Körperverfassung und Leistungskraft Jugendlicher 9783486759952, 9783486759945


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German Pages 310 [312] Year 1930

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Table of contents :
Vorwort
Inhaltsverzeichnis zum Allgemeinen Teil
Allgemeiner Teil
I. Werdegang der Leib-Seeleeinheit im Jugendlichenalter
II. Sicherung der Leib-Seeleeinheit im Jugendlichenalter
Inhaltsverzeichnis zum Besonderen Teil
Besonderer Teil. Die Jugendlichen nach dem Kriege
Erster Teil: Die männlichen Jugendlichen
Zweiter Teil: Die weiblichen Jugendlichen
Schluß
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Körperverfassung und Leistungskraft Jugendlicher
 9783486759952, 9783486759945

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KÖRPERVERFASSUNG UND

LEISTUNGSKRAFT

JUGENDLICHER

ALLGEMEINERTEIL

BESONDERERTEIL

VON

VON

IGNAZ K A U P

THEOBALD FÜRST

MÜNCHEN UND B E R L I N 1930 VERLAG VON R.OLDENBOURG

Herausgegeben mit Unterstützung der Bayerischen Gesellschaft zur Förderung der Leibesübungen

Alle Rechte, einschließlich das der Übersetzung, vorbehalten Druck von R. Oldenbourg, München und Berlin

Vorwort. Das Jugendlichenproblem war seit der industriellen Entwicklung Deutschlands stets ein besonderes Aufgabengebiet von Staat und Gesellschaft. Die Entwicklung der einzelnen Fragen dieses weitverzweigten Problems steht in engem Zusammenhange mit der staatspolitischen Kraft und der sozialethischen Grundauffassung in unserem Volksleben. Je nach dem Überwiegen des einen oder des anderen Fragenkomplexes wurde auch die Jugendlichenfürsorge beeinflußt und gestaltet. Besondere Schutzgesetze in der Gewerbeordnung waren z. B. bereits in der Gewerbeordnungstabelle von 1891 für Arbeiter unter 18 Jahren gegen alle Gefahren vorgesehen, die ihnen in Hinsicht auf ihr jugendliches Alter und den in der Entwicklung begriffenen, noch nicht zur Reife gelangten Stand der Charakteranlage und der körperlichen Kräfte bei der gewerblichen Arbeit, sowohl in Gestalt von Unfällen, als durch allmähliche Beeinträchtigung der Gesundheit drohen. Es wäre abwegig, hier auf die Fülle der Bundesratsvorschriften für Arbeiter unter 18 Jahren beiderlei Geschlechts des Näheren einzugehen. Allerdings war diese erste Fürsorge nur auf die jugendlichen Arbeiter von Fabriken ausgedehnt, während für die Lehrlinge in handwerksmäßigen Betrieben nur ganz allgemeine Vorschriften ohne besonderen Gesundheitsschutz bestanden. Die Fabrikarbeit ist jedoch nur eine Gruppe der Gefahren, die den Jugendlichen in Leben und Gesundheit bedrohen. Die Wirkungen einseitiger Fabrikarbeit und Berufsarbeit auf den jugendlichen Organismus waren bald erkennbar. Bereits im Jahre 1908 haben der Zentralausschuß zur Förderung der Volks- und Jugendspiele in Deutschland, die deutsche Turnerschaft, und zwar damals schon mit Unterstützung der großen Sportverbände in einer Denkschrift die Notwendigkeit einer geregelten Körperpflege für die Jugend des Volkes vom 14. bis zum 18. Lebensjahre hervorgehoben. Die Denkschrift gipfelte in zwei Forderungen: 1. Einführung der Fortbildungsschulpflicht für alle aus der Volksschule entlassenen Knaben und Mädchen, mindestens vom 14. bis 17. Lebensjahre, durch ein Reichsgesetz und l*



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2. Pflichtmäßiger Betrieb von körperlichen Übungen mit mindestens zwei Stunden wöchentlich in diesen Fortbildungsschulen. In dieser Denkschrift sprach aus jeder Zeile Jahnscher Geist tiefsten Verantwortungsgefühls für das Volksganze. Die einigende und rufende Persönlichkeit war damals Max von Schenckendorff, Vorsitzender des Zentralausschusses und hochangesehenes Mitglied des Preußischen Hauses der Abgeordneten. Das geistige Leben in dieser Zeitperiode drängte, gerade für das Jugendlichenproblem, noch nach weiteren Auswirkungen. In einer Tagung in Elberfeld im Jahre 1911 wurde auf Grund umfassender Voruntersuchungen die Frage der Lehrlingsausbidlung im engeren Sinne im Rahmen der der Reichszentralstelle für Volkswohlfahrt angeschlossenen Organisationen behandelt, und fast gleichzeitig die freie Entwicklung der Jugendlichenpflege auch durch die Turn-, Spiel- und neuen Wanderorganisationen mächtig angeregt. In der Jugendpflege waren damals schon alle Bemühungen um körperliche Ertüchtigung und sittliche Kräftigung der heranwachsenden Knaben und Mädchen vereinigt. Um die Vielgestaltigkeit des Problems zu erschöpfen, hat bereits im Jahre 1910 die Deutsche Gesellschaft für soziale Reform noch den Rest der Fragen, und zwar nach der Richtung eines ausgedehnteren Schutzes der jugendlichen Arbeiter in ihrem Berufsleben, und ihre geistige und sittliche Erziehung in der Fortbildungsschule in Angriff genommen. In fünf Schriften sind die Teilprobleme, und zwar 1. die Arbeitsverhältnisse nach der Gewerbeordnung, 2. die Kriminalität, 3. die Gesundheitsschädigungen, 4. Jugendpflege und 5. Fortbildungsschule, ausführlich erörtert worden. Der Verfasser konnte in der Schrift „Gesundheitsschädigungen" die wesentlichen Vorschläge formulieren, für die in den nächsten Jahren nicht nur die Gesellschaft für soziale Reform, sondern auch der große Zentralausschuß für Volks- und Jugendspiele unter der Führung M. von Schenckendorffs eintraten. Die Vorschläge erstreckten sich auf Erweiterung des Gesundheitsschutzes in gewerblichen Betrieben jeder Art, Verbot der Nachtarbeit jugendlicher Arbeiter, Einführung von drei Halbtagsschichten, darunter ein Spielhalbtag für alle Fortbildungs- und Fachschulen, Einführung von Halbtagsschichten für weibliche Jugendliche in Berufsarbeit und Ausbildung, Einführung eines ärztlichen Untersuchungs- und Überwachungsdienstes für alle berufstätigen Jugendlichen unter Mithilfe von angestellten und freiwilligen Jugendhelfern, gesetzliche Fixierung eines mindestens 14tägigen Urlaubs für alle berufstätigen Jugendlichen, unabhängig von der Jahreszeit, und Sicherung einer gesundheitsgemäßen Verwendung dieses Urlaubs durch organisierte Gestaltung von Wanderungen, Zeltlagern nach englischem Muster, einfachen Landerholungsheimen, Errichtung von familiären Ledigen- und



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Mädchenheimen, Schaffung alkoholfreier Speisestellen für- Jugendliche und schließlich besondere Förderung aller Jugendpflegeeinrichtungen durch Staat und Gemeinden. Der Zentralausschuß für Volks- und Jugendspiele hat bereits im Jahre 1912 auf Grund einer besonderen Erhebung über die Einführung des Turnens und Spielens in den Fortbildungsschulen einen Teil der Forderungen des Verfassers bzw. der Gesellschaft für soziale Reformprogrammatisch aufgenommen und imbesonderen die schnellste Einführung einer ärztlichen Untersuchungspflicht für alle Fortbildungsschüler und -Schülerinnen wie für die Volksschuljugend — mindestens zweistündige wöchentliche Übungen — und schließlich die Gewährung eines Ferienurlaubs von den gesetzgebenden Körperschaften verlangt. Verfasser dieser Denkschrift des Zentralausschusses war der damalige Oberbürgermeister von Schöneberg, D o m i n i k u s . Der Ausbruch des Weltkrieges hat die allmähliche Verwirklichung aller dieser Vorschläge unterbrochen. Bereits im Jahre 1918 war es dem Verfasser möglich, im alten Österreich durch eine größere Erholungsaktion für unterernährte Jugendliche die Notwendigkeit einer schnellen Einführung gesetzlichen Ferienanspruchs für berufstätige Jugendliche auch den Parteipolitikern darzutun, so daß bereits im Jahre 1919 ein entsprechender Gesetzentwurf im österreichischen Bundesrate angenommen wurde. Auf die Auswirkungen kommen wir später zurück. Im Jahre 1922 konnte in München die Herausgabe einer Schrift unter dem Titel „Konstitution und Umwelt im Lehrlingsalter" auf Grund von Untersuchungen an männlichen Jugendlichen erfolgen, die jedoch bereits in den Jahren 1913 und 1914 mit Unterstützung einer Reihe von Kollegen erfolgt waren. In dieser Schrift (J. F. Lehmanns Verlag) ist das Jugendlichenproblem nur für die männlichen Jugendlichen im Alter von 14 bis 17 Jahren in der morphologischen, variationsstatistischen und sozialhygienischen Richtung nach der damaligen Auffassung behandelt. Das besondere Studium der ererbten und erworbenen Konstitution der Jugendlichen gab dem Verfasser Veranlassung, den schon damals erörterten Gedanken eines Arbeitsdienstpflichtjahres in die biologisch-hygienische Form einer Konstitutions-Dienstpflicht auf Grund eines eingehenden Durchführungsplans umzugestalten. Gleichzeitig hat E. M a t t h i a s in seiner Schrift „Die gegenwärtigen Erziehungs- und Unterrichtsmethoden im Lichte der Biologie" (P. Haupt, Bern 1922) das Pubertätsalter in seiner Eigenart eingehend besprochen und entsprechende Erziehungsvorschläge skizziert. Die Bestellung besonderer Fortbildungsschulärzte, die in Schöneberg unter dem damaligen Oberbürgermeister Dominikus im Jahre 1911 zuerst erfolgt war, aber länger bereits in Wien bestand,



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führte in der Folge zu weiteren Bestellungen von Ärzten nicht nur in München, sondern auch einer Reihe anderer deutscher Großstädte. Die Kenntnisse über die Körperverfassung der Jugendlichen der Nachkriegszeit vertieften sich durch Mitteilungen ärztlicher Befunde von Jahr zu Jahr. Eine außerordentliche Förderung des Jugendlichenproblems liegt in dem großzügigen Versuch einer psychologischen Gesamtcharakteristik des Jugendalters in E. S p r a n g e r s Schrift: „Psychologie des Jugendalters" (Verlag Quelle & Meyer 1924) vor. Der Erfolg dieser Schrift, auf deren Inhalt wir später besonders eingehen wollen, ist am besten durch die Tatsache gekennzeichnet, daß sie bereits im Jahre 1927 in 8. Auflage erschien. In diesen Jahren traten sogar sozialpolitische und sozialhygienische Fragen in der Jugendkunde zurück gegenüber der lebhaften Erörterung der Eigenart des Seelenlebens der Jugendlichen und deren Auswirkung für die Jugenderziehung Es ist ein besonderes Verdienst des Reichsausschusses der deutschen Jugendverbände, unterstützt von Trägern der Wohlfahrtspflege, der ärztlichen Fürsorge und der Berufsschule, im Jahre 1925 in einer großen Tagung zu Kassel einstimmig eine Reihe gesetzlicher Bestimmungen zum Wohle der Jugendlichen aufgestellt zu haben, und zwar: Grundsätzliche Ausdehnung der Schutzbestimmungen für die Lehrlinge und jugendlichen Arbeiter und Angestellten auf das Alter vom 14. bis zum vollendeten 18. Jahre; drei Wochen bezahlte Ferien für erwerbstätige Jugendliche (einschließlich der Lehrlinge), unter 16 Jahren und zwei Wochen bezahlte Ferien für erwerbstätige Jugendliche (einschließlich Lehrlinge) zwischen 16 und 18 Jahren; Festsetzung einer Arbeitswoche von höchstens 48 Stunden (einschließlich des Fachunterrichtes und der Zeit, die für Aufräumungsarbeiten beansprucht werden könnte); Beginn der sonntäglichen Arbeitsruhe mit Sonnabend mittag oder Gewährung eines freien Nachmittags in der Woche; Festsetzung ausreichender Arbeitspausen; Verbot der Nachtarbeit für Jugendliche. Der enge Zusammenhang dieser Vorschläge mit den 14 Jahre vorher im Rahmen der Gesellschaft für soziale Reform gemachten Vorschläge des Verfassers ist ersichtlich. Die im Anschluß an diese Tagung in den nächsten Jahren durchgeführten Erhebungen des Reichsausschusses der deutschen Jugendverbände hat D. B. M e w e s in der sehr instruktiven Schrift „Die erwerbstätige Jugend" (Gruyter, Leipzig 1929) in ihren Ergebnissen dargestellt. Erst vom Jahre 1925 an konnte wieder an die Bewegung um das Jahr 1910 herum angeknüpft werden. Mittlerweile war jedoch die Bewegung zur Verallgemeinerung



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der Leibesübungen durch den im Jahre 1920 gegründeten deutschen Reichsausschuß für Leibesübungen in mächtiger Entwicklung begriffen. In frischem Tatendrang hatte auch im Jahre 1920 die deutsche Hochschuljugend die Pflicht jedes Hochschülers zu regelmäßigen Leibesübungen festgelegt. (Beschluß von Göttingen.) Ein Nachlassen dieser Bewegung war jedoch, wie es sich nunmehr zeigt, im Jahre 1924 sichtbar geworden. Eine im Jahre 1925 in Berlin durchgeführte „Deutsche Tagung für Körpererziehung" klang in einem Aufruf an alle Volkskreise aus, deutscher Körperzucht in systematischer Zusammenarbeit die Wege zu bereiten. Aus dieser Notwendigkeit heraus hat sich auch eine Bayerische Gesellschaft zur Förderung der Leibesübungen aus Vertretern der Turn- und Sportverbände, der Landwirtschaft und Industrie, der Wissenschaft und der Verwaltung gebildet, die ihre Hauptaufgabe in der Unterstützung und Förderung aller Bestrebungen zur Verallgemeinerung und Verbreitungen der Leibesübungen in Stadt und Land erblickt. Eine im Rahmen dieser Gesellschaft geschaffene Forschungsstelle zum Studium der Leibesübungen und auch zur Feststellung körperlicher Entartung knüpfte an die Untersuchungen an Jugendlichen der Vorkriegszeit in vielem an. Gerade diese Forschungsstelle war jedoch noch aus einem anderen Grunde notwendig geworden. Bald nach dem unheilvollen Kriegsende glaubten einige Rassentheoretiker noch das Ihrige dazu beitragen zu müssen, um den Gefahrenbereich für das deutsche Volkstum im mitteleuropäischen Raum noch künstlich zu erhöhen. In einseitiger morphologischer Wertung entstanden Rassentheorien, die das deutsche Volk in mindestens drei theoretisch konstruierte Rassen zu zersplittern drohten. Das süddeutsche Volkstum schien durch diese neuen Rassentheorien am stärksten betroffen. Der Verfasser sah sich veranlaßt im Jahre 1925 eine Abwehrschrift unter dem Titel „Süddeutsches Germanentum und Leibeszucht der Jugend" 1 ) herauszugeben, die zugleich als Werbeschrift für die neugegründete Bayerische Gesellschaft zur Förderung der Leibesübungen gedacht war. In dieser Schrift ist eine neue Begründung biologischer Wertung der Leibesübungen als eines Hauptfaktors im Kampfe gegen eine Volksentartung versucht. Dies war besonders notwendig, da die Rassentheoretiker in ihrer wissenschaftlichen Einseitigkeit auch versuchten, den Leibesübungen jeden biologischen Dauerwert abzusprechen. In den allerletzten Jahren sind jedoch noch zwei wichtige Tatsachen in die Erscheinung getreten, die das Jugendlichenproblem als besonders aktuell erscheinen lassen, — die verminderte Zahl der Ju1) Verlag Reinhardt-München.

gendlichen und der Ausbau der gesundheitlichen Jugendfürsorge. Während in den Jahren 1925 bis 1929 im Deutschen Reiche noch gut 1 % Millionen Jugendliche Jahr für Jahr das 15. Lebensjahr vollendeten und damit zu etwa 9/la) ihre noch unreife Kraft für die deutsche Wirtschaft zur Verfügung stellen konnten, werden es in den Jahren 1930 bis 1934 nur rund 700000, also um 40% weniger Jugendliche sein. Der berufliche Nachwuchs ist mit dieser verminderten Zahl der Jugendlichen, die eine Nachwirkung des Geburtenausfalls während des Weltkrieges darstellt, stark eingeschränkt, so daß jeder einzelne Jugendliche für das Volksleben z. Z. besonders wertvoll erscheint. Diese Erscheinung in unserem Bevölkerungsaufbau hat aber auch erkennen lassen, daß das wertvolle Leben der Jugendlichen den Schlußstein der gesamten Jugendfürsorge zu bilden hat. Bereits im Jahre 1911 hat der Verfasser die planmäßige Ausgestaltung der Gesundheitsfürsorge im Jugendlichenalter mit dem Hinweis gefordert, daß gerade in dieser Lebensperiode die Leistungskraft noch wesentlich gesteigert werden kann: „Mit der Ertüchtigung der erwerbstätigen Jugendlichen wird für die erwerbstätige Lebensperiode die Grundlage geschaffen." Auch unsere gesamte Jugendfürsorge wird erst durch deren Ausbau auf eine gesunde Basis gestellt. Alle diese Momente haben die Bayerische Gesellschaft zur Förderung der Leibesübungen veranlaßt, für den Herbst dieses Jahres eine Tagung zu veranstalten, die alle berufenen Faktoren in Jugendlichenfragen vereinen soll. Wie in den Jahren 1911 und 1912, empfiehlt es sich auch jetzt, für diese Tagung in einem Vorbericht den Stand der Fragen zu kennzeichnen. Dieser Vorbericht knüpft an die Veröffentlichungen der Jahre 1922 und 1925 an. Die dort gebrachten Tatsachen sollen hier nicht etwa wiederholt werden; der Vorbericht bringt jedoch vor allem die Ergebnisse fast zehnjähriger Messungen und Untersuchungen an Jugendlichen in München und neuerdings auch in anderen Städten, Bayerns, anderer Gliedstaaten und Österreichs. Die morphologische und funktionelle Erforschung des Jugendlichenalters wies noch einige Lücken auf. Aber in den allerletzten Jahren sind, wie bereits früher angedeutet, auch eine große Fülle von Einzelstudien auf dem Gebiete der psychophysischen Jugendlichenprobleme erschienen, die eine kurze Darstellung der Hauptergebnisse notwendig machen. Eine derartige Darstellung ist um so notwendiger, als der Ruf nach einer einheitlichen Auffassung der vielgestaltigen Probleme immer stärker ertönt. Es ist die Zeit vorüber, in der körperliche und geistige Erziehungsfragen gesondert betrachtet wurden. Die Grundlagen für die Leib-Seeleeinheit werden im Jugendlichenalter ausgebaut und damit auch der Grad einer ganzheitlichen Auffassung von Volk und Staat bestimmt. In einer Periode eines chaotischen Durch-



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einanders von Partei- und Gruppeninteressen in unserem Staatsleben soll auch in dieser Schrift versucht werden, für eine ganzheitliche und im wahren Sinne staats- und volksbürgerliche Erziehung unseren Nachwuchses neugewonnene Grundlagen aufzuzeigen. Diese Schrift enthält Materialien, die durch Mitwirkung und Unterstützung von Staat und Gemeinden, Turn- und Sportorganisationen, Ärzten und Ärztinnen, Turn- und Sportlehrern und auch Personen der sozialen Wohlfahrtspflege in langen Jahren zusammengetragen wurden. Seitens der Gemeindeverwaltung von München wurden seit Jahren Mittel für die Durchführung der Messungen und Untersuchungen gewährt. In der statistischen Aufbereitung haben sich besonders Frau W e i n b e r g e r und Frl. F r e y , der Mathematiker K a r r er und L. Nowak verdient gemacht. Allen Helfern und Mitarbeitern sei an dieser Stelle herzlichst gedankt.

Inhaltsverzeichnis zum Allgemeinen Teil. Seite

Vorwort

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Allgemeiner Teil. Von Prof. Dr. med. J. K a u p , München. I. Werdegang der Leib-Seeleeinheit im Jugendlichenalter Entwicklungsbiologische Einleitung Morphologische Entwicklung Organwachstum im Pubertätsalter Variabilität der Normentwicklung Vergleiche ausländischer Jugendlichengruppen mit der deutschen Norm Unterschiede innerhalb des deutschen Siedlungsgebietes Soziale und berufliche Unterschiede bei Jugendlichengruppen . . Funktionelle Entwicklung im Pubertätsalter Arbeitsleistung jugendlicher Personen Seelische Entwicklung im Pubertätsalter II. Sicherung der Leib-Seeleeinheit im Jugendlichenalter Gesundheitszustand der Jugendlichen Eignungs- und Leistungsprüfungen Sportliche Leistungsfähigkeit von Knaben und Mädchen im Pubertätsalter Psychotechnische Leistungsprüfungen Entwicklung der körperlichen Eignungsprüfungen für Berufe . . Physische Reizausgleich Stand der Beteiligung Jugendlicher an Leibesübungen Beiträge zur Beurteilung der Wirkung der Leibesübungen im Jugendlichenalter Ferien- und Erholungsurlaub als psychologischer Reizausgleich im Jugendlichenalter Psychischer Reizausgleich im Jugendlichenalter Psychophysische Konstitutions-Dienstpflicht

11 11—18 18—30 31—35 35—39 40—42 43—44 44—63 63—72 72—87 87—111 112 112—120 120—124 124—139 139—141 141—144 144—152 152—155 155—164 164—171 171—178 178-—181

Allgemeiner Teil. Yon Prof. Dr. med. J. E a u p , München.

I. "Werdegang der Leib-Seeleeinheit im Jugendlichenalter. Der Organismus ist ein spezifischer Körper, aufgebaut aus einer typischen Kombination verschiedener spezifischer Teile. Diese spezifischen Teile gedacht, entweder nur als Anlagen (Potenzen) oder als Elemente (Symbole), sind die Grundlage der chemisch-physikalischen Konstitutionsformel für den einzelnen Organismus. Das Erscheinungsbild (Phänotypus) ist das Resultat aller während der Entwicklungsperiode (Ontogenese) erfolgenden Reaktionen der Erbgrundlage (Idioplasma nach Nägeli1)) mit den vorhandenen Lebenslagefaktoren. Die Erscheinungsbilder, je nach dem Individuum, stellen die variablen Auswirkungen der betreffenden Erbgrundlage dar. Das Entwicklungsziel wird nur durch eine möglichst weitgehende Annäherung an den biologischen Normaltypus, d. h. an den art- oder rassegemäßen Bau und die mittlere Funktionskraft erreicht. Diese Annäherung an die statische und dynamische Harmonie der Individuen sichert die Erfüllung der Voraussetzung alles organischen Lebens — die Dauerfähigkeit des Individuums als Glied seiner Art (Rasse, Stamm, Sippe). Die Grundlage für diese Dauerfähigkeit muß bereits in der befruchteten Eizelle gegeben sein. Das Gleichgewicht zwischen Kern- und Plasma bereits in der Keimzelle verbürgt auch für die Entwicklungsperiode bei einer richtigen Verteilung fördernder Lebensreize und einem normalen Entwicklungsgang die Erreichung eines annähernden Normaltypus im Reifestadium. Das Analogon zur Einheit der befruchteten Eizelle nach dem Kernplasma-Gleichgewicht (R. Hertwig) ist die Einheit des Organismus. M. Heidenhain verdanken wir die überaus wichtige Feststellung, daß die Dauerfähigkeit der Art nur möglich ist, bei konstanter Beibehaltung des gegebenen Verhältnisses von Kern und Plasma, von der Befruchtung bis zum Reifestadium der beiden Sexualkonstitutionen. Die gesamte Entwicklung vollzieht sich nach einem Gesetz der konstanten Proportionen im Lebendigen, wobei die Lage1) Mechanisch-physiologische Theorie der Abstammungslehre. bourg, München 1894.

R. Olden-



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Verhältnisse der einzelnen Zellgebilde in ihrer gegenseitigen Zuordnung gegeben sind. So ist der Organismus ein sich entwickelndes System von Anfangs niedrigstufiger im Endstadium hochstufiger Mannigfaltigkeit,, welches einer adaptiven und restitutiven Regulation fähig ist (Driescfy). Spezifische Hormone regeln hierbei die normalen Formbildungsprozesse und bewirken einen festgelegten Rhythmus der Differenzierungen. So ist unser Körper ein lebendiger Kosmos, welcher im Laufe der Entwicklung durch eine unaufhaltsam fortschreitende Synthese der durch Assimilation, Wachstum und Teilung sich stetig vermehrenden Formwerte entsteht, wobei der wachsende Keim sich in Verbände oder Wirkungskreise niederer oder höherer Ordnung gliedert (M. H e i d e n hain 1 )). Das Wachstum ist daher an sich ein sehr zusammengesetzter und vielfach bedingter Vorgang. Der Wachstumstrieb und das Wachstumsergebnis können durch eine Reihe von Einflüssen eine Hemmung oder Steigerung erfahren. Es kann z. B. eine fehlerhafte Anlage von vornherein derart vorliegen, daß der Wachstumsreiz abnorm niedrig oder abnorm hoch liegt (Zwergwuchs und Riesenwuchs). Das Ziel des Wachstums ist die Erreichung einer bestimmten Formengröße nach dem Längen- und Dicken-Wachstum des Skeletts und aller andern Organsysteme als den günstigsten Zustand, in dem das betreffende Individuum zu leben vermag. Außer einer fehlerhaften Anlage des Ausgangsmaterials gibt es noch eine Reihe von endo- und exogenen Faktoren (Erkrankungen und Fehler der akzessorischen Wachstumsorgane, Ernährungsstörungen, Krankheiten, soziale und klimatische Einflüsse), die das Erreichen des normalen Wachstumszieles verhindern. Strenge genommen beginnt das Wachstum unmittelbar nach der Befruchtung der weiblichen Eizelle und endigt nicht mit dem Erreichen des Reifestadiums, sondern eigentlich erst mit dem Tode. Das Entwicklungsstadium ist nur gekennzeichnet durch ein Überwiegen von Differenzierungs- und Reifungsvorgängen, das Reifealter hingegen durch Regenerationsvorgänge für aufgebrauchtes Material (Blutkörperchen usw.) und durch Erscheinungen eines allmählichen Alterns. Die Beurteilung der Wachstumsvorgänge kann auf Grund von zwei Hauptauffassungen sehr verschieden erfolgen. Die moderne Erbforschung in ihrer rein morphologischen Ausprägung denkt sich bekanntlich jede Differenzierung im Werdegang des Organismus als bereits vorgebildet (präformiert) in Elementen (Determinanten) des Keimplasmas (Idioplasma). Diese Auffassung wurde bereits vor der Entdeckung der Mendelschen Erbregeln von A. W e i ß m a n n 2 ) in seiner Determinantenlehre vertreten. Die Determinanten werden in 1) Formen und Kräfte in der lebendigen Natur. 2) Jena 1892.

J. Springer, Berlin 1923.



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erbungleicher Teilung auf die Blastomeren und von diesen auf die weiteren Tochterzellen verteilt, so daß jede Zelle die für sie und ihre Produkte bestimmten Determinanten erhält und am Ende der Differenzierung in den Zellen nur eine bestimmte Determinante zur Auswirkung kommt. Es soll also nur eine selbständige Differenzierung jedes einzelnen Erbelementes als ein Additions- oder Summenbildungsvorgang möglich sein. Diese Determinantenlehre hat eine besondere Zuspitzung in den verschiedenen Sexualkonstitutionen der beiden Geschlechter erhalten. Es wird für beide Geschlechter im Sinne der Heterozygotie-Homozygotie eine Verschiedenheit vorausgesetzt. Der Geschlechtschromosomenmechanismus, d. h. das Verhalten eines Xoder Y-Chromosons, ist jedoch noch keineswegs vollkommen geklärt. Der P r ö t e n o r t y p einer H o m o - H e t e r o z y g o t i e scheint am weitesten verbreitet zu sein. Aber selbst nahverwandte Formen können sich völlig verschieden verhalten. Sicher ist nur, daß für beide Geschlechter grundsätzlich eine Doppelgeschlechtlichkeit vorliegt, und daß die Annahme eines Hetero-Homozygotieschemas nur den allgemeinen Rahmen für die inneren und äußeren Bedingungen der individuellen und sexuellen Stigmatisierung abgibt. So ist durch den Chromosomenmechanismus das Geschlecht nur insoweit eindeutig bestimmt, als im Sinne von R. Hertwig bei den männlichen Zellen das Gleichgewichtsverhältnis zugunsten des Kernes und bei den weiblichen Zellen zugunsten des Plasmas verschoben ist. Diese allgemeine chromosomale Auffassung gibt auch der Einwirkung epigenetischer Faktoren einen entsprechenden Spielraum. Ein überaus umfangreiches Forschungsmaterial der experimentellen Zoologie von Roux bis Spemann hat über den schematischen Erbmechanismus der mendelistischen Periode hinaus zu einer Auffassung geführt, die der Weißmannschen Determinantenlehre völlig entgegengesetzt ist. Ihr Hauptergebnis ist: Die Aktivierung der Erbmasse geschieht nicht durch autonomen Zerfall, sondern unter weitgehender Wirkung der Teile aufeinander, also epigenetisch. Die Entwicklung erfolgt im allgemeinen und primär nach dem Prinzip der erbgleichen Teilung und der abhängigen Differenzierung. Der Entwicklungsvorgang kann überhaupt nicht nach einem starren System der Präformation aus einer kaum denkbaren Zahl von Erbelementen gedacht werden, sondern nur im Sinne von N a e g e l i und H e i d e n h a i n , aus einer begrenzten Zahl von Anlagen oder Potenzen. Vererbt werden offenbar nur die Formen der Entwicklung. Kern und Plasma bilden nur eine causa materialis mit historisch bestimmtem Artcharakter, aus welcher durch die gestaltenden Kräfte — die causae efficientes sich ein Beziehungssystem bis zum Reifestadium fortentwickelt.



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Diese Klärung in den beiden Grundauffassungen der Vererbung und Entwicklung erleichtert auch die Definition des Konstitutionsbegriffes. Eine Gruppe von Forschern vertritt die Auffassung einer ausschließlichen Erbbedingtheit der psychophysischen Konstitution. So hat M a t h e s (1912) gesagt: Die Konstitution ist durch die Beschaffenheit der elterlichen Keimzellen primär determiniert. Sie ist im individuellen Leben unveränderlich, durch äußere Einwirkungen unbeeinflußbar und im Sinne der Lehre Weißmanns von der Kontinuität des Keimplasmas Familienbesitz. Diese Auffassung vom Jahre 1912 hat der Wiener Anatom J . T a n d l e r noch im Jahre 1913 verschärft: Die Konstitution ist eine am Individuum selbst unabänderliche und direkten auf das Sorna desselben einwirkenden Reizen nicht mehr zugänglich; sie ist das somatische Fatum des Individuums. In der weiteren Folge kamen zu dieser Auffassung noch Ergänzungsbegriffe wie die Definition der „Kondition" und „Konstellation". So soll nach einer Auffassung durch Milieueinflüsse nur die Kondition verändert werden, nach einer anderen Auffassung nur die Konstellation. Der Einfluß des Milieus auf die erbbedingte Konstitution wurde auch als paratypische Konstitution bezeichnet (H. W. S i e m e n s ) . Dieser Auffassung wurde jedoch von Erbforschern wie z. B. Johansen und auch Klinikern wie Pfaundler entgegengetreten. Eine rein genotypische Konstitution könne nur als ein Luftgebilde betrachtet werden. Der Grundgedanke, daß die Konstitution eine Reaktionsform oder eine Reaktionsbereitschaft andeutet, ist vielleicht am kürzesten in der Fassung des Pathologen R. R ö ß l e zum Ausdruck gebracht: „Wir verstehen unter Konstitution die jeweilige aus angeborenen und erworbenen Elementen zusammengesetzte Verfassung des Körpers und seiner Teile, kenntlich an der Art, wie er oder sie auf Umweltreize antworten." Zusammenfassend kann somit gesagt werden, daß die Konstitution als Körper- oder Geisteszustand stets aus ererbten und erworbenen Komponenten zusammengesetzt ist. Dieser Zustand einer bestimmten Verfassung als Reaktionsnorm ist bereits mit der befruchteten Eizelle gegeben und in der Wachstumsperiode in fortschreitender Weiterentwicklung. So hat der Verfasser bereits im Jahre 1922 kurz gesagt: „Konstitution ist die aus der Keimplasmatischen Anlage (Erbanlage, Genotypus) unter dem Einfluß der Lebenslage bis zur Vollreife entstandene Körperbeschaffenheit des Individuums (Phänotypus, Erscheinungsbild). Diese Definition unterscheidet daher eine Entwicklungskonstitution von einer Reifekonstitution. P f a u n d l e r hat in einem Beispiel diesen Unterschied erläutert: „Man denke sich zwei eineiige Zwillinge, also genotypisch identische Individuen; der eine von ihnen werde durch zweckentsprechende Lebensweise und körperliches Training zu einem muskel-



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starken Manne, während der andere unter minder günstigen Umweltseinflüssen nach der anderen Grenze der ihm erbanlagemäßig festgesetzten Entwicklungsbreite ausschlägt." Kein Arzt wird von einer gleichen Konstitution der beiden Individuen sprechen können. Die jeweiligen Anpassungs- und Ausgleichsvorgänge in der Entwicklungsperiode bewirken also bei extremen Umweltbedingungen auch bei gleicher Erbanlage eine recht verschiedene Entwicklungskonstitution. Anderseits ist mit der Vollreife, d. h. mit der Übereinstimmung des Ausgangssystem mit dem Entwicklungssystem ein bestimmter generationsfähiger Dauerzustand der Körperverfassung gegeben, der zunächst im Interesse des Individuums selbst möglichst lange in gleicher Höhe erhalten bleiben soll. Diese allgemeine Orientierung über die erblichen und erworbenen Komponenten der psychophysischen Konstitution hat jedoch noch keine völlige Klärung gebracht. Eine Hauptschwierigkeit besteht darin, an welchem Maßstab die Konstitution des einzelnen Menschen orientiert werden soll — an einem fiktiven Idealtypus der Gattung Mensch, an einem idealen Rassetypus, an anderen metaindividuellen Konstitutionstypen oder an der Individualkonstitution selbst. Allen drei Richtungen ist gemeinsam die Verknüpfung der Ganzheit und Totalität des Organismus im Konstitutionsbegriff. Aber selbst die Ganzheitsvorstellung der Konstitution kann verschieden aufgefaßt werden •— mechanisch funktionell oder teleologisch-final. So definiert z. B. Th. B r u g s c h : „Konstitution ist die in psychophysischer Beziehung zur Einheit geschlossene Ganzheit eines bestimmten und bestimmbaren vitalen Systems, dessen innere Bedingungen mit den äußeren Bedingungen (Umwelt, Lebensfaktoren, Lebenslage, Milieu) sich unter Schwankungen ins Gleichgewicht setzen1). Trotz der einheitlichen Ganzheit in dieser Auffassung fehlt hier der Gedanke des Beziehungssystems, d. h. der Verknüpfung der Teile zu einem einheitlichen Ganzen im Sinne Fechners. Ein System von Massenpunkten ohne klare Zusammenhänge zueinander wäre ein höchst labiler Zustand, während die Konstitution in Wirklichkeit nur auf Reize bestimmter Größe mit einer Reaktion antwortet. Dieses Beziehungssystem erscheint nur gegeben in einem Gleichgewichtszustande der gesamten Kern- und Plasmamasse für alle Organsysteme und Zellkomplexe. Organisation bedeutet ein Beziehungssystem zwischen lebendigem Inhalt und lebendiger Form. Die korrelativen Kräfte innerhalb der einzelnen Zellen und Zellkomplexe (histodynamische Wirkungen im Sinne Heidenhains) verleihen dem lebendigen System eine stationäre, also doch weitgehendst stabile Zustandsform. Die 1) Allgemeine Prognostik, II. Aufl., S. 39.



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Konstanz eines Kernplasmagleichgewichtes gestattet auch nicht eine Entwicklungsmorphologie (Roux 1 )) von einer Entwicklungsphysiologie ( H e i d e n h a i n ) oder von einer Entwicklungspsychologie ( S p r a n ger) so scharf zu unterscheiden, als wenn die morphologischen, physiologischen und psychologischen Komponenten voneinander getrennt werden könnten. Alle Elemente sind miteinander korrelativ verknüpft. Mit dieser Grundauffassung ist es auch unmöglich, den Begriff des Normaltypus als psychophysisches Ideal in unendlich viele Sondertypen, je nach morphologischen, physiologischen und psychologischen Unterschieden zu zerlegen, wie dies in der modernen Typologie versucht wurde. Doch kann einstweilen in eine Kritik der Typenforschung noch nicht eingetreten werden. Diese Möglichkeit ist erst gegeben nach einer genaueren Erörterung des Beziehungssystems der Elemente und Organe. Hier sei nur zunächst bemerkt, daß nach eingehenden Studien des Einflusses der endokrinen Drüsen auf alle Wachstumsvorgänge für den Organismus ein eigenartiges Prinzip des kompliziert ausgleichenden Aufbaues angenommen werden muß. Eine gegenseitige Beeinflussung verschiedener Organe erfolgt nach B e i o f f 2 ) offenbar nicht synergistisch und auch nicht antagonistisch. Es erfolgt vielmehr die gegenseitige Beeinflussung nach einem System parallel gekreuzter Verbindungen. Beioff formuliert das Gesetz: „Wenn man an zwei aufeinander wirkenden Elementen bei Zustandsänderungen des einen auch die Zustandsänderungen des anderen beobachtet, so sind die letzteren derart, daß sie eine Beseitigung der Zustandsänderungen des ersten Elementes zur Folge haben." Alle Organe und Gewebe sind miteinander nach dem Prinzip der parallelen Gekreuztheit verbunden. Die einzelnen endokrinen Drüsen verhalten sich zum Teil antagonistisch, zum Teil synergistisch. Wird z. B. die Schilddrüse entfernt, so hypertrophiert die Hypophyse, werden Tieren Schilddrüsenpräparate verabreicht, so kommt es zur Verkleinerung der Hypophyse. Ein aktiver Eingriff auf die Schilddrüse bewirkt somit einen bestimmten Antagonismus. Wird jedoch die Hypophyse entfernt, so hypertrophiert die Schilddrüse nicht, sondern sie atrophiert, und werden Hypophysepräparate verabreicht, so kommt es zu einer Hypertrophie und Hyperfunktion der Schilddrüse. Ähnliche Beziehungen bestehen auch zwischen der Hypophyse und den Hoden, ferner der Hypophyse und den Ovarien, den Ovarien und den Glandulae luteae, den Hoden und der Prostata usw. Diese Ganzheitswirkungen in einer Zwischenstellung zwischen Synergismus und Antagonismus sind nur durch die Innehaltung eines Kernplasma1) W. E n g e l m a n n , Leipzig und Berlin 1913. 2) Zeitschr. f. Konst. 1923, S. 356.

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gleichgewichtes im gesamten Beziehungssystem verständlich. Dieses Prinzip der parallelen Gekreuztheit und damit auch das Prinzip des Kernplasmagleichgewichtes erklärt auch den Automatismus der Lebewesen, dank welchem eine spontane Genesung bei verschiedenen endogenen und exogenen Störungen möglich ist, und sie erklärt auch die Art, auf welche ein gestörtes Gleichgewicht wieder hergestellt wird. Diese Grundeinrichtungen des Organismus machen es auch unmöglich, von einem labilen Zustand der Konstitution statt von einem stationären Zustand zu sprechen. Nur bestimmte Reizgrößen werden das System parallel gekreuzter Verbindungen nach dem Kernplasmagleichgewicht zu stören imstande sein. Der Ausgleich erfolgt eben nie mechanisch sondern teleoklin. Die inneren Bedingungen der Organisation und damit auch der Konstitution sind stets durch das allgemeine Kernplasmagleichgewicht bis zu hohen Reizwirkungen gesichert. Es ist möglich gemacht, auch die Konstitutionsformel mit den Haupt Vorgängen des Lebens in engste Verbindung zu bringen. K=N


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(

>R

In dieser Formel ist N der Stoff- und Energiewechsel, 0 die in jedem Lebensalter gegebene Gleichgewichtslage des Kernplasmagleichgewichtes als Organisation und R ist die Gesamtheit der Reizerscheinungen zur Erhaltung des Systemgefüges der Ganzheit. Im Verlaufe des ganzen Lebens vollzieht sich auch ein Formwechsel, oder richtiger eine fortlaufende Zustandsänderung des kolloid-osmotischen Gesamtkomplexes. Diese Formel vermeidet die einseitige Auffassung des Lebensprozesses als eines ständigen Stoff- und Energiewechsels und bringt die Reizwirkungen als gleichwertigen Faktor zu entsprechender Geltung. Die Einwirkungen der endokrinen Drüsen sind Reizquellen besonderer Art im Dienste des Gesamtsystems. Das früher erwähnte Wechselspiel zwischen Schilddrüse und Hypophyse beherrscht das gesamte Kindheitsalter bis zur Pubertät. Bis dorthin ist auch eine allgemeine Atrophie der Schilddrüse eingetreten, an deren Stelle tritt nun das schnellwachsende Keimdrüsensystem mit seinen geschlechtsdifferenzierten Wechselwirkungen auf die Hypophyse. Das Wachstum im Kindesalter bis zur Pubertät ist deutlich abgesetzt einerseits gegenüber der fötalen Entwicklungsperiode und anderseits gegenüber der Pubertätsperiode. Die fötale Entwicklungsperiode steht unter dem hormonalen Einfluß des mütterlichen Organismus, die extrauterine Wachstumsperiode des Kindheitsalters unter dem Wechselspiel der Schilddrüse und Hypophyse, das Pubertätsalter jedoch unter dem Einfluß der Keimdrüsen. Der Keimdrüseneinfluß und der mütterK a u p - F ü r s t , Körperverfassung.

2



18



lieh hormonale Einfluß sind in ihrer Intensität weit stärker als der gleichmäßigere Einfluß der beiden Drüsengruppen im Kindheitsalter. Für das Kindheitsalter wurde von einer Reihe von Forschern eine fast stetige Fortentwicklung nach einer sehr langgestreckten Parabel angenommen. Die Deutung der Streckungs- und Füllungsperioden im Kindheitsalter ist umstritten. Sie wird von manchen Forschern als künstlich angenommen, d. h. auf zivilisatorische Einflüsse namentlich der Schule zurückgeführt. Die besonders schnelle intrauterine Entwicklung hat jedoch sicher in ihrem abwechselnden Längen- und Breitenwachstum nichts mit zivilisatorischen Einflüssen zu tun und ebenso nicht, wie es scheint, das besondere Pubertätswachstum. Im Rahmen dieser Abhandlung soll nur in eine allseitige Betrachtung des Pubertätsalters in seiner Anlehnung an das Reifealter eingegangen werden. Es wird erst zu prüfen sein, inwieweit Umweltseinflüsse auch auf die Pubertätsentwicklung von entscheidender Bedeutung sein können. Hier soll nur zunächst die Sonderstellung des Pubertätsalters scharf hervorgehoben werden. E. R. J a e n s c h spricht von einer Metamorphose des Leibes und einer Metamorphose der Seele im jugendlichen Alter. E. S p r a n g e r sagt noch deutlicher: „Das Jugendalter ist für uns nicht nur die Entwicklungsphase, die zwischen der Kindheit im physiologischen Sinne und dem Reifsein im physiologischen Sinne liegt, sondern es ist für uns das Lebensalter zwischen der typisch unentfalteten Geistesstruktur des Kindes und der festen Geistesstruktur des erwachsenen Mannes oder der Frau." (Seite 18.) Die Prüfung der Verhältnisse im Jugendlichenalter kann am besten durch eine Dreigliederung des umfangreichen Stoffes erfolgen : 1. Morphologische Entwicklung, 2. physiologisch funktionelle Entwicklung, 3. seelische Entwicklung. M o r p h o l o g i s c h e E n t w i c k l u n g . Die Entwicklung der Körpergestalt im Pubertätsalter kann in den großen Zusammenhängen nur mit der gesamten Entwicklung in der Wachstumsperiode richtig beurteilt werden. Die Veränderungen der Körperproportionen vom Neugeborenen bis zum Erwachsenen sind jedoch so bekannt, namentlich durch das wiederholt gebrachte Proportionsschema von S t r a t z , daß in diesem Rahmen die Aufnahme des Schemas überflüssig erscheint. Die Erläuterungen zu diesem Schema liegen ziffernmäßig in Angaben einer Reihe von Forschern vor. Für das Pubertätsalter der deutschen Jugend sind jedoch nur unsichere Werte vorhanden, so daß für unsere Betrachtungen auch ältere und neuere Angaben anderer Völker und Rassen vergleichend herangezogen werden sollen.



19



So ist z. B. nach unserm deutschen Normmaterial die mittlere Körpergröße für das männliche Geschlecht 170, für das weibliche Geschlecht 160,5 cm, nach den Angaben von Q u e t e l e t jedoch 168,6 bzw. 157,8 cm und nach den Angaben von W e i ß e n b e r g 165,8 bzw. 153,9 cm. Für die bisherigen Angaben aus dem deutschen Siedlungsgebiet ist es charakteristisch, daß mit Ausnahme für höhere Schüler nur Werte für einen Teil des Pubertätsalters — vom 14. bis zum 17. Lebensjahr (Lehrlingszeit) gebracht sind, so daß die Verbindung zum Vollreifealter fehlt. Ein anderer Nachteil ist in der monographischen Darstellung von M. B e r l i n e r 1 ) zu konstatieren. Unser Normmaterial für das Pubertätsalter entstammt zehnjährigen Untersuchungen an der Münchener Jugend nach dem anthropometrischen Untersuchungsschema von R. M a r t i n 2 ) . Auf die geringen Unterschiede zwischen diesem süddeutschen Material und den norddeutschen Materialien werden wir später noch zurückkommen. In den folgenden Ausführungen soll nun die Hauptkörpermasse aus unserem Normmaterial gebracht werden. Die erste Tabelle umfaßt die Längen- und Gewichtsangaben vom 10. Lebensjahr bis zur Vollreife, zunächst für das männliche Geschlecht, wobei die Jahreszuwachswerte und auch die drei wichtigsten Indizes gesondert angegeben sind 3 ). Tabelle 1. M ä n n l i c h e s Alter

10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21—24 25—30

Läne;e cm

131,50 136,45 140,78 145,72 153,52 158,48 164,73 168,50 169,14 169,60 169,80 170,00 170,00

Gewicht kg

29,00 31,60 34,39 37,39 41,94 46,94 53,30 56,50 59,09 60,98 62,86 65,00 66,47

Geschlecht.

Diff. Länge

Diff. Gew.

