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German Pages 232 Year 2016
Miriam Yildiz Hybride Alltagswelten
Kultur und soziale Praxis
Miriam Yildiz (Dr.) ist Sozialarbeiterin und Sozialwissenschaftlerin. Sie arbeitet als Lecturer an der Universität zu Köln am Institut für vergleichende Bildungsforschung und Sozialwissenschaften. Ihre Forschungsschwerpunkte sind kritische Migrationsforschung sowie Jugend- und Stadtforschung.
Miriam Yildiz
Hybride Alltagswelten Lebensstrategien und Diskriminierungserfahrungen Jugendlicher der 2. und 3. Generation aus Migrationsfamilien
Bei der vorliegenden Arbeit handelt es sich um eine von der Humanwissenschaftlichen Fakultät der Universität zu Köln angenommene Dissertation. Erstgutachter: Prof. Dr. Markus Ottersbach Zweitgutachter: Prof. Dr. Wolf-Dietrich Bukow Datum der Disputation: 29.04.2015, Universität zu Köln Ein besonderer Dank geht an die Rosa-Luxemburg-Stiftung für die Promotionsförderung und die freundliche Unterstützung des Drucks.
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Inhalt
I. T heoretischer T eil Einleitung | 9 1. Umgang mit Jugendlichen der zweiten und dritten Generation | 19 1.1 Politischer Umgang | 1 9 1.2 Wissenschaftlicher Umgang | 24 1.3 Medialer Umgang | 31 1.4 Sozialarbeiterischer Umgang | 36 1.5 Schulischer Umgang | 38 1.6 Migration in den klassischen Einwanderungsländern: Beispiel Kanada | 45
2. Jugendliche im Abseits: Wir und die Anderen | 49 2.1 Jugend, Migration und Identität | 50 2.2 2.3 2.4 2.5 2.6 2.7
Jugendliche der zweiten und dritten Generation als »Problemfall« | 52 Ethnisierung und Kulturalisierung | 58 Weibliche Jugendliche der zweiten und dritten Generation – ein Sonderfall? | 60 Ethnisierung und Kriminalisierung | 61 Das Paradigma kultureller Differenz | 64 Rassismus im Alltag – Rassismus als Dispositiv | 68
3. Jugendliche in marginalisierten Quartieren entwickeln neue Perspektiven | 75 3.1 Von der Alltagspraxis zum Opferstatus | 75 3.2 Habitus der Überlebenskunst als sekundäres Arrangement | 77 3.3 Subversive Alltagsstrategien | 80 3.4 Selbstethnisierung und Bildung einer neo-ethnischen Identität | 83
II. E mpirischer T eil 4. Forschungsdesign: Methodologische und methodische Implikationen | 87 4.1 Methodologische Überlegungen | 87 4.2 Zur Relevanz qualitativer Methoden | 90 4.2.1 Narratives- und halbnarratives biographisches Interview | 91 4.2.2 »Biographizität« als gesellschaftliche Normalität | 93 4.2.3 ExpertInneninterviews | 95 4.2.4 Teilnehmende Beobachtung | 96 4.2.5 Diskursanalyse/Dokumentanalyse | 97 4.3 Konkrete methodische Vorgehensweise | 98 4.4 Grounded Theory & »das verstehende Interview« | 101
5. Diskurse über Stadt, Migration und marginalisierte Quartiere | 105 5.1 Migration bewegt die Stadt | 105 5.2 Marginalisierte Stadtquartiere und Ghettobilder | 107 5.3 Marginalisierte Quartiere – Vom Ghettomythos zur Alltagspraxis | 112 5.4 Chorweiler – Phänomenologie eines marginalisierten Kölner Stadtteils | 116 5.5 Chorweiler – Ein marginalisiertes Migrationsviertel? | 120
6. Über die Alltagspraxis in Chorweiler | 125 6.1 Chorweiler virtuell | 126 6.2 Jugendliche und junge Erwachsene in Chorweiler | 130 6.2.1 Kurzüberblick der InterviewpartnerInnen | 130 6.2.2 Sedat | 139 6.2.3 Pinar, Jamila und Lara | 144 6.2.4 Mustafa und Ayhan | 151 6.3 Imaginationen des Ghettos: Leben in Chorweiler | 155 6.4 Widerspenstige Praktiken und Strategien des Umgangs | 163 6.5 Stigma Migration und Identitätskonstruktionen | 169 6.6 Die Frage nach Ressourcen | 178 6.7 Exkurs: Chorweiler aus Sicht der Sozialen Arbeit | 187
7. Ausblick | 201 Literatur | 207
I. Theoretischer Teil
Einleitung »So sehr alles fließt und vieles in Bewegung ist, es bleibt dabei, dass Deutschland sich extrem schwer damit tut, ein Land der Vielen zu sein.« (Ayata 2011, S. 186)
Aus historischer Perspektive ist im Umgang mit Migration und MigrantInnen in Deutschland eine ungebrochene Kontinuität zu erkennen (vgl. Bade 1992; 2002). Im öffentlichen Diskurs tauchen MigrantInnen und deren Nachkommen oft im Zusammenhang mit Krisen und Sicherheitsproblemen auf. Sie werden als nahezu integrationsunwillig betrachtet. Ihre kulturellen und religiösen Orientierungen scheinen in hiesige Normalitätsauffassungen nicht zu passen (vgl. kritisch zur Genealogie der Integrationsfigur Tsianos 2013, S. 24ff.). Überraschenderweise ist im Umgang mit der zweiten und dritten Generation von MigrantInnen kaum eine Veränderung zu verzeichnen, obwohl diese Jugendlichen und jungen Erwachsenen hier geboren und aufgewachsen sind. Dennoch werden ihnen so genannte Kulturkonflikte unterstellt – auf der einen Seite die moderne deutsche Gesellschaft, auf der anderen Seite die rückständige und traditionelle Migrationsfamilie (kritisch zur Kultur- und Modernitätsdifferenzhypothese siehe Bukow/Llaryora 1998, S. 40ff.; Sökefeld 2004). Oft genug werden sie im Zusammenhang mit Gewalt, Fundamentalismus, Kriminalität und Bildungsmisserfolgen thematisiert (zu Gewalt und Fundamentalismus vgl. Heitmeyer/Müller/Schröder 1997). Als Erklärungsansatz fungiert häufig noch immer die Metapher: »Zerrissen zwischen zwei Kulturen« (vgl. Kunz 2000, S. 229ff.). Gerade Mädchen tauchen zudem als Opfer patriarchaler Familienstrukturen oder innerhalb der Kopftuchdebatte auf (vgl. kritisch dazu Beck-Gernsheim 2004, S. 52ff.). Im öffentlichen Diskurs hat sich in den letzten Jahren der Begriff »Menschen mit Migrationshintergrund« durchgesetzt. Obwohl dieses Etikett zunächst positiv besetzt ist, ergeben sich bei genauerer Analyse gleich mehrere Probleme (kritisch dazu Mecheril/Rigelsky 2010; Mecheril 2011). Erstens handelt es sich um Jugendliche und junge Erwachsene, die in Deutschland sozialisiert sind und daher, im Gegensatz zu ihren Eltern oder Großeltern, über
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keine oder nur bedingt über eigene Migrationserfahrungen verfügen. Zweitens sind damit, zumindest umgangssprachlich, nicht alle Jugendlichen oder junge Erwachsene gemeint, deren Eltern oder Großeltern nach Deutschland eingewandert sind, sondern in der Regel nur diejenigen, die aus nichteuropäischen Ländern stammen. Hier stehen seit einiger Zeit Jugendliche im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses, deren Eltern oder Großeltern aus der Türkei stammen bzw. einen muslimischen Hintergrund haben. Solche Etiketten tragen wesentlich dazu bei, eine Gruppe von Menschen zu konstruieren, die wenig andere Gemeinsamkeiten aufweist als die Tatsache, von eingewanderten Familien abzustammen, ggf. über einen (mutmaßlichen) muslimischen Hintergrund zu verfügen und in Deutschland geboren worden zu sein. Ein großes Problem für diese Jugendlichen und jungen Erwachsenen ist, dass sie zum Teil keine deutsche Staatsbürgerschaft besitzen, also rechtlich einen Ausländerstatus haben. Aber auch im Falle einer Einbürgerung verändert sich in der Regel nicht, auf welche Weise die Jugendlichen und jungen Erwachsenen gesellschaftlich wahrgenommen werden. Die Vererbung und Zuschreibung des Ausländerstatus kann tiefgreifende Konsequenzen haben, Konsequenzen, die weit in die persönliche Lebenswelt reichen und individuelle Verortungspraxen bestimmen (können). Hier soll einleitend zunächst kurz vergegenwärtigt werden, welche Bilder und Deutungsmuster über Jugendliche und junge Erwachsene der zweiten und dritten Generation den öffentlichen Diskurs dominieren. Diese Grundannahmen nämlich prägen aktuelle Debatten maßgeblich. Im Anschluss soll daraus meine Hauptforschungsfrage formuliert werden. Explizit und zum Teil implizit stoßen wir insbesondere auf folgende Deutungen: 1. Zunächst wird in der Regel undifferenziert von der Situation ausländischer Jugendlicher gesprochen. In den letzten Jahren werden zudem Jugendliche und junge Erwachsene mit muslimischem Hintergrund in den Mittelpunkt gerückt und damit eine religiöse Differenz markiert und konstruiert. Es findet eine Art Muslimisierung der Gesellschaft statt (vgl. Schiffauer 2007, S. 117; Karakasoglu 2009, S. 186). 2. Die Erfahrungs- und Lebenswelt von Jugendlichen und jungen Erwachsenen wird oft reduziert und entweder ethnisch/herkunftsspezifisch oder religiös interpretiert. Um dies zu begründen, wird auf familiäre Sozialisationsprozesse verwiesen. In diesem Kontext tauchen Begriffe wie »ethnische Einflüsse«, »ethnische Merkmale«, »ethnische Barrieren«, »ethnische Segregation« oder »muslimische Gegenwelt« und »muslimische Parallelwelt« auf, die selten genauer definiert werden. Zweifelsohne wirken sich solche Deutungen jedoch negativ auf gesellschaftliche Verortungsprozesse der Betroffenen aus. So werden die Kategorien »Ethnizität« und »Religiosität«, die im öffentlichen Diskurs gerne miteinander verknüpft
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werden, zu Leitkategorien, die im Umgang mit diesen Jugendlichen und jungen Erwachsenen als handlungsleitende Wegweiser fungieren und ein kulturrassistisches Wissen erzeugen (vgl. Terkessidis 2004). 3. Es wird folglich davon ausgegangen, dass diese Jugendlichen und jungen Erwachsenen eine völlig andere Erfahrungswelt mitbringen und damit über ein gänzlich anderes Erfahrungswissen verfügen als die Mehrheitsgesellschaft. Dieses Wissen wird schließlich als unvereinbar mit der Erfahrungswelt einheimischer Jugendlicher und junger Erwachsener gedeutet, deren Lebenswelt zudem automatisch zur Norm erhoben wird (vgl. dazu kritisch Bukow 1996, S. 117ff.). Daraus folgt eine Konstruktion von Problemfeldern, die zum Beispiel für wissenschaftliche Analysen dienen oder an denen sich politische und soziale Maßnahmen orientieren. 4. Freilich werden stets die besondere Bedeutung und der Einfluss der Herkunftsfamilie für die Ausgestaltung biographischer Konstruktionen im Allgemeinen hervorgehoben. In Bezug auf muslimische Familien wird jedoch oft davon ausgegangen, dass diese durch ihre ethnische bzw. religiöse Orientierung nicht in der Lage seien, ihre Kinder angemessen zu unterstützen und zu fördern (vgl. ebd.). So erscheinen Migrationsfamilien gegenüber »einheimischen Familien« oft als abweichend bzw. defizitär (vgl. Terkessidis 2004, S. 149). Hier wird eine Dichotomie erzeugt, die gegenüber alternativen Perspektiven resistent erscheint. 5. Oftmals wird ausgeblendet oder unterschätzt, welche Rolle der Wohnort bei der gesellschaftlichen Verortung dieser Jugendlichen und jungen Erwachsenen spielt, obwohl die Stadtviertel, in denen sie leben und aufgewachsen sind, von ihnen häufig, ob in Köln, Berlin oder Hamburg, als Mittelpunkt ihres Lebens wahrgenommen werden. Mit »ihren« Stadtquartieren fühlen sie sich auch dann verbunden, wenn diese marginalisiert sind und einen schlechten Ruf haben (vgl. dazu ausführlich Schnur/Zakrzewski/Drilling 2013). Regina Römhild (2009) spricht in diesem Kontext von einer »eigenwilligen Verortung im transnationalen Raum«. Von diesen Orten ausgehend findet eine gewisse Auseinandersetzung sowohl mit restriktiven gesellschaftlichen Bedingungen vor Ort als auch mit der Herkunft und Migrationsgeschichte der Eltern oder Großeltern statt. Hier wird von der These ausgegangen, dass der Status, der diesen Jugendlichen und junge Erwachsenen damit zugewiesen wird, erhebliche Auswirkungen auf ihre biographischen Konstruktionen im Besonderen und auf gesellschaftliche Verortungsprozesse im Allgemeinen haben kann. Für die besondere gesellschaftliche Lage, in der sich diese jungen Menschen befinden, sind nicht die so genannten ethnischen oder kulturellen Eigenschaften ausschlaggebend, sondern die gesellschaftlichen Bedingungen, unter denen sie leben, die ihre Sozialisationsprozesse prägen und ihre Zukunftsperspektiven limitieren
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(können) (vgl. Riegel 2004). Darüber hinaus scheint in den letzten Jahren die zugeschriebene religiöse Differenz zu einem dominanten Erklärungsfaktor geworden zu sein – und das obwohl aktuelle Studien in Bezug auf religiöse Orientierungen zu wesentlich differenzierten Erkenntnissen kommen (vgl. Tietze 2001; Spielhaus 2011; von Wensierski/Lübcke 2012). Hier stellt sich die Frage, wie die Jugendlichen und junge Erwachsenen der zweiten und dritten Generation, die in Deutschland geboren und aufgewachsen sind, den Großteil ihrer Schulbildung hier absolviert haben und in so genannten marginalisierten Stadtteilen leben, mit den negativen Zuschreibungen umgehen, wie sie darauf reagieren und sich gesellschaftlich positionieren. Für die vorliegende Studie sind die gesellschaftlichen Kontexte, in denen sie sich bewegen, konstitutiv. Was die Wohnviertel betrifft, in denen sich mehrheitlich Migrationsfamilien und deren Nachkommen niedergelassen haben, stößt man im öffentlichen Diskurs auf eine panische Stimmungsmache (vgl. Ronneberger/Tsianos 2009, S. 137ff.). Der Begriff der »Parallelgesellschaft«, eine wissenschaftliche Konstruktion1, mit der im öffentlichen Diskurs ethnisch homogene Bevölkerungsgruppen verbunden werden, die sich sozial, kulturell und auch räumlich von der Mehrheitsgesellschaft abschotten, ist inzwischen einer breiten gesellschaftlichen Öffentlichkeit bekannt. Vor Entstehung von Parallelgesellschaften wird immer wieder gewarnt oder beizeiten hier und da eine neue Parallelgesellschaft identifiziert (vgl. Krau 2000; Graffe/Doll 2000; kritisch dazu Bukow et al. 2007; Schiffauer 2008; Römhild 2010). Auf diese Weise markierte Stadtteile werden als soziale oder kulturelle Brennpunkte abgewertet, weil selbstverständlich von hohen migrationsbedingten Konfliktpotentialen ausgegangen wird. Es werden Ideen »urbaner Heterotopien« konstruiert, denen abweichende Normalitäten zugeschrieben werden (vgl. Breitung 2013; zu Heterotopien ausführlich Foucault 1991). Bei genauerer Betrachtung handelt es sich jedoch um Stadtviertel, die strukturell benachteiligt sind und nicht selten kriminalisiert werden, wie Robert Castel am Beispiel von Pariser Banlieus anschaulich beschrieben hat (vgl. Castel 2009). In der stadtsoziologischen Forschung werden diese Orte als marginalisierte Quartiere untersucht (vgl. stellvertretend Ottersbach 2004). In diesem Zusammenhang wird oft auch von ethnisch segregierten Stadtvierteln gesprochen (vgl. exemplarisch Häußermann 1998). Die oben beschriebene ethnisierende und in ihrer Folge marginalisierende Deutung ist letztlich Ausgangspunkt eines Integrationsdiskurses, in dem Jugendliche und junge Erwachsene der zweiten und dritten Generation als Stör1 | Der Begriff der »Parallelgesellschaft« wurde von Wilhelm Heitmeyer u.a. (1997) geprägt. Seitdem findet er sowohl wissenschaftlich als auch im Alltagsgebrauch rege Verwendung.
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faktor für die hiesige gesellschaftliche Normalität dargestellt werden, eine Art »Elenddiskurs« (Hamburger 2009, S. 92). Dieser wird vor allem in den letzten 50 Jahren in unterschiedlichen Kontexten reproduziert und bis heute teilweise weiter tradiert. In Anlehnung an Michel Foucault könnte man an dieser Stelle von einem »Migrationsdispositiv« sprechen (vgl. Mecheril 2011)2 . Das Aufwachsen unter derart diskriminierenden und stigmatisierenden Bedingungen verlangt den Jugendlichen und junge Erwachsenen besondere Fähigkeiten, Kompetenzen und besondere Formen der Auseinandersetzung ab, aus denen sich verschiedene Selbstverortungspraxen und Lebensstrategien ergeben. Um diese soll es in der vorliegenden Studie gehen. Bereits der Titel der Studie »Hybride Alltagswelten«3 signalisiert den spezifischen Blick auf die vorliegende Thematik und verweist auf einen Blickwechsel, weg von der Opferrhetorik hin zur eigenen Lebenserfahrung von Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Sie werden so nicht isoliert von ihren gesellschaftlichen Lebenskontexten betrachtet und »entsubjektiviert« bzw. »entantwortet« (Terkessidis 2004, S. 186), als wären sie den gesellschaftlichen Bedingungen hilflos ausgeliefert. Im Gegensatz zu Arbeiten, die Jugendliche und junge Erwachsene zum Beispiel als »Opfer« ihrer diskriminierenden Lebensverhältnisse sehen, dabei aber deren Perspektiven und Erfahrungen in die Überlegungen kaum einbeziehen, werden sie hier als handelnde Subjekte, als AutorInnen 2 | Mit dem Begriff »Dispositiv« ist das Zusammenwirken verschiedener, aufeinander bezogener Diskursfragmente, »ein Netz von interaktiven Praktiken, von institutionellen Mechanismen und Handlungsansätzen« (Mecheril 2010, S. 63) gemeint, die gesellschaftliche Machtverhältnisse organisieren und legitimieren. 3 | Der Begriff »Hybridität«, der im Titel meiner Arbeit vorkommt, wird in einem spezifischen Sinne verwendet. Es wird davon ausgegangen, dass es historisch gesehen keine kulturelle »Homogenität« gibt, auch wenn Vorstellungen von Homogenität explizit oder implizit den öffentlichen Diskurs über »Multikulturalität«, »Interkulturalität« oder »Hybridität« dominieren. In Anlehnung an Stuart Hall wird der Begriff hier nicht als eine analytische Perspektive, sondern vor allem als eine »polemische Metapher«, als ein »unreines Konzept« verwendet. »Etwa so, wie sich Salman Rushdie als ›Bastard‹ bezeichnet, das heißt als jemand, der das Unreine, Negative bewusst auf sich nimmt. Es geht dabei in erster Linie um die störende Kraft in Bezug auf die alten Essentialismen.« (Hall 1999, S. 107) »Hybridisierung meint in dieser Perspektive weniger einen harmonischen Vorgang der kulturellen Vermischung als vielmehr eine subversive Praktik der Überschreitung dominanter Diskurs- und Identitätsordnungen. In diesem Sinne betonen Bhabha und viele weitere Autorinnen bzw. Autoren der Postcolonial Studies und der Cultural Studies, dass kulturelle Hybridität für Marginalisierte vielfältige Praktiken der Kritik, des Protestes und des Widerstandes ermöglicht, die gegen hegemoniale Macht-WissensStrategien intervenieren.« (Kneer 2010, S. 228)
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ihrer eigenen Lebenspraxis und damit als grundlegende Basis mit einbezogen. Dabei geht es konkret um die Lebensbedingungen in dem territorial stigmatisierten Stadtteil und die daraus resultierenden – wie im Untertitel formuliert – konkreten Lebensstrategien.4 Darüber hinaus soll hier der Versuch unternommen werden, einen differenzierten Blick auf die Quartierpraxis zu werfen. Es soll nicht darum gehen, die einzelnen Segmente der Alltagspraxis wie »Medienkonsum«, »Freizeitverhalten«, »religiöse Orientierung«, »Bildungssituation«, »Familiensituation« oder das »Leben zwischen zwei Welten«, »Gewalt und Kriminalität«, »geschlechtsspezifisches Verhalten« etc. zu untersuchen. Vielmehr wird die konkrete Alltagspraxis von Jugendlichen und jungen Erwachsenen in den jeweiligen gesellschaftlichen Kontexten ins Blickfeld gerückt und aus ihrer Perspektive rekonstruiert. Im Weiteren sollen die »sekundären Erfahrungen« in einem urbanen Kontext, ihre Verarbeitung zu sekundären Lebensstrategien und die daraus hervorgehenden Selbstverortungen und »widerspenstigen« Alltagspraktiken sichtbar gemacht und interpretiert werden. Die Lebenspraxis von Jugendlichen und jungen Erwachsenen in den Blick zu nehmen erfordert sowohl spezifische theoretische als auch methodische Zugänge. Theoretisch und methodisch erfolgsversprechend scheint mir zunächst, unterschiedliche Ebenen der Alltagspraxis von Jugendlichen und jungen Erwachsenen, die in einem dynamischen Wechselverhältnis stehen, zu einem integrativen Analyserahmen zu verknüpfen: Gesellschaftliche Strukturen (Makroebene), konkrete Lebensbedingungen vor Ort und Repräsentationsstrategien bzw. (Über-)Lebensstrategien (Mikroebenen). Dieser integrierte Analyserahmen ist geeignet, eine lebensweltbezogene und dennoch gesellschaftskritische und damit auch kritisch differenzierte Forschung zu betreiben. Mir geht es darum, das Feld, in dem sich die Jugendlichen und jungen Erwachsenen bewegen, in seiner Gesamtheit, in seinen verschiedenen gesellschaftlichen wie alltäglichen Dimensionen zu rekonstruieren und damit ihre Positionierungen im sozialen Raum herauszuarbeiten. Darüber hinaus interessiert mich auch das Feld, in diesem Fall ein »marginalisiertes« Kölner Quar-
4 | Da sich Jugendliche und junge Erwachsene gegen den Begriff »Migrationshintergrund« wehren und da diese Benennungspraxis von außen mit deren vielfältigen Lebenswirklichkeiten kaum korrespondiert, spreche ich hier entweder von »Jugendlichen und jungen Erwachsenen« ohne ein zusätzliches Label, oder verwende die Bezeichnung »der zweiten bzw. dritten Generation«, um deutlich zu machen, dass die Jugendlichen nicht erst »seit gestern« in Deutschland leben. Der Begriff »zweite oder dritte Generation« kann auch als eine widerständige Praxis gegen Fremdzuschreibungen gelesen werden.
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tier, als Ort des Widerstands gegen negative Zuschreibungen, territoriale Stigmatisierung und gegen die Pathologisierung von bestimmten Lebensformen. Da sich die Alltagspraxen in einem marginalisierten Quartier ohne eine Berücksichtigung von Machtdimensionen und Hierarchien nicht angemessen analysieren lassen, greife ich auf die Theorie von Michel Foucault (1978) »Dispositive der Macht« zurück, die Aufschluss darüber gibt, wie Ausschlussmechanismen und Ungleichheiten organisiert werden. Durch diese Dispositive der Macht wird eine bestimmte Normalität etabliert, eine kulturelle Hegemonie gesellschaftlich verankert, in der Menschen als »anders« und als »abweichend« definiert und ausgeschlossen werden. Dieser Hegemoniediskurs produziert durch verschiedene Repräsentationspraktiken (Wissenschaft, Medien, Politik etc.) eine Form rassistischen Wissens. (Die Sarrazin-Debatte ist dafür ein gutes Beispiel.) Anschließend rücke ich eine andere Dimension der Macht-Wissens-Theorie von Foucault (1999) in den Blick, nämlich ihre produktive Seite, die davon ausgeht, dass Macht auch Gegenmacht bzw. Widerstand hervorbringt. Ist es möglich, ein dominantes Repräsentationsregime herauszufordern und zu verändern? Wie könnten Gegenstrategien aussehen? Im Kontext meiner Studie stellt sich also die Frage, in welcher Weise es den Jugendlichen und jungen Erwachsenen der zweiten und dritten Generation unter diskriminierenden Bedingungen im Quartieralltag dennoch gelingt, sich gegen machtvolle Strukturen zu wehren, (subversive) Gegenstrategien zu entwickeln und Gegenbilder zu entwerfen. Mir geht es dabei in erster Linie um das »Wissen der Leute« (Terkessidis 2004, S. 113) oder um unterdrückte Wissensarten von Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Ähnliche Überlegungen findet man bei der US-amerikanischen Philosophin Judith Butler (1991; 1998), die in einem anderen Kontext von subversiven Potentialen spricht. Eine mögliche Gegenstrategie wäre ihr zufolge, dass Jugendliche und junge Erwachsene die zugeschriebenen negativen Merkmale oder Stereotypen übernehmen, ironisch umdeuten und auf diese Weise entlarven. Die Idee der »Resignifikation«, wie Judith Butler dies nennt, ist eine Möglichkeit, auch unter diskriminierenden, unterdrückenden und stigmatisierenden Bedingungen handlungsfähig zu bleiben. Stuart Hall spricht in einem ähnlichen Zusammenhang von Strategien der Transkodierung und macht auf vergleichbare Entwicklungen aufmerksam, nämlich auf die Umkehrung und Umdeutung negativer Zuschreibungen bzw. der Stereotype. Existierende hegemoniale Begriffe werden angeeignet und mit neuen positiven und empowernden Bedeutungen aufgeladen: »black is beautiful« (vgl. Hall 2004, S. 158). So werden scheinbar binäre Gegensätze umgekehrt, indem der untergeordnete Begriff aufgewertet und positiv interpretiert wird. In einem Dokumentarfilm über den Kölner Stadtteil Chorweiler sagt ein Jugendlicher beispielsweise: »Hier darf man Ausländer sein.« Ausländer zu sein wird also zu einer positiven und lebenswerten
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Kategorie. Eine weitere Strategie könnte in einer Art Rückgriff auf die eigenen Wurzeln liegen, indem Jugendliche ohne eigene Migrationserfahrungen sich auf Bilder einer nostalgischen imaginären »Heimat« beziehen. Diese Heimat besitzt für sie dabei eher eine symbolische Bedeutung, ihre Verortung anhand dieser ethnischen Kategorie wird zu einer Art »symbolischen Ethnizität«. Die so genannte »Herkunftskultur« wird dann, je nach Kontext, aufgegriffen und zum Teil kultiviert. Die Analyse der Alltagspraxis erfordert verschiedene Methoden, um einen annähernd »vollständigen« Quartieralltag zu rekonstruieren. Daher werden hier unterschiedliche, qualitativ ausgerichtete Methoden wie Ethnographie, teilnehmende Beobachtung, Interviews, Fotodokumentation und Dokumentanalyse herangezogen. So können auch als »schwierig« eingestufte Orte wie Chorweiler aus unterschiedlichen Blickwinkeln beschrieben und damit vereinfachte und eindimensionale (zumal von der Presse vermittelte) Bilder über diese marginalisierten Stadtteile dekonstruiert werden. Auf diese Weise sollen auch die alltäglichen »sekundären Erfahrungen« und die daraus resultierenden unterschiedlichen (Über-)Lebens- oder Transkodierungsstrategien der dort lebenden Jugendlichen und jungen Erwachsenen sichtbar gemacht und im lokalen und gesamtgesellschaftlichen Kontext interpretiert werden. Darüber hinaus kann die Interviewsituation als Gesprächssituation den Jugendlichen und jungen Erwachsenen die Möglichkeit eröffnen, ihre Perspektiven zur Sprache zu bringen oder diese womöglich erst durch dieses »Zur-Sprache-Bringen« zu entdecken. Dieser Blickwinkel lässt es zu, die alltäglichen Praxen von Jugendlichen nicht als Abweichung von der hiesigen Normalität, sondern als Potentiale, als Kompetenzen bzw. als kulturelles Kapital im Sinne von Pierre Bourdieu zu verstehen. Im ersten Kapitel beschreibe ich zunächst den Umgang mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen der zweiten und dritten Generation in unterschiedlichen gesellschaftlichen Kontexten. Nach einem kurzen historischen Abriss werden vor allem vier Bereiche diskutiert, die miteinander korrespondieren, sich gegenseitig verstärken (negativer Synergieeffekt) und eng miteinander verzahnt sind: der politische, wissenschaftliche, mediale, pädagogische und schulische Umgang. Zuletzt diskutiere ich die Situation in Kanada, um einen alternativen Blick zu eröffnen. Im zweiten Kapitel rücke ich Prozesse in den Vordergrund, die die Gesellschaft auf »Wir« und die »Anderen« reduzieren, auf diese Weise Machtverhältnisse ethnisch organisieren und Jugendliche und junge Erwachsene der zweiten und dritten Generation ins gesellschaftliche Abseits drängen. Dabei gehe ich insbesondere auf Prozesse der Ethnisierung, Stigmatisierung und Kriminalisierung ein, mit der sie in unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen konfrontiert werden. Anschließend werde ich im dritten Kapitel Theorien bzw. empirische Befunde heranziehen, die sich mit der Alltagspraxis von Ju-
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gendlichen und jungen Erwachsenen vor Ort befassen. Dabei geht es vor allem um alltagsbezogene, gesellschaftskritische Perspektiven, die für meine Hauptfragestellung – wie nämlich die konkreten Interaktions- und Sozialisationsprozesse der Jugendlichen und jungen Erwachsenen in dem untersuchten Quartier aussehen – von Bedeutung sind. Im vierten Kapitel, welches den empirischen Teil einleitet, werde ich meine Fragestellungen konkretisieren und mein methodisches Vorgehen darstellen. Nach der Diskussion der Relevanz qualitativer Methoden werden die konkreten Erhebungsmethoden, die in meiner Studie Verwendung finden, dargestellt. Zudem werde ich das Forschungsdesign darlegen. Einleitend erfolgt dazu im fünften Kapitel zunächst eine kritische Auseinandersetzung mit einem der Hauptaspekte meiner Untersuchung, dem Diskurs über »marginalisierte Quartiere«. Es soll gezeigt werden, inwiefern der politische, mediale oder wissenschaftliche Diskurs über Chorweiler auf lokaler Ebene mit der Quartierrealität, mit den Alltagspraxen der Jugendlichen und jungen Erwachsenen vor Ort korrespondiert und ob diese Außenbeschreibungen bzw. Zuschreibungen kontraproduktiv wirken (können). Im sechsten Kapitel wird das im Rahmen der Forschung erhobene Material ausgewertet. Dazu werden zunächst Kurzporträts der InterviewpartnerInnen vorgestellt. Anschließend werden die Hauptaspekte, die aus dem gesamten Material hervorgehen, aufgelistet, beschrieben und theoretisch interpretiert. Im siebten Kapitel erfolgt einen kurzen Einblick in die Arbeit von AkteurInnen Sozialer Arbeit in Chorweiler. Ich setze mich damit auseinander, wie Soziale Arbeit sich zu gängigen Mythen über Chorweiler positioniert und inwiefern sie zur Konstruktion von Problemvierteln beiträgt. Im letzten Teil werde ich Schlussfolgerungen für eine gesamtgesellschaftliche Perspektive ziehen und die Bedeutung der Ergebnisse für die Fachwelt und Praxis diskutieren.
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1. Umgang mit Jugendlichen der zweiten und dritten Generation
1.1 P olitischer U mgang Historisch betrachtet hat der politische Umgang mit Menschen mit Migrationshintergrund mehrere Phasen durchlaufen und weist eine ungebrochene Kontinuität auf. Die verstärkte Migration nach Deutschland nahm in den 1950er Jahren ihren Anfang. Mit wirtschaftlich schwächeren Mittelmeerländern wurden bilaterale Verträge geschlossen, um so genannte GastarbeiterInnen nach Deutschland zu holen. Die ersten GastarbeiterInnen kamen hauptsächlich aus Italien, Kroatien, Spanien und Griechenland. Als diese Quellen allmählich ausgeschöpft waren, unterzeichnete Deutschland Vereinbarungen mit der Türkei. Infolge dessen kam es in den 1960er und 1970er Jahren zu einer starken Zuwanderung aus der Türkei nach Deutschland. Die Zahl übertraf bald alle anderen Immigrantengruppen. Heute machen Menschen türkischer Herkunft in Deutschland mehr als 30 Prozent aller Einwanderer aus. Zunächst ging man noch von dem so genannten Rotationsprinzip aus (vgl. Treibel 1990), nach einem zeitlich befristeten Arbeitsaufenthalt sollten die GastarbeiterInnen in ihre Herkunftsländer zurückkehren und an ihrer Stelle neue GastarbeiterInnen folgen. An diesem Prinzip orientierten sich auch die, nahezu nicht vorhandenen, sozialen Angebote. Migration wurde zunächst vor allem als arbeitsmarktpolitisches Feld begriffen, gesellschaftliche Integration galt dann als geglückt, wenn wirtschaftliche Teilhabe bestand. Darüber hinaus lag die Zuständigkeit für soziale Fragen bei den großen Wohlfahrtsverbänden. Eine spezifische Integrationsleistung wurde den zugewanderten Menschen darüber hinaus kaum abverlangt, war ihr Aufenthalt ohnehin nicht von Dauer. Gesellschaftliche Realitäten wurden dabei systematisch ausgeblendet. Als sich schließlich nach dem Anwerbestopp 1973, politisch nicht intendiert, viele GastarbeiterInnen entschieden, in Deutschland zu bleiben und ihre Familienangehörigen nachzuholen, wurde ein Umdenken gefordert. Es wurden Rufe laut, die zunehmende »Desintegration« der Ausländer zu vermeiden,
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um die einheimische Bevölkerung vor den Folgen zu schützen. So wurden, unter heftigen politischen Debatten, erste Integrationskonzepte entworfen (vgl. Ronneberger 2009)1. Der Interessenfokus richtete sich in Folge verstärkt auf die Kinder der GastarbeiterInnen und konnte trotz gewisser Widerstände zunehmend institutionalisiert werden. Eine nationalistische, ja sogar rassistische Geisteshaltung dominierte in den 1980er Jahren die Bundestagsdebatten. Alfred Dregger (CDU) vertrat die Auffassung, dass die türkischen MigrantenInnen weder assimilations- noch integrationsfähig seien, da sie zu einer anderen Kultur gehören würden, wie die folgende Passage aus den Parlamentsdebatten veranschaulicht: »Da die Türken in Kultur und Mentalität anders sind und anders bleiben wollen als die Deutschen, ist es nur natürlich, daß sie in Deutschland Nachbarschaft mit ihresgleichen suchen. Das heißt, daß in unseren Großstädten Türkenviertel entstehen, auch Gettos genannt. Das könnte nur durch Zwang verhindert werden, nicht durch Sozialhilfe oder Ermahnungen.« (Alfred Dregger, Bundestagsdebatte, 4. Februar 1982, S. 4893)
Obgleich weniger drastisch formuliert, lassen sich ähnliche Argumente bei der SPD finden, wie die folgenden Argumente von Herbert Schnoor veranschaulichen: »Die Probleme waren anfangs auch nicht so groß. Der türkische Kumpel im Bergbau in der Zeche Osterfeld war und ist ein geschätzter Kollege, und es gab – das muß man ganz deutlich sagen – trotz der Türken keine Türkenprobleme. Erst die große Zahl der ausländischen Arbeitnehmer, ihre Konzentration in bestimmten Stadtteilen mit der Gefahr der Gettoisierung, die Probleme des Familiennachzugs und die Re-Islamisierung, die stattgefunden hat – Koranschulen usw. –, haben uns die Probleme gebracht. Wir müssen umdenken.« (Ebd. 1982)
Im Verlauf der 1980er Jahre kommt es dann zu einem Richtungswechsel im Migrations- und Integrationsdiskurs: Durch die zunehmende Bedeutung postmoderner Theorien hat der Kulturbegriff Hochkonjunktur. In der Auseinandersetzung mit ethnischen Differenzen innerhalb postmoderner Gesellschaften wird aus verschiedenen Richtungen Kritik an der etablierten, jedoch assimilativen Integrationspolitik geübt und ein »multikulturelles« Modell gefordert. Aus dieser Zeit stammen gängige Vorstellungen über eine »Bereiche1 | In den 1970er Jahren entwickelte die SPD ein Modell zur »partiellen Integration«, welches insbesondere Kindern von Gastarbeitern zu Gute kommen sollte. An diesem Ansatz wurde seitens der CDU heftige Kritik geübt. Es könne nicht darum gehen, Türken zu »germanisieren«. Vielmehr müsse ein Konzept der »rückkehrorientierten Integration« entwickelt werden.
Umgang mit Jugendlichen der zweiten und dritten Generation
rung«, welche durch ein Miteinander vieler verschiedener Kulturen entstehen würde. Eine Modernisierung der Migrationspolitik scheiterte trotzdem, unter anderem an der politischen Weigerung, Deutschland als Einwanderungsland anzuerkennen. Die nachfolgenden Jahre waren geprägt durch eine Verschärfung der Migrationspolitik in Form zum Beispiel verschärfter Regelungen zum Familiennachzug oder Einschränkungen der Asylmöglichkeiten. Diese Maßnahmen gipfelten schließlich 1993 in der so genannten Drittstaatenregelung2: Für Asylsuchende wurde die Aufnahme damit nahezu unmöglich. Angesichts einer solch beeindruckenden Migrationsgeschichte rufen die konsequenten Weigerungen, die Einwanderungsrealität zu akzeptieren, Verwunderung hervor. Erst im Verlauf der letzten 20 Jahre kam es punktuell zu einem öffentlichen Eingeständnis.3 Damit bekam die Frage nach Integration der eingewanderten Bevölkerungsgruppen erneut Konjunktur, es folgten verschiedene gesetzliche Neuerungen. Seit dem Jahre 2000 gilt im deutschen Staatsangehörigkeitsrecht das so genannte Prinzip des »ius soli« – in Deutschland geborene Kinder erhalten, unabhängig von der Staatsangehörigkeit ihrer Eltern, die deutsche Staatsbürgerschaft.4 Inzwischen wird die Migrationspolitik in Deutschland formal als Integrationspolitik bezeichnet, das »Ausländergesetz« wurde im Jahre 2005 durch das »Aufenthaltsgesetz« abgelöst und staatlich finanzierte Sprach- und Orientierungskurse (umgangssprachlich als Integrationskurse bekannt) für zugewanderte Menschen verpflichtend (vgl. zur Nieden 2009). Eine weitere Novellierung des Aufenthaltsgesetzes wurde, auf Grund verschiedener EU-Richtlinien, im Jahre 2007 umgesetzt. Die Änderungen beinhalteten verschiedene gesetzliche Verschärfungen und wurden durch MigrantInnenorganisationen und Wohlfahrtsverbände scharf kritisiert. Änderungen ergaben sich beispielsweise für langjährig Geduldete, die Anforderungen für eine Einbürgerung wurden verschärft und die Abschiebevor2 | Die Drittstaatenregelung sieht vor, dass Geflüchtete, die über einen so genannten sicheren Drittstaat in ein Land einreisen, in diesem Land nicht das Recht auf Asyl auf Grund politischer Verfolgung geltend machen dürfen. 3 | Auch wenn konservative Politiker z.T. bis ins Jahr 2010 an ihrer konsequenten Leugnung festhalten (vgl. Online-Ausgabe Hamburger Abendblatt »CDU-Vize: Deutschland ist kein Einwanderungsland« vom 25.11.2010 oder Zeit-Online »CSU sieht in Deutschland kein Einwanderungsland« vom 30.10.2010). 4 | Selbst nach dem Wiederaufbau des Staates nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Staatsbürgerschaft weiterhin nach ethnischen Abstammungsprinzipien verliehen – im Gegensatz zu Frankreich und anderen europäischen Ländern, die sich nach dem ius soli, also dem Territorialprinzip richten. Dies hat Wissenschaftler wie Roger Brubaker zu der Feststellung veranlasst, Deutschland könne sich selbst nur als eine ethnische Nation betrachten. Und tatsächlich prägt dieses ethnische Selbstverständnis bis heute die politischen Debatten.
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schriften erleichtert. So sollen beispielsweise EhegattInnen, die im Rahmen des Ehegattennachzuges nach Deutschland einreisen, nun bereits im Vorfeld Deutschkenntnisse nachweisen. Bis heute werden hitzige Debatten um das Thema Zuwanderung geführt. Aktuell stehen dabei insbesondere Fragen nach einer menschenrechtskonformen Asylpolitik im Vordergrund. So strittig solche Verpflichtungen zu Integrationskursen, so zweifelhaft die Qualität der angebotenen Kurse und so problematisch der Begriff »Integration« in seiner gebräuchlichen Form auch sein mag, so hat sich die Politik damit offiziell als mitverantwortlich für die gesellschaftliche Teilhabe von zugewanderten Menschen bekannt. Im Jahre 2006 lud das Präsidium der Bundestagsfraktion der CDU zu einem Integrationsgipfel, bei dem verschiedene gesellschaftliche AkteurInnen einen gemeinsamen Weg zur Förderung zugewanderter Menschen beschließen sollten. Der dabei beschlossene nationale Integrationsplan zielt in erster Linie auf sozial- und bildungspolitische Maßnahmen und wird seither jährlich überprüft (kritisch hierzu Karakayali 2010). Der nationale Integrationsplan ist ein Paradebeispiel dafür, wie soziale Probleme auf kulturelle Probleme reduziert werden. Es wird programmatisch der Eindruck vermittelt, dass es immer mehr migrationsbedingte Integrationsprobleme gäbe, die nur durch gezielte Maßnahmen gelöst werden könnten (vgl. Der nationale Integrationsplan 2007). Frank-Olaf Radtke weist in diesem Zusammenhang zu Recht darauf hin, dass in diesem politischen Diskurs Integrationsprobleme moderner Gesellschaften auf ein Migrationsproblem reduziert würden (vgl. Radtke 2011, S. 82f.). Auf diese Weise erfahren soziale Konflikte eine gewisse Dramatisierung (vgl. ebd., S. 96ff.). Leider zielt die Debatte um Integration in ihrer Gesamtheit weniger auf die Erweiterung von Rechten oder den Abbau sozialer Ungleichheit, sondern verfolgt assimilatorische Ziele und wird damit zur Erfüllungsgehilfin konservativer Homogenitätsvorstellungen der Mehrheitsgesellschaft (vgl. Ronneberger 2009). Immer wieder wird die Frage nach Migration und Zuwanderung zudem für politische Zwecke missbraucht. Dieses Phänomen ist so alt wie die Einwanderung selbst. Fragen nach Ausländerkriminalität, der Überfremdung oder Islamisierung der deutschen Gesellschaft erhitzen regelmäßig die Gemüter. Diese Argumentationslinien stellen ein kontinuierliches und offenbar zyklisches Phänomen dar und lassen sich über einen langen Zeitraum beobachten (vgl. Wengeler 2006). Exemplarisch will ich einen Teil der Diskurse im Folgenden kurz umreißen. Auf Grund der engen Verschränkungen und wechselseitigen Abhängigkeit zwischen politischen, wissenschaftlichen und massenmedialen Diskursen werde ich die Argumentationslinien auch in den weiteren Kapiteln punktuell wieder aufgreifen. Wengeler (2006) fasst diese Diskurse wie folgt zusammen:
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»Belastungsdiskurs« Kennzeichnend für den Belastungsdiskurs ist die Frage danach, ob und wann Deutschland die »Belastungsgrenze« der Aufnahmefähigkeit erreicht habe. Diese Argumentation hat eine lange historische Tradition und ist völlig unabhängig von den tatsächlichen Einwanderungszahlen. Die Belastungsgrenze ist eigentlich immer und zu jeder Zeit erreicht, wenn nicht gar überschritten, ob es sich um 4 Millionen oder um 7 Millionen MigrantInnen handelt. »Nützlichkeitsdiskurs« Der Topos des wirtschaftlichen Nutzens von Migration ist weder ein neues noch besonders originelles Argument. Seinen Ursprung findet diese Argumentation mit Beginn der Gastarbeiteranwerbung in den 1960er und 1970er Jahren. Willkommen ist, wer Deutschland wirtschaftlichen Nutzen bringt. Eine »Neuauflage« fand in der »Green-Card-Debatte« statt und hält jüngst wieder Einzug in politische Diskurse zum Thema Fachkräftemangel oder Befürchtungen zur Funktionsfähigkeit der Sozialsysteme bei zu erwartendem Geburtenrückgang. Der Nützlichkeitstopos kann insofern sowohl als Argument für Zuwanderung als auch gegen Zuwanderung genutzt werden. Gegen Zuwanderung, indem etwa die Arbeitslosigkeit deutscher Hochqualifizierter hervorgehoben wird. »Assimilationsdiskurs« Anpassung und Integration wird im Assimilationsdiskurs als wichtigster Faktor für das Gelingen erfolgreicher Zuwanderung diskutiert. Dieser Diskurs ist eng verknüpft mit dem Belastungsdiskurs und der Frage danach, wie viel Nachbarschaften wir »ertragen« können. Politische Forderungen beziehen sich in diesem Kontext besonders auf das Erlernen der deutschen Sprache und dem Aneignen der »deutschen Kultur«. Gefordert wird Unauffälligkeit, MigrantInnen mögen möglichst in der Masse »untergehen« und keinen zusätzlichen Aufwand verursachen. »Bedrohungsdiskurs« Zuwanderung wird in dieser Diskurslinie mit Gefahr verknüpft, welche es mittels restriktiver Politiken abzumildern oder zu verhindern gilt. Bei jeder angestrebten Lockerung der Zuwanderungsgesetze wird diese Argumentationslinie aufs Neue aus der Versenkung gezerrt und vor einem »Massenzuzug« gewarnt. Es herrscht Angst, dass eine humane Gestaltung der Zuwanderungsgesetze eine »Flutwelle« an Zuwanderung auslösen könne, die Deutschland regelrecht überspüle. Die gefährliche Folge daraus seien schließlich Parallelgesellschaften, Kulturkonflikte, eine Zunahme der Kriminalität und »Asylmissbrauch«. Seit dem 11. September 2001 hat der Bedrohungsdiskurs zudem eine neue Qualität erhalten und wird mit der Gefahr verknüpft, durch Zuwande-
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rung würden FundamentalistInnen in Deutschland die Möglichkeit erhalten, ihre terroristischen Aktivitäten zu planen und durchzuführen. Aktuelle Debatten um die terroristische IS veranschaulichen diese Diskurslinie in hervorragender Weise. »Menschenrechtsdiskurs« Eine typische Aussage, die sich dem Menschenrechtsdiskurs unterordnen lässt, könnte lauten: »Flüchtlinge sind auch Menschen!« Der Menschenrechtsdiskurs ist zweifelsohne von großer Wichtigkeit, schließlich sind menschenwürdige Asylregelungen längst überfällig. Dennoch lässt sich innerhalb dieser Debatten oft eine paternalistische Haltung erkennen. MigrantInnen werden dabei zu hilfebedürftigen Objekten. Für die Hilfsleistungen sollen sie im Gegenzug Dankbarkeit zeigen und sich möglichst unauffällig verhalten. Eine politische Auseinandersetzung lässt sich also deutlich erkennen, leider jedoch einhergehend mit einer massiven Bekundung zur Verschärfung sanktionierender Maßnahmen gegen vermeintlich »integrationsunwillige« oder »integrationsresistente« Menschen. Diese Androhungen nahmen verschiedene Ausmaße an und umfassten die Kürzung von Sozialleistungen oder gar gleich die Ausweisung von unangepassten MigrantInnen. Auch politisch wird in diesem Kontext Gebrauch von Begriffen wie »Ghettoisierung« oder »Parallelgesellschaften« gemacht. Gerade konservative Politiker warnen gerne davor, dass Stadtquartiere zu »No-go-Areas« verkommen würden, in denen sich die einheimische Bevölkerung nicht mehr sicher fühlen könne.
1.2 W issenschaf tlicher U mgang Auch die Wissenschaft hat zur Konstruktion der Ethnizität und dem damit verbundenen defizitorientierten Ansatz wesentlich beigetragen und trägt zum Teil noch immer dazu bei, werden doch weiterhin Begriffe wie »Ethnizität«, »ethnische Kolonie«, »ethnische Identität/Differenz« als soziale Kategorien verwendet. Der Begriff »ethnische Kolonie« beispielsweise stammt aus den Vereinigten Staaten und wurde in Deutschland zum ersten Mal von Friedrich Heckmann (1992) in den Migrationsdiskurs eingebracht. Forschung, die sich anschickt, integrative und desintegrative Faktoren zu identifizieren, Hypothesen über die Gewaltbereitschaft von muslimischen Jugendlichen formuliert und »Deutschenfeindlichkeit« aufdeckt, ist populär und nicht selten durch die Bundesregierung in Auftrag gegeben und finanziert. Es lässt sich eine klare historische Linie erkennen. Im Laufe der Zeit hat sich jedoch auch eine Migrationsforschung etabliert, die konventionelle Deutungsmuster und Ansätze kritisch hinterfragt und neue Perspektiven im Umgang mit Migration und Di-
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versität aufgezeigt hat. Dabei handelt es sich jedoch weiterhin um eine Minderheitenposition (vgl. dazu exemplarisch Bukow/Llaryora 1998; Mecheril 2004; Mannitz 2006; Transit Migration Forschungsgruppe 2007; Hess/Binder/Moser 2009; Radtke 2011). In der Forschungslandschaft über Jugendliche der zweiten und dritten Generation sieht man sich vor allem mit zwei Ansätzen konfrontiert: Der erste Ansatz ist defizitorientiert und basiert auf der Kulturdifferenz- und Modernitätshypothese. Der zweite Ansatz ist lebensweltlich bzw. alltagsweltlich orientiert, emanzipatorisch und stellt die betroffenen Jugendlichen in ihrer Alltagspraxis, also mit ihren Ressourcen, Erfahrungen und Problemen in den Mittelpunkt. Eindeutig einer defizitorientierten Perspektive lässt sich Forschung zum Thema Integration und Assimilation zuordnen. Gerade im Zusammenhang mit Jugend beziehen und bezogen sich die Fragestellungen auf Prozesse der Sozialisation und die tendenziell problematische Integration in die Aufnahmegesellschaft. Im Zentrum der wissenschaftlichen Betrachtung stehen dabei besonders Fragestellungen, die auf die Herausarbeitung integrationshemmender oder integrationsfördernder Faktoren abzielen. Damit eng verknüpft ist die Frage nach Kulturkonflikten und der Unvereinbarkeit zweier gegensätzlicher Kulturen – auf der einen Seite modern, auf der anderen Seite traditionell rückständig (vgl. kritisch dazu Reiners 2010). Eine der ersten Studien über Gastarbeiter im Jahr 1970 mit dem Titel »Leben als Gastarbeiter. Geglückte und mißglückte Integration« von Karl Bingemer, Edeltrud Meistermann-Seeger und Edgar Neubert liest sich heute wie Satire und ist ein gutes Beispiel dafür, welchen Beitrag die Wissenschaft historisch zur Konstruktion rassistischer Bilder geleistet hat, wie das folgende Zitat anschaulich zeigt: »Ein großer Teil der türkischen Gastarbeiter kommt aus Anatolien, also aus zivilisatorisch primitiven Verhältnissen, in denen unsere Gebräuche etwa hygienischer Art unbekannt sind. Sie bringen ein ausgeprägtes und differenziertes Ehrgefühl mit und haben strenge moralische Vorschriften, nicht nur über den Umgang mit Frauen [...]. Die Türken sollen fern bleiben von jenen Berufen, in denen unverbindliche Höflichkeiten gefordert werden.« (Bingemer/Meistermann-Seeger/Neubert 1972, S. 57/62)
Bei derartigen wissenschaftlichen Debatten handelt es sich nicht nur um abstrakte und wirklichkeitsferne Diskurse. Vielmehr nehmen sie Einfluss auf die alltägliche Handlungspraxis, beeinflussen die Wahrnehmung und geben Richtungen vor. Dazu schreiben Eckhard J. Dittrich und Frank Olaf Radtke: »Die sozialwissenschaftlichen Wirklichkeitskonstruktionen dringen als Argumente auch in den alltäglichen Diskurs über die soziale Wirklichkeit ein, legen relevante Wirklich-
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Hybride Alltagswelten keitsausschnitte fest und bestimmen deren Grenzen. Damit strukturieren sie die Handlungsräume von Institutionen und Individuen und selektieren ihre Handlungsalternativen« (Dittrich/Radtke 1990, S. 14).
Hier wird erkennbar, wie die Verwendung des Begriffs Ethnizität eher dazu beiträgt, Wirklichkeiten zu erzeugen als sie tatsächlich zu beschreiben. Diese kulturalistisch orientierten Deutungsmuster lassen sich, wenn auch in abgeschwächter Form, auf Teile der heutigen Forschungslandschaft zum Thema Migration übertragen. Hartmut Häußermann verwendet zur Beschreibung der Lebenssituation von MigrantInnen in benachteiligten Stadtteilen den Begriff der »ethnischen Kolonie«, den er aus zwei Perspektiven interpretiert, wie das folgende Zitat belegt: »Obwohl in jüngerer Zeit immer wieder über die Parallelgesellschaften von Zuwanderern geklagt wird, muss man festhalten, dass auch die räumliche Segregation von Migranten nicht per se ein Problem darstellt. Die ethnischen Kolonien, die es in jeder großen Stadt gibt, können für die Zuwanderer einen Schutzraum darstellen, indem sie sich auf Grundlage der Anerkennung ihrer mitgebrachten Identität, eingebettet in dichte soziale Netzwerke, mit der neuen Heimat auseinander setzen können (vgl. Krummacher 1998/ Heitmeyer 1998). Gebiete mit einer hohen Konzentration von Bewohnern mit einer mitgebrachten Kultur stellen im Idealfall Übergangsorte dar, die nach innen sehr gut integriert sind, aber dennoch Brücken bilden, die die Integration in der Aufnahmegesellschaft unterstützen. Sie ermöglichen sozusagen eine behütete Erfahrung mit Rückzugsgarantie.« (Häußermann 2006, S. 303f.)
Ein weiteres, historisch recht bekanntes Beispiel für eine solche ethnisch sortierende Herangehensweise stellt die Studie aus dem Jahre 1997 von Wilhelm Heitmeyer, Joachim Müller und Helmut Schröder mit dem Titel »Verlockender Fundamentalismus« dar. Schon im Vorfeld der Studie wurden ethnische Sortierungen vorgenommen und gezielt Jugendliche ausgewählt, die sich als »türkisch« einordneten. Die Lebensumstände und Alltagswirklichkeiten der Befragten wurden dabei nicht systematisch erfasst. Ebenso scheinen die Forschungsfragen tendenziös und forschungsethisch hoch problematisch. So wurden die Jugendlichen beispielsweise aufgefordert, folgende Aussagen zu bewerten: »Westliche Sitten verderben den Charakter von Muslimen.« »Wenn jemand gegen den Islam kämpft, muss man ihn töten.« »Wenn es der islamischen Gemeinschaft dient, bin ich bereit, andere zu erniedrigen.«
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»Verlockender Fundamentalismus« hält zunächst einmal wenig alarmierende Ergebnisse bereit, wie Irmgard Pinn (1999) feststellt und wie auch das folgende Zitat belegt: »Unsere Ergebnisse deuten [...] darauf hin, daß das Aufwachsen in (oder zwischen) zwei Kulturen für türkische Jugendliche der zweiten oder der dritten Generation durchaus Normalität darstellt und keineswegs automatisch zu einem mißlungenen Sozialisationsprozeß oder gar zu abweichendem Verhalten führt. Es scheint vielmehr so zu sein, daß sich (ausländische) Jugendliche sehr wohl einen Freiraum für die Durchsetzung eigener Interessen und Vorstellungen auch dann sichern, wenn ihre eigenen und die Orientierungen der Altersgleichen erheblich von denen der Eltern abweichen.« (Heitmeyer/Müller/Schröder 1997, S. 69f.)
Aus der Studie geht hervor: • Die Jugendlichen schätzen das Verhältnis zu Eltern und Familie in erster Linie positiv ein. • Sie äußern sich positiv über den Islam und sehen sich mehrheitlich in der Lage, ihre Religion mit den Lebensbedingungen in Deutschland zu vereinen. • Islam und Moderne stellen für die befragten Jugendlichen keine Gegensätze dar. • Viele Jugendliche berichten über Diskriminierungserfahrungen, empfinden sich jedoch nicht als Versager oder Verlierer. Angesichts solcher Befunde könnte man zufrieden sein. Jedoch werden im weiteren Verlauf der Studie die Selbsteinschätzungen der Jugendlichen kategorisch entwertet und uminterpretiert. Zentrale Ergebnisse der Studie waren schließlich, dass »türkische« Jugendliche zur Gewaltbereitschaft neigen würden, was besonders auf die Hinwendung zum fundamentalistisch orientierten Islam zurückzuführen sei. Die Darstellung der positiven Elternbeziehung zum Beispiel soll nur über tatsächliche Vernachlässigungen und Misshandlungen hinwegtäuschen (S. 68ff.), das Gefahrenpotential der Jugendlichen sei keinesfalls zu unterschätzen und eine positive Identifikation mit der Aufnahmegesellschaft wäre nicht erkennbar. In dieser Studie wurde zum ersten Mal der Begriff der Parallelgesellschaft verwendet, der seitdem eine beeindruckende Karriere gemacht hat und zum Alltagswissen geworden ist: »Insgesamt wäre es eine gefährliche Entwicklung für die Integration der Gesamtgesellschaft, wenn eine weitgehend enttraditionalisierte, säkularisierte und funktional diffe-
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Hybride Alltagswelten renzierte Mehrheitsgesellschaft in Konfrontation mit retraditionalisierten, religiös-politisch ausgerichteten Teilgruppen einer sich entwickelnden ›Parallelgesellschaft‹ von Minderheiten geriete.« (Ebd., S. 192)
An den Ergebnissen der Studie wurde breite Kritik geübt (vgl. exemplarisch Bukow/Ottersbach 1999). Es handele sich um ein ethnisierendes und nationalisierendes Konstrukt, denn die befragten Jugendlichen wurden explizit als »Türken« angesprochen und implizit dazu aufgefordert, sich als solche zu inszenieren (vgl. Scherr 1997, S. 130). Ähnlich populär sind die Studien des Kriminologen Christian Pfeiffer, der in regelmäßigen Abständen Untersuchungen über Jugendkriminalität veröffentlicht. Erst 2010 kam in einer Studie zu ähnlichen Befunden: Muslimische Jugendliche seien deutlich gewaltbereiter. Er fordert eine »radikalere Integration«. Beide Forscher werden, sowohl von Politik als auch im Mediendiskurs, breit rezipiert und sorgen immer wieder für Schlagzeilen. Beispielsweise zieht Siegfried Lamnek, ein namhafter Sozialwissenschaftler, kausale Zusammenhänge zwischen Gewalttätigkeit/Kriminalität und kulturellem Hintergrund bei Jugendlichen aus dem »orientalisch-islamischen Raum« (Lamnek 1998, S. 404). Auch Urs Fuhrer und Haci-Halil Uslucan verweisen auf »ganz spezifische Konfliktpotentiale«, die sich auf Grund der »doppelten Bewältigung von Kulturkonflikt und Modernisierungsrückstand« ergeben würden (Fuhrer/Uslucan 2005, S. 11). Kritische Stimmen, etwa in Form kritischer Forschung, werden weit seltener herangezogen. Die Studie »Deutsch-Türkische Lebens- und Wertewelten 2012«, durchgeführt durch ein Meinungsforschungsinstitut, »entlarvt« Türken in fast allen Lebensbereichen als defizitär. Sie seien im Schnitt traditionsbewusster, radikaler in ihren Ansichten und religiöser. In den Fragebögen angesprochen wurden »Menschen, die einen türkischen Migrationshintergrund haben (im Folgenden ›Türken in Deutschland‹)« (vgl. Liljeberg 2012), Aussagen wie »den meisten Deutschen kann man vertrauen« mögen objektiv zwar durchaus amüsant erscheinen, werden in ihrem Ergebnis jedoch herangezogen, um die segregierenden Tendenzen zwischen »Deutschen« und »Türken« zu belegen. Auch diese Studie fand im Sommerloch 2012 in der Presse regen Anklang. Obwohl in der kritischen Migrationsforschung inzwischen seit ca. 30 Jahren ein Perspektivwechsel im Umgang mit Migration und MigrantInnen gefordert wird, machen sich in der Forschungslandschaft nur zögerliche Veränderungen bemerkbar. In den letzten 20 Jahren sind einige einschlägige Studien erschienen, die sich mit Jugendlichen der zweiten und dritten Generation befassen und auf deren besondere Situation aufmerksam machen. Wie bereits beschrieben gibt es nur wenige Arbeiten, die sich kritisch mit gesamtgesellschaftlichen und strukturellen Bedingungen auseinandersetzen und gleichzeitig die Perspektive der Betroffenen einbeziehen. Auch finden sie bei Weitem nicht den öffentlichen
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Anklang, wie es Studien mit defizitorientiertem und skandalisierendem Blick in der Regel tun. Häufig erfahren sie zudem eine öffentliche Abwertung und werden zum Beispiel als unwissenschaftlich und voreingenommen degradiert. Nachfolgend ein kurzer Überblick über verschiedene, für meine Forschung besonders interessante Studien. Hermann Tertilt (1996) beschäftigte sich als einer der Ersten mit einer türkischen Jugendclique in Frankfurt. Er rückte in einer ethnographischen Studie die Perspektive dieser Jugendlichen in den Mittelpunkt. Ein ähnliches Thema untersuchte Sven Sauter (2000) unter dem Titel »Wir sind ›Frankfurter Türken‹«, indem er die Lebenswirklichkeit und lokale Aneignungspraxis von Jugendlichen aus einer aserbaidschanisch-türkischen Folkloregruppe analysierte. Allerdings wurde hier nur die Freizeitwelt der Jugendlichen untersucht und andere wesentliche Aspekte ihrer Alltagswelt vernachlässigt. Einen neuen Blickwinkel nahm Mark Terkessidis (2004) mit seiner Studie unter dem Titel »Die Banalität des Rassismus. Migranten zweiter Generation entwickeln eine neue Perspektive« ein. Er zeigte zum einen, dass Jugendliche der zweiten und dritten Generation tagtäglich mit rassistischen Erfahrungen konfrontiert werden, zum anderen, dass sie neue Handlungsstrategien entwickeln, um diesen zu begegnen (vgl. dazu Merten 2013; Scharathow 2014). Zu bedeutenden Erkenntnissen gelangt Louis Henri Seukwa (2006) in seiner Dissertation mit dem Titel »Der Habitus der Überlebenskunst. Zum Verhältnis von Kompetenz und Migration im Spiegel von Flüchtlingsbiographien«. Der Autor beleuchtet, wie es jungen Flüchtlingen aus Afrika in Hamburg trotz widrigster Lebensbedingungen und in schwierigen Lebenssituationen gelingt, ihre individuellen Potentiale zu entfalten, subjektive Strategien der Bewältigung zu entwickeln und Kompetenzen zu erwerben, eine Art sekundären Arrangements. Er kommt zu dem Ergebnis, dass der Kompetenzerwerb primär im Zusammenhang mit gesellschaftlichen Bedingungen sozialer Exklusion erfolgt. Nadine Rosen (2012) fokussiert sich in ihrer Arbeit »Migration als Bildungsherausforderung« auf die Herausforderungen, die sich aus den konsequenten Subjektkonstitutionsprozessen ergeben, mit denen Jugendliche und junge Erwachsene der zweiten und dritten Generation konfrontiert sind. Sie fragt in ihrer Arbeit danach, welchen Einfluss Zuschreibungen auf die Selbstbeschreibung männlicher Jugendlicher haben und wie sie diese Erfahrungen in eine spezifische Praxis umsetzen. Eine weitere Dimension, die untersucht wird, bezieht sich auf muslimische Zugehörigkeit bzw. islamische Identitäten Jugendlicher. In diesem Zusammenhang untersuchte Halit Öztürk (2007) die Lebenswelten muslimischer Jugendlicher in Berlin. Nikola Tietze (2001) befasst sich in ihrer vergleichenden Analyse mit Formen muslimischer Religiosität junger Männer in Deutschland und Frankreich. In einer umfassenden Arbeit von Wolf-Dietrich Bukow et al. (2003) geht es um Kriminalitätskarrieren jugendlicher Migranten aus mehreren Perspektiven.
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Den Mittelpunkt der Forschungsarbeit bilden Interviews mit inhaftierten Jugendlichen. In der Rekonstruktion ihrer Lebensentwürfe werden die Kontexte und Interaktionen herausgearbeitet, die für die kriminelle Karriere von Bedeutung sind. Eine weitere Linie bilden Studien, die geschlechtsspezifische Aspekte in der Migrationsgesellschaft fokussieren. Dazu gehört unter anderem die Publikation »Intellektuelle Migrantinnen – Subjektivitäten im Zeitalter von Globalisierung« (1999) von Encanación Gutiérrez Rodríguez, der Migrationsbiographien im Spannungsverhältnis zwischen Ethnisierung und Vergeschlechtlichung analysiert hat. Mittels einer »postkolonial dekonstruktiven« Analyse biographisch narrativer Interviews werden Selbstverständnis, Handlungsstrategien und Verortungsperspektiven intellektueller Migrantinnen untersucht. In einer sozio-biographischen Studie an der Schnittstelle zwischen Jugend-, Geschlechter- und Migrationsforschung untersuchte Christine Riegel (2004) die Lebenssituation junger Frauen mit Migrationshintergrund in Deutschland. Es geht um Orientierungs- und Handlungsmuster im Kontext von sozialer Ein- und Ausgrenzung. Die Studie leistet damit unter anderem einen Beitrag zur Diskussion um Zugehörigkeitskontexte und Zuschreibungsprozesse. Merle Hummrich (2002) führte eine biographisch-rekonstruktive Analyse zum Thema »Bildungserfolg und Migration. Biographien junger Frauen in der Einwanderungsgesellschaft« durch. Ihr Ausgangspunkt ist dabei das Zusammenspiel von Migration, Ethnizität, Geschlecht und Bildungsbiographien. Susanne Spindler (2006) thematisiert dies anhand von biographischen Analysen inhaftierter Jugendlicher mit Migrationshintergrund. Sie kommt zu dem Ergebnis, dass deren Lebensgeschichten nicht von kulturellen Besonderheiten, sondern von hegemonialen Geschlechter- und Migrationspolitiken bestimmt sind. Auch wenn es in einer Studie von Schahrzad Farrokhzad (2007) nicht direkt um Jugendliche geht, so gibt diese Studie trotzdem einen wichtigen Einblick in die Lebenswirklichkeit von Akademikerinnen mit Migrationshintergrund in Deutschland. Farrokhzad hat herausgearbeitet, wie Migrantinnen trotz restriktiver Bedingungen ein sozialer Aufstieg gelingt und welche Kompetenzen dabei entwickelt werden. Einen anderen Fokus setzte Markus Gamper (2011). In seiner Studie »Islamischer Feminismus in Deutschland« untersucht er die Formen der Zusammenschlüsse muslimischer Feministinnen und zeichnet ein diverses Bild, dass durch Hybridität und Vielfalt gekennzeichnet ist. In der von Markus Ottersbach erstellten Expertise »Die subjektive Sicht von Kindern und Jugendlichen mit Zuwanderungsgeschichte auf ihr Lebensumfeld« (2010) zum 9. Kinder- und Jugendbericht der Landesregierung NRW ist eine wichtige Erkenntnis der Befragung, dass sich Kinder und Jugendliche mit Zuwanderungsgeschichte in unterschiedlichen gesellschaftlichen Kontexten (Bildung, Familie, Freunde etc.) zwischen Autonomie und Anpassung bewegen
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und dabei diverse Bewältigungsformen entwickeln, die für ihre Lebensentwürfe von Bedeutung sind. Zur alltäglichen Lebenspraxis von Jugendlichen der zweiten und dritten Generation in marginalisierten Quartieren ist mir keine systematische empirische Studie bekannt. Seit einigen Jahren befasst sich vor allem Markus Ottersbach theoretisch mit der Situation von Jugendlichen in marginalisierten Quartieren in Deutschland und Frankreich.5 Er entwickelte grundlegende theoretische Positionen zum Begriff Marginalisierung (Ottersbach 2001; 2004; 2009). Die Jugendlichen wachsen danach in einem Umfeld auf, das von Marginalisierung und Segregation geprägt ist. Die hier genannten kritischen und lebensweltlichen Forschungsarbeiten zeigen, dass bisher verschiedene Aspekte der Lebenswirklichkeit von Jugendlichen und jungen Erwachsenen der zweiten und dritten Generation wissenschaftlich bearbeitet worden sind. Dazu zählen vor allem: die Ethnographie von Jugendcliquen, geschlechtsspezifische Implikationen, kriminelle Karrieren, Biographien, Zugehörigkeiten, Subjektpositionen, Ausgrenzungserfahrungen, Lebenswelten und Identitäten muslimischer Jugendlicher und ihr Leben in marginalisierten Quartieren. Hierbei werden einzelne Gesichtspunkte hervorgehoben und analysiert, aber eine systematische und übergreifende Untersuchung der Lebenskonstruktionen von Jugendlichen der zweiten und dritten Generation in marginalisierten Quartieren im gesamtgesellschaftlichen Kontext ist bislang nicht erfolgt. Zudem war die Forschungszielgruppe zumeist entweder nur männlich oder nur weiblich (vgl. dazu Weber 2003).
1.3 M edialer U mgang »Die Medien sind auch in Bezug auf das Phänomen Rassismus als eine Art ›Vierte Gewalt‹ zu betrachten, weil sie nicht nur enormen Einfluss auf die herrschenden Diskurse und das Denken, die Einstellungsmuster und das Verhalten der Menschen nehmen, sondern auch die politische Kultur des Landes prägen« (Butterwegge 1997, S. 176).
