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German Pages 252 Year 1999
MICHAELA EISELE
Subjektive öffentliche Rechte auf Normerlaß
Schriften zum Öffentlichen Recht Band 803
Subjektive öffentliche Rechte auf Normerlaß
Von Michaela Eisele
Duncker & Humblot · Berlin
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Eisele, Michaela: Subjektive öffentliche Rechte auf Normerlaß / von Michaela Eisele. Berlin : Duncker und Humblot, 1999 (Schriften zum öffentlichen Recht ; Bd. 803) Zugl.: Göttingen, Univ., Diss., 1998/99 ISBN 3-428-09887-0
Alle Rechte vorbehalten © 1999 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme und Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany; ISSN 0582-0200 ISBN 3-428-09887-0 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 θ
Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 1998/99 von der Juristischen Fakultät der Georg-August-Universität zu Göttingen als Dissertation angenommen. Literatur und Rechtsprechung sind bis September 1998 berücksichtigt. Für die Erstattung des Erstgutachtens sowie die Unterstützung während meiner Zeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin an seinem Lehrstuhl an der Freien Universität Berlin danke ich Herrn Univ.-Prof. Dr. Franz-Joseph Peine. Zu Dank verpflichtet bin ich auch Herrn Univ.-Prof. Dr. Christian Starck für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens und dem Verlag Duncker & Humblot für die Aufnahme der Arbeit in die Reihe ,Schriften zum Öffentlichen Recht 4 . Ferner bedanke ich mich bei all denjenigen, die mich zum Abschluß der Arbeit ermuntert haben. Hier möchte ich Frau Dr. Elke Gurlit und Frau Dr. Anke Engelbert hervorheben. Der größte Dank schließlich gebührt meiner Mutter, die Wert auf eine gute Ausbildung Ihrer Tochter und Söhne legte und mir dadurch letztlich auch diese Arbeit ermöglichte. Ihr ist dieses Buch gewidmet. Berlin, im April 1999
Michaela Eisele
Inhaltsverzeichnis
Erster Teil Einführung A. Motiv und Problemschwerpunkte der Untersuchung
15
B. Terminologie und Eingrenzung des Themas
16
I. Die Begriffe Rechtsnorm, Rechtssatz, Gesetz II. Ausgrenzung völkerrechtlicher und europarechtlicher Gesichtspunkte
16 19
III. Keine Berücksichtigung bundesstaatlicher Besonderheiten und nur fragmentarische Einbeziehung des Landesrechts 20 IV. Beschränkung auf gesetzlich begründete subjektive öffentliche Rechte C. Aufbau der Untersuchung
21 21
Zweiter Teil Das subjektive öffentliche Recht A. Die Anerkennung des subjektiven öffentlichen Rechts I. Die Entwicklung im Konstitutionalismus
22 22
1. Die grundsätzliche Bejahung subjektiver öffentlicher Rechte
22
2. Der Streit um die Subjektivität der Freiheitsrechte
28
II. Keine Umwälzungen in der Weimarer Zeit
32
III. Der Rückschritt im Nationalsozialismus
33
IV. Das subjektive öffentliche Recht in der Gegenwart
37
8
Inhaltsverzeichnis
Β. Die Lehre vom subjektiven öffentlichen Recht im Verwaltungsrecht I. Der Begriff des subjektiven öffentlichen Rechts
38 38
1. Historische Wurzeln
38
2. Der Begriff heute
40
II. Voraussetzungen für die Annahme eines subjektiven öffentlichen Rechts 1. Schutznormtheorie: Scheinbare Identität der herrschenden Meinung mit den historischen Voraussetzungen
42
42
a) Der „zwingende" Rechtssatz
43
b) Das rechtlich geschützte Interesse
43
c) Das Kriterium der Schutznorm
44
d) Verzicht auf die Voraussetzung der Rechtsmacht?
46
e) Zusammenfassung
48
2. Einwände gegen die Schutznormtheorie
49
3. Andere Ansätze
50
a) Modifizierte Schutznormtheorien
50
aa) Kriterium der tatsächlichen Betroffenheit
50
bb) Einbeziehung der Grundrechte
51
cc) Erweiterung auf kollektive Interessen
54
b) Grundrechte als Ersatz für die Schutznormtheorie
56
c) Konzeptionelle Lösungsversuche
58
4. Abschließende Stellungnahme
C. Die Grundrechte als subjektive öffentliche Rechte I. Überblick über die in Literatur und Rechtsprechung diskutierten Grundrechtsinhalte II. Die Auslegung der Grundrechte
59
61
61 64
1. Offenheit der Grundrechtsbestimmungen
64
2. Grundrechtstheorien und Grundrechtsverständnis
65
a) Die klassischen Grundrechtstheorien
65
b) Die,»richtige" Grundrechtstheorie
68
Inhaltsverzeichnis III. Die Grundrechtsgehalte im einzelnen
70
1. Die Grundrechte als Abwehrrechte
70
2. Die Grundrechte als Leistungsrechte
70
a) Gegenstand des Meinungsstreits
70
b) Begriff des Leistungsrechts
71
c) Originäre und derivative Leistungsrechte
72
d) Interpretation der Grundrechte als originäre Leistungsrechte
72
e) Derivative Leistungsrechte aus Grundrechten
76
3. „Objektive" Grundrechtsaussagen
79
a) Die Grundrechte als Einrichtungsgarantien
79
b) Grundrechte als Basis von Schutz- und Förderpflichten
82
aa) Besondere Schutz- und Förderaufträge
82
bb) Allgemeine Schutzpflichten
86
c) Verfahrens- und Organisationsgehalte von Grundrechten 4. Subjektiv-rechtliche Qualität von Grundrechtsinhalten
90 95
a) Ermittlung eines korrespondierenden subjektiven Rechts
95
b) Einrichtungsgarantien und korrespondierende subjektive Rechte
96
c) Subjektive Rechte auf Schutz vor Eingriffen Dritter
97
d) Subjektivität von Verfahrens-und Organisationsgehalten IV. Relevanz der Grundrechte für die weitere Untersuchung
101 105
Dritter Teil Normerlaßansprüche in Rechtsprechung und Literatur
A. Fallgestaltungen
106
B. Subjektive öffentliche Rechte auf Normerlaß in der Rechtsprechung
108
I. Individualrechte auf Erlaß, Ergänzung oder Nachbesserung von formellen Gesetzen 1. Der Anspruch auf Gesetzerlaß oder Gesetzergänzung a) Voraussetzungen
108 108 108
10
Inhaltsverzeichnis aa) Der ausdrückliche Verfassungsauftrag als Ausgangspunkt der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts 108 bb) Die allgemeinen Schutzgehalte der Grundrechte als weitere Grundlage
112
cc) Verfahrens- und Organisationsgehalte als denkbare Anspruchsgrundlagen
115
dd) Gesetzergänzungsansprüche auf der Basis des Gleichbehandlungsgebots
115
b) Inhalt
118
aa) Anspruchsinhalt bei Vorliegen eines ausdrücklichen Gesetzgebungsauftrags
118
bb) Anspruchsinhalt bei konkludentem Gesetzgebungsauftrag
119
cc) Anspruchsdichte bei Gleichheitswidrigkeit
119
c) Entscheidungstenor und Entscheidungswirkung
120
2. Das Recht auf Nachbesserung eines Gesetzes
121
a) Der Begriff der Nachbesserung
121
b) Voraussetzungen
122
aa) Nachbesserungsanspruch aufgrund eines ausdrücklichen Gesetzgebungsauftrags 122 bb) Die allgemeinen Schutzgehalte als Grundlage von Rechten auf Nachbesserung 123 cc) Gleichbehandlungsgebot und Nachbesserungsrecht
124
dd) Doppelte Evidenz als Voraussetzung der Justitiabilität
124
c) Inhalt
125
d) Entscheidungstenor und Entscheidungswirkung
126
3. Systematisierende und ergänzende Zusammenfassung der Anspruchsvoraussetzungen einschließlich ihrer Justitiabilität
126
a) Materielles subjektives öffentliches Recht auf Gesetzerlaß oder -ergänzung
126
b) Materielles subjektives öffentliches Recht auf Nachbesserung
127
c) Materielles subjektives öffentliches Recht auf Gesetzergänzung oder Nachbesserung 127 d) Formelles subjektives öffentliches Recht auf gesetzgeberische Gestaltung 128
Inhaltsverzeichnis II. Subjektive öffentliche Rechte auf Erlaß, Ergänzung oder Nachbesserung von Rechtsverordnungen 128 1. Voraussetzungen
128
2. Inhalt
133
3. Entscheidungstenor und Entscheidungswirkung
135
4. Ergebnis
137
III. Normerlaß-, Normergänzungs- und Nachbesserungsansprüche gegen den Satzungsgeber 137 1. Voraussetzungen
137
2. Inhalt
140
3. Entscheidungstenor und Entscheidungswirkung
140
4. Ergebnis
141
C. Diskussionsstand in der Literatur und kritische Würdigung
141
I. Die Argumente der Gegner von Normerlaßansprüchen
141
II. Der Standpunkt der Befürworter 1. Subjektive öffentliche Rechte auf ein Tätigwerden des Parlaments
146 146
a) Breite Zustimmung zu Gesetzerlaßansprüchen
146
b) Die Existenz von Gesetzgebungspflichten
148
aa) Eingeschränkte Souveränität des Parlamentsgesetzgebers
148
bb) Die allgemeine verfassungsrechtliche Pflicht zur Rechtsetzung
148
cc) Spezielle Gesetzgebungspflichten
152
(1) Rechtsgrundlagen, Voraussetzungen und Arten von Gesetzgebungspflichten
152
(2) Ausdrückliche Gesetzgebungspflichten im Grundrechtsteil
154
(3) Im Grundrechtsteil begründete konkludente Gesetzgebungspflichten
160
(a) Potentielle Grundlagen
160
(b) Die Einrichtungsgarantien
160
(c) Der allgemeine Gleichheitssatz
162
(d) Besondere Förderpflichten
164
(e) Besondere und allgemeine Schutzpflichten
165
(f) Verfahrens-und Organisationsgehalte
169
12
Inhaltsverzeichnis (4) Gesetzgebungsaufträge in den übrigen Teilen der Verfassung
171
(a) Kompetenznormen
171
(b) Die verfassungsgestaltenden Grundentscheidungen
172
(c) Ausdrückliche Verweise (5) Nachbesserungspflichten dd) Ergebnis c) Korrespondierende subjektive Rechte aa) Maßgeblichkeit der Schutznormtheorie bb) Subjektivität der Gesetzgebungsaufträge im Grundrechtsteil
174 175 179 180 180 181
(1) Ausdrückliche Gesetzgebungsgebote
181
(2) Schlüssige Gesetzgebungspflichten
183
(a) Subjektive öffentliche Rechte auf Förderung
183
(b) Ansprüche auf Schutz durch gesetzgeberisches Handeln
184
(c) Rechte einzelner auf Verfahrens- und Organisationsregelungen
185
cc) Handlungspflichten in der übrigen Verfassung und Rechte einzelner .. 185 (1) Explizite Gesetzgebungsaufträge
185
(2) Ansprüche auf der Grundlage der verfassungsgestaltenden Grundentscheidungen
187
dd) Ergebnis
187
d) Reichweite der subjektiven Rechte
188
e) Probleme der Justitiabilität
189
aa) Erfüllungszeitpunkt
189
bb) Pflichtverletzung nur bei Evidenz der Nichterfüllung?
191
cc) Sonderproblem: Nachbesserungspflicht nur bei Evidenz der Nachbesserungsbedürftigkeit? 193 dd) Verurteilung des Parlaments zum Gesetzerlaß oder Vornahme durch das Gericht
195
ee) Ergebnis
199
2. Ansprüche auf Erlaß von Rechtsverordnungen
200
a) Überwiegende Anerkennung
200
b) Verordnungsgebungspflichten
202
c) Verordnungsgebungspflichten im Individualinteresse
205
d) Formelles subjektives öffentliches Recht bei individualschützender Ermächtigung? 205 e) Dichte der Individualrechte
208
Inhaltsverzeichnis f) Einzelfragen der gerichtlichen Durchsetzbarkeit
209
aa) Fälligkeit der Leistung
209
bb) Das Evidenzkriterium
209
cc) Entscheidungsinhalt
210
g) Ergebnis
212
3. Subjektive Rechte einzelner auf Satzungsebene
213
a) Unterschiede zu Individualberechtigungen auf Verordnungserlaß
213
b) Objektive Pflichten zum Erlaß von Satzungen
214
c) Korrespondierende materielle und formelle subjektive öffentliche Rechte 215 d) Einfachgesetzlicher Ausschluß subjektiver öffentlicher Rechte auf Satzungserlaß 216 e) Anspruchsumfang und prozessuale Fragen
219
0 Ergebnis
220
Vierter
Teil
Zusammenfassung und Ausblick
Literaturverzeichnis
221
226
Erster Teil
Einführung A. Motiv und Problemschwerpunkte der Untersuchung Konfrontiert man Juristen mit der Themenstellung der vorliegenden Arbeit, besteht die Reaktion meist in der Frage: Gibt es denn so etwas? In der Tat neigt man dazu, ein derartiges Recht ohne längere Überlegung sofort zu verneinen. Geht man der Frage jedoch nach, entdeckt man, daß Ansprüche auf ein Handeln des Gesetzgebers recht häufig Gegenstand bundesverfassungsgerichtlicher Entscheidungen waren.1 Diese Entscheidungen bestätigen dann zwar teilweise das oben dargestellte Judiz, da ein Normerlaßanspruch in den überwiegenden Fällen abgelehnt wurde; unter bestimmten sehr eingeschränkten Voraussetzungen hat das Bundesverfassungsgericht ein Recht auf Erlaß eines Gesetzes aber anerkannt. Aktualität gewinnt die Untersuchung durch in jüngerer Zeit ergangene Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts.2 Unter Aufgabe seiner bisherigen ablehnenden Haltung3 hält das Gericht einen Individualanspruch auf Normerlaß für denkbar und bejaht ihn für die zu entscheidenden Sachverhalte. Diese neuen Judikate sowie die Weiterentwicklung der Dogmatik des subjektiven Rechts und insbesondere der Grundrechte (Schlagworte: Grundrechte als Leistungsrechte; Grundrechte begründen staatliche Schutzpflichten) rechtfertigen eine kritische Untersuchung der Frage, ob ein Anspruch auf Rechtsnormerlaß unter den von der Rechtsprechung angenommenen Voraussetzungen befürwortet werden kann, und wenn ja, ob derartige Ansprüche nicht auch in weiteren Fällen vorstellbar sind. Dies umso mehr, als vertiefende wissenschaftliche Untersuchungen hierzu völlig fehlen. Obwohl die Logik dafür spricht, sich zunächst dem Problem zuzuwenden, ob es überhaupt Ansprüche auf Normerlaß gibt, hat sich die Literatur von Anfang an unter dem Stichwort „Unterlassen des Normgebers" vorwiegend mit prozessualen Fragen beschäftigt.4 ι Etwa BVerfGE 1, S. 97 ff.; 2, S. 237ff.; 2, S. 287 ff.; 6, S. 257 ff.; 8, S. 1 ff.; 11, S. 255 ff.; 12, S. 139 ff.; 56, S. 54ff.; BVerfG, NJW 1983, S. 2931 ff.; BVerfG, NJW 1987, S. 2287 f.; BVerfG, NJW 1995, S. 2343; BVerfG, NJW 1996, S. 651; jüngst BVerfG, UPR 1998, S. 341 ff., 342 f. 2 Grundsatzentscheidung: BVerwGE 80, S. 355 ff.; bestätigend: BVerwG, NVwZ 1990, S. 162 ff. 3 BVerwGE 7, S. 188 f.; 13, S. 328 ff.; 43, S. 261 f., 262. 4 So etwa bereits im Jahr 1962 Seiwerth, Zulässigkeit, und in jüngster Zeit Gleixner, Normerlaßklage. Vergleiche im übrigen die Nachweise unten im Dritten Teil, Fn. 5.
16
1. Teil: Einführung
Der Untersuchungsgegenstand dieser Arbeit ist bereits durch den Titel und die obigen Ausführungen umrissen. Es geht um die Frage, ob es überhaupt einen Individualanspruch auf Normerlaß geben kann, welche Voraussetzungen hierfür erfüllt sein müssen und welchen Inhalt ein derartiger Anspruch hat. Als Ergebnis ist die völlige Verwerfung eines subjektiven Rechts auf Normerlaß, die Bejahung unter den von der Rechtsprechung aufgestellten oder aber ähnlich eingeschränkten Voraussetzungen sowie die Befürwortung der Ausweitung eines solchen Anspruchs denkbar. Soweit subjektive öffentliche Rechte gegen den Parlamentsgesetzgeber auf Erlaß formeller Gesetze in Rede stehen, berührt das Ergebnis der Untersuchung das spannungsgeladene Verhältnis zwischen Gesetzgeber und Bundesverfassungsgericht. Das geringe Vertrauen einzelner in die sachgerechte, dem Allgemeinwohl verpflichtete Problembewältigung durch das Parlament wird illustriert durch einen Satz E. v. Hippels: „Wer anders könnte die Rechte der Betroffenen schützen als das Bundesverfassungsgericht?" 5 Die Schwerpunkte liegen auf materiellen Fragen, die gerichtliche Durchsetzbarkeit wird nicht umfassend erörtert. Allerdings wird auf den Tenor einschlägiger Entscheidungen eingegangen, um aufzuzeigen, wie die Verwirklichung von Normerlaßansprüchen derzeit aussieht. Dabei wird die Frage aufgeworfen, ob nicht auch andere Entscheidungsmöglichkeiten bestehen. Zur Präzisierung des Untersuchungsgegenstandes soll zunächst eine Klärung der Begriffe Rechtsnorm, Rechtssatz und Gesetz erfolgen. Außerdem bedarf das Thema einiger Beschränkungen, um einigermaßen handhabbar zu bleiben.
B. Terminologie und Eingrenzung des Themas I. Die Begriffe Rechtsnorm, Rechtssatz, Gesetz Von einer überwiegend anerkannten Definition und einer einheitlichen Verwendung des Begriffs der Rechtsnorm und der häufig damit in Zusammenhang gebrauchten Begriffe Rechtssatz und Gesetz kann auch heute noch nicht gesprochen werden.6 Teilweise wird bereits die Möglichkeit einer einheitlichen Definition unter Hinweis auf die Verschiedenheit der als Rechtsnormen anerkannten Regelungen verneint.7 Es ist daher erforderlich, den Inhalt dieser Begriffe festzulegen. Die historischen und gegenwärtigen Definitionen der genannten Begriffe sind zahlreich. Allgemeingültigkeit kommt keiner dieser Begriffsbestimmungen zu. Sie 5 V. Hippel, Eike, Recht und Politik, 1995/1996, S. 170ff„ 172. 6 Maurer, Verwaltungsrecht, S. 58, § 4, Rn. 3; Meyer-Cording, Rechtsnormen, S. 1 f., 18 f.; Ossenbühl, in: Erichsen, Verwaltungsrecht, S. 114, § 5, Rn. 7. 7 Ossenbühl, in: Erichsen, Verwaltungsrecht, S. 115 f., § 5, Rn. 9.
B. Terminologie und Eingrenzung des Themas
17
sind vielmehr in Abhängigkeit der Zeit zu sehen, in der sie entstanden.8 Eine kurze Darstellung der bis heute fortwirkenden Begriffsbildungen der spätkonstitutionellen Staatsrechtslehre soll diese geschichtliche und methodische Bedingtheit veranschaulichen. Grundlage aller hier interessierenden Begriffsbestimmungen dieser Zeit ist die auf von Stockmar9 zurückgehende und von P. Laband näher begründete Unterscheidung zwischen Gesetz im formellen Sinn und Gesetz im materiellen Sinn. P. Labands Untersuchung der Preußischen Verfassungsurkunde führte zu dem Ergebnis, daß für bestimmte staatliche Akte die Form des Gesetzes vorgeschrieben war, obwohl es sich inhaltlich (materiell) nach seinem Verständnis nicht um ein Gesetz, das er als „Ausspruch eines Rechtssatzes", „als gewollte und bewußte Festsetzung einer Norm" definierte, 10 handelte. Aus dieser Erkenntnis entwickelte er den Begriff des Gesetzes im (nur) formellen Sinn, der jeden Willensakt der konstitutionellen Legislative, unabhängig von seinem Inhalt, bezeichnete.11 Das Gesetz im materiellen Sinn wurde mit Rechtssatz gleichgesetzt,12 Rechtssatz und Rechtsnorm meist synonym gebraucht.13 Drei Ansätze einer Rechtssatzdefinition lassen sich ausmachen: Eine Richtung, zu der P. Laband zählt, verstand unter Rechtssatz eine Regelung, die der Schrankenziehung zwischen den Willenssphären der Rechtssubjekte dient,14 eine andere Auffassung definierte Rechtssatz als abstrakte (generelle), die Untertanen verpflichtende 15 beziehungsweise berührende rechtliche Anordnung,16 und eine dritte Meinung sah jede Bestimmung, die einen Eingriff in Freiheit und Eigentum des Bürgers beinhaltet,17 als Rechtssatz an. 8 Vergleiche hierzu die eingehende Untersuchung von Böckenförde, Gesetz und gesetzgebende Gewalt, 2. Auflage, Berlin, 1981 sowie zu den Definitionen des Spätkonstitutionalismus bereits Thoma, Vorbehalt, S. 176. 9 ,JE. A . Chr.", Zeitschrift für Deutsches Staatsrecht und Deutsche Verfassungsgeschichte, Band 1 (1867), S. 196 ff., 201, 208 f. 10 Laband, Budgetrecht, S. 3. n Laband, Budgetrecht, S. 7; ders., Reichsstaatsrecht, S. 119-121. 12 Anschütz, Theorien, S. 15, 161, 163; Jellinek, G., Gesetz, S. 231,240; Laband, Budgetrecht, S. 3; ders., Reichsstaatsrecht, S. 106; ders., Staatsrecht II, S. 2 und Fn. 1; Meyer, G., Zeitschrift für das Privat- und öffentliche Recht der Gegenwart, Band 8 (1881), S. 1 ff., 12, 15; Meyer/Anschütz, Staatsrecht, S. 639; Seligmann, Begriff, S. 1, 26; v. Seydel/Piloty, Staatsrecht I, S. 835, 838, Thoma, Vorbehalt, S. 176.
13 Anschütz, Theorien, S. 15, 163; Jellinek, G., Gesetz, S. 228; Laband, Reichsstaatsrecht, S. 106, Fn. 2; ders., Staatsrecht II, S. 2, Fn. 1; Meyer/Anschütz, Staatsrecht, S. 639; Seligmann, Begriff, S. 1, 26; v. Seydel/Piloty, Staatsrecht I, S. 838. h Jellinek, G., Gesetz, S. 239f., 245; Laband, Staatsrecht II, S. 73,181; Meyer/Anschütz, Staatsrecht, S. 640. Diese Definition ist dem Privatrecht entlehnt; vergleiche v. Savigny, System, Band 1, S. 331 f. ι 5 Meyer, G., Zeitschrift für das Privat- und öffentliche Recht der Gegenwart, Band 8 (1881), S. Iff., 15, 19. 16 Seligmann, Begriff, S. 26 f., 63, 104f. 17 Anschütz, Theorien, S. 128,168f.; v. Seydel/Piloty, Staatsrecht I, S. 845f. 2 Eisele
18
1. Teil: Einführung
Während die beiden ersten Begriffsfestlegungen überwiegend insbesondere Vorschriften innerhalb des Staates nicht erfassen, 18 nimmt die dritte Definition auch solche Bestimmungen, die dem Bürger lediglich Rechte gegen den Staat einräumen, vom Rechtssatzbegriff und damit auch vom materiellen Gesetzesbegriff aus.19 Alle drei Auffassungen basieren auf einem Staatsverständnis, das von den Lehren des Naturrechts geprägt ist, 20 und verfolgen letztlich den Zweck, über die Festlegung des (materiellen) Gesetzesbegriffs die Zuständigkeitsbereiche von gesetzgebender (Landtag) und vollziehender Gewalt (Monarch) im Sinne einer Ausweitung der Befugnisse der Volksvertretung abzugrenzen. Grob skizziert hatte der Staat nach naturrechtlichem Verständnis seine Grundlage in einem vertraglichen Zusammenschluß freier Individuen. Eine Einschränkung der Freiheit des einzelnen war deshalb nur aus Gründen des Allgemeinwohls und nur aufgrund eines Gesetzes, das als Ausdruck des allgemeinen Willens angesehen wurde, zulässig 2 1 Durch die geänderte Auffassung von Wesen und Aufgabe des Staates sowie des Wechsels der Staatsform und die damit einhergehende demokratische Legitimation auch der Exekutive, die den Zweck der Gleichsetzung von rechtsetzender und gesetzgebender Gewalt als Leitmotiv der obigen Rechtssatzdefinitionen entfallen läßt, sind die Begriffsbestimmungen des Spätkonstitutionalismus überholt.22 Eine vertiefende Diskussion der in der Vergangenheit und heute vertretenen Definitionen der Begriffe Rechtsnorm, Rechtssatz und Gesetz soll nicht erfolgen. Ebensowenig wird der Versuch einer jeweils eigenen Begriffsbestimmung unternommen. Dies rechtfertigt sich daraus, daß die Begriffe nicht selbst Gegenstand der Analyse sind, sondern letztlich nur Arbeitsbegriffe darstellen, deren Bedeutung im Rahmen der Untersuchung umrissen werden muß. Unter Rechtsnormen werden im folgenden in Einklang mit der herrschenden Meinung generell-abstrakte Regelungen verstanden, die Pflichten und Rechte für den Bürger oder sonstige selbständige Rechtspersonen begründen, ändern oder aufheben. Allerdings wird der Begriff hier insofern enger verwandt, als er - bedingt durch die Themenstellung der Arbeit - nur schriftlich fixierte Regeln meinen kann. Gleichbedeutend gebraucht werden die Begriffe Rechtssatz und Gesetz im mate18 Jellinek, G., System, S. 193 f., 233, relativierend S. 234f.; Laband, Staatsrecht II, S. 181; widersprüchlich Meyer, G., Zeitschrift für das Privat- und öffentliche Recht der Gegenwart, Band 8 (1881), S. 1 ff., 31 f., wo er auch lediglich die Behörden verpflichtende Vorschriften als Gesetze im materiellen Sinn bezeichnet; Seligmann, Begriff, S. 27, 103, relativierend: S. 104 f. sowie Böckenförde, Gesetz, S. 235 f., 247 - 249,257 f., 260 f., 264, 266 f. 19 Mayer, O., AöR 17 (1902), S. 464 ff., 468; Böckenförde, Gesetz, S. 273. 20 Anschütz, Theorien, S. 162; Böckenförde, Gesetz, S. 234, 259. 21 V. Pufendorff, Staatslehre, S. 391 f., 446, 463-467; v. Wolff, Grundsätze, S. 696f., 700f. in Verbindung mit S. 47f. (natürliche Freiheit), 614-616 (Begriff der Gesellschaft, Rechte und Pflichten der Mitglieder). 22 So bereits Forsthoff, Verwaltungsrecht I, S. 133.
B. Terminologie und Eingrenzung des Themas
19
riellen Sinn. Danach unterfallen diesen Begriffen zunächst die formellen Gesetze, das heißt die im verfassungsmäßig vorgesehenen Gesetzgebungsverfahren zustandegekommenen Willensakte der Gesetzgebungsorgane, soweit sie generellabstrakten Inhalts sind und Außenwirkung haben. Gesetze im formellen und materiellen Sinn sind auch gemeint, wenn in der Arbeit nur von Gesetz gesprochen wird. Ferner bezeichnen die genannten Begriffe Rechtsverordnungen und Satzungen, die auch unter dem Oberbegriff untergesetzliche Rechtsnormen zusammengefaßt werden. Nicht mit ihren Besonderheiten in die Überlegungen einbezogen werden also atypische Fälle, wie beispielsweise der Haushaltsplan und Einzelfallund Maßnahmegesetze, die mangels Außenwirkung oder mangels generellabstrakten Inhalts nicht von der gegebenen Definition erfaßt werden. Diese Beschränkung resultiert aus der Zielsetzung der Arbeit, die nicht darin besteht, alle möglichen und denkbaren Sonderfälle zu untersuchen, sondern für den typischen Fall Aussagen zu erarbeiten. Verwaltungsvorschriften, die von einigen ebenfalls als Rechtsnormen qualifiziert werden,23 erfahren keine eigenständige Untersuchung. Da sie wie Rechtsverordnungen von der Exekutive herrühren, sind die für diese gewonnenen Ergebnisse auch insoweit heranzuziehen.
II. Ausgrenzung völkerrechtlicher und europarechtlicher Gesichtspunkte Denkbar wäre, daß sich Ansprüche des einzelnen auf Normerlaß neben dem nationalen Recht auch aus dem Völkerrecht und dem Europarecht ergeben könnten, da die Umsetzung des supranationalen Rechts in die nationale Rechtsordnung in der Regel ein Tatigwerden des Gesetzgebers erfordert. 24 Objektive Gesetzgebungspflichten auf der Grundlage des Volker- und Europarechts sind daher nicht ausgeschlossen.25 Während im Hinblick auf das Völkerrecht eine Berechtigung einzelner aufgrund der Gegenstände völkerrechtlicher Verträge äußerst unwahrscheinlich ist 26 und eine Untersuchung dieser Problemstellung sich nicht unbedingt aufdrängt, gilt für das Europarecht aus mehreren Gründen anderes. Das häufigste Regelungsinstrument der Europäischen Union ist die Richtlinie. Der Inhalt der Richtlinien betrifft häufig, unmittelbar oder mittelbar, den Schutz oder die Verbesserung der Rechtsstellung des Unionsbürgers.27 Innerstaatliche 23 Vergleiche hierzu Ossenbühl, in: Erichsen, Verwaltungsrecht, S. 134, § 6, Rn. 41. 24 Keiner Transformation bedürfen gem. Art. 25 S. 1 GG die allgemeinen Regeln des Völkerrechts. 25 Bejahend etwa Peine, Systemgerechtigkeit, S. 123 f. 26 Verneinend Peine, Systemgerechtigkeit, S. 144. 27 Insbesondere Richtlinien im Umweltbereich begünstigen den einzelnen Unionsbürger, wobei hier offenbleiben soll, ob die Begünstigung zur Annahme eines subjektiven öffent2*
20
1. Teil: Einführung
Geltung erlangen Richtlinien aber nur dadurch, daß der jeweilige Mitgliedstaat die Richtlinie in nationales Recht umsetzt,28 wobei die Richtlinie den Inhalt des nationalen Rechts vor allem in bezug auf das zu erreichende Ziel, nicht aber hinsichtlich aller Einzelheiten, determiniert. 29 Die Umsetzung erfolgt in der Bundesrepublik Deutschland - nur sie interessiert hier - häufig erst lange Zeit nach Ablauf der in der Richtlinie festgelegten Umsetzungsfrist. 30 Die positiven Wirkungen für den einzelnen, ob vorrangiges Ziel der Richtlinie oder lediglich Nebenfolge, treten zu einem viel späteren Zeitpunkt ein als ursprünglich vorgesehen. Der individualschützende Gegenstand der Richtlinien oder deren für den einzelnen günstigen Folgen und die oft nicht fristgerecht erfolgende Umsetzung werfen daher durchaus die Frage auf, ob dem einzelnen ein subjektives öffentliches Recht auf Richtlinienumsetzung zustehen kann.31 Diese Problematik bildet jedoch angesichts der Eigenständigkeit des Europarechts einen selbständigen Untersuchungsgegenstand und wird hier ausgeschlossen.
III. Keine Berücksichtigung bundesstaatlicher Besonderheiten und nur fragmentarische Einbeziehung des Landesrechts Soweit sich Rechtsetzungspflichten aus der föderativen Struktur der Bundesrepublik Deutschland ergeben32 oder ergeben könnten,33 bleiben sie außer Betracht. Darüber hinaus konzentriert sich die Untersuchung im Hinblick auf Ansprüche auf Erlaß formeller Gesetze auf diejenigen, die ihre Grundlage im Grundgesetz finden. Lediglich im Rahmen der Erörterung von subjektiven öffentlichen Rechten auf Erlaß untergesetzlicher Normen kommt Landesrecht zum Zuge, soweit es Gegenstand einschlägiger gerichtlicher Entscheidungen war. liehen Rechts im Sinne des Europarechts führt. Als Beispiele seien genannt aus dem Bereich des Gewässerschutzes und der Wasserwirtschaft die Richtlinie des Rates 80/778/EWG vom 15. Juli 1980 über die Qualität des Wassers für den menschlichen Gebrauch, AB1.EG Nr. L 229 v. 30. 08. 1980, S. 11 ff. (spätere Änderungen) und aus dem Bereich der Luftreinhaltung die Richtlinie 92/72/EWG des Rates vom 21. September 1992 über die Luftverschmutzung durch Ozon, ABl.EG Nr. L 297 vom 13. 10. 1992, S 1 ff. 28 Geiger, EG-Vertrag, Art. 189, Rn. 8; Grabitz, in: Grabitz/Hilf, KEU, Art. 189, Rn. 51. 29 Dies folgt aus Art. 189 Abs. 3 EGV. Die Praxis sieht sich durch diese Vorschrift nicht daran gehindert, auch ganz detaillierte Richtlinien zu erlassen; vergleiche zu diesem Problemkreis, Bleckmann, Europarecht, S. 164ff., Rn. 420-429. 30
Vergleiche hierzu in jüngster Zeit die drei Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs zur nicht fristgerechten Umsetzung von Richtlinien durch die Bundesrepublik Deutschland, NVwZ 1997, S. 369 ff. 31 Vergleiche hierzu den Aufsatz von Gurlit, in: Liber amicorum Reich, S. 55 ff. 32 Art. 75 Abs. 3 GG. 33
Als weitere Grundlage wäre an das Bundesstaatsprinzip, insbesondere an den Grundsatz der Bundestreue, zu denken.
C. Aufbau der Untersuchung
21
IV. Beschränkung auf gesetzlich begründete subjektive öffentliche Rechte Außen vor bleibt auch die Fragestellung, ob Ansprüche auf Normerlaß vertraglich eingeräumt werden können. Erörtert wird sie insbesondere im Baurecht.34 Die Diskussion dürfte durch die Novellierung des Baugesetzbuchs überholt sein. Seit dem Inkrafttreten des Bau- und Raumordnungsgesetzes vom 18. August 1997 am 1. Januar 1998 schließt § 2 Abs. 3 2. Halbsatz BauGB eine vertragliche Begründung von Ansprüchen auf Aufstellung von Bauleitplänen und städtebaulichen Satzungen aus. Gemäß § 2 Abs. 4 BauGB gilt dies auch für die Änderung und Ergänzung von Bauleitplänen.
C. Aufbau der Untersuchung Kristallisationspunkt der Untersuchung ist das subjektive öffentliche Recht, dem der Grundlagenteil der Arbeit gewidmet ist. Dort wird kurz auf die Historie des subjektiven öffentlichen Rechts eingegangen und sodann dessen Begriff und Voraussetzungen im Verwaltungsrecht, insbesondere die sogenannte Schutznormtheorie, erörtert. Im Anschluß werden die Grundrechte als verfassungsrechtliche subjektive öffentliche Rechte betrachtet. Der Schwerpunkt liegt hier auf potentiell leistungsrechtlichen Gehalten und der Frage ihrer Subjektivität. Der dritte Teil der Arbeit wird mit einer Darstellung und Systematisierung der Rechtsprechung zu Normerlaßansprüchen eingeleitet. Es folgen die Auffassungen in der Literatur, in die die eigene Stellungnahme einfließt. Entsprechend den im Rechtsprechungsteil gefundenen Anspruchsvoraussetzungen werden mögliche Anspruchsgrundlagen diskutiert. Die Arbeit schließt mit einer Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse und einer Einschätzung der weiteren Entwicklung subjektiver öffentlicher Rechte auf Normerlaß.
34 Battis, Baurecht, S. 294f.; § 8 II; Birk, NJW 1977, S. 1797ff.; Degenhart, BayVBl. 1979, S. 289 ff.; Dolde, NJW 1980, S. 1657 ff., 1658; Fackler, Aspekte, S. 162 ff.; Gusy, BauR 1981, S. 164ff.; Koch/Hendler, Baurecht, S. 153 ff.; Peine, Baurecht, S. 101, § 8, Rn. 121; Stettner, AöR 102 (1977), S. 544 ff.; BVerwG, NJW 1980, S. 2538 ff., 2539; BGH, NJW 1980, S. 826ff., 826; BGH, NJW 1990, S. 245 ff., 245.
