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German Pages 318 [319] Year 2022
Andreas Fischer Adoleszenz und Arbeit
Arbeit und Organisation | Band 9
Andreas Fischer, geb. 1988, lehrt und forscht in den Bereichen der Arbeits-, Jugendund Kultursoziologie an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg.
Andreas Fischer
Adoleszenz und Arbeit Das subjektive Verhältnis Jugendlicher zur Erwerbsarbeit
Dissertation an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, Erlangen, 2021. Originaltitel: »Adoleszenz und Erwerbsarbeit. Eine qualitative und quantitative Analyse des subjektiven Verhältnisses Jugendlicher zur Erwerbsarbeit.«
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Inhalt
Vorwort ........................................................................................ 7 1. Einleitung................................................................................ 9 Forschungsfrage, Aufbau und These der Arbeit ................................................. 12 Adoleszenz und Erwerbsarbeit ........................................................... 17 Adoleszenz, Identität und das subjektive Verhältnis zur Erwerbsarbeit ..................... 18 2.2.1 Die Jugend in Theorien zum Wertewandel .......................................... 18 2.1.2 Die normative Subjektivierung von Arbeit.......................................... 23 2.1.3 Adoleszenter Möglichkeitsraum, Narzissmus und Triangulierung ................... 45 2.2 Gesellschaft und Adoleszenz ............................................................. 53 2.2.1 Subjektivität als Ideologie ........................................................ 54 2.2.2 Die doppelt normative Subjektivierung von Erwerbsarbeit .......................... 61 2.2.3 Die Ökonomisierung der Adoleszenz ............................................... 75 2.2.4 Widersprüchliche Adoleszenz ..................................................... 85 2.3 Forschungsstand und weitere potentielle Theorierahmungen ............................. 94 2.3.1 Wahlverwandtschaft, Growing Realism und Praxeologie ............................ 95 2.3.2 Generationen und Milieus ......................................................... 101 2.3.3 Berufswahl, Berufsorientierung und Occupational Aspirations...................... 113
2. 2.1
Empirische Analysen ................................................................... 127 Zur Differenzierung jugendlicher Perspektiven auf die Erwerbsarbeit ..................... 129 3.1.1 Die doppelte Perspektive auf Erwerbsarbeit in der normativen Subjektivierungsthese ............................................... 130 3.1.2 Occupations, Values and Orientations – Rosenbergs Value Complexes .............. 131 3.1.3 Rosenberg, Marx und Weber. Soziologische Anknüpfungspunkte an eine Dreifachperspektive ..................................................... 133 3.2 Quantitative Analysen zum Verhältnis Jugendlicher zur Erwerbsarbeit ................... 136 3.2.1 »Arbeitsorientierungen« im Vergleich und im Wandel (ALLBUS 1982-2016) ......... 136 3.2.2 Perspektiven Jugendlicher auf Erwerbsarbeit (NEPS, SC3, Welle 4 & 5) ............. 161 3.2.3 Relevanzen für die qualitative Empirie ............................................ 178
3. 3.1
3.3 Qualitative Analysen zum Verhältnis Jugendlicher zur Erwerbsarbeit ..................... 180 3.3.1 Sampling und Material ............................................................182 3.3.2 Die Dokumentarische Methode nach Nohl......................................... 186 3.3.3 Bedingungen und zentrale Widersprüche der Adoleszenz im Sample ............... 191 3.3.4 Perspektiven Jugendlicher auf Erwerbsarbeit und deren Bezugsdimensionen ...... 199 3.3.5 Das Verhältnis Jugendlicher zur Erwerbsarbeit im Kontext widersprüchlicher Adoleszenz ................................................... 226 4. Ein Fazit zur »Jugend von heute«...................................................... 263 Zusammenfassung und zentrale Ergebnisse................................................... 263 Reflexionen .................................................................................. 267 Empirie ................................................................................ 267 Theorie ................................................................................ 270 Forschungsperspektiven ................................................................ 273 Die »Jugend von heute« ..................................................................... 275 Literaturverzeichnis und Anhang ............................................................ 279 Anhang ....................................................................................... 312 Abbildungsverzeichnis ........................................................................ 315 Tabellenverzeichnis ........................................................................... 315
Vorwort
So viele Menschen aus meinem Umfeld haben mich in der Durchführung meines Promotionsprojekts unterstützt, mir überhaupt erst ermöglicht, zu studieren und mein Leben so zu leben, wie es mir in den letzten Jahren doch ganz gut gefallen hat – hierfür möchte ich mich entsprechend vorab bedanken. Zuvorderst gilt mein Dank den Jugendlichen, die sich im Rahmen meiner Arbeit haben interviewen lassen, sowie den Menschen, die mir die Kontakte vermittelt und ermöglicht haben. Ganz besonders möchte ich Prof. Dr. Ingrid Artus für die Betreuung meiner Dissertation, ihre konstruktive Kritik, hilfreichen Ratschläge sowie insbesondere ihre Solidarität und ihr weitreichendes Verständnis bedanken. Meine Promotion, mein Studium und die gemeinsame Arbeit haben mich fachlich und menschlich gestärkt. Auch Prof. Dr. Wolfgang Menz gilt mein Dank für die Betreuung meiner Dissertation und die vielfältige Unterstützung meiner Arbeit. Großer fachlicher und freundschaftlicher Dank gilt meinem langjährigen Dozenten, meinem späteren Kollegen und Freund Prof. Dr. Lutz Eichler. Ohne mein Studium bei ihm, dessen Prägung meiner Dissertation unverkennbar ist, und ohne unseren regelmäßigen Austausch, das gemeinsame Lehren, Vortragen und Publizieren hätte es die vorliegende Arbeit schlicht nicht gegeben. Für das kollegiale und fachlich hilfreiche Umfeld möchte ich außerdem den (teils ehemaligen) Angehörigen des Instituts für Soziologie an der Friedrich-AlexanderUniversität Erlangen-Nürnberg danken. Für die fachliche Unterstützung gilt es hierbei, die Oberseminare von Prof. Dr. Ingrid Artus und Prof. Dr. Jan Weyand, von Prof. Dr. Renate Liebold und von Prof. Dr. Nicole J. Saam hervorzuheben. Das Institut zeichnet sich jedoch nicht nur über seine fachlichen Stärken und seine arbeitssoziologische Geschichte aus, sondern über sein vergleichsweise solidarisches und freundschaftliches Miteinander. Besonderer Dank – und man verzeihe es mir, wenn ich jemanden vergesse! – gilt: Dr. Larissa Pfaller und Dr. Christa Hermann für ihre fachliche, didaktische und kollegiale Unterstützung; Michael Whittall, PhD., für seinen englischen Humor, aber auch für seine fachlichen Ratschläge im Laufe der Jahre; Dr. Leo Roepert und Jakob Seitz für den freundschaftlichen und fachlichen Austausch unter Bürokollegen; Dr. Ronald Staples, für seine Kollegialität und Unterstützung dabei, mich überhaupt am Institut zurechtzufinden; Dr. Katrin Drasch, die mir auch im Rahmen der Dissertation
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immer wieder mit ihrer Beratung zu den quantitativen Methoden zur Seite stand; Dr. Judith Holland, für die Unterstützung in der Endphase meines Projekts, aber auch für viele Jahre solidarische Arbeit; PD Dr. Gerd Sebald, für organisatorische und fachliche Unterstützung; Claudia Figalist, die mir in der Endphase meiner Dissertation zur Seite stand. Weiterer fachlicher und persönlicher Dank gilt allen ehemaligen und aktiven Mitgliedern der Arbeitsgruppe »Adoleszenz und Arbeit« der Gesellschaft für psychoanalytische Sozialpsychologie sowie der außeruniversitären Vortragsreihe »fub«. Beide haben mich einerseits fachlich bereichert und das Promotionsprojekt gefördert; andererseits haben sie es mir ermöglicht, wissenschaftliche, politische und persönliche Projekte auch neben der täglichen Lohnarbeit zu betreiben. Apropos abseits der Lohnarbeit: Dank gilt auch den Menschen, die es mir ermöglicht haben, vom Stress der Promotion abzuschalten. Gerade in Zeiten der Coronakrise, diverser Lockdowns und der finalen Phase der vorliegenden Arbeit hat mir der (virtuelle) Kontakt und Austausch sehr geholfen. Danke daher an: Alco, Andi, Asuka, Chris, Daniel, Marina, Mike, Mods, Oze, Patrick, Philipp, Simon, Susanne und viele andere. Größter Dank gilt den Menschen, die mir meine eigene Adoleszenz und somit trotz schwieriger Voraussetzungen eine Jugend im Universum vorläufiger Verantwortungslosigkeit ermöglicht haben. An erster Stelle danke ich Beate Fischer, meiner Mutter, für deren Stärke und Anstrengungen als Alleinerziehende ich heute allergrößte Bewunderung habe und die mir auch in der Promotionsphase immer wieder ausgeholfen hat. Ebenso danke ich meinem Bruder Johannes Fischer, für seine Unterstützung beim Promotionsprojekt, aber auch im restlichen Leben. Auch bei meinen Großeltern, Dorothea und Heinz Fritsch, sowie meinem Vater, Jürgen Fischer, möchte ich mich für die Unterstützung in den letzten Jahren bedanken. Als stabile Kontinuitäten meiner Adoleszenz möchte ich zudem Paul und Gosch danken, für’s Unterkommen, gemeinsames Philosophieren und den ganzen Spaß. Rike und Leo Schlücker, die mich quasi täglich durch die Höhen und Tiefen der Promotionsarbeit und auch sonst wo begleitet haben, um die beiden bin ich wahnsinnig froh – Danke!
1. Einleitung »Wir leben in einer Gesellschaft, welche die Jugend zugleich verherrlicht und fürchtet.« (Badiou, 2016, S. 30)
Seit vier Jahrzehnten lässt sich eine Debatte über das subjektive Verhältnis Jugendlicher zur Erwerbsarbeit verfolgen, die von der These eines absoluten Bedeutungsverlusts, einem damit einhergehenden vermeintlichen »Ende der Arbeitsgesellschaft« bis hin zur Beschreibung von Jugendgenerationen reicht, die erst in der Erwerbsarbeit zu sich selbst finden. Die Analyse und Interpretation jugendlicher Perspektiven auf die Erwerbsarbeit ist jedoch zu keinem Zeitpunkt einheitlich und die Debatte zeichnet sich auch nicht durch einen klaren, linearen Verlauf aus. Konsequent umstritten sind erstens der subjektive Bedeutungsgehalt von Erwerbsarbeit in der Identitätskonstruktion Jugendlicher: Wie wollen Jugendliche arbeiten? Welche Ansprüche an, Bezüge und Perspektiven auf Erwerbsarbeit entwickeln sie? Zweitens verhandeln Thesen und Diagnosen das Verhältnis von Adoleszenz und Gesellschaft unterschiedlich: Welche gesellschaftlichen Prozesse und Bedingungen drücken sich in jugendlichen Orientierungen aus? Wie reagiert die Erwerbssphäre auf Ansprüche der Jugendlichen an die Erwerbsarbeit? Beeinflusst die Jugend also die Erwerbssphäre (vice versa)? Während tiefgreifende empirische Analysen in dem Feld überschaubar bleiben, erfreut sich die Beantwortung der damit verbundenen Fragen großer Beliebtheit. Sowohl in wissenschaftlichen als auch in öffentlichen Debatten über das Verhältnis Jugendlicher zur Erwerbsarbeit pendeln die Interpretationen zwischen zwei geradezu adoleszent wirkenden Polen: Angst und Hoffnung. Angsterfüllt wird eine rücksichtslose, individualisierte und hilflose Jugend ausgemalt. Eine Jugend, die nicht nur aufgrund eines objektiven Mangels an Erwerbsarbeit orientierungslos herumzuirren drohe, sondern sich auch innerlich von ihr abschotte (Noelle-Neumann, 1987; Offe, 1983); eine Jugend, der nicht nur die Erwerbssphäre, sondern auch deren ArbeiterInnen zunehmend egal seien (Baethge, 1985; Heinzlmaier & Ikrath, 2013); eine Jugend, deren adoleszente Kreativität zur ökonomisierten Norm gerinne (Dravenau & Eichler, 2012; Eichler & Fischer, 2020; Honneth, 2010). Solche Perspektiven auf das Verhältnis von Adoleszenz, Gesellschaft und Erwerbsarbeit spiegeln sich geradezu manisch im alljährlich wiederkehrenden »Ende der Utopien« wider.
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In einer 180-Grad-Wende wird jene Jugend zugleich als potentielle Trägerin neuer utopischer Funken gehandelt. Sie sei es, die mit neuen Vorstellungen und Ansprüchen die tayloristische Arbeitsorganisation ins Wanken gebracht habe (Baethge, 1991; Hantsche, 1990); sie stände im Kontext eines Facharbeitermangels gestärkt dem Kapital gegenüber, könne die Vorstellung eines richtigen Lebens trotz kapitalistisch organisierter Erwerbsarbeit verwirklichen – eine »Revolution« sei heimlich, still und leise in vollem Gange (Hurrelmann & Albrecht, 2014). Ein solch utopisches Feuer findet sich insbesondere in den Beschreibungen der sogenannten Generation Y und ihrer Folgegenerationen. »Die Generation Y macht Personalchefs Angst.« (Löhr, 2013) »Damit sie sich im Job selbstverwirklichen können, kämpfen sie auf breiter Front für Arbeitsbedingungen, unter denen sie ihren Job fürs Leben gern machen.« (Hurrelmann & Albrecht, 2014, S. 46) »Eine neue Generation revolutioniert den Arbeitsmarkt. Sie wollen sich im Job nicht langweilen, ein bisschen die Welt verbessern, und das Gehalt soll auch stimmen. Die Generation Y stellt Arbeitgeber vor Herausforderungen – und kann es sich leisten.« (Stalinski, 2013) Dass es Jugendliche nicht geschafft haben, die Widersprüche von Kapital und Arbeit zu überwinden, dass sie nicht auf Augenhöhe mit dem Kapital stehen, wird sowohl im Laufe der hier vorliegenden Arbeit, aber auch bei einem schnellen Blick aus dem (oder in das) Bürofenster klar. Insgesamt gestaltet sich die Beschreibung des subjektiven Verhältnisses Jugendlicher zur Erwerbsarbeit seit jeher also inkonsistent, bisweilen sogar widersprüchlich. Jüngst löste die Vielfalt an Generationendiagnosen gar eine grundlegende Infragestellung des Generationenkonzepts in der Wissenschaftscommunity aus (M. Albert, Hurrelmann, Leven, et al., 2019; Schröder, 2018, 2019).1 Die Dichotomie von Hoffnung und Angst, Macht und Ohnmacht sowie kollektiver Selbstverwirklichung und individualisierter Egotaktik zeichnet ein schwammiges Generationenbild, bei dem zumeist im Dunklen bleibt, weshalb Jugendliche bestimmte Perspektiven auf Erwerbsarbeit einnehmen, wer eigentlich »die Jugendlichen« sein sollen und auf welchen empirischen Analysen die Generationsthesen überhaupt basieren. Es gibt demnach genügend Gründe, sich einmal genauer mit dem subjektiven Verhältnis Jugendlicher zur Erwerbsarbeit vor dem Hintergrund gegenwärtiger Bedingungen der Adoleszenz zu beschäftigen. Dabei sollte es zuvorderst darum gehen, sich diesem subjektiven Verhältnis Jugendlicher zur Erwerbsarbeit nicht nur empirisch, sondern auch theoretisch anzunähern
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Die Vielfältigkeit und Widersprüchlichkeit jener Generationendiagnosen rührt nicht zuletzt aus den unterschiedlichen Forschungsperspektiven auf die Generationenfrage (Fischer, 2021). Wenn es um die Analyse und Interpretation des Verhältnisses der sogenannten Generation Y zur Erwerbsarbeit geht, lassen sich bspw. (mindestens) vier Quellenarten bzw. Perspektiven unterscheiden: Sozialwissenschaftliche Veröffentlichungen (M. Albert et al., 2015; Brinkmann, 2020; Heinzlmaier, 2013b; Hurrelmann & Albrecht, 2014; Schröder, 2018), wirtschaftswissenschaftliche oder wirtschaftsnahe Veröffentlichungen (Bruch et al., 2010; Dahlmanns, 2014; Krause, 2015; Moskaliuk, 2016; Parment, 2013; C. E. Schmidt et al., 2011), Debatten im Feuilleton und Veröffentlichungen von Angehörigen der Generation Y selbst (Bund, 2014; Kosser, 2014).
1. Einleitung
und zu fragen, unter welchen biographischen, sozialisatorischen und gesellschaftlichen Bedingungen Jugendliche spezifische Bezugsdimensionen und Perspektiven auf die Erwerbsarbeit entwickeln. Daran knüpft sich bereits eine notwendige Differenzierung, die weiten Teilen der öffentlichen und teils auch der soziologischen Jugendund Generationendebatte abhandengekommen ist (Fischer, 2021). Die Popularität eines völlig schwammigen Generationenbegriffs, der sich gegenwärtig in den »FolgeGenerationen« der Ypsiloner (Generation Z, Generation Alpha etc.) fortzusetzen droht, über den häufig einzelne subjektive Erscheinungsformen, Bezüge oder Perspektiven auf Erwerbsarbeit ohne weitere Differenzierung gestülpt werden, führt mitunter zu eben jener Vielfältigkeit und Widersprüchlichkeit an Generationsdiagnosen (M. Albert, Hurrelmann, Leven, et al., 2019; Fischer, 2021). Es ist unbestreitbar, dass Jugendliche gegenwärtig mit Sicherheit anders aufwachsen als ihre Eltern und Großeltern, und, dass Digitalisierung, fortschreitende Prekarisierung und neoliberal ausgerichtete Jugendpolitiken durchaus »einigende« Elemente einer »Generation« im Sinne Mannheims (1964b) sind. Aber es gilt gerade im Sinne Mannheims anzuzweifeln, dass sich diese in ihrem Ausmaß, ihrer Wahrnehmung und Verarbeitung gesamtgesellschaftlich decken, und, dass daraus gleichgesinnte, konsistente Bezüge und Perspektiven auf die Erwerbsarbeit entstünden. Mannheims Generationenbegriff gründet eben nicht nur auf der Überlegung, dass es »Generationserlebnisse« bzw. »Generationszusammenhänge« gäbe, also spezifische historische Ereignisse und Bedingungen, die die Kindheit und Jugend prägen. Darüber hinaus konzipiert Mannheim die Verarbeitung jener Zusammenhänge sozial differenziert. »Dieselbe Jugend, die an derselben historisch-aktuellen Problematik orientiert ist, lebt in einem ›Generationszusammenhang‹, diejenigen Gruppen, die innerhalb desselben Generationszusammenhanges in jeweils verschiedener Weise diese Erlebnisse verarbeiten, bilden jeweils verschiedene ›Generationseinheiten‹ im Rahmen desselben Generationszusammenhanges.« (Mannheim, 1964b, S. 544) Eine entsprechende Differenzierung und Strukturierung von adoleszenten Sozialisationsbedingungen sowie von Orientierungsmustern findet in gegenwärtigen Debatten kaum statt. Ausnahmen stellen zwar Sozialstruktur- und Jugendmilieuanalysen dar (M. Albert et al., 2015, 2019; Calmbach et al., 2020; Hurrelmann & Albrecht, 2014), die eben jene sozialen Unterschiede im subjektiven Verhältnis Jugendlicher zur Erwerbsarbeit hervorheben, dabei jedoch immer wieder einzelne Ergebnisse verallgemeinernd zuspitzen und zumeist völlig die Frage außer Acht lassen, weshalb sich Jugendliche überhaupt unterschiedlich auf die Erwerbsarbeit beziehen. Ganz ohne theoretische Anknüpfungspunkte kommen viele dieser Studien jedoch nicht aus – und dies geschieht zumeist unbemerkt und wenig reflektiert (dazu: Fischer & Eichler, 2015). Denn Veröffentlichungen, die sich mit dem Verhältnis von Adoleszenz und Erwerbsarbeit auseinandersetzen, verweisen in der Regel auf Studien des Soziologischen Forschungsinstituts Göttingen (SOFI) aus den 1980er-Jahren (Baethge et al., 1983; Baethge et al., 1988) und insbesondere die daran anschließenden Veröffentlichungen von Martin Baethge (1991, 1994b). Theoriepolitisch ging es damals ebenfalls um eine Debatte um die »Jugend von heute«, genauer um die Frage, ob Erwerbsarbeit noch Teil der Identitätskonstruktion Jugendlicher in einer individualisierten Gesellschaft sei. Das
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Pendel schwang auch damals zwischen Angst und Hoffnung, wobei es Baethge und KollegInnen letztlich eher in Richtung konkreter Utopie ausschlagen ließen. Wie ein Abziehbild ähneln die damaligen empirischen Beobachtungen vielen der gegenwärtigen Thesen zur sogenannten Generation Y und ihren Nachfolgerinnen. Erwerbsarbeit habe keineswegs ihre Bedeutung in der Identitätskonstruktion Jugendlicher verloren. Im Gegenteil: Jugendliche wollten sie als identitätsstiftend erleben, sich in ihr wiedererkennen und sich darin selbstverwirklichen. In Anschluss an Habermas (1981) diskutierte Baethge (1991, S. 18) gar eine potentielle »Rache der kolonialisierten Lebenswelt«, ein Umkrempeln der Erwerbssphäre im Sinne der Jugendlichen. Der zentrale Unterschied der Studien des Göttinger SOFIs liegt in der theoretischen Einbettung und kritischen Reflexion des Phänomens. Das subjektive Verhältnis Jugendlicher und junger Erwachsener zur Erwerbsarbeit wurde sozialpsychologisch und soziologisch in das Spannungsfeld von Gesellschaft, Adoleszenz und Subjekt gestellt. Als grundlegende These galt die Annahme, dass sich ein vormals bürgerliches Privileg, ein adoleszentes Moratorium, verallgemeinert habe und sich darüber spezifische adoleszente Orientierungsmuster in zunehmender gesellschaftlicher Breite ausbilden konnten. Als theoretisches Bindeglied zwischen Moratorium und subjektivem Verhältnis zur Erwerbsarbeit griff Baethge auch auf psychoanalytisch fundierte entwicklungspsychologische Theorien zurück. Sie bieten ein begriffliches und theoretisches Instrumentarium, das seinen empirischen Gegenstand einbetten kann, das jedoch in der gegenwärtigen Jugendsoziologie abhandengekommen scheint (dazu: Eichler & Fischer, 2020). Dieses fruchtbare Verhältnis von Theorie und Empirie soll in aktualisierter Form in der vorliegenden Arbeit Anwendung finden, um das subjektive Verhältnis Jugendlicher zur Erwerbsarbeit zu analysieren.
Forschungsfrage, Aufbau und These der Arbeit Mit einem Re-Reading soziologischer und sozialpsychologischer Adoleszenztheorien und Theorien zum subjektiven Verhältnis Jugendlicher zur Erwerbsarbeit, der Reflexion gegenwärtiger adoleszenter Sozialisationsmuster sowie einer quantitativen und qualitativen empirischen Analyse nimmt sich diese Arbeit daher vor, eine Fragestellung zu klären, die sich in der Schnittstelle von Jugend- und Arbeitssoziologie befindet: Welches subjektive Verhältnis zur Erwerbsarbeit bilden Jugendliche gegenwärtig aus? In Anschluss an die Ausgangsstudie zur normativen Subjektivierungsthese von Martin Baethge und KollegInnen vom Göttinger SOFI (1988) wird das subjektive Verhältnis zur Erwerbsarbeit auch hier als handlungsrelevante Orientierung auf Erwerbsarbeit definiert, von der her Jugendliche begründen, interpretieren und planen, eine Art modus operandi, der sich in den Vorstellungen von, den Einstellungen zu und den Ansprüchen an die Erwerbssphäre ausdrückt. Analog zu Baethge und KollegInnen sollen diese Handlungsorientierungen nicht rationalistisch verkürzt werden, sondern auch Motive, Bewertungsmaßstäbe und Selbstvorstellungen berücksichtigen. Es wird also nicht alleine ein modus operandi über die konkrete Praxis bzw. deren Erzählung seitens Jugendlicher erfasst. Das dürfte im Falle des hier im Mittelpunkt stehenden Untersuchungssamples von SchülerInnen ohnehin hinsichtlich der Erwerbsarbeit eher
1. Einleitung
dürftig ausfallen. Der Fokus liegt vielmehr auf der gesamten subjektiven Strukturierung des adoleszenten Subjekts hinsichtlich der Erwerbsarbeit, auf einer tiefgreifenden Analyse seiner Bezugsdimensionen und Perspektiven auf die Erwerbssphäre. Ein einfaches Remake der Studien vom Göttinger SOFI ist nicht Ziel der vorliegenden Arbeit. Sie stellen zwar einen passenden Ausgangspunkt theoretischer Überlegungen und empirischen Analysen dar; es gilt jedoch, das subjektive Verhältnis Jugendlicher zur Erwerbsarbeit in theoretisch aktualisierter Variante zu fassen und empirisch vor dem Hintergrund gegenwärtiger Sozialisationsdynamiken zu analysieren. In einem ersten Schritt stehen hierfür theoretische Konzepte im Mittelpunkt, die sich mit dem Verhältnis von Adoleszenz und Erwerbsarbeit auseinandersetzen (Kapitel 2.1). Den Ausgangspunkt stellen die zentralen »Theorien« zum Wertewandel dar. Diese verhandeln »die Jugend« oder »die Jugendlichen« für gewöhnlich als Motor oder Katalysator eines gesamtgesellschaftlichen Werte- und Strukturwandels. In dem kurzen Überblick liegt der Fokus insbesondere auf der Frage, woher eigentliche »neue« Orientierungen kommen, warum und unter welchen Bedingungen Jugendliche bestimmte Bezugsmuster und Perspektiven auf Erwerbsarbeit entwickeln. Zudem verdeutlicht der Blick in die Wertewandeldebatte bereits, was sich gegenwärtig abermals andeutet: Während ein Autor den Wertewandel modernisierungstheoretisch interpretiert, erkennt eine andere Autorin darin den Werteverfall einer ganzen Generation. Im Mittelpunkt des theoretischen Bezugsrahmens steht die sozialpsychologische und soziologische Perspektive auf das Verhältnis von Adoleszenz und Erwerbsarbeit, die der normativen Subjektivierungsthese zugrunde liegt. Anschließend an eine Einbettung der These in den arbeitssoziologischen Diskurs der 1990er und 2000er erfolgt ein Re-Reading derselben sowie eine ausführliche Darstellung ihrer adoleszenztheoretischen Bausteine (Adoleszenztheorien von Mario Erdheim und Erik Erikson). Gefragt wird: Was ist Adoleszenz? Wie entwickeln sich spezifische Perspektiven auf Gesellschaft und Erwerbsarbeit innerhalb der Adoleszenz? Welche Strukturen wirken hierbei fördernd oder hemmend? Was können diese klassischen Theorien klären und wo liegen potentielle Leerstellen? Um Letztere zu füllen, geht es abschließend um aktuelle, insbesondere an Erdheim anschließende Theorien der Adoleszenz. Vera Kings (2013) Konzept des »adoleszenten Möglichkeitsraums« sowie Lutz Eichlers (2019, 2021; Eichler & Fischer, 2020) Überlegungen zur »adoleszenten Triangulierung« erweitern die sehr psychoanalytisch geprägte Perspektive um soziologische Kategorien und strukturbetonende Bausteine zur Analyse von adoleszenten Bezügen und Perspektiven auf Erwerbsarbeit. Allein aus der Theorie lassen sich jedoch noch keine Thesen zum gegenwärtigen subjektiven Verhältnis Jugendlicher auf die Erwerbssphäre ableiten. Zuvor gilt es, die Bedingungen jugendlicher Sozialisation herauszuarbeiten, die sich in der Theorie als relevante Einflussfaktoren präsentieren (Kapitel 2.2). Zuerst liegt der Fokus auf Baethges kaum wahrgenommenen, aber durchaus kritischen Überlegungen zu einer zunehmenden Ideologie der Subjektivität. In den späten 1990er-Jahren konstatiert er, dass die von ihm diskutierte »Rache der kolonialisierten Lebenswelt« ausbleibt und die zunehmende Rolle von Subjektivität im Arbeitsprozess und Bildungsbereich keineswegs den emanzipatorischen Ansprüchen Jugendlicher entspricht. Daran anschließend wird der Wandel dieser Ansprüche in ein Anforderungssystem seitens der Ökonomie und dessen
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Bedeutung für die Adoleszenz nachgezeichnet. Aus der normativen Subjektivierung von Arbeit, dem sinnhaft-subjektbezogenen Anspruch der Jugendlichen, ist eine arbeitsgesellschaftliche Normativität geworden. Vor dem Hintergrund zunehmender Prekarität und erschwerter Übergänge tritt diese den Jugendlichen in Form aktivierender Eigenverantwortung in Bildungsinstitutionen und Sozialpolitiken entgegen. Was sich dabei abzeichnet, eine grundlegende Unterwanderung der Sozialisationsbedingungen, auf denen die These der normativen Subjektivierung von Arbeit fußte, verdichtet sich in der Darstellung zugehöriger Debatten zur Ökonomisierung der Adoleszenz. Im Mittelpunkt steht hierbei das objektive und subjektive Eindringen der Ökonomie und ihrer Logiken in jugendliche Lebenswelten. Während folglich die Voraussetzungen des psychosozialen Moratoriums beschnitten, Möglichkeitsräume verengt und eine gelingende Triangulierung unwahrscheinlicher werden, erweisen sich diese Prozesse bei genauerem Blick als widersprüchlicher als im Diskurs gezeichnet. Dem Zwang zur eigenverantwortlichen Selbstverwirklichung und dem Eindringen ökonomischer Logiken in jugendliche Lebenswelten stehen eine mindestens vordergründige Anerkennung der Subjektivität in der Arbeitswelt, im Durchschnitt längere Bildungszeiten und demokratisierte Erziehungsstile gegenüber. Die These der vorliegenden Studie besteht darin, dass sich diese Widersprüche der Adoleszenz im subjektiven Verhältnis Jugendlicher zur Erwerbsarbeit niederschlagen. Während sich mit Nachdruck andeutet, dass ein einfaches Fortführen der normativen Subjektivierungsthese unter den diskutierten Bedingungen der Adoleszenz nicht haltbar ist, bleibt der Outcome der widersprüchlichen Sozialisationsdynamiken vorerst offen. Ihn gilt es, empirisch herauszuarbeiten. Der Forschungsstand zum subjektiven Verhältnis Jugendlicher zur Erwerbsarbeit erweist sich aufgrund der thematischen Schnittstelle zwischen Jugend- und Arbeitssoziologie, Sozialstrukturanalysen, Wirtschaftswissenschaften und Psychologie als breit gefächert (Kapitel 2.3). Zuerst steht daher die Empirie im Mittelpunkt, die sich explizit auf die Studien von Baethge und KollegInnen bezieht. Anschließend werden Jugendgenerationen- und Jugendmilieustudien betrachtet, die seit den 2010er-Jahren ein auffälliges Interesse an Bezügen und Perspektiven Jugendlicher auf die Erwerbsarbeit gewonnen haben, nicht zuletzt anlässlich der Debatten um die sogenannte Generation Y. Passend zum theoretischen Konzept der vorliegenden Studie kristallisiert sich im Forschungsstand heraus, dass eine Verallgemeinerung »der Jugend« kaum weiterhilft. Sozialstrukturelle, geschlechts- und insbesondere schulspezifische Einflussfaktoren wirken sich deutlich auf das subjektive Verhältnis Jugendlicher zur Erwerbsarbeit aus. An diese Erkenntnisse anschließend sowie im Sinne des eigenen empirischen Vorhabens der vorliegenden Arbeit werden zuletzt Studien der Berufsorientierungs- und Berufswahlforschung herangezogen, die das subjektive Verhältnis von Haupt-/MittelschülerInnen und GymnasiastInnen zur Erwerbsarbeit analysieren. Die einzelnen Kapitel des Forschungsstands werden jeweils ergänzt über alternative theoretische Perspektiven auf den Forschungsgegenstand. Während bereits in der Darstellung gegenwärtiger Sozialisationsbedingungen Jürgen Zinneckers Konzept des Bildungsmoratoriums besprochen wird, geht es hier um praxeologische Überlegungen, Identitätstheorien und zentrale Theorien der Berufswahl.
1. Einleitung
Die empirische Analyse des subjektiven Verhältnisses Jugendlicher zur Erwerbsarbeit bildet das Herzstück der vorliegenden Arbeit. Gerade aufgrund der begrifflichen Unschärfe und teils willkürlichen Differenzierung jugendlicher Bezüge und Perspektiven auf die Erwerbsarbeit in der sozialwissenschaftlichen Forschungslandschaft steht jener Analyse eine theoretische und konzeptionelle Reflexion des Gegenstands voran (Kapitel 3.1). Während die Literatur hinsichtlich der Anzahl an Bezugsdimensionen und darauf aufbauender Perspektiven Jugendlicher auf die Erwerbsarbeit schwankt, arbeitet die vorliegende Studie die Tragfähigkeit und sozialtheoretische Anschlussfähigkeit einer Dreiteilung heraus: Unterschieden werden eine sinnhaft-subjektbezogene, materiellreproduktionsbezogene und soziale Perspektive. Diese Dreiteilung kommt im Mixed-Methods-Design der vorliegenden Studie in mehrfacher Hinsicht zum Tragen. Dabei wird entgegen der üblicherweise gewählten Methodenabfolge (Qualitative Analysen zur Thesengenerierung und anschließende quantitative Überprüfung) zuerst eine deskriptiv- und explorativ-orientierte quantitative Analyse des subjektiven Verhältnisses Jugendlicher zur Erwerbsarbeit vorgenommen (Kapitel 3.2). In einem ersten Schritt werden anhand der Allgemeinen Bevölkerungsumfrage der Sozialwissenschaften (ALLBUS 1982-2016) Bezüge und Perspektiven auf die Erwerbsarbeit sowie deren Einflussfaktoren aus einer historischen und alterskohortenvergleichenden Perspektive analysiert. Im Mittelpunkt der vorliegenden Studie stehen jedoch Jugendliche, die den Übergang in die Erwerbssphäre noch nicht vollzogen haben und im ALLBUS nicht ausreichend erfasst sind. In einem zweiten Schritt erfolgt daher eine Feinanalyse von Perspektiven Jugendlicher auf die Erwerbsarbeit anhand von Daten des Nationalen Bildungspanels (NEPS, SC3, Welle 4 & 5). Ausgehend von den zentralen Erkenntnissen der quantitativen Analysen, aufbauend auf dem Forschungsstand und anschließend an die theoretische Konzeption erfolgt schließlich eine qualitative Analyse des subjektiven Verhältnisses Jugendlicher zur Erwerbsarbeit (Kapitel 3.3). Diese stützt sich auf die Interpretation narrativ fundierter, leitfadengestützter Interviews mit fünfzehn MittelschülerInnen und GymnasiastInnen aus Bayern. Als Auswertungsmethode dient in der vorliegenden Studie eine zum Material stimmige Adaption der Dokumentarischen Methode nach Nohl (2017). Die qualitative Analyse legt ihren Fokus zuerst auf die Rekonstruktion von Bezugsdimensionen und sich daraus konstituierender Perspektiven Jugendlicher auf die Erwerbsarbeit. Darüber hinaus geht sie der Frage nach, ob und wie sich gegenwärtige Bedingungen jugendlicher Sozialisation im subjektiven Verhältnis der Jugendlichen zur Erwerbsarbeit ausdrücken. Bei den rekonstruierten Bezugsdimensionen und Perspektiven zeigt sich eine deutliche Nähe zu quantitativen Erhebungsinstrumenten sowie eine Passförmigkeit zu den hier vorgenommenen konzeptionellen und theoretischen Reflexionen des subjektiven Verhältnisses Jugendlicher zur Erwerbsarbeit. Das für die vorliegende Studie zentrale Ergebnis ist jedoch die Erkenntnis, dass diese Perspektiven keine stimmigen Arbeitsorientierungen oder Typen darstellen. Sie und ihre Bezugsdimensionen erweisen sich vielmehr als wechselseitig verschränkt, vielschichtig und bisweilen widersprüchlich ins subjektive Verhältnis der Jugendlichen zur Erwerbsarbeit integriert. Diese Vielschichtigkeit und Widersprüchlichkeit steht in engem Zusammenhang zu den zuvor heraus-
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gearbeiteten Bedingungen jugendlicher Sozialisation und im Zentrum der empirischen Darstellungen. Abschließend erfolgt eine Reflexion der Ergebnisse und des Forschungsprozesses (Kapitel 4). Dabei werden erstens relevante empirische Erkenntnisse besprochen, die in der gewählten Darstellungsform untergegangen sind. Zweitens geht es darüber hinaus um deren Erkenntnisgewinn für adoleszenztheoretische Konzeptionen des subjektiven Verhältnisses zur Erwerbsarbeit sowie für die Debatte um die stetig aufgerufene »Jugend von heute«.
2. Adoleszenz und Erwerbsarbeit
Das folgende Kapitel dient der theoretischen Annäherung an das subjektive Verhältnis Jugendlicher zur Erwerbsarbeit vor dem Hintergrund gegenwärtiger Prozesse jugendlicher Sozialisation. Hierfür wird ein Dreischritt vorgenommen: Die theoretische Grundlage der vorliegenden Studie steht im ersten Teilkapitel 2.1 im Mittelpunkt. Das Zentrum dieses Teilkapitels stellt eine These dar, die zwar ein wenig in die Jahre gekommen scheint, mit ihrer Anknüpfung an klassische Adoleszenztheorien jedoch eine spannende und ertragreiche Verbindung von soziologischen und psychologischen Dimensionen erlaubt. Da diese These jedoch Vorläuferinnen hat, liegt der Fokus zuerst auf der Rolle der Jugend in der Wertewandeldebatte sowie zugehörigen theoretischen Annahmen (Kapitel 2.1.1). Dann steht jene normative Subjektivierungsthese von Martin Baethge und einem Forschungsteam des Göttinger SOFIs im Mittelpunkt (Kapitel 2.1.2). Dabei geht es grundlegend um die empirische Erkenntnis, dass in den späten 1980er- und frühen 1990er-Jahren sinnhaft-subjektbezogene Ansprüche unter Jugendlichen und jungen Erwachsenen deutlich zugenommen haben; insbesondere wird jedoch deren adoleszenztheoretische Fundierung feingliedrig dargestellt. Daran anschließend werden in Teilkapitel 2.1.3 weiterführende, jüngere adoleszenztheoretische Ansätze präsentiert, die der Analyse des subjektiven Verhältnisses Jugendlicher zur Erwerbsarbeit dienen. Nicht nur die Theorienlandschaft, sondern auch gesellschaftliche Bedingungen haben sich seit der normativen Subjektivierungsthese gewandelt. Das Teilkapitel 2.2 setzt daher an der These an und zeichnet zunächst nach, dass Baethge selbst die Risiken des Bedeutungsgewinns von Subjektivität in der Erwerbsarbeit und jugendlichen Bildungsprogrammen früh erkannte (Kapitel 2.2.1). Der »paradoxale Umschlag« sinnhaftsubjektbezogener Ansprüche Jugendlicher an die Erwerbssphäre in einen Anspruch der Erwerbssphäre an Jugendliche, den Baethge antizipierte, steht daraufhin im Mittelpunkt. Zur Aufarbeitung dieses Umschlags dienen insbesondere individualisierungstheoretische Überlegungen Axel Honneths (Kapitel 2.2.2). Was sich dabei abzeichnet, ist eine grundlegende Unterwanderung der Sozialisationsbedingungen, auf denen Baethges These der normativen Subjektivierung von Arbeit fußte. Während hier die Adoleszenz geradezu idealtypisch als Schonraum vor dem Ernst des Lebens beschrieben wird, stehen gegenwärtig vielmehr Ökonomisierungsprozesse jugendlicher Sozialisation zur Diskussion (Kapitel 2.2.3). Dass es jedoch nicht ganz so einfach ist, die Ado-
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Adoleszenz und Arbeit
leszenz – trotz deutlicher Anzeichen – nicht einfach einer Negativspirale ausgesetzt ist, veranschaulicht Kapitel 2.2.4. Hier werden Widersprüche gegenwärtiger Sozialisationsdynamiken herausgearbeitet und daran anknüpfende, adoleszenztheoretisch fundierte Thesen zum gegenwärtigen subjektiven Verhältnis Jugendlicher zur Erwerbsarbeit entwickelt. Das letzte Teilkapitel dient der Aufarbeitung des Forschungsstands (Kapitel 2.3). In einem ersten Schritt erfolgt eine Aufarbeitung empirischer Studien in Anschluss an Baethges These der normativen Subjektivierungsthese (Kapitel 2.3.1). Während hierbei insbesondere der Wandel von Berufswerten und daraus abgeleiteten Arbeitsorientierungen sowie quantitative Einflussfaktoren im Mittelpunkt stehen, bleibt die »Jugend« meist unterbeleuchtet – sowohl als sozialisatorischer Ursprung des subjektiven Verhältnisses zur Erwerbsarbeit als auch in der empirischen Analyse selbst. In einem zweiten Schritt liegt der Fokus daher auf aktuellen Jugendmilieu- und Generationsstudien (Kapitel 2.3.2). Die Shell-Studien und die SINUS-Jugendstudien stehen zwar für ihre Methoden, überspitzte Verallgemeinerungen und Intransparenz vielfach in Kritik und bleiben tatsächlich in vielerlei Hinsicht empirisch fragwürdig; beide zeigen jedoch auf, dass sich die Qualität bzw. Form der Adoleszenz sowie damit verknüpfte Perspektiven und Bezugsdimensionen auf die Erwerbsarbeit sozialstrukturell unterscheiden. Daran anschließend und insbesondere mit Blick auf die qualitative Empirie, in der MittelschülerInnen und GymnasiastInnen im Mittelpunkt stehen, geht es um Studien zu eben jenem schulischen Kontext (Kapitel 2.3.3). Ergänzend und anschließend an die hier zentrale adoleszenztheoretische Herangehensweise, werden in den Teilkapiteln des Forschungsstands weitere, in der Empirie häufig anzutreffende theoretische Anknüpfungspunkte skizziert.
2.1 2.2.1
Adoleszenz, Identität und das subjektive Verhältnis zur Erwerbsarbeit Die Jugend in Theorien zum Wertewandel
So sehr sie sich in ihrer innertheoretischen Konzeption und ihrer Expertise unterscheiden, verhandeln die meisten sozialwissenschaftlichen Modelle des Wertewandels die Jugend als Motor oder Katalysator eines gesamtgesellschaftlichen Wandels. Grundlegend lassen sich in der Debatte, die in den 1970er- und 1980er-Jahren und somit im Vorfeld der normativen Subjektivierungsthese stattfand, drei Expertisen zur Rolle der Jugend im Wertewandel unterscheiden. Dabei handelt es sich um zwei Extrempositionen und deren Mittelweg. Als geradezu messianische Heilsbringerin verhandelt Ronald Inglehart die Jugend in seiner Postmaterialismusthese. Die wohl bekannteste Wertewandeltheorie – sie hat es in Deutschland sogar in die gymnasialen Curricula geschafft – postuliert einen Wandel von materialistischen Werten und Bedürfnissen (Ordnung, Konformismus, Sicherheitsdenken usw.) hin zum Postmaterialismus (Selbstverwirklichung, Ästhetik, Meinungsfreiheit usw.) (Inglehart, 1977). Die Unterscheidung »Materialismus – Postmaterialismus« entspricht nicht nur der Trennung alter und neuer, konservativer und progressiver oder erwachsener und jugendlicher Werte; mit der Klassifikation geht viel-
2. Adoleszenz und Erwerbsarbeit
mehr auch eine Wertung Ingleharts einher. So schätzt er den Bedeutungsgewinn postmaterialistischer Werte modernisierungstheoretisch als linearen Fortschritt im Sinne des Übergangs in ein qualitativ höheres Entwicklungsniveau der Gesellschaft ein (Inglehart, 1989, 1998). Wie die »heimlichen Revolutionäre« der Generation Y (M. Albert et al., 2015; Hurrelmann & Albrecht, 2014) beschreibt er bereits in den 1970er-Jahren eine »silent revolution« der gesellschaftlichen Zustände (Inglehart, 1977). Diese Revolution und der von Inglehart empirisch identifizierte »Wertewandel« sind damals wie heute genauso wie deren Übertragung auf alle möglichen westlichen Gesellschaften zwar stark umstritten (Oesterdiekhoff, 2001; Thome, 1985; Weinhardt, 2016, S. 62-63); nichtsdestotrotz greift er im Gegensatz zu anderen Wertewandeltheorien zumindest auf ein theoretisches Gerüst zurück, um die Werte der Jugendlichen in ein Verhältnis zu gesellschaftlichen Bedingungen zu setzen. Um Ingleharts Überzeugung, dass die Jugendlichen ein revolutionäres Subjekt darstellten, zu verstehen, benötigt es also einen Blick in seine Theoriebildung. Hier sind zwei einander ergänzende »Hypothesen« zentral, die mehr oder weniger auf der gleichen Theorie fußen: Die Mangelhypothese nach Maslow und eine Sozialisationshypothese in Anschluss an jene Mangelhypothese. Die grundlegende Konstitution von Werten erfolgt demnach entsprechend der Maslowschen Bedürfnishierarchie (Maslow, 2010). Das Modell beschreibt die Entwicklung menschlicher Bedürfnisse und daraus resultierender Motivationen der Bedürfnisbefriedigung entlang einer fünfstufigen, hierarchisch gegliederten Abfolge an anthropologisch-fundierten Bedürfnissen (sogenannten basic needs): Physiologische Bedürfnisse, Sicherheitsbedürfnisse, Soziale Bedürfnisse, Individualbedürfnisse und Selbstverwirklichung. Maslow beantwortet die Frage, wann der Mensch nach der Befriedigung eines solchen Bedürfnisses strebe, mit einer bestechend einfachen Logik: »Human needs arrange themselves in hierarchies of prepotency. That is to say, the appearance of one need usually rests on the prior satisfaction of another, more pre-potent need. Man is a perpetually wanting animal. Also no need or drive can be treated as if it were isolated or discrete; every drive is related to the state of satisfaction or dissatisfaction of other drives.« (Maslow, 1943, S. 370) Ist ein Bedürfnis befriedigt, stelle sich quasi-automatisch/-animalisch das nächsthöhere Bedürfnis ein und somit auch die Motivation, dieses zu erfüllen.1 Auf Grundlage dieses Modells leitet Inglehart nun seine zentrale »Mangelhypothese« für den Bereich individueller Werte ab. Welche Werte eine Person entwickelt, hinge demnach von ihrer subjektiv wahrgenommenen Bedürfnisbefriedigung ab, die wiederum maßgeblich über ihr sozio-ökonomisches Umfeld bestimmt sei. »Die Prioritäten eines Menschen reflektieren sein sozio-ökonomisches Umfeld: Den größten subjektiven Wert mißt man den Dingen zu, die relativ knapp sind.« (Inglehart, 1989, S. 92)
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Das Modell wurde von Maslow (1971) erweitert und gestaltet sich deutlich komplizierter als dargestellt. Von einer Ausarbeitung der Theorie wird hier jedoch abgesehen, da sie im Rahmen der Postmaterialismus-These nicht gewinnbringend wäre.
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Adoleszenz und Arbeit
Inglehart sieht westliche Gesellschaften im Groben und Ganzen auf höherem Level (»people are safe and they have enough to eat« (Inglehart, 1977, S. 22)) und schlussfolgert daraus: »Western publics have for a number of years experienced exceptionally high levels of economic and physical security. Consequently, they have begun to give increasing emphasis to other types of needs.« (Inglehart, 1977, S. 22; Hervorhebung im Original) Gemeint sind postmaterial needs, die sich aufgrund der verbesserten Lebensbedingungen in den 1970er-Jahren einstellten. Wenn Hunger und Sicherheit erst einmal gestillt sind, so strebten die Menschen nach Anerkennung, Liebe und Selbstverwirklichung. Wirtschaftlicher Aufschwung fördere postmaterialistische, wirtschaftlicher Niedergang materialistische Wertemuster. Aus krisentheoretischer Perspektive ergebe sich dann eine gesamtgesellschaftliche Achterbahnfahrt der Werte – und die findet Inglehart in seinen empirischen Studien nicht. Was er jedoch findet, sind massive Unterschiede innerhalb westlicher Bevölkerungen, insbesondere hinsichtlich des Alters. Wertorientierungen ergeben sich offensichtlich nicht unmittelbar aus der sozioökonomischen Lage. Die Gegenüberstellung materialistischer und postmaterialistischer Werte war auch immer eine Gegenüberstellung von alt und jung. Daher stellt Inglehart der Mangelhypothese eine »Sozialisationshypothese« zur Seite. Diese hätte er ebenso als Adoleszenzthese bezeichnen können: »Wertprioritäten ergeben sich nicht unmittelbar aus dem sozio-ökonomischen Umfeld. Vielmehr kommt es zu einer erheblichen Zeitverschiebung, denn die grundlegenden Wertvorstellungen eines Menschen spiegeln weithin die Bedingungen wider, die in seiner Jugendzeit vorherrschend waren.« (Inglehart, 1989, S. 92) Wenn ältere Menschen also ihre Jugend in Zeiten von Hungersnot und Krieg verbringen, würden sie ihr Denken und Handeln auch später an entsprechenden Bedürfnissen orientieren, selbst wenn diese objektiv gestillt wären, »denn die Werte reflektieren das subjektive Empfinden an Sicherheit und nicht die objektive wirtschaftliche Situation« (Inglehart, 1989, S. 93; Hervorhebung im Original). Ohne ein ausgereiftes theoretisches Modell der Adoleszenz vorzulegen, das über ein ökonomisches Modell des Grenznutzens hinausginge,2 interpretiert Inglehart die sozio-ökonomische Ausgestaltung der Jugendphase bzw. die »Sozialisation der Jugend« (1989, S. 93) als zentrales Element einer spezifischen auf Dauer angelegten Werthaltung und damit als ganz zentral in Hinsicht auf die gesellschaftliche Entwicklung. Die Annahme der Nachhaltigkeit (scheinbar identischer) adoleszenter Werthaltungen sagt eine zukünftige Ablösung der Werte der älteren Generation voraus. Inglehart legt eine These vor, die bereits Aspekte späterer Theorien zum subjektiven Verhältnis Jugendlicher zur Erwerbsarbeit beinhaltet. Die Adoleszenz wird als eigenständige Phase mit größter Bedeutung für die Ausbildung stabiler Werthaltungen kon-
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So beschreibt Inglehart die Maslowsche Bedürfnishierarchie als ein »Gesetz vom abnehmenden Grenznutzen in der Volkswirtschaftslehre« (Inglehart, 1989, S. 92) und schreibt dementsprechend an anderer Stelle: »People have a variety of needs and tend to give an high priority to those which are in short supply« (Inglehart, 1977, S. 23).
2. Adoleszenz und Erwerbsarbeit
zipiert. Das Modell nimmt generationsspezifische Sozialisationsmuster ernst und begreift sozioökonomische Sicherheit als wichtige Voraussetzung postmaterialistischer Orientierungen. Und: Inglehart (1977, S. 53-57) integriert vereinzelt auch Berufswerte in seine international angelegten Analysen und Thesen zum zunehmenden Postmaterialismus in westlich-modernen Gesellschaften. »In each country, Materialist respondents are relatively likely to choose ›A good salary‹ and ›A safe job,‹ while the Post-Materialists tend to choose ›Working with people you like‹ and ›A feeling of accomplishment.‹ In the nine nations as a whole, the Post-Materialists are more than twice as likely to choose the two latter items as are the Materialists.« (Inglehart, 1977, S. 55) Die physische und ökonomische Sicherheit Jugendlicher nehme zu, postmaterialistische Wertemuster verbreiteten sich und entsprechend gewinnt eine sinnhaft-subjektbezogene Perspektive auf die Erwerbsarbeit an Bedeutung (Spaß, Eigeninteresse und Selbstverwirklichung). Während sich die Empirie zu Ingleharts PostmaterialismusThese mit verschiedenen Studien zu jugendlichen Arbeitsorientierungen deckt (Baethge et al., 1988; Fischer & Eichler, 2015; Zoll et al., 1989), bleibt sie theoretisch letztlich unterkomplex. Die »Eleganz der Einfachheit« (Weinhardt, 2016, S. 63) von Mangel- und Sozialisationshypothese stellt ein massives Problem dar. Sie erklären kaum, was sie empirisch (teils) gut beschreiben (Thome, 2005), wirken eher als ein notwendiges Beiwerk, das quantitativen Studien als must have vorangestellt wird. Die Maslowsche Bedürfnispyramide, das zweidimensionale Wertekonzept und die Annahme langfristiger Stabilität von Werthaltungen werden dem Gegenstand nicht gerecht (Six, 1985). Fast zeitgleich, jedoch absolut konträr zu Ingleharts modernisierungstheoretischer Interpretation postmaterialistischer Wertemuster kam die These eines gesellschaftlichen Werteverfalls auf, der (spätestens) mit der 68er-Bewegung die deutsche Gesellschaft bedrohe. Die Arbeiten Elisabeth Noelle-Neumanns, Begründerin des Allensbacher Instituts für Demoskopie und eine der bedeutendsten deutschen MeinungsforscherInnen nach dem zweiten Weltkrieg, zeichnen sich durch eine kulturpessimistische Diagnose des gesellschaftlichen Wertewandels aus. Grundlegend knüpft sie an die empirischen Beobachtungen Ingleharts an, konzentriert sich jedoch in ihrer Interpretation nicht auf das Auftreten postmaterialistischer Werte, sondern auf das damit verbundene Verschwinden von tradierten deutsch-bürgerlichen Tugenden, insbesondere der deutschen Arbeitsmoral unter Jugendlichen (Noelle-Neumann, 1975; Noelle-Neumann & Köcher, 1987). Dies identifiziert sie u.a. im steigenden Anteil der Jugendlichen und jungen Erwachsenen, der seit den 1950er-Jahren »(d)ie Stunden, wenn ich nicht arbeite« mehr genießt als »(d)ie Stunden während der Arbeit« (1962 bis 1986 steigt der Anteil um 15 Prozentpunkte; Noelle-Neumann, 1987, S. 42). Die Ursachen des Wertewandels, warum sich also die Jugendlichen von der Erwerbsarbeit abwendeten, ihr Pflichtbewusstsein und auch den Stolz auf die deutsche Nation ablegten, diskutiert Noelle-Neumann kulturpessimistisch. »Der Wertewandel, zumindest seine besonders starke Ausprägung in Deutschland, lässt sich kaum verstehen, ohne eine politische Dimension zu berücksichtigen – die Rolle Theodor Adornos. Es war die feste Überzeugung Adornos – die er in der ›Frank-
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Adoleszenz und Arbeit
furter Schule‹ philosophisch verankerte und mit deren Geist die 68er Studentengeneration inspiriert wurde –, dass die Weitergabe von Wertvorstellungen von den Eltern an die Kinder in Deutschland unterbrochen werden müsste. […] Aus dieser Grundüberzeugung heraus glaubte Adorno, dass sich die Kinder-Generation von der ElternGeneration absetzen, dass sie von ihr – auch durch Schule und Medien angehalten – abgetrennt werden müsste, weil dadurch, und nur dadurch, die Übertragung von Werten von Eltern auf ihre Kinder gelockert werden könnte.« (Noelle-Neumann & Petersen, 2001, S. 17; Hervorhebung im Original) Die Passage lässt den Geist der unaufgearbeiteten Vergangenheit und starken ideologischen Kontinuität der rechtskonservativen Eliten bis weit in die siebziger Jahre erahnen. Postmaterialistische Werte galten ihnen als von Linksintellektuellen propagierte, deutsche Tugenden und Familien zerstörendes Unheil. Dennoch: Noelle-Neumann berücksichtigt zentrale Elemente jugendlicher Sozialisation und psychosozialer Entwicklung (King, 2013), die in Ingleharts Wertewandelthese nicht auftauchen. Der Einfluss der Elterngeneration, Ablösungsprozesse sowie darauf einwirkende gesellschaftlichen Bedingungen, Medien und Institutionen. Zudem darf trotz der politisch motivierten Irrationalität nicht übersehen werden, dass Noelle-Neumann empirische Ergebnisse vorlegt, die neben der umfangreichen quantitativen Empirie Ingleharts durchaus Bestand haben. Die Eindeutigkeit der kulturpessimistischen Interpretation des jugendlichen Verhältnisses zur Erwerbsarbeit ist demnach genauso fragwürdig wie die rein modernisierungstheoretische Variante Ingleharts. Es stellt sich die Frage nach der Verallgemeinerbarkeit sowie nach der sozialen Einheitlichkeit beider Ergebnisse, Thesen und Werte. Eine notwendige Erweiterung ist daher der strukturfunktionalistische Beitrag von Helmut Klages (1984) zur Wertewandeltheorie. Neben Inglehart und Noelle-Neumann stellt er in dieser Debatte eine zentrale Größe dar (Pöge, 2017). Im Mittelpunkt steht hier die Idee einer »Wertesynthese«: unterschiedliche Präferenzen, Werte und Orientierungen stehen nicht zwangsweise in isolierter Opposition zueinander, sondern existieren gleichzeitig und sind individuell in unterschiedlichen sozialen Situationen durchaus widersprüchlich. Eine bipolare Werterangordnung, wie sie Noelle-Neumann entwirft, oder ein hierarchisches Wertekonzept, wie es Inglehart in Anschluss an Maslow konzipiert, seien daher durch verschiedene Wertetypen zu ersetzen (Klages & Gensicke, 2006). Die »Wertesynthese«, die Kombination von Wertorientierungen sowie deren Zusammenfassung zu »Wertetypen«, die im Zeitverlauf wandelbar sind, sind vielfach diskutiert und gewürdigt worden, erweisen sich als empirisch ertragreich und werden auch heute noch in Sozialstrukturanalysen berücksichtigt (M. Albert, Hurrelmann & Quenzel, 2019; Pöge, 2017, S. 11-15). Während Klages konzeptionell von Noelle-Neumann und Inglehart abweicht, deutlich weniger modernisierungstheoretisch, kulturpessimistisch oder rigide interpretiert, stimmt er dennoch empirisch inhaltlich mit beiden überein. So knüpft er an die These einer zunehmenden Selbstentfaltungsorientierung unter Jugendlichen an und untermauert diese mehrfach auch empirisch (Klages, 1984; Klages et al., 1992). Abweichend von Inglehart und Noelle-Neumann ist jedoch seine Erkenntnis, dass subjektbezogene Werte zwar besonders stark unter Jugendlichen vertreten sind, jedoch über alle Alterskohorten hinweg steigen (Klages & Gensicke, 1994, S. 678). Die
2. Adoleszenz und Erwerbsarbeit
Ursachenforschung für den Wertewandel und die Zugehörigkeit zu einem Wertetypus verläuft wertfrei quantitativ – es werden Korrelationen betrachtet. Dabei zeigt sich ein Zusammenhang von Alter sowie räumlicher und sozialer Herkunft mit Werten (je jünger/städtischer/höher die soziale Herkunft, desto wahrscheinlicher sind subjektbezogene Werte). Die Speyerer Werteforschung, der auch Klages angehört, geht jedoch davon aus, dass die Bedeutung von »Handlungsfeldern« und deren Möglichkeiten spezifischer Wertrealisierungen entscheidender sind als soziodemographische Faktoren (Klages & Gensicke, 1994, S. 691-693). Das stets gegebene Spannungsfeld von Pflicht- und Akzeptanzwerten und Selbstentfaltungswerten innerhalb von Familie, Peerbeziehungen, Bildungsinstitutionen und eben auch der Erwerbsarbeit tendierte immer mehr zu Freiräumen und Realisierungsmöglichkeiten zur Selbstentfaltung. Neue Freiheiten ermöglichten neue Werte. Grundthesen der drei zentralen Theorien des Wertewandels werden auch im Laufe der folgenden Studie immer wieder implizit aufscheinen. Annahmen zur Adoleszenzspezifik von Werten, zu sozioökonomischen, generationalen, familialen, institutionellen und gesellschaftlichen Bedingungen sowie die Vielfältigkeit und Widersprüchlichkeit von Orientierungen nehmen auch in den adoleszenztheoretischen Annahmen zum subjektiven Verhältnis Jugendlicher zur Erwerbsarbeit eine wichtige Rolle ein. Sie werden jedoch zusätzlich entwicklungspsychologisch und soziologisch gerahmt. Ausgangspunkt der hier relevanten Adoleszenztheorien ist eine arbeitssoziologische These, die inhaltlich an die Wertewandeldebatte anschließt, sich jedoch dezidiert von deren Theorien und Modellen abgrenzt.
2.1.2
Die normative Subjektivierung von Arbeit
Unabhängig von Interpretationsdifferenzen stimmt die Wertewandeldebatte der 1970er und frühen 1980er darin überein, dass in weiten Teilen der Gesellschaft das Streben nach Sinnhaftigkeit, Individualität und Selbstverwirklichung zugenommen habe. Als Ausgangspunkt oder Katalysator dieses Wandlungsprozesses wird zumeist »die Jugend« verhandelt, deren Orientierung Ausdruck eines spezifischen Sozialisationsmusters zu einem bestimmten historischen Zeitpunkt gewesen sei. Das Verhältnis Jugendlicher zur Erwerbsarbeit allerdings, ob und wie Jugendliche einmal erwerbstätig sein wollen, welche Rolle Erwerbsarbeit in ihren Identitätskonstruktionen einnimmt, ist in der Wertewandeldebatte äußerst umstritten. Gerade in Anschluss an Noelle-Neumanns Interpretation, aber auch als Missverständnis von Ingleharts Postmaterialismus-These wurde nicht nur von konservativer, sondern auch von liberaler Seite häufig die These vertreten, die kommende Jugendgeneration distanziere sich im Zuge des Wertewandels und aufgrund wirtschaftlicher Krisen innerlich von der Erwerbssphäre. Ihr würde das Leistungsethos abgehen und in jugendlichen Identitätsentwürfen sei Erwerbsarbeit nur noch das elterliche Gegenüber, dem man nicht folgen wolle (Matthes, 1983; Noelle-Neumann & Köcher, 1987). Dieser Annahme widerspricht ein Forschungsteam des Soziologischen Forschungsinstituts Göttingen (SOFI) bereits in den 1980er-Jahren vehement. Ihre Studie »Jugend: Arbeit und Identität« leiten Baethge und KollegInnen mit deutlichen Worten ein:
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Adoleszenz und Arbeit
»Anders als die Demoskopie und landläufige Meinung uns lange Zeit glauben machen wollten, hat die Jugend die Erwerbsarbeit innerlich nicht abgeschrieben. […] Wenn wir auf Basis mehrjähriger empirischer Forschung dem kulturkritischen Trend, eine ganze Generation in ihrem Verhältnis zur Arbeit krankzuschreiben, nicht folgen, so bedeutet das nicht, die traditionelle Arbeitsmoral zu bestätigen und für in Ordnung zu erklären. Denn tatsächlich hat sich vieles zwischen der Jugend und der Arbeit verändert, was uns neue Probleme aufgibt.« (Baethge et al., 1988, S. 5) Interessanterweise finden sich die grundlegenden Annahmen und empirischen Erkenntnisse der Studie in gegenwärtigen Generationendebatten wieder. »Die Jugend« ist auch hier der Motor eines neuen Verhältnisses zur und einer Neustrukturierung der Erwerbssphäre; sie stellt ebenfalls das Kapital vor Herausforderungen und dieses ist ebenfalls gezwungen, klein beigeben. Im Gegensatz zur Generation Y-Debatte verfügt jedoch Martin Baethges These der normativen Subjektivierung von Arbeit über einen tragfähigeren theoretischen Rahmen und über ein stabileres empirisches Fundament (theoretische Vorarbeiten: 1985/1986, empirisches Fundament: Baethge et al., 1983; Baethge et al., 1988, These: Frühversion 1990, meist zitiert 1991, komprimiert 1994b). »Die Jugend von heute« wird hier nicht einfach zur kollektiven Trägerin emanzipatorischer und antiautoritärer Einstellungen per se stilisiert oder anthropologisiert. Vielmehr geht es um ein Verständnis von Adoleszenz als ein Potential, das eine sinnhaftsubjektbezogene Perspektive, Widerstand und emanzipatorische Ansprüche gegenüber der Erwerbssphäre birgt. Dass sich jenes Potential im Individuum entfaltet, setzt spezifische Möglichkeitsräume voraus, die historisch, sozial und kulturell ungleich verteilt sind. Im Folgenden stehen die jugend- und arbeitssoziologische Einbettung der These, ihre zentralen Aussagen und grundlegende Annahmen, ihre gegenwärtige Tragfähigkeit und theoretische Anschlussmöglichkeiten im Mittelpunkt.
Die doppelte Subjektivierung von Arbeit In den frühen 1990er-Jahren konstatiert die deutschsprachige Arbeits- und Industriesoziologie eine sogenannte Subjektivierung von Arbeit (Kleemann et al., 2003; Kleemann, 2012). Die Subjektivität der ArbeiterInnen, so die Annahme, stelle nunmehr keine im Arbeitsprozess zu unterdrückende Größe dar. Ganz im Gegenteil strukturierte das Kapital die Arbeitsorganisation und die Forderung an die ArbeiterInnen dahingehend um, Subjektivität verstärkt in den Arbeitsprozess einzubringen. Selbstverwirklichung in der Erwerbsarbeit schien angesichts der Anerkennung des Arbeitssubjekts in seiner Individualität in greifbarer Nähe. Doch auch Tischtennisplatten und Bällchenbad im Büro oder andere kreative Konzepte post-fordistischer Arbeitsorganisation täuschten die Arbeitssoziologie nicht allzu lange darüber hinweg, dass es in der subjektivierten Erwerbsarbeit nicht um die Bedürfnisse des Subjekts, sondern um verwertbare Subjektivität geht. Der Fokus der Studien zur Subjektivierung von Arbeit liegt entsprechend hauptsächlich auf der Rolle von Subjektivität im Arbeitsprozess, der gesellschaftlichen
2. Adoleszenz und Erwerbsarbeit
Konstitution von Subjektivität sowie konkreten Verwertungsprozessen (zur Übersicht: Kleemann, 2012; Kleemann & Voß, 2010).3 Der Subjektivierung von Arbeit wird diese Perspektive jedoch nur teilweise gerecht. So definieren Kleemann, Matuschek und Voß (2003, 62) in ihrem Grundlagenartikel den Subjektivierungsprozess als eine »Intensivierung von ›individuellen‹, d.h. Subjektivität involvierenden Wechselverhältnissen zwischen Person und Betrieb bzw. betrieblich organisierten Arbeitsprozessen.« Diese Intensivierung ist keineswegs als einseitig bedingter Prozess gedacht, quasi im Sinne einer erzwungenen Verwertung subjektiver Potentiale der ArbeiterInnen; vielmehr geht die arbeitssoziologische Debatte von einer »doppelten Subjektivierung« aus (Lohr & Nickel, 2005; Nickel et al., 2007; Peetz & Lohr, 2010). So werden den Erwerbstätigen einerseits tatsächlich immer mehr subjektive Potentiale abverlangt, Kreativität, Selbstorganisation, Emotionalität usw. in Arbeitsprozesse integriert: Im Gegensatz zur tayloristischen »Entsubjektivierung«, also der Ausmerzung »menschlicher Fehlerpotentiale« (Baethge, 1991), geht es in der strukturellen Subjektivierung um den Zugriff auf sowie die Nutzbarmachung von Subjektpotentialen (Frey, 2009; Kratzer, 2003; Krohn, 2013; Matuschek et al., 2007; Menz, 2009; Rau, 2010). Andererseits tragen ArbeiterInnen immer häufiger entsprechende Ansprüche an die Erwerbsarbeit heran: materielle und reproduktionsbezogene Ansprüche treten in den Hintergrund, sinnhaft-subjektbezogene in den Vordergrund (Baethge et al., 1988; Baethge, 1991). Den Prozess der strukturellen Subjektivierung begleitet somit eine normative Subjektivierung von Arbeit, eine »Abkehr des instrumentellen Arbeitshabitus des Taylorismus-Fordismus« (Kleemann, 2012, S. 7) – die Bedeutung dieser »reklamierenden Subjektivität« stellen Kleemann und KollegInnen (2003, S. 85) heraus, indem sie diese als eigenständige »Analyseebene« des Subjektivierungsprozesses definieren. Das Forschungsinteresse der Arbeitssoziologie der 1990er und 2000er-Jahre gilt jedoch der strukturellen Hälfte des Subjektivierungsprozesses – dem Zugriff auf produktive Subjektpotentiale. Im Mittelpunkt stehen die »Instrumentalisierung von Subjektivität als Produktivkraft« (Kleemann & Voß, 2010, S. 432), die »ideelle Subsumtion des Subjektiven« sowie die »innere Landnahme« (Moldaschl, 1998, S. 232-235). Es geht um die Fragen, wie subjektive Potentiale abgeschöpft werden, welche subjektiven Eigenschaften überhaupt als verwertbar gelten und inwiefern diese objektivierbar, also messbar seien (Böhle, 2003). Eine breite Palette an »Kompetenzen« (Kommunikations-, Sozial-, Emotionalitätskompetenz) und subjektbezogenen Eigenschaften (Flexibilität, Kreativität, Humor, Enthusiasmus, Innovationsfähigkeit usw.) sowie damit verbundene neue Erwerbsbiographien und -formen rücken in den Fokus der Arbeitssoziologie
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Natürlich haben subjektive Prozesse, Potentiale und deren Verwertung auch schon vor der Subjektivierungsdebatte und auch schon vor dem Post-Fordismus eine funktionale Rolle in der Erwerbssphäre eingenommen (Böhle & Milkau, 1988; M. Schumann et al., 1982; Weltz, 1991). Als neu werden jedoch die Qualität und Quantität involvierter Subjektivität sowie die Aktivität der Abfrage subjektiver Potentiale seitens des Managements und der ArbeiterInnen. »Das historisch Neue (…) ist die gezielte betriebliche Vernutzung von menschlicher Subjektivität für den Arbeitsprozess, die auf neuen (»post-tayloristischen«) betrieblicher Strategien der Vernutzung lebendiger Arbeit beruhen« (Kleemann, 2012, S. 7 Hervorhebung im Original).
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Adoleszenz und Arbeit
(Koppetsch, 2006a, 2006b; Krämer, 2014; Manske, 2015; Manske & Schnell, 2010; Reckwitz, 2008).4 Die normative Subjektivierung von Arbeit erfährt demgegenüber eine deutliche Ungleichbehandlung, die fachlich betrachtet nachvollziehbar, jedoch für die häufig gewählte Darstellung eines doppelten, quasi wahlverwandtschaftlichen Subjektivierungsprozesses argumentativ problematisch ist: Dass Jugendliche und junge Erwerbstätige die Erwerbssphäre zur Identitätsbildung nutzen wollen, stand und steht kaum zur Debatte. Geradezu in tayloristischer Manier erfolgten in der Subjektivierungsdebatte Verweise auf Baethge (1991) oder Baethge (1994b), ohne deren grundlegenden theoretischen Annahmen oder deren Übertragbarkeit auf spätere gesellschaftliche Bedingungen aufzuarbeiten. Obwohl es sich also um eine eigenständige »Analyseebene« handelt, liegt das Forschungsinteresse innerhalb des Subjektivierungsdiskurses fernab der »reklamierenden Subjektivität« (Kleemann et al., 2003, 84-87).
Re-Reading Baethge. Adoleszenz – Selbstverwirklichung – Erwerbsarbeit Da es sich bei der normativen Subjektivierungsthese nicht nur um eine der meistzitierten Quellen der Subjektivierungsdebatte, sondern um eine durchaus theoretisch tragfähige Perspektive auf das subjektive Verhältnis Jugendlicher auf die Erwerbsarbeit handelt, die auch das Fundament der vorliegenden Studie darstellt, bietet sich ein Re-Reading dieser These an. Die Forschung und Publikationstätigkeit hielt gute zehn Jahre an und umfasst nicht nur die beiden nahezu identischen Artikel zur normativen Subjektivierungsthese (Baethge, 1991, 1994b),5 sondern auch frühe individualisierungstheoretische (Baethge, 1985, 1986) sowie empirische Vorarbeiten (Baethge et al., 1983; Baethge et al., 1988), die in der späteren arbeits- und jugendsoziologischen Debatte allerdings kaum wahrgenommen wurden. Gerade die Frage, wer aus welchen Gründen und unter welchen Sozialisationsbedingungen »die Arbeit auf sich und nicht sich auf die Arbeit« bezieht (Baethge, 1991, S. 10, Hervorhebung im Original), bedarf einer solchen Perspektivenerweiterung. Denn wie Baethge die normative Subjektivierungsthese begründet, ist in den seltensten Fällen seiner Zitation auch nur annähernd erläutert. Selbst in kanonisierten Darstellungen der normativen Subjektivierungsthese, also in Einführungswerken der Arbeitssoziologie, wird kaum bzw. gar nicht auf deren theoretisches Fundament eingegangen (Böhle et al., 2010; Minssen, 2006, 2019). Den gesellschaftlich-historischen Ausgangspunkt der Tendenzen, die Baethge als normative Subjektivierung zusammenfasst, stellt der allgemeine Wertewandel, »ein soziokultureller Transformationsprozess« westlicher Gesellschaften dar (Kleemann et al., 2003, S. 85). Er schließt an die oben skizzierten wissenschaftlichen und öffentlichen Wertewandeldebatten an (insb.: Inglehart, 1977), diskutiert sie vor dem Hintergrund 4
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Eine Abrundung erfährt das Wechselverhältnis der strukturellen und normativen Subjektivierung über die gesellschaftliche Prägung von Subjektivität, über die »historisch spezifische Konstitution des Subjekts« (Kleemann, 2012, S. 9), quasi eine »ideologisierte Subjektivität« (Kleemann et al., 2003, S. 86-87). Kleemann und KollegInnen arbeiteten diese »ideologisierte Subjektivität« nicht weiter aus, vermuteten jedoch eine neue Qualität der Subjektstrukturierung, der man sich im weiteren Verlauf der Debatte mehrfach über eine Makroperspektive angenähert hat (Bröckling, 2007; Eichler, 2013; Kocyba, 2005; Kocyba und Voswinkel, 2006; Reckwitz, 2010; Traue, 2005). Eine erste Fassung findet sich bereits bei Baethge (1990).
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von Individualisierungstendenzen in der Identitätsbildung (Beck, 1983) sowie einem verstärkten Streben nach Selbstentfaltung und Selbstverwirklichung (Klages, 1984). Eine inhaltliche oder zumindest empirische Nähe der normativen Subjektivierungsthese zu vielen Wertewandelstudien ist deutlich festzustellen (Bolte & Voß, 1988; Klages et al., 1992; Klages, 1993; Oesterdiekhoff, 2001; Rosenstiel, 1992). Engste Verbindungen weist die normative Subjektivierungsthese zum »neuen kulturellen Modell« von Zoll und KollegInnen – sowohl empirisch wie auch theoretisch (Zoll et al., 1989; Zoll, 1992, 1993). Baethge reiht sich nun nicht in die klassischen Theorien zum Wertewandel ein, sondern grenzt sich offensiv davon ab, insbesondere von der Postmaterialismus-These von Ronald Inglehart (1977). Zunächst ähnlich der Wertewandelforschung stellen Baethge und KollegInnen (vorbereitend: Baethge et al., 1983; 1988) am Göttinger SOFI ein neues Verständnis von Arbeit, neue Ansprüche an die Erwerbssphäre und letztlich einen grundlegenden Wandel des subjektiven Verhältnisses zur Erwerbsarbeit unter Jugendlichen und jungen Erwachsenen fest. So stehen nicht mehr materielle Aspekte oder die Sicherheit einer Anstellung im Mittelpunkt beruflicher Orientierung. Arbeit soll vielmehr eine positive Verankerung in der Identitätsstiftung erhalten, sie erhält Projektcharakter im Sinne der Identitätsbildung. In dieser Perspektive legt das Subjekt keine Reproduktionsaspekte, sondern persönliche Sinnkriterien an und bezieht »die Arbeit auf sich und nicht sich auf die Arbeit« (Baethge, 1991, S. 10, Hervorhebung im Original). »Sie wollen innerlich an der Arbeit beteiligt sein, sich als Person in sie einbringen können und über sie eine Bestätigung eigener Kompetenz erfahren. Man will sich in der Arbeit, die interessant sein soll, nicht wie Jedermann, sondern als Subjekt mit besonderen Fähigkeiten, Neigungen und Begabungen verhalten können und die Tätigkeit in der Dimension der persönlichen Entfaltung oder Selbstverwirklichung interpretieren können. [...] Sie wollen sich in der Tätigkeit beweisen und darstellen und kritisieren von daher, wenn Anspruch und Realität auseinander fallen, deren Monotonie und häufig auch deren tayloristische Zerteilung [...], deren Sinn und Zweck nicht mehr sichtbar ist und an deren Ende kein fertiges, für andere nützliches Ergebnis mehr steht, in dem man das Ziel der eigenen Anstrengungen vor Augen hätte und seinen individuellen Beitrag daran entdecken könnte. In diesem Sinne geht es den Jugendlichen neben ihrer Selbstbestätigung auch ›um die Sacheʻ.« (Baethge et al., 1988, S. 168) Insgesamt stellt der Wandel von materiell-reproduktionsbezogenen zu sinnhaft-subjektbezogenen Ansprüchen den inhaltlichen Kern der normativen Subjektivierungsthese dar. Im Unterschied zu den arbeitssoziologischen Untersuchungen im Rahmen der Subjektivierungsdebatte vermuten Baethge und KollegInnen die Triebfeder der Subjektivierung in der damaligen Jugendgeneration. Dabei ist nicht die Einnahme einer sinnhaft-subjektbezogenen Perspektive überhaupt »das Neue«, sondern »die Breite ihrer Streuung, die Offenheit und Selbstverständlichkeit ihrer Artikulation und die Verbindlichkeit und Hartnäckigkeit, mit der sie individuell sowohl als Lebensperspektive als auch gegenüber der betrieblichen Arbeitsumwelt verfolgt [wird]« (Baethge, 1994b, S. 247). Während die Studie von Baethge und KollegInnen (1988) den empirischen Grundstein zur These der normativen Subjektivierung von Arbeit legt, nimmt ein bereits zuvor erschienener Beitrag zur gewandelten Adoleszenz und damit verbundenen Individua-
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lisierungsprozessen eine wichtige Rolle in der Theoriekonzeption ein (Baethge, 1986). Hier verfolgt Baethge die Frage: Woher kommt eigentlich der Wandel des subjektiven Verhältnisses Jugendlicher und junger Erwerbstätiger zur Erwerbsarbeit.6 Inhaltlich konzentriert sich Baethge auf das Verhältnis von Individualisierung, Individualität und Kollektivität. Er problematisiert die Folgen einer sich gesamtgesellschaftlich wandelnden Adoleszenz: »Wir erleben zur Zeit einen neuen Schub jener mit dem Übergang zur bürgerlichen Gesellschaft einsetzenden Veränderungen der Sozialisationsstruktur in der Adoleszenz, deren Gesamtrichtung mit der Tendenz zu einer doppelten Individualisierung gekennzeichnet werden kann. Doppelte Individualisierung meint hier zum einen den sozialstrukturellen Sachverhalt, daß sich [...] ehemals klassen- und schichtspezifische Sozialisationsmuster auflösen und individualisieren [...]. Zum anderen sind damit Inhalt und Formen der Sozialisation angesprochen, die im Zuge [...] ihrer Herauslösung aus den unmittelbaren Arbeitsprozessen immer mehr Momente individualistischer Identitätsbildung annehmen und immer mehr Momente kollektiver Identitätsbildung verlieren; [...].« (Baethge, 1986, S. 103; Hervorhebungen im Original)7 Der Artikel mündet schließlich in der pessimistischen These, dass im Zuge der doppelten Individualisierung die »endgültige[n] Vernichtung von Individualität« drohe (Baethge, 1986, S. 103; zur (Kritik an dieser) These: Sarah Buchholz, 1998, S. 131).8 Die (damalige) »Jugend von heute« verliere an kollektiver Identität – ein Klassenbewusstsein könne sich unter derartigen Sozialisationsprozessen kaum mehr ausbilden. Zwei Aspekte des Beitrags sind für die normative Subjektivierungsthese von besonderer Bedeutung: Erstens sucht Baethge nach einer theoretisch tragfähigen Theorie, die auf Subjektebene individualistische Identitätsmuster erklären bzw. über gesellschaftliche Prozesse vermittelt ableiten kann; zweitens nimmt er dabei eine theoretische Verortung vor, über die er sich den gängigen Theorien des Wertewandels und der Jugendsoziologie nicht einfach zur Seite stellt, sondern deren mangelhafte Konzeption und theoretische Unterfütterung kritisieren kann. »Besonders das im letzten Jahrzehnt in der sozialwissenschaftlichen JugendDiskussion dominierende Erklärungsmuster eines generellen Wertewandels, dessen
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Eine gekürzte Fassung des Sammelbandbeitrags ist bereits ein Jahr zuvor in der Sozialen Welt erschienen (Baethge, 1985). Fast alle Beiträge (nicht nur Baethges), die einen Bezug zur normativen Subjektivierungsthese aufweisen, finden sich in diesem Journal wieder (Baethge, 1985, 1991; Fischer und Eichler, 2015; Hauff, 2008; Heidenreich, 1996). Die strukturellen Komponenten der These schließen sehr offensichtlich an die Individualisierungsthesen Becks an (insb.: Beck, 1983, 1986). Als Ursache der »Vernichtung von Individualität« macht Baethge (1986, S. 112-113) eine »doppelte Entstrukturierung« aus. Damit ist erstens die Entstrukturierung alterstypischer Erfahrensweisen, zweitens die Entspezifizierung von Verhaltensstilen auf der biographischen Zeitachse gemeint. Die konkreten Sozialisationsbedingungen, die Baethge schildert, greifen bereits in vielerlei Hinsicht den hier im weiteren Verlauf dargestellten »Widersprüchen der Adoleszenz« voraus (vgl. Kapitel 2.2.4). Diese These wird in den späteren Veröffentlichungen Baethges zur normativen Subjektivierung allerdings nicht mehr aufgegriffen.
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Träger die Jugend sein soll, erweist sich [...] als problematisch und korrekturbedürftig.« (Baethge, 1986, S. 101) Baethge macht keinen Hehl aus seiner klaren Positionierung und obwohl auch seine eigene Argumentation stellenweise auf wackeligen Beinen steht,9 trifft er einen wunden Punkt der Wertewandeldebatte. So bemängelt er gerade deren »seismographische Sensibilität für gesellschaftliche Krisen und Problemlagen« sowie deren zumeist unreflektierte Sicht auf die Jugend als »Träger der Zukunft« per se (Baethge, 1986, 99 & 121).10 Es ist eben jene Ontologisierung der Jugend als aufbegehrende Einheit, die sehr spezifische sozialhistorische Eigenschaften naturalisiert, und damit jegliche Sozialisationstheorie ausklammert. In seinen Arbeiten interpretiert Baethge die »neuen« Werthaltungen aus einer sozialisations- und identitätstheoretischen Perspektive mit psychoanalytisch-entwicklungspsychologischer Färbung. In Anschluss an die Wertewandeldebatte konzentriert sich auch Baethge auf die Jugend als Trägerin progressiver/emanzipatorischer Werte; jedoch meidet er eine einfache Anthropologisierung jugendlicher Selbstverwirklichungsaspirationen, indem er auf das entwicklungspsychologische Konzept der Adoleszenz zurückgreift (Baethge, 1986, S. 103-104). Sein Verständnis von Adoleszenz als »zweite Chance«, als eine Entwicklungsstufe, die nicht nur von der frühkindlichen Sozialisation geprägt ist, sondern eine ganz eigene (aneignende) Dynamik entfalten kann, geht insbesondere auf das entwicklungspsychologische Modell Erik Eriksons (1973a, 1988) und auf Mario Erdheims (1988d, S. 235) Adoleszenztheorie zurück.
Mario Erdheim – Adoleszenter Narzissmus in einer heißen Gesellschaft Baethge schließt seine jugendtheoretischen Überlegungen an das psychoanalytisch fundierte entwicklungspsychologische Adoleszenzverständnis von Erdheim an. Innerhalb der analytischen Tradition steht Erdheim für eine Minderheitenposition, insofern er die Jugendphase nicht als durch die frühkindliche Phase determiniert ansieht, sondern als eine Entwicklungsphase behandelt, in der kindlich erworbene psychische Strukturen noch einmal aufbrechen und wenigstens potentiell Neues entstehen kann (King, 2013). Während die (Jugend-)Soziologie für gewöhnlich keine Kontinuitäten zwischen Kindheit und Jugend im Auge hat, da sie selten biographisch vorgeht, stellt sich diese Frage für sie nicht. Erdheims Betonung der »zweiten Chance« ist hingegen im Rahmen der Psychoanalyse nicht selbstverständlich. Hier wird für gewöhnlich die Adoleszenz als Phase des Wiederauflebens der frühkindlichen Konflikte begriffen. Erdheim ist also einerseits dieser Tradition verpflichtet, andererseits versucht er, die Adoleszenz
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So verkennt Baethge einen »Wertewandel« stellenweise aufgrund der Dominanz materialistischer Orientierungen, widerspricht damit gängigen soziologischen Definitionen, die eine Werteverschiebung in den Mittelpunkt stellen (Baethge, 1986, S. 101-102). Zudem erscheint seine Kritik an Operationalisierung und Empirie an einigen Stellen überzogen – gerade angesichts der keineswegs eindeutigen Empirie zum Zeitpunkt der Kritik (Böltken und Gehring, 1984; Inglehart, 1980, 1982; Thome, 1985). Diese Kritik richtet sich nicht nur gegen die Wertewandelforschung, sondern gegen den reinen Glauben an und das damit verbundene Hoffen auf die Jugend als gesellschaftskritische Einheit, die Baethge (1986, Fn. 2) bspw. bei Habermas (1981) und Wirth (1984) ausmacht.
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auch theoretisch neu zu fassen, um empirisch Neues in den Blick zu bekommen. Dafür reinterpretiert er den wichtigsten Grundlagentext für diese Fragestellung. In Freuds (1972a) Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie findet er eine psychosoziale Konzeption der Jugendphase vor, in der die Pubertät ebenfalls als eine eigenständige Phase, als Übergang zur »definitive[n] Gestaltung des Sexuallebens« beschrieben wird. Adoleszenz sei aber, so Erdheim, nicht nur als zielführende, quasi die frühkindliche Entwicklung zum Abschluss bringende Phase, sondern in Anschluss an Eissler als »zweite Chance« zu verstehen.11 »Indem die Adoleszenz als ›zweite Chance‹ (Eissler, 1966) im Verhältnis zu (eventuellen) Schädigungen in der frühen Kindheit begriffen wird, erweist sie sich als der Wendepunkt, in welchem die Kräfte wirksam werden können, die nicht nur die Korrektur der in der Familie erlittenen Schädigungen, sondern auch die Schaffung neuer Werte ermöglichen.« (Erdheim, 1988d, S. 235) Sowohl Psyche als auch sozialer Orientierungsrahmen erhalten in der Adoleszenz somit die Chance zur Neuausrichtung. Das familiär-biographische Konzept von Kontinuität und Neuerung in der Jugendphase verbindet Erdheim nun zugleich mit der der Kultur. Die Chance auf Neuerung besteht biographisch als auch kulturell. Die gelungene Ablösung vom Elternhaus und der kulturelle Wandel brauchen und stützen sich wechselseitig. Erdheims Modell nutzt Baethge, um die Bedeutung der Kultur für die Adoleszenz (vice versa) hervorzuheben: Im Gegensatz zur frühkindlichen Phase ist nicht mehr nur die Familie, sondern nun auch die Kultur (weniger psychoanalytisch: die Gesellschaft) Bezugspunkt psychosozialer Entwicklung. Damit wird die Adoleszenz eine Quelle der Kulturproduktion: Die »zweite Chance« bedeutet nicht nur eine »Verflüssigung« infantiler psychischer Strukturen, sondern die potentielle Veränderung von gesellschaftlicher Kultur. Erdheim verdeutlicht den Zusammenhang von Adoleszenz und Kultur, unter dringlichem Verweis auf eben jene Zweizeitigkeit, anhand eines Gedankenexperiments: »Stellen wir uns vor, daß die sexuelle Entwicklung nicht zweizeitig wäre, sondern mit der ödipalen Phase zum Abschluss käme. Das bedeutete, daß nur die Erfahrung der ersten Jahre, die man im Rahmen der Familie gemacht hat, für das Leben in der Gesellschaft maßgebend wären. Geschichte verliefe dann immer zyklisch; jede Generation reproduzierte von neuem die elterlichen Erfahrungen [...]. Bedenkt man dazu noch, daß die frühe Kindheit, besonders in Europa, offenbar starken traumatisierenden Einflüssen ausgesetzt war (DeMause, 1974; Rutschky, 1977; u.a.), so muß man sogar annehmen, daß bei einer ausschließlichen Determinierung durch die ersten Jahre die euro-
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Zur Unterstreichung der Zweizeitigkeit verweist Erdheim (1996, 2002) auf das psychoanalytische Konzept der »Nachträglichkeit« (Kirchhoff, 2009), über das sowohl ein frühkindlicher Determinismus und vereinfachende Kausalitäten vermieden werden (können). Infantile Erfahrungen und Erlebnisse gelten hier als eine Art »Disposition«, deren mögliche neurotische Verarbeitung nicht einfach einsetzen muss, sondern ein Subjekt voraussetzt, das unter neuen Bedingungen bzw. nach spezifischen Entwicklungen diese Erlebnisse interpretierend reproduziert (Eichler, 2013, S. 253254). Bestimmte Erfahrungen führen also nur unter bestimmten Entwicklungen zu (wiederum) bestimmten Verarbeitungsweisen.
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päische Kultur längst ausgestorben wäre. Wenn das nicht der Fall war, so deshalb, weil die Erfahrungen der frühen Kindheit nicht so ausschlaggebend sind, wie man glaubte, und die Dynamik der Adoleszenz einen entscheidenden Beitrag zur Möglichkeit des Kulturwandels leistet.« (Erdheim, 1982, S. 276, Hervorhebungen im Original) Wie Eichler (2013, S. 248) hervorhebt, überwindet Erdheim damit nicht nur die häufige Überkonzentration der Psychoanalyse auf frühkindliche Entwicklungsschritte, sondern auch den zumeist verkürzten psychoanalytischen Fokus auf die Rolle der Kultur für die Psychodynamik des Individuums. Während sich die klassische Psychoanalyse besonders auf die »Anpassung und Einfügung [des Adoleszenten; A.F.] ins schlechte Ganze« (Eichler, 2013, S. 248) konzentriert, geht es Erdheim um die produktive und widerständige Rolle der Adoleszenz in der Kultur und somit nicht zuletzt um die (potentielle) Aufhebung des schlechten Ganzen. »Die Adoleszenz ist das Lebensalter, in welchem der physiologische Aufruhr im Subjekt die unbewusste Lust und die bewusste Angst einander näher rücken lässt, so dass sie zur Angstlust verschmelzen können. Kommt es einmal so weit, so wird für die Jugendlichen gerade das besonders verlockend, was in einer Gesellschaft tabu ist. Die Kultur bezieht aus dieser jugendlichen Bereitschaft zum Tabubruch wesentliche Anstösse zur Weiterentwicklung.« (Erdheim, 2000, S. 52) Mit seiner Perspektive steht Erdheim nicht allein, formuliert sie jedoch als erster auch kulturtheoretisch. Er nutzt Freuds Entdeckung der Zweizeitigkeit der psychosexuellen Entwicklung und spitzt die Überlegung zum Antagonismus von Familie und Kultur zu (vgl. S. Freud, 1972b). Erdheim kann sich dafür auf Vorarbeiten von Siegfried Bernfeld (1970a), Kurt Eissler (1966, 1978) und Paul Parin (1978) stützen. Während in der ersten Phase der psychosexuellen Entwicklung (Kindheit) das Verhältnis von Individuum und Familie im Mittelpunkt psychoanalytischer Betrachtungen steht, zeichnet sich die zweite Phase (Adoleszenz) durch den Bezug des Individuums auf die Gesellschaft und perspektivisch auch auf die Erwerbssphäre aus. Als einen zentralen psychosozialen Zustand macht Erdheim in dieser Phase einen adoleszenten Narzissmus aus, eine narzisstische Besetzung des eigenen Selbst. Die äußere Welt, die ursprünglich klar und fest durch die familiäre Sozialisation in der frühkindlichen Phase strukturiert war und sich in die psychischen Strukturen fest eingebettet hat, wird »verflüssigt« (in Anschluss an Eissler, 1966, S. 869). Die/Der Adoleszente beginnt, gesellschaftliche Realitäten und insbesondere die vormals narzisstisch besetzten Elternfiguren zu hinterfragen (Schwarz, 2014, S. 34-38). Adoleszenter Narzissmus äußert sich dabei in verschiedensten Praktiken; am bekanntesten und hochrelevant sind die »Arroganz und Rebellion des Heranwachsenden sowie [...] Widerstand gegen Gesetze und [...] Mißachtung der elterlichen Autorität« (Klosinski, 1981, S. 70). Gerade solche antiautoritären Momente stehen für das Einlassen auf und Infragestellung von gesellschaftlichen, kulturellen und sozialen Strukturen – »trotz ihrer überwältigenden Objektivität« (Erdheim, 1988b, S. 199; Stutz & Erdheim, 1991, S. 178-179). Durch sie werden »kulturelle Variationen« möglich, der kulturelle Wandel vorangetrieben. Narzisstische Größen- und Allmachtsphantasien stellen nach Erdheim daher kein gesellschaftliches Übel, keine krankhafte Selbstliebe dar, sondern sind einerseits psy-
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chologisch entwicklungsadäquat und andererseits eine gesellschaftliche Notwendigkeit in heißen, d.h. auf Wandel angewiesenen Gesellschaften. Sie sind also unbedingte Momente der psychosozialen Entwicklung und möglicherweise progressive Elemente des sozialen Wandels. »Jeder Entdecker und Erfinder, Künstler oder Wissenschaftler wird unter dem Druck seiner Omnipotenzphantasien auf eine sofortige Realisierung seiner Ideen drängen. Auch wenn nicht jeder ein Einstein oder Wagner ist, so sind es doch dieselben Kräfte, die das Machbare und das Wünschbare als ein und dasselbe erscheinen lassen; ohne die Größen- und Allmachtsphantasien gäbe es keine Kulturgeschichte.« (Erdheim, 1988b, S. 200; Gökenjan & Kondratowitz, 1988) Erdheim begreift das utopische Moment der Jugendlichkeit als ein potentiell emanzipatorisches. Adoleszente verlieren nicht einfach den Sinn für die Realität, sondern agieren – psychoanalytisch gesprochen – mit einem bereits ausgebildeten Ich innerhalb des Realitätsprinzips. Sie entwickeln widerständiges Denken und streben nach Realisierung ihres übermäßigen Subjektbezugs – in allen gesellschaftlichen Sphären. Was Baethge (1985, 1991) in der normativen Subjektivierungsthese als sinnhaft-subjektbezogene Ansprüche und zuvor als individualisierte Werthaltungen beschreibt, wäre demnach individualpsychologisch betrachtet Ausdruck eines adoleszenten Narzissmus. Gerade die utopischen Potentiale, die Baethge im neuen Verhältnis Jugendlicher und junger Erwachsener zur Erwerbsarbeit vermutet, passen zu den kulturtheoretischen Überlegungen Erdheims. Es stellt sich die Frage, an welche kulturellen, sozialen und individuellen Bedingungen die »zweite Chance und somit der Erhalt eines adoleszenten Narzissmus gekoppelt sind. Hier bleiben Erdheims Darstellungen eher thetisch. Adoleszenzverläufe, insbesondere ihre hier dargestellte Dynamik, seien kulturabhängig. In Anschluss an Theorie und Ethnologie von Claude Lévi-Strauss (1972, 1973) sowie Margaret Mead (1970) unterscheidet Erdheim (insb.: 1982, S. 296-368) »kalte« und »heiße« Kulturen. Diese Dichotomisierung ist bereits auf den ersten Blick extrem verkürzt, verdeutlicht dennoch, unter welchen sozialen Bedingungen Erdheim von einer Adoleszenz ausgeht, die Subjektbezug, Widerstand und Wandel befördert. »Die ›kalten Kulturen‹ bemühen sich, den historischen Wandel einzufrieren [...]. Unsere ›heißen Gesellschaften‹ [...] haben die Ablehnung von Wandel und Geschichte immer mit mehr oder weniger Verachtung zur Kenntnis genommen.« (Erdheim, 1988a, S. 331-332) Das »Einfrieren« der Adoleszenz und somit das Verhindern, der Ausschluss und die Kanalisation eines adoleszenten Narzissmus finden in traditionalen und statischen Gesellschaften nicht trotz, sondern über die Kultur statt. Das Werkzeug der Gesellschaft,
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das »Tiefkühlfach« der adoleszenten Glut,12 ist hier der Initiationsritus (zu »kalten Kulturen«: Erdheim, 1982, S. 187).13 Während »kalte Kulturen« auf eine Zyklizität der Geschichte und der Kultur abzielen, forcieren »heiße Kulturen« – Lévi-Strauss und in Anschluss daran Erdheim meinen damit ganz offensichtlich moderne, bürgerliche, westliche Gesellschaften – Veränderung und ganz konkret: Fortschritt. »Heiße Kulturen« verschließen sich nicht dem Anregungspotential der Adoleszenz, ermöglichen dem Individuum eine »verlängerte Adoleszenz« (Bernfeld, 1970a), frieren adoleszente Bestrebungen nicht einfach ein, sondern lassen einen stetigen Ablösungsprozess von der Familie hin zur Kultur (und kulturellen Vergemeinschaftung) zu. Das adoleszente Subjekt entwickelt das Potential, gesellschaftliche Zustände zu reflektieren, sich daran widerständig, kreativ und emanzipatorisch abzuarbeiten. Es lebt den Gegensatz von Familie und Kultur voll aus, probiert seine Kreativität experimentell, entwickelt individualistische Identitätsmuster und im Optimalfall freie, schöpferische Strukturen. »Die Adoleszenz ist die Avantgarde des Individuums« (Erdheim, 1996, S. 86). So zumindest die ideale Vorstellung einer gelungenen verlängerten Adoleszenz in modernen, »heißen Kulturen«. Würde man dem skizzierten Bild folgen, müsste man annehmen, dass a) die verlängerte Adoleszenz – modernisierungstheoretisch gedacht – kontinuierlich zu einer »besseren Gesellschaft« und auf Individualebene zu gesunden, selbstbestimmten Subjekten führt, oder, dass b) dieser Punkt bereits erreicht wäre. Erdheim ist sich jedoch darüber bewusst, dass Jugendliche in den seltensten Fällen tatsächlich diesen idealen Adoleszenzverlauf durchleben – er relativiert gar die Möglichkeit eines solchen Verlaufs unter gegebenen gesellschaftlichen Umständen für weite Teile der Gesellschaft. Das erklärt er mit »abkühlenden Mechanismen« in »heißen Gesellschaften«. Schule, Militär, Kirche (Frontalunterricht, Reih und Glied, neue Autoritäten, Konfirmation, Kommunion) und weitere Institutionen ersetzen zwar nicht die Initiationsriten der »kalten Kulturen«, lenken jedoch den adoleszenten Narzissmus in bestimmte Bahnen, reproduzieren autoritäre und familiale Strukturen, disziplinieren das kreative Subjekt, führen zur Umlenkung der adoleszenten Phantasien und kühlen somit narzisstische Bestrebungen drastisch ab.14 Idealtypisch unterscheidet Erdheim (1982, S. 316-322) drei Abweichungsformen der Adoleszenz, in denen narzisstische Bestrebungen nur bedingt oder über12 13
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Erdheim verwendet eine entsprechende Metaphorik immer wieder (1982, 1988a), beschreibt auch in »heißen Kulturen« bspw. das Militär als deren »Kühlschrank«. Die in der Ethnographie mannigfach aufgearbeiteten Riten dienen erstens der Ablösung des Kindes von der Familie, zweitens dem schlagartigen Übergang zum vollwertigen Gesellschaftsmitglied. Drittens erfolgt über den Modus der Initiation – für gewöhnlich eine sehr brutale, folterähnliche und sich häufig wortwörtlich in den Körper einschreibende Marter – eine Vermengung von Trieb- und Realängsten sowie Phantasmen der Kindheit, die ursprüngliche Strukturen der Familie auf die initiierende Gruppe überträgt und somit einen unbewussten Anpassungs- und Unterordnungsprozess befördert. Mit dieser negativen Wertung der »Abkühlung« in »heißen Gesellschaften« soll nicht angedeutet werden, dass Erdheim eine konfliktfreie Adoleszenz im Sinne eines ungebremsten Narzissmus für erstrebenswert hält. Die Adoleszenz ist auch für ihn notwendigerweise geprägt von Konflikten, die aber nicht der Unterwerfung des Subjekts unter gesellschaftliche Hierarchien/Heteronomien, sondern »der Wiedergutmachung früher erlittener Traumen« und »zur Vergesellschaftung der Größen- und Allmachtsphantasien« dienen sollten (Erdheim, 1982, S. 316).
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haupt nicht für die eigene Individuation in Anspruch genommen werden können: Die eingefrorene, zerbrochene und ausgebrannte Adoleszenz (dazu: Schwarz, 2014, S. 36-37).15 Für das Verhältnis zur Erwerbsarbeit erweist sich dabei insbesondere die zerbrochene Adoleszenz als folgenreich: »Die Größenphantasien werden hier »zerbrochen« und ihre Scherben in die Ich-Anteile eingebaut, welche die Anpassung und oft auch den sozialen Aufstieg ermöglichen. Diese Form der Adoleszenz ist charakterisiert durch eine unreflektierte Identifikation mit der von der Gesellschaft zugewiesenen Rolle, etwa im Berufsleben.« (Schwarz, 2014, S. 36) Gerade wenn es um den zeitlichen Verlauf der Adoleszenz in »heißen Kulturen« geht, wird Erdheims Anthropologie16 für arbeits-, jugend- und kultursoziologische Perspektiven interessant. Denn in »heißen Gesellschaften« ist die Adoleszenz kein fester, rein biologisch zu bestimmender Zeitraum.17 Die/Der Adoleszente ist nicht einfach 12 bis 19 Jahre oder 15 bis 29 Jahre alt – der Begriff sträubt sich geradezu gegen die konkrete zeitliche Bestimmung einer Lebensphase. Sie ist vielmehr gekoppelt an lebensweltliche Bedingungen, an Lebensformen und somit (zumeist) auch an ein Ende, an Widersprüche und Konflikte, die die Glut der narzisstischen Dynamik erkalten lassen. Ihr Ende par excellence ist die Erwerbsarbeit. »Das Aufhören der Adoleszenz ist ein Prozeß, der eng mit dem Widerspruch zwischen den Omnipotenzphantasien einerseits und der Arbeit andererseits verknüpft ist. Jene Phantasien machen zwar die Stärke der Adoleszenz aus, aber gleichzeitig sind sie auch deren Achillesferse. In der Allmacht der Gedanken verwickelt, ist deren Umsetzung in der Realität mittels Arbeit eine dem Adoleszenten große Mühe bereitende narzißtische Kränkung.« (Erdheim, 1988b, S. 200, ähnlich: Erdheim 1982, S. 307) Auf subjektiver Ebene befördert der adoleszente Narzissmus einen allgemeinen Subjektbezug, der auch vor der Arbeitswelt (vorerst) nicht Halt macht. Phantasie, Kreativität, Widerstand, Sprunghaftigkeit, Omnipotenz – narzisstische Eigenschaften und Gefühlswelten stehen der tayloristisch-fordistischen Sphäre ökonomischer Zweckrationalität konträr gegenüber, drängen dennoch auf ihre Erfüllung. Das Dilemma zwischen Allmachtsphantasien und Erwerbsarbeit stellt ein »zentrales Drama des Adoleszenten« dar (Erdheim, 1982, S. 312). Sinnhaft-subjektbezogene Ansprüche als Abkömmlinge narzisstischer Bestrebungen treffen in der entsubjektivierten und heteronom organisierten Arbeitssphäre auf einen kaum zu überwindenden Widerspruch. Erdheim (1982) betont 15
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Zudem unterscheidet Erdheim (1982, S. 321) die in der Literatur kaum beachtete Form der zerstörten Adoleszenz – eine aufgrund massiver Störungen der Ich-Struktur nicht stattfindende Adoleszenz. Erdheim (1982) geht in Anschluss an S. Freud (1972a) und Erikson (1999, s. unten) explizit von einem »anthropologische[m] Faktum« aus, wenn er die Zweizeitigkeit, den Triebdurchbruch in der Pubertät/Adoleszenz und die damit einhergehenden Adoleszenzkrise beschreibt. Gleichwohl verbindet Erdheim die Adoleszenz mit biologischen Prozessen wie die Pubertät und der damit zusammenhängenden Geschlechtsreife (Erdheim, 1982, 1988c). Jedoch bestimmt sich der konkrete Ablauf, die Entwicklung narzisstischer Energien und somit subjektbezogener Orientierungen nicht außerhalb eines sozialen Rahmens.
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mehrfach, dass die entfremdenden Verhältnisse, unter denen in kapitalistischen Gesellschaften Erwerbsarbeit geleistet werden muss, die Aufrechterhaltung narzisstischer Phantasien nicht erlauben.18 Doch er stellt nicht nur einen massiven Widerspruch zwischen Allmachts- bzw. Arbeitsphantasien und realer Erwerbsarbeit fest, er stellt diesen Widerspruch – bleibt er denn ungelöst oder scheitert die Verbindung von Größenvorstellung und Erwerbsarbeit – in den Kontext einer »Psychopathologie der Arbeit« (Erdheim, 1988b, S. 201-202).19 Grundlegend hält Erdheim (1982, S. 311-312) drei Wege der Problembearbeitung für möglich, drei Wege der Lösung von Spannungen zwischen Größenwahn und Erwerbssphäre: Erstens kann es zu einem absoluten Durchbruch des Lustprinzips kommen. Das Individuum zieht sich von der Realität zurück, entwirft eine eigene Welt nach eigenen Regeln, schränkt seine Wünsche nicht ein, bildet kein funktionales Über-Ich aus und agiert (im schlimmsten Falle) psychotisch oder verwahrlost. Zweitens können die unvereinbaren Ansprüche von der Arbeitssphäre abgespalten werden. »Die Arbeit muss dann nicht mehr dem (narzißtischen) Wunsch nach Selbstverwirklichung genügen, dieser wird vielmehr auf die Freizeit gerichtet« (Erdheim, 1988b, S. 201). Wenn es unter kapitalistischen Erwerbsumständen unmöglich ist, sich selbst zu verwirklichen, dann müssen eben lebensweltliche Lücken gefunden werden, in denen das Subjekt autonom agieren kann – wenn schon nicht in der Arbeit, dann eben in der Freizeit. Doch auch die zweite, fordistisch anmutende Lösungsmöglichkeit der Spannungen von Allmacht und Arbeit, auch wenn diese keine psychotischen Momente enthält, sieht Erdheim (1982, S. 311-312, 1988a, 1988b, S. 201) kritisch. Narzisstische Phantasien hätten außerhalb der Arbeit, in ihrer Ausrichtung auf die Freizeit an »Sprengkraft« verloren und wären zum »Motor der Anpassung« mutiert (Erdheim, 1988b, S. 201). Gerade in Anbetracht einer uferlosen Kulturindustrie erscheine die Suche nach Selbstverwirklichung im Angebot der Freizeit doch sehr fragwürdig. Neben der psychotischen Umsetzung samt Realitätsverlust (1) und dem Zufriedengeben mit dem status quo bzw. Konzentration des Subjektbezugs auf Freizeitangebote (2) kann es drittens zu einer Lösung der Spannung zwischen narzisstischer Bestrebung und Erwerbssphäre qua Koppelung kommen. In Anschluss an Blochs (1973) Konzeption einer »konkreten Utopie«20 geht Erdheim davon aus, dass sich »erst in Verbindung mit der Arbeit [...] die Omnipotenzphantasien zum ›Prinzip Hoffnung‹« verwandeln könnten (Erdheim, 1988b, S. 201). Auch die Realisierung bzw. Annäherung des adoleszenten Widerstands an die Realität, die Aufweichung versteinerter, »überwältigender Objektivitäten«, die Verwirklichung sinnhaft-subjektbezogener Ansprüche, als dritten Lösungsweg muss Erdheim alsbald relativieren. Während er im Falle der Selbstverwirklichung in der Freizeit eher eine Anpassung an die entfremdeten 18 19
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Leider konkretisiert Erdheim (1982, S. 307, 1988b, S. 200) die »entfremdenden Verhältnisse« nicht. Wie in einer verfehlten »Koppelung von Sexualität und Fortpflanzungsfunktion« kann in einer Verfehlung der »Verbindung von Größenwahn und Arbeit« das »Phänomen der Perversion« erzeugt werden (Erdheim, 1988b, S. 201-202). Erdheim meint hierbei insbesondere Erscheinungen wie den gesellschaftlich weitverbreiteten Arbeitsfetisch, die Identifikation mit der entfremdenden Erwerbsarbeit. Mit der Kategorie der »konkreten Utopie«, »fundierter Hoffnung« oder »docta spes« grenzt Bloch die am objektiv Möglichen orientierte Hoffnung von reinem wishful thinking ab (Bloch, 1965, S. 386; Hervorhebung im Original).
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Verhältnisse ausmacht, muss er bei der Realisierung des Subjektbezugs in der Erwerbsarbeit wiederum die entfremdende Erwerbsarbeit selbst hervorheben: »Aber so wie die Arbeit bei uns gesellschaftlich organisiert ist, ist dieser Weg außerordentlich schwierig einzuschlagen und erscheint als ›individuelle‹ Leistung innerhalb privilegierter, das heißt für die Allgemeinheit schwer zugänglicher Berufe: Wissenschaftler, Künstler, Schriftsteller.« (Erdheim, 1988b, S. 201) Selbstverwirklichung im Sinne der Verwirklichung sinnhaft-subjektbezogener Ansprüche ist nach Erdheim nur in »selbstbestimmter Arbeit« möglich (auch: Erdheim, 1982, S. 312). Worin konkret die Selbstbestimmung liegt, führt er nicht aus. Die Beispiele lassen Vermutungen zu, sind jedoch zeitlich auch nur vor ihrem fordistischen Gegenhorizont zu interpretieren. So eint die dargestellten Berufsgruppen erstens ihr Kreativitätsmythos – gerade in der Figur der KünstlerIn kommen adoleszenter Eigensinn und Schöpfertum, die Möglichkeit über Bestehendes hinauszudenken, zum Ausdruck. Zweitens eint sie eine Vorstellung (vielleicht ebenso eher ein Mythos) der Unabhängigkeit. Sowohl im Ziel der Erwerbsarbeit als auch in ihrer Durchführung stehen die Berufe scheinbar abseits ökonomischer Zweckrationalität.21 Jene Freiheit von ökonomischer Zweckrationalität ist die zentrale Bedingung sowohl der Entstehung wie auch der Aufrechterhaltung des adoleszenten Narzissmus und somit der sinnhaft-subjektbezogenen Perspektive auf Erwerbsarbeit. Erdheims Ausführungen zu Adoleszenz, Kultur und Erwerbsarbeit geben Einblick in Konstitution, Erhalt und potentielle Funktion sinnhaft-subjektbezogener Ansprüche an die Erwerbssphäre; dabei verweilt Erdheim nicht auf rein psychologischer Ebene, sondern fundiert psychische Strukturen gesellschaftlich/kulturell, richtet den Blick auf emanzipatorische Potentiale der Adoleszenz und gesellschaftliche Institutionen zu deren disziplinierenden Eindämmung. In seiner Schilderung der Adoleszenz als Katalysator utopischen Denkens finden sich viele Überlegungen Ernst Blochs, die Verbindung jugendlicher Träume und (konkreter) Utopien, aber auch die überbordenden, gemeinhin auch verfänglichen Träume der Jugend (Bloch, 1973). Im Gegensatz zu Bloch (1965, S. 385), der die Gefahr des »Gimpelfangs«, des (Selbst-)Betrugs unausgereifter narzisstischer Hoffnung deutlich betont, wirkt das Erdheimsche Vertrauen in die Jugend als Trägerin der Emanzipation stellenweise übertrieben. Dieses Vertrauen lässt sich jedoch als politische und theoriepolitische Verteidigung der Jugend(bewegungen) lesen, die gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Tendenzen der 1980er-Jahre die Stirn bietet – ganz ähnlich zur klaren theoriepolitischen Verortung der normativen Subjektivierungsthese gegenüber kulturpessimistischen Jugenddiagnosen. Problematischer als das fragwürdige Potential der Adoleszenz ist der soziologisch nur bedingt anschlussfähige Kulturbegriff Erdheims. Die als zentral für die Phase der
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Inwiefern diese Einschätzung vor dem zeitlichen Hintergrund Erdheims Thesen aufrechterhalten werden kann, ist fraglich. Gegenwärtig ist es geradezu abwegig, das wissenschaftliche Feld als unabhängig, selbstbestimmt oder frei von zweckrationaler Handlungs-/Forschungslogik zu beschreiben (Münch, 2011; Schimank, 2008); ebenso ist die Ökonomisierung der Kreativarbeit in vollem Gange (Diederichsen, 2012; Manske, 2015; McRobbie, 2002).
2. Adoleszenz und Erwerbsarbeit
Adoleszenz herausgestellte »Kultur« wird in Erdheims Adoleszenztheorie kaum konkretisiert/definiert. Ein schneller und guter Einwand gegen seine diametrale Setzung von Familie (Kindheit) und Kultur (Adoleszenz) wäre ein Verweis auf deren Verwobenheit. So steht keine Familie außerhalb der Kultur, ist gar durch und durch kulturell. Wenn, dann lässt sich sein Kulturkonzept wohl idealtypisch auf den Nenner bringen, dass es sich in seiner »Offenheit« von der Familie unterscheidet. Adoleszente bewegen sich außerhalb der Familie, konzentrieren sich auf außerfamiliäre Aktivitäten und Objekte, verweilen dennoch in familiärer und ökonomischer Sicherheit. Zwar lassen sich über Kategorien wie die »Freiheit ökonomischer Zweckrationalität« sowie ex negativo über Schilderungen »kalter Kulturen« oder aus vereinzelten Artikeln Erdheims zur Adoleszenz in »heißen Kulturen« Rückschlüsse auf strukturelle Komponenten einer verlängerten Adoleszenz ziehen; besser ausgearbeitete Thesen zu Bedingungen der Adoleszenz im Sinne einer Verbindung von Sozio- und Psychoanalyse, auf die Erdheim zwar zurückgreift (insb.: Bernfeld, 1970b), aber nicht sauber weiterentwickelt, wären wünschenswert.22 Nichtsdestotrotz ist Baethges Aufnahme Erdheims, der schließlich zuvorderst das sinnhaft-subjektbezogene Verhältnis zur Erwerbsarbeit erklären möchte, als Fundierung der normativen Subjektivierungsthese äußerst sinnvoll. Zur besseren Fassung struktureller Bedingungen der Adoleszenz greift Baethge auf einen zweiten Anknüpfungspunkt zurück.
Erik Erikson und das psychosoziale Moratorium Erik H. Erikson (1973a) verhandelt Adoleszenz ebenfalls als Phase kreativer Schaffung, Widersprüchlichkeit und Übergang ins Berufsleben. Analog zu Erdheim analysiert Erikson die Adoleszenz als eigenständige Entwicklungsphase. Unterschiede der beiden Theorien liegen sowohl in Eriksons analytischer Ausrichtung als auch in seiner abweichenden Einordnung der Adoleszenz in die psychosoziale Entwicklung. Die analytische Ich-Psychologie, der Erikson zuzuordnen ist, stellt den Versuch dar, den Freudschen Fokus vom Triebleben des Individuums, den verdrängten Teilen des Es, auf die Funktionen und das Funktionieren des Ichs zu lenken. In Anschluss an Anna Freud (1997 [1936]) bildet sich eine Schule heraus, welche das Ich nicht mehr »im Gegeneinander der psychischen Kräfte weiß, [...] den Widerstreit von Ich und Es (.) verleugne[t]« und sich somit auf die Anpassungsfunktion eines scheinbar autonomen Ichs im Sinne eines logisch-objektivierenden Realitätsprinzips konzentriert (Adorno, 2003, S. 52). Auf inhaltlicher Ebene bewegt sich Erikson zwar (mindestens begrifflich) auf Freudschen Pfaden, analytisch und politisch steht er jedoch der reformistischen Ich-Psychologie näher. Dass ein solches Theoriensystem mit dem Ziel der Anpassung ans Bestehende, quasi dem fitting ins falsche Leben, unter heftiger Kritik seitens der 22
Eine weitere Schwierigkeit, die sowohl Erdheims Ausführungen zur Erwerbssphäre als auch der daran anschließenden normativen Subjektivierungsthese anhaftet, ist die dichotome Gegenüberstellung materieller/instrumenteller und sinnhaft-subjektbezogener Perspektiven. Diese Dichotomie stand bereits in der Kritik an Inglehart im Mittelpunkt (Klages, 1984; Zoll et al., 1989). Sie übergeht die Vielfältigkeit von Bezügen auf und Ansprüchen an die Erwerbsarbeit oder sie vereinheitlicht sie fälschlicherweise, unterscheidet bspw. nicht mehr soziale und subjektbezogene Sinnhaftigkeit der Erwerbsarbeit (s. Kapitel 3.1 & 3.3.4).
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Adoleszenz und Arbeit
klassischen Psychoanalyse sowie der Kritischen Theorie stand, ist offensichtlich (Drews & Brecht, 1982), aber für die strukturellen Argumentationen Eriksons vorerst unerheblich. In seinem zentralen Werk Kindheit und Gesellschaft (Erikson, 1999 [1950]) – fast alle darauffolgenden Veröffentlichungen schließen inhaltlich und analytisch daran an (zentral: Erikson, 1973a, 1988) – reformiert Erikson Freuds Phasenmodell der psychosexuellen Entwicklung (oral, anal, phallisch, ödipal). Aus Sexualität, Libido und Triebdynamiken zwischen Kind und Eltern werden soziale Interaktionen; aus Verdrängung und Unbewusstem wird ein Reifungsprozess, ein Erlernen von Tugenden zur Ein- und Anpassung an die westliche, bürgerliche Gesellschaft – aus klassischer Psychoanalyse wird Ich-Psychologie (vgl. Rattner, 1990, S. 564-566). Acht Phasen der seelischen Entwicklung sind Eriksons Schlüsselkonzept, jede einzelne Phase als spezifische Reifungskrise sowie deren Überwindung auf dem Weg zum sozialen und produktiven Glück, zur Tauglichkeit in der Gesellschaft. Er unterscheidet die aufeinander aufbauenden Phasen nach psychosexuellen Krisen (oral-sensorisch, muskulär-anal, lokomotorisch-genital, Latenz, Pubertät & Adoleszenz, frühes Erwachsenenalter und die Reife), eng daran gekoppelte psychosoziale Krisen (Vertrauen vs. Misstrauen, Autonomie vs. Scham, Initiative vs. Schuldgefühl, Werksinn vs. Minderwertigkeitsgefühl, Identität vs. Identitätsdiffusion, Intimität vs. Isolierung, Generativität vs. Selbstabsorption, Integrität vs. Verzweiflung), nach Beziehungspersonen, resultierenden Grundstärken, möglichen Pathologien etc. (zur Übersicht: Erikson, 1988, S. 36-37). Ein Beispiel zur Verdeutlichung der Grundstruktur seiner Entwicklungstheorie: Bereits im Säuglingsalter (Phase I) entwickelt sich demnach die Grundlage einer »gesunden« Identität: das Gefühl die Welt und man selbst seien »in Ordnung« (Erikson, 1999, S. 243), das Vertrauen in sich und in andere. So spielt sich auch die erste Reifungskrise zwischen eben jenem Grundvertrauen und Grundmisstrauen ab. Entscheidend für ein vertrauendes Grundgefühl und die sich daraus generierende Erwartungshaltung der Hoffnung ist das Verhältnis der ersten zentralen Bezugsperson zum Kind, empirisch zumeist: das Mutter-Kind-Verhältnis. Vermittelt über oral geprägte Interaktion (Stillen, Beißen, Essen, Schreien) entwickelt das Kind über das »dauerhafte Erproben und Abtasten der Beziehungen zwischen innerer und äußerer Welt« Urvertrauen; jedoch nur, solange es die Reaktion der äußeren Welt als sinnhaft und nicht willkürlich erlebt (Erikson, 1999, S. 242). Nur mit Urvertrauen kann das Kleinkind (Phase II), insbesondere über muskuläre Aktionen (Gehen, Halten, Loslassen), eine primitive Form der Autonomie und mit ihr die Grundstärke des eigenen Willens erlernen – oder bei zu viel Einschränkung seitens seiner Eltern scheitern, ein Übermaß an Scham, Wut und Zweifel ausbilden, die der Entwicklung einer »gesunden« Ich-Identität im Wege stehen werden. Diese Ich-Identität kommt erstmals in der fünften Phase der psychosozialen Entwicklung zum Tragen: in der Adoleszenz (Erikson, 1946, 1973b). In dieser Phase formt die/der Jugendliche ein Selbstbild, gelangt über das Ausprobieren verschiedener Rollen und Ideologien sowie wechselseitigem Austausch unter Gleichaltrigen und Selbstreflexion zu einem Bewusstsein über die eigene Rolle in der Gesellschaft und entwickelt darauf aufbauend eine eigene Identität. Ebenso wichtig wie die Suche nach einer po-
2. Adoleszenz und Erwerbsarbeit
sitiven Identität ist deren Abgrenzung – die »negative Identität« (Erikson, 1988, S. 96-97; Hervorhebung im Original). Für mögliche und nötige Rollen-Zurückweisungen ist die Sozialität der Identitätsfindung hervorzuheben, denn nur »mit Hilfe treuer Rebellen« kann die »ständige Neuanpassung an sich verändernde Umstände« gelingen (Erikson, 1988, S. 97). Die Entwicklung einer reifen und »gesunden« Ich-Identität könne überhaupt nur dann gelingen – gemäß Eriksons Schema –, wenn vor Pubertät und Adoleszenz alle Reifungskrisen erfolgreich durchlaufen würden. Ist dies nicht der Fall, neige das geschwächte Ich zur unreflektierten Übernahme gesellschaftlich definierter Rollen sowie zur Rollenkonfusion bzw. Identitätsdiffusion (Unsicherheit, Orientierungslosigkeit, Ohnmachtsgefühl). Aus jener Identitätsdiffusion leitet Erikson zudem die Überidentifizierung mit »Schein-Identitäten« ab (Erikson, 1955). »Um sich selbst zusammenzuhalten, überidentifizieren sie [die Adoleszenten; A. F.] sich zeitweise scheinbar bis zum völligen Identitätsverlust mit den Cliquen- oder Massenhelden.« (Erikson, 1999, S. 256) Überspitzt formuliert bietet Eriksons Stufenmodell der psychosozialen Entwicklung eine Folie zur Ich-Anpassung an das Bestehende – relativ unabhängig von dessen Beschaffenheit;23 das »gesunde« Ich passt, es fügt sich fließend ein; die/der Adoleszente klärt ihr/sein Verhältnis mit und zu der Gesellschaft – und das muss passen; denn Pathologie drücke sich dann über die Unfähigkeit der Anpassung aus, über die Inakzeptanz des falschen Lebens im Falschen (Adorno, 2003; Lohhaus, 1995). Politisch kippt Eriksons Modell schnell in einen westlichen Wertkonservativismus – die Adoleszenz gibt hier nur wenig Raum für Widerstand und Emanzipation. Eine revoltierende Gesinnung beurteilt Erikson ganz offensichtlich mit Skepsis (Rattner, 1990, S. 583), verhandelt Ideologien24 und politischen Aktivismus gegen das Bestehende stets als Fehlanpassung. Es fragt sich, wie dieses Modell mit dem Erdheimschen Adoleszenz-Konzept zusammengeht und somit zu einer kohärenten Argumentation Baethges beiträgt.
Adoleszenz als Treibkraft normativer Subjektivierung von Arbeit Dabei lässt sich die zweite Frage schnell klären: Eriksons Entwicklungspsychologie findet sich nur oberflächlich in Baethges Thesen zur Jugend und zur normativen Subjektivierung von Arbeit wieder, insbesondere ohne jeden Bezug zu ihrer eigentlichen theoretischen Verortung. Zudem handelt es sich bei Baethges Rezeption weniger um eine Übernahme von Eriksons Theoriensystem als vielmehr um ein Bedienen an spezifischen strukturellen Elementen und Begriffen (Baethge, 1985, S. 301-305). Er nutzt insbesondere phänomenologische Analysen Eriksons zu adoleszentem Erleben und typischen Mustern adoleszenter Lebensverläufe, die sich in dessen Studien zum Stufenmodell der
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Als Folie in Eriksons Theorie wird typischerweise sein vertrautestes Sozialmilieu genannt, mit dem er sich während seiner ersten Analyseerfahrungen umgab: Die bürgerliche, weiße, obere Mittelschicht der USA (bspw.: Bohleber, 2012, S. 63). Er verwendet den Ideologiebegriff geradezu ideologisch im Sinne der Gleichschaltung politischer Extreme, Denkrichtungen, politischer Philosophie etc.; alles außerhalb der bestehenden Gesellschaftsnorm scheint höchstens zur negativen Identität zu taugen.