Wie das Zitat von Christoph Butterwegge veranschaulicht, prägen Massenmedien die gesellschaftlichen Wahrnehmungen und Diskurse wesentlich und sind aus einem politischen Willensbildungsprozess nicht wegzudenken. Niklas Luhmann stellt dazu fest: »Was wir über unsere Gesellschaft, ja über die Welt, in der wir leben, wissen, wissen wir durch die Massenmedien.« (Luhmann 2009, S. 9). Massenmedien informieren nicht nur, sie bestimmen die »öffentliche Ta5 | Zur Situation von Jugendlichen in französischen Banlieus ist die Arbeit von Robert Castel (2009) zu erwähnen. Weitere Arbeiten vgl.Lapeyronnie (2009), Loch (2009) und Mazouz (2009).
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gesordnung« maßgeblich und konstruieren durch ihre Berichterstattung Realitäten. Durch die Auswahl, Verbreitung und Interpretation bestimmter Themen und Inhalte werden Sachverhalte erst sichtbar gemacht und neue Wissensformen geschaffen. Diese Wissensbestände sind nicht kontextlos, vielmehr stehen sie in einer historischen Tradition und werden zudem durch politische und wissenschaftliche Diskurse beeinflusst. Es zeigt sich, dass diese Wissensbestände sich zu regelrechten medialen Mythen verdichten können, welche wiederum im Alltag aufgegriffen und weiterverarbeitet werden. Die einfache Feststellung, dass »die Medien« »die Öffentlichkeit« beeinflussen, greift jedoch zu kurz. Die Medienlandschaft ist inzwischen ungemein komplex und ausdifferenziert, es gibt Zeitungen mit verschiedenen gesellschaftspolitischen Zielsetzungen, eine schier unüberschaubare Anzahl an Fernsehsendern und nicht zuletzt die neuen Medien, die das Nutzungsverhalten maßgeblich beeinflussen. Die Bedeutung von Medien im Zuwanderungsdiskurs ist darüber hinaus unumstritten und ein gut erforschtes Gebiet (vgl. exemplarisch Eder/Rauer/ Schmidtke 2004; Butterwegge/Hentges/Sarigöz 2006; Geißler/Pöttker 2009; 2010). Lange Zeit wurde die Wichtigkeit von Medien im Zusammenhang mit Migration in erster Linie durch kritische Sozialwissenschaftler beleuchtet. Heute sind PolitikerInnen, die Medienschaffenden und eine Mehrheit der Sozial- und KommunikationswissenschaftlerInnen davon überzeugt, dass die Massenmedien bei den Integrationsprozessen eine große Rolle spielen. Das Jahresgutachten des Sachverständigenrates deutscher Stiftungen für Integration und Migration stellte beispielsweise im Jahre 2010 genau dies fest: Medien seien für die Integration von MigrantInnen von großer Bedeutung. Es dominiere jedoch ein verzerrtes, dramatisierendes und skandalisierendes Bild über Menschen mit Migrationshintergrund. Positive Aspekte und die Bedeutung von Migration für die Entwicklung von Deutschland würden nicht angemessen abgebildet (vgl. Sachverständigenrat 2010, S. 207ff.). MigrantInnen werden tendenziell negativer abgebildet als die »einheimische Bevölkerung« (vgl. Geißler/ Pöttker 2005; Müller 2005). Zu Recht gehören die Medien daher zu den zehn Themenfeldern des Nationalen Integrationsplans (Presse- und Informationsamt der Bundesregierung 2007, S. 157-171). Drei Argumentationslinien sind hierbei in der medialen Darstellung besonders dominant und häufig mit den bereits dargelegten politischen Diskursen verknüpft: 1. MigrantInnen als Belastung, zum Beispiel als finanzielle Belastung für den deutschen Staat oder durch drohende »Überfremdung« 2. MigrantInnen als Problemgruppe, zum Beispiel als bildungsfern, zerrissen zwischen zwei Kulturen, als unterdrückte Migrantinnen 3. MigrantInnen als Bedrohung, zum Beispiel durch Kriminalität oder Terrorismus
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Diese Darstellung hat historische Tradition, wie Manuel J. Delgado schon im Jahre 1972 in seiner Dissertation aufgezeigt hat. Im Folgenden greife ich exemplarisch einige typische Beispiele für Berichterstattung auf, um die Wichtigkeit einer kritischen Auseinandersetzung zu verdeutlichen. Auch gehe ich auf das relevante, komplexe Verhältnis zwischen Medien, Politik und Wissenschaft ein. Der Bedrohungssemantik folgend, wird die Frage nach etwaigen »Ghettos« oder »Slums« immer wieder gerne aufgegriffen. Im Stadtteil Essen Katernberg ist es, so Die Zeit im Jahre 2003, um die BewohnerInnen mit Migrationshintergrund nicht besonders gut bestellt: »Ghetto im Kopf«, »Integration? [...] Hier hat sich in den vergangenen vier Jahrzehnten eine Parallelgesellschaft entwickelt, in der Türken Türken bleiben und die Deutschen Deutsche sein lassen […].« (Bittner, Die Zeit vom 28. August 2003, S 1.)
Im Magazin der Süddeutschen Zeitung erschien im Jahre 2005 eine Reportage mit dem Titel »Fremde Welt«, in dem sich der Direktor einer Berliner Schule zu Wort meldet: »Unsere Schule ist eine Insel […] Hier müssen sich die Schüler an Regeln halten, die draußen nicht gelten. Auf der Insel versuchen die Lehrer und Sozialpädagogen ihren Schülern demokratische Wertvorstellungen beizubringen, auch in Projektwochen zu Themen wie Gleichberechtigung oder Recht und Unrecht. Auf der Insel wird Deutschland gespielt, praktisch herrschen in vielen Familien die archaischen Gesetze Ostanatoliens [...].« (Schneider/Steffanidis, Magazin der Süddeutschen Zeitung vom 25.11.2005, S. 12).
Ähnlich dramatisch beurteilt Die Welt die Situation: »Polygamie in der Migranten-Parallelgesellschaft. Etliche Muslime in Deutschland sind mit mehreren Frauen verheiratet. Einige können ihren Miniharem nur dank Hartz IV finanzieren.« (Wagner, Online-Ausgabe Die Welt vom 30. September 2012)
Vielehen – durch Imame nach deutschem Recht nicht offiziell geschlossen, scheinen, wenn man dem Artikel folgt, bedrohliche Ausmaße anzunehmen und die Sozialkassen zu schröpfen. Die polygame Parallelgesellschaft habe es sich im Schlaraffenland der Sozialleistungen gemütlich gemacht. »Die Zweitfrau gab sich gegenüber den Ämtern, auch nicht ganz korrekt, als Alleinerziehende aus und kassierte mit Wohngeld, Kindergeld, Erziehungsgeld und Unterhaltsvor-
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Hybride Alltagswelten schuss für die acht Kinder so viel, dass sie nicht einmal mehr einen Hartz-IV-Antrag stellen musste.«
Auch der direkte wechselseitige Zusammenhang zwischen Politik, Wissenschaft und medialer Berichterstattung lässt sich anhand einer Medienanalyse gut abzeichnen. Beispielsweise problematisiert eine im Jahr 2009 vom BerlinInstitut für Bevölkerung und Entwicklung veröffentlichte Studie mit dem Titel »Ungenutzte Potentiale. Zur Lage der Integration in Deutschland« erneut die vermeintlich integrationsunwilligen Menschen mit türkischem Migrationshintergrund – obwohl der Titel anderes verspricht. Reaktionen der Medienöffentlichkeit ließen nicht lange auf sich warten. »Für immer fremd« überschrieb beispielsweise das Nachrichtenmagazin Der Spiegel einen Bericht von Elger/Kneip/Theile (5/2009). Eine weitere Studie des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen unter der Leitung von Christian Pfeiffer kommt im Jahre 2010 zu dem Ergebnis, muslimische Jugendliche würden umso stärker zu Gewalttaten neigen, je mehr sie sich ihrer Religion verbunden fühlen (vgl. Preuß 2010). In der Online-Ausgabe des Spiegels ist daraufhin, in einem Artikel am 5. Juni 2010 (o.V.) zu lesen: »Jung, muslimisch, brutal.« Es wird gefolgert, der Islam fördere eine »brutale Machokultur.« Die kürzlich im Auftrag des Innenministeriums erschienene Studie (2011) »Lebenswelten junger Muslime in Deutschland« kam zu dem Befund, 78 Prozent der befragten Muslime im Alter zwischen 14 und 32 Jahren seien zur Integration bereit, 22 Prozent betonten dagegen eher die eigene Herkunftskultur. Der überraschende Befund: Es gebe nicht eine muslimische Lebenswelt in Deutschland, sondern sehr viele unterschiedliche. Insgesamt distanziere sich die Mehrheit der Muslime deutlich von islamistischem Terrorismus, erlebe aber umgekehrt eine Pauschalverurteilung von Muslimen als Terroristen. Diese Befunde veranlassten Innenminister Friedrich zu verschiedenen ähnlich klingenden Verlautbarungen: »Deutschland achtet die Herkunft und kulturelle Identität seiner Zuwanderer. Aber wir akzeptieren nicht den Import autoritärer, antidemokratischer und religiös-fanatischer Ansichten.« (O.V., Online-Ausgabe tagesspiegel vom 01. März 2012) Infolgedessen kam es zu einer hitzigen Mediendebatte. Befunde der Studie wurden medial diskutiert, von einigen Seiten heftige Kritik geübt – was schließlich zu einer Relativierung der Äußerungen Friedrichs führte. In einem Bericht des Spiegels mit dem Titel »Politik der Vermeidung«, in dem auf Thilo Sarrazins Berliner Rede Bezug genommen wird, stößt man wieder auf dieselbe Haltung: »Erstarrt in den Traditionen ihrer anatolischen Herkunft bestehen archaisch organisierte Familienverbände auf der Einhaltung von Sitten und Gebräuchen, die nicht nur in
Umgang mit Jugendlichen der zweiten und dritten Generation der ehrgeizig aufstrebenden Weltstadt Berlin anachronistisch sind.« (Darnstädt/Elger/ Hammerstein/Hornig /Wensierski (2009), Der Spiegel 42, S. 33)
In dem Bericht wird Kirsten Heisig, eine Berliner Jugendrichterin zitiert, die Erklärungen für Gewalt unter Migrantenjugendlichen liefert: »Der Männlichkeitswahn ist bei manchen Türken und Arabern besonders ausgeprägt, Ehre und Respekt sind so irrational entwickelt, dass es schnell zu Gewalt kommt.« (Ebd., S. 36)
Auch wenn die Debatten rund um die nicht ganz neuen, »sarrazinesken« Thesen sehr konträr geführt wurden, so ist dennoch eine deutliche politische und gesellschaftliche Auseinandersetzung erkennbar. Gerade bei der Analyse von Kommentaren in Online-Zeitungen sowie Forumsdiskussionen zeigt sich, dass Sarazzin regelrecht zu einem Kämpfer für die längst vergessen geglaubte Meinungsfreiheit hochstilisiert wird. Die gängige Praxis, im politischen und wissenschaftlichen Kontext mit ethnisierenden Deutungsmustern zu arbeiten, setzt sich auch im Mediendiskurs fort. Ausgangspunkt der Diskussionen ist immer die Idee einer einheitlichen und insbesondere reibungslos funktionierenden Gesellschaft, in die Menschen mit Migrationshintergrund nicht so recht passen wollen. Eine tatsächlich heterogene Bevölkerungsgruppe wird auf einige wenige ethnische Deutungen reduziert. Man kann schon fast von einer »Überethnisierung« oder »überethnisierten Sicht der sozialen Welt« (vgl. Brubaker 2007, S. 23) sprechen, nur in den seltensten Fällen werden soziale Probleme und soziale Ungleichheit für die Interpretation herangezogen. In erster Linie wird über die mangelnde Integration Jugendlicher der zweite und dritten Generation lamentiert, die scheinbar ausschließlich auf einen Unwillen der betreffenden Personen und/oder damit einhergehende Kulturdifferenzen zurückzuführen ist. Stadtquartiere, die von Migration geprägt sind, werden zu Ghettos, sozialen Brennpunkten oder »Parallelwelten«. In jedem Fall sind sie abweichend, wenn nicht gar gefährlich. Die heutige Medienberichterstattung bedient sich mehrheitlich bekannter Muster: Sie sortiert und kategorisiert unter ethnischen Vorzeichen und setzt ein bestimmtes Wissen über MigrantInnen im Allgemeinen und über Jugendliche im Besonderen voraus. Besonders soziale Probleme werden fernab ihrer tatsächlichen Ursachen und Bedeutung diskutiert, sondern vielmehr ethnisch eingefärbt. Machtungleichheiten setzen sich auf diese Weise auch massenmedial fort, werden reproduziert und verfestigt. Ein Differenzdenken wird erzeugt und festgeschrieben. Auf diese Weise wird von tatsächlichen Problemen abgelenkt, werden Probleme »entpolitisiert« – so, dass die Ursache schließlich
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beim Individuum selbst zu liegen scheint. Christoph Butterwegge bezeichnet diese Entwicklungen gar als eine »Kulturalisierung der Politik«: »Mit der Ethnisierung sozialer Beziehungen korrespondiert eine ›Kulturalisierung‹ der Politik, die nicht mehr auf materielle Interessen zurückgeführt, sondern auf die Wahrung kollektiver Identitäten reduziert wird, was zu einer Entpolitisierung gesellschaftlicher Konflikte beiträgt.« (Butterwegge 2006, S. 82f., Herv. i.O.)
Dieser inflationäre Gebrauch ethnisierender Deutungsmuster, eingebunden in einen politischen und wissenschaftlichen Commonsense-Diskurs, produziert Realitäten anstatt diese zu beschreiben und zur Diskussion zu stellen. Eine Überrepräsentation negativer Berichterstattung über Migration zeigt sich aus meiner Sicht auch dann noch, wenn man den Faktor »The only good news is bad news«, also die Tatsache, dass Medienberichterstattung ohnehin tendenziell skandalisierend und problematisierend arbeitet, in Betracht zieht. Alltäglich Phänomene und Praxen werden umgedeutet und mit einer neuen Logik ausgestattet, die eine bestimmte Gesellschaftsperspektive rechtfertigt (vgl. Bukow/Llaryora 1998). In der Folge kommt es zu einer fortwährenden Wiederholung altbekannter Klischees über Jugendliche und junge Erwachsene der zweiten und dritten Generation welche, wie sich im Verlauf der Arbeit noch zeigen wird, nicht ohne Folgen für deren gesellschaftliche (Selbst-)Verortung und Alltagspraxis bleibt. Dass es sich hierbei vor allem um einen Mythos, um ein »Dispositiv« im Sinne von Michel Foucault (1978) handelt, wird in den folgenden Kapiteln noch weiter verdeutlicht werden.
1.4 S ozial arbeiterischer U mgang In der klassischen Migrantensozialarbeit, die früher »Ausländersozialarbeit« genannt wurde, wurden Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund von Beginn an als defizitär und tendenziell abweichend von der angenommenen Normalität betrachtet. Aus Sicht der »Ausländersozialarbeit« waren sie unvollständig sozialisiert und allein schon aus diesem Grund hilfsbedürftig. Aus diesem Blickwinkel wurden nicht selten massive Identitätsprobleme unterstellt, die angeblich eine Reihe anderer Folgen nach sich zogen. Die Rede »Morgens in Deutschland – abends in der Türkei« war besonders in der ersten Phase der Gastarbeitermigration gebräuchlich. Heute stoßen wir auf neue Varianten des alten Spruchs, etwa in dem Slogan »Leben zwischen zwei Kulturen«. So wurden die Probleme von MigrantInnen auch hier oft auf ethnischkulturelle Aspekte zurückgeführt. »Migrantensozialarbeit« wurde und wird
Umgang mit Jugendlichen der zweiten und dritten Generation
bis heute häufig nicht ausgehend von den Bedürfnislagen der Menschen definiert und wahrgenommen. Dazu schreibt Annita Kalpaka: »Wird das Handeln monokausal auf Eigenschaften, Kultur oder Charakter der Person zurückgeführt, wird dadurch meistens verhindert, das Handeln als Antwort auf erlebte Widersprüche aufzufassen und weitere Fragen zu stellen, so dass ausschlaggebende Lebensbedingungen zum Teil unerkannt bleiben.« (Kalpaka 2004, S. 39)
Gerade bei Jugendlichen stehen im Mittelpunkt vielmehr die Interessen der »Störungsabwehr«, die Jugendliche der zweiten und dritten Generation automatisch als riskantes Potential ins Blickfeld rückt (vgl. dazu Frehsee 1998, S. 151). Zu Recht stellt Scherr in diesem Zusammenhang fest: »Jugend wird im Diskurs der Sozialpädagogik und von Teilen der Jugendforschung tendenziell als eine Problemgruppe dargestellt.« (Scherr 1997, S. 66) Auch wenn sich inzwischen vielfach um ein Umdenken bemüht wird, so erzielen selbst gut gemeinte pädagogische Maßnahmen oft das Gegenteil. Die »Interkulturelle Pädagogik« hat sich, seit den 1990er Jahren, inzwischen als eigenständiges Fachgebiet etabliert. Sie löste die »Ausländerpädagogik« ab und hat den Anspruch, Differenz wertzuschätzen und nicht als Abweichung zu interpretieren. Die Inhalte sind bisweilen so unterschiedlich wie ihre Zielgruppen. So ist es zum Teil noch immer gängige Praxis, interkulturelle Feste zu feiern und Jugendliche der zweiten und dritten Generation zu bitten, »ihre« landestypischen Speisen zu kochen oder Musik mitzubringen (vgl. Geisen 2010). Was zunächst wertschätzend und anerkennend erscheinen mag, führt in vielen Fällen jedoch dazu, dass vermeintlich kulturelle Unterschiede überhaupt erst sichtbar gemacht und in den Mittelpunkt des Interesses gerückt werden. Gefühle von Entfremdung und »Verweisung« sind die Folge (vgl. Terkessidis 2004). »Im Hinblick auf Interkulturalität geht es konkreter dann darum, empirisch die Folgen und Wirkungen einer interkulturell orientierten Sozialen Arbeit zu untersuchen und dabei der These nachzugehen, dass die Institutionalisierung der interkulturellen Perspektive eine analytische Verengung vornimmt und kulturelle Identifikationen in einem Maße verstärkt, dass neue Problem e entstehen und Konflikte verschärft werden.« (Hamburger 1999, S. 38)
Eine weitere Herangehensweise der Sozialen Arbeit, welche noch immer eine Minderheitenposition einnimmt, ist die diversitätsbewusste Soziale Arbeit 6, die sich an den Alltagswelten von Jugendlichen der zweiten und dritten Ge6 | Ähnliche Konzepte gibt es in der von Hans-Uwe Otto und Mark Schrödter im Jahr 2006 herausgegebenen Publikation »Soziale Arbeit in der Migrationsgesellschaft«.
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neration orientiert, um auf diese Weise die bisher verkannten Ressourcen und Kompetenzen einerseits sichtbar zu machen und andererseits in der sozialarbeiterischen Praxis angemessen zu nutzen. Dabei geht es um eine »reflexive Interkulturalität« (Franz Hamburger, 2009) im Sinne einer alltagsweltorientierten diversitätsbewussten Sozialen Arbeit. In diesem Konzept werden die AdressatInnen der Sozialen Arbeit und Sozialpädagogik als ExpertInnen ihres Alltags gesehen (vgl. Thiersch 2005; 2006). Auch Castro Varela hebt die Relevanz der Alltagsweltorientierung hervor: »Nur eine ressourcenorientierte Herangehensweise, die das Wissen und Können von Migranten und Migrantinnen wahrnimmt, anerkennt und fördert, wird auf Dauer Erfolge zeitigen können.« (Castro Varela 2005, S. 9)
Ähnliche Argumente finden wir bei Franz Hamburger, der auch für einen Perspektivenwechsel in der Sozialen Arbeit und Sozialpädagogik plädiert, auch wenn er von einer »Lebensweltorientierung« spricht: »Lebensweltorientierung ist die vernünftige Alternative zu den programmatischen Bezeichnungen ›Ausländerarbeit‹ und ›interkulturelle Sozialarbeit‹ [...].Sie stellt einen prinzipiellen Perspektivenwechsel dar, weil die Arbeit mit Migranten und ihren Familien und Nachkommen nicht mehr aus der Position der Einheimischen wahrgenommen wird.« (Hamburger 2004, S. 276, Herv. i.O.)
Darüber hinaus wird aktuell auch diskutiert, welche Rolle die politische Partizipation von Jugendlichen oder jungen Erwachsenen in der Sozialen Arbeit spielt. Geht die Soziale Arbeit weiterhin paternalistisch vor oder versucht sie, die Betroffenen in die politischen Auseinandersetzungen einzubeziehen? Markus Ottersbach verweist in diesem Kontext zu Recht auf die Bedeutung politischer Partizipation für die Jugendlichen vor allem in marginalisierten Stadtvierteln, diskutiert unterschiedliche Ansätze, die sich auf die Förderung politischer Partizipation marginalisierter Jugendlicher oder junger Erwachsener beziehen und plädiert für eine »(Re-)Politisierung Sozialer Arbeit« (2013, S. 148/152ff.).
1.5 S chulischer U mgang Der Ausgangspunkt des schulischen Umgangs war, anknüpfend an die Ausländerpädagogik, ebenfalls geprägt durch das Bild eines/einer falsch oder halb sozialisierten ausländischen Schülers/Schülerin. Entsprechende schulische Maßnahmen wurden in erster Linie dafür konzipiert, die angenommenen De-
Umgang mit Jugendlichen der zweiten und dritten Generation
fizite zu kompensieren und entstanden als eine Art Notfallreaktion auf den Zuzug von Gastarbeiterkindern. Auch hier ist historisch eine Tendenz zur Ethnisierung, Stigmatisierung und Problematisierung erkennbar: »Täglich werden wir mit den Schulproblemen der ausländischen Kinder konfrontiert […] Tatsächlich stellt der ständig anhaltende Nachzug ausländischer Kinder, der sich über das ganze Schuljahr erstreckt, die Schule, die Lehrer und damit auch die Kinder vor zum Teil nicht zu bewältigende Probleme.« (Vogel 1981, S. 19)
Dass die Kultur- bzw. Modernitätsdifferenzhypothese kein neues Phänomen im schulischen Alltag darstellt, sondern eine historische Kontinuität aufweist, zeigen die folgenden Bilder von SchülerInnen zu Beginn der 1970er Jahre. In einer Mainzer Hauptschule wurden Schüler des 8. Schuljahrs um ihre Meinung zur Lebenssituation der Gastarbeiter gebeten. Hier ein paar Auszüge: »Heike: ›Man stellt die Gastarbeiter (Italiener) meistens in Intimitäten den Schweinen gleich. Was auch wahr ist. Wenn ich abends mal mit meiner Mutter Schaufenster gucken gehe, da ist der erste, der uns anpflaumt, ein Gastarbeiter. Weil die glauben, jede Frau, die abends auf der Straße ist, sei ein Vogel. Es gibt nur einen geringen Teil der Gastarbeiter, der eigentlich dankbar wäre, wenn man sie zivilisieren würde.‹« (Ney 1972, S. 158) »Astrid: ›Gastarbeiter sind selbst schuld an ihrem schlechten Ruf. In der Gegend von Mainz wurden zwei Wohnhäuser gebaut. In das eine zogen Deutsche, in das andere Gastarbeiter. Nach einem viertel Jahr wollte die Bauleitung sie sich ansehen. Das Haus der Deutschen war in Ordnung. Das der Gastarbeiter sah aus, als wäre es vor dem Zweiten Weltkrieg erbaut worden.‹« (Ebd., S. 159) »Monika: ›Sie sind frech und vorlaut. Meistens arbeiten sie als Maurer, Bauarbeiter oder Fensterputzer. In der Freizeit bummeln sie durch das Städtchen und pfeifen allen Mädchen nach. Abends gehen sie in ihre Baracke und denken an ihre Familie. Jeden Monat schicken sie ihren Familien das Geld nach Hause. In den Zeitungsberichten und im Fernsehen wird gezeigt, dass die Gastarbeiter Faulenzer sind; sie wollen nur das Geld einstecken. Ich persönlich würde nie einen Gastarbeiter heiraten.‹« (Ebd.)
An dieser Vorstellung hat sich bis heute, so scheint es, vielfach nichts geändert.7 Trotz mehrerer Jahrzehnte an Praxiserfahrung führen ausländische Kinder noch immer zu unüberwindbaren Problemen und gefährden den Bildungserfolg der lernwilligen Kinder in den Klassen. Wenn es trotzdem gut 7 | Ausführlich zum Thema Schule in der Einwanderungsgesellschaft siehe das von Rudolf Leiprecht und Anne Kerber herausgegebene Handbuch (2005).
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läuft, wird dies in erster Linie dem engagierten Lehrpersonal zugeschrieben, das eine solche katastrophale Situation gemeistert hat. In einem offenen Brief des Lehrerkollegiums einer Grundschule in Berlin werden die gravierenden Missstände an der Grundschule beschrieben. Es gebe manche Klassen, in denen sich etwa 20 Prozent SchülerInnen ohne Deutschkenntnisse befinden: »Seit August 2011 stellen wir einen ständigen Zuzug von Familien aus dem südosteuropäischen Raum (Bulgarien, Rumänien, Griechenland) und z.T. auch aus Polen und der Tschechischen Republik fest. […] Eine vernünftige Zusammenarbeit mit Eltern ist sehr oft nicht möglich, da diese selber keine Deutschkenntnisse besitzen bzw. z.T. Analphabeten sind. Somit werden Termine nicht wahrgenommen, Telefonate scheitern an mangelnden Sprachkenntnissen. Kommunikation findet somit mit den für die Erziehung ihrer Kinder Hauptverantwortlichen nicht oder in viel zu geringem Umfang statt. Findet sie statt, stößt man bei Eltern oft auf Aggressivität und Unverständnis. Die Schule soll die Probleme lösen, die Eltern selber nicht lösen können. […]
Wir wollen außerdem erwähnen, dass der Schulalltag durch die genannten Ursachen immer schwieriger wird. Schüler verstehen Anweisungen und Regeln nicht, können sie daher auch nicht befolgen. Somit können für alle Beteiligten gefährliche Situationen entstehen. Lehrkräfte bzw. deren Anweisungen werden ignoriert, die Gewaltbereitschaft wächst, weil unsere Form der Kommunikation, nämlich die deutsche Sprache, nicht zur Verfügung steht. Es wachsen in den Klassen die Aggressivität, die Respektlosigkeit und die Ignoranz. Darunter leiden die Schülerinnen und Schüler, die nicht verhaltensauffällig und lernbereit sind. Schule muss für diese Kinder so zur Belastung werden. Aber gerade diese Kinder sind es, die Förderung verdienen, die wir ihnen nicht in dem wünschenswerten Ausmaß geben können.« (GEW Berlin vom 19. Januar 2012) Generelle Strukturprobleme des Bildungssystems wie Personalmangel, überfüllte Klassen oder eine schlechte Ausbildung der Lehrkräfte werden gerne in Zusammenhang mit SchülerInnen aus Migrationsfamilien gebracht. Und nicht nur das – sie behindern auch den Lernerfolg »normaler« SchülerInnen. Ebenfalls historisch kontinuierlich nachweisbar ist die monolinguale Orientierung des deutschen Schulwesens (vgl. Gogolin 2008). Obwohl es immer mehr Studien gibt, die die Bedeutung der Mehrsprachigkeit hervorheben, ist diese Thematik im pädagogischen und vor allem schulischen Kontext im Allgemeinen auf wenig Resonanz gestoßen. Das monolinguale, nationalstaatlich verfasste Selbstverständnis, das sich im 19. Jahrhundert herausgebildet hatte, hat seine Spuren hinterlassen, die bis in die heutigen Bildungsdebatten hineinreichen. Die folgende Aussage einer Lehrerin in einer Berliner Schule bringt dieses nationale Selbstverständnis deutlich zum Ausdruck: »Ihr sprecht
Umgang mit Jugendlichen der zweiten und dritten Generation
Türkisch, ihr bleibt unter euch, kauft nur in türkischen Geschäften – da kann die Integration doch nicht funktionieren.« (Zitiert nach Sunier 2002, S. 150) Die Annahme, dass Einsprachigkeit bzw. »Deutschsprachigkeit« den Idealfall darstellt, hat sich über die Jahre konsequent fortgeschrieben. Immer wieder geraten Schulen in den medialen Interessenfokus, die in ihrer Schulordnung das Sprechen mehrerer Sprachen verbieten: »Deutschpflicht auf dem Schulhof. Deutsch macht friedlich.« (Online-Ausgabe der Süddeutschen Zeitung vom 14. Oktober 2010) Auch die Politik widmet sich wiederkehrend dem Thema »Deutsch auf dem Schulhof« und löst damit regelmäßig heftige Debatten aus. Paradoxerweise ist zwar das Erlernen und Sprechen mehrerer Sprachen ein erstrebenswertes Bildungsziel, die lebensweltlich erzeugte Zweisprachigkeit durch Jugendliche der zweiten und dritten Generation, gerade im Schulkontext, jedoch ein Problem. An dieser Stelle wird die gravierende, weit verbreitete Sprachhierarchie deutlich – kaum jemand würde eine deutsch-englische Bilingualität als problematisch einstufen. Hingegen wird beispielsweise der Gebrauch der türkischen Sprache oft als ein Akt des Rückzugs aus der deutschen Gesellschaft und als ethnische Segregation gesehen. Türkisch zu sprechen sei ein Zeichen fehlender Integrationsbereitschaft, die eigene Fremdheit werde inszeniert und damit Integrationsbemühungen konterkariert. In Fachkreisen herrscht weitgehend Einigkeit, dass Mehrsprachigkeit in einer zunehmend globalisierten Welt eine anzuerkennende Kompetenz und wichtige Ressource ist (vgl. Gogolin 2008; Roth 2002. Trotzdem dominiert im schulischen und pädagogischen Alltag weiterhin eine defizitorientierte Perspektive. Diese Praxis ist im hohen Maße widersprüchlich, denn Studien belegen, dass Mehrsprachigkeit von SchülerInnen keine negativen Einflüsse auf deren Schulerfolg hat. So zeigt die DESI-Studie, dass Mehrsprachigkeit im Gegenteil sogar einen positiven Einfluss auf das Erlernen weiterer Fremdsprachen wie zum Beispiel Englisch haben kann. NeuntklässlerInnen, die außerhalb der Schule ihre Familiensprache und Deutsch benutzen, schneiden in Englischtests besser ab als ihre einsprachigen KlassenkameradInnen (vgl. Hesse/Göbel 2009). Immer wieder wird zudem von wissenschaftlicher Seite darauf hingewiesen, dass Schule kein diskriminierungsfreier Raum ist und sich institutionelle Diskriminierungsmechanismen etabliert haben (vgl. Gomolla/Radtke 2002). Interessant erscheint, dass solche Ausschlussmechanismen durch kulturalistische bzw. kulturrassistische Argumente legitimiert werden, wie die folgende Interviewpassage verdeutlicht. Eine Lehrerin in einer Berliner Schule äußert sich wie folgt: »[…] Die türkischen Eltern unserer Schüler werfen ihre Kinder ohne Begleitung ins deutsche Schulsystem. Besonders an türkischen Jungen werden oft so irreale Anforderungen von Seiten der Eltern gestellt, dass manche daran zu zerbrechen drohen. Dieser
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Hybride Alltagswelten Druck produziert natürlich bei ihnen Verhaltensweisen, die von uns als sehr unangenehm empfunden werden – Erreichung von Zensuren und Abschlüssen mit allen Mitteln von Täuschungsversuchen, ›Schleimen‹ bis hin zu offenen Drohungen; letztere glücklicherweise sehr selten. Der türkische Elternverein versagt meiner Meinung nach völlig.« (Zitiert nach Mannitz 2002, S. 195, Herv. i. O.)
Den schulischen Alltag haben ethnische Diskurse durchdrungen und produzieren fortwährend ethnisch sortierte Zuweisungen (vgl. Gomolla/Radtke 2002). Die PISA- und die IGLU-Studie zeichnen ein erschreckendes Bild: Es scheint, als habe sich in den letzten 30 Jahren eine, implizite oder explizite, ethnische Bildungsselektion etabliert, die so weit reicht, dass man von einer Unterschichtung des Bildungssystems durch SchülerInnen aus Migrationsfamilien sprechen kann. Sie sind an Förderschulen über- und an Gymnasien unterrepräsentiert. Dieses Phänomen trifft Kinder und Jugendliche der zweiten und dritten Generation in besonderer Weise (vgl. Granato/Kristen 2004). Das Schulsystem in seiner heutigen Form orientiert sich in erster Linie an der »Normalfamilie«, idealerweise mit akademischem Hintergrund. Ungleiche Ausgangsbedingungen zum Schulbeginn werden in diesem Zuge weder reflektiert noch abgebaut, sondern gar verstärkt. Vielmehr wird mit Vehemenz auf die Verantwortung der Eltern verwiesen, deren Aufgabe es sei, ihre Kinder zu fördern und das auszugleichen, was die Schule nicht leistet. Regelmäßig wird dabei Eltern ein Desinteresse an der Bildungssituation ihrer Kinder unterstellt, was letztlich dazu führt, dass beim Übergang in die Sekundarstufe I bei gleicher Leistung signifikant öfter eine Haupt- oder Realschulempfehlung ausgesprochen wird (vgl. Gomolla/Radtke 2002). Welche Rolle die Kulturdifferenz »Erziehung« bei solchen Entscheidungen spielt, zeigt die folgende Aussage einer Lehrerin in einer Grundschule in Bielefeld: »Also, ich will da mal eine Prognose wagen, die ich schon von ganz vielen Kolleginnen gehört habe. Ich glaube tatsächlich, dass das Erziehungsverhalten gerade türkischer Familien bezogen auf ihre Söhne ein ganz spezielles ist. Und ich will da wirklich nur sagen – es ist ein Erklärungsmodell –, dass sie also einfach ihren Söhnen unglaublich viel gestatten, was so Freiheit anbetrifft, und die diese Freiheit auch in der Schule total ummünzen. Also in türkischen Familien, das ist mir so dargestellt worden, ich habe ja auch nicht so tiefe Einblicke, ist es tatsächlich so, dass der Junge Pascha ist. Und wenn er dann auch noch viele Mädchengeschwister hat, potenziert sich das Ganze. Und er verhält sich in der Schule eben oft ganz genauso.« (Zitiert nach ebd., S. 148)
Die Lehrerin erzählt weiter: »Dann kommt noch das Temperament dazu, das ja häufig bei den Kindern auch in anderer Weise sich darstellt und – also das ganze Umgehen mit der Wirklichkeit. Also ›Kann
Umgang mit Jugendlichen der zweiten und dritten Generation ich nicht!‹ […] heißt bei Christian, er schmeißt das Buch auf den Tisch und haut einmal drauf. Das heißt bei Bayram aber, dass er das Buch einem anderen an den Kopf haut und sich natürlich selber dabei belastet. Es macht ihm ja auch nicht unbedingt Spaß dann hinterher derjenige zu sein, der das große Gespräch mit mir führen muss und irgendwie Sanktionen angedroht bekommt. Aber, er muss einfach viel häufiger diese Dinge auch wieder verarbeiten. Und das wirkt sich ja auch hinderlich auf seinen Lernweg aus.« (Zitiert nach ebd.)
Diese Aussage ist ein Beleg dafür, wie selbstverständlich kulturalisierende und ethnisierende Wissensbestände im Bildungskontext als Deutungsressource fungieren, wie Kulturrassismus zur Routine wird (vgl. Gomolla 2005, S. 99ff.).8 Wie die Ergebnisse der Studie von Gomolla und Radtke (2002) genau belegen, lassen sich die Ungleichheitsverhältnisse also nicht auf die Eigenschaften von MigrantInnen oder auf ihre migrationsbedingten Probleme reduzieren, sondern werden in der Organisation selbst erzeugt. »Mechanismen ›institutioneller Diskriminierung‹ (Herv. i. O.) konterkarieren pädagogische Bemühungen, weil sie als heimlicher Lehrplan wirksam sind«, so Georg Auernheimer (2004, S. 22). Zum einen wird bei Kindern und Jugendlichen der zweiten und dritten Generation zur Begründung von umfassendem Lernversagen mehrfach auf negative ethnisch-kulturelle Zuschreibungen zurückgegriffen. Zum anderen fungieren die psychologischen Auswirkungen von Fremdheit und Migration in den Gutachten als Indikatoren für eine generalisierte Lernstörung. Darüber hinaus wird bei Lernproblemen jener SchülerInnen mehrfach die kulturelle Segregation der Migrantenfamilien als Erklärung herangezogen. Die Mechanismen der Diskriminierung können auch als Ethnisierung sozialer Konflikte verstanden werden (vgl. Bukow/Llaryora 1998). Regina Römhild (2007, S. 161) spricht in diesem Kontext von einer »institutionalisierten Ethnisierung«. Diese Mechanismen institutioneller Diskriminierung direkter oder indirekter Art reproduzieren die bestehenden Machtverhältnisse und die bestehende Sozialordnung: »Die Schule ist beteiligt an der sozialen Hervorbringung und Konstruktion ethnischer Differenz, personifiziert in der Gestalt des ›Ausländers‹/des ›Fremden‹/des ›Migranten‹, die sich zu einer ethnischen Ordnung verdichtet.« (Gomolla/Radtke 2002, S. 266, Herv. i. O.)
Auch die Ergebnisse der qualitativ ausgerichteten empirischen Studie von Martina Weber (2003), die sie in der Oberstufe eines Gymnasiums durchge8 | Stuart Hall spricht in diesem Zusammenhang vom »impliziten Rassismus« (2001, S. 165).
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führt hat, zeigen überdeutlich, dass die SchülerInnen der zweiten und dritten Generation von der negativen Wirkung institutioneller Diskriminierung im Schulalltag in besonderer Weise betroffen sind. Darüber hinaus beleuchtet die Studie, wie und in welcher Weise Vergeschlechtlichungs- und Ethnisierungsprozesse miteinander verknüpft werden und wie auf diese Weise die soziale Ungleichheit im schulischen Kontext reproduziert und verfestigt wird. Zwar finden sich immer wieder erfolgreiche Bildungskarrieren bei Kindern und Jugendlichen, die aus Migrationsfamilien stammen, trotzdem ist eine erhebliche Anzahl weiterhin strukturell benachteiligt (Hummrich/Helsper 2004). Sie werden häufiger bei der Einschulung zurückgestuft, wiederholen häufiger Klassen und erleben häufiger Wechsel auf niedrigere Schulformen (vgl. Konsortium Bildungsberichterstattung 2006). Diese Tatsache bleibt nicht ohne Folgen: Misserfolge und Rückschläge sind vorprogrammiert, SchülerInnen wenden sich frustriert vom Bildungssystem ab und suchen nach Alternativen. Man kann also zusammenfassen, dass das Schulsystem die Lebensrealität junger Menschen, ob mit oder ohne Migrationshintergrund, systematisch ignoriert und eine dringend überfällige Anerkennung verweigert. Dies muss nicht so sein, wie verschiedene Forschungsergebnisse aus europäischen Vergleichsstudien belegen. So zeigen Rainer Domisch und Anne Klein (2012), dass beispielsweise in Finnland das Schulsystem ganz anders organisiert ist. Die finnische Bildungsstruktur ist alltagsweltorientiert, geht von Bedürfnissen bzw. Lebenswirklichkeiten der Lernenden aus und versucht, die Alltagswelten von SchülerInnen und gesellschaftlichen Bedingungen miteinander zu verknüpfen. Diese reflexive Korrespondenz zwischen Lebenswirklichkeiten von Lernenden und schulischer Bildungsnormalität erscheint im deutschen Schulwesen immer noch als eine Utopie. »Eine staatliche Bildungspolitik, die Chancengleichheit herstellt, ist keine Utopie, sondern eine realistische Möglichkeit«, so Domisch und Klein (Domisch/Klein 2012, S. 8). Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass wir ein radikales Umdenken im Bildungsbereich benötigen. Nicht die SchülerInnen sind das Problem und die Ursache der Bildungsmisere, sondern vielmehr das nationale Selbstverständnis und die nicht reflektierten institutionellen Diskriminierungsformen. Darüber hinaus erscheint es dringend notwendig, einerseits die Grundprämisse der Interkulturellen Bildung kritisch zu hinterfragen und sich andererseits mit deren eher kontraproduktiv wirkenden Nebeneffekten auseinanderzusetzen, eine Art kritisch reflektierte Interkulturalität (vgl. Hamburger 2009, S. 127ff.). Dies erfordert auch eine gewisse Selbstreflexion des Lehrpersonals über eigene kulturelle Normalitätsvorstellungen. Ein solches radikales Umdenken verlangt ein anderes Bildungsverständnis, ein Verständnis, das sich an den Lebenswirklichkeiten der SchülerInnen orientiert und ihre Bedürfnisse in die Gestaltung von Bildung einbezieht. Dieses Umdenken begründet eine diversitätsorientierte Perspektive im Bildungskontext.
Umgang mit Jugendlichen der zweiten und dritten Generation
1.6 M igr ation in den kl assischen E inwanderungsl ändern : B eispiel K anada Die bisherigen Ausführungen zeigen, dass in der Bundesrepublik Deutschland im Umgang mit MigrantInnen und deren Nachkommen bis heute eine gewisse Kontinuität erkennbar ist. Auch wenn es immer wieder Anstöße gab, eine emanzipatorische Migrationspolitik – ähnlich wie in den klassischen Einwanderungsländern USA, Kanada oder Australien – zu betreiben, die die binäre Konstruktion zwischen »einheimischen« und »migrantischen« Bevölkerungsgruppen radikal in Frage stellt, eine rechtliche Gleichstellung aller Bürgerinnen und Bürger zum Ziel hat und gleiche Chancen für alle gewährleistet, wurden MigrantInnen politisch mehr oder weniger ignoriert. Stattdessen wurden kosmetische Korrekturen vorgenommen, die eher kontraproduktiv gewirkt haben. Ein radikales Umdenken scheint aber immer noch nicht in Sicht zu sein, wenn man die aktuellen öffentlichen Debatten Revue passieren lässt. Statt eine gesellschaftspolitisch fundierte, demokratietheore tisch begründete, zukunftsorientierte und übergreifende Migrationspolitik zu entwickeln, werden MigrantInnen und deren Nachkommen immer noch nicht als Bestandteil der Gesellschaft wahrgenommen. Stattdessen werden sie weiterhin einer Sonderbehandlung unterzogen. Auch wenn hier keine vergleichende Analyse intendiert ist, drängt sich dennoch die Frage auf, ob die Bundesrepublik Deutschland von den Erfahrungen im Umgang mit Migration in den klassischen Einwanderungsländern lernen kann (vgl. Hahn 2007). Da die ausführliche Behandlung dieser Thematik den Rahmen meiner Arbeit überschreiten würde, werde ich in diesem Abschnitt versuchen, ein paar Aspekte aufzugreifen, die für die Einwanderungspolitik der klassischen Einwanderungsländer von Beginn an konstitutiv waren, Aspekte, die im deutschen Kontext dagegen bis heute kaum eine Rolle gespielt haben. Exemplarisch dazu werde ich an dem inklusiven Modell Toronto in Kanada zeigen, dass es auch anders geht, wenn es politisch erwünscht ist. Im Vergleich fällt zunächst auf, dass ein ethnisch zentriertes Nationsverständnis, das den Umgang mit Migration im deutschsprachigen Raum geprägt hat, in den klassischen Einwanderungsländern in dieser exklusiven Form kaum bekannt ist. In diesen Ländern wurde von Beginn an eine Einwanderungspolitik betrieben, die inklusiv ausgerichtet war. Alle Einwanderer und Einwanderinnen bekamen direkt die Staatsbürgerschaft und wurden zumindest formal mit den restlichen Bevölkerungsgruppen gleichgestellt. Sie hatten daher von Anfang an potentiell die Möglichkeit, an der Gestaltung der Gesellschaft mitzuwirken. Der bekannte Satz »Amerikaner wird man, Deutscher
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ist man« bringt diese gesellschaftspolitische Grundhaltung überdeutlich zum Ausdruck.9 Der Begriff der »zweiten« und »dritten« Migrantengeneration, die ich in meiner Arbeit eher strategisch verwende, um zu zeigen, dass sie nicht erst seit gestern da sind, ist in den klassischen Einwanderungsländern nicht üblich und auch nicht nachvollziehbar. Nach dem inklusiven Nationsverständnis wird von Menschen, die einwandern, keine kulturelle Integration verlangt, was in der Bundesrepublik Deutschland bis heute zur Einwanderungsnormalität gehört. Was verlangt wird, ist die Anerkennung formal-demokratischer Strukturen, die für alle Gültigkeit besitzen. Eine Sonderbehandlung in dieser Hinsicht ist nicht vorgesehen.10 Die klassischen Einwanderungsländer wie beispielsweise USA, Kanada oder Australien haben neben der formalen Gleichstellung der Eingewanderten mit den einheimischen Bevölkerungsgruppen auch Konzepte erarbeitet, die sich auf Multikulturalität oder Diversität beziehen, wobei diese Diskussion im Vergleich zu Deutschland sehr früh begann und völlig anders geführt wurde. Auch wenn hier an einen differenzierten Vergleich nicht gedacht ist, könnte die Bundesrepublik Deutschland – trotz aller möglichen Differenzen – den Multikulturalitätskonzepten in diesen Ländern einiges abgewinnen. Beispielsweise wurde in Kanada ein Gesetz erlassen, welches den Multikulturalismus in den Mittelpunkt stellt, Differenzen jeglicher Art eher positiv wahrnimmt. Demnach geht es nicht um die Kategorie des »Entweder/oder«, sondern des »Sowohl/als auch« (vgl. Steiner-Khamsi 1990, S. 283ff.). Auch in Australien wurde nach einer langen und kontroversen Debatte im Jahre 1982 ein Multikulturalismuskonzept verabschiedet, in dem Vielfalt als ein fester Bestandteil der australischen Gesellschaft definiert wurde (vgl. Castles 1990, S. 55).
Toronto: Migration als Ressource der Stadtentwicklung Nachdem ich oben kurz die Grundhaltung der Einwanderungspolitiken in den klassischen Einwanderungsländern skizziert habe, möchte ich im Folgenden die Eckpunkte des Stadtentwicklungsmodells Torontos in Kanada als ein 9 | Auch wenn Anette Treibel eher die assimilativen Tendenzen der Einwanderungspolitik in den klassischen Einwanderungsländern in ihren Ausführungen hervorhebt, möchte ich hier eher die positiven Wirkungen des inklusiven Nationsverständnisses in den Mittelpunkt rücken (vgl. Treibel 1990: 53ff.). 10 | Im europäischen Kontext war beispielsweise Schweden im Umgang mit Migration konsequenter und verfolgte von Anfang an eine Gleichstellungspolitik. Es gab auch Länder wie die Niederlande, die im Nachhinein die faktisch vollzogene Einwanderung anerkannt, daraus politische Konsequenzen gezogen haben und punktuell die Demokratisierung der Gesellschaft vorantrieben (vgl. Bukow 1989).
Umgang mit Jugendlichen der zweiten und dritten Generation
bewährtes Konzept beschreiben, um zu zeigen, dass es auch anders geht. Es handelt sich um eine Stadt, die in ihrem Grundverständnis die Phänomene »Migration« und »Diversität« als wesentliche Ressourcen für Stadtentwicklung ansieht. Wie ich bereits erwähnt habe, gilt Kanada als das erste Land, das die Idee der kulturellen Diversität in den 1980er Jahren in die kanadische Verfassung aufgenommen hatte. Die kulturelle Vielfalt in jeder Hinsicht gilt seither als ein integrativer Bestandteil der kanadischen Identität (vgl. die Studie vom Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung 2012). Nach diesem Grundverständnis wird kulturelle Diversität prinzipiell positiv bewertet und ihr Beitrag zur gesellschaftlichen Entwicklung gezielt hervorgehoben, wobei das Bekenntnis zur kanadischen Verfassung als übergreifendes Grundprinzip von allen erwartet wird: »Das Recht auf kulturelle Differenz und Pflege der eigenen Kultur sowie das Prinzip der gegenseitigen Toleranz der als gleichwertig zu behandelnden Kulturen sind weitere Eckpfeiler. […] Das Bekenntnis und die Pflege der eigenen Kultur sollen demnach immer nur in Ergänzung zum Bekenntnis zum kanadischen Gesellschaftssystem und zum Annehmen einer kanadischen Identität erfolgen.« (Ipsen et al. 2005, S. 8)
Dass die Stadt Toronto die kulturelle Diversität zu ihrem Grundverständnis erhoben hat, kann man erst vor diesem historischen Hintergrund nachvollziehen. Die Stadtpolitik Torontos versteht sich als eine lokale Übersetzung der Bundespolitik, in der Vielfalt als Ressource betrachtet wird. Das Motto der Stadt seit 1998 lautet: »Vielfalt ist unsere Stärke« (diversity our strength), wobei damit nicht nur migrationsbedingte Diversität gemeint ist, sondern alle Formen von Vielfalt. Dabei gehe es um Gleichberechtigung für alle Personen, die in der Stadt leben, ohne Rücksicht auf Abstammung, Herkunft usw. (vgl. ebd., S. 9). Im Gegensatz zu den einzelnen Städten in der Bundesrepublik Deutschland, in denen weiterhin eine ethnisch-nationale Integrationspolitik betrieben wird, geht es nach diesem Verständnis um die Begründung einer proaktiven und pragmatischen Stadtentwicklungspolitik, die den globalen Entwicklungen gerecht werden soll, wie die folgende Passage deutlich macht: »Unsere Vielfalt ist ein nationaler Gewinn. Neue technologische Entwicklungen haben internationale Kommunikation wichtiger denn je werden lassen. Kanadier, die viele Sprachen sprechen und viele Kulturen verstehen, erleichtern es Kanada, weltweit in Feldern wie Bildung, Handel und Diplomatie aktiv zu sein.« (Department of Canadian Heritage 2005, zitiert nach ebd., S. 25)
So besteht die Stadt Toronto aus kulturell geprägten Stadträumen, die als »kulturelle Cluster« bezeichnet werden wie beispielsweise Little Italy, Chinatown,
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GreekTown oder Koreatown. Dabei handelt es sich um kulturelle Cluster, die sich in Bezug auf ihre historische Entstehung, räumliche Ausdehnung und Zusammensetzung voneinander unterscheiden (vgl. ebd., S. 33). Interessant erscheint in diesem Kontext, dass diese Gruppen ihre so genannte Herkunftskultur neu erfinden, interpretieren und in die lokale Alltagspraxis übersetzen. Ein weiterer Punkt ist, dass diese kulturellen Cluster nicht wie in der Bundesrepublik Deutschland als »Parallelgesellschaft« definiert und abgewertet, sondern wesentliche und wichtige Bestandteile des urbanen Raumes bilden. Sie sind vielmehr gar Touristenmagnete und werden als positive Beispiele für Zuwanderung hervorgehoben.
2. Jugendliche im Abseits: Wir und die Anderen
Das Etikett Migration Um die Lebenswirklichkeiten von Jugendlichen und jungen Erwachsenen der zweiten und dritten Generation zu beschreiben und zu analysieren, wurden, je nach Phase und Fragestellung, immer wieder neue Begriffe und Kategorien erfunden. In den letzten Jahren hat sich im öffentlichen Diskurs die Benennung »Jugendliche mit Migrationshintergrund« durchgesetzt, obwohl diese Bezeichnung kaum die Lebensrealität der Jugendlichen und jungen Erwachsenen abbildet. Darüber hinaus sind mit dieser Kategorie insbesondere im Alltagsverständnis nicht alle Jugendlichen und jungen Erwachsenen gemeint, deren Eltern oder Großeltern als Einwanderer nach Deutschland kamen, sondern diejenigen, deren Eltern oder Großeltern aus nichteuropäischen Ländern stammen. Die bisherigen Erfahrungen zeigen, dass diese Benennungspraxis ein (weiteres) Differenzdenken etabliert hat, das eher kontraproduktiv wirkt und sogar Gegenreaktionen seitens der Jugendlichen und jungen Erwachsenen hervorruft. Das Etikett »Migrationshintergrund«, auch wenn es im wissenschaftlichen Kontext positiv assoziiert wird, verdeckt, dass der Ausländerstatus von der zweiten und dritten Generation im Wesentlichen geerbt wurde. Der einzige gemeinsame Nenner, den diese Jugendlichen aufweisen, scheint die Tatsache zu sein, dass sie in Deutschland geboren und aufgewachsen sind und ihre Eltern oder Großeltern GastarbeiterInnen bzw. EinwandererInnen waren. Der Ausländerstatus und damit die rechtliche Sonderbehandlung dieser Gruppe hat weitreichende Konsequenzen für deren öffentliche Wahrnehmung und Verortungspraktiken, wie die von mir geführten Interviews demonstrieren.
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2.1 J ugend , M igr ation und I dentität Wenn man sich Jugendlichen der zweiten und dritten Generation und den dahinterstehenden Diskursen nähern will, stößt man automatisch auf eine Reihe von Begrifflichkeiten, die unhinterfragt und oft gefüllt mit einem Alltagsverständnis, genutzt werden. Im Zusammenhang mit Migration ist das Konstrukt der Identität eine zentrale Begrifflichkeit. Wir hören von Identitätskonflikten, widersprüchlichen Identitäten und ethnischen Identitäten. Ethnisierungsprozesse haben immer auch etwas mit einem Verständnis von Identität zu tun, welches in der Regel eher starr und normativ aufgeladen verwendet wird. Im Gegensatz zum Alltagsverständnis ist anzunehmen, dass die große Varianz der Kontexte, denen wir angehören, es unmöglich macht, dass wir auf ein einheitliches Selbstkonzept fixiert und reduziert werden können. Auf Grund eines zunehmenden sozialen Anpassungsdrucks und erhöhten sozialen Anforderungen ist eine Beweglichkeit der eigenen Identität unabdingbar. Identität kann also nicht als etwas Einheitliches und Abgeschlossenes betrachtet werden. Wir finden eine Situation vor, in der jeder/jede Einzelne zunehmend aus einem breiten Spektrum an Möglichkeiten wählen kann. Historisch verankerte Sozialformen haben an Verbindlichkeit verloren, übergreifende Sinnsetzungen verflüchtigen sich in zunehmendem Maße. Der Entwurf einer eigenen Identität liegt immer mehr in der Verantwortung jedes/jeder Einzelnen. Identität muss, je nach Kontext, erzeugt werden. Der Prozess der Identitätsbildung ist stets dynamisch und orientiert sich an den jeweiligen Lebenskontexten, in denen wir uns bewegen. Es gibt verschiedene soziale Verortungen, Gruppenzugehörigkeiten und Milieus. Verschiedene gesellschaftliche Systeme, Familie, Freunde, Bekannte. Arbeitsstelle, Vereine und Parteien. Die Liste könnte man unendlich fortsetzen. Wir gehören also immer zugleich unterschiedlichen Subsystemen an, die jeweils verschiedene Anforderungen mit sich bringen. Wir agieren »als Mitglied verschiedenster sozialer Gruppen und Netzwerke, denen [...] eine breite Palette an Identifikationsangeboten zur Verfügung [steht] aus der sie und er je nach Kontext und Situation mehr oder weniger freiwillig ›auswählt‹ und seine, bzw. ihre ›multiple Identität komponiert‹« (Wodak/de Cilia/Kargl 1998, S. 59, Herv. i. O.)
Transnationale Identifikationen Migrationsbewegungen sind in der heutigen Zeit nicht mehr als einmaliger und einseitiger Prozess zu verstehen. Auf Migration folgt nicht zwangsläufig eine lebenslange Sesshaftigkeit. Menschen wandern aus verschiedenen Motiven und mit verschiedenen Zielen: für ein Auslandssemester, für ein Praktikum, für die Pflege von Angehörigen, für ein Jahr Work and Travel, für die Ausbildung, für eine Heirat, sie flüchten, suchen Arbeit oder persönliches
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Glück. Menschen pendeln, leben zugleich an mehreren oder seriell an verschiedenen Orten (vgl. dazu Hollert/Terkessidis 2006). Mobilität artikuliert sich immer häufiger eben nicht als eine auf einen spezifischen Ort fixierte Bewegung im Raum, sondern als permanente oder wiederholte Bewegungen. Migration ist längst nicht mehr verbunden mit einem Abbruch sozialer Beziehungen im Herkunftsland. Vielmehr werden differente Arten von Zugehörigkeiten entwickelt und Netzwerke gesponnen, für die Staatsgrenzen keine Rolle spielen (vgl. Pries 1997). Einen wichtigen Pfeiler bilden hier mannigfaltige technische Möglichkeiten: Soziale Online-Netzwerke, Skype, Telefon-Flatrates und Billigflug-Airlines haben die alltägliche Aufrechterhaltung sozialer Bezüge über weite Distanzen vereinfacht. Infolgedessen bilden sich vermehrt transnationale Zwischenräume, welche sich nicht mehr eindeutigen ethnischen oder nationalstaatlichen Kategorien zuordnen lassen. Es kann von »sich öffnenden« Räumen gesprochen werden. Diese Öffnung der Orte betrifft dabei ausdrücklich nicht nur zugewanderte Menschen, sondern ist ein gesamtgesellschaftliches Phänomen und zeichnet die globalisierte Wirklichkeit aus. Hierzu ist nicht einmal eine aktive Partizipation notwendig.
Transnationale Realitäten: »Dazwischen« »Dazwischen« zu sein ist in der Gegenwart eine Alltagsnormalität. Die deutsche Gesellschaft ist geprägt durch Migration und migrationsbedingte Diversität. Im globalisierten Alltag sind wir ständig mit Elementen konfrontiert, die nicht lokal definierbar sind, also in einem weltweiten Kommunikationszusammenhang stehen, die unsere Verortungsprozesse und Zukunftsvisionen beeinflussen. Dennoch wird das Bild des Jugendlichen der zweiten und dritten Generation in Deutschland von Klischees geprägt. Wenn Jugendliche und junge Erwachsene sich unter schwierigen Lebensbedingungen zu positionieren versuchen, dann meistens unter dem Vorzeichen ihrer Herkunft und vor dem Hintergrund ihrer Lebensweise im ›Dazwischen‹. Diese Verortung im ›Dazwischen‹ kann auch die Alltagspraxis, die Interaktion und die Wahrnehmung bestimmen. Diese transnationale Positionierung wird zur Ressource, um Zugehörigkeiten, Verbindungen zu gestalten. Dabei überlagern und überlappen sich verschiedene Praktiken, Erfahrungswelten und Interpretationshorizonte. Sie werden im lokalen Kontext, im Rahmen der Migrationserfahrung, der Herkunftsfamilie, der Jugendgruppe, aber auch in Ausbildungs- und Berufszusammenhängen miteinander verknüpft und neu interpretiert. Diese neuartige Verortungspraxis, die sowohl von Globalität als auch Lokalität geprägt ist, stellt die Metaphysik der Sesshaftigkeit, der nationalen Herkunft und damit die eindimensionalen Zugehörigkeitskonzepte radikal in Frage. Migration geht über die existierenden Vorstellungen vom Mobilsein und Zusammenleben hinaus, die auf Sesshaftigkeit basieren (vgl. von Osten 2007, S. 177). »Migranten wer-
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den so zu Protagonisten der Enträumlichung von Kulturen und sozialen Beziehungen, der Entbindung aus der Exklusivität des Lokalen«, so Regina Römhild (2007, S. 215). Und weiter: »Mit der Selbst-Eingliederung in transnationalen Szenen und Netzwerke, der Imagination sozialer und kultureller Räume jenseits der Grenzen der Einwanderungsgesellschaft weisen Migranten die ethnonationale Frage nach Herkunft und Zugehörigkeit zurück – und entwickeln eigene Antworten darauf.« (Ebd., S. 174)
Die Selbstdefinition als Kategorie der Differenzkonstruktion ist mit gemeinsamen Erfahrungen im Stadtteil, im schulischen Kontext und in der Freizeit verbunden. Jugendliche entwickeln besondere Kompetenzen, um die verschiedenen Lebenskontexte zu bewerten und sich dann individuell anzueignen. Dabei geht es auf der einen Seite um soziale Lagen, ökonomische, politische und kulturelle Bedingungen des Aufwachsens. Auf der anderen Seite um transnationale Wege, Lebensentwürfe und Problemstellungen.
2.2 J ugendliche der z weiten und dritten G ener ation als »P roblemfall« Bei »Jugend« handelt es sich zunächst um ein vielfältiges und komplexes Phänomen. Dennoch wird sie im öffentlichen Diskurs als etwas Einheitliches betrachtet. Neben der Homogenisierung stößt man immer wieder auf einen problemzentrierten Blick. In den letzten Jahren wird die Thematik im Zusammenhang mit globalen Veränderungen diskutiert. In diesem Kontext wird gerne der Begriff »Orientierungslosigkeit« verwendet. Diese Orientierungslosigkeit geht dann schließlich Hand in Hand mit dem Phänomen der Jugendgewalt. Dazu notiert Albert Scherr: »Im Zentrum zahlreicher sozialwissenschaftlicher und journalistischer Krisendiagnosen stehen entsprechend Probleme der Sinnsuche und Identitätsbestimmung. Bezogen auf Jugendliche wird von einem ›Orientierungsdilemma‹ (Baecke/Heitmeyer 1985, 10) und einem Sinn-Mangel gesprochen.« (Scherr 1997, S. 25, Herv. i. O.)
In diesem Kontext sprechen Wilhelm Heitmeyer und Peter Imbusch von »Desintegrationsdynamiken« und »Desintegrationsgefahren«, um die gegenwärtige gesellschaftliche Lage zu beschreiben. Durch diese gesellschaftlichen Umbruchprozesse, die ein globales Ausmaß erreicht hätten, sehen die beiden Autoren die ökonomische, politische und kulturelle Integration gefährdet (vgl. Heitmeyer/Imbusch 2012, S. 14f.). Darüber hinaus hätten die transnationalen Migrationsbewegungen in Europa zu neuen ethnischen, religiösen und kultu-
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rellen Konflikten geführt, die mit neuen »Problemlagen« und »Parallelgesellschaften« einhergehen würden (ebd., S. 20). Aus dieser desintegrativ wirkenden Umbruchsituation wird das Gewaltphänomen unter Kindern und Jugendlichen erklärt. »Sozial geteilte Zeit« werde in der desintegrierenden Gesellschaft immer knapper, was Auswirkungen auf die Sozialisation von Kindern und Jugendlichen habe. Die Erwachsenen hätten keine Zeit mehr, »sich über Wert- und Normvorstellungen kommunikativ und interaktiv auseinanderzusetzen«. Damit könne man zu einem gewissen Grad das Ausmaß an Gewalt bei Kindern und Jugendlichen erklären (Heitmeyer 1999, S. 143f.). In diesem Zusammenhang verweist Wilhelm Heitmeyer vor allem auf »weitreichende Anomieerscheinungen« (Heitmeyer 1997a, S. 9). Ein weiterer Aspekt, der in den Analysen von Wilhelm Heitmeyer zu finden ist, ist das »ethnische Problem«, das in den letzten Jahren im Zusammenhang mit dem Mythos der Parallelgesellschaft diskutiert wird. Ein schwerwiegendes Problem ist Heitmeyer zufolge der Rückzug in die eigene ethnische Gruppe. Dieser Rückzug verstärke die »Binnenintegration« und führe dann (schlimmstenfalls) zur Reaktivierung des islamischen Fundamentalismus. Davon sei insbesondere die dritte Generation der Eingewanderten betroffen. Die ethnischkulturelle Problemdimension der modernen Gesellschaft sei nach Heitmeyer bisher als Randphänomen behandelt worden (Heitmeyer 1997b, S. 629). Daher warnt er vor der Entwicklung ethnischer Parallelwelten in den Großstädten, wie in dem folgenden Zitat deutlich wird: »So wächst auch in Teilen der dritten Generation der Migranten die Distanz gegenüber dem politischen System (vgl. Heitmeyer/Müller/Schröder 1997), was zu einer problembeladenen ethnisch-kulturellen Partikularisierung bis hin zu einer ›Parallelgesellschaft‹ führen kann.« (Heitmeyer 1997a, S. 42f., Herv. i. O.)
Was den gesellschaftlichen Wandel und dessen Folgen betrifft, finden wir auch bei Richard Sennett ähnliche Diagnosen. Unter den permanenten Wandlungsprozessen in der »flexiblen Gesellschaft«, die desintegrativ wirke, würden Menschen und insbesondere Jugendliche und junge Erwachsene stark leiden und seien kaum in der Lage, angemessene Biographien zu entwerfen. Diese Ungewissheit versetze die Individuen in einen Zustand des ziellosen Dahintreibens, so Richard Sennett (1999). Unter diesen Bedingungen könnten nach Richard Sennett keine eindeutigen Lebensentwürfe und Zukunftsvisionen mehr entwickelt werden. Bindungstypische Eigenschaften wie Loyalität und Identifizierung können kaum noch zustande kommen. Auf Grund der fehlenden mittel- und langfristigen Kontinuität gerate der Mensch verstärkt in Identifikationskrisen (vgl. Sennett 2000, S. 277). Dadurch würden die Menschen immer mehr Verbindlichkeiten verlieren, die für ihre Lebensplanung von höchster Bedeutung seien (ebd., S. 285): »Der Verlust von Bindung, von
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Dauer, von Kontinuität am Arbeitsplatz, das Gefühl, bedrohlichen Risiken ausgesetzt zu sein, spiegelt sich nämlich in den Erfahrungen, die Menschen in der Stadt machen.« (Sennett 2000a, S. 115) Wo langfristig Verlässlichkeit und Entwicklung fehlen, wo berufliche und private Gewissheit nicht mehr vorhanden sind, entsteht das, was Sennett als »Drift« bezeichnet, das ziellose Dahintreiben. Um sich aus dieser prekären Situation zu befreien, sucht der Mensch nach entsprechenden Werten und Verbindlichkeiten (Sennett 1998, S. 36). Auf der Suche nach gesellschaftlichen Orientierungs- und Desintegrationsproblemen bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen wird man übrigens immer fündig, weil die moderne Gesellschaft, in der wir leben, durch Komplexitäten und Widersprüchlichkeiten charakterisiert werden kann, die gleichzeitig existieren. Eine Forschungsperspektive, die reduktionistisch verfährt und nur nach Desintegrationsdynamiken oder -gefahren sucht, übersieht andere Perspektiven und Entwicklungen, die für das urbane Leben genauso relevant sind. Wenn wir die Gesellschaft oder die Stadt als multiperspektivisch entwerfen, dann erscheint das Bild auseinanderfallender Städte und damit einhergehend das Bild einer desorientierten Jugend als eine eindimensionale Wahrnehmung. Die differenzierten Lebenswirklichkeiten der Jugendlichen und jungen Erwachsenen werden allerdings kaum zur Kenntnis genommen. Die gängige Klage über die orientierungslose Jugend scheint daher übertrieben zu sein. Diese Forschungsperspektive, die unter anderem von Richard Sennett und Wilhelm Heitmeyer vertreten wird, überschätzt desintegrative Momente und sie unterschätzt die faktische Komplexität und Diversität gegenwärtiger Städte und die vielfältigen und vielstimmigen Lebenswirklichkeiten heutiger Jugendlicher und junger Erwachsener. Jugend gilt seit jeher als Zukunftsträger. Das Verhalten von Jugendlichen wird nicht nur im Kontext aktueller Geschehnisse interpretiert, sondern soll darüber hinaus Aufschluss über zukünftige Entwicklungen geben. Damit stehen sie unter besonderer Beobachtung der Öffentlichkeit. Die Jugendphase ist ein Lebensabschnitt, der ohnehin durch das Austesten eigener und fremder Grenzen geprägt ist. Identitäten werden entwickelt, modifiziert und schließlich verworfen. Krisen werden produziert und durchgestanden. Jugendliche fallen auf. Jugendliche der zweiten und dritten Generation in besondere Weise, denn ihnen wird oft eine abweichende und negative Entwicklung unterstellt, wie aus dem obigen Zitat von Wilhelm Heitmeyer hervorgeht. Immer wieder entfachen so Debatten über das angebliche Gewaltpotential Jugendlicher der zweiten und dritten Generation. Sie haben, so die Deutung, einen erhöhten Hang zur Kriminalität. Ursache hierfür scheint die »pränatale Migration« und damit einhergehende Verankerung der Herkunftskultur. Statt »richtig« Deutsch zu sprechen, unterhalten die Jugendlichen sich in Bussen und Bahnen regelmäßig in einem Gemisch aus verschiedenen Sprachen – oft zum Ärger Mitreisender. Deutsche werden abfällig als »Kartoffeln« bezeichnet und
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die eigene enge Verbundenheit mit dem Herkunftsland der Eltern oder Großeltern vordergründig hochgehalten. »Es scheint ein Bedürfnis zu geben, Kontinuität in die Welt zu bringen – vor allem dort, wo man keine vorfindet«, so Armin Nassehi (2014, S. 4). Regelmäßig wird, wenn nicht einmal die Jugend Bereitschaft zur Integration zeigt, der Untergang des Abendlandes orakelt. Jugendliche und junge Erwachsene der zweiten und dritten Generation sehen sich in erschwerter Weise mit den Anforderungen der Mehrheitsgesellschaft konfrontiert. Abgesehen von ohnehin zu bewältigenden Entwicklungsaufgaben, die die Adoleszenz mit sich bringt, wird eine zumeist erhöhte und unspezifische Integrationsleistung von ihnen erwartet (Riegel/Geisen 2007). Von diesem Integrationsprozess nimmt sich die Mehrheitsgesellschaft, auch aus Sicht der Jugendlichen selbst, nur zu gerne aus. Dabei entwickeln junge Menschen der zweiten und dritten Generation, gerade unter diskriminierenden und ethnisierenden Ausgangsbedingungen, neue Lebensentwürfe und Deutungen von Integration. Wenn sich das Forschungsinteresse jedoch nur auf krisenhafte Momente richtet, dann geraten die vielfältigen Alltagswirklichkeiten von Jugendlichen und jungen Erwachsenen außer Blick. Die pädagogischen, sozialarbeiterischen, politischen oder stadtplanerischen Folgerungen, die aus solchen reduktionistischen Analysen gezogen werden, gehen an der Lebenspraxis vorbei und die Sozialmaßnahmen, die sich an solchen Analysen orientieren, wirken eher kontraproduktiv. Die häufig vertretene These lautet: Die Jugendlichen und jungen Erwachsenen der zweiten und dritten Generation hätten Integrationsschwierigkeiten, würden zu Gewalt und Fundamentalismus neigen und seien krimineller als die Einheimischen. Daraus wird die These abgeleitet, dass das Zusammenleben entsprechend schwierig sei. Aus dieser reduktionistischen und problemzentrierten Sicht kommen die Verortungspraxen von Jugendlichen der zweiten und dritten Generation und die von ihnen entwickelten Strategien überhaupt nicht zum Vorschein. Oft wird die soziale Praxis der Betreffenden als konflikthaft dargestellt und auf die Frage ethnischer Orientierung reduziert. Diese wissenschaftliche Vorgehensweise ist nicht unproblematisch, weil die Entscheidung darüber, was als Problem identifiziert wird, schon im Vorfeld feststeht. Statt die gesellschaftlichen Lebensbedingungen von Jugendlichen und jungen Erwachsenen zu analysieren, nehmen viele Studien explizit oder implizit das »Ethnische« als eine relevante Kategorie zum Ausgangspunkt und setzen ethnische Eigenschaften als naturgegebene Entitäten voraus, reduzieren die Gesellschaft oder das urbane Leben auf solche binäre Kategorien. »Die Mechanismen einer self-fullfilling prophecy in dem Sinne, dass schon längst integrierte Migranten in ihrer doppelten Zugehörigkeit verunsichert werden, sind unübersehbar.« (Hamburger 2006, S. 178, Herv. i. O.) Historisch betrachtet, hat dieser ethnische Identitätsdiskurs die Auseinandersetzungen um Migration in Europa bestimmt, weil der Migrationsprozess
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als Orientierungs- bzw. Identitätskrise wahrgenommen wurde und immer noch wird. Auffällig erscheint, dass die Identitätsforschung im Migrationskontext von Anfang an durch eine pädagogisch-paternalistische Haltung dominiert wurde (vgl. Puskeppeleit/Thränhardt 1990; Griese 2002). Ein Ergebnis dieser Orientierung ist die Thematisierung eines angeblichen Identitätsdefizits, das durch gezielte Erziehungsmaßnahmen oder sozialarbeiterische Konzepte kompensiert werden könnte. Aus dieser reduzierten und noch heute verbreiteten Perspektive wird Migration nicht als eine Form der Mobilität und damit als Neuorientierung verstanden, sondern eben als ein pädagogisches bzw. sozialarbeiterisches Problem. Durch diesen spezifischen Blick auf Migration und deren Folgen hat sich im Laufe der Zeit eine ethnisch orientierte Sicht auf die Gesellschaft als Analysekategorie etabliert. Auf diese Weise hat sich ein Differenzdenken gebildet, dass das gesellschaftliche Dasein von Jugendlichen und jungen Erwachsenen der zweiten und dritten Generation auf Ethnizität bzw. ethnische Orientierung reduziert. Sie sehen sich permanent mit der Frage der Zugehörigkeit und Loyalität konfrontiert. Diese ethnische Betrachtung von Jugendlichen und jungen Erwachsenen der zweiten und dritten Generation gehört mittlerweile zur alltäglichen Kommunikation, in der bestimmte Personen oder Personengruppen von vornherein als Abweichung von der hiesigen Normalität identifiziert werden.
