gesellschaft und ihrer Vertreter bezieht (s. dazu noch näher sogleich Fn. 161). Das Rechtliche unterscheidet sich vom sonstigen Physischen nur insoweit, als es das Verhalten der Vertreter der Gesellschaft betrifft. Demgegenüber bleibt bei Hohfeld letztlich offen, was ein right oder eine legal relation konkret ist – Hohfelds Zugriff besteht darin, dass er das right als correlative der duty versteht und insofern mit dem claim („Anspruch“) identifizieren will (Hohfeld, 23 Yale L.J. 16, 31 s. [1913]; ders., 26 Yale L.J. 710, 717 [1917]; vgl. insoweit auch Corbin, 33 Yale L.J. 501 s., fn. 2 [1923–1924]). Dagegen findet sich bei Hohfeld im Gegensatz zu Corbin noch keine Identifizierung der legal relation mit einer Vorhersage der (physischen) Handlungen der Gesellschaft. Corbins entscheidender Zugriff besteht also darin, einen spezifisch realistischen Begriff von right und legal relation zu entwickeln und dadurch das Rechtliche unter Negation einer eigenständigen Form des Rechts nur als Physisches zu verstehen, d.h. den Teil des Physischen als Rechtliches zu verstehen, welcher Einfluss auf das Verhalten der Vertreter der Gesellschaft hat. Mit dieser realistischen Konzeption geht Corbin über Hohfeld hinaus; darauf aufbauend ergeben sich bei Clark wiederum wesentliche Änderungen für das Prozessrecht (s. dazu unten S. 291 ff.). 160 Corbin, 29 Yale L.J. 163 s., 167 (1919); ders., 30 Yale L.J. 226, 227 (1921); ders., 5 Illinois L.Q. 50 (1922); ders., 33 Yale L.J. 501, 503 (1923–1924). Tatsächlich bestehen Rechtsver-
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4. Kapitel: Die Rechtsentwicklung in den USA
kommt daher keine eigenständige Realität zu.161 Ein Recht (right) hat derjenige, zu dessen Gunsten diese Sanktion von der Gesellschaft verhängt wird; die korrelative Pflicht (duty) trifft denjenigen, dessen Verhalten auf diese Weise sanktioniert wird.162 Rechte und Pflichten ergeben sich damit aus dem „Befehl“ (command) und den Sanktionen der Gesellschaft (sanction163).164 Indem die Gesellschaft dem Schuldner Sanktionen androht, übt sie gesellschaftlichen Druck (societal pressure) aus. Ziel der Pflicht (duty) ist, den Schuldner zu einem bestimmten Verhalten zu motivieren und dadurch bestimmte Interessen zu erfüllen.165 Rechtsdurchsetzung (enforcement) wird mit der Anwendung der Sanktion („applica-
161 hältnisse aus zwei Elementen, zum einen aus facts, zum anderen aus der Vorhersage, dass aufgrund dieser facts die Gesellschaft und ihre Vertreter (physische) Handlungen vornehmen und eine Sanktion verhängen, s. Corbin, 29 Yale L.J. 163, 164 (1919): „Whenever any such operative facts exist the persons who will be affected by the stated consequences are said to have a legal relation each to the other. When we state that some particular legal relation exists we are impliedly asserting the existence of certain facts, and we are expressing our present mental concept of the societal consequences that will normally follow in the future. A statement that a legal relation exists between A and B is a prediction as to what society, acting through its courts or executive agents, will do or not do for one and against the other“; s. dazu unten noch näher S. 289 ff. 161 Corbin, 5 Illinois L.Q. 50, 51 (1922) („A legal relation is not a thing; nor does it have “content,“ […]“); ähnlich Clark, 5 Illinois L.Q. 26, 29 (1922). Hier ist allerdings noch etwas weiter zu differenzieren. Tatsächlich scheint nämlich Corbin den Rechtsverhältnissen und dem Recht doch eine eigenständige Existenz zuzuordnen, zum einen sollen sie nämlich facts („The existence of any legal relation is a fact“), zum anderen mental/intellectual concepts sein (vgl. hierzu und zum Folgenden Corbin, 29 Yale L.J. 163 s. [1919]: „A clear distinction should always be observed between the physical phenomena and the legal relations consequent thereon. The former are in the world of the senses, the latter are intellectual concepts“). Allerdings versteht er diese nicht eigenständig, sondern wiederum auf die Gesellschaft und ihre Handlungen bezogen. Legal Relations setzen sich nämlich aus zwei Elementen zusammen: Zum einen aus den operative facts – das sind diejenigen Tatsachen, die für das Bestehen einer legal relation kausal (causal) sind, d.h. von deren Bestehen die legal relation abhängt. Zum anderen aus einer Vorhersage (prediction), dass bei Vorliegen dieser Tatsachen die Vertreter der Gesellschaft eine Handlung vornehmen. Diese prediction ordnet Corbin als mental concept ein; d.h. nicht die legal relation selbst (was ja einer Konzeption als ens rationis geähnelt hätte), sondern nur die an bestimmte Tatsachen geknüpfte Vorhersage, dass die Vertreter der Gesellschaft eine (physische) Handlung vornehmen werden. 162 Corbin, 33 Yale L.J. 501, 502 (1923–1924); ders., 29 Yale L.J. 163, 167 (1919). 163 Corbin, 29 Yale L.J. 163, 165 (1919) („societal penalty assessed for the benefit of the other“), ferner p. 167 („It is the legal relation of A to B when society commands action or forebearance by B and will at the instance of A in some manner penalize disobedience“). 164 Corbin, 33 Yale L.J. 501, 502, 510 (1923–1924). Diese Ausrichtung auf „Befehl“ und „Sanktion“ weist freilich Ähnlichkeiten zu Thons Imperativentheorie und dem damit verbundenen „Sanktionsmodell“ der Haftung auf (vgl. generell dazu auch Jansen, Haftungsrecht, S. 42 Fn. 3/4, 464 ff. insoweit zu Thon und Austin); in den USA ist Hintergrund hierfür die Analytical Jurisprudence von Bentham und Austin; s. näher Reimann, Historische Schule und Common Law, S. 55, 131 ff. 165 Corbin, 33 Yale L.J. 501, 514 s. (1923–1924).
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tion of the sanction – the penalty – by societal agents“) identifiziert.166 Innerhalb der Sanktionen ist keine Unterscheidung zwischen „pönal“ und „kompensatorisch“ angezeigt, da beide Sanktionen demselben Zweck, nämlich der Prävention (future prevention) dienen.167 Tatsächlich zeigen sich in dieser Ausprägung des Legal Realism zwei Gesichtspunkte, die ihn unmittelbar in die ideengeschichtliche Kritiklinie einordnen168: zum einen die Betonung der gesellschaftlichen Interessen für das Recht und die Ablehnung einer logisch geordneten Ordnung subjektiver Privatrechte; zum anderen die Ablehnung eines eigenständigen rechtlichen Seinsbereichs und die Einordnung des Rechts als etwas Physisches169, d.h. die Negation einer eigenständigen Form des Rechts sowie der Rechtskausalität. Beide Gesichtspunkte weisen ebenso wie die Betonung der verhaltenssteuernden Wirkung von Recht Ähnlichkeiten zu Jhering auf.170 Tatsächlich sind sie in ihren Grundzügen bereits bei Ockham anzutreffen.171 Während die Betonung der gesellschaftlichen Interessen für die Gestaltung des Rechts und die Ablehnung einer rational geordneten Rechtsordnung Spuren des Voluntarismus aufweist, ist die Negation einer eigenständigen Form des Rechts nichts anderes als eine Variante der Kritik an der Lehre vom moralischen Sein. Sie geht mit ihrer „Reduzierung der Seinsbereiche“ davon aus, dass es keinen eigenständigen moralischen Seinsbereich gibt.172 Auch in der Aufspaltung des Rechtsbegriffs 166
Corbin, 33 Yale L.J. 501, 516 (1923–1924). Corbin, 33 Yale L.J. 501, 517 s., fn. 19 (1923–1924). 168 S. dazu oben S. 219 ff., 241 f. 169 Vgl. insoweit auch Fezer, Teilhabe und Verantwortung, S. 314 (zum schwedischen Rechtsrealismus: „Untersuchungsgegenstand der Rechtsrealisten ist die Wirklichkeit, und zwar diese ausschließlich. Die Erfahrung des Menschen in Raum und Zeit werde bestimmt von der Welt der Tatsachen, neben der eine Welt der geistigen Dinge nicht existiere“); ferner S. 388 ff. zur rechtsrealistischen Kritik am subjektiven Recht. 170 Dazu oben S. 224 ff., 231 ff.; ferner zur Beeinflussung des Legal Realism durch Jhering oben S. 274 f. Fn. 150. Auch Jhering versteht die Kausalität physisch. Bei Jhering betrifft diese (psychologische) Kausalität aber den Zusammenhang zwischen Gesetz und Verhalten der Menschen. Durch Sanktionen („Hebel der socialen Bewegung“) werden die Menschen zu einem bestimmten Verhalten motiviert, es geht also beim Gesetz um Verhaltenssteuerung. Die Kausalität bei Corbin setzt demgegenüber nicht beim Gesetz, sondern bei den Rechtsverhältnissen und subjektiven Rechten an. Diese sind Wirkung von facts, aber sie selbst bestehen wiederum nur in den erwarteten physischen Handlungen der Gesellschaft und der Gerichte. 171 S. dazu oben S. 219 ff. 172 S. dazu oben S. 219 ff. sowie zu Ockham Kobusch, Die Entdeckung der Person, S. 56, 178. Hinsichtlich der grundsätzlichen Kritik an der „Form des Rechtlichen“ ist die Kritik tatsächlich sogar Ockham und Gabriel Vázquez näher. Sie setzt nämlich nicht wie bei Thomasius und Jhering an der (Willens-)Freiheit an, sondern letztlich erkenntniskritisch am Gegenstand dessen, was als „Recht“ eingeordnet wird. Dabei lassen sich nun zwei Aussagen treffen: sowohl bei Ockham/Gabriel Vázquez als auch bei Corbin gibt es nur noch einen Seinsbereich, auch das Moralische/Rechtliche fällt in diesen Seinsbereich. Ebenso ist das Moralische/Rechtliche jeweils nur eine Gedankenrelation (s. nämlich Corbin, 29 Yale L.J. 163, 167
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4. Kapitel: Die Rechtsentwicklung in den USA
in positives erzwingbares Recht und nicht erzwingbares Naturrecht bei Ockham zeigen sich Ähnlichkeiten zur realistischen Auffassung.173 ee) Der Legal Realism, seine Auswirkungen und die Prozessreform Der Legal Realism hat das US-amerikanische Rechtssystem sowie die Rechtswissenschaft („we are all realists now“)174 transformiert, und so eine dogmatisch orientierte, systematische Rechtswissenschaft verdrängt.175 Im Kontext des American Legal Realism und seiner Kritik am herkömmlichen Rechtsverständnis sind ferner zahlreiche, vor allem prozessuale Veränderungen176 zu sehen, die das traditionelle, auf Durchsetzung subjektiver Privatrechte zielende Prozessverständnis im Laufe des 20. Jahrhunderts abgelöst haben.177 In Zusammenhang mit dem Legal Realism steht so auch eine rechtliche Reformbewegung (progressive reform of law; procedural reform movement)178 in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts, die den Zugang zu Gericht und die
164173[1919]: „A clear distinction should always be observed between the physical phenomena and the legal relations consequent thereon. The former are in the world of the senses, the latter are intellectual concepts“). Allerdings ist der Bezugspunkt der Gedankenrelation unterschiedlich. Bei beiden geht es zwar um das Moralische/Rechtliche von Handlungen/operative facts; bei Gabriel Vázquez ist der Bezugspunkt der Gedankenrelation auf Freiheit/freie Willenshandlungen gerichtet, von denen das Moralische abhängt (s. dazu oben S. 220 Fn. 12), bei Corbin dagegen auf physischen Zwang, nämlich die Handlungen der „Vertreter der Gesellschaft“, die Folgen der operative facts sind. In Letzterem zeigt sich sodann aber die Nähe zur Kritik bei Thomasius und Jhering, die an der (Willens-)Freiheit ansetzt: Nicht Freiheit ist der Bezugspunkt des Rechtlichen, sondern der (faktische) Zwang der Gesellschaft. 173 S. dazu oben S. 221. 174 Vgl. zu diesem Ausspruch als Charakterisierung der Rechtswissenschaft Green, 46 William & Mary L. Rev. 1915, 1917 (2005) (kritisch zumindest im Hinblick auf die Rechtsphilosophie); Hull, 1989 Duke L.J. 1302, 1303 (1989); s. ferner kritisch dazu Duxbury, 12 Legal Studies 137, 138 ss. (1992). 175 Gilmore, 70 Yale L.J. 1037, 1039 (1961); vgl. auch Schlegel, 29 Buffalo L. Rev. 195 ss. (1980) („destruction of the 19th Century legal universe“); Savarese, 3 Houston L. Rev. 180, 199 (1965) (Einfluss vor allem auf legal education, research); ferner auch Reimann, Historische Rechtsschule und Common Law, S. 280, 288; Jansen/Reimann, ZEuP 2018, 89, 128; Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, S. 352, 353 f. (der als Ergebnis dieses Transformationsprozesses die Dekonstruktion der Unterscheidung von Privatrecht und öffentlichem Recht ansieht; Privatrecht als „government regulation“). 176 Dass gerade die Prozessreform Anliegen des Realism war, ergibt sich durch die Ablehnung des conceptualism und dessen materiell-rechtlichen Systemdenkens sowie der Betonung des Prozesses für die Entscheidungsfindung, vgl. D. Marcus, 44 Georgia L. Rev. 433, 461 ss., 465 ss., 469 s., 484 ss. (2010); s. ferner Subrin, 135 U. Pennsylvania L. Rev. 909, 946 (1987) zur Fokussierung auf das Prozessrecht bei Pound. 177 Vgl. Chayes, 89 Harvard L. Rev. 1281, 1285 ss., 1288 ss. (1976); s. dazu im Einzelnen unten S. 283 ff. 178 Zur progressive era als politischer „Sozialreformbewegung“ zu Beginn des 20. Jhd. s.a. Reimann, Historische Schule und Common Law, S. 198, 254 f., 269.
I. Formalism und Realism
281
gerichtliche Durchsetzung von Rechten vereinfachen wollte179 und zu tiefgreifenden Reformen insbesondere des Prozessrechts (FRCP 1938180) führte (Roscoe Pound181, Charles E. Clark182).183
179
S. Carrington, 60 Duke L.J. 597, 603 s. (2010). Dazu Bone, 61 Oklahoma L. Rev. 319, 322 ss. (2008); Carrington, 46 U. Michigan J.L. Reform 537, 538 (2013); s.a. Aragaki, 89 N.Y.U. L. Rev. 1939, 1963 ss. (2014) zur procedural law reform. 181 Zu Pounds Einfluss auf die Prozessrechtsreformbewegung s. Carrington, 46 U. Michigan J.L. Reform 537, 538 (2013); Weinstein, 54 Brooklyn L. Rev. 1, 4, 6 s. (1988); Subrin, 135 U. Pennsylvania L. Rev. 909, 944 ss. (1987). Zu Pound und seinem Verhältnis zum Legal Realism Hull, 1989 Duke L.J. 1302, 1306 ss. (1989); ferner Reimann, Historische Rechtsschule und Common Law, S. 255, der Pound einerseits ähnlich wie Holmes als Übergangs- und Grenzfigur zwischen der Classical Legal Science und den modernen Ansätzen einordnet, andererseits aber Pound doch stärker bereits der Progressive Era (insbesondere der Sociological Jurisprudence) zurechnet; zu Pound im Verhältnis zu Jhering Jansen/Reimann, ZEuP 2018, 89, 122 ff.; s. schließlich Herget/Wallace, 73 Virginia L. Rev. 399, 422 ss. (1987), die Pound als maßgeblichen Vertreter der Freirechtsbewegung in den USA ansehen; ferner p. 432 ss. zu Pounds Verhältnis zum Legal Realism. 182 Zu Clark s. etwa Carrington, 60 Duke L.J. 597, 604 s. (2010); D. Marcus, 44 Georgia L. Rev. 433, 450 ss. (2010); Weinstein, 54 Brooklyn L. Rev. 1, 18 (1988); Subrin, 135 U. Pennsylvania L. Rev. 909, 961 ss. (1987); Resnik, 53 U. Chicago L. Rev. 494, 503 (1986); Bone, 89 Columbia L. Rev. 1, 80 ss., 93 ss. (1989) (auch zum Verhältnis zu Pound). Zur Zugehörigkeit Clarks zu den Legal Realists vgl. Llewellyn, 44 Harvard L. Rev. 1222, 1257 (1931); s. Savarese, 3 Houston L. Rev. 180, 187 (1965). 183 Zur procedural reform movement Bone, 89 Columbia L. Rev. 1, 78 ss. (1989). Zum Zusammenhang von Prozessreform und Legal Realism, insbesondere zum Einfluss des Legal Realism auf die FRCP durch Clark D. Marcus, 44 Georgia L. Rev. 433, 439 ss., 493 ss. (2010); Dodson, New Pleading in the Twenty-First Century, p. 15 ss.; s. aber Hull, 1989 Duke L.J. 1302 ss. (1989): Im Einzelnen ist umstritten, inwieweit diese Prozessreformbewegung dem Legal Realism oder der mit Pound idenifizierten Sociological Jurisprudence (dazu Hull, aaO 1309 s.; Patterson, 60 Columbia L. Rev. 1124, 1128 s. [1960]) zuzuordnen ist. Auch Pound ist selbst erheblich von Holmes beeinflusst, weshalb er auch teilweise dem Legal Realism zugerechnet wird, und ebenso zeigt die Sociological Jurisprudence mit ihrem Fokus auf die sozialen Interessen und Funktionen des Rechts sowie konkrete einzelne Fälle Ähnlichkeiten zum Legal Realism (s. Savarese, 3 Houston L. Rev. 180, 184, 188 s. [1965]; ferner zum Verhältnis der maßgeblich mit Pound verbundenen Sociological Jurisprudence zum Legal Realism Reimann, Historische Schule und Common Law, S. 258 ff.). Die Zuordnung einzelner Autoren zum Legal Realism ist dabei generell umstritten, wobei dies maßgeblich auf die verschiedenen Positionen innerhalb der Autoren sowie eine fehlende positive Gesamtidee des Legal Realism zurückzuführen ist; insbesondere Llewellyn grenzte sich und andere Autoren von Pound ab und nahm damit eine Selbstbegrenzung vor, weshalb ein wesentlich engeres Bild des Legal Realism entstand. S. dazu Hull, 1989 Duke L.J. 1302, 1303, 1306, 1316 ss. (1989), der auch Pound dem Legal Realism zuordnet und die Aufspaltung des Legal Realism Llewellyn zuschreibt; zur Auseinandersetzung zwischen Pound und Llewellyn s. Pound, 44 Harvard L. Rev. 697 (1931); Llewellyn, 44 Harvard L. Rev. 1222 (1931); dazu auch Herget/ Wallace, 73 Virginia L. Rev. 399, 433 s. (1987). 180
282
4. Kapitel: Die Rechtsentwicklung in den USA
b) Law and Economics Im Laufe des 20. Jahrhunderts treten weitere ideengeschichtliche Veränderungen ein, die im Kontext des Legal Realism stehen. Bereits in der Auseinandersetzung mit dem Legal Realism wurde auf die Bedeutung der Wirtschaftswissenschaften (economics) für das Recht hingewiesen.184 Die Verbindung von Rechts- und Wirtschaftswissenschaft (law and economics) sowie generell der Sozialwissenschaften185 ist Folge und Desiderat des Legal Realism.186 Legal Realism und Law and Economics verbindet der Gedanke, dass Recht keine selbständige wissenschaftliche Disziplin mit eigener Methodik und Maßstabsbildung ist, die aus allgemeinen Prinzipien im Wege der Ableitung zu konkreten Resultaten gelangt.187 Vielmehr soll es durch Verbindung mit den Sozialund Wirtschaftswissenschaften auf die Verwirklichung sozialer Interessen ankommen, wobei dies im Fall des law and economics-Ansatzes auf die Erreichung volkswirtschaftlich effizienter Lösungen gerichtet ist.188 Zentrale Idee der Economic Analysis of Law ist so, dass Rechtsfindung und Rechtsetzung auch die Kosten (costs) miteinbeziehen sollen; die wirtschaftlichen Folgen und die Effizienz rechtlicher Regelung werden ein relevanter Faktor der Gesetzgebung und Rechtsprechung – das Recht wird so an die gesellschaftlichen, d.h. konkret die wirtschaftlichen Interessen rückgekoppelt.189 Auswirkungen des law and economics-Ansatzes lassen sich insbesondere im Bereich des Haftungs- und Deliktsrechts ausmachen.190 Aus diesem Ansatz 184
S. dazu oben S. 270. S.a. Rea-Frauchiger, Der amerikanische Rechtsrealismus, S. 174 ff. 186 S. etwa Herget/Wallace, 73 Virginia L. Rev. 399, 435 (1987). Zur Beeinflussung von law and economics durch den Legal Realism s. Grechenig/Gelter, 31 Hastings International & Comparative L. Rev. 295, 316 ss. (2008); J. Singer, 76 California L. Rev. 465, 513 ss., 515 s. (1988); s. bereits Holmes, 45 Boston U. L. Rev. 24, 39 (1965): „As a step toward that ideal it seems to me that every lawyer ought to seek an understanding of economics. The present divorce between the schools of political economy and law seems to me an evidence of how much progress in philosophical study still remains to be made. In the present state of political economy, indeed, we come again upon history on a larger scale, but there we are called on to consider and weigh the ends of legislation, the means of attaining them, and the cost. We learn that for everything we have we give up something else, and we are taught to set the advantage we gain against the other advantage we lose, and to know what we are doing when we elect.”; vgl. auch Zipursky, 51 Vanderbilt L. Rev. 1, 44 (1998) zum Zusammenhang von Holmes und law and economics im tort law. 187 S. J. Singer, 76 California L. Rev. 465, 515 s. (1988); Grechenig/Gelter, 31 Hastings International & Comparative L. Rev. 295, 318 (2008). 188 S. J. Singer, 76 California L. Rev. 465, 515 s. (1988); Grechenig/Gelter, 31 Hastings International & Comparative L. Rev. 295, 318 s. (2008). 189 Grundlegend sind für diesen Ansatz Coase, 3 J. of Law & Economics 1 ss. (1960); Calabresi, 70 Yale L.J. 499 ss. (1961); Posner, Economic Analysis of Law, p. 3 ss.; dazu auch J. Singer, 76 California L. Rev. 465, 513 ss., 515 s. (1988); F. Kessler, JZ 1988, 109, 114; Jansen/ Reimann, ZEuP 2018, 89, 128; Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, S. 424 ff. 190 S. Calabresi, 70 Yale L.J. 499 ss. (1961); vgl. dazu auch Wagner, Gutachten, 66. DJT, A20 ff. 185
II. Die rechtliche Gegenwart und die Krise des private law enforcement
283
heraus wird die traditionelle verschuldensabhängige deliktische Haftung (fault system), der vorgehalten wird, nicht zu ökonomisch effizienten Ergebnissen zu gelangen, zugunsten anderer Ansätze abgelehnt.191 Ökonomische Auswirkungen rechtlicher Regelungen sollen in der Beurteilung und Gestaltung dieser Regelungen Berücksichtigung finden, die Rechtsetzung richtet sich insoweit auch nach wirtschaftlichen Erwägungen, d.h. dem Vergleich der Kosten und Nutzen entsprechender Regelung; eines der Ziele rechtlicher Regelung ist die Reduktion von Kosten.192
II. Die rechtliche Gegenwart und die Krise des private law enforcement 1. Die Zivil- und Prozessrechtsentwicklung des 20. Jahrhunderts Nur vor diesem ideengeschichtlichen Hintergrund lassen sich auch die zivilund prozessrechtlichen Rechtsentwicklungen in den USA im 20. Jahrhundert verstehen. Allgemein kann man dabei zwei Phasen identifizieren: zunächst eine Phase ab den 1920er Jahren bis Ende der 1960er Jahre. In dieser Phase wurden ein neues Verfahrensrecht sowie vom Individualprozess abweichende Prozessmodelle eingeführt und, vor allem in den 1960er Jahren193, zahlreiche private Klagrechte durch Bundesgesetze (federal law) geschaffen, die auf die Verwirklichung regulatorischer, gesellschaftlicher Ziele gerichtet sind.194 Mit Letzterem geht die Idee des private law enforcement einher, wonach Private als private attorney general im Wege privater Klagen objektives, öffentlichen Interessen dienendes Gesetzesrecht gerichtlich durchsetzen.195 Die Entwick191 Dazu grundlegend Calabresi, The Costs of Accidents, p. 239 ss., 301 ss., 311 ss.; s.a. Goldberg, 125 Harvard L. Rev. 1640, 1647 (2012) zu Calabresis konstruktivem, nach Alternativen suchendem tort-Ansatz als critical skeptic. 192 Vgl. Calabresi, The Costs of Accidents, p. 18 ss., 26 ss. 193 Dazu auch Carrington, 60 Duke L.J. 597, 602 s. (2010), der diese Phase mit der Idee der Great Society von Präsident Johnson identifiziert, die ihrerseits eine Fortsetzung der progressiven Reform sowie des New Deal gewesen sei; s.a. Mullenix, 64 Emory L.J. 399, 401 (2014). 194 S. dazu etwa R. Marcus, 96 N.C. L. Rev. 903, 909 (2018); Miller, 40 Cardozo L. Rev. 57, 92 (2018); Burbank/Farhang, Rights and Retrenchment, p. 4 ss.; s.a. Glover, 53 Wm. & Mary L. Rev. 1137, 1140 s., 1148 s. (2012). S. etwa den Civil Rights Act (1964) und dessen Title VII, ferner den Fair Housing Act (1968), dazu Farhang, The Litigation State, p. 85 ss., 94 ss., 119 ss. Vgl. zum Zusammenhang von Prozessrechtsentwicklung und der Schaffung neuer Klagrechte Weinstein, 59 Brooklyn L. Rev. 827, 828 s. (1993). 195 Dazu umfassend Rubenstein, 57 Vand. L. Rev. 2129, 2130 ss., 2133 s. (2004); Glover, 53 Wm. & Mary L. Rev. 1137, 1140 ss. (2012); vgl. Burbank/Farhang, Rights and Retrenchment, p. 7 ss.; Farhang, The Litigation State, p. 3 ss.; ferner zum private law enforcement in den USA Carrington, Bitburger Gespräche 2003, S. 33 ff.; Reimann, Bitburger Gespräche 2008, S. 105 ff., 110 ff., 141 ff.
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4. Kapitel: Die Rechtsentwicklung in den USA
lungen führten zu einem starken Anstieg von privaten Klagen aufgrund von federal law (civil rights; Umweltschutz; Klagen aufgrund von Diskriminierung im Arbeitsbereich).196 Sodann folgt eine Phase ab den 1980er Jahren bis in die Gegenwart. In diesem Zeitraum wurden die in der vorangegangenen Phase geschaffenen Mechanismen geschwächt und das private law enforcement eingeschränkt, wobei die Rechtsprechung des Supreme Court197 angesichts der institutionellen Hürden für Gesetzesänderungen198 eine maßgebliche Rolle in diesem Prozess einnahm.199 Ideengeschichtlicher Hintergrund dieser mit der Reagan-Ära verbundenen Entwicklung ist der Gedanke der Deregulierung und der Stärkung des Marktes angesichts einer Schwächung der US-amerikanischen Industrie, die mit den infolge der prozessualen Veränderungen gestiegenen Rechtskosten (transactions costs) begründet wird.200 In rechtspraktischer Hinsicht spielen der durch die Reformen bedingte wesentliche Anstieg der vor den Federal Courts erhobenen Klagen („litigation explosion“)201, die Befürchtung einer übermäßigen Regulierung durch private law enforcement (Vergleichsdruck 196
Carrington, 60 Duke L.J. 597, 601 s. (2010) (ferner ein Anstieg von tort und contract law cases); zur „litigation explosion“ s. etwa Burbank/Farhang, Rights and Retrenchment, p. 2; dies., 87 Fordham L. Rev. 37, 39 s. (2018). 197 Zur maßgeblichen Rolle des Supreme Court Burbank/Farhang, Rights and Retrenchment, p. 16, 20 ss., 130 ss., 218 s.; Carrington, 60 Duke L.J. 597, 599 ss. (2010) (kritisch dazu im Hinblick auf die Vorgaben der Prozessrechtsgesetzgebung); ders., 46 U. Michigan J.L. Reform 537 (2013). 198 S. Burbank/Farhang, Rights and Retrenchment, p. 25 ss., 65 ss. mit einer umfassenden Analyse der gescheiterten Versuche, durch Kongressgesetz oder durch Änderung der FRCP das private law enforcement zu begrenzen. 199 Umfassend dazu Burbank/Farhang, Rights and Retrenchment, p. 2 ss. et passim, 16 ss., 25 ss., die insoweit von einer counterrevolution sprechen, in der zwar nicht die zuvor geschaffenen Rechte selbst abgeschafft wurden, wohl aber ihre Durchsetzung wesentlich erschwert wurde (retrenchment) – im Hintergrund dessen soll die politische Auseinandersetzung in den USA zwischen Demokraten und Republikanern stehen. Insoweit folgt auf die Bürgerrechtsbewegung sowie die soziale Politik der 1960er Jahren die auf Liberalisierung und Deregulierung setzende Reagan-Ära in den 1980er Jahren, die die zuvor vollzogenen Rechtsentwicklungen einzuschränken versucht; s.a. Bradt, 87 Fordham L. Rev. 87, 100, 102 (2018); Farhang, The Litigation State, p. 172 ss.; Staszak, No Day in Court, p. 8 ss. 200 Carrington, 60 Duke L.J. 597, 606 ss., 655 s. (2010); ders., 46 U. Michigan J.L. Reform 537, 539 (2013) (z.B. Schutz der Unternehmen vor ausgreifender discovery; ferner im Hinblick auf die erhöhten Anforderungen an das pleading); Weinstein, 54 Brooklyn L. Rev. 1, 25 s. (1988); Miller, 60 Duke L.J. 1, 9 s. (2010); ders., 88 N.Y.U. L. Rev. 286, 303 s. (2013); Burbank/Farhang, 87 Fordham L. Rev. 37, 41 (2018); zur erweiterten Anerkennung von arbitration clauses als Aspekt der Deregulierung s. Glover, 124 Yale L. J. 3052, 3078, 3085 s. (2015); s. ferner zur Kritik an class actions und der litigation explosion in der Reagan-Ära (arg.: Trennung von Recht und Politik, Ablehnung von Gruppenrechten, Individualismus) D. Marcus, 86 Fordham L. Rev. 1785, 1805 ss., 1808, 1810, 1812 ss., 1815 (2018). 201 Vgl. zu diesem Argument in der damaligen Debatte D. Marcus, 86 Fordham L. Rev. 1785, 1805 s. (2018); Miller, 88 N.Y.U. L. Rev. 286, 303 s. (2013); zum zahlenmäßigen Anstieg von Verfahren des private enforcement s. etwa Burbank/Farhang, 87 Fordham L. Rev. 37, 39 s. (2018).
II. Die rechtliche Gegenwart und die Krise des private law enforcement
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trotz fehlender Erfolgsaussichten202; Schaffung neuer Klagrechte203) sowie weitere prozessuale Probleme (Kosten, Dauer etc.) eine wesentliche Rolle für diese prozessuale Umgestaltung. Die zweite Phase ist eine Reaktion auf die – als negativ bewerteten – Folgen der ersten Phase.204 In die erste Phase, die durch den Legal Realism, die progressive Reformbewegung und den New Deal geprägt ist205, fallen der Erlass der Federal Rules of Civil Procedure (FRCP; 1938). Deren vorrangiges Ziel war es, in Bruch zu den Technizitäten, Formalismen und Komplexitäten des früheren Prozessrechts „to secure the just, speedy, and inexpensive determination of every action and proceeding” und damit den Zugang zu Gericht zu erweitern.206 Kernelement dieses Reformprogramms war die erleichterte Möglichkeit der Klageerhebung, die keine hohen Anforderungen an die Tatsachendarlegung stellen sollte (sog. notice pleading als Gegenbegriff zum fact pleading, R. 8 FRCP).207 Ferner führen die FRCP die discovery im Rahmen einer pretrial-Phase ein, durch die
202 S. ursprünglich Handler, 71 Columbia L. Rev. 1, 9, 11 (1971) zum gegen die class action gerichteten Vorwurf des legalized blackmail; dazu auch kritisch Stadler, ZHR 182 (2018), 623, 635 f. 203 Vgl. Miller, 78 Louisiana L. Rev. 739, 754 (2018). 204 Vgl. Carrington, 60 Duke L.J. 597, 601 s. (2010); s.a. Subrin, 135 U. Pennsylvania L. Rev. 909, 911 s. (1987) zur Prozesskritik der 1980er Jahren (u.a. Kosten, Dauer, Klageflut, discovery abuse, fehlende Vorhersehbarkeit und zu großes richterliches Ermessen); Glover, 53 Wm. & Mary L. Rev. 1137, 1160 s., 1189 ss., 1195 ss. (2012) zum Problem des remedial overkill im Hinblick auf das private law enforcement, wobei Glover argumentiert, dass die Reaktion des Supreme Court letztlich dieses Problem nicht angegangen habe, sondern unabhängig von den konkreten Problemen bereits grundsätzlich den Rahmen privater Rechtsdurchsetzung aufgelöst habe; R. Marcus, 65 DePaul L. Rev. 497, 525 (2016) (overenforcement durch class action); ferner generell zur Kritik am private attorney general s. Coffee, 42 Maryland L. Rev. 215, 218 ss. (1983); zur Kritik an der class action Mullenix, 64 Emory L.J. 399, 413 ss. (2014). 205 Zum Einfluss des Legal Realism s. insbesondere D. Marcus, 44 Georgia L. Rev. 433, 437 ss. (2010); vgl. Bone, 61 Oklahoma L. Rev. 319, 322 ss. (2008); Weinstein, 54 Brooklyn L. Rev. 1, 4 ss., 13, 17 (1988); Resnik, 53 U. Chicago L. Rev. 494, 502 ss. (1986) (allerdings eher zurückhaltend hinsichtlich Legal Realism); ferner im Einzelnen unten S. 286 ff., 306 ff. Zugleich spielt die mit Roscoe Pound verbundene Sociological Jurisprudence eine Rolle, wobei die Abgrenzung von Legal Realism und Sociological Jurisprudence – auch Pound wird teilweise dem Legal Realism zugeordnet – verschwommen ist, s. dazu oben bereits S. 280 f. Mit dem New Deal, der ebenfalls gegen den Formalism gerichtet ist (s. Grey, 45 U. Pitt. L. Rev. 1, 39 [1983]), verbindet die FRCP der Verstaatlichungs- und Vereinheitlichsgedanke, der zum Erlass einer einheitlichen Prozessordnung für alle Gerichte führt und dadurch die gerichtliche Durchsetzung der gewachsenen Anzahl staatlicher Gesetze ermöglichen sollte (s. Weinstein, 54 Brooklyn L. Rev. 1, 17 [1988]). 206 Dazu etwa Bone, 61 Oklahoma L. Rev. 319, 323 s. (2008); Carrington, 60 Duke L.J. 597, 603 s. (2010); Miller, 60 Duke L.J. 1, 3 s. (2010); Weinstein, 54 Brooklyn L. Rev. 1, 2 s., 4 s. (1988). 207 Dazu Weinstein, 54 Brooklyn L. Rev. 1, 4 ss. (1988); s.a. D. Marcus, 44 Georgia L. Rev. 433, 472 ss., 488 ss. (2010); hierzu und den Leitgedanken auch Burbank/Farhang, Rights and Retrenchment, p. 69 s.
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4. Kapitel: Die Rechtsentwicklung in den USA
den Parteien unabhängig von staatlichen Stellen die Einholung und Erforschung der relevanten Tatsachen ermöglicht werden sollte.208 Sodann folgte die wesentliche Erweiterung der class action (1966)209; die Etablierung der multidistrict litigation (MDL; 1968)210; die Ausweitung von punitive damages211; die Einführung sog. fee shifting statutes, die in Abweichung von der klassischen American Rule of Costs eine Kostenerstattung zugunsten des obsiegenden Klägers vorsehen212; ferner auch die Etablierung von Instrumenten der alternativen Streitbeilegung (Alternative Dispute Resolution (ADR); Federal Arbitration Act, 1925)213. Wie im folgenden Abschnitt gezeigt wird, wurden diese Instrumente und damit das private law enforcement insgesamt mit Ausnahme der ADR214 in Zugang, Inhalt und Reichweite in der zweiten Phase durch die Rechtsprechung des Supreme Court wesentlich eingeschränkt.215
2. Private law enforcement a) Begriff und Idee des private law enforcement Die Rechtsentwicklung des 20. Jahrhunderts ist erheblich durch das Konzept des private law enforcement geprägt, wobei dessen Entstehung mit den prozessualen Veränderungen der ersten Phase, d.h. insbesondere dem Inkrafttre-
208 S. dazu Carrington, 46 U. Michigan J.L. Reform 537, 538 (2013); ders., 60 Duke L.J. 597, 604 (2010); Burbank/Farhang, Rights and Retrenchment, p. 69; zur Einführung der discovery in die FRCP umfassend Subrin, 39 Boston College L. Rev. 691, 713 ss., 717 ss. (1998). 209 R. Marcus, 65 DePaul L. Rev. 497, 499 s. (2016) zum amendment von FRCP R. 23 im Jahr 1966 als „big bang“ der modernen class action; s.a. Burbank/Farhang, Rights and Retrenchment, p. 72 ss. 210 Hierzu Bradt, 87 Fordham L. Rev. 87, 92 ss. (2018); Miller, 88 N.Y.U. L. Rev. 286, 293 (2013). 211 S. dazu im Einzelnen unten S. 302 ff. 212 Dazu etwa Burbank/Farhang, Rights and Retrenchment, p. 9 ss.; Farhang, The Litigation State, p. 26 s., 61 s. 213 Dazu etwa A. Kessler, 124 Yale L.J. 2940 ss. (2015) sowie unten noch S. 319 ff. 214 S.a. Carrington, 60 Duke L.J. 597, 661 s. (2010), der in der ab den 1980er Jahren forcierten Ausweitung des FAA und der ADR ebenfalls Auswirkungen der gegen private law enforcement gerichteten pro-business-Politik der Reagan-Ära sieht; vgl. ferner Staszak, No Day in Court, p. 12, 41, 58 ss., 67 ss. zu diesem Prozess, wonach zwar ursprünglich auch Progressive arbitration unterstützten, aber gegen Ende des 20. Jhd. die Ausweitung maßgeblich von konservativer Seite betrieben wurde. S. ferner Miller, 60 Duke L.J. 1, 12 s. (2010), der die Ausweitung der arbitration ebenfalls im Kontext der generellen Beschränkung des private enforcement sieht. 215 Vgl. auch Burbank/Farhang, Rights and Retrenchment, p. 20 s., 130 ss.; Carrington, 60 Duke L.J. 597, 645 ss., 658 ss. (2010); Glover, 53 Wm. & Mary L. Rev. 1137, 1141, 1160 ss. (2012).
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ten der FRCP korrespondiert.216 Es gibt zwar keinen konkreten Gesetzgebungsakt, der private law enforcement als generelles Konzept etabliert hätte, wohl aber verschiedene Reformen – insbesondere die bereits beschriebene Prozessrechtsreform und die Schaffung neuer privater Klagrechte in den 1960er Jahren – sowie ideengeschichtliche Entwicklungen, die die Entstehung dieses Konzeptes maßgeblich begünstigt haben.217 Tatsächlich handelt es sich beim private law enforcement um einen Begriff zur Erfassung einer bestimmten Ausgestaltung der (Privat-)Rechtsordnung, die das Ergebnis einer spezifischen Rechtsentwicklung ist und durch verschiedene historisch gewachsene Elemente konstituiert wird.218 216 Vgl. Miller, 60 Duke L.J. 1, 5 s., 76 (2010) zu diesem Zusammenhang von Prozessrecht und private law enforcement, wonach insbesondere in der Nachkriegszeit die federal courts – auch durch das Aufkommen neuer Rechtsgebiete – zunehmend „as an alternative or an adjunct to centralized, or administrative governmental oversight in fields such as competition, capital markets, product safety, and discrimination“ wahrgenommen wurden. Die Schaffung neuer Klagrechte zur Durchsetzung von public policies insbesondere ab den 1960er Jahren korrespondiert mit der Struktur und Idee der FRCP, die das private law enforcement etwa durch den leichten Zugang zu Gericht und die discovery (s. dazu unten noch S. 313 f.) begünstigten. Insofern sind mehrere Elemente der FRCP (insbesondere die discovery, aber auch class action) zentrale Elemente des private law enforcement (s. Carrington, Bitburger Gespräche 2003, S. 33, 35). S. aber auch Carrington, Bitburger Gespräche 2003, S. 33 f. zu den Wurzeln des private law enforcement bereits im 19. Jhd. (s. noch die Fn. 218). 217 S. dazu im Folgenden; s. aber auch Staszak, No Day in Court, p. 176, die insoweit den Civil Rights Act von 1964 nennt; vgl. Morrison, 103 Michigan L. Rev. 589, 599 ss. (2005) und Miller, 60 Duke L.J. 1, 73 fn. 280, 76 (2010), die die qui tam actions (s. dazu oben S. 264 und S. 265) als Vorläufer des private law enforcement deuten; s.a. Resnik, 53 U. Chicago L. Rev. 494, 512 (1986), wonach die FRCP selbst noch gar nicht von private law enforcement-Klagen ausgegangen sind, sondern diese vielmehr paradigmatisch auf Zahlungs- oder Schadensersatzklagen (private damage actions) zielten. 218 Häufig gehen die Beschreibungen des private law enforcement in die Richtung, wonach dieses gleichsam notwendig dem US-amerikanischen Staats- und Gesellschaftsverständnis sowie der Verfassungstradition entspreche, vgl. Carrington, Bitburger Gepräche, 2003, S. 33 f.; Reimann, Bitburger Gespräche 2008, S. 105, 141 ff.; Poelzig, Normdurchsetzung durch Privatrecht, S. 52 f.; s. ferner auch Stürner, Markt und Wettbewerb über alles?, S. 33 ff. Zwar lassen sich Grundzüge des private law enforcement bereichsbezogen bereits im 19. Jahrhundert wiederfinden (s. Carrington, Bitburger Gespräche 2003, S. 33 f.; Reimann, Bitburger Gespräche 2008, S. 105, 112 zum antitrust law und den dortigen privaten Klagen auf treble damages). Allerdings sind wesentliche Instrumente, die das private law enforcement prägen (class action, discovery, punitive damages etc., dazu auch Carrington, Bitburger Gespräche 2003, S. 33, 35) erst im Laufe des 20. Jhd. entstanden. Erst hierdurch erlangte das private law enforcement seinen wesentlichen Anwendungsbereich, der weit über die Wirtschaftsregulierung hinausgeht (zu letzterem Reimann, Bitburger Gespräche 2008, S. 105, 127). Tatsächlich liegt der Entstehung dessen, was heute als private law enforcement bezeichnet wird und die Rechtsordnung insgesamt prägt (s. Reimann, Bitburger Gespräche 2008, S. 105, 127), eine komplexe, teils ideengeschichtlich geprägte, teils kontingente Geschichte zugrunde, die im Folgenden nachvollzogen werden soll. Ein Ausgangspunkt ist die Dekonstruktion des American Legal Formalism durch den Legal Realism Anfang des 20. Jhd. (zu den
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Wie der Begriff selbst nahelegt, geht es beim private law enforcement um die Durchsetzung objektiven Rechts (law), nicht um die Durchsetzung subjektiver Rechte (rights).219 Idee ist, dass private Personen öffentlichen Interessen dienendes objektives Recht im Wege privater Zivilklagen gerichtlich durchsetzen, um dadurch rechtlich missbilligtes Verhalten zu unterbinden.220 Der private Kläger wird so zum private attorney general, wobei dieser am öffentlichen „Staatsanwalt“ orientierte, auf den Legal Realist Jerome Frank zurückgehende Begriff221 eine Verbindung privater und öffentlicher Rechtsdurchsetzung bezeichnet. Es geht um die Erhebung privater Zivilklagen zur Durchsetzung öffentlich-rechtlich gelagerter oder öffentlich-politischen Regulierungszielen
219 Gründen s. zuvor bereits S. 267 ff.) und die damit erfolgende Ablehnung eines eigenständigen materiell-rechtlichen Systems subjektiver Privatrechte (dazu sogleich S. 289 ff.). Dadurch soll nicht gesagt werden, dass das Konzept des private law enforcement notwendige Folge des Legal Realism ist – wohl aber, dass mit dem Legal Realism verschiedene Entwicklungen verbunden sind, die die Entstehung dieses Konzepts maßgeblich begünstigt bzw. ermöglicht haben (s. dazu im Einzelnen die folgenden Abschnitte). So steht hier zunächst die maßgeblich durch Legal Realists gestaltete Prozessreform der FRCP (1938), durch die das Konzept subjektiver Privatrechte sowie einer materiell-rechtlichen cause of action abgelehnt wurde und dadurch der Prozess von seinem instrumentalen Charakter zur Durchsetzung subjektiver Privatrechte grundlegend befreit wurde (s. dazu sogleich S. 291 ff.). Hierdurch wurde ein Prozessrecht geschaffen, das für die Durchsetzung öffentlichen Interessen dienender Normen durch Privatklagen besonders geeignet war (etwa durch die Einführung der discovery sowie die geringen Hürden bei der Einleitung von Verfahren; dazu unten S. 309 ff., 313 f.). Mit der Ausweitung des administrative state im Zuge des New Deals und der Schaffung zahlreicher öffentlich-rechtlicher Normen entstand sodann die Notwendigkeit privater Normdurchsetzung, da sich der New Deal in institutioneller Hinsicht nicht hat durchsetzen können bzw. nicht die Normdurchsetzung gleichermaßen gewährleisten konnte (dazu S. 296 f.). In diesem Kontext entwickelt der Legal Realist Jerome Frank die Figur des private attorney general (dazu S. 296). Dieser gewinnt sodann in den 1960er Jahren wesentliche Bedeutung, als zahlreiche neue Gesetze zur Durchsetzung gesellschaftspolitischer Ziele geschaffen werden, die durch private Klagrechte durchgesetzt werden sollen (dazu S. 297 ff.). In diese Zeit fällt dann schließlich die wesentliche Ausweitung der class action Ende der 1960er Jahre (dazu S. 315 ff.). 219 Vgl. dazu auch Bruns, ZZP 125 (2012), 399, 402, 405 f. („[…] private law enforcement, das auf der Grundidee basiert, der zivilprozessuale Rechtsschutz diene neben der Verwirklichung individueller Rechte insbesondere auch der Verfolgung überindividueller Ziele und damit der Bewehrung der Gesamtrechtsordnung“). 220 S. etwa Glover, 53 Wm. & Mary L. Rev. 1137, 1140 s. (2012); Miller, 60 Duke L.J. 1, 73 s. (2010); Morrison, 103 Michigan L. Rev. 589, 590, 598 (2005); Carrington, Bitburger Gespräche 2003, S. 33 f. 221 Zum Begriff und seiner Herkunft Rubenstein, 57 Vand. L. Rev. 2129, 2133 s. (2004). Erstmals wird er von Judge Jerome Frank, der seinerseits einer der Protagonisten des American Legal Realism ist (s. dazu unten S. 296), verwendet in Assoc. Indus. of New York v. Ickes, 134 F.2d 694, 704 (2d Cir. 1943); s.a. Miller, 60 Duke L.J. 1, 74 fn. 282 (2010); Coffee, 42 Maryland L. Rev. 215 ss. (1983) (allerdings auch mit Hinweis auf bestimmte Vorläufer). Aufgegriffen wird er sodann vom Supreme Court in F.C.C. v. National Broadcasting Co., Inc., 319 U.S. 239, 265 (Justice Douglas, dissenting) (1943) (dazu auch Reimann, Bitburger Gespräche 2008, S. 105, 143).
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dienender Normen (public law, public interests).222 Dabei ist zu berücksichtigen, dass das Konzept des private law enforcement in den USA nicht bereichsbezogen lediglich auf bestimmte Bereiche des Wirtschaftsrechts begrenzt ist, sondern die Gesamtrechtsordnung prägt.223 b) FRCP und subjektive Privatrechte aa) Corbins Begriff von right und legal relation Ideengeschichtlich stehen im Hintergrund dieser Entwicklung über die Prozessrechtsreform Einflüsse des Legal Realism.224 Korrespondierend mit der Kritik des Legal Realism an der Figur des subjektiven Rechts und einem auf subjektiven Rechten aufbauendem materiell-rechtlichem System225 findet sich auch im Prozessrecht eine realistische Kritik am System der Klagrechte (cause of action)226 sowie ein verändertes Verständnis des Prozesszwecks. Ausgangspunkt ist auch hier die Kritik am Konzeptionalismus des 19. Jahrhunderts.227 Dem prozessualen rights-remedy-Ansatz, dessen Konzeption auf einem vorgelagerten System materiell-rechtlicher subjektiver Rechte und deren prozes-
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Umfassend zum private attorney general Rubenstein, 57 Vand. L. Rev. 2129, 2130 ss. (2004), ferner p. 2142 ss. zu den verschiedenen Typen des private attorney general. Der private attorney general ist insofern eine übergreifende Bezeichnung für ein Konzept, das empirisch verschiedene Erscheinungsformen umfasst, in denen öffentliche oder private Aspekte mehr oder weniger stark ausgebildet sind; s.a. Morrison, 103 Michigan L. Rev. 589, 590 (2005) (mit dem Zusatz, dass der Kläger nicht direkt im ausschließlich eigenen Interesse handelt); R. Marcus, 96 N.C. L. Rev. 903, 908 (2018); Silverstein, Law’s Allure, p. 135 ss.; Reimann, Bitburger Gespräche 2008, S. 105, 143. 223 S. Reimann, Bitburger Gespräche 2008, S. 105, 127, ferner S. 110 ff.; s.a. Carrington, Bitburger Gespräche 2003, S. 33, 34 zu den wesentlichen Anwendungsbereichen (Verbraucherschutzrecht, Produkthaftung, Kapitalmarktrecht, Kartellrecht, Bürgerrechte, Umweltrecht; ferner auch Schadensersatzklagen zur Durchsetzung von Sorgfaltsstandards). 224 Es soll damit keineswegs gesagt werden, dass das vielschichtige Konzept des private law enforcement unmittelbare, notwendige oder alleinige Folge des Legal Realism wäre. Wohl aber entwickelt sich das private law enforcement vor dem Hintergrund einer (Privat-)Rechtsordnung, in der es nicht um die Durchsetzung eines eigenständigen materiellrechtlichen Systems subjektiver Privatrechte, sondern um andere Konzepte wie pragmatische Konfliktlösung, Prävention und Verhaltenssteuerung geht. Das private law enforcement konstituiert sich zugleich über verschiedene Elemente wie class action, punitive damages, discovery (s. Carrington, Bitburger Gespräche 2003, S. 33, 35), die unmittelbare oder mittelbare Folge der Prozessrechtsreform der FRCP waren. S. zum ideengeschichtlichen, insbesondere realistischen Hintergrund der Prozessreformen, die zu den FRCP führten, D. Marcus, 44 Georgia L. Rev. 433, 437 ss. (2010); Bone, 89 Columbia L. Rev. 1, 78 ss. (1989); Dodson, New Pleading in the Twenty-First Century, p. 15 ss. 225 S. dazu oben S. 267 ff., 275 ff. 226 S. dazu sogleich die Kritik bei Clark S. 291 ff. 227 Vgl. umfassend Bone, 89 Columbia L. Rev. 1, 78 ss. (1989).
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sualer Durchsetzung auf Grundlage der causes of actions beruht228, tritt die realistische Kritik entgegen.229 228 S. dazu oben S. 185 ff., 191 ff., 216 (zur Pandektistik) und S. 257 ff. (zur amerikanischen Rechtswissenschaft des 19. Jhd.) sowie vor allem Pomeroy, Remedies and Remedial Rights, §§ 1 ss., p. 1 ss.; §§ 452 ss., p. 486 ss. 229 Dazu Bone, 89 Columbia L. Rev. 1, 80 ss. (1989); s. vor allem die Kritik bei Clark, 33 Yale L.J. 817, 819 ss., 827 ss. (1923–1924). Tatsächlich erscheint hier eine mehrstufige Auseinandersetzung, deren Eckpunkte einerseits von Pomeroy als Vertreter des Konzeptionalismus (dazu oben S. 259 f.) und andererseits von Clark als Legal Realist bestimmt werden, wobei Clark prägend zu den FRCP beigetragen hat (s. dazu gleich S. 291 ff.). Clark bezieht sich inhaltlich wiederum vor allem auf Hohfeld (Clark, 5 Illinois L.Q. 26 [1922]; zu Hohfelds Relevanz in dieser Debatte s. Bone, 89 Columbia L. Rev. 1, 82, 84 [1989]) sowie Corbin (Clark, 5 Illinois L.Q. 26, 27 fn. 3 [1922]; ders., 33 Yale L.J. 817, 824 fn. 41, 827 s. [1923– 1924]), wobei Corbins Ansatz selbst in gewisser Weise auf Hohfeld beruht (s. die Bezugnahme auf Hohfeld Corbin, 29 Yale L.J. 163 ss. [1919]; ders., 30 Yale L.J. 226 ss. [1921]; ders., 5 Ill. L.Q. 50, 51 s. [1922–1923]; dazu auch oben bereits S. 276 f. Fn. 159). Hohfelds rechtstheoretische Ausführungen zu den Fundamental Legal Conceptions haben in den vergangenen Jahren große Aufmerksamkeit in der rechtswissenschaftlichen Diskussion in Deutschland erhalten (Auer, Der privatrechtliche Diskurs, S. 56 ff.; Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, S. 339 ff.). Dabei werden sie vor allem im Hinblick auf die „Dekonstruktion“ subjektiver Rechte herangezogen. Entscheidend soll der Gedanke sein, dass sich aus bloßer Freiheit (liberty) nicht auf ein Recht sowie eine Pflicht schließen lasse, vielmehr die Freiheit als privilege einzuordnen sei (s. Hohfeld, 23 Yale L.J. 16, 36 ss. [1913]; s. Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, S. 339: „Fehlschluss von der Freiheit auf das Recht“). Unmittelbare wirkungsgeschichtliche Bedeutung scheint Hohfeld demgegenüber über die im Folgenden zu zeigende Entwicklung bei den Legal Realists Corbin und Clark zuzukommen, die Hohfelds Ansatz aufgreifen und rezipieren, zugleich aber wesentlich im Sinne des Realism fortentwickeln (s. dazu bereits oben S. 276 f. Fn. 159). Hohfelds These zielt im Ausgangspunkt auf eine begriffliche Klärung und schärfere Differenzierung von zentralen Begriffen und Konzepten des Conceptualism, die Unklarheiten und Unschärfen aufzuweisen scheinen (Hohfeld, 23 Yale L.J. 16 ss. [1913]). Erstens geht es Hohfeld um eine Differenzierung von legal und nonlegal conceptions (aaO, p. 20 ss.). Zweitens unterscheidet er die operative facts im Sinne der relevanten Tatbestandsmerkmale, die für das Bestehen von Rechtsverhältnissen relevant bzw. kausal sind, von den evidentiary facts, von denen sich auf die operative facts schließen lässt (d.h. es geht um Indizienbeweise; aaO, p. 25 ss.). Schließlich geht es um das Verhältnis der zentralen rechtlichen Kategorien right – duty, privilege – no-right, power – liability, immunity – disability (aaO, p. 28 ss., 30 ss.; ferner ders., 26 Yale L.J. 710 ss. [1917]). Er unterscheidet dabei zwischen correlatives und opposites. Right und duty sind correlatives, opposite von right ist no-right. Corbin und Clark berufen sich ausdrücklich auf Hohfelds Fundamental Legal Conceptions und greifen begrifflich auf diese Kategorien zurück; Relevanz gewinnen ferner die Unterscheidung von legal und non-legal conceptions sowie die Konzeption der operative facts als Gründe bzw. Ursachen von legal relations (dazu Clark, 33 Yale L.J. 817, 827 s. [1923– 1924]; zu Corbin s. oben bereits S. 276 f. Fn. 159). Allerdings scheint ein für Corbin und Clark wesentlicher Aspekt gerade darin zu liegen, dass sie diese Fundamental Legal Conceptions auf eine spezifisch realistische Weise – und damit auf eine Weise, die bei Hohfeld selbst nicht unmittelbar ausgeführt ist – verstehen (s. ansatzweise Clark, 5 Illinois L.Q. 26, 28 [1922], der darauf hinweist, dass Hohfelds Ansatz selbst zwar analytisch sei, aber insoweit Raum für „social“ und „public policy“ lasse). Gerade Hohfelds Unterscheidung von legal und non-legal conceptions sowie die Konzeption der operative facts wird zwar von Corbin aufgegriffen, allerdings geht er insoweit über Hohfeld hinaus, als er einen spezifisch realistischen Begriff von legal relation und right zugrundelegt (s. dazu oben S. 275 ff.).
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Wie gezeigt230, sieht Corbin das subjektive Recht (right) als Vorhersage an, nach der die Gesellschaft (society) bzw. der Staat aufgrund bestimmter Tatsachen eine Handlung vornehmen wird, die zugunsten einer Person und zu Lasten der anderen wirkt.231 Das subjektive Recht wird hier mit einer Aussage über die Vornahme einer Handlung der Gesellschaft identifiziert. Die Person, zu deren Gunsten das Gericht eine Handlung vornimmt, hat ein „Recht“; die Person, zu deren Lasten das Gericht die Handlung vornimmt, hat eine „Pflicht“ (duty).232 Rechtsverhältnis (legal relation) ist daher nichts anderes als Tatsachen (facts) der Vergangenheit, die im Prozess behauptet werden, damit die Vertreter der Gesellschaft (societal agents) im Hinblick auf andere Personen eine Sanktion verhängen oder eine sonstige Handlung vornehmen.233 Folge eines solchen Rechtsverständnisses, welches das subjektive Recht mit den durch das Gericht zu verhängenden Sanktionen identifiziert, ist die Infragestellung der strikten Trennung von materiellem Recht und Prozessrecht sowie die Ablehnung eines vorgelagerten Systems materiell-rechtlicher subjektiver Privatrechte, deren Durchsetzung der Prozess dient.234 bb) Clarks cause of action Anknüpfend an diese Neubestimmung des subjektiven Rechts bei Corbin235 identifiziert Clark den Klagegrund (cause of action) als „Aggregat operativer Fakten“ (aggregate of operative facts), die den Grund gerichtlicher Handlungen (ground of judicial action) bilden – die cause of action ist entgegen der tra230
S. dazu oben S. 277 f. Corbin, 33 Yale L.J. 501, 502, 503, 507 (1923–1924) (p. 502: „[…] a jural right is a relation existing between two persons when society commands that the second of these two shall conduct himself in a certain way (to act or to forbear) for the benefit of the first. A “right“ exists when its possessor has the aid of some organized governmental society in controlling the conduct of another person. The first is said to have a “right“ against the second and the latter a “duty“ to the first“); ders., 30 Yale L.J. 226 (1921) („In determining what is the law in any given case, we are invariably interested in finding the answer to one question: what will our organized society, acting through its appointed agents, do?“); dazu Bone, 89 Columbia L. Rev. 1, 84 (1989). 232 Corbin, 33 Yale L.J. 501, 502, 503 (1923–1924); s. Bone, 89 Columbia L. Rev. 1, 84 (1989). 233 S. Corbin, 5 Illinois L.Q. 50 (1922). Folge eines solchen Rechtsverständnisses, welches das subjektive Recht mit den durch das Gericht zu verhängenden Sanktionen identifiziert, ist die Infragestellung der Trennung von materiellem Recht und Prozessrecht; das Recht (right) wird hier mit dem Ergebnis des Prozesses identifiziert, dem materiellen Recht kommt keine eigenständige Bedeutung mehr zu; s. Corbin, 33 Yale L.J. 501, 518 fn. 22 (1923–1924); vgl. (zu Clark) Bone, 89 Columbia L. Rev. 1, 88 s. (1989). 234 Vgl. dazu, auf Clark und Pound bezogen, Bone, 89 Columbia L. Rev. 1, 88, 97 s. (1989). 235 Zur Bezugnahme bei Clark auf Corbin und Hohfeld s. Clark, 5 Illinois L.Q. 26 s. (1922); ders., 33 Yale L.J. 817, 824 fn. 41, 827 s. (1923–1924); zur Beeinflussung durch Corbin und Hohfeld auch Bone, 89 Columbia L. Rev. 1, 84 s. (1989). 231
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ditionellen Auffassung236 kein abstrakter materiell-rechtlicher Tatbestand im Sinne eines subjektiven materiellen Rechts (legal, primary, substantive right), sondern facts.237 Die operativen Fakten sind diejenigen Tatsachen238, die für die Vornahme der gerichtlichen Handlung, d.h. die Verhängung der Sanktion der Gesellschaft kausal (causal239) sind.240 Folge des Bestehens der operativen Fak236 Zu Pomeroy, gegen den sich Clark unmittelbar wendet (Clark, 33 Yale L.J. 817, 826 [1923–1924]), s. oben S. 259 f. sowie Pomeroy, Remedies and Remedial Rights, § 453, p. 487 s.: „the primary right and duty and the delict or wrong combined constitute the cause of action in the legal sense of the term“. Die Klage (complaint, pleading) muss dementsprechend die Tatsachen (facts) enthalten, die diesen materiellen Anspruchsgrund begründen: „The cause of action, as it appears in the complaint when properly pleaded, will therefore always be the facts from which the plaintiff’s primary right and the defendant’s corresponding primary duty have arisen, together with the facts which constitute the defendant’s delict or wrong“; zu diesen „facts constituting the cause of action“ auch näher § 524, p. 559 s. Konkret ist also die Darlegung der Tatsachen erforderlich, die das primary right sowie den wrongful act begründen. Welche Tatsachen dargelegt werden müssen, richtet sich entsprechend nach dem materiellen Recht; s.a. Code of Civil Procedure (New York, 1850) § 639 („A statement of the facts constituting the cause of action“); ferner wendet sich Clark gegen Gavit, s. Gavit, 82 U. Pennsylvania L. Rev. 129, 130, 133 ss. (1933), der unter cause of action das substantive right versteht (p. 138 fn. 43). 237 Clark, 33 Yale L.J. 817, 819, 823 s., 826 s., 827 s., 831, 837 (1923–1924); ders., 82 U. Pennsylvania L. Rev. 354 s., 356 ss. (1934); dazu Bone, 89 Columbia L. Rev. 1, 82 ss., 85 (1989). Tatsächlich ist der Gedankenverlauf von Clarks Kritik komplex. Die Kritik richtet sich direkt gegen Pomeroys materiell-rechtliches Verständnis der cause of action. Danach setzt die cause of action ein primary right sowie eine Verletzung des primary right (wrong) voraus (s. dazu oben S. 259 f. sowie die Fn. 236 zuvor). Dagegen ist nach Clark die cause of action nichts Materiell-Rechtliches, sondern ausschließlich Tatsachen (facts). Es stellt sich die Frage, wofür die cause of action überhaupt relevant ist. Als technischer Begriff tauchte er in den Prozesskodifikationen des 19. Jhd. vor allem bei der Klageerhebung (pleading; in diesem Kontext auch die Erörterung bei Pomeroy, Remedies and Remedial Rights, §§ 518 ss., p. 554 ss.) sowie beim Steitgegenstand und der Klaghäufung (joinder of causes of action; dazu Pomeroy, Remedies and Remedial Rights, §§ 452 ss., 486 ss.) auf, s. Clark, 33 Yale L.J. 817, 818, 820 s., 831 (1923–1924), ferner p. 822, 823 ss. zu weiteren Anwendungsfeldern. Um diese Fragen geht es vordergründig auch bei Clark. Daneben zeigt sich aber die eigentliche Bedeutung der cause of action im Hinblick auf Aufgabe, Gegenstand und Ziel des Prozesses sowie als Konnex zwischen materiellem und Prozessrecht, d.h. dass die materielle cause of action Grundlage der Klagrechte und Rechtsbehelfe ist und der Prozess damit der Durchsetzung subjektiver Privatrechte dient (s. dazu oben S. 259 ff.). Genau hiergegen zielt die Kritik bei Clark. 238 Clark, 82 U. Pennsylvania L. Rev. 354, 361 (1934) („actual acts or events which have happened“). 239 S. Corbin, 29 Yale L.J. 163, 164 (1919): „Operative Fact: Any fact the existence or occurrence of which will cause new legal relations between persons. A clear distinction should always be observed between the physical phenomena and the legal relations consequent thereon. The former are in the world of the senses, the latter are intellectual concepts. Operative facts have also been described as “investitive,““constitutive,“ “causal,“ and “dispositive“; dazu bereits Hohfeld, 23 Yale L.J. 16, 25 (1913). 240 S. Clark, 33 Yale L.J. 817, 827 s. (1923–1924) (p. 828: „The cause of action is the group of operative facts giving cause or ground for judicial interference“; „an aggregate of operative facts, a series of acts or events, which gives rise to one or more legal relations of right-duty
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ten ist das Rechtsverhältnis (legal relation), welches darin besteht, dass die Vertreter der Gesellschaft aufgrund dieser „operativen Fakten“ eine Sanktion verhängen bzw. eine Handlung vornehmen.241 Gegenstand des Prozesses ist die Bestimmung der „operativen Fakten“ und die Durchsetzung objektiven Rechts (the enforcing of rules of substantial law) auf eine effiziente, ökonomische Weise.242 Indem Clark den Begriff der cause of action vom materiellen subjektiven Recht löst, wird die cause of action weitgehend entmaterialisiert und auf diese Weise als eigenständige Kategorie obsolet.243 Dementsprechend kommt den Begriffen subjektiver Rechte (primary rights) sowie der cause of action in den von Clark maßgeblich beeinflussten FRCP auch keine Bedeutung mehr zu; vielmehr wird deren Verwendung aufgrund bewusster Abweichung von den vorherigen Regelungen vermieden.244 cc) Die Desintegration von subjektiven Privatrechten und Prozess Nicht – wie nach traditioneller Auffassung245 – die Durchsetzung subjektiver Privatrechte, die aus einem vorgelagerten materiell-rechtlichen System resultieren246 und denen ein bestimmter Inhalt zugewiesen wird, sondern eine auf substantive law beruhende247 Entscheidung im Einzelfall unter Berücksichti241 enforceable in the courts“); ders., 35 Yale L.J. 259, 289 (1926); ders., 82 U. Pennsylvania L. Rev. 354, 356, 360, 361 (1934) (p. 356: „cause, i.e., the ground of judicial action“); zum Begriff der operative facts beruft sich Clark explizit auf Hohfeld und Corbin, s. Hohfeld, 23 Yale L.J. 16, 25 (1913–1914); Corbin, 33 Yale L.J. 501, 511 (1923–1924); s.a. Bone, 89 Columbia L. Rev. 1, 84 s. (1989). 241 Corbin, 33 Yale L.J. 501, 515 (1923–1924); vgl. Clark, 5 Illinois L.Q. 26, 34 (1922); ders., 33 Yale L.J. 817, 824, 827 s. (1923–1924) – gerade dieses Argument (Unterscheidung von operative facts als Grund – legal relation als Folge) gegen die traditionelle Auffassung, die seiner Meinung nach law und fact vermischen sowie einen unklaren Begriff des primary right verwenden würde (s. aaO, p. 826; ferner p. 831: „seemingly precise but really meaningless legal phrases“). 242 Clark, 33 Yale L.J. 817, 820, 828 (1923–1924); s.a. Bone, 89 Columbia L. Rev. 1, 89, 96, 98 (1989). 243 Vgl. D. Marcus, 44 Georgia L. Rev. 433, 488 ss., 496 (2010). 244 S. D. Marcus, 44 Georgia L. Rev. 433, 496 (2010); Subrin, 135 U. Pennsylvania L. Rev. 909, 976 (1987); Holtzoff, 30 N.Y.U. L. Rev. 1057, 1065 s. (1955): An die Stelle des „klassischen“ Code-Begriffs „facts constituting a cause of action“ trat aufgrund bewusster Diskussion „a short and plain statement of the claim showing that the pleader is entitled to relief“ (R. 8(a)(2) FRCP); vgl. auch Clark, 82 U. Pennsylvania L. Rev. 354, 357 (1934) („He asserts that he would remove the cause of action as an element of a good many rules. So would I, if I could“); ferner Sunderland, 45 West Virginia L.Q. 5, 12 (1938). 245 S. dazu oben S. 257 f., 259 f. 246 S.a. D. Marcus, 44 Georgia L. Rev. 433, 485 (2010) („For realists, no antecedentlyfixed substantive legal order existed“); s. ferner zu dieser Auffassung oben bereits S. 257 f. sowie S. 259 f. 247 Vgl. Bone, 89 Columbia L. Rev. 1, 88 s. (1989) zur Bedeutung des substantive law für Clark („Clark believed in the existence of a body of substantive law consisting not in an ideal
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gung der jeweiligen Tatsachen (facts) sowie eingedenk der gesellschaftlichen Interessen (social interests) ist danach Ziel des Prozesses.248 Das Verfahren, das flexibel-pragmatisch durch Regeln als Leitprinzipien gelenkt wird und dem Richter Ermessen (discretion) und die Funktion des case management einräumt, soll einer pragmatischen Entscheidungsfindung (pragmatic decision making) dienen.249 Nimmt man diese Positionen zusammen, dann zielt der pragmatische ermessensgeleitete Prozess auf die Konfliktlösung im Einzelfall und die Verhängung von Sanktionen, um dadurch ein bestimmtes Verhalten zu erreichen, d.h. die Erreichung und Durchsetzung bestimmter Interessen der Gesellschaft. Die Idee eines vorgelagerten materiell-rechtlichen Systems subjektiver Privatrechte wird dagegen grundsätzlich zurückgewiesen.250 Es geht also nicht um eine abstrakte materiell-rechtliche Anspruchsgrundlage (cause of action), die die Darlegung und den Beweis bestimmter Tatsachen erfordert, sondern um das Vorbringen von facts, die unter Berücksichtigung der gesellschaftlichen Interessen sowie des objektiven Rechts im Einzelfall das Tätigwerden von Gesellschaft und Gericht begründen.251 Damit ist zugleich einem Prozessver248 arrangement of primary rights and duties, but in a set of rules and standards that defined legal relations which were stable yet always subject to change“); s.a. zur Frage der Relevanz der rules für die Entscheidung D. Marcus, 44 Georgia L. Rev. 433, 457 (2010) („role for rules as instruments guiding a pragmatic decision making process“), ferner p. 485 s., 492. S.a. Green, 46 Wm. & Mary L. Rev. 1915, 1969 ss., 1975 ss. (2005) zur Frage der Bindungswirkung des Rechts für die Entscheidung. 248 Vgl. Bone, 89 Columbia L. Rev. 1, 79 („substantive law in terms of an ideal fit with the facts of social life, not with the abstract structure of rights“), 88 s., 96 ss. (1989); s.a. Clark, 33 Yale L.J. 817, 820 (1923–1924) („[…] the convenient, economical and efficient conduct of court business, the enforcing of rules of substantive law with as little obtrusion of procedural rules as possible“). 249 So D. Marcus, 44 Georgia L. Rev. 433, 484, 486 s. (2010) im Hinblick auf Clarks Position; s. etwa Clark, 82 U. Pennsylvania L. Rev. 354, 362 (1934) („Court procedure, to be workable, must be treated as a means to an end, not an end in itself. Instead of being controlled by formidable rules whose arbitrary character is only concealed and tempered by their vagueness, it should be operated flexibly by wise administrators exercising wise discretion“); ferner ders., 33 Yale L.J. 817, 831, 837 (1923–1924) (p. 831: „pragmatic instead of a purely arbitrary application of procedural rules“; „discretion of the trial judge“); zur Bedeutung der judicial discretion für den Legal Realism s.a. Savarese, 3 Houston L. Rev. 180, 197 (1965). 250 Vgl. D. Marcus, 44 Georgia L. Rev. 433, 485 s., 492 (2010); Bone, 89 Columbia L. Rev. 1, 88 s., 96 ss. (1989); s.a. Subrin, 135 U. Pennsylvania L. Rev. 909, 947 (1987) im Hinblick auf Pound. 251 Vgl. Clark, 33 Yale L.J. 817, 832 (1923–1924) („In the statement of the facts constituting the cause of action, the emphasis is placed on the recital of the acts or events which have happened and are relied on to justify societal intervention between the parties litigant. This is in line with the code ideal that the plaintiff should tell his story simply and concisely, leaving it to the court to apply the law“). Zuvor war also die Darlegung all jener Tatsachen erforderlich, deren Darlegung die materiell-rechtliche Anspruchsgrundlage erforderte. D.h. die erforderlichen facts richteten sich ganz nach den Vorgaben des vorgelagerten materiellen Rechts, danach wird über die streitigen Tatsachen Beweis erhoben. Jetzt ist nur das Vorbin-
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ständnis Bahn gebrochen, das nicht der Verwirklichung von rein privaten rights, sondern von law dient, welches seinerseits bestimmte, den gesellschaftlichen Interessen dienende Ziele erreichen will.252 Deutlich zeigt sich hier eine Konzeption, die maßgeblich auf den Kategorien gesellschaftliche Interessen und Verhaltenssteuerung als prozessuale Zielbestimmung sowie Sanktion als Rechtsfolge aufbaut.253 dd) Der Prozesszweck Diese Entwicklungen stehen in engem Zusammenhang mit der Frage nach dem Zweck des Zivilprozesses.254 So herrscht in der gegenwärtigen US-amerikanischen Diskussion die Überzeugung vor, dass Ziel des Zivilprozesses vor allem die Durchsetzung gesellschaftlichen Interessen dienenden objektiven Rechts (societal policies)255 sowie Konfliktlösung (dispute resolution) sind.256 Nicht der Gedanke der Durchsetzung subjektiver Privatrechte257, sondern die verfahrensmäßige Erreichung einer Lösung rechtlicher Konflikte sowie die
gen252von Tatsachen erforderlich, aufgrund derer erwartet werden kann, dass das Gericht eine Handlung vornimmt. Tatsächlich reichen Tatsachen aus, solange sie nach Überzeugung des Gerichts ein Fortschreiten des Verfahrens zur discovery rechtfertigen (dazu unten noch S. 306 f., 309 ff., 313 f.). 252 Vgl. Bone, 89 Columbia L. Rev. 1, 97 s. (1989) (p. 97: „Late nineteenth century jurists believed in a fundamental dichotomy between right and remedy and in the right-remedyprocedure hierarchy that held that procedure was instrumental to granting the ideal remedy, which, in turn, was instrumental to protecting legal rights rooted in natural law beliefs. Early twentieth century reformers, on the other hand, rejected the right-remedy dichotomy and the natural law assumptions that supported it. For these reformers, there was no fixed social idea that gave content to legal rights. Instead, legal rights, duties and privileges and a host of other legal institutions were all changed by the changing facts of social life“; p. 98: „At the risk of oversimplifying, it may clarify the significant points of difference with the late nineteenth century right-remedy-procedure hierarchy to restate early twentieth century beliefs in terms of a contrasting hierarchy – a society-substance-procedure hierarchy. In this new hierarchy, procedure is a means to the end of applying the substantive law to a concrete dispute, and substance is a means to the end of properly fitting decisions to the normative logic of social life“); s.a. Subrin, 135 U. Pennsylvania L. Rev. 909, 945, 947 (1987) mit Verweis auf Pounds Kritik. 253 S. dazu oben bereits im Kontext des private law enforcement S. 243 ff. 254 Vgl. dazu Bruns, in: Bruns/Suzuki (eds.), Realization of Substantive Law, p. 3, 5 ss. 255 Dazu etwa Miller, 88 N.Y.U. L. Rev. 286, 287 (2013) („the enforcement of important societal policies and values“). 256 S. dazu Bruns, in: Bruns/Suzuki (eds.), Realization of Substantive Law, p. 3, 6 s., 8 ss.; z.B. James/Hazard/Leubdsdorf, Civil Procedure, p. 2 („Enforcing the law“; „Dispute Resolution“); s.a. Subrin, 135 U. Pennsylvania L. Rev. 909, 988 s. (1987), der diese Entwicklung mit den equity-getragenen FRCP in Verbindung bringt. 257 Vgl. Subrin, 135 U. Pennsylvania L. Rev. 909, 988 ss. (1987); so noch explizit Code of Civil Procedure (New York, 1850) § 16 („A civil action is prosecuted by one party against another, for the enforcement or protection of a right, or the redress or prevention of a wrong“).
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Erreichung bestimmter gesellschaftlicher Interessen bildet den primären Zweck des Zivilprozesses.258 ee) Franks private attorney general und der New Deal Insoweit entspricht es den Grundgedanken des Legal Realism, wenn Jerome Frank259 Privaten eine Klagebefugnis zuweist, selbst wenn sich die Klage auf die Geltendmachung nur öffentlichen Interessen dienender Normen beschränkt („to vindicate the public interest“).260 Weil der Prozess nicht der Durchsetzung subjektiver Privatrechte, sondern der Erfüllung gesellschaftlicher Interessen sowie der Konfliktlösung dient und folglich auch dem Rechtsverhältnis keine Bedeutung zukommt, tritt die Bedeutung der Person des Klägers zurück.261 Die Entstehung dieses private attorney general-Modell muss zugleich als Konsequenz des New Deal angesehen werden, der in den 1930er Jahren die öffentlich-rechtliche Gesetzgebung und den Wirkungsbereich des Staates maßgeblich erweitert hat (administrative state).262 Durch Ausweitung der Gesetz258
S. Bruns, in: Bruns/Suzuki (eds.), Realization of Substantive Law, p. 3, 6 s., 8 ss. Zu Jerome Frank und seiner Verortung im Legal Realism s. etwa Duxbury, 18 Journal of Law and Society 175, 176 ss. (1991). 260 Associated Industries of New York State, Inc. v. Ickes, et al., 134 F.2d 694, 704 (2d Circuit, Court of Appeals, 1943); vgl. Rubenstein, 57 Vand. L. Rev. 2129, 2134 (2004). Glennon (1978 Arizona State L.J. 523, 554 fn. 179 [1978]) sieht den Grund für Franks private attorney general bei der „private-public dichotomy“ von Hohfeld; s.a. Roach/Trebilcock, 34 Osgoode Hall L.J. 461, 477 (1996), die dies dem instrumentalistischen Charakter des Realism zuschreiben; vgl. bereits Corbin, 33 Yale L.J. 501, 514 s. (1923–1924) („This societal action is taken – that is, “duties“ are created – for the protection and satisfaction of human interests and desires. […] It may be the interest or desire of one specified man alone, or of several specified men, or of some class of unspecified men, or of all men generally. […] These men with the factual interests to be protected are the men with the “rights.“ In the case of a “duty to the state“ or “to society,“ the “interest“ includes the common interests of all. Each member has his interest and that interest is protected. If that is what we mean by “right,“ then each has a “right.“ […] It must be constantly remembered that in speaking of “rights“ and “duties“ we are not dealing with physical objects. We are merely stating that somebody’s interests will be promoted by legal coercion of another person and that such coercion by societal action is obtainable“). 261 Daher kann grundsätzlich jedermann unabhängig von individueller Betroffenheit zur Klage berechtigt sein. Zur Frage aber, ob die entsprechenden gesetzlichen Regelungen des federal law zumindest die Behauptung einer zugefügten Verletzung (injury) verlangen, s. im Einzelnen Morrison, 103 Michigan L. Rev. 589, 603 ss. (2005) (any person/any person aggrieved, wobei auch im ersten Fall die Geltendmachung persönlicher Betroffenheit erforderlich ist; aber auch mit Verweis auf Gesetze des state law, die keine individual injury verlangen); vgl. konzeptionell bereits zum Konzept des citizen as litigant unabhängig von einer eigenen Rechtsverletzung in public actions Jaffe, 116 U. Pennsylvania L. Rev. 1033 ss. (1968). 262 Vgl. Rubenstein, 57 Vand. L. Rev. 2129, 2133 s., 2135 (2004); s.a. Silverstein, Law’s Allure, p. 135 s.; Glover, 53 Wm. & Mary L. Rev. 1137, 1146 ss. (2012); s. ferner zur Nähe von Jerome Frank zum New Deal Duxbury, 18 Journal of Law and Society 175, 176, 179 s. (1991); zum New Deal und seinen legislatorischen und institutionellen Auswirkungen Sunstein, 101 Harvard L. Rev. 421, 438 ss. (1987–1988). 259
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gebung und Schaffung zahlreicher neuer Normen drängte sich die Frage nach deren Durchsetzung auf. Während die New Dealers selbst jedoch den Normvollzug entsprechend ihrem Staatsverständnis dem administrative state und seinen Behörden (administrative agencies) zuweisen wollten, bildete sich eine Gegenbewegung, die diese Funktion privaten Klägern zuwies, die vor Gericht die Durchsetzung der öffentlichen Interessen dienenden Normen erreichen sollten.263 c) Private Klagrechte und der private attorney general Neben diesem ideengeschichtlichen Hintergrund ist die Entstehung des private law enforcement in den USA weiter im Kontext der Rechtsentwicklung der 1960er Jahre zu verstehen, die in gewisser Hinsicht mit den ideengeschichtlichen Entwicklungen sowie den Prozessreformen des frühen 20. Jahrhunderts korrespondiert.264 In dieser Zeit wurde durch den US-amerikanischen Bundesgesetzgeber eine Vielzahl von der Durchsetzung öffentlicher Interessen dienenden privaten Klagrechten (private rights of action) kraft federal statute geschaffen.265 Diese Klagrechte stehen insbesondere im Kontext der Bürgerrechtsbewegung (civil rights).266 Anstelle hoheitlicher Normdurchsetzung267 durch staatliche Behörden wurden durch die Schaffung entsprechender Klagrechte Private in die Position versetzt, dem Allgemeinwohl bzw. der 263 Vgl. Carrington, 60 Duke L.J. 597, 605 s. (2010), der diese Entwicklung auch als Folge der FRCP und deren Verfahrensvereinfachung sieht; ders., 45 Duke L.J. 929, 936 (1996). S. zum Zusammenhang von New Deal und private attorney general Rubenstein, 57 Vand. L. Rev. 2129, 2133 s., 2135 (2004), wenngleich die Idee des administrative state zunächst auf eine Normdurchsetzung durch Behörden zielte und insoweit die Idee des private law enforcement in gewissem Spannungsverhältnis zum New Deal und der Idee des administrative state steht; s.a. Farhang, The Litigation State, p. 69; Glover, 53 Wm. & Mary L. Rev. 1137, 1147 s. (2012); s. ferner D. Marcus, 90 Wash. U. L. Rev. 587, 607 s. (2013) zur Bedeutung dieser Idee für die 1960er Jahre, in denen zahlreiche neue private Klagerechte geschaffen wurden; vgl. schließlich auch Poelzig, Normdurchsetzung durch Privatrecht, S. 52 f. 264 S. dazu oben bereits S. 283 ff. 265 Burbank/Farhang, Rights and Retrenchment, p. 4 ss., 9 ss.: Ausgangspunkt ist der Civil Rights Act (1964), insbesondere Title VII, der auf die Bekämpfung von Diskriminierung im Arbeitsbereich zielte; s. dazu auch umfassend Farhang, The Litigation State, p. 3, 85 ss., 94 ss., 129 ss.; ferner Glover, 53 Wm. & Mary L. Rev. 1137, 1148 (2012); Miller, 60 Duke L.J. 1, 76 (2010); Reimann, Bitburger Gespräche 2008, S. 105, 124. Vgl. auch zum Begriff der private rights of action sowie zu deren Verhältnis zu den „klassischen“ causes of action Staszak, No Day in Court, p. 170. 266 Miller, 60 Duke L.J. 1, 76 (2010); Burbank/Farhang, Rights and Retrenchment, p. 4 ss., 9 ss.; Farhang, The Litigation State, p. 3 ss., 14, 85 ss.; s.a. Reimann, Bitburger Gespräche 2008, S. 105, 124. 267 Im Folgenden wird anstelle des Begriffs der Rechtsdurchsetzung aus Gründen der Klarheit der Begriff der Normdurchsetzung verwendet, wenn es – wie im private law enforcement – grundsätzlich nicht um Durchsetzung subjektiver Rechte, sondern objektiven Rechts, d.h. von positiv-rechtlichen Normen geht.
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gesellschaftlichen Steuerung dienende Normen sowie institutionelle Änderungen (etwa im Schulbereich, Gefängnisvollzug, Diskriminierung im Arbeitsbereich sowie Arbeitnehmerschutz268, Umweltschutz269, Verbraucherschutz270, Gesundheitsbereich271, Unternehmensaktivitäten272) gerichtlich durchzusetzen.273 Im Kern zielen die so geschaffenen privaten Klagrechte auf Gegenstände bzw. die Durchsetzung von Normen, die nach herkömmlichem Verständnis dem public law zuzuordnen sind und damit dem public enforcement dienen.274 Ziel des private law enforcement ist die Verhaltenssteuerung sowie Spezialund Generalprävention (deterrence), indem die Durchsetzung des objektiven Rechts durch Private ähnlich sonstiger staatlicher Tätigkeit politische Ziele verwirklicht und dadurch rechtlich missbilligtes Verhalten korrigiert.275 Es werden Anreize für Privatpersonen geschaffen, anstelle bzw. neben276 hoheitlicher, staatlicher Regulierung oder Verwaltungstätigkeit als private attorney general Normverstöße geltend zu machen.277 Der Private tritt damit ein als
268 Dazu bereits Chayes, 89 Harvard L. Rev. 1281, 1284 (1976); s.a. Glover, 53 Wm. & Mary L. Rev. 1137, 1148 ss. (2012). 269 Morrison, 103 Michigan L. Rev. 589, 603 (2005). 270 Dazu Glover, 53 Wm. & Mary L. Rev. 1137, 1156 s. (2012); Morrison, 103 Michigan L. Rev. 589, 605 (2005). 271 S.a. Burbank/Farhang, Rights and Retrenchment, p. 7 s., 11 s. 272 Carrington, 60 Duke L.J. 597, 605 s. (2010). 273 Burbank/Farhang, Rights and Retrenchment, p. 7 s.; Miller, 60 Duke L.J. 1, 76 (2010); Carrington, Bitburger Gespräche 2003, S. 33, 34; Reimann, Bitburger Gespräche 2008, S. 105 ff., 110 ff.; s.a. grundsätzlich zu diesen private rights of action zur Durchsetzung von öffentlich-rechtlichen Normen bzw. gesellschaftlichen Interessen aus rechtstheoretischer Perspektive Stewart/Sunstein, 95 Harvard L. Rev. 1193, 1195 ss. (1982). 274 Vgl. grundsätzlich dazu Farhang, The Litigation State, p. 3 ss.; Carrington, Bitburger Gespräche 2003, S. 33 f.; Reimann, Bitburger Gespräche 2008, S. 105 ff.; s.a. zur Vermischung von Öffentlich- und Privatrechtlichem beim private attorney general Rubenstein, 57 Vand. L. Rev. 2129, 2136 ss. (2004). 275 Farhang, The Litigation State, p. 8 s.; Miller, 60 Duke L.J. 1, 73 s. (2010); Coffee, 42 Maryland L. Rev. 215, 218 (1983); Carrington, Bitburger Gespräche 2003, S. 33 f.; ferner Bruns, ZZP 125 (2012), 399, 402, 405 f.; s.a. Rubenstein, 57 Vand. L. Rev. 2129, 2140 ss. (2004) zur Kombination der nach herkömmlichem Verständnis öffentlich-rechtlich gelagerten deterrence und der privat-rechtlichen compensation. 276 Zur Frage des Konkurrenzverhältnisses s. Reimann, Bitburger Gespräche 2008, S. 105, 127 („Sowohl-Als-Auch“); vgl. Glover, 53 Wm. & Mary L. Rev. 1137, 1153 ss., 1158 ss. (2012): private Kläger nehmen nicht nur eine primäre Regulierungsfunktion, sondern auch in Bereichen, in denen Behörden tätig sind, eine Komplementärfunktion wahr; s.a. Miller, 88 N.Y.U. L. Rev. 286, 316 (2013). 277 S. Reimann, Bitburger Gespräche 2003, S. 105 ff., 129 ff. (zu den Anreizmechanismen), 143 (zum private attorney general); Carrington, Bitburger Gespräche 2003, S. 33, 34, 35; vgl. Glover, 53 Wm. & Mary L. Rev. 1137, 1141, 1151 (2012); Miller, 60 Duke L.J. 1, 5 s., 73 ss. (2010).
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Kompensation für einen institutionell „schwachen“ Staat278, was vor dem USamerikanischen historisch gewachsenen Staatsverständnis begreiflich wird.279 Der Prozess dient nicht mehr der Durchsetzung privater Rechte in einem rechtsförmigen, durch die privaten Parteien eingeleiteten Prozess, der durch einen Richter als neutralen Entscheider entschieden wird, sondern der Durchsetzung objektiven Rechts bzw. der Verwirklichung politischer öffentlichrechtlicher Ziele (public policies) durch private Initiative (public law litigation).280 Insgesamt kommt privaten Klagen zur Durchsetzung von Gesetzesrecht wesentliche Bedeutung an der Gesamtzahl aller vor US-Bundesgerichten eingeleiteten Verfahren zu.281 d) Instrumente des private law enforcement In diesem Kontext ist auch die wesentliche Erweiterung der class action zu sehen, die mit dem erläuterten veränderten Prozesszweckverständnis einhergeht282 und gleichsam als Ergänzung staatlicher administrativer Rechtsdurchsetzung fungiert.283 Das der class action zugrundeliegende Prozessverständnis
278 S. aber auch Farhang, The Litigation State, p. 6 s., 9 ss., wonach entgegen einem rein exekutiv-lastigen Staatsverständnis auch private law enforcement als staatliche gerichtliche Aktivität einzuordnen sei; vgl. auch zur private litigation anstelle von public bureaucracy Burbank/Farhang, Rights and Retrenchment, p. 7 ss.: Weil es nicht gelang, den administrative state auszubauen, wurde der Fokus zur Durchsetzung von federal law auf private Rechtsdurchsetzung verschoben. 279 Dazu Reimann, Bitburger Gespräche 2008, S. 105, 141 ff.; Stürner, Markt und Wettbwerb über alles?, S. 33 ff.; s.a. Bruns, ZZP 125 (2012), 399, 402 f., 405; s. ferner Glover, 53 Wm. & Mary L. Rev. 1137, 1140, 1153 ss. (2012) zu den Begrenzungen US-amerikanischer Regulierungsbehörden, sodass an die Stelle von behördlicher ex ante-Kontrolle ex post private law enforcement tritt. 280 S. hierzu grundlegend bereits Chayes, 89 Harvard L. Rev. 1281, 1282 ss., 1302 (1976); ferner auch Carrington, Bitburger Gespräche 2003, S. 33 f.; Bruns, ZZP 125 (2012), 399, 402, 405 f. 281 S. mit Zahlen Farhang, The Litigation State, p. 14 s.; vgl. auch Carrington, Bitburger Gespräche 2003, S. 33, 34 („it is private plaintiffs represented by private lawyers who do most of the enforcement of those business regulation“); ferner dazu, dass das private law enforcement nicht auf das Wirtschaftsrecht begrenzt ist, sondern die Gesamtrechtsordnung prägt, s. Reimann, Bitburger Gespräche 2008, S. 105, 127. 282 S.a. R. Marcus, 96 N.C. L. Rev. 903, 909 (2018); ders., 65 DePaul L. Rev. 497, 520 ss. (2016); D. Marcus, 90 Wash. U. L. Rev. 587, 592 ss. (2013) zum Zusammenhang von private law enforcement und class action; dazu auch Farhang, The Litigation State, p. 144 ss.; Glover, 53 Wm. & Mary L. Rev. 1137, 1162 s. (2012); vgl. auch Chayes, 89 Harvard L. Rev. 1281, 1291 (1976); ferner grundsätzlich Bruns, ZZP 125 (2012), 399, 405 ff.; ders., NJW 2018, 2753, 2754. 283 S. zum Zusammenhang von private law enforcement und class action Carrington, Bitburger Gespräche 2003, S. 33, 35; R. Marcus, 96 N.C. L. Rev. 903, 909 (2018); ders., 65 DePaul L. Rev. 497, 520 ss. (2016); D. Marcus, 90 Wash. U. L. Rev. 587, 592 ss. (2013); Miller, 88 N.Y.U. L. Rev. 286, 316 (2013); Reimann, Bitburger Gespräche 2008, S. 105, 135 ff.; ferner
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bricht mit dem klassischen, im 19. Jahrhundert vorherrschenden zivilprozessualen Modell der Rechtsdurchsetzung und gerichtlichen Interessenwahrnehmung durch private autonome Individuen.284 Während zuvor das Ziel des Zivilprozesses in der Durchsetzung subjektiver privater Rechte gesehen wurde, trat besonders wirkmächtig ab den 1960er Jahren an dessen Stelle die private Durchsetzung objektiven öffentlichen Rechts durch den private attorney general285, wofür die class action als geeignetes Instrument diente.286 Neben den „genuin“ öffentlich-rechtlichen Rechtsbereichen werden daher auch „privatrechtliche“ Rechtsgebiete wie das Deliktsrecht (torts) als Anwendungsfeld des private attorney general angesehen, in dem es nicht mehr nur um Kompensation und Durchsetzung privater Rechte, sondern auch um die Verwirklichung gesellschaftlicher Ziele (social ends, public policies) sowie die Verhaltenssteuerung geht.287 Als Klagziel gewinnt die injunctive relief Bedeutung, bei der es um ein gerichtlich angeordnetes Ge- oder Verbot geht; ferner die Verhängung von civil penalties zugunsten des Staates.288 Das private law enforcement wird dadurch gesetzlich inzentiviert, dass dem Kläger im Obsiegensfalle eine Mindestgeldsumme als Strafzahlung (penalty), ein Vielfaches des Schadensersatzes (double, treble damages) oder Strafschadensersatz (punitive damages)289 zugesprochen werden oder entgegen der sonstigen Kostenregelung (American Rule of Costs) dem Kläger bzw. dem klägerischen Anwalt eine Kostenerstattung zuteil wird (statutory fee-shifting).290 Diese Anreize dienen als „Entlohnung“ des privaten 284 auch Farhang, The Litigation State, p. 144 ss.; Glover, 53 Wm. & Mary L. Rev. 1137, 1162 s. (2012); vgl. auch Chayes, 89 Harvard L. Rev. 1281, 1291 (1976); s.a. Bruns, ZZP 125 (2012), 399, 405 ff.; ders., NJW 2018, 2753, 2754. 284 Chayes, 89 Harvard L. Rev. 1281, 1285 (1976). 285 R. Marcus, 96 N.C. L. Rev. 903, 908 (2018); Rubenstein, 57 Vand. L. Rev. 2129, 2130, 2133 ss. (2004). 286 Vgl. Glover, 53 Wm. & Mary L. Rev. 1137, 1163 (2012) („Modern class action practice emerged at the same time that the American regulatory system was coming to rely more on private enforcement of a number of laws“); ferner Carrington, Bitburger Gespräche 2003, S. 33, 35, 49 ff.; s.a. Coffee, 42 Maryland L. Rev. 215, 217 (1983) zum Zusammenhang von class action und private attorney general. 287 Dazu Rustad, 51 DePaul L. Rev. 511 ss. (2002); Hensler, 51 DePaul L. Rev. 493 ss. (2001). 288 S. Morrison, 103 Michigan L. Rev. 589, 590, 604 (2005); Chayes, 89 Harvard L. Rev. 1281, 1292 ss. (1976). Bei sog. „citizen suits“ ist Klageziel typischerweise nicht Schadensersatz (compensation), sodass ungeachtet des Erfordernisses persönlicher Betroffenheit das Klagziel letztlich klägerunabhängig ist, s. Morrison, 103 Michigan L. Rev. 589, 604 (2005). 289 Oder ein Vielfaches des jeweiligen Schadens, etwa sog. double bzw. treble damages (Verdopplung bzw. Verdreifachung des Schadensersatzbetrages), s. dazu Farhang, The Litigation State, p. 27 ss., 62. 290 R. Marcus, 96 N.C. L. Rev. 903, 910 (2018); Burbank/Farhang, Rights and Retrenchment, p. 8, 9 s.; Glover, 53 Wm. & Mary L. Rev. 1137, 1151 (2012); Farhang, The Litigation State, p. 26 s., 61 s. (auch zu den sog. one way bzw. plaintiffs’ fee-shifting, bei dem nur dem obsiegenden Kläger eine Kostenerstattung zusteht); Miller, 88 N.Y.U. L. Rev. 286, 302 (2013);
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Klägers, der gleichsam stellvertretend hoheitliche Aufgaben der Normdurchsetzung wahrgenommen hat.291 Im Kontext des fee-shifting ist dabei auch die Entstehung einer spezialisierten Anwaltschaft zu sehen, deren Geschäftsmodell auf die Erhebung entsprechender Klagen gerichtet ist (private public interest law firms); daneben machen auch Verbände, Bürgerrechtsgruppen oder gesellschaftliche Vereinigungen die Verletzung bestimmter Normen geltend.292 e) American rule of costs, fee shifting und contingency fees Das private law enforcement hat damit auch Einfluss auf das Kostenrecht.293 Nach der sog. American rule of costs trägt grundsätzlich jede Partei selbst ihre Anwaltskosten sowie die sonstigen auf sie anfallenden Verfahrenskosten. Es gibt grundsätzlich keine auch die Anwaltskosten umfassende Kostenerstattung zugunsten der obsiegenden Partei außer in den Fällen, in denen ein Gesetz ausdrücklich eine Kostenerstattung vorsieht.294 Die American rule of costs weicht damit vom kontinentaleuropäischen Modell der Kostenerstattung zugunsten der obsiegenden Partei ab.295 Allerdings sind durch statute zahlreiche Ausnahmen von dieser Kostenregelung entstanden, die fee shifting zugunsten der obsiegenden Partei ermöglichen.296 Insbesondere in mit dem private law enforcement zusammenhängenden Rechtsbereichen finden sich regelmäßig gesetzlich vorgesehene Kostenerstattungsansprüche zugunsten des Klägers, die Anreize zur Normdurchsetzung setzen sollen, wobei diese typischerweise asymmetrisch, d.h. nur zugunsten des obsiegenden Klägers wirken.297 291 grundsätzlich zu den Anreizmechanismen des private law enforcement Farhang, The Litigation State, p. 19 ss.; Carrington, Bitburger Gespräche 2003, S. 33, 35; ferner zum Zusammenhang dieser Instrumente mit dem private law enforcement Bruns, NJW 2018, 2753, 2754; Stadler, ZHR 182 (2018), 623, 635 f. 291 Farhang, The Litigation State, p. 62. 292 Vgl. Burbank/Farhang, Rights and Retrenchment, p. 11 ss. zur private for-profit bar im Kontext nicht-kommerzieller Rechtsbereiche, die auf law reform gerichtet sind; s. ferner Farhang, The Litigation State, p. 69; D. Marcus, 86 Fordham L. Rev. 1785, 1816 (2018); Miller, 88 N.Y.U. L. Rev. 286, 298 ss. (2013). 293 S. Carrington, Bitburger Gespräche 2003, S. 33, 35. 294 S. etwa nur Silberman/Stein/Wolf, Civil Procedure, p. 4, 1052 ss.; Staszak, No Day in Court, p. 173 s.; Breyer, Kostenorientierte Steuerung, S. 108 ff.; ferner Carrington, Bitburger Gespräche 2003, S. 33, 35. 295 S. nur Breyer, Kostenorientierte Steuerung, S. 107 ff.; Gottwald, ZZP 91 (1978), 1, 24 f.; Silberman/Stein/Wolf, Civil Procedure, p. 4. 296 Zu diesem one way fee-shifting s. Carrington, Bitburger Gespräche 2003, S. 33, 35; Silberman/Stein/Wolf, Civil Procedure, p. 1053 s.; Rowe, 1982 Duke L.J. 651 ss (1982); ferner auch Gottwald, ZZP 91 (1978), 1, 25. 297 Dazu Burbank/Farhang, Rights and Retrenchment, p. 9 ss.; Farhang, The Litigation State, p. 26 s., 61 s.; Staszak, No Day in Court, p. 175 ss., ferner p. 193 ss. mit dem Hinweis auf die Rechtsprechung des Supreme Court, der die fee-shifting-Regelungen zunehmend restriktiv auslegt; s.a. Carrington, Bitburger Gespräche 2003, S. 33, 35; Gottwald, ZZP 91 (1978), 1, 25; Reimann, Bitburger Gespräche 2008, S. 105, 130 f.
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In Zusammenhang mit dieser Kostenregelung sind auch die anwaltlichen Erfolgshonorare (contingency fees) zu sehen, die für das private law enforcement von besonderer Relevanz sind.298 Rechtsanwälte übernehmen das Kosten- sowie Finanzierungsrisiko eines Prozesses, und werden dafür mit einem regelmäßig prozentualen Betrag am Klageerlös, d.h. insbesondere an der zugesprochenen damages-Summe beteiligt.299 In Verbindung mit dieser Kostenregelung, den mit der discovery verbundenen Kosten sowie einem anwaltlichen Vergütungsmodell, das nicht streitwertabhängig, sondern auf Stundenhonoraren operiert300, zeigt sich, dass individuelle Rechtsdurchsetzung zur Verfolgung von Forderungen mit kleinem und mittlerem Streitwert – mangels der Möglichkeit von contingency fees – oftmals wirtschaftlich nicht gangbar ist.301 Insbesondere finanzschwache Parteien werden so vom individuellen Zugang zum Gerichtssystem auch mangels umfangreicher Prozesskostenhilfe ausgeschlossen.302 Dass in den vergangenen Jahrzehnten neben Anwälten auch vermehrt das sog. third party financing (litigation funding industry) Bedeutung gewonnen hat, verändert diese Situation nicht wesentlich.303 Auch Prozesskostenfinanzierer, die als Dritte einen Rechtsstreit finanzieren und am Klageerlös beteiligt werden, beteiligen sich grundsätzlich nur an Verfahren mit hohem Streitwert, sodass häufig nur die kollektive Geltendmachung (aggregate litigation) von Forderungen möglich bleibt.304 f) Die Krise des private law enforcement Es zeigen sich nun aber in verschiedener Hinsicht Entwicklungen, die wesentliche Elemente des private law enforcement eingeschränkt haben.305 Im Folgenden wird auf die Begrenzung der Höhe von punitive damages, die Erhö298
Zu contingency fees grundsätzlich s. Breyer, Kostenorientierte Steuerung, S. 18 ff., 22 f., 60 ff.; Silberman/Stein/Wolf, Civil Procedure, p. 4, 1052 ss.; zum Zusammenhang von private law enforcement und contingency fees s. etwa Coffee, 42 Maryland L. Rev. 215, 217 (1983); Carrington, Bitburger Gespräche 2003, S. 33, 35; Reimann, Bitburger Gespräche 2008, S. 105, 130; Rustad, 51 DePaul L. Rev. 511, 522 ss. (2002). 299 S. dazu nur Silberman/Stein/Wolf, Civil Procedure, p. 4, 1052 ss.; Carrington, Bitburger Gespräche 2003, S. 33, 35; Reimann, Bitburger Gespräche 2008, S. 105, 130. 300 Dazu etwa Carrington, 60 Duke L.J. 597, 610 (2010). 301 Miller, 78 Louisiana L. Rev. 739, 744 (2018). 302 Miller, 78 Louisiana L. Rev. 739, 744 (2018). Ausnahmen zeigen sich in Gestalt von feeshifting statutes, in denen klägerischen Anwälten eine Kostenerstattung durch den unterlegenen Beklagten zugute kommt, oder in Gestalt der sog. common fund theory (dazu auch Burbank/Farhang, Rights and Retrenchment, p. 74 s.), s. dazu zuvor S. 301. 303 Vgl. Miller, 78 Louisiana L. Rev. 739, 745 s. (2018). 304 Miller, 78 Louisiana L. Rev. 739, 745 (2018). 305 S. dazu umfassend Burbank/Farhang, Rights and Retrenchment, p. 130 ss.; Glover, 53 Wm. & Mary L. Rev. 1137, 1160 ss. (2012).
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hung der Substantiierungserfordernisse bei Klageerhebung, die Einschränkung der discovery und auf die Verschärfung der Anforderungen an die Zertifizierung von class actions eingegangen306. g) Torts und punitive damages aa) Bedeutung, Funktion und Gegenstand von punitive damages Wie erwähnt, sind wesentliches Element des private law enforcement punitive damages307, d.h. Strafschadensersatz, der dem Kläger über den konkreten vermögensmäßigen Schaden (compensation) zugesprochen wird und funktional strafrechtliche Funktionen erfüllt.308 Punitive damages sind im Recht der meisten US-amerikanischen Einzelstaaten sowie auch durch federal statutes vorgesehen und können grundsätzlich in allen Fällen deliktischer Haftung (torts), ferner auch teilweise im Bereich vertraglicher Haftung, zugesprochen werden.309 Die Einführung und Ausweitung zahlreicher gesetzlicher Regelungen, die punitive oder multiple damages für obsiegende Kläger vorsehen, ist dabei zunächst im Kontext des private attorney general und des private law enforcement zu sehen.310 Ferner zeigen sich Einflüsse des Legal Realism. Durch die Zurückweisung der Idee subjektiver Rechte311, eines materiell-rechtlichen Systemdenkens sowie durch die Identifikation des Rechts mit gesellschaftlichen Interessen verliert die Unterscheidung von Schadensersatz und Strafe sowie von Privat- und öffentlichem Recht312 an Bedeutung. Beides soll letztlich der 306
S. dazu gleich im Einzelnen; vgl. dazu auch Glover, 53 Wm. & Mary L. Rev. 1137, 1160 ss. (2012); Sharkey, 46 U. Mich. J.L. Reform 1127, 1128 (2013) (zur Einschränkung von punitive damages und class actions). 307 S. Carrington, Bitburger Gespräche 2003, S. 33, 35, 44 ff.; Reimann, Bitburger Gespräche 2008, S. 105, 131; s. dazu oben bereits S. 243 f. 308 Zum Begriff und Konzept der punitive damages s. Rendleman, 7 U. St. Thomas L.J. 1, 2, 6 (2009); Harris, 40 Alabama L. Rev. 1079, 1083 ss. (1989); Merkt, Abwehr der Zustellung, S. 64 ff.; zum Zusammenhang von private attorney general und punitive damages s.a. Zipursky, 125 Harvard L. Rev. 1757, 1780 ss. (2012). 309 S. Harris, 40 Alabama L. Rev. 1079, 1083 s. (1989); s. ferner dazu auch Shulman (et al.), Law of Torts, p. 430 s. (allerdings auch mit Hinweis auf die insgesamt eher geringe Häufigkeit von punitive damages). S. im Einzelnen zur Häufigkeit von punitive damages etwa Rustad, 1998 Wisconsin L. Rev. 15 ss. (1998). Die erstmalige Verhängung von punitive damages für product liability erfolgte in den 1960er Jahren, dazu Rustad, 51 DePaul L. Rev. 511, 530 (2002); vgl. zum Zusammenhang von punitive damages und product liability auch Reimann, Bitburger Gespräche 2008, S. 105, 119 f. 310 Vgl. Farhang, The Litigation State, p. 27 ss., 62; Carrington, Bitburger Gespräche 2003, S. 33, 35, 44 ff. 311 S. Zipursky, 51 Vanderbilt L. Rev. 1, 42 ss. (1998) zu Holmes’ „Rights Reductionism“ und dessen Einfluss auf das tort law. 312 Vgl. insoweit Zipursky, 125 Harvard L. Rev. 1757, 1758, 1770 s., 1771 ss., 1780 ss. (2012) – insbesondere zur Veränderung der Funktion von punitive damages aufgrund der Idee des
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Verhaltenssteuerung bzw. der Verwirklichung gesellschaftlicher Interessen (social interests, policies) dienen, weshalb sich auch punitive damages dogmatisch rechtfertigen lassen.313 Als Strafschadensersatzansprüche kommen punitive damages grundsätzlich den Klägern zugute, wobei je nach Einzelstaatenrecht zunehmend auch eine Abschöpfung zugunsten öffentlicher Zwecke vorgesehen ist (split-recovery).314 Ein weiteres mit dem private law enforcement sowie den punitive damages verbundenes Phänomen sind sog. cy près-settlements.315 Bei diesen kommt der Erlös eines class action-settlement zumindest insoweit, als dieser von den geschädigten Privaten nicht eingelöst wird, öffentlichen oder sonstigen Zwecken zugute.316 Als Zwecke der punitive damages werden Strafzwecke in Gestalt von Vergeltung (retribution; punishment), ferner Abschreckung (deterrence), Verhaltenssteuerung sowie Verhinderung von Unrechtsgewinnen genannt.317 Punitive damages kommt insofern in der Gegenwart neben einem zivilrechtlichen Charakter zugleich auch ein sanktionsorientierter öffentlich-rechtlicher Charakter zu, wenngleich die Einzelheiten hier streitig sind.318 Die Rechtsprechung des Supreme Court hat in der jüngeren Vergangenheit die Rechtfertigung und die Funktion von punitive damages vor allem auf den retribution-Zweck beschränkt319, 313 private attorney general; s. zur Kritik des Legal Realism an der public/private distinction Horwitz, 130 U. Pennsylvania L. Rev. 1423, 1426 (1981–1982); s. ferner zum decline of the public/private distinction Kennedy, 130 U. Pennsylvania L. Rev. 1349 ss. (1981–1982). 313 S. dazu oben S. 243 ff.; vgl. auch Harris, 40 Alabama L. Rev. 1079, 1090 ss., 1099 ss. (1989); s. insoweit Corbin, 33 Yale L.J. 501, 518 fn. 19 (1923–1924) („compensatory damages are awarded for the same general reasons as are punitive damages, fines, and imprisonment – to prevent similar harms in the future and to prevent private war“). 314 S. im Überblick zu den einzelstaatlichen Regelungen Zipursky, 125 Harvard L. Rev. 1757, 1780 ss., 1785 (2012); Sharkey, 113 Yale L.J. 347, 373 ss. (2003); ferner auch dies., 7 U. St. Thomas L.J. 25, 50 (2009). 315 Zum cy près-settlement s. etwa Rubenstein, 57 Vand. L. Rev. 2129, 2132 (2004); DeJarlais, 38 Hastings L.J. 729 ss. (1987); Stadler, ZHR 182 (2018), 623, 641. 316 S. DeJarlais, 38 Hastings L.J. 729 ss., 737 ss. (1987). 317 BMW of North America, Inc. v. Gore, 517 U.S. 559, 568 (1996); State Farm Mut. Automobile Ins. Co. v. Campbell, 538 U.S. 408, 417 (2003); s.a. Colby, 118 Yale L.J. 392, 395, 411 (2009); Rendleman, 7 U. St. Thomas L.J. 1, 2 (2009). 318 Vgl. Zipursky, 125 Harvard L. Rev. 1757, 1771, 1777 ss., 1780 ss., 1784 s. (2012); s. aber auch Philip Morris USA v. Williams, 549 U.S. 346 (2007) (Stevens, J., dissenting), der punitive damages als ausschließlich criminal sanction wertet; s.a. Colby, 118 Yale L.J. 392, 411 ss. (2009) zur Frage, inwieweit punitive damages der Vindizierung von private wrongs oder auch public wrongs dienen; s. dazu gleich noch S. 305 f. 319 Philip Morris USA v. Williams, 549 U.S. 346, 352 ss. (2007); dazu Sharkey, 7 U. St. Thomas L.J. 25, 50 s., 51 s. (2009); vgl. auch dies., 113 Yale L.J. 347, 356 s. (2003); Colby, 118 Yale L.J. 392, 457 s. (2009) – in dieser Begrenzung bzw. Fokussierung auf den retributive character von punitive damages liegt freilich auch ein Problem für den law and economicsAnsatz, der den Zweck von punitive damages vor allem in deterrence erblickt, vgl. dazu Sharkey, 113 Yale L.J. 347, 359, 363 ss. (2003).
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wobei dies auch im Kontext einer einzelstaatenrechtlichen Tendenz zu einem stärker pönalen und weniger schadensausgleichsorientierten Verständnis zu sehen ist320. Die Festsetzung der Höhe von punitive damages erfolgt grundsätzlich durch Entscheidung der jury.321 Allerdings hat der Supreme Court der Höhe von punitive damages in den vergangenen Jahren wesentliche Beschränkungen auferlegt, durch die excessiveness verhindert werden soll.322 Kriterien sind die Vorwerfbarkeit des schadensverursachenden Verhaltens (reprehensibility), das Verhältnis von Schäden und Strafschadensersatz sowie die gesetzlich festgesetzte Höhe in ähnlichen straf- oder zivilrechtlichen Fällen.323 Ferner gilt im Prinzip kein ne bis in idem-Grundsatz für punitive damages, d.h. punitive damages können mehrfach für eine Tat zugunsten verschiedener Kläger zugesprochen werden und ihre Verhängung wird auch nicht durch strafrechtliche Verurteilung für dieselbe Tat verhindert.324 Die double jeopardy-rule entfaltet insoweit grundsätzlich keine Geltung für Strafschadensersatz.325 Gleichwohl ist die Rechtsprechung bemüht, die mehrfache Verhängung von punitive damages bei einer Vielzahl von Klagen zu begrenzen, damit für eine Unrechtshandlung nicht vielfacher Strafschadensersatz zu entrichten ist.326 bb) Der Supreme Court und „the end of total harm punitive damages“327 Neben diesen verschiedenen Beschränkungen der punitive damages ist durch die Supreme Court-Entscheidung Philip Morris USA v. Williams (2007) eine weitere grundlegende Änderung vollzogen worden. Punitive damages dürfen nur der Sanktion des den am Rechtsstreit beteiligten Klägern zugefügten Un320
S. dazu Zipursky, 125 Harvard L. Rev. 1757, 1783 s. (2012). Dazu Rendleman, 7 U. St. Thomas L.J. 1, 3 ss. (2009). 322 State Farm Mut. Automobile Ins. Co. v. Campbell, 538 U.S. 408, 419 ss. (2003); Exxon Shipping Co. v. Baker, 554 U.S. 471, 489 ss. (2008); dazu auch Staszak, No Day in Court, p. 200 ss.; Sharkey, 7 U. St. Thomas L.J. 25, 27 ss. (2009); Rendleman, 7 U. St. Thomas L.J. 1, 17 ss. (2009). 323 BMW of North America, Inc. v. Gore, 517 U.S. 559, 574 ss. (1996); State Farm Mut. Automobile Ins. Co. v. Campbell, 538 U.S. 408, 419 ss. (2003); Philip Morris USA v. Williams, 549 U.S. 346, 352 ss., 357 (2007); dazu Sharkey, 7 U. St. Thomas L.J. 25, 27 (2009). 324 Rendleman, 7 U. St. Thomas L.J. 1, 3 (2009); Welke, Die Repersonalisierung des Rechtskonflikts, S. 77 ff. 325 S. Rendleman, 7 U. St. Thomas L.J. 1, 3 (2009); s. aber auch Merkt, Abwehr der Zustellung, S. 87 f.; s.a. aus historischer Perspektive Colby, 118 Yale L.J. 392, 420 (2009); ders., 87 Minn. L. Rev. 583, 620 s. (2003); um den double jeopardy-Beschränkungen zu entgehen, wurden punitive damages als punishment nur für private wrongs eingeordnet. 326 Etwa durch Instruktion der jury über die strafrechtliche Verurteilung, s. Rendleman, 7 U. St. Thomas L.J. 1, 3 (2009); vgl. Sharkey, 7 U. St. Thomas L.J. 25, 46 ss., 49 ss. (2009) zum Verhältnis von punitive damages und class actions. 327 Colby, 118 Yale L.J. 392, 397 (2009); zu dieser Diskussion vor Philip Morris USA v. Williams, 549 U.S. 346 (2007) s. Colby, 87 Minn. L. Rev. 583 ss. (2003). 321
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rechts dienen, hingegen darf das Unrecht, das non-parties zugefügt wurde, nicht berücksichtigt werden.328 Damit hat sich die Bedeutung von punitive damages grundlegend gewandelt: faktisch dienen sie nicht mehr der Vindizierung von public wrongs bzw. dem Ersatz von societal damages.329 Sie wurden folglich in gewisser Hinsicht ihrer öffentlichen gesellschaftlichen Funktion entkleidet, sodass die private attorney general-Idee bei punitive damages zurückgedrängt worden ist.330 Während die Kritik an punitive damages im 19. Jahrhundert vor dem Hintergrund des Legal Formalism und dem Interesse an einer Differenzierung von Schadensersatz (compensation) und Strafe (punishment) erklärlich war331, wird die durch den Supreme Court betriebene Beschränkung von punitive damages über den verfassungsrechtlichen Due Process332 vor allem ökonomischen und industriepolitischen Gesichtspunkten zugeschrieben.333
3. Procedure a) FRCP und trial Beschränkungen des private law enforcement ergeben sich ferner aus Verschiebungen im Bereich des Prozessrechts.334 Bevor auf die Entwicklungen der 328 Philip Morris USA v. Williams, 549 U.S. 346, 352 ss. (2007) – allerdings kann das nonparties zugefügte Unrecht im Rahmen der reprehensibility berücksichtigt werden, muss dann aber nachgewiesen werden; vgl. Zipursky, 125 Harvard L. Rev. 1757, 1772 ss. (2012); Colby, 118 Yale L.J. 392, 397 ss., 410 s. (2009); Rendleman, 7 U. St. Thomas L.J. 1, 14 (2009); Sharkey, 7 U. St. Thomas L.J. 25, 50 s. (2009). 329 Zum Begriff der societal damages s. Sharkey, 113 Yale L.J. 347, 359 ss., 363 ss., 372 ss., 389 ss. (2003). 330 S. Colby, 118 Yale L.J. 392, 397 ss. (2009) zum „end of total harm punitive damages“ – ohne allerdings dass sich der Supreme Court explizit diese Position (punitive damages nicht als Vindizierung von public wrongs, societal damages) zu eigen gemacht hätte, vielmehr wird die Vindizierung von public wrongs zumindest im Kontext der reprehensibility berücksichtigt (aaO, p. 413 s., 464 ss.), s. Philip Morris USA v. Williams, 549 U.S. 346, 355 ss. (2007). Zum Problem der Geltendmachung von punitive damages in class actions infolge dieser Rechtsprechung s. Sharkey, 46 U. Mich. J.L. Reform 1127, 1128 ss., 1137 ss. (2013); vgl. ferner Zipursky, 125 Harvard L. Rev. 1757, 1780 ss., 1787 s. (2012). 331 Dazu, aber auch zur verfassungsrechtlichen Kritik an punitive damages bereits im 19. Jhd. Colby, 118 Yale L.J. 392, 416 ss., 428 s. (2009). 332 Dazu Zipursky, 125 Harvard L. Rev. 1757, 1773 ss. (2012); Rendleman, 7 U. St. Thomas L.J. 1, 9 ss. (2009); Colby, 118 Yale L.J. 392, 401 ss., 408 ss. (2009): Maßgeblicher Gesichtspunkt des Supreme Court ist die Erwägung, dass sich die Beklagten angesichts der fehlenden Darlegungslast und Spezifikationspflichten des Klägers nicht mit dem Einwand wehren können, dass anderen Personen im Einzelfall kein Unrecht zugefügt worden ist, und den Beklagten insoweit die Möglichkeit angemessener Verteidigung genommen wird. 333 S. Morton-Bentley, 17 Roger Williams U. L. Rev. 791, 798 ss. (2012); Rendleman, 7 U. St. Thomas L.J. 1, 13 s. (2009). 334 S. dazu etwa Glover, 53 Wm. & Mary L. Rev. 1137, 1160 ss. (2012).
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vergangenen Jahrzehnte eingegangen wird, die zu einem weitgehenden Verschwinden der trials geführt haben, ist ein kurzer Blick auf den Verfahrensablauf bei Verfahren vor Bundesgerichten (federal courts) nach den Federal Rules of Civil Procedure sowie die generelle Struktur des Prozesses zu werfen.335 Prägende Elemente der FRCP, die mit Ausnahme der class-action-Regelungen (R. 23 FRCP) seit ihrem Inkrafttreten im Kern unverändert geblieben sind336, sind dabei der Gedanke einer einheitlichen, schnellen, kostengünstigen und effizienten Streitbeilegung (R. 1 FRCP), was durch einfache Klageinleitung und ein untechnisches, durch richterliches Ermessen geleitetes Verfahren erreicht werden soll; ferner generell der Gedanke des durch die Parteien beherrschten Verfahrens, der trial process sowie die discovery.337 Klageinleitung geschieht durch das pleading, das Ausführungen zur gerichtlichen Zuständigkeit und zum Klagegrund enthalten soll (R. 8(a) FRCP).338 Genügt die Klage den Anforderungen nicht, kann die Klage auf eine sog. motion to dismiss abgelehnt werden (R. 12(b)(6) FRCP). Genügt sie dagegen den pleading-Anforderungen, so folgt die sog. pretrial-Phase und insbesondere die auf Beweiserhebung gerichtete discovery, in der weitreichende Auskunfts- und Beweiserhebungsrechte der Parteien bestehen (R. 27 FRCP).339 Erst nach Abschluss der discovery schreitet das Verfahren zum trial voran, sofern nicht Anträge von Kläger und Beklagtem auf summary judgment, in dem eine summarische Prüfung der Erfolgsaussichten der Klage erfolgt, zur Verfahrensbeendigung führen.340 Der trial, d.h. der eigentliche Prozess ist als konzentrierte, am Stück stattfindende Hauptverhandlung ausgestaltet.341 b) The Disappearance of Civil Trial342342 In den vergangenen Jahrzehnten hat sich eine Entwicklung vollzogen, infolge derer in nur rund ein Prozent aller vor US-amerikanischen Bundesgerichten 335 Die nur für die federal courts geltenden FRCP haben nach ihrem Erlass auch die einzelstaatlichen Prozessordnungen der state courts wesentlich beeinflusst, s. Carrington, 46 U. Michigan J. L. Reform 537, 538 s. (2013). 336 D. Marcus, 44 Georgia L. Rev. 433, 506 (2010). 337 Aus historischer Perspektive s. Bone, 61 Oklahoma L. Rev. 319, 323 s. (2008); s. ferner Weinstein, 54 Brooklyn L. Rev. 1, 2 s., 4 s. (1988); D. Marcus, 44 Georgia L. Rev. 433, 506 (2010); Subrin, 135 U. Pennsylvania L. Rev. 909, 923 s. (1987); Miller, 60 Duke L.J. 1, 3 ss. (2010); generell zu den prägenden Bestandteilen des common law-Prozesses Langbein, 122 Yale L.J. 522, 526 ss., 536 ss. (2012). 338 Wobei entgegen dem früheren notice pleading mittlerweile erhöhte Anforderungen an die Darlegung von facts bereits im pleading bestehen, s. dazu sogleich S. 311 f. 339 S. dazu unten S. 313 f. sowie, auch historisch, Langbein, 122 Yale L.J. 522, 530 ss., 542 ss. (2012). 340 S. dazu unten S. 309 ff. sowie Langbein, 122 Yale L.J. 522, 545 ss., 566 ss. (2012). 341 Dazu Langbein, 122 Yale L.J. 522, 529 (2012). 342 Langbein, 122 Yale L.J. 522 (2012).
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anhängigen Zivilverfahren ein trial stattfindet.343 Dieses Phänomen des Verschwindens des Zivilprozesses344 umfasst dabei zwei Aspekte: Zum einen, dass vor staatlichen Gerichten anhängige Zivilprozesse in immer weniger Fällen die trial-Phase erreichen und durch jury-Urteil entschieden werden – an dessen Stelle treten im Großteil der Fälle Vergleiche (settlements)345 oder Klagabweisung vor der trial-Phase.346 Zum anderen ist auch der Zugang zu staatlichen Gerichten, etwa infolge von Schiedsvereinbarungen, ausgeschlossen, sodass bereits keine Klagerhebung vor staatlichen Gerichten in Betracht kommt.347 Das Verschwinden des Zivilprozesses, d.h. insbesondere des Einzelprozesses hat dabei vielfältige Gründe. In der Diskussion werden folgende Faktoren genannt, die dem US-amerikanischen Prozessmodell inhärent sind: hohe Prozesskosten348 insbesondere wegen der discovery349 sowie die Verschiebung des Verfahrens auf die pretrial-Phase infolge der discovery350; ferner die Erweiterung des judicial management in der pretrial-Phase, durch das Richter zur Erledigung komplexer Prozesse aktiv das Verfahren gestalten und auf das Erreichen von Vergleichen hinarbeiten351. Zudem haben mehrere prozessuale Entwicklungen der jüngeren Vergangenheit zu diesem Prozess beigetragen, der dazu führt, dass der klägerische access to courts verwehrt wird bzw. Kläger keinen meaningful day-in-court haben.352 So wurden die Hürden für das Fortgehen des Verfahrens bereits in der Klagerhebungsphase durch eine Verschärfung des pleading-Standards er343 Dazu Langbein, 122 Yale L.J. 522, 524 (2012) m.Nw.: Während dies bei Inkraftreten der FRCP noch in rund 20% der Fall gewesen ist, hat sich dies bis in die 2000er Jahre auf 1,8% (trials insgesamt) bzw. 1,2% (jury trials) reduziert. Inzwischen liegt die Rate noch geringer, s. etwa Staszak, No Day in Court, p. 19 (2012: in 1,1% der Fälle trial); Glover, 87 N.Y.U. L. Rev. 1713, 1720 (2012). 344 Dazu Langbein, 122 Yale L.J. 522, 524 ss. (2012); Glover, 87 N.Y.U. L. Rev. 1713, 1718 ss. (2012); s.a. Miller, 88 N.Y.U. L. Rev. 286, 306 s. (2013); mit Zahlen s. Staszak, No Day in Court, p. 18 ss. – das Verschwinden des civil trial betrifft dabei sowohl einen Rückgang der trials in absoluten Zahlen als auch einen relativen Rückgang der trial-Quote. 345 Zum rise of settlements s. Glover, 87 N.Y.U. L. Rev. 1713, 1720 ss., 1723 (2012). 346 S. Miller, 88 N.Y.U. L. Rev. 286, 307, 309 (2013). 347 S. dazu unten S. 319 ff. sowie etwa Staszak, No Day in Court, p. 38 ss. 348 Glover, 87 N.Y.U. L. Rev. 1713, 1722 (2012). 349 Generell zu dieser Kritik an der discovery Carrington, 60 Duke L.J. 597, 609 s., 612 (2010); s. ferner Weinstein, 54 Brooklyn L. Rev. 1, 27 (1988); Langbein, 122 Yale L.J. 522, 551 ss. (2012); Miller, 40 Cardozo L. Rev. 57, 63 (2018); ferner zweifelnd, ob die Kosten tatsächlich exzessiv hoch sind, ders., 60 Duke L.J. 1, 61 ss. (2010). 350 Zu dieser These s. Langbein, 122 Yale L.J. 522, 526, 551, 569 ss. (2012), der den Rückgang der trials vor allem damit begründet, dass infolge der discovery die streiterheblichen Tatsachenfragen bereits vor trial geklärt werden und daher die Erforderlichkeit eines trial entfällt. 351 Dazu Glover, 87 N.Y.U. L. Rev. 1713, 1723 s. (2012). 352 S. dazu Miller, 40 Cardozo L. Rev. 57, 85 s. (2018); s.a. Resnik, 124 Yale L. J. 2804, 2811, 2818 (2015); Bone, 61 Oklahoma L. Rev. 319, 337 s. (2008); Staszak, No Day in Court, p. 1 ss.
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höht.353 Ferner wurden die Möglichkeiten richterlicher Klagabweisung im Vorfeld des trial erweitert (summary judgment).354 Das Schwergericht eines Verfahrens wurde damit von der trial-Phase, die grundsätzlich nicht mehr erreicht wird, auf die pretrial-Phase verschoben.355 Gleichzeitig hat die weitgehende Anerkennung vertraglich vereinbarter Schiedsklauseln den Zugang zu staatlichen Gerichten wesentlich eingeschränkt.356 Danach ist Einzelklägern in „herkömmlichen“ Individualprozessen der Zugang zur gerichtlichen Rechtsdurchsetzung bzw. Interessenwahrnehmung weitgehend verwehrt und auch class actions können zunehmend nicht mehr erfolgreich durchgeführt werden.357 Im Hintergrund dieser Veränderungen, die maßgeblich durch die Rechtsprechung des Supreme Court begründet sind, zeigen sich wiederum Auswirkungen des ideengeschichtlichen rechtstheoretischen Hintergrunds, wie im Folgenden deutlich wird. c) Pleading und summary judgment aa) Bedeutung und Entwicklung Ein wesentlicher Grund, dass in immer weniger Verfahren ein trial stattfindet, besteht darin, dass die richterlichen Möglichkeiten zur Verfahrensbeendigung bei mutmaßlich fehlenden Erfolgsaussichten wesentlich gestärkt wurden: zum einen durch Entscheidung auf eine motion to dismiss (R. 12(b)(6) FRCP)358, zum anderen durch summary judgment (R. 56 FRCP).359 Die motion to dismiss, durch die geltend gemacht wird, dass der Kläger seine Klage nicht schlüssig begründet („failure to state a claim upon which relief can be granted“) und den pleading standard verfehlt hat, kann in der Klagerhebungs-Phase erhoben werden.360 Das summary judgment kommt demgegenüber im weiteren Verfahrensfortgang vor allem nach der discovery361 in Betracht, wenn der Kläger nicht hinreichend Beweise vorbringen kann, um sein
353 S. dazu sogleich S. 311 f. sowie Miller, 40 Cardozo L. Rev. 57, 85, 86 (2018); Glover, 87 N.Y.U. L. Rev. 1713, 1723 (2012). 354 S.a. Miller, 40 Cardozo L. Rev. 57, 85 (2018); Glover, 87 N.Y.U. L. Rev. 1713, 1722 (2012). 355 S. Glover, 87 N.Y.U. L. Rev. 1713, 1723 (2012); vgl. Miller, 40 Cardozo L. Rev. 57, 85 (2018); ders., 60 Duke L.J. 1, 34 s. (2010). 356 Miller, 40 Cardozo L. Rev. 57, 85 s., 87 ss. (2018) sowie unten S. 321 f. 357 Vgl. instruktiv Miller, 60 Duke L.J. 1, 8 s. (2010); Resnik, 124 Yale L.J. 2804, 2810 (2015). 358 S. z.B. Miller, 40 Cardozo L. Rev. 57, 72 ss. (2018) sowie sogleich S. 311 f. 359 Dazu Miller, 40 Cardozo L. Rev. 57, 80 ss. (2018) sowie sogleich S. 312. 360 S. dazu nur Silberman/Stein/Wolf, Civil Procedure, p. 640 s. 361 S. R. 56(b): „at any time until 30 days after the close of all discovery“; vgl. Langbein, 122 Yale L.J. 522, 568 (2012).
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Klagvorbringen zu beweisen („no genuine dispute as to any material fact“), sodass ein trial nicht erforderlich ist.362 Beide Instrumente verdanken sich der Einführung der FRCP und sind vor dem ideengeschichtlichen Hintergrund des Legal Realism zu sehen.363 Entsprechend der Idee der Prozessrechtsbewegung Anfang des 20. Jahrhunderts sollten die FRCP in Abweichung von den Formalismen des Common LawProzesses sowie des Field Code den Prozess vereinfachen und die anwendbaren Regelungen reduzieren. Insbesondere für das pleading sollten keine strengen formellen Anforderungen (strict pleading; forms of actions; writ system) mehr gelten, sondern eine einfache, auslegbare Klagebegründung (notice pleading; simplified pleading), die Gericht und Klagegegner informieren, ausreichen, um dadurch den access to justice zu erleichtern.364 Weil es nicht mehr um die Durchsetzung von aus einem materiell-rechtlichen System folgenden subjektiven Rechten, sondern um die pragmatische Lösung von Rechtsproblemen im Einzelfall auf Grundlage der jeweiligen Fakten (operative facts) und sozialen Interessen geht365, sollte auch das pleading unabhängig von den strikten Kategorien des materiellen Rechts flexibilisiert werden. Ziel ist die Information des Gerichts und des Klagegegners über den zugrundeliegenden Sachverhalt366, was sich gerade in R. 8 FRCP manifestiert, der keine formellen oder be-
362 S. R. 56 FRCP sowie Silberman/Stein/Wolf, Civil Procedure, p. 700 s.; Langbein, 122 Yale L.J. 522, 566 (2012). 363 Dazu, insbesondere zum damaligen Dean der Yale Law School Clark, der neben Sunderland Vorsitzender des Draft Committee war, Subrin, 135 U. Pennsylvania L. Rev. 909, 966 ss. (1987); D. Marcus, 44 Georgia L. Rev. 433, 472 ss., 488 ss., 493 ss., 503 s. (2010); s. zur Vorgeschichte bereits in England im 19. Jhd. – allerdings wesentliche Erweiterung erst durch die FRCP – Langbein, 122 Yale L.J. 522, 566 s. (2012). 364 Clark/Moore, 44 Yale L.J. 1291, 1299 ss. (1935); Clark, 27 Iowa L. Rev. 272 s., 277 (1942); ferner bereits ders., 35 Yale L.J. 259, 266, 282 s. (1926); s.a. Weinstein, 54 Brooklyn L. Rev. 1, 2 s., 4 ss. (1988); D. Marcus, 44 Georgia L. Rev. 433, 472 ss., 488 ss. (2010); Miller, 60 Duke L.J. 1, 3 s. (2010); zur procedural law reform s.a. Aragaki, 89 N.Y.U. L. Rev. 1939, 1963 ss., 1971 ss. (2014). Wie zuvor gezeigt wurde, zielte bereits der Field Code auf eine Vereinfachung und Deformalisierung des common law-Prozessrechts. Dass gleichwohl die realistische Kritik nun auch hiergegen ansetzte, hat verschiedene Gründe, wesentlich dürfte aber sein, dass der Field Code gerade einem materiell-rechtlichen Systemdenken in subjektiven Rechten und Ansprüchen entsprach (so insbesondere D. Marcus, 44 Georgia L. Rev. 433, 478 [2010]). 365 S. dazu zuvor; s. aber dagegen Miller, 60 Duke L.J. 1, 5 (2010), wonach wesentliche Idee der FRCP war, „that the legal rights of citizens should be enforced“, ferner aber auch p. 71 („resolution of civil disputes on their merits“) – die entscheidende Frage ist, was man unter „Rechten“ tatsächlich versteht, s. dazu unten noch S. 419 ff.; s. ferner zur Bedeutung der Entscheidung von Verfahren on their merits Glover, 87 N.Y.U. L. Rev. 1713, 1719, 1725 (2012). 366 Ferner auch die Bestimmung der res judicata-Wirkung, s. Clark, 27 Iowa L. Rev. 272, 273 (1942).
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weisrechtliche Details verlangenden Anforderungen stellt.367 Wie Clark später sagte, ist – entsprechend seinem Begriff subjektiver Rechte und seiner Vorstellung des Prozessziels sowie seiner Kritik am materiellen Verständnis der cause of action368 – nicht die Darlegung von „facts sufficient to constitute a cause of action“369 erforderlich. Es geht also nicht um den materiell-rechtlichen Klagegrund und die schlüssige Darlegung der hierfür erforderlichen Tatsachen. Vielmehr darf, wie es der Supreme Court in Conley v. Gibson umschrieb, die Klage nur dann abgewiesen werden, wenn „it appears beyond doubt that the plaintiff can prove no set of facts in support of his claim“.370 Dabei sind summary judgment und discovery als notwendige Korrelate des vereinfachten pleading standard zu sehen: die pleading-Anforderungen dürfen nicht zu hoch sein, da andernfalls die discovery unerreichbar wäre; gleichzeitig müssen die tatsächlichen Grundlagen des Falls nicht bereits detailliert im pleading vorgetragen werden, sondern werden erst im darauf folgenden, dafür vorgesehenen Verfahrensabschnitt (pretrial process) erhoben, wobei dann im Rahmen eines summary judgment die Erfolgsaussichten der Klage überprüft werden sollen und eine effiziente Verfahrensbeendigung vor trial ermöglicht wird.371 bb) Der Supreme Court und „Twiqbal“ In ausdrücklicher Abweichung von Conley v. Gibson wurden die Beweisanforderungen in der pleading phase durch die Supreme Court-Urteile Twombly (2007) und Iqbal (2009) wesentlich erhöht. Abweichend vom notice pleading372 wurden wesentlich höhere Anforderungen an die Klagerhebung gestellt373, wo367 S. D. Marcus, 44 Georgia L. Rev. 433, 489 ss., 493 ss., 497 s. (2010); Subrin, 135 U. Pennsylvania L. Rev. 909, 976 (1987); Holtzoff, 30 N.Y.U. L. Rev. 1057, 1065 s. (1955); ferner Clark, 27 Iowa L. Rev. 272 s., 277 ss. (1942). 368 S. dazu oben S. 291 ff. 369 Dioguardi v. Durning, 139 F.2d 774, 775 (2d Cir., Court of Appeals 1944) (J. Clark); dazu Miller, 60 Duke L.J. 1, 6 s. (2010); s. demgegenüber noch Pomeroy, Remedies and Remedial Rights, §§ 518 ss., p. 554 ss., wonach der Kläger diejenigen Tatsachen in seiner Klageschrift vortragen muss, „which constitute the cause of action“ (aaO, p. 558 ss., 560); ebenso Code of Civil Procedure (New York, 1850) § 639 („A statement of the facts constituting the cause of action“); d.h. die Tatsachen, aus denen sich das primary right sowie die Pflichtverletzung (wrongful act) des Beklagten ergibt – der Umfang der vorzutragenden Tatsachen hängt nach dieser Konzeption also von den materiell-rechtlichen Anforderungen der cause of action ab. Gerade dagegen ist die Kritik bei Clark gerichtet. 370 Conley v. Gibson, 355 U.S. 41, 45 s. (1957). 371 S. Clark, 27 Iowa L. Rev. 272 s. (1942) sowie D. Marcus, 44 Georgia L. Rev. 433, 493 ss., 503 s. (2010) im Hinblick auf Clark; ebenso Subrin, 39 Boston College L. Rev. 691, 711, 740 (1998); vgl. Miller, 60 Duke L.J. 1, 4 s. (2010); Langbein, 122 Yale L.J. 522, 543 (2012). 372 Vgl. dazu Burbank/Farhang, Rights and Retrenchment, p. 69 s., 135 ss. 373 Bell Atlantic Corp. v. Twombly, 550 U.S. 544, 570 (2007) sowie Ashcroft v. Iqbal, 556 U.S. 662, 684 (2009), wonach erforderlich ist, dass die Klage „enough facts to state a claim to relief that is plausible on its face“ enthält – dagegen genügte zuvor „a complaint should not
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bei sich die nunmehr erforderliche Plausibilitätsprüfung (plausibility pleading)374 neben der Rechtslage auch auf die Tatsachengrundlage erstreckt.375 Mit diesen erhöhten Anforderungen wird im Rahmen einer motion to dismiss bereits zu Beginn eines Verfahrens über den Ausgang des Verfahrens befunden, sodass der klägerische Zugang zur discovery eingeschränkt ist.376 Empirische Daten deuten darauf hin, dass der erhöhte pleading standard dazu geführt hat, dass Kläger von der Klagerhebung abgehalten werden.377 Dies dürfte sich insbesondere auf private law enforcement-Fälle auswirken.378 Eine ähnliche Entwicklung ließ sich bereits in den 1980er Jahren für das summary judgment beobachten.379 So hat der Supreme Court die Möglichkeiten für den Erlass eines summary judgment wesentlich erweitert, indem ein plausibility standard eingeführt und der Prüfungsmaßstab verschärft wurde.380 Auch hierdurch wurde eine vorzeitige Verfahrensbeendigung vor dem eigentlichen trial befördert.381 Im Hinblick auf das summary judgment zeigt sich ferner, dass die unterschiedliche Auslegung des Prüfungsstandards („no genuine dispute as to any material fact“) ebenfalls zu Unsicherheiten geführt hat.382 Dabei erscheinen auch Tendenzen, wonach die Einheitlichkeit des Prozesses383 zugunsten einer Zersplitterung des Verfahrens in mini-trials aufgegeben wird, die ihrerseits zur Verzögerung und Kostensteigerung des Prozesses führen.384
be 374 dismissed for failure to state a claim unless it appears beyond doubt that the plaintiff can prove no set of facts in support of its case“ (Conley v. Gibson, 355 U.S. 41, 45 s. [1957]); dazu etwa Miller, 40 Cardozo L. Rev. 57, 72 (2018); ders., 60 Duke L.J. 1, 17 ss. (2010); s. ferner zu diesen Entwicklungen Carrington, 60 Duke L.J. 597, 648 ss. (2010). 374 Zu diesem Begriff Miller, 60 Duke L.J. 1, 19 s. (2010). 375 Miller, 40 Cardozo L. Rev. 57, 78 s., 86 (2018). 376 Miller, 40 Cardozo L. Rev. 57, 72 s., 86 (2018); ders., 60 Duke L.J. 1, 22, 33, 71 (2010). 377 S. Miller, 40 Cardozo L. Rev. 57, 75, 85 (2018) m.Nw. (zumindest im Hinblick auf securities actions). 378 Vgl. Miller, 60 Duke L.J. 1, 73 ss., 76 s. (2010), ferner p. 42 ss., 45 s. – Miller verweist darauf, dass gerade Fälle des private law enforcement (discrimination, antitrust violations, civil rights) den Nachweis komplexer, im Bereich des Beklagten liegender Sachverhalte erfordern und ferner die Konturen und Voraussetzungen des Rechtsbehelfs erst durch die Gerichte ausgearbeitet werden; wenn also bereits zuvor, d.h. vor der discovery, die Klage abgewiesen wird, wird die Geltendmachung insgesamt eingeschränkt. 379 S. Miller, 60 Duke L.J. 1, 10, 49 ss. (2010). 380 S. Celotex Corp. v. Catrett, 477 U.S. 317, 322 ss. (1986); dazu Miller, 60 Duke L.J. 1, 10, 49 s. (2010); ders., 88 N.Y.U. L. Rev. 286, 310 ss. (2013) – nach R. 56 kann das summary judgment dann ergehen, wenn „there is no genuine dispute as to any material fact“; der Supreme Court hat den Spielraum für den Erlass eines summary judgment erweitert, sodass die Verfahren typischerweise auf Antrag der Beklagtenseite abgelehnt werden. 381 Vgl. auch Miller, 60 Duke L.J. 1, 10, 49 ss. (2010); allerdings sind die Auswirkungen dieser Erweiterungen streitig, vgl. Langbein, 122 Yale L.J. 522, 567 fn. 237 (2012) m.Nw. 382 S. Miller, 40 Cardozo L. Rev. 57, 80 s. (2018). 383 Aus historischer Perspektive s. dazu oben S. 306 f. 384 Miller, 40 Cardozo L. Rev. 57, 83 s. (2018).
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d) Discovery aa) Bedeutung und Entwicklung Änderungen haben sich auch im Bereich der discovery ergeben.385 Idee der durch die FRCP 1938 eingeführten discovery ist zum einen, dem Kläger, der bei Klagerhebung nur geringe Substantiierungserfordernisse zu erfüllen hat (R. 8 FRCP)386, die Darlegung und den Beweis der erheblichen Tatsachen zu ermöglichen, um die Beweisanforderungen im trial erfüllen zu können. Zum anderen zielt sie auf die Reduzierung von Ungewissheiten sowie die frühzeitige Verfahrenserledigung durch summary judgment bei fehlenden Erfolgsaussichten.387 Die auf Sunderland388 zurückgehende discovery, die im Common Law-Prozess keine vergleichbar weitreichenden Vorgängerregelungen aufwies389, brach mit dem im 19. Jahrhundert vorherrschenden Prozessmodell, das jede Partei grundsätzlich auf sie selbst verwies und einer Sachverhaltsaufklärung durch hoheitliche Befugnisse ablehnend gegenüber stand.390 Man wird die Einführung der discovery daher auch im Kontext des New Deal sowie des Legal Realism zu sehen haben.391 Aus Perspektive des auf die Bedeutung von Tatsachen (facts) und empirische Grundlagen verweisenden Legal Realism392 erfüllt die discovery eine wichtige Funktion im Prozess, indem sie die Tatsachengrundlagen gerichtlicher Entscheidungen erweitert.393 Es geht, wie gezeigt, nicht um abstrakte materiell-rechtliche Tatbestände (cause of action), die die Darlegung und den Beweis bestimmter Tatsachen erfordern, sondern um die Produktion von facts, die im konkreten Fall das Eingreifen der Ge385
Dazu auch Miller, 88 N.Y.U. L. Rev. 286, 353 ss. (2013). Insoweit ist die Einführung der discovery auch im Zusammenhang der erleichterten Klageerhebung durch notice pleading zu sehen. Die Hürden für die Klagerhebung sollten gesenkt werden, um dann im Rahmen der discovery Tatsachenerforschung zu ermöglichen. Ebenso steht auch die Einführung des summary judgment sowie von pretrial-conferences hiermit in Zusammenhang; s. D. Marcus, 44 Georgia L. Rev. 433, 493 ss. (2010); Subrin, 39 Boston College L. Rev. 691, 711, 740 (1998); s. ferner bereits Clark, 27 Iowa L. Rev. 272 s. (1942); s. dazu auch oben S. 311. 387 S. etwa Silberman/Stein/Wolff, Civil Procedure, p. 8 s., 654 s.; Subrin, 39 Boston College L. Rev. 691, 709, 716 (1998) – zur historischen Perspektive; Burbank/Farhang, Rights and Retrenchment, p. 69. 388 Hierzu, auch zur Bedeutung Clarks für die discovery Subrin, 39 Boston College L. Rev. 691, 710 ss., 713 ss. (1998). 389 Dazu Subrin, 39 Boston College L. Rev. 691, 694 ss., 701 ss., 719 (1998), ferner aber auch zu umfangreichen discovery-Befugnissen im einzelstaatlichen Verfahrensrecht, wenngleich auch diese hinter den FRCP zurückblieben. 390 S. Subrin, 39 Boston College L. Rev. 691, 696 s., 698 ss. (1998); vgl. ferner, unter Hinweis insbesondere auf Sachaufklärungsmittel im equity-Verfahren, die durch die FRCP in der pretrial-Phase verselbständigt wurden, Langbein, 122 Yale L.J. 522, 544 s. (2012). 391 So Subrin, 39 Boston College L. Rev. 691, 711, 739 s. (1998). 392 S. dazu oben S. 270 f. 393 Subrin, 39 Boston College L. Rev. 691, 711, 740 (1998); ders., 135 U. Pennsylvania L. Rev. 909, 967 s. (1987). 386
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sellschaft und ihrer Gerichte unter Berücksichtigung der gesellschaftlichen Interessen sowie des objektiven Rechts gerechtfertigt erscheinen lassen.394 Damit kommt den facts im Vergleich zur traditionellen Auffassung eine ungleich höhere Bedeutung als selbständige Faktoren zu, da sie den Klagegrund bilden und eine Verurteilung des Beklagten ermöglichen.395 Zugleich nimmt die discovery im Kontext des private law enforcement eine zentrale Rolle ein, indem sie Privaten weitreichende Sachverhaltsaufklärungsmittel zugesteht, die diese in die Lage versetzt, ähnlich staatlichen Stellen Normdurchsetzung zu betreiben.396 Die FRCP sehen im Rahmen der pretrial discovery verschiedene Instrumente zur Erlangung von Beweisen durch die Parteien vor: Dokumentenvorlage (document production; R. 34 FRCP), mündliche Zeugen- und Parteibefragungen (depositions; R. 32 FRCP), Befragungen der gegnerischen Partei durch Fragekataloge (interrogatories; R. 33 FRCP).397 Durchgesetzt werden kann die discovery durch die Möglichkeit der subpoena als Sanktionsmittel bei Nichterfüllung des discovery-Gesuchs, die auf Antrag der Parteien verhängt werden kann (R. 45 FRCP).398 bb) Der Supreme Court und die Beschränkung der discovery Auch die discovery hat in den vergangenen Jahrzehnten Veränderungen erfahren, die sowohl den Zugang zu ihr als auch ihre Reichweite betreffen und insbesondere auf die Verhinderung sog. fishing expeditions399 gerichtet sind. Wie gezeigt, wurden die Substantiierungsanforderungen bei Klageerhebung erhöht, die erfüllt sein müssen, bevor die gerichtliche discovery begonnen werden kann.400 Damit wurde der Zugang zur discovery, die der Erfüllung der Beweisanforderungen dienen soll401, durch tatsächliche Darlegungs- und Substantiierungsanforderungen bereits bei der Klagerhebung wesentlich eingeschränkt.402 Ferner wurde durch die Einführung und Verschärfung eines proportionality-Kriteriums die Reichweite der discovery eingeschränkt.403 394
S. dazu oben S. 291 ff., 293 ff. S. dazu zuvor S. 291 ff., 293 ff.; vgl. auch Subrin, 39 Boston College L. Rev. 691, 711, 739 s. (1998). 396 S. Carrington, 60 Duke L.J. 597, 604 (2010); ders., 45 Duke L.J. 929, 936 (1996); ders., Bitburger Gespräche 2003, S. 33, 35; Miller, 88 N.Y.U. L. Rev. 286, 356 (2013); Reimann, Bitburger Gespräche 2008, S. 105, 133; vgl. Bruns, NJW 2018, 2753, 2754. 397 Dazu auch Langbein, 122 Yale L.J. 522, 545 ss. (2012); Silberman/Stein/Wolf, Civil Procedure, p. 659 ss. 398 Dazu etwa Silberman/Stein/Wolf, Civil Procedure, p. 661, 664. 399 Vgl. zur Diskussion der fishing expeditions bereits in den 1930er Jahren vor Einführung der FRCP Subrin, 39 Boston College L. Rev. 691, 697, 720 s. (1998). 400 S. oben S. 311 f. 401 S. etwa Burbank/Farhang, Rights and Retrenchment, p. 69. 402 Vgl. Miller, 88 N.Y.U. L. Rev. 286, 339, 356 (2013). 403 S. R. 26(b)(1) FRCP sowie Miller, 78 Louisiana L. Rev. 739, 767 s. (2018); ders., 88 N.Y.U. L. Rev. 286, 353 ss. (2013), auch zu weiteren Einschränkungen; s.a. zur proportionality Subrin, 39 Boston College L. Rev. 691, 744 s. (1998). 395
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4. Class action a) Ausgestaltung und Struktur der class action Ebenfalls erfuhr die class action, die zentrales Instrument des private law enforcement ist404, in den vergangenen Jahren wesentliche Beschränkungen.405 Bevor auf diese Veränderungen und die gegenwärtige Krise der class action eingegangen wird, ist zunächst ihre Struktur darzustellen. Diese ist im Kern406 in den vergangenen Jahrzehnten unverändert geblieben. Nach Erhebung einer class action durch einzelne Kläger erfolgt die certification, in der die class action gerichtlich zertifiziert werden muss.407 Hierbei wird überprüft, ob die einzelnen in R. 23(a) FRCP vorgesehenen Kriterien (numerosity, commonality, typicality und adequacy of representation) erfüllt sind.408 Ist die class action409 eine sog. opt out-class action, müssen betroffene Kläger ihren Ausstieg aus der class action erklären, um ihre Klagrechte individuell geltend machen zu können.410 Sofern der Prozess nicht durch summary judgment beendet wird, folgt nach der discovery der trial, der aber nur noch in den wenigsten Fällen tatsächlich stattfindet – der Großteil der class actions endet durch Vergleich (settlement).411 b) Judicial management Mit der class action ist das judicial management verbunden, das eine stärkere Rolle des Richters in der Verfahrenssteuerung von Großverfahren bezeichnet.412 404 S. dazu oben S. 245 f., S. 299 f. sowie gleich noch S. 316 ff.; Bruns, NJW 2018, 2753, 2754; Carrington, Bitburger Gespräche 2003, 33, 35, 49 ff.; Reimann, Bitburger Gespräche 2008, S. 105, 135 ff. 405 Dazu auch Bruns, ZZP 125 (2012), 399, 407 f. 406 S. Class Action Fairness Act (CAFA; 2005); dazu Miller, 64 Emory L.J. 293, 299 s. (2014); s. aber auch Burbank/Farhang, Rights and Retrenchment, p. 138 ss. zu den insgesamt nur wenigen Änderungen, aber auch zu CAFA, welches dazu geführt hat, dass class actions verstärkt an Federal Courts verwiesen werden konnten und folglich die Rechtsprechung des Supreme Court unmittelbare Auswirkungen auf einen Großteil aller class actions hatte. 407 S. dazu Silberman/Stein/Wolf, Civil Procedure, p. 516 s., 1014 ss. 408 Dazu Silberman/Stein/Wolf, Civil Procedure, p. 1014 ss. 409 S. im Einzelnen R. 23(b)(3); (c)(2)(B)(v) FRCP; ferner R. 23(e)(4) FRCP. 410 Dazu näher Silberman/Stein/Wolf, Civil Procedure, p. 1018, 1108 s. 411 Issacharoff/Nagareda, 156 U. Pennsylvania L. Rev. 1649, 1650 (2008); Mullenix, 64 Emory L.J. 399, 419 (2014); s.a. Glover, 87 N.Y.U. L. Rev. 1713, 7123 (2012). 412 Zur Geschichte dieses vor allem in den 1970er Jahren, im Kontext sog. complex cases entstandenen Modells s. etwa Carrington, 60 Duke L.J. 597, 611 s. (2010); Miller, 88 N.Y.U. L. Rev. 286, 293 ss., 297 (2013) – auch zur besonderen Bedeutung des judicial management gerade für die class actions. Ferner spielt die multidistrict litigation eine zunehmend wichtige Rolle, die als eigenständiges Prozessinstitut – möglicherweise auch als Folge der Krise der class action – zunehmend die Verfahrensabwicklung prägt, s. dazu Miller, 40 Cardozo L. Rev. 57, 110 s. (2018); ferner Mullenix, 64 Emory L.J. 399, 404 (2014).