4,95 4,33 4,94

2,60 2,79 3,00 4,55 5,00

7,80

4,96 6,25 3,77 0,64 0,46 0,20 0,20 0,00

6,36

3,20 2,59 1,89 1,88 2,14 1,47

P/L

2,21 2,32 2,42 2,56 2,73 2,96 3,24 3,35 2,49 3,60 3,70 3,83 3,91

Indizes P/L a

1,68 1,70 1,74 1,77 1,78 1,87 1,96 1,99 2,06 2,12 2,18 2,25 2,30

P/L»

1,285 1,245 1,240 1,210 1,160 1,180 1,198 1,183 1,220 1,250 1,288 1,324 1,350

Der in dieser Tabelle angegebene Vollreifewert für die Körperlänge mit 170 cm und für das Körpergewicht mit 65 bzw. 66,74 kg ist nur 1) „Entwicklungsalter und P u b e r t ä t " im 2. Bd. der Biologie der Person, Urban & Schwarzenberg 1927. 2) Richtlinien für Körpermessungen. J. F. Lehmanns Verlag, München 1924. 3) Die einzelnen Altersjahrgänge umfaßten mindestens 50 bis 100 Individuen. Von einer besonderen Angabe des mittleren Fehlers wurde aus Raumersparnis Abstand genommen. 2*



20



wenig verschieden von anderen Angaben aus dem deutschen Siedlungsgebiet. So hat R. M a r t i n für die deutschen Turner am Bundesturnfest zu München im Jahre 1923 eine mittlere Körpergröße von 169,1 und ein mittleres Körpergewicht von 64,5 kg berechnet und für die Deutschamerikaner im Weltkriege ergab sich eine Mittelkörpergröße von 170,4 cm und 67,22 kg (7077 Individuen nach Messungen im Jahre 1919); für die deutschen Mannschaften im zweiten Dienstjahr wurde im Jahre 1908 eine mittlere Körpergröße von 167,7 cm und ein Gewicht von 65,0 kg festgestellt. Die hier angegebene Normalgröße und Normalgewicht dürfte daher annähernd die rassebedingten Werte der Jetztzeit für die Vollreife deutscher Männer angeben. Es sei noch bemerkt, daß nach dem amerikanischen Weltkriegsmaterial die deutsche Gruppe mit 170,4 cm in der Mitte stand zwischen den höher gewachsenen Engländern und Schotten mit 172,1 bzw. 172,5 cm und andererseits den Juden und Italienern mit 166,9 und 165,2 cm. Aus der Tabelle ist jedoch vor allem der besondere Pubertätsanstieg an Körperlänge und an Körpergewicht zu ersehen. Für das männliche Geschlecht ist der Längenzuwachs von 13. bis zum 14. Lebensjahr am größten, der Gewichtszuwachs vom 15. bis zum 16. Lebensjahr. Die Indexwerte nehmen im zweiten Lebensjahrzehnt bis auf den Indexwert PjL3 ständig zu, nur der letztere Wert zeigt vom 10. bis zum 14. Lebensjahre eine Abnahme und dann erst eine fortlaufende Zunahme. Diese Indexwerte lassen sich bereits mit anderen Angaben vergleichen. So hat M. Berliner die Entwicklung des Index PJL3 als sogenannten Index der Körperfülle (Rohrer) aus seinem Berliner Material angegeben, wobei sich nun ergibt, daß diese Indexwerte wesentlich niedriger liegen, als die unsrigen. Es sollen nur einige Werte gegenübergestellt werden. 10. Lebensjahr: 15. „ 18. „ 20. „

J. Kaup

M. Berliner

1,285 1,18 1,22 1,288

1,19 1,08 1,15 1,14

M. Berliner gibt in seiner Monographie nicht an, welche mittlere Körpergröße und welches mittlere Körpergewicht für die einzelnen Altersklassen für seine Indexberechnung zugrunde gelegt waren. Nach den tiefen Indexwerten kann jedoch mit Bestimmtheit geschlossen werden, daß sein Menschenmaterial aus dem klinischen Ambulatorium stammt und nicht als Normmaterial betrachtet werden kann. Es sind offenbar überwiegend Astheniker, die hier zur Messung herangezogen wurden. An einem derart pathologischen Material können natürlich keine Normwerte gefunden werden. Weit wichtiger ist je-



21



doch die Frage, ob der Pubertätsanstieg an Körperlänge und Körpergewicht eine allgemeine Erscheinung ist und im besonderen die Frage, ob auch bei anderen Untersuchungen dem Maximum der Längenzunahme erst in ein oder zwei Jahren ein Maximum der Gewichtszunahme folgt.

In der nächsten Tabelle sind verschiedene Materialien zu-

Tabelle 2. P u b e r t ä t s e n t w i c k l u n g n a c h J a h r e s z u w ä c h s e n an L ä n g e und Gewicht. Männliches Geschlecht. Alter

7/8—8/9 8/9—9/10 9/10—10/11 10/11—11/12 11/12—12/13 12/13—13/14 13/14—14/15 14/15—15/16 15/16—16/17 16/17—17/18 17/18—18/19

Berlin u. Breslau, Stuttgart

Roberts und Rawson (1878)

Höhere Schulen Oslo 1920

L.

P.

L.

P.

L.

P.

4,6 4,0 4,5 4,3 4,9 5,4 6,2 6,6 4,3 2,8 1,4

2,3 2,1 2,5 2,6 3,6 4,0 5,0 6,1 5,1 3,4 3,0

2,7 6,7 5,5 4,2 3,8 4,9 6,1 7,4 5,2 4,7 1,9

2,36 2,50 3,17 2,04 2,12 2,7 4,27 4,87 7,40 5,4 2,96

3,3 3,8 3,8 3,3 3,5 6,2 6,5 4,2 3,0 1,4

1,9 2,3 2,7 2,6 4,3 4,8 5,8 5,5 3,6 1,8

0,6

1,3

.

.

Tnnnn 4 G OR japdu ly¿o

L.

P.

4,5 3,3 3,5 5,2 6,4 5,5 4,8 4,8 2,8 0,3 0,2

2,0 1,8 2,2 2,3 3,9 5,3 3,2 4,0 3,9 0,2 1,7

sammengetragen. Die Zahlen dieser Tabelle lassen zwar überall einen deutlichen Pubertätsanstieg erkennen, nicht jedoch in zwei Fällen einen zeitlichen Abstand im Zuwachsmaximum der Körperlänge und des Körpergewichtes. Für das weibliche Geschlecht sind in der nächsten Tabelle vom 10. Lebensjahre an bis zur Vollreife die Werte für Körperlänge und Körpergewicht die Jahreszuwächse und die Indizes angegeben. Der Tabelle 3. W e i b l i c h e s

Geschlecht.

Alter

Länge

Gewicht

Diff. Länge

Diff. Gewicht

P/L

10 11 12 13 14 15 16 17 18 19—24 25—30

131,50 139,00 143,66 148,05 152,10 155,64 158,52 159,55 160,00 160,50 160,50

29,00 32,65 35,62 38,52 42,10 45,86 51,99 55,02 56,58 58,00 59,25

7,50 4,66 4,39 4,05 3,54 2,88 1,03 0,45 0,50 0,00

3,65 2,97 2,90 3,58 3,76 6,13 3,03 1,56 1,42 1,25

2,21 2,35 2,48 2,59 2,76 2,94 3,28 3,45 3,54 3,65 3,69

Indizes P/L'

1,68 1,69 1,73 1,76 1,82 1,90 2,08 2,16 2,21 2,25 2,30

P/L 3

1,278 1,220 1,215 1,183 1,200 1,220 1,310 1,357 1,380 1,405 1,438



22



Vollreifewert im Alter von 19 bis 20 Jahren für das weibliche Geschlecht mit 160,5 cm und 58 kg unterscheidet sich auch wieder von einigen Angaben in der Literatur. So gibt F. Bach 1 ) für die Turnerinnen am Münchener Turnfest (1923) eine mittlere Körpergröße von 156,2 cm und ein mittleres Körpergewicht von 51,7 kg an und für die Turnerinnen der Kampfspiele in Köln (1926) eine mittlere Körpergröße von 157,9 cm und ein mittleres Körpergewicht von 54,2 kg. Beide Werte sind also niedriger als unsere Normwerte. Hingegen fand S c h e n k für die Sportlerinnen des akademischen Olympia in Marburg (1925) eine mittlere Körpergröße von 163,2 cm und ein Körpergewicht von 59,8 kg. Messungen an Studentinnen ergaben auch höhere Werte, so in München (Bach) 161,2 cm und 58,8 kg, in Marburg (Schenk) 160,2 cm und 60,4 kg und in Gießen ( J u n g ) 162,2 cm und 58,6 kg. Auch diese verschiedenen Messungsergebnisse lassen erkennen, daß unsere Normwerte annähernd dem deutschen Mittel für das weibliche Geschlecht entsprechen. Der Pubertätsanstieg für diese beiden Körpermaße ist beim weiblichen Geschlecht, wenigstens nach unserem Material, etwas anders als beim männlichen Geschlecht — der stärkste Längenzuwachs bereits vom 10. bis zum 11. Lebensjahr und der stärkste Gewichtszuwachs vom 15. bis zum 16. Lebensjahr. Ein Vergleich mit anderen Angaben erscheint auch hier wünschenswert. In der nächsten Tabelle sind einige Daten der Literatur zusammengetragen. Tabelle 4. P u b e r t ä t s e n t w i c k l u n g n a c h J a h r e s z u w ä c h s e n an L ä n g e und Gewicht. Weibliches Geschlecht. Alter

7/8—8/9 8/9—9/10 9/10—10/11 10/11—11/12 11/12—12/13 12/13—13/14 13/14—14/15 14/15—15/16 15/16—16/17 16/17—17/18 17/18—18/19

Oslo nach Sehiötz

Alle deutschen Städte L.

P.

5,1 4,9 4,8 5,1 4,9 5,8 5,4 3,8 1,9 1,6

1,9 2,2 2,3 2,7 2,9 4,0 4,2 4,7 3,1 2,8





L.

P.





3,2 4,2 6,2 5,4 5,1 5,3 1,9 1,1 0,4

2,2 2,7 3,6 4,0 4,8 3,6 3,1 2,0 0,3

England Roberts

JTanan d-JJdll iXQ9J^¿0

L.

P.

L.

P.

5,3 5,3 5,9 5,3 6,6 5,6 4,8 2,8 2,0 2,0

2,0 1,6 3,0 2,8 4,2 4,9 4,5 4,2 3,1 1,0

4,5 3,3 3,5 5,2 6,4 5,5 4,8 4,8 2,8 0,3 0,2

1,7 2,2 2,9 3,5 4,4 2,6 2,9 3,1 1,6 0,5 0,6





Nach diesen Materialien deutscher Städte ergibt sich eine gute Übereinstimmung insofern, als auch hier zwischen 10. und 11. Lebensjahr bereits ein sehr starker Längenzuwachs wahrzunehmen ist, der aber 1) Z. f. Konst. XII. Bd., H. 5, 1926.



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zwischen dem 13. und 14. Lebensjahr noch etwa überboten wird. Der stärkste Gewichtszuwachs ist auch hier zwischen dem 14. und 15. Lebensjahr bzw. 15. und 16. Lebensjahr. Für die weibliche Jugend von Oslo trifft ungefähr die gleiche Erscheinung zu, weniger jedoch für die weibliche Jugend Englands und gar nicht für die weibliche Jugend Japans, da hier der stärkste Längen- und Gewichtsanstieg gleichzeitig vom 12. bis zum 13. Lebensjahr erfolgt. Aus den gesamten Materialien für beide Geschlechter ergibt sich im allgemeinen die Tatsache, daß ein deutlicher Pubertätsanstieg im Längen- wie im Massenzuwachs nachweisbar ist, und daß der Massenzuwachs nach dem Längenzuwachs in den Höchstwerten folgt. Die besonders stürmische Pubertätsentwicklung setzt, wie seit langem bekannt, beim weiblichen Geschlecht um ein bis zwei Jahre früher ein als beim männlichen. Der bekannte Schulhygieniker Axel K e y hat im Jahre 1891 (Verlag Hirschwald, Berlin) zuerst eine besondere Pubertätsentwicklung auf Grund seiner umfangreichen Untersuchungen an den Knaben und Mädchen der höheren Lehranstalten Stockholms nachgewiesen. Er sagte damals: „Die mit dem 14. Lebensjahr sich einstellende bedeutend schnellere Zunahme der Knaben an Länge setzt sich durch 4 Jahre hindurch fort, erreicht schon im 15. Jahr ihr Maximum und ist im 17. Jahre nahezu vollendet, während der gleichen Jahre geht auch eine Gewichtszunahme vor sich, jedoch anfangs nicht in so schneller Steigerung. Die größte Gewichtszunahme kommt erst während der beiden letzten Jahre dieser Periode mit einem Maximum im 16. Lebensjahr zur Geltung. Es sind somit das 16. und 17. Lebensjahr die allerkräftigsten und daher auch die wichtigsten Entwicklungsjahre der Knaben." Die gleichen Wahrnehmungen hat ungefähr zur gleichen Zeit E r i s m a n n bei seinen Körpermaßstudien in Zentralrußland gemacht, den gleichen Pubertätsanstieg findet man jedoch auch bei noch weitgehenden Naturvölkern, wie den Serben. Die Auffassung von F r i e d e n t h a l 1 ) , M a t t h i a s und R. R ö ß l e 2 ) , daß der Pubertätsanstieg ein Kulturprodukt sei, kann daher nicht bestätigt werden. Es liegt im Pubertätsalter offenbar eine elementare wachstumfördernde Wirkung der Keimdrüsen vor. Der Pubertätsanstieg ist bei der Jugend wohl aller Kulturvölker erkennbar, und kann nicht als eine Domestikationserscheinung betrachtet werden. Die nachgewiesenen Änderungen in der Pubertätsperiode müssen sich jedoch nicht nur in den Zuwachsraten für die Körpergröße und Körpergewicht, sondern auch für die verschiedenen Längen,-, Breiten* und Umfassungsmaße des Körpers auswirken. Bei der Bedeutung des Brust- und Bauchumfanges für die allgemeine Beurtei1) Ergebnisse der inneren Med. und Kinderk. 9 und 11, 1912 und 1913. 2) Das Wachstum der Schulkinder, G. Fischer, Jena 1924.



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lung der Konstitution bringen wir in der nächsten Tabelle vom 11. Lebensjahre an für den Brust- und Bauchumfang die absoluten und auf die Körperlänge berechneten relativen Werte bis zum 20. Lebensjahr für das männliche und bis zum 18. Lebensjahr für das weibliche Geschlecht. Tabelle 5.

Alter

Männliche Jugendliche Umfänge Bauch Brust 3 4 2 1 cm cm 7.

•/.

11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21/24 25/30

65,7 68,3 70,0 73,5 76,1 79,9 83,4 85,4 87,4 89,2 89,5 90,5

48,2 48,6 48,1 47,9 48,0 48,5 49,5 50,5 51,6 52,6 52,6 53,3



61,7 64,0 64,7 67,4 69,4 70,2 71,6 73,2 76,0 77,5

—•

42,4 41,0 40,8 40,8 41,1 41,5 42,3 43,2 44,6 45,6

Alter 3:1



Weibliche Jugendliche Umfänge Bauch Brust 4 1 2 3 cm cm 7. 7.

67,7 69,1 71,7 73,6 77,05 80,04 82,17 84,0 19/24 85,7

88,1 85,8 85,0 84,3 83,2 82,3 82,0 82,0 85,0 85,7 25/30 86,7

3:1

48,4 48,2 48,3 48,4 49,5 50,0 51,5 52,5 53,4

60,3 61,8 61,6 62,0 64,6 66,73 68,13 68,8 70,0

43,3 43,0 41,6 40,7 41,6 42,1 42,7 43,0 43,6

89,1 89,3 86,0 84,3 84,0 83,3 83,0 81,9 81,5

54,0

71,5

44,6

82,5

Die Werte dieser Tabelle sind wieder unserem Normalmaterial entnommen. Für das 10. Lebensjahr hat W e i ß e n b e r g 1 ) für die südrussischen Judenkinder den proportioneilen Brustumfang mit 49,5 bzw. 47,9% angegeben. Unser Anschlußwert für das 11. Lebensjahr zeigt mit 48,2 bzw. 48,4% bei beiden Geschlechtern annähernd den gleichen Relativwert. Dieser Relativwert für den Brustumfang scheint für das weibliche Geschlecht im 12. Lebensjahr mit 48,2% den größten Tiefstand zu erreichen, für das männliche Geschlecht mit 47,9%. Von diesen Jahren der größten Schlankheit an nimmt der proportionelle Brustumfang für beide Geschlechter konstant zu, wie dies auch aus dem Material von W e i ß e n b e r g zu erkennen war. Auch für den Bauchumfang ergibt sich für beide Geschlechter der geringste Relativwert im 15. bzw. im 14. Lebensjahr, um dann ziemlich gleichmäßig zuzunehmen. Der Beziehungswert zwischen Brust- und Bauchumfang nimmt bei beiden Geschlechtern in der Pubertätsperiode ab, d. h. das Übergewicht des Brustumfanges über den Bauchumfang wird ständig größer. Die hier mitgeteilten absoluten und relativen Werte für den Brust- und Bauchumfang entsprechen zwar annähernd den Angaben von W e i ß e n b e r g , aber weit weniger den Angaben von S c h l e s i n g e r 2 ) und B e r l i n e r . Letzterer hat aus dem Material von 1) Das Wachstum des Menschen, Stuttgart, Strecker uad Schröder, 1911. 2) Arch. f. Kinderk. Bd. 82, Heft 1 von 1927.



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S c h l e s i n g e r berechnet, daß für Knaben gut situierter Familien im 11. Lebensjahre nur ein proportioneller Brustumfang von 43,8% berechnet werden konnte, und daß erst vom 14. Lebensjahre an aus dem annähernd gleichen Tiefwert von 43,9% bis zum 20. Lebensjahre nur eine Besserung auf 47,7% nachzuweisen war. Auch B e r l i n e r s eigene Messungen an Jugendlichen klinischer Herkunft ergab mit dem Tiefwert von 46,8% im 11. und 47% im 15. Lebensjahr nur einen Anstieg bis auf 49,2% im 20. Lebensjahre. Unsere proportioneilen Brustumfangswerte sind durchwegs höher. Auch hier ergibt sich wieder, daß eine Beurteilung aus einem halb pathologischen oder überhaupt besonderen Material zu falschen Schlüssen führen muß. Über den Bauchumfang ist bisher, wenigstens in der deutschen Literatur, für die Pubertätsperiode keine Angabe zu finden. Eine bestimmte Bedeutung kommt auch der Exkursionsfähigkeit des Brustkorbes zu, die durch den Differenzwert der maximalen Inspiration und maximalen Exspiration einfach berechnet wird. In der nächsten Tabelle bringen wir die Exkursionswerte für beide Geschlechter nach unserem Normmaterial und für das männliche Geschlecht auch Angaben von Z e l t n e r und B e r l i n e r . Jugendliche. Alter

ii 12 13 14 15 16 17 18 19 20

Tabelle 6. Thoraxexkursions fähigkeit. männlich

weiblich

eigene

Zeltner

Berliner

eigene

8,6 9,4 9,2 8,8 7,8 7,1 8,9 10,1 7,4 6,2

5,3 5,67 5,82 5,85 5,85 6,49 6,8 6,77 6,52

6,6 6,7 6,3 6,2 7,15 7,25 8,05 8,45 6,9 7,1

7,4 8,0 8,1 7,1 7,8 7,5 7.2 6,9

Unsere Exkursionswerte sind fast durchwegs höher als die Werte von Berliner und noch höher im Vergleich mit den Werten von Z e l t ner. Eine Übereinstimmung zeigt sich nur in der Tatsache, daß die Exkursionsfähigkeit des Thorax bereits in der Ende der Reifeperiode abzusinken beginnt. Von B e r l i n e r wurde darauf verwiesen, daß offenbar die höchsten Exkursionswerte mit der größten Beweglichkeit der Rippen im Sinne der Hebung und Senkung, aber auch der freien Beweglichkeit und Ungehindertheit durch eine starke Muskulatur oder durch Fettleibigkeit zusammenfallen. Aus diesen Überlegungen geht hervor, daß eine besonders große Exkursionsfähigkeit eigentlich kein



26



Werturteil für ein Individuum sein kann, daß aber bei auffallend kleiner Exkursionsfähigkeit eines Thorax stets eine Ursache gesucht werden muß. Hochgradige Fettleibigkeit und Lungenaffektionen verschiedenen Grades, aber auch lymphatische Zustände, können die Exkursionsbreite bis unter 5 cm herabdrücken. An weiteren Umfangsmaßen wurden an unserem Normmaterial auch die Umfänge des Oberschenkels, des Unterschenkels und des Kopfes bestimmt. Die nächste Tabelle bringt wieder vom 11. Lebensjahre an für beide Geschlechter die absoluten und relativen Werte und auch die Verhältniswerte zwischen Ober- und Unterschenkelumfang. Tabelle 7. Männliche Alter

ii

12 13 14 15 16 17 18 19 20

Jugendliche

Umfänge von UnterOberschenkel schenkel

Weibliche Verh.

Kopf

0;U

cm

7.

cm

7„

cm

7.

38,8 40,9 42,3 43,5 44,9 47,6 48,4 50,8 52,5 52,6

28,5 29,1 29,0 28,3 30,8 29,0 28,8 30,0 30,7 30,9

26,7 27,9 29,1 29,3 30,8 32,5 32,6 33,8 34,2 34,3

19,6 19,8 20,0 19,1 19,5 19,7 19,5 20,0 20,0 20,2

52,5 53,2 53,0 53,7 54,5 55,0 55,0 55,3 55,7 55,7

38,7 37,8 36,4 35,0 34,3 33,5 32,8 32,7 32,5 32,8

68,7 68,2 69 67 69 68 67 67 65 65

Jugendliche

Umfänge von OberUnterschenkel schenkel

KOpxu m fji n c uuLiaiig

cm

7.

cm

7.

cm

7.

42,4 42,6 43,6 45,2 48,7 51,1 52,9 53,7

30,4 29,7 29,5 29,7 31,4 32,2 33,2 33,9

27,8 28,4 28,8 29,8 31,5 33,8 33,2 32,5

19,9 19,7 19,4 19,5 20,3 21,3 20,8 20,5

52,5 52,7 53,3 53,7 54,1 54,6 54,6 54,5

37,6 36,6 36,1 35,3 34,8 34,4 34,2 34,4

Verh. 0 ;U

65,6 66,7 66 66 65 66 63 65

In der Entwicklung des Oberschenkelumfanges zeigen sich zum Unterschiede vom Unterschenkel bei beiden Geschlechtern nicht unbeträchtliche Verschiedenheiten. In der Pubertätsperiode ist vom 11. bis zum 13. Lebensjahre der proportionelle Oberschenkelumfang bei beiden Geschlechtern ziemlich gleich. In der Pubertätsperiode jedoch nimmt der proportionelle Umfangswert für den Oberschenkel bei den Mädchen von etwa 29,5% bis auf 33,9% zu, während bei den jungen Männern bis zum 20. Lebensjahre sich nur eine kleine Erhöhung des Relativwertes von rund 29% auf 30,9% ergibt. Die Umfänge des Unterschenkels verhalten sich bei beiden Geschlechtern kaum verschieden. Die stärkere Entwicklung des Oberschenkels beim weiblichen Geschlecht hängt offenbar mit dem reicheren Fettansatz in der gesamten Beckengegend zusammen. Dementsprechend nimmt auch der Relativwert im Verhältnis des Ober- und Unterschenkels im Laufe der Reifeperiode sogar etwas ab. Beim männlichen Geschlecht ist aber die Veränderung des Verhältniswertes nicht wesentlich verschieden. — Die Entwicklung des Kopfumfanges ist bei beiden Geschlech-



27



tern vom 11. Lebensjahre an nur eine geringe und bleibt weit hinter der Längenentwicklung des Körpers zurück. Dementsprechend nimmt der proportionalle Kopfumfang bei beiden Geschlechtern im Laufe der Pubertätsperiode ab, beim männlichen Geschlechte von 38,7 auf 32,8%, beim weiblichen Geschlechts von 37,6 auf 34,4%. Die gleiche Erscheinung fand auch W e i ß e n b e r g für südrussische Judenkinder in einer Verminderung des Relativwertes vom 10. bis 20. Lebensjahre von 41 auf 33%. In unserer Betrachtung der Veränderungen der Körperproportionen im Laufe des zweiten Lebensjahrzehntes wurden zunächst die Umfangmasse vorangestellt, weil im besonderen der Brustumfang mit Vorliebe auch für die Beurteilung der Breitenentwicklung des Körpers in den Vordergrund gestellt wird. Für den Vergleich der Entwicklung beider Geschlechter sind jedoch bestimmte Breitenmaße, wie die Schulter-, Becken-, Trochanteren- oder Hüftbreite weit wichtiger. Diese Körpermaße sind auch genauer zu bestimmen als das besonders der Subjektivität des einzelnen Forschers stark unterworfene Brustumfangsmaß. In unserem Normmaterial haben wir diese 3 Breitenmaße nach der Vorschrift von M a r t i n , die Schulterbreite als reine Akromionbreite und die Becken- und Trochanterenbreite möglichst knapp anliegend genommen, deren Resultate in der nächsten Tabelle zusammengestellt sind. Die absoluten Werte zeigen für alle drei BreiTabelle 8. Männliches Geschlecht Alter

11 12 13 14 15 16 17 18 19

l

2

Schulterbreite

Beckenbreite

abs.

7.

abs.

7.

29,8 30,8 31,0 32,1 34,2 36,2 36,5 37,2 37,8

21,9 21,9 21,3 20,9 21,6 21,1 21,8 22,0 22,3

22,3 23,0 23,8 24,8 25,6 26,7 26,7 28,1 28,5

16,4 16,4 16,3 16,2 15,8 16,2 15,9 16,6 16,8

Weibliches

Geschlecht

3 Sitzknorrenbreite abs. 7,

1

2

7.

Schulterbreite

Beckenbreite

1:2

abs.

7o

abs.

7,

27,0 27,7 28,9 30,2 31,0 31,6 31,7

74,7 74,7 76,8 77,2 74,8 73,8 73,3 75,5 75,4

30,3 30,7 31,9 31,9 32,8 34,4 34,9 34,7

21,7 21,4 21,5 20,9 21,2 21,7 21,8 21,7

23,2 23,7 24,5 24,7 26,6 27,8 28,3 28,3

16,6 16,5 16,5 16,3 17,2 17,5 17,8 17,9

18,6 18,1 18,2 18,4 18,6 18,7 18,7

Sitzknorrenbreite abs. 7,

1:2

25,3 26,0 27,0 28,9 30,8 32,2 32,3 32,4

76,5 77,1 76,2 77,4 81,1 80,9 81,1 81,5

18,5 18,1 18,2 19,0 19,6 20,2 20,4 20,4

7.

tenmaße der beiden Geschlechter scheinbar eine ziemlich gleiche Entwicklung. Bei genauerer Betrachtung jedoch ist deutlich zu erkennen, daß zunächst die Schulterbreite beim männlichen Geschlecht stärker zunimmt als beim weiblichen. Der Relativwert für die Schulterbreite bringt diese Erscheinung deutlich zum Ausdruck. Beim Jüngling nimmt im Laufe der Pubertätsperiode der Relativwert etwas zu, d. h.



28



die Entwicklung der Schulterbreite geht sogar über die Längenentwicklung hinaus, beim Mädchen hingegen bleibt der Relativwert konstant. Ein umgekehrtes Verhalten findet sich bei der Becken- und Hüftbreite. Hier bleiben beide Relativwerte für das männliche Geschlecht konstant, für das weibliche hingegen nehmen diese Relativwerte vom 13. Lebensjahre etwa an fast um 2% zu. Der Befund von W e i ß e n b e r g , daß die Hüftbreite (Trochanterenbreite) das einzige Maß ist, dessen absoluter Wert bei der Frau größer bleibt als beim Manne, ergibt sich auch aus unserem Material, denn auch bei den 20 bis 30jährigen Frauen ist die Hüftbreite mit 32,7 cm, d. h. 20,3% größer als bei den Männern gleichen Alters mit 32,5% und auch die Beckenbreite ist mit 28,9 cm, d. i. 17,9% bei den Frauen größer als bei den Männern mit 28,5 cm, d. i. 16,8%. Im Entwicklungsalter selbst ist nach unserem Material nur die Trochanterenbreite mit 32,4 cm im 18. Lebensjahre, d. i. 20,4% höher als bei den 19jährigen Jünglingen mit 31,7 cm, d. s. 18,7%. Ganz besonders stark, kommt der Unterschied im Verhältnis der Schulter- und Becken- bzw. Hüftbreite bei beiden Geschlechtern in dem Verhältniswert — Schulter—Hüfte — zum Ausdruck. Beim männlichen Geschlecht nimmt dieser Verhältniswert in der Pubertätsperiode ab, d. h. die Schulterbreite überwiegt immer mehr, beim weiblichen Geschlecht nimmt jedoch der gleiche Verhältniswert in der Pubertätsperiode stark zu von 77% auf 81%. In dem Material von W e i ß e n b e r g ist diese Veränderung des Schulter/Hüftwertes ebenso zu erkennen. Hier bleibt für das männliche Geschlecht vom 11. Lebensjahre an der Verhältniswert mit rund 77% konstant, während er für die Mädchen auf 81% ansteigt. Für die Beurteilung des Stammes und des Rumpfes in ihrem Anteil zur gesamten Körpergestalt sind die Stammlänge und auch die sogenannte Rumpflänge stets besonders berücksichtigt worden. Leider sind Vergleiche dieser beiden Körpermaße insoweit stark erschwert, als zwar die Stammlänge bzw. die Sitzhöhe, von allen Forschern ziemlich gleichartig bestimmt wird, nicht jedoch die Rumpflänge. W e i ß e n b e r g hat z. B. als Rumpflänge den Abstand des Akromions bis zur Sitzfläche gemessen, während M a r t i n als vordere Rumpfwand den Abstand zwischen Jugulum und Symphyse bestimmt. Wir sind dem Beispiel M a r t i n s gefolgt. In der nächsten Tabelle sind für unser Normmaterial auch diese Körpermaße abgegeben. Unsere Werte für die Sitzhöhe bzw. Stammlänge schließen sich gut an die Angaben für die Münchener Volksschulkinder an. M a r t i n gab für das 11. Lebensjahr einen Mittelwert von 71 cm an und einen Relativwert von 53,2%; wir fanden für das 11. Lebensjahr 71,4 cm und den Relativwert von 52,2%. Das gleiche gilt auch für die vordere Brustwand. Im Vergleich mit den Angaben von W e i ß e n b e r g sind unsere Relativwerte



29



Tabelle 9. Männliche Alter

11 12 13 14 15 16 17 18 19 20

Sitzhöhe

Jugendliche Brustwand

cm

7.

cm

7.

71,4 73,4 75,2 78,2 79,4 83,7 85,3 88,5 88,7 89,0

52,3 52,2 51,7 51,0 50,2 50,8 50,9 52,3 52,3 52,4

40,1 41,4 42,7 44,9 46,2 47,4 49,2 51,4 51,6 52,0

29,4 29,5 29,3 29,2 29,2 28,8 29,3 30,4 30,40 30,6

Weibliche Verh.

56,1 56,4 57 57 58 57 58 58 58 58

Sitzhöhe

Jugendliche Brustwand

cm

•7.

cm

7.

72,9 74,6 76,3 77,8 81,5 82,6 83,8 82,6

52,0 52,0 51,8 51,0 52,5 52,1 52,5 52,2

40,7 41,9 42,5 43,4 45,2 46,4 47,3 46,8

29,2 29,2 28,7 28,4 29,2 29,3 29,6 29,5

Verh.

55,8 56,2 56 56 56 56 56 57

in ihrer Entwicklung für das männliche und weibliche Geschlecht im 2. Lebensjahrzehnt etwas niedriger. W e i ß e n b e r g fand vom 11. bis zum 20. Lebensjahr ein Absinken der relativen Sitzhöhe von 52 auf 51% bis zum 15. Lebensjahre, und dann ein Ansteigen auf 52,6%; bei unserem Normmaterial ergibt sich ein gleiches Absinken von 52,3% auf 50,2% und dann ein Anstieg auf 52,4% im 20. Lebensjahr. Für das weibliche Geschlecht jedoch gibt W e i ß e n b e r g mit 53% im 11. Lebensjahr einen ziemlich gleichmäßigen Anstieg auf 53,7% im 18. Lebensjahre an, während bei unserem Material sich auch ein Absinken von 52 auf 51% und dann ein Anstieg auf 52,5% ergibt. In der Entwicklung der vorderen Brustwandhöhe sind bei unserem Material die relativen Werte für das männliche Geschlecht ursprünglich gleich hoch wie für das weibliche Geschlecht 29,4 bzw. 29,2%. Bei beiden Geschlechtern tritt sodann beim männlichen Geschlecht bis zum 16. Lebensjahre, beim weiblichen Geschlecht bis zum 14. Lebensjahre ein geringes Absinken des Relativwertes ein, um in der zweiten Hälfte der Pubertätsperiode den Relativwert des 11. Lebensjahres mit 30,6% bzw. 29,5% zu überschreiten. Zur vollständigen Schilderung der Veränderungen in den Körperproportionen ist auch für das zweite Lebensjahrzehnt noch die Entwicklung der Arm- und Beinlänge zu besprechen. Für diese beiden Körpermaße ist in der Literatur ein reicheres Material vorhanden. Nach unserem Normmaterial ergaben sich folgende absolute und relative Werte (s. Tab. 10). Hinsichtlich der Armlänge fand M a r t i n für die Münchener Volksschulkinder im 11. Lebensjahr den absoluten Wert von 58,4 bzw. 59,0 für beide Geschlechter und den gleichen Relativwert von 44%. Unsere Werte sind absolut etwas höher mit 60,2 bzw. 61,2 cm, der Relativwert jedoch gleich mit 44,1 bzw. 43,9%. Der Unterschied in den abso-



30



Tabelle 10. Männliche Alter

ii 12 13 14 15 16 17 18 19 20

Armlänge

Weibliche

Jugendliche Beinlänge 1 )

cm

7.

cm

7.

60,2 61,5 64,2 67,9 70,0 73,8 75,2 76,0 76,2 76,3

44,1 43,7 44,1 44,2 44,1 44,8 44,9 44,9 44,9 44,9

75,1 78,0 80,5 84,2 87,4 91,5 91,0 91,5 91,8 92,0

55,1 55,5 55,2 55,0 55,1 55,6 54,0 54,2 54,1 54,2

Vertu

80,2 79,0 80 81 80 81 83 83 83 83

Jugendliche

Armlänge

Beinlänge 1 )

cm

7.

cm

7.

61,2 62,8 65,4 65,9 68,4 69,6 69,9 69,9

43,9 43,7 44,2 43,5 44,2 43,9 43,8 44,1

78,9 80,9 82,4 84,1 84,5 86,5 86,7 85,5

56,5 56,3 55,0 55,3 54,4 54,5 54,4 53,9

Verh.

77,6 77,6 79 78 81 80 81 82

1) Korrektur nach M a r t i n .

luten Werten ist nur auf die Art des Materials zurückzuführen. S c h w e r z fand für Schaffhausen für das 11. Lebensjahr auch etwas geringere absolute Werte und auch einen geringeren Relativwert, aber nur für das männliche Geschlecht mit 43,4%, während die Relativwerte von W e i ß e n b e r g auch mit dem Martinschen Material und unserem Material übereinstimmen. Im besonderen zeigt sich auch eine Übereinstimmung in dem späteren Verhalten der Relativwerte bei beiden Geschlechtern, — die relative Armlänge nimmt bei dem männlichen Geschlecht im Laufe der Pubertätsperiode etwas zu, während sie für das weibliche Geschlecht konstant bleibt. Weit weniger Vergleichsmöglichkeiten sind für die Beinlänge vorhanden. Hier bestimmte W e i ß e n b e r g als Beinlänge die Trochanterhöhe und S c h w e r z die Iliospinalhöhe. Für unser Normmaterial nahmen wir für die Beurteilung der Beinlänge die von M a r t i n vorgeschlagene Korrektur der Iliospinalhöhe vor. Unsere Werte für die korrigierte Beinlänge sind im 11. Lebensjahr mit 75,1 bzw. 78,9 cm höher als die für die Münchner Schulkinder gleichen Alters mit 72,4 bzw. 73 cm entsprechend dem Größenunterschied des Normmaterials. Der Relativwert für die Beinlänge nimmt im zweiten Lebensjahrzehnt für beide Geschlechter etwas ab, nur ist der Ausgangswert für das weibliche Geschlecht mit 56,5% gegenüber 55,1% etwas höher, daher das Absinken ein etwas größeres. Dementsprechend ergibt sich auch, daß der Verhältniswert zwischen Bein- und Armlänge für das weibliche Geschlecht bereits im 11. Lebensjahr niedriger ist, als für das männliche mit 77,6% gegenüber 80,2%, und daß im Laufe der Entwicklung in der Pubertätszeit der Relativwert bei beiden Geschlechtern allmählich ansteigt, d. h. daß die Armlänge sich etwas mehr der Beinlänge annähert.

— 31 — Organwachstum im Pubertätsalter. Die bisherige morphologische Betrachtung des Pubertätsalters hat sich nur auf die Entwicklung des Habitus als der äußeren Gestaltungsform beschränkt. Gleich wichtig ist jedoch das Wachstum der lebenswichtigen inneren Organe in diesem kritischen Alter. Die inneren Organe und auch das Wachstum des Muskelsystems folgen im allgemeinen dem Skelettwachstum. Die Entwicklung mancher Organe ist allerdings mit dem Eintritt des Pubertätsalters fast vollständig abgeschlossen. Die Größe des Schädels, aber auch die Hirnmasse, nimmt vom 5. Lebensjahr nur mehr wenig zu, das Längenwachstum des Darmes ist ungefähr mit dem 10. Lebensjahre beendet, so daß von diesem Zeitpunkt an nur ein Breitenwachstum nachweisbar ist. Auch die Endform der Gestaltung des Rumpfes, und namentlich auch der Wirbelsäule, ist im Alter von 11 bis 13 Jahren ziemlich erreicht. Über die Entwicklung der Hauptorgane des Rumpfes hat F. W. B e n e k e (1878) die ersten sicheren Werte gebracht. Er wies bereits nach, daß das Herz, wie im ersten Lebensjahre, so auch im Alter von 15 bis 18 Jahren, die größte Volumenzunahme pro Jahr mit 20 bzw. 25 m 3 aufweist. Th. B r u g s c h hat diese besondere Entwicklung des Herzens als Pubertätsentwicklung bezeichnet. Viel gleichmäßiger schien die Entwicklung der Leber und der Nieren in der Pubertätszeit vor sich zu gehen, doch ist das Material von B e n e k e sehr spärlich, so daß ein gesicherter EinMick für die einzelnen Pubertätsjahre nicht geboten ist. Erst im Jahre 1924 hat R. R ö ß l e ein umfassenderes Obduktionsmaterial über die Innenorganwerte in der Pubertätszeit veröffentlicht. In der nächsten Tabelle ist dies Material für je zwei Altersjahre zusammengezogen verwertet. Tabelle 11. O r g a n e n t w i c k l u n g im P u b e r t ä t s a l t e r . Länge cm m

11/12 13/14 15/16 17/18

140 144,5 158 168

w

Gewicht kg

Leber g

Nieren g

m

w

m

w

m

w

28,9 36,6 47,0 51,9

169 169 246 288

153 194 223 260

919 1034 1411 1476

918 987 1360 1435

166 184 251 277

174 120 242 273

den einzelnen Jahresgruppen (je 2 Jahre) 7,7 41 115 69 18 2,05 0 377 373 67 16,3 77 29 10,4 65 42 37 75 26 5,0 4,9

52 31

137 29,75 145,5 31,8 154 48,1 157,5 53,1

Zuwächse in 4,5 8,5 13,4 9,5 10 3,5

Herz g

w

m

16

Namentlich die Zuwachswerte für je 2 Jahre lassen den besonderen Pubertätsanstieg sehr deutlich in die Erscheinung treten. Die Zuwachswerte, besonders vom 13./14. bis zum 15./16. Lebensjahr,



32



sind durchwegs wesentlich höher als die Zuwachswerte der vorangehenden und der späteren Jahresgruppen. Besonders stark tritt dies für das Leber- und Nierenwachstum in der Pubertätszeit hervor. Für das Herzwachstum ist die gleiche Erscheinung vorhanden, doch sind hier die unvermittelten Unterschiede wahrscheinlich auf die Kleinheit des Materials zurückzuführen. M. B e r l i n e r hat bei seinem Krankenmaterial die Herzbreitendurchmesser im Alter von 11 bis 20 Jahren nach den einzelnen Jahrgängen bestimmt, und auch das errechnete Herzvolumen mit dem Körpergewicht in Beziehung gebracht. Das Ergebnis für männliche Jugendliche ist in der nächsten Tabelle niedergelegt. Beim Vergleich der Werte dieser Tabelle erTabelle 12. H e r z b r e i t e n d u r c h m e s s e r in Z e n t i m e t e r . Alter

Niedrigster Wert

11 Jahre 12 13 „ 14 15 16 17 18 19 20

7,0 7,5 7,5 8,0 8,5 9,0 9,0 8,5 9,5 9,5

Höchster Wert

Durchschnitt

Herzvol. Korpergew. M

11,0 10,5 13,0 11,0 10,5 13,0 13,0 13,0 14,0 13,0

9,25 9,4 9,16 9,95 10,0 10,1 10,6 10,7 11,1 12,0

1,36 1,41 1,36 1,38 1,36 1,35 1,20 1,25 1,29 1,30

gibt sich für die einzelnen Altersjahrgänge ein ziemlich stetiges Ansteigen der absoluten Zahlenwerte. Der Relativwert für die Beziehung zwischen Herzvolumen und Körpergewicht geht im allgemeinen etwas zurück, und zwar von 1,36 auf 1,30, zeigt jedoch so starke Schwankungen innerhalb der einzelnen Jahre, daß an der Gleichartigkeit des untersuchten Menschenmaterials gezweifelt werden muß. Untersuchungen von G o t t h a r d t und H a m m e r für männliche Jugendliche im Alter von 15 bis 21 Jahren ergaben für das 15. und 16. Lebensjahr zusammengefaßt einen Herztransversalwert im Mittel von 12,6 (Variationsbreite 12,3 bis 12,8), für das 17. und 18. Lebensjahr 13,2 (Variationsbreite 11,4 bis 15,1) und für das Alter von 19 bis 21 Jahren einen Mittelwert von 13,3 cm (Variationsbreite 11,0 bis 16,1). Diese Werte sind durchweg höher als die von M. B e r l i n e r . Auch bei Einrechnung eines Unterschiedes von 0,7 cm bei Fernaufnahmen und bei Orthodiagraphie ergibt sich noch immer ein Unterschied von fast 2 cm. Diese Betrachtung verstärkt noch die früher ausgesprochenen Zweifel. Das Jugendlichenmaterial von M. B e r l i n e r scheint durchweg unterwertig gewesen zu



33



sein, wie dies auch aus anderen Relativwerten, namentlich des Brustumfanges, zu ersehen war. Eine Normbeurteilung kann jedoch nur aus einem tatsächlichen Normmaterial erfolgen. Der Pubertätsanstieg auch für das Herzgewicht ist aus dem pathologisch-anatomischen Material von R. R ö ß l e weit besser zu ersehen. Bereits die bisher gebrachten Angaben über die morphologische Entwicklung im Pubertätsalter lassen einen besonderen Pubertätsantrieb in den Wachstumsvorgängen erkennen. R. R ö ß l e hält diesen Antrieb in der Pubertätszeit als einen Ausgleich oder die Überwindung einer Entwicklungshemmung einer früheren Wachstumsperiode. Für diese Annahme sind hinreichende Beweise nicht erbracht. Die Massenzunahme in der Pubertätsperiode ist bei diesem Material von R. R ö ß l e ungefähr gleich wie bei domestizierten und gewiß nicht domestizierten Jugendgruppen verschiedener Länder. Die auffallend starke Zunahme des Herz-, Leber- und Nierengewichtes im Alter von 15/16 und 17/18 Jahren kann nur mit der gesteigerten allgemeinen Massenzunahme zusammenhängen. Das gesamte Massenwachstum, wie die besondere Entwicklung der Innenorgane, namentlich des Herzens, in der Pubertätszeit nötigt zur Auffassung, daß es einen besonderen Pubertätsantrieb in der Wachstumsperiode gibt, der mit Domestikationserscheinungen in der Entwicklungsperiode in keinem Zusammenhange steht. Schwierigkeiten bestehen jedoch in der Frage, welche Faktoren als auslösende Momente für den besonderen Pubertätsantrieb in Betracht kommen. Th. B r u g s c h hat mit Bezug auf die Herzentwicklung die Ansicht geäußert: „Die mit der Pubertät einsetzende Vergrößerung des Herzvolumens bzw. Herzmuskelvolumens ist derartig eminent groß, daß diese Steigerung des Herzwachstums nur gewissen Einflüssen zuzuschreiben sein kann, die außerhalb des Herzens liegen. Naheliegenderweise ist anzunehmen, daß unter dem Einfluß der Drüsen innerer Sekretion, die in der Pubertät einen mächtigen Impuls erfahren und geben, die von der Geburt an flacher verlaufende Kurve des Herzwachstums zur Zeit der Pubertät vorübergehend unterbrochen wird, wodurch auch das Herzwachstum einen starken Impuls zur Zeit der Pubertät empfängt, der auf Jahre hinaus bis zum Abschluß des Wachstums decrescendo anhält." B r u g s c h spricht direkt von einer hormonalen Herzentwicklung in der Pubertätszeit. Der Einfluß des endokrinen Systems auf das Wachstum steht fest. So sagt auch R. R ö ß l e , daß nach klinischen pathologisch-anatomischen und experimentellen Erfahrungen die Abhängigkeit des Wachstums von dem endokrinen System nicht zu bezweifeln ist. Aber dessen Rolle beim Wachstumsprozeß ist noch keineswegs klar. „Gibt es nur einen einzigen Wachstumstrieb, der aus der abklingenden Energie der BefruchKaup-Fürst,

Ivörpcrvcrfassung.