Eine Frage der Perspektive? Wer in einer komplexen und vielfältigen Gesellschaft oder Stadt gezielt nach desintegrativen Phänomenen oder Problemen sucht, wird sie auch finden. Wenn man hingegen einen Perspektivenwechsel vornimmt und nach anderen Aspekten fragt, wird man wahrscheinlich auch fündig. Die Forschungsfragen, die formuliert werden, bestimmen also die Richtung des Forschens und Analysierens. Schon die Formulierung der Frage reduziert die Komplexität, Diversität und Widersprüchlichkeit der Gesellschaft. Hier stellt sich die Frage, wie reduziert wird und warum in einem Kontext ethnische Kategorien hervorgehoben und in einem anderen Kontext gezielt davon abgesehen werden. Das folgende Beispiel von Franz Hamburger bringt dies deutlich zum Ausdruck: »Der in der Migrationsforschung bis zum heutigen Tag tradierte Elenddiskurs steuert die Wahrnehmung und verführt auch kritische und methodenbewusste Sozialforscher zur Ausblendung der Vergleichsperspektive. Kein Mensch würde beispielsweise die Erkenntnisse einer Beratungsstelle für deutsche Familien generalisieren für die deutsche Familie; und wenn er es täte, müsste man ihn wegen des methodischen Fehlschlusses kritisieren. Für ausländische Familien wird genau dies jedoch getan, weil der Schluss Plausibilität im Kontext der Vorannahmen und der lange in der Literatur tradierten Deutungsmuster bekommt […].« (Hamburger 2009, S. 92)
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Diese tradierte und selten reflektierte Perspektive führt dazu, dass die Mehrdimensionalität des Alltagslebens von Jugendlichen und Erwachsenen der zweiten und dritten Generation kaum zur Kenntnis genommen wird. Wenn stattdessen in der Forschung das Alltagsleben, die Lebensentwürfe und die praktischen Erfahrungen zum Ausgangspunkt gemacht werden, dann zeigt sich, dass es sich bei diesen Jugendlichen in den meisten Fällen um mobile Menschen handelt, die transnationale und transkulturelle Orientierungen aufweisen und spezifische biographische Ressourcen und Kompetenzen besitzen. Im Gegensatz zu diesem offiziellen Migrationsdiskurs, in dem sie eher als defizitär wahrgenommen werden, demonstriert die Jugend ihrerseits, wie es sich mit »glokalisierten« Biographien und grenzüberschreitenden Bezügen leben lässt. Sie gestalten eigene Lebensstile, zum Beispiel mit Hilfe verschiedener Bausteine aus den unterschiedlichsten Regionen der Welt, verbinden diese zu lokalen Entwürfen und inszenieren sie mit großer Selbstverständlichkeit. Diese Hybridität in den Lebensentwürfen ist längst alltäglich – auch wenn sie immer wieder Gegenstand hitziger Debatten wird, denn diese Alltagspraxis widerspricht der üblichen Vorstellung von Integration. Statt diese Fähigkeiten zu würdigen und als besondere »kosmopolitische Kompetenzen« (Römhild 2003, S. 18) anzuerkennen, werden sie marginalisiert oder gleich ganz übersehen. Oft wird der Vorwurf laut, es handle sich um »Auswüchse« der Herkunftsgesellschaft, übernommen von Eltern oder Freunden. Mit der Herkunftsgesellschaft im eigentlichen Sinne hat dieses Phänomen in der Regel jedoch wenig zu tun, vielmehr handelt es sich um eine qualitativ neue Lebenslage, die sich im urbanen Kontext auf lokaler Ebene formiert (vgl. Pries 1997, S. 34ff.). Regionale oder überregionale kulturelle Trends, die von der zweiten und dritten Generation entwickelt werden, sind als etwas Innovatives zu interpretieren, was keiner »ausländischen Traditionslinie« folgt, sondern in Deutschland unter besonderen Bedingungen entstanden ist. Dies betrifft auch die eigene ethnische Herkunft, die von migrantischen Jugendlichen und jungen Erwachsenen inszeniert wird. Sie stellt nicht etwa einen »Rest« der elterlichen Herkunftskultur dar, sondern einen Neuentwurf im Zeichen globaler Öffnungsprozesse. Nicht länger »kulturelle Zerrissenheit« und »zwischen zwei Stühlen«, sondern eigene, selbstbestimmte und reflexive Lebenskonzepte und hybride Lebensformen. Ursula Apitzsch spricht in diesem Zusammenhang von einer »reflexiven Traditionalität« (Apitzsch 1996, S. 135). Man könnte auch von einer reflexiven und pragmatischen Transkulturalität reden.
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2.3 E thnisierung und K ultur alisierung Etwa seit den 1970er Jahren und der damals aufkeimenden Entdeckung des »Ausländerproblems« ist die enge Verknüpfung von kultureller Differenz und Migration gängig und findet bis heute gesellschaftliche Zustimmung (vgl. Hamburger 1983). Erst in den 1990er Jahren wurde zudem ein weiterer Diskurs ins Feld geführt: der Ethnizitätsdiskurs (vgl. exemplarisch Dittrich/Radtke 1990; Bukow/Llaryora 1998). Der Kulturbegriff ist, vor allem im Alltagsverständnis, ohne den Ethnizitätsbegriff kaum zu denken (vgl. Hamburger 2009). Beide Diskurse sind bis heute allgegenwärtig, es findet ein stetiger Prozess der Ethnisierung und Kulturalisierung statt. Beide Kategorien sind m.E. nahezu untrennbar miteinander verwoben. Wie selbstverständlich werden im politischen, medialen und alltäglichen Sprachgebrauch Menschen zu »Türken«, »Deutschen«, »Islamisten« oder »Migranten«. Ethnizität tritt in diesem Zusammenhang zunehmend als »Diagnosekriterium« für verschiedene, in erster Linie problemhafte Erscheinungen in den Mittelpunkt. Dahinter steckt in der Regel die Vorstellung in sich geschlossener, gruppenbezogener Eigenschaften. Dieser Zuschreibung von Eigenschaften liegt nicht zwangsläufig eine negative Intention zu Grunde. Gut gemeinte Aufwertungen »migrantischer Kulturelemente«, beispielsweise im Sinne einer besonderen Bereicherung für »unsere« Kultur finden ebenfalls ihren Platz, wenn auch stets aus einem hegemonialen Blickwinkel. Dabei ist es unerheblich, dass unter diesen ethnisch aufgeladenen Zuschreibungen völlig beliebig verschiedene Phänomene zusammengefasst und, je nach Kontext und etwaiger Nützlichkeit, instrumentalisiert werden. Das Spektrum reicht von nationalen Einstellungen über religiöse Zugehörigkeiten, individuelle Orientierungsmuster, Identitätskonzepte bis hin zu einem ganzen Gesellschaftsverständnis (vgl. Bukow 1996). Dieser Ethnisierungsprozess zeigt sich, nach Bukow, vor allem als politisches Instrument: Er führt zu einer Reduktion von Menschengruppen auf einige wenige Merkmale. Diese Eigenschaften oder Charakteristika begründen sich auf einer Vorstellung von abweichenden, oft defizitären kulturellen Verhaltensmustern, die nahezu unabänderlich in der Identität »der Anderen« verankert scheinen. Diese Abweichung wird zu einer unüberwindbaren Differenz stilisiert und alle Handlungen der betreffenden Menschengruppen im Lichte dieser Differenz interpretiert. Maßstab für jedwede Beurteilung bildet hierbei natürlich die »eigene« Kultur, Deutungshoheit wird den MigrantInnen abgesprochen (vgl. Bukow/Llaryora 1998). Diese »importierte Kultur« eignet sich in der Folge als Erklärung für Probleme jeder Art – von Integrationsschwierigkeiten bis hin zu Ehrenmorden. Es werden binäre Kategorien erschaffen: auf der einen Seite ein »Wir«– die Guten, auf der anderen Seite die »Anderen«, das Feindbild.
Jugendliche im Abseits: Wir und die Anderen »Die gesellschaftliche Praxis des Unterscheidens, Klassifizierens, Hierarchisierens entlang von Kriterien der Herkunft und Zugehörigkeit produziert also die ethnischen Minderheiten, die sie anschließend zum Problem erklärt.« (Römhild 2007a, S. 163)
Gomolla und Radtke beschreiben dieses zirkuläre Phänomen, also Menschengruppen zu benachteiligen und auszugrenzen, die Schuld für diese Ausgrenzung anschließend bei diesen Menschen selbst zu verorten und damit die eigentlichen Motive der Ausgrenzung zu verschleiern, als »Grundmuster aller Formen der Diskriminierung« (2002, S. 265). Neben der Zunahme der zentralen Bedeutung von Staatsangehörigkeit als Trennlinie wird das Machtgefälle zwischen Mehrheitsgesellschaft und Minderheit manifestiert. MigrantInnen werden zu »Mängelwesen«, die Beseitigung dieser »Mängel« zu ihrer ureigensten Aufgabe erklärt. Der Maßstab wird stets an einem hohen Ideal angelegt, welches zu erreichen in mancher Hinsicht nicht möglich scheint. Diese Mängel rechtfertigen schließlich eine Diskriminierung und soziale Benachteiligung Auf diese Weise lassen sich politisch motivierte Ausgrenzungsprozesse von Minderheitengruppen legitimieren. Diese Minderheiten verfügen in der Regel über einen eingeschränkten Zugang zu materiellen und kulturellen Ressourcen, einen niedrigen sozialen Status und eine marginalisierte Machtposition. »Ethnische Semantiken sind ein wesentlicher Teil der Reproduktion von Ungleichheit.« (Radtke 2011, S. 11) »In Wirklichkeit unterscheiden sich Mehrheiten in hoch entwickelten Gesellschaften kulturell durch nichts mehr von Minderheiten. Die Grenzen zwischen Minderheit und Mehrheitsgesellschaft sind symbolischer Natur, wenngleich Diskriminierung weiterhin Tradition von politischen Mehrheitskräften bleibt.« (Jonuz 2009, S. 97)
Es handelt sich also um ein »Fremdheitstheater«, welches Menschen in den Status des »Ausländers« (zurück-)versetzen will (Terkessidis 2000, S. 76). »Dabei handelt es ich nicht um mediale Erfindungen, vielmehr sind solche Phänomene in verschiedenen Kontexten – politisch, wissenschaftlich, medial und alltagsweltlich – zu beobachten, die sich wechselseitig beeinflussen, ergänzen und legitimieren. Im Zuge ihrer kontinuierlichen Wiederholung gerinnen sie zur ›Wahrheit‹ und werden Teil eines ›ethnischen Alltagswissens‹.« (Schulze 2003, S. 91, Herv. i. O.)
Letztlich zeigt sich, dass ethnische Identitäten keine Eigenschaften des Menschen sind, sondern erst durch gesellschaftliche Zuschreibungen entstehen und zum Teil in der Auseinandersetzung mit der »Aufnahmegesellschaft« verhandelt werden (vgl. Römhild 1998).
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Hybride Alltagswelten »Prozesse der Nationalisierung auf Seiten der Mehrheitsgesellschaft, der Ethnisierung und einer damit korrespondierenden Selbst-Ethnisierung von Minderheiten sind eng aneinander gebunden und bringen sich gegenseitig hervor.« (Römhild 2007a, S. 164)
Dazu notiert Wolfgang Kaschuba: »Die Wahrnehmung heutiger Migrationsprozesse erfolgt überwiegend nicht über lebensweltliche Primärerfahrung. Vielmehr ist auch sie überwiegend ein ›Beobachtungseffekt‹. Sie ist medial vorformuliert, ist organisierter Bestandteil jenes ›Diskurses über Kultur‹, der die gesamte deutsche Nationalgeschichte so nachhaltig prägte.« (Kaschuba 1995, S. 29, Herv. i. O.)
2.4 W eibliche J ugendliche der z weiten und dritten G ener ation – ein S onderfall? Wenn über Jugendliche der zweiten und dritten Generation oder »die Jugend« im Allgemeinen gesprochen wird, scheint dieser Diskurs vor allem männliche Jugendliche zu betreffen. Delinquenz und Kriminalität präsentieren sich ohnehin in erster Linie als männliche Phänomene und dominieren damit die Berichterstattung und öffentliche Repräsentation von Jugend. Weibliche Jugendliche oder junge Erwachsene bleiben dabei eher im Hintergrund und tauchen besonders in Diskursen über rückständige und patriarchale Unterdrückungsstrukturen auf. Die Mädchen und Frauen sind Opfer von Zwangsheirat und gelegentlich sogar Ehrenmorden. Sie scheinen keine Stimme zu haben, immer darauf angewiesen, durch solidarische Hilfsakte der westlichen Welt gerettet zu werden: »Was die Wahrnehmung von weiblichen und männlichen Jugendlichen mit Migrationshintergrund betrifft, werden im öffentlichen Diskurs zwei unterschiedliche Bilder gezeichnet. Auf der einen Seite das Bild der unterdrückten Mädchen, die unter Reglementierungen und Verhaltenseinschränkungen zu leiden haben, auf der anderen Seite das Bild der problematischen, weil auffällig, gewalttätig und patriarchal geprägt, männlichen Migrantenjugendlichen.« (Riegel/Geisen 2007b, S. 15)
Weibliche Jugendliche aus Migrationsfamilien gelten insgesamt also als unauffälliger und werden häufiger als bildungserfolgreich wahrgenommen. Zudem tauchen sie auch im Kontext von »Opferdiskursen« auf. Die Thematisierung des tragischen Opferdaseins von Mädchen und Frauen der zweiten und dritten Generation hatte in den letzten Jahren Konjunktur. Zahlreiche Bücher mit persönlichen Erfahrungsberichten füllen die Regale der Buchhandlungen, Berichte von Zwangsheiraten und Ehrenmorden verur-
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sach(t)en kollektive Entrüstung. Zweifelsohne stellt jede dieser durchlittenen Geschichten ein großes Unrecht dar und weist zu Recht auf gravierende Verstöße gegen die Menschenrechte hin. Dennoch vermag eine solche einseitige öffentliche Darstellung kaum hilfreiche Prozesse anzustoßen. Vielmehr werden durch die ethnisch eingefärbte Geschlechterkonstruktion Ursache und Wirkung verschleiert, einseitige und pauschale Urteile gefällt und auf diese Weise Frauen und Mädchen aus Migrationsfamilien ihre Stimme erst recht genommen. Eine über lange Zeit gängige Interpretation der Lebenssituation weiblicher Jugendlicher und junger Erwachsener der zweiten und dritten Generation stellt der Gegensatz zwischen Rückstand und Moderne dar: »In der Grundannahme wird davon ausgegangen, dass sich die Mädchen an den Weiblichkeitsbildern der westlichen Moderne orientierten, ihnen dabei aber ein rigider Traditionalismus ihrer Eltern entgegenstünde. […] Die Auswirkung sei, dass die Mädchen in einen schweren Identitätskonflikt, den so genannten ›Kulturkonflikt‹ gerieten.« (Weber 2006, S 198, Herv. i. O.)
Diese Sichtweise wurde inzwischen zwar von verschiedenen Seiten als voreingenommen und ethnisierend kritisiert (vgl. Kalpaka/Räthzel 1985), hält sich in den dominanten Diskursen jedoch weiterhin hartnäckig (vgl. Beck-Gernsheim 2007). Insgesamt stellen weibliche Jugendliche aus Migrationsfamilien – anders als männliche Jugendliche – keine gesellschaftliche Bedrohung dar. Ihre Lebenslagen sind, über den Zustand der Unterdrückung hinausgehend, nur wenig von Interesse.
2.5 E thnisierung und K riminalisierung Wie dargelegt, werden den (männlichen) Jugendlichen der zweiten und dritten Generation im öffentlichen Diskurs oft abweichende Eigenschaften in Abgrenzung zu »deutschen« Jugendlichen unterstellt. Sie würden etwa eine erhöhte Bereitschaft zur Gewalt zeigen und seien überdurchschnittlich oft kriminell. In letzter Zeit wird zudem häufiger auch das kriminelle Potential weiblicher Jugendlicher thematisiert. Immer wieder tauchen Zeitungsartikel und Videobeiträge auf, die die massiv zunehmende Gewalt thematisieren, die durch Mädchen verübt werde. Insbesondere Anfang des Jahres 2014 erregte beispielsweise eine Berliner Mädchengang breites Medieninteresse, welche durch gewalttätiges Verhalten aufgefallen war. Kriminalität und Gewalt erhalten mit erschreckender Kontinuität eine ethnische Einfärbung. Diese fortwährenden politischen, wissenschaftlichen und medialen Debatten haben, wie dargelegt, nach und nach zu einer Ethnisierung
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geführt (vgl. Bukow/Llaryora 1988) und damit zu einer damit einhergehenden Kriminalisierung dieser Personengruppen. So werden heute beide Phänomene – Kriminalität und Migration – im öffentlichen Diskurs fast automatisch miteinander verknüpft (vgl. dazu ausführlich Tekin 2003, S. 50ff.). Auch Susanne Spindler (2006, S. 11ff.) zeigt eindrucksvoll in ihrer empirischen Studie, in der die Lebensgeschichten von Jugendlichen in Haft rekonstruiert werden, wie sich unterschiedliche Prozesse zu einem Ausschlussmechanismus verdichten. Dabei geht es um Ausgrenzung (Ausländerstatus), Diskriminierung (Jugendliche haben kaum Ressourcen), Ethnisierung (als Fremde verdächtigt zu werden) und Kriminalisierung (sie werden zu Objekten sozialer Kontrolle). Die Zuschreibung des kriminellen »Ausländers« spielte auch immer wieder in den Debatten und Verhandlungen um das Ausländergesetz eine wichtige Rolle, besonders bei Fragestellungen, die die Zuwanderung regeln. Es scheint, als würden Menschen mit Migrationshintergrund als »bedrohliche« Gruppe konstruiert, um Verschärfungen der Kriminalitätspolitik anzustoßen und zu legitimieren. Daraus resultierende Konzepte zur Kriminalitätsbekämpfung folgen dem Muster, eine bestimmte Gruppe von Menschen zu stigmatisieren und als gefährlich zu identifizieren. Auf diese Weise können dann Maßnahmen und Strategien durchgesetzt werden, die angeblich zur Sicherung des Rechtsstaates und zur Aufrechterhaltung der Sicherheit für die Bevölkerung notwendig seien. Es mutet an, als versuche man sozialpolitische Fragestellungen mittels Kriminalitätspolitik zu beantworten (vgl. Bukow et al. 2003). Verschiedene Untersuchungen zur »Ausländerkriminalität« in den Medien kommen zu dem Ergebnis, dass zum einen signifikant häufiger über Kriminalität von Menschen mit Migrationshintergrund berichtet wird, zum anderen auch die entsprechenden Schlagzeilen weitaus dramatischer gestaltet werden. Gerne werden in diesem Zusammenhang Begriffe verwendet, die eine unmittelbare und massive Gefahr nahelegen (»Bürgerkrieg«, »sozialer Sprengstoff«). Diese Art der Berichterstattung hat eine lange Geschichte (vgl. Delgado 1972), auf die ich im folgenden Kapitel weiter eingehen werde. Messinstrument für das Phänomen »Ausländerkriminalität« stellen regelmäßig die polizeilichen Kriminalstatistiken (PKS) und die Rechtpflegestatistiken (Strafverfolgung) dar (ausführlicher dazu vgl. Lehne 1998). Nicht thematisiert wird in diesem Zusammenhang jedoch, dass diese Zahlen allgemein fragwürdig sind – handelt es sich schließlich nur um Zahlen über Kriminalität. Über tiefergehende Zusammenhänge, Hintergründe und Umstände kann eine solche Statistik keine Auskunft geben. Tatsächlich spiegeln die Statistiken in erster Linie die Aktivität der Kriminalpolizei wider. Jugendlichen, die in öffentlichen Räumen in Erscheinung treten, wurde seit Anfang der 1990er Jahre besondere Aufmerksamkeit gewidmet. Insbesondere in Großstädten und dort an öffentlichen Plätzen in einzelnen Stadtteilen wurden und werden »Ansammlungen« von Jugendlichen und jungen Erwach-
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senen besorgt zur Kenntnis genommen (mehrheitlich Jugendliche der zweiten oder dritten Migrantengeneration). Diese werden wahlweise als störend oder bedrohlich eingeordnet. Diese Sichtbarkeit dieser Cliquen führte dazu, dass sie in der Presse und in lokalen Medien vermehrt zum Gegenstand einer negativen und dramatisierenden Berichterstattung wurden. Gerade Kontrollinstanzen wie die Polizei fielen und fallen dadurch auf, dass sie diese Gruppen auf kriminelle Handlungen reduzieren. Von einer signifikanten Zunahme von Gewalttätigkeit, Gewaltbereitschaft und Kriminalität der Jugendlichen und jungen Erwachsener war oft zu hören. Über die Jahre wurden medial besonders spektakuläre Fälle herausgegriffen und dramatisiert. Dies erfolgt freilich völlig unabhängig davon, ob die Berichterstattung tatsächliche gesellschaftliche Zustände wiederspiegelt. »Skrupellose Schläger, Diebe, Vandalen: Die brutalen Straftaten von Jugendlichen schockieren Deutschland regelmäßig. Dabei wird das Problem mit kriminellen jungen Erwachsenen insgesamt gar nicht größer – sondern kleiner.« (Dolak, Die Online-Ausgabe des Magazins Focus am 4. Mai 2014)
Tatsächlich ist selbst in der polizeilichen Kriminalstatistik ein deutlicher Rückgang der Jugendkriminalität zu verzeichnen (vgl. Baier et al. 2009). Mit einer solchen Berichterstattung werden dennoch, etwa seit der 1990 Jahre, bedrohliche Zustände konstruiert, die jeglicher Grundlage entbehren. Gerade für politische, aber auch für pädagogische Zwecke lassen sich diese Schreckensszenarien jedoch hervorragend instrumentalisieren. Zu Beginn ging es dabei in erster Linie um multikulturelle »Jugendbanden«, aktuell dreht sich die Debatte insbesondere um radikalisierte und fundamentalistisch orientierte muslimischen Jugendliche. Hier kann veranschaulicht werden, wie verschiedene, zunächst unabhängige Phänomene, miteinander verknüpft werden, was schließlich zur Konstruktion der kriminellen muslimischen Jugend führt. Anfang der 1990er Jahre griff beispielsweise das Wochenmagazin Der Spiegel das Thema »Jugendbanden« auf. In drei aufeinander folgenden Ausgaben (4648/1990) berichtete der Spiegel über die zunehmende Gewalt in deutschen Großstädten. Jugendkulturelle Erscheinungsformen werden als gefährlich und gewalttätig stigmatisiert und zu Mythen verdichtet, die in das Alltagswissen Einzug erhalten. Es bleibt nicht aus, dass diese Bilder sich negativ auf die Lebensentwürfe und Verortungspraxen betreffender Jugendlicher auswirken. Nicht zuletzt wird diese Thematik auch in den Sozialwissenschaften immer wieder aufgegriffen. Als Erklärung werden hier mannigfaltige Interpretationen geliefert, die häufig einen ethnisierenden und kulturalisierenden Anstrich haben. Diese Vermischung verschiedener Themen führt letztlich dazu, dass Rufe nach Umgangsstrategien mit zunehmend repressivem Charakter
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laut werden. In solchen Zusammenhängen wird beispielsweise immer wieder die Erleichterung der Abschiebungsvorschriften gefordert. An dieser Stelle soll erneut hervorgehoben werden, dass die häufig diskutierte und medial überlieferte Erzählung über Jugendliche der zweiten und dritten Generation statistisch nicht haltbar ist und zudem auch der Primärerfahrung der Bevölkerung nicht entspricht. Bekannt ist allerdings, dass eine breite mediale Thematisierung und das daraus folgende erhöhte Anzeigenverhalten der Bevölkerung die Zahlen der Kriminalstatistik in die Höhe treibt (oder ggf. reduzieren kann). Nicht zu vergessen: Ein höherer Grad an sozialer Kontrolle führt darüber hinaus dazu, dass für diese Jugendlichen ein weit höheres Risiko besteht, bei kriminellen Handlungen erwischt zu werden. Auch ist darauf hinzuweisen, dass überzogene polizeiliche Interventionen und ein schnelles behördliches Eingreifen Jugendliche unnötig kriminalisieren kann und so, im Sinne einer Selffullfilling Prophecy, einem Abrutschen in die Kriminalität Vorschub leistet. Abschließend kann festgestellt werden, dass das Hauptproblem der Jugendlichen kein ethnisches oder kulturelles Problem ist. Kriminalität stellt kein Problem der Staatsbürgerschaft dar, sondern resultiert aus vielfältigen Faktoren und Lebenslagen (vgl. Steffen/Elsner 2000). Im Vordergrund stehen vielmehr Diskriminierungen und Ausgrenzungserfahrungen. Folglich sollten Jugendlichen in gesellschaftlichen Randpositionen, die von Kriminalisierung und Ausgrenzung betroffen sind, angemessene Möglichkeiten bereitgestellt werden, um sich zu entfalten und neue Perspektiven und Handlungsspielräume zu entwickeln.
2.6 D as Par adigma kultureller D ifferenz Für den Mythos der Kriminalität unter (männlichen) Jugendlichen der zweiten und dritten Generation fungiert als Erklärung, so wie bei den weiblichen Jugendlichen und dem »Opfermythos«, oft eine Kulturkonflikttheorie (vgl. Bukow/Llaryora 1998, S. 41ff; Sökefeld 2004). Das Verhalten und die Lebensweise der Jugendlichen seien von »importierten« Werten und Normen der Herkunftskultur beeinflusst. Diese rückständigen Werte und Normen seien mit einer modernen und aufgeklärten Gesellschaft jedoch nicht kompatibel und diese Inkompatibilität führe schließlich zu einem Spannungsverhältnis verschiedener kultureller Gegensätzen. Dieser Kulturkonflikt müsse adäquat verarbeitet werden. Andernfalls würden Orientierungs- und Perspektivlosigkeit drohen – mit erheblichen negativen Folgen für die psychosoziale Entwicklung. Die vielfältigen Ursachen und Entstehungsbedingungen von abweichendem Verhalten werden in dieser Interpretation ausgeblendet und auf einen einzigen Faktor reduziert. Menschen mit Migrationshintergrund werden zudem als
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homogene Gruppe konstruiert, die sich per se von der Mehrheitsgesellschaft unterscheiden würde. Mit Hilfe der Kulturkonflikttheorie hatte historisch insbesondere Ferenc Barath versucht, Kriminalitätsursachen unter GastarbeiterInnen zu identifizieren. Eine prominente Position in seinen Theorien nahmen dabei türkische GastarbeiterInnen ein. Ungeachtet empirischer Ergebnisse konstatierte er, dass ihr kultureller Hintergrund der deutschen Kultur konträr gegenüber stehe, was dazu führe, dass diese Gruppe durch besonders schwere Verbrechen auffalle (vgl. Barath 1978, S. 118ff.). Ähnlich argumentiert Lamnek. Er vertritt die These, dass Menschen mit einer Herkunftskultur, die sich von der deutschen Kultur deutlich unterscheide, auf Grund von Integrationsproblemen unter Isolation, Ängsten und Minderwertigkeitsgefühlen leiden würden. Sie seien beruflich schlecht integriert und hätten zu wenige Kontakte zu Einheimischen. Dies sei nicht etwa durch Ausgrenzungserfahrungen oder rassistische Praktiken bedingt, vielmehr sei von einer »selbstgewählten Gettoisierung« auszugehen. Schlimmer noch: Zu allem Überfluss sei bei dieser Gruppe oft keine Bereitschaft zu erkennen, sich zu integrieren und zu assimilieren. Fehlende berufliche Integration und fehlende Kontakte zu den Einheimischen werden in diesem Zusammenhang auf die »mangelnde Assimilation« zurückgeführt. Er fährt fort: »Gerade die Gettoisierung lässt für unsere Gesellschaft ein noch nicht abschätzbares Potential an sozialem Sprengstoff erwarten. Insgesamt dürfte es nicht verwundern, wenn im Zusammenhang mit der Integrationsproblematik eine gewisse Extremisierung der Ausländer einhergeht, die sich nicht nur darin äußert, dass sich ein Teil der Betroffenen radikal-religiösen Gruppen (Fundamentalisten) anschließt, sondern die sich auch darin manifestiert, dass einige die Illegalität einer Zielrichtung funktionalisieren.« (Lamnek 1998, S. 404)
Lamnek verweist des Weiteren auf Entfremdungstendenzen von Menschen mit Migrationshintergrund. Mit diesen Tendenzen meint er auf der einen Seite einen Verlust von althergebrachten Traditionen und Werten, auf der anderen Seite jedoch die Verweigerung, sich kulturell in das Aufnahmeland zu integrieren. Dieser Zwiespalt würde Kulturkonflikte hervorbringen oder verstärken: »Andere Probleme sind im Verlust von religiösen, ethnischen, weltanschaulichen Werten zu sehen, sowie in einer kulturspezifischen Normauslegung, etwa hinsichtlich Gewalt, Betrug, Drogen. Hinzu kommt, dass vor allem Ausländer aus dem orientalisch-islamischen Raum ständig zwischen zwei Welten pendeln. Der Welt der Herkunftskultur, die in der Wohnung gelebt wird, und der westeuropäischen, der sie sich im öffentlichen Bereich beim Einkaufen, in der Schule und am Arbeitsplatz stellen müssen. Eine solche Kulturkonfrontation kann zu einem schwerwiegenden inneren Konflikt führen. Die
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Hybride Alltagswelten Wahrscheinlichkeit für rechtswidriges Verhalten ist dann erhöht. Die Gastkultur, der sie sich möglicherweise anpassen wollen, weist sie ab, der Herkunftskultur sind sie entfremdet.« (Ebd., S. 404f.)
Verstärkt werden inzwischen, insbesondere im Zusammenhang mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen der zweiten und dritten Generation, auch innerfamiliäre Kulturkonflikte in den Fokus gerückt. Diese Konflikte würden zu Schwierigkeiten innerhalb des Familiensystems führen und kriminelles Verhalten begünstigen. Der Kriminologe Hans-Dieter Schwind erklärt dazu: »Divergierende Wertesysteme, denen Eltern und Kinder anhängen (Stichworte: Familienehre, Gehorsam, religiöse Regeln), erschweren das Miteinander der Generationen. Migrationsbedingte Erziehungsprobleme belasten vor allem das Verhältnis der Eltern zu ihren weiblichen Kindern. So wird den Mädchen der Diskobesuch untersagt, Freundschaften mit dem anderen Geschlecht werden verboten, ein Heiratskandidat ausgesucht […].« (Schwind 2013, S. 496)
Eine Antwort darauf, inwiefern es sich bei den konstatierten intergenerationalen Konflikten um migrationsbedingte Konflikte handelt, bleibt Schwind schuldig. Ähnlich argumentieren auch aktuelle sozialwissenschaftliche Forschungsarbeiten, die das Kulturkonfliktmodell auf innerfamiliäre Konflikte anwenden. Auch wenn einige Studien inzwischen den Blick erweitert haben und auch Faktoren wie soziale Ungleichheit berücksichtigt werden, bleiben kulturalisierende Deutungsmustern weiterhin bestehen. Ahmet Toprak und Katja Nowacki vermelden hierzu in einer Expertise für das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: »Während die deutschen Jugendlichen in der Erziehung ermuntert werden, selbstbewusst und selbständig zu sein, wird bei den muslimischen Jugendlichen Loyalität und Gehorsam gegenüber den Erziehungsberechtigten gefördert und gefordert. Gehorsamkeit gegenüber den Erziehungsberechtigten impliziert, dass das Kind/der Jugendliche das tut und ausführt, was der Erziehungsberechtigte von ihm verlangt, und zwar ohne Widerrede. Es/er muss sich fügen, seine Blicke nach unten richten und den Erziehungsberechtigten nicht direkt in die Augen schauen. Denn ein direkter Augenkontakt bedeutet ›gleiche Augenhöhe‹ und wird von den Eltern als Aufsässigkeit und Herausforderung interpretiert. Wird der Jugendliche in dieser Form von gleichaltrigen Jugendlichen angeschaut, interpretiert er es als Anmache und Herausforderung. Er muss auf diese Blicke reagieren, weil es ihm sonst als Schwäche ausgelegt wird.« (Toprak/Nowacki 2010, S. 9, Herv. i. O.)
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Erneut wird eine Brücke zwischen einer statischen kulturellen Herkunft und der Unvereinbarkeit dieser »importierten« kulturellen Werte mit der »deutschen Kultur« geschlagen. Anhand der genannten Beispiele wird deutlich, dass bestimmten Bevölkerungsgruppen systematisch Kulturkonflikte nebst resultierender Kriminalität unterstellt werden. Dabei wird nicht berücksichtigt, dass es sich vielfach um Jugendliche handelt, die in Deutschland geboren und aufgewachsen sind. Die Vehemenz, mit der dennoch an dieser Erklärung festgehalten wird, lässt eine ideologische Funktion vermuten. Problematisch an der Kulturkonfliktthese ist die Annahme, dass Kultur ein homogenes Konstrukt sei. Kulturelle Wandlungsprozesse, hybride kulturelle Praktiken und kulturelle Vielfalt in modernen Gesellschaften werden schlicht ignoriert. Durch die einseitige Fokussierung auf kulturelle Konfliktlagen werden intersektionale Diskriminierungsmechanismen wie soziale Ungleichheiten, rechtliche Benachteiligungen oder Diskriminierung auf Grund geschlechtlicher Zuordnungen unsichtbar gemacht. Auch werden migrantische Kulturen systematisch abgewertet. Statt sie als kulturelles Kapital zu interpretieren und damit ressourcenorientiert zu nutzen, werden sie als desintegrative und rückständige Störfaktoren markiert. Es lässt sich eine Problemverschiebung beobachten: Anstatt über institutionalisierte Diskriminierungsformen, Rassismus oder soziale Ungleichheit zu sprechen, wird der Blick auf vermeintliche Kulturdifferenzen oder Radikalisierungstendenzen muslimischer MigrantInnen gelenkt. Die Idee von zwei starren Kulturblöcken, die aufeinanderprallen, stellt für Jugendliche, die hier aufgewachsen sind, eine Zumutung dar. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass sich das Paradigma kultureller Differenz als eine dominante theoretische Deutungsressource im Migrationskontext etabliert hat. Soziale Probleme werden fast reflexartig auf Kultur oder Ethnizität reduziert, als kulturelles bzw. ethnisches Problem wahrgenommen, eine Art »Dispositiv« im Sinne von Michel Foucault (1978). Das Kulturdifferenz-Dispositiv verweist auf ein Netz von Praktiken, von institutionellen Mechanismen, Handlungen und Diskursen, die sich im Laufe der Zeit zu einem dominanten Erklärungsansatz und zu einer spezifischen (medialen/ wissenschaftlichen/politischen) Repräsentationspraxis entwickelt haben. Die obigen Ausführungen belegen, wie bestimmte Kategorien durch eine bestimmte Praxis erst erzeugt werden und wie durch die Objektivierung der Anderen ein Wissen produziert und reproduziert wird. In Anlehnung an Michel Foucault argumentiert Stuart Hall in ähnliche Richtung. Das Wissen, das das Paradigma kultureller Differenz produziert, schafft eine gewisse Macht, die über MigrantInnen ausgeübt wird, über die ein Wissen erzeugt wird. So werden sie zum Objekt der Unterwerfungsmechanismen. »Diejenigen, die den Diskurs produ-
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zieren, haben also die Macht, ihn wahr zu machen – z.B. seine Geltung, seinen wissenschaftlichen Status durchzusetzen.« (Hall 1994, S. 154)
2.7 R assismus im A lltag – R assismus als D ispositiv »Jetzt saß ich zwischen den neuen Kommilitoninnen und Kommilitonen […]. Alle erzählten, woher sie denn angereist waren. ›Ich komme aus Delmenhorst.‹ Betretenes Schweigen schien sich breitzumachen, und bevor ich zu weiteren Erklärungen ausholen konnte, fasste sich einer ein Herz und fragte: ›Aha, und wo liegt das denn in der Türkei?‹ Leicht perplex füge ich hinzu: ›Nein, ich bin aus Norddeutschland, da wurde ich auch geboren!‹ Wieder großes Schweigen. Dann die Nachfrage: ›Und vorher?‹ Meine pränatale Migration – erst zu Studienzeiten wurde sie mir bewusst.« (Ildem 2011, S. 127)
Der Rassismusbegriff ist ein weit erforschter und komplexer Gegenstand, der an dieser Stelle nicht umfassend behandelt werden kann. Mark Terkessidis versteht unter Rassismus eine Verbindung von sozialer Praxis und gleichzeitiger Wissensbildung. »Das rassistische Wissen ist deshalb so beharrlich und einleuchtend, weil es in einer Praxis ›gelebt‹ wird und mit sozialen Gegebenheiten übereinstimmt. Insofern ist rassistisches Wissen nicht ›Vorurteil‹ und auch nicht ›falsches Bewusstsein‹ im Sinne von traditionellen Ideologievorstellungen – kritikwürdig ist viel mehr die institutionelle Praxis, die Ungleichheit erzeugt und dieses Wissen ›beherbergt‹.« (Terkessidis 2004, S. 108f., Herv. i. O.)
Rudolf Leiprecht (1990) definiert Rassismus als eine soziale Konstruktion von »Rasse« und »Kultur«, bei der »Kulturen« als homogene Einheiten dargestellt werden, die sich deutlich voneinander abgrenzen (lassen). Der Begriff »Rasse« soll in diesem Zusammenhang darüber hinaus auf einen biologistischen, also naturhaften Zusammenhang zwischen Herkunft und Kultur verweisen. Dies beinhaltet auch »naturalisierende bzw. kulturalisierende Determinismen und Reduktionismen« sowie »Negativbewertungen der auf diese Weise als andere ›Rassen‹ und ›Kulturen‹ konstruierten sozialen Gruppen.« (Vgl. Leiprecht 1990, S. 26, Herv. i. O.) Wolf-Dietrich Bukow führt dazu treffend aus: »Der neue Diskurs über Ethnizität ist tatsächlich ein im Kern bloß modernisierter rassistischer Diskurs, wobei entweder ›im Kern‹ oder ›modernisiert‹ überwiegen mag.« (Bukow 1996, S. 71, Herv. i. O.) Der Begriff »Rassismus« ist in Deutschland in besonderer Weise negativ besetzt und in der öffentlichen Wahrnehmung für besonders plakative Handlungen reserviert, zum Beispiel für gewaltvolle Übergriffe auf MigrantInnen,
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unverhohlene Anfeindung auf offener Straße oder für politischen Rechtsextremismus. In jedem Fall muss es sich um Ausnahmeerscheinungen und Taten von besonders verabscheuenswürdigen Menschen handeln. Die Beschränkung auf rassistisch motivierte Gewalt mag im juristischen Kontext zum Zwecke der Strafverfolgung durchaus sinnvoll erscheinen, greift jedoch zu kurz, um Rassismus in seiner Gesamtheit zu erfassen und die Lebenswirklichkeit der Jugendlichen adäquat zu beschreiben. Mit den meisten Menschen der Mehrheitsgesellschaft, so scheint es, hat Rassismus nichts zu tun. Ein Rassismusvorwurf für Handlungen, die vom oben geschilderten Muster abweichen, wird in aller Regel als Beleidigung interpretiert. Nicht selten wird eine Entschuldigung gefordert (vgl. Terkessidis 2004), oft erfolgt auch eine mediale Auseinandersetzung. Eindrucksvoll zeigt dieser Mechanismus das plötzliche »Auftauchen« eines Polizeikalenders 2011 mit eindeutig rassistischen Karikaturen, der kontroverse Diskussionen auslöste. So äußerte sich der bayerische Landesvorsitzende der Polizeigewerkschaft, Hermann Benker, wie folgt: »Da steckt nichts dahinter.« Er pochte auf die Kunstfreiheit der Fotos. Es gehe eher darum, den Frust der Polizisten bei der Arbeit zu verdeutlichen, sagte er. »Das ist eine Art Galgenhumor, mit dem unsere Kollegen seit Jahren mit den Engpässen in der deutschen Polizei umgehen. Das hat nichts mit einer Herabwürdigung eines Personenkreises zu tun.« (O.V., Rp-online 2012) Um Phänomene zu beschreiben, die von eindeutig kriminellen rassistischen Handlungen abweichen, hat Philomena Essed den Begriff Alltagsrassismus etabliert (Essed 1991). Damit versuchte sie, Rassismuserfahrungen der Menschen in den Mittelpunkt zu rücken, die davon alltäglich betroffen sind und in der öffentlichen Wahrnehmung damit weitgehend unsichtbar bleiben. Diese konsequente Rekonstruktion von Rassismuserfahrungen aus der Perspektive der Betroffenen förderte neue Erkenntnisse zu Tage und hat den Rassismusdiskurs nachhaltig geprägt. Der Begriff des Alltagsrassismus eignet sich im Kontext meiner Forschungsarbeit sehr gut, da er subjektorientiert operiert, die Aufmerksamkeit von der hochgradig negativ konnotierten rassistischen Ausnahmeerscheinung hin zu den (scheinbar) »banalen« und alltäglichen rassistischen Zuschreibungspraktiken lenkt. Der Begriff macht deutlich, dass Rassismus durchaus auch »unauffällig, verdeckt und latent« (Leiprecht 1990, S. 2) sein kann. »Nicht immer handelt es sich dabei um bewusste und gewollte Prozesse, und oft geht es um ein Verhalten innerhalb bestimmter Strukturen, das (möglicherweise unbeabsichtigt) rassistische Effekte zur Folge haben kann.« (Vgl. ebd) Kennzeichnend für diese Form des Rassismus ist, dass er von der Mehrheitsgesellschaft selten als solcher wahrgenommen wird. In diesem Kontext spricht Stuart Hall von einem »impliziten Rassismus« und verweist damit auf diese Normalisierung und Veralltäglichung rassistischer Praktiken:
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Hybride Alltagswelten »Mit implizitem Rassismus meine ich jene scheinbar naturalisierte Repräsentation von Ereignissen im Zusammenhang mit ›Rasse‹ – ob in Form von ›Tatsachen‹ oder ›Fiktion‹ –, in die rassistische Prämissen und Behauptungen als ein Satz unhinterfragter Vorannahmen eingehen. Diese ermöglichen die Formulierung rassistischer Aussagen, ohne dass die rassistischen Behauptungen, die ihnen zugrunde liegen, je ins Bewusstsein drängen.« (Hall 1989, S. 156,)
Diese etwa alltäglichen Stereotypisierungen reduzieren Menschen auf bestimmte Eigenschaften, die dann automatisch eine gewisse Generalisierung erfahren. So ist etwa plötzlich die Rede von »türkischer Mentalität« oder »kriminellem Ausländer«. Für Stuart Hall bedeutet die Stereotypisierung eine »signifizierende Praxis«, die konstitutiv für die rassistische Differenz ist (vgl. Hall 2004a, S. 143). »Mit anderen Worten ist Stereotypisierung Teil der Aufrechterhaltung der sozialen und symbolischen Ordnung. Sie errichtet symbolische Grenze zwischen dem ›Normalen‹ und dem ›Devianten‹, dem ›Normalen‹ und ›Pathologischen‹ […].« (Ebd., S. 144, Herv. i. O.)
Inventar der rassistischen Situationen nach Terkessidis Mark Terkessidis beschreibt in seinem Buch »Banalität des Rassismus«, wie rassistisches Wissen im Alltag auf scheinbar selbstverständliche Weise reproduziert wird und wie es sich normalisiert hat. Er nennt vier Akte, die von der Dominanzgesellschaft ausgeführt werden und die als rassistisch qualifiziert werden können: Entfremdung, Verweisung, Entantwortung und Entgleichung. Das Endergebnis, das sich aus diesem »Syndrom« ergibt, bezeichnet er in Anlehnung an Luce Irigaray als »Spekularisation«. Dies soll die Bildlichkeit des Rassismus beleuchten (vgl. Terkessidis 2004, S. 172).
Entfremdung Die Entfremdung beschreibt Terkessidis als »Urszene« des Ausschlusses. Gemeint ist das Erleben, nicht dazuzugehören, anders zu sein. Die meisten Jugendlichen der zweiten und dritten Generation machen irgendwann in ihrem Leben die Erfahrung, dass ihr Selbstbild und das Fremdbild nicht übereinstimmen. Sei dies bei der Beantragung eines neuen Personalausweises und der damit verbundenen Frage, ob man denn den türkischen oder deutschen Ausweis haben wolle oder bei gut gemeinten pädagogischen Interventionen, die auf die Wertschätzung der »anderen« Kultur abzielen. Jugendliche, die sich selbst als »deutsch« empfinden und an dieser Empfindung nie gezweifelt haben, werden auf ihre Fremdheit verwiesen, es wird ihnen die Zugehörigkeit praktisch aufgekündigt. In den Mittelpunkt gerückt werden auffällige Merkmale, wie zum Beispiel der Nachname, der Pass oder die Hautfarbe. Solche Schlüsselerlebnisse geben oft den Anstoß, sich mit seiner eigenen »Differenz
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und Andersartigkeit« auseinanderzusetzen und diese zu interpretieren (vgl. ebd., S. 173ff.). Zusammenfassend kann gesagt werden, dass es dabei um die Frage der Zugehörigkeit und damit um eine Differenzierung geht, die durch die Dominanzgesellschaft vorgenommen wird. Obwohl jemand in Köln geboren und aufgewachsen ist, wird er nicht als »einheimisch« wahrgenommen. Das folgende Zitat ist ein prägnantes Beispiel für den Akt der Entfremdung: »Der Respekt vor fremden Kulturen ist erlernbar«, so lautete im November 2006 die Überschrift eines Berichtes in der Online-Ausgabe des Kölner Stadtanzeigers. Dabei handelte es sich um den neu errichteten Auf baubildungsgang »Interkulturelle Kommunikation« in einem Erzbischöflichen Berufskolleg in Köln. In dem Bericht heißt es: »Dieser Aufbaubildungsgang zählt derzeit in Deutschland zu den anspruchsvollsten unter den Qualifizierungsmaßnahmen, die Wege weisen sollen, wie kleine Kinder fremder Kulturen in die deutsche Gesellschaft eingeführt werden« [...] 600 Stunden Weiterbildung sind nicht nur prallvoll mit Informationen, sondern machen durch das Einüben von Konzepten vor allem handlungsfähig. Etwas, was viele Erzieherinnen und Lehrer ganz dringend benötigen für ihren Umgang mit den vielen Kindern und Eltern, die ihre Wurzeln in fremden Kulturen haben.« (Boldt, Online-Ausgabe des Kölner Stadtanzeigers vom 30. November 2006)
Ver weisung Mit diesem Begriff beschreibt Terkessidis den Prozess, der Jugendliche der zweiten und dritten Generation an einen anderen Ort »transportiert« oder verweist. Gerne verwendet wird hierfür der so genannte Herkunftsdialog (ausführlich dazu vgl. Battaglia 2007). Wenn nach der Herkunft einer vermeintlich migrantischen Person gefragt wird, schwingt implizit die Annahme mit, die Person würde gebürtig aus einem anderen Land stammen. Die scheinbar harmlose Frage »Woher kommst du?« führt oft zu einem Schlagabtausch, der erst dann beendet ist, wenn die vermeintlich fremdländische Herkunft aufgedeckt wurde. Eine Ambiguität scheint für diejenigen, die einen solchen Dialog anzetteln, kaum auszuhalten. Damit eng verknüpft ist der Mythos von der »eigentlichen Herkunft«, mit der ein Mensch untrennbar verknüpft sein muss (vgl. Terkessidis 2004, S. 180ff.). In diesem Kontext kritisiert Armin Nassehi – basierend auf eigenen Erfahrungen auf Grund seines iranischen Nachnamens – die automatische Verknüpfung zwischen der Herkunft und der Gegenwart und notiert dazu in treffender Weise: »Viele meine Gesprächspartner können es kaum fassen, dass die Semantik meines Namens wenig mit meiner Lebensweise zu tun hat. Sie gehen ganz offensichtlich davon aus, dass es so etwas wie eine metaphysische Kontinuität zwischen dem Konstrukt
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Hybride Alltagswelten ›Herkunft‹ und der Gegenwart geben muss – anders ist das Insistieren nicht zu erklären und der Unglaube und die Enttäuschung darüber, dass dieses zugeschriebene Merkmal nicht dazu taugt, auch den Rest der Person zu erklären.« (Nassehi 2014, S. 48, Herv. i. O.)
Auch das folgende Beispiel, beschrieben von Erika Schulze, markiert die metaphysische Dimension der Herkunft, die »wie eine Art zweiter Natur funktioniert« (Apitzsch 1993, S. 7): »Im Rahmen der Neueinschulungen können interessierte Eltern den Unterricht in einer Kölner Grundschule besuchen. Die ›Probestunde‹ endet mit einem Erzählkreis. Nach einem gemeinsamen Lied stellen sich die Kinder nacheinander vor, der Ablauf ist ritualisiert: ›Ich heiße Annette, bin acht Jahre alt, gehe in die zweite Klasse und komme aus Köln‹, beginnt die erste Schülerin. Es folgt Peter, sieben Jahre, der in der ersten Klasse ist und sich ebenfalls aus Köln stammend beschreibt. Die Schülerinnen und Schüler fahren fort: ›Ich heiße Paolo, bin acht Jahre alt, gehe in die zweite Klasse und komme aus Italien‹, gefolgt von Hikmet: ›Ich bin sechs Jahre alt, gehe in die erste Klasse und komme aus der Türkei‹. In dieser Weise stellen sich auch die anderen Schülerinnen und Schüler vor. Gegen Ende spricht Elvira. Sie stellt sich so vor: ›Ich heiße Elvira, bin acht Jahre alt, gehe in die zweite Klasse und komme aus Schleiden‹. Erläuternd beugt sich der Lehrer zu mir herüber: ›Sie ist nun schon seit zwei Jahren in Köln und sagt immer noch, sie kommt aus der Eifel‹.« (Schulze 2003, S. 98, Herv. i. O.)
Entantwortung Dieser Begriff beschreibt die Wirkung von Zuschreibungen aus Sicht der »Betroffenen«, also derer, die diese Zuschreibung erfahren. Eine solche Zuschreibung könnte zum Beispiel die Feststellung eines »Südländischen Temperaments« sein, welches als Ursache für eine wütende oder auf brausende Reaktion »enttarnt« wird. Angenommen werden determinierende, herkunftsverknüpfte Eigenschaften, die das Handeln steuern und die Handelnden damit »entantworten«, ihnen also die Verantwortung und damit auch Wirkungsmacht entziehen. Wie jemand agiert, wird folglich nicht dem Individuum selbst als handelndem Subjekt zugestanden, sondern vielmehr einer abstrakten ethnischen »Abstammungsgruppe« zugeschrieben. »Am konkreten Individuum wird konsequent vorbeigeblickt – es wird entantwortet« (Terkessidis 2004, S. 191). Das folgende Zitat, das einem Bericht im Nachrichtemagazin Der Spiegel mit dem Titel »Für immer fremd« entstammt, bringt den Akt der Entantwortung deutlich zum Ausdruck: »Aber warum bleiben die Fremden so häufig fremd, warum kommen vor allem Türken nicht in Deutschland an, offenbar nicht einmal die, die hier geboren sind? […] Wer als Fremder kommt, bleibt fremd. Mehr noch, auch nach 50 Jahren, nach manchmal drei
Jugendliche im Abseits: Wir und die Anderen Generationen, selbst mit deutschem Pass, lebt eine alarmierend hohe Zahl von Zuwanderern nach wie vor in einer Parallelwelt, und um die Zukunft steht es schlecht.« (Elger/ Kneip/Theile, Der Spiegel 5/2009, S. 32)
Entgleichung Hiermit ist die Verweigerung von Gleichheit und die damit einhergehende Unterstellung eines Defizits gemeint. Eine beliebige Person versetzt sich selbst in die Position eines Bewertenden und schreibt sich Beurteilungskompetenzen zu: »Sie sprechen aber gut Deutsch« wäre hierfür ein klassisches Beispiel. Diese Feststellungen werden auch bei Menschen getroffen, die »nur« Deutsch (und dies perfekt) beherrschen und noch nie eine andere Sprache gesprochen haben. Damit einher geht auch die Annahme, dass Jugendliche und junge Erwachsene der zweiten und dritten Generation die so genannte Muttersprache auf jeden Fall beherrschen müssen, die Sprache also quasi im genetischen Code verankert ist. Ist dies nicht der Fall, löst es nicht selten Bedauern aus. So sehe ich mich selbst immer wieder zu einer Rechtfertigung gezwungen, warum ich türkisch nicht fließend in Wort und Schrift beherrsche und keine dezidierten Auskünfte über die politische Situation in der Türkei geben kann. Gerne fungiere ich auch als Ansprechpartnerin für Fragen zum Verhältnis zwischen »Kurden« und »Türken«. Mein Schulterzucken ruft dann häufig Fassungslosigkeit darüber hervor, wie wenig man sich für seine »eigene« Kultur interessiert. Man geht vom Vorhandensein bestimmter Normen aus. Wer zu diesen Normen nicht passt, bestimmt allerdings die Person, die sich mit den Normen identifiziert und die anderen als »defizitär« oder »vormodern« wahrnimmt. Diese Unterstellung bedeutet eine Ungleichmachung. Die Wirkung dieser Unterstellung wird von Mark Terkessidis »Entgleichung« genannt (vgl. Terkessidis 2004, S. 195ff.). Das folgende Zitat aus einer Studie von Paul Zulehner ist ein Paradebespiel für diesen Akt: »Außerordentlich dynamisch verläuft die Entwicklung unter den zugewanderten Muslimen. Diese kommen mit einer überaus unterwerfungsbereiten Gläubigkeit nach Österreich. Deren mitgebrachte Lebenshaltung – wir sehen dies am Beispiel der Geschlechterrollen – ist nachhaltig von ihrer ›vormodernen‹ Heimatkultur (zumeist Anatolien) geprägt. Aber schon bei den jüngeren Muslimen in der ersten Generation, noch mehr aber bei den Angehörigen der zweiten Generation, gerät diese Unterwerfungsbereitschaft in Auflösung.« (Zulehner 2011, S. 316f., Herv. i. O.)
Spekularisation Diese Wortschöpfung soll zum Ausdruck bringen, dass die »Einheimischen«, wenn sie Migranten betrachten, annehmen, dass diese ein »Wir« verkörpern. Dieses zugeschriebene »Wir-Gefühl« wird zu einem Spiegel der Repräsentation »der Anderen«. Die Objektivierung der Anderen ist durch diese Spiege-
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lung immer (implizit) vorhanden. MigrantInnen wird in alltäglichen Kommunikationssituationen auf diese Weise der Eindruck vermittelt, dass nicht mit ihnen kommuniziert wird, sondern mit einem »Phantom« (vgl. Terkessidis 2004, S. 198). »Es braucht einen Anderen, über den es spekuliert und der es spiegelt. Es wird also nur ein Gefühl der Kohärenz hergestellt«, so Mark Terkessidis (ebd., S. 199). Terkessidis sieht in der permanenten Infragestellung der Jugendlichen, abgesehen von den offensichtlichen negativen Effekten, jedoch durchaus auch produktive und widerständige Momente. Diese Momente entstehen deshalb, weil sie in der Lage sein müssen, diese paradoxen Situationen auszuhalten und für ihre gesellschaftlichen Verortungen zu nutzen. Die bisherigen Ausführungen verweisen darauf, dass (Kultur-)Rassismus als eine Verbindung von sozialer Praxis und gleichzeitiger Wissensbildung verstanden werden kann. Das (kulturrassistische) Wissen ist vor allem deswegen fest in der Gesellschaft verankert, weil es in der Praxis gelebt wird und zur selbstverständlichen Normalität gehört. Dabei geht es nicht um Vorurteile, die durch pädagogische Maßnahmen einfach abgebaut werden können, sondern um eine institutionalisierte Praxis, die Ungleichheiten erzeugt und reproduziert.1
1 | Anja Weiß hat in ihrer empirischen Studie in Anlehnung an Pierre Bourdieu gezeigt, wie Rassismus durch Klassifikationen symbolisch reproduziert und wie damit soziale Ungleichheit legitimiert wird. Darüber hinaus hat sie dargestellt, wie sogar in antirassistischen Diskursen die Rahmung des rassistischen Wissens implizit erhalten bleibt (Weiß 2001, S. 53ff.). Zu ähnlichen Ergebnissen kommt auch Karin Scherschel, die das Phänomen »Rassismus« als flexible Ressource definiert (Scherschel 2006).
3. Jugendliche in marginalisierten Quartieren entwickeln neue Perspektiven »Unsere Biographien sind sperrige Hybriden, die für Eindeutigkeiten nicht taugen.« (Topçu/Bota/Pham 2012, S. 11)
Die Ausführungen in den ersten drei Kapiteln zeigen, welche Bilder und Mythen über die zweite und dritte Generation von Jugendlichen und jungen Erwachsenen im öffentlichen Diskurs existieren, welche Diskriminierungsstrukturen sich etabliert haben und welche Position ihnen in diesem Prozess zugewiesen wird. Dieser dominante Deutungsrahmen prägt die Codierungspraxis: Soziale Probleme werden unter dem ethnischen Vorzeichen thematisiert. Wie in den vorangegangenen Kapiteln deutlich wurde, birgt diese einseitig ethnische Fokussierung und Reduzierung die Gefahr in sich, andere relevante Themen und Perspektiven zu marginalisieren bzw. zu verdrängen (vgl. dazu Brubaker 2007, S. 134). Auf der anderen Seite gerät auf diese Weise aus dem Blick, dass die Jugendlichen und jungen Erwachsenen nicht nur Opfer ihrer gesellschaftlichen Verhältnisse sind. Vielmehr müssen wir sie auch als Subjekte begreifen, die auf ihre Art und Weise reagieren, eigene Wege bzw. Umwege finden, um auch unter widrigen Bedingungen voranzukommen.
3.1 V on der A lltagspr a xis zum O pferstatus Die dominante Sichtweise in vielen Studien über die Situation von Jugendlichen und jungen Erwachsenen der zweiten und dritten Generation scheint – explizit oder implizit – eine eher defizitorientierte Perspektive zu sein. Sie werden häufig als Opfer ihrer Lebensverhältnisse interpretiert. Nach diesem Verständnis werden Individuen eher als passive Objekte betrachtet, den äußeren Umständen und ihrer Sozialisation unterworfen. Im Gegensatz dazu orientiere ich mich hier insbesondere an dem Ansatz der Cultural Studies, nach dem Individuen in ihrer Alltagspraxis durchaus im Stande sind, eine Gegen-
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macht zu erzeugen und sich widerständig zu verhalten. Jugendliche und junge Erwachsene setzen sich mit den vorgefundenen Bedingungen und Bedeutungen auseinander und entwerfen daraus ihre eigenen Positionen. Hier werden gesellschaftliche Machtbeziehungen nicht als eindeutige lineare Asymmetrien von Hegemonie und Unterwerfung verstanden. In dieser Hinsicht findet man in den letzten Jahren auch Arbeiten, die – neben der Thematisierung der strukturellen Bedingungen, unter denen die Jugendlichen leben – die Perspektiven Jugendlicher und ihre Widerstandspotentiale in als benachteiligt geltenden Stadtteilen in den Mittelpunkt rücken (vgl. exemplarisch Dannenbeck/Esser/ Lösch 1999; Riegel 2004; Scharathow 2013; Scharathow 2014; Schneider/Crul/ Lelie 2015).1 Darüber hinaus ergreifen die Jugendlichen und jungen Erwachsenen der zweiten und dritten Generation selbst Initiative, wehren sich gegen den wissenschaftlichen Paternalismus und die negativen Zuschreibungen von außen, bezeichnen sich selbst als die »Unmündigen«, als »Muslimgirls« (ElMasrar 2010), als die »neuen Deutschen« (Topçu/Bota/Pham 2012), verfassen ihre eigenen Manifeste (Sezgin 2011) und entwickeln ein neues Selbstbewusstsein. In Anlehnung an Judith Buttler (1998) könnte man hier von postsouveränen Subjektpositionen sprechen. In den vorangegangenen Abschnitten wurde zumindest punktuell darauf hingewiesen, wie die Jugendlichen und jungen Erwachsenen mit ihrer Situation umgehen und welche Strategien sichtbar werden. In diesem Teil werde ich theoretisch diskutieren, wie sie jene Zuschreibungen oder Anrufungen aufgreifen, thematisieren und verarbeiten, welche Spielräume sie dabei nutzen und welche Wege bzw. Umwege sichtbar werden, wie sie sich verorten, auf welche formellen oder informellen Netze sie zurückgreifen und welche spezifischen Kompetenzen daraus hervorgehen. Dabei beziehe ich mich auf theoretische Arbeiten und auf Ergebnisse empirischer Studien, die die Jugendlichen und jungen Erwachsenen als ExpertInnen ihrer eigenen Lebenspraxis betrachten. Wenn wir uns von den bisher beschriebenen Sichtweisen lösen und die Alltagserfahrungen von Jugendlichen und jungen Erwachsenen in den Mittelpunkt rücken, dann ergibt sich ein anderes und differenziertes Bild. Es geht hier nicht um eine Rekonstruktion authentischer Subjektivitäten, sondern um Alltagssituationen, Einschätzungen von Jugendlichen, um marginalisierte Wissensarten, um »das Wissen der Leute« (Terkessidis 2004, S. 113). Dieser Blick generiert ein Subjektverständnis, nach dem Jugendliche und junge Erwachsene als handlungsfähige Individuen verstanden werden, die selbst in der 1 | Vergleiche dazu die 2009 von Markus Ottersbach und Thomas Zitzmann herausgegebenen Publikation, in der die Situation von als marginalisiert geltenden Jugendlichen in französischen und deutschen Stadtvierteln diskutiert wird. Vgl. auch die beiden Bände von Christine Riegel und Thomas Geisen (2007a; 2007b).
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Lage sind, je nach gesellschaftlichen Bedingungen, ihre eigenen Spielräume zu schaffen und ihre soziale Wirklichkeit zu (er-)finden (vgl. dazu auch Scharathow 2013, S. 123ff.). Es geht um die Fähigkeit von Subjekten zur Gestaltung ihrer Alltagspraxis und ihrer eigenen Biographien unter bestimmten gesellschaftlichen Bedingungen. Auch die marginalisierten Stadtteile und damit die Jugendlichen und jungen Erwachsenen der zweiten und dritten Generation werden nicht in einen Opferstatus gedrängt. Es werden vielmehr die von Marginalität geprägten Erfahrungen zum Ausgangspunkt genommen, um neue Widerstandsformen gegen die bestehenden Verhältnisse sichtbar zu machen. Erfahrungsräume und Möglichkeiten, die die marginalisierten Verhältnisse für die betroffenen Jugendlichen und jungen Erwachsenen bieten, werden ins Blickfeld gerückt. In einem ähnlichen Kontext argumentiert Isabell Lorey: »Sozialwissenschaftliche Argumentationen, die sich eines immunologischen Paradigmas bedienen, legitimieren damit nicht selten die Re-Stabilisierung von vermeintlich unregulierbar instabil gewordenen Verhältnissen und übersehen damit nicht zuletzt die gerade in solchen Brüchigkeiten entstehenden Potenzialitäten für emanzipatorische gesellschaftliche Veränderungen.« (Lorey 2012, S. 82)
3.2 H abitus der Ü berlebenskunst als sekundäres A rr angement So hat Louis Henri Seukwa, der 2006 die Lebenssituation von jungen Flüchtlingen aus Afrika untersuchte, eine Perspektive eingenommen, aus der Jugendliche als handelnde Individuen ins Blickfeld gerückt werden. Im Fokus der Studie steht die Frage, wie es jungen Menschen trotz restriktiver gesellschaftlicher Rahmenbedingungen und schwierigen Lebenssituationen dennoch gelingt, individuelle und unkonventionelle Wege bzw. Umwege zu finden und Bewältigungs- und Handlungskompetenzen zu erwerben, um ihre Situation zu meistern. Diese Wege und diese Haltung beschreibt Seukwa als »Habitus der Überlebenskunst« und schreibt dazu: »Fasst man Kompetenz als Habitus auf, das heißt als äußere Strukturen, die inkorporiert werden und ihrerseits wiederum die Handlungen des Individuum strukturieren, so erlaubt dies den klassischen Antagonismus zwischen Struktur und Kultur zu überwinden […] Für die theoretische Diskussion über die Genese und den Erwerb von Kompetenzen bestätigen diese Ergebnisse die konstruktivistische These, dass der Habitus der Überlebenskunst keine angeborene Disposition bildet, sondern eher das Produkt der Sozialisation in einem mit repressiven Strukturen ausgestatteten Kontext ist. Dieser Kompetenztypus erweitert schließlich den Wissenshorizont über das kreative menschliche Potential. Seine positive und optimale pädagogische Anwendung fordert als Bedingung
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Hybride Alltagswelten einerseits die Abschaffung von strukturellen Barrieren, und andererseits die Gestaltung der Bildungsumgebung in einer Art und Weise, dass diese als stimulierender Kontext für die Nutzbarmachung einer solchen Kompetenz in Lernaktivitäten dienen kann.« (Sekuwa 2006, S. 258f.)
Zwar handelt es sich in meiner Studie nicht um junge Menschen mit Flüchtlingsstatus, dennoch möchte ich diesen »Habitus der Überlebenskunst« als Metapher heranziehen, um die unterschiedlichen Strategien, Lebenswege und Widerstände von Jugendlichen und jungen Erwachsenen der zweiten und dritten Generation in benachteiligen Stadtteilen zu erfassen. Auf unterschiedliche Weise sind die Jugendlichen meiner Studie mit diskriminierenden und restriktiven Bedingungen sowie diskriminierenden Fremdzuschreibungen konfrontiert. Zum Teil verfügen sie nur über eingeschränkten Zugang zu gesellschaftlichen Ressourcen wie Arbeit und Bildung. Die noch immer mittelschichtorientierte Schule setzt für erfolgreiche Bildungswege von Kindern und Jugendlichen ein gewisses kulturelles Kapital im Sinne Bourdieus voraus, welches in erster Linie im familiären Kontext erworben werden kann. Da einige Familien jedoch nicht in der Lage sind, ihren Kindern genau dieses kulturelle Kapital zu vermitteln, sind diese Kinder und Jugendlichen von vornherein benachteiligt. Nur in den wenigsten Fällen gelingt es innerhalb des Bildungssystems, diese Benachteiligungen zu kompensieren. Betreffende Kinder werden häufig auf niedrigere Schulformen verwiesen, eine Durchlässigkeit nach oben eher verhindert. Die institutionellen Vorgaben scheinen kaum mit den individuellen Kompetenzen der Kinder und Jugendlichen zu korrespondieren. Ihre Ressourcen, wie Mehrsprachigkeit oder Mobilität, werden als solche nicht erkannt, sondern ignoriert oder im schlimmsten Fall abgewertet. Trotz dieser Bedingungen gelingt es einigen Jugendlichen, einen Bildungserfolg zu erreichen. Sie schlagen unkonventionelle Wege ein, nehmen »verschlungene Bildungswege« in Kauf und organisieren ihre Bildungswege selbstständig. Dieser Bildungsaufstieg, so kann man sagen, passiert auf eigene Rechnung. Die »verschlungenen Bildungswege« stellen ein zentrales Ergebnis der Studie »Wege in das Alltagsleben« (2003) von Erika Schulze et al. dar. Ein Hauptziel der Studie war, herauszuarbeiten wie Jugendliche trotz restriktiver gesellschaftlicher Rahmenbedingungen den Bildungsaufstieg organisieren, welche Rolle die konkreten Lehrpersonen dabei spielen und welche familiären Ressourcen aktiviert und genutzt werden. Darüber hinaus wird aufgezeigt, wie unterschiedliche Faktoren (strukturelle Bedingungen, Rolle der Lehrkräfte, der familiäre Hintergrund, Diskriminierungserfahrungen und ökonomische und soziale Situation) auf unterschiedliche Art und Weise verknüpft und zu Strategien weiterentwickelt werden. Es zeigt sich, dass die Jugendlichen bei schulischen Problemen vielfach auf familiäre Ressourcen zurückgreifen und versuchen, diese in die schulische Praxis zu übersetzen. Auch wird deutlich, welch hohen
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Einsatz die Familien leisten müssen, um ihren Kindern einen Bildungsaufstieg zu ermöglichen. Insgesamt zeigen die Interviews eine hohe Motivation und einen großen Einsatz der Jugendlichen, um einen qualifizierenden Bildungsabschluss zu erlangen, bedenkt man die Barrieren, mit denen sie konfrontiert sind. Häufig findet man unkonventionelle Bildungswege, die von der gradlinigen Idealvorstellung abweichen. Mehrfache Schulwechsel sind dabei etwa keine Seltenheit (vgl. Schulze/Soja 2003, S. 202 ff.): »Mit den ›verschlungenen Bildungswegen‹ zeigt sich eben auch eine Gruppe von Jugendlichen, die in starkem Maße motiviert ist, hoch qualifizierende Bildungsabschlüsse abzulegen und dies auch unter schwierigen Bedingungen durchsetzt.« (Ebd., S. 209, Herv. i. O.)