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psychosozialen Entwicklung finden. Hierin liegt auch die Antwort zur erstgenannten Frage: Eine Verbindung des Modells mit Erdheims Adoleszenztheorie ist nur auf einer solchen phänomenologischen Ebene möglich. Was sind also die zentralen lebensweltlichen Aspekte der (verlängerten) Adoleszenz? Erikson (1975, S. 46) beschreibt die Adoleszenz als ein »psycho-soziales Moratorium«25 , eine »Karenzzeit« (1973b, S. 137), die von »relativer Ellenbogenfreiheit für Rollenexperimente« (1988, S. 98) geprägt ist. Nicht nur jugendliches Streben nach Identität prägt diese Phase, sondern ein lebensweltlicher Freiraum – ein Abschied von der Kindheit bei gleichzeitigem »Aufschub endgültiger Verpflichtung« (Erikson, 1988, S. 98). Dieses Moratorium gewährt seinen NutznießerInnen also »die Möglichkeit zu aktiven und offenen Auseinandersetzungen mit den Eltern, Chancen zum freien Experimentieren mit den eigenen Interessen und Fähigkeiten, das Artikulieren-Können der eigenen Wünsche und Phantasien neben dem Erlernen beruflicher Fähigkeiten« (Baethge, 1985, S. 302). Während Erikson das Ziel im Erlernen westlicher Ethik, also der Anpassung an die Gesellschaft erkennt, ist über die Kopplung der Idee des psychosozialen Moratoriums an Erdheims und Bernfelds verlängerte Adoleszenz, der Freiheit von ökonomischer Zweckrationalität, eine ganz andere Stoßrichtung möglich – aus Ich-Psychologie wird wieder psychoanalytische Sozialpsychologie. Nicht der Gedanke der Anpassung, sondern der kreativ-reflexiven Überwindung wird in das Moratorium hineingetragen. Je konkreter das Moratorium, desto stärker ist nicht einfach die Chance auf eine gelungene IchIdentität im Sinne einer gesellschaftlichen Tauglichkeit, sondern vielmehr im Sinne eines ausgeprägten Selbstbewusstseins und Subjektbezugs (Eichler & Fischer, 2020). Der Gedankengang fügt sich schließlich in die individualisierungstheoretischen Thesen der frühen Schriften zur normativen Subjektivierung von Arbeit. Jenes Moratorium, auch in Eriksons Beschreibungen gespickt mit selbstreflexiven Momenten, steht sozialhistorisch zunächst einzelnen Personengruppen zur Verfügung: in der Vormoderne bspw. dem Mönchtum (Erikson, 1975); in der Moderne einer kleinen Gruppe weißer, bürgerlicher junger Männer. In der »Postmoderne« – und hierin liegt nun die zentrale These Baethges (1985, S. 303) – habe sich das adoleszente Moratorium verlängert und universalisiert. Er interpretiert diese Ausweitung als einen schichtübergreifenden Wandel von einer »produktionistischen« zu einer »konsumistischen« Jugendsozialisation: »Konsumistische Sozialisation meint [...] Erfahrungsprozesse, in denen rezeptive und reflexive Akte, vor allem solche des Lernens dominieren. Produktionistische Sozialisation meint demgegenüber Erfahrungsprozesse, wo nach außen gerichtete und sich in vorweisbaren (sichtbaren) Resultaten äußernde Handlungsakte dominieren, deren Gelingen oder Mißlingen Auswirkungen auf andere, nicht nur auf sich selbst hat.« (Baethge, 1986, S. 110; Hervorhebungen im Original) Die Folgen konsumistischer Sozialisation beschreibt Baethge somit als ambivalent, gewichtet sie jedoch unterschiedlich. Zwar findet diese nicht unter dem Zwang von Lohn25
In Abgrenzung zum »psycho-sexuellen Moratorium« (Latenzphase) im Grundschulalter (Erikson, 1988, S. 98).
2. Adoleszenz und Erwerbsarbeit
arbeit und Entfremdung statt, jedoch resultiert daraus eine schwerwiegende »Vereinzelung und Verlust an gesellschaftlicher Integrationskraft« (Baethge 1986: 111). Die damalige »Jugend von heute« konzentriere sich auf ihr eigenes Befinden, orientiere sich vielleicht noch an der eigenen Peergroup, aber sicher nicht an der Klasse – die Individuen strebten in allen Lebensbereichen nach tatsächlicher Individualisierung, darüber vermittelt nach Authentizität und Selbstverwirklichung. Baethges These zur konsumistischen Sozialisation mündet folglich in einem Paradoxon: Einerseits ist sie Ausdruck der Freiheit (von Erwerbsarbeit und anderen Zwängen); andererseits verhindere sie ein Klassenbewusstsein – Klasse für sich könne demnach nur werden, wer kein Moratorium erfährt und unter Arbeitsprozessen leidet. Diese Paradoxie verschwindet in Baethges späteren Veröffentlichungen zu Jugend, Arbeit und Identität zwar nicht völlig, rückt in der normativen Subjektivierungsthese jedoch in den Hintergrund (Baethge et al., 1988; Baethge, 1991, 1994b). Das zuvor zentrale Modell der Adoleszenz tritt in den Studien zudem eher im- als explizit in Erscheinung; nichtsdestotrotz hält er an dessen logischen Ableitungen fest. Es geht weiterhin um das Verhältnis von Adoleszenz und Subjektbezug, nur wird die Theorie – insbesondere der Rekurs auf Erdheim und Erikson, ohne die die These eine sozialpsychologische Hülse bleibt – nicht mehr allzu deutlich.26 Anhand seiner theoretischen und empirischen Vorarbeiten erörtert Baethge (1991, S. 12-14, 1994b, S. 249-251) in seinen zentralen Veröffentlichungen zur normativen Subjektivierung von Arbeit schließlich drei konkrete Ursachen für die zunehmende Bedeutung einer sinnhaft-subjektbezogenen gegenüber einer materiell-reproduktionsbezogenen Perspektive auf Erwerbsarbeit: 1. Zentral sind post-fordistische Sozialisationsmuster der Adoleszenz und der daraus resultierende Subjektbezug. Anhand vielfältiger empirischer Beispiele zeigt Baethge, dass sich die vorberufliche Sozialisation in Form längerer Schul- und Ausbildungsphasen und die damit verbundene Verweildauer in altershomogenen Gruppen ausgedehnt hat. Jugendliche kommen immer später mit den betrieblichen Normen ökonomischer Zweckrationalität in Kontakt, bilden häufiger eigene Stilrichtungen aus, übernehmen erst spät Verantwortung für die materielle Existenzsicherung und haben in ihren rezeptiven Tätigkeiten länger große Freiheitsspielräume (Baethge et al., 1988, S. 42-44). Die Förderung damit verbundener, individualistischer Identitätsbildung führt zu erweiterter Subjektbezogenheit, zu einem Bedürfnis nach Selbstdarstellung und Selbstentwicklung. Jugendliche wollen ihre Subjektivität daher nicht nur im Privatleben, sondern auch in der Erwerbsarbeit entfalten. »Diese [...] tendenzielle Verallgemeinerung des Modells bürgerlicher Adoleszenz fördert individualistische Identitätsbildungsmuster und führt auch zur emotionalen Stabilisierung des »Eigensinns« der Subjekte. Man kann es anders formulieren: Je länger sich Bildungs- und Ausbildungszeiten ausweiten, desto weniger prägt das Arbeitssystem unmittelbar die Einstellungen der Subjekte, desto mehr wird es umgekehrt über
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Über die Ursache der nur oberflächlichen theoretischen Sättigung kann nur gemutmaßt werden. Ob es an Veröffentlichungspolitik, an einer potentiellen Ablehnung psychoanalytischer Sozialpsychologie seitens der (Arbeits-)Soziologie oder an anderem gelegen hat, bleibt daher offen.
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Adoleszenz und Arbeit
die Ansprüche und Einstellungen der Subjekte mit lebensweltlichen Einflüssen konfrontiert.« (Baethge, 1994b, S. 250) Mit keinem Wort erwähnt Baethge die entwicklungspsychologischen Grundlagen des adoleszenten Sinn- und Subjektbezugs; die »zweite Chance« und das psychosoziale Moratorium schwelen nur im (theoretischen) Hintergrund. Vielmehr stärkt er die Adoleszenzthese über gesellschaftliche Strukturverschiebungen. Als sozialstrukturelle Ursache für die Verallgemeinerung des »bürgerlichen Modells« sowie für die zunehmend konsumistische Sozialisation und somit für die Stabilisierung der normativen Subjektivierung hebt er den Strukturwandel der Beschäftigung in moderner Produktionsund Dienstleistungsarbeit hervor. Insgesamt verschiebe sich die Beschäftigtenstruktur hin zu qualifizierten Berufen, womit eine »breite Verankerung liberaler Sozialisationsmilieus in der Gesellschaft« einhergehe (Baethge 1994: 250). Die Geltendmachung von sinnhaft-subjektbezogenen Ansprüchen setzt Baethge somit in einen engen Zusammenhang mit (Aus-)Bildungsdauer, Wandel der Beschäftigungsstruktur27 und der Zugehörigkeit zu nicht weiter spezifizierten liberalen Sozialisationsmilieus. An anderer Stelle bricht Baethge die Argumentation auf die Bildungsexpansion herunter: »Die Anhebung des durchschnittlichen Qualifikationsniveaus auf der Angebotsseite [ArbeiterInnen; A.F.] als Folge der anhaltenden Bildungsexpansion führt zu höheren inhaltlichen Ansprüchen an die Arbeit, denen die Unternehmen, wollten sie gerade die qualifiziertesten Arbeitskräfte an sich binden, durch Erweiterung der Tätigkeitsprofile Rechnung tragen mussten (Baethge, 1991; Voß & Pongratz, 1998).« (Baethge, 1999, S. 30) Und dennoch: Ursächlich für sinnhaft-subjektbezogene Ansprüche an und der zugrundeliegenden Perspektive auf Erwerbsarbeit bleiben trotz allem die gewandelte Adoleszenz. Die strukturelle Ausweitung liberaler Milieus kann – der Argumentation Baethges folgend – nur als Katalysator, nicht als ursächlicher Moment wirken. 2. Neue Rationalisierungsstrategien stabilisierten zusätzlich die normative Subjektivierung. Durch den Bruch mit der tayloristisch-fordistischen Arbeitsteilung entstünden Situationen, in denen Angestellten Zugeständnisse auf Eigenverantwortung, Kompetenz und Status gemacht werden. Die aktive Einforderung von Subjektivität stünde somit nicht im Konflikt mit der objektiven Lage. Die normative Subjektivierung von Arbeit stelle jedoch nicht nur – wie Heidenreich (1996, S. 40) bemerkt – eine »Wahlverwandtschaft« zu den gewandelten Organisationsstrukturen der Erwerbssphäre dar, 27
Baethge (1994b, S. 248) geht davon aus, dass (trotz der allgemein weiten Verbreitung) in geringqualifizierten und restriktiven Formen der Erwerbsarbeit die Einlösung und folglich die Formulierung sinnhaft-subjektbezogener Ansprüche nicht stattfindet bzw. kaum Sinn macht. An anderer Stelle schwächt er diese Annahme ab. Ungeachtet der Realisierungsmöglichkeiten ist die Aspiration eine theoretisch verallgemeinerte und findet sich bisweilen auch in der Empirie wieder (Brake, 2003, S. 166). »Gerade an der sozial-kommunikativen Ausprägung subjektbezogener Ansprüche bei Arbeiterinnen wird sichtbar, daß derartige Ansprüche nicht unbedingt an ein bestimmtes, relativ gehobenes Qualifikationsniveau gebunden sind, sondern auch von Arbeiterinnen in Ungelernten-Positionen artikuliert werden.« (Baethge, 1991, S. 7; Fn. 2).
2. Adoleszenz und Erwerbsarbeit
sondern sei für die strukturelle Subjektivierung von Arbeit mitverantwortlich. So resultiert der Begriff der normativen Subjektivierung aus der Tatsache, dass nicht Managementstrategien im Sinne gezielter Verwertung subjektiver Bedürfnisse und Potentiale Ausgangspunkt des Subjektivierungsprozesses sind. »Normativ ist, was ich unter Subjektivierung der Arbeit verstehe, deswegen zu nennen, weil den Ausgangspunkt des Prozesses nicht eine gezielte Anpassung der Organisation der Erwerbsarbeit an die subjektiven Bedürfnisse der Beschäftigten seitens des betrieblichen Managements bildet [...]« (Baethge, 1991, S. 6) Und Baethge fügt in einer Fußnote an: »Ich verwende den Begriff im folgenden im Sinne der Geltendmachung persönlicher Ansprüche, Vorstellungen und Forderungen in der Arbeit, im Gegensatz zu solchen Momenten von Handlungsspielraum und Berücksichtigung persönlicher Bedürfnisse, die aus dem funktionalen Interesse des Arbeitsprozesses zugestanden werden.« (Baethge, 1991, S. 7; Fn. 1) Unternehmen stünden vor neuen (und nur schwer zu lösenden) Aufgaben. Sie müssten auf subjektbezogene Bedürfnisse reagieren, neue Organisationsformen etablieren und den ArbeiterInnen die Erfüllung ihrer sinnstiftenden Erwartungen ermöglichen. Die strukturelle Subjektivierung wäre demnach eine positiv zu wertende Folge (und wiederum Katalysator) normativer Subjektivierung von Arbeit. Gerade in dieser »neuen« Machtkonstellation zwischen Kapital und Arbeit werden Parallelen zu aktuellen Generationendebatten ersichtlich (vgl. Kapitel 1 & 2.3.2) »Die Gewichte im Wechselverhältnis zwischen Betrieb und Gesellschaft verschieben sich zugunsten der Gesellschaft.« (Baethge, 1994b, S. 250) An Habermas anschließend zeichnet Baethge die neue Situation gar als potentiell emanzipatorische Rache der Lebenswelt: »Die kolonialisierte Lebenswelt scheint sich zu rächen und führt über die Ansprüche der Individuen ihre nicht befriedigten expressiven Bedürfnisse ins Zentrum des Systems zweckrationalen Handelns, in das Erwerbsarbeitssystem, ein und zwingt dieses zur Revision seiner Steuerungsprinzipien und zur Modifikation seiner Organisation; [...]« (Baethge, 1991, S. 18). Auf empirischer Ebene führt er zudem Elemente der »kommunikativen Rationalisierung«, bspw. Partizipation und innerorganisationalen Austausch, auf die Unsicherheit des Managements zurück (Baethge, 1994b, S. 247-248). Woher die Furcht des Managements komme und wovor es sich konkret fürchte, bleibt allerdings schleierhaft. Irgendwie scheinen sich die SelbstverwirklicherInnen aber durchzusetzen; die Naivität gegenüber gesellschaftlicher Herrschaft, das Pochen auf die eigene Subjektivität scheint erfolgreich – »in welch prekärer Verkennung der tatsächlichen Machtverhältnisse diese mentale Subjektsetzung im Einzelfall auch immer vollzogen werden mag« (Baethge, 1991, S. 10). In welch prekärer Verkennung der Machtverhältnisse die emanzipatorischen Bestandteile der normativen Subjektivierungsthese vermutet wurden, ist heute offen-
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sichtlich. Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung lässt sich diese Verkennung in zwei Richtungen ausdeuten: Erstens stellt sie sich als Hoffnung bzw. in Anbetracht der sich tatsächlich wandelnden Arbeitswelt geradezu als konkrete Utopie dar. Ähnliche Thesen zum adoleszenten Moratorium und steigenden Selbstverwirklichungsansprüchen in der Erwerbssphäre betonten den Widerspruch von adoleszentem Streben und ökonomischen Imperativen deutlich stärker – insbesondere das »Neue kulturelle Modell« von Zoll und KollegInnen. »Die Tendenz zur Verlängerung der Adoleszenz, zur Verlängerung der Phase des Ausprobierens und der Suche nach Identität wird gleichsam konterkariert durch die Zwänge und Imperative des Arbeitsmarktes.« (Zoll et al., 1989, S. 227) Zoll und KollegInnen verstanden den Wandel der Erwerbssphäre zwar ebenfalls als eine einhergehende gesellschaftliche Wandlung zu neuen Arbeitsorientierungen unter Jugendlichen. Sie bezogen sich dabei jedoch auf generelle Prozesse der Tertiarisierung, technische Entwicklungen und eine subjektive Ablehnung traditioneller Arbeitsbedingungen (Zoll et al., 1989, S. 8-11; Zoll, 1992, S. 11-13). Baethge (1994b) erkannte vielmehr die fortschreitende strukturelle Subjektivierung von Arbeit als passfähige Erwerbsbedingung zu den sinnhaft-subjektbezogenen Ansprüchen von Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Dass letztlich jedoch Baethges hoffnungsvolle These enttäuscht wird und die angedeuteten Widersprüche des »Neuen kulturellen Modells« in gewandelter Form auch die gegenwärtige Adoleszenz kennzeichnen, wird im weiteren Verlauf der vorliegenden Studie herausgearbeitet (vgl. Kapitel 3). Zweitens ist die These der normativen Subjektivierung unbedingt theoriepolitisch zu verstehen. Intention der AutorInnen vom Göttinger SOFI (Baethge et al., 1983; Baethge et al., 1988) war zunächst die Zurückweisung der sowohl von konservativer als auch liberaler Seite vertretenen These einer Distanzierung der nächsten Generation von der Erwerbsarbeit (Offe, 1983). Baethge wies nach, dass der Jugend weder das Leistungsethos abgehe (Noelle-Neumann & Köcher, 1987), noch Erwerbsarbeit in der Identitätsbildung unwichtig würde (Matthes, 1983). Im Gegenteil: Die Jugendlichen, so die Göttinger, interessierten sich sogar verstärkt für Erwerbsarbeit, aber in einer anderen Weise als das früher der Fall war. Sie stellten Selbstverwirklichungsansprüche, forderten Berufe, Arbeitsweisen, Organisationsstrukturen ein, die »zu ihnen passen« oder passend gemacht werden, damit »Arbeit Spaß macht«. 3. Als weiteren strukturellen Faktor zur Stabilisierung normativer Subjektivierung führt Baethge (1994b, S. 251) die Expansion weiblicher Erwerbstätigkeit an. Er grenzt sich dabei ausdrücklich von Ansätzen ab, die von einem weiblichen Arbeitsvermögen ausgehen (Beck-Gernsheim & Ostner, 1978). Es geht ihm vielmehr um den »historisch spezifischen Zeitpunkt« zu dem Frauen »mit einer spezifischen vorberuflichen Sozialisation (hohes formales Bildungsniveau) und spezifischen Ansprüchen an Selbstbestätigung und Unabhängigkeitserfahrung« in das Erwerbsleben drängen. Im Endeffekt referiert dieses historische und geschlechtsspezifische Argument auf die Adoleszenzthese (1). So spiegelt sich die längere Ausbildungsphase in einem verlängerten psychosozia-
2. Adoleszenz und Erwerbsarbeit
len Moratorium wider – das vormals männliches Privileg stehe nun auch weiblichen Jugendlichen vermehrt zur Verfügung.28 Insgesamt tritt die adoleszenztheoretische Fundierung der normativen Subjektivierungsthese vermittelt über sozialisations- und identitätstheoretische Überlegungen in Erscheinung. Die Adoleszenz hat sich in post-industriellen Gesellschaften verlängert und verallgemeinert. Bildungsphasen und somit die Freiheit von ökonomischer Zweckrationalität haben in der sozialen Breite strukturell zugenommen. Seit den Studien von Baethge und KollegInnen haben sich Bildungszeiten deutlich verlängert. Mittlerweile erreichen etwa 50 Prozent eines Jahrgangs die Hochschulreife. Die relativen Studierendenzahlen (AnfängerInnen und AbsolventInnen) nehmen ebenfalls stetig zu (Schindler, 2014; Statistisches Bundesamt, 2014). Strukturell betrachtet stellt die Gegenwartsgesellschaft somit einen fruchtbaren Boden für die normative Subjektivierungsthese dar – aber: ganz so einfach ist es nicht und ganz so einfach machen es sich weder Baethge noch Erdheim, Erikson oder ihre theoretischen NachfolgerInnen.
2.1.3
Adoleszenter Möglichkeitsraum, Narzissmus und Triangulierung
Erdheims Adoleszenztheorie, sein positiv besetzter Narzissmusbegriff sowie seine Analyse des Verhältnisses von Adoleszenz und Kultur bieten eine Perspektive auf das subjektive Verhältnis Jugendlicher zur Erwerbsarbeit, die subjekttheoretische Annahmen der analytischen Sozialpsychologie an die Soziologie, an kulturelle und soziale Bedingungen des Aufwachsens koppelt. Was Erdheim nicht recht gelingt, eine ausformulierte Moratoriumstheorie, eine Beschreibung dessen, was nun eigentlich das »Heiße« in »heißen Gesellschaften« ausmacht, unter welchen Bedingungen sich eine sinnhaftsubjektbezogene Perspektive entwickelt, lässt sich ex negativo aus seinen Schriften, empirisch und theoretisch aber deutlich gesättigter aus anderen Adoleszenztheorien ziehen. In den frühen Arbeiten Martin Baethges (1985, 1986) finden sich hierzu Rückgriffe auf Erik Eriksons Adoleszenztheorie, die sich in dessen »Stufenmodell der psychosozialen Entwicklung« verbirgt. Mit Erikson und dessen vielseitig kritisierten, teils normativ überladenen bi-polaren Perspektive auf Adoleszenz und Identität endet jedoch nicht die Geschichte der psychologisch fundierten, soziologisch anschlussfähigen Adoleszenztheorie. Im Folgenden steht daher zur theoretischen Konzeption der Adoleszenz zuerst die gegenwärtig wohl meistrezipierte, umfassendste und für einige Leerstellen Erdheims und Eriksons anschlussfähigste Arbeit der vergangenen Jahre im Mittelpunkt (King, 2013). Zu deren Verbindung mit dem subjektiven Verhältnis Jugendlicher zur Erwerbsarbeit dient das daran anschließende und ebenfalls dargestellte Konzept der adoleszenten Triangulierung (Eichler, 2019, 2021; Eichler & Fischer, 2020) 28
Da sowohl Erdheims als auch Eriksons Adoleszenzmodelle dazu neigen, insbesondere männliche Adoleszenzverläufe zu thematisieren bzw. (im Falle Eriksons) zu idealisieren, ist ein Blick auf Adoleszenzverläufe von Mädchen sehr wichtig, um spezielle, sozial hervorgerufene Konflikte in der weiblichen Adoleszenz und daraus resultierende Lebensentwürfe zu reflektieren (Flaake und King, 2003a; King, 2013). Dass ein ausgeprägtes psychosoziales Moratorium für alle Geschlechter Subjektbezug-fördernd wirkt, wird hier angenommen; dass es jedoch durchaus strukturell auftretende, geschlechtsspezifische und für gewöhnlich Frauen benachteiligende gesellschaftlichkulturelle Schranken im Moratorium gibt, wird in Kapitel 2.2.4 dargestellt.
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Adoleszenz und Arbeit
Vera King (2013) legt in Die Entstehung des Neuen in der Adoleszenz ein Konzept vor, das die Kopplung sozialpsychologischer und soziologischer Adoleszenztheorien ermöglicht und dabei die Grundlage des adoleszenten Narzissmus familial und sozial einbettet, ohne jedoch einer vereinfachten Psychologisierung sozialer Tatsachen Gefahr zu laufen.29 Grundsätzlich geht es King darum, das »Verhältnis von adoleszenter Produktivität und Destruktivität sowie von Emergenz und Determination in adoleszenten Prozessen modernisierter Gesellschaften begreifbar« zu machen (King, 2013, S. 276). Auf den Gegenstand des subjektiven Verhältnisses zur Erwerbsarbeit bezogen, geht es bei King letztlich um die Frage, welche Bedingungen »Adoleszenz« und aus ihr resultierende Orientierungsmuster strukturieren. Mit dem Fokus auf das »Neue«, »Kreativität« und »Individuierung« knüpft King deutlich an die oben skizzierten Thesen Erdheims – sowohl zum Verhältnis von Adoleszenz und Kultur als auch zu sinnhaft-subjektbezogenen Ansprüchen – an, greift dabei jedoch auf soziologischere und empirisch anschlussfähigere Kategorien zurück. Ihre Konzeption von Adoleszenz beruht auf grundlegenden Überlegungen zum adoleszenten Narzissmus und dem adoleszenten Moratorium, schließt jedoch insbesondere auch Überlegungen zur Dialektik von Individuation und Generativität sowie zu Ungleichheitsmechanismen mit ein. Kings grundlegende Definition von »Adoleszenz« erinnert daher vorerst an klassische entwicklungspsychologische Theorien. »Übergreifend soll der Begriff der Adoleszenz nicht einfach auf eine Lebensphase abzielen, sondern zudem auf eine potenzielle Qualität dieser Übergangsphase, nämlich ein psychosozialer Möglichkeitsraum zu sein, der jene weitergehenden psychischen, kognitiven und sozialen Separations-, Entwicklungs- und Integrationsprozesse zulässt, die mit dem Abschied von der Kindheit und der schrittweisen Individuierung im Verhältnis zur Ursprungsfamilie, zu Herkunft und sozialen Kontexten im Zusammenhang stehen.« (King, 2013, S. 39; Hervorhebungen im Original) Passend zu Erdheim und Erikson geht es auch bei King nicht um eine formale Fassung der Jugend (Festmachen am Alter oder am Aufenthalt in »jugendtypischen« Institutionen) oder der Anthropologisierung bestimmter Werte (im Sinne von Jugend = Selbstverwirklichung), sondern um spezifische Qualitäten des Übergangs von der Kindheit in den Erwachsenenstatus und damit einhergehenden (Un-)Möglichkeiten der Identitätsentwicklung.30 Vielmehr analysiert sie Sozialisationsbedingungen, die den Blick auf das eigene Selbst und die Gesellschaft sowie spezifische daraus resultierende Denk-, Wahrnehmungs- und Handlungsschemata fördern. Sie schließt sich grundlegend dem Gedanken des adoleszenten Moratoriums an, greift jedoch über dessen antiökonomische Definition hinaus.
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Ganz ähnlich zu Adorno (2003) in seinen Abhandlung zum Verhältnis von Soziologie und Sozialpsychologie analysiert auch King (2014) das Verhältnis von (Bourdieus) Sozialtheorie zur Psychoanalyse als ein aufeinander verwiesenes, aber nicht identisches. Hierzu passt auch Kings Begriff der »Erwachsenheit«, die nicht als »Endpunkt von Jugend oder Adoleszenz«, sondern in einem »weitreichenden Sinne (.) als Folge von Adoleszenz« zu verstehen ist (King, 2013, S. 42-43; Hervorhebung im Original).
2. Adoleszenz und Erwerbsarbeit
»Insofern Adoleszenz in diesem Sinne ein ›psychosoziales Moratorium‹ (Erikson 1973 [1959]) bezeichnet, das überhaupt Zeit und Raum und damit die Chance eröffnet, Individuierung im beschriebenen Sinne zu gestalten und voranzutreiben, setzt Adoleszenz eine Form des (.) ›sozial aus dem Spiel‹-Seins (Bourdieu 1980, S. 139), eine Form der sozialen ›Integration durch Separation‹ (Hornstein, 1998, S. 32) etwa in Gestalt des ›erweiterten Bildungsmoratoriums‹ (Zinnecker 1991) voraus, das bereits sozial ungleich verteilt ist. Wie sich noch zeigen wird, sind damit jedoch noch nicht alle Determinanten sozialer Ungleichheit hinsichtlich des adoleszenten Möglichkeitsraums benannt. Diese sind, wie noch ausgeführt wird, zudem intergenerationell und über die Verknüpfung von sozialen Positionen und psychosozialen Ressourcen teilweise subtil verteilt.« (King, 2013, S. 41) Kings theoretische Konzeptualisierung des »adoleszenten Möglichkeitsraums« greift über das ökonomische und nur implizit sozialräumlich konzipierte »adoleszente Moratorium« hinaus. Sie umfasst das intergenerationale Verhältnis von Adoleszenten zu ihren Eltern/ihrer Elterngeneration (vice versa), berücksichtigt sozial ungleich verteilte »psychosoziale Ressourcen« und zielt letztlich auf die Frage, welche adoleszenten und familiären Konstellationen eine adoleszente Individuation fördern. Mit jener Individuation umschreibt sie in Anschluss an Honneth (1994a) einerseits das psychologische Pendant zur Individualisierung (als Fähigkeit mit Anforderungen, Handlungsalternativen und Möglichkeiten der Individualisierung produktiv, selbstbewusst und reflexiv umzugehen), andererseits auch das, was jahrzehntelang unter dem Topos der »Identitätsbildung« besprochen wurde. Im Mittelpunkt stehen die Fragen »Wer bin ich? Woher komme ich? Wer will ich sein?« (King, 2013, S. 101; Hervorhebungen im Original). Es geht um die reflektierte Auseinandersetzung des Subjekts mit sich selbst und seiner Gewordenheit aus einer dezentrierten Position; es geht darum, Individualisierungsprozesse ergreifen, aber auch aushalten zu können, reflektiert eine Position zur und in der Gesellschaft einzunehmen und diese (genauso wie eigene und familiale Erwartungen) in Frage stellen zu können – »trotz ihrer überwältigenden Objektivität« (Erdheim, 1988b, S. 199). Den Fokus legt King jedoch mindestens genauso sehr auf die Frage, welche Faktoren die Individuation erschweren, welche sozialen, insbesondere sozialräumlichen und geschlechtsspezifischen Ungleichheiten, die eine Überwältigung durch die Objektivität fördern. Etwas humanistischer gefasst geht es also auch um die Frage, welche Bedingungen der Adoleszenz eine Fähigkeit zur Mündigkeit erlauben (Eichler & Fischer, 2020; King, 2009). Kings Adoleszenztheorie ist zwar nicht explizit an ein spezifisches subjektives Verhältnis zur Erwerbsarbeit geknüpft; ihr Schwerpunkt in Theorie, aber auch inhaltlich und empirisch liegt jedoch ganz deutlich auf typischen Aspekten der sinnhaft-subjektbezogenen Perspektive im Sinne Baethges (1994b): Subjektbezüge, Identitätsbezüge, altruistische Bezüge, eine kritische Perspektive auf (arbeits)gesellschaftliche Bedingungen sowie das Streben nach Autonomie stehen dabei immer wieder im Mittelpunkt. Kings Adoleszenzkonzept liefert einen Rahmen für die Analyse jugendlicher Perspektiven auf die Erwerbsarbeit, der über Erdheims und Eriksons Narzissmus- und Moratoriumstheorien hinausgeht. Sie konzeptualisiert adoleszente Subjektivität und somit das subjektive Verhältnis Jugendlicher zur Erwerbsarbeit soziologisch weiter-
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gefasst und hebt dabei insbesondere die Rolle des familiären und gesellschaftlichen Umfelds für die Strukturierung des »adoleszenten Möglichkeitsraums« hervor (Eichler, 2021). Im Zentrum steht eine Überlegung, die bereits bei Erdheim (1982) in Anschluss an Levi-Strauss und in einfacherer Variante in der Wertewandeldebatte (Noelle-Neumann & Petersen, 2001) angeklungen ist. Eine zentrale Bedingung für die Adoleszenz ist das Generationenverhältnis. »Wie stark der adoleszente Möglichkeitsraum begrenzt ist, hängt beispielsweise nicht zuletzt vom generativen Verhalten der Eltern ab, von der Frage, was sie von ihren Kindern wollen, wie gut sie ihre eigenen Trennungserfahrungen verarbeitet und wie viele ›unerledigte Aufgaben‹ sie der nachfolgenden Generation mitgegeben haben.« (Schwarz, 2014, S. 38) Dabei geht es um die Möglichkeiten Jugendlicher, sich einerseits von der vorausgehenden Generation abzulösen (im Sinne Erdheims (1988b) kindliche und familiale Bindungen umzugestalten) und andererseits auch die vorausgehende Generation abzulösen (im Sinne Mannheims (1964b) alte KulturträgerInnen abzusetzen und neue einzusetzen). Als zentrale soziale Strukturierung des adoleszenten Möglichkeitsraums und damit korrespondierender Orientierungen hebt King (2013, S. 47) daher die generative Struktur hervor, »in die Adoleszenz eingebettet ist oder aus der sie hervorgeht.« Der Fokus liegt insbesondere auf den familialen und außerfamilialen intergenerativen Beziehungen. »Generativität zielt [.] begrifflich auf den Beitrag der Angehörigen der Erwachsenengeneration im Allgemeinen und der Eltern oder anderen primären Bezugspersonen im Besonderen zu Möglichkeit der Individuation, wie er in einem gleichermaßen fürsorgebereiten wie zurückhaltenden Begleiten der Adoleszenten zum Ausdruck kommen kann.« (King, 2013, S. 48) Generativität auf Seite der Erwachsenen zielt also auf Haltungen, Kompetenzen, materielle und auch emotionale Ressourcen, die die Ablösung von den Eltern/der Elterngeneration und somit die Individuation der Jugendlichen fördern. Strukturlogisch steht die Generativität jedoch auch am Ende des »adoleszenten Prozesses« (King, 2013, S. 48) im Sinne eben jener Ablösung der Eltern/der Elterngeneration. Dabei bezeichnet die Generativität auf Seite der Adoleszenten »eine Position und Haltung psychischer und sozialer Wirkmächtigkeit, Fürsorgefähigkeit und Produktivität, [...] die immer auch der erwachsenen Generation abgerungen werden muss« (King, 2013, S. 48-49). Wie nun Erdheim, Levi-Strauss, Bosse, Mead und viele andere, an die Kings Überlegungen anschließen, aufzeigen, zeichnet sich die Moderne gegenüber traditionalen, kalten Gesellschaften durch eine generative Struktur aus, die Individuierung deutlich besser ermöglicht. Generative Strukturen als Merkmal adoleszenter Möglichkeitsräume und somit als Grundlage zur Individuierung sowie spezifischer Welt-, Selbst- und Arbeitsbilder sind allerdings nicht selbstverständlich, sondern schwer umstritten, ungleich verteilt und abhängig von »Schicht, Klasse, Milieu, kultureller Umgebung und schließlich von Geschlecht« (King, 2013, S. 278). Innerhalb dieser Dimensionen unterscheidet sich das Ausmaß an »Verkürzungen, Enteignungen, projektiven Überfrachtungen, Fremdbestimmungen oder anderen Überformungen des adoleszenten Raums seitens
2. Adoleszenz und Erwerbsarbeit
der Erwachsenengeneration« und somit auch die intergenerativ bedingte Chancenstruktur des adoleszenten Möglichkeitsraums. Dass sich solche Chancenstrukturen wandeln können, verdeutlicht die Entstehung der »weiblichen Adoleszenz« (Flaake & King, 2003b; King, 2013, S. 82-96; vgl. Kapitel 2.2.4) und die damit einhergehende Neukonstellation »männlicher Adoleszenz« (King & Flaake, 2005). Daraus folgen wiederum intergenerative Erwartungshaltungen, neue geschlechtsspezifische Konkurrenzbedingungen oder Abwehrmechanismen.31 Dass diese Chancenstrukturen auch Machtstrukturen und somit umkämpft sind, ist ein wichtiger Aspekt der gesellschaftlichen Bedeutung der Adoleszenz (Fischer & Eichler, 2015; King, 2013, S. 282-283). Hierfür verschränkt King zwei Perspektiven, indem sie die Dauer der Adoleszenz zu deren Qualität (Chancenstruktur) ins Verhältnis setzt. »Einmal die Perspektive, dass es im Prozess der sozialen Definitionen und Konstruktionen von Jugend auch um die Absicherung der Erwachsenengeneration geht. Aus dieser Perspektive sichert sich Macht häufig dadurch, dass die Weitergabe von Privilegien des Erwachsenenstatus möglichst spät erfolgt. Zum andern die Perspektive, dass sich privilegierte Positionen auch über das Maß des in einer Kultur oder innerhalb eines gesellschaftlichen Feldes zur Verfügung stehenden Entwicklungsspielraums (re)produzieren. Entscheidend ist es aus dieser Perspektive nicht, möglichst früh als erwachsen zu gelten, sondern möglichst optimale Bedingungen für die Entwicklung und Transformation zum Erwachsenen zu bekommen oder zu nutzen.« (King, 2013, S. 283) In modernisierten Gesellschaften wird die Reproduktion der sozialen Ungleichheit komplexer und subtiler, sie ist zentral an die aus der Chancenstruktur des Möglichkeitsraums resultierende Qualität des Moratoriums gekoppelt. Diese basiert auf der Verschränkung gesellschaftlicher und kultureller Bedingungen, familialer Voraussetzungen und Dynamiken sowie individueller Ressourcen. Ob und wie die Chancenstrukturen mit der Ausbildung spezifischer Orientierungen auf Erwerbsarbeit zusammenhängen, stellt King – im Gegensatz zu Erdheim und Baethge – nicht heraus. Zwar arbeitet sie berufliche und familiale Orientierungen männlicher und weiblicher Adoleszenter auf (King, 2013, S. 146-157), versucht dabei jedoch keine einfache theoretische Einordnung in dem Sinne, dass ein verlängertes Bildungsmoratorium zu sinnhaftsubjektbezogenen Ansprüchen führe – letztlich ist es auch nicht ihr Gegenstand. Vielmehr bietet sie einen Rahmen, der soziologische Dimensionen und die psychosoziale Lage Jugendlicher zusammenbringt. Jugendliche Zukunftsentwürfe und »berufliche Optionen« bettet sie durchaus darin ein, ohne jedoch vereinfachte Schlüsse zu ziehen, da die Komplexität biographischer, familialer und gesellschaftlicher Dynamiken dies
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Gerade hinsichtlich der vergleichsweise jungen »weiblichen Adoleszenz«, die ja auch für Baethge eine entscheidende Triebkraft normativer Subjektivierung war, zeigen sich auf gesamtgesellschaftlicher Ebene massive männliche* Abwehrformationen und neue intergenerative Verhärtungen. Inwiefern Männer* veränderte Konstruktionen von Männlichkeit jedoch auch als Chance nutzen können, hängt stark davon ab, »inwieweit sie in ihren veränderten männlichen (und väterlichen) Entwürfen auf die dafür notwendigen Ressourcen zurückgreifen können, wieviel Spielräume für Neukonstruktionen zur Verfügung stehen und welche Möglichkeiten der Praxis damit verbunden sind« (King, 2013, S. 281).
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Adoleszenz und Arbeit
kaum zulässt. In der Analyse jugendlicher Subjektivität gilt es daher, den gesamten adoleszenten Möglichkeitsraum zu berücksichtigen. »Sie [Adoleszente; A. F.] sind in ihren Zukunftsentwürfen zugleich immer auch mit der teils bewussten, teils unbewussten Interpretation der eigenen Vergangenheit befasst. Nicht allein die äußeren Bedingungen, wie zum Beispiel die Strukturen der staatlichen Ausbildungsorganisation oder des Arbeitsmarktes, bestimmen und prägen biographische Verläufe und Entscheidungsprozesse. Berufliche Optionen sind vielmehr immer auch Kompromissentscheidungen in Bezug auf charakteristische Konfliktkonstellationen, wie sie den jeweiligen Lebenslauf, den familialen Hintergrund, die aktuelle Lebenssituation und deren psychische Verarbeitung kennzeichnen.« (King, 2013, S. 104) Eine gezielte Verknüpfung von Kings adoleszenztheoretischem Rahmen mit der Analyse des subjektiven Verhältnisses Jugendlicher zur Erwerbsarbeit ist also möglich, wird jedoch trotz ihrer fortlaufende Auseinandersetzung mit kreativer, kritischer, eben: sinnhaft-subjektbezogener Subjektivität nie explizit. Anschließend an Kings (2013) Überlegungen zur Generativität und zum adoleszenten Möglichkeitsraum erweist sich daher das Konzept der adoleszenten Triangulierung als fruchtbar (Eichler, 2019), das viel expliziter nicht nur jugendliche Subjektivität, sondern ganz konkret das subjektive Verhältnis Jugendlicher zur Erwerbsarbeit an seine psychosozialen Voraussetzungen knüpft (Eichler, 2021; Eichler & Fischer, 2020). Das Konzept verknüpft Kings Idee der Ablösung als Dialektik von Generativität und Individuation32 mit Erdheims Adoleszenztheorie sowie mit den jeweils zugehörigen kindheitspsychologischen Grundlagen von Donald W. Winnicott (1958, 2015). So greift das Konzept des adoleszenten Möglichkeitsraums begrifflich und Erdheims Narzissmustheorie inhaltlich auf Winnicotts Überlegungen zum potential space zurück. Der psychoanalytische Grundgedanke dahinter bezieht sich auf den frühkindlichen Narzissmus: bei »ausreichend guter Bemutterung«33 nimmt sich ein Säugling vergleichsweise ungetrennt von der primären Bezugsperson wahr (Holder & Dare, 1982). Das Kind erlebt sich, trotz einer real sehr hohen Abhängigkeit, geradezu in einer »dyadischen Union« mit der Bezugsperson, fühlt sich unabhängig und omnipotent. »In dieser Erfahrung wurzeln die frühkindlichen Omnipotenzphantasien, die wiederum entscheidend dafür sind, dass die erfahrene Realität nicht widerstandslos hingenommen, sondern kreativ umgestaltet werden kann.« (Schwarz, 2014, S. 23) 32
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»Ablösung lässt sich insofern in einer Dialektik von Generativität und Individuation bestimmen: Generativität, als psychische Kompetenz der Erwachsenen, ermöglicht Individuation der Heranwachsenden; Generativität stellt zugleich eine Fähigkeit dar, die Adoleszente im günstigen Fall im Prozess der Ablösung selbst erlangen.« (King, 2010, S. 16) Hinter dem (hetero)normativ geladenen bzw. erscheinenden Begriff verbergen sich letztlich relativ einfache Überlegungen zum Verhältnis einer zentralen Bezugsperson zum Säugling. An sich richtet sich das Konzept der »good enough parents« interessanterweise sogar gegen eine Idealisierung der Mutterfigur, ein zunehmendes Beratungsinstrumentarium für Eltern und den damit verbundenen Druck, insbesondere für die leibliche Mutter (Winnicott, 1992). Die »ausreichend gute Bemutterung«, die auch durch andere Bezugspersonen als eben jene Mutter erfolgen kann, beschreibt grundlegend das Erkennen psychischer und physischer Bedürfnisse des Kindes sowie das angemessene Eingehen darauf (Eichler und Fischer, 2020; Holder und Dare, 1982, S. 795-800).
2. Adoleszenz und Erwerbsarbeit
Notwendigerweise wird die frühkindliche Omnipotenzphantasie frustriert, der Säugling gewinnt schrittweise ein Bewusstsein von der Bezugsperson und somit von der eigenen Abhängigkeit. Gelingt dieser vulnerable Vorgang durch eine sensible Kombination aus Mangel und Erfüllung, macht der Säugling die Erfahrung von der Eigenständigkeit der Umwelt/Bezugsperson, die er zwar nicht unmittelbar kontrollieren, mit der er aber durch vorsprachliche und später sprachliche Kommunikation in Beziehung treten kann. Es entsteht ein potential space (Winnicott, 2015). Diesen Raum zwischen der Bezugsperson und dem Kind beschreibt Winnicott als Raum der Kreativität, des Spiels und der Kultur, ein Raum, in dem das Verhältnis von Realität und Phantasie, von Begehren und Kontrolle spielerisch ausprobiert und verhandelt wird (Eichler & Fischer, 2020; Schwarz, 2014; Winnicott, 2015). Soziologisch anschlussfähiger formuliert, geht es darum, dass die Kombination aus emotionaler und materieller Sicherheit die Verwandlung von phantastischer narzisstischer Allmacht in spielerisch-kreative Realitätsaneignung und (lebensgeschichtlich später) potentiell auch Realitätsumwandlung ermöglicht – »trotz ihrer überwältigenden Objektivität« (Erdheim, 1988b, S. 199). Für Winnicott geht es jedoch ums Kleinkind, (für ihn zentral:) um die Mutter-Kind-Dyade und um den sehr klinisch analysierten frühkindlichen potential space. Eine Aktualisierung seiner Theorie und insbesondere deren Kopplung an adoleszente Dynamiken und Orientierungsmuster erfolgt insbesondere durch Lutz Eichler (2019, 2021; Eichler & Fischer, 2020). Um den potential space zu eröffnen, muss ein dritter Eckpunkt neben der Dyade von Kind und zentraler Bezugsperson etabliert werden. Ob das nun Vater, Mutter, Tante oder eine imaginäre Person ist, spielt erst einmal keine Rolle; die Figur muss jedoch a) für das Kleinkind Bedeutung erlangen und b) sowohl als Vorbild wie auch als KonkurrentIn im Verhältnis zur ersten Bezugsperson stehen. Das Kind stellt dabei fest, dass es Beziehungen außerhalb der Dyade gibt, aus denen es zwischenzeitlich ausgeschlossen ist, und muss die Fähigkeit des Alleinseins ohne überflutende Einsamkeitsgefühle entwickeln. Für diese Konstellation hat sich der Begriff der Triangulierung etabliert (Eichler, 2021; Grieser, 2017; Quindeau, 2008, S. 33). In der Adoleszenz wiederholt sich nun sowohl die narzisstische Problematik als auch die der Triangulierung, jedoch unter ganz anderen affektiven, kognitiven und moralischen Voraussetzungen. Als maßgeblicher theoretischer Ankerpunkt der adoleszenten Triangulierung, mit der die deterministische Perspektive auf die Kindheit überwunden wird, greift Eichler (2019; Eichler & Fischer, 2020) auf die »klassische« Idee der Triangulierung zurück, verbindet sie mit den narzissmustheoretischen Überlegungen Erdheims und mit der Idee der Individuation im Sinne Kings (2013). Was Erdheim (1988a) als »zweite Chance« fasst, kommt einer Reaktivierung der narzisstischen Besetzung des eigenen Selbst gleich. Der/Die Jugendliche ist fest davon überzeugt, dass er/sie alles kann, alles besser als alle anderen versteht und alles möglich, nichts selbstverständlich ist. »Die Aufweichung der Realität zusammen mit den Größen- und Allmachtphantasien machen die Kreativität des Adoleszenten aus.« (Erdheim, 1982, S. 306) Während Erdheim und an ihn anschließend auch Baethge sinnhaft-subjektbezogene Ansprüche über das adoleszente Moratorium erklärten, bettet Eichler den adoleszenten Narzissmus in Anschluss an Winnicott und King triangulierungs- und moratori-
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Adoleszenz und Arbeit
umstheoretisch ein. Geht es in der frühkindlichen Triangulierung um die Konstellation »Kind – erste Bezugsperson – zweite Bezugsperson«, tritt in der adoleszenten Triangulierung als neue Instanz neben der/m Jugendlichen und der Familie die Kultur in Erscheinung. Für den adoleszenten Narzissmus ist jedoch wieder ein Fundament an »unkündbarer Beziehung und Vertrauen nötig, jetzt nicht mehr (nur) zu den Eltern, sondern zu sozialen Institutionen wie Schule oder Vereinen, aber auch Peers und – in Antizipation – auch zur Arbeitswelt, die ihrerseits real oder symbolisch haltende Funktionen übernehmen und so die Ablösung von der Primärfamilie fördern« (Eichler, 2019, 146). Die »dritte Position« in der adoleszenten Triangulierung übernimmt eben jene Kultur, die ihrerseits selbst Sicherheit spendend und attraktiv gegenüber den Jugendlichen wirken muss; sie ermöglicht eine Überwindung der familialen Abhängigkeit, bietet Jugendlichen ein Stückweit Autonomie, ohne jedoch völlige Unabhängigkeit zu gewähren. Auch in der adoleszenten Triangulierung ist es von Bedeutung, sich der Abhängigkeit gewahr zu werden, ohne in blinden Fatalismus zu verfallen. Es geht also darum, die Einsicht zu gewinnen, dass unter den gegenwärtigen gesellschaftlichen Bedingungen keineswegs alles möglich ist, Traumschlösser und wishful thinking keine Realisierung erfahren, gleichzeitig jedoch dieser »überwältigenden Objektivität« (Erdheim, 1988b, S. 199) zu trotzen und diese in Frage zu stellen. Die Einbettung des subjektiven Verhältnisses Jugendlicher zur Erwerbsarbeit im Triangulierungskonzept erfolgt insgesamt gar nicht fernab der normativen Subjektivierungsthese. Auch hier stehen sinnhaft-subjektbezogene Ansprüche im Mittelpunkt, auch hier stellt der adoleszente Narzissmus deren psychologisches Pendant dar, dessen Entwicklung, Aufrechterhaltung und insbesondere Übertragung auf die Erwerbssphäre jedoch in weiteren Dimensionen gefasst ist (Eichler, 2021; Eichler & Fischer, 2020). Das Verhältnis zur Kultur und somit auch zur Erwerbsarbeit bestimmt sich über das Gelingen oder Scheitern, über die Möglichkeit und Unmöglichkeit jener Triangulierung. Während Erdheim (1982, 1988c) die Übertragung narzisstischer Impulse einerseits an die Möglichkeit des Moratoriums, andererseits aber auch an die konkrete Erwerbserfahrung und deren massiv »kränkende« Wirkung bindet, erweitert sich die Perspektive im Triangulierungskonzept um familiale und kulturelle Bedingungen – sowohl im gegenwärtigen Sinne, aber auch antizipatorisch (Eichler & Fischer, 2020). Auch hier zeigen sich teilweise Überlegungen, die bereits Erdheim (1988b) in den Mittelpunkt stellt: so muss die Gesellschaft einerseits eine Abarbeitung an ihr selbst erlauben, den Jugendlichen Frei- bzw. Möglichkeitsräume zur Individuation gewähren (King, 2013); das Triangulierungskonzept geht allerdings einen Schritt darüber hinaus, betont über die sicherheitsspendende Funktion gegenwärtiger Bedingungen die von den Jugendlichen antizipierten arbeitsgesellschaftlichen Bedingungen (Eichler & Fischer, 2020) – was bringen die ganze familiale Sicherheit und Möglichkeiten der Selbstreflexion, wenn danach das Versinken in Prekarität erwartet wird? Eine gelungene Triangulierungskonstellation geht mit einer reflexiv-narzisstischen Position, eine gescheiterte oder verhinderte Triangulierung mit materialistischen, übermäßig sicherheitsbezogenen und familienfixierten Orientierungen einher (Eichler, 2021). Reproduktionsbezogene, materialistische und traditionale Orientierungen wären demnach nicht einfach als gering ausgeprägter Narzissmus zu interpretieren (wie es sich teils bei Erdheim und Baethge andeutet), sondern im Kontext familialer
2. Adoleszenz und Erwerbsarbeit
und insbesondere gesellschaftlicher Bedingungen. Die Idee einer adoleszenten Triangulierung ist also theoretisch eng an Erdheim, Baethge und Kings Individuierungstheorie gekoppelt, bleibt empirisch jedoch genauso konkrete Analysen hinsichtlich des subjektiven Verhältnisses Jugendlicher zur Erwerbsarbeit schuldig.
2.2
Gesellschaft und Adoleszenz
In Anschluss an die adoleszenztheoretischen Konzepte von Erdheim, Erikson, King und Eichler gilt es im Folgenden, die gegenwärtigen Bedingungen jugendlicher Sozialisation zu prüfen. Im Mittelpunkt steht die Frage, inwiefern sie Strukturen zur Verfügung stellen, die einem psychosozialen Moratorium entsprechen, Möglichkeitsräume bieten und eine adoleszente Triangulierung ermöglichen. Auf den ersten Blick lässt sich dabei der strukturelle Grundgedanke der normativen Subjektivierungsthese wunderbar ins 21. Jahrhundert hineintragen. (Aus-)Bildungszeiten verlängern sich, das Abitur gehört in Deutschland als Bildungszertifikat mittlerweile zur Normalbiographie und immer mehr Jugendliche nehmen ein Hochschulstudium auf (Schindler, 2014). Die Dauer zur selbstreflexiven Erprobung von Identität, so scheint es, nehme stetig zu. Adoleszenz ist jedoch nicht nur über ihre Quantität (im Sinne einer Bildungsdauer), sondern insbesondere über ihre Qualität als Moratorium und Möglichkeitsraum definiert. Jugendliche werden mit unterschiedlichen Erwartungen konfrontiert, sowohl historisch als auch geschlechtsspezifisch und sozialstrukturell, aber auch mit institutionellen Logiken, die sich auf die adoleszente Individuation, den adoleszenten Narzissmus und nicht zuletzt auf die adoleszente Perspektive auf Erwerbsarbeit auswirken. Auch hier profitiert der adoleszente Narzissmus auf den ersten Blick von demokratisierten Erziehungsstilen, im familialen wie im institutionellen Bildungsbereich. Patriarchal-autoritäre Erziehungsstile und Frontalunterricht, die Jugendliche weniger als Subjekte, denn als Objekte des Erziehungs- und Lernprozesses verhandelt, verlieren spätestens in den 80er- und 90er-Jahren gegenüber Subjekt-, Sozial- und Kompetenzorientierungen an Bedeutung (Dornes, 2012; Ecarius, 2002; Ecarius et al., 2011; Eschner, 2017; Klages & Gensicke, 1994). Aber: Ganz so einfach und widerspruchsfrei ist es mit dieser »qualitativen« Komponente der Adoleszenz dann doch nicht. Dieses Kapitel dient der Reflexion gegenwärtiger Bedingungen der Adoleszenz. Dabei liegt der Fokus auf gesellschaftstheoretischen Debatten, die sich ab den 1980ern mit Anforderungen ans adoleszente Subjekt und jugendlichen Lebenswelten kritisch auseinandersetzen. Sie deuten allesamt in eine klare Richtung: Das adoleszente Moratorium gestaltet sich in realita weniger ideal im Sinne einer selbstreflexiven Phase der Freiheit von ökonomischen Anforderungen, sondern es entstehen immer mehr innere und äußere Widersprüche, mit denen das adoleszente Subjekt zurechtkommen muss und deren subjektiver Outcome vorerst unklar ist. Im folgenden Kapitel werden diese Widersprüche gegenwärtiger Adoleszenz entlang soziologischer Debatten entfaltet. Im Mittelpunkt steht dabei zuerst Baethges (1999) eigene Reflexion und Problematisierung des Subjektivierungsprozesses, der letztlich nicht als »Rache der kolonialisierten Lebenswelt« verläuft, sondern neue Entfremdungsprozesse in Gang setzt. Daraufhin wird anhand individualisierungs-
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Adoleszenz und Arbeit
theoretischer Überlegungen von Axel Honneth (2010) veranschaulicht, dass sinnhaftsubjektbezogene Perspektiven auf Erwerbsarbeit seit den 1990ern vielfältig diskutiert wurden, teils im deutlichen Kontrast zur normativen Subjektivierungsthese – es geht um EgotaktikerInnen, um (hyper)individualistische Selbstverwirklichung, aber insbesondere um den Imperativ der Selbstverwirklichung. Dabei steht ein »paradoxaler Umschlag« im Mittelpunkt, den Honneth ausmacht: die normative Subjektivierung als Anspruch von Jugendlichen und jungen Erwachsenen an die Erwerbssphäre hat sich zu einem Anspruch der Erwerbssphäre an alle verkehrt – »Sei Du selbst! Habe Spaß an der Arbeit!«. Der dritte Teil des Kapitels dreht sich um eine anschließende Debatte, die den Moratoriumscharakter der Adoleszenz wie keine andere direkt betrifft. Es geht um die Ökonomisierung der Gesellschaft, der Bildung und letztlich der Adoleszenz. Hierbei wird der Blick auch auf ein Konzept gerichtet, das dem theoretischen Kern der vorliegenden Studie sehr nahe steht: Das »Bildungsmoratorium« von Jürgen Zinnecker (1991, 2003). Dieses wird in der Jugendsoziologie deutlich breiter als seine psychosoziale Variante rezipiert und stellt durchaus eine sinnvolle Ergänzung für die hier vorgenommenen Überlegungen dar. Abschließend stehen zentrale Thesen zur gegenwärtigen adoleszenten Sozialisation zur Debatte, die darauf abzielen, deren widersprüchlichen Charakter hervorzuheben. Sie alle geben Hinweise darauf, dass in Anbetracht der widersprüchlichen Bedingungen der Adoleszenz das psychosoziale Moratorium verdichtet, Möglichkeitsräume kleiner und das Gelingen der Triangulierung unwahrscheinlicher werden. Wie sich dies letztlich im subjektiven Verhältnis Jugendlicher zur Erwerbsarbeit niederschlägt, gilt es im Zuge dieser Studie empirisch zu klären. Eines scheint jedoch recht klar: Ein einfaches Fortführen der normativen Subjektivierungsthese unter gegebenen gesellschaftlichen Bedingungen wäre schlicht falsch – und das erahnte bereits Baethge (1999).
2.2.1
Subjektivität als Ideologie »Baethges normative Subjektivierung der Arbeit trifft auf die Ökonomisierung der Subjektivität, die Selbstverwirklichung im System auf die Systemverwirklichung im Selbst.« (Eichler, 2013, S. 291)
Die reklamierende, normative Subjektivierung – ganz im Sinne eines »ich will« – gilt als Legitimation struktureller Subjektivierung von Arbeit. Subjekt legitimiert System. Du willst nicht nur, du darfst jetzt auch. Der Mangel an Subjektivität in der Erwerbssphäre wird auf beiden Seiten getilgt, die konkrete Utopie einer Arbeitswelt, in der Mensch als Mensch anerkannt ist, erfüllt. Dass diese Perspektive eine verkürzte ist, wird nicht ex post, sondern bereits ex ante erkannt – von den führenden Diskurskräften der Jugendund Arbeitssoziologie selbst. Martin Baethge betont sowohl in den Arbeiten zur normativen Subjektivierung als auch in späteren Veröffentlichungen wiederholt den potentiell prekären Charakter des Strebens nach Selbstverwirklichung. Nicht nur meldet er Zweifel an der »Verkennung der tatsächlichen Machtverhältnisse« an (Baethge, 1991, S. 10), er problematisiert damit einhergehend insbesondere den ideologischen Charakter, den
2. Adoleszenz und Erwerbsarbeit
Subjektivität im Rahmen der Subjektivierung von Arbeit erhält (Baethge, 1999): Dass es nicht um die Erfüllung einer durchaus konkret erscheinenden Utopie,34 sondern um deren Verwertung geht; dass es vielleicht eine Renaissance der Subjektivität gibt, Entfremdung jedoch nicht aufgehoben, sondern in einer neuen Qualität produziert wird. In Subjektivität als Ideologie, einem Sammelbandbeitrag zur Diskussion um das ausbleibende Ende der Arbeitsgesellschaft, analysiert Baethge (1999) die Folgen des Wandels taylorisiert-fordistischer hin zu postfordistischer Erwerbsarbeit. Dabei liegt der Fokus weniger auf dem Wandel von jugendlichen Perspektiven auf Erwerbsarbeit als vielmehr auf den damit verbundenen Hoffnungen auf autonome »Entfaltungsspielräume« im Kapitalismus und der Auflösung entfremdender Arbeitszustände (Baethge, 1999, S. 29). Es geht um den Bedeutungsgewinn von Subjektivität, insbesondere jedoch um damit einhergehende Gefahren. Eine Renaissance der Subjektivität lassen bereits die Werft-Studien von Kern und Schumann (1984, 1985) zum ArbeiterInnenbewusstsein und industriellen Wandel vermuten. Sie beschreiben eine »Reprofessionalisierung« der Industriearbeit, die »Wiederentdeckung der menschlichen Produktivkraft« und das Aufkommen »komplexer Tätigkeitszuschnitte« (Baethge, 1999, S. 29). Technischer und organisationaler Wandel vollziehen sich jedoch nicht nur im Industriesektor. Allgemein weicht das tayloristische Modell subjektivierten Arbeits- und Organisationsformen. Subjektive Strukturierungsleistungen, im Sinne eines selbständigen und eigenverantwortlichen Strukturierens der Erwerbsarbeit, gewinnen an Bedeutung (Kleemann et al., 2003). Positiv gedeutet stellt dies einen Zugewinn an (zeitlicher, räumlicher, sozialer) Selbstgestaltung des Erwerbsverhältnisses bei gleichzeitigem Wegfall von direkter Kontrolle dar; negativ gedeutet beschreibt dieser Wandel eine Form der Entgrenzung von Arbeit und Leben (Gottschall & Voß, 2005; Pongratz & Voß, 2003; Schönberger & Springer, 2003; Voß, 1998). Neben der Selbststrukturierung rückt die gesamte Subjektivität in den Fokus postfordistischer Arbeitsorganisation: Kreativität, Innovativität und Flexibilität werden nicht mehr tayloristisch eingezäunt, sondern kommen im neu gewonnenen Gestaltungsfreiraum der ArbeiterInnen zur Entfaltung (negativ gewendet: Verwertung) (Kleemann et al., 2003, S. 67). Ursächlich hierfür sei einerseits der Trend zu qualifizierten und wissensbasierten Tätigkeiten; andererseits die normative Subjektivierung. Weiterhin hält Baethge (1999, S. 30) an der These fest, dass das Kapital auf die subjektbezogenen Ansprüche von Jugendlichen und jungen Erwerbstätigen reagiere. Anders als in seinen vorherigen Veröffentlichungen zur normativen Subjektivierung von Arbeit bricht Baethge jedoch mit der Vorstellung, dass dieser Wandel emanzipatorisch zu deuten sei. »Die Genugtuung darüber, daß insbesondere in der Dimension beruflicher Komplexität die kapitalistisch-tayloristische Arbeitsorganisation gleichsam von innen heraus, aus den Bedingungen der Kapitalverwertung gezwungen war, die Entfremdung im Prozeß der Arbeit zurückzunehmen und dem Arbeiter seine Fähigkeit zurückzugeben und als wichtige Ressource anzuerkennen – so Kern und Schumann (1984), so
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Die normative Subjektivierung trifft ja tatsächlich auf eine sich wandelnde Erwerbssphäre, die eine »Wahlverwandtschaft« realistisch erscheinen lässt (Heidenreich, 1996; Kleemann, 2012).
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auch Baethge (1990) – war sicherlich nicht unberechtigt. Ihr liegt aber eine stark arbeitsprozeßlich fixierte Verkürzung [...] zugrunde [...].« (Baethge, 1999, S. 30-31) Diese verkürzte Perspektive der Arbeitssoziologie übersieht einen Wandel, den Baethge (1999, S. 31) als »Vermarktlichung von Arbeitsorganisation und Arbeitsbeziehungen« beschreibt.35 Die Interpretationsbewegung, die Baethge vornimmt, lässt sich – wie es Eichler (2013, S. 287) betitelt – als »Rückkehr des Systems« verstehen. Nachdem in den 1980er und 1990er-Jahren ein im Grundtenor optimistisch gestimmter Subjektivismus in der (Arbeits-)Soziologie vorherrscht,36 rückt in den späten 1990ern und 2000ern das System wieder in den Vordergrund soziologischer Analyse. Kapitalismus bzw. seine neoliberalen Erscheinungsformen stellen wieder den (für gewöhnlich kritischen) Bezugspunkt soziologischer Analyse dar. Ein »Ende der Arbeitsgesellschaft« ist abgehakt bzw. nachträglich als absurde Wunschvorstellung bzw. Angstphantasie missbilligt.37 Kaum eine sozialcharakterologische Diagnose des Postfordismus oder Analyse zum gesellschaftlichen Wandel kommt ohne einen kritischen Bezug auf den Arbeitsmarkt oder die Sphäre der Ökonomie aus (Eichler, 2013, S. 289). Der postfordistische Wandel stellt sich dabei als widersprüchlich heraus und ist bereits in Schlagwörtern wie »Entgrenzung« oder »Flexibilisierung« angeklungen. Auf empirischer Ebene lassen sich massive Umstrukturierungen des Akkumulationsregimes beobachten, die sich zu weiten Teilen auch im von Baethge (1999) analysierten Wandel hin zur prozess- und arbeitsmarktorientierten Steuerung wiederfinden. Die Funktionalität der Organisationsstruktur weicht zunehmend deren Projektförmigkeit (Kratzer & Sauer, 2005); (die Metapher der) Projektbereitschaft und Flexibilität der ArbeiterInnen gewinnen an arbeitsorganisationaler Bedeutung und nicht zuletzt an gesellschaftlicher Anerkennung (Boltanski & Chiapello, 2003; Dravenau & Eichler, 2012). Vertikale Hierarchien werden abgeflacht; damit einher geht eine Verlagerung von Kontrolle, Kompetenzen, Verantwortung und Entscheidungsautoritäten auf möglichst niedrige operative Einheiten (Baethge & Baethge-Kinsky, 1998; Eichler, 2013; HirschKreinsen, 1995; Jäger, 1999). Mit der fortschreitenden Kommodifizierung etlicher sozialer Bereiche (Gesundheitswesen, Sozialarbeit, Bildung usw.) sowie subjektiver Potentiale38 geht eine zunehmende »Vermarktlichung« der Arbeitsorganisation, Arbeitsbeziehungen, Arbeitskräfte sowie zentraler gesellschaftlicher Institutionen einher
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Deutlich wird diese Perspektive gerade in frühen Arbeiten zur strukturellen Subjektivierung und Flexibilisierung der Arbeitswelt (bspw.: Hörning et al., 1990). Eichler subsumiert hierunter arbeitssoziologische ArbeiterInnenbewusstseinsstudien sowie daran anschließende Kritik (Knapp, 1981; M. Schumann et al., 1982; Voß, 1984), Ulrich Becks Individualisierungsthesen (Beck, 1986) und die Studien zur normativen Subjektivierung von Arbeit (Baethge, 1991). Das zeigt sich nicht zuletzt im Sammelband, in dem Baethges Beitrag veröffentlicht wird (G. Schmidt, 1999). Gerade der Übergang von Wissen (wie auch von Kreativität und Innovativität) zur Ware in der sogenannten Wissensgesellschaft spiegelt derartige Kommodifizierungsprozesse wider (Stehr, 2001, S. 102-110). Natürlich erscheint es fraglich, inwiefern die Ware hier qua Verkauf die Verfügungsgewalt wechselt, jedoch erscheint nicht zuletzt die Wertform des Wissens (Verlust des Gebrauchswerts; Reduzierung auf Gebrauchswert) entscheidend (hierzu bspw.: Lyotard, 1994).
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(Frey, 2009; Sauer, 2010; Voß & Pongratz, 1998). Das klassische »Normalarbeitsverhältnis« weicht auf betrieblicher Ebene zunehmend jenen flexiblen, projekthaften Arbeitsverhältnissen, die sich nicht nur im vielbeforschten Kreativmilieu (Diederichsen, 2012; Hoose, 2016; Koppetsch, 2006b; Manske, 2015; Manske & Schnell, 2010), sondern in weiten Teilen des Dienstleistungssektors wiederfinden.39 Langfristige Bindungen werden zur mangelnden Flexibilität, die eine erforderliche »just-in-timeVerfügbarkeit von quantitativen und qualitativen Arbeitskraftressourcen« (Baethge, 1999, S. 31) zu gefährden droht. Dass die Dynamiken des Postfordismus deutlich weitreichender und widersprüchlicher sind, und, wie sich diese auf das subjektive Verhältnis Jugendlicher auf die Erwerbsarbeit auswirken, steht in den folgenden Kapiteln im Mittelpunkt. Es lässt sich jedoch erahnen, was Baethge (1999) in der mutmaßlichen Wahlverwandtschaft von normativer und struktureller Subjektivierung von Arbeit befürchtet. In Subjektivität als Ideologie veranschaulicht er die ideologische Brisanz und politische Tragweite des arbeitsgesellschaftlichen Wandels hin zur Vermarktlichung anhand eines politisch hochrelevanten Programms der Zukunftskommission Bayern/Sachsen (Kommission für Zukunftsfragen der Freistaaten Bayern und Sachsen, 1997).40 Unter soziologischer Anleitung von Ulrich Beck entwarf die Kommission Vorschläge für eine zukünftige Arbeitsmarktpolitik. Diese Vorschläge zielten weitaus weniger auf einen sich wandelnden Arbeitsmarkt als vielmehr auf die sich darin feilbietenden Subjekte. Das gesamte Programm folgt einem Leitbild: Den »Mensch[en] als Unternehmer seiner Arbeitskraft und Daseinsvorsorge« zu fördern (Kommission für Zukunftsfragen der Freistaaten Bayern und Sachsen, 1997, S. 7). Da ArbeitgeberInnen und der Staat nicht mehr die »Arbeitslast [der Gesellschaft; A.F.] organisieren und vermarkten«, müssten sich ArbeiterInnen nun vermehrt selbst in die Verantwortung nehmen. Langfristig könne die Wirtschaftskraft nur über die »Aktivierung aller kreativen und innovativen, das heißt im umfassenden Sinne unternehmerischen Kräfte sowie durch mehr Eigeninitiative und Selbstverantwortung« aufrechterhalten werden (Kommission für Zukunftsfragen der Freistaaten Bayern und Sachsen, 1997, S. 7). Dabei ist die Logik der Kommission in ihrer theoretischen Verkehrung gesellschaftlicher Zustände bestechend. So sei der Mangel an Subjektivität, den ArbeitnehmerInnen bisher in der Erwerbsarbeit an den Tag legten, nicht auf strukturell verankerte und historisch in den Produktionsverhältnissen angelegte, entfremdende Bedingungen zurückzuführen, sondern Folge eines Bewusstseinsdefizits auf Seiten der Subjekte selbst (Baethge, 1999, S. 34). Diesem Defizit sei nur mit umfassenden Reform- und Erziehungsprogrammen beizukommen, um die veraltete und wirtschaftlich dysfunktionale »arbeitnehmerzentrierte Industriege-
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Sehr eindrücklich stellt der Dokumentarfilm Work hard – Play hard (2011) von Carmen Losmann nicht nur den Wandel von Arbeitsorganisation dar, sondern eben auch die neuen projekthaften Formen von Erwerbsarbeit sowie die damit verbundene neue Rhetorik und Entfremdung in der Arbeitswelt. Das Programm der Zukunftskommission Bayern/Sachsen sollte nicht mit dem der Zukunftskommission der Friedrich-Ebert-Stiftung (u.a. unter soziologischer Anleitung von Martin Baethge) verwechselt werden. Beide wurden – nicht zuletzt aufgrund vereinzelter Überschneidungen wie dem Vorschlag nach Stärkung der Humanressourcen und Innovation – häufig in einem Zug genannt.
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sellschaft«, mit der im Endeffekt ein Sozial- oder Wohlfahrtsstaat gemeint ist, durch die moderne »unternehmerische Wissensgesellschaft« abzulösen. Noch vor Erscheinen der Arbeiten zum Unternehmerischen Selbst (Bröckling, 2000, 2002) und parallel zur einsetzenden Diskussion um den Arbeitskraftunternehmer (Voß & Pongratz, 1998) verdeutlicht Baethge die komplexe Verquickung von Subjektivitätsansprüchen (sowohl durch Kapital als auch Arbeit) und gesellschaftlicher Transformationsprozesse. Die Zugeständnisse an die Subjektivität sind nicht nur gekoppelt an deren Notwendigkeit (tatsächlich steigt ja der Anteil sogenannter »Wissensarbeit« an), sondern auch an den Abbau des Sozialstaats und an neue Formen anerkannter und gezielt geförderter Subjektivität. »In den Schulen müssen – abhängig von natürlichen Begabungen – Persönlichkeitsformierung [...] und die Vorbereitung auf die Arbeitswelt im Vordergrund stehen.« (Kommission für Zukunftsfragen der Freistaaten Bayern und Sachsen, 1997, S. 8-9) Adressatin des Programms waren somit nicht nur die ArbeiterInnen, sondern auch diejenigen, die es bald werden: Jugendliche. Baethge dechiffriert die Empfehlungen der Kommission, die sich in ihrer Offenheit in den Diskurs zur Ökonomisierung von Bildung integrieren lassen (vgl. Kapitel 2.2.3), als regressive Utopie: »In der Anrufung von natürlicher Begabung und Wert- bzw. Verhaltenseliten werden unschwer tragende Ideologeme des politischen Konservatismus erkennbar, jetzt in einer markttheoretischen Variante. Dies ändert aber wenig daran, daß die Zukunft im ideologischen Gewand der Verfangenheit auf den politischen Laufsteg geschickt wird: Der Markt als gesellschaftliche Utopie, das Marktsubjekt als antrophologische [sic!] (nicht als historische) Konstruktion und als Inbegriff von Subjektivität, die Renaissance der Begabungskategorie als Kriterium für gesellschaftliche Förderung – dies ist kaum anders als als Legitimationsbasis für den endgültigen Bruch mit dem wohlfahrtstaatlichen Entwicklungspfad und als Ankündigung einer radikal deregulativen Gesellschaftspolitik zu verstehen.« (Baethge, 1999, S. 35-36) Letztendlich maßt es sich Baethge jedoch nicht an, die Deregulierung wohlfahrtstaatlicher Institutionen in Hinsicht auf ihre gesellschaftliche (kapitalistische) Notwendigkeit oder Sinnhaftigkeit zu bewerten. So könne sich ja tatsächlich ihr »Sinn durch die Selbstverständlichkeit ihrer Nutzung verkehren« (Baethge, 1999, S. 37). Was ihm jedoch diskutabel erscheint, sind die von den »hurtigen Herolden« (Baethge, 1999, S. 37) der Kommission präsentierten Subjektivitäten und damit verbundene vermeintliche Freiheiten auf dem Arbeitsmarkt. Die zentrale Kategorie, mit der Baethge seine Zweifel am emanzipatorischen Gehalt der fortschreitenden Vermarktlichung begründet, stellt die Entfremdung dar. In Anschluss an Hegel (1986) und deutlich stärker an die Pariser Manuskripte von Marx (1844) stellt er sich die Frage, inwiefern die arbeitsgesellschaftlichen Entwicklungen das Entfremdungstheorem tangieren. Der historische Materialismus als marxistische Geschichtsphilosophie geht von einem linearen Prozess der Vereinfachung von Arbeit bei sich im Zuge von Rationalisierungen verstärkender Entfremdungserfahrungen aus (Israel, 1985). Jener Vereinfachung der Produktionssphäre in Form sich perfektionierender tayloristisch-
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fordistischer Arbeitsmodelle widmete sich die in marxistischer Tradition stehende Arbeits- und Industriesoziologie der Nachkriegszeit und analysierte/kritisierte zunehmende Entsubjektivierungsprozesse – gefordert wurde eine »Humanisierung der Arbeitswelt« (Mikl-Horke, 2007, S. 88-94). Die Perspektive auf Entfremdungsprozesse gerät spätestens mit der Subjektivierungsdebatte gehörig ins Wanken. Schließlich erhält das Arbeitssubjekt plötzlich etwas wieder, was ihm längst abgesprochen war: Der Arbeitsprozess wird re-subjektiviert, kreatives Denken begünstigt, »Spaß« nicht mehr verboten, Hierarchien abgeflacht, Freiheiten zugestanden oder gar gefördert. Der Wandel bringt (abermals) die Frage nach dem Ende der Arbeitsgesellschaft ins Spiel; diesmal jedoch nicht in dem Sinne, ob ihr die Erwerbsarbeit ausgehe oder diese keine Rolle mehr in der Identitätsbildung Jugendlicher einnehme, sondern ob sich die Kategorie der Arbeit derart gewandelt habe, dass man hier gar nicht mehr von Entfremdung (oder gar Kapitalismus) sprechen könne. Überspitzt (und nicht weniger rhetorisch) könnte man gar nach einem in aller Stille gewonnenem Klassenkampf fragen. Baethge (1999) widmet sich dieser »kategorialen Frage« nicht.41 Sie zu beantworten setzte voraus, die grundlegenden Institutionen des Kapitalismus, die Marx (1844) als Ursachen der Entfremdung benennt (Privateigentum an Produktionsmitteln, Arbeitsteilung und Warenförmigkeit der Arbeitskraft), daraufhin zu prüfen, ob sie überhaupt ihren entfremdenden Charakter verlieren können. Als orthodoxe/r MarxistIn hätte man hier die Analyse abbrechen können. Baethge befasst sich allerdings mit der »empirischen Frage«, inwiefern organisationale Veränderungen im Zuge der strukturellen Subjektivierung einen »Bruch mit den wesentlichen Phänomenen der entfremdeten Arbeit signalisieren oder [...] die Phänomene auf eine andere Ebene, eben jene des Marktes, verlagern« (Baethge, 1999, S. 38). Seine Frage birgt bereits die Antwort. Auf der empirischen Ebene stellt Baethge den »Positivzirkel der Individualisierung« ihrem »Negativzirkel« gegenüber.42 »Man kann die betrieblichen Flexiblisierungsstrategien als tendenzielle Vermarktlichung von Arbeitsorganisation und Arbeitsbeziehungen interpretieren und analog dazu die Individualisierung als Stärkung des Marktsubjekts verstehen, wie es auch im Ausdruck des ›Arbeitskraftunternehmers‹ zum Ausdruck begrifflich deutlich wird.« (Baethge, 1999, S. 39) Jene Stärkung des Marktsubjekts resultiere aus erweiterten Dispositionsspielräumen abhängig Beschäftigter, einer wieder zunehmenden Komplexität von Arbeitsaufgaben sowie neuer Selbständigkeit hinsichtlich der Strukturierung von Erwerbsarbeit und der Organisation der eigenen Arbeitskraft. Auch Baethge schafft es nicht, aus dem Positivzirkel der prozess- und arbeitsmarktorientierten Steuerung, der hauptsächlich in ihrer
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»Ist [die] Aufhebung von entfremdeter Arbeit ohne Überwindung ihrer Institutionalisierung als privatwirtschaftliche Lohnarbeit vorstellbar?« (Baethge, 1999, S. 38). Baethge greift hier nicht nur auf Begriffe zentraler Theoretiker der »reflexiven Moderne« zurück (Beck et al., 1996), sondern zielt mit seinen Analysen auf theoriepolitischer Ebene gegen jene (vgl. Kapitel 2.2.2).
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Betonung der Individualität des Arbeitsmarktsubjekts liegt, eine »Ermächtigung der Subjekte« (Lash, 1996, S. 201) herauszulesen.43 Vielmehr veranschaulicht er potentielle Gefahren einer Vermarktlichung der Arbeitskraft (Baethge, 1999, S. 40-41), insbesondere unter Rückgriff auf Richard Sennetts (1998) Zeitdiagnosen in Der flexible Mensch. Zur »empirischen Frage« nach der Abmilderung von Entfremdungserfahrungen im Post-Taylorismus legt Sennett eindrücklich dar, dass der Wandel von Arbeitsmarkt und Arbeitsorganisation keineswegs entfremdende Zustände abmildert, sondern vielmehr die Entfremdung des Menschen vom Menschen befeuere. So zeigen sich auf empirischer Ebene Folgen der (normativen) Subjektivierung/Entgrenzung/Flexibilisierung von Arbeit, die einer Humanisierung der Arbeitswelt (oder der mit ihr verschwimmenden Lebenswelt) konträr gegenüberstehen. Nicht alle werden zu coolen FreelancerInnen, die in entspannter Lockerheit ihre Arbeit an ihren Alltag flexibel anpassen, Projekte nach Belieben wechseln und dabei noch über die Kompetenz und Macht verfügen, selbständig die Vertragskonditionen zu verbessern. Die propagierte Selbständigkeit endet nicht selten in Scheinselbständigkeit. Für Sennett stehen jedoch diese objektiven Folgen hinsichtlich der Arbeitsbedingungen nicht im Mittelpunkt der Analyse; er zeichnet vielmehr die Subjektebene nach, die der neue »flexible Kapitalismus« hervorbringt.44 So konstatiert er das Entstehen eines individualisierten Sozialcharakters, wobei Individualisierung hier insbesondere als Vereinzelung des Subjekts zu verstehen ist. Während Baethge in Subjektivität als Ideologie eine Abschätzung möglicher Folgen des gesellschaftlichen Bedeutungsgewinns der Subjektivität abgibt, die vor unreflektierter Lobpreisung moderner Arbeitsverhältnisse mahnt, wird die Adoleszenz, die sich einst als so zentral in seinem Fokus auf Subjektivität und Erwerbsarbeit erwies, kaum tangiert. Ersichtlich wird dennoch, dass Jugendliche und junge Erwachsene nach der Jahrtausendwende vor einem anderen gesellschaftlichen Horizont aufwachsen, neue Formen von Erwerbsarbeit, aber auch von Entfremdung relevant werden. Jugendliche leben nicht abgeschottet von Erwerbsarbeit, von ArbeiterInnen und deren Erfahrung; welche Bedingungen der Erwerbssphäre sie wahrnehmen, beobachten, für sich selbst als relevant erwarten, wie sich neue Anforderungen etablieren, in jugendliche Lebenswelten eindringen und wirksam werden, steht einerseits in den kommenden Kapiteln im Mittelpunkt; andererseits gilt es diese auch empirisch zu klären. Erste Antworten auf diese Offenheit liegen weniger in Baethges Ausführungen, aber bisweilen zwischen den Zeilen und im Titel. Die Ideologie der Subjektivität vergegenständlicht sich gerade in politischen Programmen, die sehr wohl Jugendliche und nicht nur ArbeiterInnen adressieren. Dass der »unternehmerische Mensch«, im Sinne des von der 43
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Das liegt einerseits an seiner Positionierung entgegen dieser Lesart, andererseits aber auch an den wenig überzeugenden Ausführungen zur Re-Subjektivierung. Zwar kann eine Zunahme an Komplexität der Aufgabenzuschnitte in der Erwerbsarbeit als Schritt gegen entfremdende Arbeit interpretiert werden; die restlichen Aspekte die Baethge (1999, S. 39-40) anführt (Selbstorganisation, Selbstverantwortung, neue Kompetenzbedürfnisse seitens des Kapitals), lassen jedoch schwer – vermutlich selbst ohne Kenntnis der Subjektivierungsdebatte – eine rein »positive« Interpretation zu. Im Gegensatz zu seiner deutschen Übersetzung »Der flexible Mensch« verweist der Originaltitel »The Corrosion of Character« deutlich besser auf den Inhalt und das Ziel von Sennetts Analysen.
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bayerisch-sächsischen Zukunftskommission präsentierten Persönlichkeitsideals, nicht »der Weisheit letzter Schluss« sein kann (Baethge, 1999, S. 43), leuchtet ein. Die subjektivierte Erwerbswelt ist jedoch auf eine Form der Arbeitskraft angewiesen, die sich als Ware anders/besser verwerten lässt als ihr fordistisches Modell (Egbringhoff et al., 2003). In den Konzepten des »Arbeitskraftunternehmers« (Pongratz & Voß, 2003) bzw. des »Unternehmerischen Selbst« (Bröckling, 2007) verdeutlichen sich die neuen institutionellen Bedürfnisse. Das adoleszente Subjekt steht nicht nur einer anderen, subjektivierteren (Arbeits-)Welt als noch vor 30 Jahren gegenüber, es ist auch anderen Subjektivierungen in Familie und Schule ausgesetzt. (Aus-)Bildungsprogramme, Lehrpläne, Sozialstaat, Erziehungsideale, Medieninhalte – die Ideologie der Subjektivität hat hier, wie die weiteren Ausführungen zeigen werden, ihre Spuren hinterlassen. Allerdings stellt sich die Frage, wie sich diese auf Subjektebene niederschlagen, ob und wie sich das subjektive Verhältnis zur Erwerbsarbeit unter neuen Bedingungen der Adoleszenz wandelt. Dass der gezielte Versuch, eine passende Arbeitskraft bspw. qua Bildungsreform zu schaffen, nicht unbedingt diese Form der Arbeitskraft hervorbringt, hat die Geschichte der normativen Subjektivierung von Arbeit gezeigt. Adoleszenztheoretisch deutet sich dennoch an, was sich in den folgenden Kapiteln verdichten wird: Die Arbeitssphäre als Teil antizipierter und wahrgenommener gesellschaftlicher Bedingungen verliert an Sicherheit, der gesicherte Übergang in die Arbeitsgesellschaft ist erschwert. Diese Dynamik läuft dem Gelingen einer adoleszenten Triangulierung zuwider (Eichler & Fischer, 2020, 420). Baethge (1999) erkennt, dass die einst adoleszente normative Subjektivierung irgendwie in die falsche Richtung läuft. Entfremdungsphänomene verschieben sich von der Tätigkeit hin zum Menschen, die Vorteile struktureller Subjektivierung genießen nur wenige und auf sozialer sowie politischer Ebene formiert sich eine neue Ideologie. Die einst erhoffte »Rache der kolonialisierten Lebenswelt« (Baethge, 1991, S. 18) entpuppt sich langsam, aber sicher als Trugschluss. Wie die weiteren Ausführungen zu postfordistischen Anrufungen und Sozialisationsbedingungen zeigen, konzentriert sich auch die Soziologie der 2000er-Jahre wieder zusehends auf die Negativität der (arbeits)gesellschaftlichen Zustände. Vieles kreist um die Frage, was passiert, wenn aus dem adoleszenten Streben nach Selbstverwirklichung, Kreativität und Aktivität eine Anforderung wird.
2.2.2
Die doppelt normative Subjektivierung von Erwerbsarbeit
Empirisch trifft die Vorstellung der flexibel-kreativen MacherIn auf die allerwenigsten zu, normativ trifft sie jedoch alle (Dravenau & Eichler, 2012; Eichler, 2013; Hurrelmann & Albrecht, 2014). Eben jene Normativität stellt eine zentrale Gesellschaftsdiagnose und und breit diskutierte Ursache postfordistischer Entfremdungserfahrungen dar (Gorz, 2000; Honneth, 2010; Kocyba, 2000b, 2000a, 2005; Nies, 2019). Baethge (1999) beschreibt zwar unter Rückgriff auf Sennetts Analysen zum flexiblen Menschen ihre Auswirkungen (Brüchigkeit persönlicher Identität; Verlust langlebiger Beziehungen; innere Unsicherheit; etc.), ordnet sie jedoch kaum soziologisch ein. Der Imperativ eigenverantwortlicher Selbstverwirklichung, der eingeforderte Spaß an Arbeit und die Identifikation mit dem Betrieb sowie der Zwang zum Unternehmer-
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Adoleszenz und Arbeit
tum des eigenen Selbst rücken in den 2000er-Jahren immer stärker in den Mittelpunkt der Debatten und Diagnosen zur postfordistischen Arbeitswelt. Die Frage nach Ursachen und Folgen der doppelt normativen Subjektivierung – normativ sowohl im Sinne Baethges wie nun auch im Sinne der Einforderung und Verwertung entsprechender Subjektivität seitens der ökonomischen Sphäre – wird dabei aus verschiedensten theoretischen Perspektiven analysiert (Boltanski & Chiapello, 2003; Bröckling, 2007; Eichler, 2013; Heitmeyer et al., 2011b; Honneth, 2010; Nies, 2019; Reckwitz, 2010). Ziel des Kapitels ist, diesen Wandel von subjektivem Anspruch in ökonomische Einforderung nachzuvollziehen sowie die Normativität in ihrer Tragweite für Adoleszente und ihrer Bedeutung für den adoleszenten Möglichkeitsraum zu reflektieren. Beeinflusst der Zwang zur eigenverantwortlichen Selbstverwirklichung das subjektive Verhältnis Jugendlicher zur Erwerbsarbeit? Über welche Mechanismen kommt die klassischerweise in der Erwerbssphäre verortete Normativität im jugendlichen Alltag zu tragen? Im Folgenden wird sich nicht nur, aber insbesondere einer individualisierungstheoretischen Analyse jener doppelten normativen Subjektivierung gewidmet. Die Individualisierungsdebatte bietet über die Analyse dieser Fragen hinaus zudem alternative Interpretationen sinnhaft-subjektbezogener Perspektiven auf Erwerbsarbeit, die über die modernisierungstheoretisch anmutende normative Subjektivierungsthese hinausgehen. Im Endeffekt schließt der individualisierungstheoretische Gedankengang an den »frühen Baethge« (1985, 1986) an, stellt die ideologischen Aspekte in den Mittelpunkt, die auch beim »späten Baethge« (1999) wieder anklingen, konzentriert sich auf die systemische Funktionalität subjektbezogener Ansprüche und Haltungen im Postfordismus sowie deren psychische Dysfunktionalität. Eine gelungene Verbindung soziologischer Grundbegriffe, Theorien der sogenannten Gründungsväter und passenden Gegenwartsanalysen zur adoleszenten Selbstverwirklichung schafft Axel Honneth (2010) in seinem Essay Organisierte Selbstverwirklichung. Paradoxien der Individualisierung.45 Seine Thesen tragen zwar ein essayistisches Gewand, vereinigen dabei jedoch zwei essentielle Fragen: Woher kommt die doppelt normative Subjektivierung und was sind ihre Folgen? An Honneths Essay zur »organisierten Selbstverwirklichung« wird sich im Folgenden in der grundlegenden Argumentation orientiert. Dabei werden seine Thesen jedoch deutlich breiter ausgearbeitet und aktualisiert, gerade um einige Leerstellen der Argumentation zu füllen und eine engere Verknüpfung zu jugendlichen Lebenswelten herzustellen.
Der paradoxale Umschlag: Vom Anspruch auf zum Zwang zur Selbstverwirklichung Von der normativen Subjektivierung von Arbeit ausgehend diagnostiziert Honneth (2010) einen paradoxalen Umschlag. Gemeint ist eine systemische Aneignung der einsti-
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Der Artikel stammt ursprünglich aus dem Jahr 2002, wurde im Jahr 2004 ins Englische übersetzt und später mehrfach in Sammelbänden neu veröffentlicht. Dass Honneths Analysen nach wie vor aktuell sind und nicht nur in der vorliegenden Studie auf das subjektive Verhältnis zur Erwerbsarbeit bezogen werden, verdeutlicht Nies (2019), deren Studie eng an Baethge und KollegInnen (1988) angelehnt ist.
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gen Selbstverwirklichungsansprüche, ein »Zwang zur Selbstverwirklichung« (Kocyba, 2005). Der Anspruch, sich mit der eigenen Tätigkeit identifizieren zu können, die eigene Subjektivität mit dem Abstempeln nicht abzulegen, sondern erst zur Entfaltung kommen zu lassen, wendet sich nun nicht mehr gegen entfremdende, fordistischtayloristische Arbeitswelten, sondern an die ArbeiterInnen und diejenigen, die es noch werden müssen. »Dass die Ansprüche auf individuelle Selbstverwirklichung, die durch das historisch einmalige Zusammentreffen von ganz unterschiedlichen Individualisierungsprozessen in den westlichen Gesellschaften vor 30-40 Jahren rapide angewachsen sind, inzwischen so stark zu einem institutionalisierten Erwartungsmuster der sozialen Reproduktion (Aufrechterhaltung sozialer Strukturen/Systeme) geworden sind, dass sie ihre innere Zweckbestimmung verloren haben und vielmehr zur Legitimationsgrundlage des Systems geworden sind. Das Resultat dieses paradoxalen Umschlags, in dem jene Prozesse, die einmal eine Steigerung qualitativer Freiheit versprachen, nunmehr zur Ideologie der Deinstitutionalisierung geworden sind, ist die Entstehung einer Vielzahl von individuellen Symptomen innerer Leere, Sich-Überflüssig-Fühlens und Bestimmungslosigkeit.« (Honneth, 2010, S. 207-208) Drei Bestandteile seiner These sind besonders relevant hinsichtlich des subjektiven Verhältnisses Jugendlicher zur Erwerbsarbeit und zur Gesellschaft. Erstens gilt es, das »historisch einmalige Zusammentreffen« nachzuvollziehen. Zweitens muss die Ursache des »paradoxalen Umschlag« bzw. der Institutionalisierung von Erwartungsmustern ausfindig gemacht werden. Drittens präsentiert Honneth Folgen neuer Imperative und Subjektivierungsmethoden, die sich einerseits auf das emanzipatorische Potential des Strebens nach Selbstverwirklichung, andererseits auf das Subjektinnere beziehen. Während die ersten beiden Punkte im Mittelpunkt der folgenden Darstellungen stehen, geht es daran anschließend vorerst um deren Verknüpfung mit gegenwärtigen Sozialisationsbedingungen. Das emanzipatorische Potential, das Subjektinnere und zugehörige, aktualisierte Diagnosen werden in den Kapiteln 2.2.4 und 3.3.5 diskutiert.
Individualisierungstheoretische Überlegungen zum Selbstverwirklichungstopos Honneths individualisierungstheoretische Herangehensweise ist keineswegs verwunderlich, da das jugendliche Streben nach Selbstverwirklichung immer wieder im Mittelpunkt der Individualisierungsdebatte steht (nicht zuletzt bei: Baethge, 1985). Worauf es ihm hierbei jedoch ankommt, ist das Zurückweisen der Vorstellung, Individualisierung sei ein unilinearer Steigerungs- oder Verfallsprozess. Weder positive Individualisierungstheorien (Durkheim, Parsons, Luhmann) noch ihr negativer Counterpart (Weber, Horkheimer & Adorno, Foucault) seien in der Lage, Individualisierungsprozesse und zugehörige Subjektivitäten in ihrer Komplexität, Vielfältigkeit und Verschränktheit angemessen zu erfassen. Sinnhaft-subjektbezogene Ansprüche Jugendlicher an die Erwerbsarbeit werden in Anschluss an negative Individualisierungstheorien nicht nur als Resultat eines ausgeprägten Moratoriums und auch nicht als utopischer Ausdruck eines adoleszenten Strebens, sondern als antrainiertes, konformistisches Subjektideal diskutiert (Dravenau & Eichler, 2012; Koppetsch, 2006b; Reckwitz, 2008). Das Streben nach Selbstverwirklichung
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wäre dann eine Unterwerfung unter herrschende Normen und (neue) kapitalistische Imperative (Boltanski & Chiapello, 2001; Kocyba, 2005). Individualisierung als Streben nach Authentizität wäre dann nur noch Pseudo-Individualisierung in einem kulturindustriell aufbereiteten Angebot »echter Identitäten«, die Kulturindustrie selbst ein erweiterter Ausdruck allgemeiner Rationalisierung und Instrumentalisierung (Horkheimer & Adorno, 1971). Statt innerer und äußerer Freiheiten (Autonomie) evoziere die spätkapitalistische Gesellschaft außengeleitete, konforme Sozialcharaktere (Eichler, 2013). Doch selbst positive Individualisierungstheorien und begrifflich anschließende Studien diskutieren das jugendliche Streben nach Authentizität kritisch: »Hyperindividualisierung« stellt gerade für solche Theorien, die das gesellschaftliche Ganze in Stabilität entwerfen, ein Problem dar (einführend: Schroer, 2001). Der »egoistische Kult des Ichs« (Durkheim, 1986, S. 56) bedrohe die Gemeinschaft. Während in der negativen Individualisierungsperspektive das Subjekt am System leidet, leidet in der positiven Variante das System am Subjekt (Sennett, 1983). Ambivalente Individualisierungstheorien (Elias, Beck) verstünden es zwar, die Individualisierung als »Emanzipation des Einzelnen [...] und [...] hintergründige Konformitätssteigerung« bzw. »zweischneidigen Vorgang« zu beschreiben (Honneth, 2010, S. 206); ihr typischer Verweis auf »neue Freiheiten – neue Risiken«46 verkennt jedoch die potentielle Gewichtung einer der beiden. Für Honneth ist daher die kommunitaristische Perspektive auf Individualisierungsprozesse ein wichtiger Ausgangspunkt der eigenen Analyse, insbesondere Charles Taylors (1995, 1996) Interpretation der neuen Zentralität des Selbst und subjektbezogener Ansprüche Jugendlicher. Taylors Überlegungen knüpfen an internationale Zeitdiagnosen und empirische Wertestudien an (Bell, 1991; Bloom, 1988; Lasch, 1986), die allesamt einen »Individualismus der Selbstverwirklichung« unter jungen Menschen konstatieren (Taylor, 1995, S. 21).47 Jugendliche versuchten, sich selbst zu finden und ihre Einzigartigkeit herauszustellen. Das geschehe jedoch nicht mehr in Aushandlung mit kollektiven Werten, sondern in Form eines Hyperindividualismus. Es gehe nur noch ums eigene Ich – und das auf Kosten einer »Verflachung und Verengerung des Lebens« (Taylor, 1995, S. 10). Ähnliche Diagnosen stellt auch der frühe Baethge (1985) für die bundesdeutsche Jugend. Individualisierung im Sinne einer normativen Subjektivierung ginge nur auf Kosten des Klassenbewusstseins.48
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Eine solche Terminologie findet sich ebenso im Subjektivierungsdiskurs der Arbeitssoziologie wieder (Lohr & Nickel, 2005). Zeitweise erscheint der gesamte Diskurs mitsamt seiner dauerhaften Betonung der normativen und strukturellen Subjektivierung als die Darstellung eines QuasiGleichgewichts zwischen Anspruch und Einforderung bzw. Chancen und Risiken. Eine einfache Übertragung US-amerikanischer Phänomene auf Deutschland ist nicht möglich; dennoch sind die Überlegungen Charles Taylors im deutschen Kontext interessant. Schließlich geht es nicht zuletzt um die Fragen, ob das Streben nach Selbstverwirklichung kollektiven Interessen gegengerichtet ist (Baethge, 1985) und woher diese spezielle Form des Individualismus überhaupt rührt (Baethge, 1994b). Taylor hat weitere Unbehagen hinsichtlich des postfordistischen Individualismus: So schließt er erstens an Thesen der Kritischen Theorie an, indem er den »Vorrang der instrumentellen Vernunft« und mit ihr ein Vorrücken ökonomischer Rationalität in immer mehr Lebensbereiche hervorhebt. Zweitens resultiere aus Atomismus und instrumenteller Vernunft ein politischer Freiheitsverlust des Individuums (Taylor, 1995, S. 10).
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Für Taylor steht jedoch fest: Nicht alles ist so schlecht wie es scheint. Hinter Selbstbezug, gesellschaftlichem Desinteresse und instrumenteller Vernunft verberge sich das romantische Ideal der Authentizität (in Anlehnung an: Herder, 1966). Authentizität als moralisches Ideal erscheine realempirisch allerdings nur mehr travestiert. Phänomene wie extremer Selbstbezug, Verlust kollektiver Interessen, Relativismus etc. seien Abkömmlinge dieses Authentizitätsideals, das ursprünglich gegen instrumentellen Rationalismus und Atomismus formuliert wurde; denn Authentizität könne nur in einem dialogischen Prinzip hergestellt werden. Diese Denkfigur, die auch soziologische Identitäts- und Anerkennungstheorien (und somit auch: Honneth, 1994b) auszeichnet, zieht Taylor (1995, S. 22) heran, um die »Treue zu sich selbst« zu einem Aushandlungsprozess mit der Gesellschaft zu machen. Auch wenn die kommunitaristische Idee des Freischaufelns jenes Ideals auf wackeligen Beinen steht,49 bieten Taylors Überlegungen auf analytischer Ebene die Möglichkeit, jugendliche Perspektiven vor dem Hintergrund einer potentiell widersprüchlichen und aufeinander aufbauenden Vielschichtigkeit zu verstehen – Distinktion und Utopie, Egotaktik und Altruismus nicht nur als Widerspruch, sondern als zwei Seiten der gleichen Medaille oder zumindest zwei subjektive Deutungsmuster ähnlicher Bezüge auf die Erwerbsarbeit. Diese Vielschichtigkeit ist auch zentral in Honneths individualisierungstheoretischen Überlegungen. So beschreibt er den Individualisierungsprozess als »Zusammenfließen von materiellen, sozialen und geistigen Wandlungsprozessen [...], die »wahlverwandtschaftlich« so viele gemeinsame Züge besaßen, daß sie vereint eine neue Gestalt des Individualismus hervorbringen konnten« (Honneth, 2010, S. 209). Unter Rückgriff auf Weber (1988b, 1988a), Durkheim (1977) und insbesondere Simmel (1983, 1989) unterscheidet Honneth analytisch vier Dimensionen, die unter den Begriff der Individualisierung zu subsumieren sind: die Individualisierung der Lebenswege als ein »Ablösen von restriktiven Verhaltensregeln der zentralen Gemeinschaften, vor allem der Familie, der lokalen Gemeinde, der Religion und der sozialen Klasse bzw. Schicht« (H.-P. Müller, 2012, S. 1); die Isolation der Handlungsakteure als eine »Vereinzelung des individuellen Subjekts im wachsenden Geflecht anonymisierter Sozialkontakte« (Honneth, 2010, S. 204); eine Zunahme der Reflexionsfähigkeit und Autonomisierung, deren Aspekte von Mündigkeit und Altruismus genauso Teil der normativen Subjektivierungsthese waren (Baethge, 1994b; Eichler & Fischer, 2020) wie das Streben nach Authentizitätssteigerung, nach der »Unverwechselbarkeit des Seins« (Simmel, 1992, S. 812). Zwischen Autonomisierung und Authentizitätssteigerung – Simmel (1992, S. 811812) bezeichnet die beiden als »romanischen« und »germanischen« Individualismus – 49
Das kommunitaristische Freischaufeln dieser Ideale gestaltet sich nicht gerade leicht, denn a) haben die Travestien von Authentizität und instrumenteller Vernunft, wichtige stützende »Moralkontexte«, die insbesondere bei BefürworterInnen der travestierten Erscheinungsformen zum Ausdruck kommen. Schwerwiegender ist jedoch, dass (b) Taylor zentrale gesellschaftliche Zustände wie den Kapitalismus in ihrer Wirkmächtigkeit geradezu auf skurrile Art und Weise unterschätzt. Dass ein Großteil der Trivialisierung und der gesellschaftlich relevanten Probleme Kinder des Kapitalismus sind, ist Taylor zwar klar; dass sich Kapitalismus und Kommunitarismus jedoch verbinden lassen, daran lässt er keinen Zweifel. Die Erkenntnis, dass der »faustische Pakt« notwendig sei, wäre gar die einzige, die Marx in seiner Analyse der politischen Ökonomie abgegangen sei (Taylor, 2005).
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bestehe eine notwendige Verschränkung. Simmel fasst die Autonomisierung als historische Voraussetzung des Strebens nach Authentizität. Adoleszenztheoretisch spiegeln sich in beiden ganz zentrale Überlegungen sowohl zur Adoleszenz als auch zum subjektiven Verhältnis Jugendlicher zur Erwerbsarbeit wider. Beim romanischen Individualismus steht das Begreifen, Infragestellen und aktive Überwinden kultureller/gesellschaftlicher Bedingungen im Vordergrund – es geht also um eine adoleszent narzisstische Position sowie eine sozial-altruistische Perspektive, die sich auf die Erwerbsarbeit übertragen lässt (Eichler & Fischer, 2020; Erdheim, 1988b; King, 2013).50 Im qualitativen Individualismus zeichnen sich subjektbezogene Motive und Orientierungen ab – es geht um Selbstverwirklichung, um das authentische Auftreten, aber auch um Abgrenzung (Baethge, 1985, 1994b; Fischer & Eichler, 2015). Gerade in der Differenz von Kollektiv- und Subjektzentrierung liege die »Vielzahl von Spannungen« begründet, »die in der Moderne nicht zu beheben« seien (Honneth, 2010, S. 205). Das Problem, das Honneth konstatiert, liegt nicht einfach in einer hyperindividualistischen Authentizitätssteigerung gegenüber der kollektivorientierten Autonomisierung oder in der Vielschichtigkeit des Strebens nach Authentizität (Taylor). Das Problem ist weitaus komplizierter: Die individualistische Authentizitätssteigerung sei nicht nur ein Anspruch von, sondern auch an die Subjekte.
Das Scheitern einer sich rächenden Lebenswelt Als strukturelle Grundlagen gegenwärtiger Individualisierungsprozesse betont Honneth die allgemeine Einkommens- und Freizeitsteigerung, den Ausbau des Dienstleistungssektors sowie die Bildungsexpansion in den 1970er-Jahren. Dies seien die zentralen Faktoren einer Pluralisierung der individuellen Lebenswege gewesen. Aus den objektiv erweiterten Möglichkeiten ergaben sich, analog zur normativen Subjektivierungsthese, neue adoleszente Möglichkeitsräume (King, 2013). Ähnlich wie Baethge hebt auch Honneth die mit der Bildungsexpansion einhergehende Möglichkeit zu Selbstfindungs- und Reflexionsprozessen hervor. Der Abbau »klassenspezifischer Kontaktnetze« und die damit einhergehenden »sozialstrukturellen Wandlungsprozesse« erweiterten den Horizont vorstellbarer Lebenswege und ermöglichten zudem die Zunahme an Autonomiefähigkeit der Individuen (Honneth, 2010, S. 210). Nur weil sich eine solche Möglichkeit abzeichnet, bedeutet dies jedoch nicht, dass sich die neuen Kulturideale durchsetzen würden. Hier geht Honneth über Baethge hinaus und verweist auf die Notwendigkeit spezifischer soziokultureller Quellen zur Entwicklung eines »neuen Individualismus«. Nicht erst der Individualismus der Selbstverwirklichung, sondern bereits der fordistische (Massen-)Konsum griff auf solche Quellen zurück (C. Campbell, 1987). Aufgrund der Pluralisierung der Lebenswege und der damit einhergehenden Erweiterung von Handlungsspielräumen nimmt das Subjekt also nicht einfach irgendwelche Deutungsmuster ein; vielmehr übernimmt es bereits vorhandene Deutungsschemata, die bereits gesellschaftlich minoritär vorhanden, jedoch nicht realisierbar waren. Honneth greift hier auf Logiken des trickle-down-effects zurück 50
Baethge und KollegInnen vom Göttinger SOFI ordneten diese sozial-altruistische Dimension dem sinnhaft-subjektbezogenen Anspruch an die Erwerbsarbeit unter (Baethge et al., 1988, S. 166-181; vgl. Kapitel 3.1.1).
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(Bourdieu & Passeron, 1971; Trigg, 2001). Was einst ausschließlich einer spezifischen Gruppe an Personen qua (kulturellem oder ökonomischem) Kapital oder darüber vermittelte Möglichkeitsräume zugänglich war, wird innerhalb der nacheifernden sozialen Milieus zum Objekt der Aneignung. Die kulturelle Quelle der normativen Subjektivierung verortet Honneth in Anschluss an Simmel (1983) und Taylor (1995): »Die normativen Lücken, die sich gewissermaßen durch die neuentwickelten, sozialstrukturell ermöglichten Freiheiten aufgetan hatten, wurden fast überall durch die lebenspraktische Übernahme von quasiromantischen Traditionsbeständen geschlossen, die die eigene Biographie als einen Prozeß der tentativen Verwirklichung eines nur eigenen Persönlichkeitskerns erfahrbar machte.« (Honneth, 2010, S. 212; eigene Hervorhebung) Das »Tentative« oder »Experimentelle« der neuen Selbstverwirklichungskultur findet sich ebenfalls in den frühen Vorarbeiten der normativen Subjektivierungsthese von Baethge (1985) bzw. in dessen adoleszenztheoretischen Rückgriffen (Erdheim, 1982; Erikson, 1973a). Gerade im Konzept des psychosozialen Moratoriums und dem hier ganz zentralen »Rollen-Experimentieren« zur Identitätsfindung – einst ein bürgerliches Privileg, zunehmend jedoch verallgemeinert (trickle-down) – kommt das subjektbezogene »Ausprobieren« zum Ausdruck. Der neue Individualismus setzt sich also in Honneths Entwurf aus einer sozialstrukturellen Individualisierung, gesellschaftlich objektiven Möglichkeiten, einer subjektiv-reflexiven Autonomisierung sowie einem in dieser Konstellation zur Geltung gelangenden romantischen Authentizitätsideal zusammen. »In der Terminologie Simmels gesprochen, entsteht ein Individualismus »qualitativer« Art: Die Subjekte erproben verschiedene Existenzformen, um im Lichte der gemachten Erfahrungen jenen Kern des eigenen Selbst verwirklichen zu können, der sie von allen anderen möglichst unterscheidet.« (Honneth, 2010, S. 212) Während Taylor für das Freischaufeln des qualitativen Individualismus plädiert, ist dieser in Honneths Perspektive, die auf Empirie aus anderen Kulturräumen zurückgreift (eben Baethge und nicht Bell, Bloom und Lasch), bereits ausgebuddelt. Honneth wendet die Perspektive jedoch vom Subjekt hin zum System und dessen Konfrontation mit dem neuen Individualismus. Gerade aus einer historischen Perspektive ist dieser Blick spannend, verführte die Analyse des neuen Individualismus doch viele SozialwissenschaftlerInnen zur Annahme, sinnhaft-subjektbezogene Ansprüche an die Erwerbssphäre würden in einen massiven Konflikt mit den Funktionserfordernissen der kapitalistischen Produktionsweise treten. Die Hedonismusthese von Daniel Bell (1991), Thesen zur Krise oder einem vermeintlichen Ende der Arbeitsgesellschaft (Matthes, 1983; insb.: Offe, 1983) und Thesen zum allgemeinen sowie arbeitsbezogenen Wertewandel (vgl. Kapitel 2.1.1) – sie alle vermuteten eine Konfrontation der sinnhaftsubjektbezogenen Perspektive Jugendlicher auf die Erwerbsarbeit mit den Strukturen herkömmlicher Kapitalakkumulation. Die adoleszenten Ansprüche wurden jedoch nicht nur in betriebliche Strukturen integriert – dies kommt bereits in den Studien zum ArbeiterInnenbewusstsein (Kern & Schumann, 1984, 1985) sowie in Baethges (1991) Startschuss der Subjektivierungsdebatte zum Ausdruck –, die Normativität hat sich in ihrer Richtung gewendet:
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»[...] es läßt sich der Eindruck nicht ganz von der Hand weisen, daß sie [sinnhaftsubjektbezogene Ansprüche; A.F.] inzwischen zu einer eigentümlich mißbrauchten Produktivkraft der kapitalistischen Modernisierung geworden sind.« (Honneth, 2010, S. 214) Wie konnte es zu einer solchen Verkehrung des Anspruchs auf Selbstverwirklichung in der Erwerbsarbeit in eine institutionelle Anforderung kommen? Handelt es sich beim gesellschaftlichen Prozess nun doch um einen linear-negativen, in dem jeglicher Optimismus in einer schwammartigen »negativen Zyklizität« aufgesogen wird (Žižek, 2013)? Honneth verneint mit vehementen Nachdruck eine solch einseitige Diagnose, die quasi keinerlei Ausweg aus der Totalität zulässt.51 Er versteht die Anforderung »man selbst zu sein« als eine nicht intendierte Entwicklung, die aus »wahlverwandtschaftlich« nebeneinander verlaufenden »Veränderungsvorgängen« ab den 1960er-Jahren resultiert (Honneth, 2010, S. 214). Er bezieht sich dabei erstens auf die Kulturindustrie (Film, Fernsehen, Werbestrategien), die zunehmend eine originelle, kreative und flexible Lebensweise als erfolgreichen und nachahmenswerten Lifestyle anpreist. Das experimentelle Herausschälen des Persönlichkeitskerns steht hier im Mittelpunkt. Obwohl die Identitätsfindung weiterhin als standardisiertes Muster präsentiert ist, wird das Ideal der Selbstverwirklichung »unterschwellig als ein Anspruch an die Formung der eigenen Subjektivität erlebt« (Honneth, 2010, S. 215). Eine Ästhetik der Authentizität und Originalität, die aufgrund ihrer (kultur)industriellen Bedingungen eine Mogelpackung bleibt, setzt sich nicht nur durch, sie wird über kulturindustrielle Mechanismen zur Anforderung an das Subjekt (Shields, 1992). Anstatt des Marlboro Man, der eine ganz spezifische Form der Männlichkeit verkörperte und einforderte, prangen heute Unternehmergeist, Kreativität und Spaß von den Werbeplakaten. »Don’t be a Maybe« (Marlboro) oder »Hauptsache man macht es allen Recht« (Lucky Strike) – Sei du selbst (Eichler & Fischer, 2020)! Honneth hebt in seiner Analyse jedoch hervor, dass sich Selbstverwirklichungsansprüche hinsichtlich der Erwerbssphäre nicht einzig aufgrund kulturindustrieller Prozesse instrumentalisieren lassen. Unklar sei die soziale Reichweite medialer Effekte sowie die Frage, weshalb sich das vermittelte Authentizitätsideal im realen Leben überhaupt auf die Erwerbsarbeit beziehen müsse. Letztendlich stehe die Kulturindustrie einem weitaus bedeutenderen Prozess nur unterstützend zur Seite: der strukturellen Subjektivierung von Erwerbsarbeit. Mit der postfordistischen Arbeitsorganisation in Form »neue[r] Managementkonzepte, die auf die Abflachung von Hierarchien, TeamAutonomie und Selbststeuerung setzen« ist eine ganz neue Adressierung der ArbeiterInnen möglich: nicht mehr als institutionell »abhängig Beschäftige, sondern als kreative ›Unternehmer‹ ihrer selbst« (Honneth, 2010, S. 216; in Anschluss an: Voß & Pongratz, 1998). Die strukturelle Subjektivierung von Arbeit ermöglicht, so Honneth, die Thematisierung von Erwerbsarbeit als »Berufung«. Erwerbsarbeit als selbstverantwortliches 51
Explizit grenzt er sich von den Thesen der ForscherInnengruppe um Boltanski, Chiapello und Thevenot ab (Boltanski & Chiapello, 2003; Boltanski & Thevenot, 2007). In deren Modell vereinnahmt der »Kapitalismus« in Form des »Managements« die Kritik am Kapitalismus (normative Subjektivierung), indem er die Normativität verkehrt, und nimmt ihr so den Wind aus den Segeln. Hier gibt es einen klaren Akteur, der intentional den Kapitalismus schütze, vorantreibe und somit für die doppelte normative Subjektivierung Verantwortung trägt.
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Unternehmertum, in dem man immer intrinsisch motiviert sein könne und jeder Fehltritt oder verpasster Aufstieg der eigene Fehler sei, stellt das neue Anspruchssystem dar, das erlaubt, »die Beschäftigung von der überzeugenden Präsentation eines Willens zur Selbstverwirklichung abhängig zu machen« (Honneth, 2010, S. 217).
Der paradoxale Umschlag und gegenwärtige Bedingungen der Adoleszenz »Der Druck, der damit auf den Angestellten und Arbeitern lastet, besitzt eine äußerst paradoxe Form: sie müssen um ihrer zukünftigen Beschäftigungschancen willen ihre eigene Berufsbiographie fiktiv nach Mustern der Selbstverwirklichung organisieren, obwohl weitgehend doch nur der Wunsch nach sozialer und ökonomischer Sicherheit bestehen dürfte.« (Honneth, 2010, S. 217) Wen Honneth in seiner individualisierungstheoretischen Ausarbeitung nicht explizit thematisiert, das sind die Jugendlichen und die jungen Erwachsenen, die einst den Motor der normativen Subjektivierung darstellten (Baethge et al., 1988; Baethge, 1994b; Hantsche, 1990). Er legt zwar eine deutliche These zum subjektiven Verhältnis zur Erwerbsarbeit im Postfordismus vor, bleibt jedoch dahingehend unklar, bei wem aus welchen Gründen eigentlich »nur der Wunsch nach sozialer und ökonomischer Sicherheit bestehen dürfte«. Die von ihm beschriebenen kulturellen Ursachen und Anforderungen der Arbeitswelt finden jedoch ihr Pendant in gegenwärtigen Phänomenen jugendlicher Lebenswelten und adoleszenter Sozialisation. Dabei stehen zwei Aspekte im Mittelpunkt: Erstens treffen Jugendliche tagtäglich auf sinnhaft-subjektbezogene Ansprüche an und deren prekären Realisierungsmöglichkeiten in der subjektivierten Erwerbssphäre. Familie und Gesellschaft sind zwei zentrale Pfeiler der Adoleszenz, nehmen einen wichtigen Platz in der Konstitution adoleszenter Subjektivität ein und in beiden werden Erwerbsrealitäten durchaus greifbar, auch solche, die typischerweise als Erfüllung sinnhaft-subjektbezogener Ansprüche gelten. Über Eltern, Geschwister, Peers und Medien sind Jugendliche in unterschiedlichen Lebenslagen mit der subjektivierten Arbeitswelt konfrontiert. Zweitens stellt sich der kulturelle Prozess, den Honneth hervorhebt und daran seine These zum subjektiven Verhältnis zur Erwerbsarbeit knüpft, nicht ausschließlich als ArbeiterInnenphänomen dar. Die Normativität der Eigenverantwortung, Selbstdisziplin und ständige Planung oder zumindest Prätention der eigenen Selbstverwirklichung sind zentrale Aspekte gegenwärtiger jugendlicher Sozialisation. Eines von vielen Bindegliedern in diesem Kontext ist die Aktivierung Jugendlicher als subjektivierendes Format. Im Folgenden werden die beiden Punkte knapp skizziert, adoleszenztheoretisch eingebettet und thetisch auf das subjektive Verhältnis zur Erwerbsarbeit bezogen – an sich findet sich bei Honneth bereits der passende Gedanke, den es sozialstrukturell allerdings zu differenzieren gilt. Eng daran geknüpfte und weiterführende Überlegungen
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zu einer zunehmenden Ökonomisierung der Adoleszenz, die hier bereits deutlich aufschimmert, finden sich im Folgekapitel. Subjektivierung von Erwerbsarbeit und Prekarisierung in jugendlichen Lebenswelten Während Baethge (1999) insbesondere den ideologischen Anteil vermeintlicher Subjektivitätsgewinne hervorhebt, stellen sich weitaus mehr Aspekte der subjektivierten Erwerbssphäre als problematisch heraus (Eichler, 2013; Kleemann, 2012) – auch für Jugendliche. An sich wirkt der Ursprungsgedanke nicht allzu fern – anstatt der Ödnis fordistischer oder tayloristischer Arbeitsorganisation rücken ja tatsächlich immer mehr sogenannte kreative, innovative und flexible Arbeitskonzepte in den Mittelpunkt (Baethge, 1994b; Kleemann et al., 2003; Kleemann, 2012). Ärgerlich ist, dass sie natürlich nicht auf jegliche flexible Kreativität bauen und ein Hinterfragen ihrer eigenen Struktur nur billigen, wenn es Mehrwert verspricht. Die Tischtennisplatte im Büro steht dort nicht zum Spaß (Eichler, 2013). Neben der Tatsache, dass die subjektivierte Erwerbssphäre kein einfaches fitting zu sinnhaft-subjektbezogenen Ansprüchen im Sinne Baethges (1994b) darstellt, bietet sie Jugendlichen auch nicht gerade gute Aussichten. In Jugend- und Adoleszenztheorien stellt der Übergang in die Erwerbsarbeit eine ganz zentrale Passage dar, die auch den Übergang in den Erwachsenenstatus markiert. Der antizipierte Übergang in die Erwerbssphäre und die damit einhergehende Aufnahme in die Arbeitsgesellschaft sind wichtige, sicherheitsspendende Aspekte, die zum Gelingen einer adoleszenten Triangulierung beitragen (Eichler, 2021). »Kurzum: Die Kultur muss in der ›dritten Position‹ selbst Sicherheit gebend und attraktiv gegenüber den Jugendlichen wirken.« (Eichler & Fischer, 2020, 420) Soziale Institutionen der Adoleszenz und in Antizipation eben auch die Arbeitswelt bilden in ihrer sicherheitsspendenden Funktion das Fundament eines stabilen adoleszenten Narzissmus sowie der generativen Ablösung im Sinne Kings (2013). Der sozialisatorische Hintergrund der normativen Subjektivierungsthese Baethges baut also implizit auf einer fordistisch anmutenden Annahme auf, die seinerzeit jedoch deutlich stärker galt als gegenwärtig. Der strukturelle Wandel von Beschäftigungsverhältnissen in den vergangenen 30 Jahren deutet allerdings an, dass eine sichere Aufnahme in die Arbeitsgesellschaft keineswegs den Normalfall darstellt. Die postfordistische Gesellschaft bzw. Produktionssphäre kann dem einstigen Versprechen auf den Erwachsenenstatus qua ökonomischer Unabhängigkeit kaum mehr nachkommen (Wiezorek & Stark, 2011). Positiv drückt sich dies in Kategorien wie der Postadoleszenz (Keniston, 1968) oder emerging adulthood aus (Arnett, 2007, 2010). Beides beschreibt das Phänomen, dass sich klassische Kategorien des Übergangs ins Erwachsenenalter zeitlich nach hinten verschieben, die Adoleszenz und folglich die Phase der Identitätsfindung immer länger andauert. Während die Postadoleszenz hierzulande als typisch studentischer Lebensabschnitt verhandelt wird, ist deren sozialstrukturelle Differenzierung in der (hauptsächlich) anglo-amerikanischen Debatte um die emerging adulthood umstritten (Arnett, 2016). Vor dem Hintergrund gegenwärtiger Generationendebatten wird jedoch der Schichtvorteil einer Postadoleszenz zunehmend prekär. Denn: Negativ gewendet drückt sich die fortdauernde ökonomische Abhängigkeit von
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den Eltern in Schlagwörtern wie »Generation Praktikum« und »Generation Prekär« aus (Bohrn Mena, 2018; Dörre, 2010; Schlimbach, 2010). Die postfordistische Ökonomie hat sich nur vordergründig juvenilisiert, zeichnet sich neben ihrem kreativen Charme durch adoleszent wirkende Projektförmigkeit aus (Boltanski & Chiapello, 2001), durch »flexible«, atypische Beschäftigungsverhältnisse, Scheinselbständigkeiten und Leiharbeit (Bundesministerium für Arbeit und Soziales, 2017), die allesamt ein »Ankommen« in der Arbeitsgesellschaft erschweren. Während diese Arbeitsrealitäten, insbesondere strukturell subjektivierter Erwerbsarbeit (Kleemann, 2012), in den Elternfiguren sichtbar werden und Jugendlichen vor Augen geführt wird, dass die (Pseudo-)Realisierung des Anspruchs auf sinnhaft-subjektbezogene Arbeitsorganisation mit arbeitsweltlicher Prekarität einhergeht, sind es zusätzlich gerade Jugendliche und junge Erwachsene selbst, die von diesen Problemlagen immer mehr betroffen sind. Der Großteil aller Erwerbseintritte erfolgt mittlerweile in atypische Beschäftigungsverhältnisse52 – unabhängig des Bildungsabschlusses (Bundesministerium für Arbeit und Soziales, 2017, S. 322-324). Dass der sichere Hafen wenigstens nach kurzer, prekärer Zeit erreicht wäre, zeigt sich in amtlichen Daten nicht. Vielmehr verweisen sie auf immer mehr Jugendliche, die (teils dauerhaft) in Übergangsklassen und Fördermaßnahmen der Bundesagentur verweilen. In dieses »Übergangssystem« kommen nach der Schule in etwa genauso viele Jugendliche wie in die weiterführende schulische oder betriebliche Ausbildung (S. Müller, 2012; Reißig et al., 2006). Die zunehmende Prekarität jugendlicher Lebenswelten verdeutlicht sich in eben jenen arbeitsweltlichen Beschäftigungsverhältnissen, deren Antizipation und daraus resultierenden Verunsicherungen und Zukunftsängsten unter Jugendlichen (Dörre, 2010; Großegger, 2017; Leven & Utzmann, 2015, S. 351-354). Beides belastet die adoleszente Triangulierung, beides dürfte die Ausbildung einer sinnhaft-subjektbezogenen Perspektive auf die Erwerbsarbeit erschweren. Mit seiner Annahme, dass »nur der Wunsch nach sozialer und ökonomischer Sicherheit bestehen dürfte«, steht Honneth (2010, S. 217) daher auch nicht alleine (Eichler & Fischer, 2020; Fischer & Eichler, 2015; Großegger, 2017; Wiezorek & Stark, 2011). In seinen frühen Arbeiten – ohne den Eindruck einer sich an die jugendlichen Orientierungen anpassenden Arbeitswelt – schildert sogar Baethge jenen Zusammenhang: »Die zunehmende Labilisierung des Übergangs von Jugendlichen aus der Schule in eine kontinuierliche Arbeit oder Berufstätigkeit erschwert zunehmend größeren Teilen von Jugendlichen die Möglichkeit, Arbeit und Beruf als geeignete Basis der Identitätsbildung zu erleben und dementsprechend im positiven Sinne lebensperspektivisch wirksame Arbeits- und Berufsorientierungen aufzubauen, die verhaltenssteuernd wirken könnten und um die es sinnvoll und lohnend erschiene, die eigenen Lebensaktivitäten zu organisieren.« (Baethge, 1985, S. 309) Festzuhalten ist, dass sich erstens Bedingungen der Adoleszenz andeuten, die eine adoleszente Triangulierung und somit die Ausbildung einer sinnhaft-subjektbezoge52
Als atypisch gelten Beschäftigungen mit Befristung, unfreiwillige Teilzeit, geringfügige Beschäftigung, Leiharbeit oder die Beschäftigung als freie/r MitarbeiterIn auf Honorarbasis.
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nen Perspektive im Sinne Baethges (1994b) erschweren, und, dass die Betroffenheit von den beschriebenen Phänomenen zweitens sozialstrukturell ungleich verteilt ist – zumindest hinsichtlich »klassisch« subjektivierter und kreativer Erwerbsarbeit. Über die eigenen Eltern dürften hier eher Kinder aus AkademikerInnenhaushalten mit den Bedingungen und Unsicherheiten in Kontakt treten. Die prekäre Realisierung sinnhaftsubjektbezogener Ansprüche dürfte also eher in gehobenen Milieus erlebt werden (Dravenau & Eichler, 2012; Manske & Schnell, 2010); prekäre Beschäftigungsverhältnisse sind dahingegen statistisch betrachtet unter Jugendlichen und jungen Erwachsenen sozialstrukturell übergreifend (Bundesministerium für Arbeit und Soziales, 2017). Aktivierte Eigenverantwortung In Honneths Analyse sind nicht nur die Bedingungen der antizipierten subjektivierten Arbeitswelt, sondern auch die kulturelle Adressierung der ArbeiterInnen zentral. Die patriarchal, vertikal-hierarchische Arbeitsorganisation weicht zunehmend einem horizontalen Konzept, das auf flexible Selbstbestimmung bei gleichzeitiger Eigenverantwortung baut. Was Honneth für die Organisation strukturell subjektivierter Erwerbsarbeit als zentral hervorhebt – die vermeintliche Abflachung von Hierarchien, bei gleichzeitiger Internalisierung von Eigenverantwortung und Kapitallogiken –, lässt sich ebenso auf den Wandel adoleszenter Sozialisation übertragen. Einerseits zeigt sich eine Demokratisierung der Erziehung – sowohl familiär als auch innerhalb der Bildungsinstitutionen (Dornes, 2012). Eltern-Kind-Beziehungen werden gar zunehmend im Format von Freundschaft beschrieben (M. Albert et al., 2015), die hierarchisch-patriarchale Familienstruktur weicht – aus den richtigen Gründen – einem egalitären oder autoritativen Erziehungsmodell (Ecarius et al., 2011; Raithel, 2009). Während somit die klassischen Personifizierungen der Arbeits- und Leistungsgesellschaft mindestens vordergründig mit Jugendlichen auf Augenhöhe stehen, geschieht dies vor dem Hintergrund gewandelter, aber weiterhin existenter Anforderungen der Arbeitsgesellschaft. Die Vermittlung jener Anforderungen ist zwar nach wie vor Aufgabe der zentralen Sozialisationsinstanzen – diese werden jedoch als Autorität unsichtbar, wohingegen »der Markt« immer mehr als quasi-natürliche Entität in den Mittelpunkt gerückt wird. Eigenverantwortung und Selbständigkeit, sich gegenüber den Erfordernissen des Marktes zu verhalten, stellen gegenwärtige kulturelle Leitvorgaben für Jugendliche dar (Kessl, 2006; A. Lange & Reiter, 2018; Lessenich, 2012). Lange und Reiter (2018) formulieren entsprechend die These, dass die Wirtschaft zur adoleszenten Leitkultur werde. Zur Umsetzung oder Implementierung jener Leitkultur dienen wohlfahrtsstaatliche Programme und Bildungsinstitutionen. Verhaltensweisen werden hier zunehmend im Sinne ihrer Verwertbarkeit beeinflusst (Kessl, 2006; A. Lange & Reiter, 2018, S. 24-25). Ziel der »Aktivierungspolitik« ist die Herstellung eines »flexiblen Marktsubjekts« (Lessenich, 2012), das sich eigenverantwortlich den Unwägbarkeiten des Spätkapitalismus anpassen könne, die sich nicht zuletzt aus einer abnehmenden System- und Sozialintegration ergeben.