Zweiter Teil
Das subjektive öffentliche Recht A. Die Anerkennung des subjektiven öffentlichen Rechts I. Die Entwicklung im Konstitutionalismus 1· Die grundsätzliche Bejahung subjektiver öffentlicher Rechte Der Beginn der geschichtlichen Entwicklung des subjektiven öffentlichen Rechts des einzelnen gegen den Staat fällt zusammen mit dem Beginn des Konstitutionalismus Anfang des 19. Jahrhunderts. Vorher sind derartige Rechte begrifflich nicht denkbar.1 Zum einen fehlte es im Mittelalter und im Absolutismus an der Anerkennung des Staates als abstrakter Rechtspersönlichkeit und damit an einem Verpflichteten, 2 zum anderen an einer strikten Trennung zwischen privatem und öffentlichem Recht.3 Zwar bildete sich im Absolutismus die Trennung von privatem und öffentlichem Recht im Gegensatz zum Mittelalter in Anfängen bereits heraus,4 die sogenannten „wohlerworbenen Rechte"5 der Untertanen wurden aber ausschließlich dem Bereich des Privatrechts zugeordnet.6 Im Zeitalter der konstitutionellen Monarchie setzte sich dann in der Jurisprudenz allmählich die Auffassung vom Staat als eigener Rechtspersönlichkeit, als Rechtssubjekt, durch, und die Trennung von privatem und öffentlichem Recht fand ihren Abschluß.7 Damit waren die theoretischen Grundlagen für eine Anerkennung des subjektiven öffentlichen Rechts geschaffen. Das subjektive öffentliche Recht gehört auch tatsächlich zu denjenigen Phänomenen, die die Staats- und Verwaltungsrechtswissenschaft 8 von Anfang an ι Bauer, Hartmut, Grundlagen, S. 18, 24,26. 2 Bauer, Hartmut, Grundlagen, S. 22 f., 24 f., 33,48. 3 Bauer, Hartmut, Grundlagen, S. 22,24,25. * Bauer, Hartmut, Grundlagen, S. 25 f., 40 f. 5 Der Begriff entstammt dem Naturrecht und bildete den Gegensatz zu den angeborenen Rechten. Während letztere jedem Menschen von Natur aus zustanden, beruhten jene auf einem besonderen Erwerbsgrund; vergleiche v. Wolff, Grundsätze, S. 46,59,61 f. 6
Bauer, Hartmut, Grundlagen, S. 41. Bauer, Hartmut, Grundlagen, S. 43. 8 Die Verwaltungsrechtswissenschaft existiert als eigenständige Disziplin ungefähr seit 1850, als erste Lehrbücher erschienen, die sich ausschließlich dem Verwaltungsrecht widme7
Α. Die Anerkennung des subjektiven öffentlichen Rechts
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beschäftigt haben. So erschien bereits 1852 die Monographie „Über öffentliche Rechte" von C. F. von Gerber. Diese Abhandlung markiert den Beginn der Diskussion um das subjektive öffentliche Recht, da in ihr erstmals der Versuch einer Erfassung der öffentlichen Rechte vom staatsrechtlichen Standpunkt aus unternommen wurde. Nach allgemeinen Ausführungen zum Wesen des Staates, den C. F. von Gerber hier noch als sittlichen Organismus begreift, 9 und einer Untersuchung der Natur der öffentlichen Rechte, analysiert er in ihr neben den öffentlichen Rechten des Monarchen10 und der Beamten11 auch die öffentlichen Rechte der Untertanen.12 Dabei differenziert er zwischen Untertanenrechten, die als Elemente des Staatsorganismus gelten (politische Rechte)13, und sogenannten Volksrechten.14 Der Begriff politische Rechte bezeichnet Rechte, deren Inhalt auf die Teilhabe an der staatlichen Herrschaft gerichtet ist, 15 der Begriff Volksrechte die in den Verfassungen gewährten politischen Freiheiten wie Pressefreiheit und Vereinigungsfreiheit.16 Während C. F. von Gerber die ersteren Rechte, von denen das Wahlrecht hervorzuheben ist, ohne weitere Problematisierung als subjektive Rechte ansieht, indem er ihre Ähnlichkeit mit den Privatrechten betont,17 tut er sich hinsichtlich der letzteren schwer. Einerseits erkennt er an, daß sie im Einzelfall Individualrechte begründen können,18 andererseits bemüht er sich, ihnen die Qualität subjektiver Rechte der Untertanen abzusprechen.19 Er charakterisiert sie als „negative Rechte", 20 als „Negationen und Zurückweisungen der Staatsgewalt in die Grenzen ihrer Befugnisse", 21 als „Schranken des Rechts des Monarchen",22 als „objektive, abstrakte Rechtssätze über die Ausübung der Staatsgewalt".23 Diese Ausführungen ten (vergleiche Fleiner, Institutionen, S. 43 f.; Jellinek, W., Verwaltungsrecht, S. 106). Davor wurde das Verwaltungsrecht aufgrund seiner geringen Bedeutung als Teil des Staatsrechts angesehen und dort mitbehandelt (vergleiche Mayer, O., Verwaltungsrecht I, S. 18). 9 V. Gerber, C. F., Öffentliche Rechte, S. 16; ders., Staatsrecht, S. 1,217 ff., wo er seine ursprüngliche Auffassung modifiziert und den Schwerpunkt auf den Staat als Persönlichkeit legt. 10 V. Gerber, C. F., Öffentliche Rechte, S. 42 ff. " V. Gerber, C. F., Öffentliche Rechte, S. 58 ff. 12 V. Gerber, C. F., Öffentliche Rechte, S. 62 ff. 13 V. Gerber, C. F., Öffentliche Rechte, S. 27; ders., Staatsrecht, S. 51. 14 V. Gerber, C. F., Öffentliche Rechte, S. 28,63. 15 V. Gerber, C. F., Staatsrecht, S. 51. κ» V. Gerber, C. F., Öffentliche Rechte, S. 63; ders., Staatsrecht, S. 34. π V. Gerber, C. F., Öffentliche Rechte, S. 27 f. is V. Gerber, C. F., Öffentliche Rechte, S. 28,65 f. 19 V. Gerber, C. F., Öffentliche Rechte, S. 65; ders., Staatsrecht, S. 34. 20 V. Gerber, C. F., Öffentliche Rechte, S. 65. 21 V. Gerber, C. F., Öffentliche Rechte, S. 65. 22 V. Gerber, C. F., Öffentliche Rechte, S. 65. 23 V. Gerber, C. F., Öffentliche Rechte, S. 65; dementsprechend behandelt er sie in seinem Staatsrecht unter der Überschrift „Grenzen der Staatsgewalt", Staatsrecht, S. 33 ff.
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2. Teil: Das subjektive öffentliche Recht
sind vor dem Hintergrund seiner Prämisse zu sehen, wonach die Stellung des Untertanen im Staat „die eines staatlich Beherrschten" 24 ist. Mit einer so definierten Stellung sind subjektive Rechte des einzelnen gegen den Staat, die nicht mit seiner Funktion im staatlichen Organismus zusammenhängen, nicht vereinbar. In der Folgezeit stand dann zunächst die Frage im Vordergrund, ob es überhaupt subjektive öffentliche Rechte des einzelnen gegen den Staat geben könne. Das Meinungsspektrum 25 reichte von der kategorischen Ablehnung jeglicher subjektiver öffentlicher Rechte der einzelnen gegen den Staat 26 über vermittelnde Ansichten, die solche Rechte zwar anerkannten, aber vom Umfang her stark einschränkten, 2 7 bis zu Auffassungen, die dem subjektiven öffentlichen Recht des einzelnen breiten Raum gewährten. 28 24 V. Gerber, C. F., Öffentliche Rechte, S. 63; inhaltlich bestätigend ders., Staatsrecht, S. 45 f., 52. 25 Einen guten Überblick über die vertretenen Auffassungen, der allerdings teilweise von der hier vorgenommenen Einteilung abweicht, vermittelt v. Stengel, VerwArch 3 (1895), S. 178 ff., 183-189. Die Zuordnung der einzelnen Rechtswissenschaftler zu den verschiedenen Meinungen bereitet aus mehreren Gründen Schwierigkeiten: Erstens wird der Begriff „Rechte der Staatsangehörigen" von den Staatsrechtlern untechnisch verwendet, weil die Darstellung bestimmter Inhalte unter dieser Rubrik in staatsrechtlichen Werken so üblich war. Aus einer derartigen Überschrift und dem Begriff „Recht" kann daher nicht schon auf eine Bejahung subjektiver öffentlicher Rechte der einzelnen geschlossen werden. Zweitens sind die Ausführungen teilweise mehrdeutig und widersprüchlich (Laband, v. Rönne) und drittens wird in der zeitgenössischen Literatur nicht immer genau differenziert und denjenigen, die lediglich den Grundrechten keine subjektiv-rechtliche Qualität beilegten, eine gänzliche Leugnung subjektiver öffentlicher Rechte unterstellt (so Stier-Somlo hinsichtlich Seydel). 26 Bornhak, Staatsrecht I, 1. Auflage, S. 268 f.; bestätigt in der 2. Auflage, S. 285 f.; ders., Grundriß, 1. Auflage, S. 43 f., 125 f. sowie 7. Auflage, S. 52 f., 191; Gneist, Rechtsstaat, S. 271, 273; Kloeppel, Gesetz, S. 102-105; 108; Schmidt, B., Der Staat, S. 81 f.; Schuppe, Begriff, S. 83 ff., 85-89; Seligmann, Staatsverträge, S. 17; wohl auch Haenel, Staatsrecht I, S. 356 f., der jedenfalls die Subjektivität der Grundrechte ablehnt sowie Kohler, Prozeß, S. 13-16 - dessen Ablehnung bei Berücksichtigung der Anmerkung jedoch nicht eindeutig ist; vergleiche auch das 1864 erschienene Werk „Der Rechtsstaat" von Otto Bähr, das verdeutlicht, wie ungewöhnlich die Forderung nach Anerkennung subjektiver öffentlicher Rechte der Untertanen gegen die Obrigkeit in der damaligen Zeit noch war. Bähr spricht sich vehement für eine Bejahung derartiger Rechte, freilich nur gegenüber der Exekutive, und für die Einführung eines Rechtsschutzes gegen Hoheitsakte der Verwaltung aus. 27 Laband, Staatsrecht I, 1. Auflage, S. 149; 4. Auflage, S. 138, dessen Position der Meinung von C. F. v. Gerber ähnelt. Er unterscheidet zusätzlich noch die bürgerlichen Rechte, die die Vorrechte der Einheimischen gegenüber den Fremden bezeichnen. Den Freiheitsrechten und den bürgerlichen Rechten versagt er die Qualität subjektiver Rechte, während er sie für die politischen Rechte bejaht, vergleiche Staatsrecht 1,1. Auflage, S. 149 f., 155 f.; 4. Auflage, S. 138 f., 144 (Im Widerspruch hierzu stehen in der 4. Auflage, S. 307, seine Ausführungen zum Wahlrecht. Dieses soll kein subjektives Recht des einzelnen sein. In der 1. Auflage, S. 547, spricht er dagegen noch vom subjektiven Recht des einzelnen Wahlberechtigten. V. Stengel, VerwArch 3 (1895), S. 177 ff., 185, schließt aus diesem Widerspruch, der damit schon in der 2. Auflage enthalten war, daß Laband auch die politischen Rechte nicht als öffentlich-rechtliche Individualrechte anerkenne und rechnet ihn daher der ablehnenden Auffassung zu. Diese Schlußfolgerung ist indes nicht zwingend, da es noch andere politische Rechte gibt); v. Sarwey, Das öffentliche Recht, S. 102, 415, 423: V. Sarwey nimmt eine
Α. Die Anerkennung des subjektiven öffentlichen Rechts
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Die völlige Verneinung subjektiver öffentlicher Rechte des einzelnen gegen den Staat wurde mit der schrankenlosen Macht des Staates gegenüber den Staatsangehörigen begründet. Das objektive Recht (als Grundlage jeden subjektiven Rechts) sei Ausdruck des Willens des Staates und könne daher den Staat nicht selbst verpflichten. 29 Gegen die Annahme eines subjektiven öffentlichen Rechts spreche ferner, daß der Staat mangels einer ihm übergeordneten Rechtsordnung jederzeit in der Lage sei, dieses Recht und damit seine Verpflichtung durch Gesetz aufzuheben. 3 0 M i t dieser Argumentation wird der Rechtscharakter des öffentlichen Rechts überhaupt 31 und darüber hinaus der Rechtsstaat als solcher in Frage gestellt. Teilweise wird ersteres erkannt und versucht, das Ergebnis dadurch zu vermeiden, daß eine subjektive Berechtigung oder Verpflichtung des einzelnen Staatsorgans gegenüber den Staatsunterworfenen konstruiert wird. 3 2 Die Argumente führten bei konsequenter Anwendung auch dazu, subjektive Privatrechte der einzelnen gegen den Staat zu verneinen. Der Staat hat auch die Macht, diese Rechte nach Belieben aufzuheben. 33 Diese Konsequenz wird auch tatsächlich von C. Bornhak 34 und B. Schmidt 35 gezogen. Schwierigkeiten bereitet dieser Meinung die Tatsache, daß für vermögensrechtliche Ansprüche einzelner gegen den Staat in seiner Eigenschaft als Privatmann (sog. Fiskus) der Rechtsweg vor den ordentlichen Gerichten
eigentümliche Einteilung der Rechte nach den verfolgten Interessen, Vermögensinteressen oder ideale Interessen, vor. Subjektive öffentliche Rechte zur Verfolgung idealer Interessen, zu denen ein Großteil der heute durch die Grundrechte geschützten Freiheiten zählt, sind nach seiner Meinung im Zweifel nicht gegeben; vergleiche S. 423; auf der Linie von Laband, Seydel, Staatsrecht I, S. 299-302, 576; Seydel/Piloty, Staatsrecht I, S. 171 -173,406; Zorn, Staatsrecht I, S. 370-372 (Stier-Somlo zählt Laband, Seydel und Zorn zu der ablehnenden Auffassung, vergleiche Preußisches Staatsrecht II, S. 23; Deutsches Staatsrecht I, S. 431. Im Hinblick auf Seydel ist dies eindeutig falsch, auch Zorn gehört wohl nicht zur völlig verneinenden Meinung, bei Laband läßt sich aufgrund der Widersprüche streiten). 28 Dantscher von Kollesberg, Politische Rechte I, S. 79; Loening, Verwaltungsrecht, S. 11 13; Mayer, F. F., Verwaltungsrecht, S. 438-440; Meyer, G., Staatsrecht, S. 560; ders., Verwaltungsrecht I, S. 33, 36-39, 46, 48, 55-58, 81, 90f., 93f., 96f., 118, 147, 173f., 201, 220, 222, 262, 323f., 327f., 367f., 391,400,417,446f., 449, 519f., 532, 534, 542, 546; Schulze, Deutsches Staatsrecht I, S. 364-369; ders., Preußisches Staatsrecht I, S. 365-370; v. Rönne, Deutsches Staatsrecht I, S. 95 f., 106-108 (allgemein), S. 108 -194 (einzelne Rechte) - dazu im Widerspruch stehen seine Ausführungen im Preußischen Staatsrecht III, S. 583 f., insbesondere S. 584, Fn. 8, wo er betont, der Staat als solcher könne niemals Verbindlichkeiten gegenüber Privatpersonen haben - ; v. Stengel, VerwArch 3 (1895), S. 177 ff., 193 f. 2 9 Schmidt, B., Der Staat, S. 80-82; Schuppe, Begriff, S. 86-88. 30 Bornhak, Staatsrecht 1,2. Auflage, S. 285; ders., Grundriß, 1. Auflage, S. 44 und 7. Auflage, S. 53; Kloeppel, Gesetz, S. 102-104; Köhler, Prozeß, S. 16; Schmidt, B., Der Staat, S. 81 f.; Seligmann, Staatsverträge, S. 17.
31 So bereits Stier-Somlo, Preußisches Staatsrecht II, S. 23. 32 Schmidt, B., Der Staat, S. 95. 33 Kritisch in diesem Sinne auch v. Stengel, VerwArch 3 (1895), S. 177ff., 192f. 34 Bornhak, Staatsrecht II, 1. Auflage, S. 415, 462 f.; bestätigt in der 2. Auflage, S. 447, wo allerdings die ganz eindeutigen Aussagen aus der 1. Auflage fehlen. 35 Schmidt, B., Der Staat, S. 86-88.
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2. Teil: Das subjektive öffentliche Recht
eröffnet war und das Wesen der Zivilgerichtsbarkeit in der Entscheidung über streitige Rechte und Pflichten Privater, also über subjektive Rechte, gesehen wurde.36 B. Schmidt setzt sich hiermit nicht auseinander, dagegen erkennt C. Bornhak dieses Problem. Er löst es dadurch, daß er Streitigkeiten zwischen Privaten und dem Staat als Fiskus als materiell öffentlich-rechtliche Streitigkeiten qualifiziert, die nur aufgrund einer Rechtsfiktion dem Privatrecht unterfallen. 37 Damit ist nach der von ihm zum Charakter der Verwaltungsgerichtsbarkeit vertretenen Anschauung Gegenstand dieser Rechtsstreitigkeiten nicht die Durchsetzung privater subjektiver Rechte, sondern die Verwirklichung des objektiven Rechts.38 Soweit man, mit der damals herrschenden Meinung39, subjektive Privatrechte der einzelnen gegen den Staat als Fiskus bejahte, subjektive öffentliche Individualrechte aber ablehnte,40 ist der Widerspruch dagegen offenbar. Er ließe sich nur durch eine Spaltung des Staates in zwei selbständige Rechtssubjekte vermeiden: zum einen in den Staat als Fiskus, zum anderen in den Staat als Hoheitsträger. Dieser strenge Dualismus wurde teilweise vertreten. Der Fiskus war nach dieser Lehre juristische Person des Privatrechts neben dem Staat als weiterer Rechtspersönlichkeit.41 Unabhängig von der rechtlichen Qualifikation des Fiskus wurde überwiegend angenommen, er stehe wie jeder andere Private unter dem Staat als Hoheitsträger und sei damit dem Zivilrecht und der Zivilrechtspflege im Gegensatz zum eigentlichen Staat unterworfen. 42 Durch die Konstruktion von zwei getrennten Rechtssubjekten war es daher widerspruchsfrei möglich, eine Bindung des Fiskus gegenüber einzelnen zu bejahen, jegliche öffentlich-rechtliche Bindung des Staates aber zu verneinen. Als weiterer Grund für die Ablehnung subjektiver öffentlicher Rechte der Individuen wurde ins Feld geführt, das öffentliche Recht und die Rechtskontrolle desselben diene dem Allgemeininteresse, nicht einem Individualinteresse.43 36 Bornhak, Staatsrecht II, 1. Auflage, S. 414f., 462f.; 2. Auflage, S. 446, 499; Loening, Verwaltungsrecht, S. 779,797. 37 Bornhak, Staatsrecht II, 1. Auflage, S. 463; 2. Auflage, S. 492f., 499. 38 Bornhak, Staatsrecht II, 1. Auflage, S. 415; 2. Auflage, S. 449f. 39 Loening, Verwaltungsrecht, S. 779, 797; Mayer, F. F., Verwaltungsrecht, S. 16, 21; Meyer, G., Verwaltungsrecht I, S. 6; v. Rönne, Preußisches Staatsrecht III, S. 583 f.; v. Sarwey, Das öffentliche Recht, S. 298; v. Seydel, Staatsrecht II, S. 371; Seydel/Graßmann, Staatsrecht II, S. 2 - 4 ; Stahl, Philosphie II 2, S. 454. 40 So Schuppe, Begriff, S. 83 f. 41 V. Rönne, Preußisches Staatsrecht III, S. 583 f.; Stahl, Philosophie II 2, S. 454; den Dualismus leicht abschwächend (besteht nur dem Individuum gegenüber) Hatschek, VerwArch 7 (1899), S. 424 ff., 428,456,467, und passim, modifizierend insbesondere S. 445,463 f.; ders., Verwaltungsrecht, S. 40; vergleiche auch die Nachweise bei Bernatzik, AöR 5 (1890), S. 169 ff., 182, betreffend zivilrechtliche Vertreter dieser Ansicht. 42 Hatschek, VerwArch 7 (1899), S. 424ff., 428 f.; Mayer, F. F., Verwaltungsrecht, S. 14, 16; Meyer, G., Verwaltungsrecht I, S. 6; v. Rönne, Preußisches Staatsrecht III, S. 583; etwas anders Haenel, Staatsrecht I, S. 161, der den Staat in fiskalischen Angelegenheiten zwar dem Privatrecht unterwirft, die Vorstellung vom Staat als Privatmann aber ablehnt; ähnlich v. Seydel, Staatsrecht I, S. 371, der sich ebenfalls kritisch mit der Figur des Fiskus auseinandersetzt.
Α. Die Anerkennung des subjektiven öffentlichen Rechts
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Den Durchbruch in der Wissenschaft zugunsten des subjektiven öffentlichen Rechts brachten gegen Ende des 19. Jahrhunderts die Werke von G. Jellinek44 und O. Mayer 45 Zwar gab es bereits davor, wie dargestellt, neben C. F. von Gerber einige weitere Staats- und Verwaltungsrechtler, die von der Existenz subjektiver öffentlicher Rechte ausgingen,46 sie konnten sich aber, trotz teilweise sehr eingehender Befassung, 47 gegenüber der gegenteiligen Auffassung nicht durchsetzen. Die Werke von G. Jellinek und O. Mayer bilden die Zäsur. Ab dieser Zeit kann die Möglichkeit des Bestehens subjektiver öffentlicher Rechte auch in der Theorie als überwiegend anerkannt gelten.48 Über Inhalt und Umfang subjektiver öffentlicher Rechte bestanden aber noch sehr unterschiedliche Ansichten. Subjektive öffentliche Rechte gegenüber dem Gesetzgeber, auch Abwehrrechte, waren für die ganz überwiegende Mehrheit unvorstellbar.49 Als Begründung lebten die Argumente auf, die vorher den Gegnern subjektiver öffentlicher Rechte zur Leugnung subjektiver öffentlicher Rechte überhaupt dienten. Insbesondere berief man sich auf die dem einzelnen gegenüber unbegrenzte Souveränität des Staates, allerdings mit der Modifikation, daß man den Staat nun in seine Funktionen unterteilte. Die gesetzgebende Gewalt als höchste Gewalt sei der von ihr gesetzten Rechtsordnung nicht unterworfen, eine ihr übergeordnete Macht zugunsten des einzelnen Staatsangehörigen bestehe nicht.50 Rechtsprechung und Verwaltung als weitere staatliche Funktionen stünden aber unter dem staatlichen Recht.51 Hintergrund dieser Haltung ist, 43 Gneist, Rechtsstaat, S. 270 f. 44 System der subjektiven öffentlichen Rechte (Die 1. Auflage erschien 1892). 45 Deutsches Verwaltungsrecht, 2 Bände (Die 1. Auflage erschien 1895 und 1896). 46 Die oben in Fn. 27 und 28 Genannten. 47 Dies gilt für die Werke von v. Sarwey und F. F. Mayer. Loening beklagt die geringe Beachtung, die die Darstellung von F. F. Mayer gefunden hat. Er führt dies auf dessen „überaus unbeholfene und schwerverständliche Schreibweise" zurück; vergleiche Loening, Verwaltungsrecht, S. 24 f. 48 Neben den bereits oben im Text beziehungsweise in den Fn. 27 und 28 Erwähnten: Anschütz, Preußische Verfassungsurkunde, S. 92 f.; Bühler, Öffentliche Rechte, S. 1; Fleiner, Institutionen, S. 58, 172, 176f., 256, 381; Hatschek, Staatsrecht I, S. 169f.; Helfritz, Staatsrecht, S. 6, 9, 28-30; Kelsen, Hauptprobleme, S. 660 - 663; ders., Staatslehre, S. 152-154; Stier-Somlo, Preußisches Staatsrecht II, S. 22f.; ders., Deutsches Staatsrecht I, S. 430f.; Tezner, Zeitschrift für das Privat- und öffentliche Recht der Gegenwart, Band 21, S. 107 ff.; Thoma, HdbDStR II, S. 607 ff., 608 f. mit weiteren Nachweisen. 49 Anschütz, Preußische Verfassungsurkunde, S. 94, 96; ders., Kohlers Enzyklopädie, S. 1 ff., 88,90; Bähr, Rechtsstaat, S. 50; Bühler, Öffentliche Rechte, S. 21, 224 (die Beschränkung ergibt sich zwingend bereits aus seiner Definition); Dantscher von Kollesberg, Politische Rechte I, S. 84; v. Gerber, C. F., Staatsrecht, S. 207; Jellinek, G., System, S. 80f., 97; Schulze, Deutsches Staatsrecht I, S. 369; Stahl, Philosophie II 2, S. 458, 468 mit weiteren Nachweisen; v. Stengel, VerwArch 3 (1895), S. 177 ff., 192; Stier-Somlo, Preußisches Staatsrecht II, S. 22 f.; Tezner, Zeitschrift für das Privat- und öffentliche Recht der Gegenwart, Band 21 (1894), S. 107 ff., 163. 50 Diese Formulierung wurde gewählt, weil im Völkerrecht teilweise eine dem Staat übergeordnete Rechtsordnung anerkannt wurde. Diese äußert aber dem einzelnen gegenüber keine Wirkung.
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2. Teil: Das subjektive öffentliche Recht
daß im Konstitutionalismus eine vom Gesetzgeber zu unterscheidende höherstehende verfassungsgebende Gewalt nicht anerkannt wurde, es also gegenüber der Legislative an bindendem höherrangigem Recht fehlte. 52 Ein weiteres Argument gegen subjektive öffentliche Rechte gegen den Gesetzgeber war, daß subjektive Rechte die Durchsetzung individueller Interessen zum Ziel hätten, die Gesetzgebung aber im Allgemeininteresse erfolge. Es sei daher nicht möglich, daß die gesetzgebende Gewalt durch individuelle Ansprüche verpflichtet werde. 53
2. Der Streit um die Subjektivität der Freiheitsrechte Hatten die Befürworter subjektiver öffentlicher Rechte des einzelnen gegen den Staat in Gestalt der Exekutive und Judikative um die Wende zum 20. Jahrhundert die Oberhand gewonnen, so spalteten sie sich, was die subjektiv-rechtliche Qualität der Grundrechte, richtiger der Freiheitsrechte, 54 betraf, in zwei gegensätzliche
Bähr, Rechtsstaat, S. 50; Stahl, Philosophie II 2, S. 468; v. Stengel, VerwArch 3 (1895), S. 77 ff., 192 f.; Tezner, Zeitschrift für das Privat- und öffentliche Recht der Gegenwart, Band 21 (1894), S. 107 ff., 163 f. 52 Dazu Scheuner, in: FS E. R. Huber, S. 147, 164f.; Wahl, Der Staat 18 (1979), S. 321 ff., 331 f., Fn. 45. 53 Jellinek, G., System, S. 80 f., 97; in diesem Sinne ist wohl auch v. Gerber, C. F., Staatsrecht, S. 207, zu verstehen. 54 Teilweise wird der folgende Streitstand als spezifisches Problem der in einer Vielzahl der konstitutionellen Verfassungen des 19. Jahrhunderts enthaltenen Freiheitsrechte oder noch allgemeiner als Problem der Grundrechte dargestellt (so Stern, Staatsrecht III/1, S. 514 ff.). Freiheitsrechte enthielten etwa die preußischen Verfassungen vom 5. Dezember 1848 und vom 31. Januar 1850 sowie die Verfassung des Deutschen Reichs vom 28. März 1849. Ferner beinhalteten bereits Anfang des 19. Jahrhunderts zahlreiche Verfassungen deutscher Einzelstaaten wie etwa die Verfassung des Königreichs Bayern vom 26. Mai 1818, die Verfassung des Großherzogtums Baden vom 22. August 1818 und die Verfassung des Königreichs Württemberg vom 28. September 1819 die Garantie bestimmter Freiheiten der Untertanen. Die Verengung des Streitstandes auf die verfassungsrechtlich gewährten Freiheiten ist aber nicht gerechtfertigt. Diese werden zwar häufig zum Anlaß genommen, um zu diesem Streit Stellung zu beziehen, der Streit beschränkt sich aber nicht auf diese. Der Begriff „Grundrechte" wurde in der damaligen Literatur uneinheitlich verwendet und stimmte jedenfalls nicht mit dem heutigen juristischen Sprachgebrauch überein. Von einigen wurden mit Grundrechten die als Freiheiten der Untertanen beziehungsweise Staatsbürger formulierten Vorschriften der verschiedenen konstitutionellen Verfassungen, von anderen (ζ. B. Gierke, Jahrbuch 7 (1883), S. 1097 ff., 1134; Giese, Grundrechte, S. 23) aber auch die (nur) reichsgesetzlich verbürgten Freiheiten bezeichnet. Häufig wurden die Begriffe Grundrechte/Freiheitsrechte abwechselnd oder zusammen gebraucht (Laband, Staatsrecht 1,1. Auflage, S. 149; 4. Auflage, S. 138; v. Seydel, Grundzüge, S. 49; v. Stengel, VerwArch 3 (1895), S. 177 ff., 194,197 f.). Teilweise wird der Begriff widersprüchlich verwendet (Giese benutzt die Begriffe Grundrechte/Freiheitsrechte teils synonym, so Grundrechte, S. 6, 60; teils muß man den Begriff Grundrechte als Oberbegriff ansehen, so in seinem IV. Abschnitt, wo er die Grundrechte in Schutz- und Freiheitsrechte unterteilt, Grundrechte, S. 94 ff.). Auf weitere Varianten soll nicht eingegangen werden. Wichtig ist, daß mit dem Begriff Grundrechte immer Frei-
Α. Die Anerkennung des subjektiven öffentlichen Rechts
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Lager. Die einen sahen in ihnen trotz der eindeutig individualistischen Formulierung nur objektive Rechtssätze, die der Begrenzung der staatlichen Gewalt dienten. 5 5 Die anderen stimmten in diesem Punkt überein, betrachteten die Freiheitsrechte aber darüber hinaus auch als subjektive öffentliche Rechte der einzelnen gegen den Staat. 56 Als einer der bedeutendsten Vertreter der ablehnenden Auffassung führte P. Laband unter Berufung auf C. F. von Gerber aus: „Die Freiheitsrechte oder Grundrechte sind Normen für die Staatsgewalt, welche dieselbe sich selbst giebt, sie bilden Schranken für die Machtbefugnisse der Behörden, sie sichern dem Einzelnen seine natürliche Handlungsfreiheit in bestimmtem Umfange, aber sie begründen nicht subjective Rechte der Staatsbürger. Sie sind keine Rechte, denn sie haben kein Object." 57 Die Argumentation gipfelte in dem Spott, man könne dann auch ein Freiheitsrecht „Wechsel zu trassieren, zu domizilieren und zu indossieren" 58 oder ein Grundrecht „zu essen oder zu trinken" 59 , „zu atmen, spazieren zu gehen
heitsrechte gemeint waren und die Argumentation pro und contra des subjektiv-rechtlichen Charakters dieser Rechte für alle Freiheitsrechte zutrifft, eine Beschränkung des Streitgegenstandes auf die Freiheitsrechte der Verfassung daher nicht zutreffend ist (so auch Anschütz, Kohlers Enzyklopädie, S. 1 ff., 90; Bühler, Öffentliche Rechte, S. 61, zum Begriffsverständnis S. 62, Fn. 79). Ob der Gleichheitsgrundsatz der individuellen Freiheitssphäre zugerechnet und damit vom Streit erfaßt wurde, läßt sich aufgrund der sehr allgemein gehaltenen Ausführungen nicht ermitteln. Es sprechen sowohl Anhaltspunkte dafür, als auch dagegen. Als Beispiel möge Anschütz dienen. Während er in Kohlers Enzyklopädie, S. 1 ff., 89, den Gleichheitsgrundsatz der preußischen Verfassung vom 31. Januar 1850 in Zusammenhang mit der Freiheitssphäre nennt, fehlt der entsprechende Artikel (Art. 4) bei seiner diesbezüglichen Aufzählung in seinem Kommentar zur Preußischen Verfassungsurkunde, Preußische Verfassungsurkunde, S. 96. 55 V. Gerber, C. F., Öffentliche Rechte, S. 65; ders., Staatsrecht, S. 34, 38; Giese, Grundrechte, S. 73, 75; Haenel, Staatsrecht I, S. 356; Laband, Staatsrecht I, 1. Auflage, S. 149; 4. Auflage, S. 138; v. Seydel, Grundzüge, S. 48-50; ders., Staatsrecht I, S. 301; Seydel/Piloty, Staatsrecht I, S. 173; in der Weimarer Zeit: Kelsen, Staatslehre, S. 154; Mayer, O., Verwaltungsrecht I, S. 107 f. 56 Anschütz, Preußische Verfassungsurkunde, S. 94, 96 f., 101; ders., Kohlers Enzyklopädie, S. 89f.; Arndt, Verfassungsurkunde, S. 62; Bühler, Öffentliche Rechte, S. 65, 129; Dantscher von Kollesberg, Politische Rechte II, S. 54-57; Gierke, Jahrbuch 7 (1883), S. 1097ff., 1132-1134; Hubrich, Staatsrecht, S. 181 f.; Jellinek, G., System, S. 105; Loening, Verwaltungsrecht, S. 11-13; Mayer, F. F., Verwaltungsrecht, S. 7, 24, 439; Meyer, G., Staatsrecht, 5. 560; Meyer/Anschütz, Staatsrecht, S. 955; v. Roenne, Preußisches Staatsrecht II 2, S. 37; Schulze, Deutsches Staatsrecht I, S. 366f., 369; ders., Preußisches Staatsrecht I, S. 366 f.; v. Stengel, VerwArch 3 (1895), S. 177ff., 193-198; Stier-Somlo, Preußisches Staatsrecht II, S. 27; Tezner, Zeitschrift für das gesamte Privat- und öffentliche Recht der Gegenwart, Band 21 (1894), S. 107ff., 134-138; in der Weimarer Zeit: Fleiner, Institutionen, S. 177f.; Hatschek, Staatsrecht I, S. 185; Helfritz, Staatsrecht, S. 30; Stier-Somlo, Deutsches Staatsrecht I, S. 437; Thoma, HdbDStR II, S. 607 ff., 619-621. 57 Staatsrecht I, 1. Auflage, S. 149; 4. Auflage, S. 138. 58 Laband, Staatsrecht I, 1. Auflage, S. 149f., Fn. 2; ähnlich ders., 4. Auflage, S. 138, Fn. 2. 59 V. Seydel, Grundzüge, S. 49.
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2. Teil: Das subjektive öffentliche Recht
usw."60 anerkennen. Diese Sätze kennzeichnen die Hauptlinie der Argumentation gegen die Einordnung der Freiheitsrechte in die Reihe der subjektiven Rechte.61 Dabei bleibt allerdings im Dunkeln, was P. Laband mit dem fehlenden Objekt der Freiheitsrechte ausdrücken wollte. Die Schwierigkeiten bei der Zuordnung der Freiheitsrechte erscheinen aus heutiger Sicht unverständlich. Sicher, es handelt sich bei den Freiheitsrechten um Rechte, die auf Unterlassung zielen und nicht auf eine Leistung gerichtet sind, aber Unterlassungsrechte waren aus dem Privatrecht bekannt. Der negative Inhalt der Rechte kann daher nicht die Ursache der Problematik sein.62 Die überzeugendste Erklärung liefert H. Kelsen. Sie könnte auch die Deutung des Satzes von P. Laband sein.63 Die einzelnen Freiheitsrechte sind nach seiner Ansicht lediglich spezifische Ausprägungen der Freiheit, die den rechtlich nicht gebundenen Bereich des einzelnen, seine rechtsfreie Sphäre,64 bezeichnet. Eine rechtsfreie Sphäre kann aber logisch nicht als Recht begriffen und auch nicht in Einzelrechte zerlegt werden.65 Dies klingt in Begründungen an wie „denn im Grunde genommen sind diese sämmtlichen Rechte und Freiheiten nur Ausdrücke des sehr bekannten Satzes, daß Alles erlaubt ist, was rechtlich nicht verboten ist". 66 Auch bei denjenigen, die die Freiheitsrechte als Individualrechte ansehen, dringt diese Vorstellung einer von der Rechtsordnung nicht berührten Sphäre in der Begründung teilweise durch.67 So wird betont, daß das subjektive Recht nicht in der Freiheit zur Vornahme bestimmter Handlungen liegen könne, Betätigungen der natürlichen Handlungsfreiheit seien rechtlich irrelevant. Das Individualrecht bestehe in dem Anspruch auf Anerkennung der durch die Freiheitsrechte definierten staatsfreien Sphäre des einzelnen und den daraus folgenden Unterlassungs- und Beseiti60 Kelsen, Staatslehre, S. 154. 61 Außer Betracht bleiben hier Begründungen, die die Annahme subjektiver Rechte deshalb ablehnten, weil sie in bestimmten „Grundrechten" nur Programmsätze oder ausschließlich objektives Recht sahen. Diese Auffassung wurde für die Grundrechte der Preußischen Verfassung vom 31.01.1850 und für die Verfassung des Deutschen Reiches vom 11.08.1919 vertreten; der Streit über die Subjektivität der Freiheitsrechte geht aber, wie oben in Fn. 54 dargelegt, darüber hinaus. 62
Dies vermutet aber Bühler, Öffentliche Rechte, S. 63. Zu anderen Interpretationen, Stern, Staatsrecht III /1, S. 516 f. 64 Diese rechtsfreie Sphäre wird von anderen mit dem Begriff natürliche Handlungsfreiheit belegt (Laband, Staatsrecht I, 1. Auflage, S. 149; 4. Auflage, S. 138; Meyer/Anschütz, Staatsrecht, S. 954). Dieser Begriff wurzelt noch im Naturrecht. Er geht davon aus, daß es eine angeborene, außerhalb der staatlichen Rechtsordnung stehende Freiheitssphäre des einzelnen gibt; vergleiche Tezner, Zeitschrift für das Privat- und öffentliche Recht der Gegenwart, Band 21 (1894), S. 107 ff., 136 f. 65 Kelsen, Staatslehre, S. 154. 66 So v. Seydel, Grundzüge, S. 49. 67 V. Stengel kritisiert dies zutreffend als „Reminiszenz an das Naturrecht", VerwArch 3 (1895), S. 177 ff., 196; ebenso Tezner, Zeitschrift für das Privat- und öffentliche Recht der Gegenwart, Band 21 (1894), S. 107 ff., 136 f. 63
Α. Die Anerkennung des subjektiven öffentlichen Rechts
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gungsrechten.68 Da das durch die Freiheitsrechte verkörperte subjektive Recht in dem Anspruch auf Anerkennung der staatsfreien Individualsphäre beziehungsweise in dem Recht auf Unterlassung gesetzwidrigen Zwangs gesehen wird, ist es nur konsequent, daß die Mehrzahl dieser Autoren den einzelnen Freiheitsrechten die Bedeutung abspricht und nur ein Grundrecht annimmt.69 Diesem Kreis ist auch G. Jellinek zuzurechnen, der den durch die Freiheitsrechte gesicherten Kreis der Handlungsmöglichkeiten im Rahmen seiner Statuslehre als negativen Status kennzeichnet, dem als subjektives Recht ein Anspruch auf Anerkennung dieses Status entspringt.70 Neu an seiner Auffassung ist daher nur die Begriffsschöpfung des negativen Status als Bezeichnung des staatsfreien Handlungsspielraums des einzelnen. Bei näherer Untersuchung der Kontroverse um die Qualifikation der Freiheitsrechte erweist sich, daß sie teilweise lediglich terminologischer Natur ist, was nicht verwundert, da der Begriff des subjektiven Rechts nicht feststand.71 R Laband kann sich zwar hinsichtlich seiner Meinung auf die oben an anderer Stelle72 wiedergegebenen Aussagen C. F. von Gerbers zum Charakter der Grundrechte beziehen, der Bezug ist aber unvollständig. Im unmittelbaren Anschluß an die Verneinung der subjektiv-rechtlichen Natur der Freiheitsrechte führt C. F. von Gerber aus: »für den Einzelnen haben sie lediglich die Wirkung, daß sie unter Voraussetzung eines bestimmten Thatbestandes eine Berechtigung (ein Recht im subjektiven Sinne) erzeugen, ζ. B. das Recht auf Zurücknahme einer Verfügung." 73 Das gestehen auch O. Mayer 74 und M. von Seydel75 zu. Hier geht es also letztlich um die rein begriffliche Frage, worin das subjektive Recht zu sehen ist: in den einzelnen Freiheitsrechten selbst und in den aus ihnen bei Verletzung oder drohender Verletzung der Freiheit folgenden Abwehrrechten oder nur in letzteren. In dieser Frage bestand aber, wie oben aufgezeigt, auch bei den Autoren, die die subjektive Natur der Freiheitsrechte bejahten, Unsicherheit. Da die naturrechtliche Vorstellung einer angeborenen, außerrechtlichen und unbegrenzten Freiheit heute überwunden ist, Freiheit in einer staatlichen Gemeinschaft nur rechtlich anerkannte und begrenzte 68 Anschütz, Kohlers Enzyklopädie, S. Iff., 90; Gierke, Jahrbuch 7 (1883), S. 1097ff., 1133; Loening, Verwaltungsrecht, S. 12; ähnlich Mayer, F. F., Verwaltungsrecht, S. 23 f., der in deutlicher Anlehnung an die Naturrechtslehre von „vorweg bestehenden Individualrechten" spricht; Meyer, G., Staatsrecht, S. 560. 69 Anschütz, Kohlers Enzyklopädie, S. Iff., 90; Gierke, Jahrbuch 7 (1883), S. 1097ff., 1133 f.; Loening, Verwaltungsrecht, S. 13; unklar Meyer, G., Staatsrecht, S. 560. 70 Jellinek, G., System, S. 94 ff., 105. 71 Zur Begriffsbestimmung siehe unten S. 38 ff. Giese ist dennoch der einzige, der zuerst den Begriff des subjektiven öffentlichen Rechts festlegt, Grundrechte, S. 70, um dann anhand seiner Definition die subjektive Natur der Grundrechte abzulehnen, Grundrechte, S. 70-74. 72 Siehe S. 23. 73 V. Gerber, C. F., Öffentliche Rechte, S. 65 f. 74 Mayer, O., Verwaltungsrecht I, S. 108, Fn. 10. 75 V. Seydel, Grundzüge, S. 50.