Resümierend kommt Erika Schulze in einem anderen Beitrag, in dem sie die lokale Verortung von Jugendlichen der zweiten und dritten Generation als einen widersprüchlichen Prozess beschreibt, zu dem folgenden Schluss: »Stellt die lokale Verortung in diesem Kontext also zugleich eine Sackgasse für die Jugendlichen dar, so zeigt sich doch auch, welche Handlungsstrategien und widerständige Praxen sie gegen diesen Mehrheitsblick und seine Implikationen entwickeln. Dabei reicht die Palette von Ansätzen zu Gegenentwürfen bis hin zu einem selbstbewussten Spielen mit den stigmatisierenden Zugehörigkeiten. […]« (Schulze 2007, S. 109)
Auch Diana Reiners hat in ihrer qualitativ ausgerichteten ethnographischen Studie die Perspektiven und Erfahrungen Jugendlicher in Graz in den Mittelpunkt gerückt und herausgearbeitet, wie sie mit prekären Lebensbedingungen umgehen und welche Strategien sie dabei entwickeln. Sie verweist auf »paradoxe Strategien des Widerstands« und schreibt dazu: »Die Jugendlichen können durch diese widerständigen Strategien unter den Bedingungen der Prekarität ihre Identitäten und Selbstbilder aufrechterhalten, weil sie die Rollen von passiv Erleidenden in handlungsmächtige AkteurInnen verwandeln, auch wenn ihre Strategien des Widerstands nur wenig zur Verbesserung ihrer strukturellen Deprivation beitragen oder diese noch verstärken.« (Reiners 2010, S. 210)
Zu ähnlichen Ergebnissen kommt Martina Weber (2007). Basierend auf empirischen Erkenntnissen aus zwei qualitativ ausgerichteten Studien über Jugendliche mit türkischem Hintergrund verweist sie auf die Wechselwirkung von Fremd- und Selbstethnisierungsprozessen. In diesem Zusammenhang wird auf die konstitutive Bedeutung sozialer Marginalisierung, die für die Jugendlichen als Basis für die Realisierung biographischer Lebensentwürfe dient,
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hingewiesen. Auch die delinquenten Praxen können als Widerstand gegen die gesellschaftliche Marginalisierung verstanden werden. Dazu notiert Weber: »Auch wenn Jungen objektiv auf der Verliererseite in den Verteilungskämpfen stehen und ihr Leben von Brüchen, struktureller Benachteiligung und Kriminalisierung geprägt ist, wehren sie sich gegen soziale Entwertung und kultivieren eine Art Wagenburg-Mentalität durch solidarischen Zusammenhalt nach innen und eine feindselige Haltung nach außen.« (Weber 2007, S. 321)
Auch Maria do Mar Castro Varela verweist in ihrer Studie auf die Spielräume und Möglichkeiten, die MigrantInnen erkämpfen und nutzen, um widerständige Praxen zu entwickeln. Die Studie zeigt eindrucksvoll, dass Sprechen über utopische Visionen Räume schaffen kann, »um dort nicht nur über ihre Unzufriedenheit und Wut auf die hegemonialen Verhältnisse zu diskutieren, sondern durchaus auch, um widerständige Strategien ins Auge zu fassen.« (Castro Varela 2007, S. 262)
3.3 S ubversive A lltagsstr ategien »Darum gibt es im Verhältnis zur Macht nicht den einen Ort der Großen Weigerung – die Seele der Revolte, den Brennpunkt der Rebellionen, das reine Gesetz des Revolutionärs. Sondern es gibt einzelne Widerstände: mögliche, notwendige, unwahrscheinliche, spontane, wilde, einsame, abgestimmte, kriecherische, gewalttätige, unversöhnliche, kompromissbereite, interessierte oder opferbereite Widerstände, die nur im strategischen Feld der Machtbeziehungen existieren können.« (Foucault 1977, S. 117)
Ausgangspunkt für meine Fragestellung bildet ein so genanntes »marginalisiertes« (Kölner) Quartier als Ort des Widerstands gegen negative Zuschreibungen von außen, territoriale Stigmatisierung und gegen Pathologisierung von bestimmten Lebensformen. Um diese zum Teil subversiven (Über-)Lebensstrategien von Jugendlichen sichtbar zu machen, zu verstehen und zu analysieren, werden unterschiedliche Theorieperspektiven für meine Fragestellung nutzbar gemacht. Da sich die Alltagspraktiken in einem marginalisierten Quartier ohne Machtdimension nicht angemessen analysieren lassen, greife ich auf die Theorie von Michel Foucault (1978) »Dispositive der Macht« zurück, um zunächst zu zeigen, wie Ausschlussmechanismen und Ungleichheiten organisiert werden und wie auf diese Weise eine hegemoniale Normalität etabliert wird, in der die »Ausgeschlossenen« und »Marginalisierten« als »anders« und als »abweichend« definiert werden. Mich interessiert an dieser Stelle, wie Jugendliche und junge Erwachsene darauf reagieren und subversive, widerständige Gegen-
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strategien entwickeln. Interessant scheint an dieser Stelle die Dimension der Macht-Wissens-Theorie von Foucault (1999), welche die produktive Seite der Macht in den Fokus rückt, also besagt, dass Macht auch Gegenmacht bzw. Widerstand hervorbringt. »Wo es Macht gibt, gibt es Widerstand. Und doch oder vielmehr gerade deswegen liegt der Widerstand niemals außerhalb der Macht«, so Michel Foucault (Foucault 1999, S. 116). Im Kontext meiner Studie stellt sich die Frage, in welcher Weise es den Jugendlichen unter diskriminierenden Bedingungen im Quartieralltag dennoch gelingt, sich gegen diese machtvollen Strukturen zu wehren und (subversive) Gegenstrategien zu entwickeln. Ich gehe davon aus, dass sich unterdrückte Wissensarten von Jugendlichen in territorial stigmatisierten Stadtteilen finden lassen. Ähnliche Überlegungen findet man bei der amerikanischen Philosophin Judith Butler (1991; 1998), die in einem anderen Kontext von subversiven Potentialen und »postsouveränen Subjekten«(Butler 1998, S. 198; 2003, S. 11) spricht. Nach Butler verfügen Subjekte über keine prä-existierenden Identitäten, sondern erhalten diese erst durch die in einer diskursiven Machtmatrix wirkenden Praktiken der Anrufung und des performativen Handelns. Die Frage ist, wie und in welcher Weise es den Jugendlichen möglich ist, sich gegen die Machtstrukturen zu wehren und diese subversiven Umwendungen zu vollziehen. Das subversive Potential von Umdeutungen besteht darin, dass die Klischees durch öffentliches Zitieren in einem ironischen Kontext als performativ hergestellte entlarvt und in Frage gestellt werden. Die Idee der Resignifikation kann eine Möglichkeit sein, hegemoniale Zuschreibungen ironisch zu subvertieren. Diese Umwendungen beinhalten Strategien, um Machtstrukturen, die auf den essentialistischen Konzepten basieren, zu dekonstruieren, indem man beispielsweise die Migrationserfahrungen anerkennt und positiv besetzt: »So sind etwa die ›Umwendungen‹, die den Anrufungsprozessen folgen, potentiell kreativ, womöglich gar subversiv. Sie müssen nicht eine Art Gehorsam sein, denn auch die Anrufung ist kein Befehl.« (Villa 2012, S. 55, Herv. i. O.)
Eine mögliche Gegenstrategie oder Umwendung in diesem Kontext wäre dann zum Beispiel, dass Jugendliche die von außen zugeschriebenen negativen Merkmale oder Stereotypen wie beispielsweise »Kanak« übernehmen, ironisch umdeuten und auf diese Weise entlarven. Diese Idee der »Resignifikation«, wie Judith Butler dies nennt, ist eine Möglichkeit, gegen Diskriminierung, Unterdrückung und Stigmatisierung vorzugehen. Jene subversiven Strategien könnten nach Nancy Fraser (1994) auch als ›Widerspenstige Praktiken‹ bezeichnet werden. Wie in dem folgenden Zitat deutlich wird, stellt Cagri Kahveci die kreativen und subversiv politischen Potentiale ins Zentrum seiner Ausführungen:
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Christine Riegel stellt in ihrer Studie über Orientierungen und Handlungsformen weiblicher Jugendlicher der zweiten und dritten Generation fest, dass sie doch in der Lage sind, unter diskriminierenden Bedingungen widerständige Praktiken zu entwickeln und kritische Stellungnahmen zu formulieren, die subversiv wirken (können). Sogar Strategien, die von außen eher als Anpassung interpretiert werden, können auch subversive Momente aufweisen: »Deutlich wurde, dass auch Umgangsweisen, die sich vordergründig durch Anpassung auszeichnen, subversive Momente enthalten. Gerade in ihrer Unauffälligkeit ist es den jungen Frauen teilweise erst möglich, widerständig zu werden, was ihren Kampf gegen Fremdzuschreibungen offenbart.« (Riegel 2004, S. 349)
Die unterschiedlichen Strategien der Transkodierung, wie Stuart Hall diese Umwendung beschreibt, verweisen auf ähnliche Entwicklungen, nämlich die Umkehrung negativer Zuschreibungen bzw. die Umkehrung der Stereotypisierungen. Die existierenden hegemonialen Bedeutungen werden übernommen und mit neuen positiven Bedeutungen versehen (beispielsweise »black ist beautiful«) (vgl. Hall 2004, S. 158). So findet eine Umkehrung binärer Codierungen statt, indem der negativ konnotierte Begriff eine gewisse positive Aufwertung erfährt: »Politisch betrachtet ist es das Moment, in dem der Begriff ›schwarz‹ als Bezugspunkt für die gemeinsame Erfahrung von Rassismus und Marginalisierung in Britannien geprägt wurde. Für Gruppen und Gemeinschaften mit tatsächlich sehr unterschiedlichen Geschichten, Traditionen und ethnischen Identitäten wurde ›schwarz‹ zu einer organisierenden Kategorie für eine neue Politik des Widerstands.« (Hall 1994, S. 15, Herv. i. O.)
So sagt ein Jugendlicher aus Chorweiler in einem Dokumentarfilm beispielsweise: »Hier darf man Ausländer sein,« Eine weitere Strategie liegt in einer Art Rückgriff auf die eigenen Wurzeln, indem Jugendliche, die selbst keine Migrationserfahrungen haben, sich auf Bilder einer nostalgisch besetzten imaginären »Heimat« beziehen, die eher eine symbolische Bedeutung besitzt.
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3.4 S elbste thnisierung und B ildung einer neo - e thnischen I dentität Selbstethnisierende Zuschreibungen, sich beispielsweise als »Türke« oder »Ausländer« zu bezeichnen, lassen sich, abseits des »Paradigmas kultureller Differenz« (Sökefeld 2004), auch als Auseinandersetzungsprozess mit ethnisierenden, kulturalisierenden und kriminalisierenden Effekten seitens der Öffentlichkeit verstehen. Damit kann die Selbstethnisierung zu einer wichtigen Ressource und Strategie der Verortung bzw. Lebensbewältigung werden (vgl. Filsinger 2010). Die Jugendlichen und junge Erwachsenen sind, wie bereits erläutert, von permanenten Diskriminierungen und Ausgrenzungserfahrungen betroffen. Ihre Lebensentwürfe und Verortungspraktiken werden häufig nicht ernst genommen oder abgewertet. Diese Diskriminierungserfahrungen und Invalidierungen können Protestreaktionen hervorrufen, wie das folgende Zitat von Ursula Apitzsch deutlich macht: »Auf diesem Hintergrund bilden sich national verbrämte Protestmentalitäten aus. Es wäre falsch, diese ›sekundäre Traditionsbildung‹ (wie ich sie nenne) mit einer ursprünglichen, traditionalen Herkunftsorientierung zu verwechseln.« (Apitzsch 1996, S. 20, Herv. i. O.)
Eine mögliche Antwort auf diese permanente Verweisung stellt ein reaktiver und imaginärer Nationalismus dar. Die laute und selbstbewusste Selbstverortung als zum Beispiel »türkisch« lässt sich (auch) als trotzige Erwiderung auf die Erfahrung gesellschaftlicher Nichtanerkennung lesen. Denn Erfahrungen der Nichtanerkennung und Verweisung haben in den biographischen Konstruktionen dieser Jugendlichen und jungen Erwachsener zum Teil einen erheblichen Stellenwert. Encarnacion Gutierrez Rodriguez stellt in diesem Zusammenhang fest: »Die Selbstethnisierung erwächst aus den strukturellen Verhältnissen.« (Gutierrez Rodriguez 1999, S. 173) Diese Erfahrungen beschränken sich übrigens nicht nur auf die deutsche Gesellschaft. Vielfach wird darüber hinaus berichtet, dass die Jugendlichen und jungen Erwachsenen auch in der zugeschriebenen »Heimat« als Fremde stigmatisiert und etikettiert werden. Diese Jugendlichen sind in Deutschland geboren und aufgewachsen. Alle wichtigen Lebensereignisse sind mit Deutschland verknüpft, häufig sprechen sie Deutsch besser als die Familiensprache. Sie definieren sich vielleicht als KölnerInnen, BerlinerInnen oder HipHopperInnen. Dennoch konstruieren sie eine ethnische Identität – was auf die Paradoxie und Absurdität ihrer Situation hinweist. Die konsequente Verweigerung gesellschaftlicher Anerkennung, die Kriminalisierung und die Stigmatisierung als »ethnisch anders« können letztlich
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in der Herausbildung einer so genannten »neo-ethnischen Identität« (Bukow 1996, S. 113) münden. Diese Form der Selbstethnisierung ist weder die Folge einer »mitgebrachten« Herkunftskultur, noch ein Hinweis auf desintegrative Dynamiken oder ein kulturelles Scheitern. Vielmehr gibt diese Verortungspraxis Auskunft darüber, dass die Jugendlichen und jungen Erwachsenen sich durch massive Ausgrenzungs- und Diskriminierungserfahrungen ins gesellschaftliche Abseits gedrängt fühlen. Die von außen vorgenommenen ethnischen Zuschreibungen versuchen sie kreativ subversiv für sich zu nutzen. Sie müssen folglich nicht mehr nur passiv ertragen, sondern werden zu aktiv Handelnden. Der gesellschaftliche Zwang, sich eindeutig zu verorten, sich für eine ethnische Identität zu entscheiden, bringt darüber hinaus weitere Handlungsstrategien und Selbstverortungspraxen hervor. Durch Forschung wurde in den letzten Jahren zunehmend sichtbar gemacht, wie Jugendliche, in Auseinandersetzung mit ihrer Lebenssituation und unter diskriminierenden und stigmatisierenden Bedingungen, eigene Positionen entwickeln (Otyakmaz 1995; Badawia 2002). Menschen, die zwischen oder mit zwei oder mehreren Kulturen leben, eignen sich auf Grund der damit verknüpften Anforderungen besondere Kompetenzen an, die gerade in einer durch Mobilität und Migration geprägten Gesellschaft ein enormes Potential entfalten können. Die Betonung zugeschriebener Differenz kann aus der Perspektive marginalisierter Gruppen eine Form annehmen, um Selbstinitiative zu ergreifen und sich zu Wort zu melden. Dabei geht es einerseits um Anerkennungskämpfe und damit andererseits auch um einen niederschwelligen Widerstand gegen Marginalisierung (ähnliche Argumente finden wir auch bei Sighard Neckel und Ferdinand Sutterlüty [2008, S. 23]).
II. Empirischer Teil
4. Forschungsdesign: Methodologische und methodische Implikationen
4.1 M e thodologische Ü berlegungen In meiner Forschungsarbeit geht es sowohl um die Rekonstruktion von Alltagsstrukturen als auch eine subjektorientierte Perspektive, die auf Grund ihrer Verschränkung einen besonderen und wiederholten Blick erfordern. Diese subjektorientierte und alltagsorientierte Perspektive soll, um diesem Vorwurf gleich zu begegnen, jedoch die gesellschaftliche Metaebene nicht unberücksichtigt lassen. Vielmehr sollen die alltagsweltlichen Realitäten in einen Zusammenhang mit gesamtgesellschaftlichen Gegebenheiten gebracht werden. Es ist in diesem Kontext für mich von besonderem Interesse, wie sich die beiden Ebenen gegenseitig bedingen und beeinflussen und wie sie von den AkteurInnen im Quartier erfahren und interpretiert werden. Meine Grundannahme ist hierbei, dass die AkteurInnen auf lokaler Ebene die Geschehnisse und Änderungen ihres Alltags nicht lediglich passiv ertragen, sondern vielmehr aktiv produzieren und mitgestalten. Dadurch verfügen sie über ExpertInnen-Wissen, dass es von innen her zu erkunden gilt (vgl. Gla ser/Strauss 1998). Bei dieser Rekonstruktion bewege ich mich als Forscherin in einem besonderen Spannungsfeld: Auf der einen Seite der Anspruch, die Handlungen und Alltagspraxen der AkteurInnen gesamtgesellschaftlich einzubetten, auf der anderen Seite jedoch auch der Anspruch, mich nicht auf allgemeine Kategorien zu reduzieren, sondern diese in ihrer jeweiligen Individualität zu erfassen und zu rekonstruieren. Dabei sehe ich meine Aufgabe als Forscherin und Vertreterin der Forschung darin, eben jene Zusammenhänge zu entdecken, zu beschreiben, vorsichtig zu kontextualisieren und damit jene Handlungen aufzudecken, die am Aufbau der sozialen Welt mitwirken (vgl. Schütz 1971). Um diese wesentlichen Ansprüche meiner Forschung, die Lebenspraxen und die sekundären Selbstverortungsstrategien von Jugendlichen in marginalisierten Quartieren in den Mittelpunkt zu rücken und ihnen gerecht zu werden,
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eignet sich eine qualitative Herangehensweise hervorragend, denn vor allem bei der Aufdeckung von wenig untersuchten Zusammenhängen entfaltet die qualitative Methode ihre Stärken. Subjektive Sinnsetzungen, alltägliche Praktiken und Handlungsorientierungen der Akteure, zu denen bisher keine theoretisch begründeten Annahmen bestanden, können in der qualitativen Studie mehr oder weniger entdeckt werden. Bezogen auf meinen Forschungsgegenstand versucht die qualitative Sozialforschung zu beschreiben, wie die Jugendlichen und jungen Erwachsenen ihre Alltagspraxis aktiv entwerfen, wie sie ihre je eigenen Lebenswelten aus unterschiedlichen Elementen gestalten und zusammenfügen. Qualitative Forschung muss sich deshalb verschiedener spezieller Methoden bedienen, um vom Untersuchungsgegenstand abhängige unterschiedliche Ziele zu verfolgen und verschiedene Untersuchungsperspektiven einzunehmen. Zur Erforschung verschiedener Kontexte und Dimensionen des sozialen Handelns hat es sich als sinnvoll erwiesen, methodisch gezielt, differenziert und offen vorzugehen, was sich auch im Verlauf der Feldforschung bewährt hat (vgl. Kaschuba 1999). Diese Offenheit ist gerade durch eine qualitative Herangehensweise gewährleistet – befindet sie sich doch nah an ihrem Gegenstand und hat mit ihren »dichten Beschreibungen« (Geertz 1987) in Zeiten sich stark verändernder sozialer Lebenswelten und neu entstandener Lebensstile und -formen Karriere gemacht (vgl. Flick/v. Kardoff/Steinke 2000, S. 17). Konkret verwende ich dazu halbnarrative Interviews und Gruppeninterviews, die es den Jugendlichen und jungen Erwachsenen ermöglichen, ihren Erfahrungen individuelle Bedeutung zuzumessen und sie als ExpertInnen ihres Alltags ernst zu nehmen. »Es wird nicht gezielt nach vorab definierten Lebensereignissen gefragt, sondern vielmehr danach, welche Erlebnisse für die Befragten selbst biographisch relevant sind, wie sie diese Erlebnisse damals und heute deuten und wie sie ihr Leben in einen Sinnzusammenhang, in ein Konstrukt, das wir Biographie nennen, stellen«, so Gabriele Rosenthal (Rosenthal 2001, S. 267). In diesem Zusammenhang versteht Susanne Spindler unter biographischen Konstruktionen eine soziale bzw. kulturelle Praxis, die eher in einem zeitlich und räumlich begrenzten Kontext adäquat rekonstruiert und analysiert werden könne (vgl. Spindler 2006). Verschiedene Problemlagen – ob politischer, ökonomischer oder sozialstruktureller Art, der gesellschaftliche Umgang mit Migration und daraus resultierende Diskriminierungserfahrungen – bilden den Rahmen für die individuellen Biographien und Lebensentwürfe der Jugendlichen dar. Dieser Analyserahmen eröffnet den Jugendlichen insbesondere in marginalisierten Stadtquartieren die Möglichkeit von Selbstauskünften, da sie nur selten die Gelegenheit erhalten, ihr Leben aus ihrer Sicht zu schildern. Zumeist werden ihre Lebensentwürfe nicht ernst genommen – vielmehr werden sie mit vorein-
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genommenen Zuschreibungen und hohen gesellschaftlichen Anforderungen konfrontiert. In meiner Untersuchung finden sich darüber hinaus Anleihen aus ethnographischer Jugendforschung und der Quartiersforschung. So wurden – je nach Kontext – teilnehmende Beobachtung, ExpertInneninterviews, Sekundäranalysen und punktuelle Diskursanalysen herangezogen. Dieser multiperspektivische Zugang ist m.E. geeignet, den verschiedenen Kontexten und Dimensionen des Zusammenlebens, den Strukturen der Alltagspraxen und verschiedenen Lebensentwürfen von Jugendlichen gerecht zu werden, die unterschiedlichsten Facetten des Quartieralltags zu erkunden und schließlich zu einem Gesamtbild zusammenzufügen. Diese multiperspektivische Vorgehensweise erfordert, je nach Perspektive, eine entsprechende Methodenauswahl zu treffen oder, wenn es notwendig ist, eine »Methodenkombination« (vgl. Bourdieu/Wacquant 1996, S. 261) vorzunehmen, um so die unterschiedlichen Dimensionen der Alltagspraxis und die dahinter stehenden Strukturen adäquat zu beschreiben. Da die biographische Methode für meine Forschung besondere Bedeutung hat, will ich hier einen kurzen Exkurs zur Bedeutung der Biographieforschung unternehmen. Gerade bei der Erforschung von Aneignungsprozessen im städtischen und alltagsweltlichen Kontext entfaltet die biographische Methode eine besondere Stärke. Sie versteht alltagsweltliche Prozesse nicht als isolierte Phänomene, sondern ermöglicht es, sie in einen umfassenden Kontext einzubetten bzw. gesellschaftlich zu rahmen. Die heutige Biographieforschung hat sich im sozialwissenschaftlichen Kontext auf Grundlage älterer Traditionen, wie der »biographischen Methode« der Chicagoer Schule in den 1930er Jahren, formiert und weiterentwickelt und sich seit Ende der 1970er Jahre als eigenständige Forschungsrichtung etabliert. Zu dieser Entwicklung hat Fritz Schütze mit der »phänomenologischen Narrationsanalyse« einen erheblichen Beitrag geleistet. Mit der Entwicklung der Biographieforschung konnte vor allem dem Unbehagen gegenüber der damals gängigen quantitativen Sozialforschung begegnet werden. Mit Hilfe der subjektorientierten Forschungsform konnten bis dahin die unter der Dominanz strukturell-funktional orientierter Theoriebildung unterdrückten bzw. marginalisierten Wissensbestände und Machtstrukturen aufgedeckt und deren Relevanz für die empirische Sozialforschung hervorgehoben werden. Diese Konzentration auf individuelle Lebensgeschichten hat zu einer neuen Form der Sozialforschung geführt. Charakteristisch dafür sind eine mikrosoziologiezentrierte Verknüpfung von Makro- und Mikrosoziologie sowie die Fokussierung auf individuelle statt auf positionelle Vergesellschaftung (vgl. Kohli 1988, S. 33ff.). Zur gesellschaftlichen Bedeutung biographischer Konstruktionen formuliert Ursula Apitzsch:
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Bei diesem Wandel handelt es sich nicht nur um das Resultat eines Perspektivwechsels, vielmehr orientiert er sich an gesellschaftlichen Veränderungen und neuen Realitäten. Biographieforschung ist also nicht nur eine alternative Forschungsmethode, sondern darüber hinaus eine notwendige Neuorientierung, die im Grunde der global-gesellschaftlichen Entwicklung Rechnung tragen möchte. Sie geht von einem zunehmenden Abschmelzen traditioneller Orientierungsmuster und einem Bedeutungszuwachs individualisierter Handlungsstrukturen im Umfeld des subjektiven Nahbereichs und des persönlichen Lebenslaufes aus.
4.2 Z ur R ele vanz qualitativer M e thoden Gesellschaftliche Phänomene wie die Pluralisierung von Lebenswelten, die Individualisierung von Lebenslagen und zunehmende diskursive Vernetzungen machen eine besondere Sensibilität, gerade für empirisch untersuchte Erscheinungen, erforderlich. Inzwischen hat sich so eine Tendenz in der sozialwissenschaftlichen Forschungspraxis herausgebildet, die sich verstärkt auf alltägliche Geschehnisse, lokale Besonderheiten und Mikrozusammenhänge fokussiert. Nationale Erzählungen, das heißt überlokale Strukturen und Systeme, haben in diesem Zusammenhang eher an Bedeutung verloren. Postmoderne Theoretiker weisen darauf hin, dass die Zeit der großen Erzählungen und Theorien zu Ende sei (vgl. Lyotard 1983; 1986). Sie stellen dementsprechend eher lokal, zeitlich und situativ begrenzte Erzählungen, Geschichten, aktuelle Inszenierungen und verschiedene »Sonderwelten« in den Vordergrund. Wir haben es heute mit einem permanenten Wechselspiel kleiner Erzählungen auf Mikroebene zu tun, die von den quantitativen For schungsmethoden oft ignoriert wurden und damit zu großen Teilen unentdeckt blieben. Um diese Mikrozusammenhänge sichtbar zu machen, »zum Sprechen zu bringen« und im lokalen wie globalen Horizont zu rekonstruieren, ist eine qualitative Vorgehensweise daher unerlässlich (vgl. Flick 1995). Mittlerweile existiert zahlreiche Methoden für die qualitative Forschung. Jede dieser Methoden geht von unterschiedlichen Voraussetzungen aus, verfolgt unterschiedliche Ziele und erfordert daher differente Untersuchungsperspektiven, verfügt also über ein spezifisches Verständnis ihres Gegenstandes.
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Die Methoden sind auf besondere Weise in den jeweiligen Forschungsprozess eingebettet und am sinnvollsten unter einer prozessbezogenen und kontextspezifischen Perspektive in Betracht zu ziehen und zu charakterisieren. Es erscheint mir wichtig, Theorien und empirische Daten reflexiv miteinander zu verknüpfen, Wissen und Handeln vor allem als etwas »Lokales« und »Veränderbares« zu verstehen und immer im entsprechenden, vorgefundenen Verständigungshorizont zu interpretieren. Das bedeutet jedoch keineswegs, dass das theoretische Vorverständnis in der qualitativen Sozialforschung obsolet werden würde, sondern im Gegenteil: Die theoretischen Vorüberlegungen stellen unabdingbare Denkwerkzeuge dar. Sie sind geistige Ressourcen, die in den Forschungsprozess einfließen und ihm einen Rahmen geben.
4.2.1 Narratives- und halbnarratives biographisches Inter view Konkret habe ich mit halbnarrativen bzw. halbbiographischen Interviews gearbeitet (vgl. Rosenthal 1995), die eine gewisse Offenheit gewährleisten und differenzierte Einblicke sowohl in die biographischen Konstruktionen als auch in die Alltagspraxis von Jugendlichen ermöglichen und sich zudem bereits in der Migrationsforschung bewährt haben (vgl. exemplarisch Apitzsch 1990; Riegel 2004; Spindler 2006; Breckner 2009; Lutz 2009; Karakayali 2010; Rosen 2012). Die biographische Orientierung der Interviews bezieht sich auf die Theorie des narrativen Interviews, wie sie der Soziologe Fritz Schütze entwickelt hat (Schütze 1981; 1983; 1984). Die Phasen des klassischen narrativen Interviews lassen sich wie folgt gliedern:
Erklärungsphase Die Forscherin klärt über Sinn und Zweck des Forschungsvorhabens auf, skizziert kurz die wichtigsten Fragestellungen und informiert darüber, was im Verlauf des Interviews auf die zu interviewende Person zukommt. Es wird die Anonymität der mit den erhobenen Daten und der Umgang damit erläutert und zugesichert, über eine Verwendung für evtl. Veröffentlichungen wird informiert. Anschließend wird Raum für Fragen oder Anmerkungen gegeben.
Erzählaufforderung Die Forscherin gibt einen Erzählstimulus und leitet damit das Interview ein, zum Beispiel: »Ich möchte dich bitten, mir deine Lebensgeschichte zu erzählen. Beginne bitte bei deiner ersten Erinnerung und arbeite dich dann bis heute vor. Du kannst alles erzählen, was du möchtest, es gibt keine Zeitvorgabe.« Haupterzählung (Erzählphase) Die Haupterzählung wird von der Forscherin nicht durch Nachfragen unterbrochen. Für spätere Nachfragen werden Notizen gemacht. In der Regel
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kennzeichnen die interviewten Personen das Ende ihrer Erzählung selbstständig (»Mehr gibt es über mich nicht zu sagen!«).
Nachfragephase Nach Beendigung der Haupterzählung hat die Forscherin die Möglichkeit, Nachfragen zu stellen. Dafür kann sie ihre Notizen verwenden oder spontan agieren. Häufig beziehen sich die Nachfragen auf konkrete geschilderte Ereignisse. Oft wird auch ein bestimmter Lebensabschnitt vertieft (»Kannst du mir noch etwas über deine Kindergartenzeit erzählen?«).
Bilanzierungsphase Am Ende des Interviews wird der Nachfrageteil durch eine »Bilanzfrage« geschlossen (»Wenn du so zurückblickst, wie würdest du dein Leben bis heute abschließend beurteilen?«). Die methodische Abwandlung von narrativen zu halbnarrativen Interviews habe ich gewählt, um in der Interviewsituation flexibel reagieren zu können, ausgehend von der Annahme, dass einige Jugendliche im biographischen Erzählen nicht geübt sind und ggf. Hilfestellungen benötigen – auch schon durch gezielte Fragen während der Erzählphase. Auch scheint es mir in diesem Zusammenhang bedeutsam, dass eine lineare biographische Erzählung eine hohe Erwartung an die zu interviewende Person stellt und sich mit der Lebenswirklichkeit der befragten Jugendlichen nicht deckt. So hat auch Pierre Bourdieu den Ansatz kritisiert, dass das Leben eines Individuums ein kohärentes Ganzes sei, das womöglich sogar in einer linearen Erzählung wiedergegeben werden könne (vgl. Bourdieu 1990, S. 80). Er verweist darauf, dass das Leben der Individuen, auf Grund der Komplexität heutiger Gesellschaften, von vielen verschiedenen Faktoren abhängig sei und beeinflusst würde. Der Anspruch, diese Vielschichtigkeit in einer linearen Erzählung wiederzugeben, erscheint mir deshalb nicht zeitgemäß. Auch das folgende Zitat von Judith Butler bringt die Kontextgebundenheit biographischer Konstruktionen zum Ausdruck. Sie verweist ausdrücklich darauf, dass Lebensgeschichten sehr unterschiedlich erzählt werden (können): »Ich kann die Geschichte meiner Herkunft erzählen, ich kann sie sogar immer wieder auf verschiedene Weise erzählen, aber diese Geschichte, die ich erzähle, ist mir nicht zuzurechnen und kann nicht meine eigene Zurechenbarkeit festsetzen. Jedenfalls will ich hoffen, dass ich das nicht kann, denn gewöhnlich nach ein paar Glas Wein – erzähle ich die Geschichte auf ziemlich verschiedene Weisen, die nicht immer miteinander vereinbar sind. Eine Herkunft haben könnte auch genau das heißen: über mehrere mögliche Versionen dieser Herkunft zu verfügen.« (Butler 2003, S. 50f.)
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Bei den biographisch orientierten, halbnarrativen Interviews stehen – wie erläutert – die Lebensgeschichten im Kontext der lebensweltlichen Positionierung, vor allem auch im Quartier, im Vordergrund. Ziel war es nicht, eine biographische Tiefenanalyse zu erstellen und alle biographischen Stolpersteine oder Traumata zu erfassen. Vielmehr geht es um die Erfassung der subjektiven Sinnsetzung. Relevante Interviewinhalte wurden daher von den interviewten Jugendlichen selbst bestimmt und im Auswertungsprozess schließlich rekonstruiert. Wichtig ist an dieser Stelle auch das Bewusstsein darüber, dass Forschung eine reflexive Situation darstellt, an der sowohl die GesprächspartnerInnen als auch die ForscherInnen beteiligt sind. Aus diesem Blick kann die Thematisierung von Biographien als ein Effekt der ForscherInnen im Feld verstanden werden, weil erst im Gesprächskontext die interviewten Personen dazu motiviert werden, biographisch zu denken (vgl. Dausien/Kelle 2005, S. 194). Eine Interviewsituation stellt ein »hermeneutisches Bündnis« dar (vgl. Bukow/Spindler 2006, S. 25). Sowohl bei der Entwicklung einer Forschungsidee als auch in der Auswertungs- und Interpretationsphase spielen die Wahrnehmung und das Vorwissen der ForscherInnen eine wesentliche Rolle. Bekanntlich stellt Wahrnehmung schließlich keine passive Tätigkeit dar, sondern beinhaltet immer auch eine aktive Intervention. So beschreibt Mark Terkessidis: »Der Forscher wird zum Subjekt eines Verstehens des Anderen - eines Anderen, den er selbst vorab konstruiert hat und der so bloß als ›Objekt‹ der Forschung erscheint. Schließlich kann auch die Struktur des ›hegemonialen Interviews‹ (vgl. Clemenz 1998: 164, Herv. i. O.) eine Rolle spielen.« (Terkessidis 2004, S. 123) Die Beziehung zwischen mir als Sozialforscherin und den Jugendlichen als InterviewpartnerInnen ist darüber hinaus immer auch hierarchisch geprägt, da die »Spielregeln« der Gesprächssituation und überhaupt die Motivation, das Gespräch zu führen, von mir als Forscherin ausgehen (Bourdieu et al. 2007, S. 781). Diese Asymmetrie wird durch meine gesellschaftliche Positionierung als Akademikerin zusätzlich verstärkt (vgl. Lutz 1991, S. 66ff.). So werteten die Jugendlichen sich im Vorfeld des Interviews gelegentlich ab und wiesen darauf hin, dass sie »nicht so viel wüssten« oder »nicht so gut Deutsch könnten«, obwohl sich dies in der Interviewsituation keineswegs bestätigte. Eine Interviewpartnerin zollte mir zudem für meinen Werdegang als studierte Frau zweiter Generation große Anerkennung, sagte aber zugleich, dass sie so etwas wohl niemals schaffen würde und darüber sehr traurig sei.
4.2.2 »Biographizität« als gesellschaftliche Normalität Auf Grund der Institutionalisierung des Lebenslaufs sowie der Vervielfältigung von Handlungs- und Gestaltungsmöglichkeiten müssen Individuen biographische Arbeit leisten und somit ihren gesellschaftlichen Ort ständig neu
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reflektieren, so die hier vertretene These. Alltägliche Situationen verlangen immer wieder nach einer eigenständigen biographischen Orientierung. Somit ist biographisches Denken eine wichtige Kompetenz und Ressource. Es lässt sich zunächst feststellen, dass sich die objektiven Handlungsspielräume und Gestaltungshorizonte im gesellschaftlichen Modernisierungsprozess erheblich erweitert zu haben scheinen. Biographische Entwürfe und Lebensläufe, die Individuen im Verlauf ihres Lebens realisieren können, haben sich deutlich vervielfältigt. Freilich mit individuellen Abstufungen und Gestaltungsspielräumen, abhängig von verschiedenen Differenzkategorien wie sozialer Herkunft oder Bildungsniveau. Dennoch sind Wahlmöglichkeiten, bereits in grundlegenden und basalen Lebensbereichen, inzwischen Normalität. Sie erhalten dadurch eine zunehmend (potentiell) biographische Relevanz. Die Formulierung biographischer Fragen durchzieht den Alltag jedes Einzelnen: Wie will ich leben? Welche Prioritäten setze ich? Und bin ich mit den bereits getroffenen Entscheidungen zufrieden oder möchte ich sie revidieren? Eine selbstreflexive Haltung in Bezug auf die eigene Lebensplanung und -gestaltung wird zunehmend notwendig und zugleich immer alltäglicher. Das Konstruieren, Interpretieren und Verwerfen biographischer Orientierungen ist eine grundlegende Entwicklungsaufgabe. Beispielhaft seien hier die zunehmenden Optionen im Bereich der beruflichen Entwicklung oder der Organisation von privaten und familiären Beziehungen zu nennen (vgl. Brose/Hildenbrand 1988, S. 21). Man kann von einer »Biographisierung von Erleben und Handeln« (ebd.) sprechen. Dieser Zwang zur Biographisierung bietet auf der einen Seite ein großes Potential zur Selbstverwirklichung und autonomen Lebensgestaltung, stellt das Individuum zugleich jedoch auch vor große Herausforderungen. Mit der Zunahme individueller Wahlmöglichkeiten ging schließlich auch eine Abnahme von starren Orientierungsvorgaben einher. Diese Kombination erhöht die Belastung auf das Individuum und kann letztlich auch die Gefahr einer Überlastung beinhalten. Ein klassisches, eher starres und lineares biographisches Selbstverständnis erscheint heute überholt. In einer durch Mobilität, Urbanität und Globalität geprägten modernen Gesellschaft kann ein solches Selbstverständnis nicht mehr als Orientierungsrahmen dienen. Vielmehr scheinen dynamische, hybride und individuell gestaltbare biographische Entwürfe notwendig. Folglich sind biographische Konstruktionen längst nicht mehr vorhersehbar und selbstverständlich, sondern beeinflusst durch unvorhersehbare Ereignisse, Verstrickungen, Krisen oder Brüche, die eine Einordnung und Verarbeitung verlangen (vgl. Fuchs 1983, S. 366). Ein tragfähiges und wirklich differenziertes biographisches Selbstverständnis wird allenfalls in ganz speziellen Situationen erkennbar und gewinnt erst dann eine fassbare Form, wenn jemand sich genötigt sieht, über seinen Lebenszusammenhang nachzudenken. Vielleicht befindet er sich in einer be-
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sonderen Entscheidungssituation, in einer Interviewsituation oder in einer persönlichen Krise. Bukow und Spindler (2006) bezeichnen diese Notwendigkeit zur Biographisierung als einen »Biographisierungsdruck«. Es sind also Unsicherheiten oder Unstimmigkeiten, die eine Selbstthematisierung, eine Selbstreflexion und ggf. die Verwerfung von biographischen Entwürfen notwendig machen. In einem hochdifferenzierten Alltag können solche Momente als alltägliche Erfahrung eingestuft werden (vgl. Dausien 1996, S. 12). In diesem Zusammenhang sprechen Helma Lutz und Kathy Davis von »Selbsttheorien« (2005, S. 245), um deutlich zu machen, dass es sich bei biographischen Konstruktionen um ein hoch theoretisches Konzept handelt. Biographische Konstruktionen unterliegen demnach komplexen sozialen Aushandlungsprozessen. Sie sind nicht bloß kognitiver Art, sondern in gesellschaftliche Zusammenhänge und eine soziale Praxis eingebunden. So werden Biographien zum Ergebnis sozialer Aushandlungsprozesse, sind oft uneindeutig und stellen zunehmend eine Momentaufnahme dar. Sie können auch als Ad-hoc-Reaktionen begriffen werden, zum Beispiel immer dann, wenn eine rasche biographische Konstruktion notwendig ist, sei es in einem Vorstellungsgespräch oder einer ärztlichen Konsultation. Erst in solchen situativen Kontexten entstehen biographische Entwürfe (vgl. Bukow/Spindler 2006). Peter Alheit (2003) spricht in diesem Zusammenhang von »Biographizität«. Biographische Konstruktionen begreift er als Antwort auf pragmatische Überlegungen, beeinflusst durch die jeweiligen Kontexte. Wichtige Faktoren stellen hierbei die aktuellen Lebensbedingungen der betroffenen Personen sowie die gesellschaftlichen Erwartungen dar. Dadurch wird in den Fokus gerückt, dass Biographien retrospektiv entstehen und eine Verortung im Hier und Jetzt darstellen. Die Biographizität wird zu einem persönlichen Standort im globalgesellschaftlichen Alltag. Die Fähigkeit zur Biographizität ist folglich eine wichtige Ressource und große Kompetenz, um soziale Wirklichkeit zu konstruieren. Zusammenfassend kann gesagt werden, dass es sich bei biographischen Konstruktionen um eine vielfältige Praxis handelt: »Ob es nun um außergewöhnliche Frauen oder Männer geht, wir meinen, dass es Aufgabe der Biographieforschung ist, der Vielfalt der Identitäten in lebensgeschichtlichen Identitätskonstruktionen gerecht zu werden, sie zu reflektieren und sichtbar zu machen.« (Lutz/Davis 2005, S. 245).
4.2.3 E xpertInneninter views In der Literatur lassen sich folgende drei Formen des ExpertInneninterviews unterscheiden: das explorative, das systematisierende und das theoriegenerierende ExpertInneninterviews (vgl. Bogner/Littig/Menz 2005). Insgesamt ist die Bezeichnung als »ExpertInneninterviews« eher unglücklich gewählt, da diese
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impliziert, dass allein der berufliche Status einen Menschen zu einem Experten/ einer Expertin macht. Das Alltagswissen der Jugendlichen wird demgegenüber abgewertet, obwohl die befragten »ExpertInnen« oft weder im Stadtteil wohnen, noch eigene Diskriminierungserfahrungen gemacht haben und dadurch häufig auf klassische Mythen aus politischen, wissenschaftlichen und medialen Diskursen zurückgreifen, um ihre Erfahrungen in der Arbeit mit den Jugendlichen und jungen Erwachsenen zu interpretieren. Dennoch verwende ich im Folgenden den Begriff des »der ExpertInnen«, um die Interviews in der Auswertung klar abgrenzen zu können. Für mein Forschungsvorhaben war besonders das explorative ExpertInneninterview interessant, um einen ersten Zugang zum Feld zu gewinnen und einen thematischen Input zu erlangen. Zu diesem Zwecke wurde ein Leitfaden erstellt, um eine Fokussierung zu ermöglichen und zugleich eine gewisse Vergleichbarkeit der Ergebnisse zu sichern. Der Leitfaden ermöglichte den Spielraum, eigene Bedeutungsschwerpunkte zu setzen und die Gesprächssituation um wichtige Themen zu erweitern. Der Interviewleitfaden umfasste die Funktion des/der Befragten, die konkreten Aufgaben, die eigene Sichtweise auf den Stadtteil Chorweiler und dort aufwachsende Jugendliche (mit und ohne Migrationshintergrund). Die Auswertung der ExpertInneninterviews erfolgte nicht im gleichen Maße wie die Auswertung der Interviews mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Eine Analyse wurde vielmehr sequenziell, anhand thematisch wichtiger Interviewpassagen, vorgenommen. Sie sind, zum Teil kontrastierend, kontinuierlich mit in die Auswertung eingeflossen. Leitende Fragestellungen der ExpertInneninterviews: • • • • •
Welche Funktionen und Aufgaben haben Sie? Welche Erfahrungen machen Sie in und mit Chorweiler? Was denken Sie, wo ist der Ursprung des negativen Bildes über Chorweiler? Infrastruktur und soziale Angebote in Chorweiler? Wie nehmen Sie die Lebenssituation migrantischer Jugendlicher und junger Erwachsener in Chorweiler wahr? Sowohl im positiven als auch negativen Sinne? • Gibt es geschlechtsspezifische Besonderheiten? • Gibt es Handlungsbedarf?
4.2.4 Teilnehmende Beobachtung Die teilnehmende Beobachtung als qualitative Forschungsmethode, die eine kleinere Rolle in meinem Forschungsvorhaben einnimmt, dient dazu, Erfahrungen im Feld zu sammeln, alltägliche Abläufe sowie Besonderheiten zu er-
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fassen und sich auf diese Weise mit dem zu untersuchenden Feld vertraut zu machen. In der qualitativen Forschung ist die teilnehmende Beobachtung weit verbreitet. Sie eignet sich in besonderer Weise, das zu untersuchende Quartier näher kennen zu lernen und in Kontakt mit den Menschen zu treten – also ein Gefühl für das Feld zu entwickeln. Mit Hilfe dieser Erkenntnisse können die durch andere Erhebungsmethoden gesammelten Informationen aus eigenem Blickwinkel überprüft und einsortiert werden. Um einen »Blick von innen« zu erhalten und die einzelnen Orte und Szenen möglichst genau beobachten zu können, habe ich mich oft im Stadtteil aufgehalten. Diese Beobachtungsspaziergänge bildeten eine Grundlage für die Entwicklung der konkreten Fragestellung und die Wahl folgender methodischer Herangehensweisen. Ich habe mich dabei an einem Leitprinzip orientierte, das typisch für die Chicagoer Schule der Stadtsoziologie, für die Ethnomethodologie (vgl. Garfinkel 1973; 1973a; Goffman 1996) und für die spätere, auf direkter Beobachtung beruhende Soziologie geworden ist (vgl. Lindner 1990). So war es mir auf Grund der zunehmenden Vertrautheit mit dem Stadtteil anschließend möglich, die Erzählungen meiner InterviewpartnerInnen zu interpretieren und zu kontextualisieren.
4.2.5 Diskursanalyse/Dokumentanalyse Diskursanalytisch erschien es mir interessant herauszuarbeiten, wie bestimmte Bedeutungssysteme über Chorweiler in den Köpfen von Jugendlichen und jungen Erwachsenen entstanden sind. Das Augenmerk richtete sich vor allem auf negative Zuschreibungen und Stigmatisierungen wie »Sozialer Brennpunkt« oder »Ausländerghetto«. Dass dieses Bild über Chorweiler überhaupt entstehen und immer mehr Gestalt und Form annehmen konnte, ist bestimmten Diskursen zu verdanken, die in Köln in den letzten 40 Jahren vor allem medial erzeugt wurden. Ausgehend von Michel Foucaults Axiom (vgl. Foucault 1994), dass nicht nur die handelnden Subjekte, sondern vielmehr auch sich verselbstständigende Diskurse unsere Wirklichkeitskonstruktionen prägen können, habe ich einige Medienberichte und wissenschaftliche Abhandlungen analysiert. Obwohl unterschiedliche Deutungen existieren, haben sich jedoch bestimmte Diskurse in der Öffentlichkeit durchgesetzt. Mit anderen Worten: Es gibt nicht den Stadtteil Chorweiler an sich, sondern nur unterschiedliche Deutungen über ihn. So entsteht Chorweiler als Bedeutungssystem durch die Differenz zu anderen Stadtteilbildern, aber auch zur eigenen möglichen, jedoch nicht sichtbar gewordenen Repräsentation und schließlich durch die Opposition zur eigenen Vergangenheit. Im Zeitungsdiskurs schien dabei vor allem das Auffällige, Außergewöhnliche und Aktuelle eine Rolle zu spielen, während die alltäglichen Gegebenheiten ausgespart wurden.
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Diese medial erzeugten Bilder, die sich gegenseitig überlagern, sind nicht ohne Einfluss auf die alltäglichen und subjektiven Wahrnehmungen von Jugendlichen und jungen Erwachsenen geblieben. Aus diesen diversen und unterschiedlichen Bildern ist das Wissen darüber entstanden, was »Chorweiler« ist und wie es wahrgenommen wird. Selbstverständlich fließen in die medial produzierten Bilder immer auch alltägliche, individuelle Erfahrungen ein. Aus der Vorlage unterschiedlicher Deutungen einerseits sowie eigenen Wahrnehmungsperspektiven andererseits haben die Jugendlichen ihr jeweils spezifisches Bild von Chorweiler zusammengefügt. Diese Bilder über Chorweiler haben für die Einzelnen eine biographische Relevanz und scheinen im Übrigen auch für ihre Verortungspraxen im Stadtteil prägend zu sein, wie anhand von Biographien später gezeigt werden wird.
4.3 K onkre te me thodische V orgehensweise Forschungsleitende Fragestellungen und Erkenntnisinteresse Ausgangspunkt für meine Forschung war mein Interesse, wie Jugendliche und junge Erwachsene in marginalisierten und stigmatisierten Stadtteilen leben, wie sie mit diesem Stigma umgehen, welche (Über-)Lebensstrategien sie entwickeln und wie sie sich dabei gesellschaftlich und politisch positionieren. Hierzu bedarf es der Einbeziehung verschiedener Ebenen, die für das Handeln von Jugendlichen bedeutsam sind: Der wechselseitige Zusammenhang von • gesellschaftlichen Kontexten (als gesellschaftliche Strukturen), • sozialen Bedeutungen (als soziale Repräsentationen und soziale Praktiken) und • konkreten Bedingungen vor Ort, unter denen die betroffenen Jugendlichen aufwachsen und sich arrangieren (öffentliche Plätze, Straßen, Hochhäuser etc.) muss also in die Gesamtbetrachtung einfließen und hat schon bei meinem Feldzugang und der Erhebung der Daten als Leitlinie eine wichtige Rolle gespielt. Das Verhältnis zwischen diesen drei Bereichen ist dynamisch und stellt einen Analyserahmen für eine subjektbezogene und dennoch gesellschaftssensible und damit kritische Jugendforschung dar. Dieses Konzept von Subjekt und Gesellschaft beruht vor allem auf dem subjektwissenschaftlichen Theorieansatz von Holzkamp (Holzkamp 1995; Holzkamp/Osterkamp 2010). Die folgenden Fragen waren für meine Untersuchung forschungsleitend:
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• Wie sehen die konkreten Interaktions- und Sozialisationsprozesse der Jugendlichen und jungen Erwachsenen in Chorweiler aus? • Welche Widersprüche und Spannungen treten auf? • Welche In- und Exklusionserfahrungen bestehen und wie werden sie von den Betroffenen subjektiv wahrgenommen und bearbeitet? • Welche Formen der Nicht-/Marginalisierung lassen sich identifizieren? • Welche Lebensentwürfe werden sichtbar? • Welche Handlungsstrategien werden von den Jugendlichen und jungen Erwachsenen entwickelt? • Gibt es geschlechtsspezifische Besonderheiten? • Welche informellen und formellen Formen der Unterstützung werden in Anspruch genommen? • Welche Zukunftshoffnungen bestehen und welche Wege werden eingeschlagen, um diese zu erreichen?
Feldzugang Im Vorfeld der Studie habe ich einige Erkundungsgänge unternommen, um Eindrücke vom Stadtteil zu gewinnen und mich dort – in dem auf den ersten Blick zugegebener Maßen verwirrenden Straßensystem – zurechtzufinden. Dazu zählten Spaziergänge, Einkäufe in ansässigen Geschäften und der Aufenthalt in einigen Cafés. Diese Teilnahme am Alltagsgeschehen wurde auch nach Beginn des Feldzugangs fortgesetzt und bildete eine wichtige Basis für die Auswertung des erhobenen Materials. Auch habe ich eine Fotodokumentation erstellt, um mir zentrale Plätze immer wieder in Erinnerung rufen zu können. Im nächsten Schritt nahm ich Kontakt zu Sozialarbeitern aus Jugendzentren, Schulen und der Stadtverwaltung auf. Diese waren gegenüber meiner Interviewanfrage stets aufgeschlossen und zeigten sich auch während der Interviewsituation sehr gesprächsbereit. Mit Hilfe der interviewten ExpertInnen wurde dann Kontakt zu Jugendlichen und jungen Erwachsenen hergestellt. Anschließend wurde das Verfahren über ein Schneeballsystem, mit Hilfe der Jugendlichen selbst, ausgeweitet, um auf diese Weise eine gewisse Diversität und Vielschichtigkeit im Quartier in die Untersuchung einzubeziehen. Es zeigte sich, dass der Zugang ohne die Vermittlung durch eine Vertrauensperson (SozialarbeiterIn/FreundIn etc.) sehr schwierig war. Das Misstrauen gegenüber mir als Forscherin war zum Teil groß. Wiederholt wurde die Sorge geäußert, dass mit dem erhobenen Material womöglich Sachverhalte falsch dargestellt werden könnten. So scheiterten beispielsweise Kontaktaufnahmen über soziale Netzwerke ebenso wie persönliche Ansprachen im Quartier. Erfolgsfaktor für die Bereitschaft für ein Interview war also in jedem Fall eine positive Referenz durch eine vertrauenswürdige Person. War diese Bedingung gewährleistet, zeigten sich die Jugendlichen sehr aufgeschlossen und interessiert.
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Auswahlkriterien waren • Alter zwischen 14 und 27 Jahren (ggf. nach oben erweiterbar), • der so genannte Migrationshintergrund und • Kindheit und/oder Jugend mit überwiegendem Lebensmittelpunkt in Chorweiler. Als besondere Herausforderung stellte sich im Verlauf des Feldzugangs der Zugang zu weiblichen Interviewpartnerinnen heraus. Sowohl im Stadtbild als auch in den Jugendzentren sind Mädchen, im Vergleich zu Jungen, unterrepräsentiert, ein Phänomen, das sich über Chorweiler hinaus beobachten lässt und unter anderem den unterschiedlichen Raumaneignungsprozessen von Mädchen und Jungen geschuldet ist (vgl. Bourdieu 1998; Bauhardt 2003). Die ExpertInnen konnten eher Kontakte zu Jungen vermitteln. Zudem erklärten diese sich wesentlich schneller und oft ganz spontan zu einem Interview bereit. Für die Mädchen benötigte es einen zeitintensiveren, behutsameren und vorsichtigeren Zugang, oft verbunden mit vorherigen Telefonaten. Die Annahme, dass die Jugendlichen mit einem überwiegend offenen Fragecharakter nicht umzugehen wissen, hat sich zum Teil bestätigt. Einige Jugendliche waren über die Bitte, mir ihre Lebensgeschichte zu erzählen, sichtlich irritiert und äußerten zum Teil, dass sie einen Fragenkatalog erwartet hätten. Es kam durchaus vor, dass der narrative Erzählteil nach einer Minute mit der Feststellung geschlossen wurde, dass es mehr über die Lebensgeschichte nicht zu sagen gäbe. So entwickelte sich in etwa der Hälfte der Interviews ein Gespräch, in dem ich aus der zunächst eher distanzierten Rolle als Forscherin heraustrat, auch persönliche Dinge über mich und meine »Migrationsgeschichte« erzählte, Rückfragen zuließ und beantwortete. Darauf reagierten die Jugendlichen überwiegend positiv und begannen ihrerseits sich zu öffnen.
Datenschutz Zur Sicherung des Datenschutzes orientierte ich mich in meiner Forschung an den Regeln des Ethik-Kodex der Deutschen Gesellschaft für Soziologie (DGS) und des Berufsverbandes Deutscher Soziologen (BDS) vom 14. Juni 2014, nachzulesen unter http://www.soziologie.de/de/die-dgs/ethik/ethik-kodex.html. Die zum Zwecke der Forschung erhobenen und gespeicherten personenbezogenen Daten wurden nur für die vorliegende Arbeit verwendet. Die Transkriptionen wurden anonymisiert, die Identifikations- und Sachdaten getrennt voneinander aufbewahrt. Diese Trennung wurde zum frühestmöglichen Zeitpunkt vollzogen. Nach Transkription, Anonymisierung und Sicherung der Daten wurde das originale Audiomaterial gelöscht. Bei der Befragung der jugendlichen InterviewpartnerInnen der Gruppendiskussionen, orientierte ich mich an den Richtlinien für die Befragung
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von Minderjährigen, herausgegeben vom Arbeitskreis Deutscher Markt und Sozialforschungsinstitute e.V. (ADM), nachzulesen unter http://bvm.org/file admin/pdf/Recht_Berufskodizes/Richtlinien/RL_2006_Minderjaehriger_D. pdf. Jugendliche unter 14 Jahren wurden generell nicht befragt.
4.4 G rounded Theory & » das verstehende I ntervie w « Wie auf den vorangehenden Seiten beschrieben, habe ich einen mehrdimensionalen Zugang gewählt. In den Auswertungsprozess sind somit verschiedene Materialien eingeflossen. Dazu zählen vorhandene schriftliche Materialien über den Stadtteil, Feldnotizen und -protokolle, die transkribierten Interviews mit Jugendlichen sowie die themenzentrierten Interviews mit Akteuren des Stadtteils. An dieser Stelle einige Hinweise zu meinem Vorgehen bei der Transkription des Interviewmaterials: Mir ist bewusst, dass die Transkription an sich bereits eine erste Interpretation darstellt und niemals eine exakte Wiedergabe des Gesprächs ermöglicht, da allein schon die eigene Verwendung von Interpunktion den Sinn einer Aussage völlig verändern kann (vgl. Bourdieu 2007). Insgesamt habe ich mich für eine mittlere Transkriptionsgenauigkeit entschieden. Die Transkripte sollten sowohl eine möglichst genaue Wiedergabe des Gesprächs enthalten als auch eine hohe Lesbarkeit gewährleisten. Hierzu wurden die Gespräche weitgehend wortgetreu transkribiert, nonverbale Äußerungen wie Lachen oder Schnauben vermerkt und lange Pausen durch ein entsprechendes Zeichen markiert. An einigen Stellen wurden die Transkripte zudem sprachlich geglättet, ohne den Inhalt dabei zu verändern. Diese sprachliche Glättung erfüllte zwei Zwecke: Zum einen sollte die Lesbarkeit des Textes erhöht werden. Zum anderen diente dieser Eingriff der Reduktion von sprachlichen Unterschieden zwischen Interviewerin und interviewter Person. Denn schon allein auf Grund der unterschiedlichen Möglichkeiten der Vorbereitung auf das Interview und der Nervosität der InterviewpartnerInnen, zeigte sich ein starkes Gefälle bezüglich sprachlicher Eloquenz, prägnanter Ausdrucksweise und der Verwendung von Umgangssprache (in der Interviewsituation). Bei der Lektüre eines Interviews, welches diese sprachlichen Differenzen nicht angleicht, entsteht zwangsläufig der Eindruck, die interviewte Person könne sich nicht gut artikulieren. Dieses ohnehin bestehende Machtgefälle soll durch die geglättete Transkription ausgeglichen werden. Für die Auswertung des qualitativen Datenmaterials habe ich mich einer Verschränkung der Grounded Theory (1988) sowie der Theorie des Verstehenden Interviews (Kaufmann 1999) bedient. Die Grounded Theory hat den Anspruch, Theorieansätze auf Basis von qualitativem Datenmaterial, jeweils eingebettet in Kontextwissen, zu begründen. Wie der Name schon sagt, will
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die Grounded Theory »gegenstandsverankert« und damit nah an ihrem Forschungsgegenstand sein. Das zu erreichende Ideal ist eine Theorie, die »interpretativ bedeutsam und erklärungsrelevant ist und einen Voraussagewert besitzt« (Wiedemann 1991, S. 440). Dieser Anspruch ist sehr hoch gesetzt und kann freilich in meinem Forschungsvorhaben nicht erfüllt werden. Dennoch können Tendenzen abgezeichnet werden, die durchaus als Ausgangspunkt für weitere, vertiefende Forschungsfragen genutzt werden können. Wichtig ist an dieser Stelle die Reflexion, dass es Forschung, ausgehend von einer »Tabula Rasa« nicht geben kann. Die Perspektive der Forscherin, aufbauend auf eigenen biographischen Alltagserfahrungen und Vorannahmen, die sich aus dem theoretischen Grundverständnis der Forschung ableiten, spielen freilich bei der Festlegung der Fragestellung, ersten Hypothesen und nicht zuletzt bei der Interpretation der Daten, eine nicht unerhebliche Rolle. Eine Unvoreingenommenheit, welche die Grounded Theory streng genommen voraussetzt, ist also nicht gegeben. Jedoch steht jede Hypothese und jede Interpretation unter dem Grundsatz der Vorläufigkeit und ist im Forschungsprozess immer wieder (selbst-)kritisch zu hinterfragen und zu modifizieren. Es ist sogar denkbar, dass Hypothesen ganz verworfen werden müssen. Insofern ist die Offenheit der forschenden Person in alle Richtungen unabdingbar (vgl. Kaufmann 1999). Im Sinne des Kaufmann’schen »Verstehenden Interviews« sehe ich mich also als »Handwerkerin der Wissenschaft«, die versucht, die Wechselwirkung zwischen Daten und Hypothesen herauszuarbeiten und soziale Interaktionen in ihrer Vielseitigkeit zu erfassen, abzubilden und in den Forschungsprozess einfließen zu lassen. Davon ausgehend wurden die Interviews in einem hermeneutischen Zirkel ausgewertet. Dazu wurden die transkribierten Interviews mit Hilfe des computergestützten Auswertungstools MAXQDA absatzweise und themenspezifisch codiert. Biographische Eckdaten, sofern besprochen, wurden darüber hinaus separat gesammelt und tabellarisch veranschaulicht. Die Codierungen orientieren sich an spezifischen Daten, wurden erst während des Auswertungsprozesses entwickelt und verweisen jeweils auf übergeordnete Konzepte. Nach einer ersten Analyse des Materials wurden die ersten Ergebnisse sortiert. Jene Ergebnisse, die von besonderem theoretischem Interesse für meine Fragestellung waren, wurden auf ihre Codierung hin erneut überprüft, kontrastiert und ggf. überarbeitet. Von besonderer Bedeutung sind in diesem Zusammenhang gerade diese kontrastierenden Gegenüberstellungen, die anhand meiner Vorannahmen überprüft werden und damit neue Erkenntnisse zu Tage fördern können. Wichtig in diesem Prozess ist ein heuristischer Rahmen, der eine Außenperspektive auf das Forschungsfeld ermöglicht und kontinuierliche Reflexionen und eine Hinterfragung der eigenen Vorannahmen erfordert.
Forschungsdesign: Methodologische und methodische Implikationen
Schritt für Schritt kann durch das Aufstellen erster Thesen, thematischer Codierungen und zunehmender Verdichtung eine Theorie entstehen (vgl. Castro Varela 2007, S. 102). Zusammenfassend kann gesagt werden: »Geschichten werden in Situationen erzählt, aber Situationen haben auch ihre Geschichte(n).« (Dausien/Kelle 2005, S. 209) Die folgende Text-Kontext-Grafik zeigt, wie rekonstruktive Biographieforschung arbeitet und welche Kontexte in die Analyse einbezogen werden (sollten): Abbildung 1
TEXT − KONTEXT − MODELL - Herstellungskontext (Interviewsituation als - Biografischer Kontext Transkription soziale Praxis) - Interaktionsrahmen (was erzählt wird) - Lebensgeschichte - Gesellschaftliche
Strukturen - Diskursive Kontexte - Institutionelle Normalität
Quelle: eigene Darstellung
- Theoretische Perspektiven - Konzepte - Fragestellung - Konkrete Methode - Forschungspraxis
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5. Diskurse über Stadt, Migration und marginalisierte Quartiere
5.1 M igr ation be wegt die S tadt Viele sozialhistorische Studien belegen eindeutig, dass Migrationsbewegungen gerade für Großstädte seit jeher konstitutiv waren und immer noch sind (vgl. Bukow et al. 2001, S. 135ff.; Schulze 2003, S. 23ff.). So scheint die »europäische Stadt« ein Mobilitätsraum zu sein und mobilitätsbedingte Diversität eine unerlässliche urbane Ressource. »Die Stadt als öffentlicher Raum ist damit der Platz des Aufeinandertreffens von Menschen ganz verschiedener Lebenssituationen und Herkünfte.« (Dokumentation der Baukulturwerkstatt 2011, S. 3) Erst durch die Vielfältigkeit werden die Städte zu Metropolen. Erst in städtischen Räumen prallen verschiedene Lebensentwürfe, Interessen und Orientierungen aufeinander und verdichten sich zu neuen Urbanitätsformen, Strukturen und Kommunikationsformen. »Wenn die Stadt unhintergehbar eine Vielheit ist, dann ist nicht ›Integration‹, sondern Kollaboration der zentrale Wert des Zusammenlebens. Durch Kollaboration lernen sich die ›Fremden‹ kennen, welche die Stadt seit jeher ausmachen«, so Mark Terkessidis (2013, S. 230, Herv. i. O.). Schon immer hatten Städte und Industriestandorte eine erhebliche Sogkraft und lösten große Wanderungsbewegungen aus. Unbestritten wären eine Industrialisierung und die daraus resultierende Formierung von städtischen Regionen ohne den Zuzug von Menschen, also eine erhebliche geographische Mobilität, nicht denkbar gewesen. Einfluss darauf hatte auch die Verbesserung der Transportwege, wie man an der Entwicklung Europas deutlich zeigen kann. Schon immer zeichneten Großstädte sich durch ihre »Weltbevölkerung« aus. Komplexe und ausdifferenzierte Bevölkerungsstrukturen machten also seit jeher eine Auseinandersetzung mit Diversität zwingend notwendig. Differenzen und der Umgang mit ebendiesen sind, im städtischen Kontext, so schon immer von Bedeutung gewesen und stellen eine Alltagserscheinung dar. Durch die Konstruktion des Nationalstaates wurde dieses alltägliche Phänomen entweder besonders sichtbar und damit einhergehend abgewertet, oder
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aber gleich ganz übersehen. Man kann sagen, dass die Gründung von Nationalstaaten neue Deutungsmuster hervorbrachte und Selbstverständlichkeiten in Frage stellte. Es wurden neue Grenzen gezogen, neue Sprachhierarchien etabliert und neue Allianzen geschlossen. Nationalstaatlichkeit gewann einen stark integrativen Charakter, der Menschen zunächst eine gewisse Identifikationsplattform bot. Heute befinden wir uns in zunehmenden, weltweiten Öffnungsprozessen. Menschen legen immer weitere Strecken zurück, Möglichkeiten der Migration haben sich verändert und pluralisiert. Diese Entwicklung kann nicht folgenlos bleiben: Nationalstaaten und die damit zusammenhängenden Orientierungsschemata scheinen nicht mehr geeignet, das Zusammenleben in den Städten abzubilden (methodologischer Nationalismus). Ein nicht unerheblicher Teil der Stadtgesellschaft kann sich in einem derart vereinfachten Konzept nicht wiederfinden (vgl. Glick Schiller/Caglar 2008). Abbildung 2: MarktbesucherInnen in Köln-Chorweiler
Davon ausgehend, dass Mobilität oder migrationsspezifische Mobilität ein Grundmerkmal urbanen Zusammenlebens darstelle und dass die modernen urbanen Zentren ohne Migration kaum denkbar seien, fordert Wolf-Dietrich Bukow (2010) einen Perspektivwechsel und damit auch eine Neupositionierung. Er plädiert dafür, sich vom dem vor allem im deutschsprachigem Raum dominanten methodologischen Nationalismus zu verabschieden. Es gehe heute um eine »globale Mobilität«, die eine neue gesellschaftliche Orientierung erfordere, eine Orientierung, die den methodologischen Kosmopolitismus in den Mittelpunkt rückt. »Dann wird man begreifen, dass Mobilität selbst in der Form der Migration nichts von einem Sonderereignis oder gar einem geschichtlichen Unfall hat, sondern gesellschaftlicher Normalfall ist.« (Ebd., S. 15)
Diskurse über Stadt, Migration und marginalisier te Quar tiere
Zur Bedeutung von Migration für die Stadtentwicklung Ausgelöst durch die Industrialisierung im späten 18. Jahrhundert kam es zu massiven Wanderungsbewegungen. Zunächst handelte es sich dabei in erster Linie um Binnenwanderungen. Aber die zunehmenden Transformationen der Erwerbsstruktur und die neuen Möglichkeiten der Mobilität erwiesen sich als Motor für Urbanisierungsprozesse. Über die Jahre entstanden städtische Regionen, die sogar zu Industriestandorten mit globaler Bedeutung geworden sind. Dass etwa Frankfurt am Main eine 700-jährige Migrationsgeschichte hat und ohne Zuwanderung in der heutigen Form kaum vorstellbar ist, zeigt eindrucksvoll die historische Studie von Ernst Karpf (2013). Auch in Berlin waren ähnliche Entwicklungen zu verzeichnen. So lebten 1800 etwa 172.000 Menschen in Berlin und innerhalb von 100 Jahre, bis um 1900, wuchs die Bevölkerung auf über 2,4 Millionen Menschen an (vgl. Schäfers 1996, S. 23; Bade 2002, S. 73). Auch wenn es im öffentlichen Diskurs gerne so dargestellt wird, ist die im 20. Jahrhundert stattfindende Migration also nichts grundlegend Neues. Sie ist vielmehr eine »weitere historische Etappe« unter neuen Bedingungen (vgl. Bukow/Yildiz 2002). Weiterhin prägt Migration die Städte und Regionen, hinterlässt Spuren und bietet innovatives Potential (vgl. Schulze 2003). Unsere heutigen Städte sind ohne Migration und Mobilität schlicht nicht denkbar.