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»Der flexible Kapitalismus verlangt nach ›neuen‹, veränderten, oder genauer: sich selbst verändernden, den veränderten Verhältnissen permanent anpassenden Subjekten. Flexibel sei der Mensch, selbstständig und unternehmerisch: So liest sich, in Kürzestform, das Handlungsanforderungsprofil der neuen, marktliberalen Wirtschaftsordnung an die – noch – arbeitnehmerisch sozialisierten Marktakteure.« (Lessenich, 2012) Diese kapitalistische Subjektformierung entfaltet sich im Bildungsbereich über einen hidden curriculum an Schulen, quasi der unbewussten Konfrontation Jugendlicher mit kapitalistischen Normen und entsprechenden Verhaltensweisen (Kandzora, 1996; Lenhard, 2007, 354ff.). Sie entfaltet sich zudem über sozialpolitische Programme, in denen neue kulturelle Deutungen des zeitgenössischen Kapitalismus zum Ausdruck kommen. Für Lange und Reiter (2018, S. 25-28) stellen neben Employability, Entrepreneurship, Flexibilität und lebenslangem Lernen insbesondere das Denkmuster der »Aktivierung« sowie das »Prinzip der Aktivbürgerlichkeit« die zentralen Elemente zunehmender Ökonomisierungstendenzen »zeitgenössischer Marktgesellschaften« dar, die immer stärker in jugendliche Lebenswelten eindringen.53 Der grundlegende Gedanke von Aktivierungspolitik, Hilfe zur Selbsthilfe zu leisten, hat sich schon lange vor seiner Durchsetzung in der Sozialpolitik seit den frühen 2000er-Jahren in der Pädagogik, Soziologie, Entwicklungshilfe, Psychologie usw. relativ unumstritten etabliert. Während sich die Logik in diesen Disziplinen jedoch als durchaus sinnvoll oder bspw. im Konzept des Empowerments als progressiv herausgestellt hat, entfaltet die Aktivierungspädagogik im sozialpolitischen Rahmen mehrere problematische Dimensionen und unerwartete Folgen auf Subjektebene. Lessenich (2012) verbindet sozialstaatliche Aktivierungspolitiken mit der doppelt normativen Subjektivierung – es geht um leitkulturelle Ideale, den Zwang zur eigenverantwortlichen Selbstverwirklichung (Kocyba, 2004, 2005) und gegenwärtige Sozialisationsbedingungen von Jugendlichen. »Vom wirtschaftlichen Handlungsfeld greift diese Politik schrittweise auch auf andere gesellschaftliche Lebensbereiche, vom Erwerbssystem auch auf das Vor- und Nacherwerbsleben aus und über: die frühkindliche Erziehung wird zu einem prioritären Gegenstand einer langfristigen Sozialpolitik der Produktivkraftproduktion, die Jugendhilfe zum Ort der institutionellen Einübung in den marktzentrierten ›Gebrauch der eigenen Kräfte‹ [...] – und wo die inhaltlichen wie zeitlichen Grenzen zwischen Arbeit und ›Leben‹ (beziehungsweise ›Nicht-Arbeit‹) verlaufen, dürfte mittlerweile kaum jemandem noch klar sein (und soll dies wohl auch nicht mehr). Der ›Arbeitnehmer‹ hat als Sozialnorm ausgedient, das flexible, nach dem Pfadfinderprinzip agierende Marktsubjekt – ›Allzeit bereit‹, ›Selbst ist das Selbst‹, ›Suche Deinen Weg!‹ – ist das neue gesellschaftliche Rollenmodell.« (Lessenich, 2012) Wie die Aktivierungsprogrammatik mit ihren leitkulturellen Bildern nun die Jugendlichen adressiert und wo die konkreten Berührungspunkte von Politik und jugendlichen
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Eine Darstellung weiterer Ökonomisierungstendenzen in der Adoleszenz findet sich in Kapitel 2.2.3.
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Adoleszenz und Arbeit
Lebenswelten bestehen, verdeutlicht Kessl (2006, 2019) in gouvernementalitätstheoretisch angeleiteten Analysen von Landesjugendämtern. Dabei identifiziert er deren »aktivierungspolitische Neujustierung« sowie eine zunehmende Vermittlung »subjektiver Lebensgestaltungsverantwortung«, »zweckrationaler Kalkulation« und Vorbereitung auf »neue Ungewissheiten« als ihre zentralen »Thematisierungsleitlinien« (Kessl, 2006, S. 224-226). Biographisch vorausschauend, ökonomisch und insbesondere: eigenverantwortlich handeln – Jugendliche werden früh mit diesen Erwartungen konfrontiert und nicht zuletzt die Hartz-Gesetzgebungen mitsamt ihrer »disziplinierenden Leitidee des Forderns und Förderns« haben diese Erwartungen an die neoliberale Idee eines eigenverschuldeten Scheiterns geknüpft (A. Lange & Reiter, 2018, S. 27). Der Jugend kommt zudem eine spezielle Rolle in der Verbreitung und Durchsetzung aktivierungspolitischer Deutungsmuster zu. Sie gilt als deutlich »formbarer« und wird entsprechend im Kontext der Hartz-Gesetzgebung für Verstöße gegen ihre Auflagen stärker bestraft als ältere Arbeitslose (Schreyer et al., 2012). Diese Sonderbehandlung entspricht der aktuellen jugendpolitischen Leitlinie des Wirtschaftsprogramms »Europa 2020«, der zufolge nur »aktiv in Richtung Arbeitsmarkt orientierte Jugendliche« staatliche Unterstützung erhalten sollten (Lahusen et al., 2013). In diesem Kontext steht auch ein Großteil der Berufsorientierung und der Berufsorientierungsforschung (vgl. Kapitel 2.3.3), die beide in aktivierungspolitischen Maßnahmen fest implementiert sind (Bundesamt für Arbeit und Soziales, 2014). Dabei geht es letztlich nicht darum, den Jugendlichen aufzuzeigen, welche Berufe es gibt, was man machen muss, um den Traumjob zu erlangen, sondern um die Einübung einer flexibel-ökonomisierten Perspektive auf das eigene Selbst, einer sehr frühen Eigenverantwortung und entsprechender Handlungsmuster. Während sich Jugendliche, gerade in prekären Situationen vormals auf soziale Unterstützung verlassen konnten, verlegt die Aktivierungslogik in neoliberaler Manier deren Unsicherheit und Abhängigkeit in ihre eigene Verantwortung (Lessenich, 2012). Unabhängig der sozialen Lage ergibt sich eine adoleszente Situation, die der Problematisierung Honneths durchaus entspricht. Die aktivierende Leitkultur, die er für ArbeiterInnen als wesentlich herausstellt, ist bereits im Jugendalter sowohl medial als auch in zentralen Institutionen präsent. Konträr zur Selbstverwirklichung, die einst auf adoleszenter und gesellschaftlicher Sicherheit basierte (Baethge, 1994b), entsteht der Zwang zur Eigenverantwortung, zur subjektiven Identifikation mit ökonomischen und gesellschaftlichen Zuständen sowie zur fiktiven Selbstverwirklichung, deren notwendige äußere Stabilität zunehmend schwindet (Eichler & Fischer, 2020). Was sich in der Ausarbeitung des von Honneth (2010) analysierten »paradoxalen Umschlags« bereits andeutet, sind adoleszente, familiale und gesellschaftliche Strukturen und Normativitäten, die sich seit der normativen Subjektivierungsthese massiv gewandelt haben. Dass jugendliche Sozialisation nicht auf dem Stand der 1990er stehengeblieben ist, dürfte selbstredend sein (Ecarius et al., 2017; Heitmeyer et al., 2011b; Helsper, 2015; Niekrenz & Witte, 2018). Die beschriebenen Aktivierungslogiken, zunehmende Eigenverantwortung und weitreichende Prekarisierungsprozesse verweisen auf eine widersprüchliche Dynamik hinsichtlich der einstigen strukturellen Grundlage der normativen Subjektivierung von Arbeit (Baethge, 1985; Baethge et al., 1988; Baethge, 1994b). Das Moratorium verliert an ökonomischer Freiheit, adoleszente Möglichkeits-
2. Adoleszenz und Erwerbsarbeit
räume verkleinern sich und die adoleszente Triangulierung ist zunehmend bedroht. Gleichzeitig – das gilt es zu bedenken! – verlängern sich gesamtgesellschaftlich die durchschnittlichen Bildungszeiten, die Studierendenzahlen steigen und aktuelle Erziehungsstile erlauben den Jugendlichen vermehrt Freiräume (Raithel, 2009; Schindler, 2014). Honneth (2010, S. 217) nimmt mit seiner These, dass »nur der Wunsch nach sozialer und ökonomischer Sicherheit bestehen dürfte«, insbesondere auf den Negativzirkel dieser widersprüchlichen Dynamiken Bezug. Wie sich neue kulturelle Leitbilder sowie subjektivierte, prekäre Erwerbsaussichten im Verhältnis Jugendlicher zur Erwerbsarbeit tatsächlich niederschlagen, gilt es jedoch empirisch zu prüfen.
2.2.3
Die Ökonomisierung der Adoleszenz
Eng verzahnt mit dem »paradoxalen Umschlag« (Honneth, 2010) verfestigt sich eine gesellschaftliche Entwicklung, vor deren Hintergrund das Fortwirken der These der normativen Subjektivierung von Arbeit fraglich erscheint. Es geht um gegenwärtige Bedingungen des »psychosozialen Moratoriums« (Erdheim, 1988b; Erikson, 1973a), des »adoleszenten Möglichkeitsraums« (King, 2013) und der »adoleszenten Triangulierung« (Eichler, 2019; Eichler & Fischer, 2020), die allesamt den adoleszenten Narzissmus ins Wanken bringen, in ihrer konkreten Wirkung auf das jugendliche Verhältnis zur Erwerbsarbeit jedoch vorerst unklar bleiben. In der adoleszenztheoretischen Argumentation ist der Moratoriumscharakter für die Ausbildung eines sinnhaft-subjektbezogenen Verhältnisses zur Erwerbsarbeit essentiell (Erdheim, 1988b; Erikson, 1973a; King & Müller, 2000). Er bietet Jugendlichen nicht nur die Möglichkeit, ihre Identität in selbstreflexiven Phasen experimentell auszubilden, sondern erlaubt darüber hinaus dabei zu scheitern und wieder neu zu starten. Jürgen Zinnecker (2000, 2003), der weniger aus sozialpsychologischer als vielmehr soziologischer Perspektive auf die Adoleszenz blickt, konkretisiert vier strukturbildende Grundgedanken, die dem Jugendkonzept moderner, europäischer Gesellschaften zugrunde liegen. Das Moratorium sei erstens von der »Hauptidee« geprägt, die »Kinder und Jugendlichen von gesellschaftlichen Aufgaben, die der Reproduktion (.) dienen«, freizusetzen (Zinnecker, 2000, S. 38). Die gewonnene Sorglosigkeit durch die Entlastung von Heim- und Erwerbsarbeit sowie sozio-biologischer Reproduktion (Liebe, Elternschaft) und die dadurch gewonnene Zeit werden umgewandelt in Lernzeit, erlauben somit nicht nur die transgenerationale Verbreitung von Tradition, sondern auch kulturelle Progression. Zinnecker (1991) stellt den ursprünglich psychoanalytischen Moratoriumsbegriff in direkten Bezug zu seiner zentralen institutionellen Stütze moderner Gesellschaften und bestimmt ihn anhand der verlängerten und verallgemeinerten Ausbildungsphase. Das Moratorium moderner Gesellschaften bezeichnet er daher als »Bildungsmoratorium« (auch: »pädagogisches Moratorium«). Die zweite Stütze des Moratoriums sei die Rolle der Erwachsenen als GrenzwächterInnen, als VermittlerInnen zwischen Gesellschaft und Jugend, als PädagogInnen und moralische StellvertreterInnen. Ziel dieser Rollen sei einerseits ein pädagogisches, indem die Erwachsenen die Jugendlichen zur »Mündigkeit« heranziehen; andererseits ist damit auch ein generationales, ein ablösendes Ziel verbunden (Eichler & Fischer, 2020; Zinnecker, 1997). Die Jugendlichen erhalten ein Versprechen auf den Erwachsenstatus. Drittens begleiten räumlich von
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der »dominanten Erwachsenengesellschaft« (Zinnecker, 2000, S. 40) abgetrennte KernInstitutionen (Schule) die gesellschaftliche Auszeit der Jugendlichen, sichern diese ab und unterstützen die Eltern. Viertens sind Moratorien, selbst wenn sie sich individuell und sozialstrukturell in ihrem zeitlichen Bezug unterscheiden mögen (gegenwartsorientiert als Selbstzweck vs. zukunftsorientiert als Vorbereitung),54 zeitlich begrenzt. Ein Ende bleibt in Sicht. Die Nähe des Konzepts vom Bildungsmoratorium zu den entwicklungspsychologischen Theorien Erdheims, Eriksons, Kings und letztlich zu den darauf fundierten Überlegungen Baethges ist offensichtlich. Während Letztere jedoch konkrete theoretische Verknüpfungen der Bedingungen des Moratoriums und der adoleszenten Subjektivität vornehmen, kommt der Idee des Bildungsmoratoriums eher eine heuristische Funktion zu. Anders formuliert: Dem Bildungsmoratorium mangelt es an einem Subjekt. Nichtsdestotrotz bringen die »strukturbildenden Grundgedanken« Zinneckers die strukturellen Pfeiler des psychosozialen Moratoriums und der normativen Subjektivierung gut zum Ausdruck. Weil Jugendlichen ein Moratorium in dieser spezifischen Form familiär und gesellschaftlich ermöglicht ist, quasi eine heiße Realkultur entsteht, ist auf individueller Ebene immer häufiger die Aufrechterhaltung eines adoleszenten Narzissmus möglich – so die Annahme (Baethge, 1985, 1994b). Umgekehrt bedeutet dies, dass der adoleszente Narzissmus familiär noch so ermöglicht werden kann; wenn die gesellschaftlichen Zustände und Institutionen (oder auch die familiären Bedingungen) diesen nicht stützen, werden sinnhaft-subjektbezogene Orientierungsmuster unwahrscheinlicher. So unterstreichen King und Müller (2000) ebenfalls die konkret materiellen Voraussetzungen des Moratoriums, wenn sie – ganz ähnlich wie schon Erdheim – die Freiheit von der Sphäre ökonomischer Verwertung und Verwertbarkeit sowie die Unabhängigkeit von anderen gesellschaftlichen Zwängen hervorheben: »Nur unter der Voraussetzung einer geschützten Phase, die relativ frei vom unmittelbaren Reproduktionszwang – vom Zwang, die Arbeitskapazitäten vorrangig in den Dienst der ökonomischen Absicherung zu stellen, die Position der Elternschaft einzunehmen oder, auf der Ebene des Politischen, sich in die vorgegebenen kulturellen Macht- und Wertsysteme umstandslos einzugliedern und zu unterwerfen – nur unter dieser Voraussetzung kann überhaupt von einem ›Moratorium‹ im Sinne einer ›zweiten Chance‹ gesprochen werden.« (King & Müller, 2000, S. 18) Das Verhältnis von Adoleszenz und Ökonomie hat sich seit der normativen Subjektivierungsthese jedoch gewandelt. Die Ausführungen zu den prekären Realisierungsmöglichkeiten des Subjektbezugs sowie zur Prekarität und Aktivierung in der jugendlichen Sozialisation haben das idealtypische Bild des adoleszenten Moratoriums und seine strukturellen Grundgedanken bereits ordentlich ins Wanken gebracht. In Anbetracht der im Folgenden dargestellten bildungs- und jugendsoziologischen Debatten könnte
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Dieser Bezugsgedanke steht bspw. im Moratoriumskonzept von Heinz Reinders im Mittelpunkt (Reinders, 2005, 2016; Reinders und Butz, 2001; Reinders und Wild, 2003). Er trifft eine Unterscheidung zwischen dem zukunfts- bzw. übergangsorientierten »Bildungsmoratorium« und dem gegenwarts- bzw. verbleibsorientierten »Freizeitmoratorium«.
2. Adoleszenz und Erwerbsarbeit
man gar davon ausgehen, dass sich das Verhältnis von Adoleszenz und Ökonomie auf den Kopf gestellt hat. Dieses Verhältnis drückt sich gegenwärtig insbesondere in zwei Phänomenen aus. Erstens zeigt sich im bereits präsentierten postfordistischen kreativ-flexiblen Subjektideal eine scheinbare Juvenilisierung der Ökonomie (Dravenau & Eichler, 2012; Fischer & Eichler, 2015). Das idealtypische Qualifikationsprofil subjektivierter ArbeiterInnen entspricht daueradoleszenten UnternehmerInnen, die Erwerbsarbeit nicht als Zwangsverhältnis, sondern als freigewählten Spaß und sinnstiftenden Moment verstehen. Es entsteht eine neue »Jugendlichkeitsnorm« (Erdheim, 2012; King, 2011, S. 248; Rosa, 2005, S. 189). Die Betonung von Charaktereigenschaften, die klassischerweise Adoleszenten zugesprochen werden, treten dabei jedoch allen als Anforderung entgegen – eben eine wirklich normative Subjektivierung (vgl. Kapitel 2.2.2). Adoleszente Eigenschaften wie Dynamik, Kreativität, Aktivität, Selbstverwirklichung und Innovativität erhalten nicht nur gesellschaftliche, sondern insbesondere ökonomische Anerkennung, werden zu Motoren wirtschaftlichen Fortschritts stilisiert – alt zu sein ist gleichbedeutend mit ökonomischem Stillstand.55 Was Honneth (2010) individualisierungstheoretisch als »paradoxalen Umschlag« herausarbeitet, ist daher in seiner gesamtgesellschaftlichen Wirkung nicht zu unterschätzen (Ferchhoff & Dewe, 2016). Zweitens zeichnet sich in aktuellen Jugenddebatten eine Ökonomisierung der Adoleszenz ab (Eichler & Fischer, 2020; Hartong et al., 2018; Heitmeyer et al., 2011a; Helsper, 2015; Höhne, 2012, 2015; A. Lange & Reiter, 2018; Reutlinger, 2013). Die Diagnose einer Ökonomisierung zielt auf die Grundfeste des adoleszenten Moratoriums und nicht zuletzt auf die Idee der Adoleszenz selbst, denn sie stellt beinahe alle »strukturbildenden Grundgedanken« Zinneckers (2000) und auch der analytischen SozialpsychologInnen des Moratoriums (Eichler, 2019; Erdheim, 1988b; Erikson, 1988; King, 2013) in Frage. Schlagwörter der Adoleszenz verlieren an Gehalt: Das Moratorium als Schonraum, der Aufschub vor gesellschaftlichen Verpflichtungen und Freiraum für Rollenexperimente bietet (Erdheim, 1988b; Erikson, 1950; Reinders & Wild, 2003; Zinnecker, 2003), das
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In einer Gesellschaft, in der Adoleszenz nicht mehr Widerstand, sondern Innovation und Verwertbarkeit bedeutet, wird »alt sein« zur ökonomischen Sünde. Dass diese Juvenilisierung gesamtgesellschaftlich an Präsenz gewinnt, zeigt sich auch in der Entwertung des Alters und im Streben nach der »ewigen Jugend« (Harrison, 2015). Während sich die Entwertung »der Alten« insbesondere im Bedeutungsverlust von Altersweisheit sowie in der zunehmend ökonomisierenden Thematisierung des Alters (Rentenkosten, Pflegekosten usw.) widerspiegelt (Badiou, 2016), zeigt sich die Jugendlichkeitsnorm auch in der gesamtgesellschaftlichen Verbreitung spezifischer Körperpraktiken und Formen der Selbstinszenierung. Plastische Chirurgie als artifizielle und Fitnesscenter als Ort der quasi-natürlichen Verjüngung finden in immer breiteren Teilen der Gesellschaft Zustimmung (Pfaller, 2016). Alter und »körperlicher Verfall« werden im Anti-Aging-Boom geradezu zur Krankheit stilisiert. Nicht unbedingt eine Abwehrhaltung gegenüber dem Alter, aber trotzdem ein gesellschaftlicher Trend der Juvenilisierung, findet sich in Begriffen wie dem »aktiven Altern« (engl.: successful aging) wieder; im deutschen Forschungsbereich sind es die sogenannten »jungen Alten« (van Dyk & Lessenich, 2009), die im höheren Alter ihre zweite Jugend wiederfinden, jung und aktiv leben wollen, aber auch der diskursiven und insbesondere einer normativen Verallgemeinerung Gefahr laufen (Fischer und Eichler, 2015).
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»Universum vorläufiger Verantwortungslosigkeit«, in dem Jugendliche aus dem sozialen Spiel genommen sind (Bourdieu, 1993a) – die »gute Jugend« (Bloch, 1973) bröckelt allerorten. »Die romantische Vorstellung eines ›Bildungsmoratorium‹ bzw. eines Schonraums für Kinder und Jugendliche weicht einer durch und durch vergesellschafteten Jugendphase, die die jungen Menschen nicht mehr vor den Anforderungen mit ›Ernstcharakter‹, wie sie auch im Erwachsenenalter vorzufinden sind, schützt.« (Heitmeyer et al., 2011a, 17) Bereits um die Jahrtausendwende wies Zinnecker (2003, S. 59) in einem Artikel zur historischen Entwicklung des Moratoriumbegriffs, zugehöriger Theorien und einer quasiautobiographischen Verortung seines Bildungsmoratoriums auf »massive Gegenkräfte« zum »autonomen« (Bildungs-)Moratorium hin. Seine Annahme war, dass es eine lineare Entwicklung von einem pädagogisierten und auf Transition abzielenden hin zu einem entpädagogisierten, autonomen Moratorium gäbe – im Endeffekt eine ähnliche These wie die Baethges: eine Verallgemeinerung vormals weißer, männlicher, bürgerlicher Adoleszenz. Die »Gegenkräfte« erahnt Zinnecker jedoch in »Politik und Ökonomie«, die auf eine »Optimierung und einen Rückbau des Jugendmoratoriums« drängten (dazu: Reinders, 2016). Er konkretisiert die Gegenkräfte genauso wenig wie die potentiellen Auswirkungen auf das adoleszente Subjekt; eine Folge scheinen die Optimierung und der Rückbau für ihn zuvorderst auf struktureller Ebene des Moratoriums zu besitzen: »eine Verkürzung der schulischen und universitären Durchlaufzeiten« (Zinnecker, 2003, S. 59). Zinneckers Schlusswort verkürzt zwar das Moratorium ganz im Sinne einer ent-psychologisierten Jugendsoziologie auf einen hermeneutischen Apparat, enthält jedoch mit der Idee der »Optimierung« eine Vorahnung, die heute breit diskutiert wird und deren Folgen eben nicht nur auf struktureller, sondern auf Subjektebene zu suchen sind. Im Folgenden stehen Überlegungen und Diagnosen zur Ökonomisierung der Adoleszenz im Mittelpunkt. Dabei wird sich insbesondere an den Veröffentlichungen von Heitmeyer, Mansel und Olk (2011b), Höhne (2012, 2015; Hartong et al., 2018), Reutlinger (2013), Ecarius und KollegInnen (2017) sowie Lange und Reiter (2018) orientiert. Diese bestechen durch eine klare Infragestellung des Moratoriums als Realität jugendlichen Aufwachsens, aber auch durch einen relativ offenen und bisweilen unklaren Umgang mit den Folgen bezüglich jugendlicher Orientierungen.
Dimensionen der Ökonomisierung der Adoleszenz Das zentrale Charakteristikum kapitalistischer Gesellschaften, so stimmt die gesamte Ökonomisierungsdebatte überein, ist der Primat der Ökonomie, die umfassende Macht des Wirtschaftssystems und seiner Organisationsprinzipien, die gesellschaftliche Ordnungsprozesse entscheidend beeinflussen. Ohne in einen »ökonomischen Monismus« (Beckert, 2009, S. 187; Habermas, 1981, S. 504) zu geraten, geht es in der Debatte um zunehmende »kapitalistische Landnahmen« (Dörre & Haubner, 2012) und »feindliche Übernahmen« (Schimank & Volkmann, 2008, S. 386), das Eindringen der ökonomischen Sphäre in vormals außerökonomische Institutions-, Feld- oder Systemlogiken (Höhne, 2015; Krönig, 2015), um Entgrenzungs- und Privatisierungsprozesse (Reutlinger, 2013).
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Ob Gesundheitswesen, Bildung, Kunst oder »das Soziale« im Ganzen – ökonomische Rationalität gewinnt in immer mehr gesellschaftlichen Teilbereichen an Bedeutung. Mit der Privatisierung medizinischer Einrichtungen wird bspw. die medizinische Versorgung mit dem Zwang zur Rendite verbunden (Manzei & Schmiede, 2014). Im Wissenschaftssystem entstehen neue Hierarchien entsprechend der Verwertbarkeit des Fachbereichs (Münch, 2011). Eine Systematisierung von Ökonomisierungsdimensionen mit dem Ziel derer Übertragung in jugendliche Lebenswelten nehmen Lange und Reiter vor (2018). In Anlehnung an Schimanks (2009) »Drei-Komponenten-Modell des Kapitalismus« analysieren sie erstens das Wirtschaftssystem als allgemein dominantes Teilsystem; zweitens geht es um dessen zunehmendes Dominieren in jugendrelevanten gesellschaftlichen Teilbereichen auf sozialer und individueller Ebene; drittens benötigt es entsprechende hegemoniale kapitalistische Deutungsmuster, die zur subjektiven Legitimation der gesellschaftlichen und ökonomischen Bedingungen notwendig sind. Die im Folgenden dargestellten Analysen, Diagnosen und Thesen lassen sich innerhalb dieser drei Dimensionen verorten. Grundlegend verbindet die zugehörigen Studien eine differenzierte Erfassung und gesellschaftstheoretische Einordnung gegenwärtiger Wandlungs- und Ökonomisierungsprozesse – sie verfallen nicht einer einseitig negativen Interpretation gesellschaftlicher Prozesse. Während also in vielen der aufgezeigten Jugenddiagnosen eine Widersprüchlichkeit zum Ausdruck kommt, die auch in der vorliegenden Studie systematisiert und adoleszenztheoretisch aufbereitet wird, diagnostizieren sie dennoch einen »tonangebenden [...] Mastertrend« der gegenwärtigen Adoleszenz (A. Lange & Reiter, 2018, S. 15-16): Die Ökonomisierung des Sozialen und mit ihr die Ökonomisierung jugendlicher Lebenswelten. Die erste Dimension des »Drei-Komponenten-Modells« ist dementsprechend allgegenwärtig gesetzt. An die Ausführungen in Kapitel 2.2.2 anknüpfend gilt es, weitere Aspekte der zweiten und dritten Dimension im Folgenden zu vertiefen.
Die Ökonomisierung jugendlicher Lebenswelten Die Gefahren für das Moratorium, die Zinnecker (2003) nur erahnt, werden einige Jahre später von Heitmeyer, Mansel und Olk (2011a) konkret identifiziert. Auf Studien zur »Individualisierung von Jugend« (Heitmeyer & Olk, 1990) aufbauend untersuchen die Autoren die Entwicklung einstiger Individualisierungsprozesse und wägen deren »Sonnenseiten« gegenüber den »Schattenseiten« ab.56 Auch wenn die Diagnose durchaus differenziert ausfällt, so geht die Sonne für Heitmeyer und KollegInnen langsam unter, die Schattenseite nimmt Überhand. Von der Hoffnung Taylors (1995), die Sonne irgendwie wieder an den Horizont zu hiefen, ist hier wenig zu spüren; vielmehr knüpfen sie in ihrer vielschichtigen, aber tendenziell negativen Analyse in vielen Aspekten an Honneths (2010) Diagnose eines »paradoxalen Umschlags« an.
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Knapp gefasst stellt die Sonnenseite hier die Chance dar, sich selbst zum Planungsbüro der eigenen Biographie und Lebensführung zu machen, wohingegen die Schattenseite in der nur seltenen Einlösung dieses Versprechens sowie der Eigenverantwortung für das individuelle Scheitern besteht (Arbeitsgruppe Bielefelder Jugendforschung, 1990, S. 23-27; Heitmeyer et al., 2011a, 11).
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Während sie Individualisierung, Ausdifferenzierung und Heterogenisierung nach wie vor als gültige Signaturen der Jugendphase erachten, verändere sich diese in den 2000er-Jahren derart, dass »die Vorstellung eines Schutzraums, eines Moratoriums [...] angesichts der voranschreitenden ›Vergesellschaftlichung‹ von Kindheit und Jugend und der Ökonomisierung von Bildungsinstitutionen obsolet« wird (Heitmeyer et al., 2011a, 21). Solch drastische Infragestellungen des adoleszenten (Bildungs-)Moratoriums finden sich innerhalb der Ökonomisierungsdebatte zuhauf (Ecarius et al., 2017, S. 34; Reinders, 2016; Reutlinger, 2013, S. 37). Ein zentraler Baustein hierfür ist die Analyse des Wandels zentraler Institutionen des Bildungsmoratoriums und derer Leitbilder. Mit der Ökonomisierung von Bildung greifen Heitmeyer, Mansel und Olk einen Topos auf, der sowohl auf einen Wandel des Bildungssystems im Zuge von Reformen als auch auf einen Wandel des gesellschaftlichen Bildungsverständnisses verweist (Engartner, 2020; Hartong et al., 2018; Helsper, 2015; Höhne, 2012; Mansel, 2011; Münch, 2018; Obermaier, 2011; Schimank, 2008). Im Zentrum stehen die Kategorien »Verwertung« und »Verwertbarkeit«, an denen sich »erfolgreiche« Bildung messen lasse. »Die Verkürzung der Gymnasialzeiten (G8), die Effizienzsteigerung des Studierens unter dem Gesichtspunkt der Beschleunigung und der Zeitökonomie sowie der Vormarsch bürokratischer Prüfungs- und Selektionsmechanismen, aber auch neue Führungsstrukturen an den Universitäten (Hochschulräte) unter maßgeblicher Einflussnahme außerwissenschaftlicher gesellschaftlicher Entscheidungsträger auf interne hochschulische Entwicklungsprozesse machen unmissverständlich deutlich, dass die Logiken anderer gesellschaftlicher Subsysteme (Wirtschaft, Politik, Verwaltung) in die Erziehungs- und Bildungsinstitutionen eindringen.« (Heitmeyer et al., 2011a, 21) Auf institutioneller Ebene geht es zunehmend um Konkurrenz, Exzellenz, Vermessung und Bewertung (bspw. durch PISA oder TIMSS; Höhne, 2015). Fachbereiche, die aus ökonomisch-zweckrationaler Perspektive keinen Gewinn versprechen, geraten in Gefahr, im Lehrplan gekürzt oder gar gestrichen zu werden.57 Auf individueller Ebene werden das Konkurrenzverhältnis und die Notwendigkeit zur Humankapitalakquise ebenfalls spürbarer. So driften die Lebenschancen junger Menschen immer stärker auseinander, das Bewusstsein über die eigenen (Handlungs-)Möglichkeiten wird aber immer früher sowohl schulisch als auch über neue Informationsmedien wie das Internet in Gang gesetzt (Heitmeyer et al., 2011a, 12). SchülerInnen müssen sich stärker mit den (diffusen) Anforderungen des Arbeitsmarktes auseinandersetzen, sind gezwungen, ihre »Lebensplanung an den Bedingungen von Markt und Wettbewerb« (Heitmeyer et al., 2011a, 24) auszurichten. »Das Schülerdasein wird zu einem Job« (Heitmeyer et al., 2011a, 14), in dem es um die möglichst effiziente Aneignung verwertbarer Schlüsselqualifikationen, aber natürlich auch von Bildungstiteln geht, deren Wert jedoch kontinuierlich abnimmt.
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So gab es bspw. Anfang der 2010er-Jahre eine Debatte zur Kürzung des Musik- und Kunstunterrichts an Hamburger Schulen, weil dieser »keine brauchbaren Kompetenzen für das (Über-)Leben in einer Marktgesellschaft liefern würde« (Heinzlmaier, 2013a, S. 4).
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»Schulzeit wird so von den Betroffenen subjektiv als ein Kampf um Bildungstitel erlebt, auch wenn gleichzeitig infolge der sinkenden Bildungsrendite (Entwertung der Bildungszertifikate) der Ansporn zur Leistungserbringung verloren geht und so eine Demotivierung entstehen kann, da sich der Ertrag der alltäglichen Bemühungen erst später ergibt.« (Mansel, 2011, S. 33) Während die objektive Präsenz von Erwerbsarbeit in vermeintlichen Freiräumen der Adoleszenz zunimmt – MittelschülerInnen verbringen mittlerweile bis zu 20 Prozent ihrer Unterrichtszeit im Betrieb (Bayerisches Staatsministerium für Unterricht und Kultus, 2011, S. 34-35) –, setzen sich subjektiv ergänzend ökonomische Leitlinien und Subjektivierungsformen des Neoliberalismus im schulischen, medialen und familialen Bereich durch, stehen im Zentrum spätmoderner jugendlicher Subjektivierung (Bröckling, 2007; Ecarius et al., 2017, S. 18-36; Heitmeyer et al., 2011a; Helsper, 2015). Wie bereits in Kapitel 2.2.2 herausgestellt, finden klassische Anforderungen subjektivierter Erwerbsarbeit verstärkt ihren Weg ins Jugend-, aber eben auch ins Klassenzimmer, werden dabei einerseits im Sinne des Marktes, andererseits stets im Eigeninteresse der Jugendlichen thematisiert. Dass die neoliberale Anforderung des eigenverantwortlichen Selbst zwar nicht die einzige, jedoch eine ganz zentrale Determinante ökonomisierter jugendlicher Lebenswelten ist, unterstreichen auch Ecarius und KollegInnen (2017). Sie analysieren die Ziele und Inhalte spätmoderner Sozialisation, Anrufungen und Subjektivierungsformen Jugendlicher analog zu Lessenich (2012), der als oberstes Ziel der Aktivierungspolitik des Sozialstaats die Herstellung eines »flexiblen Marktsubjekts« erkennt. »Die spätmoderne Jugendphase steht danach immer auch im Dienste des Ökonomischen, denn der Deregulierung von Produktion und Dienstleistung entsprechen flexible Identitätsformationen, das Wirtschaftliche benötigt gewissermaßen ein fluides anpassungsbereites situatives Subjekt.« (Ecarius et al., 2017, S. 19; Hervorhebungen im Original) Dass die Institution Schule bei der ökonomisierten Subjektivierung eine maßgebliche Rolle einnimmt, veranschaulicht Werner Helsper (2015) in seiner Analyse des Verhältnisses von Jugend und Schule in spätmodernen Gesellschaften. In dieser diskutiert er das zunehmende Weichen jugendlicher Freiräume gegenüber umfangreichen und widersprüchlichen Ökonomisierungstendenzen im schulischen Bereich. Während einerseits durch die Öffnung von Bildungswegen und Weiterbildungsmöglichkeiten ein »Abbau von Bildungsungleichheit« sowie eine »Reduktion besonders negativ ausgelesener und mit sozialer Verachtung verbundener Lernmilieus« erfolgte oder zumindest intendiert war, intensivierte sich gleichzeitig eine neue »vertikale Stratifizierung und hierarchische Unterscheidung zwischen Schulen derselben Schulform« (Helsper, 2015, S. 135; auch: Helsper et al., 2019). Nicht nur der Abschluss alleine zählt, sondern wann, wo, wie und auf welcher Schulform dieser erzielt worden ist – und mit diesen Anforderungen werden SchülerInnen und ihre Familien nun zunehmend direkt konfrontiert (Maaz et al., 2013; Ullrich, 2014). In der »Karriereplanung«, im Unterrichtsgeschehen und in den Lernanforderungen setzt sich das Leitbild des »eigenverantwortlichen ›Lernselbst‹« durch (Helsper, 2015,
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S. 136). Was Heitmeyer und Kollegen (2011a) recht vage als zunehmende Anforderungen im Stile subjektivierter Erwerbsarbeit an Jugendliche (Selbstkontrolle, Selbstökonomisierung, Selbstrationalisierung) formulieren (in Anschluss an: Voß & Pongratz, 1998), konkretisiert Helsper, ordnet diese zudem in den direkten Kontext von PISA und bildungspolitischen Folgen ein. Zugleich versteht Helsper diese Anforderungen nur als einen Part einer deutlich umfassenderen »Beschleunigung, Standardisierung und Rationalisierung von Jugend«, die insgesamt »die Spielräume des Jugendmoratoriums einschränken« (Helsper, 2015, S. 136; Hervorhebungen im Original). Selbstfindungspotentiale und -interessen werden also einerseits kontinuierlich eingefordert, andererseits von zunehmendem schulischen Leistungsdruck, aber auch durch die gestiegenen Erwartungshaltungen sowie Statusängste der Eltern blockiert (Hurrelmann, 2018, S. 134-135; Mansel, 2011, S. 30-33). Dabei handelt es sich nicht nur um eine subjektive Angstreaktion auf das Schreckgespenst des sozialen Abstiegs, sondern – wie auch in Kapitel 2.2.2 bereits skizziert – um real gestiegene Unsicherheiten hinsichtlich des Übergangs in den Arbeitsmarkt und steigender Jugendarmut (Bundesministerium für Arbeit und Soziales, 2017; Dörre, 2010; Groh-Samberg, 2018; Wiezorek & Stark, 2011). Aus adoleszenztheoretischer und jugendsoziologischer Perspektive wird dieser Prozess besonders problematisch, weil die immer weiter um sich greifenden Marktmechanismen und Marktlogiken keine neuen Ordnungsstrukturen schaffen, sondern sich vielmehr durch »inhärente Instabilität und Krisenanfälligkeit« (A. Lange & Reiter, 2018, S. 18) auszeichnen. Wie oben bereits angedeutet, verstärkt sich die Abhängigkeit jugendlicher Berufsaussichten von makroökonomischen Entwicklungen in Anbetracht zunehmender Finanzkrisen auf gesamteuropäischer Ebene (Dietrich, 2015; Dörre, 2010). Jugendliche sind daher angehalten, sich eigenverantwortlich arbeitsmarktrelevante Fertigkeiten aneignen, wobei unklar ist, was überhaupt einmal arbeitsmarktrelevant sein wird. Im Zuge dieser Unwägbarkeit haben im Bildungsbereich und insbesondere im Weiterbildungssektor sogenannte »Schlüsselqualifikationen« und (Meta-)«Kompetenzen« an Bedeutung gewonnen – wobei ein analytischer Blick auf deren Bedeutungsgehalt deren Schwammigkeit schnell entlarvt (Moldaschl, 2010; Pfadenhauer & Kunz, 2012). John Erpenbeck (2007, S. 35), der wohl populärste »Kompetenzmesser«, beschreibt Kompetenzen als »Fähigkeiten, selbstorganisiert – in offenen Problemsituationen, unter ungenauen oder noch gar nicht vorhandenen, selbst zu entwickelnden Zielvorgaben – kreativ zu handeln.« Zumindest wird in dieser Definition klar, dass Kompetenzerwerb der flexiblen Unsicherheitsverwaltung dient (Ecarius et al., 2017; Lessenich, 2012). Eben jene Flexibilität beschreiben Heitmeyer, Mansel und Olk (2011a, 17) »nicht nur [als] eine objektive Verhaltensaufforderung, sondern auch [als] ein überlebenswichtiges subjektives Bewältigungsprogramm.« Doch auch gering-/unbezahlte Praktika oder die Aneignung neuer Softskills auf einem völlig unübersichtlichen Weiterbildungsmarkt schützen nicht vor prekären Lebensbedingungen (Dörre, 2010). Noch nie war die Armut unter Jugendlichen und jungen Erwachsenen größer als heute (Groh-Samberg, 2018). Objektive Prekarität, subjektive Abstiegsängste und Unsicherheiten, oder adoleszenztheoretisch formuliert: erschwerte Ablösungspotentiale, zunehmende generationale Abhängigkeiten, eine wenig
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attraktive Arbeitswelt und die verstärkte Präsenz ökonomischer Logiken und Praktiken verkleinern adoleszente Möglichkeitsräume und erschweren das Gelingen einer adoleszenten Triangulierung. Klassischerweise federn sozialpolitische Institutionen und Maßnahmen, insbesondere die Jugendarbeit und Sozialhilfe, entsprechende Probleme und Problemlagen ab, versorgen Jugendliche und deren Familien mit notwendigem ökonomischen und kulturellen Kapital, auch um adoleszente Frei- und Möglichkeitsräume zu schaffen. Jedoch zeigen sich seit den 1990er-Jahren strukturelle Ökonomisierungsprozesse in der Jugend- und Sozialpolitik, dem öffentlichen Sektor und insbesondere in der Jugendarbeit (Evers & Heinze, 2008). So wurde bspw. in den 1990er-Jahren ein liberales »Neues Steuerungsmodell« in der Jugendhilfe implementiert. Zuwendungsfinanzierungen wurden auf Leistungsentgeltfinanzierungen umgestellt, gewinnorientierte Träger in der Jugendhilfe zugelassen und somit ein Wettbewerb gefördert, der marktfördernde Mechanismen in die Sozialhilfe gebracht hat. Jugendhilfe erhielt zunehmend Produktcharakter, der hilfsbedürftige Jugendliche zu KundInnen degradiert (Seithe & Heintz, 2015; Spatscheck et al., 2008). »Der ständige Zwang zur Outputorientierung erzeugt einen kontraproduktiven Stress der MitarbeiterInnen und verführt seinerseits zu einer oberflächlichen Arbeit, die schnelle Effekte sucht (vgl. z.B. Seithe & Heintz, 2014, S. 120). Damit wird zerstört, was für eine sozialpädagogische HzE [Hilfe zur Erziehung; A. F.] konstitutiv ist: Geduld, Vertrauen sowie Respekt den KlientInnen und ihrem Eigensinn gegenüber. Die prekären Arbeitsverhältnisse und Arbeitsbedingungen verunmöglichen eine qualitative und nachhaltige Umsetzung sozialpädagogischer Praxis und verleiten dazu, sich den Anweisungen einer verkürzten, ökonomisierten Sozialen Arbeit anzupassen. Funktionieren wird so zur Handlungsmaxime, Reflektion zur dysfunktionalen und unerwünschten Haltung.« (Seithe & Heintz, 2015, S. 44) Wie bereits in Kapitel 2.2.2 dargestellt, werden insbesondere sozialpolitische und wohlfahrtstaatliche Maßnahmen nicht nur strukturell ökonomisiert, sie untermauern darüber hinaus weiterführende Ökonomisierungsprozesse, indem neoliberale Subjektivierungsformen einen typischen Bestandteil ihrer Aktivierungsprogrammatik ausmachen. Sozialpolitik wird also nicht nur Objekt, sondern auch Ausgangspunkt subjektiver Implementierung neoliberal-ökonomischer Leitkultur, die mit ihren »Selbstverwirklichungszwängen« (Kocyba, 2005) den Jugendlichen einerseits Selbstwirksamkeit zutraut und diese zu fördern versucht, andererseits klassische »soziale« Absicherungsmechanismen individualisiert. Einstige »Opfer« sozialökonomischer oder anderer struktureller Bedingungen werden in diesem Zuge zu eigenverantwortlichen MacherInnen stilisiert. Wenn es nicht klappt – selber schuld (Schmidt-Semisch, 2000). Dass sich insgesamt Ökonomisierungsprozesse keineswegs als (zweck)rational, sondern vielmehr als widersprüchliche Mogelpackung entpuppt haben, auch darauf verweisen Lange und Reiter (2018, S. 23). So ist bspw. die ökonomische Rendite der Ökonomisierung des Bildungsbereichs sehr überschaubar und das führt zu einem weiteren adoleszenztheoretischen Problem: In modernen Gesellschaften hat sich der Leitgedanke sozialer Integration durch Erwerbsarbeit durchgesetzt und diese stellt auch gegenwärtig trotz einer zunehmenden Faszination der »Kategorie des Finanz-
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kapitals« die zentrale Kategorie der Sozialintegration dar (A. Lange & Reiter, 2018, S. 23; Nies & Sauer, 2012). Gleichzeitig werden EU-weit Bildungsphasen verlängert, außerberufliche Bildungszeiten und Bildungsprogramme staatlich organisiert. Wären Bildung und Beschäftigung eng gekoppelt, so würde sich (humankapitaltheoretisch gesprochen) die Rendite der Bildung in der zweiten Lebensphase (Erwerb) oder in der dritten Lebensphase (Rente) auszahlen. Die Dynamik der Arbeitsmärkte erschwert jedoch die Kopplung von Bildungsplänen und Anforderungen der Erwerbssphäre zunehmend – Phasen der Fortbildung werden häufiger, Bildungsrenditen sinken, Verluste werden wahrscheinlicher (Mansel, 2011, S. 33; Reiter & Craig, 2005). Während sichere Erwerbsarbeit und Erwerbsbeteiligung weiterhin sozial integrierende Faktoren darstellen, löst sich deren Verbindung zum (lebenslangen) Lernen zunehmend auf (Sandra Buchholz & Blossfeld, 2011; A. Lange & Reiter, 2018, S. 23-24; Mansel, 2011). Wie bereits in Kapitel 2.2.2 skizziert, bleibt Jugendlichen und jungen Erwachsenen der »Zugang zum üblichen Ausmaß an Teilhabe in kapitalistischen Gesellschaften« (A. Lange & Reiter, 2018, S. 24) zunehmend verwehrt.
Die Verdichtung und Vernichtung der Adoleszenz Insgesamt geht es bei den dargestellten Aspekten der fortschreitenden Ökonomisierung der Adoleszenz um ein Verschwimmen der Ökonomie mit vormaligen subjektiven und objektiven Freiräumen des Moratoriums – es findet eine »Entgrenzung« von Adoleszenz und Ökonomie statt (U. Becker et al., 2016; Ferchhoff & Dewe, 2016; Heinen et al., 2020; Reutlinger, 2013). Die Dominanz neoliberal-ökonomischer Logiken im Bereich der Bildung und des Sozialen ist dabei eng verzahnt mit der Entstehung und Aufrechterhaltung hegemonialer kapitalistischer Deutungsmuster. Auf Grundlage der Vielfältigkeit gegenwärtiger Ökonomisierungsprozesse und neuer, passfähiger leitkultureller Ideale zeichnen Heitmeyer, Mansel und Olk (2011a) ein geradezu dystopisches Bild jugendlicher Sozialisation, die zunehmend von sich radikalisierenden Unsicherheiten, individualisierter Verantwortung und notwendiger Enttäuschung geprägt sei. Sie verweisen darauf, dass sich die soziologischen Subjektivierungsdebatten zum »Unternehmerischen Selbst« (Bröckling, 2007) und »Arbeitskraftunternehmer« (Voß & Pongratz, 1998) nicht mehr nur vor dem Hintergrund des Erwerbslebens, sondern bereits ganz konkret auf dessen Vorbereitung anwenden lassen. Ihr Fazit fällt entsprechend drastisch aus: Die Adoleszenz werde »verdichtet« und »vernichtet« (Heitmeyer et al., 2011a, 23-25). Mit den Schlagwörtern »Verdichtung« und »Vernichtung« beschreiben sie das Neue, die für sie zentrale problematische Entwicklung jugendlicher Sozialisation: Die Verdichtung leistungsbezogener Anforderungen bei gleichzeitiger Vernichtung jugendlicher Experimentierräume. Erschwerend kommt hinzu, dass neben der ökonomisierten Adoleszenz eine Ökonomisierung der Kindheit diskutiert wird (Dammasch & Teising, 2015; Neubauer et al., 2002) »Forschung zu innerfamiliärer Kommunikation legt nahe, dass die frühzeitige Vermittlung marktrelevanter Persönlichkeitsmerkmale schon in Familien und ganz ohne direktes Zutun staatlicher Einrichtungen erfolgt (Ochs & Kremer-Sadlik, 2015). Dazu gehört auch der immer stärker werdende Akzent auf die Vermittlung von Bildung von früh an, um im Wettbewerb besonders gute Chancen zu haben. [...] Daran wird
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zudem erkennbar, wie sehr Kinder im Familienverband zu Investitionsgütern geworden sind und Elternschaft, insbesondere Mutterschaft (Speck, 2018) daran gemessen wird, wie intensiv und gelungen die Investitionstätigkeiten durchgeführt werden.« (A. Lange & Reiter, 2018, S. 28) Heitmeyer, Mansel und Olk (2011a, 23) – und mit ihnen ein Großteil des Ökonomisierungsdiskurses – vermuten, dass die negativen Individualisierungstendenzen Folgen für jugendliche Wertorientierung zeitigen. Allerdings gehen sie – und eben jener Großteil – kaum darauf ein, weshalb und wie jene Ökonomisierung die adoleszente Subjektivität bedingt, etwa ein (un)angepasstes, regressives oder progressives, materiellreproduktionsbezogenes oder sinnhaft-subjektbezogenes Subjekt evozieren würde. Ob die »Erziehung zur Marktlichkeit« (Lessenich, 2012) tatsächlich marktfähige Subjekte zur Folge hat, zumindest das zweifelt ein Großteil (jugend)soziologischer Zeitdiagnosen an, geht eher von widersprüchlichen psychosozialen Folgen, insbesondere einer zunehmenden Selbstökonomisierung der adressierten Subjekte und vereinzelt auch ganz konkret von materiellen Wertorientierungen aus (Ecarius et al., 2017, S. 33-34; Ehrenberg, 2008; Fischer & Eichler, 2015; Hedtke, 2019; Honneth, 2010; King, 2011; vgl. Kapitel 2.2.4). Dennoch: Gerade die mangelnde Empirie dazu, was die dargestellten Tendenzen auf Individualebene »bewirken«, was hiervon überhaupt ankommt, lässt die teils drastischen Thesen der Debatte bisweilen aufgebläht erscheinen. Dass die Schule nie eine Institution war, in der das Humboldtsche Bildungsideal real zur Anwendung kam, ist schwer zu bestreiten. Dass dennoch die ökonomische Sphäre eine Aufwertung in der schulischen Ausbildung erhalten hat, ist ebenso schwer zu bestreiten (Engartner, 2020). Wie sich SchülerInnen im Gefüge dieses Wandels subjektiv auf die Erwerbssphäre beziehen, deren latente Omnipräsenz die Ökonomisierungsdebatte nahelegt, und, ob es so etwas wie ein neues Verhältnis zur Erwerbsarbeit gibt, in dem sich eben jene Ökonomisierung widerspiegelt, gilt es empirisch zu klären. Zuvor geht es jedoch darum, den widersprüchlichen Charakter gegenwärtiger Sozialisationsprozesse zu konkretisieren und deren sozialen Ungleichheitsdimensionen abzustecken.
2.2.4
Widersprüchliche Adoleszenz
Aus den Darstellungen der Debatten und Thesen zum Wandel jugendlicher Sozialisation ergibt sich ein widersprüchliches Bild gegenwärtiger Adoleszenz. Es geht um strukturelle, institutionelle und leitkulturelle Aspekte, die in der Analyse des subjektiven Verhältnisses Jugendlicher zur Erwerbsarbeit zwar ab und an aufscheinen (Fischer & Eichler, 2015; Kahlert & Mansel, 2007; Knauf & Oechsle, 2007; Oechsle et al., 2009; Queisser, 2010; vgl. Kapitel 2.3), in jugendsoziologischen Beschreibungen gegenwärtiger Sozialisationsbedingungen sogar absolut präsent sind (Ecarius et al., 2017; Heinen et al., 2020; Helsper, 2015; Hurrelmann & Albrecht, 2014; King, 2013; Niekrenz & Witte, 2018, S. 388390), abseits erster thetischer Annäherungen jedoch weder adoleszenztheoretisch gerahmt, noch tiefgreifend hinsichtlich des subjektiven Verhältnisses Jugendlicher zur Erwerbsarbeit analysiert wurden (Eichler, 2021; Eichler & Fischer, 2020).
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Jene Widersprüche, so die These, unterlaufen strukturell den Moratoriumsgedanken, verkleinern adoleszente Möglichkeitsräume und erschweren das Gelingen einer adoleszenten Triangulierung und somit die stabile Verankerung eines positiven Narzissmus. Gleichzeitig setzen sie jedoch – mindestens vordergründig – narzisstische Impulse und deuten jugendliche Autonomien an. Sinnhaft-subjektbezogene Ansprüche, wie sie Baethge (1994b) in der normativen Subjektivierungsthese beschrieben hat, werden also zugleich unwahrscheinlicher und doch gefördert bzw. gefordert; der konkrete subjektive Outcome widersprüchlicher Sozialisationsprozesse bleibt vorerst unklar. Während sich also die Existenz widersprüchlicher adoleszenter Sozialisationsbedingungen in soziologischen Jugenddebatten mannigfach andeutet, muss empirisch geklärt werden, ob und wie sich die Widersprüchlichkeit letztlich in der adoleszenten Subjektivität niederschlägt. Die folgende Beschreibung adoleszenter Sozialisationsdynamiken dient der Zusammenfassung und Systematisierung bereits herausgearbeiteter sowie weiterer zentraler Widersprüche und Bedingungen gegenwärtiger Adoleszenz. Ihnen ist ausnahmslos gemein, dass sie die »Idee der Adoleszenz« (Eichler & Fischer, 2020, 418) und somit eine einfache Fortführung der normativen Subjektivierungsthese infrage stellen.
Freistellung von Erwerbsarbeit vs. Ökonomisierung der Adoleszenz Während Jugendliche seit der Bildungsexpansion immer später in die Erwerbssphäre übergehen (Blossfeld, 2008; Dietrich, 2018; Schindler, 2014), treffen sie umgekehrt immer früher, vermittelt über Familie, Schule und Medien, auf leitkulturell etablierte Anforderungen, die jenen subjektivierter Erwerbsarbeit ähneln (M. Albert et al., 2015, S. 376-379; Eichler, 2013; Heitmeyer et al., 2011a; Helsper, 2015; A. Lange et al., 2018; Lessenich, 2012). Jugendliche sind verstärkt dazu angehalten, ihre Tätigkeiten zu planen und zu überwachen (Selbst-Kontrolle), sich und ihre Leistungen zu vermarkten (Selbst-Ökonomisierung) und ihren Alltag und Lebenslauf zu rationalisieren (Selbst-Rationalisierung). Der Freistellung von Erwerbsarbeit steht somit eine innere Ökonomisierung gegenüber, die sich in den Bildern des »Arbeitskraftunternehmers« (Pongratz & Voß, 2003), des »Unternehmerischen Selbst« (Bröckling, 2007) und der »Selbstoptimierung« (Reinders, 2016) wiederfindet. Was unter dem Topos der Selbständigkeit und der Aktivität daherkommt, stellt die Freiheit des adoleszenten Moratoriums von Anforderungen und Eigenschaften der Erwerbssphäre zunehmend infrage. Die abstrakte Freiheit verlängerter Bildungszeiten wird somit von Ökonomisierungsprozessen der Adoleszenz konterkariert (Engartner, 2020; Hartong et al., 2018; Heitmeyer et al., 2011a; Höhne, 2015; Reutlinger, 2013). Neben dem offensichtlichen Unterlaufen Moratoriums-spezifischer Logiken, stellen sich Ökonomisierungsdynamiken auch für die adoleszente Triangulierung als potentiell folgenreich dar. Aus der Perspektive einer dauerhaft eingeforderten Selbstökonomisierung und Selbstoptimierung erscheint die Gesellschaft nicht als Ort kommunikativ rationaler Aushandlung (Habermas, 1981), sondern als Kampffeld, auf dem man mit möglichst guten Waffen konkurriert (Eichler & Fischer, 2020; Mansel, 2011, S. 33). Während die subjektive Seite der Ökonomisierung in Form der Verankerung einer neuen, neoliberalen Leitkultur tendenziell sozial übergreifend verstanden oder zumindest beschrieben wird (Honneth, 2010; Reutlinger, 2013), deuten sich ganz objektive, so-
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zialstrukturelle Differenzierungsnotwendigkeiten an – weder treffen noch betreffen Ökonomisierungsdynamiken alle Jugendlichen gleich (Reutlinger, 2013, S. 38). So stehen erstens konkrete Entgrenzungserfahrungen von Adoleszenz und Erwerbssphäre, im Sinne von Schulpraktika, Bewerbungstrainings, Potentialanalysen, Praxisnähe usw., in niedrigeren Schulformen deutlich stärker im Mittelpunkt (Bayerisches Staatsministerium für Unterricht und Kultus, 2019; Reutlinger, 2013). Zweitens könnte sich der Zusammenhang von sozialer Herkunft und ökonomischen, kulturellen, sozialen und emotionalen Ressourcen als schwerwiegender Nachteil für Jugendliche aus bildungsschwachen Milieus erweisen (King, 2013). Um die Beschränkungen des adoleszenten Möglichkeitsraums durch subjektive wie objektive Ökonomisierungstendenzen abzufedern, bedarf es psychosozialer Ressourcen, die mit höherer Wahrscheinlichkeit in gehobenen sozialen Milieus vorzufinden sind – das »Universum vorläufiger Verantwortungslosigkeit« (Bourdieu, 1993a) und zugehörige Prozesse der Identitätsentwicklung basieren eben nicht nur auf langen Bildungszeiten, sondern auf strukturell ungleich verteilten Bedingungen, die ein unbestraftes Scheitern subjektiv und objektiv ermöglichen (Erdheim, 1982, 1988b; King, 2013).
Juvenilisierung und Prekarisierung antizipierter ökonomischer Bedingungen In den meisten Adoleszenz- und Jugendtheorien, ganz unabhängig davon, ob es um Konflikte, Statuspassagen oder Entwicklungsaufgaben geht, stellt der Eintritt in die Erwerbssphäre einen essentiellen Schnitt zwischen (Post-)Adoleszenz und Erwachsensein dar (Erdheim, 1988b; King, 2013; A. Lange et al., 2018; Scherr, 2009). An diese Idee knüpft sich ein geradezu fordistisches Versprechen auf den sicheren Hafen, auf die Aufnahme in die (Arbeits-)Gesellschaft nach dem adoleszenten Abstoßen der Hörner (Eichler, 2019; Eichler & Fischer, 2020; Reutlinger, 2013; Zinnecker, 1991, 2000). Diese sicherheitsspendende Antizipation der arbeitsgesellschaftlichen Zugehörigkeit stellt einen relevanten Aspekt der adoleszenten Triangulierung dar – der subjektive Fokus auf Identitätsentwicklung und dessen Übertragung in die Erwerbssphäre basieren auf gesellschaftlichen und in Antizipation auch arbeitsweltlichen Voraussetzungen (Eichler & Fischer, 2020; Erdheim, 1988b). Der sichere Hafen ist jedoch in der postfordistischen Gesellschaft zunehmend illusorisch und immer schwieriger zu erreichen. Während sich die Adoleszenz ökonomisiert, geht parallel erstens eine vordergründige »Juvenilisierung der Ökonomie« vonstatten (Eichler & Fischer, 2020, S. 423; Kleemann, 2012) – ein Wandel, den selbst Baethge (1994b) aufgrund seiner angenommenen Passfähigkeit als Treibkraft der normativen Subjektivierung beschrieb. Die subjektivierte, kreative und digitalisierte Erwerbssphäre stellen jedoch keineswegs ein fitting zur Adoleszenz bzw. zu einer sinnhaft-subjektbezogenen Perspektive dar (Eichler, 2013; Manske, 2015; Wiezorek & Stark, 2011). Die juvenilisierte Ökonomie bietet kein sicheres Anlegen, lässt die Jugendlichen eher wie Schiffbrüchige von einem Projekt ins nächste treiben, ist von atypischen Beschäftigungsverhältnissen und langfristiger Prekarität geprägt (Boltanski & Chiapello, 2003; Schlimbach, 2010). Die Generation der normativen Subjektivierung, die Baethge und KollegInnen (1988) in den Studien am Göttinger SOFI vor Augen hatten, stellt nun die Elterngeneration heutiger Jugendlicher dar. Die prekäre Umsetzung der normativen Subjektivierung dürfte Jugendlichen also im Alltag
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begegnen – insbesondere in gehobenen Milieus, bei denen subjektivierte Arbeitsverhältnisse häufiger anzutreffen sind (Dravenau & Eichler, 2012; Manske & Schnell, 2010). Das könnte einen ungewöhnlichen sozialstrukturellen Effekt zeitigen, da klassischerweise die »Idee der Adoleszenz« realempirisch eher im oberen sozialen Raum verortet wird (Bourdieu, 1993a; Fischer & Eichler, 2015). Zweitens gesellt sich zur arbeitsweltlichen Prekarität von Realisierungsmöglichkeiten einer sinnhaft-subjektbezogenen Perspektive auf Erwerbsarbeit eine objektiv zunehmende Prekarität von Beschäftigungsverhältnissen Jugendlicher und junger Erwachsener. Unabhängig der sozialen Herkunft erfolgt der Eintritt in die Arbeitswelt überwiegend und immer häufiger in atypischen Beschäftigungsverhältnissen und Übergangssystemen, die weniger Sicherheit spenden, als vielmehr eine zunehmende Armut und Verunsicherung unter Jugendlichen und jungen ArbeiterInnen befördern (Bundesministerium für Arbeit und Soziales, 2017; Dörre, 2010; Groh-Samberg, 2018; Großegger, 2017; Honneth, 2010; Leven & Utzmann, 2015; Reißig, 2009). Wie sich das potentielle Wissen um arbeitsweltliche Disparitäten zur eigenen Orientierung sowie antizipierte Schwierigkeiten des »Ankommens« in der Arbeitsgesellschaft im subjektiven Verhältnis Jugendlicher zur Erwerbsarbeit niederschlagen, gilt es, empirisch zu klären. Dass jedoch auch hier grundlegende Bedingungen der Adoleszenz betroffen sind, legt abermals nahe, dass die sinnhaft-subjektbezogene Perspektive auf Erwerbsarbeit subjektiv wie objektiv nicht profitiert.
Die Postwachstumsgesellschaft ist eine Postaufstiegsgesellschaft Ein klassischer Weg, drohender Prekarität zu entgehen, war Bildung. Während die relative Häufigkeit von gehobenen Bildungsabschlüssen und StudienanfängerInnen stetig zunimmt (Schindler, 2014), die Garantie für eine gehobene berufliche Stellung jedoch immer geringer wird, verlagern sich Aspekte der Employability weg vom institutionalisierten Kulturkapital. Soziales und kreatives Engagement, außerschulische Aktivitäten und Mitgliedschaften, Zusatzqualifikationen – alles wird zum potentiellen Aushängeschild der eigenen Subjektivität, wird zum Beweis eben jener Employability (Lörz, 2017), wobei für die Halbwertzeit verwertbarer Kompetenzen keine Sicherheit besteht (Eichler & Fischer, 2020, 424). Im Kontext vielfältig gesteigerter Unsicherheiten und auch in Anbetracht unsicherer Bildungsrenditen ergibt sich ein weiterer, kaum beachteter Widerspruch gegenwärtiger adoleszenter Sozialisation (Bacher & Moosbrugger, 2019; Ecarius et al., 2017, S. 28; Mansel, 2011). Es geht um die Ablösung der/des Adoleszenten von der Herkunftsfamilie und um die Hinwendung zur sowie die Abarbeitung an der Kultur. Was die Bildungsexpansion und ein zunehmendes wirtschaftliches Wachstum mindestens auf subjektiver Ebene lange Zeit ermöglichten, war ein Übertrumpfen der Elterngeneration (Bourdieu, 1997; King, 2013). Dessen Wahrscheinlichkeit und somit die Unabhängigkeit von den eigenen Eltern sinkt in der Postwachstumsgesellschaft jedoch zunehmend (M. Albert, Hurrelmann & Quenzel, 2019). Die soziale und ökonomische Bedeutung der Familie (Unterstützung, Pflege, Erbe) nimmt wieder zu (Koppetsch, 2013; Oelkers, 2012; Piketty, 2017). Wenn die Kultur keine Sicherheit bietet und an Attraktivität einbüßt, wird erstens das Gelingen der adoles-
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zenten Triangulierung unwahrscheinlicher und zweitens eine Re-Familiarisierung von Werten und Orientierungen befördert. »Wir vertreten die (.) These, dass Vater und Mutter heutzutage zunehmend bedeutende Bezugspersonen im multioptionalen und beschleunigten Leben der Heranwachsenden sind und sich Jugendliche gegenwärtig weniger von der ›Familie‹ abwenden, sondern versuchen diese Verbindung langfristig aufrechtzuerhalten.« (Ecarius et al., 2017, S. 26; Hervorhebungen im Original) Ob und wie sich die gestiegene Bedeutung und Abhängigkeit von der Familie subjektiv manifestieren, knüpfen Ecarius und KollegInnen (2017, S. 26-27) an die konkrete familiäre Ausgestaltung und sozialpädagogische Unterstützungsmöglichkeiten. Beide sind jedoch sozial ungleich verteilt – eine Privatschule, Nachhilfe und Au-Pairs zur kulturellen und sozial-emotionalen Unterstützung kann sich nun einmal nicht jede/r leisten. Aber: Bei einem Großteil des Unterstützungsangebotes – privat und öffentlich – sowie bei den familiären Förderintentionen »schleichen sich (.) neoliberale Strategien« ein (2017, S. 27), denen es letztlich um die Verwertbarkeit und nicht die psychosoziale Entwicklung in Richtung Mündigkeit geht (Eichler & Fischer, 2020). Insgesamt deuten sich auch hier Probleme in der »Individuation« (King, 2013) und der »adoleszenten Triangulierung« (Eichler, 2019, 2021) an, deren subjektiver Outcome sozial strukturiert ist.
Das Scheitern an der Selbstverwirklichung Die Demokratisierung der Lehr- und Erziehungsstile stellt Jugendliche in der Hierarchie nicht mehr unter, sondern zunehmend an die Seite ihrer Eltern und LehrerInnen (M. Albert, Hurrelmann & Quenzel, 2019; Dornes, 2012). Ihnen bieten sich einerseits neue Freiheiten, gerade vor den autoritären Personifizierungen »der Anforderungen der Leistungsgesellschaft« (Eichler & Fischer, 2020, 422); andererseits ergibt sich im Zuge von Ökonomisierungsprozessen eine anonyme Autorität des »Marktes« vor dessen Hintergrund SchülerInnen angehalten sind, eigenverantwortlich und selbständig ihre Employability zu entwickeln (Hartong et al., 2018; Heitmeyer et al., 2011a; Höhne, 2015). Ganz im Sinne »indirekter Steuerung« (Peters, 2013), resultierend aus der direkten Konfrontation der Jugendlichen mit den Anforderungen des Marktes (Kessl, 2006; Lessenich, 2012; Pongratz, 2004), müsste die Kapitalperspektive dann zur Eigenperspektive werden. Weil nun aber alle gleichsam abstrakten Imperativen unterworfen sind – wenn auch auf sehr verschiedenem Niveau – erscheinen Jugendliche, Eltern, ErzieherInnen, BeraterInnen und LehrerInnen gleichsam im selben Boot sitzend. Das Gegenüber – Gesellschaft, Politik, Ökonomie – taucht stattdessen im jugendlichen Selbst wieder auf. Was bereits Honneth (2010, S. 218-221; vgl. Kapitel 2.2.2) in seinen abschließenden, oben nicht ausgeführten Thesen zum »paradoxalen Umschlag« erahnt, stellt eine damit zusammenhängende und breit diskutierte Psychodynamik dar (Eichler, 2013; Menke & Rebentisch, 2012). Misserfolg erscheint dann als Scheitern an sich selbst (Ehrenberg, 2006): Fehleinschätzung, Realitätsverzerrung, überhöhte Erwartungen, schlecht informiert oder einfach nur Pech gehabt. Das individualisierte Scheitern befördert Scham- und Schuldge-
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fühle – »Hätte ich nur mehr gelernt.«, »Hätte ich nur das Richtige gelernt.«, in jedem Falle aber: »Selber schuld!« (Diederichsen, 2012; Dravenau & Eichler, 2012; Ehrenberg, 2012; Haubl, 2008; Schmidt-Semisch, 2000). Auf psychischer Ebene steht die eingeforderte Selbstverwirklichung bei gesteigerter Eigenverantwortung somit im Kontext depressiver Dynamiken (Haubl, 2008, 2013; Honneth, 2010). Die an Ehrenberg (2008) anschließenden empirischen Versuche, das Aufkommen von Depressionen quantitativ zu messen, sind zwar umstritten und keineswegs eindeutig (Summer, 2015). Grundlegend lässt sich dennoch konstatieren, dass die Behandlung depressiver und angstbezogener Störungen unter Jugendlichen deutlich zugenommen hat und statistisch besonders häufig mit Konkurrenz- und Leistungsdruck zusammenhängt (Schomerus et al., 2012). Der Umgang mit Psyche, Emotion und Belastung hat sich gesellschaftlich und auch arbeitsweltlich gewandelt (Eichler, 2013; Illouz, 2011) – offen bleibt jedoch, wie sich die zunehmende Betroffenheit, aber auch der Umgang damit, im subjektiven Verhältnis Jugendlicher zur Erwerbsarbeit niederschlagen.
Weibliche Adoleszenz Während ein Großteil der aufgeführten sozialstrukturell differenzierbaren Widersprüche und Bedingungen jugendlicher Sozialisation aus hochaktuellen Debatten zur Ökonomisierung und Individualisierung herausgearbeitet ist, bleibt eine sehr relevante Strukturkomponente der Adoleszenz auf der Strecke – gerade, wenn es um das subjektive Verhältnis Jugendlicher zur Erwerbsarbeit geht. Dabei ist sie eigentlich in vielen Erzählungen zur »Entstehung der Jugend« (Savage, 2007), in der jüngeren58 Adoleszenztheorie (Flaake & King, 2003b; King, 2013) und auch in Studien zum jugendlichen Verhältnis zur Erwerbsarbeit (M. Albert, Hurrelmann & Quenzel, 2019; Baethge, 1994b; Hantsche, 1990) immer wieder präsent. Die »Idee der Adoleszenz« (Eichler & Fischer, 2020) – sozialisatorische und gesellschaftliche Wandlungsprozesse hin oder her – entspricht realempirisch lange Zeit dem Lebensentwurf bürgerlicher junger Männer. Die Kategorie des Geschlechts gilt es daher, vor dem Hintergrund gegenwärtiger Sozialisationsprozesse in der Analyse des subjektiven Verhältnisses Jugendlicher zur Erwerbsarbeit zu reflektieren. Obwohl gerade die jüngere Adoleszenztheorie, die Jugendsoziologie und insbesondere die Genderforschung die bipolare Konzeption von Geschlechterbedeutungen dekonstruiert haben, bleiben dennoch konventionelle Bilder, Verhaltensweisen und Strukturen der Geschlechtsbeziehung wirksam (King, 2013, S. 80-82). Geschlechterbedeutungen, damit einhergehende Identitäten und Praktiken reproduzieren sich in Zuschreibungen, interaktiv, vor- und unbewusst, als Teil des Habitus (Bourdieu, 2005). Sie markieren gesellschaftliche und institutionelle Hierarchien und sind biographisch hochrelevant – gerade in der Adoleszenz (Conrads, 2020; Flaake, 2012; Liebsch, 2012).
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Auf Theorieebene – gerade in der klassischen psychoanalytischen Entwicklungstheorie – wurde die Kategorie des Geschlechts zuerst ausgeblendet, weibliche Adoleszenz dann sowohl implizit als auch explizit negiert und männliche Adoleszenz schließlich als Grundlage kulturellen Wandels entworfen (King, 2013, S. 74-76). Auch Erdheims Adoleszenzmodell kann »trotz explizit entgegengesetzter Intention« (King, 2013, S. 79) die Geschlechterpolarisierung kaum auflösen.
2. Adoleszenz und Erwerbsarbeit
Lebensgeschichtlich rückt Geschlechtlichkeit hier erstmals in den Mittelpunkt. Neben biologisch-körperlichen Veränderungen, gehen gesellschaftliche und institutionelle Vergeschlechtlichungsprozesse vonstatten. Adoleszente werden »gefordert und gezwungen, ihren geschlechtsspezifischen Habitus zu entwickeln, zu spezifizieren und zu konturieren« (King, 2013, S. 81). So werden Zweigeschlechtlichkeit, entsprechende Verhaltens- und Berufsbilder institutionell im (Aus-)Bildungs- und Berufsbildungssystem subjektiv verankert (King, 2013, S. 80-82; Wetterer, 1995). Nichtsdestotrotz haben sich Weiblichkeitsbilder und Moratoriumsbedingungen sowohl strukturell als auch qualitativ für junge Frauen im 20. und 21. Jahrhundert stark gewandelt. Dass sich erste Formen weiblicher Adoleszenz mit der Expansion der ersten Frauenbewegung, der Etablierung von Mädchenbildung und der Zulassung von Frauen an Universitäten im Jahr 1919 strukturell andeuteten, jedoch erst mit der Bildungsexpansion ab den 1960er- und 1970er-Jahren etablierten, integriert auch Baethge (1994b) in seine Überlegungen zur normativen Subjektivierung von Erwerbsarbeit. Dass die neuen Freiheiten für Mädchen und junge Frauen sowie das Aufbrechen vormaliger »Männerprivilegien« im öffentlichen Raum jedoch kontinuierlich durch subtile und offene Formen der Diskriminierung gekennzeichnet sind, gilt es hinsichtlich der Ausformung von Adoleszenz zu bedenken. Denn ein konkretes, ganz zentrales Problem der weiblichen Emanzipation ist, dass sich Männlichkeitskonstruktionen kaum gewandelt haben (King, 2013, S. 92-95). Das Heraustreten von Frauen aus dem Bereich des Privaten bietet männlichen Jugendlichen die Herausforderung und Chance, Dimensionen der Reproduktion (Fürsorge, Versorgung, Bezogenheit usw.) in den eigenen Identitäts- und Männlichkeitsentwurf zu integrieren. King (2013, S. 94-95) zeichnet auf theoretischer Ebene jedoch nach, dass sich die Fähigkeit der progressiven Bewältigung dieser Herausforderung nach »psychosozialen Ressourcen« und »sozialer Lage« unterscheidet und daher »das verstärkte Engagement von Frauen in der Sphäre des Beruflichen nicht von einem komplementären verstärkten Engagement der Männer in der Sphäre der Familie begleitet war und ist.« Frauen werden selbst dann häufig noch stärker in die Reproduktionsarbeit einbezogen, übernehmen den mental load, wenn sie die ökonomisch tragende Kraft des Haushalts sind (Alemann et al., 2017; Koppetsch & Speck, 2015). Vereinbarkeit bleibt Mädchen- und Frauenthema. Von ihnen wird eine »aktive Doppelorientierung« (Geissler & Oechsle, 1996, S. 213) abverlangt – die gleichzeitige Fokussierung auf Erwerbsarbeit und Haushalt. Der adoleszenztheoretische Clou bzw. wohl eher die adoleszenztheoretische Tragik, die King (2013, S. 146-152) hierbei in Anschluss an Geissler und Oechsle (1996) betont, ist, dass sich die Adoleszenz junger Mädchen vor dem Berufseintritt strukturell kaum von ihren männlichen Altersgenossen unterscheidet. Qualitativ entwickeln sie jedoch ein Bewusstsein um die Ungleichbehandlung, antizipieren das Dilemma einer drohenden Doppelorientierung und greifen intergenerational an Themen und Problemen der Müt-
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Adoleszenz und Arbeit
ter an; dieser eigentliche Vernunftvorteil59 gerinnt jedoch bei Jungs, die die Mädchen in ihrer Antizipation alleine lassen, zum Nachteil: »Es führt zur Zurücknahme weitgreifender Lebensziele, die gleichsam eine Portion ›Unvernunft‹ und adoleszente Größenphantasie verlangen würden.« (King, 2013, S. 151) Auch jüngere Studien deuten an, dass trotz zunehmend fluider Konzepte und Ideen von Geschlechtlichkeit, letztlich dennoch eine feste Entscheidung für ein Geschlecht und damit einhergehende Handlungsschemata subjektiv erzwungen werden (Conrads, 2020). Zusätzlich finden sich zur gesellschaftlichen Öffnung und stellenweisen Emanzipation im Widerspruch stehende, organisierte Bewegungen, die sich für dichotome Weiblichkeits- und Männlichkeitsnormen einsetzen sowie gegen alles, was über die tradierten Geschlechterverhältnisse hinausweist (Hark & Villa, 2015; Roepert, 2020, S. 2829). Im Alltag, im Berufsleben und auch im höheren Bildungswesen bleiben alte Ungleichheiten hartnäckig bestehen (Beaufaÿs et al., 2017). Einerseits profitieren Mädchen und junge Frauen also von gesellschaftlichen und institutionellen Entwicklungen, werden als Bildungsgewinnerinnen gefeiert und gefürchtet (Hurrelmann & Schultz, 2012); andererseits bleibt es fraglich, wie und ob sich das strukturelle Potential zur sinnhaft-subjektbezogenen Perspektive auf Erwerbsarbeit unter den gegebenen widersprüchlichen Bedingungen für junge Frauen aufrechterhalten kann.
Zwischen Emanzipation, instrumenteller Performance und Distinktion Ein letzter Widerspruch resultiert aus den individualisierungstheoretischen Überlegungen zur Normativität der sinnhaft-subjektbezogenen Perspektive auf Erwerbsarbeit und den sozialräumlichen Vorteilen bestimmter Milieus hinsichtlich Moratoriums-spezifischer Bedingungen (Fischer & Eichler, 2015; Honneth, 2010; Kocyba, 2005). »Jugendliche ›sollen‹ sich in eine ich-regulierte Selbstfindung einüben, offen sein für Optionalität und die Fähigkeit entfalten, flexibel mit Unbekanntem umzugehen.« (Ecarius et al., 2017, S. 19) Die gesellschaftlich übergreifend normativen Leitbilder des Postfordismus (Kreativität, Flexibilität, Selbstverwirklichung, Autonomie, Unternehmertum etc.; Dravenau & Eichler, 2012), finden sich insbesondere in Darstellungen gehobener Milieus wieder. Florida (2002) schreibt der creative class eben jene Subjektivitäten und Eigenschaften zu und auch Reckwitz (2010, S. 449) vermutet die »soziale Trägergruppe« der »Subjektkultur«
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Jenes Bewusstsein für und die Beschäftigung mit der familiären Sphäre begreift King in Abgrenzung zu anderen Adoleszenzentwürfen (bspw. Erdheim) als vernunftbasierte Auseinandersetzung mit der Verschränkung von Familie und Gesellschaft. »Weibliche Adoleszente stehen dann mit ihrer oftmals expliziteren, und darin nicht einfach rückschrittlichen, sondern auch integrationsfördernden Familienorientierung und Antizipation der Verbindung von Familie und Beruf immer einen Schritt jenseits dieses scheinbar radikalen, weil antagonistischen Adoleszenzkonzepts.« (King, 2013, S. 79; Hervorhebung im Original)
2. Adoleszenz und Erwerbsarbeit
des »unternehmerischen Kreativsubjekts« in der »urbanen creative class«. Auch empirisch erweist sich die sinnhaft-subjektbezogene Perspektive zumeist als schicht- oder milieuspezifisch (vgl. Kapitel 2.3). Erstens droht also – in Anbetracht einer eingeforderten Verbindung von Subjektivität, Identität und Erwerbsarbeit – die sinnhaft-subjektbezogene Perspektive im Sinne Baethges zu einer Frage von instrumenteller Performance zu geraten. Aus der adoleszenten Widerspenstigkeit gegen entfremdende Arbeitsbedingungen wird ein angepasster Habitus der Selbstverwirklichung (Dravenau & Eichler, 2012; Fischer & Eichler, 2015). Die funktionale Transformation des adoleszenten Narzissmus in eine verwertbare Kompetenz verweist die Omnipotenz möglicherweise auf die Ränge hinter der Ökonomie. Mit der Normativität der Selbstverwirklichung und deren milieuspezifischen Realisierungsmöglichkeiten – sowohl habituell als auch erwerbsspezifisch – gehen zweitens potentiell sozialstrukturelle Effekte einher, die sich mit dem Bourdieuschen Theoriensystem fassen lassen. Selbstverwirklichung, intrinsische Arbeitsmotivation und die Identifizierung mit der eigenen Tätigkeit stellen anerkannte Berufswerte dar. Sie wirken erstrebenswert und in ihrer realen Erscheinungsform aufgrund ihrer scheinbaren Natürlichkeit legitim. »Die klassen- und milieuspezifischen Formen des Habitus erlauben es den statushohen Milieus, die über das für eine natürliche (Selbst-)Sicherheit und Gelassenheit nötige Kapital verfügen, (a) diese Werte zu »verkörpern« und (b) auf diesem Weg ihre ›Macht in Charisma‹ zu verwandeln (Bourdieu, 1998, S. 173).« (Fischer & Eichler, 2015, S. 395) Die ursprünglich von Dravenau und Eichler (2012) formulierte These einer »distinktiven Selbstverwirklichung« betont neben dem Instrumentalismus der Selbstverwirklichung sozialstrukturelle Spannungspunkte, denen die Ausbildung einer sinnhaft-subjektbezogenen Perspektive auf Erwerbsarbeit ausgesetzt ist. Indem der von profanen Bedürfnissen befreite sinnhafte Subjektbezug allgemein anerkannt, jedoch sozialräumlich ungleich verteilt und realisierbar ist, wirkt er potentiell im Sinne symbolischer Gewalt (Bourdieu, 1998, S. 173) – einerseits als soziale Abgrenzung, andererseits als Legitimation und Reproduktion gehobener sozialer Stellung. Ob als Phrase, Worthülse, Prätention, Distinktion, emanzipatorischer Impuls oder womöglich überhaupt nicht – empirisch gilt es, die potentielle Vielschichtigkeit und Widersprüchlichkeit des jugendlichen Subjektbezugs zu erfassen und gesellschaftlich einzuordnen. Insgesamt ergeben sich aus den dargestellten Widersprüchen und Bedingungen gegenwärtiger Adoleszenz mehr Fragen als Antworten: Inwiefern sind Jugendliche überhaupt in welchem Ausmaß von einzelnen Aspekten der Ökonomisierung, spezifischen Normativitäten, Bildungsprofilen, habituellen Logiken, Zukunftsnarrativen usw. betroffen? Wie gehen Jugendliche in unterschiedlichen sozialen Lagen mit solchen Widersprüchen um? Und insbesondere: Wie spiegeln sich diese im subjektiven Verhältnis Jugendlicher zur Erwerbsarbeit wider? Während Baethges These der normativen Subjektivierung von Arbeit vor einem spezifischen sozialisatorischen und adoleszenztheoretischen Hintergrund formuliert wurde, zeigen gegenwärtige jugendsoziologische Debatten, dass eine »konsumistische
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Adoleszenz und Arbeit
Sozialisation« (Baethge, 1985; Baethge et al., 1988; Baethge, 1994b) keineswegs mehr den gesellschaftlichen Normalzustand darstellt; vielmehr ist von sozialstrukturell und geschlechtsspezifisch zu differenzierenden widersprüchlichen Sozialisationsprozessen auszugehen (Ecarius et al., 2017; Eichler & Fischer, 2020; Niekrenz & Witte, 2018), deren subjektiver Outcome hinsichtlich der Erwerbssphäre in dieser Studie im Mittelpunkt stehen wird.
2.3
Forschungsstand und weitere potentielle Theorierahmungen
Die bisherigen Ausführungen thematisierten die Grundlagen der normativen Subjektivierungsthese und adoleszenztheoretische Erweiterungen (vgl. Kapitel 2.1) sowie deren Verknüpfung mit gegenwärtigen Bedingungen jugendlicher Sozialisation (vgl. Kapitel 2.2). Die Kopplung soziologischer und psychologischer Aspekte verschafft gerade jüngeren Adoleszenztheorien den Vorteil, das subjektive Verhältnis Jugendlicher zur Erwerbsarbeit vor dem Hintergrund individueller, institutioneller und gesellschaftlicher Bedingungen zu analysieren. Es ist daher kaum verwunderlich, dass das adoleszente Moratorium immer wieder als Konzept oder zumindest Referenzrahmen in empirischen Studien zu jugendlichen Bezügen und Perspektiven auf die Erwerbsarbeit herangezogen wird. Jene Empirie steht im Folgenden im Mittelpunkt. Dabei wird es auch darum gehen, erstens weitere theoretische Ansätze zur Analyse des subjektiven Verhältnisses Jugendlicher zur Erwerbsarbeit zu erfassen, um potentiell vorhandene »blinde Flecken« der adoleszenztheoretischen Herangehensweise zu füllen. Zweitens gilt es zu prüfen, inwiefern sich die oben angeführten Widersprüche und Bedingungen gegenwärtiger Adoleszenz bereits in der vorliegenden Empirie zu Jugend und Erwerbsarbeit andeuten. Der Forschungsstand zum subjektiven Verhältnis Jugendlicher zur Erwerbsarbeit erweist sich aufgrund der thematischen Schnittstelle zwischen Jugend- und Arbeitssoziologie, Bildungsforschung, Sozialstrukturanalyse, Wirtschaftswissenschaften und Psychologie als unübersichtlich. Die Darstellung erfolgt daher in drei Schritten: Zuerst steht die Empirie im Mittelpunkt, die explizit an die Studien von Baethge und KollegInnen (1988) bzw. die normative Subjektivierungsthese von Baethge (1994b) anknüpfen (Kapitel 2.3.1). Dann geht es um aktuelle Jugendgenerationen- und Jugendmilieustudien, deren Stärke in der sozialstrukturellen Differenzierung jugendlicher Perspektiven und Bezüge auf die Erwerbsarbeit liegt (Kapitel 2.3.2). Neben dem Geschlecht entpuppen sich durchweg die soziale Lage und Schulzugehörigkeit als relevante Einflussfaktoren. Daher stehen abschließend Studien der Berufsorientierungs- und Berufswahlforschung – getrennt nach Empirie zu HauptschülerInnen und GymnasiastInnen – im Mittelpunkt (Kapitel 2.3.3). Die Empirie erhält damit eine direkte Verknüpfung zu den qualitativen Analysen der vorliegenden Studie, deren Sample MittelschülerInnen und GymnasiastInnen umfasst. Als theoretische Anknüpfungspunkte werden im folgenden Kapitel praxeologische Aspekte, die Verknüpfung von Identität, Adoleszenz und Erwerbsarbeit bei Marcia (1980) sowie die Theorie der Entwicklung beruflicher Aspirationen von Linda Gottfredson (1981) verhandelt. Alle drei bieten die Möglichkeit, sozialstrukturelle und
2. Adoleszenz und Erwerbsarbeit
geschlechtsspezifische Sozialisationsdynamiken hinsichtlich des subjektiven Verhältnisses Jugendlicher zur Erwerbsarbeit zu reflektieren.
2.3.1
Wahlverwandtschaft, Growing Realism und Praxeologie
Empirie, die sich explizit mit der These der normativen Subjektivierung von Arbeit auseinandersetzt, ist sehr rar. Zwar gibt es eine große Auswahl an Studien zu Berufswerten, berufsbiographischen Entwicklungen im Jugendalter und dem Übergang Jugendlicher von der Schule in die Arbeitswelt; sie schließen jedoch selten an Adoleszenztheorien oder an das Forschungsprojekt des Göttinger SOFI an (Baethge et al., 1988; Baethge, 1994b). Interessanterweise gibt es eine Reihe quantitativer Studien, die sich auf die normative Subjektivierungsthese berufen und diese anhand repräsentativer sowie multivariater Methoden »testen«. Ziel der Studien ist, die Annahmen Baethges, die weitgehend auf qualitativen Methoden beruhen, zu quantifizieren und auf ihre Allgemeingültigkeit hin zu prüfen. Alle drei im Folgenden dargestellten Studien wurden zudem in der Fachzeitschrift Soziale Welt veröffentlicht und schließen damit auch publikationspolitisch an Baethges frühen und zentralen Veröffentlichungen zur normativen Subjektivierung an (Baethge, 1985, 1991). Was diese Studien als besonders wertvoll auszeichnet, sind sowohl deren zeitlichen Abstände als auch deren Rückgriff auf identische Datengrundlagen und Analysemethoden. Die in Kapitel 3.2 durchgeführten quantitativen Analysen knüpfen ebenfalls direkt an diese Studien an. Die erste der drei Studien stammt von Martin Heidenreich (1996). Zwar geht es ihm darum, unter Bezug auf Baethge (1994b) und Voß (1994) den Subjektivierungsprozess aus zwei Perspektiven – der normativen Subjektivierung von Arbeit und einiger Aspekte der arbeitskraftorientierten Rationalisierung – zu untersuchen; faktisch ist seine empirische Analyse jedoch auf den Wandel von Berufswerten, daraus abgeleiteten »Interessen« und deren Einflussfaktoren begrenzt.60 Seine zentrale These lautet, es gäbe eine »Wahlverwandtschaft« zwischen wirtschaftlichen und arbeitsorganisatorischen Veränderungsprozessen und neuen Arbeitsinteressen und Berufswerten. Für Heidenreich stellen nicht das Subjekt und dessen Sozialisation den Ausgangspunkt der normativen Subjektivierung dar, sondern die veränderte Arbeitssphäre, die sich auf das Subjekt und dessen Denk- und Handlungsmuster auswirke. Heidenreichs (1996, S. 26) expliziter Bezug auf Baethge reiht sich zwar nicht in die »gebetsmühlenartige« Zitation anderer Veröffentlichungen ein, eine tiefgehende Reflexion der normativen Subjektivierungsthese findet hier jedoch auch nicht statt. Welche Rolle Jugendliche und junge Erwachsene bei der normativen Subjektivierung einnehmen und wie sich das subjektive Verhältnis zur Erwerbsarbeit überhaupt abseits der Erwerbsarbeit im Subjekt entwickelt, bleibt außen vor. Nichtsdestotrotz bietet die Stu-
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An dieser Stelle sei auf die Vielfalt und teils synonyme Verwendung von Begriffen wie Arbeitsorientierung, Arbeitseinstellung, Arbeitsansprüche, Arbeitswerte, Berufswerte, Berufspräferenzen, Arbeitswerteorientierung, Arbeitsmotivation, Perspektiven und Leistungsorientierung verwiesen. Die Ergebnisdarstellung erfolgt weitgehend anhand der Begrifflichkeiten der einzelnen Studien.
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Adoleszenz und Arbeit
die spannende empirische Ergebnisse und theoretische Implikationen, die sich über Wahlverwandtschaften hinaus interpretieren lassen. Heidenreich verwendet die Daten der Allgemeinen Bevölkerungsumfrage der Sozialwissenschaften (ALLBUS) aus den Jahren 1982 und 1991, um Zusammenhänge zwischen »Arbeitsinteressen« bzw. »Arbeitsorientierungen« und verschiedenen Einflussfaktoren zu untersuchen. Zuvorderst geht es ihm um den Zusammenhang von Arbeitsinhalten und subjektivem Verhältnis zur Erwerbsarbeit; das Alter und die Bildungsherkunft der Befragten werden jedoch ebenfalls als Einflussfaktoren überprüft. Anhand einer Faktorenanalyse von dreizehn Berufswerten extrahiert er drei Perspektiven (»Interessen«) als standardisierte Indices (Factorscores). Neben dem »arbeitsinhaltlichen Interesse« (sinnhaft-subjektbezogen) identifiziert Heidenreich (1996: 34) zwei weitere Faktoren: »Gratifikationsinteresse« (materiell-reproduktionsbezogen) und »Gesellschaftlich sinnvolle Arbeit« (sozial). Den gesamtgesellschaftlichen Anstieg des arbeitsinhaltlichen Interesses zwischen 1982 und 1991 interpretiert er im Sinne der normativen Subjektivierung von Arbeit. Insbesondere im tertiären Sektor stellt Heidenreich eine starke Zunahme des arbeitsinhaltlichen Interesses fest. Er bestätigt somit seine These, dass der kontinuierliche Wandel von Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft zu einer normativen Subjektivierung von Arbeit geführt habe. Eine Subjektivierung der Industriearbeit sei demgegenüber vom »arbeitspolitische[n] Beharrungsvermögen ›alter‹, vorrangig industrieller Produktionskonzepte« deutlich verlangsamt (Heidenreich, 1996, S. 38). Wie auch Baethge (1994b) erscheint Heidenreich die subjektivierte Arbeitswelt stellenweise als konkrete Utopie, in der es weniger Entfremdungserfahrungen gebe. Seine Subjektivierungsthese bleibt jedoch unbestimmt, da sie das Verhältnis von Erwerbsarbeit und Subjektivität als »Wahlverwandtschaft« bestimmt. Diese Verbindung deutet Heidenreich (1996, S. 40) ein wenig thetisch im Bourdieuschen Sinne. So interpretiert er die Verbreitung »arbeitsinhaltlich orientierter, intrinsischer Arbeitseinstellungen« bei Höherqualifizierten als Reproduktionsmuster sozialer Ungleichheit (ähnlich: Fischer & Eichler, 2015). Es stellt sich, auch nach dem »quantitativen Beleg«, die Frage, wie denn diese Wahlverwandtschaft zustande kommt bzw. ob sich ein spezifisches Subjektverständnis hinter diesem Modell versteckt. Ginge man davon aus, dass die Tätigkeit das Verhältnis zur Erwerbsarbeit bestimmt, indem es sich der Tätigkeitsinhalte anpasst, müsste man sie nicht erfragen, da man sie theoretisch als immer schon passend unterstellt hätte. Was das zudem für Jugendliche bedeuten würde, die außerhalb der Erwerbssphäre stehen, bliebe unklar. Heidenreichs Modell der »Wahlverwandtschaft« von objektiver Lage und subjektiver Orientierung ist kein Einzelfall und bietet mit theoretischer Unterfütterung durchaus Anknüpfungspunkte an adoleszenztheoretische Überlegungen. Gerade in der USamerikanischen Adoleszenz- und Werteforschung gibt es ähnliche Modelle, die sich sowohl auf die Anpassung der Orientierung an die Erwerbsarbeit als auch auf die Entstehung und den Wandel adoleszenter Perspektiven auf die Erwerbsarbeit konzentrieren. Sowohl Quer- als auch Längsschnittstudien stellen hier einen »growing realism« fest (Gallie et al., 2012; Johnson, 2002; Johnson & Mortimer, 2011), demzufolge eine sinnhaftsubjektbezogene Perspektive in der Jugendphase ausgebildet und am stärksten ausgeprägt sei. Mit dem Eintritt ins Erwerbsleben verliere diese Perspektive entsprechend der
2. Adoleszenz und Erwerbsarbeit
(Un)Möglichkeiten zum Subjektbezug in der Tätigkeit an Bedeutung. Die Anpassung an die kapitalistische Realität stellen Johnson und Mortimer (2011) in den Kontext der Maslowschen Bedürfnispyramide und insbesondere des Bourdieuschen Habituskonzepts (Bourdieu, 2001, S. 177-193). Habitus und Wertorientierungen passten sich relativ flexibel neuen Objektivitäten an. »[...] while the habitus of workers in different social class positions may differ, workers across the spectrum appear to adjust their values according to what is available to them in their work.« (Johnson et al., 2012, S. 262) Empirisch verdeutlichen die quantitativen Analysen von Johnson und KollegInnen das Abflachen subjektbezogener Perspektiven beim Übergang sowie eine wachsende Bedeutung materiell-reproduktionsbezogener Aspekte in individuellen und gesellschaftlichen Krisensituationen. Während die Studien auf empirischer Ebene ertragreich sind, beschränkt ihre Verkürzung des Habituskonzepts auf einen Anpassungsmodus eine durchaus spannende praxeologische Perspektive auf das subjektive Verhältnis Jugendlicher zur Erwerbsarbeit. »While relatively stable, habitus reflects ongoing experience. With unemployment, or even anticipation of job loss, individuals may develop a more insecure habitus in which extrinsic rewards, particularly pay and job security, become more highly valued.« (Johnson et al., 2012, S. 246) Während die für Bourdieu sehr bedeutende Stabilität von Denk-, Wahrnehmungs- und Handlungsschemata zuerst betont wird, heben die AutorInnen das dialektische Habituskonzept im nächsten Moment auf und entwerfen eine Theorie der flexiblen Anpassung. Dabei stellt Bourdieu, trotz potentieller Wandelbarkeit, stets die Trägheit des Habitus in den Mittelpunkt seiner Analysen. Gesellschaftlicher Aufstieg, der qua Habitus erschwert wird, erzeugt nicht einfach einen neuen, anderen, upper-class Habitus. Gerade in seinen Arbeiten, die sich mit dem erfolgreichen sozialen Aufstieg oder mit gesamtgesellschaftlichen Wandlungsprozessen beschäftigen, geht es ja gerade um die »Neigung des Verharrens« (Bourdieu, 1993b, S. 117), die Unmöglichkeit einer perfekten sozialen Anpassung und die daraus resultierenden inneren Spannungen (Bourdieu, 2001, S. 206-209, 2011; zum gespaltenen Habitus: Eribon, 2016; Louis, 2016). Die eigentliche Stärke der praxeologischen Perspektive liegt in ihrer Verknüpfung von adoleszenter Lebenswelt und Subjektivität. Der praxeologische Ansatz setzt die adoleszente Subjektivität, analog zu Bernfeld (1970a), Erdheim (1982) und King (2013), in den Kontext eines (psycho)sozialen Möglichkeitsraums. Das Verhältnis zur Erwerbsarbeit wird hier zum im Subjekt inkorporiertem Denk- und Wahrnehmungsschema als Ausdruck objektiver Strukturen. Bezüge und Perspektiven auf die Erwerbsarbeit entwickeln sich dann vor dem Hintergrund von sozialräumlich spezifischen Lebensstile, signifikanten Anderen sowie vorhandenen und wahrgenommenen Arbeitsmöglichkeiten (Dombrowski, 2015; Flohr et al., 2020; Knoll et al., 2017). In Erweiterung zur entwicklungspsychologischen Perspektive werden in Bourdieus Sozialtheorie sozialräumliche Objektivitäten und darüber vermittelte Subjektivitäten als Schranken oder Möglichkeiten des adoleszenten Denkens und Handelns in den Mittelpunkt gestellt (Bourdieu, 1993a). Das subjektive Verhältnis zur Erwerbsarbeit stellt
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– konsequent praxeologisch gefasst – keine widerspruchsfreie Form gesellschaftlicher Anpassung, sondern ein psychisch verankertes Denk- und Wahrnehmungsmuster dar, dessen spezifische Entwicklung von ökonomischen, kulturellen und sozialen Ressourcen, aber auch familialen und räumlichen Ressourcen des Individuums abhängen. Deutliche empirische Hinweise finden sich hierfür sowohl bei Heidenreich wie auch in Studien zu Berufsaspirationen und Sozialstrukturanalysen (M. Albert, Hurrelmann & Quenzel, 2019; Barth & Flaig, 2012; Calmbach et al., 2020; Dombrowski, 2015; Flohr et al., 2020; Knoll et al., 2017; Vester et al., 2001; vgl. Kapitel 2.3.2). So stellt in Heidenreichs Analyse die sozialräumliche Position (berufliche Stellung, Einkommen, Bildungsabschluss usw.) den stärksten und stabilsten Einflussfaktoren auf die »Arbeitsinteressen« dar. Den schwächeren, aber ebenfalls signifikanten Einfluss des Alters bemerkt Heidenreich eher nebenbei. Ältere signalisierten, weil sie »oftmals eine Familie zu versorgen haben« (Heidenreich, 1996, S. 37-38), stärkeres Gratifikationsinteresse, wohingegen Jugendliche und junge Erwachsene eher an »selbständigen, interessanten und verantwortungsvollen Aufgaben« interessiert seien. Die VersorgerInnenthese entwirft Heidenreich ad-hoc; die Subjektorientierung der Jugendlichen scheint selbstverständlich. Als Methode zur multivariaten Analyse der Einflussstärken auf die Ausprägung der Wertkomplexe wurde in dieser wie auch den anschließenden Studien eine multiple Klassifikationsanalyse gerechnet. Die Ergebnisse stützen sowohl Heidenreichs These der »Wahlverwandtschaft«, aber auch eine praxeologische Herangehensweise, die normative Subjektivierungsthese und ihre adoleszenztheoretischen Stützpfeiler. Eine Studie, die ebenfalls keinen direkten adoleszenztheoretischen Bezug, jedoch hohe Relevanz für und eine explizite Verbindung zur normative Subjektivierungsthese aufweist, stammt von Sven Hauff (2008). Insbesondere unter Verweis auf gesellschaftstheoretische und empirische Erkenntnisse der späten 1990er und frühen 2000erJahre (u.a.: Castel, 2000; Kratzer & Sauer, 2005) verdeutlicht er, dass die zunehmende strukturelle Subjektivierung und Flexibilisierung von Arbeit in verschiedenen Beschäftigungsverhältnissen und sozialen Gruppen verschiedene Wirkungen entfaltet. Er verbindet den historischen Wandel von Arbeitsbedingungen mit daraus resultierenden und subjektiv unterschiedlich wahrgenommenen Unsicherheiten – in vielerlei Hinsicht deuten sich hier bereits die arbeitsweltlichen Bedingungen an, die in Kapitel 2.2 herausgearbeitet wurden. Hauff konzentriert sich in seiner Analyse des Wandels von »Arbeitsorientierungen« auf die zunehmende Beschäftigungsinstabilität, Individualisierung und Verunsicherung von Erwerbsverläufen sowie eine ungleiche Verteilung realisierbarer Identitätsbildung in der Erwerbsarbeit. Gerade in Krisenphänomenen erkennt Hauff Gründe zum Zweifel an der normativen Subjektivierung von Arbeit. Anhand der ALLBUS-Daten der Jahre 1982, 1991 und 2000 sowie der Daten des Forschungsprojekts »Arbeit und Gerechtigkeit« analysiert Hauff (2008: 62ff.) die empirische Relevanz seiner Zweifel. Dabei orientiert er sich sowohl an der Darstellung als auch an den Methoden und der Operationalisierung von Heidenreich (1996).61 Die The61
Eine deutliche Differenz der Studie findet sich in der Operationalisierung. So verwendet Hauff mit nur fünf verschiedenen Berufswerte-Items des ALLBUS deutlich weniger als Heidenreich. In seiner Faktorenanalyse anhand der Daten des Forschungsprojekts »Arbeit und Gerechtigkeit« extrahiert
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se einer normativen Subjektivierung von Arbeit im Sinne eines stetigen Wertewandels kann er dabei nicht bestätigen. Während die subjektbezogene Perspektive von 1982 bis 1991 gesamtgesellschaftlich an Relevanz gewinnt, nimmt diese bis ins Jahr 2000 wieder ab. Im Gegensatz zur Verwirklichung eigener Interessen ist nun der Wunsch nach Arbeitsplatzsicherheit besonders stark ausgeprägt. Diese Tendenzen deutet Hauff (2008, S. 71) im Sinne der Mangelhypothese (Maslow, 1943). Aufgrund der gestiegenen Unsicherheit in Zeiten der Flexibilisierung, Subjektivierung und Prekarisierung orientierten sich die ArbeitnehmerInnen eher an existentiellen Bedürfnissen als an der individuellen Selbstverwirklichung. Er folgt der Vorstellung »einer determinierenden Wirkung des sozialen Umfelds auf die Wertorientierungen der Individuen« (Hauff, 2008, S. 71; in Anlehnung an: Klages & Gensicke, 2006). Zunehmende Prekarisierung in subjektivierten Arbeitsverhältnisse übertrage sich derart auf die darin tätigen Individuen, dass sie nicht mehr subjektiviert arbeiten wollen. Die Annahme eines, gerade in Krisenzeiten, determinierenden Umfeldes lässt sich aber auch über die tätigen ArbeiterInnen hinaus interpretieren. Prekarisierung, zugehörige Phänomene der Arbeitswelt und ihre Folgen finden nicht nur außerhalb der Familie statt; auch Jugendliche sind direkt oder indirekt betroffen, nehmen eine sich wandelnde Arbeitswelt über Familie, Peers und Medien vermittelt wahr (vgl. Kapitel 2.2.4). Risiken und Unsicherheiten in Zeiten der Krise, so Hauffs (2008, S. 72-73) Schlussfolgerung, können subjektbezogene Wertorientierungen in den Hintergrund treten lassen. Trotz des sehr interessanten deskriptiven Überblicks zum Verlauf der Arbeitsorientierungen seit den 1980er-Jahren, fällt auch Hauffs Studie hinter die Argumentation Baethges zurück, denn er schließt aus einem gesamtgesellschaftlichen Rückgang subjektbezogener Orientierungen auf eine empirische Widerlegung der normativen Subjektivierungsthese. Dass der Zusammenhang zwischen dem Alter und dem Verhältnis zur Erwerbsarbeit nicht signifikant ist, erscheint wie schon bei Heidenreich nur als Randnotiz. Der dritte und aktuellste Artikel, der sich in der Sozialen Welt mit der normativen Subjektivierungsthese auseinandersetzt, stellt eine Vorarbeit zur vorliegenden Studie dar (Fischer & Eichler, 2015). Ziel war es, einerseits den adoleszenztheoretischen Bezügen der normativen Subjektivierungsthese nachzugehen, andererseits eine sozialstrukturelle bzw. praxeologische Perspektive zu integrieren, um weitere Dimensionen in der Ausbildung sinnhaft-subjektbezogener Perspektiven zu berücksichtigen. Empirisch zeigt sich anhand der Daten des ALLBUS 1991 und 2010, was sich in Hauffs Studie gewissermaßen angedeutet hat. Das Alter ist zu beiden Erhebungszeitpunkten ein signifikanter Einflussfaktor auf die Ausbildung subjektbezogener Arbeitsorientierungen; jedoch sind im Jahr 2010 nicht mehr die Jugendlichen, sondern die Älteren der Motor der Subjektivierung von Arbeit – der Zusammenhang von Alter und Subjektbezug hat sich über 20 Jahre hinweg umgekehrt. Während sich also die »Adoleszenzthese« (junge Menschen seien besonders sinnhaft-subjektorientiert; Erwerbsar-
er daher nur zwei Dimensionen (Arbeitsinhaltliche Interessen & Gratifikations- und Sicherheitsinteressen).
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beit lasse den adoleszenten Narzissmus abkühlen) nicht aufrechterhalten lässt,62 zeigt sich wie in den vorangegangenen Studien, dass die soziale Herkunft ein starker und stabiler Einflussfaktor ist. Je mehr ökonomisches Kapital (gemessen über das Nettoäquivalenzeinkommen) und kulturelles Kapital (Schulabschluss; Anzahl der Bücher im Haushalt) eine Person hat, desto stärker ist im Schnitt ihre sinnhaft-subjektbezogene Perspektive auf Erwerbsarbeit ausgeprägt.63 Subjektbezug wird daher in Anlehnung an die in Kapitel 2.2.4 dargestellte Dynamik der »distinktiven Selbstverwirklichung« als ein sozialstrukturell spezifisches Denkmuster interpretiert, dass sich jedoch als gesamtgesellschaftliches Subjektideal normativ an alle richtet (Dravenau & Eichler, 2012; Reckwitz, 2008). »Während sich die durchschnittliche Masse und die am Notwendigen Orientierten um ihre materielle Reproduktion sorgen müssen, ist es der oberen Schicht vergönnt, darüber hinaus zu gehen, Ideale nicht nur anzustreben, sondern auch zu repräsentieren. Die entsprechenden Denk- und Wahrnehmungsschemata konstituieren sich als Dispositionen des Habitus aus einer kapitalgebundenen Sozialisation heraus.« (Fischer & Eichler, 2015, S. 395) Der Topos der Selbstverwirklichung und somit der Subjektbezug gewinnen, so die These, aufgrund ihrer Allgegenwärtigkeit, Normativität und gleichzeitigen Schichtspezifität ein hohes Maß an Distinktionspotential, erscheinen sie doch einerseits legitim (im Sinne Bourdieus) und andererseits erstrebenswert. Verlangen nach und Verkörpern von Kreativität und Autonomie seien weder gesamtgesellschaftlich verbreitete Eigenschaften noch begrenzt auf eine creative class (Florida, 2002) oder auf einen politisch alternativen Lifestyle (Reichardt, 2014). Unabhängig vom Ausmaß des kulturellen Kapitals steht das ökonomische Kapital in einem positiven Zusammenhang mit der sinnhaft-subjektbezogenen Perspektive auf Erwerbsarbeit (Fischer & Eichler, 2015, S. 403-404). Theoriepolitisch stellt sich diese Interpretation gegen die im arbeitssoziologischen Diskurs weit verbreitete Auffassung, dass subjektbezogene Orientierungen rein emanzipatorisch zu denken seien, schließen gewissermaßen auch an negative Individualisierungstheorien an (vgl. Kapitel 2.2.2). Während Baethge (1994b) eine Rache der kolonisierten Lebenswelt antizipierte, deuten die Ergebnisse der Studie an, dass die Lebenswelt eher um sich schlage, »meist in Richtung sozial Schwacher« (Fischer & Eichler, 2015, S. 404). Diese dritte quantitative Studie reiht sich insgesamt in die Analysen von Baethge (1991), Heidenreich (1996; Heidenreich & Braczyk, 2003) und Hauff (2008) ein. Sie verdeutlicht die Kontinuität des sozialstrukturellen Einflusses auf die Ausbildung spezifischer Perspektiven auf die Erwerbsarbeit und den Wandel des adoleszenten Strebens nach Selbstverwirklichung hin zu einem Streben nach Sicherheit. Obwohl es nicht im Mittelpunkt der Analyse steht, gibt die Studie nicht nur eine Übersicht zu statistischen Einflussfaktoren auf sinnhaft-subjektbezogene, sondern auch auf materiell-
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Der Ausdruck »Adoleszenzthese« wirkt im Nachhinein unglücklich gewählt, denn es geht schlicht um den Zusammenhang des Alters mit einer sinnhaft-subjektbezogenen Perspektive auf Erwerbsarbeit. Umgekehrt verhält es sich sowohl mit materiell-reproduktionsbezogenen als auch mit sozial-altruistischen Orientierungen (Fischer und Eichler, 2015, S. 405-406).
2. Adoleszenz und Erwerbsarbeit
reproduktionsbezogene und soziale »Arbeitsorientierungen« (Fischer & Eichler, 2015, S. 405-406). Das eindrücklichste Ergebnis deckt sich mit vielen Milieu- und Sozialstrukturanalysen: Jugendliche und junge Erwachsene sind gegenwärtig die am stärksten materiell-reproduktionsbezogen orientierte Altersklasse. »Es scheint, als sei der Wille zur Selbstverwirklichung einer Hoffnung auf Sicherheit gewichen.« (Fischer & Eichler, 2015, 394) Es gilt zu betonen, dass es sich bei dieser dritten Studie zum subjektiven Verhältnis zur Erwerbsarbeit in der Sozialen Welt explizit nicht um den Versuch einer empirischen Widerlegung einer adoleszenztheoretischen Herangehensweise handelt;64 vielmehr steht die Annahme im Raum, dass steigender »Leistungsdruck, Konkurrenz und Ökonomisierung« (Fischer & Eichler, 2015, S. 403) die Bedingungen »konsumistischer Sozialisation« (Baethge, 1986, S. 110) konterkariert. Eine ernsthafte Analyse des jugendlichen Verhältnisses zur Erwerbsarbeit sowie der Bedingungen und Widersprüche gegenwärtiger Adoleszenz bleibt die Studie jedoch schuldig.
2.3.2
Generationen und Milieus
Das subjektive Verhältnis Jugendlicher zur Erwerbsarbeit steht immer wieder im Mittelpunkt von Generationen- und Milieustudien. Fragen und Analysen rund um die Generationen Y, Z, Alpha usw. sowie Thesen und Empirie zu den sogenannten Digital Natives und Millenials sind genauso vielfältig wie die Definitionen jener Gruppen (Hardering, 2018, S. 75). Die zugehörige Forschungslandschaft ist nicht zuletzt deshalb unübersichtlich, weil ihr größter Anteil aus »praxisorientierte[n] und von Beratungsunternehmen angefertigte[n] Reports und Studien« besteht (bspw.: Dahlmanns, 2014; Hardering, 2018, S. 76; Moskaliuk, 2016; Ruthus, 2014). Ziel dieser Studien ist es häufig, als »Orientierungshilfe« für ArbeitgeberInnen zu dienen; Resultat ist meist ein ästhetisch ansprechender, methodisch jedoch undurchsichtiger, begrifflich unscharfer und vor dem Hintergrund wissenschaftlicher Forschungsergebnisse zuweilen widersprüchlicher Ergebnisbericht.65
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Eine wohlwollende Rezension in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (17. Juni 2016) interpretierte die Studie als eine derartige Widerlegung der Thesen des Göttinger SOFI. Ein interessantes Beispiel hierfür ist eine in Kooperation mit dem Marktforschungsunternehmen Motivaction und Norstat durchgeführte und von Young Capital (2019) veröffentlichte Studie zu den Berufswerten 18-30 Jähriger. ArbeitgeberInnen sollen auf Grundlage dieser Studie darüber aufgeklärt werden, worauf diese Altersgruppe ihre Berufswahl stützt, was sie antreibt und wie man sich gegen die Abwerbung von MitarbeiterInnen wehrt: »wenn man sie einmal an Bord hat, wie stellt man sicher, dass sie sich nicht durch ein lukratives Angebot eines Mitbewerbers weglocken lassen?« (Young Capital, 2019, S. 45). Ohne zu wissen, welche Grundgesamtheit die Befragten überhaupt abdecken sollen (genannt werden: »Nachwuchskräfte«, »junge Talente«, »junge Menschen«) und ohne Erläuterung jeglicher Methodik, liefert die Studie ein einfaches Ergebnis: Nachwuchskräfte wollen insbesondere »ein gutes Gehalt«, gerade Frauen ginge es um Geld, »(…) für Männer hingegen haben Arbeitsatmosphäre und ein Firmenwagen einen höheren Stellenwert« (Young Capital, 2019, S. 47). Die Anzahl solcher Ministudien ist enorm und wäre eine eigene Untersuchung wert. Im weiteren Verlauf werden solche Studien jedoch bewusst ausgeklammert.
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Adoleszenz und Arbeit
Grundlegend schließen die meisten wissenschaftlich fundierten Studien, die intergenerationale Differenzen und Gemeinsamkeiten hinsichtlich Orientierungen analysieren, an das Generationenverständnis von Mannheim (1964b) an. Die soziale Homogenisierung des Generationenbegriffs beruht demnach auf der Annahme, dass es kollektive Erlebnisse oder Bedingungen gibt, die die kindliche und jugendliche Sozialisation prägen, sich im kollektiven Gedächtnis sowie in subjektiven Orientierungsund Handlungsmustern niederschlagen. Kriegserlebnisse, Nachkriegserfahrung, Kalter Krieg, Wiedervereinigung, 9/11 und das Internet gelten als solche generationsspezifischen Sozialisationsmerkmale. Während internationale Studien immer wieder Unterschiede zwischen den Generationen in deren allgemeinen wie auch erwerbsspezifischen Orientierungen betonen (Brinkmann, 2020; Gesthuizen & Verbakel, 2011; Johnson & Mortimer, 2011; Kowske et al., 2010; Marcus, 2014; Parry & Urwin, 2011; Twenge, 2010), sind diese Unterschiede über die Studien hinweg – selbst bei gleichbleibenden AutorInnen – keineswegs konsistent. Während Längsschnittstudien zu dem Ergebnis kommen, dass es Unterschiede zwischen Millenials66 und anderen Generationen hinsichtlich subjektbezogenen und sozial-altruistischen Berufswerten gibt (Twenge et al., 2010), können Meta-Studien diese Differenzen zwischen den Generationen nicht belegen (Cemalcilar et al., 2018; Twenge, 2010). Ein Reflex auf die widersprüchlichen Ergebnisse ist die Infragestellung des Generationenkonzepts an sich, aber auch die kritische Reflexion eher willkürlich gesetzter Jahrgangsgrenzen zu deren Operationalisierung (S. M. Campbell et al., 2017). Debatten um die allgemeine Sinnhaftigkeit des Generationenkonzepts in der Werteforschung und um dessen empirische Relevanz finden in der deutschen Sozialforschung ebenfalls statt (Hardering, 2018, S. 78-79). Dabei stehen insbesondere die willkürliche Zuordnung und die vermeintlich homogene Verarbeitung von generationsspezifischen Ereignissen in der Kritik (Pfeil, 2017, S. 62-63). Aktuell steht eine quantitative Studie von Schröder (2018) zur Diskussion (M. Albert, Hurrelmann, Leven, et al., 2019; Schröder, 2019), die anhand von Daten des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) veranschaulicht, dass sich Unterschiede in Orientierungen weniger auf die Generationszugehörigkeit als vielmehr auf das Befragungsalter von Individuen zurückführen lassen (ähnlich: Hajdu & Sik, 2018). Empirisch deuten seine Analysen an, dass es kaum intergenerationale Unterschiede hinsichtlich der Bedeutung von allgemeinen Selbstverwirklichungsbestrebungen, Erfolgsaspirationen, Optimismus, Sicherheitsgefühl, Interesse an Politik und weiteren »typischen« Generationengradmessern gäbe.67 Seine Schlussfolgerung ist drastisch und wirkt angesichts des auf wenige Variablen begrenzten Forschungsdesigns etwas harsch: »Angesichts dessen ist es wenig sinnvoll, Befragungen wie die Shell Jugendstudie durchzuführen, um vermeintliche Generationen zu unterscheiden. Denn solche Befragungen verfolgen zwar Einstellungsveränderungen aufeinanderfolgender Jugend66
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In der US-amerikanischen Forschung werden zumeist die Greatest Generation (∼1905-1925), die Silent Generation (∼ 1925-1945), die ihr folgenden Babyboomer (∼ 1945-1965), die Generation X (∼ 1965-1985) und die Generation Y bzw. Millenials (∼ 1985-2005) unterschieden. Es geht in Schröders Analyse nicht dezidiert um das subjektive Verhältnis Jugendlicher zur Erwerbsarbeit. Dennoch tangieren einige von ihm untersuchte Dimensionen eben jenes Verhältnis.
2. Adoleszenz und Erwerbsarbeit
kohorten [...]. Doch diese Einstellungsveränderungen heben sich kaum von denen der Gesamtgesellschaft ab, sie verschwinden also nach Kontrolle von Periodeneffekten.« (Schröder, 2018, S. 491) Die Studie Schröders ist dahingehend interessant, dass er den Wertewandel nicht auf »die Jugend« reduziert, sondern als gesamtgesellschaftliches Phänomen entwirft (Periodeneffekt). Zwar unterscheiden sich Einstellungen und Orientierungen Jugendlicher von denen der älteren Alterskohorten, dieser Unterschied scheint aber konstant zu sein, d.h. Jugendliche seien immer etwas subjektorientierter, immer weniger sicherheitsorientiert usw. (Alterseffekt). Neben der fragwürdigen Reduzierung der Shell-Studien auf Generationenforschung, ist diese Schlussfolgerung jedoch dahingehend drastisch, dass sie Sozialisations- und auch Adoleszenztheorien quasi nebenbei ad absurdum führt. Adoleszenztheorien werden hier deshalb entwertet, weil Adoleszenz nicht mehr als eigenständige Phase der Identitäts- und Wertentwicklung verhandelt werden kann. Die gesellschaftlichen, familialen und institutionellen Bedingungen der Adoleszenz scheinen für die Ausbildung von Orientierungsmustern keine Rolle mehr zu spielen, denn: wenn sich Einstellungsmuster verändern, so geschehe dies ja gesamtgesellschaftlich (Periodeneffekt). Gleichzeitig wäre der Habitus, um es mit Bourdieu sozialisationstheoretisch zu fassen, beliebig wandelbar. Zwar hätten Jugendliche andere Orientierungen als andere Alterskohorten; wenn sich ihre Einstellungen änderten, würden sich aber auch einfach die der Erwachsenen entsprechend ändern. Wird die Jugend revolutionär, dann würden auch ihre Eltern entsprechend revolutionärer (vice versa). Die Unklarheit darüber, worauf überhaupt Orientierungen oder deren Wandel basieren, hinterlässt zwei problematische Leerstellen. So fördert sie erstens eine Anthropologisierung von Einstellungs- und Orientierungsmustern und relativiert dabei zweitens die Dialektik von Subjektivität und Objektivität (Bourdieu, 1979). Während Schröder nämlich »das Alter« in positivistischer Manier als Erklärung für Orientierungen in Stellung bringt, läuft er Gefahr »die Jugend« zu anthropologisieren und ihre strukturelle Bedingtheit auszuklammern (Bourdieu, 1993a; King, 2013). Die entscheidenden objektiven Bedingungen für einen Wertewandel, der gemäß Schröder letztlich nur gesamtgesellschaftlich gedacht werden könne, wären somit ebenfalls nur gesamtgesellschaftliche Objektivitäten. Erziehung, Bildung, Ausbildungskonzepte – zusammengefasst: altersspezifische Objektivitäten – wären dementsprechend unabhängig von Subjektivität. Doch die soziale Situation der Akteure sowie deren gesellschaftliche Bedingtheit tauchen in Schröders Überlegungen und quantitativen Modellen kaum auf. Die ShellStudien in eine Reihe mit pseudo-wissenschaftlichen Publikationen zu stellen, scheint daher überzogen, gerade angesichts deren durchaus sozial-differenzierten Perspektive auf jugendliche Orientierungen. Sie verliert tatsächlich sinnvolle Kritik an Methoden und Thesen der Studien aus dem Auge (M. Albert, Hurrelmann, Leven, et al., 2019). Bei den Shell- und den methodisch verwandten SINUS-Jugendstudien handelt es sich weniger um Generationen- als vielmehr um deskriptiv-explorative Sozialstrukturanalysen. Im Folgenden liegt der Fokus auf beiden Studien, gerade um Erkenntnisse zur Bedeutung und sozialräumlichen Verteilung von verschiedenen Bezugsdimensionen und Perspektiven auf die Erwerbsarbeit zu gewinnen.
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Die Shell-Jugendstudie Seit dem Jahr 1953 werden in den Shell-Jugendstudien die Lebensbedingungen und Orientierungen Jugendlicher in Deutschland untersucht.68 Die Einschätzung Schröders (2018, S. 469), die Studien seien »wenig sinnvolle« Generationenforschung, drängt sich angesichts der generations- und gesellschaftsdiagnostischen Veröffentlichungen im Rahmen der Shell-Jugendstudien tatsächlich auf (Zinnecker, 2001). In öffentlichkeitswirksamer Manier dienen Begriffe wie »Halbstarke«, »Skeptische«, »Unbefangene«, »Pragmatische« oder »Revolutionäre« der Beschreibung ganzer Jugendgenerationen und verwischen somit innergenerationale, soziale Unterschiede eben jener Lebensbedingungen und Orientierungen, die die Studien eigentlich empirisch recht differenziert beschreiben. Ein Blick in die Studien ist hier sinnvoller als ein Blick auf deren Titelseite. Seit der 17. Shell-Jugendstudie aus dem Jahr 2015 sind »Erwartungen an den Beruf« Bestandteil der Befragung (M. Albert et al., 2015). In den 18. Shell-Jugendstudien aus dem Jahr 2019 wurde ein für Deutschland repräsentatives Sample von über 2500 Jugendlichen im Alter von 12 bis 25 Jahren befragt. Die quantitative Erhebung wurde durch 20 leitfadengestützte Interviews ergänzt (Wolfert et al., 2019). Die Shell-Jugendstudien fragen die Wichtigkeit beruflicher Aspekte wie bspw. Sicherheit, Anerkennung, Sinnhaftigkeit oder Kontakt zu Menschen über zwölf Items ab (zur Übersicht: Leven et al., 2019, S. 190). Zusätzlich bewerten Jugendliche Aussagen zur Ausgestaltung und Organisation von Erwerbsarbeit. Hierbei geht es bspw. um die Bedeutung von Vereinbarkeitsaspekten, um Flexibilisierungsansprüche und um die Leistungsbereitschaft der befragten Jugendlichen. Auf deskriptiver Ebene deuten die Ergebnisse der Shell-Jugendstudien 2019 in eine ähnliche Richtung wie die in Kapitel 2.3.1 dargestellten Studien in Anschluss an die normative Subjektivierungsthese. Nicht Selbstverwirklichung, Freizeit und erst recht nicht soziale Aspekte der Erwerbsarbeit stehen für Jugendliche an erster Stelle, sondern die Sicherheit des Arbeitsplatzes. 93 Prozent aller Jugendlichen werten die Sicherheit als wichtig oder sehr wichtig. Die »Möglichkeit, etwas zu tun, das ich sinnvoll finde«, stellt den zweitwichtigsten beruflichen Aspekt für Jugendliche dar. Angesichts der Tatsache, dass der Sinnbegriff dieses Items derart schwammig ist (dazu: Kapitel 3.1.3), dass sich dahinter eigentlich alles Mögliche an subjektiv erlebter Sinnhaftigkeit verbergen kann, ist die Wichtigkeit des Items (91 Prozent) schwer einzuordnen. Danach folgen sechs klassische sinnhaft-subjektbezogene und materiell-reproduktionsbezogene Aspekte der Erwerbsarbeit, die durchmischt auftreten und sich zwischen 2015 und 2019 nur marginal in ihrer Bedeutung für Jugendliche gewandelt haben. Einzig die Bedeutung davon, in der Erwerbsarbeit »etwas zu leisten« ist zwischen den Studien deutlich gestiegen (von 55 Prozent auf 88 Prozent) – eine Erklärung für diesen Leistungsethos bleibt die Studie jedoch schuldig.