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2. Teil: Das subjektive öffentliche Recht
Freiheit sein kann,76 ist der Schluß von den Beseitigungs- und Unterlassungsansprüchen auf ein zugrundeliegendes subjektives Recht zwingend.77 Praktisch war dieser Streit bereits damals bedeutungslos, da beide Auffassungen zu dem Ergebnis gelangten, daß der einzelne auf der Basis der gewährleisteten Freiheitsrechte rechtswidrige Eingriffe der verwaltenden und rechtsprechenden Staatsgewalt verhindern könne. Diejenigen, die die Freiheitsrechte ausschließlich als objektive Rechtssätze mit keinerlei Auswirkungen auf die subjektiv-rechtliche Position des einzelnen betrachteten, waren daher in Wirklichkeit zahlenmäßig zu vernachlässigen.78 Zuzugeben ist der ablehnenden Haltung, daß theoretisch unzählige Freiheitsrechte denkbar sind und der konkrete Bestand an Freiheitsrechten in den verschiedenen Staaten von geschichtlichen Begebenheiten abhängt. So leuchtet unmittelbar ein, daß insbesondere diejenigen Freiheiten, die in der Vergangenheit Beschränkungen durch die Staatsgewalt unterlagen, eine rechtliche Anerkennung erfahren. Der Katalog der Freiheitsrechte ist daher nicht feststehend und von Staat zu Staat verschieden. Daraus läßt sich aber kein Einwand gegen die Charakterisierung der rechtlich garantierten Freiheiten als Individualrechte herleiten. Es läßt sich als Ergebnis festhalten, daß die subjektive Qualität der Freiheitsrechte Anfang des 20. Jahrhunderts ebenfalls überwiegend anerkannt war. Von einer heftigen Kontroverse oder einem lebhaften Streit, der von einigen konstatiert wird, 79 kann eigentlich nicht gesprochen werden. Dem Inhalt nach bezieht sich diese Anerkennung mangels Bejahung des Vorrangs der Verfassung selbst bei einer verfassungsrechtlichen Verbürgung des Freiheitsrechts auf die Funktion als Abwehrrecht gegen Eingriffe der Verwaltung und der Rechtsprechung.
I I . Keine Umwälzungen in der Weimarer Zeit Die weitere Entwicklung des subjektiven öffentlichen Rechts unter der Weimarer Reichsverfassung ist durch Kontinuität gekennzeichnet. Das subjektive öffentliche Recht wird zum festen Bestandteil der Rechtsdogmatik.80 Spektakuläre Fort76 Grabitz, Freiheit, S. 139 ff.; Steinbeiß-Winkelmann, Freiheit, S. 35 f. 7 7 Diesen Schluß ziehen bereits Anschütz in: Meyer/Anschütz, Staatsrecht, S. 955, Fn. 4; Dänischer v. Kollesberg, Politische Rechte II, S. 55; Loening, Verwaltungsrecht, S. 13; v. Stengel, VerwArch 3 (1895), S. 177 ff., 193-195, 197; wohl auch Schulze, Deutsches Staatsrecht I, S. 367; ders., Preußisches Staatsrecht, S. 366 f. 78 Es verbleiben Giese, Laband, Haenel und Kelsen. Giese, Grundrechte, S. 29 f., rechnet noch Zorn zur ablehnenden Auffassung und bezieht sich dafür auf dessen Aussagen in Staatsrecht I, S. 371. Dem kann nicht zugestimmt werden. Zorn führt an der angegebenen Stelle aus, daß der Begriff „Grundrechte" nicht feststehe und deshalb „einen bequemen Deckmantel für eine wunderliche Mischung von wirklichen Rechten und von politischen - mehr oder weniger gerechtfertigten - Wünschen" biete. Er erkennt also ausdrücklich an, daß sich unter der Bezeichnung Grundrechte auch subjektive Rechte befinden. 79 So etwa Bühler, Öffentliche Rechte, S. 61; Helfritz, Staatsrecht, S. 87 (1924!).
Α. Die Anerkennung des subjektiven öffentlichen Rechts
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schritte sind aber nicht zu verzeichnen. Hervorzuheben ist insbesondere, daß sich auch in der Weimarer Zeit der Vorrang der Verfassung nicht durchsetzen konnte. Die Mehrheit hielt an der unbeschränkten Souveränität des Gesetzgebers fest. 81 Damit waren subjektive öffentliche Rechte gegen den Gesetzgeber für die herrschende Meinung weiterhin nicht denkbar, 82 nicht als Abwehrrechte und erst recht nicht als Rechte auf Normerlaß. Neben dem Argument des Fehlens einer übergeordneten Rechtsordnung wurde die Ablehnung auch, wie bereits im Konstitutionalismus, darauf gestützt, daß die Gesetzgebung im Allgemeininteresse und nicht im Individualinteresse erfolge. 83
I I I . Der Rückschritt im Nationalsozialismus Die nationalsozialistische Doktrin und in ihrem Gefolge die Rechtswissenschaft erhoben die völkische Gemeinschaft und das Führerprinzip zu Leitbildern. 84 Die liberale Anschauung von der Rechtsstellung des einzelnen als eigenverantwortlichem und selbstbestimmtem Individuum und die aus dieser Rechtsstellung fließenden subjektiven öffentlichen Rechte gegen den Staat standen im Widerspruch zu diesen Grundsätzen und wurden heftig bekämpft. 85 Der einzelne schlechthin so Helfritz, Staatsrecht, S. 28 ff.; Stier-Somlo, Deutsches Staatsrecht I, S. 430ff.; Thoma, HdbDStR II, S. 607 ff.; vergleiche hierzu auch die Nachweise auf die umfangreiche Literatur zum subjektiven öffentlichen Recht bei Jellinek, W , Verwaltungsrecht, S. 189 f.; zu Einzelheiten Bauer, Hartmut, Grundlagen, S. 84-101. 81 Anschütz, Verfassung, 1. Auflage, S. 136 f.; ders., Verfassung, 14. Auflage, S. 401; Giese, Verfassung, S. 190; Helfritz, Staatsrecht, S. 90; Thoma, HdbDStR II, S. 608 f.; noch weitergehend Bornhak, Grundriß, S. 53, der immer noch jegliche subjektiven öffentlichen Rechte mangels Bindung des Staates ablehnte. 82 Hatschek, Staatsrecht I, S. 186; Helfritz, Staatsrecht, S. 89f.; Stier-Somlo, Deutsches Staatsrecht I, S. 430f.; Thoma, HdbDStR II, S. 607 ff., 609; anderer Ansicht Jellinek, W., Verwaltungsrecht, S. 204. 83 Helfritz, Staatsrecht, S. 90. 84 Brings, Subjektiv-öffentliches Recht, S. 26; Frank, Nationalsozialismus, S. XII, XXIII; Gerber, H., Grundlinien, S. 18, 20; Höhn, Wandlung, S. 7 (Vorwort), 12, 16, 31, 33 f., 42 f.; Koellreutter, Verfassungsrecht, S. 9f.; Kraiss, Subjektives Recht, S. 8, 11; Larenz, Rechtsphilosophie, S. 165 f.; Maunz, ZStW 96 (1936), S. 71 ff., 74; zu den Leitgedanken des Nationalsozialismus vergleiche auch Anderbrügge, Völkisches Rechtsdenken, insbesondere S. 58 ff. und 92 ff. 85 Fischbach, DJZ 1935, Sp. 841 ff., Sp. 844; Frank, Nationalsozialismus, S. XII; Huber, E. R., ZAkDR 1937, S. 323 ff., 323, der sogar behauptet, es entspreche allgemeiner Auffassung, daß der Begriff des subjektiven öffentlichen Rechts im neuen Verwaltungsrecht keinen Platz mehr habe; Koellreutter, Verfassungsrecht, S. 83; ders., Verwaltungsrecht, S. 11 f.; Maunz, ZStW 96 (1936), S. 71 ff., 74f., 96f., 110f.; ders., Verwaltung, S. 51; ders., Grundlagen, S. 28 f., 31; Scheuner, Rechtsstellung, S. 82ff., 83-88; Schönfeld, ZAkDR 1937, S. 107 ff., 107, 110 mit weiteren Nachweisen; selbst im Zivilrecht wurde dem subjektiven Recht die Daseinsberechtigung abgestritten; vergleiche beispielsweise Larenz, Rechtsperson, S. 225 ff., 244 f., 258, 260. 3 Eisele
2. Teil: Das subjektive öffentliche Recht
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hatte keine Rechte gegenüber dem Staat, Bedeutung erlangte er nur als Glied der völkischen Gemeinschaft. 86 Diese Rechtsstellung wurde durch Schlagworte wie ,X>u bist nichts, Dein Volk ist alles"87 und „Gemeinnutz vor Eigennutz"88 plakativ beschrieben. Der Wertewandel spiegelt sich in der Literatur der damaligen Zeit deutlich wider. Eine Extremposition nehmen dabei diejenigen Autoren ein, die sich dem Gedankengut des Nationalsozialismus besonders verbunden fühlten und eine völlige Rechtserneuerung auf ihre Fahnen geschrieben hatten. Sie verbannten den Begriff des subjektiven Rechts des einzelnen und ersetzten ihn durch den Begriff der volksgenössischen Rechtsstellung.89 Diese war gekennzeichnet durch ihre Gemeinschaftsbezogenheit. Sie war Quelle von Pflichten und Rechten, die jeweils mit Rücksicht auf das Gemeinwohl und nicht auf das Individualinteresse zu interpretieren waren. Die Ausübung eines Rechts mußte in Einklang mit den Interessen der Gemeinschaft und in Übereinstimmung mit der nationalsozialistischen Lehre erfolgen. Bei einem Verstoß gegen diesen Grundsatz konnte das Recht sogar verwirkt werden.90 Freiheitsrechte konnten nicht Inhalt der volksgenössischen Rechtsstellung sein, da es sich um individualistische Rechte handelte, die einer Gemeinschaftspersönlichkeit nicht zukommen konnten.91 Das Problem stellte sich allerdings überwiegend nur noch im Hinblick auf einfachgesetzlich gewährleistete Freiheitsrechte. Die Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutz von Volk und Staat
86 Brings, Subjektiv-öffentliches Recht, S. 36 f.; Frank, Nationalsozialismus, S. XIII; Laforet, Verwaltungsrecht, S. 47 f.; Larenz, Rechtsperson, S. 225 ff., 241; Maunz, ZStW 96 (1936), S. 71 ff., 92,96f.; Scheuner, Rechtsstellung, S. 82ff., 82, 84. 87
Kraiss, Subjektives Recht, S. 13. Diese Parole war bereits im Parteiprogramm der NSDAP vom 24. 02. 1920 enthalten und wurde in der rechtswissenschaftlichen Literatur häufig wiederholt; vergleiche ζ. B. Brings, Subjektiv-öffentliches Recht, S. 42; v. Köhler, L., Verwaltungsrecht, S. 225; Kraiss, Subjektives Recht, S. 13; Maunz, Grundlagen, S. 19. Nachweis des Textes des Parteiprogramms bei Feder, Programm, S. 19 ff. 89 Frank, Nationalsozialismus, S. XII f.; Huber, E. R., ZStW 96 (1936), S. 438 ff., 444f.; ders, ZAkDR 1937, S. 323 ff., 323; ders., ZAkDR 1937, S. 366 ff., 366 f; Larenz, Rechtsperson, S. 225 ff., 244f., 258 f.; Maunz, ZStW 96 (1936), S. 71 ff., 96 f.; ders., Verwaltung, S. 52; Scheuner, Rechtsstellung, S. 82 ff., 83-85, 89. Der Begriff „volksgenössische Rechtsstellung" geht auf Huber, E. R., zurück; vergleiche ZStW 96 (1936), S. 438 ff., 443; ZAkDR 1937, S. 323 ff., 323; ZAkDR 1937, S. 366ff., 366 f.; ähnliche Begriffe bei Larenz, Rechtsperson, S. 225 ff., 240: „konkrete Rechtsstellung des Volksgenossen", „Gliedstellung in der Gemeinschaft"; Maunz, ZStW 96 (1936), S. 71 ff., 104: „Gliedpersönlichkeitsstellung"; Scheuner, Rechtsstellung, S. 82 ff., 85, 89: „Rechtsstellung des Volksgenossen als Glied der Gemeinschaft". 88
90 Ausführlich zum Begriffs Verständnis: Huber, E. R., ZStW % (1936), S. 438 ff., 446 f.; auch Larenz, Rechtsperson, S. 225 ff., 244ff.; Maunz, ZStW 96 (1936), S. 71 ff., 103 ff.; Scheuner, Rechtsstellung, S. 82 ff., 89ff.; zur Möglichkeit und den Voraussetzungen der Verwirkung: Huber, E. R., ZAkDR 1937, S. 366 ff., 367-369. 91 Forsthoff, Verwaltung, S. 1, 43; Huber, E. R., ZStW 96 (1936), S. 438 ff., 440, 443; Koellreutter, Verfassungsrecht, S. 83; Maunz, ZStW 96 (1936), S. 71 ff., 110.
Α. Die Anerkennung des subjektiven öffentlichen Rechts
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vom 28. Februar 1933 92 hatte die wichtigsten Freiheitsrechte der Weimarer Reichsverfassung vorläufig außer Kraft gesetzt,93 darüber hinaus hatten nach Ansicht einiger Rechtsgelehrter sämtliche Grundrechte der Verfassung der Weimarer Republik durch die nationalsozialistische Revolution ihre Geltung verloren. 94 Dagegen kamen die Vertreter der Rechtserneuerungsbewegung nicht umhin, einzelne konkrete Berechtigungen im Verwaltungsrecht anzuerkennen, da die Gesetze den einzelnen Rechte einräumten.95 Durch die starke Betonung der Einheit von Pflichten und Rechten, wobei die gemeinschaftsbezogenen Pflichten eindeutig im Vordergrund standen,96 wurde aber eine deutliche Beschränkung der Rechtssphäre des Individuums und ein Machtzuwachs des Staates erreicht. 97 Eine gemäßigtere Meinung hielt dagegen am Begriff des subjektiven öffentlichen Rechts fest. 98 Sie konnte sich zur Rechtfertigung dieser Position vor allem auf die geltenden Gesetze berufen, die zwar selten den Begriff des subjektiven öffentlichen Rechts, dafür aber verwandte Formulierungen wie Anspruch, zustehendes Recht und Befugnis benutzten.99 Inhaltlich läßt sich ein wesentlicher Unterschied zu der oben dargestellten Auffassung aber nicht feststellen, denn auch diese Autoren verstanden den Begriff „zeitbezogen".100 Bei der Bestimmung des Inhalts des subjektiven Rechts wurden genau dieselben nationalsozialistischen Werte, insbesondere der unbedingte Vorrang des Allgemeinwohls nationalsozialistischer Prägung 101 und die im Vordergrund stehende Pflichtgebundenheit des 92 RGBl. I, S. 83. 93 Suspendiert wurden die Art. 114 (Freiheit der Person), 115 (Unverletzlichkeit der Wohnung), 117 (Brief-, Post-, Telegraphen- und Fernsprechgeheimnis), 118 (Meinungsfreiheit), 123 (Versammlungsfreiheit), 124 (Vereinigungsfreiheit) und 153 WRV (Eigentumsfreiheit). 94 So Frank, Nationalsozialismus, S. XII; Gerber, H., Grundlinien, S. 32; Scheuner, Rechtsstellung, S. 82 ff., 89. 95 Huber, E. R., ZAkDR 1937, S. 323 ff., 324f.; ders., ZAkDR 1937, S. 366ff., 366; Maunz, ZStW 96 (1936), S. 71 ff., 96, 104 f.; ders., Verwaltung, S. 52; Scheuner, Rechtsstellung, S. 82 ff., 91. 96 Larenz, Rechtsperson, S. 225 ff., 241, 245, 250; Scheuner, Rechtsstellung, S. 82 ff., 83, 90. 97 Dies betont Huber, E. R., ausdrücklich, ZStW 96 (1936), S. 438 ff., 443. 98 Brings, Subjektiv-öffentliches Recht, S. 1 ff., insbesondere S. 25, 37, 57 f.; Dennewitz, Verwaltungsrecht, S. 91; Hofacker, DJZ 1935, Sp. 723 ff., Sp. 727; Knauth, RVerwBl. 1933, S. 885ff., 887; v. Köhler, L., Verwaltungsrecht, S. 217-221; Köttgen, Verwaltung, S. 191 193; Kraiss, Subjektives Recht, S. 19ff.; Laforet, Verwaltungsrecht, S. 47-54. 99 So Brings, Subjektiv-öffentliches Recht, S. 44-51, der konkrete Beispiele aus der nationalsozialistischen Gesetzgebung anführt; ferner Dennewitz, Verwaltungsrecht, S. 91; Köttgen, Verwaltung, S. 191; Kraiss, Subjektives Recht, S. 23. Dies konstatieren selbst die Gegner des Begriffs, vergleiche Maunz, ZStW 96 (1936), S. 71 ff., 92f. 100 Instruktiv zum Postulat der Auslegung und Anwendung der Gesetze im nationalsozialistischen Sinn, Schmitt, JW 1934, S. 713ff., 716f. »oi Brings, Subjektiv-öffentliches Recht, S. 35 f., 36 ff., der den Begriff des „gemeinschaftsgebundenen subjektiv-öffentlichen Rechts" einführt; Dennewitz, Verwaltungsrecht, 3*
2. Teil: Das subjektive öffentliche Recht
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Rechts102, herangezogen, so daß letztlich von der ursprünglichen Bedeutung des Begriffs nichts mehr als der Begriff selbst übrig blieb. Freiheitsrechte im ursprünglich verstandenen Sinn lehnte auch diese Meinung als unvereinbar mit der Staatsauffassung ab. 103 In der Rechtsprechung wurde der Schulterschluß mit der nationalsozialistischen Ideologie nicht so schnell vollzogen. T. Maunz beklagte in einem 1936 erschienenen Aufsatz, daß die Praxis „weithin noch mit den überlieferten Vorstellungen und der altbekannten Terminologie arbeite." 104 Entsprechend euphorisch wurde von der Wissenschaft 105 daher eine Entscheidung des sächsischen Oberverwaltungsgerichts 106 aufgenommen, die dem neuen Geist entsprach. In dieser Entscheidung betonte das Gericht, daß das Wesen der öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten nicht im Schutz subjektiver öffentlicher Rechte zu sehen sei, sondern in der Rechts Wahrung im Interesse der Volksgemeinschaft. 107 Ferner erhob es die Auslegung der Gesetze im Sinne der nationalsozialistischen Weltanschauung, wie sie in § 1 des Steueranpassungsgesetzes vom 16. Oktober 1934 108 für das Gebiet des Steuerrechts vorgeschrieben worden war, zum allgemeinen Rechtsgrundsatz, der für alle Rechtsgebiete Geltung beanspruche.109 Die obige Situationsbeschreibung des subjektiven öffentlichen Rechts im Nationalsozialismus erhellt, daß das subjektive öffentliche Recht, das sich in der Weimarer Zeit weiter befestigt hatte und zu den wichtigsten Grundbegriffen der Rechtswissenschaft gehörte, 110 im Dritten Reich, soweit der Begriff überhaupt beibehalten wurde, aufgrund des tiefgreifenden inhaltlichen Wandels seine zentrale Stellung verlor und in der Bedeutungslosigkeit versank.
S. 91 f.; v. Köhler, L., Verwaltungsrecht, S. 225 f.; Köttgen, Verwaltung, S. 188 f.; Kraiss, Subjektives Recht, S. 14 f., 18; Laforet, Verwaltungsrecht, S. 46 f. 102 Brings, Subjektiv-öffentliches Recht, S. 36, 57; Dennewitz, Verwaltungsrecht, S. 91 f.; Laforet, Verwaltungsrecht, S. 47 f. 103 Brings, Subjektiv-öffentliches Recht, S. 36f.; v. Köhler, L., Verwaltungsrecht, S. 225; Köttgen, Verwaltung, S. 191; Kraiss, Subjektives Recht, S. 19; Laforet, Verwaltungsrecht, S. 46. 104 ZStW 96, S. 71 ff., 99; auch Dennewitz, Verwaltungsrecht, S. 91, führt aus, daß die Verwaltungsrechtsprechung den Begriff des subjektiven Rechts nicht aufgegeben hat. 105 Huber, E. R., ZStW % (1936), S. 438 ff., 451; Maunz, ZStW 96, S. 71 ff., 99. 106 RVerwBl. 1935, S. 117 ff. 107 RVerwBl. 1935, S. 117ff., 117f. los RGBl. I, S. 925. 109 RVerwBl. 1935, S. 117 ff., 118. no Dazu oben S. 32 f.
Α. Die Anerkennung des subjektiven öffentlichen Rechts
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IV. Das subjektive öffentliche Recht in der Gegenwart Heute bezweifelt niemand mehr die Existenz subjektiver öffentlicher Rechte der einzelnen gegen den Staat in allen seinen Funktionen, auch gegenüber dem Gesetzgeber. Der Vorrang der Verfassung und damit die Verfassungsbindung des Gesetzgebers ist ausdrücklich im Grundgesetz in Art. 1 Abs. 3 und Art. 20 Abs. 3 niedergelegt und steht außer Streit. Die Anerkennung der Subjektivität der Grundrechte in ihrer Funktion als Abwehrrechte ist Gemeingut.111 Ansprüche auf Erlaß formeller Gesetze sind aufgrund der Bindung des Gesetzgebers an die Verfassung, und hier insbesondere an die Grundrechte, vorstellbar und werden im Grundsatz bejaht. Die einfachgesetzlichen subjektiven öffentlichen Rechte erleben, forciert durch die Rechtsprechung, die in immer mehr bisher rein objektiv interpretierten Rechtssätzen subjektive Rechte der einzelnen verortet, 112 in jüngster Zeit sogar einen ungeheuren Aufschwung. Damit ist auch bereits der Punkt angesprochen, auf den sich im Hinblick auf einfachgesetzlich begründete subjektive öffentliche Rechte derzeit das Interesse von Wissenschaft und Praxis konzentriert: das immer noch nicht gelöste Problem der Abgrenzung von objektivem Recht, das dem einzelnen nur einen tatsächlichen Vorteil bringt (sogenannter Rechtsreflex), und subjektivem Recht. Daneben wird in der Wissenschaft von Zeit zu Zeit der Begriff des subjektiven öffentlichen Rechts problematisiert, über den nach wie vor keine Einigkeit herrscht. Kennzeichnend für die gegenwärtige Diskussion ist eine Trennung von Grundrechtslehre und Lehre vom subjektiven öffentlichen Recht. Die oben dargestellte Problematik der Abgrenzung von objektivem Recht und subjektivem Recht, aber auch der Begriffsfestlegung, wird auf den Bereich der einfachgesetzlichen subjektiven öffentlichen Rechte verengt, die Grundrechte bleiben ausgespart.113 Diese Spaltung des subjektiven öffentlichen Rechts ist schon deshalb fragwürdig, weil die Grundrechtslehre neben dem abwehrrechtlichen Gehalt immer neue Grundrechtsgehalte entfaltet, deren Qualifizierung als lediglich objektives oder auch subjektives Recht erforderlich ist, sich die Fragestellungen also gleichen.
m Dürig, in: Maunz-Dürig, GG, Art. 1 Abs. III, Rn. 96; Grabitz, Freiheit, S. 3f.; Hesse, Grundzüge, S. 129f., Rn. 283, 287; Jarass, in: Jarass/Pieroth, Vorb. vor Art. 1, Rn. 5, 5 a; v. Münch, I., in: v. Münch/Kunig, GG, Vorb. Art. 1 - 1 9 , Rn. 16; Schwabe, Probleme, S. 17; v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Band 1, Art. 1 Abs. 3, Rn. 126; Stern, Staatsrecht III/1, S. 530; einschränkend neuerdings Wahl, DVB1. 1996, S. 641 ff., 646, der die Subjektivität der Grundrechte nur für das Verfassungsrecht, nicht aber für das Verwaltungsrecht anerkennen will. 112 Zur Entwicklung im Baurecht vergleiche Marburger, Ausbau, C 5 ff., 17 f. mit zahlreichen Nachweisen aus der Rechtsprechung; zum Wasserrecht siehe die Entscheidung BVerwGE 78, 40ff. = DVB1. 1987, S. 1265ff. und die Kritik von Kunig, DVB1. 1988, S. 237 ff.; zum Drittschutz im Bergrecht vergleiche BVerwG, DVB1.1989, S. 663 ff. Π3 Bauer, Hartmut, Grundlagen, S. 130ff.
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2. Teil: Das subjektive öffentliche Recht
B. Die Lehre vom subjektiven öffentlichen Recht im Verwaltungsrecht I. Der Begriff des subjektiven öffentlichen Rechts 1. Historische Wurzeln Versuche einer Begriffsbestimmung des subjektiven öffentlichen Rechts wurden aufgrund der Auseinandersetzung über die bloße Möglichkeit derartiger Rechte der einzelnen von der Wissenschaft erst gegen Ausgang des 19. Jahrhunderts unternommen. Von den dann erarbeiteten Definitionen sind diejenigen von G. Jellinek, Th. Dantscher von Kollesberg, O. Mayer und O. Bühler hervorzuheben, da sie noch heute die Diskussion bestimmen. Diese Definitionen ihrerseits lehnten sich mehr oder minder stark an die zivilrechtlichen Begriffsfestlegungen des subjektiven Rechts durch F. C. von Savigny, B. Windscheid und R. von Jhering an. Während F. C. von Savigny das subjektive Recht als rechtlich anerkannte Willensmacht bzw. Willensherrschaft des einzelnen charakterisierte 114 und B. Windscheid kaum unterscheidbar von einer „von der Rechtsordnung verliehenen Willensmacht oder Willensherrschaft" 115 sprach, definierte R. von Jhering das subjektive Recht als ,»rechtlich geschütztes Interesse"116. Aus einer Verbindung dieser Definitionen entstand gegen Ende des 19. Jahrhunderts die heute noch im Zivilrecht herrschende Begriffsbestimmung des subjektiven Rechts als der dem einzelnen durch das objektive Recht eingeräumten Willens- oder Rechtsmacht, mit Hilfe der Rechtsordnung eigene Interessen zu verfolgen (sog. Kombinationstheorie).117 G. Jellinek übernahm diese zivilrechtliche Definition ohne Änderungen für das subjektive öffentliche Recht. 118 Auf ihrer Grundlage erarbeitete er dann inhaltliche Unterschiede zwischen dem subjektiven Privatrecht und dem subjektiven öffentV. Savigny, System, Band 1, S. 7, 333. ni Windscheid/Kipp, Pandektenrecht, S. 156. 116 V. Jhering, Römisches Recht, S. 339, 343. 117 Eine Kombination beider Theorien findet sich bereits bei Bekker, Pandektenrecht, Band 1, S. 49 - „Interessenschutz, der eine Willensmacht des Geschützten begründet." - sowie bei Regelsberger, Pandekten, Band 1, § 14, S. 74-76; ihnen folgend aus der älteren Literatur: Enneccerus, BGB-AT, S. 159; Enneccerus/Nipperdey, BGB-AT, S. 428f.; Lehmann/ Hübner, BGB-AT, S. 83; v. Thür, BGB-AT, S. 54, 58 f.; aus der neueren Literatur: Diederichsen, BGB-AT, S. 38, Rn. 82; Hirsch, BGB-AT, S. 427, Rn. 1129; Hübner, BGB-AT, S. 192, Rn. 354; Köhler, H., BGB-AT, S. 36, Rn. 5; Medicus, BGB-AT, S. 33, Rn. 70; Pawlowski, BGB-AT, S. 50, Rn. 107; Rüthers, BGB-AT, S. 40, Rn. 58; Schwab, Einführung, S. 83 f., Rn. 166, 167; nur die Willenstheorie wird vertreten von Brox, BGB-AT, S. 268, Rn. 561 ; Kritik an der Kombinationstheorie und eigene Definitionen bei Larenz, BGB-AT, S. 213 (auch den Wert der Kombinationstheorie betonend: Larenz/Wolf, BGB-AT, S. 272 ff., Rn. 10-19) und Wolf, BGB-AT, S. 106. ne Jellinek, G., System, S. 44.
Β. Die Lehre vom subjektiven öffentlichen Recht im Verwaltungsrecht
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liehen Recht, 119 denen hier im Rahmen der Begriffsbildung keine Bedeutung zukommt. Aufgrund der hohen Abstraktheit sind sie darüber hinaus, insbesondere zur Ermittlung eines subjektiven öffentlichen Rechts, nicht brauchbar, 120 so daß sich eine Darstellung und kritische Würdigung erübrigt. Der Schwerpunkt seines Werkes liegt auch nicht in der Begriffsbestimmung, sondern in dem Versuch einer Systematisierung der subjektiven öffentlichen Rechte, der sogenannten Statuslehre. Von Th. Dantscher von Kollesberg stammt die erste spezielle Umschreibung des subjektiven öffentlichen Rechts des einzelnen. Sie lautete: „Das politische Recht 121 ist die vom objektiven Staatsrechte anerkannte Macht, Herrschaft des Einzelnen über die Staatsgewalt in einer bestimmten Richtung."122 Die Definitionsbemühungen von O. Mayer unterscheiden sich hiervon kaum. Er begriff das subjektive öffentliche Recht als die dem Untertan eingeräumte Willensmacht über ein Stück öffentlicher Gewalt um seines eigenen Vorteils willen. 123 Die größte praktische Bedeutung kommt aus heutiger Sicht der Definition von O. Bühler zu. Streng genommen handelt es sich nicht um eine bloße Begriffsbestimmung, vielmehr enthält die Definition die Voraussetzungen, bei deren Vorliegen ein objektiver Rechtssatz dem einzelnen ein subjektives öffentliches Recht einräumt. 124 O. Bühler faßte das Ergebnis seiner Untersuchung zum begriff* des subjektiven öffentlichen Recht des einzelnen gegen den Staat wie folgt zusammen: „Subjektives öffentliches Recht ist diejenige rechtliche Stellung des Untertanen zum Staat, in der er auf Grund eines Rechtsgeschäftes oder eines zwingenden, zum Schutz seiner Individualinteressen erlassenen Rechtssatzes, auf den er sich der Verwaltung gegenüber soll berufen können, vom Staat etwas verlangen kann oder ihm gegenüber etwas tun darf." 125 Das Vorliegen eines subjektiven öffentlichen Rechts war damit von folgenden Voraussetzungen abhängig: (1) Vorhandensein eines Rechtsgeschäfts oder eines zwingenden Rechtssatzes; (2) ein Untertan als Berechtigter, ein Hoheitsträger als Verpflichteter; (3) Vorliegen einer Schutznorm und (4) Rechtsmacht. Auffällig an den letzten drei Definitionen ist, daß sie das subjektive öffentliche Recht nur im Hinblick auf den einzelnen als Adressaten erfassen. Während C. F. Jellinek, G., System, S. 45-53. ι 2 0 Kritisch auch Bühler, Öffentliche Rechte, S. 2 mit weiteren Nachweisen. 121 Dantscher v. Kollesberg bezeichnete mit diesem Begriff - abweichend von dem damals überwiegenden juristischen Sprachgebrauch - das subjektive öffentliche Recht des einzelnen gegen den Staat, vergleiche Dantscher v. Kollesberg, Politische Rechte I, S. 8. 122 Dantscher v. Kollesberg, Politische Rechte I, S. 76. 123 Mayer, O., Verwaltungsrecht I, S. 106f., 108. 124 Dies zeigt ein Vergleich der von Bühler aufgestellten Voraussetzungen mit seiner Definition; vergleiche Bühler, Öffentliche Rechte, S. 21,224. 125 Bühler, Öffentliche Rechte, S. 224; ders., in: GS W. Jellinek, S. 269 ff., 274.
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2. Teil: Das subjektive öffentliche Recht
von Gerber, G. Jellinek, Th. Dantscher von Kollesberg und O. Bühler subjektive öffentliche Rechte auch des Staates für möglich hielten126 oder jedenfalls nicht ausschlossen,127 Th. Dantscher von Kollesberg und O. Bühler ihre Untersuchungen und damit auch ihre Begriffsbestimmungen lediglich auf subjektive öffentliche Individualrechte beschränkten,128 lehnte O. Mayer die Bezeichnung „subjektives Recht" für die Rechte des Staates ab. Subjektive Rechte seien etwas Begrenztes, die Macht des Staates sei aber unbegrenzt.129 Ob diese Einengung des Begriffs gerechtfertigt oder sogar zwingend ist, kann hier dahinstehen, da für die vorliegende Arbeit ausschließlich das subjektive öffentliche Individualrecht von Interesse ist und die Untersuchung sich auf subjektive öffentliche Rechte der einzelnen beschränkt.
2. Der Begriff heute Der Begriff des subjektiven öffentlichen Rechts steht nach wie vor im Streit. Dabei leidet die Verständlichkeit darunter, daß der theoretische Ansatz nicht einheitlich ist. Wie bereits in der Vergangenheit lassen sich zwei verschiedene Vorgehensweisen ausmachen: Teilweise wird versucht, mit der Begriffsbestimmung das Wesen des subjektiven öffentlichen Rechts zu erfassen, teilweise wird eine Definition durch Aneinanderreihen der Voraussetzungen des subjektiven öffentlichen Rechts gebildet. Hier wird sowohl auf eine Trennung beider Richtungen als auch auf eine detaillierte Darstellung und Diskussion der zahlreichen Begriffe verzichtet. Die Arbeit konzentriert sich auf die Frage, wann ein subjektives öffentliches Recht vorliegt und dabei auf das umstrittene Problem der Abgrenzung von Rechtsreflex und subjektivem öffentlichem Recht. Sofern Begriffsbildungen geeignet sind, eine Abgrenzungsleistung zu erbringen, was insbesondere für diejenigen Begriffe zutrifft, die die Voraussetzungen eines subjektiven öffentlichen Rechts beinhalten, werden sie unter dieser Fragestellung erörtert. Einige markante Positionen sollen aber vorweg kurz umrissen werden. Häufig finden sich Definitionen in Anlehnung an die im Zivilrecht herrschende Kombinationstheorie. Das subjektive öffentliche Recht ist danach die durch das öffentliche Recht begründete, dem Staat gegenüber bestehende Willens- oder Rechtsmacht, mit Hilfe der Rechtsordnung eigene Interessen zu verfolgen. 130 Teil126 V. Gerber, C. F., Öffentliche Rechte, S. 42ff.; Jellinek, G., System, S. 195; Bühler, Öffentliche Rechte, S. 6 f. 127 Dantscher v. Kollesberg, Politische Rechte I, S. 27. 128 Bühler, Öffentliche Rechte, S. 6 f.; Dantscher v. Kollesberg, Politische Rechte I, S. 27. 129 Mayer, O., Verwaltungsrecht I, S. 104. 130 Erichsen, in: Erichsen, Verwaltungsrecht, S. 230, § 11, Rn. 38; Maurer, Verwaltungsrecht, S. 149, § 8, Rn. 2; Mayer/Kopp, Verwaltungsrecht, S. 165; Peine, Verwaltungsrecht, S. 52, Rn. 79; Schmidt-Aßmann, in: Maunz-Dürig, GG, Art. 19 Abs. IV, Rn. 118; Wallerath, Verwaltungsrecht, S. 144.