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4. Kapitel: Die Rechtsentwicklung in den USA
Die Richter nehmen hier – im Gegensatz zum sonstigen eher passiven Richterbild des adversary system413 – eine aktivere Rolle in der Strukturierung und Betreibung des Verfahrens ein (R. 16 FRCP: Einberufung von pretrial conferences; bei der Organisation und Durchführung der discovery, etwa durch scheduling orders). Ziel des managerial judging ist, zu Vergleichen (settlements) oder zur sonstigen Verfahrenserledigung vor Beginn eines trial zu kommen sowie die discovery zu strukturieren und zu begrenzen.414 Insbesondere bei Fällen der complex litigation mit vielen Klägergruppen bzw. Beteiligten, verschiedenen Gerichtsstandorten oder aufwendiger discovery nimmt der Richter im Wege des aktiven case management eine zentrale Funktion für die Verfahrensbetreibung und -erledigung ein.415 Wiederum steht das case management, mit dem das Verfahren nach richterlichem Ermessen (discretion) im Einzelfall flexibel und pragmatisch gestaltet werden kann, in ideengeschichtlichem Kontext des Legal Realism.416 Zugleich ist R. 16 FRCP notwendiges Korrelat etwa der discovery und des vereinfachten notice pleading.417 c) Idee und Entstehung der class action Die class action bestand zwar bereits seit Erlass der FRCP (1938), allerdings fand sie erst durch das amendment der R. 23 FRCP von 1966 maßgebliche Erweiterung und erlangte praktische Bedeutung.418 Wesentliches Element dieser Erweiterung war die Ermöglichung von class actions bei Bestehen gemeinsamer Tatsachen- und Rechtsfragen, sofern diese nur individuelle Mitglieder der class action betreffende überwiegen (R. 23(b)(3) FRCP).419 Auch wenn die Erweiterung 1966 selbst nicht unmittelbar Resultat einer auf Verwirklichung des private law enforcement gerichteten Debatte 413 Vgl. Miller, 40 Cardozo L. Rev. 57, 109 (2018); ders., 88 N.Y.U. L. Rev. 286, 296 (2013); s. auch zum grundsätzlich passiven Richterbild Langbein, 122 Yale L.J. 522, 536, 546 s., 553 ss. (2012). 414 Zum judicial management s. etwa Miller, 40 Cardozo L. Rev. 57, 107 ss. (2018); ders., 88 N.Y.U. L. Rev. 286, 295 s. (2013); Carrington, 60 Duke L.J. 597, 611 s. (2010). 415 Miller, 40 Cardozo L. Rev. 57, 108 ss. (2018); Langbein, 122 Yale L.J. 522, 553 ss., 555 ss. (2012). 416 Vgl. zur Bedeutung des case management bei Clark sowie den FRCP D. Marcus, 44 Georgia L. Rev. 433, 484 ss., 493, 499 ss. (2010). 417 S. Subrin, 39 Boston College L. Rev. 691, 740 (1998); Langbein, 122 Yale L.J. 522, 553 s. (2012). 418 Dazu etwa D. Marcus, 90 Wash. U. L. Rev. 587, 588, 599 ss., 602 ss. (2013); R. Marcus, 96 N.C. L. Rev. 903, 905 s. (2018); ders., 65 DePaul L. Rev. 497, 499 s. (2016); Klonoff, 90 Wash. U. L. Rev. 729, 736 (2013); Burbank/Farhang, Rights and Retrenchment, p. 72 ss.; Mullenix, 64 Emory L.J. 399, 405 (2014); ferner Gottwald, ZZP 91 (1978), 1, 3 ff. Zur Vorgeschichte und Vorläufern der class action von 1938, insbesondere zur group litigation s. Yeazell, 27 UCLA L. Rev. 514, 516 ss. (1980); ders., 27 UCLA L. Rev. 1067 ss., 1087 ss. (1980). 419 Burbank/Farhang, Rights and Retrenchment, p. 73.
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war420, stehen im Hintergrund wiederum ideengeschichtliche Überlegungen, die ihren Ausgangspunkt im 19. Jahrhundert nehmen.421 Mit der Zurückweisung der Idee materieller subjektiver Privatrechte änderte sich auch die Bedeutung von Rechtsverhältnissen für den Prozess.422 Nicht mehr das konkrete Rechtsverhältnis war Gegenstand eines Prozesses; vielmehr ermöglichte das geänderte Verständnis die pragmatische, in richterliches Ermessen gestellte Verknüpfung von verschiedenen Personen und Rechtsverhältnissen in einem Prozess, um dadurch zu einer effizienten Streitbeilegung zu gelangen und die Durchsetzung gesellschaftlicher Interessen zu bewirken.423 Aus diesen Positionen heraus wurde vor allem auch die Verbindung und Häufung mehrerer Klagen (joinder) anders als zuvor bewertet.424 Dies manifestierte sich etwa in den liberalen Regelungen zur subjektiven Klagehäufung (joinder).425 Die Abkehr von der Idee subjektiver Rechte und vom Denken in Rechtsverhältnissen ermöglichte so auch alternative flexible Prozessformen, die einen vom konkreten materiell-rechtlichen Rechtsverhältnis unabhängigen Gegenstand haben und deren konkrete Ausgestaltung richterlichem Ermessen (discretion) unterliegt.426 420 So D. Marcus, 90 Wash. U. L. Rev. 587, 599, 605 s. (2013), s. aber auch p. 608; s. aber Mullenix, 64 Emory L.J. 399, 401 s. (2014) zum Zusammenhang der Reform von 1966 und der Schaffung neuer privater Klagerechte im Kontext von Präsident Johnsons Great SocietyProgramm. 421 Zu R. 23 FRCP (1938) s. D. Marcus, 90 Wash. U. L. Rev. 587, 600 s. (2013). Die „alte“ R. 23 FRCP von 1938 sah drei Fallgruppen vor und verlangte dabei jeweils „jural relations“ bzw. „rights“; deutlich zeigt sich hier noch das Rechtsdenken des 19. Jhd., vgl. Miller, 88 N.Y.U. L. Rev. 286, 315 (2013) („metaphysical 1938 text“); s.a. D. Marcus, 44 Georgia L. Rev. 433, 505 (2010), wonach die ursprüngliche formalistische R. 23 FRCP gerade nicht realistischem Denken entsprach. In deutlicher Abweichung von R. 23 FRCP (1938) verwendet die neue R. 23 FRCP nach dem amendment von 1966 nicht mehr die Begriffe jural relations und rights. Erst dadurch vollzieht sich auch für die class action die Abkehr vom subjektiv-rechtlichen Denken, die im Übrigen bereits durch die FRCP von 1938 vollzogen wurde. 422 Vgl. dazu oben S. 291 ff. 423 Vgl. Bone, 89 Columbia L. Rev. 1, 80 („in terms of trial convencience, not in terms of right“), 98 ss. (1989); s. ferner D. Marcus, 90 Wash. U. L. Rev. 587, 593 (2013) („This conception prioritizes regulatory efficacy as a primary value. The class action succeeds when, as a substitute for public administration, it helps implement a positive program of social or economic reform. Individual remediation is a secondary goal, if that“), s. aber auch aaO, p. 593 s., wo zwischen dieser regulatory conception und der adjectival conception, nach der die class action klassische prozessuale Ziele verfolgt, unterschieden wird. 424 S. etwa Clark, 33 Yale L.J. 817, 832 ss. (1923–1924), dessen Ablehnung der cause of action auch zu einer anderen Bewertung des joinder führt – es soll auf die „similar group of operative facts“ ankommen (aaO, p. 832). Vgl. zur früheren Konzeption, die privity voraussetzte sowie zu den Entwicklungen des 19. Jhd., die die subjektive Klaghäufung (multiplicity of suits) bei common factual and legal issues ermöglichte, Bone, 89 Columbia L. Rev. 1, 29 ss., 37 ss., 41 ss., 45 ss., 77 s. (1989): Der Zusammenhang von procedure, remedy und rights stellte insoweit das wesentliche Hindernis auf dem Weg zu einer Gruppenklage dar. 425 S. Bone, 89 Columbia L. Rev. 1, 104 ss. (1989). 426 Vgl. Bone, 89 Columbia L. Rev. 1, 98 ss., 104 ss. (1989); s.a. D. Marcus, 44 Georgia L. Rev. 433, 490 (2010); ders., 90 Wash. U. L. Rev. 587, 604 (2013).
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4. Kapitel: Die Rechtsentwicklung in den USA
Konkreter Hintergrund427 für die Prozessreformen in den 1960er Jahren war zum einen die Schaffung von Bürgerrechten (civil rights) sowie neuer privater Klagrechte (private causes of action), deren Durchsetzung durch die class action ermöglicht werden sollte; zum anderen auch die Ermöglichung der Geltendmachung sog. negative value claims, d.h. von Forderungen geringer Höhe, deren individuelle Durchsetzung sich wirtschaftlich nicht lohnt und die daher faktisch ausgeschlossen wäre.428 Während ursprünglich nur Unterlassungsansprüche sowie Feststellungsbegehren (injunctive relief; declaratory relief) hierdurch verfolgt werden sollten, wurde die class action in der Folgezeit auch zur Geltendmachung von damages sowie generell von Geldleistungen verwendet.429 Auf diese Weise entwickelte sich die class action zu einem prozessualen Instrument, das neben dem Schadensersatz bei deliktischen Massenschäden (mass tort class action)430 auf Durchsetzung öffentlicher Regulierungsziele etwa im Bereich der Antidiskriminierung und des Umwelt- und Verbraucherschutzes zielt und damit dem private law enforcement dient431.
427 S. aber auch D. Marcus, 90 Wash. U. L. Rev. 587, 606 s. (2013), wonach erst nach Fertigstellung des Entwurfs von R. 23 FRCP die Schaffung neuer privater Klagrechte vollzogen wurde. 428 S. Miller, 64 Emory L.J. 293, 294 s. (2014); ders., 88 N.Y.U. L. Rev. 286, 315 s. (2013); Burbank/Farhang, Rights and Retrenchment, p. 73; Bone, 61 Oklahoma L. Rev. 319, 325 (2008); Mullenix, 64 Emory L.J. 399, 401 (2014). Der Gedanke der negative value claims erscheint in der rechtswissenschaftlichen Diskussion bereits in den 1940er Jahren, s. dazu Carrington, 46 U. Michigan J.L. Reform 537, 540 s. (2013); zum Zusammenhang der Schaffung neuer causes of action im Zuge des private law enforcement und class action s.a., wenngleich etwas einschränkend unter Verweis auf entsprechende Klagerechte bereits vor 1966, R. Marcus, 65 DePaul L. Rev. 497, 502 s. (2016); s. ferner D. Marcus, 86 Fordham L. Rev. 1785, 1789, 1790 ss., 1797 ss., 1801 ss. (2018), wonach in den ersten Jahrzehnten nach der class action-Reform das Schwergewicht der Verfahren auf civil rights sowie antitrust actions lag. 429 R. Marcus, 65 DePaul L. Rev. 497, 500 ss. (2016); s.a. Mullenix, 64 Emory L.J. 399, 404 (2014) („class litigation now is dominated by Rule 23(b)(3) damage class actions, rather than the injunctive classes of the Civil Rights era“); ferner Carrington, Bitburger Gespräche 2003, S. 33, 49 f. 430 Zur mass tort class action, ihrer Entwicklung und ihrer gegenwärtigen Bedeutung s. etwa D. Marcus, 165 U. Pennsylvania L. Rev. 1565, 1566 ss., 1592 ss., 1596 s. (2017); ders., 86 Fordham L. Rev. 1785, 1820 ss. (2018); s. ferner Mullenix, 64 Emory L.J. 399, 402 s. (2014), die darauf verweist, dass die mass tort class action bis Ende der 1990er Jahre wesentlicher Anwendungsfall der class action war. Ende der 1990er Jahre schränkte der Supreme Court die mass tort class action ein, s. Ortiz v. Fibreboard Corp., 527 U.S. 815 (1999); Amchem Prods., Inc. v. Windsor, 521 U.S. 519 (1997); dazu auch Stadler, ZHR 182 (2018), 623, 647; Bruns, ZZP 125 (2012), 399, 407 f. 431 Miller, 64 Emory L.J. 293, 295 (2014); s.a. D. Marcus, 90 Wash. U. L. Rev. 587, 592 ss. (2013); Glover, 53 Wm. & Mary L. Rev. 1137, 1163 (2012) zum Zusammenhang von private law enforcement und class action; Fitzpatrick, 57 Arizona L. Rev. 161, 195, 196 (2015), wonach nicht compensation, sondern deterrence der wesentliche Zweck der class actions sei; ferner auch Note: Developments in the Law: Class Actions, 89 Harvard L. Rev. 1318, 1353 (1976) zum Zusammenhang von class action und der Durchsetzung von substantive policies; s. schließlich auch Gottwald, ZZP 91 (1978), 1 f.; Bruns, ZZP 125 (2012), 399, 400 f.
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d) Der Supreme Court und „the decline of class actions“432432 Nach dem golden age der class action433 ist diese in den vergangenen Jahrzehnten zunehmend in eine Krise geraten, sodass mitunter bereits vom end of class actions434 die Rede ist.435 Die Erschwerung des Zugangs zu class actions ist dabei vor allem durch folgende Faktoren bedingt, zu denen wiederum die Rechtsprechung des Supreme Court auch als Reaktion auf die zunehmende Ausweitung der class action436 maßgeblich beigetragen hat: Anhebung der Darlegungs- und Beweisanforderungen bereits bei certification der class action437; höhere Anforderungen an die Erfüllung der certification-Kriterien (commonality)438; die Begrenzung der durch class actions geltendzumachenden punitive damages439; sowie die Erleichterung des Ausschlusses von class actions durch Schiedsklauseln (arbitration clauses; class action waivers)440.
5. Arbitration Insofern haben Veränderungen in der Rechtsprechung des Supreme Court zur Wirksamkeit von Schiedsklauseln (arbitration clauses) – insbesondere die Bejahung der Wirksamkeit von Schiedsklauseln, die den Ausschluss von class actions (class action waivers) vorsehen – zu erheblichen Einschränkungen des 432
Für diese Überschrift s. Klonoff, 90 Wash. U. L. Rev. 729 (2013). Dazu R. Marcus, 65 DePaul L. Rev. 497, 499 ss. (2016); Mullenix, 64 Emory L.J. 399, 402 (2014). 434 Fitzpatrick, 57 Arizona L. Rev. 161 (2015) („The End of Class Actions?“). 435 Vgl. dazu Miller, 64 Emory L.J. 293, 296 (2014); R. Marcus, 65 DePaul L. Rev. 497, 504 ss. (2016); Mullenix, 64 Emory L.J. 399, 401 ss. (2014); dazu auch Stadler, ZHR 182 (2018), 623, 638. 436 Miller, 64 Emory L.J. 293, 296 (2014); s.a. Glover, 53 Wm. & Mary L. Rev. 1137, 1164 (2012). 437 Comcast Corp. v. Behrend, 569 U.S. 27 (2013); Wal-Mart Stores, Inc. v. Dukes, et. al., 564 U.S. 338 (2011); Amgen Inc. v. Connecticut Retirement Plans and Trust Funds, 568 U.S. 455 (2013); dazu, auch zur rigorous analysis Klonoff, 90 Wash. U. L. Rev. 729, 734, 747 ss., 753 ss. (2013); Miller, 64 Emory L.J. 293, 298 (2014); ders., 40 Cardozo L. Rev. 57, 83 (2018); R. Marcus, 65 DePaul L. Rev. 497, 508 s. (2016); s.a. Burbank/Farhang, Rights and Retrenchment, p. 141. 438 Wal-Mart Stores, Inc. v. Dukes, et. al., 564 U.S. 338 (2011); s.a. Klonoff, 90 Wash. U. L. Rev. 729, 734, 773 ss. (2013); Miller, 64 Emory L.J. 293, 298 s. (2014); R. Marcus, 65 DePaul L. Rev. 497, 505 ss. (2016); ferner Stadler, ZHR 182 (2018), 623, 647 f.; Bruns, ZZP 125 (2012), 399, 407 f. 439 S. dazu oben bereits S. 304 ff. sowie Philipp Morris USA v. Williams, 549 U.S. 346, 352 ss. (2007); Sharkey, 46 U. Mich. J.L. Reform 1127, 1128 ss., 1137 ss. (2013); Miller, 64 Emory L.J. 293, 298 (2014). 440 Klonoff, 90 Wash. U. L. Rev. 729, 735, 815 ss. (2013); Glover, 53 Wm. & Mary L. Rev. 1137, 1165 (2012); Fitzpatrick, 57 Arizona L. Rev. 161, 162 ss. (2015); R. Marcus, 65 DePaul L. Rev. 497, 509 s. (2016); ferner Stadler, ZHR 182 (2018), 623, 644 f.; Thönissen, ZZPInt 2018, 315, 319 ff. 433
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private law enforcement geführt.441 Auch diese Entwicklung ist zunächst vor dem geschichtlichen Hintergrund zu betrachten. a) Bedeutung und Entwicklung Die Entstehung des Federal Arbitration Act (FAA, 1925) und seines die Schiedsgerichtsbarkeit wesentlich begünstigenden Grundcharakters ist historisch zum einen durch Interessen der Wirtschaft sowie der Anwaltschaft bedingt.442 Zum anderen steht diese Entwicklung in Zusammenhang mit dem American Legal Realism sowie den „progressiven“, für Prozessreform eintretenden Strömungen der Rechtswissenschaft – nicht die prozessuale Durchsetzung von Rechten in einem förmlichen Verfahren vor Gericht, sondern Konfliktlösung in einem einfachen effizienten Verfahren auch für Teile der Gesellschaft, die andernfalls vom access to justice ausgeschlossen wären, ist hier tragender Grundgedanke.443 Ebenso wie die FRCP Reaktion auf die Technizitäten und Formalismen des älteren Prozessrechts waren, entsprang auch der FAA der Kritik am bestehenden Prozesssystem und sollte eine vereinfachte untechnische Streitbeilegung ermöglichen; das Rechtssystem sollte weitere Teile der Gesellschaft erreichen und dabei auch eine soziale Kontrollfunktion (social control) wahrnehmen.444 Auch beim FAA ging es um die Erweiterung des access to justice durch ein neues Forum und die Schaffung eines einfachen Verfahrens, das entgegen den Technizitäten und Komplexitäten des traditionellen Prozessrechts Streitlösung ermöglichen sollte.445 Dies erreichte der FAA, indem er entgegen dem früheren Recht446 alle Schiedsvereinbarungen für „valid, irrevocable, and 441 S. dazu Glover, 53 Wm. & Mary L. Rev. 1137, 1165 ss. (2012); vgl. Miller, 60 Duke L.J. 1, 12 s. (2010); ferner Stadler, ZHR 182 (2018), 623, 644 f.; Thönissen, ZZPInt 2018, 315, 318 ff. 442 A. Kessler, 124 Yale L.J. 2940, 2943 s., 2949 ss., 2960 (2015); s. ferner zur Gesetzgebungsgeschichte Clancy/Stein, 63 Business Lawyer 55, 58 ss. (2007); Drahozal, 78 Notre Dame L. Rev. 101, 125 ss. (2002). 443 Hierzu Szalai, 2016 J. of Dispute Resolution 115, 119, 135 s. (2016); Sebok, 65 DePaul L. Rev. 687 s. (2016); Aragaki, 89 N.Y.U. L. Rev. 1939 s., 1963 ss., 1973 ss., 1977 ss., 2002 ss. (2014); A. Kessler, 124 Yale L.J. 2940, 2944 ss. (Roscoe Pound), 2960 ss. (2015); Staszak, No Day in Court, p. 50 ss. 444 S. A. Kessler, 124 Yale L.J. 2940, 2944 ss., 2947, 2951 ss., 2956 ss., 2992 (2015) (auch zum „Paternalismus“ des aus der „Progressive era“ stammenden FAA); Aragaki, 89 N.Y.U. L. Rev. 1939, 1964 ss., 1973 ss., 1977 ss. (2014); zum Aspekt der social control im Rahmen der Sociological Jurisprudence s. Patterson, 60 Columbia L. Rev. 1124, 1128 s. (1960). 445 So insbesondere die These von Aragaki, 89 N.Y.U. L. Rev. 1939, 1964 ss., 1973 ss., 1977 ss., 1984 s. (2014); vgl. auch Szalai, 2016 J. of Dispute Resolution 115, 119, 135 s. (2016). 446 Auch nach älterem Common Law waren zwar Schiedsklauseln wirksam, allerdings waren sie bis zum Erlass des Schiedsspruchs revocable; Widerruf führte zwar zum Schadensersatz, es gab aber keine specific performance dahingehend, dass ein Schiedsverfahren tatsächlich durchgeführt werden musste, s. Aragaki, 89 N.Y.U. L. Rev. 1939, 1946 ss. (2014).
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enforceable, save upon such grounds as exist at law or in equity for the revocation of any contract“ (Sec. 2 FAA447) erklärte. Diese Idee der außergerichtlichen Streitbeilegung erhielt in den 1970er Jahren ein erneutes Moment, als sich die sog. Alternative Dispute Resolution-Bewegung (ADR movement) formierte.448 b) Der Supreme Court und die Ausweitung der arbitration Beginnend in den 1980er Jahren wurde die Anerkennung der privaten arbitration durch mehrere Entscheidungen des Supreme Court erweitert, wodurch inzwischen nicht nur der Zugang zum Individualprozess, sondern auch zur class action eingeschränkt ist.449 In Abkehr von der früheren Rechtsprechung450 werden formularmäßig vereinbarte Schiedsklauseln auch in Verbraucherverträgen generell für wirksam gehalten.451 Ferner gibt es keine wesentlichen Beschränkungen der objektiven Schiedsfähigkeit, da grundsätzlich sämtliche private Klagen des federal statutory law der Schiedsgerichtsbarkeit zugewiesen werden können.452 In der Vergangenheit nutzten Gerichte zwar sog. unconscionability clauses des einzelstaatlichen Rechts als generalklauselartige Nichtigkeitsvorschriften, die ähnlich der Sittenwidrigkeitsregelung die Unwirksamkeit von Verträgen anordnen, um die Nichtigkeit von Schiedsvereinbarungen zu begründen.453 Wie der Supreme Court jedoch in AT&T Mobility v. Concepcion (2011)454 sowie im nachfolgenden Urteil American Express v. Italian Colors (2013)455 entschied, ist eine aus der unconscionability doctrine hergeleitete Unwirksamkeit einer Schiedsvereinbarung grundsätzlich auch dann nicht mit dem FAA vereinbar, wenn die Schiedsvereinbarung nicht nur private Schiedsverfahren vor-
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9 U.S.C. § 2. S. etwa Bone, 61 Oklahoma L. Rev. 319, 325 (2008); s. ferner Staszak, No Day in Court, p. 58 ss.; ferner generell zur ADR Silberman/Stein/Wolff, Civil Procedure, p. 1174 ss., 1186 ss. 449 Dazu insbesondere Glover, 124 Yale L. J. 3052, 3054 ss., 3058 ss. (2015); dies., 53 Wm. & Mary L. Rev. 1137, 1162 ss. (2012); Miller, 78 Louisiana L. Rev. 739, 773 ss. (2018); Staszak, No Day in Court, p. 71 ss. 450 Zur Entwicklung seit Erlass des FAA sowie ab den 1980er Jahren s. Drahozal/Rutledge, 94 Marquette L. Rev. 1103, 1111 ss. (2011); Glover, 124 Yale L. J. 3052, 3060 (2015); Resnik, 124 Yale L. J. 2804, 2836 ss., 2860 ss. (2015). 451 S. etwa Schmitz, 58 Arizona L. Rev. 213, 220 ss. (2016); Glover, 124 Yale L. J. 3052, 3061 ss. (2015); Resnik, 124 Yale L. J. 2804, 2863 ss. (2015). 452 Miller, 78 Louisiana L. Rev. 739, 773 fn. 92 (2018); Glover, 124 Yale L. J. 3052, 3061 s. (2015). 453 S. dazu Silberman/Stein/Wolff, Civil Procedure, p. 1205. 454 AT&T Mobility LLC v. Concepcion, 563 U.S. 333, 339 ss. (2011). 455 Am. Express Co. v. Italian Colors Rest., 570 U.S. 228, 232 ss. (2013). 448
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sieht, sondern damit zugleich auch Sammelschiedsverfahren (class arbitration) ebenso wie Sammelklagen (class action) ausschließt.456 Damit sind formularmäßig vereinbarte Schiedsverfahren selbst in Verbraucherverträgen auch dann wirksam, wenn sie class actions ausschließen (class action waiver).457 Folglich ist die class action als Rechtsschutzinstrument in vertraglichen Verhältnissen – anders eigentlich nur noch bei außervertraglichen Haftungsfällen sowie kapitalmarktrechtlichen Klagen458 – zunehmend ausgeschlossen.459 Unwirksamkeit kann sich nur in Ausnahmefällen ergeben, etwa wenn die effektive Geltendmachung der Klagrechte verhindert wird.460 Allerdings sind auch dieser Ausnahme enge Grenzen gesetzt461, sodass die Verfahrensausgestaltung (discovery etc.) weitgehend den Parteien überlassen wird.462 Wiederum resultieren hieraus wesentliche Einschränkungen des private law enforcement, da individuelle Schiedsverfahren angesichts darin vorgesehener Verfahrensbeschränkungen sowie des Ausschlusses kollektiver Rechtsschutzinstrumente nicht entsprechende Normdurchsetzung gewährleisten.463
6. „The Erosion of Substantive Law“464 a) Die Entwicklung des materiellen Rechts Bislang wurde auf die Änderungen des Prozessrechts und der Konfliktlösungsinstrumente eingegangen. Nicht näher thematisiert wurden die Ände456 Dazu auch Fitzpatrick, 57 Arizona L. Rev. 161, 162 ss. (2015); Sebok, 65 DePaul L. Rev. 687, 688 ss. (2016); Resnik, 124 Yale L. J. 2804, 2887 ss. (2015). 457 S. AT&T Mobility LLC v. Concepcion, 563 U.S. 333, 344 ss. (2011); dazu Glover, 124 Yale L. J. 3052, 3066 s. (2015); Fitzpatrick, 57 Arizona L. Rev. 161, 166, 167 s. (2015); s. ferner Stadler, ZHR (2018), 623, 644 f. 458 S. Fitzpatrick, 57 Arizona L. Rev. 161, 180 s. (2015): Ferner können auch Diskriminierungsklagen der Schiedsgerichtsbarkeit unterliegen; zudem sind Diskriminierungsklagen als class actions infolge der Wal-Mart v. Dukes-Rechtsprechung des Supreme Court (Wal-Mart Stores, Inc. v. Dukes, et al., 564 U.S. 338, 348 ss. [2011]) nur noch eingeschränkt zulässig, da auch generell die Zulassungsvoraussetzungen zur class action nach Rule 23 FRCP zunehmend restriktiv ausgelegt werden; s. insoweit zur Schwächung der class action Miller, 78 Louisiana L. Rev. 739, 753 ss. (2018) sowie zuvor S. 319 f. 459 Zur weit verbreiteten Verwendung/Verwendbarkeit von Schiedsklauseln durch Unternehmen Fitzpatrick, 57 Arizona L. Rev. 161, 162 ss., 173 ss., 193 (2015); Schmitz, 58 Arizona L. Rev. 213, 220 ss., 223, 225 (2016); Resnik, 124 Yale L. J. 2804, 2872 s. (2015). 460 Zu dieser vindication of rights theory s. Am. Express Co. v. Italian Colors Rest., 570 U.S. 228, 234 ss. (2013) sowie Fitzpatrick, 57 Arizona L. Rev. 161, 170 ss. (2015); Resnik, 124 Yale L. J. 2804, 2875 ss. (2015). 461 Glover, 124 Yale L. J. 3052, 3072 ss. (2015); s.a. Resnik, 124 Yale L. J. 2804, 2886 (2015), wonach bislang noch keine Supreme Court-Entscheidung ergangen ist, die einen Schiedsspruch nach der effective vindication-doctrine für unwirksam erklärt hat. 462 Dazu Glover, 124 Yale L. J. 3052, 3064 ss., 3077 (2015); vgl. Fitzpatrick, 57 Arizona L. Rev. 161, 165 (2015). 463 Glover, 124 Yale L. J. 3052, 3054, 3057 (2015). 464 Zu diesem Begriff s. Glover, 124 Yale L. J. 3052 (2015).
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rungen im materiellen Recht, d.h. vor allem im Hinblick auf das Vertrags- und Deliktsrecht. Im Ausgangspunkt ist dabei festzuhalten, dass die wesentlichen Grundlagen von Vertrags- und Deliktsrecht der Sache nach weitgehend unverändert geblieben sind.465 Zwar zeigen sich in Folge des law and economics-Ansatzes466 sowie des private law enforcement (Erweiterung der punitive damages)467 durchaus Änderungen im Feld der deliktischen Haftung.468 Ferner gibt es durch den Legal Realism beeinflusste Strömungen der Rechtswissenschaft, die die Eigenständigkeit des Privatrechts grundsätzlich ablehnen („all law is public law“).469 Dennoch kommt den herkömmlichen Kategorien des Delikts- und Vertragsrechts (duty470, negligence, fault, proximate cause, injury/damages471; will theory, consent, doctrine of offer and acceptance, freedom of contract472, „establishment of a relation of right and duty between the parties at the moment of agreement“473) weiterhin tragende Bedeutung zu.474 Zudem gibt es innerhalb 465 S. dazu gleich noch Fn. 470 ff. sowie Reimann, Historische Schule und Common Law, S. 279 („[…] die von ihr entwickelten Grundkategorien und -begriffe des Privatrechts sind nach wie vor in Gebrauch“); s. aber auch Jansen/Reimann, ZEuP 2018, 89, 128 zum geringen Grad dogmatischer Durchdringung und Aufbereitung. 466 Generell zu dessen Einfluss Langbein/Lerner/Smith, History of the Common Law, p. 989 s.; vgl. in der Gegenwart z.B. zur Diskussion um die product liability Polinsky/ Shavell, 123 Harvard L. Rev. 1437, 1438 ss. (2010). 467 Vgl. zur Veränderung des tort law durch den Gedanken des private law enforcement sowie des private attorney general Zipursky, 125 Harvard L. Rev. 1757, 1758, 1770 s., 1771 ss. (2012). 468 Vgl. Shulman (et al.), Law of Torts, p. 17 s., 170 ss.; s. ferner Brüggemeier, AcP 182 (1982), 385, 441 ff., 443 f., der die klassische negligence-Haftung dem Legal Formalism zuschreibt und den Einfluss des Legal Realism auf das Haftungsrecht in der „Interessenbalancierung über soziale Kosten-Nutzen-Betrachtungen“ sowie in der „Relativierung der Verhaltens- und Sorgfaltspflichten“ erblickt, was sich schließlich in der negligence-Definition von Judge Learned Hand artikuliert habe (zu Letzterer auch Shulman (et al.), Law of Torts, p. 168 s.; Brüggemeier, AcP 219 [2019], 771, 789 f.); auf diese Weise habe sich ein Paradigmenwechsel „vom 19. Jahrhundert-Ansatz allgemeiner Regeln und genereller Verhaltenspflichten zur deliktischen Sozialsteuerung“ vollzogen. 469 Vgl. (dieser Ausdruck als Umschreibung der Rechtswissenschaft) Fletcher, 50 UCLA L. Rev. 279, 289 (2002); zum Zusammenhang von Legal Realism und private law skepticism Goldberg, 125 Harvard L. Rev. 1640, 1641 (2012); s. ferner Zipursky, 125 Harvard L. Rev. 1757, 1770 (2012). 470 S. aber zu den Entwicklungen der duty of care im 20. Jhd. („entpersonalisierte Unternehmensverschuldenshaftung“) Brüggemeier, AcP 219 (2019), 771, 787 ff. 471 Vgl. Shulman (et al.), Law of Torts, p. 127 ss., 235 ss., 399 ss.; ferner auch Brüggemeier, AcP 219 (2019), 771, 790 ff. 472 S. dazu Benson, 48 Wm. & Mary L. Rev. 1673 s., 1677 (2007). 473 Zu dieser Wirkung des Vertrages Benson, 48 Wm. & Mary L. Rev. 1673, 1674 (2007). 474 Goldberg, 125 Harvard L. Rev. 1640, 1649 (2012) („the most ambitious skeptical efforts to deconstruct private law’s basic categories have not succeeded. For example, the efforts to reduce contract to tort, or to treat tort as a scheme of efficient deterrence, have not succeded on their own terms“); vgl. auch zu diesem Konflikt Zipursky, 125 Harvard L. Rev. 1757 (2012); ferner Herget/Wallace, 73 Virginia L. Rev. 399, 437 (1987) („By mid-century
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der Rechtswissenschaft Tendenzen zugunsten eines New Private Law, welches die realistischen Ansätze mit dem klassisch materiell-rechtlichen Denken des Formalism verbinden möchte (pragmatic conceptualism; inclusive pragmatism).475 b) Joseph Story, das general Common Law und Erie Ungeachtet dieser privatrechtlichen sowie privatrechtstheoretischen Entwicklungen haben sich die Relevanz und die Gestalt des materiellen Rechts grundlegend gewandelt – inzwischen ist von einer erosion of substantive law476 die Rede. Die Gründe hierfür lassen sich wiederum geschichtlich nachvollziehen. So entwickelte der Supreme Court-Richter Joseph Story, der selbst Anhänger der Kodifikationsidee477 und vom kontinentaleuropäischen Rechtsdenken beeinflusst war478, in der Supreme Court-Entscheidung Swift v. Tyson die Idee eines general Common Law.479 Knapp 100 Jahre später – in demselben Jahr, in dem die FRCP in Kraft traten – wurde mit der Supreme Court-Entscheidung Erie R.R. Co. v. Tompkins480 die Idee eines richterlich kreierten bzw. gefundenen general Common Law grundsätzlich zurückgewiesen. Vielmehr sollte in Fällen der diversity jurisdiction nur noch Einzelstaatenrecht bzw. positives Recht des Gesetzgebers (statutory law) angewendet werden, sofern federal law nicht zur Anwendung gelangte.481 Erie 475 most legal scholars had drunk at the well of “realism.“ But the victory of the movement was partial and hollow. The tradition and inertia of the law school institution marched on. Rules, concepts, and “legal“ reasoning remained the core of the taught tradition“); s. ferner Reimann, Historische Schule und Common Law, S. 279 f.; Grey, 45 U. Pitt. L. Rev. 1, 50 (1983). 475 S. Goldberg, 125 Harvard L. Rev. 1640, 1648 ss., 1651 ss. (2012); Zipursky, 125 Harvard L. Rev. 1757 s. (2012); dazu auch Oberdiek, 125 Harvard L. Rev. 189 ss. (2011–2012); s. ferner, teilweise kritisch, Hylton, 125 Harvard Law Rev. 173 ss. (2011–2012). 476 So Glover, 124 Yale L. J. 3052 (2015). 477 Gilmore, 70 Yale L.J. 1037, 1042, 1046 (1961). 478 Vgl. zu den kontinentaleuropäischen Einflüssen bei Story Reimann, Historische Schule und Common Law, S. 23, 28 f.; zur Bedeutung von Story für die Entwicklung der treatises s. Simpson, 48 U. Chicago L. Rev. 632, 651 s., 670 (1981), ferner p. 666 (zum Zusammenhang von treatise und Kodifikationsidee). 479 Dieses allgemeine Common Law sollte in Fällen, die durch Bundesgerichte (federal courts) aufgrund von diversity jurisdiction entschieden werden, gelten, s. Swift v. Tyson, 42 U.S. 1 (16 Pet.) (1842) sowie Silberman/Stein/Wolff, Civil Procedure, p. 446 ss.; Langbein/ Lerner/Smith, History of the Common Law, p. 916. 480 Erie Railroad Co. v. Tompkins, 304 U.S. 64 (1938). Zum Zusammenhang von Erie und dem im gleichen Jahr erfolgten Inkrafttreten der FRCP s. Weinstein, 54 Brooklyn L. Rev. 1, 19 ss. (1988): Während zuvor die federal courts in common law diversity jurisdiction-Fällen einzelstaatliches Prozessrecht und federal common law anwendeten, drehte sich dies mit Erie und den FRCP um, sodass beide Ereignisse im Kontext zu sehen sind. 481 Zu Erie s. bspw. Goldberg, 34 Touro L. Rev. 147 ss. (2018); Gilmore, 70 Yale L.J. 1037, 1046 s. (1961); Silberman/Stein/Wolff, Civil Procedure, p. 449 ss., 455 ss.; Langbein/Lerner/ Smith, History of the Common Law, p. 916 s.
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ist dabei auch vor dem ideengeschichtlichen Hintergrund zu sehen. Neben seinem positivistischen Zug, der die Nähe zum New Deal offenbart, spielten wohl auch realistische Einflüsse (Ablehnung der Idee eines vor-rechtlich existierenden materiell-rechtlichen Systems) eine Rolle.482 c) Restatements, Uniform Acts und Legal Realism Damit war die Idee einer einheitlichen US-amerikanischen Privatrechtsordnung praktisch beendet.483 In der Folge entzogen sich die Entscheidung privatrechtlicher Rechtsfragen sowie die privatrechtliche Rechtsfortbildung zunehmend der Gerichtsbarkeit der federal courts, deren Fokus sich so auf das public law richtet.484 Ferner gab und gibt es zwar restatements – vom American Law Institute erarbeitete Gesamtdarstellungen des Rechts in den verschiedenen Teilrechtsgebieten (contract, torts, property etc.)485 – und Uniform Acts, die einer nationalen Rechtsvereinheitlichung durch Gesetzgebung in bestimmten Rechtsgebieten dienen sollen.486 Die Idee einer als System geordneten, aus allgemeinen Prinzipien bestehenden einheitlichen Rechtsordnung wird jedoch – bedingt durch die Kritik des Legal Realism an legal doctrine und am black letter law („the law“)487, der Betonung richterlichen Ermessens 482 Der Einfluss des Realism ist allerdings streitig, vor allem wird Erie in den Kontext des Positivismus gestellt – zumindest aber in der Zurückweisung einer aus allgemeinen durch Vernunft erkennbaren Prinzipien bestehenden Rechtsordnung zeigen sich deutliche Parallelen zwischen Erie, Positivismus und Legal Realism; s. Amar, 102 Harvard L. Rev. 688, 695 (1989) („The Erie Court’s answer to this question can also be seen as influenced by legal realism“); vgl. Green, 46 Wm. & Mary L. Rev. 1915, 1984 s. (2005); dagegen Goldsmith/Walt, 84 Virginia L. Rev. 673, 709 s. (1998) (gegen einen Einfluss des Legal Realism ebenso wie des Legal Positivism); instruktiv Corbin, 16 Iowa L. Rev. 19, 24 s. (1929), der zwar wie Holmes die Idee einer vor-rechtlich existierenden Rechtsordnung („transcendental body of law“) ablehnt, umgekehrt aber – entgegen Holmes – sehr wohl den federal courts die Kompetenz zu einer unabhängigen Interpretation des state common law zuspricht; dazu auch Goldsmith/ Walt, 84 Virginia L. Rev. 673, 684 (1998). 483 Vgl. auch Langbein/Lerner/Smith, History of the Common Law, p. 916, 987 s., ferner p. 851 ss. 484 Vgl. zu diesem Argument Goldberg, 34 Touro L. Rev. 147, 152 ss. (2018). 485 Dazu etwa Langbein/Lerner/Smith, History of the Common Law, p. 851 ss.; zur Entstehung der restatements aus den treatises Herget/Wallace, 73 Virginia L. Rev. 399, 430 (1987); zum Restatement of Contract auch F. Kessler, JZ 1988, 109, 112; vgl. zur Auseinandersetzung mit den restatements aus Perspektive des Legal Realism Corbin, 16 Iowa L. Rev. 19 ss. (1929); Clark, 42 Yale L.J. 643 ss. (1933). 486 Langbein/Lerner/Smith, History of the Common Law, p. 856, 987 s.; F. Kessler, JZ 1988, 109, 113 (zum Uniform Commercial Code). 487 S. etwa die realistische Kritik von Clark und Corbin an den restatements Clark, 42 Yale L.J. 643 ss., 647 ss., 651, 653 ss. (1933); Corbin, 16 Iowa L. Rev. 19, 24 ss. (1929); s. ferner Simpson, 48 U. Chicago L. Rev. 632, 677 ss. (1981) im Hinblick auf den Bedeutungsverlust der treatises, für den er den Legal Realism verantwortlich macht; vgl. ferner zu diesem „destruktiven Ansatz“ des Legal Realism Langbein/Lerner/Smith, History of the Common Law, p. 988.
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(discretion) sowie der Berücksichtigung der Auswirkungen richterlicher Entscheidungen im Einzelfall488 – grundsätzlich zurückgewiesen. Das bewirkt wiederum einen Bedeutungsverlust des materiell-rechtlichen systematischen Rechtsdenkens.489 d) Prozessreform und „the Erosion of Substantive Law“ Neben diesen Aspekten hat sich die Bedeutung des materiellen Rechts auch noch in einer anderen Hinsicht grundlegend verändert. Die Gründe hierfür liegen nicht so sehr im materiellen Recht selbst als vielmehr in den Veränderungen des Prozesses, und zwar darin, dass die Möglichkeit prozessualer Durchsetzung etwa durch bindende arbitration zunehmend eingeschränkt wird und dadurch eine Erosion des materiellen Rechts befördert wird.490 Gerade in den Kernbereichen des Zivilrechts (z.B. contract law) führt der Umstand, dass immer weniger Prozesse durch Urteil entschieden werden oder infolge von arbitration clauses der Zugang zu staatlichen Gerichten ausgeschlossen ist, dazu, dass sich die Vertragsgestaltung weitgehend unabhängig von den Vorgaben des materiellen Rechts vollziehen kann und dieses wiederum seine Bedeutung verliert.491 Da die materiellen Vertragsbeschränkungen492 häufig der Verwirklichung von public interests dienen, haben der Ausschluss des Zugangs zur staatlichen Gerichtsbarkeit sowie das Vorsehen pro-
488 Vgl. D. Marcus, 44 Georgia L. Rev. 433, 461 ss. (2010). Zur Ablehnung der restatements durch die Legal Realists s. D. Marcus, 44 Georgia L. Rev. 433, 459 ss. (2010) m.Nw. S. aber andererseits zur Beteiligung der Realists an den Uniform Codes (Uniform Commercial Code, Llewellyn) D. Marcus, 44 Georgia L. Rev. 433, 438, 468 (2010); Wiseman, 100 Harvard L. Rev. 465, 466 ss., 470 ss. (1987); vgl. auch insoweit zum Einfluss des Legal Realism auf das Deliktsrecht Brüggemeier, AcP 182 (1982), 385, 443 f. („vom 19. JahrhundertAnsatz allgemeiner Regeln und genereller Verhaltenspflichten zur deliktischen Sozialsteuerung“). 489 Vgl. auch Jansen/Reimann, ZEuP 2018, 89, 128. 490 So die These von Glover, 124 Yale L. J. 3052, 3054 ss. (2015); dies., 53 Wm. & Mary L. Rev. 1137, 1161 (2012) („Although some tort reform measures target substantive laws explicitly, by redefining existing rights in narrower terms, many are more indirect; they leave the existing right in place but cut back its enforcement mechanisms“). 491 Glover, 124 Yale L.J. 3052, 3054 ss., 3074 ss. (2015) („A private entity, through contractual arbitration provisions, can now significantly reduce or even remove its substantive legal obligations by eliminating claiming. That private contract drafter can, in effect, wield quasi-lawmaking power by rendering substantive law inapplicable to a great deal of its primary conduct“); s.a. Sabbeth/Vladeck, 36 Fordham Urb. L.J. 803, 833 ss. (2009) zum „contracting (out) statutory rights“. 492 Zu den generell geringeren materiell-rechtlichen Inhaltsvorgaben des Common Law Contract Law s. Pargendler, 43 Yale J. Int’l L. 143, 145 s., 150 ss. (2018); s.a. Glover, 124 Yale L. J. 3052, 3058 fn. 23 (2015), die darauf hinweist, dass vor allem statutory law, d.h. insbesondere public law (vgl. aaO, p. 3055 s.), hiervon betroffen ist.
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zeduraler Hürden in der Schiedsgerichtsbarkeit493 wesentlichen Einfluss auf das private law enforcement.494 Weil im Großteil aller Verfahren kein am materiellen Recht orientiertes Urteil zu erwarten ist, kann sich auch die Konfliktlösung (settlements, arbitration) weitgehend unabhängig von den Vorgaben des materiellen Rechts vollziehen.495 Folge dessen ist, dass Rechtsfortbildung zunehmend nicht mehr stattfindet. Die Auswirkungen sind aufgrund der Struktur des common law, das wesentlich auf die Schaffung von obergerichtlichen Präzendenzfällen angewiesen ist, besonders gravierend.496
7. Bewertung Die Betrachtung der Rechtsentwicklung in den USA hat bemerkenswerte Ergebnisse hervorgebracht. Zwar hat sich die US-amerikanische Rechtsordnung nicht von den im 19. Jahrhundert unter naturrechtlich-kontinentaleuropäischem Einfluss eingeführten Konstituenten (subjektive Rechte, allgemeine Vertragsbindung und Vertragsfreiheit, verschuldensabhängiges ersatzbezogenes Haftungsrecht, Trennung von Strafe und Schadensersatz) als solchen getrennt. Vielmehr bestehen diese weiter dem Grundsatz nach fort.497 Gleichwohl hat die unter dem Einfluss des Legal Realism erfolgte Prozessreform zu einer grundsätzlichen Abkehr von der Idee einer als System geordneten, aus subjektiven Rechten bestehenden materiell-rechtlichen Rechtsordnung geführt.498 Durch die Prozessreform wurde ein Prozess geschaffen, der seiner 493 Zu diesen Hürden (Ausschluss der class action, Beschränkung der discovery etc.) vgl. Glover, 124 Yale L. J. 3052, 3065 s., 3073, 3076 s. (2015); s. ferner Resnik, 124 Yale L. J. 2804, 2812 ss., 2893 ss. (2015) m.Nw. zum Umstand, dass bei Verbraucherstreitigkeiten arbitration nur in seltenen Fällen stattfindet. 494 Vgl. Glover, 124 Yale L. J. 3052, 3054, 3057 (2015) („to erode substantive law from the books, with the consequent erosion of both the private compensatory goals and public deterrent objectives of that law”); Sabbeth/Vladeck, 36 Fordham Urb. L.J. 803, 833 ss. (2009). 495 Zu diesem zunehmenden Auseinandergehen von settlement und law, sodass die settlements nicht mehr „in the shadow of law“, d.h. weitgehend ohne Orientierung an der materiell-rechtlichen Rechtslage, sondern nur noch „in the shadow of earlier bargains“ geschlossen werden, s. Glover, 87 N.Y.U. L. Rev. 1713, 1716 s., 1725 ss. (2012); vgl. zur arbitration Glover, 124 Yale L. J. 3052, 3054 s., 3057 (2015). 496 Vgl. zu diesem Aspekt Luban, 83 Georgetown L.J. 2619, 2622, 2625 (1995); Glover, 87 N.Y.U. L. Rev. 1713, 1724, 1738 (2012); dies., 124 Yale L. J. 3052, 3055 s. (2015); s. zum Aspekt der Rechtsfortbildung als Prozesszweck nach älterem Verständnis Chayes, 89 Harvard L. Rev. 1281, 1285 (1976). 497 S. dazu zuvor S. 322 ff. 498 Vgl. zu Letzterem im Hinblick auf die Rechtswissenschaft Reimann, Historische Schule und Common Law, S. 279 ff., 282 ff. Demgegenüber sieht Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, S. 352, 353 f. das wesentliche Erbe des Legal Realism in einem neuen Privatrechtsbegriff, der die Unterscheidung von öffentlichem und Privatrecht aufhebt („Dekonstruktion der Unterscheidung von Privatrecht und öffentlichem Recht“; „Privatrecht als Teil der „government regulation““).
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Struktur nach (simplified pleading, discovery, class action) für die Durchsetzung objektiven, gesellschaftlichen Interessen dienenden Rechts besonders geeignet war. Dieser Zusammenhang erlangte insbesondere in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts durch Schaffung entsprechender privater Klagrechte Relevanz.499 Durch diese prozessualen Veränderungen hat sich wiederum die materiell-rechtliche Ordnung geändert.500 Die beschriebenen Entwicklungen des US-amerikanischen Privat- und insbesondere Prozessrechts haben dazu geführt, dass individuelle Durchsetzung subjektiver Privatrechte weder primäres Prozessziel ist noch überhaupt angemessen gewährleistet wird. Anstelle individueller Rechtsdurchsetzung ist durch die Entwicklungen des 20. Jahrhunderts die – vor allem kollektive – Durchsetzung objektiven Rechts durch Private getreten, wobei deren Effektivität durch discovery und punitive damages gesichert wird. Dabei ist zu berücksichtigen, dass sich diese Entwicklungen vor einem spezifischen ideengeschichtlichen Hintergrund vollzogen haben, der die Form des Rechts, ein materiell-rechliches Systemdenken und die Idee der Durchsetzung subjektiver Privatrechte grundsätzlich ablehnt. Die class action und die anderen Instrumente des private law enforcement sind in einem rechtlichen Umfeld entstanden, das die Idee materieller subjektiver Privatrechte sowie ein Verständnis des Prozesses als Instrument ihrer prozessualen Durchsetzung zurückweist. Die grundlegende Kritik am Konzept einer systematischen Rechtswissenschaft, die als Konstituenten der Rechtsordnung subjektive Privatrechte, Vertragsfreiheit, ein verschuldensabhängiges Deliktsrecht und private Rechtsdurchsetzung ansieht, hat auf diese Weise einer umfassenden Umstrukturierung der Gesamtrechtsordnung den Weg gebahnt. An die Stelle der früheren Grundkonstituenten trat die Idee der Durchsetzung objektiven, öffentlichen Regulierungszielen dienenden Rechts durch Private. Dieses Konzept ist durch punitive damages, kollektive Rechtsbehelfe und Schaffung weitgehender Klagrechte durch Gesetz maßgeblich gefördert worden. Es ist bemerkenswert, dass die Rechtskritik des frühen 20. Jahrhunderts nicht durch eine Veränderung des materiellen, sondern des Prozessrechts wirkmächtig wurde. Die Umgestaltung des Prozessrechts hat schließlich zu einer Erosion des materiellen Rechts geführt.
499 Vgl. Miller, 60 Duke L.J. 1, 5 s., 76 (2010); s.a. Staszak, No Day in Court, p. 167 s., 169 ss., 176 ss. zu diesen Veränderungen, wonach an Stelle bzw. neben das ursprüngliche private law model, das sich auf die „klassischen“ Klagrechte aus breach of contract, tort und property rights bezog, infolge der rights revolution ein neues Modell getreten ist, das auch ein neues Verständnis von remedy bedingte. 500 In diesem zeitlichen Vorrang der prozessrechtlichen Entwicklung, die wiederum spezifische materiell-rechtliche Folgen hat, zeigt sich ein generelles Muster, das häufig rechtliche Entwicklungen prägt.
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Dieser Verschiebung ist der Supreme Court in den vergangenen Jahrzehnten entgegengetreten. Seine Entscheidungen haben dazu geführt, dass die „neuen“ prozessualen Ziele zunehmend nicht mehr erreicht werden können. Die wesentlichen Bestandteile des private law enforcement – class actions, discovery, punitive damages, leichter Zugang zu Gericht durch notice pleading – sind dadurch wesentlich beschränkt worden.501 Zugleich ist damit aber keine Rückkehr zum materiell-rechtlichen Denken in subjektiven Privatrechten verbunden. Als einziges Paradigma ist der Gedanke einer beinahe absoluten freedom of contract502 verblieben. Ohne zum Rechtsdenken des 19. Jahrhunderts zurückzukehren, wurden die Rechtsreformen und -entwicklungen des 20. Jahrhunderts in wesentlichen Punkten entwertet. Ebenso wie die mit dem Legal Realism verbundene Reform prozessual gelagert war503 und hierdurch das Prozessrecht wesentlich umgestaltet hat, so hat auch die Gegenbewegung des Supreme Court nicht das materielle Recht, sondern das Prozessrecht genutzt, um das private law enforcement faktisch zu beschränken.504 Oftmals wird dies dahingehend bewertet, dass nunmehr die Geltendmachung von „Rechten“ ausgeschlossen würde.505 Die Gegenkritik würde wohl
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S. Glover, 53 Wm. & Mary L. Rev. 1137, 1160 ss. (2012). S. zu diesem für die arbitration zentralen Gedanken insbesondere Glover, 124 Yale L. J. 3052, 3058 ss., 3068 ss. (2015), wonach die freedom of contract hinsichtlich Schiedsvereinbarungen letztlich zu einer Derogation des Rechts insgesamt führt. 503 Vgl. auch D. Marcus, 44 Georgia L. Rev. 433, 461, 465 ss., 471, 484 ss. (2010). Das Verhältnis des Legal Realism zum materiellen Recht und dessen Entwicklung ist nicht ganz eindeutig zu beurteilen. So ist etwa Karl Llewellyn ein Autor des Uniform Commercial Code (UCC), der eine Rechtsvereinheitlichung des US-amerikanischen Handelsrechts implementierte; zu Llewellyns Rolle für die Erarbeitung des UCC und die Einflüsse des Legal Realism s. Wiseman, 100 Harvard L. Rev. 465, 466 ss., 470 ss., 492 ss., 519 ss, (1987). Zwar zeigen sich hier realistische Einflüsse (für andere Einflüsse dagegen Whitman, 97 Yale L.J. 156 ss. [1987]). Allerdings ist der UCC auf materiell-rechtliche Rechtsvereinheitlichung gerichtet und insoweit durchaus ein Ansatz einer systematischen materiell-rechtlichen Rechtsbildung. Ferner hat sich etwa Holmes um die Entwicklung eines auf allgemeinen Grundsätzen beruhenden tort law bemüht, s. etwa White, 86 Yale L.J. 671, 683 ss. (1977); vgl. auch Grey, 45 U. Pitt. L. Rev. 1, 44 fn. 163 (1983) zu Holmes nur moderater Kritik am materiell-rechtlichen Denken. Es wäre also unzutreffend zu sagen, dass mit dem Legal Realism jegliche Form dogmatischer Rechtswissenschaft sowie materiell-rechtlicher Rechtsbildung abgelehnt worden wäre. Eher scheint es so, dass gerade der andere prozessuale Zugriff der eigentliche Zugang des Legal Realism zum materiellen Recht gewesen ist und hierdurch zu einer Transformation im Gefüge von Prozess- und materiellem Recht geführt hat. 504 Staszak, No Day in Court, p. 211; vgl. Glover, 124 Yale L. J. 3052, 3087 s. (2015); dies., 53 Wm. & Mary L. Rev. 1137, 1160 s. (2012). 505 Zur verfassungsrechtlichen Kritik an dieser erasure of rights vgl. Resnik, 124 Yale L. J. 2804, 2810, 2823 s., 2936 (2015), nach der nicht nur die zugrundeliegenden Rechte (life, liberty, property), sondern auch die legal claims selbst eine Form der property seien, und deshalb die Verhinderung der gerichtlichen Geltendmachung im gegenwärtigen System verfassungswidrig (unconstitutional) ist. Hier wird also das Recht der gerichtlichen Rechtsdurchsetzung letztlich mit den materiell-rechtlichen Rechtspositionen begründet; allerdings beschränken sich diese 502
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4. Kapitel: Die Rechtsentwicklung in den USA
entgegnen, dass nur so die Rechte Privater, d.h. vor allem die Freiheits- und Abwehrrechte gegen staatliche Eingriffe und Regulierung bewahrt werden können. Der Konflikt vollzieht sich darin, was man unter den „Rechten“ versteht. Die einen verstehen darunter vor allem jene Klag-„Rechte“, die zur Erreichung gesellschaftlicher Interessen geschaffen werden; die anderen jene „natürlichen“ Freiheitsrechte (natural rights), die durch das private law enforcement offenbar eingeschränkt werden.506 Darin zeigt sich, dass, auch wenn keine unmittelbare Rückkehr der Auseinandersetzung zwischen Legal Formalism und Legal Realism eingetreten ist, die dahinter liegende Auseinandersetzung um den Begriff der subjektiven Rechte auf dialektisch anderer Ebene fortgeführt wird. Inzwischen befindet sich die US-amerikanische Rechtsordnung in einer schwierigen Situation. Das individuelle Rechtssubjekt ist insoweit weitgehend rechtlos gestellt, als es in der Möglichkeit der gerichtlichen Rechtsdurchsetzung beschränkt ist – das „Recht“ wurde in „klassischen“ zivilrechtlichen Kernbereichen faktisch weitgehend eliminiert. Konfliktlösung findet als Folge dessen zunehmend durch außergerichtliche Streitbeilegungsmechanismen statt. Man wird konstatieren müssen, dass es dem US-amerikanischen Prozessrecht bislang nicht gelungen ist, eine Koexistenz von „klassischer“ „individueller“ privater Rechtsdurchsetzung und von öffentlichen Zwecken dienendem, häufig kollektivem private law enforcement zu gewährleisten.507 Vielmehr hat das private law enforcement das klassische Prozessmodell derogiert508, wobei das private law enforcement inzwischen selbst in eine tiefe Krise geraten ist. Eine prozessuale Verschiebung in Deutschland und Europa sieht sich mit dieser Aufgabe konfrontiert, eine solche – verfassungsrechtlich zwingend gebotene509 – Fortexistenz privater Rechtsdurchsetzung zu gewähr506 materiellen Positionen (legal claims) auf die Klagrechte, die unabhängig von einem materiellrechtlichen System dem Einzelnen zugesprochen werden; s. ferner Sabbeth/Vladeck, 36 Fordham Urb. L.J. 803, 807, 833 ss. (2009). 506 Vgl. bereits ansatzweise zu diesem doppelten Rechtsbegriff im Zusammenhang des private law enforcement Stewart/Sunstein, 95 Harvard L. Rev. 1193, 1199 s., 1202 ss., 1247 (1982): einerseits die common law liberty and property rights, andererseits private remedies/ rights of actions zur Verwirklichung von public policies, die anstelle behördlichen Tätigkeitwerdens die protection of basic personal rights sicherstellen, welche angesichts der Schwächen des common law sowie den Veränderungen der Wirtschaft etc. nicht mehr geschützt seien; s. unten noch zur Unterscheidung der „klassischen subjektiven Rechte“ und der private law enforcement-Klagrechte S. 416 ff.; vgl. dazu auch Gottwald, ZZP 91 (1978), 1, 20 f. 507 S. zur Diskussion dieses Verhältnisses zwischen individueller subjektiver Rechtsdurchsetzung und kollektiven Rechtsschutzverfahren unten noch S. 534 ff., 552 ff.; vgl. ansatzweise zu dieser Frage auch bereits Gilles, ZZP 98 (1985), 1 ff.; ferner Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, S. 383 ff. zur „Synthese“ der verschiedenen Privatrechtsmodelle. 508 Dazu, dass das private law enforcement in den USA nicht auf Sonderrechtsgebiete wie das Wirtschaftsrecht beschränkt ist, sondern die Gesamtrechtsordnung prägt, s. Reimann, Bitburger Gespräche 2008, S. 105, 127. 509 S. dazu unten S. 534 ff.
II. Die rechtliche Gegenwart und die Krise des private law enforcement
331
leisten. Konkret stellt sich die Frage, ob die Umgestaltung der Privat- und Prozessrechtsordnung in der Lage ist, beide konträren Modelle nebeneinander zu erhalten oder ob die Förderung des einen zwangsläufig zur Derogation des anderen führt.510 Stellt sich weiter die Frage nach der Relevanz dieser Entwicklungen des USamerikanischen Rechts für die europäische Rechtsentwicklung511, dann bleiben freilich die relevanten Unterschiede zu berücksichtigen, d.h. insbesondere das unterschiedliche Verständnis von Staatlichkeit512, staatlicher Aufgaben und Funktionen sowie die jeweils unterschiedliche Bedeutung von Gesetzes- und Richterrecht (civil law/common law)513. Ungeachtet dessen scheinen aber sowohl in konkreten Inhalten (class actions; private law enforcement; punitive damages)514 als auch ideengeschichtlich im gegenwärtigen Privatrechtsdiskurs in Deutschland Anleihen aus dem US-amerikanischen Legal Realism genommen zu werden.515 Umso mehr stellt sich die Frage, inwieweit die Veränderungsprozesse der Gegenwart tatsächlich mit dem Legal Realism in Beziehung stehen, wieso dies so ist und welche Konsequenzen sich daraus ergeben. Während die Identifikation des Rechts mit gesellschaftlichen Interessen dabei durchaus naheliegend scheint, ist einem anderen Aspekt des Legal Realism, nämlich der Relativierung der Bindungskraft rechtlicher Normen für das Urteil, die sich vor allem vor dem Common Law-Hintergrund verstehen lässt516, in Deutschland angesichts des Rechtsstaatsprinzips und des Gewaltenteilungsgrundsatzes wohl grundsätzlich der Boden entzogen. Eher liegt es nahe, dass hier die genannten Konzepte durch Regulierungsgesetzgebung implementiert werden.517 510 Vgl. zu dieser Frage des Verhältnisses von private law enforcement und einem auf die Verwirklichung subjektiver Privatrechte gerichtetem Prozessrecht Hoffmann, Zession und Rechtszuweisung, S. 49 f.; B. Hess, in: Mansel/Dauner-Lieb/Henssler (Hrsg.), Zugang zum Recht, S. 61, 84; ferner unten S. 534 ff. sowie Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, S. 365 ff., 379 ff., 383 ff.; zur Frage der Möglichkeit einer „isolierten“ Rezeption H. Roth, JZ 2016, 1134, 1135; Stürner, in: Basedow (ed.), EC Competition Law, p. 163, 167; ferner zur Frage der Rezeption Poelzig, Normdurchsetzung durch Privatrecht, S. 75 f. 511 Vgl. im Hinblick auf das private law enforcement Reimann, Bitburger Gespräche 2008, S. 105, 128 ff. 512 Vgl. dazu insbesondere Pargendler, 43 Yale J. Int’l L. 143, 184 ss. (2018); ferner Reimann, Bitburger Gespräche 2008, S. 105, 141 ff., 144 ff. 513 Zur Skepsis gegenüber dem Gesetzesrecht im common law aus geschichtlicher Perspektive Reimann, Historische Schule und Common Law, S. 215 ff.; ferner im Kontext der Freirechtsschule und ihrer Rezeption in den USA Herget/Wallace, 73 Virginia L. Rev. 399, 419 s., 438 (1987). 514 S. dazu oben bereits S. 243 ff. 515 Vgl. Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, S. 325 ff., 351 ff., 365 ff. 516 Vgl. zu diesem Unterschied auch S. 275 und Fn. 513 zuvor sowie Herget/Wallace, 73 Virginia L. Rev. 399, 419 s., 438 (1987). 517 In diese Richtung wohl Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, S. 564 ff. (zum „Privatrecht als Regulierungsinstrument des Gesetzgebers“).
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4. Kapitel: Die Rechtsentwicklung in den USA
Schließlich zeigt sich noch ein weiterer Aspekt. Die deutsche Zivilrechtswissenschaft, die weiterhin an der Idee einer als System geordneten Ordnung subjektiver Privatrechte sowie am dogmatischen Denken in Prinzipien, Rechtsbegriffen und Syllogismen festhält518, folgt dem Modell einer Rechtswissenschaft, das in den USA bereits anfangs des 20. Jahrhunderts grundsätzlich abgelehnt wurde und in der Folge abgelöst worden ist.519 Es drängt sich die Frage auf, ob eine Rechtswissenschaft, die weiterhin an – aus der Perspektive des Legal Realism – methodisch überkommenen, moralphilosophisch verankerten sowie Recht und Moral vermischenden Ideen520 festhält, im 21. Jahrhundert angesichts der vielfältigen gesellschaftlichen und sozialen Veränderungsprozesse überhaupt noch haltbar ist.521 518 S. deutlich Reimann, Historische Rechtsschule und Common Law, S. 287 („Dadurch hat sich das Verständnis der Jurisprudenz als begrifflich-systematischer Disziplin im wesentlichen bis heute erhalten, auch wenn das manchen unbewusst ist“); ebenso Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, S. 352, ferner S. 325 ff., 347, 365 (dazu, dass sich die Kritik in Deutschland im Gegensatz zu den USA nicht hat durchsetzen können; S. 353 ff. zu den Gründen). 519 Vgl. insoweit bereits Pound, 8 Columbia L. Rev. 605 ss., 610 (1908) im Hinblick auf die Frage nach dem Charakter der Rechts-„Wissenschaft“ (science): „Jurisprudence is last in the march of the sciences away from the method of deduction from predetermined conceptions. On the continent of Europe, both the historical school of jurists and the philosophical school, which were dominant until at least the last quarter of the nineteenth century, proceeded in this way. The difference between them lay in the manner in which they arrived at their fundamental conceptions. The former derived them from the history of juristic speculation and the historical development of the Roman sources. The latter, through metaphysical inquiries, arrived at certain propositions as to human nature, and deduced a system from them. This was the philosophical theory behind the eighteenth-century movement for codification. Ihering was the pioneer in the work of superseding this jurisprudence of conceptions (Begriffsjurisprudenz) by a jurisprudence of results (Wirklichkeitsjurisprudenz)” (Fußnoten weggelassen). Der historischen Rechtsschule und der klassischen Philosophie, die er ebenjenem von allgemeinen Prinzipien und deren Ableitungen ausgehendem Systemdenken zuschreibt, hält Pound den „modernen“ Ansatz Jherings entgegen; s. aber auch aaO, p. 613, wonach „the chief merit of the new German Code lies in its conformity in so large a degree to this theory” – „e.g. BGB, § 242“; s. ferner Reimann, Historische Schule und Common Law, S. 152 f., 266 f. mit dem Verweis auf Holmes Kritik, die sich zwar letztlich gegen den American Legal Formalism, aber vordergründig und direkt vor allem gegen die deutsche Rechtswissenschaft des 19. Jhd. richtete; s.a. Corbin, 30 Yale L.J. 226, 227 fn. 2 (1921) („It sends to the scrap heap a deal of juristic nonsense about corporate “entities“ and rights of the “state“ and “social interests“ and other cherished fictions – cherished among ourselves as well as among our quondam friends in Prussia“). Es ist durchaus bemerkenswert, dass sich über den Umweg des Legal Realism und die Rezeption des private law enforcement in Deutschland erneut diese Auseinandersetzung um den Charakter und das Verständnis der „Rechtswissenschaft“ Bahn bricht. 520 Vgl. insoweit auch Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, S. 338 (zum nach wie vor seit dem 19. Jhd. vorherrschenden Privatrechtsbegriff: „Dies ist umso erstaunlicher, als weder die philosophischen Grundlagen noch die politischen Umstände und rechtswissenschaftlichen Grundüberzeugungen, die zur Herausbildung dieser Privatrechtstheorie geführt haben, heute noch (uneingeschränkte) Gültigkeit beanspruchen können“); ferner auch Auer, Der privatrechtliche Diskurs, S. 4. 521 Vgl. Wagner, in: Dreier (Hrsg.), Rechtswissenschaft als Beruf, S. 67, 180 ff.
2. Teil
Möglichkeiten und Grenzen zivil- und zivilprozessrechtlicher Rechtsentwicklung
5. Kapitel
Der Maßstab I. Zivil- und zivilprozessrechtsimmanente Grenzen? 1. Maßstabsbildung Sind die Privatrechtsordnung und die sie tragenden Konstituenten und Kategorien notwendig?1 Bestehen sie so, dass sie nicht abgelöst und durch anderes ersetzt werden könnten? Positiv-rechtlich gedacht kann sich ein dahingehender normativer Anspruch nur aus höherrangigem Recht ergeben. Darauf wird im folgenden Kapitel einzugehen sein. Indes wird gelegentlich der Anschein erweckt, dass sich eine dahingehende Bestandsgarantie aus dem Systemgedanken ergebe und somit die Notwendigkeit der Kategorien aus dem bürgerlichrechtlichen System selbst resultiere.2
2. Notwendigkeit und Interdependenz der Kategorien? So wird vertreten, dass sich die Begriffe „subjektives Recht“, „Rechtsgeschäft“, „Rechtsverhältnis“, „Rechtsfähigkeit“ und „Person“ gegenseitig notwendig bedingen und jeder Privatrechtsordnung zugrunde liegen.3 Damit kor1 Vgl. zu dieser Frage bereits Reinach, Phänomenologie des Rechts, S. 11 ff., 14 ff. (zu den „apriorischen Grundlagen des bürgerlichen Rechts“, bei Reinach freilich im Kontext seiner Phänomenologie); im Hinblick auf die verfassungsrechtlichen Vorgaben bejahend, allerdings nur für die Privatrechtsordnung als solche, Flume, Allgemeiner Teil, § 1,10 a) („[…] so ergeben sich aus der verfassungsmäßigen Gewährleistung der Vertragsfreiheit keine konkreten Folgerungen für den Inhalt der Privatrechtsordnung, abgesehen von der Grundentscheidung unserer Rechtsordnung für eine Privatrechtsordnung“; Fn. weggelassen); ferner Hesse, Verfassungsrecht und Privatrecht, S. 40 ff.; s. ferner zur Frage, inwieweit es einen grundgesetzlich vorgegebenen Privatrechtsbegriff gibt, Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, S. 222 ff. 2 Vgl. in diese Richtung Gmür, Rechtswirkungsdenken in der Privatrechtsgeschichte, S. 94 ff. (S. 95: „Diese Auffassung jener Allgemeinbegriffe drängt sich geradezu auf, und zwar nicht nur bei einzelnen, sondern bei allen Privatrechtsordnungen. Soweit nämlich überhaupt eine Privatrechtsordnung besteht, d.h. soweit eine Ordnung zutreffend so bezeichnet wird, gründet sie sich auf das Prinzip der Privatautonomie […]“). 3 Gmür, Rechtswirkungsdenken in der Privatrechtsgeschichte, S. 94 f. (S. 95: „Daher sind die obersten privatrechtlichen Allgemeinbegriffe der Person, des subjektiven Rechts, des Rechtsverhältnisses, des Rechtsgeschäfts, der Rechtsfähigkeit und der Geschäftsfähigkeit als
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5. Kapitel: Der Maßstab
respondierend erscheinen das „von Rechtswirkungsdenken geprägte innere System“ und die Privatautonomie notwendig.4 Selbst wenn diese These richtig wäre, wäre es aber unrichtig hieraus zu folgern, dass jegliche (Privat-)Rechtsordnung einen, und damit jeden, dieser Begriffe aufnehmen müsste.5 Es mag zutreffend sein, dass es so etwas wie ein „subjektives Recht“, die „(Rechts-) Person“6, das „Rechtsgeschäft“ gibt7 und dass sich diese Kategorien und Begriffe gegenseitig notwendig bedingen. Wie aber die geschichtliche Untersuchung gezeigt hat, gilt nicht für jede Rechtsordnung, dass diese Kategorien auch zu deren Inhalten erhoben werden.8 4 Begriffe, die aus dem der Privatrechtsordnung deduktiv abzuleiten sind, jedem systematisch durchgestalteten positiven Privatrecht vorgegeben“); vgl. zu dieser Fragestellung auch Burckhardt, Methode und System, S. 70 ff., 75 f. zur Unterscheidung von „allgemeingültigen Begriffen“ und „rein positivrechtlichen“ Begriffen. 4 Vgl. Gmür, Rechtswirkungsdenken in der Privatrechtsgeschichte, S. 94 f., 102 ff.; s. ferner zur Notwendigkeit der Privatautonomie z.B. Flume, Allgemeiner Teil, § 1,1 („Auch in der geschichtlichen Entwicklung jeder Rechtsordnung hat der Grundsatz der Privatautonomie eine unterschiedliche Geltung. Es gibt keine Rechtsordnung ohne Privatautonomie“); s. dagegen aber Raiser, JZ 1958, 1 f. („Aber ein Blick auf die Rechtsgeschichte sagt uns auch, daß die so verstandene Vertragsfreiheit nicht ein selbstverständliches Grundprinzip jeder Zivilrechtsordnung bildet“). 5 Vgl. Reinach, Phänomenologie des Rechts, S. 16 f. („Daß das positive Recht seine Bestimmungen in absoluter Freiheit trifft, […] ungebunden durch die Sphäre apriorischer Gesetze, welche wir im Auge haben, erkennen wir natürlich vollkommen an. Das positive Recht kann nach Belieben abweichen von den Wesensgesetzlichkeiten, welche von den rechtlichen Gebilden gelten – wobei es freilich ein eigenes Problem ist, die Möglichkeit solcher Abweichungen verständlich zu machen. Nur das eine behaupten wir […]: Die sog. spezifisch-rechtlichen Grundbegriffe haben ein außer-positiv-rechtliches Sein, genau so wie die Zahlen ein Sein unabhängig von der mathematischen Wissenschaft besitzen. Das positive Recht mag sie ausgestalten und umgestalten, wie es will: sie selbst werden von ihm vorgefunden, nicht erzeugt. Und ferner: Es gelten von diesen rechtlichen Gebilden ewige Gesetze, welche unabhängig sind von unserem Erfassen, genau so wie die Gesetze der Mathematik. Das positive Recht kann sie in seine Sphäre übernehmen, es kann auch von ihnen abweichen“), ferner S. 19; zu Reinachs Ansatz sowie zur Kritik daran Schapp, Sein und Ort der Rechtsgebilde, S. 30 ff., 170 f.; (zum subjektiven Recht) Bucher, Normsetzungsbefugnis, S. 17, 28 ff., 30 f.; dagegen aber Gmür, Rechtswirkungsdenken in der Privatrechtsgeschichte, S. 95 („Für jede Privatrechtsordnung aber ist zu fragen, unter welchen Voraussetzungen sie Personen, subjektive Rechte, Rechsverhältnisse und Rechtsgeschäfte entstehen und erlöschen lässt, ferner, abgewandeltem Rechtswirkungsdenken entsprechend, welche Ansprüche, Erlaubnisse, Pflichten, Gestaltungsrechte und Rechtsverhältnisse aus diesen Rechtsgebilden hervorgehen. Diese Fragen sind absolut notwendig, d.h. für jede Privatrechtsordnung zu stellen und zu beantworten“); vgl. ferner dazu ansatzweise Burckhardt, Methode und System, S. 70 ff., 75 f. 6 Vgl. auch, wenngleich unter Voraussetzungen gesetzt, Radbruch, Rechtsphilosophie, § 17, S. 229, wonach der Begriff der Person eine „denknotwendige und allgemeingültige Kategorie der juristischen Betrachtung“ sei. 7 Vgl. Reinach, Phänomenologie des Rechts, S. 14 („das positive Recht findet die rechtlichen Begriffe, die in es eingehen, vor; es erzeugt sie mitnichten“), ferner S. 17. 8 S. Reinach, Phänomenologie des Rechts, S. 16 f., 19, 166 („Wie kann man apriorische Gesetze mit dem Anspruch auf absolute Gültigkeit aufstellen wollen, wenn jedes positive
II. Verfassungsrechtlicher Maßstab
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Das römische Recht kannte nicht den Begriff des subjektiven Privatrechts, er existierte auch der Sache nach allenfalls fragmentarisch.9 Es mag ferner so etwas wie Schuldstrafe, die Trennung von Straf- und Zivilrecht sowie Schadensersatz und Strafe oder einen allgemeinen, auf dem Willen der Person aufbauenden Vertragsbegriff geben.10 Die entscheidende Frage ist aber, ob sich die positive Zivilrechtsordnung diese Kategorien zu Eigen gemacht hat oder zu Eigen machen muss.11 Es mag ferner sein, dass sich Rechtsperson, Rechtsverhältnis, subjektives Recht, Rechtsfähigkeit und Rechtsgeschäft gegenseitig notwendig bedingen.12 Dies gilt aber nur, wenn man sich bereits in der entsprechenden Denkform befindet. Nur wenn diese zum Ausgangspunkt der Betrachtung gewählt wird, kann man zur notwendigen Interdependenz der verschiedenen Begriffe kommen.13
II. Verfassungsrechtlicher Maßstab 1. Nationale Gesetzgebungsakte Folglich stellt sich die Frage, ob die primärrechtlichen Vorgaben ebenjene Kategorien notwendig bedingen, d.h. ob sich das Privatrecht diese zu Eigen machen muss. Dabei ist zu berücksichtigen, dass Grundgesetz und grundrechtli9 Recht sich in den flagrantesten Widerspruch zu ihnen setzen kann?“); Bucher, Normsetzungsbefugnis, S. 17, 30 f. (zum subjektiven Recht); vgl. aber auch Gmür, Rechtswirkungsdenken in der Privatrechtsgeschichte, S. 95, wonach diese Begriffe „jedem systematisch durchgestalteten positiven Privatrecht vorgegeben“ sind, „mögen sie auch während Jahrhunderten nicht deutlich erfasst und später nicht aus jenen grundsätzlichen Erwägungen, sondern auf induktivem Weg, durch Abstraktion der gemeinsamen Begriffsmerkmale schon bekannter Begriffe, gewonnen worden sein. Es sind absolut allgemeingültige, a priori gegebene Privatrechtsbegriffe“. 9 S. dazu sowie zur Frage, ob die Kategorie des subjektiven Rechts notwendig ist, d.h. in jeder Rechtsordnung vorkommt, Bucher, Normsetzungsbefugnis, S. 17, 28 ff., der zwar von der „Allgemeingültigkeit“ des Begriffs subjektiver Rechte ausgeht; Allgemeingültigkeit meint dabei aber „nicht notwendigerweise allgemeine Anwendbarkeit, sondern vorerst lediglich Unabhängigkeit von einer bestimmten Rechtsordnung, wobei die Frage vorläufig offenbleibt, wie weit sich ein derartiger nach apriorischen Gesichtspunkten gebildeter Begriff zur Darstellung eines bestimmten Rechtsstoffs eignet“ (aaO, S. 29); Allgemeingültigkeit bedeutet danach, dass der Begriff des subjektiven Rechts „an jede Rechtsordnung herangetragen werden“ kann; „seine Verwendung ist indessen keine notwendige“ (aaO, S. 31); zur Frage, ob das subjektive Recht im römischen Recht existierte, s. oben S. 40 ff.; s.a. Martens, JZ 2016, 1021 ff. zur „Kontingenz“ des Rechtsbegriffs. 10 S. dazu oben S. 28 ff. sowie ausführlich unten noch S. 430 ff., 494 ff.; vgl. dazu auch Burckhardt, Methode und System, S. 72 f., 75 f. 11 Vgl. Reinach, Phänomenologie des Rechts, S. 11 ff., 14 ff., 16 f. 12 So Gmür, Rechtswirkungsdenken in der Privatrechtsgeschichte, S. 94 f. 13 Vgl. insoweit auch Gmür, Rechtswirkungsdenken in der Privatrechtsgeschichte, S. 94 f., dessen Voraussetzung der Notwendigkeit dieser Kategorien ist, dass es eine „Privatrechtsordnung“ gibt.
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5. Kapitel: Der Maßstab
che Dogmatik ihrerseits auf privatrechtliche Begriffe und Grundsätze zurückgreifen.14 Zur Beantwortung der Frage ist indes zunächst der Maßstab zu erarbeiten. Wie sich im Folgenden zeigen wird, gelten für den einfachen Gesetzgeber differenzierte Vorgaben bei der Ausgestaltung der Privatrechtsordnung.15 Die verfassungsrechtlichen Vorgaben für die Ausgestaltung des Privatrechts resultieren dabei vor allem aus der Schutzpflichtendimension der Grundrechte und aus den Institutsgarantien (Eigentum, Vertragsfreiheit).16
2. Europäische Gesetzgebungsakte und Identitätskontrolle Für europäische Gesetzgebungsakte gelten demgegenüber andere Anforderungen. (Privatrechtsrelevante) Gesetzgebungsakte der EU ergehen dabei zumeist in Richtlinien-Form (Art. 288 Abs. 3 AEUV), teilweise auch in Verordnungs-Form (Art. 288 Abs. 2 AEUV).17 Unmittelbar ist der europäische Sekundärrechtsgesetzgeber an die Grundrechtsvorgaben des Europäischen Primärrechts gebunden18, d.h. vor allem an die europäische GrundrechteCharta (Art. 6 Abs. 1 EUV) und die EMRK (Art. 6 Abs. 2 EUV; Art. 52 Abs. 3 EU-GrCh).19 Die europäische Grundrechte-Charta schützt in privatrechtsrelevanter Hinsicht ähnlich den grundgesetzlichen Vorgaben im Grundsatz Eigentum (Art. 17 Eu-GrCh) und Privatautonomie.20 Ferner finden sich dort auch strafrechtliche Garantien wie das Doppelbestrafungsverbot (Art. 50 EU-GrCh), das in dieser Untersuchung noch von Bedeutung sein wird.21 14 Vgl. dazu – allerdings auch zur Frage, inwieweit sich das Grundgesetz diese Begriffsbestimmungen auch zu Eigen macht – Bäuerle, Vertragsfreiheit und Grundgesetz, S. 22 ff. (zu Vertrag und Vertragsfreiheit, ferner Eigentum); Huber, Die verfassungsrechtliche Bedeutung, S. 5 („Ein tragender Grundsatz des Privatrechts wird zu einem Grundrecht der Verfassung geschlagen“). 15 S. dazu sogleich S. 342 ff. 16 S. dazu ausführlich sogleich S. 344 ff. und S. 349 ff.; s. etwa Isensee/Kirchhof/Stern, Handbuch des Staatsrechts, § 185 Rn. 75, 78; Isensee/Kirchhof/Isensee, Handbuch des Staatsrechts, § 191 Rn. 5 ff., 265 ff. 17 Dazu etwa Stadler, Allgemeiner Teil, § 2 Rn. 17 ff.; s. ferner Haltern, Europarecht, Bd. I, Rn. 863 ff., 868 ff. (grundsätzlich zu den Verordnungen und Richtlinien). 18 Grundsätzlich zur Grundrechtsprüfung im Europäischen Recht Haltern, Europarecht, Bd. II, Rn. 1296 ff., 1331 ff. 19 Umfassend dazu Haltern, Europarecht, Bd. II, Rn. 1376 ff. (zu Art. 6 EUV); 1455 ff. (zur EU-Grundrechte-Charta); 1485 ff. (zu Art. 52 Abs. 3 EU-GrCh); 1638 ff. (zum EUBeitritt zur EMRK); ferner zur Bindung an die Grundrechte-Charta Herresthal, ZEuP 2014, 238 ff. 20 Dazu etwa – die Privatautonomie soll, wenngleich nicht explizit erwähnt, in Art. 16 EU-GrCh (Unternehmerische Freiheit) geschützt sein – Herresthal, ZEuP 2014, 238, 265 f. (auch zur Eigenständigkeit dieser Garantien gegenüber dem nationalen Verfassungsrecht); Bruns, JZ 2007, 385, 392 (zur Vertragsfreiheit); s. ferner Ruffert, JuS 2020, 1, 4 ff. zur Frage nach der Privatrechtswirkung des Europäischen Primärrechts. 21 S. dazu unten S. 525 und S. 530.
II. Verfassungsrechtlicher Maßstab
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Entsprechend der „Solange-Rechtsprechung“ des BVerfG unterliegen europäische Sekundärrechtsakte aber grundsätzlich nicht der verfassungsrechtlichen Prüfung durch das BVerfG am Maßstab des Grundgesetzes und seiner Grundrechte.22 Solange nämlich die Europäische Gemeinschaft und der EuGH einen den grundgesetzlichen Vorgaben entsprechenden Grundrechtsschutz gewährleisten, soll keine Prüfung am Maßstab des Grundgesetzes erfolgen.23 Grenzen bieten nur die Vorgaben von Art. 79 Abs. 3 GG in Verbindung mit Art. 1 GG und Art. 20 GG (Art. 23 Abs. 1 S. 3 GG).24 Diese Grundsätze der „Solange-Rechtsprechung“ wurden durch das Lissabon-Urteil des BVerfG25 im Wesentlichen bestätigt.26 Dabei wurde aber betont, dass (Integrations-)Grenzen, die auch durch die europäischen Rechtsakte zu beachten sind, durch den verfassungsrechtlichen „Identitätskern“ (u.a. Art. 20 Abs. 1 u. 2 GG; Art. 79 Abs. 3 GG; „Menschenwürdekern der Grundrechte gem. Art. 1 GG“27) statuiert werden („Identitätskontrolle“).28 Ein Beispiel für das Eingreifen dieser „Identitätskontrolle“ durch das BVerfG, deren Folge die Unanwendbarkeit des Unionsrechts sein kann, bietet etwa der Schuldgrundsatz des Grundgesetzes.29 Tatsächlich hat das BVerfG durch seine jüngste Rechtsprechung zur Geldpolitik der Europäischen Zentralbank von dem Vorbehalt der Identitätskontrolle am Maßstab der „integrationsfesten Verfassungsidentität des Grundgesetzes“ Gebrauch gemacht.30 Hiervon ist der Maßstab bei der Umsetzungsgesetzgebung zu unterscheiden.31 Muss der deutsche Gesetzgeber zur Umsetzung von europäischem Richtlinienrecht in nationales Recht tätig werden, so ist er, soweit ihm Umsetzungsspielraum verbleibt und er nicht durch Unionsrecht „determiniert“ ist, bei Ausübung dieses Spielraums an die grundgesetzlichen Vorgaben umfassend gebunden.32 Gerade diese Vorgaben werden in dieser Untersuchung noch 22 BVerfGE 73, 339, 375, 383 ff. (Solange II); vorangehend BVerfGE 37, 271, 277 ff., 281 ff. (Solange I); dazu auch Haltern, Europarecht, Bd. II, Rn. 1092 ff., 1105 ff. 23 BVerfGE 73, 339, 375, 383 ff. (Solange II); dazu auch Haltern, Europarecht, Bd. II, Rn. 1105 ff. 24 Hierzu Haltern, Europarecht, Bd. II, Rn. 1068 ff., 1145 ff.; BVerfGE 113, 273, 296. 25 BVerfGE 123, 267. 26 S. Haltern, Europarecht, Bd. II, Rn. 1136 ff. 27 BVerfG NJW 2020, 1647, 1652. 28 BVerfGE 123, 267, 353 ff.; 129, 78, 100 („Kontrolle des europäischen Rechts auf Erhaltung der Identität der nationalen Verfassung“); 129, 124, 169; 134, 366, 384 f.; 140, 317, 334 ff., 336 ff.; dazu auch Haltern, Europarecht, Bd. II, Rn. 1137, 1145 ff., 1174 f. 29 BVerfGE 123, 267, 413; 140, 317, 333, 334 ff., 342 ff. 30 BVerfG NJW 2020, 1647, 1649 ff., 1652 ff.; anschließend an BVerfGE 129, 124, 168 ff.; 132, 195, 238 ff.; 142, 123, 198 ff.; zu letzterem auch Haltern, Europarecht, Bd. II, Rn. 1174 ff.; s.a. noch die Rsp. zum europäischen Haftbefehl BVerfGE 140, 317, 334 ff. 31 S. dazu etwa Haltern, Europarecht, Bd. II, Rn. 1131 ff., 1626 ff. 32 BVerfGE 118, 79, 95 ff.; 125, 260, 306 f.; 113, 273, 300 f.; Haltern, Europarecht, Bd. II, Rn. 1131 ff., 1626 ff.
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5. Kapitel: Der Maßstab
relevant, handelt es sich doch im privatrechtlichen Kontext regelmäßig um Richtlinienrecht, das dem nationalen Gesetzgeber Umsetzungsspielraum überlässt.33 So bestehen etwa hinsichtlich der aus grundrechtlicher Perspektive problematischen Regelungsbereiche der neuen EU-Verbandsklagenrichtlinie für den nationalen Gesetzgeber Umsetzungsspielräume.34
33 34
S. dazu etwa Stadler, Allgemeiner Teil, § 2 Rn. 17 sowie oben bereits S. 338. S. dazu oben S. 245 f.
6. Kapitel
Verfassungsrechtliche Grenzen und Anforderungen I. Zivil- und Zivilprozessrecht und die „Bestandsfunktion“ des Grundgesetzes Konrad Hesse hat für das Verhältnis von Grundrechten und Privatrecht darauf hingewiesen, dass das Grundgesetz auch Bestandsgarant der Privatrechtsordnung ist und Einfluss auf die positiv-rechtliche Ausgestaltung der Privatrechtsordnung hat.1 Das Grundgesetz hat insoweit auch eine Bestandsfunktion.2 Mit dieser „Konstitutionalisierung“ des einfachen Gesetzesrechts3 ist die durchaus problematische Frage nach einer Kompetenzverschiebung verbunden, kraft derer letztlich nicht mehr der Gesetzgeber, sondern die Verfassung und damit korrespondierend die Verfassungsgerichtsbarkeit das einfache Recht determinieren; der Vorrang der Verfassung und der Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers sowie die Eigenständigkeit des Privatrechts können durchaus in ein Spannungsverhältnis treten.4 Von der Einwirkung des Grundgesetzes auf die Anwendung des Privatrechts5 ist der verfassungsrechtliche Ausgestaltungsauftrag des Gesetzgebers
1 S. dazu (neben der dynamischen Funktion [„Schrittmacherfunktion“, aaO, S. 7] der neuen Rechtsgestaltung) Hesse, Verfassungsrecht und Privatrecht, S. 7, 17, 21, 40 f.; vgl. ferner zum „Normbestandsschutz“ Lübbe-Wolff, Eingriffsabwehrrechte, S. 125 ff.; Bäuerle, Vertragsfreiheit und Grundgesetz, S. 341 f.; s.a. Nipperdey, Grundrechte und Privatrecht, S. 12 („Die Verfassung gewährleistet die Privatrechtsordnung in ihren wesentlichen Elementen und verleiht ihr Schutz, Festigkeit und Freiheit gegenüber dem Staat“); zum Verhältnis von Grundrechten und Privatrecht ursprünglich etwa Dürig, in: Maunz (Hrsg.), FS Nawiasky, S. 157 ff.; Leisner, Grundrechte und Privatrecht, S. 1 ff. et passim; aus neuerer Zeit etwa Canaris, Grundrechte und Privatrecht, S. 9 ff.; Ruffert, Vorrang der Verfassung, S. 7 ff., 61 ff.; Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, S. 265 ff. 2 Hesse, Verfassungsrecht und Privatrecht, S. 7, 17, 40 (S. 7: „bewahrende, gewährleistende Funktion“); vgl. Stürner, in: Grunsky (u.a.) (Hrsg.), FS Baur, S. 647, 648 f. 3 S.a. zu diesem Verhältnis von vorkonstitutionellen Privatrechtsbegriffen und deren Aufnahme in Grundgesetz und grundrechtliche Dogmatik Bäuerle, Vertragsfreiheit und Grundgesetz, S. 22 ff., 25 f. 4 Vgl. etwa Isensee/Kirchhof/Isensee, Handbuch des Staatsrechts, § 191 Rn. 168, 188; zu diesem Problemkreis auch Böckenförde, Gesetz und gesetzgebende Gewalt, S. 402; Grimm, in: Die Zukunft der Verfassung, S. 221 ff., 231 ff., 240; Jestaedt, Grundrechtsentfaltung im Gesetz, S. 29 ff. 5 Dazu etwa Canaris, Grundrechte und Privatrecht, S. 23 ff.
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6. Kapitel: Verfassungsrechtliche Grenzen und Anforderungen
abzugrenzen.6 Gesetze können dabei nicht nur freiheitsbegrenzende, sondern auch „freiheitsermöglichende“ Funktion haben.7 Dies zeigt sich insbesondere im Bereich der Privatautonomie, des Eigentums oder der Justizgewährleistung, wo erst die Ausgestaltung der Rechtsordnung den Einzelnen ermöglicht, selbst rechtsgestaltend tätig zu werden und damit von den Freiheitsrechten Gebrauch zu machen.8 In dieser Arbeit geht es nicht darum, wie die Grundrechte auf das positive Privatrecht einwirken und dieses beeinflussen. Es geht vielmehr darum, wie die Grundrechte den Gesetzgeber in der Gestaltung des Privat- und Prozessrechts binden, d.h. inwieweit das Grundgesetz Bestandsgarant der positiven Privat- und Prozessrechtsordnung ist. Im Zentrum steht die Frage, ob und inwieweit die bürgerlich-rechtliche Ordnung in ihren wesentlichen Elementen durch den einfachen Gesetzgeber verändert oder aufgelöst werden könnte.
II. Grundrechte und Privatrecht 1. Überblick a) Gesetzgebungsvorgaben Zunächst ist zu eruieren, auf welche Weise aus den grundrechtlichen und sonstigen verfassungsrechtlichen Bestimmungen Vorgaben für die Ausgestaltung der Privat- und Prozessrechtsordnung resultieren können.9 Dabei ist festzuhalten, dass nicht nur sämtliche Verfassungsbestimmungen, sondern auch die Grundrechte unmittelbare Wirkung für die Gesetzgebung entfalten. Sie binden die Gesetzgebung „als unmittelbar geltendes Recht“ (Art. 1 Abs. 3 GG)10 und führen damit zu einer „Verfassungsabhängigkeit des Gesetzesrechts“11.12 Damit beeinflussen die grundsätzlich nur die öffentliche Gewalt (Art. 1 Abs. 3
6 Zu dieser Differenzierung etwa Hesse, Verfassungsrecht und Privatrecht, S. 26 ff.; Bäuerle, Vertragsfreiheit und Grundgesetz, S. 335, 342; s.a. unten noch ausführlich dazu S. 349 ff. 7 S. dazu Morgenthaler, Freiheit durch Gesetz, S. 19 ff. 8 S. dazu unten S. 349 ff. sowie etwa Bumke, Ausgestaltung, S. 41 f.; Hesse, Verfassungsrecht und Privatrecht, S. 42; Bäuerle, Vertragsfreiheit und Grundgesetz, S. 22 ff., 292, 329 f., 343. 9 Dazu auch Canaris, Grundrechte und Privatrecht, S. 11 ff. 10 Dazu etwa Isensee/Kirchhof/Stern, Handbuch des Staatsrechts, § 185 Rn. 100 f. 11 Zu diesem Begriff Wahl, NVwZ 1984, 401, 403. 12 S. nur Hesse, Verfassungsrecht, Rn. 345, 355; Canaris, Grundrechte und Privatrecht, S. 11 ff., 16 ff.; Morgenthaler, Freiheit durch Gesetz, S. 30; ferner auch insoweit zur Bedeutung von Art. 1 Abs. 3 GG für die Ausgestaltung des Privatrechts Bäuerle, Vertragsfreiheit und Grundgesetz, S. 328, 338; Canaris, Grundrechte und Privatrecht, S. 11 ff.
II. Grundrechte und Privatrecht
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GG) bindenden Grundrechte auch die gesetzliche Ausgestaltung der Normen, die für das Verhältnis zwischen Privaten gelten.13 Der Gesetzgeber ist dabei in unterschiedlicher Weise von den grundgesetzlichen Vorgaben bei der Ausgestaltung der Privat- und Prozessrechtsordnung abhängig.14 Zwar spielt für die Ausgestaltung der Privat- und Prozessrechtsordnung die klassische abwehrrechtliche Grundrechtsfunktion nur eine untergeordnete Rolle.15 Es geht nämlich im Bereich des Privat- und Prozessrechts grundsätzlich nicht um hoheitliche Eingriffe in die Rechte Einzelner, sondern um die rechtliche Regelung der Rechtsbeziehungen zwischen Privaten und dabei vor allem auch um den Schutz vor Übergriffen privater Dritter.16 An die Stelle der grundsätzlich dualen Staat-Bürger-Rechtsbeziehung im abwehrrechtlichen Verhältnis tritt hier die tripolare Beziehung zwischen Privatem, Staat und Privatem.17 Jedoch entfalten die Grundrechte und grundrechtsgleichen Rechte Wirkung, indem sie durch die gegen den Staat gerichtete Schutzpflichtendimension sowie durch Einrichtungsgarantien Vorgaben für die Ausgestaltung des einfachen Gesetzesrechts treffen.18 b) Ausgestaltungsbedürftige Grundrechte und rechtserzeugte Schutzgüter Im Hinblick auf die Verfassungsvorgaben für die Ausgestaltung der Privatund Prozessrechtsordnung ist eine Differenzierung wesentlich, die Vertragsfreiheit, Eigentum und Justizgewährleistung betrifft. So kann man hinsichtlich der Schutzgüter zwischen natürlichen, physisch vorgebenen bzw. sachgeprägten Gegenständen wie Leben oder Gesundheit und „rechtserzeugten“ Gegenständen (Vertragsfreiheit19, Eigentum, Justizgewährleistung) unterscheiden,
13
S. dazu etwa Hesse, Verfassungsrecht, Rn. 351 ff., 355; Canaris, AcP 184 (1984), 201, 212; ders., Grundrechte und Privatrecht, S. 11 ff., 16 ff.; Isensee/Kirchhof/Stern, Handbuch des Staatsrechts, § 185 Rn. 102 f.; Nipperdey, Grundrechte und Privatrecht, S. 12 ff.; Bäuerle, Vertragsfreiheit und Grundgesetz, S. 327 f.; s. ferner bereits Herzog, JR 1969, 441, 443. 14 S. dazu gleich im Einzelnen S. 344 ff. 15 S. dazu unten S. 353 f. sowie etwa Bäuerle, Vertragsfreiheit und Grundgesetz, S. 330 (zur Vertragsfreiheit); s. aber auch Canaris, Grundrechte und Privatrecht, S. 19 f. 16 Vgl. Isensee/Kirchhof/Isensee, Handbuch des Staatsrechts, § 191 Rn. 1, 3, 6. 17 Isensee/Kirchhof/Isensee, Handbuch des Staatsrechts, § 191 Rn. 5 f., 8. 18 S. dazu sogleich S. 344 ff., 349 ff. sowie etwa Isensee/Kirchhof/Stern, Handbuch des Staatsrechts, § 185 Rn. 75, 78; Isensee/Kirchhof/Isensee, Handbuch des Staatsrechts, § 191 Rn. 5 ff., 265 ff.; Hesse, Verfassungsrecht, Rn. 351 ff., 355; s.a. Bäuerle, Vertragsfreiheit und Grundgesetz, S. 328, 336 ff. 19 Zur Vertragsfreiheit als „gesetzlich auszugestaltende Freiheit“ s. etwa Bäuerle, Vertragsfreiheit und Grundgesetz, S. 280, 292, 329 f.; Höfling, Vertragsfreiheit, S. 20 ff.; BVerfGE 89, 214, 231; 114, 1, 34.
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6. Kapitel: Verfassungsrechtliche Grenzen und Anforderungen
deren Existenz von Normierung abhängt und deren Inhalt notwendig auf Ausgestaltung angewiesen ist.20 Einschränkungen dieser Differenzierung ergeben sich dadurch, dass auch normgeprägte Grundrechte mit rechtserzeugten Gegenständen ihrerseits wiederum an natürliche, „vorrechtliche“ Gegenstände anknüpfen können.21 Zwar ist etwa die Vertragsfreiheit insoweit normgeprägt, als erst die einfachgesetzliche Normierung der Privatrechtsordnung zur Entstehung von staatlich durchsetzbaren Rechtspositionen verhilft.22 Gleichwohl knüpft diese rechtliche Anerkennung von Rechtspositionen wiederum an natürliche Vorgänge bzw. „natürliche Freiheit“ – Versprechen, Willens- und Erklärungshandlungen, Autonomie – an.23 Während natürliche Gegenstände unabhängig von der Rechtsordnung existieren und ihr damit in gewisser Weise vorgelagert sind, gelangen normgeprägte Gegenstände erst mit der Rechtsordnung zur Entstehung.24 Ungeachtet dessen gilt aber, dass die Vertragsfreiheit, auch soweit ihr ein sachgeprägter Gegenstand zugrunde liegt, der Anerkennung und Ausgestaltung durch die Rechtsordnung bedarf, da nur dadurch staatliche Rechtsdurchsetzung ermöglicht wird, und sie insoweit rechtserzeugt und normgeprägt ist.25
2. Schutzpflichten a) Verhältnis von Schutzpflichten und Abwehrrechten Während die grundrechtliche Abwehrdimension gegenüber staatlichen Eingriffen in den Schutzbereich der Grundrechte als „klassische“ Grundrechts-
20 Vgl. dazu Isensee/Kirchhof/Isensee, Handbuch des Staatsrechts, § 191 Rn. 60 f., 78 f.; Bumke, Ausgestaltung von Grundrechten, S. 20 ff.; Lübbe-Wolff, Die Grundrechte als Eingriffsabwehrrechte, S. 80 ff. 21 Vgl. dazu Bumke, Ausgestaltung von Grundrechten, S. 20 ff.; Lübbe-Wolff, Die Grundrechte als Eingriffsabwehrrechte, S. 80 f. 22 Vgl. dazu Bumke, Ausgestaltung von Grundrechten, S. 17, 41 f.; Bäuerle, Vertragsfreiheit und Grundgesetz, S. 280, 292, 329 f.; Isensee/Kirchhof/Isensee, Handbuch des Staatsrechts, § 150 Rn. 74, 78; BVerfGE 89, 214, 231. 23 Vgl. dazu Lübbe-Wolff, Die Grundrechte als Eingriffsabwehrrechte, S. 81 ff.; Bumke, Ausgestaltung von Grundrechten, S. 20 ff.; Bäuerle, Vertragsfreiheit und Grundgesetz, S. 345 ff.; s. aber auch Isensee/Kirchhof/Isensee, Handbuch des Staatsrechts, § 150 Rn. 75 ff., 78. 24 Lübbe-Wolff, Die Grundrechte als Eingriffsabwehrrechte, S. 85; vgl. auch Bäuerle, Vertragsfreiheit und Grundgesetz, S. 347 ff. 25 Lübbe-Wolff, Die Grundrechte als Eingriffsabwehrrechte, S. 81; Bäuerle, Vertragsfreiheit und Grundgesetz, S. 280, 292, 329 f.; Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 215 f.; Höfling, Vertragsfreiheit, S. 20 ff.; Isensee/Kirchhof/Isensee, Handbuch des Staatsrechts, § 150 Rn. 74, 78; vgl. dazu Bumke, Ausgestaltung von Grundrechten, S. 41 f.
II. Grundrechte und Privatrecht
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funktion26 gilt27, hat das Bundesverfassungsgericht28 im Laufe der Zeit aus den Grundrechten auch Schutzpflichten abgeleitet, wobei die Schutzpflichtendimension der Grundrechte in Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG29 normative Verankerung findet.30 Bei den Schutzpflichten geht es nicht wie bei den Abwehrrechten um negatorische Ansprüche gegenüber ungerechtfertigten staatlichen Eingriffen in den Schutzbereich von Grundrechten (status negativus)31, sondern positiv um Ansprüche gegen den Staat auf aktives Handeln zum Schutz der Grundrechte (status positivus).32 Durch die Schutzpflichtendimension der Grundrechte ist der Staat verpflichtet, Schutz der Grundrechte gegen rechtswidrige Eingriffe privater Dritter, d.h. anderer Grundrechtsträger zu gewährleisten.33 Schutzpflichten, die sich auf dieselben Rechtsgüter wie die Abwehrrechte, allerdings in anderer Schutzrichtung beziehen, wenden sich nicht wie bei den Abwehrrechten gegen das Handeln des Staates, sondern gegen die Unterlassung durch den Staat dort, wo der Staat zum Handeln verpflichtet ist.34 Wie in der abwehrrechtlichen Dimension ist der Staat grundrechtsverpflichtet (Art. 1 Abs. 3 GG), allerdings unterscheidet sich die Wirkrichtung der Verpflichtung.35 Staatliches Handeln zur Erfüllung der Schutzpflicht greift seinerseits in die Rechte des privaten Störers ein, dessen Grundrechte in ihrer abwehrrechtlichen Dimension betroffen sind.36 b) Begründung und Gegenstand der Schutzpflichten Schutzpflichten des Staates resultieren aus der subjektiv- und objektiv-rechtlichen Dimension der Grundrechte, aufgrund derer der Staat als Garant zum Tätigwerden gegenüber drohenden Rechtsverletzungen vor allem seitens 26
Dazu Isensee/Kirchhof/Isensee, Handbuch des Staatsrechts, § 191 Rn. 17. Isensee/Kirchhof/Stern, Handbuch des Staatsrechts, § 185 Rn. 56 („Hauptfunktion des subjektiv-rechtlichen Grundrechts“). 28 BVerfGE 39, 1, 42 ff.; 46, 160, 164; 77, 170, 214 f.; 88, 203, 251 ff.; 121, 317, 356. 29 Dazu auch Isensee/Kirchhof/Isensee, Handbuch des Staatsrechts, § 191 Rn. 27, 172 f. 30 Isensee/Kirchhof/Stern, Handbuch des Staatsrechts, § 185 Rn. 86 ff.; Isensee/Kirchhof/Isensee, Handbuch des Staatsrechts, § 191 Rn. 146 ff.; Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rn. 350 ff. 31 Isensee/Kirchhof/Stern, Handbuch des Staatsrechts, § 185 Rn. 57; Isensee/Kirchhof/ Isensee, Handbuch des Staatsrechts, § 191 Rn. 2; s.a. Dietlein, Die Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 34 ff. 32 Isensee/Kirchhof/Stern, Handbuch des Staatsrechts, § 185 Rn. 86; Isensee/Kirchhof/ Isensee, Handbuch des Staatsrechts, § 191 Rn. 1, 3, 283; Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 415. 33 Isensee/Kirchhof/Isensee, Handbuch des Staatsrechts, § 191 Rn. 1, 3, 192; Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 415; ferner Dietlein, Die Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 51 ff. 34 Isensee/Kirchhof/Isensee, Handbuch des Staatsrechts, § 191 Rn. 1, 3. 35 Vgl. Isensee/Kirchhof/Isensee, Handbuch des Staatsrechts, § 191 Rn. 4 f., 277. 36 Isensee/Kirchhof/Isensee, Handbuch des Staatsrechts, § 191 Rn. 5 f., 279, 282. 27
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6. Kapitel: Verfassungsrechtliche Grenzen und Anforderungen
Dritter verpflichtet wird.37 Ausgehend von den Schutzpflichten im Bereich des Lebens- und Gesundheitsschutzes38 wurde auch im Bereich des Privatrechts, etwa im Vertragsrecht39, auf Schutzpflichten rekurriert.40 Allerdings stellt sich hier die Frage nach der Abgrenzung von Schutzpflichten und Ausgestaltung, da es sich insoweit um normgeprägte, ausgestaltungsbedürftige Grundrechte handelt.41 Privatrechtsrelevanter Gegenstand der staatlichen Schutzpflicht sind dieselben Rechte, hinsichtlich derer der Einzelne grundrechtlich gegenüber dem Staat geschützt ist, d.h. vor allem Leben, Gesundheit, Freiheit, Eigentum und Persönlichkeitsrecht.42 Ferner zeigt sich auch beim Justizgewähranspruch die Schutzpflichtendimension der Grundrechte.43 c) Schutzpflicht bei Rechtsverletzungen durch private Dritte Rechtsverletzungen seitens privater Dritter stellen mangels hoheitlichen Eingriffs nicht unmittelbar Grundrechtseingriffe dar; wohl aber ist der Staat aufgrund der Schutzpflichten unmittelbar verpflichtet, zur „Mediatisierung“ und Realisierung dieser Schutzpflichten einfachgesetzliche Regelungen zu erlassen, die unter Privaten ein Verletzungsverbot statuieren und dem Einzelnen Rechtsschutz gegen Verletzungshandlungen Dritter gewähren.44 Der Schutz realisiert sich so durch staatliches Tätigwerden von Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung, wobei der Staat bei Unterlassen des gebotenen Handelns seinerseits die Grundrechte verletzt.45 Schutzinstrumente, die zu-
37 Isensee/Kirchhof/Stern, Handbuch des Staatsrechts, § 185 Rn. 86; s.a. Isensee/Kirchhof/Isensee, Handbuch des Staatsrechts, § 191 Rn. 10 („Schutzpflicht zunächst eine objektiv-rechtliche Staatsaufgabe“, „aus der sich subjektive Rechte des einzelnen ableiten“), 169 f. („Verfassungsauftrag“), 194. 38 Grundlegend BVerfGE 39, 1, 41 ff.; 88, 203, 251 ff.; ferner 49, 24, 53; 90, 145, 195; 121, 317, 356; Isensee/Kirchhof/Stern, Handbuch des Staatsrechts, § 185 Rn. 87 f.; Isensee/ Kirchhof/Isensee, Handbuch des Staatsrechts, § 191 Rn. 149; ferner auch im Bereich des Freiheitsschutzes, s. BVerfGE 10, 302, 309, 322 f.; dazu auch Isensee/Kirchhof/Isensee, Handbuch des Staatsrechts, § 191 Rn. 148. 39 BVerfGE 114, 1, 33 ff. 40 Isensee/Kirchhof/Stern, Handbuch des Staatsrechts, § 185 Rn. 93; dazu auch Isensee/ Kirchhof/Isensee, Handbuch des Staatsrechts, § 191 Rn. 146 ff., 222. 41 S. dazu unten noch S. 352; s. ferner auch Bäuerle, Vertragsfreiheit und Grundgesetz, S. 336 ff. 42 Vgl. Isensee/Kirchhof/Isensee, Handbuch des Staatsrechts, § 191 Rn. 6 f.; zu den „güterzuordnungsrelevanten“ Grundrechten Peukert, Güterzuordnung als Rechtsprinzip, S. 73 ff. 43 S. dazu unten noch S. 538 f. sowie Isensee/Kirchhof/Isensee, Handbuch des Staatsrechts, § 191 Rn. 187; ferner dazu, dass beim Justizgewähranspruch der status positivus betroffen ist, Bettermann, JBl. 1972, 57, 65. 44 Isensee/Kirchhof/Isensee, Handbuch des Staatsrechts, § 191 Rn. 7. 45 Isensee/Kirchhof/Isensee, Handbuch des Staatsrechts, § 191 Rn. 3, 7; s.a. Herzog, JR 1969, 441, 443.
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nächst einfachgesetzlicher Normierung durch die Legislative46 bedürfen und sich in den Formen des Zivil-, Straf- und Polizeirechts vollziehen, können präventive und repressive Maßnahmen umfassen47, sodass etwa die „Grundstrukturen“ des zivilrechtlichen Deliktsrechts als Instrument zur Verwirklichung der Schutzpflicht „konstitutionalisiert“ sind48. d) Schutzpflichten, Gewaltmonopol und Privatrecht Die Schutzpflichtendimension steht auch in Zusammenhang mit dem staatlichen Gewaltmonopol und der damit korrespondierenden Friedenspflicht der Bürger: Weil dem Einzelnen private, nicht-staatliche Rechtsdurchsetzung einschließlich physischen Zwangs untersagt ist, ist der Staat verpflichtet, dem Einzelnen Schutz seiner Rechte zu gewährleisten.49 Weil private, außerstaatliche Rechtsdurchsetzung durch das staatliche Gewaltmonopol untersagt ist, trifft den Staat als Kompensation die Schutzpflicht, die Rechtsdurchsetzung des Einzelnen zu ermöglichen50, was wiederum die Justizgewähr miteinschließt.51 Die damit verbundene Sicherheit ist ihrerseits Staatszweck.52 Relevant erscheint, ob der Staat selbst entsprechende Maßnahmen ergreifen muss oder ob er nicht, etwa entsprechend dem Gedanken der Subsidiarität53, lediglich solche Maßnahmen bereitstellen muss, dass der Private rechtlich den Schutz seiner Rechte gegenüber den Dritten durchsetzen kann.54 Dabei kann man unterscheiden, ob die Schutzpflichten ein direkt auf Beseitigung der Gefahr bzw. Verletzung gerichtetes Tätigwerden durch den Staat selbst erfordern oder den Staat zur Gesetzgebung und zum Erlass solcher Regelungen verpflichten, die den betroffenen Grundrechtsträgern die Geltendmachung ihrer Rechte vor staatlichen Gerichten ermöglichen.55 46
S. Isensee/Kirchhof/Isensee, Handbuch des Staatsrechts, § 191 Rn. 281. Isensee/Kirchhof/Isensee, Handbuch des Staatsrechts, § 191 Rn. 3, 7, 236. 48 Isensee/Kirchhof/Isensee, Handbuch des Staatsrechts, § 191 Rn. 25; ferner Rn. 289, 291, 293 ff.; s. dazu auch Bruns, Haftungsbeschränkung und Mindesthaftung, S. 170. 49 Vgl. Isensee/Kirchhof/Isensee, Handbuch des Staatsrechts, § 191 Rn. 35 e.E. (Gewaltmonopol als „Grundlage der Schutzpflicht“), 102, 229 f.; Dietlein, Die Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 22 ff., 26 f.; s. dazu auch unten noch S. 541 f.; ferner Bäuerle, Vertragsfreiheit und Grundgesetz, S. 362 f.; Merten, Rechtsstaat und Gewaltmonopol, S. 56 ff. 50 Isensee/Kirchhof/Isensee, Handbuch des Staatsrechts, § 191 Rn. 181; Dietlein, Die Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 26 f. 51 Isensee/Kirchhof/Isensee, Handbuch des Staatsrechts, § 191 Rn. 187. 52 S. BVerfGE 49, 24, 56 f.; 115, 320, 358; Isensee/Kirchhof/Isensee, Handbuch des Staatsrechts, § 191 Rn. 182. 53 Isensee/Kirchhof/Isensee, Handbuch des Staatsrechts, § 191 Rn. 271. 54 Vgl. Isensee/Kirchhof/Isensee, Handbuch des Staatsrechts, § 191 Rn. 187, 219. 55 Vgl. Isensee/Kirchhof/Isensee, Handbuch des Staatsrechts, § 191 Rn. 187, 263 ff., 266 f. 47
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6. Kapitel: Verfassungsrechtliche Grenzen und Anforderungen
e) Anforderungen an den Gesetzgeber zur Erfüllung der Schutzpflichten und Gesetzgebungsauftrag Um der Schutzpflicht zu entsprechen, gestaltet der Gesetzgeber die einfachgesetzliche Rechtsordnung, sodass Eingriffe privater Dritter in grundrechtlich geschützte Rechtspositionen abgewehrt werden können und so ein Ausgleich der Rechtsgüter zwischen den Privaten gewährleistet wird.56 Die aufgrund der Schutzpflichten gebotene Gestaltung durch Gesetz kann präventive wie repressive, polizeirechtliche wie zivilrechtliche Maßnahmen einschließlich ihrer verfahrensmäßigen Realisierung57 erfordern.58 Auf die Frage, ob etwa zivilrechtliche Schadens- und Unterlassungsansprüche zwingend geboten sind, wird später noch näher einzugehen sein.59 Da aus den Schutzpflichten vor allem Pflichten des Gesetzgebers resultieren, stellt sich die Frage nach der Konkretheit der daraus folgenden Anforderungen; analog zum abwehrrechtsbezogenen Übermaßverbot hat das BVerfG dabei den Topos des Untermaßverbotes entwickelt.60 Soweit das Ziel der Schutzpflicht ist, die Abwehr von privaten Dritten ausgehender Gefahren zu gewährleisten, ist der Gesetzgeber im Wege einer Staatsaufgabe61 verpflichtet, entsprechende Maßnahmen zu ergreifen, wobei hiermit im Kern ein Gesetzgebungsauftrag verbunden ist.62 Allgemein folgt aus den Schutzpflichten und dem Untermaßverbot eine absolute Pflicht63 zur Ergreifung von Schutzmaßnahmen, die dem Gesetzgeber aber einen „Gestaltungsspielraum“ hinsichtlich des „Wie“ der Erfüllung überlässt. Nur unter Einschränkungen, nämlich dann wenn es nur ein „effektives Mittel“ gibt64, soll sich hieraus eine Pflicht zu einer konkreten Maßnahme ergeben.65 Der Gesetzgeber verfügt also grundsätzlich über einen „Spielraum“ hinsichtlich der Frage, wie er seine Schutzpflicht erfüllen muss.66
56
Isensee/Kirchhof/Isensee, Handbuch des Staatsrechts, § 191 Rn. 187, 285. S. Isensee/Kirchhof/Isensee, Handbuch des Staatsrechts, § 191 Rn. 285. 58 Isensee/Kirchhof/Isensee, Handbuch des Staatsrechts, § 190 Rn. 63. 59 S. dazu unten S. 481 ff., 489 ff.; vgl. auch Isensee/Kirchhof/Isensee, Handbuch des Staatsrechts, § 191 Rn. 289. 60 S. BVerfGE 88, 203, 254 ff.; ferner BVerfGE 77, 381, 405 sowie Isensee/Kirchhof/ Stern, Handbuch des Staatsrechts, § 185 Rn. 92; Isensee/Kirchhof/Isensee, Handbuch des Staatsrechts, § 191 Rn. 300 ff., 303 f. 61 Isensee/Kirchhof/Isensee, Handbuch des Staatsrechts, § 191 Rn. 263. 62 Isensee/Kirchhof/Isensee, Handbuch des Staatsrechts, § 191 Rn. 218 f., 285. 63 Isensee/Kirchhof/Isensee, Handbuch des Staatsrechts, § 191 Rn. 219, 269, 300; Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 421. 64 Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 422. 65 Isensee/Kirchhof/Isensee, Handbuch des Staatsrechts, § 191 Rn. 219, 283, 291 f., 293 ff.; Canaris, Grundrechte und Privatrecht, S. 71 ff., 80 ff.; s.a. BVerfGE 39, 1, 42, 44, 46 f.; 46, 160, 164; 88, 203, 262; 96, 56, 64. 66 Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 421. 57
II. Grundrechte und Privatrecht
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Der Gesetzgeber kann über das einfache Gesetzesrecht, das in Erfüllung der verfassungsrechtlichen Schutzpflicht erlassen wurde, aber nicht am Verfassungsrang teilhat, disponieren, wohl aber ist eine (Neu-)Normierung geboten, die ihrerseits entsprechend dem Untermaßverbot ein hinreichendes, angemessenes Schutzniveau sicherzustellen hat.67 Dass das in Erfüllung der verfassungsrechtlichen Vorgaben einmal geschaffene Gesetzesrecht überhaupt keinen Normbestandsschutz genießt, ist indes umstritten.68
3. Institutsgarantien und Ausgestaltung bei normgeprägten Grundrechten a) Institutsgarantien und normgeprägte Grundrechte Aus den Grundrechten ergeben sich nicht nur subjektiv-rechtliche Gewährleistungen, sondern auch objektiv-rechtliche Gehalte.69 Besonderer Ausdruck dieser objektiv-rechtlichen Dimension der Grundrechte bzw. der grundrechtlichen objektiven Wertordnung70 sind die Einrichtungs- und Institutsgarantien.71 Institutsgarantien sind insoweit von den institutionellen Garantien abzugrenzen, als erstere Gewährleistungen im Hinblick auf die Grundrechte und damit vor allem Garantien privater Institute enthalten, wohingegen letztere Institutionenschutz vor allem für öffentlich-rechtliche Einrichtungen gewährleisten.72 b) Herleitung und Wirkung von Institutsgarantien Einerseits folgen die Institutsgarantien aus der subjektiv-rechtlichen Grundrechtsdimension73, andererseits treten sie flankierend und verstärkend neben 67
Isensee/Kirchhof/Isensee, Handbuch des Staatsrechts, § 191 Rn. 291 f. S. etwa Lübbe-Wolff, Die Grundrechte als Eingriffsabwehrrechte, S. 136 ff. (zum „grundrechtlichen Bestandsschutz grundrechtsfördernden und grundrechtsschützenden einfachen Rechts“); Bäuerle, Vertragsfreiheit und Grundgesetz, S. 341 f. („Normbestandsschutz“ als „bestimmter Bestand an Vertragsnormen für die Ausübung der grundrechtlich geschützten Freiheit im Bereich privater Vereinbarung“, der „als unentbehrlich anzusehen ist“); s.a. gleich noch dazu S. 354. 69 S. etwa Isensee/Kirchhof/Stern, Handbuch des Staatsrechts, § 185 Rn. 70 ff.; ferner etwa Bäuerle, Vertragsfreiheit und Grundgesetz, S. 330 ff., 336 ff. 70 Zu diesem Begriff etwa Isensee/Kirchhof/Isensee, Handbuch des Staatsrechts, § 191 Rn. 169 f. 71 S. dazu Lübbe-Wolff, Eingriffsabwehrrechte, S. 127 ff.; Bäuerle, Vertragsfreiheit und Grundgesetz, S. 336 ff. (allerdings insoweit kritisch zur Differenzierung subjektiv-rechtlich – objektiv-rechtlich); Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 300 ff., 303, 441 ff. (dort auch zur Frage der Subjektivierung der Institutsgarantien); Manssen, Privatrechtsgestaltung durch Hoheitsakt, S. 164 ff.; ursprünglich zu den Institutsgarantien C. Schmitt, Verfassungslehre, § 14, S. 170 ff. 72 Isensee/Kirchhof/Stern, Handbuch des Staatsrechts, § 185 Rn. 73. 73 Isensee/Kirchhof/Stern, Handbuch des Staatsrechts, § 185 Rn. 72; Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 441 ff. 68
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6. Kapitel: Verfassungsrechtliche Grenzen und Anforderungen
diese, indem ihnen eine „Sicherungsfunktion“ zukommt und sie damit „Bestandsschutz“ gewährleisten.74 Sie wenden sich insbesondere an den Gesetzgeber und geben diesem bei der Ausgestaltung der Rechtsordnung auf, dem Gewährleistungsinhalt der Einrichtungsgarantien Rechnung zu tragen, ohne ihn auszuhöhlen, abzuschaffen oder den Kernbereich anzutasten.75 Einrichtungsgarantien sind maßstabsbildend für die Ausgestaltung der Rechtsordnung und geben dem Gesetzgeber Grenzen vor, sodass der Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers bei der Ausgestaltung durch Verfassungsdirektiven in gewissem Umfang determiniert ist.76 Gleichzeitig sind die Einrichtungsgarantien notwendig auf Ausgestaltung durch den Gesetzgeber angewiesen, die gesetzliche Ausgestaltung ist „Wirksamkeitsvoraussetzung“ der Garantien, da diese nur durch die einfachgesetzliche Realisierung Wirksamkeit entfalten können.77 Erst die einfachrechtliche Ausgestaltung konkretisiert bei rechtserzeugten, normgeprägten Gegenständen wie Eigentum78 oder Vertragsfreiheit79 den Schutzbereich, sodass das Grundrecht notwendig auf einfachrechtliche Ausgestaltung als „Verfassungsvoraussetzung“ angewiesen ist, wobei gleichzeitig die grundrechtliche Garantie wiederum die Ausgestaltung präformiert.80 Ausgestaltungsbedürftig sind dabei vor allem diejenigen „normgeprägten“81 Grundrechte, die eine Rechts74
Isensee/Kirchhof/Stern, Handbuch des Staatsrechts, § 185 Rn. 74, 78; vgl. BVerfGE 24, 367, 389; 31, 58, 69 f.; s.a. Hesse, Verfassungsrecht und Privatrecht, S. 21, 40. 75 Isensee/Kirchhof/Stern, Handbuch des Staatsrechts, § 185 Rn. 75, 78; BVerfGE 24, 367, 389; 31, 58, 69 f.; vgl. Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 303, 441 ff.; Hesse, Verfassungsrecht und Privatrecht, S. 21, 40; Nipperdey, Grundrechte und Privatrecht, S. 14; s.a. Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, S. 274 f. zum Zusammenhang von Institutsgarantie und Ausgestaltungslehre – Ausgestaltung ist aber nicht nur bei Institutsgarantien erforderlich, sondern bei allen Grundrechten, „deren Schutzgegenstände auf Rechtsmacht gründen und […] eine Rechtseinrichtung oder ein Rechtsinstitut darstellen“, so Bumke, Ausgestaltung von Grundrechten, S. 41 f. 76 Isensee/Kirchhof/Stern, Handbuch des Staatsrechts, § 185 Rn. 75; Isensee/Kirchhof/ Isensee, Handbuch des Staatsrechts, § 190 Rn. 63; Isensee/Kirchhof/Isensee, Handbuch des Staatsrechts, § 191 Rn. 70; Bumke, Ausgestaltung von Grundrechten, S. 49 ff. 77 Isensee/Kirchhof/Isensee, Handbuch des Staatsrechts, § 190 Rn. 70 f.; Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 303, 442; vgl. auch Bäuerle, Vertragsfreiheit und Grundgesetz, S. 292. 78 Dazu Isensee/Kirchhof/Isensee, Handbuch des Staatsrechts, § 191 Rn. 61; Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 303, 441; Bäuerle, Vertragsfreiheit und Grundgesetz, S. 378. 79 S. dazu unten S. 436 f.; s. Bumke, Ausgestaltung von Grundrechten, S. 20 ff., 41 f.; Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 441; Bäuerle, Vertragsfreiheit und Grundgesetz, S. 292, 329 f.; s.a. BVerfGE 89, 214, 231. 80 Isensee/Kirchhof/Isensee, Handbuch des Staatsrechts, § 191 Rn. 69; Bumke, Ausgestaltung von Grundrechten, S. 16 ff., 52 ff.; Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 303. Ferner zur Ausgestaltungsbedürftigkeit im Bereich der Justizgewähr sowie der Prozessgrundrechte Isensee/Kirchhof/Degenhart, Handbuch des Staatsrechts, § 114 Rn. 12 f.; § 115 Rn. 10. 81 S. aber unten noch S. 398 f., 414 ff. dazu, dass nicht nur die normgeprägten Grundrechte wie das Eigentum ausgestaltungsbedürftig sind, sondern auch scheinbar nicht-normgeprägte Grundrechte wie das Recht auf Leben, Gesundheit etc. Auch bei diesen ist eine be-
II. Grundrechte und Privatrecht
351
macht verleihen, deren Wirkung im Rechtlichen liegt bzw. die ein Rechtsinstitut konstituieren.82 Institutsgarantien als „grundrechtliche Garantien einfachgesetzlich konstituierter Rechtsinstitute“83 finden sich daher bei den normgeprägten, rechtserzeugten Grundrechten.84 Die Ausgestaltung ist dabei wiederum von der Einschränkung der Grundrechte abzugrenzen.85 c) Inhaltliche Anforderungen an die Ausgestaltung Nun stellt sich weiter die Frage, welche inhaltlichen Vorgaben aus den Grundrechten für die Ausgestaltung folgen, d.h. ob es bestimmte Ausgestaltungsdirektiven gibt.86 Hier wird zum einen als materielle Direktive der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz genannt87, zum anderen soll es „gewährleistungsspezifische Vorgaben der Grundrechtsausgestaltung“ geben88. Da die Ausgestaltungsdirektiven grundrechtsspezifisch sind, lassen sich hier keine allgemeinen, sondern nur grundrechtsabhängige Aussagen treffen.89 Auch wenn dem Gesetzgeber ein gewisser Gestaltungsspielraum bei der Ausgestaltung zukommt, gibt es zwingende Vorgaben, die sich aus dem jeweiligen Kernbereich ergeben („Normenkern“).90 Insoweit handelt es sich um eine effektive Grundrechtsgarantie, die zwingend bei der Ausgestaltung verwirklicht sein muss und die insoweit von dem jeweiligen gestaltungsfähigen Bereich abzugrenzen ist.91
82 stimmte privatrechtliche Ausgestaltung geboten, nämlich als subjektive Privatrechte. Der Privatrechtsgesetzgeber muss notwendig auch für diese Rechtsgüter subjektive Privatrechte vorsehen, insofern handelt es sich bezüglich dieser um eine Institutsgarantie. 82 Bumke, Ausgestaltung von Grundrechten, S. 41 f.; Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 303, 441; ferner auch Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, S. 275. S. aber auch Häberle, Die Wesensgehaltgarantie, S. 181, wonach alle Grundrechte „ausgestaltet“ werden können bzw. müssen; kritisch dazu Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 301 ff. (Differenzierung zwischen Ausgestaltung im engeren und weiteren Sinn). 83 Lübbe-Wolff, Die Grundrechte als Eingriffsabwehrrechte, S. 128. 84 So wohl Lübbe-Wolff, Die Grundrechte als Eingriffsabwehrrechte, S. 80 f.; s.a. Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, S. 274 f. („Im Zusammenhang des Privatrechts ist hierbei insbesondere die „Ausgestaltung“ von Grundrechten zu nennen, die der Instituts- oder Einrichtigungsgarantie der Grundrechte korrespondiert […]“). 85 S. dazu unten noch S. 353 f. sowie etwa Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 300 ff. 86 Umfassend dazu Bumke, Ausgestaltung von Grundrechten, S. 49 ff.; s.a. Ruffert, Vorrang der Verfassung, S. 66. 87 S. Bumke, Ausgestaltung von Grundrechten, S. 50 ff. 88 Bumke, Ausgestaltung von Grundrechten, S. 52 ff. 89 Bumke, Ausgestaltung von Grundrechten, S. 52 f. 90 Lübbe-Wolff, Die Grundrechte als Eingriffsabwehrrechte, S. 132; Bäuerle, Vertragsfreiheit und Grundgesetz, S. 341 f. (zum „Normbestandsschutz“), 378 f. (zum Eigentum), 385 f., 392; s. BVerfGE 87, 114, 138 f.; 91, 294, 308; 100, 226, 240 f.; BVerfG NVwZ 2012, 429, 430. 91 Lübbe-Wolff, Die Grundrechte als Eingriffsabwehrrechte, S. 132 f.
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6. Kapitel: Verfassungsrechtliche Grenzen und Anforderungen
d) Die Abgrenzung von Ausgestaltung und Erfüllung der Schutzpflicht Gleichzeitig ist die Ausgestaltung vom gesetzgeberischen Tätigwerden zur Erfüllung einer Schutzpflicht abzugrenzen.92 Während die Schutzpflicht rechtswidrige Eingriffe privater Dritter abwehrt, konkretisiert die Ausgestaltung den Inhalt der Institutsgarantie, ohne dass damit die Abwehr rechtswidriger Eingriffe privater Dritter verbunden ist.93 Ein weiterer Unterschied zwischen der aus Schutzpflichten resultierenden Gesetzgebungspflicht und der Ausgestaltung normgeprägter Grundrechte liegt darin, dass bei den Schutzpflichten der Schutzgegenstand selbst bereits außer-rechtlich besteht, sich die Gesetzgebungspflicht also nicht auf den Schutzgegenstand selbst, sondern auf die Ausgestaltung des Schutzes bezieht.94 Privatrechtsrelevante Institutsgarantie ist vor allem das Eigentum.95 Daneben werden – auch wenn nicht ausdrücklich gewährleistet – auch die Vertragsfreiheit bzw. Privatautonomie96 als mit Institutsgarantie gesichert angesehen. Der Gesetzgeber ist zur Ausgestaltung dieser privatrechtsrelevanten grundrechtlichen Garantien durch Schaffung von Regeln verpflichtet.97 e) Weitere objektiv-rechtliche Vorgaben Neben den grundrechtsbezogenen objektiv-rechtlichen Inhalten und Einrichtungsgarantien gibt es im vorliegenden Bereich weitere Verfassungsbestimmungen, die Bedeutung für die Ausgestaltung der Privat- und Prozessrechtsordnung haben: zu nennen ist hierbei das staatliche Rechtsprechungsmonopol (Art. 92 Hs. 1 GG)98 sowie das staatliche Gewaltmonopol und Selbsthilfeverbot.99
92 S. Isensee/Kirchhof/Isensee, Handbuch des Staatsrechts, § 191 Rn. 223; Bumke, Ausgestaltung von Grundrechten, S. 45 f.; Maunz/Dürig/Papier/Shirvani, Art. 14 Rn. 134. 93 Maunz/Dürig/Papier/Shirvani, Art. 14 Rn. 134; Bumke, Ausgestaltung von Grundrechten, S. 45 f.; vgl. auch Bäuerle, Vertragsfreiheit und Grundgesetz, S. 336 f., 362 f. 94 S. Bumke, Ausgestaltung von Grundrechten, S. 45 f. 95 Isensee/Kirchhof/Stern, Handbuch des Staatsrechts, § 185 Rn. 76; Bumke, Ausgestaltung von Grundrechten, S. 41. 96 Bumke, Ausgestaltung von Grundrechten, S. 41; Bäuerle, Vertragsfreiheit und Grundgesetz, S. 336 ff. (aber auch S. 317 ff., 336 ff. zum Aufgreifen der Schutzpflichtenlehre im Hinblick auf die Vertragsfreiheit); Isensee/Kirchhof/Stern, Handbuch des Staatsrechts, § 185 Rn. 77 (eher ablehnend); s. dazu unten noch S. 434 ff. 97 Isensee/Kirchhof/Isensee, Handbuch des Staatsrechts, § 190 Rn. 79. 98 S. dazu unten S. 540 f. 99 S. dazu Isensee/Kirchhof/Isensee, Handbuch des Staatsrechts, § 190 Rn. 132 ff. („Staatsaufgabe“; „Grundrechtsvoraussetzung“; „objektive Pflicht“) sowie unten S. 541 f.
II. Grundrechte und Privatrecht
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4. Prozessgrundrechte Die Prozessgrundrechte sind grundrechtsgleiche Rechte, die ihre Bedeutung im Gerichtsverfahren entfalten.100 Sie sind damit abhängig von der Bereitstellung staatlicher Gerichtsbarkeit, ihnen kommt auch objektiv-rechtliche Funktion zu, wenngleich sie im Ausgangspunkt subjektiv-rechtlich zu qualifizieren sind.101 Zu den Prozessgrundrechten zählen neben dem allgemeinen Justizgewähranspruch102 vor allem das Recht auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG), auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) sowie das Recht auf ein faires Verfahren103.104
5. Relevanz von Abwehrrechten und mittelbarer Drittwirkung? Schließlich stellt sich die Frage, ob neben der Schutzpflichtendimension und der Ausgestaltung die Grundrechte im vorliegenden Bereich auch in ihrer abwehrrechtlichen Dimension relevant werden und welche Bedeutung der „mittelbaren Drittwirkung“ zukommt.105 Die abwehrrechtliche Funktion der Grundrechte ist dabei deren „klassische“, gegen staatliche Eingriffe gerichtete Grundfunktion106, wenngleich die Schutzpflichten gleichrangig daneben stehen107. Zwar hat im Ausgangspunkt die Ausgestaltung von normgeprägten Grundrechten gerade keinen einschränkenden Charakter.108 Jedoch soll nach teilweise vertretener Auffassung die Eingriffsdimension insoweit Relevanz erlangen, als die ausgestaltungsbedürftigen Grundrechte bereits einen außer- bzw. vorrechtlichen Gegenstand haben, in den die Ausgestaltung eingreift.109
100
Isensee/Kirchhof/Stern, Handbuch des Staatsrechts, § 185 Rn. 68. Isensee/Kirchhof/Stern, Handbuch des Staatsrechts, § 185 Rn. 68. 102 S. dazu unten noch eingehend S. 537 ff. 103 Dazu BVerfGE 57, 250, 274 f.; 78, 123, 126; 89, 120, 129 ff. 104 Isensee/Kirchhof/Stern, Handbuch des Staatsrechts, § 185 Rn. 68 f. 105 Vgl. zur nur nachrangigen Bedeutung der abwehrrechtlichen Funktion der Grundrechte ebenso wie der „mittelbaren Drittwirkung“ (nur bedeutsam für „Anwendung“, nicht für „Ausgestaltung“) für die hiesige Fragestellung Bäuerle, Vertragsfreiheit und Grundgesetz, S. 330 ff., 334 f. (im Kontext der Vertragsfreiheit), 362 ff. (zur Abgrenzung von „Grundrechtsschutz und Grundrechtseingriff“), s. aber auch S. 368 ff. (zum Eingriffscharakter durch Begründung vertraglicher Bindung); ferner S. 303 ff., 313 ff. zu den früher noch vertretenen Ansätzen. 106 Isensee/Kirchhof/Isensee, Handbuch des Staatsrechts, § 191 Rn. 17, 31. 107 Isensee/Kirchhof/Isensee, Handbuch des Staatsrechts, § 191 Rn. 45. 108 Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 304. 109 S. dazu Ruffert, Vorrang, S. 311 ff.; Cornils, Die Ausgestaltung, S. 518 ff., 531 ff., 538 ff.; vgl. dazu ablehnend Bumke, Ausgestaltung von Grundrechten, S. 19 ff.; Bäuerle, Vertragsfreiheit und Grundgesetz, S. 352 ff., 360 f. 101
354
6. Kapitel: Verfassungsrechtliche Grenzen und Anforderungen
Auch wenn man die Annahme eines vor- oder außerrechtlichen Gegenstandes ablehnt, können die Grundrechte dennoch in abwehrrechtlicher Hinsicht betroffen sein.110 So gibt es die Auffassung, nach der bei normerzeugten ausgestaltungsbedürftigen Grundrechten zwischen dem Zustand vor und nach Ausgestaltung („konstituierte Rechtspositionen“) zu differenzieren ist.111 Wurden einmal einfachgesetzliche Normen zur Ausgestaltung eines Grundrechtes erlassen und „Rechtspositionen“ konstituiert, dann unterliegen diese nach Lübbe-Wolff einem Normbestandsschutz als „eingriffsabwehrendem Grundrechtsschutz“.112 Dieser verbietet zwar nicht als absoluter Schutz sämtliche Veränderungen, wie dies beim an den Kernbereich anküpfenden effektiven Grundrechtsschutz der Fall ist.113 Wohl aber ist Folge dieses Normbestandsschutzes, dass Veränderungen des Normbestands die Grundrechte in ihrer abwehrrechtlichen Dimension betreffen und daher am Maßstab grundrechtlicher Eingriffe (Verhältnismäßigkeitsgrundsatz) zu messen sind.114
III. Die Ausgestaltungsvorgaben 1. Erforderlichkeit der Privat- und Prozessrechtsordnung aufgrund von Institutsgarantien und Schutzpflichten Nun stellt sich die Frage, ob und inwieweit eine konkrete Ausgestaltung der Privat- und Prozessrechtsordnung geboten sein kann.115 Unabhängig von den dogmatisch und konstruktiv verschiedenen Ansätzen ist festzuhalten, dass es für den einfachen Gesetzgeber bestimmte grundgesetzlich festgelegte Anforderungen an die Ausgestaltung der Privatrechtsordnung gibt – es gibt eine Bestandsfunktion des Grundgesetzes, die bestimmte Elemente der historisch ge110
Vgl. auch Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 304. Dazu Lübbe-Wolff, Die Grundrechte als Eingriffsabwehrrechte, S. 75 ff., 144 ff.; s.a. Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 304 ff. (Einschränkung der „einfachrechtlichen Gesamtposition“ nicht Einschränkung „grundrechtlicher Positionen“, vielmehr Grundrechtsgewährleistung selbst maßgeblich; Einschränkung, nicht Ausgestaltung liegt aber vor, wenn „Beseitigung einer Kompetenz die Realisierung eines grundrechtlichen Prinzips hemmt“). 112 Lübbe-Wolff, Die Grundrechte als Eingriffsabwehrrechte, S. 75 ff., 150 ff.; s.a. Manssen, Privatrechtsgestaltung durch Hoheitsakt, S. 170 ff. zur Diskussion des „Normbestandsschutzes“. 113 Dazu Lübbe-Wolff, Die Grundrechte als Eingriffsabwehrrechte, S. 132 ff., 150 ff. 114 Lübbe-Wolff, Die Grundrechte als Eingriffsabwehrrechte, S. 150 ff. 115 S. dazu im einzelnen unten noch S. 430 ff., 465 ff. und 494 ff. zu den einzelnen Rechtsbereichen. Ablehnend etwa zum Vertragsrecht Flume, Allgemeiner Teil, § 1,10 a) („Weil die Vertragsfreiheit […] nur nach Maßgabe der Rechtsordnung bestehen kann, so ergeben sich aus der verfassungsmäßigen Gewährleistung der Vertragsfreiheit keine konkreten Folgerungen für den Inhalt der Privatrechtsordnung, abgesehen von der Grundentscheidung unserer Rechtsordnung für eine Privatrechtsordnung“; Fn. weggelassen). 111
III. Die Ausgestaltungsvorgaben
355
wachsenen und vorgefundenen Privatrechtsordnung verfassungsrechtlich absichern.116 Durch Art. 1 Abs. 3 GG ist der Gesetzgeber an die Grundrechte gebunden und hat daher die Gesetze grundrechtskonform auszugestalten.117 Eine Notwendigkeit zur Gesetzgebung („Verfassungsauftrag“ zur „Ausgestaltung“) kann sich wie gesehen zum einen aus Schutzpflichten ergeben, die aus der drohenden Beeinträchtigung oder Verletzung durch Dritte resultieren118 und daher staatliches Handeln vor allem des Gesetzgebers zum Schutze der Rechtsgüter bedingen119; zum anderen aus solchen grundrechtlichen Gewährleistungen, die zwingend auf Ausgestaltung durch den einfachen Gesetzgeber angewiesen sind.120 Ersteres wurde vom Bundesverfassungsgericht zunächst im Bereich des Lebensschutzes, dann aber auch im Bereich anderer grundrechtlicher Gewährleistungen angenommen.121 Letzteres ist etwa bei solchen ausgestaltungsbedürftigen grundrechtlichen Gewährleistungen der Fall, die eine Rechtsmacht gewähren122 und auf Organisations- und Verfahrensregeln angewiesen sind.123 Eine solche Ausgestaltungspflicht ergibt sich wie gesehen etwa im Bereich des Eigentums124 oder der Privatautonomie.125 Hier ist der Gesetzgeber zu einer den objektiv-rechtlichen Vorgaben der Grundrechte entsprechenden Ausgestaltung verpflichtet, die rechtsgeschäftliche Gestaltungsmittel und entsprechende rechtlich durchsetzbare Rechtspositionen begründet.126 Ähnlich resultiert aus dem Justizgewähranspruch und den einzelnen Verfahrensgrundsätzen ein Auftrag zur Ausgestaltung durch die einfachgesetzlichen Verfah-
116 S. dazu zuvor bereits S. 341; Hesse, Verfassungsrecht und Privatrecht, S. 7, 17, 21, 40 f.; vgl. zum historischen Verhältnis Grundgesetz – Privatrechtsbegriffe Bäuerle, Vertragsfreiheit und Grundgesetz, S. 22 ff. 117 S. dazu zuvor bereits S. 342 sowie etwa Isensee/Kirchhof/Stern, Handbuch des Staatsrechts, § 185 Rn. 102 f.; Bäuerle, Vertragsfreiheit und Grundgesetz, S. 328, 338. 118 Isensee/Kirchhof/Kriele, Handbuch des Staatsrechts, § 188 Rn. 78 f. 119 Isensee/Kirchhof/Stern, Handbuch des Staatsrechts, § 185 Rn. 86, 89; § 190 Rn. 173; vgl. Bumke, Ausgestaltung von Grundrechten, S. 45 f. (auch zur Frage, ob man gesetzgeberisches Handeln zur Erfüllung der Schutzpflicht als „Ausgestaltung“ bezeichnen kann). 120 S. Isensee/Kirchhof/Kriele, Handbuch des Staatsrechts, § 188 Rn. 79; Isensee/Kirchhof/Isensee, Handbuch des Staatsrechts, § 190 Rn. 63, 162; Bumke, Ausgestaltung von Grundrechten, S. 41 f. 121 Isensee/Kirchhof/Kriele, Handbuch des Staatsrechts, § 188 Rn. 82 f.; Isensee/Kirchhof/Stern, Handbuch des Staatsrechts, § 185 Rn. 88. 122 Bumke, Ausgestaltung von Grundrechten, S. 41 f. 123 Isensee/Kirchhof/Kriele, Handbuch des Staatsrechts, § 188 Rn. 84. 124 S. dazu oben S. 352 sowie Bumke, Ausgestaltung von Grundrechten, S. 41 f.; Isensee/ Kirchhof/Isensee, Handbuch des Staatsrechts, § 190 Rn. 63, 163. 125 S. dazu oben S. 352. 126 S. BVerfGE 89, 214, 231 f.; s.a. Isensee/Kirchhof/Isensee, Handbuch des Staatsrechts, § 150 Rn. 88; Bumke, Ausgestaltung von Grundrechten, S. 41 f., 57 ff.
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6. Kapitel: Verfassungsrechtliche Grenzen und Anforderungen
rens- und Prozessordnungen.127 Gleichzeitig folgt im Bereich der Justizgewährleistung aus einer Schutzpflicht eine Pflicht des Staates zur Bereitstellung und Schaffung entsprechender Normen und Verfahren, die den Zugang zu den Gerichten und die Rechtsdurchsetzung ermöglichen.128 Die Umsetzung des Gestaltungsauftrages obliegt dabei bedingt durch die Gewaltenteilung der gesetzgebenden Gewalt.129
2. Gesetzgebungsauftrag und Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers Die Notwendigkeit zur Gesetzgebung kann sich in zweifacher Hinsicht artikulieren: zum einen in der Pflicht zur Schaffung neuer Normen, zum anderen aber in einer Pflicht zur Beibehaltung bereits bestehender Normen, die den grundgesetzlichen Anforderungen entsprechen.130 Dabei stellt sich die Frage, ob die zur Ausgestaltung der Verfassungsgarantien erlassenen Normen selbst am Verfassungsrang teilhaben oder nur Grundrechts- bzw. Verfassungsvoraussetzungen131 sind.132 Einerseits sind sie erforderlich, um den Geltungsanspruch der Gewährleistungsinhalte zu verwirklichen, andererseits unterliegen sie dem Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers – die Frage nach ihrer „Verfassungsfestigkeit“ hängt also von der Reichweite ihrer verfassungsrechtlichen Determination ab.133 Vom Bereich effektiven Grundrechtsschutzes, der den Kernbereich des Grundrechts der Gestaltung des Gesetzgebers entzieht134, sind die anderen ausgestaltenden Normen abzugrenzen. Unabhängig davon, ob man deren Schutz nun abwehrrechtlich als Normbestandsschutz einmal konstituierter 127 Isensee/Kirchhof/Degenhart, Handbuch des Staatsrechts, § 114 Rn. 12 f.; § 115 Rn. 10. 128 S. Isensee/Kirchhof/Isensee, Handbuch des Staatsrechts, § 191 Rn. 187 („Der Justizgewährleistungsanspruch ist wesentliches Element der Schutzpflicht“; Fn. weggelassen), 267; s. ferner Bettermann, JBl. 1972, 57, 65 dazu, dass beim Justizgewähranspruch der status positivus betroffen ist. 129 Isensee/Kirchhof/Isensee, Handbuch des Staatsrechts, § 190 Rn. 165. 130 S. dazu Hesse, Verfassungsrecht und Privatrecht, S. 7, 17, 40 f.; vgl. auch Isensee/ Kirchhof/Isensee, Handbuch des Staatsrechts, § 191 Rn. 285 ff. (zum Gesetzgebungsauftrag und zur Nachbesserungspflicht). 131 Zu diesem Begriff Isensee/Kirchhof/Isensee, Handbuch des Staatsrechts, § 190 Rn. 49 ff. 132 Isensee/Kirchhof/Isensee, Handbuch des Staatsrechts, § 190 Rn. 63; s. Jestaedt, Grundrechtsentfaltung im Gesetz, S. 33 („Obgleich „Gegenstand“ und „Umfang“ des grundrechtlichen Eigentumsschutzes nur aus den eigentumsbestimmenden Gesetzen erschlossen werden können, erwachsen diese ihrerseits nicht in Verfassungsrang“). 133 Isensee/Kirchhof/Isensee, Handbuch des Staatsrechts, § 190 Rn. 63; ferner § 191 Rn. 69, 168, 188, 291, 293 ff.; s. dazu auch Jestaedt, Grundrechtsentfaltung im Gesetz, S. 30 ff., 135 ff. 134 Lübbe-Wolff, Die Grundrechte als Eingriffsabwehrrechte, S. 132 f.
III. Die Ausgestaltungsvorgaben
357
Rechtspositionen135 oder über die Ausgestaltungsdogmatik konstruiert, gilt insoweit jedenfalls der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz.136 Im Ergebnis Ähnliches, wenngleich in der Verfassungstheorie konstruktiv Anderes gilt für die aufgrund von Schutzpflichten gebotenen Schutzgesetze: Einfachgesetzliche Schutzgesetze, die in Erfüllung einer grundrechtlichen Schutzpflicht erlassen wurden, haben zwar nicht Teil am Verfassungsrang, wohl aber besteht die Grenze des Untermaßverbotes.137 Insoweit kommt dem durch das Untermaßverbot gebotenen Mindestschutzniveau tatsächlich Bestandskraft zu138, da sich der Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers hierauf gerade nicht bezieht139. Ferner ist zu berücksichtigen, dass es insoweit zu Grundrechtskollisionen kommen kann, da das Tätigwerden in Ausübung der Schutzpflicht beim Störer die Grundrechte in ihrer abwehrrechtlichen Dimension trifft.140 Bei der Kollision der grundrechtlichen Rechtspositionen ist dieser Konfliktlage im Wege der praktischen Konkordanz zu begegnen141 sowie Unter- und Übermaßverbot Rechnung zu tragen.142
135
Lübbe-Wolff, Die Grundrechte als Eingriffsabwehrrechte, S. 144 ff., 150 ff. Zur abwehrrechtlichen Sichtweise Lübbe-Wolff, Die Grundrechte als Eingriffsabwehrrechte, S. 150 f.; zur Ausgestaltungsdogmatik Bumke, Ausgestaltung von Grundrechten, S. 50 ff. 137 Isensee/Kirchhof/Isensee, Handbuch des Staatsrechts, § 191 Rn. 291. 138 So Isensee/Kirchhof/Isensee, Handbuch des Staatsrechts, § 191 Rn. 292 a.E.; vgl. ferner auch Canaris, Grundrechte und Privatrecht, S. 80 ff., 83 ff. 139 Vgl. Isensee/Kirchhof/Isensee, Handbuch des Staatsrechts, § 191 Rn. 293 ff. 140 Isensee/Kirchhof/Isensee, Handbuch des Staatsrechts, § 191 Rn. 220, 279, 282, 297. 141 Vgl. zu diesen Grundrechtskollisionen Isensee/Kirchhof/Isensee, Handbuch des Staatsrechts, § 191 Rn. 157, 193, 280, 297 f. 142 Isensee/Kirchhof/Isensee, Handbuch des Staatsrechts, § 191 Rn. 303 f.; ferner dazu Epping/Hillgruber/Lang, Art. 2 Rn. 76 f. (zum „Korridor“ zwischen Über- und Untermaßverbot); Canaris, Grundrechte und Privatrecht, S. 80 ff., 83 ff. 136
7. Kapitel
Die Entwicklung der Konstituenten in der Gegenwart I. Überblick Es wurden allgemein die verfassungsrechtlichen Gewährleistungen herausgearbeitet und dargestellt, die für die Privat- und Prozessrechtsordnung von Relevanz sind. Im Folgenden soll erörtert werden, was aus diesen für die positivrechtliche Ausgestaltung des Privat- und Prozessrechts folgt, d.h. welche Grundzüge der Privat- und Prozessrechtsordnung von der Bestandsfunktion des Grundgesetzes erfasst sind und inwieweit der Gesetzgeber die positive Privat- und Prozessrechtsordnung verfassungskonform fortentwickeln kann.