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Einen spannenden Einblick darin, dass die Shell-Jugendstudien keineswegs durchgehend von Shell finanziert wurden, und, dass sich inhaltliche, fachliche und politische Ausrichtungen sowie Kooperationen seit 1953 stetig gewandelt haben, die Studien also keinesfalls als einheitliches Werk zu begreifen sind, bietet Zinnecker (2001) in seinem historischen Überblick zu den Studien.
2. Adoleszenz und Erwerbsarbeit
An Bedeutung verloren hat auch ein sinnhaft-subjektbezogenes Item: Im Vergleich zur Shell-Jugendstudie 2015 legen 10 Prozent weniger Jugendliche Wert auf »Möglichkeiten, eigene Ideen einzubringen« (2019: 83 Prozent). Ansonsten fällt auf, dass alle sozial-caritativen Items relativ betrachtet als am unwichtigsten eingeschätzt werden. Dieses Ergebnis ist dahingehend interessant, dass auch altruistische Aspekte der Erwerbsarbeit (»Möglichkeiten, etwas Nützliches für die Gesellschaft zu tun«) hierunter fallen. Gerade angesichts des Untertitels der 18. Shell-Jugendstudie »Eine Generation meldet sich zu Wort«, die deutlich an neue soziale Bewegungen wie Fridays for Future anschließt, ist dieses Ergebnis erstaunlich. Es deutet an, dass sich das politische Momentum und der Wille, in der Schul- und Freizeit etwas Nützliches für die Gesellschaft zu tun, nicht flächendeckend auf die Erwerbssphäre überträgt (Eichler, 2019). Bei den Bezügen auf Arbeitsorganisation zeichnet sich im Durchschnitt ein familienfreundlich orientiertes Bild (Leven et al., 2019, S. 191). Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf finden 93 Prozent aller Jugendlichen wichtig, flexible Arbeitszeitmodelle werden im Schnitt ebenfalls unterstützt und die Ableistung von Überstunden, um »etwas zu werden«, stimmen Jugendliche am wenigsten von allen Organisationsaspekten zu. Bivariate Analysen veranschaulichen insbesondere geschlechtsspezifische Differenzen, die sich in der Forschungslandschaft ähnlich wiederfinden (Boll et al., 2015; Buchmann & Kriesi, 2012; Karsch, 2014; Pollmann-Schult, 2009). Junge Frauen legen mehr Wert auf Erfüllung, Planbarkeit und Vereinbarkeit; die Nutzen- und Karriereorientierung ist bei männlichen Jugendlichen stärker ausgeprägt – Ergebnisse, die sich in den Überlegungen zur weiblichen Adoleszenz deutlich widerspiegeln (s. Kapitel 2.2.4). Im Zeitverlauf nähern sich die Geschlechterunterschiede jedoch »schrittweise« aneinander an (Leven et al., 2019, S. 196). Männer zielen zudem eher auf ein hohes Einkommen und Aufstiegsmöglichkeiten, Frauen legen mehr Wert auf Anerkennung und die Sicherheit des Arbeitsplatzes. Neben dem Geschlecht erweist sich auch die soziale Herkunft als wichtiger Einflussfaktor für das subjektive Verhältnis Jugendlicher zur Erwerbsarbeit (Leven et al., 2019, S. 196). Für junge Menschen aus niedriger sozialer Lage sind das Einkommen, das Gefühl der Anerkennung und die Sicherheit des Arbeitsplatzes wichtiger als für Jugendliche aus gehobenen Milieus. Der stark ausgeprägten Nutzenorientierung der unteren Schichten steht eine Erfüllungsorientierung der oberen Schichten gegenüber (ähnlich: Fischer & Eichler, 2015). Dass die Sicherheit des Arbeitsplatzes jedoch unter beiden Geschlechtern und in allen sozialen Lagen der entscheidende Aspekt für Jugendliche ist, unterstreichen die Shellstudien mit einer seit 2019 durchgeführten Single-Choice-Erhebung bzw. »Priorisierungsabfrage« (Leven et al., 2019, S. 196-202), bei der Jugendliche einen einzigen beruflichen Aspekt auswählen müssen, den sie allen anderen Aspekten gegenüber vorziehen würden. Zwar zeigen sich auch bei den Prioritäten die gleichen Zusammenhänge einzelner Items mit dem Geschlecht und der sozialen Herkunft, die Sicherheit des Arbeitsplatzes liegt jedoch deutlich vor allen anderen Berufsaspekten als in der MultipleChoice-Abfrage. »Zugespitzt ausgedrückt: Wenn es wirklich darauf ankommt, dann sind junge Leute bereit, auf Aspekte der inhaltlichen Wertigkeit der Arbeit zu verzichten, um die mate-
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Adoleszenz und Arbeit
rielle Absicherung und die Sicherheit der Lebensplanung nicht zu gefährden.« (Leven et al., 2019, S. 198) Über eine Clusteranalyse werden in den Shell-Jugendstudien vier »Typen der Berufsorientierung« ausgemacht (Leven et al., 2019, S. 202-211), die einerseits eine sozial differenzierte Beschreibung von Jugend- bzw. Wertemilieus ermöglichen, die sich aber andererseits aufgrund ihrer teils zu plakativen Beschreibungen und Überformungen als problematisch erweisen.69 Bei den »Durchstartern« sind alle Bezugsdimensionen und Perspektiven auf die Erwerbsarbeit überdurchschnittlich ausgeprägt. Zu dieser Gruppe zählt fast ein Drittel aller Jugendlichen, insbesondere aber Jugendliche aus Ostdeutschland und Jugendliche ohne deutschen Ausweis. In der sozialen Herkunft unterscheiden sie sich kaum von anderen Berufsorientierungstypen. Auffällig ist jedoch ihr Glauben an Chancengerechtigkeit und an das Aufstiegsversprechen. Im Gegensatz zu ihnen sorgen sich die »Idealisten«, die etwa ein Fünftel aller Jugendlichen umfassen, sehr stark um den Klimaschutz. Es handelt sich um ein Oberschichtenmilieu, Westdeutsche und Personen ohne Migrationshintergrund. Sie zeichnen sich durch die Orientierung auf Erfüllung im und durch den Beruf aus, sie verkörpern die normative Subjektivierung. Nutzen und Planbarkeit stehen für die »Bodenständigen« im Mittelpunkt. Sie sind ein »Querschnitt durch alle Teilgruppen« (Leven et al., 2019, S. 211), unterscheiden sich also nicht hinsichtlich des Migrationshintergrunds, Bildungshintergrunds oder der sozialen Herkunft. Wie die »Idealisten« glauben sie weniger an Aufstiegsversprechen und Leistungsgerechtigkeit als die »Durchstarter«. Ohne Glauben an und Hoffnung auf eine erfolgreiche Zukunft werden die »Distanzierten« beschrieben. Insbesondere Jugendliche aus Ostdeutschland, aus unteren Bereichen des Bildungssystems und niedriger sozialer Herkunft gehören zu diesem Viertel aller Jugendlichen. Beruflich legen sie Wert auf Planbarkeit und ein wenig auch auf Karriere, gesellschaftspolitisch vertreten sie tendenziell regressive Werte und sie sind die einzige Gruppe, die sich durch eine Geschlechtsspezifik auszeichnet – »Distanzierte« sind zumeist männlich. Der Beitrag der Shell-Jugendstudien zur Analyse des subjektiven Verhältnisses Jugendlicher zur Erwerbsarbeit ist überschaubar. Insgesamt bieten sie einen guten Einblick in Bezugsdimensionen und Perspektiven Jugendlicher auf die Erwerbsarbeit, veranschaulichen hierbei insbesondere sozialräumliche und geschlechtsspezifische Differenzen. Von einer normativen Subjektivierung als soziales Massenphänomen ist hier nichts spürbar; die Rache der kolonialisierten Lebenswelt im Sinne Baethges (1991) scheint sich in ein allgemeines Bedürfnis nach Sicherheit zu verwandeln und auch die schicht- und geschlechtsspezifischen Muster verheißen ein Weiterbestehen zentraler Ungleichheitsdimensionen. Wie Adoleszenz, Gesellschaft und das subjektive Verhältnis Jugendlicher zur Erwerbsarbeit zusammenhängen, bleibt aufgrund 69
So verallgemeinern bspw. Hurrelmann und Albrecht (2014) zwei solcher Milieus zu einer gesamten Jugendgeneration, schließen somit die Interessen und Orientierungen der (sozial schwächeren) halben Jugend aus ihrer Generationenbeschreibung aus, stilisieren die Gegenwartsjugend zu »heimlichen Revolutionären« und stützen darüber auch eine gewisse Normativität der Selbstverwirklichung (Eichler und Fischer, 2020).
2. Adoleszenz und Erwerbsarbeit
der verkürzenden Beschreibungen und insbesondere der Theoriearmut der Studien unklar. Etwas feingliedriger und (zumindest vordergründig) theoriebeladener sind die SINUS-Jugendstudien.
Die Sinus-Jugendmilieus Die SINUS-Studien und die darin entworfenen Sinus-Milieus zählen zu den bekanntesten Milieutypologien Deutschlands.70 Sie sind »das Ergebnis von vier Jahrzehnten sozialwissenschaftlicher Forschung des SINUS-Instituts zum Wertewandel und zu den Lebenswelten von Menschen« (Flaig & Barth, 2018, S. 4) und finden Anwendung in der Marktforschung, Unternehmensberatung, Politik und Wissenschaft. Entsprechend sind die »Hauptsponsoren« (Flaig & Barth, 2018, S. 8) der Sinus-Milieuforschung sowohl wirtschaftsorientierte Unternehmen als auch öffentliche Institutionen. Die SINUS-»Kartoffelgrafik« hat sich als Darstellung von Milieus bis in die Schulbücher hinein etabliert (Flaig & Barth, 2018, S. 7).71 Sinus-Milieus sind also weit über den wissenschaftlichen Diskurs hinaus bekannt, ihr theoretisches und empirisches Fundament stützt sich nichtsdestotrotz auf sozialwissenschaftliche Annahmen und Methoden. Grundlegend wenden sich Analysen sozialer Milieus von klassischen Schicht- oder Klassentheorien zur Einteilung der Gesellschaft ab. Flaig und Barth (2018, S. 3-6) benennen dezidiert Bourdieus Sozialtheorie als Fundament der Konzeption, Methode und Einteilung der Sinus-Milieus. Diese gruppieren Menschen nicht nur entsprechend ihrer sozialen Lage (Bildung, Einkommen, Beruf etc.), sondern ebenfalls nach ihren grundlegenden Werthaltungen, erweitern das Schichtmodell somit um eine »wesentliche kulturelle Dimension« (Flaig & Barth, 2018, S. 4). Berücksichtigung finden also nicht nur die objektive Lage, sondern auch die damit einhergehenden subjektiven Haltungen, über die sich Gruppen/Milieus definieren, stabilisieren und voneinander abgrenzen. Methodisch und methodologisch wählt das SINUS-Institut zur Erfassung der Milieus einen aufwendigen und auf dem Papier vielversprechenden Ansatz (B. Bertram & Berthold, 2012), der sich dezidiert von rein quantitativen Gruppierungsansätzen absetzt. Da der Gegenstand der Forschung eben nicht nur objektiv bestimmbare Größen, sondern »das Insgesamt subjektiver Wirklichkeit eines Individuums« (Flaig & Barth, 2018, S. 5) sei, greift das Institut auf ethnographisch inspirierte Methoden sowie auf eine iterative quantitative Nachmodellierungen qualitativer Ergebnisse zurück. Letztendlich ergibt sich ein Milieumodell, in das Informationen über Soziodemographie, Sprache, Internet-Nutzung, Freizeitverhalten, Selbst- und Gesellschaftsverständnis, Mode- und Konsumorientierungen sowie dem subjektiven Verhältnis zur Erwerbsarbeit miteinfließen (eine Übersicht zu den Milieubausteinen: Flaig & Barth, 2018, S. 19).
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Im Folgenden wird sich bei der Groß- und Kleinschreibung des Begriffs »Sinus« an die Logik des SINUS-Instituts gehalten (Calmbach, 2018). Neben einer knappen Übersicht über KundInnen der Weiterbildungs- und Beratungsangebote des SINUS-Instituts, findet sich auf der Homepage der Sinus-Akademie auch eine Übersicht der Lehr- und Unterrichtsmaterialien zu den Sinus-Milieus in verschiedenen Bundesländern (https://www.sinus-akademie.de/fileadmin/user_files/Service/Lehr-_Unterrichtsmaterial/Lehr -_und_Unterrichtsmaterial_Sinus-Milieus.pdf).
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Adoleszenz und Arbeit
Für die vorliegende Studie sind die SINUS-Jugendstudie und das SINUSLebensweltmodell für Jugendliche von Relevanz. Schon sehr früh drehten sich Veröffentlichungen der Sinus-Milieuforschung um Jugend- und Generationendiagnosen (bspw.: SINUS-Institut, 1983). Eine kontinuierliche und vergleichbare Analyse jugendlicher Lebenswelten und eigenständiger jugendlicher Milieus findet jedoch erst seit dem Jahr 2008 statt. Unter dem Titel »Wie ticken Jugendliche?« veröffentlicht die Sinus-Jugendforschung im vierjährigen Turnus Analysen zur »soziokulturellen Verfassung« Jugendlicher im Alter von 14-17 Jahren (Calmbach et al., 2012; Calmbach et al., 2016; Calmbach, 2018, S. 67; Calmbach et al., 2020; Wippermann & Calmbach, 2008). Methodisch ähneln die Jugendstudien den gesamtgesellschaftlichen Milieuexplorationen. Da der methodisch spannende Fahrplan der Studien nicht immer der zu erwartenden Transparenz entspricht, bringen Calmbach und KollegInnen (2020, S. 17-29) in ihren Ausführungen zur Untersuchungsanlage der SINUS-Jugendstudien ein wenig Licht ins Dunkel, legen dabei auch sogenannte »Themenpatenschaften«72 offen. Ausgangspunkt der Analysen ist eine »Qualitative Lebensweltexploration«, für die 72 narrative Interviews samt Fotodokumentation der Lebenswelt, »Foto-Voicings« und schriftliche »Hausarbeitenhefte« der 14- bis 17-jährigen Jugendlichen ausgewertet werden (Calmbach et al., 2020, S. 21-29). Die Interview-Stichproben sind nach angestrebtem Schulabschluss quotiert und jeweils gleichmäßig nach Migrationshintergrund, Wohnort und Schulform (Ganztags- vs. Halbtagsschule) verteilt. Um schließlich die Lebenswelten der Jugendlichen herauszuarbeiten, zu kategorisieren und mit früheren Studien zu vergleichen, wird das gewonnene Material inhaltsanalytisch ausgewertet. Aus der Analyse der Alltagswelten 14- bis 17-Jähriger rekonstruieren Calmbach und KollegInnen normative Grundorientierungen: Absicherung (A), Bestätigung und Benefits (B) sowie Charisma (C). Das Wertespektrum Jugendlicher erstreckt sich entsprechend von (A) traditionellen (bspw. Treue, Heimat, Glaube) über (B) moderne (Berühmtheit, Karriere, Bildung, Demokratie) bis hin zu (C) postmodernen Werten (Mobilität, Experimentierfreudigkeit, Freizügigkeit, Kreativität) (Calmbach et al., 2016; Calmbach et al., 2020). Diese normativen Grundorientierungen lassen sich über die Kopplung mit dem Bildungshintergrund der befragten Jugendlichen in einem zweidimensionalen Raum, ganz ähnlich dem Bourdieuschen Modell des Sozialraums übertragen (die entsprechende graphische Darstellung findet sich bspw. bei Calmbach et al., 2020, S. 45). Was in dieser weitverbreiteten Darstellung etwas kurz kommt, ist, dass ihre quantitative Überprüfung nicht erfolgt ist – die iterative Verknüpfung qualitativer und quantitativer Empirie ist mehr Schein als Sein.73 72
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Mit dem Begriff der »Themenpatenschaften« umschreibt das SINUS-Institut ProjektpartnerInnen, die von Kirche über Krankenkassen bis hin zu staatlichen Institutionen (BpB) reichen und einen Teil der abgefragten Themen mitbestimmen. Was die finanzielle Abhängigkeit solcher Studien für ihren Inhalt bedeutet, verdeutlichen die Befragungszeiten, die den einzelnen Themen bzw. Patenschaften zustehen. Während die Berufswahl fünf Minuten lang in den Interviews mit Jugendlichen zum Thema wird (Patenschaft: Arbeitsstelle für Jugendseelsorge), erhält das Thema »Sport« die dreifache Befragungszeit (Patenschaft: Deutscher Fußball-Bund). Zwar erläutern Calmbach und KollegInnen den Prozess der quantitativen Nachmodellierung, der Testung des Modells sowie die Anpassung theoretischer und empirischer Überlegungen. Eine
2. Adoleszenz und Erwerbsarbeit
Gegenwärtig unterscheidet das SINUS-Modell sieben jugendliche Lebenswelten, die sich nicht nur über Grundorientierungen und Bildungsstand, sondern auch über das subjektive Verhältnis zur Erwerbsarbeit definieren: Calmbach und KollegInnen (2020, S. 49-69) beschreiben die »Traditionell-Bürgerlichen« als die »bescheidenen, naturund heimatorientierten Familienmenschen mit starker Bodenhaftung«.74 Familie, Tradition, Heimat – Ziel dieses Jugendmilieus ist die bürgerliche Normalbiographie. Mit der Vorstellung einer solchen Normalbiographie geht ein Streben nach Sicherheit einher. Selbstverwirklichung, Kreativität und intrinsische Berufsmotive stehen hintenan. »Konservativ-Bürgerliche« denken in Geschlechterstereotypen und wählen entsprechend ihre beruflichen Ziele. Sie sind leistungsorientiert und diese Orientierung übernehmen sie einerseits von den Vorstellungen ihrer Eltern und schulischen Angeboten der Berufsorientierung. Adoleszenztheoretisch gestaltet sich dieses Jugendmilieu spannend. Obwohl ein Bildungsmoratorium vorhanden ist, tauchen die damit verbundenen (Berufs-)Werte hier nicht auf (Zinnecker, 2003). Es führt die Notwendigkeit vor Augen, die Adoleszenz nicht nur in ihrer Struktur, sondern in der psychosozialen Qualität zu erfassen (King, 2013, S. 104). Hinsichtlich der adoleszenten Triangulierung spiegeln sich in den Milieubeschreibungen Schwierigkeiten in der Ablösung von der Ursprungsfamilie und deren Idealisierung sowie eine kaum stattfindende kritische Abarbeitung an Familie und Kultur (insb.: Calmbach et al., 2020, S. 55). Während sie das Wertespektrum der »Traditionell-Bürgerlichen« weitgehend teilen, sind die sogenannten »Prekären« hinsichtlich des erstrebten Bildungsabschlusses deutlich unter diesen verortet (Calmbach et al., 2020, S. 92-109). Ihre Kurzbeschreibung gleicht geradezu einer neoliberalen Erzählung. Es handele sich um solche Jugendlichen, die um »Orientierung und Teilhabe« bemüht seien, »schwierige Startvoraussetzungen« haben, aber dafür mit einer »Durchbeißermentalität« ausgestattet seien (Calmbach et al., 2020, S. 93). Meist stammen diese Jugendlichen aus sozial und materiell benachteiligten Elternhäusern, nehmen diese Situation durchaus wahr und entwickeln früh Ängste vor geringen Teilhabemöglichkeiten. Die neoliberale Anmutung der Kurzbeschreibung findet ihr Pendant in den Denkmustern der »Prekären« – Armut sei selbstverschuldet, der Ausweg sei eigenverantwortlich zu beschreiten – ein Ergebnis, dass sich auch in der Berufsorientierungsforschung zu HauptschülerInnen findet (vgl. Kapitel 2.3.3). Das subjektive Verhältnis zur Erwerbsarbeit dieses Milieus wird als sehr materiell und auf Prestige ausgerichtet beschrieben (Calmbach et al., 2020, S. 245); zudem zeigt sich im Bestreben, in der eigenen prekären Lage überhaupt irgendeinen Job zu finden, ein Notwendigkeitsgeschmack (Bourdieu, 1982). Die eigene Prekarität und der schwer zu gewinnende Kampf um den Aufstieg werden früh wahrgenommen.
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quantitative Lebensweltanalyse stand jedoch selbst in den 2016er-Studien aus (Calmbach et al., 2016, S. 33-35). Die Grundlage der Größenverhältnisse jugendlicher Lebenswelten/Jugendmilieus im Sinus-Modell beruhen hier auf Daten einer Onlinebefragung von 14- bis 29-Jährigen, die zumindest ein »näherungsweises Bild« erlauben sollen (Calmbach et al., 2016, S. 35). In den 2020erStudien ist die Quantifizierung, die ein solches Schaubild impliziert, thematisch ausgeklammert. Ihre Nähe zu Deutschland, Heimat, Treue und Scholle liest sich in Anbetracht regressiver, aber durchaus gebildeter Jugendbewegungen wie ein adoleszentes Sammelbecken autoritärer Charaktere (Eichler, 2019).
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Adoleszenz und Arbeit
Der adoleszente Möglichkeitsraum der »Prekären« dürfte sich entsprechend begrenzt gestalten, von einem »Schonraum« (Heitmeyer et al., 2011a, 17) kann hier keine Rede mehr sein. Adoleszenztheoretisch fügt sich das Bild an fehlendem Subjektbezug und einem ausgeprägten Streben nach materieller Sicherheit. Irgendwo zwischen den »Prekären« und den »Konservativ-Bürgerlichen« bewegt sich die Lebenswelt der »Konsum-Materialisten«. Es handelt sich um die »freizeit- und familienorientierte Unterschicht mit ausgeprägten markenbewussten Wünschen« (Calmbach et al., 2020, S. 111-129). Mit den »Prekären« teilen sie die soziale Herkunft und die materielle Orientierung, mit den »Konservativ-Bürgerlichen« teilen sie die Aspiration einer Normalbiographie, koppeln diese jedoch an eine hedonistische Lifestyleorientierung. Im Gegensatz zu den »Prekären« konzentrieren sie sich auf »realistische« Optionen, also Ausbildungsberufe, die besonders in diesem Milieu »geschlechtstypisch« gewählt werden. Was sich hier – in Übereinstimmung mit dem Forschungsstand – andeutet, ist eine sozialstrukturelle bzw. schulische Differenzierung weiblicher Adoleszenz (vgl. Kapitel 2.2.4), die sich insbesondere vor dem Hintergrund familialer Sozialisation und schulischer Berufsorientierung abspielt (Buchmann & Kriesi, 2012; FaulstichWieland, 2016; Fobe & Minx, 1996; Helbig & Leuze, 2012; Karsch, 2014; Kleinert & Schels, 2020; Rahn & Hartkopf, 2016; Siembab & Wicht, 2020; vgl. Kapitel 2.3.3). Das größte Milieu, das sich bildsprachlich als die Mitte des jugendlichen Sozialraums präsentiert, sind die »Adaptiv-Pragmatischen«, »der leistungs- und familienorientierte moderne Mainstream mit hoher Anpassungsbereitschaft« (Calmbach et al., 2020, S. 72-91). Sie verkörpern eine Kombination aus bürgerlichen Grundwerten und Tugenden wie Ehrlichkeit, Respekt und Fleiß mit modernen, hedonistischen Werten wie Freiheit, Offenheit, Unvoreingenommenheit und Humor. Sie meiden das Risiko, orientieren sich sehr stark an der Familie, ordnen sich unter, streben nach Wohlstand, aber nicht nach Luxus. Die materiell-reproduktionsbezogene Perspektive dominiert die in Ansätzen vorhandene Subjektperspektive der Jugendlichen: Sicherheit, Wohlstand, lebenslange Anstellungen und stets den Weg zu gehen, der die meisten Chancen verspricht, sich also »nicht an Utopien, sondern am Machbaren« (Calmbach et al., 2020, S. 78) orientieren. Von einer normativen Subjektivierung, die Baethge (1991) einst in der Mitte der Gesellschaft erahnte, ist hier nicht viel zu sehen. Gerade in Anbetracht der quantitativen Studien aus/zu dem Zeitraum der These, die ein Vorherrschen subjektbezogener Perspektiven unter Jugendlichen ausmachen (Baethge et al., 1988; Fischer & Eichler, 2015; Fobe & Minx, 1996; Klages & Gensicke, 1994), deutet die gegenwärtige Dominanz einer materiell-reproduktionsbezogenen Perspektive im größten Jugendmilieu auf potentielle Folgen einer widersprüchlichen Adoleszenz hin (vgl. Kapitel 2.2.4). Ebenfalls mit einer mittleren Bildungsherkunft, jedoch einer postmodern geprägten Grundhaltung beschreiben Calmbach und KollegInnen (2020, S. 130-151) die Lebenswelt der »Experimentalisten« als chaotisch, individualistisch und auf Extreme hin orientiert. Für sie geht es um das Ausprobieren von Identitäten, das Abgrenzen vom Spießbürgertum und traditionellen Werten. Neben der Abgrenzungsbemühung stehen die Provokation und das Experimentieren als zentrale Orientierungen. Sie stehen zwar für typische »adoleszente« Orientierungen (Erdheim, 1982), zielen jedoch eher auf eine individualistische Selbstverwirklichung als die Verwirklichung universalistischer Ideen – sie erinnern daher an Bilder negativer Individualisierungstheorien (vgl. Kapitel 2.2.2).
2. Adoleszenz und Erwerbsarbeit
Dass sie sich kaum mit Erwerbsarbeit auseinandersetzen (müssen), verdeutlicht Züge eines breiten adoleszenten Möglichkeitsraums sowie die Möglichkeit eines Aufschubs familialer und gesellschaftlicher Verantwortlichkeiten. So äußern sich diese Jugendlichen auch stark subjektbezogen, malen sich eher Selbstentfaltung statt Karriere aus – »Young till I die« (Calmbach et al., 2020, S. 145). Mit den »Postmateriellen« beschreiben Calmbach und KollegInnen (2020, S. 154-171) eine ähnlich sinnhaft-subjektbezogen geprägte Lebenswelt, in der jedoch universalistische Werte deutlich stärker vertreten sind. Die Jugendlichen weisen einen sicheren sozialökonomischen Hintergrund und ein sehr hohes Bildungsniveau auf, legen Wert auf Nachhaltigkeit, sind altruistisch, optimistisch und verfügen über ein Sendungsbewusstsein – das Milieu stellt quasi das lebensweltliche Pendant zur Fridays for FutureBewegung dar (Sommer et al., 2019). Materialistischen Werten stehen diese Jugendlichen kritisch gegenüber, von Luxus und Überfluss distanzieren sie sich abwertend. Entsprechend zeichnet sich ihr Verhältnis zur Erwerbsarbeit durch einen starken Subjektbezug und altruistische Bezüge bei gleichzeitiger Orientierung auf Familie, Sicherheit und Ordnung aus. Im zeitlichen, sozialen und materiellen Vorteil, den die »Postmateriellen« genießen, und in der Abwertung von Orientierungen, die gerade in sozial niedriger angesiedelten Lebenswelten vertreten sind, zeichnen sich sowohl breite Möglichkeitsräume, Muster einer normativen Subjektivierung, aber auch Distinktionslogiken der sinnhaft-subjektbezogenen Perspektive ab (Fischer & Eichler, 2015). Das siebte Sinus-Jugendmilieu – die »Expeditiven« – verkörpern wie keine andere Gruppe das Subjektideal des Postfordismus (Calmbach et al., 2020, S. 172-193; Dravenau & Eichler, 2012; Eichler, 2013; Koppetsch, 2006b). »Von allen Jugendlichen sind sie mit die Flexibelsten, Mobilsten und Innovativsten. Viele sind zudem sehr kompetitiv und akzeptieren die Wettbewerbsgesellschaft. Den eigenen Erfahrungshorizont ständig zu erweitern, ist eine wichtige Lebensmaxime. Bei aller Begeisterung für Spaß in der Freizeit möchten sie jedoch auch im beruflichen Leben etwas ›reißen‹ (›mover‹ & ›shaker‹). Sie leben nach dem Motto: ›Work hard, play hard.‹« (Calmbach et al., 2020, S. 175) Sozialräumlich befinden sich die »Expeditiven« an oberster Position. Es handelt sich zu weiten Teilen um Jugendliche aus Familien mit umfangreichem Sozial- und Kulturkapital, mit materieller Absicherung und wenig Abstiegssorgen. Sie haben ein feines Gespür für soziale und kulturelle Praktiken, ebenso wie eine hohe Sensibilität für Distinktionslogiken, über die das sowieso recht ausgeprägte Selbstbewusstsein weiter stabilisiert wird. Es ist eine upper class-Jugend, die sich ihrer Lage, der gesellschaftlichen Bedingungen und ihrer Möglichkeiten sehr bewusst ist. Sie bekommt das Rüstzeug quasi in die Wiege gelegt. Beruflich orientieren sich die »Expeditiven« an ihrem Eigeninteresse, an ihren Fähigkeiten, aber auch an Distinktionsmerkmalen. Konkret geht es ihnen um hohe Freiheitsgrade, Spaß und attraktive Standorte. Ziel vieler »Expeditiven« ist es, ihren individualistischen Subjektbezug vorerst außerhalb der ökonomischen Sphäre aufrechtzuerhalten. Es gilt, das Moratorium in vollen Zügen auszukosten und auch potentielle, Postadoleszenz-spezifische Vorteile für den Lebenslauf (Auslandssemester u. ä.) mitzunehmen (Calmbach et al., 2020, S. 184-185). In dieser Melange aus rationalisiertem
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Adoleszenz und Arbeit
Lebenslaufs, Selbstverwirklichungsaspirationen und dem gleichzeitigen Andocken ans postfordistische Subjektideal fügen sich auch die »Expeditiven« in Thesen zur widersprüchlichen Adoleszenz (vgl. Kapitel 2.2.4). Trotz ihrer fragwürdigen Repräsentativität bieten die SINUS-Jugendstudien einen spannenden Einblick in jugendliche Lebenswelten. Deutlich wird erstens, dass höhere Bildungslagen tendenziell mit sinnhaft-subjektbezogenen Perspektiven, intrinsischen Motivationen und Selbstverwirklichungsaspirationen einhergehen. Das Bildungsmoratorium scheint eine Wirkung zu entfalten, aber es zeigt sich auch zweitens, dass diese Wirkung von Bildungslagen keineswegs deterministisch zu begreifen ist. Die »Konservativ-Bürgerlichen« sind das wohl eindrücklichste Beispiel im Sinus-Modell für eine materiell-reproduktionsbezogene Perspektive Jugendlicher auf Erwerbsarbeit trotz mittlerer bzw. hoher Bildungsabschlüsse. Was bedingt dann aber das subjektive Verhältnis zur Erwerbsarbeit? In ihrem theoretischen Konzept verweist die Studie (wie in der Milieuforschung üblich) auf praxeologische Ansätze (Flaig & Barth, 2018), also auf einen Zusammenhang der sozialen Herkunft und zugehörige Praktiken mit dem modus operandi der Jugendlichen. Diesen Einfluss herauszuarbeiten, wäre gerade vor einer weiteren Auffälligkeit der geschilderten Analysen wichtig, denn drittens ist Subjektbezug nicht gleich Subjektbezug. Was sich in der individualisierungstheoretischen Debatte um Selbstverwirklichungsaspirationen, um deren Ausprägung, Emanzipationspotentiale, um deren Individualismus und Universalismus, und in all den zugehörigen Zeitdiagnosen als Thesenvielfalt präsentiert (vgl. Kapitel 2.2.2), findet sich im SINUS-Modell in unterschiedlichen Milieus wieder. »Postmoderne« zeichnen sich bspw. durch eine emanzipatorisch behafteten Sinn- und Subjektbezug hinsichtlich der Erwerbssphäre aus, koppeln diesen mit altruistischen Denkmustern, wobei unklar bleibt, ob es um Klasseninteressen, Klimarettung oder um alles geht. Während ihr Sinn für Gerechtigkeit und ihre altruistische Ader fast schon eine klischeehafte Darstellung erhalten, finden sich zugleich Anzeichen distinktiver Selbstverwirklichung.75 Sie verkörpern die »Rache der kolonialisierten Lebenswelt« (Baethge, 1991, S. 18) genauso wie das Ausschlagen dieser Rache »in Richtung sozial Schwacher« (Fischer & Eichler, 2015, S. 404). Aus diesen Ansätzen wird bei den »Expeditiven« ein deutliches Streben nach Distinktion, eine Verkörperung des postfordistischen Subjektideals (Dravenau & Eichler, 2012), das nicht zur Veränderung der Arbeitswelt, sondern zur Reproduktion sozialer Ungleichheiten drängt. Dass es zudem jugendliche Lebenswelten gibt, die ganz deutlich von materiellen und traditionellen Orientierungen geprägt sind, kommt in öffentlichen und wissenschaftlichen Debatten viel zu kurz. Gepaart mit regressiven Werten bei gleichzeitig hoher Bildung finden sie sich bspw. in der milieugewordenen Antithese zur normativen Subjektivierung bei den »Traditionell-Bürgerlichen«. Ähnlich stark ausgeprägte materielle Orientierungen zeigen sich einerseits bei den »Materialistisch-Hedonistischen« und den »Prekären«. Während sich Erstgenannte durch ein realistisches Einschätzen
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Natürlich bedarf es bei dieser Interpretation Vorsicht zu wahren. Weder zeichnen sich alle »SozialÖkologischen« durch Altruismus noch durch Distinktion aus. Die Milieus sind idealtypisch überzeichnete, aber eben auch mindestens tendenziell zutreffende Bestandsaufnahmen der sozialen Realität der Jugendlichen.
2. Adoleszenz und Erwerbsarbeit
von beruflichen Möglichkeiten auszeichnen, geht dieser Realitätssinn bei den Zweitgenannten verloren. Die »Idee der Jugend« geht an diesem Milieu, einer sich selbst antizipierenden Génération Précaire, vorbei (Dörre, 2010). Letztendlich verharren die SINUS-Jugendstudien aber auf ihrer deskriptiven Oberflächlichkeit, geben wenig Einblicke in die Logik des subjektiven Verhältnisses Jugendlicher zur Erwerbsarbeit. Sie treffen kaum theoretische Aussagen oder beziehen sich auf Gegenwartsanalysen, konzentrieren sich letztendlich aber auch nicht auf das Verhältnis von Adoleszenz und Erwerbsarbeit, sondern auf eine bunte Melange an Orientierungen und Lebensbedingungen. Nichtsdestotrotz bieten sie ein Raster, um den sozialen Kontext Jugendlicher zu verstehen. Gerade für die qualitativen Analysen bieten solche Milieu- und Sozialstrukturanalysen Ansatzpunkte, um lebensweltliche Kontexte nachzuvollziehen, einzuordnen und voneinander abzugrenzen.
2.3.3
Berufswahl, Berufsorientierung und Occupational Aspirations
Welchen Beruf wählen Jugendliche? Erreichen sie ihre Ziele? Und welche akteursspezifischen, institutionellen sowie strukturellen Merkmale beeinflussen diesen Prozess? In der Berufswahl- und Berufsorientierungsforschung ist das subjektive Verhältnis Jugendlicher zur Erwerbsarbeit Bestandteil theoretischer Konzeptionen sowie empirischer Studien (Brüggemann & Rahn, 2020; Oechsle, 2009b). Im Mittelpunkt steht jedoch meist die Frage, inwiefern jugendliche Bezüge und Perspektiven zu der sich gewandelten, subjektivierten und entgrenzten Erwerbssphäre passen oder angepasst werden können (Butz & Deeken, 2014; Dedering, 1996; Kahlert & Mansel, 2007; Kölzer, 2014; Oechsle, 2009b). So liest sich auch der Begriff »Berufsorientierung« mehrfach besetzt, einerseits als eben jenes subjektive Verhältnis Jugendlicher zur Erwerbsarbeit, andererseits als praktische Anpassungsmaßnahme. Fraglich bleibt dabei stets die normative Setzung des zu erreichenden mindsets. »Berufliche Orientierungs- und Entscheidungsprozesse finden in einem Kontext statt, in dem verschiedene Institutionen informierend und beratend, nicht selten auch normierend eingreifen.« (Oechsle, 2009b, S. 25) Eine Reflexion der Funktionalität von Berufsorientierung und Berufsorientierungsforschung, ihrer Beeinflussung jugendlicher Lebenswelten sowie der durchaus zu problematisierenden Folgen angepasster oder ausgekühlter Adoleszenz findet kaum statt (Eichler & Fischer, 2020; Reinders, 2016; Walther, 2002, 2015). Nichtsdestotrotz liefert dieser Forschungsbereich Ergebnisse zum subjektiven Verhältnis Jugendlicher zur Erwerbsarbeit angesichts einer von Widersprüchen geprägten Adoleszenz. Ein ungemeiner Vorteil des Forschungsfeldes ist dessen häufiger Fokus auf bestimmten Schultypen, denn obwohl die Sozialstrukturanalysen in Kapitel 2.3.2 zeigen, dass die Gleichsetzung des Bildungsmoratoriums mit spezifischen Perspektiven Jugendlicher auf die Erwerbsarbeit komplexe Adoleszenzdynamiken vereinfacht, deutet der Forschungsstand in eine klare Richtung: die Schulzugehörigkeit fördert bzw. blockiert bestimmte Bezüge und Perspektiven auf die Erwerbsarbeit. Dennoch scheint es innerhalb und abseits der Schulformen Mechanismen zu geben, die wiederum zu einer Differenzierung von Orientierungsmustern führen. Auch in Hinsicht auf die hier vor-
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Adoleszenz und Arbeit
genommene qualitative Empirie, deren Sample in GymnasiastInnen und MittelschülerInnen aufgeschlüsselt ist, steht im Folgenden zuerst eine Studie aus der Berufsorientierungsforschung zu AbiturientInnen im Mittelpunkt (Oechsle et al., 2009), danach eine Studie zu Haupt- und MittelschülerInnen (Kölzer, 2014).76 Beide Studien werden ergänzt über die Integration aktueller Ergebnisse des jeweiligen Forschungsfelds. In einem dritten Schritt wird der wohl verbreitetste theoretische Ansatz der Berufswahlforschung skizziert, um zuvor herausgearbeitete Effekte zum subjektiven Verhältnis Jugendlicher zur Erwerbsarbeit über den adoleszenztheoretischen Rahmen hinaus zu reflektieren.
AbiturientInnen, Berufswahltheorien und Marcias Identitätskonzept Ein genauer Blick auf die Studie Abitur und was dann? von Mechtild Oechsle und KollegInnen (2009) bietet sich in mehrfacher Hinsicht an. Die qualitative Längsschnittstudie mit quantitativen Elementen zur Analyse jugendlicher Orientierungs- und biographischer Entscheidungsprozesse unter AbiturientInnen ermöglicht nicht nur einen differenzierten Blick auf das subjektive Verhältnis Jugendlicher zur Erwerbsarbeit; sie weist in der theoretischen und begrifflichen Konzeption auch eine spannende Verwandtschaft zum adoleszenztheoretischen Fundament der vorliegenden Studie auf und sie stellt Orientierungsmuster in den Mittelpunkt, deren Diffusität an Thesen zur widersprüchlichen Adoleszenz erinnert (Kapitel 2.1 & 2.2). Oechsle und KollegInnen (2009b) zielen in ihrer Studie auf einen integrativen Ansatz arbeitssoziologischer Theorien und Debatten (im Kontext von Subjektivierung und Entgrenzung), der Theorie reflexiver Moderne, psychologischer Identitätstheorien sowie klassischer und moderner Berufswahltheorien. Zumeist steht hierbei die konkrete Berufswahl (im Sinne einer Handlungsentscheidung) und nicht das subjektive Verhältnis zur Erwerbsarbeit im Mittelpunkt. Beides sollte nicht in einen Topf geworfen werden: Eine Orientierung ist keine Garantin für konkrete Praxis. Hoffnungen können enttäuscht werden, Vorstellungen an realen Möglichkeiten vorbeizielen und unvorhergesehene Umstände Berufsentscheidungen ändern (Kleinert & Schels, 2020). Dennoch erhöht ein spezifisches subjektives Verhältnis zur Erwerbsarbeit die Wahrscheinlichkeit einer entsprechenden Berufsentscheidung (Fishbein, 2008; Helbig & Leuze, 2012, S. 92-93). Insofern ist das subjektive Verhältnis Jugendlicher zur Erwerbsarbeit als ein Einflussfaktor in Berufswahltheorien berücksichtigt.77
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Die Auswahl der Studien erfolgt nicht als Repräsentation eines gesamten Forschungsfeldes. Wie oben geschildert, steht in Studien zur Berufswahl, Berufsorientierung und Berufsaspirationen kaum das subjektive Verhältnis zur Erwerbsarbeit im Mittelpunkt – eine Übersicht zur gesamten Forschungslandschaft macht kaum Sinn. Nichtsdestotrotz zeigen sich innerhalb des Feldes hinsichtlich der in den ausgewählten Studien dargestellten Erkenntnisse zu Bezügen und Perspektiven Jugendlicher auf die Erwerbsarbeit sowie deren Einflussfaktoren Überschneidungen. Bereits frühe entwicklungspsychologische (Super, 1973) sowie interaktionstheoretische Ansätze (E. Lange, 1976) verhandeln die Berufswahl und Berufsfindung nicht auf einer einzigen Ebene (Gesellschaft oder Erwerbssphäre oder Individuum), sondern berücksichtigen deren Prozesshaftigkeit und die Einbettung des adoleszenten Subjekts in gesellschaftliche Strukturen, Institutionen, Peers und Familie.
2. Adoleszenz und Erwerbsarbeit
Oechsle und Kolleginnen (2009b) gehen davon aus, dass gesellschaftliche Entwicklungen zu komplexeren Orientierungen und Handlungsstrategien geführt haben. Ihre Analysen und Überlegungen ähneln den oben dargestellten Widersprüchen gegenwärtiger Adoleszenz (vgl. Kapitel 2.2.4), integrieren Überlegungen zur Subjektivierung von Arbeit, Subjektivierung von Bildung (Egbringhoff et al., 2003), neuen Entgrenzungstendenzen, Erhöhung biographischer Einzelleistungen und die Entstandardisierung von Lebensläufen (Oechsle, 2009b, S. 30-40). Klassische Berufswahltheorien, die von Normalbiographien und klassischen Berufskonzeptionen ausgehen, seien daher kaum in der Lage, Berufswahl, Orientierungsmuster und Berufsorientierung adäquat zu erfassen. Daher müssten »moderne Berufswahltheorien« Berücksichtigung finden (einführend: Hirschi, 2020). In ihrer Konzeption des subjektiven Verhältnisses Jugendlicher zur Erwerbsarbeit nehmen dennoch klassische Adoleszenz-/Identitätstheorien eine führende Rolle ein, insbesondere das Identitätskonzept von James Marcia (1966, 1980). Wie Oechsle (2009b, S. 41) hervorhebt, verweisen »Berufsfindungsprozesse [.] immer auch auf Prozesse der Identitätsbildung«, gerade weil die Studien- und Berufswahl mit der »psychosoziale[n] Situation von Jugendlichen in der Spätadoleszenz« zusammenfallen, in der es »ganz zentral um die Entwicklung persönlicher Ziele und Werte in Auseinandersetzung mit elterlichen wie gesellschaftlichen Normen und Erwartungen« geht. Im Endeffekt bringt sie damit den theoretischen Kern der hier vorliegenden Studie auf den Punkt, arbeitet jedoch mit einer anderen, durchaus anschlussfähigen entwicklungspsychologischen Theorie. Marcia (1980, S. 159) fasst Identität »as a selfstructure – an internal, self-constructed, dynamic organization of drives, abilities, beliefs, and individual history.« Im Gegensatz zu Erikson (1973b), der die Ausbildung einer Ich-Identität als zentrales, geradezu normatives Ziel der Adoleszenz und die Identitätsdiffusion als ihr gescheitertes Pendant entwirft, unterscheidet Marcia (1980) deutlich analytischer vier idealtypische Identitätszustände entlang der Dimensionen »Verpflichtung« (Engagement in einem Lebensbereich) und »Exploration« (Erkundung eines Lebensbereiches). Diese Zustände lassen sich auf das subjektive Verhältnis Jugendlicher zur Erwerbsarbeit übertragen: Jugendliche, die Werte, Perspektiven und Orientierungen ihrer Eltern oder Peers übernehmen, also nicht selbständig explorieren, weisen eine übernommene Identität auf; Jugendliche ohne Ziele, stabile Perspektiven und Festlegung für Berufe weisen eine diffuse Identität auf; befinden sich Jugendliche noch in der Identitätsfindung, setzen sich also mit verschiedenen Möglichkeiten auseinander, ordnet Marcia diesen den Identitätsstatus Moratorium zu. Sein Moratoriumskonzept zeichnet sich, genauso wie der Status der diffusen Identität, durch eine Adoleszenzkrise aus, durch die Jugendliche zum vierten Status – einer selbst-erarbeiteten Identität – gelangen können. Gerade die Idee einer Diffusität, Unabgeschlossenheit oder auch eines Unwillens zur abschließenden Festlegung passt zu gegenwärtigen Bedingungen der Adoleszenz, insbesondere der Undurchsichtigkeit gegenwärtiger Anforderungen der Erwerbssphäre, deren zunehmende Unsicherheiten und Prekarität sowie die damit verbundene schwierigere Festlegung auf eine Erwerbstätigkeit (vgl. Kapitel 2.2).78 78
Das Anknüpfen an Marcia erlaubt zudem, die schematische Zeichnung entlang der klassischen Zwei- bzw. Dreiteilung jugendlicher Perspektiven (materiell-reproduktionsbezogen, sinnhaft-
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Adoleszenz und Arbeit
Während es bei Marcia – im Unterschied zu Erikson und Erdheim – nicht um spezifische Bezüge und Perspektiven auf Erwerbsarbeit, sondern um die »Bewältigung berufsbezogener Entwicklungsaufgaben« (Oechsle, 2009b, S. 43) geht, verbinden Oechsle und KollegInnen dennoch sein Identitätskonzept mit dem subjektiven Verhältnis Jugendlicher zur Erwerbsarbeit. Es spiegelt sich in den drei Typen »berufsbezogener Orientierungsmuster« wider, die sie empirisch unter AbiturientInnen ausmachen: Arbeitsmarktorientierung, Subjektorientierung und eine Balanceorientierung. In die Typenbildung, die eng an einer Studie von Scheller, Spangenberg und Willich (2007) orientiert ist, fließen die biographische Entwicklung der Berufsvorstellungen, die Rolle von Lebensentwürfen und Lebenszielen, die Wahrnehmung der Arbeitswelt, das Berufswahlkonzept sowie die Rolle der Eltern mit ein. Arbeitsmarktorientierung meint, dass sich Jugendliche besonders konkret auf Erwerbsarbeit beziehen, keine diffusen Pläne oder Phasen der Selbstfindung, sondern langfristige, sichere Perspektiven anlegen. Voraussetzung hierfür ist die Auseinandersetzung mit der Erwerbssphäre, mit individuellen (Un-)Möglichkeiten, jedoch nicht notwendigerweise mit eigenem Interesse oder Fähigkeiten. In Anschluss an Baethge und KollegInnen (1988) grenzt Oechsle (2009a, S. 66) die Arbeitsmarktorientierung von »sinnhaft-subjektbezogenen Ansprüchen« ab, unterscheidet darüber hinaus nach »statusorientierten« uns »situativ-externalen« Motiven. Der erste Subtypus positioniert sich und plant langfristig sowie karriereorientiert. Der zweite Subtypus nimmt, was kommt – die Sicherheit steht hier an erster Stelle. Subjektorientierung umfasst Motive, Werte und Neigungen, mit denen sich Baethge in der normativen Subjektivierungsthese befasst. Im Vordergrund stehen Eigeninteresse, Arbeitsinhalte und Fähigkeiten, wobei sich auch dieser Typus als keineswegs homogen herausstellt. Oechsle (2009a, S. 107) unterscheidet diejenigen, die in ihrer Identitätsbildung vorangeschritten sind, klare Interessen und Fähigkeiten benennen, an denen sie sich orientieren; daneben gibt es Jugendliche, die noch auf der Suche, also mitten im Orientierungsprozess sind, keine konkreten Pläne für die Zeit nach dem Abitur hegen. Letztere lassen sich nochmals unterscheiden in Jugendliche, die dieser Ungewissheit gewachsen sind, sie also psychisch aushalten können, und diejenigen, denen die Unsicherheit Ängste und Sorgen bereitet. Balanceorientierung umschreibt eine zwischen den beiden Polen ausgeglichene Orientierung. Weder sinnhafter Subjektbezug noch materiell-reproduktionsbezogene Aspekte sind hier dominant. Zudem lassen sich wieder zwei Subtypen unterscheiden. Erstens diejenigen mit einer gefundenen Balance; zweitens diejenigen, die noch auf der Suche nach einer endgültigen Balance sind, also noch im Schwanken zwischen subjektivem Interesse und externaler Möglichkeitsstruktur begriffen sind.79
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subjektbezogen, sozial; vgl. Kapitel 3.1) aufzubrechen und in ihrer gerade in quantitativen Untersuchungen suggerierten Trennschärfe zu hinterfragen. Bei diesem dritten Orientierungstypus kommt Marcias Moratoriumsverständnis deutlich zu tragen. Es steht in Kontrast zum Moratoriumskonzept vorliegenden Studie (vgl. Kapitel 2.1), verweist dennoch auf wichtige Aspekte des subjektiven Verhältnisses zur Erwerbsarbeit. Zwar fassen Oechsle und KollegInnen (2009a, S. 68) das Moratorium ebenfalls als explorative Phase, jedoch eher im Sinne einer selbstgewählten Auszeit vor dem Übergang in die Erwerbsarbeit – so wird bspw. der Wehrdienst für Männer (im absoluten Gegensatz zu Erdheim 1988a) als Freiraum zwi-
2. Adoleszenz und Erwerbsarbeit
Wie kommt es nun, dass sich in einem relativ homogenen, bildungsnahen Milieu unterschiedliche Orientierungsmuster bilden? Und: Welche Faktoren heben Oechsle und KollegInnen hervor, wenn es um die Diffusität, Vielschichtigkeit und Widersprüchlichkeit »berufsbezogener Orientierungen« Jugendlicher geht? Geschlecht, so Oechsle (2009a, S. 126), sei in beiderlei Hinsicht von besonderer Bedeutung. Die Konfrontation weiblicher Jugendlicher mit der Verbindung von Erwerbsarbeit und Familie (Reproduktionsarbeit) erzeugt nach wie vor erhebliche »Ambivalenzen und Widersprüche«, die eine berufliche Identitätsfindung im Sinne Marcias gerade für junge Frauen deutlich erschweren. Auch ein Blick in die jüngere Empirie zu Schulzugehörigkeit und geschlechtsspezifischen Perspektiven auf die Erwerbsarbeit verdeutlicht, dass eine »aktive Doppelorientierung« (Geissler & Oechsle, 1996, S. 213), das Herunterschrauben beruflicher Aspirationen und die Wahl geschlechtstypischer (für Frauen meist nachteilhafter) Berufsbilder andauert und kein alleiniges Phänomen bildungsferner Milieus ist (Buchmann & Kriesi, 2012; A. Busch, 2013; Dreisiebner, 2019; Karsch, 2014; Siembab & Wicht, 2020). Es deuten sich also auch hier Folgen der »weiblichen Adoleszenz« an (Flaake & King, 2003b; King, 2013; vgl. Kapitel 2.2.4) . Neben geschlechtsspezifischen Effekten auf das subjektive Verhältnis zur Erwerbsarbeit stellt Oechsle (2009a, S. 126) auch dort Unklarheiten und Diffusität in den Lebensund Erwerbsentwürfen fest, wo die eigenen beruflichen Vorstellungen von denen der Herkunftsfamilie stark abweichen. Dies ist insbesondere bei Jugendlichen mit Migrationshintergrund und/oder aus bildungsfernen Milieus der Fall. Zur Vermeidung einer solchen Diffusität bzw. zur Findung einer Balance verschiedener Orientierungen und einem selbstbewussten Subjektbezug erweisen sich insbesondere die Eltern als wichtiger Faktor – ein Ergebnis, das sich in der Forschungslandschaft immer wieder findet (Buchmann & Kriesi, 2012; Helbig & Leuze, 2012; Kleinert & Schels, 2020; Knoll et al., 2017; Maschetzke, 2009; Pruisken, 2018). Wie bereits in Kapitel 2.2.4 und auch in anderen Studien hervorgehoben (Calmbach et al., 2020, S. 236-251; Calmbach & Schleer, 2020; Fobe & Minx, 1996; Maschetzke, 2009; Zoll et al., 1989), stellen Erziehungsstile, Arbeitserfahrungen, Beschäftigungsverhältnisse, deren heimisches Thematisieren und berufliches Orientieren der Kinder, aber auch jugendliche Identifikations- und Abgrenzungslogiken vom elterlichen Habitus relevante Aspekte für das subjektive Verhältnis Jugendlicher zur Erwerbsarbeit dar. In ihrer Funktion als »Arbeitsmarktexperten« (Maschetzke, 2009, S. 223) dienen sie gerade in bildungsnahen Milieus sowohl als psychosoziale als auch als Wissensressource, federn potentielle Unsicherheiten ab und ermöglichen einen adoleszenten Möglichkeitsraum (King, 2013). In der Studie von Oechsle und KollegInnen zeigt sich zudem ein Geschlechtereffekt hinsichtlich der Rolle der Eltern (Maschetzke, 2009, S. 224-225). So erfahren insbesondere junge Frauen Desinteresse bzgl. der beruflichen Orientierung und den Lebensentwürfen seitens der eigenen Eltern und auch in der Vorbildfunktion zeigen sich geschlechtsspezifische Ungleichheiten. Grundsätzlich dienen elterliche Berufe den befragten GymnasiastInnen häufig als »positive oder negative Orientierungsfolien« (Maschen Schule und Erwerbstätigkeit gefasst. Dieses »geplante Moratorium« stehe insbesondere in Zusammenhang mit einer diffusen Balanceorientierung, aber auch mit noch nicht ausgehandelten Subjektorientierungen (Oechsle, 2009a, 97ff. & 125).
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schetzke, 2009, S. 225), für junge Frauen ergeben sich jedoch zwei Probleme: Erstens dient die eigene Mutter seltener als Vorbild, da die gleichberechtigte Teilnahme für Frauen am Arbeitsmarkt strukturell erschwert wird – eine Ungleichheitsdimension, die nach wie vor aktuell ist (Scheele, 2019); zweitens verhindert die daraus resultierende Antizipation eigener struktureller Benachteiligung Hoffnungen auf und Vorstellungen von voller Teilhabe. Neben den Effekten von sozialer Herkunft, Geschlecht, Migrationshintergrund und dem Elternhaus stellt Oechsle (2009a, S. 127) das Vorhandensein spezifischer Fähigkeiten, früh explorierter Begabungen oder Interessen als wichtigen Faktor im sicheren Umgang mit der eigenen beruflichen Identität heraus. Wer früh weiß, was er/sie kann und will, orientiert sich häufig daran, entwickelt ein gegenstandsbezogenes Verhältnis zur Erwerbsarbeit. Adoleszenztheoretisch ist das kein Wunder – Identitätsbezüge setzen schließlich eine Auseinandersetzung mit eben jener voraus (Baethge, 1991; Eichler & Fischer, 2020; King, 2013). Nichtsdestotrotz zeigt sich, dass auch unter bildungsnahen Jugendlichen deutliche Unterschiede in Bezügen und Perspektiven auf die Erwerbsarbeit sowie in strukturellen und psychosozialen Ressourcen existieren. Oechsle und KollegInnen unterstreichen daher die Notwendigkeit sowohl der individualisierten Perspektive als auch des Blicks auf innere Prozesse und Dynamiken.
HauptschülerInnen und deren Cooling Out Carolin Kölzer (2011, 2012, 2014) widmet sich in ihrer Forschung dem sozialräumlichen Gegenpart zu der AbiturientInnen-Studie. Sie analysiert Vorstellungen von Erwerbsarbeit, von Arbeitslosigkeit und zugehörige Bewältigungsstrategien von Jugendlichen mit Hauptschulhintergrund. Sie knüpft dabei an Queisser (2010) an, die ebenfalls im Kontext beruflicher Orientierungsforschung das subjektive Verhältnis von HauptschülerInnen zur Erwerbsarbeit sowie strukturelle Einflussfaktoren in bildungsfernen Milieus untersucht. Insgesamt – und das wird sich im Laufe des Teilkapitels deutlich zeigen – ist die Berufsorientierungsforschung insbesondere auf Haupt-/MittelschülerInnen ausgelegt und beeinflusst deren (Schul-)Alltag und deren subjektives Verhältnis zur Erwerbsarbeit deutlich (Dombrowski, 2015; Flohr et al., 2020; Kahlert & Mansel, 2007; Siembab & Wicht, 2020; Walther, 2014). Der theoretische Hintergrund von Kölzer sind sozialpsychologische, neurobiologische und soziologische (insb. praxeologische) Ansätze (zur Übersicht: Kölzer, 2012, S. 239-241). In Anschluss an ihren theoretischen Fundus entwirft sie Vorstellungen von und Orientierungen auf die Erwerbsarbeit als Resultat von Erfahrungen mit der (nicht-)sozialen Umwelt, als persönliches Konstrukt mit emotionalen und sozialen Komponenten, als innere Überzeugung/Haltung/subjektive Theorie, die über emotionale Konditionierung verfestigt werden würde, als handlungsleitendes Wissen aus zweiter Hand sowie als durch Praxis vermittelte Disposition. Während die Theorie also vielfältig, jedoch ohne konkreten Adoleszenzbezug ist, ist die Konzeption der »Vorstellungen von Erwerbsarbeit« spannend und anknüpfungsfähig (Kölzer, 2014, S. 78-87). So schließt sie an Heinemann (1978) und dessen Konzeption von jugendlichen Arbeitsorientierungen an, fasst unter das Schlagwort der »Arbeitsorientierung« vier »Dimensionen«: Werterwartungen (Zielvorstellungen, Bedürfnisse, Wünsche und
2. Adoleszenz und Erwerbsarbeit
Zukunftsorientierungen), das Anspruchsniveau (Belastung, Arbeitsanforderungen, räumliche Entfernung, Work-Life-Balance usw.) sowie die subjektive Wahrnehmung wirtschaftlichen Drucks und die Haltung zur Arbeitslosigkeit, die sich wiederum in den Werthaltungen niederschlägt. Jede dieser Dimensionen lässt sich noch einmal nach einer ökonomischen, sozialen und individuellen Komponente differenzieren (ausführlich: Heinemann, 1978, S. 47-49). Das Ziel von Kölzer ist jedoch nicht die Analyse jugendlicher Arbeitsorientierungen. Vielmehr fragt sie, »was Hauptschüler über Arbeit (.) denken oder wissen und wie sie hierzu fühlen«, und auch, inwiefern es »ein Bewusstsein für die Subjektivierung von Erwerbsarbeit mit ihren Entgrenzungsphänomenen« (Kölzer, 2011, S. 26) gebe. Hierfür arbeitet sie mit problemzentrierten Interviews, die sie mit einer »adaptierten« Methode der Qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring auswertet (Kölzer, 2014, S. 259-263). Grundlegend fügen sich die Ergebnisse der Studie in weitere Hauptschulstudien ein (Dombrowski, 2015; Heckhausen & Tomasik, 2002; Queisser, 2006, 2010; Reißig et al., 2006; Reißig, 2009; Richter, 2016). Kölzer (2014, S. 394-395) stellt heraus, dass ein Großteil der HauptschülerInnen Lebensentwürfe berufsorientiert und »normalbiographisch« entwirft – es herrscht weitgehend die Vorstellung späterer Normalarbeitsverhältnisse. Dabei orientieren sich männliche Jugendliche in ihren Vorstellungen entlang einer fordistischen Idealvorstellung (unbefristetes Erwerbsverhältnis, Familie, Haus). Von dieser klassischen Vorstellung weichen weibliche Jugendliche ab, indem sie zwar berufsorientiert auftreten, jedoch deutlich seltener als männliche Hauptschüler ein existenzsicherndes Einkommen einfordern. Geschlechterstereotypien und die Reproduktion sozialer Ungleichheiten zeigen sich zudem in den Berufswünschen. Wie bereits in der Studie von Oechsle und Kolleginnen (2009) treten solche Nachteile in der beruflichen Orientierung und insbesondere in der emotionalen Sicherheit, mit der an die Erwerbssphäre herangetreten wird, unter Personen mit Migrationshintergrund, aber insbesondere unter jungen Frauen auf. Gerade geschlechtsspezifische Effekte auf das subjektive Verhältnis zur Erwerbsarbeit kommen unter HauptschülerInnen in mehrfacher Hinsicht zum Tragen. Sowohl Kölzer als auch Queisser (2010, S. 271) stellen in ihren Hauptschulstudien eine generative Problematik heraus. Schülerinnen finden seltener »Vorbilder« in ihren Müttern als Hauptschüler in ihren Vätern. Die Aspiration, eigene Interessen zu verwirklichen oder überhaupt die eigene Existenz als Frau abzusichern, knüpft sich unter HauptschülerInnen seltener an konkrete Personen als unter GymnasiastInnen (Helbig & Leuze, 2012; Maschetzke, 2009; Richter, 2016). Wie Queisser betont, beeinflusst ein zusätzlicher Diskriminierungseffekt das subjektive Verhältnis junger Frauen zur Erwerbsarbeit und entsprechende Wahlentscheidungen: Nicht nur besteht Sorge in geschlechtsuntypischen Berufen mit Vorurteilen konfrontiert zu werden, sondern auch Angst vor sexuellen Belästigungen und Übergriffen. Neben dem spezifischen Geschlechtereffekt zeigen sich Unterschiede zwischen HauptschülerInnen und GymnasiastInnen in den Perspektiven auf Erwerbsarbeit. Unter den von Kölzer interviewten HauptschülerInnen sticht insbesondere das Fehlen
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sinnhaft-subjektbezogener Perspektiven auf die Erwerbssphäre heraus.80 In ihrem Verhältnis zur Erwerbsarbeit zeichnen sie sich über eine materiell-reproduktionsbezogene Perspektive aus, heben Sicherheitsaspekte hervor, die Ermöglichung außerberuflicher Autonomie und stellen somit einen funktionalen Charakter von Erwerbsarbeit in den Mittelpunkt: Erwerbsarbeit dient der Realisierung eigener Lebenschancen, nicht der Selbstverwirklichung. »Arbeit braucht man eben zum Leben, ne, um Geld zu verdienen. So würde ich das sagen. Ohne Arbeit kein richtiges Leben, also mit Hartz IV würd ich nich leben. Also wenn, dann schon Geld verdienen und gut leben dann.« (Kölzer, 2014, S. 284; Hervorhebungen im Original) Der Bezug zur Erwerbssphäre erweist sich als »realitätsnah« – das Klischee von HauptschülerInnen, die Superstar werden wollten, bestätigt sich empirisch nicht (ähnlich: Reißig, 2009). Die Realitätsnähe ist dabei als doppelte zu verstehen: Erstens streben die Jugendlichen nach real erreichbare Tätigkeiten, die mindestens den Anschein eines Normalarbeitsverhältnisses vermitteln. Zweitens sind ihre konkreten Perspektiven, Wünsche und Bezüge von ihrem direkten, realen sozialen Umfeld (Familie, LehrerInnen und MitschülerInnen) geformt und, wie jüngere Studien herausstellen, insbesondere vom Internet geprägt (Calmbach & Schleer, 2020; Düggeli et al., 2018; Queisser, 2010, S. 270). Sie orientieren sich darüber hinaus stark an externalen Einflüssen, am Arbeitsmarkt, an gesellschaftlichen und elterlichen Erwartungen, am Internet und an dem, was ihnen in Berufsorientierungskursen vermittelt wird (Kölzer, 2014, S. 395-396; ähnlich: Queisser, 2010). Gleichzeitig haben HauptschülerInnen vor dem Übergang bereits Zukunftsängste, antizipieren prekäre Zustände und so ergibt sich schließlich auch der Titel von Kölzers Studie: »Hauptsache ein Job später«. Passend zu den in Kapitel 2.2.4 beschriebenen Bedingungen und Widersprüchen gegenwärtiger Adoleszenz betont sie, dass antizipierte Prekarität, Zukunftsängste und eine Individualisierung des Scheiterns Hand in Hand gehen. Ohne es zu benennen, beschreibt Kölzer (2012, 244-245), wie Aktivierungspolitiken gefruchtet haben (Kessl, 2006; Lessenich, 2012) und hebt dabei die Rolle zentraler Sozialisationsinstanzen (Familie, LehrerInnen, Peers) hervor, die als »Angstmacher«, aber auch als emotionale Ressource agieren (Dombrowski, 2015; Helbig & Leuze, 2012; Richter, 2016). Kölzer verdeutlicht eindrücklich, dass sich HauptschülerInnen einerseits mit der häufig realen Arbeitslosigkeit (insb. der Eltern) konfrontiert sehen, also eine »Tatsachenbetroffenheit« aufweisen; andererseits kristallisiert sich in den Analysen eine grundlegende »Unsicherheitsbetroffenheit« gegenüber potentieller Arbeitslosigkeit heraus (Kölzer, 2014, S. 323-363), die aufgrund der Abwertung des Hauptschulabschlusses zunimmt. Diese subjektive Unsicherheit zeigt sich in jüngeren Jugendstudien nicht nur unter bildungsfernen Jugendlichen (M. Albert, Hurrelmann & Quenzel, 2019; Kohl & Calmbach, 2012; Queisser, 2010; Reißig et al., 2006).
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Dieser auffällige Mangel an Subjektbezug und die Omnipräsenz von Sicherheits- und Arbeitsmarktbezügen spiegelt sich in der Forschungslandschaft zwar in der Tendenz, jedoch nicht in diesem Ausmaß wider (Calmbach et al., 2020; Fischer, 2021; Fischer und Eichler, 2015; Leven et al., 2019; Queisser, 2010).
2. Adoleszenz und Erwerbsarbeit
Adoleszenztheoretisch deutet sich eine scheiternde/gescheiterte adoleszente Triangulierung an, die ein subjektbezogenes Verhältnis zur Erwerbsarbeit erschwert (vgl. auch: Kapitel 2.2.4). Jugendliche treten arbeitsgesellschaftlichen Anforderungen und Bedingungen mit massiven Ängsten gegenüber, antizipieren Konkurrenzverhältnisse, denen sie selbst nicht gewachsen sind. Als Subjekt in der Erwerbsarbeit zu agieren, scheint in der Studie entsprechend fernab der Vorstellungskraft von HauptschülerInnen – analog zu den in Kapitel 2.3.1 skizzierten Studien zeigt sich qualitativ empirisch, dass und warum es weder eine Nivellierung des Moratoriums noch sinnhaft-subjektbezogener Ansprüche gibt (Fischer & Eichler, 2015). Als »aktive Strategie« (Kölzer, 2014, S. 415) im Umgang mit der antizipierten Prekarität versuchen die SchülerInnen, sich zu »bemühen« und »anzustrengen«. Eine weitere Möglichkeit beschreibt Kölzer darin, eigene Vorstellungen anzupassen, um das schwankende Selbstwertgefühl stabilisieren zu können. »Ebenso könnte Realismus entlastend wirken, indem die Jugendlichen sich keine Illusionen machen, keine Hoffnungen aufbauen, die am Ende enttäuscht werden, sich stattdessen mental darauf vorbereiten, auch berufsinadäquate Tätigkeiten etc., d.h. notfalls jeden Job anzunehmen. Letzteres birgt jedoch die Gefahr, dass ggf. prekäre Arbeitsbedingungen akzeptiert und hingenommen werden, um Arbeitslosigkeit nicht zu riskieren.« (Kölzer, 2014, S. 415-416) Im Endeffekt schlägt Kölzer – trotz der antizipierten Prekarisierungsgefahr – ein eigeniniziiertes Cooling Out vor (Mariak & Seus, 1993; K. F. Schumann et al., 1991; Walther, 2015). Der von Goffman (1952) stammende Begriff beschreibt ursprünglich einen Prozess der langfristigen Abnahme von Motivation, Antrieb und Interessenartikulation von Insassen totaler Institutionen. Während individualisierte Gesellschaften eine allgemeine Chancengleichheit predigen, den pursuit of happiness ausmalen, erzeugt das meritokratisch organisierte Bildungs- und Ausbildungssystem ständig »unequal outcomes« (Walther, 2015, S. 29). Sogenannte gate keeper müssen daher die potentielle Differenz von individueller Erwartung und realisierbarem Outcome aushandeln und anpassen, um Unterschiede in der sozialen Positionierung von Individuen subjektiv zu legitimieren. Als solche gate keeper treten unterschiedliche Akteure in verschiedenen Bereichen auf: Vorgesetzte, BeraterInnen, aber eben auch »professionals in social and educational services« (Behrens & Rabe-Kleberg, 2000; Walther, 2015, S. 28) – gemeint sind Akteure der schulischen Berufsorientierung. Staatlich angeleitet findet das Cooling Out insbesondere im Rahmung der Herstellung »realistischer Karriereperspektiven« (Walther, 2014) statt und adressiert für gewöhnlich eine konkrete Gruppe: »Sogenannte ›benachteiligte Jugendliche‹ hätten entweder keine marktkonformen (oder gar keine) Berufswünsche, sondern würden sich an Berufen orientieren, in die eine Vermittlung aufgrund schulischer oder anderer zugeschriebener Defizite aus Sicht der Berufsberatung und der Ausbildungsbetriebe nicht möglich erscheint.« (Walther, 2014, S. 119) Während die Angst vor Stigmatisierung und vor einem Hängenbleiben im Übergangssystem eigene Cooling Out-Effekte produziert (Kölzer, 2014), ist es auch das Ziel berufsvorbereitender Maßnahmen, die Aspirationen von HauptschülerInnen vor dem
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Übergang an sogenannte »realistische Perspektiven« anzupassen. Gemeint ist die Herstellung einer bestimmten Haltung gegenüber der Erwerbssphäre, eine Akzeptanz der zweiten oder dritten Wahl, ein Ablegen höherer Aspirationen und Hoffnungen. Es geht darum, »widerspenstige Praktiken« abzulegen und »vernünftige Bewerbungen« zu schreiben (Walther, 2014, S. 121), häufig auch darum, im Sinne gesellschaftlicher und geschlechtlich stereotyper Erwartungen in die Erwerbssphäre überzugehen (Helbig & Leuze, 2012; Rahn & Hartkopf, 2016; Siembab & Wicht, 2020; Walther, 2014, S. 131). Im Fokus stehen dabei Haupt- und MittelschülerInnen.81 »Für Jugendliche aus den unteren Bildungsgängen – und nur in Bezug auf diese Gruppe wird ja überhaupt zwischen realistischen bzw. unrealistischen Berufsperspektiven unterschieden – bedeutet dies, ihre beruflichen und damit auch ihre Teilhabeansprüche abzusenken.« (Walther, 2014, S. 122) Walther (2014) analysiert innerschulisch berufsvorbereitende Maßnahmen, die Inhalte und die Vermittlung »realistischer Berufsperspektiven« in der pädagogischen Praxis sowie deren Übersetzung und die Folgen auf Subjektebene. Ohne letztlich zu fragen, wie sich das subjektive Verhältnis Jugendlicher zur Erwerbsarbeit grundsätzlich entwickelt – hierfür verweist er u.a. auf Baethge und KollegInnen (1988) –, verdeutlicht er, dass die ausgebildeten (oder in Ausbildung befindlichen) Perspektiven einem komplizierten Aushandlungsprozess unterliegen. Empirisch arbeitet Walther (2014, S. 126-131) heraus, dass Cooling Out-Mechanismen Wirkung zeigen, Jugendliche entsprechend ihre Aspirationen häufig anpassen und subjektbezogene Ansprüche herunterschrauben; auf Subjektebene »funktioniert« Cooling Out jedoch unterschiedlich. Es kann als Kränkung oder, wie es Walther in Anschluss an Honneth (1994b) fasst, als Missachtung eigener Ansprüche an die (Arbeits-)Gesellschaft wahrgenommen werden; häufig wird es aber auch als eigene Wahl umgedeutet. In jedem Falle sind Berufswahl und das subjektive Verhältnis zur Erwerbsarbeit aber als Folge eines Aushandlungsprozesses zwischen der eigenen Subjektivität und den fremdvermittelten Markterfordernissen zu verstehen. Es ist ein Kampf um Anerkennung, der
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Obwohl Förder-, Haupt- und Mittelschulen klassischerweise sehr berufs- und praxisorientiert ausgerichtet sind, haben sich dort in den vergangenen Jahrzehnten berufsvorbereitende und berufsvermittelnde Maßnahmen noch deutlich intensiviert. Berufskompetenzanalysen, berufsorientierte Schulzweige, Betriebsbesichtigungen, BerufseinstiegsbegleiterInnen, freiwillige und verpflichtende Praktika, BewerberInnentrainings und Kooperationen mit den Arbeitsagenturen sind Teil des schulischen Alltags ab der fünften Klasse geworden (Walther, 2015, S. 26-27). Das Bayerische Staatsministerium für Unterricht und Kultur (2011) stellt die Berufsorientierung und Berufsvorbereitung gar als die zentralen Charakteristika der Mittelschulen heraus, wirbt intensiv mit und für ihren Fokus auf die Berufswahl. Im Gegensatz zum Gymnasium, bei dessen Beschreibungen die Persönlichkeitsentwicklung im Vordergrund steht, geht es in Konzeptpapieren und -entwürfen zu Mittelschulen um die Arbeitsvermittlung. Die Vorbereitung auf die Erwerbssphäre und entsprechende Orientierungskurse gewinnen immer mehr schulischen Raum, sind nicht nur Gegenstand der wissenschaftlichen Analyse, sondern auch deren Folge (Reinders, 2016). Dies lässt sich auch daran festmachen, dass in Handbüchern des Kultusministeriums auf hier präsentierte Studien der Berufsorientierungsforschung direkt Bezug genommen wird (Bayerisches Staatsministerium für Unterricht und Kultus, 2011; bspw. Queisser, 2006).
2. Adoleszenz und Erwerbsarbeit
zumeist auf Kosten jugendlicher Aspirationen und zugunsten ökonomischer Verwertungslogik ausgeht. Aber: Trotz der meist ohnmächtigen Position Jugendlicher gegenüber den vermittelten Arbeitsmarkterfordernissen, so stellt Walther (2014, S. 132-133) heraus, gelingt der Prozess des Cooling Out nicht bei allen Jugendlichen im Sinne einer Abfindung mit der eigenen prekären Situation. »Institutionelle Rationalitätskriterien« werden nicht immer fraglos übernommen und widerständige Subjektivität verschwindet nicht ins Nirgendwo. Während Erdheim, King und Eichler in der Freiheit von ökonomischer Zweckrationalität den Grundstock eines psychosozialen Möglichkeitsraums, eines sinnhaft-subjektbezogenen Verhältnisses zur Erwerbsarbeit und überhaupt einer reflexiven Mündigkeit skizzieren (Eichler & Fischer, 2020, 417-418), erweisen sich Ökonomisierungsprozesse keineswegs einheitlich in ihrer Wirkung auf das subjektive Verhältnis Jugendlicher zur Erwerbsarbeit. Neben dem Verweis auf Baethge und KollegInnen, finden sich bei Walther auch Bezüge auf Erdheim: »Bemüht man noch einmal die Analogie zum Begriffspaar »heißer« versus »kalter« Kulturen (Erdheim 1982) – verstanden eher als Kontinuum denn als Gegensatz – so lassen sich Kulturen (bzw. Gesellschaften, Bildungssysteme, Übergangssysteme etc.) darauf hin vergleichen, in welchem Ausmaß sie über Cooling-Out-Mechanismen verfügen, wo diese verortet sind und wie sie funktionieren.« (Walther, 2011, S. 91) Obwohl bei Walther unklar bleibt, was genau im Subjekt eigentlich »ausgekühlt« wird, lässt sich diese Leerstelle wiederum mit Erdheim füllen. Es geht um den adoleszenten Narzissmus, den Jugendliche in »heißen Kulturen« unter geeigneten Umständen ausbilden und den Erdheim letztlich als ein gesellschaftlich progressives Element auf Subjektebene herausstellt. Das Cooling Out lässt sich somit als institutioneller Versuch des Abkühlens des adoleszenten Narzissmus interpretieren. Kölzers (2014, S. 415-416) Vorschlag, (pro)aktives Cooling Out als quasi-rationalen Anpassungsmodus an scheinbar unglückliche Zustände zu betreiben, fehlt es daher an einer soziologischen Perspektive auf gesellschaftliche Bedingungen, in denen die Jugendlichen agieren, unter denen sie ganz offensichtlich leiden und auf die sie reagieren müssen. Ohne eine Analyse, Kritik und Reflexion dieses gesellschaftlichen Zustands, vor dessen Hintergrund Adoleszenz nun einmal stattfindet, läuft der Ratschlag zum »Realismus« Gefahr, zynisch anzumuten. Insgesamt zeigen sich in den Studien der Berufsorientierungsforschung schulübergreifende Einflussfaktoren, die sich auch in der quantitativen Empirie (vgl. Kapitel 2.3.1 & 2.3.2) als relevant herausgestellt haben, die jedoch im Detail unterschiedlich »funktionieren«. Trotz dieser Differenzen zeichnet sich ein sozialstrukturell geprägtes Bild, das im oberen Bereich des Sozialraums von einer sinnhaft-subjektbezogenen Perspektive, aber ebenso von Arbeitsmarktbezügen geprägt ist, im unteren Bereich jedoch eher materiell-reproduktionsbezogene Dimensionen vorherrschen. Soziales Umfeld, Elternhaus, Geschlecht, schulische Berufsorientierung und stellenweise der Migrationshintergrund erweisen sich als die zentralen Einflussgrößen des subjektiven Verhältnisses Jugendlicher zur Erwerbsarbeit.
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Adoleszenz und Arbeit
Die Theorie der Entwicklung beruflicher Aspirationen Obwohl die Fragestellungen und auch die Empirie Ähnlichkeiten zu adoleszenztheoretischen Überlegungen haben, finden sich in der Berufsorientierungsforschung kaum explizite Verbindungen. Zur Erklärung des subjektiven Verhältnisses Jugendlicher zur Erwerbsarbeit greifen die AutorInnen häufig auf eine Theorietradition zu Einmündungsund Berufswahlprozessen zurück (Hirschi, 2020; Schwanzer, 2008, S. 14-66; Weinhardt, 2016, S. 124-151). Die am weitesten verbreitete ist die Theorie der Entwicklung beruflicher Aspirationen von Linda Gottfredson (1981, 2005). Einem Großteil der empirischen Studien der Berufsorientierungs- und Berufswahlforschung dient sie als theoretische Grundlage (Buchmann & Kriesi, 2012; Imdorf, 2005; Ratschinski, 2009). In ihrem Ansatz versucht Gottfredson, eine große Zahl an strukturellen Einflüssen auf das subjektive Verhältnis Jugendlicher abzubilden. Während Adoleszenztheorien das Verhältnis zur Erwerbsarbeit aufgrund der Idee einer starken Eigenständigkeit der Adoleszenz im Sinne einer »zweiten Chance« (Erdheim, 1982) als relativ abgekoppelt von der vorangegangenen Biographie fassen (vgl. Kapitel 2.1), setzt Gottfredsons Aspirationstheorie schon deutlich früher an, legt den Fokus verstärkt auf frühkindliche Prozesse. Als integrativer Ansatz berücksichtigt sie dabei sowohl psychologische als auch soziologische Bedingungen in der Entwicklung und Dynamik berufsrelevanter Orientierungen. Konzeptuell schließt sie an moralische Entwicklungstheorien (insb.: Kohlberg, 1974) an und unterscheidet vier Phasen, in denen sich Perspektiven auf Erwerbsarbeit entwickeln oder eher: eingrenzen. In der ersten Phase (drittes bis fünftes Lebensjahr) entwickeln Kinder nicht nur eine Vorstellung davon, dass Erwerbsarbeit eine bedeutende Rolle in der Erwachsenenwelt einnimmt, sondern verstehen auch, dass es Hierarchien in der Erwerbswelt gibt, anhand derer man Individuen unterscheiden/ordnen kann. Es entstehen zudem erste geschlechtsspezifische Rollenvorstellungen hinsichtlich der Erwerbssphäre, die sich in der zweiten Phase (6. bis 8. Lebensjahr) verstärken und in den Berufspräferenzen von Kindern niederschlagen. Während sich Kinder also zunächst an Macht und Größe orientieren, sind im frühen Schulalter Geschlechterrollen und -bilder zentraler Bezugspunkt. In der dritten Phase (9. bis 13. Lebensjahr) entwickeln Kinder Vorstellungen von sozialer Anerkennung, ein Gefühl für berufliche Erwartungen ihres sozialen Umfelds und auch ein Gespür für ihre und andere soziale Lagen. »Occupations that are perceived to be inappropriate for one’s sex are first eliminated from further consideration. Next, youngsters begin to rule out occupations of unacceptably low prestige because they are inconsistent with their social class self-concept. At the same time they rule out occupations requiring extreme effort to obtain in view of their image of their general ability level.« (Gottfredson, 1981, S. 549) In der vierten Phase (ab dem 14. Lebensjahr) erfolgt eine »orientation to the internal, unique self « (Gottfredson, 1981, S. 549; Hervorhebungen im Original), die in ihrer Konzeption an Erikson anschließt und Identitätssuche sowie Identitätskrisen in den Mittelpunkt stellt. Jugendliche entfalten in dieser Phase ein Selbstkonzept, bestimmen eigene Interessen und bilden entsprechende (Berufs-)Werte aus. Aspirationen entwickelten sich im Laufe der vier Phasen prozessual im Sinne einer zunehmenden Eingrenzung und Kompromissbildung (Circumscription and Compromise),
2. Adoleszenz und Erwerbsarbeit
die bereits in frühen Jahren entlang von Geschlechterbildern beginnt. Während sich also einerseits eine Cognitive Map of Occupations im Sozialisationsprozess kontinuierlich vergrößere, entstehe vor dem Hintergrund eines sich ebenfalls entwickelnden Selbstkonzepts die eigene Verortung auf dieser Karte. »Zuerst werden Berufe nicht mehr in Betracht gezogen, die in Relation zum eigenen geschlechtlichen Selbstkonzept als geschlechtsuntypisch empfunden werden, anschließend jene, die nicht milieukonform sind oder der wahrgenommenen Begabung seiner selbst widersprechen, und schließlich solche, die den persönlichen Interessen und Wertvorstellungen entgegenlaufen.« (Imdorf, 2005, S. 283) Weil die »individuelle Zone akzeptabler Berufsalternativen« letztlich wieder zu »milieukonformen beruflichen Vorstellungen und Präferenzen« (Imdorf, 2005, S. 282) führt, reproduzieren sich auf diesem Wege soziale Ungleichheiten. Das subjektive Verhältnis zur Erwerbsarbeit bestimmt sich also in Verhältnis zur Objektivität. Im Laufe der vier Entwicklungsstufen verwerfen die Kinder/Jugendlichen Berufsbilder, die nicht zu den entwickelten Selbstkonzepten passen, die ihrerseits sozial geprägt sind. Gottfredsons Theorie und insbesondere die jüngeren Aktualisierungen stehen vielfach in der Kritik (dazu: Brändle & Grundmann, 2020, S. 83-86; Imdorf, 2005, S. 285-290).82 Nichtsdestotrotz zeigen die Theorie und empirische Anschlussstudien, dass Prozesse der Reproduktion sozialer Ungleichheit insbesondere hinsichtlich geschlechts- und milieuspezifischer Orientierungsmuster schon sehr früh einsetzen. Ob es sich dabei um einen unumkehrbaren Prozess handelt (»Once rejected according to an earlier criterion, these rejected options will not be reconsidered except in unusual circumstances.«), wie ihn Gottfredson (1981, S. 557) beschreibt, steht zu bezweifeln; viele empirische Studien unterstützen vielmehr die These einer »zweiten Chance« im Sinne Erdheims (1988b), sodass die »individuelle Zone akzeptabler Berufsalternativen« doch noch einmal aufbricht (Imdorf, 2005, S. 285-290). Trotzdem – und dies zeigen gerade die oben genannten empirischen Studien – gilt es, in der Analyse dieser »zweiten Chance« stets die frühkindliche, milieu- und geschlechtsspezifische Prägung zu bedenken. Aspirations-, identitäts-, adoleszenztheoretische und auch praxeologische Überlegungen zum subjektiven Verhältnis Jugendlicher zur Erwerbsarbeit schließen sich nicht wechselseitig aus, ergänzen vielmehr ihre Leerstellen und blinden Flecken. Während die klassische Adoleszenztheorie kaum geschlechtsspezifische oder sozialräumliche Adoleszenzbedingungen thematisiert, bieten jüngere Ansätze (vgl. Kapitel 2.1.3), aber auch praxeologische Theorien und Gottfredsons Aspirationstheorie die Möglichkeit, eben jene Ungleichheitsbedingungen der
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Die Theorie stellt sich – gerade hinsichtlich der hier relevanten Adoleszenz – als stellenweise unterkomplex und von gesellschaftlichen Bedingungen abgekoppelt dar. Die jüngeren Aktualisierungen ihrer Theorie stehen in der Kritik, weil genetische Faktoren in ihrer Bedeutung deutlich über Sozialisationsmechanismen gestellt werden: »In short, sozialization is false. We are not passive lumps of clay merely to be molded by chance or others’ artifice; we are active agents of our own creation. We help to create our own environments and experiences – and hence ourselves – based on our genetic tendencies« (Gottfredson, 2002, S. 114).
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Adoleszenz und Arbeit
Adoleszenz zu verstehen sowie eine differenzierte Perspektive auf jugendliche Bezüge und Perspektiven auf die Erwerbsarbeit anzulegen.
3. Empirische Analysen
Welches subjektive Verhältnis Jugendliche gegenwärtig zur Erwerbsarbeit ausbilden, welche Bezugsdimensionen und Perspektiven dieses prägen, und, inwiefern sich darin gegenwärtige Bedingungen und Dynamiken der Adoleszenz spiegeln, wird in der vorliegenden Studie auf Grundlage eines Mixed-Methods-Designs analysiert. Generell wird darunter die Kombination qualitativer und quantitativer Erhebungs- und Auswertungsmethoden verstanden (Schreier & Odağ, 2010). Zwar greift die vorliegende Studie dabei auf unterschiedliche Untersuchungseinheiten zurück; nichtsdestotrotz bauen die Analysen konzeptuell und inhaltlich aufeinander auf. Zur deskriptiven Annäherung sowie Exploration von Strukturierungsfaktoren des subjektiven Verhältnisses Jugendlicher zur Erwerbsarbeit nutzt die vorliegende Studie in einem ersten Schritt Methoden der quantitativen Datenanalyse. Ihr Vorteil liegt in der Repräsentativität der Daten und der Möglichkeit, Veränderungen in Bezügen- und Perspektiven Jugendlicher aus einer historischen Perspektive heraus zu betrachten. Die hier verwendete Datengrundlage der Allgemeinen Bevölkerungsumfrage der Sozialwissenschaften (ALLBUS) umfasst den Zeitraum der Jahre 1982 bis 2016, erlaubt somit die Analyse und den Vergleich verschiedener Alterskohorten über fast 40 Jahre hinweg. Gerade die Anschlussfähigkeit an quantitative Studien zur normativen Subjektivierungsthese (vgl. Kapitel 2.3.1), die immer wieder auf Daten des ALLBUS zurückgreifen, legt ebenfalls die Nutzung dieser Datengrundlage nahe. Gegenüber ihren vielfältigen Vorteilen, birgt sie jedoch einen großen Nachteil: das Mindestalter der Befragten ist auf 18 Jahre beschränkt – bei den hier repräsentierten Jugendlichen handelt es sich also bestenfalls um Spät- oder Postadoleszente. In einem zweiten quantitativen Analyseschritt werden daher Daten des Nationalen Bildungspanels (NEPS; SC3, Welle 4 & 5) hinzugezogen. Hierbei handelt es sich um eine Befragung von SchülerInnen im Alter von 14 bis 17 Jahren. Sie bietet größtmöglichen Einblick in jugendliche Lebenswelten und somit eine möglichst genaue Analyse des subjektiven Verhältnisses Jugendlicher zur Erwerbsarbeit. Dem großen Vorteil der quantitativen Methoden (Repräsentativität; historische Perspektive; multivariate Verfahren) steht ihr ungemeiner Nachteil gegenüber. So detailliert die Erhebungs- und Analysemethoden auch sein mögen, strukturieren sie adoleszente Perspektiven letztlich immer vor, reduzieren sie auf ein standardisiertes Set
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Adoleszenz und Arbeit
an Bezugsdimensionen. Weder können quantitative Methoden diese Vorstrukturierung verhindern, ohne Gefahr zu laufen, ihre Repräsentativität zu verlieren, noch können sie überhaupt den subjektiven Sinn hinter einem Kreuz auf dem Fragebogen abbilden. Bezugsdimensionen und Perspektiven Jugendlicher auf die Erwerbsarbeit verbleiben in dieser methodischen Herangehensweise also notwendigerweise unterkomplex; dennoch dient die quantitative Analyse als Überblick zur Bedeutung von jugendlichen Bezugsdimensionen auf die Erwerbsarbeit, der Überprüfung relevanter Einflussfaktoren sowie der Vorbereitung der qualitativen Analyse. In dieser geht es entsprechend darum, sowohl das subjektive Verhältnis Jugendlicher zur Erwerbsarbeit in der angemessenen Tiefe und Komplexität herauszuarbeiten, als auch auf dessen Verbindungen zu gegenwärtigen Bedingungen der Adoleszenz zu überprüfen. Hierfür wurden narrativ fundierte, leitfadengestützte Interviews mit 14- bis 19-jährigen SchülerInnen geführt. Die Analyse dieser Interviews anhand der Dokumentarischen Methode bietet die notwendige Reflexion und Schärfe, um einer Analyse des gegenwärtigen Verhältnisses Jugendlicher zur Erwerbsarbeit gerecht zu werden. Der Aufbau des Kapitels folgt abermals einem Dreischritt: Noch vor der Analyse und Ergebnispräsentation gilt es, einer dauerhaften Schwammigkeit des Forschungsgegenstands in der Literatur (und der vorliegenden Studie) entgegenzuwirken. Das liegt zwar einerseits am subjektiven Verhältnis Jugendlicher und dessen historischer Wandelbarkeit, andererseits jedoch auch an einem Forschungsfeld, das für den gleichen Gegenstand unterschiedliche Konzepte verwendet bzw. unterschiedlichen Gegenständen die gleichen Begriffe zuweist (vgl. Kapitel 2.3). Teilkapitel 3.1 dient daher der inhaltlichen Reflexion des subjektiven Verhältnisses zur Erwerbsarbeit sowie dessen theoretischer Einbettung. Im Mittelpunkt steht hierbei insbesondere dessen Unterteilung in zwei bzw. drei Perspektiven, Orientierungen oder Wertekomplexe. Nicht zuletzt aufgrund der theoretischen Nähe stellen abermals die Studien von Baethge und KollegInnen (1988) einen passenden Ausgangspunkt dar (Kapitel 3.1.1). Während hier über die Unterscheidung zweier Anspruchshaltungen (sinnhaft-subjektbezogen vs. materiell-reproduktionsbezogen) zwei »Perspektiven« auf die Erwerbsarbeit analytisch und theoretisch getrennt werden, hat sich in weiten Teilen der quantitativen Forschung eine Dreiteilung geschlossener »Orientierungen« etabliert, die weitestgehend auf einem rein empirischen Konzept von Morris Rosenberg (1980) basiert (Kapitel 3.1.2). Dass diese Dreiteilung nicht nur empirisches Potential besitzt, sondern durchaus auch theoretische Anschlussfähigkeit, steht gerade deshalb zur Diskussion (Kapitel 3.1.3), weil die qualitative Analyse in der vorliegenden Studie ebenso drei Perspektiven auf die Erwerbsarbeit unter Jugendlichen rekonstruiert. Wie oben ausgeführt steht im folgenden Teilkapitel 3.2 die quantitative Empirie im Mittelpunkt. Dem klassischen Vorgehen quantitativer Analysen entsprechend stehen den deskriptiven und multivariaten Analysen des ALLBUS (Kapitel 3.2.1) und des NEPS (Kapitel 3.2.2) jeweils Erläuterung zu Daten, Methode und Operationalisierung voran. Abschließend geht es um die Relevanzen, die sich aus den quantitativen für die darauffolgenden qualitativen Analysen ergeben (Kapitel 3.2.3). Den größten Teil der empirischen Analyse nimmt die qualitative Analyse des Verhältnisses Jugendlicher zur Erwerbsarbeit ein (Kapitel 3.3). Anschließend an Erläuterungen zum Sampling und des zur Verfügung stehenden Materials (Kapitel 3.3.1) sowie
3. Empirische Analysen
die Darstellung der Dokumentarischen Methode nach Nohl als verwendete Auswertungsmethode (Kapitel 3.3.2) erfolgt eine erste deskriptive Annäherung an das Interviewmaterial (Kapitel 3.3.3). Hierbei stehen insbesondere strukturelle adoleszenzspezifische Merkmale des Samples im Mittelpunkt. Diese erste Annäherung ermöglicht ein Gefühl für das Sample und einen Einblick in die hier erfassten jugendliche Lebenswelten sowie die darin ersichtlichen »Widersprüche der Adoleszenz« (vgl. Kapitel 2.2.4). Das subjektive Verhältnis Jugendlicher zur Erwerbsarbeit steht in den zwei zentralen Kapiteln der qualitativen Analyse im Mittelpunkt: Passend zur theoretisch-analytischen Trennung dreier Perspektiven auf die Erwerbsarbeit werden diese auch aus dem vorliegendem Material rekonstruiert. Über welche Bezugsdimensionen sich diese Perspektiven auszeichnen, deren Relevanz und Strukturierung, wird entlang der qualitativen Empirie in Kapitel 3.3.4 erläutert. Dass sich die interviewten Jugendlichen jedoch nicht einfach über eine einzelne Perspektive auszeichnen, sondern gerade die Verschränkung dieser Perspektiven vor dem Hintergrund gegenwärtig widersprüchlicher Adoleszenzbedingungen das »Typische« im hier rekonstruierten Verhältnis Jugendlicher zur Erwerbsarbeit darstellt, ist Gegenstand des abschließenden Kapitels 3.3.5.
3.1
Zur Differenzierung jugendlicher Perspektiven auf die Erwerbsarbeit
Die Darstellung der normativen Subjektivierungsthese und auch der Überblick zum Forschungsstand verdeutlichen, dass zur empirischen Erfassung des subjektiven Verhältnisses Jugendlicher zur Erwerbsarbeit für gewöhnlich eine Zwei- oder Dreiteilung von Orientierungen, Perspektiven, Einstellungs-, Interessens- oder Wertemustern vorgenommen wird. Arbeitsmarkt- und Subjektorientierung (Oechsle, 2009b), arbeitsinhaltliches und Gratifikationsinteresse (Hauff, 2008), materiell-reproduktionsbezogene und sinnhaft-subjektbezogene Ansprüche (Baethge, 1994b), materielle, subjektbezogene und soziale Orientierungen (Fischer & Eichler, 2015; Heidenreich, 1996; Heinemann, 1978) etc. Während ein Großteil dieser Differenzierungen inhaltliche Überschneidungen aufweist, ist es bei genauerem Blick sehr auffällig, dass dabei kaum theoretisches Fundament besteht – insbesondere im quantitativen Bereich. Die Zwei- und Dreiteilung tritt hier als natürliches Phänomen in Erscheinung, das sich qua Faktorenanalyse aus den Daten (re)konstruieren lässt (P. Schmidt, 1983). Auf welchen theoretischen Grundlagen die Item- und Skalenkonstruktionen basieren, ist in positivistischer Manier meist zweitrangig. In den folgenden Abschnitten wird daher erstens anhand der Studien zur normativen Subjektivierung rekapituliert, wie die Zweiteilung von (jugendlichen) Perspektiven auf die Erwerbsarbeit in der qualitativen Forschungslandschaft theoretisch fundiert ist. Im Mittelpunkt steht dabei die Differenzierung von »Subjekt-Perspektive« und »Arbeitskraft-Perspektive« nach Schumann und KollegInnen (1982), aus der Baethges Unterscheidung von sinnhaft-subjektbezogenen und materiell-reproduktionsbezogenen Ansprüchen an die Erwerbssphäre resultiert (Baethge et al., 1988). Zweitens steht die Berufswerte-Skala zur quantitativen Erfassung von »Arbeitsorientierungen« von Morris Rosenberg (1980) im Mittelpunkt. Es handelt sich dabei um die zentrale
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Adoleszenz und Arbeit
Itembatterie in der quantitativen Forschungslandschaft, die seit nun fast 70 Jahren angewendet wird und auch Bestandteil der hier ausgewerteten Datensätze des ALLBUS ist. Was Rosenbergs Skala jedoch fehlt, ist eine theoretische Untermauerung ihrer Items und daraus ableitbaren Orientierungen bzw. Perspektiven, weshalb diese in einem dritten Schritt vorgenommen wird. Grundlage stellen entfremdungstheoretische Überlegungen in Anschluss an Marx sowie Motive sozialen Handelns nach Weber dar.
3.1.1
Die doppelte Perspektive auf Erwerbsarbeit in der normativen Subjektivierungsthese
Die normative Subjektivierungsthese besagt, dass materiell-reproduktionsbezogene Ansprüche an die Erwerbsarbeit gegenüber sinnhaft-subjektbezogenen Ansprüchen unter Jugendlichen und jungen Erwachsenen aufgrund eines gesellschaftlich zunehmend nivellierten adoleszenten Moratoriums abnehmen (Baethge, 1994b; vgl. Kapitel 2.1.2). Baethge und KollegInnen (1988, S. 166-181) leiten ihre Unterscheidung zweier zentraler Perspektiven auf die Erwerbsarbeit nicht nur aus der Empirie ab, sondern orientieren sich dabei am Konzept des »doppelten Bezugs auf Arbeit« von Schumann und KollegInnen (1982). In ihren Studien zum Wandel der Werftindustrie unterscheiden sie eine »Arbeitskraft-Perspektive« und eine »Subjekt-Perspektive« (M. Schumann et al., 1982, S. 292-309), aus denen heraus ArbeiterInnen die Erwerbssphäre und ihre konkrete Tätigkeien betrachten. Die Trennung dieser Perspektiven ist rein analytisch, d.h. »daß einerseits der Arbeiter als Mittel zur Reproduktion nur über seine Arbeitskraft verfügt und die Anwendung seines Mittels im Produktionsprozeß zugleich dessen Verschleiß bedeutet, und daß andererseits Arbeit auch immer Anwendung subjektiver Fähigkeit bedeutet.« (M. Schumann et al., 1982, S. 294) In der Arbeitskraft-Perspektive betrachten sich ArbeiterInnen demnach als BesitzerIn von Arbeitskraft – es geht vor allem um die Sicherheit des Arbeitsverhältnisses und um das Einkommen. Diese Perspektive erläutern Schumann und KollegInnen kaum, verstehen sie als »im Status des Arbeiters als Lohnarbeiter begründet« (M. Schumann et al., 1982, S. 296). Unter kapitalistischen Bedingungen sind ArbeiterInnen gezwungen, sich über die Arbeitskraft-Perspektive auf die Erwerbsarbeit zu beziehen. In der zweiten Perspektive steht die »Ich-Identität« (Baethge et al., 1988, S. 403; M. Schumann et al., 1982, S. 297) im Mittelpunkt, es geht um das Erleben von Erwerbsarbeit als »subjektive und sinnhafte Tätigkeit« (M. Schumann et al., 1982, S. 27). »Ich-Identität als die stets prekäre Balance zwischen personaler Identität und inkonsistenten Normen und Rollenerwartungen ist kein anthropologisch abgesichertes, vorrangiges Bedürfnis jedes Einzelnen nach Einzigartigkeit. Sie ist vielmehr strukturell begründet in der Notwendigkeit, angesichts inkonsistenter bzw. konfligierender Erwartungen situationsspezifische Kompromisse zu finden, damit Handeln überhaupt zustande kommt.« (M. Schumann et al., 1982, S. 298) Obwohl Schumann und KollegInnen identitätstheoretisch argumentieren, unterscheiden sie sich von den Studien zur normativen Subjektivierung dahingehend, dass sie
3. Empirische Analysen
(Werft-)ArbeiterInnen und nicht Jugendliche und junge Erwachsene untersuchen. Sie fragen nicht, wie es zur besonders starken Betonung und Einforderung personaler Identität im Arbeitsprozess kommt; ihnen geht es vielmehr darum zu zeigen, dass es diese personale Identität gezwungenermaßen im Arbeitsprozess und im Bezug auf die Erwerbsarbeit bei allen ArbeiterInnen gibt (M. Schumann et al., 1982, S. 298). So legt gemäß Schumann und KollegInnen (1982, S. 294) jede/r ArbeiterIn eine Doppelperspektive an, die sich nur im »Grad der Differenziertheit und dem Gewicht der jeweiligen Bezugsweise« unterscheidet. Mit ihrer Betonung der rein analytischen Trennung setzen sich Schumann und KollegInnen zudem dezidiert von Modellen der »Arbeitsorientierung« ab (insb.: Kudera et al., 1979), die für gewöhnlich anhand jener Perspektiven kategorisiert/typologisiert werden. Diese Trennung heben Baethge und KollegInnen tendenziell, spätestens jedoch daran anschließende (häufig quantitative) Studien auf. Sie unterscheiden recht klar jugendliche Ansprüche anhand einer dominanten Perspektive auf Erwerbsarbeit (sinnhaft-subjektbezogen vs. materiell-reproduktionsbezogen). Die Studien des Göttinger SOFI zielen zudem nicht mehr nur auf die grundlegende Analyse des subjektiven Verhältnisses zur Erwerbsarbeit, sondern entwicklungspsychologisch und sozialisationstheoretisch fundiert auf die Frage, unter welchen Bedingungen die Subjekt-Perspektive eine übergeordnete Rolle einnimmt (vgl. Kapitel 2.1.2). Inhaltlich konstituieren sich Arbeitskraft- und Subjekt-Perspektive jedoch über ähnliche Bezugsdimensionen wie Baethges zweigeteilte Anspruchshaltungen und entsprechend verweisen die Studien des Göttinger SOFI stets auf die Werftstudien, wenn es um die theoretische Untermauerung der eigenen Kategorien geht (Baethge et al., 1988, S. 166-167; M. Schumann et al., 1982, S. 302-306).
3.1.2
Occupations, Values and Orientations – Rosenbergs Value Complexes
Quantitative Studien zu Arbeitsorientierungen, Perspektiven, Berufswerten, Erwerbsmotiven usw. unterscheiden sich sowohl in ihren theoretischen Grundlagen, ihren angewandten Methoden sowie in ihren empirischen Erkenntnissen (vgl. Kapitel 2.3). Trotz ihres unterschiedlichen Erkenntnisinteresses greifen sie in den allermeisten Fällen auf identische oder nur geringfügig angepasste Itembatterien zurück, deren gemeinsame Herkunft häufig die Kategorisierung von »Berufswerten« und »Arbeitsorientierungen« nach Morris Rosenberg (1980) ist. Im deutschsprachigen Raum findet eine adaptierte Version seiner Berufswerte-Skala bspw. in der Befragung des hier verwendeten ALLBUS Anwendung (Allmendinger et al., 1983; Weinhardt & Schupp, 2011). Es ist erstaunlich, dass trotz der Verwendung von Rosenbergs Skala und der regelmäßigen Zitation seiner Studien das Messinstrument selbst nur selten thematisiert wird (Fischer & Eichler, 2015; P. Schmidt, 1983). Im Folgenden stehen daher eben jene Berufswerte-Skala sowie deren Rezeption in der deutschsprachigen Forschungscommunity im Mittelpunkt. In seiner Dissertation Occupations and Values entwickelt Rosenberg (1980 [1957]) ein Messinstrument zu verschiedenen Berufswerten, die sich zu Arbeitsorientierungen zusammenfassen lassen. Es beinhaltet zehn Items, bei denen die Befragten angeben mussten, welche Bedingungen ein Job oder eine Karriere erfüllen müsse, damit es ein »ideal job or career« für sie wäre.
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Adoleszenz und Arbeit
• • • • • • • • • •
»Provide an opportunity to use my special abilities or aptitudes.« »Provide me a chance to earn a good deal of money.« »Permit me to be creative and original.« »Give me social status and prestige.« »Give me an opportunity to work with people rather than with things.« »Enable me to look forward to a stable, secure future.« »Leave me relatively free of supervision by others.« »Give me a chance to exercise leadership.« »Provide me with adventure.« »Give me an opportunity to be helpful to others.«
Dabei mussten sie die Bedeutung (importance) der einzelnen Bedingungen erst einstufen (high – medium – low) und abschließend die wichtigste Bedingung bestimmen (most important). Aus den zehn Items entwirft Rosenberg drei value complexes. Die Methode, mit der er die verschiedenen Wertekomplexe herausarbeitet (Rosenberg 1957: 11 & Appendix A), erinnert an eine verkürzte Faktorenanalyse. Einen value complex bilden demnach diejenigen Items, die besonders stark miteinander korrelieren. Rosenberg extrahiert drei Faktoren aus dem Datenmaterial und unterscheidet people-orientated, extrinsic rewardorientated und self-expression-orientated value complexes (Rosenberg, 1980, S. 11-12). Erstgenannter bezieht sich auf das Bedürfnis nach zwischenmenschlichen Beziehungen in der Erwerbsarbeit. Der extrinsische Wertekomplex beschreibt ein instrumentelles Verhältnis zur Erwerbsarbeit. Hierbei stehe reward und nicht gratification (im Sinne sozialer Bedürfniserfüllung) im Vordergrund. Das Einbringen eigener Potentiale, die Suche nach Herausforderung und die Einforderung subjektiver Entfaltungsmöglichkeiten sind Bestandteile des self-expression value complexes (vgl. Rosenberg 1957: 12f.). »In other words [...] one type of student tends to ask: What reward will I get for my work. A second type poses the question: Will it be a challenging, creative experience? And a third type inquires: Will I enjoy working with the people?« (Rosenberg 1957: 13) Mehr als unglücklich ist die Tatsache, dass Rosenberg nicht erläutert, wie die ursprünglichen zehn Items entwickelt wurden. Es bleibt im Dunkeln, auf welchen Grundannahmen diese basieren, ob es Pretests gab und warum bestimmte Aspekte nicht abgefragt wurden (bspw. Vereinbarkeitsdimensionen, Freizeitbedürfnisse o. ä.). Eine theoretische Fundierung der drei value complexes oder »type[s] of student[s]« liefert er nicht (P. Schmidt, 1983). Nichtsdestotrotz findet Rosenbergs Skala rege Verwendung in der quantitativen Sozialforschung und wird in allerlei Kontext interpretiert. Empirisch identische Items werden als self-expression-orientated value complexes, intrinsische Arbeitsmotivationen, sinnhaft-subjektbezogene Arbeitsorientierungen oder arbeitsinhaltliches Interesse interpretiert. Die Skala passt sich also nicht selten einem gewissen Forschungsinteresse an. Grundlegend bleibt es jedoch bei der Unterscheidung dieser drei Orientierungsmuster, die sich letztlich aus dem erhobenen Material ergeben. Während es bei Rosenberg bereits ärgerlich ist, dass man wenig über die Konstruktion der Skala erfährt, verläuft deren Übertragung in die deutschen Sozialwissenschaften ebenfalls durchwachsen.
3. Empirische Analysen
Erstmals übersetzt wurden die Items von einer Konstanzer Forschungsgruppe zur Hochschulsozialisation (Bargel et al., 1976). Allerdings wurden diese Items zu keinem Zeitpunkt vollständig oder in identischer Form in eine repräsentative Erhebung übernommen. Teilweise wurden sie gestrichen, teilweise modifiziert oder durch neu entwickelte Items ergänzt (Weinhardt & Schupp, 2011). In der Allgemeinen Bevölkerungsumfrage der Sozialwissenschaften (ALLBUS) werden in Anschluss an Rosenberg bspw. bis zu vierzehn Berufsmerkmale und deren subjektiv wahrgenommene Wichtigkeit auf einer siebenstufigen Likert-Skala abgefragt (Allmendinger et al., 1983; vgl. Kapitel 3.2.1). Rosenbergs Skala stellt im deutschsprachigen Raum zwar die populärste Skala zur Analyse des subjektiven Verhältnisses (Jugendlicher) zur Erwerbsarbeit dar; auf internationaler Ebene gibt es jedoch etliche Alternativen. Während ein Großteil dieser Skalen insbesondere die Anzahl an Items bzw. value complexes erhöht, bleiben diese jedoch teilweise ebenfalls ohne theoretischen Unterbau (E. Albert, 2011, S. 58-60; Dose, 1997; Halaby, 2003; Lofquist & Dawis, 1978; Lyons et al., 2009; Miller & Swanson, 1958; O’Connor & Kinnane, 1961; Super, 1973). Dass es in der deutschen Sozialforschung bereits erste Adaptionsversuche dieser Alternativen zur Erfassung von Bezugsdimensionen und Perspektiven auf die Erwerbsarbeit gibt, wird in den Darstellungen zum Nationalen Bildungspanel erläutert (MOW International Research Team, 1987; vgl. Kapitel 3.2.2). Anstatt also die Dreiteilung von Orientierungen oder Perspektiven auf die Erwerbsarbeit theoretisch zu unterfüttern, bewegt sich die Skalenkonstruktion eher in Richtung Vervielfältigung und Aufsplittung dieser Perspektiven, ohne zu klären, warum sich Jugendliche oder ArbeiterInnen überhaupt derart auf die Erwerbssphäre beziehen.
3.1.3
Rosenberg, Marx und Weber. Soziologische Anknüpfungspunkte an eine Dreifachperspektive
Die Dreiteilung von Perspektiven auf die Erwerbsarbeit erweitert einen Großteil der qualitativen Forschungslandschaft um eine eigenständige soziale Dimension (Baethge et al., 1988; Kölzer, 2014; Oechsle et al., 2009; Queisser, 2010). Sie ist Bestandteil etlicher quantitativer Studien zum Verhältnis Jugendlicher zur Erwerbsarbeit (Fischer & Eichler, 2015; Hauff & Kirchner, 2014; Heidenreich, 1996; Heidenreich & Braczyk, 2003), wobei sie meist wie ein kaum beachtetes Nebenprodukt von Rosenbergs Skalenkonstruktion wirkt (Brinck et al., 2020). Zwei Möglichkeiten, die Dreiteilung des subjektiven Verhältnisses zur Erwerbsarbeit sozialtheoretisch zu fundieren, werden daher im Folgenden knapp skizziert. Beide integrieren zu gewissen Teilen den oben dargestellten Ansatz von Schumann und KollegInnen (1982) bzw. Baethge und KollegInnen (1988) und ergänzen ihn jeweils um eine soziale Komponente. Die vorgeschlagene Perspektivenerweiterung um Marx und Weber ist einerseits als Beitrag zur arbeits- und jugendsoziologischen Debatte zum subjektiven Verhältnis Jugendlicher zur Erwerbsarbeit zu verstehen, andererseits aber auch als direkter Vorgriff einer theoretischen Untermauerung der hier vorgenommenen Empirie. Denn sowohl in den im Folgenden gerechneten quantitativen Analysen mit dem ALLBUS als auch in den qualitativen Analysen zeigen sich drei typische Perspektiven auf die Erwerbsarbeit (sinnhaft-subjektbezogen, materiell-reproduktionsbezogen und sozial).
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Adoleszenz und Arbeit
Eine Möglichkeit, die Dreiteilung von Perspektiven auf Erwerbsarbeit theoretisch zu fassen, bieten entfremdungstheoretische Überlegungen in Anschluss an Marx.1 Er arbeitet drei Dimensionen abhängiger Lohnarbeit in kapitalistischen Gesellschaften für ArbeiterInnen heraus: eine reproduktive Dimension, die der materiell-reproduktionsbezogenen Perspektive entspricht; eine expressive Dimension, die sich in der sinnhaftsubjektbezogenen Perspektive wiederfindet; eine interaktive Dimension, deren Grundgedanke in der sozialen Perspektive mitschwingt. Die Bezugsdimension der Reproduktion ergibt sich aus einer grundlegenden Bedingung des Kapitalismus: die soziale Lage der ArbeiterInnen zeichnet sich nach Marx (1988a, S. 181-184) durch eine »doppelte Freiheit« aus. Die »doppeltfreien LohnarbeiterInnen« erhalten einerseits Bürgerrechte, sind von ihren feudalistischen und ständischen Fesseln befreit, sie sind allerdings auch frei von Produktionsmitteln und müssen ihre Arbeitskraft verkaufen. Dementsprechend stellt Erwerbsarbeit das zentrale Mittel zur individuellen Reproduktion dar. Es geht erstens um die Möglichkeit und Sicherstellung jener Reproduktion, also um die Orientierung an einem sicheren Arbeitsplatz im doppelten Sinne: sowohl hinsichtlich der vertraglichen Situation (Entfristung, Kündigungsschutz usw.) als auch der gesundheitlichen Sicherheit der Tätigkeit. Zweitens geht es um das Reproduktionsniveau, das in Zeiten zunehmender Unsicherheit und Prekarität häufig gegen den ersten Aspekt ausgespielt wird. In Anschluss an Marx ergibt sich eine materiell-reproduktionsbezogene Perspektive auf die Erwerbsarbeit als notwendiges Resultat gesellschaftlicher, kapitalistischer Bedingungen (ähnlich: M. Schumann et al., 1982, S. 296). Die Bedeutung der Expression wohnt, folgt man gerade dem frühen Marx, der Arbeit bereits inne, sie ist grundlegende Funktion menschlicher Arbeit. »Das Produkt der Arbeit ist die Arbeit, die sich in einem Gegenstand fixiert, sachlich gemacht hat, es ist die Vergegenständlichung der Arbeit. Die Verwirklichung der Arbeit ist ihre Vergegenständlichung.« (Marx, 1844, S. 511-512; Hervorhebung im Original) Im bearbeiteten Objekt kann sich der Mensch als aktives Subjekt wahrnehmen – er vergegenständlicht sich darin, kann sich wiedererkennen, bewerten und somit »zum Objekt für sich selbst und seine eigene Wahrnehmung werden« (Israel, 1985, S. 55). Unter Arbeit, die Marx (1844, S. 516) als wichtigste »Lebenstätigkeit« hervorhebt, versteht er sowohl die Möglichkeit individueller Selbstverwirklichung als auch der Verwirklichung des Menschen als Gattungswesen. An diese expressive Dimension schließt die Entfremdungsthese an: das Kapital ist gegenüber dem expressiven Aspekt der Arbeit gleichgültig, der kapitalistische Verwertungsprozess untergräbt den konkreten Arbeitsprozess und somit das expressive Potential – Baethges normative Subjektivierungsthese zielte genau auf diese Bezugsdimension und einen verstärkten Anspruch darauf unter Jugendlichen und jungen Erwachsenen (Baethge, 1994b). Dementsprechend stimmen
1
An dieser Stelle sei Prof. Dr. Rainer Trinczek für die Zurverfügungstellung eines Vortragsmanuskripts gedankt. In diesem entfaltet er eben jene Überlegung, das quantitativ stets dreigeteilte subjektive Verhältnis zur Erwerbsarbeit entlang von Marx theoretisch zu unterfüttern. Eine ähnliche Zusammenführung von Rosenberg (1980) und der Marxschen Entfremdungstheorie findet sich bei P. Schmidt (1983).
3. Empirische Analysen
die Reproduktions- und Expressionsdimension weitgehend mit der »Arbeitskraft- und Subjektperspektive« von Schumann und KollegInnen (1982) überein. Marx (1844, 1988a) wusste jedoch auch, dass diesen zwei Perspektiven in kapitalistischen und auch schon in vorkapitalistischen Gesellschaften eine dritte Dimension zur Seite steht. Arbeit ist gesellschaftliche Arbeit und entsprechend arbeitsteilig organisiert – und abgesehen von der vereinzelten unmittelbaren Arbeit von Kleinstautarken ist sie das gegenwärtig mehr denn je. Gesellschaftliche Arbeit zeichnet sich nicht nur durch Arbeitsteilung, sondern notwendigerweise durch Kooperation und folgerichtig durch Interaktion aus. Auch auf den Aspekt der Interaktion bezieht sich die Entfremdungsthese von Marx. »Was von dem Verhältnis zu seiner Arbeit, zum Produkt seiner Arbeit und zu sich selbst, das gilt von dem Verhältnis des Menschen zum anderen Menschen, wie zur Arbeit und dem Gegenstand der Arbeit des andren Menschen.« (Marx, 1988b, S. 518) Menschen verlieren unter kapitalistischen Bedingungen ihre Menschlichkeit, werden sich selbst zum Mittel, verlieren daher die Fähigkeit, andere als Kooperationssubjekte wahrzunehmen. Aufgrund des Warencharakters ihrer Arbeitskraft sind sie gezwungen, sich wechselseitig wie Dinge zu behandeln. Die Dimension der Interaktion umfasst somit einen Anspruch gegen die soziale Komponente der Entfremdung, bezieht sich entsprechend auf (innerbetriebliche) Sozialbeziehungen, Möglichkeiten der Interaktion und das Arbeitsklima. Die drei Dimensionen der Reproduktion, Expression und Interaktion umfassen wesentliche Aspekte der drei hier rekonstruierten Perspektiven auf Erwerbsarbeit und der drei value complexes, wie sie seit Rosenberg (1980) quantitativ erfasst werden. Passend und ergänzend hierzu lässt sich an Webers Sinnebenen sozialen Handelns anschließen (Weber, 2009). Fragt man nach dem »subjektiv gemeinten Sinn«, der mit Erwerbsarbeit verbunden wird, dann lässt sich in seiner Tradition zwischen affektiven, wert- und zweckrationalen Bestimmungsgründen unterscheiden. Der Marxsche Aspekt der Reproduktion entspricht einem ökonomisch-zweckrationalen Sinn kapitalistischer Erwerbsarbeit. ArbeiterInnen verkaufen ihre Arbeitskraft in Anbetracht der Eigentumsverhältnisse notwendigerweise. Dieses Prinzip zwingt alle weiteren Sinnfragen in eine sekundäre, abhängige Position. In der von Erdheim, Baethge und vielen Studien zum subjektiven Verhältnis Jugendlicher zur Erwerbsarbeit gesetzten materiell-reproduktionsbezogenen Perspektive als Vorstufe des Subjektbezugs spiegelt sich diese sozial-objektive, funktionale Seite des Sinns von Erwerbsarbeit wider. Die Hauptfragestellung in der aktuellen Debatte um »sinnvolle Arbeit« zielt hauptsächlich auf die wertrationale und die affektive Dimension sozialen Handelns (Badura et al., 2018; Graeber, 2018b; Hardering, 2015). Man könnte deren zwei Kernfragen folgendermaßen reformulieren: Entspricht die Tätigkeit den Neigungen der Akteure? Erfüllt sie also einen affektiven, subjektbezogenen Sinn? Und: ist die Arbeit bzw. ihr Resultat normativ richtig? Leistet sie also einen wichtigen Beitrag für die Gesellschaft und erfüllt einen wertrationalen Sinn für die Akteure? Während die materiell-reproduktionsbezogene Perspektive dem zweckrationalen Sinn entspricht, ist die sinnhaft-subjektbezogene Perspektive von affektiven Motiven, erworbenen Neigungen und Interessen geprägt und die soziale Perspektive zeichnet sich
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Adoleszenz und Arbeit
durch wertrationale Bezüge, also sozial erworbene normative Vorstellungen aus. Gerade der wertrationale Aspekt erweitert bzw. ergänzt die interaktive Dimension, die sich von Marx ableiten lässt, um altruistische sowie um caritative Aspekte, die über die entfremdungstheoretische Interaktionsdimension hinausreichen.
3.2
Quantitative Analysen zum Verhältnis Jugendlicher zur Erwerbsarbeit
Bezugsdimensionen, Perspektiven und Orientierungen auf Erwerbsarbeit sind immer häufiger Bestandteil sozialwissenschaftlicher Datensätze (u.a. AID:A, ALLBUS, NEPS, SOEP-Jugendpanel). Eine wichtige Ursache hierfür stellt das interdisziplinäre Interesse dar, das sich in Generationendebatten und zugehörigen Veröffentlichungen der Sozial-, aber insbesondere der Wirtschaftswissenschaften spiegelt (vgl. Kapitel 2.3). Trotz des breiten Fundus an quantitativ orientierten Studien ergeben sich empirische Leerstellen. Sowohl eine historische Aufarbeitung von Bezugsdimensionen und Perspektiven auf die Erwerbsarbeit als auch multivariate, jugendspezifische Analysen des subjektiven Verhältnisses zur Erwerbsarbeit bleiben weitgehend aus. Beides steht daher im Mittelpunkt der folgenden quantitativen Analysen. Die vorliegende Studie nutzt Daten der Allgemeinen Bevölkerungsumfrage der Sozialwissenschaften (ALLBUS; Kapitel 3.2.1) sowie des Nationalen Bildungspanels (NEPS; Kapitel 3.2.2). Sie stellt folglich eine quantitative Sekundäranalyse dar (Friedrichs, 1985, S. 353-365). Deren Vorteil gegenüber einer Eigenerhebung liegt darin, dass die Operationalisierung von Bezugsdimensionen und Perspektiven auf die Erwerbsarbeit methodisch abgesichert ist und die Datenstruktur Trendanalysen erlaubt. So decken die verwendeten Daten des ALLBUS den Zeitraum von der normativen Subjektivierungsthese bis zu gegenwärtigen Debatten um eine widersprüchliche Adoleszenz ab. Das Nationale Bildungspanel bietet zusätzlich die Möglichkeit, jugendliche SchülerInnen stärker in den Fokus zu nehmen und strukturelle Einflüsse jugendlicher Lebenswelten auf das subjektive Verhältnis zur Erwerbsarbeit genauer zu überprüfen. Ziel der hier vorgenommenen quantitativen Analysen ist demnach, jugendliche Bezüge und Perspektiven auf die Erwerbsarbeit detailliert abzubilden, deren zeitlichen Wandel vergleichend nachzuvollziehen und strukturelle Bedingungen der Adoleszenz als Einflussfaktoren herauszuarbeiten.
3.2.1
»Arbeitsorientierungen« im Vergleich und im Wandel (ALLBUS 1982-2016)
Datensatz und Operationalisierungen Als Datengrundlage zur quantitativen Analyse des subjektiven Verhältnisses Jugendlicher zur Erwerbsarbeit und zu deren Vergleich mit verschiedenen Alterskohorten im Zeitverlauf dienen in dieser Studie Datensätze der Allgemeinen Bevölkerungsumfrage der Sozialwissenschaften (ALLBUS) aus den Jahren 1982, 1991, 2000, 2010 und 2016.2
2
Die konkreten Studiennummern der verwendeten ALLBUS-Datensätze lauten: ZA1160 (ALLBUS 1982), ZA1990 (ALLBUS-Basisumfrage 1991), ZA3450 (ALLBUS 2000; hier wurde sowohl auf Fälle der CAPI- als auch der PAPI-Befragung zurückgegriffen; ein Ausschluss der PAPI-Fälle führt zu
3. Empirische Analysen
Der ALLBUS ist ein Projekt der Gesellschaft Sozialwissenschaftlicher Infrastruktureinrichtungen (GESIS) und stellt eine deutschlandweit repräsentative Befragung dar. Seit 1980 werden hierfür im zweijährigen Turnus Querschnittserhebungen durchgeführt, die grundlegende soziodemographische und sozioökonomische Aspekte sowie gesellschaftliche und wissenschaftliche Themenfelder abdecken. Darüber hinaus beinhaltet der ALLBUS schwerpunktmäßige Trenderhebungen zur gesellschaftlichen Dauerbeobachtung von Einstellungen, Verhalten und sozialem Wandel in Deutschland. Diese Schwerpunktthemen werden im zehnjährigen Turnus erhoben. Zu ihnen zählt auch die »Wichtigkeit von verschiedenen Lebensbereichen und ausgewählten Berufsaspekten«. Bis zur sogenannten Wiedervereinigung stellten alle deutschen, wahlberechtigten und in Privathaushalten lebenden Staatsangehörigen der BRD und Westberlins die Grundgesamtheit der Befragung dar. Ab der Sondererhebung 1991 repräsentiert der ALLBUS »die gesamte erwachsene Wohnbevölkerung (d.h. Deutsche und AusländerInnen) in Privathaushalten in West- und Ostdeutschland« (zu Auswahl- und Stichprobenverfahren des ALLBUS: Wasmer et al., 2017). Eine Besonderheit des ALLBUS besteht in seiner Kombination mit dem International Social Survey Programme (ISSP; dazu: Haller et al., 2009), welches die Erhebung seit 1986 um weitere international vergleichbare Themenbereiche und Fragestellungen erweitert. Die hier analysierte Welle des Jahres 2016 beruht auf der Zusatzerhebung des ISSP.
Tabelle 1: Abgefragte Berufsmerkmale im ALLBUS 1982-2016
X = im Erhebungsjahr abgefragt; grau unterlegt = für die weiteren Analysen berücksichtigt; eigene Darstellung.
keiner relevanten Veränderung in der deskriptiven und multivariaten Analyse), ZA4610 (ALLBUS 2010) und ZA5250 (ALLBUS 2016).