Β. Die Lehre vom subjektiven öffentlichen Recht im Verwaltungsrecht
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weise wird die Rechtsmacht dahin konkretisiert, daß sie dazu ermächtigen müsse, vom Staat ein bestimmtes Verhalten zu verlangen.131 Damit entspricht der Begriff des subjektiven öffentlichen Rechts bei letzteren Autoren der Definition des Anspruchs gemäß § 194 BGB. 1 3 2 Angesichts der auch im öffentlichen Recht vorkommenden Beherrschungs- und Gestaltungsrechte greift eine solche Definition zu kurz. 133 Nur ein Teil der subjektiven öffentlichen Rechte sind auf ein bestimmtes Verhalten des Staates gerichtet und damit als Ansprüche zu qualifizieren. Eine kritische Würdigung der Kombinationstheorie, die auch im Privatrecht nie unbestritten war, 134 findet sich nicht. Es ist daher wohl nicht übertrieben, zu behaupten, daß die Mehrheit der Lehre der Begriffsbildung keine Beachtung schenkt. Für die Abgrenzung von subjektiven Rechten von nur objektivem Recht ist die Kombinationstheorie unergiebig. Andere setzen Begriff und Voraussetzungen des subjektiven öffentlichen Rechts gleich und nennen mehr oder minder modifiziert die Begriffsmerkmale von O. Bühler. 135 Eine Extremposition hält den Begriff des subjektiven öffentlichen Rechts für gänzlich obsolet,136 andere plädieren angesichts der Vielgestaltigkeit subjektiver öffentlicher Rechte für einen Rahmenbegriff. Der Begriff subjektives Recht besage, daß jemandem „etwas rechtens zukomme oder gebühre" und zwar „etwas in hinreichender Weise Bestimmtes".137 Ein derart weiter Begriff ist für die Abgrenzungsfrage ohne Bedeutung. Aufmerksamkeit verdient in dieser Hinsicht dagegen eine Begriffsbestimmung aus jüngerer Zeit, die an die Funktion des subjektiven öffentlichen Rechts anknüpft. Der Begriff subjektives Recht bezeichnet hiernach „eine Rechtsposition, die mit der Befugnis zur Durchsetzung einer normativ intendierten Konfliktentscheidung verbunden ist;" 138 das subjektive öffentliche Recht ist „die Rechtsmacht zur Durchsetzung des Normbefehls." 139
131 Maurer, Verwaltungsrecht, S. 149, § 8, Rn. 2; Mayer/Kopp, Verwaltungsrecht, S. 165; Peine, Verwaltungsrecht, S. 52, Rn. 79; Wallerath, Verwaltungsrecht, S. 144. 132 Hierher gehören auch alle, die die Begriffsbestimmung von O. Bühler übernehmen, denn sie erfaßt nur Ansprüche. 133 Bachof, in: GS W. Jellinek, S. 287 ff., 293 f. 134 Vergleiche ausführlich zu den verschiedenen Strömungen Kasper, Das subjektive Recht, S. 132 ff.; Schapp, Das subjektive Recht, S. 91 ff. 135 Ress, in: Ermacora u. a., Verwaltungsrecht, S. 112; Wolff/ Bachof/ Stober, Verwaltungsrecht, S. 580, Rn. 53, wo sich allerdings in Rn. 52 noch eine andere Definition findet. 136 Achterberg, Verwaltungsrecht, S. 391, Rn. 68. 137 So für das subjektive Privatrecht: Larenz/Wolf, BGB-AT, S. 276 f., Rn. 20, 22; sich ihm anschließend für das subjektive öffentliche Recht: Bauer, Hartmut, Grundlagen, S. 174. 138 Scherzberg, DVB1. 1988, S. 129 ff., 130. 139 Scherzberg, DVB1. 1988, S. 129 ff., 132; so auch Erichsen, in: Erichsen, Verwaltungsrecht, S. 230, § 11, Rn. 38.
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2. Teil: Das subjektive öffentliche Recht
II. Voraussetzungen für die Annahme eines subjektiven öffentlichen Rechts 1. Schutznormtheorie: Scheinbare Identität der herrschenden Meinung mit den historischen Voraussetzungen Die überwiegende Auffassung im Schrifttum und in der Rechtsprechung bestimmt die Voraussetzungen des subjektiven öffentlichen Rechts wie O. Bühler. Dabei werden die Voraussetzungen teils sprachlich unverändert, teils den modernen Verhältnissen angepaßt, wiedergegeben. Ein subjektives öffentliches Recht ist danach zu bejahen, wenn ein (zwingender) Rechtssatz des objektiven Rechts eine Pflicht des Staates begründet und diese Pflicht auch im Interesse des einzelnen besteht. 1 4 0 Nicht genannt wird von der Mehrheit dieser Ansicht das Kriterium der Rechtsmacht als Voraussetzung für das Vorliegen eines subjektiven öffentlichen Rechts, 141 von einigen wird ausdrücklich darauf verzichtet. 142 Diese Übereinstimmung mit den Voraussetzungen zu Anfang des 20. Jahrhunderts täuscht darüber hinweg, daß einzelne davon in der Zwischenzeit einen starken inhaltlichen Wandel erfahren haben.
140 Bachof, in: GS W Jellinek, S. 287 ff., 294; Battis, Verwaltungsrecht, S. 67, Rn. 75; Berger, Grundfragen, S. 97 ff.; Gassner, DÖV 1981, S. 615 ff., 617, 620; Jarass, NJW 1983, S. 2844 ff., 2845; ders., Wirtschaftsverwaltungsrecht, S. 180, Rn. 43; Laubinger, Der Verwaltungsakt, S. 25; Maurer, Verwaltungsrecht, S. 152f., § 8, Rn. 8; Mayer/Kopp, Verwaltungsrecht, S. 165 f.; Peine, Verwaltungsrecht, S. 54, Rn. 81; Rupp, DVB1. 1982, S. 144 ff., 147; ders., Grundfragen, 2. Auflage, S. 146ff., 246; Sachs, NVwZ 1988, S. 127ff., 128f.; Schmidt-Aßmann, in: Maunz-Dürig, GG, Art. 19 Abs. IV, Rn. 118; Wallerath, Verwaltungsrecht, S. 144f.; Weyreuther, DÖV 1983, S. 575 ff., 587; Wolff/ Bachof/Stober, Verwaltungsrecht I, S. 570 f., Rn. 27; ständige Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts: BVerwGE 1, S. 83f., 83; 10, S. 122ff., 123f.; 27, S. 29ff., 31 f.; 28, S. 268ff., 270; 32, S. 173ff., 178; 39, S. 235ff., 235, 237f.; 41, S. 58ff., 63; 47, S. 19ff., 22; 52, S. 122ff., 128; 55, S. 280ff., 285 f.; 58, S. 244ff., 246; 61, S. 256ff., 262; 62, S. 243 ff., 246ff.; 65, S. 167 ff., 171; 65, S. 313ff., 320; 66, S. 307ff., 308f.; 67, S. 334ff., 338f.; 68, S. 58ff., 59; 72, S. 226ff., 229f.; 75, S. 147ff., 148; 75, S. 285ff., 286f.; 78, S. 40ff., 41 ff.; 80, S. 259ff., 260; 80, S. 355 ff., 366ff.; 81, S. 329ff., 334; 82, S. 246 ff., 249ff.; 87, S. 62 ff., 68 ff.; 88, S. 286ff., 288; 90, S. 304ff., 305 ff.; 95, S. 133ff., 135ff.; 98, S. 118 ff., 120f.; 100, S. 230ff., 233; BVerwG, DVB1. 1996, S. 563 f., 563; siehe auch BVerfGE 27, S. 297 ff., 305, 307; 31, S. 33ff., 39ff.; 46, S. 214ff., 220f.; 51, S. 176ff., 186f.; 51, S. 193ff., 212; 57, S. 9ff., 26. 141 Bachof, Vornahmeklage, S. 84f.; ders., in: GS W. Jellinek, S. 287 ff., 299 ff., wo er seine Auffassung dahingehend modifiziert, daß der Voraussetzung der Rechtsmacht in Ausnahmefällen doch Bedeutung zukommen kann; Battis, Verwaltungsrecht, S. 67, Rn. 75; Laubinger, Der Verwaltungsakt, S. 25; Maurer, Verwaltungsrecht, S. 152 f., § 8, Rn. 8; Peine, Verwaltungsrecht, S. 54, Rn. 81; Wallerath, Verwaltungsrecht, S. 144f.; Wolff/ Bachof/Stober, Verwaltungsrecht I, S. 570 f., Rn. 27; bereits in diese Richtung tendierend Bühler, in: GS W. Jellinek, S. 269 ff., 282, der die Rechtsmacht bei Vorliegen einer Schutznorm in der Regel als gegeben ansieht; das Kriterium der Rechtsmacht wieder hervorhebend: BVerwGE 98, S. 118 ff., 121. 1 42 Bachof, Vornahmeklage, S. 84 f.; Laubinger, Der Verwaltungsakt, S. 25.
Β. Die Lehre vom subjektiven öffentlichen Recht im Verwaltungsrecht
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a) Der „zwingende " Rechtssatz Während O. Bühler mit dem Begriffselement des zwingenden Rechtssatzes vor allem Ermessensvorschriften als Grundlage subjektiver öffentlicher Rechte ausschließen wollte, 143 ist heute anerkannt, daß auch ein Rechtssatz, der der Verwaltung Ermessen einräumt, ein subjektives Recht begründen kann: das Recht auf ermessensfehlerfreie Entscheidung.144 Von einigen wird deshalb statt eines zwingenden Rechtssatzes nur ein Rechtssatz gefordert. 145 Neben dem Ausschluß von Ermessensvorschriften kann dem Merkmal des zwingenden Rechtssatzes noch eine weitere Voraussetzung entnommen werden: Ein subjektives Recht setzt objektives Recht voraus, wobei unter letzterem die Gesamtheit aller Rechtssätze zu verstehen ist. 146 Diese Abhängigkeit des subjektiven Rechts vom objektiven Recht ist heute einhellig anerkannt147 und wird auch als „der kleinste gemeinsame Nenner" der Lehre vom subjektiven öffentlichen Recht bezeichnet.148 Dagegen wird eine weitergehende Abhängigkeit des subjektiven Rechts vom objektiven Recht in dem Sinne, daß es im Belieben des Normgebers steht, subjektive Rechte zu begründen oder nicht, kritisch diskutiert. 149
b) Das rechtlich geschützte Interesse Die Unterscheidung zwischen rechtlich geschütztem Individualinteresse und ausdrücklicher Berechtigung ist heute aufgegeben. Beide werden einheitlich als ι « Bühler, Öffentliche Rechte, S. 21; abschwächend ders., in: GS W. Jellinek, S. 269 ff., 276 ff. 144 Bachof, in: GS W. Jellinek, S. 287 ff., 295; Bauer, Hartmut, Grundlagen, S. 137; Erichsen, in: Erichsen, Verwaltungsrecht, S. 228, § 11, Rn. 35; Maurer, Verwaltungsrecht, S. 158 f., § 8, Rn. 15; Mayer/Kopp, Verwaltungsrecht, S. 167, 169f.; Peine, Verwaltungsrecht, S. 57, Rn. 85; Randelzhofer, BayVBl. 1975, S. 573 ff., 574; Schmidt-Aßmann, in: Maunz-Dürig, GG, Art. 19 Abs. IV, Rn. 135; Wallerath, Verwaltungsrecht, S. 147 f. 145 Wallerath, Verwaltungsrecht, S. 144; anders Bachof, in: GS W. Jellinek, S. 287 ff., 295, und Schmidt-Aßmann, in: Maunz-Dürig, GG, Art. 19 Abs. IV, Rn. 135, die Ermessensvorschriften insoweit als zwingende Rechtssätze ansehen, als es um die Einhaltung der Ermessensgrenzen geht. 146 Battis, Verwaltungsrecht, S. 66, Rn. 74; Maurer, Verwaltungsrecht, S. 150, § 8, Rn. 3; Mayer/Kopp, Verwaltungsrecht, S. 165. 147 Achterberg, Verwaltungsrecht, S. 393, Rn. 71; Bachof, in: GS W. Jellinek, S. 287 ff., 294f.; Erichsen, in: Erichsen, Verwaltungsrecht, S. 228, § 11, Rn. 35; Maurer, Verwaltungsrecht, S. 151 f., § 8, Rn. 6, 8; Mayer/Kopp, Verwaltungsrecht, S. 165; Peine, Verwaltungsrecht, S. 54, Rn. 81; Schmidt-Aßmann, in: Maunz-Dürig, GG, Art. 19 Abs. IV, Rn. 131; Wallerath, Verwaltungsrecht, S. 144; Wolff/ Bachof/Stober, Verwaltungsrecht I, S. 570, Rn. 27. 148 Krebs, in: FS C. F. Menger, S. 191 ff., 201. 149 Ablehnend: Bachof, in: GS W. Jellinek, S. 287 ff., 305 f.; Brohm, VVDStRL 30 (1972), S. 245 ff., 273; Wahl, DÖV 1975, S. 373 ff., 377; ders., DVB1. 1996, S. 641 ff., 646.
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2. Teil: Das subjektive öffentliche Recht
subjektive Rechte angesehen.150 Das ist folgerichtig, denn ein Interesse, das vom Recht anerkannt und geschützt ist, ist nichts anderes als ein subjektives Recht. O. Bühler dagegen trennte subjektives Recht und rechtlich geschütztes Interesse, wobei er letzteres als Oberbegriff ansah, dessen stärkste Ausprägung das subjektive Recht darstellte. Daneben umfasse der Begriff aber auch Positionen, die nicht zu Rechten ausgestaltet seien.151
c) Das Kriterium
der Schutznorm
Verändert hat sich auch das Kriterium der Schutznorm. Eine Schutznorm soll dann gegeben sein, wenn die Vorschrift Individualinteressen dient; dabei ist ausreichend, daß sie zumindest neben der Allgemeinheit auch einzelne begünstigen oder schützen will (sog. Schutznormtheorie). 152 Wann dies der Fall ist, ist durch Auslegung zu ermitteln. 153 Das entspricht - oberflächlich gesehen - ganz der Auffassung O. Bühlers. 154 Inhaltlich besteht aber keine Übereinstimmung, denn die Auslegungsmethoden, die letztlich über das Vorliegen einer Schutznorm entscheiden, sind heute andere als damals. Wahrend O. Bühler noch primär auf den historischen Willen des Normgebers abstellte,155 hat sich heute die Ansicht durchgesetzt, daß es für die Feststellung des Schutzzwecks entscheidend auf eine objektive Interessenbewertung ankomme.156 Die Auslegung orientiert sich an den herkömmlichen Auslegungsmethoden.157 Ausgegangen wird vom Wortlaut der Norm. Ist die Vorschrift eindeutig im Sinne einer individuellen Begünstigung formuliert, liegt ein subjektives öffentliches Recht vor. Werden einzelne in der Norm genannt und damit von der Allgemeinheit abgehoben oder läßt sich der Kreis der Berechtigten in sonstiger Weise bestimmen, so wird dies als wichtiger Anhaltspunkt für eine subjektiv-rechtliche Stellung der Hervorgehobenen gewertet. 158 Führt der 150 Bauer, Hartmut, Grundlagen, S. 138 f.; Huber, P.-M., Konkurrenzschutz, S. 103 f.; Schmidt-Aßmann, in: Maunz-Dürig, GG, Art. 19 Abs. IV, Rn. 119; BVerwGE 2, S. 290 ff., 293; BVerwG, DÖV 1978, S. 619ff., 620f. 151 Bühler, Öffentliche Rechte, S. 229. 152 Schmidt-Aßmann, in: Maunz-Dürig, GG, Art. 19 Abs. IV, Rn. 118, 136; Wallerath, Verwaltungsrecht, S. 145; Wolff/ Bachof/Stober, Verwaltungsrecht I, S. 564, Rn. 12 und Nachweise in Fn. Ì40. 153 Maurer, Verwaltungsrecht, S. 153, § 8, Rn. 9; Peine, Verwaltungsrecht, S. 54, Rn. 82; Schmidt-Aßmann, in: Maunz-Dürig, GG, Art. 19 Abs. IV, Rn. 136; Wallerath, Verwaltungsrecht, S. 145; Wolff/ Bachof/Stober, Verwaltungsrecht I, S. 564, Rn. 12; BVerwG, DVB1. 19%, S. 563 f., 563. 154 Bühler, Öffentliche Rechte, S. 21. 155 Bühler, Öffentliche Rechte, S. 45. 156 Bachof, in: GS W. Jellinek, S. 287 ff., 297; Schmidt-Aßmann, in: Maunz-Dürig, GG, Art. 19 Abs. IV, Rn. 139; Wolff/ Bachof/Stober, Verwaltungsrecht I, S. 564, Rn. 12. 157 Vergleiche hierzu Larenz, Methodeniehre, S. 320 ff. 158 Jarass, NJW 1983, S. 2844 ff., 2845; ders., Wirtschaftsverwaltungsrecht, S. 180, Rn. 44; Schlichter, DVB1. 1984, S. 875 ff., 878; Schmidt-Aßmann, in: Maunz-Dürig, GG, Art. 19
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Wortlaut der Regelung zu keinem eindeutigen Ergebnis, so werden die übrigen das Rechtsgebiet erfassenden Normen auf ihren subjektiv-rechtlichen Gehalt untersucht (systematische Auslegung) und nach dem Zweck der Norm gefragt, wobei dieser objektiv bestimmt wird (objektiv-teleologische Auslegung). Der historischen Auslegung kommt nur subsidiäre Bedeutung für den Fall zu, daß die drei zuerst genannten Auslegungsmethoden zu keinem eindeutigen Ergebnis geführt haben.159 Im Einzelfall werden aber zur Ermittlung des Schutzzwecks einer Norm noch andere Auslegungsmethoden und -regeln angewandt, wobei die Gewichtung jeweils unterschiedlich ist. Erwähnt sei hier vor allem das Gebot der Rücksichtnahme. Entwickelt wurde das grundsätzlich objektiv-rechtlich verstandene Gebot von der Rechtsprechung zum Baurecht. Seiner Aussage nach ist es ein unscharfes Zumutbarkeitserfordernis. Es besagt nichts anderes, als daß eine (bauliche) Nutzung von anderen hiervon Betroffenen billigerweise noch hingenommen werden muß. Dogmatisch wird es von der Rechtsprechung im einfachen Gesetzesrecht verortet, wo es in einzelnen Vorschriften verankert sein soll. 160 Drittschutz vermittelt das Gebot nach der Rechtsprechung nur in Ausnahmefällen, „soweit in qualifizierter und zugleich individualisierter Weise auf schutzwürdige Interessen eines erkennbar abgegrenzten Kreises Dritter Rücksicht zu nehmen ist." 161 Inzwischen hat das Gebot der Rücksichtnahme und in seinem Gefolge die Anerkennung subjektiver öffentlicher Rechte in weitere Rechtsgebiete wie das Wasser-162 und Bergrecht 163 Eingang gefunden. Von seinem Inhalt her ließe es sich problemlos auf alle Sachgebiete ausdehnen, die (auch) den Ausgleich privater kollidierender Interessen zum Regelungsgegenstand haben. Ebenfalls unterschiedlich wird die Bedeutung der Grundrechte für die Ermittlung des Schutzzwecks gesehen. Während dieser Aspekt ursprünglich vernachlässigt wurde und einfachgesetzliche subjektive öffentliche Rechte und Grundrechte beziehungslos nebeneinander standen und angewendet wurden, ist heute die Tendenz erkennbar, die Grundrechte bei der Bestimmung des Schutznormcharakters fruchtbar zu machen.164 Mit einer neueren Untersuchung läßt sich aber konstatieren, daß es an einheitlich vertretenen und praktizierten KriAbs. IV, Rn. 140; BVerwGE 27, S. 29ff., 33; 28, S. 131 ff., 134f.; 28, S. 268ff., 275f.; 32, S. 173 ff., 175; 41, S. 58 ff., 63; 52, S. 122 ff., 129; 62, S. 243 ff., 247; 66, S. 307 ff., 308; 67, S. 334 ff., 338 f.; BVerwG, NJW 1983, S. 1507 f., 1507 f. 159 Huber, P.-M., Konkurrenzschutz, S. 109-113; Schmidt-Aßmann, in: Maunz-Dürig, GG, Art. 19 Abs. IV, Rn. 138. 160 BVerwGE 52, S. 122ff., 125 f.; 67, 334ff., 338; BVerwG, NJW 1983, S. 2460f., 2461; BVerwG, NVwZ 1983, S. 609f., 609; BVerwG, NVwZ 1984, S. 38f., 38; BVerwG, NVwZ 1985, S. 37ff., 37, 38; Dürr, NVwZ 1985, S. 719ff., 719f., 722; Kunig, in: GS W. Martens, S. 599 ff., 608, mit Nachweisen aus der Rechtsprechung und Darstellung der anderen Meinungen; Peine, DÖV 1984, S. 963 ff., 966 f.; Schlichter, DVB1. 1984, S. 875 ff., 876. 161 BVerwGE 52, S. 122ff., 129f.; BVerwG, BauR 1977, S. 244ff., 247, BVerwG, NVwZ 1985, S. 37 ff., 38. 162 BVerwGE 78, S. 40 ff., 41 ff. = DVB1. 1987, S. 1265 ff., 1266. 163 BVerwG, DVB1. 1989, S. 663 ff., 664. 164 Dazu ausführlich unten S. 51 ff.
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terien zur Ermittlung des Schutzzwecks fehlt. 165 Ein Vertreter der Schutznormlehre, E. Schmidt-Aßmann, der in jüngerer Zeit den Versuch einer Strukturierung und Systematisierung unternommen hat, begreift die Schutznormlehre denn auch als „Sammelbezeichnung für einen Kanon von Methoden und Regeln, nach denen der subjektiv-rechtliche Gehalt eines Rechtssatzes erschlossen werden soll", wobei dieser Kanon nicht abschließend, sondern für weitere Entwicklungen offen sei. 166
d) Verzicht auf die Voraussetzung der Rechtsmacht? Wie bereits erwähnt, 167 nennt die Mehrheit der Vertreter der Schutznormlehre die Verleihung von Rechtsmacht nicht ausdrücklich als weitere Voraussetzung für das Vorliegen eines subjektiven öffentlichen Rechts. Hieraus ist - gefördert durch den teilweise expliziten Verzicht auf diese Voraussetzung168 - der Schluß gezogen worden, daß die Verleihung von Rechtsmacht nach überwiegender Meinung heute keine Voraussetzung des subjektiven öffentlichen Rechts mehr sei. 169 Eine nähere Betrachtung zeigt jedoch, daß dies unzutreffend ist. Die Bedeutung des Erfordernisses der Rechtsmacht war von Anfang an unklar, weil mit ihm immer verschiedene Vorstellungen verbunden waren und wohl noch sind. Zum einen kann man in dem Begriffselement eine Wesensbeschreibung des subjektiven Rechts sehen, also ein inhaltliches Kriterium, zum anderen kann man es als formales Merkmal deuten und darunter die in irgendeiner Form vom Recht vorgesehene Durchsetzungsmöglichkeit meinen. Historisch läßt sich die Voraussetzung der Rechtsmacht auf die oben 170 dargestellte Willenstheorie von F. C. von Savigny (Willensmacht) zurückführen. Aufgrund der Gleichsetzung von subjektivem Recht und Klagerecht im römischen Recht und dessen Rezeption im Privatrecht lag es nahe, unter „Willensmacht" die Durchsetzbarkeit im Sinne der Klagbarkeit zu verstehen. Dieses Verständnis wirkte auch im öffentlichen Recht nach. Zwar betonten sowohl G. Jellinek als auch O. Bühler, daß ein subjektives Recht nicht voraussetze, daß es zwangsweise durchgesetzt werden könne.171 Beide Autoren maßen aber der Klagbarkeit eine hohe Aussagekraft bei der Abgrenzung des nur reflexartig begünstigenden objektiven Rechts vom subjektiven Recht zu. 1 7 2 Die Verbindung von Klagerecht und subjektivem Recht prägt noch heute die Dis165 166 167 168
Bauer, Hartmut, AöR 113 (1988), S. 582 ff., 599,603 f. Schmidt-Aßmann, in: Maunz-Dürig, GG, Art. 19 Abs. IV, Rn. 128. Oben S. 42. Vergleiche die Nachweise in Fn. 142.
169 Huber, P.-M., Konkurrenzschutz, S. 104. no S. 38. 171 Bühler, Öffentliche Rechte, S. 12, 48, Fn. 66, 55; Jellinek, G., System, S. 45, Fn. 2, 101, 106, dessen Ausführungen aber insgesamt widersprüchlich sind, worauf bereits Bühler, Öffentliche Rechte, S. 48, Fn. 66, hinweist. 172 Bühler, in: GS W. Jellinek, S. 269 ff., 281; Jellinek, G., System, S. 70,101, 106.
Β. Die Lehre vom subjektiven öffentlichen Recht im Verwaltungsrecht
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kussion um das Merkmal der Rechtsmacht. Von einigen wird unter Hinweis auf Art. 19 Abs. 4 GG und/oder §§ 42 Abs. 2 VwGO, 54 SGG der Nachweis einer Rechtsmacht für obsolet gehalten, da jedes subjektive Recht nun kraft Verfassung oder einfachen Rechts im Klagewege durchsetzbar sei. 173 Bei dieser Argumentation handelt es sich um einen Zirkelschluß,174 da die genannten Vorschriften die Existenz subjektiver Rechte voraussetzen. Die Regelungen sind aber für das gegenwärtige Verständnis der Rechtsmacht von Bedeutung, da sie davon ausgehen, daß das Bestehen subjektiver Rechte nicht von der gerichtlichen Durchsetzbarkeit abhängt. Rechtsmacht läßt sich daher heute nur als vom Gesetz intendierte Durchsetzbarkeit verstehen. Der Zirkelschluß wurde inzwischen erkannt und die Verzichtbarkeit des Kriteriums Rechtsmacht mit der durch das Grundgesetz begründeten Stellung des einzelnen gegenüber dem Staat erklärt. Aus dem Verhältnis Bürger/Staat wird gefolgert, daß jede Vorschrift, die objektiv Individualinteressen regelt, auch den Schutz des einzelnen in dem Sinne beabsichtigt, daß ihm die Durchsetzung des Interesses ermöglicht werden soll. 175 Entspräche dies der Meinung der überwiegenden Zahl der Vertreter der Schutznormlehre, dann wäre es zutreffend, einen Verzicht auf den Nachweis der Rechtsmacht anzunehmen. Indes zeigt sich, daß die Forderung nach Rechtsmacht heute in der Voraussetzung des Vorliegens einer Schutznorm aufgegangen ist. In der Regel wird mit der Feststellung, daß eine Norm Individualinteressen zu dienen bestimmt ist, gleichzeitig ausgedrückt, daß die Vorschrift auch die Durchsetzung dieser Interessen durch die jeweiligen Interessenträger intendiert. 176 Das folgt daraus, daß die Abgrenzung von Rechtsreflex und subjektivem Recht in der Rechtspraxis insbesondere bei der Klagebefugnis von Bedeutung ist. Die Bejahung der Schutznormqualität und damit des Vorliegens eines subjektiven öffentlichen Rechts aufgrund einer objektiven Interessenbewertung hat zur Folge, daß der einzelne das Recht gerichtlich durchsetzen kann. Das Ergebnis fließt in die Auslegung der Norm ein, auch wenn dies vom Rechtsanwender meist nicht offengelegt wird. Klar gesehen wird diese Verbindung zwischen Schutzzweckfeststellung und Rechtsmacht von E. SchmidtAßmann, der das subjektive öffentliche Recht als „individualisierte Rechtsmacht" charakterisiert 177 und bei der Untersuchung des Normzwecks ausdrücklich fordert, daß ein subjektives öffentliches Recht nur dann gegeben sei, wenn der Norm auch entnommen werden könne, daß die Wahrung des Interesses durch den Interessenträger erfolgen solle. 178
173
Bachof, Vornahmeklage, S. 84f.; Laubinger, Der Verwaltungsakt, S. 25. 174 Darauf weisen bereits Bauer, Horst, Gerichtsschutz, S. 54; Henke, Das subjektive öffentliche Recht, S. 3, und Rupp, Grundfragen, 1. Auflage und 2. Auflage, S. 170, hin. 175 Bachof, VVDStRL 12 (1954), S. 37 ff., 73 ff.; ders., in: GS W. Jellinek, S. 287 ff., 301, der seine ursprüngliche Auffassung aber hier einschränkt und dem Merkmal der Rechtsmacht in Ausnahmefällen eine Berechtigung zuerkennt; Menger/Erichsen, VerwArch 61 (1970), S. 274ff., 289; v. Mutius, VerwArch 69 (1978), S. 103 ff., 106 f. mit weiteren Nachweisen. 176 Eindeutig in diesem Sinne jetzt BVerwGE 98, S. 118ff., 121. 177 Schmidt-Aßmann, in: Maunz-Dürig, GG, Art. 19 Abs. IV, Rn. 136.
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Häufig wird die Diskussion unter anderen Schlagwörtern geführt. So erörtern manche unter dem Stichwort Gesetzesabhängigkeit/Gesetzesunabhängigkeit des subjektiven öffentlichen Rechts die Frage, ob der Gesetzgeber bei einer objektiv durch ein Gesetz gewährten und gewollten Begünstigung frei darin sei, ob er damit ein subjektives öffentliches Recht einräume oder nicht. 179 Diese Auseinandersetzung betrifft nichts anderes als das Problem der Erforderlichkeit der Verleihung von Rechtsmacht. Hier bezogen und beziehen die Vertreter der Schutznormlehre den Standpunkt, daß die Ausgestaltung von Interessenpositionen zu subjektiven Rechten der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers unterfalle. 180
e) Zusammenfassung Als für die weitere Untersuchung relevantes Ergebnis läßt sich festhalten, daß unstreitige Voraussetzung für die Annahme eines subjektiven öffentlichen Rechts zunächst das Vorhandensein eines Rechtssatzes des objektiven Rechts ist, der eine Rechtspflicht begründet. Die herrschende Meinung bejaht dann ein durch diesen Rechtssatz verbürgtes subjektives öffentliches Recht, wenn der Rechtssatz einzelne begünstigen/schützen will. Die Anerkennung als Schutznorm schließt die Feststellung der Zuerkennung von Rechtsmacht, verstanden als vom Gesetz intendierte Durchsetzbarkeit, mit ein. Der Zweck des Rechtssatzes ist durch Auslegung zu eruieren. Dabei werden die üblichen Auslegungsmethoden, die grammatikalische, systematische, objektiv-teleologische und historische Auslegung, angewandt, die aber von Fall zu Fall unterschiedlich gewichtet werden. Überwiegend wird der Schutzzweck aufgrund einer objektiven Interessenbewertung ermittelt. Dem Willen des Gesetzgebers kommt nur subsidiäre Bedeutung zu. Neben den allgemeinen Auslegungsregeln existieren auf einzelne Rechtsgebiete bezogene besondere Auslegungsdirektiven wie das Gebot der Rücksichtnahme oder die Forderung, daß die Norm einen von der Allgemeinheit abgrenzbaren und zahlenmäßig bestimmbaren Personenkreis erkennen lassen müsse. Ergibt die Auslegung, daß die Vorschrift (auch) dazu bestimmt ist, Einzelinteressen zu dienen, liegt ein subjektives öffentliches Recht vor. Die Schutznormqualität, die das Merkmal der Rechtsmacht einschließt, ist somit die wesentliche Voraussetzung für die Bejahung eines subjektiven öffentlichen Rechts. Da die Bestimmung des Schutzzwecks nach uneinheitlichen Kriterien erfolgt, ist es eigentlich nicht zutreffend, von „der" Schutznormtheorie zu sprechen. Die 178
Schmidt-Aßmann, in: Maunz-Dürig, GG, Art. 19 Abs. IV, Rn. 143; die Unverzichtbarkeit des Merkmals der Rechtsmacht betont auch Sachs, NVwZ 1988, S. 127 ff., 129, allerdings anhand eines mißlungenen Beispiels, vergleiche hierzu die Kritik bei Huber, P.-M., Konkurrenzschutz, S. 105 f. ira Wahl, DÖV 1975, S. 373 ff., 376 f. mit weiteren Nachweisen, »so Schmidt-Aßmann, in: Maunz-Dürig, GG, Art. 19 Abs. IV, Rn. 129 mit weiteren Nachweisen.
Β. Die Lehre vom subjektiven öffentlichen Recht im Verwaltungsrecht
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Schutznormtheorie gibt es nicht, es lassen sich vielmehr zahlreiche Varianten nachweisen. Überspitzt könnte man formulieren, daß es derzeit so viele Schutznormtheorien wie Vertreter gibt.
2. Einwände gegen die Schutznormtheorie Die Schutznormtheorie war und ist noch immer heftigen Angriffen ausgesetzt, die gerade in letzter Zeit mit der zunehmenden Relevanz von Drittklagen wieder an Intensität gewinnen. Die Kritik kulminiert in dem Vorwurf der Zufälligkeit der Ergebnisse und der damit verbundenen Rechtsunsicherheit.181 Als Gründe hierfür werden die Unschärfe des Begriffs des Interesses,182 die Problematik der Unterscheidung von öffentlichen und privaten Interessen183 sowie die uneinheitlichen Auslegungsmethoden und -regeln der herrschenden Meinung angeführt. 184 Soweit früher die oft spekulative Ermittlung des gesetzgeberischen Willens angeprangert wurde, ist dieser Einwand heute durch die objektive Ermittlung des Begünstigungszwecks überholt. Ein weiterer Kritikpunkt ist das ungeklärte Verhältnis von Grundrechten, deren subjektiv-rechtlicher Gehalt in ihrer Funktion als Abwehrrechte allgemein anerkannt ist und auf die die Rechtsprechung zur Begründung eines subjektiven Rechts in Ausnahmefällen unmittelbar zurückgreift, und einfachgesetzlichen subjektiven Rechten.
lei Alexy, DÖV 1984, S. 953 ff., 961; Bartlsperger, VerwArch 60 (1969), S. 35 ff., 35 f.; Battis, Verwaltungsrecht, S. 68, Rn. 75; Bauer, Hartmut, AöR 113 (1988), S. 582 ff., 604 f.; ders., Grundlagen, S. 142 f.; Berger, Grundfragen, S. 35, 94, 161, 166, 168; Blankenagel, Die Verwaltung 1993, S. 1ff., 3; Breuer, DVB1. 1983, S. 431ff., 432,436; Erichsen, in: Erichsen, Verwaltungsrecht, S. 229, § 11, Rn. 36; Heinrich, WiVerw 1985, S. Iff., 2; Huber, P.-M., Konkurrenzschutz, S. 121,153; Kunig, in: GS W. Martens, S. 599ff., 601; Löwer, Rechtskontrolle, S. 73 ff., 86; Marburger, Ausbau, C 5 ff., 22; Maurer, Venvaltungsrecht, S. 153-155, § 8, Rn. 9 f.; Peine, DÖV 1984, S. 963 ff., 970; Randelzhofer, BayVBl. 1975, S. 573 ff., 576; Redeker, DVB1. 1984, S. 870 ff., 872, 874; Rupp, DVB1. 1982, S. 144 ff., 147; Schmidt, R., Wirtschaftsrecht, S. 453; Scholz, Wirtschaftsaufsicht, S. 91; Wahl, JuS 1984, S. 577 ff., 577, 579; Wallerath, Verwaltungsrecht, S. 145; Zuleeg, DVB1. 1976, S. 509ff., 511,513,515. 182 Bauer, Hartmut, AöR 113 (1988), S. 582 ff., 593 f.; ders., Grundlagen, S. 80, 82; Henke, DÖV 1980, S. 621ff., 626, Fn. 21; Lorenz, Rechtsschutz, S. 60f. 183 Bauer, Hartmut, AöR 113 (1988), S. 582ff., 594ff.; ders., Grundlagen, S. 80; Bothe, JZ 1975, S. 399ff., 400; Bull, Verwaltungsrecht, S. 107, Rn. 235; Erichsen, in: Erichsen, Verwaltungsrecht, S. 230, § 11, Rn. 37; Lorenz, Rechtsschutz, S. 59; Scherzberg, DVB1. 1988, S. 129 ff., 131; Scholz, Wirtschaftsaufsicht, S. 91; ders., VVDStRL 34 (1976), S. 145 ff., 199 f. 184 Bauer, Hartmut, AöR 113 (1988), S. 582ff., 596ff., 603f.; ders., Grundlagen, S. 140143; Kunig, in: GS W. Martens, S. 599ff., 601 f. 4 Eisele
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2. Teil: Das subjektive öffentliche Recht
3. Andere Ansätze a) Modifizierte
Schutznormtheorien
aa) Kriterium der tatsächlichen Betroffenheit Nach W. Henke ist die tatsächliche Betroffenheit ein maßgebliches Kriterium für die Annahme eines subjektiven öffentlichen Rechts. Eine nähere Befassung mit W. Henkes Werken zeigt jedoch, daß allein eine faktische Betroffenheit auch nach seiner Ansicht kein subjektives öffentliches Recht zu begründen vermag. W. Henke fordert vielmehr eine doppelte Betroffenheit: 1. Das Gesetz muß eigene Angelegenheiten regeln und daher einen einzelnen betreffen. 2. Das gesetzwidrige Verhalten der Verwaltung muß eigene Angelegenheiten betreffen. 185 Ob die betroffenen Angelegenheiten Regelungsgegenstand des verletzten Gesetzes sind, ist durch objektive Interpretation des Gesetzesinhalts zu ermitteln, wobei die Absicht des Gesetzgebers unbeachtlich ist. 186 Dieselben Voraussetzungen für die Annahme eines subjektiven Rechts stellt R. Bartlsperger auf. 187 Da beide Autoren also letztlich eine rein faktische Betroffenheit zur Begründung eines subjektiven öffentlichen Rechts nicht ausreichen lassen, das subjektive öffentliche Recht nicht aus seiner Normativität lösen, sind die Unterschiede zur herrschenden Meinung gering. Eine Auslegung des Rechtssatzes wird nicht überflüssig. Lediglich der Begriff des „Interesses" wird ersetzt durch den Begriff der „Angelegenheit", wobei der Begriffswechsel die Auslegung nicht vereinfacht. Die Abgrenzung der eigenen Angelegenheit von fremden Angelegenheiten wirft dieselben Probleme auf wie die Unterscheidung von privatem und öffentlichem Interesse. Der Hauptunterschied zur „älteren" Schutznormtheorie besteht darin, daß sich die Auslegung bei W. Henke und R. Bartlsperger ausschließlich an objektiven Kriterien ausrichten soll und dem gesetzgeberischen Willen jegliche Bedeutung abgesprochen wird. Indes legt auch die derzeit vertretene „neuere" Schutznormtheorie das wesentliche Gewicht auf die teleologische Auslegung; der historischen Auslegung kommt nur geringe Bedeutung zu. Als Ergebnis läßt sich festhalten, daß der Ansatz von W. Henke und R. Bartlsperger kaum von der derzeit herrschenden Meinung abweicht. Die Einwände, die gegen die Schutznormtheorie erhoben werden, treffen allesamt auch hier zu. Das Abgrenzungsproblem und die damit einhergehende Rechtsunsicherheit bestehen fort. Die Funktion der Grundrechte und ihr Verhältnis zu einfachgesetzlichen subjektiven öffentlichen Rechten bleibt ungeklärt. Vielleicht ist es aber der Kritik W. Henkes und R. Bartlspergers zuzuschreiben, daß die Feststellung einer Schutznorm heute von der Mehrzahl auf der Grundlage einer objektiven Interessenbewertung vorgenommen wird. Ferner ist es als Vorzug dieses Ansatzes anzusehen, daß 185
Henke, Das subjektive öffentliche Recht, S. 56,60. 186 Henke, in: FS W. Weber, S. 495ff., 510f. 187 Bartlsperger, VerwArch 60 (1969), S. 35 ff., 49.