II. Person, Wille und Willensfreiheit 1. Person a) Problemstellung Die historischen Linien präformieren die Auseinandersetzung um den Personbegriff in der Rechtsdiskussion der Gegenwart.1 Ausgangspunkt ist die Frage, ob es für das Zivilrecht überhaupt der Kategorie der Person bedarf oder ob nicht die Begriffe Rechtsfähigkeit und Rechtssubjekt den Bedeutungsgehalt des Personbegriffs erschöpfen.2 Versteht man nämlich unter (Rechts-)Person ausschließlich die Eigenschaft, Träger von Rechten und Pflichten zu sein und setzt Person insofern mit dem Rechtssubjekt gleich3, dann scheint der Personbegriff obsolet zu sein.4 Er wäre dann im Zivilrecht eine bloße Bezeichnung, die keinen Begriffsgehalt hätte.5 1
S. dazu oben S. 72 ff., 82 ff., 93 ff., 155 f. und 166 ff. S. insoweit bereits die Kritik bei Schlossmann, Persona, S. 5 ff. (S. 6: „unnützer Ballast“). 3 S. dazu gleich noch sowie vgl. Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 177 (S. 313 f.), der unter Person „die Personifikation“ der Einheit von subjektiven Rechten und Pflichten sieht; kritisch dazu v. Lübtow, in: Bickel (u.a.) (Hrsg.), Recht und Rechtserkenntnis, S. 421, 428 ff.; ferner in diese Richtung Enneccerus/Nipperdey, Allgemeiner Teil, § 83, S. 312. 4 Vgl. Eichler, System des Personenrechts, S. 35, wonach „die Person als Rechtsbegriff überflüssig werden würde“, wenn „die Rechtsperson schlechthin mit der Rechtsfähigkeit identifiziert werden“ würde; ebenso Wiethölter, Rechtswissenschaft, S. 190; s. bereits Schloss2
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7. Kapitel: Die Entwicklung der Konstituenten in der Gegenwart
Dies verweist darauf, was überhaupt Voraussetzung und Inhalt des Personbegriffs ist. Hier zeigen sich wiederum die historischen Linien.6 Nach der einen, rechtstheoretisch geprägten Auffassung ist Person derjenige, den das positive Recht als Rechtsträger bestimmt, d.h. die Bedeutung des Personbegriffs geht darin auf, dass das positive Recht festlegt, wer (Rechts-)Person ist und damit am Rechtsverkehr teilnehmen kann und Rechtssubjekt ist.7 Diese Auffassung wird dahingehend konkretisiert, dass jede (Rechts-)Person – auch die natürliche – letztlich nur juristisch geschaffen ist, d.h. eine für das Recht durch
5 mann, Persona, S. 1 ff., 5 f. (S. 5 f.: „Dieser ganzen Begriffsbildung fehlt es, so wichtig man sie auch nehmen und für so unentbehrlich man sie zu halten pflegt, an jedem wissenschaftlichen und praktischen Wert. Man schleppt in den Begriffen „Person“, „Persönlichkeit“, „physische, juristische Person“, „Rechtsfähigkeit“ nur einen unnützen Ballast fort, mit dem die oberflächliche Systematik des achtzehnten Jahrhunderts – über dieses reichen sie kaum zurück – die wissenschaftliche Darstellung des Privatrechts beladen hat“); kritisch zu einem solchen Personbegriff („inhaltslos und wertfrei“) v. Lübtow, in: Bickel (u.a.) (Hrsg.), Recht und Rechtserkenntnis, S. 421, 446. 5 Vgl. auch Altwicker, in: Gröschner/Kirste/Lembcke (Hrsg.), Person und Rechtsperson, S. 225 ff. zum Bedeutungsverlust des Personbegriffs bzw. zur „Entpersonalisierung“ im Rechtspositivismus. Eine Relativierung des Personbegriffs ergibt sich auch daraus, dass die Deckungsgleichheit von Person und Rechtsfähigkeit durchbrochen ist; es gibt (teil-)rechtsfähige Gesellschaften, die gerade keine Personen sind (Außen-GbR), s. etwa BGHZ 146, 341 (Rechtsfähigkeit der Außen-GbR) sowie Reuter, AcP 207 (2007), 673, 674 ff.; dazu auch M. Lehmann, AcP 207 (2007), 225, 240 ff.; a.A. Klingbeil, AcP 217 (2017), 848, 859 („Wer rechtsfähig ist, ist notwendigerweise Rechtsperson“). 6 S. oben S. 72 ff., 82 ff., 93 ff., 155 f. (zur Gegenüberstellung des Personbegriffs des römischen Rechts/juristischen Humanismus einerseits und des Personbegriffs der Freiheitsmetaphysiktradition andererseits) sowie Hetterich, Mensch und „Person“, S. 101, ferner umfassend zu den Diskussionen um den Personbegriff und Rechtsfähigkeit (formell-rechtstechnisch oder materiell-rechsethisch; „positivistische“ oder „vorrechtliche“ Rechtsfähigkeit) in der Gegenwart S. 25 ff., 28, 33 ff., 35, 100 f., 295 f.; s.a. v. Lübtow, in: Bickel (u.a.) (Hrsg.), Recht und Rechtserkenntnis, S. 421, 422 ff., 432 ff., 446 f.; Pawlik, Das Unrecht des Bürgers, S. 141 ff. 7 S. zur Umschreibung dieser Position Kirste, in: Gröschner/Kirste/Lembcke (Hrsg.), Person und Rechtsperson, S. 345, 354 („Es ist in dieser rechtstheoretischen Perspektive Sache des positiven Rechts, wem es Rechte zuweist und wen es damit als Rechtssubjekt als Grundlage der Rechtsperson anerkennt“); ursprünglich zu dieser Position Jellinek, System der subjektiven öffentlichen Rechte, S. 28 („Persönlichkeit oder Person ist die Fähigkeit, Träger von Rechten sein zu können, mit einem Worte die Rechtsfähigkeit. […] Sie ist stets vom Rechte verliehen, nicht von Natur aus gegeben“); Endemann, Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts, § 21, S. 85 f.; H. Lehmann, Allgemeiner Teil, § 11, S. 73; Enneccerus/Nipperdey, Allgemeiner Teil, § 83, S. 312 ff.; umfassend dazu Hetterich, Mensch und „Person“, S. 25, 28, 33 ff., 35, 101; s. ferner Staudinger/Kannowski, Vorbem zu § 1, Rn. 1 („Die Begriffe „Person“ und „Rechtsfähigkeit“ gehören dem positiven Recht an; Rechtsfähigkeit und Personenqualität beruhen auf der Zuerkennung durch die geltende Rechtsordnung. Diese erfüllt aber, wenn sie allen Menschen Rechtsfähigkeit zuspricht, ein sozialethisches, naturrechtliches Postulat […]“).
II. Person, Wille und Willensfreiheit
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das Recht geschaffene „Konstruktion“8 und dass es keine „Rechtsperson“ bzw. keinen juristischen Personengehalt außerhalb dieser rechtlich geschaffenen „Konstruktion“9 gibt. Ungeachtet der positiv-rechtlichen Fundierung muss auch dieser Personbegriff nicht willkürlich sein10, kann doch primärrechtlich vorgegeben sein, wer Person in diesem Sinne ist.11 Die andere, rechtsethisch orientierte Auffassung geht demgegenüber von einem eigenständigen „vor-rechtlichen“ Personbegriff aus, dessen Konsequenz es ist, dass derjenige, der – vor-rechtlich – Person ist, auch notwendig Rechtssubjekt und rechtsfähig ist.12 Person und Rechtssubjekt stehen dann in einer Art 8 S. Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 177 f. (S. 313 ff.); zu Kelsen auch Altwicker, in: Gröschner/Kirste/Lembcke (Hrsg.), Person und Rechtsperson, S. 225, 236 ff. (aaO, S. 239 Fn. 51 – allerdings kritisch – zum Begriff der „Konstruktion“); Kirste, in: Gröschner/Kirste/Lembcke (Hrsg.), Person und Rechtsperson, S. 345, 352 („Konstruktion des Rechts selbst“); ferner Dreier, in: Gröschner/Kirste/Lembcke (Hrsg.), Person und Rechtsperson, S. 323, 326 mit Verweis auf Jellinek, System der subjektiven öffentlichen Rechte, S. 28; Radbruch, Rechtsphilosophie, § 17, S. 230 f. („Niemand ist Person von Natur oder von Geburt“; „Alle Personen, die physischen wie die juristischen, sind Geschöpfe der Rechtsordnung“); Teubner, in: Grimm (Hrsg.), Wachsende Staatsaufgaben, S. 115, 129 („bloße Konstrukte“). S. ferner Klingbeil, AcP 217 (2017), 848, 851 ff., 856 f. (zur Trennung vom Menschen als „Naturwesen“ und Rechtsperson; Rechtsperson als „Kunstgeschöpf des Rechts“). 9 Zum Begriff der „Konstruktion“ Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 178 (S. 316: „nicht eine natürliche Realität, sondern eine juristische, von der Rechtswissenschaft geschaffene Konstruktion, ein Hilfsbegriff in der Darstellung rechtlich relevanter Tatbestände“); vgl. Altwicker, in: Gröschner/Kirste/Lembcke (Hrsg.), Person und Rechtsperson, S. 225, der insoweit von einem „Vorgang des Verschwindens“ im Hinblick „auf bestimmte Aspekte des Personbegriffs, die in der Tradition mit diesem verbunden wurden“, spricht; der rechtspositivistische Personenbegriff verliere insoweit seinen „Verweisungscharakter“, etwa den Bezug „auf eine physische oder moralische Identität“. 10 In diese Richtung die Kritik bei v. Lübtow, in: Bickel (u.a.) (Hrsg.), Recht und Rechtserkenntnis, S. 421, 424 f., 446 f. 11 Vgl. Hetterich, Mensch und „Person“, S. 35, 36 f., 41 (zur Bindung des Gesetzgebers durch Art. 1 Abs. 1 GG auch bei „positivistischem“ Person- und Rechtsfähigkeitsbegriff); Kirste, in: Gröschner/Kirste/Lembcke (Hrsg.), Person und Rechtsperson, S. 345, 367 ff., 370 ff.; ferner Klingbeil, AcP 217 (2017), 848, 853, wonach in Art. 1 Abs. 1 S. 1 GG ein „Anerkennungsakt“ des Menschen als Rechtsperson liege und so der Staat „den Menschen mittels dieser Rechtsnorm in die rechtliche Existenz“ rufe. 12 Für einen vor-rechtlichen Personbegriff v. Lübtow, in: Bickel (u.a.) (Hrsg.), Recht und Rechtserkenntnis, S. 421, 423 f.; Soergel/Fahse, § 1 BGB Rn. 1; Soergel/Hadding, Vor § 21 Rn. 7; K.H. Auer, Das Menschenbild, S. 170 („[…] der Mensch als personales Wesen dem Recht nicht nur auf-, sondern auch vorgegeben ist“), 202 f.; (aus verfassungsrechtlicher Perspektive) Palm, Der Staat 47 (2008), 41, 48 ff., 54; s. ferner Neuner, Allgemeiner Teil, § 10 Rn. 2, 4 f. („ethischer Personalismus“); § 11 Rn. 4; Larenz/Wolf, Allgemeiner Teil, § 5 Rn. 1 f., 5; Larenz, Methodenlehre, S. 455 f.; Eichler, System des Personenrechts, S. 34 (Mensch „als die geborene Person“; Person als „ethischer Grundbegriff“, der „in die Sphäre des Privatrechts übertragen wird“; Rechtsfähigkeit als „wesentliche Eigenschaft der Person“); Westermann, Person und Persönlichkeit, S. 9 (s. noch die folgende Fn.); vgl. auch Coing, Der Rechtsbegriff der menschlichen Person, S. 191, 204 f.; E. Wolf/Naujoks, Anfang und Ende der Rechtsfähigkeit, S. 61, 66 ff. (zur Rechtsfähigkeit); zu dieser Diskussion um einen „vorrechtlichen Personbegriff“ bereits G. Husserl, AcP 127 (1927), 129, 140 („Nicht da-
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7. Kapitel: Die Entwicklung der Konstituenten in der Gegenwart
Kausalitätsverhältnis, es gibt danach einen außer- bzw. vor-rechtlichen Personbegriff, der notwendig zur Folge hat, dass derjenige, der Person ist, auch durch die positive Rechtsordnung als rechtsfähig und Rechtssubjekt anerkannt wird.13 Damit zeigen sich drei Positionen für einen Personbegriff aus rechtlicher Perspektive14: die erste, nach der rechtlich der Personbegriff obsolet ist; die zweite, nach dem sich der juristisch geschaffene Personbegriff darin erschöpft, dass das positive Recht bestimmt, wer Rechtsperson ist und Rechtsperson in diesem Sinne eine durch das Recht geschaffene „Konstruktion“ ist, die vor allem in der Rechtssubjektivität aufgeht; die dritte, die von einem eigenständigen dem Recht vorgegebenen ethisch geprägten Personbegriff ausgeht, dessen Konsequenz ist, dass derjenige, der Person ist, auch positiv-rechtlich anerkanntes Rechtssubjekt und rechtsfähig ist bzw. sein muss. Während die zuvorgenannte Diskussion den Personbegriff in seinen Voraussetzungen betrifft, geht es auch um die materiellen Folgen und Inhalte des zivilrechtlichen Personbegriffs. Beschränkt sich sein Inhalt „statisch“ auf die Rechtssubjektivität und Rechtsfähigkeit? Ist Person, wie Kelsen sagt, die Zusammenfassung des „Komplexes“ subjektiver Rechte und Rechtspflichten15? 13 rum handelt es sich, personale Wesen zu schaffen, sondern außerrechtlich geschaffene Personen durch das Recht personal zu qualifizieren“), 182 f. („Die Person in diesem Wortverstand eines vorrechtlichen (potentiellen) Machtzentrums […]“; allerdings trennt Husserl die Rechtsfähigkeit vom Begriff der Person); s.a. Hetterich, Mensch und „Person“, S. 33 ff., 35 ff., 37 ff. (dort auch zu den Unschärfen der vorstehenden Positionen), 41 f., 75 f., 100 f., 297 ff., 318 (zunächst Person und Rechtsfähigkeit als „technische Rechtsbegriffe“, aber durch Menschenwürde „materiell-ethische Internalisierung“; „Verschmelzung rechtstechnischer und ethisch-sittlicher Aspekte“, auch für Personbegriff des BGB). 13 Vgl. Soergel/Fahse, § 1 BGB Rn. 1; v. Lübtow, in: Bickel (u.a.) (Hrsg.), Recht und Rechtserkenntnis, S. 421, 423 f.; in diese Richtung, wenngleich hier das Kausalverhältnis Rechtsfähigkeit – Person umgekehrt ist, Westermann, Person und Persönlichkeit, S. 9 („Der Satz von der Rechtsfähigkeit des Menschen mit dessen folglicher Kennzeichnung als Person erkennt nur etwas an, was schon vor- oder außerrechtlich gegeben ist, nämlich den Menschen in seiner Würde“), 11 („An den Tatbestand des Menschseins wird die Rechtsfolge der Rechtsfähigkeit geknüpft“); zur nicht ganz eindeutigen Position Westermanns Hetterich, Mensch und „Person“, S. 39 f.; vgl. auch Palm, in: Gröschner/Kirste/Lembcke (Hrsg.), Person und Rechtsperson, S. 295, 308 ff., 310, 312. 14 Vgl. auch Hetterich, Mensch und „Person“, S. 35, ferner 25 ff., 28, 33 ff., 100 f. Auch die Position, die einen materiell-ethischen Personbegriff zugrunde legt, betrachtet die Person aus rechtlicher Perspektive, erkennt dabei aber an, dass sich die Person nicht im Rechtlichen erschöpft, sondern auch außerhalb der „Rechtswelt“ ist. 15 S. Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 177 (S. 314), wonach die Person „die Rechtspflichten und subjektiven Rechte“ ist, d.h. „die Personifikation dieser Einheit“ im Sinne des Komplexes von Rechtspflichten und subjektiven Rechten; zu Kelsen auch Altwicker, in: Gröschner/ Kirste/Lembcke (Hrsg.), Person und Rechtsperson, S. 225, 236 ff., wonach die Person infolge der Formalisierung des Personbegriffs bei Kelsen zu einem „Darstellungsmittel“ bzw. zu einer „Form“ wird; ähnlich auch Kirste, in: Gröschner/Kirste/Lembcke (Hrsg.), Person und Rechtsperson, S. 345, 352 f. (Rechtsperson als „Schnittmenge der ihr zugewiesenen Rechte“, „Umfang der einem Rechtssubjekt zugewiesenen Rechte“, insoweit diesen Personbegriff unterscheidend von Rechtssubjekt und Rechtsfähigkeit).
II. Person, Wille und Willensfreiheit
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Oder bedingt Person auch „dynamische“16 Elemente wie die Anerkennung der Eigenwirksamkeit und Kausalität des rechtlichen Handelns der Person?17 Letzteres betrifft dabei nicht nur den vor-rechtlichen Personbegriff, sondern auch den positiv-rechtlichen konstruktivistischen, der nicht zwingend nur auf die Bezeichnung von Rechtssubjektivität, Rechtsträgerschaft oder Rechtsfähigkeit begrenzt sein muss.18 Ferner ist Letzteres nicht auf die Reichweite beschränkt, sondern enthält auch normative Aspekte. Hat die Person ein Recht darauf, dass ihre Handlungen rechtlich anerkannt werden und sie etwas rechtlich bewirken kann? Wenn im Folgenden auf den Personbegriff eingegangen wird, dann ist angesichts seiner Vielschichtigkeit19 zu betonen, dass hier die Person nur in einer ganz spezifischen Perspektive untersucht werden soll: Was ist der für das Zivilrecht durch das Verfassungsrecht vorgegebene Bedeutungsgehalt der Person? Dass diese Fragen nicht von rein rechtshistorischem oder -philosophischem Interesse sind, zeigt sich bereits in der gegenwärtigen Rechtsdiskussion, wo gefragt wird, ob auch technischen Vorrichtungen wie autonomen Systemen Rechtsfähigkeit und Rechtssubjektivität zukommen kann.20 b) Verfassungsrechtliche Vorgaben Beschäftigt man sich mit den Vorgaben des Grundgesetzes für Inhalt und Bedeutungsgehalt des Personbegriffs für das Zivilrecht, dann kann man feststellen, dass das Grundgesetz an mehreren Stellen von „Person“ spricht (etwa 16
S. dazu auch Hesse, Verfassungsrecht und Privatrecht, S. 35 („aktive und positive Seite der Personalität“), 43; vgl. zu einem dynamischen Element im Personbegriff auch Becker, Das Menschenbild des Grundgesetzes, S. 51 im Hinblick auf Wintrich, in: Maunz/Nawiasky/Heckel (Hrsg.), FS Apelt, S. 1, 3, der dieses dynamische gemeinschaftsbezogene Element der „Persönlichkeit“ („Aktualisierung in freier Entscheidung“) zuordnet – im Gegensatz zum Personsein als „naturgegebene Ausstattung des Menschen“; zum Begriff des „Dynamischen“ im Kontext des Personbegriffs auch K.H. Auer, Das Menschenbild, S. 167. 17 S. in diese Richtung bereits G. Husserl, AcP 127 (1927), 129, 131 ff., der auf zwei Aspekte des Personbegriffs (passiv – aktiv) hinweist. Passivität („passive Personalität“) meint dort zwar vor allem „Rechtsunterworfenheit“; Aktivität meint dagegen die „Qualität“, „das Recht durch Handlungen willentlich-wirksam handhaben zu können“; „Rechtsperson ist danach, wer rechtlich soll und kann. „Können“ meint willentlich und in rechtsordnungsmäßiger Weise auf das Recht selber verwirklichend einwirken zu können“ (aaO, S. 133). 18 Vgl. aber im Hinblick auf Kelsen Altwicker, in: Gröschner/Kirste/Lembcke (Hrsg.), Person und Rechtsperson, S. 225, 236 ff., bei dem der Personbegriff gerade in diesem formalen Begriff aufgeht. 19 Vgl. Palm, in: Gröschner/Kirste/Lembcke (Hrsg.), Person und Rechtsperson, S. 295 ff. zu den verschiedenen Perspektiven ebenso wie den spezifisch-verfassungsrechtlichen Bedeutungsgehalten des Personbegriffs. 20 Zur Aktualität der Diskussion des Personbegriffs insoweit auch Hetterich, Mensch und „Person“, S. 15 ff., 63 f.; ferner zu dieser Diskussion etwa Teubner, AcP 218 (2018), 155, 160 ff.; Schirmer, JZ 2019, 711 ff., 716 ff.
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7. Kapitel: Die Entwicklung der Konstituenten in der Gegenwart
Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG, Art. 104 Abs. 1 GG: „Freiheit der Person“; ferner Art. 2 Abs. 1 GG: „freie Entfaltung seiner Persönlichkeit“).21 Entscheidend ist indes, dass der Personbegriff, obschon nicht explizit22 in der Menschenwürdegarantie begrifflich aufgegriffen, ebendort von der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts verortet wird.23 Hieraus ergeben sich weitreichende verfassungsrechtliche Vorgaben, die aus der Tradition bekannte Elemente des Personbegriffs reflektieren.24 Dem Menschen kommt danach „Würde kraft seines Personseins“ zu.25 Das Bundesverfassungsgericht bestimmt so „das Wesen des Menschen“ als „geistig-sittliche Person“26, die über die „Fähigkeit zu eigenverantwortlicher Lebensgestaltung“27 verfügt. Zugleich werden der „Eigenwert“, der anerkannt werden muss28, und die „Eigenständigkeit der Person“ betont, deren Wahrung erforderlich ist.29 In der Anerkennung „als selbstverantwortliche Persönlichkeit“ besteht „die unverlierbare Würde des Menschen als Person“.30 Mit der Menschenwürdegarantie ist „der soziale Wert- und Achtungsanspruch des Menschen verbunden, der es verbietet, den Menschen zum bloßen Objekt des Staates zu machen“.31 Dem Menschen kommt notwendig „Subjektqualität“, 21 Dazu auch Palm, Der Staat 47 (2008), 41, 52; ders., in: Gröschner/Kirste/Lembcke (Hrsg.), Person und Rechtsperson, S. 295, 296 ff., der insoweit, etwa im Hinblick auf Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG, von Person als „ethischem Rechtsgrundsatz“ im Sinne vom „Menschen als Grundrechtsberechtigten“ spricht – unterschieden von Person als Rechtsbegriff. Dieser Personbegriff im Sinne eines ethischen Rechtsgrundsatzes soll selbst indes nicht Rechtsquelle, sondern Rechtserzeugungsquelle sein (aaO, S. 307). 22 Entgegen der ursprünglich vorgesehenen Fassung von Art. 1 Abs. 1 GG, s. Palm, Der Staat 47 (2008), 41, 49 mit Verweis auf den Entwurf des Verfassungskonvents von Herrenchiemsee, Art. 1 Abs. 2 („Die Würde der menschlichen Persönlichkeit ist unantastbar“; s. Verfassungsausschuss, Bericht über den Verfassungskonvent, S. 61). 23 Ursprünglich BVerfGE 4, 7, 15 f. (Investitionshilfe); s. hierzu und zum Folgenden auch Palm, in: Gröschner/Kirste/Lembcke (Hrsg.), Person und Rechtsperson, S. 295, 298 ff. 24 S. dazu oben S. 155 f. (zu Kant). 25 BVerfGE 30, 173, 194 (Mephisto); ferner BVerfGE 30, 1, 26; 115, 118, 153. 26 BVerfGE 6, 32, 36 (Elfes); s.a. BVerfGE 4, 7, 15 („[…] den Schutz eines Mindestmaßes menschlicher Handlungsfreiheit, ohne das der Mensch seine Wesensanlage als geistig-sittliche Person überhaupt nicht entfalten kann“); 45, 187, 227 („die Vorstellung vom Menschen als einem geistig-sittlichen Wesen“). 27 BVerfGE 5, 85, 204. 28 BVerfGE 5, 85, 205; 45, 187, 228; 115, 118, 153 („[…] dass der Einzelne verlangen kann, in der Gemeinschaft grundsätzlich als gleichberechtigtes Glied mit Eigenwert anerkannt zu werden“). 29 BVerfGE 4, 7, 16; 30, 1 20; 45, 187, 228. 30 BVerfGE 45, 187, 228. 31 BVerfGE 87, 209, 228; 45, 187, 228; 96, 375, 399; 109, 133, 150; 109, 279, 312; 115, 118, 153. Zum Hintergrund dieser Objekt-Formel s. Becker, Das Menschenbild, S. 37 ff. Die sog. „Objektformel“ geht auf Dürig (AöR 81 [1956], 117, 127) zurück und wird geistesgeschichtlich Kant zugeordnet, s. Kant, Die Metaphysik der Sitten, Einleitung, Eintheilung der Rechtslehre, § A., AA VI, 236 („Die rechtliche Ehrbarkeit (honestas iuridica) besteht darin: im Verhältniß zu Anderen seinen Werth als den eines Menschen zu behaupten, welche Pflicht
II. Person, Wille und Willensfreiheit
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ein „Status als Rechtssubjekt“ zu.32 Das „Wertsystem“ des Grundgesetzes, „das seinen Mittelpunkt in der innerhalb der sozialen Gemeinschaft sich frei entfaltenden menschlichen Persönlichkeit und ihrer Würde findet“, muss dabei „für alle Bereiche des Rechts“, d.h. „auch das bürgerliche Recht“ Wirkung entfalten.33 c) Orientierungslinien normativer Ausgestaltung aa) Person, Rechtsfähigkeit und Rechtssubjektivität Aus diesen verfassungsrechtlichen Vorgaben lassen sich mehrere Aspekte des Personbegriffs ableiten, die dem Zivilrecht vorgegeben sind. Entscheidend ist zunächst der Gedanke, dass dem Personbegriff für alle Rechtsgebiete, d.h. auch für das Zivilrecht34 Relevanz zukommt. Der Mensch „existiert“ demnach „als Person“ im (Zivil-)Recht.35 Ferner gilt, dass jeder Mensch aufgrund seines Menschseins (Rechts-)Person ist.36 Weiter folgt die zwingende rechtliche An-
32 durch den Satz ausgedrückt wird: „Mache dich anderen nicht zum bloßen Mittel, sondern sei für sie zugleich Zweck.“ Diese Pflicht wird im folgenden als Verbindlichkeit aus dem Rechte der Menschheit in unserer eigenen Person erklärt werden (Lex iusti).“); ders., Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, Erster Abschnitt, AA IV, 428 („der Mensch und überhaupt jedes vernünftige Wesen existirt als Zweck an sich selbst, nicht bloß als Mittel zum beliebigen Gebrauche für diesen oder jenen Willen, sondern muß in allen seinen sowohl auf sich selbst, als auch auf andere vernünftige Wesen gerichteten Handlungen jederzeit zugleich als Zweck betrachtet werden. […] dagegen vernünftige Wesen Personen genannt werden, weil ihre Natur sie schon als Zwecke an sich selbst, d.i. als etwas, das nicht bloß als Mittel gebraucht werden darf, auszeichnet […]“); AA IV, 429 („Handle so, daß du die Menschheit sowohl in deiner Person, als in der Person eines jeden andern jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchst“). 32 BVerfGE 30, 1, 27; 115, 118, 153; ferner auch 96, 375, 399. 33 BVerfGE 7, 198, 205 (Lüth); ferner BVerfGE 45, 187, 228 („Der Satz „der Mensch muß immer Zweck an sich selbst bleiben“ gilt uneingeschränkt für alle Rechtsgebiete; denn die unverlierbare Würde des Menschen als Person besteht gerade darin, daß er als selbstverantwortliche Persönlichkeit anerkannt bleibt“). 34 Zur Drittwirkung der Menschenwürde bzw. zur Bedeutung des Personbegriffs für das Zivilrecht Dürig, in: Maunz (Hrsg.), FS Nawiasky, S. 157, 164 („Anerkennung des Menschen als eines Privatrechtssubjekts“); Enders, Die Menschenwürde, S. 141 f.; K.H. Auer, Das Menschenbild, S. 245 f.; Neuner, Allgemeiner Teil, § 10 Rn. 4; § 5 Rn. 5. 35 Palm, in: Gröschner/Kirste/Lembcke (Hrsg.), Person und Rechtsperson, S. 295, 312 („Erste Folge hieraus ist, daß der Mensch rechtlich existiert“); Kirste, in: Gröschner/ Kirste/Lembcke (Hrsg.), Person und Rechtsperson, S. 345, 376 (Rechtsperson als „die angemessene Rekonstruktion des Menschen im Recht mit dem Mittel der ihm zugewiesenen Rechte“); s. ferner K. H. Auer, Das Menschenbild, S. 201; Hesse, Verfassungsrecht und Privatrecht, S. 43; vgl. BVerfGE 115, 118, 152, wonach der Mensch „als Person diese Würde“ besitze. 36 Palm, Der Staat 47 (2008), 41, 43, 54; Hetterich, Mensch und „Person“, S. 37, 100; s.a. Klingbeil, AcP 217 (2017), 848, 853.
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7. Kapitel: Die Entwicklung der Konstituenten in der Gegenwart
erkennung einer allgemeinen gleichen Rechtsfähigkeit37 sowie die Rechtssubjektivität eines jeden Menschen38. Diese Aspekte sind nach herrschender Auffassung unmittelbar der Menschenwürdegarantie des Art. 1 Abs. 1 GG zu entnehmen und gehören damit zur Verfassungsidentität.39 Einer Auffassung, wonach der Personbegriff als solcher obsolet ist, ist daher bereits die Grundlage entzogen. Der Personbegriff ist auch dem Zivilrecht definitiv vorgegeben.40 Daraus folgt, dass mit der Person Rechtsfähigkeit und Rechtssubjektivität notwendig verbunden ist.41 Jeder Mensch ist Person und als Person ist er Rechtssubjekt und rechtsfähig.42 bb) Außer-rechtliche Person? Aus der Rechtsprechung des BVerfG ergeben sich ferner Anhaltspunkte für die Frage, ob der Personbegriff rein positiv-konstruktivistisch oder auch vorbzw. außer-rechtlich zu verstehen ist. Der Personbegriff des BVerfG nimmt
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Palm, in: Gröschner/Kirste/Lembcke (Hrsg.), Person und Rechtsperson, S. 295, 312 f.; Enders, Die Menschenwürde in der Verfassungsordnung, S. 503; für das Zivilrecht MünchKomm BGB/Spickhoff, § 1 Rn. 12 f.; Staudinger/Kannowski, Vorbem zu § 1, Rn. 2; Hetterich, Mensch und „Person“, S. 33, 37, 100; Neuner, Allgemeiner Teil, § 11 Rn. 3; v. Lübtow, in: Bickel (u.a.) (Hrsg.), Recht und Rechtserkenntnis, S. 421, 443. 38 So BVerfGE 30, 1, 27 („Zwar verlangt die Rücksicht auf die Subjektqualität des Menschen normalerweise, daß er nicht nur Träger subjektiver Rechte ist […]“); vgl., wenngleich nicht zivilrechtlich, BVerfGE 115, 118, 153 („Schlechthin verboten ist damit jede Behandlung des Menschen durch die öffentliche Gewalt, die dessen Subjektqualität, seinen Status als Rechtssubjekt, grundsätzlich in Frage stellt […]“); s.a. Palm, Der Staat 47 (2008), 41, 54; Enders, Die Menschenwürde in der Verfassungsordnung, S. 502; Hetterich, Mensch und „Person“, S. 33; v. Lübtow, in: Bickel (u.a.) (Hrsg.), Recht und Rechtserkenntnis, S. 421, 423 f.; Bork, Allgemeiner Teil, Rn. 154. 39 S. Hetterich, Mensch und „Person“, S. 33, 37, 298; Palm, in: Gröschner/Kirste/Lembcke (Hrsg.), Person und Rechtsperson, S. 295, 312 (zur allgemeinen Privatrechtsfähigkeit); ders., Der Staat 47 (2008), 41, 61; Neuner, Allgemeiner Teil, § 11 Rn. 3; § 10 Rn. 4 f.; Bork, Allgemeiner Teil, Rn. 154; vgl. ferner Klingbeil, AcP 217 (2017), 848, 853; v. Lübtow, in: Bickel (u.a.) (Hrsg.), Recht und Rechtserkenntnis, S. 421, 423. 40 Vgl. insoweit auch Neuner, Allgemeiner Teil, § 10 Rn. 2, 4 f. 41 Vgl. K.H. Auer, Das Menschenbild, S. 167 („Nur eine Person kann Rechtssubjekt und damit Träger von Rechten und Pflichten sein“); v. Lübtow, in: Bickel (u.a.) (Hrsg.), Recht und Rechtserkenntnis, S. 421, 441 („Jeder Mensch ist kraft seiner Menschenwürde Subjekt oder Person“); Beuthien, NJW 2005, 855 („Die wichtigste Eigenschaft einer Person ist die Rechtsfähigkeit“); Staudinger/Kannowski, § 1, Rn. 1 (Rechtsfähigkeit als „wesentliche Eigenschaft der Person“); Klingbeil, AcP 217 (2017), 848, 859 mit Verweis auf Larenz (s. Larenz/Wolf, Allgemeiner Teil, § 5 Rn. 1 f., 5); Neuner, Allgemeiner Teil, § 11 Rn. 3 (Rechtsfähigkeit „als ein die Identität und Würde der Person prägendes Attribut“). 42 Palm, Der Staat 47 (2008), 41, 54, 61; vgl. Klingbeil, AcP 217 (2017), 848, 853; Neuner, Allgemeiner Teil, § 10 Rn. 4 f.; § 11 Rn. 3 f.; s. aber auch M. Lehmann, AcP 207 (2007), 225, 227 f. („Jede Rechtsordnung legt selbst fest, welches ihre Subjekte sind“) zu der Frage, ob jeder Mensch rechtsfähig ist oder ob nur ein Recht bzw. eine verfassungsrechtliche Pflicht besteht, den Menschen als Person und damit als rechtsfähig anzuerkennen.
II. Person, Wille und Willensfreiheit
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seinen Ausgangspunkt beim Menschen und dessen Würde.43 Dieses vom Menschen und seiner Würde ausgehende Personenverständnis lässt sich nur als Stellungnahme für einen auch außer-rechtlichen44 Personbegriff werten.45 Es gibt zwar nicht-menschliche positiv-rechtlich geschaffene Personen.46 Das 43
Vgl., wenngleich die Kausalreihe nicht ganz eindeutig ist (wohl Mensch – Person – Würde – Rechtssubjekt) BVerfGE 6, 32, 36 („das Wesen des Menschen als geistig-sittliche Person“); 4, 7, 15; 30, 173, 194 („der Mensch, dem Würde kraft seines Personseins zukommt“); 30, 1, 26 („Verachtung des Wertes, der dem Menschen kraft seines Personseins zukommt“); 115, 118, 153 („Jeder Mensch besitzt als Person diese Würde“); auch zur Zentralität gerade der „natürlichen Person“ BVerfGE 61, 82, 100 f. („Im geschichtlichen Verlauf der Anerkennung und Positivierung von Grundrechten stand seit jeher der einzelne Mensch als private, natürliche Person im Mittelpunkt. Die Ausformung der Grundrechte geschah im Blick auf die Erfahrung typischer Gefährdungen und Verletzungen der Würde, der Freiheit und der rechtlichen Gleichheit der einzelnen Menschen oder von Menschengruppen durch öffentliche Gewalten.”); dazu auch Palm, in: Gröschner/Kirste/Lembcke (Hrsg.), Person und Rechtsperson, S. 295, 300; ders., Der Staat 47 (2008), 41, 48 ff., 54. Vgl. ferner zum Bezug des Personseins auf die Würde des Menschen, welche vorausgeht, Kirste, in: Gröschner/ Kirste/Lembcke (Hrsg.), Person und Rechtsperson, S. 345, 370 f. („Weil und wenn die Menschenwürde als ein subjektives Recht verstanden wird, ist sie unantastbar; denn hinsichtlich eines Rechts – und das reicht nach dem oben Ausgeführten für das Bestehen der Rechtssubjektivität – wird die Rechtsfähigkeit des Menschen damit anerkannt. Das Rechtssubjekt ist schließlich Grundlage der Rechtsperson. Die Würde der Rechtsperson folgt mithin aus der Würde des Menschen, nicht umgekehrt“); vgl. schließlich Neuner, Allgemeiner Teil, § 11 Rn. 4 (im Hinblick, ob die Rechtsfähigkeit „dem positiven Recht vergegeben ist“; „apriorische Grundlage“); s. ferner auch Hetterich, Mensch und „Person“, S. 298, 300. 44 Außer-rechtlich meint hier nur den notwendigen Bezug der Person zum Menschen. Außer-rechtlich meint also nicht „vorrechtlich“ im Sinne eines dem Recht von außen, etwa von der Ethik vorgegebenen Begriffs – der Personbegriff des BVerfG ist insoweit natürlich und notwendig rechtlich. Außer-rechtlich meint demgegenüber, dass der Bedeutungsgehalt der Person nicht in der Rechtssubjektivität oder Rechtsfähigkeit aufgeht, sondern seinen Ausgangspunkt im – als solcher (physisch) außerhalb des Rechts stehenden – Menschen als geistig-sittlichem und leib-seelischem Wesen nimmt. 45 S. Palm, in: Gröschner/Kirste/Lembcke (Hrsg.), Person und Rechtsperson, S. 295, 300, 307, 313, der insoweit von einem „ethischen Personalismus“ in der Rechtsprechung des BVerfG spricht, der „auch den rechtsdogmatischen Ausgangspunkt der Privatrechtsordnung“ bilde; ders., Der Staat 47 (2008), 41, 43, 48, 52, 54 („ontologisches“ Verständnis des Personbegriffs; „Substanzbegriff“); vgl. auch Hetterich, Mensch und „Person“, S. 298 („[…] weil ein entscheidender Schritt zur Sicherung des menschlichen Achtungsanspruchs mit der Normierung der Menschenwürde in Art. 1 I, 79 III GG vollzogen wurde. Auf diese Weise ist die materiell-ethische Aussage, die auch dem Gedanken einer allgemeinen Rechtsfähigkeit zugrunde liegt, nunmehr schon grundgesetzlich festgeschrieben“); s. ferner zu diesem Vorgegebensein („Seinsgegebenheit“) Dürig, AöR 81 (1956), 117, 125; zu Dürig auch Enders, Die Menschenwürde in der Verfassungsordnung, S. 131; vgl. auch Maunz/Dürig/Herdegen, Art. 1 Abs. 1 Rn. 20 (Anknüpfung an „eine dem Recht vorausliegende Dimension der menschlichen Person“, aber rechtliche Gewährleistung der Menschenwürde „Schöpfung des positiven Rechts“). 46 S. Kirste, in: Gröschner/Kirste/Lembcke (Hrsg.), Person und Rechtsperson, S. 345, 373; vgl. auch Günther, in: Brunkhorst/Niesen (Hrsg.), Das Recht der Republik, S. 83, 91 f. Fn. 10 mit dem Argument, dass ein am Menschen orientierter Personbegriff nicht die Konstruktion juristischer Personen ausschließe; s. dazu auch Kirste, in: Bohnert (u.a.) (Hrsg.), FS Hollerbach, S. 319, 333 f.
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7. Kapitel: Die Entwicklung der Konstituenten in der Gegenwart
Personsein des Menschen beschränkt sich aber nicht auf eine juristische Konstruktion.47 Person im verfassungsrechtlichen Sinn ist nicht die Zusammenfassung bzw. der Komplex aller positiv-rechtlich geschaffenen subjektiven Rechte und Pflichten48, sondern geht aus vom mit Würde begabten Menschen als leibseelische Einheit49. Der Mensch ist „geistig-sittliche Person“50, welche von der Rechtsordnung kraft der Menschenwürde notwendig als Rechtssubjekt und rechtsfähig anerkannt wird.51 Der Mensch tritt „als Person in das Recht“52 und entfaltet sich so rechtlich, d.h. als Rechtssubjekt.53 Mit Menschenwürde und Personsein ist das „Recht, Rechte haben zu können“54 untrennbar verbunden.55 47 So aber Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 178 (S. 316); insoweit kritisch zu Kelsens Position Pawlik, Das Unrecht des Bürgers, S. 143. 48 Ebenso Palm, Der Staat 47 (2008), 41, 43; so aber Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 177 (S. 314). 49 Vgl. BVerfGE 56, 54, 75 f. („Verständnis des Menschen als einer Einheit von Leib, Seele und Geist“) sowie Palm, Der Staat 47 (2008), 41, 50, 52 (Person als „leib-seelische Einheit“); Hetterich, Mensch und „Person“, S. 298, 300; vgl. ferner Enders, Die Menschenwürde in der Verfassungsordnung, S. 132 mit Verweis auf Dürig, JR 1952, 259, 260 f. sowie Wintrich, in: Maunz/Nawiasky/Heckel (Hrsg.), FS Apelt, S. 1, 4, wonach „der Begriff der Person die gesamte Natur des Menschen“ erfasse und „ihn in jeder Hinsicht eingeordnet in einen weiteren ontologischen Sinnzusammenhang“ zeige. 50 BVerfGE 6, 32, 36 („das Wesen des Menschen als geistig-sittliche Person“); 4, 7, 15; s.a. BVerfGE 45, 187, 227 („Vorstellung vom Menschen als einem geistig-sittlichen Wesen“). 51 So wohl Palm, in: Gröschner/Kirste/Lembcke (Hrsg.), Person und Rechtsperson, S. 295, 310 („Die Würde der Person wird voraussetzungslos gewährt. […] Die Begründung kann daher nur in einer Abstraktion liegen, wie sie in der ontologischen Struktur des geistesgeschichtlichen Person-Begriffs angelegt ist. […] Anerkennung ist […] Folge […] und nicht Erklärung der Menschenwürde“), 312, 313; ders., Der Staat 47 (2008), 41, 49 („Nicht das positivierte Grundrecht, sondern die Person des Menschen bildet für das BVerfG den Ausgangspunkt der Grundrechtsauslegung. Die gemeinschaftsbezogene und gemeinschaftsgebundende Person als Subjekt der Menschenwürde und Träger der nachfolgenden Grundrechte ist die leitende Ordnungsidee des Verfassungssystems“); Enders, Die Menschenwürde in der Verfassungsordnung, S. 503, wonach Art. 1 GG „die Rechtsfähigkeit des Menschen als Menschen“ setze; vgl. ferner Hetterich, Mensch und „Person“, S. 37, 298, 300; v. Lübtow, in: Bickel (u.a.) (Hrsg.), Recht und Rechtserkenntnis, S. 421, 423 f. 52 Palm, in: Gröschner/Kirste/Lembcke (Hrsg.), Person und Rechtsperson, S. 295, 312 („[…] wenn der Mensch in Art. 1 Abs. 1 GG als Person in das Recht tritt“). 53 Vgl. Palm, Der Staat 47 (2008), 41, 54; Hesse, Verfassungsrecht und Privatrecht, S. 43 („Es ist vielmehr der Typus des Menschen als „Person“: eines Wesens von unverfügbarem Eigenwert, das zur freien Entfaltung bestimmt, zugleich gemeinschaftsbezogen und gemeinschaftsgebunden, und darum auch berufen ist, menschliches Zusammenleben verantwortlich mitzugestalten. Den Menschen als freie selbstbestimmte und selbstverantwortliche Person kann es nur dort geben, wo die Rechtsordnung die Möglichkeit autonomen Denkens und Handelns eröffnet“; Fn. weggelassen); s. ferner Hetterich, Mensch und „Person“, S. 41 („Die biologische Komponente des Menschen und die juristische Komponente des Rechtssubjekts werden im Begriff der Person miteinander verknüpft“); Eichler, System des Personenrechts, S. 34. 54 Zu diesem Begriff Arendt, Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft, S. 614. 55 S. Coing, Der Rechtsbegriff der menschlichen Person, S. 191, 205; Kirste, in: Gröschner/Kirste/Lembcke (Hrsg.), Person und Rechtsperson, S. 345, 366; Palm, in: Gröschner/
II. Person, Wille und Willensfreiheit
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Vor diesem Hintergrund ist es zutreffend zu sagen, dass der Mensch als Person rechtsfähig und Rechtssubjekt ist.56 Der verfassungsrechtliche Begriff der Person beschränkt sich also nicht ausschließlich auf eine Konstruktion in der „Rechtswelt“, sondern knüpft an den Menschen selbst an. Gerade dies ist Folge der Menschen-Würde. In einem rein juristisch-konstruktivistischen Personverständnis besteht demgegenüber die Gefahr, dass (Rechts-)Person vom Menschen losgelöst wird und letztlich gesetzlich-willkürlich bestimmt wird, wer Rechtsperson und Rechtsträger ist.57 Das rechtliche Personsein des Menschen darf aber nicht ohne das Menschsein gedacht werden und von diesem getrennt werden. In einem solchen Personverständnis zeigt sich auch der Bezug zur Freiheitsfähigkeit, die Personsein und Rechtsfähigkeit verbindet.58 Aus dieser Sichtweise der Person drängt sich die Frage auf, ob daraus auch auf die Anerkennung einer „Rechtswelt“, d.h. eines eigenständigen rechtlichen Seinsbereichs geschlossen werden kann.59 Dies korrespondiert mit der rechtshistorischen Beobachtung, wonach die Entwicklung des Personbegriffs gerade auch im Kontext der Frage nach der Eigenständigkeit des Rechts stand.60 Vor 56 Kirste/Lembcke (Hrsg.), Person und Rechtsperson, S. 295, 312; ders., Der Staat 47 (2008), 41, 54; Enders, Die Menschenwürde in der Verfassungsordnung, S. 501, 503 (Menschenwürde als „Recht auf Rechte“); Möllers, in: Lampe/Pauen/Roth (Hrsg.), Willensfreiheit und rechtliche Ordnung, S. 250, 260. 56 Vgl. Palm, in: Gröschner/Kirste/Lembcke (Hrsg.), Person und Rechtsperson, S. 295, 312; v. Lübtow, in: Bickel (u.a.) (Hrsg.), Recht und Rechtserkenntnis, S. 421, 424 („Mit der natürlichen Eigenschaft eines Menschen als Person ist notwendig die Rechtsfähigkeit, d.h. die Fähigkeit, Träger von Rechten und Pflichten zu sein, verbunden“); Neuner, Allgemeiner Teil, § 10 Rn. 4 f. 57 Zu diesem grundsätzlichen Problem vgl. Kirste, in: Gröschner/Kirste/Lembcke (Hrsg.), Person und Rechtsperson, S. 345, 363 ff.; Palm, Der Staat 47 (2008), 41, 48; v. Lübtow, in: Bickel (u.a.) (Hrsg.), Recht und Rechtserkenntnis, S. 421, 422 f., 424 f., 439. 58 S. vor allem Kirste, in: Gröschner/Kirste/Lembcke (Hrsg.), Person und Rechtsperson, S. 345, 366 ff. („Rechtsfähigkeit als Freiheitsfähigkeit ist die Bedingung der Rechtssubjektivität“), 369 ff. (zur Frage, wer Rechtsperson sein kann: „Wenn Recht eine Ordnung ist, deren Geltung aus Freiheit begründet wird und die sich an Freiheit richtet, dann müssen jedenfalls alle freien Subjekte als rechtsfähig anerkannt werden“); dieser Bezug von Freiheit, subjektiven Rechten und Rechtsfähigkeit entspricht freilich der historischen Perspektive, s. dazu oben S. 166 ff.; s.a. Palm, in: Gröschner/Kirste/Lembcke (Hrsg.), Person und Rechtsperson, S. 295, 311 f., 313, der insoweit zwischen „würdebegründender Freiheit“ im Sinne der „natürlichen Freiheit“ als Tatbestandsmerkmal von Art. 1 Abs. 1 GG und der „würdegegründeten Freiheit“ im Sinne der „rechtlichen, objektiven Freiheit“ als Rechtsfolge von Art. 1 Abs. 1 GG differenziert; ferner Möllers, in: Lampe/Pauen/Roth (Hrsg.), Willensfreiheit und rechtliche Ordnung, S. 250, 260 (zum Zusammenhang von Rechtssubjektivität und Freiheitsfähigkeit im Hinblick auf die Menschenwürdegarantie); v. Lübtow, in: Bickel (u.a.) (Hrsg.), Recht und Rechtserkenntnis, S. 421, 433 („Grundbedingung der Rechtsfähigkeit ist die Freiheit“); K.H. Auer, Das Menschenbild, S. 235. 59 Vgl. Klingbeil, AcP 217 (2017), 848, 851 ff., 855 f., 858, 884, der im Kontext des Personbegriffs auf die „Rechtswelt“ und deren ontologischen Charakter eingeht. 60 S. dazu oben S. 72 ff., 82 ff., 93 ff.; vgl. auch Palm, Der Staat 47 (2008), 41, 50, wonach das BVerfG von einem „ontologischen Personbegriff“ ausgehe.
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7. Kapitel: Die Entwicklung der Konstituenten in der Gegenwart
diesem Hintergrund überrascht es nicht, dass auch in der heutigen Debatte die Frage nach der „ontologischen“ Qualität rechtlicher Kategorien nur selten explizit gestellt61, aber regelmäßig im Kontext des Personbegriffs aufgegriffen wird: Ist Person etwas „Gedachtes“, ein durch die „Rechtssprache“ geschaffenes „Kunstgeschöpf“ der „Rechtswelt“ oder etwas „Reales“?62 Deutlich zeigen sich hier die historischen Linien im Kontext der Lehre vom moralischen Sein (entia rationis oder entia realia), wenngleich der freiheitsmetaphysische Hintergrund nur bedingt reflektiert wird.63 Es würde wohl zu weit führen, aus dem verfassungsrechtlichen Personbegriff auf die verfassungsrechtliche Anerkennung einer (realen, konstruierten oder gedachten) „Rechtswelt“ zu schließen. Es zeigt sich aber, dass eine solche Denkweise hiermit vereinbar und in der Lage ist, den Personbegriff verständlich zu machen. cc) Person, Eigenwirksamkeit und rechtliche Kausalität Darüber hinaus ist nicht nur die statische Dimension des Personbegriffs verfassungsrechtlich relevant64, sondern auch die dynamische65. Wenn von der Eigenständigkeit und Anerkennung des Eigenwerts der Person die Rede ist66, dann muss dies auch für das Zivilrecht Relevanz haben. Das dynamische Ele61 S. aber mit Verweis auf Zitelmann, Irrtum und Rechtsgeschäft, S. 200 ff. Braun, in: Bernreuther (u.a.) (Hrsg.), FS Schellenberg, S. 69, 77 (Rechte als „gedankliche Konstrukte“). Eingehend zu dieser Frage noch Reinach, Phänomenologie des Rechts, S. 14 ff. (aus phänomenologischer Perspektive); s.a. Schapp, Sein und Ort der Rechtsgebilde, S. 25 ff. (zu Reinach), 32 ff. (zu Husserl und v. Thur), S. 94 ff. (zur Frage, ob „Rechtsgebilde“ „Gedankendinge“ sind bzw. ihnen „Realität“ zukommt). 62 S. zu dieser Diskussion etwa Klingbeil, AcP 217 (2017), 848, 851 ff., 855 f. („Rechtswelt“ als „sprachlich erzeugte Kunstwelt“, „Rechtsperson“ als „juristisches Kunstgeschöpf“; abgegrenzt von „der Welt der physischen Gegenstände“, in der der Mensch als „nacktes Naturwesen“ ist), ferner aber auch S. 858 (Rechtspersonen als „reale geistige Substanzen“), 884 (Rechtswelt als „reale Seinssphäre“); s. ferner Maihofer, Recht und Sein, S. 110 („die Rechtswelt in der die Rechtsperson ist“); Pawlik, Das Unrecht des Bürgers, S. 143 („[…] besitzen […] gesellschaftliche Realität und sind nicht etwa bloße Gedankengebilde“). S. etwa zur Rechtsfähigkeit M. Lehmann, AcP 207 (2007), 225, 228 („Eine solche Auffassung würde den Unterschied zwischen dem tatsächlichen Sein und dem Recht als einer nur gedachten Ordnung verkennen“), 230 f., 235 („Man muss aber die Rechtsfähigkeit allgemein als „Fiktion“ bezeichnen, weil sie nicht in der Realität existiert, sondern Werk des menschlichen Geistes ist“). 63 S. dazu oben S. 76 ff. 64 Vgl. Klingbeil, AcP 217 (2017), 848, 858, der im Hinblick auf das Verständnis der Person im Sinne der möglichen Trägerschaft von Rechten und Pflichten von einem „substanzontologischen Verständnis“ spricht. 65 S. dazu Hesse, Verfassungsrecht und Privatrecht, S. 35 („die aktive und positive Seite der Personalität“); vgl. zur Verwendung des Begriffs „dynamisch“ im Kontext des Personbegriffs K.H. Auer, Das Menschenbild, S. 167 (zum „dynamischen Charakter des Personseins“). 66 S. BVerfGE 4, 7, 16; 5, 85, 205; 30, 1 20; 45, 187, 228; 115, 118, 153 („Achtungsanspruch“).
II. Person, Wille und Willensfreiheit
371
ment des Personbegriffs besteht in der Eigenwirksamkeit, Kausalität67 und Zurechnung des Handelns der Person, im „rechtlich-handeln-können“ der Person.68 D.h. der verfassungsrechtliche Personbegriff impliziert nicht nur eine statische Qualität als Rechtssubjekt und Träger von Rechten und Pflichten, sondern auch, dass die Person in ihrer Aktivität – sei es auch nur durch an67 S. deutlich Zitelmann, Irrtum und Rechtsgeschäft, S. 214 ff. (zur juristischen Kausalität), 232 ff. (S. 233: „schöpferische Thätigkeit der Person auf dem Gebiete der subjectiven Rechte“). Ist Kausalität die richtige (Denk-)Form, oder kann rechtliches Handeln immer nur im Wege der Zurechnung betrachtet werden? S. dazu unten noch S. 448 ff. sowie Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 93 ff. (S. 175 ff.), der die Kausalität den Naturgesetzen zuordnet, Zurechnung dagegen dem Recht, sodass es keine Form rechtlicher Kausalität gibt. Es ist richtig, dass normative Zurechnung immer ein Gesetz voraussetzt (vgl. Kelsen, aaO, S. 94 [S. 176], S. 96 [S. 179]). D.h. dass der Wirkzusammenhang nicht direkt, sondern immer über das Gesetz vermittelt wird, was gegen eine unmittelbare Kausalität zu sprechen scheint. Es geht aber bei der (Rechts-)Kausalität nicht um die Kausalität schlechthin, sondern um eine analoge Betrachtungsweise (s.a. Zitelmann, Irrtum und Rechtsgeschäft, S. 216), die die Gestaltung von Rechtsverhältnissen und subjektiven Rechten zu beschreiben geeignet ist. 68 S. bereits G. Husserl, AcP 127 (1927), 129, 133 („Aber wer Rechtsperson ist, muß grundsätzlich zur Rechtsgestaltung befähigt sein. Wem die Rechtsgemeinschaft durch ihre Rechtsordnung solches Können zuschreibt, der hat die Rechtsmacht, auf die normbetroffene soziale Außenwelt handelnd in der Weise einzuwirken, daß, der Intention des Handelnden und der Rechtsordnung entsprechend, eine neue konkrete Rechtslage geschaffen wird“; „Das von Rechts wegen als Rechtsperson qualifizierte Rechtssubjekt ist befähigt, rechtswirksame normkonkretisierende Rechtsakte vorzunehmen“), 134 („Können-Können“), ferner S. 190 f. (zur Zurechnung); Reinach, Phänomenologie des Rechts, S. 136 f. („Soziale Akte, wie die des Einräumens oder Übertragens u. dgl., können unmöglich als letzte Quelle des Könnens fungieren, da sie, soweit sie eine unmittelbare rechtliche Wirkung besitzen, allemal selbst ein darauf bezügliches Können voraussetzen und dies Können schließlich eine andere Wurzel haben muß, wenn ein fehlerhafter Regressus in infinitum vermieden werden soll. Eine solche letzte Wurzel ist in der Tat in der Person als solcher vorhanden. Eine Person kann versprechen, Verbindlichkeiten auferlegen, übernehmen u. dgl. mehr. Daß sie diese Akte zu vollziehen imstande ist, ist freilich nicht das Wesentliche; denn nicht auf dies natürliche Können kommt es hier an, sondern darauf, daß durch den Vollzug unmittelbar rechtliche Wirkungen eintreten, Ansprüche, Verbindlichkeiten u. dgl. entstehen. Hierin dokumentiert sich ein rechtliches Können, welches nicht weiter ableitbar ist, sondern in der Person als solcher seinen letzten Ursprung hat. Wir können hier von dem rechtlichen Grundkönnen der Person reden. Dies Grundkönnen ist unübertragbar. Insofern es im Wesen der Person als solcher gründet, ist es unabtrennbar von ihr; es bildet den letzen Untergrund, welcher die Konstitution rechtlich-sozialer Beziehungen überhaupt erst möglich macht“); S. 145 („Jede Person besitzt, wie wir wissen, als Person das rechtliche Können, durch soziale Eigenakte Rechte und Verbindlichkeiten in sich selbst zu erzeugen, zu modifizieren usf.“); vgl. auch John, Quaderni Fiorentini 11/12 (1982/83), 947, 965 ff. (zu Handlung und Haftung als „Elementen der Personifikation“; Haftung meint Herbeiführung von Rechtswirkung durch Handlungen; Person als „verselbständigte Wirkungseinheit“); ders., Die organisierte Rechtsperson, S. 72 (Rechtsperson als „handelnde selbständige Wirkungseinheit“); Hetterich, Mensch und „Person“, S. 306 ff. („Rechtserwerbsfähigkeit“); Klingbeil, AcP 217 (2017), 848, 866 (zum „Wirken“ und „Können“). Die Perspektive ist hier freilich eine andere als in den anfangs genannten Beiträgen: Es geht hier um den verfassungsrechtlich vorgesehenen Anspruch der Person auf rechtliche Anerkennung ihres Handelns, der den Gesetzgeber dazu verpflichtet, Handlungsformen vorzusehen, damit die Person rechtlich kausal werden kann.
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7. Kapitel: Die Entwicklung der Konstituenten in der Gegenwart
dere Personen – Wirkgrund von Rechtswirkungen und Zurechnungssubjekt69 von juristischen Handlungen sein, d.h. rechtlich kausal werden kann.70 Es gibt nicht nur das „Recht, Rechte haben zu können“71, sondern auch ein „Recht, rechtlich handeln zu können“72, d.h. ein Recht der Person, durch ihre Handlungen Rechte und Pflichten begründen zu können.73 Soll die Menschenwürdegarantie für das Zivilrecht nicht zu einer bloßen Leerformel werden, so ist die Rechtsordnung gehalten, diese Eigenwirksamkeit der Person auch im 69 Der Zurechnungsaspekt ist freilich bereits ausdrücklich von Kant beschrieben (Kant, Die Metaphysik der Sitten, Einleitung in die Metaphysik der Sitten, IV., AA VI, 223; dazu oben bereits S. 155 f.); s. dazu auch Enders, Die Menschenwürde in der Verfassungsordnung, S. 241 („Person als verantwortlicher Urheber der durch ihr Verhalten hervorgerufenen Wirkungen“), ferner S. 501 f.: Danach folgt aus der Menschenwürde nicht nur die Anerkennung als Rechtssubjekt, sondern auch die Verpflichtungs- sowie Verantwortungsfähigkeit; ferner zur Person als Zurechungssubjekt aus zivilrechtlicher Perspektive Heinze, Rechtsnachfolge in Unterlassen, S. 100 ff. 70 S. Hesse, Verfassungsrecht und Privatrecht, S. 35 („Zum anderen gehört zu dem Bleibenden und zu Bewahrenden das Grundprinzip des Privatrechts, die Privatautonomie, namentlich in der Ausformung der Vertragsfreiheit. Sie konstituiert sozusagen die aktive und positive Seite der Personalität […]“), S. 43; ferner Westermann, Person und Persönlichkeit, S. 15 („Die Würde der Person ist letztlich auch die Grundlage für die Anerkennung und Verbindlichkeit von Willenserklärungen“); Laufke, in: Nipperdey (Hrsg.), FS Lehmann, S. 145, 162 („Der frei gestaltete Vertrag ist ja das juristische Mittel zur Durchsetzung des persönlichen Willens, das Mittel, sich seine Welt nach seinem Bild zu gestalten, sich das Milieu zu schaffen, das man zur Entfaltung der Persönlichkeit benötigt. […] Ohne Vertrag mag es eine Person im streng juristisch technischen Sinne – Träger von Rechten und Pflichten – geben. Eine Persönlichkeit in jenem Vollsinn, in dem das Wort in Art. 2 GG verwendet wird, gibt es ohne Vertrag, den der Einzelne nach seinem Willen abschließt und nach seinem Willen gestaltet, nicht“); vgl. John, Die organisierte Rechtsperson, S. 72 f. (einerseits Handeln der Rechtsperson als „selbständige Wirkungseinheit“, andererseits auch Haftung der Rechtsperson als „Haftungsverband“); s. ferner Reinach, Phänomenologie des Rechts, S. 136 f.; Fabricius, Relativität der Rechtsfähigkeit, S. 43 f., allerdings im Hinblick auf die Rechtsfähigkeit, die die „natürliche Handlungsfähigkeit“ mitumfassen soll (Rechtsfähigkeit als „rechtliches Verhaltensvermögen eines Rechtssubjektes“). Hiergegen wird freilich zu Recht eingewendet, dass dadurch die Grenzen von Rechtsfähigkeit und Handlungs- bzw. Deliktsfähigkeit verschwimmen und letztlich die allgemeine Rechtsfähigkeit aufgehoben wird, vgl. zur Kritik daran M. Lehmann, AcP 207 (2007), 225, 226, 234 f.; MünchKomm BGB/Spickhoff, § 1 Rn. 7; s. aber auch Heinze, Rechtsnachfolge in Unterlassen, S. 102, der anknüpfend an den Rechtsfähigkeitsbegriff bei Fabricius der „rechtsfähigen Person“ Verpflichtungsfähigkeit zuordnet. Indes ist vorliegend zu berücksichtigen, dass es um den Begriff der Person geht. Person und Rechtsfähigkeit sind insoweit nicht identisch, als der Personbegriff mit seinen verschiedenen Dimensionen über die Rechtsfähigkeit hinausgeht. 71 S. dazu zuvor S. 368. 72 Vgl. zum Begriff des „Rechtshandelns“ Imhof, Obligation, S. 98 („rechtsbewirkendes Handeln“). 73 Vgl., wenngleich nicht als Recht konstruiert, Hetterich, Mensch und „Person“, S. 306 ff. zur „Rechtserwerbsfähigkeit“; v. Lübtow, in: Bickel (u.a.) (Hrsg.), Recht und Rechtserkenntnis, S. 421, 441 („Der Satz von der Rechtsfähigkeit des Menschen ist kein inhaltloser Allgemeinbegriff, sondern eine zentrale Rechtsnorm. Sie bestimmt positiv, daß jeder Mensch die Möglichkeit haben muß, subjektive Rechte zu erwerben“); ferner bereits Reinach, Phänomenologie des Rechts, S. 136 f.
II. Person, Wille und Willensfreiheit
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Verhältnis zu anderen privaten Personen anzuerkennen.74 Dies ist dem Gesetzgeber definitiv vorgegeben, der rechtliche Handlungsformen vorsehen muss, durch die das Handeln der Person rechtlich anerkannt wird bzw. durch die die Person rechtlich kausal werden kann.75 Insoweit geht der Begriff der Person dann auch über den Begriff des Rechtssubjekts hinaus, soweit sich dieser auf die Bezeichnung der Rechtsträgerschaft beschränkt.76 Einen Verweis auf diese dynamische Dimension gibt das BVerfG, wenn es grundsätzlich über die Rechtsträgerschaft hinaus auch die Möglichkeit gerichtlicher Durchsetzung subjektiver Rechte aus der „Subjektqualität des Menschen“ und der Menschenwürde ableitet.77 Auch die Objekt-Formel78 spricht hierfür. Zivilrechtlich kann der aus der Menschenwürde abgeleitete Achtungsanspruch als Subjekt nur bedeuten, dass hier der Mensch als Person eben nicht nur Objekt staatlichen Handelns ist, sondern vielmehr selbst aktiv in seiner Kommunikation mit anderen Personen rechtlich in Erscheinung treten und gestalten kann.79 Unmittelbare rechtliche Anerkennung findet diese Möglichkeit zur (aktiven) „Gestaltung der Rechtsverhältnisse durch den Ein-
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Vgl. Hesse, Verfassungsrecht und Privatrecht, S. 34 f., 43 f. Vgl. zu diesem Gesichtspunkt, dass es Handlungsformen (Rechtsgeschäfte) gibt, mittels derer die Person rechtlich kausal werden kann, Zitelmann, Irrtum und Rechtsgeschäft, S. 233, 281 f.; Laufke, in: Nipperdey (Hrsg.), FS Lehmann, S. 145, 162 („Der frei gestaltete Vertrag ist ja das juristische Mittel zur Durchsetzung des persönlichen Willens, das Mittel, sich seine Welt nach seinem Bild zu gestalten, sich das Milieu zu schaffen, das man zur Entfaltung der Persönlichkeit benötigt“); s. ferner unten noch S. 452 ff. 76 Vgl. Laufke, in: Nipperdey (Hrsg.), FS Lehmann, S. 145, 162 („Ohne Vertrag mag es eine Person im streng juristisch technischen Sinne – Träger von Rechten und Pflichten – geben. Eine Persönlichkeit in jenem Vollsinn, in dem das Wort in Art. 2 GG verwendet wird, gibt es ohne Vertrag, den der Einzelne nach seinem Willen abschließt und nach seinem Willen gestaltet, nicht“); s. ferner auch John, Quaderni Fiorentini 11/12 (1982/83), 947, 965 ff. (zum Zusammenhang von Person und „Handeln“); zu einem solchen Verständnis des Begriffs „Rechtssubjekt“ auch Kirste, in: Gröschner/Kirste/Lembcke (Hrsg.), Person und Rechtsperson, S. 345, 350 f. 77 S. BVerfGE 30, 1, 27 („Zwar verlangt die Rücksicht auf die Subjektqualität des Menschen normalerweise, daß er nicht nur Träger subjektiver Rechte ist, sondern auch zur Verteidigung und Durchsetzung seiner Rechte den Prozeßweg beschreiten und vor Gericht seine Sache vertreten kann, in diesem Sinn also Gerichtsschutz genießt. Es gibt aber seit je Ausnahmen von dieser Regel, die die Menschenwürde nicht kränken. Jedenfalls verletzt es die Menschenwürde nicht, wenn der Ausschluß des Gerichtsschutzes nicht durch eine Mißachtung oder Geringschätzung der menschlichen Person, sondern durch die Notwendigkeit der Geheimhaltung von Maßnahmen zum Schutze der demokratischen Ordnung und des Bestandes des Staates motiviert wird“). 78 Dazu etwa BVerfGE 45, 187, 228; 109, 133, 150; ferner zur Notwendigkeit der Möglichkeit politischer Mitwirkung als Entfaltung der Persönlichkeit BVerfGE 5, 85, 204 f. 79 Vgl. Hesse, Verfassungsrecht und Privatrecht, S. 35 (zur Privatautonomie/Vertragsfreiheit: „Sie konstituiert sozusagen die aktive und positive Seite der Personalität, den Bereich, in dem der Mensch als selbständiges und selbstverantwortliches Wesen wirken kann, in dem er nicht zum bloßen Mittel von Gemeinschaftzwecken gemacht werden darf“). 75
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7. Kapitel: Die Entwicklung der Konstituenten in der Gegenwart
zelnen nach seinem Willen“80 in der verfassungsrechtlich gewährleisteten Vertragsfreiheit und Privatautonomie.81 Aus dieser notwendigen Anerkennung der Eigenwirksamkeit der Person ergibt sich auch eine gewichtige Konsequenz für die Jhering’sche Frage nach den gesellschaftlichen Interessen.82 Zwar ist die Person nicht isoliert-individualistisch von der Gemeinschaft losgelöst, sondern besteht in ihren sozialen Bezügen, weshalb auch ihre rechtlichen Verhältnisse der „Gemeinschaftsbezogenheit und Gemeinschaftsgebundenheit“ unterliegen.83 Gleichwohl muss es aber Handlungsformen geben, die ausschließlich deshalb rechtlich anerkannt werden, weil sie Handlungen der Person sind.84 Die Eigenwirksamkeit der Person und die Möglichkeit ihrer rechtlichen Kausalität stehen nicht a priori unter der Voraussetzung der sozialen oder gesellschaftlichen Anerkennung.85 Der Gemeinschaftsbezug kann zwar dazu führen, dass Handlungen der Person die rechtliche Anerkennung versagt wird.86 Auf der ersten Ebene steht die Notwendigkeit der Anerkennung der rechtlichen Eigenwirksamkeit der Person. Das positive Recht darf dem Menschen nicht generell versagen, als Person rechtlich handeln zu können. dd) Nicht-menschliche Personen? Bislang wurden die rechtlichen Auswirkungen des Personseins des Menschen thematisiert. Wie verhält es sich aber mit der Frage nach nicht-menschlichen
80 81
BVerfGE 72, 155, 170. S. dazu unten noch näher S. 434 ff.; vgl. Hesse, Verfassungsrecht und Privatrecht, S. 35,
43. 82
S. dazu oben S. 224 ff. BVerfGE 4, 7, 15 f.; s.a. Nipperdey, Grundrechte und Privatrecht, S. 8. 84 Vgl. bereits Zitelmann, Irrtum und Rechtsgeschäft, S. 234 („Denn der Mensch ist es, um dessentwillen alles Recht schliesslich da ist; seine Interessen sind es, welche durch die Schöpfung des Rechts Befriedigung und Sicherheit verlangen: das Recht als die Interessenordnung der Menschen ist, auf den Einzelnen reflectirt, nichts als seine vernünftige Freiheit; vornehmlichste Aufgabe der Rechtsordnung wird es mithin sein, dass sie dem Einzelnen die Möglichkeit gewährt, durch eignes Handeln seine Interessen zu verfolgen. Sie muss ihm also auf die Gestaltung seines Rechtskreises weitgehenden Einfluss gestatten, sie muss ihm eine gewisse „Autonomie“ einräumen“); R. Singer, Selbstbestimmung, S. 6 f. (S. 7: „Erkennt die Rechtsordnung Privatautonomie an, so ist damit zugleich anerkannt, daß der Selbstbestimmungsakt als solcher verbindlich ist und insoweit seine Rechtfertigung in sich selbst trägt. […] Denn die Rechtsordnung akzeptiert die privaten Akte um ihrer selbst willen“). 85 Vgl. Westermann, Person und Persönlichkeit, S. 15 („Der Wille des Menschen ist um seiner selbst willen grundsätzlich für ihn und im Bereich seiner Zuständigkeit für andere verbindlich. Es bedarf keines Rückgriffs darauf, daß der Wille des Menschen vermutlich vernünftig oder mit den Interessen der Allgemeinheit übereinstimmend sei“); ferner Flume, AcP 161 (1962), 52, 53 f. 86 S. unten noch insoweit zum Vertragsrecht S. 457 ff. zur Nichtanerkennung von Verträgen. 83
II. Person, Wille und Willensfreiheit
375
Personen sowie der Rechtsfähigkeit von Nicht-Personen87, die in der gegenwärtigen Rechtsdiskussion vor allem im Hinblick auf die Rechtsfähigkeit autonomer Systeme gestellt wird?88 Im Ausgangspunkt ist dabei klar, dass keine verfassungsrechtliche Verpflichtung besteht, nicht-menschlichen Entitäten die bürgerliche Rechtsfähigkeit zu verleihen.89 Die durch die Menschenwürde garantierte Rechtsfähigkeit ist an das Menschsein gebunden, es gibt daher keinerlei Schutzpflicht, die Entsprechendes auch für Nicht-Menschen gebieten würde.90 Grundsätzlich kann das Recht im Rahmen des aus Art. 3 GG folgenden Differenzierungsgebots aber auch Nicht-Menschen zu (Rechts-)Personen (juristischen Personen) machen und ihnen Rechtsfähigkeit zusprechen, es besteht aber keine generelle Pflicht hierzu.91 ee) Zusammenfassung Der reduktionistische Personbegriff, der das Personsein auf die zwei Elemente positiv-konstruktivistischer Bestimmung der Person und Identifikation mit dem Rechtssubjekt bzw. der Rechtsträgerschaft begrenzt, greift folglich aus verfassungsrechtlicher Perspektive aus zwei Gründen zu kurz: zum einen, weil dadurch der Bezug zum Menschen als „geistig-sittlicher Person“ wegfällt, der aber in der Menschenwürdegarantie aufgegriffen wird; zum anderen, weil dadurch nicht die Aktivität und Eigenwirksamkeit der Person berücksichtigt sind. Beide Dimensionen gehören aber notwendig auch zu diesem verfas87 Eine Frage, die regelmäßig im Hinblick auf die GbR und die Handelsgesellschaften diskutiert wird, ist jene nach dem Auseinanderfallen von Person und Rechtsfähigkeit, dazu Reuter, AcP 207 (2007), 673, 674 ff.; dazu auch M. Lehmann, AcP 207 (2007), 225, 240 ff.; s. aber Klingbeil, AcP 217 (2017), 848, 859 („Wer rechtsfähig ist, ist notwendigerweise Rechtsperson“). 88 Zu dieser Diskussion Hetterich, Mensch und „Person“, S. 63 f. 89 Kirste, in: Gröschner/Kirste/Lembcke (Hrsg.), Person und Rechtsperson, S. 345, 373; vgl. auch Soergel/Hadding, Vor § 21 Rn. 7. 90 Vgl. Kirste, in: Gröschner/Kirste/Lembcke (Hrsg.), Person und Rechtsperson, S. 345, 373. 91 Kirste, in: Gröschner/Kirste/Lembcke (Hrsg.), Person und Rechtsperson, S. 345, 373 (im Gegensatz zu Menschen bestehe hierzu aber „keine rechtlich-ethische Notwendigkeit“); Soergel/Hadding, Vor § 21 Rn. 7; vgl. M. Lehmann, AcP 207 (2007), 225, 231; dagegen ablehnend zu nicht-menschlichen Personen bzw. Rechtsträgern (nur Menschen als Rechtssubjekte) v. Lübtow, in: Bickel (u.a.) (Hrsg.), Recht und Rechtserkenntnis, S. 421, 426 f., 451 f. S. aber auch Bruns, Haftungsbeschränkung und Mindesthaftung, S. 174 ff. zur verfassungsrechtlichen Notwendigkeit der „Bereitstellung von Rechtsformen mit institutionalisierter Haftungsbeschränkung“ (aaO, S. 176). Unklar ist hingegen, welche Anforderungen aus den verfassungsrechtlichen Vorgaben an das potentielle Rechtssubjekt folgen, damit durch positives Recht autonomen Systemen oder sonstigen Entitäten Rechtsfähigkeit verliehen werden kann – etwa an die rechtliche Verfasstheit, Bestimmtheit, das Haftungssubstrat etc.; vgl. dazu Kirste, in: Gröschner/Kirste/Lembcke (Hrsg.), Person und Rechtsperson, S. 345, 350 f., 374 f.; John, Die organisierte Rechtsperson, S. 74 ff., 81 ff., 92 ff.
376
7. Kapitel: Die Entwicklung der Konstituenten in der Gegenwart
sungsrechtlich präformierten zivilrechtlichen Personbegriff. Vor dem Hintergrund dieser dynamischen Dimension des Personbegriffs ergeben sich auch Bezüge zur nächsten Kategorie, dem Willen.92 Dessen Bedeutung kann man darin sehen, dass es das Vermögen bzw. die Form der Person ist, rechtswirksam und rechtlich kausal zu handeln.93
2. Wille a) Problemstellung Ebenso wie dem Personbegriff kommt auch dem Willensbegriff eine zentrale Bedeutung für das Zivilrecht zu. Positiv-rechtlich relevant wird er etwa für den Handlungsbegriff, das Rechtsgeschäft („Willenserklärung“) sowie die Geschäfts- und Deliktsfähigkeit.94 Bereits im 19. Jahrhundert hat sich indes die Kritik an der rechtlichen Relevanz des Willensbegriffs artikuliert.95 Umso mehr erscheint sie in der Gegenwart: Braucht das Bürgerliche Recht überhaupt noch die Kategorie des Willens? Gegen die im 19. Jahrhundert vorherrschende Willenstheorie96 haben sich Vertragstheorien entwickelt, die den Vertrag ohne Rekurs auf den inneren Willen über die nach außen getretenen Erklärungshandlungen objektiv konstruieren (Erklärungstheorie) und die ursprünglich herrschende, auf den Willen als Verpflichtungsgrund abstellende
92
S.a. Westermann, Person und Persönlichkeit, S. 15, 20. Vgl. G. Husserl, AcP 127 (1927), 129, 149 zu diesem Bezug („Als Geltungskonstituenten sowohl wie in Betätigung rechtsgemeinschaftlicher Funktionen ist nur des freien Machthabers Wille beachtlich“); Zitelmann, Irrtum und Rechtsgeschäft, S. 237 („Dem Willen der Person will man Rechnung tragen? gut! Dann soll die Rechtsfolge (innerhalb gewisser Grenzen) nur dann eintreten, wenn die Person sie begehrt“), 245 („[…] nun erst gibt es der Person in Wahrheit eine privatrechtliche Freiheit, denn es gibt ihr unmittelbare Einwirkung auf die Welt der subjectiven Rechte: und hierin liegt die unvergängliche Bedeutung der juristischen Willenserklärungen und zugleich auch die einzig wahre innere Rechtfertigung ihrer Adoptirung durch das Recht. […] Diess ist die Form, in welcher das objective Recht die Autonomie der Person im Privatrecht verwirklicht hat“), ferner S. 233 f.; s.a. Imhof, Obligation, S. 98 (Wille als „Organ“ des Rechtshandelns); Lomfeld, Die Gründe des Vertrags, S. 85 („Wille als Rechtsprinzip“); s. hierzu sogleich S. 380 ff. 94 S. dazu oben bereits S. 22 f. sowie Neuner, AcP 218 (2018), 1, 2 („Wille“ als „der Grundbegriff des Bürgerlichen Rechts“) mit Verweis auf §§ 7 f. 104, 153 BGB; vgl. Neuner, Allgemeiner Teil, § 12 Rn. 2 ff.; Schur, in: Lampe/Pauen/Roth (Hrsg.), Willensfreiheit und rechtliche Ordnung, S. 226, 239. 95 S. etwa Schlossmann, Der Vertrag, S. 80 ff., 88 ff., 128 ff. gegen das „Dogma von der bindenden Kraft des Willens“ (S. 87: „juristische Mystik“). 96 Von dieser vertragsbezogenen Willenstheorie ist die Willenstheorie zur Umschreibung und Definition des subjektiven Rechts zu unterscheiden (s. dazu unten S. 392). Ebenso wie die vertragliche Willenstheorie infragegestellt worden ist, sind auch neben die Willenstheorie des subjektiven Rechts andere Ansätze zur Definition und Umschreibung des subjektiven Rechts getreten, s. dazu unten S. 391 ff. 93
II. Person, Wille und Willensfreiheit
377
Willenstheorie relativiert haben.97 Stellt man nur auf die nach außen hin erfolgten Erklärungshandlungen bzw. -zeichen ab, dann kann ein Vertragssytem ohne einen scheinbar problematischen Willensbegriff etabliert werden.98 Damit verbunden ist die andere Frage, welche Anforderungen an eine rechtlich relevante Handlung der Person gestellt werden müssen. Die historische Betrachtung hat gezeigt, dass diese Frage dort relevant wird, wo es um die Festlegung der juristischen Tatsachen, d.h. der „Tatbestände“ geht, an deren Vorliegen Rechtswirkungen geknüpft sind.99 Kann der Gesetzgeber juristische Tatbestände ohne Rücksicht auf den Willen festlegen?100 Ähnlich dem Personbegriff zeigen sich auch hier wiederum drei Positionen bzw. Verständnismöglichkeiten des Willens: zunächst die Position, die den Willen für gänzlich obsolet hält und ihn entweder aus dem positiven Recht entfernen oder für eine bloße Bezeichnung ohne Bedeutungsgehalt hält101; sodann die formell-juristische Position, nach der Wille bzw. Willenserklärung eine juristische „Konstruktion“ im Sinne eines durch das Recht geschaffenen 97 S. dazu oben bereits S. 201 ff. sowie unten noch S. 430 f.; ferner ursprünglich zu dieser Theorie Bähr, Jherings Jahrbücher XIV (1875), S. 393, 400 f., 404 ff. Zum Theorienstreit aus heutiger Perspektive sowie zur vermittelnden Position des BGB, das indes grundsätzlich vom „Willensdogma“ ausgeht (vgl. Motive BGB I, S. 190 f.), s. etwa Neuner, Allgemeiner Teil, § 30 Rn. 2 ff.; Schur, in: Lampe/Pauen/Roth (Hrsg.), Willensfreiheit und rechtliche Ordnung, S. 226, 234 f. („vermittelnde Lösung“ des BGB); Musielak, AcP 211 (2011), 769, 772 ff., 774 ff. 98 Jüngst Werba, Willenserklärung ohne Willen, 28 ff., 71 ff., 164; ferner Brehmer, Wille und Erklärung, S. 65 ff., 220 ff., 240 ff.; HKK-BGB/Schermaier, §§ 116–124 Rn. 14; vgl. auch Auer, Der privatrechtliche Diskurs, s. S. 81 (zur „Entleerung des Willensprinzips als Grundlage der Vertragsbindung“); s. ferner bereits Schlossmanns Versuch, das Vertragsrecht als Haftungsrecht ohne Rekurs auf das „Willensdogma“ zu konstruieren, Schlossmann, Der Vertrag, S. 287 ff. 99 S. oben S. 201 ff. sowie Endemann, Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts, § 57, S. 246 („Die Auswahl der juristisch wirksamen Handlungen giebt die auf der herrschenden Verkehrsauffassung aufgebaute Rechtsordnung; von ihr hängt es ab, welche Handlungen als des Rechtsschutzes würdig anerkannt werden und welche als rechtlich nicht interessirend abgelehnt werden. Da aber der bürgerliche Rechtsverkehr der freien Selbstbestimmung des Einzelnen unterworfen ist und regelmäßig jedem Subjekte die beliebige Disposition über seine subjektiven Rechte zusteht: so schließt die Rechtsordnung ihre Normen nicht schlechthin an bestimmte äußerlich erkennbare Handlungen an, sondern macht in der Regel den Rechtserfolg noch abhängig von der Absicht und Zustimmung des Handelnden selbst“); ferner Dernburg, Pandekten, Bd. 1, § 79, S. 180 f. 100 Vgl. zu dieser Frage auch Neuner, Allgemeiner Teil, § 12 Rn. 1 f. 101 Dahingehend Schlossmann, Der Vertrag, S. 80 ff. et passim, S. 287 ff. (entsprechend unternimmt Schlossmann den Versuch, das gesamte Vertragsrecht als Haftungsrecht [Vermögensverletzung, Verschulden] ohne Rekurs auf das „Willensdogma“ zu konstruieren; zugleich eliminiert er den Willensbegriff auch aus dem Delikts- und Verschuldensbegriff, aaO, S. 318, 323 f.). Aus der neueren Diskussion Positionen, die das Vertragsrecht objektiv ohne Willen konstruieren, d.h. vor allem die Vertreter der Erklärungstheorie, s. Brehmer, Wille und Erklärung, S. 65 ff., 220 ff., 240 ff.; Leenen, JuS 2008, 577, 580 f.; Werba, Willenserklärung ohne Willen, 28 ff., 71 ff., 164; kritisch zu diesen Positionen Musielak, AcP 211 (2011), 769, 771 ff.
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7. Kapitel: Die Entwicklung der Konstituenten in der Gegenwart
Tatbestandes (äußerer) Verhaltensweisen ist, an dessen Vorliegen Rechtsfolgen geknüpft werden, ohne dass dem (inneren) Willen rechtliche Relevanz zukommen würde102; schließlich ein auch außer-rechtliches Verständnis des Willens im Sinne eines (natürlichen, psychologischen) Vermögens, durch das die Person im Recht wirkt und dessen Aktivität aufgrund des Personseins des Menschen rechtlich anerkannt wird (bzw. werden muss)103.
102 In diese Richtung bereits Lotmar, Über Causa im römischen Recht, S. 15 ff. Eine in diese Richtung gehende Position zeigt sich ferner wohl, wenngleich nicht ganz klar, bei Vertretern der Geltungstheorie. Diese lehnen zwar nicht den Willensbegriff als solchen ab, stellen aber nicht auf den inneren Willen ab. Vielmehr erkennen sie in der Äußerung den Vollzug des Willens, welche die Rechtswirkungen zur Geltung bringt, s. Flume, Allgemeiner Teil, § 4,5 („Der rechtsgeschäftliche Wille ist nicht die Komplexität des Willens als eines psychologischen Faktums, sondern der Wille, soweit er zu dem durch die Rechtsordnung bestimmten Tatbestand des Rechtsgeschäfts gehört“), § 4,7 (Willenserklärung „nicht die bloße Mitteilung eines „inneren“ Willens, sondern Willensvollzug“); Larenz/Wolf, Allgemeiner Teil, § 24 Rn. 26 ff., 29 ff. (Wille zwar „für die Rechtsfolge von entscheidender Bedeutung“, allerdings „Grund für den Eintritt der gewollten Rechtsfolgen im Zusammenwirken von Wille und Erklärung“, nicht allein im Willen; Willenserklärung als „Geltungserklärung“, „ein vom Willen getragener bestimmender Akt“; Verwirklichung des rechtsgeschäftlichen Willens „allein in der Erklärung“). Ein (scheinbar) formaler Willensbegriff findet sich etwa bei Bucher, Normsetzungsbefugnis, S. 44 f., der den Willensbegriff vom Normbegriff her erschließt. Normen sind danach „Sollenssätze“, Sollenssätze sind wiederum „Gedankeninhalte“ im Hinblick auf die Frage, „die Verwirklichung welcher Sachverhalte das denkende Subjekt herbeiwünscht“, wobei der Wille der „Inhalt dieses Bewußtseins“ ist: „Norminhalt ist Willensinhalt“. Dass der Wille Norminhalt wird, gilt bei Bucher nicht nur für den Gesetzgeber, sondern kraft der Privatautonomie auch für „private Willensäußerungen“, denen durch die Rechtsordnung „Normgeltung“ verliehen wird. Allerdings wird nichtsdestotrotz an „den menschlichen Willen“ angeknüpft, den die Rechtsordnung „unmittelbar zum Rechtsinhalt“ erhebt (aaO, S. 45). Ebenso gilt, dass, da „einzig Menschen durch die Einsicht in Sollensinhalte in ihrem Verhalten beeinflußt werden, […] Normen nicht Zustände der unbeseelten Natur oder der unvernünftigen Tierkreatur, sondern nur menschliches Verhalten betreffen“ können (aaO, S. 45). Der formale Willensbegriff wird zwar vom Normbegriff her erschlossen, allerdings ist auch er nicht losgelöst vom „menschlichen Willen“ und von der Vernunftbegabung des Menschen. Die Rechtsordnung bestimmt zwar bestimmte Situationen (Privatautonomie, subjektive Rechte), in denen dem privaten Willen Normgeltung zukommt; aber maßgeblich ist weiter der Wille als solcher. 103 Vgl. Zitelmann, Irrtum und Rechtsgeschäft, S. 237 f., 245; in diese Richtung wohl v. Lübtow, in: Bickel (u.a.) (Hrsg.), Recht und Rechtserkenntnis, S. 421, 430 f. („Vom Begriff des subjektiven Rechts als einer Willensmacht her den Begriff des Rechtssubjekts oder der Person zu bestimmen, heißt beide Begriffe in ein falsches Verhältnis zueinander setzen. Der Mensch ist um seines Wertes willen Träger von Rechten und Pflichten. Deshalb muß das subjektive Recht dem Wesen des Menschen und seinen Bedürfnissen angepasst werden, nicht umgekehrt. Er hat als psychische Realität einen Willen, der in der Regel vom Recht anerkannt wird. […] Die Einwirkungsmacht setzt ein Wollen in natürlichem, psychologischem Sinn voraus. Vermittels seines Willens wirkt der Mensch auf die ihm von der Rechtsordnung zugeteilten Werte ein“); vgl. auch Schur, in: Lampe/Pauen/Roth (Hrsg.), Willensfreiheit und rechtliche Ordnung, S. 226, 233 f. mit Verweis auf Zitelmann, Irrtum und Rechtsgeschäft, S. 238 im Hinblick auf die Frage, ob der Wille ein juristischer oder ein psychologischer Begriff ist.
II. Person, Wille und Willensfreiheit
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Ebenso wie beim Personbegriff nimmt auch dieser Konflikt seinen Ausgangspunkt in der Frage nach dem Verhältnis zwischen natürlich-physischer Welt und „Rechtswelt“.104 Beim Personbegriff waren dies auf der einen Seite der „physische Mensch“, auf der anderen Seite die Rechtsbegriffe „Rechtssubjekt“ und „Rechtsfähigkeit“, zwischen denen der Personbegriff zu verorten war.105 Beim Willen ist dies ähnlich. Es gibt einen „Willen“ des Menschen im Sinne eines natürlich-psychologischen Begriffs.106 Sodann gibt es rechtlich die Kategorien „Willenserklärung“, „Rechtsgeschäft“, „Vertrag“ und „Handlung“.107 Die zivilrechtliche Bedeutung des, wie sich zeigen wird, verfassungsrechtlich präformierten Willensbegriff ist nun zwischen diesen Polen zu verorten. b) Verfassungsrechtliche Vorgaben Den Begriff des Willens findet man im Grundgesetz an einigen Stellen (etwa Art. 6 Abs. 3 GG, Art. 7 Abs. 3 S. 3 GG, Art. 16 Abs. 1 GG: „gegen den Willen“; Art. 21 Abs. 1 S. 1: „politische Willensbildung“). Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts greift ihn in unterschiedlichen Kontexten auf. Neben dem Begriff der Willensfreiheit108 wird in der Rechtsprechung zur Vertragsfreiheit und zur Privatautonomie auf den Willensbegriff rekurriert.109 Danach schützt die allgemeine Handlungsfreiheit nach Art. 2 Abs. 1 GG die „Gestaltung der Rechtsverhältnisse durch den Einzelnen nach seinem Willen“, was den Inhalt der Privatautonomie ausmacht.110 Der Staat ist gehalten, den „durch den Vertrag hergestellten sachgerechten Interessenausgleich“, auf den regelmäßig aus dem „zum Ausdruck gebrachte[n] übereinstimmende[n] Wille[n] der Vertragsparteien“ geschlossen werden kann, „grundsätzlich zu respektieren“.111 104
Vgl. ansatzweise Zitelmann, Irrtum und Rechtsgeschäft, S. 237 ff., ferner S. 200 ff.,
227 ff. 105 S. Hetterich, Mensch und „Person“, S. 26 ff. (zum Verständnis von Mensch und Person als natürlich-biologische oder juristische Begriffe), 41 („Die biologische Komponente des Menschen und die juristische Komponente des Rechtssubjekts werden im Begriff der Person miteinander verknüpft“); vgl., wenngleich in anderer Hinsicht, zur „Mittelstellung“ des Personbegriffs Kirste, in: Bohnert (u.a.) (Hrsg.), FS Hollerbach, S. 319, 350. 106 Vgl. Zitelmann, Irrtum und Rechtsgeschäft, S. 237 f., 243 ff.; s. ferner v. Lübtow, in: Bickel (u.a.) (Hrsg.), Recht und Rechtserkenntnis, S. 421, 430 f.; Laufs, MedR 2011, 1, 6 (zur Frage nach dem Verhältnis von „empirisch-psychologischem Willen“ und „rechtlichem Willen“); zum „natürlichen Willen“ sowie zum „freien Willen“ als Rechtsbegriffen vgl. Neuner, AcP 218 (2018), 1, 14 ff., 23 ff. 107 S. dazu oben S. 22 f., 28 f. 108 S. dazu unten S. 382 ff. 109 Z.B. BVerfGE 72, 155, 170; 89, 214, 231. 110 BVerfGE 72, 155, 170; 89, 214, 231; BVerfG NJW 2006, 596, 598. 111 S. BVerfGE 103, 89, 100; BVerfG NJW 2006, 596, 598; ferner BVerfGE 81, 242, 254.
380
7. Kapitel: Die Entwicklung der Konstituenten in der Gegenwart
c) Orientierungslinien normativer Ausgestaltung Die Rechtsprechung des BVerfG zur Vertragsfreiheit macht deutlich, dass es einen Zusammenhang zwischen Willen und rechtlicher Anerkennung geben muss, d.h. dass das, worauf sich die Willen privater Personen geeinigt haben, grundsätzlich rechtlich anzuerkennen ist.112 Sie lässt aber unbeantwortet, wieso ausgerechnet der Wille das Prinzip ist, das zur rechtlichen Anerkennung nötigt.113 Hier kann man zunächst auf den Personbegriff rekurrieren. Erkennt man die Freiheit und Eigenwirksamkeit der Person rechtlich an, dann folgt daraus notwendig, dass es Handlungsformen geben muss, durch die die Person rechtlich handeln und kausal Rechtswirkungen hervorrufen kann.114 Versteht man den Willen als Prinzip dieser Handlungen115, dann ergibt sich ein Willensbegriff, der seine eigentliche Bedeutung im Personbegriff findet.116 112 S. dazu unten noch näher S. 441 ff.; zur Bedeutung des Willens für die rechtsgeschäftliche Bindung insoweit auch Wendland, Vertragsfreiheit und Vertragsgerechtigkeit, S. 21 ff.; v. Lübtow, in: Bickel (u.a.) (Hrsg.), Recht und Rechtserkenntnis, S. 421, 430 f. 113 Zu dieser Frage auch Schapp, Grundfragen der Rechtsgeschäftslehre, S. 16 f., der den Grund hierfür „in dem Prinzip der Privatautonomie“ verortet („Hier bietet sich nun die Lösung an, die Begründung für diese Anknüpfung in dem Prinzip der Privatautonomie zu sehen. […] Die Entscheidungsmacht des einzelnen kommt am deutlichsten in seinem Willen zum Ausdruck, der damit in das Zentrum des Vertragsrechts wie des Privatrechtes überhaupt rückt“); s.a. Wendland, Vertragsfreiheit und Vertragsgerechtigkeit, S. 21. 114 S. dazu oben S. 374; vgl. Laufke, in: Nipperdey (Hrsg.), FS Lehmann, S. 145, 162 („Der frei gestaltete Vertrag ist ja das juristische Mittel zur Durchsetzung des persönlichen Willens, das Mittel, sich seine Welt nach seinem Bild zu gestalten, sich das Milieu zu schaffen, das man zur Entfaltung der Persönlichkeit benötigt“); Bydlinski, Privatautonomie, S. 127, 159; s. ferner bereits Zitelmann, Irrtum und Rechtsgeschäft, S. 233 f., 237 f., 245. 115 S. dazu oben bereits S. 376; vgl. Imhof, Obligation, S. 98 („der menschliche Wille“ als „Organ“ des Rechtshandelns; „Rechtshandeln geschieht also durch Willensakte“); Vonlanthen, Wesen des subjektiven Rechts, S. 31 („Jede Rechtsbegründung, -änderung und -aufhebung schließt somit die werkzeugliche Funktion eines menschlichen Willens zu ihrer Verwirklichung in sich. Und da hier nur der Wille allein diese Mittelfunktion versehen kann, so wächst er sich zur eigentlichen Entstehungsursache der besagten Rechtsänderungen aus“); s. ferner auch (wenngleich selbst der Erklärungstheorie folgend) Brehmer, Wille und Erklärung, S. 49 (Wille als „das rechtlich verliehene Mittel resp. die rechtlich anerkannte Form der Ausübung der Privatautonomie“), ferner S. 50 f. zur „instrumentellen Bedeutung“ des Willens (S. 51: „Er ist also nicht die dem einzelnen vom Gesetz verliehene rechtsgeschäftliche Kompetenz zur Selbstbestimmung der Rechtsfolgen, also nicht Kompetenzzuweisung, sondern (der Ausdruck für) die Ausübung dieser Kompetenz, – und damit und des weiteren nach seinem Inhalt nicht rechtsgeschäftliche Freiheit, sondern rechtsgeschäftliche Entscheidung“); Wendland, Vertragsfreiheit und Vertragsgerechtigkeit, S. 21 (Wille als „das beherrschende Element und die bestimmende Kraft rechtsgeschäftlicher Folgen“); ferner Lomfeld, Die Gründe des Vertrags, S. 85 („Wille als Rechtsprinzip“). 116 Vgl. Zitelmann, Irrtum und Rechtsgeschäft, S. 245 („Indem das Recht so spricht, erweitert es die Causationsfähigkeit des Subjects um ein fast unermessliches Gebiet; nun erst gibt es der Person in Wahrheit eine privatrechtliche Freiheit, denn es gibt ihr unmittelbare Einwirkung auf die Welt der subjectiven Rechte: und hierin liegt die unvergängliche Bedeutung der juristischen Willenserklärungen und zugleich auch die einzig wahre innere Rechtfertigung ihrer Adoptirung durch das Recht. […] Diess ist die Form, in welcher das objective
II. Person, Wille und Willensfreiheit
381
Eine Zivilrechtsordnung, die der Person keine Handlungsformen bereitstellt, negiert letztlich die Eigenwirksamkeit der Person.117 Wenn es so etwas wie einen Willen gibt und Handlungen, um rechtlich relevant zu sein, willensgetragen sein müssen bzw. Zurechnung generell an den Willen anknüpft118, so gilt weiter, dass nicht alle willensgetragenen Handlungen dieselben Folgen haben.119 Ist der Wille einer Person aber direkt oder unmittelbar darauf gerichtet, Rechte und Pflichten zu begründen oder anderweitig zu gestalten120, dann muss angesichts der verfassungsrechtlich vorgegebenen Anerkennung von Rechts- und Verpflichtungsfähigkeit dieser Wille auch rechtlich anerkannt werden.121 Umgekehrt ist klar, dass an Handlungen, die nicht willensgetragen sind, grundsätzlich auch keine (rechtsgeschäftlichen)
117 Recht die Autonomie der Person im Privatrecht verwirklicht hat“); Westermann, Person und Persönlichkeit, S. 15, 20; G. Husserl, AcP 127 (1927), 129, 149; ferner auch John, Die organisierte Rechtsperson, S. 76 (zum Willen als Instrument der Handlungsorganisation der Rechtsperson); s. weiter Musielak, AcP 211 (2011), 769, 776, der den Grund für die Wirksamkeit des Willens bei Savigny darin verortet, dass „Savigny den Willen als den Inbegriff der freien Persönlichkeit und damit die Willenserklärung als Ausdruck dieser Persönlichkeit“ verstanden habe, woraus zwingend folge, „dass dem Willen des Erklärenden die entscheidende Bedeutung zukommt“. 117 S. dazu noch unten S. 452 ff.; vgl. auch Laufke, in: Nipperdey (Hrsg.), FS Lehmann, S. 145, 162 („Ohne Vertrag mag es eine Person im streng juristisch technischen Sinne – Träger von Rechten und Pflichten – geben. Eine Persönlichkeit in jenem Vollsinn, in dem das Wort in Art. 2 GG verwendet wird, gibt es ohne Vertrag, den der Einzelne nach seinem Willen abschließt und nach seinem Willen gestaltet, nicht“). 118 S. dazu oben S. 22 f.; vgl. aus positiv-rechtlicher Perspektive Neuner, Allgemeiner Teil, § 12 Rn. 1 ff.; s. ferner auch Imhof, Obligation, S. 98, 27, 127, 128 f. 119 Vgl. R. Singer, Selbstbestimmung, S. 74 f. („Nach durchaus allgemeiner und zutreffender Überzeugung erlaubt Privatautonomie dem Einzelnen, die Rechtsverhältnisse nach seinem Willen zu gestalten. Diese Möglichkeit ist nur dann verwirklicht, wenn die in Geltung gesetzten Rechtsfolgen auch seinem tatsächlichen Willen entsprechen […]. Unter dem Gesichtspunkt der Privatautonomie genügt deshalb nicht, daß der Akt als solcher willentlich in Geltung gesetzt worden ist. […] Jede Ausschaltung oder Relativierung des Rechtsfolgewillens stellt die der Selbstbestimmung immanente Finalität in Frage“); Neuner, Allgemeiner Teil, § 28 Rn. 8 ff.; § 31 Rn. 2. 120 Vgl. Neuner, Allgemeiner Teil, § 31 Rn. 2, wo von „rechtsfolgenerzeugendem Willen“ die Rede ist; ferner zur Finalität Flume, Allgemeiner Teil, § 4,5 („Dementsprechend ist der Wille bei der Willenserklärung bezogen auf den Akt der Rechtsgestaltung als einen solchen, der die Begründung, Änderung oder Aufhebung eines Rechtsverhältnisses zum Inhalt hat“). Die übliche Differenzierung von Handlungs- und Erklärungsbewusstsein sowie Geschäftsund Rechtsbindungswille geht (u.a.) auf H. Lehmann, Allgemeiner Teil, § 24, S. 134 ff. zurück; s. dazu Schur, in: Lampe/Pauen/Roth (Hrsg.), Willensfreiheit und rechtliche Ordnung, S. 226, 233 f.; Musielak, AcP 211 (2011), 769, 771, 779 ff.; zu den Willensformen auch Mankowski, AcP 211 (2011), 153, 175 ff. 121 S. dazu unten noch S. 452 ff.; vgl. dazu BVerfGE 72, 155, 170; 81, 242, 254; 89, 214, 231; 103, 89, 100. S. weitergehend auch Canaris, JZ 1987, 994, 996 ff., der § 105 Abs. 1 BGB insoweit für verfassungswidrig hält, als darin zwingend die Nichtigkeit angeordnet ist – die Privatautonomie erfordere hingegen eine analoge Anwendung der §§ 107 ff. BGB.
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7. Kapitel: Die Entwicklung der Konstituenten in der Gegenwart
Rechtsfolgen geknüpft werden dürfen.122 Ungeacht dessen können Gesetze natürlich auch Rechtswirkungen ohne Rücksicht auf willensgetragene Handlungen vorsehen.123 Bislang steht hier nur die Feststellung, dass es ein Prinzip bzw. eine Handlungsform der Person geben muss, die es dieser ermöglicht, rechtlich zu handeln und dass man diese Handlungsform als „Willen“ bezeichnen kann. Die Frage nach dem Willensbegriff an sich ist noch unbeantwortet. Ist dies ein außer-rechtliches natürlich-psychologisches Vermögen, das rechtlich anerkannt werden muss, oder geht es um die formelle Bezeichnung für die Handlungsform, die einer Person gewährt wird, um Rechtswirkungen hervorzurufen?124 Die historische Untersuchung hat deutlich gemacht, dass dem Willen und seiner Zentralität in der Rechtsordnung etwas vorausgeht, nämlich die Freiheit.125 Erst nachdem herausgearbeitet wurde, dass dem Willen Freiheit im Sinne der Nicht-Determination und Indifferenz sowie die Fähigkeit zur Selbstbestimmung zukommt, tritt dieser als Zentralbegriff der Rechtsordnung, d.h. als rechtsgestaltendes Prinzip hervor.126 Dies muss jetzt für das heutige Recht näher untersucht werden.
3. Willensfreiheit a) Problemstellung Wenngleich die Willensfreiheit zentrale Bedeutung für das Zivilrecht hat und etwa für das Vertrags- und Deliktsrecht Relevanz entfaltet127, verhält sich die 122 Vgl. Neuner, Allgemeiner Teil, § 12 Rn. 1 („Ausnahmsweise können Rechtsfolgen auch ohne Rücksicht auf menschliches Verhalten und ungeachtet individueller Fähigkeiten allein kraft Gesetzes eintreten. […] Im Regelfall setzt der Eintritt von Rechtsfolgen jedoch Handlungsfähigkeit voraus“); ferner § 32 Rn. 2; Schmidt-Salzer, JR 1969, 281, 285; Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, S. 69 („Den Staat trifft eine Schutzpflicht; er darf vertragliche Ansprüche nur dann mit Hoheitsmitteln durchsetzen, wenn sich diese auf die Privatautonomie des Betroffenen zurückführen lassen. Dies ist jedenfalls dann der Fall, wenn auch tatsächlich ein Akt freier Selbstbestimmung vorliegt“); s. ferner Musielak, AcP 211 (2011), 769, 798 ff. zur Notwendigkeit des Handlungswillens. 123 S. etwa R. Singer, Selbstbestimmung, S. 75 („Die Anerkennung der Privatautonomie erfordert nicht negativ, daß Rechtsgeschäftsfolgen nur aufgrund privater Gestaltung eintreten müssen“); Neuner, Allgemeiner Teil, § 12 Rn. 1. 124 S. dazu oben S. 377 f. 125 S. dazu oben S. 63 ff., 121 ff. 126 S. dazu oben S. 63 ff., 76 ff., 121 ff. 127 S. Neuner, AcP 218 (2018), 1, 5 f.; ders., Allgemeiner Teil, § 10 Rn. 11 ff., 17 ff.; Laufs, MedR 2011, 1, 4 ff.; gegen die Annahme eines Erfordernisses „eines freien Willens als Wirksamkeitsvoraussetzung von Willenserklärungen“ Mankowski, AcP 211 (2011), 153, 173 ff.; s. ferner Schur, in: Lampe/Pauen/Roth (Hrsg.), Willensfreiheit und rechtliche Ordnung, S. 226, wonach dem Privatrecht „nicht der Gedanke der Willensfreiheit“ zugrundeliege, „sondern der der Privatautonomie“, weshalb „sich die von den Neurowissenschaften aufge-
II. Person, Wille und Willensfreiheit
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Frage nach der Willensfreiheit anders als diejenige nach Wille und Person. Während letztere auch positiv-rechtliche Zivilrechtsbegriffe sind, tritt die Willensfreiheit als solche nur an wenigen Stellen und eher indirekt in Erscheinung.128 Daher wird sie teilweise als „kulturelle Rechtfertigung“ gedeutet, die als Legitimationsgrundlage das geltende (Vertrags-)Recht begründen kann, aber selbst nicht auf „rechtstechnischer Ebene“ Wirkung entfaltet.129 Die historische Untersuchung kann diesen Befund durchaus stützen, diente doch die (Willens-)Freiheit der Begründung und Herleitung der Rechtsfähigkeit des Menschen, der subjektiven Rechte oder der Fähigkeit, durch Vertrag Rechte und Pflichten zu begründen.130 Gleichzeitig wurde bei der Frage nach dem Personbegriff bereits erwähnt, dass hier ein Bezug zwischen Personsein, Rechtsfähigkeit und (Willens-)Freiheit angenommen wird.131 Zunächst ist problematisch, ob es überhaupt so etwas wie „Willensfreiheit“ gibt.132 Angesprochen ist damit die aus den Erkenntnissen der Neurowissen128 worfene Problematik damit auf das Verhältnis von Willensfreiheit und Privatautonomie“ zuspitze, d.h. Willensfreiheit nur durch die Privatautonomie für das Zivilrecht Wirkung entfaltet; ferner S. 245, wo die Willensfreiheit „der Ebene kultureller Rechtfertigung“ zugeordnet wird. Was bedeutet aber aus rechtlicher Perspektive Willensfreiheit überhaupt? So soll sich der „Rechtsbegriff“ der Willensfreiheit aus der vorgelagerten kognitiven Einsichtsfähigkeit im Sinne der Erkenntnis der für eine Entscheidung relevanten Gesichtspunkte und voluntativer Steuerungsfähigkeit im Sinne des Handelns entsprechend der gewonnenen Einsicht zusammensetzen (Neuner, AcP 218 [2018], 1, 23 ff. mit Verweis [u.a.] auf BT-Drs. 15/2494, S. 28; BGH NJW 1970, 1680, 1681; 2017, 890). Allerdings soll der zivilrechtliche Willensfreiheitsbegriff im Gegensatz zum verfassungsrechtlich präformierten Willensfreiheitsbegriff des Strafrechts nicht Indeterminismus im Sinne von „Anders-Handeln-Können“ voraussetzen (Neuner, AcP 218 [2018], 1, 25; Spilgies, HRRS 2015, 177, 178 f., 186). 128 Vgl. Schur, in: Lampe/Pauen/Roth (Hrsg.), Willensfreiheit und rechtliche Ordnung, S. 226, 239, 244 f.; s. aber Neuner, AcP 218 (2018), 1, 2, 23, 25, 29 zur zivilrechtlichen Relevanz der Willensfreiheit mit Verweis auf die Geschäfts- und Deliktsfähigkeit (§§ 104 Nr. 2, 827, S. 1 BGB: „freie Willensbestimmung“, ferner § 1896 Abs. 1a)); ferner Laufs, MedR 2011, 1, 6; zum Begriff „freie Willensbestimmung“ auch Hillenkamp, JZ 2015, 391 ff. Ein Grund hierfür liegt sicherlich in der Tatsache, dass es sich bei der Willensfreiheit selbst um einen inneren, äußerlich nicht wahrnehmbaren Vorgang handelt (vgl. Möllers, in: Lampe/ Pauen/Roth [Hrsg.], Willensfreiheit und rechtliche Ordnung, S. 250, 252 ff. [„subjektintern“; jedoch auch zur Unterstellung der äußeren Erkennbarkeit der Willensfreiheit durch die Rechtsordnung]). Allerdings ist dies gleichermaßen beim Willen selbst der Fall, auch dieser tritt nur durch eine äußere Handlung in Erscheinung. 129 So Schur, in: Lampe/Pauen/Roth (Hrsg.), Willensfreiheit und rechtliche Ordnung, S. 226, 244 f. (stattdessen eher Handlungsfreiheit); s. aber auch Laufs, MedR 2011, 1, 6 (im Sinne einer Voraussetzung für das Vertragsrecht, ferner Prägung). 130 S. dazu oben S. 67 ff. und 166 ff. 131 S. dazu oben S. 369; vgl. Kirste, in: Gröschner/Kirste/Lembcke (Hrsg.), Person und Rechtsperson, S. 345, 366 ff., 369 ff.; Palm, in: Gröschner/Kirste/Lembcke (Hrsg.), Person und Rechtsperson, S. 295, 311 f., 313. 132 Zu dieser an Beiträgen kaum noch zu überblickenden Diskussion s. gleich noch die Nachweise im Einzelnen; zu einem umfassenden Überblick m.Nw. Hillenkamp, ZStW 2015 (127), 10 ff.
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7. Kapitel: Die Entwicklung der Konstituenten in der Gegenwart
schaften folgende Infragestellung der Willensfreiheit, wenngleich die (natur-) wissenschaftlichen Erkenntnisse hier bis in die Gegenwart keine eindeutige Antwort ergeben haben.133 Wie insbesondere für das Strafrecht134, aber verstärkt auch für das Zivilrecht135 diskutiert wird, hätte eine Ablehnung der Willensfreiheit dabei durchaus weitreichende Konsequenzen für die Ausgestaltung der positiven Rechtsordnung.136 Als strafrechtliche Folgen einer Ablehnung der Willensfreiheit werden etwa Forderungen nach einem nicht mehr auf Verantwortung und dem Schuldprinzip basierenden, sondern rein auf Prävention und Verhaltenssteuerung abstellenden Strafrecht erhoben.137 Aus rechts- und geisteswissenschaftlicher Perspektive wird zur Verteidigung der Willensfreiheit argumentiert138, dass es bei der Willensfreiheit um einen Rechtsbegriff, der vom naturwissenschaftlichen Begriff zu unterscheiden sei139, bzw. um eine philosophisch-normative Kategorie gehe, über die die auf die einzelnen natürlichen Prozesse abstellenden Neurowissenschaften keine Aussage treffen könnten.140 Ferner wird geltend gemacht, dass Willensfreiheit rechtlich im Sinne einer „Unterstellung“ bzw. „Setzung“ vorausgesetzt werden könne, insbesondere dann, wenn dies primärrechtlich geboten ist.141 Schließlich wird als Argument angeführt, dass der rechtliche Begriff der Wil133 Zur Diskussion s. W. Singer, Ein neues Menschenbild, S. 24 ff.; Prinz, in: Senn/Puskás (Hrsg.), Gehirnforschung und rechtliche Verantwortung, S. 27 ff.; G. Roth, Fühlen, Denken, Handeln, S. 518 ff.; aus rechtwissenschaftlicher Perspektive dazu Hillenkamp, ZStW 2015 (127), 10, 14 ff., 75 ff.; Laufs, MedR 2011, 1 ff., 4 (zum aktuellen Forschungsstand: „non liquet“); Mankowski, AcP 211 (2011), 153, 163 ff.; Neuner, AcP 218 (2018), 1, 6 ff.; ders., Allgemeiner Teil, § 10 Rn. 12 ff. 134 S. Hillenkamp, ZStW 2015 (127), 10, 12 f., 26 ff., 42 ff.; Pawlik, Das Unrecht des Bürgers, S. 281 ff. 135 S. insoweit zur zivilrechtlichen Diskussion Neuner, Allgemeiner Teil, § 10 Rn. 11 ff.; Laufs, MedR 2011, 1, 4 ff.; Hillenkamp, ZStW 2015 (127), 10, 41 f.; Schur, in: Lampe/Pauen/ Roth (Hrsg.), Willensfreiheit und rechtliche Ordnung, S. 226 ff.; gegen Auswirkungen auf das Zivilrecht dagegen Mankowski, AcP 211 (2011), 153, 173 ff. 136 Deutlich Hillenkamp, ZStW 2015 (127), 10, 38 („Geht man in Deutschland aber von einem Menschenbild aus, in dem es freies Entscheiden und Handeln nicht gibt, in dem der Mensch wie alles Naturgeschehen strikt determiniert ist, verändert man radikal die Grundlagen allen hier geltenden Rechts“); s. ferner auch Braun, JZ 2004, 610, 612. 137 S. etwa Roth/Lück/Strüber, in: Senn/Puskás (Hrsg.), Gehirnforschung und rechtliche Verantwortung, S. 105 ff., 113 ff.; Schiemann, NJW 2004, 2056, 2059; kritisch dazu Hillenkamp, ZStW 2015 (127), 10, 46 ff.; Laufs, MedR 2011, 1, 4; Frisch, in: Heger/Kelker/ Schramm (Hrsg.), FS Kühl, S. 187, 188 ff., 201 ff., 210 ff.; s.a. Neuner, AcP 218 (2018), 1, 7. 138 Grundsätzlich zu den Reaktionsmöglichkeiten Hillenkamp, ZStW 2015 (127), 10, 56 f., 59 ff., 71 ff. 139 Vgl. dazu etwa Hassemer, ZStW 121 (2009), 829, 840 ff., 845 ff., 848 ff. 140 Habermas, DZPhil 52 (2004), 871, 872 ff.; Frisch, in: Heger/Kelker/Schramm (Hrsg.), FS Kühl, S. 187, 201 ff., 210 ff.; Neuner, AcP 218 (2018), 1, 8; Laufs, MedR 2011, 1; vgl. Pawlik, Das Unrecht des Bürgers, S. 283 ff.; s. zu dieser Position auch Hillenkamp, ZStW 2015 (127), 10, 57, 59 f., 75 ff. m.w.N. 141 Möllers, in: Lampe/Pauen/Roth (Hrsg.), Willensfreiheit und rechtliche Ordnung, S. 250, 252 ff., 255, 258 f., 260 ff., 270 f.; s.a. Neuner, Allgemeiner Teil, § 10 Rn. 15; ders., AcP
II. Person, Wille und Willensfreiheit
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lensfreiheit auf die psychologische Steuerungsfähigkeit reduziert werden könne.142 Für diese Untersuchung ist wiederum entscheidende Frage, welche Vorgaben sich für die positive Zivilrechtsordnung aus dem Verfassungsrecht im Hinblick auf die Willensfreiheit ergeben und wie der Bezug von Willensfreiheit zu Wille und Person ist.143 b) Verfassungsrechtliche Vorgaben aa) Menschenbild des Grundgesetzes und Willensfreiheit Verbunden mit der Frage nach der Bedeutung der Willensfreiheit ist die grundsätzliche Frage nach dem Menschenbild des Grundgesetzes.144 Zu diesem Menschenbild gehört es etwa, dass mit der Würde des Menschen auch die Freiheit des Menschen verbunden ist.145 Freiheit schließt Selbstbestimmung und Selbstentfaltung ein.146 Aus der Menschenwürdegarantie wird so auch in der Literatur die Verpflichtung abgeleitet, die Willensfreiheit aller Menschen im Sinne einer „Unterstellung“ anzuerkennen und vorauszusetzen.147 Zentrale Bedeutung kommt der Willensfreiheit in der Rechtsprechung des BVerfG für das Strafrecht zu. Aus der Menschenwürdegarantie und dem Rechtsstaatsprinzip leitet das BVerfG in ständiger Rechtsprechung den Schuldgrundsatz ab, der „die Eigenverantwortung des Menschen” voraussetzt, „der sein Handeln selbst bestimmt und sich kraft seiner Willensfreiheit zwischen Recht und Unrecht entscheiden kann“.148 Im Kontext des Schuldgrundsatzes wird demnach ein spezifisches Menschenbild festgeschrieben, das sich über die Willensfreiheit des Menschen konkretisiert.149
218142(2018), 1, 9 mit Verweis auf Art. 79 Abs. 3 GG sowie BVerfGE 123, 267, 413; Laufs, MedR 2011, 1, 4 („Wer Schuld in Ermangelung von Willensfreiheit […] für illusorisch erklärt, zerstört das Menschenbild des Grundgesetzes […]“). 142 Roxin, Strafrecht AT, § 19 Rn. 36 f. („normative Ansprechbarkeit“); Cording/Roth, NJW 2015, 26, 31; dazu auch Neuner, AcP 218 (2018), 1, 8; s.a. Hillenkamp, ZStW 2015 (127), 10, 63. 143 Vgl. zum Verhältnis Willensfreiheit, Verfassung und Zivilrecht auch Neuner, Allgemeiner Teil, § 10 Rn. 14 ff. 144 Dazu Becker, Das Menschenbild, S. 33 ff.; K.H.Auer, Das Menschenbild, S. 200 ff., ferner S. 172 ff. (zum Menschenbild im bürgerlichen Recht); der Begriff erscheint erstmals in BVerfGE 4, 7, 15. 145 BVerfGE 5, 85, 205 f.; 45, 187, 227. 146 BVerfGE 45, 187, 227. 147 S. Möllers, in: Lampe/Pauen/Roth (Hrsg.), Willensfreiheit und rechtliche Ordnung, S. 250, 260 ff., 263 („Die Unterstellung der Willensfreiheit wird in der deutschen Verfassungsordnung also über die Zuordnung der Menschenwürde an alle Menschen gewährleistet“), 268. 148 BVerfGE 140, 317, 343; ferner BVerfGE 25, 269, 285; 50, 205, 214 f.; 120, 224, 253 f. 149 Vgl. Adam/Schmidt/Schumacher, NStZ 2017, 7, 8 f.; H. Landau, NStZ 2015, 665, 667; Hillenkamp, ZStW 2015 (127), 10, 46 f.
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7. Kapitel: Die Entwicklung der Konstituenten in der Gegenwart
bb) Relevanz für das Zivilrecht? Im Kontext des Personbegriffs wurde bereits deutlich, dass das BVerfG von einem durch die Menschenwürde geprägten Begriff ausgeht, der für alle Rechtsgebiete gilt.150 Sieht man mit dem BVerfG die Willensfreiheit als Grund für die rechtliche Verantwortlichkeit der Person und damit auch rechtlicher Zurechnung151, dann resultieren hieraus Vorgaben für das Vertrags- und Haftungsrecht, da es auch hier um Verantwortung und Zurechnung geht.152 Dies entspricht wiederum dem historischen Befund, wonach die Herausbildung der Vertragsfreiheit in untrennbarem Zusammenhang mit der Entwicklung der Willensfreiheit steht.153 c) Orientierungslinien normativer Ausgestaltung Erkennt man in der (zumindest kraft der Menschenwürde unterstellten) Willensfreiheit den Grund rechtlicher Zurechnung154, dann zeigt sich auch der Bezug zur Person.155 Die Person ist das Subjekt ihrer Handlungen, die kraft der Willensfreiheit rechtlich anerkannt werden und deren Rechtswirkungen der Person als Rechtssubjekt zugerechnet werden.156 Die positive Rechtsordnung muss Handlungsformen vorsehen, mittels derer die Person rechtswirksam mit anderen Personen handeln und so Rechte und Pflichten begründen kann.157 Das Prinzip bzw. die Form, kraft derer die Person rechtswirksam wird, kann man als Willen bezeichnen.158 Wegen der Willensfreiheit ist der Mensch Zurechnungssubjekt und werden seine Handlungen rechtlich zugerechnet.159 Wenn der Mensch als Person Rechtssubjekt ist160, die rechtlich anzuerkennende Handlungsform der Person der Wille ist161 und Willensfreiheit ihrerseits 150
Vgl. BVerfGE 7, 198, 205; ferner BVerfGE 45, 187, 228. BVerfGE 140, 317, 343 f. 152 Vgl. Neuner, Allgemeiner Teil, § 10 Rn. 16 ff., 23. 153 S. dazu oben bereits S. 121 ff., 197 ff. 154 S. dazu Möllers, in: Lampe/Pauen/Roth (Hrsg.), Willensfreiheit und rechtliche Ordnung, S. 250, 260 ff., 263 ff.; ferner Neuner, Allgemeiner Teil, § 10 Rn. 11 ff., 16; § 32 Rn. 2, 7. 155 S. zum Zusammenhang von Person und (Willens-)Freiheit auch Kirste, in: Gröschner/ Kirste/Lembcke (Hrsg.), Person und Rechtsperson, S. 345, 366 ff. („Rechtsfähigkeit als Freiheitsfähigkeit ist die Bedingung der Rechtssubjektivität“), 369 ff. (zur Frage, wer Rechtsperson sein kann: „Wenn Recht eine Ordnung ist, deren Geltung aus Freiheit begründet wird und die sich an Freiheit richtet, dann müssen jedenfalls alle freien Subjekte als rechtsfähig anerkannt werden“); Neuner, Allgemeiner Teil, § 10 Rn. 11 ff. 156 Vgl. insoweit zur (Selbst-)Verantwortung der Person kraft der Willensfreiheit Neuner, Allgemeiner Teil, § 10 Rn. 11 ff., 16 ff. 157 S. dazu zuvor S. 372 f. 158 S. dazu zuvor S. 376, 382. 159 Vgl. Neuner, Allgemeiner Teil, § 10 Rn. 11 ff., 16 ff.; § 32 Rn. 2. 160 S. dazu zuvor S. 365 ff.; Neuner, Allgemeiner Teil, § 10 Rn. 4 f. 161 S. dazu zuvor S. 380 ff. 151
II. Person, Wille und Willensfreiheit
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der Grund rechtlicher Zurechnung ist162, dann folgt hieraus, dass der Wille selbst nicht nur juristische Konstruktion oder bloße formelle Bezeichnung, sondern rechtliches Vermögen der Person ist, weil er – zumindest im Wege einer normativen „Unterstellung“163 – frei ist. Der Wille ist deshalb die rechtliche Kommunikationsform des Menschen, weil in ihm Personsein und Willensfreiheit zusammenwirken.164 Die Anerkennung der Eigenwirksamkeit von Personen und die Begründung von Rechtswirkungen durch Willenshandlungen lassen sich daher plausibel nur unter der Berücksichtigung der Willensfreiheit nachvollziehen.165 Die (Willens-)Freiheit ist deshalb zivilrechtlich relevant, weil sie begründet, dass die Person durch den Willen rechtlich handeln kann.166 Hieraus ergeben sich weitere Schlussfolgerungen. Rechtlich anzuerkennende Handlungen der Person können grundsätzlich nur willensgetragene sein.167 Aus dem Personsein und der Anerkennung des Eigenwerts der Person sowie der Willensfreiheit folgt negativ, dass Handlungen, die nicht frei sind, als solche rechtlich nicht oder zumindest nicht in gleicher Weise anerkannt werden.168 Die 162
Neuner, Allgemeiner Teil, § 10 Rn. 11 ff., 16; § 32 Rn. 2, 7. Möllers, in: Lampe/Pauen/Roth (Hrsg.), Willensfreiheit und rechtliche Ordnung, S. 250, 260 ff., 263 ff.; kritisch aber zu einer Ausblendung der Frage nach der Willensfreiheit Neuner, Allgemeiner Teil, § 10 Rn. 14 f. 164 Vgl. auch Westermann, Person und Persönlichkeit, S. 15; Wendland, Vertragsfreiheit und Vertragsgerechtigkeit, S. 21 („Weil der Wille der Parteien Ausdruck ihrer Selbstbestimmung und damit letztlich in der menschlichen Freiheit und Würde grundgelegt ist, kommt ihm auch für die Gestaltung der Rechtsbeziehungen innerhalb der Rechtsordnung eine tragende Bedeutung zu. Entsprechend besteht heute Einigkeit darüber, dass der Wille das beherrschende Element und die bestimmende Kraft rechtsgeschäftlicher Folgen ist“); s. dazu bereits oben S. 76 ff., 82 ff. im rechtshistorischen Zusammenhang. 165 Vgl. Westermann, Person und Persönlichkeit, S. 15 („Die Verbindungslinie zur Freiheit des Willensentschlusses und zur dementsprechenden Selbstverantwortung ist deutlich. Dieser Grundlage des Rechts der Willenserklärung entspricht ein weitgehender Verzicht auf rechtliche Bevormundung des Menschen“); J. Schapp, Sein und Ort der Rechtsgebilde, S. 122 („Die Lehre von der Freiheit des menschlichen Willens scheint uns in gewissem Sinne die Grundlage für die juristische Lehre zu sein, daß der menschliche Wille der Grund für den Eintritt von Rechtsfolgen ist“); vgl. ferner auch Neuner, Allgemeiner Teil, § 10 Rn. 11 ff., 23 f. 166 Vgl. auch Laufs, MedR 2011, 1, 5 f.; ferner Neuner, Allgemeiner Teil, § 10 Rn. 11 ff., 16, 23; Lomfeld, Die Gründe des Vertrags, S. 80 ff., 85 f. 167 Vgl. Neuner, Allgemeiner Teil, § 12 Rn. 1 ff.; Laufs, MedR 2011, 1, 6 („Die moderne zivilistische Handlungslehre setzt den freien Willen weithin voraus“); dazu auch aus strafrechtlicher Perspektive Hillenkamp, ZStW 2015 (127), 10, 43 f. 168 Vgl. Neuner, Allgemeiner Teil, § 12 Rn. 1 („Ausnahmsweise können Rechtsfolgen auch ohne Rücksicht auf menschliches Verhalten und ungeachtet individueller Fähigkeiten allein kraft Gesetzes eintreten. […] Im Regelfall setzt der Eintritt von Rechtsfolgen jedoch Handlungsfähigkeit, verbunden mit einer gewissen Einsichts- und Urteilsfähigkeit, voraus“), 2 („Die natürliche Willensfähigkeit bildet das Minimum, das erforderlich ist, um ein Verhalten einem Menschen zuzurechnen, um es als rechtswirksame Handlung deuten zu können“); Schmidt-Salzer, JR 1969, 281, 285; Laufs, MedR 2011, 1, 6 („Weil die Wirkungen 163
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7. Kapitel: Die Entwicklung der Konstituenten in der Gegenwart
einfach-rechtlichen Regelungen des Zivilrechts zur Geschäfts- und Deliktsfähigkeit (§ 104 Nr. 2; § 827, S. 1 BGB) machen entsprechend deutlich, dass das Recht nur dann Handlungen rechtlich anerkennen kann, wenn diese von einer „freien Willensbestimmung”, d.h. von der Willensfreiheit getragen sind.169 Gerade dies ist Ausdruck der Personalität des Menschen, sodass sich das grundgesetzliche Menschenbild auch deutlich im Zivilrecht zeigt.170
III. Subjektive Privatrechte 1. Problemstellung a) Die Infragestellung der „Form subjektiver Rechte“ Auch bei der Frage nach den subjektiven Privatrechten und deren Bedeutung für die Gegenwart zeigen sich die historischen Linien. Dies betrifft zunächst die Erforderlichkeit der Kategorie subjektiver Privatrechte, d.h. es stellt sich die Frage, ob die Zivilrechtsordnung nicht auf die „Form subjektiver Rechte“171 verzichten kann.172 Entsprechend dem römischen Recht – ebenso wie dem Common Law vor der Prozessreform173 – könnte stattdessen auf die Kategorie
des169Rechtsgeschäfts entsprechend dem auf sie gerichteten Parteiwillen eintreten, setzt die Vornahme ein Mindestmaß an Fähigkeiten durchschnittlicher Willensbildung voraus […]“; Fn. weggelassen). 169 S. Neuner, AcP 218 (2018), 1, 23 ff., 25 f., 29; ders., Allgemeiner Teil, § 32 Rn. 2, 7; s. ferner Laufs, MedR 2011, 1, 5, 6 (im Hinblick auf § 104 Nr. 2 BGB: „Die angeführte Gesetzesregel bliebe unverständlich, wenn nicht jedes Rechtsgeschäft für seine Gültigkeit die freie Willensbildung seines Urhebers erforderte“); a.A. Mankowski, AcP 211 (2011), 153, 180 f., der darin nicht eine Festlegung auf die Willensfreiheit im Sinne des Indeterminismus sieht. 170 Vgl. Laufs, MedR 2011, 1, 5 f. („freiheitliches, nicht-deterministisches Menschenbild“); Neuner, Allgemeiner Teil, § 10 Rn. 11, 16. 171 Zu diesem Begriff Auer, Der privatrechtliche Diskurs, S. 28 (im Hinblick auf Kant); Menke, Kritik der Rechte, S. 9, 12 f. („Form der Rechte“); vgl. Bucher, Normsetzungsbefugnis, S. 36 ff., der das subjektive Rechte als „Rechtsformbegriff“ (in Abgrenzung zum „Rechtsinhaltsbegriff“) deutet – diese Auffassung ist aber anders gelagert als das hiesige Verständnis, da Rechtsform dort im Kontext der rechtsformalen normlogischen Denkform („Rechtsordnung als Normordnung“, aaO, S. 41 ff.) steht. 172 S. bereits zur Kritik am Begriff des subjektiven Rechts im 19. Jhd. oben S. 224 ff. sowie z.B. Schlossmann, Der Vertrag, S. 246 ff.; zu dieser Kritik auch Kasper, Das subjektive Recht, S. 86 ff., 93 ff.; zur gegenwärtigen Kritik an den subjektiven Rechten z.B. Menke, Kritik der Rechte, S. 164 ff., 175 ff.; vgl. ferner Bucher, Normsetzungsbefugnis, S. 4 ff. (zur Kritik aus der Perspektive „normativen“, d.h. nur in Normen operierenden Denkens); vgl. auch zur „Dekonstruktion“ des subjektiven Rechts Auer, Der privatrechtliche Diskurs, S. 55 ff.; Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, S. 338 ff. 173 S. dazu oben S. 257 f.
III. Subjektive Privatrechte
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der „Klagrechte“ (actiones) bzw. auf die Rechtsbehelfe (forms of action, remedies) abgestellt werden.174 Rechtshistorisch trifft es gerade nicht zu, dass jede Zivilrechtsordnung notwendig von subjektiven Privatrechten ausgeht.175 In Rechtsordnungen, die ausschließlich nach den „Klagrechten“ („selbständiges Klagrecht“)176 fragen 174 S. Bucher, Normsetzungsbefugnis, S. 17, 30 ff. (zum Gegensatz „von Aktionendenken“ und „Denken in materiellen subjektiven Rechten“); umfassend dazu Buchheim, Actio, S. 1 ff., 30 ff., ferner S. 131 ff. (zu rights und remedies); s.a. Martens, JZ 2016, 1021 ff. zur „Kontingenz“ des Rechtsbegriffs. 175 S. zur „geschichtlichen Bedingtheit des Begriffs des subjektiven Rechts“ Bucher, Normsetzungsbefugnis, S. 17, 28 ff. (der aber gleichzeitig von der „Allgemeingültigkeit“ des Begriffs subjektiver Rechte ausgeht; Allgemeingültigkeit meint dabei aber „nicht notwendigerweise allgemeine Anwendbarkeit, sondern vorerst lediglich Unabhängigkeit von einer bestimmten Rechtsordnung, wobei die Frage vorläufig offenbleibt, wie weit sich ein derartiger nach apriorischen Gesichtspunkten gebildeter Begriff zur Darstellung eines bestimmten Rechtsstoffs eignet“; Allgemeingültigkeit bedeutet danach, dass der Begriff „an jede Rechtsordnung herangetragen werden“ kann, aaO, S. 37); vgl. auch Martens, JZ 2016, 1021 ff.; Buchheim, Actio, S. 30 ff., ferner S. 95, 96, 108, 118 f., 134 f. zur „Rechtsordnungsabhängigkeit“, ob Klagerechte oder subjektive Rechte die maßgebliche Kategorie sind sowie wie das Verhältnis von materiellem und Prozessrecht ausfällt. Es hängt also von der Ausgestaltung der Rechtsordnung ab, welches Modell sie wählt. Hier wird im Folgenden der Versuch unternommen nachzuweisen, dass für das Zivilrecht das subjektiv-rechtliche Modell durch die grundgesetzlichen Vorgaben definitiv vorgegeben ist (anders für das Verwaltungs- und Verwaltungsprozessrecht Buchheim, Actio, S. 136 ff., der insoweit auch eine aktionenrechtliche Ausgestaltung für verfassungskonform hält). 176 Vgl. zu diesem Begriff Hadding, JZ 1970, 305, 310, der (im Hinblick auf die Unterlassungsklagen von Verbänden) von „selbständiger Prozeßführungsbefugnis“ im Sinne einer „aktionenrechtlichen Regelung, bei der darauf verzichtet wird, einen materiellrechtlichen Anspruch als Grundlage der Prozeßführungsbefugnis vorauszusetzen“, spricht; ähnlich auch Halfmeier, Popularklagen, S. 275 ff., 277 f. (S. 277 f.: „Damit soll in Abgrenzung zur These vom eigenen materiell-rechtlichen Anspruch des Verbandes deutlich gemacht werden, daß die Prozeßführungsbefugnis unabhängig von einer eigenen oder fremden materiellen Rechtszuständigkeit besteht. Die Bezeichnung dieser Kompetenzen als aktionenrechtlich macht auch treffend deutlich, daß weder die Popular- noch die Verbandsklage in ein System subjektiver Rechte und daraus entspringender Ansprüche eingepaßt werden kann, wie es im klassischen neuzeitlichen Privatrecht entwickelt wurde“; Fn. weggelassen). Tatsächlich zeigt sich hier nochmals die historische Diskussion um „Klagrechte“ bei Savigny und Windscheid, s. dazu oben S. 189 ff., 191 ff. Wenn hier jetzt von Klagrecht die Rede ist, dann meint das zwar das (publizistische) Klagrecht (s. dazu oben S. 193 f. sowie Simshäuser, Zur Entwicklung des Verhältnisses, S. 78 f., ferner S. 109 ff.), d.h. im Sinne eines gegen den Staat und seine Gerichte gerichteten Anspruchs auf Rechtsschutz. Allerdings geht es hier im Gegensatz zu Windscheid um ein selbständiges publizistisches Klagerecht. Bei Windscheid ist nämlich das Bestehen des Klagrechts abhängig vom vorgelagerten materiellen subjektiven Recht – es ist dessen Folge (s. dazu oben S. 193 f. sowie Simshäuser, Zur Entwicklung des Verhältnisses, S. 81). Beim „selbständigen Klagrecht“ gibt es dagegen keine vorgelagerte Ebene materieller subjektiver Privatrechte, vielmehr ergibt sich das Entscheidungsprogramm ganz aus dem Klagrecht selbst (vgl. ansatzweise dazu auch Buchheim, Actio, S. 109, s. aber auch gleich noch); s.a. noch unten S. 402 ff., 404 f. zur Unterscheidung zwischen „selbständigen“ Klagrechten im Sinne der actio und den „akzessorischen“ Klagrechten im Sinne des „Rechtsschutzanspruchs“, der Wirkung des materiell-rechtlichen Anspruchs ist und der Durchset-
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(„aktionenrechtliches Denken“), gibt es keine Ebene vorgelagerter subjektiver materieller Privatrechte.177 Die Frage, ob eine materiell-rechtliche Befugnis oder Pflicht besteht bzw. eine Handlung (materiell) rechtmäßig ist, stellt sich hier nicht oder zumindest nicht unmittelbar.178 Relevant ist nur – in gewisser Weise ähnlich dem rechtsrealistischen Ansatz179 –, ob das Gericht als Reaktion auf die Klage eine bestimmte Handlung (Verhängung einer Sanktion) vornimmt oder nicht.180 Entscheidend ist danach nicht ein die Rechtsbeziehung privater Personen betreffendes Recht („subjektives Privatrecht“), sondern der gegen den Staat gerichtete Anspruch („Klag177 zung des materiellen subjektiven Privatrechts dient. Bei letzteren hängen die Erfolgsaussichten der Klage vom Gegebensein des vom Klagrecht selbst zu trennenden subjektiven materiellen Rechts ab. Dagegen ergibt sich bei ersteren das Entscheidungsprogramm aus der actio selbst, da es kein vorgelagertes subjektives materielles Recht gibt, von dem die Erfolgsaussichten abhängen. Vgl. aber auch Buchheim, Actio, S. 118 f., 134 f. zu einem Begriff der actio, der auf Durchsetzung materieller subjektiver Rechte zielen und insofern mit dem materiell-rechtlichen Denken vereinbar sein soll. Hiervon wird die „rein aktionenrechtliche“ Ausgestaltung unterschieden, bei der es keine materiellen subjektiven Rechte gibt (aaO, S. 95, 96). Auch wenn nach diesem Begriff die actio mit dem Denken in materiellen subjektiven Rechten vereinbar sein soll, zeigt sich doch ein Unterschied darin, dass das Entscheidungsprogramm der actio selbständig ist und gerade nicht durch die materiellen subjektiven Rechte determiniert wird (aaO, S. 106 ff., 109: „Nichtsdestoweniger beruht die actio auf eigenen Normen und ist damit vom Inhalt der materiellrechtlichen Normen unabhängig“; Fn. weggelassen). Der jeweilige Rechtsinhalt der actio muss daher nicht „inhaltsgleich“ mit dem subjektiven materiellen Recht sein (aaO, S. 119; anders als beim Anspruch, der folglich nach dieser Konzeption nicht mehr als eigenständige Kategorie erforderlich und damit obsolet ist). D.h. nach diesem Modell gibt es zwar neben der actio auch subjektive materielle Rechte, allerdings ist das gerichtliche Ergebnis, das durch die actio erreicht wird, hierdurch nicht (vollständig) vorgegeben (s. entsprechend auch Buchheim, Actio, S. 111 zur actio: „Sie dient zumeist, aber nicht begriffsnotwendig, der Konkretisierung und Bewehrung des materiellen Rechts, insbesondere materieller subjektiver Rechte“). 177 Vgl. Bucher, Normsetzungsbefugnis, S. 30 ff.; zum aktionenrechtlichen Denken s.a. Wendelstein, Pflicht und Anspruch, S. 73 ff., 87 ff. mit Verweis (u.a.) auf Pawlowski, Allgemeiner Teil, Rn. 326 ff.; s. aber auch Buchheim, Actio, S. 27 ff., 34, 118 – kritisch zu einer Interpretation des aktionenrechtlichen Ansatzes im Sinne einer Unvereinbarkeit mit der Kategorie subjektiver materieller Rechte (S. 34: „Das Vorurteil, das Denken in prozessualen Kategorien wie actio oder exceptio sei mit der Vorstellung materieller subjektiver Rechte unvereinbar, erweist sich deshalb bereits beim Blick auf das klassisch-römische Recht als falsch“). Allerdings ist die Folge bei Buchheim, dass der Zusammenhang von actio und durchzusetzendem materiellem subjektivem Recht gelockert wird, beide müssen nicht „inhaltsgleich“ sein (aaO, S. 119; s.a. die Fn. zuvor). Dass es in einer „rein aktionenrechtlich“ organisierten Rechtsordnung keine subjektiven materiellen Rechte gibt, wird auch von Buchheim (Actio, S. 95, 96) konzediert. 178 Vgl. Bucher, Normsetzungsbefugnis, S. 31 („Denken in subjektiven Rechten ist Denken in Normen, das Aktionendenken ist ein Denken in Sanktionen“). 179 S. dazu oben S. 271 f., 275 ff., 289 ff. 180 Vgl. Bucher, Normsetzungsbefugnis, S. 30 f., ferner S. 190; s. zum aktionenrechtlichen Ansatz auch Buchheim, Actio, S. 100 ff.; Hofmann, Der Unterlassungsanspruch, S. 126 ff. (auch zur Nähe zum rechtsrealistischen Denken).
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recht“), dass das angerufene Gericht einer Klage bei Vorliegen der Klagevoraussetzungen stattgeben wird.181 Folge eines rein aktionenrechtlichen Denkens ist, dass es kein Recht außerhalb des Gerichts gibt. Das Rechtliche erschöpft sich darin zu bestimmen, ob der Richter bei Erhebung einer Klage dieser stattgeben muss oder nicht.182 Eine Infragestellung der Form subjektiver Rechte ergibt sich ferner im Haftungsrecht, worauf später noch näher einzugehen sein wird.183 Der Vorstellung, dass das Haftungsrecht auf der Verletzung subjektiver Rechte gründet184, werden Haftungsmodelle entgegengehalten, die zur Haftungsbegründung ausschließlich an die Verletzung von (Verhaltens-)Pflichten anknüpfen und insoweit die subjektiven Privatrechte aus dem Haftungsrecht verdrängen.185 Verschwindet das subjektive Privatrecht aus dem Haftungsrecht und wird zugleich das Anspruchsdenken durch ein aktionenrechtliches Modell ersetzt, dann erscheint letztlich auch das subjektive Privatrecht obsolet.186 b) Der Streit um den Begriff des subjektiven Rechts Die Kategorie subjektiver Rechte wird auch noch aus einer anderen Perspektive herausgefordert. Diese ist ursprünglich vor allem mit Jhering187 verbunden 181 Vgl. Buchheim, Actio, S. 100 ff. (S. 100: actio als „die von einer Rechtsnorm eingeräumte Möglichkeit (i.e. ein subjektives Recht mit dem Inhalt), ein Gericht zur Setzung oder Kassation einer individuellen Norm zu bestimmen“), ferner S. 103 („Recht auf eine bestimmte gerichtliche Entscheidung“); Bucher, Normsetzungsbefugnis, S. 30 f., 190; s. ferner zum Begriff des Klagrechts und den Unterschieden zum subjektiven Privatrecht Hellwig, Anspruch und Klage, § 22, S. 145, 147 ff.; zu den unterschiedlichen Verständnismöglichkeiten des Begriffs „Klagrecht“ auch Portmann, Wesen und System der subjektiven Privatrechte, S. 87 ff. Zwar ist auch das Klagrecht ein subjektives Recht (s. Buchheim, Actio, S. 101 f. zur actio). Vom subjektiven Privatrecht unterscheidet sich das Klagrecht aber dadurch, dass der hierdurch Verpflichtete nicht eine private Person, sondern der Staat bzw. das Gericht ist, das eine gegen eine andere private Person gerichtete Handlung vornehmen soll (zu Letzterem s.a. Buchheim, Actio, S. 102). Insofern könnte man begrifflich zwischen Klagrechten und subjektiven Privatrechten differenzieren (s.a. Buchheim, Actio, S. 118 f., der zwischen actio als „Gerichts-gerichtetem subjektivem Recht“ und „subjektivem Recht im materiellen Rechtsverhältnis“ unterscheidet). 182 Vgl. Bucher, Normsetzungsbefugnis, S. 30 f. (S. 31: „Das Aktionendenken hält sich mehr an das Schaubare, Konkrete und stellt pragmatisch fest, was für Rechtsbehelfe in einem bestimmten Fall zur Verfügung stehen, Rechtsbehelfe, die ihrerseits in äußerlich wahrnehmbaren Vorgängen manifestiert werden“). Dies weist natürlich deutlich realistische Spuren auf, s. dazu oben S. 267 ff., 271 f., 275 ff.; vgl. zu dieser Gerichtsbezogenheit des aktionenrechtlichen Ansatzes auch Buchheim, Actio, S. 102, 106 f., 108 (allerdings gilt dies wiederum nur im Hinblick auf einen rein aktionenrechtlichen Ansatz, s. dazu zuvor bereits Fn. 176). 183 S. dazu unten S. 465 ff., 469 ff. 184 S. dazu oben S. 132 ff., 206 ff. aus rechtshistorischer Perspektive. 185 S. zu dieser Entwicklung kritisch Picker, Privatrechtssystem, S. 60 ff., 67 ff., 441; s. ferner Jansen, Haftungsrecht, S. 474 f. zu dieser „Krise des absoluten Rechts“. 186 Vgl. dazu unten noch S. 465 ff., 469 ff., 474. 187 S. dazu oben S. 224 ff.
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und betrifft die inhaltliche Begriffsbestimmung. Sind subjektive Rechte zur Verwirklichung von Freiheit und Willen da oder dienen sie als Reflex des objektiven Rechts188 der Durchsetzung gesellschaftlicher Interessen?189 Diese Frage verweist auf den Begriff des subjektiven Rechts.190 Hier steht die Willenstheorie, die das Wesen des subjektiven Rechts in einer Willensmacht sieht191, der durch Jhering geprägten Interessentheorie192 gegenüber. Ergänzt wird das Spektrum heute vertretener Meinungen193 durch die wohl vorherrschende Kombinationstheorie, die Willens- und Interessentheorie zu kombinieren versucht.194 Daneben steht die Zuordnungstheorie, die das Wesen subjektiver Rechte in der Güterzuordnung erblickt.195 Wirkung der Güterzuordung durch das objektive Recht ist das subjektive Recht der Person, der das Gut zugeordnet ist; kraft dieser Zuordnung ist die Person befugt, das Gut unter Ausschluss anderer Personen entsprechend dem Zuordnungsinhalt zu nutzen.196 Ferner ist die Imperativen- bzw. Reflextheorie anzuführen, nach der das subjektive Recht des einen reflexiv aus den erzwingbaren Pflichten des anderen hervorgeht und die Pflichten („Gebote“) ihrerseits ausschließlich Produkt gesetzgeberischer Anordnung, d.h. des objektiven Rechts sind.197 Das Wesen subjektiver Rechte geht in der aus der Nichterfüllung der Pflichten resultierenden Klagebefugnis des Berechtigten auf.198 Schließlich wurde die The188
Zur „Reflextheorie“ s. sogleich noch. S. oben S. 224 ff. zu Jhering; s. Jhering, Der Geist des römischen Rechts, S. 307 ff.; ders., Der Zweck im Recht, S. 430 ff., 455; s. dazu auch Buchheim, Actio, S. 57 ff. 190 Zur Aktualität dieser Auseinandersetzung zwischen Willens- und Interessentheorie im Hinblick auf das private law enforcement s. Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, S. 372. 191 S. dazu oben S. 185 f. sowie etwa Windscheid, Lehrbuch des Pandektenrechts, 6. Aufl., § 37, S. 99. 192 S. dazu oben S. 24, 224 ff. sowie Jhering, Geist des römischen Rechts, S. 317. 193 Für einen Überblick über die verschiedenen Theorien s. etwa Fezer, Teilhabe und Verantwortung, S. 216 ff., 221 ff., 335 ff.; Ost, Die Zuordnung als Kriterium des subjektiven Rechts, S. 6 ff.; Portmann, Wesen und System der subjektiven Privatrechte, S. 12 ff.; Vonlanthen, Wesen des subjektiven Rechts, S. 10 ff., 28 ff. 194 S. ursprünglich etwa Bekker, System des heutigen Pandektenrechts, Beilage I zu § 18, S. 49; Regelsberger, Pandekten, § 14, S. 76; s. dazu oben bereits S. 24; ferner dazu auch Kasper, Das subjektive Recht, S. 49 ff. 195 Esser, Grundbegriffe, § 73, S. 153; Ost, Die Zuordnung als Kriterium des subjektiven Rechts, S. 24 ff.; (zum Eigentum/Sachenrecht) Westermann, BGB-Sachenrecht, § 1, I.1; I.3; in diese Richtung auch bereits Dernburg, Pandekten, § 39, S. 84 f. 196 Ost, Die Zuordnung als Kriterium des subjektiven Rechts, S. 25, 40 („[…] die Zuordnung eines Gutes an eine Person, also als eine im rechtlichen Umfang vieler Abstufungen fähige Zugehörigkeitsbeziehung zwischen einer Person und einem Gut, kraft deren die Person das Gut unter Ausschluß der übrigen Rechtsgenossen – je nach dem rechtlichen Umfang der Beziehung umfassend oder begrenzt – nutzen kann“); s.a. Esser, Grundbegriffe, § 73, S. 153. 197 S. dazu oben bereits S. 238 ff. sowie Thon, Rechtsnorm, S. 133, 175 ff., 218, 223 ff. 198 S. zur Zentralität des Rechtsschutz- bzw. Klagemoments bei Thon Buchheim, Actio, S. 59; Kasper, Das subjektive Recht, S. 78 f.; ferner Portmann, Wesen und System der subjektiven Privatrechte, S. 17 f. 189
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orie der Normsetzungsbefugnis entwickelt, die aus rechtsformaler Perspektive von einem rein „normativen Denken“ ausgeht und in subjektiven Rechten Befugnisse Privater erblickt, von der Rechtsordnung anerkannte Normen zu erzeugen.199 Beide hier adressierten Fragen – Form subjektiver (Privat-)Rechte, Begriff des subjektiven Rechts – sind dabei keine rein rechtstheoretischen, sondern erhalten ihre Relevanz für die rechtliche Gegenwart durch die Idee des private law enforcement.200 Einerseits scheint hier ein aktionenrechtliches Denken besonders geeignet, die typischen Instrumente des private law enforcement angemessen abzubilden, für die die Form subjektiver Privatrechte nicht passend zu sein scheint.201 Andererseits wird in diesem Kontext ein pflichtenbezogener Ansatz zentral.202 Mit diesen Entwicklungen steht in Einklang, dass das subjektive Recht aus rechtstheoretischer Perspektive generell als „dekonstruiert“ angesehen wird.203
2. Verfassungsrechtliche Vorgaben Die Frage, ob die Form subjektiver Privatrechte dem positiven Zivilrecht kraft Verfassung vorgegeben ist, war soweit ersichtlich bislang weder Gegenstand 199
S.a. Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 253 (S. 140 f.) („[…] liegt das Wesen des subjektiven Rechtes, das mehr als der bloße Reflex einer Rechtspflicht ist, darin, daß eine Rechtsnorm einem Individuum die Rechtsmacht verleiht, die Nichterfüllung einer Rechtspflicht durch Klage geltend zu machen“). Kelsen sieht das subjektive Recht also nicht als Reflex der Rechtspflicht. Vielmehr geht das subjektive Recht insoweit über den Reflex der Pflicht hinaus, als dass der Inhaber des subjektiven Rechts mit der Rechtsmacht, Klage zu erheben ausgestattet ist. Das Spezifikum des subjektiven Rechts, das dieses vom Reflex der Pflicht unterscheidet, liegt also in der Verleihung der Rechtsmacht; zu dieser Position s.a. Aicher, Eigentum als subjektives Recht, S. 24 ff. (zu Kelsen und Thon sowie zur Unterschiedlichkeit ihrer Positionen); Portmann, Wesen und System der subjektiven Privatrechte, S. 17 f.; Vonlanthen, Wesen des subjektiven Rechts, S. 47 ff. (zu Kelsen); Buchheim, Actio, S. 76 (zu Thon). 199 S. Bucher, Normsetzungsbefugnis, S. 7 ff., 13 (zur „normativen Rechtsauffassung“), 55 ff.: Erst wenn die subjektiven Rechte durch die Rechtsinhaber ausgeübt werden („Anspruchserhebung“), entstehen „aktuelle Pflichten“ im Sinne von Verhaltenspflichten. Der durch Ausübung des subjektiven Rechts erwachsene „Anspruch“ ist eine „Rechtsnorm“, die Verletzung subjektiver Rechte ist „Normverletzung“. Die subjektiven Rechte bewirken eine „Delegation“ (aaO, S. 56, 60), kraft derer der Rechtsinhaber Rechtsnormen setzen kann; zu Bucher auch Aicher, Eigentum als subjektives Recht, S. 29 ff.; Kasper, Das subjektive Recht, S. 143 ff. 200 S. dazu unten S. 416 ff.; vgl. zu diesen Friktionen auch Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, S. 372 ff. 201 S. dazu unten S. 419 ff., 424 ff.; dazu, dass die subjektiven Privatechte generell in einer „folgenorientierten Privatrechtstheorie“ nicht erforderlich sind, Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, S. 374 f. 202 S. dazu unten S. 422 ff.; vgl. Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, S. 373 f. 203 Vgl. Auer, Der privatrechtliche Diskurs, S. 55 ff.; ferner Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, S. 340 ff.
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der Rechtsprechung des BVerfG noch sonst explizit thematisiert worden.204 Im Ausgangspunkt ist zu konstatieren, dass für das Grundgesetz die „Form“ subjektiver Rechte zentrale Bedeutung hat, wie sich insbesondere im Grundrechtskatalog zeigt.205 Dass die Kategorie subjektiver Rechte nicht nur für das Verhältnis Bürger-Staat, sondern auch für das Verhältnis privater Personen zueinander relevant ist, zeigt sich in Art. 2 Abs. 1 GG206: „Jeder hat das Recht auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt […]“. Dass die Grundrechte Bedeutung für die Ausgestaltung des Rechts zwischen Privaten haben, ergibt sich ferner aus der Schutzpflichtendimension und der Ausgestaltungsbedürftigkeit der Grundrechte sowie den Institutsgarantien.207 Sagt man etwa, dass der Gesetzgeber verpflichtet ist, das Grundrecht auf Leben, Gesundheit, Eigentum etc., das allgemeine Persönlichkeitsrecht208 oder die Vertragsfreiheit durch Schaffung von privatrechtlichen Normen auszugestalten209, dann ist Ziel und Rahmen dieser Ausgestaltung – die Konkretisierung subjektiver Individualrechte – bereits grundgesetzlich vorgegeben.210 Besonders deutlich zeigt sich dies im Bereich des Eigentums, wo eine Institutsgarantie des „Privateigentums“ angenommen wird.211
204 S. demgegenüber für das Verwaltungsrecht Buchheim, Actio, S. 136 ff. zur verfassungsrechtlichen Zulässigkeit einer „aktionenrechtlichen Rekonstruktion“. 205 S. zu den Grundrechten als subjektiven Rechten Hesse, Verfassungsrecht, Rn. 283 ff.; Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 159 ff.; s. ferner Kasper, Das subjektive Recht, S. 5. 206 Vgl. dazu etwa Maunz/Dürig/Di Fabio, Art. 2 Rn. 44; dazu, dass Art. 2 Abs. 1 GG insoweit auch Privatrechte meint, s. Laufke, in: Nipperdey (Hrsg.), FS Lehmann, S. 145, 169. 207 S. dazu oben S. 344 ff., 349 ff.; vgl. auch Nipperdey, Grundrechte und Privatrecht, S. 13 f. 208 Zum grundrechtlichen Schutzauftrag für das allgemeine Persönlichkeitsrecht s. etwa BVerfG NJW 2006, 595. 209 S. dazu oben S. 349 ff. 210 Vgl. auch BVerfGE 88, 203, 254 f. (Die Reichweite der Schutzpflicht „ist vielmehr im Blick auf die Bedeutung und Schutzbedürftigkeit des zu schützenden Rechtsguts […] einerseits und mit ihm kollidierender Rechtsgüter andererseits zu bestimmen […]. Als vom Lebensrecht des Ungeborenen berührte Rechtsgüter kommen dabei […] vor allem ihr Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 GG) sowie ihr Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 GG) in Betracht. […] Die Verfassung gibt den Schutz als Ziel vor […]“; „Rechtlicher Schutz bedingt, daß das Recht selbst Umfang und Grenzen zulässigen Einwirkens des einen auf den anderen normativ festlegt […]“). 211 Zur Institutsgarantie des Privateigentums BVerfGE 24, 367, 389 („Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG gewährleistet das Privateigentum sowohl als Rechtsinstitut wie auch in seiner konkreten Gestalt in der Hand des einzelnen Eigentümers“); 31, 229, 241; s.a. Maunz/Dürig/Papier/ Shirvani, Art. 14 Rn. 118 ff., 121 („Garantie des Privateigentums als Rechtseinrichtung“).