•>



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tungserregung stammt und sich bis zum rassemäßigen Abschluß des Wachstums erschöpft, oder greifen mit der spezifischen Differenzierung der Drüsen und mit der Einschaltung von Nervenleitungen nacheinander immer neue Antriebe in den Wachstumsmechanismus ein ?" W e i ß e n b e r g spricht bei der Erörterung des Pubertätswachstums die Vermutung aus: Die Hormone lassen auf den Körper nicht nur spezifisch verschiedene, sondern auch zeitlich verschiedene Einflüsse einwirken. Offenbar wird das Wachstum durch die verschiedenen inneren Sekrete nicht gleichzeitig, sondern abwechselnd befördert (S. 213). Tierversuche und andere Beobachtungen lassen erkennen, daß die Ausschaltung der Keimdrüsen und ihres Sekretes das Breitenwachstum hemmt. Bei Hypogenitalismus bleibt die Ausbildung der sekundären Geschlechtsmerkmale und das Breitenwachstum des Körpers aus. Erfolgt die Entwicklung der Geschlechtsdrüsen abnorm früh, so ist auch gleichzeitig das Breitenwachstum sehr stark. Als Beweis dient die breitschultrige Körperentwicklung bei Pubertas pracox. Fütterungsversuche mit Schilddrüsen-, Hypophysen- und Thymuspräparaten fördern nur die Längenentwicklung, nicht die Breitenentwicklung. Trotz der Konsensus der endokrinen Drüsen und ihrer Wechselbeziehungen wird somit mit der Entwicklung der Geschlechtsdrüsen ein starker Jmpuls zur Breiten- und Massenentwicklung ausgelöst, der der Pubertätsperiode ihr charakteristisches Gepräge verleiht. Die Pubertätsperiode mit ihrem stürmischen Verlauf macht es unmöglich, die gesamte Entwicklungskurve von der Befruchtung bis zur Vollreife als einen konstanten Vorgang oder als eine Entwicklung nach einem parabelartigen Verlauf zu betrachten. Die einzelnen Forscher haben eine verschiedene Zahl von Wachstumsphasen unterschieden ( B a r t e l s , S t r a t z , W e i ß e n b e r g u. a.). Diese Streckungsund Füllungsphasen treten als sekundär in den Hintergrund gegenüber der Unterscheidung von zwei großen Wachstumsphasen — die eine im Anschluß an die Intrauterinperiode, die andere in der Pubertätszeit. Beide Phasen gehen ineinander über. Die zweite Phase klingt in der Vollreife, in der endgültigen Determination des Organismus und dessen Dauerfähigkeit im Stadium der Generationskraft aus. — Geleitet und geregelt sind beide Phasen durch hormonale Kräfte — die erste Beschleunigungsphase durch die hormonalen Kräfte im Mutterleib, beeinflußt durch das Wachstum und das Verkümmern der Thymus und der Schilddrüse, die zweite Beschleunigungsphase durch den mächtigen neuen Impuls der Keimdrüsenentwicklung in der Pubertätszeit. In beiden Phasen vollzieht sich der strukturelle und funktionelle Ausbau nach dem ererbten, genotypischen, in den Grundelementen festgelegten Bauplan, in der Pubertätsphase wird nur dieser



35



Bau- und Entwicklungsplan mit einer bestimmten Beschleunigung zum Ausdruck gebracht, deren Verlauf jedoch nach Rasse, Klima und anderen Umweltsbedingungen Schwankungen aufweisen kann. Variabilität der Normentwicklung. Die körperliche Entwicklung im Pubertätsalter, und zwar in der weiteren Fassung des Lebensalters von 10 bis 20 Jahren wurde bisher nach den Veränderungen der arithmetischen Mittelwerte von Lebensjahr zu Lebensjahr für die einzelnen Körpermaße betrachtet. Im letzten Jahrzehnt hat nun die Beurteilung der Abweichung des Einzelindividuums vom Mittelwert oder von der Jahresnorm eine besondere Erörterung erfahren. Eine Erleichterung für die Beurteilung aller Abweichungen liegt in der Tatsache, daß die Individuenreihen einer Altersgruppe sich in Übereinstimmung mit einer Häufigkeitsreihe der Gaußschen Zufallskurve um einen häufigsten Wert gruppieren, und daß daher der Einzelabweicher nach seinem Abstand vom häufigsten Wert mathematisch gekennzeichnet werden kann. In der Praxis wurde hierbei derart vorgegangen, daß man nach Parametergraden die Plus- oder Minusabweicher vom Bereich der mittleren Größe kennzeichnete, z. B. die Abweichung nach einer vollen Einheit vom Mittelwert der Jahresmittelgröße wurde „als untermittelgroß" und „übermittelgroß" und die Individuen mit einer Abweichung über eine volle Abweichungseinheit hinaus als „klein" oder „groß" bezeichnet. Die gleiche Methode der Bildung von 4 Abweichungsgruppen nach oben und unten über den engeren Bereich des Mittelwertes läßt sich auch beim Körpergewicht mit den Bezeichnungen „unter- oder übermittelschwer" und „leicht und schwer" anwenden, oder für den Brustumfang mit „mittelbrüstige" „unter- und übermittelbrüstige" und ausgesprochen „schmal- und breitbrüstige" Individuen. Eine besondere Schwierigkeit ergab sich bald mit der Wahl des Ausgangspunktes bzw. der Beurteilungsnorm. Hier sind auch für das Pubertätsalter zwei Wege beschritten worden — der örtliche Beurteilungsweg und die Beurteilung nach irgendwo gefundenen Höchstwerten, die man als Idealwerte zu bezeichnen geneigt war. Die örtliche oder lokalistische Beurteilung vernachlässigt das Stammesmäßige und ebenso das Rassenmäßige oder die Volksnorm. Die Wahl einer Idealentwicklung hingegen kann zu noch größeren Irrtümern führen, je nachdem im Rahmen der mittleren Menschengestalt der beiden Geschlechter übergroße oder überkleine Formen als Idealform betrachtet werden. So gibt es Volks- und Rassentypen, die im Vergleich zur deutschen Volksnorm ein übergroßes Format darstellen, z. B. im gewissen Sinne die nordamerikanische Bevölkerung. Ein Vergleich 3*



36



der deutschen Jugendlichen mit den nordamerikanischen Jugendlichen muß daher stets eine Abweichung nach unten für die deutschen Jugendlichen ergeben. Die Gefahr liegt nun darin, daß kurzweg nach der Wahl eines derartigen Vergleichsmaterials die Kinderwelt oder die Jugendlichen einer deutschen Großstadt als unterentwickelt oder bei Heranziehung der japanischen Volksnorm als überentwickelt bezeichnet werden. Beide Wege sind falsch und müssen zu Irrtümern führen. Die Beurteilung kann nur, auch für das Pubertätsalter, von der Volksnorm dieses Lebensalters aus erfolgen. Wir haben bereits an anderer Stelle die Entwicklung nach der deutschen Volksnorm für die einzelnen Lebensjahre der Entwicklungsperiode dargestellt. Die früher angegebene Normtafel für das Pubertätsalter muß daher auch als Grundlage für die Abweichungsgruppen benützt werden. In den letzten Jahren sind seitens verschiedener Stadtverwaltungen die Ergebnisse von Schülermessungen auch für das Pubertätsalter statistisch aufbereitet worden und so finden sich eine Reihe von Zusammenstellungen über die Veränderung bzw. über die Grade einer wahrscheinlichen, einer durchschnittlichen oder einer mittleren quadratischen Abweichung von dem betreffenden Mittelwert der Lebensaltergruppen. Auch ausländisches Material für das Pubertätsalter ist vielfach vorhanden. Soweit nun die Untersuchungsmaterialien nach Abweichungseinheiten für die einzelnen Lebensjahre gruppiert wurden, ergab sich, daß die Werte z. B. für die mittlere quadratische Abweichung für das Tabelle 13. V e r t e i l u n g d e r K ö r p e r g r ö ß e f ü r d a s bis Vollreife. Männliches Geschlecht. »Untermittelgroß« (Jlf — bis u n t e r

»Mittelgroß«

Pubertätsalter

»Obermittelgroß« »Groß« (über (größer als

Arithmetisches Mittel

Mittlere Abweichung

cm

a in cm

1 0

1 3 1 , 5

6 , 6

1 2 4

1 2 5 — 1 2 8

1 2 8 — 1 3 5

1 3 5 — 1 3 8

1 3 9

1 1

1 3 6 , 4

7 , 0

1 2 8

1 2 9 — 1 3 3

1 3 3 — 1 4 0

1 4 0 — 1 4 3

1 4 4

1 2

1 4 0 , 8

7 , 1

1 3 3

1 3 4 — 1 3 7

1 3 7 — 1 4 4

1 4 4 — 1 4 8

1 4 9

1 3

1 4 5 , 7

7 , 3

1 3 7

1 3 8 — 1 4 2

1 4 2 — 1 4 9

1 4 9 — 1 5 3

1 5 4

1 4

1 5 3 , 5

7 , 9

1 4 5

1 4 6 — 1 5 0

1 5 0 — 1 5 7

1 5 7 — 1 6 1

1 6 2

1 5

1 5 8 , 5

8 , 5

1 4 9

1 5 0 — 1 5 4

1 5 4 — 1 6 3

1 6 3 — 1 6 7

1 6 8

1 6

1 6 4 , 7

7 , 2

1 5 6

1 5 7 — 1 6 1

1 6 1 — 1 6 8

1 6 8 — 1 7 2

1 7 3

Alter

»Klein« (kleiner als M — a)

M -'/.")

( M



M + >/, a bis u n t e r M — ',¡(7) bis M -+- er)

M

+ < j )

1 7

1 6 8 , 5

5 , 9

1 6 2

1 6 3 — 1 6 6

1 6 6 — 1 7 1

1 7 1 — 1 7 4

1 7 5

1 8

1 6 9 , 1

6 , 3

1 6 2

1 6 3 — 1 6 6

1 6 6 — 1 7 2

1 7 2 — 1 7 5

1 7 6

1 9

1 6 9 , 6

6 , 7

1 6 2

1 6 3 — 1 6 6

1 6 6 — 1 7 3

1 7 3 — 1 7 6

1 7 7

2 0

1 6 9 , 8

6 , 9

1 6 2

1 6 3 — 1 6 6

1 6 6 — 1 7 3

1 7 3 — 1 7 6

1 7 7

2 1 — 3 0

1 7 0 , 0

7 , 0

1 6 2

1 6 3 — 1 6 6

1 6 6 — 1 7 3

1 7 3 — 1 7 7

1 7 8

M = arithmetisches Mittel; er = mittlere quadratische Abweichung.



37



einzelne Lebensjahr bei den verschiedenen Autoren nur höchst geringe Unterschiede zeigen. Die Abweichungswerte sind nur nach der Größe des Materials, d. h. nach der Höhe der Variantenzahl höher oder niedriger. Von verschiedenen Autoren, so von R. M a r t i n und M. P f a u n d l e r 1 ) , wurden Durchschnittswerte der Abweichungseinheit für die einzelnen Entwicklungsjahre der Volksschulzeit berechnet. Für das Pubertätsalter haben wir den gleichen Vorgang gewählt. In der vorstehenden Tabelle ist die Verteilung der Körpergröße nach Abweichungseinheiten für unser Normmaterial des Pubertätsalters, und zwar für die männliche Jugend durchgeführt. Die Einteilung in Untergruppen ist in dieser Tabelle nach Teilen der Abweichungseinheiten, und zwar der mittleren quadratischen Abweichung vorgenommen. Es sind fünf Gruppen gebildet. Eine Erscheinung tritt besonders hervor — ein Maximum der Abweichungsgröße mit 8,5 cm als mittlere quadratische Abweichung im 15. Lebensjahr und niedere Werte vorher und nachher. Die hohen Abweichungswerte vom 10. bis zum 15. Lebensjahre stehen in einem Zusammenhange mit dem schnellwachsenden Körper, der Abfall jedoch — wenn auch ungleichmäßig, bis zur Vollreife ist ein Beweis, daß die Streuungsintensität mit der Annäherung an die Vollreife abnimmt. Für die Körpergröße wurden 5 Gruppenunterschiede entsprechend dem Vorschlag von R. M a r t i n als Bereich der Mittelgröße, der Unterund Übermittelgröße und der Kleinen und Großen für jedes Altersjahr im erweiterten Bereich des Pubertätsalters gekennzeichnet. Nach dieser Beurteilungstafel der Abweichungen der Körpergröße läßt sich für jeden Jugendlichen angeben, inwieweit er von der Norm bzw. vom Mittelwert abweicht und in welche Abweichungsgruppe er gehört. Eine ähnliche Beurteilungstafel der Abweichungen der Körpergröße wäre aus unsern Normwerten auch für das weibliche Geschlecht im erweiterten Pubertätsalter anzufertigen. Wir nehmen des Platzes halber davon Abstand. Auch die Variabilität des Körpergewichtes innerhalb des erweiterten Pubertätsalters kann nach der M a r t i n s c h e n Gruppierung für unser Normmaterial ziffernmäßig dargestellt werden. In der nächsten Tabelle 14 ist diese Berechnung durchgeführt. Auch hier ist die Unterteilung in 5 Untergruppen, und zwar als Mittelgruppe die Bezeichnung „mittelschwer", dann die anliegenden Gruppen „unter- und übermittelschwer", und „leicht und schwer" in ähnlicher Weise wie für die Körpergröße vorgenommen. Nur eine Erscheinung ist für das Körpergewicht etwas abweichend zu beurteilen — die Höhe der mittleren quadratischen Abweichung im Verhältnis 1) Körpermaß-Studien an Kindern. J. Springer, Berlin 1916.

— 38 — Tabelle 14. V e r t e i l u n g d e s K ö r p e r g e w i c h t s . Männliches Geschlecht.

Alter

Mittlere Arithmetisches Abweichung Mittel kg

(7

»Leicht« (leichter als M — o)

»Untermittelschwer« (M— bis unter

M — V , a)

»Mittelschwer« (M —

M

Vi"

bis •/, o)

»Übermittelschwer« (über M + '/, a bis M + o)

»Schwer« (Schwerer als M + tt)

10

29,0

3,5

24,5

25,5—27,3

27,4—30,7

30,8—32,3

11

31,6

3,5

27,1

28,1—29,9

30,0—33,3

33,4—35,1

36,1

12

34,4

4,4

29,0

30,0—32,2

32,3—36,6

36,7—38,8

39,8 43,2

33,5

13

37,4

4,8

31,6

32,6—35,0

35,1—39,8

39,9—42,2

14

41,9

6,9

34,0

35,0—38,5

38,6—45,3

45,4—48,8

49,8

15

46,9

8,2

37,7

38,7—42,8

42,9—51,0

51,1—55,1

56,1 62,9

16

53,3

8,6

43,7

44,7—49,0

49,1—57,6

57,7—61,9

17

56,5

7,5

48,0

49,0—52,8

52,9—60,2

60,3—64,0

65,0

18

59,1

8,0

50,1

51,1—55,1

55,2—63,1

63,2—67,1

68,1

19

61,0

7,2

52,8

53,8—57,4

57,5—64,6

64,7—68,2

69,2

20

62,9

7,3

54,6

55,6—59,3

59,4—66,5

66,6—70,2

71,2

zum Mittelwert. Während für die Körpergröße die mittlere quadratische Abweichung im Pubertätsalter zwischen 3 und 4% des Gesamtwertes schwankt, so für das Körpergewicht zwischen 10 und 18%, also mehr als dreimal so hohe Werte. Diese höhere Variabilität für das Körpergewicht ist leicht zu verstehen. Das Körpergewicht ist ein dreidimensionaler Wert, die Körpergröße nur ein eindimensionaler. Längen-, Querschnitts- und Tiefenentwicklung und vor allem auch die Höhe des spezifischen Gewichtes wirken auf den Gewichtswert ein. Seine Variabilität muß daher im Mittel dreimal so groß sein, als die des Längenwertes. Aber auch für das Körpergewicht ergibt sich, daß die Variabilitätsgröße im Alter von 16 Jahren mit 8,6 den höchsten Wert aufweist und bei weiterer Annäherung zur Vollreife, trotz einer Schwankung von Lebensjahr zu Lebensjahr, bei Zunahme des Körpergewichtes wieder abnimmt. Von der Vorführung einer ähnlichen Berechnungstafel für das weibliche Geschlecht müssen wir auch für das Körpergewicht Abstand nehmen. Eine andere Form der Beurteilung der einzelnen Abweicher kann noch einfacher, auch für das Pubertätsalter, nach der Höhe des prozentuellen Abstandes von dem jeweiligen Volksnormmittelwert aus erfolgen. Es wird einfach in Prozenten angegeben, ob das betreffende Individuum 5, 10 oder 15% vom jeweiligen Jahresmittelwert nach der positiven oder negativen Richtung abweicht. Diese prozentuelle Beurteilung kann für alle Körpermaße erfolgen. Sie ist zwar weniger mathematisch exakt als die Beurteilung nach Streuungseinheiten, aber für die Praxis doch auch anwendbar. Wir bringen in der nächsten Tabelle ein derartiges Abweichungsschema für die weiblichen Jugendlichen, und zwar zunächst für die Körpergröße nach unsern Normwerten.



39



Normtabelle 15. Körperlänge. Weibliches Geschlecht. Alter

-15%

-io%

- 5 %

Norm

11 12 13 14 15 16 17 18 19 20

116,4 122,2 125,8 129,3 132,3 134,7 135,6 136,0 136,1 136,1

123.2 129,4 133,2 136,9 140,1 142,6 143,6 144,0 144,0 144,0

130,0 136,6 140,6 144,5 147,9 150,5 151,5 152,0 152,0 152,0

137,0 143,7 148,0 152,1 155,6 158,5 159,5 160,0 160,5 160,5

+

5%

+

143,8 150,9 155,4 159,7 163,4 166,4 167,5 168,0 168,0 168,0

io%

+

150,6 158,1 162,8 167,3 171,2 174,3 175,5 176,0 176,0 176,0

15% 157,5 165,2 170,2 174,9 178,9 182,2 183,4 184,0 184,1 184,1

Eine Abweichung von 5 % bedeutet für die Körpergröße bereits mehr als eine Streuungseinheit (3 bis 4 % ) , doch sind auch für die Körpergröße Abweichungen bis zu 1 0 % und darüber, gerade im Pubertätsalter, zu finden. Die prozentuale Angabe der Abweichung von der Norm ist hier einfacher und klarer als die Angabe nach Streuungseinheiten. Um alle Möglichkeiten zu erschöpfen, sind wir selbst bei der Körpergröße bis zu Abweichungen von 1 5 % gegangen. In gleicher Weise konnten auch für die weiblichen Jugendlichen die Abweichungsprozente von der Norm für das Körpergewicht berechnet werden. Normtabelle 16. Körpergewicht nach Abweichungsgruppen der Weibliches Geschlecht. Alter

-15%

11 12 13 14 15 16 17 18 19 20

23,1 25,9 27,9 30,4 33,2 37,6 39,6 40.8 41,6 41,6

- 1 0 %

26,0 29,0 31,2 34,0 37,5 42,3 . 44,6 45,9 46,6 46,6

- 5 7.

Norm

28,9 32,2 34,7 38,2 41,5 47,1 49,6 51,0 52,0 52,0

32,0 35,6 38,5 42,1 45,9 52,0 55,0 56,6 58,0 58,0

+

5%

35,3 39,4 42,4 46,5 50,8 57,6 60,5 62,0 63,7 63,7

Körpergröße.

+ 10»/»

38,8 43,4 46,6 51,0 55,6 63,3 66,6 68,5 69,7 69,7

+

15%

42,4 47,3 51,0 55,6 60,7 69,1 72,8 75,0 76,5 76,5

Für das Körpergewicht sind wieder im besonderen für das Pubertätsalter Abweichungen von 1 5 % nicht allzu selten. Eine Abweichung von 1 0 % entspricht beim Körpergewicht beiläufig einer Abweichungseinheit, aber wie wir gehört haben, gerade im 15., 16. Lebensjahr erhöht sich dieser Vergleichswert, so daß einer Standardeinheit etwa eine Abweichung von 1 5 % entspricht.



40



Vergleiche ausländischer Jugendlichengruppen mit der deutschen Norm. Trotz der umfassenden Untersuchungen in den letzten Jahren liegen vergleichbare Resultate für die Jugendlichen der einzelnen Stammesgebiete des deutschen Siedlungslandes fast nicht vor. Auch für die Jugendlichen anderer Nationen ist nur sehr wenig und zumeist veraltetes Material vorhanden. Für romanische und slawische Gebiete ist der Einblick in das Körperwachstum der Jugendlichen noch geringer, als für außerdeutsche, germanische Gebiete. Aber auch hier muß auf ältere Untersuchungen zurückgegriffen werden. Wir sind daher genötigt, zunächst das deutsche Normmaterial mit den alten Messungsergebnissen von Q u e t e l e t für das belgisch-flämische Sprachgebiet und von R o b e r t s und R a w s o n für die englischen Jugendlichen zu vergleichen. Tabelle 17. Vergleich mit den belgisch-flämischen (Quetelet.) Alter

10 11 12 13 14 15 16 17 18 19

Körperlänge 1 2 m

w

132,5 137,5 142,3 146,9 151,3 155,4 159,4 163,0 165,5 167,0

110,1 135,2 140,0 144,6 148,8 152,1 154,6 156,3 157,0 157,4

Körpergewicht 4 3 w m

27,1 29,8 34,4 38,8 43,6 49,7 52,8 57,8 58,0 60,1

25,6 29,8 32,9 36,7 40,4 43,6 47,3 49,0 51,6 52,3

Jugendlichen. Unterschiede

1 : 1

1: 2

1 : 3

1 : 4

"1,0

— 1,4 — 1,8 — 3,66 — 3,45 — 3,3 — 3,54 — 3,92 — 3,25 — 3,0 — 3,10

— 1,9 — 1,8 + 0,01 + 1,41 + 1,66 + 2,76 — 0,50 + 1,3 — 1,09 — 0,88

— 3,4 — 2,2 — 2,72 — 1,82 — 1,70 — 2,26 — 4,69 — 5,98 — 4,98 — 5,70

- 1,05 - 1,52 -1,18 -2,22 -3,08 -5,33 -5,50 -3,64 -2,6

Ein Vergleich des deutschen Normmaterials mit den flämischen Jugendlichen ergibt sowohl für die Körperlänge, als auch für das Körpergewicht ziemlich gleichartige Unterschiede. Die flämischen Jugendlichen männlichen Geschlechtes waren im Alter von 10 bis 13 Jahren bereits vor etwa 50 Jahren größer, als die deutschen Jugendlichen, blieben jedoch im vorgeschrittenen Jugendlichenalter in der Körperlänge mit 2 bis 5 cm zurück. Im Körpergewicht jedoch sind die flämischen Jugendlichen zum Teil in den einzelnen Jahren der Pubertätsperiode leichter, z. T. schwerer. Die weiblichen Jugendlichen des flämischen Siedlungsgebietes hingegen sind in der Körpergröße, wie auch an Körpergewicht vor 5 Jahrzehnten etwa kleiner und leichter gewesen. Es könnte den Eindruck erwecken, als wenn die flämischen Mädchen Brüssels in dieser Zeit sich noch in einem Zustand körperlicher Verkümmerung befanden.



41



In der nächsten Tabelle ist ein Vergleich mit der älteren englischen Jugend durchgeführt. Aus dieser Tabelle und besonders aus der Übersicht über die unterschiedlichen Werte ist zu sehen, daß in der Körperlänge die männlichen Jugendlichen Englands schon vor Tabelle 18.

Vergleich

mit englischen

Jugendlichen.

( R o b e r t s und R a w s o n , 1878.)

Alter

10 11 12 13 14 15 16 17 18 19

Körperlänge 1 2 m w 135,9 139,7 144,8 150,7 158,1 163,3 168,2 170,1 170,9 171,5

134,9 141,4 146,7 151,9 154,3 156,8 158,8 158,6 159,4 160,0

Körpergewicht 3 4 m w 32,72 34,86 37,54 41,81 46,68 54,09 59,49 62,45 63,49 65,13

30,95 34,72 39,54 43,95 47,63 51,22 52,22 53,50 56,22 55,99

Unterschiede :1

: 2

:3

:4

-4,4 -3,25 -4,02 -4,98 -4,58 -4,82 -3,47 -1,60 -1,76 - 1,90

-3,4 -4,4 -3,04 -3,85 -2,20 - 1,16 -0,28 -0,95 -0,60 -0,50

-3,72 -3,26 -3,15 -4,42 -4,74 -7,15 -6,19 -5,95 -4,40 -4,15

- 1,95 -2,72 -3,92 -5,43 -5,53 -5,36 -0,23 -1,52 -0,36 -2,01

-

50 Jahren größer waren als die deutschen Jugendlichen. Der Unterschied nimmt jedoch mit zunehmendem Alter etwas ab. Auch im Körpergewicht ist besonders für einige Pubertätsjahre z. B. für das 14. und 15. Lebensjahr ein auffallend starker Gewichtsunterschied vorhanden. Ein wesentlich anderes Ergebnis bringt der Vergleich der weiblichen Jugendlichen. Nur in den Lebensjahren von 10 bis 16, und zwar im abnehmenden Maße, sind die englischen Mädchen höher an Gestalt und noch mehr schwerer an Gewicht, in den letzten Pubertätsjahren jedoch holen die deutschen Mädchen auf und sind nun an Länge und Gewicht etwas überlegen. Doch kann nach neueren Daten jetzt schon gesagt werden, daß für die Vollreifen Mädchen auch Englands in den letzten Jahrzehnten, wie auch Nordamerikas, durchwegs höhere Werte gefunden wurden. Vielfach besteht die Geneigtheit für die gesamte Entwicklungsperiode und auch für das Pubertätsalter die Hauptkörpermaße nach einer idealen Norm zu beurteilen. So ist in dem bekannten Lehrbuch der Schulhygiene von K e r r eine Standardtabelle für die nordamerikanische Jugend vorgeführt, die sich im wesentlichen Abstand von der deutschen Norm befindet (s. Tab. 19). In dieser Tabelle zeigt es sich nach den absoluten Werten und auch nach den prozentuellen Vergleichszahlen, daß diese ideal germanischen Jugendlichen in den einzelnen Lebensjahren an Körperlänge bei beiden Geschlechtern um 6 bis 8 % größer und an Körpergewicht um 10 bis 20% schwerer sind. Es ist hier der schlanke Ent-



42



Tabelle 19. Vergleich mit n o r d a m e r i k a n i s c h e n Alter 10 11 12 13 14 15 16 17 18

Körperlänge w m 143 147,5 152,0 156,5 162,5 169 175,5 179 181

142 147,0 153,5 160,5 165,5 169 170 170,5 170,5

Prozente m w 108,8 108,1 108,0 107,4 105,9 106,8 106,7 106,3 107,0

108,0 107,2 106,8 108,4 108,8 108,8 107,2 106,8 106,2

Jugendlichen.

Körpergewicht m w 34,8 37,9 40,9 44,9 49,6 55,3 63,2 68,6 71,2

34,7 37,8 42,5 47,5 54,2 58,1 60,3 61,9 62,2

m

Prozente w

120,0 120,0 119,0 120,0 118,2 117,8 118,7 112,4 120,7

119,5 118,0 119,5 123,4 128,8 126,7 116,0 112,5 109,8

wicklungstyp zum Ideal erhoben. Die Mittelwerte an Körpergröße sind jedoch für den englischen Rassenanteil in Nordamerika, und zwar auf Grund von Untersuchungen der Frontkämpfer (1919) nur in der Höhe von rund 172 cm für den vollgereiften jungen Mann festgestellt worden. Im umgekehrten Sinne könnte auch ein wesentlich kleinerer Typ zum Vergleich herangezogen werden, der sich durch große Beweglichkeit und auch Ausdauer auszeichnet — die Körpergestalt des jugendlichen Japaners. Gerade in Japan sind in den letzten Jahren mit der Verallgemeinerung der Meßkunde sehr ausgedehnte Messungen an Jugendgruppen angestellt worden. Die nächste Tabelle soll für beide Geschlechter Vergleichsdaten bringen. Der prozentuelle Abstand im Vergleich mit den deutschen Jugendlichen ist in der Körperlänge für die einzelnen Pubertätsjahre bei den männlichen Jugendlichen 2 bis 4%, bei den weiblichen Jugendlichen 4 bis 5%, und im Körpergewicht bei den männlichen Jugendlichen 5 bis 12% und bei den weiblichen Jugendlichen 5 bis 17%. Tabelle 20. Vergleich mit japanischen Alter 10 11 12 13 14 15 16

Körperlänge m w 127,3 131,5 136,4 141,9 149,1 155,6 159,7

124,9 131,1 136,8 142,6 146,7 148,9 149,7

m

Prozente w

96,8 96,3 97,0 97,3 97,2 98,2 97,0

95,0 95,6 95,3 96,2 96,4 95,8 94,5

Jugendlichen. Körpergewicht m w 25,7 27,7 31,1 34,3 38,6 44,6 48,7

24,2 27,7 31,3 35,7 40,0 42,3 43,2

m

Prozente w

88,5 87,8 90,6 91,8 92,0 95,1 91,5

83,5 86,5 88,0 92,7 95,0 94,2 83,1

Die vorgeführten Gegenüberstellungen dürften wohl alle Extreme erschöpfen.



43



Unterschiede innerhalb des deutschen Siedelungsgebietes. Unser bereits vielfach vorgeführtes Normmaterial für das Jugendlichenalter bedarf aber noch einer Überprüfung aus dem deutschen Siedlungsgebiete selbst. S t r a t z hat den Versuch gemacht für die deutsche Schuljugend die höchsten und die niedrigsten Durchschnittswerte gegenüberzustellen. Leider ist auch hierbei dieser Versuch nur bis zum 15. bzw. 16. Lebensjahr ausgedehnt. Immerhin ist aber doch für den ersten Abschnitt des Pubertätsalters ein bestimmter Einblick in die volksheitliche Variabilität gegeben. Tabelle 21. D e u t s c h e S c h u l k i n d e r . Höchste und niederste Durchschnittswerte. Alter

Höhe cm

10 11 12 13 14 15 16

Knaben Gewicht kg

125—136 130—140 135—145 140—151 144—156 154—162 162—166

Mädchen Höhe Gewicht cm kg

26,5—30,5 28 — 3 3 32 — 3 7 35 — 4 1 , 5 37 — 4 5 46 —51,5 52 — 5 6

126—136 131—141 136—148 142—152 145—156 147—158 —

26,5—32 28,5—34 32 — 4 0 , 5 36 — 4 3 40 —50 43 —51







Es ist zu erkennen, daß unsere Normwerte für Knaben und Mädchen sich ungefähr in der Mitte der Grenzzahlen befinden. Die allgemeine Prüfung ist auch ein Beweis für die Richtigkeit unseres Normmaterials. Es kann aber auch eine andere Beweisführung versucht werden. Aus Erfurt wurde vom Stadtarzt Dr. R e i c h in umfassenden Untersuchungen die Körperlichkeit der männlichen Jugendlichen, und zwar aus allen sozialen Schichten und Berufsgruppen vom 14. bis zum 20. Lebensjahr festzustellen gesucht. Es wurden hier außer Länge und Gewicht auch weitere Körpermaße genommen. Die nächste Tabelle bringt eine Gegenüberstellung unseres Normmaterials mit dem Erfurter Material. Tabelle 22. V e r g l e i c h N o r m t a f e l (Jugendliche) m i t E r f u r t . Männliche Jugend, a = Deutsche Norm, b = Erfurt, c = Unterschied. Körpergewicht

Körpergröße

< 14 15 16 17 18 19 20

Brustumfang

Schulterbreite

a

b

c

a

b

c

a

b

c

a

b

c

153,52 158,48 164,73 168,50 169,14 169,6 169,8

156,2 156,2 165,9 165,8 168,8 168,4 170,0

+2,7 —2,3 +1,2 -2,7 —0,3 -1,2 +0,2

41,94 46,94 53,30 56,50 59,09 60,98 62,86

46,7 48,8 54,6 56,8 59,3 60,9 63,0

t-4,8 hl,9 -1,3 -0,3 -0,2 -0,1 +0,1

73,5 76,1 79,9 83,4 85,4 87,4 89,2

82,2 78,2 82,7 85,1 86,3 87,1 89,5

[-8,7 b2,l H2,8 hl,7 hO,9 —0,3 +0,3

32,1 34,2 36,2 36,5 37,2 37,8 38,0

35,2 35,1 36,7 37,8 38,1 38,3 39,3

-3,1 -0,9 -0,5 -1,3 -0,9 -0,5 -1,3

Hüftbreite (Trochanterenbreite) a b c 27,7 28,9 30,2 31,0 31,6 31,7 31,7

28,5 28,7 30,8 31,4 31,5 32,3 32,6

+0,8 —0,2 +0,6 +0,4 —0,1 +0,6 +0,9



44



Aus dieser Tabelle ergibt sich, daß in der Körpergröße die Erfurter Jugendlichen mit der deutschen Norm fast völlig übereinstimmen. Die Zahl der Varianten für die einzelnen Altersklassen war jedoch in Erfurt verhältnismäßig klein, so daß die Mittelwerte etwas Sprünge aufweisen. Bei Vergleich der Körpergewichte ist vom 17. Lebensjahre an fast völlige Übereinstimmung und nur in den ersten Pubertätsjahren ein Mehrgewicht derErfurter Jugendlichen zu ersehen. Die gleiche Erscheinung zeigt sich auch für den Brustumfang, während die Schulter- und Hüftbreite ein kleines Plus zugunsten der Erfurter Jugendlichen ergibt. Auch hier soll wieder darauf verwiesen werden, daß im Körpergrößenwert mit dem 20. Lebensjahr die deutsche Norm mit 169,8 cm und die Erfurter Jugendlichen mit 170 cm den von F. B a c h festgestellten Mittelwert für Turner und Sportler von 169,2 cm fast völlig gleichkommen. Im Körpergewicht jedoch besteht ein etwas größerer Unterschied, da bei den 20jährigen Jugendlichen ein Mittelwert von rd. 63 kg, bei den deutschen Turnern und Sportlern jedoch von 64,5 kg festgestellt wurde. Dementsprechend weist auch der Körperbauindex bei den 20 jährigen Jugendlichen den Wert von 2,18, für die deutschen Turner und Sportler jedoch den Wert von 2,26 auf. Das Alter der deutschen Turner und Sportler schwankte zwischen 20 und 34 Jahren, wodurch der Unterschied im Gewicht erklärt ist. Mit diesen festgestellten Zusammenhängen ist die letzte Phase der Reifeentwicklung deutscher Jugendlicher mit dem Vollreifealter in eine natürliche Verbindung gebracht. Dies gilt jedoch einstweilen nur für die männliche Jugend, während für die weiblichen Jugendlichen diese Verbindung mit einem sozial unbeeinflußten Material einstweilen noch nicht hergestellt werden kann. Soziale und berufliche Unterschiede bei Jugendlichengruppen. Es ist bereits seit langem bekannt, daß in den Körpermaßen bei sozialen Gruppen der einzelnen Völker sich Unterschiede finden. So hat der bekannte italienische Militärarzt Li vi wohl zuerst für Italien bei Studierenden eine mittlere Körpergröße von 166,9, bei den Arbeitern im allgemeinen von 164,4 cm festgestellt; für Nordfrankreich ergab sich nach C a l i e r ein Unterschied von 169,7 und für Gesamtfrankreich ( L o n g u e r ) von 168,7 und 164,4, für England ( R o b e r t s ) von 172,4 und 169,8, für Spanien (Oloriz) von 163,9 und 159,8 und für Deutschland nach der mittleren Körpergröße der Einjährigfreiwilligen von 171,6 cm zur Gesamtheit der Militärtauglichen von 167,5 ( E v e r t und S c h w i e n i n g ) . Einen kleineren Unterschied konnte R o t h 1 ) für die Pfälzer Geistes- und Handarbeiter 1) Beiträge zur Anthropologie der Pfalz, Kayser, Kaiserslautern 1928.



45



mit 169,3 und 167,2 cm feststellen. Die sozialen Unterschiede in der Körpergröße schwanken bei den einzelnen Nationen zwischen 2 und 5 cm. Doch auch innerhalb der einzelnen Berufe sind Größen- und Gewichtsunterschiede vorhanden, auf die wir noch später zurückkommen werden. Es ist von vornherein wahrscheinlich, daß diese sozialen Unterschiede in den Körpermaßen im Pubertätsalter besonders deutlich in die Erscheinung treten müssen; Für München konnte diese Vermutung nachgeprüft werden, und zwar für das männliche und weibliche Geschlecht. In der Tabelle 23 (S. 46) sind der deutschen Norm für die Pubertätsjahre von 14 bis 17 die Gesamtzahlen der Berufstätigen und der Mittelschüler gleichen Alters gegenübergestellt. Aus dieser Tabelle ergibt sich, daß die berufstätigen Jugendlichen Münchens im Vergleich zu den Mittelschülern Münchens in den vier Pubertätsjahren in der Körpergröße einen Unterschied von 8 bis 10 cm und im Körpergewicht von 5 bis 7 kg aufweisen. Der Längenunterschied im Pubertätsalter ist somit innerhalb der sozialen und beruflichen Gruppen tatsächlich größer als im Vollreifealter. Bemerkenswert ist jedoch, daß im Körperbauindex so gut wie keine Unterschiede im Vergleich mit dem deutschen Normmaterial erkennbar sind. Diese Erscheinung deutet bereits darauf hin, daß die Unterschiede überwiegend auf ein Voraneilen in der Entwicklung bei den Schülern höherer Lehranstalten im Vergleich zu den Berufstätigen zurückzuführen sind. Prüfen wir diese Annahme auch für die weiblichen Jugendlichen. In der Tabelle 24 (S. 46) sind der deutschen Norm für die Pubertätsjahre 14 bis 16 für München die höheren Schülerinnen und die berufstätigen Jugendlichen gegenübergestellt. Nach dieser Tabelle ergeben sich, namentlich für das 14. Lebensjahr, ähnliche Unterschiede für die weiblichen Jugendlichen wie für die männlichen Jugendlichen. Der gesamte Größenunterschied beträgt 8 cm, aber im Gegensatz zu den männlichen Jugendlichen ist der Abstand vom Beruf zur Norm kleiner als von der höheren Schule zur Norm. Mit fortschreitender Pubertät jedoch nimmt der Abstand nach der Körperlänge und dem Körpergewicht von der höheren Schule zur Norm bei den Mädchen schnell ab, während der Abstand vom Beruf zur Norm annähernd erhalten bleibt. Im Körperbauindex ergibt sich für die weibliche Jugend die interessante Erscheinung, daß die Indexwerte für das Normmaterial und für die höheren Töchter fast völlig übereinstimmen, die berufstätigen Jugendlichen jedoch wie in Länge und Gewicht, auch nach dem Körperindex etwa um ein Lebensjahr zurück sind. Im Jugendlichenalter scheint jedoch auch der Erziehungsort einen Einfluß auf die Intensität der Pubertätsentwicklung zu haben.



46

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10 16 10 17 7 16

36 7 12 31 5 22

417

76

113

»/10

18,2

27

41 8 2 12 2 4

100 51 50 68 37 111

119

69

28,5

16,5

Es geht aus dieser Stichprobe hervor, daß die Auffassung, das Bier als einen notwendigen täglichen Bestandteil der Arbeiterernährung aufzufassen, noch immer stark verbreitet ist und schon in der jugendlichen Arbeiterschaft zutage tritt. Es scheint zwar im Vergleich zur Vorkriegszeit eine gewisse Besserung eingetreten zu sein, da bei Erhebungen 1 ) aus dem Jahre 1913 E p s t e i n und A l e x a n d e r bei den Angehörigen des dritten Lehrgangs von Maschinenbauern und Schlossern bis zu 90% täglichen Biergenuß feststellten, während nach der im Jahre 1928 vorgenommenen Stichprobe nur mehr etwa ein Drittel der Lehrlinge der obengenannten Berufsarten täglichen Biergenuß zugab, dabei allerdings 14% mehr als y2 Liter täglich. 1) E p s t e i n & A l e x a n d e r , Konstitution und Umwelt im Lehrlingsalter. II. Teil. Lehmann Verlag 1922.



193



Am meisten scheint der gewohnheitsmäßige tägliche Alkoholgenuß noch verbreitet zu sein in den Berufsgruppen der Pflasterer und Bauhandwerker, der Metzger und Kellner. Das prozentuale Verhältnis der Raucher zu den Nichtrauchern beträgt, nach der im vergangenen J a h r gemachten Stichprobe, 29 : 71 und mit Einbeziehung der nur Sonntags Rauchenden im Vergleich zu den überhaupt nicht Rauchenden 37 : 63. Danach wäre auch eine Besserung in bezug auf den Nikotingenuß der jugendlichen Arbeiterschaft im Vergleich zur Vorkriegszeit eingetreten, denn E p s t e i n und A l e x a n d e r geben (allerdings für Schmiede und Schlosser) bei den 16- bis 17jährigen 5 0 — 6 0 % Raucher an. Fast noch wichtiger als die Angaben von Zahlen, die j a begreiflicherweise bei solchen Erhebungen immer nur beschränkte Zuverlässigkeit in Anspruch nehmen können, ist aber der bei solchen Fragen des Schularzts hinterlassene Eindruck, daß bei einem großen Teil von Jugendlichen des Arbeiterstandes der sonntägliche Biergenuß noch immer als ein wesentlicher Bestandteil des Sonntagsvergnügens und Wertmesser bei der Gestaltung der Freizeit betrachtet wird. Es soll damit nur angedeutet werden, daß bei einem großen Teil unseres jugendlichen Nachwuchses das Werturteilsvermögen und das weltanschauliche Milieu in seiner indirekten Bedeutung für das gesundheitliche Verhalten auch vom ärztlichen Standpunkt aus Beachtung verdient. Die schulärztliche Sprechstundentätigkeit ergibt häufige Gelegenheit zu Einblicken in Defekte des jugendlichen Seelenlebens. Auf Grund kasuistischer Eindrücke gewinnt man dabei den Eindruck, daß neben pädagogischer Unsicherheit der Elternschaft die Zerrissenheit auf weltanschaulichem Gebiet in welche die heutige Jugend viel zu früh hineingerissen wird, einen H a u p t g r u n d für die so häufige Manifestierung von Fällen jugendlicher Schwererziehbarkeit und auch der jugendlichen Kriminalität darstellt. Ungunst der Zeitverhältnisse und des Großstadtlebens wirken sich auf die einzelnen Kategorien der Jugendlichen in verschiedener Weise aus. Eine engere Zusammenarbeit zwischen Berufs- und Mittelschulärzten zwecks Sammlung kaususitischen Materials über die Auswirkung von geistigen Umweltsschäden auf die Jugend wäre eine Notwendigkeit, um Vergleiche gewinnen zu können. Bei der Berufsschuljugend muß dem besonderen Umstand Rechnung getragen werden, daß sich schon in den ersten Berufs- und Lehrjahren eine spezifische psychische Gebahrung entwickelt, die dem spezifischen körperlichen Habitus der einzelnen Berufsgruppen an die Seite gestellt werden kann. Ihre Berücksichtigung hat vom Kaup-Fürst,

Ivörperverfassuiig.



194



prophylaktischen Standpunkt die gleiche Bedeutung wie die Beobachtung des körperlichen Habitus. Für die richtige Beeinflussung der psychischen Gebahrung im hygienischen und pädagogischen Sinn ist daher für alle im Dienste der Jugenderziehung stehenden Organe, nicht nur für den eigentlichen Pädagogen, sondern auch für den Schularzt als Erzieher zur optimalen biologischen Leistungsfähigkeit, eine genaue Kenntnis des „beruflichen Milieus" erforderlich. Unter diesem Ausdruck ist in der Gewerbehygiene bei den heutigen Verhältnissen nicht mehr wie früher lediglich die materielle Umwelt zu verstehen, vielmehr ist dieser Begriff auf die außerhalb des materiellen Gebietes gelegenen Faktoren zu erweitern. Die Erfahrungen des mit der Berufsschuljugend beschäftigten Arztes gehen dahin, daß zwar von der materiellen Umwelt bei bestimmten neueingeführten und noch nicht genügend erprobten Produktionsverfahren immer wieder neue Schädigungen ausgehen können, deren Beobachtung daher eine wichtige gewerbehygienische Notwendigkeit darstellt, daß aber diese Schädigungsmöglichkeiten im Vergleich zu den Gefahren der psychischen Umwelt q u a n t i t a t i v und q u a l i t a t i v heutzutage sicherlich eine geringere Rolle spielen. Die H a u p t g e f a h r e n d e r E n t a r t u n g u n d A b w e g i g k e i t der psychophysischen Entwicklung unserer Jugendlichen liegen heutzutage vorwiegend auf n i c h t materiellem Gebiet. B. Die Wachstumsverhältnissc des Jugendlichenalters im Vergleich zur Kriegs- und Vorkriegszeit. Während Krankheits- und Sterblichkeitsziffern nur ein sehr trügerisches Bild von den eigentlichen Gesundheitsverhältnissen der Altersklassen des heranwachsenden Nachwuchses und die Bemessung prophylaktischer Maßnahmen ergeben, kann uns ein Einblick in die Wachstumsverhältnisse durch Vergleich der in verschiedenen Gegenden und verschiedenen Zeiten erhobenen Meßwerte manche Einblicke für eine konstitutionelle Prognose eröffnen. Die Beobachtung der Wachstumsverhältnisse während des Krieges hat uns zunächst gelehrt, daß Veränderungen der Ernährungslage die Art des Wachstums in ganz bestimmter gesetzmäßiger Weise beeinflussen. Es hat sich auf Grund der Untersuchungen, die während des Krieges an der Straßburger Schuljugend von S c h l e s i n g e r 1 ) angestellt wurden, ferner nach den Beobachtungen in Frankfurt, Mün1) S c h l e s i n g e r , Wachstum, Gewicht und Konstitution der Kinder und der heranwachsenden Jugend während des Krieges. Ztschr. für Kinderheilkunde 1919, Bd. 22 und Münchner med. Woch. 1917.



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chen, Stuttgart, Chemnitz 1 ) bis zum Jahre 1916 herausgestellt, daß nach länger dauernder Unterernährung zunächst nur das Gewichtswachstum Schaden leidet, und daß es längere Zeit dauert, bis auch das Längenwachstum eine Einbuße erleidet. Erst im Jahre 1917 wird in Stuttgart, Frankfurt, München von einer verbreitet auftretenden Hemmung des Längenwachstums berichtet. Während die Kinder im allgemeinen schon 2 Jahre nach dem Krieg im Gewicht zurückgegangen waren, blieben die Längenzahlen erst nach 3 Kriegsjahren hinter den Friedenswerten zurück. Der tiefste Stand des Längenwachstums fiel in den meisten Altersklassen erst in das J a h r 1920 und bedeutete durchschnittlich bei der im Volksschulalter und Nachschulalter befindlichen Jugend nach den von S c h l e s i n g e r an 2 je über 5 Jahre fortlaufenden Serien von Messungen an ein und demselben Material den Ausfall um etwa den Wachstumsgewinn eines Jahres. Am bedeutendsten war die Wachstumshemmung bei den 13- bis 15jährigen Knaben und Mädchen des Jahres 1920, da diese seit dem 8. bzw. 10. Lebensjahr den Wirkungen der Unterernährung ausgesetzt gewesen waren, die sich bei den damals im Volksschulalter stehenden Kindern viel stärker auswirken mußten als bei den Säuglingen und Kleinkindern, für die während des Krieges durch die verbesserte Milchversorgung ein viel besserer Schutz gegeben war. In München 2 ) war im Jahre 1920 bei den im Berufseinschulungsalter stehenden männlichen Pubeszenten (für die weiblichen lag kein Vergleichsmaterial aus der Vorkriegszeit vor) durchschnittlich eine Einbuße von 1 , 2 % der Friedenslänge und 3 , 2 % des Friedensgewichtes eingetreten. Gleichzeitig ließ sich eine auffällige Beobachtung machen, daß nämlich bei den Jugendlichen die Verminderung der Längen- und Gewichtsmaße mit einer relativen Zunahme der Brustmaße verbunden war. Bei den Münchener Lehrlingsuntersuchungen des Jahres 1920 zeigte sich bei den gleichen Berufsgruppen, die im Jahre 1913 einer Untersuchung durch K a u p unterworfen worden waren, trotz Abnahme der Länge, die durchschnittlich bis zu 2 % des Friedenswertes betrug und trotz einer Abnahme des Gewichts bis zu 5 % ein Gleichbleiben der Brustumfangswerte, j a sogar gelegentlich eine leichte Zunahme. Am ausgesprochensten war diese Feststellung 3 ) bei der Gruppe der ungelernten jugendlichen Arbeiter Münchens zu machen. 1) H o p p e , Kriegsjugend uud Hungerfolgen. A r c h . f. soz. H y g . II. B d . Heft 6. 2) K a u p , E i n w i r k u n g der Kriegsnot auf die W a c h s t u m s v e r h ä l t n i s s e der männlichen j u g e n d l i c h e n . Münchner med. W o c h . 1 9 2 1 , Nr. 2 3 . 3) F ü r s t , Die J u g e n d l i c h e n in ungelernten Berufen vor und nach d e m Kriege. Ztschr. für Schulgesundheitspflege. 1 9 2 1 , 34. J g . , Nr. 9 / 1 0 . 13* 1927.