Β. Die Lehre vom subjektiven öffentlichen Recht im Verwaltungsrecht
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die strikte Gesetzesabhängigkeit des subjektiven öffentlichen Rechts abgelehnt wird. Es kann dem Gesetzgeber nicht völlig freistehen, ob er dem einzelnen subjektive öffentliche Rechte einräumt. Das wäre mit der Stellung des einzelnen, die ihm nach der Verfassung zukommt, nicht vereinbar. Die Grundrechte können unter Umständen die Einräumung subjektiver öffentlicher Rechte durch den Gesetzgeber gebieten. Eine gänzliche Negierung des gesetzgeberischen Willens schießt dagegen über das Ziel hinaus.
bb) Einbeziehung der Grundrechte Den Versuch einer Harmonisierung von Grundrechten und einfachgesetzlichen subjektiven öffentlichen Rechten unternehmen D. Lorenz, 188 F.-J. Peine 189 und P.-M. Huber. 190 D. Lorenz nimmt ein subjektives öffentliches Recht an, wenn „sich nach der durch das jeweilige Gesetz geschaffenen objektiven Lage eine Berührung des individuellen Lebenskreises ergibt." 191 Die individuelle Sphäre wird durch das Verfassungsrecht, insbesondere durch die Grundrechte, festgelegt. 192 Abweichend von der herrschenden Meinung beantwortet er damit die Frage nach dem Regelungsinhalt eines Gesetzes, also die Frage, wessen „Interesse" oder „Angelegenheit" der Rechtssatz regelt, anhand der Verfassung. Dieser Ansatz, dem F.-J. Peine und auch P.-M. Huber folgen, besticht zunächst, dann aber fragt man sich, ob jedes Gesetz, das sich in irgendeiner Weise auf ein Grundrecht auswirkt, bereits ein subjektives Recht begründet. Hierzu finden sich bei D. Lorenz eher vage Ausführungen. Er sieht das Problem und stellt klar, daß nicht jede Grundrechtstangierung durch ein Gesetz ausreicht; eine Grundrechtsverletzung durch die rechtswidrige Verwaltungshandlung hält er aber auch nicht für erforderlich. Entscheidend für das Vorliegen eines subjektiven öffentlichen Rechts sei vielmehr „dessen Relation (des Gesetzes)193 zum jeweiligen Grundrecht, durch die die Regelung, je nachdem, ob sie im Dienst der Mißbrauchsabwehr, der Kollisionslösung oder der Grundrechtsprägung stehe, in verschiedener und abgestufter Weise subjektive Bezüge empfange." 194 D. Lorenz verwendet hier Begriffe, die überwiegend von P. Lerche zur Schrankensystematik der Grundrechte entwickelt wurden. Die mißbrauchsabwehrende Regelung weist denjenigen, der ein Grundrecht mißbräuchlich ausübt, in die Grenzen des Grundrechts zurück; 195 das kollisionslösende Gesetz dient dem Aus188 Rechtsschutz. 189 D Ö V 1984, S. 963 ff. 1 90 Konkurrenzschutz. 191 Lorenz, Rechtsschutz, S. 60. 192 Lorenz, Rechtsschutz, S. 63. 193 Einschub der Verfasserin. 194 Lorenz, Rechtsschutz, S. 65. 195 Lerche, Übermaß, S. 99, 117-125, 134; ders., Werbung, S. 106. 4*
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2. Teil: Das subjektive öffentliche Recht
gleich gegenläufiger grundrechtlich geschützter Interessen196 und die grundrechtsprägende Vorschrift konkretisiert erst den Inhalt des Grundrechts. 197 Letztlich bleibt die Aussage von D. Lorenz unklar, da durch den zuletzt zitierten Halbsatz offenbleibt, ob jeder Rechtssatz, der in dem genannten Sinn grundrechtsrelevant ist, subjektive öffentliche Rechte entstehen läßt. Deutlicher drückt sich F.-J. Peine aus, der diese Lehre dahin versteht, daß Normen immer dann subjektive öffentliche Rechte enthalten, wenn der einzelne durch ihre Anwendung faktisch in einem Grundrecht betroffen ist und die Norm in einer der oben dargestellten Relationen zum Grundrecht steht.198 Probleme bereitet dieser Auffassung Art. 2 Abs. 1 GG in seiner Interpretation als Auffanggrundrecht durch das Bundesverfassungsgericht. Um nicht zu einer Subjektivierung der gesamten Rechtsordnung zu kommen, müßte man den Schutzbereich des Art. 2 Abs. 1 GG wesentlich enger fassen, was D. Lorenz auch vorschlägt.199 Die Schwierigkeiten der obigen Meinungen, die aus der weiten bundesverfassungsgerichtlichen Auslegung des Art. 2 Abs. 1 GG resultieren, vermeidet die Konzeption von P.-M. Huber. Sein Vorschlag knüpft insofern an D. Lorenz an, als er allen Rechtssätzen eine mögliche Eignung zur Begründung subjektiver öffentlicher Rechte zuspricht, die Grundrechtsrelevanz besitzen. Grundrechtsrelevant sind Normen, die Grundrechte beschränken, kollidierende Grundrechte zum Ausgleich bringen oder Grundrechte inhaltlich ausgestalten.200 Diese Rechtsnormen stellen „potentielle Schutznormen" dar, da sie prinzipiell geeignet sind, grundrechtliche Positionen zu schmälern.201 Ob ein Rechtssatz in einer derartigen Relation zu einem Grundrecht steht, bemißt sich nach seinem objektiven Regelungsgehalt.202 Dieser wiederum wird primär aufgrund der Gesetzeswirkungen bestimmt.203 Hervorzuheben ist, daß P.-M. Huber davon ausgeht, daß beinahe jedem Gesetz Grundrechtsrelevanz zukommt,204 wenn auch in unterschiedlichem Maß. 2 0 5 Für die Annahme eines subjektiven öffentlichen Rechts reicht diese abstrakt-generelle Eignung einer Norm, Grundrechte zu verkürzen, daher nach P.-M. Hubers Auffassung nicht aus. Hinzukommen muß, daß im konkreten Einzelfall eine Beeinträchtigung eines Grundrechts vorliegt und die Beeinträchtigung der 196 Lerche nennt sie konkurrenzlösende Normen; vergleiche Lerche, Übermaß, S. 125 — 133, 134; ders., Werbung, S. 106; die kollisionslösenden Gesetze stellen einen Unterfall dieser Kategorie dar; vergleiche ders., Werbung, S. 107 f. >97 Lerche, Übermaß, S. 107-117, 134; ders., Werbung, S. 105.
>98 Peine, DÖV 1984, S. 963 ff., 970; vorsichtiger und einschränkend ders., Verwaltungsrecht, S. 56, Rn. 83. >99 Lorenz, Rechtsschutz, S. 66. 200 Huber, P.-M., Konkurrenzschutz, S. 281. 201 202 203 204 205
Huber, P.-M., Konkurrenzschutz, S. 281,551 f. Huber, P.-M. Konkurrenzschutz, S. 208. Huber, P.-M., Konkurrenzschutz, S. 209. Huber, P.-M., Konkurrenzschutz, S. 201. Huber, P.-M., Konkurrenzschutz, S. 202.
Β. Die Lehre vom subjektiven öffentlichen Recht im Verwaltungsrecht
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Verwaltung zugerechnet werden kann. Liegen diese Voraussetzungen ebenfalls vor, ist eine konkrete Schutznorm gegeben.206 Ob ein subjektives öffentliches Recht gegeben ist, läßt sich demnach nie abstrakt anhand des Gesetzes beurteilen, sondern nur im jeweiligen konkreten Einzelfall. 207 Als Zurechnungsgesichtspunkte für staatliches Verhalten nennt P.-M. Huber die Unmittelbarkeit und Zielgerichtetheit sowie die Schwere der Grundrechtsbeeinträchtigung; 208 Kriterien, die als Termini aus der Grundrechtsdogmatik und dem Staatshaftungsrecht bei der Prüfung, ob ein Grundrechtseingriff vorliegt, bekannt sind. Der unbeschränkten Dispositionsbefugnis des Gesetzgebers erteilt er eine klare Absage;209 Dispositionsfreiheit bestehe nur bei Fehlen grundrechtlicher Vorgaben. Nur in diesem Bereich könne der Gesetzgeber frei entscheiden, ob er subjektive öffentliche Rechte einräumen wolle oder nicht. 210 Hier erfolge die Feststellung eines subjektiven öffentlichen Rechts entsprechend der überkommenen Schutznormtheorie durch teleologische, systematische und historische Auslegung der Vorschrift. 211 Einen unmittelbaren Rückgriff auf die Grundrechte zur Begründung eines subjektiven öffentlichen Rechts sieht er nur dann als statthaft an, wenn keine entgegenstehenden einfachgesetzlichen Regelungen existieren, die die betroffenen Individualinteressen erfassen. 212 Noch restriktiver in dieser Hinsicht ist R. Wahl, der den Grundrechten für das Gebiet des Verwaltungsrechts den Charakter als subjektive öffentliche Rechte abspricht und demgemäß einen unmittelbaren Rückgriff auf die Grundrechte ganz ausschließt.213 Der große Vorzug der Huberschen Auffassung liegt in der gelungenen Synthese von Verfassungs- und Verwaltungsrecht. Seine Konzeption verbindet einfachgesetzliche subjektive öffentliche Rechte und Grundrechte und stellt deren Verhältnis zueinander auf eine solide Grundlage. Der Ansatz ist in sich schlüssig und liefert ein dogmatisches Fundament für die Lehre vom subjektiven öffentlichen Recht. Zuzustimmen ist ihm ferner darin, daß es im grundrechtsrelevanten Bereich keine unbegrenzte Freiheit des Gesetzgebers bei der Zuerkennung subjektiver öffentlicher Rechte geben kann. 214 Kritisch zu sehen ist aber sein Rückgriff auf die Merkmale der Unmittelbarkeit, Zielgerichtetheit und Schwere bei der Ermittlung konkreter Schutznormen. Die moderne Grundrechtsdogmatik hält an den Kriterien 206 207 208 209 210
Huber, P.-M., Huber, P.-M., Huber, P.-M., Huber, P.-M., Huber, P.-M.,
Konkurrenzschutz, Konkurrenzschutz, Konkurrenzschutz, Konkurrenzschutz, Konkurrenzschutz,
S. 282,552. S. 282,552. S. 230-236,282 ff., 552. S. 293-296,552. S. 278,297,552.
2Π Huber, P.-M., Konkurrenzschutz, S. 278. 212 Huber, P.-M., Konkurrenzschutz, S. 284 f., 552; auch die neuere Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zum Baurecht schließt einen unmittelbaren Rückgriff auf die Grundrechte jedenfalls bei Vorhandensein einfachgesetzlicher subjektiver öffentlicher Rechte aus, BVerwGE 89, S. 69 ff., 77 f.; BVerwG, NVwZ 1996, S. 888. 213 Wahl, DVB1.1996, S. 641 ff., 646,648 -650. 214 Genauso Wahl, DVB1. 1996, S. 641 ff., 645 f.
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der Finalität und Unmittelbarkeit zur Feststellung eines Grundrechtseingriffs nicht mehr fest, sondern hat den Eingriffsbegriff stark erweitert, 215 so daß es sich fragt, inwieweit es gerechtfertigt ist, diese Merkmale zur Feststellung konkreter Schutznormen und damit letztlich zur Bestimmung der Reichweite des subjektiv-rechtlichen Grundrechtsschutzes heranzuziehen.216 Ferner sind die Begriffe Unmittelbarkeit und Schwere äußerst unpräzise und insbesondere der Begriff der Unmittelbarkeit seit langem schärfster Kritik ausgesetzt.217 Es muß daher bezweifelt werden, daß der Lösungsansatz von R-M. Huber angesichts der Problematik der Zurechnung mittels der genannten Merkmale und der hierbei erforderlichen Abwägung im Einzelfall den Haupteinwand gegen die Schutznormtheorie ausräumen kann - die Zufälligkeit der Ergebnisse. Dieser Vorwurf wird auch gegen die Rechtsprechung zum Vorliegen eines Grundrechtseingriffs sowie gegen die Rechtsprechung zum Aufopferungs- und Enteignungsrecht erhoben, die eine Zurechnung staatlichen Handelns nach diesen Kriterien vornimmt. Eine Erleichterung für die Praxis ist deshalb mit seiner Konzeption nur eingeschränkt verbunden. Größere Rechtssicherheit besteht hinsichtlich der Zulässigkeit des unmittelbaren Rückgriffs auf Grundrechte, für die P.-M. Huber klare Vorgaben erarbeitet, und bei der Ermittlung von potentiellen Schutznormen; die erforderliche Abwägung bei der Feststellung, ob im konkreten Fall ein subjektives öffentliches Recht vorliegt, öffnet aber der Einzelfallrechtsprechung wieder Tür und Tor. Da P.-M. Huber zu Recht annimmt, daß fast jedem Gesetz eine irgendwie geartete Grundrechtsrelevanz zukommt, beinahe alle Vorschriften also potentielle Schutznormen darstellen, liegt der Schwerpunkt bei der Bestimmung der konkreten Schutznormen. Der Gewinn für die Rechtssicherheit ist daher gering.
cc) Erweiterung auf kollektive Interessen Die hier vorzustellende Lösung von R. Scholz ähnelt den unter (2) dargestellten Auffassungen insofern, als auch er die Grundrechte für die Bestimmung subjektiver öffentlicher Rechte fruchtbar macht. Lasse sich einer tatsächlich begünstigen215 Bethge, VVDStRL 57 (1998), S. 7ff., 38-40, 56; Bleckmann, Grundrechte, S. 337ff.; Eckhoff, Grundrechtseingriff, S. 175 ff.; Gallwas, Faktische Beeinträchtigungen, S. 21-24, 41 f.; Grabitz, Freiheit, S. 28 ff.; Lübbe-Wolff, Grundrechte, S. 47 ff.; Pieroth /Schlink, Grundrechte, S. 58, Rn. 240; Schwabe, Probleme, S. 176 ff.; Weber-Dürler, VVDStRL 57 ( 1998), S. 57 ff., 60 - 76, 89 - 92,97, 98 f. 216 Kritisch auch Eckhoff, Grundrechtseingriff, S. 209 f. 217 Zum Kriterium der Unmittelbarkeit im Aufopferungs- und Enteignungsrecht: Bender, Staatshaftungsrecht, S. 40-42, Rn. lOOf.; Gallwas, Faktische Beeinträchtigungen, S. 24; Gronefeld, Preisgabe, S. 98 ff.; Lübbe-Wolff, Grundrechte, S. 43 f., die zusätzlich auf die unterschiedliche Bedeutung des Unmittelbarkeitskriteriums im Entschädigungsrecht und der Grundrechtsdogmatik hinweist; Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S. 207-210; zum Begriff der Unmittelbarkeit allgemein: Eckhoff, Grundrechtseingriff, S. 197-208; Schwabe, Probleme, S. 181.
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den Vorschrift nicht zweifelsfrei entnehmen, ob sie ein subjektives öffentliches Recht begründe, sei zu prüfen, ob die Verfassung die Anerkennung eines subjektiven öffentlichen Rechts verlange. 218 Den Schutzzweck bestimmt er wie die heutige Schutznormlehre objektiv.219 Die deutlichsten Parallelen weist seine Lösung zum Ansatz von P.-M. Huber auf. Der Unterschied beider Auffassungen besteht - sieht man von der Terminologie ab - darin, daß sich R. Scholz unter Berufung auf die Grundrechte für eine Erweiterung des subjektiven öffentlichen Rechts zum Schutz kollektiver Interessen ausspricht. Ein subjektives öffentliches Recht soll bei R. Scholz nicht nur dann gegeben sein, wenn die konkrete Anwendung einer grundrechtsrelevanten Norm zu einer Grundrechtsverkürzung führt und diese Grundrechtsverkürzung der Verwaltung auch im Sinne eines „Eingriffs" zurechenbar ist, sondern auch, wenn eine objektiv-rechtliche Regelung einen einzelnen in einem grundrechtlich geschützten Bereich ohne verfassungsrechtliche Verpflichtung tatsächlich begünstigt und zwischen der gesetzlichen Entscheidung und der tatsächlichen Begünstigung eine „spezifisch grundrechtliche Identität"220 besteht. Der einzelne sei in diesem Fall „Repräsentant" des geschützten Allgemeininteresses,221 „mittelbarer Sachwalter für allgemeinere oder gruppenmäßig gleichartige Interessen.. " 2 2 2 Ebenfalls eine Erweiterung der Schutznormtheorie im Hinblick auf die Einbeziehung kollektiver Interessen unternimmt A. Blankenagel, der seine Konzeption aber ausdrücklich auf das Umweltrecht beschränkt.223 Er engt die heute vertretene Schutznormtheorie zunächst ein, indem er nur solche Gesetze als mögliche Schutzgesetze qualifiziert, die bestimmte einzelne oder eine Gruppe aus der Allgemeinheit herausheben, wobei er strenge Maßstäbe anlegen will. Die Hervorhebung müsse zusätzlich dem Schutz individueller Interessen dienen; hier will er die Grundrechte in die Auslegung einfließen lassen. Habe die Regelung den Schutz sonstiger wichtiger Gemeinschaftsgüter zum Inhalt, könne sie auch ein subjektives Recht begründen, soweit der herausgehobene einzelne oder die Gruppe zum Regelungsinhalt eine besondere Beziehung hätten.224 Gegen diese Ansätze spricht die eindeutig individualrechtliche Ausrichtung des Verwaltungsrechtsschutzes in Deutschland, wie er in den Art. 19 Abs. 4 GG und den §§ 42 Abs. 2, 113 Abs. 1 S. 1, Abs. 5 S. 1 VwGO, 40 Abs. 2, 100 Abs. 1 S. 1, 101, 102 FGO; 62 Abs. 3 S. 1 GWB; 54 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 SGG zum Ausdruck kommt. Man kann den Ausschluß der Popularklage für rechtspolitisch verfehlt halten und de lege ferenda für eine stärkere Objektivierung des Rechtsschutzes ein218 Scholz, Wirtschaftsaufsicht, S. 125. 219 Scholz, VVDStRL 34 (1976), S. 145ff., S. 200, Fn. 227. 220 Scholz, Wirtschaftsaufsicht, S. 162. 221 Scholz, Wirtschaftsaufsicht, S. 164; ders., VVDStRL 34 (1976), S. 145ff., 203. 222 Scholz, VVDStRL 34 (1976), S. 145ff., 205. 223 Blankenagel, Die Verwaltung 1993 (Band 26), S. 1ff., 25. 224 Blankenagel, Die Verwaltung 1993 (Band 26), S. 1ff., 25.
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treten, 225 die derzeitigen gesetzlichen Regelungen lassen eine Berücksichtigung von Allgemeininteressen unabhängig von der Verletzung eines subjektiven Rechts aber nur dann ausnahmsweise zu, wenn ein formelles Bundes- oder Landesgesetz ein derartiges Klagerecht einräumt. Gegen den Vorschlag A. Blankenagels ist zusätzlich zu sagen, daß seine Einengung von möglichen Schutznormen nicht überzeugt. Es wird der Bedeutung der Grundrechte nicht gerecht, sie erst im zweiten Schritt, bei der Frage, ob die potentielle Schutznorm dem Schutz individueller Interessen dient, zu berücksichtigen.
b) Grundrechte als Ersatz für die Schutznormtheorie Da die Subjektivität der Grundrechte in ihrer Funktion als Abwehrrechte unter der Geltung des Grundgesetzes überwiegend226 anerkannt ist, hat es nie an Versuchen gefehlt, die Schutznormtheorie unter Berufung auf die Grundrechte für obsolet zu erklären. So hat R. Bernhardt bereits im Jahr 1963 dafür plädiert, die Schutznormtheorie zu verabschieden. Art. 2 Abs. 1 GG beinhalte nicht nur für Adressaten, sondern auch für Dritte ein Abwehrrecht gegen rechtswidrige Beeinträchtigungen durch die öffentliche Gewalt, die ihren Interessenkreis beträfen. 227 In dieselbe Richtung gehen die Ausführungen von M. Zuleeg. An die Stelle des einfachgesetzlichen subjektiven öffentlichen Rechts im Verwaltungsrecht und die Schutznormtheorie setzt er die Freiheitsrechte, im Unterschied zu R. Bernhardt nicht nur Art. 2 Abs. 1 GG, sondern auch die speziellen Freiheitsgewährleistungen. 228 Allerdings spricht er dem einfachgesetzlichen subjektiven öffentlichen Recht nicht jede Bedeutung ab. Die zentrale Rolle dieses Instituts sieht er im Bereich der Leistungsverwaltung,229 wo er zur Ermittlung eines subjektiven öffentlichen Rechts auch an der Schutznormtheorie in der von O. Bachof vertretenen Form festhält. 230 Lediglich für den Bereich der eingreifenden Verwaltung vertritt er die Auffassung, daß die Suche nach einem (einfachgesetzlichen) subjektiven öffentlichen Recht durch die Grundrechte obsolet geworden sei. 231 Um nicht zu einem allgemeinen Gesetzesvollziehungsanspruch zu kommen, sehen sich R. Bernhardt und M. Zuleeg gezwungen, ihren sehr weiten Ausgangspunkt durch zusätzliche Anforderungen wieder einzuengen. Die Beeinträchtigung 225 Hierfür spricht sich auch Hoffmann-Riem, VVDStRL 40 (1982), S. 187 ff., 213, 233 f. aus. 226 Neuerdings wird dies von Wahl für den Bereich des Verwaltungsrechts in Frage gestellt, DVB1. 1996, S. 641 ff., 646. 227 Bernhardt, JZ 1963, S. 302 ff., 306. 228 Zuleeg, DVB1.1976, S. 509ff., 514f. 229 Zuleeg, DVB1. 1976, S. 509 ff., 519. 230 Zuleeg, DVB1. 1976, S. 509 ff., 519; zur Auffassung Bachofs siehe S. 46 f. 231 Zuleeg, DVB1. 1976, S. 509ff., 517f.
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muß bei R. Bernhardt individuelle und schutzwürdige Belange betreffen. 232 Ferner sei ein Zusammenhang zwischen der Beeinträchtigung und der Rechtsverletzung erforderlich. 233 R. Bernhardt verlagert damit das Problem der Abgrenzung von Individual- und Allgemeininteresse von der Ebene der Norm auf die Ebene der Normanwendung. Größere Rechtssicherheit kann seine Auffassung daher nicht bieten, insofern widerspricht er sich selbst.234 Seine Konzeption erfaßt zudem nur abwehrrechtliche Konstellationen, bei begünstigenden Normen versagt sie. M. Zuleeg nennt ähnliche Kriterien zur Eingrenzung des subjektiven öffentlichen Rechts. Er fordert eine konkrete Betroffenheit in eigenen Angelegenheiten.235 Auch hier entsteht wieder das Problem der Festlegung, was eigene und was lediglich fremde Angelegenheiten sind. Unklar ist, was eine konkrete Betroffenheit sein soll, denn eine abstrakte Betroffenheit kann es nicht geben. In jüngerer Zeit hat der Ansatz von R. Bernhardt in C. Sening einen vehementen Fürsprecher gefunden. Im Unterschied zu ihm nimmt er jedoch keinerlei Eingrenzung vor. Adressaten sowie Dritte können nach seiner Auffassung aus Art. 2 Abs. 1 GG ein subjektives öffentliches Abwehrrecht gegen alle rechtswidrigen Maßnahmen herleiten, sofern sie konkret in ihrer Freiheit beeinträchtigt sind. 236 Er kommt somit für den Bereich belastender Maßnahmen zu einem allgemeinen Gesetzesvollziehungsanspruch. Gegen diese Lösung wird vor allem eingewandt, daß die Frage, ob ein subjektives öffentliches Recht vorliege, eine Rechtsfrage sei, die auch anhand normativer Vorgaben und nicht aufgrund einer faktischen Betroffenheit beantwortet werden müsse. Faktische Grundrechtsbetroffenheit lasse sich nicht von der Beeinträchtigung von bloßen Interessen trennen. 237 Diese Argumentation vermag die Meinung von C. Sening nicht zu widerlegen. Sie steht auch im Widerspruch zur neueren Grundrechtsdogmatik, die mittelbare, faktische Beeinträchtigungen als Eingriffe qualifiziert, sofern sie staatlichem Verhalten zugerechnet werden können.238 Die Auffassung C. Senings ist in sich konsequent; der unterschiedlichen Handhabung des Art. 2 Abs. 1 GG in Abhängigkeit davon, ob Adressaten oder Dritte in ihrer Freiheitssphäre berührt werden, ermangelt eine schlüssige dogmatische Begründung. Dennoch will man sich der Ansicht C. Senings nicht vorbehaltlos anschließen. Es leuchtet unmittelbar ein, daß nicht jede tatsächliche Berührung der allgemeinen Handlungsfreiheit ein subjektives öffentliches Abwehrrecht einräumen kann. Das ist mit dem Verwaltungsrechts232 Bernhardt, JZ 1963, S. 302 ff., 307, 308. 233 Bernhardt, JZ 1963, S. 302 ff., 307. 234 Vergleiche Bernhardt, JZ 1963, S. 307, linke Spalte einerseits, und S. 308, rechte Spalte andererseits. 235 Zuleeg, DVB1. 1976, S. 509 ff., 516. 236 Sening, NuR 1980, S. 102 ff., 105. 237 Huber, P.-M., Konkurrenzschutz, S. 158 mit weiteren Nachweisen. 238 Siehe die Nachweise in Fn. 215.
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schütz, wie er in der Verwaltungsgerichtsordnung ausgeformt wird, nicht vereinbar. Der Automatismus zwischen Widerspruch und aufschiebender Wirkung verbietet eine derartige Annahme. Die Meinung von C. Sening nötigt aber dazu, die Adressatentheorie239 sowie die weite Auslegung des Art. 2 Abs. 1 G G 2 4 0 ein weiteres Mal in Frage zu stellen.
c) Konzeptionelle Lösungsversuche Nur der Vollständigkeit halber sei hier die Theorie vom einheitlichen Rechtsverhältnis kurz gestreift. Die Vertreter der Rechtsverhältnislehre, hervorgehoben seien hier N. Achterberg 241 und W. Henke, 242 sehen als Grundlage aller Berechtigungen und Verpflichtungen die dogmatische Figur des Rechtsverhältnisses an. 243 Unter einem Rechtsverhältnis verstehen sie die unmittelbare Verbindung zwischen einer Person und einer oder mehreren anderen244 oder „die rechtsnormgestaltete Beziehung zwischen zwei oder mehreren Subjekten."245 Es handelt sich beim Institut des Rechtsverhältnisses um eine »juristische Grundeinheit",246 „eine (dogmatische) Grundfigur", 247 eine „allgemeine Ordnungskategorie zur Erfassung der Rechtsordnung."248 Die Frage nach dem subjektiven öffentlichen Recht wird auf 239
Für deren Aufgabe aufgrund des Wegfalls oder der Änderung ihrer dogmatischen Grundlagen plädiert Gurlit, Die Verwaltung 28 (1995), S. 449 ff., 470. 240 Kritisch etwa Krebs, in: FS C. F. Menger, S. 191 ff., 204, der den abwehrrechtlichen Gehalt der Grundrechte auf das Verbot des gesetzlosen rechtlichen Befehls beschränkt; Erichsen, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch, Band 6, § 152, S. 1185ff., 1192f.; Scholz, AöR 100 (1975), S. 80 ff., 95 ff., 111 f. und Fn. 174. 241 Achterberg, in: GS F. Klein, S. Iff.; ders., Theorie, S. 135ff.; ders., Rechtsordnung; ders., Verwaltungsrecht, S. 391 f., Rn. 69; ders., in: GS G. Küchenhoff, S. 13 ff. 242 Henke, VVDStRL 28 (1970), S. 149ff., 156-163; ders., DÖV 1980, S. 621 ff., 622f.; ders., DÖV 1984, S. 1 ff., 1. 243 Als weitere Vertreter können ohne Anspruch auf Vollständigkeit genannt werden: Bauer, Hartmut, Grundlagen, S. 167ff., 169, 170ff., 176ff.; ders., AöR 113 (1988), S. 582ff., 610ff.; Ehlers, DVB1. 1986, S. 912ff.; Fleiner-Gerster, VVDStRL 45 (1987), S. 152ff.; Gröschner, Das Überwachungsrechtsverhältnis, durchgehend, insbesondere S. 142 ff., 152 ff.; Häberle, Die Verfassung, S. 248 ff. mit weiteren Nachweisen insbesondere der ersten Vertreter der Rechtsverhältnislehre; Hill, Das fehlerhafte Verfahren, S. 272 ff.; ders., NJW 1986, S. 2602ff.; Krause, VVDStRL 45 (1987), S. 212ff.; Löwer, NVwZ 1986, S. 793ff.; Martens, J., KritV 1986, S. 104ff., 122, 128-130; Öhlinger, VVDStRL 45 (1987), S. 182ff.; Rupp, Grundfragen, 1. Auflage, S. 15 ff.; ders., dito, 2. Auflage, S. 15 ff.; Schmidt, R., Wirtschaftsrecht, S. 455; Schoch, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 195 f., 197, 313, 318,509; Schulte, DVB1. 1988, S. 512 ff., 513 f. 244 So Henke, DÖV 1980, S. 621 ff., 622. 245 So Achterberg, Theorie, S. 135 ff., 144; ders., Rechtsordnung, S. 31; ders., in: GS G. Küchenhoff, S. 13 ff., 15. 246 Henke, NVwZ 1983, S. 534 f., 535. 247 Bauer, Hartmut, Grundlagen, S. 169; Schmidt, R., Wirtschaftsrecht, S. 456. 248 Achterberg, in: GS G. Küchenhoff, S. 13 ff., 13.
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seiner Grundlage neu gestellt, aber nicht beantwortet.249 Hartmut Bauer hat sich dieser Aufgabe angenommen und auf der Basis der Rechtsverhältnislehre nach einer Lösung gesucht. Er kommt dabei zu folgendem Ergebnis: Das subjektive Recht sei anhand der das jeweilige Rechtsverhältnis regelnden Normen zu bestimmen (Normativität des subjektiven Rechts). Die Bestimmung erfordere eine integrierende Betrachtung von Verfassungs- und Verwaltungsrecht unter Einbeziehung der konkreten Sachstrukturen des jeweiligen Regelungsbereichs.250 Er sieht selbst, daß diese Aussagen sehr allgemein sind und einer Konkretisierung bedürfen. 251 Zur Verdeutlichung wendet er seine Aussagen dann auf drei konkrete Fälle an. 252 Sein Lösungsansatz ist mangels differenzierter Ausgestaltung nur sehr eingeschränkt brauchbar und die Unterschiede zu den „neueren" und „modifizierten" Schutznormtheorien sind gering. Gemeinsam ist ihnen der Ausgangspunkt der Normativität des subjektiven Rechts sowie einer stärkeren Einbindung des Verfassungsrechts. Die Berücksichtigung der konkreten Sachstrukturen dürfte im Ergebnis auf eine objektive Interessenbewertung hinauslaufen, die auch von der herrschenden Schutznormtheorie vorgenommen wird. Der Rechtsverhältnislehre kommt im Rahmen der vorliegenden Untersuchung daher keine Relevanz zu. 2 5 3
4. Abschließende Stellungnahme Von den dargestellten neuen Ansätzen verdient der Vorschlag von R-M. Huber die meiste Beachtung, aber auch er rechtfertigt keine Aufgabe der „bisherigen" Schutznormtheorie, da die Vorzüge überwiegend dogmatischer Natur sind und der Gewinn für die Praxis als gering einzustufen ist. Bei der vorgestellten Konzeption handelt es sich eher um eine Weiterentwicklung denn um eine grundsätzliche Modifikation der Schutznormtheorie. Die Ergebnisse lassen sich in die Schutznormtheorie integrieren. Allerdings bedarf die Schutznormtheorie einer festeren Konturierung. Dies ist dadurch zu erreichen, daß der Schutzzweck der Norm ausschließlich anhand der üblichen Auslegungsmethoden ermittelt wird. Soweit sich die auf einzelne Sachgebiete bezogenen Auslegungsdirektiven hier nicht einordnen 249
Zur begrenzten Aussagefähigkeit des Rechtsverhältnisses in bezug auf konkrete Fragestellungen auch Henke, DÖV 1980, S. 621 ff., 621 f.; Hill, NJW 1986, S. 2602ff., 2603, 2612; Löwer, NVwZ 1986, S. 793 ff., 794; Martens, J., KritV 1986, S. 104 ff., 122; SchmidtAßmann, DVB1. 1989, S. 533 ff., 539 f. 250 Bauer, Hartmut, AöR 113 (1988), S. 582 ff., 615, 631; so schon ansatzweise ders., Grundlagen, S. 174. 251 Bauer, Hartmut, AöR 113 (1988), S. 582 ff., 615. 252 Er untersucht den Anspruch auf Abwehr klassischer polizeilicher Eingriffe, den Anspruch auf Fürsorge und den Genehmigungsabwehranspruch des Dritten im Baunachbarrecht; AöR 113 (1988), S. 582 ff., 615 ff. 253 Zur gleichen Einschätzung gelangt P.-M. Huber, Konkurrenzschutz, S. 168-171, der allerdings den Lösungsansatz von Hartmut Bauer nicht erwähnt.
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lassen, was selten der Fall sein dürfte, sind sie aufzugeben. Die Grundrechtsrelevanz des Gesetzes und seine konkreten Auswirkungen auf Grundrechte einzelner müssen in die objektive Interessenbewertung einfließen und können zur Anerkennung der subjektiv-rechtlichen Qualität der Vorschrift führen. 254 Der Dispositionsfreiheit des Gesetzgebers werden hierdurch Grenzen gezogen. Den Grundrechten kommt im Rahmen der objektiv-teleologischen Auslegung ein Schwergewicht zu. Dies wurde bisher zu stark vernachlässigt. Hier könnten die verschiedenen von R-M. Huber erarbeiteten Zurechnungsgesichtspunkte wie Unmittelbarkeit und Finalität des staatlichen Handelns sowie die Intensität der Grundrechtsbeeinträchtigung eine Rolle spielen. Dabei würde es sich aber nicht um feststehende Begriffe handeln, sondern letztlich um Bewertungskriterien für das Maß der Grundrechtsrelevanz des Gesetzes. Angesichts der Erkenntnis, daß fast jedem Gesetz Grundrechtsrelevanz zukommt, kann nicht jede Grundrechtsberührung zur Bejahung eines subjektiven Rechts führen. Ein subjektives Recht ist vielmehr erst ab einem bestimmten Grad an Grundrechtsrelevanz gegeben. Wann dies der Fall ist, kann nur im konkreten Einzelfall aufgrund einer Wertung ermittelt werden. Bei der Interessenbewertung ist auch zu berücksichtigen, daß die Annahme eines subjektiven öffentlichen Rechts aufgrund von Art. 19 Abs. 4 GG einhergeht mit seiner Durchsetzbarkeit. Auch dies schließt bei völlig unerheblichen Grundrechtsberührungen die Annahme eines subjektiven öffentlichen Rechts aus. Ein unmittelbarer Rückgriff auf Grundrechte darf in Übereinstimmung mit der Ansicht von R-M. Huber nur erfolgen, wenn die grundrechtlich geschützten Interessen nicht vom einfachen Gesetzesrecht erfaßt sind. Die darüber hinausgehende Auffassung von R. Wahl, der die Möglichkeit eines unmittelbaren Rückgriffs auf Grundrechte in jedem Fall verneint, 255 ist abzulehnen. Die Prämisse, die Grundrechte seien zwar im Verfassungsrecht subjektive öffentliche Rechte, nicht aber im Verwaltungsrecht, widerspricht dem Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung. Im übrigen schließt R. Wahl einen Rückgriff auf die Grundrechte bei einer Lücke im einfachen Gesetz gar nicht aus, es geht ihm vielmehr darum, darzulegen, daß die Ausgestaltung des subjektiven öffentlichen Rechts in diesen Fällen auf der Ebene des einfachen Rechts als Richterrecht erfolgt und deshalb bei einer gesetzlichen Regelung eventuell auch abweichend konkretisiert werden kann. 256 Das konkrete subjektive öffentliche Recht gehört danach zum einfachen Recht, gewonnen wird es aber durch den unmittelbaren Rückgriff des Richters auf das subjektive Grundrecht. Da der hier unterbreitete Vorschlag zwar die dogmatischen Einwände gegen die Schutznormtheorie weitgehend ausräumt, die Bestimmung des subjektiven öffent254 In diese Richtung geht wohl die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, DVB1. 1994, S. 478 f.: Das Gericht prüft, ob ein rein objektiv-rechtliches Verständnis der Widerrufsvorschrift des Arzneimittelgesetzes mit der Schutzpflicht aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG vereinbar ist. 255 Siehe oben S. 53.
256 Wahl, DVB1. 1996, S. 641 ff., 649.
. Die
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liehen Rechts aber nicht vereinfacht, könnte gegen ihn auch der Vorwurf der Zufälligkeit der Ergebnisse erhoben werden. Richtig hieran ist, daß Rechtsfragen, die mittels Auslegung zu klären sind, von Gericht zu Gericht unterschiedlich beurteilt werden können und das selbst dann, wenn die Auslegungsmethoden in dem oben dargestellten Sinn stringenter gehandhabt werden. Das ist aber nichts Untypisches, sondern dem Recht immanent. Viele Rechtsprobleme lassen sich nur durch diffizile Wertungen und /oder Abwägungen lösen,257 klare „Handlungsanweisungen" sind die Ausnahme. Wertungen und Abwägungen erschweren die Vorhersehbarkeit und Berechenbarkeit der Ergebnisse im Einzelfall, da sie nicht zwingend genau zu einem Ergebnis führen; den Vörwurf der Zufälligkeit rechtfertigen sie nicht. Wertungen und Abwägungen sind durch eine entsprechende juristische Begründung nachvollziehbar zu machen. Dadurch sind sie rational und nicht irrational. 258 Ein einfaches Schema könnte der Komplexität der Problematik subjektiver öffentlicher Rechte in polygonalen Beziehungen nicht Rechnung tragen und würde die Einzelfallgerechtigkeit zugunsten der Rechtssicherheit vernachlässigen. Die Schutznormtheorie ist mit den oben genannten Modifikationen trotz der vielfältigen Kritik eine geeignete Theorie zur Bestimmung eines einfachgesetzlichen subjektiven öffentlichen Rechts. Die Frage, ob es Individualrechte auf den Erlaß untergesetzlicher Normen gibt, ist daher dann zu bejahen, wenn es Rechtssätze gibt, die den Verordnungs- oder Satzungsgeber zum Normerlaß verpflichten und diese Rechtssätze nach der Schutznormtheorie subjektive öffentliche Rechte einräumen.