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3. Orientierungslinien normativer Ausgestaltung a) Subjektives Recht und Klagrecht Nichtsdestotrotz gilt, dass alleine daraus, dass das Grundgesetz für die Grundrechte die Form subjektiver (öffentlicher) Rechte vorsieht212, noch nicht zwingend folgen muss, dass auch das Privatrecht in der Form subjektiver Rechte operieren muss.213 Sieht man etwa die realistische Auffassung von rights214 oder Ansätze, die das Verwaltungsrecht „aktionenrechtlich rekonstruieren“ wollen215, könnte man auch für das Zivilrecht vertreten, dass es nicht auf die Form materieller subjektiver Privatrechte ankommt. Stattdessen wäre maßgeblich, ob die ausschließlich relevanten Klagrechte im Ergebnis dem entsprechen, was aus den grundrechtlichen Vorgaben folgt – unabhängig davon, ob es eine vorgelagerte Ebene materieller subjektiver Privatrechte tatsächlich gibt.216 Beispielsweise könnte man sagen, dass es nicht darauf ankommt, ob § 823 Abs. 1 BGB von subjektiven absoluten Privatrechten ausgeht217 und bei deren schuldhafter rechtswidriger Verletzung die Entstehung eines Schadensersatzanspruchs anordnet. Entscheidend wäre stattdessen, dass das Gericht als Reaktion auf bestimmte deliktische Handlungen ein dem Schadensersatzbegehren entsprechendes Urteil fällt, das den Kläger zur zwangsweisen Vollstreckung ermächtigt – unabhängig, ob es außer-gerichtlich so etwas wie ein materielles subjektives Privatrecht gibt.218 Oder im Fall von Verträgen könnte 212 Dazu Hesse, Verfassungsrecht, Rn. 283 ff.; Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 159 ff.; ferner auch Nipperdey, Grundrechte und Privatrecht, S. 13. 213 Zu dieser Frage aus der Literatur (für eine entsprechende Notwendigkeit) Henke, Subjektives öffentliches Recht, S. 121; Wendelstein, Pflicht und Anspruch, S. 31 ff.; vgl. wohl kritisch dazu Buchheim, Actio, S. 94 Fn. 297. S. ansatzweise aber auch Stürner, in: Prütting (Hrsg.), FS Baumgärtel, S. 545, 546 („Individualrechtsschutz als zentraler Prozeßzweck entspricht der zentralen Bedeutung der Grundrechte als Individualrechte in der deutschen Verfassung“); s. ferner zur Notwendigkeit der Unterscheidung von Grundrechten und subjektiven Privatrechten auch Canaris, AcP 184 (1984), 201, 231, da andernfalls eine „unmittelbare Drittwirkung“ vorliegen würde. 214 S. dazu oben S. 271 f., 275 ff.; zur Nähe der realistischen Auffassung zum aktionenrechtlichen Denken auch Fezer, Teilhabe und Verantwortung, S. 312 f.; zu einer rechtstheoretischen Begründung des Eigentums s. Rödl, Gerechtigkeit, S. 214 ff. 215 Buchheim, Actio, S. 1 ff. et passim. Allerdings ist hier zu berücksichtigen, dass diese Argumentation vor dem Hintergrund erfolgt, dass es im Gegensatz zum Zivilrecht kein positiv-rechtliches System verwaltungsrechtlicher subjektiver Rechte gibt; normativ gegeben ist das Verwaltungsprozessrecht in seiner Grundstruktur (vgl. Buchheim, aaO, S. 2 zum aktionenrechtlichen Ansatz: „Er holt die Verwaltungsrechtslehre dort ab, wo sie sich befindet […]“; ferner umfassend zu den dem Verwaltungsrecht immanenten Gründen für eine aktionenrechtliche Ausgestaltung, aaO, S. 174 ff.). 216 Vgl. in diese Richtung im Hinblick auf Art. 19 Abs. 4 GG für das Verwaltungs(prozess)recht Buchheim, Actio, S. 165 ff., 170 ff., 245 ff., 256 ff. – s. aber auch aaO, S. 165, wonach „ein rein aktionenrechtliches Systen […] ausgeschlossen“ wäre. 217 Zu dieser Frage unten noch S. 465 ff., 469 ff. 218 Zu dieser Gegenüberstellung auch Fezer, Teilhabe und Verantwortung, S. 312 f. (im Hinblick auf den schwedischen Rechtsrealismus); vgl. auch Wendelstein, Pflicht und An-
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man sich auf den Standpunkt stellen, dass Wirkung des Vertrags selbst nicht die Entstehung subjektiver Rechte und Pflichten der Vertragsparteien ist. Vielmehr wäre aus Perspektive der Privatautonomie entscheidend, dass bei Nichterfüllung des Vertrages der Vertragsschließende vor Gericht den nicht-erfüllenden Vertragspartner erfolgreich auf Erfüllung verklagen kann.219 Maßgebend ist dann das gegen den Staat und Gericht gerichtete Klagrecht220, nicht ein vorgelagertes zwischen den Parteien bestehendes materielles subjektives Privatrecht. b) Die Grundlage subjektiver Rechte: Person, Wille und (Willens-)Freiheit aa) Die Notwendigkeit subjektiver Privatrechte (1) Subjektives Recht und Person Allerdings steht die Form subjektiver Rechte nicht isoliert da, sondern ist im Kontext von Person221, Freiheit und Wille222 zu sehen. Personsein und Menschenwürde erfordern, dass es so etwas wie subjektive Rechte gibt.223 Es gibt das aus der Menschenwürde abgeleitete „Recht, Rechte haben zu können“.224 Die Kategorie der Person bedingt die Kategorie der subjektiven Rechte; Person, Rechtssubjekt und subjektives Recht sind insoweit interdependent.225 219 spruch, S. 87 f.; Hofmann, Der Unterlassungsanspruch, S. 127. S. aber auch noch Hadding, JZ 1970, 305, 308, der etwa davon ausgeht, dass es keinen Unterlassungsanspruch ohne eigenes Recht gibt, das durch den Unterlassungsanspruch gegen Verletzung geschützt werden soll. Aber natürlich kann der Gesetzgeber rein konstruktiv auch materiell-rechtliche Unterlassungsansprüche ohne eigenes betroffenes Recht schaffen. 219 Vgl. dazu (kritisch) Wendelstein, Pflicht und Anspruch, S. 87 f.; ferner dazu unten noch näher S. 461 ff. 220 Zu diesem Begriff s. oben bereits S. 388 ff. 221 Vgl. zum Zusammenhang von subjektivem Recht und Person Fezer, Teilhabe und Verantwortung, S. 233 („Die Imperativentheorie erschwert den Zugang zu der anthropologischpersonalen Funktion des Rechts, deren Wirkungsweise erst das subjektive Recht als Ausdruck des Personseins im Recht verstehbar macht“), ferner S. 246 ff. („Subjektives Recht und ethischer Personalismus“), 365 f.; Larenz, Methodenlehre, S. 456. 222 Zum notwendigen Zusammenhang von Wille und subjektivem Recht s. gleich noch S. 399 sowie Bucher, Normsetzungsbefugnis, S. 20, 56 f., 66 f. (wenngleich Bucher einen anderen Rechtsbegriff zugrundelegt). 223 S. Coing, Der Rechtsbegriff der menschlichen Person, S. 191, 205; zum Zusammenhang von Person und subjektivem Recht ferner Fezer, Teilhabe und Verantwortung, S. 233, 246 ff., 365 f. (S. 365 f.: „Die Schrankenbildung darf den Wesensgehalt der subjektiven Privatrechte nicht berühren“; „Unabdingbarkeit […] des Kernbereichs eines subjektiven Privatrechts“); vgl. v. Lübtow, in: Bickel (u.a.) (Hrsg.), Recht und Rechtserkenntnis, S. 421, 456 („Das subjektive Recht wurzelt in der Würde des Menschen, die im Art. 1 Abs. 1 des Bonner Grundgesetzes als Zentralwert der Rechtsordnung anerkannt ist und auch den handlungsunfähigen Personen zukommt“). 224 S. oben S. 368 sowie Arendt, Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft, S. 614; vgl. auch Coing, Der Rechtsbegriff der menschlichen Person, S. 191, 205. 225 S. dazu oben bereits S. 365 ff., 368; vgl. zur Frage nach dem Verhältnis von Person und subjektivem Recht, insbesondere zu den Ansätzen, die den Begriff der Rechtsperson aus dem
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Leitet man mit dem BVerfG aus der Menschenwürde die Rechtssubjektqualität des Menschen ab226 und erblickt in Art. 1 Abs. 1 S. 1 GG das „Recht, Rechte haben zu können“227, dann kann man hieraus schließen, dass auch dem (Zivil-)Recht, d.h. für das Verhältnis privater Personen zueinander228 die Form subjektiver Rechte vorgegeben ist.229 Zu behaupten, der Mensch sei nicht als Person Träger subjektiver Rechte und Pflichten, sondern lediglich berechtigt, bei Erfüllung bestimmter Voraussetzungen Klage zu erheben, bedeutet letztlich die Negation des Personseins des Menschen für das Zivilrecht.230 Zugespitzt ausgedrückt wäre er dann „Kläger“ oder „Partei“231, aber nicht „Person“. (2) Subjektives Recht als rechtliche Wirkform der Person Gleichzeitig erfordert die Anerkennung der Eigenwirksamkeit und Kausalität der Person232 für das Verhältnis privater Personen zueinander die Form subjektiver Rechte, da diese den Gegenstand der Aktivität der Person bil226 Begriff des subjektiven Rechts ableiten, John, Quaderni Fiorentini 11/12 (1982/83), 947, 948 ff.; s.a. Altwicker, in: Gröschner/Kirste/Lembcke (Hrsg.), Person und Rechtsperson, S. 225, 233. 326 Vgl. BVerfGE 30, 1, 27 („Zwar verlangt die Rücksicht auf die Subjektqualität des Menschen normalerweise, dass er nicht nur Träger subjektiver Rechte ist […]“); 115, 118, 153 f. („Subjektqualität“; „Status als Rechtssubjekt“). 227 S. oben S. 368. 228 Dieser Aspekt ist zentral: Zwar sind auch die Klagrechte subjektive Rechte (Buchheim, Actio, S. 101 f.), allerdings betreffen diese nur eine Beziehung des Privaten zum Staat bzw. zum Gericht (Buchheim, Actio, S. 102 f., 110). Anders dagegen die subjektiven Privatrechte, die die Rechtsbeziehung zwischen Personen betreffen. Würde man regeln, dass es subjektive Rechte nur in Gestalt gegen den Staat gerichteter Klagrechte gibt, dann hätte dies zur Folge, dass die Beziehung zwischen privaten Personen eben nicht rechtlich ausgestaltet wäre und dass die privaten Personen nicht rechtlich miteinander kommunizieren könnten – genau dem steht aber das Personsein entgegen, vgl. dazu oben S. 388 ff. sowie gleich noch S. 406 ff. 229 Vgl. ansatzweise dazu Dürig, in: Maunz (Hrsg.), FS Nawiasky, S. 157, 164 („Jede, wie es geboten ist, bei Art. 1 I mit Art. 2 I einsetzende Betrachtung zwingt nach wie vor von Verfassungs wegen zur Anerkennung des Menschen als eines Privatrechtssubjekts […]. Von diesem Ausgangspunkt her gesehen, hat somit nach wie vor die überwiegende Meinung recht, wenn sie dualistisch konstruiert, indem sie in den Grundrechten im Allgemeinen gegen den Staat gerichtete subjektive öffentliche Rechte sieht und in der Drittrichtung zivilrechtlich eigenständige Privatrechte wirken lässt“; Fn. weggelassen). 230 Vgl. Vonlanthen, Wesen des subjektiven Rechts, S. 113 („Mit der Rechts- und Handlungsfähigkeit machen nämlich die subjektiven Rechte den eigentlichen Wesensgehalt der Person in der Welt des Rechtlichen aus. Ohne sie erweist sich dieses als ein buchstäbliches juristisches Nichts.“). 231 Vgl. Hoffmann, Zession und Rechtszuweisung, S. 43 („Stellte man primär auf die Pflicht ab und verstünde man das Privatrecht im Sinne einer reinen Verhaltensordnung, würde der Einzelne zum Agenten des Allgemeinwohls gemacht und das Privatrecht letztlich vollständig in das öffentliche Recht integriert. Der Gedanke der Rechtszuweisung als Eckpfeiler der Privatrechtsordnung ist unentbehrlich, um eine totale Entwertung des Einzelnen innerhalb der Gemeinschaft zu verhindern“; Fn. weggelassen). 232 S. dazu oben S. 370 ff.
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7. Kapitel: Die Entwicklung der Konstituenten in der Gegenwart
den.233 Der rechtliche Wirkbereich von Wille und Person sind Rechtsverhältnisse, d.h. subjektive Rechte und Pflichten.234 Damit korrespondiert es, wenn das BVerfG das Wesen der Privatautonomie in der „Gestaltung der Rechtsverhältnisse durch den Einzelnen nach seinem Willen“ sieht.235 Um ihre Aktivität236 und Eigenwirksamkeit entfalten zu können, bedarf die Person eines Gegenstands, den sie gestalten kann: Die Rechtsverhältnisse bzw. die subjektiven Rechte.237 In dieser doppelten Begründung der Notwendigkeit subjektiver Privatrechte zeigen sich auch die beiden Dimensionen des Personbegriffs: zum einen die „statische“, die die Rechtssubjektqualität der Person reflektiert; zum anderen die „dynamische“, die die rechtliche Eigenwirksamkeit der Person artikuliert.238 Weil der Mensch kraft der Menschenwürde Person ist, muss er in seiner Beziehung mit anderen Personen „Rechte haben“ und „rechtlich handeln“ können.239 Hieraus ergibt sich die Notwendigkeit subjektiver Privatrechte. Es gibt folglich eine aus Art. 1 Abs. 1 GG folgende Institutsgarantie subjektiver Privatrechte.240 Dass eine Institutsgarantie subjektiver Privatrechte besteht, bedeutet nichts anderes, als dass bei der Ausgestaltung der Privatrechtsord233 Vgl. zu diesem Flexibilisierungsaspekt des subjektiven Rechts, der für die Privatautonomie von Bedeutung ist, auch Aicher, Eigentum als subjektives Recht, S. 23 („Wie keine andere rechtliche Grundkategorie ist das subjektive Recht in der Lage, die […] Tatsache, daß eine auf der Privatautonomie aufbauende Rechtsordnung nicht alle rechtlichen Anordnungen selber treffen kann, sondern dem Einzelnen einen Lebensbereich zuordnet, innerhalb dem der Einzelne zu einer von seinem Willen abhängigen rechtlich relevanten Gestaltung ermächtigt ist, darzustellen“); ferner bereits Zitelmann, Irrtum und Rechtsgeschäft, S. 245, 226 f. 234 Vgl. bereits zum Zusammenhang von rechtlicher Kausalität und subjektiven Rechten Endemann, Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts, § 58, S. 248 („Die aufgrund eines juristischen Thatbestandes eintretenden Rechtswirkungen können civilrechtlich nur in der Form der subjektiven Berechtigungen sich äußern“); ferner auch Flume, Allgemeiner Teil, § 2,2; § 4,5; s. unten noch zum Vertragsrecht S. 454 ff. 235 BVerfGE 72, 155, 170; 89, 214, 231. 236 Vgl. auch Bucher, Normsetzungsbefugnis, S. 17, der durch seine Normsetzungsbefugnistheorie den subjektiven Rechten über eine „statische Größe“ auch „einen dynamischen oder funktionalen Gehalt“ zukommen lässt, „da das subjektive Recht nicht mit dem Bestand einer festen objektiven Verhaltensnorm zusammenfällt, sonder eine Möglichkeit der Normerzeugung durch den Berechtigten bezeichnet“. 237 Vgl. Zitelmann, Irrtum und Rechtsgeschäft, S. 245, 226 f.; s. ferner auch Imhof, Obligation, S. 45, 97 f.; zu diesem Gedanken in rechtshistorischer Hinsicht bereits oben S. 172 ff., 197 ff. 238 S. dazu oben S. 370 ff. 239 S. dazu oben S. 368, 370 ff. 240 Vgl. ansatzweise Fezer, Teilhabe und Verantwortung, S. 365 f. („Die Schrankenbildung darf den Wesensgehalt der subjektiven Privatrechte nicht berühren“; „Unabdingbarkeit […] des Kernbereichs eines subjektiven Privatrechts“); zur Institutsgarantie des (Privat-)Eigentums s. BVerfGE 124, 367, 389; 31, 229, 241; 50, 290, 339, 344; 100, 226, 241; s.a. Maunz/Dürig/Papier/Shirvani, Art. 14 Rn. 118 ff., 121; s. ferner Mager, Einrichtungsgarantien, S. 188, 410 f.
III. Subjektive Privatrechte
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nung im Hinblick auf bestimmte Gegenstände die Form subjektiver Privatrechte definitiv vorgegeben ist.241 Allerdings sind damit weder eine konkrete oder inhaltliche Begriffsbestimmung noch bestimmte Wirkungen notwendig vorgegeben. Wenn im Folgenden näher auf den Inhalt und die Wirkungen subjektiver Rechte eingegangen wird, dann soll dies nicht den Begriff der subjektiven Privatrechte determinieren, sondern mögliche Begriffsbestimmungen und Dimensionen des subjektiven Privatrechts im Sinne einer Annäherung aufzeigen. bb) Rechtsinhalt, Zuordnung und Disposition Der Bezug des subjektiven Rechts zu Wille, Person und Freiheit hat jedenfalls Auswirkungen auf den Inhalt des subjektiven Rechts. Subjektives Recht kann als eine rechtliche Befugnis umschrieben werden.242 Inhalt des subjektiven Rechts („Rechtsinhalt“243) ist ein „Freiraum“.244 Der Wille ist das Vermögen der Person, diesen Freiheitsraum auszufüllen und zu gestalten sowie andere Personen von diesem Freiheitsraum auszuschließen.245 Durch das subjektive Recht werden dem Rechtsinhaber Güter246 bzw. – im Hinblick auf diese Güter – Freiheitsräume rechtlich zugeordnet (Zuweisungsfunktion)247, welche diesen zur Vornahme von Handlungen berechti241
Dazu, welche Gegenstände das sind, s. unten noch S. 414 f. S. dazu oben S. 23 f. 243 Zu diesem Begriff (menschliches Verhalten im Sinne von „Tun, Dulden oder Unterlassen“ als „Rechtsinhalt“) Imhof, Obligation, S. 33; Imhof (aaO, S. 33) unterscheidet zwischen unmittelbarem („Rechtsinhalt“) und mittelbarem Gegenstand („Rechtsobjekt“); vgl. ferner zum Begriff „Rechtsinhalt“, wenngleich teilweise anders, Bucher, Normsetzungsbefugnis, S. 132, 156 ff. 244 S. nur Picker, Privatrechtssystem, S. 49 („Freiraum“); Buchheim, Actio, S. 71 („Der dergestalt einer Person zugeordnete Rechtsinhalt markiert ihren rechtlichen Freiraum“), ferner S. 40 (im Hinblick auf Savigny: „Wesen“ des subjektiven Rechts als „ein dem Einzelnen zugeordneter Freiraum“); vgl. auch Wilhelmi, Risikoschutz, S. 20 („Freiheitsgewähr durch Zuweisung subjektiver Rechte“). 245 Vgl. zum Zusammenhang von Wille und subjektivem Recht, wenngleich aus Perspektive der Normsetzungsbefugnistheorie Bucher, Normsetzungsbefugnis, S. 19 f., 45, 56 f., 66 f. (S. 20: „Die Tatsache, daß nicht nur die Rechtsordnung als Ganzes im Interesse der an ihr teilhabenden Individuen aufgestellt ist, sondern daß auch einzelne Normen, sofern sie unmittelbar im Interesse eines Individuums liegen, in ihrer Geltung meist vom Willen dieses Individuums abhängen, führt zwangsläufig zur Figur des subjektiven Rechts. […] Diese Verweisung auf den Willen eines Einzelnen ist nichts anderes als die Aussage, dieser habe ein bestimmtes subjektives Recht“); ferner Imhof, Obligation, S. 98. 246 Zum Begriff des „Gutes“ s. etwa Imhof, Obligation, S. 20 f. 247 Vgl. dazu sowie zum Verständnis des Privatrechts als Rechtszuweisungsordnung Hoffmann, Zession und Rechtszuweisung, S. 35 f. m.w.N.; Bernhard, in: Lobinger (Hrsg.), FS Picker, S. 83, 103 ff.; Picker, Privatrechtssystem, S. 47 ff.; Jansen, Haftungsrecht, S. 495 ff., 523; s. ferner bereits G.K. Neuner, Wesen und Arten der Privatrechtsverhältnisse, § 2, S. 4 ff.; § 3, S. 13 ff.; s.a. Peukert, Güterzuordnung als Rechtsprinzip, S. 49, der die Bedeutung des subjektiven Rechts darin sieht, dass „einer Person etwas rechtens zukommt oder gehört“. 242
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gen.248 Die Güter bilden das „Rechtsobjekt“.249 Dem Rechtsinhaber ist die Dispositionsbefugnis im Hinblick auf das subjektive Recht zugewiesen.250 Negativ bedingt das subjektive Recht, dass Verletzungen der zugewiesenen Rechtspositionen durch andere Personen (Rechtsverletzungen) gegen den Willen des Rechtsinhabers251 rechtswidrig sind (Ausschlussfunktion).252 Davon zu unterscheiden253 ist die Frage, was die Wirkungen des subjektiven Rechts
248 Vgl. G.K. Neuner, Wesen und Arten der Privatrechtsverhältnisse, § 18, S. 154 (zu den Wirkungen der Rechtsverhältnisse: „Ihr Inhalt geht bald dahin, daß gegenüber dem praktischen Objekte des Rechtsverhältnisses, der Berechtigte selbst etwas thun, lassen oder zuständlich genießen darf, ohne dadurch einem Dritten verantwortlich zu werden“); Wilhelmi, Risikoschutz, S. 20 („Zuweisung einer Verhaltensberechtigung mit Schutz- und Ausschließlichkeitsgewähr“; „ausschließliche Befugnis zur Vornahme bestimmter Handlungen“); zu Letzterem auch Regelsberger, Pandekten, § 54, S. 228 („Sie enthalten die Befugnis, diejenigen Handlungen vorzunehmen, welche zur Erreichung jenes Ziels diensam sind […]“). 249 Zu diesem Begriff Bucher, Normsetzungsbefugnis, S. 113, ferner S. 118 (Rechtsobjekt als „Bezugspunkt des Willens“), 157 („Bezugspunkt des Rechts“; „Gegenstand eines Rechts“); Imhof, Obligation, S. 33, 151, ferner S. 56 (der insoweit von „mittelbarem Gegenstand“ spricht, abgegrenzt vom unmittelbaren Gegenstand; mittelbarer Gegenstand ist „ein materielles oder nicht-materielles Gut“, „unmittelbarer Gegenstand der Norm“ dagegen „das menschliche Verhalten als Tun, Dulden oder Unterlassen“); ferner Vonlanthen, Wesen des subjektiven Rechts, S. 105 ff., 109 (zum „Rechtsgegenstand“, „Objekt“, „Beziehungsziel“, wobei Vonlanthen von einem Verständnis von subjektivem Recht als „Beziehung“ ausgeht); zur Differenzierung „Rechtsobjekt“ („das Ding, welches vermöge des Rechts der Herrschaft des Berechtigten unterworfen“ ist) und „Rechtsinhalt“ („worauf das Recht gerichtet ist“) auch bereits Regelsberger, Pandekten, § 94, S. 357. 250 Zur verfassungsrechtlichen Notwendigkeit der Dispositionbefugnis (jeweils zum Eigentum) BVerfGE 26, 215, 222; 42, 263, 294 f.; 52, 1, 30 f.; 100, 226, 241; BVerfG NVwZ 2012, 429, 430; dazu Ohly, Volenti non fit iniuria, S. 92 f., 98; ferner Laufke, in: Nipperdey (Hrsg.), FS Lehmann, S. 145, 156 („Weiter kann man für das Eigentum selbst und das heutige System der Vermögensrechte die grundsätzliche Möglichkeit, über diese im Rahmen bestimmter Geschäftstypen und unter Wahrung von Formen und Realakten, welche die Publizität gewährleisten, durch Vertrag zu disponieren, als wesenhaft ansehen“); Bäuerle, Vertragsfreiheit und Grundgesetz, S. 31 f. (zum Konnex von Eigentum und Vertragsfreiheit), 378 ff. (verfassungsrechtlich zur Frage der Notwendigkeit der Disposition aus der Garantie des Eigentums). 251 Zu dieser Dimension des Willens vgl. auch Bucher, Normsetzungsbefugnis, S. 118. 252 Vgl. dazu Picker, Privatrechtssystem, S. 49, 53 f.; Hoffmann, Zession und Rechtszuweisung, S. 37 ff.; Imhof, Obligation, S. 33, 41 f.; Reinhardt, JZ 1961, 713, 716, 717, 718; Vonlanthen, Wesen des subjektiven Rechts, S. 107 f.; vgl. auch zur Frage, ob Rechtswidrigkeit und Verletzung subjektiver Rechte zusammenfallen, Bucher, Normsetzungsbefugnis, S. 121 ff. 253 Vgl. zu dieser Unterscheidung von Zuweisungs- und Schutzfunktion subjektiver Rechte auch Jansen, Haftungsrecht, S. 94 f., 479, 496 f., (Zuweisung als „Grund“ für Haftung); s. aber auch Hoffmann, Zession und Rechtszuweisung, S. 36 („Eine Rechtsposition ohne Schutzmechanismus würde den Sinn der Rechtszuweisung konterkarieren […]. Die Zuweisung einer Rechtsposition ist nicht ohne den Ausschluss Dritter und die Durchsetzung dieses Ausschlusses denkbar“).
III. Subjektive Privatrechte
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sind bzw. wie diese Rechtsmacht gegenüber Rechtsverletzungen realisiert werden kann („Schutzrechte“254). cc) Die Wirkungen subjektiver Rechte Wirkung255 subjektiver Privatrechte256 ist zunächst die Befugnis, die durch das Recht gewährte Rechtsmacht zu realisieren257 (Ausübung des Rechts258). Wei254 So die Terminologie – unterschieden von den „Substanzrechten“ – bei Picker, Privatrechtssystem, S. 49, 56 ff.; Hoffmann, Zession und Rechtszuweisung, S. 36, 37 f., 56. 255 Zu den „Wirkungen“ subjektiver Rechte s. bereits G.K. Neuner, Wesen und Arten der Privatrechtsverhältnisse, § 18, S. 148 ff., 154 ff.; ferner Auer, Der privatrechtliche Diskurs, S. 95 (die im Hinblick auf die absoluten Rechte von „Wirkungen der Absolutheit“ spricht); s.a. Picker, Privatrechtssystem, S. 47, 49, 57 f., der zwischen „Rechtszuweisung“ bzw. „Substanzrecht“ und „Schutzrechten“ differenziert und insoweit von einer „Präjudizialität des Substanzrechts für die Schutzrechte“ ausgeht: „Zwingende Konsequenz dieser Zuweisung eines exklusiven Herrschaftsbereichs ist die Notwendigkeit einer umfassenden Schutzgewährung“; diese Schutzrechte „sind als ihrer Natur nach negatorische, schadensersatz- und bereicherungsrechtliche Ansprüche darauf gerichtet, das Substanzrecht durch Abwehr-, Ersatz- und Abschöpfungsrechte gegen die Beeinträchtigungen zu sichern, die sich empirisch als zeitlose Grundphänomene von Rechtsverletzungen herausgestellt haben“ (aaO, S. 49; ferner S. 447); Hoffmann, Zession und Rechtszuweisung, S. 35 f., 37 f. (dort auch zu der Frage nach dem Verhältnis von Ausschluss und Zuweisung), 40; Bucher, Normsetzungsbefugnis, S. 51 ff.; Peukert, Güterzuordnung als Rechtsprinzip, S. 55 f.; ferner Jansen, Haftungsrecht, S. 479, 496 f., der von der „Zuweisung von Rechtsgütern“ als „Gründen“ für Schadensersatz-, Bereicherungsansprüche etc. spricht; vgl. auch Kasper, Das subjektive Recht, S. 4 (zu den „Rechtsfolgen“ des subjektiven Rechts). 256 Sind diese Wirkungen notwendig oder nur potenziell? S. dazu unten S. 481 ff.; für „Notwendigkeit“ etwa Picker, Privatrechtssystem, S. 49, 57 f.; s. ferner auch Hoffmann, Zession und Rechtszuweisung, S. 36; Reinhardt, JZ 1961, 713, 716. 257 Vgl. zu diesem Aspekt des „Wirksammachens“ bzw. zum subjektiven Recht als „individualisiertes Wirksamkeitsversprechen“ Buchheim, Actio, S. 72 f.; Kasper, Das subjektive Recht, S. 162 („Bekommensollen“); ferner G.K. Neuner, Wesen und Arten der Privatrechtsverhältnisse, § 18, S. 154 („Genuss“ des Rechtes; dies als „unmittelbare Wirkung“). S. aber zum Begriff der „Rechtsverwirklichung“ auch Picker, Privatrechtssystem, S. 51, 54, der hierunter vor allem den negatorischen Rechtsschutz erfasst; ähnlich auch Hoffmann, Zession und Rechtszuweisung, S. 63 ff., der zwischen „Rechtsverwirklichung“ (§§ 894, 985, 1004 Abs. 1 BGB) und „Vermögensverschiebung“ (deliktischer Schadensersatz; Bereicherungsrecht) differenziert. Hier dagegen wird der Begriff „Rechtsverwirklichung“ im Hinblick auf die (prozessuale) Durchsetzung subjektiv-rechtlicher Rechtsmacht bezogen. 258 Dazu Bucher, Normsetzungsbefugnis, S. 66 ff.; ferner etwa Regelsberger, Pandekten, § 54, S. 228 ff., der dabei auch auf die Differenzierung zwischen „Ausübung“ und gerichtlicher „Geltendmachung“ hinweist; ferner § 188, S. 670 f. (zum „Rechtsschutz“: „Der Schutz, den die Rechtsordnung bietet, ist teils auf Vorbeugung gerichtet (Präventivschutz), teils auf Gegenwirkung (Repressivschutz). […] Die Mittel, welche das Privatrecht dem Berechtigten zur Verfügung stellt, dienen teils zur Abwehr versuchten Angriffs, teils zur Herstellung des dem Recht entsprechenden Zustands. Im letztern Fall geht der Rechtsschutz auf Erzwingung der Erfüllung, wenn die Rechtsverletzung darin besteht, dass nicht geleistet ist, was dem Berechtigten geleistet werden soll (Erfüllungszwang); er geht auf Wiederherstellung, wenn der dem Recht entsprechende Zustand verändert ist (Restitutionszwang); ist Erfüllung oder Wiederherstellung nicht möglich […], so tritt die erzwingbare Pflicht zum Schadensersatz ein“).
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terhin folgt die Befugnis, Rechtsverletzungen anderer abzuwehren oder zu beseitigen (negatorischer Rechtsschutz; Abwehr- und Ausschlussbefugnis).259 Schließlich ist Wirkung des subjektiven Rechts die Befugnis, den Ersatz des aus einer (schuldhaft) herbeigeführten Rechtsverletzung folgenden Schadens zu verlangen.260 dd) Subjektives Recht und Klagbarkeit (1) Klagrecht, Rechtsschutzanspruch und Justizgewähranspruch Bestimmt man den Begriff des subjektiven Privatrechts auf die hier durchgeführte Weise, dann ist offensichtlich, dass dem Rechtsschutzanspruch im Sinne eines gegen den Staat gerichteten Anspruchs auf Durchführung eines gerichtlichen Verfahrens zur Rechtsdurchsetzung261 („Klagrecht“, „Klage-
259 S. Picker, Privatrechtssystem, S. 49, 54, 56 ff., ferner S. 240 f. zur Funktion der negatorischen Haftung und ihrer Abgrenzung von der deliktischen Haftung; Reinhardt, JZ 1961, 713, 716 ff.; Bucher, Normsetzungsbefugnis, S. 142, 151, 153, 155 f. (allerdings nur beim absoluten Recht); s.a. bereits G.K. Neuner, Wesen und Arten der Privatrechtsverhältnisse, § 19, S. 171 (dies als „mittelbare Wirkung“ für den Fall des „Gestörtseins des Rechtsverhältnisses“, dazu S. 162 ff.); Hellwig, Anspruch und Klagrecht, § 3, S. 25 f., 28; s. zur „Ausschließungsbefugnis“ des absoluten Rechts auch Imhof, Obligation, S. 33, 41 f.; Vonlanthen, Wesen des subjektiven Rechts, S. 107 f.; ferner Kasper, Das subjektive Recht, S. 162 („Unterlassensollen“); s. dagegen Picker, Privatrechtssystem, S. 50, der die Schutzrechte (negatorischer Rechtsschutz, Schadensersatz und Abschöpfungsrechte) auch bei den relativen Rechten als gegeben ansieht. 260 Picker, Privatrechtssystem, S. 49, 54, 56 ff. (Picker nennt als weitere Schutzrechte die Abschöpfungsrechte, d.h. konkret die bereicherungsrechtlichen Ansprüche; ähnlich Picker auch Hoffmann, Zession und Rechtszuweisung, S. 65 ff., 69 f., der neben dem deliktischen Schutz auch die bereicherungsrechtliche Haftung als „vermögensverschiebenden Schutz“ einordnet und diese beiden vom auf „Rechtsverwirklichung“ gerichteten negatorischen Rechtsschutz abgrenzt; s. dazu unten noch S. 493 f.); s.a. Jansen, Haftungsrecht, S. 479, 481, 496; Reinhardt, JZ 1961, 713, 716; Vonlanthen, Wesen des subjektiven Rechts, S. 108; Hellwig, Anspruch und Klagrecht, § 3, S. 33, § 4, S. 37; zum Verhältnis von subjektivem Recht und Schadensersatzpflicht Bucher, Normsetzungsbefugnis, S. 111, 127 f.; dagegen aber, dass Schadensersatzansprüche Wirkungen subjektiver Rechte sind und sich aus der Rechtsverletzung ergeben – diese sollen vielmehr auf dem positiven Recht und auf der Gesetzesverletzung beruhen, s. G.K. Neuner, Wesen und Arten der Privatrechtsverhältnisse, § 19, S. 177 f.; § 21, S. 197 (die Begründung dafür soll darin liegen, dass das geschützte Objekt infolge der Verletzung nicht mehr vorhanden sei). 261 Zu diesem Begriff ursprünglich Wach, Feststellungsanspruch, S. 15, 27; s.a. Hellwig, Anspruch und Klagrecht, § 22, S. 146 ff. (Klagrecht als „das Recht zur Klage, die Berechtigung, im Wege der Klage von den Gerichten den Erlaß eines Urteils bestimmten Inhalts zu verlangen“); zum Klagrecht bzw. Rechtsschutzanspruch auch Buchheim, Actio, S. 64 f., 104; zu dieser Diskussion auch Simshäuser, Zur Entwicklung des Verhältnisses, S. 101 ff., 109 ff., 111 ff. sowie oben bereits S. 193 f., 217, 388 ff.; s. ferner zur Diskussion um den Rechtsschutzanspruch im 20. Jhd., der indes inzwischen im Zivilprozessrecht weithin abgelehnt wird, Blomeyer, in: Bettermann/Zeuner (Hrsg.), FS Bötticher, S. 61 ff.; Rosenberg/Schwab/ Gottwald, Zivilprozessrecht, § 3 Rn. 1 ff., 8 f.
III. Subjektive Privatrechte
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befugnis“)262 zunächst keine Bedeutung für die Begriffsbestimmung zukommt.263 Allerdings ist hier zu berücksichtigen, dass das Grundgesetz auch ein staatliches Gewaltmonopol und ein Selbsthilfeverbot voraussetzt.264 In dem Moment, in dem die Person zur Realisierung ihrer subjektiven Rechtsmacht des Zwangs oder der Gewalt bedarf, darf sich die Realisierung grundsätzlich nur noch über die staatlichen Zwangs- und Gewaltmittel, d.h. im Wege des gerichtlichen Erkenntnis- und Zwangsvollstreckungsverfahrens vollziehen.265 Das subjektive Recht bringt daher als Wirkung266 einen gegen den Staat gerichteten Anspruch hervor, der auf gerichtliche Durchsetzung gerichtet und vom
262 Zum Verhältnis von „Klagebefugnis“ und „Klagrecht“ s. Buchheim, Actio, S. 103 f., der den Unterschied darin sieht, dass die Klagebefugnis nur die Möglichkeit der Anrufung des Gerichts absichert, wohingegen das Klagrecht auch einen Anspruch auf Entscheidung gemäß einem vorgegebenen Entscheidungsprogramm erfasst; in diese Richtung vor allem Hellwig, Anspruch und Klagrecht, § 22, S. 145 f., der zwischen dem „konkreten Klagrecht“ im Sinne des publizistischen Rechtsschutzanspruchs, dessen Bestehen abhängig vom materiellen Anspruch ist, und der „Klagmöglichkeit“ im Sinne der Anrufungsbefugnis des Gerichts unterschied; dazu auch Simshäuser, Zur Entwicklung des Verhältnisses, S. 142, 126. 263 Zu dieser Frage, ob Klagebefugnis bzw. Klagbarkeit selbst Teil des Begriffs des subjektiven Privatechts sind, s. (ablehnend) Hellwig, Anspruch und Klagrecht, § 17, S. 121 f. (Klagbarkeit und Erzwingbarkeit nicht „privatrechtliche Eigenschaft“ des subjektiven Privatrechts); Wach, Feststellungsanspruch, S. 15 ff., 19 ff. (zur Unterscheidung von „Klagbarkeit/Erzwingbarkeit“ als Eigenschaft und „Rechtsschutzanspruch“ als selbständigem publizistischen Recht); ferner Vonlanthen, Wesen des subjektiven Rechts, S. 115 ff., 118 (kein Begriffsmerkmal); vgl. auch Imhof, Obligation und subjektives Recht, S. 47; offenlassend Portmann, Wesen und System der subjektiven Privatrechte, S. 83 ff. (zur Forderung); a.A. Steiner, Das Gestaltungsrecht, S. 15 (Klagbarkeit als „begriffsnotwendiges Merkmal der Ansprüche“); H. Lehmann, Allgemeiner Teil, § 13, S. 85 („notwendige Eigenschaft des Anspruchs“). Zu Windscheid, bei dem die Klagbarkeit selbst nicht Begriffsmerkmal des Anspruchs, sondern dessen Folge/Konsequenz ist, und der Diskussion im 19. Jhd. s. oben bereits S. 191 ff. sowie insoweit auch Simshäuser, Zur Entwicklung des Verhältnisses, S. 77, 81, 140; Buchheim, Actio, S. 46, 64 f. 264 S. dazu unten S. 541 f. sowie Baur/Stürner/Bruns, Zwangsvollstreckungsrecht, § 1 Rn. 1 ff. 265 S. dazu unten noch näher S. 541 f. sowie Baur/Stürner/Bruns, Zwangsvollstreckungsrecht, § 1 Rn. 1 ff.; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 1 Rn. 9 ff.; zur Notwendigkeit der Ermöglichung von Erkenntnis- und Zwangsvollstreckungsverfahren auch BVerfGE 61, 126, 136; NJW 2016, 930, 932; so ja auch schon das 19. Jhd., s. dazu oben S. 217 sowie Hellwig, Anspruch und Klagrecht, § 22, S. 145 („Der Berechtigte, der sich im Wege der Eigenmacht nicht helfen darf […], ist befugt, die Hilfe der von dem Staate eingesetzten Rechtspflege-Organe anzurufen“). 266 S. dazu oben bereits S. 192 ff., 401 f. sowie etwa Hölder, Pandekten, § 61, S. 323 („[…] begründet das Privatrecht gegen die Rechtsgemeinschaft die Forderung des Rechtsschutzes, welche nicht selbst eine privatrechtliche, aber als eine durch das Privatrecht begründete eine öffentlich rechtliche Ergänzung desselben ist“); Hellwig, Anspruch und Klagrecht, § 22, S. 145 f., wonach der „Gläubiger, welcher gewisse materielle Rechte hat (nicht nur behauptet), […] einen bestimmten Inhalt des Urteils „verlangen“ kann“; vgl. zu dieser Frage auch Simshäuser, Zur Entwicklung des Verhältnisses, S. 77, 81, 140.
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materiellen subjektiven Privatrecht selbst verschieden ist.267 Diesen Zusammenhang reflektiert der Justizgewähranspruch.268 (2) Die Abgrenzung von Rechtsschutzanspruch und selbständigem Klagrecht Das Klagrecht im Sinne dieses „Rechtsschutzanspruchs“ ist aber etwas anderes als das (selbständige) Klagrecht im Sinne der actio.269 Der Rechtsschutzan267 Vgl. Imhof, Obligation und subjektives Recht, S. 46 f. („Der prozedurale Rechtsschutzanspruch des Titelinhabers hat mit der autoritativen Festlegung und der zwangsweisen Durchsetzung der materiellen Pflichten aus dem absoluten Recht ein „positives Tun“ des Staates zum Inhalt. Dieser Anspruch spielt gegenüber dem Staat […]. Dieser Rechtsschutzanspruch kann als unmittelbarer Bestandteil oder als ein dem materiellen absoluten Recht hinzukommendes prozedurales Element verstanden werden. In beiden Fällen sind aber in normlogischer Hinsicht der prozedurale Rechtsschutzanspruch und die materiellen Ansprüche des Titelinhabers zu unterscheiden“; Fn. weggelassen); vgl. auch Bucher, Normsetzungsbefugnis, S. 190, der nahelegt, dass die Klagebefugnis ein subjektives öffentliches Recht auf gerichtliches Tätigwerden ist; s. insofern in historischer Perspektive Simshäuser, Zur Entwicklung des Verhältnisses, S. 101 ff., 109 ff., 112 m.Nw. zur Entstehung dieses „publizistischen Klagrechts“ im Sinne eines subjektiven öffentlichen Rechts; s. dazu vor allem Degenkolb, Einlassungszwang, S. 31 f., der dieses Recht aus dem Selbsthilfeverbot ableitet; ferner auch Hellwig, Anspruch und Klagrecht, § 22, S. 145, 147; Vonlanthen, Wesen des subjektiven Rechts, S. 117 („Zwang als bloße hypothetische Notwendigkeit“); s. ferner zum „Rechtsschutzanspruch“ auch Buchheim, Actio, S. 64 ff. 268 Vgl. Baur/Stürner/Bruns, Zwangsvollstreckungsrecht, § 1 Rn. 1 ff. Zum Justizgewähranspruch s. unten noch näher S. 537 ff. Zu berücksichtigen ist dabei jedoch, dass der Justizgewährleistungsanspruch im Sinne eines Grundrechts etwas anderes ist als der von der Prozessualistik des 19. Jhd. entwickelte „Rechtsschutzanspruch“ im Sinne des vom materiellen Privatrecht abhängigen publizistischen Klagrechts (dazu unten noch S. 546 ff.); s. dazu Musielak/Voit/Musielak, Einleitung, Rn. 6, 8, wonach der Rechtsschutzanspruch im Justizgewährleistungsanspruch aufgeht und daneben kein Bedürfnis für einen Rechtsschutzanspruch im Sinne eines Anspruchs „auf einen der objektiven Rechtslage entsprechenden günstigen Rechtsschutz“ besteht; ferner zu dieser Diskussion um Justizanspruch und Rechtsschutzanspruch auch Blomeyer, in: Bettermann/Zeuner (Hrsg.), FS Bötticher, S. 61 ff. S. insoweit zur Kritik am Rechtsschutzanspruch aus prozessrechtlicher Perspektive Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 3 Rn. 1 ff., 8 f. 269 Zum Begriff des „selbständigen Klagrechts“ s. oben S. 389 f.; vgl. dazu Hadding, JZ 1970, 305, 310 („selbständige Prozeßführungsbefugnis“ im Sinne einer „aktionenrechtlichen Regelung, bei der darauf verzichtet wird, einen materiellrechtlichen Anspruch als Grundlage der Prozeßführungsbefugnis vorauszusetzen“). Dabei sind mehrere unterschiedliche Verständnismöglichkeiten von „Klagrechten“ zu unterscheiden, die Savignys und Windscheids unterschiedliche Positionen reflektieren (s. dazu oben bereits S. 389 f. Fn. 176 sowie auch Simshäuser, Zur Entwicklung des Verhältnisses, S. 52 ff., 78 f., 81): Wenn Savigny von Klagrecht spricht, dann meint er ein zwischen Kläger und Beklagtem bestehendes (Klag-)Rechtsverhältnis, d.h. das materielle subjektive Privatrecht wird zum Klagrecht, wenn es verletzt worden ist (Savigny, System, Bd. 5, S. 5 f.; Simshäuser, Zur Entwicklung des Verhältnisses, S. 52 ff., 78 f. spricht von Metamorphose). Demgegenüber meint Klagrecht bei Windscheid, sofern dieser Begriff überhaupt noch verwendet wird, die aus dem materiellen subjektiven Recht folgende Klagebefugnis gegen den Staat und seine Gerichte (Simshäuser, Zur Entwicklung des Verhältnisses, S. 78 f., 113). Gleichwohl besteht bei diesen beiden Verständnismöglichkeiten eine wesentliche Gemein-
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spruch ist zwar verschieden, aber auch abhängig vom materiellen subjektiven Privatrecht270 und dient dessen Durchsetzung.271 Das selbständige Klagrecht im Sinne der actio kennt demgegenüber keine Ebene vorgelagerter materieller subjektiver Privatrechte.272 270 samkeit, die diese von der actio im klassischen Verständnis grundsätzlich unterscheidet: Das Klagrecht ist jeweils akzessorisch zum materiellen subjektiven Recht, es gibt dem Prozess vorgelagerte, vom Prozess getrennte materielle subjektive Rechte, von deren Bestehen das Klagrecht abhängig ist (Simshäuser, Zur Entwicklung des Verhältnisses, S. 59, 81). Die actio des römischen Rechts ist demgegenüber ein isoliertes, selbständiges Klagrecht (vgl. dazu Windscheid, Actio, S. 3 ff., 44, 119, 134; Simshäuser, Zur Entwicklung des Verhältnisses, S. 74; s.a. oben bereits S. 191 ff.). Sie resultiert gerade nicht aus einem System vorgelagerter materiell-subjektiver, zwischen privaten Personen unmittelbar bestehender Rechte und Rechtsverhältnisse und betrifft tatsächlich primär nur die Beziehung zwischen Kläger und Gericht (s. dazu sogleich Fn. 271 sowie S. 405 f.). 270 S. zu dieser Abhängigkeit des Rechtsschutzanspruchs vom materiellen Recht Simshäuser, Zur Entwicklung des Verhältnisses, S. 122 ff., 134 ff., 138 f. mit Verweis (u.a.) auf Hellwig, Anspruch und Klagrecht, § 22, S. 145 ff., 147 ff.; Wach, Feststellungsanspruch, S. 15, 19, 24, 32. 271 Vgl. Imhof, Obligation, S. 46 f.; ferner bereits Seuffert, Grünhut’s Zeitschrift XII (1885), S. 617 ff., 619, 621 f., 624; Hellwig, Anspruch und Klagrecht, § 17, S. 122 ff., § 22, S. 145 f., 148; § 23, S. 157; Hölder, Ueber objectives und subjectives Recht, S. 30; vgl. auch Simshäuser, Zur Entwicklung des Verhältnisses, S. 59, 81 zu Savigny und Windscheid. Das Klagrecht im Sinne des Rechtsschutzanspruchs ist also abhängig bzw. akzessorisch zum zugrundeliegenden materiellen subjektiven Recht, d.h. dieses determiniert das Klagrecht, das dessen notwendige Folge ist und zugleich dessen Durchsetzung dient. Anders dagegen das Klagrecht im Sinne der actio: dieses ist ein selbständiges bzw. isoliertes Klagerecht, das sich gerade dadurch auszeichnet, dass es unabhängig von einem etwaig zugrunde liegenden materiellen Recht besteht und nicht der Durchsetzung vorausliegender materieller subjektiver Privatrechte dient (s. dazu oben S. 388 ff.). Es gibt beim „rein aktionenrechtlichen“ Denken keine vorgelagerte Ebene materieller subjektiver Rechte (s. dazu oben bereits S. 389 f. sowie Buchheim, Actio, S. 95, 96). Voraussetzungen, Inhalt und Wirkungen der actio ergeben sich nicht aus einem materiellen subjektiven Recht, sondern konkret aus den spezifischen Voraussetzungen, die an das Bestehen dieses Klagrechts gestellt werden (vgl. auch Buchheim, Actio, S. 109 insoweit zur „Selbständigkeit“ des Entscheidungsprogramms der actio). Die hier durchgeführte Differenzierung von Klagrecht im Sinne der actio und Klagrecht im Sinne des Rechtsschutzanspruchs soll also nichts anderes besagen, als dass es bei Letzterem die vorgelagerte Ebene materieller subjektiver Privatrechte gibt, deren Durchsetzung die Klage dient, wohingegen bei Ersterem das gesamte Entscheidungsprogramm in der actio, d.h. dem gegen den Staat gerichteten Anspruch aufgeht. 272 S. Hadding, JZ 1970, 305, 310 („selbständige Prozeßführungsbefugnis“ im Sinne einer „aktionenrechtlichen Regelung, bei der darauf verzichtet wird, einen materiellrechtlichen Anspruch als Grundlage der Prozeßführungsbefugnis vorauszusetzen. Die Prozeßführungsbefugnis besteht unabhängig von einer eigenen materiellen Rechtszuständigkeit“; die Regelung, die das selbständige Klagrecht konstituiert, enthält demnach selbst die Klagevoraussetzungen, verweist also nicht auf eine davon getrennte, vorgelagerte Ebene materieller-subjektiver Privatrechte, vgl. aaO, S. 311); ähnlich auch Halfmeier, Popularklagen, S. 277 f. („Damit soll in Abgrenzung zur These vom eigenen materiell-rechtlichen Anspruch des Verbandes deutlich gemacht werden, daß die Prozeßführungsbefugnis unabhängig von einer eigenen oder fremden materiellen Rechtszuständigkeit besteht“; Fn. weggelassen); s. ferner oben bereits S. 390 Fn. 177.
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Vor diesem Hintergrund zeigt sich nochmals die historische Dimension.273 Die Form subjektiver Rechte ist dem Privatrechtsgesetzgeber definitiv vorgegeben, ohne dass es hier schon auf das Klagrecht bzw. die Klagebefugnis selbst ankommt. Sodann kommt aber der Justizgewähranspruch274 ins Spiel, der dazu nötigt, die gerichtliche Durchsetzung der subjektiven Rechte zu gewährleisten.275 Das „Prius“276 ist indes das subjektive Recht, das aufgrund von staatlichem Gewaltmonopol und Selbsthilfeverbot erfordert277, dass der Staat ein rechtsförmiges Verfahren bereitstellt, in dem das subjektive Recht geltend gemacht und zwangsweise durchgesetzt werden kann.278 ee) Relationalität: Der Zusammenhang von Person und subjektivem Recht (1) Subjektives Recht und Rechtsverhältnis Aus noch einem anderen Gesichtspunkt erscheint ein Aufgehen in der Form der Klagrechte problematisch, und zwar im Hinblick auf die Relationalität, d.h. den Beziehungscharakter des subjektiven Rechts.279 Beim Denken in 273
S. dazu oben S. 191 ff. S. dazu unten noch näher S. 537 ff., 543 ff. 275 Vgl. zu dieser materiell-rechtlichen Anknüpfung des Justizgewähranspruchs auch Bruns, in: Bruns (u.a.) (Hrsg.), FS Stürner, S. 257, 258 f. (wenngleich kritisch); s.a. Baur/Stürner/Bruns, Zwangsvollstreckungsrecht, § 1 Rn. 3 („Justizgewähranspruch“ als „verfassungsrechtliche Rechtsschutzgewährleistung zur Durchsetzung privater Rechte“). S. dazu unten S. 543 ff. 276 Windscheid, Die Actio des römischen Civilrechts, S. 3. 277 S. dazu noch unten S. 541 f.; ferner bereits Degenkolb, Einlassungszwang, S. 31 f.; dazu Simshäuser, Zur Entwicklung des Verhältnisses, S. 112. 278 Vgl. Bruns, in: Bruns (u.a.) (Hrsg.), FS Stürner, S. 257, 258 f. („wenn der Staat […] dem Einzelnen materiellrechtlich einen Anspruch zuerkennt, muss er ein justizförmiges Verfahren zur Rechtsverwirklichung bereithalten“; allerdings kritisch zur materiell-rechtlichen Anknüpfung); zu diesem Zusammenhang aus zivilprozessualer Sicht Baur/Stürner/Bruns, Zwangsvollstreckungsrecht, § 1 Rn. 1 ff.; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 1 Rn. 9 ff. 279 S. grundsätzlich zur Auffassung, die subjektives Recht als „Beziehung“ und „Relation“ deutet, Vonlanthen, Wesen des subjektiven Rechts, S. 94 ff. (auch aaO, S. 99: Relation als „Hinordnung von etwas auf ein anderes oder etwas, dessen ganzes Sein in einem Sichverhalten zu einem andern besteht. Dabei liegt im subjektiven Recht immer die Hinordnung von etwas auf ein Rechtssubjekt oder zum mindesten die Zugehörigkeit eines Rechtsgegenstandes zu einem solchen beschlossen“); Portmann, Wesen und System der subjektiven Privatrechte, S. 28 („Die in einem subjektiven Recht zum Ausdruck kommende Rechtsstellung betrifft […] stets seine rechtlichen Beziehungen zu anderen Personen“); ferner bereits G.K. Neuner, Wesen und Arten der Privatrechtsverhältnisse, § 2, S. 4 ff. („Beziehung einer Person zu einem Gute des Privatlebens, sofern diese Beziehung der Person vom Rechte anerkannt, und gegen den widerstrebenden Willen Dritter rechtlich geschützt ist“); Reinach, Phänomenologie des Rechts, S. 24, 92 ff. (Eigentum/Sachenrechte als „Relation“; S. 92 f.: „Es gibt einen Träger der Relation und gleichsam ein getragenes Objekt. Der erste kann wesensgesetzlich nur eine Person, das zweite nur eine Sache sein“); zur Deutung der „Rechtsordnung als Rechtsverhältnisordnung“ bzw. „Rechtsordnung als Komplex von Rechtsver274
III. Subjektive Privatrechte
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Klagrechten bleibt kein Raum für diesen Beziehungscharakter bzw. die Kategorie des „Rechtsverhältnisses“.280 Entscheidende Frage ist hier, wer klageberechtigt ist und einen gegen den Staat und seine Gerichte gerichteten Anspruch auf die Vornahme gerichtlicher Handlungen hat.281 Es geht zunächst um das Verhältnis von Kläger zum Gericht.282 Das selbständige Klagrecht im Sinne der actio ist gerichtsbezogen.283 Es gibt zumindest zunächst kein subjektives Privatrecht im Sinne einer zwischen privaten Personen bestehenden Rechtsbeziehung.284 Allenfalls entsteht eine solche – letztlich ähnlich dem rechtsrealistischen Ansatz285 – als Reflex der gerichtlichen Handlungen.286 Das selbständige 280 hältnissen“ Achterberg, Rechtsverhältnisordnung, S. 17 ff., 31 ff., 50 ff., 87; Peukert, Güterzuordnung als Rechtsprinzip, S. 48 („relationaler Blick auf die Rechtsordnung“); s. ferner Henke, Das subjektive öffentliche Recht, S. 4 (subjektives Recht als „intersubjektive Erscheinung“, „stets auf eine andere Person bezogen“); Neuner, Allgemeiner Teil, vor § 19, § 19 Rn. 1 ff., § 20 Rn. 2. 280 Vgl. zu diesem Gesichtspunkt, der einen grundlegenden Unterschied von subjektivem Privatrecht (Relationalität zwischen zwei privaten Personen) und Klagrecht (hier nur der Anspruch des Klägers gegen Staat und Gericht) deutlich macht, Buchheim, Actio, S. 102 (zur actio: „Die eine actio begründenden Normen geben bestimmte gerichtliche Entscheidungen vor. Primäre Regelungsadressaten dieser Normen sind somit die Gerichte. […] Die vielfältige Betroffenheit des Prozessgegners erklärt jedoch möglicherweise, weshalb spätestens bei Savigny nicht das Gericht, sondern die andere Partei als durch die actio verpflichtet gedacht wurde. Die für die actio urspünglich kennzeichnende Vermittlung des Rechtsverhältnisses durch das Gericht war somit bereits bei Savigny aufgeweicht und durch ein unmittelbares Rechtsverhältnis zwischen Klägerin und Beklagter ersetzt. Dies soll nicht dahingehend verstanden werden, dass nach klassischem aktionenrechtlichem Verständnis zwischen Klägerin und Beklagter überhaupt kein Rechtsverhältnis bestanden hatte. Das Rechtsverhältnis folgte jedoch nicht aus der actio sondern aus den mit der actio durchzusetzenden (teilweise subjektivierten) materiellrechtlichen Normen. Dass auch die actio als unmittelbar wirkendes Rechtsverhältnis zwischen Klägerin und Beklagter gedacht wurde, scheint eine Neuerung bei Savigny und Windscheid zu sein“; Fn. weggelassen); ferner dazu oben bereits S. 389 ff. 281 S. dazu oben bereits S. 390 f. 282 Vgl. Buchheim, Actio, S. 102 f., 112, ferner S. 110 (im Hinblick auf die actio, S. 110: „Das allgemeine Rechtsverhältnis zwischen zwei Personen wird umgemünzt in ein Rechtsverhältnis zwischen Klägerin und Gericht sowie ein zweites Rechtsverhältnis zwischen Beklagtem und Gericht […] Auf Grundlage dieser zwei Rechtsverhältnisse schafft dann das Gericht ein konkretes zwischen den Parteien wirkendes Recht in Gestalt einer verbindlichen Entscheidung“); s. ferner Bucher, Normsetzungsbefugnis, S. 30 f., 190. 283 Vgl. Buchheim, Actio, S. 102 f., 110, 112, 118. 284 Es gibt also keine rechtlichen Beziehungen als solche zwischen Personen; d.h. zwischen privaten Personen existiert kein Rechtsverhältnis, das gerichtsunabhängig bestehen würde. Ein solches entsteht erst mit der gerichtlichen Entscheidung (vgl. Buchheim, Actio, S. 110 – zumindest im Sinne eines konkreten Rechtsverhältnisses; s. aber auch aaO, S. 118 f.). 285 S. dazu oben S. 271 f., 275 ff., 289 ff.; ferner zur Nähe des realistischen Ansatzes zum aktionen-rechtlichen Denken Fezer, Teilhabe und Verantwortung, S. 312 f. 286 Vgl. Buchheim, Actio, S. 102 f., 110. D.h. erst durch die gerichtlichen Handlungen wird ein Rechtsverhältnis zwischen den privaten Personen selbst aktualisiert, zunächst steht nur das selbständige Klagrecht, das dem Inhaber einen Anspruch gegen den Staat und seine Gerichte gewährt, unter bestimmten Voraussetzungen sowie entsprechend dem durch die actio festgelegten Entscheidungsprogramm bestimmte gerichtliche Handlungen vorzuneh-
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Klagrecht als solches ist also kein subjektives Privatrecht287 und setzt, wie gesehen288, auch keine Ebene materieller subjektiver Privatrechte voraus.289 Die historische Betrachtung hat demgegenüber gezeigt, dass die Form subjektiver Rechte im engen Kontext mit dem Gedanken der Relationalität steht.290 Die Herausbildung eines eigenständigen subjektiven Rechtsbegriffs vollzog sich zusammen mit der Erkenntnis, dass Recht und Pflicht in bestimmter Hinsicht korrelativ sind sowie dass das subjektive Recht einen relationalen Charakter hat.291 Mit Savigny erhielt dieser Gedanke eine neue Formung. Das subjektive Recht ist ein Teil des „Rechtsverhältnisses“, das „Rechtsverhältnis“ ist gleichsam der neue Ober- bzw. Zentralbegriff.292 Der Gedanke der Relationalität des Rechts ist dabei nicht kontingent, sondern wiederum im Personsein begründet. Relationalität verbindet Person und subjektives Recht, das subjektive Recht ist der Person als ihrem Subjekt zugeordnet und verbindet zugleich auf rechtliche Weise Gläubiger und Schuldner.293
287 men. S. aber auch Buchheim, Actio, S. 118 f., der davon ausgeht, dass trotzdem mit der actio materielle subjektive Rechte verbunden sein können, die indes nicht inhaltsgleich mit der actio sein sollen (nur der Anspruch fällt als eigenständige Kategorie weg; s. dazu oben bereits S. 389 f. Fn. 176). 287 Vgl. Buchheim, Actio, S. 101 ff. (zwar subjektives Recht, aber gegen das Gericht gerichtet). 288 S. dazu oben S. 389 ff. 289 Zumindest lässt es sich auch ohne vorgelagerte subjektive Privatrechte konstruieren, vgl. Bucher, Normsetzungsbefugnis, S. 30 f.; Buchheim, Actio, S. 95, 96 (zum „rein aktionenrechtlichen“ Denken), ferner S. 106 f.; vgl. ferner Hadding, JZ 1970, 305, 310 („selbständige Prozeßführungsbefugnis“ im Sinne einer „aktionenrechtlichen Regelung, bei der darauf verzichtet wird, einen materiellrechtlichen Anspruch als Grundlage der Prozeßführungsbefugnis vorauszusetzen“). 290 S. dazu oben S. 112 ff., 185 ff.; s. ferner auch zum relationalen Charakter des subjektiven Rechts Regelsberger, Pandekten, § 14, S. 75 („Die im subjektiven Recht dem Inhaber zukommende Macht hat immer eine Beziehung auf andere Personen“). 291 S. dazu oben S. 112 ff. 292 S. Savigny, System, Bd. 1, § 4, S. 7 sowie oben S. 185 ff.; zur Bedeutung dessen im Hinblick auf die actio Buchheim, Actio, S. 102; s. dazu auch (subjektives Recht als „Element des Rechtsverhältnisses“) Portmann, Wesen und System der subjektiven Privatrechte, S. 29; zur Frage, ob subjektives Recht oder Rechtsverhältnis für Savigny zentraler ist, s. ebenfalls oben S. 185, 195 f.; für das Rechsverhältnis etwa auch Gröschner, JZ 2018, 737, 741 („Nicht Recht ist der Basisbegriff der Jurisprudenz, sondern Rechtsverhältnis“). 293 S. zum Zusammenhang von Rechtsverhältnis und Rechtssubjekt (Subjekt als „Endpunkt“ des Rechtsverhältnisses) Achterberg, Rechtsverhältnisordnung, S. 34 ff., s. aber auch S. 58 ff.; dazu auch oben bereits S. 24 f.; vgl. (im Kontext der Diskussion um die „subjektlosen Rechte“) Vonlanthen, Wesen des subjektiven Rechts, S. 94 ff., 105 f.; H. Lehmann, Allgemeiner Teil, § 11, S. 74; Larenz/Wolf, Allgemeiner Teil, § 14 Rn. 26; G.K. Neuner, Wesen und Arten der Privatrechtsverhältnisse, § 2, S. 4; § 15, S. 106 ff., 109 ff.; Reinach, Phänomenologie des Rechts, S. 26 („Anspruch und Verbindlichkeit setzen allgemein und notwendig einen Träger voraus, eine Person, deren Ansprüche und Verbindlichkeiten sie sind. […] Hier sind wesensgesetzlich Personen als Träger vorausgesetzt“); ferner Bucher, Normsetzungsbefugnis, S. 102.
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(2) Rechtsverhältnisse zwischen Personen Ob das subjektive Recht auch ein Rechtsverhältnis bzw. -beziehung zwischen Person und Sache erfasst294, bleibt bis in die Gegenwart umstritten.295 Eine genauere Betrachtung erhellt indes die Frage, ob subjektives Recht nur die Beziehung zwischen Personen oder auch zwischen Person und Sache ist.296 In einer bestimmten Hinsicht kann subjektives Recht die Relation einer Person auch zu einem Gegenstand sein.297 Klar ist auch, dass es korrelativ nur gegenüber anderen Personen ist. Nur bei anderen Personen bestehen korrelative Pflichten, hingegen nicht bei Sachen; nur Personen sind pflichtfähig298 und nur insoweit ist von einem „Rechtsverhältnis“ (in Abgrenzung zur „Rechtsbeziehung“)299 zu sprechen.300 Diese Differenzierung erklärt sich damit, dass die Relationalität subjektiver Rechte ihrerseits mehrdimensional ist. Rechte sind entweder auf Gegenstände oder Personen gerichtet, hier besteht eine Beziehung einer Person zu einem
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S. etwa Hellwig, Anspruch und Klagrecht, § 1, S. 1; Reinach, Phänomenologie des Rechts, S. 24, 92 ff.; vgl. Motive BGB III, S. 1; Regelsberger, Pandekten, § 13, S. 72; dagegen Portmann, Wesen und System der subjektiven Privatrechte, S. 29 (allerdings auch differenzierend); Imhof, Obligation, S. 15, 151 (S. 151: „Rechtsbeziehungen spielen immer nur zwischen Personen, nie aber zwischen Personen und Sachen“). 295 Aus der Gegenwart zu dieser Diskussion s. oben bereits S. 24 f. sowie (ablehnend) Neuner, Allgemeiner Teil, § 19 Rn. 6; Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, S. 121; ferner auch Hohfeld, 26 Yale L.J. 710, 720 ss. (1917). Wie sich gleich noch zeigen wird, ist dieser Streit eigentlich nur ein scheinbarer Streit; es muss lediglich eine Differenzierung zwischen Rechtsobjekt und Schuldner eingeführt werden, s. dazu sogleich. 296 Vgl. dazu bereits G.K. Neuner, Wesen und Arten der Privatrechtsverhältnisse, § 2, S. 10 („[…] während daher, wenn wir auf das faktische Objekt sahen, das Rechtsverhältnis als ein Verhältnis der Person bald zu sich selbst, bald zu einer andern Person, bald zu einer Sache erschien, zeigt sich aus dem Standpunkte des juristischen Objektes ein jedes Rechtsverhältnis als […] Verhältnis des Berechtigten zu dem zur Anerkennung dieses Verhältnisses gebundenen Willen dritter Personen.“). 297 Vgl. Hellwig, Anspruch und Klagrecht, § 1, S. 1 („Beziehung des Individuums zu einer (körperlichen) Sache, kraft deren die Sache der unmittelbaren Herrschaft des Berechtigten unterworfen wird, so daß es Dritten verboten ist, die dem Berechtigten zustehende Herrschaft zu stören“); Imhof, Obligation, S. 75 f. („Person-Gut-Relation“); Portmann, Wesen und System der subjektiven Privatrechte, S. 29; Vonlanthen, Wesen des subjektiven Rechts, S. 94, 99; ferner Neuner, Allgemeiner Teil, § 19 Rn. 6. 298 S. oben S. 20 f., 365 ff. 299 In der Terminologie so wohl Hellwig, Anspruch und Klagrecht, § 1, S. 1, 3 f., der zwischen „Rechtsverhältnis“ und „Beziehung“ unterscheidet. 300 Vgl. Neuner, Allgemeiner Teil, § 19 Rn. 6; Hellwig, Anspruch und Klagrecht, § 1, S. 3 f.; ferner Bucher, Normsetzungsbefugnis, S. 61, 78 („aktuelle Pflicht“ als „Korrelat des erhobenen Anspruchs“); s.a. Achterberg, Rechtsverhältnisordnung, S. 35, wonach das „Rechtsverhältnis“ immer mindestens zweier Subjekte bedarf; Portmann, Wesen und System der subjektiven Privatrechte, S. 29 („Rechtsbeziehungen sind normative Beziehungen und können als solche ausschliesslich zwischen Rechtssubjekten bestehen“); ferner auch Hohfeld, 26 Yale L.J. 710, 718, 720 ss. (1917).
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Gegenstand301 oder einer Person (bzw. genauer gesagt deren Handlungen302).303 Schuldner (Pflichtsubjekt304) dagegen sind notwendig Personen.305 Insoweit richtet sich das Recht gegen eine Person, die ihrerseits eine korrelative Pflicht trifft, welche sie zum Schuldner macht306, mag diese andere Person bestimmt (dann relatives Recht)307 oder unbestimmt (erga omnes; dann absolutes Recht)308 sein. D.h. das subjektive Recht kann zwar eine Relation einer Person zu einer Sache vermitteln.309 Die Sache ist aber nur Rechtsobjekt, nicht (Pflicht-)Sub-
301 Vgl. Hellwig, Anspruch und Klagrecht, § 1, S. 1, 3 f.; Neuner, Allgemeiner Teil, § 19 Rn. 6. Allerdings wird insoweit infragegestellt, dass es um eine rechtliche Beziehung zu einem Gegenstand geht, s. Imhof, Obligation, S. 15 f., wonach die Beziehung der Person zur Sache „tatsächlicher Natur“ sei. 302 Vgl. auch Imhof, Obligation, S. 48, 60 f.; Vonlanthen, Wesen des subjektiven Rechts, S. 108; ferner H. Lehmann, Allgemeiner Teil, § 12, S. 76 f. 303 S. Imhof, Obligation, S. 75 f. („Person-Gut-Relation“); Vonlanthen, Wesen des subjektiven Rechts, S. 99 („Rechtsgegenstand“); Hellwig, Anspruch und Klagrecht, § 1, S. 1 f.; vgl. auch Portmann, Wesen und System der subjektiven Privatrechte, S. 29; ferner Hohfeld, 26 Yale L.J. 710, 733 s. (1917). Diesen Unterschied hat die früher übliche Unterscheidung ius in re – ius ad rem bzw. in personam deutlich gemacht, vgl. Bucher, Normsetzungsbefugnis, S. 135 f. 304 Zu diesem Begriff Achterberg, Rechtsverhältnisordnung, S. 39 f.; H. Lehmann, Allgemeiner Teil, § 11, S. 73. 305 S. dazu zuvor Fn. 300 sowie Imhof, Obligation, S. 15, 151; vgl. Bucher, Normsetzungsbefugnis, S. 45 f. (der aus der Perspektive seiner Normsetzungsbefugnistheorie das „normsetzende Subjekt“ und den verpflichteten „Normadressaten“ für notwendig hält); ferner Hohfeld, 26 Yale L.J. 710, 718, 720 ss. (1917) (p. 722: „all rights in rem are against persons“). 306 S.a. Achterberg, Rechtsverhältnisordnung, S. 40. 307 Ist der Schuldner bestimmt, wird von Relativität gesprochen, vgl. Bucher, Normsetzungsbefugnis, S. 144. 308 Zur Unterscheidung relatives – absolutes Recht s. oben bereits S. 26 f. sowie etwa Bucher, Normsetzungsbefugnis, S. 132 ff.; Imhof, Obligation, S. 41 f., 54, 153, 164, 174, der deutlich macht, dass es auch beim absoluten Recht Schuldner gibt. Auch beim absoluten Recht bestehen korrelative Pflichten, insoweit nämlich das absolute Rechte eine Ausschlussbefugnis vermittelt und andere Personen die Pflicht trifft, das absolute Recht nicht zu verletzen, vgl. Bucher, Normsetzungsbefugnis, S. 153; a.A. Reinach, Phänomenologie des Rechts, S. 28 („Neben sie stellen wir die absoluten Rechte, welche ebenfalls nur eine Person als Träger voraussetzen, aber keine zweite, der gegenüber sie bestehen“), S. 88 f. („Die Absolutheit von Rechten und Verbindlichkeiten bedeutet den Mangel jeglicher Gegnerschaft, nicht etwa deren Universalität, nicht also, daß die absolut genannten Rechte und Verbindlichkeiten allen Personen gegenüber bestehen im Gegensatze zu den obligatorischen, welche an eine einzige Person gebunden sind“). Ist aber die Person nicht bestimmt, dann wird auch nicht von „Rechtsverhältnis“ gesprochen, vgl. Bucher, Normsetzungsbefugnis, S. 61 Fn. 1; a.A. Imhof, Obligation, S. 154 f., der auch bei absoluten Rechten von Rechtsverhältnis spricht; in diese Richtung wohl auch Hohfeld, 26 Yale L.J. 710, 718, 740 ss. (1917), der auch bei den rights in rem von einzelnen RechtPflicht-Beziehungen (actual or potential) ausgeht, hingegen nicht annimmt, dass das Recht Pflichten einer unbestimmten Zahl von Schuldnern begründet. 309 Imhof, Obligation, S. 75 f.; vgl. Neuner, Allgemeiner Teil, § 19 Rn. 6.
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jekt.310 Korrelativ, d.h. im Sinne eines Recht-Pflicht-Verhältnisses ist es nur gegenüber Personen – d.h. ein Recht an Sachen begründet die Pflicht anderer Personen, dieses Recht nicht zu verletzen.311 (3) Das Verhältnis von subjektivem Recht und Anspruch Vor diesem Hintergrund kann man auch das Verhältnis von subjektivem Recht und Anspruch bestimmen: Ist das subjektive Recht hinsichtlich Rechtsobjekt (als Tun oder Unterlassen einer anderen Person) sowie Schuldner bestimmt, ist (bzw. „wird zum“312, „gewährt“313) das subjektive Recht ein(en) Anspruch.314 Es handelt sich demnach um ein Konkretisierungsverhältnis315, wodurch das 310 S. Bucher, Normsetzungsbefugnis, S. 113, 153 („Beziehungspunkt“); s. ferner G.K. Neuner, Wesen und Arten der Privatrechtsverhältnisse, § 18, S. 148, der hier mit einer anderen Unterscheidung operiert, nämlich derjenigen zwischen faktisch und juristisch: Die Beziehung zu dem Gut ist die faktische Seite des Rechtsverhältnisses; dagegen wird „als Rechtsverhältnis […] ein Verhältnis immer nur Dritten gegen über von Bedeutung“. 311 S. Imhof, Obligation, S. 15 f., 41 f., 151, 153, 164, 174; Hellwig, Anspruch und Klagrecht, § 1, S. 3 f.; G.K. Neuner, Wesen und Arten der Privatrechtsverhältnisse, § 2, S. 4, 10; § 18, S. 148 f.; Neuner, Allgemeiner Teil, § 19 Rn. 6; so auch Hohfeld, 26 Yale L.J. 710, 718, 720 ss. (1917). 312 Aicher, Eigentum als subjektives Recht, S. 63. Zu dieser Frage (Wesensgleichheit von subjektivem Recht und Anspruch, „Metarmorphose“?) im Hinblick auf Savigny und Windscheid s. oben S. 190 Fn. 801; S. 192 Fn. 815 sowie Buchheim, Actio, S. 39 ff., 44 f. 313 S. etwa Regelsberger, Pandekten, § 52, S. 215 („Das Recht ist der Grund des Anspruchs, die Ansprüche gehen aus dem Recht hervor […]“), ferner S. 216; H. Lehmann, Allgemeiner Teil, § 13, S. 86 („Der Anspruch entspringt aus dem absolutem Recht, ist seine Folgeerscheinung – Ausflußrecht – er ist aber nicht dem absoluten Recht gleichzusetzen“); G.K. Neuner, Wesen und Arten der Privatrechtsverhältnisse, § 18, S. 154, 155 („Wirkung“; „Ausfluss“). 314 Vgl. Aicher, Eigentum als subjektives Recht, S. 62 f. („Der Anspruch präzisiert die Stoßrichtung des subjektiven Rechts“; „Das subjektive Recht wird zum (konkreten) Anspruch“ – wie Aicher deutlich macht, betrifft diese Problematik vor allem das absolute Recht); Steiner, Das Gestaltungsrecht, S. 12 f. (gegen absolute, gegenüber jedermann wirkende „Ansprüche“); Hellwig, Anspruch und Klagrecht, § 3, S. 25 („Die Existenz eines Anspruchs ist dadurch bedingt, daß sowohl die Person des Berechtigten und des Verpflichteten, als der Verpflichtungsgrund und der Inhalt der Leistung bestimmt sind“); G.K. Neuner, Wesen und Arten der Privatrechtsverhältnisse, § 18, S. 155 („Die Rechte oder Befugnisse, welche dahin gehen, daß der Berechtigte gegen eine bestimmte andere Person ein bestimmtes Thun, Lassen oder Dulden beanspruchen darf, nennen wir eben darum Ansprüche […]“); ferner Regelsberger, Pandekten, § 52, S. 214 f., 218. 315 Zu diesem Konkretisierungsaspekt s. die Fn. zuvor sowie vgl. Larenz/Wolf, Allgemeiner Teil, § 15 Rn. 44, 67 f. (gegen bestimmte Person auf ein konkretes Ziel gerichtet); Bucher, Normsetzungsbefugnis, S. 80 (Bucher grenzt zwar grundsätzlich subjektives Recht und Anspruch anders als hier ab, nämlich über die Ausübung, kraft derer das subjektive Recht zum Anspruch wird, aaO, S. 77 – allerdings ist die Folge ähnlich wie hier, nur der Anspruch bringt „eine konkrete Verhaltenspflicht“ hervor, aaO, S. 80); Schur, Anspruch, absolutes Recht und Rechtsverhältnis, S. 90 ff., 94 ff.; Pawlowski, Allgemeiner Teil, Rn. 329; s. ferner Buchheim, Actio, S. 114, der im Hinblick auf den Anspruch von einer „Konkretisierungsfunktion“ spricht.
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subjektive Recht durch Hinzutreten bestimmter Handlungen oder Umstände entweder zu einem Anspruch wird oder einen Anspruch gewährt.316 ff) Zwischenergebnis (1) Subjektives Privatrecht als rechtliche Befugnis mit relationaler Struktur Sieht man diese verschiedenen Dimensionen des subjektiven Rechts, dann kann man sagen317, dass ein integratives Konzept das subjektive Privatrecht als eine rechtliche Befugnis mit relationaler Struktur erfasst: Eine rechtliche Befugnis, deren Subjekt eine Person ist, deren Rechtsinhalt ein Freiheitsraum ist und deren Prinzip, das über die Ausübung, Ausrichtung und Geltendmachung entscheidet, der Wille ist.318 Rechtsobjekt sind Güter, welche dem Rechtsinhaber durch das subjektive Recht rechtlich zugewiesen werden (Zuweisungsfunktion).319 Der Schuldner kann konkret/bestimmt (relatives Recht) oder abstrakt (erga omnes, absolutes Recht) sein.320 (Zumindest) mittelbarer Entstehungsgrund (causa efficiens321) der subjektiven Rechte ist das Gesetz, unmittelbar können subjektive Rechte aber auch durch Willensakte bzw. die Person begründet werden.322 Unmittelbare Wir316 Vgl. Aicher, Eigentum als subjektives Recht, S. 62 f.; Steiner, Das Gestaltungsrecht, S. 12 f.; s. ferner auch Hellwig, Anspruch und Klagrecht, § 1, S. 4 f., § 3 S. 31. 317 Es geht hier nicht um die Schaffung eines einheitlichen Begriffs des subjektiven Rechts, der nach wie vor bis in die Gegenwart umstritten ist, (s. nur Portmann, Wesen und System der subjektiven Privatrechte, S. 1 ff.), sondern darum einen Begriff zu entwickeln, der die Unterschiedlichkeit des private law enforcement zur herkömmlichen Kategorie des subjektiven Rechts offenlegen kann (dazu gleich noch S. 416 ff.). Vgl. zu einer entsprechend begrenzten Fassbarmachung des subjektiven Rechts unter dem grundgesetzlichen Maßstab Kasper, Das subjektive Recht, S. 163 („So würde auch eine Begriffsbildung „subjektives Recht“ auf der Grundlage aller Grundrechtssätze des Grundgesetzes nicht zu einer einheitlichen geschlossenen Darstellung aller materiellen privatrechtlichen Positionen des Begünstigten führen, solange sich ein Privatrecht, wenn auch im Gesamtrahmen der Verfassung, nicht auf eine bloße Aufbereitung der Grundrechtssätze beschränkt, sondern eine Fülle zusätzlicher Entscheidungen und Eigenregelungen enthält. […] Für die rechtswissenschaftliche Verständigung empfliehlt sich daher, nicht nach überdehnten Begriffskonstruktionen „subjektives Recht“ Ausschau zu halten […], sondern stets von dem gemeinten besonderen Rechtsproblem auszugehen […]“). 318 S. dazu zuvor S. 398 f. 319 Dazu zuvor S. 399 f. sowie Hoffmann, Zession und Rechtszuweisung, S. 35 f. 320 Dazu zuvor S. 410 sowie Bucher, Normsetzungsbefugnis, S. 132 ff.; Imhof, Obligation, S. 41 f., 151 ff. 321 S. Aicher, Eigentum als subjektives Recht, S. 20; Achterberg, Rechtsverhältnisordnung, S. 63 ff. (zum Rechtsverhältnis); vgl. auch Vonlanthen, Wesen des subjektiven Rechts, S. 110 ff., 128 ff. (der aber vom Gesetz den „Rechtsgrund“ unterscheidet). 322 Vgl. Henke, Das subjektive öffentliche Recht, S. 4 f. (zwar auch Vertrag als Mittel der Begründung von Rechten, aber Rechtsordnung als „Entstehungsgrund“; Recht „als eine vom Gesetz begründete und ausschließlich von ihm bestimmte Position“); Achterberg, Rechtsverhältnisordnung, S. 63 ff., 65 f., 76 f. (der insoweit zwischen gesetzlicher „Volldetermination“ und „Teildetermination“ unterscheidet; bei Letzterem ist dann ein Willensakt
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kung subjektiver Rechte323 ist, dass das, was innerhalb der Grenzen des Rechts getan wird, rechtmäßig ist und dass andere Personen, die gegen den Willen des Rechtsinhabers in diesen Freiheitsraum eingreifen, rechtswidrig handeln (Ausschlussfunktion).324 Der Rechtsinhaber ist zur Realisierung der Rechtsmacht befugt.325 Weitere Wirkungen326 sind – bei drohender Verletzung – Abwehr-327 und – bei eingetretener Verletzung328 – Beseitigungs- und Schadensersatzansprüche.329 Subjektive Rechte bilden den Gegenstand von Verträgen, die die Entstehung, Veränderung, Aufhebung, Inhaltsänderung oder Übertragung der subjektiven Rechte bewirken, wobei aber nicht jedes Recht (unveräußerliche Rechte) Gegenstand von Verfügungen sein kann.330 Dagegen ist das Ziel des subjektiven Rechts nicht Begriffsmerkmal, vielmehr steht eine Zielvorgabe in gewissem Spannungsverhältnis dazu, dass das subjektive Recht einen Freiheitsraum gewährt, über dessen Ausrichtung die Person bestimmt.331 Die Klagebefugnis ist ebenfalls nicht Begriffsmerkmal, 323 entscheidend für die Rechtserzeugung bzw. -veränderung; ferner aaO, S. 85 auch Unterscheidung zwischen „unmittelbarer“ und „mittelbarer Normdetermination“); Hoffmann, Zession und Rechtszuweisung, S. 38 („Die vorgelagerte Zuweisung einer Rechtsposition kann sich wieder aus einer Zuweisungsentscheidung der Rechtsordnung oder autonom aus dem Willen eines Privatrechtssubjekts zur Zuweisung und einem entsprechenden Rechtsgeschäft ergeben“). 223 Dazu bereits G.K. Neuner, Wesen und Arten der Privatrechtsverhältnisse, § 18, S. 148 ff. 324 S. dazu oben S. 400; s. Hoffmann, Zession und Rechtszuweisung, S. 37 ff. zur Ausschlussfunktion und Rechtsverletzung. 325 S. dazu oben S. 401. 326 S. dazu oben S. 401 f. sowie G.K. Neuner, Wesen und Arten der Privatrechtsverhältnisse, § 19, S. 162 („Die mittelbaren Wirkungen, geknüpft an den Eintritt eines Gestörtseins des Rechtsverhältnisses“); vgl. Picker, Privatrechtssystem, S. 49 ff., 56 f.; Hoffmann, Zession und Rechtszuweisung, S. 36, 37 f. 327 S. oben bereits S. 402; ferner Picker, Privatrechtssystem, S. 49. 328 Nicht nur bei absoluten, sondern auch bei relativen Rechten, s. Picker, Privatrechtssystem, S. 50, 56. 329 Picker, Privatrechtssystem, S. 49, 54, 56 ff. (ferner Bereicherungsansprüche als „Abschöpfungsrechte“); vgl. auch Bucher, Normsetzungsbefugnis, S. 127 f. zum Zusammenhang von Rechtsverletzung und Schadensersatzpflicht; dagegen aber, dass es sich auch beim Schadensersatzanspruch um eine Wirkung des subjektiven Rechts handelt – dieser beruhe vielmehr auf dem positiven Recht und bedürfe insofern selbständiger Begründung, G.K. Neuner, Wesen und Arten der Privatrechtsverhältnisse, § 20, S. 177 f.; § 21, 197. 330 S. dazu zuvor S. 398 f., 399 f. sowie etwa Bucher, Normsetzungsbefugnis, S. 22 f. (zur Übertragbarkeit subjektiver Rechte); Imhof, Obligation, S. 53. 331 Vgl. Bucher, Normsetzungsbefugnis, S. 151 ff. (zur fehlenden Zweckvorgabe beim absoluten Recht; anders dagegen beim relativen Recht; allerdings ist zu berücksichtigen, dass bei relativen Rechten grds. bestimmte Entstehungstatbestände vorausgehen, entweder durch privatautonome Willensakte oder durch Verletzungshandlungen, dazu auch Bucher, aaO, S. 145; ferner Imhof, Obligation, S. 57 f.); s. zu dieser Frage oben bereits im Hinblick auf Jhering S. 225 f.; vgl. Windscheid, Lehrbuch des Pandektenrechts, 6. Aufl., § 37, S. 98, Fn. 3 („aber in die Definition des Rechts gehört der Zweck, um dessen Willen es verliehen wird, nicht“).
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wohl aber notwendige Wirkung zur Durchsetzung subjektiver Privatrechte, zumindest wenn die Realisierung des Zwangs bedarf.332 (2) Die Notwendigkeit der Form subjektiver Privatrechte Selbst wenn für das Verwaltungsrecht anderes gelten sollte333, ist die Form subjektiver Rechte der Beziehung privater Personen zueinander definitiv vorgegeben. Das Personsein des Menschen und die Aktivität und Eigenwirksamkeit der Person erfordern eine eigenständige Ebene subjektiver Privatrechte sowie die Möglichkeit von zwischen privaten Personen bestehenden Rechtsbeziehungen. Die Gestaltungsfähigkeit reduziert sich nicht auf die gerichtliche Rechtsdurchsetzung.334 Insoweit ist von einer Institutsgarantie subjektiver Privatrechte auszugehen. Wie in den folgenden Abschnitten noch näher zu zeigen sein wird, folgen aus der Form subjektiver Privatrechte wiederum Vorgaben für die Ausgestaltung des Vertrags-, Haftungs- und Zivilprozessrechts.335 c) Der Gegenstand subjektiver Privatrechte Bislang wurde nur darauf eingegangen, dass die Form subjektiver Privatrechte definitiv vorgegeben ist und was die Dimensionen des subjektiven Rechtsbegriffs sind. Noch nicht beantwortet ist, was Gegenstand subjektiver Rechte ist. Allerdings ist auch diese Frage aus dem Vorangegangenen zu beantworten. Zum einen sind es die subjektiven Rechte der Person, die mit den privatrechtsrelevanten Grundrechten336 (Freiheit, Persönlichkeitsrecht, Leben/Gesundheit, Eigentum337 etc. – Art. 2 Abs. 1 GG; Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG; 332 S. dazu oben S. 402 ff.; offenlassend Imhof, Obligation, S. 47; wie hier Vonlanthen, Wesen des subjektiven Rechts, S. 115, 117 f. („hypothetische Notwendigkeit“, nicht „Begriffselement“); Hellwig, Anspruch und Klagrecht, § 17, S. 121 f. 333 So Buchheim, Actio, S. 1 ff., 136 ff., 165 ff., der indes nicht generell die subjektiven Rechte derogieren will, sondern vielmehr einen aktionenrechtlichen Ansatz verfolgt, der mit den subjektiven Rechten verbunden sein soll (aaO, S. 118 f.). Ein „rein aktionenrechtlicher“ Ansatz soll demgegenüber nicht mit den verfassungsrechtlichen Anforderungen vereinbar sein (aaO, S. 165). 334 S. dazu zuvor S. 396 ff. 335 S. dazu unten S. 454 ff., 482 ff. sowie 543 ff. 336 Zu den „güterzuordnungsrelevanten“ Grundrechten vgl. Peukert, Güterzuordnung als Rechtsprinzip, S. 73 ff. (wobei aber nur die Eigentumsgarantie „güterzuordnende Kraft“ haben soll, aaO, S. 84); s. ferner Rödl, Gerechtigkeit, S. 381 ff. („bürgerliche Grundrechte“). 337 Beim (Privat-)Eigentum besteht freilich anerkanntermaßen die Institutsgarantie, s. dazu oben S. 352 sowie etwa BVerfGE 31, 229, 239; 50, 290, 339; 58, 300, 339; s. ferner Bäuerle, Vertragsfreiheit und Grundgesetz, S. 378 f. (Verpflichtung zur Schaffung „privater Eigentumsrechte“); zur Reichweite der Garantie im Hinblick auf andere Sachen- oder Vermögensrechte vgl. bereits Laufke, in: Nipperdey (Hrsg.), FS Lehmann, S. 145, 156 („Immerhin steht fest, daß unter Eigentum im Sinne des Art. 14 jedenfalls auch das Eigentum im Sinne
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Art. 2 Abs. 2 GG; Art. 14 Abs. 1 GG) korrespondieren.338 Aus dem vorher genannten Zusammenhang ist klar, dass für die privatrechtsrelevanten auch grundrechtlich geschützten Rechte (Leben, Gesundheit, Freiheit, Persönlichkeitsrecht, Eigentum) infolge der Schutzpflichtendimension und der Ausgestaltungsbedürftigkeit das Gegebensein subjektiver Privatrechte definitiv vorgegeben ist.339 Insoweit wird man von einer Institutsgarantie subjektiver Privatrechte hinsichtlich dieser privatrechtsrelevanten Grundrechte ausgehen müssen. Hier muss die Privatrechtsordnung Regelungen vorsehen, die den Schutz und die Durchsetzung dieser subjektiven Rechte beinhalten340 – was das im Einzelnen bedeutet, darauf wird später noch näher einzugehen sein341. Jedenfalls muss der Gesetzgeber sicherstellen, dass die Person gegenüber anderen Privaten subjektive Privatrechte auf Leben, Gesundheit, Freiheit, Eigentum sowie ein allgemeines Persönlichkeitsrecht hat. Zum anderen sind es die Rechte, die Folge der Eigenwirksamkeit und Aktivität der Person und ihrer Willensbetätigung sind; und d.h. vor allem die aus Vertrag entstehenden subjektiven Rechte, auf die gleich noch näher einzugehen sein wird.342 Auch dies ergibt sich aus den verfassungsrechtlichen Vorgaben, die mit der Vertragsfreiheit und der Privatautonomie das Recht auf „Ge-
des338BGB zu verstehen ist. Man wird daher sagen können, ein Institut, das die Wesenszüge des heutigen Sacheigentums trägt, wird in seinem Bestande garantiert. Darüber hinaus ergibt sich aus dem Gesetze nicht, welche Vermögensrechte im einzelnen gewährleistet werden. Man wird nur sagen können, daß der Gesetzgeber gehalten sei, das geltende System der Vermögensrechte nicht durch ein vom Vermögensrecht des BGB wesensverschiedenes System zu ersetzen und das System des BGB nicht Veränderungen zu unterwerfen, welche das Wesen des heutigen Systems der Vermögensrechte berühren würden. Als wesenhaft für dieses System wird man das Bestehen einer Vielzahl von Vermögensrechten, welche den verschiedenartigsten Bedürfnissen gerecht werden können, ansehen müssen.“). 338 Vgl. auch Kirchhof/Isensee, Handbuch des Staatsrechts, § 191 Rn. 6; Nipperdey, Grundrechte und Privatrecht, S. 14 f. („Es handelt sich um die unmittelbar normative Wirkung einzelner Grundrechtsbestimmungen in ihrer Eigenschaft als objektives, verbindliches Verfassungsrecht, das Bestimmungen des Privatrechts aufgehoben, modifiziert, ergänzt oder neu geschaffen hat. Dieses Verfassungsrecht enthält für Rechtsgebiete außerhalb der Verfassung nicht nur „Leitsätze“ oder „Auslegungsregeln“, sondern eine normative Regelung der gesamten Rechtsordnung als Einheit, aus der auch unmittelbar subjektive private Rechte des einzelnen fließen. […] Soweit aus dem Grundrecht ein subjektives Privatrecht abzuleiten ist, genießt es als „sonstiges Recht“ den Schutz des § 823 Abs. 1 BGB“), ferner S. 22 („Würde und Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit des Menschen sind die integrierenden Bestandteile eines allgemeinen Persönlichkeitsrechts, das damit durch die Rechtsordnung als subjektives öffentliches und privates Recht gewährleistet ist“); Kasper, Das subjektive Recht, S. 161 f. 339 Zur Ausgestaltungsbedürftigkeit und zur Schutzpflichtendimension s. oben bereits S. 344 ff., 349 ff. 340 S. dazu oben S. 344 ff., 349 ff.; vgl. auch Nipperdey, Grundrechte und Privatrecht, S. 15. 341 S. dazu unten S. 454 ff., 482 ff. sowie 543 ff. 342 S. dazu oben bereits S. 397 f. sowie unten noch S. 454 ff.
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staltung der Rechtsverhältnisse durch den Einzelnen nach seinem Willen“343 einräumen. d) Das Verhältnis von subjektiven Rechten und private law enforcement aa) Unterschiedlichkeit? Nun stellt sich aber die Frage, ob und inwieweit der Privatrechtsgesetzgeber frei ist, neben oder außerhalb dieses Bereichs andere Formen subjektiver Privatrechte oder Klagrechte zu kreieren, d.h. konkret, wie mit dem private law enforcement umzugehen ist.344 Wie zuvor bereits deutlich wurde, ist Kernelement des private law enforcement die Schaffung privater (Klag-)Rechte345 zur Durchsetzung allgemeinwohldienlicher Normen, die ein bestimmtes, aus gesellschaftlichen Interessen gebotenes Verhalten vorschreiben.346 Typischerweise geht damit die Schaffung kollektiver Rechtsbehelfe347 und die Etablierung von Gewinnabschöpfungsansprüchen, Strafschadensersatz oder anderen Sanktionen zur effektiven Verhaltenssteuerung einher.348 Dass die (Klag-)Rechte des private law enforcement gegenüber den „klassischen“ subjektiven Privatrechten ein aliud sind349, erscheint zwar nach den oben erfolgten rechtstheoretischen Ausführungen klar.350 Worin dieser Unterschied aber konkret besteht, ist nicht ganz einfach fassbar. Ob eine Ausgestal-
343
BVerfGE 72, 155, 170; 89, 214, 231. S. dazu oben bereits S. 243 ff. 345 Zu diesem Begriff s. oben bereits S. 388 ff. Ob es sich bei den private law enforcement„Rechten“ wirklich um subjektive Privatrechte oder nur um „Klagrechte“ oder „Klagebefugnisse“ handelt, s. dazu gleich noch näher S. 419 ff., wo deutlich wird, dass die private law enforcement-Rechte zwar als materielle subjektive Privatrechte ausgestaltet sein können, dass sie aber aufgrund ihrer Struktur nur atypische subjektive Privatrechte sind und deshalb ihrem Inhalt nach im Klagrecht aufgehen. 346 Typischerweise auf Unterlassung gerichtet, s. B. Hess, JZ 2011, 66, 67; Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, S. 183 ff., 187 ff., 193 ff. (zum Unionsrecht), 369 ff., 630 ff.; Reimann, Bitburger Gespräche 2008, S. 105 ff.; ferner Bruns, ZZP 125 (2012), 399, 402, 405 f. 347 Zum Zusammenhang von private law enforcement und kollektiven Rechtsschutzverfahren Bruns, ZZP 125 (2012), 399, 402, 405 f.; B. Hess, JZ 2011, 66 ff.; Poelzig, Normdurchsetzung durch Privatrecht, S. 526 ff.; ferner bereits Carrington, Bitburger Gespräche 2003, S. 33, 35, 49 ff. 348 Bruns, ZZP 125 (2012), 399, 405; B. Hess, JZ 2011, 66, 67 („wirksame Abschreckung“), 72; s.a. Carrington, Bitburger Gespräche 2003, S. 33, 35 zu den Mechanismen und Instrumenten. 349 Vgl. z.B. Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 47 Rn. 12 (im Hinblick auf § 3 UKlaG: „Trotz dieser gesetzlichen Klarstellung bleibt in der Sache festzuhalten, dass die Verbände in der Sache Allgemeininteressen und nicht klassische subjektive Rechte verfolgen“); Gottwald, ZZP 91 (1978), 1, 20 f. („Kernbereich klassischer subjektiver Rechte“). 350 Vgl. dazu oben S. 243 ff., 395 ff. 344
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tung des private law enforcement durch „selbständige Klagrechte“351 oder materiell-subjektive Ansprüche vorgenommen wird, ist grundsätzlich nur eine Frage gesetzgeberischer Entscheidung.352 Auch private law enforcementRechte können als materielle subjektive Privatrechte ausgestaltet sein (§§ 1, 1a, 2 UKlaG; §§ 8, 10 UWG; §§ 33, 34a GWB).353 Daher ist zu untersuchen, worin davon abgesehen die konstruktiven Unterschiede liegen. 351 Zum Begriff s. oben bereits sowie Hadding, JZ 1970, 305, 310 („selbständige Prozeßführungsbefugnis“ im Sinne einer „aktionenrechtlichen Regelung“); Halfmeier, Popularklagen im Privatrecht, S. 275 ff.; kritisch gegenüber dem Anspruchsmodell auch Häsemeyer, in: Bernreuther (u.a.) (Hrsg.), FS Schellenberg, S. 99, 102 f. 352 S. Buchheim, Actio, S. 118 f., 134 f., 136, der deutlich macht, dass es die gesetzliche Ausgestaltung ist, die darüber entscheidet, ob ein subjektiv- und/oder aktionenrechtliches Modell gewählt wird und wie das Verhältnis von materiellem und Prozessrecht ausfällt; s.a. Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, S. 630 f. („vielmehr steht es dem Gesetzgeber frei, in regulatorischer Absicht subjektive Rechte oder Rechtspositionen zu schaffen“); wohl a.A. Häsemeyer, in: Bernreuther (u.a.) (Hrsg.), FS Schellenberg, S. 99, 100 f. So sieht etwa § 2 UKlaG „Ansprüche“ bei „verbraucherschutzgesetzwidrigen Praktiken“ vor, die bestimmten qualifizierten Einrichtungen „zustehen“ (§ 3 Abs. 1 UKlaG; s. ferner auch § 34a GWB zu den kartellrechtlichen „Gewinnabschöpfungsansprüchen“ von Verbänden, deren Erlös an den Bundeshaushalt fließt). Nach heute h.M. soll es sich hierbei um Ansprüche, d.h. materielle subjektive Privatrechte der Verbände handeln (s. Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 47 Rn. 11; Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, S. 251; Poelzig, Normdurchsetzung durch Privatrecht, S. 413 ff.). Damit folgt die Ausgestaltung beim UKlaG der Form materieller subjektiver Privatrechte. Denkmöglich wäre aber auch eine aktionenrechtliche Ausgestaltung, die dem klagenden Verband ein (selbständiges) Klagerecht zusprechen würde (s. Hadding, JZ 1970, 305, 310 [„selbständige Prozeßführungsbefugnis“ im Sinne einer „aktionenrechtlichen Regelung“]). Ferner wurde eine Ausgestaltung als gesetzliche Prozessführungsbefugnis diskutiert (s. dazu auch Hadding, JZ 1970, 305, 309 f. – allerdings grenzt er von der gesetzlichen Prozessstandschaft die „selbständige Prozeßführungsbefugnis“ ab, die aktionenrechtlich zu verstehen ist und – im Gegensatz zur gesetzlichen Prozessführungsbefugnis – kein materielles subjektives Privatrecht voraussetzt, das im Wege der gesetzlichen Prozessstandschaft geltend gemacht wird; Marotzke, ZZP 98 (1985), 160, 184 ff. 188 ff. [gesetzliche Prozessführungsbefugnis zur Geltendmachung eines dem Staat zustehenden Unterlassungsanspruchs]; ferner für Einordnung als „besondere prozessuale Befugnis“ zur Geltendmachung fremder Rechte Gilles, ZZP 98 (1985), 1, 8 f.; dazu auch Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 47 Rn. 10). Welche Ausgestaltung (selbständiges Klagrecht – materiell-rechtlicher Anspruch) gewählt wird, ist also alleine abhängig von der gesetzgeberischen Entscheidung. Klar ist weiter, dass auch Klagrechte subjektive Rechte sind; allerdings sind sie gegen das Gericht bzw. den Staat gerichtet, dazu Buchheim, Actio, S. 100, 101 ff., 118 (actio als subjektives gegen das Gericht gerichtetes Recht auf Entscheidung) sowie oben bereits S. 390 f., 407 f. Man könnte daher sagen, dass Klagrechte als solche zwar subjektive Rechte, aber eben keine subjektiven Privatrechte (vgl. zur Abgrenzung Buchheim, Actio, S. 118 f.: actio im Sinne eines „Gerichts-gerichteten subjektiven Rechts“ als Gegenbegriff zum „subjektiven Recht im materiellen Rechtsverhältnis“) sein können, dazu auch oben bereits S. 408 sowie unten noch S. 419 ff. Zur Trennbarkeit von subjektivem Recht und Klagrecht sowie dazu, dass sich beides nicht notwendig gegenseitig bedingt, vgl. Buchheim, Actio, S. 95, 96, 118 f. 353 S. die Fn. zuvor sowie Poelzig, Normdurchsetzung durch Privatrecht, S. 413 ff.; vgl. Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, S. 630 f.; ferner Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 47 Rn. 1, 10 ff. (zur möglichen Konstruktion als Popularklage, gesetzliche
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bb) Phänomenologisch-rechtsvergleichende Abgrenzung Einen ersten Anhaltspunkt zur Klärung dieser Frage kann die Untersuchung der US-amerikanischen Rechtsentwicklungen beisteuern.354 So wurde bei der Behandlung der US-amerikanischen Rechtsentwicklungen auf die Schaffung „neuer“ Klagrechte in den 1960er Jahren rekurriert – es scheint hier um einen doppelten Begriff subjektiver Rechte zu gehen.355 Bei thematischer Betrachtung handelt es sich um Rechte, die bestimmten Rechtsbereichen wie dem Arbeitsrecht, dem Umweltrecht, dem Produkthaftungsrecht oder der Antidiskriminierung zuzuordnen sind.356 Sie unterscheiden sich von den „klassischen“ naturrechtlichen Individualrechten auf Leben, Freiheit oder Eigentum („right to life, liberty and the pursuit of happiness“), ferner auch von vertraglichen Rechten.357 Während die „klassischen“ Rechte vor allem den Freiheitsraum des Individuums konstituieren und schützen, geht die Zielrichtung der „neuen“ Klagrechte weg von der individuellen Freiheitssphäre und hin zur Verwirklichung gesellschaftlicher politischer Ziele.358 Es geht um die Durchsetzung von öffentlichen Interessen dienenden Normen.359 Damit korrespondierend lässt sich konstatieren, dass diese Rechte typischerweise in Zusammenhang mit Verhältnissen stehen, die eine Pluralität von Personen, d.h. eine Vielzahl gleicher Sachverhalte betrifft. Es geht in der Regel nicht um rein bipolare Rechtsverhältnisse, sondern um Rechte gegen einen privaten Rechtsträger, der an einer Vielzahl ähnlicher Verhältnisse beteiligt ist 354 Prozessführungsbefugnis oder Anspruch); a.A. Häsemeyer, in: Bernreuther (u.a.) (Hrsg.), FS Schellenberg, S. 99, 100 ff. (gegen die Möglichkeit einer Ausgestaltung als privater Anspruch oder als gesetzliche Prozessstandschaft), S. 103 ff. (für eine öffentliche Ausgestaltung als Unterlassunganspruch im Rahmen einer Beleihung). Zur Ausgestaltung von §§ 1 ff. UKlaG, §§ 8, 10 UWG, §§ 33, 34a GWB als materiell-rechtliche Ansprüche s. etwa Alexander, JuS 2009, 590, 593 f.; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 47 Rn. 11. 354 S. dazu oben S. 286 ff., 297 ff. 355 Vgl. auch ansatzweise zu dieser Differenzierung Stewart/Sunstein, 95 Harvard L. Rev. 1193, 1199 s., 1204 ss., 1247 s. (1982); Sunstein, 101 Harvard L. Rev. 421, 438 ss. (1987–1988) (dort allerdings zum New Deal). 356 S. dazu oben S. 297 f. sowie Bruns, ZZP 125 (2012), 399, 405 f.; Reimann, Bitburger Gespräche 2008, S. 105, 110 ff., aber auch S. 127 dazu, dass das private law enforcement hierauf nicht beschränkt ist. 357 Vgl. zur Kritik an einem solchen Verständnis von primary rights Clark, 33 Yale L.J. 817, 819 (1923–1924). Corbin etwa lehnt die Existenz „unveräußerlicher Rechte“ auf Leben und Freiheit („inalienable right to life, liberty and the pursuit of happiness“) ab, vielmehr könne jedes Recht entzogen werden, wenn die Gesellschaft die Sanktion entfallen lässt („every right without exception can be extinguished totally by the withdrawal of the societal sanction“), s. Corbin, 33 Yale l.J. 501, 510 (1923–1924) – freilich aus der „deskriptiven“ Perspektive des Legal Realism, s. aaO, p. 501. 358 S. dazu oben S. 243 ff., 297 ff.; vgl. ferner Poelzig, Normdurchsetzung durch Privatrecht, S. 416 ff., 428 f.; Bruns, ZZP 125 (2012), 399, 405 f. 359 S. Poelzig, Normdurchsetzung durch Privatrecht, S. 416 ff., 425 ff.; Bruns, ZZP 125 (2012), 399, 402, 405 f. sowie oben S. 243 ff., 297 ff.
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und entsprechende, eine Vielzahl von Personen betreffende Pflichten hat.360 Gerade letzteres verweist auf den engen Zusammenhang mit kollektiven Rechtsbehelfen.361 Der Schutzzweck dieser Rechte ist auf die Allgemeinheit gerichtet; es geht nicht nur um das bipolare Verhältnis Privater untereinander, sondern um Normen, deren Verwirklichung dem Gemeinwohl und öffentlichen Interessen dient.362 cc) Private law enforcement aus der Perspektive des subjektiven Rechtsbegriffs (1) Zielsetzung Aufbauend auf diesen rechtsvergleichenden Beobachtungen ergibt sich die Unterschiedlichkeit aus dem mehrdimensionalen subjektiven Rechtsbegriff. Es gibt zwar mehrere Aspekte der Rechte des private law enforcement, die keine Besonderheiten zum allgemeinen Begriff des subjektiven Privatrechts darstellen. Die im Kontext des private law enforcement geschaffenen (Klag-) Rechte sind typischerweise auf eine Handlung bzw. Unterlassung einer anderen Person gerichtet.363 Die (gerichtliche) Geltendmachung der Rechte liegt im Willen einer privaten Person.364 Das Besondere liegt aber darin, dass die (Klag-)Rechte des private law enforcement regelmäßig eine Zielvorgabe enthalten, die auf ein bestimmtes sozial gewünschtes Verhalten anderer Personen abzielt.365 Dieses Ziel ist die inhaltliche Rechtfertigung dieser Rechte, d.h. in ihrer Zielrichtung sind sie determiniert.366 Nun könnte man dagegen einwenden, dass diese Zielvorgabe 360 Vgl. insoweit zum private law enforcement und zum private attorney general, der selbst gerade nicht notwendig individuell betroffen sein muss, Morrison, 103 Michigan L. Rev. 589, 590, 598, 602 s. (2005). 361 Vgl. dazu Bruns, ZZP 125 (2012), 399, 402, 405 f.; B. Hess, JZ 2011, 66 ff.; s.a. Poelzig, Normdurchsetzung durch Privatrecht, S. 526 f. 362 S. Poelzig, Normdurchsetzung durch Privatrecht, S. 416 ff., 425 f.; Bruns, ZZP 125 (2012), 399, 405 f.; B. Hess, JZ 2011, 66, 67. 363 Dazu, dass Unterlassungsansprüche/-klagen im Zentrum des private law enforcement stehen – Schadensersatz-, Gewinnabschöpfungs- und Strafschadensersatzansprüche treten daneben, um die Effektivität der Verhaltenssteuerung zu erhöhen („Vollzugsdefizite“ beheben, „wirksame Abschreckung“), s. etwa B. Hess, JZ 2011, 66 f., 67; ferner zu den Verbandsklagrechten Halfmeier, Popularklagen, S. 250, 382. 364 Vgl. auch Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, S. 560 f., 630 ff., der gerade in dieser privaten Verfahrens- und Durchsetzungsinitiative ein typisches (Abgrenzungs-)Merkmal subjektiver Privatrechte sieht; ferner zum Verbandsklagrecht, dessen Wahrnehmung im Willen des Verbands liegt, Halfmeier, Popularklagen, S. 244 f. 365 Vgl. Bruns, ZZP 125 (2012), 399, 402, 405 f. („soziale Steuerungsfunktion“; „Erreichung sozialpolitischer Ziele“); ferner B. Hess, JZ 2011, 66, 67; Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, S. 50 ff. (zur „Regulierungfunktion“, „verhaltenssteuernder Zweck“), ferner S. 369, 438 ff. 366 Vgl. Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, S. 369 ff., 438 ff.
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7. Kapitel: Die Entwicklung der Konstituenten in der Gegenwart
zwar einen Unterschied zu absoluten Rechten markiert, über deren Ausübung, Gestaltung und Ausrichtung der Rechtsinhaber frei bestimmt.367 Aber bei relativen Rechten (beispielsweise aus Verträgen) ist die Zielrichtung typischerweise ebenso vorgegeben. Diese zielen auf ein bestimmtes Verhalten des Schuldners.368 Allerdings steht dort dann ein Willensakt der verpflichteten Person, der diese Pflicht begründet hat. Die Zielvorgabe resultiert also selbst aus einem Willensakt.369 Oder die relativen Rechte entstehen selbst erst durch eine Verletzung eines absoluten subjektiven Rechts und sind inhaltlich wiederum zielbezogen.370 Beim private law enforcement ist hingegen unmittelbarer Entstehungsgrund die gesetzliche Anordnung, die zugleich das Ziel – Vornahme bzw. Unterlassung bestimmter Handlungen zur Erreichung bestimmter gesellschaftlicher Zwecke – bestimmt.371 Grund ihrer Gewährung ist nicht die Gewährung eines Freiheitsraumes der Person372, sondern ein bestimmtes Ziel: nämlich bestimmten Zwecken (z.B. „Verbraucherschutz“) dienende Verhaltenssteuerung und Regulierung, zu deren effektiver Verwirklichung Pflichten, (Klag-)Rechte sowie Sanktionen geschaffen werden.373 Insofern fehlt hier der Herleitungszusammenhang zu Person, Freiheit und Wille; diese bilden nicht auf Seite des
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Vgl. Bucher, Normsetzungsbefugnis, S. 151 ff. sowie zu dieser Frage oben bereits S. 399 f., 413. 368 S. Bucher, Normsetzungsbefugnis, S. 151 („Zweck relativer Rechte […] meist eine positive Leistung“). 369 Vgl. dazu oben S. 26 f., 397 f., 410 sowie etwa Imhof, Obligation; S. 57 f.; Vonlanthen, Wesen des subjektiven Rechts, S. 112. 370 Vgl. dazu auch Bucher, Normsetzungsbefugnis, S. 145. 371 Vgl. Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, S. 50 ff., 52 ff., 369 ff., 438 ff. 372 Vgl. etwa Vonlanthen, Wesen des subjektiven Rechts, S. 113, wonach Zweck des subjektiven Rechts „der Schutz, das Wohl, die Vollendung und Vervollkommnung der menschlichen Person in ihrem leiblichen, seelischen und geistigen Seinsbestand“ ist; s.a. Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, S. 372, der den Grund der Privatrechte nach der herkömmlichen Sichtweise in Willensfreiheit und Vertrag verortet; ferner zu diesem Unterschied Poelzig, Normdurchsetzung durch Privatrecht, S. 417 f. (S. 418: „Ansprüche […] werden hier nicht um der Person des Rechtsträgers willen verliehen, sondern in erster Linie als Sanktionsinstrument zum Schutz der Funktionsfähigkeit des Marktes“). 373 Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, S. 50 ff. (S. 50: „Einsatz von Recht als staatliches Instrument mit einer über den Einzelfall hinausreichenden Steuerungsfunktion, die auf die Implementierung politischer Allgemeinwohlziele gerichtet ist“), 369 („Für den Gesetzgeber handelt es sich beim (Privat-)Recht in erster Linie um ein Instrument zur Implementierung politischer Ziele“), 373 („Aus Sicht einer folgenorientierten Privatrechtstheorie ist allein entscheidend, welche Pflichten der staatliche Zwangsapparat ggf. durchsetzen würde […]“); s. ferner B. Hess, JZ 2011, 66, 67; Stadler, ZHR 182 (2018), 623, 636; Poelzig, Normdurchsetzung durch Privatrecht, S. 416 ff., 425 ff., 428 f.; Bruns, ZZP 125 (2012), 399, 402, 405 f.; vgl. auch ansatzweise zu den Verbandsklagrechten nach UWG Hadding, JZ 1970, 305, 310 (Schaffung einer Klagebefugnis, „um die Einhaltung bestimmter materiellrechtlicher Unterlassungspflichten zu gewährleisten“).
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Rechtssubjekts das Fundament bzw. die inhaltliche Rechtfertigung der Gewährung.374 Das private law enforcement betrifft in dieser Hinsicht die Entstehung und Gewährung subjektiver Rechte: Woran und worauf hat eine Person Rechte? Beim private law enforcement – und hierin zeigt sich die Verwandtschaft mit der Interessentheorie375 – wird diese Frage durch das Ziel der Gewährung, d.h. die gesellschaftlichen Interessen und nicht durch ein Fundament in Freiheit und Wille des Rechtssubjekts präformiert.376 Daraus ergibt sich, dass beim private law enforcement ein allgemeiner Maßstab für die Begründung von subjektiven Rechten und Pflichten fehlt – woran die Rechtsordnung Rechtsfolgen knüpft, bestimmt sich allein nach den gesellschaftlichen und sozialen Interessen, die sich der Gesetzgeber als Regulierungsziele zu Eigen macht.377 Dass etwa Verbraucherschutz vorrangiges Ziel gegenwärtiger privatrechtsrelevanter Regulierung ist, ist keineswegs zwingend oder exklusiv.378 Genauso gut könnten durch den Gesetzgeber andere Regulierungsziele festgelegt werden.379 374 Zu diesem Begründungszusammenhang bei den subjektiven Rechten vgl. Vonlanthen, Wesen des subjektiven Rechts, S. 105 ff., 110 f.; s. ferner zur Gegenüberstellung der verschiedenen Ansätze Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, S. 372 („Nach einer prinzipienbasierten Privatrechtstheorie liegt stets dann ein „subjektives Recht“ vor, wenn sich ein solches aus den systembildenden Prinzipien – etwa der Willensfreiheit und dem vertraglichen Konsensprinzip – ableiten lässt. Demgegenüber kann für eine folgenorientierte Theorie das „subjektive Recht“ nur dann eine eigenständige Kategorie des Privatrechts darstellen, wenn damit tatsächliche Anreizwirkungen verbunden sind. […] Aus Sicht einer folgenorientierten Privatrechtstheorie ist die reine Willensmacht nur dann ein hinreichender Grund, um von einem subjektiven Recht zu sprechen, wenn daraus notwendig Anreize für den Rechteinhaber oder Dritte folgen“); Poelzig, Normdurchsetzung durch Privatrecht, S. 417 f. 375 Vgl. Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, S. 372. 376 Vgl. Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, S. 52 ff., 369, 372 ff., 438 ff.; Poelzig, Normdurchsetzung durch Privatrecht, S. 417 ff.; ferner Bruns, ZZP 125 (2012), 399, 402, 405 f. 377 Vgl. Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, S. 52 ff., 369, 438 ff.; Poelzig, Normdurchsetzung durch Privatrecht, S. 428 f., ferner S. 423 ff. 378 S. Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, S. 439 („Regulierungsziele können ausnahmsweise einmal durch höherrangiges Recht vorgegeben sein […]; im Regelfall bestehen aber keine derartigen Vorgaben. […] Die Definition des Regulierungsziels ist vielmehr das genuin politische Element der Regulierung, es ist der Punkt, an dem das Recht […] aufgrund einer politischen Intention bewusst in einer Weise gestaltet wird, die weder rechtlich noch sachlich zwingend ist, sondern allein deshalb gewählt wird, um ein bestimmtes Ziel zu verwirklichen“; Fn. weggelassen); s. aber im Hinblick auf die EU zur primärrechtlichen Verankerung in Art. 3 EUV Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, S. 175 ff. (S. 175: „Während das Grundgesetz einen offenen Gemeinwohlbegriff zugrunde legt, demzufolge die demokratisch legitimierte Mehrheit grundsätzlich jedes Anliegen zu einer öffentlichen Aufgabe bzw. einer Staatsaufgabe erheben kann, sind die Ziele (z.B. das Binnenmarktziel) der EU in Art. 3 EUV abschließend festgelegt und können von dieser nicht eigenständig erweitert oder verändert werden“; Fn. weggelassen). 379 Vgl. Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, S. 52 ff., 438 ff.
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(2) Eingeschränkte Relationalität und die Zentralität der Pflicht Auch hinsichtlich des Subjekts ergeben sich Besonderheiten. Die private law enforcement-Klagrechte sind typischerweise nicht einer bestimmten Person zugeordnet.380 Regelmäßig kann eine Vielzahl von Personen (je nach Ausgestaltung Verbände etc.) unabhängig von individueller Betroffenheit381 die (Klag-)Rechte geltend machen.382 Dies verweist auf die Relationalität subjektiver Rechte.383 Die private law enforcement-Klagrechte sind nicht wie die absoluten Rechte auf Schuldnerseite (erga omnes-Wirkung), sondern typischerweise auf Aktivseite (Rechtssubjekt) unbestimmt.384 Das private law enforcement-Modell knüpft insofern eher an die Pflicht an.385 Typischerweise geht es um Unterlassungspflichten.386 380 S. oben bereits S. 296 ff. zum private attorney general; vgl. auch (im Kontext der Diskussion um die Verbandsklagrechte) Marotzke, ZZP 98 (1985), 160, 170 ff., 178 ff.; vgl. ferner zu dieser Frage nach dem Kreis der Anspruchsberechtigten Hoffmann, Zession und Rechtszuweisung, S. 46; s.a. Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, S. 630 f. 381 Dazu, dass beim private law enforcement individuelle Betroffenheit des Klägers typischerweise nicht erforderlich ist, vgl. Morrison, 103 Michigan L. Rev. 589, 590, 598, 602 s. (2005); ferner z.B. zu § 3 UKlaG MünchKomm ZPO/Micklitz/Rott, § 3 UKlaG Rn. 3 (Klage- und Anspruchsbefugnis „ohne ein eigenes rechtliches Interesse“); generell auch zu den Verbandsklagrechten und zum dort fehlenden eigenen Interesse des Klägers Halfmeier, Popularklagen, S. 246 f. 382 S. etwa § 3 Abs. 1 UKlaG; § 8 Abs. 1 u. 3; § 10 Abs. 1 UWG; §§ 33, 34a GWB; ferner auch Art. 1, Art. 4, Art. 7 Richtlinie (EU) 2020/1828; zur Verbandsklage s. unten noch S. 553 f.; s. ferner auch zur Frage, wer zur Klage bei Verletzung von EU-Recht berechtigt ist, Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, S. 184 ff., 193 ff. (dort zu den Kriterien, nach denen Individualrechte im Europäischen Recht entstehen), 202 f. (dort zu den Schadensersatzansprüchen, S. 202: „[…] solche Normen des Unionsrechts individuelle Rechte vermitteln, welche Politikziele verfolgen, die eine Individualisierung der dadurch Betroffenen ermöglichen. Kehrseite dieses Konzepts individueller Rechte ist, dass grundsätzlich jeder „Betroffene“ auch klagebefugt ist“; Fn. weggelassen). 383 S. dazu oben S. 406 ff. 384 Vgl. dazu bereits Marotzke, ZZP 98 (1985), 160, 187 f. (gegen die Annahme eines „subjektlosen Anspruchs“, für Anspruch des Staates); M. Wolf, Die Klagebefugnis der Verbände, S. 17 Fn. 59; s.a. Häsemeyer, in: Bernreuther (u.a.) (Hrsg.), FS Schellenberg, S. 99, 100; zur Frage, ob es „subjektlose Rechte“ geben kann, s. oben bereits S. 25 Fn. 44 sowie etwa Vonlanthen, Wesen des subjektiven Rechts, S. 94 ff.; H. Lehmann, Allgemeiner Teil, § 11, S. 74 (gegen subjektlose Rechte: „Bei den angeblichen Fällen subjektloser Rechte ist in Wahrheit ein Subjekt vorhanden oder es ist noch gar kein Recht in der Welt, es liegt nur eine Gebundenheit für die Zwecke des künftig Berechtigten vor“). Man kann freilich fragen, inwieweit die (Klag-)Rechte tatsächlich subjektlos sind. So lässt sich argumentieren, dass jeder der bei Verbandsklagen anerkannten Verbände (§ 3 UKlaG) Subjekt der entsprechenden Rechte ist – insofern läge sicherlich in irgendeiner Form „Bestimmtheit“ vor; s. etwa zur Generalität von § 3 UKlaG auch MünchKomm ZPO/Micklitz/Rott, § 3 UKlaG Rn. 3. 385 Vgl. (wenngleich nicht spezifisch auf das private law enforcement bezogen) Hadding, JZ 1970, 305, 310; Marotzke, ZZP 98 (1985), 160, 187 f.; vgl. ferner zu diesem Verhaltenspflichten-bezogenen Ansatz des private law enforcement Poelzig, Normdurchsetzung durch Privatrecht, S. 422 f., 427, 429. 386 Ferner auch um Schadensersatz- und Gewinnabschöpfungsansprüche, die aber ihrerseits hinsichtlich der Entstehung pflicht- und damit verhaltensbezogen sind, s. dazu oben
III. Subjektive Privatrechte
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Gerade dieser Zusammenhang erhellt einen weiteren Unterschied. Private law enforcement korrespondiert mit einem pflichtenbezogenen Ansatz.387 Primäres Konzept ist die Pflicht, zu deren Einhaltung ein Klagrecht eines anderen geschaffen wird.388 Die Geltendmachung und Sanktionierung der Pflichtverletzung durch private Klagrechte ist Mittel zur Erreichung des Ziels der Verhaltenssteuerung.389 Von wem die Einhaltung dieser Pflicht geltend gemacht wird, ist sekundär390 und alleine von der gesetzgeberischen Entscheidung über den Kreis der Klagebefugten abhängig.391 Infolge dieser beim Schuldner ansetzenden Pflichtenorientierung gibt es auch keinen intrinsischen Zusammenhang von Rechtsobjekt und Rechtssubjekt, der herkömmlicherweise über die Kategorien Wille und Freiheit als „Rechtsgründen“392 der subjektiven Rechte vermittelt wird.393 Beim private law enforcement ist die sanktionsbewehrte Pflicht entscheidend, nicht das subjektive Recht, dem so auch keine eigenständige Bedeutung mehr zukommt.394 So387 bereits S. 245 f. sowie etwa B. Hess, JZ 2011, 66, 67; Hadding, JZ 1970, 305, 310; Halfmeier, Popularklagen, S. 382; Marotzke, ZZP 98 (1985), 160, 174, 186 ff.; Poelzig, Normdurchsetzung durch Privatrecht, S. 423, 428; vgl. (zu den Verbandsklagrechten) Rosenberg/Schwab/ Gottwald, Zivilprozessrecht, § 47 Rn. 2 ff. (Rn. 9: ferner Gewinnabschöpfungsansprüche). 387 Vgl. ansatzweise dazu Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, S. 373 f.; Poelzig, Normdurchsetzung durch Privatrecht, S. 422 f., 427. 388 Vgl. Hadding, JZ 1970, 305, 310; Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, S. 369 ff., 373 f.; Poelzig, Normdurchsetzung durch Privatrecht, S. 421, 422 f., 427, 429. S. insoweit bereits oben S. 238 ff. zu Thon, dessen pflichtenorientiertes Modell dazu führt, dass sich der Begriff subjektiver Rechte auf die Ansprüche (im Sinne von Klagebefugnissen) reduziert. 389 Vgl. dazu auch Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, S. 195 f. („Da die Einräumung individueller Rechte […] ein Mittel zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung ist, entspricht es dem Prinzip der effektiven Durchsetzung des Unionsrechts (Effektivitätsgebot), dass die durch das Unionsrecht verfolgten Politikziele soweit wie möglich individuelle Rechte an Einzelne verleihen.“; Fn. weggelassen), 373 („Aus Sicht einer folgenorientierten Privatrechtstheorie ist allein entscheidend, welche Pflichten der staatliche Zwangsapparat ggf. durchsetzen würde […]“); Poelzig, Normdurchsetzung durch Privatrecht, S. 422 f., 427, 429, 433 ff.; ferner zu den Verbandsklagrechten Halfmeier, Popularklagen, S. 250 f. 390 S. insoweit oben bereits S. 296 ff. zum private attorney general; ansatzweise auch zu den Verbandsklagen Hadding, JZ 1970, 305, 310; Halfmeier, Popularklagen, S. 250 f. („Es handelt sich um „rein objektive Verfahren“ zur Durchsetzung des objektiven Rechts unabhängig von der Person des Klägers“; Fn. weggelassen). 391 Vgl. Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, S. 630 f., ferner S. 202 f. zur Anspruchsberechtigung zur Geltendmachung von Unionsrecht; s.a. Poelzig, Normdurchsetzung durch Privatrecht, S. 423 ff. 392 Vgl. Vonlanthen, Wesen des subjektiven Rechts, S. 110 f. 393 Vgl. deutlich zu diesem Gegensatz der unterschiedlichen Modelle auch Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, S. 372 ff. Dies wird gemeinhin unter dem Stichwort der fehlenden eigenen Betroffenheit bzw. des Fehlens eigener Interessen thematisiert, dazu M. Wolf, Die Klagebefugnis der Verbände, S. 5 f., 13 ff., 18 ff. (Gruppeninteresse); Marotzke, ZZP 98 (1985), 160, 178 ff. 394 S. Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, S. 373 ff., weshalb aus dieser Perspektive auch „das Konzept des subjektiven Rechts kein notwendiger Bestandteil des Privatrechts“ ist (S. 374).
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fern der Bezugspunkt von Pflichten nicht in den subjektiven Rechten anderer besteht395, lassen sich Pflichten beliebig denken und konstruieren.396 (3) Die Klagebezogenheit Dementsprechend ist die Relationalität bei den (Klag-)Rechten des private law enforcement eingeschränkt. Tatsächlich wird die Relationalität im Sinne einer konkreten Korrelation mit einem Rechtssubjekt regelmäßig erst durch die Anspruchs- oder Klagerhebung aktualisiert bzw. überhaupt hergestellt.397 Damit aktualisieren sich die private law enforcement-(Klag-)Rechte grundsätzlich erst durch die Geltendmachung bzw. die Klagerhebung398, da erst hierdurch eine bestimmte Person als Rechtssubjekt hinzutritt. Zugleich ist ihr Rechtsinhalt infolge des pflichtenbezogenen Ansatzes und der verhaltenssteuernden Zielsetzung typischerweise auf ein bestimmtes Verhalten des Schuldners gerichtet.399 Weil ihr Inhalt rein pflichten- und verhaltensbezogen ist400 und sie keinen Bezug zu Willen und Freiheit des Berechtigten aufweisen, gehen die Rechte des private law enforcement somit zwar nicht notwendig, wohl aber regelmäßig selbst bei materiell-rechtlicher Ausgestaltung401 in „Klagrechten“ auf.402 Ihr Rechtsinhalt, den sie vermitteln, ist typischerweise klagebezogen.403 Gerade 395 S. dazu oben bereits S. 401 f. (zu den Wirkungen subjektiver Rechte) sowie unten noch S. 465 ff., 469 ff., 481 ff., 487 ff. im Kontext des Haftungsrechts. 396 S. insoweit Picker, Privatrechtssystem, S. 443 zur „Deutungsoffenheit“ eines „verhaltensunrechtlichen“, an die Pflicht anknüpfenden Haftungsrechts, da dieses von den subjektiven Rechten als Bezugspunkt losgelöst ist; vgl. auch Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, S. 564 ff. (die Beantwortung der Frage, welche Pflichten geschaffen werden, ist nur abhängig von der gesetzgeberischen Entscheidung über Regulierungsziel und Regulierungsinstrument). 397 S. zur Problematik, dass der Anspruchsinhaber zuvor unbestimmt ist und es als Folge dessen an der Passivlegitimation fehlt, Häsemeyer, in: Bernreuther (u.a.) (Hrsg.), FS Schellenberg, S. 99, 100 f., 102 (S. 102: „Nicht einmal auf Seiten des Beklagten besteht eine entsprechende Verpflichtung und damit Passivlegitimation, die dann von beliebigen Verbandsklägern „abgerufen“ werden könnte. Privatrechtliche Pflichten ohne korrespondierende Rechte gibt es nicht […]“). 398 S. dazu zuvor S. 422 ff. 399 S. dazu zuvor S. 422 ff.; s. ferner zu den Verbandsklagrechten Halfmeier, Popularklagen, S. 250 mit Verweis auf Stürner, in: Grunsky (u.a.) (Hrsg.), FS Baur, S. 647, 652 Fn. 23. 400 Vgl. zu diesem Aspekt bereits Marotzke, ZZP 98 (1985), 160, 186 ff.; Hadding, JZ 1970, 305, 310. 401 Dazu, dass sich die Ausgestaltung über materielle Ansprüche vollzieht, s. zuvor S. 417 Fn. 352; s. ferner Buchheim, Actio, S. 134 f. zur Rechtsordnungsabhängigkeit, ob ein subjektiv-rechtliches oder aktionenrechtliches Modell gewählt wird. 402 Vgl. auch Halfmeier, Popularklagen, S. 248 ff., 250 ff., der deswegen im Hinblick auf die Verbandsklagrechte eine Einordnung als subjektives Recht ablehnt. 403 S. insoweit auch Halfmeier, Popularklagen, S. 248 f., der im Hinblick auf die „Güterzuordnungstheorie“ darauf hinweist, dass die Verbandsklagrechte dem Klagrechtsinhaber keine Güter zuweisen (S. 249: „Die Zuordnung der Verbandsklagekompetenz zu ihren jeweiligen Inhabern erschöpft sich in der Einräumung der Klagekompetenz […]“).
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deshalb liegt eine Ausgestaltung als (selbständige) Klagrechte nahe; es besteht eine Nähe zur aktionenrechtlichen Konstruktion.404 Damit zeigen sich mehrere Merkmale der im Kontext des private law enforcement stehenden Rechte: eine konkrete Zielvorgabe, die in der Realisierung gesellschaftlicher Interessen besteht405; Schaffung von sanktionsbewehrten Pflichten als primäres Konzept, zu deren Realisierung instrumental private (Klag-)Rechte geschaffen werden406; der fehlende Bezug zu den Kategorien Person, Wille und Freiheit als Rechtsgrund ihrer Gewährung und damit einhergehend die Bestimmung des Rechts durch gesellschaftliche Interessen; eine eingeschränkte Relationalität im Hinblick auf das Rechtssubjekt, die erst durch Anspruchs- bzw. Klagerhebung konkretisiert wird; ein Rechtsinhalt, der typischerweise im Klagrecht aufgeht. Diese Merkmale führen zwar nicht notwendig dazu, dass die private law enforcement-Rechte keine materiellen subjektiven Privatechte mehr wären bzw. dass das private law enforcement nicht subjektiv-rechtlich ausgestaltbar wäre.407 Wohl aber verleihen sie diesen
404 S. dazu zuvor S. 388 ff., ferner S. 417 Fn. 351 f.; vgl. im Hinblick auf die Verbandsklagrechte Hadding, JZ 1970, 305, 310; Halfmeier, Popularklagen, S. 243 ff., 250 ff., 252 ff., 275 ff., 277 f. 405 Vgl. Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, S. 52 ff., 369 („Für den Gesetzgeber handelt es sich beim (Privat-)Recht in erster Linie um ein Instrument zur Implementierung politischer Ziele“), 438 ff. (zu den „Regulierungszielen“). 406 Vgl. auch Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, S. 373 ff. („Aus Sicht einer folgenorientierten Privatrechtstheorie ist allein entscheidend, welche Pflichten der staatliche Zwangsapparat ggf. durchsetzen würde […]. Die Unterscheidung zwischen objektivem Recht und subjektiven Rechten kann in manchen Fällen danach getroffen werden, dass die Geltendmachung Tatbestandsvoraussetzung für das Eingreifen der staatlichen Zwangsvollstreckung ist. Dies ist aber […] kein hinreichendes Kriterium zur Definition des subjektiven Rechts. […] Für folgenorientierte Theorien ist das Konzept des subjektiven Privatrechts kein notwendiger Bestandteil des Privatrechts, subjektive Rechte sind, anders gewendet, nicht erforderlich, um das Privatrecht aus einer folgenorientierten Sicht zu erklären“; Fn. weggelassen). 407 Vgl. Buchheim, Actio, S. 134 f. zur Möglichkeit und Wählbarkeit der subjektiv-rechtlichen oder aktionenrechtlichen Ausgestaltung; s. Poelzig, Normdurchsetzung durch Privatrecht, S. 413 ff., 432 f.; Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, S. 630 f. („vielmehr steht es dem Gesetzgeber frei, in regulatorischer Absicht subjektive Rechte oder Rechtspositionen zu schaffen“; „[…] während es dem Gesetzgeber möglich ist, jenseits solcher Voraussetzungen subjektive Privatrechtspositionen mit regulatorischer Intention zu begründen“), der gerade in der Schaffung subjektiver Rechte (und insoweit in der Ermöglichung privater Verfahrensinitiative) das „Privatrechtliche“ der Regulierung durch Privatrecht erblickt (zu Letzterem aaO, S. 560 f.). S. aber insoweit auch Häsemeyer, in: Bernreuther (u.a.) (Hrsg.), FS Schellenberg, S. 99, 100 f., 102 zur Schwierigkeit der Erfassung in der Form subjektiver Ansprüche; ferner kritisch zur Möglichkeit der Ausgestaltung der Verbandsklagekompetenzen als subjektive Rechte/Ansprüche Halfmeier, Popularklagen, S. 243 ff., 252 ff., 266 ff.
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eine atypische Struktur408, welche eigentlich eine aktionenrechtliche Ausgestaltung in der Form von selbständigen Klagrechten nahelegt.409 dd) Die Möglichkeit des private law enforcement und das Verhältnis zum subjektiv-rechtlichen Privatrechtsmodell (1) Die allgemeinen Vorgaben Gleichwohl ist hierdurch noch nichts darüber gesagt, ob ein Nebeneinander dieser verschiedenen Arten subjektiver Rechte bzw. Klagrechte möglich ist.410 Unbestritten ist im Ausgangspunkt, dass der Gesetzgeber Verhaltensgebote vorsehen und entsprechende (privatrechtliche) Pflichten schaffen kann.411 Hier gelten die allgemeinen verfassungsrechtlichen Vorgaben.412 Dass die Einhaltung entsprechender Normen nicht zwangsläufig von Behörden, sondern auch von nicht-staatlichen privaten Dritten durchgesetzt bzw. eingeklagt werden kann413, mag eine Modifikation zum historisch überkommenen Funktionsmodell staatlicher Aufgabenwahrnehmung darstellen.414 Dass dies aber möglich ist, ist ebenso anerkannt wie unproblematisch.415 Hier gelten die all-
408 S.a. MünchKomm ZPO/Micklitz/Rott, § 3 UKlaG Rn. 3 („abnorme Anspruchs- und Klagezuständigkeiten“); vgl. Häsemeyer, in: Bernreuther (u.a.) (Hrsg.), FS Schellenberg, S. 99, 100 f., 102; ferner Poelzig, Normdurchsetzung durch Privatrecht, S. 428. 409 Vgl. Hadding, JZ 1970, 305, 307 ff., 310 („selbständige Prozeßführungsbefugnis“); ebenfalls zu den „Popular- und Verbandsklagekompetenzen“ Halfmeier, Popularklagen, S. 275 ff. 410 S. Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, S. 379 ff., 383 ff. zur Frage, ob eine „Synthese“ trotz „theoretischer Inkommensurabilität“ der verschiedenen Modelle möglich ist; ferner Wagner, in: Dreier (Hrsg.), Rechtswissenschaft als Beruf, S. 67, 169 ff.; vgl. dazu bereits ansatzweise Gottwald, ZZP 91 (1978), 1, 21. 411 S. zur grundsätzlichen Zulässigkeit von Regulierung durch Privatrecht Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, S. 232 ff., 249 ff. 412 Dazu eingehend Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, S. 249 ff., 265 ff., 288 ff., 300 ff. 413 Gerade in dieser Frage (Schaffung privater subjektiver [Klage-]Rechte) sieht Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, S. 560 f. wohl den Unterschied zwischen öffentlichem und privatem Regulierungsrecht (S. 560: „Die Eigenständigkeit des Privatrechts beruht aus Sicht einer funktionalen Rechtstheorie gerade auf diesem Prinzip der Privatinitiative“). 414 Vgl. Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, S. 252; Reimann, Bitburger Gespräche 2008, S. 105. 415 Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, S. 222 ff., 232 ff.; Poelzig, Normdurchsetzung durch Privatrecht, S. 413 ff., 432 f.; Halfmeier, Popularklagen, S. 362 f.; a.A. im Hinblick auf unterschiedliche Aspekte noch Bettermann, ZZP 85 (1972), 133, 143 (zur Klagebefugnis von Verbänden trotz fehlender eigener Verletzung); Marotzke, ZZP 98 (1985), 160, 172 ff., 188 ff. (bei Möglichkeit der Erhebung von potenziell unzähligen Unterlassungsklagen Verstoß gegen prozessuale Waffengleichheit sowie Art. 6 Abs. 1 EMRK, ferner Art. 2 Abs. 1 GG; nur ein einziges Verfahren zulässig); ferner Stürner, in: Grunsky (u.a.) (Hrsg.), FS Baur, S. 647, 652 f.
III. Subjektive Privatrechte
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gemeinen abwehrrechtlichen Anforderungen, d.h. insbesondere die Anforderungen an die Verhältnismäßigkeit.416 Nicht das Ob, dass Dritte einen Normverstoß geltend machen können, sondern vielmehr das Wie des private law enforcement wird daher im Folgenden näher zu untersuchen sein. Dies betrifft zum einen das Prozessrecht417; zum anderen die möglichen Rechtsfolgen eines entsprechenden Normverstoßes (bzw. „Sanktionen“418).419 Gerade die US-amerikanischen Erfahrungen zeigen hier die eigentliche Herausforderung auf: Die Schaffung eines einheitlichen Prozessrechts, das trotz Ermöglichung des private law enforcement die Durchsetzung der „klassischen“ subjektiven Privatrechte im Individualprozess gewährleistet.420 Es würde zu kurz greifen, in der Erweiterung um das private law enforcement nur eine „Erweiterung“ oder „Stärkung“ von Rechtsschutzmöglichkeiten zu sehen421, die das andere nicht tangiert. Schafft man eine allgemeine Möglichkeit der Geltendmachung von Normverstößen durch Private mit spezifischen Rechtsfolgen und Rechtsschutzinstrumenten, dann ist das keine akzidentelle Ergänzung, sondern betrifft die Gesamtprivatrechtsordnung.422 (2) Die Konkurrenz von private law enforcement- und subjektiv-rechtlichem Privatrechtsmodell Hierdurch wird kein neuer Gegenstand geschaffen, der zuvor nicht Gegenstand privatrechtlicher Regelung gewesen wäre. Vielmehr wird hier für einen bestimmten Gegenstand eine neue Normebene bzw. rechtliche Gestaltungsdimension einschließlich entsprechender prozessualer Möglichkeiten eingezogen.423 Letztlich lässt sich das gesamte Zivilrecht – bzw. besser gesagt, der ge416 S. dazu Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, S. 288 ff., 301 ff. (S. 288: „wirkungsäquivalent zur hoheitlichen Eingriffsverwaltung“); Poelzig, Normdurchsetzung durch Privatrecht, S. 354 ff.; s. ferner oben bereits S. 353 f. 417 S. dazu unten S. 534 ff. 418 Zum Sanktionsbegriff im Kontext des private law enforcement auch Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, S. 461 ff.; ferner auch Schubert, Die Wiedergutmachung, S. 675 f. 419 S. dazu unten S. 494 ff. 420 S. dazu oben S. 327 ff.; vgl. ansatzweise zur Frage nach dem Verhältnis der verschiedenen Rechtsschutzformen Gilles, ZZP 98 (1985), 1, 2 f. 421 In diese Richtung aber etwa Gottwald, ZZP 91 (1978), 1, 21; s. ferner zur Frage der „Alternativität“ und „Ergänzung“ Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, S. 630 ff., 636 ff. 422 S. etwa dazu, dass private law enforcement im Bereich des Verbraucherrechts das betrifft, was nach klassischer Auffassung dem Kernbereich des Zivilrechts zugeordnet ist, H. Roth, JZ 2016, 1134, 1137; s. ferner dazu, dass auch in den USA das private law enforcement nicht auf Sonderrechtsgebiete beschränkt ist, sondern die Gesamtrechtsordnung betrifft, Reimann, Bitburger Gespräche 2008, S. 105, 127. 423 Beispielhaft kann insoweit auf das UKlaG verwiesen werden, mit dem durch Verbände die Unwirksamkeit von AGB geltend gemacht werden soll (§§ 1, 3 UKlaG): Der Gegenstand (Unwirksamkeit von AGB) ist der gleiche, der auch das konkrete Vertragsverhält-
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7. Kapitel: Die Entwicklung der Konstituenten in der Gegenwart
samte Lebensbereich, der dem zugeordnet wird, was nach klassischer Auffassung das „Zivilrecht“ bildete – als Regulierungsrecht „rekonstruieren“ oder ausgestalten.424 So betrachtet ist das private law enforcement nicht lediglich akzidentelle Ergänzung behördlichen Normvollzugs, sondern verwirklicht ein alternatives Privatrechtsmodell425, das auf Verhaltenssteuerung und Prävention durch gesellschaftlichen Interessen dienende Normen und Sanktionen basiert.426 Das pflichtenorientierte und auf Verhaltenssteuerung zielende private law enforcement-Privatrechtsmodell konkurriert folglich mit dem subjektiv-rechtlichen Privatrechtsmodell, das seine Grundlage in Person, Wille und Freiheit findet.427 Wenn Normverletzungen in einem besonderen Verfahren mit spezifischen Rechtsfolgen geltend gemacht werden können, dann betrifft das die materielle Rechtsordnung als solche, da hierdurch eine Verdopplung bzw. zumindest Wahlmöglichkeit der Rechte, Rechtsschutzformen oder Verfahren stattfindet. Gerade diese Probleme zeigt die US-amerikanische Rechtsentwicklung auf, wo prozessuale Veränderungen zu einer grundsätzlichen Verschiebung der Gesamtrechtsordnung geführt haben – letztlich zu einer konkreten Ausgestaltung, die den verfassungsrechtlichen Auftrag, der in Deutschland an die Privatrechtsordnung gerichtet ist, nicht erfüllen kann.428 Die in der Theorie nis424 zwischen einem Verbraucher und einem Unternehmer betrifft. Während dort aber die Frage der Unwirksamkeit typischerweise in einem Rechtsstreit über die jeweiligen vertraglichen Pflichten relevant würde, begründet das UKlaG für diesen Fall Ansprüche und generell-abstrakte Klagemöglichkeiten von Verbänden, mittels derer sie den Unternehmer auf Unterlassung etc. entsprechender AGB in Anspruch nehmen können (dazu auch MünchKomm ZPO/Micklitz/Rott, § 3 UKlaG Rn. 3). Es geht also um denselben Gegenstand, hinsichtlich dessen eine neue Norm- und Anspruchsebene mit neuen Beteiligten und Rechtsbehelfen/Sanktionen eingezogen wird. 424 S. nämlich zu den „tatsächlichen und potentiellen Einsatzbereichen der Regulierung mittels Privatrecht“ Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, S. 289, 98 ff. (Kaufrecht, Sachenrecht), 155 ff., 629 ff.; andererseits aber auch S. 379, 558 dazu, dass keine gänzliche Derogation des klassischen Modells, sondern eine Ergänzung der Modelle intendiert sei; dazu, dass private law enforcement im Verbraucherrecht das „allgemeine Zivilrecht“ betrifft, H. Roth, JZ 2016, 1134, 1137; vgl. ansatzweise auch Reimann, Bitburger Gespräche 2008, S. 105 f. 425 S. Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, S. 369 ff. zur „folgenorientierten Privatrechtstheorie“ (S. 369: „Diese verstehen das (Privat-)Recht als Gesamtheit der (auf Initiative eines Privaten) potentiell mit Hoheitsmitteln durchsetzbaren Handlungsanweisungen, welche das Verhalten von Menschen in einer bestimmten Weise beeinflussen sollen“). 426 Vgl. auch Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, S. 365 ff. (der die verschiedenen Modelle indes anders qualifiziert, und zwar als Gegensatz von „prinzipienbasiertem“ und „folgenorientiertem Privatrechtsverständnis“), ferner S. 383 ff. (zur Notwendigkeit einer „Synthese“ beider Modelle); ferner auch ansatzweise Poelzig, Normdurchsetzung durch Privatrecht, S. 416 ff., 425 ff.; vgl. auch Wagner, in: Dreier (Hrsg.), Rechtswissenschaft als Beruf, S. 67, 169 ff. 427 S. ansatzweise auch Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, S. 365 ff., 379 ff., 558 ff.; Poelzig, Normdurchsetzung durch Privatrecht, S. 416 ff., 425 ff. 428 S. dazu oben S. 327 ff.
III. Subjektive Privatrechte
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scheinbar einfache Abgrenzung wirft dann konkrete Probleme auf. Schafft man entsprechende Klagrechte mit entsprechenden Sanktionen in besonderen Verfahrensformen für Gegenstände, auf die sich auch die klassischen subjektiven Rechte beziehen, dann liegt darin keine Ergänzung, sondern eine Verschiebung, die auch die „klassischen“ subjektiven Privatrechte betrifft. Die Kumulierung von Rechtsschutzformen und Klagrechten kann dazu führen, dass bestimmte andere Rechtsschutzmöglichkeiten faktisch nicht mehr wahrgenommen werden können oder dass die Gesamtrechtsordnung in ihrem Gepräge grundsätzlich verändert wird.429 Die Einheitlichkeit der Privatrechtsordnung wird in einseitig wählbare Rechtsregime aufgespalten.430 Durch die vorangegangenen Untersuchungen wurde jedenfalls deutlich, dass es darum geht, zwei konträre Zivilrechtsmodelle in Einklang zu bringen: zum einen einen subjektiv-rechtlichen Ansatz, der sich um die Kategorien Person, Wille und Freiheit konstituiert; zum anderen einen pflichtenorientierten Ansatz, der durch Schaffung privater Klagrechte auf Verhaltenssteuerung und die Verwirklichung gesellschaftlicher sozialer Interessen abzielt.431 Klar ist, dass insoweit eine normative Hierarchie zugunsten des subjektiv-rechtlichen Privatrechtsmodell besteht. Die Kategorie und die Möglichkeit der Geltendmachung der klassischen subjektiven Rechte ist verfassungsrechtlich determiniert.432 Bei den „klassischen“ subjektiven Rechten ist die privatrechtliche Ausformung wegen der Ausgestaltungsdirektive und Schutzpflichtendimension der Grundrechte sowie einer Institutsgarantie subjektiver Privatrechte notwendig.433 Der Privatrechtsgesetzgeber muss die entsprechenden subjektiven Privatrechte als solche ausgestalten und, wie später noch näher zu erörtern sein wird, die Abwehr von Rechtsverletzungen sowie den Ausgleich bei eingetretenen Rechtsverletzungen ermöglichen.434 Anders ist dies dagegen beim private law enforcement. Hier besteht grundsätzlich kein Verfassungsauftrag zur Schaffung entsprechender Rechte, vielmehr erzeugen entsprechende (Klag-)Rechte Eingriffe auf der Seite des Schuldners.435 Sie sind also 429
S. dazu unten noch die Diskussion S. 534 ff., 552 ff. S. dazu unten noch S. 552 ff., 563 ff. 431 Vgl. ansatzweise, wenngleich mit anderer Differenzierung („prinzipienbasierte“ vs. „folgenorientierte Privatrechtstheorie“) Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, S. 365 ff., 379 ff., 385 ff.; ferner Poelzig, Normdurchsetzung durch Privatrecht, S. 416 ff., 425 ff.; ansatzweise auch im Hinblick auf den Zivilprozess Gilles, ZZP 98 (1985), 1 f. zur Gegenüberstellung von „sozialen Rechtsschutzverfahren“ und der „überkommenen individualistischliberalistischen Konzeption des Zivilprozesses“. 432 S. dazu oben S. 396 ff., 414 sowie unten S. 543 ff.; anders Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, S. 379 ff., 383 ff., der wohl von einer normativen Gleichberechtigung beider Modelle und deswegen von einer „Notwendigkeit“ der „Synthese“ ausgeht. 433 S. dazu oben S. 344 ff., 349 ff., 396 ff., 414. 434 S. dazu unten S. 481 ff., 489 ff. 435 S. dazu oben S. 426 f. sowie Stürner, in: Grunsky (u.a.) (Hrsg.), FS Baur, S. 647, 652 f.; dazu auch Halfmeier, Popularklagen, S. 362 f. 430
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7. Kapitel: Die Entwicklung der Konstituenten in der Gegenwart
rechtfertigungsbedürftig.436 Das private law enforcement und die damit einhergehende Prozessreform dürfen also nicht dazu führen, dass die Form subjektiver Privatrechte und die Möglichkeit individueller Rechtsdurchsetzung437 letztlich derogiert werden.