5.2 M arginalisierte S tadtquartiere und G he ttobilder Die Analysen über migrationsbedingte Veränderungen werden dennoch unter dem Vorzeichen der Integration diskutiert, bleiben jedoch allzu oft bei kulturalisierenden und ethnisierenden Beschreibungen stehen (vgl. Jonuz/Schulze 2011). Sie dienen eher dazu, bestimmte Stadtteile als »Brennpunkte« zu identifizieren, um geeignete Maßnahmen zu installieren. »Die Problemaspekte dominieren, und die gelebte Normalität fehlt häufig«, so Mark Terkessidis (2010, S. 205). So werden migrationsgeprägte Stadtteile vorschnell als »Parallelgesellschaft« oder im Sinne von Marc Augé als »Nicht-Orte« (2010) abgewertet. In den stadtsoziologischen Beschreibungen ist die Rede von marginalisierten oder marginalisierenden Stadtteilen (vgl. Dangschat 1998, S. 71). Ähnliche Argumente findet man auch bei Pierre Bourdieu (2007), der anhand von biographischen Beispielen versucht hat zu zeigen, wie so genannte benachteiligte Stadtviertel in Frankreich – es geht um die Situation in den Banlieus – zu benachteiligenden Stadtquartieren werden. Gerade die Jugendlichen hätten scheinbar kaum Möglichkeiten, sich aus dieser Lage zu befreien. Was in dieser Argumentation und Interpretation nicht thematisiert wird, sind die Perspektiven der Jugendlichen und ihre Einschätzungen darüber, welchen Einfluss die räumliche Struktur des Viertels auf ihre Lebenssituation tatsächlich hat. Die dominante Sicht der Me-
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dien auf solche Stadtteile wirkt besonders dramatisierend und stigmatisierend. Ein massiver Einfluss auf die Verortungspraxen von Jugendlichen lässt sich nur schwer von der Hand weisen (vgl. dazu Champagne 2001). Der Begriff der Marginalisierung in Bezug auf bestimmte Stadtteile und auf die Jugendlichen, die in solchen wohnen, wird häufig generalisierend verwendet. Undifferenziert werden verschiedene Situationen und Jugendliche unter einem Begriff zusammengefasst. Das Besondere an den jeweiligen Situationen und die individuelle Perspektive werden eher verdunkelt. Aus diesem Blickwinkel scheint Marginalisierung kein analytischer Begriff zu sein.1 Markus Ottersbach plädiert deshalb für einen neuen Blick, wenn er schreibt: »Richtet man den Blick nun auf die Perspektiven marginalisierter Quartiere in bundesdeutschen Städten, dann müsste man zunächst einmal genau schauen, inwiefern die Menschen von Marginalisierung betroffen oder bedroht sind, wie sie sich mit ihrer Situation arrangieren und vor allem welche Maßnahmen sie selbst ergreifen, um ihren Alltag erträglich zu gestalten und sich gegen diese Marginalisierung wehren.« (Ottersbach 2003, S. 39)
Abbildung 3: Café im City-Center in Köln-Chorweiler
Mit dem Aufkommen der Lebensstilforschung im Verlauf der 1980er Jahre und dem Diskurs über die »Soziale Stadt« in den 1990er Jahren stieg das Interesse an der Erforschung von stadtspezifischen Zusammenhängen rapide an. Es entwickelte sich eine eigenständige Disziplin innerhalb der Stadtsoziologie. 1 | Ähnlich argumentiert Robert Castel in Bezug auf den Exklusionsbegriff und nennt einige Gründe, warum seine Verwendung Probleme generiert (vgl. Castel 2000, S. 11ff.).
Diskurse über Stadt, Migration und marginalisier te Quar tiere
Dabei lassen sich zwei Diskurslinien ablesen. Die erste Position zeichnet Szenarien von Zerfall und krisenhaften Zuständen (vgl. Eisner 1997; Heitmeyer 1998), das »Modell Stadt« scheint gescheitert. Demgegenüber stehen alternative Deutungsmuster, die Städten ein hohes zivilgesellschaftliches Potential zusprechen und darauf verweisen, dass beschworene Krisen und Konflikte nicht der Stadt, sondern vielmehr gesamtgesellschaftlichen Missständen geschuldet sind (vgl. Krämer-Badoni 1991). In diesem Zusammenhang wird auch auf ungenutzte und verkannte Potentiale, gerade der BewohnerInnen segregierter und marginalisierter Stadtquartiere hingewiesen (vgl. Ottersbach 2003; 2015).2 Bei näherer Betrachtung der ersten Position zeigt sich, dass es sich weniger um Krisen handelt, die ganze Städte zu betreffen scheinen, sondern vielmehr nur bestimmte Teile von Großstädten, die von Marginalisierungsprozessen betroffen sind. Im Zuge der Entwicklung von der fordistischen zu einer postfordistischen Gesellschaft nahm die Entstehung von (semi-)peripheren Regionen und Quartieren zu, die sich im Verlauf der Zeit zu benachteiligten Stadtquartieren entwickelten. Die Entstehung solcher marginalisierter Quartiere hängt von verschiedenen Faktoren ab, die von der Globalisierung der Arbeitsmärkte über Deindustriealisierungsprozesse, Wohnungsknappheit oder »ethnisch« bedingte Segregation reichen und häufig ein Zusammenspiel aus mehreren Faktoren bilden. In jedem Fall geht der Marginalisierung ein Prozess der Polarisierung voraus, denn zu einer Verelendung kann es erst dann kommen, wenn zuvor ein Prozess der Segregation und Marginalisierung stattgefunden hat (vgl. Ottersbach 2004). Kennzeichnend für marginalisierte Stadtteile ist eine mehrfache Benachteiligung, bestehend aus • • • • •
wirtschaftlicher Schwäche, infrastrukturellen Mängeln, hoher Bevölkerungsdichte, baulichen Mängeln, mangelnder Pflege und Instandsetzung von Gebäuden und Räumlichkeiten, • Kumulierung sozialer Probleme, • eindimensionaler, eher homogener Sozialstruktur und • schlechtem »Stadtteilimage«.
2 | In dem von Aladin El-Mafaalani, Sebastian Kurtenbach und Klaus Peter Strohmeier (2015) herausgegeben Band mit dem Titel »Auf die Adresse kommt es an…« werden sowohl die Marginalisierungsstrategien von außen als auch Potentiale solcher Stadtteile in unterschiedlichen Beiträgen ausführlich diskutiert.
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Die wirtschaftlichen Schwächen dieser Quartiere führen zu einem erhöhten Anteil arbeitsloser BewohnerInnen, BezieherInnen von Wohngeld, Alleinerziehender und alter Menschen. Auf Grund des häufig hohen Anteils von BewohnerInnen ohne deutschen Pass ergeben sich zudem rechtliche Benachteiligungen und eine Verwehrung politischer Partizipation. Häufig sind vor Ort zudem kaum kulturelle und soziale Einrichtungen vorhanden. Um ihre Freizeit zu gestalten, sind die BewohnerInnen darauf angewiesen, den Stadtteil zu verlassen. Oft gibt es eine Unterversorgung mit Kindergärten und Schulen, Bibliotheken und medizinischen Einrichtungen/niedergelassenen Ärzten. Eine dichte Bebauung und daraus resultierende hohe Bevölkerungsdichte, verlassene Hinterhöfe und Plätze, die von den BewohnerInnen systematisch gemieden werden, sowie ein ungepflegtes Gesamtbild sind kennzeichnend für herrschende bauliche Mängel. Darüber hinaus findet sich vermehrt eine territoriale Stigmatisierung bzw. Kriminalisierung, was eine Verbesserung der Situation erschwert, wie Robert Castel am Beispiel von Pariser Banlieus zeigt (vgl. Castel 2009). Berichte über negative Reaktionen bei Nennung des jeweiligen Wohnortes, zum Beispiel bei der Ausbildungssuche oder Gesprächen mit Fremden, sind keine Seltenheit. Diese mangelhafte systemische Inklusion kann zu Problemen führen, die sich in der Lebenswelt der BewohnerInnen niederschlagen – die Grundlage für Berichte über »soziale Brennpunkte« ist gelegt. Ist es einmal so weit gekommen, ist der unvoreingenommene Blick auf die tatsächlichen Lebenswelten und Lebensbedingungen vor Ort verstellt. Eine unbedingt notwendige Anerkennung der Potentiale, Ressourcen und Strategien der BewohnerInnen bleibt aus. In wissenschaftlichen Beiträgen versuchte man unterdessen mittels des Kulturkonfliktansatzes Erklärungen für die Situation in marginalisierten Stadtteilen zu liefern. Nach Lamnek hätten Einwanderer aus Gebieten, die sich kulturell von der deutschen Kultur »weitgehend« unterschieden, große Integrationsprobleme, die zu Konflikten und damit zu Isolation, Ängsten, Identifikationsproblemen und Minderwertigkeitsgefühlen führten. Lamnek unterstellt, sie hätten oft keine ausreichende Bereitschaft oder auch Möglichkeit, »das Bewusstsein und das Verhalten so weit zu verändern, dass sich die Ausländer unserem, für sie zum Teil fremden Werte- und Normensysteme anpassen«. Die fehlende berufliche Integration und die fehlenden Kontakte zu den Einheimischen werden in diesem Zusammenhang auf die »mangelnde Assimilation« zurückgeführt. In der Folge käme es zu einer Art »selbstgewählten Gettoisierung«, die die Integration außerordentlich erschwere und damit möglicherweise (kriminelle) Subkulturen Vorschub leiste (vgl. Lamnek 1998, S. 404). Schlimmstenfalls droht gar ein Kulturkampf (kritisch dazu siehe Wiesemann 2015). Dass die Kulturdifferenzhypothese und der Mythos »Parallelgesellschaft« auch die mediale Wahrnehmung prägen, zeigt das folgende Zitat aus einem Bericht Der Zeit:
Diskurse über Stadt, Migration und marginalisier te Quar tiere »Die Parallelgesellschaft hat jedoch auch ihre eigenen Normen. Auch die haben ihre Schattenseiten, vor allem für die Frauen. Sie sind Gegenstand eines heftigen Kulturkampfes unter den deutschen Türken, von dem die Mehrheitsgesellschaft allenfalls dann erfährt, wenn wieder irgendwo ein junger Mann einen ›Ehrenmord‹ an einer Verwandten begangen hat, deren Lebensstil er missbilligte. Aber diese eigenen Normen der Parallelgesellschaft verbieten es auch, die Autos und Läden der Nachbarn anzuzünden […] Wer in einem Umfeld von Immigranten aufwächst, wo Bildung und Sprachkenntnisse keinen hohen Wert haben, wo Mama nicht Deutsch lernt oder nicht lernen darf, wo der morgendliche Gang zum Sozialamt führt und nicht zur Arbeit – wer so aufwächst, dem fehlen Vorbilder dafür, dass das Leben besser verlaufen kann. Eine neue Untersuchung des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen zeigt, dass türkische Kinder, die unter Landsleuten oder anderen Zuwanderern aufwachsen, später meist auf der Hauptschule landen. Eine überwiegend deutsch geprägte Umgebung würde ihre Chancen verdoppeln, aufs Gymnasium zu kommen. Das Ghetto erhält sich selbst. Wenn Deutschland diesen Kreislauf nicht durchbricht, drohen französische Verhältnisse.« (Klingst/Driescher, Die Zeit, 2005/46, Herv. i. O.)
Der zitierte Zeitungsausschnitt veranschaulicht, wie verschiedene Themen auf eine dramatisierende und polemische Weise in Zusammenhang gebracht werden. Existierende Problemlagen werden einseitig ethnisch verkürzt dargestellt, zudem zieht sich ein deutlich abfälliger Ton durch den gesamten Artikel. Es wird ein Bedrohungsszenario konstruiert, dass jeder Grundlage entbehrt und getrost in das Reich der Fiktion zu verbannen ist. Einen ähnlichen Ton hat unlängst der Historiker Hans Ulrich-Wehler in einem Spiegel-Interview angeschlagen: »[…] Nein, aber ich bin ihm damals beigesprungen, weil sein Buch ›Deutschland schafft sich ab‹ viele Fehlentwicklungen richtig beschreibt. Die Türken sind hier, um für sich zu bleiben. Im Gegensatz zu vielen Spaniern, Griechen oder Italienern, die als Gastarbeiter kamen und ihre Kinder bald auf weiterführende Schulen schickten, sind die Türken erstaunlich resistent geblieben gegen jede Form von Aufstiegsdenken oder Weiterbildungsangeboten. […] Ich sag’s mal krass: 95 Prozent der ungesteuert eingewanderten Türken waren anatolische Analphabeten, für die hier auch nur Jobs bei der Müllabfuhr blieben. Manche deutsche Stadtviertel sind längst homogene türkische Kleinstädte geworden – nicht nur in Berlin. Türkische Studenten finden Sie leider weiterhin sehr selten.« (Tuma, Der Spiegel, 7/2013)
Zu Recht konstatieren Wolf-Dietrich Bukow und Erika Schulze, dass die (öffentliche) Diskussion unfähig zu sein scheint, alltägliche urbane Entwicklungen und Phänomene angemessen, unaufgeregt und realistisch darzustellen. Die Vorstellung von homogenen und abgeschlossenen Gruppen scheint unumstößlich. Die ständigen Transformationsprozesse, dem ein urbanes Quartier zwangsläu-
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fig unterliegt, werden nahezu vollständig ausgeblendet. Migrantische Gruppen werden auf kulturelle Elemente reduziert und ihre alltäglichen Bedeutungszusammenhänge weitgehend ausgeblendet (vgl. Bukow/Schulze 2007, S. 25). Wie Markus Schroer (2006, S. 249) unterstreicht, erzeugen erst unsere Beobachtungsperspektiven von außen solche homogenisierenden Effekte und die inneren Differenzierungen der Stadtteile kommen in dieser Logik nicht mehr vor. »Die Behauptung der Homogenität täuscht über die individuellen Schicksale und die Differenzen hinweg, die sich hinter den allgemeinen Bildern von homogenen Stadtvierteln verbergen. Wenn man die Mühe nicht scheut, näher einzusehen, erfährt man dagegen, wie wenig die Bilder, die wir uns von benachteiligten Wohngebieten, Ghettos, Favelas und Banlieus machen, mit den Realitäten ihrer Bewohner zu tun haben.« (Ebd., S. 250)
5.3 M arginalisierte Q uartiere – V om G he ttomy thos zur A lltagspr a xis Im öffentlichen Diskurs wird, wie beschrieben, für Stadtteile, in denen MigrantInnen oder sozial schwache Familien leben, eine Reihe von Begrifflichkeiten verwendet. Es wird von segregierten, marginalisierten, stigmatisierten Stadtteilen oder Stadtteilen mit besonderem Erneuerungsbedarf, sozialen Brennpunkten gesprochen. Zumeist handelt es sich dabei um Stadtteile, die einen schlechten Ruf haben und eine schlechte Infrastruktur aufweisen. In diesem Kontext ist der Ausgangpunkt wissenschaftlicher Debatten die ›europäische Stadt‹. Diese sei eine soziale Stadt bzw. sogar eine Integrationsmaschine (vgl. dazu Häußermann 1998, S. 160). Daraus wird gefolgert: »Es besteht die Gefahr, dass die Stadt als soziale Einheit zerbricht.« (Ebd., S. 172) In diesem Diskurs werden solche Stadtviertel in erster Linie als desorganisiert und chaotisch betrachtet und mit Begriffen des Mangels und der Schwäche analysiert und beschrieben. Oft werden dabei die ungewöhnlichsten Aspekte des Lebens in diesen Stadtvierteln herausgegriffen und generalisiert. Als Maßstab wird dazu ein gut ›durchmischtes‹, mittelschichtsorientiertes Viertel herangezogen – als quasi Idealfall urbanen Zusammenlebens. Wenn nun in solchen marginalisierten Stadtquartieren auch noch mehrheitlich Migrationsfamilien leben, bekommt der Diskurs einen ethnischen und kulturalistischen Beigeschmack. Sofort ist die Rede von Parallelgesellschaften, Ghettos, ›ethnischen Kolonien‹ oder demokratiefreien Zonen, eng verknüpft mit dem Kriminalisierungsdiskurs. Die Diskussion erhält sogleich einen panischen und apokalyptischen Unterton (vgl. Tsianos 2013). Solche Deutungen verdichten sich zu urbanen Mythen und erzeugen Normalitäten, an denen sich politische und soziale Maßnahmen fortan orientieren.
Diskurse über Stadt, Migration und marginalisier te Quar tiere
Ein Beispiel dafür stellt die ständige Angst vor urbaner Ghettoisierung und die damit verknüpfte Forderung nach einer gesunden und ansehnlichen ›Durchmischung‹. Abbildung 4 und 5: Wochenmarkt in Köln-Chorweiler
Diese Mythen wiederum fließen zurück in die Alltagspraxis und strukturieren den Blick innerhalb der Sozialen (Jugend-)Arbeit. So werden beispielsweise bei Jugendlichen oder jungen Erwachsenen der zweiten oder dritten Generation das Versagen oder soziale Probleme nicht selten auf ihre kulturelle Ausstattung zurückgeführt und es werden ökonomische und soziale Krisen als ethnisch-kulturelle Krisen interpretiert, um daraus spezifische Interventionsmöglichkeiten zu konzipieren. Dazu schreibt Ronneberger: »Durch die Einrichtung einer neuen ›moralischen Ordnung‹ soll nicht nur die fragmentierte Gesellschaft konsensual zusammen gehalten, sondern auch der wachsende sozialräumliche Abstand zwischen den verschiedenen Klassen und sozialen Milieus legitimiert und durchgesetzt werden.« (Ronneberger 1998, S. 33, Herv. i. O.)
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Abbildung 6 und 7: Wochenmarkt in Köln-Chorweiler
Diskurse über Stadt, Migration und marginalisier te Quar tiere
Aus dieser Perspektive werden die Lebenswirklichkeiten und Alltagspraxen von im Stadtteil lebenden Jugendlichen ignoriert oder gar als defizitär abgewertet. Lässt man sich jedoch auf einen Perspektivwechsel ein und rückt die individuellen Positionierungen der Jugendlichen in den Mittelpunkt, gewinnt man einen ganz anderen Eindruck. Um diesen Perspektivwechsel zu verstetigen, brauchen wir einen Ansatz, der das Leben in marginalisierten Stadtquartieren im gesamtgesellschaftlichen und globalen Kontext verortet, diskutiert und unterschiedliche Aspekte wie strukturelle, lebensweltliche und zivilgesellschaftliche Bedingungen zusammenführt. Dazu gehört auch ein intersektionaler Blickwinkel, der verschiedene Ungleichheitskategorien wie Alter, Geschlecht oder Religion nicht ignoriert. In diesem Zusammenhang schlägt Loic J.D. Wacquant einen institutionalistischen Ansatz vor und meint damit, dass das Leben in diesen Stadtquartieren anders funktioniert, als von außen zunächst vermutet und wahrgenommen. Wenn man solche Stadtteile nicht als eine Ansammlung von Problemen und Krisen betrachtet, sondern als eine institutionelle Form, so gelangt man zu dem Ergebnis, dass jene Stadtviertel nicht etwa unter desintegrativen und chaotischen Strukturen leiden, sondern schlicht einer anderen Logik und Regelmäßigkeit folgen: »Was für außenstehende Beobachter nach sozialer Desorganisation aussieht, [ist] oft nur eine andere Form von sozialer Organisation, wenn man sich die Mühe macht, näher hinzuschauen.« (Wacquant 1998, S. 201)
Wenn man das Leben in marginalisierten Quartieren unter diesem institutionalistischen Blick analysiert, so kann man andere Erkenntnisse generieren, als gemeinhin angenommen. Die Menschen werden mit strukturellen und strategischen Zwängen konfrontiert, haben eingeschränkten Zugang zu Institutionen, die Stadtquartiere verfügen über eine desolate Infrastruktur. Folglich entwickeln die BewohnerInnen besondere Lebensstrategien und neue urbane Kompetenzen. Es gilt aufzuzeigen, wie die Aktivitäten der offiziellen Institutionen (Schulen, Ämter, Beratungsstellen) dazu beitragen, solche Stadtteile auf ganz spezifische Weise zu definieren, um dann Maßnahmen daraus zu konzipieren. Die Aufmerksamkeit sollte nicht auf die spektakulärsten Geschehnisse, sondern vielmehr auf die banalen Handlungen des alltäglichen Lebens gerichtet werden. Differenzierte Analysen zeigen, dass es sich nicht um eine einheitliche und in sich geschlossene Realität, sondern sehr heterogene Alltagspraktiken und Verortungsstrategien handelt (vgl. dazu aktuelle Studien Neef/Keim 2007; Baumgärtner 2009; Rorato 2011; Kohl 2013).
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5.4 C horweiler – P hänomenologie eines marginalisierten K ölner S tadtteils Rund 14 Kilometer nördlich vom Stadtzentrum Kölns, liegt, in Randlage, Chorweiler. Als einziger Kölner Außenstadtbezirk schließt er nicht an den Bezirk Innenstadt an. Auf etwa 80 Hektar erstrecken sich hier hochgeschossige Neubauten im Charme der 1960er Jahre, im Norden und Westen umgeben von Wald- und Ackerflächen, im Osten von den Rheinwiesen begrenzt. Damit ist Chorweiler die größte Plattenbausiedlung in NRW – ein Zeitzeugnis für die gescheiterte Wohnungsbaupolitik dieser Epoche. Ein hochgestecktes Ziel stand hinter der Idee für diese »Stadt in der Stadt«. Um der Wohnungsnot der Nachkriegszeit adäquat begegnen zu können und für neue ArbeitnehmerInnen im Zuge des geplanten Ausbaus der Industrie im Norden, sollte Wohnraum für 100.000 Menschen entstehen, der Wohnen, Arbeiten und soziales Leben auf engstem Raum vereint. Die ersten baulichen Maßnahmen begannen bereits in den 1960er Jahren. Das Zentrum Chorweilers, bestehend aus den Stadtteilen Seeberg-Nord, Chorweiler und Chorweiler-Nord wurde schließlich zwischen 1970 und 1980 erbaut. Es zeichnete sich schnell ab, dass das geplante Konzept, nämlich die Ermöglichung von wohnortnaher Arbeit, nicht aufgehen würde. In der Planung war unter anderem nicht berücksichtigt worden, dass das Wirtschaftswachstum in Deutschland stagnieren würde. So kam es etwa nie zum Bau des einst geplanten großen Bürozentrums. Insgesamt wurden, abweichend von der Planung, nur Wohnungen für 40.000 Menschen gebaut und einige weitere Bauvorhaben, wie die Erstellung großer Bürogebäude, nicht umgesetzt. Schon in den 1980er Jahren wurde das Bauvorhaben für verfehlt erklärt. Die Wohndichte in den teils 20-stöckigen Hochhäusern war sehr hoch. Es stellte sich heraus, dass die »Neue Stadt« für die Bevölkerung wenig attraktiv war: Für einfache Arbeiter waren die Mieten zu hoch und zu weit entfernt von ihren Arbeitsplätzen und der Mittelstand bevorzugte andere, zentralere Wohngebiete. In den 1980er Jahren standen bereits viele der Wohnungen in Chorweiler leer. Der ansässige Einzelhandel konnte sich nicht halten, die Infrastruktur baute zunehmend ab. Als Gegenmaßnahme wurden viele Wohnungen zu Sozialwohnungen. In der Folge siedelten sich in Chorweiler vorwiegend sozial schwache EinwohnerInnen an. Eine »Durchmischung« der Gesellschaft, wie konzeptionell geplant, ließ sich nicht verwirklichen.
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Abbildung 8 und 9: Architekturaufnahmen Köln-Chorweiler
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Abbildung 10: Architekturaufnahme Köln-Chorweiler
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Schnell hatte Chorweiler den Ruf eines »Sozialen Brennpunktes«. Zahlreiche Wohnungen standen leer, die infrastrukturellen Mängel nahmen weiter zu, öffentliche Plätze wirkten verwaist, Grünanlagen waren verschmutzt (vgl. Ottersbach 2004). 1985 beschloss der Kölner Stadtrat ein Programm, um die Lebens- und Wohnqualität in Chorweiler zu steigern. Das Programm untergliederte sich in verschiedene Stufen, die Sanierungsmaßnahmen sowie eine Förderung der wirtschaftlichen und sozialen Struktur einschlossen. Es wurden unter anderem verkehrsberuhigte Zonen geschaffen, Selbsthilfestrukturen vor Ort ausgebaut sowie Berufsförderungsmaßnahmen installiert. Auch entstand das erste Jugendzentrum im Stadtteil. Im Jahre 1997 wurde die weitergehende Sanierung des Stadtteils durch die Aufnahme in das NRW-Landesprogramm Stadtteile mit besonderem Erneuerungsbedarf – Soziale Stadt sichergestellt. Besonderes Augenmerk liegt hier auf dem Ausbau von Maßnahmen zur Kinder- und Jugendförderung. Im Zuge all dieser Maßnahmen hat sich das Stadtbild leicht gewandelt. Gerade für Jugendliche und junge Erwachsene bietet Chorweiler inzwischen ein größeres Spektrum an Freizeitmöglichkeiten. Grünanlagen und Grünflächen, eine freundlichere Farbgestaltung der Wohnhäuser und die direkte Anbindung an die Innenstadt haben den Stadtteil nicht nur optisch aufgewertet. Auch verschiedene Initiativen von AnwohnerInnen und zunehmende kulturelle Veranstaltungen zeigen nach und nach Wirkung. So wurde im Spätsommer 2012 zum Beispiel ein Hochhaus-Marathon veranstaltet, bei dem 65 Personen gegeneinander antraten. Abbildung 11: Klingelschilder eines Wohnhauses in Köln-Chorweiler
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5.5 C horweiler – E in marginalisiertes M igr ationsviertel? Bei Köln-Chorweiler von einem »Migrationsviertel« zu sprechen ist insofern irreführend, als dass Chorweiler kein »natürlicher«, durch Migration gewachsener Stadtteil ist. Es finden sich jedoch enge Verquickungen zwischen der Geschichte Chorweilers und der Gastarbeiteranwerbung. Nach dem Anwerbestopp und dem vermehrten Familiennachzug Anfang der 1970er Jahre fanden Gastarbeiterfamilien in den leerstehenden Wohnungen in Chorweiler den benötigten erschwinglicher Wohnraum. Der Anteil an BewohnerInnen mit Migrationshintergrund, laut statistischer Auswertung von 2015, liegt im Stadtbezirk Chorweiler bei 48,3 % und steht damit unter allen Kölner Stadtbezirken an zweiter Stelle. 20,7 % der BewohnerInnen von Chorweiler werden statistisch als AusländerInnen geführt, besitzen also keinen deutschen Pass. Innerhalb des Stadtbezirkes fallen erhebliche Diskrepanzen dieser Zahlen von Stadtteil zu Stadtteil auf. Der Stadtteil Chorweiler führt die Statistik mit einem Anteil von BewohnerInnen mit Migrationshintergrund mit 80,1% an, davon 40,6 % AusländerInnen. Es folgen Seeberg (69,2/33,0 %), Blumenberg (67,4/20,7 %) sowie Volkhoven/Weiler (58,4/19,7 %). Wenn von Chorweiler als »Sozialer Brennpunkt« gesprochen wird, so meint dies in der Regel den Stadtbezirk Chorweiler insgesamt, sondern vielmehr die Stadtteile Chorweiler und Seeberg, die das Zentrum von Chorweiler bilden. Die BewohnerInnen umliegender Stadtteile grenzen sich, so auch die Befunde aus den geführten Interviews, stark von Chorweiler ab. »Ich wohne in Worringen, nicht in Chorweiler!« kann als typische Aussage gewertet werden. Über die Jahre haben zahlreiche Modernisierungsmaßnahmen stattgefunden. Gerade im Bereich Chorweiler und Seeberg ist im Rahmen der Maßnahme »Soziale Stadt« eine gute Versorgung mit sozialen Angeboten für Jugendliche und Erwachsene entstanden. Es lässt sich eine deutliche Verbesserung der Lebensqualität und der Infrastruktur für die BewohnerInnen verzeichnen. Trotzdem hat Chorweiler weiterhin einen schlechten Ruf. »Sozialer Brennpunkt« und »No-Go-Area« sind nur einige der Stichworte, die genannt werden, sobald von Chorweiler die Rede ist. Die Berichterstattung hat zu dieser Konstruktion einen großen Beitrag geleistet. So schrieb etwa die Kölner Stadt Revue 2009: »›Also ich weiß gar nicht, was alle haben, ich finde Chorweiler schön. Und Probleme, die gibt es auch in Stadtteilen wie Lindenthal‹, sagt Ute Weber, seit 1981 Leiterin des Bürgerzentrums Chorweiler. In dem backsteinroten 80er-Jahre-Bau am Pariser Platz findet das kulturelle Leben von Chorweiler statt, hier hat auch die Bezirksvertretung ihren Sitz. Hinter den Fensterscheiben erhebt sich ein Betong ebirge: Beige, Braun, dazwischen dreckiges Gelb. Der Blick ist mit Hochhäusern verstellt, manche haben 23
Diskurse über Stadt, Migration und marginalisier te Quar tiere Stockw erke. Dazwischen immer wieder Passagen, an deren Ende sich ein ähnliches Panorama eröffnet. Auf einem Spielplatz sieht man bloß eine Sandecke, daneben eine Bank, von der nur noch die Metallfüße übrig geblieben sind. Gras und BrennnesselSträucher wuchern, irgendwo zwitschern Vögel, ein unwirkliches Geräusch, das an die Lauts precher-Bes challung in einem Wellness-Center erinnert. […] Ein Großteil der Hochhäuser steht unter Zwangsverwaltung, so auch der 23-stöckige Block an der Osloer Straße. Ein gefundenes Fressen für den Boulevard-Journalismus. Der Eingangsbereich ist abgewrackt, die Haustür schließt nicht mehr. Einer der zwei Aufzüge ist kaputt, im Treppenhaus liegen Schnapsflaschen, es stinkt nach Urin, die Wände sind bekritzelt mit einem Kuddelmuddel aus Gossenvokabular und rassistischen Parolen. Auf fast allen Balkonen stehen ausgeblichene Sofas, Matratzen lehnen hochkant an den Wänden – es ist zu eng in den Wohnung en. Dazwischen Gartenz werge und Geranien auf der Brüstung.« (Albert/Wilberg, StadtRevue Köln 7/2009)
Diesen Ruf griff die ansässige Waldorfschule in einer Mottozeitung zum Abi auf und machte damit die Brisanz des Themas deutlich: »Eine junge Schwangere mit Zigarette, Großfamilien mit ›10 Kusäängs und 19 Kusinään‹, gewaltbereite Jugendliche, posende Mädchen in Jogginghosen – so sehen Kölner Waldorfschüler den Stadtteil Chorweiler. ›Das Viertel färbt ab‹ war das Thema eines Mottotags der Abiturienten. Ihr Bild von Chorweiler ist Teil der Abi-Zeitung geworden, die unter anderem bei einem Adventsbasar verkauft wurde.« (Frangenberg, Kölner StadtAnzeiger vom 20. Dezember 2012, Herv. i. O.)
Diese abwertende und stigmatisierende Darstellung verursachte ein breites Echo und führte schließlich zu einer offiziellen Entschuldigung seitens der Schule. Diese beteuerte ihre guten Absichten und das Unverständnis darüber, dass so wenige »typische« BewohnerInnen des Stadtteils die Waldorfschule besuchen würden. Der Schulleiter vermag sich dies nur durch »eine hohe psychologische Hemmschwelle, die etwas mit dem typischen Waldorf-Profil zu tun hat«, zu erklären: »Auch die Erwartung an die Eltern, viel in der Schule mitarbeiten zu müssen, mag viele abschrecken. Schulze: »Einen wirklichen Kontakt herzustellen, ist mühsam.« (Ebd.) Weiterhin wohnen mehrheitlich ehemalige Gastarbeiterfamilien und deren Nachkommen in Chorweiler, die die unterste Schicht der Gesellschaft bilden. Eine Aufwertung des Stadtteils, wie beispielsweise im Berliner Stadtteil Neukölln, ist in naher Zukunft nicht zu erwarten. Dazu trägt, neben der wenig ansprechenden Architektur und der relativ weiten Distanz ins Kölner Zentrum, insbesondere die Stigmatisierung als »Ghetto« bei. Gerne wird vor einer »Ghettoisierung« und der Entstehung von »Parallelgesellschaften« gewarnt (kritisch dazu Bukow/Schulze 2007; Schiffauer 2008; Römhild 2010).
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So wird Chorweiler im öffentlichen Diskurs zu einem »panischen Raum« (Ronneberger/Tsianos 2009), zu einer »Heterotopie« im Sinne Michel Foucaults (Foucault 1991), zu einem ausgelagerten Raum, in dem eine vermeintlich »andere Normalität« herrscht. Die Idee eines »Kölner-Ghettos« hat lange Tradition. So schreibt der junge Autor Kadri Kayaalp 1978 in der Zeitschrift Betonstadt, herausgegeben vom ersten Jugendzentrum in Chorweiler, über »Klein-Chicago«: »Hier in Chorweiler, zwischen den Hochhäusern, fühlt man sich wie in Klein-Chicago. Es gab Zeiten, da haben Jungens auf der Straße ältere Frauen belästigt, geschlagen und ihnen die Tasche entrissen. Da hatten sie oft ihre kleine Rente drin. Manchmal ist das hier wirklich wie in Chicago. Hier wohnen Deutsche, Türken, Italiener, Spanier und Griechen. Aus vielen Ländern sind Menschen hier und hier gibt es fast jeden Tag eine Schlägerei oder einen Diebstahl. Hier gibt es auch Leute, die anderen Angst machen und sie einschüchtern. Noch haben sie es nicht geschafft. Aber Chicago kann ja noch wachsen.« (Kadri Kayaalp 1978)
Stadtteile oder Straßen, die sich durch einen hohen Migrantenanteil auszeichnen, werden als eine gezielte räumliche Segregation interpretiert. So genannte »ethnisch geprägte Wohnquartiere« werden als integrationshemmend beschrieben (vgl. Farwick 2008). Es handle sich um »ethnische Schraubstöcke« (vgl. Heitmeyer 1998), die zu einer »Selbstgenügsamkeit« (vgl. Esser 2001) führen würden, die zur Folge hätten, dass die BewohnerInnen nicht einmal versuchen würden, sich in wichtige Systeme des Aufnahmelandes einzugliedern. Dieser von Ethnisierung und Kulturalisierung verstellte Blick trägt, wie bereits gezeigt, dazu bei, das Wohngebiet zum sozialen Brennpunkt bzw. zu einem »marginalisierten Quartier« zu degradieren (vgl. Ottersbach 2004). Zudem verkennt eine derartige Betrachtungsweise die Unterschiede zwischen einer freiwilligen und einer unfreiwilligen Segregation.
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Abbildung 12 und 13: Architekturaufnahmen Köln-Chorweiler
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Abbildung 14: Architekturaufnahme Köln-Chorweiler
6. Über die Alltagspraxis in Chorweiler Einflüsse auf die empirische Erhebung: Chorweiler in den Medien Während meiner Forschungsarbeit war Chorweiler auf Grund mehrerer Vorfälle in der Presse präsent. Einer dieser Vorfälle, ein Todesfall an der Hauptschule Chorweiler, wurde darüber hinaus auch in meinen mehrfach Interviews thematisiert und prägte insbesondere die Erhebungsphase im Jahr 2011.
Todesfall an der Hauptschule in Chorweiler Im Sommer 2011, kurz vor den Ferien, kam ein Junge in Folge eines massiven gewaltsamen Übergriffes durch einen anderen Jungen zu Tode. Der Vorfall ereignete sich nach Schulschluss auf dem Schulhof der Hauptschule und wurde von mehreren SchülerInnen beobachtet. Die genauen Umstände konnten bis heute nicht abschließend geklärt werden. In den folgenden Wochen wurde der Vorfall in der regionalen und überregionalen Presse ausführlich thematisiert und eine Debatte um die Sicherheit auf deutschen (Haupt-)Schulhöfen angestoßen. Aus der Hauptschule Chorweiler wurde eine »Schule der Angst«. Von regelmäßigen »Gewaltexessen« wurde berichtet, denen die LehrerInnen hilflos gegenüber stünden. Als Konsequenz aus dem Vorfall wurde eine weitere Schulsozialarbeiter-Stelle an der Hauptschule eingerichtet, die bereits nach den Sommerferien besetzt wurde.
Drohende Zwangsversteigerung der Häuser in der Stockholmer Allee Sämtliche Wohnanlagen in Chorweiler befinden sich derzeit in der Hand von fünf Eigentümern. Dies hat zur Folge, dass die Renovierungs- und Instandhaltungsmaßnahmen maßgeblich von einzelnen privaten Investoren abhängen. In der Vergangenheit wurden immer wieder massive Mängel an den Wohngebäuden bekannt. Die Liste der Schäden reicht von Schimmelbefall über zerstörte Treppenhäuser bis zu nicht funktionierenden Aufzügen. Auf Grund der Insolvenz eines Eigentümers sollen nun 1190 Wohnungen in Chorweiler-Nord zwangsversteigert werden. Berechtigte Zweifel wurden laut, dass künftige Investoren wenig Interesse an einer Instandsetzung der Wohnungen haben könnten. Die Stadt Köln schaltete sich ein und bekundete ihr Interesse, die Wohnun-
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gen zu erwerben. Derzeit ist die Zwangsversteigerung bis zu einer endgültigen Klärung ausgesetzt. Der Fall erregte auch überregionales Interesse und wurde herangezogen, um wiederum auf die gravierenden Missstände in Chorweiler hinzuweisen. Dabei verliert die Berichterstattung immer wieder die in diesem Fall eigentliche Problematik, einen zunehmend privatisierten Wohnungsmarkt, aus den Augen.
6.1 C horweiler virtuell Abbildung 15: Screenshot der Facebook-Seite »Chorweiler«
Quelle: https://www.facebook.com/pages/ Chorweiler/1784760 28835384?fref=ts (zuletzt abgerufen am 28.11.2014)
Im Verlauf meiner Forschung und Recherchen stieß ich auf die Facebook- Präsenz des Stadtteils Chorweiler. Mit großem Interesse verfolgte ich danach immer wieder die dortigen Entwicklungen und Diskussionen. Die Facebook-Seite »Chorweiler« erreicht aktuell 7148 Likes (Stand 07.06.2016). Interessant ist dies insbesondere deshalb, weil es sich bei den Betreibern der Seite um Privatpersonen handelt, die selbst im Stadtteil aufgewachsen sind, und sich inzwischen zu einer »Interessengemeinschaft« zusammengeschlossen haben. Mit der Seite werden keine kommerziellen Interessen verfolgt, vielmehr dient sie als Informations- und Artikulationsplattform. In der Beschreibung der Seite heißt es am 28. November 2014: »Warum wir unseren Stadtteil so sehr lieben ?? Schön, schöner, am schönsten ist es in unserem Veedel Chorweiler !!!!!!!!!«
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Zu berücksichtigen ist dabei, dass zwar jeder und jede Beiträge auf der Seite veröffentlichen kann, die Informationen auf der Hauptseite jedoch durch die Administratoren kontrolliert und dementsprechend selektiert und inhaltlich beeinflusst werden. Ob Kommentierungen der Öffentlichkeit gelöscht werden, lässt sich objektiv nicht nachverfolgen, allerdings habe ich den Eindruck gewonnen, dass dies in der Regel nicht der Fall ist, da auch explizit rassistische Kommentare nicht zensiert werden. Insgesamt zeichnet sich auf der Facebook-Seite ein Bild, das man für urbane Räume typisch nennen kann. Auf den ersten Blick sind die Inhalte von Diversität geprägt, besondere Ereignisse, wie zum Beispiel Berichte über Verbrechen, werden phasenweise stark hervorgehoben. Sie wechseln sich ab mit vollkommen alltäglichen Gegebenheiten, wie etwa Flohmärkten oder sportlichen Ereignissen.
Inhaltliche Schwerpunkte Aktuelle und nostalgische Bilder Auf der Seite werden durch die Betreiber in regelmäßigen Abständen aktuelle und historische Bilder aus Chorweiler gepostet, etwa im Winter Bilder vom verschneiten Chorweiler in den 1980er Jahren und heute. Diese Bilder werden mit Titeln versehen und zum Teil bearbeitet. Nach der Veröffentlichung der entsprechenden Fotos haben die AbonnentInnen der Seite die Möglichkeit, die Fotos zu kommentieren oder zu »liken«, also ihre Zustimmung durch die Option »gefällt mir« auszudrücken.
Aktuelle (Veranstaltungs-)Hinweise Zudem werden aktuelle Veranstaltungshinweise, wie beispielsweise das Stadtteilfest, Veröffentlichung von Videoclips, Demonstrationen oder die Eröffnung einer McDonalds-Filiale veröffentlicht. Den Prozess der Eröffnung der neuen Filiale konnte man auf der Facebook-Seite detailliert nachverfolgen, angefangen mit der Bekanntgabe des Vorhabens bis hin zur Eröffnung. Regelmäßig wurden in diesem Zusammenhang zum Beispiel Gutscheine für McDonalds gepostet. Unter den Beiträgen wurde immer wieder kommentiert und etwa über mögliche Jobs diskutiert.
Aktuelle Vorfälle/Zeitungsartikel Insbesondere die Veröffentlichung aktueller Zeitungsartikel zu Geschehnissen in und um Chorweiler nimmt einen großen Raum ein. Gerade der gewaltsame Tod eines Kleinkindes aus dem Stadtteil rief ein breites Interesse hervor, es wurde eine Vielzahl von Artikeln veröffentlicht und ausgiebig diskutiert. Diese Diskussionen waren dabei sehr kontrovers und mit zum Teil explizit gewaltverherrlichenden Inhalten und Drohungen. In erster Linie bekundeten BewohnerInnen jedoch ihr Mitgefühl oder planten spontane Aktionen, um
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Blumen niederzulegen. Ebenfalls breite Diskussionen lösten und lösen regelmäßig Artikel über Einbrüche oder Diebstähle in Chorweiler aus. Neben der negativen Berichterstattung finden sich auch immer wieder Artikel, die ein positives Bild von Chorweiler zeichnen sollen. Zwei dieser Artikel mit entsprechenden Kommentierungen möchte ich im folgenden Abschnitt kurz vorstellen.
Die Stimmen der Stimmlosen? Unter der Überschrift »Frieden ist hier ein großes Thema« wurde am 22. Februar 2014 der Text eines Zeitungsartikels aus dem Kölner Stadtanzeiger nebst entsprechender Quelle veröffentlicht. Darin heißt es: »Pastor Ralf Neukirchen will Ende April eine Glocke mitten auf dem Pariser Platz im multikulturellen Stadtteil Chorweiler gießen. Wie er auf die Idee gekommen ist und was er mit der fertigen Glocke vorhat, erklärt er im Interview.« (Haaser, Kölner Stadtanzeiger, 22. Februar 2014)
Im Interview erläutert der Pastor sein Vorhaben. Die Glocke solle ein verbindendes Symbol für den Frieden darstellen. Die Sehnsucht nach Frieden sei hier in Chorweiler ein Anliegen aller Religionen. Darum seien auch alle Menschen, und in Chorweiler träfen dabei sogar mehr als 100 Nationen zusammen, dazu aufgerufen, sich am Guss der Glocke zu beteiligen. Der Artikel wird verschiedentlich kommentiert. So schreibt ein Nutzer am 22. Februar 2014: »Die drecks bullen sollten erst mal aufhören die kleinen kinder ohne einen anlass zu kontrollieren dann können wir von frieden und so reden.« Ein weiterer Kommentar lautet: »Eine Glocke mitten auf den Platz, eine originellere Geldverschwendung gab es wohl gerade nicht.« Ebenso finden sich auch Zustimmung und Bekundungen, dass die Glocke eine schöne Idee sei. In einem weiteren Beitrag posten die BetreiberInnen der Seite am 29. März 2012 eine Aufnahme von Chorweiler und diesem gegenübergestellt das Bild eines anderen Stadtteils, vermutlich aus dem Ausland.
Über die Alltagspraxis in Chor weiler
Abbildung 16: »Ghettobilder« – Screenshot der Facebook-Seite »Chorweiler«
Quelle: https://www.facebook.com/178476028835384/photos/a.17926 5808756406.51924.178476028835384/421274877888830/?type=1&t heater (zuletzt abgerufen am 12.12.2014)
Mit der Gegenüberstellung von Chorweiler und »wirklichen Ghetto« wird eine Abgrenzung vorgenommen und Bezug zu gängigen Diskursen hergestellt, in denen der Stadtteil als Ghetto inszeniert wird. Die Kommentare unter dem Bild werden zum Teil sehr hitzig: »Was habt ihr eigentlich immer mit euren unnötigen ›Ghettos‹? Wollt ihr damit cool rüberkommen oder sowas? Was ist so besonders an diesem Ort? Es ist ein gewöhnlicher Ort wo Menschen leben. Findet euch damit ab und vergesst mal ganz schnell euer ›Wanna-Be‹ Leben.« »Niehl ist Ghetto, Alter!« »Leute, wenn ihr was Dagegenhabt , Dann Mall schön eure fresse Halten -.- ^^ und warum schreibt ihr den hier rein ! -.- Chroweiler Für immer Mein Leben« »CHorweiler ist kein ghetto ! es gibt nur viele assis dort !«
Die BewohnerInnen des Stadtteils, die andernfalls öffentlich kaum die Möglichkeit dazu bietet, können hier ihre Meinung artikulieren. Dabei ergibt sich bei der Aushandlung verschiedener Positionen regelmäßig eine Diskussion. Die Entwicklung in Chorweiler wird beobachtet. Es wird kommentiert, Stellung bezogen, sich abgegrenzt, kritisiert oder ein Gegendiskurs geschaffen.
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Die Plattform bietet den BewohnerInnen die Möglichkeit, sich zu solidarisieren, auf Missstände hinzuweisen oder sich auf eine kreative Art und Weise auszudrücken und zu positionieren. Dabei ist vielfach eine starke Identifikation mit dem Stadtteil zu erkennen. So fällt zum Beispiel auf, dass viele Menschen sich an den Diskussionen beteiligen, die in dem Viertel aufgewachsen sind, heute jedoch nicht mehr dort wohnen. Ihr Zugehörigkeitsgefühl, auch über Jahre hinweg, wird in den Äußerungen immer wieder betont. Darüber hinaus bietet sich die Gelegenheit, den Stadtteil nach außen hin zu verteidigen, zum Beispiel dann, wenn Personen, die nicht in Chorweiler leben oder aufgewachsen sind, sich negativ äußern. Diese Diskurse und öffentlichen Äußerungen verdeutlichen einmal mehr die Alltäglichkeit der Lebenssituation im Stadtteil sowie die massive Stigmatisierung, mit der die BewohnerInnen konfrontiert werden.
6.2 J ugendliche und junge E rwachsene in C horweiler Angelehnt an Christiane Riegel (2004) habe ich ein mehrschrittiges Präsentationsverfahren gewählt. 1. Statistische Daten Im Folgenden finden sich zur Auswertung zunächst eine Übersicht statistischer Daten sowie Kurzporträts der InterviewpartnerInnen, um einen Überblick über das Sample zu erhalten. 2. Fallrekonstruktionen Einige ausgewählte Interviews werden zudem mittels ausführlicher Fallrekonstruktionen nachvollziehbar gemacht, um einen Einblick in die subjektiven Sichtweisen der Jugendlichen zu erhalten und Orientierungs- und Handlungsmuster offenzulegen . 3. Möglichkeitsverallgemeinerung Im Anschluss erfolgt eine Möglichkeitsverallgemeinerung, bei der von konkreten Personen und deren spezifischen und subjektiven Erzählungen ausgehend eine typische Verallgemeinbarkeit herausgearbeitet und diskutiert wird. In diese Auswertung fließen alle Interviews partiell mit ein.
6.2.1 Kurzüberblick der Inter viewpartnerInnen In die Endauswertung fließen insgesamt Interviews mit 18 Jugendlichen ein. Einige Interviews wurden aussortiert, da die InterviewpartnerInnen nur wenig erzählen wollten oder so aufgeregt waren, dass die Tonbandaufnahme im
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Nachhinein nur schwer verständlich war. Von den InterviewpartnerInnen waren insgesamt 6 weiblich und 12 männlich. 5 InterviewpartnerInnen besuchen aktuell oder besuchten in Vergangenheit die Realschule, 7 die Hauptschule, 2 das Gymnasium und 4 Personen die Gesamtschule. Davon befinden sich 3 Personen aktuell im Studium, 1 Person macht gerade ihre Ausbildung. 4 Personen wechselten nach dem Schulabschluss an ein Berufskolleg, um ihr Fachabitur zu machen. Die jüngste interviewte Person ist 15 Jahre alt, die Älteste 32.
Carla Carla ist zum Zeitpunkt des Interviews 15 Jahre alt. Sie ist gebürtige Kölnerin, ihre Eltern stammen ursprünglich aus Italien. Carla ist die Mittlere von drei Schwestern. Ihre ältere Schwester besucht eine Realschule, ihre jüngere Schwester eine Förderschule. Sie selbst geht in die 9. Klasse einer Hauptschule. Carlas wichtigstes Hobby ist das Fußballspielen, sowohl im Verein als auch mit Freundinnen und Freunden auf der Straße. Sie lebt gerne in Chorweiler und fühlt sich sicher, weil sie sehr viele Kontakte habe und eine gute Gemeinschaft untereinander existiere. Das negative Bild über Chorweiler kann sie nicht nachvollziehen. Zwar stört sie sich an Leuten, die den ganzen Tag auf der Straße herumstehen und sich betrinken, betont jedoch, dass gerade diese Leute ihr schon geholfen haben, wenn jemand auf der Straße sie belästigt hat. Für die Zukunft wünscht sich Carla, Tierpflegerin zu werden.
Mustafa Mustafa ist zum Zeitpunkt des Interviews 15 Jahre alt und besucht eine Realschule. Er ist in Köln geboren und lebt seit seiner Geburt in Chorweiler. Auf die Frage, woher seine Eltern stammen, benennt er selbstverständlich einen anderen Kölner Stadtteil. Mustafa ist fast jeden Tag im Jugendzentrum und nimmt dort die Sport- und Lernangebote wahr. Besonders wichtig ist es für ihn, dass er als Türke wahrgenommen wird. Mustafa identifiziert sich sehr stark mit Chorweiler, türkisch zu sein und in Chorweiler zu leben, ist für ihn ein Ausdruck von Stärke und Männlichkeit. Die Vorurteile über Chorweiler beschreibt er als zutreffend – »Chorweiler ist krass«, es stört ihn jedoch nicht, da ihm dies in der Stadt Respekt verschaffen würde. Mustafa wünscht sich für die Zukunft eine Ausbildung. Sollte es mit einem Ausbildungsplatz jedoch nicht klappen, zieht er als Alternative die Mitgliedschaft in einer Gang in Chorweiler in Betracht, denn dort würden die landen, die keine Ausbildung oder keinen Abschluss haben.
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Denny Denny ist zum Zeitpunkt des Interviews 23 Jahre alt. Er ist geboren in Köln und aufgewachsen in einem Stadtteil von Chorweiler, wobei er mehrfach ausdrücklich betont, dass es sich dabei nicht um das Zentrum von Chorweiler handele. Seine Mutter stammt aus Deutschland, sein Vater aus Großbritannien. Dennys Jugend war durch seine Mitgliedschaft in einem katholischen Pfadfinderverband geprägt, wo er bis in seine Jugend aktiv war. Diese Mitgliedschaft war vor allem seinen katholisch geprägten Eltern sehr wichtig, damit Denny seine Zeit sinnvoll verbringt und keinen schlechten Umgang bekommt. Trotz einer Realschulempfehlung nach der Grundschule bestanden seine Eltern darauf, dass er aufs Gymnasium geht, welches er erfolgreich mit dem Abitur beendete. Anschließend absolvierte er eine Lehre als Bankkaufmann. Mit dieser Berufswahl war Denny nicht zufrieden – zu wenige Aufstiegschancen, schlechte Bezahlung. So entschied er sich, noch ein Jura-Studium anzuschließen. Zum Zeitpunkt des Interviews war Denny gerade von Zuhause ausgezogen und befand sich im zweiten Studiensemester. Denny betont, dass er gern in Chorweiler gelebt hat und noch immer gerne seine Eltern dort besucht. Trotzdem berichtet er von verschiedenen negativen Erfahrungen und gewaltsamen Übergriffen durch andere Jugendliche, vor allem im Zentrum und abends in den Grünanlagen. Denny berichtet, dass er schon früh vermittelt bekam, dass er sich von Chorweiler fernhalten müsse, da es dort gefährlich sei. Gerade seine Jugend und die Zeit während der Ausbildung waren geprägt durch die Sorge, dass jemand herausfinden könne, wo er wohnt. Die Probleme von Chorweiler sieht Denny in der verfehlten Wohnpolitik der Stadt Köln – zu viele Sozialwohnungen auf zu kleiner Fläche. Für die Zukunft wünscht sich Denny, sein Studium erfolgreich abzuschließen.
Pinar Pinar ist zum Zeitpunkt des Interviews 21 Jahre alt. Sie ist in Köln geboren und wohnt seitdem mit ihrer Familie in Chorweiler. Ihre Eltern stammen aus der Türkei und sind im Rahmen der Gastarbeiteranwerbung nach Köln migriert. Pinar ist die Älteste von drei Schwestern. Nach dem Besuch einer katholischen Grundschule wechselte sie auf die örtliche Gesamtschule. Von ihrer Gesamtschulzeit sind ihr vor allem diskriminierende Erfahrungen durch einzelne Lehrpersonen in Erinnerung geblieben, die aus ihrer Sicht zu einer schlechteren Benotung als die ihrer MitschülerInnen ohne Migrationshintergrund führten und einen Anteil daran hatten, dass sie die Schule »nur« mit einem Hauptschulabschluss verließ. Für Pinar war schon immer klar, dass sie in ihrem Leben mehr erreichen möchte. Auf keinen Fall will sie abhängig vom Staat oder ihrem zukünftigen Mann sein.
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So holte sie im Anschluss ihren Realschulabschluss nach. Inzwischen besucht sie ein Berufskolleg mit dem Ziel, die Fachhochschulreife zu erwerben. Zum Zeitpunkt des Interviews befand sie sich gerade in den abschließenden Klausurphasen. Pinar lebt sehr gerne in ihrem Stadtteil. Den schlechten Ruf von Chorweiler führt sie auf die hohe Anzahl von AusländerInnen zurück, betont im Verlauf des Gesprächs jedoch mehrfach, dass dieser Ruf sich mit der Wirklichkeit nicht decken würde. Sie berichtet, dass andere Menschen ihr das Gefühl geben, in Deutschland »fremd« zu sein, auch wenn sie sich selbst nicht fremd fühlt. In der Türkei sei sie »die Deutsche«, in Deutschland »die Türkin«. Diesen Zustand empfindet sie als bedrückend. Für die Zukunft wünscht sie sich Unabhängigkeit, eine kleine Familie und ein Haus mit Garten.
Lara Lara ist zum Zeitpunkt des Interviews 22 Jahre alt. Sie wurde in Köln geboren. Lara lebt, seitdem sie sich erinnern kann, in Chorweiler. Sie hat einen jüngeren Bruder und eine jüngere Schwester. Lara besuchte die Gesamtschule in Chorweiler und beendete diese mit einem Hauptschulabschluss. Sie definiert sich als schüchtern. Probleme in der Schule, so berichtet sie, hingen damit zusammen, dass sie sich zu selten gemeldet hat. Sie führt die Benachteiligung innerhalb der Schule auf ihren Migrationshintergrund zurück. Auf dem zweiten Bildungsweg absolvierte Lara schließlich ihr Fachabitur. Als richtungsweisend hat sie dabei ihren Vater erlebt, der sie zu einem höheren Bildungsabschluss motivierte. Zum Zeitpunkt des Interviews befand sich Lara in einem Berufsorientierungsjahr, da sie keine Ausbildungsstelle gefunden hat. Sie lebt gerne in Chorweiler und findet, dass der Stadtteil seinem Ruf nicht entspricht. Negative Reaktionen, die sie gelegentlich auf Grund des Wohnortes bekommt, versucht sie durch Argumente zu entkräften. Für die Zukunft wünscht sie sich eine Ausbildungsstelle und im Anschluss einen festen Job.
Jamila Jamila ist zum Zeitpunkt des Interviews 21 Jahre alt, wurde in einem Land in Westafrika geboren und ist mit ihren Eltern als Kleinkind nach Deutschland migriert. Bis zu ihrem 12. Lebensjahr lebte die Familie in einer Kleinstadt nahe Köln. Auf Grund der Arbeitslosigkeit ihres Vaters war die Familie schließlich gezwungen, nach Köln zu ziehen. Seitdem lebt Jamila in Chorweiler. Als besonders eindrucksvoll beschreibt sie den Umzug von einer Kleinstadt nach Chorweiler. Zunächst war sie geschockt, inzwischen hat sie sich an die Hochhäuser gewöhnt. Auf Grund der Architektur fühlt sie sich jedoch nicht wohl.
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Insgesamt findet sie jedoch, dass das gängige Bild über Chorweiler nicht mit der Realität übereinstimmt. Jamila betont, dass sie sich in Deutschland gut integriert habe. Sie lehnt es ab, dass andere Migranten sich nicht anpassen und sich ihre Chancen in Deutschland verbauen würden – dies würde ein schlechtes Bild auf alle anderen werfen. Jamila hat die Hauptschule besucht und ihren Abschluss mit Qualifikation abgeschlossen. Aktuell geht sie auf ein Berufskolleg, um ihr Fachabitur zu erwerben. Für die Zukunft wünscht sich Jamila, aus Chorweiler wegziehen zu können, eine Ausbildung und ein Häuschen mit Garten.
Alexeji Alexeji ist zum Zeitpunkt des Interviews 18 Jahre alt. Er wurde in Kirgistan geboren und ist mit drei Jahren mit seinen Eltern und seiner älteren Schwester nach Deutschland gekommen. Zunächst lebte er mit seiner Familie in einem Flüchtlingswohnheim, später in einer Wohnung in Chorweiler. Seine ersten Erinnerungen hat er an den Kindergarten. Dort machte er zum einen rassistische Erfahrungen, vorwiegend durch die Erzieherinnen, lernte zum anderen jedoch auch Deutsch und fand viele Freunde. Alexeji erwarb seinen Realschulabschluss auf einer Gesamtschule. Aktuell besucht er ein Berufskolleg, um seine Fachhochschulreife nachzuholen. Als einschneidendes Erlebnis erzählt Alexeji, dass er mit acht Jahren die falschen Freunde kennengelernt und angefangen habe zu rauchen und Alkohol zu trinken. Durch einen Umzug mit 12 Jahren sei der Kontakt zu den Freunden jedoch abgebrochen, im Jugendzentrum habe er dann »anständige« Freunde gefunden. Seitdem kommt Alexeji regelmäßig ins Jugendzentrum, um »seine Freizeit sinnvoll zu gestalten«. Nach der Schule möchte Alexeji eine Ausbildung als Versicherungskaufmann anfangen.
Chim Chim ist zum Zeitpunkt des Interviews 16 Jahre alt und besucht eine Hauptschule. In der Interviewsituation fühlt er sich sichtlich unwohl und gibt sich eher wortkarg. Er ist in Deutschland geboren. Seine Mutter stammt ebenfalls aus Deutschland, sein Vater ist während des Vietnamkrieges nach Deutschland geflüchtet. Chims Familie hatte einige Rückschläge zu verzeichnen: Mehrere gescheiterte Versuche der Selbstständigkeit, ein Versuch nach Vietnam auszuwandern und schließlich die Rückkehr nach Deutschland nach nur einigen Monaten. Chim hat vier kleinere Brüder und eine ältere Schwester, die alle zuhause wohnen. In Chorweiler gefalle es ihm »gut«, auch wenn man manchmal »Stress mit anderen Jugendlichen« habe. Insgesamt sei es früher schlimmer gewesen, in der letzten Zeit habe sich die Situation verbessert. Er selbst sei häufiger in Schlägereien verwickelt. In Kürze wird Chim ein Berufsorientierungsjahr
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in Olpe beginnen, worüber er traurig ist, denn eigentlich möchte er lieber in Chorweiler bleiben.
Alessia Alessia ist zum Zeitpunkt des Interviews 16 Jahre alt und besucht eine Realschule. Ihre Eltern sind im Rahmen der Gastarbeiteranwerbung aus Italien nach Deutschland gekommen. Sie hat zwei jüngere Schwestern. Alessia besucht regelmäßig die Mädchengruppe im Jugendzentrum. Sie findet zwar, dass in Chorweiler »viel passiert« und es vielen Menschen hier schlecht geht. Trotzdem wohnt sie gerne in ihrem Stadtteil und ist stolz darauf, aus Chorweiler zu kommen. Der Zusammenhalt zwischen den Menschen sei dafür umso stärker – selbst wenn man verstritten sei, könne man im Notfall aufeinander zählen. Darum wolle sie an Chorweiler auch nichts verändern.
Özlem Özlem ist zum Zeitpunkt des Interviews 15 Jahre alt und besucht eine Hauptschule. Özlem hat 4 Geschwister, die ebenfalls alle noch zuhause wohnen. Nach dem Realschulabschluss möchte sie gerne ihr Abitur machen und Krankenschwerster werden. Özlem fühlt sich dort, wo sie derzeit wohnt, nicht besonders wohl. Die Hochhäuser seien dreckig und in einem schlechten Zustand. Darum ist die Familie kürzlich auch in ein anderes Haus in Chorweiler gezogen. Sie findet schon, dass das Bild über Chorweiler zum Teil zutreffe – vor allem was Drogenprobleme und Schmutz in den Straßen und Häusern angehe.
Ben Ben ist zum Zeitpunkt des Interviews 32 Jahre alt. Er ist in Chorweiler geboren und aufgewachsen. Seine Eltern kommen ursprünglich aus Syrien und leben inzwischen seit 40 Jahren in Deutschland. Nach der Grundschule hat Ben das Gymnasium besucht, dieses erfolgreich mit dem Abitur beendet und ein freiwilliges soziales Jahr absolviert. Inzwischen ist Ben selbst Vater und lebt mit seiner Freundin und seinem Kind in Chorweiler. Den wichtigsten Stützpfeiler in seinem Leben bildete schon immer der Sport, was er inzwischen auch studiert. Neben seinem Studium jobbt Ben in einem Jugendzentrum und gibt Basketballunterricht. Schlechte Erfahrungen hat er in Chorweiler nie gemacht und kann die Vorurteile nicht bestätigen – auch wenn er annimmt, dass sie nicht vollkommen aus der Luft gegriffen sein können. Immer mal wieder reagieren Menschen jedoch irritiert darauf, dass er aus Chorweiler kommt und auch noch studiert.
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Sedat Sedat ist zum Zeitpunkt des Interviews 16 Jahre alt und besucht eine Realschule. Als er drei Jahre alt war, kamen Sedat und seine Eltern als politische Flüchtlinge nach Deutschland. Nach einigen Monaten in einem Asylbewerberheim zog die Familie zunächst mehrere Jahre nach Münster und schließlich nach Köln-Chorweiler, weil sein Vater dort eine Arbeitsstelle annahm. Sedat besuchte nach dem Kindergarten und der Grundschule zunächst das Gymnasium, wechselte jedoch nach der 6. Klasse auf die Realschule und konnte gerade noch abwenden, auf die Hauptschule wechseln zu müssen. Er habe die falschen Freunde kennengelernt, angefangen zu trinken und zu rauchen. Da seine Eltern sehr religiös seien, habe dies zu vielen Konflikten geführt. Nun sei er aber wieder auf dem Weg der Besserung. Aktuell überlegt Sedat, wie er seine Zukunft gestalten soll – Ausbildung oder Abitur. Seine Eltern wünschen sich für ihn, dass er sein Abitur macht, um bessere Zukunftschancen zu haben. Den Umzug von einem Münster nach Chorweiler hat Sedat als großen Einschnitt erlebt. Inzwischen fühlt er sich aber sehr wohl und findet nicht, dass Chorweiler ein schlechter Platz zum Leben ist. Er denkt, dass es überall Leute gibt, die sich schlecht benehmen.
Artur Artur ist zum Zeitpunkt des Interviews 15 Jahre alt. Mit seinen Eltern ist er im Alter von fünf Jahren von Russland nach Deutschland migriert. Seine Eltern hätten in Russland studiert, in Deutschland jedoch zunächst keinen Job gefunden und Hartz IV seit 2 Jahren endlich hinter sich gelassen. Er berichtet, dass er als Kind nur mit deutschen Kindern gespielt und deswegen sehr schnell Deutsch gelernt hat. Nach der Grundschule besuchte er dann das Gymnasium, was zunächst auch gut lief. Irgendwann habe er die falschen Freunde getroffen, die 6. Klasse auf dem Gymnasium »verhauen« und habe an eine Realschule gewechselt. In der folgenden Zeit habe er geraucht, gekifft und zwei Anzeigen erhalten, die jedoch eingestellt worden seien. Seitdem er den Kontakt zu diesen Freunden abgebrochen habe, seien auch seine Noten besser geworden. Auch habe er seine »Ersatzdroge«, das Basketballspielen, gefunden. Diese Zeit »früher« beschreibt er als »Chorweiler-Welt«, die er nun langsam hinter sich lassen kann. Chorweiler habe seine guten Seiten, er fühle sich sogar richtig gut hier, solange man Neinsagen könne und sich nicht dem Gruppenzwang unterwerfe. Es gebe ein paar Verhaltensregeln, die im Alltag zu befolgen seien. Dann würde einem nichts passieren. Für die Zukunft wünscht Artur sich nach der Schule ein Sportberufskolleg zu besuchen, nach Frankreich zu ziehen und evtl. Sportmedizin zu studieren
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Dimitri Dimitri ist 17 Jahre alt und besucht zum Zeitpunkt des Interviews eine Hauptschule. In Chorweiler lebt er seit 7 Jahren, zuvor hat er mit seiner Familie in einem anderen Kölner Stadtteil gelebt. Vor dem Umzug habe er häufig gehört, dass es in Chorweiler »asozial« sei. Dies könne er nicht bestätigen. »Wenn du keine Scheiße machst, dann passiert auch nichts.« Wichtig sei, dass man ein großes Netzwerk habe. Ursprünglich kommt Dimitris Familie aus Kasachstan. Auch wenn die Gesellschaft ihm vermitteln würde, er könne es zu nichts bringen und würde irgendwann bei Hartz IV landen, sieht Dimitri dies anders. Momentan bemüht er sich um einen Ausbildungsplatz als Vermögensberater und rechnet sich gute Chancen aus. Sobald er die Möglichkeit hat, möchte Dimitri jedoch aus Chorweiler weg, auch wenn er dies durchaus ambivalent sieht. Chorweiler habe für junge Menschen jedoch zu wenig zu bieten.
Jegor Jegor ist 25 Jahre alt und studiert zum Zeitpunkt des Interviews Elektrotechnik. Zu seinem Studium kam Jegor auf Umwegen. Schon immer habe er auf ein Gymnasium gehen und studieren wollen. Seine Lehrer hätten ihm jedoch davon abgeraten. Er habe sich zunächst an den Rat gehalten und nur einen Hauptschulabschluss gemacht, auf dem zweiten Bildungsweg dann trotzdem den Weg zum Studium genommen. Chorweiler habe seine Vorteile, besonders für seine Eltern, die nur schlecht Deutsch sprechen würden und hier eine große Community hätten, die sie unterstütze. Für ihn stünde aber fest, dass er bei der nächsten Gelegenheit aus Chorweiler weg wolle. Es sei zu laut zum Lernen, zu weit weg von seiner Uni. Auch würden seine Freunde sich zum Teil nicht trauen, ihn in Chorweiler zu besuchen. Chorweiler habe sich aber zum Besseren entwickelt, Schlägereien seien weniger geworden, auf den Straßen sei es insgesamt ruhiger. Den Grund dafür sieht er in der besseren Integration der Ausländer. Chorweiler brauche dennoch mehr Angebote und Kontrolle, um besonders Jugendliche vor Drogen und Gewalt zu schützen. Die Polizei sei dabei jedoch nicht hilfreich – diese würde willkürlich irgendwelche Leute kontrollieren, ohne erkennbaren Sinn.
Farid Farid ist zum Zeitpunkt des Interviews 17 Jahre alt und besucht eine Hauptschule. Farid wurde in Leverkusen geboren, mit 8 Jahren kam er mit seiner Familie nach Chorweiler. Er hat noch 5 Geschwister, von denen noch 4 zuhause wohnen. Die älteste Schwester ist 25 Jahre alt, die jüngste Schwester ist 9. Seine Eltern stammen gebürtig aus Afghanistan und sind im Krieg als Flüchtlinge nach Deutschland gekommen. Farid erzählt, dass große Teile seiner Familie in Deutschland, insbesondere in Köln leben. Dies sei auch der Grund
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gewesen, weshalb die Familie schließlich von Leverkusen nach Chorweiler gekommen sei. Die Eingewöhnung in Chorweiler sei nicht einfach gewesen – der Unterschied zwischen Leverkusen und Chorweiler sei groß. Inzwischen gefalle es ihm hier aber sogar. Aktuell suche die Familie ein Haus, da die Situation in den Hochhäusern unerträglich geworden sei. Es sei schmutzig, viele Leute würden mit Drogen dealen. Besonders im letzten Jahr habe dies zugenommen. Insgesamt fühle er sich aber sehr sicher, vor allem, da seine Brüder in Chorweiler sehr bekannt seien. Durch Schlägereien und Kämpfe hätten sie sich Respekt verschafft – dies würde sich auch auf ihn übertragen. In seiner Freizeit spielt er im Verein Fußball. Farid berichtet, dass er eigentlich den Wunsch hatte, Polizist zu werden, ist sich aber nicht sicher, ob dieser Beruf zu ihm passt, vor allem, da man dazu ein Fachabitur brauche. Alternativ möchte er Chemikant werden oder bei Ford arbeiten.