C. Die Grundrechte als subjektive öffentliche Rechte I. Überblick über die in Literatur und Rechtsprechung diskutierten Grundrechtsinhalte Der Doppelcharakter der Grundrechte als subjektives und objektives Recht ist heute fester Bestandteil der Grundrechtsdogmatik. Die Grundrechte sind einerseits subjektive öffentliche Rechte des einzelnen, andererseits stellen sie objektive Wertentscheidungen dar, 259 die auf die gesamte Rechtsordnung ausstrahlen.260 Als 257 Alexy, Theorie, S. 23 mit weiteren Nachweisen; ders., Grundrechte, S. 25 f., 498-501. 258 Alexy, Grundrechte, S. 501 ; ders., Theorie, S. 356, weist darauf hin, daß Erkenntnisse der Naturwissenschaften auch keinen Anspruch auf „endgültige Gewißheit" erheben und den Naturwissenschaften dennoch nicht der Charakter einer Wissenschaft und damit der Rationalität ihrer Ergebnisse abgesprochen wird. 259 Badura, Der Staat 14 (1975), S. 17ff., 24; Bleckmann, Grundrechte, S. 243, Rn. 1; Böckenförde, Der Staat 29 (1990), S. 1 ff., 1, 7; Doehring, Staatsrecht, S. 207 f.; Friesenhahn, Wandel, G Iff., 5f.; Hesse, Grundzüge, S. 127, Rn. 279; Jeand'Heur, JZ 1995, S. 161 ff., 165; Maunz/Zippelius, Staatsrecht, S. 133 ff.; Pieroth/Schlink, Grundrechte, S. 20, Rn. 76;
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2. Teil: Das subjektive öffentliche Recht
subjektive Rechte sind die Freiheitsgrundrechte historisch gesehen Abwehrrechte, das heißt sie sind primär dazu bestimmt, Eingriffe der öffentlichen Gewalt in die Freiheitssphäre des einzelnen abzuwehren.261 Daneben werden sie aber auch als Leistungsrechte interpretiert. 262 Als einzelne objektive Grundrechtsaussagen Rupp, AöR 101 (1976), S. 161 ff., 165-167; Scheuner, DÖV 1971, S. 505ff., 507f., 510; Stern, Staatsrecht III/1, S. 906f. mit weiteren Nachweisen; BVerfGE 6, S. 32ff., 40f.; 6, S. 55ff., 71 f.; 6, S. 386ff., 388; 7, S. 198ff., 204f.; 10, S. 59ff., 81; 12, S. 205ff., 259f.; 20, S. 162 ff., 175; 21, S. 362 ff., 371 f.; 24, S. 367 ff., 389; 25, S. 256ff., 263; 33, S. 303 ff., 330; 35, S. 79ff., 112, 114; 39, S. Iff., 41; 39, S. 68ff., 70ff. (abweichende Meinung); 50, S. 290ff., 337; 69, S. 315ff., 355; 80, S. 81 ff., 92; 81, S. 310ff., 334; 85, S. 360ff., 384; 90, S. Iff., 11; 93, S. 85ff.,95. 260 Bleckmann, Grundrechte, S. 243, Rn. 1; Jarass, AöR 110 (1985), S. 363 ff., 376-378; Pieroth/Schlink, Grundrechte, S. 20f., Rn. 76-84; BVerfGE 7, S. 198ff., 205; 21, S. 362ff., 371 f.; 35, S. 79ff., 114; 42, S. 143ff., 148; 52, S. 131 ff., 165f., 168f.; 53, S. 257ff., 298, 312; 60, S. 234ff., 239; 62, S. 230ff., 242f.; 73, S. 261 ff., 269; 81, S. 40ff., 52; 82, S. 272ff., 280; 89, S. 214 ff., 229 f. 261 Bethge, VVDStRL 57 (1998), S. 7 ff., 14, 53; Bleckmann, Grundrechte, S. 243, Rn. 1, S. 247, Rn. 6; Breuer, in: FG BVerwG, S. 89 ff., 89; Doehring, Staatsrecht, S. 207, 280; Hesse, Grundzüge, S. 130, Rn. 287; Jarass, AöR 110 (1985), S. 363 ff., 364; v. Münch, I., Grundbegriffe I, S. 87f., Rn. 167f.; ders., in: v. Münch/Kunig, GG, Vorb. Art. 1 -19, Rn. 16; Ossenbühl, in: FS K. Eichenberger, S. 183 ff., 183; BVerfGE 6, S. 55 ff., 71; 7, S. 198 ff., 204f.; 13, S. 318ff., 325f.; 21, S. 362ff., 369; 35, S. 79ff., 112; 39, S. 68ff., 70ff.(abweichende Meinung); 50, S. 290ff., 337; 61, S. 82ff., lOOf.; 68, S. 193ff., 205; 75, S. 192ff., 195 und die Nachweise in Fn. 111. 262 Bleckmann, Grundrechte, S. 243, Rn. 1, S. 257 f., Rn. 33 f., S. 269, Rn. 53; Friauf, DVB1. 1971, S. 674ff., 676f.; Häberle, VVDStRL 30 (1972), S. 43 ff., 75 ff., 83 f., 94f., 108, 112, 135; Rupp, JZ 1970, S. 165 ff., 166 f; ders., JZ 1971, S. 401 ff., 402; ders., AöR 101 (1976), S. 161 ff., 176 ff. Leistungsrechte in der Rechtsprechung: Originäre Leistungsrechte: BVerwGE 23, S. 347 ff., 349f.; 27, S. 360ff., 362-364; 70, S. 290ff., 292; 74, S. 134ff., 136; BVerwG, NVwZ 1987, S. 680 f., 681 (Art. 7 Abs. 4 GG: verfassungsunmittelbarer Anspruch auf finanzielle Förderung wird grundsätzlich bejaht; aufgegeben durch BVerwGE 79, S. 154 ff., 156 f., wo zwar einerseits Art. 7 Abs. 4 GG im Einklang mit der bisherigen Rechtsprechung leistungsrechtlich interpretiert, ein verfassungsunmittelbarer Leistungsanspruch aber nunmehr verneint wird); 61, S. 15 ff., 19 f. (Art. 12 Abs. 1 GG - Anspruch auf Veröffentlichung von Verwaltungsvorschriften - abgelehnt); BVerwG, NJW 1997, S. 2465 ff., 2466 f. (Art. 12 Abs. 1 GG: Anspruch auf eine bestimmte Ausstattung einer vorhandenen Einrichtung - abgelehnt); teilweise werden hier weitere Entscheidungen genannt, so insbesondere BVerwGE 1, S. 159ff.; 9, S. 78ff.; VG Frankfurt am Main, DVB1. 1969, S. 940ff.; VG Berlin, DVB1. 1970,S. 150ff. und BVerfGE 33, S. 303 ff. Der Verweis aufBVerwGE 1,S. 159ff. ist unzutreffend. Das Bundesverwaltungsgericht hat in dieser Entscheidung kein Recht auf Fürsorge unmittelbar aus den Grundrechten hergeleitet, es hat lediglich das Menschenbild des Grundgesetzes herangezogen, um die einfachgesetzlich bestehende objektiv-rechtliche Pflicht zur Fürsorge als subjektives Recht zu interpretieren. Sehr zweifelhaft ist auch die Einordnung der Entscheidung BVerwGE 9, S. 78 ff., wo der gesetzlich geregelten Impfpflicht ein Recht auf Impfung entnommen wird. Entgegen der Formulierung auf S. 80 f. spricht viel dafür, daß das Grundrecht wieder nur als subjektivierender Auslegungsgesichtspunkt herangezogen wird. Die übrigen Entscheidungen betreffen Zulassungsbeschränkungen für Studienanfänger. Das Bundesverfassungsgericht hat die Frage eines verfassungsunmittelbaren Anspruchs auf Schaffung von Studienplätzen aus Art. 12 Abs. 1 S. 1 GG lediglich in einem obiter dictum aufgeworfen und offengelassen, BVerfGE 33, S. 303 ff., 333, und die beiden
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subjektive öffentliche Recht
lassen sich Einrichtungsgarantien,263 Schutzpflichten 264 sowie Organisations- und Verfahrensgehalte 265 unterscheiden. Inwieweit diesen objektiven Grundrechtsverwaltungsgerichtlichen Judikate deuten einen derartigen Anspruch allenfalls mittelbar an; primär betonen sie die Pflicht des Staates, eine angemessene Zahl von Studienplätzen zur Verfügung zu stellen, VG Frankfurt am Main, DVB1. 1969, S. 940 ff., 941 f.; VG Berlin, DVB1. 1970, S. 150 ff., 151. Das Bundesverwaltungsgericht hat in jüngerer Zeit einen verfassungsunmittelbaren Anspruch aus Art. 12 Abs. 1 GG auf Schaffung von Einrichtungen oder auf eine bestimmte Ausstattung vorhandener Einrichtungen definitiv abgelehnt, BVerwG, NJW 1997, S. 2465 ff., 2467. Derivative Leistungsrechte wurden etwa bejaht oder für möglich gehalten in: BVerfGE 6, S. 273ff., 281; 17, S. 122ff., 134; 21, S. 329ff., 337f.; 27, S. 220ff., 230f.; 27, S. 391 ff., 399; 33, S. 303ff., 330-332; 45, S. 376ff., 385, 392; 88, S. 87ff., 101; BerlVerfGH, NVwZ 1997, S. 790ff., 791; BVerwGE 8, S. 4ff., 10; 26, S. 153ff., 155ff., 158; 52, S. 339ff., 341 f., 346-350; 55, S. 349ff., 351 f.; BVerwG, B. v. 16. 05. 1986 - Buchholz 421.2 Nr. 114, S. 86ff., 87. 263 Bleckmann, Grundrechte, S. 243, Rn. 1, S. 272 ff., Rn. 61-117; v. Münch, I., in: v. Münch/Kunig, GG, Vorb. Art. 1-19, Rn. 23; Pieroth/Schlink, Grundrechte, S. 19, Rn. 70-72; Stern, Staatsrecht III/1, S. 751 ff.; aus der Rechtsprechung vergleiche etwa: BVerfGE 6, S. 55ff., 72; 10, S. 59ff., 66; 24, S. 119ff., 135; 31, S. 58ff., 67; 62, S. 323ff., 329; 76, S. Iff., 49; 80, S. 81 ff., 92 (Ehe und Familie); BVerfGE 20, S. 351 ff., 355; 24, S. 367 ff., 389 (Eigentum); BVerfGE 4, S. 96 ff., 106; 18, S. 18 ff, 26f.; 19, S. 303 ff., 321 f.; 20, S. 312 ff., 317; 28, S. 295 ff., 304ff., insbesondere 306; 38, S. 281 ff., 306; 38, S. 386 ff., 393; 50, S. 290ff., 368f.; 57, S. 220ff., 245f.; 84, S. 212ff., 228; 88, S. 103ff., 115; 92, S. 365 ff., 394; 93, S. 352 ff., 358 ff., insbesondere 360 (Koalitionen und Tarifvertragssystem); BVerfGE 10, S. 118 ff., 121; 20, S. 162 ff., 175; 48, S. 367 ff, 373 f.; 62, S. 230ff., 243; 66, S. 116 ff., 133 (Presse); BVerfGE 6, S. 309 ff., 355; 27, S. 195 ff., 200; 75, S. 40 ff., 61 f.; 90, S. 107ff., 114 (Privatschule); BVerfGE 12, S. 205ff., 260; 31, S. 314ff., 326; 57, S. 295 ff., 320 (Rundfunk). 264 Bleckmann, Grundrechte, S. 243, Rn. 1, S. 336ff., Rn. 204-239; Böckenförde, Der Staat 29 (1990), S. Iff., 12; Jarass, AöR 110 (1985), S. 363 ff., 378 f.; v. Münch, I., in: v. Münch/Kunig, GG, Vorb. Art. 1-19, Rn. 22; Pieroth/Schlink, Grundrechte, S. 21, Rn. 82-84; Stern, Staatsrecht I I I / l , S. 931 ff.; besondere Schutzpflichten: BVerfGE 6, S. 55ff., 76; 9, S. 237ff., 242; 10, S. 59ff., 66; 11, S. 64ff., 69; 13, S. 290ff., 295f.; 17, S. 210ff., 218f.; 20, S. 31 ff., 33f.; 21, S. I f f , 6; 21, S. 329ff., 353; 24, S. 104ff., 109; 24, S. 119ff., 135; 28, S. 104ff., 113; 31, S. 58ff., 68f.; 32, S. 261 ff., 267; 38, S. 154ff., 170; 38, S. 241ff., 254; 40, S. 121ff., 132; 42, S. 64ff., 77; 42, S. 95ff., 101; 43, S. 108 ff, 121; 47, S. Iff., 19; 48, S. 346ff, 366; 53, S. 224ff, 248; 55, S. 114ff., 126f.; 55, S. 134ff., 141 f.; 61, S. 18ff., 25; 76, S. Iff., 41, 65f., 68; 79, S. 256ff., 267; 80, S. 81 ff., 92f.; 81, S. 1ff., 6f.; 82, S. 60ff„ 81, 86; 82, S. 198ff., 206; 87, S. 1 ff, 35f.; 88, S. 203ff., 260; 89, S. 315 ff., 322 f.; 89, S. 346 ff., 352 (Ehe und Familie); BVerfGE 10, S. 59 ff., 84; 24, S. 119 ff., 144; 38, S. 241 ff, 255; 55, S. 171 ff., 179, 182; 56, S. 363 ff., 382, 384; 57, S. 361 ff., 382; 59, S. 360ff., 376; 60, S. 79ff, 88; 61, S. 358ff., 372; 72, S. 122ff., 134; 79, S. 51 ff., 66; 90, S. 145 ff., 218 (Pflege und Erziehung der Kinder); BVerfGE 32, S. 273 ff., 276f.; 37, S. 121 ff, 125; 44, S. 211ff., 215; 47, S. 1 ff., 20; 52, S. 357 ff., 365; 55, S. 154ff., 157f.; 60, S. 68ff., 74; 65, S. 104ff., 113; 84, S. 133ff, 155f.; 85, S. 167ff., 174f.; 88, S. 203 ff., 258 (Mütter); BVerfGE 75, S. 40ff., 62, 65 ff.; 90, S. 107 ff., 114ff.; 90, S. 128 ff., 138 f., 143 (Privatschule); BVerfGE 35, S. 79 ff., 114 f.; 43, S. 242 ff., 267 f.; 47, S. 327 ff., 387; 66, S. 155ff., 177f.; 67, S. 202ff., 207; 85, S. 360ff., 384; 88, S. 129ff., 137 (Wissenschaft); BVerfGE 36, S. 321 ff., 331; 67, S. 213ff, 225; 81, S. 108ff., 116 (Kunst); allgemeine Schutzpflichten: grundlegend BVerfGE 39, S. 1ff., 41 f., 44; seither gefestigte Rechtsprechung: BVerfGE46, S. 160ff., 164; 49, S. 24ff., 53; 49, S. 89ff, 132,141 f.; 53, S. 30ff., 57; 56, S. 54ff., 73; 57, S. 250ff., 284f.; BVerfG, NJW 1983, S. 2931ff., 2932; BVerfGE 66,
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2. Teil: Das subjektive öffentliche Recht
gehalten subjektive Rechte entsprechen, ist überwiegend ungeklärt, 266 im Rahmen dieser Untersuchung jedoch von besonderem Interesse.
II. Die Auslegung der Grundrechte 1. Offenheit der Grundrechtsbestimmungen Welche Aussagen objektiver und subjektiver Art sich den einzelnen Grundrechten entnehmen lassen, ist angesichts der Unbestimmtheit ihres Wortlauts eine schwer zu beantwortende Frage. Nicht ohne Grund wurden sie denn auch als „Lapidarformeln und Grundsatzbestimmungen" 267 bezeichnet. Grundrechtsinterpretation wird damit zur ausfüllenden Interpretation, zur Konkretisierung der Verfassung, 268 und geht insoweit über die erläuternde Auslegung von Gesetzen hinaus. Wegen der Offenheit des Wortlauts der Grundrechte greifen die zur Auslegung von Gesetzen entwickelten Interpretationsmethoden nur partiell. Darüber hinaus S. 39ff., 61; BVerfG, NJW 1987, S. 2287f., 2287; BVerfGE 77, S. 170ff., 214; 77, S. 381 ff., 402f.; 79, S. 174ff., 201 f.; 81, S. 242ff., 254ff.; 84, S. 133ff., 147; 85, S. 191 ff., 212; 87, S. 363ff., 386; 88, S. 203ff., 251-253; 90, S. 145ff., 195; 92, S. 26ff., 46; 92, S. 140ff., 150; BVerfG, NJW 1995, S. 2343, BVerfGE 93, S. Iff., 16; BVerfG, NJW 1996, S. 651; BVerfG, NJW 1996, S. 651 f., 652; BVerfG, NJW 1997, S. 1769f., 1770; BVerfG, NJW 1997, S. 2509 f.; BVerfG, NJW 1997, S. 3085; BVerfG, UPR 1998, S. 145 f., 145; BVerfG, NJW 1998, S. 975 f., 976; BVerfG, UPR 1998, S. 341 ff., 342 f.; dem Bundesverfassungsgericht folgend etwa BerlVerfGH, NVwZ 1996, S. 886 f., 886; BVerwG, NVwZ 1996, S. 1003 ff., 1005. 265 Bleckmann, Grundrechte, S. 243, Rn. 1, S. 301 ff., Rn. 118-144; v. Münch, I. in: v. Münch/Kunig, GG, Vorb. Art. 1 - 1 9 , Rn. 25; Stern, Staatsrecht III/1, S. 953ff.; Organisationsgehalte: BVerfGE 12, S. 205ff., 262f.; 31, S. 314ff., 325f.; 87, S. 181 ff., 198; BVerfG, NVwZ 1996, S. 781 ff., 782 (Rundfunkfreiheit); BVerfGE 35, S. 79ff., 115; 39, S. 247ff., 255; 43, S. 242ff., 267 ff.; 47, S. 327 ff., 387 f.; 51, S. 369ff., 378 f.; 54, S. 363 ff., 387; 55, S. 37ff., 58 f.; 61, S. 210ff., 239ff.; 67, S. 202ff., 207; 85, S. 360ff., 384; 88, S. 129ff., 137; 93, S. 85ff., 95; BerlVerfGH, NVwZ 1997, S. 790ff., 790f.; (Wissenschaftsfreiheit); Verfahrensgehalte: 63, S. 131 ff., 143 (allgemeines Persönlichkeitsrecht); 52, S. 214ff., 219; 53, S. 30 ff., 65 f., 72 ff. (Leben und körperliche Unversehrtheit); 72, S. 122 ff., 134 (Wächteramt des Staates); 37, S. 67ff., 81 ff.; 39, S. 276ff., 294f.; 41, S. 251 ff., 265; 45, S. 422ff., 430ff.; 50, S. 16ff., 30; 52, S. 380ff., 389f.; 84, S. 34ff., 46; 84, S. 59ff., 72 (Berufsfreiheit); 24, S. 367 ff., 401; 35, S. 348 ff., 361; 37, S. 132ff., 141, 148; 45, S. 297 ff., 322; 46, S. 325 ff., 334; 49, S. 220ff., 225; 51, S. 150ff., 156 (Eigentumsfreiheit); 52, S. 391 ff., 408; 65, S. 76 ff., 93 f. (Asylrecht); Organisations- und Verfahrensgehalte: 65, S. 1 ff., 44, 49 (allgemeines Persönlichkeitsrecht); 57, S. 295 ff., 320; 60, S. 53 ff., 64; 73, S. 118 ff., 153; 74, S. 297 ff., 324; 83, S. 238 ff., 296; 90, S. 60 ff., 88, 96 (Rundfunkfreiheit); 69, S. 315 ff., 355 f. (Versammlungsfreiheit); 56, S. 216 ff., 236; 60, S. 253 ff., 295 (Asylrecht). 266 Jarass, AöR 110(1985), S. 363 ff., 396; Stern, Staatsrecht III /1, S. 978 f. 267 Böckenförde, Grundrechtstheorie, S. 221 ff., 221. 268 Bleckmann, Grundrechte, S. 122, Rn. 49; Böckenförde, Grundrechtstheorie, S. 221 ff., 221; Hesse, Grundzüge, S. 24, Rn. 60.
C. Die Grundrechte als subjektive öffentliche Rechte
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ist anerkannt, daß für die Verfassungsinterpretation Spezifika gelten und die herkömmlichen Auslegungsmethoden teilweise nicht sachgerecht sind. 269 Hier kann und soll nicht auf die Besonderheiten der Verfassungsinterpretation insgesamt eingegangen werden; wichtig ist nur die Erkenntnis, daß die Auslegung der Grundrechte durch den Wortlaut häufig nur in ganz geringem Maß determiniert ist. 270 Entscheidend für eine bestimmte Interpretation der Grundrechte und damit für die Anerkennung weiterer Grundrechtsgehalte sowie eventuell korrespondierender subjektiver öffentlicher Rechte neben dem abwehrrechtlichen Gehalt wird damit in weit stärkerem Umfang als bei der Auslegung von Gesetzen das Vorverständnis des Interpreten. Dieses Vorverständnis bezieht sich auf eine bestimmte Staatsauffassung und /oder Verfassungstheorie. Damit einher geht eine bestimmte Grundrechtstheorie, wobei hierunter im Anschluß an E. W. Böckenförde „eine systematisch orientierte Auffassung über den allgemeinen Charakter, die normative Zielrichtung und die inhaltliche Reichweite der Grundrechte" 271 verstanden wird. Derartige Grundrechtstheorien sollen im folgenden dargestellt werden.
2. Grundrechtstheorien und Grundrechtsverständnis a) Die klassischen Grundrechtstheorien E. W. Böckenförde 272 unterscheidet fünf Grundrechtstheorien: die liberale oder bürgerlich-rechtsstaatliche, die sozialstaatliche, die demokratisch-funktionale sowie die institutionelle Grundrechtstheorie und die Werttheorie der Grundrechte. Nach der liberalen Grundrechtstheorie 273 sind die Grundrechte Freiheitsrechte des einzelnen gegenüber dem Staat. Ihre Funktion besteht in der Sicherung einer individuellen Freiheitssphäre gegen die staatliche Gewalt. Aufgabe des Staates ist die Gewährleistung von Sicherheit und Ordnung. Dieser Auffassung liegt ein vorstaatlicher Freiheitsbegriff zugrunde.274 Freiheit ist keine inhaltlich bestimmte po269 Bleckmann, Grundrechte, S. 122ff., Rn. 48-53. 270 Das bedeutet aber nicht, daß dem Wortlaut keine Bedeutung zukäme. Der mögliche Wortsinn markiert auch bei den Grundrechten die Grenze der Auslegung. Darüber hinaus lassen sich den unterschiedlichen Formulierungen durchaus auch Inhalte abgewinnen. Für eine stärkere Orientierung am jeweiligen Grundrecht bei der Ermittlung von einzelnen Grundrechtsgehalten, insbesondere auch am Wortlaut, spricht sich ebenfalls Jeand'Heur, JZ 1995, S. 161 ff., 162,165 aus. 271 Grundrechtstheorie, S. 221ff., 221 f. 272 Grundrechtstheorie, S. 221 ff. 273 Als Vertreter seien neben Böckenförde beispielhaft Schmitt, Verfassungslehre, und H. H. Klein, Der Staat 10 (1971), S. 145 ff., 164 genannt. Schmitt geht in seiner Verfassungslehre von dieser Bedeutung der Grundrechte im bürgerlichen Rechtsstaat aus. Konkret beziehen sich seine Ausführungen auf die Weimarer Verfassung, die nach seiner Auffassung diesen Staatstypus repräsentiert, Verfassungslehre, S. XIII. 274 Schmitt, Verfassungslehre, S. 126. 5 Eisele
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2. Teil: Das subjektive öffentliche Recht
sitive Freiheit, sondern negative Freiheit, die Freiheit des Beliebens, der individuellen Willkür. 275 Sie ist prinzipiell unbegrenzt. Jeder staatliche Eingriff in die Freiheit bedarf einer spezifischen Rechtfertigung, 276 die sich nur aus den oben genannten staatlichen Aufgaben ergeben kann. 277 Bestimmende Leitidee des liberalen Grundrechtsverständnisses ist die Gewährleistung größtmöglicher individueller Freiheit im oben dargestellten Sinn. Die Grundrechte haben nach diesem Verständnis (nur) den Charakter von Abwehrrechten. Die sozialstaatliche Grundrechtstheorie 278 sieht als Gewährleistungsinhalt der Grundrechte nicht nur die rechtliche Freiheit, sondern die reale Freiheit des einzelnen an. 2 7 9 Wichtigste Konsequenzen dieser Ansicht sind die Verpflichtung des Staates, reale Freiheit zu ermöglichen und, noch einen Schritt weitergehend, subjektive öffentliche Rechte des einzelnen gegen den Staat auf positive Handlungen zur Ermöglichung wirklicher Freiheit. Die sozialstaatliche Theorie führt gegenüber der liberalen Theorie zu einer Erweiterung der Grundrechtsfunktionen. Grundrechte sind nicht nur Abwehrrechte, sie beinhalten auch Rechte auf positive Handlungen des Staates.280 Gegenüber dem Freiheitsbegriff verhält sie sich neutral; er kann sowohl negativ im Sinne der liberalen Theorie als auch positiv sein.281 Dagegen liegt der demokratisch-funktionalen Grundrechtstheorie ein positiver Freiheitsbegriff zugrunde.282 Die Vertreter dieser Theorie 283 betonen die öffentliche und politische Funktion der Grundrechte. Die Grundrechte dienen primär der Ermöglichung und dem Schutz des demokratischen Willensbildungsprozesses.284 Diese Aufgabe bestimmt den Inhalt der Grundrechte und begrenzt sie. Die Grundrechte gewährleisten damit keine Freiheit des Beliebens, sondern eine dienende Freiheit: Freiheit zur Ermöglichung und zur Sicherung des politischen Prozesses.285 Die Auswirkungen für die Interpretation der Grundrechte hängen von der Radikalität ab, mit der die Theorie vertreten wird. In ihrer konsequentesten Durchführung bedingt sie die Aufhebung der individuellen Freiheit im Sinne der libera275 Klein, H. H., Der Staat 10 (1971), S. 145 ff., 164. 276 Schmitt, Verfassungslehre, S. 126 f., 158 f. 277 Böckenförde, Grundrechtstheorie, S. 221 ff., 224 f. 278 Beispielhaft als Vertreter angeführt sei Häberle, VVDStRL 30 (1972), S. 43 ff. 279 Häberle, VVDStRL 30 (1972), S. 43 ff., 57, Fn. 53,96. 280 Böckenförde, Grundrechtstheorie, S. 221 ff., 238; Häberle, VVDStRL 30 (1972), S. 43 ff., 69 ff. 281 Böckenförde, Grundrechtstheorie, S. 221 ff., 238 f. 282 Ridder, Meinungsfreiheit, S. 243 ff., 261; Böckenförde, Grundrechtstheorie, S. 221 ff., 236. 283 Hervorgehoben seien Krüger, Staatslehre; Ridder, Meinungsfreiheit und Smend, Bürger. 284 Krüger, Staatslehre, S. 542-544, 548; Ridder, Meinungsfreiheit, S. 243 ff., 257 f., 288f.; Smend, Bürger, S. 309ff., 318f. (S. 318: „persönliches Berufsrecht des deutschen Staatsbürgers"; S. 319, Fn. 15: „politische Berufsrechte"). 285 Böckenförde, Grundrechtstheorie, S. 221 ff., 235 f.
C. Die Grundrechte als subjektive öffentliche Rechte
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len Theorie; Freiheit wird zur Pflicht. 286 Harmlosere Varianten führen jedenfalls zu einem Vorrang des politischen Freiheitsgebrauchs gegenüber dem privaten Freiheitsgebrauch.287 Ebenfalls ein inhaltlich bestimmter Freiheitsbegriff liegt der institutionellen Grundrechtstheorie zugrunde.288 Nach dieser Theorie 289 enthält jedes Grundrecht eine individualrechtliche und eine institutionelle Komponente.290 Letztere gewährleistet den Normenkomplex des vom jeweiligen Grundrecht umfaßten Lebensbereichs,291 wobei der Normenkomplex die gesetzliche Ausgestaltung der Grundrechtsidee ist, die dem Grundrecht zugrundeliegt.292 Kennzeichnend für das institutionelle Grundrechtsverständnis ist eine Unterordnung des subjektiven Grundrechts, verstanden als Abwehrrecht, unter das ebenfalls im Grundrecht gewährleistete objektive Lebensverhältnis,293 auch wenn P. Häberle, einer der bedeutendsten Vertreter der Theorie, dem widerspricht. Zum Verhältnis der Grundrechtsinhalte führt er aus: „Die individuelle Freiheit bedarf der institutionell gewährleisteten Lebensverhältnisse, der institutionellen Seite der Grundrechte sowie der diese anreichernden Normenkomplexe. Diese geben ihr Richtung und Maß, Sicherheit und Geborgenheit, Inhalt und Aufgabe— Die individuelle Freiheit bedarf objektiver Ordnungen, in denen sie sich bewähren und entfalten kann. Diese stützen und prägen sie. Damit rechtfertigt es sich auch, die institutionelle Seite der Grundrechte als Stärkung, nicht als Gefährdung der individualrechtlichen zu verstehen." 294 Trotz seiner gegenteiligen Schlußfolgerung gefährdet die institutionelle Deutung der Freiheitsrechte ihren abwehrrechtlichen Gehalt, da die individuelle Freiheit nur im Rahmen der objektiven Ordnung besteht und letztlich durch diese definiert wird. Nur solange der Grundrechtsträger sein Grundrecht innerhalb der vorgegebenen „Freiheit als Institut"295 ausübt, genießt er Grundrechtsschutz.296 In dieser Schwächung der Abwehrfunktion der Grundrechte gleichen sich die demokratisch-funktionale und die institutionelle Theorie. Während jedoch der Inhalt der 286 Krüger, Staatslehre, S. 542-544, 548; Ridder, Meinungsfreiheit, S. 243 ff., 259; Böckenförde, Grundrechtstheorie, S. 221 ff., 237. 287 Böckenförde, Grundrechtstheorie, S. 221 ff., 237; eindrucksvolle Beispiele bei H. H. Klein, Grundrechte, S. 13-17. 288 Böckenförde, Grundrechtstheorie, S. 221 ff., 229 f. 289 Als herausragender Vertreter sei Häberle, Wesensgehaltsgarantie, genannt. 290 Häberle, Wesensgehaltsgarantie, S. 70. 291 Häberle, Wesensgehaltsgarantie, S. 96. 292 Häberle, Wesensgehaltsgarantie, S. 105 f. 293 Bleckmann, Grundrechte, S. 287, Rn. 86; Böckenförde, Grundrechtstheorie, S. 221 ff., 228-231; Schmidt-Jortzig, Einrichtungsgarantien, S. 64; Steiger, Institutionalisierung, S. 91 ff., 108, 111; Steinbeiß-Winkelmann, Freiheit, S. 388,422. 294 Häberle, Wesensgehaltsgarantie, S. 98. 295 Häberle, Wesensgehaltsgarantie, S. 99. 296 Böckenförde, Grundrechtstheorie, S. 221 ff., 232; Grabitz, Freiheit, S. 229-232 (S. 230=238 - Fehldruck); Häberle, Wesensgehaltsgarantie, S. 99 f. 5*
2. Teil: Das subjektive öffentliche Recht
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Freiheit bei ersterer klar ist, ist dies bei letzterer nicht der Fall. Hier ist der Inhalt der Freiheit abhängig von der objektiven Ordnung des jeweiligen Lebensbereichs. Die Frage, wie diese objektive Ordnung als Ausgestaltung der Grundrechtsidee im einzelnen aussieht, soll hier nicht weiter vertieft werden. Es soll der Hinweis genügen, daß hierfür die Heranziehung von Leitbildern, 297 Prinzipien oder Werten 298 nötig ist. Hiermit nähert sich die institutionelle Theorie der Werttheorie der Grundrechte. Die Werttheorie der Grundrechte basiert auf der Annahme, daß die Grundrechte nicht nur subjektive Rechte des einzelnen darstellen, sondern darüber hinaus eine objektive Wertordnung verkörpern. 299 Der jeweilige objektive Wert, der hinter dem Grundrecht steht, determiniert die grundrechtliche Freiheit. 300 Damit treffen die Aussagen zum Grundrechtsverständnis der demokratisch-funktionalen und institutionellen Theorie hier ebenfalls zu. Es besteht die Gefahr, daß das Grundrecht als individuelles Abwehrrecht hinter einem höheren Wert zurücktritt und stark relativiert wird. Hinzu kommen die Problematik der juristischen Begründbarkeit von Werten und einer Rangfolge der Werte. 301 Angesichts der doch deutlichen Unterschiede im Hinblick auf das Grundrechtsverständnis und dessen großer Relevanz für das Ergebnis der Untersuchung stellt sich die Frage nach der „richtigen" Grundrechtstheorie. Dies umso mehr, als das Bundesverfassungsgericht fallbezogen jede der genannten Theorien zur Begründung heranzieht.302 Allerdings kann die Problematik nur abrißhaft und insoweit behandelt werden, als es für den Fortgang der Untersuchung erforderlich ist. Eine vertiefende Darstellung würde den Rahmen der Dissertation sprengen.
b) Die „richtige" Grundrechtstheorie Ausgangspunkt der Überlegungen seien die Thesen E. W. Böckenfordes, daß ein beliebiger Wechsel zwischen den verschiedenen Grundrechtstheorien ausgeschlos297
Häberle, Wesensgehaltsgarantie, S. 105. So die Interpretation Häberles durch Alexy, Grundrechte, S. 513. 299 So schon Smend, Verfassung, S. 119ff., 260ff., 264-268; ders., Meinungsäußerung, S. 89 ff., 91 f., 96, 106 (der aber in einer späteren Abhandlung der demokratisch-funktionalen Auslegung der Grundrechte den Vorzug gibt, vergleiche Bürger, S. 309 ff., 318 f., insbesondere S. 319, Fn. 15); Werttheorie und demokratisch-funktionale Theorie verbindend Krüger, Staatslehre, S. 540 - 544,546 f., 548. 300 Böckenförde, Grundrechtstheorie, S. 221 ff., 232 f. 298
301 Böckenförde hält eine juristische Begründbarkeit von Werten und einer Rangfolge von Werten für ausgeschlossen, Grundrechtstheorie, S. 221 ff., 233, 235; dies überzeugt aber nicht, vergleiche dazu Alexy, Grundrechte, S. 138 ff., insbesondere S. 142 f., S. 143 ff., insbesondere S. 146, 152. 302 Böckenförde, Grundrechtstheorie, S. 221 ff., 241 mit Nachweisen aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts.
C. Die Grundrechte als subjektive öffentliche Rechte
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sen sei, es nur eine verfassungsgemäße Grundrechtstheorie gebe und dies die liberale Theorie, modifiziert durch das Sozialstaatsprinzip, sei. 303 Zutreffend hieran ist die Erkenntnis E. W. Böckenfördes, daß die Verfassung Vorgaben für die Grundrechtsinterpretation gibt, die nicht durch irgendeine Theorie überspielt werden dürfen. Gegen die sozialstaatliche Theorie in ihrer extremen Form der Bejahung verfassungsunmittelbarer Leistungsansprüche spricht unter anderem, daß das Sozialstaatsprinzip nicht im Grundrechtsteil der Verfassung verankert wurde, sondern sich bei den Staatszielbestimmungen findet, und der Verfassungsgeber bewußt auf die Aufnahme sozialer Grundrechte in die Verfassung verzichtet hat. 304 Aus logischen Gründen zwingend ist auch, daß allen Freiheitsrechten derselbe Freiheitsbegriff eigen ist. Dieser Freiheitsbegriff ist der Freiheitsbegriff der liberalen Theorie. Das folgt aus der Entstehungsgeschichte der Grundrechte. Argumente, die einen positiven Freiheitsbegriff im Sinne des demokratisch-funktionalen oder institutionellen Verständnisses tragen und das Argument der Genese der Freiheitsrechte entkräften könnten, sind nicht ersichtlich. Ferner ist E. W. Böckenförde zuzugeben, daß ein willkürlicher Wechsel zwischen den Grundrechtstheorien nicht zulässig ist. Eine Verabsolutierung der liberalen Theorie folgt aber hieraus nicht. E. W. Böckenförde selbst hält eine Grundrechtstheorie, die bestimmte Teile der dargestellten Theorien in sich aufnimmt, für möglich und zulässig.305 Er entscheidet sich für die liberale Theorie und modifiziert sie durch das Sozialstaatsprinzip. Sie wird aber auch durch die verschiedenen Gewährleistungsinhalte der jeweiligen Grundrechtsbestimmungen beeinflußt. Soweit diese beispielsweise Einrichtungsgarantien beinhalten,306 indiziert dies Interdependenzen mit dem subjektiven Abwehrrecht. Dieses kann dadurch verstärkt, aber in bestimmten Beziehungen auch geschwächt werden. Das kann die Grundrechtsauslegung dieser Grundrechte in die Nähe des institutionellen Grundrechtsverständnisses bringen und das liberale Element zurückdrängen. Daneben sind auch die übrigen Staatszielbestimmungen grundsätzlich geeignet, auf das liberale Grundrechtsverständnis einzuwirken, so daß sich bei der Auslegung von Grundrechten, die für die Demokratie wesentlich sind, durchaus Ansätze der demokratisch-funktionalen Theorie in der Begründung wiederfinden können. Ebenso kann die Werttheorie der Grundrechte nicht gänzlich verworfen werden. Zwar wird zu Recht auf die mit ihr verbundenen Gefahren hingewiesen, es darf aber nicht übersehen werden, daß die Grundrechte gemeinhin vom Bürger als Ausdruck der obersten Werte der staatlichen Gemeinschaft verstanden werden. Die Grundrechtstheorie E. W. Böckenfördes greift daher zu kurz, da sie ausschließlich das liberale und sozialstaatliche 303 Böckenförde, Grundrechtstheorie, S. 221 ff., 241 -245. 304 Breuer, in: FG BVerwG, S. 89ff., 92f.; Friesenhahn, Wandel, G 1 ff., 13; Klein, H. H., Grundrechte, S. 65; Martens, W , VVDStRL 30 (1972), S. 7 ff., 30. 305 Böckenförde, Grundrechtstheorie, S. 221 ff., 242 f. 306 Derartige Grundrechtsgehalte bejaht Böckenförde in Übereinstimmung mit der herrschende Meinung, Grundrechtstheorie, S. 221 ff., 227; näher zu den Einrichtungsgarantien unten S. 79 ff.