IV. Vertrag und Vertragsfreiheit 1. Problemstellung Die allgemeinen Vertragslehren sind nach wie vor unverändert intensiv Gegenstand rechtswissenschaftlicher Debatten und Theoriebildung.438 Während aber die durch Gesetz erfolgenden Veränderungen vor allem auf die einzelnen Vertragstypen abzielen439, hat das allgemeine Vertragsrecht von gesetzgeberischer Seite seit Inkrafttreten des BGB nur begrenzte Veränderungen erfahren.440 Grundsätzlich zeigen sich dabei vier rechtswissenschaftliche Theorien, das Vertragsrecht zu konstruieren.441 Zunächst steht hier die Willenstheorie, die den „Willen an sich“ für das „einzig Wichtige und Wirksame“442 hält.443 Der
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Vgl. dazu auch Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, S. 249 ff., 265 ff., 288 ff., ferner aber auch S. 316 f. („Entscheidungen, in denen das BVerfG eine Pflicht des Gesetzgebers bejaht hätte, speziell Mittel des regulatorischen Privatrechts einzusetzen, sind dem Verfasser nicht bekannt. […] Eine Pflicht zum Einsatz von regulatorischem Privatrecht besteht in solchen Konstellationen, in denen ausschließlich privatrechtliche Mittel geeignet sind, die im öffentlichen Interesse bestehende Schutzpflicht zu erfüllen“). 437 S. dazu unten noch S. 543 ff., 550 ff., 552 ff. 438 S. dazu sogleich sowie etwa jüngst Fröde, Willenserklärung, S. 1 ff.; de la Durantaye, Erklärung und Wille, S. 1 ff., 23 ff.; Werba, Die Willenserklärung ohne Willen, S. 11 ff. et passim; s.a. Brehmer, Wille und Erklärung, S. 15; ferner zur Kritik bereits Kramer, Krise des Vertragsdenkens, S. 9 ff.; mit einem Überblick über die Diskussionen der vergangenen Jahrzehnte Bäuerle, Vertragsfreiheit und Grundgesetz, S. 138 ff.; HKK-BGB/Schermaier, §§ 116–124 Rn. 9 ff.; HKK-BGB/Hofer, vor § 145 Rn. 32 ff. 439 S. dazu etwa Bäuerle, Vertragsfreiheit und Grundgesetz, S. 132 ff.:, Neuner, Allgemeiner Teil, § 9 Rn. 15 f. 440 Bäuerle, Vertragsfreiheit und Grundgesetz, S. 25, 132, aber auch S. 132 ff. mit Verweis auf das AGB-Gesetz (jetzt §§ 307 ff. BGB) und den Verbraucher-Widerruf (§§ 355 ff. BGB). 441 Hierzu und zum Folgenden Brehmer, Wille und Erklärung, S. 16 ff.; zur Diskussion von Willens- und Erklärungstheorie de la Durantaye, Erklärung und Wille, S. 25 ff.; Schapp, Grundfragen der Rechtsgeschäftslehre, S. 8 ff., 27 ff., 44 ff.; ferner bereits Manigk, Irrtum und Auslegung, S. 34 ff.; s. schließlich Pawlowski, Rechtsgeschäftliche Folgen, S. 169 ff. m.Nw. auch zu weiteren Ansätzen zur Begründung der Vertragsbindung. 442 Savigny, System, Bd. 3, § 134, S. 258; dazu auch im Kontext der Willenstheorie de la Durantaye, Erklärung und Wille, S. 25. 443 S. zur Willenstheorie ursprünglich oben S. 203 Fn. 872 mit Nw. sowie z.B. Windscheid, Wille und Willenserklärung, S. 3, 7 ff., 30 ff.; Zitelmann, Irrtum und Rechtsgeschäft, S. 244 f., 276 ff., 383 ff.; v. Kübel, Recht der Schuldverhältnisse, S. 135 f., 138, 141 ff.; Hölder,
IV. Vertrag und Vertragsfreiheit
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Vertrag besteht aus den übereinstimmenden Willenserklärungen mindestens zweier Personen.444 Rechtswirkung des Vertrages ist die Begründung, Aufhebung, Veränderung oder Übertragung von Rechtsverhältnissen; die Rechtswirkungen folgen aus den übereinstimmenden nach außen erklärten Willensakten der Personen, die unter der Voraussetzung der Anerkennung durch das Gesetz (Wirk-)Grund der Rechtswirkungen sind.445 Zweitens gibt es die Erklärungstheorie, nach der die nach außen hin erfolgte Erklärung entscheidendes Merkmal der Begründung vertraglicher Bindung ist – der innere Wille ist ohne unmittelbare Relevanz für die Begründung der Rechtswirkungen.446 Die Auseinandersetzung um Willens- und Erklärungstheorie wird dabei vor allem für die Fälle der Diskrepanz von (innerem) Willen und (äußerer) Erklärung virulent.447 Drittens wurde zur Lösung der Problematik die Geltungstheorie entwickelt: die Erklärungshandlung „setzt“ den Willen „in Geltung“, Wille und Erklärung bilden zusammen einen Geltungsakt, der die Rechtswirkung begründet.448 Da444 Pandekten, § 41, S. 212 ff.; ferner, wenngleich streitig (dazu Hofer, Freiheit ohne Grenzen?, S. 158 ff.), auch Savigny, System, Bd. 3, § 134, S. 257 ff.; aus neuerer Zeit, wenngleich die (reine) Willenstheorie heute kaum noch vertreten wird, etwa Eisenhardt, JZ 1986, 875, 879 ff. 444 S. dazu oben S. 28 f., 197 ff. sowie nur Lomfeld, Die Gründe des Vertrags, S. 86. 445 S. dazu oben bereits S. 198 ff., 200 f. sowie etwa Karlowa, Das Rechtsgeschäft und seine Wirkung, S. 1 ff., 4, 161 f.; Zitelmann, Irrtum und Rechtsgeschäft, S. 233 f., 237 ff., 279 f.; vgl. auch zur Wirkweise, wenngleich selbst der Geltungstheorie folgend, Flume, Allgemeiner Teil, § 1, 2; § 1,4; § 4,5; ferner Bäuerle, Vertragsfreiheit und Grundgesetz, S. 25 („Nach dem vorkonstitutionellen Vertragsmodell des BGB […] begründet der formal übereinstimmend erklärte Wille subjektive Rechte der Vertragspartner gegeneinander“). 446 S. dazu oben bereits S. 203; ursprünglich Bähr, Jherings Jahrbücher XIV (1875), S. 393, 400 f., 404 ff.; Bekker, System des Pandektenrechts, Bd. 2, § 92, S. 54 ff., 62; Roever, Ueber die Bedeutung des Willens, S. 3 ff., 9, 19 f., 47; aus neuerer Zeit Brehmer, Wille und Erklärung, S. 16, 18, 28 ff., 65 ff. Brehmers Ansatz differenziert grundsätzlich zwischen Tatbestand des Vertrags und Geltungsgrund (aaO, S. 16, ferner S. 37 ff.: Geltungsgrund der Willenserklärung als „Grund, der ihr ihre besondere Bedeutung als eines Tatbestandes, der etwas in Geltung setzt, gibt, und der sie eben dadurch von anderen rechtserheblichen Tatbeständen abhebt und unterscheidet“; „Grund für die einer jeden rechtlichen Regelung eigene und eigentümliche rechtliche Normativität“). Dieser Geltungsgrund ist nach Brehmer der Wille selbst (aaO, S. 41 ff.). Allerdings ist dieser Wille für den Tatbestand, an den das Gesetz die Rechtsfolgen knüpft, irrelevant, der Tatbestand wird vielmehr ausschließlich durch die Erklärung konstituiert (aaO, S. 65 ff., ferner S. 31: „Im Gegensatz zur herkömmlichen Willenstheorie stellen also der Tatbestand und damit der Begriff der Willenserklärung nicht auch auf den wirklichen Willen, sondern allein auf die Erklärung ab“); Werba, Willenserklärung ohne Willen, 28 ff., 71 ff., 164. 447 S. nur Jauernig/Mansel, Vorbemerkungen vor §§ 116 ff. Rn. 2 f.; Flume, Allgemeiner Teil, § 4,6; Brehmer, Wille und Erklärung, S. 15 ff. 448 S. dazu etwa Larenz, Methode der Auslegung, S. 34 ff., 84 ff.; Dulckeit, in: Niedermeier/Flume (Hrsg.), FS Fritz Schulz, Bd. 1, S. 148, 149 ff.; Pawlowski, Rechtsgeschäftliche Folgen, S. 250 f.; Neuner, Allgemeiner Teil, § 30 Rn. 6 ff.; vgl. R. Singer, Selbstbestimmung, S. 6 („Willenserklärung als Geltungserklärung“), 72 ff.; ferner auch Flume, Allgemeiner Teil, § 4,7 („Das Rechtsgeschäft ist seinem Inhalt nach Geltungserklärung, weil durch den rechtsgeschäftlichen Akt eine Regelung in Geltung gesetzt wird, durch welche ein Rechtsverhältnis begründet, geändert oder aufgehoben wird“).
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7. Kapitel: Die Entwicklung der Konstituenten in der Gegenwart
mit verbunden ist die Vorstellung, dass die Parteien kraft der Privatautonomie Gestaltungen ihrer privatrechtlichen Rechtsverhältnisse vornehmen können, die von der Rechtsordnung wegen der Privatautonomie anerkannt werden.449 Die vierte Auffassung, die sich auf dialektisch anderer Ebene vollzieht, knüpft an die sozialen Interessen und Funktionen an, die hinter den Verträgen stehen.450 Nur dann, wenn die Verträge eine soziale Funktion erfüllen, sind sie auch rechtlich anzuerkennen („Sozialfunktion“ des Vertrages451).452 Auch wenn dieser Ansatz nicht so sehr die allgemeinen Vertragslehren betrifft, sondern eher vertragstypenbezogen ist, zeigt sich dennoch, dass hiermit tiefgreifende Veränderungen verbunden sind.453 Zahlreiche vertragstypenbezogenen Gesetzesreformen der vergangenen Jahrzehnte vollziehen eine immer stärkere gesetzliche Feinsteuerung einzelner Vertragstypen, wodurch mittels zwingenden Gesetzesrechts Vertragsinhalte vorgegeben werden.454 Ziel dieser Reformen ist Verhaltenssteuerung bzw. soziale, d.h. Allgemeininteressen dienende Gestaltung der Rechtsverhältnisse.455 Das Mietrecht kann als Paradigma dienen.456 Seine Aufgabe wird vermehrt in der angemessenen Bereitstellung von Wohn449
S. etwa Flume, Allgemeiner Teil, § 1,3 a) („Rechtsfolgen kraft privatautonomer Gestaltung“); § 1,4; § 1,5. 450 S. dazu Raiser, JZ 1958, 1, 3; ders., in: v. Caemmerer/Friesenhahn/Lange (Hrsg.), FS Juristentag, Bd. 1, S. 101, 104 ff.; ders., Die Zukunft des Privatrechts, S. 26 ff., 29 ff.; Wieacker, in: v. Caemmerer/Friesenhahn/Lange (Hrsg.), FS Juristentag, Bd. 2, S. 1, 11 ff.; s. zu dieser Diskussion auch Reis, Die juristischen Tatsachen, S. 13 ff. 451 Zu diesem Begriff Wieacker, Das Sozialmodell, S. 18 („Sozialfunktion“); ders., in: v. Caemmerer/Friesenhahn/Lange (Hrsg.), FS Juristentag, Bd. 2, S. 1, 11 f.; dazu auch R. Singer, Selbstbestimmung, S. 21 ff., 39. 452 In diese Richtung Raiser, JZ 1958, 1, 3 („Die Freiheit steht nun unter dem Gebot der Gerechtigkeit, die es erlaubt und fordert, Verträgen die Anerkennung zu versagen, die nach der Art ihres Zustandekommens oder nach ihrem Inhalt den von der Rechtsordnung geschützten Werten zuwiderlaufen“; Fn. weggelassen); ders., in: v. Caemmerer/Friesenhahn/ Lange (Hrsg.), FS Juristentag, Bd. 1, S. 101, 123 ff., 133 f.; ders., Die Zukunft des Privatrechts, S. 26 ff., 29 ff. (verschiedene „Funktionsbereiche“, deren rechtliche Regelung vom „Öffentlichkeitsgehalt“ des Lebensbereichs abhängen soll); dazu auch Bäuerle, Vertragsfreiheit und Grundgesetz, S. 139 ff.; Reinhardt, in: FS Schmidt-Rimpler, S. 115, 132; ferner Reis, Die juristischen Tatsachen, S. 13 ff. (S. 15 im Hinblick auf Wieacker: „Nicht Privatautonomie und Wille, sondern richterliche Wertung und soziales Verhalten sind hier entscheidend“). 453 Vgl. auch Schön, in: Heldrich/Prölss/Koller (Hrsg.), FS Canaris, Bd. 1, S. 1191, 1192 f. 454 Dazu etwa Bäuerle, Vertragsfreiheit und Grundgesetz, S. 132 ff., 136; s.a. Schön, in: Heldrich/Prölss/Koller (Hrsg.), FS Canaris, Bd. 1, S. 1191, 1192 f.; vgl. Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, S. 78 f. 455 Vgl. R. Singer, Selbstbestimmung, S. 12 ff., 21 ff.; zu diesem Zusammenhang von zwingendem Vertragsrecht und Regulierung/Verhaltenssteuerung Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, S. 78 ff., 81 ff., ferner S. 52 ff.; Arnold, Vertrag und Verteilung, S. 268 ff., 280 ff., 391 ff.; grundlegend zur Rückkopplung des Vertrags auf soziale Funktionen Raiser, JZ 1958, 1, 2 ff.; ders., in: v. Caemmerer/Friesenhahn/Lange (Hrsg.), FS Juristentag, Bd. 1, S. 101, 104 ff.; Wieacker, in: v. Caemmerer/Friesenhahn/Lange (Hrsg.), FS Juristentag, Bd. 2, S. 1, 11 ff. 456 Vgl. R. Singer, Selbstbestimmung, S. 12; Arnold, Vertrag und Verteilung, S. 299 ff.; Schön, in: Heldrich/Prölss/Koller (Hrsg.), FS Canaris, Bd. 1, S. 1191, 1192; Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, S. 158; ferner bereits Raiser, JZ 1958, 1, 3; Wieacker, Das Sozialmodell, S. 21.
IV. Vertrag und Vertragsfreiheit
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raum zu sozial verträglichen Bedingungen gesehen, Ziel ist die Verwirklichung sozialer Interessen durch das Mittel des Zivilrechts.457 Eine solche soziale Aufladung des Vertragsrechts konfligiert scheinbar mit Auffassungen, die den Vertrag als Ausfluss der Privatautonomie bzw. als Wirkung des übereinstimmenden Willens von Personen ansehen.458 Im Hintergrund stehen wiederum Fragen, die durch die geschichtlichen Entwicklungen vorgezeichnet sind. Begründet der Wille der Parteien Rechte und Pflichten oder ist es alleine das Gesetz, das die Entstehung von Rechtswirkungen für bestimmte Tatbestände anordnet?459 Kommt dem Willen überhaupt Bedeutung für das Vertragsrecht zu oder knüpft die Rechtsordnung Rechtsfolgen an bestimmte äußere Handlungen ohne Rücksicht auf den Willen?460 Hat die Rechtsordnung „völlig freie Hand, an welches menschliches Verhalten sie Beginn oder Ende ihrer Normen anknüpfen will“461? Ist alles (Vertrags-)Recht nur da zur Verwirklichung sozialer und gesellschaftlicher Interessen?462 457 Vgl. Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, S. 83 f., 158, 292; Arnold, Vertrag und Verteilung, S. 299 ff.; ferner bereits Raiser, Die Zukunft des Privatrechts, S. 32 f.; s. etwa die Begründung in BT-Drs. 18/3121, S. 1, 11 (Mietpreisbremse); s. dazu auch BVerfG NJW 2019, 3054, 3057. 458 Vgl. zu diesem „Konflikt“ von Privatautonomie und rechtlichen Mechanismen zugunsten der Stärkung eines Vertragspartners, die dem Ausgleich bestehender Ungleichgewichte zwischen den Vertragspartnern dienen sollen und deren „klassische Felder“ das Arbeits-, Mietund Verbraucherschutzrecht sind, R. Singer, Selbstbestimmung, S. 12 ff., 21 ff.; Reinhardt, in: FS Schmidt-Rimpler, S. 115, 127 f., 129 ff.; ferner auch Raiser, JZ 1958, 1, 2 ff.; Schweitzer, AcP 220 (2020), 544 f.; s. aber auch Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, S. 78 ff. 459 Zu dieser Frage oben bereits S. 201 f. sowie z.B. Karlowa, Das Rechtsgeschäft und seine Wirkung, S. 1 ff., 4 („Hier knüpft der Wille des Rechts nicht selbst unmittelbar die Wirkung an die Handlung, sondern er sanktionirt den Willen des oder der Privaten und verhilft diesen dadurch zu einem rechtlichen Bestande und einer Wirkungskraft, welche die rechtliche Wirkung hervorbringen und die unmittelbare Ursache der letzteren sind. Der Wille des Rechts ist hier auf die Ratification der Willenserklärung gerichtet. Demgemäss ist das Geschäft nicht bloss die Voraussetzung oder Bedingung, sondern die causa efficiens der Rechtswirkung“); dagegen etwa Lotmar, Über causa im römischen Recht, S. 15 f. 460 S. zu dieser Fragestellung oben bereits S. 201 f. sowie zuvor Fn. 446. 461 So Thon, Rechtsnorm und subjectives Recht, S. 359; zu dieser Frage auch Schapp, Sein und Ort der Rechtsgebilde, S. 30 f., 170 f. (S. 171: „Hat der Gesetzgeber nun tatsächlich die Macht, durch Bestimmungsakte rechtsgeschäftlichen Akten Rechtsfolgen zuzuordnen, die sie ihrem Sinne nach nicht haben können?“); ferner R. Singer, Selbstbestimmung, S. 80 („Ist einmal die Beziehung zwischen dem Willensakt und der intendierten Gestaltung der Rechtsverhältnisse gelöst, läßt sich theoretisch jede Rechtsfolge, die an freies menschliches Verhalten knüpft, als Resultat freier rechtsgeschäftlicher Betätigung begreifen“). 462 S. insoweit zu Jhering oben S. 224 ff., 234 f.; dagegen Zitelmann, Irrtum und Rechtsgeschäft, S. 234 („Denn der Mensch ist es, um dessentwillen alles Recht schliesslich da ist; seine Interessen sind es, welche durch die Schöpfung des Rechts Befriedigung und Sicherheit verlangen: das Recht als die Interessenordnung der Menschen ist, auf den Einzelnen reflectirt, nichts als seine vernünftige Freiheit; vornehmlichste Aufgabe der Rechtsordnung wird es mithin sein, dass sie dem Einzelnen die Möglichkeit gewährt, durch eignes Handeln seine Interessen zu verfolgen. Sie muss ihm also auf die Gestaltung seines Rechtskreises weitgehenden Einfluss gestatten, sie muss ihm eine gewisse „Autonomie“ einräumen“).
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7. Kapitel: Die Entwicklung der Konstituenten in der Gegenwart
Herausforderungen für das „klassische“ Vertragsrecht ergeben sich ferner unter dem Gesichtspunkt der Digitalisierung.463 In diesem Kontext werden Vertragstheorien entwickelt, die gänzlich auf den Willen verzichten und stattdessen objektive (Vertrauens-)Haftungsmodelle begründen.464 Trotz des technisch neuen Kontextes knüpfen auch diese Theorien regelmäßig an alternative Konzepte des 19./20. Jahrhunderts an, die gegen die herrschende Lehre entwickelt wurden.465 Wenn ferner von einer „Krise des Vertragsrechts“466 oder von einer „Entleerung des Willensprinzips“467 die Rede ist, dann werden wiederum die Debatten des 19. Jahrhunderts relevant.
2. Verfassungsrechtliche Vorgaben a) Schutzbereich und relevante Grundrechte aa) Handlungsfreiheit Während die Vertragsfreiheit in der Weimarer Reichsverfassung (Art. 152 Abs. 1 WRV)468 ausdrücklich im Grundrechtskatalog Erwähnung gefunden hat, sieht das Grundgesetz keinen expliziten Schutz von Vertragsfreiheit und Privatautonomie vor.469 Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts umfasst die in Art. 2 Abs. 1 GG verankerte allgemeine Handlungsfreiheit indes auch „die Freiheit im wirtschaftlichen Verkehr und die Vertragsfreiheit“.470 Die Formeln des BVerfG zur Umschreibung der Vertragsfreiheit sind zum einen, dass die allgemeine Handlungsfreiheit nach Art. 2 Abs. 1 GG die „Gestaltung der Rechtsverhältnisse durch den Einzelnen nach seinem Willen“ schützt;471 463 S. dazu Hennemann, Interaktion und Partizipation, S. 1 ff. et passim; Teubner, AcP 218 (2018), 155, 177 ff. 464 In diese Richtung etwa Teubner, AcP 218 (2018), 155, 177 ff., 181 ff. 465 S. dazu oben S. 203 Fn. 871. S. nur die gegen das „Willensdogma“ entwickelte Haftungskonzeption bei Schlossmann, Der Vertrag, S. 287 ff.; ferner zur Vertrauenshaftung als Grund vertraglicher Bindung Bassenge, Versprechen, S. 14 ff., 49 ff.; Bydlinski, Privatautonomie, S. 131 ff., 137; kritisch dazu R. Singer, Selbstbestimmung, S. 3, 54 f. 466 S. dazu Kramer, Krise des Vertragsdenkens, S. 9 f. („Krise des liberalen Vertragsdenkens“); ferner bereits Reinhardt, in: FS Schmidt-Rimpler, S. 115. 467 Auer, Der privatrechtliche Diskurs, S. 81. 468 Zu diesen Diskussionen auch Laufke, in: Nipperdey (Hrsg.), FS Lehmann, S. 145, 146 ff.; Bäuerle, Vertragsfreiheit und Grundgesetz, S. 112 ff. 469 S. dazu etwa Isensee/Kirchhof/Isensee, Handbuch des Staatsrechts, § 150 Rn. 39 ff., 45 ff., 50 ff.; Flume, Allgemeiner Teil, § 1,10 a); Wendland, Vertragsfreiheit und Vertragsgerechtigkeit, S. 30; dazu auch bereits Raiser, JZ 1958, 1, 4 ff.; Laufke, in: Nipperdey (Hrsg.), FS Lehmann, S. 145 ff. 470 BVerfGE 8, 274, 328; 12, 341, 347; 73, 261, 270; 74, 129, 151 f.; 95, 267, 303; vgl. Isensee/Kirchhof/Isensee, Handbuch des Staatsrechts, § 150 Rn. 57 ff.; Maunz/Dürig/Di Fabio, Art. 2 Abs. 1 Rn. 101; Bäuerle, Vertragsfreiheit und Grundgesetz, S. 23, 284. 471 BVerfGE 72, 155, 170; 89, 214, 231; NJW 2006, 596, 598.
IV. Vertrag und Vertragsfreiheit
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zum anderen, dass der „zum Ausdruck gebrachte übereinstimmende Wille der Vertragsparteien […] in der Regel auf einen durch den Vertrag hergestellten sachgerechten Interessenausgleich schließen“ lasse, „den der Staat grundsätzlich zu respektieren hat“.472 Inhalt der dem Einzelnen gewährleisteten Vertragsfreiheit ist „das Recht, Verträge so abzuschließen, wie er es wünscht“.473 Ferner umfasst die verfassungsrechtliche Gewährleistung auch Schutz davor, dass bereits abgeschlossene Verträge nachträglich durch hoheitliche Eingriffe verändert werden.474 Ebenso dürfen die Rechtssubjekte grundsätzlich nicht an Verträge oder Rechtsgestaltungen Dritter gebunden werden.475 Gewährleistet ist damit die Gestaltungs-, Preis-476 und (positive wie negative) Abschlussfreiheit.477 bb) Privatautonomie Neben der Vertragsfreiheit wird aus der Handlungsfreiheit auch die Privatautonomie als das Recht zur eigenverantwortlichen „Gestaltung der Rechtsverhältnisse durch den Einzelnen nach seinem Willen“ abgeleitet.478 Die Vertragsfreiheit soll danach „Medium“ bzw. Bestandteil479 der umfassenderen Privatautonomie sein, die als Basis der Vertragsfreiheit generell die Befugnis zur selbstbestimmten Gestaltung der Rechtsbeziehungen des Menschen meint.480 In grundrechtsfunktionaler Hinsicht ist im Ausgangspunkt bedeutsam, dass es nicht unmittelbar um ein gegen die öffentliche Gewalt gerichtetes Grundrecht geht, sondern Vertragsfreiheit und Privatautonomie die Rechtsbeziehung zwischen Privaten betreffen.481 472
S. BVerfGE 103, 89, 100; NJW 2006, 596, 598; ferner BVerfGE 81, 242, 254; s.a. Bäuerle, Vertragsfreiheit und Grundgesetz, S. 283 ff. zur Rechtsprechung des BVerfG im Bereich der Vertragsfreiheit. 473 BVerfGE 95, 267, 303 f. 474 BVerfGE 89, 48, 61; 95, 267, 303 f.; s.a. Maunz/Dürig/Di Fabio, Art. 2 Abs. 1 Rn. 102 a.E. 475 BVerfGE 73, 261, 270 f. (zum Verbot von Verträgen zulasten Dritter). 476 S. BVerfGE 70, 1, 25 (Freiheit, „Inhalt von Vergütungsvereinbarungen mit der Gegenseite auszuhandeln“); 101, 331, 347; 134, 204, 223; NJW-RR 2016, 1349, 1350 („Freiheit, das Entgelt für berufliche Leistungen verbindlich auszuhandeln“). 477 Maunz/Dürig/Di Fabio, Art. 2 Abs. 1 Rn. 101. 478 BVerfGE 89, 214, 231; s.a. BVerfGE 81, 242, 254; aus zivilrechtlicher Sicht Flume, Allgemeiner Teil, § 1,1 („Privatautonomie nennt man das Prinzip der Selbstgestaltung der Rechtsverhältnisse durch den einzelnen nach seinem Willen“); Schur, in: Lampe/Pauen/Roth (Hrsg.), Willensfreiheit und rechtliche Ordnung, S. 226, 227; R. Singer, Selbstbestimmung, S. 1 m.w.N. 479 So Maunz/Dürig/Di Fabio, Art. 2 Abs. 1 Rn. 101. 480 Isensee/Kirchhof/Isensee, Handbuch des Staatsrechts, § 150 Rn. 1, 60 f. (dort zur Frage, ob Privatautonomie und Vertragsfreiheit zusammen ein einheitliches, eigenständiges unbenanntes Grundrecht bilden; ablehnend); s.a. Maunz/Dürig/Di Fabio, Art. 2 Abs. 1 Rn. 101. 481 S. Isensee/Kirchhof/Isensee, Handbuch des Staatsrechts, § 150 Rn. 5.
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7. Kapitel: Die Entwicklung der Konstituenten in der Gegenwart
cc) Besondere Gewährleistungen von Vertragsfreiheit und Privatautonomie Vertragsfreiheit und Privatautonomie sind ferner in anderen besonderen Grundrechtsbestimmungen gewährleistet, deren spezieller Schutz der insoweit subsidiären allgemeinen Handlungsfreiheit vorgeht.482 Besondere Gewährleistungen ergeben sich etwa aus der Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG), die die Vertragsfreiheit im Bereich beruflicher Tätigkeit als speziellere Gewährleistung schützt483; aus Art. 6 Abs. 1 GG, der Eheleuten die Freiheit der Eheschließung und das Gestaltungsrecht hinsichtlich ihrer ehelichen Gemeinschaft und der güterrechtlichen Verhältnisse durch Ehevertrag gewährt484; aus der Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 GG, die die Veräußerungsmöglichkeit des Eigentums und anderer unter Art. 14 Abs. 1 GG fallender Rechtspositionen umfasst und damit die Dispositionsfreiheit des Eigentümers schützt485; aus der Erbrechtsgarantie, die ebenfalls aus Art. 14 Abs. 1 GG folgt und in Gestalt der Testierfreiheit die Privatautonomie im Bereich letztwilliger Verfügungen gewährleistet486; schließlich aus der Vereins- und Koalitionsfreiheit (Art. 9 Abs. 1 u. 3 GG), die für Gesellschaften, Vereine und gewerkschaftliche Zusammenschlüsse Bedeutung gewinnt487. b) Ausgestaltung und Schranken der Vertragsfreiheit aa) Ausgestaltung Ebenso wie die allgemeine Handlungsfreiheit besteht die Gewährleistung der Vertragsfreiheit nur innerhalb der Schranken der verfassungsmäßigen Ordnung488, worunter alle formell und materiell mit der Verfassung übereinstim-
482 Vgl. BVerfGE 8, 274, 328; 12, 341, 347; 60, 329, 339; 65, 196, 209 f.; 68, 193, 223 f.; 73, 261, 270; 77, 84, 118; dazu auch Maunz/Dürig/Di Fabio, Art. 2 Abs. 1 Rn. 103; Bäuerle, Vertragsfreiheit und Grundgesetz, S. 284 f., 373 ff. 483 BVerfGE 68, 193, 223 f.; 77, 84, 118; 81, 242, 254; 123, 186, 252; 149, 126, 141; BVerfG NJW-RR 2016, 1349, 1350; dazu Maunz/Dürig/Di Fabio, Art. 2 Abs. 1 Rn. 103; Bäuerle, Vertragsfreiheit und Grundgesetz, S. 287 ff., 374 ff. 484 BVerfGE 60, 329, 339; 103, 89, 101; dazu auch Isensee/Kirchhof/Isensee, Handbuch des Staatsrechts, § 150 Rn. 66; Höfling, Vertragsfreiheit, S. 16; Maunz/Dürig/Di Fabio, Art. 2 Abs. 1 Rn. 103. 485 BVerfGE 8, 274, 330; 26, 215, 222; 42, 263, 294; 52, 1, 31; Maunz/Dürig/Di Fabio, Art. 2 Abs. 1 Rn. 103; Bäuerle, Vertragsfreiheit und Grundgesetz, S. 31 f., 378 ff.; Laufke, in: Nipperdey (Hrsg.), FS Lehmann, S. 145, 156, 162 („Vertragsfreiheit im Hinblick auf Verfügungsgeschäfte“); Ohly, Volenti non fit iniuria, S. 92 f. 486 BVerfGE 112, 332, 348 f.; Isensee/Kirchhof/Isensee, Handbuch des Staatsrechts, § 150 Rn. 65. 487 Dazu Isensee/Kirchhof/Isensee, Handbuch des Staatsrechts, § 150 Rn. 67 f.; s. etwa BVerfGE 50, 290, 367 f. 488 BVerfGE 8, 274, 328; 12, 341, 347; 70, 1, 25; 70, 115, 123; 74, 129, 152; s.a. Bäuerle, Vertragsfreiheit und Grundgesetz, S. 285.
IV. Vertrag und Vertragsfreiheit
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menden Rechtsnormen fallen.489 Sie kann daher durch verfassungsmäßige, verhältnismäßige Gesetze eingeschränkt werden.490 Abzugrenzen ist die Ausgestaltung der Vertragsfreiheit durch die Privatrechtsordnung von den gesetzlichen Eingriffen in die Vertragsfreiheit.491 Da Verträge der Anerkennung durch die staatliche Rechtsordnung bedürfen, um rechtliche Durchsetzung erfahren zu können, ist der Gesetzgeber dazu gehalten, rechtliche Regelungen bereitzustellen, die eine rechtliche Anerkennung und Durchsetzung ermöglichen.492 Folglich ist die Vertragsfreiheit ebenso wie andere Institutsgarantien bzw. normgeprägte Grundrechte auf Ausgestaltung durch den einfachen Gesetzgeber angewiesen.493 Wie sich später noch im Einzelnen zeigen wird, obliegt damit die Ausgestaltung der Privatrechtsordnung dem Gesetzgeber, umgekehrt ist die Privatautonomie aber auch nicht „zur beliebigen Disposition des Gesetzgebers“ gestellt.494 Es stellt sich dabei insbesondere die Frage nach dem Normenkern, der einer anderweitigen gesetzgeberischen Gestaltung entzogen ist.495 Die Ausgestaltung der Privatrechtsordnung ist insofern besonders gelagert, als hier „gleichrangige Grundrechtsträger“ handeln, deren jeweilige Rechtspositionen im Wege der praktischen Konkordanz in Einklang zu bringen sind.496 Ferner zeigt sich eine Besonderheit darin, dass die gesetzliche Ausgestaltung an (natürliche) Tatbestände – Verträge, Versprechen, Willensäußerungen – anknüpft.497
489
BVerfGE 6, 32, 38; 95, 267, 306. BVerfGE 95, 267, 306; 81, 242, 254; im Einzelnen auch Maunz/Dürig/Di Fabio, Art. 2 Abs. 1 Rn. 104; Bäuerle, Vertragsfreiheit und Grundgesetz, S. 285. 491 Vgl. Isensee/Kirchhof/Isensee, Handbuch des Staatsrechts, § 150 Rn. 87 f., 106; Bumke, Ausgestaltung von Grundrechten, S. 21 ff.; s. dazu oben bereits S. 353 f.; ferner Bäuerle, Vertragsfreiheit und Grundgesetz, S. 330 ff. (zur nur begrenzten Bedeutung der abwehrrechtlichen Funktion im Bereich des Vertragsrechts), 362 ff. (zur Abgrenzung von „Grundrechtsschutz und Grundrechtseingriff“), s. aber auch S. 368 f. (zur Eingriffsqualität infolge der Begründung vertraglicher Bindung), ferner S. 394 ff. 492 S. oben bereits S. 349 ff., 352 sowie BVerfGE 89, 214, 231 f.; Isensee/Kirchhof/Isensee, Handbuch des Staatsrechts, § 150 Rn. 55, 88; Bäuerle, Vertragsfreiheit und Grundgesetz, S. 292, 329 f. 493 S. Bumke, Ausgestaltung von Grundrechten, S. 41; Bäuerle, Vertragsfreiheit und Grundgesetz, S. 280, 292, 329 f.; BVerfGE 89, 214, 231 f. sowie oben bereits S. 343 ff., 349 ff., 352. 494 BVerfGE 89, 214, 231. 495 Dazu etwa Bäuerle, Vertragsfreiheit und Grundgesetz, S. 286, 341 f., 385 f.; Weller, Die Vertragstreue, S. 174 f.; ansatzweise auch BVerfGE 8, 274, 329; 12, 341, 347 f.; 29, 260, 267; 50, 290, 366; 89, 214, 231 f. 496 BVerfGE 89, 214, 232. 497 Vgl. dazu Bäuerle, Vertragsfreiheit und Grundgesetz, S. 343 f., 345 ff., 347 ff.; ferner Bumke, Ausgestaltung von Grundrechten, S. 21 ff., 28; Lübbe-Wolff, Die Grundrechte als Eingriffsabwehrrechte, S. 81 ff. 490
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7. Kapitel: Die Entwicklung der Konstituenten in der Gegenwart
bb) Beschränkungen der Vertragsfreiheit Wie das BVerfG ausführte, sind die kraft der Privatautonomie erreichte Gestaltung der Rechtsbeziehungen und der zum Vertragsschluss führende übereinstimmende Wille der Vertragsparteien von der staatlichen Rechtsordnung „zu respektieren“.498 Im Rahmen der Privatautonomie und Vertragsfreiheit soll sich der Interessenausgleich zwischen den Privaten grundsätzlich bereits aus der Willensmacht der beteiligten Personen ergeben, vorbehaltlich, dass die vertragliche Parität beim Vertragsabschluss durch ein Verhandlungsungleichgewicht wesentlich beeinträchtigt ist.499 Jedoch können durch Gesetz in verfassungsgemäßer Weise Beschränkungen der Vertragsfreiheit vorgenommen werden, was die Vertragsfreiheit vor allem in ihrer abwehrrechtlichen Dimension betreffen soll.500 Zugleich „bestimmt und begrenzt“ etwa das Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1, Art. 28 Abs. 1 GG) inhaltlich die Vertragsfreiheit501 und kann daher zusammen mit der Gewährleistung der Privatautonomie Korrekturen in Vertragsverhältnissen gebieten, um eine gestörte Vertragsparität auszugleichen.502 Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn aufgrund eines Verhandlungsungleichgewichts oder aufgrund einseitiger Vertragsgestaltung keine Selbstbestimmung, sondern nur noch Fremdbestimmung gegeben ist.503 Ebenso kann die Freiheit der Vertragsgestaltung einschließlich der Preisfreiheit zum Ausgleich sozialer oder wirtschaftlicher Ungleichgewichte eingeschränkt werden, wobei auch hier der sozialstaatliche Gestaltungsauftrag (Art. 20 Abs. 1 GG) Wirkung entfalten 498
BVerfGE 81, 242, 254; 103, 89, 100; 114, 1, 34. BVerfGE 89, 214, 232; 114, 1, 34 f.; vgl. auch Isensee/Kirchhof/Isensee, Handbuch des Staatsrechts, § 150 Rn. 14 zur materialen Richtigkeitsgewähr aus dem Vertrag selbst; dazu ursprünglich Schmidt-Rimpler, AcP 147 (1941), 130, 132 f., 155 ff.; zu Schmidt-Rimplers Ansatz auch R. Singer, Selbstbestimmung, S. 9 ff., 39 ff.; Bäuerle, Vertragsfreiheit und Grundgesetz, S. 107 ff.; Flume, Allgemeiner Teil, § 1,6 a). 500 S. Maunz/Dürig/Di Fabio, Art. 2 Abs. 1 Rn. 102, 104; s. aber auch Bäuerle, Vertragsfreiheit und Grundgesetz, S. 330 ff., 332 (eigentlich Abwehrfunktion nur nachrangig bei Vertragsfreiheit, aber teilweise auch abwehrrechtlich), ferner S. 368 ff. (zur Eingriffsdimension durch Vertragsbindung), S. 372 (zur Eingriffsqualität von „gesetzlichen Regelungen, die ihren Abschluß oder Vollzug einschränken – z.B. aus Allgemeinwohlgründen, die mit dem Interessenausgleich zwischen den Vertragsparteien nicht in Zusammenhang stehen“). 501 BVerfGE 8, 274, 329; 21, 87, 91; dazu auch Bäuerle, Vertragsfreiheit und Grundgesetz, S. 285 f., 408 ff.; Arnold, Vertrag und Verteilung, S. 211 ff. 502 BVerfGE 89, 214, 232 f.; 81, 242, 254 f.; vgl. auch zur Frage, welche Grundrechtsdimension hier zur Geltung kommt, Isensee/Kirchhof/Isensee, Handbuch des Staatsrechts, § 150 Rn. 118 (Inhalt des Schutzbereichs; Schranke; Schutzpflicht; Grundrechtsvoraussetzung im Sinne einer Voraussetzung für die Ausübung des Grundrechts); Maunz/Dürig/Di Fabio, Art. 2 Abs. 1 Rn. 104; ferner bereits Raiser, JZ 1958, 1, 5 f. 503 Vgl. BVerfGE 103, 89, 100 f.; 81, 242, 254 f.; 89, 214, 231 ff.; 114, 1, 34 f.; s.a. Bäuerle, Vertragsfreiheit und Grundgesetz, S. 389 ff. Ferner können auch andere Gemeinwohlaufgaben wie die „Sicherung der finanziellen Stabilität der gesetzlichen Krankenversicherung“ die Vertragsfreiheit einschränken, dazu BVerfGE 70, 1, 25 f. 499
IV. Vertrag und Vertragsfreiheit
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kann.504 Mit der Vertragsfreiheit vereinbar sind so etwa die gesetzliche Ermächtigung zu Maßnahmen im Hinblick auf Preisregelungen oder Preisfestsetzungen505 oder die Auferlegung einer Zusatzumsatzsteuer506. c) Konkrete Ausgestaltungsvorgaben für das zivilrechtliche Vertragsrecht? Auch wenn die Privatautonomie als Institutsgarantie im Grundgesetz verankert ist und insoweit den Gesetzgeber bei der Ausgestaltung der Privatrechtsordnung durch objektiv-rechtliche Vorgaben verpflichtet507, soll daraus nach verbreiteter Auffassung nicht eine bestimmte Ausgestaltung ihrer konkreten einfachrechtlichen Normierung folgen.508 Weder sind das vorkonstitutionelle Bürgerliche Gesetzbuch und dessen Regelungen mit Bezug zur Privatautonomie „verfassungsfest“ noch ergibt sich hieraus ein grundsätzliches Veränderungsverbot.509 Dem Gesetzgeber kommt insoweit eine weite Gestaltungsfreiheit zu.510 Jedoch unterliegt der einfache Gesetzgeber bestimmten Bindungen, insofern steht es „nicht in seinem Belieben, wie er die Privatrechtsordnung ausgestaltet“511. Aufgrund der objektiv-rechtlichen Vorgaben der Grundrechte muss der „Selbstbestimmung des Einzelnen im Rechtsleben“ ein „angemessener Betätigungsraum“ eröffnet werden.512 Es gibt bestimmte grundrechtsspezifische Ausgestaltungsdirektiven, die sich aus dem Grundrecht selbst er-
504 BVerfG NJW-RR 2016, 1349, 1352 (zum „Bestellerprinzip“ bei Maklerprovisionen für Wohnraummietverträge); BVerfGE 134, 204, 223. 505 BVerfGE 8, 274, 328 f.; 21, 87, 90 f.; 70, 1, 25 ff. (Höchstpreissystem); s.a. Maunz/Dürig/Di Fabio, Art. 2 Abs. 1 Rn. 104. 506 BVerfGE 12, 341, 347 f. 507 Isensee/Kirchhof/Isensee, Handbuch des Staatsrechts, § 150 Rn. 84 f., 89: Es ist also nicht so sehr die abwehrrechtliche Funktion der Grundrechte, die hier wirksam wird, sondern die institutionelle Garantie bzw. die objektiv-rechtlichen Grundrechtswirkungen, vgl. dazu auch Bäuerle, Vertragsfreiheit und Grundgesetz, S. 330 ff., 336 ff.; ferner Maunz/Dürig/Di Fabio, Art. 2 Abs. 1 Rn. 106 (zur unmittelbaren Bindung des Gesetzgebers gem. Art. 1 Abs. 3 GG). 508 Isensee/Kirchhof/Isensee, Handbuch des Staatsrechts, § 150 Rn. 86; ferner bereits Flume, Allgemeiner Teil, § 1,10 a) („Weil die Vertragsfreiheit […] nur nach Maßgabe der Rechtsordnung bestehen kann, so ergeben sich aus der verfassungsmäßigen Gewährleistung der Vertragsfreiheit keine konkreten Folgerungen für den Inhalt der Privatrechtsordnung, abgesehen von der Grundentscheidung unserer Verfassung für eine Privatrechtsordnung“); s.a. Bäuerle, Vertragsfreiheit und Grundgesetz, S. 386, 388 ff. (zum Ausgestaltungsspielraum des Gesetzgebers); vgl. BVerfGE 89, 214, 231. 509 Isensee/Kirchhof/Isensee, Handbuch des Staatsrechts, § 150 Rn. 86. 510 Vgl. etwa BVerfGE 81, 242, 255; s.a. Bäuerle, Vertragsfreiheit und Grundgesetz, S. 388. 511 So Isensee/Kirchhof/Isensee, Handbuch des Staatsrechts, § 150 Rn. 87; s.a. BVerfGE 89, 214, 231 f. 512 BVerfGE 89, 214, 231; s.a. Bäuerle, Vertragsfreiheit und Grundgesetz, S. 386.
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7. Kapitel: Die Entwicklung der Konstituenten in der Gegenwart
geben.513 So soll das Konzept der „Autonomie“ Ausgestaltungsdirektive sein, ferner Vertrauensschutz und Verkehrssicherheit.514 Die bisherige Literatur ist indes eher zurückhaltend, inwieweit und welche konkreten Inhalte sich aus der institutionellen Garantie für die Ausgestaltung des Vertragsrechts ergeben.515 Operiert wird hier mit dem Wesensgehalt und dem Kernbereich der Privatautonomie, die einer einfachrechtlichen Aufhebung oder Änderung entzogen sind.516 Jedenfalls soll die institutionelle Garantie der Privatautonomie „Schutz vor der Abschaffung durch eine Gesamtentscheidung sowie Schutz vor einer Aushöhlung durch einzelne Maßnahmen oder vor allmählicher Verödung bieten“.517 Aus der institutionellen Garantie folgt also durchaus – negativ – ein Übermaßverbot mit Schranken entsprechend den Abwehrrechten, die Schutz vor übermäßigen Beschränkungen bieten, sowie – positiv – im Sinne des Optimierungsgebotes der Auftrag an den Gesetzgeber zur Ausgestaltung der Privatautonomie durch die Privatrechtsordnung.518 Im Ausgangspunkt ist davon auszugehen, dass der Gesetzgeber verpflichtet ist, die im Rahmen der Privatautonomie von den Privaten getroffene Ausgestaltung ihrer Rechtsbeziehungen anzuerkennen, da sich der Interessenausgleich gerade durch die eigenverantwortliche Selbstbestimmung der Privatrechtsakteure vollzieht.519 Er ist zwar aufgrund des Sozialstaatsprinzips im Wege einer sozialstaatlichen Schutzpflicht520 sowie der Privatautonomie des anderen Teils in bestimmten Fallgruppen gehalten, bei gestörter Vertragsparität die Folgen von vertraglichen Ungleichgewichten zu korrigieren, da dann möglicherweise nicht mehr Selbst-, sondern Fremdbestimmung vorliegt.521 In513 So Bumke, Ausgestaltung von Grundrechten, S. 52 ff., 57 ff. (dort konkret zur Vertragsfreiheit). 514 Bumke, Ausgestaltung von Grundrechten, S. 59 ff., 65 f. 515 Vgl. Isensee/Kirchhof/Isensee, Handbuch des Staatsrechts, § 150 Rn. 87 („die Aufteilung in disponible und indisponible Normen gelingt weder der Dogmatik noch der Praxis“); ferner Flume, Allgemeiner Teil, § 1,10 a); Bäuerle, Vertragsfreiheit und Grundgesetz, S. 386; s. aber unten noch S. 457 ff., 461 f. zur neueren Literatur. 516 Vgl. dazu Bäuerle, Vertragsfreiheit und Grundgesetz, S. 385 f.; Ruffert, Vorrang der Verfassung, S. 80 ff.; vgl. Isensee/Kirchhof/Isensee, Handbuch des Staatsrechts, § 150 Rn. 87; Maunz/Dürig/Di Fabio, Art. 2 Abs. 1 Rn. 104 (im Hinblick auf die grundsätzlich zulässigen staatlichen Preisregelungen). 517 Isensee/Kirchhof/Isensee, Handbuch des Staatsrechts, § 150 Rn. 87; s.a. Flume, Allgemeiner Teil, § 1,10 a); vgl. auch Raiser, JZ 1958, 1, 5. 518 Isensee/Kirchhof/Isensee, Handbuch des Staatsrechts, § 150 Rn. 87 f., 106; s.a. BVerfGE 89, 214, 231 f.; vgl. ferner Bäuerle, Vertragsfreiheit und Grundgesetz, S. 362 ff., 368 ff., 370 ff. 519 Vgl. BVerfGE 81, 242, 254; 89, 214, 232 f.; s. dazu oben bereits S. 438. 520 So Isensee/Kirchhof/Isensee, Handbuch des Staatsrechts, § 150 Rn. 100. 521 Vgl. BVerfGE 81, 242, 255; 89, 214, 231 f.; 103, 89, 101; s.a. Isensee/Kirchhof/Isensee, Handbuch des Staatsrechts, § 150 Rn. 92 (zum Sozialstaatsprinzip als Schranke); Maunz/ Dürig/Di Fabio, Art. 2 Abs. 1 Rn. 107.
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sofern können dann auch Regelungen zwingenden Gesetzesrechts, die Verträgen oder Vertragsklauseln die rechtliche Anerkennung versagen, erlassen werden, um der gestörten Vertragsparität Rechnung zu tragen.522 Allerdings gilt auch hier, dass Ausgangspunkt die Vertragsfreiheit ist, d.h. das Recht der Privaten, Verträge mit beliebigem Inhalt einzugehen, deren rechtliche Durchsetzung von der Rechtsordnung gewährleistet wird.523 Vor diesem Hintergrund werden die Regelungen etwa des Allgemeinen Teils des BGB und des Schuldrechts als Ausgestaltung und Konkretisierung der Privatautonomie angesehen.524 Besonders virulent werden dabei die Frage nach der Klagbarkeit von Verträgen unabhängig von Vertragstyp und -art, die inhaltliche Beeinflussung geschlossener Verträge durch zwingenden gesetzlich vorgegebenen Inhalt, die Frage nach Inhaltskontrolle und einem Genehmigungsvorbehalt von Verträgen sowie die Möglichkeit eines Kontrahierungszwangs.525
3. Orientierungslinien normativer Ausgestaltung a) Das Verhältnis von Willensfreiheit und Privatautonomie aa) Die historische Entwicklung Bevor man sich den einzelnen privatrechtlichen Konsequenzen dieser Vorgaben zuwendet, ist eine Beobachtung zu machen. Zuvor wurden Person, Wille und Willensfreiheit als zentrale Kategorien dargestellt.526 Im Kontext des Vertragsrechts ist nun weniger von der Willensfreiheit als vielmehr von der Privatautonomie sowie der Vertragsfreiheit die Rede527, wenngleich der Wille als solcher in der Rechtsprechung des BVerfG zentraler Begriff ist528. Das wirft zunächst die Frage nach dem Verhältnis dieser Kategorien auf.529 522
Vgl. BVerfGE 81, 242, 255; 134, 204, 223. Vgl. BVerfGE 89, 214, 232; s.a. Bäuerle, Vertragsfreiheit und Grundgesetz, S. 292, 386. 524 Vgl. Isensee/Kirchhof/Isensee, Handbuch des Staatsrechts, § 150 Rn. 81. 525 S. Maunz/Dürig/Di Fabio, Art. 2 Abs. 1 Rn. 102; Isensee/Kirchhof/Isensee, Handbuch des Staatsrechts, § 150 Rn. 91; Medicus/Petersen, Allgemeiner Teil des BGB, Rn. 179. 526 S. dazu oben S. 359 ff. 527 S. dazu insbesondere Schur, in: Lampe/Pauen/Roth (Hrsg.), Willensfreiheit und rechtliche Ordnung, S. 226 f., 239; s. aber auch oben zur Diskussion um die Willensfreiheit im Zivilrecht S. 22 f., 382 ff.; zum Zusammenhang von Freiheit und Privatautonomie etwa R. Singer, Selbstbestimmung, S. 45 („Grundlage der Privatautonomie ist die formale Selbstbestimmungsfreiheit […]. Sie ist gleichbedeutend mit der Freiheit zur Bestimmung konkreter Rechtsfolgen und optimal gewährleistet, wenn der subjektive Wille des rechtsgeschäftlich Handelnden in der Geltungserklärung zum Ausdruck kommt“). 528 S. dazu oben S. 434 f. 529 Dazu bereits Schur, in: Lampe/Pauen/Roth (Hrsg.), Willensfreiheit und rechtliche Ordnung, S. 226 ff., 239 ff., der das Verhältnis letztlich auf die Frage untersucht, ob Willensfreiheit Selbstbestimmung (durch Vernunft) meint. 523
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7. Kapitel: Die Entwicklung der Konstituenten in der Gegenwart
Im Hintergrund stehen auch hier historische Entwicklungen. Zentrale Kategorien des zunächst im 19. Jahrhundert herrschenden Rechtsdenkens sind Person, Wille und (Willens-)Freiheit.530 Damit verbunden ist die Vorstellung des Willens als rechtsgestaltendes Prinzip der Person sowie das rechtliche Kausalitätsdenken („juristische Tatsachen“).531 Erst im späten 19. Jahrhundert sowie um die Jahrhundertwende zum 20. Jahrhundert tauchen in den rechtlichen Diskussionen vermehrt die Begriffe der „Vertragsfreiheit“532 sowie der – häufig mit Kant und dessen Autonomiebegriff assoziierten533 – „Privatautonomie“ auf.534 Tatsächlich geschieht aus dem Kontext des 20. Jahrhunderts dann 530 S. dazu oben S. 158 ff., 166 ff.; vgl. auch Haferkamp, in: Lampe/Pauen/Roth (Hrsg.), Willensfreiheit und rechtliche Ordnung, S. 196 ff., 198 ff.; Rückert, in: Klippel (Hrsg.), Naturrecht im 19. Jahrhundert, S. 135, 144 ff., 151 ff. 531 S. dazu oben S. 172 ff. sowie vor allem Zitelmann, Irrtum und Rechtsgeschäft, S. 200 ff., 214 ff., 232 ff., 237 ff., 245 (bei Zitelmann tritt daneben auch die Kategorie der „Autonomie der Person im Privatrecht“ [aaO, S. 234, 237, 245] als Rechtfertigung bzw. hinter der Kausalität stehendes Prinzip; s. sogleich Fn. 534); s. ferner Karlowa, Das Rechtsgeschäft und seine Wirkung, S. 1 ff., 4, 17, 161. 532 Der Begriff wird aber vereinzelt bereits Anfang des 19. Jhd. verwendet, s. Hofer, Vertragsfreiheit ohne Grenzen?, S. 3 Fn. 19 m.Nw. 533 Dazu Schapp, AcP 192 (1992), 355 ff., 359 ff., 363 ff.; ferner Schur, in: Lampe/Pauen/ Roth (Hrsg.), Willensfreiheit und rechtliche Ordnung, S. 226, 227. 534 S. hierzu vor allem Hofer, Vertragsfreiheit ohne Grenzen?, S. 2 f., ferner S. 23 ff. et passim (m.Nw.; auch etwa mit Verweis auf Savigny und Puchta [aaO, S. 25 f., 26 Fn. 100; 205], bei denen die Begriffe „Vertragsfreiheit“ oder „Privatautonomie“ nicht vorkommen; lediglich „Autonomie“, dessen Verwendung aber Savigny für das Vertragsrecht explizit kritisiert, Savigny, System, Bd. 1, § 6, S. 12 Anm. (b)); Rückert, in: Klippel (Hrsg.), Naturrecht im 19. Jahrhundert, S. 135, 145 ff. (zu „Vertragsfreiheit“); Haferkamp, in: Lampe/ Pauen/Roth (Hrsg.), Willensfreiheit und rechtliche Ordnung, S. 196, 198; Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, S. 529 ff. („Beginnt man mit dem Ausdruck „Privatautonomie“ selbst, so ist zu konstatieren, dass dieser im 19. Jahrhundert keineswegs allgemein anerkannt war“). Zur Verwendung der Begriffe „Privatautonomie“/„Vertragsfreiheit“ im 19. Jhd. im Kontext des Vertragsrechts s. Hofer, aaO, S. 26 ff., 47 mit Verweis auf Wilda (Wilda insoweit als Ausnahme, keine „Grundsatzdebatte“; zu Wilda auch Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, S. 530); ferner mit Verweis auf Jhering (hierzu Hofer, aaO, S. 61 ff.); sodann vor allem Zitelmann, Irrtum und Rechtsgeschäft, S. 234, 237, 245 („Autonomie der Person im Privatrecht“ – bestimmend sind dabei zugleich „Person, Freiheit und Wille“; zu Zitelmann insoweit auch Hofer, aaO, S. 169 ff.); für Ende des 19. Jhd./Anfang des 20. Jhd., wobei sich hier zeigt, dass Wille/rechtliche Kausalität und Privatautonomie zunächst nebeneinander stehen, d.h. die Privatautonomie als neue Kategorie ebendiesen Zusammenhang erfassen soll: Regelsberger, Pandekten, § 24, S. 105 („Die Regelung eines einzelnen Rechtsverhältnisses durch Rechtsgeschäft, das Privatverfügungsrecht, die Privatautonomie“); § 32, S. 128; § 135, S. 487 f. („Im Bereich des Privatrechts ist dem Einzelnen ein weiter Spielraum gegeben, um in freier Willensbethätigung diejenige Gestalt der Rechtsverhältnisse hervorzurufen, die er für seine Interessen diensam erachtet. Es ist die Sphäre der sogenannten Privatautonomie“); s. aber auch § 118, S. 436 ff.; § 129, S. 472 ff. (dort zur Lehre von den juristischen Tatsachen – bei Regelsberger steht also beides nebeneinander [juristische Tatsachen/Wille – Privatautonomie], ohne sich gegenseitig auszuschließen); ähnlich Cosack, Lehrbuch des bürgerlichen Rechts, § 50, S. 151 f. (zu den „juristischen Thatsachen“ und den „Rechtswirkungen“); so-
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eine Art „Rückprojezierung“ ins „liberale“ 19. Jahrhundert, wonach dieses insgesamt durch Vertragsfreiheit und Privatautonomie als zentrale Prinzipien geprägt gewesen sei.535 Vor allem mit dem Aufkommen der Geltungstheorie wird die Privatautonomie in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts schließlich zur zentralen Kategorie des Vertragsrechts.536 Dadurch tritt eine Verlagerung der Diskussion ein: weg von den stärker moralphilosophisch geprägten Begriffen Wille, Willensfreiheit, Rechtskausalität (Lehre von den juristischen Tatsachen), hin
535 dann § 51, S. 153 (Das Rechtsgeschäft „umfaßt die Fülle der Thatbestände, in welchen der Wille der Privatpersonen maßgeblich hervortritt, in welchen also die Privatautonomie herrscht. Zwar ist die entscheidende Macht, welche die Rechtswirkungen endgültig schafft, auch bei den Rechtsgeschäften nicht der Wille der beteiligten Privatpersonen, sondern das Gesetz. Aber das Gesetz erscheint hier nur als der Diener des Willens der Privatpersonen; aus diesem Willen entnimmt das Gesetz das Ziel seiner Regeln“); Endemann, Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts, § 60, S. 255 Fn. 1 („Freiheit“; „privatrechtliche Selbstbestimmung“; „Autonomie“), § 70, S. 292 f. („Die rechtsgeschäftliche Willenserklärung als das Mittel zur autonomen Regelung der eigenen Rechtsverhältnisse […] bringt den auf Erlangung eines Rechtserfolgs gerichteten Willen […] zu rechtlicher Geltung. […] Unter Willen in diesem Sinn ist zu verstehen: die bewußte Selbstbestimmung eines Geschäftsfähigen zu einer rechtsgeschäftlichen Willenserklärung“); v. Kübel, Recht der Schuldverhältnisse, S. 136 („Autonomie der Person im Privatrecht“; „Vertragsfreiheit“); zur „Vertragsfreiheit als Prinzip“ in den Entwürfen des BGB Hofer, aaO, S. 132 ff. mit Verweis auf Motive BGB II, S. 2. Demgegenüber werden bei Karlowa, Das Rechtsgeschäft und seine Wirkung (1877) die Begriffe „Autonomie“, „Privatautonomie“ und „Vertragsfreiheit“ nicht verwendet. 535 S. dazu Haferkamp, in: Lampe/Pauen/Roth (Hrsg.), Willensfreiheit und rechtliche Ordnung, S. 196, 198 f. (häufig erfolgen diese Rückprojezierungen in antiliberalem Kontext mit der Absicht der Abgrenzung); Hofer, Vertragsfreiheit ohne Grenzen, S. 2 f. S. z.B. Wieacker, Privatrechtsgeschichte, S. 375 f., 397 f.; ders., Das Sozialmodell, S. 5 ff. Insoweit wird dann häufig auf Kant und dessen Einfluss auf das „liberale“ 19. Jhd. verwiesen, vgl. Bürge, Das französische Privatrecht, S. 43 ff., 70 ff., 77, 91; Raiser, JZ 1958, 1, 2 („Die Philosophie Kants hat diese materiale Sozialethik der Naturrechtszeit durch das formale Sittengesetz des kategorischen Imperativs verdrängt, um so stärker aber auch die Rechtslehre aus der Idee der sittlichen Autonomie der Persönlichkeit heraus entwickelt. Auf diesem Grund stehen dann Savigny und die großen Rechtsdogmatiker des 19. Jahrhunderts; eine (vielfach ernüchterte und verdünnte) kantische Ethik durchwirkt unsere Zivilrechtskodifikation am Ende des 19. Jahrhunderts. Schließlich aber ist die im BGB nicht ausgesprochene, aber vorausgesetzte Vertragsfreiheit eine Frucht des politischen und wirtschaftlichen Liberalismus […]“); Bäuerle, Vertragsfreiheit und Grundgesetz, S. 57 ff.; zur Frage nach Kants Einfluss auf die Rechtswissenschaft des 19. Jhd. s. oben bereits S. 148 Fn. 602 und S. 164 Fn. 696. 536 Vgl. zu den Veränderungen im Kontext des Aufkommens der Geltungstheorie Reis, Die juristische Tatsache, S. 12 ff. sowie die folgenden Fn.; s. im Einzelnen etwa Flume, Allgemeiner Teil, § 1 (§ 1,1: „Privatautonomie als Prinzip unserer Rechtsordnung“); ferner § 4,7 (dort zur „Geltungstheorie“); dazu, dass die Privatautonomie erst in der 2. Hälfte des 20. Jhd. zur zentralen Kategorie wird, Mayer-Maly, in: Honsell (u.a.) (Hrsg.), FS Kramer, S. 21, 25; Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, S. 529, 533.
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7. Kapitel: Die Entwicklung der Konstituenten in der Gegenwart
zu einem prinzipiengeleiteten Ansatz der „Privatautonomie“537 und Vertragsfreiheit.538 bb) Unterschiede? Worin liegen die Unterschiede zwischen diesen beiden Ansätzen? Der Unterschied zwischen Willensfreiheit und Privatautonomie liegt nicht bereits in der Reichweite. Zwar geht die Privatautonomie über die Vertragsfreiheit hinaus, da sie nicht auf das (schuldrechtliche) Vertragsrecht begrenzt ist.539 Gelegentlich wird ihr „Doppelcharakter“ zugeschrieben, da es auch um rechtliche Verantwortung geht und Privatautonomie daher für das Haftungsrecht Bedeutung entfalten soll.540 Aber auch die zivilrechtliche Relevanz der Willensfreiheit ist nicht auf das Vertragsrecht begrenzt, sondern soll sich etwa hinsichtlich des deliktischen Verschuldenserfordernisses auch auf das Haftungsrecht erstrecken.541 Der eigentliche Zugang zur Lösung des Verhältnisses von Willensfreiheit und Privatautonomie liegt zunächst in zwei anderen Fragen: zum einen in der bereits mehrfach diskutierten Frage, ob Willenshandlungen als solche Rechtswirkungen begründen können oder die Rechtswirkungen alleine aus dem Gesetz resultieren;542 zum anderen in der Frage, ob die Kausalität angemessene 537 Vgl. Hofer, Freiheit ohne Grenzen?, S. 4, 9 f. zur Privatautonomie als „Prinzip“, das insoweit dann die Ausgestaltung der Rechtsordnung bestimmt, mit Verweis (u.a.) etwa auf Larenz, Schuldrecht Allgemeiner Teil, § 4; s. ferner Flume, Allgemeiner Teil, § 1,1 („Die Privatautonomie als Prinzip unserer Rechtsordnung“); vgl. zur Verbindung von Geltungstheorie und Privatautonomie bei Flume Ulrich, Der Erbvertrag, S. 432 f., 444. 538 S. zu diesen Entwicklungen (Ablösung der Lehre von den juristischen Tatsachen durch die Geltungstheorie vor allem bei Flume, was seinerseits Reaktion auf die sozial-funktionalen Vertragsmodelle bei Raiser und Wieacker gewesen sein soll) Reis, Juristische Tatsachen, S. 12 ff.; Ulrich, Der Erbvertrag, S. 416 ff. (zu Larenz), 431 ff. (zu Flume), 436 ff., 442 ff.; vgl. auch zu dieser Ablösung Flume, Allgemeiner Teil, Vorwort, S. VII. 539 S. dazu zuvor bereits S. 29 f., 434 f.; s. insoweit zum Verhältnis von Privatautonomie und Vertragsfreiheit Flume, Allgemeiner Teil, § 1,8 a) (einerseits „Synonyma“, andererseits „Vertragsfreiheit im engeren Sinne“ als „schuldrechtliche Vertragsfreiheit“); vgl. auch Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, S. 66 ff., 68. 540 Schur, in: Lampe/Pauen/Roth (Hrsg.), Willensfreiheit und rechtliche Ordnung, S. 226, 228, 236 ff. mit Verweis auf (u.a.) H. Hattenhauer, Grundbegriffe des Bürgerlichen Rechts, S. 117 f.; s. ferner auch Bruns, Haftungsbeschränkung und Mindesthaftung, S. 166 ff.; Larenz/Canaris, Schuldrecht II/2, § 75 I 1./2. 541 S. dazu oben S. 382 ff. sowie Neuner, AcP 218 (2018), 1, 5 f.; ders., Allgemeiner Teil, § 10 Rn. 15 ff. (Rn. 17: „Verantwortlichkeit für Unrecht“). 542 S. zu dieser Frage oben S. 201 f.; vgl. auch Flume, Allgemeiner Teil, § 1,3 a); § 1,4; § 4,7 („[…] daß die Geltung auf beidem beruht, auf dem Recht und dem Willen des einzelnen, indem die Rechtsordnung die rechtliche Gestaltung aus Selbstbestimmung in den von der Rechtsordnung anerkannten Akten gelten läßt“); für das 19. Jhd. und das BGB etwa Hofer, Freiheit ohne Grenzen?, S. 186 mit dem Hinweis, dass es nie um die Frage ging, „der Wille allein bewirke die Rechtsfolge“ sowie oben bereits S. 201 f. Fn. 869; z.B. Endemann, Lehr-
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Denkform des Zivilrechts ist.543 Aus positiv-rechtlicher Perspektive verdeckt der Begriff der (Privat-)Autonomie den nur analogen Sprachgebrauch. Die Privaten setzen nicht selbst unmittelbar oder direkt positives Recht.544 Erforderlich ist nämlich die Anerkennung durch die positive Rechtsordnung, die dazu führt, dass durch den privaten Vertrag positiv-rechtliche Rechtsverhältnisse begründet, verändert oder aufgehoben werden. D.h. die Rechtswirkungen treten nur durch und infolge der Anerkennung des Vertrages durch das objektive Recht ein.545 Zwar besteht in bestimmtem Umfang eine verfassungsrechtliche Pflicht des Gesetzgebers zur rechtlichen Anerkennung des Willens.546 Aber dem Vertrag 543 buch des Bürgerlichen Rechts, § 62, S. 259 f.; Regelsberger, Pandekten, § 32, S. 128; § 118, S. 437; Manigk, Irrtum und Auslegung, S. 42; ferner Vonlanthen, Wesen des subjektiven Rechts, S. 21 (nicht Gesetz, sondern Vertrag als Rechtsgrund des Anspruchs). 543 S. dazu oben bereits S. 177 ff.; dafür etwa Zitelmann, Irrtum und Rechtsgeschäft, S. 200 ff., 206 ff., 220 ff., 228; Manigk, Das rechtswirksame Verhalten, S. 1 ff.; dazu auch Ulrich, Der Erbvertrag, S. 237 ff. (zu Zitelmann), 357 ff. (zu Manigk), 419 ff. (zu Larenz abweichender Konzeption), 422 ff., 431 ff. (zu Flume), 442 ff.; dagegen etwa Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 93 ff. (S. 175 ff.); s. ferner auch Reis, Juristische Tatsachen, S. 12 ff. zu den Diskussionen um die Lehre von den juristischen Tatsachen, die im 20. Jhd. weithin in den Hintergrund getreten ist und durch Geltungstheorie/Privatautonomie insbesondere bei Flume abgelöst worden ist. 544 Dazu etwa Flume, Allgemeiner Teil, § 1,3; § 1,4 („Die privatautonome Gestaltung von Rechtsverhältnissen ist nicht Rechtsetzung. […] Wie der einzelne nicht in eigener Sache Richter sein kann, kann er auch nicht Gesetzgeber sein“); zur Kritik am Begriff der „Autonomie“ im vertragsrechtlichen Kontext bereits Savigny, System, Bd. 1, § 6, S. 12 Anm. (b); ferner Bäuerle, Vertragsfreiheit und Grundgesetz, S. 351 („heteronome Rechtssetzung“); vgl. aber auch R. Singer, Selbstbestimmung, S. 6 f. („Der Hinweis auf die Rechtsordnung drückt aus, daß die Verbindlichkeit autonomer Rechtssetzung sowohl der grundsätzlichen Anerkennung als auch der näheren Ausgestaltung der Rechtsordnung bedarf. […] Erkennt die Rechtsordnung Privatautonomie an, so ist damit zugleich anerkannt, daß der Selbstbestimmungsakt als solcher verbindlich ist und seine Rechtfertigung in sich selbst trägt. Staatliche Anerkennung bedeutet aber nicht heteronome Rechtssetzung. Denn die Rechtsordnung akzeptiert die privaten Akte um ihrer selbst willen“). 545 S. Weller, Die Vertragstreue, S. 166 f., 171 f.; ferner Flume, Allgemeiner Teil, § 1,2 („Die privatautonome Gestaltung hat einerseits nur Rechtswirksamkeit, wenn und soweit die Rechtsordnung dies bestimmt“); § 1,3 a) („Die Rechtsfolgen kraft privatautonomer Gestaltung sind zwar insoweit stets gesetzliche Rechtsfolgen, als der privatautonome Akt nur kraft der Rechtsordnung rechtliche Geltung hat. Die Rechtsordnung beschränkt sich aber, soweit sie die privatautonome Gestaltung anerkennt, darauf, dieser rechtliche Geltung zu verleihen“); ferner § 4,7. So bereits deutlich z.B. Karlowa, Das Rechtsgeschäft und seine Wirkung, S. 1 ff., 4, 161; Regelsberger, Pandekten, § 32, S. 128; § 118, S. 437; Manigk, Irrtum und Auslegung, S. 42; vgl. ferner Brehmer, Wille und Erklärung, S. 41 f.; dass dies unstreitig war, s. Hofer, Vertragsfreiheit ohne Grenzen, S. 186 f. (in der Debatte des 19. Jhd. war danach nicht streitig, dass es immer einer gesetzlichen Anerkennung bedurfte; es ging immer nur um die Frage des Verhältnisses von Gesetz und Willenshandlungen, dazu oben S. 201 f. Fn. 869); aus heutiger Perspektive ferner Bäuerle, Vertragsfreiheit und Grundgesetz, S. 292, 329 f., 351. 546 S. dazu zuvor S. 434 f.; vgl. Flume, Allgemeiner Teil, § 1,2 („Die Rechtsordnung bestimmt die Rechtsfolgen andererseits aber gemäß der privatautonomen Gestaltung deshalb,
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und seinen Wirkungen kommt nicht unmittelbar Rechtsqualität zu, sondern nur über und mittels der gesetzlichen Anerkennung.547 Eher ist also von einer normativ notwendigen oder zumindest regelmäßigen rechtlichen Anerkennung der Willenshandlungen aufgrund von Personalität, Willensfreiheit und Privatautonomie auszugehen.548 Diese bilden den eigentlichen Grund der Anerkennung.549 Die Person erzeugt durch ihren Willen kraft der Willensfreiheit 547 weil die Anerkennung der Privatautonomie als Teil der Anerkennung der Selbstbestimmung des Menschen ein Grundprinzip der Rechtsordnung ist“); § 1,4; ferner Weller, Die Vertragstreue, S. 173 ff. zur „verfassungsrechtlichen Pflicht des Staates zur effektiven Ausgestaltung der Vertragsrechtsordnung“; vgl. auch H. Lehmann, Allgemeiner Teil, § 24, S. 130 („Die rechtsschöpferische Macht des Parteiwillens ist aber nicht schrankenlos, sondern nur grundsätzlich anerkannt“). 547 S. z.B. deutlich für die Gegenwart Weller, Die Vertragstreue, S. 166 f., 171 f.; ferner Neuner, Allgemeiner Teil, § 10 Rn. 23 f.; Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, S. 541; Isensee/Kirchhof/Isensee, Handbuch des Staatsrechts, § 150 Rn. 20 f.; ferner zur Abgrenzung von „Anerkennung“ und „Ermächtigung“ Canaris, AcP 184 (1984), 201, 217 ff.; vgl. auch Flume, Allgemeiner Teil, § 1,2 („Die Privatautonomie erfordert begrifflich die Rechtsordnung als Korrelat. Es können von dem einzelnen nur Rechtsverhältnisse gestaltet werden, die als Rechtsfiguren der Rechtsordnung eigen sind, und die privatautonome Gestaltung von Rechtsverhältnissen kann nur durch Akte geschehen, welche als Aktstypen rechtsgeschäftlicher Gestaltung von der Rechtsordnung anerkannt sind“); § 1,3; § 1,4 („Auf Grund der Anerkennung durch die Rechtsordnung gilt, soweit die Anerkennung reicht, die privatautonome Gestaltung aber ebenso wie ein Rechtssatz“); ferner bereits Regelsberger, Pandekten, § 32, S. 128; Schreier, Die Interpretation, S. 82 („Im strengen Sinn ist jede Rechtsfolge Gesetzeswirkung, wenn auch das Gesetz nicht hinreichende Bedingung der Rechtsfolge ist; denn jede Rechtsfolge beruht auf dem Gesetz (im weiteren Sinn) […]“). 548 S. dazu oben S. 370 ff., 380 ff. sowie Westermann, Person und Persönlichkeit, S. 15 („Die Würde der Person ist letztlich auch die Grundlage für die Anerkennung und Verbindlichkeit der Willenserklärung“); vgl. Laufke, in: Nipperdey (Hrsg.), FS Lehmann, S. 145, 162 („Der frei gestaltete Vertrag ist ja das juristische Mittel zur Durchsetzung des persönlichen Willens, das Mittel, sich seine Welt nach seinem Bild zu gestalten, sich das Milieu zu schaffen, das man zur Entfaltung der Persönlichkeit benötigt. […] Ohne Vertrag mag es eine Person im streng juristisch technischen Sinne – Träger von Rechten und Pflichten – geben. Eine Persönlichkeit in jenem Vollsinn, in dem das Wort in Art. 2 GG verwendet wird, gibt es ohne Vertrag, den der Einzelne nach seinem Willen abschließt und nach seinem Willen gestaltet, nicht“). 549 Vgl. bereits v. Kübel, Recht der Schuldverhältnisse, S. 136 („Der die Rechtsordnung zur Anerkennung der rechtsgestaltenden Kraft der Willenserklärung bestimmende Grund beruht in der Erkenntnis der Nothwendigkeit der Autonomie der Person im Privatrecht und der Vertragsfreiheit insbesondere im Verkehrsrecht, und hat demgemäß die juristische Willenserklärung zu ihrem praktischen Zwecke, der Person die Möglichkeit zu gewähren, innerhalb gewisser Grenzen die von ihr gewollten Rechtsfolgen durch die Erklärung ihres Willens herbeizuführen, insbesondere also auch durch Vertrag sich beliebig zu verpflichten“); etwas anders Flume, Allgemeiner Teil, § 1,2 („Beides, die privatautonome Gestaltung des Rechtsverhältnisses […] und die Rechtsordnung […] gehören als Rechtsgrund der Geltung des privatautonomen Akts […] untrennbar zusammen“); zum „Geltungsgrund“ vgl. auch Brehmer, Wille und Erklärung, S. 28 („Weil aber ihre Geltung und ihre Regelungsqualität allein auf der Anerkennung der Privatautonomie, also auf der Anerkennung der Selbstgestaltung nach dem Willen und damit auf der Anerkennung des Willens beruht, liegt der Grund ihrer Geltung, also der Grund ihres Befolgswerdens, im Willen. […] Es ist also die Anerkennung des
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insoweit Rechtswirkungen (subjektive Rechte und Pflichten), als diese von der Rechtsordnung anerkannt werden – so das herrschende Erklärungs- und Konstruktionsmodell für die Wirkweise von Verträgen im 19. Jahrhundert, das wesentlich durch die Denkform der Rechtskausalität geprägt ist.550 Dass der Wille grundsätzlich anerkannt wird, folgt unter der Geltung des Grundgesetzes aus der Anerkennung von Vertragsfreiheit und Privatautonomie551 sowie – letztlich vermittelt über den Personbegriff, wenngleich das BVerfG Vertragsfreiheit und Privatautonomie nur in Art. 2 Abs. 1 GG verortet – aus der Menschenwürde.552
550 Willens als ihres Geltungsgrundes, kraft dessen das, was als Wille erklärt ist, von Rechts wegen zu befolgen ist, gilt. Mit der Anerkennung der Privatautonomie hat das Gesetz den Willen also nicht nur als den Geltungsgrund des Rechtsgeschäfts, sondern auch als den Geltungsgrund der Willenserklärung anerkannt“). 550 S. dazu oben S. 200 ff. sowie z.B. Motive BGB I, S. 126 („Das Wesen des Rechtsgeschäftes wird darin gefunden, daß ein auf die Hervorbringung rechtlicher Wirkungen gerichteter Wille sich bethätigt, und daß der Spruch der Rechtsordnung in Anerkennung dieses Willens die gewollte rechtliche Gestaltung in der Rechtswelt verwirklicht“); Karlowa, Das Rechtsgeschäft und seine Wirkung, S. 161 („Der Wille der Rechtsordnung bringt beim Rechtsgeschäft nicht unmittelbar die Rechtswirkung hervor, sondern anerkennt, sanctionirt nur den auf jene Wirkung gerichteten Privatwillen; der Privatwille bringt die Wirkung hervor, aber er kann sie nur hervorbringen, sofern er von der Rechtsordnung sanctionirt ist, und sofern auf diese Weise eine Rechtsgebundenheit der Parteien bezüglich des Eintritts der Wirkung hergestellt ist“); ferner auch Manigk, Irrtum und Auslegung, S. 42 („[…] denn alle Rechtswirkungen beruhen auf der Rechtsordnung und deren Rechte und Rechtsschutz erzeugenden Kraft. Aber die Rechtsordnung vermag die die letzteren darstellenden Wirkungen immer nur an faktische Tatbestände zu knüpfen, so daß diese als Ursachen jener erscheinen müssen. Sie gewährt die Wirksamkeit einer We. als juristischer Tatsache und gibt eben dadurch, daß die Subjekte die Verwirklichung dieser hierin eigenartigen Tatsache und ihrer inhaltlichen Gestaltung in einem hohen Maße in ihrer Hand haben, der We. und insofern mittelbar dem Willen die rechtserzeugende Kraft“), ferner S. 229 ff. dazu, dass die Willenserklärung zugleich nicht nur „Auslöser“ von durch das Gesetz vorgesehenen Rechtswirkungen ist. 551 Vgl. Schapp, Grundfragen der Rechtsgeschäftslehre, S. 16 f. („Welche Gründe veranlassen die Rechtsordnung, im Vertragsrecht an den Willen der Vertragschließenden anzuknüpfen? Es genügt ja nicht, daß der Wille als Grund für die Anerkennung des Eintritts gewollter Rechtsfolgen bezeichnet wird, der Grund muß sich auch als solcher verständlich machen lassen. Hier bietet sich nun die Lösung an, die Begründung für diese Anknüpfung in dem Prinzip der Privatautonomie zu sehen“); ferner Brehmer, Wille und Erklärung, S. 28 f. („Mit der Anerkennung der Privatautonomie hat das Gesetz den Willen also nicht nur als den Geltungsgrund des Rechtsgeschäfts, sondern auch als den Geltungsgrund der Willenserklärung anerkannt.“). 552 Vgl. dazu oben S. 380 f. sowie Westermann, Person und Persönlichkeit, S. 15; für die Privatautonomie auf Art. 1 Abs. 1; Art. 2 Abs. 1 GG abstellend Riesenhuber, ZfPW 2018, 352, 355, 357; vgl., wenngleich kritisch zu einer Verankerung von Vertragsfreiheit/Privatautonomie in der Menschenwürde Bäuerle, Vertragsfreiheit und Grundgesetz, S. 356 ff., 359 f.
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cc) Das komplementäre Verhältnis von rechtlicher Kausalität und Privatautonomie (1) Privatautonomie als Prinzip und Institutsgarantie Die Kategorie der (Rechts-)Kausalität hat also553 ihre Berechtigung.554 Die rechtliche Kausalität ist eine durch das Gesetz vermittelte und geschaffene.555 Weil aber der durch das Gesetz hergestellte Zusammenhang von Willenserklärung als (Wirk-)Grund556 und den Rechtswirkungen durch die verfassungs553
Dagegen aber Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 93 ff. (S. 175 ff.); dazu auch Pawlowski, Rechtsgeschäftliche Folgen, S. 243 f. Würde man die Kausalitätsform für das Vertragsrecht ablehnen, so würde man auch die Privatautonomie ablehnen, die ihrer Idee nach kausal wirkt, vgl. nämlich zum Zusammenhang von rechtlichem Kausalitätsdenken und Privatautonomie Manigk, Das rechtswirksame Verhalten, S. 1 ff. 554 Ebenso Manigk, Das rechtswirksame Verhalten, S. 1 ff.; zu Manigk auch Ulrich, Der Erbvertrag, S. 357 ff., 422 ff.; s. zur juristischen Kausalität oben S. 177 ff.; vgl. Schapp, Grundfragen der Rechtsgeschäftslehre, S. 9 („Da nach unserer Auffassung der Tatbestand des Rechtssatzes eine Begründung für die rechtliche Entscheidung gibt, wäre eine kausale Fassung zutreffender. Der Rechtssatz würde dann lauten: „Weil der Wille sich auf den Eintritt der Rechtsfolge richtet, soll diese Rechtsfolge eintreten“. Unsere Auffassung des gesetzlichen Tatbestandes als Begründung wird jedenfalls in diesem Fall auch durch die gerade wiedergegebenen Definitionen des Rechtsgeschäfts bestätigt. Auch sie sind ja kausal gefaßt, d.h. sie sehen den Willen oder die Willenserklärung als Grund dafür an, daß die Rechtsordnung die Rechtsfolge eintreten läßt“). 555 S. dazu oben bereits S. 200 ff.; vgl. Regelsberger, Pandekten, § 32, S. 128 („Aber nur in der Körperwelt kann der Mensch durch seine Kraftentfaltung allein Wirkungen hervorbringen, das ideale Bereich des Rechts wird ihm erst durch die Hilfe des positiven Rechts zugänglich. So schöpft auch die Privatverfügungsmacht ihren rechtsgestaltenden Einfluss aus dem positiven Recht; was sie zu ordnen vermag, vermag sie nur kraft des positiven Rechts und darum nichts gegen dasselbe“); § 118, S. 437 („Thatsachen und Rechtsfolge werden vom positiven Recht bestimmt, aber geschaffen wird von ihm nur die Rechtsfolge. Die Rechtsfolge freilich von ihm allein, die Privatpersonen können nur den thatsächlichen Grund für die Rechtsfolge setzen. Es ist daher ungenau, von einer rechtschöpferischen Macht der Privatpersonen zu sprechen, zu sagen, die Parteien haben ein Rechtsverhältnis begründet oder aufgehoben. Indes findet diese Ungenauigkeit ihre Erklärung und Rechtfertigung in dem Zusammenhang, welcher kraft der Vorschrift des Rechts zwischen Thatbestand und Rechtsfolge besteht. Wo jener gesetzt ist, tritt diese mit Nothwendigkeit (juris necessitate) ein“; Fn. weggelassen); § 129, S. 473 („Zur juristischen Handlung wird die Willensbethätigung, indem das positive Recht mit ihr eine Rechtsfolge verknüpft und zwar darum, weil die gewollte That eines Menschen vorliegt“). 556 Vgl. Neuner, Allgemeiner Teil, § 10 Rn. 24 zum „doppelten Grund“ der Bindungswirkung (Willensakte der Vertragsschließenden und Anerkennung durch die Rechtsordnung); zur Frage, was Grund der Rechtsfolgen des Vertrags ist, (wenngleich anders) Brehmer, Wille und Erklärung, S. 29 („Es ist also der rechtsgeschäftliche Wille, dessenhalben das BGB dem Rechtsgeschäft und der Willenserklärung Geltung verleiht und dessenthalben beide rechtlich anerkannte Regelungstatbestände sind. Während es bei der gesetzlichen Regelung allein das Gesetz ist, das regelt und bestimmt, ist es hier der einzelne, der bestimmt und dessen Wille im Rahmen und in den Grenzen der gesetzlichen Regelung dafür maßgeblich ist, was gilt. […] Obwohl die Willenserklärung das Mittel der Ingeltungsetzung des Willens ist, stellt das BGB tatbestandlich, also hinsichtlich des Vorliegens und des Eintritts der Geltung der Willenserklärung nicht auch auf den Willen, sondern allein auf die Erklärung ab. […] Es ist der
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rechtliche Gewährleistung von Privatautonomie und Vertragsfreiheit notwendig oder zumindest regelmäßig ist, kann man hier von Kausalität sprechen.557 Die Privatautonomie ist nichts anderes als das Prinzip558 zur Erfassung dieser durch Person559, Wille560 und Willensfreiheit bedingten Rechtskausalität.561 Privatautonomie und Vertragsfreiheit sind einerseits Prinzipien der Ausgestaltung der Privatrechtsordnung562, andererseits verfassungsrechtliche Institutsgarantien und Grundrechte.563 Privatrechtsdogmatisch und -theoretisch lässt sich diesen als solchen aber noch nichts hinsichtlich der konkreten Wirkweise 557 erklärte Wille, an den das Gesetz die Geltung knüpft“), S. 40 f. (abgrenzend vom „Geltungsgrund“ zum „Rechtsgrund“: „Der Tatbestand und der Eintritt der Geltung resp. Rechtsfolge stehen also nicht nur in einem Voraussetzungs-, sondern auch in einem Begründungszusammenhang. […] Doch ist auch die Willenserklärung, aber nicht der Wille, der Rechtsgrund der Geltung des erklärten Willens und das Rechtsgeschäft der Rechtsgrund (des Eintritts) der Rechtsfolge“; ferner S. 52 ff. zum Rechtsgrund). 557 Vgl., wenngleich natürlich nicht unter Rekurs auf die verfassungsrechtlichen Vorgaben, Zitelmann, Irrtum und Rechtsgeschäft, S. 215 f. („[…] ein eigentümliches, erst von dem Gesetzgeber geschaffenes Band der Notwendigkeit, das wir nicht anders als analog der natürlichen Causalität (Sachgrund) aufzufassen vermögen“), 220 ff., 233 f. (S. 234: Die Rechtsordnung „muss ihm also auf die Gestaltung seines Rechtskreises weitgehenden Einfluss gestatten, sie muss ihm eine gewisse „Autonomie“ einräumen“). 558 Vgl. zu Vertragsfreiheit und Privatautonomie als „Prinzip“ Riesenhuber, ZfPW 2018, 352, 354 ff.; Hofer, Freiheit ohne Grenzen?, S. 4, 9 f.; ferner Raiser, JZ 1958, 1 („Die Zivilrechtsdogmatik spricht von Parteiautonomie als einem für den Aufbau des Zivilrechts charakteristischen Prinzip, dem einzelnen Rechtsgenossen Spielraum für eine selbstverantwortliche Gestaltung seiner Lebensverhältnisse zu lassen“); s.a. Flume, Allgemeiner Teil, § 1,1.; kritisch zu einem Verständnis der Privatautonomie als „Strukturprinzip des Privatrechts“ Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, S. 538 (vielmehr „Einfallstor für grundrechtliche Wertungen in die Privatrechtsordnung“). 559 Vgl. dazu Reinach, Phänomenologie des Rechts, S. 136 f. (zum „rechtlichen Können“ der Person), S. 145 („Jede Person besitzt, wie wir wissen, als Person das rechtliche Können, durch soziale Eigenakte Rechte und Verbindlichkeiten in sich selbst zu erzeugen, zu modifizieren usf.“); s. ferner zum Zusammenhang von Privatautonomie und Personalität Hesse, Verfassungsrecht und Privatrecht, S. 35, 43. 560 Vgl. Brehmer, Wille und Erklärung, S. 28 f. 561 In diese Richtung auch Manigk, Das rechtswirksame Verhalten, S. 1 ff., 3; vgl. ansatzweise auch Zitelmann, Irrtum und Rechtsgeschäft, S. 245 („Die juristische Willenserklärung besteht demnach darin, dass die Beabsichtigung einer Rechtsfolge und die Erklärung dieser Beabsichtigung Thatbestandsmomente für das Eintreten der Rechtsfolge sind. Diess ist die Form, in welcher das objective Recht die Autonomie der Person im Privatrecht verwirklicht hat“); s. ferner auch Schapp, Grundfragen der Rechtsgeschäftslehre, S. 50 („Das Prinzip der Privatautonomie ist ein Moment der Begründung des Rechts, in dem Vertragsgeschehen an den lebensweltlichen Willen anzuknüpfen“). 562 Vgl. zu diesem Aspekt der Privatautonomie Flume, Allgemeiner Teil, § 1,1 („Privatautonomie als Prinzip unserer Rechtsordnung“); Riesenhuber, ZfPW 2018, 352, 354 ff.; s. ferner Hofer, Freiheit ohne Grenzen?, S. 9 f.; vgl. auch Brehmer, Wille und Erklärung, S. 48 (Privatautonomie als „Kategorie der Legitimation“). 563 S. dazu oben bereits S. 434 f.; vgl. auch, wenngleich anders Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, S. 66 ff. (einerseits Privatautonomie als „Freiheitsgrundrecht“, andererseits als „Selbstbestimmung“).
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entnehmen. Diese konkrete Wirkweise wird durch die Kategorien Wille, Person und rechtliche Kausalität beschrieben. (2) Das Verhältnis zur Geltungstheorie Nun könnte man argumentieren, dass diese Funktion der konkreten Beschreibung des Wirkzusammenhangs inzwischen von der Geltungstheorie564 wahrgenommen wird, sodass unter diesem Gesichtspunkt Person, Wille und Rechtskausalität derogiert sind.565 Indes sind Privatautonomie und Geltungstheorie nur scheinbar an die Stelle getreten, die im 19. Jahrhundert noch Willensfreiheit, Wille und die Lehre von den juristischen Tatsachen eingenommen haben.566 Auch die Geltungstheorie hat hier tatsächlich zu keiner Derogation geführt.567 So geht die Geltungstheorie davon aus, dass die Person kraft der Privatautonomie privates Recht setzen kann, das durch den Vollzug des Willensaktes unmittelbar zur Geltung gelangt, ohne dass der Wille selbst rechtsgestaltendes Vermögen ist.568 Allerdings kann der Begriff der Privatautonomie als solcher ebensowenig wie die Geltungstheorie erklären, wieso Willenshandlungen anerkannt werden sollen und die Wirkung in der Gestaltung von Rechtsverhältnissen und subjektiven Rechten liegt569 – gerade angesichts des564 S. dazu oben S. 431 f. sowie etwa Larenz, Methode der Auslegung, S. 34 ff., 84 ff.; Neuner, Allgemeiner Teil, § 30 Rn. 6 ff.; ferner auch Flume, Allgemeiner Teil, § 4,7. 565 S. Reis, Juristische Tatsachen, S. 12 ff. zur Ablösung der Lehre von den juristischen Tatsachen durch Rechtsgeschäft, Geltungstheorie und Privatautonomie vor allem bei Flume (vgl. Flume, Allgemeiner Teil, Vorwort, S. VII); ferner dazu Ulrich, Der Erbvertrag, S. 416 ff. (zu Larenz), 431 ff. (zu Flume), 436 ff., 442 ff. 566 Vgl. zu diesen Entwicklungen auch Reis, Juristische Tatsachen, S. 12 ff., ferner S. 1 ff.; Ulrich, Der Erbvertrag, S. 431 ff., 436 ff. 567 Vgl. auch Flume, Allgemeiner Teil, § 4,7, der von keinem grundlegenden Gegensatz zwischen Willens- und Geltungstheorie ausgeht („Unrichtig ist es nur, wenn die Geltungstheorie insoweit in einen Gegensatz zur Willenstheorie gebracht wird. Daß die Willenserklärung ihrem Inhalt nach Geltungserklärung ist, versteht sich nach der Willenstheorie von selbst […]. Die sogenannte Geltungstheorie steht in wirklichem Gegensatz zur Willenstheorie nur insofern, als sie sich gegen das Nichtigkeitsdogma der Willenstheorie wendet […]“); s. ferner insoweit auch kritisch R. Singer, Selbstbestimmung, S. 72 ff.; s. aber auch Ulrich, Der Erbvertrag, S. 442 f. zur „Revolution“, die mit der Geltungstheorie verbunden sein soll (insoweit im Hinblick auf Larenz und sein Verständnis der Geltungserklärung als Normsetzung; es geht danach nicht mehr um die kausale Gestaltung von subjektiven Rechten und Rechtsverhältnissen). 568 S. dazu oben bereits S. 431 f. sowie etwa Flume, Allgemeiner Teil, § 4,5; Pawlowski, Folgen nichtiger Willenserklärungen, S. 250 f.; vgl. auch R. Singer, Selbstbestimmung, S. 6, 72 ff. 569 S. aber Ulrich (Der Erbvertrag, S. 443) mit dem Hinweis auf einen anderen Gesichtspunkt der Geltungstheorie: Nach Larenz Konzeption der Geltungstheorie soll die Geltungserklärung als Normsetzung die Kategorie der subjektiven Privatrechte obsolet machen. Es geht nach dieser Konzeption nicht um die kausale Gestaltung von Rechtsverhältnissen und subjektiven Rechten, sondern um die Ingeltungsetzung von Normen (s. näher Ulrich, Der Erbvertrag, S. 416 ff., 419 ff. zu Larenz Konzeption). Dieses Spezifikum der Geltungstheorie sei indes von Flume verkannt worden (aaO, S. 444).
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sen, dass Privatautonomie „die Gestaltung der Rechtsverhältnisse durch den Einzelnen nach seinem Willen“ ist.570 Auch das Erklärungsmodell Geltungstheorie und Privatautonomie kommt folglich nicht ohne Wille571 und Person aus.572 Sie impliziert aber – und dies ist sicherlich der eigentliche Wert des Begriffs – mit seinem analogen Sprachgebrauch den Anspruch, dass das, was die Parteien durch ihre Willensakte konstituieren, auch rechtlich anerkannt wird (bzw. werden muss). Dieser Aspekt der Anerkennung573 der Selbstgestaltung der Rechtsverhältnisse findet umgekehrt in den Kategorien Person, Wille und rechtliche Kausalität keine hinreichende Stütze, weshalb der Privatautonomie wesentliche Bedeutung zukommt.574 Gleichwohl erscheint Privatautonomie vielfach als isolierter, formeller Begriff575, der deswegen Gefahr läuft, derogiert zu werden. Besser ist es, den Wirkzusammenhang verstärkt zu betrachten und dadurch neben der Privatautonomie auch unmittelbar auf Person, Wille und Willensfreiheit abzustellen.576 Vor diesem Hintergrund wird man die Privatautonomie als das Prinzip deuten können, das den rechtskausalen Wirkzusammenhang zwischen Person und Willenserklärung als Gründen einerseits und Rechtswirkung (Entstehung, 570
BVerfGE 72, 155, 170; 89, 214, 231; Flume, Allgemeiner Teil, § 1,1. Vgl. dazu auch Pawlowski, Rechtsgeschäftliche Folgen, S. 232 ff., 251. 572 Vgl. auch Riesenhuber, ZfPW 2018, 352, 358 („Der Wille der Parteien ist Grund und Rechtfertigung für die Bindung“). 573 Vgl. dazu Flume, Allgemeiner Teil, § 1,3 a), e) („Der Unterschied der kraft privatautonomer Gestaltung eintretenden Rechtsfolgen und der gesetzlichen Rechtsfolgen kann gar nicht scharf genug betont werden. Bei der privatautonomen Gestaltung von Rechtsverhältnissen geht es für die rechtliche Entscheidung immer um die Verwirklichung der Selbstbestimmung. […] Die Selbstbestimmung ist in den Grenzen, in denen sie von der Rechtsordnung anerkannt ist, der rechtlichen Wertung vorgegeben. […] Die privatautonome Gestaltung ist, soweit sie gilt, in der rechtlichen Entscheidung einfach zu befolgen“). 574 Vgl. insoweit auch die Kritik bei Flume an der Lehre von den juristischen Tatsachen Flume, Allgemeiner Teil, Vorwort, S. VII („Es ist in den Darstellungen des Allgemeinen Teils des Bürgerlichen Rechts üblich, die Lehre vom Rechtsgeschäft der Lehre von den juristischen Tatsachen einzuordnen […]. Das Essentiale des Rechtsgeschäfts, daß es sich bei ihm handelt um die schöpferische Gestaltung eines Rechtsverhältnisses kraft Selbstbestimmung, kommt in diesen Einordnungen jedoch nicht zur Geltung. Die Verselbständigung der Lehre vom Rechtsgeschäft mag dazu dienen, die Eigenart und Eigenständigkeit der Lehre von der Privatautonomie klarer hervortreten zu lassen“). 575 Vgl. insoweit zur Kritik am Begriff der Privatautonomie Röthel, in: Bumke/Röthel (Hrsg.), Autonomie, S. 91, 92 ff. 576 Vgl. ansatzweise auch R. Singer, Selbstbestimmung, S. 74 f., 247, wonach „die Selbstbestimmung der Person das Wesen des Rechtsgeschäfts prägt“; ferner Eichler, System des Personenrechts, S. 93 („Die grundsätzliche Erörterung der Privatautonomie im Rechtsverkehr betrifft allerdings auch das Personenrecht, weil es sich um den Grundgedanken der Willensfreiheit des einzelnen handelt“); Laufke, in: Nipperdey (Hrsg.), FS Lehmann, S. 145, 162 („Ohne Vertrag mag es eine Person im streng juristisch technischen Sinne – Träger von Rechten und Pflichten – geben. Eine Persönlichkeit in jenem Vollsinn, in dem das Wort in Art. 2 GG verwendet wird, gibt es ohne Vertrag, den der Einzelne nach seinem Willen abschließt und nach seinem Willen gestaltet, nicht“). 571
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Veränderung, Aufhebung von Rechtsverhältnissen, subjektiven Rechten und Pflichten) andererseits verfassungsrechtlich absichert.577 b) Wille, Willenserklärung und Voraussetzungen rechtsgeschäftlicher Bindung Aus diesem Zusammenhang von Vertrag, Wille, Person, Freiheit und subjektivem Recht folgt Einiges für die Ausgestaltung des Vertragsrechts. Der Vertrag bzw. das Rechtsgeschäft ist nichts anderes als die konkrete Rechtsform, mittels derer die Person rechtlich kausal werden kann, d.h. subjektive Rechte und Rechtsverhältnisse begründen, ändern, aufheben oder übertragen.578 Vor diesem Hintergrund zeigt sich auch die Notwendigkeit des Vertrages: er ist die Form, die es der Person ermöglicht, die Rechtsverhältnisse zu gestalten.579 Geht man mit dem BVerfG davon aus, dass die Privatautonomie die „Gestaltung der Rechtsverhältnisse durch den Einzelnen nach seinem Willen gewährleistet“580, dann folgt hieraus, dass ebenjener Wille rechtlich relevant ist und auf rechtliche Anerkennung abzielt.581 Das positive Vertragsrecht muss bei der 577 S. dazu oben bereits S. 448 ff.; vgl. ferner zum Zusammenhang von Privatautonomie und Rechtswirkungsdenken auch Gmür, Das Rechtswirkungsdenken in der Privatrechtsgeschichte, S. 94 f. 578 Vgl. Flume, Allgemeiner Teil, § 1,2 („Aktstypen nach der Rechtsordnung“), § 1,6 a) („Vertrag als Hauptform privatautonomer Gestaltung von Rechtsverhältnissen“); s. bereits Zitelmann, Irrtum und Rechtsgeschäft, S. 233 f. („Rechtsgeschäfte wären demnach die Formen rechtsschöpferischer Tätigkeit, diejenigen Typen des Handelns also, in welchen und durch welche eine Person auf dem Gebiete der subjectiven Rechte schaffend wirksam wird. […] Nur da kann also von einer schöpferischen Thätigkeit der Person auf dem Gebiete der subjectiven Rechte die Rede sein, wo […] das objective Recht durch die Rechtsfolge, welche es an die Handlung der Person knüpft, nicht eine Repression gegen den Willen des Handelnden ausüben sondern gemäss seinem eignen Interesse und Wunsch verfahren will“); S. 245 („Indem das Recht so spricht, erweitert es die Causationsfähigkeit des Subjects um ein fast unermessliches Gebiet; nun erst gibt es der Person in Wahrheit eine privatrechtliche Freiheit, denn es gibt ihr unmittelbare Einwirkung auf die Welt der subjectiven Rechte“); ferner Laufke, in: Nipperdey (Hrsg.), FS Lehmann, S. 145, 162 („Der frei gestaltete Vertrag ist ja das juristische Mittel zur Durchsetzung des persönlichen Willens, das Mittel, sich seine Welt nach seinem Bild zu gestalten, sich das Milieu zu schaffen, das man zur Entfaltung der Persönlichkeit benötigt“); vgl. schließlich Rödl, Gerechtigkeit, S. 292 ff. zum Zusammenhang von Vertrag und subjektivem Recht. 579 Vgl. Flume, Allgemeiner Teil, § 1,6; Zitelmann, Irrtum und Rechtsgeschäft, S. 233 f., 245; Laufke, in: Nipperdey (Hrsg.), FS Lehmann, S. 145, 162; vgl. auch mit anderer Begründung Rödl, Gerechtigkeit, S. 322 ff.; s. ferner auch etwa BVerfGE 103, 89, 100 („Maßgebliches Instrument zur Verwirklichung freien und eigenverantwortlichen Handelns in Beziehung zu anderen ist der Vertrag […]“). 580 BVerfG NJW 2006, 596, 598; ferner BVerfGE 72, 155, 170; 89, 214, 231. 581 S. dazu zuvor S. 380 ff.; vgl. Wendland, Vertragsfreiheit und Vertragsgerechtigkeit, S. 21 (Wille als „das beherrschende Element und die bestimmende Kraft rechtsgeschäftlicher Folgen“); Riesenhuber, ZfPW 2018, 352, 358 („Der Wille ist Grund und Rechtfertigung für die Bindung“); Schapp, Grundfragen der Rechtsgeschäftslehre, S. 8 ff., 16 f.
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Ausgestaltung der Vertragsfreiheit ebenjenem Willen Rechnung tragen und ihm grundsätzlich zur rechtlichen Wirksamkeit verhelfen.582 Dies folgt aus dem Zusammenhang von Person, Wille und Freiheit sowie der Privatautonomie.583 Man wird daher festhalten müssen, dass der Tatbestand des Vertrags die Kategorien Person und Wille grundsätzlich reflektieren muss, wenngleich die konkrete Wirkweise (Erklärungstheorie, Willenstheorie oder Geltungstheorie) der Ausgestaltung durch den einfachen Gesetzgeber überlassen bleibt.584 Vertragsfreiheit und Privatautonomie bedingen jedenfalls die „rechtliche Anerkennung der Möglichkeit, durch Willensäußerungen Rechtsfolgen herbeizuführen oder zu verhindern“.585 Der Wille hat dabei nicht nur in positiver Hinsicht Auswirkungen darauf, was anerkannt werden soll, sondern auch in negativer Hinsicht, was grundsätzlich nicht anerkannt werden darf.586 So soll „der im Vertrag zum Ausdruck 582
Vgl. auch BVerfGE 81, 242, 254; 103, 89, 100. S. dazu oben bereits S. 370 ff., 375 f., 380 ff.; vgl. Westermann, Person und Persönlichkeit, S. 15 („Die Würde der Person ist letztlich auch die Grundlage für die Anerkennung und Verbindlichkeit der Willenserklärungen“); Flume, Allgemeiner Teil, § 1,3 e), worin sich nämlich der Unterschied von den Rechtswirkungen beim Rechtsgeschäft zu anderen Rechtswirkungen zeigt: „Der Unterschied der kraft privatautonomer Gestaltung eintretenden Rechtsfolgen und der gesetzlichen Rechtsfolgen kann gar nicht scharf genug betont werden. Bei der privatautonomen Gestaltung von Rechtsverhältnissen geht es für die rechtliche Entscheidung immer um die Verwirklichung der Selbstbestimmung. […] Die Selbstbestimmung ist in den Grenzen, in denen sie von der Rechtsordnung anerkannt ist, der rechtlichen Wertung vorgegeben. […] Die privatautonome Gestaltung ist, soweit sie gilt, in der rechtlichen Entscheidung einfach zu befolgen“. S. ferner Brehmer, Wille und Erklärung, S. 28 („Weil aber ihre Geltung und ihre Regelungsqualität allein auf der Anerkennung der Privatautonomie, also auf der Anerkennung der Selbstgestaltung nach dem Willen und damit auf der Anerkennung des Willens beruht, liegt der Grund ihrer Geltung, also der Grund ihres Befolgswerdens, im Willen. […] Mit der Anerkennung der Privatautonomie hat das Gesetz den Willen also nicht nur als den Geltungsgrund des Rechtsgeschäfts, sondern auch als den Geltungsgrund der Willenserklärung anerkannt“); vgl. Schapp, Grundfragen der Rechtsgeschäftslehre, S. 16 f. (im Hinblick auf die Privatautonomie); Laufke, in: Nipperdey (Hrsg.), FS Lehmann, S. 145, 162; ferner auch Weller, Die Vertragstreue, S. 156 („Die Vertragsfreiheit baut auf der vorrechtlichen Grundfähigkeit des Menschen zur Selbstbestimmung bzw. Willensfreiheit auf“; Fn. weggelassen). 584 Vgl. zur Vereinbarkeit auch der Vertrauenshaftung bzw. Erklärungstheorie mit der Privatautonomie Bydlinski, Privatautonomie und objektive Grundlagen, S. 126 ff., 159; Honsell, in: Forstmoser/Honsell/Wiegand (Hrsg.), FS Walter, S. 335, 339; Schmidt-Salzer, JR 1969, 281, 285; s. dazu auch de la Durantaye, Erklärung und Wille, S. 36. 585 Bydlinski, Privatautonomie und objektive Grundlagen, S. 127; s.a. Isensee/Kirchhof/ Isensee, Handbuch des Staatsrechts, § 150 Rn. 7, 20 f. 586 S. dazu oben bereits S. 381 f.; vgl. auch Neuner, Allgemeiner Teil, § 12 Rn. 1 („Ausnahmsweise können Rechtsfolgen auch ohne Rücksicht auf menschliches Verhalten und ungeachtet individueller Fähigkeiten allein kraft Gesetzes eintreten. […] Im Regelfall setzt der Eintritt von Rechtsfolgen jedoch Handlungsfähigkeit voraus“); ferner § 32 Rn. 2; R. Singer, Selbstbestimmung, S. 75 („Die Anerkennung der Privatautonomie erfordert nicht negativ, daß Rechtsgeschäftsfolgen nur aufgrund privater Gestaltung eintreten müssen. Nur handelt es sich dann nicht mehr um privatautonomes Recht, und es bedarf besonderer Gründe für 583
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kommende übereinstimmende Wille der Vertragsparteien“ insofern relevant sein, als er mit der damit zum Ausdruck kommenden Selbstbestimmung der Vertragsparteien regelmäßig zu einem gerechten Interessenausgleich zwischen den Parteien führt.587 Überall dort, wo diese Voraussetzungen nicht vorliegen, d.h. wo der Prozess freier Willensbildung eingeschränkt oder die Willensmacht aufgehoben ist, ist der Gesetzgeber gehalten, diesem Umstand bei der Ausgestaltung der Privatrechtsordnung Rechnung zu tragen.588 Wenn keine Selbst-, sondern aufgrund von Zwang, Drohung oder Täuschung letztlich Fremdbestimmung vorliegt, verlangt die Privatautonomie der betroffenen Partei Regelungen bereitzustellen, die die Anerkennung des nicht auf freier Willensbestimmung beruhenden Aktes verhindern können.589 Der Inhalt entsprechender Regelungen (eo ipso-Nichtigkeit; zur Nichtigkeit führendes Gestaltungsrecht; zivilrechtliche Schadensersatzansprüche) soll hierbei indes nicht von Verfassungs wegen determiniert sein.590 c) Die Wirkung des Vertrags, die Kategorie subjektiver Rechte und der Vertragsbegriff aa) Die Bedeutung der Struktur subjektiver Rechte und Rechtsverhältnisse für den Vertragsbegriff Diese Ausführungen betreffen bislang nur den Zusammenhang von Willen und vertraglicher Bindung und insofern den Tatbestand des Vertrags. Ergeben sich davon abgesehen auch weitergehende Vorgaben für den Vertragsbegriff die587Geltung jener „Rechtsgeschäftsfolgen““); vgl. (insoweit allerdings nicht zum Willen, sondern zur Privatautonomie) Brehmer, Wille und Erklärung, S. 49 („Entsprechend liegen der Gehalt und die Bedeutung der Privatautonomie nicht – gleichsam positiv und verleihend – nur darin, „dem einzelnen Spielraum für eine selbstverantwortete Gestaltung seiner Lebensverhältnisse zu lassen“, sondern – gleichsam negativ resp. begrenzend – auch in dem Schutz und der Beachtung dieses Spielraums – und damit weitergehend auch darin, daß von diesem Spielraum nicht in mißbräuchlicher Weise Gebrauch gemacht wird“). 587 S. dazu oben bereits S. 434 f., 438 sowie BVerfGE 103, 89, 100; NJW 2006, 596, 598. 588 Isensee/Kirchhof/Isensee, Handbuch des Staatsrechts, § 150 Rn. 97; vgl. auch Bäuerle, Vertragsfreiheit und Grundgesetz, S. 390 f. („Die Regelungsgehalte etwa der §§ 104 ff., 123, 138 Abs. 2, 242, 315, 415 BGB […] stellen sich insoweit […] als grundrechtsgebotene Ausgestaltung des Vertragsrechts dar“); Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, S. 69 („Den Staat trifft eine Schutzpflicht; er darf vertragliche Ansprüche nur dann mit Hoheitsmitteln durchsetzen, wenn sich diese auf die Privatautonomie des Betroffenen zurückführen lassen. Dies ist jedenfalls dann der Fall, wenn auch tatsächlich ein Akt freier Selbstbestimmung vorliegt“). 589 Isensee/Kirchhof/Isensee, Handbuch des Staatsrechts, § 150 Rn. 97 ff.; vgl. auch insoweit zur Fremdbestimmung (allerdings aus Gründen einer ungleichen Verhandlungsmacht) BVerfGE 89, 214, 232; 103, 89, 100 f.; BVerfG NJW 2006, 596, 598. 590 Isensee/Kirchhof/Isensee, Handbuch des Staatsrechts, § 150 Rn. 97; ebenso Kasper, Das subjektive Recht, S. 159; s. aber auch Bäuerle, Vertragsfreiheit und Grundgesetz, S. 390 f.
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selbst? Wieso entstehen Wirkungen nur bei übereinstimmenden nach außen hin erklärten Willenshandlungen?591 Für die Determinierung des Vertragsbegriffs ist zu berücksichtigen, dass insoweit nicht nur die Kategorien Person, Wille und Freiheit, sondern auch die „Form subjektiver Privatrechte“ relevant werden.592 Die Bedeutung des Vertrags bzw. des Rechtsgeschäfts liegt nämlich darin, dass es die Rechtsform593 ist, mittels derer die Person rechtlich kausal werden kann, d.h. Rechtsverhältnisse und subjektive Rechte gestalten kann.594 Der Vertragsbegriff ist durch seine Wirkung determiniert, welche in der Gestaltung von Rechtsverhältnissen bzw. subjektiven Rechten besteht.595 591 S. dazu oben S. 28 f. sowie etwa Lomfeld, Die Gründe des Vertrags, S. 86 ff.; vgl. zu dieser Frage auch Rödl, Gerechtigkeit, S. 331 ff. 592 S. zu dieser Ableitung des Vertragsbegriffs aus seinen Wirkungen heraus oben bereits S. 125 f.; vgl. ansatzweise zu diesem Zugriff auf den Vertrag vom subjektiven Recht her auch Bäuerle, Vertragsfreiheit und Grundgesetz, S. 379 ff. (nämlich konkret zu der Frage, was aus der Eigentumsgewährleistung in Art. 14 GG für den Vertragsbegriff und die Vertragsfreiheit folgt, d.h. ob damit zwingend auch ein bestimmter Vertragsbegriff vorgegeben ist: „Es läßt sich also festhalten, daß ein so zu umschreibender Kernbestand an Möglichkeiten zum Vertragsabschluß in den institutionellen Gehalt der Eigentumsgarantie einzubeziehen ist“ [S. 381]. Dies soll nicht nur für das Sacheigentum, sondern für sämtliche „Rechtspositionen […], die der Freiheit des einzelnen im vermögensrechtlichen Bereich wie Sacheigentum dienen“ [S. 380], gelten. Daraus folgt, dass „der Vertrag zunächst jedenfalls eine rechtliche Bindung bewirken können“ muss sowie dass als „Leitlinie für die entsprechende Ausgestaltung […] die natürliche Selbstbestimmung des einzelnen in bezug auf eigentumsbezogene Dispositionen heranzuziehen“ ist, „was grundätzlich eine Anknüpfung an den Willen des einzelnen […] verlangt“ [S. 381]; s. aber S. 381 ff. eher zurückhaltend hinsichtlich des Vertragsbegriffs selbst); ferner Rödl, Gerechtigkeit, S. 292 ff., 330 ff. 593 Flume, Allgemeiner Teil, § 1,6 („Hauptform der privatautonomen Gestaltung von Rechtsverhältnissen“); vgl. auch de la Durantaye, Erklärung und Wille, S. 23 (Rechtsgeschäft als „Gestaltungsinstrument der Vertragsfreiheit“); s.a. Leipold, Bürgerliches Recht, § 10 Rn. 2 (Rechtsgeschäft und Willenserklärung als „die zentralen Mittel zur Verwirklichung der Privatautonomie“). 594 S. dazu zuvor S. 452; vgl. ferner Bydlinski, Privatautonomie, S. 127 (zur Notwendigkeit der „Möglichkeit, durch selbstbestimmte Willensakte Rechtsfolgen zu begründen oder zu verhindern“), 159 (S. 159: Willenserklärung als „Instrument der Privatautonomie“); Zitelmann, Irrtum und Rechtsgeschäft, S. 233 f., 245; Manigk, Irrtum und Auslegung, S. 230 („So ergibt sich, daß das Rg. im Gegensatz zu den anderen juristischen Tatsachen, an die die Rechtsordnung gleichfalls Wirkungen knüpft, von dieser dazu bestimmt ist, in der Hand der Subjekte Mittel und Werkzeug zur Schaffung von erwünschten Veränderungen in der Rechtswelt zu sein“); Laufke, in: Nipperdey (Hrsg.), FS Lehmann, S. 145, 162; Bäuerle, Vertragsfreiheit und Grundgesetz, S. 25 („[…] begründet der formal übereinstimmend erklärte Wille subjektive Rechte der Vertragspartner gegeneinander“); vgl. auch Flume, Allgemeiner Teil, § 2,2; § 4,5. 595 Vgl. Flume, Allgemeiner Teil, § 1,2 („Er kann aber nur in den Akten rechtsgestaltend handeln, welche ihm als Aktstypen nach der Rechtsordnung dafür zur Verfügung stehen, und er kann nur solche Rechtsverhältnisse und diese nur in der Weise gestalten, wie es durch die Rechtsordnung anerkannt ist. Die Rechtsordnung enthält für die privatautonome Gestaltung einen numerus clausus der Aktstypen und der durch sie gestaltbaren Rechtsverhältnisse“); § 2,2; § 4,5; ferner bereits Endemann, Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts, § 58, S. 248 („Die aufgrund eines juristischen Thatbestandes eintretenden Rechtswirkungen können civilrechtlich nur in der Form der subjektiven Berechtigungen sich äußern“).
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bb) Die Relationalität subjektiver Rechte Hier ist zu berücksichtigen, dass diese ihrer Struktur nach wiederum relational sind.596 Aufgrund der Korrelation und der Form subjektiver Rechte, die die Wirkung von Verträgen bilden, ergeben sich auch Konkretisierungen für den Vertragsbegriff.597 Daraus ergibt sich, wieso Erklärung und ein gegenseitiger Konsens erforderlich sind.598 Ziel des Vertrages ist nämlich, dass ein Rechtsverhältnis gestaltet werden soll.599 Wirkung des Vertrags ist die Veränderung, Aufhebung, Übertragung oder Begründung von Rechtsverhältnissen.600 Dafür ist aber erforderlich, dass der Konsens nach außen601 hin sowie reziprok erfolgt, da dies die Folge der Relationalität der subjektiven Rechte ist. Weil die Gestaltung von subjektiven Rechten und Rechtsverhältnissen die Rechtswirkung von Verträgen ist und subjektive Rechte und Rechtsverhältnisse relational sind, ergibt sich die Notwendigkeit der Äußerungsbedürftigkeit sowie des gegenseitigen Konsenses.602 cc) Die Notwendigkeit des Vertragsbegriffs und die Möglichkeit alternativer Rechtsformen Der Vertragsbegriff ist demfolgend bereits über die Kategorien Person, Wille, Freiheit und subjektives Recht in seinem Tatbestand und in seinen Wirkungen determiniert. Es muss eine Handlungsform geben, die es der Person ermöglicht, ihre Rechtsverhältnisse zu gestalten603 – und diese Handlungsform ist der Vertrag als besondere Form des Rechtsgeschäfts.604 Damit ist aber keineswegs ausgeschlossen, dass auch einseitige Willenshandlungen oder Willenshandlungen anderer Personen (Vertrag zugunsten Dritter) Rechte und Pflichten be596
S. dazu oben S. 406 ff. S. zur Herleitung des Vertragsbegriffs von seinen Wirkungen oben S. 125 f.; vgl. zu diesem Gedanken auch Imhof, Obligation, S. 119 ff.; Rödl, Gerechtigkeit, S. 330 ff. 598 Vgl. auch Imhof, Obligation, S. 119 f., 121 f., 123; Rödl, Gerechtigkeit, S. 331 ff.; für eine andere Begründung der Notwendigkeit der Gegenseitigkeit Brehmer, Wille und Erklärung, S. 49 (Privatautonomie in ihrer negativen Ausprägung), ferner 61 f. (auf die Erkennbarkeit und Kundgabe abstellend); vgl. ferner auch mit anderer Begründung Lomfeld, Die Gründe des Vertrags, S. 86 ff. 599 Deutlich zu dieser Finalität Flume, Allgemeiner Teil, § 2,2. 600 S. dazu oben S. 28 f. sowie Flume, Allgemeiner Teil, § 2,2. 601 Zur Begründung der Erforderlichkeit der Erklärung auch Zitelmann, Irrtum und Rechtsgeschäft, S. 245 ff. 602 Vgl. ansatzweise auch Imhof, Obligation, S. 119 f., 121 f., 123; ferner Rödl, Gerechtigkeit, S. 330 ff. zur Notwendigkeit des Konsenses. 603 S. dazu oben S. 452 f.; s.a., wenngleich zurückhaltender Bäuerle, Vertragsfreiheit und Grundgesetz, S. 386 („Der Gesetzgeber kann nicht nur, sondern er muß rechtsgeschäftliche Gestaltungsmittel zur Verfügung stellen. Auch insoweit kann jedoch nur ein Kernbestand an möglichen Vertragsgestaltungen umfaßt sein“); ferner Bydlinski, Privatautonomie, S. 127, 159. 604 S.a. Flume, Allgemeiner Teil, § 1,6 a). 597
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gründen können605, dass es andere „Vertragsbegriffe“ gibt, die an andere Momente anknüpfen (Haftung, Zurechnung)606 oder dass die Wirkungen von Verträgen andere sein können als die Gestaltung von Rechtsverhältnissen (z.B. die Begründung von Klagrechten). Natürlich können Rechtsverhältnisse auch durch andere Handlungen und Tatbestände begründet werden.607 Dass es so etwas wie einen Vertrag mit den zuvor gekennzeichneten Konturen gibt, schließt also nicht aus, dass es auch andere rechtsfolgenbegründende Tatbestände mit anderen Konturen gibt.608 Hierdurch ergeben sich auch Perspektiven für die Entwicklung des Vertragsrechts im digitalen Kontext, wo regelmäßig diskutiert wird, dass die herkömmlichen vertragsrechtlichen Kategorien keine adäquaten Antworten mehr geben.609 d) Typenfreiheit und Typenzwang aa) Die Reichweite der Geltung von Typenfreiheit Ausgehend von dieser Bestimmung des Vertragsbegriffs stellt sich die Frage, wie Privatautonomie und Vertragsfreiheit mit Typenzwang und Typisierung vereinbar sind.610 Umfassender Wirkbereich der Typenfreiheit ist im geltenden Recht das Schuldrecht611, wohingegen der Inhalts- und Gestaltungsfreiheit im Bereich des Sachen-, Erb- und Familienrechts aufgrund weitreichenden Typenzwangs (numerus clausus der Sachenrechte) und zwingenden Gesetzesrechts nur eingeschränkte Wirksamkeit zukommt.612 605 Vgl. zu diesen Ausnahmen auch Flume, Allgemeiner Teil, § 1,6 b), ferner § 1,10 a) Fn. 20 (dort zur Frage, ob ein Vertrag zulasten Dritter generell verfassungswidrig wäre). 606 Vgl. insoweit aber auch R. Singer, Selbstbestimmung, S. 54 ff., 76 f. zur Ausgestaltung des Vertragsrechts als „Haftungssystem“ (allerdings dann nicht als Teil des „Rechtsgeschäftsbegriffs“); ferner zur Auseinandersetzung mit Bydlinski R. Singer, Selbstbestimmung, S. 82 f. („Absage an monistische Rechtsgeschäftstheorien“). 607 S. R. Singer, Selbstbestimmung, S. 75 („Die Anerkennung der Privatautonomie erfordert nicht negativ, daß Rechtsgeschäftsfolgen nur aufgrund privater Gestaltung eintreten müssen“). 608 Vgl. auch R. Singer, Selbstbestimmung, S. 76 f. („vielmehr ist anzuerkennen, daß neben autonomen Willenserklärungen ein auf anderen Prinzipien und Bewertungen aufgebautes Haftungssystem besteht, das auch rechtgeschäftliche Folgen ohne privatautonome Grundlage einschließen kann […]“). 609 S. dazu oben bereits S. 434 sowie etwa Teubner, AcP 218 (2018), 155, 177 ff., 181 ff. 610 Dazu auch Kern, Typenzwang, S. 510 ff.; Flume, Allgemeiner Teil, § 1,8; ferner Baur/ Stürner, Sachenrecht, § 1 Rn. 7; Füller, Eigenständiges Sachenrecht?, S. 370 f.; zur Typisierung von Verträgen auch Thönissen, Die Versicherung von Bonitätsrisiken, S. 116 ff. 611 S. nur Leipold, BGB I, § 6,9; Neuner, Allgemeiner Teil, § 10 Rn. 38; Bäuerle, Vertragsfreiheit und Grundgesetz, S. 83 f.; s. aber einschränkend Flume, Allgemeiner Teil, § 1,8 a), b) sowie gleich noch S. 450 f. 612 Isensee/Kirchhof/Isensee, Handbuch des Staatsrechts, § 150 Rn. 19; Leipold, BGB I, § 6,9; Neuner, Allgemeiner Teil, § 10 Rn. 38; § 29 Rn. 17 ff.; Baur/Stürner, Sachenrecht, § 1 Rn. 7, 10; vgl. auch Flume, Allgemeiner Teil, § 1,8 a), b); Füller, Eigenständiges Sachenrecht?,
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Ein Typenzwang muss aber nicht auf diese Bereiche begrenzt sein. So wurde bereits auf Ansätze verwiesen, die die Bindungskraft eines schuldrechtlichen Vertrags daran knüpfen, dass er eine soziale Funktion oder einen gesellschaftlichen Zweck erfüllt.613 Damit verbunden wäre ein enumeratives Vertragsrecht denkbar – angelehnt an das römische Vorbild614 –, das einen numerus clausus an anerkannten (Schuld-)Vertragsarten bereitstellt.615 Im Ausgangspunkt ist klar, dass aus dem zuvor genannten Zusammenhang notwendig die allgemeine Vertragsbindung und damit die grundsätzliche Typenfreiheit schuldrechtlicher Verträge folgt.616 Eine Rückbindung der Vertragsbindung an soziale oder gesellschaftliche Interessen hätte zur Folge, dass nicht Wille und Person, sondern der Geschäftszweck oder die jeweiligen gesellschaftlichen Interessen zur rechtlichen Anerkennung führen würden.617 Notwendige Folge wäre, dass 613 S. 370; zum BGB s. Motive BGB III, S. 3 („Der Grundsatz der Vertragsfreiheit, welcher das Obligationenrecht beherrscht, hat für das Sachenrecht keine Geltung“), 77; Motive BGB I, S. 22; dazu auch Hofer, Freiheit ohne Grenzen?, S. 250 f. 613 S. dazu oben S. 432 f.; in diese Richtung wohl Raiser, JZ 1958, 1, 3; ders., Die Zukunft des Privatrechts, S. 26 ff., 29 ff. (s. etwa andeutungsweise S. 28 den Verweis auf den „Typenzwang im Sachenrecht oder im Gesellschaftsrecht“); ders., in: v. Caemmerer/Friesenhahn/ Lange (Hrsg.), FS Juristentag, Bd. 1, S. 101, 104 ff., 123 ff., 133 f.; vgl. dazu auch Reinhardt, in: FS Schmidt-Rimpler, S. 115, 132. 614 S. dazu oben S. 44 ff.; insoweit zum „Typenzwang“ des römischen Rechts auch Flume, Allgemeiner Teil, § 1,8. 615 Vgl. auch Bäuerle, Vertragsfreiheit und Grundgesetz, S. 386 („Aufrichtung eines Typenkatalogs, Herausnahme von Lebensbereichen aus der vertraglichen Verfügungsbefugnis“). 616 Vgl. in diese Richtung auch Weller, Die Vertragstreue, S. 174 f. (S. 175: „Insbesondere der Kern des privatrechtlichen Instituts des Vertrages – die parteiautonome Setzung von Rechtsfolgen – darf nicht angetastet werden“; Fn. weggelassen), 184 („Eingriffe in die Vertragsfreiheit müssen aufgrund der verfassungsrechtlichen Institutsgarantie den Kern des privatrechtlichen Instituts „Vertrag“ – die Möglichkeit, durch zweiseitige Vereinbarungen Rechtsfolgen in Geltung zu setzen – respektieren (Kernbereichsschutz)“); Bruns, JZ 2007, 385, 387; ferner Isensee/Kirchhof/Isensee, Handbuch des Staatsrechts, § 150 Rn. 87, wonach es nicht im Belieben des Gesetzgebers steht, „ob er Vertragstypen wahrt, aufhebt oder ändert“ oder „Formzwang und Genehmigungsvorbehalte einführt oder aufhebt“; a.A. Bäuerle, Vertragsfreiheit und Grundgesetz, S. 386. 617 Vgl. insoweit auch die Kritik bei Flume, AcP 161 (1962), 52, 53 f. („Wenn man statt des „gewollten“ Vertrages den „gerechten“ Vertrag will, wenn das rechtsgeschäftliche Handeln nur noch als rechtlich relevantes Verhalten gesehen wird, ist es selbstverständlich, daß der Vertrag und allgemein das Rechtsgeschäft nicht mehr „per se“ der rechtlichen Entscheidung vorgegeben ist. Damit wird der Richter zum Herrn über das Rechtsgeschäft in dem Sinne, daß er nicht mehr die rechtsgeschäftliche Regelung im Richterspruch zur Geltung bringt, sondern sie seinen Wertungen unterwirft und damit an die Stelle der privatautonomen die richterliche Gestaltung der Rechtsverhältnisse setzt“); zu dieser Kritik bei Flume auch Reis, Juristische Tatsachen, S. 13; s. ferner auch Reinhardt, in: FS Schmidt-Rimpler, S. 115, 129, 132 (zu Ansätzen, die Anerkennung von Verträgen an die Sozialpflichtigkeit rückzukoppeln, S. 132: „Im Ergebnis führte das zu jenem heteronomen Vertrag, der dem Typus nach kein Vertrag mehr ist“); s.a. Raiser, in: v. Caemmerer/Friesenhahn/Lange (Hrsg.), FS Juristentag, Bd. 1, S. 101, 123 („Für den hier gemeinten Vertragsbegriff kommt es nicht darauf an,
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Person und Wille als solche kein Grund der rechtlichen Anerkennung mehr wären.618 bb) Die Diskrepranz zwischen Schuld- und Sachenrecht Angesichts der Geltung des Typenzwangs im Bereich des Sachenrechts619 stellt sich aber die Frage, worin der Unterschied zwischen schuldrechtlichen Verträgen und sachenrechtlichen Verträgen bzw. sonstigen Verfügungsgeschäften620 liegt und wieso dort Typenzwang gelten kann.621 Während es bei schuldrechtlichen Verpflichtungsgeschäften um die Begründung von Schuldverhältnissen geht, haben Verfügungsgeschäfte die unmittelbare Einwirkung auf Rechte oder Rechtsverhältnisse zum Gegenstand.622 Insofern kann man argumentieren, dass numerus clausus und Typenzwang hier deshalb gelten, weil sich diese Rechtsgeschäfte auf bestimmte Formen subjektiver Privatrechte beziehen.623 Der Typenzwang im Sachenrecht ergibt sich also daraus, dass sich die entsprechenden Rechtsgeschäfte ihrem Gegenstand und ihrer Wirkform nach auf bestimmte subjektive Rechte beziehen.624 Dabei besteht zweifelsohne die Möglichkeit, etwa aus Gründen des Verkehrsschutzes einen numerus clausus an Typen festzulegen.625 ob 618 dem Rechtsverhältnis […] Willenserklärungen zugrunde liegen […]. Entscheidend ist für die Bewertung als Vertrag nur, daß das Erfordernis der selbstgeschaffenen […] Ordnung gewahrt ist.“). 618 Vgl. Flume, AcP 161 (1962), 52, 53 f. 619 Dazu etwa Baur/Stürner, Sachenrecht, § 1 Rn. 7, 10; vgl. auch Flume, Allgemeiner Teil, § 1,8 b); Neuner, Allgemeiner Teil, § 10 Rn. 38; § 29 Rn. 17. 620 Zu den Verfügungsgeschäften und zum dort geltenden Typenzwang Flume, Allgemeiner Teil, § 11,5 a), d); Neuner, Allgemeiner Teil, § 29 Rn. 17, 31 ff. 621 Zur Beantwortung dieser Frage etwa Neuner, Allgemeiner Teil, § 10 Rn. 38; § 20 Rn. 59, wonach der Grund der Differenzierung darin liegt, inwieweit Dritt- oder Allgemeininteressen betroffen sind – beim Schuldrecht geht es grundsätzlich nur um die Rechtsbeziehung der am Schuldverhältnis Beteiligten; Baur/Stürner, Sachenrecht, § 1 Rn. 10; s. aber gleich noch zur Relativierung dieses Unterschieds S. 460 f.; ferner auch einschränkend Flume, Allgemeiner Teil, § 1,8 a). 622 S. zur Unterscheidung Verpflichtungsgeschäft/Verfügungsgeschäft sowie zur damit zusammenhängenden Differenzierung von schuldrechtlichen/sachenrechtlichen Verträgen oben bereits S. 29 sowie Neuner, Allgemeiner Teil, § 29 Rn. 15, 17, 28, 31, 33. 623 Vgl. Flume, Allgemeiner Teil, § 1,8 a) („Die rechtliche Zuordnung einer Forderung oder Verpflichtung kann aber nur in der Weise erfolgen, wie die Rechtsordnung es inhaltlich bestimmt. Andere rechtliche Zuordnungen, als die Rechtsordnung sie vorsieht, gibt es auch für den Bereich des Schuldrechts nicht“), b); vgl. ferner Neuner, Allgemeiner Teil, § 10 Rn. 38; § 29 Rn. 17, 31 ff.; Baur/Stürner, Sachenrecht, § 1 Rn. 10. 624 Vgl. Flume, Allgemeiner Teil, § 1,8 a), b); § 11,5 d); ferner Neuner, Allgemeiner Teil, § 29 Rn. 17, 31. 625 S. zur Vereinbarkeit von Typizität/Typenzwangs mit der Privatautonomie Kern, Typizität, S. 510 f.; Neuner, Allgemeiner Teil, § 3 Rn. 14; § 10, 38; zum Argument des Verkehrsschutzes auch Bäuerle, Vertragsfreiheit und Grundgesetz, S. 83, ferner S. 378 f. einerseits zur Verpflichtung zur Schaffung von „privaten Eigentumsrechten“, andererseits zur Möglichkeit der Beschränkung auf bestimmte Arten; ferner zum numerus clausus der Sachenrechte aus regulatorischer Perspektive Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, S. 127 ff.
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cc) Typenzwang im Bereich schuldrechtlicher Verträge? Tatsächlich betrifft diese Argumentation bei genauerer Betrachtung nicht nur sachenrechtliche Verträge bzw. Verfügungsgeschäfte.626 Auch die schuldrechtlichen (Verpflichtungs-)Verträge sind nicht frei, beliebige rechtliche Entitäten zu schaffen.627 Vielmehr sind die (Rechts-)Wirkungen notwendig auf die Begründung oder Gestaltung subjektiver Rechte und Rechtsverhältnisse gerichtet.628 Diese Wirkungen sind ihrer Form nach vorgegeben.629 Deswegen ist es auch nicht pauschal zutreffend, dass schuldrechtliche Verträge typenfrei seien bzw. dort kein Typenzwang gelte.630 Die (schuldrechtliche) Typenfreiheit, die in der allgemeinen Vertragsbindung gründet, bezieht sich auf die Geschäftsart und den Inhalt der wechselbezüglichen Rechte und Pflichten.631 Dies hat etwa zur Konsequenz, dass Verträge keine „moralischen Rechte“ schaffen können, die rechtlich anerkannt würden.632 Gefälligkeitsverhältnisse oder soziale Verhältnisse werden ebenfalls nicht durch „Vertrag“ begründet, da bei ihnen als Wirkung kein Rechtsverhältnis entsteht.633 Ebensowenig könnte der schuldrechtliche Vertrag bestimmen, dass nicht Schuld-
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S.a. Flume, Allgemeiner Teil, § 1,8. Vgl. dazu, dass auch bei Verträgen im Hinblick auf schuldrechtliche Forderungen und Verpflichtungen keine Typenfreiheit herrscht, Flume, Allgemeiner Teil, § 1,8 a) („Auch für das Schuldrecht gilt jedoch, daß die privatautonome Gestaltung nach Form und möglichem Inhalt durch die Rechtsordnung bestimmt ist. […] Der numerus clausus der Rechtsfiguren der Zuordnung von Gütern beschränkt deshalb zugleich auch die schuldrechtliche Vertragsfreiheit. […] Die grundsätzliche inhaltliche Gestaltungsfreiheit gilt im Schuldrecht nur für die schuldrechtliche Vereinbarung, durch welche schuldrechtliche Forderungen und Verpflichtungen begründet oder verändert werden. Für den Rechtsverkehr mit den durch einen schuldrechtlichen Vertrag begründeten Forderungen oder Verpflichtungen sind die Möglichkeiten der privatautonomen Gestaltung auch inhaltlich bestimmt“). 628 S. dazu oben bereits S. 454 ff.; vgl. ansatzweise auch Flume, Allgemeiner Teil, § 1,2, ferner § 1,8 a); ferner Neuner, Allgemeiner Teil, § 29 Rn. 15, 28, 33. 629 S. Flume, Allgemeiner Teil, § 1,2 („Die Rechtsordnung enthält für die privatautonome Gestaltung einen numerus clausus der Aktstypen und der durch sie gestaltbaren Rechtsverhältnisse“). 630 S. Flume, Allgemeiner Teil, § 1,8 a). 631 Vgl. auch Flume, Allgemeiner Teil, § 1,8 a) („Das ist insoweit richtig, als für den schuldrechtlichen Vertrag die Freiheit besteht, die Leistung inhaltlich zu bestimmen. […] Die grundsätzliche inhaltliche Gestaltungsfreiheit gilt im Schuldrecht nur für die schuldrechtliche Vereinbarung, durch welche Forderungen und Verpflichtungen begründet oder verändert werden“). 632 Vgl. Flume, Allgemeiner Teil, § 7,2 („Gegenstand einer rechtlichen Vereinbarung kann „überhaupt nicht sein“ der Bereich der menschlichen Beziehung in der Familie und der menschlichen Beziehungen der Liebe, der Freundschaft und des gesellschaftlichen Verkehrs“); s.a. RGZ 57, 250, 255 ff., 257. Zur Differenzierung von rechtlichen Verbindlichkeiten zu „sittlichen Verpflichtungen und sittlichen Berechtigungen“ insoweit auch Reinach, Phänomenologie des Rechts, S. 29. 633 S. dazu oben bereits S. 29 sowie Staudinger/Bork, Vorbemerkungen zu §§ 145–156 Rn. 3, 79 ff.; Neuner, Allgemeiner Teil, § 28 Rn. 17; vgl. Flume, Allgemeiner Teil, § 7,5. 627
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verhältnisse, sondern eine actio bzw. selbständige Klagrechte634 geschaffen würden. e) Klagbarkeit von Verträgen aa) Der Zusammenhang von Privatautonomie und Justizgewährleistung Klar ist aus dem Vorangegangenen, dass Wirkung des Vertrags die Gestaltung der Rechtsverhältnisse ist, d.h. Entstehung, Übertragung, Aufhebung etc. von subjektiven Rechten und Rechtsverhältnissen. Aus der Justizgewährleistung folgt wiederum die Klagbarkeit der subjektiven Rechte.635 Voraussetzung ihrer Klagbarkeit, d.h. der rechtlich zwangsweisen Durchsetzung vertraglicher Verpflichtungen, ist die Anerkennung durch die staatliche Rechtsordnung.636 Erst sie vermittelt Verträgen rechtliche Verbindlichkeit im Sinne zwangsweiser Durchsetzung.637 Damit in Zusammenhang steht, dass die Privatautonomie, wie oben bereits deutlich wurde638, ihrerseits der Anerkennung durch das positive Recht bedarf, um rechtliche Grundlage mit Zwang durchsetzbarer Rechte und Pflichten zu werden.639 Die Frage nach der rechtlichen Anerkennung von Verträgen betrifft dabei insbesondere die Klagbarkeit.640 Das positive Recht kennt etwa für bestimmte Vertragsarten den Ausschluss von Verbindlichkeit oder Klagbarkeit (§ 656 Abs. 1 S. 1 BGB641; § 762 Abs. 1 S. 1 BGB).642 Der Ausschluss der Klagbarkeit vertraglicher Verpflichtungen bedeutet bei gleichzeitiger Geltung des staatlichen Gewaltmonopols und Selbsthilfever634
Dazu oben S. 388 ff. S. dazu oben S. 402 ff. sowie unten noch S. 537 ff., 543 ff. – dort auch näher zum Verhältnis von Justizgewähranspruch und materiellem Recht; vgl. hierzu und zum Folgenden im vertraglichen Kontext auch Weller, Die Vertragstreue, S. 173 f. 636 S. zur Notwendigkeit der Anerkennung durch die Rechtsordnung oben bereits S. 444 ff. sowie Weller, Die Vertragstreue, S. 166 f., 171 f.; zur Ausgestaltungsbedürftigkeit auch Bäuerle, Vertragsfreiheit und Grundgesetz, S. 280, 292, 329 f. 637 Neuner, Allgemeiner Teil, § 10 Rn. 24; Isensee/Kirchhof/Isensee, Handbuch des Staatsrechts, § 150 Rn. 20, 74, 78; Weller, Die Vertragstreue, S. 166 f., 171 f.; vgl. Bäuerle, Vertragsfreiheit und Grundgesetz, S. 292, 329. 638 S. dazu oben S. 444 ff. 639 Neuner, Allgemeiner Teil, § 10 Rn. 23 f., 28 f.; Bäuerle, Vertragsfreiheit und Grundgesetz, S. 292, 329 f., 343, 347 f.; Weller, Die Vertragstreue, S. 166 f., 171 f.; vgl. Isensee/Kirchhof/Isensee, Handbuch des Staatsrechts, § 150 Rn. 20 f. 640 Vgl. Bäuerle, Vertragsfreiheit und Grundgesetz, S. 347 f. („In der Möglichkeit zur zwangsweisen Durchsetzung aktualisiert sich die – wie auch immer geartete – Geltungskraft des Vertrags […]“); Cornils, Die Ausgestaltung, S. 230 ff.; Weller, Die Vertragstreue, S. 173 f., 180 ff. 641 S. Isensee/Kirchhof/Isensee, Handbuch des Staatsrechts, § 150 Rn. 96; dazu auch BVerfGE 20, 31. 642 Weller, Die Vertragstreue, S. 172; Bäuerle, Vertragsfreiheit und Grundgesetz, S. 83 f.; Cornils, Die Ausgestaltung, S. 230 ff.; s. ferner oben bereits S. 30. 635
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bots den Ausschluss der Rechtsdurchsetzung und damit der Justizgewährleistung.643 Daher erfordert die Vertragsfreiheit in ihrer leistungsrechtlichen Ausprägung (status positivus)644 neben der rechtlichen Anerkennung durch die positive Rechtsordnung645 auch die Ermöglichung der Rechtsdurchsetzung durch gerichtliches Erkenntnis- und Vollstreckungsverfahren.646 Mit der Privatautonomie verbunden ist nämlich nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts die Gewährleistung der „justitiellen Realisierung“ sowie „rechtsgeschäftlicher Gestaltungsmittel“, die „als rechtsverbindlich zu behandeln sind und auch im Streitfall durchsetzbare Rechtspositionen begründen“.647 bb) Möglichkeit und Grenzen eines generellen gesetzlichen Ausschlusses der Klagbarkeit Die Vertragsfreiheit ist also nur dann gewährleistet, wenn die aus dem Vertrag resultierende Rechtsmacht zur Klagbarkeit der geschaffenen Rechte und Pflichten führt.648 Ein Ausschluss der Klagbarkeit und die Versagung der Anerkennung durch die staatliche Rechtsordnung dürfen nur in „Grenzfällen“, und dann aus gewichtigen Gründen vorgesehen sein.649 Daher wäre ein genereller Ausschluss der Klagbarkeit von Vertragstypen durch einen schuldrechtlichen Typenzwang überaus problematisch und der Gestaltungsfreiheit des
643 Vgl. zu diesem Zusammenhang auch Weller, Die Vertragstreue, S. 171 f., 173 f., 182; vgl. ansatzweise auch Bäuerle, Vertragsfreiheit und Grundgesetz, S. 346 f., 347 f. 644 S. zu dieser leistungsrechtlichen Dimension der Vertragsfreiheit Bäuerle, Vertragsfreiheit und Grundgesetz, S. 338 ff., 343; Isensee/Kirchhof/Isensee, Handbuch des Staatsrechts, § 150 Rn. 96. 645 S. dazu oben S. 444 ff.; ferner etwa Bäuerle, Vertragsfreiheit und Grundgesetz, S. 292, 329 f.; BVerfGE 89, 214, 231; Isensee/Kirchhof/Isensee, Handbuch des Staatsrechts, § 150 Rn. 20, 78. 646 Isensee/Kirchhof/Isensee, Handbuch des Staatsrechts, § 150 Rn. 52, 96; Weller, Die Vertragstreue, S. 173 ff., 180 ff.; ferner auch Bäuerle, Vertragsfreiheit und Grundgesetz, S. 292, 329 f., 347 f., 362 f.; Cornils, Die Ausgestaltung, S. 230 ff., 235 ff. 647 BVerfGE 89, 214, 231 f.; dazu auch Bäuerle, Vertragsfreiheit und Grundgesetz, S. 292; Weller, Die Vertragstreue, S. 182. 648 S. Weller, Die Vertragstreue, S. 182 („[…] ist der Gesetzgeber bei vertraglichen Primärrechten […] im Regelfall gehalten, deren Klag- und Vollstreckbarkeit anzuordnen“); Bäuerle, Vertragsfreiheit und Grundgesetz, S. 292 (im Hinblick auf die Rsp. des BVerfG: „Dem grundrechtlichen Schutz der Privatautonomie entspricht deswegen die staatliche Pflicht, entsprechende Regelungen und Gestaltungsmittel überhaupt erst zur Verfügung zu stellen, wobei den rechtsgeschäftlichen Gestaltungsmitteln grundsätzlich Rechtsverbindlichkeit zukommen muß. Sie müssen also durchsetzbare Rechtspositionen begründen können“); s. ferner auch Cornils, Die Ausgestaltung, S. 230 ff.; vgl. Isensee/Kirchhof/Isensee, Handbuch des Staatsrechts, § 150 Rn. 20. 649 So Isensee/Kirchhof/Isensee, Handbuch des Staatsrechts, § 150 Rn. 96; vgl. auch Weller, Die Vertragstreue, S. 182; zurückhaltender Cornils, Die Ausgestaltung, S. 232, 235.
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Gesetzgebers entzogen.650 Beim Grundsatz der Klagbarkeit eingegangener Verträge (pacta sunt servanda) handelt es sich daher wohl um einen veränderungsfesten Kernbereich.651 Das schließt zwar nicht aus, dass einzelne Vertragstypen nicht klagbar sind652, aber Regel- und Ausnahmeverhältnis dürfen nicht umgekehrt werden.653 f) Inhaltsfreiheit Schließlich ist näher auf die Inhaltsfreiheit einzugehen.654 Der Gesetzgeber sieht vertragstypenspezifische Regelungen vor, die entweder als zwingende oder dispositive Vorschriften ausgestaltet sind655 und deren Ziel es ist, zwischen den Vertragsparteien bestehende Vertragsdisparitäten und Ungleichgewichte wirtschaftlicher oder sozialer Natur auszugleichen und dadurch die Verwirklichung der Vertragsfreiheit tatsächlich sicherzustellen.656 Legitimiert werden diese typischerweise durch das Sozialstaatsprinzip und die Privatauto-
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S. dazu oben bereits S. 457 ff., 460 f.; vgl. auch Isensee/Kirchhof/Isensee, Handbuch des Staatsrechts, § 150 Rn. 87, wonach es nicht im Belieben des Gesetzgebers steht, „ob er Vertragstypen wahrt, aufhebt oder ändert“ oder „Formzwang und Genehmigungsvorbehalte einführt oder aufhebt“, ferner auch Rn. 96 („Die staatliche Anerkennung darf nur in Grenzfällen unterbleiben […]“); ferner Weller, Die Vertragstreue, S. 182, 184. 651 In diese Richtung Bruns, JZ 2007, 385, 387; Weller, Die Vertragstreue, S. 174 f. (S. 175: „Insbesondere der Kern des privatrechtlichen Instituts des Vertrages – die parteiautonome Setzung von Rechtsfolgen – darf nicht angetastet werden“; Fn. weggelassen), 182, 184 („Eingriffe in die Vertragsfreiheit müssen aufgrund der verfassungsrechtlichen Institutsgarantie den Kern des privatrechtlichen Instituts „Vertrag“ – die Möglichkeit, durch zweiseitige Vereinbarungen Rechtsfolgen in Geltung zu setzen – respektieren (Kernbereichsschutz). […] Der dem staatlichen Gewaltmonopol korrespondierende Justizgewährungsanspruch sowie die grundrechtlichen Schutzpflichten weisen dem Staat […] die Aufgabe zu, die Vertragsrechtsordnung so auszugestalten, dass vertragliche Forderungsrechte im Regelfall in Natur durchsetzbar, d.h. klag- und vollstreckbar sind“); zurückhaltender Cornils, Die Ausgestaltung, S. 235 („[…] so folgt aus dem grundrechtlichen Gebot eines funktionsgerechten Sanktionsrechts nur die Vorgabe, Vertragsansprüche grundsätzlich klagbar zu stellen […]“); s. oben bereits S. 458; die historische Betrachtung zeigt, dass, wenn es überhaupt eine Essenz der Vertragsfreiheit gibt, diese in der Entwicklung von pacta sunt servanda zu verorten ist, vgl. dazu näher Thönissen, Recht und Gerechtigkeit, 4. Kap. III.2.b); a.A. Bäuerle, Vertragsfreiheit und Grundgesetz, S. 386, s. aber auch S. 292 (im Hinblick auf die Rsp. des BVerfG: „Damit entsteht gleichsam eine Pflicht des Gesetzgebers, das Vertragsrecht zunächst gemäß dem Satz „pacta sunt servanda“ zu gestalten“). 652 S. etwa zu § 656 BGB BVerfGE 20, 31, 32 ff.; dazu auch Isensee/Kirchhof/Isensee, Handbuch des Staatsrechts, § 150 Rn. 96. 653 Vgl. auch Weller, Die Vertragstreue, S. 182, 184. 654 S. dazu oben bereits S. 29 f. sowie etwa Flume, Allgemeiner Teil, § 1,8 a); Bruns, Haftungsbeschränkung und Mindesthaftung, S. 166 ff. (im Kontext von Haftungsbeschränkungen). 655 S. dazu zuvor S. 432. 656 Vgl. Isensee/Kirchhof/Isensee, Handbuch des Staatsrechts, § 150 Rn. 33, 116; ferner bereits Raiser, JZ 1958, 1, 3, 6. S. dazu auch oben bereits S. 438 f.
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nomie.657 Grenzen der Inhaltsfreiheit bilden ferner die Generalklauseln der Sittenwidrigkeit und des Wuchers (§ 138 BGB), die eine Kontrolle ermöglichen, ob eine gestörte Vertragsparität letztlich zur Fremdbestimmung führt und deshalb einem Vertrag die rechtliche Anerkennung zu versagen ist.658 Sie zielen in Ermangelung der zuvor erwähnten speziellen Regelungen auf den Ausgleich von Vertragsdisparitäten.659 Daneben erlangt die Inhaltskontrolle allgemeiner Geschäftsbedingungen (§§ 307 ff. BGB) Relevanz.660 Abhängig von der weit gestreuten Maßnahmenpalette, die zum Ausgleich von Vertragsdisparitäten verwendet wird (zwingender Vertragsinhalt; Nichtigkeit; Widerrufsrechte), stellt sich gelegentlich die Frage, ob diese Maßnahmen nicht ihrerseits verfassungswidrige Eingriffe in die Vertragsfreiheit darstellen.661 Inhaltsvorgaben betreffen zum einen gesetzliche Preis- oder Entgeltregelungen, zum anderen können sie aber auch die gesetzliche Begründung von Leistungs- oder sonstigen Pflichten umfassen.662 Klar ist aber im Ausgangspunkt, dass die inhaltliche Gestaltungsfreiheit einschließlich der Preisfreiheit durch Gesetz aus dem Gemeinwohl dienenden Gründen beschränkt werden kann.663 Der Inhalt von Verträgen kann durch (zwingendes) Gesetzesrecht abweichend von den individuellen Vereinbarungen gestaltet werden.664 Gleichwohl stellt sich die Frage, ob es keine andere Grenze der Beschränkungen der Inhaltsfreiheit gibt. Indes wird man hier den Bezug zur (schuldrechtlichen) Typenfreiheit herstellen können.665 Wenn Beschränkungen der Inhaltsfreiheit dazu führen, dass die (schuldrechtliche) Typenfreiheit aufgelöst wird, dann wäre wohl die Grenze der Verfassungswidrigkeit erreicht.
657 Isensee/Kirchhof/Isensee, Handbuch des Staatsrechts, § 150 Rn. 116; BVerfGE 97, 169, 175 ff., 185. 658 S.a. Isensee/Kirchhof/Isensee, Handbuch des Staatsrechts, § 150 Rn. 115, 117, 125; Maunz/Dürig/Di Fabio, Art. 2 Abs. 1 Rn. 108 ff. 659 Isensee/Kirchhof/Isensee, Handbuch des Staatsrechts, § 150 Rn. 116 f.; vgl. auch Raiser, JZ 1958, 1, 3, 6. 660 S. dazu etwa BVerfGE 70, 115, 123. 661 Vgl. Isensee/Kirchhof/Isensee, Handbuch des Staatsrechts, § 150 Rn. 35. 662 S. Maunz/Dürig/Di Fabio, Art. 2 Abs. 1 Rn. 102. 663 S. oben S. 438 f. sowie BVerfGE 8, 274, 328 f.; 81, 242, 254 ff.; 21, 87, 90 f.; ferner etwa Weller, Die Vertragstreue, S. 175; Höfling, Vertragsfreiheit, S. 41 ff.; Arnold, Vertrag und Verteilung, S. 263 ff., 297 ff.; vgl. auch Raiser, JZ 1958, 1, 3, 6; s.a. bereits Amicus, De Iustitia et Iure, Disp. XVII N. 9 („omnis contractus debet respicere bonum commune: ergo non solum regulandus est ex privata lege contrahentium, sed etiam ex publica superioris“). 664 S. nur BVerfGE 81, 242, 254 f. 665 S. dazu oben S. 457 ff.