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H o p p e 1 ) weist darauf hin, daß ähnliche Beobachtungen über Zunahme des Brustumfangs bei Rückgang von Gewicht und Länge von P o e t t e r in Leipzig schon im Jahre 1919 gemacht wurden. H o p p e glaubt diese Erscheinung, darauf zurückführen zu können, daß bei unzureichender Gesamtmenge des Anbau- und Betriebsmaterials die Neigung besteht, die ungekürzte Teilmenge dahin zu werfen, wo sie am unentbehrlichsten ist, d. h. zu den inneren Organen. Der Brustkorb, der mit den Lungen zu einer fuktionstechnischen Einheit verbunden ist, wird bei Hungerperioden in der Ernährung besser gestellt, die Überentwicklung in der Breite wäre demnach als eine von der Natur automatisch in Kraft gesetzter Schutzmechanismus zu betrachten. Gegenüber dieser etwas teleologisch anmutenden Erklärung gibt es aber auch eine andere Auslegung, die dahin geht, daß die während des Krieges eingetretene geringere schulische Beanspruchung der Jugend infolge der Verkürzung der Unterrichtszeiten und der verlängerten Schulferien diesen Ausgleichsvorgang ermöglicht hat. Dafür spricht die von S c h l e s i n g e r gemachte Beobachtung, daß die Sitzschäden während des Krieges, namentlich die Haltungsanomalien und Verbiegungen der Wirbelsäule bei den Volksschulkindern in der damaligen Zeit beträchtlich zurückgegangen seien. Kinderkliniker wie G o e t t 2 ) haben sich der von S c h l e s i n g e r aufgestellten Anschauung angeschlossen, daß die Verminderung des Längenwachstums geradezu eine Zurückführung des Wuchses zur Norm bedeutet habe. Wir müssen diese als Begleiterscheinung der Wirkung der Unterernährung auf die Kinder gemachte ärztliche Beobachtung deshalb hervorheben, weil sie uns zeigt, daß die Natur äußere ungünstige Faktoren auf das Wachstum in Gestalt der Unterernährung verhältnismäßig rasch einer Selbstreparation zuzuführen imstande ist, im Gegensatz zu den Einflüssen des Kulturlebens und der Schule. Großes Interesse wurde von Seiten der Schulärzte und Konstitutionshygieniker auf die im weiteren Verlauf der Nachkriegsjahre eintretende Art des Reparationsmechanismus zugewendet. Es läßt sich hiezu sagen, daß im allgemeinen die Tendenz nach Ausgleich des Längen- und Gewichtswachstumsverlustes sich schon vom Jahre 1922 ab durch eine Erhöhung der Merkmalswerte zu erkennen gibt. In diesem Sinne sprechen die von Ö t t i n g e r 3 ) unter Benützung 1) loc. cit. 2) G o e t t , Änderungen in der K o n s t i t u t i o n des Volkes im letzten J a h r zehnt. Deutsche Z e i t s c h r . f. d. Gesundheitspflege. 1 9 2 5 / 2 6 , H. 3 — 8 . 3) Ö t t i n g e r , A n t h r o p o m e t r i s c h e U n t e r s u c h u n g e n a n B r e s l a u e r und Charlottenburger Schulkinder. Zeitschr. f. Hygiene u. I n f e k t . - K r a n k h t . 1 9 2 2 .



197



seines Relativindex gemachten Untersuchungen. Letztgenannter Autor stellte nach dem Gewicht der Kinder einer Breslauer Schule für halbjährige Altersklassen und 1 cm Größenunterschied eine Normaltabelle auf und berechnete dann nach der Formel 100 G: N diesen Index, wobei G das gefundene, N das Normalgewicht bedeutet. Bei der im großen und ganzen schon vom Jahre 1922 ab bei den deutschen Schulkindern zu erkennenden steigenden Tendenz des Wachstums ließ sich nach den Charlottenburger Untersuchungen des Jahres 1923 eine zweimalige Sattelbildung erkennen, insofern als die zu Michaelis 1921 und Ostern 1922 eingetretenen Jahrgänge nach Größe und Füllung, zweitens die zu Ostern und Michaelis 1923 eingeschulten Jahrgänge nach Größe und Füllung sämtliche zurückgeblieben waren. Die Entwicklungshemmung des Jahrgangs 1923 war aber nicht von Dauer, vielmehr zeigte sich schon im Laufe des Jahres 1924 bei diesem Jahrgang eine merkliche Aufbesserung. Dagegen waren die Jahrgänge 1921 (Michaelis) und 1922 (Ostern), die also zu Ostern 1917 10 bzw. 9y 2 Jahre alt waren, auch während der weiteren Berufsschulzeit deutlich gehemmt. Diese Feststellung ist deswegen wichtig, weil sie zeigt, daß es nicht gleichgültig ist, in welchem Zeitpunkt der Entwicklung wachstumshemmende Einflüsse sich bemerkbar machen. Das Jahr 1924 darf erst als der Zeitpunkt betrachtet werden, von welchem ab man in Deutschland wieder von einer Beseitigung der Kriegsfolgen auf das Wachstum der Pubeszenten im Berufseinschulungsalter sprechen kann. In diesem Jahre haben die 14jährigen Berufsschüler zum ersten Male die für diese Altersklasse geltenden Vorkriegswerte in bezug auf Länge und Gewicht ungefähr erreicht. Es zeigt sich aber bei den über 14jährigen des Jahres 1924 jetzt schon ein leichtes Übersteigen der Vorkriegsmittelwerte, weil diese Altersklassen die schlimmsten Jahre des Krieges zu einer Zeit erlebt hatten, wo sie schon in einem Zustand erhöhter Widerstandsfähigkeit sich befunden hatten. Tabelle 4.

Im Jahre . . Länge . . . . Gewicht . . .

15-

14-

Münchner

1913 148,4 38,9

1924 148,1 38,9

1913 152,5 42,8

17 j ä h r i g e

16-

1924 152,3 43,4

1913 158,3 47,5

1924 159,0 49,5

1913 162,3 52,0

1924 163,1 53,5

Diese Vermehrung der Mittelwerte erstreckt sich vom Jahre 1925 auf sämtliche Altersklassen der Berufsschuljugend vom Eintritt



198

Tabelle 6.



Z u n a h m e der H a l b j a h r s m i t t e l w e r t e

Schülerzahlen

14

"Vi 15

W/.

16

i«7i 17

" 7 .

L ä.nge

1913

1920

1922

1923

1925

1927

1928

1929

1913

1920

1922

1923

341 761 682 580 429 475 381 238

285 806 324 165 151 191 120 41

695 357 243 223 563 674 414 161

712 286 255 254 445 442 337 225

334 228 137 110 204 271 180 101

844 684 207 142 447 672 481 232

861 856 286 174 573 829 453 270

769 628 296 165 457 696 397 282

148,4 150,5 152,5 155,7 158,3 161,3 162,3 164,8

148,3 149,8 150,9 152,9 155,1 157,8 162,0 164,0

146,1 149,1 151,8 156,7 157,4 160,1 161,2 163,6

148,1 148,2 152,3 156,3 159,0 161,7 163,1 164,5

in die Berufsschule ab und zeigt in den nächstfolgenden Jahren 1926/27 und 1927/28 ein noch weiteres Ansteigen, so daß wir sagen können, daß 1 Jahrzehnt nach dem Kriege die berufsschulpflichtige Jugend die Yorkriegswerte um rd. 2% im Längen- und rd. 8% im Gewichtswachstum übertrifft (s. Tab. 5). Die Tabelle 6 (s. S. 200 u. 201) gibt einen Überblick für die im Jahre 1913 untersuchten Berufsgruppen (Bäcker, Maschinenbauer, Schlosser, Metzger, Kellner, Schneider und Ungelernte) im Vergleich zu den Jahren 1928 und 1929. Mit Ausnahme von den letzten drei Berufsgruppen sehen wir durchwegs die Längen- und Gewichtswerte und die daraus sich ergebenden Verhältniswerte für das Längen-Breitenverhältnis unter Zugrundelegung des Erismannschen ,bzw. Kaupschen Index schon beim Berufseintritt wesentlich erhöht. Wenn bei dieser Ausscheidung nach Berufsgruppen sich die Zunahme der absoluten und Verhältniswerte nicht auf alle der in Vergleich gesetzten Berufsgruppen gleichmäßig erstreckt, so ist diese Änderung in der konstitutionellen Zusammensetzung der Berufsgruppen z. T. wohl auf die Wirkung der seit dem Jahre 1922 ins Tabelle 7. B ürgerschulen Länge

14—147a 147Ü—15 15—157 2 157j—16 16—167 2 167ü—17 17—177a 177„—18

Höhere Schulen

Gewicht

Länge

Gewicht

1913

1925/26

1913

1925/26

1913

1925/26

1913

1925/26

150,9 154,7 157,9 160,8

158 158 161 163

40,0 42,5 45,5 50,1

43,8 47,0 49,8 52,4 —

154,9 158,7 161,5 165,0 167,5 170,0 171,9 172,6

157 160 163 166 170 170 171 172

42,9 46,9 49,2 52,9 56,0 58,9 60,6 62,5

46,2 48,6 51,8 55,2 57,7 59,1 60,7 62,8





—•

























— bei der M ü n c h n e r

199



Berufsschuljugend.

Länge 1925 —

149,9 153,4 155,3 159,9 162,4 163,4 163,9

Gewicht

1927

1928

1929

1913

1920

1922

1923

1925

1927

1928

1929

148,8 151,9 154,2 156,3 160,4 162,7 164,2 164,7

150,3 151,9 154,8 157,5 160,9 163,0 164,2 165,5

152,0 152,6 155,6 156,2 161,9 163,1 167,3 167,0

38,9 40,7 42,8 45,3 47,5 49,9 52,0 53,6

38,1 40,2 42,0 43,1 46,2 47,4 50,6 51,7

33,7 39,2 42,9 46,7 48,5 48,7 51,1 53,7

38,9 39,3 43,4 46,5 49,5 51,9 53,5 54,7

39,9 40,9 44,7 45,8 50,6 53,2 54,7 56,1

40,3 42,1 44,6 46,9 51,7 53,6 55,7 56,6

42,4 42,2 44,8 46,9 52,0 54,4 55,4 56,4

43,0 43,2 46,3 47,5 53,6 55,1 56,2 58,6

Leben gerufenen Berufsberatung zurückzuführen. Das Wesentliche ist die Feststellung der für die Gesamtheit der gegenwärtigen Jugend erfolgten Erhöhung über die Mittelwerte der Vorkriegszeit, die übrigens keine für München isolierte Erscheinung darstellt, sondern nach den Untersuchungen in Stuttgart 1 ) auch für die dortigen Bürger- und höheren Schulen gilt. Zum Vergleich seien die Stuttgarter Zahlen den Münchener gegenübergestellt (siehe Tab. 7). Es geht daraus hervor, daß bei der 14- bis 16jährigen Jugend Stuttgarts eine ca. l % i g e , bei den 16- bis 18jährigen sogar eine 2,5% ige Längenzunahme eingetreten ist. Es fragt sich, wie diese Zunahme der Mittelwerte zu bewerten ist. An sich jedenfalls als ein Beweis für die Reparationskraft der Natur gegenüber vorausgegangenen längeren Perioden von Unterernährung, und — speziell die Gewichtszunahme — als an sich günstiges Zeichen, daß die Einwirkung der mehrjährigen Hungerkrise überstanden ist. Andererseits aber die auf alle Jahres- und Halbjahrgruppen sich erstreckende Zunahme der Mittelwerte doch auch im Sinne eines Vorauseilens der Wachstumskurve, die eine frühere Beendigung des Wachstums, als wir sie vor dem Kriege gewohnt waren, mit sich bringen muß. In diesem Sinne scheint auch die Abnahme der Streuung der Maße für Gewicht, Länge und Brustumfang zu sprechen, die sich in den höheren Altersklassen bemerkbar macht. Wenn wir diese Werte nach den Münchener Berechnungen nebeneinander stellen, so zeigt sich, daß die Streuung schon im 17. Lebens1) G a s p a r , Soziale Hygiene und Schulalter im Handb. d. soz. Hygiene von Gottstein, Schloßmann und Teleky, Bd. 4.

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155,91 161,01 73,50 76,81 47,54 51,46 —4,09 —3,69 1,78 1,98

158,68 164,20 76,08 77,91 52,0 53,03 —3,26 —4,19 1,94 1,98

166,10 166,00 76,83 79,87 51,4 5S,6 —6,22 —3,31 1,86 2,02

147,3 150,87 150,76 151,7 155,20 153,62 158,8 161,60 161,66 162,4 164,62 166,09 69,3 70,9 71,4 69,9 73,00 73,28 76,0 77,74 77,90 77.8 80,28 80,05 39,5 41,7 41,8 41,7 43,7 44,6 48,2 53,5 56,7 51.9 52,1 56,1 —4,4 —4,5 —4,4 —5,91 —4,60 —3,53 —3,4 —3,06 —2,93 —3,4 —2,03 —2,99 1,81 1,83 1,84 1,81 1,85 1,84 1,91 2,04 2,09 1,99 1,99 2,03

151,26 71,05 42,79 —3,58 1,78

144,95 149,48 151,21 156,36 153,78 158,67 157,10 69,14 70,34 70,15 74,66 72,55 73,61 76,00 39,9 40,9 43,3 37,4 47,1 46,26 49,2 —3,33 —4,40 —5,45 —3,97 —4,34 —5,73 —2,5 1,79 1,83 1,92 1,83 1,77 1,78 1,98

148,21 149,80 151,0 157,48 158,06 157,26 160,68 161,75 70,05 70,18 70,5 75,17 74,82 75,29 76,96 78.00 40,6 41,93 48,2 39,5 47,8 47,4 51,6 53.1 —3,95 -4,72 —5,0 —2,57 —4,21 —3,34 —4,21 —2,87 1,82 1,83 1,94 1,79 1,92 1,89 2,0 2,03

144,93 152,2 67,77 69,77 38,95 39,84 —4,69 —6,33 1,73 1,86

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Länge . . . . Brustumfang . Gewicht . . . *E K

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201

Schlosser

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Länge . . . . Brustumfang . Gewicht . . . E K

Länge . . . . Brustumfang . Gewicht . . . E K

Länge . . . . Brustumfang . Gewicht . . . E K

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Schneider

Ungelernte

Kellner

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202



j ä h r namentlich für Länge und Gewicht seit dem J a h r e 1925/26 sich vermindert. Tabelle 8. S t r e u u n g für:

Gewicht

Länge

1913 23/24 25/26 27/28 28/29

1913

15

8,4

8,3

7,0

8,4

8,4

7,4

16

8,1 7,4

8,3

8,8

8,0

7,5

7,8

7,1 7,8

7,9

6,9

4,7

6,8

7,2

7,2

17

Brustumfang

23/24 25/26 27/28 28/29

1913

23/24 25/26127/28 28/29

6,9

8,1

8,4

7,8

4,3

4,3

5,7

4,8

7,9 6,8

8,3

7,5

3,8

5,1

5,0

4,9

4,9

7,0

6,8

4,7

5,1

4,1

4,5

4,3

Aus Platzersparnisgründen muß hier auf eine Wiedergabe der auch für Halbjahrsgr uppen errechneten Verhältnisse verzichtet werden. E s sei aber doch erwähnt, daß nicht nur die Berechnung nach Halbjahrsgruppen ganz ähnliche Verhältnisse erkennen ließ wie die für die Gesamtheit der Berufsschuljugend nach Jahresgruppen erfolgte Berechnung der Streuung und des hieraus zu ermittelnden Variationskoeffizienten, sondern auch die gesonderte Durchführung der Berechnung für einzelne größere Berufsgruppen. E s handelt sich also offenbar um eine seit dem J a h r e 1925/26 allmählich eingetretene allgemein gültige Erscheinung, die auf einer biologischen Ursache beruhen muß. Die Größe der Streuung der Körpermasse in einer im W a c h s t u m befindlichen Population glauben wir als einen Ausdruck betrachten zu können für die in diesem Altersabschnitt herrschende allgemeine Wachstumsintensität. J e größer die Wachstumsintensität, desto größer ist auch die für die wichtigste Körpermasse ermittelte Variation und Streuungsbreite. Normalerweise ist sie in der Vorpubeszenz gering. F ü r die 1334jährigen und 14jährigen soll sie für Länge, Gewicht, Stammlänge und Brustumfang durchweg geringer sein als für die 14- und 1 4 % j ä h r i g e n . Auf dem Kulminationspunkt der Pubeszenz ist Streuung und Variationskoeffizient a m stärksten, um normalerweise erst im 18. Lebensjahr eine deutliche Abnahme erkennen zu lassen, wenn das W a c h s t u m abgeschlossen ist. Dann erst ist die Größe der Streuung den für Erwachsene geltenden Werten hinsichtlich der Variabilität der Körpermasse genähert. Unter den heutigen Verhältnissen sehen wir aber die Streuung schon mit dem 17. L e b e n s j a h r abnehmen, was als Zeichen b e t r a c h t e t werden muß, daß der Höhepunkt des Pubertätswachstums zu einer früheren Zeit überschritten wird als vor dem Kriege. Wenn wir das Charakteristische der im Vergleich zur Vorkriegszeit eingetretenen Veränderungen zusammenfassen wollen, so kommen wir zu dem Ergebnis: 1. Seit dem J a h r e 1925 macht sich eine auf sämtliche Altersklassen sich erstreckende Erhöhung der Mittelwerte für Körperlänge, Stammlänge, Gewicht und Brustumfang geltend.



203



2. Gleichzeitig damit ist eine Abnahme der Streuung gegen das Ende der Pubeszenz verbunden, die sich schon im 17. Lebensjahr seit dem Jahre 1925 und von da in gleichem Sinn noch weiter abnehmend im Vergleich zu den Streuungswerten der Vorkriegszeit zu erkennen gibt, während die Streuungswerte vor dem 17. Lebensjahr gleichgeblieben bzw. sogar leicht erhöht, jedenfalls nicht vermindert sind. 3. Diese Erscheinungen — gleichmäßiges Steigen der Mittelwerte bei früherer Abnahme der Streuung in der Pubeszenz im Vergleich zur Vorkriegszeit ist im Sinne eines verkürzten Ablaufs der Pubeszenz aufzufassen. 4. In gleichem Sinne spricht die Tatsache, daß bei der Individualentwicklung das für den Erwachsenenzustand geltende Längenbreitenverhältnis — unter Zugrundelegung des für den Abschluß des Wachstums geltenden Kaup-Indexwertes — zu früh erreicht wird. Das Wachstum ist also nicht nur durchschnittlich erhöht sondern auch im Vergleich zur Vorkriegszeit auf einem kürzeren Zeitraum zusammengedrängt, und damit rascher beendet. Diese F e s t s t e l l u n g ist vom k o n s t i t u t i o n s h y g i e n i s c h e n S t a n d p u n k t a l s n i c h t g l e i c h g ü l t i g zu b e t r a c h t e n . Sie verlangt aber noch eine weitere Auseinandersetzung, ob damit eine Erhöhung in dem prozentualen Auftreten bestimmter Krankheitserscheinungen funktioneller Art verbunden ist. C. Krankheitszeichen und Konstitutionsanomalien. Für die Beurteilung des Gesundheitszustandes unseres heutigen jugendlichen Nachwuchses muß zunächst festgestellt werden, ob eine Vermehrung der volkshygienisch wichtigsten Krankheitsgruppen eingetreten ist. Bei der Beantwortung dieser Frage können wir uns kurz fassen. Wir begnügen uns mit dem Hinweis auf frühere erst vor kurzem veröffentlichte Feststellungen 1 ), wonach in den letzten Jahren für die T u b e r k u l o s e , die als ein besonders wichtiger Gradmesser für die Beurteilung der äußeren Gesundheitslage betrachtet wird, eine Vermehrung jedenfalls nicht eingetreten ist. Das gleiche ist zu sagen hinsichtlich des Vorkommens einer Konstitutionskrankheit, die ebenfalls die Bedeutung eines Index für die durch Ernährung und soziale Verhältnisse gegebene Gesundheits1) F ü r s t , Die somatischen Anomalien des Reifungsalters. 1930. Nr. 3 u. 4.

Medizin. Welt



204



läge darstellt: Es ist die R a c h i t i s . Auch hier wurde in der erwähnten früheren Veröffentlichung darauf hingewiesen, daß die Resterscheinungen dieser schon in den früheren Lebensabschnitten erworbenen Krankheit, wie sie dem Schularzt während der Pubeszenzzeit in bestimmten Veränderungen des Skelettsystems entgegentreten, sich jedenfalls deutlich in ihrer Zahl vermindert haben. Viel schwieriger ist die Frage nach dem Vorkommen bestimmter f u n k t i o n e l l e r A n o m a l i e n zu beantworten, da es sich hier um fließende Übergänge zwischen Gesundhaften zum Krankhaften handelt. Mit der Zahl der Beobachter müssen die Differenzen bei der Beantwortung solcher Fragen sich vermehren, besonders auch dann, wenn für die Abgrenzung subjektiver Schätzungsergebnisse nicht bestimmte Richtlinien seitens der Beobachter eingehalten werden. Es ist darauf hinzuweisen, daß die ganze Gruppe von funktionellen Anomalien des Jugendlichenalters in mehr oder weniger enger Beziehung steht zu dem endokrinen System. Ist das endokrine System im Zustand erhöhter Funktion begriffen, was bei der in der jetzigen Zeit konstatierten Tendenz zur Wachstumsbeschleunigung anzunehmen ist, so wird auch eine Neigung zur Zunahme funktioneller Anomalien sich geltend machen müssen. Damit ist aber nicht gesagt, daß in jedem Individualfall Morphogenese und funktionelle Entwicklung gleichzeitig gestört sein braucht. Wir können vielmehr zweckmäßig eine Einteilung treffen in solche Fälle von Pubertätsanomalien, bei denen mehr die morphogenetische Störung und in solche, bei denen mehr die funktionelle Störung bestimmter Innenorgane im Vordergrund steht. Die Kenntnis der morphogenetischen Wirkung der einzelnen Abschnitte des endokrinen Systems gehört zu den wichtigsten Voraussetzungen für die Beobachtung des physiologischen und pathologischen Geschehens der Pubeszenz. Jedem Anteil des inneren Drüsensystems kommt eine spezifische Wirkung auf die Längen- und Breitenentwicklung bestimmter Abschnitte des Skeletts, der Proportionen der einzelnen Körperabschnitte, der Fettverteilung sowie dem kolloidalen Zustand der Gewebe zu. Für die Erkennung morphogenetischer Entwicklungsstörungen leichterer Art kommt außer der Bestimmung des Querschnitt-Längenverhältnisses auch noch die Untersuchung des Proportionsverhältnisses zwischen Rumpf und Gliedmaßen in Betracht, die sehr häufig außer der somatoskopischen Beurteilung eine genauere somatometrische Nachkontrolle zweckmäßig erscheinen läßt. Zu diesem Zwecke sei eine Durchschnittsberechnung der Relativwerte der wichtigsten Körperabschnitte auf Grund einer an einer größeren Zahl von normalen Jugendlichen (780 Fälle) vom 14. bis



205



18. Lebensjahr erfolgten anthropometrischen fügt.

Untersuchung beige-

Tabelle 9. R e l a t i v e (Körperlönge = 100 angenommen). Jahre

Sitzhöhe

Beinlänge

Armlänge

14 15 16 17 18

51,1 51,2 51,3 51,4 51,7

43,4 44,0 44,2 44,3 44,3

56,1 56,5 56,8 56,9 57,0

Es erscheint in jedem Fall von Verdacht des Vorliegens endokriner Wachstumsstörung notwendig, auch leichtere Grade von Kurzund Langrumpfigkeit, Kurz- und Langgliedrigkeit der oberen und unteren Extremität zahlenmäßig in Form der Abweichung vom relativen Körperlängenindex anzugeben. Dazu kommt noch die beschreibende Angabe von Stigmata in bezug auf abnorme Zahnbildung und Abweichung in den normalen Gesichtsproportionen. Auch der kolloidale Zustand der Gewebe mit Hilfe der Elastometrie verdient für die Frage des Bestehens endokriner Funktionsanomalien Beachtung. Abnorme Fettverteilung als Ausdruck polyglandulärer Dysfunktion fand sich bei Münchner Berufsschuluntersuchungen der letzten Jahre in rd. 0,5%- Erwähnenswert ist, daß sich bei derartigen leichteren Fällen von jugendlichen polyglandulärer Fettsucht keine Unregelmäßigkeiten des Stoffwechsels nachweisen lassen müssen, daß dagegen aber nicht selten Veränderungen des Blutbildes (relative Lymphocytose) bestehen können. Als besonders charakteristischer Anhaltspunkt für die Feststellung allgemeiner Hyper- bzw. Hypofunktion des endokrinen Systems dient ferner die Einteilung in Pubeszenzstufen. Die Martinsche Einteilung ist für die Beurteilung der Entwicklung der sekundären Geschlechtsmerkmale am geeignetsten. Pubeszenzstufe I

II

III

Schamhaare spärlich glatt. Terminalbehaarung an der Streckseite des Vorderarms, Stimme kindlich. Mädchen leichte Erhebung des Warzenhofes.

Schambehaarung gekräuselt und etwas weiter ausgebreitet. Knaben leichte Behaarung der Oberlippe und Wange. Stimme mutierend. Mädchen Knospenbrust.

Schambehaarung gekräuselt, stark entwickelt und weiter ausgebreitet. Terminalbehaarung in der Achselhöhle ev. Brust und Bauch. Stimme mutiert. Mädchen reife Brust. Bei Mädchen Eintreten der 1. Menses.

Welche Anhaltspunkte ergeben sich für die Annahme, daß mit der festgestellten Zunahme und Beschleunigung des Wachstums gleich-



206



zeitig eine Vermehrung der endokrinen Labilität des Pubeszenzalters im Vergleich zu früher eingetreten ist ? Dafür spricht in erster Linie die Tatsache, daß die Erscheinungen vorzeitiger Sexualentwicklung bei den 14jährigen außerordentlich häufig sind. In der schon erwähnten früheren Zusammenstellung 1 ) wurde bereits darauf hingewiesen, daß durchschnittlich 1 5 % der in Münchner Berufsschulen Eintretenden schon die Zeichen der dritten Pubeszenzstufe aufweisen. Umgekehrt sind Erscheinungen von Dysfunktion der Keimdrüsen im Jugendlichenalter im Sinne der Hemmung nicht selten. E t w a 6 % der älteren (16- bis 17 jährigen) Schüler zeigen verzögerte Sexualentwicklung. Dazu gehört auch die relativ häufige Beobachtung des Vorkommens von Kryptorchismus. Unter 7358 zwischen 13*4" bis 14%-jährigen wurden in München in den letzten 3 Jahren 0 , 4 6 % solcher Fälle festgestellt. Mit einer Zunahme des Vorkommens von Kryptorchismus müßte auch eine Zunahme der Anlage zu Leistenbrüchen verbunden sein. Leider fehlen nach dieser Richtung Vergieichszahlen mit Beobachtungen an anderen Orten und namentlich mit Vorkriegsverhältnissen vollkommen. Prinzipiell wichtig erscheint es, h i e r e i n m a l a u s d r ü c k l i c h a u f d i e N o t w e n d i g k e i t h i n z u w e i s e n , bei schulärztlichen Beobachtungen im Jugenlichenalter der Variationsbreite hinsichtlich des Beginns der Pubeszenzentwicklung und des prozentualen Vorkommens extremer Formen von H y p e r s e x u a l - bzw. H y p o s e x u a l e n t w i c k l u n g größere Beachtung beizumessen als dies bisher geschehen ist. E s läßt sich mit dem Prinzip einer, nicht bloß auf die eigentlichen Krankheitszustände sondern auch auf die noch in der Breite des Gesundhaften liegenden Verhältnisse ausgedehnten schulärztlichen Überwachung schwer in Einklang bringen, daß dem hervorstechensten Merkmal des Pubeszenzalters, der geschlechtlichen Differenzierung, bei den bisherigen Jugendlichenuntersuchungen bisher wenig Beachtung geschenkt worden ist. Gegenüber der Auffassung, daß eine schulärztliche Registrierung derartiger typischer Wachstumsverschiedenheiten deswegen nicht notwendig sei, „weil die Variationsbreite physiologischerweise besonders groß sei", muß die gegenteilige Auffassung ausgesprochen werden, daß gerade deswegen die Feststellung der über die Breite des Normalen hinausgehenden Veränderungen nach Altersstufen besonders wichtig wäre. Es mag allerdings zugegeben werden, daß für die schulärztliche Statistik überall da, wo es sich nicht um einfache alternative Urteile 1) Anomalien des Reifungsalters. loc. cit.



207



sondern um die Registrierung von Gradunterschieden handelt, Schwierigkeiten in der Auffassung der Untersucher bestehen können. Sie werden sich aber auf Grund von Vereinbarungen über die Wahl bestimmter Gradeinteilungen lösen lassen, die wir nach den wesentlichsten Gesichtspunkten für die Zwecke laufender schulärztlicher Beobachtungen und periodischer Vergleiche hier anzudeuten versucht haben. Hinsichtlich der Genitalentwicklung ist eine Einheitlichkeit der Registrierung bei allen schulärztlichen Untersuchungen des Jugendlichenalters deshalb von besonderer Bedeutung, weil offenbar eine hohe Korrelation besteht zwischen Abweichungen im zeitlichen Auftreten der Pubeszenz und funktionellen Störungen bestimmter Innenorgane. Dies betrifft in erster Linie die Gruppe von kardiovaskulären Störungen, die bekanntlich im jugendlichen Alter außerordentlich häufig sind. Sie bestehen in den bekannten Erscheinungen- des cor nervosum, in Gestalt von nächtlichem anfallsweisen Auftreten subjektiver Herzbeschwerden, funktionellen, auch am Tage bestehenden Erscheinungen von Übererregbarkeit des Herzens, Arrhythmien, Tachykardien, akzidentellen Geräuschen, häufig gepaart mit Erscheinungen einer Überregbarkeit des autonomen Nervensystems, die sich durch besonders hohe Grade von Dermographismus, positiven Ausfall des Erbschen Druckversuchs, eventuellen Veränderungen des Blutbildes äußern können. Im großen und ganzen läßt sich wohl sagen, daß das Vorkommen funktioneller Kreislaufstörungen bei den Untersuchungen der Berufsschuljugend der letzten Jahre die Neigung einer gewissen Zunahme erkennen läßt. Wir verweisen hiezu auf die nachstehende Übersichtstabelle. Tabelle 10. V o r k o m m e n f u n k t i o n e l l e r A n o m a l i e n d e s K r e i s l a u f u n d N e r v e n s y s t e m s bei M ü n c h n e r J u g e n d l i c h e n . F u n k t i o n e l l e Herzstörungen

1925/26 1926/27 1927/28 1928/29

Eingetr. » » »

F u n k t . Nervenstörungen inkl. P s y c h o pathien

8,7 % Ausgetr. 9 % Eingetr. 0,8 % Ausgetr. 0,9 % 11,1% »> 8,9% » 0,8 % » 0,7 % 10,0% » 13 % » 0,7 % » 0,8 % »> 0,63% » 10 % 9,6% » 0,03%

Weniger leicht dagegen ist die Frage zu beantworten, ob gleichzeitig mit einer erhöhten endokrinen Labilität auch eine Vermehrung der funktionellen Anomalien des Z e n t r a l n e r v e n s y s t e m s eingetreten ist. Es ist dies damit zu erklären, daß bei den schulärztlichen



208



Reihenuntersuchungen sich sehr häufig keine direkten Anhaltspunkte für das Vorliegen abnormer Reizbarkeit des Nervensystems finden lassen. Hiezu bedarf es erst der Orientierung des Schularztes durch den Klaßlehrer über Beobachtungen des psychischen Verhaltens während des Unterrichts. Gelegentlich kommen solche Fälle als Selbstmelder oder auf Veranlassung der Eltern in die schulärztliche Sprechstelle. Die Erfassung aller nervösen Anomalien ist aber bei so großen Untersuchungszahlen, wie sie unter den heutigen Verhältnissen auf den einzelnen Schularzt treffen, eine Unmöglichkeit. Es kann also hinsichtlich der Frage, ob eine Zunahme funktioneller Nervenstörungen eingetreten ist, kaum eine exakte statistische Beantwortung gegeben werden, da sich die Frequenzstatistik der schulärztlichen Sprechstelle nicht ohne weiteres mit der auf dem Wege der Reihenuntersuchung gewonnenen Statistik auf eine Stufe stellen läßt. Anderseits muß bei der gerade in pädagogischer Hinsicht besonders großen Bedeutung einer Klärung des Zusammenhangs zwischen endokriner Labilität und Nervensystem doch noch in besonderer Weise jener Momente gedacht werden, die unsere Annahme gerechtfertigt erscheinen lassen, den Beziehungen zwischen Schwankungen im körperlichen Entwicklungsablauf und der Gestaltung der geistigen Persönlichkeit im Jugendlichenalter bei der individualhygienischen Beurteilung von Einzelfällen besonders nachzugehen.

II. Die Bedeutung des Nachweises von Schwankungen der körperlichen Entwicklung in ihren Beziehungen zum Seelenleben. Bei der Frage nach den Beziehungen zwischen geistiger und körperlicher Entwicklung müssen wir zunächst auf eine vor nicht langer Zeit von H o f f m a n n 1 ) aufgestellte Theorie des Manifestationsmechanismus geistiger Erkrankungen eingehen. H o f f m a n n bringt dabei die Goldschmidtsche Theorie von den Potenzen der Erbanlagen in Beziehung zu den verschiedenen Manifestationszeichen bei der Entstehung von Geisteskrankheiten. Er hält es bei der Beurteilung von schizophrenen und zirkulären Psychosen von großer Bedeutung, festzustellen, ob es sich um einen Prozeß von h ö h e r e r oder n i e d e r e r Wertigkeit handelt. Ist die Anlage in ihrer Wertigkeit besonders stark, so dringt die Anlage zur Geisteskrankheit durch, auch wenn ihr Hemmungsfaktoren ent1) H. H o f f m a n n , Springer 1922.

Die

individuelle

Entwicklungskurve

des

Menschen.



209



gegentreten, ist sie dagegen schwächer, so kann sie durch entgegentretende Hemmungsfaktoren unterdrückt werden. Bei hoher Potenz der krankhaften Erbanlage kommt es dann auch zu einem frühzeitigen Einsetzen der Psychose, die sich in solchen Fällen gleichzeitig durch große Stärke und Dauer ihrer Wirksamkeit auszeichnet. Hemmende Einflüsse können nur dann in Erscheinung treten, wenn ihre antagonistische Potenz stärker ist. Besonders auffällig äußert sich die gegenseitige Beeinflussung von Erbanlagen in Fällen von sog. „Dominanzwechsel". Z. B. kann bei einer doppelseitigen elterlichen Belastung, in dem Sinne, daß eine von dem einen Elter stammende zyklothyme Veranlagung in Übergewicht steht zu einer vom andern Elter her stammenden schizophrenen Belastung, die ursprünglich dominierende Erkrankung ablösen. Auch bei der Paraphrenie und Paranoia kommen nach H o f f m a n n solche Erscheinungen von Dominanzwechsel vor, so daß geistige Krankheiten in ihrem Endzustand ein ganz anderes klinisches Bild als im Anfangsstadium aufweisen können. H o f f m a n n hat ferner darauf hingewiesen, daß die Erscheinungen des Dominanzwechsels nicht nur im psychotischen Seelenleben sondern auch bei der charakterologischen Entwicklung des Menschen sich häufig beobachten lassen. Dabei wird ausdrücklich von ihm auch darauf hingewiesen, daß bei den im späteren Leben eintretenden Fällen von c h a r a k t e r o l o g i s c h e n D o m i n a n z w e c h s e l gleichzeitig auch W a n d l u n g e n im K ö r p e r b a u u n d E r n ä h r u n g s z u s t a n d auftreten. Der Kernpunkt der Hoffmannschen Auffassung geht dahin, daß die g e s a m t e b i o l o g i s c h e L e b e n s k u r v e des Menschen sich in eine Reihe von Entwicklungsreihen auflösen läßt, von denen jede eine anlagemäßig verschiedene Potenz besitzt, die den Rhythmus ihrer Entwicklung hinsichtlich Beginn, Stärke und Dauer bestimmt. Die einzelnen Entwicklungsreihen können sich aber auch untereinander teils in hemmendem, teils in förderndem Sinn beeinflussen. Diese gegenseitige Beeinflussung stellt ein während des ganzen Individuallebens anhaltendes f l i e ß e n d e s Geschehen dar, welche auch das Vorkommen von Wandlungen des Kräftespiels im späteren Individualleben nach Abschluß des Wachstums erklärt. Am ausgesprochensten ist die Erscheinung der Förderung bzw. Hemmung der Potenzen in der Pubertätszeit. Ebenso, wie es Verschiedenheiten im zeitlichen Auftreten der sekundären Geschlechtsmerkmale gibt, so gibt es auch verschiedene Potenzen in dem Entwicklungsablauf der psychischen Pubertät. Alle für die Reifezeit typischen Eigenschaften erfahren um diese Zeit eine zu der auf Grund der primären Erbanlage bestehenden Potenz noch hinzukommende Steigerung ihrer vitalen Energie auf dem Wege des K.aup-1^ ü r s t .

Körperverfassung.

14



210



inneren Drüsensystems. Die Organe des inneren Drüsensystems sind aber nicht die einzigen Kräfte, von denen der Funktionsablauf der einzelnen Entwicklungsreihen abhängt. Es kann sich bei der Wirkung der inneren Drüsen auf den Entwicklungsablauf immer nur um eine B e e i n f l u s s u n g , nicht um eine a u s s c h l i e ß l i c h e Bestimmung handeln. Es kommt außer auf das endokrine System noch an auf den Zustand der G e w e b e selbst mit der ihnen eigenen spezifischen E n t w i c k l u n g s e n e r g i e und die Regulation durch das N e r v e n s y s t e m . Jedem dieser drei Komplexe, endokrines System, Gewebe, Nervensystem, kommt nach H o f f m a n n eine s e l b s t ä n d i g e Hauptentwicklungsreihe zu, die sich wieder in einzelne Elemente mit selbständiger Entwicklungstendenz und mehr oder minder festen korrelativen Beziehungen aufspalten lassen. Wir sind absichtlich auf diese Hoffmannschen Anschauungen etwas näher eingegangen, weil sie unserer Ansicht nach die Vorstellung der leib-seelischen Beziehungen während der Entwicklung erleichtern. Offenbar dürfen wir uns nicht eine körperliche und eine geistige Entwicklungsreihe geschlossen nebeneinander laufend vorstellen, sondern die einzelnen Elemente sowohl der körperlichen, wie der geistigen Entwicklungsreihen können sich gegenseitig überschneiden. Wenn diese Vorgänge auch in ihren Einzelheiten nicht immer differenziert werden können, so ergeben sich doch für den Vergleich der körperlichen mit der geistigen Entwicklungskurve manche auch für die Pädagogik wichtige Anhaltspunkte. In systematischer Weise wurden solche Untersuchungen vor einigen Jahren an der Harvard University vorgenommen 1 ). Bei 3000 Kindern wurde bei Beginn der Pubeszenz der geistige bzw. körperliche Entwicklungszustand miteinander verglichen. Auf der einen Seite wurde der sog. Intelligenzquotient bestimmt, d. h. der Unterschied, der sich beim Vergleich des geistigen Alters mit dem chronologischen Alter nach der von T e r m a n modifizierten Skala der Binet-Simondschen Testproben ergab. Auf der anderen Seite wurde die körperliche Entwicklung nicht nur durch Körpermessungen sondern auch durch röntgenologische Bestimmung des Ossifikationsablaufs kontrolliert. Es zeigte sich bei diesen Untersuchungen in der Norm eine Parallelität in den gegenseitigen Beziehungen zwischen geistigen und körperlichen Entwicklungsablauf. Dieser normalen Parallelität stehen anderseits Fälle entgegen, in welchen körperliche und geistige Entwicklung nicht mit1) V. O s ' h e a . The child, his n a t u r e and his needs. raiso, Chicago. The childrens foundation. 1924.

New York,

Valpa-



211



einander parallel verlaufen. Es wird darauf verwiesen, daß es Fälle von geistiger Spätehtwicklung gibt, bei denen auch eine nachträgliche günstige Beeinflussung der körperlichen Entwicklung unter Zugrundelegung des Termanschen Intelligenzquotienten keine Besserung im Verlauf der geistigen Entwicklung ergab. Wir haben auf diese amerikanischen Untersuchungen deswegen hinweisen zu müssen geglaubt, weil es unserer Meinung nach eine Verbesserung für die Pädagogik des Entwicklungsalters bedeuten würde, innerhalb einzelner Jugendlichengruppen den jeweiligen psychologischen Entwicklungstyp festzustellen und in Vergleich zu bringen mit dem Typus der körperlichen Entwicklung. Unserer Meinung nach müssen sich — auch ohne spezialisierte Prüfung durch psychologische Tests — 4 H a u p t t y p e n der geistigen Entwicklung in ihren Beziehungen zur körperlichen Entwicklung unterscheiden lassen: I. Geistige Frühentwicklung Frühentwicklung. II. Geistige Spätentwicklung Spätentwicklung. III. Geistige Frühentwicklung Spätentwicklung. IV. Geistige Spätentwicklung Frühentwicklung.

bei gleichzeitiger

körperlicher

bei gleichzeitiger

körperlicher

bei gleichzeitiger

körperlicher

bei gleichzeitiger

körperlicher

Diese verhältnismäßig rohe Einteilung von Haupttypen der psychophysischen Entwicklung der Person könnte selbstverständlich noch je nach Bedarf in Untergruppen aufgespalten und weiter differenziert werden. Es kommt uns weniger darauf an, hier schon ein definitives Einteilungsschema zu geben als vielmehr überhaupt auf die prinzipielle Bedeutung für die Pädagogik hinzuweisen, die Varianten einer Gruppe von Jugendlichen nach ihren vorstechendsten psychophysischen Entwicklungstendenzen in Klassen zu teilen. Für den körperlichen, wie für den geistigen Erzieher wären durch eine typologische Einteilung der Pubeszenten nach ihrer psychophysischen Entwicklungstendenz Anhaltspunkte gegeben, ob die körperliche oder die geistige Seite der Erziehung während der Pubertät als „kritischer" Phase der Entwicklung, im einzelnen Falle stärker betont werden soll. Auch für die prognostische Beurteilung der Leistungskraft des Jugendlichen im späteren Berufsleben erscheint die Bestimmung von Entwicklungstypen nicht ohne Bedeutung. So deckt sich der in die Gruppe III unseres Einteilungsschemas gehörende Entwicklungstyp mit dem den Lehrern und Schulärzten bekannten sog. „Primustyp". Nicht selten ist aber gerade bei diesem 14*



212



Entwicklungstypus das Auftreten von im späteren Individualleben einsetzenden Hemmungen vorbereitet, die zu frühem Versagen der beruflichen Leistungsfähigkeit Anlaß geben können. Das umgekehrte Verhalten zeigt meist das Gegenbeispiel des sich langsam, aber gleichmäßig in körperlicher und geistiger Beziehung entwickelnden Konstitutionstypus, der sehr oft gerade den im späteren Berufsleben besonders brauchbaren Dauerarbeiter liefert. Es soll nicht bestritten werden, daß der erfahrene Erzieher von selbst auch ohne vom Arzt darauf gelenkt werden zu müssen, auf solche individuelle Verschiedenheiten der Entwicklungstendenzen aufmerksam werden kann. Ähnlich wie die Medizin nicht nur Heilwissenschaft, sondern gleichzeitig auch Kunst ist, so nimmt auch die Pädagogik in vieler Hinsicht eine Mittelstellung zwischen Wissenschaft und Kunst ein, die es dem „erfolgreichen" Lehrer gestattet, auf „intuitivem" Wege die zwischen körperlicher und seelischer Entwicklung bestehenden Beziehungen im konkreten Fall richtig zu erfassen. Die Intuition des pädagogischen Praktikers ist auch sonst vielfach der schulmäßigen Erziehungswissenschaft bei der Berücksichtigung der leib-seelischen Zusammenhänge in der Individualerziehung vorausgeeilt. Anderseits wird aber doch zugegeben werden müssen, daß durch die exakte Feststellung der psycho-physischen Entwicklungskurve die personalistische Beurteilung im einzelnen Falle durch den Erzieher sicherer gestaltet werden könnte. Für die individualisierende Gestaltung der Schulerziehung darf nicht der intuitive Eindruck, sondern die objektive Feststellung typologischer Unterschiede der psychophysischen G e s a m t e n t w i c k l u n g entscheiden. Die Einbeziehung der Beobachtung des individuellen Entwicklungsrhythmus würde eigentlich nur eine Erweiterung des von M a t t h i a s 1 ) in so ausgezeichneterWeise durchgeführten Gedankens bedeuten, das Erziehungswesen den biologischen Eigentümlichkeiten des Wachstums anzupassen, damit nicht umgekehrt die „Bildungsziele" der Schule einen ungünstigen Einfluß auf den normalen Ablauf der Entwicklung, namentlich im Pubeszenzalter ausüben können. Allerdings kann nicht bestritten werden, daß solchen Bestrebungen zwei aus der Zeit der Scholastik stammende Grundeinstellungen der Pädagogik noch hindernd im Wege stehen: Die eine besteht in der grundsätzlich niedereren Bewertung des Körperlichen gegenüber dem Seelischen. Die andere beruht auf der Überschätzung der Anpassungsfähigkeit des Organismus an die Umwelt, unter welcher wir 1) M a t t h i a s , Die gegenwärtigen Unterrichts- und Erziehungsmethoden im Lichte der Biologie. Bern 1922.



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für den i m Schulalter befindlichen Menschen in erster Linie die durch das Bildungsprogramm der Schule gegebene spezifisch schulische U m w e l t verstehen müssen. Hiezu k o m m t bei der Berufsschuljugend noch die E i g e n a r t des beruflichen Lebens, die, wie wir schon früher angedeutet haben, in jeder Berufsgruppe eine spezifische Umweltsatmosphäre schafft. Die Ausprägung der Umweltsverhältnisse auf die E n t w i c k l u n g der einzelnen Anteile der psychischen K o n s t i t u t i o n ist keineswegs einheitlich. A m geringsten ist sie nach den Anschauungen der Vererbungstheoretiker 1 ) hinsichtlich der D e n k f ä h i g k e i t . Nach L e n z ist nur die Möglichkeit gegeben, auf dem W e g e der Erziehung die Anwendung der logischen F u n k t i o n e n zu üben, die anlagemäßige B e g a b u n g wird aber dadurch nicht größer. L e n z bestreitet auch die Möglichkeit einer S t ä r k u n g des Gedächtnisses und will nur eine Übung der Merkfähigkeit zugeben. Die moderne Psychologie t r e n n t das Gedächtnis in desultorisches (mechanisches) und assioziatives (synthetisches) Gedächtnis. U n t e r B e r ü c k s i c h t i g u n g des Umstandes, daß im Laufe der Pubeszenz ein Ausbau der A r c h i t e k t u r der Gehirnrinde und Vermehrung der Assoziationsfasern e i n t r i t t 2 ) , erscheint die A n n a h m e einer Übung des assoziativen Gedächtnisses allerdings möglich. W e s e n t l i c h anders liegen dagegen die Verhältnisse hinsichtlich der Charakter-, Gefühls- und Willensbildung. U n t e r den Psychologen h a t besonders A l l e r s 3 ) die W a n d e l b a r k e i t des Charakters scharf hervorgehoben, und damit das Gebiet abgegrenzt, auf welchem die W i r k u n g positiver Erziehungsarbeit auch v o m biologischen S t a n d p u n k t n i c h t b e s t r i t t e n werden k a n n . E b e n s o ist das Vorstellungsleben gerade während der Pubeszenz auffälligen Wandlungen unterworfen. Nach den Anschauungen von J a e n s c h 4 ) handelt es sich bei der E i d e t i k u m die P r i m i t i v f o r m des Vorstellungsvermögens in der Ontogenese, die i m allgemeinen m i t dem E i n t r i t t der Pubeszenz verschwindet. W i r können auf dieses Gebiet nur insofern eingehen, als für unsere Zwecke die von J a e n s c h erfolgte Feststellung der äußeren Beeinflussungsmöglichkeit der eidetischen Veranlagung von besonderem Interesse ist. Sie ist nach den Vorstellungen von J a e n s c h an bes t i m m t e äußere K o n s t i t u t i o n s t y p e n gebunden und läßt sich durch 1) L e n z , Die biologischen Grundlagen der Erziehung. Lehmann Verlag 1925. 2) K a e s , Die Großhirnrinde des Menschen in ihren Maßen und ihrem Fasergehalt. J e n a bei G. Fischer 1907. 3) A l l e r s , Das Werden der sittlichen Person. Herder Verlag. 4) J a e n s c h W . , Grundzüge einer Physiologie und Klinik der psychophysischen Persönlichkeit. Berlin, Springer 1926.