Ali Ali ist zum Zeitpunkt des Interviews 16 Jahre alt und besucht die 8. Klasse einer Gesamtschule. Ali hat zwei Geschwister. Zusammen lebt er mit seinem Vater und einem Bruder, der andere Bruder lebt bei seiner Tante, seitdem seine Mutter gestorben ist. Direkt zu Beginn des Interviews sagt Ali: »Meine Nationalität ist Türke. Deutsche. Ne ne, Türke, Türke. Aber ich liebe Deutschland.« Früher hat Ali in einem anderen Kölner Stadtteil gelebt und vermisst seine Freunde von damals und den Stadtteil sehr. Dennoch kann er die Vorurteile über Chorweiler nicht bestätigen. Zwar habe er immer Angst um seinen kleinen Bruder, diese Angst habe er jedoch schon immer gehabt, unabhängig vom Wohnort. Das wichtigste in seinem Leben sei die Religion und seine Familie. In seiner Freizeit sei darüber hinaus das Fußballspielen sehr wichtig, Sehr belastend empfindet er die Arbeitslosigkeit seines Vaters. Finanziell gehe es der Familie sehr schlecht, weshalb er oft verzichten müsse. Auf die Frage, was er sich am meisten wünsche, antwortet Ali, er wünsche sich, dass sein Vater einen Job findet.
Birol Birol ist zum Zeitpunkt des Interviews 18 Jahre alt und macht gerade eine Ausbildung. Zuvor hat er eine Hauptschule besucht. Er hat vier Geschwister. Vor kurzem haben seine Eltern ein Haus gekauft, in dem er nun allein die obere Etage bewohnt. Seine Ausbildung macht ihm sehr viel Spaß. Es sei sein Traumjob und es sehe sehr gut aus, dass er übernommen werde. In Chorweiler lebt er sehr gerne. Seit zwei Jahren besucht er regelmäßig ein örtliches Jugendzentrum. Der Leiter des Jugendzentrums sei ihm sehr wichtig, sei eine große Unterstützung und ein zweiter Vater.
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Für seine Zukunft wünscht sich Birol ein Haus, zwei Kinder und engen Kontakt mit seiner Familie. Bis jetzt, so resümiert er, sei alles optimal gelaufen. Deswegen gebe er seinem Leben eine glatte Eins.
6.2.2 Sedat Zum Zeitpunkt des Interviews ist Sedat 16 Jahre alt und hat 2 Brüder im Alter von 7 und 14 Jahren. Seine Mutter ist mit einem weiteren Kind, einem Jungen, schwanger. Zunächst berichtet Sedat über die ersten Jahre in Deutschland. Sein Vater sei zuerst alleine nach Deutschland gegangen und habe seine Familie einige Monate später nachgeholt. Die ersten Jahre habe die Familie in einem »Container für Asylleute« gelebt und sei danach in ein kleines Dorf gezogen. Daraufhin sei er in den Kindergarten gekommen, habe ohne größere Schwierigkeiten Deutsch gelernt, habe im Anschluss auch die Grundschule problemlos gemeistert und sei auf einem Gymnasium eingeschult worden. Schließlich habe sein Vater eine Anstellung in Köln gefunden, woraufhin die Familie umzog. In Köln sei es mit der Schule dann bergab gegangen, der Umzug sei ihm sehr schwer gefallen. Schließlich habe er, auf Empfehlung seiner Lehrer, auf eine Realschule gewechselt. Inzwischen gehe es dort mit den Noten wieder bergauf: »Ich hatte ein paar Probleme sozusagen, so psychisch oder weiß ich jetzt nicht, also ich war echt gebunden an das alte Dorf. Danach bin ich vom Gymnasium halt sechste Klasse zweites Halbjahr, bin ich dann auf Realschule gewechselt. Auf die Aufbaurealschule am Dom. Realschule am Rhein. Dann ging es eigentlich wieder bergauf. Also meine Noten waren richtig schlecht sozusagen. Dann hab ich mich wieder so aufgerappelt, wieder neue Freunde finden, dann die Schule wechseln.« (Interview Sedat, S. 1)
Prekäre Verhältnisse – Aufstieg auf Umwegen Sedat beschreibt ausführlich die Schwierigkeiten seines Vaters, in Deutschland Fuß zu fassen. Der Umzug von einem kleinen Dorf im Münsterland nach Köln war durch das Jobangebot seines Vaters motiviert. Seine Mutter habe sehr früh geheiratet und sei Hausfrau. Die Anstellung habe sein Vater nach wenigen Jahren jedoch wieder verloren. Es folgte eine erneute Arbeitslosigkeit seines Vaters, der seine Jobsuche wieder auf verschiedene Städte ausweitete. Da sich jedoch alle Familienmitglieder gegen einen weiteren Umzug aussprachen, sah Sedats Vater von der Suche in anderen Städten ab und eröffnete schließlich eine eigene Computer-Firma. Diese Firma laufe inzwischen ganz gut. Auf Grund seiner politischen Probleme in der Türkei habe sein Vater seit vielen Jahren nicht mehr in seine Heimat reisen können. Dies würde erst wieder möglich, wenn er die deutsche Staatsbürgerschaft annehmen könne. Unter diesem Zustand leide sein Vater sehr. Sedat beschreibt seinen Vater als hochgebildeten Mann,
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der mehrere Ausbildungen gemacht hat, und in der Türkei als Schriftsteller gearbeitet habe. Er habe beispielsweise ein Buch über Atatürk veröffentlicht. Er lese und schreibe bis heute sehr viel und lege auf die Ausbildung seiner Kinder sehr großen Wert. Sein Vater habe früh lernen müssen, sich um eine Familie zu kümmern. Dies versuche er auch, an seine Kinder weiterzugeben. Deshalb habe Sedat schon früh arbeiten und sein Taschengeld selbst verdienen müssen. Inzwischen helfe er regelmäßig in der Firma seines Vaters aus. Aus Sedats Beschreibungen wird der lange Kampf der Familie deutlich, eine Einbindung in wichtige gesellschaftliche Systeme, wie zunächst den Wohnungs- oder Arbeitsmarkt zu erreichen. Da Sedats Vater offenbar über keinen »passenden« Abschluss verfügt, ist ein enormer Aufwand nötig, um das Einkommen der Familie sicherzustellen, verbunden mit Umzügen und letztlich dem Schritt in die Selbstständigkeit. Diese Erfahrungen scheinen Sedat zu prägen. Selbstständigkeit und die Fähigkeit, eine Familie zu versorgen, sind für ihn wichtige Ziele: »Mein Vater will jetzt einfach nur, dass ich weiß, wie es ist, wenn man zum Beispiel nicht mehr ... also wenn sein Vater nicht mehr ist oder seine Mutter. Und deswegen, ich find das auch nicht schlimm. Ich find das sehr gut, wenn man so kulturell erzogen wird, wie man es gelernt hat. Also von der religiösen Hinsicht hab ich keine Probleme, find ich sehr gut. Und vom Arbeiten und so her ist eigentlich ... also wenn man sich dran gewöhnt, ist Arbeiten eigentlich gar nicht so schlimm, wie man es immer so als Kind denkt. Jetzt arbeiten, so viel stehen, Zeitungen austragen, das ist doch sehr schwer. Was tust du mir da an? Gib mir doch lieber Taschengeld. Aber wenn man sein eigenes Geld verdient, hat man auch mehr Möglichkeiten.« (Interview Sedat, S. 4)
Gleichzeitig ist in seinen Worten auch eine Entmutigung zu spüren. An mehreren Stellen wird deutlich, dass Sedat nicht glaubt, dass er jemals einen Aufstieg schaffen wird. Für die Schule sei er zu faul. Sein Vater versuche ihn zwar, zu einem Abitur zu überreden, Sedat ist sich jedoch nicht sicher, ob er das will und kann. Alternativ würde er eine Ausbildung zum Einzelhandelskaufmann anstreben. In diesem Arbeitsfeld habe er bereits ein erfolgreiches Praktikum absolviert. Da der Praktikumsbetrieb mit seiner Leistung sehr zufrieden gewesen sei, habe man ihm im Anschluss einen Ausbildungsplatz zugesichert. Darauf ist Sedat besonders stolz und kann sich sehr gut vorstellen, dass er im Einzelhandel und dem direkten Kundenkontakt gut aufgehoben ist: »Bei Einzelhandelskaufmann verdient man sehr gut Geld […] Und dann, ob ich da gleichzeitig noch ein Fach-Abi mitmache, oder ob ich Abitur mache, da bin ich jetzt noch am Überlegen. Weil mit Abi hat man halt mehr Aussichten. Da kann man noch studieren. Zwar Studium nur in dem Teil, wo man halt was machen will, aber wenn ich jetzt so den-
Über die Alltagspraxis in Chor weiler ke, dass ich jetzt schon so faul bin, dann noch weitere drei, vier Jahre Schule, denk ich so, das ist nichts für mich.« (Ebd., S. 6)
Sedat berichtet ausführlich über eine »schwere Phase« in seinem Leben. Nach dem Umzug nach Köln habe er die falschen Freunde kennengelernt, angefangen zu rauchen, zu trinken und später auch zu kiffen. Sein Vater habe darauf mit Sanktionen wie Hausarrest reagiert. Sein Verhalten habe zu großen Konflikten innerhalb der Familie geführt. Das Trinken lehne sein Vater auf Grund seiner Religiosität ab, das Rauchen und Kiffen, weil es ungesund sei. Sedat fühlt sich darüber hinaus verantwortlich dafür, dass sein Bruder auch angefangen habe, zu kiffen und zu trinken. Dies habe auch dazu geführt, dass Sedat damit aufgehört habe um in Zukunft ein gutes Vorbild sein zu können. Seit einiger Zeit habe Sedat sich auch von seinen falschen Freunden distanziert und konzentriere sich nun vermehrt auf seine Hobbys und seine Arbeit: »Mein jüngerer Bruder, der ist jetzt 14, der hat dann auch mit zwölf angefangen zu rauchen. Danach hab ich gesagt, entweder hörst du damit auf oder ich bring dich dazu. Weil ich den gleichen Fehler gemacht habe, und er hat das als Vorbild genommen, er wusste das. Und dann, wenn mein Bruder das macht, darf ich das auch. Er hat auch mit zwölf angefangen, mit elf angefangen, dann darf ich das auch. Ist ja kein Problem.« (Ebd., S. 3)
Als schwerste Zeit in seinem Leben beschreibt Sedat den Umzug von einem Dorf in die Großstadt. Besonders das Einleben habe ihm Schwierigkeiten bereitet. Er sehe zwar die Vorteile, die eine Stadt biete, nämlich Arbeitsplätze und mehr Möglichkeiten, finde es aber gleichzeitig auch riskant. Seiner Einschätzung nach gebe es auf dem Dorf wesentlich weniger Probleme mit Alkohol und Drogen als in der Großstadt. Für Kinder sei das Leben in einer Stadt einfach nichts. Aber besonders für die Generation seiner Eltern biete es besonders viele Vorteile. Gerade seine Mutter habe von dem Umzug sehr profitiert: »Aber das ist halt schwer für meine Mutter gewesen zum Beispiel. Sie kannte niemanden. Hier zum Beispiel kann sie sich regelmäßig mit ihren Freundinnen treffen, so Türken, wo sie Türkisch reden kann. Und da konnten sie erstens kein Deutsch. Zweitens halt Kulturverschiedenheiten sind für erwachsene Leute schwerer als für Kinder. Mein Vater war eh arbeiten. Meine Mutter war den ganzen Tag zu Hause, also ich hab die sehr, sehr wenig draußen gesehen. Vielleicht mal mit meinem mittleren Bruder als der noch klein war.« (Ebd., S. 16)
Heimat als symbolischer Ort Seine eigene Positionierung und Zugehörigkeitsgefühle thematisiert Sedat auf verschiedene Weisen. Es wird eine intensive Auseinandersetzung deutlich, zugleich zeigt sich, dass Sedat keine eindeutigen Aussagen treffen will und kann,
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auch wenn er sich in Deutschland zuhause fühlt. Er vollzieht eine Unterscheidung zwischen »hier geboren« und »da geboren« sein. Heimat scheint für ihn ein symbolischer Ort zu sein, der eng mit der Herkunft seiner Eltern verknüpft ist. Heimat ist der Ort, wo »er eigentlich hingehört«, das Land seiner Eltern. Der Geburtsort scheint einem Menschen anzuhaften. Es gibt »Original-Türken« und die Kopie, also Türken, die in Deutschland geboren sind. Gerade für Kinder und Jugendliche sei es sehr einfach, sich in einem anderen Land anzupassen und zu integrieren. Das passiere einfach so, ohne dass besondere Anstrengungen nötig seien, da Kinder es einfach anders nicht kennen würden. Darum sei es für ihn auch nie ein Problem gewesen, er spreche und schreibe auch besser Deutsch als Türkisch. Schwieriger sei die Situation hingegen für ältere Menschen: »Ja, also Heimatland ist halt da, wo ich geboren wurde. Da, wo man ... also mein Bruder ist jetzt zum Beispiel, mein jüngster Bruder ist hier geboren in Deutschland. Aber also er würde, glaube ich, mehr hier seine Heimat beschreiben. Aber er wird sagen, mein Heimatland ist die Türkei. Also halt bei uns ist das so, ich weiß jetzt nicht, also wo der Vater herkommt, ist man auch, außer wenn man jetzt da und da geboren ist, trotzdem ist man halt Türke oder Kurde oder so was halt. Mein Vater ist Kurde, meine Mutter ist Türkin. Und dann, also ganz ehrlich, hier ist sozusagen für mich so ein ... ist auch eine Heimat, aber ich kann das halt nicht so beschreiben, als wenn ich jetzt in meiner eigenen ... in dem Land, wo ich eigentlich hingehöre sozusagen, da wo ich geboren bin, also mein jüngerer Bruder würde das zum Beispiel anders beschreiben als ich das jetzt beschreiben würde. Aber ich find Deutschland ist auch ein schönes Land. Aber die Leute halt da sind halt so wie du, auch wenn es hier auch Türken gibt, aber da, wo man aufwächst, verändert sich das halt. Also Original-Türken in der Türkei halt und Jugendliche, die hier aufwachsen sind so eine Kopie sozusagen zum Beispiel. Weil die hier halt anders aufwachsen und die Umgebung, die man hier hat ist halt nicht so, als wenn man da lebt. Aber Probleme hab ich mit keinem.« (Ebd., S. 19)
Chor weiler: Heimat und Hindernis Im Verlauf des Gesprächs betont Sedat mehrmals, dass er immer gemocht wird und eigentlich nie größere Probleme mit anderen Menschen hatte. Es fällt auf, dass Sedat den Rassismusbegriff stark mit Neonazis verbindet. Er beschreibt, dass er negative Erfahrungen beispielsweise nachts in der Bahn gemacht habe, dies aber eher selten vorkomme. Rassismus und Ausgrenzung lehnt Sedat allgemein entschieden ab: »Wenn man einen gesunden Menschenverstand hat, dann ist das auch nur ein Mensch. Nur weil der von einer anderen Farbe ist, also seine Hautfarbe eine andere Farbe ist, heißt das nicht, dass der schlechter ist als du oder dass der besser ist als du. Jeder Mensch ist anders. Aber jeder Mensch ist auch gleich.« (Ebd., S. 18)
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Deutlicher treten Ausgrenzungserfahrungen im Zusammenhang mit seinem Wohnort in Erscheinung. Er berichtet von regelmäßigen negativen Reaktionen, wenn Leute erfahren, dass er in Chorweiler wohnt. Seiner Einschätzung nach entspricht das negative Bild von Chorweiler nicht der Realität. Vielmehr verweist er darauf, dass Verallgemeinerungen generell unzulässig seien und niemals dem tatsächlichen Zustand entsprechen können. Er fühle sich in Chorweiler wohl und nutze auch das örtliche Jugendzentrum: »Also wenn man jetzt zum Beispiel einen Mensch auf der Straße fragt, dann denken die direkt an Ghetto. Hartz-IV-Empfänger alle. Aber ich find das nicht so. Also Chorweiler ist halt nur so schlecht gemacht, weil die Leute sich hier einfach nur daran angepasst haben, die ersten Leute, die hier gewohnt haben, haben mit so was angefangen. Das hat sich dann rumgesprochen. […] Also ich finde, das ist, wenn man sagt zum Beispiel Kalk ist besser als Chorweiler, so was gibt es eigentlich nicht. Also es gibt in jedem Teil von Köln, gibt es immer schlechte Leute. Es gibt auch in jedem Teil von Köln gute Leute. Oder in anderen Städten.« (Ebd., S. 15)
Dennoch distanziert sich Sedat mehrfach von seinen eigenen Bezügen zum Stadtteil. Zwar lebe er hier, habe aber mit Chorweiler nichts zu tun. Wichtig ist ihm der Verweis darauf, dass er eigentlich aus dem Dorf komme. Das Aufwachsen in einer ländlichen Gegend scheint für Sedat ein Synonym für eine gute Kindheit und eine generell positive Entwicklung. Schließlich entspreche er nicht dem negativen Bild, hänge nicht auf der Straße rum. Diese Abgrenzung und eine Praxis der Normalisierung scheinen für Sedat eine wichtige Umgangsstrategie mit der erlebten Stigmatisierung zu sein. Der Hinweis darauf, dass er eben kein »echter« Bewohner von Chorweiler sei, dient ihm in diskriminierenden Situationen als Handlungsstrategie. Für negative Zuschreibungen wird er dadurch der falsche Adressat. Auf diese Weise muss er die Abwertung nicht ernst nehmen und kann eine weitere Auseinandersetzung abwenden: »Also ich hab auch nicht so viel mit Chorweiler zu tun sozusagen. Ich häng ja nicht irgendwie immer auf der Straße, sondern nur in so welchen Räumen. Also Räumlichkeiten wie Jugendzentren oder ... also ich häng jetzt nicht irgendwie bis zwölf Uhr oder so immer auf der Straße oder so was. Also hab ich eigentlich nichts damit zu tun. Deswegen juckt mich das nicht. Wenn man mal übertreibt, ja, du kommst aus Chorweiler, du bist direkt schlecht oder so, dann sag ich, was hab ich mit Chorweiler zu tun, früher hab ich in einem Dorf gewohnt und jetzt? Und dann halten eigentlich alle die Klappe.« (Ebd.)
Sedats Erzählungen zeigen exemplarisch die Situation einer Familie, die unter restriktiven und prekären Bedingungen Strategien entwickelt (hat), um mit Diskriminierung umzugehen und einen sozialen Aufstieg zu erreichen. Die schwierige Geschichte seiner Familie hat deutlichen Einfluss auf Sedat und
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prägt seine Zukunftsvisionen und Handlungsstrategien maßgeblich. Er erlebt immer wieder, wie sein sehr gebildeter Vater an den restriktiven gesellschaftlichen Bedingungen scheitert. Eigenverantwortlichkeit wird zu einem zentralen Wert, die Fähigkeit, eine Familie versorgen zu können, das zentrale Ziel. Sedat entwickelt – trotz restriktiver Bedingungen – in seinen konkreten Lebenszusammenhängen Strategien und räumliche Bezüge, um mit Diskriminierung umzugehen und darauf zu reagieren. Es lässt sich von einem »Habitus der Überlebenskunst« (Seukwa 2006) sprechen. Es sind keine ethnischen oder kulturellen Besonderheiten von Sedat, sondern die besonderen Bedingungen, mit denen er und seine Familie in seinem Lebensumfeld konfrontiert sind. Statt vorhandene Kompetenzen ernstzunehmen und die Familie zu unterstützen, reagiert die Gesellschaft eher defizitorientiert. An diesem Fallbeispiel wird deutlich, dass familiäre Mobilitätserfahrungen – eine wichtige Kompetenz in der globalisierten Welt – in diesem Fall ignoriert bzw. abgewertet werden. Der Lebensentwurf von Sedat zeigt, wie er unter diesen eher desintegrierenden gesellschaftlichen Bedingungen immer wieder den Versuch unternimmt, »eine Perspektive für sich zu entwickeln, die man als Individualisierung aus der Negation charakterisieren könnte«, wie Werner Schiffauer in einem anderen Zusammenhang festgestellt hat. Er meint damit eine »Art der Selbstverortung, die eher ausdrückt, was man nicht ist, als das, was man ist« (Schiffauer 1997, S. 154). Also nicht kriminell, nicht abweichend, nicht schlecht.
6.2.3 Pinar, Jamila und Lara 1 Den Kontakt zu Pinar, Jamila und Lara habe ich über ein örtliches Jugendzentrum hergestellt. Die drei erklärten sich nach einiger Überlegung bereit, ein Gespräch mit mir zu führen – unter der Bedingung, dass sie alle drei zusammenbleiben könnten. Diesem Wunsch kam ich gerne nach. Die drei sind enge Freundinnen, was sich auch in dem sehr offenen Interview widerspiegelt. Zu Beginn der Interviews schilderten mir alle kurz ihre Lebensgeschichten. Pinar, zum Zeitpunkt des Interviews 21 Jahre alt, wurde in Köln geboren und lebt seither mit ihrer Familie in Chorweiler. Sie hat zwei weitere Schwestern im Alter von 4 und 16 Jahren. Ihre Eltern kommen ursprünglich aus der Türkei. Aktuell besucht sie ein Berufskolleg, um das Fachabitur zu machen. Lara ist zum Zeitpunkt des Interviews 22 Jahre alt. Sie wurde in Köln geboren und hat zwei Geschwister, einen Bruder von 19 Jahren, eine Schwester 1 | Dieses Interview wurde auch für einen Artikel verwendet, erschienen in: Yildiz, Miriam (2015): »Da sind wir Deutsche, hier sind wir Türken. Das ist schon manchmal schwer.« Lebensstrategien Jugendlicher mit Migrationshintergrund in marginalisierten Stadtteilen: Perspektivwechsel. In: Erol Yildiz/Marc Hill (Hg.): Nach der Migration. Postmigrantische Perspektiven jenseits der Parallelgesellschaft. Bielefeld, S. 193-204.
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von 20 Jahren. Auch ihre Eltern sind aus der Türkei migriert. Zum Zeitpunkt des Interviews befindet sie sich in einem Berufsvorbereitungsjahr, nachdem sie auf einem Berufskolleg ihr Fachabitur gemacht hatte. Jamila ist zum Zeitpunkt des Interviews 21 Jahre alt und besucht zusammen mit Pinar das Berufskolleg mit dem Ziel, ihr Fachabitur zu erwerben. Sie ist eine Land in Westafrika geboren, lebt aber bereits seit ihrer Kindergartenzeit in Deutschland und seit 10 Jahren in Chorweiler. Zu Beginn des Interviews reden wir über ihre aktuelle schulische Situation und darüber, wie es dazu gekommen ist, dass alle nun über ein Berufskolleg ihr Fachabitur erworben haben oder dies in naher Zukunft anstreben. Pinar und Lara haben zuvor die örtliche Gesamtschule besucht und haben diese mit dem Hauptschulabschluss beendet. Jamila hat die örtliche Hauptschule besucht. Direkt im Anschluss wechselten alle an ein Berufskolleg, um so ohne Umwege nahtlos an ihre bisherige Schullauf bahn anschließen zu können. Gefragt danach, warum sie nicht an der Gesamtschule ihr Abitur gemacht hätten, berichten mir die drei, dass die Noten einfach nicht ausgereicht hätten. Im weiteren Verlauf des Interviews wird jedoch deutlich, dass sie alle in der Schule deutlich diskriminierende Situationen erfahren haben. Jamila ist erst mit 10 Jahren mit ihren Eltern nach Köln gezogen. Den Umzug von einer Kleinstadt nach Köln und speziell nach Chorweiler beschreibt Jamila als großen Schock: »Am Anfang fand ich es sehr schrecklich. Weil Stadt B ist ja klein. Eher ein Dorf. Als ich die Häuser gesehen habe, hab ich einen Schock bekommen. Ich dachte ich würd mich niemals daran gewöhnen. Aber jetzt mit der Zeit... [lacht]. Gewöhnt man sich dran.« (Interview Pinar, Jamila und Lara, S. 6)
Durch diese Beschreibung angeregt, beginnen die Mädchen über ihren Stadtteil und die damit verbundene Stigmatisierung zu berichten. Pinar: »Man hat ja ein ziemlich schwaches Bild von Chorweiler. Wir werden immer als Asi abgestempelt und... ne?« Lara: »Ja, aber ich find das ist nicht so.« Pinar: »Ich find das ist nicht so hier. Es gibt zwar Hochhäuser hier, ok, die wurden ja früher auch für Asylanten gemacht. Also mehr für die nicht so viel Geld haben.« Jamila: Aber heutzutage ist das find ich nicht mehr so.« Pinar: »Klar, gibts mal hier, mal da Asis. Aber ich finde die gibts überall.« Lara: »Ja.« I 2: »Und du sagst als Asi abgestempelt? Von wem denn?«
2 | Das Kürzel »I« steht im Folgenden für die Interviewerin.
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Hybride Alltagswelten Pinar: »Ja man hat so ein schlechtes Bild von Chorweiler. Wegen Hochhäuser und Ghettokinder, Ghettofamilien vielleicht. Asozial. Also ich mein ist nicht wirklich immer so. Also, wir selbst... sie hat ja schon ihr Abitur. Wir sind grad dabei. Wir haben uns, find ich, gut integriert hier in Deutschland.« Jamila: »Ich denke die, die Chorweiler nicht kennen, denken halt ich weiß nicht, weil hier viele Ausländer leben, vielleicht auch deswegen das schlechte Bild.« (Ebd., S. 6f.)
Von Chorweiler habe man gemeinhin ein sehr negatives Bild. Die Mädchen sehen sich mit diskriminierenden Zuschreibungen konfrontiert. Schließlich würden in Chorweiler nur Asis leben, Chorweiler sei ein Ghetto. Diese Einschätzung der Mehrheitsgesellschaft rühre wohl daher, dass es früher in Chorweiler schlimm zugegangen sei und dieser Ruf der Wirklichkeit vorauseile. Auch würde die hässliche und abschreckende Architektur ihr übriges tun. Alle drei haben bereits die Erfahrung gemacht, dass ihr Wohnort zu einem Nachteil für sie wurde, sei es in Vorstellungsgesprächen oder in Situationen, in denen sie neue Menschen kennenlernen. Pinar beschreibt: »Ja, zum Beispiel im Urlaub. Da wissen sogar wenn die selbst aus Hamburg kommen, aus Berlin, wenn man sagt ›Ich komm aus Chorweiler!‹, dass die sagen ›Ohh, bist auch so ein Asi- Mädchen‹.« (Ebd., S. 7)
Dabei würde dieses Bild keinesfalls immer zutreffen. Im gleichen Atemzug wird angeschlossen, dass die drei diesem Bild nun wirklich nicht entsprechen. Sie alle würden höhere Schulabschlüsse anstreben, seien gut integriert.
Integration, Assimilation und Abgrenzung Die eigene erfolgreiche Integration wird im weiteren Verlauf des Interviews mehrfach thematisiert. Pinar hält in diesem Zusammenhang ein hitziges Plädoyer, aus dem ihr Unmut über die aktuelle Situation, mit der sie sich konfrontiert sieht, sehr deutlich wird: »Ich meine... wir machen hier auch Schule. Wir stoßen uns nicht von den Deutschen ab und sagen wir wollen nix. Wir sprechen die Sprache auch fließend finde ich. Vielleicht haben wir manchmal Grammatikfehler, aber ich meine, dass wir nicht so scheu sind. Keine Ahnung wir sind so, wir leben wie ihr. Andere Türken repräsentieren uns so anders so. So asozial. Die machen das kaputt, die klauen, die machen Schlägerei. Aber wir präsentieren wieder was ganz anderes. Wir wollen ja hier....wir sagen ja nicht z.B. wir machen jetzt Schule und danach wollen wir Hausfrau werden. Der Staat gibt ja sowieso Geld. So sind wir ja nicht. Wir bewerben uns fleißig und ich möchte auf jeden Fall arbeiten. Ich möchte auf keinen Fall Hausfrau sein. Also ich möchte nicht vom Staat leben. Auf keinen Fall. Deswegen sind wir ja auch nicht hier. Nur andere haben so ein Bild davon, in der Türkei gehts den Leuten bestimmt nicht gut, deswegen kommen die hierhin, wollen das Geld
Über die Alltagspraxis in Chor weiler vom Staat, machen 3,4,5,6,7,8 Kinder – aber so sind wir ja nicht. Also ich meine vielleicht waren unsere Eltern so, weil die keine Möglichkeit hatten zu arbeiten. Die hatten keinen Abschluss, nichts. Aber wir haben die Möglichkeit jetzt hier Schule zu machen, Ausbildung zu machen. Wir sind hier aufgewachsen, sprechen die Sprache. Deswegen finde ich, ist das vielleicht für uns ein bisschen einfacher. Nur manchmal sehen das Lehrer nicht so. Manchmal gibts doch Ausländerfeindlichkeit, ne?« (Ebd., S. 11f.)
Analysiert man diese Passage, welche hier exemplarisch für viele weitere Stellen in unserem Gespräch stehen kann, so kristallisieren sich mehrere Themen heraus, die verschiedene Differenzlinien berühren, mit denen die Mädchen im Alltag konfrontiert sind. Die Mädchen verweisen auf ihre Bemühungen, sich zu integrieren und anzupassen. Dabei sehen sie sich selbst in erster Linie für ihre gesellschaftliche Integration und Teilhabe verantwortlich. Diese Verantwortung und Notwendigkeit zur Integration empfinden sie, obwohl sie entweder in Deutschland geboren sind oder schon in Deutschland leben, seitdem sie denken können – sie kennen also gar kein anderes Leben, keine andere Gesellschaft. Sie sind mit der deutschen Sprache aufgewachsen, sprechen diese akzent- und fehlerfrei. Dass ihre, eigentlich selbstverständliche, Zugehörigkeit immer wieder in Frage gestellt zu werden scheint, werde ich im späteren Verlauf noch weiter aufgreifen. Durch diese Erfahrungen beeinflusst, empfinden sie ihr Verhalten als idealtypisches Verhalten für in Deutschland lebende Menschen mit Migrationshintergrund. Integration bedeutet Assimilation. Menschen, die sich anders verhalten, verurteilen sie scharf. Dass MigrantInnen der Gesellschaft zur Last fallen, wird als unangemessen und undankbar beschrieben. Von diesem Verhalten distanzieren sie sich deutlich. Jamila führt dazu aus: »Ich meine nicht nur Türken, sondern z.B. auch Afrikaner oder überhaupt Ausländer. Man gibt ihnen eine Chance hier zu leben und dann verbauen sie sich das. Das finde ich auch nicht in Ordnung. In deren Ländern gehts denen noch schlechter als hier. Da nutzt man das nicht aus.« (Ebd., S. 14)
Integration bedeutet für sie also nicht nur Assimilation. Vielmehr sehen sie MigrantInnen zur Dankbarkeit verpflichtet. Ihre eigenen Denk- und Möglichkeitsräume scheinen sie sich durch diese einseitige und unkritische Sichtweise selbst zu beschränken, das unmögliche Verhalten manch anderer MigrantInnen wirft darüber hinaus ein schlechtes Licht auf sie und scheint einen nicht unerheblichen Anteil an ihren eigenen Ausgrenzungserfahrungen zu haben. Mit Kritik gegenüber der Mehrheitsgesellschaft sind sie eher vorsichtig und sparsam, auch wenn eine solche an manchen Stellen durchscheint. Die Abgrenzung vom Bild der faulen delinquenten oder hilflosen Ausländer erfolgt durch eine klare Parteinahme für die deutsche Mehrheitsgesellschaft. Diese Forderung sich
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zu verorten, Partei für die eine oder andere Seite zu ergreifen, ist eine typische Zwangssituation für Menschen mit Migrationshintergrund. Ihr Spielraum ist deutlich begrenzt: Sie können sich entweder als AnwältInnen für MigrantInnen einsetzen und ihre eigene vermeintliche Andersartigkeit dadurch deutlich markieren. Oder sie ergreifen Partei für die Mehrheitsgesellschaft und erheben sich zu RichterInnen der Integration, sich selbst stets als Präzedenzfälle präsentierend. Dabei befinden sich Mädchen wie Pinar, Jamila und Lara in einem besonders ambivalenten und grotesken Spannungsfeld – schließlich haben sie selbst keine Migrationserfahrungen und befinden sich in einem Theater imaginierter Fremdheit. Mark Terkessidis beschreibt eine solche Situation folgendermaßen: »Dabei gibt es zum einen die Möglichkeit, sich dem ›Wir‹ der ›Ausländer‹ zu entziehen und sich als etwas anderes zu definieren. Zum anderen können die Personen nichtdeutscher Herkunft den Anwalt dieses ›Wir‹ spielen.« (Terkessidis 2004, S. 188, Herv. i. O.)
Wo gehöre ich hin? – Ausschluss, Teilhabe und Rassismus Mit Fragen der eigenen Zugehörigkeit und Identität sehen sich Pinar, Jamila und Lara ständig konfrontiert. Sie beschreiben das Gefühl, sich nirgendwo zugehörig zu fühlen und immer wieder daran erinnert zu werden, dass sie einfach anders sind, fremd sind. Fremd sowohl in Deutschland als auch der Türkei. An folgender Stelle scheint Kritik an dieser Umgangsweise durch: Pinar: »Also in der Türkei bin ich z.B. keine Türkin für die Türken. Das heißt dann z.B.: ›Die Deutschen kommen.‹ Wenn wir jetzt dahin gehen, dann heißt es nicht, dass die Familie kommt, sondern die Deutschen kommen. Weiß ich nicht. Da sind wir Deutsche, hier sind wir Türken. Das ist schon manchmal schwer. Ich finde das manchmal traurig, dass man uns mit anderen Augen anschaut. Man kann doch nicht alle unter eine Decke stecken. Es gibt natürlich mal solche Türken und mal solche Türken. Genauso wie mal so Deutsche und mal so Deutsche. Nicht alle Deutsche sind Engel, die keine Straftaten begehen. Die sollten aufhören so jeden gleich zu sehen.« Lara: »Ja... bei uns ist das auch so. Wenn ich in der Türkei bin dann heißt es, dass wir die Deutschen sind. Die haben bestimmt viel Geld. und wenn ich zurück bin, bin ich wieder Türkin. Für mich ist das eigentlich egal ob deutsch oder türkisch. Ich bin gerne beides.« (Ebd., S. 14)
Dass die Mädchen sich die Frage nach der eigenen Zugehörigkeit nicht per se und auf Grund unlösbarer Identitätskonflikte stellen, wird durch den selbstverständlich geäußerten Nachsatz »für mich ist das eigentlich egal ob deutsch oder türkisch, ich bin beides gerne« deutlich. Sie alle sprechen mehrere Sprachen, zuhause in der Regel die Herkunftssprache ihrer Eltern, mit den Geschwistern und Freunden in der Regel Deutsch. Mehrfach wird im Verlauf des
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Interviews Bezug darauf genommen, dass sie die deutsche Sprache schließlich gut sprechen würden. Zwar nicht fehlerfrei, aber gut. Pinar beschreibt, anknüpfend an die Frage nach Zugehörigkeit und Selbstverortung: »Aber wenn ich auch z.B. mit ihr unterwegs bin. Wir sprechen nicht nur türkisch. Auch wenn wir türkisch sprechen, dann fallen immer wieder deutsche Wörter. Wenn wir jetzt in der Türkei sind, dann fällt es besonders aus. Wenn man dann mit einer türkischsprachigen Bürgerin sitzt und redet, dann fällt einem schon auf, wieviele türkische Vokabeln dir fehlen. dass man immer mehr zu Deutsch tendiert.« (Ebd.)
Die Nutzung mehrerer Sprachen und das Wechseln zwischen zwei Sprachen ist für Pinar und Lara selbstverständliche Alltagspraxis. An dieser Stelle beginnt die Präsentation als »Ausländerin« deutlich zu bröckeln. Eigentlich ist klar, dass eine eindeutige Zuordnung bei Pinar und Jamila nicht nur nicht funktioniert, sondern regelrecht absurd erscheint. Dennoch gelingt es ihnen nicht, sich von der Stigmatisierung und Diskriminierung als Fremde zu distanzieren.
Offene Schule? Alle drei geben an, in ihrer Schulzeit Benachteiligung erlebt zu haben. Pinar und Jamila besuchten beide eine Gesamtschule, welche sie mit einem Hauptschulabschluss verlassen haben. Alle entschieden sich direkt im Anschluss, ihre Schullauf bahn weiterzuführen, um mindestens das Fachabitur zu erreichen. In einem längeren Gespräch im Anschluss an unser Interview (ohne Tonbandaufzeichnung) berichteten mir die Mädchen, dass sie eigentlich gerne studieren würden, zum Beispiel Soziale Arbeit. Sie alle zeigten sich überrascht, dass dies mit einem Fachabitur ohne weiteres möglich ist. Dahingehend waren sie bislang nicht beraten worden. Pinar berichtet über ihre Schullauf bahn: »An meine Kindergartenzeit kann ich mich schwach erinnern, aber ich mein, ist nicht schlecht gelaufen. Ich hatte keine Probleme, noch mit den Kindergartenlehrern, noch mit den Personen. Ja. Dann kam ich halt in die Grundschule. Da hatte ich auch kaum Probleme. Ich war auf einer katholischen Schule, wir waren ziemlich wenige Ausländer in einer Klasse. Vielleicht zwei, drei. Also heutzutage ist das ja nicht mehr so. Heutzutage sind überwiegend Ausländer und weniger Deutsche. Ja ich war auf einer katholischen Schule. Ja. Wir haben jeden Morgen gebetet in der Schule [lacht]. Die Noten waren auch ziemlich gut. Ich hatte keine 4 auf dem Zeugnis, bin trotzdem auf die Gesamtschule gekommen, aus welchen Gründen auch immer, ich kann auch die Realschule besuchen. Dort hab ich meinen Hauptschulabschluss erworben. Ja, das war mir nicht genug, hab ich meinen Realabschluss nachgeholt und jetzt mache ich mein Abitur. Bin schon ziemlich erfolgreich dabei jetzt.« (Ebd., S. 1)
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Sie beschreibt sich bis zum Übergang in eine weiterführende Schule als erfolgreiche Schülerin mit guten Noten. Dann »warum auch immer« wechselte sie auf eine Gesamtschule, die sie nicht zu ihrer Zufriedenheit abschließen konnte. Dafür verantwortlich sieht sie im hohen Maße die ungerechte Behandlung durch das Lehrpersonal, welches ihr den Eindruck vermittelt habe, für einen höheren Bildungsabschluss nicht qualifiziert zu sein. »Aber die Leistung war da finde ich, die ich erbracht hab. Ich war nicht schlecht.« (Pinar) Rückblickend bedauert sie, dass sie ihren Abschluss nicht direkt auf der Gesamtschule hat absolvieren können. Denn auf diese Weise hätte sie viel Zeit und Nerven gespart. Alle drei erzählen, dass sie schon oft versucht hätten, sich zu beschweren und auf die erlebte Ungerechtigkeit hinzuweisen. Mit ihren Beschwerden seien sie jedoch nicht ernst genommen worden und irgendwann hätten sie aufgegeben. Zurückgeblieben seien Gefühle von Trauer und Wut: Pinar: »Aber bei ihr hat man das gesehen, obwohl wir dieselbe Punktzahl, vielleicht hatte sie sogar ein, zwei Punkte weniger als ich. Aber es hieß, sie hätte sich angestrengt. Wir nicht. Und dann merkt man doch schon so…« I: »Und wie fühlt ihr euch dabei?« Pinar: »Ist schon traurig. Weil man sich...« Lara. »Bemüht...« Pinar: »Wir regen uns ständig auf.« Jamila: »Man beschwert sich zwar bei denen, aber das hilft ja eh nicht.« Pinar: »Dann heißt es: ›Wir sind verbeamtet.‹« Lara: »Ja.« Jamila: »Echt dämlich.« (Ebd., S. 13)
Der Satz: »Wir regen uns ständig auf« gibt einen Hinweis auf das Innenleben von Jamila, Pinar und Lara. Sie sind wütend, fühlen sich ungerecht behandelt. Und in der Annahme, dass sie nur dann eine realistische Chance haben, als gleichwertige Mitglieder der Mehrheitsgesellschaft akzeptiert zu werden, schlucken sie an anderer Stelle ihren Ärger herunter und versuchen noch engagierter, sich den diffusen und unklaren Forderungen nach Integration anzupassen.
Zukunftswünsche Pinar, Jamila und Lara wünschen sich für die Zukunft vor allem eines: Unabhängigkeit. Sie wollen ihre Schule erfolgreich abschließen, eine Ausbildung oder ein Studium beginnen, anschließend einen Job finden und eine Familie gründen. Zentral ist bei diesen Wünschen stets die eigene Emanzipation. Die Betonung liegt auf Selbstständigkeit. Sie wollen sich weder vom Staat noch von einem Mann aushalten lassen. Perspektivisch möchten sie darüber hinaus in jedem Fall weg aus den Hochhäusern, vielleicht in ein kleines Haus. Auf die Frage, was sie an den Hochhäusern stören würde, antwortet Jamila: »Ja
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das Aussehen. Gott wie groß. Dieser Aufzug. Was weiß ich. Das erste was ich immer denke ist, hoffentlich schaffe ich es hier raus. Nie wieder dieses Haus sehen (alle lachen).«
6.2.4 Mustafa und Ayhan Mustafa und Ayhan erklärten sich spontan zu einem Interview bereit. Beide sind 15 Jahre alt, Mustafa besucht eine örtliche Realschule, Ayhan eine Hauptschule. Beide wohnen seit ihrer Kindheit in Chorweiler, sind befreundet und verbringen häufiger gemeinsam Zeit im Jugendzentrum. Ayhan wollte zunächst nicht an dem Interview teilnehmen, sondern nur zuhören. Im Verlauf des Gesprächs begann er sich jedoch einzubringen. Das Interview wird fortschreitend immer mehr zu einem Schlagabtausch zwischen Mustafa und Ayhan. Biographische Aspekte werden nur angerissen und kaum vertieft. Freie Erzählanteile finden sich in unserem Gespräch kaum, die Versuche, Erzählanreize zu schaffen, schlagen fehl. Insgesamt steht die Inszenierung der beiden untereinander und auch gegenüber mir als Forscherin im Vordergrund, wie es in Gruppendiskussionen teils üblich ist. Direkt zu Beginn stellt Mustafa klar, dass er sich nationalstaatlich als türkisch positioniert: » Ja ich bin 15 Jahre alt. Und ich bin Türke.« Diese Selbstpositionierung gewinnt im Interviewverlauf weiter an Bedeutung. Auf meine Aufforderung hin, doch noch ein wenig mehr zu erzählen, fügt er hinzu: »Ja also ich bin Mustafa, ich spiele Fußball. Ich gehe auf die Realschule im Stadtteil C. Und ich wohne in Köln Chorweiler.«(Interview Mustafa und Ayhan, S. 1) Fußball, Schule und sein Wohnort nennt er als zentrale Punkte, die seine Person ausmachen. Auf die Frage hin, ob er etwas über seine Eltern berichten kann, erzählt er, dass diese zuvor in einem anderen Kölner Stadtteil gelebt hätten und vor 15 Jahren schließlich nach Chorweiler gekommen seien. Eine ethnische Positionierung wird in diesem Kontext nicht vorgenommen. Die Herkunft seiner Eltern verknüpft er selbstverständlich mit Köln, die Migrationsgeschichte seiner Eltern beschreibt er aus einem innerstädtischen Kontext als Umzug zwischen zwei Vierteln.
Chor weiler: Kein Ort so schön wie dieser In seiner Freizeitgestaltung spielt das Jugendzentrum eine wichtige Rolle. Seit seinem 6. Lebensjahr nutze er die Angebote regelmäßig. Während seiner Grundschulzeit sei er in die Übermittagsbetreuung gegangen. Heute spiele er Fuß- oder Basketball, helfe mit, Feste und Veranstaltungen zu organisieren, surfe im Internet oder spiele X-Box. Das Jugendzentrum sei wirklich wichtig und besonders. In anderen Stadtteilen würde es das nicht geben.
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Auf die Frage, ob er gerne in Chorweiler lebe, berichtet Mustafa: »Ja eigentlich schon so aber... ja....so Longerich und so kann ich mir gar nicht vorstellen, weil da gibts noch nicht mal so Einkaufszentrum wo man abhängen kann und so. Hier kann man so wenigstens abhängen.« (Ebd.) Eigentlich lebe er schon gerne hier. Gegenüber einem anderen Kölner Stadtteil habe Chorweiler zum Beispiel den Vorteil, dass es ein Einkaufszentrum gebe, in dem man abhängen könne. Seine Freunde würden auch überwiegend aus dem Großraum Chorweiler kommen. Seine Freizeit spiele sich daher auch in erster Linie vor Ort ab. Er schätze zudem sehr, dass Chorweiler ein »kultureller Ort« sei und viele verschiedene Menschen zusammenkämen. Auch das sei nicht überall der Fall.
Chor weiler als Inszenierung I: »Und hast du schonmal erlebt, dass jemand negativ über Chorweiler oder so gesprochen hat? Es gibt ja so ne Darstellung in den Medien zum Beispiel?« Mustafa: »Ja also wir sind ja oft in der Stadt mit meinen Freunden. Und da gibts Jungs so... tut uns nichts und los wir reden erstmal mit denen und dann sagen die ›Woher kommt ihr? Aus Chorweiler!‹ Dann sagen die ›tut uns nichts und so‹. Haben schon so Angst so vor uns.« I:»Hmm. Wie findste das?« Mustafa: »Ja. Wie soll ich das finden? Einerseits ist das scheiße, einerseits ist das auch gut so, dass die bisschen Respekt vor uns haben. Einerseits ist das so auch direkt negativ beurteilt.« (Ebd., S. 3)
Mustafa berichtet, dass er schon mehrfach die Erfahrung gemacht hat, dass auf seinen Wohnort mit Erschrecken reagiert wurde. Die Reaktionen anderer Jugendlicher seien von Angst geprägt. Das sei »einerseits scheiße«, auf der anderen Seite habe dies aber den Vorteil, dass andere Menschen ihnen direkt mit Respekt begegnen würden. In einer späteren Interviewpassage berichtet er über eine weitere Szene, in der die negative Konnotation des Stadtteils für ihn von Vorteil gewesen sei: Mustafa: »Ja also in Stadt D. sind wir einmal mit dem Jugendhaus da hingefahren. Und dann haben sie uns ähm, kann ich auch sagen Nazis, so scheiße angemacht. Die haben gesagt: Scheiß Türken, scheiß Türken und so. Da haben wir gesagt ›Beruhigt euch mal‹. Da haben die auch eigentlich so zurück …(unverständlich). Ja und da haben wir gesagt: ›Wir kommen aus Chorweiler und so. Sollen wir mal Chorweiler-Gang holen?‹ Da waren die so leise, haben eigentlich nichts mehr gesagt. Ja. Das wars.« Ayhan: »Jeder hat Angst vor uns.« I: »Das heißt, das ist dann schon ein Vorteil manchmal?«
Über die Alltagspraxis in Chor weiler Ayhan: »Keiner kann uns anpacken.« (Ebd., S. 6f.) Zunächst berichtet Mustafa über eine Begegnung mit Nazis, die sie als »Scheiß Türken« bezeichnet hätten. Daraufhin hätten sie damit gedroht, eine Gang aus Chorweiler zu holen. Dies habe die anderen Jugendlichen so eingeschüchtert, dass sie nichts mehr gesagt hätten. Die negativen Bilder, die mit dem Stadtteil einhergehen, werden von den Jugendlichen also situationsgerecht eingesetzt und dazu genutzt, Positionierungskämpfe von vornherein abzukürzen oder gar nicht erst entstehen zu lassen. Das Stigma Chorweiler wird uminterpretiert und zu einem Symbol von Stärke und Überlegenheit. Auf die Frage danach, woher der schlechte Ruf des Stadtteils rühre, antwortet Mustafa: »Ja weil hier oft Schlägereien sind, die tödlich enden. Hier sind ja viele Dealer, die Drogen verticken. Und deswegen ist das so negativ.« (Ebd., S. 3) In Chorweiler würden Auseinandersetzungen oft tödlich enden. Außerdem werde viel gedealt. Dies würde, zu Recht, den negativen Ruf des Stadtteils verursachen. Auf meine genauere Nachfrage, welche tödlichen Auseinandersetzungen gemeint seien, bezieht Mustafa sich auf einen Vorfall an der Hauptschule in Chorweiler nur wenige Wochen zuvor. Bei einer Schlägerei nach Schulschluss war ein Junge später auf Grund der Schwere seiner Verletzungen verstorben. Es ist davon auszugehen, dass dieses Ereignis die Wahrnehmung des Stadtteils als tatsächlich ›lebensbedrohlich‹ stark beeinflusst hat. Ayhan berichtet später, dass er den Vorfall sogar habe beobachten können. Im Zuge dieser Ereignisse wurde zudem eine öffentliche Diskussion über die Sicherheit an Hauptschulen angestoßen.
Ethnische Inszenierungen I: »Und du bist also komplett Türke. Ist dir das wichtig?« Mustafa: »Ja ich will nicht so deutsch eingeteilt werden. Lieber als Türke beurteilt werden.« I: »Und warum?« Mustafa: »Ja ich find. Keine Ahnung. Ich find irgendwie Türke sein ist viel schöner als Deutscher.« I »Hmm. Ja das versteh ich noch nicht so ganz. Was ist schöner daran?« Ayhan: »Osmanisches Reich.« Mustafa: »Ja zum Beispiel das Osmanische Reich.« Ayhan: »Unsere Vorfahren.« Mustafa: »Die Geschichte!« I: »Die Geschichte ist schöner.« Ayhan: »Bei den Deutschen gibts ja nichts Schönes.« Mustafa: »Adolf Hitler.« Ayhan: »Hitler.« (Ebd., S. 4f.)
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Türken zu sein ist für Mustafa und Ayhan in ihrer Präsentation mir gegenüber von zentraler Bedeutung. Türkisch zu sein sei viel schöner als deutsch zu sein. Mit dieser Aussage greifen sie jeder Nicht-Anerkennung durch die deutsche Mehrheitsgesellschaft vorweg, sind sie doch ohnehin nicht auf eine solche angewiesen. Mehr noch – durch die Abwertung des »Deutschseins« mittels einer Verknüpfung mit der Geschichte des Dritten Reiches werten sie ihren eigenen Status auf. Spielerisch drehen sie die gewöhnlichen Hierarchien um und verkehren sie ins Gegenteil. Dieser kreative Umgang mit Eigen- und Fremdzuschreibungen entfaltet seine Wirksamkeit auf verschiedenen Ebenen. Er stellt eine selbstbewusste und widerständige Positionierung gegen das dar, was mehrheitsgesellschaftlich gefordert und erwartet wird. Die komplette Assimilation als quasi Idealzustand von geglückter Integration – ausgehend von der Annahme, dass »Deutschsein« in jedem Fall einen erstrebenswerten Zustand darstelle. Zudem bedienen sie sich ähnlicher Zuschreibungsmuster. Deutschsein wird, wie oben bereits aufgegriffen, mit dem Nationalsozialismus verknüpft, welcher der deutschen Identität offenbar anhafte und untrennbar mit ihr verbunden scheint. Ähnliche Argumentationsmuster lassen sich auch in Migrationsdiskursen finden: zum Beispiel dann, wenn von der vermeintlichen Rückständigkeit und Traditionalität türkischer Familien die Rede ist.
Wenn gar nichts geht, werde ich halt Gang-Mitglied: Widerständige Zukunftsvisionen An der Frage der Zukunftswünsche von Mustafa und Ayhan entspinnt sich gegen Ende des Interviews ein kurzer Diskurs über eine Gang in Chorweiler. Die Gangmitglieder seien im Wesentlichen »starke Jungs« ohne Schulabschluss oder Berufsausbildung. Die Gang sei weit über die Kölner Stadtgrenze hinaus bekannt und würde anderen Menschen Respekt einflößen. Um Mitglied in der Gang werden zu können, würden verschiedene Punkte eine Rolle spielen: Stärke und Muskeln, Kontakte und illegale Aktivitäten, wie zum Beispiel das Dealen mit Gras: Ayhan: »Kommt drauf an. Wenn du Gras dealst, alles eigentlich, vieles machst. Wenn du die kennst natürlich auch. Die waren ja auch so erstmal so klein. Dann sind die aufgewachsen.« Mustafa: »Ja man muss auch stark sein. Man darf nicht so voll der Lappen sein. So, also, so muskulös. Sie müssen alle stark sein die, so die Mitglieder sind alle stark. Und sind auch gut gebaut so. Mit Muskeln.« I: »Und würdet ihr da irgendwann gern mitmachen?« Ayhan: »Kommt drauf an. Wenn ich keinen Abschluss habe.« [kurzes Lachen] I: »Das heißt, da sind viele, die keinen Abschluss haben?« Ayhan: »Natürlich, alle haben keinen Abschluss.«
Über die Alltagspraxis in Chor weiler I: »Ach so.« Ayhan: »Alle haben Haupt-Abschluss, alle.« Mustafa: »Noch nicht mal. Manche haben glaub ich Schule abgebrochen.« Ayhan: »Ja, bedeutet das.« I: »Aha. Das heißt, das ist dann so die Alternative, wenn ich dann keinen Abschluss hab?« Ayhan: »Ich will natürlich einen Abschluss, aber, wenn ich keinen Abschluss habe, was anderes.« (Interview Mustafa und Ayhan, S. 8)
Scherzhaft wird darauf verwiesen, dass es – wenn nichts geht – immer noch die Möglichkeit gebe, im Notfall Gang-Mitglied zu werden. Die Aussicht auf eine Zukunft ohne Schulabschluss scheint eine reale Angst von Mustafa und Ayhan zu sein. Zwar ist anzunehmen, dass die Zukunftsoption »Gang« für die beiden tatsächlich eher eine scherzhafte Alternative darstellt, dennoch lassen sich ihre Äußerungen als kreative und widerständige Handlungspraktik beschreiben. So erscheint die Aussicht, Mitglied in einer Gemeinschaft starker Männer zu sein und einen respektablen Ruf zu genießen, zunächst sicher attraktiver als der endlose Weg durch Berufsorientierungsmaßnahmen. Auch findet durch eine Bezugnahme auf eine mögliche Gang-Karriere eine deutliche Abgrenzung zur Mehrheitsgesellschaft statt. Selbst wenn Mustafa und Ayhan in den Regelsystemen scheitern würden, so gäbe es immer noch eine Alternative abseits der üblichen Pfade. Anerkennung und Zugehörigkeitsgefühle inbegriffen. Trotzig nehmen sie gesellschaftliche Missstände auf die Schippe und entwickeln unkonventionelle Zukunftsvisionen. Die prekären gesellschaftlichen Missstände sind ihnen bewusst, sind sie schließlich in ihrem Umfeld immerzu damit konfrontiert. Dabei zeigen sie sich weder resigniert noch demotiviert. Selbstverständlich, so sagen sie, haben sie das Ziel, einen Schulabschluss zu machen und anschließend einen Beruf zu erlernen. Selbstverständlich, so wissen sie auch, erreichen dieses Ziel jedoch nicht alle.
6.3 I maginationen des G he ttos : L eben in C horweiler Erzählungen über Chorweiler Während meiner Gespräche mit den Jugendlichen und jungen Erwachsenen kamen wir in der Regel früher oder später auf das »Veedel Chorweiler« zu sprechen. Die »Veedel-Kultur« ist innerhalb Kölns stark ausgeprägt, die Identifikation mit den einzelnen Stadtteilen ist oft recht hoch und wird zum Beispiel sogar zu Werbezwecken genutzt. Die Jugendlichen selbst positionierten sich sehr unterschiedlich, in den meisten Interviews wurden mir sowohl positive als auch negative Aspekte des Lebens in Chorweiler erläutert. Einige meiner
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GesprächspartnerInnen distanztieren sich jedoch auch völlig vom Stadtteil und vermochten in erster Linie negative Aspekte zu berichten. Häufig zeigte sich zudem, dass das gesellschaftlich dominante Verständnis davon, was an Lebensräumen »positiv« oder »negativ« ist, als Interpretationsrahmen für die Aussagen meiner GesprächpartnerInnen nicht passend zu sein scheint. Die Grenzen zwischen positiven und negativen Aspekten des Stadtteils werden zumeist fließend präsentiert, selten ist eine eindeutige Polarität erkennbar. Die Jugendlichen entwickeln neue, eigene Interpretationschemata. Was lebens- und liebenswert ist, ergibt sich jeweils aus dem Zusammenspiel der individuellen Biographien und konkreten Lebensumstände. Eine systematische Unterscheidung in »positiv« und »negativ« werde ich im Folgenden deshalb nicht vornehmen. Während der Interviews wurde wiederkehrend geschildert, dass Chorweiler unter einer ›Drogenproblematik‹ leide. Es werde vermehrt gedealt, Jugendliche würden häufiger als in anderen Stadtteilen Drogen konsumieren. Zwei InterviewpartnerInnen berichten in diesem Zusammenhang, dass es besonders in den Häusern der Stockholmer Allee häufig nach Gras riechen würde. Sie seien in ihrem Wohnhaus auch schon darauf angesprochen worden, ob sie wüssten, wo man hier im Haus Gras kaufen könne. Die Jugendlichen beschreiben mehrheitlich, dass sie sich dadurch gestört fühlen würden. Es finden sich jedoch auch konträre, scherzhafte Beschreibungen, die das Handeln mit Drogen und die damit verbundene Gang-Zugehörigkeit als hilfreichen »Notfall-Plan« präsentieren, falls sie mit ihren Schul- und Karriereplänen scheitern sollten. Zudem wird berichtet, dass viele der Jugendlichen irgendwann auf die schiefe Bahn gerieten, anfangen würden zu rauchen, zu trinken und Drogen zu konsumieren. Einigen meiner GesprächspartnerInnen sei es auch so ergangen, alle geben jedoch übereinstimmend an, diese Phase bereits hinter sich gelassen zu haben. Mehrfach wird darüber hinaus berichtet, es käme in Chorweiler besonders oft zu Schlägereien, sowohl zwischen Einzelpersonen als auch zwischen rivalisierenden Gruppen. Diese Gruppen würden sich unter anderem entlang ethnischer Kategorien unterteilen, so würden Russen, Türken und andere Nationalitäten »unter sich« bleiben. Eine »Durchmischung« der unterschiedlichen Nationaltäten gäbe es nur selten. Bei den Erzählungen über o.g. Vorkommnisse handelte es sich oft um Situationen, die die Jugendlichen von anderen gehört haben. Wenige Jugendliche gaben an, solche Situationen selbst miterlebt zu haben. Mehrere Jugendliche berichten, bereits Gewalt oder Übergriffe erlebt zu haben. Häufig handelt es sich dabei jedoch nicht um direkte Erfahrungen. Zum Teil scheinen die Beschreibungen von Chorweiler eher einem Film zu entstammen. Es ist die Rede von gehäuften Schlägereien mit tödlichem Ausgang und rivalisierenden Banden.
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Nur zwei (männliche) Jugendliche berichteten, dass sie selbst direkt in Schlägereien involviert gewesen seien. Ein junger Erwachsener erzählte von Gewalterfahrungen und Übergriffen, welche er als Jugendlicher, insbesondere im Grüngürtel zwischen zwei Stadtvierteln innerhalb Chorweilers, machte. Diese Erlebnisse sind in seiner Erinnerung sehr präsent und für seine Wahrnehmung und Einschätzung des Stadtteils von großer Bedeutung. Denny erzählt: »Ja. Also nicht so gut gewesen. Also dann so Sachen wie ich wurde von einem betrunkenen Fahrradfahrer überfahren. Er war besoffen, es war dunkel. Er ist über mich gefahren. Und hat mir mit dem Schutzblech halt das Bein aufgeschlitzt und ist einfach weiter gefahren. Hat ihn überhaupt nicht interessiert […] Das war bitter. Dann so Sachen, da bin ich mit dem Fahrrad durch den Park gefahren, dann ist mir einer vors Fahrrad gesprungen. Splitterfasernackt. Das war dann auch so, okay, gut, dass du ein Fahrrad hast. Schnell weg. Also so was ist dann auch in diesem Park tatsächlich dann passiert. Oder man wurde halt angegriffen, verprügelt oder sonst was.« (Interview Denny, S. 18)
Insbesondere die Interviews aus dem Jahr 2011 scheinen durch den Todesfall an der örtlichen Hauptschule beeinflusst worden zu sein. In allen Interviews wird auf den Vorfall Bezug genommen, zum Teil wird die Gefährlichkeit im Stadtteil durch einen Verweis auf die tödlich endende Schlägerei begründet. Die Aussagen der Jugendlichen sind von daher immer auch in Bezug auf aktuelle Ereignisse zu interpretieren. Deutlich wird an dieser Stelle die enge Verflechtung von aktuellen Ereignissen im Stadtteil, der Medienberichterstattung und daraus folgenden Interventionen für die Positionierung der Jugendlichen. So zeigt sich beispielsweise, dass in Interviews mit Jugendlichen rund ein Jahr nach dem Vorfall das Ereignis kaum mehr präsent ist und die Beschreibung von tödlicher Gewalt innerhalb unserer Gespräche keinen Stellenwert einnimmt. Die Erzählungen dieser beiden Jugendlichen hingegen stehen noch deutlich unter dem Eindruck des kürzlich vorangegangenen Todesfalls: Mustafa: »Ja weil hier oft Schlägereien sind, die tödlich enden. Hier sind ja viele Dealer, die Drogen verticken. Und deswegen ist das so negativ.« I: »Und kriegst du da jetzt in deinem Alltag was von mit? Wenn du sagst, hier sind viele Schlägereien? Ist das denn auch wirklich so?« Mustafa: »Ja also vor circa zwei Wochen ist da einer gestorben. Ein 14-Jähriger. Der wurde geboxt von einem Mitschüler und dann ist der ins Koma gefallen. Und dann ist der verstorben so nach zwei Wochen.« (Interview Mustafa und Ayhan, S. 3)
Als Nachteile werden in einem Interview des Weiteren die Entfernung zur Innenstadt und insbesondere die schlechte Busanbindung in die Außenbezirke beschrieben. Mehrfach schildern meine GesprächspartnerInnen zudem den
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schlechten Zustand der Hochhäuser, insbesondere in der Stockholmer Allee. Die Treppenhäuser seien verschmutz, die Aufzüge häufig defekt, in den Wohnungen schimmele es, es würde in die Treppenhäuser uriniert. Damit benennen die Jugendlichen und jungen Erwachsenen zweifellos vorhandene strukturelle und bauliche Mängel. Unverständnis herrscht auch darüber, warum die Mängel nicht beseitigt werden. Farid erzählt: »Doch, renoviert wurde schon. An einigen Etagen. Ich versteh auch nicht, warum einige Etagen, warum nicht direkt alle Etagen? Die Wände neu streichen und so. Ich versteh das nicht. Fünfte Etage, unter uns, ist alles renoviert. Genau, in der sechsten ist nicht. Und dann in der siebten. […] irgendwie so dann.« (Interview Özlem und Farid, S. 10)
Einige Jugendliche äußern dabei explizit den Wunsch, dass ihre Familien bald in andere Häuser in Chorweiler ziehen können. Der Zustand der Hochhäuser war in den Medien zur Zeit meiner empirischen Erhebung überregional auch auf Grund einer drohenden Zwangsversteigerung der Immobilie Thema und wird derzeit immer noch verhandelt.
Zerrbild Chor weiler Trotz all dieser kritikwürdigen Punkte wird vielfach berichtet, dass das gängige Bild über Chorweiler nicht der Realität entspräche. Zwar würden bestimmte Dinge zutreffen, insgesamt würde aber stark übertrieben. Das Bild rühre wohl daher, dass es in Chorweiler früher viel schlimmer zugegangen sei und die Vorurteile eventuell damals zugetroffen hätten. Heute sei es jedoch längst nicht mehr so schlimm. Oft würden Einzelfälle dramatisiert und verallgemeinert. Auch die Hochhaus-Architektur und der hohe Anteil an MigrantInnen würden zu den negativen Bildern über Chorweiler beitragen. Immer wieder wird auf die Armut und Perspektivlosigkeit einiger BewohnerInnen des Stadtteils hingewiesen, was letztlich auch dazu führe, dass in Chorweiler immer wieder Unruhe herrsche. Zudem betonen einige InterviewpartnerInnen ausdrücklich, dass die Medien einen nicht zu vernachlässigenden Einfluss auf den Mythos »GhettoChorweiler« hätten. Ereignisse seien in der Vergangenheit falsch dargestellt oder gar übertrieben dargestellt worden. Einzelfälle würden tendenziös aufbereitet und aufgeblasen. Dabei wird u.a. auf den bereits beschriebenen Vorfall in der örtlichen Hauptschule verwiesen, bei dem ein Jugendlicher zu Tode gekommen war. Dieser Vorfall wird in sehr vielen Interviews thematisiert. Des Weiteren wird häufiger von einer geplanten und in letzter Minute vereitelten Massenschlägerei berichtet. Zum Teil wird dieses Zerrbild reflektiert. So beschreibt Alexeji in scherzhafter und sehr treffender Weise:
Über die Alltagspraxis in Chor weiler »Ja das kommt so, wenn man so guckt. Hier sind viele Hochhäuser, meistens auch große Familien. Und dann sind hier halt auch mehr Leute. und dann kommt hier jetzt zum Beispiel auch die Polizei öfters vorbei. Weil es auch mehr Leute gibt. Und auch man hört auch den Krankenwagen öfters. Weißte dann kommt direkt der Gedanke: Oh Chorweiler. Schon wieder der Krankenwagen. Dabei hatte nur ein Opa einen Herzinfarkt.« (Interview Alexeji, S. 4)
Chor weiler als Zuhause Viele der Jugendlichen erzählen, dass sie prinzipiell gerne in Chorweiler leben würden. Dabei fühlen sie sich überwiegend sicher und sind mit ihrem Stadtteil zufrieden. Ihre Erzählungen wechseln zum Teil innerhalb kurzer Zeit von detailreichen Beschreibungen gewaltsamer Auseinandersetzungen hin zu der Feststellung, Chorweiler sei schon in Ordnung und das gängige Bild nicht zutreffend. Die Wahrnehmung der Jugendlichen selbst ist sehr nuanciert, teilweise ambivalent – für die InterviewpartnerInnen ist selbstverständlich, dass sie in einer Welt voller Widersprüchlichkeiten leben. Hervorgehoben wird mehrfach, dass Chorweiler vieles zu bieten habe: eine S-Bahn, ein großes Einkaufszentrum, Naherholungsgebiete und Jugendzentren. Es sei immer etwas los. Das Zusammenleben mit Menschen aus dem Herkunftsland der Eltern sei besonders für die Elterngeneration wichtig, insbesondere dann, wenn nicht besonders gut Deutsch gesprochen wird. Einige Jugendliche können sich durchaus vorstellen, auch nach ihrem Schulabschluss in Chorweiler wohnen zu bleiben, andere betonen, dass sie sobald wie möglich weg wollen. Ein Interviewpartner, Ben, hat sich mit Beginn seines Studiums beispielsweise bewusst für eine Wohnung in Chorweiler entschieden. Die Vorteile des Netzwerks vor Ort, die Nähe zu seinen Eltern und die günstigen Wohnungen, seien ausschlaggebend gewesen. Als besonders wichtig werden das soziale Netzwerk und der Zusammenhalt untereinander beschrieben. In Notfällen könne man sich immer aufeinander verlassen. Und da sich alle untereinander kennen würden, würde man sich meist sicher fühlen. Dieser Zusammenhalt sei weit stärker ausgeprägt als in anderen Stadtteilen und würde zur Lebensqualität vor Ort entscheidend beitragen: »Ja. Ja, wegen dem, was sie auch gesagt hat, wegen dem Zusammenhalt hier. Man weiß, wenn was Schlimmes ist, dass auch wenn grade Streit ist, dass man auf den zählen kann. Weil man eigentlich zusammen aufgewachsen ist. Auch wenn man nicht wirklich mehr was miteinander zu tun hat, man weiß, dass man aufeinander zählen kann, egal, was ist. Das hat man auch letztens gemerkt. Dass ein damaliger Freund von uns, da war fast eine Schlägerei zwischen meiner Schwester und noch jemandem. Und dann haben wir den angerufen, obwohl wir Streit mit dem haben, obwohl ich sie davon abgeraten hab, sie hat es trotzdem gemacht. Und der wollte sofort kommen. Nur die Mutter wollte
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Hybride Alltagswelten das nicht, weil es schon viel zu spät war. Deshalb find ich das eigentlich gut, der ganze Zusammenhalt hier. Deshalb fühle ich mich auch so wohl in Chorweiler-Nord. Ja.« (Interview Alessia und Carla, S. 4)
Kriminalisierung Von dem dramatischen Anwachsen der Gewalttätigkeit, Gewaltbereitschaft und Kriminalität Jugendlicher der zweiten und dritten Generation ist in öffentlichen Debatten viel zu hören. Zunehmend sprach und spricht man von einer Brutalisierung der Auseinandersetzungsformen der Jugend. Gerade in Bezug auf Jugendliche der zweiten und dritten Generation ist eine Tendenz zur Dramatisierung erkennbar. So wird auch der Stadtteil Chorweiler immer wieder unter dem Aspekt der Sicherheit diskutiert, jüngst erschütterten einige dramatische Vorfälle den Stadtteil, was zu einer Verschärfung des Sicherheitsdiskurses geführt hat. Diese enge Verknüpfung von Kriminalität und Migration ist auch den interviewten Jugendlichen nicht entgangen. Implizit und explizit grenzen sie sich regelmäßig von dem Bild des »kriminellen Migrantenjugendlichen« ab, indem sie etwa betonen, dass sie »gute Menschen« sind und keinen Ärger wollen. Zwar gäbe es in Chorweiler Kriminalität, Verallgemeinerungen und Pauschalisierungen lehnen sie jedoch ab. Insbesondere einige männliche Jugendliche berichten von Erfahrungen mit wiederholten willkürlichen Polizeikontrollen ohne erkennbaren Grund. Dabei sehen sie klare Zusammenhänge zwischen ihrem Status als Migranten und dem daraus gefolgerten kriminellen Potential. Nur eine Person gibt an, bereits mit dem Gesetz in Konflikt geraten zu sein und Sozialstunden abgeleistet zu haben.