V. Rechtsgüterschutz und Haftungsrecht
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V. Rechtsgüterschutz und Haftungsrecht 1. Problemstellung a) Subjektives Recht oder Pflicht als Paradigma des Haftungsrechts? Im Folgenden ist näher zu erörtern, inwiefern die zuvor behandelten Aspekte die Auseinandersetzung um Rechtsgüterschutz und Haftungsrecht in der Gegenwart präformieren.666 Es geht dabei nicht nur um die Frage von Schadensersatzpflichten, sondern auch um die Abwehr und Beseitigung von drohenden und eingetretenen Rechtsgutsverletzungen (sog. negatorischer Rechtsschutz).667 Geht man von der Kategorie subjektiver Rechte aus668, wird hierbei vor allem die Frage relevant, was die rechtlichen Wirkungen von drohenden oder eingetretenen Rechtsverletzungen sind.669 Indes hat die historische Untersuchung gezeigt, dass der Begriff der „Rechtsverletzung“ nicht unproblematisch ist: Geht es um die Verletzung materiell-subjektiver Privatrechte oder um die Verletzung objektiven Rechts?670 Ist als Haftungsgrund nicht eher die Pflichtwidrigkeit einer Handlung im Sinne eines „Verhaltensunrechts“ maßgeblich?671 Diese für die Rechtsentwicklungen der Gegenwart besonders relevante Differenzierung betrifft dabei gleich mehrere Fragen des Haftungsrechts.672 Zu666
Zu dieser intensiv geführten Debatte jüngst Picker, Privatrechtssystem, S. 47 ff., 60 ff. Vgl. Picker, Privatrechtssystem, S. 49 f., 54. Als dritte Dimension des aus den subjektiven Rechten folgenden Rechtsschutzes nennt Picker (Privatrechtssytem, S. 49, 54) das Bereicherungsrecht, s. dazu unten noch S. 493; vgl. ferner zu einem entsprechenden Begriff des Haftungsrechts, das negatorische und deliktische Haftung umfasst, Wilhelmi, Risikoschutz, S. 1. 668 S. dazu oben S. 399 ff.; vgl. ferner Fezer, Teilhabe und Verantwortung, S. 467 ff.; (aus Perspektive der Kritik) Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, S. 329 („Prägend für den freiheitlich-individualistischen Privatrechtsbegriff sind die Konzepte der Freiheit und des subjektiven Rechts. Während Versuche, die Geltung der Rechtsordnung zu rechtfertigen, zumeist auf einem Pflichtmodell basieren […], stellt der freiheitlich-individualistische Privatrechtsbegriff also die subjektive Berechtigung an den Anfang“; Fn. weggelassen). 669 S. dazu oben bereits S. 401 f.; vgl. Picker, Privatrechtssystem, S. 49 ff., der insoweit zwischen „Substanzrecht“ und „Schutzrechten“ differenziert. 670 S. dazu oben S. 206 ff. sowie etwa Fezer, Teilhabe und Verantwortung, S. 531; s. ferner bereits Thon, Rechtsnorm, S. 255 f. („Verletzung objectiven Rechts“ oder „Privatrechtsverletzung“); G.K. Neuner, Wesen und Arten von Privatrechtsverhältnissen, § 20, S. 177 f. („Gesetzesverletzung“ – „Rechtsverletzung“); s.a. bereits zu dieser Abgrenzung von iniuria (iniuria proprie dicta) im Sinne der Verletzung eines fremden Rechts im eigentlichen Sinne und iniquitas im Sinne der Verletzung eines jeglichen Gesetzes/Gebots (transgressio legis) Pérez, De Restitutione, Disp. III Cap. 1 N. 11; ders., De Iustitia et Iure, Disp. I Cap. 7 N. 114; Lugo, De Iustitia et Iure, Disp. VIII vor Sec. 1; Sec. 1 N. 1. 671 Zum Begriff des Verhaltensunrechts s. gleich noch näher S. 471 sowie etwa zur Auseinandersetzung um den Rechtswidrigkeitsbegriffs im Rahmen von § 823 Abs. 1 BGB (Erfolgs- oder Handlungsunrecht) MünchKomm BGB/Wagner, § 823 Rn. 4 ff.; kritisch zu diesem „verhaltensunrechtlichen Monismus“ Picker, Privatrechtssystem, S. 60 f. 672 Zu dieser Diskussion in der Gegenwart und im Kontext des private law enforcement Picker, Privatrechtssystem, S. 60 ff., 72. 667
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nächst steht hier die bereits historisch vorgezeichnete Diskussion zwischen pflichten-orientiertem und subjektiv-rechtlichem Ansatz der Schadensersatzhaftung.673 Vor allem im Kontext des auf Verhaltenssteuerung674 zielenden private law enforcement675 liegen Ansätze nahe, das Haftungsrecht – anlehnend an die Pflichten- und Verhaltenskonzeption676 und entsprechend der Rechtslage in anderen Rechtsordnungen677 – ohne Rekurs auf subjektive Rechte rein pflichtenorientiert und damit objektivrechtlich zu konstruieren.678 Die Verletzung von (Verhaltens-)Pflichten begründet danach die Schadensersatzpflicht und den negatorischen Rechtsschutz.679 Die Kategorie subjekti673
S. dazu oben S. 131 ff., 135 ff. und 206 ff. S. generell zum Zusammenhang von Haftungsrecht und Verhaltenssteuerung Jansen, Haftungsrecht, S. 146 ff., 168 ff.; Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, S. 159 ff. („Regulierungsfunktion des Deliktsrechts“); Franck, Marktordnung, S. 54 ff., 69 ff., 86 ff.; grundlegend Wagner, AcP 206 (2006), 352, 454 ff.; ders., Gutachten, 66. DJT, A20 ff., A78 ff. 675 S. zu einem auf Verhaltenssteuerung zielenden Haftungsrecht im Kontext des private law enforcement Poelzig, Normdurchsetzung durch Privatrecht, S. 16 f., 31 ff., 477 ff.; vgl. insoweit auch zum Zusammenhang von Haftungsrecht und private enforcement Picker, Privatrechtssystem, S. 72; zum Zusammenhang von private law enforcement und Verhaltenssteuerung s. oben bereits S. 243 ff. 676 S. dazu oben S. 131 ff.; vgl. auch insoweit Jansen, Theologie, S. 197 f. zu Pufendorfs Ansatz, wonach infolge dessen pflichtenorientierter Haftungskonzeption „der Anspruch auf Schadensersatz zu einem Mittel zur Durchsetzung gemeinwohlorientierter sozialer Verhaltensstandards“ wurde (S. 198). 677 Zum law of torts und der Haftung für negligence in den USA (duty – fault – damages) oben bereits S. 262 f.; vgl. zur negligence doctrine des US-amerikanischen Haftungsrechts und ihrem Einfluss auf die hiesige Diskussion Brüggemeier, AcP 182 (1982), 385, 441 ff. (dort auch zum Paradigmenwechsel vom „19. Jahrhundert-Ansatz allgemeiner Regeln und genereller Verhaltenspflichten zur deliktischen Sozialsteuerung“ als Folge des Legal Realism); ders., Deliktsrecht, Rn. 98; s. aber auch Jansen, Haftungsrecht, S. 475 Fn. 140 mit Verweis darauf, dass etwa das französische Haftungsrecht nicht völlig ohne Bezug zu subjektivrechtlichen Positionen steht. 678 Für eine rein pflichtenorientierte Konstruktion („Pflichtwidrigkeit als Haftungsgrund“) Wilhelmi, Risikoschutz, S. 6, 8, 104, 118 f., 130; kritisch dazu Picker, Privatrechtssystem, S. 53, 55, 60 ff.; vgl. ansatzweise auch Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, S. 190 (mit Verweis auf Art. 36a Ratingagenturen-Verordnung: „Der regulierende Charakter dieser Vorschrift zeigt sich insbesondere darin, dass die Haftung an die Verletzung enumerativ aufgeführter Verhaltensregeln anknüpft […]. Ziel der Norm ist deshalb weniger der Schadensausgleich als die privatrechtliche Durchsetzung der durch das Unionsrecht vorgegebenen Verhaltensstandards, weshalb Art. 35a Ratingagenturen-Verordnung als Paradebeispiel für „private enforcement“ bezeichnet wird“; Fn. weggelassen), ferner S. 200 ff. (zum objektiven Tatbestand von Schadensersatzansprüchen wegen Verletzung des Unionsrechts: „Verstoß gegen die individualschützende unionsrechtliche Norm“; S. 201 f.: „Hiermit zeigt sich besonders deutlich die regulatorische Funktion der Schadensersatzhaftung, als Sanktion Mitgliedstaaten und Private zur Befolgung des Unionsrechts anzuhalten“). Deutlich in diese Richtung geht etwa die EU-Verbandsklagerichtlinie, die vorsieht, dass an Normverstöße gegen EU-Recht Unterlassungs- und Schadensersatzklagen zu knüpfen sind, s. Art. 2 Abs. 1 („Verstöße […] gegen […] Vorschriften des Unionsrechts“); Art. 8; Art. 9 Richtlinie (EU) 2020/1828. 679 S. etwa Wilhelmi, Risikoschutz, S. 6, 8, 104, 118, 130. 674
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ver Privatrechte und der Rechtsverletzung spielt keine Rolle für die Haftungsbegründung.680 Dieser Paradigmenwechsel betrifft dabei nicht nur die dogmatische Konstruktion und den Grund deliktischer Haftung, sondern hat auch Ausstrahlungswirkungen auf Haftungszweck und Haftungsfolgen.681 Einem pflichtenorientierten Haftungsrecht ist zumindest eine Tendenz immanent, Verhaltenssteuerung als wesentlichen Haftungszweck zu verwirklichen und sich stärker für die Berücksichtigung gesellschaftlicher allgemeinwohldienlicher Aspekte zu öffnen.682 Damit verbunden stellt sich im Hinblick auf die Haftungsfolgen die Frage, was Rechtsfolge der Schadensersatzhaftung ist: reine Kompensation oder kompensationsübersteigende „Sanktion“683? Wenn eher Verhaltenssteuerung oder Prävention primäre Funktion des deliktischen Haftungsrechts sind, dann scheint eine reine Kompensationsorientierung hiermit in einem Spannungsverhältnis zu stehen684 – Haftungsfolge müsste eigentlich eine geeignete „Sank680 Vgl. kritisch zu dieser „Abkehr von der subjektivrechtlichen Verfasstheit“ Picker, Privatrechtssystem, S. 60 f., 67. 681 Vgl. Picker, Privatrechtssystem, S. 61 („An die Stelle der Zuweisungswidrigkeit tritt als legitimatorischer Grund der Sanktionsgedanke“), 443 f. (S. 443: „Mit dem Konzept eines wertungsautonomen „Verhaltensunrechts“ […] wird den Haftungen die gesetzlich vorgegebene Zweckbestimmung entzogen. Das jetzt allein noch haftungsbegründende Fehlverhalten, das als normatives Kriterium eine solche Zweckvorgabe zwingend voraussetzt, wird unter diesem Konzept folglich deutungsoffen. […] werden die Sanktionsinstitute naturläufig anfällig für andere, insbesondere für überindividuelle, „öffentliche“ ordnungspolitische Ziele“). 682 Vgl. Picker, Privatrechtssystem, S. 443, ferner 53, 60 f., 72; Jansen, Theologie, S. 197 f. (im Hinblick auf Pufendorf); s. ferner zum Zusammenhang von Pflicht, „Sanktionsmodell“ und Verhaltenssteuerung Jansen, Haftungsrecht, S 42, 146. 683 Vgl. generell zum „Sanktionsmodell“, das die Schadensersatzhaftung als „Sanktion“ für Verhaltensunrecht versteht, sowie zu alternativen Haftungsmodellen Jansen, Haftungsrecht, S. 42 ff. Zur Klarstellung ist jedoch auf Folgendes hinzuweisen: Jansen (Haftungsrecht, S. 42 f., 47 f., 74) sieht als die herrschende Konzeption der Schadensersatzhaftung das „Sanktionsmodell“ an; Schadensersatzhaftung tritt ein als Sanktion für Normverstöße. Dies soll aber nicht notwendig zu einer ausgleichs- bzw. kompensationsorientierten Haftung in Widerspruch stehen (vgl. Jansen, Haftungsrecht, S. 42). Wenn Jansen von Sanktionsmodell spricht, dann bezieht er sich auf die Haftungsbegründung – Eintritt der Haftung als Sanktion des Normverstoßes –, nicht darauf, ob die Haftungsfolgen „sanktionsorientiert“ sind. Hier wird jedoch von Sanktionen immer im Hinblick auf die Rechtsfolge gesprochen, und zwar im Hinblick auf die Frage, ob diese ihrem Inhalt, Zweck und Charakter nach auf Kompensation oder auf Sanktionierung von Normverstößen gerichtet sind (vgl. dazu unten noch das BVerfG S. 507 ff., 511 ff. zur Bestimmung des Strafbegriffs). Es geht also um zwei verschiedene Bezugspunkte: Spricht man im Hinblick auf die Haftungsbegründung oder im Hinblick auf die Rechtsfolgen von Sanktionen? Das Problem eines sanktionsorientierten Haftungsbegründungsmodells besteht darin, dass es keine Aussage über die Haftungsfolge treffen kann (s. dazu sogleich die folgenden Fn.). Aber es ist gerade die Haftungsfolge, die den Charakter der Haftung selbst bestimmt und die Abgrenzung von Strafe sowie negatorischer Haftung überhaupt ermöglicht. 684 S. hierzu bereits oben S. 136 im historischen Kontext sowie Jansen, Theologie, S. 197 f.
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tion“685 sein, die das Ziel von Verhaltenssteuerung und Prävention sowie die Verwirklichung gesellschaftlicher Interessen effektiv erreichen kann.686 Die beim subjektiv-rechtlichen Ansatz naheliegende Kopplung des ausgleichsbezogenen Schadensersatzes als Rechtsfolge an die Rechtsverletzung687 ist beim pflichtenorientierten Ansatz nicht gleichermaßen notwendig oder geboten. Eher wird man sogar von einem gewissen Spannungsverhältnis zwischen pflichtenorientiertem Haftungsrecht und reiner Kompensationshaftung auszugehen haben.688 Während ein Haftungsrecht, das den Haftungsgrund in der Verletzung subjektiver Rechte erblickt, die Verletzungsfolgen auf die subjektiven Rechte bezieht und damit ein ausgleichsbezogenes Haftungsrecht vorsieht689, bezieht die pflichtenorientierte Konzeption die Haftungsfolgen auf den Normver685
S. Picker, Privatrechtssystem, S. 61 („Der Blick verschiebt sich von der verletzten Rechtsposition zum verletzenden Tun oder Unterlassen. An die Stelle der Zuweisungswidrigkeit tritt als legitimatorischer Grund der Sanktionsgedanke“). Zum Sanktionsbegriff aus der Perspektive des private law enforcement, worunter neben Strafen auch der Schadensersatz fällt, s. Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, S. 461 ff., 463 ff., ferner S. 182, 200 („[…] dass Ersatzansprüche aus Sicht des EuGH eine regulatorische Funktion haben: Es handelt sich um eine Sanktion, welche den Haftpflichtigen ex ante dazu anhalten soll, das Unionsrecht zu beachten“); ferner Schubert, Die Wiedergutmachung, S. 675 f. 686 Vgl. dazu Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, S. 159 ff. (zur „Regulierungsfunktion des Deliktsrechts“, insbesondere „Prävention“), 200 ff. (insoweit zum Unionsrecht), 306, 463 ff. (zum Schadensersatz als Regulierungsinstrument und Sanktionsnorm), 471 ff. (zu Strafen als Regulierungsinstrumenten); Franck, Marktordnung, S. 86 ff.; zur ökonomischen Theorie von „Sanktionen“ und „Preisen“ zu Zwecken der Verhaltenssteuerung (im Kontext des Deliktsrechts) Cooter, 84 Columbia L. Rev. 1523 ss., 1538 ss. (1984); dazu Jansen, Haftungsrecht, S. 42 Fn. 5, S. 56 ff., ferner auch S. 146 zum Zusammenhang von Sanktionsmodell und Verhaltenssteuerung; s. ferner Picker, Privatrechtssystem, S. 53, 61, 72, 87 f., 443. 687 Vgl. Picker, Privatrechtssystem, S. 56 f. („inhaltliche Präjudizialität des Substanzrechts für das Schutzrecht“), 69 („Maxime, dass subjektive Rechte im weitesten Sinne nur im Rahmen der zugewiesenen Positionen Rechtsschutz erfassen, dass sie also nur in diesem Umfang auch Ersatzansprüche auslösen sollen“); ferner Jansen, Haftungsrecht, S. 479 (zum subjektiv-rechtlichen Ansatz durch Zuweisung von Rechtsgütern: „Das Haftungsrecht dient ersatzorientiert dem fairen Rechtsgüter- und Vermögensschutz, nicht der Sanktionierung von Pflichtverletzungen“); Rödl, Gerechtigkeit, S. 98 ff., 135 ff. 688 Vgl. in rechtshistorischer Perspektive zum Einfluss eines pflichten- bzw. sanktionsorientierten Verständnisses des Haftungsgrunds auf die Haftungsfolgen Jansen, Haftungsrecht, S. 356 f. (S. 357: „Konsistent läßt sich diese Verbindung von Kompensation und Sanktion jedoch nicht gewährleisten“), ferner 339, s. aber auch S. 42 („Der Schadensersatz wird bei einem solchen Verständnis als ein Übel angesehen, das die rechtliche Antwort auf einen Normverstoß bildet. Ein kompensatorisches Verständnis des Schadensersatzes ist damit allerdings nicht grundsätzlich ausgeschlossen“; Fn. weggelassen); ders., Theologie, S. 197 f.; s. ferner Picker, Privatrechtssystem, S. 68 („keine normative Beziehung zwischen Verhalten und Verhaltensfolge“), 95, 98, 102 („Entdifferenzierung von Eingriff und Eingriffsfolgen“), 105, 441 („Begründung und Begrenzung der Haftungen des geltenden Rechts werden nach dieser Vorstellung folglich nicht mehr präzis vorgegeben durch Inhalt und Umfang des zu schützenden Rechts“), 443 f. 689 S. dazu unten S. 481 ff. sowie Picker, Privatrechtssystem, S. 49 f., 56 f.
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stoß, was auf Rechtsfolgenebene eine Sanktionsorientierung nahelegt.690 Dies verweist freilich auf die Diskussion, ob die aus Rechtsverletzungen und Normverstößen folgende Haftung nicht auch punitive damages, d.h. Strafschadensersatz oder Privatstrafen umfassen soll.691 Ferner zeigen sich vor allem im Kontext des law and economics approach bereits seit Jahrzehnten Ansätze, das Haftungsrecht auf Passivseite gänzlich ohne Rücksicht auf den Willen bzw. ein Verschulden zu konstruieren692 – etwa in Gestalt einer reinen Gefährdungs- oder Risikohaftung693. Entscheidende Frage ist hier nicht jene nach rechtlicher Verantwortung, sondern durch welches Haftungssystem sich die volkswirtschaftlich effizientesten Resultate und die angemessenste Verteilung von Haftungsfolgen erreichen lassen; wesentliches Ziel eines so verstandenen Haftungsrechts ist Verhaltenssteuerung.694 b) Die Auseinandersetzung um das Haftungsrecht in der Gegenwart aa) Das subjektiv-rechtliche Modell Eigentlich könnte man meinen, durch die vorangegangenen Ausführungen sei bereits deutlich geworden, welches Modell naheliegt. Weil die Form subjekti690 Vgl. Jansen, Haftungsrecht, S. 42 (zum „Sanktionsmodell“, das den Schadensersatz als „die Rechtsfolge einer Pflichtverletzung“ auffasst); ders., Theologie, S. 197 f.; Picker, Privatrechtssystem, S. 53 („Das neuzeitliche Privatrecht ist haftungsrechtlich nicht „verhaltensunrechtlich“ konzipiert i.S. eines Kodex von Sanktionen für die Verletzung mehr oder minder autonomer Pflichtenprogramme“; Fn. weggelassen), 60 f.; vgl. auch Sullivan, 61 Minnesota L. Rev. 207, 217 (1977) („Despite the occasional contention that the function of tort damages […] is purely compensatory, the fact is that the distinction between punitive and compensatory damages in tort law is illusory. So long as our tort law is fault-centered and liability is dependent upon a demonstration of fault, even so-called compensatory damages will have a punitive character. Absent the need to discourage culpable behavior, there is no compelling reason to extract compensation for the plaintiff’s injury from the defendant“); vgl. ferner zum „Sanktions“-Charakter der Schadensersatzansprüche bei objektiv-rechtlicher Ausgestaltung Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, S. 200, 463 ff.; vgl. zum Bezug von Normverstoß und Sanktion Schubert, Die Wiedergutmachung, S. 675 f. („Sanktion“ nämlich als „Reaktion der Rechtsordnung auf den Normverstoß“). 691 Zu dieser Diskussion unten S. 494 ff., 513 ff. sowie etwa Schubert, Die Wiedergutmachung, S. 673 ff., 816 ff., 833 ff.; vgl. Sullivan, 61 Minnesota L. Rev. 207, 217 s. (1977). 692 S. dazu und zur Kritik am fault system bereits Calabresi, The Costs of Accidents, p. 239 ss., 301 ss., 311 ss.; vgl. auch zur unionsrechtlichen Schadensersatzhaftung Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, S. 204 f. (S. 205: „Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die unionsrechtliche Schadensersatzhaftung grundsätzlich aus Gründen der effektiven Durchsetzung des Unionsrechts als objektive Haftung konzipiert ist“). 693 Vgl. zu diesem Paradigmenwechsel auch Auer, Der privatrechtliche Diskurs, S. 165 f.; ferner zu dieser Diskussion um die Gefährdungshaftung Kötz/Wagner, Deliktsrecht, Rn. 31, 491 ff., 498 ff.; Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, S. 463 ff. 694 S. dazu oben bereits S. 282 f. sowie Calabresi, The Costs of Accidents, p. 135 ss., 239 ss., 311 ss.; dazu auch Jansen, Haftungsrecht, S. 35, 151 ff.; Wilhelmi, Risikoschutz, S. 22 ff.; Wagner, Deliktsrecht, Rn. 59 ff., 63 f., 65 ff.; ferner zum Schadensersatz aus regulierungsrechtlicher Perspektive Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, S. 463 ff.
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ver Privatrechte ebenso wie zu einem bestimmten Determinierungsgrad die Frage, woran die Person die Privatrechte hat, definitiv vorgegeben ist695, scheint es im Folgenden eigentlich nur noch darum zu gehen, welche verfassungsrechtlichen Vorgaben sich für die Wirkungen subjektiver Rechte bei drohender oder eingetretener Verletzung ergeben. Das in Deutschland bislang geltende deliktische Haftungsrecht verwirklicht scheinbar696 dementsprechend die Konstituenten Person, Wille, Willensfreiheit697, subjektive Rechte698 sowie die Trennung von Strafe und Schadensersatz durch rein kompensationsorientierte Haftungsfolgen.699 Vorgesehen ist eine rein ausgleichsbezogene Schadensersatzhaftung für die schuldhafte widerrechtliche Verletzung bestimmter absoluter subjektiver Rechte (§ 823 Abs. 1 BGB).700 Der negatorische Rechtsschutz des § 1004 Abs. 1 BGB, der nach inzwischen h.M. nicht nur auf das Eigentum, sondern auf sämtliche absolute Rechte und deliktisch geschützte Rechtspositionen Anwendung findet701, dient der Abwehr und Beseitigung von drohenden oder eingetretenen Verletzungen subjektiver Rechte.702 Ein durch den Pflichtenansatz (duty) und das private law enforcement geprägtes Deliktsrecht, wie es zumindest teilweise in den USA verwirklicht ist, erscheint demgegenüber als Kontrapunkt: verhaltenssteuernde, auf Verwirklichung gesellschaftlicher Interessen gerichtete Zielsetzung, Sanktionen als Mittel der Verhaltenssteuerung (punitive damages auf Haftungsfolgenseite), weit695
S. dazu oben S. 414 f. „Scheinbar“ deswegen, weil hierüber in der Gegenwart von Neuem eine tiefgreifende Auseinandersetzung geführt wird, s. sogleich. 697 S. dazu oben S. 382. 698 Hierzu insbesondere Picker, Privatrechtssystem, S. 51 ff., 57 f.; Reinhardt, JZ 1961, 713 ff. 699 Zur Ausgleichsfunktion als primärer Funktion des Haftungsrechts und zur Trennung von Strafe und Schadensersatz s. oben bereits S. 31 f. sowie nur BGHZ 98, 212, 217 f.; BGH NJW-RR 2015, 275, 276; NJW 2020, 1962, 1967; MünchKomm BGB/Oetker, § 249 Rn. 10; Lange/Schiemann, Schadensersatz, Einl. III.2, S. 9 ff.; Jansen, Haftungsrecht, S. 36 f. 700 S. dazu oben S. 31 f.; zur subjektivrechtlichen Ausrichtung von § 823 Abs. 1 BGB s. Picker, Privatrechtssystem, S. 49 f., 57 f.; Reinhardt, JZ 1961, 713; ferner Rödl, Gerechtigkeit, S. 98 ff. Indes sieht § 823 Abs. 2 BGB eine Schadensersatzpflicht für die Verletzung bestimmter Schutzgesetze vor – hier wird also nicht an die Verletzung absoluter subjektiver Rechte, sondern an die Verletzung von Schutzgesetzen angeknüpft, zur Einordnung auch Kötz/Wagner, Deliktsrecht, Rn. 223 ff.; s. aber auch Picker, Privatrechtssystem, S. 342 ff., 449 (aaO, S. 343: Auslegung dahingehend, dass § 823 Abs. 2 BGB „mit Hilfe dieser Gesetze, vorbildhaft für die analoge Funktion der Verkehrspflicht, vor dem Schutzrecht ein in seiner Reichweite kongruentes Substanzrecht“ begründet). 701 S. nur MünchKomm/Wagner, Vorbem. (vor § 823) Rn. 40 sowie oben bereits S. 31 f.; zu dieser Ausweitung von § 1004 BGB auch Baur, JZ 1966, 381 f.; v. Caemmerer, Wandlungen des Deliktsrechts, S. 52 ff.; Reinhardt, JZ 1961, 713, 714; Wilhelmi, Risikoschutz, S. 44 f.; Larenz/Canaris, Schuldrecht II/2, § 86 I 1; ursprünglich RGZ 60, 6 ff.; 116, 151, 153; 156, 372, 374; BGH NJW 1998, 2058, 2059. 702 Vgl. Picker, Privatrechtssystem, S. 57 f., ferner auch S. 240 ff., 245; Reinhardt, JZ 1961, 713, 716; s. aber gleich noch. 696
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reichende Gefährdungshaftung (strict liability).703 Wäre ein solches Haftungsrecht, dessen primäres Ziel Verhaltenssteuerung ist, das nicht an subjektive Rechte anknüpft, das in seinen Haftungsfolgen nicht nur kompensations-, sondern vor allem auch sanktionsorientiert ist und keine strikte Trennung von Strafe und Schadensersatz durchführt, mit den Konstituenten vereinbar? bb) Die Krise des subjektiv-rechtlichen Modells Nun ist zu konstatieren, dass die zuvor vorgenommene subjektivrechtliche, möglicherweise auch der ursprünglichen Intention des BGB entsprechende704 Lesart des Haftungsrechts, wie oben bereits deutlich wurde705, unter Druck steht706 und als Gegenmodell eine pflichten- bzw. verhaltensunrechtsbezogene Interpretation zunehmend weite Verbreitung findet.707 Während die eine Auffassung sowohl für die negatorische als auch für die Schadensersatzhaftung an die Verletzung subjektiver Rechte anknüpft708, geht die gegenteilige Auffassung davon aus, dass einheitlicher Haftungsgrund die Verletzung von Verhaltenspflichten, d.h. das „Verhaltensunrecht“ ist.709 Tatsächlich ist für die Schadensersatzhaftung des § 823 Abs. 1 BGB die Deutung als Haftung für Verhaltensunrecht bereits seit Längerem herrschend710, und auch für die negatorische 703 S. dazu oben S. 262 f., 265 f., 323 f. sowie zu den einzelnen Elementen Shulman (et al.), Law of Torts, p. 127 ss., 428 ss., 573 ss.; vgl. bereits Brüggemeier, AcP 182 (1982), 385, 443 f.; ferner Jansen, Haftungsrecht, S. 181 (zu den pönalen Elementen als abweichendem Element). 704 S. dazu näher oben bereits S. 213 ff. sowie Picker, ZfPW 2015, 385, 387 ff.; ders., Privatrechtssystem, S. 52 f., 61 Fn. 2 mit Verweis (u.a.) auf Motive BGB II, S. 725; Motive BGB III, S. 392 f.; ferner auch Fezer, Teilhabe und Verantwortung, S. 473 ff., 486 ff.; Reinhardt, JZ 1961, 713; Brüggemeier, Deliktsrecht, Rn. 81 ff.; Schwitanski, Deliktsrecht, S. 124 ff.; s. aber auch Jansen, Haftungsrecht, S. 456 ff., 461 ff., 482 (dazu auch oben bereits S. 214 Fn. 931). 705 S. zu dieser sehr umstrittenen Frage oben S. 213 ff. 706 Zur „Krise“ des absoluten subjektiven Rechts insoweit auch Jansen, Haftungsrecht, S. 474 f.; ferner bereits Brüggemeier, AcP 182 (1982), 385, 430 (zum absoluten subjektiven Recht: „Als Fixpunkt deliktischer und bereicherungsrechtlicher Eingriffshaftung ist es denn auch zunehmend in die Krise geraten“; Fn. weggelassen). 707 S. etwa Wilhelmi, Risikoschutz, S. 8, 104; zu dieser Entwicklung v. Caemmerer, Wandlungen des Deliktsrechts, S. 75 ff., 80; Brüggemeier, AcP 182 (1982), 385, 429 ff., 450 (S. 429 f.: „Vom absoluten subjektiven Recht zur sozialen Schutzposition“); ders., Deliktsrecht, Rn. 87 ff., 94 ff.; kritisch zu dieser Entwicklung Picker, Privatrechtssystem, S. 60 ff., 67 ff., 94 ff.; Reinhardt, JZ 1961, 713, 714 f. 708 Eingehend dazu Picker, Privatrechtssystem, S. 53 ff.; Reinhardt, JZ 1961, 713 ff.; s. ferner auch Jansen, Haftungsrecht, S. 495 ff., 523 f.; Rödl, Gerechtigkeit, S. 98 ff. 709 S. etwa Wilhelmi, Risikoschutz, S. 6, 8, 104, 118 f., 130; Brüggemeier, Deliktsrecht, Rn. 176 ff. (zum Deliktsrecht); vgl. kritisch hierzu Picker, Privatrechtssystem, S. 60 ff. („verhaltensunrechtlicher Monismus“). 710 S. ursprünglich Nipperdey, NJW 1957, 1777, 1178 f.; Brüggemeier, Deliktsrecht, Rn. 101, 174 ff., 178; Münzberg, Verhalten und Erfolg, S. 331 ff.; Wilhelmi, Risikoschutz, S. 104, 112 ff.; zum heutigen Meinungsbild s. aber auch MünchKomm BGB/Wagner, § 823 Rn. 4 ff.; zu den „Wandlungen des Deliktsrechts“ bereits v. Caemmerer, Wandlungen des
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Haftung scheint eine entsprechende Verschiebung stattzufinden, wonach Haftungsgrund bei § 1004 Abs. 1 BGB die drohende Pflichtverletzung bzw. das drohende Verhaltensunrecht ist.711 So setzen zwar sowohl § 1004 Abs. 1 BGB als auch § 823 Abs. 1 BGB die Beeinträchtigung von Schutzgütern (Leben, Gesundheit, Eigentum etc.) voraus; bei der vorausgesetzten Beeinträchtigung der Schutzgüter soll es jedoch 711 Deliktsrechts, S. 71 ff., 76 f.; Börgers, Von den „Wandlungen“, S. 19 ff.; Fezer, Teilhabe und Verantwortung, S. 491 ff.; Jansen, Haftungsrecht, S. 23 ff., 473 f. Dabei zeigen sich unterschiedliche Ansätze, die beim Merkmal der Rechtswidrigkeit ansetzen (zu einem Überblick etwa MünchKomm BGB/Wagner, § 823 Rn. 4 ff.; Kleindiek, Deliktshaftung, S. 20 ff.). Die „Lehre vom Erfolgsunrecht“, die generell von der Rechtsgutsverletzung auf die Rechtswidrigkeit schließt, wird insofern weithin abgelehnt (so aber noch Baur, AcP 160 [1961], 465, 470, 486; ferner auch Jauernig/Teichmann, § 823 Rn. 48; s.a. zur Entwicklung Börgers, Von den „Wandlungen“, S. 25 ff.). Zum einen steht hier die Auffassung, die als alleinigen Haftungsgrund die Verletzung von Verhaltens- bzw. Verkehrspflichten ansieht, sofern dieses Verhaltensunrecht zur Verletzung der in § 823 Abs. 1 BGB geschützten Rechtsgüter bzw. rechtlichen Interessen führt (Brüggemeier, Deliktsrecht, Rn. 101, 176, 178; ders., AcP 182 [1982], 385, 450; Wilhelmi, Risikoschutz, S. 104, 112). Zum anderen differenziert eine weitere Auffassung zwischen sog. unmittelbaren und mittelbaren Verletzungen der Schutzgüter (v. Caemmerer, Wandlungen des Deliktsrechts, S. 77; Stoll, AcP 162 [1963], 203, 206, 212 ff., 215 ff.; Schwitanski, Deliktsrecht, S. 149 ff., 159 ff.). Bei unmittelbaren Eingriffen in die Schutzgüter „indiziert“ die Rechtsgutsverletzung die Rechtswidrigkeit. Bei mittelbaren Verletzungen wird die Rechtswidrigkeit dagegen nur dann begründet, wenn die Pflichtwidrigkeit der Verletzungshandlung festgestellt wird – die Handlung muss insofern gegen eine Verhaltens- bzw. Verkehrspflicht verstoßen haben, maßgeblich ist dann also das Verhaltensunrecht (v. Caemmerer, Wandlungen des Deliktsrechts, S. 76 f.; Schwitanski, Deliktsrecht, S. 149; Kleindiek, Deliktshaftung, S. 25). Demgegenüber knüpfen die subjektiv-rechtlichen Theorien an die Verletzung subjektiver Rechte an. In Abgrenzung von der Lehre vom Erfolgsunrecht, die aus jedem Eingriff in ein Schutzgut unmittelbar auf die Rechtswidrigkeit schließen will (s. zuvor), versteht sich die subjektiv-rechtliche Auslegung daher als „Lehre vom normativen Erfolgsunrecht“ (Fezer, Teilhabe und Verantwortung, S. 524 ff., 531 ff.; ferner Fraenkel, Tatbestand und Zurechnung, S. 36 ff., 40 ff., 44 ff.). Nicht bereits die Verletzung des Schutzguts bzw. die Herbeiführung eines Schadens begründet die Rechtswidrigkeit, sondern die Verletzung des subjektiven Rechts – es geht also darum, den konkreten Rechtsinhalt zu bestimmen (s. dazu Picker, Privatrechtssysten, S. 57, 69 f.; ferner Fezer, Teilhabe und Verantwortung, S. 533: „Die Lehre vom Erfolgsunrecht bedarf eines normativen Erfolgsbegriffs. Der Erfolg ist die Verletzung des subjektiven Privatrechts. […] Eine Rechtsverletzung im Sinne einer normativen Lehre vom Erfolgsunrecht ist der Einbruch in den vom Gegenstand des Rechts vermittelten Freiheitsbereich der Person“). Jansen (Haftungsrecht, S. 119 ff., 495 ff., 542 f. 567 ff.) folgt ebenso einer subjektiv-rechtlichen Auslegung, die daran ansetzt, genau zu bestimmen, was der konkret geschützte Zuweisungsgehalt eines Rechts ist. Dieser Zuweisungsgehalt begründet wiederum einen haftungsrechtlich geschützten Vertrauenstatbestand („gegenstandsbezogenes Vertrauen“, aaO, S. 499, 504). Anknüpfend an die so bestimmte Rechtsverletzung tritt dann die Schadensersatzhaftung ein, die Pflichtverletzung wird hier als eine „rechtsgutsbezogene Obliegenheit“ (Jansen, aaO, S. 480) gedeutet. 711 S. etwa v. Caemmerer, Wandlungen des Deliktsrechts, S. 52 ff.; neuerdings etwa Wilhelmi, Risikoschutz, S. 6, 104, 118 ff., 124, 129; kritisch dazu Picker, Privatrechtssystem, S. 60 ff., 67 ff., 94 ff.
V. Rechtsgüterschutz und Haftungsrecht
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nicht um die Verletzung von subjektiven Rechten, sondern von deren realem Substrat gehen.712 Haftungsbegründend ist demnach nicht die Verletzung von subjektiven Rechten, sondern die gegen eine Verhaltenspflicht erfolgende, d.h. rechtswidrige Handlung oder Unterlassung.713 Die pflicht- und rechtswidrige Handlung oder Unterlassung, die in die enumerierten Schutzgüter eingreift, begründet demnach den negatorischen Abwehr- sowie Schadenersatzanspruch.714 Insofern folgt die Rechtswidrigkeit nicht aus dem Verletzungserfolg, sondern aus dem Verstoß gegen Verhaltenspflichten, welcher das „Handlungsunrecht“ konstituiert.715 Damit werden die subjektiven Rechte aus dem Haftungsrecht weitgehend eliminiert716, sie spielen für den Haftungsgrund keine Rolle mehr.717 An ihre 712 So die (kritische) Auslegung bei Picker, Privatrechtssystem, S. 53 („Rechts-, nicht Substratsverletzung als Haftungsbedingung“), 57, 69 ff., 104 f.; vgl., wenngleich nicht ganz eindeutig Brüggemeier, Deliktsrecht, Rn. 306 f. Nun stellt sich die Frage, welche Bedeutung den sog. „Rahmenrechten“, d.h. vor allem dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht aus Perspektive der pflichtenorientierten Betrachtungsweise zukommt. Brüggemeier (Deliktsrecht, Rn. 219) deutet das allgemeine Persönlichkeitsrecht als eine Zusammenfassung von konkreten Verhaltensgeboten, deren Verletzung Haftungsansprüche auslöst. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht ist danach kein „Rahmenrecht“, sondern eine Zusammenfassung von einzelnen konkret zu ermittelnden Verhaltenspflichten (aaO, Rn. 92: „die Konstituierung einer sozialen Schutzposition über die Formulierung eines Bündels von Verhaltensanforderungen“). S. dagegen Jansen, Haftungsrecht, S. 487 ff., 490, 493 f., wonach als Haftungsgrund der „Gedanke einer individuellen Rechtsgutszuweisung“ (aaO, S. 490) zugrundeliege. 713 S. Ahrens, in: Heldrich/Prölss/Koller (Hrsg.), FS Canaris, Bd. 1, S. 3, 14 f.; Brüggemeier, Deliktsrecht, Rn. 101, 174 ff., 178; v. Caemmerer, Wandlungen des Deliktsrechts, S. 52 f.; Wilhelmi, Risikoschutz, S. 104, 112, 116 f., 118 f., 130; ferner Leser, AcP 183 (1983), 568, 584 ff.; vgl. Picker, Privatrechtssystem, S. 53, 55, 69 f., 97; Reinhardt, JZ 1961, 713, 717. Worin liegt nach dieser Auffassung die Bedeutung der in § 823 Abs. 1 BGB enummerierten Rechtsgüter? Wilhelmi (Risikoschutz, S. 132) sieht die Bedeutung der Rechtsgüter für den verhaltenspflichtenorientierten Ansatz darin, dass die Verhaltenspflichten „erfolgsbezogen“, d.h. „auf die Vermeidung der Verletzung eines geschützten Rechtsguts oder Rechts gerichtet“ sind; d.h. die Schutzgüter beeinflussen die Formierung der Verhaltenspflichten (s.a. Brüggemeier, Deliktsrecht, Rn. 95, 99, 105, 178 f.). 714 S. etwa Wilhelmi, Risikoschutz, S. 104, 116 f. 715 v. Caemmerer, Wandlungen des Deliktsrechts, S. 76 f., 80; Brüggemeier, Deliktsrecht, Rn. 176 ff.; Wilhelmi, Risikoschutz, S. 112, 116 f.; s.a. Jansen, Haftungsrecht, S. 9 ff. (zum „Problem der Rechtswidrigkeit“). 716 S. aber auch Wilhelmi, Risikoschutz, S. 19 ff., der zwar als einheitlichen Haftungsgrund das Verhaltensunrecht ansieht, gleichwohl den subjektiven Privatrechten weiterhin Bedeutung zumisst, und zwar in Gestalt der Zuweisung und Abgrenzung der Freiheitssphären – unklar bleibt hier aber der konkrete Gehalt der subjektiven Privatrechte, wenn diese für die Haftungsbegründung selbst keine unmittelbare Rolle spielen (Wilhelmi, aaO, S. 21 sieht in dieser Abgrenzung der Freiheitssphären den „materialen Haftungsgrund“, dessen Wertungen den gesetzlichen Regelungen zugrunde liegen; s. ferner Fn. 713 oben zur Bedeutung der Rechte für die Formierung der Verkehrspflichten); ferner Brüggemeier, AcP 182 (1982), 385, 430 f., wonach subjektive Rechte (zumindest die „sonstigen Rechte“) nur ein „Bündel von Verhaltensanforderungen“ sind, die „eine soziale Schutzposition konstituieren“. 717 Vgl. Jansen, Haftungsrecht, S. 474.
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7. Kapitel: Die Entwicklung der Konstituenten in der Gegenwart
Stelle treten die Verhaltenspflichten und das „Handlungsunrecht“.718 Daraus ergibt sich eine Verschiebung des Haftungsrechts, welche dieses den oben genannten Charakteristiken des private law enforcement öffnet719: stärkerer Bezug auf die verhaltenssteuernde Wirkung, Betonung von Prävention und gesellschaftlichen Interessen720, die durch die Normierung von Verhaltenspflichten und entsprechenden „Sanktionen“ realisiert werden.721 Weitergehend stellt sich die Frage, welche Bedeutung die subjektiven Privatrechte überhaupt noch haben, wenn sie für das Haftungsrecht keine Rolle mehr spielen – läuft die Eliminierung subjektiver Privatrechte aus dem Haftungsrecht letztlich nicht auf die Eliminierung der subjektiven Privatrechte insgesamt hinaus?722 718 Vgl. (kritisch) zur Verdrängung der subjektiven Rechte aus dem Haftungsrecht Picker, Privatrechtssystem, S. 60 ff.; ferner bereits Reinhardt, JZ 1961, 713, 715; s.a. Jansen, Haftungsrecht, S. 473 f. 719 S. zuvor bereits S. 466 ff.; vgl. auch Brüggemeier, AcP 182 (1982), 385, 443 f. im Hinblick auf das US-amerikanische Haftungsrecht. 720 Vgl. Picker, Privatrechtssystem, S. 72 („Das Vakuum, das das derart verdrängte subjektive Recht hinterlässt, füllt man theoriekonsequent mit überindividuellen Interessen“), 87 f. („[…] erster Schritt […] bis hin zur völligen Dominanz der öffentlichen Interessen“); zum Bezug des pflichtenorientierten Haftungsrechtsmodells auf Verhaltenssteuerung und die Verwirklichung gesellschaftlicher Interessen s.a. Jansen, Theologie, S. 197 f. 721 S. Picker, Privatrechtssystem, S. 53, 55, 61 („In der Folge dieser Abkehr von der subjektivrechtlichen Verfasstheit des Privatrechts verbreitet sich ein Verständnis, das die Haftungsinstitute nicht mehr nur als rein instrumentelle, technische Mittel zur Durchsetzung einer vorgegebenen materialen Rechtszuweisung begreift. Man betrachtet sie vielmehr als eigenwertige Rechte, die selbst schon die Kriterien für das Unrechtsurteil enthalten und die deshalb ihrerseits wertungsautonom über die Haftung entscheiden: Der Blick verschiebt sich von der verletzten Rechtsposition zum verletzenden Tun. An die Stelle der Zuweisungswidrigkeit tritt als legitimatorischer Grund der Sanktionsgedanke“), ferner S. 443. 722 S. dazu bereits Reinhardt, JZ 1961, 713, 715 f., auch zu der Frage, ob die subjektiven Privatrechte nur deshalb bestehen, weil sie in § 823 Abs. 1 BGB genannt sind („Die Rechte und Rechtsgüter, auf die § 823 I BGB Bezug nimmt, verdanken ihre rechtliche Anerkennung nicht dem § 823 I BGB. Sie haben ihre eigene Funktion schon außerhalb des Schadensersatzrechts. […] sie dienen […] der Kennzeichnung bestimmter Bereiche, die dem einzelnen ausschließlich zugeordnet und damit fremder Disposition entzogen sind“) – insofern verbleibt noch die Zuweisungsfunktion der subjektiven Rechte, sofern der haftungsrechtliche Bezug entfällt. Zu dieser Frage, ob die subjektiven Rechte in § 823 Abs. 1 BGB begründet oder „vorausgesetzt“ werden, auch Börgers, Von den „Wandlungen“, S. 99 („vorausgesetzt“). v. Caemmerer (Wandlungen des Deliktsrechts, S. 55) sieht die Funktion subjektiver Recht primär „in der Zuweisung von Gütern“, der Rechtsschutz durch Unterlassung soll sich dagegen unabhängig von den subjektiven Rechten vollziehen, maßgeblich ist die Abwehr objektiv rechtswidriger Eingriffe. Demgegenüber sieht Mansel (Staudinger/Mansel, § 823 Rn. A15) sowohl Ausschluss- als auch Zuweisungsgehalt der absoluten Rechte als durch § 823 Abs. 1 BGB begründet und bestimmt an (anders für die sonstigen Rechte). Man kann also zwischen rechtlicher Zuweisung und den daraus folgenden Wirkungen differenzieren (s. dazu oben bereits S. 399 ff.; s. ferner auch Jansen, Haftungsrecht, S. 470, 476 ff., 495 ff., der zwischen der „Zuweisung“ von Rechtspositionen als Grund für weitere Ansprüche sowie der Ausschlussfunktion differenziert; s. aber auch Hoffmann, Zession und Rechtszuweisung, S. 36). S. ferner auch Jansen, Haftungsrecht, S. 456 zu den Funktionen des subjektiven Rechts im 19. Jhd. außerhalb des Haftungsrechts (Gliederungsfunktion, Bedeutung der Rechtsverletzung für die Klagerechte, Rechtsgeschäftslehre).
V. Rechtsgüterschutz und Haftungsrecht
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c) Subjektives Recht und Disposition Aus noch einer anderen Perspektive ergeben sich Anfragen an die Ausgestaltung des Haftungsrechts in der Gegenwart. So wäre denkbar, drohende oder bereits eingetretene Verletzungen deliktisch geschützter Rechte nicht mehr über zivilrechtliche Unterlassungs-, Beseitigungs- und Schadensersatzansprüche abzuwehren oder auszugleichen, sondern präventiv polizeirechtlich bzw. behördlich und repressiv rein strafrechtlich, d.h. den Schutz von subjektiven Rechten und Rechtsgütern hoheitlichem Tätigwerden zu überlassen.723 Auf die kollektive Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen ist später noch im prozessualen Kontext zurückzukommen.724 Möglicherweise könnte auch durch solche Mechanismen ein hinreichendes Schutzniveau sichergestellt und den verfassungsrechtlichen Anforderungen725 Rechnung getragen werden. Diese Alternativen betreffen nicht nur das materielle Haftungsrecht, sondern vor allem auch seine prozessuale Realisierung. Dies hätte freilich zur Folge, dass insoweit etwa das Offizialprinzip726 sowie – je nach Ausgestaltung – Legalitäts- oder Opportunitätsprinzip727 den zivilprozessualen Dispositionsgrundsatz ersetzen würden. Gleichzeitig wäre dann das bisherige einfachrechtliche polizeirechtliche Subsidiaritätsprinzip728 in sein Gegenteil verkehrt.
2. Verfassungsrechtliche Vorgaben a) Verfassungsrechtliche Schutzpflichten Inwieweit das geltende Haftungs- und Deliktsrecht selbst verfassungsfest ist, war bislang nur bedingt Gegenstand der Rechtsprechung des BVerfG.729 Auch in der Literatur findet sich dieses Thema nur selten und wenn, dann eher zu-
723
Vgl. zu den Gestaltungsinstrumenten Isensee/Kirchhof/Müller-Terpitz, Handbuch des Staatsrechts, § 147 Rn. 95; Isensee/Kirchhof/Isensee, Handbuch des Staatsrechts, § 191 Rn. 289; Schramm, Haftung für Tötung, S. 310 f.; z.B. auch Kasper, Das subjektive Recht, S. 159 (zur rechtlichen Verfolgung unerlaubter Handlungen sowie Schadensersatzes von Amts wegen bei gleichzeitiger Entschädigung Privater durch den Staat, ohne Zuerkennung subjektiver Privatrechte). Denkbar wäre auch eine allgemeine versicherungsrechtliche Ausgestaltung, dazu Canaris, Grundrechte und Privatrecht, S. 83. 724 S. dazu unten S. 556 ff., 561 ff. 725 Dazu oben S. 344 ff. sowie gleich S. 475 ff. 726 Dazu unten noch S. 497 sowie etwa zum Begriff Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 12 Rn. 6 (Offizialprinzip). 727 Dazu etwa Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 14 Rn. 1 f. 728 Dazu etwa Drews/Wacke/Vogel/Martens, Gefahrenabwehr, S. 238 f.; s.a. etwa § 2 Abs. 2 PolG BW; vgl. Schramm, Haftung für Tötung, S. 311 Fn. 147. 729 S. aber zur deliktischen Haftung bei Verletzungen der körperlichen Integrität BVerfGE 52, 131, 168 f. (offengelassen); ferner zur persönlichen Freiheit BVerfGE 49, 304, 320 (offengelassen); vgl. insoweit auch Schramm, Haftung für Tötung, S. 317 Fn. 173.
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rückhaltend thematisiert.730 Gleichwohl finden sich in der Rechtsprechung des BVerfG deutliche Vorgaben für die Ausgestaltung des Haftungsrechts.731 Soweit der verfassungsrechtliche Anknüpfungspunkt in der Schutzpflichtendimension der betroffenen Grundrechte gesehen wird, gilt im Hinblick auf denjenigen, dessen Rechte verletzt werden, das Untermaßverbot.732 Dem Gesetzgeber kommt demnach ein weiter Spielraum der Gestaltung zu, konkrete Maßnahmen können danach nur eingeschränkt abgeleitet werden.733 So werden die §§ 823 ff., 249, 1004 BGB zwar für verfassungskonforme Ausgestaltungen der Schutzpflichten für Leib, Leben, Gesundheit, Freiheit, das Eigentum sowie das allgemeine Persönlichkeitsrecht gehalten.734 Der Staat habe seinen aus den 730 Aus der Literatur vor allem Schramm, Haftung für Tötung, S. 304 ff.; MünchKomm BGB/Wagner, Vorbemerkung (vor § 823) Rn. 74 ff.; Staudinger/J. Hager, Vorbem. §§ 823 ff. Rn. 68 ff.; Wilhelmi, Risikoschutz durch Privatrecht, S. 30 ff.; vgl. ferner Schubert, Die Wiedergutmachung, S. 818 ff. 731 S. dazu unten S. 477 ff. 732 S. dazu oben S. 348 f. sowie BVerfGE 39, 1, 44; 46, 160, 164; 88, 203, 254; 97, 169, 176 f.; Isensee/Kirchhof/Müller-Terpitz, Handbuch des Staatsrechts, § 147 Rn. 73; Schubert, Die Wiedergutmachung, S. 819. Auf Passivseite, d.h. auf der Seite desjenigen, dem die Haftung auferlegt wird, gilt demgegenüber das Übermaßverbot bzw. der Verhätnismäßigkeitsgrundsatz – Auferlegung der Haftung ist Eingriff zumindest in Art. 2 Abs. 1 GG, s. Canaris, JZ 1987, 994, 995 f. mit Verweis auf BVerfGE 57, 361, 378, 380; 63, 88, 109, 115; ferner auch BVerfGE 96, 375, 397 f.; s. aber auch Wilhelmi, Risikoschutz, S. 31 ff. (zwar abwehrrechtliche Dimension auf Seiten des Verpflichteten betroffen, aber nicht Verhältnismäßigkeit, sondern praktische Konkordanz); Staudinger/J. Hager, Vorbem. §§ 823 ff. Rn. 72. 733 BVerfGE 39, 1, 44; 46, 160, 164; 88, 203, 254; 97, 169, 176 f.; Isensee/Kirchhof/MüllerTerpitz, Handbuch des Staatsrechts, § 147 Rn. 74; Schubert, Die Wiedergutmachung, S. 819; s.a. Isensee/Kirchhof/Isensee, Handbuch des Staatsrechts, § 191 Rn. 293 ff.; Maunz/Dürig/ Papier/Shirvani, Art. 14 Rn. 134; generell zum Spielraum des Gesetzgebers bei Geltung des Untermaßverbots BVerfGE 88, 203, 261 ff. 734 S. Isensee/Kirchhof/Müller-Terpitz, Handbuch des Staatsrechts, § 147 Rn. 95; Isensee/ Kirchhof/Kube, Handbuch des Staatsrechts, § 148 Rn. 95 ff. (zum Persönlichkeitsrecht: „hinreichender Basisschutz“); Isensee/Kirchhof/Isensee, Handbuch des Staatsrechts, § 150 Rn. 119 (Delikt als „genuiner Bereich der Schutzpflicht“ im Zivilrecht); § 191 Rn. 196 („§§ 823 ff. BGB als Entsprechung der Schutzpflicht“), 289; Maunz/Dürig/Di Fabio, Art. 2 Abs. 1 Rn. 135 (zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht); Maunz/Dürig/Herdegen, Art. 1 Abs. 1 Rn. 78 („Als absolutes Recht genießt die Menschenwürde deliktsrechtlichen und quasi-negatorischen Schutz“); Dreier/Dreier, Art. 2 Abs. 1 Rn. 94 (zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht); Dreier/ Wieland, Art. 14 Rn. 195 (zum Eigentum); aus der Rechtsprechung BVerfGE 49, 304, 319 f. („Die Haftungsregelung des § 823 Abs. 1 BGB erweist sich demgemäß […] unter der Herrschaft des Grundgesetzes dem Grundsatz nach als Ausprägung des besonderen Schutzgehaltes dieses Grundrechts. Das gilt auch, soweit diese Vorschrift Schadensersatzansprüche wegen schuldhaft rechtswidriger Freiheitsentziehung auslöst; denn solche Ansprüche sind grundsätzlich ein angemessenes Mittel der Wiedergutmachung im Falle eines derart schwerwiegenden Eingriffs und bewirken darüber hinaus einen präventiven Schutz“); 96, 375, 393; aus zivilrechtlicher Perspektive MünchKomm BGB/Wagner, § 823 Rn. 485 f.; Vorbemerkung (Vor § 823) Rn. 75; Wilhelmi, Risikoschutz, S. 31 f. („Damit dient nicht nur die deliktische Haftung der Erfüllung der Schutzpflicht, sondern auch die negatorische Haftung, die den indirekten Schutz durch einen direkten Schutz ergänzt“); Staudinger/J. Hager, Vorbem. §§ 823 ff. Rn. 71.
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grundrechtlichen Schutzpflichten resultierenden Gesetzgebungsauftrag durch die Normierung des (vorkonstitutionellen735) Deliktsrechts erfüllt.736 Allerdings ergibt sich hieraus noch nicht, dass das privatrechtliche Haftungsrecht in seiner konkreten Ausgestaltung auch positiv geboten wäre. So wird argumentiert, dass aus der „inhaltlichen Offenheit des staatlichen Schutzauftrages“ auch „die Vielgestaltigkeit der hierfür in Betracht kommenden Mittel“ folge.737 Angesprochen ist damit die Frage nach dem Verhältnis der verfassungsrechtlichen Determiniertheit des einfachen Rechts und des Gestaltungsspielraums des Gesetzgebers.738 Weitergehend wird aus der grundrechtlichen Schutzpflicht der Art. 2 oder 14 GG abgeleitet, dass der Gesetzgeber „zur Bereitstellung einer geeigneten Privatrechtsordnung“, „zu einem effektiven Verfahren zur Rechtsdurchsetzung und zur Gewährung von Abwehransprüchen gegenüber Dritten“ verpflichtet ist.739 Schließlich geht ein Teil der Literatur davon aus, dass die „Grundstrukturen“ des Deliktsrechts „konstitutionalisiert“ seien.740 b) Die Rechtsprechung des BVerfG zu Verletzungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts Weitere Anhaltspunkte lassen sich bei einer Analyse der Rechtsprechung des BVerfG zu Verletzungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts erkennen.741 Der verfassungsrechtlich vorgegebene Rahmen für die Ausgestaltung der rechtlichen Wirkungen bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen lässt sich insofern vor allem anhand der Rechtsprechung des BVerfG zu Entschädigungsansprüchen nachvollziehen. Weil § 823 Abs. 1 BGB gerade nicht das Rechtsgut „allgemeines Persönlichkeitsrechts“ aufführt, sondern sich der Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 1 BGB in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG742 ergibt –
735 Der Gesetzgeber muss freilich nicht aus der Intention der Erfüllung der Schutzpflicht gehandelt haben, vgl. dazu Isensee/Kirchhof/Isensee, Handbuch des Staatsrechts, § 191 Rn. 285. 736 Isensee/Kirchhof/Isensee, Handbuch des Staatsrechts, § 191 Rn. 289. 737 Isensee/Kirchhof/Müller-Terpitz, Handbuch des Staatsrechts, § 147 Rn. 95. 738 Dazu oben bereits S. 341 ff., 354 ff. sowie grundsätzlich Isensee/Kirchhof/Isensee, Handbuch des Staatsrechts, § 191 Rn. 289, 291, 293 ff.; Jestaedt, Grundrechtsentfaltung im Gesetz, S. 29 ff. 739 So etwa Epping/Hillgruber/Axer, Art. 14 Rn. 22; v. Mangoldt/Klein/Starck/Depenheuer/Froese, Art. 14 Rn. 98; s. aber auch Maunz/Dürig/Papier/Shirvani, Art. 14 Rn. 134, wonach eine privatrechtliche Ausgestaltung nicht zwingend erscheint. 740 Isensee/Kirchhof/Isensee, Handbuch des Staatsrechts, § 191 Rn. 25; ferner Rn. 289, 291 ff.; s. unten auch noch weitere Nachweise S. 486. 741 S. dazu nur BVerfGE 34, 269, 280 ff.; BVerfG NJW 2000, 2187 ff.; 2006, 595 f. 742 So die Herleitung bereits des BGH, s. BGHZ 128, 1, 15.
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nach h.M. ist der Anspruch im Grundrecht unmittelbar selbst grundgelegt743 –, wird hier deutlich, welche Vorgaben gelten.744 So folgt im Grundsatz aus dem grundrechtlich verankerten allgemeinen Persönlichkeitsrecht ein Anspruch des Einzelnen gegen den Staat, „den Einzelnen vor Persönlichkeitsgefährdungen durch Dritte zu schützen“.745 Zwar gilt, dass die zur Erfüllung dieses „grundrechtlichen Schutzauftrags“ erfolgende Ausgestaltung und Umsetzung „dem Gesetzgeber und in der Auslegung und Anwendung der Gesetze den Fachgerichten überlassen“ bleibt.746 Gleichwohl findet „der von den Zivilgerichten entwickelte Anspruch auf Ausgleich des immateriellen Schadens bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen“ ebenso wie der Anspruch auf Unterlassung von Persönlichkeitsrechtsverletzungen747 seine „grundrechtliche Fundierung“ in ebenjenem Schutzauftrag748 und ist zumindest bei schwerwiegenden Verletzungen verfassungsfest749. Entsprechend beurteilt das BVerfG, ob die Nicht-Gewährung eines entsprechenden Anspruchs nach einfachem Recht eine Verletzung der Grundrechte darstellt, wobei hier auch konkrete Maßgaben für den erforderlichen Sorgfaltsmaßstab entwickelt werden.750 Aus diesen Vorgaben lassen sich mehrere Schlussfolgerungen ableiten. Auch wenn die Ausgestaltung grundsätzlich dem einfachen Gesetzgeber überlassen bleibt, gelten hier dennoch konkretisierende Determinanten.751 Ausgangspunkt ist eine „Rechtsverletzung“.752 Angeknüpft wird an das allgemeine Persönlichkeitsrecht als gegenüber anderen privaten Personen zu schützendes subjektives Recht, dessen Verletzung im Wege der Abwägung mit kollidieren-
743
S. BVerfG NJW 2000, 2187; Schramm, Haftung für Tötung, S. 325. Vgl. dazu und zum Folgenden etwa BVerfG NJW 2006, 595 f. Ähnliche Vorgaben gelten auch für das Recht auf Freiheit der Person, vgl. insoweit BVerfG NVwZ 2017, 317, 318. 745 BVerfGE 99, 185, 194 f.; ferner BVerfGE 73, 118, 201; 97, 125, 146. 746 BVerfG NJW 2006, 595. 747 S. BVerfG NJW 2006, 2836, 2837 (zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht: „Zivilrechtliche Grundlage der Durchsetzung dieses Rechts sind § 823 Abs. 1 und § 1004 BGB“). 748 BVerfG NJW 2006, 595 f.; 2000, 2187; 2004, 2371, 2372. 749 So etwa Schramm, Haftung für Tötung, S. 325 ff., 329 f.; Ruffert, Vorrang der Verfassung, S. 487; in diese Richtung auch Dreier/Dreier, Art. 2 Abs. 1 Rn. 94; s. jetzt auch BVerfG NJW-RR 2017, 879, 880 („Die staatliche Pflicht, den Einzelnen vor Gefährdungen seines Persönlichkeitsrechts durch Dritte zu schützen […], auf die der Anspruch auf Entschädigung bei Persönlichkeitsrechtsverletzung zurückgeht […], kann sich dann bis zur Gebotenheit einer Geldentschädigung verdichten“). 750 S. nur BVerfG NJW 2006, 595 f.; BVerfGE 99, 185, 195 ff., 197 ff.: die Verfehlung der „grundrechtlichen Maßgaben“ bei der Anwendung des dem Schutz des Persönlichkeitsrechts dienenden einfachen Rechts durch die Gerichte konstituiert notwendig auch einen „Verstoß gegen die subjektiven Grundrechte des Betroffenen“ (aaO, 195). 751 Vgl. auch Schramm, Haftung für Tötung, S. 325 (zur weitgehenden Determiniertheit des Entschädigungsanspruchs bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen). 752 Vgl. nur BVerfG NJW-RR 2017, 879, 880 („Persönlichkeitsrechtsverletzung“). 744
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den Grundrechtspositionen der anderen festgestellt wird.753 Bei Eintritt oder Drohen einer Rechtsverletzung – hier konkret des allgemeinen Persönlichkeitsrechts – durch private Dritte müssen dem Einzelnen rechtliche Möglichkeiten eröffnet werden, diese Persönlichkeitsrechtsverletzung abzuwehren oder geltend zu machen.754 Dies schließt bei eingetretener Verletzung einen Entschädigungsanspruch ein, wobei die Geldentschädigung bei immateriellen Schäden zumindest in bestimmten Grenzen vorgesehen sein muss.755 Es geht um einen Entschädigungs- und Ausgleichsanspruch, nicht um Strafe.756 Eine einfach-rechtliche Ausgestaltung, die dem Einzelnen bei drohender oder eingetretener Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts keinen Unterlassungs-, Beseitigungs- und Schadensersatzanspruch zuerkennen würde, wäre mit dem grundrechtlichen Schutzauftrag daher nicht vereinbar.757 Ein über die grundrechtlichen Vorgaben hinausgehender Schutz wäre zwar denkbar, aber auch hier ergeben sich grundrechtliche Vorgaben.758 c) Die Rechtsprechung des BVerfG zu Verletzungen von Leben und Gesundheit Konkretisierende Vorgaben hat die Rechtsprechung des BVerfG ebenso zu Verletzungen von Leben und Gesundheit entwickelt, was insbesondere vor
753 Vgl. BVerfG NJW 2006, 595 f.; 2006, 2836, 2837 (es geht um die „Durchsetzung dieses Rechts“); NJW-RR 2017, 879, 880. 754 Vgl. BVerfGE 99, 185, 194 ff.; 73, 118, 201 (zur presserechtlichen Gegendarstellung: „Insbesondere muß […] die rechtlich gesicherte Möglichkeit eingeräumt werden, dieser mit seiner Darstellung entgegenzutreten“); 97, 125, 146 („Dazu gehört, daß der von einer Darstellung in den Medien Betroffene die rechtlich gesicherte Möglichkeit hat, ihr mit seiner eigenen Darstellung entgegenzutreten“); ebenso BVerfG NJW 1999, 483, 484; dazu auch bereits, wenngleich noch zurückhaltender, BVerfGE 63, 131, 142; vgl. auch Dreier/Dreier, Art. 2 Abs. 1 Rn. 94; Maunz/Dürig/Di Fabio, Art. 2 Abs. 1 Rn. 135 Fn. 2; s. ferner BVerfG NJW 2006, 2836, 2837 (zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht: „Zivilrechtliche Grundlage der Durchsetzung dieses Rechts sind § 823 Abs. 1 und § 1004 BGB“); s. schließlich auch Schramm, Haftung für Tötung, S. 328 f. (zum Vorrang von Abwehr- und Unterlassungsansprüchen gegenüber den Entschädigungsansprüchen, wobei auch Letztere zwingend geboten sind). 755 S. zuvor sowie BVerfG NJW-RR 2017, 879, 880; Schramm, Haftung für Tötung, S. 325 ff., 329 f.; Nipperdey, Grundrechte und Privatrecht, S. 15. 756 Es geht um eine „Geldentschädigung“, die dem Ausgleich einer schweren Persönlichkeitsrechtsverletzung bzw. dem „Ausgleich des immateriellen Schadens bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen“ dienen soll, s. nur BVerfG NJW 2004, 2371, 2372; NJW-RR 2017, 879, 880. Dazu, dass diese Entschädigung grundsätzlich keinen Strafcharakter trägt, BVerfGE 34, 269, 293; s. insoweit auch Jansen, Haftungsrecht, 37 f.; s. ferner dazu unten noch S. 490 ff., 515 ff. 757 Vgl. die Nachweise zuvor; zu Unterlassungsansprüchen s. insoweit BVerfGE 99, 185, 194 ff.; 114, 339, 346 ff. 758 S. dazu etwa Schramm, Haftung für Tötung, S. 328.
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7. Kapitel: Die Entwicklung der Konstituenten in der Gegenwart
dem Hintergrund des „hohen verfassungsrechtlichen Rangs“759 dieser Güter erklärlich wird. So hat das BVerfG etwa bei Verletzungen der körperlichen Integrität die Zuerkennung vertraglicher oder deliktischer Schadensersatzansprüche als notwendig angesehen.760 Ob die Zubilligung von Schmerzensgeld bei der Verletzung von Körper und Gesundheit generell verfassungsrechtlich notwendig ist, ist dagegen umstritten – im Gegensatz zu Verletzungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, bei denen Ausgleichsansprüche für immaterielle Schäden regelmäßig „das wirksamste und oft einzige Mittel“ sind und daher notwendig vorgesehen sein müssen.761 d) Eigentum Nun stellt sich die Frage, inwieweit diese Vorgaben auch für andere grundrechtlich geschützte Güter gelten. Insoweit ist vor allem an das Eigentum des Art. 14 Abs. 1 GG zu denken.762 Die Vorgaben hierzu sind zurückhaltender und allgemeiner formuliert.763 Zu berücksichtigen ist insbesondere die Sozialdienlichkeit des Eigentums.764 Von der Bestandsgarantie des Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG umfasst ist jedenfalls „die Erhaltung des Zuordnungsverhältnisses“ – das Eigentum ist „durch die Zuordnung eines Rechtsguts an einen Rechtsträger gekennzeichnet“ – und „die Gewährleistung der Substanz des Rechts“.765 Welche Vorgaben hieraus für die Ausgestaltung von negatorischem und kompensatorischem Rechtsschutz resultieren, war indes noch nicht Gegenstand der Rechtsprechung. Zumindest bei den Eigentumsrechten, die einen
759 S. BVerfGE 88, 203, 263 (zum ungeborenen Leben); 49, 24, 53 (Leben als „Höchstwert“); s. ferner auch zur besonderen Bedeutung von Leben und Gesundheit Schramm, Haftung für Tötung, S. 306; Schubert, Die Wiedergutmachung, S. 820 f. 760 BVerfGE 88, 203, 295 (zum Schwangerschaftsabbruch: „Eine zivilrechtliche Sanktion für die Schlechterfüllung des Vertrages und für eine deliktische Beeinträchtigung der körperlichen Integrität der Frau ist grundsätzlich erforderlich; dies betrifft nicht nur eine Verpflichtung zur Rückzahlung der vergeblich geleisteten Vergütung, sondern auch den Ersatz von Schäden einschließlich – im Rahmen der §§ 823, 847 BGB – einer billigen Entschädigung der Frau für die immateriellen Belastungen […]“); s.a. BVerfG NJW 1998, 523, 524. 761 S. (ablehnend) BVerfGE 34, 118, 135 f.; für Notwendigkeit aber BVerfGE 88, 203, 295 f. 762 Zur Reichweite derjenigen Rechtpositionen, die „im Bereich des Privatrechts“ vom Schutz des Art. 14 GG erfasst sind, s. etwa BVerfGE 31, 275, 284 f., 289 f.; 83, 201, 208 f.; 112, 93, 107; BVerfG NJW 1992, 36, 37. 763 Vgl. etwa BVerfGE 42, 263, 291 ff., 294 ff. zur Möglichkeit der Ablösung privatrechtlicher (Schadensersatz-)Ansprüche durch öffentlich-rechtliche Forderungen. 764 S. nur BVerfGE 42, 263, 294; ferner BVerfGE 100, 226, 240 f.; s. insoweit auch im Hinblick auf das Eigentum Auer, Der privatrechtliche Diskurs, S. 130 ff. („Einbruch des öffentlichen Rechts und Sozialbindung“). 765 BVerfGE 42, 263, 294 f.
V. Rechtsgüterschutz und Haftungsrecht
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starken „personalen“ Bezug haben766, erscheinen weitergehende Vorgaben angezeigt. e) Privatautonomie und Justizgewähranspruch Die zuvor erwähnten Konkretisierungspunkte werden vor allem aus der Schutzpflichtendimension der betroffenen Grundrechte abgeleitet. Ferner werden im vorliegenden Bereich auch weitergehende verfassungsrechtliche Vorgaben aus den Konstituenten Wille, Person, Freiheit und subjektives Recht relevant. So sollen das Haftungsrecht und der Rechtsgüterschutz auch den Anforderungen der Privatautonomie unterliegen.767 Auf die Relevanz der Willensfreiheit wurde zuvor bereits hingewiesen.768 In der Literatur wird zudem auf den Justizgewähranspruch verwiesen.769 Diese Vorgaben betreffen dabei zwei Fragen: zum einen, welche Qualität ein Handeln haben muss, damit es haftungsbegründend ist770; zum anderen die oben bereits adressierte Frage, ob die Disposition, Geltendmachung und Durchsetzung von Haftungsansprüchen nicht durch hoheitliches Tätigwerden derogiert werden könnten.771
3. Orientierungslinien normativer Ausgestaltung a) Überblick Aufbauend auf den vorangegangenen Erörterungen wird man hinsichtlich der Vorgaben zunächst zwischen Haftungsgrund und Rechtsfolge der Haftung differenzieren können. Haftungsgrund betrifft einerseits die Frage nach der Rechtsverletzung, andererseits die Frage nach der Qualität des haftungsbegründenden Handelns.772 Die Frage nach den Rechtsfolgen betrifft – präventiv – die Abwehr (negatorischer Rechtsschutz) sowie – nach eingetretener Rechtsverletzung – die Beseitigung der Rechtsbeeinträchtigung und den Ausgleich eingetretener Schäden.773 Ausgehend von diesen Überlegungen lassen sich 766 Vgl. zu dieser Differenzierung BVerfGE 112, 93, 109; ferner BVerfGE 95, 64, 84; 102, 1, 17; BVerfG NVwZ 2012, 429, 430 („Soweit das Eigentum die persönliche Freiheit des Einzelnen im vermögensrechtlichen Bereich sichert, genießt es einen besonders ausgeprägten Schutz“). 767 Schur, in: Lampe/Pauen/Roth (Hrsg.), Willensfreiheit und rechtliche Ordnung, S. 226, 228, 236 ff.; Isensee/Kirchhof/Isensee, Handbuch des Staatsrechts, § 191 Rn. 187. 768 S. dazu oben S. 382 ff. 769 Vgl. Isensee/Kirchhof/Isensee, Handbuch des Staatsrechts, § 191 Rn. 187. 770 S. dazu oben S. 465 ff., 469 ff.; zu dieser Frage auch im Hinblick auf das Abwehrrecht des Haftungspflichtigen Wilhelmi, Risikoschutz, S. 31, 32. 771 S. dazu oben bereits S. 475. 772 S. zu diesen Diskussionen oben S. 465 ff., 469 ff. 773 S. dazu oben S. 401 f.
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7. Kapitel: Die Entwicklung der Konstituenten in der Gegenwart
auch die oben gestellten Fragen beantworten, wie aus dieser Perspektive mit einem pflichtenorientierten Haftungsansatz umzugehen ist, ob die Rechtsfolgen „Sanktionen“ umfassen dürfen, die nicht schadensausgleichs-, sondern straforientiert sind und auf Verhaltenssteuerung zielen sowie schließlich ob die Abwehr und Beseitigung von Rechtsverletzungen rein hoheitlich erfolgen darf.774 b) Der Haftungsgrund und die Bedeutung der Form subjektiver Privatrechte aa) Die Bedeutung der subjektiven Privatrechte (1) Folgerungen aus der Form subjektiver Privatrechte Folgt man der hier vertretenen Ansicht, dass die Form subjektiver Privatrechte dem Zivilrecht vorgegeben ist775, dann folgt hieraus auch Einiges für den Bereich des Haftungsrechts. Wie sich zeigen wird, folgt hieraus zwar nicht, dass für die Haftung ein Pflichtenmodell, das nicht an absolute subjektive Privatrechte als Haftungsgrund anknüpft, unzulässig wäre.776 Gleichwohl folgen hieraus Vorgaben dafür, wann die Haftung eintritt und welche Formen der Haftung notwendig sind.777 Die Kategorie subjektiver (Privat-)Rechte bildet den Ausgangspunkt sowie die Ausgestaltungsdirektive eines verfassungsrechtlich präformierten Haftungsrechts. Im Ausgangspunkt ist klar, dass die Grundrechte selbst nicht „Streitgegenstand“ zivilrechtlicher Rechtsstreitigkeiten sind.778 Geht man mit der hier vertretenen Auffassung aber davon aus, dass zumindest für den Bereich der pri774
S. zu diesen Fragen oben S. 465 ff. S. dazu oben S. 414. 776 S. dazu unten S. 487 ff. 777 Vgl. auch zu diesem Gedanken der subjektiven Rechte als „Gründe“ der Haftung Jansen, Haftungsrecht, S. 479, 481, 496 f. (wenngleich nicht verfassungsrechtlich). 778 S. etwa BVerfG NJW 1979, 1925, 1927 („[…] zivilrechtliche „Erkenntnisverfahren” zu übertragen, die – auch im Bereich des Rechts der unerlaubten Handlungen – allein auf die Feststellung privatrechtlicher Rechtswidrigkeit und deren Rechtsfolgen gerichtet sind, nicht aber unmittelbar einem Grundrecht selbst zur Durchsetzung verhelfen sollen, mag auch der Streitgegenstand, der haftungsrechtliche Anspruch auf Ausgleich eines erlittenen Schadens, im Zusammenhang mit dem Schutzgehalt eines Grundrechts stehen“); ferner Canaris, AcP 184 (1984), 201, 231 dazu, dass zwischen den Grundrechten und den subjektiven Privatrechten zu unterscheiden ist, da andernfalls eine „unmittelbare Drittwirkung“ vorliegen würde; vgl. auch Nipperdey, Grundrechte und Privatrecht, S. 13 („In dieser ihrer Eigenschaft als Grundrechte im Sinne von subjektiven öffentlichen Rechten sind sie nicht für den Privatrechtsverkehr bestimmt“); s. ferner auch MünchKomm BGB/Wagner, § 823 Rn. 484 f. (zur Frage, ob die Grundrechte Schutzgesetze im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB sind; zwar „Schutzgüter des Grundrechtskatalogs […] mit der Auszählung des § 823 Abs. 1 mehr oder weniger identisch“; aber „Geltungsdimension der Grundrechte im Verhältnis des Bürgers zum Staat“). 775
V. Rechtsgüterschutz und Haftungsrecht
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vatrechtsrelevanten Grundrechte auch bestimmte subjektive Privatrechte infolge einer Institutsgarantie notwendig vorgegeben sind, dann folgt daraus, dass diese auch rechtlich ausgestaltet sein müssen.779 Es würde insofern zu kurz greifen, die haftungsrechtliche Debatte auf die Schutzpflichtendimension der Grundrechte zu reduzieren780, ohne zu sehen, dass hier auch die subjektiven Privatrechte als solche eine Rolle spielen. Wenn die subjektiven Privatrechte auf Leben, Körper, Gesundheit etc. als solche verfassungsrechtlich gewährleistet sind, dann muss das Recht auch rechtliche Regelungen ihrer Ausgestaltung vorsehen – zumindest das Vorsehen der Form des subjektiven Privatrechts ist dann notwendiger Gegenstand der Ausgestaltung.781 Es geht also nicht nur um den Schutz bestimmter Rechts- bzw. Schutzgüter782, sondern auch um die rechtliche Ausgestaltung in der Form subjektiver Privatrechte, die der Gesetzgeber notwendig vorsehen muss.783 Diese Ausgestaltungsbedürftigkeit betrifft zum einen die Möglichkeit ihrer Realisierung784 – dies wird im Hinblick auf die gerichtliche Durchsetzung durch den Justizgewähranspruch abgedeckt785; zum anderen aber auch die Möglichkeit der Abwehr und des Ausgleichs von Rechtsverletzungen.786 779 S. dazu oben S. 414 f. Insofern würde es zu kurz greifen, nur etwa das „normgeprägte“ Eigentumsrecht für ausgestaltungsbedürftig zu halten. Geht man davon aus, dass auch Leben, Gesundheit, Freiheit etc. in der Form des subjektiven Privatrechts geschützt sein müssen, dann gilt auch für diese eine Ausgestaltungspflicht, nämlich eine Pflicht zur Ausgestaltung als subjektive Privatrechte (vgl. aber auch oben S. 349 ff. zur Diskussion um die Reichweite der Ausgestaltungsbedürftigkeit). 780 So aber die bisherige Diskussion, s. nur Canaris, Grundrechte und Privatrecht, S. 82; Schramm, Haftung für Tötung, S. 304 ff.; Larenz/Canaris, Schuldrecht II/2, § 75 I 1 Fn. 1; Schubert, Die Wiedergutmachung, S. 818 ff.; Wilhelmi, Risikoschutz, S. 30 f.; ferner auch BVerfGE 49, 304, 319. 781 S. zur Ausgestaltung oben bereits S. 349 ff., 414 f. 782 Vgl. aber BVerfGE 56, 54, 73; Schubert, Die Wiedergutmachung, S. 818 („Der Staat ist nicht nur zu ihrer Anerkennung verpflichtet, sondern auch zum Schutz der verbürgten Rechtsgüter gegenüber Angriffen Privater. Nach der Rechtsprechung des BVerfG gehört es zu den zentralen Aufgaben des Staates, Leben, Gesundheit, Freiheit, Eigentum und andere Rechtsgüter der Bürger sowie verfassungsrechtlich anerkannte Institutionen zu schützen“; Fn. weggelassen). 783 Die Alternative ist klar: Würde man den gegenteiligen Standpunkt einnehmen, würde man sagen, dass der einfache Gesetzgeber eine Privatrechtsordnung vorsehen kann, in der die Person keine subjektiven Privatrechte an Leben, Gesundheit, Freiheit etc. hat. In gewisser Weise reflektiert diese Frage die auf einfachrechtlicher Ebene geführte Auseinandersetzung, ob das Haftungsrecht an die Beeinträchtigung von Schutzgütern im Sinne des „realen Substrats“ oder an Rechtsverletzungen anknüpft, dazu Picker, Privatrechtssystem, S. 53, 69 f. 784 Zur Realisierung subjektiver Rechte s. oben S. 401. Picker (Privatrechtssystem, S. 51, 54, 57) versteht demgegenüber unter Realisierung („Rechtsverwirklichung“) vor allem den negatorischen Rechtsschutz. 785 S. dazu unten näher S. 537 ff. 786 Picker, Privatrechtssystem, S. 49 f., 54, 56; vgl. auch Nipperdey, Grundrechte und Privatrecht, S. 15 („Soweit aus dem Grundrecht ein subjektives Privatrecht abzuleiten ist, ge-
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Dabei wurde oben bereits deutlich, dass (absolute)787 subjektive Privatrechte vor allem drei Wirkungen788 haben: Realisierung der durch sie vermittelten Rechtsmacht789, Abwehr und Beseitigung von drohenden oder eingetretenen Rechtsverletzungen sowie schließlich Ausgleichs- und Ersatzansprüche bei eingetretener Rechtsverletzung.790 Diese Dimensionen ergeben sich dabei aus der Form subjektiver Rechte.791 Die Form und der Schutz subjektiver Rechte erfordern, dass der Rechtsinhaber Rechte zur Abwehr drohender oder eingetretener Rechtsverletzungen hat.792 787 nießt es als „sonstiges Recht“ den Schutz des § 823 Abs. 1 BGB. Bei objektiver rechtswidriger Verletzung und drohenden weiteren Eingriffen sowie bei erstmalig ernsthaft drohendem Eingriff ist die Beseitigungsklage oder die Unterlassungsklage gegeben. Schuldhafte Verletzung verpflichtet zum Schadensersatz. In gewissen Fällen, so bei Verletzung der Persönlichkeitsrechte, ist in verfassungskonformer Anwendung entgegen der engen Fassung des § 847 BGB auch der immaterielle Schaden zu ersetzen“); ansatzweise auch zu diesem Gedanken der subjektiven Rechte bzw. der „individuellen Zuweisung von Rechtsgütern“ als „Gründen“ der Haftung Jansen, Haftungsrecht, S. 479, 481, 496 f. (aber nicht verfassungsrechtlich). 787 S. aber Picker, Privatrechtssystem, S. 50, 56, der diese „Schutzrechte“ gleichermaßen auch bei relativen Rechten als gegeben ansieht – freilich angepasst daran, dass relative Rechte immer nur auf bestimmte Personen bezogen sind. 788 S. dazu oben S. 401 f. sowie Picker, Privatrechtssystem, S. 49, der insoweit zwischen „Rechtszuweisung“ bzw. „Substanzrecht“ und „Schutzrechten“ differenziert, ferner S. 50 f., 57 f. zur Notwendigkeit der Schutzrechte als Folge der Rechtszuweisung („Präjudizialität des Substanzrechts für die Schutzrechte“); ähnlich Hoffmann, Zession und Rechtszuweisung, S. 36, 37 f., 56; s. ferner Jansen, Haftungsrecht, S. 479, 481, 496, der insoweit von den absoluten subjektiven Rechten als „Gründen“ für Schadensersatzansprüche etc. spricht. 789 S. dazu oben S. 401. 790 S. dazu auch oben S. 401 f. sowie Picker, Privatrechtssystem, S. 49, 54, 56 f. – Picker nennt als weiteres Schutzrecht die Abschöpfungsrechte, worunter konkret die Bereicherungsansprüche fallen, s. dazu unten noch S. 493 f. Vgl. ferner auch BVerfG NJW 2006, 1580, 1581; NVwZ 2017, 317, 318 zur Frage, wie zwingend dieser Zusammenhang zwischen Rechtsverletzung und Entschädigungsanspruch bei immateriellen Schäden ist (NVwZ 2017, 317, 318: „Das BVerfG hat bereits entschieden, dass der Schutzauftrag des allgemeinen Persönlichkeitsrechts durch den Anspruch auf Ausgleich des immateriellen Schadens verwirklicht wird […]. Dies gilt nicht weniger, wenn auch das Grundrecht auf Freiheit der Person betroffen ist […]. Zwar muss der hiernach gebotene Ausgleich […] nicht zwingend in der Zubilligung eines Zahlungsanspruchs bestehen […]. Daher begegnet es grundsätzlich keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, dass eine Geldentschädigung wegen der Verletzung immaterieller Persönlichkeitsbestandteile nach der zivilgerichtlichen Rechtsprechung […] nur unter der Voraussetzung einer hinreichenden Schwere und des Fehlens einer anderweitigen Genugtuungsmöglichkeit beansprucht werden kann […]“). 791 Vgl. Picker, Privatrechtssystem, S. 49, 56, ferner 179; Hoffmann, Zession und Rechtszuweisung, S. 36, 37 f.; Rödl, Gerechtigkeit, S. 222 ff.; s. dazu oben bereits S. 399 ff., 401 ff.; s. aber auch Jansen, Haftungsrecht, S. 94 f., 479, 496 f., der zwischen diesen beiden unterscheidet. 792 S. Picker, Privatrechtssystem, S. 50 f. („Ohne kongruentes Substanzrecht sind keine Schutzrechte anzuerkennen. Mit ihm aber ist ihre Anerkennung grundsätzlich zwingend.“), 56 f.; vgl. zu diesem notwendigen Zusammenhang von subjektivem Recht und Abwehr von Rechtsverletzungen Hoffmann, Zession und Rechtszuweisung, S. 36, 37 f. (notwendiger Zusammenhang von „Zuweisungsposition“ und „Rechtsschutz“ bzw. „Zuweisung“ und „Ausschluss“); Rödl, Gerechtigkeit, S. 222 ff.
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Es gehört notwendig zu den Wirkungen subjektiver Rechte, dass der Rechtsinhaber Rechtsverletzungen in der Form des Rechts abwehren kann.793 Ob und wann Abwehr- oder Ausgleichsansprüche zu gewähren sind, richtet sich grundsätzlich danach, ob ein Recht verletzt ist,794 nicht danach, ob Pflichten verletzt worden sind. Die Rechtsverletzung bildet die Ausgestaltungsdirektive bzw. den Bezugspunkt795 zum einen für das Eingreifen von Haftung, zum anderen aber auch für den Inhalt der Haftung.796 Die Annahme subjektiver Privatrechte bestimmt zugleich auch darüber, welche Arten von Haftungsansprüchen gewährleistet sein müssen: nämlich negatorischer Rechtsschutz und Schadensersatzpflicht, dagegen nicht Sanktion oder Strafe.797 (2) Die Insuffizienz des Schutzpflichtenansatzes Daher greift es zu kurz, entsprechend dem Schutzpflichtenmodell nur generell auf das Erfordernis eines angemessenen Schutzniveaus zu rekurrieren.798 Dies kann vieles umfassen: von einer rein hoheitlichen Ausgestaltung bis hin zu rein sanktions- oder straforientierten privatrechtlichen Ansprüchen; auch diese können ein hinreichendes Schutzniveau ermöglichen.799 Hieraus ergibt sich 793 Vgl. bereits G.K. Neuner, Wesen und Arten der Privatrechtsverhältnisse, § 18, S. 148 ff.; § 19, S. 162 ff.; ferner Picker, Privatrechtssystem, S. 51, 56 ff. 794 Vgl. zur Bedeutung der „Rechtsverletzung“ Hoffmann, Zession und Rechtszuweisung, S. 37 ff.; s. aber zur Bedeutung der Verkehrspflichten für den subjektivrechtlichen Ansatz Picker, Privatrechtssystem, S. 95 (Zweck der Verhaltenspflicht darin, „das jeweils zu schützende Recht durch eine vorgelagerte Verteidigungszone zu sichern“), 336 ff. mit Verweis auf Stoll, AcP 162 (1963), 203, 229 („periphere Verteidigungszone“); ferner Rödl, Gerechtigkeit, S. 224. 795 Dazu, dass die subjektiven Rechte bzw. Rechtsgüter auch beim Pflichtenansatz den Bezugspunkt der Pflichten bilden, s. Wilhelmi, Risikoschutz, S. 132 („Erfolgsbezogenheit der Verhaltenspflicht“). 796 Vgl. insoweit Jansen, Haftungsrecht, S. 496, ferner S. 479, 481, wonach die subjektiven Rechte bzw. die „individuelle Zuweisung von Rechtsgütern“„Gründe“ der Haftung sind; ferner Rödl, Gerechtigkeit, S. 135 f. 797 Vgl. Picker, Privatrechtssystem, S. 54, 55, 57. Nun stellt sich die Frage, was Bezugspunkt der Rechtsverletzung ist. Ist dies die Rechtsverletzung der Grundrechte oder die Verletzung der in Ausgestaltung sowie aufgrund der Schutzpflicht geschaffenen Privatrechte? Bei den Grundrechten wäre insoweit auf die praktische Konkordanz abzustellen (vgl. auch Wilhelmi, Risikoschutz, S. 31 f.). 798 In diese Richtung aber etwa Schramm, Haftung für Tötung, S. 293 ff., 303; Schubert, Die Wiedergutmachung, S. 818 ff.; ferner auch Canaris, Grundrechte und Privatrecht, S. 82 f. 799 S. dazu oben S. 475 sowie Schramm, Haftung für Tötung, S. 293, 303 („Die Schaffung eines zivilrechtlichen Schadensersatzanspruchs […] ist für den Gesetzgeber nur dann grundrechtlich zwingend, wenn das erforderliche Schutzminimum in der Gesamtrechtsordnung nicht gewährleistet ist und außerhalb des Zivilrechts nicht gewährleistet werden kann“), ferner S. 310 f.; Maunz/Dürig/Papier/Shirvani, Art. 14 Rn. 134 (zum Eigentum: Der Gesetzgeber „hat bei der Wahrnehmung der Schutzpflicht einen weiten Gestaltungsspielraum und kann diese zB durch Erlass strafrechtlicher Bestimmungen zum Schutz des Eigenums oder durch Einräumung privat- sowie öffentlich-rechtlicher Abwehransprüche gegen Einwirkun-
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7. Kapitel: Die Entwicklung der Konstituenten in der Gegenwart
nicht, wieso ausgerechnet negatorische sowie Schadensersatzhaftung vorgesehen sein müssen.800 Dass aber sowohl eine privatrechtliche Ausgestaltung801 als auch negatorische wie Schadensersatzhaftung verfassungsrechtlich geboten sind, entspricht der herrschenden Auffassung.802 Die verfassungsrechtlichen Anforderungen ergeben sich aus der Notwendigkeit der Form subjektiver Privatrechte. Sie erfordern wie gezeigt konkret negatorische Haftungs- und ausgleichsbezogene Schadensersatzansprüche gegen drohende oder eingetretene Rechtsverletzungen803 sowie die Disposition des Rechtsinhabers über die Geltendmachung seiner Rechte und Rechtsschutzansprüche.804 Aus dem Zusammenspiel der Form subjektiver Rechte, dem Justizgewähranspruch und der Privatautonomie ergibt sich, dass die Entscheidung über das Ob und Wie der Wahrnehmung subjektiver Rechte in die Verfügung des betroffenen Rechtsinhabers gestellt sein muss.805 Daneben tretende öffentlich-rechtliche Maßnahgen800Dritter erfüllen“); a.A. aber v. Mangoldt/Klein/Starck/Depenheuer/Froese, Art. 14 Rn. 98 (Notwendigkeit der privatrechtlichen Ausgestaltung); s. ferner auch Schubert, Die Wiedergutmachung, S. 816 ff., 819 ff. zur Diskussion, ob Privatstrafen bzw. Schadensersatzansprüche „mit selbständiger Präventivfunktion“ vorgesehen sein müssen (im Ergebnis keine verfassungsrechtliche Pflicht annehmend, aaO, S. 833). 800 Dass aber etwa die Schadensersatzhaftung in gewissem Umfang verfassungsrechtlich notwendig ist, s. sogleich sowie etwa MünchKomm BGB/Wagner, Vorbemerkung (Vor § 823) Rn. 75. 801 S. nur Dreier/Wieland, Art. 14 Rn. 195 („Eigentum muß im Zivil- wie im Strafrecht geschützt werden“); v. Mangoldt/Klein/Starck/Depenheuer/Froese, Art. 14 Rn. 98; Epping/ Hillgruber/Axer, Art. 14 Rn. 22. 802 S. etwa MünchKomm BGB/Wagner, Vorbem. § 823 Rn. 75 („Die Vorstellungen, die §§ 823 ff. würden ersatzlos gestrichen oder das Rechtsgut Leben oder das Eigentumsrecht aus dem Text des § 823 Abs. 1 getilgt, zeigen schon zur Genüge, dass der Spielraum des Deliktsrechtsgesetzgebers im grundrechtsrelevanten Bereich nicht grenzenlos ist“; Fn. weggelassen); § 823 Rn. 486; Canaris, Grundrechte und Privatrecht, S. 83 („Verletzung des Untermaßverbots“ bei ersatzloser Abschaffung des negatorischen Rechtsschutzes); Nipperdey, Grundrechte und Privatrecht, S. 12, 15; s. ferner – zwar nicht generell, aber für besonders wichtige Rechtsgüter wie das Leben, Gesundheit und das allgemeine Persönlichkeitsrecht Notwendigkeit von Schadensersatzansprüchen, ferner Notwendigkeit von Abwehr- und Unterlassungsansprüchen – Schramm, Haftung für Tötung, S. 303 f., 311 f., 315, 325 f., 329 f.; ferner Bruns, Haftungsbeschränkung und Mindesthaftung, S. 170. Zur negatorischen und Schadensersatzhaftung s. unten noch S. 489 ff. 803 S. dazu oben S. 477 ff. 804 Zur Notwendigkeit der Disposition im Hinblick auf das Rechtsgut Leben etwa Schramm, Haftung für Tötung, S. 311 f. (allerdings eher aus der Schutzpflichtendimension – Wirksamkeit der Abwehr – argumentierend); ferner auch Stürner, in: Grunsky (u.a.) (Hrsg.), FS Baur, S. 647, 651; Isensee/Kirchhof/Isensee, Handbuch des Staatsrechts, § 191 Rn. 187; zur Notwendigkeit der Möglichkeit der Disposition s. oben bereits S. 399 f., 475. 805 Vgl. insoweit zur Notwendigkeit der materiellen und prozessualen Disposition Stürner, in: Grunsky (u.a.) (Hrsg.), FS Baur, S. 647, 651; Isensee/Kirchhof/Isensee, Handbuch des Staatsrechts, § 191 Rn. 187. Nach der Rechtsprechung des BVerfG (BVerfGE 61, 78, 113; dazu auch Maunz/Dürig/Papier/Shirvani, Art. 14 Rn. 447) ist schließlich der Wesensgehalt eines Grundrechts betroffen, wenn „jeglicher Störungsabwehranspruch, den die Rechtsordnung zum Schutze eines Grundrechts einräumt, materiell beseitigt oder wenn verfahrensrecht-
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men dürfen die Dispositionsfreiheit des Rechtsinhabers nicht verdrängen und bedürfen gleichzeitig einer besonderen Rechtfertigung.806 Nur bei der Zugrundelegung der Form subjektiver Privatrechte ergeben sich konkrete Vorgaben für Voraussetzungen und Inhalt des gebotenen Rechtsschutzes sowie die Notwendigkeit von negatorischer und Schadensersatzhaftung.807 Daraus ergibt sich auch die Kategorie der Rechtsverletzung. Aus den subjektiven Privatrechten folgt grundsätzlich, dass die Rechtsordnung dem Rechtssubjekt rechtliche Mittel bereitstellt, durch die Rechtsverletzungen, d.h. die Verletzungen subjektiver Rechte abgewehrt oder beseitigt werden können sowie bei eingetretener Rechtsverletzung Ersatz verlangt werden kann.808 Wann eine Rechtsverletzung vorliegt, ergibt sich dabei aus dem zugewiesenen Rechtsinhalt. Dessen Verletzung, d.h. konkret die Verletzung der rechtlichen Zuordnung der zugewiesenen Güter begründet die Rechtsverletzung und die Notwendigkeit des Rechtsschutzes.809 bb) Das Verhältnis zum Pflichtenmodell (1) Die Möglichkeit des Pflichtenmodells Daraus folgt aber nicht, dass das einfache Recht bei der Begründung von negatorischem Rechtsschutz und Schadensersatzpflichten unmittelbar an die subjektiven Privatrechte und deren Verletzung anknüpfen muss810 und ein pflichtenorientiertes Haftungsmodell verfassungswidrig wäre. Es ist zwar in seiner Zielrichtung dahingehend verfassungsrechtlich präformiert, dass dann, wenn aus verfassungsrechtlicher Perspektive eine Rechtsverletzung vorliegt, auch grundsätzlich entsprechende Abwehr- und Ausgleichsansprüche gewährleistet sein sollen.811 Aus den verfassungsrechtlichen Vorgaben und der lich806verwehrt wird, ihn wirkungsvoll geltend zu machen, mag er oder das Grundrecht, zu dessen Schutz er gewährt ist, auch – unbewehrt in bezug auf ein bestimmtes Vorhaben – materiellrechtlich bestehen bleiben“. 806 Vgl. Isensee/Kirchhof/Isensee, Handbuch des Staatsrechts, § 191 Rn. 187 („Dem Einzelnen ist es anheimgegeben, ob er seine Ansprüche geltend macht oder nicht. Insofern unterliegt auch die Rechtsverwirklichung zunächst der Privatautonomie. Es müssen besondere Gründe des Gemeinwohls hinzutreten, daß sich die Unversehrtheit der Rechtsgüter des Individuums als Thema der öffentlichen Sicherheit darstellt“); s. ferner Stürner, in: Grunsky (u.a.) (Hrsg.), FS Baur, S. 647, 650 ff. 807 S. dazu oben bereits S. 401 f., 465 ff. sowie vgl., insoweit abgrenzend vom verhaltensunrechtsbezogenen Ansatz, Picker, Privatrechtssystem, S. 51 f., 53 f., 56 f., 60 f., 442 f. 808 S. zur Bedeutung der Rechtsverletzung insoweit auch Picker, Privatrechtssystem, S. 49, 51 f., 56 f.; ferner Hoffmann, Zession und Rechtszuweisung, S. 37 ff. 809 Picker, Privatrechtssystem, S. 51 f., 53 f., 57; Hoffmann, Zession und Rechtszuweisung, S. 38 f. 810 In diese Richtung aber aus systemtheoretischen und privatrechtsdogmatischen Argumenten Picker, Privatrechtssystem, S. 50 f., 56 f. 811 S. zu den Einschränkungen dieser allgemeinen Ausgestaltungsdirektive zuvor S. 477 ff.
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Form subjektiver Privatrechte folgt die Ausgestaltungsdirektive812, dass bei der Verletzung zumindest bestimmter subjektiver Privatrechte Abwehr- und Ausgleichsansprüche folgen. Diese Haftungsziele, -inhalte und -formen (negatorischer Rechtsschutz – Schadensersatzhaftung) sind durch die Form subjektiver Privatrechte vorgegeben.813 Allerdings folgt daraus nicht, dass auf Ebene des einfachen Rechts bzw. der Privatrechtsdogmatik notwendig ein subjektiv-rechtliches Haftungsmodell vorgesehen sein muss. Es kann auch ein pflichtenbezogener Ansatz vorgesehen sein, der aber die grundrechtlichen subjektiv-rechtlichen Vorgaben reflektieren muss. D.h. es ergibt sich die Notwendigkeit negatorischen Rechtsschutzes und von Schadensersatzhaftung – wie diese ausgestaltet sind, ob subjektivrechtlich oder im Sinne des Pflichtenmodells, ist dagegen grundsätzlich dem Ausgestaltungsspielraum des einfachen Gesetzgebers überlassen. (2) Die Erforderlichkeit der Konkretisierung der Pflichten Eine Schwierigkeit des pflichtenorientierten Modells zeigt sich allerdings darin, dass ein Anknüpfen an die Pflichtverletzung zu einer Abkopplung von den subjektiven Rechten sowohl im Haftungsgrund als auch in der Haftungsfolge führen kann.814 Rechtsprechung und Zivilrechtsdogmatik haben hierfür zwar die Figur der Verkehrspflichten entwickelt.815 Ferner sprechen sich Vertreter des pflichtenorientierten Ansatzes für eine Rückkopplung der Verhaltenspflichten an die subjektiven Rechte bzw. die Rechtsgüter aus; danach besteht die Bedeutung der subjektiven Rechte bzw. Rechtsgüter darin, die rele-
812 Vgl. ansatzweise, freilich nicht verfassungsrechtlich argumentierend, sondern zivilrechtsdogmatisch bzw. wertungsmäßig Jansen, Haftungsrecht, S. 479, 481, 496 f., 521, der insoweit von der subjektiv-rechtlichen Zuweisung von Rechtsgütern als „Grund“ bzw. „normativer Grundlage“ für Haftungsansprüche etc. spricht – d.h. nicht im Sinne einer strikten Notwendigkeit (s.a. aaO, S. 94 f.), sondern im Sinne eines wertungsmäßigen graduellen Zusammenhangs. 813 S. zur Abhängigkeit der „Schutzrechte“ von der Rechtszuweisung Picker, Privatrechtssystem, S. 51 f., 56 f. (S. 57: „Die Schutzgewährung muss in einer solchen Ordnung auch nach Inhalt und Umfang unmittelbar von der Rechtsgewährung abhängig sein“) – Picker sieht ferner die Bereicherungshaftung als notwendiges Schutzrecht an (s. aaO, S. 50, 54). S. dazu noch unten S. 493 f. 814 S. dazu zuvor S. 465 ff. sowie Picker, Privatrechtssystem, S. 67 f., wonach diese pflichtenbezogene Ausrichtung des Haftungsrechts letztlich „wertungsautonom“ ist; ferner S. 95 f. („Schon diese Deutung bezieht die Verkehrspflichten also nicht mehr auf eine zuvor präzisierte Rechtsposition, an deren Inhalt und Umfang die postulierten Verhaltenspflichten von Dritten zu orientieren wären, die sie zugleich aber auch mit formieren“), S. 98 (Verhalten als „autonomer Unrechtsindikator“), 105, 443. 815 S. dazu etwa Brüggemeier, Deliktsrecht, Rn. 102 ff. (Rn. 105: „schutzobjektbezogene Verkehrspflichten“), ferner Rn. 176 ff.; ferner umfassend zur Bedeutung der Verkehrspflichten MünchKomm BGB/Wagner, § 823 Rn. 380 ff.
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vanten Pflichten zu konkretisieren.816 Zwingend ist dies aber keineswegs – das Konzept einer gesetzlich-abstrakten Bestimmung von nicht notwendig individualschützenden Verhaltenspflichten ermöglicht eine weitgehende Abkopplung des Haftungsrechts von den subjektiven Privatrechten.817 Eine pflichtenorientierte Ausgestaltung, die nur an Verhaltenssteuerung sowie den Schutz öffentlicher gesellschaftlicher Interessen anknüpft, dabei aber nicht mehr auf die grundrechtlich geschützten subjektiven Rechte selbst rekurriert, ist freilich problematisch.818 Es kommt entscheidend darauf an, ob ein Bezug zwischen Verkehrs- und Verhaltenspflichten und subjektiven Privatrechten gewährleistet ist.819 Werden hingegen die Verkehrs- und Verhaltenspflichten gänzlich losgelöst von den subjektiven Rechten konstituiert, dann kann dies zur Schutzlosstellung der subjektiven Privatrechte führen. Hätte eine solche Ausgestaltung zur Folge, dass im Ergebnis für Rechtsverletzungen Haftungslücken enstehen, dann kann dies dazu führen, dass eine solche Regelung nicht mehr mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben vereinbar wäre oder im Lichte dieser Vorgaben eine entsprechende Ausgestaltung und Konstruktion von Verhaltenspflichten vorgenommen werden müsste.820 c) Die Abwehr von Rechtsverletzungen und der negatorische Rechtsschutz Dementsprechend ist negatorischer Rechtsschutz zur Abwehr und Beseitigung drohender oder eingetretener Rechtsverletzungen bei den grundrechtlich präformierten Rechten von hohem Verfassungsrang (Leben, Gesundheit,
816 Vgl. etwa Wilhelmi, Risikoschutz, S. 132, der bei Zugrundelegung des pflichtenorientierten Ansatzes die Bedeutung der Rechtsgüter und Rechte aus § 823 Abs. 1 BGB darin sieht, dass die Verhaltenspflichten „auf die Vermeidung der Verletzung eines geschützten Rechtsguts oder Rechts gerichtet“, d.h. „erfolgsbezogen“ sind. 817 S. Picker, Privatrechtssystem, S. 67 f., 72, 95 f., 105, 443; ferner dazu oben bereits S. 465 ff., 472 ff.; vgl. auch Jansen, Theologie, S. 197 f. 818 Vgl. zur Kritik (wenngleich nicht aus grundrechtlichen Erwägungen) Picker, Privatrechtssystem, S. 67 f., 95 f., 105, 443 („Mit dem Konzept des wertungsautonomen „Verhaltensunrechts“ […] wird den Haftungen die gesetzlich vorgegebene Zweckbestimmung entzogen. Das jetzt allein noch haftungsbegründende Fehlverhalten, das als normatives Kriterium eine solche Zweckvorgabe zwingend voraussetzt, wird unter diesem Konzept folglich deutungsoffen. Da aber ziel- und damit im Doppelsinn zwecklose Verhaltensge- und -verbote Willkür wären und deshalb in einer rechtlichen Ordnung nicht vorstellbar sind, werden die Sanktionsinstitute naturläufig anfällig für andere, insbesondere überindividuelle, „öffentliche“ ordnungspolitische Ziele“; Fn. weggelassen). 819 Vgl. insoweit auch Wilhelmi, Risikoschutz, S. 132 zur Rückkopplung der Pflichten an die Rechtsgüter und subjektiven Rechte; ferner zur gebotenen Rückkopplung der Verkehrsund Verhaltenspflichten an die subjektiven Rechte Picker, Privatrechtssystem, S. 95, 96, 442 f. 820 Vgl. zum Einfluss der grundrechtlichen Vorgaben auf die Konstituierung der Verkehrs- und Verhaltenspflichten auch Wilhelmi, Risikoschutz, S. 31.
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Freiheit, allgemeines Persönlichkeitsrecht)821 verfassungsrechtlich vorgegeben.822 Ferner wird man auch für andere subjektive absolute Privatrechte wie das Eigentum einen negatorischen Rechtsschutz zumindest im Grundsatz für notwendig erachten müssen, wenngleich hier eher Einschränkungen vorgesehen sein können.823 In der Literatur wird als normativer Anhaltspunkt einer verfassungsrechtlichen Pflicht zur Bereitstellung präventiven Rechtsschutzes und damit verbundener materiell-rechtlicher Unterlassungsansprüche neben der schutzpflichtenrechtlichen Dimension der betroffenen Grundrechte824 auch der Justizgewähranspruch825 genannt. Ziel ist dabei die Verhinderung irreparabler Zustände oder Nachteile sowie die Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes gegen drohende Rechtsverletzungen.826 Geht man also von der Notwendigkeit subjektiver Privatrechte im Bereich der privatrechtsrelevanten Grundrechte aus, dann ergibt sich zwingend auch die grundsätzliche Ermöglichung von negatorischem Rechtsschutz, d.h. einer Abwehrmöglichkeit von Rechtsverletzungen in der Form des Rechts.827 d) Schadensersatz aa) Überblick Ferner sind in gewissem Umfang auch Ausgleichs- und Schadensersatzansprüche bei eingetretener Rechtsverletzung verfassungsrechtlich vorgegeben.828 821 Zu den weitergehenden Vorgaben bei Grundrechten von besonders hohem Rang auch Schubert, Die Wiedergutmachung, S. 819, 828. 822 S. dazu zuvor S. 485 ff. sowie etwa Canaris, Grundrechte und Privatrecht, S. 83 („Verletzung des Untermaßverbots“ bei ersatzloser Abschaffung des negatorischen Rechtsschutzes); vgl. ferner Schramm, Haftung für Tötung, S. 311 f. (zum Leben: „Es muss daher jedenfalls grundsätzlich ein zivilrechtlicher Abwehr- und Unterlassungsanspruch des von einer Tötung Bedrohten vorgesehen sein, der zwar keinesfalls absoluten Schutz vorsehen kann, aber eine Überprüfung drohender Angriffe auf das Leben und nach Abwägung der gegenläufigen Positionen eine Untersagung der Verletzung ermöglichen muss“), 315, 328 f.; v. Mangoldt/Klein/Starck/Depenheuer/Froese, Art. 14 Rn. 98, auch mit Verweis auf BVerfGE 24, 367 ff. 823 Vgl. v. Mangoldt/Klein/Starck/Depenheuer/Froese, Art. 14 Rn. 98; Epping/Hillgruber/Axer, Art. 14 Rn. 22 („Art. 14 verpflichtet […] zu einem effektiven Verfahren zur Rechtsdurchsetzung und zur Gewährung von Abwehransprüchen gegenüber Dritten“). 824 S. dazu zuvor S. 476 f., 486. 825 So wohl Isensee/Kirchhof/Papier, Handbuch des Staatsrechts, § 176 Rn. 23. 826 Isensee/Kirchhof/Papier, Handbuch des Staatsrechts, § 176 Rn. 23; vgl. Schramm, Haftung für Tötung, S. 311. 827 Im Ergebnis ähnlich Canaris, Grundrechte und Privatrecht, S. 83. 828 S. dazu zuvor S. 485 ff. sowie in diese Richtung auch MünchKomm BGB/Wagner, Vorbem. § 823 Rn. 75; § 823 Rn. 486; wohl auch Wilhelmi, Risikoschutz, S. 30 („Verfassungsrecht und Privatrecht können trotz ihrer ursprünglich getrennten Entwicklung nicht als völlig disparate Rechtsgebiete aufgefasst werden, was sich schon daran zeigt, dass das Pri-
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Wie gezeigt wurde, muss es dort, wo grundrechtlich präformierte Rechte von hohem Verfassungsrang bzw. mit starkem personalen Bezug verletzt werden (Leben, Gesundheit, allgemeines Persönlichkeitsrecht)829, schadensersatzbezogene Ausgleichsansprüche geben.830 Im Bereich außerhalb dieser Rechtsgüter, d.h. insbesondere im Bereich des Eigentums, wird man sagen können, dass je stärker personal die entsprechenden Rechtsgüter geprägt sind, desto enger die Vorgaben sind.831 bb) Ausgleichsbezug der Haftung Weiter stellt sich die Frage nach dem Inhalt einer entsprechenden Schadensersatzpflicht. Zwar ergibt sich aus dem Rechtsgrund und der Rechtfertigung des Ausgleichsanspruchs, die auf die Rechtsverletzung bezogen ist832, eine grundsätzlich ersatzbezogene Ausgestaltung.833 Sofern man die Haftung auf die subjektiven Rechte bezieht, ergibt sich aus der Form subjektiver Rechte der Ausgleichsbezug der Haftung.834 Allerdings ist hier der Zusammenhang zwischen Rechtsfolge und Haftungsgrund nicht gleichermaßen eng wie bei der negatorischen Haftung.835 So müssen etwa Geldentschädigungsansprüche für immaterielle Schäden bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen unter bestimmten Voraussetzungen notwendig vorgesehen sein.836 Generell greift aber der Gestal829 vatrecht sonst einschließlich seiner Grundprinzipien vollständig zur Disposition des Gesetzgebers stünde und etwa die deliktische Haftung völlig gestrichen werden könnte“; Fn. weggelassen); Nipperdey, Verfassung und Privatrecht, S. 15; ferner auch BVerfGE 49, 304, 319 f. (wenngleich im Hinblick auf den konkreten Umfang des Schutzes offengelassen); ähnlich offengelassen in BVerfGE 52, 131, 168 f. 829 Vgl. zu den schärferen Vorgaben bei Grundrechten von hohem Rang auch Schubert, Die Wiedergutmachung, S. 819, 828; Bruns, Haftungsbeschränkung und Mindesthaftung, S. 170. 830 S. dazu zuvor sowie z.B. Schramm, Haftung für Tötung, S. 303, 315 („Das Fehlen jeglichen Schadensersatzanspruchs in Tötungsfällen wäre daher sicherlich nicht nur system-, sondern auch verfassungswidrig“), 325 ff., 329 f. 831 So die Differenzierung des BVerfG beim Eigentum, s. etwa BVerfGE 112, 93, 109; 95, 64, 84; 102, 1, 17; BVerfG NVwZ 2012, 429, 430. 832 Dazu oben bereits S. 401 f., 468, 483 ff. 833 Vgl. aus privatrechtsdogmatischer Perspektive Picker, Privatrechtssystem S. 50, 51 f., 56 f.; Rödl, Gerechigkeit, S. 135; s. ferner dazu (im Kontext des allgemeinen Persönlichkeitsrechts), dass es um eine „Geldentschädigung“ geht, die dem Ausgleich einer schweren Persönlichkeitsrechtsverletzung bzw. dem „Ausgleich des immateriellen Schadens bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen“ dienen soll, BVerfG NJW 2004, 2371, 2372; NJW-RR 2017, 879, 880. 834 S. dazu oben bereits S. 401 f., 468, 483 ff.; s.a. Rödl, Gerechtigkeit, S. 135 f. 835 Zu den Vorgaben hinsichtlich des Schadensersatzes sehr zurückhaltend Raue, Die dreifache Schadensberechnung, S. 228 f. (S. 229: „keine konkreten Vorgaben für die Ausgestaltung des Schadensrechts“); vgl. insoweit auch zu den Unterschieden von negatorischer Haftung und Schadensersatz aus privatrechtsdogmatischer Perspektive Picker, Privatrechtssystem, S. 240 ff., ferner S. 57 f. 836 S. dazu zuvor S. 477 ff. sowie etwa zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht BVerfG NJW-RR 2017, 879, 880; ferner BVerfG NJW 2004, 2371, 2372 zu den Voraussetzungen („schwerwiegende Verletzung des Persönlichkeitsrechts und die mangelnde Möglichkeit anderweitiger Genugtuung“).
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tungsspielraum des Gesetzgebers und gewährt diesem einen „Korridor“ bei der Ausgestaltung.837 Alternativ zu einer Bestimmung des (materiellen) Schadensersatzes im Wege der Differenzhypothese sind auch andere Ansätze denkbar.838 Verwiesen werden kann insoweit auf die alternativen Berechnungsmöglichkeiten des Schadensersatzes im Immaterialgüterrecht (etwa Lizenzanalogie).839 Konkret geht es dabei auch um die Frage, inwieweit präventive oder pönale Gesichtspunkte in die Bemessung des Schadens miteinfließen dürfen bzw. müssen.840 cc) Verhältnis zu Sanktion und Strafe Gleichwohl bleibt festzuhalten, dass das, was insoweit verfassungsrechtlich vorgegeben ist, Ausgleich und Schadensersatz, hingegen nicht Privatstrafe oder Sanktion sind.841 Zwar folgt daraus nicht, dass über den gebotenen Ausgleich hinaus nicht auch Sanktionen in Form subjektiver Privatrechte („Privatstrafe“, „Strafschadensersatz“) vorgesehen werden können.842 Allerdings ergeben sich konkrete Vorgaben für diese Ausgestaltung daraus, dass es einen verfassungsrechtlichen Begriff der „Strafe“ gibt und diese Strafe spezifischen Anforderungen unterliegt, die sie konkret vom privaten Ausgleichsanspruch notwendig abgrenzen – und zwar hinsichtlich Funktion, Verfahren, Voraussetzungen und Wirkungen.843 Wie sich gleich noch zeigen wird, resultiert da837 S. dazu Raue, Die dreifache Schadensberechnung, S. 228 f.; vgl. ferner Poelzig, Normdurchsetzung durch Privatrecht, S. 357 f.; Schubert, Wiedergutmachung, S. 818 ff.; Wilhelmi, Risikoschutz, S. 31 ff.; Schramm, Haftung für Tötung, S. 303 f., 327 f.; s. aber auch Canaris, JZ 1987, 994, 995 f. zum „verfassungsrechtlichen Schutz des Schädigers im Schadensersatzrecht“ vor zu hohen Schadensersatzlasten; Bruns, Haftungsbeschränkung und Mindesthaftung, S. 166 ff., 170 f. im Kontext von Haftungsbeschränkungen. Zum „Gestaltungsspielraum“ bzw. „Korridor“ bei Schutzpflichten generell auch Canaris, Grundrechte und Privatrecht, S. 83 ff.; Epping/Hillgruber/Lang, Art. 2 Rn. 76 f. 838 Vgl. zu den verschiedenen Ansätzen Raue, Die dreifache Berechnung, S. 252 ff., 340 ff., 398 ff. 839 Dazu Raue, Die dreifache Berechnung, S. 252 ff.; Schubert, Die Wiedergutmachung, S. 797 ff. 840 Vgl. dazu Schubert, Die Wiedergutmachung, S. 816 f., 818 ff., 854 ff.; Raue, Die dreifache Berechnung, S. 229 ff.; Poelzig, Normdurchsetzung durch Privatrecht, S. 357 f.; s. dazu auch unten noch näher S. 515 ff., 517 ff. 841 S. dazu, dass es grundsätzlich keine verfassungsrechtliche Pflicht zur Einführung von Privatstrafen bzw. Schadensersatzansprüchen „mit selbständiger Präventivfunktion“ gibt, Schubert, Die Wiedergutmachung, S. 816 ff., 819 ff., 833. Zur hiervon zu trennenden Notwendigkeit der Strafe bzw. des Strafrechts s. dagegen unten noch S. 502 ff. Demgegenüber wird bei einer rein schutzpflichten-orientierten Betrachtungsweise der Unterschied zwischen diesen Rechtsinstituten nicht deutlich. Beide erscheinen letztlich als parallel laufende, austauschbare Instrumente, um das erforderliche Schutzniveau sicherzustellen, vgl. dazu oben bereits S. 475, 485; s. insoweit auch Schramm, Haftung für Tötung, S. 303, 305 f., 310 ff. 842 S. dazu gleich noch ausführlich S. 498 ff., 513 ff.; s. zu dieser Diskussion auch Schubert, Die Wiedergutmachung, S. 854 ff.; Janssen, Präventive Gewinnabschöpfung, S. 166 ff., 177 ff. 843 Dazu gleich näher S. 507 ff.
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raus letztlich ein „Differenzierungsgebot“.844 Strafe dient nämlich nach der Rechtsprechung des BVerfG notwendig als „gerechter Schuldausgleich“.845 Das in der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) verankerte Schuldrinzip ergibt sich aus der „Eigenverantwortung des Menschen“, „der sein Handeln selbst bestimmt und sich kraft seiner Willensfreiheit zwischen Recht und Unrecht entscheiden kann“.846 Strafe knüpft als Sanktion an begangenes Unrecht an und dient dem Ausgleich dieser Schuld – dies ist das verfassungsrechtliche Spezifikum der (Schuld-)Strafe.847 Strafe ist danach Sanktion für begangenes Unrecht, nicht Ausgleich für die Verletzung subjektiver Privatrechte.848 Vor diesem Hintergrund kann es auch keine verfassungsrechtliche Pflicht zur Vorsehung zivilrechtlicher Privatstrafen geben.849 e) Bereicherungsrecht Schließlich ergeben sich auch Vorgaben für das Bereicherungsrecht. Zwar ist das privatrechtstheoretische Fundament des Bereicherungsrechts der §§ 812 ff. BGB weiterhin umstritten und Gegenstand intensiver Debatten.850 Auch hier kann indes an die subjektiv-rechtliche Konzeption angeknüpft werden.851 Den verfassungsrechtlichen Anknüpfungspunkt des Bereicherungsrechts bilden insoweit die subjektiven Privatrechte. Soweit der Person notwendig subjektive Privatrechte an bestimmten Rechtsobjekten zukommen, muss im Grundsatz auch hier ein Rechtsschutz in Gestalt bereicherungsrechtlicher Haftung gewährleistet sein. Allerdings dürften hier die Vorgaben dem einfachen Gesetzgeber einen ähnlich großen Spielraum lassen wie im Recht der Schadensersatzhaftung.852 Insofern ist auch nicht eine subjektiv-rechtliche Konzeption der einfach-rechtlichen Ausgestaltung vorgegeben. Lediglich das subjektiv-rechtlich orientierte Ziel der Haftung (Rechtsschutz subjektiver Privatrechte)853 ist vorgegeben und präformiert damit wiederum die Ausge-
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Dazu S. 509 ff. S. nur BVerfGE 140, 317, 344. 846 BVerfGE 140, 317, 343. 847 S. dazu unten S. 507 ff. sowie BVerfGE 140, 317, 343 f. 848 S. noch näher zur Diskussion um das „zivilrechtliche Unrecht“ unten S. 530 ff. 849 Vgl. im Ergebnis auch Schubert, Die Wiedergutmachung, S. 818 ff., 833. S. aber unten noch S. 502 ff. zur hiervon zu trennenden Frage nach einem Recht auf Strafe bzw. eine Pflicht des Staates zur Strafverfolgung. 850 S. Picker, Privatrechtssystem, S. 49 f., 54, 56 f.; Jansen, AcP 216 (2016), 112, 148 ff., 158 ff., 218 ff. 851 S. für eine subjektiv-rechtliche Konzeption Picker, Privatrechtssystem, S. 49 f., 54, 56 f.; Jansen, AcP 216 (2016), 112, 219, 222 ff.; Schlüter, Rückabwicklung und Selbstbestimmung, S. 104 ff., 173 ff., 241 ff. 852 S. dazu zuvor S. 491 f. 853 Vgl. dazu Picker, Privatrechtssystem, S. 49 f., 54, 56 f. 845
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staltung.854 Schließlich dürften auch hier die Vorgaben umso enger sein, je stärker personal das betroffene Rechtsgut ist.855
VI. Die Trennung von Straf- und Zivilrecht 1. Problemstellung a) Überblick Die vorangegangenen Ausführungen haben bereits deutlich gemacht, worum es im Folgenden gehen wird: Was sind die möglichen privatrechtlichen Rechtsfolgen von Rechtsverletzungen und Normverstößen? Können, wie es ein Kernelement des private law enforcement ist856, Ansprüche Privater auf „Strafschadensersatz“ oder „Privatstrafen“857 begründet werden? Welche Vorgaben ergeben sich für die Ausgestaltung entsprechender Privatstrafen oder „Sanktionen“858? Nochmals stellt sich hier die Grundfrage: Woran kann, darf oder muss die Zivilrechtsordnung welche Rechtsfolgen knüpfen?859 Dabei wurde zuvor bereits deutlich, dass sanktionsorientierte Rechtsfolgen nicht den subjektiv-rechtlich bedingten Rechtsschutz ersetzen können. Negatorischer Rechtsschutz und ausgleichsbezogene Schadensersatzansprüche sind notwendig und müssen gerichtlicher Geltendmachung offenstehen.860 Hier geht es also nur um die Frage, ob neben oder zu diesen Haftungsformen weiterhin sanktionsorientierte pönale Haftungsfolgen hinzutreten können. Deren Wert zeigt sich deutlich im Hinblick auf die Ziele des private law enforcement: Die effektive Erreichung von Verhaltenssteuerung und Prävention kann die Möglichkeit der Verhängung von schadensübersteigenden Sanktionen gebieten.861 Ausgleichsbezogener Schadensersatz und negatorischer 854
Vgl. dazu zuvor im Rahmen der Schadensersatzhaftung S. 491 f. S. dazu oben S. 491 sowie vgl. in anderem Kontext BVerfGE 112, 93, 109; 95, 64, 84; 102, 1, 17; BVerfG NVwZ 2012, 429, 430. 856 S. dazu oben etwa S. 243 ff., 303 f. 857 Zu diesen Begriffen s. sogleich S. 498 ff. 858 Zum Sanktionsbegriff aus Perspektive des private law enforcement Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, S. 182, 200, 461 ff., 471 ff. Unter den Sanktionsbegriff fallen danach sowohl Schadensersatz als auch Strafen; aber trotz ähnlicher „Funktionsweise“ von Strafe und Schadensersatz (aaO, S. 471) liege der Unterschied der (Kriminal-)Strafe in der damit verbundenen „erheblichen gesellschaftlichen Missbilligung“/„erhebliches soziales Unwerturteil“ (S. 472 f.); s. ferner zum Sanktionsbegriff Schubert, Die Wiedergutmachung, S. 675 ff. („Reaktion der Rechtsordnung auf den Normverstoß“). 859 S. dazu oben bereits S. 433. 860 S. dazu zuvor S. 481 ff., 489 ff. 861 Dazu Poelzig, Normdurchsetzung von Privatrecht, S. 16 f., 31 ff., 477 ff.; Wagner, Gutachten, 66. DJT, A76 ff., A82 f.; Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, S. 461 ff. (zu „Sanktionsnormen“ als „Regulierungsinstrumenten“), 471 ff. (zu den Strafen als „Regulierungsinstrumenten“); Janssen, Präventive Gewinnabschöpfung, S. 67 ff., 273 ff. 855
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Rechtsschutz haben regelmäßig keine hinreichende abschreckende Wirkung und können das Ziel von Prävention und Verhaltenssteuerung nicht hinreichend sicherstellen.862 Eine rein hoheitliche Herangehensweise über das Polizei-, Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht ist oftmals nicht gleichermaßen effektiv.863 Vielmehr muss den betroffenen Privaten ermöglicht werden, kompensationsübersteigende Sanktionen geltendzumachen und dadurch präventiv Unrechtstaten zu verhindern.864 Andernfalls drohen „Rechtsdurchsetzungsdefizite“865 sowie das Verbleiben von „Unrechtsgewinnen“.866 Offensichtlich ist zunächst, dass sich hier ein grundsätzlicher Konflikt im Hinblick auf die „Trennung von Zivil- und Strafrecht“867 anbahnt. Die Abgrenzung von Straf- und Zivilrecht sowie von Strafe und Schadensersatz wird klassischerweise für eine der Konstituenten der geltenden Rechtsordnung gehalten.868 Die Abgrenzung von Strafe und Schadensersatz ist insoweit paradig862 Schlobach, Das Präventionsprinzip, S. 456 f., ferner S. 273, 307 ff.; Wagner, Gutachten, 66 DJT, A 82 f., ferner A78 ff.; vgl. auch Ebert, Pönale Elemente, S. 516 zum Argument fehlender Effektivität im Hinblick auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht und den Geldentschädigungsanspruch; s. zu dieser Diskussion auch Schubert, Die Wiedergutmachung, S. 723 ff. m.w.N. 863 S. Wagner, Gutachten, 66. DJT, A76. A79 f. So soll aus regulierungsrechtlicher Perspektive das Problem hoheitlich zu verhängender Strafen in den damit verbundenen „erheblichen Kosten“ (Einrichtung und Aufrechterhaltung der entsprechenden Gerichts- und Behördeninfrastruktur) liegen, so Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, S. 474, 577 f., 635, wohingegen bei privatrechtlichen Durchsetzungsregimen geringere Rechtsdurchsetzungskosten anfallen sollen. Vgl. ferner Janssen, Präventive Gewinnabschöpfung, S. 44 ff., 51 ff.; Ebert, Pönale Elemente, S. 516 zu diesem Argument fehlender Effektivität im Hinblick auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht. 864 In diese Richtung etwa Schlobach, Das Präventionsprinzip, S. 273, 456 f.; Poelzig, Normdurchsetzung von Privatrecht, S. 16 f., 477 ff., 482 f.; Wagner, Gutachten, 66. DJT, A82 f., ferner A76 ff.; vgl. zu diesem Argument auch Gottwald, ZZP 91 (1978), 1, 22 f.; Homburger, in: Homburger/Kötz, Klagen Privater im öffentlichen Interesse, S. 37; s. ferner auch Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, S. 632 ff. (zu Vorteilen „dezentraler (privater) Rechtsdurchsetzung“). 865 Vgl. Stadler, ZHR 182 (2018), 623, 642. 866 Vgl. dazu Meller-Hannich, Gutachten, 72. DJT, A24 ff.; Janssen, Präventive Gewinnabschöfpung, S. 1 ff.; zu diesem Begriff auch Alexander, JuS 2009, 490, 494. 867 Vgl. dazu Schubert, Die Wiedergutmachung, S. 677, 833 ff. (allerdings S. 833 im Hinblick auf die Privatstrafe: „(Kein) Konflikt mit der Trennung von Zivil- und Strafrecht“); Janssen, Präventive Gewinnabschöpfung, S. 166 ff. 868 Grundlegend etwa Binding, Normen I, S. 225 ff.; Lange/Schiemann, Schadensersatz, III.2, S. 12 f.; Bötticher, ZfA 1970, 3, 6; Bydlinski, AcP 204 (2002), 309, 343 ff.; Deutsch, in: Müller/Soell (Hrsg.), FS Wahl, S. 339, 340 ff.; Esser/Schmidt, Schuldrecht I/2, § 30 II 1/3; Hirsch, in: Bockelmann/Kaufmann/Klug (Hrsg.), FS Engisch, S. 304 ff., 317 ff., 327 („das strikte Auseinanderhalten von Strafrecht und Zivilrecht eine der Säulen der Rechtsstaatlichkeit“); K. Westermann, in: Aderhold (u.a.) (Hrsg.), FS Westermann, S. 1605, 1625; kritisch hierzu Stoll, Haftungsfolgen, S. 60 ff., 79 ff., 148; s.a. zu dieser Diskussion Ebert, Pönale Elemente im deutschen Privatrecht, S. 410 f. (zur strikten Trennung nach der Konzeption des BGB); Schmidt, Schadensersatz und Strafe, S. 7 ff., 69 ff.; Schubert, Die Wiedergutmachung immaterieller Schäden im Privatrecht, S. 677 ff., 833.
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7. Kapitel: Die Entwicklung der Konstituenten in der Gegenwart
matisch für die Trennung von Straf- und Zivilrecht insgesamt, als beide typischerweise Reaktionen oder Folgen von Unrecht bzw. Rechtsverletzungen sind und damit in gewisser Weise nebeneinander stehen.869 Während aber Strafe vor allem der Vergeltung begangenen Unrechts und dem Schuldausgleich dient870, zielt der zivilrechtliche Schadensersatz nach herkömmlicher Auffassung auf Schadensausgleich und hat damit grundsätzlich eine primär871 ersatzbezogene Ausgleichsfunktion.872 Daraus wird auch teilweise gefolgert, dass Privatstrafen ebenso wie pönale Elemente im Zivilrecht grundsätzlich unzulässig sind873, wenngleich es aber bereits in der gegenwärtigen Rechtsordnung pönale Elemente im Zivilrecht geben soll.874 Bevor auf die Frage eingegangen wird, ob eine Aufhebung der Trennung von Strafe und Schadensersatz bzw. Straf- und Zivilrecht überhaupt zulässig ist, muss zunächst der Frage nachgegangen werden, was die Abgrenzung von Straf- und Zivilrecht bzw. Strafe und Schadensersatz überhaupt bedeutet. b) Die mehrdimensionale Abgrenzung von Straf- und Zivilrecht Die oben vorgenommene Differenzierung (Vergeltung des Unrechts und Schuldausgleich – Schadensausgleich und Ersatzfunktion) erfolgt zunächst nur anhand des Zwecks und der Funktion der jeweiligen Rechtsfolge.875 „Strafe“ und „Schadensersatz“ lassen sich darüber hinaus in der gegenwärtigen Rechtsord869 S. etwa B. Kern, AcP 191 (1991), 247, 264, wonach „Zivil- und Strafrecht sich an keinem anderen Punkt so nahe sind wie im Recht der unerlaubten Handlungen“; ferner Ebert, Pönale Elemente im deutschen Privatrecht, S. 409, 411; Esser/Schmidt, Schuldrecht I/2, § 30 II 1. 870 S. dazu unten noch S. 507 ff. sowie s. nur BVerfGE 140, 317, 343 f. 871 Zu den weiteren Funktionen (Prävention) etwa Wilhelmi, Risikoschutz, S. 65 f.; Jansen, Haftungsrecht, S. 37 ff.; s. ferner oben bereits S. 31 Fn. 94. 872 Zu dieser Diskussion Lange/Schiemann, Schadensersatz, Einl. III.2, S. 9 ff.; Ebert, Pönale Elemente, S. 411; Deutsch, in: Müller/Soell (Hrsg.), FS Wahl, S. 339, 340 ff.; Esser/ Schmidt, Schuldrecht I/2, § 30 II 1/3; Jansen, Haftungsrecht, S. 36 ff.; Schubert, Die Wiedergutmachung, S. 678 f., 833; Wilhelmi, Risikoschutz, S. 62 f.; ferner auch Wagner, Verhandlungen des 66. Deutschen Juristentages, A14 f. 873 So etwa Bydlinski, AcP 204 (2002), 309, 344 f.; Herrmann, ZfA 1996, 19, 40; Hirsch, in: Bockelmann/Kaufmann/Klug (Hrsg.), FS Engisch, S. 304, 317 ff.; Kleindiek, Deliktshaftung und juristische Person, S. 199; Koziol, in: Heldrich/Prölss/Koller (Hrsg.), FS Canaris, Bd. I, S. 631, 659 ff. 874 Zu dieser Diskussion Ebert, Pönale Elemente im deutschen Privatrecht, S. 1 ff. et passim, 252 ff., 409 ff.; Schubert, Die Wiedergutmachung, S. 180 ff., 675 ff.; Bötticher, AcP 158 (1959/60), 385 ff.; Jansen, Haftungsrecht, S. 37 f.; Klumpp, Die Privatstrafe, S. 56 ff., 102 ff.; Schäfer, AcP 202 (2002), 397 ff.; Schmidt, Schadensersatz und Strafe, S. 41 ff., 43 ff.; Stoll, Haftungsfolgen, S. 60 ff., 79 ff. 875 S.a. Esser/Schmidt, Schuldrecht I/2, § 30 II 1; s. dagegen, wenngleich unter Verweis auf die relativen Straftheorien und präventive Aspekte des Deliktsrechts für „Zweckidentität“ Schlobach, Das Präventionsprinzip, S. 418 f.; ferner Schubert, Die Wiedergutmachung, S. 836, die zudem auf einen unterschiedlichen Rechtsgutsbegriff verweist.
VI. Die Trennung von Straf- und Zivilrecht
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nung mehrdimensional voneinander abgrenzen, nämlich verfahrensrechtlich und materiell-rechtlich: durch das Verfahren (zivilprozessualer Dispositionsund Beibringungsgrundsatz – strafprozessualer Offizial-, Legalitäts- und Inquisitionsgrundsatz876)877; durch die Rechtsfolgen und Wirkungen (Schadensausgleich, schadensabhängiger Ausgleichsanspruch – Schuldausgleich, schuldangemessene Strafe878); durch den Inhalt der Rechtsfolgen (Geldzahlungsanspruch zugunsten des Geschädigten im Sinne eines subjektiven Privatrechts – Freiheits- oder Geldstrafe an die Staatskasse879); durch die Rechtsnatur (zivilrechtlicher Anspruch privater Personen – hoheitliche Maßnahme880); durch die Entstehung und Festsetzung (Anspruchsentstehung mit der Handlung unmittelbar aufgrund Gesetzes – Straffestsetzung durch richterliches Urteil881) sowie durch Zweck und Rechtsgrund (Ausgleichs- und Ersatzfunktion – Sanktionsfunktion, Vergeltung begangenen Unrechts und Schuldausgleich882). Während der Offizialgrundsatz beinhaltet, dass die Strafverfolgung von Amts wegen (ex officio), d.h. unabhängig von einer Initiative oder einem Rechtsakt Privater883, eingeleitet wird884, bezeichnet das Legalitätsprinzip im Gegensatz zum Opportunitätsprinzip die Strafverfolgungspflicht der staatlichen Strafverfolgungsbehörden885. Der als Gegenbegriff zum Beibringungsgrundsatz geltende Inquisitionsgrundsatz bedingt die hoheitliche Ermittlung des Sachverhalts durch das Gericht (§ 244 Abs. 2 StPO).886
876 Vgl. Schlobach, Das Präventionsprinzip, S. 434 f.; Schäfer, AcP 202 (2002), 397, 425 f.; Scholz, JZ 1972, 725 ff., 728 ff.; ferner Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 12 Rn. 6 f.; § 14 Rn. 1; § 15 Rn. 1 ff.; s.a. Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, S. 298 f., 560 ff. 877 Die verfahrensmäßige Trennung anhand dieser Kriterien ist indes erst Ergebnis einer langen historischen Entwicklung, vgl. dazu näher Thönissen, Recht und Gerechtigkeit, 4. Kap. IV.5.b). Wie das Akkusationsverfahren zeigt, könnten auch im Strafrecht Dispositions- und Beibringungsgrundsatz herrschen. 878 S. dazu zuvor S. 32 f. sowie unten noch näher S. 507 ff. 879 Dazu auch Schlobach, Das Präventionsprinzip, S. 419 f.; Schäfer, AcP 202 (2002), 397, 425; B. Kern, AcP 191 (1991), 247, 271; ferner BGHZ 118, 312, 338. 880 Dazu etwa Thönissen, AcP 219 (2019), 855, 862 ff.; ferner auch Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, S. 298 f. 881 S. zu diesem Unterschied oben bereits S. 141 im historischen Kontext sowie Thönissen, AcP 219 (2019), 855, 862 f., 863 f.; zur Frage der Notwendigkeit einer richterlichen Straffestsetzung (bzw. ob diese auch unmittelbar gesetzlich entstehen kann) s. unten noch S. 509; vgl. hierzu auch Thon, Rechtsnorm, 29 ff. 882 Schlobach, Das Präventionsprinzip, S. 418 f., 421 ff.; Schubert, Die Wiedergutmachung, S. 677 ff.; Binding, Normen I, S. 225 ff. 883 Wobei freilich das Strafantragserfordernis der Antragsdelikte zu berücksichtigen ist, z.B. §§ 194, 230, 247 StGB, s. dazu auch Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, S. 560. 884 Dazu Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 12 Rn. 6. 885 S. Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 14 Rn. 1. 886 Dazu etwa Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 15 Rn. 1, 3.
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7. Kapitel: Die Entwicklung der Konstituenten in der Gegenwart
c) Privatstrafe und Strafschadensersatz Spricht man also von der Trennung von Zivil- und Strafrecht bzw. von „Strafe und Schadensersatz“, dann kann dieses Verhältnis in verschiedener Hinsicht Änderungen unterzogen werden. Es ist beispielsweise denkbar, dass Private privatrechtliche, rein sanktionsorientierte und dem Schuldausgleich dienende Ansprüche im Zivilverfahren durchsetzen, die ihnen selbst zugute kommen. Genau dies sind nach klassischem Verständnis Privatstrafen, deren Einführung in der jüngeren Vergangenheit wiederholt diskutiert wurde.887 Privatstrafen sind danach diejenigen Strafen, „welche dem Verletzten zufließen und bei welchen die Verfolgung der Tat ganz vom Verletzten abhängt“888 bzw. „die Auferlegung eines zivilrechtlichen, durch einen Strafgrund legitimierten Übels, dessen Festsetzung gegenüber dem Bestraften von demjenigen abhängt, gegen den sich ein Normbruch des Bestraften gerichtet hat“.889 Es sind also mehrere Elemente, die den Begriff der Privatstrafe konturieren. Es geht um Sanktion bzw. Strafe für Normverstöße; diese werden auf Initiative von Privaten verhängt; sie fließen den privaten Klägern zu. Hier gelten für die gerichtliche Durchsetzung der zivilprozessuale Dispositions- und Beibringungsgrundsatz. Es handelt sich materiell um privatrechtliche Ansprüche, die Privaten selbst zustehen890 und zugute kommen und von diesen gerichtlich geltend gemacht werden.891 Allerdings dienen diese nach herkömmlichem Verständnis strafrechtlichen Zwecken, nämlich der Vergeltung begangenen Unrechts und dem Schuldausgleich892 sowie der Prävention, sind also funktional „Strafen“.893 Gemessen an den oben herausgearbeiteten Differenzierungskriterien zwischen Straf- und Zivilrecht sind sie verfahrensrechtlich, in ihrer 887 S. sogleich zur Begriffsbestimmung; vgl. zum Begriff „Privatstrafe“ sowie zur Diskussion um die Einführung von Privatstrafen Schubert, Die Wiedergutmachung, S. 677 ff., 833 ff.; ferner auch Hirsch, in: Bockelmann/Kaufmann/Klug (Hrsg.), FS Engisch, S. 304, 313 ff.; s.a. Thönissen, AcP 219 (2019), 855, 887 („Privatstrafe im Sinne eines privatrechtlichen Anspruchs, der als Sanktion normwidrigen Verhaltens entsteht bzw. der Vindizierung begangenen Unrechts dient und von einem privaten Kläger prozessual durchgesetzt wird”). 888 So Wieling, Interesse und Privatstrafe, S. 238; s. ferner zum Begriff der Privatstrafe Grossfeld, Die Privatstrafe, S. 9 ff.; Schubert, Die Wiedergutmachung, S. 677 ff.; Klumpp, Die Privatstrafe, S. 16 ff. 889 Klumpp, Die Privatstrafe, S. 36 f. 890 S.a. Schmidt, Schadensersatz und Strafe, S. 41, der hierin den einzigen Unterschied zur öffentlichen Strafe sieht. 891 S. Grossfeld, Die Privatstrafe, S. 9 f.; Klumpp, Die Privatstrafe, S. 35 f. („Anspruch des Strafenden auf die Leistung der Strafe“); Schubert, Die Wiedergutmachung, S. 678. Von dieser gerichtlich geltend zu machenden Privatstrafe soll die „vollkommene Privatstrafe“ abzugrenzen sein, die vom Geschädigten selbst außergerichtlich vollstreckt wird – diese ist indes mit dem Selbsthilfeverbot und dem staatlichen Gewaltmonopol (hierzu bereits S. 33 ff.) nicht zu vereinbaren (dazu Klumpp, Die Privatstrafe, S. 31; Grossfeld, Die Privatstrafe, S. 9). 892 Anders aber wohl B. Kern, AcP 191 (1991), 247, 268, der Privatstrafe mit „Genugtuung“ identifiziert. 893 S. Schubert, Die Wiedergutmachung, S. 678; Klumpp, Die Privatstrafe, S. 21 ff., 36.
VI. Die Trennung von Straf- und Zivilrecht
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Rechtsnatur und den Wirkungen zivilrechtlich, aber ihrem Zweck und ihrer Funktion nach strafrechtlich einzuordnen. Historische Vorläufer sind die delicta privata des römischen Rechts.894 Weiter wäre zu überlegen, ob diese Privatstrafen von jedermann (wie bei den delicta publica895) oder nur vom Geschädigten geltend gemacht werden können. d) Regelungsmodelle und geltendes Recht Während es sich bei Privatstrafen um eine Privatisierung des Strafrechts896 handeln würde, wäre aber auch eine „Offizialisierung“897 des Zivilrechts denkbar, etwa wenn die Geltendmachung privatrechtlicher Schadensersatzansprüche ex officio durch staatliche Stellen erfolgen würde.898 Einschränkungen dieser strikten Trennung899 zeigen sich ferner etwa im strafprozessualen Adhäsionsverfahren (§§ 403 ff. StPO), durch das der Geschädigte im Rahmen des Strafverfahrens seinen zivilrechtlichen Entschädigungsanspruch geltend machen kann900, sowie im strafprozessualen Privatklageverfahren (§§ 374 ff. StPO), wo abweichend vom sonst geltenden strafprozessualen Offizialgrundsatz zumindest die Verfahrenseinleitung durch Private vollzogen wird901. Umgekehrt erscheinen etwa in der Einführung zivilrechtlicher Gewinnabschöpfungsansprüche (§ 10 Abs. 1 UWG, § 34a Abs. 1 GWB) durchaus Tendenzen, die das Zivilrecht mit strafrechtsähnlichen Instituten aufladen.902 894 S. dazu oben bereits S. 47 ff.; vgl. auch Hirsch, in: Bockelmann/Kaufmann/Klug (Hrsg.), FS Engisch, S. 304, 309 f., 317 f.; s. aber auch Schubert, Die Wiedergutmachung, S. 889, wonach die dort vorgeschlagene Privatstrafe der Staatskasse, nur der Schadensersatz dem Geschädigten zufließen soll. 895 Dazu näher Thönissen, Recht und Gerechtigkeit, 4. Kap. II.2., IV.2. 896 Vgl. bereits zur „Reprivatisierung des Strafrechts“ Ebert, Pönale Elemente im deutschen Privatrecht, S. 531 ff. 897 S. aber Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, 560 ff., der einen eigenständigen materiellen Privatrechtsbegriff ablehnt und stattdessen wohl nur noch eine verfahrensmäßige Abgrenzung (Privatinitiative – hoheitliche Verfahrenseinleitung) vornehmen will – eine „Offizialisierung“ des Privatrechts ist nach dieser Konzeption nicht möglich, vielmehr wäre dann kein Privatrecht mehr gegeben. 898 Vgl. dazu etwa Kasper, Das subjektive Recht, S. 159 („Ebenso wäre mit der Menschenwürde vereinbar, daß der Staat von Amts wegen unerlaubte Handlungen i.S. der §§ 823 ff. BGB ermittelte und den Schadensersatz von Amts wegen einzöge und selbst den Geschädigten abfände, ohne diesem „Rechte“ gegen den Schädiger zu geben“); s. ferner dazu oben bereits S. 475. 899 S. dazu zuvor S. 32 f., 495 ff. sowie etwa Lange/Schiemann, Schadensersatz, Einl. III.2, S. 12 f.; Bötticher, ZfA 1970, 3, 6; dazu auch Ebert, Pönale Elemente im deutschen Privatrecht, S. 1. 900 Vgl. Esser/Schmidt, Schuldrecht I/2, § 30 II 1; Ebert, Pönale Elemente im deutschen Privatrecht, S. 532 ff.; ferner bereits Scholz, JZ 1972, 725 ff., 728 ff.; näher zum Adhäsionsverfahren Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 65 Rn. 1 ff. 901 Dazu etwa Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 12 Rn. 6 f., 15 f. 902 Zur Frage des Strafcharakters von Gewinnabschöpfungsansprüchen unten noch S. 521 ff.; dazu Schubert, Die Wiedergutmachung, S. 810 ff.
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Es lassen sich also diverse Konstellationen und Variationen vorstellen, die die scheinbar strikte „Trennung von Strafe und Schadensersatz“ zumindest einschränken würden. In der historischen Betrachtung hat sich zudem gezeigt, dass die Trennung von Strafe und Schadensersatz sowie von Straf- und Zivilverfahren ebenso wie deren jeweilige Ausgestaltung keineswegs notwendig oder denklogisch erforderlich ist903, auch wenn sie Ergebnis eines rechtshistorischen Entwicklungs- und Differenzierungsprozesses ist.904
2. Verfassungsrechtliche Vorgaben und Orientierungslinien normativer Ausgestaltung a) Einführung Nun stellt sich die Frage, ob und inwieweit diese Trennung, die trotz der erwähnten Durchbrechungen für die gegenwärtige Rechtsordnung charakteristisch ist905, auch verfassungsrechtlich geboten ist.906 Offensichtlich ist zu903
S. dazu oben bereits S. 47 ff., 139 ff., 204 ff.; näher Thönissen, Recht und Gerechtigkeit, 4. Kap. II.2., IV.2., 5.b); s. ferner auch Ebert, Pönale Elemente, S. 1 ff., 14 ff. (dazu in geschichtlicher Perspektive); Jansen, Haftungsrecht, S. 185 ff., 197 ff. (zum römischen Recht), ferner S. 231 f. (S. 231: „Nun ist die Verbindung privatrechtlicher und öffentlichrechtlicher Elemente im Strafverfahren nichts spezifisch Römisches oder Vormodernes“). 904 Vgl. zu Letzterem Hirsch, in: Bockelmann/Kaufmann/Klug (Hrsg.), FS Engisch, S. 304, 317 f.; Bydlinski, AcP 204 (2002), 309, 345. 905 S. dazu oben bereits S. 32 f., 495 ff.; vgl. auch zum „dem deutschen Recht fremden Strafschadensersatz“ BGH NJW 2012, 928, 933; 2020, 1962, 1970 („Dieselskandal“); 906 Vgl. zu dieser Diskussion bereits, insbesondere zur Verfassungsmäßigkeit von Privatstrafen Bentert, Das pönale Element, S. 7 ff.; Klumpp, Die Privatstrafe, S. 46 ff.; Schlobach, Das Präventionsprinzip, S. 417 ff.; Schubert, Die Wiedergutmachung, S. 854 ff.; ansatzweise auch Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, S. 298 ff. Die Vertreter des private law enforcement sehen hier grundsätzlich keine Probleme. Diskutiert wird aber regelmäßig ausschließlich das Bestimmtheitsgebot und das Doppelbestrafungsverbot (s. Hellgardt, aaO, S. 298 ff.; Poelzig, Normdurchsetzung durch Privatrecht, S. 352 ff.; Schubert, aaO, S. 854 ff.; Janssen, Präventive Gewinnabschöpfung, S. 173 ff.). Letztere sollen bei Privatstrafen und Strafschadensersatz grundsätzlich nicht eingreifen (s. Hellgardt, aaO, S. 298 f.; Schubert, aaO, S. 854 ff.; Poelzig, aaO, S. 352 f.). Anderes soll sich nur beim europarechtlichen Doppelbestrafungsverbot ergeben können, das strenger als Art. 103 Abs. 3 GG ist (s. Hellgardt, aaO, S. 299 f.; dazu unten noch näher). Weithin übersehen wird die Bedeutung des Schuldgrundsatzes (ansatzweise aber Schubert, aaO, S. 856 f., wonach dieser jedoch auf die Privatstrafe keine Anwendung finden soll). Folgt man diesen Auffassungen, dann ist einzige Grenze für Strafschadensersatz die Verhältnismäßigkeit (so Schubert, aaO, S. 857 ff.; Poelzig, aaO, S. 354 ff.). Angesichts der konstitutionellen Sicherungen für Strafen, die im Grundgesetz explizit vorgesehen sind und in der Rsp. des BVerfG (s. dazu sogleich näher S. 507 ff.) einen fundamentalen Platz einnehmen, erscheint es indes bereits prima facie überraschend, dass durch Schaffung „privatrechtlicher“ Strafansprüche strafrechtsrelevante Garantien keine Geltung mehr entfalten sollen. In Zusammenhang mit der Frage der Privatisierung des Strafrechts wurde in der Diskussion ferner auf den „Staatsvorbehalt“, wonach aufgrund des Demokratieprinzips bestimmte Aufgaben vom Staat wahrgenommen werden müssen und einer Privatisierung entzogen sind,
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nächst, dass das Grundgesetz selbst keine unmittelbare Aussage enthält, dass Straf- und Zivilrecht sowie Strafe und Schadensersatz getrennt sein müssen.907 Zu berücksichtigen ist aber, dass das Grundgesetz an verschiedenen Stellen den Begriff der „Strafe“ aufgreift: Art. 103 Abs. 2 („bestraft“, „Strafbarkeit“) und Abs. 3 GG („allgemeine Strafgesetze“); ferner Art. 9 Abs. 2 („Strafgesetze“), Art. 13 Abs. 3 („Straftat“), Art. 26 Abs. 1 S. 2 GG, Art. 46 Abs. 2 GG („Strafe“); Art. 46 Abs. 4, Art. 96 Abs. 5 („Strafverfahren“); Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 („Strafrecht“); Art. 96 Abs. 2 S. 2 („Strafgerichtsbarkeit“); Art. 102 („Todesstrafe“); Art. 104 Abs. 3 S. 1 („strafbare Handlung“). Das Grundgesetz hat also einen eigenständigen Strafbegriff, dem auch ein bestimmter Inhalt zugeordnet wird.908 Mit dem Begriff der Strafe sind verschiedene verfassungsrechtliche Grundsätze und Garantien verbunden: das Schuldprinzip, der Bestimmtheitsgrundsatz (Art. 103 Abs. 2 GG), das Doppelbestrafungsverbot (Art. 103 Abs. 3 GG), die Unschuldsvermutung und das Selbstbelastungsverbot.909 Diese Grundsätze knüpfen dabei jeweils an den Begriff der „Strafe“ an. Ausgehend von diesen verfassungsrechtlichen Vorgaben und Grundsätzen lassen sich auch Aussagen treffen, inwieweit eine Trennung von Straf- und Zivilrecht tatsächlich verfassungsrechtlich vorgegeben ist. Allerdings erfolgt die Verwendung des Begriffs der „Strafe“ in der Rechtsprechung des BVerfG keineswegs einheitlich, sondern variiert kontextual und abhängig von der jeweiligen Garantie.910 Da der 907 sowie Art. 33 Abs. 4 GG verwiesen, woraus ein Verbot der Privatisierung der Strafrechtspflege abgeleitet wurde (s. Wimmer-Leonhardt, GRUR 2004, 12, 16 f.; vgl. insoweit auch Ronellenfitsch, NVwZ 1998, 1021, 1024, wonach Maßnahmen „mit Sanktionscharakter“ dem Staatsvorbehalt unterfallen; ferner Mönch, ZIP 2004, 2032, 2037 f. zum Bestrafungsmonopol des Staates; dagegen Poelzig, aaO, S. 339 ff., 341 f.). Allerdings dürfte diese Diskussion für die Frage der Verfassungsmäßigkeit von Privatstrafen nur mittelbar relevant sein. Beim Strafschadensersatz und den Privatstrafen geht es nämlich nicht um eine private Verhängung und Vollstreckung von Strafen, sondern darum, dass die Verfahrensinitiative und -betreibung im Rahmen der staatlichen Gerichtsbarkeit Privaten obliegt (s. insoweit auch Poelzig, aaO, S. 340). 907 Die verfahrensmäßige Trennung ergibt sich nicht aus den grundgesetzlichen Bestimmungen hinsichtlich der Fachgerichtsbarkeit, Art. 95 Abs. 1 GG spricht lediglich von der „ordentlichen Gerichtsbarkeit“, ohne zwischen Zivil- und Strafgerichtsbarkeit zu unterscheiden; vgl. dazu aber auch Isensee/Kirchhof/Degenhart, Handbuch des Staatsrechts, § 114 Rn. 21, 25; ferner Hirsch, in: Bockelmann/Kaufmann/Klug (Hrsg.), FS Engisch, S. 304, 306 („Funktionsteilung von Zivilrecht und Strafrecht“); kritisch dazu B. Kern, AcP 191 (1991), 247, 264. 908 Vgl. dazu auch Thönissen, AcP 219 (2019), 855, 860 ff. 909 Vgl. BVerfGE 133, 168, 197 ff., 201 f. S. zu diesen gleich noch im Einzelnen. 910 Kritisch dazu bereits Volk, ZStW 83 (1971), 405 ff.; s. insoweit zum „Strafbegriff“ im Kontext des Schuldgrunsatzes Thönissen, AcP 219 (2019), 855, 860 ff. So findet etwa der Schuldgrundsatz, nach dem keine Strafe ohne Schuld verhängt werden darf, nach der Rechtsprechung des BVerfG auf die Ordnungsmittel nach § 890 Abs. 1 ZPO Anwendung (BVerfGE 20, 323, 332 ff.; 58, 159, 161 ff.), hingegen wohl nicht der Bestimmtheitsgrundsatz des Art. 103 Abs. 2 GG (BVerfGE 84, 82, 89; offengelassen aber in BVerfG NJW-RR 2007,
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Begriff der „Strafe“ nicht bei allen Grundsätzen in der gleichen Bedeutung verwendet wird, ist im Einzelnen der Reichweite und dem Anwendungsbereich der Grundsätze nachzugehen. Jedenfalls können auch zivilrechtliche „Strafen“ von diesen Grundsätzen betroffen sein.911 Wenn dies der Fall ist, dann kann selbst eine Aufladung des Zivilrechts mit pönalen Elementen nicht dazu führen, dass eine Trennung von Strafe und Schadensersatz ganz aufgehoben wird.912 Denn immer dann, wenn „Strafe“ vorliegt, müssen unabhängig von einer zivilrechtlichen Qualifikation auch die verfassungsrechtlichen Grundsätze zur Anwendung gelangen.913 Die Hypothese, die sich hier aufdrängt, ist jene, dass nicht die prozessuale oder formelle Unterscheidung von Straf- und Zivilrecht entscheidend ist, sondern dass es maßgeblich auf den Begriff der „Strafe“ ankommt.914 Es stellt sich sodann die Frage, ob die genannten Grundsätze und Garantien verhindern, dass das Strafrecht „privatisiert“ wird bzw. Privatstrafen eingeführt werden und so das klassische Verständnis der Trennung von Strafe und Schadensersatz sowie Straf- und Zivilrecht aufrechterhalten werden muss. Unabhängig von diesen konkreten Grundsätzen zeigt sich darüber hinaus auch die Tendenz in der Rechtsprechung des BVerfG, das Strafrecht als solches für verfassungsfest zu halten. Darauf wird zunächst einzugehen sein. b) Garantie des Straf- und Strafprozessrechts aufgrund staatlicher Pflicht? aa) Pflicht des Staates zur Durchsetzung des Strafanspruchs Bedenkt man rechtshistorische Modelle, in denen die Strafverfolgung in die Verantwortung von Privaten gelegt ist – wie im klassischen römischen Recht oder auch beim gemeinrechtlichen Akkusationsverfahren –, so erscheint auch heute eine Ausgestaltung der Strafrechtspflege möglich, die die Einleitung der Strafverfolgung, wie im Fall von Privatstrafen, in das Belieben und die Disposition Privater stellen würde.915 Das Strafverfahren würde dann nicht hoheit911 860, 862). Ebenso unterliegen Disziplinarstrafen zwar dem Schuldprinzip (BVerfG NStZRR 2004, 220, 221), hingegen nicht dem Doppelbestrafungsverbot (BVerfGE 21, 391, 401 ff.); zum Strafbegriff im Hinblick auf Art. 92 Hs. 1 GG BVerfGE 22, 125, 132 (nur Kriminalstrafe); dazu jeweils auch gleich S. 511 ff., 527 ff. 911 S. Thönissen, AcP 219 (2019), 855 ff., 865 ff., 867 ff., 887 (zum Schuldgrundsatz). 912 S. sogleich S. 509 ff. zum „Differenzierungsgebot“. 913 Vgl. Thönissen, AcP 219 (2019), 855 ff., 865 ff., 867 ff., 890 f. 914 Vgl. Hirsch, in: Bockelmann/Kaufmann/Klug (Hrsg.), FS Engisch, S. 304, 315 (notwendig „qualitativer“ Unterschied). 915 S. zu den verschiedenen Modellen in historischer Perspektive näher Thönissen, Recht und Gerechtigkeit, 4. Kap. II.2., IV.2., 5.b); Jansen, Haftungsrecht, S. 185 ff., 197 ff., 227 ff. (zum römischen Recht); ferner auch generell zu den möglichen Vermischungen und Durchbrechungen Ebert, Pönale Elemente, S. 1 ff., 14 ff. (in historischer Hinsicht), ferner S. 576 („Ein Ausbau der pönalen Elemente des deutschen Privatrechts ist nicht nur wünschenswert, sondern auch unvermeidlich“).