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»Arbeitsorientierungen« werden in den Trenderhebungen des ALLBUS seit knapp vierzig Jahren über Items zur »Wichtigkeit verschiedener Berufsmerkmale« erhoben. Die Begrifflichkeiten der »Arbeitsorientierung« und jener »Wichtigkeit verschiedener Berufsmerkmale« entstammen dem Skalenhandbuch des Zentrums für Umfragen, Methoden und Analysen (ZUMA) (Allmendinger et al., 1983; Band 3). Gerade in Anschluss an die theoretischen Überlegungen des Teilkapitels 3.1 werden stattdessen im weiteren Verlauf der Studie die Begrifflichkeiten der »Perspektive« und darunter zu verortender »Bezugsdimensionen« verwendet. Die Daten des ALLBUS waren bereits Gegenstand diverser empirischer Studien im Kontext der normativen Subjektivierungsthese (M. Braun & Borg, 2004; Brinck et al., 2020; Fischer & Eichler, 2015; Hauff, 2008; Heidenreich, 1996; Heidenreich & Braczyk, 2003; Weinhardt, 2016), wurden jedoch nie zu einer vollständigen Trendanalyse herangezogen. Abgefragt werden verschiedene Merkmale und Aspekte von Erwerbsarbeit, deren Bedeutung die Befragten auf einer 7er-Likert-Skala angeben (1 = unwichtig; 7 = sehr wichtig).3 Unglücklicherweise ist die Skalierung der Items in der ISSP-Erhebung (2016) auf eine 5er-Likert-Skala reduziert. Ein Vergleich der Ausprägungsstärke mit diesem Jahrgang ist demnach erschwert, ein Ranking der Einzelitems dennoch möglich. Während sich die Operationalisierung an der Skala von Rosenberg orientiert (Allmendinger et al., 1983; Weinhardt & Schupp, 2011), fällt im Abgleich der Datensätze auf, dass die einzelnen Bezugsdimensionen nicht konsistent erhoben wurden (vgl. Tabelle 1). Es zeigt sich, dass 1982 und 1991 die meisten Items abgefragt wurden, im Jahr 2000 die Anzahl erhobener Variablen deutlich gesenkt und im Jahr 2010 wieder erhöht wurde. Im ISSP 2016 wurden sieben »klassische« Items erhoben und ein zusätzliches zur Wichtigkeit von Flexibilität. Die Analyse einzelner Bezugsdimensionen ist bereits für sich interessant. Quantitative Methoden erlauben darüber hinaus die Exploration und multivariate Analyse übergeordneter, latenter Perspektiven auf die Erwerbsarbeit, die sich aus dem Antwortverhalten der Befragten in den einzelnen Items ergeben. Typischerweise erfolgt die Operationalisierung dieser übergeordneten Perspektiven durch eine Faktorenanalyse und -extraktion aus den abgefragten Variablen (Allmendinger et al., 1983). Eine Faktorenanalyse dient grundlegend der Identifizierung latenter Variablen (»Faktoren«), die über systematisches Antwortverhalten in den Items einer Skala erfasst werden. Über das Verfahren können zudem Indices berechnet werden, die jeweils einen latenten Faktor abbilden. Die Ladung der Faktoren dient dabei als Gewichtung der zugrundeliegenden Items. Gegenüber ihren Vorteilen (Gewichtung/Berücksichtigung aller Items in einer Perspektive und Erzeugung standardisierter Indices) weist die Methode eine Schwäche auf: in der auch hier angewendeten Hauptkomponentenanalyse gilt die mathematische Annahme der Unabhängigkeit der identifizierten Faktoren (zur Methode: Backhaus et al., 2011; Fromm, 2010, S. 76-77). Problematisch wird dieses Verfahren jedoch erst dann, wenn Zusammenhänge zwischen Faktoren bzw. Perspektiven empirisch überprüft werden – dies ist in der vorliegenden Studie jedoch nicht der Fall. 3
Der konkrete Fragetext lautet: »Ich lese Ihnen jetzt Verschiedenes über die berufliche Arbeit und den Beruf vor. Für wie wichtig halten Sie persönlich diese Merkmale für die berufliche Arbeit und den Beruf?«.
3. Empirische Analysen
Zur besseren Vergleichbarkeit der Indices werden in den Faktorenanalysen ausschließlich Items verwendet, die über eine weite Zeitspanne abgefragt wurden (grau hinterlegt in Tabelle 1). Die Indices der Jahre 2000 und 2016 beruhen daher auf weniger Variablen als die Indices der Jahrgänge 1982, 1991 und 2010. Darüber hinaus gilt es darauf hinzuweisen, dass in Anschluss an bisherige Studien mit dem ALLBUS und im Sinne der besseren Vergleichbarkeit zwischen den Jahrgängen im ALLBUS 1982, 2000 und 2016 eine dreifaktorielle Lösung »erzwungen« wurde. Das bedeutet, dass der Eigenwert des dritten Faktors in beiden Jahrgängen jeweils sehr knapp geringer als 1 ist und somit eine geringere Varianzerklärung als die Einzelvariablen aufweist. Grundsätzlich erfolgt für alle deskriptiven Analysen mit dem ALLBUS und ISSP eine Gewichtung der Daten, die sich aufgrund des wechselnden Erhebungsdesigns der einzelnen Jahrgänge unterscheidet (Schulz, 2017; Terwey, 2014). Bei der Faktorenanalyse wurde eine Hauptkomponentenanalyse als Extraktionsmethode und ein orthogonales Rotationsverfahren (Varimax) durchgeführt (vgl. Tabelle 2). Die Kommunalität der einzelnen Items gibt an, wieviel Prozent der Varianz einer Variablen durch den Faktor erklärt wird. Entsprechend des theoretischen Hintergrunds der ALLBUS-Fragebogenkonstruktion (Allmendinger et al., 1983; Rosenberg, 1980) lassen sich aus den erhobenen Berufsmerkmalen drei latente Faktoren extrahieren: eine sinnhaft-subjektbezogene Perspektive (Faktor 1), eine materiell-reproduktionsbezogene Perspektive (Faktor 2) sowie eine soziale Perspektive (Faktor 3).4
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Alle Faktorenanalysen erfüllten die notwendigen Voraussetzungen entsprechend dem KaiserMeyer-Olkin-Kriterium und dem Bartlett-Test. Wie aus den Kommunalitätswerten im ALLBUS 1991 und 2010 ersichtlich, wird die Freizeitorientierung – wie schon in Vorgängerstudien – nur bedingt durch diese Faktoren abgebildet. Die Variable wird dennoch in die Faktorenanalyse und extraktion integriert. Ein Ausschluss hätte zudem kaum Einfluss auf die multivariaten Analysen (nur sehr vereinzelt verlieren/gewinnen knapp (nicht) signifikante Einflüsse an Signifikanz; in den Tendenzen bleiben jedoch alle Effekte bestehen).
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Adoleszenz und Arbeit
Tabelle 2: Ladungen auf die drei Perspektiven auf die Erwerbsarbeit nach der Rotation
Quellen: ALLBUS 1982/1991/2000/2010 & ISSP 2016; ALLBUS 1982: Personengewichtung nach ZUMA; ALLBUS 1991/2000/2010 & ISSP 2016: Ost-WestGewichtung; angezeigtes Minimum der rotierten Ladungen =.490; eigene Berechnungen.
Faktor 1 (sinnhaft-subjektbezogene Perspektive) stellt sich als empirischer Ausdruck der normativen Subjektivierungsthese dar. Er steht für intrinsische Motivation, vom Subjekt ausgehende Interessen, er zielt auf Autonomie und Eigenverantwortung in der Erwerbsarbeit. Der zweite Faktor (materiell-reproduktionsbezogene Perspektive) um-
3. Empirische Analysen
fasst extrinsische Motive, Sicherheits, aber auch Freizeitinteressen. Es geht weniger um Selbstverwirklichung als um Anerkennung bzw. Prestige, finanzielle Absicherung, aber auch Reichtum. Der dritte Faktor (soziale Perspektive) stellt den sozial nützlichen Moment der Erwerbsarbeit in den Mittelpunkt, betont caritative und kommunikative Aspekte. Die Ergebnisse der Faktorenanalyse passen also sowohl zur Rosenbergschen Konzeption der Skala und deren theoretischen Adaption im ALLBUS (Allmendinger et al., 1983; Rosenberg, 1980) als auch zu deren hier vorgenommenen theoretischen Einbettung (vgl. Kapitel 3.1). Aus diesen drei Faktoren werden über die Berechnung von Factorscores Indices extrahiert. Zwar liegt der Methode die oben problematisierte Annahme der statistischen Unabhängigkeit der drei Faktoren zugrunde; aufgrund der Standardisierung der Werte ermöglicht sie jedoch eine breite Methodenvielfalt und bessere Vergleichbarkeit der Ergebnisse.5 Neben einer deskriptiven Analyse erlaubt die quantitative Herangehensweise gruppenbezogene Vergleiche. Wie sich in Theorie und Forschungsstand herauskristallisiert, deuten sich insbesondere gesellschaftliche und institutionelle Ökonomisierungsprozesse, aber auch geschlechts- und migrationsspezifische sowie sozialräumliche Effekte als Einflussfaktoren auf das subjektive Verhältnis Jugendlicher zur Erwerbsarbeit an. Es ist nicht der Anspruch der vorliegenden Studie, diese Effekte quantitativ in ihrer Kausalität nachzuzeichnen – das ist allein aufgrund der Datenstruktur des ALLBUS nicht möglich (Steinhage & Blossfeld, 1999). Nichtsdestotrotz lassen sich Unterschiede im Querschnitt beschreiben und unter wechselseitiger Kontrolle der einzelnen Variablen analysieren. Im Mittelpunkt der vorliegenden Studie steht das subjektive Verhältnis Jugendlicher zur Erwerbsarbeit. Die quantitative Analyse ermöglicht, die Dimension des Alters weit über die Adoleszenzperspektive hinaus vergleichend zu analysieren. Der ALLBUS umfasst Personen ab dem 18. Lebensjahr. Das ist hinsichtlich der hier angewendeten
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Eine weitere Möglichkeit, verschiedene Perspektiven/Orientierungen auf Erwerbsarbeit zu operationalisieren, sei zumindest knapp diskutiert. Eine potentielle Alternative zur Indexbildung über Factorscores wäre die Generierung von additiven Indices über die stark auf den Faktoren ladenden Items. Einerseits hätte dies aufgrund der absoluten Identität der Indices in den verschiedenen Jahrgängen einen deutlichen methodischen Vorteil; andererseits ist weder die Anzahl der Items einzelner Faktoren in den Jahrgängen gleich (bspw. lädt das Item zur Freizeit neben der Erwerbstätigkeit nicht immer stark auf einem Faktor oder gleichzeitig auf zwei Faktoren), noch ist die Anzahl der Items überhaupt sonderlich groß – in einigen Erhebungen würden die Indices auf Informationen über nur zwei Variablen basieren. Der Vorteil der Factorscores – dass alle Variablen gewichtet in die Erstellung aller Indices einfließen und die potentiell unterschiedliche subjektive Bedeutung unterschiedlicher Bezugsdimensionen berücksichtigt wird – sowie die Anschlussfähigkeit an verschiedene quantitative Studien war letztlich ausschlaggebend für die Verwendung der Factorscores. Konkret wurden die Factorscores über das in SPSS implementierte Regressionsschätzverfahren berechnet (DiStefano et al., 2009). Da es sich um eine eher unübliche Konstruktion einer abhängigen Variable handelt, wird darauf hingewiesen, dass die Verwendung anderer Schätzverfahren bzw. Berechnungsformen von Factorscores nur zu geringfügigen Unterschieden in den Analyseergebnissen führen. Die klassische Verwendung additiver Indices führt ebenfalls zu vereinzelten Abweichungen in den Modellen, jedoch bleiben auch hier die grundlegend relevanten Strukturen und Zusammenhänge, die sich aus den folgenden Analysen ergeben, selbst bei vereinzelt fehlenden bzw. zusätzlichen Signifikanzen in ihrer Tendenz bestehen.
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Adoleszenzperspektive zwar ungünstig; nichtsdestotrotz wird diese Problematik reflektiert, im Sinne der empirischen Analyse dennoch das Alter von 18 bis 29 Jahren als »(Spät-)Adoleszenz« definiert. Diese Operationalisierung schließt nicht nur an quantitative Studien, sondern auch an die normative Subjektivierungsthese und zugehörige Empirie an (Fischer & Eichler, 2015; Hauff, 2008; Heidenreich, 1996); Baethge und KollegInnen (1988) dehnten den Adoleszenzbegriff ebenfalls aus, befragten »Jugendliche und junge Erwerbstätige« – eben jene Gruppe von 18- bis 29-Jährigen. Sowohl quantitative als auch qualitative Studien verweisen auf geschlechtsspezifische Unterschiede im subjektiven Verhältnis Jugendlicher zur Erwerbsarbeit (vgl. Kapitel 2.3). Die Operationalisierung des Geschlechts erfolgt in dieser Studie binär, d.h. es wird zwischen männlichen und weiblichen Befragten unterschieden. Erstens erhebt der ALLBUS keine weiteren Genderdimensionen, zweitens ist die adoleszenztheoretische Grundlage hinsichtlich queerer Adoleszenz und Orientierungsmuster überschaubar (bspw.: Naß et al., 2016). Der Migrationshintergrund konnte anhand der ALLBUS-Daten nicht gemäß der Definition des Statistischen Bundesamtes (2016) operationalisiert werden.6 Da in den Datensätzen bis ins Jahr 2010 keinerlei Informationen über das Geburtsland bzw. die Staatsangehörigkeiten der Eltern vorliegen, wird sich hier auf das Geburtsland der Befragten beschränkt. Statt einem Migrationshintergrund wird also die Geburt im Ausland statistisch erfasst.7 Hinsichtlich der Komplexität von Migrationseffekten, gerade in der Adoleszenz (King & Koller, 2009), ist diese Operationalisierung zwar problematisch, schließlich werden nur MigrantInnen »erster Generation« erfasst. Trotzdem könnten sich Migrationseffekte zeigen, insbesondere solche, die aus eigener Migrationserfahrung sowie der Adoleszenz- und Sozialisationsbedingungen des Herkunftslandes resultieren (Nohl, 2001; Zinnecker, 1991). Die Operationalisierung der sozialen Herkunft erfolgt in der vorliegenden Studie in Anschluss an Bourdieus Konzeption des Sozialen Raums, an das auch Kings Konzeption des »psychosozialen Möglichkeitsraums« anschließt (Bourdieu, 1985; King, 2013, 2014). Das ökonomische Kapital der Befragten wird über das Haushaltsnettoäquivalenzeinkommen erfasst. Die Operationalisierung über die OECD-Skala berücksichtigt sowohl die tatsächlichen finanziellen Ressourcen als auch die Größe sowie die Zusammensetzung eines Haushaltes (Butterwegge, 2010). Zur besseren Vergleichbarkeit, gerade in Anbetracht sozio-ökonomischer Veränderungen, wurde die Variable für die folgenden Analysen in drei relationale Kategorien unterteilt: »geringes Äquivalenzeinkommen« (unteres Quartil), »mittleres Äquivalenzeinkommen« (die mittleren Quartile) und »hohes Äquivalenzeinkommen« (das obere Quartil).8 Neben dem ökonomischen findet das kulturelle 6 7
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Eine Person weist demnach dann einen Migrationshintergrund auf, wenn sie selbst oder mindestens ein Elternteil nicht mit deutscher Staatsangehörigkeit geboren wurde. Für die ALLBUS-Daten des Jahres 1982 sei angemerkt, dass sich die Geburt im Ausland auch auf die Geburt in der Deutschen Demokratischen Republik oder ehemalige Gebiete Deutschlands beziehen kann. Für die Berechnung des OECD-Nettoäquivalenzeinkommen wurden alle erhältlichen Informationen zum Haushaltseinkommen verwendet, d.h. sowohl die offenen Angaben, bei denen es klassischerweise eine hohe Anzahl an missing values gibt, als auch die anschließend kategorisierten Abfragen, aus denen dann das Mittel der Kategorien zur Berechnung des Haushaltseinkommens
3. Empirische Analysen
Kapital in Form des Bildungsabschlusses der Befragten in den Analysen Berücksichtigung. Dieser repräsentiert institutionalisiertes und symbolisches kulturelles Kapital, verweist zudem auf inkorporiertes Kulturkapital (Bourdieu, 1983). Eine weitere Variable wird einerseits aus statistischen Gründen, andererseits aber auch inhaltlich sinnvoll in die Berechnungen integriert. Dass auch räumliche Sozialisationsdimensionen die Aspirationen und Perspektiven Jugendlicher beeinflussen, zeigt sich im Forschungsstand (M. Braun & Borg, 2004; Flohr et al., 2020; Weinhardt, 2016). Trotz eines anderen Fokus der vorliegenden Studie erweist sich die Berücksichtigung des Erhebungsgebiets – unterschieden nach den neuen und alten Bundesländern – daher als inhaltlich sinnvoll. Die Sozialisation in der Deutschen Demokratischen Republik und das Leben in den neuen Bundesländern wird gemeinhin mit weniger Möglichkeiten zur Individualität und somit mit materialistischen Werten in Verbindung gesetzt (Weinhardt, 2016, S. 81). Statistisch ergibt sich im ALLBUS aufgrund der gerechneten multivariaten Modelle und damit einhergehenden Schwierigkeiten der Gewichtung zusätzlich die Notwendigkeit, ab dem ALLBUS 1991 auf das Erhebungsgebiet zu kontrollieren.9 Dass Werthaltungen und Orientierungen kein endgültiges Resultat adoleszenter Sozialisationserfahrung sind, sich mit der Adoleszenz zwar formen, habituell verhärten und trotzdem wandelbar sind, dürfte eine soziologische Selbstverständlichkeit sein. Als bedeutender Einflussfaktor auf das subjektive Verhältnis zur Erwerbssphäre gilt insbesondere die Erwerbssphäre selbst (Hauff & Kirchner, 2014; Johnson et al., 2012; Johnson & Mortimer, 2011). Neben einem »growing realism« (Johnson, 2002), der eine Abnahme von intrinsischer Motivation und Selbstverwirklichungsaspiration bei Eintritt in die Erwerbssphäre beschreibt (ähnlich: Erdheim, 1988b), wird eine »accentuation« (Johnson et al., 2012) verhandelt, also eine Anpassung der eigenen Werte und Orientierungen an die jeweilige aktuelle Lebenssituation (Stichwort: »Wahlverwandtschaft«). Dementsprechend wird in multivariaten Analysen auf die Zugehörigkeit zu einer Berufshauptgruppe kontrolliert (ähnlich: Heidenreich, 1996). Diese wurden entsprechend der International
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verwendet wurde. Einzig im ALLBUS 1982 erfolgten keine kategorisierten Abfragen, weshalb es hier eine vergleichsweise geringe Fallzahl in den multivariaten Analysen gibt. Aufgrund der Berücksichtigung der Haushaltsgröße und -zusammensetzung in der Berechnung der Zielvariable wurden die Quartile mit personenbezogenen Gewichtungen berechnet. Eine Berechnung über die Haushaltstransformationsgewichtungen führt nur zu geringfügigen Abweichungen in den Werten und kaum zu relevanten Veränderungen der unten gerechneten Modelle. Die vorliegenden Multiplen Klassifikationsanalysen mit dem ALLBUS und auch mit dem NEPS wurden allesamt ungewichtet gerechnet – einerseits, weil die Gewichtung von Daten in multivariaten Verfahren durchaus umstritten ist (Gabler und Ganninger, 2010, S. 163; Terwey, 2014), andererseits aber auch aufgrund von Unklarheiten hinsichtlich der Funktionalität bzw. genauen Implementierung der Gewichtungen in den SPSS-Analysen, in denen die Multiple Klassifikationsanalyse eine kaum verwendete und nur noch über Syntax zugängliche Methode darstellt. Zur Absicherung der Ergebnisse wurde auf gewichtungsrelevante Faktoren kontrolliert. Im ALLBUS wurde in zusätzlichen Robustnesschecks aufgrund der teils disproportionalen Stichprobenziehung auch auf die Haushaltsgröße kontrolliert. Im ALLBUS 1991 wurden die Analysen zusätzlich auch mit Transformationsgewichten gerechnet. Die Ergebnisse erweisen sich hierbei jedoch als stabil. Im NEPS wurden zusätzlich gewichtete lineare Regressionsanalysen mit robusten Standardfehlern gerechnet sowie weitere Robustness-Checks durchgeführt (vgl. Kapitel 3.2.2).
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Standard Classification of Occupations (ISCO) operationalisiert (Ganzeboom & Treiman, 1996). In Analysen mit dem ALLBUS 1982 und 1991 wurden die Berufshauptgruppen nach ISCO-68 kontrolliert, im ALLBUS 2000 und 2010 nach ISCO-88 und im ISSP 2016 nach ISCO-08. Grundlegend ist dieses Vorgehen dahingehend problematisch, dass die Kontrolle auf unterschiedliche Variablen/Subkategorien die Vergleichbarkeit der Ergebnisse erschwert. Da jedoch a) keine ISCO-Kodierung durchgehend in allen verwendeten Datensätzen kodiert worden ist, b) die Transformation der ISCO-Kodierungen ineinander mit diversen Problemen behaftet ist und sich c) die Effekte der Analysen unabhängig der ISCO-Kodierungen als weitgehend robust erweisen, ist das gewählte Vorgehen durchaus sinnvoll.10 Die Datenaufbereitung sowie die deskriptiven und multivariaten Analysen mit den Daten des ALLBUS wurden mit IBM SPSS 26 gerechnet.
Deskriptive Analysen In einem ersten Schritt geht es darum, Trends über einen fast vierzigjährigen Zeitraum herauszuarbeiten, arbeitsbezogene Motive und Interessen in ihrer Bedeutung sowohl gesamtgesellschaftlich als auch jugendspezifisch nachzuzeichnen. Wie skizziert, werden hierfür ausschließlich Items der ALLBUS-Datensätze herangezogen, die mehrfach abgefragt worden sind. Fragen nach der Wichtigkeit von Flexibilität (ISSP 2016), Sinnhaftigkeit oder gesunden Arbeitsbedingungen (ALLBUS 1982 & 1991) bleiben daher unberücksichtigt. Items des ISSP 2016 können aufgrund ihrer abweichenden Skalierung nur im Sinne eines Rankings interpretiert werden. Welche relevanten Veränderungen in den Bezugsdimensionen und daraus abgeleiteten Perspektiven auf Erwerbsarbeit zeigen sich also zwischen den Jahren 1982 und 2016? Abbildung 1 veranschaulicht die Bedeutung verschiedener Merkmale von Erwerbsarbeit im gesamtgesellschaftlichen Durchschnitt (alle Altersklassen). Bereits auf den ersten Blick zeigt sich, dass jedes einzelne Item im Durchschnitt als »wichtig« wahrgenommen wird. Selbst der niedrigste Mittelwert von 4,6 beim Item zur Wichtigkeit von »viel Freizeit neben dem Beruf« liegt oberhalb der Mittelkategorie der Skala (1 = »unwichtig«/7 = »sehr wichtig«). Zudem zeichnet sich ab, dass es – gesamtgesellschaftlich betrachtet – in den vergangenen vierzig Jahren keine extremen Veränderungen in der durchschnittlichen Bedeutung einzelner Bezugsdimensionen gegeben hat. Zwar deuten sich Tendenzen und temporäre Bedeutungswandel einzelner Items an; die maximale Differenz der Mittel-
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Teilweise wurden Kategorien der ISCO-Kodierungen aufgrund zu geringer Fallzahlen (n < 25) unter »Nicht erwerbstätig/Sonstiges« zusammengefasst oder aus den Berechnungen exkludiert. Im ALLBUS 1982 wurden die »Leitenden Tätigkeiten im Öffentlichen Dienst« sowie »Land- und Forstwirtschaftliche Berufe« unter der ISCO-68-Kategorie »Nicht erwerbstätig/Sonstiges« zusammengefasst. In allen Datensätzen, in denen mit der ISCO-88 und ISCO-08 gerechnet wurden, wurden »Angehörige der regulären Streitkräfte/SoldatInnen« aufgrund extrem geringer Fallzahlen aus dem Sample genommen. Im ALLBUS 2016 wurden zusätzlich die »Fachkräfte in Land- und Forstwirtschaft und Fischerei« aus dem Sample ausgeschlossen. Entscheidende Veränderungen in der Existenz, Stärke oder Richtung eines Zusammenhangs aufgrund der Fallausschlüsse ergeben sich jedoch nicht. Auch bei Ausschluss/Umkodierung von Kategorien mit n < 100 erweisen sich die Ergebnisse als weitgehend robust.
3. Empirische Analysen
werte im Zeitraum von 1982 bis 2010 beträgt jedoch gerade einmal 0,41, was ca. 14 Prozent der möglichen Spannweite entspricht. Als durchgängig sehr stark ausgeprägt erweisen sich die Bedeutung einer sicheren Berufsstellung sowie das Interesse an Berufsinhalten. Knapp dahinter bewegen sich zwei weitere Items, die sich in der Faktorenanalyse als Bestandteil einer sinnhaftsubjektbezogenen Perspektive herausstellten (Selbständigkeit und Eigenverantwortung) sowie die Wichtigkeit des Kontakts mit Menschen. Knapp darunter bewegen sich die übrigen Bezugsdimensionen relativ stabil auf einem Niveau – einzig das durchgängig als am unwichtigsten gewertete Item zur Bedeutung der Freizeit neben der Erwerbsarbeit ist davon noch abgeschlagen. Während in der öffentlichen und wirtschaftspolitischen Debatte immer wieder Veränderungen von Orientierungsmustern und die Notwendigkeit diskutiert werden, diese mit der Arbeitssphäre in Einklang zu bringen, zeichnet sich ein solcher Wandel in der empirischen Analyse der Bedeutung verschiedener Merkmale von Erwerbsarbeit kaum ab – allerdings gibt es Ausnahmen: in der deskriptiven Betrachtung der Einzelitems fällt eine langsame, aber kontinuierliche Zunahme der Wichtigkeit einer sicheren Berufsstellung sowie eine Abnahme in der Bedeutung von hohem Einkommen und Freizeit neben der Erwerbsarbeit auf. Außerdem steigt gesamtgesellschaftlich die Einschätzung, dass caritative Elemente und Kontakt zu Menschen in der Erwerbsarbeit wichtig seien. Abbildung 2 veranschaulicht die Bedeutung verschiedener Merkmale von Erwerbsarbeit unter Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Der Vergleich der verschiedenen Kohorten (Spät-)Adoleszenter von 1982 bis 2016 bringt Spannendes zum Vorschein, das sich in wissenschaftlichen Debatten und im dargestellten Forschungsstand zum subjektiven Verhältnis Jugendlicher zur Erwerbsarbeit abzeichnet, jedoch im öffentlichen und teils auch im wissenschaftlichen Diskurs ausgeblendet wird. Erstens deutet sich in der Betrachtung der Einzelitems tatsächlich eine normative Subjektivierung von Erwerbsarbeit in den 1980er- und 1990er-Jahren an (Baethge et al., 1988; Baethge, 1994b). Bis auf wenige Ausnahmen übersteigt die von den Jugendlichen angegebene Bedeutung verschiedener Berufsaspekte grundsätzlich den altersunabhängigen Durchschnitt (vgl. Abbildung 1 & Abbildung 2). Diese Differenz der Werteausprägungen zwischen Jugend und der Gesamtbevölkerung zeigt sich im ALLBUS 1982 und 1991 insbesondere bei Bezugsdimensionen der sinnhaft-subjektbezogenen Perspektive. In der altersübergreifenden Grundgesamtheit liegen in diesen Jahren Sicherheitsaspekte und sinnhafte Ansprüche an die Erwerbsarbeit in ihrer zugemessenen Bedeutung fast gleichauf, wohingegen für Jugendliche besonders sinnhaft-subjektbezogene Ansprüche wie Eigeninteresse und Selbständigkeit im Vordergrund stehen. Während sich Baethge (1994b) einst der Debatte ums »Ende der Arbeitsgesellschaft« (Offe, 1983) kritisch entgegenstellte und »nur« daran festhielt, dass Jugendliche und junge Erwachsene nicht das Interesse an Erwerbsarbeit verloren hätten, sondern dass es sich inhaltlich verschoben habe, könnte diese These auf Grundlage der ALLBUS-Daten nicht nur gestärkt, sondern erweitert werden, denn Jugendliche messen Dimensionen-übergreifend allen Berufsaspekten eine starke Bedeutung bei. Einzig die Frage nach der Anerkennung einer Tätigkeit wird als vergleichsweise unwichtig bewertet.
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Abbildung 1: Die Bedeutung abgefragter Berufsmerkmale nach Erhebungsjahr (alle Altersklassen)
Quellen: ALLBUS 1982/1991/2000/2010 & ISSP 2016; ALLBUS 1982: Personengewichtung nach ZUMA; ALLBUS 1991/2000/2010 & ISSP 2016: Ost-West-Gewichtung; angegebene Werte: arithmetisches Mittel; ALLBUS 1982-2010: 7er-Likert-Skala (1 = unwichtig; 7 = sehr wichtig); ISSP 2016: 5er-Likert-Skala (1 = unwichtig; 5 = sehr wichtig); n1982 = 1483, n1991 = 3018, n2000 = 3739, n2010 = 2786, n2016 = 1615; eigene Berechnungen.
Abbildung 2: Die Bedeutung abgefragter Berufsmerkmale nach Erhebungsjahr (18- bis 29Jährige)
Quellen: ALLBUS 1982/1991/2000/2010 & ISSP 2016; ALLBUS 1982: Personengewichtung nach ZUMA; ALLBUS 1991/2000/2010 & ISSP 2016: Ost-West-Gewichtung; angegebene Werte: arithmetisches Mittel; ALLBUS 1982-2010: 7er-Likert-Skala (1 = unwichtig; 7 = sehr wichtig); ISSP 2016: 5er-Likert-Skala (1 = unwichtig; 5 = sehr wichtig); n1982 = 362, n1991 = 696, n2000 = 638, n2010 = 471, n2016 = 253; eigene Berechnungen.
3. Empirische Analysen
Zweitens deuten die Berufswerte im Trend an, dass die normative Subjektivierung als Adoleszenzphänomen auf den Zeitraum der 1980er- und 1990er-Jahre begrenzt bleibt. Während sinnhaft-subjektbezogene Berufswerte im altersunabhängigen Durchschnitt im Zeitverlauf konstant bleiben, nehmen sie in ihrer Bedeutung für Jugendliche und junge Erwachsene kontinuierlich ab und sind im Jahr 2010 gleichauf mit dem gesellschaftlichen Durchschnitt oder unterschreiten diesen. Dieser Trend passt zu den in Kapitel 2.2.4 herausgearbeiteten, zunehmenden Widersprüchen jugendlicher Sozialisation. Gerade Ökonomisierungsprozesse wurden hier als Bremse des adoleszenten Narzissmus, Einschränkung jugendlicher Möglichkeitsräume und Blockade einer adoleszenten Triangulierung thematisiert. Wie und ob sich gegenwärtige Bedingungen und Dynamiken der Adoleszenz konkret im subjektiven Verhältnis Jugendlicher zur Erwerbsarbeit spiegeln, gilt es jedoch auf anderem Wege zu prüfen (Kapitel 3.3.5) – die deskriptiven Ergebnisse der quantitativen Empirie geben zumindest erste Hinweise darauf, dass sich die Bedeutung verschiedener Merkmale von Erwerbsarbeit für Jugendliche und jungen Erwachsene zwischen 1982 und 2010 gewandelt hat. Einzig die schwer zu vergleichenden Werte des ISSP 2016 stehen dem Trend einer »Entsubjektivierung« des Verhältnisses Jugendlicher zur Erwerbsarbeit entgegen. Hier zeigt sich, dass im Vergleich aller Items die Bedeutung eines interessanten Berufs im Durchschnitt am wichtigsten bewertet wird. Dieser liegt jedoch gleichauf mit einer dritten Auffälligkeit: der Bedeutungszunahme einer sicheren Berufsstellung. Während subjektbezogene Aspekte tendenziell an Bedeutung verlieren, ist Jugendlichen und jungen Erwachsenen die Sicherheit des Arbeitsplatzes erstens nie unwichtig und hat zweitens wieder an Relevanz gewonnen. Ein Trend zur Re-Materialisierung (Fischer & Eichler, 2015, S. 394), im Sinne einer durchschnittlichen Zunahme materiell-reproduktionsbezogener Items, bestätigt sich in weiterführenden in Mittelwertvergleichen jedoch weder gesamtgesellschaftlich noch für Jugendliche und junge Erwachsene (vgl. Abbildung 3 & Abbildung 4).11 Was sich jedoch zeigt, ist eine Entsubjektivierung des jugendlichen Verhältnisses zur Erwerbsarbeit – sinnhaft-subjektbezogene Bezugsdimensionen verlieren unter (Spät-)Adoleszenten im Durchschnitt signifikant an Bedeutung – ein Trend, der sich gesamtgesellschaftlich nicht zeigt. Das heißt nicht, dass Jugendliche und junge Erwachsene keinerlei Subjektbezüge mehr aufweisen; diese überwiegen jedoch
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Aufgrund der unterschiedlichen Itemerhebungen in den ALLBUS-Jahrgängen wurden für die Mittelwertvergleiche ausschließlich die ALLBUS-Daten der Jahre 1982, 1991 und 2010 herangezogen. Hierfür wurden normierte additive Indices anhand derjenigen Items berechnet, die stark auf den jeweiligen Faktoren laden. In die Indices fließen folgende Items ein: Materiell-reproduktionsbezogen: Sichere Berufsstellung, Hohes Einkommen, Gute Aufstiegschancen, Anerkannter Beruf; Sinnhaft-subjektbezogen: Interessante Tätigkeit, Eigenverantwortung, Selbständige Tätigkeit; Sozial: Menschlicher Kontakt, Caritative Tätigkeit, Soziale Nützlichkeit. Da das Item zur »Freizeit neben der Erwerbstätigkeit« nicht kontinuierlich stark auf einen Faktor lädt, wurde es nicht berücksichtigt. Die Variable zum »Anerkannten Beruf« weist zwar ebenfalls erhöhte Ladungen auf anderen Faktoren auf, lädt jedoch stets am stärksten und mit Faktorladungen annähernd und größer .500 auf der materiell-reproduktionsbezogenen Perspektive. Bei Ausschluss der Variable würden sich die Werte des materiell-reproduktionsbezogenen Index jeweils um ca. 0,1-0,2 Punkte erhöhen, in der Tendenz jedoch stets gleich bleiben.
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Abbildung 3: Perspektiven auf Erwerbsarbeit im Zeitverlauf (alle Altersklassen)
Quelle: ALLBUS 1982 (n = 1483)/1991 (n = 3018)/2010 (n = 2786); ALLBUS 1982: Personengewichtung nach ZUMA; ALLBUS 1991/2010: Ost-West-Gewichtung; abgebildete Werte: Mittelwerte der additiven Indices und 95 %-Konfidenzintervalle; eigene Berechnungen.
Abbildung 4: Perspektiven auf Erwerbsarbeit im Zeitverlauf (18- bis 29-Jährige)
Quelle: ALLBUS 1982 (n = 362)/1991 (n = 696)/2010 (n = 471); ALLBUS 1982: Personengewichtung nach ZUMA; ALLBUS 1991/2010: Ost-West-Gewichtung; abgebildete Werte: Mittelwerte der additiven Indices und 95 %-Konfidenzintervalle; eigene Berechnungen.
die Bezugsdimensionen ihrer materiell-reproduktionsbezogenen Perspektive auf Erwerbsarbeit nicht mehr signifikant. Der Motor des Wertewandels und der normativen Subjektivierung dreht sich scheinbar nicht mehr – zumindest nicht mehr in der Adoleszenz. Soweit passen die Daten zu den Thesen (vgl. Kapitel 2.2.4). Was eine deskriptive Analyse jedoch nicht leistet, ist die Überprüfung des statistisch unabhängigen Einflusses des Alters sowie weiterer struktureller Einflussfaktoren auf das subjektive Verhältnis Jugendlicher zur Erwerbsarbeit. Hierfür bedarf es multivariater Analysemethoden.
Multivariate Analysen Aus der Theorie und dem Forschungsstand lassen sich diverse Einflussfaktoren ableiten, die sich in qualitativen und quantitativen Studien bereits als relevant herausgestellt haben (vgl. Kapitel 2). Die Frage ist, inwiefern Alter, soziale Herkunft, Geschlecht
3. Empirische Analysen
und weitere Faktoren signifikante und voneinander unabhängige Einflussgrößen auf die Ausbildung verschiedener Perspektiven auf die Erwerbsarbeit sind, und, welches subjektive Verhältnis zur Erwerbsarbeit zu welchem Zeitpunkt »jugendtypisch« ist. In Anschluss an und aufgrund der Vergleichbarkeit zu früheren quantitativen Studien im Kontext der normativen Subjektivierungsthese wird in der vorliegenden Studie ein Analyseverfahren gewählt, das sich in der multivariaten Datenanalyse gegenüber den »klassischen Regressionsanalysen« nicht durchgesetzt hat. Trotzdem erlaubt es sowohl verallgemeinernde Aussagen als auch die Kontrolle verschiedener Einflussvariablen aufeinander. Die multiple Klassifikationsanalyse ist mit einer multiplen linearen Regressionsanalyse vergleichbar und untersucht die Effekte mehrerer unabhängiger kategorialer Variablen auf eine metrische abhängige Variable (Andrews et al., 1973; Berger, 1981).12 Zur Überprüfung des Einflusses einer Variable werden bei der multiplen Klassifikationsanalyse vier Koeffizienten berechnet (Berger, 1981, S. 32-39): (1) Eta-Koeffizienten beziehen sich auf Mittelwertunterschiede innerhalb der Gruppen und geben den Einfluss einzelner Variablen an. (2) Beta-Koeffizienten geben die (vergleichbare) Stärke des Einflusses unter Kontrolle aller unabhängigen Variablen an. (3) Die unkorrigierte Abweichung gibt die Differenz des Mittelwerts einer Kategorie vom Gesamtdurchschnitt an. (4) Die korrigierte Abweichung gibt die Differenz des Mittelwerts einer Kategorie vom Gesamtdurchschnitt unter Berücksichtigung aller unabhängigen Variablen an. 12
Bei der multiplen Klassifikationsanalyse handelt es sich um ein additives Modell: Yij...n = Y + ai + bj + . . . + eij...n Yij...n = Wert der Beobachtung von n, das in die Kategorie i der unabhängigen Variablen A, der Kategorie j der unabhängigen Variable B…; Y= Mittelwert aller unabhängigen Beobachtungen; ai = Effekt der Zugehörigkeit zur Kategorie i der unabhängigen Variable A; bj = Effekt der Zugehörigkeit zur Kategorie j der unabhängigen Variable B; eij...n = Störterm. Als Voraussetzungen der Modelle gelten – wie bei jeder Varianzanalyse – erstens die Normalverteilung der abhängigen Variablen und zweitens deren Varianzhomogenität in den zu untersuchenden Gruppen. Während in allen Analysen des ALLBUS eine annähernde Normalverteilung der abhängigen Variablen gegeben ist, zeigen sich in vereinzelten Modellen Varianzheterogenitäten. Aufgrund der vergleichsweise geringen Bedeutung der Voraussetzungen bei großen Fallzahlen, der Unzuverlässigkeit der Tests auf Varianzhomogenität sowie der Robustheit der hier gerechneten Modelle in der bi-/multivariaten Ergebnisüberprüfung durch post-hoc-tests (gez. KruskalWallis- und Games-Howell-Tests sowie Regressionsanalysen) werden dennoch Multiple Klassifikationsanalysen gerechnet (Glass & Hopkins, 2005, S. 436). Dies gewährt letztlich auch den Anschluss an vorangegangene Studien, die allesamt mit den gleichen Daten und Methoden gerechnet haben (Fischer und Eichler, 2015; Hauff, 2008; Heidenreich, 1996). Für die Signifikanz der Einzeleffekte wurde in Anschluss an Berger (1981, S. 28-31), die zwar auf unterschiedliche, jedoch selten relevante Annahmen der F-Tests von Varianzanalyse und Multipler Klassifikationsanalyse hinweist, auf die ausgegebenen p-Werte der Varianzanalysen in SPSS zurückgegriffen. Diese bestätigen sich zudem weitgehend in den durchgeführten, jedoch hier nicht dargestellten robustness tests (post-hoc-Tests, teilmetrische und gekürzte Modelle, multiple Regressionsanalysen, Ausschluss gering besetzter Kategorien, Einschränkung der Altersklassen bis 75 Jahre usw.), die bei Interesse gerne beim Autor erfragt werden können.
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Pro Perspektive/Orientierung auf Erwerbsarbeit werden entsprechend der ALLBUS/ ISSP-Jahrgänge fünf Modelle gerechnet. Die Ergebnisse zur sinnhaft-subjektbezogenen Perspektive finden sich in Tabelle 4, die Ergebnisse der multiplen Klassifikationsanalyse zur materiell-reproduktionsbezogenen Perspektive in Tabelle 5 und die Berechnungen zur sozialen Perspektive in Tabelle 6. In allen Modellen sind sowohl die angegebenen Variablen als auch die Berufshauptgruppe nach der jeweils aktuellsten Version der ISCO-Kodierungen berücksichtigt. Die sinnhaft-subjektbezogene Perspektive 1982-2016 (Tabelle 4) Zur besseren Zugänglichkeit erfolgt vorab eine beispielhafte Interpretation zum Zusammenhang des Haushaltsnettoäquivalenzeinkommens mit der sinnhaft-subjektbezogenen Perspektive auf Erwerbsarbeit (vgl. Tabelle 3). Grundlegend gilt: Positive Werte stehen für eine überdurchschnittliche, negative für eine unterdurchschnittliche Ausprägung der Perspektive. Bei der ersten Variable (OECD-Einkommen) des Modells zum ALLBUS 1982 sind drei Zeilen (geringes, mittleres und hohes Niveau) sowie zwei Spalten zu unterscheiden. In der linken Spalte sind die Abweichungen der einzelnen Kategorien vom Gesamtdurchschnitt, in der rechten die jeweilige Abweichung unter Kontrolle auf alle unabhängigen Variablen abgebildet. In der linken Spalte zeigt sich, dass Personen mit einem mittleren Einkommensniveau zwar unterdurchschnittlich, aber trotzdem noch geringfügig subjektbezogener sind als Personen mit geringem Einkommensniveau. Einen deutlichen Unterschied zu beiden Gruppen weisen Personen mit hohem Einkommensniveau auf.
Tabelle 3: Beispielinterpretation
Der Wert ihres »Subjektbezugs« liegt im Sample 0,217 Punkte über dem Durchschnitt. Der konkrete Zahlenwert lässt sich allerdings kaum interpretieren. Es gilt vielmehr, die Relationen zu betrachten. Ist der Wert größer/kleiner Null und wie unterscheidet er sich in der Höhe von einer anderen Kategorie? Eta, das bei einem »perfekten Zusammenhang« den Wert 1 einnehmen würde, gibt mit einem Wert von 0,111 eine geringe Korrelation zwischen Einkommen und sinnhaft-subjektbezogener Perspektive an. Um zu überprüfen, ob dieser geringe Zusammenhang auf andere Variablen zurückzuführen ist, wird deren Einfluss in der rechten Spalte statistisch kontrolliert. Es zeigt sich, dass der kontrollierte Zusammenhang beta (0,063) geringer ist als der unkontrollierte. Ein Teil des unkontrollierten Zusammenhangs ist also auf den Einfluss anderer Variablen zurückzuführen (Geschlecht, Schulabschluss usw.). Aber: Aufgrund
3. Empirische Analysen
der Kontrolle des Einkommens auf die übrigen Variablen verringert sich der Wert des Zusammenhangs deutlich und er stellt sich zudem auch als nicht signifikant (p > .05) und somit nicht auf die Grundgesamtheit übertragbar heraus – das OECD-Einkommen hängt also im Jahr 1982 nicht signifikant mit der sinnhaft-subjektbezogenen Perspektive zusammen. Das ökonomische Kapital steht jedoch in jüngeren ALLBUS-Kohorten in signifikantem Zusammenhang mit der sinnhaft-subjektbezogenen Perspektive auf Erwerbsarbeit (vgl. Tabelle 4, ALLBUS 2016: p = .052). Der Zusammenhang weist dabei eine eindeutige Richtung auf: Je höher das ökonomische Kapital, desto ausgeprägter der Subjektbezug. Sozialstrukturell betrachtet ist dieses Ergebnis nicht selbstverständlich. Zwar birgt ökonomisches Kapital materielle Sicherheit und es erhöht die Wahrscheinlichkeit in »passenden«, subjektivierten Berufen zu arbeiten; in Bourdieuscher Terminologie heißt dies jedoch auch, dass die sinnhaft-subjektbezogene Perspektive keineswegs eine exklusive Eigenschaft des linken, oberen, von kulturellem Kapital geprägten Sozialraums ist (M. Albert, Hurrelmann & Quenzel, 2019; Fischer & Eichler, 2015), sich bestimmte subjektive Zuschreibungen der creative class somit als sehr allgemeine Denkmuster erweisen. Neben dem ökonomischen Kapital zeigt sich ein viel kontinuierlicherer und im Vergleich meist stärkerer Effekt des kulturellen Kapitals bzw. des Bildungshintergrunds. Je höher der Schulabschluss, desto stärker ist die sinnhaft-subjektbezogene Perspektive ausgeprägt. Dies lässt sich einerseits ebenfalls sozialstrukturell interpretieren im Sinne eines (Bildungs-)Milieu-Effekts (vgl. Kapitel 2.3.2); andererseits stellen die Schulbildung und die Institution Schule zentrale Komponenten der Adoleszenz dar (Eichler & Fischer, 2020; King, 2013; vgl. Kapitel 2.1). Das Bildungsmoratorium (Zinnecker, 1991) als strukturelle Grundlage eines psychosozialen Moratoriums bietet Jugendlichen Zeit – Zeit Identitäten zu erproben, Zeit zu scheitern und Zeit neu zu beginnen, eine Zeit der vorläufigen »Verantwortungslosigkeit« (Bourdieu, 1993a). Was sich bei genauerem Hinsehen zeigt, ist eine leichte Verschiebung des positiven Zusammenhangs. Während von 1982 bis 2010 Personen mit Realschulabschluss tendenziell überdurchschnittlichen Subjektbezug aufweisen, haben sie 2016 eine deutlich unterdurchschnittliche sinnhaftsubjektbezogene Perspektive. Der Zusammenhang von Geschlecht und Subjektbezug erweist sich als durchwachsen. Wenn er signifikant ist (1982 und 2010), so haben männliche Befragte überdurchschnittliche und weibliche Befragte unterdurchschnittliche Werte. Während Baethge (1994b) die normative Subjektivierung als tendenziell geschlechtsunabhängiges Phänomen fasst, lässt sich der signifikante Unterschied zwar in Einklang mit dem Forschungsstand bringen (Flaake & King, 2003a; Fobe & Minx, 1996; Kölzer, 2014; Oechsle et al., 2009), als Einzelphänomen der beiden Jahrgänge jedoch schwer erklären. Ähnlich verhält es sich mit dem Zusammenhang des Erhebungsgebiet und der sinnhaftsubjektbezogenen Perspektive. Ob eine befragte Person in Ost- oder Westdeutschland lebt, macht nur im ALLBUS 2000 einen signifikanten Unterschied: Bei Menschen in den neuen Bundesländern ist die Perspektive unterdurchschnittlich ausgeprägt. Ab dem Jahr 1991 erweist sich die Migrationserfahrung als relevanter Prädiktor der sinnhaft-subjektbezogenen Perspektive auf Erwerbsarbeit. Während es im ALLBUS 1982 keinen Unterschied macht, ob eine Person Migrationserfahrung hatte oder nicht, steht diese in den späteren Datensätzen in einem negativen Zusammenhang mit dem
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Subjektbezug. Personen mit Migrationserfahrung sind im Schnitt unterdurchschnittlich sinnhaft-subjektbezogen. Unabhängig des Einkommens, des Bildungshintergrunds, des Geschlechts, der Migrationserfahrung, des Erhebungsgebiets, der beruflichen Stellung und der Zugehörigkeit zu einer Berufshauptgruppe, steht das Alter in allen ALLBUS-Datensätzen bis einschließlich 2010 in einem signifikanten Zusammenhang mit der sinnhaft-subjektbezogenen Perspektive auf Erwerbsarbeit. Im Gegensatz zu den vorherigen Effekten zeigen sich hier jedoch massive Verschiebungen in der Richtung des Zusammenhangs. Passend zu den deskriptiven Analysen gibt es in den frühen Datensätzen einen Zusammenhang, der zur normativen Subjektivierungsthese und dem zugehörigen Forschungsstand passt (Baethge et al., 1988; Fobe & Minx, 1996; Hantsche, 1990; Olk & Strikker, 1990; Zoll et al., 1989). Je jünger die Befragten, desto stärker ist der Subjektbezug ausgeprägt. Zudem stellt das Alter relativ betrachtet (beta-Koeffizienten) im ALLBUS 1982 den wichtigsten Einflussfaktor und im ALLBUS 1991 nach dem Schulabschluss den zweitwichtigsten Einflussfaktor dar. Die Überlegung Baethges (1991), sinnhaft-subjektbezogene Ansprüche seien ein von der sozialen Herkunft relativ unabhängiges Jugendphänomen, trifft im Jahr 1982 empirisch also tatsächlich zu. Die Eindeutigkeit des Zusammenhangs gerät jedoch bereits in den Analysen mit den Daten des ALLBUS 1991 deutlich ins Wanken. Es zeigt sich, dass nicht nur (Spät-)Adoleszente überdurchschnittlich subjektbezogen sind, sondern generell Personen im »Erwerbsalter« (18-59 Jahre) (ähnlich: Fischer & Eichler, 2015; Hauff, 2008). Ab dem ALLBUS 2000 weist die jüngste Alterskohorte nicht mehr den stärksten oder einen überdurchschnittlichen Subjektbezug auf. Im Gegenteil: Während die Analysen mit dem ALLBUS 2000 aufzeigen, dass Jugendliche bereits unterdurchschnittliche Werte haben, sind sie im ALLBUS 2010 gemeinsam mit den 30- bis 44-Jährigen die Alterskohorte mit der am schwächsten ausgeprägten sinnhaft-subjektbezogenen Perspektive. Kontrolliert auf sozialräumliche, soziodemographische und berufliche Einflussfaktoren dreht sich der Zusammenhang von Alter und sinnhaft-subjektbezogener Perspektive im Laufe von dreißig Jahren geradezu um. Adoleszenz ist keine Garantin (mehr) für überdurchschnittlichen Subjektbezug. In den Analysen des ALLBUS 2016, deren Vergleich aufgrund der unterschiedlichen Kategorisierungen mit den Analysen der älteren Datensätze nur bedingt möglich ist, stehen Alter und Subjektbezug in keinem signifikantem Zusammenhang – die Alterskohorten unterscheiden sich also nicht voneinander. Den Anspruch auf Selbstverwirklichung und Autonomie als Jugendphänomen zu anthropologisieren, einem solchen Gedanken widerspricht also nicht zuletzt die Empirie. Dass Jugend und Adoleszenz nicht deckungsgleich sind und altersbezogene Jugenddefinitionen sowohl strukturelle als auch qualitative Dimensionen der Sozialisation ausblenden, wurde bereits breit dargelegt (vgl. Kapitel 2.1). Die Annahme, dass sich gerade qualitative Dimensionen der Adoleszenz, Anforderungen und Erwartungen an Jugendliche massiv gewandelt haben und tendenziell adoleszenten Identitätsbildungsprozessen entgegenlaufen (vgl. Kapitel 2.2), diese Annahme wird von den Daten zumindest insofern getragen, dass »die Jugend« offensichtlich nicht mehr als Quelle normativer Subjektivierung in Erscheinung tritt. Die Wirkung der gewandelten qualitativen Dimensionen der Adoleszenz, wie Jugendliche also widersprüchlichen Anforderungen
3. Empirische Analysen
in der Adoleszenz konkret begegnen, wie sich diese in ihrem subjektiven Verhältnis zur Erwerbsarbeit spiegeln, gilt es in den qualitativen Analysen genauer herauszuarbeiten (vgl. Kapitel 3.3.5). Die quantitativen Analysen legen bereits nahe, dass der Anspruch auf Sinnhaftigkeit und Selbstverwirklichung in der Erwerbsarbeit betroffen ist. Insgesamt ist eine sinnhaft-subjektbezogene Perspektive auf Erwerbsarbeit also kein Jugendphänomen (mehr), bleibt eher sozialräumlich spezifisch und tritt wahrscheinlicher dort auf, wo die materiellen und insbesondere die schulischen/kulturellen Bedingungen einen adoleszenten Möglichkeitsraum bzw. soziale und materielle Absicherung ermöglichen (King, 2013). Aus einem Jugendphänomen wurde somit wieder eine Orientierung der herrschenden Klasse (Fischer & Eichler, 2015). Im Gegensatz zur spannenden, aber möglicherweise überzogenen These Schröders (2018), dass es keine Unterschiede in Einstellungsmerkmalen zwischen verschiedenen Jugendgenerationen gäbe, deuten die Analysen durchaus Differenzen hinsichtlich des Subjektbezugs im Zeitraum von 1982 bis 2016 an.
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Tabelle 4: Multiple Klassifikationsanalyse zur sinnhaft-subjektbezogenen Perspektive
Quelle: ALLBUS 1982/1991/2000/2010 & ISSP 2016; weitere Kontrollvariablen: Berufshauptgruppen nach ISCO-68 (1982 & 1991); Berufshauptgruppen nach ISCO-88 (2000 & 2010); Berufshauptgruppen nach ISCO-08 (2016); Signifikanzniveaus: * p < .05; ** p < .01; *** p < .001; eigene Berechnungen.
3. Empirische Analysen
Die materiell-reproduktionsbezogene Perspektive 1982-2016 (Tabelle 5) Entsprechend den Analysen zur sinnhaft-subjektbezogenen Perspektive werden im Folgenden der Einfluss von sozialer Herkunft, Alter, Geschlecht und Migrationserfahrung sowie weiterer erwerbsbezogener Faktoren auf die materiell-reproduktionsbezogene Perspektive auf Erwerbsarbeit überprüft (Tabelle 5). Das Nettoäquivalenzeinkommen als Indikator ökonomischen Kapitals erweist sich hierbei als unbeständiger und geradezu irrelevanter Einflussfaktor. Während es in den Jahren 1982 bis 2010 in keinem signifikanten Zusammenhang mit der materiell-reproduktionsbezogenen Perspektive steht, ist der Zusammenhangs im Jahr 2016 nicht nur signifikant, sondern auch in seiner »Richtung« interessant. So weisen nicht etwa Personen aus den unteren Einkommenslagen, sondern Personen mit hohem Einkommen überdurchschnittliche materielle Bezüge auf. Zu dem Ergebnis, interpretiert man es im Sinne zunehmender Sicherheitsansprüche einer ökonomischen Mittel- und Oberschicht, passen Thesen zu deren erodierenden Rändern, schichtspezifischen Abstiegsängsten und allgemeiner Krisenhaftigkeit (Dravenau & Eichler, 2012; Nachtwey, 2016). Unklar bleibt jedoch, weshalb der Zusammenhang diesen Jahrgang beschränkt bleibt. Der Schulabschluss stellt sich abermals als kontinuierlich signifikanter, hier jedoch in einem negativen Zusammenhang stehender Einflussfaktor auf die materiell-reproduktionsbezogene Perspektive heraus. Personen mit Hauptschul- oder keinem Schulabschluss weisen zumeist die höchsten Werte, AbiturientInnen die niedrigsten Werte auf. Gerade Studien aus dem Bereich der Hauptschul- und Berufsorientierungsforschung stützen diese Ergebnisse (Kölzer, 2014; Queisser, 2010; Walther, 2011). Personen mit niedrigem Bildungsniveau kommen wahrscheinlicher sowohl mit der Vorbereitung auf als auch mit der Erwerbssphäre selbst in Kontakt. »Employability«, »Berufswahlreife« oder »Praxisnähe« umschreiben eine Debatte, die insbesondere HauptschülerInnen be-/trifft. Die Eingliederung ins Ausbildungssystem und die Abwendung des dauerhaften Übergangssystems wurden hier zunehmend zur obersten Priorität (Walther, 2014). Das Geschlecht steht einzig im ALLBUS-Datensatz des Jahres 2000 in einem signifikanten Zusammenhang mit der materiell-reproduktionsbezogenen Orientierung. Männer weisen hier höhere Werte als Frauen auf. In den übrigen Analysen gibt es keinen Unterschied in den Ausprägungen zwischen Frauen und Männern. Gerade in Anbetracht der unter Frauen meist ausgeprägteren Reproduktionsbezüge, die häufig zwischen Sicherheitsaspirationen und Work-Life-Balance pendeln (M. Albert, Hurrelmann & Quenzel, 2019; Geissler & Oechsle, 1996; King, 2013), wären weiterführende geschlechtsspezifische Analysen interessant. Die Migrationserfahrung steht seit 2010 in einem signifikanten Zusammenhang mit einer materiell-reproduktionsbezogenen Perspektive. Einerseits stimmt das Ergebnis mit bisherigen (Jugend-)Studien überein, in denen u.a. die schwierigen Aushandlungsprozesse zwischen MigrantInnen und ihrer Familie als Ursache materiell-reproduktionsbezogener Ansprüche beschrieben werden (Kölzer, 2014; Oechsle, 2009a); andererseits bleibt unklar, weshalb sich dieser Effekt erst im Jahr 2010 als signifikant herausstellt. Forschungsperspektivisch gilt es, diesen Zusammenhang in weiterführenden Analyse, auch hinsichtlich der Herkunftsländer, zu überprüfen.
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Einen hochrelevanten Einflussfaktor auf das Ausmaß der materiell-reproduktionsbezogenen Perspektive auf Erwerbsarbeit stellt das Erhebungsgebiet dar. Entsprechend dem Forschungsstand weisen Menschen in den neuen Bundesländern deutlich überdurchschnittliche Werte auf (M. Braun & Borg, 2004; Weinhardt, 2016). Dass dieser Unterschied im ALLBUS 2016 nicht mehr existiert, legt eine systembezogene Interpretation nahe, dass also Sozialisationseffekte der Deutschen Demokratischen Republik nachließen. Die Datenstruktur erlaubt einen solchen Schluss jedoch kaum. Hierfür benötigte es deutlich mehr Informationen über das Leben und die Situation der Befragten in Ost und West. Unabhängig von Einkommen, Schulabschluss, Geschlecht, Migrationserfahrung, Erhebungsgebiet sowie beruflicher Stellung und Berufshauptgruppe zeigen sich Zusammenhänge von Alter und materiell-reproduktionsbezogener Perspektive. Im ALLBUS 1982 unterscheiden sich Jugendliche und junge Erwachsene in ihren materiellen und Reproduktionsbezügen leicht positiv vom gesellschaftlichen Durchschnitt. Personen zwischen 30 und 59 Jahren, also die Gruppe im zentralen erwerbstätigen Alter, weisen jedoch die am stärksten überdurchschnittlichen Werte auf. Die normative Subjektivierungsthese beschreibt nicht nur eine Zunahme sinnhaft-subjektbezogener Ansprüche unter Jugendlichen, sondern dass damit auch eine inhaltliche Verschiebung des subjektiven Verhältnisses Jugendlicher zusammenhängt (Baethge, 1994b). Zumindest in den Analysen mit dem ALLBUS 1982 bestätigt sich die These, dass Jugendliche im Vergleich zu den erwerbstätigen Erwachsenen geringfügig weniger materiellreproduktionsbezogen sind.
3. Empirische Analysen
Tabelle 5: Multiple Klassifikationsanalyse zur materiell-reproduktionsbezogenen Perspektive
Quelle: ALLBUS 1982/1991/2000/2010 & ISSP 2016; weitere Kontrollvariablen: Berufshauptgruppen nach ISCO-68 (1982 & 1991); Berufshauptgruppen nach ISCO-88 (2000 & 2010); Berufshauptgruppen nach ISCO-08 (2016); Signifikanzniveaus: * p < .05; ** p < .01; *** p < .001; eigene Berechnungen.
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Wie bereits in den Analysen zur sinnhaft-subjektbezogenen Perspektive verändert sich die Richtung des Zusammenhangs in den späteren ALLBUS-Wellen deutlich. Im ALLBUS 1991 ist die materiell-reproduktionsbezogene Perspektive unter der jüngsten Alterskohorte wieder überdurchschnittlich und bereits stärker als bei den älteren Erwerbstätigen (45-59 Jahre) ausgeprägt. In den Analysen des ALLBUS 2000 zeigt sich dieser Zusammenhang zwar empirisch, ist hier jedoch (knapp) nicht signifikant. In den weiteren ALLBUS-Jahrgängen sind die 18- bis 29-Jährigen die am stärksten materiellreproduktionsbezogene Alterskohorte. Passend zur deskriptiven Analyse der einzelnen Bezugsdimensionen deutet sich also an, dass sich das adoleszente Verhältnis zur Erwerbsarbeit immer stärker durch ein Streben nach Sicherheit als nach Selbstverwirklichung auszeichnet. Die Ergebnisse knüpfen an theoretische Überlegungen der Adoleszenzforschung und Empirie zum subjektiven Verhältnis (Jugendlicher) zur Erwerbsarbeit an. Bildungsabschlüsse verweisen auf spezifische Ausbildungsmuster und zusammenhängende Orientierungen der Schulsysteme (Kölzer, 2014; Oechsle et al., 2009; Walther, 2014), Geschlecht und Migrationserfahrungen auf spezielle Lebenslagen und Aushandlungsschwierigkeiten (King & Koller, 2009; Oechsle, 2009a). Das Alter als unabhängiger Einflussfaktor deutet abermals einen Wandel jugendlicher Sozialisationsbedingungen und damit zusammenhängender Orientierungsmuster an. Die soziale Perspektive 1982-2016 (Tabelle 6) Die wohl am wenigsten beforschte Perspektive auf Erwerbsarbeit, gerade im Jugendbereich, ist die soziale Perspektive. Sie ist von caritativen, kommunikativen und altruistischen Bezügen geprägt: Kontakt mit Menschen, anderen Menschen helfen und etwas gesellschaftlich Nützliches zu arbeiten, steht derzeit jedoch wieder im Fokus der Soziologie (Brinck et al., 2020; Hardering, 2015, 2017). Die auch von Graeber (2018a) angestoßenen Fragen, was objektiv und subjektiv sinnvolle Erwerbsarbeit ist, und, wer (gesellschaftlich) sinnvoll arbeiten will, bleiben dennoch empirisch unterforscht. Im ALLBUS 1982 erweist sich das Gesamtmodell als nicht signifikant. Es zeichnen sich also keinerlei Unterschiede zwischen Einkommensgruppen, Bildungsniveaus, Alterskohorten, Personen mit und ohne Migrationserfahrung oder zwischen den Geschlechtern bezüglich der sozialen Perspektive auf Erwerbsarbeit ab. Im Gegensatz zu den Analysen der anderen Perspektiven stellt sich die soziale Herkunft ab dem ALLBUS 1991 nicht nur als inkonsistenter, sondern auch als schwacher Einflussfaktor heraus. Während der Zusammenhang kaum signifikant ist, deutet sich zumindest eine Richtung an: Je niedriger das Nettoäquivalenzeinkommen und der Bildungsgrad, desto stärker ist die soziale Perspektive im Schnitt ausgeprägt. Sie ist tendenziell ein Merkmal sozial schwacher Milieus. Möglicherweise lässt sich der fehlende Zusammenhang mit der Vielschichtigkeit des Index und im Kontext eines wiedererstarkten sozial-ökologischen Milieus sowie entsprechender (Leit-)Werte interpretieren (Calmbach, 2018; Sommer et al., 2019). Denn neben dem Kontakt mit Menschen und caritativen Aspekten umfasst die soziale Perspektive auch eine altruistische Dimension. Gesellschaftlich Sinnvolles zu arbeiten, gewinnt insbesondere in gehobenen Jugendmilieus wieder an Bedeutung, hebelt so möglicherweise den sozialräumlichen
3. Empirische Analysen
Effekt aus (M. Albert, Hurrelmann & Quenzel, 2019). Während die quantitativen Methoden einerseits den Vorteil bergen, viele verschiedene Bezugsdimensionen unter einer Perspektive zusammenzufassen und als »Wertekomplex« zu analysieren (im Sinne von: Rosenberg, 1980), erschwert diese Verschmelzung die Analyse der Eigenlogik einzelner Bezugsdimensionen. Soziale, caritative und altruistische Aspekte passen zwar inhaltlich gut zueinander, sind jedoch möglicherweise Resultat unterschiedlicher (adoleszenter) Bedingungen. Auch hierfür bieten sich qualitative Methoden zur genaueren Analyse an. Ab den Analysen des ALLBUS 1991 stellt sich zudem ein Effekt ein, der aus der Empirie hinlänglich bekannt ist (Brinck et al., 2020; Hauff & Kirchner, 2014), der in seiner Richtung auch kontinuierlich bestehen bleibt und darüber hinaus in seiner Stärke zunimmt. Frauen weisen eine überdurchschnittlich, Männer eine unterdurchschnittlich ausgeprägte soziale Perspektive auf. Dieser Zusammenhang lässt sich einerseits durch geschlechtsspezifische Sozialisationsmechanismen, andererseits – trotz Kontrolle auf berufliche Aspekte – möglicherweise über entsprechende Berufsbilder und Gratifikationen erklären (King, 2013; Oechsle et al., 2009; Pollmann-Schult, 2009).13 Die Migrationserfahrung steht ausschließlich in den Analysen des ALLBUS 2016 in signifikantem Zusammenhang mit der sozialen Perspektive auf Erwerbsarbeit. Diese ist bei Menschen mit Migrationserfahrung überdurchschnittlich ausgeprägt. Ob die Befragten in den neuen oder alten Bundesländern leben, erweist sich nur in den Analysen des ALLBUS 1991 als relevant. Die soziale Perspektive war hier unter Westdeutschen unterdurchschnittlich ausgeprägt. Unabhängig von sozialer Herkunft, Geschlecht, Migrationserfahrung, Erhebungsgebiet und beruflichem Hintergrund steht das Alter in keinem konstanten Zusammenhang mit der sozialen Perspektive auf Erwerbsarbeit. Einzig in den ALLBUS-Datensätzen von 1991 und 2010 zeigt sich ein signifikanter Zusammenhang. Soziale Bezugsdimensionen sind unter den (Spät-)Adoleszenten unterdurchschnittlich und im ALLBUS 1991 sogar am geringsten unter allen Alterskohorten ausgeprägt. Angesichts der (diskursiven) Bedeutung von Kommunikativität/Sozialität im Subjektivierungsdiskurs sowie angesichts neuer adoleszenter sozialer Bewegungen ist dieses Ergebnis erstaunlich (Kleemann, 2012); andererseits decken sich die Ergebnisse mit Baethges frühen Überlegung zu einer »doppelten Individualisierung« (Baethge, 1985; auch: Taylor, 1995), die normative Subjektivierung würde sich an ein abnehmendes Klassenbewusstsein koppeln. Zudem sind die »Abhängigen« der sozial-caritativen Erwerbsarbeit und somit diejenigen, die den Sinn und Nutzen der sozialen Perspektive am eigenen Leib erfahren, gerade ältere Menschen. Es ist naheliegend, dass ein entsprechendes Bewusstsein eine derartige Perspektive befördert. Zudem: Eine allgemein zunehmende sozial-ökologische Orientierung unter Jugendlichen muss nicht zwingend mit deren Übertragung auf die Erwerbssphäre einhergehen (Eichler, 2019).
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Die Kategorisierung der ISCO ist auf die Berufshauptklassen beschränkt. Eine feingliedrigere Analyse der Berufsbilder wäre in diesem Zusammenhang sinnvoll, ist mit den vorliegenden Daten jedoch nicht möglich.
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Adoleszenz und Arbeit
Tabelle 6: Multiple Klassifikationsanalyse zur sozialen Perspektive
Quelle: ALLBUS 1982/1991/2000/2010 & ISSP 2016; weitere Kontrollvariablen: Berufshauptgruppen nach ISCO-68 (1982 & 1991); Berufshauptgruppen nach ISCO-88 (2000 & 2010); Berufshauptgruppen nach ISCO-08 (2016); Signifikanzniveaus: * p < .05; ** p < .01; *** p < .001; eigene Berechnungen.
3. Empirische Analysen
Auch die potentielle Trennung lebensweltlicher und erwerbsbezogener Orientierungsmuster gilt es, angesichts zunehmend widersprüchlicher Adoleszenzbedingungen in den qualitativen Analysen genauer in den Fokus zu nehmen. Insgesamt erweisen sich die statistischen Modelle über alle Jahre hinweg als statistisch signifikant (Ausnahme: soziale Perspektive im ALLBUS 1982). Ihre Erklärungskraft ist jedoch mit 3,3 bis 9,1 Prozent (R²) eher gering – ein Problem, mit dem viele quantitative Studien konfrontiert sind (Fischer & Eichler, 2015; Hauff, 2008; Heidenreich, 1996), das jedoch selten diskutiert wird (Brinck et al., 2020). Statistisch verweist dies darauf, dass es Einflussfaktoren gibt, die eine Rolle im subjektiven Verhältnis zur Erwerbsarbeit spielen, im Modell jedoch keine Berücksichtigung finden; theoretisch und methodisch verweist es darauf, dass eine qualitative Analyse zwar keine Repräsentativität beanspruchen kann, angesichts der schwierigen Operationalisierung von Bedingungen und Dynamiken der Adoleszenz sowie des subjektiven Verhältnisses zur Erwerbsarbeit, dem Gegenstand jedoch angemessener ist. Nichtsdestotrotz wird im Folgenden die quantitative Analyse zuerst noch einen Schritt vertieft und die Jugendlichen, die im ALLBUS letztlich etwas kurz kommen, noch einmal verstärkt in den Fokus gerückt.
3.2.2
Perspektiven Jugendlicher auf Erwerbsarbeit (NEPS, SC3, Welle 4 & 5)
Datensatz und Operationalisierungen Die Allgemeine Bevölkerungsumfrage der Sozialwissenschaften (ALLBUS) birgt den Vorteile eines Trenddesigns und die Vergleichsmöglichkeit zu früheren Studien. Für die Analyse des subjektiven Verhältnisses Jugendlicher zur Erwerbsarbeit weist sie jedoch eine massive Schwachstelle auf. So lassen sich zwar Perspektiven unterschiedlicher Alterskohorten über einen Zeitraum von fast vierzig Jahren vergleichen, die jüngste Alterskohorte der 18- bis 29-Jährigen steht jedoch nur bedingt für das, was unter »Jugend« oder »Adoleszenz« verstanden wird. Natürlich beruht das Adoleszenzkonzept gerade auf einem Abrücken von Altersgrenzen; dennoch wohnt ihm auch der Gedanke von Anfang und Ende inne. Pubertät, der Ausbruch aus der familialen Blase und die Hinwendung zur Kultur gelten zumeist als Beginn der Adoleszenz; ökonomische Unabhängigkeit oder Selbständigkeit, der dauerhafte Eintritt in die Erwerbssphäre sowie die (erzwungene) Auflösung selbstreflexiver Phasen und die »Ablösung« der Eltern-Generation gelten mithin als ihr Ende (Erdheim, 1988b; Heitmeyer et al., 2011a; King, 2011, 2013). Diskussionen um das »Ende der Adoleszenz« drehen sich um deren tendenzielle Verlängerung, beschreiben neue Phasen der Postadoleszenz (Keniston, 1968) oder Spätadoleszenz (Arnett, 2016) oder gar deren (mindestens normative) Ewigkeit (Badiou, 2016; Eichler, 2013; Erdheim, 2012; Harrison, 2015).14 Es macht durchaus Sinn, gerade unter statistischer Kontrolle auf Einflussfaktoren der Erwerbssphäre, einen Blick auf die Alterskohorte der 18- bis 29-Jährigen zu werfen. Die daraus resultierende Aussagekraft über Adoleszenz und Erwerbsarbeit ist dennoch begrenzt, gerade aufgrund der nur schwer zu »kontrollierenden« Komplexität von 14
Im Gegensatz zu ihrem Ende steht der »Beginn der Adoleszenz« weitaus weniger im Fokus wissenschaftlicher Debatten. Wenn überhaupt wird zuweilen auf ein früheres Einsetzen der Pubertät verwiesen, also einen früheren psychosexuellen Beginn der Adoleszenz (Brix et al., 2019).
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Übergangsprozessen für das subjektive Verhältnis Jugendlicher zur Erwerbsarbeit (vgl. Kapitel 2.3), die bei 18- bis 29-Jährigen meist bereits erfolgt sind. In der vorliegenden Studie stehen auch aus diesem theoretischen Unterfangen heraus solche Jugendlichen im Mittelpunkt, die noch nicht den Übergang in die Erwerbssphäre oder ins Studium vollzogen haben – es gilt daher, auch über diese Jugendlichen detaillierte quantitative Informationen zu gewinnen. Die vorliegende Studie nutzt hierfür Daten der dritten Startkohorte des Nationalen Bildungspanels (NEPS; doi:10.5157/NEPS:SC3:8.0.1). Die Daten des NEPS wurden von 2008 bis 2013 als Teil des Rahmenprogramms zur Förderung der empirischen Bildungsforschung erhoben, das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) finanziert wurde. Seit 2014 wird das NEPS vom Leibniz-Institut für Bildungsverläufe e.V. (LIfBi) an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg in Kooperation mit einem deutschlandweiten Netzwerk weitergeführt (Blossfeld et al., 2011).15 Grundlegend stellt das NEPS ein Multikohorten-Sequenz-Design dar, umfasst sechs Startkohorten sowie zwei abgeschlossene Zusatzstudien (Blossfeld et al., 2011). Mit Befragungsbeginn im Jahr 2010 setzte parallel die Datenerhebung zu sechs verschiedenen Alterskohorten ein. Befragt werden nicht nur die Mitglieder dieser Alterskohorten, sondern auch zentrale Bezugspersonen (Eltern, LehrerInnen, SchulleiterInnen usw.), über die Informationen zur Untersuchungseinheit und deren soziales Umfeld eingeholt werden. Obwohl das NEPS aufgrund seines Umfangs, seiner Panelstruktur, der interdisziplinären Themenvielfalt und seines Multikohorten-Sequenz-Designs weiterführende Analysen erlaubt, beschränkt sich die vorliegende Studie aufgrund des thematischen Rahmens und des deskriptiven Zwecks der quantitativen Empirie auf Querschnittanalysen der vierten und fünften Welle der Startkohorte 3. Die Befragten befinden sich hier in der achten bzw. neunten Klasse und sind 13 bis 16 Jahre alt. Zur Erhebung von »beruflichen Werthaltungen« verwendet das NEPS interessanterweise keine »klassische« Operationalisierung der deutschen Surveystatistik (vgl. Kapitel 3.1.2), sondern greift auf Skalen der international vergleichenden Studie The Meaning of Working zurück (MOW International Research Team, 1987), adaptiert und ergänzt diese um Items einer Studie von Trautwein und KollegInnen (2010).16 Die MOW-Studie wurde in den späten 1970er- und frühen 1980er-Jahren unter Kooperation von sieben nationalen Forschungsteams durchgeführt. SoziologInnen, SozialpsychologInnen und WirtschaftswissenschaftlerInnen gingen dabei in acht Ländern
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Zwar wird das subjektive Verhältnis Jugendlicher zur Erwerbsarbeit auch über andere Jugendbefragungen erhoben (bspw. AID:A und SOEP-Jugendpanel), jedoch sind diese Daten teils nicht aktuell oder sie werden erst ab dem 16. Lebensjahr erhoben und schließen somit tendenziell diejenigen aus, die mit 14 oder 15 Jahren ins Erwerbsleben eintreten müssen: Haupt- und MittelschülerInnen. Bisher liegt kein Methoden- oder Working Paper des Leibnitz-Instituts für Bildungsverläufe (LIfBi e.V.) zu den MOW-Variablen vor. Die hier dargestellten Informationen zu den MOW-Items im NEPS basieren auf eigenen Recherchen sowie einer Privatkorrespondenz mit dem Leiter des Arbeitsbereichs »Persönlichkeit«, Michael Bayer, der dankenswerterweise im August 2019 die LifBiinterne Dokumentation zur Verfügung gestellt hat. Eine knappe Beschreibung findet sich in einem Überblicksartikel zu Variablen zur Erfassung von Motivation und Persönlichkeitseigenschaften im NEPS bei Wohlkinger und KollegInnen (2019).
3. Empirische Analysen
(Belgien, England, Japan, Niederlande, USA, West-Deutschland, ehemaliges Jugoslawien und Israel) der Frage nach, welche Bedeutung Erwerbsarbeit für Individuen habe. Ausgangspunkt waren Industrialisierungs- und Post-Industrialisierungsprozesse, aber auch der Eindruck, dass »[t]oday, for the first time in recorded history, we seem to come quite close to realizing the dream to enter ›the realm of freedom where laboring stops‹ [...]«. Abseits der Unklarheit, ob dieser Bezug auf Marx (1988b) Hoffnung oder Furcht des Forschungsteams ausdrückte, ging es um ähnliche Annahmen wie in der deutschen Debatte um das vermeintliche Ende der Arbeitsgesellschaft. Auf die ursprüngliche Studie, in der knapp 15000 Personen befragt wurden, folgten etliche internationale Folgeprojekte.17 Allen MOW-Studien liegt ein heuristisches Modell zugrunde, das verschiedene Dimensionen des »meaning of working« konzeptualisiert: »The heuristic model presented [...] includes three major and distinct meaning constructs which relate individuals to the phenomenon of working. These three meanings are work centrality which consists of the identification with work and the strength of involvement with working; societal norms of a person’s obligation to work and entitlements received from work; and valued working outcomes and work goals.« (MOW International Research Team, 1987, S. 16) Das Modell weist eine Mehrdimensionalität auf, deren quantitative Erfassung nicht zuletzt deshalb ein schwieriges Unterfangen darstellt, weil die Subkategorien der drei »major constructs« historisch wandelbar und somit anpassungsbedürftig sind. So verändern sich gesellschaftliche Normen genauso stetig wie die Erwerbssphäre und damit verbundene »valued working outcomes/preferences« (MOW International Research Team, 1987, S. 248-250; vgl. Kapitel 2.2). Im NEPS werden ausschließlich die »preferences« (übersetzt als »berufliche Orientierungen und Werthaltungen«) aus den MOWStudien erhoben. In einem aufwendigen Prozess mit mehreren nationalen Pilotstudien sowie auf Grundlage bekannter Itemkonstruktionen, insbesondere dem Minnesota Importance Questionnaire von Weiss und KollegInnen (1964), wurden hierfür Skalen entwickelt, die vier zentrale Aspekte der Erwerbsarbeit unterscheiden, an denen sich Individuen orientieren: Komfortaspekte, wirtschaftliche Aspekte, Lernaspekte und expressive Aspekte. Diese finden sich mit insgesamt elf Items im NEPS wieder. Aufgrund der Wandelbarkeit jener Werthaltungen wurden die MOW-Skalen nicht nur übernommen und adaptiert (insb. über: Borchert & Landherr, 2007), sondern um zwei Skalen aus den TOSCA-Studien (Transformation des Sekundarschulsystems und Akademische Karrieren) von Trautwein und KollegInnen (2010) erweitert. Insgesamt enthält das NEPS somit sechszehn Items zu beruflichen Werthaltungen, die sechs Subskalen zugeordnet sind (vgl. Tabelle 7).
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Ein guter Überblick über die MOW-Studien und ihre Nachfolgerinnen findet sich bei RuizQuintanilla und Claes (2001) sowie auf einer von Ruiz-Quintanilla angelegten und stetig aktualisierten Homepage zum Meaning of Working (https://users.ugent.be/∼rclaes/MOW/#hotlist; letzter Zugriff: 04.09.2019).
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Tabelle 7: Items zur Erfassung beruflicher Werthaltungen im NEPS (SC 3)
Grau unterlegt = nur in der Startkohorte 3, Welle 4 erhoben; eigene Darstellung.
Für das vorliegende Forschungsunternehmen ist die Startkohorten-spezifische Erhebungslogik des NEPS ungünstig. Die beiden TOSCA-Subskalen wurden ausschließlich in der vierten Welle der Startkohorte 3 (∼ Klasse 8) erhoben. Da erstens vergleichsweise wenig Empirie und Theorie zu altruistischen, caritativen oder sozial-sinnhaften Orientierungen unter Jugendlichen vorliegt und zweitens gegenwärtig ein Bedeutungsgewinn sozialökologischer Jugendbewegungen (Fridays for Future, Extinction Rebellion, Ende Gelände usw.) stattfindet, wird nichtsdestotrotz an der Analyse der beiden Dimensionen festgehalten. Analysen mit den TOSCA-Items werden daher immer entsprechend mit Daten der vierten Welle und somit mit AchtklässlerInnen gerechnet, Analysen zu den MOW-Items mit Daten der fünften Erhebungswelle, also SchülerInnen der neunten Jahrgangsstufe. Dies gewährleistet, dass jeweils die aktuellsten Daten der Startkohorte zur Analyse der Skalen genutzt werden. Die Skalen weisen einerseits Ähnlichkeiten, andererseits in ihrer inhaltlichen Konzeption deutliche Unterschiede zu den Rosenberg-Skalen des ALLBUS auf. »Expressive Aspekte«, »Wirtschaftliche Aspekte« und die »Soziale Aspekte« zeigen deutliche Überschneidungen zu dem, was Baethge und einige ALLBUS-Studien (vgl. Kapitel 2.3.1) als sinnhaft-subjektbezogene, materiell-reproduktionsbezogene und soziale Perspektive bezeichnen. Die Bedeutung von »Lernaspekten«, eine Kategorie mit deutlichem
3. Empirische Analysen
Humankapitalbezug, sowie von »Komfortaspekten«, die sich auf die konkreten Arbeitsstrukturen beziehen, findet sich so nur selten wieder. »Autonomie«, die bei Baethge und Rosenberg unter die sinnhaft-subjektbezogene Perspektive fällt, tritt in der MOWVariante als eigenständige Kategorie auf, liest sich hier jedoch eher wie eine Skala zum individuellen Unternehmertum. In der Erhebung des NEPS mussten die befragten Jugendlichen auf einer Skala von 1 (sehr unwichtig) bis 6 (sehr wichtig) angeben, wie wichtig ihnen die verschiedenen Aspekte in einer (theoretischen) Berufstätigkeit wären.18 Aus den Einzelvariablen werden additive Indices entsprechend der MOW-Subskalen berechnet. Während in den deskriptiven Analysen alle zur Verfügung stehenden Items einzeln betrachtet werden, geht es in den multivariaten Analysen um eben jene abgeleiteten additiven Indices. Dass hier keine Factorscores berechnet wurden, hat zwei Ursachen: Erstens orientieren sich die additiven Indices am methodischen Konzept der MOW-Studien (MOW International Research Team, 1987). Zweitens haben Faktorenanalysen nicht die Differenzierung entsprechend der MOW-Dimensionen ergeben. Die MOW-Dimensionen, die über die additiven Indices abgebildet werden, sind somit theoretische Konstrukte, die sich nicht empirisch valide rekonstruieren lassen – das gilt es, bei den Analysen mit dem NEPS zu bedenken. Neben den Skalen zu beruflichen Aspekten stehen auch in den Analysen des NEPS adoleszenzspezifische Indikatoren zur Verfügung. Zur Bestimmung der sozialen Herkunft wurde auf verschiedene Informationen aus der Elternbefragung zurückgegriffen. Den Analysen des ALLBUS entsprechend dient das Nettoäquivalenzeinkommen der Haushalte zur Operationalisierung des ökonomischen Kapitals und der finanziellen familialen Möglichkeiten/Sicherheiten (Butterwegge, 2010). Die Variable ist in drei Kategorien unterteilt: »geringes Äquivalenzeinkommen« (unteres Quartil), »mittleres Äquivalenzeinkommen« (die mittleren Quartile) und »hohes Äquivalenzeinkommen« (oberes Quartil).19 Als eine der zentralen Variablen zur Messung sozialer Herkunft und sozialer Ungleichheitseffekte unter Jugendlichen und jungen Erwachsenen hat sich in der quantitativen Forschungslandschaft der höchste Bildungsabschluss der Eltern etabliert (Lörz, 2017; Schlücker & Schindler, 2018). Aus intergenerationaler Perspektive steht er nicht nur für institutionelles, sondern insbesondere für das Potential der Weitergabe von inkorporiertem kulturellen Kapital. Er steht für inhaltliches Wissen, Reflexionsvermögen und das habituelle Anpassungsvermögen an Bildungsinstitutionen. Unterschie18
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Die konkrete Fragestellung lautet: »Im Folgenden sind einige Dinge aufgelistet, die einem bei einer Berufstätigkeit wichtig sein können. Wie wichtig sind diese Dinge für dich persönlich, unabhängig von deiner aktuellen Situation?«. Das Nettoäquivalenzeinkommen wurde aus Angaben der Wellen 2-4 (re-)konstruiert; auf Angaben aus der ersten Welle wurde aufgrund einer abweichenden Fragestellung zum Haushaltseinkommen verzichtet. Deren Integration würde sich zudem nicht auf die Ergebnisse der multivariaten Analysen auswirken. Generell gilt für Informationen aus den Elternbefragungen, dass bei fehlenden Werten möglichst auf Daten aus den früheren Wellen zurückgegriffen wurde, unter der impliziten Annahme der Stabilität. Auf eine Rekonstruktion der Elternangaben aus den Daten späterer Wellen, bspw. der direkt an die Schülerbefragungen der Welle 5 anschließenden Elternbefragung der Welle 6, wurde generell verzichtet.
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den werden »kein bzw. Hauptschulabschluss«, »Mittlere Reife«, »Hochschulreife« und »(Fach-)Hochschulabschluss«. Die Angaben zu den Eltern beziehen sich in der vorliegenden Studie auf die Daten der befragten Erziehungsberechtigten und ihrer PartnerInnen zum Befragungszeitpunkt. Im Falle von Alleinerziehenden wird somit auf den Bildungsabschluss des befragten Elternteils zurückgegriffen. Der Einfluss der Eltern auf das subjektive Verhältnis Jugendlicher zur Erwerbsarbeit hat sich in der Literatur nicht nur über milieuspezifische Wissensformen, sondern insbesondere über die konkrete elterliche Erwerbssituation und Berufsorientierung gezeigt (vgl. Kapitel 2.3.2 & 2.3.3). Zur Analyse des Einflusses der beruflichen Situation der Eltern dient die nach der aktuellen International Standard Classification of Occupations (ISCO-08) operationalisiere Berufshauptgruppe. Die Abfrage der Berufe erfolgt im NEPS sowohl über die Jugendlichen als auch die befragten Elternteile. Die Analysen berücksichtigen ausschließlich Angaben des befragten Elternteils und dessen/deren PartnerIn zur zuletzt angegebenen Voll- oder Teilzeitbeschäftigung.20 Als zentraler Indikator des adoleszenten Möglichkeitsraums dient die besuchte Schulform der Jugendlichen. Unterschieden werden »Haupt-/Mittelschule«, »Realschule« und »Gymnasium«. Aus den Analysen ausgeschlossen sind SchülerInnen, die keiner der drei Schulformen zugeordnet werden konnten (bspw. Waldorfschulen) bzw. in deren Schulformen keine Schulzweiglogik existiert (bspw. Gesamtschule ohne Hauptschul-, Realschul- und Gymnasialzweig).21 Aus der Theorie und Empirie gehen zudem das Geschlecht (binär kodiert in männlich/weiblich) sowie der Migrationshintergrund als relevante Einflussgrößen hervor (vgl. Kapitel 2.3). Letztgenannter wurde auf Grundlage der Angaben der befragten Jugendlichen zum eigenen und den beiden elterlichen Geburtsländern (Deutschland/nicht Deutschland) sowie gemäß der Definition des Statistischen Bundesamtes (2016) operationalisiert. Diese besagt, dass eine Person dann einen Migrationshintergrund aufweist, wenn sie selbst oder mindestens ein Elternteil nicht in Deutschland geboren wurde. Zudem wird auf das Alter der Befragten kontrolliert. Die erste Welle der Startkohorte 3 wurde mit SchülerInnen der fünften Klasse Ende des Jahres 2010 erhoben. Die Erhebungen der hier analysierten Wellen 4 und 5 fanden entsprechend 2013 und 2014 20
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Es sei erwähnt, dass die Kategorien »Handwerks- und verwandte Berufs« und »Bediener von Anlagen und Maschinen« in der ISCO der Befragten in den Analysen der Welle 5 relativ gering besetzt sind (n = 53 bzw. n = 28). Ein Ausschluss bzw. eine Umkodierung der Variablen ändert jedoch nichts an den Analyseergebnissen. Die Konstruktion des besuchten Schultypus basiert auf Informationen einer konstruierten Variable (t723080_g1), die einerseits als gesichertste Information zum besuchten Schultypus gilt, andererseits eine sehr geringe Fallzahl an HauptschülerInnen und hohe Anzahl an fehlenden Werten produziert (dazu: https://www.neps-data.de/Portals/0/Working%20Papers/WP_XLVI.pdf; Zugriff am 17.09.2021). Ein alternativer Rückgriff auf die Sampleangaben zum Schultypus, die sich in vielen Fällen jedoch als ungenau bzw. falsch erwiesen haben, verändert sich die multivariate Analyse dahingehend, dass die Schulform nicht mehr signifikant mit der Lern- und Expressivorientierung zusammenhängt. Auf eine »Auffrischung« der Schuldaten, im Sinne eines Rückgriffs auf die zuletzt gültigen Daten einer früheren Welle, wurde verzichtet, da es (im Gegensatz bspw. zur Bildung oder zum Einkommen der Eltern) mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit einen Wandel gegeben hat, wenn die Zielperson einen fehlenden Wert aufweist.
3. Empirische Analysen
statt. In den Analysen finden die Jahrgänge 1998-2000 und somit 13- bis 15-Jährige (Welle 4) bzw. 14- bis 16-Jährige (Welle 5) Berücksichtigung. Wie bereits in den Analysen des ALLBUS wird zusätzlich das Erhebungsgebiet – aufgeteilt in neue und alte Bundesländer – in den Analysen berücksichtigt.22 Sowohl die Datenaufarbeitung als auch die deskriptiven Analysen wurden mit Stata 16 gerechnet. Die Berechnung der Multiplen Klassifikationsanalyse erfolgte mit IBM SPSS 26.
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Die konkreten Erhebungszeiträume finden sich in den Studienübersichten des NEPS: https://ww w.neps-data.de/Portals/0/NEPS/Datenzentrum/Forschungsdaten/SC3/8-0-0/SC3_Studien_W1-8_d e.pdf, Zugriff am 9.10.2019. Das Erhebungsgebiet wurde über den angegebenen Wohnort in den Elterninterviews rekonstuiert.
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Abbildung 5: Ranking jugendlicher Berufswerthaltungen
Quelle: Nationales Bildungspanel (NEPS), Startkohorte 3, Welle 4 (rote Punkte, n = 2328)/Welle 5 (blaue Punkte, n = 2032); Whisker entsprechen dem 95 %-Konfidenzintervall; Querschnittsgewichte; eigene Berechnungen.
3. Empirische Analysen
Deskriptive Analysen Im Folgenden liegt der Fokus auf den »beruflichen Werthaltungen« von Jugendlichen.23 Neben den Einzelitems, bei denen die befragten SchülerInnen auf einer Skala von 1 (unwichtig) bis 6 (sehr wichtig) die Bedeutung beruflicher Aspekte angeben sollten, lassen sich auch die an die MOW-Studien angelehnten, normierten additiven Indices vergleichen (MOW International Research Team, 1987). Während die Items der Subskalen »Lernaspekte«, »Wirtschaftliche Aspekte«, »Komfortaspekte« und »Expressive Aspekte« mit Daten der Welle 5 analysiert wurden, stammen die Daten der Subskalen »Soziale Aspekte« und »Autonomie« aus der ein Jahr früher erhobenen Welle 4 – somit wurden jeweils die aktuellsten zur Verfügung stehenden Daten der Startkohorte genutzt. Eine Gewichtung der Analysen erfolgt entsprechend der Erhebungswelle (Steinhauer & Zinn, 2016).24 Zur besseren Veranschaulichung sind die Ergebnisse, getrennt nach Einzelitems und Indices, in einem Ranking dargestellt (vgl. Abbildung 5). Dieses verdeutlicht, wie schon die Analyse des ALLBUS, dass es keinen Berufsaspekt gibt, den Jugendliche im Durchschnitt als unwichtig empfinden. Alle Items sind im Durchschnitt als wichtig eingestuft, unterscheiden sich dennoch in der Relevanz um bis zu 1,38 Punkte (27,6 Prozent der Spannweite). Ein Blick auf die Indices zeigt, worauf Jugendliche gegenwärtig besonders stark Wert legen: Es geht ihnen um Prestige/Aufstiegsmöglichkeiten, um eine sichere Anstellung und insbesondere ums Geld. Der MOW-Index zu den wirtschaftlichen Aspekten changiert deutlich und signifikant vor den Komfort-, Lern- und expressiven Aspekten. Soziale Aspekte liegen in ihrer Bedeutung knapp unter diesen drei Indices und etwas abgeschlagen folgt die Autonomiebzw. UnternehmerInnenorientierung der Jugendlichen. Neben den Ausprägungen der MOW-Indices gestaltet sich auch die Rangreihenfolge der Einzelitems spannend. Im Unterschied zu den deskriptiven Analysen des ALLBUS, bei denen die Entlohnung eine relativ geringe Rolle unter Jugendlichen und jungen Erwachsenen einnimmt (vgl. Kapitel 3.2.1), ist im NEPS die »gute Bezahlung« der durchschnittlich am wichtigsten bewertete berufliche Aspekt unter Jugendlichen. Dieses Ergebnis ist nicht nur ungewöhnlich, es widerspricht auch den gängigen Generationenund Sozialstrukturanalysen (vgl. Kapitel 2.3.2). Allerdings nehmen diese – im Falle der Shell-Jugendstudie – eine größere Altersspanne in den Fokus (12-25 Jahre; Leven et al., 2019, S. 190) oder haben – im Falle der SINUS-Jugendstudie – methodische Einschränkungen (Calmbach et al., 2020, S. 243). Die Sicherheit des Arbeitsplatzes – die am wichtigsten bewertete Bezugsdimension unter Jugendlichen und jungen Erwachsenen im ALLBUS – steht im Nationalen Bildungspanel unter Jugendlichen erst an neunter Position des Rankings. Allerdings sind diese Werte relativ – statistisch gilt es, die Konfi23
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Für die deskriptiven Analysen mit dem NEPS wird das Sample auf die Fälle der multivariaten Analysen beschränkt, d.h. auf Haupt-/MittelschülerInnen, RealschülerInnen und GymnasiastInnen, die in allen relevanten Variablen gültige Angaben aufweisen. Bei Berücksichtigung aller Fälle ergeben sich jedoch kaum Unterschiede zu den vorliegenden Analysen – einzig das Item zu »interessanten Arbeitsinhalten« verliert geringfügig an Bedeutung. Die Gewichtung erfolgt über die Querschnittsgewichte der jeweiligen Wellen. Dieses Vorgehen ist nicht optimal, da sowohl (retrospektive) Eltern- als auch Schülerinformationen berücksichtigt werden, aber dennoch funktional (ähnlich: https://forum.lifbi.de/t/verwendung-der-survey-weigh ts-in-sc4-welches-gewicht/3537; Zugriff am 01.10.2021).
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denzintervalle mit in den Blick zu nehmen, um zu überprüfen, welche Mittelwerte sich signifikant voneinander unterscheiden. Hier zeigt sich, dass die Bezahlung gleichauf mit einem sozialen Berufsaspekt liegt. Während sich die explizit sozial-caritativen Aspekte – anderen zu helfen und gesellschaftlich Nützliches zu tun – im unteren Bereich des Rankings wiederfinden, zählt das abstrakte Gefühl, etwas Sinnvolles zu tun, zu den wichtigsten Aspekten für Jugendliche. Dieses Gefühl besitzt letztlich eine sehr subjektbezogene Komponente, die nur schwerlich alleinig der sozialen Perspektive zuzuordnen ist. Was Sinn macht, ist subjektiv, Teil des modus operandi und dürfte sich zwischen den Individuen deutlich unterscheiden. »Sozial« ist an dieser Variablen vermutlich nur ihre Vermittlung.25 Insgesamt erscheint die Interpretation der Indices unter Reflexion der ihnen zugewiesenen Berufsaspekte etwas fragwürdig. So würden sich bspw. die relativ geringen Werte des Index zu den »sozialen Aspekten« relativieren, wenn hier das Item zum »guten Betriebsklima« berücksichtigt würde. Das vergleichsweise hoch-gerankte Item zählt jedoch zu »Lernaspekten«. Die Trennschärfe der MOW-Indices erweist sich also nicht nur statistisch, sondern auch theoretisch als problematisch. So hätte auch der »Autonomie«-Index noch geringere Werte, wenn die »Selbständigkeit und Selbstbestimmtheit« nicht zu den »expressiven Aspekten« zählen würden. Unabhängig der Item- und Index-Unschärfe finden sich nicht nur materiellreproduktionsbezogene bzw. »wirtschaftliche« Aspekte an der Spitze des Rankings. So erweist sich in der Analyse der Einzelitems auch ein »expressiver Aspekt« als eine der wichtigsten Dimensionen (»Interessante Arbeitsinhalte«). Die Gruppe beruflicher Werthaltungen, deren Bedeutung unter Jugendlichen besonders stark ausgeprägt ist, stellt also eine Mischung aus materiell-reproduktionsbezogenen und sinnhaftsubjektbezogenen Items dar. Etwas niedriger gerankt, sammelt sich darunter eine Melange unterschiedlichster Perspektiven und Bezugsdimensionen, bei denen sich nur wenig Systematik offenbart – außer, dass unternehmerische bzw. Autonomieaspekte ganz deutlich als am unwichtigsten gewertet werden. Obwohl sehr präsent in jugendsoziologischen Debatten (vgl. Kapitel 2.2), spiegelt sich das »Unternehmerische Selbst« kaum in den deskriptiven Statistiken wider. Zugleich stützen die Analysen Überlegungen zur Re-Materialisierung des subjektiven Verhältnisses Jugendlicher zur Erwerbsarbeit. Insgesamt geben die deskriptiven Analysen einen besseren Einblick in das subjektive Verhältnis Jugendlicher zur Erwerbsarbeit als es der ALLBUS gewährt. Gerade der Vergleich der Einzelitems veranschaulicht Unterschiede in der Wichtigkeit verschiedener Bezugsdimensionen zwischen Jugendlichen des NEPS (13-16 Jahre) und den Spätadoleszenten des ALLBUS (18-29 Jahre). Der Aspekt des Einkommens ist unter den Jüngeren deutlich höher gerankt, die berufliche Sicherheit und das Eigeninteresse etwas niedriger. Was zu klären bleibt, sind die soziale Strukturierung jugendlicher Perspek-
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Die »Sinnhaftigkeit« mit »sozialen Aspekten« gleichzusetzen, läuft Gefahr, den Sinnbegriff zuzuspitzen und unterschiedliche Sinnebenen der Erwerbsarbeit zu übergehen (vgl. Kapitel 3.1.3). Eine empirische Bestandsaufnahme dessen, was Jugendliche als sinnvoll erachten, würde die Debatte deutlich voranbringen (Hardering, 2015).
3. Empirische Analysen
tiven und der Einfluss weiterer adoleszenzrelevanter Faktoren auf das subjektive Verhältnis Jugendlicher zur Erwerbsarbeit.
Multivariate Analysen Äquivalent zu den Analysen des ALLBUS sowie quantitativen Studien zur normativen Subjektivierungsthese (Fischer & Eichler, 2015; Hauff, 2008; Heidenreich, 1996; vgl. Kapitel 2.3.1) erfolgt die multivariate Analyse des NEPS anhand einer Multiplen Klassifikationsanalyse (Andrews et al., 1973; Berger, 1981; zur Interpretation mit Beispiel: vgl. Kapitel 3.2.1).26 Das Modell zu den Lernaspekten verdeutlicht einen Effekt, der fast alle Modelle prägt (Ausnahme: Soziale Aspekte): Die Ausprägung der meisten Indices ist von der besuchten Schulform abhängig (vgl. Tabelle 8). MittelschülerInnen haben stets die durchschnittlich am schwächsten, GymnasiastInnen die durchschnittlich am stärksten ausgeprägten Perspektiven. Im Schnitt sind sie am expressivsten, legen am stärksten Wert auf wirtschaftliche und unternehmerische, aber auch auf Lern- und Komfortaspekte
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In den vorliegenden Analysen ist die Fallzahl der HauptschülerInnen (nWelle 4 = 149; nWelle 5 = 127) und Eltern mit geringem Bildungshintergrund (nWelle 4 = 211; nWelle 5 = 183) relativ gering. Eine Gewichtung der Daten würde diese unterrepräsentierten Gruppen aufwerten. Allerdings ist die Gewichtung von Daten in multivariaten Verfahren umstritten und die Funktionalität der probability weights des NEPS in der Multiplen Klassifikationsanalyse in SPSS fragwürdig (Gabler und Ganninger, 2010, S. 163; Terwey, 2014), weshalb diese wie auch schon in den Analysen des ALLBUS ungewichtet gerechnet worden sind bei gleichzeitiger Kontrolle auf diverse gewichtungsrelevante Faktoren (Steinhauer & Zinn, 2016). Da die Frage nach Gewichtung jedoch häufig an der Unzulänglichkeit von Statistikprogrammen liegt, mit Gewichtungsvariablen in multivariaten Verfahren korrekt umzugehen, wurden zur Absicherung der Ergebnisqualität, aber auch aufgrund von vereinzelten Verletzungen der Modellvoraussetzungen (teils Varianzheterogenitäten; aufgrund einer tendenziellen Linksschiefe der meisten Berufswert-Items teils sehr grenzwertige Normalverteilungen in den abhängigen Variablen) zusätzliche post-hoc-tests sowie Multiple Klassifikationsanalysen mit logarithmierten abhängigen Variablen und lineare Regressionsanalysen (ohne/mit Gewichtung, mit teilmetrischen Designs sowie mit robusten Standardfehlern) gerechnet: Während sich die Ergebnisse der Multiplen Klassifikationsanalysen mit logarithmierten abhängigen Variablen und die ungewichteten Regressionsanalysen kaum von den hier dargestellten Multiplen Klassifikationsanalysen unterscheiden und auch die Kontrolle auf weitere relevante Gewichtungsvariablen sowie die Integration metrischer Variablen kaum Ergebnisdifferenzen hervorbringen, bleiben die grundlegenden Effekte auch in gewichteten Regressionsanalysen mindestens in der Tendenz bestehen; stellenweise gehen Signifikanzen verloren, gerade da aufgrund vereinzelter Anzeichen auf Heteroskedastizität mit robusten Standardfehlern gerechnet worden ist, was die Konfidenzintervalle der geschätzten Koeffizienten zusätzlich aufbläht. In der Ergebnisdarstellung werden Modelldifferenzen zu gewichteten Regressionsanalysen in Fußnoten genannt (vgl. Tabelle 11 im Anhang). Insgesamt erweisen sich auch hier tendenziell und strukturell die gleichen Einflussfaktoren wie in der Multiplen Klassifikationsanalyse, den weiteren Regressionsanalysen sowie den Analysen mit dem ALLBUS als hochrelevant: Der Bildungshintergrund und das Geschlecht. Darüber hinaus wurden die kontrollierenden Regressionsanalysen – sowohl für ALLBUS als auch NEPS – unter Ausschluss abweichender/einflussreicher Fälle gerechnet. Hier erhalten die Modelle zwar eine erhöhte Erklärungskraft, jedoch ergeben sich auch hier kaum inhaltliche Unterschiede und die Fallzahlen einzelner Gruppen werden relativ gering, weshalb diese Fälle in den vorliegenden Modellen beibehalten wurden.
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in der Erwerbsarbeit. Einerseits widerspricht dieses Ergebnis bisherigen Erkenntnissen zum subjektiven Verhältnis Jugendlicher zur Erwerbsarbeit; gleichzeitig reiht es sich aber gerade in Überlegungen zur schulischen Sozialisation ein, könnte ein Indikator für »Cooling Out«-Prozesse sein, die ja gerade Haupt-/MittelschülerInnen durchlaufen (Walther, 2014). Während Adoleszenztheorien aufgrund der frühen beruflichen Praxiseinbindung die starke Verbreitung von materiellen und reproduktionsbezogenen Erwartungen unter MittelschülerInnen nahelegen, könnten die immer stärker an Bedeutung gewinnenden Berufsorientierungsprozesse an Mittel- und Realschulen zu einer allgemein geringeren Erwartungshaltung in allen Bereichen geführt haben. Dieses Ergebnis reiht sich zudem in die Interpretationen der Shell-Studien ein (M. Albert et al., 2015, 2019). Hier wird eine Generation von MacherInnen in gehobenen Milieus beschrieben, die nicht nur ein Stück, sondern den ganzen Kuchen haben wollen – Erwerbsarbeit soll also auf allen Ebenen interessant sein. Zudem verorten sowohl Shellund SINUS-Jugendstudien als auch die Empirie zu HauptschülerInnen die »distanzierten« Jugendlichen, also jene mit wenig Bezug zu und Ansprüchen an die Erwerbssphäre, eher in niedrigeren Schultypen (vgl. Kapitel 2.3.2). Neben der besuchten Schulform stellt das Haushaltseinkommen einen signifikanten Einflussfaktor für die Bedeutung von Lernaspekten in der Erwerbsarbeit dar. Auch hier geht eine höhere soziale Lage mit einem verstärkten Fokus auf (lebenslanges) Lernen einher. Das Ergebnis deckt sich daher mit den in der Empirie häufig rekonstruierten fordistisch-normalbiographischen Vorstellungen von Haupt- und MittelschülerInnen (Kölzer, 2014; Queisser, 2010).
3. Empirische Analysen
Tabelle 8: Multiple Klassifikationsanalyse zu jugendlichen Perspektiven auf die Erwerbsarbeit (MOW)
Das Geschlecht erweist sich ebenfalls als signifikanter Einflussfaktor. Mädchen legen stärker Wert auf Lernaspekte als Jungen. Dieses Ergebnis ist jedoch mit Vorsicht zu interpretieren. In den Index zu Lernaspekten fließt ein Item zu »guten Beziehungen zu
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Tabelle 8: Multiple Klassifikationsanalyse zu jugendlichen Perspektiven auf die Erwerbsarbeit (MOW)
Quelle: Nationales Bildungspanel (NEPS), Startkohorte 3, Welle 4 / Welle 5; Signifikanzniveaus: * p < .05; ** p < .01; *** p < .001; eigene Berechnungen.
Kolleginnen und Kollegen sowie Vorgesetzten« ein. Jenes soll den Wunsch nach einer Umgebung operationalisieren, in der Wissensvermittlung ermöglicht ist. Der starke
3. Empirische Analysen
Zusammenhang von Geschlecht und sozialen Aspekten könnte hier intervenierenden Einfluss nehmen. Auffällig bei diesem wie auch bei den übrigen Modellen ist, dass das Erhebungsgebiet kaum und die berufliche Situation der Eltern (ISCO-08) in keinem signifikanten Zusammenhang mit den Perspektiven stehen. Während sich der ausbleibende Unterschied von Jugendlichen aus neuen und alten Bundesländern zumindest in den Analysen des ALLBUS 2016 spiegelt, lassen der Theorien und Forschungsstand zum subjektiven Verhältnis Jugendlicher zur Erwerbsarbeit Zweifel am fehlenden Einfluss der Eltern aufkommen (Eichler & Fischer, 2020; Gottfredson, 1981; King, 2013; vgl. Kapitel 2.1.3 & 2.3). Als mögliche Ursache für den ausbleibenden Zusammenhang kommen erstens die teils geringen Fallzahlen der Einzelkategorien infrage. Zweitens lässt die Operationalisierung der beruflichen Situation über ISCO-Kodierungen nur bedingt Rückschlüsse auf die konkrete Tätigkeit und Erwerbssituation der Eltern zu. Obwohl sich also kein statistischer Zusammenhang zeigt, sollte dies nicht dazu führen, in der qualitativen Empirie der vorliegenden Studie keinen Wert auf die berufliche Situation der Eltern zu legen.27 »Gute Chancen, beruflich aufzusteigen«, eine »hohe Sicherheit des Arbeitsplatzes« und eine »gute Bezahlung« (Wirtschaftliche Aspekte) sind unter GymnasiastInnen und Jugendlichen aus einem wohlhabenden Haushalt ebenfalls von überdurchschnittlicher Bedeutung. Während es hier keinen Geschlechtereffekt gibt, zeigen sich Unterschiede zwischen Menschen mit und ohne Migrationshintergrund. So legen Menschen mit Migrationshintergrund überdurchschittlichen Wert auf wirtschaftliche Aspekte.28 Ein Alleinstellungsmerkmal der MOW-Studien und der im NEPS eingesetzten Items ist die Erhebung der sogenannten Komfortaspekte. Als Merkmale des Arbeitskomforts werden im NEPS »angenehme Arbeitszeiten« sowie »gute physische Arbeitsbedingungen wie [...] Sauberkeit und ein niedriger Geräuschpegel« abgefragt. Als relevante Einflussfaktoren stellen sich die besuchte Schulform, der Migrationshintergrund und der Erhebungsort heraus. GymnasiastInnen, Jugendliche mit Migrationshintergrund und aus den neuen Bundesländern legen überdurchschnittlichen Wert auf eben solche Komfortaspekte.29
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In den ebenfalls gerechneten Regressionsanalysen zeigen sich bisweilen schwer zu interpretierende Effekte von Berufskategorien. Für die Wichtigkeit von Lernaspekten ist in den gewichteten Regressionsanalysen mit robusten Standardfehlern zudem der Einfluss der besuchten Schulform nicht mehr signifikant. Hier treten abermals Modellunterschiede zwischen Multipler Klassifikationsanalyse und Regressionsanalyse auf, die auf die Gewichtung der Daten und die robusten Standardfehler der Regressionsanalyse zurückzuführen sind. In dieser steht zusätzlich die Bildungsherkunft in einem bedingt negativen Zusammenhang (Kinder von RealschülerInnen und HochschulabsolventInnen weisen den wirtschaftlichen Aspekten im Schnitt eine geringere Bedeutung zu). Das OECD-Einkommen und der Migrationshintergrund stehen hier zudem in keinem Zusammenhang mit der Perspektive. In den ebenfalls gerechneten Regressionsanalysen wird der Effekt des Geschlechts signifikant – junge Frauen legen hier mehr Wert auf Komfort und Wohlbefinden als Männer. Der schwache Effekt des Migrationshintergrunds ist abermals nicht mehr signifikant.
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Inhaltlich weisen die expressiven Aspekte die größte Schnittstelle zum Konzept der sinnhaft-subjektbezogenen Perspektive und somit zum Gegenstand der meisten Adoleszenztheorien und -debatten auf. Es geht um selbstbestimmtes Arbeiten, um eine Übereinstimmung von Arbeitsinhalt und Subjektivität sowie um vielfältige, nicht-repetitive Aufgaben. Abermals steht die besuchte Schulform in signifikantem Zusammenhang mit der Bedeutung expressiver Aspekte. GymnasiastInnen haben eine überdurchschnittliche, MittelschülerInnen eine deutlich unterdurchschnittliche expressive/sinnhaft-subjektbezogene Perspektive auf Erwerbsarbeit. Neben der Schulform erweist sich das Haushaltsäquivalenzeinkommen in der multiplen Klassifikationsanalyse als relevanter, tendenziell positiver Einflussfaktor. Während sich diese Ergebnisse mit dem Forschungsstand decken (vgl. Kapitel 2.3.2 & 2.3.3), ist die überdurchschnittliche Bedeutung expressiver Aspekte unter weiblichen SchülerInnen ungewöhnlich, stimmt weder mit der Empirie noch mit Überlegungen zur weiblichen Adoleszenz überein (vgl. Kapitel 2.2.4). Eine mögliche Erklärung, die es in den qualitativen Analysen zu überprüfen gilt, könnte die Gleichzeitigkeit von sinnhaft-subjektbezogenen und materiellreproduktionsbezogenen Perspektiven unter jungen Frauen sein. Die »Doppelorientierung« (Geissler & Oechsle, 1996) junger Frauen ginge dann nicht auf Kosten der sinnhaft-subjektbezogenen Perspektive, sondern stellte eine Art on-top-Ergänzung dar. Eine weitere Erklärung könnte in der Datengrundlage der Analysen stecken: Während die jugendlichen Sozialisationsstrukturen einen positiven oder zumindest gleichwertigen Einfluss auf die expressive Perspektive von Frauen bergen (King, 2013), könnte sich die mit dem Übergang in die Erwerbssphäre ändern. Fast alle quantitativen Studien zum subjektiven Verhältnis zur Erwerbsarbeit greifen auf ältere Untersuchungseinheiten als das NEPS zurück. In Studien mit »jungen« Jugendlichen deutet sich – zumindest vereinzelt – ein ähnlicher Zusammenhang der sinnhaft-subjektbezogenen Perspektive mit dem Geschlecht an (Leven et al., 2019, S. 200).30 Ein spannender Ausreißer hinsichtlich der Einflussfaktoren ist die Orientierung an sozialen Aspekten der Berufstätigkeit. Deren Ausmaß unterscheidet sich nicht entlang sozialstruktureller Faktoren, sondern einzig zwischen den Geschlechtern. Es zeigt sich ein bekannter Effekt: Anderen zu helfen, etwas gesellschaftlich Sinnvolles tun und weitere soziale Aspekte werden besonders von Schülerinnen als wichtig gewertet (Brinck et al., 2020; A. Busch, 2013; Fischer & Eichler, 2015; Leven et al., 2019; bspw.: Oechsle et al., 2009; Pollmann-Schult, 2009; Sommer et al., 2019). Dass die soziale Herkunft keinen Einfluss nimmt, scheint in Anbetracht von Sozialstrukturanalysen erstaunlich, da die soziale Perspektive auf Erwerbsarbeit hier – mit der Ausnahme des sozial-ökologischen Milieus – hauptsächlich im unteren Bereich des sozialen Raums verortet wird (vgl. Kapitel 2.3.2). Dennoch bleibt bei diesem Ergebnis die bereits diskutierte Formulierung der Items zu bedenken – etwas »Sinnvolles« zu tun, ist eine subjektive und individuell möglicherweise unterschiedlich interpretierte Kategorie. Was die Befragten darunter verstehen, kann die quantitative Analyse nicht beantworten.
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Dieser Zusammenhang des Geschlechts mit der expressiven Perspektive bestätigt sich in den Regressionsanalysen, jedoch wird hier das Gesamtmodell bei Berechnung mit robusten Standardfehlern insignifikant.
3. Empirische Analysen
Das letzte Modell zur »Autonomie«- bzw. unternehmerischen Perspektive (»eigene Entscheidungsbefugnisse«; »mein eigener Chef sein«) zeigt vier signifikante Zusammenhänge auf. Erstens weisen MittelschülerInnen stark unterdurchschnittliche, GymnasiastInnen leicht überdurchschnittliche Werte auf. Zweitens sind SchülerInnen aus Haushalten mit hohem Haushaltsnettoeinkommen überdurchschnittlich unternehmerisch orientiert. Neben den Effekten der Bildungsherkunft und der sozialen Herkunft zeigt sich drittens ein Zusammenhang mit dem Geschlecht: männliche Schüler legen stärkeren Wert auf »Autonomie«. Viertens ist die Perspektive unter SchülerInnen mit Migrationshintergrund überdurchschnittlich stark ausgeprägt.31 Zugleich stellt diese Autonomie-Perspektive einen Teil des postfordistischen Subjektideals dar – Selbständig und unabhängig agieren, sich nicht unterordnen wollen, eben: autonom sein (Dravenau & Eichler, 2012; vgl. Kapitel 2.2.4). Während die Empirie tendenziell Haupt- und MittelschülerInnen als paradoxe Trägergruppe neoliberaler Anrufungen ausmacht (Kölzer, 2014; A. Lange & Reiter, 2018; Queisser, 2010),32 veranschaulicht die quantitative Analyse, dass diese Perspektive besonders unter GymnasiastInnen verbreitet ist. Das Problem der quantitativen Sozialforschung ist nun jedoch die Unfähigkeit zur Differenzierung von Ideal, Aspiration, Anspruch und übernommener Norm. Insgesamt bleibt festzuhalten, dass ein Großteil der Einflussfaktoren, die in Theorie und Forschungsstand das subjektive Verhältnis Jugendlicher zur Erwerbsarbeit erklären, auch in den vorliegenden Analysen in signifikantem Zusammenhang mit einzelnen Perspektiven Jugendlicher auf die Erwerbsarbeit steht. Dass der Bildungshintergrund der Eltern in der Multiplen Klassifikationsanalyse keinen signifikanten Einfluss aufweist, kann unterschiedliche Ursachen haben – neben der Möglichkeit, dass sie tatsächlich in keinerlei Zusammenhang steht. Bei genauer Betrachtung der unkorrigierten und korrigierten Abweichungen zeigt sich, dass die Bildungsherkunft ohne Kontrolle auf weitere Variablen das Muster eines positiven Zusammenhangs mit einigen MOW-Indices aufweist. Mit steigender Bildungsherkunft steigt die Bedeutung der Berufsaspekte. Dieser Zusammenhang erweist sich jedoch unter Kontrolle auf die restlichen Variablen als vermittelt. Dass neben der Bildungsherkunft auch die Berufsfelder der Eltern in keinem signifikantem Zusammenhang stehen, ist ebenfalls erstaunlich, könnte jedoch aus geringen Fallzahlen und ungenauer Kategorisierungen resultieren. Während sich in allen Modellen signifikante Zusammenhänge finden, zeigt sich jedoch auch in den Analysen des NEPS, dass die Varianzerklärung wie schon in den Modellen des ALLBUS durchwegs sehr gering ist. Dieses Problem, das in vielen quantitativen Studien zum subjektiven Verhältnis Jugendlicher zur Erwerbsarbeit auftritt, kann auch als Indikator dafür interpretiert werden, dass die Möglichkeiten der quantitativen Sozialforschung für die Erklärung von Werthaltungen und Orientierungsmustern
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In den gewichteten Regressionsanalysen sind der Zusammenhang des Migrationshintergrunds, der Schulform und des Einkommens im Gegensatz zu den Berechnungen der Multiplen Klassifikationsanalyse (teils knapp) nicht mehr signifikant. Paradox deshalb, weil aus der Übernahme der neoliberalen Logik von Eigenverantwortung und selbst verschuldetem Scheitern subjektiver Druck und Ängste entstehen, die jenes Scheitern noch beflügeln.
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Adoleszenz und Arbeit
in Anbetracht der zur Verfügung stehenden Mittel beschränkt sind. Eine tiefgreifendere qualitative Analyse verliert zwar das quantitative Aushängeschild der »Repräsentativität« sowie den Vorteil einer historischen Trendanalyse, dürfte jedoch einen deutlich besseren Einblick in die Ausformung des subjektiven Verhältnisses sowie in dessen Einbettung in gegenwärtige adoleszente Sozialisationsprozesse bieten.
3.2.3
Relevanzen für die qualitative Empirie
Die quantitativen Analysen anhand des ALLBUS und des NEPS bestätigen grundlegende Einflussfaktoren auf das subjektive Verhältnis Jugendlicher auf die Erwerbsarbeit (Schulzugehörigkeit, soziale Herkunft, Geschlecht und Migrationshintergrund), verdeutlichen einen spannenden Wandel zentraler Perspektiven auf Erwerbsarbeit innerhalb der vergangenen vierzig Jahre und unterstreichen zugleich, dass eine rein statistische Analyse aufgrund ihrer »objektiven« Standardisierung letztlich oberflächlich und mit vielen Fragezeichen behaftet bleibt. Nichtsdestotrotz bieten die Analysen und ihre Ergebnisse einen Vorteil, dem sich in der folgenden qualitativen Analyse des subjektiven Verhältnisses Jugendlicher zur Erwerbsarbeit bedient wird. Die Berechnungen mit dem ALLBUS und mit dem NEPS erlauben es, sinnvolle Kriterien zu finden, anhand derer sich die Strukturierung des qualitativen Samples orientiert. Gerade dann, wenn sich statistisch relevante Unterschiede in den Perspektiven verschiedener Subpopulationen zeigen, bietet sich eine Ausrichtung des Samples daran an. In Theorie, Forschungsstand und den vorliegenden Analysen haben sich insbesondere der schulische Bildungshintergrund und die soziale Herkunft als wichtige Einflussfaktoren herausgestellt. Gerade unter den im NEPS befragten SchülerInnen zeigen sich stark ausgeprägte Orientierungsunterschiede zwischen den Schularten. So zeichnen sich zu fast jeder Perspektive statistisch positive Zusammenhänge mit der besuchten Schulform ab: Haupt- und MittelschülerInnen messen den Skalen am wenigsten Bedeutung zu, GymnasiastInnen am meisten. Neben der Schulform erweisen sich solche Einflussfaktoren als statistisch relevant, die bereits in der Adoleszenztheorie herausgearbeitet und im Forschungsstand immer wieder genannt wurden (vgl. Kapitel 2.1 & 2.3). So bestätigen sich auch das Geschlecht und bedingt der Migrationshintergrund als relevante Einflussgrößen auf verschiedene Perspektiven. Die Ziehung des Samples der qualitativen Befragung richtet sich dementsprechend an den Kategorien der besuchten Schulform aus und versucht dabei eine ausgeglichene Berücksichtigung der Geschlechter und von Personen mit Migrationshintergrund. In einem Großteil der sozialwissenschaftlichen Studien sowie der öffentlichen Debatte zum subjektiven Verhältnis Jugendlicher zur Erwerbsarbeit geht es um sinnhaftsubjektbezogene Aspekte. Die statistischen Analysen untermauern zwar deren Bedeutung(swandel), stellen jedoch ebenso heraus, dass auch die materiell-reproduktionsbezogene und soziale Perspektive mehr Aufmerksamkeit verdienen. Denn während das Einkommen und die Sicherheit in NEPS und ALLBUS als die wichtigsten Bezugsdimensionen unter jungen Menschen empirische Relevanz erhalten, tritt die soziale Perspektive als interessanter Sonderfall in Erscheinung. Im Gegensatz zu allen anderen Indices ist sie unabhängig von der sozialen Herkunft und der besuchten Schulform, hängt einzig mit dem Geschlecht zusammen – Schülerinnen sind sozialer orientiert. Gerade vor
3. Empirische Analysen
dem Hintergrund gegenwärtiger, weiblich geprägter sozialer Bewegungen gilt es, das Augenmerk in der vorliegenden Studie nicht einfach nur auf Dimensionen der sinnhaft-subjektbezogenen Perspektive zu legen, sondern das Streben nach Sicherheit und den Bezug auf den gesellschaftlichen Nutzen von Erwerbsarbeit genauso sehr in den Blick zu nehmen. Im Endeffekt knüpft eine solche »ganzheitliche« Perspektive wieder an die Studien von Baethge und KollegInnen (1988) vom Göttinger SOFI an, die zwar – aus Gründen der damaligen Aktualität – ihr Hauptaugenmerk auf sinnhaft-subjektbezogene Ansprüche legten, darin jedoch sozial-altruistische Bezüge integrierten (vgl. Kapitel 3.1.1). Sie entledigten sich in ihrer Studie zudem nicht der materiell-reproduktionsbezogenen Perspektive, verstanden sie adoleszenztheoretisch vielmehr als subjektiven Counterpart des adoleszenten Moratoriums (Baethge, 1994b). Die quantitativen Analysen offenbaren nicht nur Entwicklungen jugendlicher Bezüge und Perspektiven auf die Erwerbsarbeit sowie deren Zusammenhänge mit individuellen und institutionellen Faktoren. Sie geben auch Rückschluss hinsichtlich der Beschaffenheit des Untersuchungsgegenstands. Während der ALLBUS die Operationalisierung von »Arbeitsorientierungen« an Rosenbergs value complexes anlehnt (Allmendinger et al., 1983), arbeitet das NEPS mit Items aus den Meaning of Working-Studien (MOW International Research Team, 1987; vgl. Kapitel 3.1.2). Der Grundgedanke der Letztgenannten wirkt wie gut gemeint, aber in der Umsetzung fragwürdig. Weitere Bezugsdimensionen in der Erfassung des subjektiven Verhältnisses zur Erwerbsarbeit zu berücksichtigen und diese theoretisch einzubetten, ist sinnvoll – gerade vor dem Hintergrund, dass die ursprünglichen Rosenbergskalen aus den 1950er-Jahren stammen. Interessanterweise erweisen sich die MOW-Indices jedoch als inhaltlich und statistisch problematisch. Erstens liegt dies an fragwürdigen Operationalisierungen, die inhaltliche Überschneidungen verschiedener Perspektiven nahelegen (vgl. Kapitel 3.2.2). Zweitens und direkt damit zusammenhängend lässt sich die Aufteilung der MOW-Indices im Gegensatz zu Rosenbergs Schema statistisch nicht reproduzieren. Faktorenanalysen mit den Einzelitems ergeben nicht die sechs MOW-Perspektiven. Für die qualitativen Analysen, die letztlich in Kenntnis und Reflexion dieser Dimensionen/Kategorien erfolgen, legt dies nahe, sich dem Rosenbergschen Schema nicht kategorisch zu entledigen, dabei jedoch nicht auf der oberflächlichen Kategorisierung zu verweilen, sondern deren Vielschichtigkeit, Tiefe, Verwobenheit und insbesondere potentielle Abweichung herauszuarbeiten und zu überprüfen. Gerade die Anschlussfähigkeit der sinnhaft-subjektbezogenen, der materiell-reproduktionsbezogenen sowie der sozialen Perspektive an die Weberschen Sinnkategorien sowie Marxschen Entfremdungsdimensionen (s. Kapitel 3.1.3) macht dieses Unternehmen soziologisch anschlussfähig. Die letzte und wohl entscheidende Relevanz, die sich aus den quantitativen Analysen immer wieder herauskristallisiert, ist deren methodeninhärente Unzulänglichkeit, den Gegenstand entsprechend seiner Komplexität zu erfassen. Das subjektive Verhältnis Jugendlicher zur Erwerbsarbeit zu verstehen, überhaupt subjektive Deutungen und Wahrnehmungen zu interpretieren und auf gegenwärtige Bedingungen jugendlicher Sozialisation zu beziehen, ist jedoch auch nicht ihre Aufgabe. Ihre Aufgabe war und ist es, im Rahmen ihrer Möglichkeiten und auch ihrer Vorteile gegenüber der qualitativen Sozialforschung (Flick et al., 2019, S. 24-26), Informationen über das subjektive Verhält-
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Adoleszenz und Arbeit
nis Jugendlicher zur Erwerbsarbeit zu gewinnen. Dass es eine Entsubjektivierung von jugendlichen Orientierungen im Verlauf der letzten vierzig Jahre gegeben hat, kann nur sie zeigen; was das inhaltlich jedoch bedeutet, ob Jugendliche bspw. »Selbstverwirklichung« und »Sicherheit« heute so interpretieren wie vor vierzig Jahren, welchen »Sinn« Jugendliche der Erwerbssphäre zuschreiben, ob und wie Bezüge und Perspektiven wiederum in adoleszente Sozialisationsmuster und Möglichkeitsräume eingebunden sind, liegt ihr fern.