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Ü b u n g verstärken, anderseits durch den Willen unterdrücken. Ebenso k a n n auf pharmakodynamischem Wege durch Kalk und Kalziumphosphat, ferner durch Thyreoidingaben eine Veränderung dieser Entwicklungsformen des Vorstellungslebens, die wiederum mit einer gesteigerten Erregbarkeit des autonomen Nervensystems vergesellschaftet ist, bewirkt werden. Wir erblicken die Bedeutung der Untersuchung über die Beziehungen zwischen eidetischer Veranlagung und körperlicher Eigentümlichkeit hauptsächlich darin, daß sie eine Bereicherung für unsere Vorstellungen über die Zusammenhänge zwischen körperlicher und geistiger Entwicklungskurve darstellt. Wenn sich zwischen den einzelnen Einheiten der biologischen Lebenskurve so viele Zusammenhänge ergeben, wie dies durch die Aufdeckung von Beziehungen zwischen Eidetik zur S t r u k t u r der Kapillaren, der funktionellen Erregbarkeit des autonomen und peripheren Nervensystems sowie zu bestimmten morphologischen Eigentümlichkeiten des Körperbaus ( 5 - u n d T- Komponenten) geschehen ist, so ist auch die A n n a h m e einer Beeinflussung auf dem Wege des Körperlichen auch bei anderen Entwicklungseinheiten des Vorstellungs-Gefühls- und Willenslebens gerechtfertigt. Damit ist unserer Ansicht nach eine Gegenreaktion eingeleitet gegen jene Richtung in der Pädagogik, die anschließend an die von F r e u d und A d l e r begründete Lehre von der psychogenen E n t s t e h u n g von Neurosen in analoger Weise auch bei den noch in der Funktionsbreite des Normalen gelegenen Schwankungen des Seelenlebens jugendlicher Pubeszenten lediglich eine günstige Beeinflussung ausschließlich durch psychische Erziehung erhofft. Man braucht dabei nicht einmal das Gebiet der „Laienanalyse" und „Laienpsychotherapie" zu berühren, das mit Recht von A l l e r s 1 ) als K u r p f u s c h e r t u m verworfen worden ist. Es ist selbstverständlich, daß alle von Nichtärzten unternommenen Versuche, aus Jugendlichen in früherer Kindheit erworbenen „ K o m p l e x e " herausschälen zu wollen, unter Umständen von verhängnisvollen Folgen begleitet sein können und daher vom schulärztlichen S t a n d p u n k t vollständig abgelehnt werden müssen. Es soll hier viel mehr die generelle Frage aufgeworfen werden, ob die Lehre der rein psychogenen E n t s t e h u n g von Neurosen nicht auch insofern eine Gefahr bedeutet, als sie sehr leicht von der genaueren somatischen Untersuchung ablenkt. Ohne die Bedeutung der Psychoanalyse ganz in Abrede stellen zu wollen, muß doch in ihrer speziellen Anwendung auf die Jugendlichen darauf hingewiesen werden, daß man den Eindruck 1) loc. cit.

Das Werden der sittlichen Person. Freiburg, Herder 1929.



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hat, als ob vielfach bei der Suche nach Schädigungswirkungen von „frühen Kindheitserlebnissen" nicht immer mit der gleichen Sorgfalt nach körperlichen Entwicklungsstörungen gefahndet werden würde. Man wird annehmen dürfen, daß die Entstehung von Minderwertigkeitsgefühlen ebenso wie die von A l l e r s betonte Überkompensation als charakteristisches Kennzeichen von seelischen Abwegigkeiten des Pubeszenzalters zeitlich mit Wellentälern bzw. Wellenbergen einer abnormen körperlichen Entwicklungskurve zusammenfallen kann. Da derartige Schwankungen im Verlauf der Entwicklungskurve ursächlich in einem erhöhten Reizungszustand des endokrinen Systems zu suchen sind, so ist die Annahme gerechtfertigt, daß eine erhöhte endokrine Reizung den „ E i n b r u c h " psychischer Traumen begünstigt. Durch den Nachweis einer durch erhöhte endokrine Labilität bedingten Abschwächung im normalen Entwicklungsablauf entweder im Sinne der Hemmung oder der Wachstumsbeschleunigung würde sich z. T . auch eine Erklärung geben lassen für die sonst eigentlich unverständliche und von den Psychoanalytikern ohne Erklärung gebliebene Erscheinung, daß Kindheitserlebnisse im einen Fall haften bleiben, im anderen Fall nicht im Sinne eines Traumas für die Psyche wirken. Selbstverständlich muß bei der Erziehung immer zu vermeiden gesucht werden, schwerere Erschütterungen in der kindlichen Seele hervorzurufen, ob es aber je möglich sein wird, Kinder jemals von solchen Erschütterungen und Erlebnissen freizuhalten, j a ob es sogar immer als erwünscht bezeichnet werden könnte, die psychische Hygiene derartig weit zu treiben, daß dem Kinde in seiner Entwicklung alle schädigenden Eindrücke ängstlich fern gehalten werden, erscheint zweifelhaft. Wenn auf der einen Seite — zum Glück in der Mehrzahl der Fälle — Erschütterungen der kindlichen Seele sich rasch wieder ausgleichen, im anderen Falle zum Haftenbleiben der dadurch gesetzten Eindrücke und zur Manifestation im Pubeszenzalter führen, so ist dies unserer Meinung nach — abgesehen von der durch ererbte Anlage verschiedenen Disposition — darauf zurückzuführen, daß der Roden in verschiedener Weise vorbereitet war. Rei den Fällen von Schwererziehbarkeit, jugendlicher Haltlosigkeit und vermehrter Triebhaftigkeit, mit denen es der Jugendlichenfürsorgearzt zu tun hat, empfiehlt es sich immer, bei der psychologischen Untersuchung gleichzeitig auf den körperlichen Entwicklungszustand zu achten. Nicht selten ergibt sich bei der Untersuchung von jugendlichen Psychopathen eine Art endokriner Stigmatisierung. Sie braucht nicht immer mit der Schwere der psychischen Symptome



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völlige Übereinstimmung zu zeigen. Nicht in allen Fällen seelischer Deviationen des Jugendlichenalters springen bei der gewöhnlichen somatischen Inspektion Zeichen wie Akromegaloidie, Hypersexualismus oder andere ausgesprochene endokrine Stigmata geradezu in die Augen. Die Verschiedenartigkeit der Potenz der ererbten Anlage läßt es verständlich erscheinen, daß unter Umständen auch leichte Änderungen im endokrinen Gleichgewichtszustand ohne ausgesprochene morphologische Störung schon genügen, um der Entwicklungspotenz einer psychopathischen Anlage zum Durchbruch zu verhelfen. Finden sich aber bei psychischen Pubeszenzstörungen, ohne nachweisbare erbliche Belastung gleichzeitig Anhaltspunkte für erhöhte endokrine Labilität, so ist es klar, daß die Beseitigung derartiger Störungen mehr auf dem Wege der körperlichen als der psychischen Beeinflussung versucht werden muß. Wenn hier in kurzen Zügen für die individualhygienische Beurteilung von Einzelfällen eines abnormen Verlaufs der Entwicklungskurve empfohlen wurde, über der psychologischen Differenzierung nicht die Beobachtung somatischer Parallelvorgänge in den Hintergrund zu stellen, so gilt dies in gleicherweise auch für die sozialhygienische Beurteilung von Populationen in ihrer Gesamtheit. Angesichts der zwischen Leib und Seele im Werden des Einzelindividuums bestehenden Beziehungen wird man zur Erklärung des „zeitgeschichtlich Bedingten" im geistigen Erscheinungsbild, auf das auch von Seiten der psychologischen Jugendforscher 1 ) hingewiesen wird, die Beobachtung der gleichzeitig auf körperlichem Gebiet sich vollziehenden Veränderungen nicht versäumen dürfen. Von der richtigen Deutung der auf körperlichem Gebiet sich vollziehenden Veränderungen hängt wiederum die richtige Wahl sozialer Maßnahmen ab, um das Fortschreiten extremer Entwicklungstendenzen rechtzeitig zu beeinflussen, v o r sie die Schwelle des normalen Variationsbereiches zu überschreiten beginnen.

III. Die sozialhygienischen. Maßnahmen gegen die Zunahme der endocrinen Labilität im Jugendlichenalter. Wenn man von einer planmäßigen Bekämpfung der endokrinen Wachstumsstörungen sprechen will, so ist darauf hinzuweisen, daß nur ein relativ geringer Teil in die Domäne der Klinik gehört. Es ist klar, daß ausgesprochene Fälle von endokrinen Erkrankungen nach der Feststellung durch den Schularzt der ärztlichen Behandlung zugeführt werden müssen. Es sei darauf hingewiesen, 1) L i n u s B o p p , Das Jugendalter und sein Sinn. Breisgau 1927.

Herder, Freiburg im



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daL! die Erfolge der Organtherapie bei rechtzeitiger Einleitung der Behandlung gerade bei schweren Fällen günstige sind. Die moderne Organotherapie läßt sich in mancher Beziehung mit der Serotherapie bei der Behandlung und Vorbeugung von Infektionskrankheiten vergleichen. Sie kommt aber im Gegensatz zu der Serotherapie nur bei ausgesprochenen, schweren Graden von endokrinen Erkrankungen in Betracht. Für die noch der Grenze des Gesundhaften genäherten Fälle von endokrinen Anomalien müssen ganz andere Maßnahmen herangezogen werden, um das Wachstum wieder in geregelte Bahnen zu bringen. Trotzdem bietet die Durchführung eines systematischen Kampfes gegen die konstitutionellen Anomalien der Entwicklung im Reifungsalter in mancher Hinsicht Analogien zu der systematischen Bekämpfung der Infektionskrankheiten. Ähnlich wie von einem tatsächlichen Erfolg auf dem Gebiet der Infektionskrankheiten erst von dem Zeitpunkt ab gesprochen werden konnte, wo die Hygiene auch die „mittleren" und „leichten" Fälle zu erfassen lernte, so wird von einer rationellen Konstitutionshygiene ein Erfolg erst dann erwartet werden können, wenn auch den „mittleren" und „leichten" Fällen von Wachstumsstörungen Beachtung geschenkt wird. Ähnlich wie es aber — um bei dem Vergleich der Infektionskrankheiten zu bleiben — in erster Linie Aufgabe der Hygiene sein mußte, die e i n h e i t l i c h e den verschiedenen klinischen Formen von Infektionskrankheiten zugrunde liegende Ursache nachzuweisen, so muß das Bestreben des Konstitutionshygienikers darauf gerichtet sein, die der heutigen Erscheinung, der Zunahme der Wachstumsstörungen zugrunde liegenden Ursachen ausfindig zu machen. Diese sind — wie wir gesehen haben — nicht immer einheitlicher Art, lassen sich aber bei entsprechender individualhygienischer Beobachtung näher differenzieren und meist in Fehlern in der Verteilung der Reizfaktoren während des Wachstums aufdecken. Wichtig ist der Hinweis, daß die leichten und mittleren Fälle Übergangsformen zu schweren Störungen bilden können. Eine zahlenmäßige Zunahme der schwereren Grade steht dann zu erwarten, wenn nicht schon den leichten Graden Einhalt geboten wird. Seit wir durch die Untersuchungen von W e i ß e n b e r g über die physiologische ungleichmäßige Verteilung der Wachstumsenergie auf die einzelnen Körperteile unterrichtet sind, seit wir durch die Untersuchungen von v. P f a u n d l e r , R ö ß l e , S c h w e r z und anderen wissen, daß diese ungleichmäßige Verteilung durch falsche funktionelle Reizwirkung verstärkt werden kann und mangelhafte funktionelle Beanspruchung bei gutem Nahrungsangebot zu einer verstärkten Wachstumstendenz, namentlich auch zu einer Diskrepanz zwischen



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Längen- und Breitenentwicklung führt, muß das Bestreben der Konstitutionshygiene darauf gerichtet sein, eine Verbesserung der funktionellen Reizverteilung während der Pubeszenz anzustreben. Die bei der heutigen Jugend festgestellte Zunahme der Wachstumstendenz ist als ein deutliches Zeichen zu betrachten, daß dieses Prinzip n i c h t in genügender Weise erreicht ist. Bei der Mehrzahl der Fälle von Wachstumsbeschleunigung ist die Ursache darin zu erblicken, daß —• mit der Verbesserung der Ernährungslage und der allgemeinen sozialen Verhältnisse seit der Inflationszeit — die Verbesserung der körperlichen Funktionsbeanspruchung n i c h t Schritt gehalten hat. Mit der heutigen relativen Zunahme der Sportsbewegung unter der Jugend darf sich der Hygieniker nicht begnügen. Die Tatsache, daß mit Eintritt in die Pubeszenz die größere Hälfte der erwerbstätigen Jugendlichen während der g a n z e n Lehrausbildung weder in noch a u ß e r h a l b der Schule obligatorisch durch Leibesübungen erfaßt wird, ist bedeutungsvoller als der in Laienkreisen überschätzte Einfluß freiwilligen außerhalb der Schule und ohne genügende Überwachung betriebenen Sports auf die Gesundheit unserer Jugend. Die weitgehende Mechanisierung der gewerblichen Arbeit hat notwendigerweise zur Folge, daß die meisten städtischen Berufe in ihrer Reizwirkung auf den wachsenden Körper der landwirtschaftlichen Arbeit nicht an die Seite gestellt werden können und macht es erklärlich, warum — auch bei durchschnittlichem guten Nahrungsangebot — ohne gleichzeitige körperliche Erziehung, sich eine Erscheinung bemerkbar macht, die früher nach den vorkriegszeitlichen Beobachtungen v. P f a u n d l e r s der Schuljugend der höheren Lehranstalten vorbehalten war. Während der „ b r e m s e n d e " E i n f l u ß der gewerblichen Arbeit namentlich auf d a s L ä n g e n w a c h s t u m bei vermehrter Reizwirkung auf die Breitenentwicklung heutzutage durch die Zunahme der Mechanisierung der Arbeit a b g e n o m m e n h a t , sind anderseits die Eigentümlichkeiten der gewerblichen Arbeit in bezug auf e i n s e i t i g e K ö r p e r h a l t u n g e n und D a u e r s t e l l u n g e n mit ihren ungünstigen Folgen auf Wirbelsäule, Brustkorb und Fußskelett die g l e i c h e n g e b l i e b e n , da die Zahl dieser Schädigungen im Vergleich zur Vorkriegszeit sich n i c h t vermindert hat. Trotzdem sehen wir das Prinzip gewerblichen Ausgleichsturnens weder von Seiten der Betriebe noch von seiten der Schule schon in dem Maße zur Durchführung gebracht, wie wir es bei der jetzigen Zeitlage zur Besserung der Berufsfähigkeit für wünschenswert bezeichnen müßten. Die Berufsschuljugend befindet sich gegenüber der in höheren Lehranstalten untergebrachten, in bezug auf einen systematischen körperlichen Erziehungsunterricht im Nachteil (siehe



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Tabelle), was durch eine Zunahme der Sportsbeteiligung nicht aufgewogen werden kann, zumal da, wie nachfolgende Tabelle an Hand der Münchner Verhältnisse zeigt, bei der freiwilligen Sportsbeteiligung Jugendlicher solche Sportsarten bevorzugt werden, welche einseitiges Längenwachstum begünstigen, während z. B. Schwimmen und Wassersport mit seiner förderlichen Einwirkung auf Breitenwachstum und Herzentwicklung, auf endokrine Organe und vegetatives Nervensystem, verhältnismäßig ganz zurücktritt. Das Verhältnis zwischen Fußball und Schwimmsport auf der nachstehenden Tabelle verdient besondere Beachtung und kann als Beweis dafür betrachtet werden, daß gerade die das Längenwachstum „bremsenden" Sportarten bei der heutigen Sportbewegung noch viel zu stark vernachlässigt geblieben sind. Vom sozialhygienischen Standpunkt, besteht hier eine offensichtliche Lücke in der Organisation der Sportsbewegung. Man ist zu der Annahme versucht, daß in der Vernachlässigung der das Breitenwachstum anregenden Sportarten, in Verbindung mit der durch Mechanisierung der Arbeit bedingten Einschränkung der „bremsenden" Wirkung der gewerblichen Berufsarten auf das Wachstum, zum wenigsten e i n e der Ursachen für die gegenwärtig bestehende Tendenz zu abnormer Wachstumsbeschleunigung zu erblicken ist. Tabelle 11. Münchner Jugendliche und Schulturnen

Leibesübungen. Au ßerhalb der Seinule davon Schwimmsport Fußballsport

Turn- und Sportverein

Männliche Berufsschulen 2241 = 17,4% 2780 = 2 0 % 312 = 2,2 % 842 = 6,6% Gesamtzahl 13 899 Männliche Mittelschulen Gesamtzahl 737 481 = 65,2% 168 = 22,7% 28 = 3,8% 24 = 3 %

Dazu kommt noch der Umstand, daß in vielen Fällen, gerade bei der freiwilligen Beteiligung an extremen Sportsarten die Wahl des Sports nicht die richtige ist. Nur zu oft müssen bei den Münchner berufsschulärztlichen Untersuchungen jedes Jahr Lehrlinge vor der Beteiligung an für sie ungünstigen, in einigen Fällen sogar absolut schädlichen Sportsarten gewarnt werden. Ein anschauliches Bild über diese Verhältnisse gibt nachstehende, aus der sportsärztlichen Untersuchungsstelle Augsburg stammende Übersicht von K e c k , die zugleich ohne weiteres für die Notwendigkeit der Einführung sportsärztlicher Untersuchungsstellen für die herwachsende Jugend Zeugnis ablegt.



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Tabelle 12. E r g e b n i s s e der s p o r t ä r z t l i c h e n U n t e r s u c h u n g s s t e l l e Augsburg. c

B

A

Der Rat, besonÜbungen Für alle dere als Ausgleich Sportvon Berufsarten ohne schäden zu Einschrän- pflegen, wurde kung erteilt) z. B. geeignet Haltungsübungen) °/o

1. 2. 3. 4.

Schwimmer.. 63 24 = 194 59 = Turner Leichtathlet. 186 40 = Schwerathlet. 83 13 =

38,0 30,4 21,5 15,7

°/o

25 = 70 = 80 = 49 =

39,6 36,1 43,0 59,1

()

E s liegt ein Körperfehler vor, weshalb eine Übung schädlich ist (in Klammer jene Fälle, in denen gerade die verbotene Leibesübung bisher betrieben worden ist); z. B. trotz schwerem Knickfuß (Hoch- und Weitsprung)

14 = 65 = 66 = 21 =

% 22,2 33,5 35,5 25,2

(1= (18= (33 = (15 =

5,6%) 9,6%) 16,6%) 18,1%)

Auch die sonstigen sozialhygienischen Maßnahmen zum Konstitutionsschutz des Jugendlichenalters entsprechen weder quantitativ noch qualitativ den hygienischen Anforderungen. Es muß zwar zugestanden werden, daß in den letzten Jahren erfreulicherweise Ansätze zu verzeichnen sind, in ähnlicher Weise wie für die volksschulpflichtige Jugend so auch für die Jugendlichen das Prinzip der Erholungsfürsorge für Kranke und Rekonvaleszente anzuwenden. Für Erholungsfürsorge im eigentlichen Sinn kommen in Betracht geschlossene inaktive tuberkulöse Prozesse, Restzustände von vorausgegangenen schwereren Ernährungsschäden, Erholung nach abgelaufenen akuten Infektionskrankheiten. Für solche Fälle von Erholungsbedürftigkeit sehen wir heutzutage nur in einem verhältnismäßig geringen Teil für Jugendliche durch Erholungs- bzw. Landunterbringung gesorgt. Nach den Feststellungen von Mewes sind in den Jahren 1925—26 von den damals nur zu 17% der Gesamtheit untersuchten Berufsschülern in Deutschland nur etwa 2% einer Erholungs- bzw. Landunterbringung zugeführt worden. Dieser Prozentsatz verteilt sich größtenteils auf unmittelbar nach der Volksschulentlassung Verschickte, während nur etwa also nicht einmal 1% während der Berufsausbildung verschickt wurde. München bietet nach dieser Richtung bessere Verhältnisse. Trotz der großen Schwierigkeiten, die bei den gegenwärtigen gesetzlichen Grundlagen seitens der Lehrherren einer längeren Erholungsunterbringung von Lehrlingen noch entgegengebracht werden, hat sich, wie nachfolgende Tabelle zeigt, die Zahl der in München w ä h r e n d der Berufsschulzeit einer 4wöchigen Erholung zugeführten Jugend-



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liehen von 1,7 auf 3,8% der jährlich durch Reihenuntersuchten erfaßten Schüler, also auf nahezu das Doppelte der von M e w e s für die übrigen deutschen Städte angegebenen Zahl erhöht. Der größte Teil der für Erholungsunterbringung begutachteten Fälle bezog sich auf inaktiv gewordene alte Hilusttuberkulosen, Rekonvaleszente nach Infektionskrankheiten und Operationen. Tabelle 13. B r h o l u n g s u n t e r b r i n g u n g an M ü n c h n e r

Berufsschulen.

Jahrgang

Zahl der untersuchten Berufsschüler

Vorgeschlagene Schüler

Tatsächlich Untergebrachte

Prozentzahl

1925/26 1926/27 1927/28 1928/29

5718 6101 5836 5773

250 400 559 437

100 173 168 210

1,7 2,8 2,9 3,8

Ein Teil bezog sich auch auf Wachstumsfehler und endokrine Funktionsanomalien des Jugendlichenalters. Allerdings muß hervorgehoben werden, daß die Differenzierung dieser Fälle nach Erholungsund Übungsbedürftigkeit keineswegs schon in der gewünschten Weise durchgeführt ist. Während für die erstgenannte Kategorie während der Erholung in erster Linie die Verwendung des Aufenthalts zur Schonung und Ruhebehandlung unter gleichzeitiger Verbesserung der Ernährung in Frage kommt, handelt es sich bei den wegen endokrinen Störungen der klimatischen Heilwirkung in geeigneten Orten zuzuführenden Jugendlichen um Übungsfürsorge, d. h. die Heranziehung von Übungen nach M a ß g a b e des Arztes. Der Hauptzweck eines solchen in einfachen sommerlichen Übungslagern verbrachten Aufenthaltes soll darin liegen, eine auch n a c h Rückkehr aus der Erholung i n t e n s i v weiterbetriebenen körperlichen Erziehung in geeigneten Turnvereinen usw. in die Wege zu leiten und vorzubereiten. Gerade bei dieser Gruppe müßte, wenn ein positiver Nutzen erzielt werden soll, Hauptwert auf die s c h u l ä r z t l i c h e K o n t r o l l e der Durchführung und die Weiterverfolgung der angebahnten Funktionsbelastung als Gegengewicht gegen Abwegigkeiten vom normalen Wachstum gelegt werden. Nicht nur die Erholungsfürsorge, sondern auch die Übungsfürsorge bedarf einer sorgfältig differenzierten Auslese, die nur unter Zugrundelegung der in den Schulgesundsheitsbögen niedergelegten Beobachtungen über die Art des Entwicklungsverlaufs getroffen werden kann. Der Schularzt sollte ferner auch bei der D u r c h f ü h r u n g der Übungsfürsorge nicht ausgeschaltet werden. Die körperliche Ertüchtigung des jugendlichen Nachwuchses läßt sich nicht schabionisieren. Aus diesem Grunde ist die Durchführung



222



der hiezu in Betracht kommenden Maßnahmen nicht als eine rein wohlfahrtspflegerische Aufgabe zu betrachten, sondern ist in erster Linie der Verantwortlichkeit des Jugendlichenfürsorgearztes und damit auch dessen s a c h v e r s t ä n d i g e r L e i t u n g u n d K o n t r o l l e zu unterstellen. Erst bei Anerkennung dieses Grundsatzes wird auch die Möglichkeit gegeben sein, einen sicheren Maßstab zu gewinnen, ob die sozialhygienischen Maßnahmen in dem heute vordringlichen Kampf gegen die Anomalien des Wachstums auch tatsächlich die gewünschte Wirkung entfalten.

IY. Die genotypischen Veränderungen des jugendlichen Nachwuchses. Während uns die Wachstumsstatistik und der statistische Vergleich der Zu- bzw. Abnahme von Konstitutionsanomalien beide eine verhältnismäßig gute Handhabe bieten, um im Verlaufe längerer Zeitperioden sich vollziehende Veränderungen der konstitutionellen Entwicklung unseres jugendlichen Nachwuchses festzustellen, befinden wir uns in einer ungleich schwierigeren Lage bezüglich der Beurteilung der neu heranwachsenden Generationen hinsichtlich ihrer genotypischen Zusammensetzung. Gibt es Methoden, die uns einigermaßen einen Einblick gestatten, ob überhaupt bestimmte Veränderungen — zunächst vollkommen unter Verzichtleistung eines Werturteils in der anlagemäßigen Zusammensetzung eines Volkskörpers sich vollziehen ? Im wesentlichen erscheinen zur Beantwortung dieser Frage zwei Wege gangbar. Der erste Weg wäre der einer in bestimmten Zeiträumen auszuführenden anthropologischen Untersuchung, um rassenmäßige Veränderungen eines Volkes festzustellen. Der zweite bestünde in der Verbesserung der erbbiologischen Registrierung unserer Bevölkerung, um festzustellen, ob eine Tendenz zur Vermehrung rassehygienisch günstiger oder ungünstiger Erbmerkmale in der Bevölkerung sich nachweisen läßt. Was zunächst die anthropologische Untersuchung anlangt, so haben Versuche, mit Hilfe der üblichen anthropometrischen Untersuchungsmethoden Rassentypen innerhalb eines Volkes aufzustellen, bis jetzt vollkommen versagt. Angesichts der fließenden Übergänge, die zwischen diesen nicht nach unveränderlichen, sondern nach fluktuierenden Merkmalen mehr oder weniger willkürlich konstruierten „Rassebestandteilen" unserer deutschen Bevölkerung bestehen, scheint auch keine Aussicht gegeben zu sein, auf diesem Wego weiterzukommen.



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Eine andere Möglichkeit wäre vielleicht auf dem Wege der Heranziehung von Untersuchungen gegeben, die sich auf feste unveränderliche Rassenmerkmale beziehen müßten. Als solche sind die vier Blutgruppen zu betrachten, die sich bei den menschlichen Rassen nachweisen lassen, allerdings nicht in dem Sinn, als ob eine bestimmte „ B l u t r a s s e " identisch wäre mit einer bestimmten anthropologischen Rasse, aber doch in dem Sinn, daß das prozentuale Verteilungsverhältnis für den seßhaften Anteil einer Bevölkerung eine rassenmäßig bestimmte gleichbleibende Größe darstellen muß, die aber in Einwanderungsgebieten, namentlich in Industriegegenden, allmählichen Veränderungen unterworfen ist. Blutgruppenuntersuchungen, die von K l e i n und O s t h o f f 1 ) in dem westfälischen Industrieort Herne angestellt wurden, haben zu dem Ergebnis geführt, daß der Blutgruppenindex der eingewanderten Industriebevölkerung wesentlich von dem der seßhaften einheimischen Bevölkerung abwich (Verminderung des Rassenindex der eingeborenen Bevölkerung von 4,7 auf 2,7 durch östliche Einwanderer). Wir werden angesichts der mit dem Jahre 1930 in allen größeren Städten, insbesondere den Industriezentren notwendig eintretenden Zuwanderung mit ähnlichen Verschiebungen in der rassenmäßigen Zusammensetzung der Bevölkerung zu rechnen haben, denn aus den zugewanderten Volkselementen wird später wieder seßhafte Bevölkerung, die ihre unwandelbaren Rassemerkmale auf den jugendlichen Nachwuchs weitergibt. Hinterher läßt sich der Grad der meist durch wirtschaftliche Momente bedingten Verschiebungen der rassenmäßigen Struktur eines Volkes auf dem Wege der üblichen morphologisch-anthropologischen Untersuchung nicht feststellen. Wohl aber gestattet dies die Bestimmung der prozentualen Blutgruppenverteilung vor und nach einer Einwanderungsperiode. Allerdings ist die unbedingte Voraussetzung, daß mit den in bestimmten Gegenden in periodischen Zeitabständen vorgenommenen Blutuntersuchungen die gleichen sozialen Bevölkerungsschichten durch Stichprobenuntersuchung erfaßt werden, und — was bisher meist unberücksichtigt geblieben ist — auch die gleichen Altersgruppen. Denn der Grad der Verschiebung des sog. Blutgruppenindex muß natürlich verschieden ausfallen, je nachdem nach einer in der Zusammensetzung einer Bevölkerung eingetretenen Verschiebung alte oder junge Generationen untersucht werden. Da bei den hier in München an der Bevölkerung vorgenommenen Blutuntersuchungen im Gegensatz zu den in zahlreichen anderen male.

1) K l e i n u. O s t h o f f , H ä m a g g l u t i n i n e , R a s s e und anthropologische MerkArchiv für Rassenhj'giene. 1928.



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Orten Deutschlands erfolgten Bestimmungen zum erstenmal auf die Bedeutung der Ausscheidung nach Alters- und sozialen Gruppen hingewiesen wurde, seien im folgenden die für München im Jahre 1927 für die männliche Berufsschuljugend ermittelten Zahlen kurz erwähnt. Tabelle 14.

116—17 4 - 1 5 j. j. J

männl. Fortbildungsschüler scnuxer

16—17 j. weibl. Fortbildungssch. Erwachsene

Zahl der Untersuchten

AB

A

B

0

7.

7.

7.

7c

30 100 180 250 100

3,4 4 6,3 4,8 4

43,4 45 38,9 32,8 45

13,3 12 7,8 14,0 11

40,0 39 47,2 48,4 40

Während die von Zeit zu Zeit — in Abständen von 1 bis 2 Jahrzehnten — vorgenommene Blutgruppenuntersuchung einer Bevölkerung zunächst nur eine Feststellung zuläßt, ob überhaupt eine Veränderung eingetreten ist o d e r nicht, ohne gleichzeitig ein Urteil zu ermöglichen, ob diese im rassehygienisch guten oder ungünstigen Sinn zu bewerten ist, würde ein zuverlässigeres Mittel, sich über Veränderungen des Anlagewertes einer Bevölkerung laufend zu informieren die zahlenmäßige Feststellung von Erbleiden darstellen. Für derartige Feststellungen wären an sich die schulärztlichen Untersuchungen sehr geeignet, jedoch fehlen nach dieser Richtung, ebenso wie bezüglich der Gradeinteilung bei Konstitutionsbefunden, noch vollkommen einigende Grundlagen. An sich wird man — einer rohen Schätzung nach — die Zahl der bei Kinder und Jugendlichenuntersuchungen feststellbaren Erbleiden mit rd. 1% annehmen dürfen. Nicht alle werden aber unter dieser Bezeichnung geführt, sondern erscheinen unter verschiedenen Rubriken der Statistik — erbliche Epilepsie, Psychopathien z. B. unter Nervenkrankheiten, Erbkropf vereint mit sporadischem Kropf usw. Es müßte also auf Grund von Vereinbarungen erst eine Einigung getroffen werden, welche Arten von Erbkrankheiten getrennt in den schulärztlichen Statistiken geführt werden sollen. Bei der Verwertung dieser Befunde müßte angegeben werden, ob für besondere lokale Einrichtungen für die Unterbringung solcher Krankheitsfälle gesorgt ist. Angenommen, es existieren z. B. in einer Stadt besondere Einrichtungen für die Berufsbrauchbarmachung von Epileptikern, so wird naturgemäß die Zahl der in Normalschulen befindlichen Fälle sinken. Es wird daher kaum möglich sein, ohne eine zentrale Regelung derartiger Erhebungen, die sich auf größere Bevölkerungsgruppen ausdehnen müßten, zuverlässige Angaben über die Verbreitung ausgesprochener Erbkrankheiten zu bekommen, wenn nicht außer



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den in normalen Schulen befindlichen Fällen auch die asylierten Fälle der betreffenden Krankheitskategorie zusammengefaßt werden. Mit Rücksicht auf die damit verbundenenSchwierigkeiten könnten unter Umständen an Stelle solcher nur unvollständig erfaßbarer Erbleiden leichtere konstitutionelle erbliche Anomalien, die an sich keine wesentliche individualhygienische Benachteiligung bedingen und daher auch keine Unterbringung in Spezialerziehungsanstalten notwendig machen, durch die schulärztliche Registrierung leichter voll erfaßt werden, und immerhin ähnlich wie „Leitfossilien" nach ihrem zahlenmäßigen Vorkommen einen Index für genotypische Veränderungen in der Zusammensetzung der Bevölkerung bilden. Unter diesen leichteren Erbanomalien wären zu nennen erbliche Anomalien der Extremitäten (Mißbildungen der Hände, ferner der Beine wie Klumpfuß, angeborene Hüftgelenkluxation) des Brustkorbs (Ausscheidung der Fälle von angeborener Trichterbrust von den rachitischen Anomalien des Brustkorbs), endlich auch gewisse erbliche Anomalien im Bereich des Gesichts und des Kiefers (Lippen-Gaumenspalten, Zahnanomalien). Unter den letzteren könnten für das Pubeszenzalter besonders die Anomalien der zweiten Zahnentwicklung als brauchbarer Index dienen. Echte Hypodontien, d. h. Fehlen einiger Zähne (im Gegensatz zu Retentionen zweiter Zahnanlagen), welche nicht selten im Jugendlichenalter übersehen werden, sind sehr oft auch mit anderen konstitutionellen Anomalien verbunden (Asthenie mit gleichzeitigen Anomalien der epidermoidalen Gebilde). Nach den Münchener Jugendlichenuntersuchungen der letzten Jahre kommen Hypodontien (meist Fehlen von Schneidezähnen des Oberkiefers) verhältnismäßig häufig vor (durchschnittlich 0 , 0 5 % ) . Ebenso würden Einzelfälle mit g e h ä u f t e m Auftreten von konstitutionellen anomalen Stigmata (dysplasische Konstitutionstypen) einer gesonderten schulärztlichen Registrierung bedürftig erscheinen. Von besonderer erbbiologischer Bedeutung wäre es aber, wenn nicht nur Veränderungen der erbbiologischen Qualität unter Zugrundelegung körperlicher Erbanomalien sondern auch Veränderungen der geistigen Beschaffenheit des jugendlichen Nachwuchses Rechnung getragen würde. Einen wichtigen Maßstab würde für diesen Zweck das Verhältnis der in Hilfsschulen untergebrachten Jugend im Vergleich zur Zahl der in Normalschulen befindlichen Altersgenossen darstellen. In München ist in dieser Hinsicht eine Verschlechterung eingetreten, insofern als das prozentuale Verhältnis der Hilfsschüler im Vergleich zur Zahl der in Normalschulen untergebrachten Schüler im Pubeszenzalter in den letzten Jahren gestiegen ist (s. Tab. 15). K a u p - F ü r s t . Körperverfassung.

15



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Tabelle 16. V e r h ä l t n i s d e r Z a h l d e r H i l f s s c h ü l e r z u r Z a h l d-er i n entsprechenden Klassen untergebrachten Normalschüler der B e r u f s s c h u l j u g e n d Münchens. Jahrgang

Gesamtzahl der Berufsschüler 1. u. 2. Kl. in Münchner Sch.

Zahl der Hilfsschüler 1. u. 2. Kl.

Prozentzahl

1920/21

8367

41

0,5

1921/22

8190

75

0,9

1922/23

8929

91

1,0

1923/24

8592

112

1,3

1924/25

8667

133

1,5

1925/26

9230

145

1926/27

8906

162

1,6 1,8

1927/28

8887

140

1,6

1928/29

8650

134

1,5

1929/30

7725

139

1,8

Einen unbedingt zuverlässigen Maßstab stellt dieses Verhältnis aber nicht dar, weil die Hilfsschuleinweisung nicht nach gleichbleibenden psychologischen Methoden bemessen wird, sondern nach mehr oder weniger subjektiver Schätzung. Auf die Schwankungen der Leistungsforderungen und die subjektive Bedingtheit aller Schulzensuren hat B a r o n 1 ) aufmerksam gemacht, ohne allerdings positive Verbesserungsvorschläge zu geben. Er betont an Stelle von Massenvergleichen die Einzelforschung bei Begabungsuntersuchungen. Wir werden aber auf Massenvergleiche nicht verzichten können, um für die Beantwortung der wichtigsten Frage nach Veränderungen der durchschnittlichen Begabung in der Bevölkerung Anhaltspunkte zu gewinnen. Dazu erscheint das Verhältnis der Zahl der Hilfsschulpflichtigen zur Zahl der Normalschulpflichtigen vorläufig immer noch als der brauchbarste Maßstab. Eine Verbesserung könnte geschaffen werden, wenn die Beurteilung der Hilfsschulbedürftigkeit nicht ausschließlich nach Schulnoten, sondern auch nach psychologischen Tests erfolgen würde. In Londoner Schulen ist bei Beginn der Pubeszenz die Wiederholung einer psychologischen Testprüfung, die einen objektiveren Maßstab als die Schulbenotung darstellen würde, vorgesehen. Endlich dürfen jene Versuche in ihrer Bedeutung nicht unterschätzt werden, welche darauf abzielen, festzustellen, ob die Fortpflanzungsrate begabter Familien im Vergleich zu unbegabten zu- oder abnimmt. Nach dieser Hinsicht existierten bisher verhältnismäßig 1) B a r o n , Begabtenverteilung und Vererbungsforschung. Braunsberg 1927.



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noch wenig Untersuchungen, wie z. B. von R e i t e r und O s t h o f f 1 ) in Rostock, von F r i e s in Heidelberg, von P r o k e i n 2 ) in München, welche alle übereinstimmend zu der Ansicht kamen, daß die Fortpflanzungsziffern unbegabter Eltern im Vergleich zu Begabten unter den gegenwärtigen Verhältnissen durchschnittlich etwa um die Hälfte höher sind. In Analogie damit stehen die bei Angehörigen der gelernten im Vergleich zu ungelernten Münchener Berufsschulen festgestellten Ergebnisse über die Beziehungen zwischen Schulnoten und Geschwisterzahlen zuungunsten der letztgenannten Schulkategorie 3 ). Diese Münchener Untersuchungen haben seither den Anstoß zu einer ganzen Reihe ähnlicher Untersuchungen gegeben. Weitaus die größte Zahl von Untersuchungen ist in den letzten Jahren auf Veranlassung des württembergischen Kultusministeriums unternommen und von L o t z e 4 ) verarbeitet worden. Das Material bezieht sich auf die gesamten höheren Schulen und Mittelschulen von Groß-Stuttgart. Die Ergebnisse decken sich im wesentlichen mit den seinerzeit in München gemachten Feststellungen. Es ist erfreulich, aus dieser Arbeit zu sehen, daß auch amtlicherseits die Notwendigkeit, diese Verhältnisse laufenden Untersuchungen zu unterziehen, anerkannt worden ist. Das von seiten der amtlichen Unterrichtsstellen dokumentierte Bestreben, der Beobachtung der qualitativen Veränderungen in der psychologischen Leistungsfähigkeit des Schülermaterials Rechnung zu tragen, steht in Zusammenhang mit der neuerdings eingetretenen Veränderung der Einstellung der wissenschaftlichen Pädagogik zur Vererbungslehre 5 ). Sie läßt die Hoffnung berechtigt erscheinen, daß dieser Umstellung auch bei der neuen Lehrerausbildung Rechnung getragen wird, was die Zusammenarbeit zwischen Schularzt und Lehrerschaft bei der erbbiologischen Beurteilung der Jugend wesentlich erleichtern würde.

Y. Die Beurteilung der beruflichen Eignung. Die jüngsten von Mewes 6 ) mitgeteilten Ergebnisse einer auf 219 Gemeinden und Gemeindeverbände sich erstreckenden Statistik 1) R e i t e r u. O s t h o f f , Die Bedeutung endogener und exogener Faktoren bei Kindern der Hilfsschule. Ztschr. f. Hygiene 1921. 2) P r o k e i n , Über die Eltern der schwachs. Hilfsschulkinder Münchens. Arch. f. Rassenhygiene 1926. 3) F ü r s t - L e n z , Ein Beitrag zur Frage der Fortpflanzung verschieden begabter Familien. Arch. f. Rassenhyg. 1925. 17. Bd. 4) L o t z e , Untersuchungen über die gegenseitigen Beziehungen von Schulwahl, Schulleistungen, sozialer Zugehörigkeit und Kinderzahl. Arch. f. Rassenhyg. 1930, Bd. 23, H. 2—3. 5) K ö l l n , Die Vererbungslehre in der pädagogischen Aussprache der Gegenwart. Arch. f. Rassenhyg. 1930, Bd. 23, H. 1. 6) loc. cit. 15*



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aus dem Jahre 1926 über die Berufsfähigkeit der Volksschulentlassenen sind für die nächsten von der Jugendpflege einzuschlagenden Wege bemerkenswert. Von den am 31. März 1926 entlassenen 143693 Volksschülern waren nur 118104 schulärztlich untersucht. 20% unseres jugendlichen Nachwuchses stehen also in Deutschland überhaupt noch nicht unter regelmäßiger volksschulärztlicher Überwachung, ein Ergebnis, das im Vergleich zu den in Frankreich bestehenden, von Herriot befürworteten Bestrebungen die gesamte Schuljugend j e d e s Jahr einer z w e i m a l i g e n Untersuchung zu unterziehen, als ein bedauerlicher Mangel in unserer deutschen Gesundheitsfürsorge betrachtet werden muß. Über diese angeführten 118104 schulärztlich Untersuchten lag nur für 81776, d. i. für 69% der Untersuchten bzw. nur 56% der Gesamtheit der Volksschulentlassenen ein schulärztliches Schlußgutachten vor. Dabei zeigte sich, daß nur 87% für den gewählten Beruf als tauglich, 8% für einen anderen als den gewählten und 5% als berufsunfähig bezeichnet werden mußten. Diese Angaben zeigen, daß die bisherige Form der Berufsberatung nach der ärztlichen Seite hin in quantitativer Beziehung noch außerordentlich unvollständig ist. Ebenso weist der relativ hohe Prozentsatz von berufsunfähig Gefundenen darauf hin, daß für Verbesserungsmaßnahmen zur Hebung der konstitutionellen Entwicklung zwischen Volksschulentlassung und Berufseintritt gesorgt werden muß. Zum Teil würde dies möglich sein, durch eine Wiederverlegung der früheren Schuljahreinteilung auf die alte Form mit Sommerschluß, weil damit naturgemäß auch ein Wiederbeginn des Berufsantritts für gewerbliche Berufe im Herbst verbunden wäre und die dazwischen gelegene Sommerferienzeit dazu benützt werden könnte, für eine allgemeine Kräftigung vor Eintritt in ein Lehrverhältnis zu sorgen. Unser Bestreben muß aber nicht nur darauf gerichtet sein, den Prozentsatz der absolut Berufsuntauglichen herunterzudrücken und ausgesprochene Krankheitsfälle von ungeeigneten Berufen fernzuhalten, sondern auch bei den als geeignet Befundenen die Berufswirkung, und etwa erst während der Lehrzeit sich herausstellende körperliche Schäden festzustellen. Vom hygienischen Standpunkt kann die mehrfach betonte Auffassung, daß Berufsberatung ohne gleichzeitige ärztliche Kontrolle während der Berufsausbildung eine Halbheit darstellt, auch an dieser Stelle nicht eindringlich genug betont werden. Was die Beziehungen zwischen Krankheit und Beruf und die Auswahl von Berufsarten für nur bedingt Taugliche anlangt, so stehen die nach dieser Richtung in Betracht kommenden Grundsätze fest. Die Anwendung der klinischen Diagnostik bei der Feststellung von Krankheitszuständen, die nur eine Eignung für bestimmte Berufe



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zulassen, sind in dem H a n d b u c h d e r ä r z t l i c h e n B e r u f s b e r a t u n g v o n L a u b e r zusammengefaßt. Vom hygienischen Standpunkt erscheint es aber wichtig, den Einfluß der Berufsarbeit auch bei der Hauptmasse der beim Berufseintritt als klinisch gesund befundenen Jugend zu kontrollieren und eventuell erst während der Berufsausbildung sich manifestierende Krankheitsanlagen im Keime zu bekämpfen. Voraussetzung für dieses Ziel ist, daß außer den üblichen Methoden der klinischen Untersuchung für die ärztliche Beobachtung bei Berufseintritt und während der weiteren Berufsausbildung auch die Methoden jenes durch eine Reihe deutscher und ausländischer Forscher neubegründeten Forschungsgebietes in Anwendung gebracht werden, welches heute unter dem Namen Individualwissenschaft ( P e n d e ) Biologie der Person ( B r u g s c h ) bzw. Konstitutionshygiene ( K a u p ) zusammengefaßt wird. Zweck und Endziel dieses Forschungsgebietes ist es, die Summe aller jener morphologischen und funktionellen Eigenschaften des zu beurteilenden Falles zunächst einzeln auf dem Wege der Analyse zu erfassen, welche bei der nachträglichen Synthese ein Urteil über die Gesamtpersönlichkeit und ihre wesentlichste Eigenart, ihren Biotypus, zulassen. Im nachfolgenden ist das Bestreben maßgebend, diejenigen Verfahren in k u r z e n Zügen zu schildern, die bereits jetzt für die schulärztliche und berufsberaterische Praxis aussichtsreich erscheinen. Soweit als möglich soll dabei auch über die wichtigsten mit Hilfe dieser Methoden gemachten persönlichen Erfahrungen berichtet werden. Der Gang einer konstitutionshygienischen Untersuchung für Berufsberatungszwecke läßt sich einteilen: A. in eine genetische Beurteilung (Beurteilung der Erbverfassung), B. Beurteilung der Allgemeinkonstitution nach Körperbau und Entwicklungszustand (statische und kinematische Beurteilung), C. Beurteilung spezieller funktioneller Eigenschaften einzelner Organe nach ihrem Leistungsgrad. Während A. und B. für die Berufsberatung und Kontrolle der Berufswirkung in j e d e m Falle und für a l l e Berufsgruppen in Betracht kommt, richtet sich der dritte Teil des Untersuchungsganges nach der Art des Berufs. Es würde in praxi unmöglich sein, jeden Menschen derart eingehend zu analysieren, wie es für die Beurteilung aller seiner Partialkonstitutionen vom rein theoretischen Standpunkt notwendig erscheint. Hier haben berufskundliche bzw. arbeitsphysio-



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logische Erwägungen den Entscheid zu geben, welche Organsysteme bei der Eigenart des Berufs eine besondere Belastung erfahren und deshalb auch einer besonders gründlichen Leistungsprüfung unterzogen werden müssen. Größtenteils werden auch rein äußere Momente bei diesem letztgenannten Teil des konstitutionshygienischen Untersuchungsgangs den Ausschlag geben, wieweit hier in der schulärztlichen Praxis schon von einer Nutzanwendung gesprochen werden kann. Einer der ersten Konstitutionsforscher wie M a r t i u s 1 ) hat schon vor dem Krieg vorausgesehen, daß die schulärztliche Methodik sich durch Heranziehung „staatlich organisierter und systematisch durchgeführter Funktionsprüfungen auf die gesamte Schuljugend" einmal erweitern müsse, allerdings aber — noch dazu in einer wirtschaftlich günstigeren Zeit — auf die Schwierigkeiten, die sich bei der Verwirklichung dieses Ziels in finanzieller Beziehung ergeben würden, aufmerksam machen zu müssen geglaubt. Seine Vermutung, daß sich aber auch mit einfacheren Methoden manches erreichen lassen würde, „wenn nur Ziele und Aufgaben richtig gestellt würden", hat sich auf Grund der seitherigen Fortschritte der schulärztlichen Methoden weitgehend bestätigt. A. Genotypische Beurteilung. Diese stellt gewissermaßen die Basis jeder konstitutionellen Begutachtung dar. Gerade dieser Teil ist aber bei den bisherigen schulärztlichen Untersuchungen meist noch nicht genügend berücksichtigt. Es ließe sich aber durch entsprechende Ausgestaltung der von den Eltern zu beantwortenden Fragebögen, wie sie schon in manchen Städten eingeführt sind, manche Verbesserung schaffen. In dieser Beziehung muß auf frühere Ausführungen 2 ) u n d 3) des Ref. zurückverwiesen werden. Es sei hier nur erwähnt, daß sich die Fragen erstrecken sollen: 1. auf die Feststellung bestimmter Erbleiden in der Familie, 2. bestimmter morphologischer Stigmata, für die nicht nur die Tatsache der Erblichkeit sondern die Häufung in Form „loser Koppelungen", im Sinne Valentin H a e c k e r s als Anhaltspunkte für das Bestehen allgemeiner erblicher Konstitutionsschwäche und Hypoplasie dienen kann, 3. ob in psychologischer Beziehung bestimmte intellektuelle, künstlerische oder manuelle Fähigkeiten in der Familie nach1) M a r t i u s , Konstitution und Vererbung. Springer 1914. 2) Die erbbiologische Erfassung des jugendlichen Nachwuchses. Z. f. Volksaufartung. 1929, Nr. 6. 3) Wie kann die Tätigkeit des Schularztes der Erblichkeitsforschung und Rassenhygiene dienen? Archiv f. Rassenhyg. 1927, H. 3.