Allgemeine Verunsicherung oder: Polizeipräsenz Fünf männlichen Jugendlichen und jungen Erwachsenen sprechen von einer erhöhten Polizeipräsenz und damit verbundenen verstärkten Personenkontrollen. Dabei sind einige Jugendlichen selbst bereits in solchen Kontrollen geraten und haben keine guten Erinnerungen an dieses Erlebnis. Übereinstimmend wird die Vorgehensweise der Polizei als beängstigend beschrieben, der konkrete Nutzen solcher Kontrollen in Frage gestellt. In keinem Fall wird die Anwesenheit der Polizei als Bereicherung oder hilfreich erlebt. Einige Jugendliche berichten von Strategien der Unsichtbarmachung, um den unangenehmen Kontrollen zu entgehen. Sie haben eine konkrete Vorstellung davon, welche Verhaltensweisen und äußerlichen Merkmale eine Personenkontrolle nach sich ziehen, wie sie zu vermeiden sind und entlarven diese damit als willkürliche und diskriminierende Praxis. Farid berichtet: »Ja und dann haben die ... mich haben die auch kontrolliert. Ich hatte da so eine Jacke an. Ich sah schon ein bisschen verdächtig aus. An dem Tag hatte ich die Haare geschnit-
Über die Alltagspraxis in Chor weiler ten. Die Seiten ein bisschen kürzer, sehr kurz gehabt und dann oben ein bisschen lange Haare, gestylt. Dann kam ich mit so einer Jacke. Danach, ich kam grad vorbei, meinen die so, ja, Hände hoch. Hab ich so gemacht. Ich sag, was ist denn los? Haben die mich am Auto angepackt und danach haben die meine Sachen kontrolliert und so.« (Interview Özlem und Farid, S. 18)
Im krassen Gegensatz zu der großen Präsenz der Polizei steht die Wahrnehmung der Jugendlichen, dass die Polizei dennoch kaum helfend interveniere. Die Polizei sei zwar überall, aber nie da, wo man sie brauche. In konkreten Bedrohungssituationen beispielsweise würde die Polizei viel zu lange brauchen, um helfen zu können. Zeitweise wird sich darüber lustig gemacht, dass die Polizei stets zu spät käme. Und dies obwohl die Polizeiwache sehr zentral in Chorweiler liege. Ein Jugendlicher berichtet scherzhaft, das läge wohl daran, dass die Polizei immer mit dem Auto kommen und dann im Verkehr steckenbleiben würde. Zu Fuß wären sie mit Sicherheit deutlich schneller. Es lässt sich also festhalten, dass sich die Jugendlichen und jungen Erwachsenen durch die Präsenz der Ordnungskräfte nicht sicherer fühlen. Im Gegenteil erzeuge die Polizei ein Gefühl der Unsicherheit, denn man müsse ständig fürchten, in unangenehme Auseinandersetzungen mit diesen zu geraten. Dies steht im krassen Gegensatz zu den eigentlichen Zielen der verstärkten Polizeieinsätze, wie sie im polizeilichen Konzept »Sichere Straße Chorweiler« beschrieben werden. Im Kontrast zu den Aussagen meiner GesprächspartnerInnen wirken die Ziele jenes Konzeptes sogar fast satirisch: »Durch uniformierte Streifen und regelmäßige Kontrollen wird die Polizei in enger Abstimmung mit der Bundespolizei zukünftig verstärkt Präsenz im Stadtteil Chorweiler zeigen, um keine neuen Strukturen in der Drogenszene entstehen zu lassen. Im Rahmen des Konzepts »Sichere Straße Chorweiler‹ soll dadurch das Sicherheitsgefühl der Bürger gestärkt werden.« (O.V., Online-Ausgabe des Kölner Stadtanzeigers vom 28. März 2012)
Stigma Chor weiler Insgesamt sehen einige der Jugendlichen die Gefahr, durch den schlechten Ruf des Stadtteils als »Asi« oder »Ghettokids« abgestempelt zu werden. Von dieser Zuschreibung grenzen sie sich mehrheitlich klar ab. Sie finden es nicht fair, dass der Stadtteil ihnen wie ein Etikett anhaftet und sie damit der Möglichkeit beraubt werden, sich selbstbestimmt und unabhängig zu präsentieren. Häufig wurde in diesem Zusammenhang bereits die Erfahrung gemacht, dass Menschen von außerhalb negativ reagierten, wenn die Jugendlichen ihren Wohnort verrieten. Die meisten meiner GesprächspartnerInnen können solche Situationen konkret benennen. So beschreibt Birol:
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Hybride Alltagswelten »Ja, auf mich persönlich jetzt nicht mehr, seit ich meinen Ausbildungsplatz hab. Weil da stand auch, wo ich den Einstellungstest schreiben musste, was ich mache in meiner Freizeit und so. Und dann hab ich das natürlich gerne reingeschrieben, weil ich dachte ja von Anfang an, dass das nichts Schlimmes wäre. Und im Einstellungsgespräch haben die mich halt da drauf angesprochen. Die meinen, ja, du kommst aus einem gefährlichen Bezirk. Und so. Das hat schon Wirkung, Auswirkung also und wenn ich in der Stadt bin und treffe alte Freunde von der Schule, dann fragen die mich immer, wo wohnst du. Dann sag ich immer, ja, in Worringen. Sagen die, ja, ist das nicht in der Nähe von Chorweiler? Sag ich ja. Sagt der, bist du nicht asozial und so? Ist das nicht da asozial? Haben die halt schlechtes Gewissen, aber kann ich ja nix für. Ich red zwar mit denen darüber offen, klar, aber die verstehen das trotzdem nicht.« (Interview Birol, S. 5)
Birols Erzählung veranschaulicht die Momente, als ihm bewusst wurde, dass mit seinem Wohnort etwas nicht stimmt. Vollkommen selbstverständlich gibt er seine Adresse an und berichtet über seine Freizeitgestaltung. Erst als dann kritische Rückfragen kommen, wird ihm bewusst, dass Chorweiler etwas »Schlimmes wäre«. Seine Selbstverständlichkeiten und sein unbeschwerter Umgang mit seinem Wohnort werden durch Außenstehende in Frage gestellt. Birol wird gezwungen, Stellung zu beziehen mit dem Ergebnis, dass seine Sichtweise auf Unverständnis stößt. Auch Chim hat im beruflichen Kontext eine ähnliche Erfahrung gemacht. Er beschreibt: »Da hab ich einmal in Ikea Praktikum gemacht. In der Küche. Und danach hab ich mal mit dem Kollegen da zusammen so gegessen. Und dann meinen die, ja, von wo kommst du und so, hab ich gesagt, ja, von Chorweiler. Meinen die so, ja, da ist es doch schlimm und so. Dies, das. Hab ich gesagt, ja, so einer bin ich aber nicht.« (Interview Chim, S. 5)
Die Umgangsweise der Jugendlichen in solchen Fällen reicht von Gleichgültigkeit oder Gelassenheit (»ich kann darüber nur noch lächeln!«) und einer deutlichen Distanzierung über Versuche, das Bild gerade zu rücken, bis hin zu Stolz, denn es habe Vorteile, wenn sich andere vor einem fürchten. Durch andere Menschen zu einer Stellungnahme ihren Stadtteil betreffend aufgefordert, verfallen sie häufig in eine entschuldigende oder eine verteidigende Haltung. Entschuldigt wird die Situation in Chorweiler mit der herrschenden Armut oder einer erhöhten Verbreitung von Drogen. Verteidigt wird Chorweiler als missverstandener Stadtteil und Konstruktion medialer Mythen. Dabei scheint eine Nichtpositionierung nahezu unmöglich, werden die Jugendlichen doch automatisch als BotschafterInnen ihres Stadtteils und damit als uneingeschränkte AnsprechpartnerInnen für alle Fragen, die diesen Themenkomplex betreffen, wahrgenommen und gefordert. Ihre Positionierung, egal wie diese auch aussehen mag, zwingt sie zugleich in nahezu allen Fällen, sich mit bestimmten Gruppen zu solidarisieren oder sich gar von diesen abzugrenzen. Der Raum,
Über die Alltagspraxis in Chor weiler
eine differenzierte Darstellung zu liefern, wird ihnen in der Regel verweigert. Wenn Chim also erwidert, dass er »so einer« nicht sei, nimmt er zugleich eine Wertung vor, die, so geht aus dem Interview im weiteren Verlauf hervor, durchaus auch enge FreundInnen von ihm umfasst. Die Unmöglichkeit dieser Situation wird daran einmal mehr deutlich. Die Fremdzuschreibungen, denen die Jugendlichen und jungen Erwachsenen ausgesetzt sind – wahlweise als »gefährlich«, »asozial«, »kriminell« oder auch »unverschuldet in dem Stadtteil gelandet« –, erfordern fast immer eine Reaktion. Es stellt sich an dieser Stelle die Frage, wie die sie ihre Erfahrungen und ihr Wissen über den Stadtteil in eine konkrete Praxis umsetzen.
6.4 W iderspenstige P r ak tiken und S tr ategien des U mgangs Widerspenstige Praktiken meinen all die impliziten und expliziten Handlungen, Aktionen, Alltagspraxen und Deutungsmuster, welche die Jugendlichen und jungen Erwachsenen unter Lebensbedingungen, die durch ethnisierende Fremddefinitionen und kulturelle Hegemonie gekennzeichnet sind, entwickeln. Sie stellen eine aktive eine Auseinandersetzung dar und gehen damit über eine Selbstverortungspraxis als bloßes Selbstverständnis hinaus. Sie geben nicht nur Auskunft über subjektive emotionale Zugehörigkeiten, sondern ermöglichen Einblicke in Umgangsweisen und Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen In- und Exklusionsprozessen. In diesen Fragen präsentieren die Jugendlichen sich als ExpertInnen. Schon allein auf Grund ihres Wohnortes und Migrationshintergrundes werden sie als »Andere« stigmatisiert und ihnen bestimmte gesellschaftliche Zugänge systematisch verweigert. Hinzu kommen weitere, individuell verschiedene intersektionale Differenzkategorien wie Geschlecht, Klasse, Alter oder Körper, die sie in ihren Möglichkeitsspielräumen beeinflussen. Auch werden Fragen sozialer Ungleichheit aufgeworfen, die für ihre Lebenssituation elementar sind. Es wird in diesem Zusammenhang, und dieser Aspekt ist nicht zu vernachlässigen, häufig von prekären Lebensverhältnissen berichtet. Mehrfach wird deutlich, dass die Familien mit vielen Personen auf engem Raum leben oder lebten. Auch wird die Arbeitslosigkeit der Eltern thematisiert und die damit verbundenen finanziellen Einschränkungen. Es wird erzählt, dass Bildungsabschlüsse der Eltern aus dem Herkunftsland nicht anerkannt wurden und eigentlich hochqualifizierte Menschen von daher in Deutschland jeder Möglichkeit beraubt seien. Und auch rechtliche Schwierigkeiten, zum Beispiel bei der Einreise in das Herkunftsland, werden thematisiert. Özlem beschreibt ihre Wohnverhältnisse vor dem Umzug wie folgt:
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Hybride Alltagswelten »Ja, da haben wir vorher gewohnt, am Anfang. Aber das war Drei-Zimmer-Wohnung. Und wir sind ja fünf Kinder. Das war dann zu klein. Und dann sind wir halt in die Stockholmer umgezogen.« (Interview Özlem und Farid, S. 8)
Wie ich im Folgenden zeigen werde, haben nahezu alle Jugendliche marginalisierende und diskriminierende Erfahrungen gemacht (welche über die Kategorien race and space weit hinausgehen). Ihre (subversiven) Handlungsstrategien können in diesem Kontext als Reaktion auf die kontinuierlichen Diskriminierungserfahrungen gedeutet werden (vgl. dazu auch Terkessidis 2004; Scharathow 2014). Dabei muss es sich nicht, kann es sich aber, um bewusste Strategien handeln. Kennzeichnend für diese Strategien ist jedoch in vielen Fällen, dass sie nicht als solche wahrgenommen werden, sondern unter Begriffen wie »Desintegration«, »ethnische Segregation«, »Kriminalität« oder »Verlierer« verhandelt werden. Michel Foucault verdeutlicht, dass Widerstand mannigfaltige (Ausdrucks-)Formen annehmen kann. Damit lenkt er den Blick auch auf die weniger spektakulären Ereignisse und erkennt an, dass schon das einzelne Individuum sich widerständig verhalten kann: »Darum gibt es im Verhältnis zur Macht nicht den einen Ort der Großen Weigerung – die Seele der Revolte, den Brennpunkt der Rebellionen, das reine Gesetz des Revolutionärs. Sondern es gibt einzelne Widerstände: mögliche, notwendige, unwahrscheinliche, spontane, wilde, einsame, abgestimmte, kriecherische, gewalttätige, unversöhnliche, kompromissbereite, interessierte oder opferbereite Widerstände, die nur im strategischen Feld der Machtbeziehungen existieren können.« (Foucault 1977, S. 117)
Welche Strategien die Jugendlichen und jungen Erwachsenen aus meiner Untersuchung entwickeln, habe ich im Folgenden zusammengefasst. Die verschiedenen Strategien stellen dabei keineswegs abgeschlossene Einheiten dar, sondern sind als Richtung zu verstehen. In den wenigsten Fällen stehen sie zudem für sich isoliert, vielmehr sind die Übergänge fließend und miteinander verschränkt. Es handelt sich also um keine ›Typenbildung‹.
Gegenvorschlag – Chor weiler als gewöhnlicher Ort Mehrfach entwickeln die Jugendlichen eine Art Gegenvorschlag zu den herrschenden dominanten Diskursen und Deutungsmustern. Dieser Gegenvorschlag beinhaltet die Beschreibung Chorweilers als ihr Zuhause, einen alltäglichen Lebensraum, der für sie selbstverständlich ist und viele Vorteile und Qualitäten besitzt. Chorweiler wird zu einem Ort, der sich nicht in prägnanter Weise von anderen Orten unterscheidet, der anderen sogar vorzuziehen ist. Vergegenwärtigt man sich, dass die Jugendlichen und jungen Erwachsenen in Chorweiler geboren und aufgewachsen sind, ihren Stadtteil lieben und schät-
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zen, sich hier zuhause fühlen und auskennen, so vermag diese Strategie nicht zu verwundern. Die Tatsache, dass Chorweiler in der Öffentlichkeit fortwährend als abweichend und lebensunwert beschrieben wird, stellt für die dort lebenden Jugendlichen und jungen Erwachsenen eine Zumutung dar. Sie befinden sich in einem besonderen Spannungsfeld: Auf der einen Seite wollen sie ihren Stadtteil so beschreiben, wie sie ihn kennen und lieben. Auf der anderen Seite sind ihnen strukturelle Probleme und soziale Ungleichheiten durchaus bewusst. Diese Unsicherheiten werden auch in ihren Erzählungen deutlich. Farid räumt ein, dass es Dinge gebe, die nicht so gut wären. Aber insgesamt sei er zufrieden: »Also ich war von hier, also ist ja schon dreckig, aber also die Hochhäuser auch so alt dreckig eigentlich. Aber das Gute daran ist, hier ist ein Einkaufszentrum. Also auch nicht so weit entfernt so. Ist eigentlich hier gut, hier sind Schulen in der Nähe. Muss man auch nicht so lange laufen sozusagen. Eigentlich ist das schon gut hier, also Chorweiler.« (Interview Özlem und Farid, S. 4)
Der einseitigen medialen und wissenschaftlichen Darstellung der BewohnerInnen des Stadtteils wird auf diese Weise eine ganz andere Realität entgegengestellt. Das Dramatische weicht dem Gewöhnlichen und Alltäglichen, welches in den oft beschriebenen Szenarien von Perspektivlosigkeit und Verfall nur selten Platz findet. Vergleicht man die alltäglichen Beschreibungen der InterviewpartnerInnen mit einer im Dezember 2012 erschienenen Beschreibung Chorweilers in der Online-Ausgabe der Welt, wird deutlich, wie wenig die Jugendlichen selbst zu Wort kommen. »Wer hier wohnt, ist frustriert. Die meisten aber haben sich mit ihrer Situation abgefunden. Weil den Menschen im Kölner Trabanten-Vorort Chorweiler sowieso niemand helfen mag. Vor allem bei jungen Leuten schlägt die Ausweglosigkeit der Situation in Aggression um. Taner Erdener und Roman Friedrich betreuen viele Jugendliche, deren Leben im sozialen Brennpunkt ohnehin belastet ist. ›Die fühlen sich stigmatisiert‹, erklärt Erdener. Wer eine Lehrstelle suche, habe nahezu keine Chance, wenn potenzielle Arbeitgeber den Wohnort Chorweiler zur Kenntnis nehmen. Ein Leben außerhalb des sozialen Brennpunkts erscheint unerreichbar […] Die Folge ist ›deviantes Verhalten‹, wie es Fachleute nennen. Konkret bedeutet das Gewalt und Drogen, Massenschlägereien und Vandalismus.« (Überall, Die Welt vom 16. Dezember 2007)
Liest man demgegenüber die Beschreibung von Ben, glaubt man zunächst kaum, dass es sich wirklich um ein und denselben Stadtteil handeln kann: »Wichtig war früher für mich halt, ich hab halt viel Sport gemacht. Da auch viele Freunde gehabt dadurch, viel ausprobiert. Keine Ahnung, Tennis, Fußball, Tischtennis. Dann irgendwann beim Basketball hängen geblieben. Und ja, wichtig für mich war früher halt
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Hybride Alltagswelten auf jeden Fall meine Freunde oder heute immer noch eigentlich. Und dann Familie, klar. Und ja, ansonsten Chorweiler an sich hat klar einen schlechten Ruf gehabt. Aber wir als Kinder eigentlich nie was mitbekommen. Also wir hatten nie irgendwie Probleme, großartig Schlägereien, wurden nie bedroht oder irgendwie von irgendwas. Und ich glaub, der Ruf kam halt meistens von irgendwelchen Leuten, die dann irgendwo anders Stress gemacht haben und dann halt erzählt haben, ja, wir kommen aus Chorweiler. So ist das meistens. Klar, so hab ich das früher immer mitbekommen. Und ja, ansonsten ... ja, nach dem Abi hab ich ja noch ein Jahr Zivildienst gemacht im Krankenpflegedienst. Bin dann zur Sporthochschule gegangen. Hab mich da beworben, wurde auch angenommen und hab dann angefangen zu studieren. Ja. Und dann hab ich auch selber ein Kind bekommen. Und ja, dann sind wir zusammen mit meiner Freundin nach Chorweiler in die Osloer Straße gezogen.« (Interview Ben, S. 1)
In besonderer Weise werden der soziale Zusammenhalt und der vertraute Umgang der BewohnerInnen untereinander gelobt. Durch diesen sozialen Zusammenhalt wird Chorweiler in den Erzählungen, anders als gemeinhin wahrgenommen, zu einem besonders sicheren Ort. Exemplarisch beschreibt beispielsweise Carla einen Vorfall, bei dem ihr direkt mehrere BewohnerInnen zur Hilfe eilten, obwohl diese sich für gewöhnlich Alkohol trinkend auf der Straße aufhalten würden und im Allgemeinen eher lästig seien: Carla: »Ja, schon meistens. Ist schon nicht gut mit anzusehen. Wie die die ganze Zeit trinken und dann scheiße labern. Anfangen sich zu streiten und... ja. Aber wenn jetzt zum Beispiel irgendjemand mich blöd anmacht, dann helfen die mir auch und so.« I: »Bist du denn schon mal blöd angemacht worden?« Carla: »Ja. Also das gabs auch schon mal einen Vorfall, da war ich mal draußen. Einfach so, da war ich noch kleiner. Und dann kam son Typ. Aus Spaß hat der mir dann einfach an den Po gepackt und ist dann weggelaufen. Ich hab den dann verflucht die ganze Zeit. Ja dann hab ich dem auch so Backpfeifen gegeben, hab dem Sachen hinterhergeworfen. Ja und dann kamen halt die, meine Mutter also auch, haben den dann gesucht und nicht gefunden. Der war irgendwie weg direkt.« (Interview Carla, S. 4)
Parteinahme und Identifikation Chorweiler wird auf diese Weise auch zu einem Ort, der eine besondere Identifikationsplattform bietet. Für einige Jugendliche erweist sich die Strategie der Parteinahme und Identifikation als wichtige Umgangsstrategie mit stigmatisierenden Fremdzuschreibungen und Abwertungen. Die negativen Zuschreibungen werden neu interpretiert. So auch für Alessia, die Chorweiler als Lebensraum beschreibt, auf den man stolz sein kann: »Aber ich bin, ... ich weiß nicht, ich bin eigentlich so stolz da drauf, also so wie jetzt Chorweiler ist, bin ich eigentlich eher stolz drauf, weil ich finde das, hier ist mehr los und
Über die Alltagspraxis in Chor weiler alles, zwar auch negative Sachen, aber ich find das, also der Zusammenhalt und alles halt viel besser als jetzt zum Beispiel in Worringen oder so. Da ist gar nix los. Man hat dann zwar einen positiveren Eindruck, aber ich find das auch einfach langweilig und ja ... also bei der Sache verteidige ich eher Chorweiler.« (Interview Alessia, S. 4)
Dieses Umdeuten und Aneignen kann als Versuch verstanden werden, sich mit dem ausgegrenzten und stigmatisierten Stadtviertel zu identifizieren, auf diese Weise Identität zu lokalisieren (vgl. dazu auch Rebholz 2002, S. 257ff.) und die eigene Person aufzuwerten. Chorweiler wird zu einer »imaginären Heimat«. Diese Strategie der Lokalisierung, die man fast in allen deutschen Großstädten beobachten kann, dient dazu, sich gesellschaftlich und politisch zu artikulieren und zu positionieren (vgl. Niedermüller 2000, S. 124; Ottersbach 2001). Dabei bleibt der Blick auf das Quartier jedoch in der Regel keineswegs einseitig und unreflektiert. Sowohl positive als auch negative Aspekte werden hervorgehoben. Es geht also in keiner Weise um eine Glorifizierung des Stadtteils. Wie schon beschrieben, verfügen die Jugendlichen über ein differenziertes Bild, nehmen positive wie auch negative Aspekte ihres Lebensraumes wahr, vermögen Probleme und deren Ursachen zu erkennen und zu benennen. Sie entwickeln jedoch eine von der Mehrheitsgesellschaft abweichende und sehr hoffnungs- und energievolle Interpretation. Eine neue Lesart, die durch die Mehrheitsgesellschaft häufig nicht erkannt und als negative Selbstausgrenzung abgewertet wird. Die Folgen einer solchen unreflektierten Abwertung jugendlicher Aneignungsstrategien sind gravierend und drängen die Jugendlichen noch weiter in eine Außenseiterposition.
Machtdemonstration und betonte Männlichkeit Auch das Wissen über die negativen Zuschreibungen von Chorweiler als gefährliches Ghetto wird explizit genutzt und spielerisch eingesetzt (vgl. Riegel 1999), um Macht und Stärke zu demonstrieren. Der Mythos »Chorweiler« wird zu einer Drohgebärde. Diese Nutzung kann als Resignifikation und als bewusste Praxis verstanden werden oder aber unbewusst eingesetzt werden, um Positionierungskämpfe von vornherein zu vermeiden oder abzukürzen (vgl. Schulze 2007). Mustafa und Ayhan beschreiben während unseres Gespräches zum Beispiel, wie ihnen die Tatsache, dass Chorweiler einen gefährlichen Ruf hat, in einer konkreten Bedrohungssituation geholfen hat. Ayhan stellt fest: »Jeder hat Angst vor uns […] Keiner kann uns anpacken.« Einige männliche Jugendliche haben während unserer Gespräche zudem viel Wert darauf gelegt, dem Klischee eines »Machos« und starken Mannes zu entsprechen. In ihrer Selbstinszenierung mir gegenüber ging es um Stärke und Brüderlichkeit. In Chorweiler zu leben und aufzuwachsen impliziert für
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sie, dass sie eine besondere Männlichkeit herausbilden müssen. Zum einen gehe es dabei um die Fähigkeit, sich selbst verteidigen zu können. Zum anderen um die Zugehörigkeiten zu Gruppen, Cliquen oder Gangs. Diese Inszenierung ist zunächst für männliche Jugendliche nicht untypisch. Zum anderen kann sie jedoch als Umgangsstrategie zur Bewältigung von rassistischen, diskriminierenden und stigmatisierenden Zuschreibungen gesehen werden. Jene hegemonialen Praktiken können den Jugendlichen und jungen Erwachsenen nichts mehr anhaben, denn sie stehen über den Dingen, kennen keinen Schmerz und erfahren zudem intensiven Rückhalt durch ihre Peer-Group. Damit entsprechen sie auf den ersten Blick zwar dem herrschenden Klischee der ausländischen Jugendlichen, für die andere Sitten und Traditionen handlungsleitend seien als für die Mehrheitsgesellschaft, widerlegen diese jedoch zugleich. Denn introspektiv wird deutlich, dass es sich bei der Inszenierung keineswegs um importierte anatolische Brauchtümer handelt, sondern vielmehr um sehr wirkmächtige, empowernde Strategien. Das soziale Netzwerk erfüllt eine wichtige unterstützende Funktion. Es wird der Zugang zu informellen und formellen Ressourcen sichergestellt, ein Ort, der Sicherheit und Schutz garantiert sowie Anerkennung und Wertschätzung vermittelt. Wichtige Faktoren also, die gesellschaftlich in vielen Fällen systematisch verweigert werden.
Kritische Distanzierung Nicht zuletzt spielt auch kritische Distanznahme eine Rolle. Chorweiler wird als lebensunwerter Ort beschrieben, an dem man nicht länger als unbedingt notwendig verweilen kann. Es wird unterschieden zwischen der »eigenen Welt« und der »Chorweiler-Welt«. Diese Art der Auseinandersetzung spielt vor allem für die interviewten Personen eine Rolle, die einen höheren Bildungsstatus aufweisen, entweder bereits studieren oder in naher Zukunft ein Studium anstreben. Chorweiler und die damit assoziierten Bilder scheinen zu dem eigenen Lebenskonzept und der Selbstverortung nicht (mehr) zu passen. Die Strategie der Distanzierung angesichts des wahrscheinlichen sozialen Aufstiegs erscheint in diesem Licht folgerichtig. Zweifelsohne kann der Lebensraum schließlich zu einem Stigma werden, das sozialen Aufstieg behindert. Denny, ein Jura-Student (siehe Kapitel 6.2.1 »Kurzüberblick der InterviewpartnerInnen«) und gelernter Bankkaufmann, verschweigt aus diesem Grund regelmäßig seine Herkunft. Zwar distanziert er sich in unserem Gespräch nicht von seinem Wohnort, legt aber großen Wert darauf, dass er nicht aus Chorweiler stamme, sondern aus Seeberg. Denn dies sei ein großer Unterschied. In Chorweiler könne man unmöglich gut aufwachsen. Ein wichtiges Ziel in seinem Leben ist, Chorweiler eines Tages hinter sich zu lassen, um endlich normal und unauffällig sein zu können:
Über die Alltagspraxis in Chor weiler »Nee, also Chorweiler hab ich nie verteidigt. Das einzige, wo ich es verteidigt habe, war bei dieser SoWi-Lehrerin, wo ich gesagt habe, also das ist Blödsinn, dass da nur dumme Menschen herkommen. Weil das ist ... also wer so was heute noch denken kann, na ja […] also ich hab auch für mich immer gedacht, okay, du musst jetzt schon was leisten, um auch da rauszukommen. Also das hatte ich schon immer im Hinterkopf. Du möchtest nicht später, wenn du arbeiten gehst und so, dann auch wieder hier landen. Sondern du möchtest schon was in Anführungszeichen Besseres mal schaffen. Also schon aus dem Bezirk dann auch raus zu kommen. Das schon. Ich glaube, deswegen bin ich auch umgezogen, wenn ich ehrlich bin. So ein bisschen auch da mal rauszukommen und woanders neu anzufangen.« (Interview Denny, S. 15)
Ein Umzug in einen anderen Stadtteil wird für den sozialen Aufstieg als unabdingbare Voraussetzung wahrgenommen. Nicht nur, dass Chorweiler einen Schatten auf die eigene Leistung und eigenen Möglichkeiten wirft – auch die Bedingungen vor Ort würden den Fortgang, zum Beispiel im Studium, negativ beeinflussen. Dabei erscheint die Reflexion des Stadtteils teilweise eher einseitig. Es scheint kaum etwas zu geben, was Chorweiler zu einem lebenswerten Ort macht. Vielmehr müsse man sich um seine Sicherheit fürchten und sei in seiner Lebensführung massiv beeinträchtigt. Dimitri berichtet in diesem Zusammenhang: »Ja, weil man kann hier ... also von mir aus jetzt kann man hier nicht leben. Ich muss ja auch zu Hause lernen. Unter mir ganz laute Kinder, die kein Deutsch sprechen. Ich kann nicht den Eltern sagen, seien Sie bitte ruhig. Da werde ich vielleicht sogar verprügelt. Wenn nicht schlimmer. Und oben über mir wohnt vielleicht in meinem Alter ein Junge, der mag es, laute Musik zu hören. Und da steh ich auch nicht drauf. Und so weit ... bei der nächsten Möglichkeit bin ich weg.« (Interview Dimitri und Jegor, S. 5)
Dimitri entwirft eine Szene, die für das Zusammenleben im urbanen Raum als typisch beschrieben werden kann. Ruhestörungen durch Nachbarn in Mehrfamilienhäusern, Konflikte untereinander, Personen, die andere Sprachen als Deutsch sprechen, lassen sich kaum als symptomatisch für das Leben in Chorweiler beschreiben.
6.5 S tigma M igr ation und I dentitätskonstruk tionen Nahezu alle der von mir interviewten Jugendlichen berichten im Verlauf des Gesprächs mehr oder weniger ausgeprägt von diskriminierenden oder stigmatisierenden Momenten. Diese reichen von rassistischen Behandlungen durch Erzieherinnen im Kindergarten über Ungleichbehandlungen in der Schule bis hin zu unangebrachten Polizeikontrollen auf Grund ihres Aussehens. Auch Er-
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fahrungen mit Alltagsrassismus werden beschrieben, eng verknüpft mit dem Gefühl, sich nirgendwo zugehörig und fremd zu fühlen. Immer wieder wird im Verlauf der Gespräche, oft nur durch beiläufige Kommentare, deutlich, dass die Jugendlichen sich für ihre Herkunft und Selbstverortung rechtfertigen zu müssen. Ihre Zugehörigkeit zur Mehrheitsgesellschaft wird immer wieder in Frage gestellt und zwingt sie in eine fortwährende Rechtfertigungsposition. Pinar, Jamila und Lara, alle drei derzeit in der Oberstufe einer Berufsfachschule mit dem Ziel der Fachhochschulreife, beschreiben eindrücklich ihr Empfinden, in der Schule allein auf Grund ihrer zugeschriebenen ethnischen Zugehörigkeit benachteiligt worden zu sein. Eine Lehrerin habe sogar unverwunden zugegeben, »Persönlichkeitsnoten« zu verteilen. Auf die mehrfachen Beschwerden durch die Mädchen sei niemand eingegangen, zurückgeblieben sei ein Gefühl der Wut und Hilflosigkeit gepaart mit der Frage, was denn noch alles nötig sei, um anerkannt und gerecht behandelt zu werden. Fleiß und Anpassung allein, so das Fazit, scheinen nicht auszureichen. Pinar beschreibt eine Erinnerung aus der Schule: »Also noch ein Beispiel z.B. Wir hatten noch eine Freundin, sie war Deutsche. Sie hat sich ständig... also bei den Vokabeltests, da haben alle ständig 5 und 6 geschrieben. Und danach hat die Deutsche eine 5 geschrieben, sie hat eine 5 geschrieben (Lara) und ich hab eine 5 geschrieben. Dann hieß es: ›Aber sie hat gelernt!‹ Ich weiß das.« (Interview Pinar, Jamila und Lara, S. 11)
Ähnliche Erfahrungen schildern auch Dimitri und Jegor, wenn sie davon berichten, wie ihnen eine höhere Schulbildung systematisch verweigert wird. Erst durch eigene Kraft und Beharrlichkeit gelingt es schließlich doch, den ursprünglich gewünschten Weg einzuschlagen. Diese Schwierigkeiten, gerade im Übergang zwischen zwei Schulformen, sind symptomatisch für die Situation von jungen Menschen mit Migrationshintergrund im Schulsystem. Nur mit eigener Kraft, UnterstützerInnen oder auch Glück schaffen es viele Jugendliche, ihren angestrebten Bildungsweg einzuschlagen, andere scheitern an den diskriminierenden rassistischen Bedingungen: »[…] Ich kann schon ein Beispiel dazu nennen. Ich war in der zehnten Klasse. 10b. War halt nur drei, vier Jahre hier in Deutschland. Und der Lehrer hat gesagt, also über 10b hinaus brauch ich nicht gehen. Da kann ich auch Ausbildung machen, das reicht mir schon. Weil ich mich in einem Gymnasium angemeldet hab. Und da hat der gesagt, lass es lieber. Ja, hab ich mir überlegt, hab ich das alles gelassen. Und dann dachte ich mir, ich versuch eine Ausbildung parallel und dann Fach-Abi zu machen. Hat geklappt, Fachabitur. Und jetzt hab ich Studium angefangen. Und der Lehrer hatte schon kein Vertrauen in mich […]. Und wenn die andere auch genauso die anderen Schüler sehen, dann
Über die Alltagspraxis in Chor weiler hört es schon in der Hauptschule auf. Wenn man das so sieht […].« (Interview Dimitri und Jegor, S. 3)
Die Frage nach Identität oder ethnischer Selbstpositionierung scheint im Migrationsdiskurs von besonderer Bedeutung zu sein. Wie schon theoretisch aufbereitet, existiert ein ganzer Apparat an Interkulturellen Konzepten, die eine weitgehend homogene Identitätskonstruktion zu Grunde legen. Gerade für Jugendliche der zweiten und dritten Generation ist die Frage nach Zugehörigkeit schon allein deshalb von besonderer Bedeutung – werden sie schließlich, ungeachtet eigener Positionierung, in zahlreichen Situationen als so genannte ›Migrationsandere‹ angerufen und markiert. Dennoch: Die Jugendlichen und jungen Erwachsenen, mit denen ich im Verlauf meiner Forschung gesprochen habe, sind in erster Linie und allem voran zunächst einmal genau dies: Jugendliche und junge Erwachsene. Ihre Träume, Wünsche, Ängste, Hobbies und Probleme könnten für die Jugendphase nicht typischer sein. Spektakuläre Inszenierungen, wie sie sich zahlreich in Schilderungen durch Politik, Medien und Wissenschaft finden lassen, habe ich nicht erlebt. Fragen nach eigener ethnischer Verortung habe ich im Verlauf unserer Gespräche nicht von mir aus gestellt, sondern erst dann vertieft, wenn diese Zuordnung von den Jugendlichen selbst vorgenommen wurde und ich das Gefühl hatte, dass eine Thematisierung wichtig sein könnte. So kam es vor, dass die ethnische Zuordnung in mehreren Interviews keinerlei Rolle spielte. Ausgehend von der Annahme, dass die Jugendlichen das thematisieren würden, was sie für ihr Leben oder die konkrete Interviewsituation als relevant betrachteten, habe ich keine Notwendigkeit gesehen, etwaige nationalstaatliche Positionierungen in sie »hineinzufragen«. Ob die Jugendlichen sich bislang mit der Frage nach Ethnizität nicht auseinandergesetzt haben, das Thema bewusst nicht anschneiden, weil sie ein bestimmtes Bild vermitteln wollen oder einfach keine Lust haben, schon wieder über dieses Thema zu sprechen, lässt sich selbstverständlich nicht nachvollziehen. Für die Auswertung der Interviews spielt dies jedoch insofern keine Rolle, als dass mich gerade die bewussten und unbewussten Selbstrepräsentationen, Handlungsstrategien und Aneignungspraxen interessieren. Eine De-Thematisierung könnte, je nach Zusammenhang, auch als bewusste Strategie interpretiert werden, um dem Rechtfertigungszwang aus dem Weg zu gehen und jene Dinge in den Mittelpunkt zu rücken, die für die Jugendlichen wirklich von Bedeutung sind. In den Erzählungen der Jugendlichen lassen sich keine konflikthaften Widersprüche, bezogen auf die eigene Selbstverortung, etwa im Sinne einer »Zerrissenheit zwischen den Kulturen«, erkennen. In vielen Fällen wird eine ethnische Zugehörigkeit sogar überhaupt nicht erwähnt. Dies weist darauf hin, dass eine intensivere Auseinandersetzung auf Grund zum Beispiel vorhandener »Identitätskonflikte« offenbar nicht stattgefunden hat.
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Dabei stehen ethnische Selbstpositionierungen insgesamt in den Gesprächen ohnehin nicht im Mittelpunkt. Die Auseinandersetzung mit der eigenen Selbstpositionierung wird von den Jugendlichen per se nicht als problematisch erlebt, sondern eher als neutral oder gar bereichernd eingestuft. Die Selbstpositionierung ist dabei keineswegs so klar und eindeutig, wie häufig angenommen wird. Das Identifikationsangebot, das Jugendlichen heute im urbanen Raum zur Verfügung steht, ist groß und umfasst Felder wie Jugendcliquen und Szenen, Schule, Jugendzentren, Familie, Hobbies oder aber den lokalen Raum. Diese verschiedenen Bereiche werden vermehrt als alternative Identifikationsmöglichkeiten genutzt. Häufige Identifikationen bewegen sich jugendtypisch im Bereich der Freizeitgestaltung, zum Beispiel bezogen auf Fußball oder Basketball. Carla, zum Zeitpunkt des Interviews 15 Jahre alt, erzählt: »[...] wichtig ist für mich in der Freizeit, sehr viel Freizeit, Fußball. Da spiele ich schon seit ich klein bin eigentlich. Bin jetzt auch in einer Mannschaft. Ja und das ist für mich sehr wichtig.« (Interview Carla, S. 1)
Im gesamten Interview geht es immer wieder um Fußball, der ihre Freizeit ausfüllt und eine wichtige Identifikationsplattform bietet – nicht einmal wird das Geburtsland ihrer Eltern erwähnt. Ich habe mich mit SchülerInnen, SportlerInnen, MigrantInnen, VisionärInnen, FreundInnen, Töchtern und Söhnen, Brüdern und Schwestern unterhalten. Aus all den Orientierungsangeboten wählen die Jugendlichen jeweils das aus, was gerade wichtig und passend erscheint, und das kann sich im Gesprächsverlauf mehrfach ändern. Die stetige Suche und Verortung in verschiedenen, über ethnische Zuordnungen weit hinausreichenden Kontexten erscheint eher als stärkender Prozess auf dem Weg zu einer selbstbestimmten Lebensgestaltung. Die ethnischen Selbstpositionierungen wiederum sind ebenso vielfältig. Sie bewegen sich in einem Spektrum von eindeutig nationaler Zuordnung über duale Verortungen bis hin zu mehrfachen Zuordnungen. Die Jugendlichen sind mal dies, mal das. Manchmal gar nichts. Manchmal mehreres. So sagt Ayhan: »Ja ich bin 15 Jahre alt. Und ich bin Türke.« Oder Pinar: »Ich bin beides, Deutsch und Türkisch« oder Özlem: »Eigentlich auch beides. Nur wir haben auch ein bisschen, also Azerbaijan, mit Azerbaijan was ein bisschen zu tun. Also so wir reden zu Hause eigentlich auch Azerbaijanisch. Nicht so richtig Türkisch. Aber ich kann eigentlich alle drei Sprachen.« In seiner Selbstvorstellung erklärt Ali: »Meine Nationalität ist Türke. Deutsche. Ne ne, Türke, Türke. Aber ich liebe Deutschland.« Es scheint, als ob Ali sich nicht gewohnheitsmäßig mit der Frage auseinandersetzt, wie er sich nun national verortet. Vielleicht ist seine Erklärung ein Ausdruck der Spannung zwischen rechtlicher Staatsangehörigkeit und ethnischer Selbstpositionierung. Vielleicht empfindet er sich sowohl als deutsch
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als auch als türkisch. In jedem Fall ist es ihm wichtig, deutlich zu machen, dass er Deutschland liebt und seine ethnische Positionierung als Türke kein Ausdruck von Separation und Desintegration darstellt, wie es gemeinhin häufig angenommen wird. Die Tatsache, dass Ali das Gefühl hat, sich für seine Selbstverortung rechtfertigen zu müssen, gibt Auskunft darüber, wie tief verankert das Wissen um negative Zuschreibungen ist. Probleme bei der Auseinandersetzung mit der Frage nach der eigenen Selbstverortung entstehen erst dann, wenn die Jugendlichen mit diskriminierenden Fremdethnisierungen der Mehrheitsgesellschaft konfrontiert werden und das Selbstbild mit den Fremdzuschreibungen kollidiert. So beschreiben die Jugendlichen eindrücklich Prozesse des ›Otherings‹ und Momente, in denen sie zu ›Migrationsanderen‹ werden. Pinar erklärt: »Also in der Türkei bin ich z.B. keine Türkin für die Türken. Das heißt dann z.B.: ›Die Deutschen kommen.‹ Wenn wir jetzt dahin gehen, dann heißt es nicht, dass die Familie kommt, sondern die Deutschen kommen. Weiß ich nicht. Da sind wir Deutsche, hier sind wir Türken. Das ist schon manchmal schwer. Ich finde das manchmal traurig, dass man uns mit anderen Augen anschaut. Man kann doch nicht alle unter eine Decke stecken. Es gibt natürlich mal solche Türken und mal solche Türken. Genauso wie mal so Deutsche und mal so Deutsche. Nicht alle Deutsche sind Engel, die keine Straftaten begehen. Die sollten aufhören, so jeden gleich zu sehen.« (Interview Pinar, Lara und Jamila, S. 13)
Eine ähnliche Argumentation findet sich auch in der Arbeit von Mark Terkessidis. Dieses Spannungsfeld, einer doppelten Verweisung, beschreibt er sehr treffend: »›Zwischen zwei Kulturen‹ da sei der Ort, an dem die Migranten zweiter Generation leben würden, so heißt es oft in der hiesigen Wissenschaft und Öffentlichkeit. Dieser Ort wird aber durch den Prozess der Entgleichung beharrlich erzeugt: Angeblich sind die Personen nichtdeutscher Herkunft sowohl gegenüber dem ›Deutsch-Sein‹ als auch gegenüber der Zugehörigkeit zum jeweiligen Herkunftsland defizitär.« (Terkessidis 2004, S. 179, Herv. i. O.)
Selbstethnisierung Als eine weitere Verortungsstrategie und Umgangsform mit stigmatisierenden Anrufungen können Mechanismen der ›Selbstethnisierung‹, als eine Form der Resignifikation, beschrieben werden. Diese Umgangsstrategien beschreiben Mechanismen, die zum Teil implizit »als ein strategisch-politisches Moment« (Gutiérrez Rodríguez 1999, S. 173) gegen die Prozesse der Fremddefinition eingesetzt werden. In dieser Hinsicht erscheint die ›Selbstethnisierung‹ als eine gezielte Reaktion gegen die strukturellen Machtverhältnisse. Dies kann man beispielsweise an der kontrovers diskutierten Kopftuchthematik demonstrie-
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ren. Viele junge Frauen, die in der Bundesrepublik Deutschland geboren und aufgewachsen sind, tragen nicht unbedingt aus religiöser Überzeugung Kopftücher, wie immer wieder im öffentlichen Diskurs behauptet wird, sondern sie übernehmen die von außen zugeschriebenen Eigenschaften und drehen sie in ihrer Funktion um. Auf diese Weise versuchen sie, sich gesellschaftlich sichtbar zu machen und in dieser Sichtbarkeit anerkannt zu werden. So wird Fremdheit strategisch inszeniert. Diese Strategie des Sichtbarmachens markiert »neue Formen des Selbstverständnisses und der Verortung« (ebd., S. 253) der betroffenen Frauen. Zwischen den Selbst- und Fremdethnisierungsprozessen existiert ein kompliziertes Wechselverhältnis. Das heißt, Frauen, die nicht anerkannt und diskriminiert werden, entwerfen von sich selbst ein Bild der »Fremden«. Damit stellen sie sich deutlich der Gesellschaft entgegen, deren Bestandteil sie unweigerlich sind. Diese Strategie wird von Horst Stenger als »reflexive Fremdheit« bezeichnet (Stenger 1998, S. 348ff.). Diese Prozesse der ethnischen Selbstzuschreibung müssen nicht bewusst ablaufen und stellen dennoch einen Prozess kreativer Aneignung und Auseinandersetzung mit stigmatisierenden ›Otheringprozessen‹ dar. So leitete Ayhan unser Interview mit folgendem Satz ein: »Ja ich bin 15 Jahre alt. Und ich bin Türke.« Im Verlauf des Interviews verwies er dann wiederholt darauf, dass er Türke sei. »Ja ich will nicht so deutsch eingeteilt werden. Lieber als Türke beurteilt werden.« Wie schon ausführlich in der Einzelauswertung beschrieben, begründen einige InterviewpartnerInnen diese Selbstverortnung damit, dass die deutsche Geschichte kaum schöne Momente bereithalte. Als Beispiel nennen sie schließlich die Geschichte des dritten Reiches. Die Positionierung als ›Türke‹ kann in diesem Fall als Strategie der Selbstaufwertung genutzt werden. Durch die klare Abgrenzung zur Geschichte des deutschen Nationalsozialismus und dem Empfinden, »dass es in Deutschland nichts Schönes« gibt, eignet sich Ayhan die Fremdzuschreibung »Türke« an und deutet sie kreativ um, indem er die Mehrheitsgesellschaft auf ihre negative Geschichte verweist und sich in eine moralisch überlegene Position bringt. Er distanziert sich dadurch von der vehementen Nichtanerkennung und wird zu einem handelnden Subjekt, was von solchen Menschen auch keine Anerkennung möchte.
Abgrenzungs- und Normalisierungspraxen Vor dem Hintergrund des Wissens über Fremdbilder, Zuschreibungen und damit verbundenen Diskriminierungen und Stigmatisierungen grenzen die meisten Jugendlichen sich deutlich von den allgemeinen Klischees über »Ausländer« ab. In ihrem Selbstkonzept erleben sie sich als besonders, positiver und generell bemühter als »die meisten anderen«. Es wird kritisch Distanz genommen, unangepasstes Verhalten eindeutig verurteilt. Jamila verweist in
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diesem Zusammenhang darauf, dass MigrantInnen nahezu die Pflicht hätten, sich angepasst zu verhalten: »Ich meine nicht nur Türken, sondern z.B. auch Afrikaner oder überhaupt Ausländer. Man gibt ihnen eine Chance, hier zu leben, und dann verbauen sie sich das. Das finde ich auch nicht in Ordnung. In deren Ländern gehts denen noch schlechter als hier. Da nutzt man das nicht aus.« (Interview Pinar, Jamila und Lara, S. 13)
Betont werden die eigenen Bemühungen, sich anzupassen und unabhängig zu leben. Besonders wichtig scheinen dabei die Betonung der Zugehörigkeit zur Mehrheitsgesellschaft und die Anpassung an die hiesige Normalität. Dabei bewegen die Schilderungen sich in einem Spannungsfeld zwischen betonter Individualität in Abgrenzung zur breiten Masse der »integrationsunwilligen Ausländer« sowie auf der anderen Seite der Normalität, des »nicht Besonderen«: »Ich meine... wir machen hier auch Schule. Wir stoßen uns nicht von den Deutschen ab und sagen wir wollen nix. Wir sprechen die Sprache auch fließend finde ich. Vielleicht haben wir manchmal Grammatikfehler aber ich meine, dass wir nicht so scheu sind. Keine Ahnung wir sind so, wir leben wie ihr.« (Ebd., S. 11)
Die eigene Zugehörigkeit wird vor diesem Hintergrund unterschiedlich erlebt, tendenziell jedoch dual in Form eines »sowohl als auch«. Die Jugendlichen und jungen Erwachsenen sind in ihrem Eigenerleben beides, zum Beispiel deutsch und türkisch. Konflikthaft treten an dieser Stelle vor allem die diskriminierenden Fremdheitserfahrungen in Erscheinung. Lara berichtet in diesem Zusammenhang, dass es ihr im Prinzip egal sei, ob sie nun deutsch oder türkisch sei: »Ja... bei uns ist das auch so. Wenn ich in der Türkei bin, dann heißt es, dass wir die Deutschen sind. Die haben bestimmt viel Geld. und wenn ich zurück bin, bin ich wieder Türkin. Für mich ist das eigentlich egal, ob deutsch oder türkisch. Ich bin gerne beides.« (Ebd., S. 13)
Immer wieder wird auf die eigene »Unauffälligkeit« und die Bestrebungen verwiesen, sich zu integrieren oder vollständig integriert zu sein, sich den hiesigen Lebensverhältnissen anzupassen. Die Bemühungen lassen sich als Normalisierungspraxen beschreiben (vgl. Haug 1984; Riegel 2004). Diese Praxen beziehen sich auf vorherrschende dominante Bedeutungs- und Wertesysteme und haben eine konkrete Eigenrepräsentation (Kleidung, Verhaltenskodex) zur Folge. Dieser Prozess ist für die Jugendlichen von besonderer Bedeutung, da sie sich auf diese Weise beweisen können, dass sie über die notwendigen Res-
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sourcen und Kompetenzen verfügen, um ein »normales« und erfolgreiches Leben zu führen. Dabei befinden sie sich in einem stetigen Widerspruch zwischen Selbst- und Fremderleben und sehen sich immer wieder mit Situationen konfrontiert, in denen ihre Zugehörigkeit und Normalität in Frage gestellt wird. Dabei erleben sie die Werte und Normen, welche an sie herangetragen werden, als selbstverständlich und haben in der Regel nie etwas anderes kennengelernt, geschweige denn gelebt. Mit dem Dogma der Unauffälligkeit und Anpassung wird zugleich ein bestimmtes Integrationsverständnis der Jugendlichen deutlich. Dieses reiht sich nahtlos in politische Diskurse und mediale und wissenschaftliche Debatten. Deutlich wird an dieser Stelle in den Interviews wiederholt der Widerspruch zwischen der Forderung (und dem eigenen Bemühen) nach Anpassung und Assimilation auf der einen Seite sowie der fortdauernden und vehementen Verweigerung von Anerkennung durch die Mehrheitsgesellschaft auf der anderen Seite. Nahezu allen interviewten Jugendlichen ist in diesem Zusammenhang gemein, dass sie einen deutlichen Willen zur Integration zeigen und ausdrücken. Eine Differenzierung wird einige Male bezüglich unterschiedlicher Generationen vorgenommen. Auf der einen Seite die Generation der Eltern, auf der anderen Seite die der Jugendlichen, welche in anderen Kontexten aufwüchsen und von daher schon von vornherein besser integriert seien. Die älteren Generationen würde es schwerer haben, sich zu integrieren. Auch deshalb, weil die Kulturunterschiede wesentlich größer ausfallen würden. Jegor berichtet: »Ja, ich glaube, es gibt ja ... es gab ja Migrationswellen. Und da waren Jungs, mit denen ich zusammen abhing, die sind mit 15, 14, 15, 16 nach Deutschland gekommen. Die Gruppen, die jetzt aufwachsen, die sind mit sieben, mit fünf ... die leben hier seit die fünf sind in Chorweiler. Und die sind schon mehr integriert. Besser integriert. Und ich glaub, deswegen ist das jetzt ein bisschen also Aufstieg. Also vermute ich jetzt.« (Interview Dimitri und Jegor, S. 8)
Zudem gewinnt die Frage nach Unabhängigkeit und Emanzipation insbesondere für die jungen Frauen eine besondere Bedeutung. Auch wenn ihre Zukunftsvisionen sich zum größten Teil in einer klassischen heteronormativen Matrix bewegen, so ist ihnen besonders wichtig hervorzuheben, dass sie dem gewöhnlichen Bild einer muslimischen Hausfrau und Mutter nicht entsprechen wollen. Sie möchten eine Ausbildung oder ein Studium absolvieren, weder von einem Mann noch vom Staat abhängig sein. Ihre Elterngeneration, so ihre Interpretation, wusste es nicht besser und verfügte weder über das ökonomische noch das soziale Kapital, um ein alternatives Lebenskonzept zu entwerfen und auch umsetzen zu können. Insbesondere die nachfolgende Generation jedoch habe erweiterte Spielräume und diese wollen sie nutzen.
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Bildungsorientierung Besonders wichtig für die eigene Selbstpositionierung ist für einige der InterviewpartnerInnen die ausdrückliche Orientierung an Bildung und Aufstieg. Dabei macht es für die Jugendlichen keinen Unterschied, ob ihre bisherigen Bildungskarrieren erfolgreich oder weniger erfolgreich verlaufen sind. Auf die Frage nach dem, was die eigene Person ausmacht, erfolgt nicht selten die Antwort, dass dies schulischer Fleiß oder der Wille zur Verbesserung schulischer Leistungen sei. Diese deutliche Bildungsorientierung kann als eine von vielen Handlungsstrategien im Umgang mit Diskriminierung und Stigmatisierung begriffen werden, was ich im folgenden Kapitel weiter aufgreifen werde. Beschreiben lässt sich diese Strategie mit Luis Henri Seukwas »Habitus der Überlebenskunst« (Seukwa 2006). Bildung, gute Noten und Unabhängigkeit werden zu zentralen Werten. Ihre Bildungsbiographien sind aber dennoch besonders oft durch (Um-)Brüche gekennzeichnet, der Weg ist oft steinig. Über verschlungene Wege und zum Teil gegen die Empfehlung von LehrerInnen finden die Jugendlichen trotzdem ihren Weg. Dabei werden sie unterstützt von Familie, Freunden, sozialen Einrichtungen. Oberste Triebfeder bleibt jedoch der eigene Wunsch nach Aufstieg. Der Weg von der Realschule auf die Hauptschule, an die Berufsschule und schließlich die Fachhochschule ist keineswegs eine ungewöhnliche Lauf bahn. Die Problematik des Übergangs zwischen verschiedenen Schulformen, kommt an dieser Stelle überdeutlich zum Ausdruck: »Und der Lehrer hat gesagt, also über 10b hinaus brauch ich nicht gehen. Da kann ich auch Ausbildung machen, das reicht mir schon. Weil ich mich in einem Gymnasium angemeldet hab. Und da hat der gesagt, lass es lieber. Ja, hab ich mir überlegt, hab ich das alles gelassen. Und dann dachte ich mir, ich versuch eine Ausbildung parallel und dann Fach-Abi zu machen. Hat geklappt, Fachabitur. Und jetzt hab ich Studium angefangen. Und der Lehrer hatte schon kein Vertrauen in mich. Also da hat es schon gehakt.« (EBD:, S. 3)
Pinar berichtet in diesem Zusammenhang: »Ich wollte, ich hatte schon immer Ziele vor meinen Augen. Ich wollte nie irgendwie im Einzelhandel arbeiten, oder Frisör. Nur mit den Noten hats nicht geklappt. An Mathe hats gescheitert. Und danach hab ich gesagt, na gut, hol ich meinen Realabschluss nach. Und danach wollte ich auch gar keine Ausbildung anfangen. Ich wollte auf jeden Fall zuerst mein Abitur zu Ende machen. Mein Vater meinte auch, ich soll auf jeden Fall machen, man weiß ja nie; was mal ist. Vielleicht willst du in zehn Jahren mal studieren, deswegen hab ich gesagt: Ok!. Und jetzt mach ich mein Abitur.« (Interview Pinar, Jamila und Lara, S. 2)
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Die Anerkennung, die den Jugendlichen ansonsten verwehrt bleibt, versuchen Sie durch besonderen Fleiß und Bildung zu kompensieren und zu erreichen. Angetrieben werden sie zum Teil durch Eltern und Familie, die eine hohe Bildungsaspiration aufweisen und sich wünschen, dass ihre Kinder es einmal besser haben sollen. Zum Teil werden diese Wünsche der Eltern mit drastischen Erziehungsmaßnahmen durchgesetzt. Diese Förderung und Forderung seitens der Eltern steht der oft geäußerten Annahme entgegen, Familien mit Migrationshintergrund würden sich um die schulische Leistung ihrer Kinder nicht scheren. Häufig wird eine grundlegende Einstellungsänderung beschrieben, die sich mit zunehmendem Alter und zunehmender Reife vollzogen habe. Diese Unbedarftheit gegenüber Schule und Bildung wird, je älter sie werden, abgelegt. Es werden zum Teil regelrechte Brüche beschrieben, die mit dieser Einstellungsveränderung einhergegangen seien. Exemplarisch ist zum Beispiel der Kontaktabbruch zu schlechten Freunden zu nennen. Für sie ist es selbstverständlich, dass sie sich besonders anstrengen müssen, um gute Ergebnisse zu erzielen. Für ihren beruflichen Erfolg und Misserfolg sehen sie sich in erster Linie alleine verantwortlich. Trotzdem machen sie immer wieder die Erfahrung, dass sie bei gleicher Leistung schlechter beurteilt werden. Dies führt jedoch nicht zu Resignation und Rückzug, sondern zu verstärkten Bemühungen. Die Ungleichbehandlung wird zum Teil in direkten Zusammenhang mit ihrem Status als »AusländerIn« oder »Migrationsandere« gebracht, teilweise erfolgt diese Verlinkung nicht. In jedem Fall jedoch werden Leistung und Bildung als wichtige Mittel zur persönlichen Integration in die deutsche Mehrheitsgesellschaft gesehen. Diese Leistungsbereitschaft und der damit erhoffte soziale Aufstieg scheint zunächst als entkoppelt von benachteiligenden Faktoren wie Alter, Geschlecht, sozialer oder ethnischer Herkunft erlebt zu werden. Persönliche Leistung wird zu einem neutralen und unabhängigen Mittel der Selbstverwirklichung. Damit positionieren die Jugendlichen sich gegen gesellschaftliche Zuschreibungen, die sie zu Opfern, Benachteiligten oder Chancenlosen werden lassen. Dadurch sind die benachteiligenden Faktoren freilich nicht aufgehoben. Sie werden jedoch zu überwindbaren Faktoren, die aktuelle Situation zu einer vorrübergehenden und damit zu einer ertragbaren Situation.
6.6 D ie F r age nach R essourcen Formelle Ressourcen oder: Die Frage nach dem Förderbedarf Mit formellen Ressourcen meine ich all jene, die institutionell organisiert und angebunden sind. Sie umfassen den schulischen, außerschulischen und sozialarbeiterischen Bereich. Gerade Jugendliche der zweiten und dritten Gene-
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ration werden, wie theoretisch bereits aufgearbeitet, als besonders förder- und betreuungsbedürftig erlebt. Für sie benötigt es Konzepte, um sie »von der Straße« zu holen, die Bildungsdefizite der Eltern müssen durch gezielte Förderangebote aufgefangen werden. Wie aber nehmen die Jugendlichen die Angebote selbst wahr? Und auf welche Weise werden die mannigfaltigen Angebote genutzt? Insbesondere letzterer Sektor, in Form der offenen Jugendarbeit, spielt für die Jugendlichen eine Rolle. Viele meiner GesprächspartnerInnen nutzen Angebote der offenen Jugendhilfe in Chorweiler. Für einige Jugendliche hat das Jugendzentrum einen zentralen Stellenwert. Es ist einen Ort, an dem man sich mit FreundInnen treffen kann, was die zum Teil beengten Wohnverhältnisse der Familien oft nicht bieten können. Auch werden Sportangebote oder spezielle Angebote für Mädchen wahrgenommen. Birol nutzt in erster Linie den Computerraum, um im Internet surfen zu können, was er zuhause in Ermangelung eines Internetanschlusses nicht kann. Alexeji beschreibt das Jugendzentrum als einen Ort, an dem er sich aufhält, um »keinen Blödsinn« zu machen und ihre Zeit mit »etwas Anständigem« zu verbringen. Das Aneignen öffentlichen Raumes und das »Nixtun« stellen für sie negative Verhaltensweisen dar: »Ja entweder wir sind draußen oder wir gehen mal so ne Runde im City-Center, auch hier in Chorweiler […] Dann verbringen wir unsere Zeit nicht draußen auf der Straße so mit nix tun. Weil meistens passieren dann auch so Dinge. So dass man auch, also wie soll ich das sagen, so wenn man zum Beispiel jetzt draußen ist, mit vielen, und jemand geht vorbei und dann sagt mal jemand: ›So ja was guckt ihr so.‹ Und dann fangen auch dadurch Streitigkeiten an. Oder man kommt einfach auf falsche Gedanken. Aber ich sag mal jetzt so, im Jugendzentrum, da verbringen wir unsere Zeit mit was anderem. Mit Anständigem.« (Interview Alexeji, S. 4)
Für Birol ist das Jugendzentrum und insbesondere der Leiter des Jugendzentrums ein integraler Bestandteil seines Lebens. Hier erfährt er Unterstützung und Zuspruch. Das Jugendzentrum habe ihm auch dabei geholfen, eine schwere Phase seines Lebens zu überwinden. Das Jugendzentrum und seine MitarbeiterInnen werden zu einem außerfamiliären Bezugspunkt: »Ja. Der Chef von hier, vom Jugendzentrum. Der bedeutet mir sehr viel, weil mit dem kann ich über alles reden. Richtig offen, das ist so wie ein zweiter Vater so. Mit dem kann man alles machen. Und der behält das auch für sich. Und der hilft mir auch dabei. Oder ich helfe ihm gerne.« (Interview Birol, S. 6)
Pinar zum Beispiel nutzt das Angebot des Jugendzentrums, um sich Hilfe beim Schreiben von Bewerbungen zu holen. Sie berichtet, dass ihre Eltern
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Schwierigkeiten haben, sie in schulischen Angelegenheiten zu unterstützen. Sie wählt gezielt ein Angebot aus, von dem sie profitieren kann und das sie ihrem Ziel, nämlich einem unabhängigen und selbstbestimmen Leben, näher bringen kann. Andere Angebote des Jugendzentrums hingegen nimmt sie nicht in Anspruch. Gerade die Mädchen nutzen das Jugendzentrum eher angebotsorientiert. Das Jugendzentrum wird, anders als bei den männlichen Jugendlichen, nicht zu ihrem Raum, insbesondere sie nutzen es nicht als Erweiterung ihres persönlichen Lebensumfeldes. Pinar, Jamila und Lara erklären dies wie folgt: I: »Aber mit dem Jugendzentrum so an sich hattet ihr nie was zu tun, seid auch nie in ein Jugendzentrum gegangen?« Pinar: »Nein, da sind zu viele Jungs.« I: »Ah ok, ich hab mich das auch schon gefragt. Ich hab schon einige Interviews gemacht und das sind ganz viele Jungs gewesen. Ich hab mich schon gefragt, wo wohl die Mädchen sind.« Pinar: »Sind zu viele Jungs.« Lara: »Viele, ne?« Jamila: »Sehr!« I: »Auch in den anderen Jugendzentren?« Jamila: »Ja, eigentlich schon.« I: »Und wo halten sich dann die Mädchen auf?« Jamila: «Shoppen [lacht].« Pinar: »City-Center bestimmt.« Jamila: Neee... ich find nicht so viele Jugendliche sind im City-Center. Ich glaub eher zuhause.« Lara: »Ich find auch eher zuhause. Ich bin auch gerne zuhause.« Jamila: »Jungs sind nicht gern zuhause. Aber Mädchen legen sich hin, lesen ein Buch, Nägel lackieren. Jungs sind ja nicht so. Die telefonieren ja auch nicht gerne. Die treffen sich dann alle hier. Das sind dann so wirklich enge Freunde, die dann hierhin kommen und Spiele spielen, Kicker spielen.« (Interview Pinar, Jamila und Lara, S. 9)
Özlem und Farid empfinden die Unterstützung durch die Schule, insbesondere durch die Schulsozialarbeiter, als wichtigen Faktor. Deren Hilfe nehmen sie häufiger in Anspruch, zum Beispiel wenn sie Hilfe bei der Organisation eines Fußballturnieres brauchen. Das örtliche soziale Angebot wird als positiv empfunden und von vielen InterviewpartnerInnen regelmäßig, vor allem als Rückzugsort und Treffpunkt mit der Peer-Gruppe, genutzt. Es werden mehrheitlich offene und unverbindliche Angebote besucht, das Jugendzentrum fungiert als eine Art Erweiterung des Wohnraumes. Diese Art der Nutzung kann als typisch für BesucherInnen von Jugendzentren beschrieben werden (vgl. Schmidt 2011) Die Motivation für
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die Inanspruchnahme der Angebote ist dabei sehr unterschiedlich und resultiert keineswegs immer aus konkreten Schwierigkeiten.
Informelle Ressourcen oder: Dysfunktionale Familien? Die familiäre Herkunft wird, gerade bei Jugendlichen der zweiten und dritten Generation, als ein alles umfassender Faktor hervorgehoben. Freilich wird die besondere Bedeutung der Familie für die Lebensentwürfe von Jugendlichen und jungen Erwachsenen im Allgemeinen markiert, aber nicht in Bezug auf die Migrationsfamilien, weil man davon ausgeht, dass sie durch ihre ethnische Herkunft nicht in der Lage seien, ihre Kinder angemessen zu unterstützen. Familie wird also weniger als Ressource wahrgenommen, sondern vielmehr erscheint die Familie als »Klotz am Bein«, hemmend bei der Sprachentwicklung, patriarchal-traditionell oder im besten Falle einfach nur desinteressiert. Mark Terkessidis hat diese Situation treffen beschrieben: »Nun ist die Familie nicht nur ein zentraler Ort, um bestimmte kulturelle Praxen und Wissensbestände zu übertragen, sondern, was die Migranten betrifft, wird sie in der hiesigen Öffentlichkeit explizit als der Ort gesehen, an dem diese Übertragung scheitert, weil hier angeblich die ›dysfunktionalen‹ Praxen des ›Heimatlandes‹ eingeübt werden. Die migrantische Familie erscheint oft genug – und das wird sich auch am Beispiel der Schule noch einmal zeigen – gegenüber der einheimischen Familie als defizitär. Diese Sichtweise ist ein Effekt der kulturellen Hegemonie. Die ›deutsche Familie‹ wird als Norm gesetzt.« (Terkessidis 2004, S. 149, Herv. i. O.).
Wenig überraschend ist die Familie ein wichtiger Bezugspunkt für meine GesprächspartnerInnen. Familie wird als Ort beschrieben, an dem man Unterstützung erfährt und zusammenhält. Für den Bildungserfolg und das Streben nach höheren Bildungsabschlüssen können die Eltern zentrale Antriebspunkte sein. So erklärt Sedat, dass er eigentlich nicht so viel Lust habe, das Abitur zu machen. Sein Vater jedoch versucht immer wieder, ihn zu einer Entscheidung für das Abitur zu motivieren. Zentral scheint der Wunsch des Vaters, sein Sohn möge es einmal leichter im Leben haben und über finanzielle Sorgen nicht nachdenken müssen. Auch Jamila berichtet, dass sie einen höheren Bildungsabschluss anstrebt, weil ihre Mutter selbst erleben musste, was es heißt, keine Ausbildung zu haben: »Bei mir... also ich wollte das von selber aus. Weil ich hab Chorweiler nicht so gemocht, wollte ich mich anstrengen meinen Abschluss zu machen, Ausbildung und dann ausziehen. Aber meine Mama hat mich auch gepusht, meinte auch, wenn du eine gute Ausbildung hast... meine Mama hat auch nicht so Schule gemacht. Die hat in Afrika ihre Schule gemacht und die ist nur bis zur 3. Klasse gegangen. Sie sieht selber, wie schwer das ist.« (Interview Pinar, Jamila und Lara, S. 10)
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Das familiäre Unterstützungssystem funktioniert auch wechselseitig. So wird beispielsweise darüber berichtet, dass Jugendliche ihren Eltern in ihren Unternehmen helfen und etwa geschäftliche Korrespondenz übernehmen, wenn die Eltern Probleme mit dem Schriftdeutsch haben. Ben beispielsweise berichtet, dass seine Eltern ihn auf Grund sprachlicher Schwierigkeiten in schulischen Belangen nicht unterstützen konnten. Diese Hilfe suchte er sich dann bei seinem Bruder oder Freunden: »Ich weiß es nicht, also zu Hause hatte ich halt Unterstützung von meinem Bruder, wenn. Also meine Eltern konnten halt nicht so super Deutsch, nur ein bisschen. Und die haben mich eigentlich auch immer in Ruhe gelassen, also die haben nur gesehen, es hat irgendwie geklappt und haben mir nur vertraut und haben gesagt, okay, du machst das schon irgendwie. Also wenn ich Probleme hatte, hab ich halt meinen Bruder gefragt und das hat auch irgendwie geholfen. Ansonsten? Keine Ahnung. Viel halt mit Freunden gemacht irgendwie, fürs Abi gelernt oder so. Ja. Und an der Uni? Keine Ahnung, war eigentlich die Motivation mit meiner Freundin zusammen halt so was, die studiert halt auch und ja. So war es eigentlich.« (Interview Ben, S. 9)
Hemmende Faktoren oder Desinteresse lassen sich in den Beschreibungen der Jugendlichen nicht finden. Vielmehr werden die Bemühungen der Eltern, ihren Kindern bestmögliche Bildungschancen und Unterstützung zu bieten, stets wieder thematisiert, freilich immer abhängig von den individuellen Möglichkeiten. Zum Teil erscheinen die Anforderungen der Eltern dabei überhöht. Es wird wiederholt ein deutlicher Druck beschrieben, dem die Jugendlichen und jungen Erwachsenen sich ausgesetzt sehen. Als Grund für diese hohen Erwartungen wird beispielsweise der Wunsch genannt, die Kinder mögen es später »besser haben«. Einmal mehr verdeutlichen diese übersteigerten Bildungserwartungen durch die Elterngeneration die prekären und erschwerten Verhältnisse, mit denen MigratInnen sich konfrontiert sehen. Nur durch sehr viel Anstrengung und Fleiß, so glaubt man, ist ein Aufstieg möglich. Neben familiärer Unterstützung geben die Jugendlichen als wichtigen Faktor Freundschaften und Hobbies an. So werden, wie bereits aufgezeigt, beispielsweise das Basketballtraining oder die Fußballmannschaft als wichtige Ankerpunkte und Rückzugsorte beschrieben. Die Jugendlichen erfahren im Sport und dem Gruppenerleben eine Selbstwirksamkeit, die ihnen im schulischen oder familiären Kontext oft verwehrt wird. Besondere Bedeutung kommt auch dem sozialen Netzwerk im Stadtteil zu. Je berühmter eine Person oder eine Familie im Stadtteil sei, desto sicherer sei es und desto mehr Möglichkeiten habe man. Über das soziale Netz erfahren die Jugendlichen Anerkennung und Wertschätzung. Die Gruppe wird als besonderer Schutzraum erlebt, wo man sich gegenseitig unterstützt und aufeinander Acht gibt.