3.3
Qualitative Analysen zum Verhältnis Jugendlicher zur Erwerbsarbeit
Wenn der quantitativen Analyse Schwächen konstatiert werden, so geschieht dies nicht nur im Sinne einer selbstreflexiven Methodenkritik (Was kann eine Methode? Was misst und analysiert sie?), sondern vor dem Hintergrund eines Forschungsgegenstands, dem die Methode letztlich nicht gerecht wird. Das subjektive Verhältnis zur Erwerbsarbeit erschöpft sich eben nicht einfach in der Frage, was Jugendlichen wichtig in der Erwerbsarbeit sei. Eine fest zementierte Definition des Gegenstandes, im Sinne vorstrukturierter Kategorien und Typen, scheint hier eher kontraproduktiv, der angenommenen Komplexität der sozialen und adoleszenten Realität nicht gerecht. Wie eingangs erläutert, wird das subjektive Verhältnis zur Erwerbsarbeit auch hier in Anschluss an die Ausgangsstudie zur normativen Subjektivierungsthese von Martin Baethge und KollegInnen von Göttinger SOFI (1988) als handlungsrelevante Orientierung auf Erwerbsarbeit definiert. Von dieser her begründen Jugendliche, interpretieren und planen – es handelt sich also um eine Art modus operandi hinsichtlich der Erwerbsarbeit und der Erwerbssphäre, der sich in den Vorstellungen von, den Einstellungen zu und den Ansprüchen an eben jene widerspiegelt. Diese verdichten sich in spezifischen Bezugsdimensionen und übergeordneten Perspektiven (bei Baethge und KollegInnen: sinnhaft-subjektbezogen vs. materiell-reproduktionsbezogen). Die Rekonstruktion dieses umfassenden und potentiell widersprüchlichen Orientierungsrahmens steht im Mittelpunkt der folgenden Kapitel. Analog zu Baethge und KollegInnen werden diese Handlungsorientierungen nicht rationalistisch verkürzt, sondern auch Motive, Bewertungsmaßstäbe und Selbstvorstellungen Jugendlicher in die Analyse einfließen. Der Fokus liegt auf dem gesamten subjektiven Bezug des adoleszenten Subjekts auf die Erwerbssphäre. Darüber hinaus ist es das Ziel der vorliegenden Studie zu überprüfen, inwiefern sich die hier dargestellten, widersprüchlichen Bedingungen gegenwärtiger Adoleszenz im subjektiven Verhältnis Jugendlicher zur Erwerbsarbeit ausdrücken. In der qualitativen Empirie der vorliegenden Studie stehen somit folgende Fragestellungen im Mittelpunkt: • • •
Mit welchen Vorstellungen, Ansprüchen, Wünschen und Bewertungsmaßstäben stehen Jugendliche gegenwärtig der Erwerbssphäre gegenüber? Welche handlungsrelevanten Bezugsdimensionen und übergeordnete Perspektiven hinsichtlich der Erwerbsarbeit lassen sich daraus rekonstruieren? Inwiefern spiegeln sich in den Bezugsdimensionen und Perspektiven gegenwärtige Sozialisationsbedingungen der Adoleszenz wider?
3. Empirische Analysen
Um dem subjektiven Verhältnis Jugendlicher zur Erwerbsarbeit beizukommen, bedarf es eines Zugangs, dem quantitative Methoden nicht gerecht werden (können). Adoleszente Subjektivität und zugehörige Sozialisationsdynamiken können kein Resultat einer vorstrukturierten und ins Zahlenformat gepressten Analyse sein. Die innere Logik von Bezugsdimensionen und Perspektiven auf Erwerbsarbeit wird erst in der Form des offenen Gesprächs transparent, da Bedeutungsgehalte von Erwerbsarbeit hier nicht extern vorgeprägt, sondern selbst bestimmt sind. Deshalb wurde sich im Rahmen dieser Studie zusätzlich zur und aufbauend auf den quantitativen Analysen für ein qualitatives Forschungsdesign entschieden. Im Folgenden stehen zuerst das Sampling, die Befragungsmethode sowie ein Überblick zum daraus resultierenden Material im Mittelpunkt (Kapitel 3.3.1). Zur Auswertung und zur Rekonstruktion jugendlicher Bezugsdimensionen und Perspektiven auf die Erwerbsarbeit dient in der vorliegenden Studie die Dokumentarische Methode nach Nohl (2017; Kapitel 3.3.2). Die Darstellung der qualitativen Analyseergebnisse erfolgt in drei Schritten. Zuerst wird dabei ein allgemeiner Überblick über das Sample gegeben (Kapitel 3.3.3). Soziodemographische und biographische Merkmale, grundlegende Einstellungsmuster gegenüber Familie, Schule und Gesellschaft sind hier knapp vergleichend skizziert. Ein erster Blick auf die Präsenz von Erwerbsarbeit und Zukunftspläne erfolgt ebenfalls in diesem Kapitel, um insgesamt die Vielfalt und Gemeinsamkeiten der adoleszenten Lebenswelten und der sozialisatorischen Bedingungen aufzuzeigen, unter denen die interviewten Jugendlichen aufwachsen. Ziel ist es, neben dem deskriptiven Überblick zum Sample bereits typische Strukturen adoleszenter Möglichkeitsräume und Widersprüche jugendlicher Sozialisation im Sample herauszuarbeiten. In einem zweiten Schritt stehen typische Perspektiven und darunter zu verortende Bezugsdimensionen der Jugendlichen auf die Erwerbsarbeit im Mittelpunkt (Kapitel 3.3.4). Während das individuelle subjektive Verhältnis zur Erwerbsarbeit fallspezifisch, komplex, vielschichtig und bisweilen widersprüchlich ist, geht es in diesem Teilkapitel um eine analytische Trennung verschiedener Perspektiven und darunter zu verortender Bezugsdimensionen. Dabei fällt schnell ins Auge, dass diese Perspektiven den drei dominanten value complexes von Rosenberg (1980) entsprechen: Alle interviewten Jugendlichen hegen bestimmte Wünsche gegenüber der Erwerbssphäre, orientieren sich an beruflichen Aspekten, die sich den drei Perspektiven »sinnhaft-subjektbezogen«, »materiell-reproduktionsbezogen« und »sozial« zuordnen lassen. Eine »einfache« Typenbildung, wie sie anhand der Dokumentarischen Methode klassischerweise vorgenommen wird, erfolgt in diesem Zuge jedoch nicht – es gibt nicht »die Subjektbezogenen« oder »die Sozialen«. Wenn überhaupt zeigen sich vor dem Hintergrund widersprüchlicher Bedingungen der Adoleszenz »typische Sozialisationsbedingungen«, die mit einer »typischen Verschränkung« von sinnhaftsubjektbezogenen, materiell-reproduktionsbezogenen und sozialen Perspektiven einhergehen – häufig »auf Kosten« des Subjektbezugs. Anhand von Fallbeispielen werden daher im finalen Abschnitt solche typischen Verschränkungen von Perspektiven und Bezugsdimensionen auf die Erwerbsarbeit im Kontext widersprüchlicher Adoleszenz skizziert (Kapitel 3.3.5).
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Adoleszenz und Arbeit
Konkret geht es dabei erstens um das Bewusstsein um die Prekarität der »juvenilisierten« Erwerbssphäre. Während sowohl adoleszenztheoretische Überlegungen als auch quantitative Ergebnisse darauf hindeuten, dass die normative Subjektivierung von Arbeit eigentlich ein Phänomen gehobener Sozialmilieus ist, findet sich in den Interviews mit GymnasiastInnen, deren Eltern subjektiviert arbeiten, ein sozialstrukturell gegenläufiger Effekt. Das Bewusstsein um die Prekarität subjektivierter Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen sowie deren Folgen im (Familien-)Alltag fördern subjektive Unsicherheiten und eine damit verbundene Infragestellung der sinnhaft-subjektbezogenen Perspektive. Zweitens verdeutlichen insbesondere Interviews mit MittelschülerInnen die Folgen von Aktivierungspolitiken und der objektiven wie subjektiven Omnipräsenz der Ökonomie in jugendlichen Lebensläufen. Dabei zeigt sich eine unerwartete Dynamik: Das vielfach ausgemalte instrumentelle Verhältnis zur Erwerbsarbeit, Selbstökonomisierungstendenzen und völlig materialistische Charaktere sind eher die Ausnahme denn die Regel. Die Folgen der ganz objektiv ökonomisierten Adoleszenz gestalten sich deutlich vielschichtiger und teils widersprüchlich. Während durchaus »Cooling Out«-Prozesse unter den MittelschülerInnen festzustellen sind, gerade Identitätsund Selbstverwirklichungsbezüge hier kaum in Erscheinung treten, steht die schulische Berufsorientierungspraxis zugleich in enger Verbindung zu Bezugsdimensionen der sinnhaft-subjektbezogenen Perspektive. Drittens liegt der Fokus auf der distinktiven Selbstverwirklichung (Fischer & Eichler, 2015). Die Aufwertung der eigenen, natürlich erscheinenden subjektbezogenen Perspektive gegenüber scheinbar profanen, materiell-reproduktionsbezogenen Ansprüchen an die Erwerbsarbeit erweist sich im vorliegenden Sample allerdings als kaum relevant. Nichtsdestotrotz steht Empirie im Mittelpunkt, die zum einen ein entsprechendes subjektives Verhältnis zur Erwerbsarbeit repräsentiert, zum anderen jedoch eine Dynamik veranschaulicht, die sich im Sample und adoleszenztheoretisch als hochrelevant herausstellt. Es geht um sogenannte Ankerpunkte der Adoleszenz, die den Jugendlichen Freiräume und Möglichkeiten der Selbstreflexion abseits klassischer adoleszenter Institutionen bieten. Sinnhaft-subjektbezogene Ansprüche an die Erwerbsarbeit finden hier eine alternative Grundlage. Eine Reflexion der Ergebnisse, gerade vor dem Hintergrund einer dauerhaften Debatte um die »Jugend von heute«, erfolgt im anschließenden Kapitel.
3.3.1
Sampling und Material
Die vorliegende qualitative Analyse stützt sich auf die Interpretation narrativ fundierter, leitfadengestützter Interviews mit 15 SchülerInnen aus Bayern im Alter von 14 bis 19 Jahren (Nohl, 2005, 2017, S. 15-28; Schütze, 1977). Das Sampling orientiert sich am Forschungsstand zum subjektiven Verhältnis Jugendlicher zur Erwerbsarbeit (vgl. Kapitel 2.3), an den hier vor(an)gestellten quantitativen Analysen (vgl. Kapitel 3.2) sowie an adoleszenztheoretischen Vorannahmen (vgl. Kapitel 2.1). Es handelt sich also um ein Sampling nach vorab festgelegten Kriterien (Przyborski & Wohlrab-Sahr, 2014, S. 182184). Dieses erfolgt im Gegensatz bspw. zum »theoretical sampling« (Glaser & Strauss, 1967, 51ff.) nicht erst anhand von Kategorien und Erkenntnissen, die sich im Laufe der Analyse entwickeln, sondern über die a priori festgelegte Definition von vermuteten Ein-
3. Empirische Analysen
flussfaktoren. In der Literatur findet sich dieses Vorgehen auch als »qualitativer Stichprobenplan« (Kelle & Kluge, 2010) oder »selective sampling« (Schatzman & Strauss, 1973, S. 38-40). »Die für die Fallauswahl relevanten Merkmale müssen anhand der Untersuchungsfragestellung, anhand theoretischer Vorüberlegungen und anhand des Vorwissens über das Untersuchungsfeld bestimmt werden.« (Kelle & Kluge, 2010, S. 50; Hervorhebungen im Original) Untersuchungseinheiten der vorliegenden Studie sind SchülerInnen im Alter von 14 bis 19 Jahren. Für diese Auswahl waren zwei Überlegungen maßgeblich. Erstens sollte vermieden werden, dass die Jugendlichen bereits eine Berufswahl getroffen haben und im Berufsleben stehen. Wie in Übereinstimmung mit adoleszenztheoretischen Annahmen aus dem Forschungsstand hervorgeht, verändern sich adoleszente Orientierungen mit dem Eintritt ins Erwerbsleben maßgeblich, passen sich häufig an die ausgeübte Tätigkeit an. Der Übergang in die Erwerbssphäre stellt eine klassische »Statuspassage« in der Jugend- und Lebenslaufforschung dar (Elder, 1985; Konietzka, 2010), deren institutionelle und psychosoziale Komplexität im Rahmen der vorliegen Studie kaum beizukommen ist. Das gewählte Sampling erlaubt somit eine Komplexitätsreduktion. Zweitens werden über diese Alters- und Statuseinschränkung auch die Unwägbarkeiten postfordistischer Formen der Spätadoleszenz, die sich in Konzepten der emerging adulthood (Arnett, 2007) oder der Postadoleszenz (Eichler & Fischer, 2020; Erdheim, 2012; Keniston, 1968) widerspiegeln, außenvorgelassen. Es geht also um Jugendliche in einem sehr klassischen Sinne. Theoretisch wie empirisch steht die Schulzugehörigkeit in einem engen Zusammenhang zur psychosozialen Lage Jugendlicher und darüber vermittelt zum subjektiven Verhältnis zur Erwerbsarbeit (Baethge et al., 1988; Bernfeld, 1970b; Bourdieu, 1993a; Erdheim, 1988b; Fischer & Eichler, 2015; Hauff, 2008; King, 2013; vgl. Kapitel 2). In der vorliegenden Studie erfolgt daher ein binäres Sampling, zuvorderst im Sinne des maximalen Kontrasts (Strauss & Corbin, 2010, S. 63-70). Als InterviewpartnerInnen wurden SchülerInnen der Mittelschule33 (9 Interviews) und des Gymnasiums (6 Interviews) ausgewählt. Mittelschulen haben die Leitlinie, besonders praxisorientiert zu lehren und ihre SchülerInnen verstärkt auf die Berufsausbildung vorzubereiten (Bayerisches Staatsministerium für Unterricht und Kultus, 2019). Die SchülerInnen besuchen ab der siebten Klasse drei praxisbezogene Zusatzfächer, von denen sie ab der achten Klasse eines dauerhaft belegen. Sie entscheiden sich zwischen »Technik« (Technisches Zeichnen und Werkstücke), »Wirtschaft« (Computer und Büroarbeit) und »Soziales« (Kochen und Planen). Auch wenn das Gymnasium in seiner Ausrichtung nicht im humanistischHumboldtschen Sinne aufgeht und Wahlfächer auch hier existieren, steht der Besuch der Mittelschule deutlich stärker im Kontext beruflicher Orientierung und von Ökonomisierungsdynamiken (Höhne, 2015; Walther, 2014). Der Feldzugang wurde über priva-
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Als Mittelschulen gelten heute ehemalige Hauptschulen mit einem M-Zweig: Wer hier einen qualifizierenden Hauptschulabschluss (»Quali«) mit einem geringeren Notenschnitt als 2,33 in den Fächern Deutsch, Mathematik und Englisch erreicht, kann über den M-Zweig einen mittleren Schulabschluss (»Mittlere Reife«) erwerben.
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Adoleszenz und Arbeit
te Kontakte ermöglicht, folgte bisweilen einem Schneeballverfahren, erlaubt dennoch ein hohes Maß an Vergleichbarkeit der Interviewten innerhalb der Schulformen hinsichtlich des räumlichen und institutionellen Settings sowie der konkreten Interviewsituation. Alle SchülerInnen nahmen entsprechend der Vorschriften der DatenschutzGrundverordnung (DSGVO) freiwillig am Interview teil. Dies könnte zu einem Bias der Befragten geführt haben. Gerade wenn auch die Zustimmung der Eltern vonnöten war, liegt es nahe, dass sich eher Jugendliche mit weniger individuellen und familiären Konflikten bereit erklären, ein biographisches Interview zu führen. Die Größe des Samples begrenzt sich auf fünfzehn Personen. Die Anzahl der Fälle und das Sampling über vorab festgelegte Kriterien erlauben im Gegensatz zur quantitativen Datenauswertung natürlich keine Repräsentativität – das ist jedoch nicht Sinn und Zweck der vorliegenden Studie oder qualitativer Sozialforschung. Zugegebenermaßen würde eine größere Stichprobe vermutlich tiefgreifendere Aussagen ermöglichen, mehr Widersprüche gegenwärtiger Adoleszenz auf ihren Zusammenhang mit dem subjektiven Verhältnis zur Erwerbsarbeit prüfen. Letztlich wurden die inhaltlichen Erwägungen der Stichprobenziehung von den zur Verfügung stehenden Ressourcen forschungspragmatisch übertrumpft (Akremi, 2014, S. 277-278). Nichtsdestotrotz ermöglicht auch dieses »kleine« Sample von fünfzehn Interviews einen Zugang zur Rekonstruktion subjektiver Bezugsdimensionen und Perspektiven auf Erwerbsarbeit, die die quantitative Sozialforschung niemals erreichen würde (Bohnsack, 2014). Als Befragungsform wurde in dieser Studie ein narrativ fundiertes, leitfadengestütztes Interview gewählt (Nohl, 2017, S. 15-19). Die Methode des narrativen Interviews geht weitestgehend auf Fritz Schütze (1976, 1984) zurück, gilt als dessen Vorbereitung der Methode des biographischen Interviews und umfasst vielerlei Einflüsse der USamerikanischen Soziologie (Bohnsack, 2014, S. 31).34 Grundlegend ermöglicht es die von Baethge und KollegInnen (1988) geforderte »Offenheit« zur Analyse des subjektiven Verhältnisses Jugendlicher zur Erwerbsarbeit. Dies bezieht sich sowohl auf die Form des Gesprächs als auch auf die Relevanzsetzung hinsichtlich bestimmter Themen. »Die Bedeutsamkeit des narrativen Interviews für die Sozialwissenschaften stellt sich im ersten Zugriff mithin folgendermaßen dar: Es ist [...] eine derjenigen Erhebungsund Analyseverfahren, welche die Erfahrungs- und Orientierungsbestände des Informanten bei weitgehender Zurücknahme des Forschereinflusses unter den Relevanzgesichtspunkten des Informanten möglichst immanent zu rekonstruieren versucht. Seine Wirksamkeit fußt auf der alltagsweltlichen Kompetenz des Informanten zum Stegreiferzählen, die nicht nur prinzipiell, sondern auch in ihrem Fertigkeitsniveau relativ schichtunabhängig verteilt ist.« (Schütze, 1987, S. 254) Tatsächlich geht die Form der Interviews über das »einfache« narrative Interview hinaus, da die Einstiegsfrage keinen thematischen, problemzentrierenden Bezug hat (bspw. »Welche Pläne hast du für die Zeit nach der Schule und wie ist es dazu
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Als theoretische Grundlagen bzw. Einflüsse, die in die Konzeption des narrativen und biographischen Interviews nach Schütze eingeflossen sind, gelten mithin Konzepte aus der Phänomenologie, dem Symbolischen Interaktionismus, der Ethnomethodologie, der Konversationsanalyse sowie der Grounded Theory (Küsters, 2009, S. 18).
3. Empirische Analysen
gekommen?«), sondern biographisch orientiert ist. Die Interviews setzen immer mit einer »autobiographisch orientierte[n] Erzählaufforderung« zur »gesamten Lebensgeschichte« ein (Schütze, 1983, S. 285; »Erzähle mir doch bitte deine gesamte Biographie. Hole ruhig weit aus und erzähle mir alles, was dir wichtig erscheint, von Anfang an bis heute.«). Die biographische Erzählung wurde nicht unterbrochen und erst dann beendet, wenn eindeutige Erzählkoda (bspw. »Jetzt fällt mir nichts mehr ein.«) auftraten oder längere Stille einkehrte. Um eine mögliche »Raffung des Erzählduktus« oder »Vagheit« (Schütze, 1983, S. 285) einzuholen, erfolgte ein narrativer Nachfrageteil zur biographischen Erzählung. Für jedes Interview existieren die Hauptbestandteile eines biographischen Interviews (Eingangserzählung, Narrativer Nachfrageteil und Argumentativ-beschreibender Teil; Nohl, 2017, S. 20-22) und auch die Grundregeln biographisch-narrativer Interviewführung wurden eingehalten (Erzählgenerierung, keine Unterbrechung der/des Interviewten usw.). Letztlich durchbricht das gewählte Interviewformat jedoch die Schranke des biographisch-narrativen Interviews, da es anschließend an den ersten Part sowohl Elemente des themenzentrierten/problemorientierten Interviews (Marotzki, 2011; Witzel, 1982) als auch des Leitfadeninterviews (Meuser & Nagel, 2009) aufweist. Einerseits aufgrund der thematischen Fokussierung auf Adoleszenz und das subjektive Verhältnis zur Erwerbsarbeit, andererseits aufgrund des praktischen Problems der biographischen Erzählgenerierung bei Jugendlichen wurden über die biographische Erzählung hinaus leitfadengestützt die drei Themengebiete Familie, Schule und Erwerbsarbeit/Zukunft behandelt. Dabei wurde der Leitfaden »flexibel und nicht im Sinne eines standardisierten Ablaufschemas gehandhabt, um unerwartete Themendimensionierungen [...] nicht zu unterbinden« (Meuser & Nagel, 2011, S. 58). Trotz der notwendigen Erfassung von Strukturmerkmalen, blieb das Format der meisten Fragen erzählgenerierend. Interviews gerieten daher nur selten zur Punkt-für-Punkt-Abarbeitung und der Leitfaden war weniger eine Streichliste als vielmehr eine Gedächtnisstütze. Diese Mischform (biographisch orientiertes, themenzentriertes und leitfadengestütztes Interview) ermöglicht es erstens, möglichst viele Informationen und Dimensionen der Adoleszenz sowie des subjektiven Verhältnisses zur Erwerbsarbeit zu generieren. Über die biographische Erzählung hinaus, werden also Lebenswelten und Deutungsmuster in ihrer Tiefe, Vielschichtigkeit und Widersprüchlichkeit fassbarer, um letztlich adoleszente Orientierungsrahmen ihrer Komplexität entsprechend besser herauszuarbeiten. Zweitens bleibt trotz seiner teilstandardisierten Form der narrative Charakter des Interviews erhalten. Dies erlaubt eine Auswertungsmethode, die sich in gewisser Weise ebenfalls an Baethge und KollegInnen (1988) orientiert, aber auch darüber hinausgeht. In ihrer Studie beschreiben sie ihr Vorgehen als »strukturelle bzw. strukturorientierte Interpretation« (Baethge et al., 1988, S. 34; Hervorhebungen im Original), bei der Orientierungsmuster zuerst herausgearbeitet werden, um sie dann »systematisch auf Merkmale der Biographie und Lebenssituation zu beziehen«. In der vorliegenden Studie wurde sich daher für ein Verfahren entschieden, dass der Rekonstruktion von Orientierungsrahmen und deren sozial strukturierten Konstitutionslogiken dient.
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Adoleszenz und Arbeit
3.3.2
Die Dokumentarische Methode nach Nohl
Die Dokumentarische Methode dient der Exploration und Rekonstruktion von Denkund Handlungsmustern anhand qualitativer Daten (Kleemann et al., 2013, S. 154). Ralf Bohnsack (1989, 1997) entwickelte sie zunächst als rekonstruktives Verfahren zur Auswertung von Gruppendiskussionen, wendete sie dabei insbesondere in der Adoleszenzund Milieuforschung an. Heute zählt sie in fast allen Bereichen der Sozial- und Erziehungswissenschaften sowie relativ unabhängig vom konkreten Analysematerial zum grundlegenden Methodenrepertoire (zum Überblick: Bohnsack et al., 2013; Bohnsack, 2014, S. 31-32). Entlang der zunehmenden Diversifizierung des Untersuchungsmaterials fand eine Übertragung und Spezialisierung der Methode statt. Ihre systematische Anwendung auf narrativ fundierte Interviews und eine zugehörige methodologische Untermauerung, der sich auch die vorliegende Studie anschließt, geht auf Arnd-Michael Nohl (2005) zurück. Im Folgenden stehen sowohl die methodologischen Grundlagen als auch die Forschungspraxis der Dokumentarischen Methode in Anschluss an Nohl (2017) im Mittelpunkt. Begrifflich taucht die »Dokumentarische Methode« bereits bei Harold Garfinkel (1973) auf. Von dessen ethnomethodologischer Forschungstradition setzt sich Bohnsack in seiner Konzeption der Dokumentarischen Methode allerdings ab. Er bezeichnet die Ethnomethodologie gar als »eine ›halbierte‹ Wissenssoziologie« (Bohnsack, 2014, S. 5759). Methodologischer und begrifflicher Bezugspunkt sind bei ihm vielmehr die wissenssoziologischen Arbeiten Karl Mannheims (1964a, 1980), insbesondere: a) die darin vorgenommene Trennung zweier Sinnebenen b) die Annahme der »Seinsverbundenheit« des Denkens c) die entsprechende Trennung zweier Erfahrungs- bzw. Zugangsebenen.
Mannheim (1964a) unterscheidet den immanenten vom dokumentarischen Sinngehalt einer Äußerung. Der immanente Sinngehalt bezieht sich auf das unmittelbar Mitgeteilte bzw. Wahrnehmbare. So kann alles Gesagte auf seinen »wörtlichen, expliziten, d.h. auf seinen ›immanenten Sinngehalt‹ hin« (Nohl, 2017, S. 4; Hervorhebung im Original) untersucht werden. Dabei lassen sich nochmals zwei Sinnebenen unterscheiden: Objektsinn und intentionaler Ausdruckssinn. Erstgenannter umfasst, was die/der Jugendliche sagt, was also der objektivierbare Inhalt einer Aussage ist. Der zweitgenannte umfasst die »Absichten und Motive des/der Erzählenden« (Nohl, 2017, S. 4), d.h. die kommunikative Selbstdarstellung. Während der Objektsinn relativ einfach zu erfassen ist, indem analysiert wird, was gesagt wird, ist der subjektiv gemeinte Sinn von SprecherInnen »nicht unmittelbar aus einer Äußerung heraus systematisch erfassbar« (Kleemann et al., 2013, S. 160). Vom immanenten Sinngehalt unterscheidet Mannheim (1964a, S. 104) den »Dokumentsinn« einer Äußerung: »Bei diesem dokumentarischen Sinngehalt wird die geschilderte Erfahrung als Dokument einer Orientierung rekonstruiert, die die geschilderte Erfahrung strukturiert.« (Nohl, 2017, S. 4)
3. Empirische Analysen
Im Gegensatz zum Objektsinn verweist der Dokumentsinn also nicht darauf, was die gesellschaftliche Realität der/des Einzelnen ist, sondern wie diese hergestellt wird. Bei der Analyse des Dokumentsinns steht die Herstellungsweise eines Textes, der modus operandi, der »gesamtgeistige ›Habitus‹« (Mannheim, 1964a, S. 109) einer Person im Mittelpunkt. »Es geht hier darum, wie ein Text oder eine Handlung konstruiert ist, in welchem Rahmen ihr Thema abgehandelt wird, das heißt in welchem »Orientierungsrahmen« (Bohnsack 2003, 135) eine Problemstellung bearbeitet wird.« (Nohl, 2005, 8) Die Auffassung, dass nicht nur das wörtlich und explizit Mitgeteilte für die Analyse von Interviews entscheidend ist, teilt die Dokumentarische Methode mit der Objektiven Hermeneutik (Oevermann et al., 1979) und den Grundideen des narrativen Interviews nach Schütze.35 Darüber hinaus stehen soziologische »Klassiker« wie Polanyis (1985) Konzept des »impliziten Wissens« und auch Bourdieus (1993b, S. 157-161) »sens pratique« dem Sinn-, aber auch dem Wissensbegriff Mannheims in vielerlei Hinsicht sehr nahe. Der Dokumentsinn manifestiert sich, wie oben geschildert, in der Herstellungsweise und Praxis des Subjekts. Gleichzeitig erfolgt die Praxis des Subjekts nur in den seltensten Fällen reflexiv. So vertraut uns alltägliche Handlungen erscheinen, so schwer fällt uns deren theoretische Explikation. Als klassisches Beispiel hierfür dient Bohnsack und KollegInnen das »Schuhe Zuknoten« (in Anschluss an: Mannheim, 1980, S. 73-75). Wie Nohl (2017, S. 6) verdeutlicht, lässt sich dies jedoch mit beinahe jedem inkorporierten und in der Praxis in Erscheinung tretenden Wissen veranschaulichen: Wie man Fahrrad fährt, wissenschaftlich diskutiert oder läuft – dies alles sind Praktiken, die »alltäglich« erscheinen, keiner Erklärung bedürfen, die auf ein atheoretisches Alltagswissen zurückgreifen und doch zugleich sozial konstituiert sind (Mannheim, 1980). In jener »Seinsverbundenheit« (Mannheim, 1985) des Denkens und Wissens zeigen sich die Verschränkungen zwischen der Mannheimschen Wissenssoziologie, Bourdieus Subjekttheorie und auch den hier diskutierten Adoleszenztheorien (vgl. Kapitel 2.1.2 & 2.1.3). Einerseits geht es darin um die Besonderheit der spezifischen (psycho)sozialen Lage, die sich in Denkmustern niederschlägt; andererseits verweist der Zusammenhang von Objektivität und Subjektivität darauf, dass Alltagswissen kein individuelles Merkmal, sondern ein in Gruppen/Klassen hergestelltes (und im Sinne Bourdieus: herstellendes) Denk- und Orientierungsmuster ist. Es basiert auf sozial stratifiziertem Erfahrungswissen. »Die Dokumentarische Methode [erfasst; A. F.] das in der Alltagspraxis von Akteuren zum Tragen kommende handlungsleitende Erfahrungswissen, indem sprachliche Darstellungen der Beforschten über ihre alltäglichen Handlungen eingehend analysiert werden. In diesen Äußerungen manifestieren sich kollektive Routinen und Orientierungen, deren soziale Grundlagen den Akteuren selbst für gewöhnlich nicht präsent sind, sodass man sie auch nicht unmittelbar dazu befragen kann.« (Kleemann et al., 2013, S. 156; Hervorhebung im Original)
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Zur Differenz Objektiver Hermeneutik zur Dokumentarischen Methode: Kramer (2015) und Bohnsack (2014, S. 83-90).
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Alltagswissen und Alltagshandeln begründen sich somit in sozial erworbenen »Orientierungsmustern«, die es zu rekonstruieren gilt. Ein solches ist auch das subjektive Verhältnis Jugendlicher zur Erwerbsarbeit und wie jedes Orientierungsmuster gliedert sich dieses nochmals auf in »Orientierungsschemata« und »Orientierungsrahmen«. »Orientierungsschemata (als institutionalisierte normative Vorgaben der Gesellschaft) und Orientierungsrahmen (durch konkrete Sozialisationserfahrungen erworbene, sozial geprägte Denk- und Handlungsmuster) begründen im wechselseitigen Bezug aufeinander das Alltagswissen- und das -handeln der Menschen.« (Kleemann et al., 2013, S. 157) Wie gelangen SozialforscherInnen nun an dieses Alltagswissen? In der Methodologie der Dokumentarischen Methode tritt für diese Frage die Problematik des Erfahrungsraums in den Vordergrund. Denn Forschende teilen in den seltensten Fällen die Handlungspraktiken, die lebensweltlichen Erfahrungen und somit das daraus generierte Alltagswissen ihrer Befragten. Die SchülerInnen der vorliegenden Studie teilen dieses – zumindest in gewissen Grenzen – untereinander. Sie haben eine gemeinsame soziale und räumliche »Erlebnisgeschichte« (Kleemann et al., 2013, S. 158) und verfügen daher über ein intuitives Verständnis von Logiken und Ordnungen, deren Erläuterung in ihrem Alltag kaum mehr nötig ist. Mannheim (1980, S. 225) spricht in diesem Falle von einem verbindenden, »konjunktiven Erfahrungsraum«. »Der Fremde, der an dieser gemeinsam erlebten Praxis der Gruppe nicht teilhat, kann sich solches Alltagswissen zunächst nur auf dem Weg kommunikativer Erfahrung aneignen, d.h. über das Nachvollziehen fremder Alltagserfahrungen, die von den Beforschten mitgeteilt werden. Der Fremde ›steckt nicht drin‹, muss Fragen stellen und das Gespräch suchen, um etwas von dem sozialen Handeln zu verstehen.« (Kleemann et al., 2013, S. 158; Hervorhebung im Original) Doch selbst in der Kommunikation steckt der Wurm. Alltagswissen kommunikativ zu vermitteln, ist nicht ohne weiteres möglich. Selbst wenn sich die Interviewten bereitwillig und offen zu ihren Erfahrungen äußern, ist es unwahrscheinlich, dass sie ihre eigenen Denk- und Handlungsmuster ohne Weiteres explizieren könnten. In der scheinbaren Normalität liegt die Krux des Habitus. Letztlich gelangt man so vielleicht zu Unterscheidungen von Wissensbeständen, die zwischen Individuen und Kollektiven existieren mögen. Den dahinterliegenden, strukturierenden Orientierungsrahmen eröffnet dieser Weg jedoch nicht. Welche Methode schlagen also Bohnsack (1997) und Nohl (2017) zur Rekonstruktion des dokumentarischen Sinns von Äußerungen und somit zur Rekonstruktion des modus operandi vor? Grundlegend geht die Dokumentarische Methode in zwei Schritten vor. Dabei verwerfen sie keineswegs die Bedeutung der kommunikativen Erfahrung, sondern heben diese in ihrem ersten Schritt hervor. Als analytischen Zwischenschritt zur Rekonstruktion des dokumentarischen Sinngehalts geht es in der formulierenden Interpretation um die Annäherung an den objektiven Sinngehalt, den Objektsinn des Gesagten. Dieser erste Analyseschritt teilt sich dabei in die Auswahl thematisch relevanter Passagen, die einer Transkription bedürfen, und die formulierende Feininterpretation. In der Feininterpretation werden erst Ober- und Unterthemen der Abschnitte identi-
3. Empirische Analysen
fiziert, dann die Passagen thematisch in ganzen Sätzen und mit den Worten des Forschenden zusammengefasst. »Schon diese Reformulierung des thematischen Gehalts dient dazu, die Forschenden gegenüber dem Text fremd zu machen (vgl. Schäffer, 2006). Ihnen wird vor Augen geführt, dass der thematische Gehalt nicht selbstverständlich, sondern interpretationsbedürftig ist.« (Nohl, 2017, S. 31) In der vorliegenden Studie wurden alle Interviews vollständig transkribiert. Dieses Vorgehen ist zeitintensiv, führt bei sehr langen Interviews potentiell zur Unübersichtlichkeit des Materials, minimiert jedoch im Gegensatz zum klassischen Vorgehen der Dokumentarischen Methode die Gefahr des Übersehens scheinbar nebensächlicher Aspekte und führt zu einer tieferen Grundkenntnis der Fälle. Nichtsdestotrotz erfolgte die formulierende Feininterpretation nicht für den gesamten Text. Bei der Auswahl relevanter Stellen wurde sich an den von Nohl (2017, S. 30) vorgeschlagenen Kriterien orientiert. Von Interesse waren die thematische Nähe der Abschnitte zu forschungsrelevanten und interviewübergreifenden Themen, die eine komparative Analyse erlauben, sowie besonders ausführliche und auffällig metaphorische Sequenzen. Während es bei der formulierenden Interpretation um das »Was« eines Interviewtextes geht, steht im zweiten Schritt der Dokumentarischen Methode das »Wie« im Vordergrund – »Wie wurde das gesagt, was gesagt wurde?« (Kleemann et al., 2013, S. 175). Die reflektierende Interpretation zielt also auf den Orientierungsrahmen, vor dessen Hintergrund und in dessen Grenzen ein Thema bearbeitet wird. Ziel dabei ist, die »spezifische Weichen- und Problemstellung bei der Behandlung eines Themas« (Bohnsack, 2014, S. 34) nachzuvollziehen, um Dokumentsinn und somit Orientierungsrahmen zu rekonstruieren.
Tabelle 9: Ebenen des Sinngehalts und ihre empirische Erfassbarkeit
Quelle: eigene Darstellung (in Anlehnung an: Nohl, 2017, S. 6).
Als konkrete Methode schlägt Bohnsack hierfür die komparative Sequenzanalyse vor. In Anschluss an Pfaller (2016, S. 58), die einen Widerspruch der Dokumentarischen Methode mit der Logik der Sequenzanalyse hervorhebt, wurde auch in der vorliegenden Studie auf die kaum zu vollziehende Trennung von formaler und reflektierender Interpretation verzichtet (zur Sequenzanalyse: Oevermann et al., 1980, S. 22-27). Entsprechend wurde ein Verfahren angewendet, dass beide Schritte aneinanderkoppelt, die Orientierungsrahmen Jugendlicher sequenzanalytisch zu rekonstruieren versucht, dabei jedoch eine analytische Unterscheidung von objektivem Sinn und Dokumentsinn vollzieht.
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»Die Haltung der dokumentarischen Methode wird also beibehalten, wobei dies methodisch nicht über zwei Interpretationsschritte, sondern über das Durchführen einer komparativen Sequenzanalyse eingelöst wird. Im Vergleich zu anderen Auswertungsverfahren ist diese konsequent bereits in der konkreten Interpretation einzelner Interviews fallvergleichend angelegt.« (Pfaller, 2016, S. 58) Wie werden nun aber die ausgemachten Sequenzen konkret analysiert? Annahme ist, dass Orientierungsrahmen über Erfahrungen strukturiert sind und das Denken, Handeln und somit die Bearbeitung eines Themas strukturieren. In den analysierten Sequenzen geht es also darum, die Logik des Geäußerten im Sinne eines Dreischritts zu rekonstruieren. Auf einen ersten Erzählabschnitt, die Proposition des bearbeiteten Themas, folgt der daran anschließenden (»zweiten«) Äußerung die spezifische Fortführung eines Themas. Spezifisch deshalb, da sich diese, entsprechend der Annahmen der Dokumentarischen Methode, nur der jeweiligen Erfahrungsweise bzw. dem jeweiligen Orientierungsrahmen gemäß ausgestalten kann (Nohl, 2017, S. 8). Dieser Orientierungsrahmen wird rekonstruiert über die Überprüfung einer impliziten Regelhaftigkeit, die den ersten mit dem zweiten Abschnitt verbindet. Anschließend gilt es, die vermutete Regelhaftigkeit in einem dritten Abschnitt zu ratifizieren. Methodisch handelt es sich also um eine Suche nach homologen Anschlussäußerungen auf der Basis des minimalen Kontrasts. »Diese Regelhaftigkeit wird rekonstruiert, indem man nach der Klasse von zweiten Äußerungen sucht, die nicht nur thematisch sinnvoll erscheinen, sondern die auch homolog oder funktional äquivalent zu der empirisch gegebenen zweiten Äußerung sind.« (Nohl, 2017, S. 37) Die Dokumentarische Methode geht über sequenzanalytische Suche nach fallinternen Homologien hinaus und dies unterscheidet sie eminent von der Objektiven Hermeneutik (Kramer, 2015, 2018). Ein wesentlicher Aspekt der Rekonstruktion des Orientierungsrahmens ist der gedankenexperimentelle Entwurf von Handlungs- und Äußerungsalternativen. Wie könnte die/der Befragte ein Wort/einen Abschnitt fortsetzen? Welche konstruierten Alternativen wählt sie nicht und zeigt sich schließlich eine implizite Regelhaftigkeit in der Bearbeitung eines Themas? Damit diese Rekonstruktion nicht Gefahr läuft, zur reinen Konstruktion zu gerinnen, arbeitet die Dokumentarische Methode fallvergleichend: komparativ sequenzanalytisch. Neben gedankenexperimentellen Überlegungen zu potentiellen zweiten Äußerungen wird daher im Sinne des minimalen Kontrasts nach Fällen im Sample gesucht, »in denen die in der ersten Äußerung verbalisierte Problematik bzw. Thematik auf eine strukturgleiche Art und Weise bearbeitet wurde« (Nohl, 2017, S. 37). Allein die Suche nach homologen, funktional äquivalenten Anschlussäußerungen reicht zur Bestimmung eines kollektiv geteilten Rahmens nicht aus. Hierzu bedarf es einer zusätzlichen Abgrenzung heterologer, zu einer anderen Klasse gehörender Anschlussäußerungen. »Daher werden an dieser Stelle maximal kontrastierende Fälle in den Vergleich einbezogen. Man rekonstruiert, wie dieselbe in einer ersten Äußerung geschilderte Thematik auch auf ganz andere Art und eise bearbeitet werden kann, welche – zum ersten Fall –
3. Empirische Analysen
heterologen Anschlussäußerungen in den Kontrastfällen zu finden sind.« (Nohl, 2017, S. 38) Das komparative Element der Dokumentarischen Methode dient nicht nur der Validierung der Orientierungsrahmen, sondern der Generierung mehrdimensionaler Typen (Bohnsack, 2013). Bereits in der Logik der Kontrastierung von Fällen ist die sinngenetische Typenbildung angelegt. Während in der Einzelfallanalyse der maximale Kontrast impliziter Regelhaftigkeit im Vordergrund steht, also die Unterscheidung der Anschlussäußerungen des vorliegenden Falls von anderen, erhalten die kontrastierten Orientierungsrahmen in der sinngenetischen Typenbildung eigenständige Bedeutung – sie werden »abstrahiert«, »vom Einzelfall abgelöst« und zu »Typen (A und B etc.) ausformuliert (Nohl, 2017, S. 42). Einfacher: es werden überhaupt erst diejenigen Orientierungsrahmen möglichst trennscharf rekonstruiert, die als typisch für das Phänomen angesehen werden. Im Sinne ihrer wissenssoziologischen und praxeologischen Bezüge zielt die Dokumentarische Methode über eine »einfache« Rekonstruktion hinaus. In der soziogenetischen Typenbildung stehen die sozialen Zusammenhänge und somit die Genese der Orientierungsrahmen im Mittelpunkt. Je nach Tiefe und Komplexität des Materials lassen sich hierbei mehrdimensionale Bezüge von Mustern und konjunktiven Erfahrungsräumen nachzeichnen. »[...] es wird rekonstruiert, wie ein vor dem Hintergrund einer bestimmten Problemstellung (etwa einer generationsspezifischen Problematik) herausgearbeiteter erster Typus (Orientierungsrahmen) mit einem zweiten Typus (Orientierungsrahmen) zusammenhängt, der zu einer anderen (etwa einer geschlechtsspezifischen) Problemstellung gehört. In dieser mehrdimensionalen Typenbildung lassen sich dann Grenzen und Reichweite einzelner Typen bestimmen und so generalisierungsfähige empirische Aussagen treffen.« (Nohl, 2017, S. 10) Die Bedeutung der soziogenetischen Typenbildung zeigt sich in Anbetracht der adoleszenz- und sozialisationstheoretischen Überlegungen zum subjektiven Verhältnis Jugendlicher zu Erwerbsarbeit. Es geht schließlich nicht nur um die Rekonstruktion verschiedener Orientierungsrahmen, sondern darum zu überprüfen, inwiefern diese mit spezifischen Mustern der Adoleszenz zusammenhängen.
3.3.3
Bedingungen und zentrale Widersprüche der Adoleszenz im Sample
Ziel des folgenden Kapitels ist, einerseits einen Überblick zum Sample zu verschaffen; andererseits geht die Analyse deutlich über eine einfache Deskription hinaus. Im Mittelpunkt stehen schulische Bedingungen und deren Wahrnehmung, familiale Konstellationen sowie Kontakte der Interviewten zur Erwerbsarbeit – es geht also bereits um zentrale Bedingungen der Adoleszenz im Sample. Während die in Kapitel 2.2.4 thetisch ausgearbeiteten Widersprüche der Adoleszenz sowie deren Auswirkungen auf das subjektive Verhältnis zur Erwerbsarbeit in Kapitel 3.3.5 ausführlich rekonstruiert und dargestellt werden, erfolgt anhand der hier vorgenommenen strukturgeleiteten Deskription bereits ein erster Einblick in deren Verbreitung und Relevanz im Sample.
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Schule Das Sample umfasst fünfzehn InterviewpartnerInnen.36 Neun Interviewte besuchen zum Zeitpunkt des Interviews die neunte und zehnte Klasse einer Mittelschule (Cedrik, Dagmar, Eugen, Frank, Gregor, Kerstin, Tanja, Ulf, Ute), sechs Interviewte gehen auf ein Gymnasium (Bernd, Karl, Magda, Nathalie, Paula, Zara). Während die MittelschülerInnen 14 bis 15 Jahre alt sind, ist die Altersspannweite der GymnasiastInnen mit 15 bis 19 Jahren und die Range ihrer Klassenzugehörigkeit deutlich größer (9.-12. Klasse). Mittelschulen sind in Bayern praxisorientiert organisiert, zielen entsprechend der bayerischen Leitlinien für Mittelschulausbildung auf die Employability bzw. die direkte Vermittlung der SchülerInnen in die Erwerbssphäre (Bayerisches Staatsministerium für Unterricht und Kultus, 2011). Hierfür setzen bereits sehr früh berufsorientierende Maßnahmen ein. Ab der fünften Klasse erfolgen sogenannte Arbeitsplatzerkundungen – eine Auseinandersetzung mit den elterlichen und anderen Erwerbstätigkeiten. Ab der siebten Klasse wird ein praxisbezogenes Zweigsystem eingeführt (Wirtschaft – Soziales – Technik), bei dem die SchülerInnen erst alle drei Fächer belegen und sich ab der achten Klasse auf eines festlegen. Ebenfalls bereits in der siebten Klasse erfolgt eine »Potentialanalyse« der SchülerInnen, bei der es um das Herausarbeiten von Interessen und Fertigkeiten geht. Auf dieser Potentialanalyse bauen sogenannte Werkstatttage auf, bei denen SchülerInnen in einem geschützten Raum Erwerbsarbeit simulieren. Hier arbeiten sie zwei Wochen lang in Tätigkeitsbereichen, die sich aus der Analyse als mögliche Berufsfelder ergeben. Ab der achten Klasse wird es ernst: BerufseinstiegsbegleiterInnen, der Besuch von Ausbildungs- und Berufsmessen, insgesamt drei Pflichtpraktika mit der Möglichkeit zu weiteren freiwilligen Praktika, Bewerbungstrainings und individuelle Berufsberatung in Schulsprechstunden durch MitarbeiterInnen der Agentur für Arbeit. Die berufsorientierenden Maßnahmen werden sogar selbst zum Ausweis der Employability, indem deren Zertifikate von den SchülerInnen zu einem Portfolio gesammelt und bei Bewerbungen beigelegt werden. Zusätzlich zu diesen typischen Bestandteilen der Berufsorientierung an bayerischen Mittelschulen, gibt es schulspezifische und optionale Berufsorientierungsmaßnahmen. Im Vergleich zur Mittelschule sind die Thematisierung von Erwerbsarbeit und die explizite Berufsorientierung an bayerischen Gymnasien deutlich schwächer ausgeprägt, dennoch sehen sie Besuche in Berufsinformationszentren und ein Pflichtpraktikum vor. Die interviewten SchülerInnen der Oberstufe besuchen zudem wöchentlich ein Projektseminar zur Studien- und Berufsorientierung. Die konkrete Durchführung des Seminars, die Einbindung externer PartnerInnen aus der Wirtschaft sowie die Planung, Durchführung und Reflexion des Praktikums sind schulspezifisch, vom zeitlichen Umfang jedoch deutlich geringer als die Maßnahmen zur Berufsorientierung an der Mittelschule. Das Verhältnis der interviewten Jugendlichen zur Schule steht entsprechend der objektiven Präsenz von erwerbsvorbereitenden Maßnahmen und konkreter Erwerbserfahrun36
Alle im Folgenden präsentierten Jugendlichen wurden anonymisiert und für Namen, biographische und familiale Merkmale Pseudonyme verwendet. Eine knappe Übersicht zu den Jugendlichen findet sich im Anhang in Tabelle 12.
3. Empirische Analysen
gen in einem deutlichen Zusammenhang mit der besuchten Schulform. So verstehen, erleben und thematisieren viele MittelschülerInnen die Schule als eine direkte Vorbereitung auf die Erwerbssphäre. Ein Mittelschüler beschreibt Schule sogar im Sinne einer »Simulation« von Erwerbsarbeit, eine weitere Mittelschülerin antwortet auf die Frage, warum wir eigentlich zur Schule gehen, direkt: »Dass wir den besten Beruf haben.« Häufig wählen sie auch ihre Schulzweige entsprechend ihrer Zukunftsplanungen (vgl. Kapitel 3.3.5). Beim gewählten Schulzweig zeigt sich im Sample zudem ein Zusammenhang mit dem Geschlecht, der in der Tendenz mit dem Forschungsstand übereinstimmt: Die Mehrheit der Interviewten, die einen Technikzweig besuchen, sind männlich und planen auch eine Ausbildung im technischen Bereich. Inhaltliche Verknüpfungen von Schule und Erwerbsarbeit finden sich unter den interviewten GymnasiastInnen kaum. Schule wird hier eher als Stressor thematisiert, ist dementsprechend häufig mit nostalgischen »bergab«-Erzählungen37 behaftet. Während sich also unter den interviewten MittelschülerInnen Ökonomisierungstendenzen verdichten, finden sich unter den GymnasiastInnen deutliche Anzeichen auf verstärkten Leistungsdruck. Nur unter ihnen erfolgt zudem eine Infragestellung der Institution Schule und ihrer disziplinierenden Logiken. Leistungstechnisch fällt auf, dass das Sample überdurchschnittlich gut ist – insbesondere die MittelschülerInnen. Die berichteten Noten aller SchülerInnen befinden sich grundsätzlich im ungefährdeten Bereich. Dies ist ein Hinweis darauf, dass leistungsschwache SchülerInnen über das angewendete Samplingverfahren nicht erreicht wurden.
Soziale Herkunft und Migrationshintergrund Bildungsabschluss, berufliche Stellung und Wohnsituation der Eltern deuten im Sample eine Reproduktion sozialer Positionen an. Eine Abweichung des elterlichen vom angestrebten Schulabschluss findet sich unter den MittelschülerInnen nur in wenigen Fällen. Nur ein Elternteil weist einen Universitätsabschluss auf, der zweithöchste genannte elterliche Bildungsabschluss ist bereits der mittlere Schulabschluss. Vereinzelte SchülerInnen berichten zudem von ausländischen Schulabschlüssen der Eltern, deren Wertigkeit und Anerkennung unklar bleiben. Bei den Eltern der interviewten GymnasiastInnen besitzen fast alle Elternteile eine Hochschulreife, der Großteil weist sogar universitäre Abschlüsse auf. Entsprechend unterscheiden sich auch die Berufsbilder der gymnasialen von den Mittelschul-Eltern deutlich: Während unter den Eltern der MittelschülerInnen erwerbslose »Hausfrauen«, un- und angelernte ArbeiterInnen, FacharbeiterInnen und Selbständige vertreten sind, ist die Berufsstruktur der Eltern der GymnasiastInnen deutlich gehobener. Es fällt zudem auf, dass bei den Vätern der GymnasiastInnen, die »nur« FacharbeiterInnen oder angelernt sind, die Berufstätigkeit häufig im Sinne individueller Selbstverwirklichung interpretiert wird. Dieses Muster deckt sich mit der Literatur zu Eltern des Kreativmilieus, bei denen der Vater nicht der »Ernährer« ist (Koppetsch & 37
Derartige Erzählungen handeln von der Leichtigkeit und Sorglosigkeit der Kindheit und Grundschulphase gegenüber der Sekundarstufe. Häufig sind diese Erzählungen mit steigendem Stress und sich verschlechternden Noten verbunden.
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Speck, 2015). Allgemein zeigt sich in den Haushalten der GymnasiastInnen eine höhere Dichte von Erwerbstätigkeiten, die typischerweise als »subjektiviert« oder »kreativ« gelten, Potential zur »Selbstverwirklichung« bieten, ein hohes Maß an Eigenverantwortung und Selbststrukturierung abringen, zugleich jedoch meist befristet, unsicher und somit strukturell prekär sind (Castel & Dörre, 2009; Kleemann, 2012). Im Unterschied zu den MittelschülerInnen ist hier zudem ein Großteil der Jugendlichen mit den Beschäftigungsverhältnissen ihrer Eltern aufgrund der heimischen Thematisierung und Problematisierung vertraut. Die Wohnsituation der Jugendlichen hängt mit dem Schulabschluss und der beruflichen Stellung der Eltern eng zusammen. Mehr als die Hälfte der interviewten MittelschülerInnen lebt in Mietwohnungen oder -häusern. Bei nur wenigen MittelschülerInnen verfügen die Eltern gesichert über Wohneigentum, in einigen Fällen bleibt das Wohnverhältnis jedoch unklar. Die GymnasiastInnen leben zur Hälfte in Wohneigentum. Die andere Hälfte lebt in Mietverhältnissen, wobei deren Größe und Ästhetik mit dem typischen Verweis auf den »Altbau« häufig in den Mittelpunkt gestellt werden. Dass fast alle InterviewpartnerInnen ein eigenes Zimmer haben, ist abermals ein deutliches Anzeichen für ein sozial gehobenes Sample (Andresen et al., 2019). Der Migrationshintergrund der Jugendlichen steht in engem Zusammenhang mit der Schulzugehörigkeit. Etwa zwei Drittel der MittelschülerInnen sind im Ausland geboren oder haben Migrationshintergrund. Unter den interviewten GymnasiastInnen gibt es nur in einem Fall einen Migrationshintergrund.38
Innerfamiliäre Verhältnisse In den Familienkonstellationen der Interviewten offenbart sich zwar nicht die gesamte Bandbreite pluralisierter Lebensformen, dennoch finden sich im Sample alleinerziehende Väter und Mütter, Kernfamilien, Mehrkindfamilien und Patchworkfamilien. Die Familienkonstellationen bieten den Jugendlichen jeweils unterschiedliche Möglichkeiten, sich mit Formen, Inhalten und Aufteilungen von Erwerbs- und Reproduktionsarbeit auseinanderzusetzen. Interviewte mit älteren Geschwistern haben sich teilweise mit deren Erwerbstätigkeiten deutlich stärker beschäftigt als mit denen ihrer Eltern. Beiden kommt in den Interviews immer wieder eine Vergleichs- und Abgrenzungsfunktion zu. Dass innerfamiliäre Konstellationen und gerade die Vergleichsfunktion über Geschwister jedoch nicht nur zum Reflexionsvorteil gerinnen, sondern darüber elterliche Erwartungshaltungen gesetzt werden und in einigen Fällen Reproduktionsarbeit für Jugendliche erzeugen, verdeutlicht sich insbesondere in Interviews mit MittelschülerInnen (vgl. Kapitel 3.3.5). So beschreibt sich eine Interviewpartnerin in vielen Aspekten als Ersatzmutter für ihre jüngere Schwester, ein Mittelschüler ist fest in die Hausarbeit integriert und ein weiterer kocht regelmäßig für seine Geschwister.
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Inwiefern diese Zahlen den realen Anteil von Personen mit Migrationshintergrund in den verschiedenen Schulformen widerspiegeln, ist aufgrund der fehlenden Erfassung in amtlichen Schulstatistiken unklar. Hier wird einzig der AusländerInnenanteil erhoben (Haupt-/Mittelschule: 23,7 %; Gymnasium: 4,9 %; Destatis, 2019).
3. Empirische Analysen
Ein Großteil der Interviewten beschreibt das aktuelle Verhältnis zu den Eltern als »gut« oder »freundschaftlich« – ein etwas vages Ergebnis, das sich so auch in der Literatur wiederfindet (Wolfert & Quenzel, 2019, S. 135-137). Diese Einschätzung koppelt sich meist an typische Schilderungen eines autoritativ-partizipativen Erziehungsstils (Hurrelmann & Bauer, 2020, S. 150-160; Raithel, 2009, S. 29), der viele Freiheiten gewährt, ohne Bedürfnisse zu vernachlässigen. Aspekte eines autoritären Erziehungsstils finden sich in vereinzelten Erzählungen von MittelschülerInnen. In wenigen schulübergreifenden Fällen treten Schilderungen auf, die ein Laissez-faire der Eltern ausmachen, stark ausgeprägte Sicherheitsorientierungen oder abwesende Eltern beschreiben. Insgesamt zeigt sich abermals eine Differenzierung nach sozialer Herkunft und Schulzugehörigkeit. »Freiräume« sind, in unterschiedlichem Ausmaß, eher ein Kennzeichen der Erziehung von GymnasiastInnen. Einschränkende und überstrenge Autorität finden sich ausschließlich in den Erzählungen der MittelschülerInnen. Die antizipierten Erwartungen der Eltern hinsichtlich Bildung, Erwerbsarbeit, aber auch im Allgemeinen, differieren abermals zwischen den Schultypen der Jugendlichen, wobei sich zumindest die Schilderungen der stark ausgeprägten Bildungsorientierung noch relativ ähnlich gestalten – von den SchülerInnen werde häufig erwartet, »nicht nichts zu tun«. Bei den GymnasiastInnen zeigt sich, dass der Großteil der elterlichen Erwartungen im Sinne der Selbstverwirklichung gedeutet wird – meist sollen bzw. dürfen sie das machen, was sie glücklich macht, ihren eigenen Weg gehen, subjektbezogen agieren. Die antizipierten elterlichen Erwartungen unter MittelschülerInnen konzentrieren sich auf den »guten« qualifizierenden Hauptschulabschluss, den Ausbildungsplatz und die zukünftige Unabhängigkeit von den Eltern – die Ablösung als erwarteter Prozess steht hier deutlich stärker im Mittelpunkt als bei den GymnasiastInnen. Ebenso stehen fordistisch anmutende Bilder als Erwartungshaltung der Eltern bei MittelschülerInnen besonders häufig parat: Job, Haus, Auto, Familie. Es zeigen sich also herkunftsbzw. schulspezifische Erwartungshaltungen seitens der Eltern: Von GymnasiastInnen wird relativ häufig die Realisierung eigener Interessen erwartet, von den MittelschülerInnen ein ökonomisch-unabhängiger Lebensstil. Wenn sich dort überhaupt elterliche Erwartungen auf das Eigeninteresse konzentrieren, dann betrifft dies insbesondere weibliche Mittelschülerinnen.
Kontakte zur Erwerbsarbeit und Erwerbspläne – Ein erster Einblick Glauben Jugendliche an die Realisierung ihrer beruflichen Idealvorstellungen vor dem Hintergrund ihrer gegebenen Umstände? Haben sie sich überhaupt mit der eigenen erwerbsbezogenen Zukunft auseinandergesetzt? Wie präsent ist Erwerbsarbeit bereits in der Gegenwart? Ohne bereits Bezugsdimensionen und Perspektiven Jugendlicher auf die Erwerbsarbeit sowie deren strukturelle Verwobenheit mit Adoleszenzbedingungen zu thematisieren (Kapitel 3.3.4 & 3.3.5) stehen im Folgenden erste deskriptive Erkenntnisse zu Kontakten mit der Erwerbssphäre sowie beruflichen Ideal- und Realvorstellungen im Mittelpunkt. Alle interviewten SchülerInnen hatten bereits Kontakt mit der Erwerbssphäre. Dabei zeigen sich jedoch wieder deutliche schicht- bzw. schulspezifische Differenzen hinsichtlich der Tätigkeitsprofile und der Motivationen. GymnasiastInnen arbeiten ver-
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gleichsweise häufig in Gelegenheits-, Mini- oder Aushilfsjobs, wohingegen alle interviewten MittelschülerInnen ausschließlich über schulische Berufsorientierungsmaßnahmen erwerbstätig waren. Aufgrund der schulischen Differenzen in der Schwerpunktsetzung stellt sich Erwerbsarbeit in den Interviews mit MittelschülerInnen als deutlich präsenter heraus im Vergleich zu den GymnasiastInnen. Einzelne MittelschülerInnen haben sogar bereits konkrete Ausbildungsstellen in Aussicht. Während Erwerbsarbeit also ein für die MittelschülerInnen sehr gegenwärtiges Phänomen darstellt, setzen sich die GymnasiastInnen damit viel stärker vermittelt über die Eltern und deren Tätigkeiten auseinander. Sie sind im Gegensatz zu den MittelschülerInnen über deren Beschäftigungsverhältnisse und teils sogar deren Erwerbsbiographie besser informiert. Entsprechend unterscheiden sich auch die Motive der SchülerInnen in der Praktikumswahl (ausführlicher: Kapitel 3.3.4 & 3.3.5). Während einige MittelschülerInnen ihre Praktika nutzen, um Interessen abzustecken, entscheiden sich andere bereits auf Grundlage vorhandener Orientierungen oder potentieller Ausbildungsbetriebe, um Kontakte in die Arbeitswelt herzustellen. Die GymnasiastInnen fallen nur vereinzelt durch die Wahl von Schulpraktika auf, die potentiellen Erwerbstätigkeiten entsprechen, meist erfolgt hier die Wahl des Praktikums geradezu beliebig. Mini- und Gelegenheitsjobs, die ausschließlich ältere GymnasiastInnen ausführen, sind allesamt materiell motiviert. Bei den geschilderten Zukunftsplänen zeigen sich entsprechende schulspezifische Differenzen. Die interviewten MittelschülerInnen sind zeitlich und auch schulisch deutlich stärker gezwungen, konkrete Pläne für die Zeit nach dem Hauptschulabschluss zu entwickeln. Die Beliebigkeit der künftigen Erwerbstätigkeit, auf die andere Studien hinweisen (»Hauptsache ein Job später« – Kölzer 2014), findet sich im vorliegenden Sample nicht (ähnlich: Scherr, 2012). Im Gegenteil: Ein Großteil der MittelschülerInnen verfügt über sehr konkrete und meist diverse Alternativpläne. Nur in vereinzelten Fällen zeigt sich eine andauernde Auseinandersetzung mit der eigenen (Erwerbs-)Identität und dazu passenden Tätigkeiten oder resignativer Unglauben an die Realisierung der eigenen Pläne. In der Mehrheit der Interviews stimmen zudem der Traumjob mit der realen Planung überein. In diesen Fällen geht es nicht um außergewöhnliche Tätigkeiten mit viel Prestige, sondern um gängige Ausbildungsberufe. In den übrigen Fällen sind die Traumjobs schwer erreichbar oder stehen den konkreten Plänen geradezu diametral gegenüber. Die GymnasiastInnen sind in ihren Vorstellungen von Traumjobs und in ihren realen Plänen weitab von der Gedankenwelt der meisten MittelschülerInnen. Auffällig ist nicht nur die deutlich geringere Konkretheit der Pläne – klar scheint für die meisten nur, dass sie studieren wollen, wobei sich nur die Hälfte der Interviewten auf einen Fachbereich festgelegt hat. Noch auffälliger ist die Differenz von Traumjob und Plan. Nur bei einer Gymnasiastin stimmen die beiden Kategorien völlig überein. Einerseits sind die Traumjobs der meisten GymnasiastInnen schwer erreichbare, kaum realisierbare oder subjektiv zu prekär wahrgenommene Tätigkeiten; andererseits bleibt stets ein Funken Hoffnung in den geplanten Tätigkeiten erhalten – auch eine Medizinerin kann zur anerkannten Expertin werden und es ist zumindest vorstellbar, neben dem Studium den Durchbruch als Autor zu schaffen. Die Identität von Traumjob und realem Plan unter MittelschülerInnen vermittelt neben der intensiven Auseinandersetzung mit der künftigen Erwerbstätigkeit auf den
3. Empirische Analysen
ersten Blick auch einen gewissen »Cooling-Out«-Effekt (Walther, 2014). Die Jugendlichen nehmen eine sehr »realistische« Perspektive ein, stellen diese kaum infrage und streben kaum nach Größenphantasien. Allerdings gilt es deutlich hervorzuheben, dass selbst diese »realistischen« Perspektiven und die Alternativpläne der MittelschülerInnen für viele schwer erreichbar sein werden. Der »Realismus« der sehr konkreten Pläne muss im Einzelfall jeweils geprüft werden – das Wissen um die Erwerbssphäre herrscht vor, ihre Präsenz ist sehr deutlich, die Ziele vieler MittelschülerInnen nicht illusorisch, aber teils sehr hoch gesteckt. Während die GymnasiastInnen die Entscheidung für eine konkrete Erwerbstätigkeit nach hinten verschieben können, gibt es ähnliche Überlegungen unter vielen MittelschülerInnen. Falls die Bewerbungen erfolglos blieben, wird häufig der Besuch einer »M-Klasse« als Alternative angeführt, die sich jedoch an bestimmte, für einige InterviewpartnerInnen nur schwer erreichbare Leistungsvoraussetzungen knüpft.39
Widersprüchliche Bedingungen der Adoleszenz Auf Grundlage biographischer, familialer, schulischer und erwerbsspezifischer Merkmale der Interviewten finden sich im Sample zwei zentrale sowie weitere vereinzelte »Widersprüche der Adoleszenz« (vgl. Kapitel 2.2.4; Eichler & Fischer, 2020). Diese stellen sich nicht nur als theoretisch relevante Bedingungen des adoleszenten Möglichkeitsraum heraus, sondern spiegeln sich empirisch im subjektiven Verhältnis der Jugendlichen zur Erwerbsarbeit wider. Während die individuelle Rekonstruktion und Feindarstellung dieser Widersprüche in den Kapiteln 3.3.4 und 3.3.5 erfolgt, liegt der Fokus im Folgenden einzig auf ihrer strukturellen Verbreitung und Relevanz im Sample. Der erste zentrale Widerspruch jugendlicher Sozialisationsbedingungen zur »Idee der Adoleszenz« liegt in eben jenen Prozessen und Dynamiken, die in Jugenddebatten als Ökonomisierung der Adoleszenz diskutiert werden. In den Interviews verdeutlicht sich erstens, dass sich in Anschluss an den vielschichtigen Ökonomisierungsdiskurs eine Unterscheidung struktureller und interner Ökonomisierungsdynamiken Sinn macht, und, dass diese Trennung sozialstrukturelle Zusammenhänge aufweist. Die strukturelle Präsenz der Erwerbssphäre im jugendlichen (Schul-)Alltag ist unter MittelschülerInnen deutlich spürbarer, steht in den Erzählungen zur Schule immer wieder im Mittelpunkt, erweist sich subjektiv als höchstrelevant. Letztlich ist dies auch kein Wunder – die Jugendlichen sind teilweise bereits im Übergang in die Ausbildung, bewerben sich regelmäßig oder treffen MitarbeiterInnen der Arbeitsagentur, um ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu verbessern. Dass diese strukturelle Untergrabung des Moratoriumgedankens jedoch keineswegs in einem unidimensionalen Zusammenhang zum subjektiven Verhältnis zur Erwerbsarbeit steht (im Sinne von: strukturelle Ökonomisierung befördert eine rein materielle Perspektive), steht in Kapitel 3.3.5 im Mittelpunkt – während bspw. einige Jugendliche Ökonomisierungsprozesse, Berufsorientierungs-
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Konkret ist der qualifizierende Hauptschulabschluss mit einer Durchschnittsnote von 2,33 in den Fächern Deutsch, Mathematik und Englisch Voraussetzung zur Zulassung in einer M-Klasse der zehnten Klassenstufe. Bereits zuvor können MittelschülerInnen ab der siebten Klasse einen MZweig besuchen, der perspektivisch auf den mittleren Schulabschluss (»Mittlere Reife«) ausbildet.
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und Aktivierungsmaßnahmen regelrecht verinnerlichen, perlen dieselben Maßnahmen an anderen Jugendlichen geradezu teflonartig ab. Strukturell sind die interviewten GymnasiastInnen von der sozialen Lage, familiären Situation und auch hinsichtlich der schulischen Strukturen meist »im Vorteil« – Erwerbssphäre und Adoleszenz sind hier deutlich weniger ineinander verschränkt. Die Berufswahl erfolgt perspektivisch erst viel später, fast alle Interviewten planen fest mit einem Studium und antizipieren somit eine Postadoleszenz. Nichtsdestotrotz deuten sich auch hier subjektive Aspekte der Ökonomisierungsdebatte an: Selbstrationalisierung, Leistungsdruck, individualisierte Verantwortung und damit häufig verbundene Stresserfahrungen im Schulkontext – während die MittelschülerInnen eher von objektiven Ökonomisierungsfaktoren betroffen sind, weisen die GymnasiastInnen vermehrt Merkmale einer internen, subjektiven Ökonomisierung auf, die eine »Idee der Adoleszenz« konterkarieren (Eichler & Fischer, 2020). Der zweite im Sample zentrale »Widerspruch der Adoleszenz« ist ebenfalls sozial strukturiert, ein GymnasiastInnen-Phänomen. Deutlich häufiger als die interviewten MittelschülerInnen haben sie Kenntnis über die subjektivierte Erwerbssphäre und deren strukturellen Unsicherheiten. Ihre Eltern arbeiten projektbasiert, in wissenschaftsnahen Bereichen sowie im Kreativsektor. Viele von ihnen sind subjektorientiert in die Arbeitswelt eingetreten, waren oder sind prekär beschäftigt, mit multidimensionalen Unsicherheiten konfrontiert (Familie, Einkommen, Erwerbsarbeit) und thematisieren das zuhause. Dass und wie sich dieses Wissen um die Prekarität einer vordergründig juvenilisierten Ökonomie im subjektiven Verhältnis Jugendlicher zur Erwerbsarbeit niederschlägt, steht ebenfalls in Kapitel 3.3.5 zur Diskussion. Hier steht zudem ein verwandtes MittelschülerInnen-Phänomen im Mittelpunkt. Unter ihnen findet sich das Wissen um und die Auseinandersetzung mit subjektivierten Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen nicht, doch auch sie antizipieren prekäre Arbeits- und Lebensbedingungen, die sich im subjektiven Verhältnis zur Erwerbsarbeit spiegeln. Neben diesen zentralen Widersprüchen finden sich im Sample weitere vereinzelte Adoleszenzbedingungen, die Moratoriumslogiken, Möglichkeitsräume und Triangulierungsdynamiken unterlaufen. Als relevant und spannend im Zusammenhang mit dem subjektiven Verhältnis zur Erwerbsarbeit hat sich die Wirklogik weiblicher Adoleszenz herausgestellt. Familie und Kinder werden in den Interviews geschlechterübergreifend thematisiert. Die damit verbundene Reproduktionsarbeit und deren Reflexion sind jedoch Frauen- bzw. Mädchensache (King, 2013). Viele weibliche Jugendliche nehmen teils bereits sehr früh entsprechende innerfamiliäre Rollen ein, antizipieren aber insbesondere die potentiellen Folgen einer eigenen Familiengründung. Im vorliegenden Sample findet sich ein erhebliches Bewusstsein um die Diskriminierungslogik der weiblichen Adoleszenz – frau weiß um die Diskriminierung aufgrund ihres Geschlechts und das schlägt sich im Verhältnis zu Familie und Erwerbsarbeit nieder (vgl. Kapitel 3.3.5 & 4). Unerwartet selten, gerade angesichts eigener Vorarbeiten und theoretischer Annahmen (Fischer & Eichler, 2015), aber dennoch vereinzelt existent, ist die »distinktive Selbstverwirklichung« – eine Verbindung von Distinktionslogiken und Dimensionen des postfordistischen Subjektideals. Selbstverwirklichung, Kreativität und Selbstunternehmertum dienen hier der systematischen Abgrenzung und Abwertung von anderen.
3. Empirische Analysen
Insgesamt entsprechen die hier rekonstruierten strukturellen Bedingungen der Adoleszenz kaum ihren idealtypischen Entwürfen bei Erikson (1973b), Erdheim (1988b), King (2013) und Eichler (2021; Eichler & Fischer, 2020). Von einer verallgemeinerten bürgerlichen Adoleszenz kann nicht die Rede sein. Dass biographische, familiäre und schulische Bedingungen die »Idee der Adoleszenz« bzw. das adoleszente Moratorium in all seinen Dimensionen unterlaufen, ist jedoch ebenso auf Einzelfälle beschränkt. Die Adoleszenz der Interviewten ist von widersprüchlichen Sozialisationsbedingungen geprägt und deren Widersprüchlichkeit zeichnet sich nicht nur über Dynamiken aus, die Möglichkeitsräume verdichten und vernichten, sondern auch aufrechterhalten und fördern. Wie mehrfach angekündigt, wird in Kapitel 3.3.5 ausführlich und feingliedrig dargestellt, dass und wie sich derartige Bedingungen im subjektiven Verhältnis Jugendlicher zur Erwerbsarbeit niederschlagen. Wie sich Jugendliche überhaupt auf die Erwerbssphäre beziehen und welche Perspektiven sich hierbei analytisch unterscheiden lassen, steht zuvor im Folgekapitel 3.3.4 im Mittelpunkt.
3.3.4
Perspektiven Jugendlicher auf Erwerbsarbeit und deren Bezugsdimensionen
Wie in Kapitel 3.1.1 erläutert, leiten Baethge und KollegInnen (1988, S. 166-181) ihre Unterscheidung zweier Perspektiven Jugendlicher und junger Erwachsener auf die Erwerbsarbeit nicht nur aus der Empirie ab, sondern orientieren sich dabei am Konzept des »doppelten Bezugs auf Arbeit« von Schumann und KollegInnen (1982). Sie treffen die analytische Unterscheidung einer »Arbeitskraft-« und einer »Subjekt-Perspektive«. In der ersten betrachten sich ArbeiterInnen bzw. Jugendliche als BesitzerIn von Arbeitskraft, äußern Interessen, »die vom Charakter der Arbeitsverhältnisse als Lohnarbeit gesetzt sind« (Baethge et al., 1988, S. 401) – es geht vor allem um die Sicherheit des Arbeitsplatzes und das Einkommen. In der zweiten Perspektive steht die »Herausbildung einer Ich-Identität« (Baethge et al., 1988, S. 403) im Mittelpunkt, es geht also um die Erwerbsarbeit als »subjektive und sinnhafte Tätigkeit« (M. Schumann et al., 1982, S. 27). Grundlegend spiegeln sich zentrale Annahmen und die analytische Differenzierung zentraler Dimensionen von Schumann und KollegInnen auch in den vorliegenden Analysen wider; sie entsprechen jedoch nicht der Vielfalt an rekonstruierten Perspektiven und darunter zu verortenden Bezugsdimensionen Jugendlicher auf die Erwerbsarbeit. Anhand des Interviewmaterials lassen sich nicht zwei, sondern drei Perspektiven analytisch unterscheiden: Eine sinnhaft-subjektbezogene, eine materiell-reproduktionsbezogene und eine soziale Perspektive. Die Dimensionen stehen einerseits den drei value complexes von Rosenberg (1980) nahe und passen zu der hier vorgeschlagenen theoretischen Unterfütterung der Dreiteilung über Marx und Weber (vgl. Kapitel 3.1.2 & 3.1.3). Andererseits zeigen sich deutliche inhaltliche Unterschiede der rekonstruierten Perspektiven und Bezugsdimensionen zu den verkürzten Skalen. Darüber hinaus fallen in der quantitativen Verteilung Differenzen zum Forschungsstand sowie zu den Analysen des ALLBUS und NEPS auf (vgl. Kapitel 2.3 & 3.2). Dies verdeutlicht sich insbesondere anhand der sinnhaft-subjektbezogenen Perspektive und ihren Bezugsdimensionen. Sie prägt das Sample deutlich und ist die am häu-
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figsten dominante Perspektive Jugendlicher auf die Erwerbsarbeit. Sie ist schul- und geschlechterübergreifend sowie unabhängig vom Migrationshintergrund vertreten. Im Mittelpunkt stehen arbeitsinhaltliche und Subjektbezüge, sinnlich-emotionale Bezüge sowie Identitätsbezüge, die in der normativen Subjektivierungsthese als zentraler, emanzipatorischer Motor eines erhofften Wandels der Arbeitswelt galten. Die materiell-reproduktionsbezogene Perspektive ist bei nur zwei Jugendlichen dominant ausgeprägt. Zwar kennzeichnen Arbeitskraft-, Status-, materielle oder Reproduktionsbezüge das subjektive Verhältnis aller befragten Jugendlichen zur Erwerbsarbeit; die Erkenntnisse der quantitativen Analysen sowie des Forschungsstands, die eine zunehmende Bedeutung materieller Orientierungen unter Jugendlichen ausmachen, spiegeln sich im qualitativen Sample jedoch nicht wider. Die soziale Perspektive stellt ebenfalls bei nur zwei Jugendlichen die dominante Perspektive auf die Erwerbsarbeit dar. Im Vordergrund stehen dabei Aspekte der sozialen Sinnhaftigkeit und Interaktion: Erstens geht es um soziale Kontakte und Gemeinschaftsaspekte in der Erwerbsarbeit, zweitens stehen caritative Aspekte im Mittelpunkt, drittens altruistische und vom Subjekt abgekoppelte Bezüge, die auf die Erwerbsarbeit übertragen werden. Quantitativ betrachtet passt einzig die untergeordnete Bedeutung der sozialen Perspektive zu vorliegenden Analysen und zum Forschungsstand. Eine dominante Perspektive auf die Erwerbsarbeit bedeutet nun jedoch nicht, dass es sich dabei um eine konsistente Arbeitsorientierung handelt. Ganz im Sinne von Schumann und KollegInnen (1982, S. 294-296) ist es in der vorliegenden Arbeit evident, dass sich das subjektive Verhältnis Jugendlicher zur Erwerbsarbeit über eine Vielschichtigkeit, Verschränkung und bisweilen Widersprüchlichkeit der Perspektiven und Bezugsdimensionen konstituiert, die sich im »Grad der Differenziertheit und dem Gewicht der jeweiligen Bezugsweise« unterscheidet, sich jedoch nicht immer harmonisch auf eine Arbeitsorientierung herunterbrechen lässt. Dementsprechend handelt es sich bei den im Folgenden dargestellten Perspektiven auf Erwerbsarbeit und ihren Bezugsdimensionen nicht um »Typen« der Arbeitsorientierung oder des subjektiven Verhältnisses Jugendlicher zur Erwerbsarbeit. Die wirklich »typischen« Verschränkungen dieser Perspektiven und Bezugsdimensionen werden in Kapitel 3.3.5 vor dem Hintergrund gegenwärtig diskutierter adoleszenter Sozialisationsprozesse präsentiert. Zuerst erfolgt eine Darstellung der rekonstruierten Perspektiven, innerhalb derer Jugendliche Erwerbsarbeit denken und thematisieren, und, über die sich deren subjektives Verhältnis zur Erwerbsarbeit strukturiert. Mit Beispielen aus der zugehörigen Empirie unterfüttert werden die drei Perspektiven sowie deren Differenzierungslogik über das gesamte Sample aufgearbeitet. Dabei stehen ebenso erste strukturelle Auffälligkeiten der Perspektiven und Bezugsdimensionen im Mittelpunkt.40
Die sinnhaft-subjektbezogene Perspektive und ihre Bezugsdimensionen In jedem Interview treten Bezugsdimensionen der sinnhaft-subjektbezogenen Perspektive auf Erwerbsarbeit in Erscheinung. Sie sind zwar selten absolut homogen oder widerspruchsfrei, aber dennoch erinnert ihre Präsenz an die normative Subjektivierungsthese und zeitgenössische Empirie (Baethge et al., 1988; Baethge, 1991; Hantsche, 40
Eine Übersicht der (Sub-)Dimensionen, handlungsleitender Motive und struktureller Auffälligkeiten findet sich am Ende des Kapitels in Tabelle 10.
3. Empirische Analysen
1990; Olk & Strikker, 1990; Zoll et al., 1989). Die Bezugsdimensionen, die eine sinnhaftsubjektbezogene Perspektive auszeichnen, sind bei den hier interviewten Jugendlichen jedoch weder deckungsgleich mit der »Subjektperspektive« von Baethge und Kolleginnen (1988), noch erschöpfen sie sich in den gängigen quantitativen Item-Schemata zu deren Erfassung und auch die Überlegungen zur Perspektive in Anschluss an Marx und Weber erschließen diese nicht in vollem Umfang (vgl. Kapitel 3.1). Grundsätzlich zeichnet sich die sinnhaft-subjektbezogene Perspektive Jugendlicher auf Erwerbsarbeit durch die folgenden rekonstruierten Bezugsdimensionen aus: •
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Arbeitsinhaltliche und Subjektbezüge: Zielen auf die Verknüpfung von Fähigkeiten, Interessen und Kompetenzen mit Arbeitsinhalten sowie deren Weiterbildung; Thematisierung von subjektbezogener Arbeitsorganisation und Arbeitsbedingungen; Anspruch auf die subjektive Sinnhaftigkeit von Erwerbsarbeit Identitätsbezüge: Zielen auf die Realisierung oder Entwicklung eigener Identität in der Erwerbsarbeit; Vorstellung und Idee, dass sich der biographische Selbstentwurf bzw. die eigens konstruierte Identität mit der Erwerbsarbeit deckt Sinnlich-emotionale Bezüge: Positive und negative sinnlich-emotional geleitete Assoziationen zur Identifikation mit oder Ausschluss von bestimmten Berufsbildern; Orientierung an Gefühlen, die mit dem Ausführen spezifischer Tätigkeiten verbunden werden
Arbeitsinhaltliche und Subjektbezüge Empirisch stellen arbeitsinhaltliche und Subjektbezüge die zentrale Bezugsdimension der sinnhaft-subjektbezogenen Perspektive dar. Sie finden sich bei allen interviewten Jugendlichen und lassen sich thematisch nochmals untergliedern. Erstens geht es um die Betonung und Verknüpfung von Eigeninteresse und individuellen Fähigkeiten mit geplanten Tätigkeiten oder Arbeitsgegenständen. Zweitens stehen subjektbezogene Ansprüche an die Arbeitsorganisation im Mittelpunkt. Drittens ist der subjektiv wahrgenommene Sinn und die Relevanz von Arbeitsinhalten von Bedeutung, die sich spannenderweise in völlig unterschiedlichen Kontexten in derselben Metapher wiederfinden: dem Büro. Die Orientierung am Eigeninteresse und an individuellen Fähigkeiten hinsichtlich geplanter Tätigkeiten oder Arbeitsgegenständen stellt einen ganz zentralen subjektbezogenen Aspekt im Verhältnis vieler Jugendlicher zur Erwerbsarbeit dar. Sie zeigt sich sowohl geschlechter- als auch schulübergreifend. Ein interviewter Mittelschüler stellt geradezu ein Paradebeispiel für diese Dimension der arbeitsinhaltlichen und Subjektbezüge dar: Er grenzt sich wohl reflektiert von den Berufsbildern der Eltern, Geschwister und FreundInnen ab, betont in seiner Argumentation und in seinen Ausführungen zur eigenen Berufsplanung nicht deren potentiell geringen Outcome oder soziale Dimensionen, sondern den (falschen) Arbeitsgegenstand. Entsprechend wählt er zudem seinen Schulzweig so, dass er hier seiner Passion möglichst folgen kann. Diese Verknüpfung von Eigeninteresse an Arbeitsinhalten und Tätigkeiten mit den Überlegungen zu Schule und Erwerbsarbeit ist insbesondere unter den interviewten MittelschülerInnen präsent.
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»Ähm Soziales, des des war halt gut. Kochen und so, aber in diese Richtung möchte ich nicht gehen. WIrtschaft, mit Computer arbeiten möchte ich auch nicht. Aber Technik dann, mit so Maschinen arbeiten, des hat mir gefallen. Habe ich mich für die Richtung entschieden, weil ich wusste dann, in die Richtung will ich einen Beruf haben. Und des ist so halt, ich ich will ja was haben, was mir Spaß macht.« Analog zu Ulf, der immer wieder von Technik und der Arbeit mit Maschinen schwärmt, wählen also viele MittelschülerInnen ihren Schulzweig entsprechend ihrer Interessen und Fähigkeiten, festigen diese über die intensivierte Ausbildung und orientieren sich verstärkt auch beruflich an den jeweiligen Themenbereichen. Die Wahl des Schulzweigs stellt sich in den Ausführungen häufig als eine Abstimmung von Eigeninteresse, erwerbsbezogenen Vorstellungen und Employability dar, wobei in fast allen Interviews das Eigeninteresse in den Mittelpunkt gestellt wird. So changiert auch Ulf, der in der obigen Sequenz immer wieder Arbeitsgegenstände oder Tätigkeiten mit bestimmten Zweigen verknüpft (»Computer«, »Kochen«, »Maschinen«) zwischen Eigeninteresse (»hat mir gefallen«, »was mir Spaß macht«) und ökonomischer Zweckrationalität (dazu: Kapitel 3.3.5). »Und jetzt so rechtliche Institution. Ja eigentlich klingt das gut. Und dann bin ich da auch hin und wurde genommen und konnte da mein Praktikum machen und es war ne richtig tolle Erfahrung, weil/als Praktikant macht man ja nicht wirklich viel, ich hab halt so Sitzungen beigewohnt, Gerichtsverhandlungen. [...] Oder einmal war ich bei der [.] Zeugenvernehmung und einmal war ich auf der Hausdurchsuchung mit der Polizei [I: Okay] @ja@, ähm, und genau. Da habe ich gemerkt, dass das eigentlich schon was für mich ist.« »Aber eigentlich ist so des Ding, dass ich eigentlich ähm Geisteswissenschaft machen will, weil weil des so ist, was mich halt äh total interessiert und genau und ich aber noch nicht weiß, wie ich des, genau, wie ich des irgendwie fü- für dieses politische Engagement gut gebrauchen kann oder sowas.« GymnasiastInnen thematisieren ebenfalls Arbeitsinhalte, eigene Fähigkeiten und Interessen, an denen sie sich in ihren Überlegungen zum Studium und perspektivisch auch beruflich orientieren. Die Gymnasiastin, die in der obigen Sequenz ein Praktikum zuerst im Sinne der Außenwirkung beurteilt (»klingt gut«) und erst in der konkreten Erfahrung den Beruf inhaltlich füllt und subjektiv als attraktiv erlebt (»dass das eigentlich schon was für mich ist«), strebt bspw. nach dem Abitur ein entsprechendes Studium an. Insgesamt ist jedoch bei den GymnasiastInnen die Betonung von Eigeninteresse und individuellen Fähigkeiten meist von der schulischen Ausbildung und Berufsorientierung abgekoppelt. Dass arbeitsinhaltliche Bezüge zwar sehr präsent, jedoch nicht immer derart passfähig wie in den vorherigen Beispielen sind, verdeutlicht bspw. der Gymnasiast Karl, der ein geisteswissenschaftliches Studienfach zwar »total interessant« findet, sein Eigeninteresse jedoch nicht in Einklang mit weiteren Bezugsdimensionen seines subjektiven Verhältnisses zur Erwerbsarbeit bringt (hier: politisches Engagement/altruistische Bezüge; vgl. Kapitel 3.3.5). Die in den Interviews regelmäßig gestellte Frage, welche Faktoren für die Jugendlichen bei der Wahl einer Erwerbsarbeit entscheidend seien, zielte letztlich nicht nur auf
3. Empirische Analysen
die Identifikation beruflicher Aspekte, an denen sich die Jugendlichen orientieren, die ihnen wichtig oder überhaupt präsent sind. Sie war ursprünglich auch zur Erfassung eines übergeordneten Interesses an Arbeitsbedingungen gedacht. Es ist ein interessantes, aber nicht unbedingt erstaunliches Ergebnis (Biebeler & Lesch, 2015; Schnabel, 2016), dass es hierbei einen völlig ausbleibenden Bezug auf kollektive Interessenvertretungen gibt (Betriebsräte, Gewerkschaften). Obwohl alle interviewten SchülerInnen Arbeitserfahrung aufweisen, thematisieren die wenigsten von ihnen übergeordnete Organisationsprozesse. Zumindest einige Jugendliche betonen die Bedeutung spezifischer Formen der Arbeitsorganisation und Arbeitsbedingungen. Solche Bezüge sind nicht notwendigerweise sinnhaft-subjektbezogen – sie sind es jedoch im vorliegenden Sample. Dies zeigt sich unter anderem bei einem Jugendlichen, der mit dem Gedanken einer Ausbildung in der Gastronomie spielt und dabei bereits recht konkrete Vorstellungen zur Struktur und Organisation des auszubildenden Betriebs entwickelt hat. »[...] weil da sind auch dann mehrere Köche und wenn der eine grade nicht kann, kann jemand andres mir was lernen. Bei der kleinen Küche geht’s schwieriger. Wenn jemand nicht kann, kann ich auch da nichts lernen, weil dann müssen alle was tun.« Seine Überlegung zur Arbeitsorganisation, dass er lieber in einer Groß- als in einer kleinen Küche arbeiten möchte, bezieht sich erstaunlicherweise nicht auf Aspekte der Hierarchie, die gerade in der Gastronomie zentral sind, sondern auf die Ausbildung selbst. Diese Lernorientierung im Kontext der Arbeitsorganisation/Arbeitsbedingungen, die in der Befragung des Nationalen Bildungspanels (NEPS; vgl. Kapitel 3.2.2) als eine eigene Perspektive auf die Erwerbsarbeit geführt wird und gerade im Kontext von Debatten ums sogenannte »lebenslange Lernen« an Präsenz gewonnen hat, taucht allerdings ausschließlich bei diesem Jugendlichen auf. Während »die Möglichkeit, neue Dinge zu lernen« in den Analysen mit dem NEPS zumindest von durchschnittlicher Bedeutung war, stellt es sich in den qualitativen Analysen – bei denen nicht explizit danach gefragt wird! – als abwesende Dimension heraus. »[…], wenn ich jetzt zum Beispiel bei irgendner NGO wäre oder irgendwie sowas, ähm, oder Journalist oder sowas […], dann wäre es so, dass ich eigentlich gerne selber möglichst flexibel und möglichst viele Entscheidungen selbst treffen will […].« (Karl) »Dass die halt nicht solche strenge Regeln haben und dass man also auch genug Zeit hat, also irgendwas für sich zu machen. Zum Beispiel so wie ne Pause, dass man was isst. Also beim Praktikum, da hatte ich ja nur fünfzehn Minuten und die Älteren hatten dreißig Minuten. Das ist ja bisschen unfair.« (Kerstin) Auch die Überlegungen von Karl und Kerstin stellen eher die Ausnahme als die Regel dar. Während er in seinem Gedankenexperiment zu potentiellen zukünftigen Erwerbstätigkeiten stets Beschäftigungsbedingungen und auch die Arbeitsorganisation mitdenkt (hier: »flexibel«, autonom, subjektiviert), betont Kerstin die Bedeutung fairer und gleicher Arbeitsbedingungen, deren Verletzung sie bereits in einem Praktikum erlebt hat und die sie entsprechend einfordert. Neben der Reproduktionsfunktion stellt sie dabei einen subjektbezogenen Aspekt heraus, den sie mit der »Pause« verbindet: etwas »für sich zu machen«. Bezüge auf die Arbeitsorganisation und Arbeitsbedingungen
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sind im Sample also zumindest vorhanden und werden jeweils mit unterschiedlichen subjektbezogenen Bedeutungen verbunden. »Das macht doch keinen Sinn!« – Mit diesem Satz beschreibt eine interviewte Mittelschülerin völlig entrüstet eine Tätigkeit, von der sich etliche Jugendliche negativ abgrenzen. Es geht ihr um die Arbeit in einem Büro, die und das als monoton und tayloristisch zerteilt geschildert werden. Der eigentliche Zweck der Tätigkeit gerät aus dem Blick, der Bildschirm und die Tastatur am vereinzelten Arbeitsplatz zum sinnbefreiten Arbeitsgegenstand. Der Anspruch auf die subjektive Sinnhaftigkeit der Erwerbsarbeit über das Beispiel des Büros erfolgt unabhängig von Geschlecht, Schulzugehörigkeit und überhaupt von der Berufserfahrung in einem solchen Büro. »Mhm, also ich will jetzt nicht so irgendwie (.) die ganze Zeit im Büro hocken oder sowas und irgendwas in Computer eintippen oder irgendwelche Blätter rumschieben. Ne, ich will halt irgendwas machen, halt mit Sachen arbeiten oder sowas.« (Frank) Das geradezu blinde »Eintippen« und »Rumschieben« von Blättern grenzt der Mittelschüler Frank deutlich von der Arbeit am Gegenstand bzw. an »Sachen« ab, die er in einer vorherigen Interviewpassage in den Kontext von »Technik«, »bearbeiten« und »herstellen« setzt und ganz konkret an praktisch nutzbaren Produkten wie einem »Tisch« festmacht. Während er seine Bezüge auf Tätigkeiten im Bereich der Technik mit einem sichtbaren Objekt bzw. einem Gebrauchswert verbindet, bleibt das Büro völlig abstrakt, inhaltsleer, menschen- und sinnfrei. »Am ersten Tag von meinem Praktikum sollte ich zum Beispiel immer so/also war ich im Service, wo halt so die ganzen Akten in die Computer eingegeben werden und verglichen werden […] und das war so monoton und langweilig. Nur den einen Tag. Und ich habe mich erwischt, wie ich immer wieder auf die Uhr geguckt habe, wann ist Mittagspause, wann ist aus?« (Nathalie) »So (.) der sollte halt nicht so langweilig sein, so wie im Büro, dass ich den ganzen Tag nur sitze. Der sol-/Ich sollte auch mit so paar LEuten reden, damit’s nicht so langweilig ist.« (Tanja) Diese subjektive Sinnfreiheit beschreibt auch die Gymnasiastin Nathalie, die im Gegensatz zu den meisten anderen Interviewten ihre Vorstellungen zur »Büroarbeit« aus real erlebter Tätigkeit gewonnen hat. Sie koppelt die Sinnfreiheit und Monotonie an ein kaum auszuhaltendes Gefühl der Langeweile, das mit einem verlangsamten Zeiterleben einhergeht. Bezüge auf die subjektive Sinnhaftigkeit von Erwerbsarbeit sind, wie auch die Sequenz aus dem Interview mit der Mittelschülerin Tanja verdeutlicht, häufig eng an sinnlich-emotionale Bezüge gebunden sowie an Vorstellungen sozialer Vereinzelung und fehlender Kommunikation. Diese Kopplung von Gefühl und Sinnhaftigkeit findet sich auch in den Überlegungen der Gymnasiastin Zara wieder. »Ja an sich nicht Büro, ich denk, es gibt bestimmt Bürojobs, die mir Spaß machen, […], aber so der klassische Bürojob, der ist/zumindest jEtzt könnte ich mir den gar nicht vorstellen. Ich weiß nicht, jeden Tag mit so nem schwarzen Rock und ner weißen Bluse und irgendwie meiner Aktentasche jetzt ins Büro kommen und dann irgendwelche Formulare ausfüllen müssen.«
3. Empirische Analysen
Das von Zara gezeichnete Bild eines »klassischen Bürojobs« stimmt in vielen Punkten mit den Überlegungen anderer Jugendlicher überein. Es geht um eine abstrakte (»irgendwie« und »irgendwelche«) white-collar-Tätigkeit, die eine innerliche Beteiligung am Produkt nicht ermöglicht, stets inaktiv (»nur im Büro sitze und nichts machen«) und als ent-individualisierter Stereotyp entworfen ist (»mit so nem schwarzen Rock und ner weißen Bluse«). Subjektiv sinnhafte, expressive Bezüge sind nicht nur auf »das Büro« begrenzt, sondern zeigen sich auch auch in der Abgrenzung von monotonen und repetitiven Tätigkeiten. So berichten vereinzelte SchülerInnen von den (Fließband-)Tätigkeiten ihrer Eltern, deren wahrgenommene Langeweile sie keinesfalls erleben wollen. Der Anspruch, innerlich an der Erwerbsarbeit beteiligt zu sein, äußert sich in der negativen Abgrenzung von repetitiver, tayloristisch zerteilter Erwerbstätigkeit also nicht nur in gehobenen Sozialmilieus, sondern auch gerade dort, wo diese Arbeitsform nach wie vor realer Alltag ist. Identitätsbezüge Neben den arbeitsinhaltlichen und Subjektbezügen, jedoch sehr eng daran gekoppelt, stellen Identitätsbezüge eine zentrale Dimension der sinnhaft-subjektbezogenen Perspektive auf Erwerbsarbeit dar. Hierbei steht der Selbstentwurf der Jugendlichen im Mittelpunkt, Ideen einer eigenen vorhandenen (Berufs-)Identität und/oder deren Entwicklung in der Erwerbsarbeit. Für den emanzipatorischen Impetus der normativen Subjektivierungsthese Baethges (1994b) und ihre adoleszenz- sowie identitätstheoretischen Grundlagen (Erdheim, 1988b; Erikson, 1973b) ist diese Bezugsdimension von besonderer Bedeutung. Der Anspruch ist, die eigene Persönlichkeit beim Einstempeln nicht mehr abzulegen, den adoleszenten Narzissmus innerhalb der Ausbildungs- und Erwerbssphäre aufrechtzuerhalten, sich selbst in der Tätigkeit wiederzuerkennen und das eigene Selbst weiterzuentwickeln. Auch hier geht es um Entfremdung bzw. um ihr funktionales Gegenstück: die Expression des eigenen Selbst in der Tätigkeit. Identitätsbezüge erweitern arbeitsinhaltliche Bezüge um eine aktive Verbindung der eigenen biographischen Gewordenheit mit erwerbsbezogenen Orientierungen. Sie finden sich bei einem Großteil der interviewten Jugendlichen, jedoch in sehr unterschiedlicher Ausprägung. Dass insbesondere die GymnasiastInnen Identitätsbezüge aufweisen, deckt sich mit grundlegenden Annahmen zum adoleszenten Moratorium, mit den quantitativen Analyseergebnissen und dem Forschungsstand (vgl. Kapitel 2.3 & 3.2). Ihre schulische Ausbildung und sozialökonomischen Bedingungen bieten ihnen mehr selbstreflexive Freiheiten, zielen stärker auf Persönlichkeitsentwicklung und die Auseinandersetzung mit der eigenen (Berufs-)Identität. Die Übertragung eines zentralen identitären Anteils in die Erwerbssphäre steht bei den interviewten GymnasiastInnen also häufig in engem Zusammenhang mit der Reflexion eigener, zeitintensiver, kreativer Tätigkeit und einer intensiven Auseinandersetzung mit dem eigenen Selbst (vgl. Kapitel 3.3.5). Das Moratorium entfaltet hier seine Wirkung. So stellt bspw. eine interviewte Gymnasiastin in ihren Erzählungen immer wieder ein kreatives Hobby als biographische Konstante heraus. Ihr Plan, eine Ausbildung oder ein Studium in diesem Kontext zu absolvieren, knüpft somit bewusst an biographische Elemente an. Während die berufliche Praxis ihres Hobbies auch mit ei-
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ner sozial-caritativen Funktion verbunden ist, geht es dennoch um sie selbst, ihr subjektives Empfinden und die Tätigkeit, die sich durch ihr Leben »dUrchgezogen« hat. Wenn auch vereinzelter und weniger zentral, sind auch unter den MittelschülerInnen Identitätsbezüge vorhanden. »Mein Traumjob wäre, mhm [...], irgendwas forschen. Irgendwas so neue Thesen aufstellen und, dass auch mein Wissen und auch, was ich erlebt hab, […] so nicht verloren geht. Nicht, dass jetzt ein Film über mich gedreht wird, […], dass ich halt, mhm, dass ich nicht verloren gehe nach meinem Tod oder das, was ich weiß, nicht verloren geht […].« (Dagmar) So ist auch Dagmars Verhältnis zur Erwerbsarbeit von Identitätsbezügen geprägt. Sie selbst, ihr Wissen und ihre Erlebnisse stehen in ihren Überlegungen immer wieder im Mittelpunkt. In der obigen Sequenz konkretisiert sie ihren Traumjob zwar nicht, beschreibt eher Tätigkeiten (»forschen«; »Thesen aufstellen«), Anerkennungsdimensionen (kein »Film«, »aber«), Sinnhaftigkeit und Verstetigung ihrer Arbeitsergebnisse, aber eben auch identitätsbezogene Überlegungen. Ihr biographischer Selbstentwurf ist von der Selbst- und Fremdzuschreibung geprägt, dass sie »wissenshungrig« sei. Ihr Traumjob entspräche somit einer Realisierung ihrer selbst entworfenen Identität, doch ihr Identitätsbezug geht über Formen der Identitätsentwicklung und Selbstverwirklichung in der Erwerbsarbeit hinaus. Indem sie für die Bedeutung ihrer Tätigkeit hervorhebt, »dass ich nicht verloren gehe nach meinem Tod, oder das, was ich weiß«, geht es ihr in gewisser Weise auch um die gedankliche Überwindung des Todes durch die Erwerbsarbeit. Auch der Mittelschüler Gregor, der in seiner künftigen Tätigkeit unbedingt caritativ arbeiten möchte, ordnet seine Orientierung an sozial-caritativen Berufsbildern biographisch ein: »Äh, ich wollt von Kleinauf immer Leuten helfen. Wie ich schon gesagt hab, ErzIeher. Da wollt ich Kindern/mit Kindern. Dann wollte ich Sanitäter werden. Ich bin ja auch Ersthelfer […]. Dann wollte ich zur Bundeswehr. Da wollt ich den Sanitäter machen. Das war aber, […], weil des wären dreizehn Jahre geworden und des war mir ehrlich gesagt zu lang. Mit Achtzehn rein und dann dreizehn Jahre später wieder raus. Ja, deswegen habe ich gesagt, gehe ich lieber zur Polizei.« (Gregor) Gregor erläutert die Verbindung des Berufsbilds eines Erziehers hin zum Polizisten, verortet dabei diese Tätigkeiten explizit mit der eigenen, biographisch fest verankerten Orientierung daran, »Leuten [zu] helfen«. Er verbindet in seiner Erzählung Vergangenheit (»von Kleinauf«) über die Gegenwart (»Ich bin ja auch Ersthelfer«) mit der beruflichen Zukunft. Die Erwerbstätigkeit soll ihm der Realisierung seines Selbstentwurfs dienen. Während es vielen SchülerInnen um die Fortführung oder Realisierung einer bereits herausgeschälten Identität geht, verdeutlicht sich insbesondere bei GymnasiastInnen, dass auch dieses Herausschälen selbst, die weitere Entwicklung einer »Ich-Identität«, im Mittelpunkt der künftigen Postadoleszenz stehen sollte. Sie thematisieren ihr Studium nicht nur im Kontext beruflicher Ausbildung, sondern verstehen die Studienzeit selbst als Phase jener Ausbildung der eigenen Persönlichkeit. Sie zeigen häufig Bewusstsein um die Form und Funktion der Postadoleszenz und so stehen bei ihnen
3. Empirische Analysen
im Studium und auch beim FSJ das »Erfahrungen machen« und das reizende »Studentenleben« im Vordergrund. Neben Identitätsbezügen, die sich in die progressive Idee der normativen Subjektivierungsthese einreihen, stehen solche Identitätsbezüge, die nicht zuletzt deshalb problematisch sind, weil sie zur Reproduktion sozialer Ungleichheit beitragen. So zeigt sich besonders unter den MittelschülerInnen eine aktive Verbindung von Geschlechtsidentität und »geschlechtstypischer« Berufswahl, die sich im Forschungsstand immer wieder andeutet (Buchmann & Kriesi, 2012; Dreisiebner, 2019, S. 124-134; Gottfredson, 1981; Karsch, 2014; King, 2013, S. 146-152; Kleinert & Schels, 2020; Siembab & Wicht, 2020). Während sich die Jungen besonders an technischen Tätigkeitsbildern orientieren und in männlich dominierten Sektoren verorten, tauchen explizite Verweise auf die Verbindung bestimmter Tätigkeiten mit dem Geschlecht nur in den Interviews mit den weiblichen Mittelschülerinnen auf. Die Orientierung an gesellschaftlich hergestellten und übernommenen Geschlechtsidentitäten zeigt sich bspw. bei einer Mittelschülerin, deren Vater einen mehrgenerationalen Familienbetrieb führt. Grundsätzlich ist sie sehr familienorientiert und beschreibt durchaus eine enge Bindung zum Vater. Wenn es jedoch um die Erwerbsarbeit geht, fällt der Vater aus dem Orientierungsraster. Zwar suche er eine innerfamiliäre Nachfolge für den Betrieb, die Schülerin will diese jedoch nicht antreten, »weil der Beruf des Vaters keine Frauenarbeit ist.« Die explizite Abgrenzung von männlich-konnotierten Berufsbildern erfolgt für gewöhnlich in Abgrenzung zu den Erwerbstätigkeiten der Eltern, bezieht sich jedoch nicht immer auf den Vater. So berichtet eine weitere Mittelschülerin relativ detailliert von der Dienstleistungstätigkeit ihrer Mutter, in der sie sich selbst jedoch nicht verorten könne – »des ist eher so ein männlicher Beruf. Und des gefällt mir dann doch nicht.« Die auf den ersten Blick widersprüchliche Ablehnung des Berufsbilds auf Grundlage von Geschlechterstereotypen bei dem gleichzeitigen Fakt, dass ihre eigene Mutter diese Tätigkeit ausübt, bezieht sich insbesondere auf technische Aspekte der Berufspraxis. Sie widerspricht zwar nicht innerfamiliären Geschlechterpraktiken, jedoch erweisen sich hier gesellschaftlich transportierte Geschlechterbilder als dominant in der eigenen Identität. Diese Dominanz findet sich auch bei einer dritten Mittelschülerin. Während ihr Traumjob eigentlich statusbezogen und intrinsisch geladen ist, plant sie eine Ausbildung im prekären sozialen Dienstleistungssektor. Diese Verortung spiegelt sich in ihren Überlegungen zu den Tätigkeiten der eigenen Eltern wider. Zu beiden Elternteilen wird sie gefragt, ob sie sich vorstellen könne, deren Tätigkeiten später selbst auszuüben, zuerst zum Vater, dann zur Mutter: »Mm. [I: Warum nicht?] Des kommt mir ein bisschen komisch vor. [I: Warum?] Dass ein Mädchen das arbeitet.« »Ja. Man ist den ganzen Tag zu Hause. Putzt. Macht was zu essEn. Ja, man hat eigentlich mehr Zeit für sich. [I: Okay.] Aber ich will auch irgendwie mein Geld verdienen. [I: Ja.] Ja, dass ich nicht danach irgendwie ne Oma bin und kein Geld hab oder so.« Während sie sich zumindest vorstellen kann, wie ihre Mutter »Hausfrau« zu werden, verneint sie die Frage, ob sie den Beruf des Vaters ausüben würde, direkt. Dabei argumentiert sie nicht über arbeitsinhaltliche Bezüge wie bei der Mutter, sondern grenzt sich über ihre Geschlechtsidentität von der Tätigkeit des Vaters ab. Dass diese Dyna-
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mik aus materieller Perspektive langfristige Schwierigkeiten mit sich bringt, ist ihr jedoch bewusst und entsprechend problematisiert sie sowohl im Kontext der Tätigkeit als »Hausfrau« als auch in späteren Sequenzen zur Erwerbslosigkeit eine drohende Altersarmut. Vor dem Hintergrund drohender Prekarität gestaltet sich der Bezug auf die Geschlechtsidentität also subjektiv widersprüchlich. Sinnlich-emotionale Bezüge Eine bisher kaum beachtete Komponente der sinnhaft-subjektbezogenen Perspektive auf Erwerbsarbeit sind sinnlich-emotionale Bezüge. Gerade wenn es Jugendlichen noch schwerfällt, ihre Vorstellungen, Wünsche und Hoffnungen in zusammenhängende Beschreibungen zu fassen und sie ihr inneres Verhältnis unvermittelter äußern, kommt diese Dimension zum Vorschein. Im Mittelpunkt stehen Gefühle, Affekte und Sinnlichkeit, es geht um Spaß, Glück, aber auch um Ekel, die im Kontext der Erwerbsarbeit eine Rolle spielen. Das subjektive Verhältnis zur Erwerbsarbeit des Mittelschülers Cedrik zeichnet sich bspw. besonders stark durch sinnliche Bezüge aus. Er koppelt mehrfach Arbeitsgegenstände, deren Verarbeitung und sinnliche Erfahrungen aneinander. Dass er zudem Wert darauf legt, in der Erwerbsarbeit wortwörtlich »Spaß zu haben«, schildert er ausführlich anhand eigener Praktikumserfahrungen. »Späßla machen«, wie er es an einer anderen Stelle des Interviews bezeichnet, bezieht sich einerseits auf ein herzliches Miteinander neben dem durchaus stressigen Arbeitsalltag; andererseits geht es ihm tatsächlich um das Spaßerleben, das sich als eine zentrale Handlungsorientierung im gesamten Interview wiederfindet. Eine solche Verbindung von Spaßerleben und Arbeitsbedingungen stellt einen wichtigen Aspekt für viele Jugendliche dar, der auf den ersten Blick etwas lapidar wirkt und häufig mit Selbstverwirklichung und Eigeninteresse gleichgesetzt wird. So wird die Aussage »Die Arbeit soll mir Spaß machen.« häufig als typischer Aspekt von Selbstverwirklichungsansprüchen beschrieben (Baethge et al., 1988, S. 167-168; ähnlich: Nies & Tullius, 2017, S. 39-45), von der real-sinnlichen Erfahrung also abgelöst. Tatsächlich wird diese Aussage von den Interviewten häufig getroffen, sie trägt auch expressive Anteile, ist jedoch nicht immer an Identitätsbezüge oder überhaupt an bestimmte Tätigkeiten und Arbeitsinhalte gekoppelt. Als freies Gefühl, auf das die Jugendlichen Wert legen, stellt das Spaßerleben somit auch einen sinnlichemotionalen oder affektiven Bezug auf die Erwerbsarbeit dar. So hebt auch der Mittelschüler Eugen diesen Aspekt hervor, wenn er erklärt, was ihm bei der Erwerbsarbeit wichtig ist: »Am meisten, dass es mir Spaß macht.« Eine explizite Trennung von Eigeninteresse und der sinnlichen Erfahrung von »Spaß« taucht in den Beschreibungen relevanter Erwerbsbedingungen der Gymnasiastin Paula auf. In ihren Schilderungen sind sinnliche Bezüge wie das Empfinden von Spaß und Langeweile von reproduktionsbezogenen Aspekten (psychisches Wohlbefinden) und arbeitsinhaltlichen Bezügen (Eigeninteresse) unterschieden. »Naja, dass es mich auch interessIert, dass es mir auch irgendwie noch Spaß macht, dass es nicht zu stressig wird und dass es jetzt auch nicht sowas Langweiliges oder auf Psyche auswirkendes ist wie, weiß nicht, da in so ner Fabrik ständig Sachen zu machen«
3. Empirische Analysen
Besonders ihre Trennung von Eigeninteresse und Spaßerfahrung sticht heraus, als würde Paula erahnen, dass ihr Interesse an Kreativarbeit ihrem sinnlichen Bedürfnis nach »Spaß« und ihrem Bedürfnis nach Stressfreiheit entgegenstehe. Es geht um das Gefühl, das sie während der Ausübung einer Tätigkeit (nicht) erleben will. Dieses Gefühl bezieht sie wie die Jugendlichen, die sich von der Büroarbeit abgrenzen, metaphorisch auf Arbeitsbedingungen »in so ner Fabrik«. »Ich hab mal eIn Praktikum in der Zahnarztpraxis gemacht. Des würd ich nIcht machen, (.) weil ich musste bei den Behandlungen dabei sein und da wurden manchmal nur Zähne gezogen und dann wurde mir schlecht und dann (.) ja, des war jetzt nicht so ein schönes Geräusch. Und des wurde dann zehn Mal am Tag oder so gemacht. Ja. […] wenn du dich dann als ähm den Beruf bewirbst, da musst du ja auch manchmal rEingehen und manchmal des machen und des. Und ich find des nich so schön, in nen anderen Mund zu schaun.« Sinnlich-emotionale Bezüge nutzen die interviewten Jugendlichen zudem nicht nur zur positiven, sondern auch zur negativen Bestimmung potentieller Tätigkeiten. Während ein Schüler aufgrund seiner abstrakten Angst vor Ungeziefer zugehörige Erwerbstätigkeiten theoretisch ausschließt, erfolgt bei einer anderen Schülerin aufgrund der konkreten Erfahrung von Ekel in ihrem Praktikum in einer Zahnarztpraxis die Entscheidung, eine entsprechende Ausbildung auszuschließen.
Die materiell-reproduktionsbezogene Perspektive und ihre typischen Bezugsdimensionen Eine »Re-Materialisierung von Arbeitsorientierungen« (Eichler & Fischer, 2020; Fischer & Eichler, 2015; Wiezorek & Stark, 2011) deutet sich im vorliegenden Sample nicht an – zumindest nicht im Sinne einer dominanten Perspektive unter Jugendlichen. Bei nur zwei der fünfzehn Interviewten überwiegt diese im subjektiven Verhältnis zur Erwerbsarbeit. Was sich dennoch bei fast allen interviewten Jugendlichen zeigt, ist die Präsenz und gewichtige Rolle dieser Bezüge im individuellen Verhältnis zur Erwerbsarbeit. Kein/e Jugendliche/r ist völlig fernab jeglichen Interesses für Geld, Sicherheit, Wohlbefinden, ohne jeglichen Bezug auf bzw. Abwägung von Arbeitsmarktchancen, ohne besondere Wertung von Freizeitaspekten oder einer angestrebten ökonomischen Unabhängigkeit vom Elternhaus. Bei allen Jugendlichen wurden typische Bezugsdimensionen einer materiell-reproduktionsbezogenen Perspektive auf Erwerbsarbeit rekonstruiert, die sich wie folgt kategorisieren: •
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Reproduktions- und Arbeitskraftbezüge: Zielen auf gesunde Arbeits- und Lebensbedingungen; thematisieren verschiedene Dimensionen der Arbeitsbelastung sowie die Vernutzung von Arbeitskraft; Ansprüche auf Work-Life-Balance sowie psychisches und physisches Wohlbefinden Materielle und Arbeitsmarktbezüge: Zielen auf die ökonomische Unabhängigkeit und Sicherheit der Lebensgestaltung; Ansprüche an die Sicherheit des Arbeitsplatzes und die Höhe des Einkommens; zentrale Argumentationsfigur ist der »Realismus«, der sich an ökonomisch-zweckrationale und instrumentelle Motive koppelt
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Statusbezüge: Zielen auf die Aufwertung der eigenen gesellschaftlichen Stellung, einen luxuriösen Lebensstil und soziale Anerkennung bzw. Prestige durch Erwerbsarbeit
Reproduktions- und Arbeitskraftbezüge Eine Dimension, deren öffentliche Wahrnehmung u.a. im Zuge von Debatten rund um das Thema der Work-Life-Balance deutlich zugenommen und sogar Einzug in die Schulcurricula zur Berufsorientierung erhalten hat, sind Reproduktions- und Arbeitskraftbezüge. Sie zielen auf Arbeitsbedingungen, die eine Balance von Freizeitinteressen und Erwerbsarbeit erlauben, insbesondere aber auf eine Balance der Vernutzung und Reproduktion von Arbeitskraft. Im Mittelpunkt steht der Schutz des psychischen und physischen Wohlbefindens. Dabei zeigt sich, dass die grundlegende Vertretung solcher Ansprüche unabhängig von strukturellen Faktoren ist. Allerdings fallen innerhalb der Bezugsdimension geschlechtsspezifische Unterschiede im Sample auf. Während junge Frauen eher das psychische Wohlbefinden im Erwerbskontext thematisieren, sind es vorwiegend männliche Jugendliche, denen es um das physische Wohlbefinden geht. »Und dass es halt nich so (.)/dass ich nich so gestresst bin, dass es so vIel Arbeit ist, und, dass es für mich nicht so ANstrengend ist, dass es/Es kann ja mal anstrengend wErden, aber dass es nicht so durchgehend, ich muss dEs schaffen noch und dEs noch machen und dEs noch.« (Tanja) So steht bei den Schülerinnen mit Reproduktions- und Arbeitskraftbezügen häufig der alltägliche, familiäre, schulische oder auch in Erwerbssituationen erlebte Stress im Mittelpunkt ihrer Erzählungen. Derartige Erfahrungen sensibilisieren diese Jugendlichen insofern, als dass sie diese auf die Erwerbssphäre und deren potentiellen subjektiven Folgen übertragen (vgl. Kapitel 3.3.5). Sie wollen »nich so gestresst« sein, streben Berufsbilder an, die – wie es eine weitere Schülerin formuliert – auf die »mentale Gesundheit nen anderen Einfluss« haben als zermürbende, belastende sowie repetitive Tätigkeiten. Sie stellen den Anspruch, dass die Erwerbsbedingungen nicht »viel zu viel« für die »Psyche« sind. Solche Bezüge finden sich vermehrt auch in der Jugendmilieuforschung, insbesondere unter statushohen Jugendmilieus (M. Albert et al., 2015, 2019). »Die arbeiten dort, wo’s richtig heiß is, mit Guss. Des is auch nicht so gut für die Gesundheit, deswegen möcht ich dort auch nicht arbeiten.« (Ulf) Das physische Wohlbefinden ist unter den Interviewten eher ein »männliches«, aber ein kaum relevantes Thema – weder in der qualitativen noch in der quantitativen Empirie (vgl. Kapitel 3.2.2). Explizite Bezüge tauchen nur in wenigen Interviews und zudem sehr knapp auf. Einerseits geht es bei den Bezügen stets um eine Orientierung auf körperliche und durchaus anstrengende Erwerbsarbeit, andererseits um die Ablehnung solcher Tätigkeiten, die über die Anstrengung hinaus eine Gefahr für die körperliche Gesundheit darstellen. Einige Jugendliche verweisen in den Interviews zudem implizit auf die Ablehnung des psychischen oder physischen Verschleißes, heben die Notwendigkeit von »Pausen« hervor, und, dass sie eine Erwerbstätigkeit auch »aushalten können« müssen.
3. Empirische Analysen
Die Work-Life-Balance und Freizeitbezüge bleiben in den Interviews weitestgehend außen vor, spielen bei den Überlegungen zur Erwerbsarbeit also kaum eine Rolle. Dieses Ergebnis deckt sich insbesondere mit quantitativen Analysen der ALLBUS-Daten, in denen das Interesse an Freizeit neben der Erwerbsarbeit eines der am schwächsten ausgeprägten Berufswerte-Item ist (vgl. Kapitel 3.2.1). Alle Jugendlichen haben Hobbies und Interessen neben der Schule, die wenigsten denken jedoch an diese, wenn sie die (berufliche) Zukunft thematisieren. Ausnahmen finden sich insbesondere unter den GymnasiastInnen, die ihre Hobbies als identitätsrelevante Bausteine thematisieren und diese eigentlich auch gerne in die Erwerbssphäre übertragen würden. Sollte dies jedoch nicht gelingen, so würden die Aktivitäten und Interessen notfalls auch in der Freizeit weiterverfolgt werden. Nichtsdestotrotz: eine ausgeprägte Freizeitorientierung neben oder gegenüber der Erwerbsarbeit findet sich im Sample kaum und wenn, dann eben eher unter GymnasiastInnen. Ein »Ende der Arbeitsgesellschaft« (Offe, 1983) ist also nach wie vor nicht in Sicht. Materielle und Arbeitsmarktbezüge Die im Sample am stärksten ausgeprägte Bezugsdimension der materiell-reproduktionsbezogenen Perspektive auf Erwerbsarbeit sind materielle und Arbeitsmarktbezüge. Abgesehen von zwei Jugendlichen, in deren Interview zwar materielle Aspekte und der Arbeitsmarkt als Orientierungsgrundlage angesprochen werden, sich jedoch als kaum relevant herausstellen, weisen alle interviewten SchülerInnen derartige Bezüge auf. Gerade wenn die elterlichen Erwartungen und deren subjektive Übernahme berücksichtigt werden, zeigt sich, dass sich fast alle Jugendlichen freiwillig oder unfreiwillig mit materiellen Aspekten künftiger Erwerbsarbeit auseinandersetzen und entsprechende Prioritäten setzen. Die Bedeutung der Bezugsdimension deckt sich mit der These, dass gegenwärtig die ökonomische Ablösung aus dem Elternhaus im Mittelpunkt jugendlicher Bestrebungen steht (Eichler & Fischer, 2020; Wiezorek & Stark, 2011). Darüber hinaus geht es auch um die Sicherheit des Arbeitsplatzes, Überlegungen zum Einkommen, zur materiellen Sicherheit der Lebensgestaltung, es geht um Erwerbsarbeit als Mittel zum Zweck und eine entsprechende ökonomische Zweckrationalität, die sich vor dem Hintergrund bestimmter Vorstellungen des Arbeitsmarkts entfaltet. »Und des Ding ist, mein kreatives Hobby ist gut und schön, aber um damit Erfolg zu haben, braucht man extrem viel Glück […]. Und da muss man eben realistisch sein, weil wenn ich mir jetzt als Traum setze, oh ich will Kreativarbeiterin werden, und dann werde ich es nicht, einfach wegen bestimmten Voraussetzungen, die ich nicht erfülle, dann werde ich auf Dauer nur enttäuscht davon sein. Realistisches Denken ist was relativ Sinnvolles.« Eine spezifische Form dieser Zweckrationalität, die Wahl des sicheren und ökonomisch vielversprechenden Weges, verdeutlicht sich in den materiellen und Arbeitsmarktbezügen einiger GymnasiastInnen, die Chancen und Risiken des Arbeitsmarkts bisweilen im Stile eines homo oeconomicus abwägen und ihre Perspektive allesamt als »realistisch« charakterisieren. Eine Veranschaulichung des »Realismus« findet auch in der obigen Sequenz einer Gymnasiastin, die zwar subjektbezogene Ziele aufweist, aufgrund ihrer »realistischen« beruflichen Handlungsorientierung jedoch ihren Traumjob nicht wei-
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ter verfolgt. Bei GymnasiastInnen repräsentiert jener »Realismus« das Wissen über die ökonomische Sphäre, über den Arbeitsmarkt, Chancen und Risiken, über die sie sich selbst möglichst vielversprechend positionieren. In solcher Deutlichkeit drücken sich Arbeitsmarktbezüge und entsprechende Rationalitäten jedoch nicht in allen Interviews aus. »Ja halt den Beruf, den möchten halt viele. Ja halt mit dem Quali, wenn ich den halt nicht schaff […], habe ich halt auch nicht so ne gute Chance.« (Eugen) »Auf jeden Fall schwer. (.) Weil jede- jeder will halt n guten haben, einen guten Ausbilder Auszubildenden. JA, jeder will halt n guten haben, musst dich halt auch anstrengen dafür. [I: Mhm, okay.] Weil irgendwo is ja auch dieser eine Betrieb, der dich nehmen wird.« (Ulf) MittelschülerInnen thematisieren den Arbeitsmarkt insbesondere in Überlegungen zum Übergang von Schule in die Erwerbssphäre und zum Finden eines Ausbildungsplatzes. Sie wissen, dass es nicht leicht wird, »weil halt auch viele andere einen wollen« (Frank). In ihren Ausführungen stehen sie in Konkurrenz zueinander und kämpfen um die guten Ausbildungsplätze (»den möchten halt viele«; »jeder will halt n guten haben, muss dich halt auch anstrengen«), antizipieren in Anbetracht noch großer Hürden und subjektiver Unsicherheiten teilweise das eigene Scheitern oder erwarten starke emotionale Belastungen, weil sie über ihre Geschwister mit der Arbeitsmarktsituation, der langwierigen Suche nach Ausbildungsplätzen und abgelehnten Bewerbungen vertraut sind. Nichtsdestotrotz findet sich gerade im Kontext von Arbeitsmarktbezügen und dem Thematisieren eigener Chancen immer wieder auch aktivierungspolitische Rhetorik – »weil irgendwo is ja dieser Betrieb, der dich nehmen wird«. Diese Verschränkung von arbeitsmarktbezogenen Erwartungen und Ängsten mit Aktivierungslogiken beschreiben Studien der Haupt- und Mittelschulforschung ganz ähnlich (Kölzer, 2014; Queisser, 2010; ausführlich: Kapitel 3.3.5). Bei den GymnasiastInnen zeigen sich ebenfalls Bezüge auf den Arbeitsmarkt. Diese werden einerseits viel abstrakter in Form potentieller ökonomischer Entwicklungen diskutiert, andererseits viel konkreter auf angestrebte und problematisierte Berufsbilder bezogen. »Und […] selbst für die nächsten fünf Jahre kann man jetzt keine Prognose treffen, dass das jetzt ähm bleibt, wie es ist. Man kann des jetzt (.) für die nächsten drei Jahre irgendwie wahrscheinlich halten, dass es nicht ne total hohe Arbeitslosigkeit gibt oder sowas, aber genau, aber in diesem Zeitraum, es kann Alles passieren, […], es gibt einfach da ex- extrem viele Unsicherheiten, deswegen kann ich mir […] sehr gut vorstellen, dass ich irgendwann mal arbeitslos sein muss.« (Karl) Während einige SchülerInnen die gesamtgesellschaftliche (Arbeitsmarkt-)Situation diskutieren, wissen andere über die Möglichkeiten und Schwierigkeiten ihrer ganz konkreten geplanten Erwerbstätigkeit sehr gut Bescheid, thematisieren und problematisieren verschiedene Wege dorthin, aber auch die zukünftige Finanzierung, Mieten und berufliche Normen. Wie einige andere GymnasiastInnen reflektiert auch Paula die prekären und umkämpften Arbeitsmarktchancen ihres Traumjobs, hält dennoch an
3. Empirische Analysen
ihrem Ziel fest, Künstlerin zu werden.41 Jedoch verfolgt Paula das Ziel, Kunst nicht nur um der Kunst Willen, sondern auch »irgendwie« zur materiellen Sicherung der eigenen Lebensgestaltung zu betreiben. Solche materiellen Bezüge unterscheiden sich zwischen den interviewten Jugendlichen hinsichtlich der Zielfunktion des Einkommens. So denkt Paula ein Einkommen in ihren Überlegungen zur Erwerbsarbeit zwar stets mit, beschreibt es jedoch nicht als zentralen Zweck. Neben solchen grundlegenden Berücksichtigungen materieller Aspekte finden sich deutlich häufiger instrumentelle materielle Bezüge. In zugehörigen Schilderungen erfüllt der Lohn die Funktion der notwendigen materiellen Reproduktion, aber auch darüber hinausgehender akuter Interessen. »Ja, deswegen habe ich gesagt, gehe ich lieber zur Polizei. Verdient man auch gut, kann man auch Leuten helfen« (Gregor) Dass materielle Bezüge in den Interviews neben der funktionalen auch immer wieder eine qualitative Dimension erhalten, verdeutlicht unter anderem der Mittelschüler Gregor. Ihm ist es nicht nur wichtig, notwendiges Geld zu verdienen, sondern »gut« zu verdienen. Er grenzt sich darüber auch von schlecht bezahlten Tätigkeiten ab, die gerade in solchen Tätigkeitsfeldern existieren, die seinem sozial-caritativ geprägten Verhältnis zur Erwerbsarbeit entsprechen, und knüpft somit seine materiellen Bezüge an Statusbezüge (s. unten). Neben der allgemeinen Thematisierung von Geld, Lohn und finanziellem Auskommen, stellen damit zusammenhängende Überlegungen zur Unabhängigkeit und zur Ablösung vom eigenen Elternhaus, aber auch von potentiellen Partner(Inne)n einen zentralen Aspekt der materiellen Bezugsdimension dar. Die freiwillige und unfreiwillige Auseinandersetzung mit der Bewältigung der »Abhängigkeit von der Herkunftsfamilie in Bezug auf die Sicherung der materiell-ökonomischen Existenz« (Wiezorek & Stark, 2011, S. 94; Hervorhebungen im Original) ist insbesondere unter MittelschülerInnen verbreitet. Hier herrscht deutlich häufiger die Vorstellung einer Normalbiographie mit dem Ziel einer Festanstellung, Familiengründung und Hausbau vor als unter den GymnasiastInnen. Die Überlegungen zur Unabhängigkeit sind nicht nur schul-, sondern auch geschlechtsspezifisch. Sie fangen im Kleinen an, bspw. bei einer Jugendlichen, die sich einerseits die Arbeit als »Hausfrau« vorstellen kann; andererseits antizipiert sie damit verbundene Probleme, will nicht nur Geld verdienen, sie will ihr eigenes (»mein«) Einkommen haben. Die Reflexion von Abhängigkeiten (Familie, PartnerIn, Staat) resultiert mitunter aus der Wahrnehmung geschlechtsspezifischer Diskriminierung und Ungleichheiten. »Also ich will jetzt auch keine Hausfrau werden. [I: Warum?] Ähm, weil ich finde, das ist auch diese starke Rollenteilung zwischen Mann und Frau, dass der Mann arbeiten geht und die Frau bleibt zuhause und macht den Haushalt und kümmert sich um die
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Die zentrale Bedeutung dieses Wissens um spezifische Bedingungen des Arbeitsmarkts und ihre vielschichte, teils widersprüchliche Auswirkung auf das subjektive Verhältnis Jugendlicher zur Erwerbsarbeit wird in Kapitel 3.3.5 ausführlich diskutiert.