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lich unter Geltung von Legalitäts- und Offizialgrundsatz eingeleitet. Vielmehr könnte der Dispositionsgrundsatz – zu denken wäre an Popularklagerechte916 – gelten, wobei dann zu klären wäre, inwieweit diese Sanktion in einem Ziviloder einem entsprechend ausgestalteten Strafverfahren verhängt würde und wem eine etwaige Geldsanktion zufließen würde.917 Jedenfalls würde die bisherige klare Grenzziehung von Zivil- und Strafrecht in Verfahren, Rechtsgrund und Inhalt eingeschränkt.918 Ein solches System wäre indes verfassungswidrig, sofern es staatliche Strafverfolgung gänzlich derogieren würde. Denn es gibt nach der Rechtsprechung des BVerfG eine verfassungsrechtliche Pflicht des Staates zur Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs sowie zur Gewährleistung einer funktionstüchtigen919 Strafrechtspflege.920 Danach ist der Staat „von Verfassungs wegen gehalten, eine funktionstüchtige Strafrechtspflege zu gewährleisten, ohne die der Gerechtigkeit nicht zum Durchbruch verholfen werden kann”.921 Diese Pflicht knüpft an die Pflicht des Staates an, „die Sicherheit seiner Bürger und deren Vertrauen in die Funktionsfähigkeit der staatlichen Institutionen zu schützen“.922 Betont wird die Bedeutung der „Verhinderung, Verfolgung und Aufklärung von Straftaten“ nach dem Grundgesetz923 sowie das „Interesse der Allgemeinheit an der Gewährleistung einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege“.924 In der „Aufklärung schwerer Straftaten“ wird danach ein „wesentlicher Auftrag eines rechtsstaatlichen Gemeinwesens“ gesehen.925 Die Pflicht schließt die Pflicht zur Einleitung und Durchführung des Strafverfahrens ein.926 Ferner müssen „eingeleitete Strafverfahren fortgesetzt und rechtskräftig verhängte Strafen vollstreckt werden“.927 Erforderlich ist ein Tätigwerden aller Strafver916 Zum Begriff der Popularklage etwa Halfmeier, Popularklagen, S. 199 ff., 279 f., ferner S. 386 f. zur Diskussion der Verbindung von Privatstrafe und Popularklage. 917 S. zuvor bereits S. 498 ff. sowie unten noch S. 513 ff., 517 ff. zu den möglichen Ausgestaltungen der Privatstrafen. Auch das „Akkusationsverfahren“ orientierte sich wesentlich am „Zivilprozess“ und sah bestimmte Abweichungen hiervon vor; ein wirklich eigenständiger Strafprozess bildet sich erst mit dem Inquisitionsverfahren heraus, s. näher Thönissen, Recht und Gerechtigkeit, 4. Kap. IV.5.b). 918 Vgl. auch Halfmeier, Popularklagen, S. 386 f., der deswegen die Verbindung von Popularklage und Privatstrafe ablehnt. 919 S.a. zum Topos der Funktionsfähigkeit, der in der Nähe der Verfassungsvoraussetzung steht, Isensee/Kirchhof/Isensee, Handbuch des Staatsrechts, § 190 Rn. 54. 920 BVerfGE 46, 214, 222 f.; 133, 168, 199 f.; dazu Isensee/Kirchhof/Möstl, Handbuch des Staatsrechts, § 179 Rn. 1; Holz, Justizgewähranspruch, S. 53 f.; Hörnle, JZ 2015, 893, 895 f. 921 BVerfGE 133, 168, 199. 922 BVerfGE 46, 214, 223; 133, 168, 199; 49, 24, 54. 923 BVerfGE 129, 208, 256. 924 BVerfGE 51, 324, 343; ferner BVerfGE 33, 367, 383; 38, 105, 115 f. 925 BVerfGE 33, 367, 383; 29, 183, 194. 926 BVerfGE 46, 214, 222 f.; 49, 24, 54; 51, 324, 344. 927 BVerfGE 46, 214, 223; 49, 24, 54; 133, 168, 200.
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folgungsorgane, das auf die Anwendung der Strafvorschriften sowie darauf, die Täter strafrechtlich zur Verantwortung zu ziehen, zielen muss.928 Einschränkungen dieses Grundsatzes (z.B. Absehen von Strafe [§§ 153 ff. StPO]) sind enge Grenzen gesetzt.929 Folglich sind „die Aufklärung von Straftaten, die Ermittlung des Täters, die Feststellung seiner Schuld und seine Bestrafung wie auch der Freispruch des Unschuldigen […] die wesentlichen Aufgaben der Strafrechtspflege, die zum Schutz der Bürger den staatlichen Strafanspruch in einem justizförmigen und auf die Ermittlung der Wahrheit ausgerichteten Verfahren in gleichförmiger Weise durchsetzen soll”.930 Mit dem Schuldprinzip, auf das später noch näher einzugehen sein wird, ist dabei auch eine Pflicht zur Erforschung der materiellen Wahrheit verbunden.931 Begründet werden diese Pflichten bzw. Verfassungsaufgaben neben dem Rechtsstaatsprinzip auch mit dem „Schutz elementarer Rechtsgüter“.932 Es handelt sich bei der Pflicht zur wirksamen „Verfolgung von Gewaltverbrechen und vergleichbaren Straftaten“ daher auch um eine Konkretisierung der staatlichen Schutzpflicht aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 und 2 GG in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG.933 Damit korrespondierend gibt es dort einen Anspruch des Einzelnen auf effektive Strafverfolgung, wo „der Einzelne nicht in der Lage ist, erhebliche Straftaten gegen seine höchstpersönlichen Rechtsgüter – Leben, körperliche Unversehrtheit, sexuelle Selbstbestimmung und Freiheit der Person – abzuwehren und ein Verzicht auf die effektive Verfolgung solcher Taten zu einer Erschütterung des Vertrauens in das Gewaltmonopol des Staates und einem allgemeinen Klima der Rechtsunsicherheit und Gewalt führen kann“.934 Es gibt danach zwar keinen generellen Anspruch des Einzelnen auf Strafverfolgung Dritter bzw. auf konkrete einklagbare Maßnahmen.935 Neben die staatliche Pflicht und den Verfassungsauftrag tritt aber zumindest bei erheblichen Straftaten auch ein subjektives (Grund-)Recht des Opfers auf Strafverfolgung durch die staatlichen Behörden.936 Ferner soll ein solcher Anspruch des Ein928
BVerfG NJW 2015, 150, 151. BVerfGE 133, 168, 226; ferner BVerfGE 46, 214, 223. 930 BVerfGE 113, 29, 54; 107, 104, 118 f. 931 BVerfGE 133, 168, 201; s.a. Isensee/Kirchhof/Möstl, Handbuch des Staatsrechts, § 179 Rn. 38, 67. 932 BVerfGE 133, 168, 199; ferner BVerfGE 107, 104, 118 f.; 113, 29, 54 („Schutz der Bürger“). 933 BVerfG NJW 2015, 150; ferner BVerfGE 39, 1, 46 ff., 52 ff.; 45, 187, 254 f.; 88, 203, 257 ff.; s.a. Isensee/Kirchhof/Isensee, Handbuch des Staatsrechts, § 191 Rn. 152, 289 – freilich nur dort, wo Schutzgüter grundrechtlich gesicherte Rechtspositionen sind. 934 BVerfG NJW 2015, 150. 935 BVerfG NJW 2015, 150; dazu auch Isensee/Kirchhof/Isensee, Handbuch des Staatsrechts, § 191 Rn. 152. 936 S. zu dieser Diskussion eines grundrechtlich verankerten Rechts des Opfers auf Tätigwerden des Staates zur Strafverfolgung BVerfG NJW 2015, 150 sowie (bejahend) Holz, Jus929
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zelnen entstehen, wo es um Straftaten von Amtsträgern bei der Wahrnehmung hoheitlicher Aufgaben geht.937 bb) Reichweite der Pflicht Damit ist zumindest in gewissem Umfang eine staatliche Strafverfolgung, d.h. die staatliche Durchführung von Strafverfahren von der Einleitung bis zur Strafvollstreckung durch Offizial-938 und Legalitätsgrundsatz939 verfassungsrechtlich geboten. Streitig ist, ob dies auch für die Inquisitionsmaxime bzw. den Amtsermittlungsgrundsatz gilt.940 Grund für diese Gewährleistung ist zum einen das Rechtsstaatsprinzip, das die staatliche Strafverfolgung zu einer Verfassungsaufgabe erklärt; zum anderen eine staatliche Schutzpflicht zur Wahrung elementarer Rechtsgüter.941 Schließlich dürfte die Notwendigkeit staatlicher Strafverfolgung auch aus dem staatlichen Gewalt- und Rechtsprechungsmonopol sowie dem damit verbundenen Selbsthilfeverbot resultieren.942 Weil es dem Einzelnen untersagt ist, Selbsthilfe zu üben oder eine private Strafbefugnis auszuüben, ist der Staat, der über das Straf- und Gewaltmonopol verfügt, verpflichtet, Strafverfolgung durchzuführen und den staatlichen Strafanspruch durchzusetzen.943 Das Lega937 tizgewähranspruch, S. 52 ff., 97 ff., 201 f., 204 ff. (Begründung aus dem Justizgewähranspruch; Art. 19 Abs. 4 GG); Weigend, RW 2010, 39, 46 ff., 50 ff.; Hörnle, JZ 2015, 893 ff., 895 f.; kritisch dazu Ambos, in: Bublitz (u.a.) (Hrsg.), FS Merkel, S. 565, 567 ff., 579 ff. Dies ist aber kein privates Recht auf Privatstrafe, vgl. zu dieser Unterscheidung oben bereits S. 492 f. Zudem soll ein solcher Anspruch des Einzelnen dort entstehen, wo es um Straftaten von Amtsträgern bei der Wahrnehmung hoheitlicher Aufgaben oder Straftaten bei Bestehen spezifischer Fürsorge- oder Obhutspflichten gegenüber Personen geht, die wie im Strafoder Maßregelvollzug Amtsträgern anvertraut sind, s. dazu BVerfG NJW 2015, 150, 151; ferner EGMR NJW 2001, 1991, 1994; zu dieser Rechtsprechung des EGMR auch Weigend, RW 2010, 39, 46 ff. 937 BVerfG NJW 2015, 150, 151; s.a. EGMR NJW 2001, 1991, 1994; zu dieser Rechtsprechung des EGMR auch Weigend, RW 2010, 39, 46 ff. 938 So Isensee/Kirchhof/Möstl, Handbuch des Staatsrechts, § 179 Rn. 71. 939 Isensee/Kirchhof/Möstl, Handbuch des Staatsrechts, § 179 Rn. 71 („verfassungsrechtliche Wurzeln“); Isensee/Kirchhof/Degenhart, Handbuch des Staatsrechts, § 115 Rn. 7, 28; vgl. auch BVerfGE 46, 214, 222 f.; BVerfG NStZ 1987, 419. 940 S. Isensee/Kirchhof/Möstl, Handbuch des Staatsrechts, § 179 Rn. 38, 71 (allenfalls unter Einschränkungen bejahend); vgl. BVerfGE 57, 250, 275 ff.; 133, 168, 199, 201; s.a. Schlobach, Das Präventionsprinzip, S. 434 f. 941 S. Isensee/Kirchhof/Möstl, Handbuch des Staatsrechts, § 179 Rn. 71 (ferner aber auch abwehrrechtliche Gewährleistungsinhalte); s.a. Isensee/Kirchhof/Isensee, Handbuch des Staatsrechts, § 191 Rn. 152 (Strafrecht „als Medium der Schutzpflicht“) sowie die Nachweise Fn. 932 f. 942 Isensee/Kirchhof/Möstl, Handbuch des Staatsrechts, § 179 Rn. 71; s.a. BVerfGE 74, 257, 261 f.; ferner hierzu Hörnle, JZ 2015, 893, 895 f. 943 Vgl. Isensee/Kirchhof/Degenhart, Handbuch des Staatsrechts, § 115 Rn. 7 f.; Hörnle, JZ 2015, 893, 895 f.; dazu auch BVerfGE 51, 324, 344; 74, 257, 261 f.; s.a. BVerfG NJW 2015, 150, wo auf das Gewaltmonopol des Staates rekurriert wird.
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litätsprinzip ist dabei aber nicht ausnahmslos geboten, sondern lässt auch Raum für die teilweise Geltung des Opportunitätsprinzips, wie sie gegenwärtig etwa in den §§ 153 ff. StPO verwirklicht ist.944 Soweit sich die Geltung des Legalitätsprinzips aus den Schutzpflichten ergibt, ist diese nur im Rahmen des Untermaßverbots gewährleistet, wobei gleichzeitig auf Seiten des Beschuldigten abwehrrechtliche Belange im Rahmen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes das Absehen von Strafen gebieten oder ermöglichen können.945 Insofern sind Durchbrechungen des Legalitätsprinzips im Bereich der „leichten und auch mittleren Kriminalität“ mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben vereinbar.946 Fraglich ist, wie weit diese staatliche Pflicht zur Durchsetzung des Strafanspruchs reicht. Es würde wohl zu weit führen, wenn bei allen in ihrer Bestimmung und Festlegung vom einfachen Gesetzgeber abhängigen947 „Straftaten“ eine Bestrafung durchzuführen wäre; anerkannt ist wie erwähnt das Absehen von Strafe in bestimmten Fällen geringer Schuld und insoweit die Geltung des Opportunitätsprinzips948. Gleichzeitig wurde aber auch deutlich, dass sich mit dieser staatlichen Pflicht und Verfassungsaufgabe nicht ein System vereinbaren ließe, in dem – wie beim Akkusationsverfahren949 – die Strafverfolgung ganz von der Initiative oder Disposition von Privaten abhinge. Der Staat muss zumindest bei schweren Straftaten selbst die Strafverfolgung betreiben – dies schließt notwendig Offizial- und Legalitätsgrundsatz ein.950 Mehrere Aussagen lassen eine gewisse Erheblichkeitsschwelle erkennen – „Schutz elementarer Rechtsgüter“, „erhebliche Straftaten“, „höchstpersönliche Rechtsgüter“.951 Die Aussagen des BVerfG lassen sich so interpretieren, dass zumindest in den Fällen der elementaren Rechtsgüter, die in Art. 2 und Art. 1 GG verbürgt sind, aufgrund staatlicher Schutzpflicht auch ein System staatlicher Strafverfolgung zwingend geboten ist, das von Amts wegen (ex officio) unter Strafverfolgungspflicht tätig wird, den Sachverhalt ermittelt und schließlich die Strafverhängung und -vollstreckung betreibt.952 Darüber hinaus 944 So Isensee/Kirchhof/Möstl, Handbuch des Staatsrechts, § 179 Rn. 71; s.a. BVerfGE 133, 168, 226. 945 Isensee/Kirchhof/Möstl, Handbuch des Staatsrechts, § 179 Rn. 71. 946 So Isensee/Kirchhof/Degenhart, Handbuch des Staatsrechts, § 115 Rn. 28; s. ferner zu diesen Durchbrechungen Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 14 Rn. 5 ff., 8 ff. 947 S. Frisch, NStZ 2016, 16 ff. zu den „Voraussetzungen und Grenzen staatlichen Strafens“. 948 BVerfGE 133, 168, 226; vgl. Isensee/Kirchhof/Möstl, Handbuch des Staatsrechts, § 179 Rn. 71. 949 Dazu näher Thönissen, Recht und Gerechtigkeit, 4. Kap. IV.5.b). 950 S. dazu zuvor die Nachweise Fn. 938 f., 943 f. 951 S. dazu zuvor die Nachweise Fn. 932, 934 sowie Hörnle, JZ 2015, 893, 895 f.; s. aber auch Isensee/Kirchhof/Möstl, Handbuch des Staatsrechts, § 179 Rn. 1 (wohl nur Grundrechte und daraus resultierende Schutzpflicht erforderlich). 952 Vgl. insoweit Isensee/Kirchhof/Degenhart, Handbuch des Staatsrechts, § 115 Rn. 28 (Abgrenzung nach zunehmender Schwere der Delikte, Durchbrechungen möglich im Rahmen kleinerer und mittlerer Kriminalität).
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könnte auch im Bereich des Eigentums- und Vermögensschutzes eine staatliche Strafverfolgung notwendig sein.953 Was folgt daraus für die hier erörterte Frage nach der Möglichkeit von Privatstrafen und Strafschadensersatz? Zunächst dürfen Privatstrafen und Strafschadensersatz nicht dazu führen, dass die öffentliche Strafverfolgung hierdurch verdrängt bzw. ersetzt wird. Dort, wo eine solche staatliche Strafverfolgungspflicht besteht, darf die Verhängung von Strafen nicht in das Belieben der Betroffenen gestellt werden und von der Initiative Privater abhängen.954 Vorstellbar wäre, dass Privatstrafen kumulativ neben den „eigentlichen“ Kriminalstrafen stehen, ohne diese zu verdrängen – dem steht dann möglicherweise das Doppelbestrafungsverbot entgegen, worauf später noch einzugehen ist.955 Denkbar wäre ferner, dass in Fällen geringer Kriminalität tatsächlich Privatstrafen staatliche Strafverfolgung ersetzen – zu denken wäre etwa an Privatstrafen bei Beleidigungsdelikten956, wobei sich auch hier die Frage nach dem Verhältnis zur Strafverfolgung stellen würde.957 Ungeachtet dessen gibt es aber einen Bereich staatlicher Strafrechtspflege, der aufgrund verfassungsrechtlichen Gebots der Ausgestaltung vorgegeben ist. c) Schuldgrundsatz aa) Anwendungsbereich und Inhalt Es erscheint möglich, dass daneben oder außerhalb dieses Bereichs privatrechtliche Strafen bestehen können. Dagegen bestehen zwar – abgesehen vom Doppelbestrafungsverbot (Art. 103 Abs. 3 GG), worauf später noch näher einzugehen sein wird958 – im Ausgangspunkt keine grundlegenden Bedenken.959 Indes stellt sich die Frage, ob dann nicht auch bestimmte verfassungsrechtlich garantierte Strafrechtsgrundsätze zur Anwendung gelangen müssen (Schuldgrundsatz, Unschuldsvermutung, Doppelbestrafungsverbot, Bestimmtheitsgrundsatz, Selbstbelastungsverbot), die die Ausgestaltung der entspre953 Wohl bejahend Isensee/Kirchhof/Möstl, Handbuch des Staatsrechts, § 179 Rn. 1 (ferner Ehre). 954 Vgl. Isensee/Kirchhof/Möstl, Handbuch des Staatsrechts, § 179 Rn. 71; s. ferner zuvor S. 502 ff. 955 S. dazu unten S. 526 ff. 956 Vgl. die Iniurienklage des gemeinen Rechts, die der Sanktionierung von Ehrverletzungen diente, dazu Ebert, Pönale Elemente, S. 64 ff., ferner S. 175 ff., 182 ff., 204 ff. zur Entwicklung im 19. Jhd.; s. dazu auch oben bereits S. 204 ff. 957 Vgl. zu der seit den 1970er Jahren diskutierten Entkriminalisierung von Bagatelldelikten etwa Schubert, Die Wiedergutmachung, S. 709 ff.; zu dieser Diskussion um die Ersetzung „strafrechtlicher Sanktionen“ durch „zivilrechtliche Sanktionen“ auch Deutsch, Gutachten, 51. DJT, E10 ff. 958 Hierzu sogleich S. 526 ff. 959 S.a. Schramm, Haftung für Tötung, S. 255 zur Zulässigkeit eines „zivilrechtlichen strafenden Anspruchs“.
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chenden Privatstrafen beeinflussen.960 In Betracht kommt insoweit zunächst der Schuldgrundsatz, der nach der Rechtsprechung des BVerfG ein „den gesamten Bereich staatlichen Strafens beherrschende[r] Grundsatz“ ist und auf dem das „Strafrecht beruht“.961 Das BVerfG leitet den Schuldgrundsatz aus der Garantie der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) und dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) ab, sodass dieser zu den in Art. 79 Abs. 3 GG verankerten die Verfassungsidentität konstituierenden Schutzgütern gehört und insoweit auch „intregationsfest“ (Art. 23 Abs. 1 S. 3 GG) ist.962 bb) Willensfreiheit, Schuld und Strafe Die Essenz des Schuldgrundsatzes besteht darin, dass jede Strafe Schuld voraussetzt (nulla poena sine culpa).963 Inhalt, Anwendungsbereich und Reichweite des Schuldgrundsatzes ergeben sich aus den Begriffen Schuld und Strafe. Maßgeblich ist danach die „individuelle Vorwerfbarkeit“ eines sozialethischen Fehlverhaltens.964 Grund ist „die Eigenverantwortung des Menschen“, „der sein Handeln selbst bestimmt und sich kraft seiner Willensfreiheit zwischen Recht und Unrecht entscheiden kann“.965 Deutlich zeigen sich hier ein spezifisches Menschenbild sowie der Einfluss der Kategorien Person und Willensfreiheit.966 Den Begriff der Strafe konkretisiert das BVerfG vor allem über ihre Funktion, die darin besteht, dass Strafe „auf gerechte Vergeltung für ein rechtlich verbotenes Verhalten abzielt”.967 Strafe dient also nicht nur präventiven Zwecken968, sondern der Vergeltung rechtswidrigen sozialethischen Fehlverhaltens969 und ist insoweit „gerechter Schuldausgleich“970. Weil mit der Strafe eine besondere sittliche Missbilligung und ein sozialethischer Vorwurf verknüpft 960
S. zu dieser Fragestellung oben bereits S. 501 f. BVerfGE 140, 317, 343. 962 BVerfGE 140, 317, 343; s.a. Maunz/Dürig/Di Fabio, Art. 2 Abs. 1 Rn. 69; zur Integrationsfestigkeit s. oben bereits S. 337 ff. 963 S. nur BVerfGE 133, 168, 197; 140, 317, 343; hierzu aus der Literatur Adam/Schmidt/ Schumacher, NStZ 2017, 7, 9 f.; Maunz/Dürig/Di Fabio, Art. 2 Abs. 1 Rn. 69; Isensee/Kirchhof/Möstl, Handbuch des Staatsrechts, § 179 Rn. 67; ferner zum Schuldprinzip Pawlik, Das Unrecht des Bürgers, S. 83. 964 S. BVerfGE 133, 168, 198; s.a. Pawlik, Das Unrecht des Bürgers, S. 83. 965 BVerfGE 140, 317, 343; 133, 168, 197. 966 Vgl. Adam/Schmidt/Schumacher, NStZ 2017, 7, 8 f. Zu diesen Kategorien s. oben bereits S. 359 ff. Allerdings gilt der Schuldgrundsatz wegen seiner Verankerung im Rechtsstaatsprinzip und in Art. 2 Abs. 1 GG nicht nur für natürliche, sondern auch für juristische Personen, s. BVerfG NJW-RR 2017, 957, 959; BVerfGE 20, 323, 336. 967 BVerfGE 133, 168, 198. 968 Dazu, dass auch Prävention Strafzweck ist, s. BVerfGE 32, 98, 109; 45, 187, 253 f.; 91, 1, 31. 969 BVerfGE 110, 1, 13; s.a. Pawlik, Das Unrecht des Bürgers, S. 83 ff., 87 f. zur „Renaissance des Vergeltungsdenkens“. 970 BVerfGE 133, 168, 198. 961
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sind, ist diese „Ausdruck vergeltender Gerechtigkeit“971, nicht nur „ein belastender Rechtseingriff oder ein Übel“.972 Da das auferlegte Übel „den schuldhaften Normverstoß ausgleichen“ soll973, ergeben sich aus dem Schuldgrundsatz weiterhin Folgen für die Wirkungen. Die Strafe muss „in einem gerechten Verhältnis zur Schwere der Tat und zum Verschulden des Täters stehen“.974 Es gelten das „Gebot des sinn- und maßvollen Strafens“ sowie der Grundsatz der Schuldangemessenheit der Strafe.975 Verfahrensrechtliche Bedeutung hat das Schuldprinzip insoweit, als die „Feststellung der individuellen Vorwerfbarkeit“976 erforderlich und die Unschuldsvermutung hiermit verbunden ist977, die zugleich eine besondere Ausprägung des Rechtsstaatsprinzips darstellt978. Strafen, die unmittelbar mit der Tat aus dem Gesetz entstehen (beispielsweise zivilrechtliche Ansprüche), sind vor diesem Hintergrund problematisch. Grundsätzlich ist die richterliche Festsetzung der schuldangemessenen Strafe in einem rechtsförmigen, den verfassungsrechtlichen Anforderungen entsprechenden Verfahren erforderlich.979 cc) Das Differenzierungsgebot des Schuldgrundsatzes Aus diesen Grundlagen des Schuldgrundsatzes folgt nun Einiges für die „Trennung von Strafe und Schadensersatz“ bzw. Straf- und Zivilrecht. Der Schuldgrundsatz bedingt danach notwendig ein Differenzierungsgebot von Schadensersatz und Strafe.980 Es gibt nach der Rechtsprechung nämlich einen spezifischen Begriff der „Strafe“, der Schuld voraussetzt, dem Ziel nach dem Schuldausgleich dient und dem Inhalt nach von der Schuld abhängig ist (Schuld-
971
BVerfGE 110, 1, 13. BVerfGE 140, 317, 345. 973 BVerfGE 110, 1, 13. 974 BVerfGE 133, 168, 198, ferner 210; 50, 5, 12; 96, 245, 249; s.a. BVerfG NJW 1987, 43, 48; NJW 1995, 383, 384; 2002, 1779, 1780; Maunz/Dürig/Di Fabio, Art. 2 Abs. 1 Rn. 69. 975 BVerfG NJW 1987, 43, 48; BVerfGE 73, 206, 253; Maunz/Dürig/Di Fabio, Art. 2 Abs. 1 Rn. 69; ferner BVerfG NJW 1995, 383, 384; BVerfGE 133, 168, 210. 976 BVerfGE 133, 168, 198, ferner 199. 977 So Maunz/Dürig/Di Fabio, Art. 2 Abs. 1 Rn. 69. 978 BVerfG NJW 1987, 2427; s. ferner auch Art. 6 Abs. 2 EMRK. 979 Vgl. BVerfG NJW 2002, 1779, 1780; BVerfGE 22, 49, 80; s. Thönissen, AcP 219 (2019), 855, 863 f.; s. ferner auch Klumpp, Die Privatstrafe, S. 32 ff. Dies folgt nicht nur aus dem Schuldgrundsatz, sondern auch aus Art. 92 Hs. 1 GG, vgl. dazu auch BVerfGE 22, 49, 80; 22, 125, 132 (allerdings nur für die Kriminalstrafe). 980 Vgl., wenngleich nicht verfassungsrechtlich, zur Notwendigkeit einer Differenzierung zwischen Schadensersatz und Privatstrafe Schäfer, AcP 202 (2002), 397, 426; B. Kern, AcP 191 (1991), 247, 269 (gesonderte Ausweisung der Genugtuung im Urteil); s. ferner auch Schubert, Die Wiedergutmachung, S. 877, 889 (im Hinblick auf die Ausgestaltung Notwendigkeit einer selbständigen, vom Schadensersatz zu trennenden Regelung; aber nicht unter Rekurs auf den Schuldgrundsatz); Koch, in: Altmeppen/Fitz/Honsell (Hrsg.), FS Günter Roth, S. 379, 393. 972
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angemessenheit).981 Die Schuld ist insoweit einerseits Voraussetzung, andererseits „Finalgrund“982 der Strafe und bestimmt deshalb im Rahmen von Proportionalität und Angemessenheit Inhalt und Ausmaß der Strafe.983 Der Schuldgrundsatz determiniert danach sowohl Tatbestand als auch Rechtsfolge984, was folglich auch Geltung für Privatstrafen entfalten muss.985 Schuld ist ihrerseits durch zwei Elemente konstituiert: zum einen durch die Willensfreiheit, die die Verantwortung der Person für ihre Handlung und damit deren Zurechnung begründet; zum anderen durch das Unrecht und den Gesetzesverstoß.986 Die Strafe dient ihrer Zielrichtung nach dem Ausgleich der durch Freiheit verletzten Rechtsordnung; durch die Strafe werden das gegen das Gesetz begangene Unrecht und die Schuld ausgeglichen.987 Dies ist das Schuld- und Strafverständnis, welches sich das BVerfG im Schuldgrundsatz im Kern zu Eigen gemacht hat.988 Überall dort, wo eine solche Strafe oder „strafähnliche Sanktion“989 vorgesehen ist, gelten die materiellen und verfahrensrechtlichen Anforderungen des Schuldgrundsatzes.990 Dies bedingt als Kehrseite, dass alle anderen Rechtsfolgen von rechtswidrigen Handlungen hiervon unterschieden werden können und, zumindest im Hinblick auf die Schuldangemessenheit991, auch müssen. Selbst wenn in einem Verfahren zugleich andere Maßnahmen verhängt werden, muss wegen des Erfordernisses der Schuldangemessenheit deutlich sein, was (Privat-)Strafe ist. Das bedingt zwar kein generelles verfahrensrechtliches Trennungsgebot dahingehend, dass im „Zivilprozess“ keine (Privat-)Strafen verhängt werden könnten.992 Wohl aber muss eine explizite Festsetzung der Strafe erfolgen und diese Festsetzung der Strafe muss wegen der Schuldange981
S. dazu oben bereits S. 508 f. sowie BVerfGE 140, 317, 343 f. Vgl. zu diesem Begriff, ferner zur Diskussion der Strafzwecke auch Müller, Vergeltungsstrafe, S. 9 ff., 131 ff. 983 S. BVerfGE 140, 317, 343 f. 984 Vgl. zu dieser doppelten Wirkung des Schuldgrundsatzes auch Maunz/Dürig/Di Fabio, Art. 2 Abs. 1 Rn. 69; ferner etwa BVerfGE 140, 317, 343 f. 985 S. insoweit auch für die zivilrechtlichen Folgen Schäfer, AcP 202 (2002), 397, 428, 431 f.; ferner im Einzelnen zu den Konsequenzen für Tatbestand und Rechsfolge Thönissen, AcP 219 (2019), 855, 878 ff., 884 ff. 986 Vgl. BVerfGE 140, 317, 343 f., 345 f.; 133, 168, 197 f. 987 S. BVerfGE 140, 317, 344. 988 S. nur BVerfGE 140, 317, 343 f. sowie die Fn. zuvor. 989 S. dazu gleich noch S. 511 ff. sowie zum Begriff auch BVerfGE 20, 323, 331. 990 Zur Reichweite des Schuldgrundsatzes, der für die „Strafe“ und „strafähnliche Sanktion“ und folglich auch im Zivilrecht gilt, sofern dort eine „Privatstrafe“ vorgesehen ist, s. näher Thönissen, AcP 219 (2019), 855, 860 ff., 887; s. ferner sogleich noch S. 511 ff. S. insoweit auch zum Einfluss des Schuldgrundsatzes auf das Verfahren BVerfGE 140, 317, 345. 991 S. zu diesem Aspekt, dass die Rechtsfolgen schuldangemessen sein müssen, Schäfer, AcP 202 (2002), 397, 431 f.; Thönissen, AcP 219 (2019), 855, 884. 992 S. Thönissen, AcP 219 (2019), 855, 886; vgl. aber insoweit zu den verfahrensrechtlichen Auswirkungen des Schuldgrundsatzes aaO, S. 880 ff. 982
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messenheit ersichtlich sein. Zugleich bedürfen die Privatstrafen grundsätzlich wegen der Schuldangemessenheit der richterlichen Festsetzung.993 Ferner greifen verfahrensrechtliche Differenzierungen Platz, denen Rechnung getragen werden muss.994 Zugleich ist die Disposition über Verfahren und Verfahrensgegenstand eingeschränkt.995 Weil überall dort, wo Strafe im Sinne des Schuldgrundsatzes vorliegt, den Anforderungen des Schuldgrundsatzes Rechnung getragen werden muss996, kann es keinen einheitlichen Strafschadensersatz geben, der sowohl Schadensersatz als auch Strafe pauschal umfasst. dd) Strafe und „strafähnliche Sanktion“ im Sinne des Schuldgrundsatzes Wann und inwieweit dieses Differenzierungsgebot eingreift, bestimmt sich danach, ob „Strafe“ im Sinne des Schuldgrundsatzes vorliegt. Klar ist nach dem Vorangegangenen, dass es nicht auf eine formelle verfahrensrechtliche Betrachtungsweise ankommen kann.997 Auch wenn nur die „Kriminalstrafe“ „echte Strafe“ ist, weil nur sie „mit einem ethischen Schuldvorwurf verbunden“ ist,998 gilt der Schuldgrundsatz nicht nur für „die Strafe für kriminelles Unrecht, sondern auch die strafähnliche Sanktion für sonstiges Unrecht“999. Der Schuldgrundsatz greift daher nicht nur bei „Kriminalstrafen“1000, sondern bei sämtlichen „strafähnlichen Sanktionen“ sowie überall dort ein, wo eine
993 S. insoweit im Hinblick auf die Frage von absoluten Strafandrohungen Thönissen, AcP 219 (2019), 855, 884; Klumpp, Die Privatstrafe, S. 32 ff.; s. ferner BVerfG NJW 2002, 1779, 1780; vgl., wenngleich anders Schäfer, AcP 202 (2002), 397, 431. Zur Frage, ob eine Festsetzung durch den Richter wegen Art. 92 Hs. 1 GG geboten ist, s. BVerfGE 22, 125, 132 (nur Kriminalstrafe); dazu auch Maunz/Dürig/Hillgruber, Art. 92 Rn. 36. 994 Dazu näher Thönissen, AcP 219 (2019), 855, 880 ff.; s.a. Schäfer, AcP 202 (2002), 397, 432 f. 995 S. BVerfGE 133, 168, 226 ff. (zur Verständigung im Strafprozess); vgl. auch Thönissen, AcP 219 (2019), 855, 885 f. 996 S. insoweit zur Geltung des Schuldgrundsatzes auch im Zivilrecht Thönissen, AcP 219 (2019), 855, 867 ff., 887, 890. 997 S. Thönissen, AcP 219 (2019), 855, 860 f. Gegen eine prozessual erfolgende Qualifikation bereits Hirsch, in: Bockelmann/Kaufmann/Klug (Hrsg.), FS Engisch, S. 304, 315; s. aber Poelzig/Bauermeister, NZKart 2017, 491, 492 unter Verweis auf BVerfGE 21, 391, 400 f. (allerdings zu Art. 103 Abs. 3 GG), wonach das BVerfG einem „formalen, an das Unwerturteil des Kernstrafrechts anknüpfenden Verständnis“ folge – indes ist zwischen den Grundsätzen zu unterscheiden. 998 So BVerfGE 22, 49, 79. 999 BVerfGE 20, 323, 331; NVwZ 2003, 1504; dazu auch Adam/Schmidt/Schumacher, NStZ 2017, 7, 11; zum Strafbegriff des BVerfG Volk, ZStW 83 (1971), 405 ff. 1000 Zum Begriff der „Kriminalstrafe“ s. BVerfGE 27, 180, 184 ff.: Der Begriff der Kriminalstrafe bezieht sich auf Art. 103 Abs. 3 GG (Doppelbestrafungsverbot). Danach schließt das Doppelbestrafungsverbot nur eine weitere Kriminalstrafe, aber nicht andere Strafen wie beispielsweise berufsgerichtliche Bestrafungen (Disziplinarstrafe) aus, was mit der „Wesensverschiedenheit von Kriminal- und Disziplinarrecht nach Rechtsgrund und Zweckbestimmung“ begründet wird (BVerfGE 27, 180, 186 f.).
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„strafrechtliche oder strafrechtsähnliche Ahndung einer Tat“1001 vorgenommen wird.1002 Dies betrifft Ordnungswidrigkeiten1003 ebenso wie Ordnungsmaßnahmen nach § 890 ZPO1004. Nicht die formelle bzw. verfahrensmäßige Qualifikation (Straf- oder Zivilverfahren), sondern der materielle, zweckbestimmte Charakter der Maßnahme bestimmt Reichweite und Geltungsbereich des Schuldgrundsatzes.1005 Ebensowenig ist entscheidend, ob die Strafe ihrer Rechtsnatur nach als zivilrechtlicher Anspruch ausgestaltet ist1006 oder wem eine „Geldsanktion“ (Staat oder Privatem) zukommt1007. Demgegenüber führt aber auch nicht jede überkompensatorische „Entschädigung“1008 oder jeder als Unrechtsfolge entstehende zivilrechtliche Anspruch, der nicht Schadensersatz ist1009, zur Annahme einer Strafe im Sinne des Schuldgrundsatzes.1010 Für die Qualifikation sind nach der Rechtsprechung des BVerfG vor allem der vom Gesetzgeber verfolgte Zweck und der Rechtsgrund der jeweiligen Sanktion entscheidend.1011 So unterfallen nicht jede „Einbuße an Freiheit oder Vermögen“, die „faktisch die Wirkung eines Übels entfaltet“1012, oder „reine 1001
BVerfGE 58, 159, 163. BVerfGE 20, 323, 331, 333. 1003 BVerfGE 9, 167, 169 f.; 20, 323, 333. 1004 Z.B. BVerfGE 20, 323, 332 f.; NJW-RR 2017, 957, 959. 1005 S. Thönissen, AcP 219 (2019), 855, 860 f. In diese Richtung auch Hirsch, in: Bockelmann/Kaufmann/Klug (Hrsg.), FS Engisch, S. 304, 315 f. (allerdings nicht speziell zum Schuldgrundsatz); vgl. BVerfGE 20, 323, 331, 332; 58, 159, 162, wonach es nicht so sehr auf den Wortlaut als vielmehr auf Inhalt der Vorschrift ankommt; ferner BVerfGE 110, 1, 14. 1006 Thönissen, AcP 219 (2019), 855, 862 f., 863 f., 887; a.A. aber wohl Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, S. 298 f. (im Hinblick auf den „hoheitlichen“ Charakter, allerdings zu Art. 103 Abs. 2 GG). Das Argument (aaO, Fn. 214), dass der relevante Unterschied in der „privatautonomen Entscheidung“ über die Geltendmachung liege, mag aber angesichts der strafrechtlichen Antragsdelikte sowie der Privatklageverfahren nicht zu überzeugen – auch dort besteht eine privatautonome Entscheidung des Opfers (s.a. Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, S. 542 selbst, ferner S. 560), die keineswegs zu einem Entfallen der strafrechtlichen Qualifikation führt; s. insoweit auch BVerfGE 20, 323, 332 („Ebensowenig spricht gegen den strafrechtlichen Charakter einer Verurteilung nach § 890 Abs. 1 ZPO, daß sie einen Antrag des Gläubigers voraussetzt; denn auch das Strafrecht kennt Antragsdelikte“). 1007 S. bereits Hirsch, in: Bockelmann/Kaufmann/Klug (Hrsg.), FS Engisch, S. 304, 315 f. zu dem Argument, dass es für den „Bestraften“ keine Bedeutung hat, wem die „Strafe“ zufließt – maßgeblich ist vielmehr das Unwerturteil; Canaris, in: Ahrens (u.a.) (Hrsg.), FS Deutsch, S. 85, 107; ferner Thönissen, AcP 219 (2019), 855, 864 f.; vgl. aber auch Schlobach, Das Präventionsprinzip, S. 419 f. 1008 Vgl. dazu und zu den Spielräumen bei der Schadenszumessung auch Ebert, Pönale Elemente im deutschen Privatrecht, S. 442 ff.; Janssen, Präventive Gewinnabschöpfung, S. 177 ff.; zur Frage nach einer „Überkompensation“ im Hinblick auf § 33a GWB Poelzig/ Bauermeister, NZKart 2017, 491, 494 ff. 1009 Vgl. zu dieser „formalen Unterscheidung“ Schubert, Die Wiedergutmachung, S. 833. 1010 S. Thönissen, AcP 219 (2019), 855, 873 f., 889; s.a. BVerfGE 110, 1, 14. 1011 BVerfGE 110, 1, 14 („Rechtsgrund der Anordnung und der vom Gesetzgeber mit ihr verfolgte Zweck“). 1012 BVerfGE 110, 1, 14. 1002
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Präventionsmaßnahmen“1013 dem Schuldgrundsatz. Er gilt aber für solche Maßnahmen, die „– wenn nicht ausschließlich, so doch auch – auf Repression und Vergeltung für ein rechtlich verbotenes Verhalten“ abzielen und durch die „dem Täter ein Rechtsverstoß vorgehalten und zum Vorwurf gemacht“ wird.1014 ee) Die Geltung des Schuldgrundsatzes für Privatstrafen? (1) Die Geltung des Schuldgrundsatzes für „echte“ Privatstrafen Ausgehend von diesen Grundsätzen kann bestimmt werden, ob und inwieweit der Schuldgrundsatz bei Privatstrafen und Strafschadensersatz eingreift sowie was daraus folgt. Eine „echte“ Privatstrafe1015, die der Vergeltung begangenen Unrechts dient, unterfällt jedenfalls dem Schuldgrundsatz.1016 Auch wenn sie ein privater Anspruch ist, der einem Privaten zufließt, dient sie dennoch ihrem Zweck und Rechtsgrund nach dem Schuldausgleich und ist insoweit, wenn nicht Strafe, zumindest doch „strafähnliche Sanktion“ im Sinne des Schuldgrundsatzes.1017 Damit muss ein nach dem Vorbild US-amerikanischer, dem Unrechts- und Schuldausgleich dienender punitive damages1018 ausgestalteter Strafschadensersatz den Anforderungen des Schuldgrundsatzes gerecht werden.1019 (2) „Unechte“ Privatstrafen? Nun kann man fragen, ob die Privatstrafe nicht so ausgestaltet werden kann, dass sie anderen Zwecken als der Vindikation begangenen Unrechts und dem Schuldausgleich dient. Dann wäre die Einordnung als „Privatstrafe“ nicht nur ein semantisches Problem, weshalb von „unechter Privatstrafe“ gesprochen werden soll. Sie ist dann nur Strafe in einem weiten Verständnis, d.h. im Sinne eines Übels1020, aber nicht eigentliche Strafe im Sinne einer dem Schuldgrundsatz unterfallenden (Schuld-)Strafe. Nicht jede Zufügung eines „Übels“ ist Strafe oder „strafähnliche Sanktion“ im Sinne des Schuldgrundsatzes – wie etwa „reine Präventionsmaßnahmen“.1021 Der Schuldgrundsatz schließt nicht 1013
Vgl. BVerfGE 20, 323, 331; 133, 168, 198. BVerfGE 20, 323, 331; 133, 168, 198. 1015 Zum Begriff s. zuvor S. 498 sowie Jansen, JZ 2005, 160, 169, 170 Fn. 184. 1016 S. Thönissen, AcP 219 (2019), 855, 887; vgl. auch Schäfer, AcP 202 (2002), 397, 412; Sachs/Degenhart, Art. 103 Rn. 60; a.A. wohl Schubert, Die Wiedergutmachung, S. 857; Schlobach, Das Präventionsprinzip, S. 153, 429 f. 1017 Thönissen, AcP 219 (2019), 855, 887. 1018 S. dazu oben S. 303 ff. 1019 Thönissen, AcP 219 (2019), 855, 887; vgl. auch Schäfer, AcP 202 (2002), 397, 412. 1020 Vgl. BVerfGE 110, 1, 14. 1021 S. dazu BVerfGE 110, 1, 14, 18; 133, 168, 198; s. ferner oben bereits S. 512 f. zu den „reinen Präventionsmaßnahmen“. 1014
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aus, dass es neben der (Schuld-)Strafe andere hoheitlich verhängte Übel oder Nachteile gibt, die nicht dem Schuldgrundsatz unterfallen. Allerdings ergeben sich für diese sonstigen Übel und Nachteile wiederum Folgen aus dem Schuldgrundsatz. Erforderlich ist nämlich, dass diese unechten Strafen nach Inhalt, Zweck und Rechtsgrund keine Schuldstrafen sind, d.h. nicht der Vindikation begangenen Unrechts und dem Schuldausgleich dienen.1022 Dementsprechend könnte auch Strafschadensersatz als „unechte“ Strafe ausgestaltet sein, die nicht dem Schuldgrundsatz unterfällt. Voraussetzung ist dann aber, dass der Strafschadensersatz nach Inhalt, Zweck und Rechtsgrund nicht als Schuldstrafe ausgestaltet ist, d.h. nicht der Vindikation des begangenen Unrechts und dem Ausgleich der Schuld dient.1023 Gegen die Einordnung von Privatstrafen und Strafschadensersatz als dem Schuldgrundsatz unterfallende „strafähnliche Sanktion“1024 ließe sich einwenden, dass diese „Prämie“ für den erfolgreichen Kläger sind, der für die Durchsetzung objektiven Rechts eingetreten ist.1025 Damit aber der Schuldgrundsatz nicht eingreift, müsste die entsprechende „Prämie“ ihrem Rechtsgrund, Zweck und Inhalt nach nicht als Sanktion wirken. Dagegen spricht, dass es einer Rechtfertigung dafür bedürfte, dass der Schädiger für die Durchsetzung objektiven Rechts eine über die Prozesskostenerstattung hinausgehende Prämie zahlen sollte.1026 Jede Zuerkennung eines Betrages über die tatsächlichen Prozesskosten des Klägers hinaus, die dieser entweder im Wege prozessualer Kostenerstattung oder materiell-rechtlichen Schadensersatzes verlangen darf, kann mangels Sonderrechtsverbindung zum Beklagten nur Sanktion für begangenes Unrecht sein.1027 Denn auch eine solche „Prämie“ wäre aus Sicht des Beklagten Sanktion für ein begangenes Unrecht, da es gerade an ein vergangenes Fehlverhalten anknüpft.1028 Damit kann dieser Einwand nicht den pönalen Charakter schlechthin ausräumen.1029 1022
Vgl. zu diesem Zusammenhang, der im Umkehrschluss aus der Rsp. folgt, s. BVerfGE 110, 1, 13 f., ferner S. 16 ff. 1023 Dazu oben bereits S. 508 f. sowie BVerfGE 110, 1, 14. 1024 Zum Begriff s. oben S. 511 ff. sowie z.B. BVerfGE 20, 323, 333. 1025 S. Bydlinski, AcP 204 (2002), 309, 345 (kritisch zu diesem Argument); in diese Richtung auch Schlobach, Das Präventionsprinzip im Recht des Schadensersatzes, S. 438; vgl. auch Gottwald, ZZP 91 (1978), 1, 22; Homburger, in: Homburger/Kötz, Klagen Privater im öffentlichen Interesse, S. 38; Schäfer, AcP 202 (2002), 397, 430; s. ferner oben bereits S. 300 f., 302 zum Gedanken der „Entlohnung“ des privaten Klägers in der US-amerikanischen Diskussion. 1026 Vgl. Bydlinski, AcP 204 (2002), 309, 345. 1027 Ebenso ablehnend Bydlinski, AcP 204 (2002), 309, 345. 1028 Zu diesem Anknüpfen an das vergangene Verhalten im Hinblick auf die Gewinnabschöpfung s. unten noch S. 521 sowie Schönke/Schröder/Eser/Schuster, vor § 73 Rn. 16; s.a. BVerfGE 110, 1, 17 f. 1029 S. oben S. 512 zur Frage, ob und inwieweit die Privatstrafe dem (Privat-)Kläger zufließen kann, was im Ergebnis freilich auf eine „Prämie“ hinauslaufen würde.
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Ferner könnte eingewendet werden, dass auch das zivilrechtliche Schmerzensgeld1030 ebenso wie die Geldentschädigung für die Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts1031 nach herrschender Auffassung nicht pönal qualifiziert wird und daher nicht dem Schuldgrundsatz unterfällt.1032 Es ließen sich darauf aufbauend auch andere Geldzahlungsansprüche konstruieren, die nicht dem Ausgleich von Vermögensschäden dienen und gleichwohl nicht pönal qualifiziert werden. Allerdings knüpfen sowohl Schmerzensgeld als auch die Geldentschädigung für die Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts an immaterielle Interessen an, die ihrerseits durch absolute Rechte begründet sind.1033 Sie sind auf subjektive Rechte bezogen; sie dienen einer Ausgleichsfunktion und sind trotz der Genugtuungsfunktion1034 auf Schadensausgleich gerichtet.1035 Damit geht es auch beim Ersatz immaterieller Schäden um die Wiedergutmachung bzw. den Schadensausgleich und nicht um eine Privatstrafe.1036 (3) „Präventivfunktion“ und allgemeines Persönlichkeitsrecht Allerdings wird die Geldentschädigung bei der Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts auch mit einer präventiven Funktion begründet.1037 Daher könnte man argumentieren, dass zivilrechtliche Ansprüche, die nur auf Prävention zielen, nicht pönal zu qualifizieren sind und daher nicht dem Schuldgrund-
1030 Zur nicht-pönalen Qualifikation (Ausgleichsfunktion) etwa Jauernig/Teichmann, § 253 Rn. 3; vgl. MünchKomm BGB/Oetker, § 253 Rn. 10 ff.; wohl a.A. noch Deutsch, in: Müller/Soell (Hrsg.), FS Wahl, S. 339, 342 f. 1031 BGH NJW 2005, 215, 216; MünchKomm BGB/Rixecker, § 12 Anh. Rn. 271 („keine zivilrechtliche Strafe“); s.a. Schubert, Die Wiedergutmachung, S. 200 ff., 697 ff., 795 f., 881, 884 f.; a.A. Ebert, Pönale Elemente im deutschen Privatrecht, S. 498 („eindeutige pönale Züge“); Schäfer, AcP 202 (2002), 397, 422 ff.; Seitz, NJW 1996, 2848; s. ferner Canaris, in: Ahrens (u.a.) (Hrsg.), FS Deutsch, S. 85, 105 ff. 1032 Dazu Thönissen, AcP 219 (2019), 455, 873 f., 874 ff. 1033 S. dazu oben bereits S. 477 ff.; vgl. auch BVerfG NJW 2004, 2371, 2372; NJW-RR 2017, 879, 880. 1034 BGHZ 35, 363, 369; 39, 124, 133; NJW 2006, 1068, 1070; 2014, 2029, 2034. 1035 So Schubert, Die Wiedergutmachung, S. 150 ff., 191, 689 ff., 697 ff., 797 f., 875, 884 f.; vgl. auch Esser/Schmidt, Schuldrecht I/2, § 30 II 1 a), wonach die Genugtuungsfunktion nicht als Übernahme pönaler Elemente im Zivilrecht, sondern als „Ausdruck für die Unfähigkeit, das Ausmaß immaterieller Schäden geldlich präzise festzulegen“ zu werten ist; s. ferner auch BVerfG NJW 2000, 2187 f.; 2004, 2371, 2372 sowie oben bereits S. 477 ff. 1036 Schubert, Die Wiedergutmachung, S. 795, 879, 884; s.a. BVerfGE 34, 269, 293 (im Hinblick auf Art. 103 Abs. 2 GG: „Der Ausspruch des Zivilrichters, daß im konkreten Fall für immateriellen Schaden Ersatz zu leisten sei, ist – mögen ihm auch „pönale Elemente” nicht ganz fremd sein – keine Strafe im Sinn dieser Verfassungsbestimmung”). 1037 S. etwa BGH NJW 1985, 1617, 1619; 1996, 985, 987; vgl. dazu auch Schubert, Die Wiedergutmachung, S. 200 ff., aber auch S. 795 ff.
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satz unterfallen.1038 Wie erwähnt, unterfällt die „reine Präventionsmaßnahme“1039 nicht dem Schuldgrundsatz – sie ist zwar ein „Übel“, aber keine eigentliche Strafe im Sinne der Schuldstrafe.1040 Entsprechend wird in der Literatur zum Teil die Präventionsfunktion als eigene schadensersatzbegründende Funktion genannt und davon ausgegangen, dass generell präventiv wirkende zivilrechtliche Ansprüche anerkannt werden können („Präventivschadensersatz“1041; „Schadensersatzansprüche mit selbständiger Präventionsfunktion“1042).1043 So hat auch das BVerfG die Möglichkeit einer Präventionsfunktion zivilrechtlicher Ansprüche im Bereich des Geldentschädigungsanspruchs bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen anerkannt.1044 Allerdings ist hier zu berücksichtigen, dass die Präventions- bzw. Genugtuungsfunktion in diesem Fall nicht Begründung des Geldentschädigungsanspruchs ist.1045 Vielmehr hat diese nur Einfluss auf die Höhe dieser Geldentschädigung.1046 Haftungsgrund ist die Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, die zur Entstehung eines Geldentschädigungsanspruchs für das erlittene Leid analog einem Schmerzensgeldanspruch führt.1047 Der Haftungsgrund ist auf das subjektive 1038 Vgl. Klumpp, Die Privatstrafe, S. 47; in diese Richtung auch generell Schlobach, Das Präventionsprinzip, S. 430; Wagner, Gutachten, 66. DJT, A80 ff. (Präventivschadensersatz); ferner dazu, dass ein „Schadensersatzanspruch mit selbständiger Präventionsfunktion“ nicht dem Schuldgrundsatz unterfallen soll, Schubert, Die Wiedergutmachung, S. 856 f., 874, 877. 1039 Vgl. BVerfGE 20, 323, 331; 133, 168, 198. 1040 BVerfGE 20, 323, 331; 133, 168, 198; ferner BVerfGE 110, 1, 14, 18. 1041 S. dazu Wagner, Gutachten, 66. DJT, A80, A82. 1042 Zu diesem Begriff Schubert, Die Wiedergutmachung, S. 723 ff., ferner S. 795 ff., 874, 876 f., wonach Schubert diesen „Schadensersatz mit selbständiger Präventionsfunktion“ als „Privatstrafe“ bezeichnet (aaO, S. 874). 1043 Zu dieser Diskussion s. Wagner, Gutachten, 66. DJT, A77 ff., A82 f.; Schubert, Die Wiedergutmachung, S. 723 ff., 795 ff., 874 f., 888 f.; s. dazu auch bereits Canaris, in: Ahrens (u.a.) (Hrsg.), FS Deutsch, S. 85, 105 ff., 107. 1044 S. etwa BVerfG NJW 2000, 2187 f.; NJW-RR 2017, 879, 880. 1045 Vgl. ansatzweise auch Schubert, Die Wiedergutmachung, S. 795 f., 881, 884 f.; a.A. wohl Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, S. 160 („Dass nicht die Kompensation, die im Deliktsrecht vorrangige Ausprägung der Interessenausgleichsfunktion ist, sondern ausschließlich Genugtuung und Generalprävention Grund der Haftung sind, wird auch dadurch unterstrichen, dass der Anspruch nach der Rechtsprechung des BGH nicht vererblich ist“) – wäre das der Fall, dann müsste der Geldentschädigungsanspruch zwangsläufig pönal qualifiziert werden; vgl. zu dieser Diskussion auch Janssen, Präventive Gewinnabschöpfung, S. 457 ff., 481 ff. 1046 S. deutlich BVerfG NJW 2000, 2187 f. („Dabei erfolgt die Bestimmung der Entschädigungshöhe nach zum Teil anderen Gesichtspunkten als die Festsetzung des Schmerzensgelds. […] Maßgebend sind also Präventionsgesichtspunkte, die bei der Bemessung der Geldentschädigung in den Persönlichkeitsrechtsfällen zu einer deutlichen Erhöhung der zugebilligten Entschädigung führen. […] Spielt der Gedanke der Gewinnerzielungsabsicht hier keine Rolle, ist ein auf Prävention zielender Ansatzpunkt für eine entsprechende Berücksichtigung als Bemessungsfaktor der Schmerzensgeldhöhe nicht gegeben“). 1047 Vgl. Jansen, JZ 2005, 160, 170; BVerfG NJW 2000, 2187 f. („Vielmehr handelt es sich bei der Zubilligung der Geldentschädigung um ein Recht, das auf den Schutzauftrag aus
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Privatrecht bezogen, die Präventionsfunktion hat nur Einfluss auf die Zumessung der Geldentschädigung.1048 Daraus kann aber nicht geschlossen werden, dass es generell Schadensersatzansprüche mit eigenständiger Präventivfunktion geben kann und dass die Präventivfunktion hier einen selbständigen nicht pönalen Haftungsgrund bildet.1049 (4) Selbständiger Präventivschadensersatz? Auch wenn die Rechtsprechung zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht nicht als Begründung für rein präventiv wirkende Maßnahmen heranzuziehen ist, folgt hieraus umgekehrt nicht, dass es keine solchen rein präventiven zivilrechtlichen Schadensersatzansprüche geben könnte. Prävention ist zwar nach der Rechtsprechung des BVerfG neben der Unrechtsvergeltung und dem Schuldausgleich auch eine Funktion von Strafe.1050 Doch schließt das nicht aus, dass Prävention selbständiger Zweck einer Maßnahme sein kann, die nicht der Vergeltung von Unrecht und dem Schuldausgleich dient.1051 Es kann insoweit auch „reine Präventionsmaßnahmen“ geben, die nicht Strafe sind.1052 Zu unterscheiden ist die zuvor erörterte „Präventionsfunktion“ als Faktor im Rahmen der Bestimmung der Höhe von Geldentschädigungen vom selbständigen Präventivschadensersatz.1053 Im gegenwärtigen zivilrechtlichen Haftungsrecht finden sich zwar keine solchen, rein präventiven Zwecken dienenden zivilrechtlichen Anspruchsgrundlagen.1054 Allerdings könnten als (unechte) Privatstrafen zivilrechtliche 1048 Art. 1 und Art. 2 I GG zurückgeht und seine Grundlage in § 823 I BGB in Verbindung mit diesen Vorschriften findet […]. In materieller Hinsicht beruht die Zubilligung einer Geldentschädigung – der Unterschied zu dem Schmerzensgeld zeigt sich neben der unterschiedlichen Rechtsgrundlage auch in der abweichenden Terminologie – auf dem Gedanken, dass ohne einen solchen Anspruch Verletzungen der Würde und Ehre des Menschen häufig ohne Sanktion blieben mit der Folge, dass der Rechtsschutz der Persönlichkeit verkümmern würde“); s. ferner auch BVerfG NJW 2004, 2371, 2372 („Auf diesen Schutzauftrag geht der Anspruch auf Ausgleich des immateriellen Schadens bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen zurück“). 1048 Vgl. BVerfG NJW 2000, 2187 f. 1049 Dafür aber Schubert, Wiedergutmachung, S. 795 ff., 833 ff., 874 f., 888, wobei diese „Privatstrafe“ nicht den für Strafen geltenden Verfassungsbestimmungen unterfallen soll; ferner Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, S. 160. 1050 Dazu, dass auch Prävention Strafzweck ist, s. BVerfGE 32, 98, 109; 45, 187, 253 f.; 91, 1, 31. 1051 S. Wagner, Verhandlungen des 66. Deutschen Juristentages, A77 ff.; vgl. zu dieser Diskussion auch Schubert, Die Wiedergutmachung, S. 795 ff., 833 ff., 874 f. (die im Ergebnis aber davon ausgeht, dass ein solcher Anspruch „Privatstrafe“ ist, welche aber nicht den verfassungsrechtlichen Bestimmungen für Strafen unterfallen soll). 1052 Vgl. BVerfGE 20, 323, 331; 110, 1, 14, 18; 133, 168, 198. 1053 Vgl. dazu, wenngleich teilweise anders, Schubert, Die Wiedergutmachung, S. 874 f., 876 f., ferner 795 ff. 1054 Schubert, Die Wiedergutmachung, S. 795 ff., 874 („Im geltenden Schadensersatzrecht kein allgemeines Präventionsprinzip“), 875 f., 886 ff.; a.A. wohl Schlobach, Das Präventions-
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Ansprüche eingeführt werden, die der Spezialprävention dienen (Präventivschadensersatz1055; „Schadensersatzansprüche mit selbständiger Präventivfunktion“1056) und damit auch nicht den für Strafen geltenden verfassungsrechtlichen Grundsätzen unterfallen.1057 Inhaltlich könnten diese (unechten) Privatstrafen etwa auf Gewinnabschöpfung gerichtet sein.1058 Nach der gleichen Logik könnte aber auch bei (Kriminal-)Strafen nur noch auf deren Präventionsfunktion abgestellt werden, sodass diese generell nicht mehr dem Schuldgrundsatz oder anderen strafrechtsbezogenen Garantien unterfallen würden – dann könnte der Schuldgrundsatz regelmäßig leer laufen. Insofern drängt sich die Parallele zu Maßregeln der Besserung und Sicherung (§§ 61 ff. StGB) auf, die ebenfalls nicht der Vergeltung von Unrecht dienen, sondern rein präventiv ausgestaltet sind und daher auch nicht der Geltung des Schuldgrundsatzes unterfallen.1059 Gerade diese Parallele zu den Maßregeln der Besserung und Sicherung begründet aber Zweifel, ob es einen solchen Präventivschadensersatz gibt, der nicht als Strafe zu qualifizieren ist. Ein solcher, rein präventiv ausgestalteter zivilrechtlicher Anspruch müsste sowohl in Begründung als auch in Inhalt und Zweck rein präventiv ausgestaltet sein.1060 Das würde bedeuten, dass Bezugspunkt der Rechtsfolgen nicht die vergangene schuldhafte unerlaubte Handlung und deren Sanktionierung1061, sondern die zu erwartende künftige Beeinträchtigung ist1062. Das schließt zwar nicht aus, an vergangenes Verhalten anzuknüpfen.1063 Insoweit 1055 prinzip, S. 114 ff. S. aber noch zu den Gewinnabschöpfungsansprüchen, die als „reine Präventionsmaßnahmen“ gewertet werden, unten S. 521 ff. – tatsächlich sind diese bereicherungsrechtlich einzuordnen. 1055 S. dazu Wagner, Gutachten, 66. DJT, A80. 1056 Schubert, Die Wiedergutmachung, S. 795 ff., 874. 1057 In diese Richtung Wagner, Gutachten, 66. DJT, A80 f.; Schubert, Die Wiedergutmachung, S. 833 ff., 847 ff., 851, 854 ff., 874 f., 876, 888; s. ferner auch Raue, Die dreifache Schadensberechnung, S. 231 ff.; Janssen, Präventive Gewinnabschöpfung, S. 166 ff. 1058 Schubert, Die Wiedergutmachung, S. 877; Wagner, Gutachten, 66. DJT, A83 ff. Zu Gewinnabschöpfungsansprüchen s. unten S. 521 ff.; Janssen, Präventive Gewinnabschöpfung, S. 273 ff. 1059 BVerfGE 91, 1, 27 f.; NJW 2010, 1514, 1515; vgl. auch Klumpp, Die Privatstrafe, S. 19. 1060 Vgl. ansatzweise auch BVerfGE 110, 1, 14, 17 f.; s. insoweit auch zu den Anforderungen an den Inhalt der Maßregeln der Besserung und Sicherung, die auf diesen Zweck der Prävention gerichtet sein müssen, BVerfGE 91, 1, 27 f. 1061 Vgl. zu dieser Differenzierung auch BVerfGE 110, 1, 17 (erweiterter Verfall „setzt zwar vergangenheitsbezogene Feststellungen voraus und ist insoweit retrospektiv. Der korrigierende Eingriff aber, mit dem der Staat auf eine deliktisch entstandene Vermögenslage reagiert, ist nicht notwendig repressiv“). 1062 Vgl. Klumpp, Die Privatstrafe, S. 19; s. ferner BVerfGE 110, 1, 17 („Sie knüpfen zwar an in der Vergangenheit begründete Zustände an, sind in ihrer Zielrichtung aber zukunftsbezogen. Sie wollen nicht ein normwidriges Verhalten öffentlich missbilligen und sühnen, sondern verhindern, dass eine bereits eingetretene Störung der Rechtsordnung in Zukunft andauert“), 18; BVerfG NJW 2021, 1222, 1224. 1063 Vgl. BVerfGE 110, 1, 17; BVerfG NJW 2021, 1222, 1224.
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ist zu differenzieren: zwischen Anknüpfungspunkt der Haftung bzw. Sanktion einerseits, ihrem Inhalt und ihrer Zielrichtung andererseits.1064 Natürlich können präventive Ansprüche auch an vergangenes Verhalten anknüpfen (§ 1004 Abs. 1 S. 2 BGB).1065 Aber damit sie präventiv sind, müssen sie Rechtsgrund, Inhalt und Rechtsfolge nach präventiv sein.1066 Damit also eine nichtpönale Präventivmaßnahme vorliegt, müsste die Sanktion rein zukunftsorientiert und präventiv ausgestaltet sein.1067 Präventive Maßnahme des zivilrechtlichen Rechtsgüterschutzes ist insofern der Unterlassungsanspruch nach § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB1068, der auf sämtliche drohende Rechtsgutsverletzungen selbst bei Erstbegehungsgefahr angewendet wird.1069 Die Verhinderung zukünftiger Rechtsgutsverletzungen wird vollstreckungsrechtlich durch die Unterlassungsvollstreckung (§ 890 ZPO) erreicht, ferner durch den präventiven einstweiligen Rechtsschutz.1070 Im Rahmen von § 890 ZPO werden für den Fall der Zuwiderhandlung Ordnungsmittel angedroht und nach Zuwiderhandlung festgesetzt.1071 In diesem Zusammenhang ist vom BVerfG ebenso wie vom BGH und der herrschenden Lehre anerkannt, dass die Ordnungsmittel nach § 890 Abs. 1 ZPO nicht nur als Beugemittel präventiven Zwecken, sondern auch repressiv der Vergeltung des Verstoßes gegen das gerichtliche Verbot dienen.1072 Sie unterfallen daher anerkanntermaßen dem Schuldprinzip.1073 1064
Vgl. ansatzweise BVerfGE 110, 1, 17; BVerfG NJW 2021, 1222, 1224. S. insoweit zum Unterlassungsanspruch bei Wiederholungsgefahr etwa Jauernig/Berger, § 1004 Rn. 11; BGH NJW 2004, 1035, 1036 („Insbesondere spricht angesichts des bereits erfolgten rechtswidrigen Eingriffs eine tatsächliche Vermutung für das Vorliegen der erforderlichen Wiederholungsgefahr“). 1066 S. zu diesen Anforderungen zuvor. Dazu, dass der Unterlassungsanspruch nach § 1004 Abs. 1 S. 2 selbst präventiv ausgestaltet ist, s. Bruns, in: Bruns/Suzuki (eds.), Preventive Instruments, p. 13, 14 s., 17; Jauernig/Berger, § 1004 Rn. 10 f.; BGH NJW 2004, 1035, 1036. 1067 Vgl. BVerfGE 110, 1, 18. 1068 Klumpp, Die Privatstrafe, S. 19; Bruns, in: Bruns/Suzuki (eds.), Preventive Instruments, p. 13, 14 s., 17; vgl. auch Wilhelmi, Risikoschutz, S. 56 ff., 71; Janssen, Präventive Gewinnabschöpfung, S. 170; s. zum Verhältnis von Strafe und Unterlassung Deutsch, in: Müller/Soell (Hrsg.), FS Wahl, S. 339, 343 f.; RGZ 77, 217, 222; 156, 377. 1069 S. nur Bruns, in: Bruns/Suzuki (eds.), Preventive Instruments, p. 13, 17; Jauernig/Berger, § 1004 Rn. 11; BGH NJW 2004, 3701, 3702; NJW-RR 2015, 1039, 1040; ferner dazu oben bereits S. 31 f. 1070 Dazu Baur/Stürner/Bruns, Zwangsvollstreckungsrecht, § 40 Rn. 20; § 53 Rn. 1, 6; Bruns, in: Bruns/Suzuki (eds.), Preventive Instruments, p. 13, 14 s.; Jauernig/Berger, § 1004 Rn. 12. 1071 Dazu Baur/Stürner/Bruns, Zwangsvollstreckungsrecht, § 40 Rn. 22 ff., 24 ff. 1072 BVerfGE 20, 323, 332 ff.; BVerfG NJW 1981, 2457; 2018, 531, 533; NJW-RR 2007, 860, 861 f.; 2017, 957, 958 f.; BGH NJW-RR 2017, 382, 383; s.a. Zöller/Seibel, § 890 ZPO Rn. 6; Baur/Stürner/Bruns, Zwangsvollstreckungsrecht, Rn. 40.27; RGZ 77, 217, 222 f. 1073 BVerfGE 20, 323, 332 f.; BVerfG NJW 1981, 2457; 2018, 531, 533; NJW-RR 2007, 860, 861 f.; 2017, 957, 958 f.; BGH NJW-RR 2017, 382, 383; s.a. Thönissen, AcP 219 (2019), 855, 865 f. 1065
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Folglich stellt sich die Frage, inwieweit daneben noch Raum ist für rein präventiv wirkende zivilrechtliche Sanktionen, die weder der Vergeltung vergangenen Unrechts dienen noch (künftige) Zuwiderhandlungen gegen ein Unterlassungsgebot verhindern bzw. nach Zuwiderhandlung sanktionieren – für diese beiden gilt nämlich unstreitig der Schuldgrundsatz. Eine nur an präventive Aspekte anknüpfende Maßnahme mit Sanktionscharakter, die selbst kein schuldhaftes Unrecht voraussetzt, verstößt zwangsläufig gegen das Schuldprinzip, wenn sie ihrem Inhalt nach nicht nur präventiv ausgestaltet ist. Dies würde aber voraussetzen, dass eine als Geldzahlungsanspruch ausgestaltete Privatstrafe rein präventiv zu qualifizieren ist. Ein an vergangene Unrechtstaten anknüpfender Präventivschadensersatz1074 ist in dieser Hinsicht jedoch nicht rein präventiv. Im Gegensatz zu Maßregeln der Besserung und Sicherung (wie freiheitsentziehende Maßnahmen), die ihrem Inhalt nach notwendig präventiv wirken1075, kann eine Geldstrafe nicht in diesem Sinne rein präventiv wirken. Überall dort, wo an vergangenes Unrecht angeknüpft wird und gerade deswegen eine Sanktion verhängt wird, liegt daher auch Strafe oder „strafähnliche Sanktion“ im Sinne des Schuldgrundsatzes vor.1076 Es gibt also keinen Präventivschadensersatz als selbständige vierte Kategorie neben ausgleichsbezogenem Schadensersatz, (Schuld-)Strafe und bereicherungsrechtlich einzuordnenden Maßnahmen (wie die Gewinnabschöpfung1077).1078 Ein „Präventiv1074 Vgl. dazu, dass dieser Anspruch daran anknüpfen soll, Schubert, Die Wiedergutmachung, S. 874 f., 877; zur Gewinnabschöpfung s. gleich noch S. 518 f., 520. 1075 Dies ist gerade Folge dessen sowie Voraussetzung dafür, dass der Schuldgrundsatz nicht greift, vgl. BVerfGE 91, 1, 27 f.; BVerfG NJW 2010, 1514, 1515. 1076 A.A. Schubert, Die Wiedergutmachung, S. 856 f., 874, 877, wonach für den „Schadensersatzanspruch mit selbständiger Präventionsfunktion“/„Privatstrafe“ der Schuldgrundsatz nicht eingreifen soll. 1077 S. dazu sogleich. 1078 Es geht also um bestimmte rechtliche Basiskategorien, die sich das Recht selbst zu eigen gemacht hat; vgl. dazu auch ansatzweise Schubert, die Wiedergutmachung, S. 673 ff., die indes selbst davon ausgeht, dass es einen „Schadensersatzanspruch mit selbständiger Präventionsfunktion“ als „Privatstrafe“ gibt, der nicht den für Strafen geltenden Verfassungsbestimmungen unterfällt (aaO, S. 874, 877: keine Geltung des verfassungsrechtlichen Schuldprinzips). Wagner (Gutachten, 66. DJT, A82 f., A98 ff.) erfasst unter dem Begriff des Präventivschadensersatzes auch die Konstellation, in der ein geltend gemachter Schadensersatz um den Betrag erhöht wird, in Höhe dessen Dritte geschädigt wurden, die ihre Schadensersatzansprüche jedoch nicht geltend machen. Derjenige, der seinen Schaden geltend macht, erhält also einen erhöhten Betrag. Diese Erhöhung wird mit Präventionsgesichtspunkten begründet, da andernfalls der Schädiger infolge der Nichtgeltendmachung der Schäden nicht den gesamten durch ihn verursachten Schaden begleichen müsste. Tatsächlich handelt es sich bei dieser Erhöhung aber entweder um die Geltendmachung des Schadensersatzes dritter Personen (zu dieser Problematik im Hinblick auf die Disposition unten S. 555 f., 556 ff.) oder um einen Schadensersatzanspruch ohne Schaden, der infolgedessen pönal qualifiziert werden muss (s. aber auch oben S. 491 f. zum Ausgestaltungsspielraum des Gesetzgebers bei der Bemessung des Schadensersatzes).
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schadensersatz“ ist demnach zwangsläufig echte Privatstrafe und unterfällt damit dem Schuldgrundsatz. ff) Schuldgrundsatz und Gewinnabschöpfung (1) Strafrechtliche Gewinnabschöpfung und Schuldgrundsatz Demgegenüber hat das BVerfG die sog. „Gewinnabschöpfung“1079 in Gestalt des erweiterten Vermögensverfalls nach § 73d StGB a.F. als präventive Maßnahme qualifiziert und damit mangels „strafenden oder strafähnlichen“ Charakters dem Anwendungsbereich des Schuldgrundsatzes sowie weiterer strafrechtlicher Verfassungsgrundsätze entzogen.1080 Die Norm verfolgt danach „vermögensordnende und normstabilisierende Ziele“, indem sie auf die „Korrektur einer deliktisch zustande gekommenen Vermögenszuordnung“ zielt.1081 Da es in der Entscheidung des Gesetzgebers liege, ob er mit der Gewinnabschöpfung auch strafende Zwecke verfolgt, müsse die „Abschöpfung rechtswidrig erzielter Gewinne“ nicht zwangsläufig als „vergeltende Sanktion“ qualifiziert werden1082. Es geht bei der Gewinnabschöpfung „nicht um die Zufügung eines Übels, sondern um die Beseitigung eines Vorteils, dessen Verbleib den Täter zu weiteren Taten verlocken könnte“.1083 Ein repressiver Charakter soll auch nicht dadurch begründet werden, dass die Maßnahme an eine Handlung der Vergangenheit anknüpft und der „Beseitigung einer bereits eingetretenen Störung der Vermögensordnung“ dient.1084 Vielmehr ist ihr Charakter insoweit präventiv und mit der „Gefahrenabwehr“ verbunden, als die Störung der Vermögensordnung nicht für die Zukunft perpetuiert werden soll und es darum geht, „einen rechtswidrigen Zustand für die Zukunft zu beseitigen“.1085 Daneben bestehen auch generalpräventive Aspekte dahingehend, dass „Anreize für gewinnorientierte Delikte“ reduziert werden sollen.1086 Bei dieser Einordnung zeigen sich jedoch in mehrfacher Hinsicht Probleme.1087 Die rein präventive Qualifikation begegnet offensichtlichen Problemen, da die Maßnahme an rechtswidriges Verhalten der Vergangenheit anknüpft.1088 Ferner 1079 Zur Gewinnabschöpfung aus zivilrechtlicher Perspektive etwa Schubert, Die Wiedergutmachung, S. 810 ff. sowie gleich noch S. 523 f. 1080 BVerfGE 110, 1, 14 ff.; s.a. BT-Drs. 18/9525, S. 58; zur Rechtslage nach der Reform von 2017 ebenso BVerfG NJW 2021, 1222, 1223 ff. 1081 BVerfGE 110, 1, 14, 16. 1082 BVerfGE 110, 1, 14 ff.; ferner BVerfGE 81, 228, 237 f. 1083 BVerfGE 110, 1, 16. 1084 BVerfGE 110, 1, 17. 1085 BVerfGE 110, 1, 17 f. 1086 BVerfGE 110, 1, 19. 1087 Kritisch auch Kindhäuser/Neumann/Paeffgen/Saliger, Vorbemerkungen zu §§ 73 ff. Rn. 5. 1088 Vgl. insoweit zur Kritik Schönke/Schröder/Eser/Schuster, vor § 73 Rn. 16; s.a. BVerfGE 110, 1, 17, das selbst diesen Aspekt der Anknüpfung sieht; ferner BVerfG NJW 2021, 1222, 1224.
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erscheint zweifelhaft, inwieweit die Qualifikation der Maßnahme dem Gesetzgeber überlassen werden kann.1089 Es kommt vielmehr auf Ziel, Rechtsgrund und Inhalt der Maßnahme selbst an.1090 So dienen Gewinnabschöpfungsansprüche ähnlich der Bereicherungshaftung der Korrektur einer Vermögenszuordnung, die dem objektiven Recht widerspricht.1091 Insofern tragen sie funktional Ähnlichkeiten mit zivilrechtlichen Bereicherungsansprüchen und damit „kondiktionsrechtlichen Charakter“1092, wenngleich sie grundsätzlich nicht zu einer Herausgabe rechtsgrundlos erhaltener Zuwendungen an den Entreicherten führen, sondern die Zuwendungen der Staatskasse zuführen.1093 Der Grund, dass die Gewinnabschöpfung nicht pönal qualifiziert wird, liegt also nicht in der Prävention, sondern in ihrem quasi-kondiktionellen Charakter.1094 Aus letzterem folgen aber wiederum Vorgaben für die Ausgestaltung der Gewinnabschöpfung.1095 1089 Entsprechend ist für die Einziehung (§§ 73 ff. StGB) umstritten, ob es sich hierbei um eine Nebenstrafe oder um „eine quasi-kondiktionelle Maßnahme“ handelt – Letzteres hat zur Folge, dass das Schuldprinzip nicht gilt und nur eine rechtswidrige, hingegen nicht notwendig schuldhafte Begehung erforderlich ist; für einen kondiktionellen Charakter Lackner/Kühl/Heger, § 73 StGB Rn. 1; BT-Drs. 18/9525, S. 47, 48, 55; kritisch allerdings Kindhäuser/Neumann/Paeffgen/Saliger, Vorbemerkungen zu §§ 73 ff. Rn. 2, 5; Schönke/Schröder/Eser/Schuster, vor § 73 Rn. 15 ff. (im Hinblick auf das Brutto-Prinzip). 1089 Vgl. zu einer ähnlichen Kritik iRv Art. 103 Abs. 3 GG v. Mangoldt/Nolte/Aust, Art. 103 Rn. 213; Maunz/Dürig/Remmert, Art. 103 Abs. 3 Rn. 58 (zu den Ordnungswidrigkeiten). 1090 Dazu oben S. 512 sowie BVerfGE 110, 1, 13 f.; BVerfG NJW 2021, 1222, 1223. 1091 Zum Strafrecht etwa Schönke/Schröder/Eser/Schuster, vor § 73 Rn. 15; s. dazu im Hinblick auf den erweiterten Verfall BVerfGE 110, 1, 16, 21; BT-Drs. 11/6623, S. 4, 5 ff.; ferner zur Gewinnabschöpfung nach § 10 UWG Oppermann/Müller, GRUR 2005, 280, 284; zur Abgrenzung von Gewinnabschöpfung und Strafe auch Poelzig/Bauermeister, NZKart 2017, 491, 496; Jansen, Haftungsrecht, S. 38 (Gewinnabschöpfung „kondiktionsrechtlich erfaßbar“); grundsätzlich zur Erfassung der Gewinnabschöpfung über das Bereicherungsrecht Canaris, in: Ahrens (u.a.) (Hrsg.), FS Deutsch, S. 85 ff., 108 f. 1092 S. etwa zum erweiterten Verfall BVerfGE 110, 1, 16, 21; BVerfG NJW 2021, 1222, 1224; BT-Drs. 11/6623, S. 6; Schönke/Schröder/Eser/Schuster, vor § 73 Rn. 15; Kindhäuser/ Neumann/Paeffgen/Saliger, Vorbemerkungen zu §§ 73 ff. Rn. 5; ferner zur zivilrechtlichen Gewinnabschöpfung Oppermann/Müller, GRUR 2005, 280, 284; Jansen, Haftungsrecht, S. 38; teilweise kritisch Köhler/Bornkamm/Feddersen/Köhler, § 10 UWG Rn. 5 (in Rechtsfolge bereicherungsrechtlich, anders aber im Grund; deswegen „Anspruch eigener Art“); ferner Wagner, Gutachten, 66. DJT, A85 ff. 1093 S. z.B. § 10 Abs. 1 UWG; § 34a Abs. 1 GWB sowie Oppermann/Müller, GRUR 2005, 280, 284; dazu auch Poelzig/Bauermeister, NZKart 2017, 491, 496. 1094 S. dazu die Nachweise zuvor Fn. 1092; ferner BVerfG NJW 2021, 1222, 1224; vgl. insoweit auch sowie zur Kritik am präventiv-gefahrenabwehrrechtlichen Charakter Schönke/ Schröder/Eser/Schuster, vor § 73 Rn. 15, 16; Kindhäuser/Neumann/Paeffgen/Saliger, Vorbemerkungen zu §§ 73 ff. Rn. 5. 1095 S. dazu auch sogleich S. 524 ff.; vgl. auch Schönke/Schröder/Eser/Schuster, vor § 73 Rn. 15 ff., 18 dazu, dass mit Umstellung auf das Brutto-Prinzip der quasi-kondiktionelle Charakter verloren gehe und dann wiederum ein pönaler Charakter anzunehmen sei, der zur Anwendung der strafrechtsbezogenen Verfassungsgrundsätze führe.
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(2) Zivilrechtliche Gewinnabschöpfung Rechtliche Maßnahmen der Gewinn- oder Vermögensabschöpfung existieren nicht nur im Straf-, sondern auch im Lauterkeits- (§ 10 UWG) sowie Kartellrecht (§§ 34 Abs. 1, 34a Abs. 1 GWB).1096 In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass die Gewinnabschöpfung zwei verschiedenen Zwecken dienen kann1097: zum einen als Möglichkeit der Schadensberechnung („Gewinnabschöpfung zu Kompensationszwecken“)1098, zum anderen als selbständiger Gewinnabschöpfungsanspruch („Gewinnabschöpfung zu Präventionszwecken“).1099 Als Möglichkeit der Schadensberechnung, die neben dem entgangenen Gewinn sowie der Lizenzanalogie steht, kommt der Gewinnabschöpfung trotz Präventivfunktion keine Straffunktion, sondern Ausgleichsfunktion zu, indem diese dem Schadensausgleich dient.1100 Allerdings steht dieser Schadensersatzanspruch nur den Geschädigten zu, setzt also materielle Betroffenheit voraus.1101 Er könnte daher nicht von Verbänden im Wege der Verbandsklage als eigener Schadensersatzanspruch geltend gemacht werden.1102 Hiervon zu unterscheiden ist die selbständige Gewinnabschöpfung im Lauterkeits- und Kartellrecht, die Parallelen zum strafrechtlichen Verfall1103 zeigt.1104 Nach § 10 UWG kann derjenige, der vorsätzlich eine unlautere geschäftliche Handlung vornimmt und hierdurch einen Gewinn erzielt, von Mitbewerbern oder Verbänden auf Herausgabe des Gewinns an den Bundeshaushalt in Anspruch genommen werden.1105 Ferner haben Verbände im Kar1096 Dazu Schubert, Die Wiedergutmachung, S. 810 ff.; ferner Janssen, Präventive Gewinnabschöpfung, S. 531 ff. 1097 Vgl. dazu Wagner, Gutachten, 66. DJT, A86 ff. 1098 Wagner, Gutachten, 66. DJT, A86 f.; Schubert, Die Wiedergutmachung, S. 805 ff.; dazu auch Raue, Die dreifache Schadensberechnung, S. 398 ff. 1099 Wagner, Gutachten, 66. DJT, A87 f.; Schubert, Die Wiedergutmachung, S. 810. 1100 Schubert, Die Wiedergutmachung, S. 805 f.; s. aber auch Raue, Die dreifache Schadensberechnung, S. 437 ff. (zwar auch Kompensation, aber nur als Nebenfunktion, primär Prävention). 1101 Vgl. zur Anspruchsberechtigung etwa (bei § 33a GWB) Immenga/Mestmäcker/ Frank, § 33a Rn. 18 ff.; zu den Anspruchsberechtigten bei § 9 UWG MünchKomm Lauterkeitsrecht/Micklitz, § 10 UWG Rn. 47 ff.; s. ferner zu dieser Abgrenzung von den selbständigen Gewinnabschöpfungsansprüchen Schubert, Die Wiedergutmachung, S. 805 ff., 810. 1102 S. dazu unten S. 561 ff. sowie zu dieser Unterscheidung der Geltendmachung fremder Schäden sowie eigener Ansprüche von Verbänden Halfmeier, Popularklagen, S. 383 ff. 1103 S. zu dieser Parallele Mönch, ZIP 2004, 2032, 2037; ferner MünchKomm Lauterkeitsrecht/Micklitz, § 10 UWG Rn. 41, 45 (ablehnend). 1104 Dazu Schubert, Die Wiedergutmachung, S. 810 ff. Ferner hierzu sowie zur Diskussion des pönalen Charakters, wobei die h.L. diesen ablehnt, s. Alexander, JZ 2006, 890, 893; Köhler/Bornkamm/Feddersen/Köhler, § 10 UWG Rn. 3; MünchKomm Lauterkeitsrecht/ Micklitz, § 10 UWG Rn. 45; Oppermann/Müller, GRUR 2005, 280, 283 f.; Schubert, Die Wiedergutmachung, S. 810; pönalen Charakter dagegen bejahend Wimmer-Leonhardt, GRUR 2004, 12, 16 ff. 1105 Dazu etwa MünchKomm Lauterkeitsrecht/Micklitz, § 10 UWG Rn. 60 ff.
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tellrecht nach § 34a GWB selbständige Ansprüche auf Gewinnabschöpfung zugunsten des Bundeshaushalts.1106 Von bereicherungsrechtlichen sowie sonstigen schadensersatzrechtlichen1107 Ansprüchen unterscheiden sich diese Gewinnabschöpfungsansprüche dadurch, dass der Erlös nicht dem Bereicherungs- oder Schadensersatzgläubiger, sondern der Staatskasse zufließt.1108 Auch hier wird ein pönaler Charakter vor allem im Hinblick auf das Doppelbestrafungsverbot nach Art. 103 Abs. 3 GG diskutiert.1109 Auch wenn die selbständige Gewinnabschöpfung nicht dem Schadensausgleich dient, werden hier ähnlich wie beim Verfall gegen einen strafrechtlichen Charakter (general-)präventive Gründe angebracht1110 sowie argumentiert, dass der kondiktionsähnliche Eingriff in eine rechtswidrig erlangte Vermögensposition keinen strafenden Charakter habe.1111 (3) Anforderungen an nicht-pönale Gewinnabschöpfungsansprüche Damit Gewinnabschöpfungsansprüche keinen strafenden, sondern bereicherungsrechtlichen Charakter tragen, muss sichergestellt sein, dass keine mehrfache oder übermäßige Inanspruchnahme für denselben „Unrechtsgewinn“ droht.1112 Damit die an den Bundeshaushalt fließende Gewinnabschöpfung als nicht-pönale Maßnahme qualifiziert werden kann, müssen an den tatsächlich Geschädigten gehende Leistungen auch die Gewinnabschöpfung mindern, wie dies etwa in § 10 Abs. 2 S. 1 UWG oder in § 34 Abs. 2 GWB/§ 34 a Abs. 2 1106
Dazu etwa Immenga/Mestmäcker/Frank, § 34a Rn. 1 ff., 6. Zur Parallele mit Bereicherungs- und Schadensersatzansprüchen s. Oppermann/Müller, GRUR 2005, 280, 284; OLG Stuttgart, GRUR 2007, 435, 436; dagegen aber MünchKomm Lauterkeitsrecht/Micklitz, § 10 UWG Rn. 60 ff. („Anspruch sui generis“); ferner zu den Parallelen, aber auch Unterschieden Köhler/Bornkamm/Feddersen/Köhler, § 10 UWG Rn. 5 (auf Tatbestand an Schadensersatzanspruch, auf Rechtsfolgenebene an Bereicherungsanspruch orientiert; „Anspruch eigener Art“). 1108 S. Köhler/Bornkamm/Feddersen/Köhler, § 10 UWG Rn. 5; Oppermann/Müller, GRUR 2005, 280, 284; RegE BT-Drs. 15/1487, S. 24; ferner dazu im Einzelnen Immenga/ Mestmäcker/Emmerich, § 34a Rn. 29; MünchKomm Lauterkeitsrecht/Micklitz, § 10 UWG Rn. 66 ff.; vgl. Poelzig/Bauermeister, NZKart 2017, 491, 496. 1109 Zu dieser Diskussion etwa Mönch, ZIP 2004, 2032, 2038; MünchKomm Lauterkeitsrecht/Micklitz, § 10 UWG Rn. 46 ff.; Janssen, Präventive Gewinnabschöpfung, S. 175 ff; s. ferner bereits Fn. 1104 zuvor zur Diskussion um den pönalen Charakter. 1110 MünchKomm Lauterkeitsrecht/Micklitz, § 10 UWG Rn. 42; Janssen, Präventive Gewinnabschöpfung, S. 177 ff.; s.a. RegE BT-Drs. 15/1487, S. 24. 1111 MünchKomm Lauterkeitsrecht/Micklitz, § 10 UWG Rn. 45, 48; Köhler/Bornkamm/ Feddersen/Köhler, § 10 UWG Rn. 3; Schubert, Die Wiedergutmachung, S. 810; OLG Stuttgart, GRUR 2007, 435, 436; dagegen für pönalen Charakter Wimmer-Leonhardt, GRUR 2004, 12, 16; Mönch, ZIP 2004, 2032, 2037 f. 1112 Vgl. Oppermann/Müller, GRUR 2005, 280, 283 f.; Schönke/Schröder/Eser/Schuster, vor § 73 Rn. 15 ff.; Lackner/Kühl/Heger, § 73 StGB Rn. 1; Kindhäuser/Neumann/Paeffgen/ Saliger, Vorbemerkungen zu §§ 73 ff. Rn. 5; s. ferner auch gegen Kumulation Wagner, Gutachten, 66. DJT, A97; s. aber weitergehend Mönch, ZIP 2004, 2032, 2037 f., der generell Strafcharakter annimmt. 1107
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GWB vorgesehen ist.1113 Wäre keine solche Anrechnung vorgesehen, würde die Gewinnabschöpfung letztlich zu einem strafrechtlichen Instrument, da es nicht um eine Quasi-Kondiktion, sondern unabhängig von einer rechtswidrigen Bereicherung um eine Sanktion begangenen Unrechts geht.1114 Neben die Beurteilung nach deutschem Verfassungsrecht können ferner an „Strafen“ anknüpfende Primärrechtsgarantien des Europäischen Rechts treten, wie etwa das Doppelbestrafungsverbot nach Art. 50 EU-GrCh.1115 In der Rechtsprechung des EGMR zu Art. 4 7. EMRK-Protokoll1116 wurde dabei ein eigenständiger Strafbegriff entwickelt, der von demjenigen des BVerfG abweicht.1117 Angeknüpft wird neben der Qualifikation des nationalen Rechts an die Natur des Vergehens und den Zweck der Sanktion (repressive Bestrafung – kompensatorische Funktion oder Schutz von Drittinteressen) sowie die Art und Schwere der Sanktion.1118 Allerdings gilt auch nach der Rechtsprechung des EuGH, dass auf die Abschöpfung rechtswidrig erlangter Gewinne der ne bis in idem-Grundsatz nicht zur Anwendung gelangt, da es nicht um Bestrafung, sondern um Herausgabe rechtswidrig erlangter Vorteile geht.1119 Beschränkt sich eine (unechte) „Privatstrafe“1120 auf die Gewinnabschöpfung, ohne damit einen Unrechtsvorwurf zu verbinden, handelt es sich nach herr1113 S. zu diesem Zusammenhang auch OLG Stuttgart, GRUR 2007, 435, 436; Schubert, Die Wiedergutmachung, S. 810; zur Subsidiarität gegenüber den Schadensersatzansprüchen der Betroffenen etwa Köhler/Bornkamm/Feddersen/Köhler, § 10 UWG Rn. 13; MünchKomm Lauterkeitsrecht/Micklitz, § 10 UWG Rn. 153 ff.; Immenga/Mestmäcker/Emmerich, § 34 Rn. 40; Immenga/Mestmäcker/Emmerich, § 34a Rn. 23 f.; vgl. auch Janssen, Präventive Gewinnabschöpfung, S. 180. 1114 Vgl. zu dieser Thematik Oppermann/Müller, GRUR 2005, 280, 283 f.; OLG Stuttgart, GRUR 2007, 435, 436; s. zu dieser Kritik im strafrechtlichen Kontext Schönke/Schröder/Eser/Schuster, vor § 73 Rn. 15 ff., wonach bei Ausgestaltung über das „Brutto-Prinzip“ der kondiktionelle Charakter verloren gehe und ein pönaler Charakter gegeben sei; s. ferner zu dieser Diskussion um „Brutto“- oder „Nettoprinzip“ etwa Kindhäuser/Neumann/Paeffgen/Saliger, Vorbemerkungen zu §§ 73 ff. Rn. 2, 5; BVerfGE 110, 1, 20 f. (Nettoprinzip als „Abschöpfung des Taterlöses abzüglich der Tatkosten“ – Bruttoprinzip als „Abschöpfung des erlangten „Etwas“, des Taterlöses ohne Abzug für die Tat geleisteter Aufwendungen“); indes sind Leistungen an den Verletzten auch nach der Neuregelung in Abzug zu bringen, s. § 73d Abs. 1 S. 2 Hs. 2 StGB sowie BVerfG NJW 2021, 1222, 1225. 1115 Hierzu, auch zur Anwendbarkeit der europarechtlichen Vorgaben im Verhältnis zum nationalen Verfassungsrecht bei §§ 34, 34a GWB Poelzig/Bauermeister, NZKart 2017, 491, 492 ff.; ferner Raue, Die dreifache Schadensberechnung, S. 233 f. 1116 Die Rechtsprechung des EGMR wird wegen Art. 52 Abs. 3 S. 1 EU-GrCh relevant, dazu auch Poelzig/Bauermeister, NZKart 2017, 491, 492. 1117 S. EGMR, Urt. v. 8.6.1976, Nr. 5100/71; 5101/71; 5102/71; 5354/72; 5370/72, Rn. 82 (Engel and others v. the Netherlands); dazu Poelzig/Bauermeister, NZKart 2017, 491, 492 f.; Raue, Die dreifache Schadensberechnung, S. 233 f. 1118 EGMR, Urt. v. 8.6.1976, Nr. 5100/71; 5101/71; 5102/71; 5354/72; 5370/72, Rn. 82 (Engel and others v. the Netherlands); dazu Poelzig/Bauermeister, NZKart 2017, 491, 493. 1119 EuGH, Urt. v. 21.7.2011, C-150/10, ECLI:EU:C:2011:507, Rn. 70 (Beneo-Orafti SA); dazu Poelzig/Bauermeister, NZKartell 2017, 491, 496. 1120 S. zu diesem Begriff oben S. 498.
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schender Auffassung um keine „Strafe“ oder „strafähnliche Sanktion“ im Sinne des Schuldgrundsatzes. gg) Zwischenergebnis Als Zwischenergebnis kann festgehalten werden, dass auch für (echte) Privatstrafen der Schuldgrundsatz gilt. Dies bedeutet zugleich, dass der Schuldgrundsatz einer Verhängung von Privatstrafen nicht entgegensteht. Es besteht grundsätzlich die Möglichkeit, dass Private im Zivilverfahren Privatstrafen geltend machen, wobei dann den entsprechenden Anforderungen, die mit dem Schuldgrundsatz verbunden sind, Rechnung getragen werden muss. Insbesondere muss ein Differenzierungsgebot von (Privat-)Strafe und sonstigen Rechtsfolgen Platz greifen. Zwei Fragen sind dabei aber noch nicht beantwortet: Wie ist das Verhältnis dieser Privatstrafen zu anderen Strafen und „strafähnlichen Sanktionen“, die im Wege hoheitlicher Strafverfahren verhängt werden? Ist eine Kumulation möglich? d) Doppelbestrafungsverbot (Art. 103 Abs. 3 GG) aa) Geltung des Doppelbestrafungsverbots für Privatstrafen und Strafschadensersatz? Es wurde gezeigt, dass es einen originären Bereich rein staatlichen Strafens gibt, in dem die Verhängung der Strafe aufgrund amtswegiger Verfahrenseinleitung und -durchführung mit Strafverfolgungspflicht verfassungsrechtlich geboten ist.1121 Gleichzeitig wurde erörtert, dass es auch außerhalb des Strafund Strafprozessrechts grundsätzlich Privatstrafen geben kann, die von Privaten im Wege des Zivilverfahrens durchgesetzt werden können.1122 Für diese Privatstrafen gilt aber der Schuldgrundsatz. Sie haben daher den an Strafen zu stellenden verfassungsrechtlichen Anforderungen Rechnung zu tragen („Differenzierungsgebot“), was die Rechtsfolgen (Grundsatz der Schuldangemessenheit) ebenso wie das Verfahren betrifft. Bislang noch nicht erörtert wurde, ob in dem Bereich, in dem eine staatliche Strafrechtspflege verfassungsrechtlich geboten oder einfachrechtlich vorgesehen ist, neben einem Strafrecht Raum bleibt für Privatstrafen im Sinne eines Strafschadensersatzes. Dem steht zwar nicht grundsätzlich das Schuldprinzip, möglicherweise aber das Doppelbestrafungsverbot aus Art. 103 Abs. 3 GG entgegen. Wirkung des Doppelbestrafungsverbotes ist dabei, dass eine Tat1123 1121
S. dazu oben S. 502 ff. S. dazu oben S. 506 f., 513 ff.; ferner zur Zulässigkeit eines „zivilrechtlichen strafenden Anspruchs“ Schramm, Haftung für Tötung, S. 255. 1123 Zum Tatbegriff iSv Art. 103 Abs. 3 GG Maunz/Dürig/Remmert, Art. 103 Abs. 3 Rn. 49 ff. 1122
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nur einmal Gegenstand strafrechtlicher Verfolgung sein darf.1124 Es schließt als Verfahrenshindernis nicht nur die nochmalige Strafverfolgung nach Verurteilung, sondern generell das Betreiben eines erneuten Strafverfahrens nach vorangegangener gerichtlicher Entscheidung aus.1125 Ob das Doppelbestrafungsverbot auch für die Privatstrafe und den Strafschadensersatz gilt, ist in der Literatur umstritten.1126 Gegen die Geltung des Doppelbestrafungsverbots und damit für die Möglichkeit der Kumulation von Privatstrafe und (hoheitlichen) Strafen sowie mehrfacher Privatstrafen wird argumentiert, dass sich das Doppelbestrafungsverbot nur auf die Kriminalstrafe beziehe und damit nicht die Privatstrafe oder überkompensatorische Entschädigungen ausschließe.1127 Nach dieser Auffassung folgt das BVerfG einer formellen Einordnung, wonach nur die „Kriminalstrafe im formalen Sinne“, hingegen nicht die Privatstrafe Art. 103 Abs. 3 GG und den „allgemeinen Strafgesetzen“ unterfällt.1128 Zivilrechtliche Ansprüche, die „zivilrechtliches Unrecht“, hingegen nicht „kriminelles Unrecht“ sanktionieren, fallen demnach nicht unter das Doppelbestrafungsverbot.1129 Die Privatstrafe bezieht sich nur auf die zwischen Schädiger und Geschädigtem bestehende Rechtsbeziehung und sanktioniert das den Individualrechtsgütern des Geschädigten zugefügte Unrecht.1130 1124 Im Einzelnen zu Wirkungen und Reichweite des Doppelbestrafungsverbotes Maunz/ Dürig/Remmert, Art. 103 Abs. 3 Rn. 61 ff. 1125 S. im Einzelnen Isensee/Kirchhof/Möstl, Handbuch des Staatsrechts, § 179 Rn. 57; Maunz/Dürig/Remmert, Art. 103 Abs. 3 Rn. 61; Jarass/Pieroth, Art. 103 Rn. 107. 1126 Gegen die Geltung Bentert, Das pönale Element, S. 10, 92; Ebert, Pönale Elemente im deutschen Privatrecht, S. 529 m.w.N.; Grossfeld, Die Privatstrafe, S. 123; Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, S. 298 ff. (teilweise anders aber im Hinblick auf die „EMRK“; S. 300: „im Einzelfall […] Anwendung des Doppelbestrafungsverbots“; dazu unten noch S. 530); B. Kern, AcP 191 (1991), 247, 262 f.; Poelzig, Normdurchsetzung von Privatrecht, S. 352 f.; Schäfer, AcP 202 (2002), 397, 425; Schlobach, Das Präventionsprinzip im Recht des Schadensersatzes, S. 428 f.; Schramm, Haftung für Tötung, S. 248 ff.; Schubert, Die Wiedergutmachung, S. 855 f. m.w.N.; s.a. BVerfG, Beschluss v. 3.8.1989, 1 BvR 1194/88; für die Geltung des Doppelbestrafungsverbotes im Verhältnis von Privat- und Kriminalstrafe dagegen Merkt, Abwehr der Zustellung, S. 156 f., 180; Bötticher, 45. DJT, Bd. II, C18; Greger, in: Waldner/Künzl (Hrsg.), FS Schwab (1990), S. 331, 340; Hirsch, in: Bockelmann/Kaufmann/ Klug (Hrsg.), FS Engisch, S. 304, 325; Hoechst, VersR 1983, 13, 17; Jansen, JZ 2005, 160, 170 Fn. 184; Welke, Die Repersonalisierung des Rechtskonflikts, S. 295 ff.; Zekoll, US-Amerikanisches Produkthaftpflichtrecht, S. 152; s. ferner Canaris, in: Ahrens (u.a.) (Hrsg.), FS Deutsch, S. 85, 107; Kaufmann, JuS 1963, 373, 382 (zu Art. 103 Abs. 2 GG); offen gelassen von BGHZ 118, 312, 345. 1127 So etwa Schubert, Die Wiedergutmachung, S. 855 f.; vgl. ferner Schäfer, AcP 202 (2002), 397, 425. 1128 Schäfer, AcP 202 (2002), 397, 425; s. ferner zum „formalen“ Verständnis Poelzig/Bauermeister, NZKart 2017, 491, 492; gegen „formelle Einordnung“ v. Mangoldt/Nolte/Aust, Art. 103 Rn. 213. 1129 Schubert, Die Wiedergutmachung, S. 856; s.a. Grossfeld, Die Privatstrafe, S. 123, wonach zwischen „privatem Strafanspruch“ und öffentlichem Strafrecht zu unterscheiden ist. 1130 Schäfer, AcP 202 (2002), 397, 425.
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bb) Strafe nach Art. 103 Abs. 3 GG in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (1) Disziplinarstrafen und Maßregeln der Besserung und Sicherung In der Tat unterfallen nach der Rechtsprechung des BVerfG Kriminalstrafen, nicht hingegen Disziplinarstrafen dem Doppelbestrafungsverbot.1131 Das bedeutet, dass im Verhältnis beider zueinander keine Exklusivität besteht und daher beide kumulativ nebeneinander stehen können.1132 Art. 103 Abs. 3 GG spricht dabei von „Bestrafung auf Grund der allgemeinen Strafgesetze“, woraus das BVerfG schließt, dass nicht alle Bestrafungen hiervon umfasst sind.1133 Gegensatz zu den „allgemeinen Gesetzen“ sind allerdings nicht die Sonderstrafgesetze, sondern das „Dienst-, Ordnungs- und Polizeistrafrecht“.1134 Wesen der Art. 103 Abs. 3 GG unterfallenden Kriminalstrafe ist, dass sie neben der Abschreckungs- und Resozialisierungsfunktion „Vergeltung für begangenes Unrecht“ ist.1135 Zur Beurteilung, ob eine Strafe im Sinne von Art. 103 Abs. 3 GG vorliegt, kommt es darauf an, ob die Sanktion mit „einem ehrenrührigen, autoritativen Unwerturteil über eine Verhaltensweise des Betroffenen, dem Vorwurf einer Auflehnung gegen die Rechtsordnung und der Feststellung der Berechtigung dieses Vorwurfs verbunden ist“.1136 Ebenso wie bei der Anwendung des Schuldgrundsatzes ist entscheidend, ob die Sanktion der Vergeltung begangenen Unrechts dient.1137 Die Nähe dieses Strafbegriffs zu dem des Schuldgrundsatzes ist dadurch geboten, dass es sich auch beim Doppelbestrafungsverbot letztlich um eine Ausprägung des Schuldgrundsatzes handelt.1138 Disziplinarstrafen unterscheiden sich nach der Rechtsprechung von der Kriminalstrafe dadurch, dass sie nicht der Vergeltung des Normverstoßes gegen für jedermann geltende allgemeine Rechtsnormen dienen, sondern Sanktionen für Verstöße gegen besondere, nur für bestimmte Personen geltende Berufspflichten sind.1139 Disziplinar- und Kriminalstrafe unterscheiden sich also 1131 BVerfGE 21, 391, 400 ff. (Disziplinarstrafe); 27, 180, 184 ff., 186 f.; 66, 337, 356 f.; dazu auch Maunz/Dürig/Remmert, Art. 103 Abs. 3 Rn. 58. 1132 Vgl. BVerfGE 27, 180, 185, 186. 1133 BVerfGE 21, 391, 401; 27, 180, 185. 1134 BVerfGE 21, 391, 401; 27, 18, 185. 1135 BVerfGE 21, 391, 404. 1136 BVerfGE 43, 101, 105; ferner 22, 49, 80 (zur Kriminalstrafe im Kontext von Art. 92 Hs. 1 GG). 1137 BVerfGE 21, 391, 403, 404. 1138 Vgl. auch v. Münch/Kunig, Art. 103 Rn. 35 („Weil strafrechtliche Schuld rechtlich durch Strafe getilgt wird, versteht sich das Verbot, einen verurteilten Straftäter ein weiteres Mal vor Gericht zu stellen, von selbst“). 1139 S. BVerfGE 21, 391, 403; 27, 180, 186 f.: Es geht danach um „die Aufrechterhaltung der Ordnung“ (BVerfGE 21, 391, 404) in einem bestimmten Berufszweig sowie die Gewährleistung der Erfüllung der Dienstpflichten.
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in ihrem Rechtsgrund (allgemeine, für jedermann geltende Normen – berufsspezifische Pflichten) sowie in ihrem Zweck (Vergeltung begangenen Unrechts – Gewährleistung der ordnungsgemäßen Erfüllung der Dienstpflichten).1140 Umgekehrt sollen aber Disziplinarmaßnahmen „strafähnliche Sanktionen“ im Sinne des Schuldgrundsatzes sein1141, worin sich wiederum das abweichende Strafverständnis der verschiedenen Grundsätze offenbart.1142 Ebenso sind Maßregeln der Besserung und Sicherung (§§ 61 ff. StGB), die als präventive Maßnahmen nicht der Unrechtsvergeltung, sondern dem Schutz der Allgemeinheit vor dem Täter dienen1143, nicht vom Doppelbestrafungsverbot erfasst, da dieses nur „die erneute Bestrafung als missbilligende und vergeltende hoheitliche Reaktion auf schuldhaftes Unrecht” verbietet.1144 (2) Ordnungswidrigkeiten? Demgegenüber dürften sich Straftat und Ordnungswidrigkeit gegenseitig ausschließen, wobei zwar die früher herrschende Meinung im Anschluss an das BVerfG1145 eine Geltung des Doppelbestrafungsverbots für Ordnungswidrigkeiten abgelehnt hat, dies inzwischen aber wieder sehr streitig ist.1146 Gerade im Kontext dieser Diskussion wird darauf hingewiesen, dass zwischen Ordnungswidrigkeiten und Strafen kein apriorischer kategorialer, sondern ein gradueller Unterschied1147 besteht und das Doppelbestrafungsverbot leicht umgangen werden könnte, wenn man dem Gesetzgeber selbst die Entscheidung überlassen würde, ob etwas Strafe im Sinne von Art. 103 Abs. 3 GG ist.1148 Einfachrechtlich wird das Doppelbestrafungsverbot im Ordnungswidrigkeitenrecht durch §§ 56 Abs. 4, 84, 85 OWiG abgebildet.1149 1140
S. BVerfGE 21, 378, 384; 21, 391, 403 f.; 27, 180, 186. So BVerfG NStZ-RR 2004, 220, 221. 1142 S. dazu oben S. 501 f. 1143 S. dazu BVerfGE 109, 133, 151 (Sicherungsverwahrung als „Präventivmaßnahme zum Schutz der Allgemeinheit“). 1144 BVerfG NJW 2009, 980, 981; 2010, 1514, 1515. 1145 Vgl. BVerfGE 21, 378, 388; s. aber auch BVerfGE 27, 180, 186; ferner zur Erzwingungshaft als Beugemittel BVerfGE 43, 101, 105. 1146 S. für Geltung bei Ordnungswidrigkeiten Jarass/Pieroth, Art. 103 Rn. 101; v. Mangoldt/Nolte/Aust, Art. 103 Rn. 215; in diese Richtung auch Maunz/Dürig/Remmert, Art. 103 Abs. 3 Rn. 58; für analoge Anwendung Dreier/Schulze-Fielitz, Art. 103 Abs. 3 Rn. 21; v. Münch/Kunig, Art. 103 Rn. 41; a.A. Sachs/Degenhart, Art. 103 Rn. 80; Isensee/ Kirchhof/Möstl, Handbuch des Staatsrechts, § 179 Rn. 57; Schlobach, Das Präventionsprinzip, S. 429 (der daraus wiederum folgert, dass das Doppelbestrafungsverbot auch nicht für zivilrechtliche Sanktionen gilt). 1147 v. Mangoldt/Nolte/Aust, Art. 103 Rn. 215 („das Ordnungswidrigkeitenrecht, das sich mehr quantitativ als qualitativ vom Strafrecht unterscheidet“). 1148 Vgl. v. Mangoldt/Nolte/Aust, Art. 103 Rn. 213, 215; ferner zu diesem Argument Maunz/Dürig/Remmert, Art. 103 Abs. 3 Rn. 58. 1149 Vgl. v. Münch/Kunig, Art. 103 Rn. 41 Fn. 41; dazu etwa Karlsruher Kommentar OWiG/Lutz, § 84 Rn. 1. 1141
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cc) Privatstrafe als Kriminalstrafe im Sinne von Art. 103 Abs. 3 GG? Überträgt man diese Kriterien auf das Verhältnis zur Privatstrafe, dann zeigt sich, dass auch die (echte) Privatstrafe – und damit der Strafschadensersatz (punitive damages) – dem Begriff der „Bestrafung auf Grund der allgemeinen Gesetze“ unterfällt.1150 Entscheidend kommt es auch im Rahmen von Art. 103 Abs. 3 GG darauf an, ob die Sanktion der Vergeltung begangenen Unrechts und dem Schuldausgleich dient.1151 Insofern erfolgt auch die (echte) Privatstrafe auf Grund allgemeiner, für jedermann geltender Normen, und sie dient der Vergeltung begangenen Unrechts.1152 Die Unterscheidung zwischen Kriminal- und Disziplinarstrafe lässt sich also auf das Verhältnis von Kriminalund Privatstrafe nicht übertragen. Vielmehr ist entsprechend der Aussage zum Schuldgrundsatz auch im Hinblick auf das Doppelbestrafungsverbot der Strafcharakter von echten Privatstrafen zu bejahen. Daneben ist das Doppelbestrafungsverbot des europäischen Rechts (Art. 50 EU-GrCh) zu beachten, dem ein weiterer Strafbegriff als Art. 103 Abs. 3 GG zugrunde liegen soll1153 und das dementsprechend auch für den Strafschadensersatz gilt.1154 dd) Zivilrechtliches Unrecht? Nun kann man fragen, ob es – wie in der Literatur vertreten – eine Unterscheidung von kriminellem und zivilem Unrecht gibt.1155 Dann würden Privatstrafen, auch wenn sie der Vergeltung begangenen Unrechts dienen, möglicherweise doch nicht Art. 103 Abs. 3 GG unterfallen.1156 Die aufgezeigten Diskussionen werfen die Frage auf, ob es neben dem durch die Kriminalstrafe zu sanktionierenden Unrecht auch „zivilrechtliches Unrecht“1157 gibt, das neben der hoheitlichen Strafe durch private Ansprüche sanktioniert werden könnte, ohne dass gegen den Doppelbestrafungsgrundsatz verstoßen würde.1158 1150
S. zur Geltung des Doppelbestrafungsverbots für Privatstrafen oben die Nachweise S. 527 Fn. 1126. 1151 S. dazu zuvor S. 528. 1152 S. dazu oben S. 498, 513, 528 f.; ferner zur Maßgeblichkeit dieser Kriterien etwa BVerfGE 21, 391, 403, 404. 1153 S. dazu oben bereits S. 525. 1154 Vgl. auch Poelzig/Bauermeister, NZKart 2017, 491, 492 f., 495; ansatzweise auch Raue, Die dreifache Schadensberechnung, S. 233 f.; Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, S. 299 f. (S. 300: „Lediglich das dritte Kriterium – Art und Schwere der Sanktion – kann im Einzelfall bei einem Strafschadensersatzanspruch zu einer Anwendung des Doppelbestrafungsverbots führen“). 1155 S. dazu Schubert, Die Wiedergutmachung, S. 856. 1156 In diese Richtung wohl Schubert, Die Wiedergutmachung, S. 856. 1157 Vgl. Schubert, Die Wiedergutmachung, S. 856. 1158 Vgl. umfassend zu ebendiesem Argument in der US-amerikanischen Diskussion zu punitive damages – punishment nur für private wrongs, nicht für public wrongs/crimes, sodass kein Verstoß gegen die double jeopardy-Regel vorliegt, Colby, 118 Yale L.J. 392, 420 ss.,
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Der Annahme eines separaten „zivilrechtlichen Unrechts“ steht aber bereits entgegen, dass Unrecht nur das Unrecht gegen die staatliche Rechtordnung sein kann.1159 Die Verletzung der staatlichen Gesetze rechtfertigt den Unrechtsvorwurf und bedingt den Schuldausgleich.1160 Würde man zwischen zivil- und öffentlich-rechtlichem Unrecht differenzieren, dann hätte das die Verdopplung der Rechtsordnung zufolge. Dass eine Schädigungshandlung sowohl den Tatbestand des § 823 Abs. 1 BGB als auch strafrechtliche Tatbestände verwirklicht, kann nicht zur Verdopplung der Strafen führen.1161 Der doppelte Normverstoß begründet kein doppeltes Unrecht, das separater Bestrafung unterliegen könnte – dies würde dem Doppelbestrafungsverbot zuwiderlaufen, das für eine Tat1162 eine doppelte Bestrafung verbietet.1163 Dies wird durch eine nähere Analyse der verfassungsrechtlich präformierten Struktur von Strafen und Straftatbeständen bestätigt.1164 Diese setzen sich nämlich angesichts von Schuldgrundsatz und Bestimmtheitsgrundsatz (Art. 103 Abs. 2 GG) aus zwei Elementen zusammen: aus einem Straftatbestand, der in bestimmter Form eine Tathandlung beschreibt; an die Zuwiderhandlung dieses Tatbestandes, d.h. an den Gesetzesverstoß wird eine Strafandrohung ge4241159 ss. (2009); ferner zur Frage der Anwendbarkeit weiterer strafprozessualer Garantien (beyond reasonable doubt, privilege against self-incrimination) Rendleman, 7 U. St. Thomas L.J. 1, 2 s. (2009). 1159 Vgl. insoweit zum Unrechtsbegriff Pawlik, Das Unrecht des Bürgers, S. 106 f., 118 (Unrecht als „Pflichtverletzung gegenüber der Rechtsgemeinschaft“), 280, ferner S. 90, 127 ff. (dort zur Bedeutung der Rechtsgutverletzung), 257 ff., 276 ff. Eine Differenzierung zwischen Unrechtsarten hat das BVerfG bei der Abgrenzung von Kriminal- und Disziplinarstrafe getroffen, s. dazu zuvor S. 528 f. sowie BVerfGE 21, 391, 403 f.; 21, 378, 384. Daraus wurde geschlossen, dass im Verhältnis von Disziplinar- und Kriminalstrafe nicht das Doppelbestrafungsverbot gilt. Dort ging es aber um die Abgrenzung von „für jedermann gültigen Rechtsnormen“ und „besonderen, nur einem bestimmten Kreis von Staatsbürgern obliegenden Berufspflichten“ (BVerfGE 21, 391, 403). 1160 S. dazu zuvor S. 508 f. sowie BVerfGE 21, 391, 404; ferner Maunz/Dürig/Remmert, Art. 103 Abs. 2 Rn. 35, 40, 56. 1161 Vgl. zu diesem Argument aus der US-amerikanischen Diskussion Colby, 118 Yale L.J. 392, 424 ss. (2009), wonach auch private wrongs immer die Gesellschaft verletzen und insoweit public wrongs seien, an die die Strafe geknüpft werde; die Verletzung der Gesellschaft sei der Grund der Strafe. Dagegen knüpfe sich an die private wrongs die compensation. 1162 Umfassende Geltung für die Tat, nicht für den jeweiligen Normverstoß, s. nur Maunz/Dürig/Remmert, Art. 103 Abs. 3 Rn. 49 ff. 1163 Vgl. insoweit auch BVerfGE 21, 378, 384; 21, 391, 403 f., das als maßgebliche Differenzierung darauf abstellt, ob es um „allgemeine Rechtsnormen“ oder um berufsspezifische Sondernomen geht. Auch bei „zivilem Unrecht“ geht es um allgemeine Normen, sodass insoweit das Doppelbestrafungsverbot eingreifen muss. 1164 S.a. ansatzweise zu diesem Ansatz BVerfGE 21, 391, 403 („Das strafrechtliche Delikt ist seinem Wesen nach die schuldhafte Verletzung eines für alle gewährleisteten Rechtsgutes, es erscheint als eine Störung des allgemeinen Rechtsfriedens. Welche Rechtsgüter in der Weise geschützt werden, daß eine pflichtwidrige Verletzung eine Strafsanktion zur Folge hat, bestimmt die Rechtsordnung. Der Gesetzgeber hat die Tatbestände nach Voraussetzungen und Rechtsfolgen möglichst genau zu normieren“).
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7. Kapitel: Die Entwicklung der Konstituenten in der Gegenwart
knüpft.1165 „Zivilrechtliches Unrecht“ könnte in diesem Kontext nur bedeuten, dass der Gesetzesverstoß in der Zuwiderhandlung gegen das aus den subjektiven Privatrechten oder sonstigen privatrechtlichen Normen folgende Verletzungsverbot liegt.1166 Aber auch bei dieser Zuwiderhandlung gegen das Verletzungsverbot geht es um einen Verstoß gegen staatliche Gesetze und „allgemeine Rechtsnormen“.1167 Dieser Gesetzesverstoß, nicht die Verletzung davon zu unterscheidender subjektiver Privatrechte1168 bildet den Tatbestand, an den die Strafandrohung knüpft und dessen schuldhafte Verletzung die zu verhängende Strafe ausgleichen soll.1169 ee) Zwischenergebnis Daraus folgt, dass (echte) Privatstrafen dem Doppelbestrafungsverbot unterfallen. Ihre Geltendmachung bzw. Verhängung verhindert daneben Strafverfolgung im Rahmen der staatlichen hoheitlichen Strafrechtspflege. Sie können nicht kumulativ neben diese treten. Ebenso scheidet eine mehrfache Verhängung von Privatstrafen für eine Tat aus. Bedenkt man, dass zumindest bei „schweren Straftaten“ sowie bei Verletzung elementarer Rechtsgüter (Leben, körperliche Unversehrtheit, sexuelle Selbstbestimmung und Freiheit der Person) die staatliche Strafverfolgung einschließlich Offizial- und Legalitätsgrundsatz verfassungsrechtlich geboten ist, kommen Privatstrafen in diesem Bereich infolge des Doppelbestrafungsverbotes überhaupt nicht in Betracht. Im Bereich geringerer Kriminalität kommen sie zwar grundsätzlich in Betracht, würden dann aber notwendig die staatliche Strafverfolgung verdrängen bzw. ausschließen. Hier besteht also Exklusivität bzw. Alternativität zwischen Privatstrafen und öffentlicher Strafverfolgung. Soweit, wie dies gegenwärtig der Fall ist, öffentliche Strafverfolgung auch in diesem Bereich vorgesehen ist, kommen Privatstrafen nicht in Betracht. Anders stellt sich dies wiederum für unechte Privatstrafen dar, die nicht der Unrechtsvergeltung und dem Schuldausgleich dienen. Entsprechend unterfallen quasi-kondiktionelle Gewinnabschöpfungsansprüche auch nicht dem ne bis in idem-Grundsatz.1170 1165 Vgl. zu dieser Struktur Sachs/Degenhart, Art. 103 Rn. 61; Maunz/Dürig/Remmert, Art. 103 Abs. 2 Rn. 35, 40, 55, 56, 68, 74, 77. 1166 Vgl. insoweit auch Schubert, Wiedergutmachung, S. 856 Fn. 272, die allerdings den Unterschied zwischen kriminellem und zivilrechtlichem Unrecht in dem jeweils unterschiedlichen Rechtsgut verortet. 1167 Vgl. dazu, dass dies das relevante Unrecht ist, BVerfGE 21, 391, 403, 404. 1168 S. insoweit oben bereits zu den subjektiven Privatrechten und ihren Wirkungen S. 401 f. 1169 Vgl. Maunz/Dürig/Remmert, Art. 103 Abs. 2 Rn. 35, 55, 56, 68; dazu, dass Strafe Reaktion auf begangenes Unrecht ist und der Vergeltung des Unrechts dient, s. oben bereits S. 508 f. sowie BVerfGE 21, 391, 403, 404. 1170 S. dazu zuvor S. 521 ff., 524 f. sowie etwa MünchKomm Lauterkeitsrecht/Micklitz, § 10 UWG Rn. 46 ff.
VI. Die Trennung von Straf- und Zivilrecht
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3. Ergebnis Die Trennung von Zivil- und Strafrecht ist zwar selbst nicht unmittelbar durch das Grundgesetz vorgegeben. Allerdings hat eine Analyse der diversen, mit dem „Strafen“ verbundenen verfassungsrechtlichen Gewährleistungen ergeben, dass ein Eingriff in die positivrechtlich geregelte Trennung von Zivil- und Strafrecht nur in spezifischen Grenzen möglich ist. Etwaige Privatstrafen können im Bereich erheblicher Straftaten gegen elementare Rechtsgüter überhaupt nicht zur Anwendung kommen, da hier eine staatliche Strafverfolgungspflicht besteht und aus dem Doppelbestrafungsverbot folgt, dass daneben keine Privatstrafen verhängt werden dürfen. Bei Straftaten gegen weniger gewichtige Rechtsgüter kommen zwar Privatstrafen in Betracht, allerdings kann neben diesen wegen des Doppelbestrafungsverbotes keine staatliche Strafverfolgung erfolgen. Werden in diesem Umfang unter Ausschluss öffentlicher Strafverfolgung Privatstrafen vorgesehen, dann gelten insoweit aber der Schuldgrundsatz sowie der Grundsatz der Schuldangemessenheit der Strafe, was weitgehende materiell-rechtliche und prozessuale Konsequenzen hat. Etwas anderes könnte nur für unechte Privatstrafen gelten, die nicht dem Unrechtsausgleich dienen, sondern rein präventive Maßnahmen sind. Allerdings ist unklar, was Inhalt einer solchen, rein präventiven Maßnahme sein kann. Ein „Präventivschadensersatz“, der an eine vergangene Handlung eine Geldsanktion anknüpft, ist es jedenfalls nicht. Die an vergangene „Unrechtsgewinne“ anknüpfende Gewinnabschöpfung unterfällt nur insoweit nicht dem Schuldgrundsatz, als sie bereicherungsrechtlich ausgestaltet ist und gleichzeitig sichergestellt ist, dass keine doppelte Inanspruchnahme erfolgt.1171 Damit scheint klar, dass eine Differenzierung von Strafe und Schadensersatz zwangsläufig notwendig ist, da beide sich zumindest in ihrer Funktion unterscheiden und es einen spezifischen Begriff der (Schuld-)Strafe gibt, an den sich verfassungsrechtliche Gewährleistungen knüpfen. Aus Schuldprinzip und Doppelbestrafungsverbot folgt somit notwendig eine Differenzierung von Strafe und Schadensersatz. Damit kann es zumindest in gewissem Umfang keine Vermischung von Strafe und Schadensersatz bzw. Straf- und Zivilrecht geben, da das Grundgesetz mit dem Konzept der (Schuld-)Strafe spezifische Funktionen und Gewährleistungen verknüpft.
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S. dazu zuvor S. 524 ff.
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7. Kapitel: Die Entwicklung der Konstituenten in der Gegenwart
VII. Zivilprozess und Rechtsdurchsetzung 1. Problemstellung Der sich vollziehende Paradigmenwechsel scheint primär das materielle Recht zu betreffen. Tatsächlich vollziehen sich die Änderungen indes nicht so sehr materiell-rechtlich als vielmehr prozessual.1172 Die US-amerkanische Rechtsentwicklung steht hierfür als Blaupause: Nicht die Kategorien des materiellen Rechts änderten sich direkt und unmittelbar. Vielmehr etablierte sich ein neues Prozessrecht, dessen Folge die Umstrukturierung auch des materiellen Rechts war.1173 Die im Folgenden zu zeigenden Entwicklungen reflektieren dieses Hinüberwirken. Ein Prozess, der nicht der Durchsetzung materieller subjektiver Privatrechte dient, hat notwendigerweise auch Konsequenzen für das materielle Recht.1174 Ein Verfahrensrecht, das Klagearten und -befugnisse vorsieht unabhängig davon, ob ein materielles subjektives Recht besteht, d.h. sich von der Ordnung materieller subjektiver Privatrechte zumindest bereichsbezogen löst1175, hat Auswirkungen auf die Gesamtrechtsordnung.1176 Änderungen des Prozessrechts verändern nicht nur das Prozessrecht, sondern können die Privatrechtsordnung als solche betreffen. Versucht man also die prozessualen Herausforderungen richtig zu verorten, dann betreffen sie vor allem das subjektive Privatrecht und damit das Ziel des Zivilprozesses:1177 Ist Ziel des Zivilprozesses wie nach bislang herrschender Auffassung1178 die Durchsetzung materieller subjektiver Privatrechte oder die Verwirklichung objektiven Rechts zur Erreichung bestimmter sozialer gesellschaftlicher Interessen?1179 Der Zusammenhang von private law enforcement
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S. dazu oben bereits S. 243 ff. S. dazu oben S. 283 ff., 327 ff. 1174 S. dazu oben S. 326 f., 327 ff. 1175 Vgl. zu diesem Aspekt im Hinblick auf den kollektiven Rechtsschutz Bruns, ZZP 124 (2012), 399, 416; ders., NJW 2018, 2753, 2754 f., 2756 f. 1176 S. dazu oben S. 327 ff. 1177 Dazu, dass dies im amerikanischen Diskurs die maßgebliche Frage der Prozessreform war, s. oben S. 289 ff., 291 ff., 293 ff. Zu dieser Diskussion um das Ziel des Zivilprozesses in der Gegenwart s. Bruns, in: Bruns/Suzuki (eds.), Realization of Substantive Law through Legal Proceedings, p. 3, 4 ss.; vgl. H. Roth, JZ 2016, 1134 ff., 1139. 1178 S. dazu oben S. 33, 248; z.B. Musielak/Voit/Musielak, Einleitung, Rn. 5; H. Roth, JZ 2016, 1134; BGHZ 161, 138, 143. 1179 Vgl. zu dieser Frage auch Bruns, ZZP 125 (2012), 399, 402, 405 f.; Gottwald, ZZP 91 (1978), 1, 22; H. Roth, JZ 2016, 1134 ff., 1136, 1139; s. ferner auch etwa Stadler, ZHR 182 (2018), 623, 642 im Hinblick auf die class action, wonach primäre Funktion nicht Kompensation, sondern Abschreckung ist; deutlich auch im Hinblick auf die objektiv-rechtliche Zielsetzung von Verbandsklagen Marotzke, ZZP 98 (1985), 160, 174; vgl. ferner zu dieser Diskussion Poelzig, Normdurchsetzung durch Privatrecht, S. 509 ff. 1173
VII. Zivilprozess und Rechtsdurchsetzung
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und Prozessrecht betrifft dabei vor allem die Frage nach der Einführung kollektiver Rechtsschutzinstrumente.1180 Dass die Gewährung und Realisierung subjektiver Privatrechte der verfassungsrechtliche Auftrag der Zivilrechtsordnung ist und insoweit eine normative Hierarchie besteht, wurde bereits zuvor postuliert.1181 Diesem Zusammenhang ist im Folgenden näher nachzugehen. Die Form subjektiver Rechte ist dem Zivil- und Zivilprozessrecht angesichts der Institutsgarantie subjektiver Privatrechte zumindest im Hinblick auf bestimmte Gegenstände definitiv vorgegeben.1182 Der Justizgewähranspruch ist angesichts von Selbsthilfeverbot und Gewaltmonopol als Verfassungsvoraussetzungen1183 notwendige Wirkung der subjektiven Privatrechte.1184 Es muss einen Prozess geben, der die Durchsetzung der subjektiven Privatrechte gewährleistet.1185 Das Prozessrecht ist insoweit instrumental für die Verwirklichung eines Ziels, nämlich die Durchsetzung subjektiver Privatrechte.1186 Die Notwendigkeit subjektiver Privatrechte und deren prozessualer Realisierung schließt nicht aus, dass es daneben andere Formen des Rechtsschutzes gibt, die nicht diesem Ziel, sondern anderen Zielen dienen.1187 Dass zum subjektiv-rechtlichen Modell Alternativen bestehen, zeigt deutlich ein Blick auf die europäischen Richtlinien, die auch das Verhältnis privater Personen zueinander betreffen.1188 Beispiel hierfür ist etwa die neue EU-Verbandsklagenrichtlinie.1189 Bestimmender Gedanke ist, dass die Schaffung materiell-rechtlicher Pflichten und an deren Verletzung anknüpfender (Klag-)Rechte instrumental für die Er-
1180 S. dazu oben bereits S. 243 ff., 248 f. sowie Poelzig, Normdurchsetzung durch Privatrecht, S. 509 ff., 526 ff., ferner S. 451 ff. 1181 S. dazu oben S. 429 f. 1182 S. dazu oben S. 414 f. 1183 Dazu unten noch S. 541 f. 1184 S. dazu oben S. 403 f., 406; ferner Baur/Stürner/Bruns, Zwangsvollstreckungsrecht, § 1 Rn. 1 ff., 3. 1185 Vgl. Stürner, in: Prütting (Hrsg.), FS Baumgärtel, S. 545, 546; Baur/Stürner/Bruns, Zwangsvollstreckungsrecht, § 1 Rn. 3; Bettermann, JBl. 1972, 57, 65; s. ferner auch Lange, Das begrenzte Gruppenverfahren, S. 112 f. (insoweit zum Vorrang des Individualprozesses vor Kollektivverfahren). 1186 S. H. Roth, JZ 2016, 1134; Musielak/Voit/Musielak, Einleitung Rn. 5; Rosenberg/ Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 1 Rn. 9 ff., 12; zur „dienenden“ Funktion des Zivilprozesses insoweit auch Lange, Das begrenzte Gruppenverfahren, S. 112; Simshäuser, Zur Entwicklung des Verhältnisses, S. 39, 142. 1187 Vgl. Gottwald, ZZP 91 (1978), 1, 21, 22 f.; ferner auch Lange, Das begrenzte Gruppenverfahren, S. 108 ff., 112 ff.; s. dazu oben S. 426 ff. 1188 S. oben bereits zum Zusammenhang von private law enforcement und europäischem Recht S. 245 f., 247 f.; ferner B. Hess, JZ 2011, 66, 70. 1189 Vgl. zum Vorentwurf Stadler, ZHR 182 (2018), 623, 625, 629 ff.; s. ferner dazu oben S. 245 f.
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reichung objektiv-rechtlicher Normdurchsetzung sowie Verhaltenssteuerung und Prävention ist.1190 Es stellt sich aber die Frage, wie deren Verhältnis ist.1191 Dies kann problematisch werden, wenn der Gegenstand der unterschiedlichen Rechtsschutzformen identisch ist, d.h. es um denselben oder einen ähnlichen Lebenssachverhalt geht.1192 Dann stellt sich die Frage, ob aus diesem Konkurrenzverhältnis faktisch ein Derogationsverhältnis zulasten der Durchsetzung individueller subjektiver Privatrechte wird. Gibt es nämlich für denselben Lebenssachverhalt unterschiedliche Rechtsschutzformen, kann dies dazu führen, dass abhängig von der Ausgestaltung (rechtlich1193 oder faktisch1194) nur noch eine Rechtsschutzform wählbar ist und so die andere derogiert wird.1195 Dementsprechend wird es im Folgenden vor allem um kollektive Rechtsschutzformen (Gruppenklagen oder Verbandsklagen) gehen, die auf Vollziehung objektiven Rechts1196 sowie dadurch begründeter Pflichten, d.h. letztlich auf Prävention und Verhaltenssteuerung zielen.1197 Die eigentliche Herausforderung bei kollektiven Rechtsschutzsinstrumenten liegt darin, dass eine Abkopplung des Prozesses von den subjektiven Rechten eintreten kann, wodurch eine implizite Änderung des Prozesszwecks und letztlich eine prozessuale Entleerung subjektiver Privatrechte eintreten können.1198 Nochmals zeigt sich hier die Gegenüberstellung verschiedener Modelle: einem subjektiv-rechtlichen Ansatz, der sich um die Kategorien Person, Freiheit und Wille konstituiert und seine prozessuale Verwirklichung in einem auf Durchsetzung dieser subjektiven Privatrechte gerichteten Prozess findet, steht 1190
S. dazu oben bereits S. 243 ff.; ferner auch Poelzig, Normdurchsetzung durch Privatrecht, S. 417 ff., 426 ff., 432 ff.; vgl. Stadler, ZHR 182 (2018), 623, 636, 642. 1191 Zu dieser Frage auch bereits Gilles, ZZP 98 (1985), 1, 2 f.; ferner H. Roth, JZ 2016, 1134 ff.; Bruns, ZZP 125 (2012), 399, 416 f.; ansatzweise auch, wenngleich nicht prozessual, zur Frage nach dem Verhältnis der verschiedenen Modelle Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, S. 365 ff., 383 ff. 1192 S. dazu oben bereits S. 427 ff. 1193 S. dazu unten S. 555 ff. – können beispielsweise im Wege einer opt-out-Gruppenklage die Privatrechte unabhängig von der Disposition der Rechtsinhaber geltend gemacht werden und zielt diese Gruppenklage auf eine bindende Streitlösung unabhängig von den materiellen subjektiven Privatrechten, dann führt dies dazu, dass rechtlich die Geltendmachung der subjektiven Privatrechte derogiert wird. 1194 S. dazu unten S. 559. 1195 S. dazu oben bereits S. 427 ff. 1196 Vgl. dazu Bruns, ZZP 125 (2012), 399, 402 („Verfolgung überindividueller Ziele“, „Bewehrung der Gesamtrechtsordnung“); ders., NJW 2018, 2753, 2754. 1197 Vgl. Gottwald, ZZP 91 (1978), 1, 22; Homburger, 71 Colorado L. Rev. 609, 642 (1971); Poelzig, Normdurchsetzung durch Privatrecht, S. 509 ff., 526 ff., ferner S. 425 ff.; Stadler, ZHR 182 (2018), 623, 636, 642 (primäres Ziel nicht Ausgleich, sondern Abschreckung). 1198 Vgl. ansatzweise dazu auch Bruns, ZZP 125 (2012), 399, 416; ders., NJW 2018, 2753, 2754 f., 2756 f.
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ein pflichten- und sanktionsorientierter Ansatz gegenüber, dessen Verwirklichung auch durch Schaffung privater Klagrechte sowie kollektive Rechtsschutzinstrumente erreicht werden soll und dessen vornehmliche Zwecke Konfliktlösung, Verhaltenssteuerung und Erreichung gesellschaftlichen Interessen dienender Ziele1199 sind.1200
2. Verfassungsrechtliche Vorgaben a) Der Justizgewähranspruch aa) Der Justizgewähranspruch und sein Inhalt Das BVerfG leitet in ständiger Rechtsprechung aus dem Rechtsstaatsprinzip „für bürgerlichrechtliche Streitigkeiten im materiellen Sinn die Gewährleistung eines wirkungsvollen Rechtsschutzes“ („Justizgewähranspruch“) ab, der „die grundsätzlich umfassende tatsächliche und rechtliche Prüfung des Streitgegenstandes und eine verbindliche Entscheidung durch einen Richter ermöglichen“ muss.1201 Gewährleistet ist damit „das Recht auf Zugang zu den Gerichten“1202, was „einen möglichst wirkungsvollen Rechtsschutz des Einzelnen“ ebenso wie „die Herstellung von Rechtssicherheit, die voraussetzt, daß strittige Rechtsverhältnisse in angemessener Zeit geklärt werden“, umfasst1203. Aus dem Rechtsstaatsprinzip folgt, dass die tatsächliche und rechtliche Prüfung des Streitgegenstandes in einem „förmlichen Verfahren“ erfolgen muss, das rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) gewährt.1204 Während der Justizgewähranspruch vor allem den Zugang und damit das „Ob“ des Rechtsschutzes betrifft, ergeben sich aus Art. 103 Abs. 1 GG Vorgaben und Anforderungen für den Ablauf des Verfahrens.1205 1199 S. dazu Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, S. 52 ff., 369 f., 373, 438 ff.; ferner im Hinblick auf kollektive Rechtsschutzformen/Verbandsklagerichtlinie Stadler, ZHR 182 (2018), 623, 636, 642. 1200 S. dazu oben S. 426 f., 427 ff.; vgl. (wenngleich nicht prozessual) Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, S. 365 ff., 383 ff.; s. ferner (auch prozessual) Poelzig, Normdurchsetzung durch Privatrecht, S. 416 ff., 425 ff., 509 ff., 526 ff. Zur Gegenüberstellung von „sozialen Rechtsschutzverfahren“ und der „individualistisch-liberalistischen Konzeption des Zivilprozesses“ s. Gilles, ZZP 98 (1985), 1 f. 1201 BVerfGE 54, 277, 291; 85, 337, 345; 88, 118, 123; 97, 169, 185; 107, 395, 401; 108, 341, 347; ferner BVerfGE 50, 1, 3; in der Literatur dazu Maunz/Dürig/Grzeszick, Art. 20 VII. Rn. 133; dazu aus prozessrechtlicher Perspektive Bruns, in: Bruns (u.a.) (Hrsg.), FS Stürner, S. 257 ff. 1202 BVerfGE 85, 337, 345; 97, 169, 185; 107, 395, 401; 108, 341, 347. 1203 BVerfGE 88, 118, 124; 93, 99, 107. 1204 BVerfGE 108, 341, 347 f.; s.a. Isensee/Kirchhof/Degenhart, Handbuch des Staatsrechts, § 115 Rn. 17. 1205 S. BVerfGE 107, 395, 409 (zum „funktionalen Zusammenhang“ von Rechtsschutzgarantie und rechtlichem Gehör); Isensee/Kirchhof/Degenhart, Handbuch des Staatsrechts,
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Die Ausgestaltung des Rechtsschutzes einschließlich des Zugangs und der Verfahrensordnung obliegt grundsätzlich dem Gesetzgeber, dessen Gestaltungsfreiheit indes durch verschiedene verfassungsrechtliche Parameter – Rechtssicherheit, Verfahrensbeschleunigung, effektiver Rechtsschutz, Vermeidung unverhältnismäßiger Belastungen der Verfahrensbeteiligten sowie die speziellen Bestimmungen der Art. 92 ff. GG1206 – determiniert ist und der korrespondierend mit dem subjektiv-rechtlichen Justizgewähranspruch einer Justizgewährungspflicht1207 unterliegt.1208 Ungeachtet des gesetzgeberischen Gestaltungsspielraums muss der gerichtliche Zivilrechtsschutz dem Einzelnen ein förmliches Verfahren gewährleisten, das eine Sach- und Rechtsprüfung umfasst und mit einem grundsätzlich nicht mehr anfechtbaren bindenden Urteil durch einen Richter abgeschlossen wird.1209 Insofern gewährleistet der Justizgewähranspruch nicht nur die Garantie des Zugangs zu den Gerichten, sondern auch effektiven Rechtsschutz.1210 Es geht um die verbindliche Entscheidung über „Rechte und Pflichten“ im Zivilrechtsverhältnis zum Zwecke ihrer effektiven Realisierung.1211 bb) Die Herleitung des Justizgewähranspruchs Der allgemeine, vor allem für bürgerlich-rechtliche Streitigkeiten geltende Justizgewähranspruch wird aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) hergeleitet.1212 Daneben finden sich spezielle Rechtsschutzgewährleistungen wie in Art. 19 Abs. 4 GG bei Rechtsverletzungen durch die öffentliche Gewalt1213, ferner auch in Art. 14 Abs. 3 S. 4 GG sowie Art. 34 S. 3 GG1214. Weiter 1206 § 114 Rn. 8; Isensee/Kirchhof/Papier, Handbuch des Staatsrechts, § 176 Rn. 3 f. Insofern wird der Justizgewähranspruch auch nicht durch Art. 103 Abs. 1 GG begründet, a.A. noch Baur, AcP 153 (1954), 393, 396 ff. 1206 S. dazu unten noch S. 540 f. 1207 So Isensee/Kirchhof/Degenhart, Handbuch des Staatsrechts, § 114 Rn. 13. 1208 BVerfGE 85, 337, 345 f. (Festsetzung von Gerichts- und Anwaltsgebühren); 88, 118, 123 f. (Wiedereinsetzung bei Versäumung der Einspruchsfrist nach Versäumnisurteil); 93, 99, 108 (Rechtsmittelbelehrung); Maunz/Dürig/Grzeszick, Art. 20 VII. Rn. 134; Isensee/Kirchhof/Degenhart, Handbuch des Staatsrechts, § 114 Rn. 13; Isensee/Kirchhof/Papier, Handbuch des Staatsrechts, § 176 Rn. 15. 1209 Vgl. BVerfGE 54, 277, 291; 85, 337, 345; 88, 118, 123; 97, 169, 185; 108, 341, 347; Isensee/Kirchhof/Degenhart, Handbuch des Staatsrechts, § 115 Rn. 17. 1210 BVerfGE 53, 115, 127; 54, 277, 291; Isensee/Kirchhof/Papier, Handbuch des Staatsrechts, § 176 Rn. 18. 1211 BVerfGE 107, 395, 406 f. 1212 Maunz/Dürig/Grzeszick, Art. 20 VII. Rn. 133; Isensee/Kirchhof/Papier, Handbuch des Staatsrechts, § 176 Rn. 1 ff., 7 (auch zum Verhältnis zu den speziellen grundgesetzlichen Gewährleistungen); Isensee/Kirchhof/Degenhart, Handbuch des Staatsrechts, § 114 Rn. 8. 1213 BVerfGE 88, 118, 123; 107, 395, 401, 403 f.; etwas anders BVerfGE 108, 341, 347 („grundgesetzliche Garantie wirkungsvollen Rechtsschutzes, die nicht nur von Art. 19 Abs. 4 GG, sondern auch vom allgemeinen Justizgewähranspruch umfasst ist“). 1214 S. Isensee/Kirchhof/Papier, Handbuch des Staatsrechts, § 176 Rn. 5.
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wird für den Justizgewähranspruch in Zivilrechtsverhältnissen als Rechtsgrundlage das jeweils betroffene Einzelgrundrecht, insbesondere Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) angesehen.1215 Während der Justizgewähranspruch im Ausgangspunkt infolge seiner Herleitung aus dem Rechtsstaatsprinzip objektiv-rechtlichen Gehalt hat, gewinnt er durch die Herleitung aus Art. 2 Abs. 1 GG auch eine subjektiv-rechtliche Dimension.1216 In grundrechtsfunktionaler Hinsicht folgt der Justizgewähranspruch damit neben dem Rechtsstaatsprinzip auch aus der Schutzpflicht der Grundrechte.1217 Der Justizgewähranspruch ergibt sich als Folge der Rechtsunterworfenheit des Bürgers, des staatlichen Gewaltmonopols, des Selbsthilfeverbots sowie der Friedenspflicht – weil eigenmächtige Rechtsdurchsetzung des Einzelnen durch den Rechtsstaat untersagt ist und Rechtsstaatlichkeit notwendig die Wahrung der Rechtsordnung bedingt, muss der Rechtsstaat Wege bereitstellen, die dem Individuum die effektive Rechtsdurchsetzung ermöglichen.1218 Wie sich aus dem Zusammenspiel von Justizgewähranspruch und der Rechtsprechungsgarantie des Art. 92 Hs. 1 GG ergibt, muss diese Rechtsdurchsetzung durch die rechtsprechende Gewalt erfolgen, sodass der Staat insoweit zur Bereitstellung einer Gerichtsorganisation verfassungsrechtlich verpflichtet ist.1219 Weitere Verfahrensgrundsätze und -grundrechte ergeben sich zum einen aus den grundgesetzlichen Normen der Art. 92 ff. GG, zum anderen aus Art. 6 Abs. 1 EMRK.1220 Aus dem Justizgewähranspruch und den einzelnen Verfahrensgrundsätzen ergibt sich ein Auftrag an den Gesetzgeber zur Ausgestaltung durch die einfachgesetzlichen Verfahrens- und Prozessordnungen, sodass einerseits die Verfahrens- und Prozessordnungen durch die verfassungsrechtlichen Anforderungen determiniert sind, andererseits aber auch die grundgesetzlichen Verfassungsgrundsätze zwingend auf Ausgestaltung durch 1215
BVerfGE 80, 103, 107; 88, 118, 123; 93, 99, 107; 107, 395, 401; ferner etwa Art. 14 Abs. 1 GG, s. BVerfGE 51, 150, 156; s.a. Isensee/Kirchhof/Degenhart, Handbuch des Staatsrechts, § 114 Rn. 8; § 115 Rn. 17; Isensee/Kirchhof/Papier, Handbuch des Staatsrechts, § 176 Rn. 26. 1216 Vgl. Isensee/Kirchhof/Degenhart, Handbuch des Staatsrechts, § 114 Rn. 8; Isensee/ Kirchhof/Papier, Handbuch des Staatsrechts, § 176 Rn. 26 (nur wenn zugleich auch subjektive Grundrechte beeinträchtigt werden). 1217 S. Isensee/Kirchhof/Isensee, Handbuch des Staatsrechts, § 191 Rn. 187, 267; s. ferner auch Bettermann, JBl. 1972, 57, 65 dazu, dass der Justizgewähranspruch dem status positivus zugeordnet wird. 1218 BVerfGE 54, 277, 292; 81, 347, 356; ferner BVerfGE 107, 395, 406 f.; Isensee/Kirchhof/Degenhart, Handbuch des Staatsrechts, § 114 Rn. 1, 3; § 115 Rn. 9; Isensee/Kirchhof/ Wilke, Handbuch des Staatsrechts, § 112 Rn. 56; Isensee/Kirchhof/Papier, Handbuch des Staatsrechts, § 176 Rn. 1, 8; Baur/Stürner/Bruns, Zwangsvollstreckungsrecht, § 1 Rn. 1 ff. 1219 Isensee/Kirchhof/Papier, Handbuch des Staatsrechts, § 176 Rn. 8; vgl. Isensee/Kirchhof/Degenhart, Handbuch des Staatsrechts, § 114 Rn. 1, 3. 1220 S. Isensee/Kirchhof/Degenhart, Handbuch des Staatsrechts, § 115 Rn. 14 f., 16 ff.
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den einfachen Gesetzgeber angewiesen sind.1221 Die Einrichtung und Ausgestaltung eines Instanzenzugs liegt nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichts in der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers, es gibt keine Gewährleistung einer Rechtsmittelinstanz.1222 b) Rechtsprechende Gewalt und Richtervorbehalt (Art. 92 Hs. 1 GG) Ferner ergeben sich Konkretisierungen für die Ausgestaltung des Rechtsschutzes aus Art. 92 Hs. 1 GG. Nach Art. 92 Hs. 1 GG ist die „rechtsprechende Gewalt“ den „Richtern“ „anvertraut“. Die Garantie aus Art. 92 Hs. 1 GG steht dabei in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Gewaltenteilungsgrundsatz (Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG) und konkretisiert diesen.1223 Das Grundgesetz geht davon aus, dass es so etwas wie eine „rechtsprechende Gewalt“ gibt, der bestimmte Aufgaben und Funktionen zugewiesen sind und die als solche von der Legislative und der Exekutive als den beiden anderen Gewalten getrennt ist.1224 Der Begriff der rechtsprechenden Gewalt ist dabei wohl gleichbedeutend mit dem Begriff der „Rechtsprechung“1225, der im Grundgesetz an verschiedenen Stellen auftaucht (Art. 1 Abs. 3; Art. 20 Abs. 2 S. 2; Art. 20 Abs. 3 GG)1226. Diese Rechtsprechung unterfällt einer „Bestandsgarantie“.1227 Zur Bestimmung, was rechtsprechende Gewalt ist, werden mangels grundgesetzlicher Definition1228 verschiedene Ansätze herangezogen.1229 So wird etwa auf die rechtsprechungsrelevanten Bestimmungen des Grundgesetzes zurückgegriffen1230, wobei sich aus diesen allerdings nur bedingt Konkretisierungen 1221 Isensee/Kirchhof/Degenhart, Handbuch des Staatsrechts, § 114 Rn. 12 f.; § 115 Rn. 10 („Gesetzesabhängigkeit der Prozeßgrundrechte“); s. ferner zu diesem Zusammenhang oben S. 349 ff. 1222 BVerfGE 28, 21, 36; 54, 277, 291; 108, 395, 402; s.a. Isensee/Kirchhof/Degenhart, Handbuch des Staatsrechts, § 114 Rn. 28; kritisch dazu Bruns, JZ 2011, 325, 329 ff. (für Revision zum EuGH). 1223 Isensee/Kirchhof/Wilke, Handbuch des Staatsrechts, § 112 Rn. 3 ff., 14 ff., 17; Dütz, Rechtsstaatlicher Gerichtsschutz im Privatrecht, S. 86; Maunz/Dürig/Hillgruber, Art. 92 Rn. 13. 1224 Vgl. Maunz/Dürig/Hillgruber, Art. 92 Rn. 13, ferner Rn. 18 ff. zum Begriff der „rechtsprechenden Gewalt“; Isensee/Kirchhof/Wilke, Handbuch des Staatsrechts, § 112 Rn. 1, 4. 1225 So Maunz/Dürig/Hillgruber, Art. 92 Rn. 18; vgl. auch Dütz, Rechtsstaatlicher Gerichtsschutz im Privatrecht, S. 86 f. 1226 S.a. Isensee/Kirchhof/Wilke, Handbuch des Staatsrechts, § 112 Rn. 1. 1227 Isensee/Kirchhof/Wilke, Handbuch des Staatsrechts, § 112 Rn. 16. 1228 Isensee/Kirchhof/Wilke, Handbuch des Staatsrechts, § 112 Rn. 14; Maunz/Dürig/ Hillgruber, Art. 92 Rn. 18. 1229 S. etwa Isensee/Kirchhof/Wilke, Handbuch des Staatsrechts, § 112 Rn. 57 ff.; Maunz/ Dürig/Hillgruber, Art. 92 Rn. 20 ff. 1230 BVerfGE 22, 49, 76 f. (insoweit zu den durch das Grundgesetz zugewiesenen Zuständigkeiten); 103, 111, 136 f.; dazu auch Maunz/Dürig/Hillgruber, Art. 92 Rn. 32 ff. („rechtsprechende Gewalt im formalen Sinne“).