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2. Teil: Das subjektive öffentliche Recht
Element der Verfassung betont. Vorzuziehen ist die Theorie von R. Alexy, der eine einseitige Orientierung an der liberalen Theorie ablehnt und sich für eine sogenannte Bündeltheorie ausspricht.307 Nach seiner Auffassung enthalten die Grundrechte, aber auch andere Verfassungsbestimmungen, Prinzipien, 308 Optimierungsgebote,309 die bei einer Kollision gegeneinander abgewogen werden müssen,310 wobei er zugunsten der Prinzipien der rechtlichen Freiheit im Sinne der liberalen Theorie und der rechtlichen Gleichheit einen Vorrang im Sinne einer Argumentationslast zugunsten dieser Prinzipien annimmt.311
I I I . Die Grundrechtsgehalte im einzelnen 1. Die Grundrechte als Abwehrrechte Die klassisch liberale Funktion der Grundrechte als Abwehrrechte gegen staatliches Handeln und der subjektiv-rechtliche Charakter des abwehrrechtlichen Gehalts ist ganz überwiegend anerkannt.312 In dieser Funktion sind die Grundrechte für die vorliegende Untersuchung unergiebig, da hier Leistungsansprüche gegen den Normgeber in Frage stehen.
2. Die Grundrechte als Leistungsrechte a) Gegenstand des Meinungsstreits Die hier darzustellende Diskussion betrifft vorrangig die Frage, ob die im Grundgesetz enthaltenen Grundrechte, präziser: die Freiheitsgrundrechte, grundsätzlich als Leistungsrechte ausgelegt werden können. Der Gleichheitssatz und seine Konkretisierungen sind zwar nicht ausgenommen, sie nehmen aber insofern eine Sonderrolle ein, als hier Übereinstimmung besteht, daß diese Grundrechtsartikel nicht nur Schutz gegen ungleiche Belastungen gewähren, sondern auch gleiche Begünstigung gebieten.313 Ferner leiten einige Autoren Leistungsansprüche zur 307 Alexy, Grundrechte, S. 516. 308 Alexy,Grundrechte, S. 117-120, 122,125. 309 Alexy, Grundrechte, S. 75 f.; ihm folgend Unruh, Dogmatik, S. 52, der den Prinzipiencharakter aber auf die Fallkonstellation der Grundrechtskollision beschränkt. 310 Alexy, Grundrechte, S. 78-84. 3" Alexy, Grundrechte, S. 517. 312 Vergleiche die Nachweise in Fn. 111 und Fn. 261. 313 Dürig, in: Maunz-Dürig, GG, Art. 3 Abs. I, Rn. 345; Erichsen, DVB1. 1983, S. 289 ff., 296; Friesenhahn, Wandel, G Iff., 21; Gubelt, in v. Münch/Kunig, GG, Art. 3, Rn. 10; Hesse, AöR 77 (1951/52), S. 167ff., 219f.; Martens, W., VVDStRL 30 (1972), S. 7ff., 21 f.; ders., in: FS H. J. Wolff, S. 429ff., 440; Pieroth/Schlink, Grundrechte, S. 17, Rn. 61, S. 102 f., Rn. 435; Rüfner, in: Bonner Kommentar, Art. 3, Rn. 5.
C. Die Grundrechte als subjektive öffentliche Rechte
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Verwirklichung der Freiheitsrechte aus dem allgemeinen Gleichheitssatz ab; einer Auslegung der Freiheitsrechte als Leistungsrechte bedarf es dann nicht. Der Meinungsstreit bezieht sich nicht auf Grundrechtsbestimmungen, die bereits vom Wortlaut her auf eine positive Leistung gerichtet sind 314 oder keine subjektiven Rechte, auch keine Abwehrrechte, verbürgen. 315 Er ist zu trennen von der rechtspolitischen Erörterung, die unter dem Schlagwort „soziale Grundrechte" geführt wird und sich damit auseinandersetzt, inwieweit die Aufnahme von explizit formulierten positiven Leistungsrechten als sogenannte soziale Grundrechte in die Verfassung sinnvoll und wünschenswert ist. Letztere interessiert im vorliegenden Zusammenhang allerdings insoweit, als sich die einzelnen Argumente in den Diskussionen gleichen. b) Begriff des Leistungsrechts Neben dem Gegenstand der Erörterung bedarf auch der Begriff des Leistungsrechts einer Präzisierung. Die Diskussion, ob die Grundrechte generell als Leistungsrechte zu verstehen sind, bezieht sich ausschließlich auf solche Leistungsrechte, die nicht bereits aus dem abwehrrechtlichen Gehalt der Grundrechte abgeleitet werden können. Nicht von diesem Streit erfaßt werden daher negatorische Beseitigungsansprüche. Darüber hinaus wird unter Leistungsrecht in diesem Zusammenhang überwiegend nur das Recht auf positives Tun verstanden,316 Ansprüche auf Unterlassen also ausgeschlossen. Da Normerlaßansprüche auf ein positives Tun des Normgebers gerichtet sind, ist dieser Leistungsbegriff hier sachgerecht. Aus den einzelnen Argumenten ergibt sich aber eine weitere Verengung des Begriffs auf verfassungsunmittelbare Rechte auf positive faktische Handlungen, insbesondere auf finanzielle Unterstützung.317 Ansprüche auf positive normative Tätigkeit des Staates, die im Rahmen dieser Untersuchung vor allem interessieren, werden nicht in die Diskussion einbezogen. Rechte auf positive normative Tätigkeit bezeichnen solche Rechte, die nur durch Normsetzungsakte erfüllt werden können; für Rechte auf positives faktisches Handeln ist die Rechtsform der Erfüllung dagegen gleichgültig.318 Obwohl der Meinungsstreit die hier untersuchten Rechte auf Normerlaß also nicht erfaßt, ist es aufgrund der Strukturgleichheit der 314 Art. 1 Abs. 1 S. 2, Art. 3 Abs. 2 S. 2, Art. 6 Abs. 1, Art. 6 Abs. 2 S. 2, Art. 6 Abs. 4, Art. 6 Abs. 5; Art. 7 Abs. 4 S. 3 GG. 315 Genannt sei Art. 7 Abs. 1 GG. 316 Bleckmann, Grundrechte, S. 253, Rn. 24; Friauf, DVB1. 1971, S. 674ff., 675; Friesenhahn, Wandel, G 1 ff., 16, 21 f., 29; v. Münch, I., in: v. Münch/Kunig, GG, Vorb. Art. 1 -19, Rn. 18; Rupp, JZ 1971, S. 401 ff., 402. 317 Diese Verengung ist vorwiegend für die Diskussion originärer Leistungsrechte (zu diesem Begriff sogleich) zu konstatieren, die den Schwerpunkt des Meinungsstreits bildet. 318 Vergleiche zur Unterscheidung und Abgrenzung der Rechte auf positive normative Handlungen und der Rechte auf positive faktische Handlungen, Alexy, Grundrechte, S. 179 — 181, der letztere als Leistungsrechte im engeren Sinn bezeichnet und als Oberbegriff von Leistungsrechten im weiteren Sinn spricht, Alexy, Grundrechte, S. 180 und 405.
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2. Teil: Das subjektive öffentliche Recht
Rechte gerechtfertigt, wenn nicht sogar notwendig, den Meinungsstreit mit den wesentlichen Erwägungen darzustellen.
c) Originäre und derivative
Leistungsrechte
Im folgenden soll zwischen originären und derivativen Leistungsrechten unterschieden werden. Grundrechte, als originäre Leistungsrechte interpretiert, gewähren dem Grundrechtsträger Ansprüche auf positives staatliches Verhalten unabhängig von einem vorhergehenden staatlichen Tun. Derivative Leistungsrechte setzen dagegen voraus, daß der Staat bereits tätig geworden ist und geben einen Anspruch auf Beteiligung an vorhandenen Leistungen und Leistungseinrichtungen des Staates. 319 d) Interpretation
der Grundrechte als originäre Leistungsrechte
Ob die Grundrechte auch Leistungsrechte beinhalten, wird sehr kontrovers diskutiert. Der schwerpunktmäßig in den siebziger Jahren geführte Streit ist in der Wissenschaft heute in eine Ruhephase getreten. Die Aufmerksamkeit der Lehre richtet sich mehr auf die Schutzpflichtproblematik und die Organisations- und Verfahrensgehalte der Grundrechte. In diesem Rahmen gewinnt die Diskussion aber wieder an Aktualität, da aus diesen Grundrechtsgehalten ebenfalls positive Leistungsverpflichtungen des Staates, allerdings vorwiegend auf normatives Handeln, gefolgert werden. Das Meinungsspektrum reicht von der völligen Ablehnung einer generellen Interpretation aller Grundrechte als originäre Leistungsrechte320 bis zu ihrer grundsätzlichen Befürwortung. 321 Die Rechtsprechung hat bisher vereinzelt originäre 319 Die Begrifflichkeit ist uneinheitlich. W. Martens beispielsweise unterscheidet originäre Leistungs- und derivative Teilhaberechte, VVDStRL 30 (1972), S. 7 ff., 21; I. v. Münch dagegen unterteilt in originäre und derivative Teilhaberechte, v. Münch, I., in: v. Münch/Kunig, GG, Vorb. Art. 1-19, Rn. 20. Beides erscheint nicht sachgerecht. Der Begriff Teilhaberecht impliziert einen Anspruch auf Beteiligung an etwas Vorhandenem - ein originäres Teilhaberecht ist daher nicht vorstellbar; der Ausdruck derivatives Teilhaberecht betont dagegen die Abhängigkeit von vorhandenen Leistungen unnötig doppelt. 320 Heute ganz herrschende Meinung: Badura, Der Staat 14 (1975), S. 17 ff., 35; Barion, DÖV 1966, S. 361 ff., 367; ders. DÖV 1967, S. 516ff., 516f.; Breuer, in: FG BVerwG, S. 89ff., 92f.; Doehring, Staatsrecht, S. 280; Friesenhahn, Wandel, G 1 ff., 21 f., 27, 29-35; Grabitz, Freiheit, S. 46; Hesse, Grundzüge, S. 131, Rn. 289; Klein, H. H., Grundrechte, S. 63-66, 72; ders., DVB1. 1994, S. 489ff., 497; Lorenz, AöR 105 (1980), S. 623ff., 640f.; Martens, W., VVDStRL 30 (1972), S. 7 ff., 29 ff.; Maunz/Zippelius, Staatsrecht, S. 133; Quaritsch, Der Staat 5 (1966), S. 451 ff., 469; Schwabe, Probleme, S. 249, 260, 261-274; Starck, in: FG BVerfG II, S. 480 ff., 526. 321 Bleckmann, Grundrechte, S. 243, Rn. 1, S. 257 f., Rn. 33 f., S. 269 f., Rn. 53; Friauf, DVB1. 1971, S. 674ff., 676f.; Häberle, VVDStRL 30 (1972), S. 43ff., 75ff., 83f., 94f., 108, 112, 135; Heymann / Stein, AöR 97 (1972), S. 185 ff., 192-195; Reuter, DVB1. 1974, S.7ff.,
C. Die Grundrechte als subjektive öffentliche Rechte
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Leistungsansprüche des Bürgers gegen den Staat direkt aus Grundrechten hergeleitet. So bejahte das Bundesverwaltungsgericht in ständiger Rechtsprechung einen verfassungsunmittelbaren originären Leistungsanspruch der Träger privater Ersatzschulen auf staatliche Subventionierung aus Art. 7 Abs. 4 S. 1 GG, hat diese Rechtsprechung inzwischen aber aufgegeben. 322 Seine ablehnende Haltung gegenüber originären grundrechtlichen Leistungsansprüchen wird bestätigt durch eine Entscheidung in jüngerer Zeit. In dieser verneint das Bundesverwaltungsgericht einen verfassungsunmittelbaren Anspruch aus Art. 12 Abs. 1 GG auf Schaffung von Einrichtungen oder auf eine bestimmte Ausstattung bestehender Einrichtungen. 323 Die Befürworter originärer Leistungsansprüche aus Grundrechten arbeiten mit vier verschiedenen Begründungen, die auch kombiniert werden. Eine Sonderrolle nehmen dabei diejenigen Autoren ein, die originäre Leistungsrechte (nur) in Art. 3 Abs. 1 GG begründet sehen. Der allgemeine Gleichheitssatz wird dahin gedeutet, daß er den Staat verpflichte, durch entsprechende positive Leistungen dafür zu sorgen, daß alle Menschen von ihren Freiheitsrechten nicht nur rechtlich, sondern auch tatsächlich gleichen Gebrauch machen können. Aussage des Gleichheitssatzes ist nach dieser Auffassung ein weit über das von der herrschenden Meinung vertretene Willkürverbot hinausgehendes Gebot der Chancengleichheit.324 Die anderen leiten originäre Leistungsrechte aus den einzelnen Freiheitsrechten her. Ein Teil beruft sich für diese Interpretation auf das Sozialstaatsprinzip oder das Sozialstaatsprinzip und den Gleichheitssatz (sozialstaatliche Auslegung),325 ein anderer Teil folgert sie aus den institutionellen Garantien, die einige Gundrechte enthalten (institutionelle Auslegung)326 und ein weiterer Teil zieht die staatliche Monopolisierung der Grundrechtsvoraussetzungen bei einigen Grundrechten als Rechtfertigung heran. 327 Hauptargument der Vertreter eines neuen Grundrechtsverständnisses ist der Wandel vom liberalen Ordnungsstaat des ausgehenden 19. Jahrhunderts 12ff.; Rupp, JZ 1970, S. 165 ff., 166 f.; ders., JZ 1971, S. 401 ff., 402; ders., AöR 101 (1976), S. 161 ff., 176ff.; Willke, Stand, S. 216f., 224. 322 Vergleiche die Nachweise in Fn. 262 sowie die dortigen Anmerkungen zu häufig zitierten sonstigen Entscheidungen, die aber überwiegend nicht einschlägig sind. 323 BVerwG, NJW 1997, S. 2465 ff., 2467. 324 Heymann/Stein, AöR 97 (1972), S. 185ff., 202f., 209; Reuter, DVB1. 1974, S. 7ff., 13 f.; zur Interpretation des Gleichheitssatzes als Gebot der Chancengleichheit, vergleiche Scholler, Interpretation, S. 14-17 und passim. 325 Friauf, DVB1. 1971, S. 674ff., 675f.; Häberle, Wesensgehaltsgarantie, S. 15-17, 121; ders., VVDStRL 30 (1972), S. 43ff., 68f., 71 f., 77, 78-80, 92, 108f., 110, 112, 138, 139; Heymann/Stein, AöR 97 (1972), S. 185ff., 192f., 195; Reuter, DVB1. 1974, S. 7ff., 11 ff.; Willke, Stand, S. 229, 231, 236 f., 242; BVerwGE 23, S. 347 ff., 350 (Art. 3 Abs. 1 GG); BVerwGE 27, S. 360 ff., 364 (Sozialstaatsprinzip). 326 Häberle, Wesensgehaltsgarantie, S. 121; ders., VVDStRL 30 (1972), S. 43ff., 78-80; Heymann/Stein, AöR 97 (1972), S. 185ff., 194; Rupp, VVDStRL 27 (1969), S. 113ff., 117 f., 119 ff.; BVerwGE 27, S. 360 ff., 362 f. 327 VG Berlin, DVB1. 1971, S. 150ff., 151.
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2. Teil: Das subjektive öffentliche Recht
zum sozialen Rechtsstaat des Grundgesetzes. Diesem Wandel im Staatsverständnis müsse auch in der Grundrechtsdogmatik Rechnung getragen werden. 328 Die Grundrechte müßten, um ihrer Effektivierung willen, im modernen Leistungsstaat neu interpretiert werden. 329 Sie gewährleisteten neben der Abwehr staatlicher Eingriffe auch die tatsächlichen Voraussetzungen ihrer Ausübung.330 Den Befürwortern von originären Leistungsrechten aus Grundrechten ist zuzugeben, daß sich das Staatsverständnis grundlegend geändert hat. Der Liberalismus geht von einem vorstaatlichen Freiheitsbegriff aus. Der Mensch wird als autonomes und autarkes Wesen gesehen, das über alle Mittel zur freien Lebensgestaltung verfügt. Die Freiheit des einzelnen ist deshalb am besten gewährleistet, wenn sich der Staat jeglicher Einflußnahme enthält. Aufgabe des Staates ist ausschließlich die Gewährleistung der Sicherheit und Ordnung. Auf diesen Grundprämissen basiert das Verständnis der Grundrechte als reine Abwehrrechte des Bürgers gegen den Staat.331 Die wirtschaftlichen Folgewirkungen dieser Auffassung (Verelendung großer Bevölkerungsschichten) führten zu einem neuen Staatsverständnis. Aus der Erkenntnis, daß die Nutzung zahlreicher Grundrechte von tatsächlichen Gegebenheiten abhängt, die bei immer weniger Bürgern vorliegen, und dem Ziel, der Mehrheit der Bürger die Grundrechtsausübung zu ermöglichen, entstand der moderne Leistungsstaat.332 Folge der vielfältigen Leistungsbereitstellungen durch den Staat ist eine starke Abhängigkeit des einzelnen von diesen Leistungen.333 Vor diesem Hintergrund erscheint die Forderung nach Einbeziehung der tatsächlichen Voraussetzungen der Grundrechtsverwirklichung in den Schutzbereich der Grundrechte berechtigt. Die Gegner eines solchen Grundrechtsverständnisses verweisen zunächst auf die Historie, die bewußte Nichtaufnahme sozialer Grundrechte in die Verfassung. 334 Ferner wird eingewandt, Sicherheit und Freiheit seien gegensätzliche, sich ausschließende Begriffe. Der Staat könne soziale Gegebenheiten nur um den Preis der individuellen Freiheit garantieren. 335 Außerdem könnten grundrechtlich verbürgte 328 Friauf, DVB1. 1971, S. 674ff., 674; Häberle, VVDStRL 30 (1972), S. 43ff., 66f.; ähnlich Willke, Stand, S. 218, der als Ursache nicht nur die Änderung des Staatsverständnisses, sondern weitergehend einen Wandel des Gesamtsystems ausmacht. 329 Häberle, VVDStRL 30 (1972), S. 43 ff., 47, 52, 53, 54 und passim. Der Grundsatz der größtmöglichen Effektivität als Prinzip der Verfassungs-, insbesondere der Grundrechtsauslegung ist fester Bestandteil der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und in der Literatur weitgehend anerkannt: BVerfGE 6, S. 55 ff., 72; 32, S. 54 ff., 71; 39, S. 1 ff., 38; 43, S. 154 ff., 167; 51, S. 97 ff., 110; Peine, Systemgerechtigkeit, S. 205. 330 Häberle, VVDStRL 30 (1972), S. 43 ff., 96 f. 331 Böckenförde, Soziale Grundrechte, S. 7 ff., 8; Rupp, JZ 1971, S. 401 ff., 401 f.; zu der dieser Auffassung zugrundeliegenden liberalen oder bürgerlich-rechtsstaatlichen Grundrechtstheorie, siehe oben S. 65 f. 332 Hesse, EuGRZ 1978, S. 427ff., 430; Martens, W., VVDStRL 30 (1972), S. 7ff., 28. 333 Friesenhahn, Wandel, G Iff., 16 f.; ν. Münch, I., in: v. Münch/Kunig, GG, Vorb. Art. 1 - 1 9 , Rn. 18. 334 Vergleiche die Nachweise in Fn. 304.
C. Die Grundrechte als subjektive öffentliche Rechte
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originäre Leistungsansprüche sinnvollerweise nur als leges imperfectae aufgefaßt werden. Wegen ihrer Unbestimmtheit bezüglich Art und Höhe der Leistung bedürften sie der Konkretisierung durch den Gesetzgeber. Erst die gesetzliche Regelung könne Grundlage individueller Ansprüche sein. 336 Die primäre Zuständigkeit des Gesetzgebers folge aber auch aus der wirtschaftlichen Unmöglichkeit, alle Ansprüche gleichzeitig zu erfüllen. Die Prioritätensetzung sei eine politische Entscheidung und könne nicht vom unpolitischen Richter getroffen werden. 337 Grundrechtliche Leistungsansprüche stünden daher notwendigerweise unter einem Gesetzes-, Planungs- und Finanzierungsvorbehalt.338 Ihre Wirkung beschränkte sich auf die objektiv-rechtliche Verpflichtung des Gesetzgebers, die rechtlichen Grundlagen für die Wirksamkeit der Grundrechte in der Realität zu schaffen. Die Annahme originärer Leistungsansprüche aus Grundrechten, die wegen Art. 19 Abs. 4 GG gerichtlich durchsetzbar wären, würde gegen das Verfassungsprinzip der Gewaltenteilung verstoßen.339 Die Verfechter einer Interpretation der Grundrechte als Leistungsrechte bestreiten die primäre Zuständigkeit des Gesetzgebers nicht. Sie verneinen aus diesem Grund einen verfassungsunmittelbaren originären Leistungsanspruch des Bürgers und lassen ihn, genauso wie die Gegner ihrer Auffassung, nur in außergewöhnlichen Fällen zu. 3 4 0 Sie reduzieren damit die Leistungsansprüche, die sie den Grundrechten entnehmen, auf positive Verpflichtungen des Staates, die grundrechtlich gewährleistete Freiheitsbetätigung durch aktive Förderung und Unterstützung zu ermöglichen.341 Daraus folgt als Konsequenz, daß ein und dasselbe Grundrecht in seiner Funktion als Abwehrrecht gerichtlich durchsetzbar, in seiner Funktion als Leistungsrecht aber nicht einklagbar ist. Dieses doch seltsam anmutende Ergebnis birgt die Gefahr in sich, daß auch die abwehrrechtliche Funktion der Grundrechte 335 Klein, H. H., Grundrechte, S. 18, 30f., 38-40 und passim; Martens, W., VVDStRL 30 (1972), S. 7 ff., 33 bezogen auf die institutionelle Grundrechtsdeutung. 336 Breuer, in: FG BVerwG, S. 89ff., 93; Friesenhahn, Wandel, G 1 ff., 14f.; Grabitz, Freiheit, S. 46 in Verbindung mit S. 42 f.; Hesse, EuGRZ 1978, S. 427 ff., 434; ders., Grundzüge, S. 132, Rn. 289; Lorenz, AöR 105 (1980), S. 623 ff., 641; Martens, W., VVDStRL 30 (1972), S. 7 ff., 30 f.; Starck, in: FG BVerfG II, S. 480 ff., 518 f. 337 Doehring, Staatsrecht, S. 280; Hesse, EuGRZ 1978, S. 427 ff., 434; ders., Grundzüge, S. 132, Rn. 289; Martens, W , VVDStRL 30 (1972), S. 7 ff., 35 f.; Starck, in: FG BVerfG II, S. 480 ff., 518. 338 Hesse, Grundzüge, S. 132, Rn. 289; Müller, J. P., Soziale Grundrechte, S. 61 ff., 63. 339 Breuer, in: FG BVerwG, S. 89 ff., 93; Grabitz, Freiheit, S. 46 in Verbindung mit S. 43 f.; Klein, H. H., DVB1. 1994, S. 489ff., 497; Martens, W., VVDStRL 30 (1972), S. 7ff., 36,42. 340 Bleckmann, Grundrechte, S. 269f., Rn. 53; Friauf, DVB1. 1971, S. 674ff., 677, 679; Häberle, VVDStRL 30 (1972), S. 43ff., 91, llOf., 112, 138f.; Rupp, JZ 1971, S. 401 ff., 402; die Gegner einer generellen Interpretation der Grundrechte als originäre Leistungsrechte bejahen überwiegend einen verfassungsunmittelbaren Anspruch auf Gewährung des Existenzminimums, vergleiche Breuer, in: FG BVerwG, S. 89 ff., 96 mit weiteren Nachweisen; Klein, H. H., DVB1. 1994, S. 489 ff., 497; Maunz/Zippelius, Staatsrecht, S. 133, 171; Starck, in: FG BVerfG II, S. 480 ff., 521 f. 341 Böckenförde, Soziale Grundrechte, S. 7 ff., 13.
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2. Teil: Das subjektive öffentliche Recht
zu einer rein objektivrechtlichen Verpflichtung des Staates mutiert, Eingriffe in die Freiheitssphäre seiner Bürger zu unterlassen.342 Zusammenfassend läßt sich also feststellen, daß die Gegensätze nur scheinbar sind und Befürworter und Gegner im praktischen Ergebnis übereinstimmen: Die Grundrechte gewähren dem Bürger grundsätzlich keinen unmittelbar einklagbaren Anspruch auf faktische, insbesondere finanzielle Leistungen des Staates. Analysiert man die Ausführungen der Befürworter der Auslegung der Grundrechte als Leistungsrechte, kommt man zu dem Schluß, daß die ganze Diskussion unter einem falschen Begriff geführt wird. In Wirklichkeit werden nicht grundrechtsunmittelbare Ansprüche auf faktische Leistungen im Sinne subjektiver öffentlicher Rechte bejaht, sondern objektive Grundrechtsgehalte, die den Staat zum Schutz und zur Förderung der Grundrechte verpflichten. 343 Subjektive öffentliche Rechte auf tatsächliche Leistungen gewähren erst die in Erfüllung dieser objektiven Gehalte erlassenen Gesetze. Die naheliegende Fragestellung, ob der einzelne ein subjektives öffentliches Recht auf Erlaß dieser Gesetze hat, wird nicht aufgeworfen. Leistungsrechtliche objektive Grundrechtsgehalte in Form von Schutz- und Förderpflichten sind heute weithin anerkannt und werden im folgenden erörtert, ebenso wie die Frage, ob ihnen generell oder wenigstens in Ausnahmefällen ein subjektives Recht korrespondiert. Hier wird auf einige Argumente aus dem oben dargestellten Meinungsstreit zurückzukommen sein.
e) Derivative
Leistungsrechte aus Grundrechten
Im Gegensatz zu den überwiegend abgelehnten grundrechtsunmittelbaren originären Leistungsrechten steht die Mehrheit grundrechtsunmittelbaren derivativen Leistungsrechten positiv gegenüber.344 Dem ist zuzustimmen, denn grundrechtsunmittelbare derivative Leistungsrechte haben nachrichtiger Auffassung ihre wesentliche Grundlage in Art. 3 Abs. 1 GG und seinen Konkretisierungen.345 Allerdings 342 starck, in: FG BVerfG II, S. 480 ff., 519 f. 343 Dies klingt deutlich an bei Bleckmann, Grundrechte, S. 269, Rn. 53 und Friauf, DVB1. 1971, S. 674 ff., 675,677. 344 Badura, Der Staat 14 (1975), S. 17 ff., 35; Doehring, Staatsrecht, S. 280; Friesenhahn, Wandel, G 1 ff., 32; Hesse, EuGRZ 1978, S. 427 ff., 433; ders., Grundzüge, S. 132, Rn. 289; Krebs, VerwArch 67 (1976), S. 329ff., 333; Lorenz, AöR 105 (1980), S. 623ff., 641; Peine, Verwaltungsrecht, S. 56, Rn. 84; Pieroth/Schlink, Grundrechte, S. 26, Rn. 95-97; Maunz/ Zippelius, Staatsrecht, S. 133; v. Münch, I., in: v. Münch/Kunig, GG, Vorb. Art. 1-19, Rn. 20; Schwabe, Probleme, S. 248 f.; Starck, in: FG BVerfG II, S. 480ff., 518, 524; zur Rechtsprechung vergleiche die Nachweise in Fn. 262. 345 Alexy, Grundrechte, S. 385, Fn. 79; Dürig, in: Maunz-Dürig, GG, Art. 3 Abs. I, Rn. 80, 113 c; Erichsen, VerwArch 64 (1973), S. 299ff., 304; Friesenhahn, Wandel, G 1 ff., 21, 32; Hesse, EuGRZ 1978, S. 427 ff., 433; Isensee, Der Staat 19 (1980), S. 367 ff., 372; Martens, W., VVDStRL 30 (1972), S. 7ff., 21; Maunz/Zippelius, Staatsrecht, S. 133; Ossenbühl, NJW 1976, S. 2100ff., 2104; Peine, Verwaltungsrecht, S. 56, Rn. 84; Pieroth/Schlink, Grundrechte, S. 26, Rn. 96; Redeker, in: FG BVerwG, S. 511 ff., 515; Schwabe, Probleme,
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wird dies selten klar herausgearbeitet.346 Es handelt sich daher bereits vom Ansatz her um ein völlig anderes Faktum als bei den zuvor erörterten grundrechtsunmittelbaren originären Leistungsrechten. Der Gleichheitssatz verbietet nach überwiegender Auffassung nicht nur ungleiche Belastungen, sondern auch ungleiche Begünstigungen.347 Seine Bindungswirkung ist allerdings abhängig vom jeweiligen Adressaten.348 Wird eine Leistung oder der Zugang zu einer öffentlichen Einrichtung von einer Behörde begehrt, deren beziehungsweise dessen Gewährung im Ermessen steht, so führt Art. 3 Abs. 1 GG zu einer Ermessensbindung dahingehend, daß die Behörde die Leistung oder den Zugang gewähren muß, sofern sie dies in vergleichbaren Fällen getan hat und kein sachlicher Grund für eine Abweichung von der (rechtmäßigen) Verwaltungspraxis gegeben ist. 349 Art. 3 Abs. 1 GG begründet gegenüber der verwaltenden Exekutive daher häufig zwingende Rechte.350 Ist Ziel des Bürgers dagegen die Erstreckung einer begünstigenden Norm durch die Legislative oder die rechtsetzende Verwaltung, so kann er dies allein unter Berufung auf Art. 3 Abs. 1 GG überwiegend nicht erreichen, da dem Normgeber mehrere Möglichkeiten offenstehen, um dem Gleichheitsverstoß abzuhelfen. 351 Der Gleichheitssatz kann sich aber auch gegenüber dem Normgeber in Einzelfällen zu einem Leistungsrecht verdichten, wenn dessen Gestaltungsfreiheit dahin eingeschränkt ist, daß der Gleichheitsverstoß nur durch die Einbeziehung in die Begünstigung beseitigt werden kann. 352 S. 249; Starck, in: FG BVerfG II, S. 480 ff., 518, 522 f., 524; Steinbeiß-Winkelmann, Freiheit, S. 212, 214; zur Rechtsprechung vergleiche die Nachweise in Fn. 262. 346 Ein gutes Beispiel für eine verwirrende Argumentation liefert das Bundesverfassungsgericht in der numerus-clausus-Entscheidung, BVerfGE 33, S. 303 ff.; vergleiche hierzu die Kritik bei Friesenhahn, Wandel, G 1 ff., 29-32. 347 Vergleiche die Nachweise in Fn. 313. 348 Martens, W., VVDStRL 30 (1972), S. 7 ff., 22. 349 Martens, W., VVDStRL 30 (1972), S. 7 ff., 24; ständige Rechtsprechung, vergleiche etwa BVerwGE 19, S. 48ff., 55f.; 26, S. 153ff., 155; 31, S. 212ff, 213f.; 44, S. 72ff., 74f.; 55, S. 349 ff., 351 f.; 77, S. 188 ff., 192. 350 Sogenannte Selbstbindung der Verwaltung: Burmeister, DÖV 1981, S. 503 ff., 508 f.; Di Fabio, VerwArch 86 (1995), S. 214ff., 223; Dürig, in: Maunz-Dürig, GG, Art. 3 Abs. I, Rn. 414ff., 428ff., 460; Gubelt, in: v. Münch/Kunig, Art. 3, Rn. 41; Ossenbühl, DVB1. 1981, S. 857ff., 858, 860, 865; Pieroth/Schlink, Grundrechte, S. 117f., Rn. 494 - 496; für eine restriktive Anwendung der Ermessensreduktion auf Null auch im Bereich des Gleichheitssatzes sprechen sich neuerdings Hain, Schiette und Schmitz, AöR 122 (1997), S. 32 ff., 55 f., aus. 351 Friesenhahn, Wandel, G 1 ff., 21; Gubelt, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 3, Rn. 35; Hesse, EuGRZ 1978, S. 427 ff., 433; Martens, W., VVDStRL 30 (1972), S. 7 ff., 23 f; Pieroth/Schlink, Grundrechte, S. 114ff., Rn. 479-492; ständige Rechtsprechung, vergleiche etwa BVerfGE 8, S. 28ff., 36 f; 9, S. 250ff., 255; 18, S. 288ff., 302; 22, S. 349ff., 361; 37, S. 217ff., 260f.; 61, S. 43 ff., 68; 62, S. 256ff., 288; 78, S. 350ff., 363; 84, S. 348ff., 365. 352 Gubelt, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 3, Rn. 35; Pieroth/Schlink, Grundrechte, S. 115 f., Rn. 485 f., S. 117, Rn. 492; ständige Rechtsprechung, vergleiche etwa BVerfGE 8, S. 28ff., 37; 18, S. 288ff., 302; 22, S. 349ff., 362; 37, S. 217ff., 260; 45, S. 376ff., 393; 88, S. 87 ff., 101.
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2. Teil: Das subjektive öffentliche Recht
Eine derartige Einengung der Gestaltungsfreiheit des Normgebers wie des Ermessens der verwaltenden Exekutive können die Freiheitsgrundrechte bewirken. 353 Verallgemeinernd läßt sich sagen, daß Art. 3 Abs. 1 GG die Teilhabe an sämtlichen staatlichen Leistungen oder Einrichtungen gewähren kann, die für die Ausübung eines Grundrechts relevant sind und deren kurzfristige Einstellung oder Abschaffung aus tatsächlichen Gründen unmöglich ist. Ist Grundlage der Begünstigung eine Norm und werden einzelne gleichheitswidrig von der Begünstigung ausgeschlossen, kann Art. 3 Abs. 1 GG in diesen Fällen einen Anspruch auf Normergänzung einräumen, da eine Aufhebung der Norm zur Beseitigung des Gleichheitsverstosses nicht in Betracht kommt. Eine Umdeutung von Freiheitsgrundrechten in Leistungsrechte ist hierfür nicht erforderlich. Das erklärt die breite Anerkennung grundrechtsunmittelbarer derivativer Leistungsrechte. Der leistungsrechtliche Gehalt folgt aus Art. 3 Abs. 1 GG, die durch die staatlichen Leistungen betroffenen Freiheitsgrundrechte begrenzen lediglich die Gestaltungsfreiheit des Normgebers und der Verwaltung. Derivative Leistungsrechte geben ein Recht auf Beteiligung an vorhandenen Leistungen und ein Recht auf gleichberechtigten Zugang zu öffentlichen Einrichtungen und finden daher ihre Grenze in der Erschöpfung der Mittel beziehungsweise der Kapazität der Einrichtung. Eine Art. 3 Abs. 1 GG oder seinen Konkretisierungen genügende Beschränkung der Inanspruchnahme oder des Zugangs ist daher zulässig und meist auch unerläßlich. Damit reduzieren sich derivative Leistungsrechte in diesen Fällen auf ein Recht der gleichberechtigten Teilhabe an einer Begünstigung oder des gleichberechtigten Zugangs zu einer öffentlichen Einrichtung.354 Eventuell betroffenen Freiheitsgrundrechten kommt dann insoweit Bedeutung zu, als sie beispielsweise eine erschöpfende Nutzung der vorhandenen Leistungen oder Kapazität gebieten,355 was aber nicht bedeutet, daß eine Verminderung von Leistungen oder der Kapazität einer Einrichtung in jedem Fall unzulässig wäre. 356
353 Für die Gesetzgebung: Lorenz, AöR 105 (1980), S. 623 ff., 641 ; BVerfGE 37, S. 342 ff., 353f.; 60, S. 123ff., 134f.; 62, S. 256ff., 274f.; 74, S. 9ff., 24; 82, S. 126ff., 146; 88, S. 87ff., 96-98; 89, S. 15ff., 22f.; 89, S. 365ff., 376; 90, S. 46ff., 56; 91, S. 389ff., 401; für die verwaltende Exekutive: BVerwGE 52, S. 339 ff., 341 f., 348; BVerwG, B. v. 13. 05. 1986, Buchholz 421.2 Nr. 114, S. 86ff., 88; BVerwGE 77, S. 188 ff., 192. 354 Lorenz, AöR 105 (1980), S. 623 ff., 641. 355 BVerfGE 33, S. 303 ff., 338; 43, S. 291 ff., 326. 356 Zu einer derartigen Deutung könnten die Ausführungen in BVerfGE 43, S. 291 ff., 326 f. verleiten. Es kann aber nicht zweifelhaft sein, daß bei angespannter Haushaltslage eine Verringerung der Kapazität vorhandener Einrichtungen, auch eine Reduzierung von Studienplätzen, möglich ist. Derartige Maßnahmen müssen allerdings die Bedeutung des jeweils betroffenen Grundrechts berücksichtigen und sind unzulässig, solange andere „studienplatzschonende" Einsparmöglichkeiten innerhalb der Universität sowie in im Hinblick auf Grundrechte weniger gewichtigen Bereichen nicht ausgeschöpft werden; ähnlich OVG Berlin, NVwZ 1996, S. 1239 ff., 1242.