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Kinder, also nur. Das gefällt mir nicht das Rollenbild. Ähm, ich finde des auch/die Frau hat dann eigentlich mit ihrem Leben nichts anzufangen, […]/und das finde ich halt auch schon wichtig, dass die Frau halt auch schon was verdient, also ja, auch was dazu beiträgt zum Geld.« (Magda) Die Gymnasiastin Magda verdeutlicht ihre materiellen Bezüge über eine geschlechtsspezifische Rollenteilung, der sie nicht folgen möchte. Sie stellt den Gedanken in den Mittelpunkt, »dass die Frau halt auch schon was verdient, also ja, auch was dazu beiträgt zum Geld« – einerseits aufgrund einer Haushalts-Solidarität, andererseits weil die Reproduktionsarbeit aus ihrer subjektbezogenen Perspektive nicht ausfüllend ist. Ihre Überlegung verläuft etwas anders im Vergleich zur Schülerin, die ökonomische Probleme infolge einer Hausfrauen-Tätigkeit antizipiert. Die Folge eigener Erwerbstätigkeit ist beziehungstechnisch betrachtet jedoch die gleiche: Indem sie finanziell zum Haushalt beiträgt, durchbricht sie die »starke Rollenteilung« und ist materiell nicht von einem alleinverdienenden Partner abhängig. Der Gedanke, über Erwerbsarbeit »unabhängig zu werden« (Ute), bezieht sich bei den meisten Interviewten jedoch nicht nur auf potentielle PartnerInnen, sondern auf die viel konkretere Herkunftsfamilie. Die Unabhängigkeit als eigener Plan materialisiert sich insbesondere in den fordistisch anmutenden Zukunftsvorstellungen vieler Jugendlicher, in der eigenen Wohnung und der Familiengründung. Solche Bezüge auf materielle Selbständigkeit, auf das abgesicherte Leben mit einer selbstgegründeten Familie in den eigenen vier Wänden, sind nicht nur Resultat geschlechtsspezifischer oder adoleszenter Selbstreflexion, sie stehen in engem Zusammengang mit elterlichen Erwartungshaltungen. Insbesondere die MittelschülerInnen verbinden in ihren Darstellungen jener Erwartungen sehr häufig die Ablösung von den Eltern mit dem eigenen Übergang in die Erwerbsarbeit. Während empirische Studien darauf verweisen, dass eigentlich sinnhaft-subjektbezogene Kategorien für Eltern aller sozialen Milieus von größter Bedeutung seien (Calmbach & Schleer, 2020, S. 50-55), zeichnet sich in den vorliegenden Beschreibungen elterlicher Erwartungen ein sozial differenziertes Bild. »Mhm. Also, dass ich mal ne Ausbildung haben werde und allein in einem Haus oder Wohnung leben kann. Also dass ich schon alleine für mich sorgen kann, dass sie halt nicht für mich ein Leben lang [...]« (Frank) »Er [Der Vater; A.F.] will halt einfach, dass ich glücklich werde mit der Wahl halt, die ich irgendwann mal mit meinem Freund halt treffe. Er will, […] dass ich halt eine schöne Zukunft halt habe und einen guten Job.« (Ute) Dabei ist zudem eine geschlechtsspezifische Differenz auffällig: Von den interviewten MittelschülerInnen beschreiben ausschließlich weibliche Interviewpartnerinnen neben den Ablösungserwartungen ihrer Eltern subjektbezogene Aspekte (»glücklich werden«). Bei den Eltern der männlichen Mittelschüler steht ganz klar eine antizipierte Erwartungshaltung der ökonomischen Unabhängigkeit und Selbständigkeit im Mittelpunkt. Diese ökonomische Ablösung lässt sich letztlich nur über Erwerbsarbeit realisieren. Die Bedeutung der Eltern veranschaulicht sich nochmals in den Zukunftsvisionen der MittelschülerInnen (»Wo siehst Du Dich in zehn Jahren?«), die in den allermeisten Fällen mit den elterlichen Erwartungen übereinstimmen. Etwas distanzierter, aber dennoch
3. Empirische Analysen
nah an den weiblichen Mittelschülerinnen, gestalten sich die Darstellungen der GymnasiastInnen, wenn sie elterliche Erwartungen thematisieren. »Der ist jetzt nicht so hundert Prozent, der sagt, ja okay, aber du musst schon noch ein bisschen nachdenken, wirst du dir davon ne Wohnung leisten können. Aber er ist eigentlich auch ziemlich dafür, dass ich mach, was ich möchte.« »Aber was sie jetzt ähm (.) prinzipiell schon erwarten, auch wenn sie das, glaub ich, nicht so offen sagen würden, […] dass ich (.) finanziell schon selber für mich sorgen kann und jetzt nicht von ihnen (.) von ihnen da abhängig bin und dann immer auch/[…] keine Ahnung, ob man das jetzt so als Erwartung bezeichnen kann, aber es ist schon so, dass ich auch des mach, was mir auch Spaß macht und was ich irgendwie machen will.« Einerseits antizipieren die GymnasiastInnen in den obigen Sequenzen die Verwirklichung des Subjektbezugs als generelle und häufig auch zentrale Erwartung ihrer Eltern; andererseits stellen sie gleichzeitig heraus, dass sie dabei nicht das Ziel der Selbständigkeit und somit einer gelungenen Ablösung vom Elternhaus aus den Augen verlieren sollten. Hier wird zudem der finanzielle Aspekt jener Ablösung stärker in den Fokus gerückt (»ne Wohnung leisten«; »finanziell schon selber für mich sorgen«). Die Mittel zur fordistisch-mittelständischen Idylle bleiben bei den MittelschülerInnen eher implizit, ausgeklammert oder zumindest nicht direkt benannt. Statusbezüge Materielle und Arbeitsmarktbezüge stehen in engem Zusammenhang mit Statusbezügen. Gerade wenn es um die Ermöglichung des sozialen Aufstiegs und eines entsprechenden Lebensstils geht, sind materielle Bezüge häufig eine Vorstufe dieser Bezugsdimension. Im Mittelpunkt stehen die Aufwertung der eigenen gesellschaftlichen Stellung, das Streben nach Prestige, Luxus und Distinktion über Erwerbsarbeit. Ziel sind nicht einfach sichere Lebensbedingungen, sondern bessere Lebensbedingungen als sie andere oder die Jugendlichen selbst haben. Eine lupenreine Trennung der Statusbezüge von Subjektbezügen ist ebenfalls schwierig, da die Beschäftigung mit dem eigenen Selbstwert und dessen Aufwertung eng an Luxus, Anerkennung, Aufstieg und Abgrenzung gekoppelt sind und häufig latent im Hintergrund schwelen (Dravenau & Eichler, 2012). Strukturell weist die Bezugsdimension eine Mittelschulspezifik auf. Besonders in den Zukunftsvorstellungen der MittelschülerInnen treten die Hoffnungen auf und der Wille zum sozialen Aufstieg in Erscheinung. »Weil ich mal ne bessere Zukunft haben möchte […]. Deshalb will ich halt viel schaffen, sag ich mal, in meinem Leben so beruflich […].« »Ja, dass ich die Ausbildung fertig mach, dass ich dann fest eingestellt werde, dass ich mich halt dann hocharbeite.« Die Überwindung der eigenen sozialen Lage sowie das Anpeilen statushoher beruflicher Positionen sind die zwei gängigsten Varianten an Aufstiegsaspirationen. Trotz eines allgemein ausgeprägten »Realismus« unter den MittelschülerInnen unterscheiden sich die Statusbezüge teils deutlich in ihrer (un-/wahrscheinlichen) Realisierbarkeit. So zeigen sich diese nicht nur in konkreten, ausgearbeiteten Erwerbsplänen, sondern bisweilen
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auch in hohen Ambitionen, die nicht zur gegenwärtigen schulischen Situation passen, sowie in Hoffnungen, deren Enttäuschung eigentlich bereits antizipiert wird. Das Stereotyp von sich selbst überschätzenden, völlig unreflektierten MittelschülerInnen, die Fußballstars oder einfach nur berühmt werden wollen, findet sich im Sample jedoch nicht. Nur als Wunschtraum, dessen Verwirklichung meist hinter »realistischere« Pläne zurückgestellt wird, zeigt sich vereinzelt eine solche »Hoffnung« aufs Star-Dasein. »In die Physiotherapie, in die Orthopädie oder ins Chirurgische, aber nicht Allgemeinarzt, des ist nervig. [I: Warum?] Naja, so eineinhalb Stunden Wartezeiten, so ganze Wartezimmer immer voll […].« Unter GymnasiastInnen finden sich Statusbezüge seltener und sie zielen meist eher auf die feinen Unterschiede innerhalb spezifischer Fachrichtungen oder Berufsfelder ab, deren Hierarchien und Positionen teils wohl reflektiert werden. So ist es einer/einem Jugendlichen wichtig, über Erwerbstätigkeit einen hohen Status zu repräsentieren, was sich in Überlegungen zu einem potentiellen Medizinstudium und dessen ausdifferenziertem Berufsziel spiegelt.
Die soziale Perspektive und ihre typischen Bezugsdimensionen Wenig beachtet und kaum beforscht führt die soziale Perspektive auf Erwerbsarbeit ein Schattendasein in der Arbeits- und Jugendsoziologie (Brinck et al., 2020, S. 168). Aktuell spielt sie zumindest eine kleine Rolle in der Diskussion um »sinnvolle Arbeit« (Graeber, 2018b; Hardering, 2015, 2017). In der Jugenddebatte und zugehöriger Empirie mangelt es nicht zuletzt an einer theoretischen Einbettung bzw. analytischen Abgrenzung. So wurden soziale Aspekte auch von Baethge und KollegInnen (1988, S. 169-170) auf einen Teilaspekt sinnhaft-subjektbezogener Ansprüche reduziert, in der qualitativen Forschung werden sie teils völlig ausgeblendet und in der quantitativen Empirie eher als Nebenprodukt behandelt (M. Albert, Hurrelmann & Quenzel, 2019; Fischer & Eichler, 2015). Im Sample finden sich nicht nur zahlreiche soziale Bezüge auf die Erwerbssphäre, sie stellt bei zwei Jugendlichen auch die zentrale Perspektive ihres subjektiven Verhältnisses zur Erwerbsarbeit dar. Insgesamt lassen sich drei typische Bezugsdimensionen unterscheiden: •
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Interaktions- und Gemeinschaftsbezüge: Zielen auf den Kontakt zu anderen Menschen, ein gutes Verhältnis zu KollegInnen sowie das Gefühl des Aufgehobenseins im Team; im Mittelpunkt stehen Kommunikation und zwischenmenschliche Eigenschaften Caritative Bezüge: Zielen auf Berufsbilder und Arbeitsinhalte, bei denen das caritative und pädagogische Unterstützen von Menschen im Vordergrund steht Altruistische Bezüge: Zielen auf soziale Sinnhaftigkeit bzw. gesellschaftliche Nützlichkeit von Erwerbsarbeit; im Mittelpunkt steht die Betonung gesellschaftlicher Relevanz und das progressive Verändern der Gesellschaft über die eigene Erwerbstätigkeit
Interaktions- und Gemeinschaftsbezüge Bereits in den sinnbezogenen Vorstellungen vieler Jugendlicher zur Büroarbeit zeigte sich, dass sie das Bild eines vereinzelten Arbeitsplatzes problematisieren. Bei vielen die-
3. Empirische Analysen
ser Jugendlichen stehen auch soziale Kontakte im Mittelpunkt. Thematisiert werden die Interaktion mit anderen Menschen in der Tätigkeit, die Bedeutung von KollegInnen für das eigene Arbeitserleben sowie die Erfahrung von Gemeinschaft in einem Team und das damit verbundene Gefühl des Aufgehobenseins. Es ist auffällig, dass Interaktionsund Gemeinschaftsbezüge gerade bei solchen Jugendlichen existieren, deren familialen Schilderungen durch einen Mangel an sozialem Rückhalt auffallen. Jedoch zeigen sich in den Interviews auch weitere Zusammenhänge mit strukturellen und adoleszenzrelevanten Faktoren sowie mit anderen Bezugsdimensionen auf die Erwerbsarbeit. »Ich habe mich so mega gefreut, dass ich da hingehen konnte. Weil des Arbeitsklima gut war, weil sich alle verstanden haben, weil mich alle voll gut aufgenommen haben. Und wenn des halt so ist, dann macht des auch einfach Spaß halt zu arbeiten.« (Ute) Ihren sinnlich-emotionalen Bezug auf die Erwerbsarbeit (»Spaß haben«), der bei Ute immer wieder aufscheint, verbindet die Mittelschülerin in dieser Sequenz ganz typisch mit einer sozialen Bedingung. Es geht ihr um das »Arbeitsklima«, um die KollegInnen, deren Gemeinschaft und um die Teilhabe daran. Für sie ist es wichtig, außerhalb und innerhalb der Erwerbsarbeit Teil einer sozialen Gruppe zu sein. So ist die Peer- und Sozialorientierung bei ihr stark ausgeprägt, Freundschaft und soziale Beziehungen stehen immer wieder im Mittelpunkt ihrer Erzählungen. Derartige Interaktionsbezüge und auch deren enge Verbindung zur Peerorientierung finden sich insbesondere unter MittelschülerInnen. Dass sie jedoch kein Alleinstellungsmerkmal darstellen, verdeutlicht bspw. die Gymnasiastin Magda. »Also mich interessiert zum Beispiel Innenarchitektur oder Architektur bisschen, aber (.)/[I: Was macht man denn da so?] Ja, ich finde einfach, dass man ziemlich kreativ sein kann ziemlich gut, aber trotzdem auch Kontakt mit Menschen hat.« (Magda) »So (.) der sollte halt nicht so langweilig sein, so wie im Büro, dass ich den ganzen Tag nur sitze. Der sol-/Ich sollte auch mit so paar LEuten reden, damit’s nicht so langweilig ist.« (Tanja) Magda hebt in ihrem Interesse für (Innen-)Architektur nicht nur einen arbeitsinhaltlichen Aspekt hervor – die Kreativität der Tätigkeit –, sondern betont dabei die Bedeutung eines sozialen Aspekts – dass man »trotzdem auch Kontakt mit Menschen hat«. Als Gegenhorizont sind subjektivierte Kreativtätigkeiten vorstellbar, bei denen die Künstlerin einsam vor sich hinarbeitet, ohne jeglichen sozialen Austausch. Einen weiteren zentralen Aspekt der Bezugsdimension verdeutlicht die Mittelschülerin Tanja. Die Kommunikation (»mit so ein paar Leuten reden«) ist für sie besonders wichtig und funktioniert natürlich nicht ohne KollegInnen oder direkten KundInnenkontakt. Auch sie verbindet ihre Interaktionsbezüge mit arbeitsinhaltlichen und sinnlichen Komponenten (Büro, Langeweile, Spaß). Aus theoretischer Perspektive gestaltet sich diese Bezugsdimension, die subjektive Bedeutung von Interaktion und Gemeinschaft in der Erwerbsarbeit vielseitig und keineswegs unterkomplex. Solche Bezüge lassen sich nicht einfach über einen Mangel (bspw. im Sinne Maslows) erklären. Zwar zeigen sich derartige Muster durchaus unter SchülerInnen wenig sozialem Rückhalt; Interaktionsbezüge gibt es aber auch dort, wo das Aufgehobensein in Familie und unter Peers gelungen ist – entscheidend scheint
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also die allgemeine Relevanz sozialer Aspekte in der jugendlichen Biographie, die auf erwerbsspezifische Überlegungen übertragen wird. Caritative Bezüge Menschen treten in den Bezügen Jugendlicher auf die Erwerbsarbeit nicht nur als InteraktionspartnerInnen auf. Bei einigen Jugendlichen werden sie zum Arbeitsgegenstand. Sie zielen auf die caritative und pädagogische Versorgung von Menschen. Der Clou der caritativen Bezüge ist, dass sich die thematisierten Berufsbilder und Traumjobs, bei denen caritative Elemente im Vordergrund der Tätigkeit stehen, nicht notwendigerweise an solche Bezüge koppeln. Dies zeigt sich sowohl bei GymnasiastInnen mit sehr hohen Ambitionen als auch bei MittelschülerInnen, die statusniedrige Ausbildungen im sozialen Sektor anpeilen. Wie bereits dargestellt, sind bspw. die Überlegungen zu einem potentiellen Medizinstudium von Statusbezügen geprägt. Caritative und auch arbeitsinhaltliche Aspekte treten demgegenüber in jenen Schilderungen tendenziell in den Hintergrund. Ähnliches zeigt sich bei einer Mittelschülerin, die über eine Ausbildung zur Kinderpflegerin nachdenkt. Auf die Frage, wie sie auf die Idee gekommen sei, sagt sie: »Ja, also […] die Bekannten […] arbeiten im Kindergarten. Und es macht ihnen auch sehr viel Spaß und also die sammeln mehr Erfahrung mit den Kindern. (.) Also für selber für ihre eigenen Kindern. Also da haben sie mehr Erfahrungen. [I: Okay.] Und es hat mir auch sehr Spaß gemacht […].« Die Schülerin thematisiert in der Sequenz nicht die caritativen, sondern spielerische Aspekte, weist arbeitsinhaltliche, sinnliche Bezüge auf. In ihrer Erzählung hebt sie das Spaßerlebnis mit den Kindern und einen Effekt hervor, den sie bei Bekannten beobachtet oder von diesen erzählt bekommen hat. Die Tätigkeit und die darin gesammelten Erfahrungen dienen in ihrer Perspektive der Vorbereitung auf eine potentielle Mutterschaft. »Ich mach so ähm vor allem ähm Kleiderausgabe und Essensausgabe und so so Zeug. Also wirklich ganz ganz praktische Sachen.« Während caritative Bezüge also nicht notwendigerweise an caritativen Berufsbildern hängen, zeigt sich eine solche Verbindung bei anderen Jugendlichen durchaus, verschwimmt jedoch häufig mit altruistischen Bezügen (s. unten). Gerade bei GymnasiastInnen, die ein Freiwilliges Soziales Jahr oder ähnliches planen, verbinden sich diese Bezugsdimensionen. Sie wollen Menschen helfen und damit für bessere gesellschaftliche Zustände sorgen. So plant bspw. der Gymnasiast Karl, Freiwilligendienst im Kontext der Geflüchtetenhilfe zu leisten. In seinen Ausführungen zum Freiwilligendienst beschreibt er dabei caritative Dimensionen, eben die »ganz ganz praktischen Sachen« als zentral. Dass sich caritative Bezüge aber durchaus auch auf die künftige Erwerbstätigkeit konzentrieren, zeigt sich in den Schilderungen diverser Jugendlicher wieder. So überlegt eine der interviewten Gymnasiastinnen, sich in einem kreativ-pädagogischen Bereich ausbilden zu lassen, verknüpft dabei sowohl sinnhaft-subjektbezogene Aspekte mit der Erwerbstätigkeit als auch die Idee, ganz »praktisch« »Leuten [zu] helfen«. Das
3. Empirische Analysen
praxisbezogene Helfen und Heilen steht auch im Mittelpunkt von Gregors subjektivem Verhältnis zur Erwerbsarbeit. Bei keinem anderen Jugendlichen kommen caritative Bezüge auf die Erwerbsarbeit derart zum Ausdruck wie bei ihm. Er stellt seine gesamte (berufliche) Identität in den Kontext des Helfens, verfolgte bereits diverse Berufsziele (u.a.: Erzieher, Sanitäter, Feldsanitäter, Polizei), in denen sich die gesamte Breite caritativer Bezüge wiederfindet, die in den Interviews mit den Jugendlichen zum Ausdruck kommt: Erziehen, Heilen, Unrecht aufdecken und Menschen schützen – eben »Leuten helfen« (Gregor). Altruistische Bezüge Im Zentrum gegenwärtiger Debatten steht zumeist die zuletzt dargestellte Bezugsdimension der sozialen Perspektive auf Erwerbsarbeit (M. Albert, Hurrelmann & Quenzel, 2019; Brinck et al., 2020; Graeber, 2018b). Altruistische Bezüge rücken die soziale Sinnhaftigkeit von Erwerbtätigkeiten in den Mittelpunkt. Thematisiert werden die gesellschaftliche Relevanz von Berufsbildern und das Verbessern gesellschaftlicher Zustände über die Erwerbsarbeit. Neben den Identitätsbezügen ist diese Dimension zentral in adoleszenztheoretischen Überlegungen, die das adoleszente Moratorium, den Möglichkeitsraum und die Triangulierung mit jugendlicher Subjektivität verknüpfen, denn die Bezugsdimension geht mit einer Infragestellung gesellschaftlicher Zustände »trotz ihrer überwältigenden Objektivität« einher (Erdheim, 1988b, S. 199; Stutz & Erdheim, 1991, S. 178-179). Altruistische Bezüge finden sich nur bei wenigen Jugendlichen im Sample, jedoch bestätigen sich bei diesen adoleszenztheoretische Annahmen. Es handelt sich um eine Bezugsdimension, die sich fast ausschließlich unter GymnasiastInnen mit einem ausgeprägten (Bildungs-)Moratorium findet. »Ähm mein Ziel. Also des ist/ich will auf jeden Fall irgendwie dieses Politische weiterhin machen, mich immer für irgendwas einsetzen können und so weiter. […] Das find ich, vor allem der Sache selbst wegen wichtig, aber ich find auch, […] dass es halt auch irgendwie so n bisschen dem Leben auch irgendwie einen SInn gibt […]. Ich glaub, dass es im Gegensatz zu anderen Sachen jetzt, keine Ahnung, wenn man jetzt drauf aus ist, […] mal fünftausend Euro netto zu haben oder sowas, dass es […] ein Lebensweg ist, der mir, glaub ich persönlich, viel mehr bringt […].« (Karl) So weist auch der Gymnasiast Karl großes Interesse an politisch motivierter Arbeit auf. Er koppelt sein Interesse an die Tätigkeit in NGOs, stellt es zudem in den Gegensatz zu materiellen und Statusbezügen. Erwerbsarbeit im Kontext sozialer Sinnhaftigkeit verbindet er zwar mit einer subjektiven Sinnhaftigkeit – sie gibt »dem Leben [.] einen Sinn« –, rückt diese subjektive Sinnhaftigkeit in ihrer Bedeutung jedoch hinter die soziale Sinnhaftigkeit der Arbeit für »die Sache«. Es geht nicht nur um ihn selbst, sondern ums große Ganze. Ähnliche Bezüge finden sich in den Überlegungen weiterer GymnasiastInnen, die die eigene geplante Tätigkeit in einen größeren, gesellschaftlichen Rahmen einbetten, der selbst wiederum über die Tätigkeit verändert wird oder dessen brutale Logiken zumindest abgefedert werden. »Zumal, also, wenn ich sag, dass ich mich für Jura interessiere, dann ähm ziehen manche Leute so ein bisschen die Augenbrauen, so, Okay sind nicht alle Juristen irgend-
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wie so konservative Säcke? Also erstens glaube ich das überhaupt nicht und zweitens, wenn dem so wäre, dann wäre das doch ein Grund, Jura zu studieren, weil es gibt noch so viel Ungerechtigkeit, gerade in dem Bereich der Justiz. […] Und das ist für mich auch ein Grund, das zu machen, weil es bringt ja nichts, wenn man nur sagt, die Justiz ist im Arsch, auch wenn das nicht der Fall ist, sondern man muss halt was machen und das verbessern.« (Nathalie) Dass sich die altruistischen Bezüge auch in Kontexten wiederfinden, die weniger politisch geladenen sind, veranschaulicht bspw. die Gymnasiastin Nathalie in ihren Schilderungen zur Fremdwahrnehmung ihrer Überlegungen zu einem potentiellen Jurastudium. Denn für sie stehen hierbei nicht Geld, Status oder das klischeehafte Bild einer »konservativen« Juristin im Vordergrund; vielmehr stellt sie ihre Überlegung in den Kontext des Kampfes gegen Ungerechtigkeiten, den Versuch, das System von innen heraus zu verbessern. Diese Vorstellung, die Welt im Kleinen oder Großen in der Erwerbstätigkeit zu verändern (trotz ihrer überwältigenden Objektivität), zeichnet die altruistischen Bezüge aus.
Zusammenfassung und strukturelle Auffälligkeiten Qualitative Methoden ermöglichen zwar keine quantitative Repräsentativität, sie erlauben jedoch erstens den dringend nötigen Grad der Differenziertheit in der Rekonstruktion des subjektiven Verhältnisses Jugendlicher zur Erwerbsarbeit und zweitens durchaus Feinanalysen struktureller Zusammenhänge, die sich quantitativ nur schwer überprüfen lassen. Was damit gemeint ist, zeigt sich bspw. bei den arbeitsinhaltlichen Bezügen auf die Erwerbsarbeit unter Jugendlichen (vgl. Tabelle 10). Diese unterscheiden sich im Sample – rein quantitativ betrachtet – zwischen MittelschülerInnen und GymnasiastInnen nicht. Bei genauerem Blick zeigt sich jedoch, dass die Bezugsdimension durchaus Schul-/Milieuunterschiede aufweist. So stehen arbeitsinhaltliche Bezüge bei MittelschülerInnen in enger Beziehung zur Schul(aus)bildung und beruflichen Orientierung, bei GymnasiastInnen sind sie hingegen vom schulischen Geschehen abgelöst. Das Ergebnis erstaunt gerade angesichts kritischer Schul-, Bildungs- und Berufsorientierungsforschung (Hartong et al., 2018; Höhne, 2015; Walther, 2014), aber auch quantitativer und qualitativer Studien zum Zusammenhang von Arbeitsorientierung und sozialer Herkunft (M. Albert, Hurrelmann & Quenzel, 2019; Fischer & Eichler, 2015; Kölzer, 2014). Die schulische Berufsorientierung zeigt sich hier nicht nur als Förderin eines unkritischen, ökonomisch-zweckrationalen »Realismus«, sondern zugleich als anleitende Unterstützerin subjektbezogener Interessen. Damit deutet sich bereits ein Widerspruch an, der im Folgekapitel im Mittelpunkt stehen wird. Ähnliche strukturelle Auffälligkeiten, die zwar nicht allesamt im Kontext »widersprüchlicher Adoleszenz« (Eichler & Fischer, 2020) stehen, jedoch hinsichtlich der Theorie und des Forschungsstand verortbar sind, stehen im Folgenden im Sinne einer ersten Zusammenfassung im Mittelpunkt. Die sinnhaft-subjektbezogene Perspektive zeichnet sich durch Bezugsdimensionen aus, in denen Jugendliche eigene Interessen, Fähigkeiten, Emotionen, Identität und subjektive Sinnhaftigkeit in den Mittelpunkt der Erwerbsarbeit stellen. Es geht um Expressivität und in diesem Sinne um Ansprüche gegen entfremdete Arbeitsbedingun-
3. Empirische Analysen
gen, auch wenn sich der emanzipatorische Impetus eher zwischen den Zeilen, denn als explizite Forderung der Jugendlichen im Interviewmaterial findet. Die skizzierte Perspektive und die darunter zu verortenden Bezugsdimensionen stimmen somit bedingt mit der »Subjektperspektive« von Schumann und KollegInnen (1982) überein, treffen sich empirisch u.a. mit der »Subjektorientierung« von Oechsle und KollegInnen (2009a) und der quantitativ herausgearbeiteten sinnhaft-subjektbezogenen Orientierung (vgl. Kapitel 3.2.1). Sie greift jedoch in ihrer Vielschichtigkeit und der Betonung sinnlicher und emotionaler Bestandteile über diese Konzepte hinaus. Subjektbezug ist kein Alleinstellungsmerkmal von GymnasiastInnen mit ausgeprägtem Moratorium und einem sozialen Hintergrund, der große adoleszente Möglichkeitsräume bietet (King, 2013). Das verdeutlicht sich nicht nur bei den arbeitsinhaltlichen Bezügen, sondern auch bei den zwar seltenen, aber vorhandenen subjektbezogenen Ansprüchen an die Arbeitsorganisation und insbesondere in der Formulierung des Anspruchs auf die subjektive Sinnhaftigkeit der Tätigkeiten. Die Infragestellung sinnbefreiter, tayloristisch zerteilter Erwerbsarbeit lässt sich in keinen strukturellen Zusammenhang setzen: Geschlechterübergreifend und unabhängig der besuchten Schulform wollen Jugendliche innerlich an der Erwerbsarbeit beteiligt sein, wollen einen Sinn darin erkennen. Diese Einforderung scheint weniger moratoriumsspezifisch, denn als eine Grundkonstante des jugendlichen Verhältnisses zur Erwerbsarbeit. Für die soziologische Debatte um sinnvolle Arbeit bieten diese Ergebnisse Anknüpfungspunkte, welche Aspekte milieuübergreifend auf subjektiver Ebene die Erwerbsarbeit mit »Sinn« erfüllen (Hardering, 2015). Dass sich hierbei seit den Studien Baethges (1994b) und, wenn man die Perspektive etwas erweitert, eigentlich seit Marx (1844) wenig verändert hat, dürfte die Diskussion erleichtern. Es geht darum, den eigenen Beitrag am Produkt zu erkennen, sowie um einen subjektiv nachvollziehbaren Zweck der Tätigkeit und um ein möglichst geringes Ausmaß an entfremdenden Bedingungen in arbeitsteilig organisierten Produktionsprozessen. Eng damit verbunden stellen sinnliche, emotionale und affektive Bezüge auf die Erwerbsarbeit einen relevanten Bestandteil jugendlicher Perspektiven auf die Erwerbsarbeit dar. Hier zeigt sich eine Forschungslücke und methodische Schwierigkeit. So wird die Bedeutung bestimmter Gefühle und Affekte in quantitativen Erhebungen des subjektiven Verhältnisses zur Erwerbsarbeit kategorisch ausgeblendet (vgl. Kapitel 3.1.2). Allerdings lässt sich diese Bezugsdimension kaum standardisiert operationalisieren. Affekte oder Emotionen, die sich in der Rekonstruktion des subjektiven Verhältnis zur Erwerbsarbeit als hochrelevant erweisen, unterscheiden sich inhaltlich und haben jeweils verschiedene Bezugspunkte. Strukturell ist diese Dimension insbesondere von MittelschülerInnen geprägt. Während also einige Bezugsdimensionen der sinnhaft-subjektbezogenen Perspektive unabhängig der sozialen Herkunft sind oder sogar unter MittelschülerInnen häufiger auftreten, sind es die GymnasiastInnen, die das »Höchstmaß« an expressiven Ansprüchen an die Erwerbssphäre verkörpern. Die Verknüpfung der eigenen Biographie, des Selbstentwurfs und der Identität mit der Erwerbstätigkeit findet fast ausschließlich unter den sozial privilegierten SchülerInnen des Gymnasiums statt. Dass die Identitätsbezüge nicht einfach auf die schulische Sozialisation zurückzuführen sind, sondern immer wieder außerschulische Möglichkeiten der Selbstreflexion damit in Zusammen-
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hang stehen, wird in Kapitel 3.3.5 nachgezeichnet. Dass Identitätsbezüge nicht immer progressiv sind, zeigt sich in Bezügen auf Geschlechtsidentitäten, die im Falle einiger MittelschülerInnen heteronormativen Maßstäben entsprechen. Gerade für weibliche Mittelschülerinnen bedeutet diese Affirmation klassischer Rollenmuster die potentielle Reproduktion sozialer, geschlechtsspezifischer Ungleichheiten (Boll et al., 2015; Bourdieu, 2005). Eine materiell-reproduktionsbezogene Perspektive zeichnet sich durch Bezugsdimensionen aus, bei denen Ansprüche an die ökonomische Sicherheit der Lebensgestaltung, die Reproduktion der Arbeitskraft sowie Statusaspekte im Mittelpunkt stehen. Jugendliche legen hier extrinsische Motive an und blicken mit einer ökonomischzweckrationalen Logik auf die Erwerbssphäre. Diese Perspektive entspricht weitgehend der »Arbeitskraftperspektive« von Schumann und KollegInnen (1982), findet sich in der quantitativen und qualitativen Forschungslandschaft ähnlich wieder (Baethge et al., 1988; Fischer & Eichler, 2015; Kölzer, 2014; Oechsle, 2009a), unterscheidet sich von den meisten dieser Konzepte jedoch über die explizite Integration der Funktion von Erwerbsarbeit zur ökonomischen und innerlichen Ablösung vom Elternhaus, die sich im Sample als höchstrelevant erweist (im Widerspruch zu: Calmbach & Schleer, 2020; ähnlich zu: Wiezorek & Stark, 2011). Im Gegensatz zu den quantitativen Analysen der vorliegenden Studie sowie zum Forschungsstand erweist sich weder die Sicherheit noch das Einkommen als herausragender Berufsaspekt unter Jugendlichen (M. Albert, Hurrelmann & Quenzel, 2019; Fischer & Eichler, 2015; vgl. Kapitel 2.3). Nichtsdestotrotz herrschen materiell-reproduktionsbezogene Aspekte bei allen interviewten Jugendlichen vor und beide – Sicherheit und Einkommen – treten vermittelt über die Thematisierung der ökonomischen Ablösung vom Elternhaus als relevante Dimensionen in Erscheinung. Dies spiegelt grundlegende adoleszenztheoretische (King, 2010, 2013), aber auch aktuelle jugendsoziologische Annahmen wider (Eichler & Fischer, 2020; Wiezorek & Stark, 2011). Dass die ökonomische Ablösung jedoch die identitätsstiftende Funktion von Erwerbsarbeit überschatte, zeigt sich zumindest im vorliegenden Sample nicht. Viel deutlicher kommt ein sozialstruktureller Effekt zum Ausdruck: So sind der Ablösungsprozess und die Vorstellung einer Normalbiographie unter MittelschülerInnen präsenter als bei GymnasiastInnen – letztlich steht hier aber auch keine Möglichkeit zur Postadoleszenz bereit, um den sich anbahnenden Ablösungsprozess zu entschleunigen. Die MittelschülerInnen beschreiben diesen Prozess nicht nur als eigene, sondern auch als zentrale elterliche Erwartung. Solche elterlichen Erwartungshaltungen betreffen zwar auch vereinzelt die GymnasiastInnen des Samples, jedoch sind diese meist an eine Akzeptanz der Verwirklichung subjektbezogener Orientierungen gekoppelt. Zusätzlich zeigt sich hinsichtlich materieller Bezüge eine geschlechtsspezifische Dynamik. So antizipieren einige weibliche Jugendliche die Gefahren potentieller Abhängigkeit von PartnerInnen und verfolgen auch daher eine ökonomische Selbständigkeit über Erwerbsarbeit.
3. Empirische Analysen
Tabelle 10: Perspektiven, Bezugsdimensionen und strukturelle Auffälligkeiten
Quelle: Eigene Darstellung.
Bezüge auf den Arbeitsmarkt finden sich bei fast allen Jugendlichen, sie unterscheiden sich jedoch in ihrer konkreten Ausgestaltung nach der Schulform: Der Arbeitsmarkt ist bei MittelschülerInnen besonders im Sinne einer Konkurrenzlogik präsent, gerade wenn die Suche nach einem Ausbildungsplatz thematisiert wird (Eichler & Fischer, 2020; Mansel, 2011). Bei GymnasiastInnen zeigen sich sowohl abstrakte
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Arbeitsmarktbezüge, bspw. in Überlegungen zu gesamtgesellschaftlichen Veränderungen, sowie konkrete, an bestimmten Tätigkeiten orientierte Einschätzungen der Chancen und Risiken einer Berufswahl. Bei einigen Jugendlichen äußert sich die ökonomisch-zweckrationale Orientierung an Chancen und Risiken des Arbeitsmarktes als selbst bezeichneter »Realismus«, der meist mit einer Einschränkung des Subjektbezugs einhergeht. Dass sich dieser »Realismus« auf den ersten Blick zwar gut in gegenwärtige Adoleszenzdebatten fügt (vgl. Kapitel 2.2.4), die subjektiven Folgen struktureller Ökonomisierungs- oder »Cooling Out«-Prozesse jedoch vielschichtiger sind, steht im folgenden Kapitel im Mittelpunkt. Die Thematisierung eigener Interessen und Hobbies neben der künftigen Erwerbsarbeit findet sich ausschließlich in Zukunftsvorstellungen von GymnasiastInnen. Das geringe Ausmaß an Freizeitaspekten entspricht zwar dem Forschungsstand und auch den hier angefertigten quantitativen Analysen (vgl. Kapitel 3.2); es ist dennoch erstaunlich, dass sie kaum in die Zukunftsentwürfe integriert werden, da sie in jedem Interview explizit besprochen wurden. Die Erwerbssphäre nimmt also den zentralen Raum in den Zukunftsperspektiven der Jugendlichen ein. Gesundheit ist zwar kein dominierender Aspekt im Gesamtsample, aber sowohl das psychische als auch das physische Wohlbefinden stellen relevante Arbeitskraftbezüge dar. Der insbesondere unter weiblichen Gymnasiastinnen vorherrschende Bezug auf das psychische Wohlbefinden steht deutlich mit der Thematisierung von Stresserfahrungen im Alltag und Schule in Zusammenhang. Obwohl diese in gegenwärtigen Debatten um jugendliche Sozialisation eine wichtige Rolle einnehmen (M. Albert et al., 2015, S. 251-254; Eichler & Fischer, 2020; Haubl, 2008; Lessenich, 2012; Mansel, 2011), mangelt es bisher an einer theoretischen Verbindung mit dem subjektiven Verhältnis zur Erwerbsarbeit. Genauso wie die Vorstellung einer fordistischen Normalbiographie sind Statusbezüge und der damit verbundene Wunsch des sozialen bzw. familialen Aufstiegs besonders unter MittelschülerInnen ausgeprägt (ähnlich: Kölzer, 2014, S. 266-269). Das Streben nach oben erinnert daher an Mangelthesen (Bloch, 1973; Maslow, 1971). Vereinzelt stehen diesen Aufstiegsorientierungen auch Abgrenzungsmechanismen nach unten zur Seite. Offene Bezüge auf Prestige und Luxus sind im Sample jedoch sehr selten und wenn, dann finden sie sich unter denjenigen, die beides wahrscheinlicher erreichen werden – den GymnasiastInnen. Die Erweiterung des häufig bipolar entworfenen subjektiven Verhältnisses zur Erwerbsarbeit um eine soziale Perspektive passt erstens sehr gut zu gängigen quantitativen Schemata zu dessen Erhebung, zweitens zu zugehörigen theoretischen Konzeptionen (vgl. Kapitel 3.1) und drittens zur Debatte um den »Sinn« von Erwerbsarbeit und »sinnvolle Arbeit« (Badura et al., 2018; Graeber, 2018b; Hardering, 2015). Soziale Sinnhaftigkeit, Wertrationalität und Interaktion stehen hier im Mittelpunkt. Es geht darum, mit und für Menschen zu arbeiten, die eigene Tätigkeit in einen höheren Kontext zu stellen, es geht aber auch ums große Ganze. Es handelt sich um die einzige Perspektive, bei der einige Jugendliche keine einzige der typischen Bezugsdimensionen aufweisen. Das geringe wissenschaftliche Interesse an der sozialen Perspektive auf Erwerbsarbeit spiegelt also gewissermaßen das relativ geringe Interesse der Jugendlichen an interaktiven, caritativen und altruistischen Aspekten der Erwerbsarbeit.
3. Empirische Analysen
Bei sozialen Bezugsdimensionen fallen strukturelle Zusammenhänge auf, die sich in quantitativen Studien andeuten (M. Albert, Hurrelmann & Quenzel, 2019; Brinck et al., 2020; Fischer & Eichler, 2015), jedoch selten ernsthaft diskutiert werden. Das »typische« Ergebnis von quantitativen Artikeln und auch der hier gerechneten Analysen (vgl. Kapitel 3.2), dass soziale Bezüge und Perspektiven auf die Erwerbsarbeit unter jungen Frauen deutlich stärker ausgeprägt sind als unter jungen Männern, findet sich in den Interviews nur bedingt bestätigt. So zeigen sich bei Interaktions- und Gemeinschaftsbezügen tatsächlich solche geschlechtsspezifischen Muster, die mit einer ausgeprägten Peerorientierung unter den weiblichen Jugendlichen einhergehen (im Widerspruch zu: M. Albert, Hurrelmann & Quenzel, 2019, S. 157-161). Zudem gibt es einen Schuleffekt: es sind hauptsächlich MittelschülerInnen, die Wert auf soziale Kontakte und Interaktion legen (Kölzer, 2014, S. 274-275). Neben der Peerorientierung steht diese Bezugsdimension im Sample bisweilen mit einer geringen innerfamiliären Geborgenheit in Verbindung – als entscheidend deutet sich also eine allgemeine Relevanz sozialer Aspekte für die Jugendlichen an. Caritative Bezüge auf die Erwerbsarbeit zeigen im Sample keine strukturellen Auffälligkeiten – und das ist durchaus interessant, denn das Ergebnis steht in Kontrast zum quantitativen Forschungsstand, in dem weiblichen Jugendlichen meist recht verallgemeinernd eine soziale Orientierung attestiert wird (Brinck et al., 2020; Fischer & Eichler, 2015). Auch dieses Ergebnis verweist darauf, dass feingliedrigere Analysen notwendig sind. Die Orientierung daran, Menschen caritativ zu unterstützen, in der Erwerbsarbeit pädagogisch zu begleiten und gesundheitlich zu versorgen, findet sich außerdem nicht notwendigerweise bei solchen Jugendlichen wieder, die entsprechende Berufsbilder verfolgen. Weder das Medizinstudium noch die Ausbildung zur Kinderpflegerin sind automatisch mit caritativen Motiven verknüpft. Bei GymnasiastInnen stehen diese Bezüge zudem eher in Überlegungen zu Tätigkeiten in der Überbrückungsphase zwischen Schule und Studium als zur späteren Erwerbstätigkeit im Mittelpunkt. Die Erkenntnisse zur altruistischen Bezugsdimension bestätigen insbesondere die Sozialstrukturforschung (M. Albert, Hurrelmann & Quenzel, 2019; Calmbach et al., 2020). Eine altruistisch geprägte soziale Sinnhaftigkeit als Motiv der Erwerbsarbeit herrscht insbesondere in gehobenen sozialen Milieus vor. Sie legen altruistische und politische Maßstäbe an die Erwerbssphäre an, wollen über die eigene Erwerbsarbeit gesellschaftliche Zustände verändern, verbessern oder zumindest kitten. Das passt adoleszenztheoretisch in den Rahmen. Sowohl Erdheims Überlegungen zum Verhältnis von Adoleszenz und Gesellschaft als auch Eichlers Konzeption einer adoleszenten Triangulierung begreifen Ansprüche auf subjektive und soziale Sinnhaftigkeit als Bestandteil und Resultat eines ausgeprägten adoleszenten Moratoriums (Eichler, 2019; Eichler & Fischer, 2020; Erdheim, 1988b; King, 2013). Gleichzeitig verdeutlicht die Analyse, dass das Ineinanderwerfen der subjektiven und sozialen Sinnhaftigkeit, wie es in öffentlichen Debatten, aber auch in der Sozialforschung häufig geschieht (auch bereits bei: Baethge et al., 1988), problematisch ist. Altruistische Bezüge und sozial sinnhafte Motive abstrahieren von der subjektiven Ebene, lassen subjektive Ansprüche an und Bezüge auf die Erwerbsarbeit gegenüber dem großen Ganzen in den Hintergrund treten. Die Unterscheidung einer »Arbeitskraftperspektive« und einer »Subjektperspektive« (Baethge, 1994b; ähnlich: Oechsle et al., 2009;
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M. Schumann et al., 1982) und auch andere bipolare oder dichotome Entwürfe jugendlicher Perspektiven und Orientierungen auf Erwerbsarbeit berücksichtigen nicht die gesamte Breite an Bezugsdimensionen und führen zu einer Vereinfachung des subjektiven Verhältnisses Jugendlicher zur Erwerbsarbeit. Eine weitere und im Kontext der vorliegenden Studie noch viel zentralere Problematik gesellt sich hinzu: Sowohl in Sozialstruktur- und Generationenanalysen als auch in quantitativen Studien und Debatten um »die Jugend« liegt der Fokus häufig auffällig stark auf einer dominanten Bezugsdimension oder Perspektive, die das subjekive Verhältnis zur Erwerbsarbeit scheinbar widerspruchsfrei und homogen beschreibt (M. Albert, Hurrelmann & Quenzel, 2019; Fischer, 2021; Fischer & Eichler, 2015; Schröder, 2018). Typen werden differenziert, Jugendliche oder statushohe Milieus zu »SelbstverwirklicherInnen« stilisiert, gesellschaftlich Abgehängte als »distanziert« oder »instrumentell« gelabelt. Ein Problem dieser Typologien und häufig sehr rund geschilderten Arbeitsorientierungen besteht darin, dass sie die Vielfältigkeit an und wechselseitige Verknüpfung von Bezugsdimensionen und Perspektiven aus den Augen verlieren (M. Schumann et al., 1982, S. 294). Eine Ableitung übergeordneter Typen jugendlicher Arbeitsorientierungen gestaltet sich im vorliegenden Sample ebenfalls nicht so einfach, wie es auf den ersten Blick scheint. Bezeichnungen wie »die Materiellen«, »die Subjektbezogenen« oder »die Sozialen« reduzierten die strukturell auftretende und geradezu »typische« Komplexität und Vielfältigkeit der Bezugsdimensionen Jugendlicher auf einen größten Nenner, der einen scheinbar natürlichen »Grad der Differenziertheit« suggeriert (M. Schumann et al., 1982, S. 294). Ein solches Vorgehen überginge die strukturell vorhandenen und fast alle jugendlichen Orientierungsrahmen prägenden Widersprüche und Verschränkungen von Perspektiven und deren Bezugsdimensionen auf Erwerbsarbeit. Das zentrale Ergebnis der qualitativen Empirie der vorliegenden Studie, das im folgenden Kapitel im Mittelpunkt steht, liegt gerade in der Erkenntnis, dass konsistente, widerspruchsfreie Orientierungen, die von Bezugsdimensionen einer einzigen Perspektive geprägt sind, eher die Ausnahme denn die Regel darstellen. Das subjektive Verhältnis Jugendlicher zur Erwerbsarbeit gestaltet sich vielmehr genauso widersprüchlich wie die Bedingungen ihrer Adoleszenz.
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Das Verhältnis Jugendlicher zur Erwerbsarbeit im Kontext widersprüchlicher Adoleszenz
In der Rekonstruktion des subjektiven Verhältnisses der interviewten Jugendlichen zur Erwerbsarbeit bestätigt sich die hier formulierte These, dass sich darin gegenwärtig widersprüchliche Bedingungen adoleszenter Sozialisation spiegeln. Konkret lautete die Annahme, dass die skizzierten Sozialisationsbedingungen das Konzept des adoleszenten Moratoriums unterlaufen, adoleszente Möglichkeitsräume tendenziell verkleinern und das Gelingen einer adoleszenten Triangulierung unwahrscheinlicher machen (Ecarius et al., 2017; Eichler & Fischer, 2020; Heitmeyer et al., 2011a; Honneth, 2010; Lessenich, 2012; Niekrenz & Witte, 2018; vgl. Kapitel 2.2.4). Die Ausbildung sinnhaft-subjektbezogener Ansprüche, die einst Gegenstand der normativen Subjektivierungsthese waren (Baethge, 1991), dürfte in Anbetracht der widersprüchlichen Adoleszenz erschwert sein (Baethge, 1985; Erdheim, 1988b; Erikson, 1988; King, 2013; Zinnecker, 2003). Eine einfache Verfallsthese, also ein deduktiv abgeleitetes Verschwinden sinnhaft-subjektbe-
3. Empirische Analysen
zogener Ansprüche, berücksichtigte jedoch die Widersprüchlichkeit der Bedingungen nicht, das gleichzeitige Beschwören, Befeuern und Abkühlen des adoleszenten Narzissmus (Eichler & Fischer, 2020). Im empirischen Material zeigt sich, dass die oben skizzierten, analytisch fein getrennten Bezugsdimensionen und Perspektiven Jugendlicher auf die Erwerbsarbeit vor dem Hintergrund eben jener widersprüchlichen Adoleszenz verschränkt, vielschichtig und teils widersprüchlich zueinander in Erscheinung treten (Eichler & Fischer, 2020; Heitmeyer et al., 2011a; Niekrenz & Witte, 2018). Ziel des Kapitels ist es, für das Sample »typische« Verschränkungen und Widersprüche nachzuzeichnen. Diese Widersprüchlichkeiten in Sozialisation und im subjektiven Verhältnis zur Erwerbsarbeit sind dabei keineswegs zufällig verteilt. Genauso wie bei den einzelnen Bezugsdimensionen treten bei den komplexeren individuellen Orientierungsrahmen und den zugrundeliegenden Adoleszenzmustern strukturell übergreifende Zusammenhänge auf, insbesondere mit dem Geschlecht und dem Schultypus. Dabei zeigt sich jedoch erstens, dass dieser Zusammenhang nicht im Sinne eines klassischen Ungleichheitsmechanismus zu lesen ist, und zweitens, dass es an vielen Stellen trotz Ökonomisierungsdynamiken, trotz fortschreitender Individualisierungsprozesse und trotz widersprüchlicher Adoleszenz zumindest stellenweise Grund zur Hoffnung gibt – auch darauf verweist der Begriff des Widersprüchlichen. Gegenüber dem Scheitern adoleszenter Triangulierung, der Begrenzung adoleszenter Möglichkeitsräume und dem Unterlaufen des adoleszenten Moratoriums finden sich in den Interviews sozialisatorische »Ankerpunkte«, die deren Funktionen übernehmen. Auch diese Ankerpunkte stehen im Folgenden im Mittelpunkt. Zuerst geht es jedoch um ein typisches GymnasiastInnen-Phänomen. Im Gegensatz zu den meisten MittelschülerInnen haben sie Eltern, die in gehobenen, jedoch stark subjektivierten Arbeitsbedingungen beschäftigt sind. Diese Eltern präsentieren für sie häufig die prekären Realisierungsmöglichkeiten einer sinnhaft-subjektbezogenen Perspektive auf Erwerbsarbeit. Die subjektive Reaktion auf das wahrgenommene und für sich selbst antizipierte Scheitern der Selbstverwirklichung fällt je nach psychosozialem Hintergrund unterschiedlich aus. Strukturell ist den dargestellten Jugendlichen jedoch gemein, dass sie Bezugsdimensionen der materiell-reproduktionsbezogenen Perspektive in ihr subjektives Verhältnis zur Erwerbsarbeit integrieren oder diese sogar deutlich Überhand nehmen. Theoretisch relevant werden hier diverse in Kapitel 2.2.4 herausgearbeitete Widersprüche gegenwärtiger Adoleszenz, insbesondere solche, die ein Scheitern der adoleszenten Triangulierung beschreiben (Eichler, 2019, 2021; Eichler & Fischer, 2020). Entscheidend für das Abkühlen des adoleszenten Narzissmus im Sinne Erdheims (1982) ist hierbei die zunehmende Unattraktivität gesellschaftlicher bzw. arbeitsweltlicher Zustände, die dem adoleszenten Subjekt gegenüber wenig sicherheitsspendend wirken. Die antizipierte Prekarität der Erwerbssphäre erschwert eine Ablösung vom Elternhaus, den Eintritt in den Erwachsenenstatus und letztlich die Aufnahme in die (Arbeits-)Gesellschaft. Jugendsoziologie und die psychoanalytisch geprägte Adoleszenzforschung schlagen sich schon lange mit der Frage »Wann werde ich eigentlich erwachsen?« (Erdheim, 2012) herum. Dass sie für die Jugendlichen relevant ist, verdeutlichen die Ausführungen.
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Dabei darf der Blick auf die MittelschülerInnen nicht verloren gehen. Diese antizipieren zwar keine subjektivierte Erwerbssphäre und ein Scheitern von Identitäts- und Subjektbezügen; einige von ihnen haben jedoch bereits ein Gefühl für die viel härtere, objektive Prekarität, für ein drohendes Scheitern jeglicher Pläne (Dörre, 2010; GrohSamberg, 2018). Hier sind es nicht materielle Bezüge, die in Anbetracht prekärer Perspektiven entstehen, es sind vielmehr Pessimismus und Resignation, die sich im subjektiven Verhältnis zur Erwerbsarbeit ausbilden. In einem zweiten Schritt liegt der Fokus auf Ökonomisierungsdynamiken der Adoleszenz, insbesondere auf den subjektiven Folgen einer ökonomisierten Bildung (Engartner, 2020; Hartong et al., 2018; Höhne, 2015). Während ein Großteil der Debatten und Studien zu Ökonomisierungsprozessen eine »Verdichtung und Vernichtung« (Heitmeyer et al., 2011a) der Adoleszenz mit schwerwiegenden Folgen auf subjektiver Ebene antizipiert, bleibt eine ernsthafte empirische Auseinandersetzung zumeist aus. Dass sich Folgen im subjektiven Verhältnis zur Erwerbsarbeit abzeichnen, verdeutlichen die hier interviewten Jugendlichen, insbesondere die MittelschülerInnen. Wie bereits in der Darstellung der verschiedenen typischen Bezugsdimensionen herausgestellt, lässt sich jedoch kein einfacher Schluss im Sinne eines instrumentellen Verhältnisses zur Erwerbsarbeit aufgrund von Ökonomisierungsprozessen ziehen. Zugegebenermaßen geht es bisweilen um durch und durch ökonomisierte Subjekte, wie sie in der kritischen Jugend- und Ökonomisierungsforschung sowie in der Aktivierungsdebatte häufig gezeichnet werden (Großegger, 2017; Heinzlmaier & Ikrath, 2013; Kessl, 2006; Lessenich, 2012). Dass dieses Bild jedoch die komplexen subjektiven Folgen der schulischen Ökonomisierungsdynamiken nicht ausreichend erfasst, offenbart die Analyse. In einem dritten Schritt steht die These einer »distinktiven Selbstverwirklichung« zur Diskussion (Fischer & Eichler, 2015). Während die normative Subjektivierungsthese die progressive Einforderung von Autonomie und Selbstverwirklichung in der Erwerbssphäre beschreibt (Baethge, 1994b), werden eine sinnhaft-subjektbezogene Haltung zur Erwerbsarbeit, eine Identifikation mit der Tätigkeit, ein kreativer Habitus, intrinsische Motivation und Spaß an der Arbeit mittlerweile umgekehrt seitens der Erwerbssphäre eingefordert – die normative Subjektivierung gerinnt zur gesellschaftlichen Norm (Boltanski & Chiapello, 2012; Fischer & Eichler, 2015; Honneth, 2010). Gleichzeitig sind die Voraussetzungen zur Entwicklung und Realisierung eines solchen Verhältnisses zur Erwerbsarbeit theoretisch und empirisch in gehobenen Milieus verortet. Das adoleszent-widerspenstige Element gegen (Selbst-)Entfremdung entwickelt sich vor diesem Hintergrund möglicherweise zu einer Frage der Performance von »Alleinstellungsmerkmalen«, die durch sozial vorteilhafte Voraussetzungen zu einem Habitus distinktiver Selbstverwirklichung wird (Dravenau & Eichler, 2012; Fischer & Eichler, 2015). Tatsächlich finden sich im Sample Ansatzpunkte für eine solche distinktive Funktion von Selbstverwirklichungsaspirationen, auch wenn sie kein Breitenphänomen darstellt. Anhand der Empirie wird einerseits ein entsprechendes Verhältnis zur Erwerbsarbeit dargestellt, andererseits steht dabei aber auch eine Dynamik im Mittelpunkt, die in der quantitativen Forschung notwendigerweise untergeht: Operationalisierbare
3. Empirische Analysen
Aspekte des Bildungsmoratoriums42 determinieren nicht das subjektive Verhältnis zur Erwerbsarbeit. Dieses entwickelt sich vielmehr vor dem Hintergrund spezifischer Adoleszenzbedingungen. Als besonders spannend entpuppen sich dabei sozialisatorische Aspekte, die sich bei mehreren InterviewpartnerInnen zeigen und im Mittelpunkt der Analyse stehen werden. Es geht um Ankerpunkte der Adoleszenz, die den Jugendlichen Freiräume abseits klassischer adoleszenter Institutionen bieten und die Ausbildung bzw. Aufrechterhaltung einer sinnhaft-subjektbezogenen und sozial-altruistischen Perspektive ermöglichen. Geradezu dialektisch resultieren diese Ankerpunkte teilweise aus der widersprüchlichen Adoleszenz selbst, um deren problematischen Folgen auf Subjektebene abzufedern oder gar aufzuheben. Dabei nehmen insbesondere politische Sozialisationsprozesse sowie therapeutische Erfahrungen, die gegenwärtig als Folge von Aktivierung und postfordistischer Subjektivierung diskutiert werden, wichtige Rollen ein (Dravenau & Eichler, 2012; Ehrenberg, 2012; Eichler, 2013; Haubl, 2008).
Die Antizipation prekärer Realisierungsmöglichkeiten des subjektiven Verhältnisses zur Erwerbsarbeit Subjektivierte Erwerbsarbeit hat scheinbar den »Arbeitscharakter« abgelegt, baue auf Kreativität, Spontanität, Flexibilität und Innovation. Der strukturelle Part der Subjektivierungsprozesse wirkt in seiner Idealvorstellung wie ein passender Pol zur normativen Subjektivierung, zum adoleszenten Narzissmus, zu typischen Bezugsdimensionen der sinnhaft-subjektbezogenen Perspektive auf Erwerbsarbeit. Der adoleszente Anspruch darauf, die eigene Identität nicht mehr mit dem Einstempeln abzulegen sowie kreativ und selbstbestimmt in möglichst flachen Hierarchien zu arbeiten, findet sich auch in vielen Arbeitskonzepten und Organisationsformen der subjektivierten Erwerbsarbeit tatsächlich wieder (Kleemann, 2012). Diese »juvenilisierte Ökonomie« (Eichler & Fischer, 2020, 423) hat allerdings so einige Haken, die sich sowohl adoleszenztheoretisch als auch im empirischen Material als folgenreich erweisen. Ganz zentral sind dabei ihre prekären Dimensionen: Sie erfüllt nicht mehr das fordistische Versprechen auf stabile Erwerbs-, Familien- oder vereinfacht: Lebensverhältnisse. Sie erschwert das Anlegen Jugendlicher in der (Arbeits-)Gesellschaft mit einer geradezu adoleszent wirkenden Projektförmigkeit (Boltanski & Chiapello, 2003), die mit erhöhter Gefahr von Prekaritätserfahrungen und -folgen einhergeht (Baethge, 1999; Castel & Dörre, 2009; Dörre, 2010; Groh-Samberg, 2018; Kleemann, 2012; Kocyba, 2000a; Nies, 2019). Dass sich atypische Beschäftigungsverhältnisse nicht nur in subjektivierten Erwerbslagen durchsetzen, zeigen aktuelle Statistiken auf, die insbesondere die Betroffenheit Jugendlicher und junger Erwachsener von diesem Prozess verdeutlichen: Die Hälfte aller Erwerbseintritte erfolgt mittlerweile in atypische Beschäftigungsverhältnisse,43 die Quote verringert sich mit steigender Berufserfahrung immer langsamer und die relative Armut unter Jugendlichen und jungen Erwachsenen steigt entsprechend
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Gemeint sind die klassischerweise als unabhängige Variablen in Stellung gebrachten Schulformen, Kapitalausstattungen sowie das Geschlecht von Befragten (M. Albert, Hurrelmann & Quenzel, 2019; Brinck et al., 2020; Fischer und Eichler, 2015; Hauff, 2008). Atypisch sind Beschäftigungen mit Befristung, unfreiwillige Teilzeit, geringfügige Beschäftigung, Leiharbeit oder Tätigkeiten auf Honorarbasis bspw. als freie/r MitarbeiterIn.
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kontinuierlich (Bundesministerium für Arbeit und Soziales, 2017, S. 322-324; Dörre, 2010; Groh-Samberg, 2018). Sozialstrukturell sind atypische Beschäftigungsverhältnisse zwar übergreifend existent, statushohe Milieus sind davon bei Erwerbseintritt jedoch häufiger betroffen. Neben der »typisch« atypischen Beschäftigung fördern subjektivierte Erwerbslagen weitere, breit diskutierte Problemlagen und Entfremdungserfahrungen (Kleemann, 2012; Manske, 2015; Menke & Rebentisch, 2012; Nies, 2019; Voswinkel, 2019). Dies zeitigt einen sozialräumlich interessanten Effekt im vorliegenden Sample, den die strukturelle Subjektivierung von Arbeit mit sich bringt. So zeigen insbesondere interviewte GymnasiastInnen, deren Eltern subjektiviert arbeiten, ein feines Gespür für eben jene Prekarität und multidimensionale Unsicherheiten subjektivierter und kreativer Erwerbsarbeit (Unsicherheit des Erlangens einer beruflichen Position; Unsicherheit des Haltens der Position; finanzielle und familiale Unsicherheiten usw.). Wie Jugendliche damit umgehen und was diese Wahrnehmung für ihr subjektives Verhältnis zur Erwerbsarbeit bedeutet, wird im Folgenden anhand einzelner Falldarstellungen erläutert. Die Form wurde einerseits gewählt, um den Fällen, ihrer Logik und Vielschichtigkeit gerecht zu werden; andererseits erlaubt sie strukturelle Ähnlichkeiten herauszuarbeiten und dennoch individuelle Differenzen nachzuvollziehen. Die Präsenz und Wirkung subjektivierter, kreativer oder atypischer Erwerbsarbeit im subjektiven Verhältnis zur Erwerbsarbeit wird zuerst anhand des Gymnasiasten Bernd geschildert, dessen strukturellen Voraussetzungen ein Bildungsmoratorium andeuten, dessen subjektives Verhältnis zur Erwerbsarbeit sich allerdings durch eine sehr ausgeprägte materiell-reproduktionsbezogene Perspektive auszeichnet. Dass sich dieses jedoch nicht einfach auf materielle Bezugsdimensionen reduzieren lässt und eng mit seinem Wissen um kreative und subjektivierte Erwerbsarbeit zusammenhängt, steht im Mittelpunkt der Ausführungen. Dass zudem der Umgang bzw. die »Verarbeitung« dieses Wissens und zugehöriger Erfahrungen zwar strukturelle Gemeinsamkeiten aufweist, es hierbei jedoch feine Unterschiede zwischen Jugendlichen gibt, wird anhand der Jugendlichen Karl und Paula skizziert. Im Zentrum, als strukturelle Gemeinsamkeit, steht bei all diesen Jugendlichen das Aufkeimen oder Überborden materieller Bezugsdimensionen gegenüber sinnhaft-subjektbezogenen Aspekten als Folge des Wissens um prekäre Elemente der juvenilisierten Ökonomie. Bernd wächst in sozial gehobenen Verhältnissen auf, besucht ein Gymnasium und ist zum Zeitpunkt des Interviews 16 Jahre alt. Sein subjektives Verhältnis zur Erwerbsarbeit verdeutlicht sich im Interview nicht erst in seinen Zukunftsplänen, seinen Erzählungen aus bisherigen Praktika oder Nebentätigkeiten. Wie auch bei vielen anderen der interviewten Jugendlichen offenbaren sich bereits über die biographischen Erzählungen und insbesondere familialen Schilderungen Bezugspunkte, Kontrastfolien sowie grundlegende Orientierungsmuster, die sich im subjektiven Verhältnis zur Erwerbsarbeit niederschlagen. Im Falle Bernds stechen dabei kontinuierliche Bezüge auf berufliche Stellungen ins Auge (Statusbezüge), aber insbesondere auch eine grundlegende Perspektive auf berufliche Ambitionen und Pläne, in welcher die »Realität« immer wieder als Gradmesser dient (»Ich bin Realist!«). Was Bernd und auch andere SchülerInnen des Samples häufig als »Realität« bzw. »realistisch« bezeichnen, beschreibt die Haltung und Erwartung, ökonomisch-zweckrational zu handeln, ganz im Sinne klassischer Rational
3. Empirische Analysen
Choice-Theorien (G. S. Becker, 1973). Ein Akteur betrachtet eine gegebene Handlungssituation und agiert darin im Sinne des maximal erreichbaren, ökonomisch bemessenen Nutzens. Entsprechend beschreibt auch er bisweilen ein Auseinanderfallen der »Logik der Situation« (sozioökonomische Lage, Marktgeschehen und Handlungsoptionen) und der »Logik der Selektion« (eben: »Realität« oder, dass sich etwas »rentieren« muss), verdeutlicht damit jedoch insbesondere seine eigene, verinnerlichte, immer wieder als »natürlich« gekennzeichnete ökonomisch-zweckrationale Perspektive auf die Erwerbssphäre, die er als Handlungsmaßstab anlegt. Dass sich Bernds subjektives Verhältnis zur Erwerbsarbeit jedoch keineswegs auf ökomische Zweckrationalität oder eine materiell-reproduktionsbezogene Perspektive reduzieren lässt, unterstreichen seine Ausführungen ebenfalls, zeigt sich insbesondere in den Schilderungen seiner beruflichen Aspirationen. Zwar treten auch hier stetig materielle Bezugsdimensionen in Erscheinung, sie knüpfen sich jedoch immer wieder an sinnlich-subjektbezogene Komponenten. »Freizeit ist relativ wichtig, Geld ist wichtig. [I: Warum?] Warum Geld? [I: Mhm] Fürs schöne Leben. Weil ich mir so viele Sachen leisten will. Also ich will irgendwann mal mit so maßgeschneiderten Anzügen rumlaufen können, weil’s einfach so/weil man sich, also/man fühl/ich fühle mich jetzt schon gut, wenn ich in nem Anzug rumlauf, und ich fühl mich gut, wenn ich in nem schönen Auto drinsitz, und ich fühl mich gut, wenn ich in nem schönen Hotel sitze, […]. Und sowas kann man halt leider ohne Geld nicht erreichen.« Für Bernd stehen weniger Selbstverwirklichung, gesellschaftlicher Nutzen oder nette KollegInnen im Mittelpunkt erwerbsspezifischer Überlegungen, sondern es geht darum, wie er es an anderer Stelle formuliert, »gut im Leben zu stehen«. Das koppelt er wiederum recht deutlich an materiellen Wohlstand und Objekte mit Distinktionspotential. In diesen objektiviert sich jedoch auch eine zweite Ebene, die für Bernd das »schöne Leben« auszeichnet. Es geht um sinnliche und bisweilen lustorientierte Erfahrungen (sich »gut fühlen«), die der materielle Wohlstand außerhalb der Erwerbssphäre ermöglicht. Diese Verbindung von materiellen und sinnlichen Bezugsdimensionen zeichnet Bernds subjektives Verhältnis zur Erwerbsarbeit aus. Wie auch bei einigen anderen GymnasiastInnen nehmen die Familie bzw. die Eltern, ihre allgemeinen, aber auch spezifischen Erwartungen und beruflichen Erfahrungen im Falle Bernds eine besondere Rolle ein, fügen sich zudem in die Thesen zur widersprüchlichen Adoleszenz (Eichler & Fischer, 2020; vgl. Kapitel 2.2.4). Konkret geht es um das Wissen um sowie das innerfamiliale Aufarbeiten von spezifischen Erwerbsund Lebenslagen, die mit subjektivierter und kreativer Erwerbsarbeit verbunden werden. Dieses prägt sich deutlich in das subjektive Verhältnis der Jugendlichen zur Erwerbsarbeit ein. So erstaunt auch Bernds ausgeprägte materiell-reproduktionsbezogene Perspektive erstens adoleszenztheoretisch vor dem Hintergrund seiner sozioökonomischen Lage und seines Bildungshintergrunds, die beide strukturelle Pfeiler des Moratoriums sind; zweitens überrascht es vorerst in Anbetracht seiner konkreten biographischen und familialen Situation. Denn obwohl er kulturell interessiert und gut ausgebildet ist, erfolgreiche Kultur-/KreativarbeiterInnen in der Familie hat (quasi Sozialkapital im künstlerischen Feld) und seine Traumberufe durchaus arbeitsinhaltliche
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Bezügen aufweisen, zielen seine konkreten Berufsvorstellungen und sein subjektives Verhältnis zur Erwerbsarbeit fernab des Kultur-/Kreativbereichs und bisweilen auch des Eigeninteresses. Einen wichtigen Faktor hierfür stellt die innerfamiliale Erfahrung und Thematisierung der potentiellen Unsicherheit eines solchen Weges dar. Entsprechend liegt Bernds Fokus neben den materiellen und sinnlichen Aspekten immer wieder auf der Sicherheit seines beruflichen Werdegangs, dessen finanziellen Outcomes und somit auch auf der Wahrscheinlichkeit eines »schönen Lebens«. »Naja, halt, naja gut, einen musikalischen Fachbereich studieren, ist jetzt nicht des Sicherste auf der Welt. Ähm Theater oder Kunst oder sowas. Also die Verwandte hatte halt (.) Glück. Also sie ist schon unglaublich gut, da kann man nichts sagen, aber es gibt halt viele weitere, die fast genauso gut [.] und halt zwei Preisklassen unter ihr sind. […] es hätte halt auch anders laufen können. Und dann würde sie jetzt irgendwo rumkraxeln und kein Spaß am Leben haben […].« In der Erzählung zu einer Verwandten, die im Kultursektor durchaus Fuß gefasst hat, steht jene Sicherheit in Zusammenhang mit Bernds »realistischem« Denken, mit seiner ökonomisch-rationalen Handlungsorientierung. Nicht vom »Glück« oder Zufall abhängig sein, sondern die eigene Situation stets in ihrem Kontext und einer klaren Chancenstruktur verorten können – das stellt für Bernd eine sichere Situation dar. Die Gefahr, die Situation nicht zu beherrschen, verdeutlicht er im abschließenden Satz der Sequenz: »rumkraxeln«, also angestrengt und kaum vorankommend »keinen Spaß am Leben haben«, ist für ihn das potentielle Resultat einer solchen Berufswahl. Anders ausgedrückt: Der Versuch, eine sinnhaft-subjektbezogene Perspektive in der Erwerbsarbeit zu realisieren, wird mit potentiellem Leid in Verbindung gesetzt. Obwohl also die Fähigkeiten und das Interesse vorhanden sind, hält ihn seine ökonomisch-zweckrational geprägte Perspektive von einer solchen Berufswahl ab. Diese speist sich aus mehreren Quellen, nicht nur aus seinem Wissen um sowie die innerfamiliale Aufarbeitung der potentiellen Prekarität kreativer und subjektivierter Erwerbsarbeit. Darüber hinaus sind verschiedene Krisen- und Konflikterfahrungen wichtige Bestandteile von Bernds biographischen Schilderungen. Zusätzlich steigen schulische Leistungsanforderungen und seine Lust auf Schule sinkt. Neben die antizipierte gesellt sich also durchaus auch eine akute Unsicherheit. Während Erstgenannte die adoleszente Triangulierung gefährdet, grenzt die Zweite seinen psychosozialen Möglichkeitsraum ein (Eichler, 2021; King, 2013). Das vorausschauende Ausweichen vor weiteren Krisen, die sich angesichts eines nur schwer zu durchschauenden und von »Glück« geprägten Kultur/-Kreativsektors kaum ausschließen lassen, ist daher nicht nur ökonomisch, sondern auch psychosozial geradezu rational, birgt in gewisser Weise gar kritisches Potential. Im Falle Bernds und auch der im Weiteren beschriebenen Jugendlichen zeigt sich, dass eine einfache Gleichsetzung von Bildungsdauer und normativer Subjektivierung jugendsoziologisch, adoleszenztheoretisch und empirisch nicht tragfähig ist. Im Sinne Zinneckers (2003), Erdheims (1988b), Kings (2013) und Eichlers (2021) ist es sinnvoller, das subjektive Verhältnis zur Erwerbsarbeit vor dem Hintergrund der gesamten adoleszenten Lage und auch gesellschaftlicher sowie antizipierter arbeitsweltlicher Komponenten zu interpretieren (Eichler & Fischer, 2020). Das Wissen um und die Thema-
3. Empirische Analysen
tisierung von Risiken und potentiellen Prekaritätserfahrungen aufgrund der Realisierung einer sinnhaft-subjektbezogenen Perspektive sind feste, negative Bestandteile von Bernds materiell-»realistischem« Verhältnis zur Erwerbsarbeit. Die potentielle Prekarität solcher Tätigkeiten, denen Bernd inhaltlich gar nicht abgeneigt ist, würde zusätzlich den Übergang in den Erwachsenenstatus sowie die Ablösung vom Elternhaus erschweren, die er ebenfalls als relevant schildert. Das potentielle »Rumkraxeln« möchte er vermeiden, geht lieber den sicheren Weg. Subjektbezogene, expressive Aspekte verlagern sich entsprechend in die Privatsphäre, die Erwerbssphäre wird zum Mittel zum Zweck. Die durchaus vorhandenen strukturellen Voraussetzungen des Subjektbezugs sind in seinem materiell geprägten Orientierungsrahmen kaum wiederzuerkennen. Zwar sind materielle und Statusbezüge sehr eng an sinnliche Bezugsdimensionen gebunden – sie stehen jedoch kaum in Widerspruch zueinander, sondern ergänzen sich »sinnvoll«. Eine Gleichsetzung von Bildungsmoratorium mit einer sinnhaft-subjektbezogenen Perspektive auf Erwerbsarbeit ist jedoch genauso falsch wie die Gleichsetzung des Wissens um Risiken subjektivierter Erwerbsarbeit mit einem materiell-reproduktionsbezogenen Verhältnis zur Erwerbsarbeit. Strukturell deutet sich ein solcher Zusammenhang im Sample an, jedoch unterscheidet sich die Integration materiell-reproduktionsbezogener Aspekte ins subjektive Verhältnis zur Erwerbsarbeit in ihrer Intensität. Bernd, das gilt es hervorzuheben, entstammt sozial gehobenen Verhältnissen und weist spezifische biographische Erfahrungen und Adoleszenzbedingungen auf, die sich in dieser Form bei anderen interviewten Jugendlichen nicht finden. Karls subjektives Verhältnis zur Erwerbsarbeit unterscheidet sich deutlich von Bernds, ist weniger homogen – ganz im Gegenteil. Dennoch zeigen sich ähnliche Dynamiken, die aus dem Wissen um und die Problematisierung von subjektivierten Erwerbsbedingungen resultieren. Wie bei Bernd sind auch bei Karl spezifische Erwerbserfahrungen innerhalb der Familie von großer Bedeutung, die hier jedoch unter anderen biographischen und sozialen Vorzeichen in Erscheinung tritt. Der Gymnasiast Karl hebt in seinen biographischen und schulischen Erzählungen insbesondere Konflikte mit Autoritäten hervor. Passend setzt seine politische Sozialisation in der frühen Jugend ein und die damit einhergehende Aneignung politischer, ökonomischer und sozialwissenschaftlicher Theorien nutzt er zur Untermauerung seiner antiautoritären Haltung. Autonomiebestrebungen und Ideologiekritik sind in seinem allgemeinen Orientierungsrahmen zentral, prägen sein Verhältnis zu Familie, Schule, Gesellschaft und auch zur Erwerbssphäre. Zum Zeitpunkt des Interviews ist Karl 19 Jahre alt, hat gerade das Abitur erfolgreich bestanden und plant einen Freiwilligendienst. Wie es danach weitergeht, hat er zum Zeitpunkt des Interviews noch nicht entschieden – insbesondere, weil er widersprüchliche Perspektiven auf die Erwerbssphäre aufweist. Karls subjektives Verhältnis zur Erwerbsarbeit lässt sich weder auf eine subjektbezogene, soziale oder materiell-reproduktionsbezogene Perspektive herunterbrechen, noch ist es ein Konglomerat aus allem (wie es bspw. Hurrelmann und Albrecht (2014) für die Generation Y als typisches Merkmal in Anschlag bringen). Im Mittelpunkt steht vielmehr die Spannung verschiedener Perspektiven, eine konfligierende Arbeits- und Lebensorientierung sowie eine stetige Unsicherheit bezüglich deren angestrebter Verein-
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barkeit. Grundsätzlich unterscheidet er in seinen Überlegungen zur Erwerbsarbeit drei Dimensionen: ein allgemeines Interesse (altruistischer Bezug), sein besonderes Interesse (Subjektbezug) und den Reproduktionszwang (materieller Bezug) – in seiner eigenen Sprache ist es die Differenz von der »Sache« (für die er »eintritt«), dem, was er gerne »machen will«, und, dass er eben »Geld machen« muss. Grundlegend überwiegen dabei sinnhaft-subjektbezogene und altruistische Ansprüche, jedoch stehen sie stets in Konflikt zu den subjektiv wahrgenommenen Realisierungsmöglichkeiten und insbesondere zum Wissen um die prekären Bedingungen subjektivierter Erwerbsarbeit. Karl entwickelt ein utopisch-antipragmatisches Verhältnis zur Erwerbsarbeit, in dem er diese Spannungen reflektiert, jedoch nicht völlig aufhebt. »Ähm mein Ziel. Also des ist/ich will auf jeden Fall irgendwie dieses Politische weiterhin machen, mich immer für irgendwas einsetzen können und so weiter. Das ist mir eigentlich/nicht für Irgendwas, sondern für dIe Sache @, die ich gut find. Das find ich, vor allem der Sache selbst wegen wichtig, aber ich find auch, keine Ahnung, ich find, dass es halt auch irgendwie so n bisschen dem Leben auch irgendwie einen SInn gibt. […] Und wenn man irgendwie ein Projekt abschließt oder sowas oder einem was gelungen ist oder sowas, das einen selber dann auch glücklicher macht und ähm, und ich glaub, dass es im Gegensatz zu anderen Sachen jetzt, keine Ahnung, wenn man jetzt drauf aus ist, keine Ahnung, irgendwann mal fünftausend Euro netto zu haben oder sowas, dass es halt irgendwie ein Ziel oder ein Lebensweg ist, der mir, glaub ich persönlich, viel mehr bringt […]. Und dann die Arbeit ist halt so, dass es/also ich fänd’s cOol, wenn ich irgendwie was, wenn ich was kriegen würde, wie ich des irgendwie, ähm, verbinden kann äh mit also irgendwie @ Geld irgendwoher bekommen oder sowas zum Leben und ähm, genau. Und dass ich aber aktuell noch überhaupt noch gar nicht weiß, ist so, keine Ahnung.« Im Zentrum seiner Überlegungen steht der Gedanke, stets im Sinne der »Sache« zu handeln. »Die Sache« umschreibt den Gegenstand seiner politischen Arbeit, dessen projekthafte Verwirklichung er auch subjektiv als sinnstiftend erlebt, grundlegend aber als altruistischen Selbstzweck thematisiert (»der Sache selbst wegen«). Während die Eingangsfrage allgemein formuliert war, stellt Karl den Kampf ums Ganze durchaus in den Kontext der Erwerbssphäre, setzt ihn zu einer materiellen Perspektive in Vergleich und grenzt sich vorerst davon ab. Im Idealfall dient die Erwerbssphäre der Sache, entspricht seinem Subjektentwurf (antiautoritär/autonom) und ermöglicht materielle Reproduktion. In der Sequenz verdeutlichen sich jedoch bereits Unsicherheiten bezüglich der Umsetzung seines Ideals. Ganz offen spricht er darüber, dass er »überhaupt noch gar nicht weiß«, »wie« er eine solche Kombination aus Sache und Geld realisieren könne, weicht aber der Vertiefung dieser Unsicherheit vorerst aus (»ist so, keine Ahnung«). Zudem fallen Sache und Eigeninteresse in seiner Vorstellung nicht immer zusammen – während die »Sache« stets einen altruistischen, praktischen Charakter aufweist, erzählt er im weiteren Interviewverlauf von Studienfächern, für die er sich persönlich interessiert (Subjektbezug), die er jedoch nicht auf sein altruistisches Interesse übertragen kann. Die Frage, wie sich also altruistische, Subjekt- und Reproduktionsbezüge realisieren lassen, und damit verbundene Unsicherheiten ziehen sich durch das gesamte
3. Empirische Analysen
Interview. Er entwickelt einen spannenden Umgang mit dieser Unsicherheit, indem er seine Bezugsdimensionen mit Formen der Arbeitsorganisation verbindet und voneinander abgrenzt. »Für mich selber im Vordergrund würde stehen auf jeden Fall, ähm/das kommt total darauf an. Also es ist so, dass ich, wenn ich jetzt ne, ähm, ne Arbeit machen würde, die wirklich genau das ist, was ich machen will irgendwie, keine Ahnung, wenn ich jetzt zum Beispiel bei irgendner NGO wäre oder irgendwie sowas, ähm, oder Journalist oder sowas oder keine Ahnung irgendwie sowas, dann wäre es so, dass ich eigentlich gerne selber möglichst flexibel und möglichst viele Entscheidungen selbst treffen will, weil ich des ja für die ähm für die Sache und genau des für des machen will, was ich sowieso gut find und des auch quasi des wär, was ich auch ohne Geld machen würde.« Karl unterstreicht abermals den Selbstzweck der politischen Arbeit (»für die Sache«, »was ich auch ohne Geld machen würde«), bindet sie lose an Berufsbilder (»irgendner NGO«, »Journalist oder sowas«) sowie an intrinsische Motive (»was ich machen will«) und er verbindet sie mit einem Anspruch auf typische subjektivierte Arbeitsbedingungen (»flexibel« und »selbständig«). Dabei entwickelt er eine Differenzierung, die sich im weiteren Verlauf des Interviews wiederholen wird: Die Sinnhaftigkeit der (Erwerbs-)Arbeit für die Sache ist tendenziell absolut und unabhängig von materiellen Reproduktionszielen, teils gar komplett von ihnen abgekoppelt. Wenn es in der Erwerbsarbeit jedoch nicht um die Sache oder das Eigeninteresse geht, verhält es sich mit den Ansprüchen an deren Zweck und Form entgegengesetzt. »Wenn’s jetzt aber, ähm, so ist, dass ich […] irgendwelche JObs oder sowas, die jetzt quasi sind, weil ich des Geld brauch […], dann fänd ich’s gut, also fänd ich’s nicht gut, wenn des irgendwie total flexible Arbeitsverträge und ich jederzeit gekündigt werden kann @ und keine Ahnung und ständig nur irgendwelche befristeten Verträge bekomm oder […] bei acht Euro fünfzig total harte Arbeit machen muss oder irgendwie so. Also […] des wär äh/wie soll ich sagen/würde ich mich ungern so ausbeuten lassen @. [I: Okay] Also ich würde mich, wenn’s für ne Sache wär, die ich die ich gut find, würde ich mich quasi gerne @ selbstausbeuten oder so. Genau, aber nicht, ähm, nicht für die Arbeit an sich.« Karl differenziert zwischen solchen Tätigkeiten, die altruistische Bezüge erlauben und im arbeitssoziologischen Sinne subjektiviert strukturiert sind (flexibel, selbständig, projekthaft usw.), und solchen, die der materiellen Reproduktion dienen (»weil ich des Geld brauch«). Bei Letzteren benennt und problematisiert Karl klar Bedingungen, unter denen er nicht erwerbstätig sein möchte: prekäre und subjektivierte Beschäftigungsformen (»total flexibel«, »befristete Verträge«, »total flexible Arbeitsverträge«, »acht Euro fünfzig«). Wenn es also um die Sache geht, sind die Bedingungen der Tätigkeit sekundär; wenn die eigene (notwendige) materielle Reproduktion im Vordergrund steht, muss die Tätigkeit außerhalb strukturell subjektivierter Zustände stattfinden. Während er sich fürs Kollektiv opfert, macht er dies nicht fürs Kapital. Den dichotomen Entwurf von Erwerbsoptionen wird Karl nicht auflösen.
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Ähnlich wie bei Bernd kommt in dieser Spannung und Unsicherheit das Wissen um Prekaritätsgefahren subjektivierter Beschäftigungsbedingungen zu tragen. Karl verfügt erstens über politische Bildung und einen angeeigneten kapitalismuskritischen Hintergrund zur Prekarität von (subjektivierter) Erwerbsarbeit. Gewissermaßen entsteht die Problematisierung subjektivierter Erwerbsbedingungen also auch aus seinen altruistischen, politischen Interessen. Zweitens ist er über den beruflichen Werdegang seiner Mutter direkt mit Bedingungen subjektivierter Erwerbsarbeit in Kontakt gekommen. Karl weiß um die Unsicherheiten, Teilzeitanstellungen, befristeten Verträge und die häufig geringe Bezahlung, die in Tätigkeitsfeldern vorherrschen, in denen die sinnhaftsubjektbezogene Perspektive reale Anknüpfungspunkte findet. »Also meine Mutter hat die Lehre angefangen, dann hat sie Studienfach studiert, was jetzt ja auch nicht so die, ähm, das KarrIerefach ist oder sowas. […], dann ähm hat sie jetzt promoviert, macht aber irgendwie gleichzeitig irgendwelche Verwaltungsjobs im wissenschaftsnahen Bereich.« Die Wahl des Studiums seiner Mutter stellt er in dieser Sequenz nicht in den Kontext ihres Eigeninteresses, potentieller Selbstverwirklichung oder Identitätsbezüge. Stattdessen hebt er direkt die ökonomische Kurzsichtigkeit des Studiums hervor und betont diese akustisch (»kein KarrIerefach«). Auch der zweite Teil der Sequenz folgt diesem Muster. Zwar habe die Mutter promoviert, also eigentlich die »Karriere« vorangetrieben, das verschaffe ihr »aber« keine berufliche oder monetäre Sicherheit. Auch die Verwaltungsarbeit erscheint in Karls Darstellung nicht als konkrete, sicherheitsspendende Anstellung, sondern eher als undefinierte Menge verschiedener Tätigkeiten (»irgendwelche Verwaltungsjobs«), die »gleichzeitig« zur eigentlichen, vermutlich vom Eigeninteresse geleiteten Tätigkeit, »irgendwie« erledigt werden müssen. Obwohl er sich in einer späteren Interviewsequenz durchaus interessiert am Tätigkeitsideal eines wissenschaftlichen Mitarbeiters zeigt, da es unter bestimmten Voraussetzungen die Realisierung von altruistischen, Subjekt- und Reproduktionsbezügen erlaubt, bleibt er konsequent bei seiner dichotomen Trennung prekärer, altruistisch-subjektbezogener Erwerbsarbeit und sinnfreier, entsubjektivierter Erwerbsarbeit zur materiellen Reproduktion. Eichler (2013, S. 291) beschreibt das Wechselspiel der normativen Subjektivierung (Baethge, 1994b) mit der strukturellen Subjektivierung von Arbeit (Kleemann, 2012) als ein Zusammentreffen von »Selbstverwirklichung im System auf die Systemverwirklichung im Selbst«. Während Karl streckenweise an eine Systemverwirklichung im Selbst erinnert und dem Leitbild des postfordistischen Subjektideals entspricht (autonom, projektbezogen, aktiv usw.; Dravenau & Eichler, 2012), ist er sich nicht nur des Systems, sondern auch seiner prekären Erscheinungs- und Entfremdungsformen in der Erwerbssphäre bewusst – die Selbstverwirklichung im System ist für ihn ein schwieriges Unterfangen, eine Systemverwirklichung im Selbst findet jedoch auch nicht statt. Im Gegensatz zu Bernd behält Karl sinnhaft-subjektbezogene und altruistische Aspekte in seinem Verhältnis zur Erwerbsarbeit bei, entscheidet sich in seiner dichotomen Perspektive weder für eine pragmatische Vermengung seiner subjektiv widersprüchlichen Bezugsdimensionen (M. Albert et al., 2015), noch geht mit der Kenntnis subjektivierter, prekärer Beschäftigungsformen eine völlige (Re-)Materialisierung sei-
3. Empirische Analysen
ner Orientierung einher (Fischer & Eichler, 2015). Sein Verhältnis zur Erwerbsarbeit bleibt zuvorderst utopisch-antipragmatisch und widersprüchlich. Strukturell ähnlich, im Detail jedoch abermals mit feinen Unterschieden zum materiell-»realistischen« Bernd und utopisch-antipragmatischen Karl verhält es sich bei der 15-jährigen Gymnasiastin Paula. Ihr subjektives Verhältnis zur Erwerbsarbeit ist ebenfalls vom Wissen um den subjektivierten, prekären Bereich der Kreativarbeit geprägt. Sie unterscheidet, dass sie an ihrem Streben nach Selbstverwirklichung konsequent festhält, dabei jedoch aufgrund ihres Wissens um die potentielle Prekarität vielschichtige bzw. widersprüchliche Bezugsdimensionen auf die Erwerbsarbeit entfaltet – einerseits geht es stets um die Selbstverwirklichung, andererseits um die Vermeidung antizipierter Stresserfahrungen und ökonomischer Belastung. Paula wächst in einer AkademikerInnenfamilie auf, in der die Mutter für die ökonomische Reproduktion der Familie sorgt und der Vater als Kreativarbeiter und Minijobber tätig ist. Von der familiären und ökonomischen Situation erinnert die Konstellation an das »individualisierte Milieu« bei Koppetsch und Speck (2015). Ihre Eltern beschreibt sie als daran interessiert, dass sie ihren eigenen Orientierungen folgt. Sie legen Wert auf Kommunikation und wechselseitiges Vertrauen, erziehen liebevoll und gewähren ihrer Tochter große Freiräume. In den Erzählungen deutet sich ein im Vergleich zu Bernd und Karl größerer und stabilerer psychosozialer Möglichkeitsraum an (King, 2013). Paulas subjektives Verhältnis zur Erwerbsarbeit ist besonders stark von Subjektund Identitätsbezügen geprägt. Ihr berufliches Ziel ist es, Künstlerin zu werden. Es weist eine deutliche Nähe zum Lebenslauf und Lebensstil des eigenen Vaters auf. Allerdings ist sich Paula über die potentielle Prekarität der Selbstverwirklichung bewusst. Im Gegensatz zu Bernd hat sie keine Verwandten, die den Durchbruch im Kreativsektor geschafft haben, die sich selbst über ihre kreative Tätigkeit materiell absichern können. Trotz ihres Wissens um die prekären Bedingungen und materiellen Risiken kreativer Erwerbsarbeit hält sie jedoch im Gegensatz zu Bernd und Karl am Subjektbezug fest, verfolgt konsequent den Plan, Künstlerin zu werden. Rhetorisch klammert sie sich dabei auffällig an Hoffnungen (auf Erfolg oder auch einfach darauf »Durchzukommen«). Hierbei zeigt sich deutlich, dass sie trotz des Festhaltens am Plan keine absolute innere Sicherheit hinsichtlich dessen Verwirklichung hat. Die Unsicherheit resultiert jedoch nicht nur aus dem Wissen um prekäre Beschäftigungsbedingungen und hohe Eigenverantwortung, sondern wird zusätzlich durch lebensweltliche Bedingungen befördert. Denn während der private Bereich einen großen Möglichkeitsraum bietet und Paulas Subjektbezug fördert, erlebt und thematisiert sie – wie auch viele andere GymnasiastInnen im Sample – Schule als Stressor, betont in der biographischen Erzählung wie auch im gesamten Interview immer wieder Leistungsdruck im Kontext des schulischen Alltags. In der folgenden Sequenz beschreibt sie bspw. einen typischen Tagesablauf: »Also, naja, ich würde halt früh erstmal schlecht gelaunt aufstehen und mir erstmal unnötig Sorgen machen, dass wir irgendwo ne Ex schreiben, wo ich nicht gelernt hab, äh die wir dann meistens nicht geschrieben haben. Dann würde ich zur Schule gehen. […] Und ja und naja, dann würde ich halt (.) ja so die ersten drei Stunden wahr-
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scheinlich noch relativ konzentriert sein und so dann danach so langsam abschweifen und nicht mehr wirklich aufmerksam sein und eigentlich nur darauf warten, dass ich heim kann. Ja und eigentlich hoffen, dass ich jetzt nichts FAlsches sag, was (.) dann @ meine Freunde irgendwie komisch fänden oder das im Unterricht dann total blöd ankommt.« In ihrer Erzählung beginnt der Schultag mit »unnötigen Sorgen« und endet mit der Unsicherheit, etwas »FAlsches« zu sagen. Selbstbeobachtung und Unsicherheiten sind allgemeine Bestandteile des jugendlichen Aufwachsens und der Identitätsentwicklung (King, 2013), stechen jedoch in einigen Interviews wie auch bei Paula auffällig hervor, entsprechen stellenweise Dimensionen des Ökonomisierungsdiskurses, einer Selbstbeobachtung aus Fremdperspektive, einem verinnerlichten Druck, schulisch erfolgreich zu sein (Heitmeyer et al., 2011a; Pongratz & Voß, 2003). Was sich in ihrem subjektiven Verhältnis zur Erwerbsarbeit zeigt, sind nun jedoch nicht eine übernommene Kapitalperspektive oder individualisierte Leistungsimperative, sondern – ganz im Gegenteil – eine aktive Vermeidung eben jenen potentiellen psychischen Leidensdrucks in der Arbeitswelt. Die Unsicherheiten und Zweifel, die in Paulas Erzählungen präsent sind, werden von ihr wahrgenommen und kritisch reflektiert. Stresserfahrungen und psychische Belastungen sind für sie entsprechend ein wichtiges Thema, auch in der Erwerbssphäre. »Naja, dass es mich auch interessIert, dass es mir auch irgendwie noch Spaß macht, dass es nicht zu stressig wird und dass es jetzt auch nicht sowas Langweiliges oder auf Psyche auswirkendes ist, weiß nicht, da in so ner Fabrik ständig Sachen zu machen (.), am Fließband auf keinen Fall. Ja, glücklich damit zu sein und mich (.) und dass es sich nicht anfühlt, als wäre es viel zu viel für mich.« In ihren Erläuterungen zu relevanten beruflichen Faktoren scheinen daher neben ihren deutlichen Subjektbezügen insbesondere Arbeitskraftbezüge auf, die ihr subjektives Verhältnis zur Erwerbsarbeit prägen. Sie stellt den Anspruch, dass Erwerbsarbeit das psychische Wohlbefinden nicht belasten dürfe, dass es nicht »viel zu viel« für sie wird, nichts »auf die Psyche auswirkendes«. Innere Sicherheit stellt sie widersprüchlich immer wieder mit äußerer, auch materieller Sicherheit in Verbindung – widersprüchlich, weil sie zugleich an ihrem Plan festhält, nach dem Abitur Künstlerin zu werden. Obwohl sie um die potentielle Prekarität ihrer Selbstverwirklichung weiß, obwohl sie sich grundlegend an ihrem eigenen psychischen Wohlbefinden orientiert, und, obwohl sie bisweilen eine unsichere Zukunft antizipiert, hält sie an der Verfolgung ihrer subjektbezogenen Pläne fest. Im Gegensatz zu Bernd und Karl schildert sie jedoch in ihrer biographischen Erzählung deutlich weniger Krisen- und Konflikterfahrungen, verfügt zudem über ein sehr stabiles Elternhaus, das eine für Paula durchaus vorbildhafte Familienkonstellation bereithält. Diese vermittelt über ihre psychosoziale und materielle Sicherheit eine erfolgreiche Realisierung subjektbezogener Orientierungen trotz prekärer Arbeitsbedingungen. Während Bernd seine Subjekt- und Identitätsbezüge in Anbetracht subjektivierter, prekärer Beschäftigungsbedingungen zurückstellt, Karl altruistische und subjektbezogene Ansprüche an die Erwerbssphäre von der sinnbefreiten, aber notwendigen
3. Empirische Analysen
materiellen Reproduktion innerlich abschottet, hält Paula trotz einer ähnlichen Antizipation potentiell prekärer Lebensumstände an der Realisierung ihres ausgeprägten Subjektbezugs fest. Sie stellt ihn nicht infrage, sie stellt ihm jedoch Arbeitskraftbezüge zur Seite, die auch jenes Wissen um die »juvenilisierte Ökonomie« (Eichler & Fischer, 2020) spiegeln und aus ihrer alltäglichen Stresserfahrung und deren Reflexion resultieren. Das Streben nach Selbstverwirklichung koppelt sich somit an ein bewusstes Aufrechterhalten des bedrohten Wohlbefindens und somit an Bestandteile einer materiellreproduktionsbezogenen Perspektive. Insgesamt unterscheiden sich die subjektiven Folgen des Wissens um subjektivierte Beschäftigungsverhältnisse je nach biographischer, familiärer, ökonomischer oder adoleszenztheoretisch: psychosozialer Situation der GymnasiastInnen. Sie stimmen jedoch strukturell dahingehend überein, dass materiell-reproduktionsbezogene Aspekte im subjektiven Verhältnis zur Erwerbsarbeit auf Kosten von oder ergänzend zu der sinnhaft-subjektbezogenen Perspektive integriert werden. Während das Bildungsmoratorium hier eigentlich am längsten anhält und konkrete Ökonomisierungsphänomene deutlich seltener auftreten als an der Mittelschule, vermitteln die Erwerbsrealitäten vieler Elternteile ein prekäres Bild realisierter sinnhaftsubjektbezogener Perspektiven. Bernd, Karl, Paula und auch eine weitere GymnasiastIn, die projektbezogene Tätigkeiten ablehnt (Boltanski & Chiapello, 2003; Holtgrewe & Brand, 2007), deren Problematiken sie im Bekanntenkreis beobachtet, sind über die Arbeitssphäre gut informiert – nicht zuletzt über ihre Eltern und deren Generation, deren eigenen Ansprüche sich nicht realisiert haben – die normative Subjektivierung von Erwerbsarbeit ist gescheitert und das erkennen auch die Jugendlichen. Die adoleszente Triangulierung stößt hier also auf eine schwerwiegende Hürde, da die angestrebte Arbeitswelt nicht als attraktiv, zu der eigenen Orientierung passend oder anpassbar erlebt wird (Eichler, 2021; Eichler & Fischer, 2020). Die »Entsubjektivierung« des jugendlichen Verhältnisses zur Erwerbsarbeit und insbesondere der Bedeutungsgewinn materiell-reproduktionsbezogener Aspekte, die sich quantitativ in den Analysen der vorliegenden Arbeit andeuten (vgl. Kapitel 3.2; auch: M. Albert, Hurrelmann & Quenzel, 2019; Fischer & Eichler, 2015), lassen sich also gerade unter GymnasiastInnen über jene Antizipation erklären, sind in ihrer konkreten, individuellen Ausformung jedoch über die Konstellation des adoleszenten Möglichkeitsraums vermittelt. Unter MittelschülerInnen findet sich dieser spezielle Effekt subjektivierter Erwerbsarbeit nicht, aber auch unter ihnen deuten sich Folgen antizipierter prekärer Arbeits- und Lebensbedingungen an. Während sich bei den GymnasiastInnen (Re-)Materialisierungstendenzen und die Infragestellung einer sinnhaft-subjektbezogenen Perspektive zeigen, verhält es sich bei den MittelschülerInnen aufgrund der bereits schlechteren Startposition etwas anders. Hier sind es nicht materielle Bezüge, die in Anbetracht prekärer Erwerbsperspektiven entstehen, es sind vielmehr Pessimismus und Resignation, die sich im subjektiven Verhältnis zur Erwerbsarbeit etablieren (Kölzer, 2014; ähnlich: Queisser, 2010). Diese Differenz zu den GymnasiastInnen steckt zu Teilen bereits in den quantitativen Analysen des NEPS (vgl. Kapitel 3.2.2). Hier unterscheidet sich allgemein die Bedeutung verschiedener Perspektiven auf Erwerbsarbeit nach dem schulischen Hintergrund. Fast ausnahmslos sind diese unter MittelschülerInnen schwächer ausgeprägt als
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unter GymnasiastInnen. Die qualitativen Analysen decken sich mit den quantitativen Ergebnissen und zugehörigen adoleszenztheoretischen Annahmen: Gerade bei Jugendlichen mit schwachem sozialen Hintergrund entwickeln sich auch Bezugsdimensionen und Perspektiven schwächer, sie verbinden innerlich weniger mit der Erwerbssphäre. Trotz Unterschiede in der inhaltlichen Konstellation ihrer Bezüge und Perspektiven sticht etwa ein Drittel der MittelschülerInnen hinsichtlich ihrer resignativen Anteile im subjektiven Verhältnis zur Erwerbsarbeit aus dem Gesamtsample heraus. Diese Jugendlichen fallen erstens aufgrund hoher schulischer und beruflicher Ambitionen ins Auge; zweitens spiegeln sich diese eigenen hohen Erwartungshaltungen in den antizipierten hohen Erwartungen und Hoffnungen seitens des Elternhauses, in dem häufig auch schulisch erfolgreiche Geschwisterkinder als Vergleichsgrößen vorhanden sind. Sowohl die psychosozialen Bedingungen als auch die schulischen Voraussetzungen zur Realisierung der vorhandenen Aspirationen sind meist jedoch nicht optimal und so antizipieren die Jugendlichen immer wieder Schwierigkeiten in der Umsetzung ihrer Pläne. Zudem haben sie Vorstellungen von einem sehr umkämpften Arbeitsmarkt, auf dem es schwer sein wird, sich durchzusetzen und die eigenen Perspektiven und Aspirationen zu realisieren, weshalb sie teils Alternativpläne formulieren, die sich kaum mit ihrem subjektiven Verhältnis zur Erwerbsarbeit decken. »Ja also ich glaube, das wird schwer. [I: Okay, warum?] Ja halt den Beruf, den möchten halt viele. Ja halt mit dem Quali, wenn ich den halt nicht schaff […], habe ich halt auch nicht so ne gute Chance.« (Eugen) Während sich also distanzierte und resignative Elemente im subjektiven Verhältnis der MittelschülerInnen zur Erwerbsarbeit zeigen, sind diese jedoch weder individuell noch in der Gruppe dominant. Das Bild empirischer Studien, die sich dezidiert mit dem subjektiven Verhältnis von MittelschülerInnen zur Erwerbsarbeit auseinandersetzen (Kölzer, 2014; Queisser, 2010), in denen Jugendliche stellenweise als verzweifelte und vereinzelte Individuen gezeichnet werden, die jeden Job annehmen würden, bestätigt sich im vorliegenden Sample kaum. Das heißt nicht, dass es diese (Selbst-)Zweifel hinsichtlich der Verwirklichung der eigenen Orientierung bzw. dem Erlangen eines Ausbildungsplatzes nicht gäbe. Sie finden sich auch bei anderen MittelschülerInnen, paaren sich nicht selten mit sehr ökonomisierten, aktivierenden Umgängen mit dem Thema der Arbeitslosigkeit (Kessl, 2006; Kölzer, 2014). Ein Großteil der Jugendlichen setzt sich jedoch intensiv mit der Erwerbsarbeit auseinander, entwickelt Vorstellungen davon und Perspektiven darauf, die sich im »Gewicht der jeweiligen Bezugsweise[n]« (M. Schumann et al., 1982, S. 294) unterscheiden, jedoch nie völlig inhaltsleer, rein instrumentell oder absolut resignativ wären. Dass es in Anbetracht zunehmend schwieriger Übergänge in die Arbeitswelt nicht zu einem inneren Kollaps derjenigen kommt, die am meisten davon betroffen sind (Bundesministerium für Arbeit und Soziales, 2017; Groh-Samberg, 2018), dazu trägt interessanterweise ein Prozess bei, der sich in den Interviews deutlich widersprüchlicher als erwartet gestaltet: Die Ökonomisierung der Adoleszenz.
3. Empirische Analysen
Zwischen Selbstökonomisierung und Eigeninteresse. Zur Ökonomisierung der Adoleszenz Die grundlegende These zur ökonomisierten Adoleszenz richtet sich gegen die modernisierungstheoretische Annahme, dass das strukturell immer längere Verweilen im Bildungssystem Motor einer normativen Subjektivierung von Erwerbsarbeit sei (Baethge, 1994b; Engartner, 2020; Fischer & Eichler, 2015, S. 403; Heitmeyer et al., 2011a; Schindler, 2014). Die abstrakte Freiheit verlängerter Bildungszeiten wird, so die Annahme, von Ökonomisierungsprozessen konterkariert, die Ausbildung sinnhaft-subjektbezogener Perspektiven strukturell untergraben (Eichler & Fischer, 2020; Hartong et al., 2018; Heitmeyer et al., 2011a; Höhne, 2015; Reutlinger, 2013; Schimank & Volkmann, 2008). Die Ökonomisierungsdebatte ist sich dahingehend einig, dass Jugendliche zunehmend mit Anforderungen konfrontiert sind, die den Bildern des »Arbeitskraftunternehmers« (Pongratz & Voß, 2003) oder des »Unternehmerischen Selbst« (Bröckling, 2007) entsprechen: eigene Tätigkeiten selbständig planen und sich selbst dabei überwachen (Selbst-Kontrolle), die eigene Leistung gewinnbringend vermarkten (SelbstÖkonomisierung) und den Alltag und Lebenslauf selbständig rationalisieren (SelbstRationalisierung). Als sozialisatorische Ausgangspunkte dieser Anforderungen gelten gewandelte Erziehungsformen, medial präsente und politisch gestützte Aktivierungspolitiken sowie die schulische Berufsorientierung (Eichler, 2013; Heitmeyer et al., 2011a; A. Lange et al., 2018; Lessenich, 2012; Reinders, 2016). Obwohl diese Prozesse und auch die Ökonomisierungsdebatte darauf hindeuten, dass sich adoleszente Möglichkeitsräume verkleinern, gar »verdichtet und vernichtet« (Heitmeyer et al., 2011a) werden, bleiben die Folgen auf subjektiver Ebene empirisch unterbeleuchtet. Im Mittelpunkt des folgenden Abschnitts stehen insbesondere MittelschülerInnen, denn sie sind deutlich stärker als die GymnasiastInnen im Sample von konkreten Ökonomisierungsmaßnahmen betroffen und tatsächlich spiegelt sich hier vieles aus grundlegenden Thesen zur Ökonomisierung der Adoleszenz wider. Entlang der Falldarstellung des Mittelschülers Frank werden sowohl subjektive Passungen als auch Widersprüche zur fortschreitenden Ökonomisierung unter MittelschülerInnen aufgezeigt. Sein Pendeln zwischen Selbstökonomisierung, Aktivierungslogiken, Statusbezügen sowie arbeitsinhaltlichen und Subjektbezügen verdeutlicht vielschichtige und bisweilen widersprüchliche Dynamiken dieser Prozesse für das subjektive Verhältnis Jugendlicher zur Erwerbsarbeit. Die Darstellungslogik unterscheidet sich dabei zum vorangegangenen Kapitel – Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu anderen Jugendlichen werden nicht nacheinander, sondern gemeinsam dargestellt. Unter den MittelschülerInnen erweist sich die Verschränkung verschiedener Perspektiven als deutlich stabiler gegenüber familialen und individuellen Bedingungen der Adoleszenz als die subjektive Verarbeitung des Wissens um die »juvenilisierte Ökonomie« unter GymnasiastInnen. Frank wächst in relativ gehobenen sozialen Verhältnissen auf. Seine Familie verfügt über kulturelles und ökonomisches Kapital und somit über eine vergleichsweise große strukturelle Sicherheit. Aus Franks biographischer Erzählung lassen sich diese Informationen allerdings nicht ziehen:
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»Ich bin der Frank, bin fünfzehn Jahre alt, ähm meine Hobbies sind Fußballspielen und Basketball. Ähm, ich liebe Sachen, die so mit Technik zusammenhängen. Und, ja, ich bin ein Mensch, der gut im Team arbeiten kann.« Auf die biographische Erzählaufforderung folgt eine Selbstbeschreibung, die einem Vorstellungsgespräch gleicht (»Erzählen Sie mal etwas von sich!«). Sie ist einstudiert, präsentiert einen Jugendlichen, der ein arbeitsadäquates Interesse hat (Technik) und über Sozialkompetenzen verfügt (Teamfähigkeit). Er betrachtet und beschreibt sich aus einer antizipierten ökonomischen Erwartungshaltung heraus. Zur Erinnerung: Frank wurde die gleiche Einstiegsaufforderung zur Erzählung der eigenen Biographie wie allen anderen Jugendlichen gestellt. Auch das Setting entsprach dem der meisten Interviews mit MittelschülerInnen. Unter diesen finden sich immer wieder ökonomisch angepasste Selbstbeschreibungen in der biographischen Erzählung: Einige SchülerInnen heben ihre guten Schulleistungen hervor, betonen ihre Anpassungsbereitschaft oder zeichnen einen Wandel zum anständigen und sorgsamen Schüler nach. Während die GymnasiastInnen auch solche Themen in ihren biographischen Erzählungen behandeln, sind diese unter den MittelschülerInnen deutlich zentraler. Das liegt einerseits an der relativen Kürze der meisten biographischen Erzählungen unter MittelschülerInnen; andererseits liegt es durchaus an der individuellen ökonomisch-angepassten Themensetzung in den Kurzbeschreibung. Franks selbstökonomisiertes Raster zur (biographischen) Selbstdarstellung steht somit exemplarisch für diese allgemeineren Tendenzen. Die Interviewsituation ist ihm jedoch nicht unbekannt. Er hat sich wie alle interviewten MittelschülerInnen bereits viele Male beworben und in Betrieben vorgestellt. Wie in der allgemeinen Übersicht zum Sample beschrieben, unterscheiden sich die Schulformen der Interviewten hinsichtlich der Berufsorientierung (vgl. Kapitel 3.3.3). Die Mittelschule, die Frank besucht, ist sehr praxisorientiert: Arbeitsplatzerkundungen, ein praxisbezogenes Zweigsystem, Potentialanalysen, Werkstatttage, BerufseinstiegsbegleiterInnen, der Besuch von Ausbildungs- und Berufsmessen, Bewerbungstrainings und individuelle Berufsberatung durch MitarbeiterInnen der Agentur für Arbeit, mindestens drei Pflichtpraktika und eine große Auswahl an schulspezifisch-optionalen Berufsorientierungsmaßnahmen gehören zum Standard seiner Mittelschule. »Da kommen auch so viele Leute so und erzählen uns was über die Berufe oder sowas, also was man so noch machen kann. […]. Da kann man so BVJ, also Berufsvorbereitungsjahr und dann wählt man da so ne Richtung und dann ist es irgendwie leichter in den Beruf einzusteigen oder sowas.« Frank berichtet von regelmäßigen Besuchen (»so alle drei Wochen«) vieler, recht abstrakter Personen (»so viele Leute so«), die nicht nur auf den Übergang in die Erwerbssphäre, sondern auch dessen potentielles Scheitern vorbereiten. Das klischeehafte Bild von MittelschülerInnen, die im Unterricht lernen, den Hartz 4-Antrag auszufüllen, zeichnen die Interviewten jedoch genauso wenig wie das Bild eines unerbittlichen Aktivierungsregimes – von Hilfe zur Selbsthilfe oder der Einforderung ständiger Eigenaktivität erzählen die Wenigsten. Vielmehr geht es immer wieder um das hilfsbereite Aufzeigen von Wegen und Mitteln, um doch noch die begehrte Ausbildung zu ergattern. Dass und wie die durchaus vorhandenen aktivierenden
3. Empirische Analysen
Komponenten der schulischen Berufsvorbereitung dennoch auf subjektiver Ebene ihre Wirkung entfalten, zeigt sich erstens im weiteren Interviewverlauf und ist zweitens in der kritischen Berufsorientierungsforschung breit diskutiert (Kessl, 2006; Reutlinger, 2013; Walther, 2014). Zur Schule hat Frank ebenfalls ein ganz typisches Verhältnis für die interviewten MittelschülerInnen. Sie wird als Vorbereitung zur Erwerbsarbeit verhandelt. Den instrumentellen Sinn der Schulzweige (Technik, Wirtschaft, Soziales), die er ausführlich erläutert, stellt er recht deutlich in den Kontext der künftigen Erwerbstätigkeit: »Ähm, ich denke mal, dass man zeigen kann, dass man in diesem Fach gut war oder dass man sich dafür interessiert. Weil ich denk nicht, jemand/dass jemand, der Kochen nimmt, KFZ-Mechaniker oder sowas zum Beispiel werden möchte.« Die Zweiglogik wird somit im Zusammenhang mit einer Signalwirkung an potentielle ArbeitgeberInnen verstanden.44 Nicht nur die Note, sondern der gesamte schulische Werdegang dient der Darstellung der eigenen Employability (»dass man zeigen kann, …«). Der schulische Möglichkeitsraum zur Entwicklung einer personalen Identität ist objektiv und subjektiv durch die Präsenz ökonomischer Verwertungslogik und Normativität an der Mittelschule verkleinert, von einem (Bildungs-)Moratorium im klassischen Sinne kann nicht die Rede sein (Erdheim, 1982; Erikson, 1973b; King, 2013; Zinnecker, 1991). Diese Allgegenwart der Ökonomie, quasi ein Anti-Moratorium im schulischen Kontext, verdeutlicht sich in fast allen Interviews mit den MittelschülerInnen. »Ähm, ja. Wir haben seit der Siebten Tipps nur bekommen (.) fürs Arbeitsleben. Ähm es sind sehr viele Leute gekommen, die uns Tipps gegeben haben, äh Angebote für […] Helfen. Bewerbung schreiben, Lebenslauf alles, können wir eigentlich alles.« (Gregor) »Also ich hab ja ein Berufseinstiegsbegleiter und also der hilft mir also mit meinen Noten, also er sieht sie halt immer also und sagt so, ja, also zum Beispiel, du willst jetzt in den Beruf. Da brauchst du einen Qualidurchschnitt […]. Da musst du die Noten verbessern. Also sagst du mir vielleicht, wenn du Nachhilfe brauchst, kann ich dir jemanden also besorgen oder suchen.« »Ich find, ähm beim Lehrer 1 reden wir auch […] zur Zeit auch sehr ausführlich nAch der Ausbildung, was man da alles machen kann, welche Berufsschulen es gibt und wir haben uns auch letztes Jahr auch, ähm, sehr ausführlich über die Berufe unterhalten und ham dann auch so ein Buch gekriegt, wo alle Berufe drin sind.« (Tanja) Das Buch, von dem viele MittelschülerInnen berichten, ist das jährlich von der Bundesagentur für Arbeit (2019) herausgegebene »Beruf aktuell – Lexikon der Ausbildungsberufe«. Dabei handelt es sich um eine Übersicht zu Inhalten, Zugangswegen und monatlichen Vergütungen in Ausbildungsberufen. Das Lexikon dient mitunter als Unterrichtsmaterial. Entsprechend wissen die meisten SchülerInnen sehr gut darüber Bescheid, wie viel oder wenig sie in den von ihnen gewählten Tätigkeitsbereichen verdienen würden, sie wissen um die Bedingungen, aber insbesondere um die Schwierigkei44
Die GymnasiastInnen im Sample äußern an keiner Stelle derartige Überlegungen bei der Wahl ihrer Grund- und Leistungskurse ab der 11. Klasse.
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ten des Arbeitsmarkts. Dieses Wissen ist bei den MittelschülerInnen stärker ausgeprägt und präsenter als unter den GymnasiastInnen. Die schulische Berufsorientierung und die darin stattfindende Aktivierung findet bei vielen MittelschülerInnen ihr Pendant in den Erziehungsstilen der Eltern. Diese werden nur in Ausnahmefällen im Stile klassisch autoritärer Methoden geschildert. Das Verhältnis erinnert in vielen Fällen eher an eine »fremdgesteuerte Selbstorganisation« und so legen viele MittelschülerInnen in ihren Erzählungen ein entsprechend hohes Maß an Aktivität, Eigenverantwortung und Selbstdisziplin an den Tag (Eichler & Fischer, 2020; Peters, 2013; vgl. Kapitel 2.2.4). Aktivierungslogiken beschränken sich jedoch nicht aufs Elternhaus, sondern finden sich in den Interviews in etlichen Kontexten wieder, gerade auch dann, wenn es um den Erfolg in der Arbeitsgesellschaft geht. So bemessen einige der interviewten MittelschülerInnen immer wieder gesellschaftlich und schulisch Schwächere im Sinne von Aktivierungslogiken, führen schlechte Noten oder den fehlenden Ausbildungsplatz insbesondere auf zu geringe Anstrengung zurück. Wie Studien zur Berufsorientierung und Aktivierung hierzu passend herausgestellt haben, stehen Aktivierungslogiken einerseits in Zusammenhang mit der individualisierenden Abwertung und Verantwortung von Arbeitslosigkeit, andererseits aber auch mit Ängsten, selbst von Arbeitslosigkeit betroffen zu sein (Heinemann, 1978; Kessl, 2019; Kölzer, 2014). So will auch Frank auf keinen Fall arbeitslos werden, »weil man da halt nichts macht. Da sitzt man den ganzen Tag halt zu Hause und man/aus einem wird dann auch nichts mehr.« Jenes »Rumsitzen« taucht immer wieder als negativer Horizont der Inaktivität auf, von dem er sich abzugrenzen versucht. Und so kann sich fast niemand unter den interviewten MittelschülerInnen vorstellen, in der Zukunft arbeitslos zu sein, obwohl die schwierigen Arbeitsmarktbedingungen bekannt sind. Die eigene Anstrengung steht dennoch als wichtigster relevanter Einflussfaktor der Arbeitslosigkeit im Mittelpunkt. »Ich kann mir nicht vorstellen, arbeitslos zu sein. [I: Warum?] Ja ich brauch ne Arbeit, sonst is doch langweilig.« (Ulf) »Ich hätte schon Angst, dass ich so arbeitslos wäre, […]. Oder dass ich so, keine Ahnung, gefeuert werde. Ich würde mich echt anstrengen, (.) dass ich nicht gefeuert werde, dass irgendwann mal arbeitslos bin.« (Tanja) Was sich in der Analyse von Franks Verhältnis zur Erwerbsarbeit und auch bei weiteren interviewten MittelschülerInnen andeutet, ist, dass die beschriebenen Ökonomisierungsprozesse sowie aktivierenden Methoden und Logiken durchaus ihre Entsprechung im subjektiven Verhältnis der Jugendlichen zur Erwerbsarbeit finden (passend zu: M. Albert, Hurrelmann & Quenzel, 2019; Calmbach et al., 2020; Fischer & Eichler, 2015; Kölzer, 2014; Queisser, 2010); aber: all diese Prozesse fördern nicht einfach eine unidimensional-instrumentelle, materiell-reproduktionsbezogene Perspektive. Im Gegenteil: Das subjektive Verhältnis zur Erwerbsarbeit gestaltet sich bei den meisten interviewten MittelschülerInnen als eine vielschichte Mischung aus sinnhaft-subjektbezogenen und materiell-reproduktionsbezogenen Dimensionen, deren gemeinsame Ursache sich auch in Maßnahmen der schulischen Berufsorientierung findet. Zu seiner eigenen Wahlmotivation des Technik-Schulzweigs stellt auch Frank deutlich heraus, dass er »gerne so rumtüftel[t] an Sachen.« Wie bereits in seiner biographi-
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schen Erzählung betont er im Verlauf des Interviews immer wieder seine Affinität zu »Sachen, die so mit Technik zusammenhängen«, zeigt dabei deutliche arbeitsinhaltliche und Subjektbezüge. Während er – ähnlich zu vielen anderen MittelschülerInnen – vergleichsweise wortkarg ist, seine Erzählsequenzen eher kurz ausfallen, berichtet er mit großer Begeisterung von einem seiner Praktika: »Ähm, also da habe ich so nen Gegenstand gemacht (.), ähm, mit so ner Maschine. Und in dem [.] waren dann nochmal vIer andere Gegenstände und die durften halt nicht rausfallen. Also die waren immer so (.) die waren immer/also/da war immer in der Mi-/auf jeder Seite so ein Loch drin und dann (.), wenn man dieses Loch gemacht hat, ist wieder ein andrer Gegenstand rausgekommen und dann immer weiter, aber der durfte halt nicht rausfallen. Der musste halt maßgenau sein.« Im Mittelpunkt seiner Erzählung stehen die erlebnisnah geschilderte Tätigkeit und der Arbeitsgegenstand. Franks subjektives Verhältnis zur Erwerbsarbeit zeichnet sich also nicht einfach durch eine übernommene Aktivierungslogik und Selbstökonomisierung, sondern auch durch arbeitsinhaltliche Bezüge aus. Diese spiegeln sich zudem in seinen konkreten Plänen, denn er verfolgt das Ziel, einen Ausbildungsplatz in einem technischen Fachbereich zu finden. Zu diesem konkreten Ausbildungsberuf zeigen sich zwei deutliche Auffälligkeiten im Sample: Erstens ist es das Berufsziel von mehreren männlichen Mittelschülern, die allesamt eine ähnliche Mischung aus materiellen und arbeitsinhaltlichen Bezügen aufweisen; zweitens besuchen diese Schüler allesamt jeweils den technischen Zweig ihrer Mittelschule. Während die männliche Dominanz und Aspiration von techniknahen Berufszweigen bekannte Phänomene darstellen (Gottfredson, 1981; Ihsen, 2013), gestaltet sich der Zusammenhang von Schulzweig und Bezugsdimensionen deutlich spannender. »In der siebten Klasse hatten wir ein Jahr, da haben wir alle die drei Sachen gemacht. Ähm Soziales, des des war halt gut. Kochen und so. Aber in diese Richtung möchte ich nicht gehen. WIrtschaft, mit Computer arbeiten möchte ich auch nicht. Aber Technik dann, mit so Maschinen arbeiten, des hat mir gefallen. Habe ich mich für die Richtung entschieden, weil ich wusste dann, in die Richtung will ich einen Beruf haben. Und des ist so halt, ich ich will ja was haben, was mir Spaß macht.« (Ulf) Wie im Überblick zu den arbeitsinhaltlichen Bezügen der MittelschülerInnen knapp skizziert (vgl. Kapitel 3.3.4), stellt sich die Wahl des Schulzweigs als eine Abstimmung von Eigeninteresse, Bildung, Berufsorientierung und Employability dar, wobei die meisten SchülerInnen – so auch Frank – ihr Eigeninteresse in den Mittelpunkt dieser Beziehung stellen. Sie wählen ihren Zweig entsprechend intrinsischer Motive, festigen eigene Interessen, aber auch Kompetenzen über deren intensivierte Ausbildung und orientieren sich verstärkt auch beruflich an den jeweiligen Themenbereichen. Zusätzlich werden sie von Schulseite aus beruflich derart orientiert, dass sie sich für entsprechende Arbeitsinhalte interessieren oder interessiert zeigen. Eigen- und Fremdinteresse sind daher häufig schwer zu unterscheiden – im Endeffekt schimmern hier Logiken und Ziele der schulischen Berufsorientierung auf, die auf eben jene Verschränkung zielen (Brüggemann & Rahn, 2020).