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gewiesen werden können, die für den Berufswunsch maßgebend sind. 4. Endlich müßte das Bestreben dahin gehen, sich einen ungefähren Einblick in die charakterologische Beschaffenheit der Familie zu beschaffen. Nach dieser Hinsicht bestehen allerdings grundlegende Unterschiede in den Auffassungen zwischen A l l e r s und K r e t s c h m e r . Ersterer scheint in seinen Bestrebungen, die grundsätzliche Wandelbarkeit des Charakters für die sittliche Erziehung hervorzuheben, in der Verurteilung des Wertes erbbiologischer Charakteruntersuchungen zu weit zu gehen. Die Feststellung K r e t s c h m e r s , daß krankhafte Charakterzüge in der Familie oftmals in Reinkultur erscheinen, läßt die Bedeutung dieser Seite der genotypischen Beurteilung für praktische Zwecke in genügendem Licht erscheinen. Selbstverständlich läßt sich diese nicht auf dem Wege der Fragebögen durchführen. Für die Explorationstechnik gewisse Anhaltspunkte gegeben zu haben, die dem Fürsorgearzt wertvolle Dienste leisten können, muß als besonderes Verdienst K r e t s c h m e r s anerkannt werden. B. Allgemeine konstitutionelle Beurteilung. Was die allgemeine Beurteilung der äußeren Konstitution anlangt, so lassen sich von vorneherein zwei Hauptrichtungen unterscheiden. Die eine Richtung stellt die exakt messende Untersuchung in den Vordergrund, die andere glaubt unter Verzichtleistung auf zeitraubende anthropometrische Methoden den gleichen Zweck auf somatoskopischem Wege erreichen zu können. Die erste Richtung ist durch M a r t i n vertreten, der die anthropometrische Methodik für die Zwecke der Sozialanthropologie sorgfältig ausgebaut hat. Die letztgenannte Richtung wurde durch Co e r p e r einzuführen gesucht. C o e r p e r geht dabei von Kretschmerschen Vorstellungen aus. Ganz ähnlich wie K r e t s c h m e r Beziehungen zwischen Körperbau und Charakter festgestellt hat, so hat C o e r p e r in Erweiterung dieser Theorie die Behauptung aufgestellt, daß die natürliche Berufswahl — unter der Voraussetzung, daß äußere Verhältnisse, Wirtschaftskonjunktur usw. die natürliche „Wahlverwandtschaft" zum Beruf nicht stören — von der äußeren Habitusform abhängig sei. Letztere wiederum stehe in direkter Beziehung zu den sogenannten Wurzeleigenschaften des psychologischen Habitus. Als Wurzeleigenschaften des Kleinkind- bzw. Volksschulkindalters betrachtet C o e r p e r : 1. das Ernährungsbedürfnis, 2. das Bewegungsbedürfnis, 3. das Pflegebedürfnis.



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Mit Erwachen des Pubeszenzalters treten zu diesen Wurzeleigenschaften noch weitere für die Gebahrung charakteristische Eigenschaften hinzu: 1. Das Gefühl der groben Kraft, 2. das Geschicklichkeitsgefühl. Diese beiden Wurzeleigenschaften des Pubeszenzalters decken sich ungefähr mit dem, was die Psychologen der analytischen Schule unter a l l g e m e i n e m L e i s t u n g s g e f ü h l verstehen, als Grundlage eines sogenannten Vitalbewußtseins, dessen Fehlen für die Entstehung von Minderwertigkeitsgefühlen als Ausgangspunkt von neurotischen und abwegigen Charakteren heutzutage in der psychologischen Literatur über das Jugendlichenalter eine große Rolle spielt. Nach Co er p e r tritt aber zu diesen beiden Wurzeleigenschaften des Pubeszenzalters noch eine dritte Komponente hinzu, die er kurz mit dem Ausdruck: 3. „Gefühl für Materialbeherrschung" bezeichnet, welches gerade bei der natürlichen Berufswahl in gewerblichen Berufen ausschlaggebend sei. Diese drei Wurzeleigenschaften lassen sich nach Co e r p e r ohne genaue messende Methoden schon auf beschreibendem Wege erkennen. Er stellt also die Psychographie über die Psychometrie, genau so wie er die Somatoskopie über die Somatometrie stellt. Die Analyse der drei letztgenannten Wurzeleigenschaften ist für die Beurteilung deshalb ausschlaggebend, weil sie die Gebahrung des Pubeszenten bestimmt. Er glaubt, daß die Gebahrung einerseits mit dem Körperbautypus in Zusammenhang steht, und anderseits wiederum in dem Körperbautypus die Gebahrung und der Berufswunsch schon gewissermaßen prädestiniert sei. Auf Grund seiner Düsseldorfer Untersuchungen, wonach er in den einzelnen Berufsgruppen eine verschiedene prozentuale Verteilung der Körperbautypen festgestellt hat, werden von ihm die gewerblichen Berufsarten eingeteilt in 1. muskuläre, 2. respiratorische, 3. zerebrale Berufsgruppen. Das Zentrum der ersten Gruppe ist durch den Typus des Transportarbeiters und ungelernten Arbeiters repräsentiert. Außerdem gehören Schlosser, Schmied, Dreher, Maurer, Metzger, Spengler, Müller usw. in diese Gruppe. Das Zentrum der zweiten Gruppe ist durch das Holzbearbeitungsgewerbe repräsentiert, ebenso, wie auch die Tapezierer, Maler, Lakierer usw. in diese respiratorische Gruppe gehören. Die dritte Gruppe setzt sich zusammen aus kaufmännischen und Präzisionsarbeiterberufen. Es soll nicht bestritten werden, daß an den Coerperschen Vorstellungen manches bestechend ist, daß aber auch anderseits manche



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Mängel offensichtlich sind. Zugeben wird man müssen, daß jeder Berufsberatung eine a l l g e m e i n e körperliche und psychologische Charakterisierung vorausgehen müsse. Ebenso, daß die Beurteilung der a l l g e m e i n e n Konstitution über den Ausfall des Ergebnisses der Untersuchung von Partialkonstitutionen gestellt werden muß. Nicht übereinstimmen kann man bezüglich der Auffassung, beschreibende Methoden über objektiv messende zu stellen. Denn Co er p e r begibt sich dabei von vornherein des Vorteils, der Wirkung des gewählten Berufs auf messendem Wege hinsichtlich der Besserung oder Verschlechterung des Meßwerts der einen oder anderen Partialkonstitution nachgehen zu können. Um einen solchen Vergleich vor und nach Berufseintritt vornehmen zu können, muß eben eine exakte Vergleichsbasis da sein. Zweitens kann nicht eindringlich genug darauf hingewiesen werden, daß einer der wundesten Punkte bei den Typeneinteilungen C o e r p e r s darin besteht, daß im Pubeszenzalter die Typen keineswegs schon fest ausgeprägt sind. C o e r p e r fühlt dies selbst und spricht von „Übergangsformen". In der Tat bilden diese Übergangsformen im Pubeszenzalter gerade die Mehrzahl. Dadurch ist es auch erklärlich, daß C o e r p e r selbst von einem sogenannten „Dominanzwechsel" in der Pubertätszeit spricht. Diese Hinweise lassen die Bestimmung des körperlichen Habitus allein als nicht genügend für die konstitutionelle Allgemeinbeurteilung erscheinen. Im Gegensatz zu der Coerperschen Auffassung sei das andere Extrem in Kürze geschildert, welches dahin geht, die äußere Körperform unter Registrierung von Detailmaßen genau zu fixieren. Man könnte daran denken — ähnlich wie dies von M a r t i n und seinen Schülern mit Hilfe der von ihm angewandten Methode der Reduktion der absoluten Maße auf die Körperlänge zur Aufstellung von „Sporttypen" geschehen ist — auch bestimmte „Berufstypen" aufzustellen. Die eigentliche Modellierung des Körpers zu einem ausgesprochenen Arbeitstypus findet aber erst nach längerer Berufsbetätigung statt. Beim Berufseintritt ergeben sich — unter Zugrundelegung der für die einzelnen Berufe geltenden Mittelmaße — nur sehr geringe Unterschiede der auf die Körperlänge bezogenen Detailmaße des Körpers. Zum Teil wurde auf diese Verhältnisse in dem Abschnitt von Prof. K a u p hingewiesen. Für die Praxis der Berufsberatung und Arbeiterauslese ist die für sportsärztliche Zwecke empfohlene Methode der Eintragung in Körperproportionsfiguren viel zu umständlich.



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Wir müssen infolgedessen nach einem Weg suchen, der gewissermaßen eine Mittelstellung darstellt zwischen der extremen Richtung von C o e r p e r , die sich n u r auf Beschreibung verläßt und der Anthropometrie, sofern man darunter außer den üblichen, schulärztlichen Körpermessungen und Wägungen auch die Registrierung von Detailmaßen versteht. Diese Mittelstellung scheint dadurch gegeben zu sein, daß man als Grundlage für die allgemeine Beurteilung n a c h M ö g l i c h k e i t versucht, den allgemeinen Habitus festzustellen, g l e i c h z e i t i g aber auch eine Beurteilung wenigstens der wichtigsten Grundmaße, die erfahrungsgemäß für die normale Funktion der inneren Organe von besonderer Bedeutung sind, vornimmt. Diese sind aber nicht als absolute Maße, sondern nur dann zur Beurteilung geeignet, wenn sie auf zweckdienliche Weise miteinander in Relation gebracht werden. Diesem Zweck dienen die sog. Konstitutionsindizes. Die große Fülle der noch z. T. aus der früheren Militärhygiene stammenden Indizes erweckt mit Recht den Verdacht, daß keiner eine allgemeine Brauchbarkeit besitzt. E s ist daher vielfach die Meinung vertreten worden, auf die Anwendung von Indizes überhaupt zu verzichten. Wie es aber in der Medizin bei der Auswahl an sich ähnlicher Heilmittel schließlich immer darauf ankommt, für welchen therapeutischen Zweck die betreffenden Mittel benützt werden, so kommt es aber auch in der Hygiene bei der Verwendung von Indizes ganz auf den mit ihnen beabsichtigten Zweck an. Bei der Bewertung der Brauchbarkeit eines Index ist zunächst festzustellen: 1. ob man ihn für die Individualbeobachtung, d. h. zur Feststellung der Veränderungen der Indexwerte ein und desselben Individuums während der Entwicklung oder 2. zum Vergleich für verschiedene Individuen nach bestimmten Auslesegrundsätzen benötigt. Während für den erstgenannten Zweck mehr oder weniger jeder Index brauchbar ist, ist für den letztgenannten Zweck nur ein Index zu verwenden, welcher für die einzelnen Längenabweichungen ein und derselben Altersklasse den geringsten Grad von Abweichung von dem für die betreffende Altersklasse geltenden Mittelwert bei normalen Individuen erkennen läßt. K a u p gebührt das Verdienst, zum erstenmal dies mit absoluter Deutlichkeit gezeigt zu haben. Es wurde zwar vielfach auf die Ähnlichkeit des K a u p sehen Index mit anderen Längen-Gewichtsindizes hingewiesen. Diese Ähnlichkeit ist aber nur eine scheinbare, insofern als zwar auch bei anderen, wie z. B. dem Q u e t e l et sehen und R o h r e r sehen Index Gewicht und Länge als die beiden Grundstockmerkmale der äußeren Konstitution mitein-



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ander in Relation gebracht werden. Wendet man aber diese letztgenannten Indizes für den Vergleich der verschiedenen Längenvarianten einer und derselben Altersklasse an, so wird man immer feststellen müssen, daß sich ein Normalwert für die Varianten ein und derselben Altersklasse n i c h t aufstellen läßt. Man müßte erst die verschiedenen Längenvarianten in Gruppen einteilen, z. B. hochgewachsene, mittlere und kleine Individuen, und für jede dieser Gruppen einen eigenen Normalwert aufstellen. Das gleiche gilt z. B. für den früher bei militärärztlichen Untersuchungen viel verwandten Pignetschen Index. Die Erfahrung hat gelehrt, daß bei all diesen Indizes ein einigermaßen brauchbares Ergebnis, d. h. eine Übereinstimmung zwischen einem sogenannten guten Indexwert und einem guten Ausfall der Organuntersuchung nur innerhalb der mittleren Längevarianten, zu erwarten ist, niemals bei den über ein gewisses Mittel hinausgehenden entweder besonders kleinen oder besonders großen Individuen. K a u p hat den Grund festgestellt, warum alle bisher angegebenen Indizes für den Vergleich verschiedener Längenvarianten ein und derselben Altersgruppen versagen müssen. Eine direkte Relation zwischen kubischen und linearen Maßen wäre nämlich nur dann zulässig, wenn der Körper nach dem Prinzip der geometrischen Ähnlichkeit aufgebaut wäre. Dies ist aber beim Wachstum des lebenden Körpers im Gegensatz zum Wachstum der Kristalle nicht der Fall. Die verschiedenen Längenvarianten ein und derselben Altersgruppe sind nicht verkleinerte oder vergrößerte Nachbildungen ein und desselben Typus. Bei dem Vergleich ungleich großer aber im gleichen Maßstab ausgeführter Nachbildungen ein und desselben Objektes, z. B. einer Statuette von 10 cm Höhe und einer aus gleichem Material von gleichem spezifischem Gewicht bestehenden Statuette von 20 cm Höhe ergibt sich, daß Gewicht und Länge in gesetzmäßiger Beziehung steht. Die doppelt so große Statuette ist 8 m a l schwerer als die kleinere. Wäre das nicht der Fall, so wäre sie „ a b n o r m " , d. h. die Abweichung vom normalen Indexwert würde bei diesem toten Objekt darauf hinweisen, daß das spezifische Gewicht der Nachbildung nicht der verlangten „ N o r m " entspricht, d. h. daß bei der vergrößerten Nachbildung ein im Vergleich zum kleineren Original verschieden schweres Material verwendet worden ist. Auch im lebenden Organismus spielt das spezifische Gewicht der einzelnen Gewebsbestandteile eine große Rolle. Die Massenvermehrung wird während des Wachstums im wesentlichen geleitet durch ein von K a u p entdecktes Gesetz, das eine zwischen geometrischer und linearer Ähnlichkeit gelegene Beziehung der Querschnitts-Längenentwicklung wahrscheinlich macht.



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Der K a u p s c h e Index besagt, daß die Gewichte sich nicht wie die Kubusse der Länge, sondern wie ihre Quadrate, die Umfangsmaße nicht wie die Längenmaße, sondern wie die Wurzeln der Länge verhalten. Die Erfahrung hat gelehrt, daß der K a u p s c h e Index, d. h. der für die betreffende Altersklasse bestehende durchschnittliche P/L 2 Wert sich für den Vergleich auch verschiedener Längenvarianten einer Altersklasse eignet. Die Zuverlässigkeit eines Index kann nur festgestellt werden durch den Vergleich, ob ein gefundener guter oder schlechter Indexwert auch mit einem guten bzw. schlechten klinischen Organbefund übereinstimmt. Diese Forderung wird beim Kaupindex für die praktischen Zwecke genügend erfüllt, wie Vergleiche zwischen Ausfall der klinischen Organuntersuchung und dem Grad der Abweichung von dem für die betreffende Altersklasse bestehenden „Normalwert" des K a u p s e h e n Index gezeigt haben. Hier in München verwenden wir für die allgemeine schulärztliche Beurteilung, wenigstens in den Berufsschulen zur Nachkontrolle, ob bei der Berufsberatung nicht gröbere Fehler begangen worden sind, als eine der Hauptkriterien zur Prüfung des Entwicklungszustandes die Bestimmung des Längen-Breitenverhältnisses nach der K a u p s e h e n Methode und verlangen, daß ausgesprochene Minusabweicher nicht in muskuläre bzw. in respiratorische Berufe kommen. Als Normbegrenzung hat sich nach den Münchner Erfahrungen herausgestellt, daß eine Abweichung von mehr als 5% nach oben oder unten für den nach dem K a u p s e h e n Index geltenden Sollwert des Längen-Gewichtswachstums für die betreffende Alters- und Längenklasse als Grenze zu betrachten ist, von der ab auch durch die klinische Untersuchung nachweisbare Regelwidrigkeiten zu erwarten sind. Die Anwendung des K a u p sehen Verfahrens kann außer zur statischen auch zur kinematischen Beurteilung benützt werden, zunächst zur Bestimmung des dem Berufseintritt vorausgegangenen Entwicklungsverlaufs. Voraussetzung für eine Rekonstruktion der dem Berufseintritt vorausgegangenen individuellen Entwicklungskurve wäre, daß Messungen und Wägungen der Kinder wenigstens in dem zu ihrem Geburtstag gehörenden Vierteljahrsabschnitten und nicht zu beliebigen Zeiten des Jahres ausgeführt werden würden. Bei der Durchmusterung von Münchner Volksschulgesundheitsbögen, bei denen diese Vorbedingungen hinsichtlich der nachträglichen Verwertbarkeit der Maßresultate einigermaßen erfüllt waren, haben sich unter Zugrundelegung des Kaupindex folgende Wachstumstypen unterscheiden lassen: 1. Gleichmäßig überdurchschnittlicher Verlauf der LängenBreitenentwicklung ca. 25%,



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2. mittlerer Verlauf mit genügendem Anstieg gegen Ende der Volksschulzeit ca. 30%, 3. schlechter Beginn bei allmählichem Anstieg ca. 12%, 4. guter Beginn bei allmählichem Schlechterwerden bzw. oszillierendem Verlauf ca. 20%, 5. gleichmäßig unterdurchschnittlicher Verlauf ca. 13%. Während 2. und 3. einen Anhaltspunkt für gute Beurteilung geben, muß plötzliche Verschlechterung der Entwicklungskurve des Längenbreitenverhältnisses immer den Verdacht auf eine durch exogene Einflüsse z. B. Infektionskrankeiten oder endokrine Einflüsse bedingte Störung erwecken, ebenso wie auch gleichmäßig unterdurchschnittliche Entwicklung auch ohne greifbaren klinischen Befund bezüglich der Beobachtung der voraussichtlichen Leistungsfähigkeit zur Vorsicht mahnen muß. Es scheint, daß die Kontrolle des dem Berufseintritt vorausgegangenen Entwicklungsverlaufs für die Gewinnung eines prognostischen Urteils außerordentlich wertvoll sein kann. In gleicher Weise ist die K a u p s e h e Methode bedeutungsvoll für die allgemeine Beurteilung der B e r u f s w i r k u n g . Bei allen als bedingt tauglich befundenen Schülern wäre es von größter Bedeutung, wenn nach einer gewissen Probezeit (2—3 Monate nach Berufseintritt) oder in einem von Fall zu Fall zu individualisierenden Zeitabstand eine Nachuntersuchung stattfinden würde, wobei die Feststellung, ob der Kaupindex sich gebessert oder verschlechtert hat, für die definitive Beurteilung der Eignung eine sehr wichtige Rolle spielen könnte. Leider besteht bei uns in Deutschland keine Bestimmung, daß bei bedingt tauglichen Berufsbewerbern eine Nachuntersuchung stattfinden müßte. Die Durchführung von Zwischenuntersuchungen in der Berufsschule nach den ersten Monaten der Lehrlingsausbildung stößt auf Schwierigkeiten. Jedoch hat die Durchführung der K a u p sehen Methode zur Kontrolle der Wachstumsbeeinflussung nach Abschluß der Lehrlingsausbildung den Vorteil mit sich gebracht, daß man generell für die verschiedenen Berufsarten günstige bzw. ungünstige Wachstumsbeeinflussungen konstatieren kann. Es lassen sich nach ihrer durchschnittlichen Wirkung auf die LängenBreitenentwicklung die gewerblichen Berufe in nachstehende Gruppen einteilen (s. Tab. 16). Welche Folgerungen aus dieser Einteilung für die sozialhygienische Behandlung der einzelnen Berufsgruppen, die Durchführung von Turnunterricht, Lehrlingsurlaub und dessen zweckdienliche Verwendung für Erholungs-bzw. Übungszwecke sich ergeben,



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Tabelle 16. Berufsauslese und Berufswtrkung nach Kaup-Index.

A = Anfang = 14- u. 14 V« jährige. B = Beendigung der Lehrzeit = 17- u. 1 7 ' / , jährige. Die Ziffern in Klammern bedeuten die Zahl der Probanden.

1. G r u p p e .

Auslese von Schwächlichen und ungenügende Berufswirkung.

Friseure Kellner. 2. G r u p p e .

A 1,79 (139) A 1,81 (91)

B 1,99 B 1,95

(44)

(26)

Auslese von Schwächlichen und mittlere Berufswirkung.

Schneider Goldschmiede Sattler

A 1,72 A 1,79 A 1,79

(51) (72) (94)

B 2,00 B 2,02 B 2,02

(41) (60) (53)

u p p e . Mittlere Auswirkung und mittlere bis gute Berufswirkung. Gürtler und Gießer . . . Schreiner Mechaniker Kupferschmiede Gärtner Bauhandwerker Buchdrucker Elektrotechniker . . . . Gruppe. Bäcker . Metzger

A A A A A A A A

1,80 1,80 1,82 1,82 1,84 1,84 1,85 1,86

(110) (168) (226) (23) (41) (201) (198) (213)

B B B B B B B B

2,06 (20) 2,06 (63) 2,10 (88) 2,21 (32) 2,12 (29) 2,12 (96) 2,08 (214) 2,06 (112)

Gute Auslese und gute Berufswirkung ! j

A 1,87 (219) A 1,91 (62)

B 2,12 (108) B 2,30 (39)

braucht hier nur kurz erwähnt zu werden, da dies in früheren Veröffentlichungen bereits eingehend geschehen ist. Was die individualhygienische Bedeutung der Einteilung in konstitutionelle Gütegrade nach der Kaupschen Methode anlangt, so kann sie als gesicherte Grundlage für die ärztliche Beurteilung bei der Berufsauslese betrachtet werden, die nur einer generellen Nutzbarmachung noch zugeführt werden müßte. 1 ) C. Beurteilung spezieller funktioneller Eigenschaften einzelner Organsysteme nach ihrem Leistungsgrad. Wesentlich anders liegen die Verhältnisse bezüglich der Beurteilung von P a r t i a l k o n s t i t u t i o n e n . Im folgenden soll in einer dem zur Verfügung stehenden Raum entsprechenden Kürze wenigstens der Versuch gemacht werden, gewisse Richtungen zu zeigen, nach denen sich die spätere Untersuchungsarbeit entwickeln muß. Der von K e c k - K ö h n l e (Firma Lautenschläger, München, Lindwurmstraße 29, Preis mit Brustumfangs-Längentabelle 15 M.) angegebene Konstitutionsmesser stellt ein außerordentlich einfaches Instrument dar, um die LängenGewichtswertigkeit ohne umständliche Berechnung festzustellen.



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Ganz allgemein läßt sich sagen, daß z. B . für respiratorische und muskuläre Berufe naturgemäß andere Untersuchungsmethoden heranzuziehen sein werden als z. B . für zerebrale oder Geschicklichkeitsberufe. Für erstere werden wir hauptsächlich danach trachten müssen, einfache Methoden zur Beurteilung der Leistungsfähigkeit des Herzens, des peripheren K r e i s l a u f s , der A t m u n g , ausfindig zu machen, während es für die letztgenannte Gruppe vorwiegend auf Methoden zur Beurteilung von angeborenen bzw. erworbenen und wandelbaren Funktionen des N e r v e n s y s t e m s ankommt. Die letztgenannte Aufgabe ist bisher vorwiegend als Sache der psychologischen bzw. psychotechnischen Eignungsprüfung angesehen worden. Bekanntlich ist der Psychotechnik unmittelbar nach der Einführung der amtlichen Berufsberatung eine geradezu souveräne Bedeutung zugewiesen worden. Heutzutage scheint sich die Auffassung wesentlich geändert zu haben. In Deutschland wird von namhaften Vertretern der Psychotechnik eine gewisse Reduktion der Methodik zugegeben, und was Amerika anlangt, so ist es bezeichnend, daß in dem eigentlichen Mutterland der Psychotechnik von der Industrie praktisch nur wenig mehr Gebrauch gemacht wird. Es würde bedauerlich erscheinen, wenn dieser Reduktionsvorgang bei uns in Deutschland zu weit gehen würde. Was für unsere Verhältnisse notwendig ist, ist allerdings weniger eine Erweiterung der psychotechnischen Prüfungen als vielmehr eine richtige Zusammenarbeit der Psychotechniker und Betriebsleiter mit dem Arzt. Es müßte vor allem mehr Wert auf die Aufdeckung der korrelativen Zusammenhänge zwischen psychologischen und somatischen Merkmalen gelegt werden. Nach dieser Richtung fehlen aber deswegen alle Voraussetzungen, weil von vornherein seit Inkrafttreten der amtlichen Berufsberatung im Jahre 1922 eine zu weitgehende Arbeitsteilung nach der psychologischen bzw. somatischen Seite in der Organisation zum Ausdruck kam. Psychologische und ärztliche Berufsberatung erfolgt meist vollkommen getrennt, der Arzt erfährt von den Resultaten der psychotechnischen Berufsberatung meist nur sehr wenig, hat auch nicht das Recht und die Möglichkeit, die psychotechnische Prüfung nach Gesichtspunkten der konstitutionellen Diagnostik zu variieren. Um nur ein naheliegendes Beispiel zu nennen, es bestehen nicht einmal wissenschaftliche Unterlagen dafür, ob zwischen den zumeist geprüften peripheren Funktionen des Tastgefühls, des Muskelsinns, der Gelenksempfindung irgendwelche Zusammenhänge mit somatischen Merkmalen im Bau und Struktur der Hand und der Finger bestehen, obwohl es im höchsten Grad wahrscheinlich erscheint, daß hier korrelative Beziehungen bestehen. Man weiß z. B., daß weiche, überstreckbare Finger meist mit



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einer besonders großen manuellen Geschicklichkeit verbunden sind. Umgekehrt scheint es, daß ein anderes Extrem der Fingerfiguration, die sog. Spinnenfinger meist mit einer manuellen Ungeschicklichkeit und Unsicherheit verbunden sind. Welcher von den 2 Grundformen der Hand, ulnarer bzw. radialer Typus für manuelle Arbeit prädisponiert, ist in der gesamten bisherigen psychotechnischen Literatur unberücksichtigt. Ein sehr wichtiges Gebiet wäre auch die Frage der Links- bzw. Rechtshändigkeit bzw. der korrelativen Zusammenhänge mit anderen Assymetrien der Körperfunktionen. Man weiß z. B., daß es ebenso wie eine Gebrauchshand ein Gebrauchsauge gibt, dessen Feststellung auf objektivem Wege leicht möglich ist, dadurch, daß man den Untersuchten auffordert, die Spitze eines Bleistifts bei gerade vorwärts gestrecktem Arm, ohne ein Auge schließen zu lassen, auf die Nasenspitze des Untersuchers zu richten. Der Beobachter erkennt sofort, welches Auge bevorzugt wird daran, daß die Bleistiftspitze vom Prüfling vor das eigentliche Gebrauchsauge gehalten wird. Beobachtungen an Münchner Berufsschülern haben gelehrt, daß bei Linkshändern meistens auch ein linkes Gebrauchsauge besteht, während umgekehrt die Zahl der Rechtshänder, die nicht gleichzeitig rechtsäugig sind, eine relativ geringe ist. Anders liegen dagegen die Fälle bei den Stotterern. Es ist bekannt, daß bei einer erheblichen Zahl von Stotterern Linkshänder gefunden werden, mehr als bei Nichtstotterern. Das Wesentliche scheint darin zu liegen, daß linkshändige Stotterer, namentlich solche mit gleichzeitigen Intelligenzdefekten, rechtsäugig sind. Die Untersuchungen sind noch nicht abgeschlossen, da die Zahl der jährlich in den normalen Berufsschulen gefundenen Stotterer (durchschnittlich 0,5—0,7% der Gesamtheit) noch zu gering ist. Nach den bisherigen bei Stotterern, die als Koordinationsgestörte zu betrachten sind, gefundenen Zahlen über Assymetrien in bezug auf Händigkeit und Äugigkeit, erscheint die Wahrscheinlichkeit vorzuliegen, daß ein Linkshänder mit Rechtsäugigkeit bzw. ein Rechtshänder mit Linksäugigkeit bei manuellen Arbeiten, die eine gut abgestufte Koordination verlangen, sich ungeschickter verhält als ein Proband, bei dem die Untersuchung zeigt, daß e n t w e d e r die rechte o d e r die linke Gehirnseite für die zentrale Leitung der Koordinationsvorgänge ausgebildet ist. Diese Hinweise sollen nur Beispiele darstellen, wie wichtig es wäre, wenn die Ergebnisse der psychotechnischen Untersuchungen nicht völlig unverbunden neben der somatischen Konstitutionsuntersuchung erhoben würden, sondern miteinander in Verbindung gebracht würden.



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Bisher ist dies nur geschehen bezüglich der Prüfung der Zusammenhänge e i n e r psychologischen Eigentümlichkeit, der neuerdings eine besondere Beachtung zuteil geworden ist, es ist die E i d e t i k . Untersuchungen von J a e n s c h machen es im höchsten Grade wahrscheinlich, daß allgemeine Beziehungen zu bestimmten Konstitutionstypen bestehen. J a e n s c h hat nachgewiesen, daß bezüglich der eidetischen Veranlagung Unterschiede bestehen, je nachdem es sich um sogennante B- oder T-Typen handelt. Die T-Typen zeichnen sich somatoskopisch durch einen bestimmten „verkniffenen" Gesichtsausdruck, gesteigerte galvanische und mechanische Reizbarkeit der peripheren Nerven (Facialis), eckige Motorik, nervöse Allgemeinerscheinungen, Beziehung zur Tetanie und Rachitis aus. Die eidetische Eigenschaft kann bei ihnen durch Ca- Gaben vermindert bzw. durch Thyreoidin verstärkt werden. Im Gegensatz dazu sind die B-Typen, die meist durch eine erhöhte Erregbarkeit des autonomenNervensystems, respiratorische Arrhythmie, weite Lidspalte, variable Pupillenweite, „sprechendes" Auge, oft mit gleichzeitiger Struma charakterisiert sind, durch Ca in ihrer eidetischen Veranlagung nicht beeinflußbar. Die tetanoiden Anschauungsbilder stehen den physiologischen Nachbildern näher, die basedowoiden Anschauungsbilder dagegen mehr den Nachbildern. Wieweit die eidetische Veranlagung namentlich ihr Erhaltenbleiben über die Pubeszenz hinaus für den Beruf, z. B. den künstlerischen Beruf, von Bedeutung sein kann, ist noch nicht untersucht. Es existieren in der Literatur Angaben, die dies wahrscheinlich machen, andere aber, die es wieder in Abrede stellen. Genauere Untersuchungen wären gewerbehygienisch erwünscht. Eigenartig ist jedenfalls die Angabe, daß die eidetische Veranlagung in Realanstalten häufiger als in humanistischen Schulen zu beobachten sei. Auch regionäre Unterschiede scheinen zu bestehen, was mit psychologischen Rassenunterschieden in Verbindung zu bringen wäre. Vom Standpunkt der Konstitutionsforschung aus ist die Prüfung auf Eidetik deswegen interessant, weil hier zum erstenmal überhaupt auf die Beziehungen psychologischer Funktionen zum Körperbau hingewiesen worden ist, ähnlich wie dies von K r e t s c h m e r für charakterologische Merkmale, die Stimmungslage und das Tempo bei der Arbeit, für die sog. „Psychästhesie" geschehen ist. Es wäre verlockend, nachzuprüfen, ob nicht ähnliche Beziehungen zwischen Körperbau und anderen psychologischen Eigentümlichkeiten, wie z. B. zum a u d i t i v e n und v i s u e l l e n Typus, bestehen, die ja für die spätere Berufsbetätigung sicherlich noch von größerer Bedeutung sind, weil die Fähigkeit, mehr auf Gehörvorstellungen oder mehr auf optische Eindrücke zu reagieren, während des ganzen individuellen Lebens im Gegensatz zur Eidetik als kennzeichnendes Stigma der geistigen Persönlichkeit bleibt. Kaup-Fürst,

Körperverfassung.

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Um noch andere konstitutionspsychologische Stigmata zu erwähnen, so dürfte wohl darüber kein Zweifel sein, daß die Bestimmung der i n d i v i d u e l l e n E r m ü d b a r k e i t eine der allerwichtigsten Aufgaben wäre. Bisher hat man hauptsächlich den Ermüdungswert der einzelnen Arbeitsarten kennenzulernen gesucht. Mit dieser Aufgabe beschäftigt sich die physiologische Arbeitswissenschaft und bedient sich dabei vor allem der Methodik der Stoffwechseluntersuchung, um die einzelnen Elemente der Arbeit, die sich bei gewerblichen Verrichtungen wiederholen, bei ein und denselben Normalindividuen hinsichtlich ihres Energiebedarfes zu analysieren. In gleicher Weise müßte auch versucht werden, die subjektive Ermüdbarkeit zu messen. Leider ist dies von der bisherigen psychotechnischen Berufsberatung noch nicht geschehen, was schon D u r i g 1 ) bei Beginn der nach dem Kriege einsetzenden Bestrebungen, für die verschiedenen Berufsarten bestimmte Prüfungsschemata aufzustellen, als offensichtlichen Mangel hervorgehoben hat. Allerdings sind die uns bisher zur Verfügung stehenden Methoden zur Prüfung der individuellen Ermüdbarkeit noch zu umständlich bzw. nicht genau genug. Vor allem besteht noch keine rechte Möglichkeit, die körperliche von der rein geistigen Ermüdbarkeit scharf zu trennen. Jedoch besteht die Wahrscheinlichkeit, daß ein körperlich geschwächter Organismus auch eine größere geistige Ermüdbarkeit besitzt. Methoden zur Prüfung der körperlichen Ermüdbarkeit könnten also gleichzeitig für die Feststellung der geistigen Ermüdbarkeit benützt werden. Tatsächlich sind auch von L a h y Blutdruckmessungen in bestimmten Gewerben, z. B. im Buchdruckgewerbe, für die Bestimmung der subjektiven Ermüdbarkeit herangezogen worden. Damit berühren wir schon das Gebiet der Prüfung der L e i s t u n g s f ä h i g k e i t d e s K r e i s l a u f s , die namentlich für die eigentlichen muskulären bzw. respiratorischen Berufe von größter Bedeutung ist, nicht nur zur Feststellung der momentanen Leistungsfähigkeit sondern auch für die Fähigkeit zu Dauerleistungen bzw. für die Aufstellung einer Prognose hinsichtlich des mehr oder weniger frühen Eintretens von sog. Abnützungskrankheiten im späteren Berufsleben, die — wie ich erwähnen möchte — durch die heute Mode gewordene Sportbewegung o h n e sportärztliche Kontrolle der Eignung begünstigt werden können. Hier befinden wir uns noch keineswegs auf dem Boden hinreichend gesicherter Tatsachen. Der Arzt ist wohl auf Grund seiner üblichen klinischen Untersuchungsmethoden in der Lage, festzustellen, ob eine organische Herzerkrankung vorliegt oder nicht. Daß es eine ') D u r i g , „Das Taylorsystem und die Medizin", bei M. Perles 1922.



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der selbstverständlichsten Aufgaben der Berufsberatung sein muß, ausgesprochene organische Herzfehler von ausgesprochenen Schwerarbeiterberufen fernzuhalten, bedarf keiner näheren Erwähnung. Aber auch die Yerschiedenartigkeit der gerade im jugendlichen Alter bestehenden sog. funktionellen Herzstörungen bedarf einer näheren Prüfung. Hiezu werden wir nur in der Lage sein durch die Heranziehung einfacher funktioneller Prüfungsmethoden. Das Wichtigste erscheint dabei, mit Hilfe der einfachen Methoden der Auskultation und Frequenzfeststellung die Fälle in richtiger Weise auszusieben, die für eine genauere spezialistische Herzuntersuchung in Betracht kommen. Dabei ergeben sich folgende Gesichtspunkte: 1. Arrhythmien: Diese sind im jugendlichen Alter sehr häufig, werden sogar als physiologisch betrachtet. Immerhin dürften ausgesprochene Arrhythmien oder Verstärkung durch den Karotisdruckversuch bzw. Augenherzreflex oder Erbenschen Hockversuch nicht ganz gleichgültig sein, da sie auf Vagotonie hinweisen, die mit endokrinen Störungen zum Teil auch mit gewissen Überempfindbarkeitskrankheiten (s. später) in Beziehung stehen. 2. Extrasystolen sind sehr häufig, Kammersystolen pflegen nach Bewegung zu verschwinden, ein Nichtverschwinden dürfte immer eine elektrokardiographische oder kymographische Untersuchung notwendig machen. 3. Akzidentelle Geräusche. Nach G o l d s c h e i d e r sind akzidentelle Geräusche immer ein Zeichen eines funktionell minderwertigen Herzens. Schon M a r t i u s hat darauf hingewiesen, daß die so häufig bei Jugendlichen zu findende Unreinheit des ersten Tons mit Verbreiterung des Spitzenstoßes als ein wichtiges Zeichen von Leistungsschwäche des Herzens zu betrachten ist. 4. Tachykardien sind bekanntlich im jugendlichen Alter sehr häufig. Rein nervöse Tachykardien pflegen beim Liegen zu verschwinden, während thyreotoxisch bedingte Tachykardien durch die Lage nicht beeinflußt werden. Entscheidend für die Beurteilung der Elastizität des Herzens bzw. des peripheren Gefäßsystems ist das Verhalten des Blutdruckes nach dosierter Arbeit. Die auf Grund einer vorläufigen Aussiebung nach den genannten Gesichtspunkten als verdächtig erscheinenden Fälle müssen für genauere Funktionsprüfungen herangezogen werden. Eine völlige Einigung über den für jugendliche Altersklassen in Betracht kommenden Maßstab zur Bestimmung der ihrem Alter entsprechenden Leistungsfähigkeit des Kreislaufs ist vorläufig nicht in befriedigender Weise erfolgt. Dieses Endziel wird erst dann erreicht werden, wenn wir auf Grund exakter wissenschaftlicher Untersuchungen unter Heranziehung des gesamten zur Verfügung stehenden Rüstzeugs der mo16*



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dernen Untersuchungstechnik zu gesicherten Mittelwerten der einzelnen analysierbaren Funktionen für die einzelnen Altersstufen gelangt sind. Die zweite Aufgabe besteht darin, die korrelativen Zusammenhänge zwischen den einzelnen Messungsergebnissen näher zu untersuchen. Durch die Untersuchungen von R a u t m a n n sind zwar einige derartiger Zusammenhänge näher geklärt, z. B. hinsichtlich der Abhängigkeit der Größenverhältnisse des Herzens zur Variabilität einiger äußerer Körpermaße, der Länge des Rumpfes und namentlich der Brustbreitenmaße. Ebenso wissen wir, daß allgemeine Beziehungen zwischen Körperlänge und Blutdruck, Körperlänge und Pulszahl, Sauerstoffbedarf der Gewebe und Höhe der vom Herzen zu leistenden Arbeit bestehen. Erst wenn die theoretischen Grundlagen über die Beziehungen der einzelnen Komponenten des Kreislaufs vollkommen geklärt sind, wird über die Werte bestimmter Leistungsprüfungen ein abschließendes Urteil möglich sein. Vorläufig sind wir nur auf einige einfache, auch in der Praxis leicht durchführbare Verfahren angewiesen. Die allererste Voraussetzung für alle Versuche zur Einführung von Funktionsprüfungen des Herzens besteht darin, die zur Prüfung verwendete tatsächliche Arbeit genau messen zu können. Es ist ganz klar, daß die früher in der Militärhygiene bei Musterungsuntersuchungen übliche Form, Kniebeugen machen zu lassen, nur ein sehr rohes und unzuverlässiges Mittel ist zur Prüfung der nach einer solchen Arbeit eintretenden Veränderungen der Pulszahl, des Blutdrucks usw. Ein besseres Mittel stellt schon der Lauf dar, einer bestimmten m Zahl in einer bestimmten Zeiteinheit. Das beste ist natürlich ein Fahrradergometer mit dynamischer Bremse, ähnlich wie sie zur Prüfung von Flugmotoren verwendet wird, wodurch die geleistete Arbeit genau in mkg registriert werden kann. Welche Anhaltspunkte bestehen bei Jugendlichenuntersuchungen für die Annahme eines auch für körperliche Arbeit genügend leistungsfähigen Herzens ? 1. Eine sehr einfache, aber immerhin recht brauchbare Funktionsprüfung bildet ähnlich wie für militärärztliche, so auch für berufsberaterische Untersuchungen das Atemanhaltenlassen. Die Größe der Herzarbeit hängt bekanntlich in hohem Maße von dem Sauerstoffbedürfnis der Gewebe ab. Im allgemeinen wird man sagen dürfen, daß wenn der Atem bei einem 14jährigen Jugendlichen nach tiefster Inspiration nicht mindestens 25 Sekunden (bei 15—16jährigen mindestens 30 Sekunden) angehalten werden kann, dies als ein Anhaltspunkt betrachtet werden muß, daß die Leistungskraft des Herzens nicht im genügenden Verhältnis zum Sauerstoffbedürfnis der Gewebe steht.



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Unter Umständen kann allerdings der Grund für eine schlechte Atemanhaltezeit darin liegen, daß die Übung falsch gemacht wird, die Recti angespannt werden, wodurch naturgemäß eine Art Valsalvascher Druckversuch zustande kommen muß. Durch entsprechende Belehrung evtl. Hinlegenlassen zur Entspannung der Recti kann jedoch diese Schwierigkeit beseitigt werden. Fast immer haben Jugendliche mit geringer Atemanhaltezeit auch im Verhältnis zu ihrer Größe zu geringe Spirometerwerte. Für die Beurteilung der Spirometerwerte seien die bei der Untersuchung einer größeren Zahl von Jugendlichen Münchner Berufsschulen ermittelten Werte aufgeführt. Da sich eine sehr gute Korrelation zwischen Brustumfang und Gewicht einerseits und Spirometer wert andererseits ergab (-f- 0,912 bzw. -(- 0,752), so können die in nachfolgender Tabelle aufgestellten Durchschnittswerte für 14—18jährige Jugendliche geordnet nach 5 cm-Klassen für Brustumfang und 5-kgKlassen für Gewicht als Normwerte betrachtet werden. Tabelle 17. Brustumfang

Gewicht

Spirometer

35—39,5 40—44,5 54—49,5 50—54,5 55—59,5 60—64,5 65—69,5

2250 2770 2930 3240 3490 3770 4100

Spirometer

66—70 71—75 76—80 81—86 87—90

2350 2850 3150 3650 4000

Nach den Hauptaltersklassen geordnet, ergibt sich für die Spirometerwerte ein deutliches Ansteigen, ebenso auch eine Zunahme des mittleren systolischen und diastolischen Blutdruckes mit dem Alter, Tabelle 18. Zahl der Probanden Spirometer

Jahre 14 15 16 n 17 ii 18 ii

(14) (36) (82) (25) (10)

2300 2800 3200 3300 3400

Blutdruck Differenz Ruhepuls

105—60 110—65 115—65 117—66 120—75

45 55 50 51 55

80 78 73 71 76

während die Differenz zwischen systolischem und diastolischem Blutdruck und die mittleren Pulszahlen nach der Berechnung keine Abhängigkeit vom Alter erkennen ließ. Dagegen zeigte sich bei der Berechnung zwischen Pulsdifferenz nach 10 Kniebeugen und Blutdruckamplitude eine geringe -)- Korrelation (-f- 0,206), so daß man aus



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der Größe des Produkts der Pulszunahme nach 10 Kniebeugen und Blutdruckamplitude auf die Größe der Elastizität des Gefäßsystems einen Schluß zu ziehen berechtigt ist. Wir werden auf die Frage eines geeigneten Index für Puls- und Blutdruck noch bei der Anwendung für sportärztliche Zwecke zu sprechen kommen. 2. Die einfachste Funktionsprüfung für das Herz ist Pulsbestimmung nach Lauf oder eine wirkliche ausgiebige Muskelleistung. Z. B. 3 Min. Radfahren mit 25—30 mkg pro Sekunde. Nach 10 Minuten muß der Ruhewert erreicht sein. 3. Ebenfalls einen sehr guten Anhaltspunkt gewährt die Bestimmung des maximalen Blutdrucks vor und nach dosierter Arbeit. Es lassen sich dabei drei Typen unterscheiden: 1. solche mit leichtem Ansteigen und langsamem Abfallen = guter Funktionstyp. 2. Leichtes Ansteigen und langsames Abfallen, aber etwas unter dem ursprünglichen Ruhewert = mittlerer Funktionstypus. 3. Sinken des Blutdrucks ohne vorherigen Anstieg oder gar keine Beeinflussung durch Muskelarbeit, was immer als ein prognostisch schlechtes Zeichen zu bewerten ist. Von sonstigen Partialkonstitutionen, deren Prüfung bei der Beurteilung der Leistungsfähigkeit für gewerbliche Berufe in Betracht kommen, sei noch auf die Bedeutung von S p e z i a l f u n k t i o n s p r ü f u n g e n d e r H a u t für die Beratung für gewerbliche Berufe hingewiesen. Nicht selten findet sich in den von den Berufsberatungsämtern an die Ärzte zur Beantwortung hinausgehenden Formularien auch die Frage: Können höhere Temperaturgrade (Feuerarbeiter) vertragen werden ? Die Aufstellung einer solchen Frage zeigt, daß man sich die Beurteilung von Partialfunktionen der Konstitution in Laienkreisen manchmal einfacher vorstellt, als sie ist. Denn die einwandfreie Beantwortung der gestellten Frage würde zur Voraussetzung machen, daß diese Fähigkeit nicht nur auf dem Wege der Exklusion schwerer Krankheitsbefunde w a h r s c h e i n l i c h gemacht wird, sondern auch durch Prüfung der Thermoregulation e x a k t untersucht wird. Hiezu würde in der Messung des Wärmeanstrahlungsvermögens der Haut in der Tat ein Anhaltspunkt gegeben sein, der allerdings eine nicht ganz einfache Apparatur zur Voraussetzung macht, wenn sie auch vielleicht nicht so kompliziert zu sein braucht, wie sie B o h n e k a m p 1 ) neuerdings beschrieben hat. Ohne hier auf Details eingehen zu können, kann nur so viel gesagt werden, daß jedenfalls mit Hilfe der BestimBohnekamp, Über die Strahlungsverluste des Menschen und ihre physiologische und klinische Bedeutung. Verhandl. der phys. med. Ges. zu Würzb. N. F. IV. H. 1, 1929.