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ergeben.1231 Ferner wird auf „traditionelle Kernbereiche richterlicher Tätigkeit“ rekurriert, wozu die „bürgerliche Rechtspflege und Strafgerichtsbarkeit“ gerechnet werden.1232 Das BVerfG folgt insoweit einem kombinatorischen Ansatz.1233 Weiter ist die rechtsprechende Gewalt spezifischen Amtswaltern, nämlich „Richtern“, anvertraut.1234 Die Zuweisung der rechtsprechenden Gewalt an den Richter ist exklusiv („Richtermonopol“).1235 c) Rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) Das mit dem Justizgewähranspruch in funktionalem Zusammenhang stehende1236 Justizgrundrecht auf rechtliches Gehör garantiert den Prozessparteien das Recht auf Äußerung, auf Berücksichtigung ihrer Ausführungen und Anträge sowie auf Information.1237 Während der Justizgewähranspruch den Zugang zu Gericht gewährleistet, schützt Art. 103 Abs. 1 GG das rechtliche Gehör im Verfahren als verfahrensmäßiges Prozessgrundrecht.1238 Den Prozessparteien wird damit die Einflussnahme auf das Verfahren und das Ergebnis gewährleistet.1239 d) Staatliches Gewaltmonopol aa) Herleitung und Begründung Bereits zuvor wurde auf das staatliche Gewaltmonopol eingegangen, das insbesondere zur Herleitung des Justizgewähranspruchs herangezogen wird.1240 Häufig wird das staatliche Gewaltmonopol als grundgesetzliche Gewährleistung aufgeführt, die der Verfassung selbst „vorausliege“1241. Zugleich wird das staatliche Gewaltmonopol als „Bedingung der Möglichkeit“ der Geltung der 1231
S.a. Isensee/Kirchhof/Wilke, Handbuch des Staatsrechts, § 112 Rn. 73. BVerfGE 22, 49, 77 f.; 27, 18, 28; ferner BVerfGE 22, 125, 130 f.; 22, 311, 317; 103, 111, 137; zu diesem materiellen Ansatz auch Isensee/Kirchhof/Wilke, Handbuch des Staatsrechts, § 112 Rn. 73; Maunz/Dürig/Hillgruber, Art. 92 Rn. 36. 1233 S. Isensee/Kirchhof/Wilke, Handbuch des Staatsrechts, § 112 Rn. 75; Maunz/Dürig/ Hillgruber, Art. 92 Rn. 31 ff. 1234 Maunz/Dürig/Hillgruber, Art. 92 Rn. 76; Isensee/Kirchhof/Wilke, Handbuch des Staatsrechts, § 112 Rn. 18. 1235 Maunz/Dürig/Hillgruber, Art. 92 Rn. 14, 64; Isensee/Kirchhof/Wilke, Handbuch des Staatsrechts, § 112 Rn. 24. 1236 BVerfGE 107, 395, 409; s.a. Isensee/Kirchhof/Degenhart, Handbuch des Staatsrechts, § 114 Rn. 8. 1237 BVerfGE 107, 395, 408 ff.; 108, 341, 348. 1238 Isensee/Kirchhof/Degenhart, Handbuch des Staatsrechts, § 114 Rn. 8; Isensee/ Kirchhof/Papier, Handbuch des Staatsrechts, § 176 Rn. 3 f.; BVerfGE 107, 395, 409. 1239 BVerfGE 107, 395, 409. 1240 S. dazu oben S. 403 f., 406, 539, 541 f. 1241 So Isensee/Kirchhof/Isensee, Handbuch des Staatsrechts, § 190 Rn. 129. 1232
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Grundrechte angesehen1242, d.h. als deren Wirksamkeits- bzw. Verfassungsvoraussetzung1243, da nur durch das staatliche Gewaltmonopol die für die Entfaltung der Grundrechte notwendige Freiheit ermöglicht werden kann1244. Als Grundrechtsvoraussetzung ermöglicht danach erst das staatliche Gewaltmonopol den Grundrechtsinhabern die Realisierung des in den Grundrechten verbürgten Gewährleistungs-, Freiheits- und Leistungsinhaltes.1245 bb) Inhalt und Rechtsfolgen Nach der Rechtsprechung des BVerfG folgt aus dem Rechtstaatsprinzip zum Schutz der individuellen Freiheit ein Gewaltmonopol des Staates.1246 Danach ist nur dem Staat die Anwendung physischer Gewalt gestattet, die der Kontrolle durch unabhängige Gerichte und der Rechtsbindung der öffentlichen Gewalt unterliegt.1247 Zur Sicherung des Gewaltmonopols trifft den Staat eine im Ausgangspunkt objektive Pflicht („Staatsaufgabe“), die wegen der Schutzpflichtendimension der Grundrechte durch subjektive Rechte flankiert wird.1248 Aus dem staatlichen Gewaltmonopol und dem Selbsthilfeverbot ergibt sich die verfassungsrechtliche Pflicht zur Justizgewähr und Bereitstellung einer funktionstüchtigen Rechtspflege.1249 Das staatliche Gewaltmonopol ist damit unmittelbar mit dem Justizgewähranspruch verbunden, der notwendige Kehrseite des Gewalt- und Selbsthilfeverbots ist, da nur durch die Bereitstellung gerichtlicher Verfahren dem Privaten Rechtsdurchsetzung und Wahrnehmung seiner Rechte ermöglicht wird.1250
1242
So Isensee/Kirchhof/Isensee, Handbuch des Staatsrechts, § 191 Rn. 186. Zu diesem Begriff s. Isensee/Kirchhof/Isensee, Handbuch des Staatsrechts, § 190 Rn. 49 ff. 1244 Isensee/Kirchhof/Isensee, Handbuch des Staatsrechts, § 190 Rn. 130. 1245 S. Isensee/Kirchhof/Isensee, Handbuch des Staatsrechts, § 190 Rn. 49, 130. 1246 BVerfG NJW 2017, 611, 620. 1247 BVerfG NJW 2017, 611, 620; ferner etwa BVerfGE 61, 126, 136 (Staat als „Inhaber des Zwangsmonopols“); BVerfG NJW 2018, 531, 533; s. Isensee/Kirchhof/Isensee, Handbuch des Staatsrechts, § 190 Rn. 132. 1248 Isensee/Kirchhof/Isensee, Handbuch des Staatsrechts, § 190 Rn. 133 f. 1249 Vgl. Isensee/Kirchhof/Degenhart, Handbuch des Staatsrechts, § 114 Rn. 1, 3; Isensee/Kirchhof/Isensee, Handbuch des Staatsrechts, § 190 Rn. 130. 1250 Vgl. Isensee/Kirchhof/Isensee, Handbuch des Staatsrechts, § 190 Rn. 130; § 191 Rn. 267. 1243
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3. Orientierungslinien normativer Ausgestaltung a) Justizgewähranspruch und Rechtsschutzanspruch aa) Herleitung aus den Grundrechten oder den durch einfaches Gesetz geschaffenen Privatrechten? Ausgangspunkt der folgenden Erörterungen ist der Bezug von Prozessrecht und subjektivem Privatrecht.1251 Dabei wurde zuvor behauptet, dass aus den materiellen subjektiven Privatrechten aufgrund des Justizgewähranspruchs notwendig die Klagbarkeit folgt.1252 Die zuvor erläuterten Umschreibungen des Justizgewähranspruchs haben indes noch keine Auskunft über diesen Zusammenhang mit den subjektiven materiellen Privatrechten gegeben.1253 Der Justizgewähranspruch scheint auch isoliert denkbar, etwa als Grundrecht auf Zugang zu den Gerichten1254 bzw. als allgemeiner Justizanspruch1255 unabhängig vom Bestehen vorgelagerter subjektiver Privatrechte.1256 Jedoch ergibt sich der Zusammenhang von Justizgewähranspruch und materiell-subjektivem Privatrecht aus der näheren Herleitung des Justizgewähranspruchs.1257 Dass der Justizgewähranspruch subjektiv-rechtlichen Bezug hat, folgt zunächst bereits aus der Herleitung in Zivilrechtsstreitigkeiten aus 1251 S. insoweit auch Baur/Stürner/Bruns, Zwangsvollstreckungsrecht, § 1 Rn. 3 („Justizgewährungsanspruch“ als „verfassungsrechtliche Rechtsschutzgewährleistung zur Durchsetzung privater Rechte“). 1252 S. dazu oben S. 403 f., 406, 538 f. 1253 Vgl. zu dieser „Unklarheit im Detail“ beim Justizgewähranspruch Bruns, in: Bruns (u.a.) (Hrsg.), FS Stürner, S. 257, 258 f., wobei von der herrschenden Lehre „vielfach unausgesprochen ein materiellrechtlicher Ausgangspunkt zugrunde“ gelegt werde; s. aber auch Detterbeck, AcP 192 (1992), 325, 327 mit der Auffassung, dass der Justizgewährleistungsanspruch keine „materiell-sachliche Dimension“ besitze. 1254 Vgl. MünchKomm ZPO/Rauscher, Einleitung Rn. 18 („Anspruch auf die Bereitstellung einer Gerichtsbarkeit, den effektiven Zugang zu dieser“; Fn. weggelassen); ferner oben Fn. 1202. 1255 Zu diesem Begriff „Justizanspruch“ als Gegenbegriff zum Rechtsschutzanspruch (dazu oben S. 402 f.) s. etwa Rosenberg/Schwab/Gottwald, § 3 Rn. 1 ff.; Detterbeck, AcP 192 (1992), 325, 327 ff., 333 ff. (zum Justizgewährleistungsanspruch im Sinne eines Anspruchs auf „gerichtliches Tätigwerden“ [aaO, S. 327], abgegrenzt und unterschieden vom Rechtsschutzanspruch); ferner zur Differenzierung „abstraktes“ und „konkretes“ Klagrecht bereits Hellwig, Klagrecht, S. 25 f. („abstrakte Klagmöglichkeit“; „abstraktes Klagrecht“), 36 ff., 42 ff., 76 f. („konkretes publizistisches Klagrecht“); dazu auch unten noch S. 547 f. 1256 In diese Richtung wohl das Verständnis des Justizgewähranspruchs als „Justizanspruch“ bei Rosenberg/Schwab/Gottwald, § 3 Rn. 1 f., 8; vgl. auch bereits Dütz, Rechtsstaatlicher Gerichtsschutz, S. 109 ff.; Bötticher, ZZP 75 (1962), 28, 43 f.; s. aber Bruns, in: Bruns (u.a.) (Hrsg.), FS Stürner, S. 257 ff., wonach die materiell-rechtliche Anknüpfung der herrschenden Auffassung entsprechen soll (allerdings kritisch zu einer ausschließlich oder primär materiell-rechtlichen Anknüpfung) mit Verweis (u.a.) auf BGHZ 161, 138, 143. 1257 S. dazu auch Baur/Stürner/Bruns, Zwangsvollstreckungsrecht, § 1 Rn. 1 ff., 3 („Justizgewähranspruch“ als „verfassungsrechtliche Rechtsschutzgewährleistung zur Durchsetzung privater Rechte“).
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den Grundrechten (vor allem Art. 14 Abs. 1 GG und Art. 2 Abs. 1 GG) selbst.1258 In diesem Zusammenhang stellt sich aber die Frage, was eigentlich Gegenstand und Anknüpfungspunkt des Justizgewähranspruchs ist, d.h. ob der Justizgewähranspruch das Bestehen einfachgesetzlicher materieller subjektiver Privatrechte voraussetzt und deren Rechtsschutz garantiert1259 oder ob nicht unabhängig von der einfachgesetzlichen Begründung materieller Rechte die Rechtsdurchsetzung bestimmter, kraft grundrechtlicher Gewährleistung bestehender Rechte geschützt wird. Im Kern gibt es hier drei Varianten1260: Herleitung unmittelbar aus den privatrechtsrelevanten Grundrechten; Herleitung aus den zur (Grundrechts-)Ausgestaltung und in Erfüllung der grundrechtlichen Schutzpflichten einfachrechtlich geschaffenen materiellen Privatrechten; Herleitung aus sämtlichen einfachrechtlich geschaffenen subjektiven Rechtspositionen.1261 Schließlich stellt sich die Frage, ob der Justizgewähranspruch auch dann eingreift, wenn das behauptete materielle Privatrecht überhaupt nicht besteht.1262 Geht man mit dem hier vertretenen Ansatz davon aus, dass die Form subjektiver Privatrechte dem Zivilrecht definitiv vorgegeben ist und es eine Institutsgarantie subjektiver Privatrechte gibt1263, dann folgt aus der Ausgestaltungsdimension dieser subjektiven Rechte in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip der Justizgewähranspruch. Aufgrund der Institutsgarantie subjektiver Privatrechte ist der Gesetzgeber in bestimmten Bereichen (nämlich 1258 S. dazu zuvor S. 538 f. sowie etwa BVerfGE 107, 395, 406 f. („den aus dem Rechtsstaatsprinzip in Verbindung mit den Grundrechten folgenden allgemeinen Justizgewährungsanspruch“). 1259 Vgl. zu einem solchen Verständnis des Justizgewähranspruchs Bruns, in: Bruns (u.a.) (Hrsg.), FS Stürner, S. 257, 258 f.; zu Art. 19 Abs. 4 GG, wonach dieser den Rechtsschutz für Rechtspositionen gewährleistet, die in Art. 19 Abs. 4 GG nur vorausgesetzt werden und sich selbst aus dem materiellen Recht ergeben, BVerfG NJW 2004, 3257, 3258 („Die Norm garantiert nur einen Rechtsschutz bei der Verletzung eigener Rechte, das heißt rechtlich und gerade zu Gunsten des Einzelnen geschützter, durchsetzbarer Positionen. Solche Rechtspositionen, soweit ihnen einfach-gesetzlicher Charakter zukommt, werden durch Art. 19 IV GG nicht gewährt, sondern vorausgesetzt […]. Der Gesetzgeber bestimmt daher, von den Grundrechten und grundrechtsgleichen Rechten abgesehen, selbst darüber, ob und mit welchem Inhalt dem Einzelnen subjektive Rechte gewährt werden“); BVerfGE 15, 275, 281; 60, 253, 297; 61, 82, 110; 84, 34, 49; 78, 214, 226; ferner BVerfG NVwZ 2018, 318. 1260 Jeweils in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip, s. dazu oben S. 537 f., 538 f. 1261 Vgl. auch Bruns, in: Bruns (u.a.) (Hrsg.), FS Stürner, S. 257, 258 f., wonach neben in Erfüllung der Schutzpflichten geschaffenen Ansprüchen auch Ansprüche, die „im Rahmen gesetzgeberischen Ermessens“ geschaffen wurden, unter den Justizgewähranspruch fallen; s. ferner auch zu den verschiedenen Anknüpfungspunkten (zu Art. 19 Abs. 4 GG) BVerfGE 78, 214, 226 („Welche Rechte er geltend machen kann, bestimmt sich dabei – von den Fällen der Grundrechte und sonstiger verfassungsmäßiger Rechte abgesehen – nach den Regelungen des einfachen Rechts. Der Gesetzgeber befindet darüber, unter welchen Voraussetzungen dem Bürger ein Recht zustehen und welchen Inhalt es haben soll“). 1262 S. dazu unten S. 546 f. 1263 S. dazu oben S. 414.
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den privatrechtsbezogenen Grundrechten Gesundheit, Leben, Freiheit, Eigentum, Vertragsfreiheit) zu einer Ausgestaltung in der Form subjektiver Privatrechte gehalten.1264 Wenn der Gesetzgeber in Ausführung seines Ausgestaltungsauftrags und in Erfüllung seiner Schutzpflichten subjektive Rechtspositionen geschaffen hat, dann folgt angesichts von Gewaltmonopol und Selbsthilfeverbot der Justizgewähranspruch, kraft dessen die einfachgesetzlich geschaffenen subjektiven Rechtspositionen gerichtlicher Geltendmachung und Durchsetzung offen stehen müssen.1265 Die Klagbarkeit subjektiver Privatrechte ist insoweit grundsätzlich notwendige Wirkung ihres Bestehens.1266 Entsprechend sagt auch das BVerfG, dass durch den Justizgewähranspruch die verbindliche Entscheidung „über das Bestehen von Rechten und Pflichten in einer zivilrechtlichen Streitigkeit“ gewährleistet wird – es geht im Kern beim Justizgewähranspruch um die effektive Durchsetzung ebenjener materiellen subjektiven Rechte, die ihrerseits der Ausgestaltung der Grundrechte und der Erfüllung grundrechtlicher Schutzpflichten dienen.1267 Es gibt demnach ein Recht, die in Ausgestaltung der privatrechtsrelevanten Grundrechte sowie zur Erfüllung der grundrechtlichen Schutzpflichten geschaffenen Privatrechte gerichtlich geltend machen zu können.1268 Damit verbunden ist, dass der Prozesszweck zumindest auch in der Durchsetzung subjektiver Rechte liegen muss.1269 Ein Prozess, der Rechtsschutz nur für die Bewährung objektiven Rechts, aber nicht die Durchsetzung von subjektiven Rechten ermöglichen würde, wäre damit verfassungswidrig.1270 1264
S. dazu oben S. 414 ff. S. Baur/Stürner/Bruns, Zwangsvollstreckungsrecht, § 1 Rn. 1 ff., 3; vgl. Bruns, in: Bruns (u.a.) (Hrsg.), FS Stürner, S. 257, 258 f. (im Hinblick auf die Position der herrschenden Lehre). 1266 S. dazu oben S. 403 f., 406. 1267 BVerfGE 107, 395, 407; vgl., wenngleich selbst kritisch zu einer ausschließlichen oder primären Anknüpfung des Justizgewähranspruchs an die materiellen Privatrechte Bruns, in: Bruns (u.a.) (Hrsg.), FS Stürner, S. 257, 258 f. 1268 Vgl. Baur/Stürner/Bruns, Zwangsvollstreckungsrecht, § 1 Rn. 3 („Justizgewährungsanspruch“ als „verfassungsrechtliche Rechtsschutzgewährleistung zur Durchsetzung privater Rechte“); s. ferner auch Bruns, in: Bruns (u.a.) (Hrsg.), FS Stürner, S. 257, 258 f. 1269 Stürner, in: Prütting (Hrsg.), FS Baumgärtel, S. 545, 546 („Individualrechtsschutz als zentraler Prozeßzweck entspricht der zentralen Bedeutung der Grundrechte als Individualrechte in der deutschen Verfassung. Verfassungsrechtlich unzulässig wäre jedes prozessuale System, das die Bewährung objektiven Rechts durch Sachwalter öffentlichen Interesses zum primären Zweck erhöbe und den Individualrechtsschutz als Reflexwirkung begriffe […]“); s.a. Isensee/Kirchhof/Degenhart, Handbuch des Staatsrechts, § 115 Rn. 9 („primär“ Individualrechtsschutz, „gleichzeitig“ „Wahrung des objektiven Rechts“ und „des Rechtsfriedens“). 1270 Stürner, in: Prütting (Hrsg.), FS Baumgärtel, S. 545, 546, 547 f.; vgl. Bruns, in: Bruns/ Suzuki (eds.), Realization of Substantive Law, p. 3 ss., 13 s. Dies schließt aber nicht aus, dass es neben dem Prozess, der der Durchsetzung subjektiver Privatrechte dient, andere prozessuale Formen gibt, die anderen Zielen dienen. 1265
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Dies impliziert zwar keinen Anspruch auf ein „richtiges“ Ergebnis im Sinne einer mit dem materiellen Recht korrespondierenden „Entscheidungs-“ oder „Ergebnisrichtigkeit“1271, wohl aber auf ein rechtsförmiges Verfahren, das auf die Durchsetzung materieller Privatrechte ausgerichtet ist und eine „richtige“ Entscheidung im Sinne der Übereinstimmung mit dem materiellen Recht zumindest ermöglicht.1272 Im Ergebnis wird man demnach sagen können, dass Gegenstand des Justizgewähranspruchs alle durch das einfache Recht geschaffenen subjektiven Privatrechtspositionen sind, soweit ihnen grundrechtlicher Schutz, zumindest über Art. 14 Abs. 1 GG oder Art. 2 Abs. 1 GG zukommt.1273 Demgegenüber dürfte reinen private law enforcement-(Klag-) Rechten, die zugunsten öffentlicher Interessen geschaffen werden und nicht der Ausgestaltung privatrechtsrelevanter Grundrechte dienen1274, der Schutz des Justizgewähranspruchs grundsätzlich nicht zukommen.1275 bb) Justizgewähranspruch und subjektives Privatrecht (1) Justizgewähranspruch auch bei nur behauptetem Recht? Nun könnte man dagegen einwenden, dass nach herrschender Auffassung der Justizgewähranspruch auch bei nur behauptetem, tatsächlich aber nicht bestehendem Recht eingreifen soll.1276 Diese verfassungsrechtliche Diskussion läuft dabei in gewisser Hinsicht parallel zur zivilprozessualen Diskussion um das Bestehen des Rechtsschutzanspruchs im Sinne des „publizistischen Klagrechts“ bei nur behauptetem materiellem Privatrecht.1277 Auch wenn man bei nur behauptetem Recht den Justizgewähranspruch bejaht, folgt daraus aber 1271 S. Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 3 Rn. 2; ferner § 3 Rn. 6 ff. gegen einen Anspruch auf einen „günstigen Prozessausgang“, wobei diese daraus ableiten, dass es keinen „Rechtsschutzanspruch“ geben soll; s. dazu sogleich noch S. 547 f.; ferner zu dieser Diskussion im Kontext des Rechtsschutzanspruchs Blomeyer, in: Bettermann/Zeuner (Hrsg.), FS Bötticher, S. 61, 67 ff. 1272 In diese Richtung MünchKomm ZPO/Rauscher, Einleitung Rn. 19 mit Verweis auf BVerfGE 69, 125, 140; s. ferner Detterbeck, AcP 192 (1992), 325, 337 f.; vgl. auch Bruns, NJW 2018, 2753, 2756 f. („Eine Abweichung vom materiellen Recht als Entscheidungsprogramm der gerichtlichen Entscheidung wäre allerdings unter dem Gesichtspunkt verfassungsrechtlicher Justizgewährleistung mehr als fragwürdig (Art. 2 I, 14 I, 20 III GG)“). 1273 Vgl. auch weitergehend Bruns, in: Bruns (u.a.) (Hrsg.), FS Stürner, S. 257, 258 f. (auch solche Ansprüche, die nicht aufgrund der Schutzpflichten, sondern „im Rahmen gesetzgeberischen Ermessens“ geschaffen wurden). 1274 S. dazu oben S. 414 ff., 427 ff. 1275 Hier greift dann aber der allgemeine prozessuale Justizgewähranspruch, s. dazu sogleich S. 548 f. 1276 Vgl. insoweit auch die Kritik von Bruns, in: Bruns (u.a.) (Hrsg.), FS Stürner, S. 257, 259, wonach „die materielle Berechtigung des Klägers zu Beginn des Zivilprozesses nicht feststeht und auch nicht feststehen kann“. 1277 Zu dieser einfachrechtlichen Diskussion bereits im ausgehenden 19. Jhd. Simshäuser, Zur Entwicklung des Verhältnisses, S. 82 ff., 142 f.; s. ferner oben bereits S. 193 f., 217, 404 f.
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noch nicht, dass auch die Rechtsfolgen hieraus dieselben wie bei tatsächlich bestehendem Recht sind. (2) Justizanspruch und Rechtsschutzanspruch Möglicherweise geht es um zwei verschiedene Garantien1278: zum einen um einen (abstrakten) Justizgewähranspruch im Sinne eines Zugangs zu den Gerichten bei zivilrechtlichen Streitigkeiten, bei dem der Rechtsfriede1279 im Vordergrund steht; zum anderen um einen (konkreten) Justizgewähranspruch im Sinne eines Rechtsschutzanspruchs, der die Durchsetzung der subjektiven Privatrechte ermöglichen soll.1280 So wird in der zivilprozessrechtlichen Dogmatik zwischen „Justizanspruch“ und „Rechtsschutzanspruch“ differenziert.1281 Der Justizanspruch wird danach im Sinne eines Anspruchs auf Zugang zu den Gerichten1282 verstanden und inhaltlich mit dem verfassungsrechtlichen Justizgewähranspruch identifiziert.1283 Dagegen wird der Rechtsschutzanspruch im Sinne eines Rechts auf Entscheidung entsprechend dem
1278 Vgl. dazu auch Bruns, in: Bruns (u.a.) (Hrsg.), FS Stürner, S. 257, 258 ff., der von der materiell-rechtlichen Konzeption des Justizgewähranspruchs die prozessuale unterscheidet, und eine primär oder ausschließlich materiell-rechtliche Konzeption ablehnt – zu diesem Ansatz eines prozessualen Justizgewähranspruchs s. gleich noch S. 548 f.; ferner Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 3 Rn. 1 ff., 6 ff., 8 f., die zwischen Justizanspruch und Rechtsschutzanspruch unterscheiden, wobei der Justizgewähranspruch mit dem Justizanspruch identifiziert wird und ein Rechtsschutzanspruch nicht erforderlich sein soll. 1279 Zu diesem Prozessziel Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 1 Rn. 17. 1280 Vgl. bereits die (noch nicht verfassungsrechtliche) Argumentation bei Hellwig, Klagrecht, S. 7 f., 25 f., 37, 42 ff., 76 f., der zwischen (abstrakter) Klagmöglichkeit im Sinne der Befugnis der Anrufung des Gerichts zur Geltendmachung des Rechtsschutzes sowie dem publizistischen Rechtsschutzanspruch („konkretes Klagrecht“) unterschied, dessen Bestehen vom Bestehen des materiellen zivilrechtlichen Anspruchs abhängig ist; dazu auch Simshäuser, Zur Entwicklung des Verhältnisses, S. 142 f.; zur daraus resultierenden Unterscheidung von Justizanspruch und Rechtsschutzanspruch s. sogleich sowie Blomeyer, in: Bettermann/Zeuner (Hrsg.), FS Bötticher, S. 61, 63 ff. 1281 S. dazu Blomeyer, in: Bettermann/Zeuner (Hrsg.), FS Bötticher, S. 61 ff.; Rosenberg/ Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 3 Rn. 1 ff., 5 ff.; s.a. bereits Wach, Feststellungsanspruch, S. 15 (zur Differenzierung von „Rechtsschutzanspruch“ und „publizistischer Klagbefugnis“). 1282 S. Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 3 Rn. 1 (allerdings „nicht nur den Zugang zu Gericht, d.h. die Möglichkeit, die Gerichte anzurufen“, sondern auch „Anspruch auf tatsächlich wirksamen Rechtsschutz“); Blomeyer, in: Bettermann/Zeuner (Hrsg.), FS Bötticher, S. 61, 63 („Anspruch auf Gewährung von Rechtspflege überhaupt“). 1283 S. Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 3 Rn. 1 ff., 8; vgl. auch Detterbeck, AcP 192 (1992), 325, 327 ff. zum verfassungs- und einfachrechtlich gesicherten Justizgewährleistungsanspruch im Sinne eines Anspruchs auf „gerichtliches Tätigwerden“ (aaO, S. 327); dieser Justizgewährleistungsanspruch wird unterschieden vom Rechtsschutzanspruch (dazu aaO, S. 333 ff.; ferner S. 337 f. zum Verhältnis von Justizgewährleistungsanspruch und Rechtsschutzanspruch).
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(materiellen) Recht1284 weithin abgelehnt, da es keinen Anspruch auf eine „richtige Entscheidung“ entsprechend der materiellen Rechtslage gebe.1285 Zugleich wird darauf verwiesen, dass der Justiz(gewähr)anspruch nicht nur den Zugang zu Gericht, sondern auch den effektiven Rechtsschutz auf eine Entscheidung unter Bindung an das materielle Recht umfasse.1286 Damit bedürfe es keines separaten Rechtsschutzanspruchs.1287 Diese Auffassung mag zwar zutreffend sein für eine Rechtsordnung wie die gegenwärtige, die von einer eigenständigen vorgelagerten materiellen Rechtsordnung subjektiver Privatrechte ausgeht, auf deren Grundlage eine gerichtliche Entscheidung zu treffen ist. Wenn zugleich ein allgemeiner Zugang zum Gericht gewährleistet und Effektivität der Rechtsverfolgung sichergestellt ist, dann bedarf es keines über den Justizanspruch hinausgehenden Rechtsschutzanspruchs, der separat an die materiellen subjektiven Privatrechte anknüpft.1288 Dass diese Ausgestaltung aber nicht schlechthin notwendig ist, wurde bereits gezeigt.1289 (3) Materiell-rechtlich anknüpfender Justizgewähranspruch und prozessualer Justizgewähranspruch Problematisch ist daher ein Verständnis des Justizgewähranspruchs, das sich von den zugrunde liegenden materiellen Privatrechten gänzlich löst.1290 Vor dem Hintergrund der hier vorgenommenen Bestimmung des Gegenstands des Justizgewähranspruchs wird man daher tatsächlich von einer zweifachen Form des verfassungsrechtlichen Justizgewähranspruchs ausgehen müssen: einerseits entsprechend dem Justizanspruch, andererseits entsprechend dem 1284 S. Blomeyer, in: Bettermann/Zeuner (Hrsg.), FS Bötticher, S. 61, 67 f. (Anspruch nicht nur auf „Sachentscheidung“, sondern „auch auf den durch die Entscheidungsnormen vorgesehenen Rechtsschutz“); dazu auch Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 3 Rn. 5, 7, 8. 1285 Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 3 Rn. 5 ff., 8 f.; ferner dazu Detterbeck, AcP 192 (1992), 325, 333 ff. 1286 Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 3 Rn. 1 f., 8; vgl. auch Detterbeck, AcP 192 (1992), 325, 327 f., 337 f.: einerseits Justizgewährleistungsanspruch ohne „eigene materiell-sachliche Dimension“ (aaO, S. 327), andererseits infolge der zuvor genannten Aspekte mit einer „gewissen materiellen Dimension“ (aaO, S. 338). 1287 So Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 3 Rn. 8 f.; vgl. auch zur Berücksichtigung des materiellen Rechts bei einem prozessualen Begriff des Justizgewähranspruchs Bruns, in: Bruns (u.a.) (Hrsg.), FS Stürner, S. 257, 260 („Der materiell-rechtliche Anspruch ist daneben keineswegs bedeutungslos, sondern hat zentrale Bedeutung als Maßstab richterlicher Prüfung und Entscheidung […]“). 1288 So die Argumentation bei Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 3 Rn. 8 f.; vgl. auch Bruns, in: Bruns (u.a.) (Hrsg.), FS Stürner, S. 257, 260. 1289 S. dazu oben S. 388 ff. 1290 S. dagegen aber Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 3 Rn. 8 mit Verweis darauf, dass der Bindung durch die Gesetzesbindung des Gerichts Rechnung getragen werde.
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Rechtsschutzanspruch zumindest insoweit, als verfassungsrechtlich geschützte Rechtspositionen betroffen sind.1291 Der Justizgewähranspruch im Sinne des Rechtsschutzanspruchs besagt danach nichts anderes, als dass die Möglichkeit, die in Ausgestaltung der privatrechtsrelevanten Grundrechte geschaffenen subjektiven Rechtspositionen gerichtlich geltend zu machen und durchzusetzen, auch verfassungsrechtlich abgesichert ist.1292 Es ist zwar zutreffend, dass dieser Rechtsschutzanspruch keinen Anspruch des Klägers auf „Ergebnisrichtigkeit“1293 im Sinne einer der materiellen Rechtslage entsprechenden Entscheidung umfassen kann.1294 Dennoch lässt sich der Justizgewähranspruch im Sinne des Rechtsschutzanspruchs als Anspruch auf ein rechtsförmiges Verfahren deuten, das die effektive Durchsetzung der subjektiven Privatrechte ermöglicht.1295 Vor dem Hintergrund dieser materiell-rechtlichen Anknüpfung des Justizgewähranspruchs im Sinne des Rechtsschutzanspruchs lässt sich auch der Justizanspruch neu bestimmen1296, und zwar prozessual als Anspruch, der es ermöglicht, einen prozessualen Anspruch1297 geltend zu machen, über den in effektiver Weise rechtskräftig durch Urteil entschieden werden muss.1298 Damit wird nicht mehr zwischen „abstraktem“ Justizanspruch und „konkretem“ Rechtsschutzanspruch1299, sondern zwischen materiell-rechtlich anknüpfendem und prozessualem Justizgewähranspruch unterschieden.1300 Letzterem lassen sich dann auch die Konstellationen des nur behaupteten Rechts zuordnen.1301
1291 S. dazu oben bereits S. 546; vgl. dazu Bruns, in: Bruns (u.a.) (Hrsg.), FS Stürner, S. 257, 258 ff., der indes zwischen materiell-rechtlicher und prozessualer Anknüpfung des Justizgewähranspruchs differenziert, allerdings eine primär oder ausschließlich materiellrechtliche Anknüpfung ablehnt und für einen prozessualen Justizgewähranspruch plädiert (s. dazu sogleich noch – hier wird beides nicht exklusiv, sondern komplementär verstanden). 1292 S. dazu oben S. 543 ff.; vgl. Bruns, in: Bruns (u.a.) (Hrsg.), FS Stürner, S. 257, 258 f. 1293 S. dazu zuvor S. 546, 547 f. 1294 Vgl. Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 3 Rn. 2, 6 f., 8; MünchKomm ZPO/Rauscher, Einleitung Rn. 19. 1295 S. dazu auch zuvor S. 545 f. sowie Baur/Stürner/Bruns, Zwangsvollstreckungsrecht, § 1 Rn. 3. 1296 Vgl. Bruns, in: Bruns (u.a.) (Hrsg.), FS Stürner, S. 257, 258 ff. 1297 Dazu Bruns, in: Bruns (u.a.) (Hrsg.), FS Stürner S. 257, 260. 1298 So Bruns, in: Bruns (u.a.) (Hrsg.), FS Stürner, S. 257, 260 („Vielmehr ist die verbindliche richterliche Entscheidung über den prozessualen Anspruch die eigentliche Essenz der Justizgewährung“), 261 („Gewährleistung einer richterlichen Prüfung und Entscheidung über den vom Kläger erhobenen prozessualen Anspruch“; „die verbindliche, mithin die materiell rechtskräftige gerichtliche Entscheidung über den Streitgegenstand nach rechtsstaatlichem Verfahren“). 1299 S. zuvor S. 547 f.; Hellwig, Klagrecht, S. 7 f., 25 f., 37, 42 ff., 76 f. 1300 In diese Richtung Bruns, in: Bruns (u.a.) (Hrsg.), FS Stürner, S. 257, 258 ff. (zumindest kritisch zu einer primär oder ausschließlich materiell-rechtlichen Anknüpfung des Justizgewähranspruchs). 1301 Vgl. Bruns, in: Bruns (u.a.) (Hrsg.), FS Stürner S. 257, 259, 260.
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b) Die Ausgestaltung des Zivilprozesses: Verfahrensgrundsätze und Prozessmaximen aa) Überblick Der Justizgewähranspruch präformiert damit Ziel und Gegenstand des Zivilprozesses. Bevor daran anknüpfend Alternativen zum Individualprozess vor staatlichen Gerichten erörtert werden, ist zunächst auf die Ausgestaltung des Zivilprozesses selbst einzugehen. Soweit man die durch das Grundgesetz vorgegebenen Konturen des Zivilprozesses herausarbeiten will, kann man sich im Ausgangspunkt an den Prozessgrundsätzen und -maximen orientieren.1302 In der zivilprozessualen Literatur wird hinsichtlich der Verfassungsfestigkeit der Prozessmaximen differenziert. So werden einige Prozessmaximen, die ausdrücklich im Grundgesetz verankert oder von der Rechtsprechung des BVerfG anerkannt sind, wie das rechtliche Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG), der Grundsatz der Waffengleichheit sowie das Recht auf effektiven Rechtsschutz als „verfassungsrechtlich fundierte Verfahrensgrundsätze“ erfasst, wohingegen andere Maximen wie der Dispositions- und Beibringungsgrundsatz nur teilweise verfassungsrechtlich geschützt sein sollen.1303 Teilweise wird davon ausgegangen, dass die Prozessmaximen grundsätzlich weitergehenden Inhalt als die Prozessgrundrechte hätten und die Prozessgrundrechte daher Mindeststandards seien.1304 bb) Dispositionsgrundsatz (1) Begriff und Inhalt Nach dem Dispositionsgrundsatz haben die Parteien (prozessuale) Verfügungsfreiheit über den Streitgegenstand, d.h. die am Rechtsstreit beteiligten Parteien bestimmen über Einleitung, Gegenstand und Beendigung des Rechtsstreits durch Klaganträge, -rücknahme oder Verzicht, Anerkenntnis, Vergleich und Erledigungserklärung.1305 Der Dispositionsgrundsatz wird als prozessuale Ausprägung der materiell-rechtlichen Privatautonomie (Art. 2 Abs. 1 GG) und des Justizgewähranspruchs gewertet und als im Kern verfassungsfest angesehen, wobei hinsichtlich seiner einzelnen Elemente differenziert wird.1306
1302 Dazu insbesondere Stürner, in: Grunsky (u.a.) (Hrsg.), FS Baur, S. 647 ff.; s.a. H. Roth, ZZP 131 (2018), 3, 6 f. 1303 So Musielak/Voith, ZPO, Einl. Rn. 27 ff.; H. Roth, ZZP 131 (2018), 3, 6 f. 1304 S. H. Roth, ZZP 131 (2018), 3, 10; ferner Stürner, ZZP 127 (2014) 271, 310. 1305 Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 76 Rn. 1, 3; Stürner, in: Grunsky (u.a.) (Hrsg.), FS Baur, S. 647, 650; ferner etwa Fiedler, Class Actions, S. 258. 1306 Stürner, in: Grunsky (u.a.) (Hrsg.), FS Baur, S. 647, 650 ff.; Schwab/Gottwald, Verfassung und Zivilprozeß, S. 67; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 1 Rn. 28, § 76 Rn. 1; Lange, Das begrenzte Gruppenverfahren, S. 129 f., 131 f.; Fiedler, Class Actions,
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Insofern ist die Ausgestaltung des Zivilprozesses durch den ihn prägenden Dispositionsgrundsatz in besonderer Weise durch die Privatautonomie bedingt.1307 Tatsächlich wird man den Dispositionsgrundsatz nicht nur als prozessuale Fortsetzung der Privatautonomie, sondern auch als notwendige Folge der Garantie subjektiver Privatrechte sowie des Justizgewähranspruchs werten müssen.1308 Die Entscheidung über die (prozessuale) Disposition und Geltendmachung eines subjektiven Privatrechts ist nur dem Rechtsinhaber zugewiesen.1309 Damit ist die Dispositionsfreiheit nicht nur in ihrer positiven, sondern auch in ihrer negativen Ausprägung geschützt: Subjektive Privatrechte dürfen grundsätzlich nicht ohne oder gegen den Willen des Rechtsinhabers geltend gemacht werden.1310 (2) Klägerische Prozesseinleitung, Verfahrensbeendigung und Verbot der Offizialmaxime Ausgehend von diesen Voraussetzungen wird die klägerische Disposition über Einleitung und Durchführung des gerichtlichen Verfahrens bis zur rechtskräftigen Entscheidung als verfassungsfest angesehen.1311 So wie der Rechtsinhaber materiell-rechtlich aufgrund der Privatautonomie (Art. 2, 14 GG) über Rechte verfügen kann, ist aufgrund des Justizgewähranspruchs auch die gerichtliche Durchsetzbarkeit auf Disposition des Klägers verfassungsrechtlich vorgege1307 S. 258 f.; Isensee/Kirchhof/Degenhart, Handbuch des Staatsrechts, § 114 Rn. 25; § 115 Rn. 9; MünchKomm ZPO/Rauscher, Einleitung Rn. 318; Stadler, in: Brönneke (Hrsg.), Kollektiver Rechtsschutz, S. 1, 16 f. 1307 Vgl. Isensee/Kirchhof/Degenhart, Handbuch des Staatsrechts, § 114 Rn. 25; § 115 Rn. 9; Lange, Das begrenzte Gruppenverfahren, S. 131. 1308 Vgl. Lange, Das begrenzte Gruppenverfahren, S. 131 f. (S. 132: „Die verfahrensrechtliche Dispositionsbefugnis ist Konsequenz der Gewährung materieller Freiheitsrechte und damit herleitbar aus Art. 2 und Art. 14 GG, der Verfügungsbefugnis über vermögensrechtliche sowie personenrechtliche Ansprüche“; Fn. weggelassen); Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 76 Rn. 1 („Diese Verfügungsbefugnis der Parteien entspricht der Verfügungsbefugnis über private Rechte (Privatautonomie)“); Stürner, in: Grunsky (u.a.) (Hrsg.), FS Baur, S. 647, 651 („verfahrensrechtliche Disposition“ als „Konsequenz materieller Freiheitsrechte“); ferner auch Fiedler, Class Actions, S. 258 f.; vgl. schließlich auch BVerfG NJW 1979, 1925, 1927 („Entsprechend der Verfügungsmacht des einzelnen über privatrechtliche Ansprüche ist im Zivilprozeß da, wo öffentliche Belange nicht berührt werden, den Prozeßparteien im großen Umfang auch die Verfügung über das Verfahren eingeräumt“). 1309 Vgl. Lange, Das begrenzte Gruppenverfahren, S. 131 f., 136; Stürner, in: Grunsky (u.a.) (Hrsg.), FS Baur, S. 647, 651, 652; Henckel, Prozessrecht und materielles Recht, S. 122; Isensee/Kirchhof/Isensee, Handbuch des Staatsrechts, § 191 Rn. 187; s. dazu auch oben bereits S. 400, 403 f. 1310 S. Lange, Das begrenzte Gruppenverfahren, S. 132, 136. S. dazu unten noch im Kontext von Verbands- und Gruppenklagen S. 555 ff. 1311 Stürner, in: Grunsky (u.a.) (Hrsg.), FS Baur, S. 647, 651 f.; Schwab/Gottwald, Verfassung und Zivilprozeß, S. 67; ferner Bettermann, JBl. 1972, 57, 60 ff., 62; Lange, Das begrenzte Gruppenverfahren, S. 131 f.; Fiedler, Class Actions, S. 258 f.
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ben.1312 Ferner folgt aus der Rechtsprechung des BVerfG zur Justizgewährleistung die Notwendigkeit der Möglichkeit gerichtlicher verbindlicher Entscheidung.1313 Notwendige Folge hiervon ist, dass nicht nur das „Ob“ des Rechtsschutzes, sondern auch der Umfang der Rechtsverfolgung in das Belieben des Klägers gestellt ist und damit die Bindung des Gerichts an die Anträge („ne ultra petita“, § 308 Abs. 1 ZPO) erforderlich ist.1314 Gleichfalls ist die Möglichkeit zumindest konsensualer Beendigung verfassungsrechtlich vorgegeben.1315 Damit notwendig als Kehrseite verbunden ist das grundsätzliche Verbot einer Ausgestaltung des Zivilprozesses als Offizialprozess.1316 Unzulässig, da verfassungswidrig, ist es damit, wenn generell die Einleitung des Verfahrens nicht durch Prozesshandlung des Klägers, sondern durch staatlichen oder behördlichen Hoheitsakt erfolgen würde und das Verfahren rechtsverbindlich über das dem Kläger zustehende subjektive Recht entscheiden würde.1317 Ebenso wäre eine Klagepflicht des Rechtsinhabers grundsätzlich unzulässig.1318 c) Rechtsdurchsetzung durch private Dritte und Kollektivklagen aa) Arten der Rechtsschutzformen (1) Einführung Von der Rechtsdurchsetzung in gerichtlichen Verfahren auf staatliche Initiative ist die kollektive Rechtsdurchsetzung in gerichtlichen Verfahren auf private Initiative abzugrenzen.1319 Diskutiert werden hierbei kollektive Klagen wie Gruppenklagen (class actions), bei denen eine Vielzahl von Rechtsinhabern gemeinschaftlich klagt und ihre Ansprüche gebündelt verfolgt, sowie Verbandsklagen, bei denen ein Verband als Kläger auftritt und in eigenem Na1312
Stürner, in: Grunsky (u.a.) (Hrsg.), FS Baur, S. 647, 651 f.; s. ferner Lange, Das begrenzte Gruppenverfahren, S. 131 f.; Fiedler, Class Actions, S. 258 f. 1313 S. dazu oben bereits S. 538. 1314 Stürner, in: Grunsky (u.a.) (Hrsg.), FS Baur, S. 647, 652; Bettermann, JBl. 1972, 57, 61 f.; Schwab/Gottwald, Verfassung und Zivilprozeß, S. 67 f. 1315 Vgl. Stürner, in: Grunsky (u.a.) (Hrsg.), FS Baur, S. 647, 655 f.; Bettermann, JBl. 1972, 57, 62; s.a. MünchKomm ZPO/Rauscher, Einleitung Rn. 318. 1316 S. Bettermann, JBl. 1972, 57, 60 ff.; s.a. Stürner, in: Grunsky (u.a.) (Hrsg.), FS Baur, S. 647, 651. 1317 S. Stürner, in: Grunsky (u.a.) (Hrsg.), FS Baur, S. 647, 652, ferner aber auch S. 652 f. zur Frage der Verbandsklage im Hinblick auf die „Wahrung objektiven Rechts“. 1318 Stürner, in: Grunsky (u.a.) (Hrsg.), FS Baur, S. 647, 652; ferner Henckel, Prozessrecht und materielles Recht, S. 123; vgl. Schwab/Gottwald, Verfassung und Zivilprozeß, S. 67; s. aber auch zur Diskussion von „Zwangsverfahren“ Lange, Das begrenzte Gruppenverfahren, S. 132 ff. 1319 Vgl. Bruns, ZZP 125 (2012), 399, 401; Lange, Das begrenzte Gruppenverfahren, S. 28 ff., 41 f.
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men klagt.1320 Ferner ist hiervon die Musterfeststellungsklage (§§ 606 ff. ZPO) zu unterscheiden, die als Verbandsklage ausgestaltet ist und deren Prozessergebnis auf verbindliche Feststellung vorgreiflicher Rechts- und Tatsachenfragen zielt (§ 613 ZPO).1321 (2) Verbandsklagen Verbandsklage meint grundsätzlich1322, dass Verbänden ein selbständiges Klagrecht1323, eine Klagebefugnis1324 oder ein materieller Anspruch1325 zuerkannt 1320 Für einen Überblick über die verschiedenen Formen s. Alexander, JuS 2009, 590, 591 ff.; Bruns, ZZP 125 (2012), 399, 401 f., 409 ff.; Lange, Das begrenzte Gruppenverfahren, S. 28 ff., 76 ff.; Meller-Hannich, Gutachten, 72. DJT, A55 ff., A71 ff., A76 ff.; Rosenberg/ Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 47 Rn. 1 ff. 1321 Dazu etwa Stadler, ZHR 182 (2018), 623, 632 ff.; Merkt/Zimmermann, VuR 2018, 363, 364 ff.; s. ferner generell zu Musterverfahren Lange, Das begrenzte Gruppenverfahren, S. 78 ff.; Geiger, Kollektiver Rechtsschutz, S. 31 f. 1322 Allerdings ist auch eine Ausgestaltung der Verbandsklage ähnlich der Gruppenklage möglich, in der der Verband nicht eigene (Klag-)Rechte, sondern Ansprüche einer Vielzahl invididuell betroffener Personen geltend macht, s. dazu unten noch S. 557 sowie Poelzig, Normdurchsetzung durch Privatrecht, S. 533 ff.; zur Abgrenzung der verschiedenen Konstellationen sowie zur Geltendmachung fremder Schäden durch Verbandsklagen Halfmeier, Popularklagen, S. 5 ff., 7 ff., 383 ff.; ferner Lange, Das begrenzte Gruppenverfahren, S. 28, 76 f., die insofern die „echte Verbandsklage“ von der „gebündelten Durchsetzung bestehender individueller Schadensersatzansprüche“ unterscheidet (S. 28); Fiedler, Class Actions, S. 98 ff. (opt-out-Verbandsgruppenklage). 1323 In diese Richtung Hadding, JZ 1970, 305, 310 („selbständige Prozeßführungsbefugnis“ im Sinne einer „aktionenrechtlichen Regelung“, die demnach aktionenrechtlich zu verstehen ist und kein materielles subjektives Privatrecht voraussetzt, das im Wege der gesetzlichen Prozessstandschaft geltend gemacht wird); Halfmeier, Popularklagen im Privatrecht, S. 275 ff. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Verbandsklage, die nur bestimmten klageberechtigten Verbänden zusteht, gerade keine Popularklage ist (s. M. Wolf, Die Klagebefugnis der Verbände, S. 7; Hadding, JZ 1970, 305, 307 f.; s. aber auch Marotzke, ZZP 98 [1985], 160, 170 f.). 1324 Im Kontext der Verbandsklage wird auf die gesetzliche Prozessführungsbefugnis rekurriert, s. dazu Hadding, JZ 1970, 305, 309 f. (allerdings geht Hadding selbst nicht von einer gesetzlichen Prozesstandschaft zur Geltendmachung fremder materiell-rechtlicher Ansprüche, sondern von einer aktionenrechtlichen „selbständigen Prozeßführungsbefugnis“ aus, dazu Fn. zuvor); ferner Gilles, ZZP 98 (1985), 1, 8 f., 9 f. („besondere prozessuale Befugnis“ zur Geltendmachung fremder Rechte; „prozessuale Klage“); Marotzke, ZZP 98 (1985), 160, 184 ff., 188 ff. (gesetzliche Prozessführungsbefugnis zur Geltendmachung eines [Unterlassungs-]Anspruchs des Staates). S. aber auch zu einem Begriff der Klagebefugnis, die in Abgrenzung zur Prozessstandschaft auf das aus eigenem Anspruch folgende Klagrecht bezogen wird, M. Wolf, Die Klagebefugnis der Verbände, S. 7 (zum Begriff der h.M.: „Klagebefugnis als Ausfluß eines eigenen Anspruchs, der dem Verband als Nichtverletztem […] besonders verliehen werde“); s. ferner zum Begriff der Klagebefugnis und den verschiedenen Bedeutungen oben bereits S. 402 f. Dabei ist zu berücksichtigen, dass auch die gesetzliche Prozessführungsbefugnis ein (fremdes) subjektives Privatecht voraussetzt, das in eigenem Namen geltend gemacht wird; s. Häsemeyer, in: Bernreuther (u.a.) (Hrsg.), FS Schellenberg, S. 99, 102 (das indes nach Häsemeyer im Kontext der Verbandsklage nach UKlaG grds. nicht existiert); ferner M. Wolf,
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wird, welche dieser Verband im eigenen Namen gerichtlich geltend macht.1326 Die Klagrechte, Klagebefugnisse oder Ansprüche sind solche, die der Erfüllung bestimmter öffentlicher oder eine Vielzahl von Personen betreffender Interessen dienen.1327 Die Verbandsklage ist insofern ein Instrument des private law enforcement.1328 (3) Gruppenklagen Bei Gruppenklagen geht es demgegenüber um die gebündelte Geltendmachung von Ansprüchen einer Vielzahl von Rechtsinhabern in einer gemeinsamen Klage.1329 Als Grundvarianten werden entsprechend dem US-amerikanischen Vorbild1330 opt-in und opt-out unterschieden. Während beim opt-in eine positive Dispositionserklärung der einzelnen Kläger zur Teilnahme an der Gruppenklage erforderlich ist, sind bei einer opt-out-Gruppenklage grundsätzlich alle unter die „Gruppe“ fallenden Personen an der durch einzelne Die1325Klagebefugnis der Verbände, S. 3, 6; Hadding, JZ 1970, 305, 309, 310. Für einen Anspruch des Staates, der im Wege der Verbandsklage kraft gesetzlicher Prozessstandschaft geltend gemacht wird, s. Marotzke, ZZP 98 (1985), 160, 188 ff.; für eine öffentliche Ausgestaltung als Unterlassungsanspruch im Rahmen einer Beleihung Häsemeyer, in: Bernreuther (u.a.) (Hrsg.), FS Schellenberg, S. 99, 103 ff. 1325 So die jetzt h.M. (zum UKlaG) Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 47 Rn. 1, 10 f. (dort auch zu den anderen Varianten Popularklage und gesetzliche Prozessführungsbefugnis); ferner Gilles, ZZP 98 (1985), 1, 7 f.; generell auch für eine Ausgestaltung über materiell-rechtliche Rechte und Ansprüche Poelzig, Normdurchsetzung durch Privatrecht, S. 413 ff.; zur heute überwiegenden Anspruchslösung s. oben S. 417 sowie §§ 1 ff. UKlaG. Zu den verschiedenen Ausgestaltungsmöglichkeiten s. oben S. 416 f. 1326 S. Poelzig, Normdurchsetzung durch Privatrecht, S. 408 ff.; Lange, Das begrenzte Gruppenverfahren, S. 28 f., 76 f.; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 47 Rn. 1, 2 ff.; ob und welche Form gewählt wird, ist abhängig von der gesetzgeberischen Entscheidung über die Ausgestaltung, s. dazu oben S. 417; a.A. Häsemeyer, in: Bernreuther (u.a.) (Hrsg.), FS Schellenberg, S. 99, 100, 101 (zumindest im Hinblick auf die Konstruktion als materielles Privatrecht). 1327 Poelzig, Normdurchsetzung durch Privatrecht, S. 408 ff.; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 1 Rn. 15; H. Roth, JZ 2016, 1134, 1136; Bruns, ZZP 125 (2012), 399, 409 f., 415; ferner Alexander, JuS 2009, 590, 593 f. 1328 S. Poelzig, Normdurchsetzung durch Privatrecht, S. 408 ff.; Rosenberg/Schwab/ Gottwald, Zivilprozessrecht, § 1 Rn. 15; § 47 Rn. 1 ff.; H. Roth, JZ 2016, 1134, 1136 (allerdings im Hinblick auf das UKlaG auch abgrenzend gegenüber dem private law enforcement, da die typischen Anreizmechanismen fehlen würden); vgl. auch Marotzke, ZZP 98 (1985), 160 f. („Instrument zur effektiveren Durchsetzung bestimmter Bereiche des objektiven Rechts“). 1329 Zum Begriff Lange, Das begrenzte Gruppenverfahren, S. 76 ff. (dort auch mit Abgrenzung zur Sammelklage); Geiger, Kollektiver Rechtsschutz, S. 30; ferner Fiedler, Class Actions, S. 9; Meller-Hannich, Gutachten, 72. DJT, A58 f., A71 f., A76 ff. (auch zur möglichen Ausgestaltung); zur Frage der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit von class actions s. bereits Gottwald, ZZP 91 (1978), 1, 7 ff. (thematisierend im Hinblick auf Rechtsstaatsprinzip, Art. 103 Abs. 1 GG, Art. 2 Abs. 1 GG). 1330 Dazu oben S. 315.
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Gruppenmitglieder erhobenen Klage beteiligt und an die Ergebnisse gebunden, es sei denn, sie erklären, an der Klage nicht teilzunehmen.1331 Von Gruppenklagen sind solche Konstruktionen abzugrenzen, bei denen eine Vielzahl von Forderungen durch einen Dritten aufgrund (treuhänderischer) Abtretung in einem Prozess geltend gemacht werden.1332 bb) Justizgewährleistung, subjektive Privatrechte und prozessuale Dispositionsbefugnis (1) Einführung Normativer Anhaltspunkt für den Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers bei der Ausgestaltung entsprechender Verfahrensformen ist der Dispositionsgrundsatz, und zwar vor allem in seiner negativen Ausprägung.1333 Hinter dem Dispositionsgrundsatz stehen wiederum die betroffenen Grundrechte in Verbindung mit der Privatautonomie und dem Justizgewähranspruch.1334 Der Dispositionsgrundsatz ist nichts anderes als die prozessuale Fortsetzung subjektiver Privatrechte sowie der Privatautonomie.1335 Die prozessuale Geltendmachung subjektiver Rechte steht aufgrund der Dispositionsfreiheit im Willen des Rechtssubjekts.1336 Die Geltendmachung durch Dritte ohne oder gegen den Willen des Rechtsinhabers greift in dessen Dispositionsfreiheit ein.1337 1331 S. dazu nur Geiger, Kollektiver Rechtsschutz, S. 30 f.; Lange, Das begrenzte Gruppenverfahren, S. 130; Fiedler, Class Actions, S. 10 f.; B. Hess, JZ 2011, 66, 70 f. Von der opt-out-Klage ist der opt-out-Vergleich zu unterscheiden (vgl. auch Bruns, NJW 2018, 2753): Das eine bezieht sich auf die Beteiligung an der Klage, das andere auf die Beteiligung an dem im Rahmen des kollektiven Rechtsschutzes zustande gekommenen Vergleich. Beim opt-out-Vergleich im Rahmen einer opt-in-Gruppenklage liegt bereits zuvor ein Dispositionsakt zur Teilnahme an dem Verfahren vor; ein opt-out ist erforderlich, wenn man nicht an dem in diesem Verfahren zustande gekommenen Vergleich beteiligt sein will, so etwa die Regelung in §§ 17 ff. KapMuG; s.a. Stadler, ZHR 182 (2018), 623, 629 Fn. 30; ferner zum KapMuG Bruns, ZZP 125 (2012), 399, 414 f. 1332 Dazu Alexander, JuS 2009, 590, 591 f.; Gsell, in: Götz (Hrsg.), Europäisches Privatrecht, S. 179, 185 ff.; Lange, Das begrenzte Gruppenverfahren, S. 77; Kluth, VuR 2018, 403 ff.; Mann, NJW 2010, 2391; Röthemeyer, VuR 2019, 87, 89. 1333 S. dazu oben S. 550 f. sowie Lange, Das begrenzte Gruppenverfahren, S. 129 f., 131 f., 136; vgl. auch Stadler, in: Brönneke (Hrsg.), Kollektiver Rechtsschutz, S. 1, 16 f., 26. 1334 S. dazu oben S. 550 f.; ferner Lange, Das begrenzte Gruppenverfahren, S. 131 f. 1335 Vgl. Stürner, in: Grunsky (u.a.) (Hrsg.), FS Baur, S. 647, 651; Rosenberg/Schwab/ Gottwald, Zivilprozessrecht, § 76 Rn. 1; Lange, Das begrenzte Gruppenverfahren, S. 131 f.; vgl. auch Fiedler, Class Actions, S. 258 f.; s. dazu oben bereits S. 550 f. 1336 S. dazu oben S. 551; ferner Lange, Das begrenzte Gruppenverfahren, S. 131 f., 136; Fiedler, Class Actions, S. 258 f.; vgl. auch Isensee/Kirchhof/Isensee, Handbuch des Staatsrechts, § 191 Rn. 187. 1337 S. dazu oben S. 551 sowie Stürner, in: Grunsky (u.a.) (Hrsg.), FS Baur, S. 647, 651, 652; Lange, Das begrenzte Gruppenverfahren, S. 130, 131 f., 136; Stadler, in: Brönneke (Hrsg.), Kollektiver Rechtsschutz, S. 1, 16 f., 26; ferner Henckel, Prozessrecht und materielles Recht, S. 122 f.
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Eine abstrakt-generelle Regelung, die es Dritten erlauben würde, subjektive Privatrechte anderer Personen geltend zu machen, wäre daher verfassungswidrig.1338 Deswegen ist eine generelle opt-out-Gruppenklage ebenso unzulässig1339 wie die ex-officio-Geltendmachung durch staatliche Behörden.1340 Allerdings stellt sich die Frage, ob die „Rechte“, die von privaten Dritten geltend gemacht werden, nicht ein aliud gegenüber den Privatrechten sind – es kann sich nämlich um selbständige Ansprüche und Klagrechte dieser Dritten handeln.1341 Anknüpfend an die Ausführungen zur Abgrenzung von subjektiven Privatrechten und selbständigen Klagrechten1342 gibt es folgende drei Möglichkeiten: subjektive Privatrechte, die nicht den klagenden Parteien (Verbände oder sonstige Dritte) zustehen, d.h. entweder mit oder unabhängig vom Willen des Rechtsinhabers geltend gemacht werden; subjektive Privatrechte, die den klagenden Parteien selbst zustehen und gebündelt geltend gemacht werden; selbständige Klagrechte der klagenden Parteien.1343 (2) Die Geltendmachung fremder subjektiver Privatrechte in Gruppen- oder Verbandsklagen (a) Erforderlichkeit eines Dispositionsakts des Rechtsinhabers Wenn eine Gruppen- oder Verbandsklage die Geltendmachung von subjektiven Privatrechten, die bestimmten anderen, nicht prozessbeteiligten Rechts1338 S. dazu oben bereits S. 551 f.; vgl. Stürner, in: Grunsky (u.a.) (Hrsg.), FS Baur, S. 647, 652; teilweise a.A. Gottwald, ZZP 91 (1978), 1, 14, 18 f. (S. 19: „Er führt damit zu der zentralen Frage, wann der Gesetzgeber Rechte einer Person ohne deren vorherige Zustimmung der Verfügung und Prozeßführung einer anderen unterstellen und damit die Rechtsverfolgung der ausschließlichen persönlichen Entscheidung entziehen darf. Schon die bisherigen Ausführungen zeigen, daß es kein absolutes Verbot geben kann.“). 1339 S. dazu gleich S. 556 ff. (auch zu den Ausnahmen) sowie Lange, Das begrenzte Gruppenverfahren, S. 129 f., 134 ff., 137 ff., 141 f., ferner S. 168 ff. (dort im Hinblick auf Art. 103 Abs. 1 GG); zu den Bedenken auch Stadler, in: Brönneke (Hrsg.), Kollektiver Rechtsschutz, S. 1, 16 ff.; Fiedler, Class Actions, S. 258 ff.; (teilweise) a.A. Gottwald, ZZP 91 (1978), 1, 12 ff., 14, 18 ff.; Poelzig, Normdurchsetzung durch Privatrecht, S. 533 ff. Problematisch ist weiterhin das rechtliche Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) bei class actions, dazu Fiedler, Class Actions, S. 238 ff.; Lange, Das begrenzte Gruppenverfahren, S. 145 ff., 168 ff.; H. Roth, JZ 2016, 1134, 1138 (bei opt-in gewahrt); a.A. Gottwald, ZZP 91 (1978), 1, 7 ff., 14 f. (vereinbar mit Art. 103 Abs. 1 GG). 1340 S. dazu oben S. 552. 1341 S. dazu oben S. 553 f.; s. zu diesen Unterscheidungen auch Halfmeier, Popularklagen im Privatrecht, S. 5 ff., 7 ff., 383; ferner bereits M. Wolf, Die Klagebefugnis der Verbände, S. 6 ff. (auch in Abgrenzung zu anderen Gestaltungsmöglichkeiten, d.h. insbesondere zur Prozessstandschaft). 1342 S. dazu oben S. 388 ff., 401 ff.; ferner auch Halfmeier, Popularklagen im Privatrecht, S. 243 ff., 275 ff. 1343 Vgl. hierzu Halfmeier, Popularklagen im Privatrecht, S. 5 ff., 7 ff., 270 ff., 275 ff., 383; ferner Lange, Das begrenzte Gruppenverfahren, S. 28 f., 76 f.; vgl. ansatzweise auch Hadding, JZ 1970, 305, 307 ff.
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subjekten zustehen, vorsieht1344, dann kann das mit der (prozessualen) Dispositionsbefugnis der Rechtsinhaber kollidieren, die wiederum die Folge der Form subjektiver Privatrechte sowie der Privatautonomie ist.1345 Damit eine solche Gestaltung generell zulässig ist, ist ein Dispositionsakt des Rechtsinhabers erforderlich; andernfalls ist die aus dem subjektiven Privatrecht folgende prozessuale Dispositionshoheit des Rechtsinhabers nicht mehr gewahrt.1346 Dieses Problem stellt sich vor allem bei den opt-out-Gruppenklagen, bei denen der Rechtsinhaber ohne seine Zustimmung Teil der Gruppenklage ist und daher aktiv beantragen muss, nicht Teil der Klage zu sein.1347 Generelle optout-Gruppenklagen sind daher grundsätzlich nicht mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben vereinbar.1348 Dasselbe Problem1349 stellt sich bei Verbandsklagen, sofern Verbände die den privaten Personen zustehenden Schadensersatz- und Bereicherungsansprüche geltend machen würden.1350 Allerdings besteht die Möglichkeit, hier 1344 Vgl. zur Diskussion dieser Möglichkeit der Geltendmachung fremder Ansprüche im Hinblick auf die Verbandsklage Halfmeier, Popularklagen, S. 270 f., ferner zur Abgrenzung S. 7 ff.; etwa durch eine gesetzliche Prozessführungsbefugnis, dazu Gottwald, ZZP 91 (1978), 1, 12, 14. Die Lösung über die gesetzliche Prozesstandschaft setzt nämlich das Bestehen eines subjektiven Rechts voraus, das durch eine andere Person als den Rechtsinhaber geltend gemacht wird, s. Häsemeyer, in: Bernreuther (u.a.) (Hrsg.), FS Schellenberg, S. 99, 100, 102; ferner M. Wolf, Die Klagebefugnis der Verbände, S. 3 ff. zur Konstruktion der gewillkürten Prozesstandschaft bei Verbandsklagen. 1345 S. dazu Lange, Das begrenzte Gruppenverfahren, S. 129 f., 131 f., 136 f.; Fiedler, Class Actions, S. 257 ff.; ferner zur Dispositionsmaxime und ihrer verfassungsrechtlichen Verortung oben S. 550 f.; vgl. Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 76 Rn. 1; Stürner, in: Grunsky (u.a.) (Hrsg.), FS Baur, S. 647, 651, 652; ferner zu dieser Problematik M. Wolf, Die Klagebefugnis der Verbände, S. 62 ff. 1346 S. Lange, Das begrenzte Gruppenverfahren, S. 129 f., 131 f., 136 f.; vgl. M. Wolf, Die Klagebefugnis der Verbände, S. 62 ff.; teilweise a.A. Gottwald, ZZP 91 (1978), 1, 12 ff., 14, 18 f. („nicht generell und ausnahmslos“ unzulässig); ferner dazu sowie zu Ausnahmen Fiedler, Class Actions, S. 258 ff. Die Konstruktion über die (treuhänderische) Abtretung von Forderungen zum Zwecke prozessualer Geltendmachung (s. hierzu oben S. 555) ist vor diesem Hintergrund unproblematisch. 1347 S. dazu zuvor S. 554 f.; ferner Lange, Das begrenzte Gruppenverfahren, S. 129 f., 136 f.; Fiedler, Class Actions, S. 258 ff. 1348 S. etwa (allerdings gleich noch zu den Ausnahmen) Lange, Das begrenzte Gruppenverfahren, S. 134 ff., 137 ff., 141 f., ferner S. 168 ff. (dort im Hinblick auf Art. 103 Abs. 1 GG); zu den Bedenken auch Fiedler, Class Actions, S. 243 ff., 258 ff.; Stadler, in: Brönneke (Hrsg.), Kollektiver Rechtsschutz, S. 1, 16 ff.; (teilweise) a.A. Gottwald, ZZP 91 (1978), 1, 12 ff., 14, 18 ff. (S. 19: „kein absolutes Verbot“; s. aber gleich noch näher); ferner Poelzig, Normdurchsetzung durch Privatrecht, S. 533 ff. Nun wird auch hier kein absolutes Verbot postuliert, sondern nur geltend gemacht, dass es keine allgemeine opt-out-Gruppenklage geben kann, in der generell Ansprüche ohne Dispositionsakt der Rechtsinhaber geltend gemacht werden können (s. gleich noch). 1349 Vgl. insoweit zur Übertragbarkeit der Argumentation auf (opt-out-)Verbandsgruppenklagen Fiedler, Class Actions, S. 237 ff. 1350 Zu dieser Ausgestaltungsmöglichkeit der Verbandsklage s. etwa Poelzig, Normdurchsetzung durch Privatrecht, S. 533 ff.; Lange, Das begrenzte Gruppenverfahren, S. 28 f.,
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eigenständige den Verbänden selbst zustehende (Klag-)Rechte auf Unterlassung oder Gewinnabschöpfung zu begründen, wodurch keine Kollision mit der Dispositionsfreiheit der Rechtsinhaber eintreten würde.1351 Bei beiden Konstellationen – Geltendmachung der Ansprüche Dritter ohne Dispositionsakt der Rechtsinhaber entweder durch Verbände oder durch optout-Gruppenklagen – stellt sich indes die Frage, ob die grundsätzliche Unzulässigkeit absolut gilt, d.h. generell einer entsprechenden Ausgestaltung entgegensteht.1352 So lassen sich auch hier Konstellationen denken, in denen eine Geltendmachung von Forderungen durch Dritte ausnahmsweise möglich ist.1353 Allerdings wird man auch hier sagen müssen, dass die Vorgaben umso enger sind, je stärker personal die entsprechenden Rechtspositionen geprägt sind.1354 Zugleich gelten Einschränkungen auch nur insoweit, als es um subjektive Privatrechtspositionen geht, die der Ausgestaltung der privatrechtsrelevanten Grundrechte dienen.1355 Anderes gilt für private law enforcementRechte, soweit diese nicht dem Schutz des Justizgewähranspruchs1356 unterlie76 1351 f. (insoweit dann aber nicht „echte Verbandsklage“); s. ferner zur Abgrenzung der verschiedenen Konstellationen sowie zur Geltendmachung fremder Schäden durch Verbandsklagen Halfmeier, Popularklagen, S. 5 ff., 7 ff., 383 (dort kritisch zur Geltendmachung fremder Schäden durch Verbandsklagen, eher über Gruppen- und Sammelklagen), ferner S. 270 f. sowie S. 8 (dort zur Notwendigkeit der Disposition). Hier ist aber zu differenzieren zwischen selbständigen Gewinnabschöpfungsansprüchen, die bereicherungsrechtlichen Charakter tragen (s. dazu oben S. 523 f.) und Schadensersatzansprüchen, die auf Basis der Gewinnabschöpfung kalkuliert werden (vgl. Gottwald, ZZP 91 [1978], 1, 28; ferner Halfmeier, Popularklagen, S. 385); s. dazu auch gleich noch S. 561 f. 1351 S. dazu oben bereits S. 556 f. sowie Halfmeier, Popularklagen im Privatrecht, S. 275 ff., 189, 296, 382, 387 f.; Lange, Das begrenzte Gruppenverfahren, S. 28 ff., 76 f.; vgl. B. Hess, JZ 2011, 66, 72; ferner M. Wolf, Die Klagebefugnis der Verbände, S. 7 ff.; s. dazu sowie zur Abgrenzung vom Schadensersatz sogleich S. 561 f. Hinsichtlich dieser eigenen Ansprüche bzw. (Klag-)Rechte gelten indes wiederum inhaltliche Anforderungen an die Ausgestaltung, s. dazu oben bereits S. 524 f. sowie gleich noch S. 561 f. 1352 S. gegen „ein absolutes Verbot“ Gottwald, ZZP 91 (1978), 1, 18 ff.; ferner zur Diskussion von Ausnahmen Lange, Das begrenzte Gruppenverfahren, S. 137 ff.; Fiedler, Class Actions, S. 258 ff., 243 ff. 1353 Im Ergebnis ähnlich Gottwald, ZZP 91 (1978), 1, 18 ff., 20 f., der zwischen dem „Kernbereich klassischer subjektiver Rechte“ (dort unzulässig) und der „kollektiven Ersatzklage im Bereich des Verbraucherschutzes“ bzw. der „privaten Schadensersatzklage im öffentlichen Interesse“ (etwa bei „Rechtsverstößen im Vorfeld der Wirtschaftskriminalität“; kartell- oder wettbewerbsrechtliche Ansprüche) differenziert; ferner Fiedler, Class Actions, S. 259 ff., 286, 245 ff. (zur Möglichkeit von opt-out class actions bei Bagatellschäden, da nur durch diese überhaupt eine Geltendmachung ermöglicht werde). 1354 S. dazu oben bereits S. 490 f.; vgl. zu dieser Differenzierung BVerfGE 112, 93, 109; ferner BVerfGE 95, 64, 84; 102, 1, 17; BVerfG NVwZ 2012, 429, 430 („Soweit das Eigentum die persönliche Freiheit des Einzelnen im vermögensrechtlichen Bereich sichert, genießt es einen besonders ausgeprägten Schutz“); s. ansatzweise auch Gottwald, ZZP 91 (1978), 1, 19 f. 1355 S. dazu oben S. 543 ff. 1356 S. dazu oben S. 546.
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gen – diese können statt von Privaten auch von Verbänden oder sonstigen Dritten geltend gemacht werden.1357 (b) Inhaltliche Abweichung von den materiell-rechtlichen Vorgaben Ist demgegenüber wie bei opt-in-Klagen die Disposition gewahrt, dann folgt hieraus die grundsätzliche Zulässigkeit.1358 Allerdings bleibt hierbei noch auf Rechtsfolgenebene ein Problem. Um effizient zu sein, lösen sich Gruppenklagen regelmäßig von den individuellen Privatrechten und den dadurch vorgegebenen Anspruchsvoraussetzungen.1359 Hier kann also der Konnex von Prozess und materiellem subjektivem Privatrecht eingeschränkt sein, der durch den Justizgewähranspruch gerade abgesichert wird.1360 Darauf wird gleich einzugehen sein.1361 Ferner ergibt sich ein weiteres Problem dann, wenn die Schaffung des kollektiven Rechtsschutzes dazu führt, dass die individuelle Rechtsdurchsetzung zumindest faktisch nicht mehr möglich ist.1362 (3) Die Geltendmachung eigener (Klag-)Rechte in Verbands- oder Gruppenklagen (a) Eigene (Klag-)Rechte Hiervon ist die für Verbandsklagen typische Konstellation abzugrenzen, in denen der Kläger eigene subjektive Privatrechte oder Klagrechte geltend macht.1363 1357 Vgl. Gottwald, ZZP 91 (1978), 1, 20 f. (S. 21: „Doch muß es dem Gesetzgeber freistehen, den Verbraucherschutz aufzuwerten und aus Sanktionsgründen zumindest für neue Ansprüche eine Verfahrenskonzentration durch class action anzuordnen. […] Als Teilergebnis ist daher festzustellen, daß das Grundgesetz dem einfachen Gesetzgeber nicht verwehrt, für Ansprüche, die er Privaten im öffentlichen Interesse neu verleiht, auch ein neuartiges kollektives Rechtsschutzmittel zur Verfügung zu stellen“). 1358 Dazu, dass opt-in-Klagen im Hinblick auf die Disposition weitgehend unproblematisch sind, s. Fiedler, Class Actions, S. 259; B. Hess, JZ 2011, 66, 70; Lange, Das begrenzte Gruppenverfahren, S. 129 f., 137. Verfassungsrechtliche Probleme ergeben sich aber auch bei opt-in class actions vor allem im Hinblick auf das rechtliche Gehör, dazu Fiedler, Class Actions, S. 237 f., 240 ff. 1359 Vgl. insbesondere im Hinblick auf die Schadensfeststellung Gottwald, ZZP 91 (1978), 1, 27 ff.; Bruns, ZZP 125 (2012), 399, 406, 409; ders., NJW 2018, 2753, 2754 f. 1360 S. Bruns, NJW 2018, 2753, 2754 f., 2756 f. („Eine Abweichung vom materiellen Recht als Entscheidungsprogramm der gerichtlichen Entscheidung wäre allerdings unter dem Gesichtspunkt verfassungsrechtlicher Justizgewährleistung mehr als fragwürdig (Art. 2 I, 14 I, 20 III GG)“); s. dazu zuvor S. 545 f. 1361 S. dazu unten S. 563 ff. 1362 Vgl. ansatzweise dazu oben bereits S. 536; s. ferner für einen rechtlichen Vorrang des Individualverfahens Lange, Das begrenzte Gruppenverfahren, S. 98, 106 ff., 112 ff. 1363 S. dazu oben S. 553 f., 557 f. sowie – auch zur Abgrenzung – Halfmeier, Popularklagen im Privatrecht, S. 5 ff., 275 ff., 383 ff.; ferner Lange, Das begrenzte Gruppenverfahren, S. 28 ff.; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 47 Rn. 11; M. Wolf, Die Klagebefugnis der Verbände, S. 7 ff., 61 ff.; Halfmeier, Popularklagen, S. 5 ff., 275 ff. (dort zur aktionenrechtlichen Ausgestaltung).
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Es gibt die vor allem im Kontext des private law enforcement genutzte Möglichkeit, zugunsten von Verbänden materielle subjektive Privatrechte oder Klagrechte zu begründen, die diesen selbst zustehen.1364 Dabei kann zwischen der Ausgestaltung durch subjektive Privatrechte in Gestalt von Ansprüchen und der Ausgestaltung als selbständige Klagrechte differenziert werden.1365 Statt der Begründung von materiell-rechtlichen Ansprüchen zugunsten der Verbände können alternativ auch selbständige Klagrechte begründet werden.1366 Ob eine Ausgestaltung über vorgelagerte materielle subjektive Privatrechte oder über selbständige Klagerechte (aktionenrechtliche Form) gewählt wird, ist grundsätzlich gesetzgeberische Entscheidung.1367 Auf die Unterschiede dieser (Klag-)Rechte zu den „klassischen“ Privatrechten wurde bereits zuvor eingegangen.1368 Typischerweise handelt es sich um Unterlassungsansprüche bzw. -klagen.1369 Neben dem UKlaG1370 kann auf die kartell- und wettbewerbsrechtlichen Unterlassungs- und Gewinnabschöpfungsansprüche verwiesen werden.1371 Dies ist als solches unproblematisch.1372 1364
S. dazu oben bereits S. 245 f., 416 ff., 553 f.; ferner etwa Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 47 Rn. 10 f.; Halfmeier, Popularklagen, S. 271 f., 275 ff. (nur aktionenrechtliche Ausgestaltung, keine subjektiven Privatrechte; S. 243 ff., 250 ff. kritisch zur subjektiv-rechtlichen Ausgestaltung); Lange, Das begrenzte Gruppenverfahren, S. 28 ff.; Poelzig, Normdurchsetzung durch Privatrecht, S. 409 ff., 413 ff.; ferner auch Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, S. 630 f. 1365 S. dazu oben S. 416 f., 553 f.; für aktionenrechtliche Ausgestaltung etwa Halfmeier, Popularklagen im Privatrecht, S. 275 ff.; s. ferner bereits Hadding, JZ 1970, 305, 307 ff., 310; für Ausgestaltung als materiell-rechtliche Ansprüche dagegen Poelzig, Normdurchsetzung durch Privatrecht, S. 413 ff., ferner S. 409 ff. zur Diskussion. 1366 S. dazu oben S. 416 f., 553 f. sowie Halfmeier, Popularklagen im Privatrecht, S. 275 ff. 1367 S. oben bereits S. 417 und vgl. Buchheim, Actio, S. 134 f. 1368 S. dazu oben S. 416 ff.; vgl. ferner Halfmeier, Popularklagen, S. 243 ff., 250 ff. 1369 S. dazu oben S. 422 sowie Bruns, ZZP 125 (2012), 399, 409; M. Wolf, Die Klagebefugnis der Verbände, S. 24; B. Hess, JZ 2011, 66, 67, 72; Halfmeier, Popularklagen, S. 382. 1370 S. dazu oben S. 245; ferner Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 47 Rn. 11; B. Hess, JZ 2011, 66 f.; Lange, Das begrenzte Gruppenverfahren, S. 29; Alexander, JuS 2009, 590, 593 f. 1371 S. dazu oben S. 245, 524 f.; ferner Poelzig, Normdurchsetzung durch Privatrecht, S. 413 ff.; dazu auch Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 47 Rn. 9; B. Hess, JZ 2011, 66, 67, 72; Lange, Das begrenzte Gruppenverfahren, S. 29 ff.; Alexander, JuS 2009, 590, 594. 1372 Zur Möglichkeit einer entsprechenden Ausgestaltung s. oben S. 417, 426 f.; ferner Poelzig, Normdurchsetzung durch Privatrecht, S. 326 ff., 350 f., 413 ff.; Halfmeier, Popularklagen, S. 362 ff.; Lange, Das begrenzte Gruppenverfahren, S. 33 ff.; a.A. noch Bettermann, ZZP 85 (1972), 133, 143 (zur Verbandsklage: „Prinzip ist und muß bleiben, daß nur der unmittelbar Verletzte auf Unterlassung und Beseitigung klagen kann. Ohne ausdrückliche gesetzliche Ermächtung sind weder individuelle noch kollektive Interessentenklagen zulässig – und ohne zwingenden Grund sollte, ja darf der Gesetzgeber sie nicht zulassen“); Marotzke, ZZP 98 (1985), 160, 172 ff. (bei Möglichkeit der Erhebung von potenziell unzähligen Unterlassungsklagen [Popularklagen] Verstoß gegen prozessuale Waffengleichheit sowie Art. 6 Abs. 1 EMRK, nur eine Klage); kritisch auch Stürner, in: Grunsky u.a. (Hrsg.), FS Baur, S. 647,
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Einzige Begrenzung sind die allgemeinen Anforderungen an die Schaffung belastender Ansprüche auf Schuldner- bzw. Passivseite, d.h. insbesondere muss die Verhältnismäßigkeit gewahrt werden.1373 Wichtig ist, dass hier grundsätzlich keine Kollision mit den subjektiven Privatrechten Dritter eintritt. Diese werden nicht geltend gemacht, vielmehr sind es eigene Ansprüche der Verbände, d.h. es liegt kein Eingriff in die Dispositionsfreiheit der Rechtsinhaber vor.1374 (b) Inhaltliche Anforderungen an die „eigenen“ (Klag-)Rechte Allerdings ergeben sich hieraus wiederum Folgen für den Inhalt der Ansprüche der klagenden Dritten: Diese können typischerweise keine eigenen Schadensersatzansprüche1375 sein, weil die klagenden Parteien vor Klage in keinem Rechtsverhältnis zum Schuldner standen bzw. auch sonst keine materielle Betroffenheit in ihrem Interesse aufweisen.1376 In Betracht kommen daher vor al6521373 f. (nur verfassungsrechtlich zulässig bei „besonderen Interessen der Allgemeinheit“); Häsemeyer, in: Bernreuther (u.a.) (Hrsg.), FS Schellenberg, S. 99, 100, 101 (unter Rekurs auf zivilrechtsdogmatische Argumente gegen eine privatrechtliche Anspruchslösung). 1373 S. dazu oben S. 426 f. sowie Poelzig, Normdurchsetzung durch Privatrecht, S. 350 ff., 354 ff.; Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, S. 288 ff., 300 ff. 1374 Vgl. zu dieser Abgrenzung Halfmeier, Popularklagen im Privatrecht, S. 5 ff., 7 ff., 11; s. ferner M. Wolf, Die Klagebefugnis der Verbände, S. 62 ff., 64. Anders kann dies aber zumindest faktisch bei Unterlassungsansprüchen sein, bei denen keine Verdopplung droht; vgl. jedoch zu der damit verbundenen Problematik Marotzke, ZZP 98 (1985), 160, 172 f. 1375 Vgl. zu diesem Problem Halfmeier, Popularklagen im Privatrecht, S. 383 ff. Wie eine solche Konstruktion eigenständiger Schadensersatzansprüche oder -klagrechte von Verbänden oder class actions aussehen könnte, dazu Gottwald, ZZP 91 (1978), 1, 19, 28 ff.; B. Hess, JZ 2011, 66, 71; Stadler, ZHR 182 (2018), 623, 649 („geschätzte Gesamtschadenssumme und abstrakte Verteilungskriterien“); sowie oben bereits S. 304 zum US-amerikanischen Recht. Die Verbände oder class actions könnten einen geschätzten Schadensersatz aller Betroffenen geltend machen („Gesamtschaden“/„Globalschaden“ als Streitgegenstand, so Gottwald, ZZP 91 [1978], 1, 28 f.; ferner B. Hess, JZ 2011, 66, 71). Interessierte Beteiligte würden den ihnen zustehenden Anteil abrufen (entweder in Geld, oder, so früher in den USA, häufig in Form von Gutscheinen; dazu auch Carrington, Bitburger Gespräche 2003, S. 33, 50 f.; zur Einschränkung dieser Praxis Stadler, ZHR 182 [2018], 623, 641). Der übrig bleibende Betrag würde an die Staatskasse fließen oder sonst zu allgemeinwohldienlichen Zwecken verwendet werden (s. dazu oben bereits S. 304 sowie Gottwald, ZZP 91 [1978], 1, 29 f., 32). Der nicht abgerufene Anteil soll wiederum Strafcharakter tragen, da insoweit kein Ausgleichszweck vorliegt (s. Gottwald, ZZP 91 [1978], 1, 32). S. ferner auch Stadler, ZHR (2018), 623, 648 f. zum Enwurf der EU-Verbandsklagerichtlinie. 1376 S. Halfmeier, Popularklagen im Privatrecht, S. 383 ff.; M. Wolf, Die Klagebefugnis der Verbände, S. 24 f.; s.a. Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, S. 630 (kritisch dazu); ferner Gottwald, ZZP 91 (1978), 1, 28 f., der zwar von der Möglichkeit der Geltendmachung eines „Gesamtschadens“/„Globalschadens“ ausgeht. Der Gesamtschaden umfasst indes die Gesamtheit der einzelnen Schäden, es geht dann also nicht um einen eigenen Schadensersatzanspruch der Gruppe bzw. der Kläger, sondern die Schadensersatzansprüche der einzelnen Geschädigten (vgl. wiederum Gottwald, ZZP 91 [1978], 1, 34: „Bei einer kollektiven Ersatzklage muß man jedoch anerkennen, daß der Verband nur fremde Rechte geltend macht“).
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7. Kapitel: Die Entwicklung der Konstituenten in der Gegenwart
lem Unterlassungsansprüche oder Feststellungsklagen.1377 Würde gleichwohl die Geltendmachung von Schadensersatz ermöglicht, dann müsste es sich entweder um die Ansprüche der betroffenen Dritten1378 handeln, sodass ein Dispositionsakt erforderlich wäre1379, oder die Schadensersatzansprüche wären keine Schadensersatzansprüche, sondern tatsächlich Sanktionen mit pönalem Charakter.1380 Weil es keine materielle Betroffenheit und damit grundsätzlich keinen Schaden gibt, hätten entsprechende Geldzahlungsansprüche typischerweise pönalen Charakter – mit der Folge des Eingreifens der hierfür geltenden Anforderungen.1381
1377 Dann ist jedoch wiederum ein Dispositionsakt erforderlich, s. dazu sogleich S. 563. Entsprechend sah auch der nicht Gesetz gewordene Entwurf zur Novellierung des UWG in den 1970er Jahren zwar die Möglichkeit der kollektiven Geltendmachung von (Verbraucher-)Schäden vor, aber nicht in Gestalt eines kollektiven Schadensersatzanspruchs, sondern nur in Gestalt der an die klagenden Verbände abgetretenenen Einzelschadensersatzansprüche, s. BT-Drs. 8/2145 (§ 13c E-UWG); dazu auch Gilles, ZZP 98 (1985), 1, 3 f., 11 ff. Es gibt nämlich keine Schadensersatzansprüche ohne Schaden, d.h. Schadensersatzansprüche können als solche nur den Geschädigten zustehen (vgl. M. Wolf, Die Klagebefugnis der Verbände, S. 24; s. ferner auch im vorliegenden Kontext Halfmeier, Popularklagen im Privatrecht, S. 383 ff.). „Schadensersatzansprüche“ zugunsten unbeteiligter Dritter haben daher grundsätzlich pönalen Charakter (s. dazu oben S. 523; vgl. in diese Richtung auch Halfmeier, Popularklagen im Privatrecht, S. 385 f.). Gewinnabschöpfungsrechte können zwar zugunsten von Verbänden begründet werden, sind aber keine Schadensersatzansprüche, sondern tragen kondiktionalen Charakter (s. dazu oben S. 521 ff.). Dass diese durch unbeteiligte Dritte zugunsten der Staatskasse geltend gemacht werden können, liegt darin begründet, dass sie im Gegensatz zum Schadensersatz nicht ausschließlich gläubigerbezogen (Schadensersatz – Interesse) sind, sondern der Korrektur einer rechtswidrigen Vermögenslage dienen (vgl. B. Hess, JZ 2011, 66, 72). Sie setzen beim fortbestehenden Nutzen und den erlangten Vorteilen des Schuldners an und dienen dessen Abschöpfung (s. B. Hess, JZ 2011, 66, 72). Schadensersatzansprüche bestehen dagegen unabhängig davon, ob der Schuldner weiterhin einen Nutzen hat, sondern sind alleine auf das Interesse des Gläubigers bezogen (vgl. zu diesem Unterschied auch B. Hess, JZ 2011, 66, 72). 1377 S. dazu zuvor S. 560 sowie M. Wolf, Die Klagebefugnis der Verbände, S. 24; Halfmeier, Popularklagen, S. 382; vgl. aber auch B. Hess, JZ 2011, 66, 67, 72. 1378 Vgl. Halfmeier, Popularklagen, S. 383. 1379 S. dazu zuvor S. 556 f. Nun stellt sich die Frage, ob dann in jedem Fall ein Dispositionsakt erforderlich ist oder ob es Ausnahmen hiervon geben kann (s. dazu ebenfalls zuvor S. 558 f.). Stadler (ZHR 182 [2018], 623, 631 f., 642) verweist auf den (vorherigen) Entwurf der Verbandsklagerichtlinie, wonach bestimmte Small-Claims-Schadensersatzansprüche im Wege einer opt-out-Klage zugunsten öffentlicher Zwecke geltend gemacht werden sollten. Klar ist, dass es sich dabei um die Schäden der einzelnen geschädigten Verbraucher handelt, hinsichtlich derer aufgrund ihrer Geringwertigkeit davon ausgegangen wird, dass diese nicht geltend gemacht werden. Soweit es aber um die Schäden der einzelnen Geschädigten geht, wäre grundsätzlich deren Dispositionsakt erforderlich. Allerdings wird man insoweit sagen müssen, dass der Dispositionsakt nicht schlechthin und ausnahmslos erforderlich ist, dass aber umso strengere Vorgaben gelten, je personaler der Anspruch ist, s. dazu oben S. 558. 1380 In diese Richtung wohl auch Halfmeier, Popularklagen, S. 383 ff., 385 ff. 1381 S. dazu oben S. 523; vgl. auch Halfmeier, Popularklagen, S. 383 ff., 386 f.
VII. Zivilprozess und Rechtsdurchsetzung
563
Ferner ist es wie gesehen möglich, dass Verbände Gewinnabschöpfungsansprüche geltend machen.1382 Damit diese Gewinnabschöpfungsansprüche aber keinen pönalen Charakter haben, muss sichergestellt sein, dass keine doppelte Inanspruchnahme eintritt. Entsprechend der Regelung von § 10 Abs. 2 S. 1 UWG und § 34 Abs. 2 GWB/§ 34 a Abs. 2 GWB muss eine Anrechnung der von privaten Personen geltend gemachten Schadensersatz- und Bereicherungsansprüchen erfolgen.1383 Handelt es sich hingegen um Sanktionen mit Strafcharakter (echte „Privatstrafen“)1384, gelten wiederum die dafür erarbeiteten Anforderungen, die insbesondere aus dem Schuldgrundsatz und dem Doppelbestrafungsverbot resultieren.1385 cc) Rechtliche Beurteilung von opt-in-Gruppenklagen (1) Abkopplung vom materiellen Recht Aus dem Vorangegangenen ergibt sich, dass eine opt-in-Gruppenklage, der die materiellen Rechtsinhaber durch Dispositionsakt beitreten, im Ausgangspunkt ohne Weiteres möglich ist.1386 Gleichwohl gelten hier Anforderungen an die Ausgestaltung.1387 Wie sich gleich zeigen wird, muss sichergestellt sein, dass auch die Gruppenklage der Durchsetzung der materiellen subjektiven Privatrechte dient.1388 Gerade darin zeigen sich indes die Schwierigkeiten der Gruppenklagen: Um effizient zu sein und damit ihren Zweck zu erfüllen, kann es sein, dass die class action sich vom materiellen Rechtsverhältnis und dessen Vorgaben entfernen muss.1389 In Gruppenklagen stellt sich dieses Problem zwar nicht im Hinblick auf solche allgemeine Tatsachen, die für sämtliche Kläger im Kern identisch sind.1390 Dies kann typischerweise bei Unterlas1382 S. dazu oben S. 560; ferner dazu Halfmeier, Popularklagen, S. 189, 296, 387 f.; B. Hess, JZ 2011, 66, 72; Alexander, JuS 2009, 590, 594. 1383 S. dazu oben S. 524 f. 1384 Vgl. dazu auch Halfmeier, Popularklagen, S. 385 f., 386 f.; Gottwald, ZZP 91 (1978), 1, 22 f., 32, 34. 1385 S. dazu oben S. 507 ff., 513 ff. sowie S. 526 ff. 1386 S. dazu zuvor S. 559 sowie Lange, Das begrenzte Gruppenverfahren, S. 129 f., 137; Fiedler, Class Actions, S. 259. 1387 Vgl., auch zu weitergehenden Anforderungen an die Ausgestaltung, Fiedler, Class Actions, S. 265 ff. 1388 S. zu diesem Problem Bruns, NJW 2018, 2753, 2754 f., 2756 f. 1389 S. dazu Bruns, ZZP 125 (2012), 399, 406, 409, 416; ders., NJW 2018, 2753, 2754 f., 2756 f.; Stadler, ZHR 182 (2018), 623, 648 („Die US-Entwicklung zeigt, dass es dabei für zahlreiche Fälle von vornherein nicht realistisch ist, davon auszugehen, dass das Gericht im Zuge der Sammelklage wirklich über jeden einzelnen Anspruch entscheidet“); Gottwald, ZZP 91 (1978), 1, 27 ff.; Fiedler, Class Actions, S. 280, 281 ff.; s. ferner Heese, JZ 2019, 429, 436 f. („Im Übrigen ist selbst das Beharren auf einer immer streng dem materiellen Recht verschriebenen streitigen Konfliktlösung gerade unter dem Gesichtspunkt wirkungsvollen Rechtsschutzes kontraproduktiv und erscheint letztlich nicht mehr zeitgemäß“). 1390 Vgl. Bruns, ZZP 125 (2012), 399, 406; ders., NJW 2018, 2753, 2754 f.; ferner zu dieser Differenzierung Thönissen, ZZP 133 (2020), 69, 95.
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7. Kapitel: Die Entwicklung der Konstituenten in der Gegenwart
sungs- und Feststellungsbegehren der Fall sein.1391 Ferner ist dies bei Schadensersatzprozessen im Hinblick auf die auf den Beklagten und dessen Verhalten bezogenen Tatsachen denkbar.1392 Hier genügt letztlich eine Beweisführung, die für alle Beteiligten Wirkung entfalten kann.1393 Anderes gilt dagegen für bestimmte klägerbezogene Tatsachen, die individuell festgestellt werden müssen, wie dies inbesondere in Schadensersatzprozessen etwa beim Schaden der Fall ist.1394 Ein Nachweis dieser individuellen Voraussetzungen im Kollektivverfahren kann dessen Praktikabilität entwerten.1395 Hier stellt sich das Effizienzproblem: Um effizient zu sein und insoweit Vorteile gegenüber dem Individualprozess aufzuweisen, kann es sein, dass sowohl vom Nachweis der tatsächlichen Voraussetzungen als auch in den Rechtsfolgen (Schadenshöhe; Pauschalierung/Schätzung des Schadens; „Globalschaden“1396) von den sich eigentlich aus dem materiellen Recht ergebenden Voraussetzungen abgewichen werden muss.1397 Darin spiegelt sich der ideengeschichtliche Hintergrund der class action: sie ist in einem rechtlichen Kontext entstanden, in dem es nicht um die Durchsetzung vorgelagerter materieller subjektiver Privatrechte, sondern um die Erreichung von gesellschaftlichen Interessen, Verhaltenssteuerung sowie die effiziente Konfliktlösung geht.1398 Ein generelles Abweichen von den materiellen subjektiven Privatrechten würde nach allgemeinen Kriterien sowohl auf Kläger- als auch auf Beklagten-
1391 1392
S. dazu Bruns, ZZP 125 (2012), 399, 406; ders., NJW 2018, 2753, 2754. Dazu Thönissen, ZZP 133 (2020), 69, 95, 97; ferner Geiger, Kollektiver Rechtsschutz,
S. 208. 1393
Vgl. Thönissen, ZZP 133 (2020), 69, 95 f., 97; Geiger, Kollektiver Rechtsschutz, S. 208. Gerade daraus ergeben sich Effizienzvorteile der Gruppenklage, da eine Beweisführung in den jeweiligen Einzelprozessen nicht notwendig ist, vgl. Stadler, ZHR 182 (2018), 623, 646 f. (allerdings generell einschränkend für Schadensersatzklagen). 1394 S. Bruns, ZZP 125 (2012), 399, 406; ders., NJW 2018, 2753, 2754 f.; Stadler, ZHR 182 (2018), 623, 647; vgl. Fiedler, Class Actions, S. 280, 282; Geiger, Kollektiver Rechtsschutz, S. 208; Gottwald, ZZP 91 (1978), 1, 28; Gilles, ZZP 98 (1985), 1, 13 f.; ferner dazu Thönissen, ZZP 133 (2020), 69, 95 f., 97 f. im Hinblick auf den VW-Dieselskandal und die Haftung nach § 826 BGB. 1395 Vgl. Bruns, NJW 2018, 2753, 2754 f.; Gottwald, ZZP 91 (1978), 1, 28; Gilles, ZZP 98 (1985), 1, 13 f.; Fiedler, Class Actions, S. 280, 282; ferner auch Thönissen, ZZP 133 (2020), 69, 99 f. 1396 Vgl. Gottwald, ZZP 91 (1978), 1, 19, 28 zum „Gesamtschaden“/„Globalschaden“ als „Streitgegenstand“; ferner Stadler, ZHR 182 (2018), 623, 649 („geschätzte Gesamtschadenssumme“); Heese, JZ 2019, 429, 437 („Schadenspauschalierung“); Habbe/Gieseler, GWR 2018, 227, 230 (kritisch zum „pauschalierten Schadensersatz“). 1397 Vgl. Bruns, ZZP 125 (2012), 399, 406; ders., NJW 2018, 2753, 2756 f.; Gottwald, ZZP 91 (1978), 1, 28 f.; Fiedler, Class Actions, S. 280, 281 ff.; s. ferner Gilles, ZZP 98 (1985), 1, 13 f.; B. Hess, JZ 2011, 66, 71, s. aber auch S. 72, wo dies nur bei opt-out-Verfahren als Problem identifiziert wird. 1398 S. dazu oben S. 316 ff.; vgl. auch Bruns, ZZP 125 (2012), 399, 402, 405 f.; ders., NJW 2018, 2753, 2754 ff.
VII. Zivilprozess und Rechtsdurchsetzung
565
seite einen Dispositionsakt erfordern.1399 Würde hingegen durch die besondere Prozessform ein Urteil unabhängig von der materiell-rechtlichen Rechtslage eintreten – beispielsweise durch pauschalierte Schadensersatzansprüche1400 –, zeichnen sich Konflikte mit dem Justizgewähranspruch ab.1401 Zwar wird dies auf Aktivseite regelmäßig durch Dispositionsakt ermöglicht werden, sofern den Gruppenklägern auch hinsichtlich des Prozessergebnisses eine Disposition möglich ist.1402 Allerdings ist zu berücksichtigen, dass ein Abweichen von der materiell-rechtlichen Rechtslage auch auf Passivseite der Disposition bedürfte, da andernfalls faktisch über die Form des Prozesses eine Einwirkung auf die materielle Rechtslage stattfindet.1403 (2) Der Justizgewähranspruch in seiner negativen Ausprägung Insofern kann man auf die von der Prozessrechtswissenschaft entwickelte Figur des Rechtsschutz- bzw. Justizgewähranspruchs in seiner negativen Ausprägung rekurrieren.1404 Es muss dem Beklagten die prozessuale Möglichkeit gewährt werden, materiell unbegründete Klagebegehren abzuwehren.1405 Eine 1399 S. dazu oben S. 550 ff., 559; vgl. ferner Bruns, ZZP 125 (2012), 399, 409 („Verlust an Dispositionsfreiheit“). 1400 S. Gottwald, ZZP 91 (1978), 1, 28 f.; vgl. Fiedler, Class Actions, S. 280, 282; Gilles, ZZP 98 (1985), 1, 13 f. 1401 S. Bruns, ZZP 125 (2012), 399, 409, 416 („Die prozedurale gleichmachende Bündelung von Individualansprüchen bedeutet letztlich zwangsläufig eine Abkehr von der ausdifferenzierten Realisierung individueller Privatrechte, wie sie die verfassungsmäßige Rechtsschutzgewährleistung gebietet“); ders., NJW 2018, 2753, 2754 f., 2756 f.; ferner Fiedler, Class Actions, S. 280 f., 281 ff. (Eigentum und Justizgewähranspruch). 1402 Generell zur Disposition des Klägers auf der Aktivseite oben bereits S. 555 f.; ferner auch Fiedler, Class Actions, S. 259 (zur Disposition nach Klageerhebung); Lange, Das begrenzte Gruppenverfahren, S. 129 f., 136 f. 1403 Vgl. zu Letzterem auch Bruns, ZZP 125 (2012), 399, 406 f. („Im Ergebnis führt der der class action inhärente Trend zur Abstraktion von individueller Rechtsverwirklichung in Massenverfahren zu einer Art Ersatzgesetzgebung durch Gerichte bzw. Vergleichsschluss, und erzeugt dadurch Interferenzen im Aufgabenkreis des parlamentarischen Gesetzgebers“). 1404 Vgl. Bettermann, JBl. 1972, 57, 65; s. dazu (in prozessrechtshistorischer Perspektive) Simshäuser, Zur Entwicklung des Verhältnisses, S. 116 mit Verweis (u.a.) auf Hellwig, Klagrecht, S. 42 ff., 7 f. (Rechtsschutzanspruch des Beklagten zur Abwehr unbegründeter Klagen); vgl. zur Einbeziehung des Beklagten in den Justizgewähranspruch (allerdings kritisch zur materiell-rechtlichen Herleitung) Bruns, in: Bruns (u.a.) (Hrsg.), FS Stürner, S. 257, 259 f., ferner 261. Ob man diesen Anspruch dem materiellen oder dem prozessualen Justizgewähranspruch zuordnet, s. ebenfalls Bruns, in: Bruns (u.a.) (Hrsg.), FS Stürner S. 257, 259 f., 261 f. (Zuordnung zum prozessualen Justizgewähranspruch). 1405 S. Bettermann, JBl. 1972, 57, 65; s. ferner zur Einbeziehung des Beklagten Rosenberg/ Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 1 Rn. 12 (allerdings nur zivilprozessrechtlich); ursprünglich Hellwig, Klagrecht, S. 42 ff., 47 f. (Rechtsschutzanspruch des Beklagten zur Abwehr unbegründeter Klagen); s. ferner ansatzweise auch Blomeyer, in: Bettermann/Zeuner (Hrsg.), FS Bötticher, S. 61, 68, der den Rechtsschutzanspruch im Sinne eines Anspruchs „auf den durch die Entscheidungsnormen vorgesehenen Rechtsschutz“ auch dem Beklagten zuerkennen möchte.
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7. Kapitel: Die Entwicklung der Konstituenten in der Gegenwart
generelle Abkopplung des Urteils von der Bindung an das materielle Recht würde mit dem Justizgewähranspruch (zumindest in seiner negativen Ausprägung) konfligieren.1406 Andernfalls könnte die Form des Rechtsschutzes durch einseitige Disposition auf Aktivseite generell die Rechtslage des Schuldners verändern. Durch die prozessuale Form würde eine Verdopplung der Rechtsordnung Platz greifen, wobei die Auswahl der für sie günstigeren Variante auf alleiniger Disposition der Kläger beruhen würde. Daher muss die Kopplung an das materielle Recht weiterhin sichergestellt sein.1407
1406 Vgl. Bruns, NJW 2018, 2753, 2754 f., 2756 f.; dagegen für Vereinbarkeit Fiedler, Class Actions, S. 281 ff. (allerdings vor allem im Hinblick auf die Rechtspositionen der Kläger/Geschädigten). 1407 Vgl. Bruns, NJW 2018, 2753, 2754 f., 2756 f.
Zusammenfassung und Fazit I. Zusammenfassung 1. Den Ausgangspunkt der Untersuchung bildet die Feststellung, dass sich das Zivil- und Zivilprozessrecht der Gegenwart in einem fundamentalen Umbruchprozess befindet. Die grundlegenden Fragen des Zivil- und Zivilprozessrechts werden von Neuem gestellt. Die Frage nach (zivil-)rechtlicher Rechtsentwicklung ist nicht neu. Die (zivilrechtliche) Rechtsentwicklung wurde im 19. Jahrhundert als Fortschrittsprozess, hin zu (Vertrags-)Freiheit und subjektiven Rechten verstanden. Im 20. Jahrhundert trat demgegenüber ein stärker sozial geprägtes Fortschrittsnarrativ. Bis in die Gegenwart halten sich rechtliche Fortschrittserzählungen (S. 1–15). 2. Als Konstituenten der geltenden Zivil- und Zivilprozessrechtsordnung werden die Kategorien Person, Wille und (Willens-)Freiheit, die Form subjektiver Privatrechte als zentrales Organisationsprinzip der Rechtsordnung, ein allgemeiner Vertragsbegriff und Vertragsfreiheit, ein ausgleichsorientiertes Haftungsrecht, die Trennung von Straf- und Zivilrecht sowie die Durchsetzung subjektiver Privatrechte als Ziel des Zivilprozesses identifiziert. Sämtliche dieser Konstituenten stehen in der gegenwärtigen Privatrechtsdiskussion unter Druck und sind fragil geworden (S. 19–38). 3. Die Spurensuche nach den rechtshistorischen Ursprüngen dieser Konstituenten führt zunächst in das römische Recht und seine gemeinrechtliche Fortentwicklung. Für das römische Recht prägend ist die actio als Klage (-recht) und die damit zusammenhängende Zentralität des Prozessrechts, ein Vertragsrecht, das die Klagbarkeit von Verträgen an bestimmte Vertragstypen und -formen bindet, ferner ein aus Einzelklagen bestehendes Deliktsrecht, das nicht nur Ausgleichs-, sondern auch Strafzwecke verfolgt (S. 39–54). 4. Wesentlich sind sodann die Naturrechtsentwicklung sowie die mit dem Naturrecht verbundene Tradition der Metaphysik der Freiheit. In diesem Kontext sind der Begriff der Person, die Form subjektiver Rechte sowie der spezifische Zusammenhang von Person, Wille und Freiheit zentral. Es bildet sich um Person, Wille und Freiheit eine eigenständige Welt des Moralischen. Die subjektiven Rechte werden zum zentralen Organisationsprinzip der Rechtsordnung. Maßgebliche Konstruktionsform ist die moralische Kausalität. Der Wille begründet und gestaltet als moralische Ursache moralische Wirkungen (u.a.
568
Zusammenfassung und Fazit
Rechte und Pflichten). Der Vertragsbegriff konstituiert sich über Person, Freiheit und Wille. Der Vertrag besteht danach aus der Vereinigung von nach außen erklärten Willenshandlungen mindestens zweier Personen. In seinen Wirkungen ist der Vertrag auf die Begründung, Veränderung oder Übertragung von Rechten und Pflichten gerichtet. Ausgehend von der Form der Rechte bilden sich ein subjektiv-rechtliches Haftungsrecht sowie ein pflichtenorientierter Gegenentwurf. Mit diesem rein ausgleichsorientierten Haftungsrecht ist als Kehrseite ein Strafbegriff verbunden, der Schuld zur Voraussetzung erhebt und in seinen Rechtsfolgen rein schuldbezogen ist. Mit der verfahrensrechtlichen Trennung von Straf- und Zivilprozess tritt sodann auch eine Trennung von Straf- und Zivilrecht insgesamt ein (S. 54–147). 5. Die Rechtswissenschaft des 19. Jahrhunderts steht unter neuen rechtsphilosophischen Voraussetzungen und lehnt die Naturrechtsidee ab. Gleichwohl werden hier weiterhin die Kategorien zentral, die sich historisch betrachtet im Kontext des Naturrechts sowie der Freiheitsmetaphysiktradition entwickelt haben. Ferner kommt Kant und Hegel zentrale Bedeutung für den Rechtsbegriff zu. Gegenstand des Rechts ist entsprechend Kant die Abgrenzung von Freiheitssphären. Das subjektive Recht wird in Anknüpfung an Hegel als Willensmacht verstanden. Ausgehend hiervon entwickelt sich bei Savigny und den Pandektisten ein bürgerlich-rechtliches System, das um die Kategorien Person, Wille und Freiheit sowie das subjektive Recht konstruiert wird. Konstituierend ist die Lehre von den juristischen Tatsachen, die die rechtliche Kausalität als Konstruktionsform wählt und als Rechtswirkungen die Begründung, Veränderung, Aufhebung oder Übertragung von Rechtsverhältnissen und subjektiven Rechten identifiziert. Bei Zitelmann wird diese „rechtliche Kausalität“ als Konstruktionsprinzip der „Rechtswelt“ aufgefasst. Entscheidend ist weiterhin Windscheids Anspruchsbegriff, der an die Stelle des actio-Begriffs tritt und rein materiell-rechtlich verstanden wird. Dadurch vollzieht sich eine strikte Trennung von materiellem Recht und Prozessrecht. Das Vertragsrecht konstituiert sich über einen allgemeinen Vertragsbegriff, der sich aus Willenserklärungen zusammensetzt. Rechtswirkung des Vertrags ist die Gestaltung von Rechtsverhältnissen. Im Deliktsrecht, dessen Dogmatik bis in die Gegenwart Gegenstand tiefgreifender Kontroversen ist, zeigen sich Einflüsse verschiedener Entwicklungslinien. Auf Haftungsfolgenseite setzen sich die reine Ausgleichsorientierung und die damit verbundene strikte Abgrenzung von Strafe und Schadensersatz durch (S. 148–218). 6. Gegen die zentralen Konstituenten eines entsprechenden Rechtsdenkens hat sich von Beginn an Kritik erhoben. Gegen die eigenständige Form des Moralischen richtete sich Ockhams und Gabriel Vázquez Kritik, die alles Moralische nur als Gedankendinge identifiziert und an das erkennende Subjekt rückbindet. Es gibt danach keine eigenständige moralische Wirklichkeit. Christian
I. Zusammenfassung
569
Thomasius argumentiert gegen die Willensfreiheit und negiert auf diesem Wege ebenso die Eigenständigkeit eines vom Physischen getrennten, auf Freiheit aufbauenden moralischen Seinsbereichs. Damit verbunden ist ein am Zwang orientierter Rechtsbegriff. Für das 19. Jahrhundert ist Jherings Kritik am subjektiven Recht zentral. Das Recht wird als Zwangsordnung zur Durchsetzung von (gesellschaftlichen) Interessen aufgefasst (S. 219–242). 7. In der Gegenwart steht das historisch gewachsene Zivilrechtsmodell unter erheblicher Kritik. Als zentrale Alternative wird ein am US-amerikanischen private law enforcement orientiertes Modell diskutiert. Dieses fasst das Privatrecht als Regulierungsrecht sowie als Mittel zur gesellschaftlichen Interessen dienenden Verhaltenssteuerung auf. Zur Durchsetzung gesellschaftlicher Interessen werden instrumental private (Klag-)Rechte begründet, die der Durchsetzung damit korrespondierender Pflichten dienen und auf Prävention und Verhaltenssteuerung zielen. Es geht um die Schaffung sanktionsbewehrter, öffentlichen Interessen dienender Pflichten, deren Realisierung durch zivilrechtliche Klagrechte erreicht werden soll. Anreizmechanismen und Instrumente hierfür sind kollektive Rechtsbehelfe (Sammelklagen, Verbandsklagen) zur Geltendmachung von Klagen auf Unterlassung, Strafschadensersatz und Gewinnabschöpfung (S. 243–249). 8. Hintergrund der Entstehung des private law enforcement sind verschiedene Rechtsentwicklungen des 20. Jahrhundert in den USA. Gegen den am kontinental-europäischen Modell orientierten American Legal Formalism erhebt sich an der Wende zum 20. Jahrhundert die Kritik des American Legal Realism. Recht ist nichts Logisches und vom Bereich des Physischen Verschiedenes, sondern das Ergebnis richterlicher Handlungen. Es gibt keinen Unterschied von Rechtlichem und Physischem und damit auch keinen eigenständigen rechtlichen Seinsbereich. Recht ist ebenso wie der Prozess kein Zweck an sich, sondern Mittel zur Erreichung gesellschaftlicher Interessen. Subjektives Recht und Rechtsverhältnisse sind keine abstrakten vorgegebenen Größen, sondern das Ergebnis der Handlungen der Gesellschaft. Das Recht wird auf das Faktische reduziert, die „Form des Rechts“ wird abgelehnt. Vor diesem ideengeschichtlichen Hintergrund vollziehen sich mehrere Rechtsentwicklungen: eine Prozessreform, die den Prozess nicht als Instrument der Durchsetzung vorgelagerter materieller subjektiver Privatrechte, sondern als Mittel der Konfliktlösung und gesellschaftlichen Steuerung ansieht. Es geht um die Durchsetzung objektiven Rechts, das bestimmte, den gesellschaftlichen Interessen dienende Ziele erreichen will. Zentral sind die facts und deren Ermittlung durch discovery. Es bildet sich das Konzept des private attorney general, d.h. die Idee, dass private Personen durch private Klagen im öffentlichen Interesse gesellschaftlichen Interessen dienende Normen gerichtlich durchsetzen. Als Anreize entsprechender Klagen bilden sich verschiedene Instrumente wie Strafschadensersatz (punitive damages) und Sammelklagen
570
Zusammenfassung und Fazit
(class actions) heraus. Dieses Privatrechtsmodell, das nicht auf bestimmte Rechtsbereiche begrenzt ist, sondern die US-amerikanische Gesamtrechtsordnung prägt und das subjektiv-rechtliche Modell verdrängt hat, wird gemeinhin als private law enforcement bezeichnet. Inzwischen ist das private law enforcement in eine schwerwiegende Krise geraten, nachdem die Rechtsprechung des Supreme Court wesentliche Instrumente entscheidend entwertet hat (S. 251–332). 9. Auch wenn das Grundgesetz die historisch gewachsene Privatrechtsordnung keineswegs konstitutionalisiert hat, enthält es wesentliche Vorgaben für die Ausgestaltung des Zivilrechts. Konstruktiv entfalten sich diese Vorgaben vor allem über Institutsgarantien, Ausgestaltungsdirektiven sowie grundrechtliche Schutzpflichten (S. 335–357). 10. Zentral ist zunächst der Personbegriff, der von der Rechtsprechung des BVerfG in der Menschenwürdegarantie des Art. 1 Abs. 1 GG verankert wird. Damit verbunden ist zum einen das „Recht, Rechte zu haben“; zum anderen das „Recht, rechtlich handeln zu können“. Beide Dimensionen des verfassungsrechtlich präformierten Personbegriffs (statisch – dynamisch) haben Bedeutung für die Ausgestaltung des Zivilrechts (S. 359–388). 11. Zentral ist weiterhin die Form subjektiver Privatrechte. Es gibt eine verfassungsrechtliche Institutsgarantie der Form subjektiver Privatrechte. An bestimmten Gegenständen (Leben, Gesundheit, Freiheit, Persönlichkeitsrechte, Eigentum) hat der Mensch als Person notwendig Privatrechte. Ebenso muss die Person kraft der Privatautonomie die Möglichkeit haben, durch ihren Willen subjektive Rechte zu begründen, zu übertragen oder zu gestalten (S. 388–430). 12. Damit ergibt sich die Notwendigkeit der Form des Vertrags, der Mittel der Person ist, Rechtsverhältnisse zu gestalten. Der Vertragsbegriff muss in Tatbestand die Kategorien Person, Wille und Freiheit reflektieren sowie auf Rechtsfolgenebene auf die Begründung, Veränderung oder Übertragung von subjektiven Rechten und Rechtsverhältnissen zielen. Dass die Form des Vertrags notwendig ist, schließt nicht aus, dass es andere rechtsgeschäftliche Handlungsformen gibt, die auf Tatbestands- und Wirkungsseite anders ausgestaltet sind (S. 430–464). 13. Das Haftungsrecht muss nicht notwendig subjektiv-rechtlich ausgestaltet sein. Vielmehr ist auch eine pflichtenorientierte Ausgestaltung möglich. Allerdings präformiert die Form subjektiver Privatrechte die Ausgestaltung des Haftungsrechts: zum einen hinsichtlich des Ob – es müssen grundsätzlich bei Verletzung subjektiver Rechte Haftungsansprüche eingreifen; zum anderen hinsichtlich der Rechtsfolgen – es muss negatorische Ansprüche zur Abwehr von Rechtsverletzungen sowie ausgleichsorientierte Ansprüche zum Ausgleich eingetretener Rechtsverletzungen geben. Diese Vorgaben lassen dem Gesetzgeber einen Gestaltungsspielraum, der jedoch umso begrenzter ist, je personaler die betroffenen Rechte und Rechtsgüter sind (S. 465–494).
II. Fazit
571
14. Das Grundgesetz geht von einem spezifischen Begriff der Schuldstrafe aus, der Konsequenz des verfassungsrechtlichen Schuldgrundsatzes ist. Strafe setzt Schuld voraus und ist in ihren Rechtsfolgen schuldabhängig. Von der Strafe ist der Schadensersatz getrennt. Aus Schuldgrundsatz und Doppelbestrafungsverbot folgt notwendig eine Differenzierung von Strafe und Schadensersatz. Die grundgesetzlichen Vorgaben stehen der Einführung von Privatstrafen zwar nicht entgegen. Angesichts des Doppelbestrafungsverbots ist allerdings nur außerhalb des Bereichs elementarer Rechtsgüter, für die notwendig eine hoheitliche Strafverfolgung gewährleistet sein muss, Raum für Privatstrafen. Sofern Privatstrafen vorgesehen werden, unterliegen sie zudem den materiell- und verfahrensrechtlichen Anforderungen des Schuldgrundsatzes. Von Privatstrafen zu unterscheiden sind Gewinnabschöpfungsansprüche, die aufgrund ihrer kondiktionellen Rechtsnatur zwar nicht als Strafen zu qualifizieren sind, allerdings aufgrunddessen in ihrem Inhalt und ihrer Ausgestaltung präformiert sind (S. 494–533). 15. Es muss einen Prozess geben, der die Durchsetzung materieller subjektiver Privatrechte ermöglicht. Das schließt nicht aus, dass es daneben andere Rechtsschutzformen gibt, die anderen Zielen dienen. Allerdings ergeben sich für diese anderen Rechtsschutzformen wiederum Ausgestaltungsvorgaben. Werden in diesen subjektive Privatrechte geltend gemacht, so muss die Dispositionsfreiheit der Rechtsinhaber gewahrt bleiben. Geht es hingegen um eigene kollektive subjektive Privatrechte oder selbständige Klagrechte, so ergeben sich wiederum inhaltliche Vorgaben dafür, was Gegenstand dieser (Klag-)Rechte sein kann (S. 534–566).
II. Fazit 1. Die Untersuchung hat eine Einordnung der gegenwärtigen Zivilrechtsdiskussionen in einen breiteren ideengeschichtlichen Kontext vorgenommen. Dabei hat sich gezeigt, dass es eine Freiheitsmetaphysiktradition gibt, in deren Kontext sich die für den modernen Privatrechtsbegriff konstitutiven Kategorien gebildet haben. Es gibt seit Beginn der Freiheitsmetaphysiktradition eine dagegen gerichtete Kritik. Eine Rechtsreform auf Basis dieser Kritik bricht sich in der rechtlichen Gegenwart gegen die aus dem 19. Jahrhundert tradierte Privatrechtsordnung Bahn. 2. Die Privatrechtslehre des 19. Jahrhunderts stellt eine konkrete Ausprägung bzw. Variante der rechtlichen Freiheitsmetaphysiktradition dar. Hier wird ein privatrechtliches System entwickelt, das auf den Konstituenten „Person, Wille, Freiheit“, der Form subjektiver Rechte, einem allgemeinen Vertragsbegriff, einem ausgleichsbezogenen allgemeinen Haftungsrecht, der Trennung von Strafe und Schadensersatz und der Form des Rechts basiert.
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Zusammenfassung und Fazit
Diesem Modell wird wiederum eine Kritik entgegengehalten, die in ihren Grundzügen ebenfalls bereits seit Beginn der Freiheitsmetaphysiktradition existiert: die Ablehnung der Realität des Rechts und einer eigenständigen Form des Rechtlichen; der gesetzgeberische Voluntarismus; die Reduktion des Rechtlichen auf das Faktische, d.h. den Zwang. Konkrete auf das Privatrecht bezogenene Ausformung erhält diese Kritik im 19. Jahrhundert bei Jhering. In zugespitzter Form findet sie sich im US-amerikanischen Legal Realism des frühen 20. Jahrhunderts. 3. Es gibt verschiedene Modelle, das Privatrecht zu konstruieren: dem subjektiv-rechtlichen Privatrechtsmodell stehen das pflichtenorientierte Privatrechtsmodell sowie das aktionen-rechtliche Privatrechtsmodell als Alternativen gegenüber.1 Grundlage des subjektiv-rechtlichen Modells sind die Kategorien Person, Wille und Freiheit. Mit der Form subjektiver Rechte und der Kategorie der Person ist ein Privatrechtsmodell verbunden, das sich um die subjektiven Privatrechte als Ordnungsprinzipien organisiert. Konstruktionsmechanismen sind die rechtliche Kausalität und die Zuordnung von Rechtspositionen. 4. Das pflichtenorientierte Modell basiert demgegenüber auf den Kategorien Pflicht, Sanktion, gesellschaftliche Interessen und Verhaltenssteuerung und ist daher besonders für die Idee des private law enforcement geeignet.2 Das private law enforcement-Modell vereinigt Elemente verschiedener Modelle, steht aber dem pflichtenorientierten sowie dem aktionen-rechtlichen Modell näher als dem subjektiv-rechtlichen. Zwar benutzt das private law enforcement-Modell in seiner gegenwärtigen Ausgestaltung die subjektivrechtlichen Formen von Anspruch und subjektivem Recht. Damit passt sich das private law enforcement scheinbar in die bürgerlich-rechtliche Systematik ein. Trotz dieser äußerlichen subjektiv-rechtlichen Konstruktion fehlt aber im Gegensatz zum subjektiv-rechtlichen Ansatz die Fundierung in Person, Wille und Freiheit.3 Die formelle subjektiv-rechtliche Einkleidung ist lediglich „Reflex“ der Pflicht, wobei Folge dessen wiederum eine Nähe zum aktionenrechtlichen Modell ist. 5. Das private law enforcement-Modell verwirklicht damit verschiedene Elemente, die ideengeschichtlich der Kritik an der Freiheitsmetaphysiktradition zuzuordnen sind. Dies entspricht dem rechtshistorischen Befund, wonach sich das private law enforcement als Folge der Kritik des Legal Realism Bahn gebrochen hat. Der Kritik am subjektiv-rechtlichen Ansatz entspricht 1 S. dazu ansatzweise auch Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, S. 365 ff., der indes die verschiedenen Modelle anders qualifiziert und zwar als Gegensatz von „prinzipienbasiertem“ und „folgenorientiertem Privatrechtsverständnis“. 2 S. dazu oben S. 422 ff.; vgl. dazu Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, S. 50 ff., 369 ff. 3 Vgl. dazu Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, S. 372 ff.
II. Fazit
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ein pflichtenorientiertes Modell, das durch Sanktionsandrohung und -verhängung die Verwirklichung gesellschaftlicher Interessen bewirken soll.4 Darin artikulieren sich voluntaristische Aspekte5 sowie die Kritik an der Form des Rechts. Das Normative wird auf das Physisch-Faktische, d.h. Zwang und Sanktion reduziert. Es geht nicht um Person, Wille, Freiheit und subjektive Rechte, sondern um sanktions- und zwangsbewehrte Pflichten zur Durchsetzung gesellschaftlicher Interessen mittels Verhaltenssteuerung.6 6. Es geht in ideengeschichtlicher Perspektive zwar auch, aber nicht nur um die Gegensätze „Moderne“ – „reflexive Moderne“7, „liberal“ – „sozial“8 sowie „prinzipienbasierte“ – „folgenorientierte Privatrechtstheorie“9 oder den „Einbruch des Öffentlichen in das Privatrecht“10. Primär geht es um die Ablehnung der Kategorien, die sich im Kontext der Freiheitsmetaphysiktradition entwickelt haben.11 Das Privatrechtsmodell, das sich um die Konstituenten Person, Wille, Freiheit und subjektives Privatrecht konstituiert, wird abgelehnt. Als Folge der Ablehnung werden verschiedene Privatrechtsmodelle vertreten, die ihrerseits andere Konstituenten verwirklichen. 7. Zugleich hat sich gezeigt, dass das auf Person, Wille und Freiheit aufbauende, subjektiv-rechtliche Zivilrechtsmodell verfassungsrechtlich in bestimmter Hinsicht festgeschrieben ist. Es gibt danach einen normativen Anspruch 4
S. dazu oben S. 419 ff., 422 ff. S. insofern Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, S. 60 („Regulierung […] bezieht sich auf kontingente Sachverhalte, deren zielgerichtete Gestaltung durch den Staat eine originäre politische Entscheidung darstellt“), 369 (Privatrecht als „Instrument zur Implementierung politischer Ziele“), 439 („Regulierungsziele können ausnahmsweise einmal durch höherrangiges Recht vorgegeben sein […]; im Regelfall bestehen aber keine derartigen Vorgaben. […] Die Definition des Regulierungsziels ist vielmehr das genuin politische Element der Regulierung, es ist der Punkt, an dem das Recht […] aufgrund einer politischen Intention bewusst in einer Weise gestaltet wird, die weder rechtlich noch sachlich zwingend ist, sondern allein deshalb gewählt wird, um ein bestimmtes Ziel zu verwirklichen“ – dem Gesetzgeber verbleibt bei diesem Modell nur noch die Wahl des Regulierungsziels sowie des Regulierungsinstruments; dies ist ganz in den Willen des Gesetzgeber gelegt, Regulierungsziel kann jedes vernünftige Gemeinwohlziel sein; der Gesetzgeber erlässt ein Gesetz zur Regulierungszielerreichung; instrumental dafür ist die Schaffung von rechtlichen Zwangsbefugnissen und -mitteln); ferner Wagner, in: Dreier (Hrsg.), Rechtswissenschaft als Beruf, S. 67, 182. 6 Vgl. dazu Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, S. 369 ff., 372 ff. 7 So Auer, Der privatrechtliche Diskurs, S. 46 ff., 74 ff., 83 ff. 8 S. dazu oben S. 7 f.; vgl. auch Auer, Der privatrechtliche Diskurs, S. 4 f.; Canaris, AcP 200 (2000), 273, 289 ff. 9 S. Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, S. 365 ff. 10 Auer, Der privatrechtliche Diskurs, S. 63 ff. 11 Dazu auch ansatzweise (wenngleich anders) Schapp, Grundfragen der Rechtsgeschäftslehre, S. 24 („Raisers These von der Ablösung eines individualistisch geprägten Zeitalters durch ein sozial geprägtes erscheint bedenklich, wenn man die historische Perspektive etwas weiter faßt. […] Die Entwicklung zu der neuzeitlich-individualistischen Sicht der Dinge hat schon mit der Reformation eingesetzt, genauer wohl schon mit dem Nominalismus eines Wilhelm von Ockham“). 5
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Zusammenfassung und Fazit
der privatrechtlichen Moderne, der an sie selbst gerichtet ist und auf Verwirklichung von Person, Wille, Freiheit und subjektivem (Privat-)Recht zielt. Die Rechtsordnung hat sich in gewisser Hinsicht die Kategorien Person, Wille, Freiheit und subjektives Privatrecht zu Eigen gemacht. 8. Die verschiedenen Privatrechtsmodelle schließen sich nicht notwendig gegenseitig aus, vielmehr ist auch eine Ergänzung denkbar.12 Es gibt jedoch aufgrund der Wertungen des Grundgesetzes eine normative Hierarchie der Privatrechtsmodelle. Im Fokus steht das subjektiv-rechtliche Modell, das Vorrang vor dem private law enforcement-Modell hat.13 Alternative Zivilrechtsmodelle können also nur ergänzend zum subjektiv-rechtlichen Privatrechtsmodell hinzutreten.
12 Vgl. dazu Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, S. 379 ff., 383 ff. (zur „Synthese“), ferner aber auch S. 372 ff. dazu, dass die Prämissen der verschiedenen Modelle „inkommensurabel“ seien; s.a. Wagner, in: Dreier (Hrsg.), Rechtswissenschaft als Beruf, S. 67, 169 ff. 13 A.A. wohl Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, S. 383 ff. (Synthese).
Kurzbiographien Aquin, Thomas von: 1225 als Sohn eines süditalienischen Grafen geboren; 1239 bis 1244 studium generale an der Universität von Neapel; Eintritt in den Dominikanerorden; ab 1245 Studium in Paris; 1248–1252 Studienaufenthalt in Köln; 1252 bis 1259 Tätigkeit in Paris zunächst als Bakkalaureus und von 1256 an als Magister der Theologie an der Universität; 1259 Rückkehr nach Italien; weiterer Aufenthalt in Paris (1268–1272) und in Neapel; 1274 gestorben. Aristoteles: 384 v. Chr. in Stageira geboren; Student an Platons Akademie in Athen; 343–340 v. Chr. Lehrer am Hof Philpps II. von Makedonien; 335 v. Chr. Rückkehr nach Athen; 322 v. Chr. gestorben. Augustinus, Aurelius: 354 n. Chr. in Thagaste (Nordafrika) geboren; Ausbildung als Rhetor; seit 374 Lehrtätigkeit in Karthago, 383 in Rom, 384 in Mailand; 387 Taufe; 390/391 Priesterweihe; seit 397 Bischof von Hippo (Nordafrika); 430 gestorben. Boethius, Anicius Manlius Severinus: Spätantiker Philosoph; Römischer Konsul unter dem Ostgotenkönig Theoderich; 524 n. Chr. Gestorben. Bonaventura (Johannes Fidanza): 1217 in der Nähe von Viterbo geboren; Studium der Theologie in Paris u.a. bei Alexander von Hales; 1243 Eintritt in den Franziskanerorden; 1273 Ernennung zum Kardinalbischof von Albano; 1274 gestorben. Clark, Charles: 1889 geboren; Studium am Yale College und an der Yale Law School; Tätigkeit als Rechtsanwalt; Professor für Zivilprozessrecht an der Yale Law School; ab 1929 Dekan der Yale Law School; Reporter des Advisory Committee für den Entwurf der 1938 Federal Rules of Civil Procedure; 1939 Berufung als Richter am United States Court of Appeals (Second Circuit); 1963 gestorben. Corbin, Arthur: 1874 geboren; Studium an der Yale Law School; 1899–1903 Tätigkeit als Rechtsanwalt in Colorado; ab 1904 bis 1943 Professor an der Yale Law School; 1967 gestorben. Domat, Jean: 1625 geboren; 1642 rechtswissenschaftliches Studium in Bourges, 1645 Promotion; 1655 Kronanwalt (Procureur du Roi), anschließend Privatgelehrter in Paris; 1696 gestorben. Duns Scotus, Johannes: 1265/66 geboren in Duns bei Edinburgh, Schottland; 1291 Priesterweihe, Franziskaner; Studium in Oxford und wohl auch Cambridge, seit 1300 Lehrtätigkeit in Oxford; seit 1302/03 Studien in Paris, 1305 Promotion zum Magister der Theologie; 1307 Tätigkeit im Franziskanerkovent in Köln; 1308 in Köln gestorben. Frank, Jerome: 1889 in New York geboren; Studium (Literatur, Philosophie und Sozialwissenschaften) an der University of Chicago; 1909 Promotion an der philosophischen Fakultät; 1910–1912 Studium an der Law School der University of Chicago; ab 1914 Tätigkeit als Rechtsanwalt; 1930 Veröffentlichung von Law and the Modern Mind; ab 1932 Forschungstätigkeit an der Yale Law School; ab 1933 Tätigkeit im
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Kurzbiographien
Kontext des New Deal; seit 1941 Richter am United States Court of Appeals (Second Circuit); 1957 gestorben. Gerson, Jean: 1363 in Flandern geboren; ab 1377 Studium der Logik in Paris; 1382 magister artium, anschließend Theologiestudium; 1392 Erwerb der licentia für Theologie; 1395 Ernennung zum Kanzler der Universität von Paris; ab 1419 Aufenthalt in Lyon; 1429 gestorben. Grotius, Hugo: 1583 in Delft geboren; ab 1594 Studium der Philologie und Geschichte, ferner der Rechtswissenschaft in Leiden; 1598 Promotion zum doctor iuris in Orléans; 1599 Rechtsanwalt in Den Haag, 1607 Oberstaatsanwalt beim Gerichtshof von Holland und Seeland, 1613 Syndikus der Stadt Rotterdam; 1619 wegen seiner Zugehörigkeit zu den Arminianern/Remonstranten zu lebenslanger Haft verurteilt; 1621 Flucht aus der Haft, bis 1631 im Exil in Paris; ab 1634 schwedischer Botschafter in Frankreich; 1645 auf der Rückkehr nach Schweden gestorben. Hales, Alexander von: ca. 1185 geboren; Studium in Paris; Lehrtätigkeit in Paris an der theologischen Fakultät (unter seinen Schülern u.a. Johannes Bonaventura); Eintritt in den Franziskanerorden; 1245 gestorben. Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: 1770 geboren; 1788–1793 Philosophie- und Theologiestudium in Tübingen; 1790 Promotion zum Magister der Philosophie; 1793 theologisches Konsistorialexamen; ab 1793 Hauslehrerstellen in Bern und in Frankfurt am Main; 1801 Habilitation in Jena; ab 1805 außerordentlicher Professor in Jena; seit 1808 Rektor eines Gymnasiums in Nürnberg; ab 1816 Professor für Philosophie in Heidelberg, ab 1818 in Berlin; 1831 gestorben. Hobbes, Thomas: 1588 geboren; Studium der Philosophie in Oxford, anschließend ab 1608 als Hauslehrer und Gelehrter tätig; 1651 Erscheinen des Leviathan; 1679 gestorben. Holmes, Oliver Wendell: 1841 in Boston geboren; Studium am Harvard College, später an der Harvard Law School; Tätigkeit als Rechtsanwalt in Boston; 1881 Veröffentlichung von The Common Law; kurze Tätigkeit als Professor an der Harvard Law School, danach Richter am Massachusetts Supreme Court; ab 1902 Richter am U.S. Supreme Court; 1935 gestorben. Jhering, Rudolph: 1818 in Aurich geboren; Studium der Rechtswissenschaften in Heidelberg, Göttingen und München; 1840 Promotion in Berlin; 1844 Privatdozent; danach Professor in Basel, Rostock, Kiel und Gießen; ab 1868 in Wien, ab 1872 in Göttingen; 1892 gestorben. Kant, Immanuel: 1724 in Königsberg geboren; 1740–1746 Studium der Mathematik, Naturwissenschaften und Philosophie in Königsberg; ab 1746 Tätigkeit als Hauslehrer; 1755 Promotion in Königsberg; anschließend Vorlesungstätigkeit als Privatdozent (u.a. in Philosophie und Naturwissenschaft); ab 1765 Bibliothekar an der Königlichen Schloßbibliothek in Königsberg; ab 1770 ordentlicher Professor für Metaphysik und Logik in Königsberg; 1786/1788 Rektor der Universität Königsberg; 1804 gestorben. Kantorowicz, Hermann: 1877 in Posen geboren; ab 1896 Studium der Rechtswissenschaft, Philosophie und Nationalökonomie in Berlin, Genf und München; 1903 Referendarexamen; 1908 Habilitation in Freiburg im Breisgau, anschließend Lehrtätigkeit in Freiburg; Veröffentlichung der Schrift „Der Kampf um die Rechtswissenschaft“ unter dem Pseudonym Gnaeus Flavius; ab 1929 Professor in Kiel; 1933
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Entlassung aus politischen Gründen und Emigration; Aufenthalte (u.a.) in New York, London und Cambridge; 1940 in Cambridge gestorben. Langdell, Christopher Columbus: 1826 geboren; Studium am Harvard College, anschließend Tätigkeit als Rechtsanwalt; Studium an der Harvard Law School; ab 1854 Tätigkeit als Rechtsanwalt in New York; ab 1870 Professor und Dekan der Harvard Law School; Reform des rechtswissenschaftlichen Studiums (case method); 1906 gestorben. Lessius, Leonardus: 1554 geboren in Antwerpen; Studium in Löwen, u.a. bei Robert Bellarmin; 1572 Eintritt in den Jesuitenorden; Studium am Collegio Romano in Rom, u.a. bei Francisco Suárez; seit 1585 Professor am Jesuitenkolleg in Löwen; 1623 gestorben. Llewellyn, Karl N.: 1892 in Seattle, Washington geboren; ab 1911 Studium am Yale College, zuvor Aufenthalt in Deutschland; 1914 Teilnahme am Ersten Weltkrieg auf deutscher Seite; 1915 Rückkehr an die Yale University, bis 1918 Studium an der Yale Law School (u.a. bei Arthur Corbin und Wesley N. Hohfeld); ab 1922 Assistenz-Professor an der Yale Law School, ab 1924 an der Columbia Law School (ab 1929 Professor); 1962 gestorben. Lugo, Juan de: 1583 in Sevilla geboren; Studium der Rechtswissenschaft in Salamanca; 1603 Eintritt in den Jesuitenorden; ab 1621 Professor am Collegio Romano (Rom); 1643 Ernennung zum Kardinal durch Papst Urban VIII.; 1660 gestorben. Maine, (Sir) Henry James Summer: 1822 geboren; Studium am College in Cambridge; ab 1847 dort Regius Professor of Civil Law; später Dozent für römisches Recht an den Inns of Court, London, sowie Tätigkeit als Rechtsanwalt; 1861 Veröffentlichung von Ancient Law; Aufenthalt in Indien; danach zunächst Professor in Oxford; 1877 Rückkehr nach Cambridge, ab 1887 Professor für Völkerrecht; 1888 gestorben. Marsilius von Padua: 1275/1280 in Padua geboren; Studium der Naturphilosophie, Medizin und Theologie; Magister artium an der Universität von Paris, 1312–1313 Rektor der Artistenfakultät von Paris; 1324 Fertigstellung des Defensor Pacis; 1326 Flucht nach München zu Ludwig dem Bayer; 1343 in München gestorben. Molina, Luis de: geboren 1535 in Cuenca, Spanien; ab 1551 Student der Rechtswissenschaft in Salamanca; 1553 Eintritt in den Jesuitenorden, Noviziat und Philosophiesowie Theologiestudium in Coimbra, Portugal; ab 1563 Lehrtätigkeit in Coimbra, ab 1568 in Évora, Portugal; ab 1585 in Lissabon, später in Cuenca; 1600 in Madrid gestorben. Ockham, Wilhelm von: 1280/1285 in England geboren; Eintritt in den Franziskanerorden; 1310–1317 Studien an der Universität von Oxford, später Lehrtätigkeit; ab 1320/1321 Lehrtätigkeit am Franziskanerkonvent in London; seit 1324 Aufenthalt am päpstlichen Hof in Avignon; 1328 Flucht von Avignon über Pisa nach München; 1347 in München gestorben. Oñate, Pedro de: 1568 geboren; Eintritt in den Jesuitenorden; Studium (u.a.) bei Francisco Suárez in Alcala; 1615 Provinzial des Jesuitenordens in Paraguay; ab 1624 Professor für Moraltheologie in Lima (Peru); gestorben 1646; 1646 posthume Veröffentlichung von De Contractibus. Pérez, Antonio: 1599 in Puenta de la Reyna (Navarra) geboren; 1613 Eintritt in den Jesuitenorden; Studium am Jesuitenkolleg von Salamanca (Philosophie, Literatur, Theologie); Lehrtätigkeit in Valladolid (Philosophie) und ab 1634 in Salamanca (Theolo-
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gie); 1642 Nachfolger von Juan de Lugo auf dessen Lehrstuhl am Collegio Romano in Rom; 1649 in Corral de Almaguer gestorben. Pomeroy, John Norton: 1828 geboren; Tätigkeit als Rechtsanwalt, ab 1861 in New York; Veröffentlichung zahlreicher Lehrbücher; 1864–1874 Tätigkeit an der juristischen Fakultät der University of the City of New York; ab 1878 am Hastings College of Law, San Francisco; 1885 gestorben. Pothier, Robert-Joseph: 1699 in Orléans geboren; Besuch des Collège des Jésuites in Orléans; ab 1715 Studium der Rechtswissenschaft in Orléans; ab 1720 Richter am Präsidialgericht; ab 1750 Professor an der Universität von Orléans; 1772 gestorben. Pound, Roscoe: 1870 geboren; Studium an der University of Nebraska; 1889–1890 Studienjahr an der Harvard Law School; danach Rückkehr nach Nebraska, Tätigkeit als Rechtsanwalt sowie Promotion in Botanik; ab 1903 Dekan der rechtswissenschaftlichen Fakultät der University of Nebraska; ab 1907 Tätigkeit an der Northwestern University School of Law, Chicago; 1909 Wechsel an die University of Chicago, 1910 an die Harvard Law School; 1916–1936 Dekan der Harvard Law School; 1964 gestorben. Puchta, Georg Friedrich: 1798 geboren; ab 1823 außerordentlicher Professor in Erlangen, ab 1828 ordentlicher Professor in München, ferner dann nach 1835 in Marburg und Leipzig; seit 1842 Professor in Berlin als Savignys Nachfolger; ab 1845 Mitglied des preußischen Staatsrats und der Gesetzgebungskommission; 1846 gestorben. Pufendorf, Samuel: geboren 1632; ab 1650 in Leipzig zunächst Studium der Theologie, sodann Wechsel zu Philosophie und Jurisprudenz; ab 1656 Studium in Jena; Lehrstuhl für Natur- und Völkerrecht an der philosophischen Fakultät in Heidelberg; 1667 Ruf an die juristische Fakultät in Lund, anschließend als Hofhistoriograph nach Stockholm sowie 1688 nach Berlin; 1694 gestorben. Savigny, Friedrich Carl von: 1779 in Frankfurt am Main geboren; 1795–1799 Studium der Rechtswissenschaft in Marburg, 1796/97 in Göttingen; 1800 Promotion; 1808– 1810 Professor in Landshut, ab 1810 Professor in Berlin; 1814 Veröffentlichung Vom Beruf unserer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft; 1840–49 Erscheinen des Systems des heutigen Römischen Rechts; 1861 gestorben. Story, Joseph: 1779 geboren; bis 1798 Studium am Harvard College; Tätigkeit als Rechtsanwalt bis 1811; ab 1811 Richter am U.S. Supreme Court; ab 1829 Professor an der Harvard Law School; 1845 gestorben. Suárez, Francisco: 1548 geboren in Granada; ab 1561 Studium des kanonischen Rechts und später der Theologie in Salamanca; Eintritt in den Jesuitenorden; Lehrtätigkeiten an den Jesuitenkollegien in Segovia und Valladolid; seit 1576 Professor der Theologie; 1580–1585 Tätigkeit am Collegio Romano in Rom; ab 1585 wieder in Spanien (u.a. Salamanca), ab 1597 im portugiesischen Coimbra; 1609–1613 Arbeit an De Legibus und Defensio Fidei; 1617 in Lissabon gestorben. Summenhart, Conrad: 1458 in Calw geboren; Studium in Heidelberg und Paris; 1478 magister artium; ab 1478 Lehrtätigkeit und ab 1491 Professor für Theologie an der Universität von Tübingen; Rektor der Universität von Tübigen; 1502 im Kloster Schuttern bei Lahr gestorben. Thomasius, Christian: 1655 geboren; Studium der Philosophie in Leipzig, sodann Wechsel zum Studium der Rechtswissenschaft; 1679 Promotion in Frankfurt/Oder; ab 1682 akademische Lehrtätigkeit in Leipzig, später Wechsel nach Halle; 1728 gestorben.
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Vázquez, Gabriel: 1549 bei Belmonte, Cuenca, geboren; 1565–1569 Philosophiestudium in Alcalá; 1571 Eintritt in den Jesuitenorden; 1571–1575 Theologiestudium in Alcalá; ab 1575 Lehrtätigkeit u.a. in Madrid und Alcalá, ab 1585 am Collegio Romano in Rom; 1591 Rückkehr nach Alcalá; 1604 in Alcalá gestorben. Vitoria, Francisco de: zwischen 1483 und 1493 in Burgos geboren; 1505 Eintritt in den Dominikanerorden; 1508–1522 Studium und Lehrtätigkeit in Paris; 1522 Doktor der Theologie an der Universität von Paris; 1523 Professor für Theologie in Valladolid; seit 1526 Professor an der Universität von Salamanca; 1546 in Salamanca gestorben. Windscheid, Bernhard: 1807 geboren; 1838 Promotion, 1840 Habilitation in Bonn; ab 1847 Professor in Basel; 1852–1874 Lehre in Greifswald, München, Heidelberg und Leipzig; 1880–1883 Teil der ersten BGB-Kommission; 1892 gestorben. Wolff, Christian: 1679 geboren; Studium der Theologie, Mathematik und Philosophie; Habilitation 1703 in Leipzig; ab 1706 Lehrtätigkeit in Halle, sodann in Marburg, 1740 Rückkehr nach Halle auf den Lehrstuhl für Natur-, Völkerrecht und Mathematik; 1754 in Halle gestorben. Lit.: Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie; Bone, 89 Columbia L. Rev. 1 (1989); Decock, Theologians and Contract Law; Elsässer, in: Boethius. Die theologischen Traktate; Galpasoro Zurutuza, Die vernunftbegabte Natur, Norm des Sittlichen und Grund der Sollensanforderungen; Hoerster (Hrsg.), Klassiker des philosophischen Denkens. Band 2; Jansen/Reimann, ZEuP 2018, 89; Kobusch, Die Philosophie des Hoch- und Spätmittelalters; König, Pothier und das römische Recht; Maihold, Strafe für fremde Schuld?; Muscheler, Hermann Ulrich Kantorowicz; Priesching, Sklaverei im Urteil der Jesuiten; Quin, Personenrecht und Widerstandsrecht; Ramelow, Gott, Freiheit, Weltenwahl; Rea-Frauchinger, Der amerikanische Rechtsrealismus; Reimann, Historische Schule und Common Law; Schlosser, Neuere Europäische Rechtsgeschichte; Schlegel, 29 Buffalo L. Rev. 195 (1980); Stolleis (Hrsg.), Juristen. Ein biographisches Lexikon; Subrin, 135 U. Pennsylvania L. Rev. 909 (1987); Todescan, Lex, natura, beatitudo; Varkemaa, Conrad Summenhart’s Theory of Individual Rights; E. Wolf, Grosse Rechtsdenker
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Personenregister Aquin, Thomas von 54 ff., 60 f., 64 Aristoteles 55 f. Augustinus, Aurelius 63 Boethius, Anicius Manlius Severinus 63, 75 Bonaventura, Johannes 12 Clark, Charles 281, 290 ff., 311 Corbin, Arthur 275 ff., 289 ff. Domat, Jean 55, 130, 213, 253 Duns Scotus, Johannes 55, 64 f. Frank, Jerome 267, 288, 296 f. Gerson, Jean 58, 100 f., 102 Grotius, Hugo 55, 58, 130, 135 f., 143, 213, 253 Hales, Alexander von 12, 75 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 156 ff. Hobbes, Thomas 55, 222 f. Holmes, Oliver Wendell 267 ff. Jhering, Rudolph 7, 24, 164, 224 ff., 241, 251, 278 f., 391 f. Kant, Immanuel 12 f., 56, 148 ff., 164, 442 Kantorowicz, Hermann 236 ff. Langdell, Christopher Columbus 256 f. Lessius, Leonardus 106, 112, 129 Llewellyn, Karl 267, 271 ff. Lugo, Juan de 106 ff., 114 Maine, Henry James Summer 5 f. Marsilius von Padua 222 f., 241
Molina, Luis de 66 ff., 105 f., 112 Ockham, Wilhelm von 219 ff. Oñate, Pedro de 121 ff. Pérez, Antonio 108 ff. Pomeroy, John Norton 6, 259 f. Pothier, Robert-Joseph 55, 130, 213, 253, 261 Pound, Roscoe 6 f., 281 Puchta, Georg Friedrich 9, 167 ff., 182 ff., 195 f., 206, 216 Pufendorf, Samuel 12 f., 55 f., 61 f., 93 ff., 131, 136 f., 143, 165, 213, 241, 253, 262 Savigny, Friedrich Carl von 4 f., 158 ff., 166 ff., 172 ff., 180 ff., 185 ff., 189 ff., 195 ff., 197 ff., 204 ff., 216, 225 f., 233, 408 Story, Joseph 324 Suárez, Francisco 12, 55 f., 58, 60 f., 72 ff., 76 ff., 82 ff., 96, 220 Summenhart, Conrad 58, 102, 112 f. Thomasius, Christian 55, 60, 115, 119, 130, 137 f., 223 f., 232, 241 Vázquez, Gabriel 220 f., 241 Vitoria, Francisco de 132 Windscheid, Bernhard 9 f., 24, 33, 163, 184, 186, 191 ff., 196 f., 208 f., 217, 225 Wolff, Christian 62, 98 ff., 195
Sachregister actio 40 ff., 388 ff. American Legal Realism s. Legal Realism Anspruch 27 f., 411 f. – Historische Rechtsschule 189 ff., 191 ff. aquilische Haftung 47 ff. arbitration 319 ff. Armutsstreit 43, 101 f. Ausgestaltung bei Grundrechten 349 ff. Autonomie 151 f. – s. Privatautonomie Bereicherungsrecht 493 f., 524 – Restitution 132, 134 cause of action 257 ff., 291 ff. class action 315 ff. Common Law 253 ff. delicta privata 47 ff. Deliktsklagen 47 ff. discovery 313 f. Dispositionsgrundsatz 550 ff. Doppelbestrafungsverbot 526 ff. Erklärungstheorie 203 f., 376, 431 Formularprozess 52
Gewaltmonopol 33, 347 f., 541 f. Gewinnabschöpfung 521 ff. Grundgesetz – und Privatrecht 337 ff., 341 ff. Grundrechte 342 ff. Gruppenklagen 554 ff. – s. class action Haftungsrecht 465 ff. – Historische Rechtsschule 204 ff. – Naturrecht 131 ff. – pflichtenorientiert 135 ff., 465 ff. – subjektiv-rechtlich 131 ff., 469 ff. Handlungsfreiheit 379, 434 ff. Historische Rechtsschule 158 ff. Imperativentheorie 238 ff., 392 Institutsgarantie 349 ff. Interessentheorie 24, 392, 421 juristische Tatsachen 172 ff. Justizgewähranspruch 402 ff., 481, 537 ff., 543 ff.
franziskanischer Armutsstreit s. Armutsstreit Freiheit 63 ff. – s. Willensfreiheit Freiheitsmetaphysik 12 f., 54 ff., 63 ff., 72 ff. Freiheitsmetaphysiktradition 12 f., 54 ff., 63 ff., 72 ff. Freiheitssphären – Recht als Abgrenzung von 108 f., 153 f. Freirechtsbewegung 236 ff.
Kausalität – juristische 177 ff. – moralische 76 ff., 91 ff. Klagbarkeit – als Merkmal des Rechts 189 ff., 402 ff. – von Verträgen 461 ff. Klagrecht 388 ff., 402 ff. Kognitionsprozess 53 kollektiver Rechtsschutz 244 ff., 314 ff., 552 ff. – s. class action – s. Gruppenklagen Kombinationstheorie 24, 392 Korrelation von Recht und Pflicht 59, 278, 409 f.
Geltungstheorie 431 f., 443, 450 ff. Gerechtigkeit 56 ff. Geschäftsfähigkeit 21, 69, 129, 170
Law and Economics 282 f. Legal Formalism 253 ff. Legal Realism 267 ff.
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Sachregister
Lehre vom moralischen Sein 72 ff. – s. Freiheitsmetaphysik „Mein und Dein“ – Recht als Bestimmung des 106 ff., 154 f. Menschenwürde 363 ff., 372 ff., 385 f., 396 ff., 447, 493 moralisches Sein 54 ff., 72 ff. Naturrecht 54 ff. Nominalismus 219 f. Person 72 ff., 82 ff., 359 ff., 396 ff. – Historische Rechtsschule 166 ff. – Humanismus 73 – persona moralis 93 ff. – römisches Recht 72 – Scholastik 74 ff. Pflicht – s. pflichtenorientiertes Haftungsrecht Prävention 36 f., 243 ff., 428, 467 f., 474, 494 ff., 515 ff., 535 f. Präventivschadensersatz 517 ff. Privatautonomie 29 f., 434 ff., 441 ff., 461 f., 481 private attorney general 248, 283, 288 f., 296 ff. private law enforcement 243 ff., 283 ff., 416 ff. Privatstrafe 47 ff., 204 ff., 498 f., 513 ff. – s. Deliktsklagen – s. Strafschadensersatz Prozess 33 ff., 534 ff. – römisches Recht 52 ff. – Historische Rechtsschule 215 ff. Prozesszweck 33, 248 f., 295 f., 536, 545 punitive damages 303 ff. – s. Strafschadensersatz Recht – absolutes 24 ff., 31 f., 259, 410 ff., 419 f., 422, 470, 482, 484, 490 – relatives 24 ff., 259, 410 ff., 419 f. – bei Hegel 157 f. – bei Kant 153 ff. – s. subjektives Recht Rechtsdurchsetzung 33 ff., 534 ff. Rechtsfähigkeit 20 ff., 359 ff., 365 ff. – Historische Rechtsschule 166 ff. – Naturrecht 67 ff., 72 ff. Rechtsgeschäft 22 f., 28 ff., 176, 196 ff., 430 ff., 452 ff.
Rechtsgüterschutz 131 ff., 465 ff. – s. Haftungsrecht Rechtsschutzanspruch 217, 402 ff., 543 ff., 547 ff. Rechtssubjekt 20 ff., 24 ff., 359 ff., 365 ff., 396 ff., 421 ff. – Historische Rechtsschule 166 ff. – Naturrecht 67 ff., 98 ff. Rechtsverhältnis 24 ff., 406 ff., 454 ff. – Historische Rechtsschule 185 ff. Rechtsverletzung – und Haftungsrecht 110 f., 132, 204 ff., 465 ff., 489 ff. Rechtswelt 165, 177 ff. Reflextheorie 392 Regulierung – und Privatrecht 2, 243 ff., 419 ff. Relationalität 112 ff., 406 ff., 422 ff., 456 Sammelklage – s. class action Schadensersatz 31 f., 465 ff., 490 ff. – Historische Rechtsschule 204 ff. – Naturrecht 131 ff. – USA 303 ff. – s. Haftungsrecht – s. Trennung von Strafe und Schadensersatz Schuldgrundsatz 507 ff. Schutzpflichten 344 ff. Selbsthilfeverbot 33 ff., 217, 403, 541 f. Spätscholastik 54 ff. Strafe 32 f., 494 ff. – s. Privatstrafe – s. Strafschadensersatz – s. Trennung von Strafe und Schadensersatz Strafschadensersatz 303 ff., 498 f., 513 ff. – s. Privatstrafe – s. punitive damages subjektives Recht 23 ff., 388 ff. – Abgrenzung zum Klagrecht 115 ff., 189 ff., 388 ff., 402 ff., 419 ff. – Definition 412 ff. – Historische Rechtsschule 186 ff. – Naturrecht 100 ff. – Kritik 224 ff., 267 ff., 388 ff. System 60 ff., 195 ff. Trennung von Strafe und Schadensersatz 32 f., 494 ff. – Historische Rechtsschule 204 ff. – Naturrecht 139 ff.
Sachregister – USA 263 ff. Typenfreiheit 30, 457 ff. Typenzwang 457 ff. Verbandsklagen 553 ff. Verbandsklagenrichtlinie 245 f., 535 Verhaltenssteuerung 36 f., 243 ff., 298, 300, 304, 420, 423 f., 428 f., 466 ff., 494 ff., 535 ff. Vertrag 28 f., 430 ff. – Historische Rechtsschule 197 ff. – Naturrecht 121 ff. – römisches Recht 44 ff. Vertragsfreiheit 29 f., 430 ff. Vertragsrecht 28 ff., 430 ff. – Historische Rechtsschule 197 ff. – Naturrecht 121 ff. – römisches Recht 44 ff. Voluntarismus 222 f., 232, 237, 279, 572 f. Wille 22 f., 28 ff., 376 ff. – bei Hegel 156 f. – Historische Rechtsschule 161, 197 ff.
625
– bei Jhering 227 ff. – Naturrecht 63 ff., 76 ff., 121 ff. Willenserklärung 28 ff., 452 ff. – Historische Rechtsschule 197 ff. Willensfreiheit 22 f., 382 ff. – Historische Rechtsschule 161, 166 ff. – bei Kant 150 ff. – bei Jhering 227 ff. – Naturrecht 63 ff., 67 ff. – Schuld 508 f. – Verhältnis zur Privatautonomie 441 ff. Willensmacht 24, 185 ff., 392 Willenstheorie – Vertragsrecht 203, 262, 376 f., 430 f., 453 – subjektives Recht 24, 392 Würde 110, 155 f., 359 ff. – s. Menschenwürde Zivilprozess 33 ff., 248 f., 534 ff. – s. Prozess Zwang – als Merkmal des Rechts 34, 60, 118 ff., 189 ff., 227