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Im Sample findet sich nur eine einzige Mittelschülerin, die ihren Schulzweig explizit nicht aus Eigeninteresse gewählt hat. In der siebten Klasse plante sie, eine spezifische Ausbildung anzustreben, orientierte sich dabei an einer Verwandten. In deren Betrieb hat die Schülerin »auch n Praktikum gemacht [.] und alles, aber dann hat’s mir aber doch nicht so gefallen.« Sowohl ihre schulische Abneigung gegenüber dem Fach, aber auch ihre Ablehnung einer subjektiv als sinnlos erlebten Tätigkeit bringt sie letztlich im Satz »Ich hasse Wirtschaft!« auf den Punkt. Dieser Anspruch auf subjektive Sinnhaftigkeit findet sich bei vielen der MittelschülerInnen und so auch bei Frank. »Mhm, also ich will jetzt nicht so irgendwie (.) die ganze Zeit im Büro hocken oder sowas und irgendwas in Computer eintippen oder irgendwelche Blätter rumschieben. Ne, ich will halt irgendwas machen, halt mit Sachen arbeiten oder sowas.« Frank weist in dieser Sequenz deutlich sinnhafte Bezüge auf die Erwerbsarbeit auf, äußert den Anspruch, unter subjektiv als sinnvoll erlebten Bedingungen zu arbeiten, betont somit das expressive Potential der Erwerbsarbeit. Er grenzt sich ab vom abstrakten und für ihn unverständlichen Arbeiten »im Büro«, das er sich ohne einen konkreten Arbeitsgegenstand imaginiert (»irgendwas«, »irgendwelche«). Die subjektive Bedeutung des Arbeitsinhalts und eben jenes Arbeitsgegenstands hebt er abschließend noch einmal hervor (»halt mit Sachen arbeiten«). Wie ein Großteil der MittelschülerInnen stellt Frank sinnhaft-subjektbezogene Ansprüche an die Erwerbssphäre – trotz »Verdichtung und Vernichtung« adoleszenter Möglichkeitsräume (Heitmeyer et al., 2011a) und entgegen der Interpretation(smöglichkeiten) der meisten quantitativen Studien zum Verhältnis Jugendlicher zur Erwerbsarbeit (M. Albert, Hurrelmann & Quenzel, 2019; Calmbach et al., 2020; Fischer & Eichler, 2015). Frank verbindet, genauso wie ein Großteil der MittelschülerInnen, seine sinnhaft-subjektbezogene Perspektive zwar nicht mit der eigenen Biographie, Identität oder mit einer subjektiv erlebten und eingeforderten Selbstverwirklichung; nichtsdestotrotz bezieht er »die Arbeit auf sich und nicht sich auf die Arbeit« (Baethge, 1991, S. 10, Hervorhebung im Original). Dass die interviewten MittelschülerInnen jedoch keine neue normative Subjektivierungsformation darstellen, und, dass Bezugsdimensionen der materiell-reproduktionsbezogenen Perspektive unter ihnen genauso präsent und ebenso wie die sinnhaftsubjektbezogenen von Ökonomisierungsdynamiken befördert werden, auch das zeichnet Frank aus. So zeigt sich bspw. bei den Erläuterungen zu seinem Traumjob, dass sein Verhältnis zur Erwerbsarbeit nicht durch narzisstischen Überschwung und Infragestellung gesellschaftlicher Objektivitäten geprägt ist. Vielmehr verdeutlicht sich in seinem Wunsch »Verkäufer bei son (.) MArkenladen« zu sein, eine für die interviewten MittelschülerInnen typische, sehr »realistische Perspektive« (Walther, 2014). Während sein subjektives Verhältnis zur Erwerbsarbeit also »realistisch«, aber dennoch von arbeitsinhaltlichen und Subjektbezügen geprägt ist, veranschaulicht sich dabei auch eine materiell-reproduktionsbezogene Dimension: Wie die meisten MittelschülerInnen legt auch er Statusbezüge an den Tag. Denn es geht ihm nicht nur darum, Verkäufer zu sein, sondern er spezifiziert auch den Ort, an dem gearbeitet wird. Er will nicht irgendwo, sondern mit Nachdruck in einem »MArkenladen« arbeiten. Eine langfristige Orientierung am Status und die damit einhergehende Distinktion ist auch in seinem Plan A –
3. Empirische Analysen
der Ausbildung im technischen Fachbereich – präsent. Auf die Aufforderung, sich auszumalen, wo er in zehn Jahren stehen würde, kommen diese Statuszüge abermals zum Ausdruck. »Ich denk mal, also bei so ner Firma (.) und (.) hab den Meister gemacht, glaub ich so als Techniker oder sowas.« Er orientiert sich in der Sequenz erstens generell an Erwerbsarbeit, zweitens an der Tätigkeit (»Techniker«), drittens an der beruflichen Stellung (»Techniker«/»Meister«). Mit der Überlegung, eine Meisterprüfung erfolgreich abzuschließen, zielt er auf relativ hohe Position. 80 Prozent aller Auszubildenden beenden ihre Ausbildung erfolgreich, nur etwa 25 Prozent aller GesellInnen legen wiederum eine Meisterprüfung ab. Diese Aufstiegsorientierung, die sich bei vielen der MittelschülerInnen äußert, zeigt sich auch in den beschriebenen Erwartungshaltungen vieler Eltern. Neben dem schulischen Erfolg sind hier immer wieder die ökonomische Unabhängigkeit und Selbständigkeit zentral. Von außen werden also an die meisten MittelschülerInnen insbesondere materiell-reproduktionsbezogene und statusbezogene Erwartungshaltungen herangetragen (vgl. Kapitel 3.3.4). Aufgrund der intensiven schulischen Berufsorientierung wissen die interviewten MittelschülerInnen jedoch um die Schwierigkeiten, Hürden und die erreichbaren Ziele, thematisieren die Wege dorthin und die wahrgenommene Konkurrenz. Wie ein Mittelschüler feststellt, wollen alle »n guten haben, einen guten Ausbilder« und entsprechend müsse man sich gegen die anderen im Rennen um die guten Plätze durchsetzen (Mansel, 2011). Wer das nicht schafft: Selber schuld (Bröckling et al., 2000; Kessl, 2006; Kölzer, 2014). Franks subjektives Verhältnis zur Erwerbsarbeit zeichnet sich zusammenfassend durch eine Mittelschul-typische Vielschichtigkeit aus, die sich letztlich vor dem Hintergrund seiner spezifischen adoleszenten, insbesondere aber schulspezifischen Lage entwickelt. Dauerpräsent ist eine ökonomisch geprägte Perspektive auf sich, aber auch auf Schule, die sich an aktivierungslogische Muster koppelt, in denen Eigenverantwortung eine übergeordnete Rolle einnimmt. Wie die meisten der interviewten MittelschülerInnen hat er sehr konkrete Vorstellungen der künftigen Erwerbsarbeit, zielt auf einen sozialen Aufstieg in Anbetracht seines Status Quo und auch auf eine von den Eltern erwartete ökonomische Ablösung. Seine materiell-reproduktionsbezogene Perspektive auf Erwerbsarbeit ist also geprägt von materiellen und Statusbezügen, drückt sich zudem in seinem selbstökonomisierten Selbstentwurf und aktiviert-individualisierenden Orientierungen aus. Einen solch vereinzelnden Individualismus antizipierte Baethge (1985, 1999) einst noch als Folge »konsumistischer Sozialisation«, später aber als Resultat allgemein ideologisierter Subjektivität (vgl. Kapitel 2.1.2 & 2.2.1). Im Sample ist sie unter den MittelschülerInnen deutlich verbreiteter als unter den GymnasiastInnen. Dass die objektiv und subjektiv dauerpräsente Ökonomie jedoch nicht gleichbedeutend mit einem entsubjektivierten Verhältnis zur Erwerbsarbeit ist, verdeutlichen die meisten MittelschülerInnen über eine ausgeprägte sinnhaft-subjektbezogene Perspektive auf Erwerbsarbeit. Obwohl ein Moratorium im klassischen Sinne kaum existent ist, prägen arbeitsinhaltliche Bezüge und insbesondere die Einforderung von als sinnhaft erlebten Arbeitsprozessen ihr subjektives Verhältnis zur Erwerbsarbeit. Interessanterweise ist es gerade die schulische Berufsorientierung, die eigentlich als einer der Haupt-
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Adoleszenz und Arbeit
faktoren einer materiell-reproduktionsbezogenen, instrumentellen oder distanzierten Perspektive gilt, die sich auch als Stütze für arbeitsinhaltliche Bezüge entpuppt. Diese Melange aus »realistischer«, angepasster Perspektive (Walther, 2014), stark ausgeprägten Arbeitsmarktbezügen sowie materiellen und Statusbezügen, die sich einerseits an eine individualisierende, aktivierte, neoliberale Perspektive koppeln, andererseits jedoch von sinnhaft-subjektbezogenen Dimensionen durchzogen bleiben, prägt mit punktuell unterschiedlichen Schwerpunkten das subjektive Verhältnis vieler MittelschülerInnen in Anbetracht ihrer stark ökonomisierten schulischen (Aus-)Bildung. Für die feinen Unterschiede deutet sich im Mittelschulsample abermals ein Zusammenhang mit der psychosozialen Lage der Jugendlichen und insbesondere den Eltern-Kind-Verhältnissen an. So unterscheiden sich vereinzelte MittelschülerInnen in ihrer subjektiven Sicherheit hinsichtlich der Realisierung ihres vielschichtigen subjektiven Verhältnisses zur Erwerbsarbeit. Innere Sicherheit – eben auch hinsichtlich der Erwerbssphäre – steht eher mit Schilderungen stabiler innerfamiliärer Verhältnisse in Verbindung, autoritäre oder als abwesend beschriebene Eltern mit Unsicherheit und Distanziertheit gegenüber der Erwerbssphäre. Insgesamt verdeutlicht sich, dass der »doppelte Bezug auf Arbeit«45 (M. Schumann et al., 1982) unter den interviewten MittelschülerInnen nicht einfach nur im Charakter der Erwerbsarbeit oder in der personalen Identität begründet liegt. Vielmehr zeigen sich übergreifende Bedingungen der Adoleszenz, unter denen die verschiedenen Perspektiven an subjektiver Relevanz gewinnen.46 Während im vorangegangenen Kapitel dargestellt wurde, dass spezifische familiäre Berufskonstellationen und -erfahrungen insbesondere unter GymnasiastInnen einen negativen Einfluss auf die sinnhaft-subjektbezogene und einen positiven Einfluss auf die materiell-reproduktionsbezogene Perspektive haben, stehen Maßnahmen der schulischen Berufsorientierung, die ein Alleinstellungsmerkmal der MittelschülerInnen gegenüber den GymnasiastInnen darstellen, mit beiden Perspektiven auf die Erwerbsarbeit in Zusammenhang; zugleich deutet sich jedoch auch an, dass sie keine narzisstischen Impulse setzen, keine Identitätsbezüge fördern und somit letztlich doch im Sinne eines »Cooling Outs« wirken (Walther, 2014). Trotz vielfacher langfristig gesetzter Aufstiegsaspirationen geht kaum jemand über eine »realistische« Perspektive hinaus. Bei den MittelschülerInnen zeigt sich zudem eine auffällige Geschlechtersystematik. Während die männlichen Jugendlichen häufig eine reine Doppelperspektive auf Erwerbsarbeit entwickeln, weisen viele weibliche Mittelschülerinnen eine dreifache Perspektive auf, integrieren soziale Bezugsdimensionen in ihr subjektives Verhältnis zur Erwerbsarbeit. Im Mittelpunkt stehen hierbei allerdings nicht Altruismus oder caritative Elemente, sondern meist Interaktions- und Gemeinschaftsbezüge. Genauso wie die allgemeine Peerorientierung ist bei ihnen der Anspruch auf kommunikative Elemente und KundInnenkontakt ausgeprägter als bei den männlichen Mittelschülern. Dieses
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Gemeint ist die Gleichzeitigkeit einer materiell-reproduktionsbezogenen und einer sinnhaft-subjektbezogenen Perspektive auf Erwerbsarbeit (vgl. Kapitel 3.1.1). Zwar ist es auch eine wichtige und interessante Erkenntnis, dass diese Doppelperspektive bei allen Jugendlichen des Samples auftritt. Jedoch hilft diese Erkenntnis wenig, wenn die Relevanz und die logische Verschränkung der Einzelperspektiven nicht geklärt ist.
3. Empirische Analysen
Ergebnis deckt sich zwar mit dem Forschungsstand (M. Albert, Hurrelmann & Quenzel, 2019; Brinck et al., 2020; vgl. Kapitel 2.3), es beschränkt sich jedoch auf den Teil des MittelschülerInnen-Samples, bei dem die schulische Berufsorientierung und weitere Ökonomisierungserscheinungen im subjektiven Verhältnis zur Erwerbsarbeit hervorstechen. Dass es durchaus MittelschülerInnen gibt, die diesem Muster nicht entsprechen, an denen die Ökonomisierungsdynamiken geradezu teflonartig abperlen, steht in einem späteren Teilkapitel im Mittelpunkt. Während die objektiv ökonomisierte Bildung eher bei den interviewten MittelschülerInnen in Erscheinung tritt, ist die Ökonomisierung der Adoleszenz auf subjektiver Ebene auch bei GymnasiastInnen festzustellen – allerdings nur in Ansätzen und mit deutlichen Einschränkungen gegenüber den meist pessimistischen Annahmen der Ökonomisierungsdebatte (vgl. Kapitel 2.2.3). Zu Teilen hat sich dies bereits in der Darstellung des vorherigen Kapitelabschnitts angedeutet. Zwar handeln alle GymnasiastInnen die schulische Berufsorientierung als unbedeutend ab; nichtsdestotrotz ist die Ökonomie und ihre Handlungslogik zumindest in vereinzelten Fällen eine relevante Perspektive, jedoch eher über familiale und soziale Bedingungen vermittelt. Darüber hinaus zeigte sich, dass es einerseits zwar Tendenzen zur Selbstrationalisierung und Selbstkontrolle unter den GymnasiastInnen gibt, andererseits jedoch auch spannende Umgangsformen damit. So reflektieren einige Jugendliche Aspekte der Selbstökonomisierung, gerade wenn sie subjektiv als Stressoren bzw. belastend wahrgenommen werden. Wie oben und auch im Folgekapitel dargestellt, entwickeln sie nicht einfach selbstunternehmerische Ideale und streben hohe Karrieren an, sondern entschleunigen und bilden gesteigerte Reproduktions- und Arbeitskraftbezüge aus. Bei diesen Jugendlichen und auch vielen anderen findet sich jedoch auch ein ganz anderer Umgang mit der Ökonomie und ihren Logiken, der sich mindestens auf manifester Ebene als Ablehnung (rein) materieller und statusbezogener Perspektiven auf die Erwerbsarbeit präsentiert. Während die materiell-reproduktionsbezogene Perspektive durch subjektive Leistungsimperative und Selbstrationalisierung zu einem gewissen Maß und auch nur in bestimmten Bezugsdimensionen gestärkt wird, zeigt sich auf subjektiver Ebene unter den GymnasiastInnen eher das Potential zum Widerstand. Hinweise auf eine rein pragmatische Perspektive oder eine völlig ökonomisiert, instrumentell-angepasste Jugend finden sich im Sample nicht (M. Albert et al., 2015; Eichler & Fischer, 2020; Heitmeyer et al., 2011a). Die qualitativen Analysen stellen also heraus, dass die Ökonomisierung der Adoleszenz nicht einfach im Widerspruch zur »Idee der Adoleszenz« (Eichler & Fischer, 2020) steht, sondern selbst widersprüchlicher als angenommen verläuft. Tatsächlich fördert die Praxis- und Berufsorientierung bei den MittelschülerInnen einerseits eine objektive und subjektive Dauerpräsenz der Ökonomie. Die Jugendlichen sind mit Informationen zur Erwerbssphäre und mit Zertifikaten ihrer Employability ausgestattet; ihre Perspektiven sind »realistisch« (Walther, 2014), am Arbeitsmarkt und am Gelingen der ökonomischen Ablösung orientiert; andererseits stellen sie sinnhaft-subjektbezogene, expressive Ansprüche, die in ihrem grundlegenden Impetus emanzipatorischen Charakter haben. Die Feststellung, dass es eine Verbindung von Ökonomisierungsprozessen an Schulen zu Bezugsdimensionen der sinnhaft-subjektbezogenen Perspektive gibt,
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soll der Ökonomisierung jedoch keineswegs eine progressive Intention unterstellen. Im Mittelpunkt dieser Prozesse steht die Vermittlung der Jugendlichen in die Arbeitswelt, die Anpassung ihrer Orientierungen an prekäre Bedingungen und aktivierungspolitische Ideologie (Lessenich, 2012). Ihre Folgen sind jedoch vielfältig und erweisen sich bei Frank und anderen Jugendlichen des vorliegenden Samples auf subjektiver Ebene als widersprüchlich bzw. vielschichtig (Hartong et al., 2018; Kessl, 2006). Unter den GymnasiastInnen sind die objektiven Ökonomisierungsprozesse deutlich schwächer ausgeprägt, schulische Berufsorientierung spielt hier eine untergeordnete Rolle. Was sich im Sample jedoch zeigt, sind subjektive Ökonomisierungsprozesse, die Übernahme ökonomischer Anrufungen, eine teils ausgeprägte Selbstorganisation und Selbstrationalisierung, die mit ausgeprägten Arbeitskraftbezügen zusammenhängt; gleichzeitig herrscht jedoch gegenüber dem subjektiven Übergriff der Ökonomisierungsdynamiken Widerstand und gegenüber rein materiellen und statusbezogenen Perspektiven weitgehende Ablehnung. Weder sind die Jugendlichen subjektiv durchökonomisiert, noch passen sie sich den Umständen einfach an.
Von der distinktiven Selbstverwirklichung und »Ankerpunkten« der Adoleszenz Anerkennung für Individualität in der Arbeit zu beanspruchen und intrinsisch motiviert zu sein, kann sich gegen arbeitsgesellschaftliche Verhältnisse wenden, die diesen Anspruch nicht erfüllen. Gerade die These der normativen Subjektivierung von Arbeit war mit einem solch emanzipatorischen und, in Anbetracht einer sich parallel wandelnden Erwerbssphäre, konkret-utopischen Impetus behaftet (Baethge, 1991). Die Formulierung von Selbstverwirklichungsansprüchen in der Erwerbssphäre kann sich aber auch gegen jene wenden, denen diese Individualität abgesprochen wird, weil sie unter Bedingungen leben und arbeiten, die den Anspruch lächerlich erscheinen lassen (Fischer & Eichler, 2015, S. 404). Die These einer »distinktiven Selbstverwirklichung« basiert auf der Überlegung, dass unter struktureller Betrachtung die Voraussetzungen zum sinnhaft-subjektbezogenen Verhältnis zur Erwerbsarbeit schul- und schichtspezifisch sind. Quantitativ verdeutlichen das nicht nur die vorliegende Studie und der zugehörige Forschungsstand (vgl. Kapitel 2.3 & 3.2), sondern auch schon Baethge und KollegInnen selbst (1988, S. 174179). Dieser sozialstrukturelle Vorteil trifft schließlich auf ein gegenwärtiges Subjektideal, das sich normativ an alle richtet (Dravenau & Eichler, 2012; Reckwitz, 2008) – Sei authentisch! Sei einfach du Selbst! Der Habitus der Selbstverwirklichung gerinnt vor diesem Hintergrund zu einer Frage der Performance von Alleinstellungsmerkmalen, über die insbesondere Mitglieder gehobener sozialer Milieus verfügen. Darüber hinaus deutet die Dynamik eine Form symbolischer Gewalt an (Bourdieu, 1998, S. 173), denn während das Subjektideal allgemein anerkannt ist und alle trifft, ist dessen Verkörperung und arbeitsweltliche Realisierung einigen wenigen vorbehalten (Dravenau & Eichler, 2012; Fischer & Eichler, 2015, S. 395). Distinktive Elemente finden sich im subjektiven Verhältnis der interviewten Jugendlichen zur Erwerbsarbeit zuhauf: Während die materielle Selbstaufwertung bei gleichzeitig unbewusster Abwertung derjenigen, die nicht über das nötige Kapital verfügen, eher eine klassische Variante der Distinktion im Bourdieuschen Sinne darstellt,
3. Empirische Analysen
verdeutlichen sich in den Abgrenzungen, aber auch Abwertungen von rein physischen und vermeintlich sinnfreien Tätigkeiten sowie von materiell-reproduktionsbezogenen Perspektiven Elemente der distinktiven Selbstverwirklichung, die sich quer durchs Sample zeigen. Immer wieder wird dabei die eigene, subjektiv als besser wahrgenommene Orientierung von anderen abgegrenzt. Eine verallgemeinerte distinktive Selbstverwirklichung im Sinne einer typischen Kopplung von sozialer Herkunft, sinnhaft-subjektbezogener Perspektive und Distinktionsmechanismen zeigt sich im Sample jedoch nicht. Zur Darstellung eines subjektiven Verhältnisses zur Erwerbsarbeit, das von distinktiver Selbstverwirklichung geprägt ist, steht im Folgenden dennoch insbesondere die Mittelschülerin Dagmar im Mittelpunkt. Sie dient nicht nur als Beispiel für eine Abgrenzung über die eigene sinnhaft-subjektbezogene Perspektive; sie ist auch ein Beispiel dafür, dass weder soziale Lage, Schulform noch Ökonomisierungsprozesse das subjektive Verhältnis zur Erwerbsarbeit determinieren, sondern eine Vielzahl adoleszenzrelevanter Faktoren von Bedeutung sind. Dagmar und auch weitere Jugendliche dienen daher im Folgenden ebenfalls der Veranschaulichung sogenannter Ankerpunkte der Adoleszenz. Dabei handelt es sich um jugendliche Freiräume und Möglichkeiten, die widersprüchlichen Sozialisationsprozessen der Adoleszenz entgegenstehen und die Entwicklung oder Aufrechterhaltung sinnhaft-subjektbezogener Ansprüche im Sinne Baethges (1991) trotz widriger Ausgangssituationen und trotz einer zunehmenden »Verdichtung und Vernichtung« (Heitmeyer et al., 2011a) der Adoleszenz ermöglichen. Dagmar ist zum Zeitpunkt des Interviews 15 Jahre alt und plant, nach dem qualifizierenden Hauptschulabschluss und der Mittleren Reife auf die Fachoberschule zu gehen, um anschließend zu studieren. Neben Gregor ist sie die einzige interviewte MittelschülerIn, die einen solchen Weg überhaupt in Betracht zieht. Entsprechend unterscheidet sich auch ihr subjektives Verhältnis zur Erwerbsarbeit von dem vieler MittelschülerInnen. Im Mittelpunkt stehen eine intrinsische Wertorientierung, Subjektund Identitätsbezüge sowie die distinktive Abgrenzung der eigenen Orientierung. Auf die Frage, wie es dazu gekommen sei, dass sie sich für Mittlere Reife und Fachoberschule und nicht etwa für eine Ausbildung interessiere, antwortet Dagmar: »Aha, ich habe ein Video auf YouTube gesehen so von der Fachoberschule A. Das war mit so richtig cooler Musik und so. JA, es gibt noch einen zweiten Weg zum Abitur, und ich denk mir so yEAh, @ ich bin dabei. Ich weiß nicht. Weil studieren hat mich schon immer irgendwie ein bisschen interessiert. […] Also in letzter Zeit habe ich so für mich herausgefunden, dass ich irgendwann mal was machen möchte, irgendwie (.) Autorin habe ich mal gedacht. Nicht so, ähm ähm, Roman oder sowas, sondern so Sachbücher. Oder Reporterin oder sowas oder irgendetwas mit Journalismus […]. Nicht einfach ne Ausbildung und dann arbeitest du dein Leben lang, sondern ich will halt irgendwie wirklich was erleben und so, also irgendwie was verÄndern, aber vielleicht ist das auch nur normal @in dem Alter@.« Wie für viele andere Jugendliche sind soziale Medien auch für Dagmar hochrelevant. Während die meisten Interviewten diese als Unterhaltungsmedium nutzen (ähnlich dem Fernseher in den Jahrzehnten zuvor), dienen sie einigen als Informationsquelle für den Aufbau von Berufswahlwissen (Düggeli et al., 2018). Die Beschreibung der Situa-
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tion, in der Dagmar das Video gesehen hat, ist im Vergleich zum restlichen Interview affektiv geladen. Sie untermalt die Erkenntnis ihrer Aufstiegsmöglichkeit und somit auch der Überwindung ihres sozialen Status euphorisch (»yEAh«), unterstreicht damit die von ihr beigemessene Bedeutung des Bildungsaufstiegs und verdeutlicht über ihre Darstellung des Eigeninteresses am Studium als biographische Konstante ihre Identitätsbezüge (»studieren hat mich schon immer irgendwie ein bisschen interessiert«). Anschließend verbindet sie Status- und Identitätsbezüge mit einem distinktiven Muster, das sich durch weite Teile ihres Interviews zieht. So grenzt sie sich offensiv vom Konzept der Ausbildung ab – »Nicht einfach ne Ausbildung«. Dieser Satz hat es in sich, bedenkt man, dass die Ausbildung das Ziel vieler MittelschülerInnen ist und von diesen selten als »einfach« empfunden wird. Mit dem Konzept der Ausbildung verbindet sie eine fordistisch-dystopische Normalbiographie (»und dann arbeitest du dein Leben lang«), die zwar sicher, dafür jedoch sinnentleert erscheint. Dem stellt sie ihren Subjektbezug gegenüber (»sondern ich will halt irgendwie wirklich was erleben«), hebt das innere Erleben in seiner Bedeutung hervor und verbindet es mit dem Drang danach, etwas zu »verÄndern« und zu »schaffen«. Stellenweise wirkt sie wie ein Prototypus für Erdheims (1988b) Ausführungen zum adoleszenten Narzissmus, denn im Kontext der genannten Tätigkeitsbereiche lässt sich dieses Verändern durchaus im Sinne einer Gesellschaftsanalyse und -kritik verstehen. Gerade über die nochmalige Normalisierung ihrer Orientierung (»aber vielleicht ist das auch nur normal @in dem Alter@.«), knüpft sie jedoch abermals an eine Erzählung an, die theoretisch und empirisch oberhalb ihrer Position im sozialen Raum angesiedelt ist (Dravenau & Eichler, 2012). Dagmars subjektives Verhältnis zur Erwerbsarbeit zeichnet sich sowohl durch eine sinnhaft-subjektbezogene Perspektive als auch altruistische Bezüge, eine individuelle und eine soziale Sinnhaftigkeit aus, die sich beide eng an distinktive Statusbezüge koppeln. Das distinktive Element in Dagmars Verhältnis zur Erwerbsarbeit tritt sowohl in der aktiven Abgrenzung vom Lebensweg vieler MittelschülerInnen und den damit verbundenen entsubjektivierten Orientierungen in Erscheinung als auch in ihren allgemeinen negativen Abgrenzungen von der materiell-reproduktionsbezogenen Perspektive. Nachdem sie relativ unbestimmt über potentielle Studienfächer nachdenkt, erläutert sie, welches Studienfach überhaupt nicht in Frage käme. »[…] Ähm oder so Wirtschaft oder sowas. Interessiert mich überhaupt nicht. Ich weiß nicht, das ist irgendwie der Inbegriff der Korruptheit für mich. Einfach nur Geld machen, Geld machen, ich weiß nicht. So total ähm (.) sowas wie Börse oder so.« Mit den Studienfächern, die für sie nicht vorstellbar wären, verbindet sie eine mangelnde Befriedigung ihres Subjektbezugs – »interessiert mich überhaupt nicht«. Darüber hinaus lässt sie in ihren Überlegungen das materielle Interesse nicht einfach außen vor, sondern grenzt sich deutlich davon ab. So verweist sie auf den von ihr angenommenen Zweck des Wirtschaftsstudiums (»Einfach nur Geld machen«), verwendet hier abermals das distinktive Adjektiv »einfach« und stellt das Studienfach in den Kontext von Ungleichheit und Ungerechtigkeit (»Korruption«). Die negative Abgrenzung zu extrinsischen Motiven und materiellen Bezügen sowie der positive Bezug auf subjektive Sinnhaftigkeit und die Befriedigung subjektbezogener Motive stehen bei ihren Ausführungen zur Studienfachwahl deutlich im Vordergrund.
3. Empirische Analysen
Im Sample findet sich immer wieder eine solche Vorstellung, dass eine materielle Perspektive nicht mit altruistischen oder Identitätsbezügen kompatibel sei – entweder viel Geld oder Selbstverwirklichung; entweder als ManagerIn oder gesellschaftlich sinnvoll arbeiten. Von der einfachen Gegenüberstellung zweier Orientierungen bis hin zur verinnerlichten Ablehnung von Finanzberufen gibt es verschiedene negative Abgrenzungsmuster. Der negative Bezug auf materielle Aspekte erfolgt jedoch selten stringent im Sinne einer »distinktiven Selbstverwirklichung« (Eichler & Fischer, 2020; Fischer & Eichler, 2015). »Viele raten mir dazu ab [I: Mhm.], ja, traust du dir das zU? Es ist strEssIg. Die Arbeitszeiten. Du verdienst nicht viel GEld. Mir geht’s nicht drum, dass es stressig ist, äh wenig Geld oder so. Mir muss es einfach auch Spaß machen.« (Cedrik) »Und wenn man irgend- irgendwie ein Projekt abschließt oder sowas oder einem was gelungen ist oder sowas, das einen selber dann auch glücklicher macht und ähm, und ich glaub, dass es ähm im Gegensatz zu anderen Sachen jetzt, keine Ahnung, wenn man jetzt drauf aus ist, keine Ahnung, irgendwann mal fünftausend Euro netto zu haben oder sowas, dass es halt irgendwie ein Ziel oder ein Lebensweg ist, der mir, glaub ich, persönlich viel mehr bringt, […]« (Karl) »Also es ist eine schöne Aussicht, dass wenn ich das mache und das schaffe, dass ich gut verdienen würde, aber das ist für mich nicht so der ausschlaggebende Faktor. Also für mich ist das eher, dass es mich wirklich interessiert und dass ich glaube, dass ich/jetzt vielleicht nicht direkt/ja, äh, dass ich glaube, dass es etwas für mich wäre, […]. Genau, also hauptsächlich so des Interesse. Auch weniger dieses, ich will’s besser machen oder das Geld. Ich glaube einfach, dass es was für mich ist.« (Nathalie) »Also, ich will keine Bankerin werden. […]. Ich will an sich nichts mit Aktien oder Geld machen, […].« (Zara) Sowohl bei Nathalie als auch Cedrik, die beide eine sehr ausgeprägte sinnhaft-subjektbezogene Perspektive auf Erwerbsarbeit aufweisen, zeigen sich gemäßigte Abgrenzungen zu materiellen Bezügen und Perspektiven auf Erwerbsarbeit. Wie schon bei Karl, der sich insbesondere von rein materiellen Luxusbezügen abgrenzt, ihnen seinen subjektbezogenen »Lebensweg« gegenüberstellt, findet jedoch selten eine Abwertung derselben statt. Auch Zara, deren Ablehnung von Finanzgeschäften am ehesten an Dagmars Schilderungen erinnert, schwächt diese Abgrenzung im Laufe des Interviews ab. Derart zentral und konsistent wie bei Dagmar, deren subjektives Verhältnis zur Erwerbsarbeit auf der Verbindung progressiver Werthaltungen und diese begleitende Distinktionslogiken basiert, tritt die »distinktive Selbstverwirklichung« also selten in Erscheinung. Eine Ursache für deren untergeordnete Bedeutung im Sample könnte wiederum in der »widersprüchlichen Adoleszenz« selbst liegen. Wie bereits beschrieben, erweist sich die Moratoriumsfunktion des sogenannten Bildungsmoratoriums nicht mehr als eindeutig gegeben, eine adoleszente Triangulierung ist zusätzlich über mehrere Faktoren erschwert. Das Verhältnis fast aller Jugendlicher und somit auch der statushohen GymnasiastInnen ist von einer Doppel- oder Dreifachperspektive auf Erwerbsarbeit geprägt. Sie weisen selbst materielle Bezüge, Statusbezüge und Arbeitskraftbezüge auf, was soziale Abgrenzungen von einer materiell-reproduktionsbezogenen Perspektive über die eigene sinnhaft-subjektbezogene Perspektive erschwert.
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Die These einer »distinktiven Selbstverwirklichung« aufgrund ihrer geringen Relevanz im Sample zu verwerfen, würde wiederum erstens über deren stellenweises Inerscheinungtreten hinwegtäuschen und zweitens die Komplexität widersprüchlicher Adoleszenz vernachlässigen. Was Dagmar von einem Großteil der interviewten MittelschülerInnen ferner unterscheidet und nochmals eine subjektive Nähe zu vielen GymnasiastInnen unterstreicht, ist nicht nur ihr identitätsbezogen-distinktives Verhältnis zur Erwerbsarbeit, sondern dessen Unberührtheit von arbeitsweltlichen Erfahrungen, insbesondere ihren schulischen Pflichtpraktika. Während sich die Praktikums-Erzählungen der meisten MittelschülerInnen häufig stringent und konstituierend für deren sehr konkreten Planungen zur künftigen Erwerbskarriere gestalten, lesen sich Dagmars Praktikumsbeschreibungen abseits von Eigeninteresse oder arbeitsbezogener Motive, teils willkürlich, humorvoll und stets distanziert. Der unter MittelschülerInnen häufig zentrale Aspekt des »Ausprobierens« steht nur im Kontext einer einzigen Praktikumswahl, von der sie sich im Nachhinein jedoch abgrenzt. Während eigentlich die Annahme im Raum steht, dass schulische Ökonomisierungsprozesse und deren allgegenwärtige Logik die Möglichkeiten und Wahrscheinlichkeiten subjektbezogener Orientierungen gerade im unteren Bereich des Sozialraums verringerten und sich zumindest hinsichtlich der Identitätsbezüge solche Dynamiken auch bei den meisten interviewten MittelschülerInnen zeigen, stellt Dagmar ein wichtiges Gegenbeispiel für diese These dar. Sie repräsentiert ein Verhältnis zur Erwerbsarbeit, das in gehobenen Sozialmilieus verortet wird, das zudem im Kontext symbolischer Gewalt steht (Dravenau & Eichler, 2012; Fischer & Eichler, 2015). Nun ist Dagmar jedoch kein Mitglied gehobener Sozialmilieus, schätzt die gesellschaftliche Position ihrer Familie vergleichsweise reflektiert und passend zu ihren Erzählungen auf »unter der Mitte« ein. Zudem stehen ihre biographischen Schilderungen zu ihrer Kindheit und frühen Jugend der Idee des adoleszenten Möglichkeitsraums entgegen, verweisen vielmehr auf Krisenerfahrungen, die über das Ausmaß gewöhnlicher adoleszenter Konflikte hinausgehen – und doch changiert Dagmar zwischen Orientierungen, die für das »expeditive« und das »experimentell-hedonistische« Milieu typisch sind (Calmbach et al., 2020). Ankerpunkt 1: Therapeutische Erfahrungen Ihr subjektives Verhältnis zur Erwerbsarbeit und die Abweichung ihrer kindlichen bzw. frühjugendlichen psychosozialen Strukturen von ihren adoleszenten Orientierungsmustern, quasi das Auseinanderfallen von kindlichem Sozialraum und jugendlichem Habitus, lassen sich jedoch erstens adoleszenztheoretisch einbetten, zweitens auf Dagmars spezifische biographische Konstellation rückbeziehen und drittens in ähnlichen Konstellationen bei anderen Interviewten beobachten. Im Sinne Erdheims (1982, 1988b) stellt die Adoleszenz eine »zweite Chance« dar. Es wäre ein (absurder) Fehler, die Kindheit als einzige Determinante psychischer Strukturen und darüber vermittelter Wahrnehmungs- und Orientierungsmuster anzunehmen (vgl. Kapitel 2.1.2). »Indem die Adoleszenz als ›zweite Chance‹ [...] im Verhältnis zu (eventuellen) Schädigungen in der frühen Kindheit begriffen wird, erweist sie sich als der Wendepunkt,
3. Empirische Analysen
in welchem die Kräfte wirksam werden können, die nicht nur die Korrektur der in der Familie erlittenen Schädigungen, sondern auch die Schaffung neuer Werte ermöglichen.« (Erdheim, 1988d, S. 235) »Zweite Chance« gilt es durchaus wörtlich zu verstehen. Jedoch werden dieser Chance auf die Entfaltung des adoleszenten Narzissmus und dem Gelingen einer adoleszenten Triangulierung seitens Erdheim und anderer SozialpsychologInnen nicht allzu große Wahrscheinlichkeiten eingeräumt. Psychosoziale Krisenerfahrungen in der Kindheit lassen sich eben nicht einfach abschütteln und deren Ursachen bleiben mit dem Übergang in die Adoleszenz meist bestehen (Dornes, 2012, S. 214). Passt die Kindheit nicht, ist eine goldene Jugend unwahrscheinlich. Nichtsdestotrotz sprüht Dagmar vor positivem Narzissmus, tritt Ich-stark in Erscheinung und wirkt in ihren Erzählungen sehr selbstreflexiv. Tatsächlich schildert sie ihre gegenwärtigen psychosozialen Bedingungen fernab kindlicher bzw. frühadoleszenter Krisenerfahrungen. Eine wichtige Rolle nimmt hierbei ein im Sample strukturell immer wieder als relevant aufscheinender Ankerpunkt der Adoleszenz, des Moratoriums und des Möglichkeitsraums ein: Therapeutische Erfahrungen im Kontext sozialpädagogischer Betreuung oder verschiedener Formen der Psychotherapie. Gerade die hier stattfindende Auseinandersetzung mit dem eigenen Selbst, der Familie und der Gesellschaft, erweist sich bei einigen interviewten Jugendlichen als Ausgangspunkt und Stabilisator einer sinnhaft-subjektbezogenen Perspektive auf Erwerbsarbeit – eben als ein Ankerpunkt der Adoleszenz. Jene Ankerpunkte definieren sich also darüber, dass sie abseits »klassischer« Institutionen des Moratoriums angesiedelt sind (Familie, Schule, Peers etc.), jedoch Moratoriumsfunktionen übernehmen, und, dass sie darüber sinnhaft-subjektbezogene sowie altruistische Bezüge auf die Erwerbsarbeit hervorbringen oder stabilisieren. Adoleszenztheoretisch stellen sie Möglichkeiten einer »zweiten Chance« (Erdheim, 1988b) dar, »heizen« den adoleszenten Narzissmus an (Erdheim, 1988a); sie wirken dem Druck auf »adoleszente Möglichkeitsräume« (King, 2013) entgegen und unterstützen das Gelingen einer »adoleszenten Triangulierung« (Eichler & Fischer, 2020), indem sie Jugendlichen den Raum und die Möglichkeit zur Auseinandersetzung mit sich selbst, der Familie und der Kultur/Gesellschaft geben. Sie ermöglichen eine normative Subjektivierung in Zeiten widersprüchlicher Adoleszenz. Im Sample finden sich verschiedene Ankerpunkte bei den Jugendlichen. Dabei stechen insbesondere therapeutische Erfahrungen und politische Sozialisationsprozesse als derartige Räume der Selbstreflexion hervor. Erstgenannte und deren Verbindung zu Identitätsbezügen sind im Sample sehr präsent. So berichtet fast ein Viertel der interviewten SchülerInnen von therapeutischen Erfahrungen. Tatsächlich entspricht dieser Anteil den Schätzungen, die sich in Literatur und Krankenkassenberichten finden (Baumgarten et al., 2018; Grobe et al., 2018). Gleichzeitig ist es angesichts der Interviewsituation erstaunlich, dass ein so großer Anteil des Samples offen mit psychosozialen Krisen und Konflikten, aber auch eigenen emotionalen Belastungen und Störungen47
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Der Begriff der »emotionalen Störung« umschreibt eine Vielfalt an psychischen Störungen in der Kindheit und Jugend. Er wird weder in der Literatur noch in der vorliegenden Studie wertend verwendet.
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umgeht. Denn obwohl der Umgang mit Psyche und Emotion gesellschaftlich und arbeitsweltlich relevanter wird (Ehrenberg, 2008; Eichler, 2013; Illouz, 2011), die Bereitschaft zur Therapie zunimmt und die Anzahl Jugendlicher in Therapie entsprechend steigt, ist das damit verbundene Stigma keineswegs verschwunden (Schomerus et al., 2012). Passend zu aktuellen Befunden der Sozialstrukturanalyse berichten zudem viele weitere interviewte Jugendliche von Ängsten und Stressempfinden sowie von deren Wahrnehmung bei ihren AltersgenossInnen (M. Albert et al., 2015). So schildert auch die Gymnasiastin Paula, dass sie bei ihren MitschülerInnen immer wieder Stressbelastungen und deren Folgen beobachtet. »Äh ja, es kommt natürlich immer drauf an, wie die Eltern sind und so. Und die gesundheitliche Lage bei einer, weil die einfach immer krank ist@ und trotzdem Einser schreibt@. Naja, also bei manchen krieg ich halt schon mit, dass es halt sehr schlimm ist, wenn sie dann halt Ärger daheim kriegen. Dass es für dIe sehr stressig ist, oder die, die wo die halt schon denken, dass sie dann dUrchfallen oder so. Ähm ja, und manche machen halt einfach sehr viel.« (Paula) In den Interviews deuten sich immer wieder Anteile und Wahrnehmungen dessen an, was in der Literatur als »erschöpftes Selbst« (Ehrenberg, 2008), »narzisstische Depression« (Haubl, 2008) oder »Dauerbeschäftigung mit der Regulierung des Selbstwertgefühls« (Dravenau & Eichler, 2012) zumeist für Erwachsene oder ArbeiterInnen im Postfordismus diskutiert wird. Jedoch: Es lässt sich anhand der interviewten Jugendlichen nur schwerlich belegen und von Pathologisierungen sollte generell abgesehen werden. Nichtsdestotrotz stehen im Sample immer wieder Stress und emotionale Belastungserfahrungen, Arbeitskraft- und Reproduktionsansprüche, Identitätsbezüge und bei einigen Jugendlichen eben auch verschiedene Formen therapeutischer Erfahrung in engem Zusammenhang. Sowohl die Besserung psychosozialer Schieflagen durch die Therapie als auch deren Verbindung zu einer ausgeprägten sinnhaft-subjektbezogenen Perspektive auf Erwerbsarbeit finden sich bei allen Jugendlichen im Sample, die therapeutische Erfahrungen aufweisen. Es geht also darum, dass die Therapie nicht nur im psychodynamischen Sinne eine gesundheitliche und psychosoziale Funktion hat, sondern dass sie ein spezifisches Verhältnis zum eigenen Selbst, zur Familie, zur Gesellschaft und somit auch zur Erwerbsarbeit fördert. Gerade die Selbstreflexion, ohne die bspw. keine Form psychotherapeutischer Behandlung auskommt (Grawe, 2000), beschreibt einen zentralen Aspekt des adoleszenten Moratoriums (Erdheim, 1988b; Erikson, 1988; King, 2013). Unabhängig der Methode und Ursache der psychotherapeutischen Behandlung erfahren Jugendliche hier also selbstreflexive Momente. Die Funktion der (Psycho-)Therapie als »Ankerpunkt der Adoleszenz« anhand des Samples zu belegen/beweisen, ist aufgrund der geringen Fallzahlen und der Randthematik zwar kaum möglich, bedarf weitergehender Forschung, deutet sich jedoch an. Gerade im Kontext der kritischen Diskussion um eine »Therapeutisierung der Gesellschaft« und ihrer Institutionen, die grundlegend von einer Verdeckung »ökonomisch[er], politisch[er] und/oder sozial bedingte[r] Konflikt und Herrschaftsverhältnisse« im Zuge gesellschaftlich zunehmender »therapeutisierender Verfahren« ausgeht
3. Empirische Analysen
(Anhorn & Balzereit, 2016, S. 6), wäre der Blick auf die möglicherweise widersprüchliche Wirkung von Therapie interessant. Die hauptsächlich innerhalb der Pädagogik geführte Debatte um eine zunehmende therapeutisch-individualisierende Perspektive fasst sehr grob Prozesse der Medikalisierung, Psychologisierung und Individualisierung unter dem Begriff der »Therapeutisierung« zusammen. Sie zielt nicht gegen die Psycho-/ Therapie als solche, jedoch gegen eine damit in Verbindung gesetzte Subjektivierung struktureller Problemlagen (Anhorn & Balzereit, 2016, S. 5-6). Gesellschaftliche Strukturprobleme würden institutionell nicht mehr gelöst, sondern pädagogisiert – stark daran beteiligt sei jedoch auch die bürgerliche Psychologie und deren Therapieformen (Markard, 2016). Inwiefern sich hier nicht doch Widersprüche auftun, individualpsychologische Therapie nicht nur Selbst-, sondern darüber vermittelt und gerade in der Adoleszenz die Reflexion der Gesellschaft anstößt, bedarf weiterführender empirischer Analyse. Identität und deren Reflexion sind in jedem Fall vorherrschende Themen im Kontext therapeutischer Erfahrungen im vorliegenden Sample. Ihre Übertragung auf die Erwerbssphäre stellt einen spannenden Aspekt dar, der sich geradezu dialektisch zur widersprüchlichen Adoleszenz gibt (Eichler & Fischer, 2020). Während davon ausgegangen wurde, dass die gesellschaftlichen Bedingungen zu einer Abnahme sinnhaftsubjektbezogener Perspektiven auf die Erwerbsarbeit führten, gegenwärtige Sozialisationsdynamiken geradezu pathologische Begleiterscheinungen fördern könnten, erweist sich die (potentiell daraus resultierende) therapeutische Erfahrung als Stütze einer sinnhaft-subjektbezogenen Perspektive. Baethge (1985, S. 306; Hervorhebungen im Original) unterschied in seinen frühen Arbeiten zur normativen Subjektivierung zwischen einer produktionistischen und einer konsumistischen Sozialisation, wobei letztere gekennzeichnet sei durch »Erfahrungsprozesse, in denen rezeptive und reflexive Akte, vor allem solche des Lernens dominieren.« Diese reflexiven Prozesse, die er auf das humanistisch-idealisierte Bildungsmoratorium im Sinne Zinneckers (1991) übertrug, stehen im therapeutischen Prozess im Mittelpunkt. Die Therapie weist also selbst Moratoriumscharakter auf, fördert Subjektund Identitätsbezüge der Jugendlichen. Zugleich bedarf es an dieser Stelle den Hinweis, die Therapie nicht als potentielle Heilsbringerin gegenüber der ökonomisierten oder widersprüchlichen Adoleszenz zu stilisieren – die Jugendlichen werden nicht ohne Grund therapeutisch betreut. Das zentrale Ziel einer Therapie besteht nicht in der Selbstreflexion und der Evozierung entsprechender Orientierungsmuster. Die Reflexion der eigenen psychosozialen Lage ist dennoch ein wichtiger Bestandteil des therapeutischen Prozesses, der darüber als Ankerpunkt der Adoleszenz fungieren und Grundlagen einer sinnhaft-subjektbezogenen Perspektive auf Erwerbsarbeit schaffen kann. Ankerpunkt 2: Politische Sozialisation Ausgeprägte Identitäts- und auch altruistische Bezüge, die von Erdheim (1988b) und anschließenden AdoleszenztheoretikerInnen geradezu als Markenzeichen der Adoleszenz verhandelt werden, stehen mit einem weiteren Ankerpunkt in Verbindung. Es geht um politische Sozialisationsprozesse, politische Bildung und politisches Engagement in der Adoleszenz sowie deren Integration ins subjektive Verhältnis zur Erwerbsarbeit. Kon-
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kret geht es insbesondere um die Klimabewegung (bspw. Fridays for Future (FFF)), aber auch um weitere Bewegungen aus dem demokratisch orientierten und politisch linken Spektrum. Strukturell handelt es sich im Sample um ein GymnasiastInnen-Phänomen, das sich in quantitativen Studien zu FFF und anderen sozialen Bewegungen bestätigt – diese weisen deutlich darauf hin, dass das politische Engagement unter GymnasiastInnen weiter verbreitet ist als unter MittelschülerInnen (Schneekloth & Albert, 2019; Sommer et al., 2019). Politische Sozialisationsprozesse erweisen sich auch für die Gymnasiastin Zara als wichtiger biographischer und adoleszenter Aspekt, der sich bis ins subjektive Verhältnis zur Erwerbsarbeit verfolgen lässt. Dieses zeichnet sich durch eine identitätsgeprägte sinnhaft-subjektbezogene sowie eine soziale Perspektive auf die Erwerbsarbeit aus, in der insbesondere caritative und altruistische Bezüge hervorstechen – beide Perspektiven stehen bei den interviewten Jugendlichen immer wieder in enger Verbindung zur politischen Sozialisation. Zara ist politisch interessiert und engagiert sich im Kontext der Klimabewegung. In ihren Erzählungen zu lokalen Initiativen und ihrem Engagement wird deutlich, dass einerseits soziale Motive eine wichtige Rolle für sie spielen, dass das Thema des Klimaschutzes für sie jedoch nicht weniger relevant ist und in einen größeren gesellschaftlichen und globalen Kontext eingeordnet wird. »Also ich weiß, dass es halt jetzt nicht direkt was bewegt, aber es bewegt halt schon was so. Und nicht alle Politiker werden jetzt [.] anfangen, jetzt das Klima zu schützen, aber es lenkt Aufmerksamkeit auf das Thema, dringend benötigte Aufmerksamkeit. […] Ich denk nicht, dass es klappt, weil/ähm, natürlich versucht jeder, seinen Teil dazu beizutragen, aber es versucht halt nicht jeder. Wenn wirklich jeder einfach darauf achten würde, zum Beispiel plastikfrei einzukaufen, bisschen weniger Auto zu fahren, dann würde sich das, ähm, hochsummieren und des würde was RIchtiges bewegen, aber macht halt nicht jeder. Weil die meisten Leute sind halt nach dem Motto, ja, ich kann ja eh nichts bewegen.« Während eine Kollektivorientierung in der Sequenz aufscheint, ein sozialökologischorientiertes Wir (»nicht jeder«) individualisiert denkenden, profitorientierten TrittbrettfahrerInnen (»die meisten«) gegenübergestellt wird, fällt ihre Haltung durch einen gewissen Pessimismus auf, der jedoch stets von hoffnungsvollen Momenten begleitet ist. In (positiv) adoleszent narzisstischer und reflektierter Manier stellt sie auch in weiteren Sequenzen ihren politischen Einsatz als logische Konsequenz einer ökologischen Krise dar, das Scheitern als Folge von zu wenig Hoffnung, Glauben oder Idealismus in der Gesellschaft (»ich kann ja eh nichts bewegen«). Den Widerspruch des Sisyphos-Einsatzes für sozialökologische Themen bei gleichzeitigem pessimistischen »Realismus« löst sie letztlich nicht auf. Ihr Ziel jedoch, für das sie sich einsetzt, für das auch ihr Lebensstil, ihr gesamter Habitus in Stellung gebracht wird, ist ein überindividuelles. Neben ihrem Pessimismus und der Gemeinschaftsorientierung im Kontext des politischen Protests weist sie somit eine ganz deutlich altruistisch motivierte Perspektive auf, die das subjektive Dasein transzendiert. So thematisiert sie den Klimawandel als globales Phänomen, setzt sich mit diversen Formen sozialer Ungleichheiten auseinander, stellt sich gegen Sexismus, Rassismus, Homophobie und auch ökonomische Ausbeutung, ohne deren Ursachen einfach zu personalisieren. Auch in
3. Empirische Analysen
ihrer Interpretation der Klimabewegung reflektiert sie gesellschaftliche Bedingungen, argumentiert zwar nicht im soziologischen Sprech, jedoch in soziologischen Dimensionen. Ihre pessimistische Haltung resultiert nicht nur aus einer Trittbrettfahrer-These oder einer banalen, distinktiven Argumentation (wir schlauen Jugendlichen vs. die schlimmen Alten). Sie antizipiert den grundlegenden Widerspruch von Kapitalismus und ökologisch-verträglicher Produktion. Sie hat eine Vorstellung lokaler und globaler sozialer Ungleichheit, beobachtet, dass sie in einer »Privilegblase« lebt, »wo wir Geld haben, wo wir Bio kaufen und wo wir denken, dass wir die Welt retten, indem wir Bio kaufen […]«. Dass außerhalb dieser Blase schlechtere Verhältnisse und regressive Einstellungen herrschen, ist ihr bewusst. Ihre adoleszent omnipotente Position (Eichler & Fischer, 2020; Erdheim, 1988b), die Reflexion und Infragestellung gesellschaftlicher Bedingungen, die sich in ihrer politischen Arbeit und Einstellung herauskristallisiert, taucht in ihrem subjektiven Verhältnis zur Erwerbsarbeit wieder auf. Während dieses einerseits sehr stark von Identitätsbezügen geprägt ist, sind soziale (das Subjekt transzendierende) Bezüge ebenso präsent in ihren Zukunftsüberlegungen. Caritative und Identitätsbezüge wohnen insbesondere ihren Überlegungen zu potentiellen Ausbildungsberufen und Studienfächern inne. Darüber hinaus weist sie eine Reihe weiterer, vager Überlegungen zu potentiellen Tätigkeitsbereichen und ehrenamtlichen Engagements auf. Ins Auge fallen hierbei ihre caritativ-altruistischen Bezüge, die sprachlich und inhaltlich direkt an Erzählungen zur politischen Aktivität anknüpfen. »Ich habe jetzt zum Beispiel an Seenotrettung gedacht [I: Okay.], weil ich bin halt der Meinung, dass wir halt so in einem extrEmen Privileg leben und wir uns dessen nicht mehr wirklich bewusst sind, und, dass wir dieses Privileg irgendwie/ich find, wir haben ne gewisse Antwort-/Verantwortung, dass irgendwie das zu was zu machen und dann andern Leuten zu helfen, die nicht das Glück hatten, ähm mit blonden Haaren und blauen Augen […] in Deutschland aufzuwachsen so; die nicht das Privileg haben, sich Sorgen zu machen, ob sie die Schule schaffen, weil sie nicht zur Schule können, weil sie ein Mädchen sind so oder weil es keine Schule gibt in ihrem Dorf, weil die zerbombt wurde. […] ich denke, dass man zum Beispiel bei der Seenotrettung wirklich was (.) tUn kann, um Leuten zu helfen.« Ein für das Sample ganz typischer sozial-caritativer Zweck steht bei der Tätigkeit als Seenotretterin für Zara im Mittelpunkt: »was tUn [.], um Leuten zu helfen«. Der Kontext, in dem solche Überlegungen typischerweise bei Jugendlichen mit politischer Sozialisation stattfinden, ist jedoch politisch-altruistisch geladen. Der caritative Zweck ist eingebunden in die Reflexion von und das Vorgehen gegen globale, soziale Ungleichheiten. So verdeutlicht auch Zara in der Sequenz ihr Bewusstsein um diverse Ungleichheits- und Diskriminierungsformen: Rassismus (»mit blonden Haaren und blauen Augen«), Klassismus/soziale Diskriminierung (Verweise auf sog. firstworld-problems), Nationalismus (»Deutschland«) und Sexismus (»weil sie ein Mädchen sind«). Während hier und durchaus auch in anderen Sequenzen zur Klimabewegung aufklärerischer Charakter bzw. eine Kritik am mangelnden Bewusstsein aufscheint, zielt sie in der konkreten Tätigkeit als Seenotretterin viel stärker auf eine praktische, caritativ-altruistische Dimension.
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Im gesamten Sample stehen die politische Sozialisation, Bildung und Aktivität immer wieder in enger Verbindung zu subjektbezogenen, sozialen und insbesondere altruistischen Dimensionen des subjektiven Verhältnisses zur Erwerbsarbeit. Als strukturelle Grundlage der politischen Bildung und Orientierung lassen sich dabei erstens die Bewegungen und ihre etablierten Strukturen ausmachen; zweitens ermöglichen in vielen Fällen die Eltern den Prozess der politischen Bildung, erlauben bspw. die Teilnahme an Demonstrationen, die sich bei einigen Jugendlichen jedoch mitunter als schwierige Aushandlung entpuppt (Noten vs. FFF); drittens stellt häufig die Schule eine institutionelle Grundlage der altruistischen Bezüge dar. Die dortigen Strukturen ermöglichen und fördern bisweilen die sozial-ökologisch politische Aktivität der SchülerInnen. Die Reflexion gesellschaftlicher Bedingungen wird insgesamt also angesichts milieuspezifischer, schulischer und bewegungsspezifischer Bedingungen ermöglicht. Auffällig ist jedoch, dass es häufig darum geht, den sozial ungleich Behandelten etwas »zurückzugeben« oder das System zu reformieren – die Möglichkeit, Verhältnisse umzukrempeln, also die utopische Dimension des adoleszenten Narzissmus kollektiv nicht nur in Gang, sondern umzusetzen, wird seltener zum Thema (Bloch, 1973), kommt jedoch Karls politischem Interesse gleich. Seit frühester Jugend ist er in politischen und ehrenamtlichen Kontexten tätig, erzählt u.a. von Erfahrungen im Kontext sogenannter Bildungsstreiks. »Und des war so, dass ich […] hatte ja eh immer so ein bisschen Konflikte mit meinen Lehrern und war nicht so begeistert von der Schule und keine Ahnung. Und da war des dann so genau, für mich, […] dass es da so ne politische Erklärung gab und klar, paar Sachen hat man auch immer, habe ich auch immer mitbekommen wie G8 und keine Ahnung was und so. Und da habe ich mich in der Woche davor, mich damit beschäftigt.« Seine Abneigung gegenüber der Institution Schule konnte er nun aufgrund seiner Auseinandersetzung mit politischen Fragen des Antiautoritarismus aus dem »Politischen her« erklären. Das Politische dient ihm, der antiautoritäres Verhalten als biographische Konstante herausstellt, zur Stabilisierung der eigenen widerständigen Identität. Die Stabilisierung über die Rationalisierung ist als intensive Auseinandersetzung mit der eigenen Gewordenheit, mit der eigenen Subjektivität zu verstehen. Mit dem Interesse an Politik setzt also einerseits eine Selbstreflexion, aber auch eine Reflexion institutioneller und gesellschaftlicher Bedingungen ein. So hat sich Karl mit AutorInnen kritischer Theorie (im weitesten Sinne) auseinandergesetzt und wendet dieses erworbene Wissen an, um autoritäre Institutionen zu kritisieren. Die politische Bildung steht also nicht nur im Kontext seiner Identität (Warum mag ich die Schule nicht?), sondern auch darüber hinausgehender Fragen (Warum ist die Schule eigentlich so?). Die politische Sozialisation und Bildung übernimmt für ihn und auch andere interviewte GymnasiastInnen Funktionen des adoleszenten Moratoriums und ist Treibkraft ihrer adoleszenten Triangulierung (Eichler & Fischer, 2020). Der »Outcome« auf Ebene des subjektiven Verhältnisses zur Erwerbsarbeit gestaltet sich bei Karl jedoch graduell anders als bei Jugendlichen, die im Kontext der Klimabewegung politisch sozialisiert wurden. Auch er weist starke Identitätsbezüge auf die Erwerbsarbeit auf, auch er möchte »praktisch« und »vor Ort« Menschen helfen. Das politische Engagement ist bei ihm jedoch erwerbsspezifisch noch zentraler als bei den
3. Empirische Analysen
anderen GymnasiastInnen – »ich will auf jeden Fall irgendwie dieses Politische weiterhin machen.« Wie bereits dargestellt, trennt er seine Identitäts- und altruistischen Bezüge auf die Erwerbsarbeit von der notwendigen materiellen Reproduktion, die in seinem Verhältnis zur Erwerbsarbeit ebenso präsent, jedoch von sinnhaften Anteilen abgespalten ist. Die caritativen Bezüge, die eng an die politische Sozialisation gekoppelt sind, gestalten sich dahingegen ähnlich zu den Bezügen der Jugendlichen, die im Kontext der Klimabewegung politisch sozialisiert wurden. Die politische Sozialisation als Ankerpunkt der Adoleszenz weist in den Interviews einige strukturelle Merkmale auf, die sich mit der quantitativen Forschung zu sozialen Bewegungen decken. Erstens sind es eher Jugendliche aus höheren Bildungsschichten, die politisch und gemeinnützig interessiert sowie aktiv sind (Reinders, 2014, S. 48; Schneekloth & Albert, 2019; Simonson & Vogel, 2017). Zweitens lässt sich eine Geschlechterspezifik ausmachen, die sich zwar im Sample andeutet, jedoch aufgrund der geringen Fallzahlen hier kaum belegen lässt; nichtsdestotrotz: quantitative Befragungen bestätigen einen geschlechtsspezifischen Wandel politischer Sozialisation in der Jugend. Während politische (Jugend-)Bewegungen und Demonstrationen zumeist männlich geprägt sind (Daphi et al., 2015; Simonson & Vogel, 2017), sich bei jüngeren Großdemonstrationen das Geschlechterverhältnis angleicht (Haunss et al., 2017; van Aelst & Walgrave, 2001), nehmen bspw. an den Fridays for Future-Demonstrationen mehr Frauen als Männer teil (Sommer et al., 2019). Daraus lässt sich die Annahme ableiten, dass gegenwärtige generationenspezifische Formen politischer Sozialisation eher jungen Frauen aus gehobenen Milieus einen Ankerpunkt der Adoleszenz bereitstellen. Eine entgegengesetzte Annahme, die es vor dem Hintergrund der Thesen zur widersprüchlichen Adoleszenz gibt (Eichler & Fischer, 2020), bestätigt sich in den vorliegenden Fällen nicht: Dass Formen des politischen oder sozialen Engagements im Kontext ökonomischer Verwertbarkeit, als »must have« für den flexiblen Lebenslauf verhandelt werden, zeigt sich in keinem der Interviews. Neben den therapeutischen Erfahrungen und der politischen Sozialisation finden sich im Sample keine weiteren strukturell verbreiteten Ankerpunkte der Adoleszenz. Bei einem Schüler, der ebenfalls Identitätsbezüge aufweist, deutet sich zumindest ein Ankerpunkt im Sport an, der seinen stark unter Druck stehenden adoleszenten Möglichkeitsraum stützt. »Ähm meine Eltern haben erstmal geschimpft, aber dann als ich zum Teamsport gekommen bin, dort habe ich dann/lasse ich seit Jahren meine Wut raus (.) und des finden halt meine Eltern gut. [I: Also das ist für dich eine Art Ventil?] Genau. Das hat mich halt (.) sozusagen in die/in so ne Richtung gelenkt, so/[…]. Zum Teil kann ich meine Wut rauslassen, alles.« Selbst schildert er den Sport als Wendepunkt seiner von Aggressionen und Konflikten geprägten Kindheit sowie frühen Jugend. Während die sportliche Aktivität eine wichtige soziale Funktion für ihn übernimmt, in seinen Ausführungen zum Teamsport stets Gemeinschaftsaspekte im Vordergrund stehen (»Wir«, das »Team«, »alle«), fördert es – zumindest in Ansätzen – eine gewisse Form der Selbstreflexion. Der Schüler nimmt subjektiv wahr, dass der Sport ihn »in so ne Richtung gelenkt« hat, seine Subjektivität
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also verändert hat. Zudem steht er im Kontext eines gewandelten, verbesserten Verhältnisses zu den Eltern. Ob (aggressiver) Sport entwicklungspsychologische Funktionen übernimmt, ist empirisch wie theoretisch umstritten (Hofmann, 2008, S. 44-47). Insbesondere zum häufig in Stellung gebrachten empirischen Ergebnis, dass Sport geschlechterübergreifend zu einem gesteigerten Selbstwert unter Jugendlichen führe (Brettschneider, 2008) und somit durchaus stabilisierend für einen adoleszenten Narzissmus wirken könnte, finden sich empirisch eher bescheidene Ergebnisse (Heim & Brettschneider, 2002). Endrikat (2001, S. 210) hebt in diesem Kontext hervor, dass weniger der Sport als vielmehr dessen pädagogische Organisation und Umsetzung eine identitätsfördernde und selbstreflexive Wirkung haben. Eine weiterführende Analyse des Zusammenhangs von Sport, adoleszentem Möglichkeitsraum und dem subjektiven Verhältnis zur Erwerbsarbeit steht aus, kann im Rahmen der vorliegenden Studie jedoch nicht erfolgen.
4. Ein Fazit zur »Jugend von heute«
Das subjektive Verhältnis Jugendlicher zur Erwerbsarbeit steht im Mittelpunkt zahlreicher Generationendebatten, Thesen zur Adoleszenz und Erzählungen zur »Jugend von heute«. Wie wollen Jugendliche arbeiten? Spielt Erwerbsarbeit überhaupt (noch) eine Rolle in der Identitätsbildung Jugendlicher? Worauf legen Sie Wert und mit welchen Ansprüchen treten sie der Erwerbssphäre gegenüber? Die vorliegende Studie hat sich diesen Fragen vor dem Hintergrund gegenwärtiger Bedingungen der Adoleszenz angenähert. Sie hat Perspektiven und Bezugsdimensionen Jugendlicher auf die Erwerbsarbeit quantitativ und qualitativ analysiert sowie typische Formen ihrer widersprüchlichen Verwobenheit und Vielschichtigkeit rekonstruiert. Abschließend gilt es, erstens das Vorhaben und dessen Ergebnisse noch einmal zusammenzufassen; zweitens steht eine Reflexion des Forschungsprozesses und den daraus resultierenden Forschungsperspektiven aus; drittens wird noch einmal der Bogen zur eingangs aufgezogenen Problematik gegenwärtiger Generationendebatten geschlagen, denn letztlich stellt sich in jeder Studie zu »der Jugend« und »der Arbeit« die Frage, was nun das »jugendtypische« im subjektiven Verhältnis zur Erwerbsarbeit ist, und, ob es das überhaupt gibt.
Zusammenfassung und zentrale Ergebnisse Zur Annäherung an das gegenwärtige Verhältnis von Adoleszenz und Erwerbsarbeit wurde ein historischer, theoretisch gehaltvoller und zugleich empirisch tragfähiger Ausgangspunkt gewählt: Als theoriepolitisches Statement in der Debatte um eine vermeintliche Krise der Arbeitsgesellschaft konstatierten Martin Baethge und KollegInnen vom Göttinger SOFI mit ihrer normativen Subjektivierungsthese eine Dominanz sinnhaft-subjektbezogener Ansprüche an die Erwerbssphäre.1 In dezidierter Abgrenzung zu Theorien des Wertewandels fundierten sie darüber hinaus das subjektive Verhältnis Jugendlicher und junger Erwachsener zur Erwerbsarbeit adoleszenztheoretisch und 1
In der abschließenden Zusammenfassung wird auf abermalige Quellenverweise verzichtet.
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setzten es in Zusammenhang mit spezifischen Sozialisationsbedingungen. Die Annahme lautete, dass eine sich verallgemeinernde, vormals bürgerliche Form der Adoleszenz zu einem gesamtgesellschaftlichen Bedeutungsgewinn der sinnhaft-subjektbezogenen Perspektive auf Erwerbsarbeit führte. In der Rekonstruktion der These erwiesen sich Mario Erdheims Adoleszenztheorie und insbesondere sein positiv besetzter Narzissmusbegriff als passender Ansatz zur theoretischen Untermauerung sinnhaft-subjektbezogener Ansprüche. Was Erdheim nicht recht gelingt, eine ausformulierte Moratoriumstheorie, eine Beschreibung dessen, was nun eigentlich diesen Narzissmus beflügelt und in die Erwerbssphäre hineinträgt, lässt sich bedingt ex negativo aus seinen Schriften, theoretisch jedoch deutlich gesättigter aus anderen Adoleszenztheorien ziehen. Hierfür griff Baethge auf Erik Eriksons Adoleszenzmodell zurück, untermauerte damit die Bedeutung der Freiheit von familialer und ökonomischer Verantwortung für die Adoleszenz – sein Begriff des »psychosozialen Moratoriums« weist letztlich genau darauf hin. Mit Eriksons teils normativ überladener Perspektive auf Adoleszenz und Identität endet jedoch nicht die Geschichte der psychologisch fundierten, soziologisch anschlussfähigen Adoleszenztheorie. Ziel der vorliegenden Arbeit war es auch nicht, die Studien des Göttinger SOFI schlicht zu replizieren, sondern sich deren Gegenstand theoretisch aktualisiert und unter Berücksichtigung gegenwärtiger Sozialisationsbedingungen anzunähern. Als theoretische Aktualisierung dienten insbesondere solche Theorien, die eine stärkere Verknüpfung sozialer Strukturen und Bedingungen mit der adoleszenten Subjektivität zulassen. Die Bedeutung von Generativität und auch sozialer Ungleichheitsstrukturen für jugendliche Bezüge und Perspektiven auf Erwerbsarbeit wurde über Vera Kings Konzept des adoleszenten Möglichkeitsraums hervorgehoben. Lutz Eichlers psychoanalytisch und zugleich soziologisch fundiertes Triangulierungskonzept betont zudem die Rolle gesellschaftlicher Bedingungen und deren Antizipation für Jugendliche und deren subjektives Verhältnis zur Erwerbsarbeit. In der Beschreibung gegenwärtiger gesellschaftlicher Bedingungen kristallisierte sich heraus, dass im soziologischen Diskurs ein deutlicher Bruch mit der idealen Vorstellung bürgerlicher Adoleszenz diskutiert und bisweilen der Moratoriumscharakter jugendlicher Sozialisation völlig infrage gestellt wird. Als Grundlage dieser Annahmen wurde erstens der Wandel der Erwerbssphäre mit dem der Jugend in Verbindung gebracht. Dabei ging es nicht nur um die Argumentationsfigur der Verkehrung einstiger Selbstverwirklichungsansprüche von ArbeiterInnen in einen Zwang zur Selbstverwirklichung und das Aufkommen zugehöriger Aktivierungspolitiken, sondern auch um die zunehmende Prekarität von Beschäftigungs- und Erwerbsbedingungen, besonders in der Berufseinstiegsphase und in Branchen und Arbeitsfeldern antizipierter Selbstverwirklichung. Zweitens wurde die Ökonomisierung der Adoleszenz diskutiert. Die zugehörigen Debatten changieren zwischen dem ganz konkreten, objektiven Eindringen der Ökonomie und ihrer Logiken in jugendliche Lebenswelten und der daran gekoppelten Beschreibung subjektiver mindsets – quasi einem zur Schule gehenden Arbeitskraftunternehmer. Während somit einerseits die Voraussetzungen des psychosozialen Moratoriums beschnitten, Möglichkeitsräume verengt und eine gelingende Triangulierung unwahrscheinlicher werden, erweisen sich diese Prozesse bei genauerem Blick als viel wider-
4. Ein Fazit zur »Jugend von heute«
sprüchlicher als im Diskurs gezeichnet. Der ökonomisierten Adoleszenz und der antizipierten Prekarität stehen im Durchschnitt längere Bildungszeiten und höhere Schulabschlüsse, demokratisierte Erziehungsstile und eine mindestens vordergründige Anerkennung des adoleszenten Narzissmus in der Arbeitswelt gegenüber. Dass sich diese Widersprüche der Adoleszenz wiederum im subjektiven Verhältnis Jugendlicher zur Erwerbsarbeit niederschlagen, stellte die These der vorliegenden Arbeit dar, wobei sich der Outcome dieser vielfältigen Prozesse nicht auf einen deduktiv abgeleiteten Nenner bringen lässt, sondern vielmehr offen ist und dementsprechende Methoden zur Analyse benötigt. Der tiefgreifenden qualitativen Analyse des subjektiven Verhältnisses Jugendlicher zur Erwerbsarbeit stand eine quantitative Annäherung an den Gegenstand, dessen historischen Wandel und dessen Einflussfaktoren voran. Hierbei kristallisierten sich drei zentrale Erkenntnisse heraus, die sich relativ nahtlos in die theoretischen Annahmen und Gegenwartsanalysen einfügen. In historischer Perspektive zeigt sich erstens ein Bedeutungsverlust der sinnhaft-subjektbezogenen Perspektive auf Erwerbsarbeit unter Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Passend zu den Annahmen eines fortschreitend eingeschränkten Moratoriums stellen zweitens Sicherheit bzw. das Einkommen – zwei Bezugsdimensionen der materiell-reproduktionsbezogenen Perspektive auf Erwerbsarbeit – die im Durchschnitt wichtigsten beruflichen Aspekte für Jugendliche dar. Drittens kristallisiert sich eine Erkenntnis heraus, die eigentlich selbstredend ist, sowohl vor dem theoretischen Hintergrund als auch dem Forschungsstand, die jedoch in Jugenddebatten und Thesen zur »Jugend von heute« gerne übergangen wird: Die Ausprägung von Bezugsdimensionen und Perspektiven Jugendlicher ist strukturell abhängig von Schulzugehörigkeit, sozialer Herkunft, Geschlecht und weiteren adoleszenzrelevanten Faktoren. Trotz Repräsentativität, historischer Dimension und inhaltlicher Reflexion stoßen quantitative Methoden an ihre Grenzen, wenn es um das subjektive Verhältnis Jugendlicher zur Erwerbsarbeit geht. Die qualitative Analyse legte dementsprechend ihren Fokus einerseits auf die Rekonstruktion von Bezugsdimensionen und Perspektiven auf Erwerbsarbeit; andererseits ging es um eben jene Frage, ob und wie sich denn nun die Widersprüche der Adoleszenz im subjektiven Verhältnis der Jugendlichen zur Erwerbsarbeit niederschlagen. Bei den rekonstruierten Bezugsdimensionen und Perspektiven zeigte sich sowohl eine spannende Nähe zu quantitativen Erhebungsinstrumenten als auch eine Passförmigkeit zu der hier vorgeschlagenen Integration der Marxschen Entfremdungstheorie als auch Webers Sinndimensionen sozialen Handelns in die Konzeption und Analyse des subjektiven Verhältnisses zur Erwerbsarbeit. Grob lassen sich drei Perspektiven unterscheiden (sinnhaft-subjektbezogen; materiell-reproduktionsbezogen; sozial), die sich in vielfältige Bezugsdimensionen untergliedern. Eine spannende Erkenntnis – gerade in Hinsicht auf die vorherigen quantitativen Analysen – ergab sich erstens daraus, dass weniger die Grobperspektiven als vielmehr die darunter liegenden Bezugsdimensionen in Zusammenhang mit der besuchten Schulform und dem Geschlecht stehen. Dabei zeigte sich zweitens, dass diese Bezugsdimensionen unterschiedlich – eben auch geschlechts- und schulspezifisch – besetzt werden. Arbeitsinhaltliche Bezüge treten bspw. unter MittelschülerInnen häufiger im Kontext schulischer Berufsorientierung in
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Erscheinung, sind hingegen bei GymnasiastInnen völlig vom schulischen Geschehen abgekoppelt; Schülerinnen thematisieren im Sample deutlich stärker das psychische Wohlbefinden, Schüler das physische Wohlbefinden als relevanten Arbeitskraftbezug. Noch wichtiger ist die Erkenntnis, dass diese Perspektiven keine stimmigen Arbeitsorientierungen oder Typen darstellen – im vorliegenden Sample erweisen sich diese und ihre Bezugsdimensionen vielmehr als wechselseitig verschränkt, vielschichtig und bisweilen widersprüchlich ins subjektive Verhältnis der Jugendlichen zur Erwerbsarbeit integriert. Vielschichtigkeit und Widersprüchlichkeit stehen in engem Zusammenhang zu den zuvor herausgearbeiteten Bedingungen jugendlicher Sozialisation. Erstens erwies sich die Antizipation prekärer Bedingungen der Erwerbssphäre und der Realisierung des eigenen subjektiven Verhältnisses darin als relevant. Über ihre Eltern sind insbesondere GymnasiastInnen mit der objektiven und subjektiven Prekarität subjektivierter Beschäftigungsbedingungen und daraus resultierender multidimensionaler Unsicherheiten (familial, materiell, erwerbsspezifisch) vertraut. Das Wissen um die gescheiterte normative Subjektivierung sorgt für die Integration, Stärkung oder sogar das Übertrumpfen der materiell-reproduktionsbezogenen Perspektive gegenüber einer durchaus ausgeprägten sinnhaft-subjektbezogenen Perspektive: Sicherheit statt Selbstverwirklichung. Unter MittelschülerInnen findet sich dieser Effekt nicht oder zumindest nicht in dieser Variante, denn Identitätsbezüge sind hier selten und ihre Eltern arbeiten kaum in den klassischen Erwerbsfeldern subjektivierter Erwerbsarbeit. Vereinzelte MittelschülerInnen antizipieren dennoch prekäre Realisierungschancen ihrer eigenen Aspirationen sowie prekäre Erwerbs- und Lebensbedingungen. Sie erhöhen deshalb jedoch nicht das Streben nach Sicherheit, sondern distanzieren sich innerlich von der Erwerbssphäre. Zweitens spiegelt sich die Ökonomisierung der Adoleszenz im subjektiven Verhältnis der Jugendlichen zur Erwerbsarbeit wider. Objektiv und subjektiv sind ihre Erscheinungsformen unter den MittelschülerInnen deutlich präsenter als unter den GymnasiastInnen. Schule wird hier meist als Vorbereitung oder gar Simulation der Arbeitswelt verstanden und in Anbetracht der Präsenz berufsorientierender Maßnahmen ist sie das auch. Aktivierungslogiken schimmern vielfach in Selbstbeschreibungen und Abwertungslogiken auf, die im Diskurs ausgemalte selbstökonomisierte Subjektivität trägt jedoch Seltenheitscharakter. Eine spannende Erkenntnis der vorliegenden Studie, die durchaus im Gegensatz zur kritischen Berufsorientierungsforschung und zu Teilen des Forschungsstands steht, ist die Widersprüchlichkeit des Effekts objektiver Ökonomisierungstendenzen, ganz konkret: der schulischen Berufsorientierung. Denn während einerseits »Cooling Out«-Effekte initiiert werden und omnipotente Erwerbsphantasien sowie Identitätsbezüge Mangelware unter den MittelschülerInnen sind, stellt die berufliche Orientierung keineswegs einfach nur eine Ursache materiell-reproduktionsbezogener Perspektiven dar. Im Gegenteil: Immer wieder steht die schulische berufliche Orientierung und Praxisausrichtung in engem Zusammenhang mit arbeitsinhaltlichen und Subjektbezügen und somit mit Dimensionen der sinnhaft-subjektbezogenen Perspektive auf Erwerbsarbeit. Die Frage nach dem subjektiven Sinn und sinnvoller Arbeit ist also trotz/wegen ökonomisierter Bedingungen unter MittelschülerInnen genauso präsent wie unter GymnasiastInnen.
4. Ein Fazit zur »Jugend von heute«
Die Darstellung eines dritten Widerspruchs (distinktive Selbstverwirklichung) diente weniger als Beleg seiner Relevanz – deren Annahme war einst Ausgangspunkt der vorliegenden Studie – als vielmehr der Hinführung zu sogenannten Ankerpunkten der Adoleszenz. Von therapeutischen Erfahrungen über die politische Sozialisation bis hin zur sportlichen Aktivität zeigen sich im Sample Sozialisationsprozesse, die der Selbstreflexion und der Reflexion gesellschaftlicher Bedingungen dienen. Sie bieten den Möglichkeitsraum, der in den Widersprüchen der Adoleszenz zu verschwinden droht, sie stellen die Alternative zum bröckelnden (Bildungs)Moratorium dar. Sinnhaftsubjektbezogene Ansprüche an die Erwerbsarbeit, ganz im Sinne Baethges als eine emanzipatorische Kopplung von Identitäts-, Subjekt- und Altruismusbezügen, finden hier eine alternative Grundlage.
Reflexionen Die vorliegende Arbeit befindet sich in der Schnittstelle diverser BindestrichSoziologien und außersoziologischer Fachbereiche. Die Annäherung über einen arbeitssoziologischen Diskurs (Baethge, 1991; Kleemann, 2012; Nies, 2019), die Analyse jugendlicher Lebenswelten und Orientierungsmuster (M. Albert, Hurrelmann & Quenzel, 2019; Calmbach et al., 2020; Ecarius et al., 2017; Heitmeyer et al., 2011a; Schröder, 2018), die Integration kultursoziologischer und individualisierungstheoretischer Debatten (Eichler, 2013; Heitmeyer et al., 2011b; Honneth, 2010), die Nähe zu den Wirtschaftswissenschaften, der Berufsorientierungsforschung, aber auch ganz einfach wirtschaftlichen Interessen (Brüggemann & Rahn, 2020; Dahlmanns, 2014; Kölzer, 2014; Parment, 2013), die theoretische Verortung in der analytischen Sozial- und Entwicklungspsychologie (Eichler, 2021; Erdheim, 1988b; Erikson, 1973a; King, 2013) sowie die methodische Herangehensweise über ein Mixed-Methods-Design (Schreier & Odağ, 2010) bieten spannende Perspektiven auf das subjektive Verhältnis Jugendlicher zur Erwerbsarbeit; diese Vielfältigkeit und die daraus resultierenden potentiellen Anknüpfungsmöglichkeiten verkomplizieren jedoch den Reflexionsprozess des Vorhabens. Im Folgenden stehen einzig Aspekte zur Diskussion, die mit den empirischen Ausgangspunkten, ursprünglichen Annahmen zur widersprüchlichen Adoleszenz und der theoretischen Intention der Studie zusammenhängen (Eichler & Fischer, 2020; Fischer & Eichler, 2015).
Empirie Im Mittelpunkt der Studie standen die Widersprüche gegenwärtiger Adoleszenz und deren Auswirkungen auf das subjektive Verhältnis Jugendlicher zur Erwerbsarbeit. Während die fallorientierte Darstellungsform im Sinne des Gegenstands erfolgte, blieben dabei nicht nur diverse aus der Literatur bekannte Widersprüche ausgeblendet (Ecarius et al., 2017; Eichler, 2019, 2021; Eichler & Fischer, 2020; Helsper, 2015), sondern auch theoretisch relevante, quantitativ signifikante und qualitativ erkenntnisreiche Strukturkategorien unterbelichtet (Fischer & Eichler, 2015; King, 2013; vgl. Kapitel 3.2).
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Eine entscheidende, immer wieder hervorgehobene und auf etlichen Ebenen auch relevante Differenzierung erfolgte über die besuchte Schulform (Mittelschule – Gymnasium). Einerseits strukturiert sich darüber der soziale Raum und somit auch ein wichtiger Aspekt des adoleszenten Möglichkeitsraums des vorliegenden Samples – die Eltern der MittelschülerInnen verfügen über geringere Bildungsabschlüsse, sie arbeiten in statusniedrigeren Tätigkeiten, verfügen über weniger Sozial-, Kultur- und ökonomisches Kapital als die Eltern der GymnasiastInnen (passend zu: M. Albert, Hurrelmann & Quenzel, 2019; Calmbach et al., 2020; King, 2013; Kölzer, 2014; Oechsle et al., 2009). Andererseits wirkte sich die besuchte Schulform viel direkter über ihre eigene Strukturierung bzw. die Zentralität der Erwerbssphäre in der schulischen Praxis auf das subjektive Verhältnis der Jugendlichen zur Erwerbsarbeit aus (Brüggemann & Rahn, 2020; Heitmeyer et al., 2011a; Walther, 2014). Trotz der nicht immer erwarteten Ergebnisse schulischer Berufsorientierung, bspw. ihrer rekonstruierten Nähe zu arbeitsinhaltlichen und Subjektbezügen, hat sich die Schule als einflussreicher Faktor der Adoleszenz auf das subjektive Verhältnis zur Erwerbsarbeit klar bestätigt. Dabei zeigt sich auch, dass sich trotz des in der Literatur diskutierten Leistungsdrucks und der (Selbst-)Ökonomisierungstendenzen das Bildungsmoratorium im Sinne Zinneckers (2003) nicht einfach in Luft aufgelöst hat, das Gymnasium also keineswegs zu einem Hort von ArbeitskraftunternehmerInnen geworden ist (Heitmeyer et al., 2011a; Helsper, 2015; Mansel, 2011). Zwar finden sich auch im Sample derartige Tendenzen unter GymnasiastInnen – ihr psychosoziales Umfeld erlaubt es ihnen jedoch zumeist, solche Dynamiken selbst zu reflektieren und die ursprünglich angenommenen Folgen für das subjektive Verhältnis zur Erwerbsarbeit abzufedern. Zwei weitere, ursprünglich als relevant vermutete und in den quantitativen Analysen auch »signifikante« Variablen der Adoleszenz traten in der Darstellungslogik deutlich in den Hintergrund – allerdings aus unterschiedlichen Gründen. Der Migrationshintergrund wurde in der Theoriekonzeption und auch den diskutierten Bedingungen gegenwärtiger Adoleszenz weitgehend ausgeblendet, in den quantitativen Analysen zwar berücksichtigt, jedoch eher nebensächlich behandelt. Was in einem Großteil der quantitativen Studien zum subjektiven Verhältnis zur Erwerbsarbeit bei der Besprechung des Alters als Einflussfaktor auffällt (vgl. Kapitel 2.3.1), geschah in der vorliegenden Studie also mit dem Migrationshintergrund Jugendlicher: Er findet sich schon wieder, eine tiefgreifende Analyse musste aber ausbleiben. Das hatte einerseits forschungspragmatische Gründe: Die Komplexität unterschiedlicher Migrationsgeschichten in ihrer adoleszenten Dynamik zu reflektieren, stellt eigentlich ein eigenes Projekt dar – theoretisch wie empirisch (King & Koller, 2009; Schwarz, 2014). Allein im Sample finden sich bei mehr als der Hälfte aller interviewten Jugendlichen Migrationsgeschichten, die sechs Herkunftsländer aus vier Kontinenten umfassen, dabei völlig unterschiedliche Migrationsursachen sowie »Generations«-Zugehörigkeiten aufweisen. Solche Unterschiede, die sich ja nicht nur im Sample, sondern unter allen Jugendlichen finden, könnten mitunter eine Ursache für die zwar vorhandene, aber geringe Relevanz und teilweise auch Inkonsistenz des quantitativen Zusammenhangs von Migrationshintergrund und subjektivem Verhältnis Jugendlicher zur Erwerbsarbeit darstellen (vgl. Kapitel 3.2.1 & 3.2.2).
4. Ein Fazit zur »Jugend von heute«
Zu den forschungspragmatischen Gründen gesellt sich letztlich also ein empirischer, der sich in den qualitativen Analysen spiegelt. Auch hier findet sich kein strukturell nachvollziehbarer bzw. rekonstruierter Zusammenhang von Migrationsgeschichte oder -erfahrung mit Bezügen und Perspektiven auf die Erwerbsarbeit. Den Migrationshintergrund selbst verhandeln die SchülerInnen meist im Kontext kollektiver Identität – für einige dient die Herkunft zur eigenen und wechselseitigen Identifikation, für andere ist die Abgrenzung von der eigenen Herkunft und die Anpassung an eine deutsch-nationale Identität wichtig. Die in der Literatur beschriebene Aushandlung sinnhaft-subjektbezogener Aspirationen mit der materiell geprägten Herkunftsfamilie findet sich im Sample nicht (Oechsle, 2009a). Möglicherweise handelt es sich hierbei um eine Folge der nur auf Deutsch zur Verfügung gestellten Informationen und Einverständniserklärungen zu den Interviews. Zusätzlich zur sozialen Selbstselektion des Samples könnte also eine migrationsspezifische Selektion stattgefunden haben. Neben dem Migrationshintergrund ist das Geschlecht bzw. die geschlechtsspezifische Sozialisation als Einflussfaktor auf das subjektive Verhältnis Jugendlicher zur Erwerbsarbeit etwas untergegangen. Die »Idee der Adoleszenz« (Eichler & Fischer, 2020) entspricht empirisch dem Lebensentwurf bürgerlicher junger Männer. In der vorliegenden Studie wurde daher die »weibliche Adoleszenz« als eigenständiger »Widerspruch der Adoleszenz« herausgearbeitet (vgl. Kapitel 2.2.4). Auch der Blick in den Forschungsstand verweist darauf, dass es Unterschiede im subjektiven Verhältnis zur Erwerbsarbeit zwischen männlichen und weiblichen Jugendlichen gibt, die insbesondere über familial und gesellschaftlich transportierte Rollenbilder erzeugt werden, aber auch auf der nach wie vor existenten Ungleichverteilung von Reproduktionsarbeit beruhen (Boll et al., 2015; Buchmann & Kriesi, 2012; Calmbach et al., 2020; Karsch, 2014; Leven et al., 2019; Maschetzke, 2009; Oechsle, 2009a; Pollmann-Schult, 2009; Siembab & Wicht, 2020). Trotz widersprüchlicher Empirie wurde zusätzlich angenommen, dass die »weibliche Adoleszenz« als Sozialisationsphänomen genauso wie die restlichen Widersprüche der Adoleszenz sozialstrukturell zu differenzieren seien (Conrads, 2020; Koppetsch & Speck, 2015). Tatsächlich zeigen sich auch im Sample bekannte, problematische, aber auch neue, hoffnungsvoll stimmende geschlechtsspezifische Zusammenhänge mit dem subjektiven Verhältnis zur Erwerbsarbeit. Die jugendlichen Lebenswelten des Samples passen jedoch nicht immer zu den in der Literatur thematisierten geschlechtsspezifischen Erfahrungen (Boll et al., 2015; King, 2013), gerade wenn es um die innerfamiliale Reproduktionsarbeit geht. Das selbständige Erkennen und Angehen häuslicher Arbeit, aber auch deren Einforderung seitens der Eltern ist geschlechtsübergreifend Bestandteil vieler jugendlicher Alltagserzählungen; die Versorgung jüngerer Geschwister bleibt auf Einzelfälle beschränkt. Während aktuelle innerfamiliale Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern im Sample nicht auftauchen oder thematisiert werden, stellt deren Antizipation einen ungleich schwerwiegenderen Faktor für das subjektive Verhältnis zur Erwerbsarbeit dar. Abermals erweist sich nicht der gegenwärtige Möglichkeitsraum, sondern der antizipierte individuelle, familiale und gesellschaftliche Zustand als relevant für die gegenwärtige Subjektivität. Die interviewten Schülerinnen denken – im Gegensatz zu den männlichen Interviewpartnern – zukünftige Partnerschaften, Familienkonstellationen und Aufgabenver-
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teilungen mit. Sie besitzen insbesondere ein Problembewusstsein für potentielle Abhängigkeiten, entwickeln dementsprechend materielle Bezüge auf die Erwerbsarbeit, zielen darauf ab, »unabhängig zu werden« (Ute). Dieses schulübergreifende Bewusstsein um geschlechtsspezifische Unsicherheiten und Abhängigkeiten trifft jedoch, gerade unter den Mittelschülerinnen, auf geschlechtsspezifische Rollenbilder und Identitätsentwürfe sowie daran geknüpfte Anspruchsmuster an die Erwerbsarbeit. »Männliche Berufe« – »Dass ein Mädchen das arbeitet«, kommt einigen Mittelschülerinnen »komisch vor«. Dieses Anschmiegen an Geschlechtsidentitäten droht auf lange Sicht, Prekaritäten zu reproduzieren. Auf subjektiver Ebene zeigt sich jedoch, dass die Bezugsdimensionen weiblicher Jugendlicher, auch in der Mittelschule, breiter gefächert sind und ebenso breiter von ihren Eltern gefördert werden. Sowohl soziale Bezüge, die Bedeutung kommunikativer Aspekte in der Erwerbsarbeit, als auch die elterliche Erwartung, glücklich zu sein, eigenen Interessen nachzugehen, also Subjektbezüge zu realisieren, sind besonders unter Schülerinnen verbreitet. Während Erstgenanntes mit dem Forschungsstand übereinstimmt (Brinck et al., 2020; Fischer & Eichler, 2015), steht Zweigenanntes – die Geschlechtsspezifik der elterlichen Erwartungen – im Widerspruch dazu (Calmbach & Schleer, 2020). Die Präsenz und auch die Förderung von Bezugsdimensionen abseits der materiellreproduktionsbezogenen Perspektive finden gerade unter weiblichen Jugendlichen einen weiteren, jedoch den Mittelschülerinnen sozialstrukturell gegenüberliegenden Ankerpunkt. Aktuelle sozialökologische Bewegungen, die weltweit in und aufgrund ihrer adoleszenten Erscheinung für mediale und gesellschaftliche Furore gesorgt haben (Ruser, 2020; Sommer et al., 2019), sind in vielen Gymnasiastinnen-Biographien ein wichtiger Bestandteil der adoleszenten Sozialisation. Die Reflexion und Infragestellung gesellschaftlicher Bedingungen, die in ihrem politischen Engagement stattfindet, die damit einhergehende adoleszent omnipotente Position (Eichler & Fischer, 2020; Erdheim, 1988b), taucht in ihrem subjektiven Verhältnis zur Erwerbsarbeit wieder auf. Die reflexiven Phasen, die Baethge (1994b) in Anbetracht der einst heimisch geprägten weiblichen Adoleszenz dem schulischen Raum zugesprochen hatte, fördern hier im politischen Kontext Identitätsbezüge und insbesondere sozial-altruistische Bezüge auf die Erwerbsarbeit. Aber: dieser Gegenpart zur weiblichen Adoleszenz und weiteren Widersprüchen beschränkt sich letztlich auf den oberen Part des sozialen Raums und er begrenzt seine Wirkung auf die Gegenwart – die Antizipation potentieller geschlechtsspezifischer Benachteiligungen und Abhängigkeiten bleibt bestehen.
Theorie Diese Differenzierung gegenwärtiger Bedingungen jugendlicher Sozialisation und antizipierter gesellschaftlicher Zustände offenbart sich im Zuge der Analysen immer wieder als ertragreich, wenn es um die Bestimmung des Verhältnisses von Adoleszenz und Erwerbsarbeit geht. Die Relevanz von Gegenwart und Zukunft für die Adoleszenz gilt es deshalb adoleszenztheoretisch zu reflektieren und einzuordnen. Ziel ist es dabei nicht, die »eigene« Position zu profilieren (Eichler & Fischer, 2020; Fischer, 2021), sondern vielmehr vor dem Hintergrund »klassischer« Theoriepositionen eine integrative Per-
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spektive auf die Adoleszenz zur Analyse des subjektiven Verhältnisses Jugendlicher zur Erwerbsarbeit zu entwickeln. Die vorliegende Arbeit fußt ganz zentral auf vier TheoretikerInnen: Erik Erikson (1973a), Mario Erdheim (1988b), Vera King (2013) und Lutz Eichler (2021). Gemein ist ihnen eine entwicklungspsychologische und zumeist psychoanalytische Konzeption der Adoleszenz sowie die Verknüpfung gesellschaftlicher, institutioneller und familialer Bedingungen mit jugendlicher Subjektivität. Gar nicht fernab, jedoch in ent-psychologisierter Variante, steht die Konzeption der Jugend als Bildungsmoratorium (Zinnecker, 2003), das in vielfacher Weise das psychosoziale Moratorium und den adoleszenten Möglichkeitsraum deskriptiv und strukturell besser fasst, als es die entwicklungspsychologischen »Klassiker« vermochten. Letztlich geht es im Kontext des Bildungsmoratoriums jedoch kaum um die Frage, warum aus dem Moratorium eigentlich sinnhaftsubjektbezogene Ansprüche entspringen. In vielen dieser Theorien spielen Gegenwart und Zukunft eine prägnante Rolle für die Adoleszenz. Zeitliche Dimensionen tauchen besonders dann auf, wenn es um den Übergang von Jugend in den Erwachsenenstatus geht. Zinneckers Differenzierung von Bildungs- und Übergangsmoratorium sowie daran anschließende Überlegungen von Heinz Reinders (2001, 2016) zur Integration von Moratoriums- und Transitionstheorien2 unterscheiden insbesondere den »Zweck« der Adoleszenz. Deren Differenzierung von gegenwartsorientierter vs. zukunftsorientierter Sozialisation trifft sich zwar in gewissem Sinne mit Überlegungen zur Ökonomisierung der Adoleszenz (Reinders, 2016) und ebenfalls mit Überlegungen zur Generativität und Ablösung (King, 2013); sie trifft jedoch nicht so recht die zeitlichen Dimensionen, die sich in der vorliegenden Studie als relevant herausgestellt haben. Eine zweite zeitliche Komponente all dieser Theorien kommt dem schon näher: ob nun psychoanalytisch, entwicklungspsychologisch oder soziologisch – alle Theorien markieren oder diskutieren ein Ende der Adoleszenz, mal fest gekoppelt an Statuspassagen wie den Eintritt in die Erwerbssphäre (Erdheim, 1982, S. 307; Erikson, 1973a; Zinnecker, 1991), mal abstrakter als Übergang in die Erwachsenengesellschaft, als Ablösung der vorangegangenen Generation (King, 2013) oder zumindest deren Antizipation (Eichler & Fischer, 2020). Letztgenannte hat sich in der vorliegenden Studie als besonders relevant erwiesen. Während in vielen theoretisch fundierten Analysen des subjektiven Verhältnisses zur Erwerbsarbeit besonders das adoleszente Moratorium im Mittelpunkt steht (nicht zuletzt: Baethge, 1994b), wäre der adoleszenztheoretische Vorschlag, zusätzlich zu gegenwärtigen Bedingungen jugendlicher Sozialisation auch die antizipierten/antizipierbaren Bedingungen der (Arbeits-)Gesellschaft stärker in der theoretischen Konzeption der Adoleszenz zu berücksichtigen. In den hier verhandelten Widersprüchen der Adoleszenz kommt eben jene Differenz von gegenwärtigen Sozialisationsbedingungen und Zukunftsvorstellungen klar zu tragen (vgl. Kapitel 2.2.4 & 3.3.5). Gerade die Integration der »adoleszenten Triangulierung« (Eichler, 2021; Eichler & Fischer, 2020) in das theoretische Gerüst zur
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Transitionstheorien legen den Fokus weniger auf die Beschaffenheit jugendlicher Lebenswelten, sondern auf Übergange (Kindheit, Jugend, Erwachsensein), deren familiale, institutionelle und gesellschaftliche Vorbereitung sowie deren Gelingen, Scheitern und deren Folgen.
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Analyse des Verhältnisses von Adoleszenz und Erwerbsarbeit stützte überhaupt die Berücksichtigung der über die Gegenwart hinausreichenden Bedingungen adoleszenter Sozialisation. Im ersten breit dargelegten Widerspruch (»Die Antizipation prekärer Realisierungsmöglichkeiten des subjektiven Verhältnisses zur Erwerbsarbeit«) kommt eben jene Antizipation gesellschaftlicher bzw. arbeitsweltlicher Bedingungen zu tragen. Aufgrund des Wissens um multidimensionale Unsicherheiten subjektivierter und kreativer Erwerbsarbeit antizipieren die Jugendlichen ein Scheitern ihrer ausgeprägten sinnhaftsubjektbezogenen Perspektive in der Arbeitswelt, stellen ihr materiell-reproduktionsbezogene Ansprüche zur Seite oder koppeln den Subjektbezug weitgehend von der Erwerbssphäre ab. Dass diese Antizipation eng mit sozialisatorischen Bedingungen der Gegenwart verknüpft ist, kommt erstens darin zum Ausdruck, dass antizipierte Arbeitswelten und Realisierungsmöglichkeiten des Subjektbezugs stets über familiäre oder politische Sozialisation vermittelt werden. Zweitens hängen Antizipationslogiken, also die Differenz des Effekts wie der subjektive Umgang mit der ähnlich antizipierten Unsicherheit verläuft, mit dem gegenwärtigen psychosozialen Möglichkeitsraum zusammen. Im zweiten ausgearbeiteten Widerspruch (»Zwischen Selbstökonomisierung und Eigeninteresse. Zur Ökonomisierung der Adoleszenz«) erweist sich nicht die Antizipation, sondern die Gegenwart – der adoleszente Möglichkeitsraum – als theoretisch relevante Dimension. Es geht um die Frage, inwiefern das jugendliche Hier-und-Jetzt frei von ökonomischer Verantwortung und Verwertungslogiken ist (Erikson, 1973a; Zinnecker, 1991), ob familiale, schulische und gesellschaftliche Bedingungen ein »Fundament an sicheren Beziehungen« bereitstellen (Eichler & Fischer, 2020, 420), vor deren Hintergrund sich ein adoleszenter Narzissmus entfaltet (Erdheim, 1988b). Dass die theoretische Verknüpfung von Adoleszenz und jugendlicher Subjektivität zumeist im Sinne des zweiten Widerspruchs über das Moratorium erfolgt, während zukunftsorientierte Adoleszenzkonzepte kaum Berücksichtigung finden (Reinders & Wild, 2003), ist aus theoriehistorischer Perspektive nachvollziehbar. Baethge, Zinnecker und ihre zeitgenössischen KollegInnen fanden eine Situation vor, die vor dem Hintergrund einer sich wandelnden Arbeitssphäre antizipatorisch nicht nur ein Gelingen sinnhaft-subjektbezogener Ansprüche rechtfertigte (Kleemann et al., 2003), sondern auch das Übertrumpfen und eine Ablösung von den Eltern in Aussicht stellte (Bourdieu, 1997; King, 2013). Negative Antizipationen, die der Wirkung des Moratoriums entgegenstünden, dürften hier geringere Bedeutung fürs subjektive Verhältnis Jugendlicher zur Erwerbsarbeit gehabt haben. Offenkundig ist, dass diese Interpretation idealtypisch gedacht war und sozialstrukturelle Differenzen eher verwischte. Entsprechend bedurften sie weiterführender theoretischer Reflexion und insbesondere empirischer Überprüfung. In der vorliegenden Arbeit deutet sich jedoch nicht nur die theoretische, sondern auch die empirische Relevanz der Antizipation mehrfach an, nicht nur im oben dargestellten Widerspruch der Adoleszenz, sondern auch in einzelnen Bezugsdimensionen Jugendlicher auf die Erwerbsarbeit und deren strukturellen Logiken (vgl. Kapitel 3.3.4). Arbeitsmarktbezüge und auch die Thematisierung von Konkurrenz finden sich immer wieder im Kontext antizipierter Bedingungen der Arbeitswelt und damit verbundenen
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Schwierigkeiten. Auch die spezifisch weiblichen Antizipationen von potentieller ökonomischer Abhängigkeit von Familie und PartnerIn stehen in engem Zusammenhang mit der Ausbildung einer materiell-reproduktionsbezogenen Perspektive auf Erwerbsarbeit. Zukunftsbilder, die eng verbandelt sind mit der subjektiven Verarbeitung der Gegenwart und dem dazu vorhandenen Möglichkeitsraum, wirken sich also vielfältig auf das subjektive Verhältnis der Jugendlichen zur Erwerbsarbeit aus. Der Fokus künftiger Forschung sollte daher deutlich stärker auf derartige Bilder und deren Verknüpfung mit jugendlicher Subjektivität liegen als es in der vorliegenden Studie der Fall war. Analysen zu Zukunftsvorstellungen Jugendlicher und deren Zusammenhang mit Perspektiven oder Bezugsdimensionen auf Erwerbsarbeit sind rar (Mundt, 2020; Wüst, 2016), was angesichts der Vielfalt an zukunftsgerichteten Jugenddiagnosen und den darin gezeichneten Bildern erstaunlich ist (Fischer, 2021). Zur Analyse des subjektiven Verhältnisses Jugendlicher zur Erwerbsarbeit gilt es, konkrete Zukunftsvorstellungen, deren Zustandekommen und deren Einzug in jugendliche Lebenswelten zu analysieren, um die Triade von Subjekt, Familie und Gesellschaft/Kultur nicht nur in ihrer gegenwärtigen, sondern ihrer antizipierten Konstellation zu erfassen. Zur Aufrechterhaltung des adoleszenten Narzissmus muss »(d)ie Kultur« gegenwärtig wie auch in Antizipation zukünftig »Sicherheit gebend und attraktiv gegenüber den Jugendlichen wirken« (Eichler & Fischer, 2020, 420).
Forschungsperspektiven Die vorliegende Studie bietet somit spannende empirische und theoretische Anknüpfungspunkte, neben neuen Erkenntnissen und Stärken aber auch Leer- und Schwachstellen, die Forschungsperspektiven eröffnen. Quantitativ hat sich verdeutlicht, dass die Qualität des zur Verfügung stehenden Instrumentariums – sowohl im Sinne der Erhebungsmethoden als auch vorhandener Sekundärdatensätze – begrenzt ist. Während der ALLBUS nur Aussagen über Spät- und Postadoleszente zulässt, greift das Nationale Bildungspanel zwar auf eine innovative bzw. selten verwendete Erfassung jugendlicher Bezüge und Perspektiven auf Erwerbsarbeit zurück; dass diese Operationalisierung des subjektiven Verhältnisses Jugendlicher zur Erwerbsarbeit jedoch auf wackeligen Beinen steht, hat die vorliegende Studie theoretisch wie empirisch aufgezeigt. Das quantitative Erhebungsinstrument nach Rosenberg (1980), das u.a. im ALLBUS zur Anwendung kommt, hat sich zwar in seiner Dreiteilung jugendlicher Perspektiven als sinnvoll erwiesen; in Hinsicht auf die qualitativ rekonstruierten Bezugsdimensionen hat sich jedoch gezeigt, dass die quantitativen Skalen vereinzelte Leerstellen aufweisen. Während die potentiellen Schwierigkeiten der Standardisierung von sinnlich-emotionalen Bezügen bereits diskutiert wurden (vgl. Kapitel 3.3.4), dürfte die Operationalisierung von psychischen Arbeitskraftbezügen und von Identitätsbezügen besser umzusetzen sein. Die qualitativen Analysen deuten an, dass die Nichterfassung Erstgenannter gerade Bezüge von weiblichen Jugendlichen ausblendet. Dass zudem die Identitätsbezüge, also die Verknüpfung der eigenen biographischen Gewordenheit mit Erwerbsarbeit, häufig über völlig lapidare Berufsaspekte wie »Das Gefühl, etwas Sinnvolles zu tun« erfasst werden, ist in Anbetracht der Dauerpräsenz von Selbstverwirklichungsde-
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batten verwunderlich (Allmendinger et al., 1983; MOW International Research Team, 1987). Die quantitative Herangehensweise an das subjektive Verhältnis Jugendlicher zur Erwerbsarbeit hat also Schwierigkeiten in der Operationalisierung, darüber hinaus auch methodeninhärente Probleme in der Analyse der Vielschichtigkeit und Widersprüchlichkeit einzelner Bezugsdimensionen sowie deren Verbindung zu adoleszenten Sozialisationsdynamiken – sie hat allerdings auch einen anderen Zweck und dementsprechende Vorteile gegenüber der qualitativen Herangehensweise (Flick et al., 2019, S. 24-26). Diese gilt es, noch gezielter auszuspielen und in künftiger Forschung zum subjektiven Verhältnis Jugendlicher zur Erwerbsarbeit gerade Erhebungsmethoden stärker in den Blick zu nehmen und zu überarbeiten. Während die quantitativen Analysen durchaus aufschlussreich waren und in ihren Ergebnissen zumeist an den Forschungsstand anschlossen, brachte die qualitative Analyse des subjektiven Verhältnisses Jugendlicher zur Erwerbsarbeit vor dem Hintergrund gegenwärtiger Sozialisationsbedingungen viele neue Erkenntnisse, die weitere Forschungsperspektiven eröffnen. Grundlegend hat sich gezeigt, dass das Konzept der »widersprüchlichen Adoleszenz« (Eichler & Fischer, 2020) ertragreich ist. Dass und wie sich einzelne Widersprüche in der adoleszenten Subjektivität wiederfinden, wurde mehrfach dargelegt. In der theoretischen Konzeption gibt es jedoch eine Reihe weiterer Widersprüche (Eichler, 2021; Eichler & Fischer, 2020), die in Kapitel 2.2.4 angedeutet wurden, sich jedoch im empirischen Material nicht wiedergefunden haben. Nun ist es nicht Sinn und Zweck der (qualitativen) Sozialforschung, so lange zu suchen, bis das theoretisch beschriebene Ergebnis auch realempirisch auftaucht; die geringe Anzahl der Interviews in der vorliegenden Studie (n = 15), ihre Differenzierung in zwei Schultypen sowie ihre lokale Beschränkung auf SchülerInnen aus Bayern legen jedoch nahe, weitergehend zu forschen, ohne die empirisch ertraglosen Widersprüche aus dem Blick zu nehmen. Die Ergebnisse hinsichtlich der einzelnen Widersprüche und ihrer Auswirkungen auf das subjektive Verhältnis Jugendlicher zur Erwerbsarbeit bieten ebenfalls Ansatzpunkte zu weiterführender, vertiefender Forschung. Der Einfluss von Eltern auf jugendliche Berufsaspirationen ist bereits Gegenstand einiger Studien gewesen (Helbig & Leuze, 2012; Maschetzke, 2009; Pruisken, 2018; Richter, 2016); den konkreten Effekt subjektivierter Beschäftigungsbedingungen sowie damit zusammenhängender Unsicherheiten auf Jugendliche gilt es, noch einmal verstärkt und differenzierter in den Blick zu nehmen. Dass es vielfältigen Umgang mit dem Wissen um die prekäre Realisierung sinnhaft-subjektbezogener Ansprüche gibt, der insbesondere mit der psychosozialen Lage der Jugendlichen zusammenhängt, hat die vorliegende Studie bereits dargelegt. Auch die Ökonomisierungsdynamiken stehen in der vorliegenden Studie in spannendem Zusammenhang, sowohl zur materiell-reproduktionsbezogenen als auch zur sinnhaft-subjektbezogenen Perspektive auf Erwerbsarbeit. Praxisorientierung und Vorbereitung der Berufsausbildung sind essentielle Merkmale der Mittelschule, in ihrem Ausmaß und der konkreten Durchführung dennoch sicherlich Schul- und auch LehrerInnen-abhängig. Hier gilt es ebenfalls, weiterführende Analysen anzustellen, um vielschichtige Effekte der beruflichen Orientierung an Schulen zu vertiefen.
4. Ein Fazit zur »Jugend von heute«
Unerwartet war das Auffinden sogenannter Ankerpunkte der Adoleszenz. Während ein Großteil der Jugenddebatte Sozialisationsdynamiken in den Blick nimmt, die das Moratorium begrenzen, Möglichkeitsräume einengen und die adoleszente Triangulierung erschweren (Ecarius et al., 2017; Eichler & Fischer, 2020; Heitmeyer et al., 2011a; Reinders, 2016), wirken diese Ankerpunkte den widersprüchlichen Dynamiken entgegen. Sie stabilisieren sinnhaft-subjektbezogene Ansprüche an die Erwerbssphäre und lassen sich ex post durchaus adoleszenztheoretisch interpretieren. Gerade die politische Sozialisation und therapeutische Erfahrungen gehen mit Prozessen der Selbstreflexion und der Reflexion familialer sowie gesellschaftlicher Bedingungen einher (Grawe, 2000), die klassischerweise dem Bildungsmoratorium zugerechnet werden (Baethge, 1991; Erdheim, 1988b; Zinnecker, 2003). Nun sind Kinder- und Jugendlichentherapien, sozialpädagogische Betreuung und natürlich auch politische Gruppen und Bewegungen, an denen Jugendliche beteiligt sind, an sich nichts Neues. Was jedoch neu ist, sind die diskursive und empirische Relevanz (psycho-)therapeutischer Prozesse und der »Psyche« für Jugendliche (Baumgarten et al., 2018; Grobe et al., 2018; Markard, 2016) sowie die konkrete Konstellation und Zusammensetzung aktuell relevanter politischer Bewegungen (Ruser, 2020; Sommer et al., 2019). Was forschungsperspektivisch aussteht, ist eine theoretisch und empirisch tiefgreifendere Analyse der Frage, wie Therapie und politische Sozialisation mit einem spezifischen Verhältnis Jugendlicher zum eigenen Selbst, zur Familie, zur Gesellschaft und insbesondere zur Erwerbsarbeit zusammenhängen. Abschließend steht die Reflexion eines Aspekts aus, der häufig abseits von sozialwissenschaftlicher Theorie und Empirie steht, gleichzeitig jedoch viel präsenter, umstrittener und normativ aufgeladener ist, der zugleich den Eingangspunkt der vorliegenden Studie markiert. Geradezu automatisch stellt sich doch die Frage, welchen Erkenntnisgewinn die vorliegende Studie zur »Jugend von heute« liefert, was sich überhaupt über das Verhältnis »der Jugend« zu »der Arbeit« sagen lässt.3
Die »Jugend von heute« Trotz innertheoretischer Differenzen beschrieben bereits sozialwissenschaftliche Theorien des Wertewandels »die Jugend« als dessen Motor und Katalysator (Inglehart, 1977; Klages, 1993; Noelle-Neumann & Petersen, 2001; vgl. Kapitel 2.1.1). Allesamt zeichneten sie ein Bild, das von sinnhaft-subjektbezogenen Jugendlichen geprägt war, die Selbstverwirklichung in den Mittelpunkt ihres subjektiven Verhältnisses zur Erwerbsarbeit stellten. Im Resultat nicht weit davon abweichend, jedoch auf adoleszenztheoretischem Fundament stehend, bestätigten Baethge und KollegInnen (1988; Baethge, 1994b) dieses Bild, fundierten es adoleszenztheoretisch und verbanden es zudem mit einem strukturellen Wandel der Arbeitswelt. Die Arbeitssoziologie und dort insbesondere die Subjektivierungsdebatte hielt mantraartig an Baethge fest (Kleemann, 2012). Die Jugend wolle sich selbstverwirkli3
Die folgende Reflexion der Debatten über die »Jugend von heute« basiert u.a. auf Überlegungen eines Vortrags auf dem 40. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Soziologie (Fischer, 2021).
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chen und die Erwerbssphäre passe sich entsprechend an – diese von Baethge erhoffte, stets mit Zweifeln behaftete und letztlich infrage gestellte Übermacht jugendlicher Subjektivität gegenüber den Produktionsverhältnissen findet sich in jüngeren Jugendund insbesondere Generationendebatten weitaus weniger reflektiert wieder. Spätestens mit der sogenannten Generation Y beginnt eine Diagnoseflut zu jugendlichen Eigenschaften und eine dabei eigenartig ausgeprägte Relevanz des subjektiven Verhältnisses zur Erwerbsarbeit (Schröder, 2018; vgl. Kapitel 1). Jene Generation revolutioniere den Arbeitsmarkt, wolle Spaß haben, individuelle Herausforderungen und: das Geld solle jetzt auch stimmen. Derartige Thesen finden sich nicht nur im Feuilleton, sondern auch in der Jugendsoziologie, bspw. bei Hurrelmann und Albrecht (2014), die von »heimlichen Revolutionären« und eben jener subjektiven Übermacht der Jugend gegenüber dem Kapital schreiben. Nun passiert jedoch etwas Merkwürdiges: Neben dem zentralen, recht modernisierungstheoretischen Topos der sich kreativ selbstverwirklichenden MacherInnen setzt sich in Generationsdiagnosen ein pessimistisches Bild durch, das eine völlig verunsicherte Jugend zeichnet (Dörre, 2010; Großegger, 2017; Heinzlmaier & Ikrath, 2013; Heitmeyer et al., 2011a; Schlimbach, 2010). Zukunftsängste, drohende Prekarität, ganz und gar durchökonomisierte Subjekte, EgotaktikerInnen und Sicherheitsbedürftige, denen es weniger um Wert- als um Zweckrationalität ginge (Generation Me Me Me; Generation Maybe; »Verunsicherte Generation« usw.). Extrinsische Motive und gerade auch die materiell-reproduktionsbezogene Perspektive auf Erwerbsarbeit rücken wieder in den Mittelpunkt von Jugenddiagnosen (Calmbach et al., 2020; Fischer & Eichler, 2015). Jüngst – gerade in Anschluss an die Fridays for Future-Bewegung – wurde das Augenmerk wieder auf die zunehmend politische, altruistische, also soziale Perspektive gelenkt, die ebenfalls das subjektive Verhältnis Jugendlicher zur Erwerbsarbeit auszeichne (M. Albert, Hurrelmann & Quenzel, 2019; Sommer et al., 2019). Während folglich in der Wertewandeldebatte eine (sinnhaft-subjektbezogene) Perspektive im Mittelpunkt stand, jedoch unterschiedlich interpretiert wurde, werden gegenwärtig verschiedene Bezugsdimensionen aller drei Perspektiven herausgegriffen und als zentral für das Gesamtpaket, also jene »Jugend von heute«, präsentiert.4 Ein einfacher Schluss liegt nahe: Wie einst Baethge im Übergang zu den 1990ern die Dominanz sinnhaft-subjektbezogener Ansprüche Jugendlicher und junger Erwerbstätiger an die Erwerbsarbeit adoleszenztheoretisch und empirisch untermauerte, stellt die vorliegende Studie in aktualisierter Variante eine Vielschichtigkeit und Widersprüchlichkeit des subjektiven Verhältnisses zur Erwerbsarbeit fest, die aus gewandelten, widersprüchlichen Sozialisationsbedingungen resultieren und sich recht gut in die oben beschriebenen Jugend- und Generationsdiagnosen fügen. Das Problem läge dann einzig im darin stattfindenden Herauspicken und Verallgemeinern einzelner Bezugsdimensionen oder Perspektiven.
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Wie in der Einleitung dargelegt, entsteht und verhärtet sich das vielschichtige und widersprüchliche Generationenbild nicht zuletzt vor dem Hintergrund verschiedener Interessen und Forschungsperspektiven der untersuchenden Fachbereiche, aber auch angesichts des diagnostizierfreudigen Feuilletons und autobiographischer Verallgemeinerungen der Generationenmitglieder (vgl. Kapitel 1).
4. Ein Fazit zur »Jugend von heute«
Das trifft zwar in vielerlei Hinsicht zu, ist allerdings nur die halbe Wahrheit des Problems, denn wie auch schon in den 1980ern und 1990ern stellt sich die Frage, über wen eigentlich geschrieben wird, wenn »die Jugend« im Mittelpunkt steht. Die quantitativen Analysen der vorliegenden Studie ergänzen die Feststellung der Widersprüchlichkeit von Sozialisationsbedingungen und subjektivem Verhältnis zur Erwerbsarbeit daher um einen wichtigen Aspekt, der eigentlich naheliegend ist: Analog zu weiten Teilen des Forschungsstands verweisen sie ganz deutlich darauf, dass sich die Ausprägung und konkrete Zusammensetzung von Bezugsdimensionen nach wie vor nach adoleszenzrelevanten Faktoren unterscheiden (M. Albert, Hurrelmann & Quenzel, 2019; Brinck et al., 2020; Calmbach et al., 2020; Fischer & Eichler, 2015; King, 2013) – und das ist wichtig, wenn es um die Formulierung von verallgemeinernden Jugenddiagnosen geht. Weder Sozialisationsbedingungen noch die Bezugsdimensionen oder Perspektiven Jugendlicher auf die Erwerbsarbeit waren jemals gesellschaftlich nivelliert. Das adoleszente Moratorium war in den 1980ern genauso wenig verallgemeinert wie subjektiviert arbeitende Eltern, ökonomisierte Schulbildung oder die Ankerpunkte der Adoleszenz in der Gegenwart (Eichler & Fischer, 2020; Kleemann, 2012; Reutlinger, 2013). Sowohl die dauerpräsente Selbstverwirklichungsdiagnose seit der Wertewandeldebatte als auch gegenwärtige Re-Materialisierungsthesen oder Politisierungsannahmen beschreiben nicht »die Jugendlichen«, sondern insbesondere Jugendliche gehobener Milieus. Die immer wieder aufgerufene, gefürchtete und utopisch behaftete »Jugend von heute« ist seit jeher eine upper class-Jugend. Quantitativ drückt sich das darin aus, dass die Ausprägungen fast aller Bezugsdimensionen historisch wie gegenwärtig schichtspezifisch sind (vgl. Kapitel 3.2). Wertewandeldebatten, die normative Subjektivierungsthese, deren regelmäßige Zitation sowie die unübersichtliche Vielzahl an Diagnosen zur Generation Y und ihren Nachfolgerinnen blenden kontinuierlich Ansprüche und Bedürfnisse sozial schwacher Milieus aus und übergehen damit theoretisch punktgenau jene, die auch sozial außen vor gelassen sind (Fischer, 2021). Das heißt umgekehrt nicht, dass Jugendliche aus statusniedrigen Milieus nur »distanziert« oder »resigniert« seien – auch das sind häufige Zuschreibungen. Wie nicht zuletzt die vorliegende Studie zeigt, finden sich hier ebenfalls vielschichtige, ineinander verschränkte Perspektiven auf Erwerbsarbeit. Das Herunterbrechen komplexer sozialer Bedingungen und daraus resultierender Bezüge und Perspektiven auf Erwerbsarbeit auf einzelne subjektive Erscheinungsformen ist von geringem Erkenntniswert. Das heißt nicht, dass die Analyse spezifischer Bezugsdimensionen keinen Mehrwert hätte, sie bleibt jedoch auf sich und ihre TrägerInnen beschränkt – und das gilt es jeweils zu benennen, denn der öffentliche und wissenschaftliche Diskurs produzieren Normativitäten, die sich nur unter bestimmten objektiven Bedingungen realisieren lassen (Fischer & Eichler, 2015; Reinders, 2016). Das heißt nochmals umgekehrt jedoch auch nicht, dass es keinen Sinn macht, über »die Jugend« oder eine Generation Aussagen zu treffen. Aus soziologischer Sicht erscheint es jedoch sinnvoll, ihrem subjektiven Verhältnis zur Erwerbsarbeit distanzierter gegenüberzutreten, keine vermeintlich omnipräsent-dominante Perspektive zu proklamieren, sondern, ganz im Sinne Mannheims (1964b), milieuübergreifende Sozialisationsbedingungen (»Generationszusammenhänge«) in den Blick zu nehmen sowie zu diskutieren und analysieren, wie sie theoretisch und empirisch in Verbindung mit der
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adoleszenten Subjektivität stehen. Mit dem Konzept der »widersprüchlichen Adoleszenz« wurde versucht, diesem Unterfangen beizukommen, Sozialisationsdynamiken in den Mittelpunkt zu stellen, die übergreifend diskutiert werden und adoleszenztheoretisch relevant, gerade in ihrem subjektiven Niederschlag jedoch strukturell zu differenzieren sind. Eine zunehmende Widersprüchlichkeit adoleszenter Sozialisationsdynamiken geht durchaus mit Druck auf adoleszente Möglichkeitsräume und Triangulierungsprozesse einher. Das steht der Aufrechterhaltung adoleszent narzisstischer Bestrebungen und deren Übertragung auf die Erwerbssphäre allgemein entgegen. Die konkrete soziale Ausformung dieser Widersprüche, die ihr entgegnenden psychosozialen Ressourcen und somit das subjektive Verhältnis Jugendlicher zur Erwerbsarbeit sind jedoch keineswegs auf einen Nenner zu bringen.
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Adoleszenz und Arbeit
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Anhang Quantitative Analyse (Ergänzung zu Kapitel 3.2.2)
Tabelle 11: Multivariate lineare Regressionsanalyse zu jugendlichen Perspektiven auf die Erwerbsarbeit
Literaturverzeichnis und Anhang
Tabelle 11: Multivariate lineare Regressionsanalyse zu jugendlichen Perspektiven auf die Erwerbsarbeit
Quelle: Nationales Bildungspanel (NEPS), Startkohorte 3, Welle 4 & Welle 5; Angegebene Koeffizienten: Regressionskoeffizient b (in Klammern: stand. Regressionskoeffizient beta); Signifikanzniveaus: * p < .05; ** p < .01; *** p < .001; Querschnittsgewichte nach Steinhauer & Zinn 2016; Robuste Standardfehler; Grau hinterlegt: Unterschiede zur Multiplen Klassifikationsanalyse aufgrund der Gewichtung und robuster Standardfehler (teils von Referenzkategorie abhängig); eigene Berechnungen.
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Überblick zum Sample (Ergänzung zu Kapitel 3.3)
Tabelle 12: Die interviewten Jugendlichen
Literaturverzeichnis und Anhang
Transkriptionsregeln
Transkriptionsregeln
Abbildungsverzeichnis • • • • •
Abbildung 1: Die Bedeutung abgefragter Berufsmerkmale nach Erhebungsjahr (alle Altersklassen) 146 Abbildung 2: Die Bedeutung abgefragter Berufsmerkmale nach Erhebungsjahr (18bis 29-Jährige) 146 Abbildung 3: Perspektiven auf Erwerbsarbeit im Zeitverlauf (alle Altersklassen) 148 Abbildung 4: Perspektiven auf Erwerbsarbeit im Zeitverlauf (18- bis 29-Jährige) 148 Abbildung 5: Ranking jugendlicher Berufswerthaltungen 168
Tabellenverzeichnis • • • •
Tabelle 1: Abgefragte Berufsmerkmale im ALLBUS 1982-2016 Tabelle 2: Ladungen auf die drei Perspektiven auf die Erwerbsarbeit nach der Rotation Tabelle 3: Beispielinterpretation Tabelle 4: Multiple Klassifikationsanalyse zur sinnhaft-subjektbezogenen Perspektive
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Tabelle 5: Multiple Klassifikationsanalyse zur materiell-reproduktionsbezogenen Perspektive Tabelle 6: Multiple Klassifikationsanalyse zur sozialen Perspektive Tabelle 7: Items zur Erfassung beruflicher Werthaltungen im NEPS (SC 3) Tabelle 8: Multiple Klassifikationsanalyse zu jugendlichen Perspektiven auf die Erwerbsarbeit (MOW) Tabelle 9: Ebenen des Sinngehalts und ihre empirische Erfassbarkeit Tabelle 10: Perspektiven, Bezugsdimensionen und strukturelle Auffälligkeiten Tabelle 11: Multivariate lineare Regressionsanalyse zu jugendlichen Perspektiven auf die Erwerbsarbeit Tabelle 12: Die interviewten Jugendlichen
Soziologie Naika Foroutan
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