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mung der Wärmeabstrahlung von der Haut vor und nach dosierter Arbeit, sich außerordentlich deutlich erkennbare individuelle Schwankungen ergeben, somit eine Möglichkeit gegeben wäre, die oben gestellte berufsberaterisch wichtige Frage exakter zu beantworten. Nur kurz erwähnt sei unter den Hautfunktionsprüfungen auch die sog. Elastometrie nach S c h a d e . Nach den Angaben soll diese mit einem relativ einfachen Apparat auszuführende Untersuchung für die exakte Feststellung von Bindegewebsschwäche beweisend sein, wurde z. B. auch für die Prüfung des Erfolgs von Erholungskuren mit Nutzen verwendet. Etwas genauere Besprechung sei nur noch jenen Hautprüfungsmethoden zur Feststellung von allergischen Krankheiten und den ihnen zum Teil verwandten gewerblichen Hautüberempfindlichkeiten geschenkt. Der Begriff Überempfindlichkeit ist bekanntlich für die erworbene Überempfindlichkeit gegen Serumeiweiß nach vorheriger künstlicher Sensibilisierung geprägt worden. Später ist dann dieser Begriff erweitert worden auf die zum Teil angeborenen, zum Teil ebenfalls erworbenen Arten von Überempfindlichkeit nicht nur gegen Serumeiweiß sondern auch gegen andere Eiweißarten. Zu diesen Überempfindlichkeitskrankheiten gehört bekanntlich das Heufieber, das Bronchialasthma, das angioneurotische Ödem, die Rhinitis vasomotorica, Urticaria. Bei derartigen Überempfindlichkeitskrankheiten ist die „Sofortreaktion" auf der Haut mit dem betreffenden Allergen für das Bestehen einer spezifischen Überempfindlichkeit beweisend. Es braucht nicht näher begründet zu werden, wie wichtig es z. B. für die Berufseinweisung eines Asthmatikers sein kann, wenn festgestellt wird, durch welche spezifischen Ursachen bei ihm Anfälle ausgelöst werden, um danach eine Berufswahl zu treffen, bei der mit Sicherheit ausgeschaltet werden kann, daß er mit einer diese Allergie auslösenden Substanzen in Berührung kommt. Ganz ähnlich ist es mit der Prüfung der sog. allergischen Dermatosen, die in manchen gewerblichen Berufen als Ursache von vorübergehender oder dauernder Arbeitsbehinderung eine große Rolle spielen. Nur können positive Hautreaktionen bei solchen Überempfindlichkeiten gegen gewerbliche Gifte nicht auf dem Wege der Sofortreaktion, sondern erst nach einiger Zeit dauernder Einwirkung mit Hilfe der von J a d a s s o h n und L. R. M a y e r angegebenen Methode auf der vorher skarifizierten Haut nachgewiesen werden. In der eigentlichen chemischen Industrie wird von diesen Methoden zur Ausfindigmachung von überempfindlichen Arbeitern schon Gebrauch gemacht. Aber auch im gewöhnlichen gewerblichen Leben kommen so viele eine Überempfindlichkeit der Haut auslösende Substanzen vor, daß man



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daran denken könnte, diese Hautprüfungen auch bei der Auswahl jugendlicher Arbeiter, die für bestimmte SpezialVerwendungen ausgelesen werden, heranzuziehen. (Schreiner—giftige Holzarten, Galvaniseure — Nickelsalzüberempfindlichkeit, Gärtner — bestimmte Pflanzengifte usw.) Ein Übelstand besteht allerdings darin, daß die Überempfindlichkeit gegen solche Substanzen nicht immer angeboren, sondern sehr häufig erst erworben wird. Immer wird man aber auch in Fällen von erworbener Allergie mit einer angeborenen Disposition zu rechnen haben. Das Bestreben muß also dahin gehen, bei Berufsanwärtern für Berufe mit chemischen Schädigungsmöglichkeiten darauf zu achten, ob nicht allgemeine konstitutionelle Momente (Vagotonie, Eosinophilie) bestehen, die erfahrungsgemäß als Zeichen einer besonderen Prädisposition anzusehen sind. Derartige Fragen führen aber über das Gebiet der allgemeinen konstitutionellen Begutachtung hinaus in das Gebiet der Sonderberufsberatung, das eigentlich nicht mehr in dem Kreis unserer Betrachtungen über die vorbeugende Betreuung des jugendlichen Arbeiternachwuchses zur Sicherung ihrer Leistungskraft gehört.

VI. Die Beurteilung der sportlichen Eignung. Ähnlich wie bei der Berufsberatung ein doppelter Zweck unterschieden werden muß, einerseits ein betriebswissenschaftlicher zum Nutzen und zur Leistungssteigerung der Betriebe, anderseits ein volkshygienischer zur Verminderung von Berufsschäden, so hat auch die ärztliche Sportsberatung eine doppelte Aufgabe, einerseits die Bestrebungen der Turn- und Sportvereine zu unterstützen, auf der anderen Seite aber doch vor allem, unerwünschte Nebenwirkungen des Sports auszuschalten. Ähnlich wie für die Berufsberatung berufskundliche und gewerbehygienische Kenntnisse, so werden für den sportsberatenden Arzt gewisse Kenntnisse über den eigentlichen Sportbetrieb unentbehrlich sein. Sportliche Kenntnisse und womöglich eigene sportliche Betätigung ist auch für den, sei es schulärztlich, sei es sportsärztlich tätigen Arzt aus psychologischen Gründen unerläßlich. Wer nicht selbst in Leibesübungen bewandert ist, zum mindesten selbst in der eigenen Jugend eine systematische Körpererziehung durchgemacht hat, kann unmöglich für die Jugend richtiges Verständnis finden und mit ihr in einem solchen inneren Konnex stehen, wie man es von dem im Jugendfürsorgedienst stehenden Arzt, der nicht nur Untersucher sondern in gewissem Sinne auch Erzieher sein soll, verlangen muß. Er muß mit der Jugend fühlen und leben, er muß daher auch Gelegenheit haben, die Jugendlichen bei ihren außerschulischen Betätigungen beobachten und ihre Bedürfnisse kennen-



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lernen zu können, ein Grund, der schon in den früheren Ausführungen bezüglich der schulärztlichen Überwachung von Turnunterricht, Übungsund Erholungsheimen mehrfach angedeutet worden ist. Es kann aber doch wohl kaum in Abrede gestellt werden, daß die eigene sportliche Betätigung und Erfahrung n i c h t d e n A u s s c h l a g geben kann, sondern daß bei den zur Vorbildung von Sportsärzten eingeführten Sportsärztekursen die wissenschaftliche Ausbildung in den konstitutionshygienischen Untersuchungsmethoden in den Vordergrund gestelltwerden muß. Hinsichtlich der sportsärztlichenVorbedingungen gelten die gleichen auch für die Ausbildung von Schulärzten in Betracht kommenden Gesichtspunkte, daß nämlich eine Vertiefung und Vereinheitlichung der Methodik sowohl für die schulärztliche wie berufs- und sportsärztliche Praxis eine unbedingte Notwendigkeit darstellt. Die sportsärztliche Beratung ist deshalb von so großer Bedeutung, weil alle außerhalb der Schule betriebene Körpererziehung in erster Linie Intensivierung der Leistung anstrebt und daher — bis zu einem gewissen Grad mit Recht — auf das Prinzip der Wettkampfleistung nicht verzichten will. Durchaus nicht alle Sportsvereine stehen aber heutzutage schon unter sportsärztlicher Überwachung. Es kann daher nicht verschwiegen werden, daß vielfach unter den gegenwärtigen Verhältnissen, namentlich von sog. Kraftsport- und Kampfsportvereinen, Übertreibungen ausgehen können, die vom hygienischen Standpunkt als bedenklich betrachtet werden müssen. Wenn — wie dies von Ref. als privatem Zuschauer einmal gelegentlich eines deutschen Meisterschaftslaufs beobachtet werden konnte — ein außerordentlich hoher Prozentsatz der Teilnehmer nach dem Lauf unter schwersten Erscheinungen kollabierte, so fühlt man sich unter diesem Eindruck zu einem Vergleich mit der früheren Zeit der Wehrpflicht veranlaßt, wo es als eine der vornehmlichsten Aufgaben der Militärhygiene betrachtet wurde, Schäden durch militärisches Übertrainieren auszuschalten, oder doch wenigstens auf einen Prozentsatz zu beschränken, der gegenüber den heutzutage bei sportlichen Schaustellungen vorkommenden Schädigungen als geradezu verschwindend betrachtet werden muß. Der Sozialhygiene erwächst unter den heutigen Verhältnissen die wichtige Aufgabe, hier helfend einzugreifen und nach allen Kräften Auswüchsen des Sports, die jenes Mittel, das wir in der richtigen Form zur Ertüchtigung unseres Volkes brauchen, geradezu zu einer Gefahr für die Volksgesundheit umwandeln können, Einhalt zu tun. Es frägt sich, auf welchem Wege die Hygiene dies erreichen kann ? In erster Linie scheint der Appell an die ö f f e n t l i c h e M e i n u n g von Wichtigkeit. Nichts berührt die Allgemeinheit zur Zeit so sehr, nichts ist in der heutigen Zeit so sehr geeignet, Gegensätze zwischen einzelnen Bevölkerungsklassen anzugleichen und die Gesamtheit der



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Volksgenossen zur Verständigung zu führen als eine A u f k l ä r u n g und Propaganda für v e r n ü n f t i g betriebenen, d. h. ärztlich überwachten Sport. Einen nicht zu unterschätzenden volkshygienischen Dienst könnte dabei die Presse leisten, allerdings wohl nicht in der bisherigen Form der Sportberichte, wie sie heutzutage fast zum Überdruß ganze Seiten unserer deutschen Tageszeitungen füllen. Es wäre vielmehr eine wohl bei weiten Kreisen der Bevölkerung ersehnte Umstellung im Charakter der sportlichen Presseaufsätze angezeigt. Es kann nicht verkannt werden, daß in Amerika eine Form des sportlichen Schrifttums gefunden worden ist, die hygienischen Zwecken besser entspricht. Es gibt dort vielgelesene eigene Magazins für „physical culture", welche vor allem den Grundsatz im Volksbewußtsein zu verankern suchen, daß der Sport n i c h t S e l b s t z w e c k , sondern in erster Linie M i t t e l z u m Z w e c k , zur F ö r d e r u n g d e r b e r u f l i c h e n L e i s t u n g sein muß und auf diesem Grundsatz in konsequenter Weise aufbauend durch die richtige Anwendung bestimmter Sport- und Übungsarten nach den verschiedenen Lebenszielen und Berufszwecken zu einer Art von hygienischer Weltanschauung für den modernen Kulturmenschen führen wollen. Wir brauchen eine derartige Umstellung unserer Presse im Interesse unserer Jugend, wir brauchen derartigen Lesestoff für unsere Schulen und die Lehrlingsabteilungen der Fabriken, selbstverständlich unter strengster Wahrung des Grundsatzes, daß alle volkshygienische Aufklärungsliteratur sich genau an die Grenzen hält, welche Vorbeugungsund Behandlungsmedizin voneinander trennen, ein Grundsatz, der in der heutigen T a g e s p r e s s e wie im populären Zeitschriftentum bei uns k e i n e s w e g s s c h o n i m m e r s t r e n g g e n u g b e o b a c h t e t wird. Ein zweites nicht unzweckmäßig erscheinendes Mittel zur Propagierung eines wirklichen Verständnisses für die eigentlichen Zwecke von Sport und Leibesübungen wäre es, wenn zwischen ä r z t l i c h e r B e r u f s b e r a t u n g u n d s p o r t l i c h e r B e r a t u n g nach außen hin eine gewisse V e r b i n d u n g geschaffen würde. Von einigen Fabriken wurde nach dieser Richtung ein gutes Beispiel gegeben, insofern als sie vielfach die Einführung getroffen haben, bei der Einstellung jugendlicher Arbeiter außer dem Urteil des Arztes über die berufliche Eignung auch eine Äußerung über die Eignung zu Leibesübungen zu verlangen. Diese Einführung hat sich namentlich in jenen Fabriken eingebürgert, welche für ihre Lehrabteilungen Ausgleichsübungen in der Freizeit eingeführt und eigene Sportbetätigungsmöglichkeiten geschaffen haben. Dieses der Privatinitiative einzelner Industriebetriebe, z. T. auch größerer Kaufhäuser entsprungene Beispiel, bei der Einstellung von Arbeitskräften auch Vorschläge für die individualisierende Steigerung der Leistungskraft der Berufseintretenden zu bekommen, dürfte auch seitens der amtlichen Berufsberatung Beachtung finden. Selbstverständlich hätte ein solches



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bei der Berufseinstellung erfolgendes ärztliches Urteil nur den Wert einer vorläufigen Orientierung, das durch die weitere schulärztliche Beobachtung während der Berufsschulzeit weiter vervollständigt werden könnte. Für die Zwecke der Beurteilung bei der Berufseinstellung und die Ausgestaltung der Übungsfürsorge während der Berufsausbildung würde eine nach allgemein klinischen Gesichtspunkten erfolgende Einteilung genügen, wie sie von G e b h a r d t 1 ) vorgeschlagen worden ist, um sich über eine größere Gruppe von Jugendlichen einen Überblick zu verschaffen. E r bemißt das Übungsbedürfnis nach Art und Ausmaß differenzierter Leibesübungen auf Grund der Zugehörigkeit zu bestimmten Kräftegruppen und teilt die einer ärztlich überwachten Übungsfürsorge bedürftigen Jugendlichen in folgende Hauptgruppen: A. B. C. D.

für Erkältungskrankheiten Anfällige, Belastungsbeschwerden seitens des Skeletts und Gelenkapparates, Nervös-psychisch Labile, Sondergruppe, unter welch letzterer diejenigen Fälle zu verstehen sind, deren Widerstandsfähigkeit mit einer besonderen Vorsicht zu erproben ist, wie Reste von Hilustuberkulose, Tbc-Gefährdete, postinfektiöse Schäden des Herzens, der Niere, ferner auch Dauerschäden chirurgischer Art.

Durch eine derartige Einteilung nach solchen klinischen Gesichtspunkten könnte auch eine wesentliche Verbesserung in der Durchführung des Schulturnprogramms erreicht werden. In gleicher Weise könnte nach diesen Gesichtspunkten auch die Zuweisung von Schülern in Turnund Sportsvereinen erfolgen, unter der Voraussetzung, daß das Verständnis für eine solche Einteilung bei den Turn- und Sportlehrern gefördert wird. Persönliche, bei Gelegenheit praktischer Zusammenarbeit mit Turn- und Sportlehrern gewonnene Erfahrungen haben gelehrt, daß eine g l e i c h z e i t i g e Beobachtung von Jugendlichen durch Arzt und körperlichen Erzieher während der Ausübung von Leibesübungen von praktischem Nutzen begleitet ist, so daß man sich fast zu dem Vorschlag versucht fühlt, schulärztliche Untersuchungen besser im Turnsaal als im Klaßzimmer vornehmen zu lassen. Die gleichzeitige Anwesenheit des Turnlehrers hätte den Vorteil, daß der Schularzt dem körperlichen Erzieher „ad oculos" demonstrieren könnte, worauf bei den einzelnen Schülern während des Unterrichts besonders geachtet werden muß. Eine Einteilung nach k l i n i s c h e n Gesichtspunkten genügt vollkommen, so lange keine a u s g e s p r o c h e n e n s p o r t l i c h e n Leistungen verlangt werden. 1) G e b h a r d t , Beitrag zur Übungsfürsorge. Münch, med. W'och. 1929, Nr. 30.



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In allen Fällen, wo es sich um eine allmähliche Leistungssteigerung zu Höchstleistungen für bestimmte Sportarten handelt, werden v e r f e i n e r t e k o n s t i t u t i o n s h y g i e n i s c h e M e t h o d e n unerläßlich sein, um nicht nur auf dem Wege der Schätzung sondern exakter Messung bestimmter Funktionen einerseits schon vor Beginn des Trainings eine Einteilung in Leistungsgrade treffen zu können, anderseits die Wirkung des Trainings während und nach Abschluß der Trainingsperiode richtig beurteilen zu können. Unter den hiefür in Betracht kommenden Partialprüfungen der Konstitution steht die U n t e r s u c h u n g des H e r z e n s u n d K r e i s l a u f s an erster Stelle. Wir haben aber schon in dem früheren Kapitel über die Beurteilung des Herzens für berufliche Eignung auf die sich dabei ergebenden Schwierigkeiten hingewiesen, die sich für eine Einteilung in Leistungsgrade erhöhen, wenn über die für die durchschnittliche Arbeit in muskulären und respiratorischen Berufen hinausgehende Anforderungen an den Kreislauf gestellt werden, wie dies bei extremen Sportleistungen der Fall ist. In der letzten Zeit wurde mehrfach von klinischer Seite darauf aufmerksam gemacht, daß durch die Zunahme von Wettkampfsport eine Vermehrung von Abbrauchkrankheiten, namentlich im Bereich des Gefäßsystems bewirkt werden kann 1 ). Die sportsärztliche Kontrolle des Herzens von Trainierungsmannschaften muß daher als eine der wichtigsten Aufgaben betrachtet werden, um volkshygienische Gefahren des Wettkampfsportes auszuschalten. Hiezu ist aber noch manche Vorarbeit zu leisten. Es muß als das besondere Verdienst K a u p s und seiner sportsärztlichen Mitarbeiter 2 ) betrachtet werden, gerade auf diesem für die Sportshygiene wichtigsten Gebiet sich bemüht zu haben, die theoretischen Grundlagen zu klären, mit der Zielsetzung, auf Grund eingehender physiologischer Forschungsmethoden über die Zusammenhänge zwischen Herzgröße und peripherem Gefäßsystem einerseits, Pufferungsvermögen des Blutes und Sauerstoffausnützung der Gewebe anderseits, die Wege zu ebnen, um aus dem Komplex der korrelativen Zusammenhänge ein für die Praxis brauchbares Untersuchungsschema herauszuschälen, nach welchem die Prüfung der funktionellen Leistungsfähigkeit von Trainierungsmannschaften erfolgen kann. In diese Vorarbeit gehören auch die unter Leitung von Herrn Prof. K a u p ausgeführten Beobachtungen über die Trainierungsunterschiede zwischen Asthenikern und Nichtasthenikern, über welche kürzlich von 1) J a n s o n , Zunahme von Thrombosenu. Embolien. Med. Welt 1930, Nr. 32. 2) K a u p mit G o t t h a r d t , H o f e r e r und P l a t e . Arztl. hygienische Wahrnehmungen bei turnerischen Wettkämpfen. Münch, med. Woch. 1927, Nr. 48.



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A s t e l 1 ) berichtet worden ist. Die von A s t e l gezogenen Schlußfolgerungen laufen im wesentlichen darauf hinaus, daß der T r a i n i e r u n g s e r f o l g s i c h in e r s t e r L i n i e auf die V e r b e s s e r u n g d e r c h e m i s c h e n i n t e r m e d i ä r e n V o r g ä n g e f ü r die A t m u n g b e z i e h t . Das schnelle Versagen des Asthenikers bei der Arbeit beruhe in erster Linie auf mangelhaftem Sauerstoffausnützungsvermögen, also auf Unterschieden der inneren Atmung und sei erst in zweiter Linie in einem mangelhaften Kreislauf bzw. Herz zu suchen. Dieses Ergebnis ist auch für den Praktiker außerordentlich bemerkenswert. Es wird zwar in der Praxis unmöglich sein, die Unterschiede im Sauerstoffausnützungsvermögen quantitativ registrieren zu können, da die Bestimmung des Respirationsquotienten und die Bestimmung des O- und C0 2 - Gehalts und der Spannung der Alveolarluft bei Ruhe und Arbeit zur Einteilung von Leistungsgraden viel zu zeitraubend ist und kostspielige Apparatur erfordert. Es wird auch kaum anzunehmen sein, daß es gelingen wird, vereinfachte Methoden zum Nachweis der Gewebsatmung in einem einzelnen Gewebe, wie dies z. B. schon von V i e r o r d t 2 ) durch Nachweis der Zeitdauer des spektroskopischen Umschlags in reduziertes Hämoglobin nach Kompression eines Fingers versucht wurde, derartig auszubauen, daß sie als Ersatz für kompliziertere Laboratoriumsmethoden bei der Kontrolle der „inneren" Atmung dienen können. Wichtig wäre bei der Verarbeitung des Materials die Berechnung der Korrelation zwischen „innerer" und „äußerer" Atmung gewesen, um festzustellen, wie weit durch Bestimmung der Veränderung der äußeren Atmung auf pneumatographischem Wege vor und nach dosierter Arbeit ein Ersatz für die komplizierte Bestimmung der konstitutionellen Leistungsunterschiede in bezug auf die innere Atmung geschaffen werden könnte. Die Messung der äußeren Atmung stößt auf keine so großen technischen Schwierigkeiten und läßt sich auch auf einfache Weise beobachten. Jedenfalls ist bei der Beobachtung von Turnern und Sportlern während der Arbeit auf die individuellen Unterschiede der Atmung und die Dauer des Lufthungers nach gleichen Leistungen ebenso sorgfältig zu achten wie auf die Unterschiede in bezug auf die Pulsfrequenz, eine praktische Regel, die auch vom Schularzt nicht eindringlich genug dem Turnlehrer eingeschärft werden kann, um ihn in den Stand setzen zu können, dem Arzt bei der Kontrolle des Übungserfolgs zu helfen und durch Beobachtung individueller Unterschiede 1) A s t e l u. G r o ß e , Trainierungswirkungen bei normal beschaffenen und asthenischen S t u d e n t e n , insbesondere auf Kreislauf und A t m u n g , Leibesübungen. 1930, H. 11 u. 12. 2) V i e r o r d t u. G e r h a r t z , Belastungsproben der A t m u n g und des Kreislaufs, in Abderhaldens Handbuch der biol. Arbeitsmethoden. Abt. V, Teii 9, H. 1.



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während des Turnunterrichts solche Schüler ausfindig machen zu können, welche einer eingehenderen ärztlichen Untersuchung in bezug auf den Trainingserfolg bedürftig erscheinen. Was den Einfluß des Trainings auf den Kreislauf anlangt, so konnte A s t e l beim Vergleich der Asthenikergruppe mit der Nichtasthenikergruppe feststellen, daß zwar v o r dem Training insofern Unterschiede sich ergeben, als die Normalen im Vergleich zu den Asthenikern bei zwar gleicher durchschnittlicher Pulszahl größere systolische Blutdruckwerte und größere Herzminuten- und Schlagvolumina haben. N a c h dem Training erhöht sich zwar das Schlagvolumen der Astheniker in bezug auf seinen Ruhewert, zeigt aber in bezug auf die Arbeitswerte nur eine minimale Verringerung. Der Trainingswert des Schlagvolumens in der Erholungsphase ist bei den Asthenikern fast so groß wie bei den Normalen, allerdings weniger durch eine beträchtliche Zunahme des Minutenvolumens als durch eine besondere Abnahme der Schlagfrequenz. Für den Praktiker ist die Feststellung, daß im Training eine beträchtliche Verringerung der Amplitude in Ruhe, Arbeit und Erholung eintritt, von besonderer Bedeutung, da man unter gewöhnlichen Verhältnissen an Stelle komplizierter Laboratoriumsmethoden diese Werte zu vereinfachten Leistungsprüfungen verwenden könnte. Im folgenden sei in Kürze von einem Versuch berichtet, einen Beitrag nach dieser Richtung zu liefern. Die Fragestellung lautete, ob es möglich ist, bei k l i n i s c h gesunden Herzen von Jugendlichen mit Hilfe eines einfachen, das Verhältnis zwischen Blutdruckamplitude und Pulszahl ausdrückenden Index eine Klasseneinteilung in Leistungsgraden des Kreislaufs zu treffen, welche einerseits für die Dosierung der Arbeit und die Zusammenstellung von Herzleistungsgruppen dienen, anderseits eine auch ohne komplizierte Laboratoriumsmethoden leicht durchführbare Kontrolle des Trainingserfolgs gestatten könnte. Einen solchen Index stellt die Bestimmung des sog. A m p l i t u d e n f r e q u e n z p r o d u k t e s dar. Es darf darauf hingewiesen werden, daß dieser Index zur Bestimmung der Kreislaufleistung zurückgeht auf Untersuchungen, die Ref. vor langen Jahren an der M o r i t z s c h e n Klinik anzustellen Gelegenheit hatte, bei welchen mit Hilfe eines von Prof. M o r i t z angegebenen Apparates die Elastizität und Dehnbarkeit tierischer und menschlicher Gefäße vergleichend untersucht werden sollte. Bei den Untersuchungen 1 ) über die physikalischen Verhältnisse an herausgeschnittenen Gefäßen zeigte sich, daß die Dehnbarkeit der Gefäße mit steigendem Druck ab1) F ü r s t u. S o e t b e e r , Experimentelle Untersuchungen über die Beziehungen zwischen Füllung und Druck in der Aorta. Deutsch. Arch. f. kl. Medizin 1907.



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nimmt, so daß der Innendruck trotz gleichbleibendem Füllungszuwachs um stets gleichbleibende Zuwachswerte steigt. Daraus ergibt sich — übertragen auf die Verhältnisse im lebenden Körper —, daß bei gleichbleibendem Schlagvolumen aber verschiedenem diastolischen Anfangsdruck die Amplitude niemals gleich sein kann. Mit Veränderungen der Dehnung der Aorta durch Veränderungen des diastolischen Drucks müssen sich vielmehr die Amplitudenwerte ändern. Die Amplitude ist daher ein Anhaltspunkt für die Belastung der Elastizität der Gefäßwand. Um einen Aufschluß über die Größe der Herzarbeit im Verhältnis zu dem je nach Füllungszustand verschiedenen Widerstand im arteriellen System zu bekommen, läßt sich daher das Verhältnis zwischen Amplitude und diastolischem bzw. systolischem Blutdruck benützen. S o e t b e e r kam zu der Schlußfolgerung, daß sich die Beziehungen zwischen Füllungsvolumen (v), diastolischem Druck (d) und Amplitude (Pulsdruck = p) am besten durch die Formel ausdrücken lasse:

Will man sich mit geringerer Genauigkeit begnügen, so kann auch der Wert

genügen, wobei m den mittleren Blutdruck aus diastolischem

und systolischem Blutdruck bedeutet, was jedenfalls besser ist als der von anderen Autoren benützte systolische Wert. Diese ursprüngliche Formel wurde neuerdings von den Klinikern aus ihrer Vergessenheit herausgezogen und von Z a n d e r (1921) etwas modifiziert. Zur Ausschaltung der die Dehnbarkeit der Gefäßwand beeinflussenden Spannung wird von ihm die sog. „reduzierte" Amplitude benützt. Der Wert hiefür wird dadurch gewonnen, daß man die Amplitude — unter Annahme eines Mitteldrucks von 100 — in Prozenten vom Mitteldruck ausdrückt. L i l j e n s t r a n d und Z a n d e r haben später 1927 Untersuchungen darüber angestellt, wie weit die reduzierte Amplitude als relatives Maß für das Schlagvolumen dienen kann. Der Vergleich mit den durch die Stickoxydulmethode gewonnenen Werten unter gleichzeitiger Bestimmung des Sauerstoffverbrauches zeigte in der Tat, daß das Amplitudenfrequenzprodukt eine sehr gute Übereinstimmung erkennen läßt für die bei ein u n d d e m s e l b e n Individuum unter verschiedenen Arbeitsbedingungen geprüften Veränderungen. Die Übereinstimmung zwischen Erhöhung des Sauerstoffverbrauchs und Minutenvolumens mit den Veränderungen der Amplitude zeigt, 1) S. bei L i l j e n s t r a n d u. Z a n d e r , Vergleichende Bestimmung des Minutenvolumens beim Menschen. Zt. f. d. exp. Med. 1927. Bd. 59, H. 1—2.



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je nach dem das Amplitudenfrequenzprodukt I (reduzierte Amplitude) oder II (gewöhnliche Amplitude) gebraucht wird, geringe Unterschiede. Bei Verwendung des Amplitudenfrequenzproduktes I ist die Übereinstimmung eine bessere. Im Anschluß an die Z a n d e r - L i l j e n s t r a n d s c h e Arbeit stellten K i s c h und Rigler 1 ) Untersuchungen am Tier an, um unter Benützung der Methode nach R o t h b e r g e r und mit der Stromuhr festzustellen, wie weit jede experimentelle Erhöhung des Blutstroms und Vergrößerung des Minutenvolumens bei ein und demselben Tier mit einer Zunahme im A.Fr.Pr. bzw. jede Verringerung mit einer Verringerung des A.Fr.Pr. einhergeht. Im Tierexperiment zeigt sich die prozentuale Zu- bzw. Abnahme nicht so ausgeprägt, so daß die Bestimmung des A.Fr.Pr. keinen v ö l l i g e n Ersatz für die Bestimmung des Minutenvolumens darstellt. Jedoch stellt es immerhin einen brauchbaren Maßstab dar, um festzustellen, ob jeweils eine Zu- bzw. Abnahme der Blutströmungsgeschwindigkeit erfolgt. Für klinische Zwecke hat K i s c h 2 ) im Anschluß an die gemeinsamen Versuche mit Rigler das Amplitudenfrequenzprodukt in die klinische Arbeitsfunktionsprüfung des Herzens einzuführen empfohlen. Diese hier in den wesentlichsten Zügen mitgeteilten Ergebnisse klinischer Mitteilungen der letzten Zeit bildeten den äußeren Anstoß zur Prüfung der gerade vom schulärztlichen Standpunkt praktisch wichtigen Frage, ob sich die Bestimmung des A.Fr.Pr. auch für konstitutionshygienische Zwecke geeignet erweise, um innerhalb bestimmter Altersgruppen von Jugendlichen eine Einteilung in Leistungsgruppen vornehmen zu können, die den Turnlehrer in Stand setzen kann, das Ausmaß der Übungen dem Konstitutionszustand anzupassen und ein a l l m ä h l i c h e s Training zu erzielen. Ref. suchte zu diesem Zweck nach einer Gelegenheit, um eine nicht zu große, aber in ihrer Alterszusammensetzung und in ihrem vorausgegangenen Übungsgrad möglichst ähnliche Gruppe von Jugendlichen fortlaufend während einer längeren Übungsperiode beobachten zu können. Eine solche Gelegenheit bot sich in den heurigen Sommerferien während eines Aufenthaltes in Stock bei Prien a. Chiemsee, wo sich eine vom deutschen Hochseesportverein eingerichtete Jachtschule befindet, welche sich die Ausbildung von Jugendlichen im Segeln unter gleichzeitiger leichtathletischer Betätigung in vierwöchigen Ferienkursen zur Aufgabe macht. Dem bisherigen Leiter dieser Segelschule, Herrn Kapitänleutnant a. D. v. B e u l w i t z , ebenso dem Sportlehrer Herrn 1) K i s c h u. R i g l e r , W e r t i g k e i t des A m p l i t u d e n f r e q u e n z p r o d u k t s als Indikator für Veränderungen des H e r z m i n u t e n v o l u m e n s . Kl. W. 1930, Nr. 22. 2) K i s c h , Frühdiagnose der Kreislaufinsuffizienz. Kl. W . 1930, Nr. 27.



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K o e p f , letzterem besonders für die Beihilfe bei Körpermessungen, sei für das verständnisvolle Entgegenkommen bestens gedankt. Die Gesamtergebnisse dieser Beobachtungen, welche für die Verbesserung der Organisation der Übungsfürsorge auch nach der sozialen Seite neue Gesichtspunkte eröffnen können, müssen noch verarbeitet werden. Hier sei nur über die Versuche berichtet, welche sich darauf beziehen, bei der Zusammenstellung von Jugendlichen verschiedener Herkunft eine Einteilung nach „Herzklassen" auf Grund einfach vorzunehmender Leistungsprüfungen zu treffen. Es hat sich dabei herausgestellt, daß die Bestimmung des A.Fr.Pr. in der Tat ein ausgezeichnetes Mittel darstellt. Es handelte sich um 30 Jugendliche höherer Lehranstalten zwischen 17 und 19 Jahren, die schon vorher ärztlich untersucht worden waren, da für die Teilnahme an einem Kurs vom Hochseeflottenbund die Vorlage eines ärztlichen Zeugnisses auf Tauglichkeit verlangt wird. Die nachträgliche genauere Herzuntersuchung bei Beginn des Kurses ergab bei allen Teilnehmern perkutorisch völlig normale Verhältnisse. Röntgenologische Herzgrößenbestimmung konnte allerdings nicht vorgenommen werden. Auch der Auskultationsbefund war überall völlig normal, ein Fall mit leichter Unreinheit des 1. Herztons abgesehen. Die Ruhepuls- und Blutdruckruhewerte bewegten sich bei allen Untersuchten innerhalb normaler Grenzen, abgesehen von 2 Fällen mit einer für ihr Alter verhältnismäßigen Blutdruckerhöhung. Die Blutdruckruhewerte wurden an verschiedenen Tagen aber immer in den Vormittagsstunden gemessen, um eventuelle individuelle zeitliche Schwankungen nicht unberücksichtigt zu lassen. Die Blutdruckerhöhungen nach 10 Kniebeugen und nach 30 sec. Atemanhalten bewegten sich bei allen Teilnehmern in ungefähr der gleichen Höhe, vor allem wurde dabei darauf geachtet, ob Puls und Blutdruck nach 2 min. wieder auf den Ausgangswert zurückgegangen waren. Es handelte sich also um Herzen, die in bezug auf die früher (S. 243 u. 244) empfohlenen orientierenden Herzfunktionsprüfungen sich vollkommen ähnlich verhielten. Das Wesentlichste der Beobachtungen bezieht sich darauf, daß bei diesem, bei der üblichen klinischen Untersuchung des Herzens als gleichwertig zu betrachtenden Material die Prüfung des A.Fr.Pr. in Ruhe, unmittelbar nach bestimmten Leistungen und nach genau gleichbleibenden Erholungszeiten (10 min) deutliche Unterschiede erkennen läßt, so daß sich eine Einteilung in 2 Güteklassen vornehmen lassen konnte, deren Ausscheidung auf dem üblichen Wege der Herzuntersuchung nicht möglich gewesen wäre. Im folgenden seien die in Ruhe, unmittelbar, nach 100 m Lauf und 10 min nach Erholung festgestellten A.Fr.Pr.-Werte einander gegenübergestellt. K a u p - F ü r s t , Kürperverfassuug.

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Tabelle 1 9 . Nr.

Ruhe

100 m Lauf

2 3 6 11 13 14 15 16 18 22 23 25 26 28 30

29 34 26 28 17 39 30 20 25 28 24 26 22 25 24

177 79 64 65 78 139 67 102 47 67 115 66 70 62 70

4 5 8 10 12 16 19 20 21 24 27 29

22 22 30 30 21 39 75 32 18 20 25 30

75 133 75 91 60 90 106 160 86 96 68 90

nach 10 min

Sportliche Leistungsklasse nach Zeitmaß

H e r z k l a s s e I. 32 25 27 33,5 23 39 33 28 31 28 24 26 22 23 22 Herzklasse

I II I II III II II I II I I III II II II

II.

53 33 40 75 34 84 40,5 51 28 52 35 52

I II III I III II III I II III II I

Es zeigte sich, daß für die Prüfung der Herzleistung nicht die absolute Höhe der A.Fr.Pr.-Zahl entscheidend ist als vielmehr die Prüfung, ob nach der für Wiederholung verlangten Zeit von 10 min wieder der ursprüngliche Ruhewert vollkommen oder wenigstens annähernd erreicht ist. Die Höhe der A.Fr.Pr. unmittelbar nach der Leistung ist, wie die Tabelle zeigt, bei den einzelnen Probanden außerordentlich verschieden. Sehr hohe Werte unmittelbar nach Leistung zeigen oft ein rascheres Zurückgehen auf den Ruhewert, wie z. B. auch die Kontrolluntersuchung bei einem ausgesprochen trainierten Herzen ergab (Sportlehrer K.), dessen A.Fr.Pr. unmittelbar nach 100 m Lauf auf über 100 anstieg, aber schon nach n i c h t ganz 5 min auf den Ruhewert vollkommen zurückging. Das verschiedene Verhalten des A.Fr.Pr. nach dosierter Leistung zeigt an, daß bei klinisch herzgesunden Individuen individuelle Verschiedenheiten in der Elastizität der Gefäßwandung bestehen, die für den Eintritt der Erholung von größter Wichtigkeit sind. Für die Ein-



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teilung in Leistungsgruppen beim Mannschaftssport (Rudern, Fußball usw.) scheint die Berücksichtigung der Elastizität des Gefäßsystems von großer Bedeutung zu sein. Des weiteren geht, wie die Tabelle zeigt, hervor, daß die physiologische Herzleistungsklasse in keiner Weise sich mit der sportlichen Leistungsklasse deckt, in welche der Proband nach dem Ausfall der erzielten Zeiten einzureihen wäre (Einteilung nach Zeiten: Klasse I 12,8 bis 13,4sec., Klasse II 13,5—13,6 sec., Klasse III 14,2 sec. und darüber). Gerade hierin scheint ein für den praktischen Übungsbetrieb wichtiges Moment zu liegen. Es ist naheliegend, daß der Turn- und Sportlehrer die Neigung hat, den Ehrgeiz jugendlicher Übungstreibenden nach einer bestimmten Richtung zu beeinflussen, daß z. B. ein Läufer mit besonders guten Zeiten dazu angehalten wird, seine Leistung weiterzusteigern, während umgekehrt der Arzt — je nach Zugehörigkeit des betreffenden zu einer guten oder schlechten Herzklasse — zu einem anderen Urteil kommen und eine andere Übungsrichtung weisen müßte. Gerade bei den Vorturnern finden sich, wie aus anderen Beobachtungen aus der schulärztlichen Praxis einige Male auffiel, Jugendliche, die sich den Ruhm des „Vorturners" t r o t z schlechter physiologischer Herzleistung mit Hilfe besseren Koordinatiönsvermögens oder intensiverer Willensleistung erringen. Während sich dies bei den Grenzen des normalen Turnunterrichts nicht als eigentliche Schädigungsmöglichkeit auszuwirken braucht, ist dies sehr wohl bei jugendlichen Angehörigen von Kraftsportvereinen der Fall. Im Schuljahre 1929/30 konnten bei Münchener Berufsschuluntersuchungen in nicht weniger als 13 Fällen (es handelte sich um Angehörige von Box- oder Ringvereinen und um Radrennfahrer) durch die übliche Herzuntersuchung Unregelmäßigkeiten festgestellt werden, welche die weitere Beteiligung an diesen Sportarten nicht oder wenigstens nicht ohne vorübergehendes Aussetzen rätlich erscheinen ließen. Gerade diese, z. T. durch spezialärztliche Untersuchung bestätigten Fälle bildeten auch die äußere Veranlassung, Versuche über die Möglichkeit einer einfachen Einteilungsmöglichkeit in „Herzleistungsklassen" anzustellen. Selbstverständlich wird es notwendig sein müssen, die an einer verhältnismäßig kleinen Zahl von Probanden gewonnenen Ergebnisse einer Nachprüfung zu unterziehen, vor allem die zwischen Ausfall des A.Fr.Pr. nach Ruhe, Arbeit und Erholung und 0-Verbrauch und Herzminutenvolumen sich ergebenden Beziehungen auf dem Wege der Korrelationsberechnung näher zu verfolgen. Auch die gleichzeitige röntgenologische Untersuchung zur Berücksichtigung der Herzgröße, würde bei der Erweiterung der Untersuchungen über die Verwendbarkeit des A.Fr.Pr. für Herzleistungsprüfungen heranzuziehen sein, womöglich 17*



260



unter gleichzeitiger Verwendung der neuerdings von S t u m p f 1 ) verbesserten Methode der Herzkymographie, da sich bei gemeinsamen noch nicht veröffentlichten Herzuntersuchungen an normalen Jugendlichen mit dieser Methode das Bestehen z w e i e r Arten von Bewegungstypen herausgestellt hat, die möglicherweise mit dem verschiedenen Verhalten der A.Fr.Pr.-Leistung nach dosierter Arbeit in Zusammenhang zu bringen sind. Die bisherigen Versuche können — wie Ref. sich wohl bewußt ist — nur als ein Detailbeitrag zur Lösung der Frage einer geeigneten sportsärztlichen Leistungsprüfung des Herzens betrachtet werden. Die Veröffentlichung der vorläufigen Ergebnisse geschah vorwiegend deshalb, um ein konkretes Beispiel zu geben, wie sehr die schulärztlichen Interessen mit denen der Sportsärzte sich berühren. Diesem Punkt muß auch in o r g a n i s a t o r i s c h e r B e z i e h u n g Rechnung getragen werden. In vielen norddeutschen Städten, wo bereits sportsärztliche Untersuchungsstellen geschaffen worden sind, unter den bayerischen Städten z. B . in A u g s b u r g , ist von Anfang an dem Zusammenhang zwischen Schularztwesen und sportsärztlicher Überwachung Rechnung getragen und beides in eine Hand gegeben worden. Nichts wäre verfehlter, als wenn bei der Neueinrichtung von kommunalen sportsärztlichen Untersuchungsstellen in Städten, wo solche noch fehlen, diese Verbindung nicht berücksichtigt würde und aus dem Sportsarztwesen ein neuer, von den übrigen Fürsorgezweigen unabhängiger Sonderfürsorgezweig geschaffen würde. Alle die Gesundheit der Jugendlichen betreffenden Belange gehören sinngemäß unter e i n h e i t l i c h e o r g a n i s a t o r i s c h e L e i t u n g und Ü b e r w a c h u n g des J u g e n d l i c h e n f ü r s o r g e a r z t e s , wenn seine Bemühungen, nicht nur das schulische, sondern auch das außerschulische Leben der Jugendlichen systematisch zu überwachen, nicht zersplittern und im Keime unwirksam gemacht werden sollen. 1) S t u m p f , Gestaltsänderung des schlagenden Herzens im Röntgenbild. Fortschritte Röntgenstr. 38. Bd. 6. und Verhandlungen der Deutschen Ges. für innere Medizin, Wiesbaden 1930.

Zweiter Teil: Die weiblichen Jugendlichen. (Gemeinsam mit Frau Dr. Rosa N e r e s h e i m e r , Stadtschulärztin in München.)

Schon während der Abfassung dieser vorwiegend auf die Hygiene der männlichen Jugendlichen abgestimmten konstitutionshygienischen Studie wurde die Notwendigkeit empfunden, auch die für das weibliche Pubeszenzalter gegenwärtig bestehenden Verhältnisse und die daraus abzuleitenden Grundsätze für die Durchführung des gesundheitlichen Schutzes des weiblichen Geschlechts einer besonderen Untersuchung zu unterziehen. In Anbetracht der heutigen sozialen Lage, welche die Frau gerade bei uns in Deutschland in einer ungeahnten Weise in das Erwerbsleben hinaus drängt, muß die Sozialhygiene dem Gesundheitsschutz des weiblichen Geschlechts eine erhöhte Aufmerksamkeit zuwenden. Die alte M ö b i u s s c h e Auffassung von der physiologischen Minderwertigkeit der Frau ist heutzutage nicht mehr aufrechtzuerhalten. Statt dessen ist die Aufstellung eines für j e d e s Geschlecht s p e z i f i s c h e n Funktionsbereichs der E u n o m a l i e der psychophysischen Leistungsfähigkeit unseren heutigen Auffassungen des Konstitutionsbegriffes entsprechender. Die Aufgabe der Konstitutionshygiene für das weibliche Geschlecht ist darin zu erblicken, den Funktionsbereich der Norm der psychophysischen Einzelmerkmale genauer zu bestimmen. Um zu diesem Ziel zu gelangen, muß aber zunächst von den wes e n t l i c h s t e n Unterschieden zwischen den beiden Geschlechtern ausgegangen werden. Nach A l l e r s lassen sich ganz allgemein die menschlichen Lebensleistungen in drei große Gruppen einteilen: Die e r s t e umfaßt alles, was man soziale Beziehungen nennen kann, die Wechselbeziehungen der Menschen untereinander, die schon in der Schule einsetzen und dann im späteren Berufs- und Gesellschaftsleben sich erweitern, die z w e i t e umfaßt das Problem des B e r u f e s , d. h. die Berufswahl und Berufsausübung, während die dritte Gruppe unter dem Titel Liebe, Sinn für E h e - u n d F a m i l i e n l e b e n sich ausdrücken läßt. Der Hauptunterschied im Wesen des Geschlechts beruht in einer q u a n t i t a t i v verschiedenen Beteiligung an diesen drei Leistungsgruppen.