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Zukunftsvisionen Die Zukunftsvisionen der Jugendlichen orientieren sich an eher konservativen Werten. Sie alle streben einen guten Schulabschluss an, wollen anschließend eine Ausbildung oder ein Studium beginnen und eine Familie gründen. Mehrfach wird auch der Wunsch geäußert, ein Haus zu bauen, um außerhalb der Stadt zu leben. Sie möchten es einmal »besser haben« als ihre Eltern und sie möchten ihre Eltern stolz machen. Die Berufswünsche der Jugendlichen sind sehr unterschiedlich. Sie reichen von klassischen Ausbildungsberufen im Einzelhandel, über Tierpflege, KFZ-Mechanik und Polizei bis hin zu Studienberufen wie Informatik, Sportmedizin oder Jura. Einige meiner GesprächspartnerInnen haben bereits mit ihrem Studium begonnen (Sport, Jura, Informatik), andere befinden sich gerade in der Bewerbungsphase für einen Ausbildungsplatz. Deutlich werden in den Gesprächen dennoch die biographischen diskriminierenden und demotivierenden Erfahrungen, die auf ihre Zukunftswünsche und Pläne einwirken. Die Berufswünsche der Jugendlichen orientieren sich in der Regel stets an ihren (subjektiven) Möglichkeiten. So wird bisweilen der Satz »mein realistischer Wunsch wäre« vorangestellt, was darauf verweist, dass es offenbar noch einen unrealistischen Wunsch gibt, den auszusprechen man gar nicht erst wagt. Die Jugendlichen scheinen schon früh die Erfahrung gemacht zu haben, dass ihre Möglichkeitsräume begrenzt sind. Sie passen ihre Wünsche und Träume ihrer Lebenssituation an und verwirklichen sie dann Schritt für Schritt. Dabei erreichen sie, wenn auch über Hindernisse und verschlungene Pfade, Bildungsaufstiege. So absolvierte Denny nach seinem Schulabschluss zuerst eine Lehre als Bankkaufmann, was ihm als realistischer und sinnvoller Schritt erschien. Nach seiner Ausbildung und einiger Zeit im Beruf entschied er sich schließlich doch zu einem Jura-Studium. Der Schritt von der Schule direkt ins Studium hingegen war eine zu große Hürde, die Sorge, daran zu scheitern, zu groß. Özlems Pläne sind ebenfalls gestaffelt. Zum Zeitpunkt des Interviews besuchte sie gerade die Hauptschule. Sie berichtet: »Also ich will Real-Abschluss mit Abi schaffen, also dann noch Abitur machen und dann Krankenschwester werden.« Ähnlich ergeht es Farid. Er berichtet im Verlauf des Interviews mehrfach, dass er eigentlich gerne Polizist werden würde. Seine Chancen und Möglichkeiten diesen Beruf zu ergreifen, schätzt er jedoch nicht so gut ein und wurde auch durch sein Umfeld dahingehend beraten, dass der Beruf nicht zu ihm passe: »Ja, ich hab vorgehabt, einen ... also man muss ja direkt, wenn man hier ist, ich wollte eigentlich zur Polizei eigentlich. Ich wollte Polizist werden […] Aber ist so ... ich weiß
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Hybride Alltagswelten nicht, jemand meinte, passt nicht zu mir und so. Ich weiß ja nicht. Wegen ... oder dafür muss ich ja Fach-Abi so machen. Deswegen ... Ja, ansonsten Chemikant oder beim Ford. Das wären so schon die ... oder Bankkaufmann. Ja, was ...« (Interview Özlem und Farid, S. 6)
Für Pinar sind Unabhängigkeit, Emanzipation und letztlich das Gründen einer Familie und der Erwerb eines Eigenheimes wichtige Faktoren in ihrer Zukunftsplanung. Dabei haben intersektionale Diskriminierungserfahrungen für Pinar offenbar einen großen Einfluss. Ihre Zukunftsvisionen scheinen durch ihre gesellschaftliche Position als Frau der zweiten und dritten Generation besonders durch den Wunsch nach Emanzipation geprägt zu sein. Dem Bild als hilflose und unterdrückte Frau möchte sie ausdrücklich widersprechen und der Welt beweisen, dass sie weder auf einen Mann noch auf Unterstützung durch den Staat angewiesen ist. Für Pinar ist klar, dass sie das Leben im Hochhaus hinter sich lassen muss, um erfolgreich zu sein. Dabei bewegen ihre Vorstellungen und Wünsche sich trotzdem in einem heteronormativen und bürgerlichen Rahmen. Ihr Wunsch nach Normalität und gesellschaftlicher Akzeptanz wurde im Verlauf unseres Interviews an vielen Stellen deutlich. Immer wieder verleiht sie ihrem Unverständnis über die vehemente Verweigerung von Anerkennung Ausdruck: »Also mein realistischer Traum wäre, erstmal eine Ausbildung zu machen, auf jeden Fall. Die abzuschließen, wirklich irgendwo fest arbeiten. Mein eigenes Geld verdienen. Nicht vom Mann oder vom Staat zu leben. Also ich will auf keinen Fall sagen, dass mein Mann arbeiten soll und ich sitze dann zuhause. Ich möchte auf jeden Fall selbst was erreichen und für später auf jeden Fall in einem Haus wohnen. Muss kein großes Haus sein aber vielleicht ein Reihenhaus oder ein Bungalow, von mir aus nur eine Etage und nur drei Räume, aber ich will auf jeden Fall ein Haus mit Garten. Das ist mein Traum.« (Interview Pinar, Jamila und Lara, S. 9)
Diese Haltung wird auch durch Pinars Antwort auf meine Frage, welche Note sie ihrem Leben geben würde, deutlich: I: »Und welche Note wäre das dann in deinem Leben?« Pinar: »Weiß ich nicht. Ich würd noch nicht 2 sagen. Erst wenn ich eine Ausbildung hab.« Lara: »Und dann ist es aber 1, find ich. Dann hast du fast alles.« Pinar: »2-.« I: » Das ist doch ne gute Note.« Pinar: »Ne Chorweiler-Note [lacht].« (Interview Pinar, Jamila und Lara, S. 16)
Mit einem Ausbildungsplatz wäre ihr Leben in Schulnoten schließlich eine 2-. Und belustigt fügt sie hinzu »Ne Chorweiler- Note«.
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Insgesamt sind meine GesprächspartnerInnen mit ihrem Leben und ihrer Lebenssituation zufrieden. Sie schätzen ihre Zufriedenheit in Schulnoten im Durchschnitt mit einer 2 ein, wobei eine Verbesserung immer noch möglich ist.
Die eigene Verstricktheit: Postsouveräne Subjekte? Die oben geschilderten Deutungen weiter denkend könnte man, angelehnt an die Theorie von Judith Butler, von postsouveränen Subjekten sprechen. Im Folgenden möchte ich die These kurz theoretisch erläutern und schließlich den Versuch unternehmen, diese auf die konkreten Ergebnisse anzuwenden. Mit dem Begriff der Subjektivation beschreibt Butler den Vorgang des Unterworfenwerdens durch machtvolle Strukturen und den Prozess der Subjektwerdung als eine Art der ›diskursiven Identitätserzeugung‹. In jedwedem Kontext, in dem wir uns befinden, bewegen wir uns demnach stets als Person mit einer jeweils konkreten Identität (zum Beispiel Studentin, Tochter, Frau, Geliebte usw.). Unser Handeln in den jeweiligen Kategorien ist von daher in einem bestimmten Sinne determiniert und mit einer bestimmten Sinnhaftigkeit aufgeladen. Das ›Subjekt‹ als Begriff im Sinne Butlers ist dabei nicht, wie es oft passiert, synonym für das jeweilige Individuum oder die Person zu verwenden, sondern Butler versteht es, etwa im Sinne der oben genannten Kategorien, jeweils als diskursiv erzeugt und inhaltlich vorgeprägt. Das Subjekt beschreibt also eine bestimmte Struktur, in welcher das jeweilige Individuum als Platzhalter tritt. Die Kategorie »türkischer Junge« bezeichnet so zunächst eine sprachlich-diskursive Formation, zu der sich das jeweilige Individuum auf verschiedene Weise verhalten kann. Zunächst einmal ist das Individuum diesen Kategorien und damit verbundenen Implikationen jedoch unterworfen. Damit wird die verbreitete Idee eines autonomen und in sich selbst identischen und souveränen Subjekts (Butler 1998, S. 29) in Frage gestellt. Jegliches Handeln, jede Erzählung seiner selbst, ist in ein Beziehungsgeflecht eingebunden, da wir uns in unseren Selbstentwürfen stets auf ein bestimmtes Subjekt beziehen. Dieses Beziehungsgeflecht ist geprägt durch eine ständige Praxis der Anrede und Adressierung. (Die Lehrerin adressiert die Schülerin, der Sozialarbeiter adressiert den Klienten usw.) Diese Adressierung bedeutet nicht, dass der/die jeweilige AdressatIn sich bisher in dieser Anrede verortet hätte. Sie bedeutet jedoch, dass wir uns ab diesem Zeitpunkt zu dieser Adressierung verhalten müssen und von dieser vereinnahmt werden. Eng damit verknüpft ist die Praxis der »Anrufung« (Louis Althusser). »Der Akt der Anerkennung wird zu einem Akt der Konstitution; die Anrede ruft das Subjekt ins Leben.« (Butler 1998, S. 43) Die Anrede oder Anrufung ist ein Prozess, der allen Menschen tagtäglich wiederfährt, zum Beispiel immer dann, wenn wir in einer spezifischen Rolle adressiert werden: als Mutter, als Aktivistin, als Linker, als Freundin, als Arbeitsloser usw. Oft wird dieser Prozess der
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Adressierung nicht wahrgenommen. In erster Linie gerät die Anrufung dann ins Bewusstsein, wenn sie sich mit dem eigenen Selbstverständnis nicht deckt. Dadurch, dass solche Anrufungen niemals neutral sind, sondern vielmehr mit normierten Identitätskategorien verknüpft sind – sie beinhalten eine immanente Aufforderung, die jeweilige Identität mit all ihren Implikationen auszufüllen – wohnt ihnen ein gewalt- und machtvoller Charakter inne. Es ist nicht davon auszugehen, dass das Annehmen (»Umwendung«) einer bestimmten Identitätskategorie in einer spezifischen Konstellation immer die Bestätigung einer bereits bestehenden, verwurzelten und in sich gewachsenen Verortung darstellt. Damit haben diese Identitätskategorien nicht nur einen deskriptiven, sondern allem voran einen normativen Charakter. Und sie produzieren Ausschlüsse, denn ab dem Zeitpunkt, an dem ich aus einer bestimmten Identitätskategorie heraus handle (oder in diese hineingedrängt werde), gerät all die Vielfalt, die einen Mensch ausmacht, in den Hintergrund. Das Subjekt als Identität konstituiert sich zudem stets aus gegensätzlichen Polaritäten. Etwas zu sein impliziert zugleich, was man nicht ist. Als Frau bin ich Nicht-Mann, als Ausländer bin ich Nicht-Inländer, als Türkin bin ich NichtDeutsche (Butler 2001, S. 181). Die Zuordnung zur Kategorie Frau zieht unweigerlich die Verwerfung der Kategorie Mann nach sich. Was ich sein kann und was ich werden kann ist also durch bestimmte vorgegebene Ausschlüsse bereits eingeengt und entzieht sich häufig der individuellen Handlungsmöglichkeit. Abgesehen von einer strukturellen und diskursiven Ebene beinhaltet der Prozess der Identitätskonstitution auch eine individuelle Ebene. Neben der Anrufung und Adressierung geht es immer auch um eine Annahme eben dieser durch eine Person. Diesen individuellen Anteil der Subjektivationsprozesse bezeichnet Butler als »Umwendung« (ebd., S. 157). Indem ich eine Anrufung durch eine Umwendung annehme, eigne ich mir die verliehene Kategorie an. Dieser Prozess muss keineswegs in einem bewussten Rahmen ablaufen. In der Annahme der Kategorie Frau bekenne ich mich gleichzeitig zu einem bestimmten, auf Männer gerichteten, Begehren. Daraus resultiert eine enge Verstricktheit der Individuen mit machtvollen Identitätsimperativen. Diese Abhängigkeiten werden, zugunsten der Idee eines autonomen Individuums, regelmäßig geleugnet. Butler plädiert in diesem Zusammenhang für eine post-souveräne Haltung – eine Haltung, die nicht dem Zerrbild einer Souveränität und Autonomie aufsitze. Sie entwirft die Idee eines »postsouveränen Subjekts« (Butler 1998, S. 198). In diesem Kontext nimmt sie eine neue Interpretation von Handlungsmacht vor, indem sie nicht mehr davon ausgeht, Handlungsmacht impliziere eine objektive, autonome Betrachtung von »Außen«. Handlungsmacht erlangt ein Subjekt demzufolge, indem es seine eigenen Verstrickungen anerkennt und die eigene Abhängigkeit von der Anrufung und Umwendung eingesteht. Aus dieser Bewusstheit können schließlich potentiell subversive und kreative
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Umgangsweisen resultieren, denn die Selbsterkenntnis kann eine kritische Handlungsfähigkeit überhaupt erst ermöglichen. Erst die Erkenntnis also, dass es solche machtvollen und deterministischen Anrufungen überhaupt gibt, eröffnet die Möglichkeit, sich dazu zu verhalten. Denn eine Anrufung ist kein Befehl, der Gehorsam erwartet. In dem Bewusstsein, dass Subjekte einem fortlaufenden Prozess unterworfen sind und durch die Umwendung kontinuierlich mit Leben gefüllt werden, eröffnet sich die Möglichkeit, in diesen Prozess einzugreifen, Begriffe und Kategorien neu zu besetzen oder auf unliebsame Anrufungen kreativ zu reagieren. Diese Bewusstheit der eigenen Verstrickung, freilich nicht in einem akademischen Sinne, lässt sich in den Interviews mit den Jugendlichen und junge Erwachsenen dann erkennen, wenn sie davon sprechen, dass sie als »Ausländer«, »Ghetto-Kids«, »Hausfrauen« oder »Asi« abgestempelt werden. Die Wirkmacht dieser Imperative ist ihnen bewusst, genauso wie die Unmöglichkeit, sich aus diesen Zusammenhängen zu lösen. Dennoch gelingt es ihnen, sich zu positionieren, die unliebsamen Subjekte zu entlarven und damit ihre Handlungsfähigkeit zurückzugewinnen. Die Umgangsweisen sind vielfältig. Sie nehmen die zugeschriebenen Identitäten an, füllen sie mit Leben, entwickeln eigene Deutungen und Ideen. Diese Lesart hat insofern Potential, als dass sie, statt die Verstrickung der Jugendlichen und jungen Erwachsenen zu leugnen und als in erster Linie selbstgewählt abzuwerten (»Die wollen ja gar nicht dazugehören, die bezeichnen sich ja selbst als Türken«), die Chance eröffnet, sich der Lebenswirklichkeit und der Konstruktion von Identität aus einer anderen Perspektive zu nähern. In dem Moment, in dem wir die Aussagen und Handlungsweisen der Jugendlichen als imperative Momentaufnahme begreifen, kann es uns gelingen den Blick zu weiten und sich von einer skandalisierenden Perspektive lösen, denn wir alle sind davon betroffen.
6.7 E xkurs : C horweiler aus S icht der S ozialen A rbeit Eine Randbemerkung Im Verlauf meiner Feldforschung habe ich mit verschiedenen MitarbeiterInnen im Stadtteil gesprochen. Mit vier SozialarbeiterInnen habe ich zudem so genannte ExpertInneninterviews geführt und sie zur Situation im Stadtteil und zu ihrer Arbeit befragt. An dieser Stelle möchte ich darauf hinweisen, dass es sich bei den Interviews mit AkteurInnen Sozialer Arbeit zunächst um »Nebenprodukte« handelte. Mein Fokus liegt und lag auf den Sichtweisen und Selbstbeschreibungen der Jugendlichen. Im Verlauf der Feldforschung kristallisierte sich allerdings heraus, dass die Soziale Arbeit auf der einen Seite einen prominenten Stellenwert im Stadtteil einnimmt, auf der anderen Seite der Zugang zu jugendlichen InterviewpartnerInnen ohne die SozialarbeiterInnen
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nur schwer möglich war. Deshalb begann ich punktuell auch Gespräche mit SozialarbeiterInnen aufzuzeichnen und auszuwerten. Das Material erschien mir zu interessant als das ich es nicht in meine Arbeit einbeziehen hätte können. Es kann vorweggeschickt werden, dass die Beschäftigung mit Sozialer Arbeit in marginalisierten Quartieren großes Potential und Ansatzpunkte für weitere systematische Forschung bietet. Leider kann die Thematik im Rahmen meines Dissertationsprojektes jedoch nicht so ausführlich behandelt werden, wie ich es gerne würde. Insgesamt waren die SozialarbeiterInnen, denen ich im Verlauf meiner Arbeit begegnet bin, überaus hilfsbereit, motiviert, offen und interessiert. In jedem Fall wurde deutlich, dass ihnen die Situation im Stadtteil sehr am Herzen liegt und sie ein ehrliches Interesse daran haben, bestehende Diskriminierungen und Benachteiligungen Jugendlicher und junger Erwachsener abzubauen. Mehrfach wurde betont, wie wichtig sie das Thema meiner Arbeit finden würden und dass es an alternativen Blickwinkeln auf den Stadtteil fehle. Zugleich wurde auch deutlich, dass es an manchen Stellen an einer systematischen Auseinandersetzung fehlt und erhebliche Bedarfe nach Fort- und Weiterbildung bestehen.
HeldInnen Sozialer Arbeit Nicht nur die Jugendlichen der zweiten und dritten Generation selbst sind in einer besonderen Lage, sondern auch die gesellschaftlichen Instanzen, die sich zum Teil intensiv mit diesen Jugendlichen befassen. Gerade im Zentrum von Chorweiler ist die infrastrukturelle Versorgung mit sozialen Angeboten hoch. Im Rahmen des Erneuerungsprogramms »Soziale Stadt« wurden die Jugendhilfemaßnahmen stark ausgebaut. An allen Schulen in Chorweiler gibt es SchulsozialarbeiterInnen, eine im Gesamtvergleich in Köln eine hohe Zahl. Oft, so scheint es, scheitern die SozialarbeiterInnen an den schwierigen Lagen der Jugendlichen und arbeiten trotz intensiver Bemühungen erfolglos oder zum Teil gar kontraproduktiv. Die Soziale Arbeit befindet sich dabei zunehmend in einem besonderen Spannungsfeld: Legitimiert sie sich durch das Vorhandensein sozialer Problemlagen selbst, so ist sie dennoch bestrebt, eben diese abzubauen. Die Skandalisierung der Situation vor Ort kann insofern auch als Strategie angesehen werden, um eine Versorgung mit sozialen Angeboten sicherzustellen. Mechthild Seithe spricht in Bezug auf das ständige Bedrohungsszenario durch Mittel- und Stellenkürzungen von »neoliberalen Zumutungen« (Seithe 2013, S. 28). Gerade für die Beantragung von Fördergeldern kommt in diesem Kontext der Konstruktion von Chorweiler als Ghetto oder Brennpunkt eine besondere Bedeutung zu. Dass die Einwanderung bisher immer noch nicht als ein integraler Bestandteil der gesellschaftlichen Entwicklung anerkannt wurde, scheint dabei ein wichtiger Grund zu sein. Der
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ständige Verweis auf die Besonderheit der Situation erweist sich offenbar als wirksame Strategie zur Sicherstellung von Fördergeldern. Deutlich wird in allen Interviews, dass sich die SozialabeiterInnen mit besonderen Herausforderungen konfrontiert sehen und von außen besondere Erwartungen an sie herangetragen werden. Allein die Tatsache, dass sie in Chorweiler arbeiten, würde bei KollegInnen bereits Respekt, Erschrecken oder Mitleid hervorrufen. Dies macht deutlich, dass ein unbefangenes Arbeiten von vornherein erschwert wird. Zwei Sozialarbeiterinnen beschreiben diese Situation wie folgt: »Also die Reaktionen sind ganz oft, wenn ich so sage, wenn ich mich wo vorstelle in Runden ›Chorweiler‹ sagen die ›ach Gott‹. Es ist so immer dieses ›ach du Arme‹. Ich war im Urlaub, mit Froschreisen, Gruppenreisen, wo es am Anfang auch darum ging, es waren viele Kölner da und da stellte man sich vor, was man so beruflich macht und so. Ich sagte: ›Ich bin Sozialarbeiter in Einrichtung B‹, dann kam ›wo?‹, ich ›in Chorweiler‹, die ›ach‹ als Bestürzung und keiner traut sich dann irgendwas weiter nachzufragen. Du bist dann fast schon wie eine Heilige, dass man das überhaupt macht, das ist ja ganz bewundernswert. Ja, so ist das in den Köpfen, auf jeden Fall.« (Interview Frau P., S. 11)
Sie werde ständig und wiederkehrend mit gängigen Mythen und Imaginationen konfrontiert, die ihre Arbeitssituation als außergewöhnlich markieren. Sie sind nicht nur SozialarbeiterInnen, sondern arbeiten auch noch unter erschwerten Bedingungen, gar unter Bedrohung der eigenen Sicherheit: »Gestern habe ich Leute getroffen wo ich mich dann auch mal vorstellen musste und sagen musste, was ich arbeite. Ne, das ist ja doch auch immer noch in den Köpfen, dass Chorweiler schwierig ist. Und ich sag schon seit Jahren, wenn man in Chorweiler arbeitet, dann hat man eigentlich schon, obwohl man gar nicht weiß, was man irgendwie tut oder macht oder ob man überhaupt was tut, da hat man sein Geld schon verdient. Weil nur alleine schon in Chorweiler zu arbeiten ist praktisch schon heroisch.« (Interview Frau K., S. 6)
Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass der Sozialen Arbeit im Quartier eine zentrale Rolle zukommt. Auch in den Interviews mit den Jugendlichen wird mehrfach Bezug auf die hilfreichen Angebote genommen. So berichten mehrere Jugendliche, wie bereits in der Auswertung der biographischen Interviews aufgegriffen, dass sie Angebote der Sozialen Arbeit regelmäßig nutzen und davon profitieren. Soziale Arbeit wird als hilfreich und teilweise sogar lebenswichtig beschrieben. So nimmt in einer Erzählung der Sozialarbeiter beispielsweise eine so prominente Rolle im Leben des Jugendlichen ein, dass er mit einem Vater verglichen wird, der immer da ist.
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Einschätzung der Situation im Stadtteil Alle AkteurInnen im Stadtteil sind sich der gängigen Bilder über Chorweiler bewusst. In den meisten Fällen lehnen sie einen skandalisierenden Blick ab und berichten, dass das Bild über den Stadtteil nicht der Realität entspräche. Sie würden sich sicher fühlen, gerne in Chorweiler arbeiten und würden die Einschätzung, dass Soziale Arbeit in Chorweiler besonders anstrengend und fordernd sei, nicht teilen. Trotzdem begann die überwiegende Mehrheit meiner GesprächspartnerInnen im Verlauf des Interviews früher oder später typische Bilder über den Brennpunkt Chorweiler zu reproduzieren, die mit ihren vorweggestellten Beschreibungen keine Passung aufweisen. Eine Sozialarbeiterin erklärt beispielsweise: »Ja ich mein, das ist ja schon diese Lage. Also die Trabanten-Stadt Chorweiler, die irgendwie so ein bisschen außerhalb von Köln, also zu Köln nicht richtig dazugehört. Die Leute bewegen sich hier sehr in ihren Kreisen. Also es ist oft auch so, dass Schüler gar nicht aus Chorweiler rauskommen oder so. Dann sagen viele Schüler ja auch selber, das ist ja auch Asi hier ich leb in einem Asi-Viertel, Chorweiler ist ein Asi-Stadtteil. Ja und wenn man Chorweiler jetzt so mit anderen Stadtteilen vergleicht, dann ist das Bild… Also vor dem Rathaus da sitzen viele, die betrinken sich, hohe Arbeitslosigkeit. Das ist ein Brennpunkt.« (Interview Frau P., S. 1)
Inwieweit die, zumeist vorangestellte Erläuterung, das gängige Bild über Chorweiler würde der Realität nicht entsprechen, der Interviewsituation mit mir geschuldet ist, vermag ich im Nachhinein nicht zu rekonstruieren. In Vorgesprächen jedoch erläuterte ich in der Regel kurz mein Forschungsinteresse, wenn auch möglichst ohne einen Inhalt direkt vorzugeben. Dennoch ist davon auszugehen, dass die Soziale Arbeit die gängigen Diskussionen über ethnisierende und diskriminierende Praktiken innerhalb ihrer Profession kennt und sich von jenen »Negativbeispielen« explizit abgrenzen möchte. Auch hatte ich zeitweise den Eindruck, dass mir als Forscherin mit sehr großer Vorsicht begegnet wurde. Über potentiell »heikle« Themen zu reden, wurde zeitweise abgelehnt. »Es gibt kein Problem« oder »Da sind wir doch schon viel weiter« sind Aussagen, die vereinzelt gefallen sind. Weitere Ausführungen wurden jedoch auch bei Nachfrage nicht vorgenommen. Dies verweist darauf, dass Soziale Arbeit sich über die Brisanz der Thematik, insbesondere im öffentlichen Diskurs, durchaus bewusst ist und sich vor dem Vorwurf, beispielsweise rassistischer Deutungen oder einer Skandalisierung der Situation, schützen möchte. Dennoch geht, auch wenn sich vordergründig distanziert wird, aus den Schilderungen immer wieder hervor, dass es in Chorweiler Probleme und Schwierigkeiten gebe. Zeitweise scheint es, herrscht Unsicherheit, wie die Situation in Chorweiler beschrieben werden kann, ohne direkt in einer Ghettometaphorik zu sprechen. Dabei wird diese Schwierigkeit jedoch nie explizit thematisiert, sondern ver-
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deutlicht sich an den wiederkehrenden ambivalenten Beschreibungen der Situation in Chorweiler. In allen Interviews wird Chorweiler als problematisches Stadtviertel beschrieben. Es fallen Begriffe wie »Brennpunkt«, »Ghetto«, »Parallelgesellschaft« oder »Pulverfass«. Dabei werden als Ursachen eine ethnische Segregation, hohe Arbeitslosigkeit und damit verbundene Perspektivlosigkeit sowie die dichte Besiedlung angegeben. In jedem Fall sei hier eine Häufung sozialer Problemlagen anzutreffen. Auffallend ist in diesem Zusammenhang, dass auf der einen Seite alle InterviewpartnerInnen zwar beschreiben, dass die Berichterstattung über Chorweiler überzogen und skandalisierend sei und sie sich hier sehr sicher fühlen würden, dies aber auf der anderen Seite zu einer Beschreibung eines »Ghettos« auf den ersten Blick nicht so recht passen mag. Es erscheint, als herrsche eine gewisse Hilflosigkeit der Frage gegenüber, mit welchen Worten der Stadtteil am besten beschrieben werden könne. Einerseits wollen die AkteurInnen auf soziale Missstände aufmerksam machen, andererseits Seite fehlen ihnen die Worte, um diese Missstände in einer unaufgeregten Art und Weise zu beschreiben. Sie verfallen immer wieder in die Auflistung klassischer Stereotype, die sie im nächsten Schritt gleich wieder dementieren, um sie dann sogleich wieder aufzugreifen. Eine Auseinandersetzung mit der Stigmatisierung des Stadtteils und der Auswirkung dieser auf die Jugendlichen und junge Erwachsenen findet nicht systematisch statt. Ein direkter Zusammenhang zwischen den negativen Stadtteilbildern und Diskriminierungsfaktoren wird nur selten gezogen. Chorweiler ist zwar ein Stadtteil mit Schwierigkeiten, die Anhäufung dieser Schwierigkeiten erscheint in den Beschreibungen jedoch zeitweise eher zufällig. Damit tragen die professionellen AkteurInnen, bewusst oder unbewusst, in nicht unerheblicher Weise zur Konstruktion des Brennpunkts Chorweiler bei.
Handlungsfelder der Sozialen Arbeit Insgesamt führte ich Gespräche mit verschiedenen MitarbeiterInnen aus ganz unterschiedlichen Arbeitsbereichen. Als Arbeitsschwerpunkte werden die Beratung von Jugendlichen in schwierigen Lebenssituationen sowie die Beratung im Übergang von Schule ins Berufsleben angegeben. Die Jugendlichen sollen »von der Straße geholt werden« und »sinnvolle« Freizeitmöglichkeiten angeboten bekommen. Zudem werden Sport- und Kunstprojekte der Jugendlichen gefördert. Die Mitbestimmung der Menschen vor Ort soll auf diese Weise angeregt werden. Auch gibt es spezielle Gruppenangebote, die in erster Linie einen freizeitgestaltenden Charakter haben. Hervorgehoben wird des Weiteren die Beratung, zum Beispiel von Mädchen und jungen Frauen aus Migrationsfamilien. In diesem Zusammenhang berichtet eine Sozialarbeiterin von den Schwierigkeiten, die sie als weiße deutsche Sozialarbeiterin der Beratung hat, da es an Ansprechpersonen und Austauschmöglichkeiten fehle:
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Ein weiterer wichtiger Pfeiler der Sozialen Arbeit in Chorweiler bildet die Vernetzung der sozialen AkteurInnen untereinander. Es wird an Stadtteilkonferenzen, Arbeitsgruppen und informellen Austauschmöglichkeiten partizipiert. Gemeinsam sollen Konzepte für die weitere Arbeit im Stadtteil entwickelt und durchgesetzt werden. Es werden Kontakte zur kommunalen Verwaltung und Politik gepflegt. Insgesamt scheint die Soziale Arbeit, auch über den Wirkungsbereich Chorweiler hinaus, gut vernetzt und eingebunden. Nicht zuletzt wird die Soziale Arbeit schließlich auch als politische Akteurin dargestellt, die durch das Skandalisieren von Problemen und eine deutliche Öffentlichkeitsarbeit versucht, ein gesellschaftliches Problembewusstsein herzustellen. Insgesamt sind die Erzählungen der SozialarbeiterInnen immer auch durch den fortwährenden Hinweis auf die Notwendigkeit der Sozialen Arbeit vor Ort geprägt. Mehrfach wird betont, dass zwar eine Aufstockung der Mittel über die Jahre stattgefunden habe, das Angebot jedoch bei weitem den Bedarf nicht decke oder in manchen Bereichen deutlich defizitär sei. Insgesamt sei die Soziale Arbeit jedoch gut vernetzt, es würden regelmäßig neue Projekte auf den Weg gebracht und Wege gefunden, um Geldmittel zu akquirieren. Damit zusammenhängend versteht die Soziale Arbeit in Chorweiler sich auch als Sprachrohr für die dort lebenden Jugendlichen. Durch die Unterstützung und Förderung, insbesondere kreativer Ausdrucksformen, soll Jugendlichen die Möglichkeit geboten werden, sich mit ihrer Situation auseinanderzusetzen und Forderungen zu formulieren, die auch in einer breiteren Öffentlichkeit wahrgenommen werden. Dies geschieht beispielsweise über die Produktion von Videobeiträgen oder die Teilnahme an Stadtteilsitzungen. Die politischen Forderungen Sozialer Arbeit und damit einhergehenden Darstellungen über das Leben in Chorweiler gehen teilweise zu Lasten einer differenzierten Sichtweise auf die Probleme. Freilich ist es schwer, ein Problembewusstsein herzustellen und Bedarf aufzuzeigen, ohne die Situation zu überzeichnen. Dennoch ist eine differenzierte Darstellung, die Probleme und Herausforderungen zwar benennt, dabei aber zugleich die Situation der BewohnerInnen und ihre individuellen Lebensstrategien ernst nimmt, unumgänglich. Eine Politisierung Sozialer Arbeit könnte so auch mehrgleisig erfolgen: Auf der einen Seite durch Lobbyarbeit und Herstellung eines Problembewusstseins, auf der anderen Seite durch eine gezielte Beeinflussung
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öffentlicher Diskurse aus einem dekonstruierenden und rassismuskritischen Blickwinkel im Sinne einer diversitätsbewussten Sozialen Arbeit. Eine Auseinandersetzung mit dieser Problematik erscheint für die Zukunft Sozialer Arbeit als wichtige Herausforderung.
Lebenssituation der Jugendlichen – Beschreibungen In den Beschreibungen der AkteuerInnen Sozialer Arbeit dominieren Szenarien der Perspektivlosigkeit und Bedürftigkeit. Die Jugendlichen würden aus schwachen sozialen Verhältnissen stammen, hätten häufig mit schulischen Problemen, Konflikten innerhalb der Familien und mit Armut zu kämpfen. Die Eltern seien oft nicht in der Lage, die Jugendlichen aufzufangen, weil sie sich mit existenziellen Fragen auseinandersetzen müssten. Dies führe bei den Jugendlichen zu abweichenden Verhaltensweisen, zum Beispiel Alkohol- und Drogenkonsum, Gewalt oder Verweigerung. Es werden bürgerkriegsähnliche Szenarien auf den Straßen beschrieben, in denen feindliche Jugendgruppen, zumeist ethnisch homogen, in Streitigkeiten aneinandergeraten würden. In diesen Beschreibungen nehmen insbesondere junge Männer mit türkischem und russischem Migrationshintergrund einen prominenten Platz ein. Allgemein, so mein Eindruck, scheint sich die Arbeit im Stadtteil sehr viel um männliche Jugendliche zu drehen. Mädchen hingegen werden weitaus weniger thematisiert. Sie treten entweder beim Übergang von Schule zum Beruf oder als Leidtragende innerfamiliärer Konflikte in Erscheinung. Im Hinblick auf die Arbeit mit muslimischen Mädchen wird durch eine Gesprächspartnerin beispielsweise darauf verwiesen, dass diese oft in einem Zwiespalt zwischen Eltern und der Gesellschaft stünden. Als moderne Frauen seien sie auf Grund ihres traditionellen Elternhauses mit besonderen Herausforderungen konfrontiert. Die Beratung von Mädchen in solchen Problemlagen sei deshalb häufig und wichtig. Dabei interpretiert sie die Schwierigkeiten der Mädchen als Kulturkonflikt zwischen Tradition und Moderne: »[…] Hier fällt mir extrem auf, dass gerade die muslimischen Mädchen die Verlierer sind. Die stehen so zwischen allen Stühlen, die entsprechen meist nicht dem Traditionellen. Du darfst keinen Partner haben vor der Ehe, oft drehen die total ab, rauchen und haben Konflikte zu Hause, extremer als vielleicht deutsche Mädchen, weil auch da andere Werte eine Rolle spielen.« (Interview Frau P., S. 8)
Auffallend ist dabei, dass in den Interviews die Einstellung ambivalent zu sein scheint. Auf der einen Seite wird eine ethnisierende Beschreibung abgelehnt, auf der anderen Seite wenige Minuten später jedoch wieder vorgenommen. Eine Sozialarbeiterin beschreibt während des Interviews ihre Beobachtung, dass die Ehre der Familie Jugendlichen jeder Herkunft immer wichtiger werde
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und immer häufiger zu Auseinandersetzungen unter den Jugendlichen führe. Auf die Frage, woran das liegen könne, führt sie aus: »Ist eine gute Frage. Ich glaube, dass die Deutschen sich das ein bisschen abgeguckt haben. Oder auch die anderen Nationalitäten hier. Gerade bei den Muslimen hat die Ehre der Eltern auf jeden Fall noch einen höheren Wert oder hochgehalten wird in so traditionsreichen Familien. Es dadurch ein bisschen übergeschwappt ist. Ja, und die Ehre der Eltern, natürlich liebt jeder seine Eltern, das wird dann so übernommen. Teilweise wie sie sich dann den Eltern gegenüber verhalten, also das ist dann was anderes. Das ist wenig respektvoll. Manchmal denke ich auch, es ist so ein bisschen ein Vorwand, um Druck abzulassen. Die haben schon hier, viele Kinder egal welcher Herkunft, habe eine heftige Familiengeschichte, haben viel erlebt, obwohl sie noch so jung sind und die stehen wahnsinnig unter Druck.« (Interview Frau P, S. 14)
Die Sozialarbeiterin beschreibt zum einen wenig differenziert, dass das Traditionsbewusstsein muslimischer Familien quasi auf deutsche Jugendliche »abfärben« würde. Auf der anderen Seite relativiert sie ihre Aussage, indem sie resümiert, dass es sich allgemein vermutlich eher um eine Strategie handle, um Druck zu verarbeiten, auch unabhängig von Herkunft. Es scheint, als bestünde eine gewisse Hilf- und Ratlosigkeit, wie mit Jugendlichen aus Chorweiler umzugehen ist. Dies veranschaulicht den großen Bedarf nach Reflexion eigener Stereotype und Vorurteile. Die Schwierigkeiten, welche die Arbeit in einem Spannungsfeld wie diesem hervorrufen, werden an dieser Stelle besonders deutlich. Ein Sozialarbeiter beschreibt in einem Interview das Dilemma, in dem sich viele Jugendliche befinden würden. Auf Grund der konsequenten Verweigerung von Anerkennung, ganz gleich welche Staatsbürgerschaft die Jugendlichen tatsächlich besäßen, würde es zur Herausbildung von »Parallelgesellschaften« kommen. Würde sich daran nichts ändern, so würde die Situation langfristig eskalieren: »Das sind deutsche Staatsbürger. Menschen mit deutschem Pass. Das sind eigentlich Menschen, die hier geboren sind, die hier leben, die hier auch sterben werden, also was die Integrationspolitik betrifft da mal so auf den Weg mitzukriegen, nicht in der Wahnvorstellung zu leben, irgendwann mal gehen die nach Hause. […] Mittlerweile sage ich, wir leben wirklich in einer Parallelgesellschaft und man muss wirklich die Dinge an der Wurzel packen und überlegen, wie man das wirklich auf die Reihe bekommt sonst wird das ein Pulverfass sondergleichen.« (Interview Herr. K, S. 3)
Im weiteren Verlauf des Interviews geht der Sozialarbeiter auf den Zusammenhang von Ausgrenzungserfahrung und Handlungsstrategien der Jugendlichen weiter ein. Die eigene ethnische Verortung und die vermutete Rückbesinnung
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auf traditionelle Werte sei eine Folge der Ausgrenzung durch die Mehrheitsgesellschaft: »Wenn ich mich mit Jugendlichen unterhalte über ihre Identität, Kultur oder ihren Background wo diese Ghettoisierung von denen immer stärker artikuliert wird. Die halten an ihrem Heimatland wie Türkei, Arabien oder Italien oder afrikanischen Ländern so fest, weil sie hier kein Bett haben, wo sie sagen, da fühle ich mich wohl. Es ist ein Empfinden, hier werde ich aufgenommen und ich brauche irgendetwas, wo ich mich festhalten kann. Das macht es für die Heranwachsenden so schwierig, die Identifikation, ihren Standort zu wählen.« (Interview Herr K. S, 3)
Dabei geht er jedoch nicht den Schritt, das Verhalten der Jugendlichen als Ressource und positive Handlungsstrategie zu werten. In einem anderen Interview werden die Strategien der Jugendlichen als solche erkannt und beschrieben, wenngleich sie im weiteren Verlauf des Interviews eher als hemmend und problematisch hervorgehoben werden: »Ja, irgendwie als was positiv Besetztes. So ich meine das ›Ghetto, Gangster, böse‹ da haben andere ja auch Respekt vor. Das ist was wo vor man irgendwie. Man wird dann kein Opfer. Das ist auch ganz viel Thema. Lieber sollen die Leute Angst vor mir haben, als dass ich das Opfer bin.« (Interview Frau P, S. 13)
Es finden sich in anderen Interviews jedoch auch sehr differenzierte Beschreibungen, in denen ethnisierende Zuschreibungen und Szenarien des Verfalls abgelehnt werden. Eine Sozialarbeiterin äußert sich in diesem Zusammenhang wie folgt: »Ja, ja das wird oft darauf zurückgezogen. Das ist das, was wir eingangs erwähnt haben. Im Grunde genommen wird Migrationshintergrund per se als Problem gesehen und dort, wo Menschen mit Migrationshintergrund leben, wird es auch immer sofort als Erklärung für Gewalt oder ähnliches gesehen. Ja, ich sehe es nicht so. Ich denke, dass die (unverständlich) Lage der ausschlaggebende Punkt ist, aber auch die Dichte. […] Denen würde ich deshalb sogar positive Fähigkeiten zuordnen, welches hohe Maß an Flexibilität und Toleranz die eigentlich haben, so eng zusammenleben zu können. Wenn ich die Zeitung aufschlage, denke ich jeden Morgen: ›Gut, Auto brennt in Rondorf, Gott sei Dank.‹ Ich finde Chorweiler steht sehr selten drinnen.« (Interview Frau G. S. 10)
Statt der gängigen Interpretation der Situation vor Ort zu folgen, lehnt sie diskriminierende Zuschreibungen ab und erweitert ihre Erzählung sogar durch die Hervorhebung besonderer Fähigkeiten und Fertigkeiten, die die BewohnerInnen des Stadtteils unter den besonderen Umständen entwickeln müssen.
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Die BewohnerInnen seien im besonderen Maße flexibel und tolerant, Eigenschaften also, die für eine pluralisierte postmoderne Gesellschaft zentral sind.
Handlungsweisen Sozialer Arbeit Die SozialarbeiterInnen geben an, sich in ihrer Arbeit in erster Linie an den Bedürfnissen der Jugendlichen zu orientieren. In den Beschreibungen über die Lebenssituation der Jugendlichen dominieren jedoch Szenarien der Perspektivlosigkeit, Verwahrlosung und Gewalt. Vergleicht man diese Beschreibungen schließlich mit den Selbstbeschreibungen der Jugendlichen, so finden diese sich in den Beschreibungen nicht wieder oder sie sehen sich nicht von diesen Problemen direkt betroffen. Es muss also die Frage gestellt werden, inwieweit die Soziale Arbeit die Selbsteinschätzungen, Handlungsstrategien und Selbstverortungen der Jugendlichen erkennt und in ihrer Arbeit berücksichtigt. Handlungsstrategien der Jugendlichen werden, wie bereits ausgeführt, von der Sozialen Arbeit durchaus wahrgenommen, offenbar jedoch nicht immer als solche interpretiert. Zudem driften die Einschätzungen der Jugendlichen über ihre individuellen Spielräume und Zukunftschancen und die Einschätzungen der AkteurInnen Sozialer Arbeit immer wieder auseinander. Diese Diskrepanz zwischen Selbstund Fremdeinschätzung greift eine Interviewpartnerin auf. Sie beschreibt: »Mein Verdacht ist, dass die durch das Schulsystem geschleust werden, weitergegeben werden, anders kann ich es mir nicht erklären, weil wenn die dann hier sitzen, haben Schule besucht, haben zum Teil Hauptschulabschluss und können nicht Deutsch. Dann fragt man sich auch, wie das möglich ist. Sie haben Träume wie jeder Jugendliche auch, Auto, Freundin, irgendwann eigene Wohnung und das ist so weit entfernt wo ich denke, das können die überhaupt nicht mehr erreichen […].« (Interview Frau G., S. 10)
Die Jugendlichen würden mit unrealistischen Träumen und Wünschen an sie herantreten. Die Träume und Wünsche, welche im Anschluss aufgezählt werden, klingen dann jedoch zunächst nicht sonderlich hochgestochen. »Auto, Freundin und irgendwann eine eigene Wohnung […].« Die Selbsteinschätzungen der Jugendlichen werden an dieser Stelle zwar zur Kenntnis genommen, jedoch teilweise in Zweifel gezogen. Ob es sich bei diesen Selbsteinschätzungen um Umgangsstrategien handeln könnte, die Jugendliche unter diskriminierenden Bedingungen entwickeln, um ihre Situation zu verarbeiten, wird nicht thematisiert. Sie führt weiter aus: »Dann aber zu schauen, welche Ressourcen haben sie noch, weil ich auch glaube, dass gerade die, die jetzt praktisch die Überflüssigen auf dem Markt sind, das ganze Paket, zum Teil können die sich nicht auf die Gesellschaft verlassen, da musst du selber kreativ werden, auf legalem Weg. Wie will ich leben und was tue ich dafür. Das was wir beob-
Über die Alltagspraxis in Chor weiler achten von Leuten, die wir kennen »ich habe studiert, habe es geschmissen, ich mache doch selber Musik«. Die gibt es ja auch. Kann ich nur darauf warten, bis ich irgendwas durchlaufe. Die müssen für sich mit dem ganzen Dilemma und ihren Biographien eine Stärke entwickeln. […] Obwohl die alle unter den gleichen Lebensbedingungen groß geworden sind, warum schaffen es die einen und die anderen nicht.« (Interview Frau G., S. 7f.)
Hier vollzieht sich in der Beschreibung ein Bruch, die Perspektive wird gewechselt und eine anerkennende Haltung eingenommen. Wichtig sei es, den Blick auf die Faktoren und Bedingungen zu lenken, die den Jugendlichen zu einer positiven und erfolgreichen Entwicklung verhelfen würden. Dabei sieht sie insbesondere die Strategien und Handlungsweisen als relevant an, die die Jugendlichen selbst entwickeln. Jugendliche, die keinen gesellschaftlichen Rückhalt genießen würden, müssten selbst kreativ werden, eigene Umgangsweisen entwickeln. Obwohl die Ausgangslage für die Jugendlichen gleich sei, würden es die einen schaffen, die anderen nicht. Ob und inwiefern die Bedingungen, die zu unterschiedlichen Erfolgen und Aufstieg führen, durch die Soziale Arbeit näher in den Blick genommen werden, wird nicht weiter thematisiert.
Anforderungen an die Soziale Arbeit: Erste Überlegungen Aus den bisherigen Ausführungen und der Zusammenschau der Interviews mit den Jugendlichen sowie den Interviews mit AkteuerInnen Sozialer Arbeit ergibt sich, dass die soziale Arbeit mit den Jugendlichen verstärkt auf eine Sichtbarmachung der individuellen Ressourcen und Kompetenzen ihrer Klientel hinarbeiten muss. Schließlich können vorhandene Kompetenzen genutzt werden; man braucht sie nicht neu zu erfinden. Präventive Intervention muss deshalb auf die Mobilisierung der sozialen Kompetenzen der jeweils an der Situation beteiligten Menschen setzen. Diese Interventionen sollten stets die Ressourcen und individuellen Lebensstrategien berücksichtigen und in die Arbeit mit einbeziehen. Wie schon theoretisch aufgearbeitet, muss Soziale Arbeit sich von generalisierenden ethnischen Beschreibungen lösen und den Blick reflexiv auf die sozialen Kontexte, in denen sich das Leben der Jugendlichen abspielt und in denen biographische Ziele entworfen und zusammengefügt werden, richten. Dies bedeutet nicht, dass ethnische Selbstbeschreibungen Jugendlicher abgelehnt werden sollen. Vielmehr müssen sie in einen Zusammenhang gebracht und ggf. als Handlungsstrategie erkannt und wertgeschätzt werden. Zugleich müssen auch die Selbstbeschreibungen ernstgenommen werden, die von Erfahrungen der Nichtanerkennung berichten. Jugendlichen muss auch die Möglichkeit und der Raum gegeben werde, sich selbst als normal und unauffällig zu entwerfen. Zu Recht plädiert Franz Hamburger für eine »reflexive Interkulturalität« und meint damit, dass sich die traditionell orientierte Inter-
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kulturalität in der interkulturellen Sozialarbeit mit den eigenen Wirkungen auseinander setzen muss, also reflexiv werden muss. Er schreibt dazu: »Im Hinblick auf Interkulturalität geht es konkreter dann darum, empirisch die Folgen und Wirkungen einer interkulturell orientierten Sozialen Arbeit zu untersuchen und dabei der These nachzugehen, dass die Institutionalisierung der interkulturellen Perspektive eine analytische Verengung vornimmt und kulturelle Identifikationen in einem Maße verstärkt, dass neue Probleme entstehen und Konflikte verschärft werden.« (Hamburger 1999, S. 38)
Auch Friedhelm Vahsen plädiert für einen Paradigmenwechsel und formuliert dazu: »Hier ist ein Paradigmenwechsel notwendig, der nicht primär die kulturelle Differenz im Blickpunkt hat und deren Minimierung, sondern die Vielfalt und Besonderheit akzeptiert und das konkrete Individuum in seinem Hier und Jetzt, mit seiner Gesichte, seinen Vorlieben, Prägungen und Bedürfnissen.« (Vahsen 2000, S. 119)
Dieser Paradigmenwechsel impliziert auch eine Distanzierung von einer konventionellen Defizitorientierung, wie sie sich auch zu Teilen in dem oben dargelegten Interviewmaterial finden lässt. Dies umfasst nicht nur die oft unterstellten Defizite auf Grund der ethnischen Herkunft, sondern auch die unterstellten Defizite auf Grund der Lebensumstände in so genannten marginalisierten Quartieren. Diese Vorverurteilung als »Problemfall« verfehlt ihren Zweck, weil jede Fremdzuschreibung die hybriden Realitäten der betroffenen Jugendlichen verfehlt. Stattdessen ist eine ressourcenorientierte und alltagsweltorientierte Vorgehensweise dringend erforderlich. Diese Perspektive kann für die Soziale Arbeit bedeuten, dass die Selbstbeschreibung dieser Jugendlichen zum Ausgangspunkt weiterer Interventionen gemacht werden soll. Dies kann freilich nur gelingen, wenn die Soziale Arbeit neben einer Anerkennenden auch eine machtkritische Haltung einnimmt und eigene Verstrickungen in Dominanzverhältnisse reflektiert (vgl. Habermas 1996; Mecheril et al. 2001). Auf diese Weise kann gezeigt werden, auf welche Weise die Jugendlichen und jungen Erwachsenen der zweiten und dritten Generation ihren Alltag gestalten, welche Schwierigkeiten sich ergeben, welche Potentiale sie entfalten und wie sie von Diskriminierungsmechanismen betroffen sind (vgl. Tekin 2003). Denn dabei handelt es sich um Problemstellungen, die völlig unabhängig von etwaigen ethnischen Zugehörigkeiten auftreten, sei es Arbeitslosigkeit, mangelnde Qualifizierung, Abwertung von Lebensentwürfen oder die gesellschaftliche Stigmatisierung als »Andere«. Diese Probleme erschweren den Jugendlichen den Zugang zu gesellschaftlichen Ressourcen und können eine vielfältige Exklusion nach sich ziehen (vgl. Schroer 2001).
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Ein alltagsorientierter, diversitätsbewusster Blickwinkel hingegen kann neue Zugänge ermöglichen und bisher verkannte Ressourcen und Kompetenzen aufdecken. Diese Kompetenzen könnten schließlich in etwaigen Interventionsprozessen genutzt werden. Zweifelsohne kann es dadurch alleine nicht gelingen, fehlende sozioökonomische Ressourcen auszugleichen. Umso wichtiger präsentiert sich einmal mehr die bereits angesprochene Politisierung Sozialer Arbeit.
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7. Ausblick
Der öffentliche Diskurs über Stadtteile mit einem hohen Anteil an BewohnerInnen mit Migrationshintergrund ist einschlägig. Es gehört zur Normalität, mit Begrifflichkeiten wie »Parallelgesellschaft« oder »Ghetto« zu operieren. Eine Diagnose ist schnell gestellt: Die betreffenden Stadtviertel seien chaotisch, defizitär und von Gewalt durchdrungen. Dieses Bild kann nur durch ein Zusammenspiel verschiedenster Faktoren entstehen – und vielfach sind Politik, Medien, Soziale Arbeit und Wissenschaft sich in ihrer Einschätzung einig. Kritische Stimmen werden kategorisch abgewertet und genießen eine wesentlich kleinere Öffentlichkeit. Wenn zudem in solchen marginalisierten Stadtvierteln mehrheitlich Migrationsfamilien leben, bekommt die Debatte, nicht selten auch aus wissenschaftlicher Perspektive, eine ethnisierende und kulturalisierende Wendung (vgl. kritisch dazu Bukow 1996). Um diese Probleme in Szene zu setzen, eignen sich Jugendliche und junge Erwachsene der zweiten und dritten Generation in besonderer Weise. Diskurse über marginalisierte Stadtviertel, Jugendliche sowie Jugendkriminalität werden miteinander verknüpft und generalisiert. Folglich findet eine unvoreingenommene Beurteilung der Lebenssituation Jugendlicher kaum oder nur erschwert statt. Diese Deutungspraxen durchziehen sämtliche Lebensbereiche der BewohnerInnen dieser marginalisierten Stadtteile – bis hin zu ihrer ureigensten Selbstverortung. Jugendliche und junge Erwachsene zweiter oder dritter Generation scheinen zu Opfern der Umstände zu werden, ihre Handlungen durch desolate Lebens- und Wohnverhältnisse geprägt und determiniert. Zweifelsohne bestehende Problemlagen werden in diesem Kontext aus einer einseitig ethnisierenden und kriminalisierenden Perspektive interpretiert. Diese Einseitigkeit jedoch bringt das Risiko mit sich, andere relevante Themen und Perspektiven unsichtbar zu machen (vgl. dazu Brubaker 2007, S. 134). Es ist unabdingbar, sich zu vergegenwärtigen, dass Jugendliche nicht nur Opfer gesellschaftlicher Verhältnisse sind. Vielmehr sind sie (auch) handelnde Subjekte, die Wege und Umwege finden, um selbst unter schwierigen Bedingungen voranzukommen.
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Wider die Skandalisierung Die Lebensumstände der Jugendlichen und jungen Erwachsenen im Stadtteil werden teils dramatisch geschildert, die Wohnsituation ist beengt, die Aufstiegschancen erschwert. Rassismus gehört zum Alltagserleben. Zunächst einmal ist festzuhalten, dass die Jugendlichen und jungen Erwachsenen sich trotzdem in erster Linie als »ganz normal« positionieren und erleben. Es zeigt sich, den ausführlich dargelegten Diskursen widersprechend, ein optimistische Bild: Jugendliche der zweiten und dritten Generation, die vielfältige Strategien und Umgangsformen entwickeln, um mit Diskriminierung umzugehen und sozialen Aufstieg zu erreichen. Die Jugendlichen und jungen Erwachsenen aus meiner Forschungsarbeit waren oder sind nahezu alle von Diskriminierung und Stigmatisierung betroffen. Ausgrenzungserfahrungen gehören in vielen Fällen zu ihrer Alltagsrealität. Sei es auf Grund ihrer Herkunft, des Wohnortes oder ihres Geschlechts. Diese Erfahrungen haben deutlichen Einfluss auf ihr Leben und prägen ihre Zukunftsvisionen und Handlungsstrategien maßgeblich. In vielen Fällen ist ihnen diese Diskriminierung und Ausgrenzung bewusst, in anderen Fällen jedoch nicht. Gleichwohl haben sie alle ein Gespür für ihre besondere Situation und verhalten sich aktiv und handlungsfähig. Eine hoffnungslose oder gar passive Haltung lässt sich jedenfalls nicht erkennen. Statt zu resignieren, suchen sie immer neue Wege, um ihre Ziele zu erreichen. Die Strategien sind dabei so unterschiedlich wie die Jugendlichen selbst. Gemein ist ihnen, dass ihre Strategien und Umgangsweisen häufig nicht als solche erkannt werden. Weder durch die Jugendlichen und jungen Erwachsenen selbst noch durch professionelle AkteurInnen im Stadtteil. Auch hier bestätigen Ausnahmen freilich die Regel und Tendenzen, die einen Perspektivwechsel andeuten, sind erkennbar. Die Gegenentwürfe oder Positionierungen der Jugendlichen zum gesellschaftlichen Diskurs sind kreativ, subversiv oder gar widerständig – ohne dass sie nach außen spektakulär oder sensationell erscheinen. Immer wieder geht es auch um die Frage nach Anerkennung und Wertschätzung, sowohl ihrer Person als auch ihrer Lebenskonzepte. Diese Forderungen nach Anerkennung werden teils laut und selbstbewusst formuliert, teils schwingen sie implizit mit. Auf verschiedene Weisen positionieren sie sich zu ihrem Stadtteil und ihrer Lebenssituation. Sei es durch kreative Gegenentwürfe zum hegemonialen Diskurs, durch Strategien der Normalisierung und Unsichtbarmachung, durch eine ausgeprägte Bildungs- und Leistungsbereitschaft, das Zusammenschließen in Gruppen oder eine komplette Distanzierung und Ablehnung ihres Wohnortes und ihrer Migrationsgeschichte. Dies soll nicht heißen, dass es keinen Handlungsbedarf gäbe – die Frage ist vielmehr, wie dieser aussieht und an welcher Stelle anzusetzen ist.
Ausblick
Konsequenzen für die Soziale Arbeit Aus den bisherigen Ausführungen und Auswertungen meiner empirischen Daten ergibt sich auch, dass die Soziale Arbeit in marginalisierten Quartieren mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen einen wichtigen Stellenwert einnimmt. Sie erfüllt dabei mehrere Funktionen: Sie macht aufmerksam auf Probleme und Bedarfslagen vor Ort, hat aber auch das Potential, die positiven oder gewöhnlichen Aspekte des täglichen Lebens hervorzuheben und damit ein Gegengewicht zu den dominanten Diskursen zu entwerfen. Auch kann die Soziale Arbeit die Jugendlichen und jungen Erwachsenen in dieser Funktion dabei unterstützen, die Stimme zu erheben und eine Plattform schaffen, damit diese sich ausdrücken können. Auf der anderen Seite zeichnet sich jedoch weiterhin eine kulturalisierende und defizitorientierte Sichtweise ab. Eine konsequente Distanzierung von rassistischen und kulturalistischen Deutungen wird nicht, oder nur selten, vorgenommen. Diese Zuschreibungen verfehlen jedoch die vielfältige Alltagswirklichkeit der Jugendlichen und machen darüber hinaus ihre Selbstbeschreibungen unsichtbar. Es fällt auf, dass die Beschreibungen der SozialarbeiterInnen häufig von den Beschreibungen der Jugendlichen abweichen. Der Perspektivwechsel, der sich in einigen Interviews phasenweise abzeichnet, muss weiter verstetigt werden. Eine verstärkte Auseinandersetzung mit den Wünschen und Einschätzungen der Jugendlichen ist von daher unerlässlich und eine Quelle, um Handlungsstrategien für die Soziale Arbeit abzuleiten. Deutlich wird an dieser Stelle wieder die Diskrepanz zwischen dem Anspruch Sozialer Arbeit und den externen Zwängen. Gerade die Arbeit in einem Stadtteil mit einem hohen Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund stellt die Soziale Arbeit vor die Herausforderung, zwar Bedarfslagen aufzuzeigen und sichtbar zu machen, dabei jedoch die Lebenssituation der Menschen vor Ort nicht zugunsten von Förderzwängen aus den Augen zu verlieren. Soziale Arbeit muss stets darauf bedacht sein, nicht zu einem Selbstzweck zu verkommen – eine Positionierung, auch politischer Art, erscheint mir daher von zunehmender Wichtigkeit (vgl. Seithe 2013). Es scheint, dass die Soziale Arbeit im Allgemeinen, in erster Linie mit alltagsnahen Interventionskonzepten, angemessen und effektiv arbeiten kann. Durch die Sichtbarmachung individueller Ressourcen und deren Berücksichtigung bei der Arbeit mit den Jugendlichen, können diese gestärkt werden. Vorhandene Kompetenzen werden so und müssen nicht neu erfunden werden. Präventive Intervention muss deshalb auf die Mobilisierung der sozialen Kompetenzen der jeweils an der Situation beteiligten Menschen setzen. Eine ressourcenorientierte und alltagszentrierte Vorgehensweise ist folglich dringend erforderlich. Eine Soziale Arbeit, die Jugendliche und ihre indivi-
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duellen Strategien und Bedeutungszusammenhänge nicht ernst nimmt, läuft Gefahr, mit ihren Interventionen gegenteilige Effekte zu erzielen. Ausgehend von den Ergebnissen meiner Arbeit plädiere ich von daher für eine mehrdimensionale Handlungsweise. Auf einer ersten Ebene sollte Soziale Arbeit sich kritisch und dekonstruktiv mit eigenen Vorurteilen und Etikettierungen auseinandersetzen. Dekonstruktion verstehe ich in diesem Zusammenhang als einen Prozess der Sichtbarmachung diskriminierender Strukturen und der Überprüfung eigener Bilder und Zuschreibungen mit dem Ziel, eine gesellschaftskritische und vorurteilsbewusste Haltung zu entwickeln, um den Jugendlichen und jungen Erwachsenen offen begegnen zu können. Auf einer zweiten Ebene plädiere ich für eine Haltung der Anerkennung und Ressourcenorientierung. Die Selbstbeschreibung der betroffenen Jugendlichen muss ernst genommen und zum Ausgangspunkt weiterer Interventionen gemacht werden – ohne sie auf eine bestimmte Identität oder Deutung festzuschreiben (vgl. Vahsen 2000, S. 119). Auf einer dritten Ebene plädiere ich für eine Strategie des Empowerments. Ziel Sozialer Arbeit muss es auch sein, den Jugendlichen und jungen Erwachsenen die Räume zur Verfügung zu stellen, in denen sie sich selbstbestimmt verorten können. Im Kampf gegen Zuschreibungen, Diskriminierungen und Stigmatisierungen kann die Soziale Arbeit den Jugendlichen und jungen Erwachsenen den Rücken stärken, sie in ihren individuellen Verortungspraxen fördern und eine Solidarisierung der Jugendlichen untereinander unterstützen (vgl. Riegel 2004). In diesem Zusammenhang gewinnt auch die Frage nach der politischen Partizipation Jugendlicher und junger Erwachsener in marginalisierten Stadtteilen an Bedeutung. Es muss über eine »(Re-)Politisierung Sozialer Arbeit« (Ottersbach 2013, S. 152ff.) nachgedacht werden. Nur eine Soziale Arbeit, die Jugendliche und ihre individuellen Strategien und Bedeutungszusammenhänge ernst nimmt, kann zielgruppenadäquat intervenieren und sie auf ihrem Weg ein Stück begleiten.
Plädoyer für einen neuen Blick Ich möchte für eine alltagsnahe und unaufgeregte Lesart der Handlungsstrategien Jugendlicher und der Umstände in marginalisierten Stadtvierteln plädieren. Wir brauchen einen Blickwinkel, der das Leben in solchen Stadtquartieren und die individuellen Lebenspraktiken der Jugendlichen und jungen Erwachsenen im gesamtgesellschaftlichen und globalen Kontext verortet, diskutiert und unterschiedliche Aspekte wie institutionelle, lebensweltliche und zivilgesellschaftliche Bedingungen zusammenführt. Dazu gehört auch ein intersektionaler Fokus, der verschiedene Ungleichheitskategorien wie Alter, Geschlecht, sexuelle Orientierung oder Religion nicht ignoriert. Diese Sichtweise muss in verschiedenen Bereichen konsequent berücksichtigt werden – sei es in Politik,
Ausblick
Wissenschaft, Schule oder Sozialer Arbeit. Eine Politik der Anerkennung und Wertschätzung bildet einen grundlegenden Pfeiler, um die gesellschaftliche Ausgrenzung und Stigmatisierung Jugendlicher und junger Erwachsener der zweiten und dritten Generation abzubauen. Die wechselseitige Verstärkung der aktuellen Negativdynamik – Jugendliche, die durch den öffentlichen Diskurs zu Verlierern, Abweichenden oder Anderen degradiert werden, diese Zuschreibung wahrnehmen und in eigene Strategien und Handlungskonzepte übersetzen und damit erneut die HüterInnen von Moral und Ordnung auf den Plan rufen – kann nur durchbrochen werden, wenn wir damit anfangen, das Leben in marginalisierten Stadtteilen ernst zu nehmen und als normal zu begreifen. Dieses Ernstnehmen und Anerkennen beinhaltet auch die Einsicht, dass weder die Akzeptanz kultureller Vielfalt und Differenz alleine ausreicht noch der stetige Verweis auf universelle Menschenrechte sowie strukturelle und rechtliche Gleichstellung (vgl. Radtke 1991). Vielmehr zeigt sich deutlich, dass es sowohl um die Akzeptanz von Besonderheiten der jungen Menschen gehen muss als auch um die Akzeptanz der Tatsache, dass eben nicht alles besonders und spektakulär ist (vgl. Riegel 2003). Jugendlichen und jungen Erwachsenen muss die Möglichkeit gegeben werden, ihre Lebenssituation selbstbestimmt zu interpretieren. Sie müssen als kontextbezogene Handelnde begriffen werden, die je nachdem zum Beispiel »ganz normale Jugendliche« sein können oder auch »Ghettokids« oder »Fußballer«. Damit kann der Mehrdimensionalität ihrer Person und Lebensumstände, welche für postmoderne Subjekte als typisch angesehen werden kann (Hall 1999), Rechnung getragen werden. Von konventionellen, bipolaren Deutungsmustern muss demzufolge Abstand genommen werden. Es erscheint erforderlich, dominante Deutungen und Vorstellungen zugunsten einer faktisch existierenden Uneinheitlichkeit und Widersprüchlichkeit zu hinterfragen. Eine mögliche Sichtweise auf marginalisierte Stadtviertel bietet Loic Wacquant, indem er einen »institutionalistischen Ansatz« vorschlägt, der eine Blickverschiebung impliziert. Aus dieser Perspektive gilt es zu verstehen, dass das Leben in benachteiligten Stadtvierteln nicht so funktioniert, wie man es auf den ersten Blick vermuten würde. Er plädiert dafür, die Stadtteile nicht als bloße Ansammlung von Problemlagen und Krisen zu betrachten, sondern als eine ganz eigene institutionelle Form, die schlicht einer eigenen Logik folgt. Aus dieser Perspektive lassen sich schließlich andere Erkenntnisse generieren, als gemeinhin angenommen. Die Jugendlichen wachsen unter strukturellen Zwängen auf. Ihr Zugang zu Institutionen und zur Infrastruktur ist erschwert. Sie sind darüber hinaus mit Diskriminierungen, etwa auf Grund ihrer Herkunft, ihres Geschlechts oder ihres Wohnortes konfrontiert. Folglich entwickeln sie besondere Lebensstrategien und neue urbane Kompetenzen. Die Aufmerksamkeit sollte nicht auf die spektakulärsten Geschehnisse, sondern vielmehr auf die banalen Handlungen des alltäglichen Lebens gerich-
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tet werden. Normative und defizitorientierte Sichtweisen verstellen den Blick auf die individuellen Lebenskonzepte von Jugendlichen. Begrifflichkeiten wie »Integration« geben keinen Aufschluss darüber, wie die konkrete Alltagspraxis im Quartier aussieht, wie Jugendliche unter marginalisierenden und diskriminierenden Bedingungen leben, sich arrangieren und Lebensstrategien formulieren. Solche Konzepte können über die Lebenskonstruktionen, Verortungsprozesse, Unsicherheiten, Wünsche und Träume und deren alltägliche Ausgestaltung keine Auskunft geben. Eben diese Alltagswelt stellt sich jedoch wesentlich vielschichtiger dar, als gemeinhin oft angenommen. Die Jugendlichen und jungen Erwachsenen müssen als aktiv Handelnde begriffen werden, die sich mit ihren Lebensbedingungen auseinandersetzen und sich »postsouverän« verhalten, sich also über ihre Verstricktheit und Abhängigkeit von Identitäten und Kategorien bewusst sind und mit diesem Wissen auf unterschiedliche Art und Weise umgehen.
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Bärbel Völkel, Tony Pacyna (Hg.) Neorassismus in der Einwanderungsgesellschaft Eine Herausforderung für die Bildung November 2016, ca. 200 Seiten, kart., ca. 24,99 €, ISBN 978-3-8376-3454-9
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Kultur und soziale Praxis Wolfgang Stark, David Vossebrecher, Christopher Dell, Holger Schmidhuber (Hg.) Improvisation und Organisation Muster zur Innovation sozialer Systeme November 2016, ca. 370 Seiten, kart., zahlr. Abb., ca. 35,99 €, ISBN 978-3-8376-2611-7
Christian Lahusen, Stephanie Schneider (Hg.) Asyl verwalten Zur bürokratischen Bearbeitung eines gesellschaftlichen Problems September 2016, ca. 300 Seiten, kart., ca. 29,99 €, ISBN 978-3-8376-3332-0
Meggi Khan-Zvornicanin Kultursensible Altenhilfe? Neue Perspektiven auf Programmatik und Praxis gesundheitlicher Versorgung im Alter Juni 2016, 320 Seiten, kart., 39,99 €, ISBN 978-3-8376-3476-1
Christoph Bareither Gewalt im Computerspiel Facetten eines Vergnügens Juni 2016, 368 Seiten, kart., 34,99 €, ISBN 978-3-8376-3559-1
Francis Müller Mit Behinderung in Angola leben Eine ethnografische Spurensuche in einer von Tretminen verletzten Gesellschaft Mai 2016, 152 Seiten, kart., zahlr. Abb.;, 24,99 €, ISBN 978-3-8376-3480-8
Donja Amirpur Migrationsbedingt behindert? Familien im Hilfesystem. Eine intersektionale Perspektive Mai 2016, 312 Seiten, kart., 29,99 €, ISBN 978-3-8376-3407-5
Dieter Haller Tanger Der Hafen, die Geister, die Lust. Eine Ethnographie April 2016, 356 Seiten, kart., zahlr. Abb., 34,99 €, ISBN 978-3-8376-3338-2
Marion Schulze Hardcore & Gender Soziologische Einblicke in eine globale Subkultur 2015, 412 Seiten, kart., 34,99 €, ISBN 978-3-8376-2732-9
Marcus Andreas Vom neuen guten Leben Ethnographie eines Ökodorfes 2015, 306 Seiten, kart., zahlr. Abb., 27,99 €, ISBN 978-3-8376-2828-9
Gesine Drews-Sylla, Renata Makarska (Hg.) Neue alte Rassismen? Differenz und Exklusion in Europa nach 1989 2015, 332 Seiten, kart., 29,99 €, ISBN 978-3-8376-2364-2
Nadja Thoma, Magdalena Knappik (Hg.) Sprache und Bildung in Migrationsgesellschaften Machtkritische Perspektiven auf ein prekarisiertes Verhältnis 2015, 352 Seiten, kart., 29,99 €, ISBN 978-3-8376-2707-7
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