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Die natürliche Begabung der Frau liegt neben der Begabung für das erstgenannte Gebiet vorwiegend im Bereich der letztgenannten Zone. J e mehr die Frau aus der ihr natürlicherweise zugewiesenen Leistungszone herausgedrängt und ins Erwerbsleben getrieben wird, je mehr sich die Grenzen der Leistungszonen der beiden Geschlechter verschieben, desto mehr ist auch die Gefahr einer Verwischung der natürlichen Geschlechtsunterschiede gegeben. Veränderungen in der Weltanschauung können diesen Prozeß unterstützen und eine Art I n t e r s e x u a l i s m u s vorbereiten, der für die Erhaltung unseres Kulturlebens die g r ö ß t e n G e f a h r e n in sich schließt. P ä d a g o g i k wie R a s s e n h y g i e n e haben daher allen Grund, wenn sie auch die zunehmende Beteiligung der Frau am Wirtschaftsleben nicht hindern können, sich doch wenigstens in dem Ziele zu vereinen, die damit verbundenen Gefahren zu dämpfen. Man wird sich aber darüber klar sein müssen, daß es sich bei der Verschiebung der Leistungszone für das weibliche Geschlecht um einen komplexen Vorgang handelt, bei welchem die gegenseitigen Beziehungen und Wechselwirkungen körperlicher und geistiger Faktoren vielfach erst noch einer genaueren Analyse bedürfen. Ausgehend von der schon an die Spitze unserer Gesamtbetrachtung gestellten Grundauffassung von den gegenseitigen Wechselbeziehungen zwischen Körperlichem und Geistigem wird nicht zu erwarten sein, daß ein gegen geistige Begleiterscheinungen in dem gegenwärtigen Umwandlungsprozeß der Beziehungen der Geschlechter r e i n mit den geistigen Waffen der Erziehung geführter Kampf Aussicht auf Erfolg haben wird, wenn nicht auch gleichzeitig von der körperlichen Seite aus auf naturwissenschaftlichem Wege den komplexen Beziehungen nachgegangen wird. Man wird auch von vorneherein einräumen können, daß die Zunahme der Berufstätigkeit der Frau n i c h t unter allen Umständen n u r rassenhygienische Nachteile mit sich bringen m u ß . Wenn wir uns an die Lebensverhältnisse der früheren Frau nach den Beschreibungen unserer Großmütter, zum Teil sogar nach unserer Mütter zurückerinnern, so wird man zugeben müssen, daß das ehemalige r e i n auf die zweite der genannten menschlichen Leistungszonen eingestellte Ideal früherer Zeiten, das eingeschränkte Leben der Frau innerhalb der vier Mauern des Hauses, gebückt über dem Stickrahmen und mit anderen zum Teil recht überflüssigen häuslichen Arbeiten beschäftigt, auch nicht gerade die im individualhygienischen wie rassenhygienischen Sinn vorbildliche Höchststufe der Kultur bedeutete. Im Gegenteil könnte sich mit der Aufnahme eines Teils der Frauen in das Wirtschaftsleben sogar ein gewisser rassenhygienischer



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Vorteil bieten, wenn die Berufseingliederung mit einer zielbewußten biologischen Auslese verbunden wäre, d. h. wenn in erster Linie solchen Frauen, die für ihre natürliche Aufgabe als Frau und Mutter weniger als für die anderen Leistungszonen geeignet erscheinen, die Möglichkeit einer selbständigen Lebensgestaltung eröffnet würde. Ebenso ist auch für die an sich für Ehe und Familie geeignete Frau das Ledigbleiben in einem selbstgewählten Beruf, wenn er ihr Freude macht, immer noch besser als eine „Versorgungsehe", wie sie früher rein aus wirtschaftlichen Erwägungen ohne Prüfung der eigentlichen Ehequalitäten des Mannes geschlossen wurde, vor welcher zu warnen — wie von den Schulärztinnen mit Recht hervorgehoben wird — eine wichtige Aufgabe des sexualhygienischen Aufklärungsunterrichts in den höheren Altersstufen der weiblichen Jugend sein muß. Das prinzipiell vom rassenhygienischen Standpunkt aus Bedenkliche liegt nur darin, daß die Notwendigkeit der Beteiligung des weiblichen Geschlechts von heute an dem Erwerbskampf in katastrophaler Massenausdehnung sich so plötzlich bemerkbar macht. D e u t s c h l a n d steht hierin unter den Kulturstaaten an der Spitze. Während in A m e r i k a auf eine Bevölkerung von 110 Millionen nach den Angaben des Jahres 1920 nur 3 y 2 Millionen erwerbstätige Frauen trafen, in G r o ß b r i t a n n i e n auf 40 Millionen 6 % Millionen, waren bei uns im Jahre 1920 unter 60 Millionen 9 % Millionen Frauen erwerbstätig. Wenn zwar bei der gegenwärtigen Wirtschaftslage die Aussichten der Frau, in der produktiven Arbeit unterzukommen, immer schlechter werden — vom rassenhygienischen Standpunkt wenigstens ein Vorteil, den man der gegenwärtigen Periode der Arbeitslosigkeit abgewinnen könnte —, so ist doch der Hauptnachteil geblieben, daß das Erziehungswesen sich für die weibliche Jugend im Laufe der Nachkriegszeit immer mehr nach der Richtung zu entwickeln bestrebt war, als ob die gesamte weibliche Jugend später im werktätigen Leben dauernd untergebracht bleiben müßte. Obwohl zum Glück ein großer Teil der für das erwerbstätige Leben vorbereiteten Mädchen auch heute noch dem Berufsleben sich wieder abwendet, um sich später doch der eigentlichen ihr von der Natur aus zugewiesenen Leistungszone zuzuwenden, so ist doch — wohl oder übel — in dem Erziehungswesen für die weibliche Jugend immer mehr eine wesentliche Mehrbelastung eingetreten, wobei aber ohne entsprechenden Ausbau der Gesundheitsfürsorge für das weibliche Geschlecht die Vorteile durch volkswirtschaftliche wie rassenhygienische Nachteile überwogen zu werden scheinen. V o l k s w i r t s c h a f t l i c h , insoferne als angesichts der großen Zahl der aus dem Berufsleben wieder abwandernden Mädchen die heutige weibliche Erziehung eine kaum mehr tragbare Verteuerung eingetreten ist — die Durchschnitts-



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kosten für die Ausbildung junger Mädchen sind heute, namentlich lür die Familien des besseren Mittelstandes, eher höher als für Knaben —, r a s s e n h y g i e n i s c h insofern, als die schulische Mehrbelastung des weiblichen Organismus in der Zeit der Pubertät besonders bei den für akademisches Studium bestimmten Mädchen der höheren Schulen Gefahren gesundheitlicher Art in sich birgt. Da kaum anzunehmen ist, daß bei den heutigen auf das gesamte Schulwesen ausgedehnten Bestrebungen nach einer „strengeren und systematischeren Gestaltung des Ausleseverfahrens die schon in der Grundschule zu beginnen und auf den höheren Schulen fortzusetzen ist", 1 ) die weibliche Jugend verschont bleibt, so werden der S c h u l ä r z t i n d e r Z u k u n f t besondere Aufgaben bezüglich der A u s l e s e der für die weiblichen Jugendlichen in Betracht kommenden Schulkategorien erwachsen. Eine aus den jüngst von der Bremenser Schulverwaltung veröffentlichten statistischen Erhebungen 2 ) stammende Angabe, wonach die Zahl der ohne Erreichung des Klassenzieles die Schule wegen K r a n k h e i t verlassenden Schülerinnen von Mädchenvollanstalten im Vergleich mit den sonst für den Abgang von der Schule gegebenen Begründungen in „auffälliger" Weise in Erscheinung tritt, bietet eine Bestätigung für die Notwendigkeit, gerade bei der weiblichen Jugend der höheren Schulen diesen Verhältnissen näher nachzugehen. Eine Hauptgefahr für die weibliche Jugend besteht darin, daß die Auswahl für die höheren Berufe durch die Eltern und auch durch die Schule heutzutage noch fast ausschließlich nach den intellektuellen Leistungen getroffen wird. Gerade dadurch ist die Möglichkeit von Täuschungen über die eigentliche Lebensleistungseignung nur zu leicht gegeben. Das Erwachen der Intelligenz beginnt im Kindesalter bei den Mädchen durchschnittlich früher als bei den Knaben, und es ist wohl auch für das Jugendlichenalter eine gewisse Überlegenheit gegenüber gleichaltrigen Knaben anzunehmen, welche die Mädchen bei einem für männliche und weibliche Jugend nach gleichen Grundsätzen aufgebautem Schulerziehungssystem in den Vorteil setzen kann, den an sie gestellten Anforderungen im Ausbildungsalter unter Umständen besser nachzukommen als ihre männlichen Altersgenossen. Die S c h u l b e f ä h i g u n g ist aber — worauf wir schon in den Ausführungen für die männlichen Jugendlichen aufmerksam gemacht 1) Cit. aus B ä u m e r , Schulaufbau, Berufsauslese, Berechtigungswesen. Berlin 1930. 2) K. K u r z , Schüler, die vorzeitig die höheren Schulen verlassen. Bremen 1930.



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haben — in k e i n e r Weise zu verwechseln mit B e r u f s b e f ä h i g u n g . Bei den weiblichen Jugendlichen spielen dabei noch besondere Momente mit. Namentlich ist die Rolle des Ehrgeizes, speziell des Schulehrgeizes, der bei den weiblichen Jugendlichen durchschnittlich meist in höherem Maße entwickelt ist als im männlichen Pubeszenzalter, nicht zu unterschätzen. Gerade hierin liegt eine der Hauptursachen des späteren Versagens und eines unausbleiblichen Manifestwerdens der im Durchschnitt doch wesentlich geringeren psychophysischen Widerstandskraft der Frau gegenüber beruflichen Anstrengungen. Die körperliche Widerstandsfähigkeit des weiblichen Geschlechts wird leicht ü b e r s c h ä t z t . Unter den jetzigen Zeitverhältnissen mit verminderter Heiratswahrscheinlichkeit kommt die nur zu begreifliche Sorge der Eltern um die wirtschaftliche Sicherstellung ihrer Töchter unterstützend hinzu. Diese Gefahr beschränkt sich aber nicht nur auf die studierende Jugend, sondern kommt auch bei den in bezug auf beruflichen Ehrgeiz der studierenden Jugend nahestehenden gehobenen nichtakademischen Berufskategorien, die für das weibliche Geschlecht in Frage kommen, in Betracht. Wenn nach Beobachtungen der Münchner Berufsschulärztin bei weiblichen Kontoristinnen, die sie als „Elite" der Berufsschülerinnen bezeichnet, besonders ehrgeizige junge Mädchen nach anstrengender Tagesarbeit in ihren Stellungen noch viermal pro Woche bis spät am Abend an den Berufsschulen an Abendkursen teilnehmen, so sind das gewisse Fingerzeige, die davor warnen sollten, den Ehrgeiz gerade bei der Berufsausbildung der weiblichen Jugend zu sehr in die Höhe zu schrauben. Unter den gegenwärtigen Verhältnissen gesteigerter Ansprüche an die später im Wirtschaftsleben unterzubringenden weiblichen Jugendlichen wird die Schulärztin mehr als bisher von den Eltern bei der Wahl der für ihre Töchter in Betracht kommenden Schulkategorien zu Rate gezogen werden müssen. Das Gleiche gilt für die Lehrerschaft, wenn es sich um „zweifelhafte" Fälle handelt. Auffälligerweise findet sich aber in dem in letzter Zeit stark vermehrten Schrifttum, unter den Vorschlägen, die Verteilung der Jugend auf die einzelnen Schulkategorien richtig zu regeln, nirgends ein Hinweis auf die Notwendigkeit der ärztlichen Mitarbeit bei der Begutachtung solcher Fälle, ein Zeichen, daß in den Kreisen der Schulmänner höherer Lehranstalten, von denen diese auch vom rassenhygienischen Standpunkkt begrüßenswerten Vorschläge einer Verbesserung der Auslese ausgehen, die Erkenntnis von der Notwendigkeit des Schularztes noch nicht so Wurzel gefaßt hat wie bei den Volks- und Berufsschulen. Bei einer rein psychologischen Beurteilung der „Lebensleistungszone", bei Jugendlichen überhaupt, bei den weiblichen im speziellen,



266



werden leicht Fehler begangen werden, die sich in individualhygienischer Beziehung später bitter rächen können. Die Einführung eines schulärztlichen Urteils über die allgemeine konstitutionelle Eignung beim Übergang von einer niederen in eine höhere Schule stößt gerade bei der weiblichen Jugend deshalb noch auf organisatorische Schwierigkeiten, weil ein großer Teil der Mädchen von Privatschulen aus in höhere städtische oder staatliche Schulen übertritt. Die schulärztliche Versorgung der privaten Mädchenschulen, die heute im Gegensatz zu den öffentlichen Schulen noch fehlt, müßte erst in die Wege geleitet werden, damit neben der Schulnote auch auf Grund der schulärztlichen Beobachtung während der Entwicklung ein Maßstab gewonnen werden kann, ob die konstitutionelle Leistungskraft voraussichtlich für die Anforderungen einer höheren Schule und der damit angestrebten Berechtigung, später mit männlichen Berufsbewerbern in dem gesteigerten Wirtschaftskampf in Konkurrenz zu treten, ausreicht. Allerdings wird für diesen Zweck die somatische Individualuntersuchung allein nicht immer völlig ausreichen. Die Zuverlässigkeit des konstitutionsprognostischen Urteils könnte erst dadurch sicherer gestaltet werden, wenn sie sich auf einer möglichst sorgfältigen familienanamnestischen Erhebung aufbaut, die das Ziel verfolgen soll, einen gewissen Einblick in die erbbiologische Struktur der Familie zu gewinnen, auf a 11 e F ä 11 e aber das Vorhandensein bestimmter psychischer und physischer k r a n k h a f t e r Erbmerkmale, zum mindesten in der elterlichen Generation und bei den Geschwistern, a u s s c h l i e ß e n m u ß . In diesem Punkt verbindet sich individualhygienischer Gesundheitsdienst im Schulalter mit fortpflanzunghsygienischer Vorsorge, die mit Rücksicht auf die spätere Abwanderung eines großen Teils der weiblichen Jugendlichen aus dem Berufsleben ins Ehe- und Familienleben besonders in Betracht zu ziehen ist. Nach den Beobachtungen an männlichen Jugendlichenschulen wird sich das Vorkommen von Erbkrankheiten mit ca. 1% abschätzen lassen, wobei nicht nur die auf Grund der Individualuntersuchungen festgestellten dominanten erblichen Anomalien sondern auch die auf Grund der schulärztlichen Anamnese feststellbare latente Belastung durch elterliche Erkrankungen in diese Zahl miteingeschlossen ist. In Anbetracht des für bestimmte Erbkrankheiten nachgewiesenen rezessiv-geschlechtsgebundenen Erbgangs, bei welchem die Frau nur die Rolle einer Vermittlerin krankhafter Erbanlagen spielt, sie selbst aber äußerlich vollkommen gesund bleibt, besteht die Wahrscheinlichkeit, daß sich latente krankhafte Erbanlagen bei der weiblichen Jugend in relativ größerer Zahl als bei dem männlichen Geschlecht finden werden. Ähnlich wie bei dominanten Erbleiden der G r a d der Erkrankung, so



267

spielt bei rezessiven Erbleiden die Z a h l der nach der Familienanamnese als anbrüchig erscheinenden Familienmitglieder eine große Rolle. Es ist selbstverständlich, daß die Zuverlässigkeit einer erbbiologischen Familienerhebung in hohem Maße abhängt von der Genauigkeit mit der sie ausgeführt werden kann. Dem Schularzt bzw. der Schulärztin an den Schulen für Jugendliche stehen für diese Zwecke zur Verfügung: frühere volksschulärztliche Eintragungen, evtl. auch die Eintragungen der in einigen Städten eingeführten „psychologischen" Fragebögen, die zu vervollständigen wären, durch bestimmte an die Jugendlichen selbst zu stellende Fragen, deren B e a n t w o r t u n g zwar wie alle Jugendlichenangaben a n s i c h unzuverlässig sind, zum Teil aber bei richtiger Technik und psychologischem Verständnis doch gewisse Fingerzeige geben können, ob der Verdacht z. B. einer psychopathischen Belastung in der Familie gerechtfertigt ist. Bei einer Reihe von somatischen Erbleiden sind die Eltern selbst verhältnismäßig leicht zu veranlassen, in die schulärztliche Sprechstelle zu kommen, wo sich aus der persönlichen Rücksprache mit ihnen manches über die Zahl der Erbträger in der Familie und die Art des Erbgangs in E r f a h r u n g bringen läßt. Hinsichtlich der Ausfindigmachung der latenten geschlechtsgebundenen Erbanlagen, die nach Angabe von L e n z ca. 1 / 1 2 der aller menschlichen Erbkrankheiten ausmachen, wird der S c h u l ä r z t i n d e r Z u k u n f t eine wichtige rassenhygienische Aufgabe erwachsen. Der Nutzen dieser Arbeit wird freilich erst in Zusammenarbeit mit dem in vielen norddeutschen Städten mit Erfolg eingeführten, bei uns in Süddeutschland (mit Ausnahme von Nürnberg) leider noch vollkommen vernachlässigten E h e b e r a t u n g s d i e n s t z u m A u s d r u c k kommen. Durch enge Zusammenarbeit mit den als erbbiologische Familienuntersuchungsstellen auszubauenden Eheberatungsstellen könnte ein Weg gegeben sein, u m die erbbiologisch anbrüchigen E r b s t ä m m e der Bevölkerung erfassen zu können. Solange bei uns in Süddeutschland noch keinerlei Neigung zur E r r i c h t u n g ärztlich geleiteter Eheberatungsstellen besteht, wird die H o f f n u n g auf eine Verwertung erbbiologischer Feststellungen der Schulärzte im Sinne einer auch auf die E r h a l t u n g der E r b q u a l i t ä t des Volkes gerichteten Vorsorge noch zurückgestellt werden müssen. Gewiß — darüber besteht unter Schulärzten und Schulärztinnen des Jugendlichenalters heute kein Zweifel mehr — wird mit der Rassenhygiene schon in der Schule begonnen werden. Es muß wenigstens versucht werden, die männlichen wie die weiblichen 1 ) Jugendlichen 1) S. hierzu: R. N e r e s h e i m e r , Erfahrungen aus den sexualhygienischen Belehrungen der weibl. Jugend. Ztschr. f. Schulges., Pflege und soziale Hygiene 1930, Nr. 7; ferner Sex instruction for children and adolescents. Congrès quinquennol des femmes Médicins. Paris 1929.

268 über die V e r a n t w o r t u n g der Fortpflanzung einigermaßen a u f z u k l ä r e n . Ob diese Versuche mit oder ohne Erfolg verbunden sind, ist allerdings von dem Intelligenzgrad der zu Belehrenden abhängig. Die H a u p t a u f g a b e des fortpflanzungshygienischen Dienstes beginnt aber schon w ä h r e n d des Fortpflanzungsalters. Der Zweck, die rassenhygienisch Gefährlichen auszuschalten bzw. wenigstens ungünstige Ehekombinationen zu verhindern, wird erst erreicht werden können, wenn einmal eine Verbindung geschaffen sein wird zwischen den erbbiologischen Ermittlungen der Schulärzte im Jugendlichenalter und den im speziellen Dienst der Fortpflanzungshygiene stehenden Einrichtungen, welche nicht nur freiwillig Ratsuchende vor der Ehe beraten, sondern — auf den früher gemachten Feststellungen aufbauend — das Schicksal erbbiologisch anbrüchiger Jugendlicher nach der Entlassung aus der Schulpflicht weiter verfolgen müßten. Es sei erwähnt, daß in verschiedenen Städten (Bonn, Frankfurt a. M.) diese Aufgabe den Eheberatungsstellen tatsächlich schon zugewiesen ist. Wenn auch bis zur Erfüllung dieser zwar den Hygienikern klar vor Augen stehenden Forderungen angesichts mancher, namentlich bei uns in Süddeutschland noch bestehender Vorurteile hinsichtlich der Verwirklichung rassenhygienischer Ziele noch ein langer Weg sein wird, um den Zukunftsbestand des Volkes besser zu sichern, als dies bis jetzt der Fall ist, so darf wohl angenommen werden, daß die Gesichtspunkte, die sich aus den bisherigen Feststellungen der Schulärztinnen zur gesundheitlichen Sicherung des G e g e n w a r t s b e s t a n d e s unseres jugendlichen Nachwuchses ergeben, alle für die Erhaltung der Volksgesundheit verantwortlichen Instanzen beschäftigen muß. Freilich ist das über die gegenwärtigen Gesundheitsverhältnisse der weiblichen Jugendlichen vorliegende Material nicht allzu groß wegen der außerordentlich geringen Zahl von Berufsschulärztinnen, die es bis jetzt in Deutschland gibt. Das Verhältnis der weiblichen zu den männlichen Berufsschulärzten erhellt am besten aus der folgenden, der M e w e s s c h e n Arbeit entnommenen Tabelle nach dem Stande am Ende des Sommerhalbjahrs 1926: Tabelle 20. Zahl der Gemeinden

Gemeinden

über 100000 20—100000 5— 20000 unter 5000

E. „ „ „

Zahl der Berufsschul-ärzte -ärztinnen

23 73 62 43

58 73 55 45

18 8

197

231

28

2



269



Das Verhältnis der weiblichen zu den männlichen Berufsschulärzten beträgt demnach ca. 1:8. Meist sind es nur die eigentlichen Großstädte Deutschlands, die bisher an die Aufstellung von Berufsschulärztinnen herangegangen sind. In den Ländern, wo für das Schularztwesen landesgesetzliche Bestimmungen vorliegen, ist allerdings eine schulärztliche Versorgung der weiblichen Jugendlichen auch ohne Aufstellung von Ärztinnen sichergestellt. So gehört z. B. in W ü r t t e m b e r g die berufsschulärztliche Versorgung der weiblichen Jugendlichen auf dem Lande und in den kleinen bis mittleren Städten zu den Aufgaben des Oberamtsarztes bzw. eines Stadtarztes. Nur in S t u t t g a r t wird der Dienst an den weiblichen Gewerbeschulen vorzugsweise von den beim Gesundheitsamt angestellten Ärztinnen besorgt. In S a c h s e n bestehen ähnliche Verhältnisse. Auch dort sind nur in den ganz großen Städten Berufsschulärztinnen aufgestellt. Gegenüber der von pädagogischer Seite 1 ) aus vielfach geäußerten Auffassung, daß gesundheitliche Untersuchungen von Mädchen im Übergangsalter g r u n d s ä t z l i c h nur vonÄrztinnen vorgenommen werden sollten, wird von ärztlicher Seite, z. B. von G a s t p a r bedauert, „daß immer wieder die Meinung entstehe, als ob für die weibliche Jugend nurÄrztinnen angestellt werden sollten." Eine Einigung auf der mittleren Linie dürfte vielleicht hier am zweckmäßigsten sein, insofern als man der Ärztin für die Vornahme von Reihenuntersuchungen und überall da, wo sie als Erzieher im Gesundheitsunterricht die spezifisch weibliche Seite vielleicht besser zu erfassen versteht, den Vorzug geben sollte, daß dagegen für die Vornahme von Spezialuntersuchungen eine Ärztin n i c h t unbedingt erforderlich erscheint. So ist z. B. in Dresden zwar für die tauben und schwerhörigen Mädchen eine eigene Fachärztin aufgestellt, nicht aber für jugendpsychiatrische Fälle. Das gleiche gilt natürlich auch für alle sonstigen Spezialuntersuchungen, die am zweckmäßigsten in einer zentralen, für die Untersuchung von Sonderberatungsfällen und Überwachungsschülern b e i d e r l e i Geschlechts bestimmten Untersuchungsstelle vorgenommen werden sollten. Abgesehen von der Notwendigkeit der Z e n t r a l i s i e r u n g solcher Untersuchungen aus wirtschaftlichen Gründen würde auf diesem Wege die Gemeinsamkeitsarbeit der Schulärzte gefördert und vertieft werden können. Die Resultate von Spezialuntersuchungen (z. B. auch der Sportberatung) sollten auf alle Fälle verglichen und wissenschaftlich ausgewertet werden können. Ebenso wie eine zu weitgehende Spezialisierung der Schulgesundheitspflege nach Schulkategorien unzweckmäßig erscheint, so ist auch eine zu weitgehende Scheidung zwischen Schularztdienst an männlichen und weiblichen Schulen für einen befriedigenden Ausbau 1) Emma L o e w e , Körperliche Eignungsfeststellung und Förderung junger Berufsanwärterinnen. Monatsschr. f. deutsche Ärztinnen 1930.

— 270

-

ungeeignet, weil sie den Überblick und die Zusammenfassung erschwert. Trotz der in letztgenannter Hinsicht zur Zeit noch bestehenden Schwierigkeiten und trotz des über die weiblichen Jugendlichen vorläufig nur spärlich vorliegenden Materials soll im Nachstehenden versucht werden, die wichtigsten Ergebnisse über die Gegenwartsverhältnisse der weiblichen Jugendlichen in kurzer Übersicht nach folgenden Gesichtspunkten zur Darstellung zu bringen: 1. in bezug auf die gegenwärtigen Wachstumsverhältnisse, 2. Krankheitshäufigkeit und Krankheitsgruppen der weiblichen Jugendlichen, 3. die speziell für die weibliche Jugend in Betracht kommenden besonders schädigenden Umweltverhältnisse insbesondere sozialer Art, 4. die Maßnahmen zur Bekämpfung.

I. Die Wachstuinsyerhältnisse der weiblichen Jugendlichen. Es kann hier natürlich nicht die Aufgabe sein, auf prinzipielle Unterschiede in den Wachstumsverhältnissen zwischen männlichem und weiblichem Geschlecht einzugehen. Nach dieser Richtung muß auf ältere Autoren, namentlich W e i ß e n b e r g , S t r a t z u. a. zurückverwiesen werden, ebenso wie auf die Arbeiten von M a t t h i a s , dessen besonderes Verdienst darin besteht, die a l l g e m e i n b i o l o g i s c h e n Grundlagen für die unterschiedliche Gestaltung des Turnunterrichts bei männlicher und weiblicher Jugend aus den allgemeinen Wachstumsgesetzen der beiden Geschlechter abgeleitet zu haben. Diese Fragen bedürfen aber einer weiteren Differenzierung. Vor allem ist es notwendig, den Nachweis zu führen, ob zwischen einzelnen biologischen Gruppen der weiblichen Jugend, wie sie durch die verschiedene Auslese durch die Schulkategorien gegeben sind, sich Unterschiede zeigen. Das Zweite, was für die Gestaltung des gesamten Erziehungswesens von großer Bedeutung ist, betrifft die Frage, ob die bei der m ä n n l i c h e n J u g e n d im Laufe des letzten Jahrzehnts eingetretene Wachstumsbeschleunigung, mit deren Begleiterscheinungen in Gestalt von Zunahme endokriner Störungen und nervöser Überreizung wir uns in den vorhergegangenen Abschnitten eingehend beschäftigt haben, auch für die weibliche Jugend zutrifft. Was zunächst die erste Frage anlangt, so existieren aus S t u t t g a r t Unterlagen, welche uns schon einen gewissen Einblick geben über die Unterschiede, die bei gewissen Schulkategorien der weiblichen Jugend bestehen. Die von dort stammenden Angaben sind deshalb



271



besonders wertvoll, weil sie zum Teil auf die Vorkriegszeit zurückgreifen. Ebenso existieren aus Leipzig Mittelzahlen für Mädchen aus Fortbildungs- und höheren Schulen aus dem Jahre 1922. In beiden Städten sind die Mädchen der höheren Schulen denen aus Berufs- und Mittelschulen an Länge und Gewicht überlegen. Tabelle 21. I. Stuttgart.

Mädchen.

Bürger- und Mittelschulen Alter

1372—14 14 —14V2 1472—15 15 - 1 5 7 2 1572—16 16 —167 2

Höhere

Schulen

1913

1923

Länge Gew.

K.J. Länge Gew.

K.J. Länge Gew. K. J. Länge Gew.

K. J.

1,76 1,86 1,88 1,97 1,99

1,81 1,88 1,93 1,99 1,98 2,02

1,85 1,90 1,93 2,01 2,06 2,04

153 155 157 157 159 —

40,8 44,9 46,4 48,6 49,3 —



151 154 154 157 158 156

41,4 44,8 46,1 48,9 49,5 49,4

1913 155 157 158 160 161 163

44,0 47,0 47,9 51,0 52,9 53,6

1923 1,82 1,90 1,91 1,99 2,04 2,01

153 155 158 159 160 161

43,4 45,8 48,3 51,0 52,9 54,1

II. Leipzig 1922. Alter

14 —147 2 14V2—15 15 —157 2 1572—16 16 —167 2 1672—17

M ä d c h e n in F o r t b i l d u n g s schulen

Höhere

Schulen

Zahl

Länge

Gew.

K. J.

Zahl

Länge

Gew.

K. J.

468 485 384 341 100 107

150,05 151,65 152,67 153,72 154,78 155,43

41,17 43,01 44,63 46,49 48,17 49,48

1,82 1,87 1,91 1,96 2,00 2,04

1063 1078 1007 905 565 406

155,19 155,89 156,43 157,97 158,73 159,07

44,86 46,42 46,85 49,19 51,86 51,83

1,85 1,91 1,91 1,97 2,05 2,04

Es muß allerdings darauf hingewiesen werden, daß das Jahr 1922 ebenso wie das auf der Stuttgarter Tabelle zum Vergleich neben das Jahr 1913 gestellte nachfolgende Jahr 1923 noch in die Periode fällt, wo in fast allen Gegenden Deutschlands noch die Wirkungen der Kriegs- und Hungerjahre und der Inflation zu berücksichtigen sind. Für den prinzipiellen Vergleich, ob zwischen den genannten Schulkategorien Unterschiede bestehen, spielt dies aber keine Rolle. Es muß — unter Hinweis auf die Ausführungen in früheren Kapiteln — wiederholt werden, daß die a b s o l u t e n Werte a l l e i n bei Körpermessungen und Wägungen für die konstitutionelle Beurteilung wenig Beweiskraft haben. Auch eine Vervollständigung der gewöhnlich bei Schulmessungen und Wägungen gewonnenen Längen- und Gewichtswerte durch genauere anthropometrische Werte würde für



272



diese Zwecke nichts ändern. Die Schwankungen der absoluten Werte sind nur durch anthropologische Unterschiede, zum Teil auch durch Unterschiede in den Ernährungsverhältnissen bedingt. Das was uns aber vom gesundheitsfürsorgerischen Standpunkt aus besonders interessiert, ist der von leichten anthropologischen Schwankungen in verschiedenen Gegenden Deutschlands wenig abhängige und auch mit der Ernährung allein nicht in Zusammenhang stehende z e i t l i c h e A b l a u f d e r R e i f u n g der Mädchen verschiedener sozialer Schichten. Diese Frage hängt eng zusammen mit der Frage, wie das Längen- und Breitenwachstum sich während der Gesamtentwicklung gegenseitig beeinflußt. Bekanntlich erfolgt das Wachstum des Menschen nicht gleichmäßig, sondern in wellenförmiger Abwechslung von Perioden der Streckung und nachfolgender Füllung mit der Tendenz, ein bestimmtes für beide Geschlechter konstantes Längen-Breitenverhältnis zu erreichen. Die Dauer der Reifungsperiode ist davon abhängig, ob dieser Gleichgewichtszustand am Ende der Wachstumsperiode früh oder spät erreicht wird. Als Maßstab hiefür benützen wir am besten den Kaupschen Index. Dieser Index ermöglicht uns das sicherste Urteil über den Entwicklungsverlauf beider Geschlechter, aber auch über Unterschiede innerhalb bestimmter biologischer Gruppen ein und desselben Geschlechts. Je früher der für den Erwachsenen geltende, ungefähr mit 2,1—2,2 beim weiblichen Geschlecht anzunehmende Durchschnittswert des Kaup-Index erreicht wird, desto rascher ist der Entwicklungsablauf anzunehmen. Aus diesem Grunde wurden daher in den Tabellen zu den ermittelten Durchschnittswerten für Länge und Gewicht die daraus sich ergebenden Kaupschen Indexwerte daneben gestellt. Lassen die Tabellen von Stuttgart und Leipzig schon erkennen, daß in der Vorkriegszeit und in den beiden Nachkriegsjahren 1922/23 die höheren Mädchenschulen durchwegs höhere Indexwerte aufweisen, so wird das noch in klarerer Weise in der nächstfolgenden Tabelle zum Ausdruck gebracht. Sie sind auch insoferne besonders beweiskräftig, weil die einzelnen Halbjahrsgruppen hohe Probandenzahlen aufweisen, außerdem erlauben sie — da sie auf dem Durchschnitt der aus verschiedenen Städten (Berlin, Leipzig, Bonn, Stuttgart) genommenen Werte sich aufbauen — eine Verallgemeinerung der zwischen den einzelnen Mädchenschulkategorien bestehenden Unterschiede für g a n z Deutschland anzunehmen. Was uns bei diesem Vergleich bemerkenswert erscheint, ist nicht, daß die absoluten Werte für Länge und Gewicht höher liegen, sondern auch die Längen- und Gewichtsverhältniswerte nach dem Kaupschen Querschnitts-Längenindex. Dies kann weder durch an-



273



Tabelle 22. Überblick über die D u r c h s c h n i t t s v e r h ä l t n i s s e von aus v e r s c h i e d e n e n S t ä d t e n D e u t s c h l a n d s (Berlin, Leipzig, Stuttgart, Bonn) a u s d e n J a h r e n 1921—1924 s t a m m e n d e n M e s s u n g e n . Alter

14 —147 2 1472—15 15 —157 2 1572—16 16 —167 2 1672—17

Fortbildungs- und Mittelschulen

Höhere

Schulen

Zahl

Länge

Gew.

K. J.

Zahl

Länge

Gew.

K. J.

1465 1407 1261 1061 640 466

151,2 152,3 153,5 154,3 155,1 155,8

42,2 43,7 45,4 46,9 48,3 49,7

1,83 1,87 1,94 1,96 2,00 2,05

1465 1293 1066 857 439 188

154,7 156,2 157.2 158.3 159.2 160.3

45,3 47.1 48,6 50,5 52,5 53.2

1,89 1,92 1,96 2,01 2,06 2,06

thropologische noch durch Ernährungsfaktoren allein erklärbar sein, sondern ist als ein Zeichen dafür zu betrachten, daß in den h ö h e r e n S c h u l e n die T e n d e n z zur E n t w i c k l u n g s b e s c h l e u n i g u n g b e g ü n s t i g t wird. Dieses Resultat steht in einer gewissen Parallele zu der früher schon von v. P f a u n d l e r festgestellten Beobachtung der gerade bei Kindern höherer Stände in Erscheinung tretenden Neigung zu überstürztem Längenwachstum, ohne aber sich vollkommen damit zu decken. Denn nicht die Tatsache, daß die Pubeszenten der höheren Schule absolut größere Körperlängen aufweisen, ist das Wesentliche, sondern daß der ganze Ablauf der Entwicklung sich verkürzt. Man kann nach den auf der Tabelle 24 sich ergebenden Werten sagen, d a ß die M ä d c h e n der h ö h e r e n S c h u l e n Deutschlands d u r c h s c h n i t t l i c h u m m i n d e s t e n s e i n H a l b j a h r i h r e n Altersgenossen aus den B e r u f s s c h u l e n vorauseilen. Nicht d i e N e i g u n g zu v e r m e h r t e m L ä n g e n w a c h s t u m , s o n d e r n die V e r k ü r z u n g der G e s a m t e n t w i c k l u n g ist das vom sozialbiologischen S t a n d p u n k t Bemerkenswerte. Eine Erklärung dieser Tatsache kann nur auf Grund der Annahme eines alle Lebensvorgänge beherrschenden Parallelismus zwischen psychischen und physischen Vorgängen gegeben werden. In den höheren Schulen wird eine stärkere Reizung innerhalb der Sphäre der geistigen Funktionen begünstigt und dadurch auch eine körperliche Frühentwicklung und Zusammendrängung des körperlichen Wachstums auf eine kürzere Gesamtdauer hervorgerufen. Lassen sich diese prinzipiell wichtigen Unterschiede zwischen den Hauptschulgruppen der weiblichen Jugend zum Teil schon in der Vorkriegszeit nachweisen, so ist die zweite Frage, ob im Laufe des letzten Jahrzehnts für die G e s a m t h e i t der weiblichen JugendK a u p - F ü r s t , Körperverfassung.

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20,4% 18,5% 17,5% 15 %

f) Jahr

Staubentwicklung

1922/23 1924/25 1926/27 1927/28

133 = 5,8% 152 = 4,7% 113 = 4 % 157=4,7%

107 = 134 = 77 = 197 =

g) starker Temperaturwechsel u. Witterungseinflüsse

35 94 90 126

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1,5% 2,9% 3,2% 3,8%

4,6% 4,2% 2,4% 5,9%

c)

anhaltendes Gehen oder Stehen

210 = 284 = 216 = 237 =

1)

9,1% 8,8% 7,6% 7,2%

i) h) Anhohe Anforde- besondere forderungen rungen an Seh- an den Stimmund Hörschärfe apparat

24 48 37 22

142 = 6,2% 147=4,6% 145 = 5,1% 37 = 1,1%

B e s o n d e r s g e f ä h r d e t e Organe. Jahr

Herz

Lunge

Tbc

Augen

Ohren

1922/23 1924/25 1926/27 1927/28

93 70 13 34

53 47 6 27

31 23 3 3

38 38 5 24

2 11 1 4

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1 % 1,5% 1,3% 0,7%

e) anhaltendes Bücken

113 235 127 161

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4,9% 7,3% 4,5% 4,8% k)

starke Inanspruchnahme der Nerven

108 = 117 = 167 = 71 =

4,2% 3,6% 5,9% 2,1%

(Zahl der Fälle): Haut

1 7 7

Rückgrat

Nerven

31 52 8 15

1 fehlt auf der J Schülerkarte 8 7

t r i t t . Aus einer aus dem Berufsberatungsamt der Stadt Frankfurt 1 ) stammenden Statistik über die ihnen nach der Volksschulentlassung zugeleiteten volksschulärztlichen Befunde geht der bei Mädchen besonders hohe Prozentsatz hervor, die bei dieser wichtigen Lebensetappe „als nicht gesund" bezeichnet werden mußten. Besonders hoch ist er im Jahre 1923, was zum Teil mit der Inflation in Zusammenhang steht. (Siehe Tabelle 28.) Die besondere Fürsorge für solche, auf Grund der ärztlichen Feststellung als „berufsunreif" zu bezeichnenden Fälle wird eine besonders wichtige Aufgabe der Zukunft sein. Ähnlich wie in F r a n k f u r t sollten derartige Mädchen nach Möglichkeit noch von Berufsarbeit ferngehalten werden oder wenigstens vorher noch durch Unterbringung in einem geeigneten Erholungsheim erst gekräftigt werden. Ein weiteres Mittel steht zur Verfügung, indem man solche Mädchen vorher in einer hauswirtschaftlichen Schule unterbringt. In diesen Bestre1) E m m a L o e w e , Berufsberaterin, Frankfurt a. M., Körperliche Eignungsfeststellung und gesundheitliche Förderung junger Berufsanwärterinnen. Monatszeitschr. f. deutsche Ärztinnen. 1930.



297



bungen muß eine möglichst gute Zusammenarbeit zwischen Berufsberatungsämtern und Schule bzw. Schulärzten angebahnt werden. Einen wichtigen Punkt, der zur Verminderung der so außerordentlich großen Zahl der vom ärztlichen Standpunkt als berufsunreif zu bezeichnenden Jugendlichen beiderlei Geschlechts beitragen könnte, müssen wir noch kurz streifen, es ist die Frage der Schuljahrseinteilung. Bekanntlich ist Deutschland außer Japan das einzige Land, wo das Schuljahr nicht im Herbst, sondern im Frühjahr beginnt. Der Mangel einer richtigen Ausruheperiode zwischen Umschulung in höhere Schulen und Beginn der Lehrausbildung für die Berufsschuljugend bedeutet vom physiologischen Standpunkt eine schwere Einbuße für die konstitutionelle Entwicklung vor einer so wichtigen Umstellung des Organismus für völlig neue und ungewohnte Anforderungen. In einer zwischen Volksschulentlassung und Berufseintritt eingeschalteten und zweckmäßig angewandten längeren Erholungsperiode könnte manches in der konstitutionellen Verfassung nachgeholt werden.

IY. Soziale Therapie und Prophylaxe konstitutioneller Anomalien des weiblichen Jugendlichenalters. Wie bei den Berufsschulärzten für männliche Jugendliche, so besteht auch bei den Schulärztinnen für die weibliche Jugend die übereinstimmende Auffassung, daß die Individualfürsorge für eigentliche Kranke und als behandlungsbedürftig festgestellte Fälle nur als ein Bruchteil der schulärztlichen Tätigkeit betrachtet werden darf. Die ärztliche Versorgung bereits Erkrankter hat nach den Grundsätzen der medizinischen Diagnostik in Zusammenarbeit mit der freipraktizierenden Ärzteschaft zu erfolgen. Mit der Überweisung von Krankheitsfällen in individualtherapeutische Hände hat sich das Prinzip der nachgehenden Fürsorge und die häufige schulärztliche Kontrolle derartiger besonderer Überwachung bedürftiger Fälle zu verbinden. Die eigentliche konstitutionsprophylaktische Aufgabe der Schulgesundheitspflege muß der G e s a m t h e i t der Jugend zugute kommen. Auch bei der weiblichen Jugend muß erreicht werden, daß sich Erziehungs- und Unterrichtswesen den individuellen Variationsgraden der weiblichen Norm anpaßt. Unter den sozialtherapeutischen Mitteln zur Erreichung dieses Ziels steht die k ö r p e r l i c h e E r z i e h u n g in d e r S c h u l e an erster Stelle. Da durch die Turn- und Sportvereine häufig nur ein geringer Prozentsatz der Jugendlichen erfaßt werden kann, der nach Münchner statistischen Feststellungen bei den weiblichen Jugendlichen ohnehin ein außerordentlich geringer ist (bei Berufsschülerinnen 7,8



298



bzw. 8,9% bei Schülerinnen der höheren Lehranstalten), so bedeutet die obligatorische Einführung von Turnunterricht an allen höheren Lehranstalten für Mädchen und an den Berufsschulen eine Notwendigkeit. In München ist dies an weiblichen Schulen vielfach schon geschehen. Mit Recht schreibt J. S z a g u n n 1 ) hierüber: „Gerade das Reifungsalter ist in vieler Beziehung eine besonders günstige Zeit, um aus dem in der Entwicklung begrenzten Organismus das Beste herauszuholen, was nach der ererbten Anlage möglich ist. Wir brauchen eine Körperschulung, die eine intensive Reizwirkung auf den Körper der Jugendlichen ausübt. Eine gewisse Differenzierung der L e i b e s ü b u n g e n nach der verschiedenen Art der Berufstätigkeit ist erwünscht, auch die Frage der Ausgleichsübungen bedarf besonderer Berücksichtigung. Neben dem Zweckturnen, das niemals ein allgemeines Leistungsturnen sein soll, brauchen wir frohes Spiel, das dem jugendlichen Körper Lebensgefühl gibt. Das Ziel muß sein, durch die Einwirkung der Leibesübungen eine Kräftigung der lebenswichtigsten Organe zu erreichen und gegenüber der Monotonie der Arbeit erhöhte Lebensfreude zu geben. Schwimmen und Wandern sind besonders zu pflegen." Dieses hier in kurzen Worten geschilderte Programm für die körperliche Erziehung deckt sich weitgehend mit längst aufgestellten schulärztlichen Forderungen. Wir freuen uns, daß eine Frau als Mitglied des preußischen Landesgesundheitsrates Gelegenheit bekommen hat, diesen Forderungen Nachdruck zu verleihen. In dem von ihr skizzierten Programm sind auch die prinzipiellen Unterschiede stillschweigend mit enthalten, die hinsichtlich der Durchführung des Turnunterrichts bei der weiblichen Jugend im Gegensatz zur männlichen maßgebend sein müssen. Auf diese Unterschiede hier im speziellen einzugehen, erübrigt sich, da über diese theoretischen Grundlagen eine ausgedehnte Literatur besteht 2 ). In der modernen Ausbildung von Turnlehrern und Turnlehrerinnen wird heutzutage auf diese prinzipiellen physiologischen Unterschiede in den Bedürfnissen beider Geschlechter Rücksicht genommen (Matthias). E i n Punkt erscheint uns aber hinsichtlich der praktischen Durchführung des körperlichen Erziehungsprogramms auch für die weibliche Jugend bedeutungsvoll: Die b e s t e auf a l l g e m e i n - b i o l o g i s c h e n G r u n d Sätzen a u f g e b a u t e t u r n p ä d a g o g i s c h e A u s b i l d u n g g e n ü g t n i c h t , w e n n bei der D u r c h f ü h r u n g n i c h t die u n t e r s t ü t 1) loc. cit. in Nr. 6 der Blätter für Berufserziehung. 2) Hierüber orientiert in ausgezeichneter Weise ein zusammenfassender Aufsatz der Münchner Frauenärztin S. L ü t z e n k i r c h e n in der Monatszeitschrift Deutscher Ärztinnen, 3. Jahrg., 1927.



299



z e n d e s c h u l ä r z t l i c h e M i t a r b e i t h i n s i c h t l i c h der A u s w a h l der T u r n e n d e n f ü r b e s t i m m t e Ü b u n g s g r u p p e n u n d der K o n t r o l l e der Ü b u n g s w i r k u n g h i n z u k o m m t . Daß ohne diese eine individualisierende, dem ärztlichen Konstitutionsbefund im einzelnen Falle angepaßte Körpererziehung im Sinne der Konstitutionshygiene nicht immer garantiert ist und vorläufig nicht garantiert sein kann, geht aus Einzelmitteilungen der Münchner Berufsschulärztin in ihrem letzten Jahresbericht hervor, die bei besonders kräftigen und eifrigen Vereinsturnerinnen (Vorturnerinnen) „die Entstehung von Rundrücken d u r c h oder w ä h r e n d des Turnunterrichts" infolge von Stützübungen beobachten konnte. Solche Beobachtungen, die sich auch in bezug auf innere Konstitutionsanomalien, namentlich bei jugendlichen Kreislaufschwächlingen unschwer erweitern lassen könnten, sprechen dafür, daß der s c h u l ä r z t l i c h e n A u s l e s e von Schülerinnen für Normal- und Sonderturnunterricht bei der Durchführung des Erziehungsprogramms besondere Beachtung seitens der Turnpädagogen einzuräumen ist. Völlig würde dieses Prinzip erst dadurch gesichert werden können, wenn bei der bisherigen „allgemein biologischen" Ausbildung der Turnlehrer auch die laufenden Ergebnisse der schulärztlichen Untersuchungen über die in der Konstitution der Jugendlichen sich vollziehenden Schwankungen mitberücksichtigt würde, vor allem, wenn auch den jungen Turnlehrern und Turnlehrerinnen schon bei der Ausbildung Gelegenheit gegeben würde, durch praktische Teilnahme an Schuluntersuchungen zu lernen, wie sie die ihnen vom Schularzt ermittelten Konstitutionsbefunde zu verwerten haben, damit der Zweck einer konstitutionshygienischen Ausgestaltung des Turnunterrichts an den Schulen im Sinne einer individualisierenden hygienisch überwachten sozialen Einrichtung erreicht wird. Außer dem Turnunterricht an den Schulen ist — analog zu den Verhältnissen der männlichen Jugend — die E r h o l u n g s f ü r s o r g e als eine sozialhygienische Maßnahme zu betrachten. Grundsätzlich ist zunächst auch bei der weiblichen Jugend zu unterscheiden zwischen der E r h o l u n g s f ü r s o r g e für Kranke und Rekonvaleszente und der Ü b u n g s f ü r s o r g e als konstitutionshygienische Maßnahme, die namentlich bei endokrin bedingten Wachstumsstörungen in Betracht kommt. In letzterem Falle ist das Ziel, wie S z a g u n n richtig hervorhebt, keine „Mast", sondern Erhöhung der Widerstandskraft und Leistungsfähigkeit. Dieses Ziel kann bei Einhaltung der heutigen schulärztlichen Methodik für eine verbesserte Auslese und Indikationsstellung erreicht werden unter der Voraussetzung, daß die auf dem Ergebnis genauer konstitutionshygienischer Untersuchung aufgebauten schulärztlichen Befunde bei der Erstellung von Anträgen durch eine zentrale ärztliche sachverständige Stelle



300



gesammelt und der Dringlichkeitsgrad für die Terminbestimmung maßgebend gemacht wird. Es ist selbstverständlich, daß vielfach von dem Zeitpunkt, in welchem eine sozialhygienische Maßnahme erfolgt, der zu erreichende Erfolg abhängt. Die zeitlich richtig erfolgende Einweisung in Sanatorien, Erholungs- und Übungsfürsorgestätten kann in größeren Kommunen mit der Zahl der zu erledigenden Anträge an Schwierigkeit wachsen und wird nur richtig gelöst werden können, wenn diese Aufgabe unter die Verantwortung einer ärztlichen Oberleitung gestellt wird. Als ein weiteres wesentliches Moment für die richtige Durchführung kommt noch hinzu die genügende Vorbildung der bei der Erholungs- und Übungsfürsorge verwendeten Hilfskräfte, wenn der nach dem schulärztlichen Befund im einzelnen Fall gewünschte Zweck gesichert werden soll.

Wir beenden diesen V e r g l e i c h z w i s c h e n m ä n n l i c h e n u n d w e i b l i c h e n J u g e n d l i c h e n n a c h d e m K r i e g e mit einer Tabelle, die einen Auszug aus der bisherigen amtlichen Statistik für die Münchner Berufsschulen darstellt. Eine Erweiterung der amtlichen Statistik auf sämtliche Schulkategorien der gleichen Stadt ist in Anbetracht der Unverbundenheit zwischen Schularztwesen an staatlichen und städtischen Schulen bisher nicht möglich. Wir haben auch bei der Besprechung der Gruppe der erblichen Anomalien und funktionellen Störungen eingehend darauf hingewiesen, daß eine Verbesserung der bisherigen Form der amtlichen Statistik nach dieser Richtung die Gewinnung eines p r o g n o s t i s c h e n Urteils über die Z u k u n f t d e r V o l k s k r a f t erleichtern könnte. Ebenso harrt die Frage einer V e r e i n h e i t l i c h u n g der amtlichen schulärztlichen S t a t i s t i k für g a n z B a y e r n , wenn möglich für das g a n z e R e i c h noch der Lösung. Diese Frage ist — nach der Ansicht des L a n d e s v e r b a n d e s b a y r i s c h e r K o m m u n a l ä r z t e — für die weitere Gestaltung des Schularztwesens noch vordringlicher als die Einführung eines E i n h e i t s g e s u n d h e i t s b o g e n s , der später einmal für ganz Bayern, womöglich für das ganze deutsche Reich in Betracht gezogen werden sollte. Vielleicht kann der hier zum ersten Male unternommene Versuch eines statistischen V e r gleichs der m ä n n l i c h e n und weiblichen J u g e n d l i c h e n n a c h d e m K r i e g e einen Beitrag dazu bilden, um die Frage einer Vereinheitlichung der schulärztlichen Statistik bei den maßgebenden amtlichen Stellen in die Wege zu leiten.



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