C. Die Grundrechte als subjektive öffentliche Rechte
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3· „Objektive" Grundrechtsaussagen a) Die Grundrechte als Einrichtungsgarantien Im Schrifttum 357 und in der Rechtsprechung358 ist weitgehend anerkannt, daß bestimmte Grundrechte Einrichtungsgarantien enthalten. Herkömmlicherweise unterteilt man die Einrichtungsgarantien in Institutsgarantien und institutionelle Garantien. Während der Begriff der Institutsgarantie privatrechtliche Einrichtungen kennzeichnet, wird bei öffentlich-rechtlichen Einrichtungen von institutionellen Garantien gesprochen.359 Gegenstand einer institutionellen Garantie ist nach traditionellem Verständnis eine „formierte und organisierte und daher umgrenzbare und unterscheidbare Einrichtung öffentlich-rechtlichen Charakters," 360 während Institutsgarantien für „typische, traditionell feststehende Normenkomplexe und Rechtsbeziehungen"361 bestehen. Einrichtungsgarantien beziehen sich also nach diesem hergebrachten Verständnis, an dem die überwiegende Meinung bis heute festhält, auf eine Gesamtheit zusammenhängender rechtlicher Regeln, auf Rechtseinrichtungen,362 und sichern deren Bestand als Einrichtung vorwiegend vor einer Aushöhlung durch den Normgeber. 363 Geschützt ist nicht ein bestimmter Status quo, sondern (nur) der Kernbereich der Einrichtung.364 In den Kern darf nicht eingegriffen werden. 365 Einrichtungsgarantien richten sich somit primär gegen Beeinträchtigungen;366 inwieweit ihnen positive Pflichten wie Normsetzungs-
357 Vergleiche die Nachweise in Fn. 263 und in den folgenden Fußnoten. 358 Vergleiche die Nachweise in Fn. 263. 359 Der Oberbegriff Einrichtungsgarantie wurde geprägt von F. Klein, Garantien, S. 2, während die Unterscheidung in Institutsgarantien und institutionelle Garantien zurückgeht auf C. Schmitt, Freiheitsrechte, S. 140ff., 143; ders., Grundrechte, S. 181 ff., 215f. 360 Schmitt, Freiheitsrechte, S. 140 ff., 149. 361 Schmitt, Grundrechte, S. 181 ff., 215. 362 Abel, Bedeutung, S. 46-48,70 f., 88; Friesenhahn, Wandel, G 1 ff., 26; Peine, Systemgerechtigkeit, S. 128 f.; Scheuner, in: FS H. U. Scupin, S. 323 ff., 328 f.; Schmidt-Jortzig, Einrichtungsgarantien, S. 28-32; Steiger, Institutionalisierung, S. 91 ff., 105 ff.; Steinbeiß-Winkelmann, Freiheit, S. 96 f.; Stern, Staatsrecht III /1, S. 785. 363 Abel, Bedeutung, S. 59, 61, 71 f.; Bleckmann, Grundrechte, S. 298, Rn. 112, S. 300, Rn. 115; Klein, F., Garantien, S. 135 f.; Peine, Systemgerechtigkeit, S. 129; Schmidt-Jortzig, Einrichtungsgarantien, S. 37; Schmitt, Verfassungslehre, S. 170; ders., Freiheitsrechte, S. 140ff., 155, 158 f.; Steinbeiß-Winkelmann, Freiheit, S. 99; Stern, Staatsrecht III/1, S. 872; soweit teilweise darauf hingewiesen wird, daß Adressat der Einrichtungsgarantien auch die Verwaltung sein könne (Abel, Bedeutung, S. 59 für die institutionellen Garantien, anders für die Institutsgarantien, S. 71 f.; Schmidt-Jortzig, Einrichtungsgarantien, S. 34; Stern, Staatsrecht III /1, S. 871) kann dies hier dahinstehen, die praktische Bedeutung dieser Schutzrichtung dürfte jedenfalls gering sein (ebenso Abel, Bedeutung, S. 60). 364 Abel, Bedeutung, S. 61, 72; Klein, F., Garantien, S. 112, 134-136; Klein, H. H., DVB1. 1994, S. 489 ff., 489; Schmidt-Jortzig, Einrichtungsgarantien, S. 37-39,46. 365 Abel, Bedeutung, S. 61, 72 mit weiteren Nachweisen; Schmidt-Jortzig, Einrichtungsgarantien, S. 37 f.; Steinbeiß-Winkelmann, Freiheit, S. 99 f., 107 f.
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pflichten entnommen werden können, wird weiter unten zu erörtern sein. Als Institutsgarantien unbestritten sind Ehe und Familie (Art. 6 Abs. 1 GG) und Eigentum und Erbrecht (Art. 14 Abs. 1 G G ) ; 3 6 7 institutionelle Garantien werden mehrheitlich angenommen für die Selbstverwaltung der wissenschaftlichen Hochschulen (Art. 5 Abs. 3 S. 1 G G ) , 3 6 8 die staatliche Schulaufsicht (Art. 7 Abs. 1 GG), den Religionsunterricht als ordentliches Lehrfach (Art. 7 Abs. 3 S. 1 GG), das Privatschulwesen (Art. 7 Abs. 4 GG), die kommunale Selbstverwaltung (Art. 28 Abs. 2 GG), das Berufsbeamtentum (Art. 33 Abs. 4 und 5 GG), das unabhängige Richtertum (Art. 92 GG i.V.m. Art. 97 GG) und für die Stellung bestimmter Religionsgesellschaften als Körperschaften des öffentlichen Rechts (Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 5 S. 1 W R V ) . 3 6 9 Im einzelnen ist vieles streitig. Zunächst werden Unsicherheiten dadurch hervorgerufen, daß die Begriffe Institutsgarantie und institutionelle Garantie in Lehre und Rechtsprechung nicht in dem oben dargestellten Sinn verwandt werden. 3 7 0 Neben den terminologischen Ungenauigkeiten bereitet nach wie vor eine klare Erfassung des Inhalts einer Einrichtungsgarantie Schwierigkeiten. Während die Mehrheit 3 7 1 daran festhält, daß durch Einrichtungsgarantien Rechtseinrichtungen gewährleistet werden, wurde und wird von manchen eine Ausdehnung auf be-
366 Abel, Bedeutung, S. 59, 61, 72; Schmidt-Jortzig, Einrichtungsgarantien, S. 34, 36; Steinbeiß-Winkelmann, Freiheit, S. 99. 367 Vergleiche Abel, Bedeutung, S. 40; Schmidt-Jortzig, Einrichtungsgarantien, S. 32, und die Nachweise in Fn. 263. 368 Stern, Staatsrecht III /1, S. 810 f. mit weiteren Nachweisen; das Bundesverfassungsgericht selbst vermeidet die Begriffe Einrichtungsgarantie und institutionelle Garantie in Verbindung mit der Wissenschaftsfreiheit und spricht von objektiver Wertordnung, wertentscheidender Grundsatznorm oder ähnlichem: BVerfGE 35, S. 79 ff., 114, 120; 43, S. 242 ff., 267; 85, S. 360 ff., 384; 88, S. 129 ff., 136; 90, S. 1 ff., 11. 369 So die Aufzählung bei Stern, Staatsrecht I I I / l , S. 768 mit weiteren Nachweisen aus der vorwiegend älteren Literatur und S. 797 ff.; ähnlich Abel, Bedeutung, S. 40, der aber das Privatschulwesen nicht erwähnt, und Schmidt-Jortzig, Einrichtungsgarantien, S. 32, der zusätzlich die Presse und die Koalitionen mit einbezieht. Die aktuelle Lehrbuchliteratur verzichtet überwiegend aus den unterschiedlichsten Gründen auf eine abschließende Aufzählung: Hesse gibt die Unterteilung der objektiven Grundrechtsgehalte insgesamt auf und spricht von „Grundelementen objektiver Ordnung des Gemeinwesens", Grundzüge, S. 127, „Elementen der Gesamtrechtsordnung des Gemeinwesens", „Grundinhalten", Grundzüge, S. 133; ähnlich Doehring, Staatsrecht, S. 207-209, der lediglich kurze Ausführungen zum objektiven Wertgehalt der Grundrechte macht; Maunz/Zippelius hält eine Differenzierung von Institutsgarantien und institutionellen Garantien für überflüssig und zählt wohl nur beispielhaft auf, wobei er von einem sehr weiten Begriff der Einrichtungsgarantie ausgeht, Staatsrecht, S. 134; ähnlich Stein, Staatsrecht, S. 307, der eine institutionelle Deutung aller Grundrechte befürwortet, Staatsrecht, S. 308. 370 Abel, Bedeutung, S. 77; Grabitz, Freiheit, S. 221, 226; Stern, Staatsrecht I I I / l , S. 770, 776; auch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist durch terminologische Ungenauigkeit gekennzeichnet. So wird im Zusammenhang mit der Institutsgarantie von Ehe und Familie etwa von institutionellem Gehalt gesprochen, BVerfGE 10, S. 59 ff., 66. 371 Vergleiche die Nachweise oben in Fn. 362.
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stimmte gesellschaftliche Sachverhalte befürwortet. 372 So verwundert es nicht, daß über die oben genannten Einrichtungsgarantien hinaus weitere Einrichtungsgarantien diskutiert werden, sich insoweit aber kein Konsens abzeichnet. Erörtert werden insbesondere Einrichtungsgarantien für Presse373 und Rundfunk (Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG) 3 7 4 sowie für die arbeitsrechtlichen Koalitionen und ihr Tarifvertragssystem (Art. 9 Abs. 3 GG). 3 7 5 Probleme wirft auch die Bestimmung des eingriffsfesten Kerns einer Einrichtung auf. Zwar besteht ein überwiegender Konsens dahingehend, daß die „typusbestimmenden Wesenszüge"376 den Kernbereich festlegen,377 wie aber wird das Typische der Einrichtung ermittelt? Die hier anzutreffenden Kriterien wie rechtliche Prägung und gesellschaftliche Anschauung378 indizieren die Erforderlichkeit von Wertungen. Eine Ermittlung allein unter Rückgriff auf Tradition und Überlieferung bietet keine größere Sicherheit und ist abzulehnen, da dies zu einer unerwünschten Zementierung der Einrichtungsgarantien führen würde. 379 Als Ordnungsfaktoren unterliegen sie aber dem gesellschaftlichen Wandel. Ferner wird die „klassische" Lehre von den Einrichtungsgarantien vermischt mit der institutionellen Deutung der Grundrechte, deren Folgerungen weit über jene Lehre hinausgehen.380 Das Bundesverfassungsgericht neigt zum institutionellen Grundrechtsverständnis, 381 eine konsequente Durchführung dieser Grundrechtstheorie ist aber nicht feststellbar. 382
372 Instruktiv zu der Entwicklung des Begriffsinhalts im Anschluß an die Lehre C. Schmitts, Bleckmann, Grundrechte, S. 278 ff., Rn. 73 ff. 373 Degenhart, in: Bonner Kommentar, Art. 5 Abs. 1 u. 2, Rn. 88 ff.; Maunz/Zippelius, Staatsrecht, S. 134; Schmidt-Jortzig, Einrichtungsgarantien, S. 32; Stein, Staatsrecht, S. 307 ff.; vergleiche auch die Nachweise bei Abel, Bedeutung, S. 77, Fn. 131; zur Rechtsprechung vergleiche Fn. 263. 374 Degenhart, in: Bonner Kommentar, Art. 5 Abs. 1 u. 2, Rn. 86 f.; Maunz/Zippelius, Staatsrecht, S. 134; vergleiche auch die Nachweise bei Abel, Bedeutung, S. 78, Fn. 133; zur Rechtsprechung vergleiche Fn. 263. 375 Schmidt-Jortzig, Einrichtungsgarantien, S. 32; vergleiche auch die Nachweise bei Abel, Bedeutung, S. 80-82, Fn. 143-145, 147, 151, 154; zur Rechtsprechung vergleiche Fn. 263. 376 Schmidt-Jortzig, Einrichtungsgarantien, S. 46; Stern, Staatsrecht I I I / l , S. 869. 377 Steinbeiß-Winkelmann, Freiheit, S. 99. 378 Diese Kriterien nennt Schmidt-Jortzig, Einrichtungsgarantien, S. 43-45. 379 Stern, Staatsrecht I I I / l , S. 870 mit weiteren Nachweisen. 380 Stern, Staatsrecht I I I / l , S. 770; zum institutionellen Grundrechtsverständnis siehe oben S. 67 f. 381 Dafür spricht bereits die Anerkennung von Einrichtungsgarantien für die Presse, den Rundfunk und die Koalitionen sowie die oben Fn. 370 beispielhaft angeführte Terminologie; ebenso Böckenförde, Grundrechtstheorie, S. 221 ff., 231; Häberle, Wesensgehaltsgarantie, S. 84 f. 382 Bleckmann, Grundrechte, S. 291, Rn. 97. 6 Eisele
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2. Teil: Das subjektive öffentliche Recht
b) Grundrechte als Basis von Schutz- und Förderpflichten aa) Besondere Schutz- und Förderaufträge Wenn in der Literatur und in der Rechtsprechung von Schutzpflichten die Rede ist, so sind in der Regel allgemeine Schutzpflichten gemeint, die als objektive Dimension im Wege der Verfassungsinterpretation den einzelnen Grundrechten entnommen werden. Davon lassen sich besondere Schutzpflichten des Staates unterscheiden. Besondere Schutzaufträge sind dann gegeben, wenn sie ausdrücklich in einzelnen Grundrechtsbestimmungen geregelt sind. 383 Einen derartigen Schutzauftrag enthält zunächst Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG für die Menschenwürde.384 Diese Schutzpflicht erstreckt sich auch auf die nachfolgenden Einzelgrundrechte, soweit sie einen Menschenwürdegehalt aufweisen. 385 Daneben gelten ausdrückliche Schutzaufträge der Gleichberechtigung von Mann und Frau (Art. 3 Abs. 2 S. 2 GG), 3 8 6 Ehe und Familie (Art. 6 Abs. 1 GG), 3 8 7 der Pflege und Erziehung der Kinder (Art. 6 Abs. 2 S. 2 GG) 3 8 8 und jeder Mutter (Art. 6 Abs. 4 GG). 3 8 9 Ebenfalls hier eingeordnet werden kann der Gesetzgebungsauftrag gemäß Art. 6 Abs. 5 GG. Das Gebot zur Gleichstellung nichtehelicher Kinder ist nichts anderes als ein inhaltlich konkretisierter Auftrag zum Schutz nichtehelicher Kinder. Weitere ausdrückliche Schutzgebote kennt das Grundgesetz nicht, insbesondere lassen sich solche nicht den Schrankenbestimmungen einzelner Grundrechte entnehmen. Anderer Meinung ist P. Unruh. Er nennt als Beispiele Art. 5 Abs. 2, 11 Abs. 2 und 13 Abs. 3 GG und folgert aus diesen Schrankenregelungen eine Schutzpflicht für die Jugend sowie aus Art. 5 Abs. 2 GG zusätzlich einen Schutzauftrag für die Ehre. 390 Dem kann nicht gefolgt werden. Durch die Erwähnung des Jugendund Ehrenschutzes als rechtfertigende Gründe für eine Einschränkung des jeweiligen Grundrechts wird zwar der Wert der Jugend und der Ehre durch die Verfassung 383 Stern, Staatsrecht I I I / l , S. 934. 384 Dietlein, Lehre, S. 28f.; Dimberger, Recht, S. 137; Hain/Schiette/Schmitz, AöR 122 (1997), S. 32 ff., 52; Schwabe, Probleme, S. 211; Unruh, Dogmatik, S. 27. 385 Dietlein, Lehre, S. 28; Dürig, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 1 I, Rn. 16, Art. 1 III, Rn. 102,131; Murswiek, Verantwortung, S. 125; Schwabe, Probleme, S. 211. 386 Der Schutzauftrag ist in der Förderpflicht als Minus enthalten; ein konkludentes Schutzgebot entnahm das Bundesverfassungsgericht bereits dem Gleichberechtigungsgebot alter Fassung, vergleiche BVerfGE 85, S. 191 ff., 206 f.; 89, S. 276 ff., 286. 387 Dietlein, Lehre, S. 30; Dimberger, Recht, S. 137; Hain/Schiette/Schmitz, AöR 122 (1997), S. 32ff., 53; Schwabe, Probleme, S. 211; Stern, Staatsrecht I I I / l , S. 934f.; Unruh, Dogmatik, S. 27 f.; zur Rechtsprechung vergleiche die Nachweise in Fn. 264. 388 Dietlein, Lehre, S. 30; Schwabe, Probleme, S. 211; Unruh, Dogmatik, S. 28; zur Rechtsprechung vergleiche die Nachweise in Fn. 264. 389 Dietlein, Lehre, S. 30f.; Dimberger, Recht, S. 137; Hain/Schiette/Schmitz, AöR 122 (1997), S. 32ff., 53; Schwabe, Probleme, S. 211; Stern, Staatsrecht I I I / l , S. 935; Unruh, Dogmatik, S. 28; zur Rechtsprechung vergleiche die Nachweise in Fn. 264. 390 Unruh, Dogmatik, S. 27.
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betont, eine explizite Pflicht, diese Werte zu schützen, ist aber in den Schrankenregelungen nicht enthalten. Lediglich die Annahme eines konkludenten besonderen Schutzauftrags wäre vertretbar und zu diskutieren.391 Solche durch Auslegung einzelner Grundrechte gewonnenen besonderen Schutzpflichten werden für das private Ersatzschulwesen (Art. 7 Abs. 4 GG), für Wissenschaft und Kunst (Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG) 3 9 2 sowie für die innere Sicherheit 393 erörtert. 394 Diese konkludenten Schutzpflichten unterscheiden sich von den allgemeinen Schutzpflichten dadurch, daß nicht jedes Grundrecht als objektive Seite eine Schutzpflicht statuiert, die Schutzpflicht vielmehr aufgrund gewisser Besonderheiten nur aus bestimmten Grundrechten hergeleitet wird. 395 Die Grenze zwischen besonderer und allgemeiner Schutzpflicht ist in diesen Fällen fließend. Der Inhalt der besonderen Schutzpflichten ist nach der Rechtsprechung sowohl negativ als auch positiv. Sie verbieten Beeinträchtigungen durch staatliches Handeln und gebieten schützende Maßnahmen.396 Über den bloßen Schutz hinaus gehen die von der Rechtsprechung im Zusammenhang mit besonderen Schutzaufträgen teilweise anerkannten Förderpflichten. 397 Besondere Schutzaufträge enthalten daher nach der Rechtsprechung streng genommen Achtungs-, Schutz- und Förderpflichten. Qualitativ handelt es sich dabei um durchaus unterschiedliche Pflichten, die keinesfalls unter dem Begriff Schutzpflicht zusammengefaßt werden sollten und im folgenden begrifflich auseinandergehalten werden. 391 Unruh widerspricht sich hier, denn auf S. 49 lehnt er genau mit dieser Argumentation die These Seewalds ab, der aus den qualifizierten Schrankenbestimmungen der Grundrechte Schutzpflichten ableitet, vergleiche zur Ansicht Seewalds unten S. 88 und S. 155 f. 392 Stem, Staatsrecht I I I / l , S. 935f.; zur Rechtsprechung vergleiche die Nachweise in Fn. 264. 393 Götz, in: Isensee / Kirchhof, Handbuch, Band 3, § 79, Rn. 21; Starck, Praxis, S. 56; beide eruieren die Schutzpflicht vorwiegend aus dem Wort,/riedlich" in Art. 8 Abs. 1 GG und daneben aus weiteren unterschiedlichen Verfassungsbestimmungen. 394 Die von Stem, Staatsrecht I I I / l , S. 934, erwähnte diplomatische Schutzpflicht, die aus der Staatsangehörigkeit abgeleitet wird, bleibt wegen ihrer völkerrechtlichen Dimension aus der Untersuchung ausgespart; vergleiche zum Inhalt dieser Pflicht auch Klein, E., DÖV 1977, S. 704ff.; Randelzhofer, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 161, Rn. 35-37,44,47, 60-63. 395 Stem, Staatsrecht I I I / l , S. 937. 396 Dietlein, Lehre, S. 30f.; Stern, Staatsrecht I I I / l , S. 935; zur Rechtsprechung vergleiche die Nachweise in Fn. 264. 397 Etwa BVerfGE 6, S. 55ff., 76; 17, S. 210ff., 218; 21, S. 1 ff., 6; 23, S. 258ff., 264; 24, S. 104ff., 109; 24, S. 119ff., 135; 28, S. 104ff., 113; 32, S. 261 ff., 267; 38, S. 154ff., 170; 39, S. 316ff., 326; 40, S. 121 ff., 132; 43, S. 108ff., 121; 44, S. 249ff., 273f.; 48, S. 346ff., 366; 55, S. 114ff., 126f.; 61, S. 18ff., 25; 75, S. 348ff., 360; 75, S. 382ff., 392; 76, S. 1 ff., 49; 80, S. 81 ff., 92f.; 82, S. 60ff., 81; 87, S. Iff., 35f. (Ehe und Familie); BVerfGE 60, S. 68 ff., 74 mit weiteren Nachweisen (Mütter); BVerfGE 75, S. 40ff., 62,65 ff.; 90, S. 107 ff., 114 ff.; 90, S. 128 ff., 138 f., 143; zur Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts vergleiche die Nachweise in Fn. 262 (Privatschule); BVerfGE 35, S. 79 ff., 114f.; 85, S. 360ff., 384; 88, S. 129 ff., 136 f. (Wissenschaft); BVerfGE 36, S. 321 ff., 331; 81, S. 108 ff., 116 (Kunst). 6*
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Die Achtungspflicht ist eine Unterlassungspflicht und als solche im Rahmen dieser Untersuchung nicht von Interesse. Bei den übrigen Pflichten handelt es sich dagegen um Handlungspflichten, die auch oder nur auf den Erlaß eines Gesetzes gerichtet sein können. Schutz und Förderung verlangen positive staatliche Maßnahmen. Schutzpflichten betreffen den vorhandenen Bestand an Rechtsgütern und Rechten. Schutz ist vom Begriff her auf die Abwehr von Gefahren für ein konkretes Gut gerichtet. 398 Förderpflichten haben dagegen die erstmalige Herstellung oder die Verbesserung oder Erweiterung einer Rechtsposition zum Inhalt. Analysiert man die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts 399 im Hinblick auf das oben dargestellte Begriffsverständnis, muß man feststellen, daß die Begriffe dort nur teilweise differenziert werden. In den Entscheidungen zu Art. 6 Abs. 1 GG werden Schutz- und Förderpflicht noch getrennt und ansatzweise definiert. Art. 6 Abs. 1 GG enthält danach „positiv die Aufgabe für den Staat, Ehe und Familie nicht nur vor Beeinträchtigungen durch andere Kräfte zu bewahren, sondern auch durch geeignete Maßnahmen zu fördern." 400 Die Förderpflicht wird mit dem Wortsinn des Art. 6 Abs. 1 GG begründet.401 Keinerlei Unterscheidung zwischen Schutz- und Förderpflicht findet sich dagegen in den Judikaten zu Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG (Wissenschaftsfreiheit) und Art. 7 Abs. 4 GG. Hier werden die Begriffe vielmehr synomym gebraucht.402 Würde man differenzieren, sind hier einheitlich Förderpflichten angesprochen, die sich aber inhaltlich wesentlich unterscheiden: Während die Förderpflicht aus Art. 7 Abs. 4 GG lediglich auf den Erhalt des privaten Ersatzschulwesens als Institution zielt, 403 geht die Förderung der freien Wissenschaft nach den Ausführungen des Gerichts über den bloßen Erhalt hinaus 4 0 4 Adressat der besonderen Schutz- und Förderaufträge ist der Staat in allen seinen Funktionen, vorwiegendrichtensich diese Aufträge aber an den Parlamentsgesetzgeber. Schutzmaßnahmen zugunsten bestimmter grundrechtlicher Werte gehen meist einher mit Beschränkungen anderer verfassungsrechtlicher Positionen. Stellen diese Beschränkungen Eingriffe in Grundrechte anderer dar, ergibt sich teilweise 405 bereits aus deren Gesetzesvorbehalten, daß der Schutzauftrag durch den 398 Dietlein, Lehre, S. 87; Robbers, Sicherheit, S. 124; Unruh, Dogmatik, S. 21. 399 Siehe die Nachweise in Fn. 264. 400
BVerfGE 6, S. 55 ff., 76; seither ständige Rechtsprechung, vergleiche die Nachweise in Fn. 264. 401 BVerfGE 6, S. 55 ff., 76. 402 Etwa in BVerfGE 35, S. 79 ff., 114 f. (Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG) und BVerfGE 75, S. 40 ff., 62, insbesondere S. 66 f. (Art. 7 Abs. 4 GG). 403 BVerfGE 75, S. 40 ff., 68: „Existenzminimum". 404 BVerfGE 35, S. 79 ff., 114 f. 405 Einige Grundrechte können auch durch nur materielle Gesetze beschränkt werden, ζ. B. Art. 12 Abs. 1 S. 1 GG.
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Parlamentsgesetzgeber erfüllt werden muß. Im übrigen führt die sogenannte Wesentlichkeitstheorie des Bundesverfassungsgerichts zum selben Ergebnis. Nach dieser Theorie ist der Parlamentsgesetzgeber verpflichtet, die „grundsätzlichen", „grundlegenden", „wesentlichen" Entscheidungen selbst zu treffen. 406 Eine Delegation der Rechtsetzungsbefugnis auf den Verordnungs- oder Satzungsgeber ist in bezug auf diese Entscheidungen unzulässig (Parlamentsvorbehalt).407 Die Kriterien für die Bestimmung der Wesentlichkeit sind der Verfassung zu entnehmen.408 Fragen, die die Verwirklichung der Grundrechte betreffen, sind stets wesentlich.409 Da es bei der Erfüllung von Schutzpflichten entweder um die Abgrenzung verschiedener Freiheitssphären oder deren Ausgestaltung geht, handelt es sich um wesentliche Fragen, deren Regelung durch das Parlament erfolgen muß. 410 Nur soweit ausreichende gesetzliche Grundlagen bereits vorhanden oder nicht erforderlich sind, wenden sich Schutzpflichten auch an die Exekutive und Judikative. Für die Erfüllung von Förderpflichten gilt im Grundsatz nichts anderes. Zwar kann diese im Unterschied zu den Schutzpflichten häufig ohne Eingriffe in Grundrechte Dritter, etwa durch finanzielle Leistungen des Staates, erfolgen, so daß das bei den Schutzaufträgen angeführte Argument für die Notwendigkeit eines formellen Gesetzes nicht greift, die Erforderlichkeit ergibt sich jedoch aus der Offenheit der Grundrechtsbestimmungen und der Kompetenzverteilung der Verfassung. Die angeführten Verfassungsvorschriften, denen Förderpflichten entnommen werden, enthalten keinerlei Vorgaben hinsichtlich der Art der Verwirklichung der Förderung. Sie geben nur ein Ziel vor. Die Erfüllung kann in mannigfacher Weise erfolgen. Da Fördermaßnahmen zudem fast immer kostenwirksam sind, bedarf es der Prioritätensetzung. Die Festlegung der Prioritäten gehört aber nach der Kompetenzverteilung des Grundgesetzes in den Aufgabenbereich der Legislative,411 da nur das Parlament unmittelbar demokratisch legitimiert ist. Darüber hinaus vermag nur ein steuerndes Gesetz die adäquate Erfüllung zu sichern. Hier kommen die Argumente zum Tragen, die zu Recht gegen verfassungsunmittelbare originäre Leistungsansprüche vorgetragen wurden. 412 406
Ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, vergleiche etwa: BVerfGE 20, S. 150ff., 157f.; 34, S. 165ff., 192f.; 40, S. 237ff., 248 - 250; 47, S. 46ff., 78f.; 49, S. 89ff., 126f.; 57, S. 295ff., 320f.; 58, S. 257ff., 268; 61, S. 260ff., 275; 77, S. 170ff., 230f.; 80, S. 124ff., 132; 83, S. 130ff., 142; 88, S. 103ff., 116; 91, S. 148ff., 162. 407 Bethge, VVDStRL 57 (1998), S. 7ff., 31; Schnapp, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 20, Rn. 46; den Begriff Parlamentsvorbehalt verwendet nun auch das Bundesverfassungsgericht, E91, S. 148ff., 162. 408 BVerfGE 47, S. 46 ff., 79; 49, S. 89 ff., 127; 58, S. 257 ff., 268. 409 BVerfGE 20, S. 150ff., 157f.; 34, S. 165 ff., 192f.; 40, S. 237ff., 249; 47, S. 46ff., 79; 49, S. 89ff., 127; 57, S. 295ff., 321; 58, S. 257ff., 268f.; 61, S. 260ff., 275; 77, S. 170ff., 230f.; 80, S. 124ff., 132; 83, S. 130ff., 142; 88, S. 103ff., 116; 91, S. 148ff., 162. 410 Kritisch zur Anwendung der Wesentlichkeitstheorie auf Schutzpflichten, Preu, JZ 1991, S. 265 ff., 268. 411 So auch BVerfGE 90, S. 107 ff., 116 zur Förderpflicht für das private Ersatzschulwesen. 412 Siehe oben S. 74 f.
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bb) Allgemeine Schutzpflichten Grundlegend für die Entwicklung und Anerkennung allgemeiner Schutzpflichten aus Grundrechten ist das Fristenlösungsurteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahre 1975. 413 Der Schutzpflichtgedanke mag zwar bereits in früheren Entscheidungen anklingen,414 in diesem Urteil findet er aber erstmals eine eingehende Erörterung. Seither nimmt er in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts immer breiteren Raum ein 4 1 5 Auch in der Literatur ist er überwiegend auf Zustimmung gestoßen.416 Dieser Befund darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß in wichtigen Einzelpunkten Uneinigkeit besteht, so insbesondere im Hinblick auf die dogmatische Begründung allgemeiner Schutzpflichten und in der Frage, ob der Schutzpflicht ein Schutzrecht des einzelnen entspricht. Das Bundesverfassungsgericht leitet in dem genannten Urteil aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG die Pflicht des Staates her, das menschliche Leben zu schützen.417 Dabei wird die Schutzpflicht dahin interpretiert, daß sie einerseits unmittelbare Eingriffe des Staates verbietet und andererseits dem Staat gebietet, das Leben zu schützen und zu fordern, es vor allem vor rechtswidrigen Angriffen Privater zu bewahren 4 1 8 Damit entspricht der Inhalt der allgemeinen Schutzpflichten dem Inhalt der besonderen Schutzpflichten. 419 Die oben 420 geäußerte Kritik an dieser Terminologie trifft daher auch hier zu. Dem erstgenannten Inhalt der allgemeinen 413 BVerfGE 39, S. 1 ff. 414 Vergleiche hierzu die Darlegungen von Klein, H. H., DVB1. 1994, S. 489 ff., 490 und Stem, Staatsrecht I I I / l , S. 937-939. 415 Siehe die Nachweise in Fn. 264. 416 Alexy, Grundrechte, S. 410ff.; Badura, Staatsrecht, S. 97, C 22; Benda, UPR 1982, S. 241 ff., 243f.; Bleckmann, Grundrechte, S. 336ff., Rn. 204ff., S. 345f., Rn. 217-219; Dietlein, Lehre, S. 64f., 231; Dimberger, Recht, S. 119ff., 153f., 161 f.; Ehlers, in: FS R. Lukes, S. 337 ff., 338 f.; Faber, DVB1. 1998, S. 745 ff., 746 f.; Gallwas, Grundrechte, S. 5ff., Rn. 33, 4 0 - 4 2 und S. 22f., Rn. 133-136; Götz, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch, Band 3, § 79, Rn. 10; Hermes, Grundrecht, S. 190ff.; Hesse, Handbuch, S. 127ff., 149f., Rn. 49-51; ders., Grundzüge, S. 155f., Rn. 350; Hofmann, Rechtsfragen, S. 75, 87, 310f.; Klein, E., DÖV 1977, S. 704ff., 705f.; Klein, H. H., DVB1. 1994, S. 489ff., 490f.; Langer, NVwZ 1987, S. 195 ff., 195, 196; Lepa, Inhalt, S. 13; Murswiek, Verantwortung, S. 101106; Ossenbühl, DÖV 1981, S. 1 ff., 4f.; Rauschning, VVDStRL 38 (1980), S. 167ff., 183; Schmidt-Aßmann, AöR 106 (1981), S. 205ff., 215f.; Seewald, Verfassungsrecht, S. 79ff., 83 ff., 141 ff.; Steiger, Entwicklung, S. 255 ff., 272 ff.; Stein, Staatsrecht, S. 464; Steinberg, NJW 1984, S. 457 ff., 458 ff.; Stern, Staatsrecht I I I / l , S. 931 f., 937 ff.; stark erweiternd zum Grundrecht auf Sicherheit: Isensee, Grundrecht, S. 33 f.; ähnlich Robbers, Sicherheit, S. 121 f. (Die Ausführungen von Isensee zum subjektiven Charakter dieses „Grundrechts" sind allerdings äußerst mißverständlich, vergleiche S. 33 f., 50 und 51); stark einschränkend: Schwabe, Probleme, S. 211 ff., 240; Steinbeiß-Winkelmann, Freiheit, S. 165; ablehnend Enders, Der Staat 35 (1996), S. 351 ff., 376 ff. 4Π BVerfGE 39, S. Iff., 41. 418 BVerfGE 39, S. 1 ff., 42. 419 Siehe oben S. 83. 420 S. 83 f.
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„Schutzpflicht" entspricht das Abwehrrecht des betroffenen Grundrechtsträgers; diese Unterlassungspflicht des Staates folgt unstreitig bereits aus der Abwehrfunktion der Grundrechte und ist hier nicht relevant. Spektakulärer für die vorliegende Untersuchung ist der letztgenannte Inhalt: die Pflicht des Staates, das grundrechtlich geschützte Rechtsgut zufördern und Eingriffe nichtstaatlicher Stellen zu verhindern. Hier ist die Schutzpflicht keine Unterlassungspflicht, sondern eine Handlungspflicht, sie gebietet aktive Maßnahmen des Staates. Als neue Grundrechtsaussagen verbleiben somit zunächst zwei zu unterscheidende Pflichten: die allgemeine Schutzpflicht und die allgemeine Förderpflicht. Als Grundlage der von ihm umfassend verstandenen allgemeinen Schutzpflicht sieht das Bundesverfassungsgericht nicht das subjektive Recht des jeweiligen Grundrechtsträgers an, sondern den objektiven Wert, den das Grundrecht verkörpert. 421 Hilfsweise wird noch Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG zur Begründung herangezogen 4 2 2 Da alle Grundrechte nach Auffassung des Gerichts neben ihrem subjektiven Gehalt einen objektiven Wert darstellen und eine objektive Wertordnung bilden, enthält nicht nur Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG, sondern potentiell jedes Grundrecht eine entsprechende Schutzverpflichtung. 423 Legt man das umfassende Verständnis des Bundesverfassungsgerichts zugrunde, hätte dies zur Folge, daß auch jedem Grundrecht eine allgemeine Förderpflicht zu entnehmen wäre. Gegen diese Annahme sprechen allerdings mehrere Gründe. Es wurde oben 424 bei den besonderen Schutzpflichten gezeigt, daß das Bundesverfassungsgericht die Begriffe Schutzund Förderpflicht nicht immer differenziert und teilweise synonym benutzt. Die einschlägigen Entscheidungen lassen ferner den Schluß zu, daß die Begriffe uneinheitlich gebraucht und damit von Fall zu Fall unterschiedliche Sachverhalte bezeichnet werden. Im übrigen widerspräche die Bejahung allgemeiner Förderpflichten aus allen Grundrechten den expliziten Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts. Erst jüngst hat das Gericht in mehreren Judikaten ausgeführt, Freiheitsgrundrechten seien grundsätzlich keine Leistungsansprüche zur Ermöglichung der Grundrechtsausübung zu entnehmen.425 Aus Grundrechten können daher zwar nach der Rechtsprechung allgemeine Schutzpflichten, nicht aber allgemeine Förderpflichten hergeleitet werden. Anzuerkennen sind lediglich besondere Förder421 BVerfGE 39, S. Iff., 41 f. 422 BVerfGE39, S. Iff., 41. 423 BVerfGE 49, S. 89 ff., 141 f.; 66, S. 39ff., 61; Alexy, Grundrechte, S. 410; Klein, H. H., DVB1. 1994, S. 489 ff., 491; kritisch zu einer generellen Ableitung unter anderem auch der allgemeinen Schutzpflicht aus der Funktion jeden Grundrechts als Grundsatznorm, Jeand'Heur, JZ 1995, S. 161 ff., 165, der sich für eine Einzelexegese des jeweiligen Grundrechts ausspricht. Dafür, daß eine Schutzpflicht nur für Rechtsgüter von höchster Bedeutung besteht, wie Klinkhammer, Entwicklung, S. 32, vertritt, läßt sich aus der Rechtsprechung nichts herleiten. Die von ihm zitierte Stelle betrifft nicht die Voraussetzungen einer Schutzpflicht, sondern die Intensität der gerichtlichen Kontrolle. 424 s. 84. 425 BVerfGE 87, S. 181 ff., 197 (zu Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG: Rundfunkfreiheit); BVerfGE 90, S. 107 ff., 115 (zu Art. 7 Abs. 4 GG).
2. Teil: Das subjektive öffentliche Recht
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pflichten, die sich entweder bereits aus dem Wortlaut oder aber aus sonstigen Besonderheiten des jeweiligen Grundrechts ergeben. Die größte praktische Bedeutung kommt bisher der allgemeinen Schutzpflicht aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG zu. 4 2 6 Daneben hat das Bundesverfassungsgericht allgemeine Schutzpflichten auch aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 G G 4 2 7 und aus Art. 12 Abs. 1 G G 4 2 8 hergeleitet; bei Art. 2 Abs. 1 GG, 4 2 9 Art. 2 Abs. 2 S. 2 G G 4 3 0 und Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG 4 3 1 hat es allgemeine Schutzpflichten jedenfalls für möglich gehalten. Adressat der allgemeinen Schutzpflichten ist der Staat, der sie auch gegenüber Dritten durchsetzen muß. 432 Angesprochen ist vorrangig, aber nicht ausschließlich, die Legislative.433 Zur Begründung kann auf die auch hier zutreffenden Ausführungen bei den besonderen Schutzpflichten verwiesen werden. 434 Die überwiegende Auffassung in der Literatur hat sich der dogmatischen Begründung des Bundesverfassungsgerichts angeschlossen und leitet die allgemeinen Schutzpflichten aus dem objektiv-rechtlichen Gehalt der jeweiligen Grundrechte her. 435 Einzelne ordnen die Schutzpflichten der Abwehrfunktion der Grundrechte zu 4 3 6 oder entnehmen sie den Grundrechtsschranken. 437 Auffällig ist, daß der 426
Von den oben Fn. 264 zitierten 33 Entscheidungen beziehen sich 24 ausschließlich auf Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG. 4 27 BVerfG, NJW 1997, S. 1769 f., 1770. 4
28 BVerfGE 84, S. 133 ff., 147; 92, S. 26 ff., 46; 92, S. 140 ff., 150.
™ BVerfG, NJW 1983, S. 2931 ff., 2932. 4 30 BVerfGE 49, S. 24 ff., 53. 4 31 BVerfG, NJW 1983, S. 2931 ff., 2932; BVerfG, UPR 1998, S. 341 ff., 342. «2 BVerfGE39, S. Iff., 42. 4 33 Bethge, VVDStRL 57 (1998), S. 7ff., 50; Dietlein, Lehre, S. 71, 181; Dimberger, Recht, S. 165; Faber, DVB1. 1998, S. 745 ff., 749; Peine, ZG 1988, S. 121 ff., 135; Unruh, Dogmatik, S. 20,23, der dies als weitgehenden Konsens bezeichnet. 4 4
3 Siehe oben S. 84 f. 35 Alexy, Grundrechte, S. 413 f.; Badura, Staatsrecht, S. 97, C 22; Benda, UPR 1982, S. 241 ff., 243; Dietlein, Lehre, S. 64f., 231; Dimberger, Recht, S. 119ff., 153f., 161 f.; Ehlers, in: FS R. Lukes, S. 337 ff., 338 f.; Götz, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch, Band 3, § 79, Rn. 10, 13; Hermes, Grundrecht, S. 190ff., 208 (für Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG); Hesse, Handbuch, S. 127 ff., 149, Rn. 50; ders., Grundzüge, S. 155, Rn. 350; Hofmann, Rechtsfragen, S. 75, 87, 310f.; Isensee, Grundrecht, S. 27ff., 33f.; Klein, E., DÖV 1977, S. 704ff., 705 f.; ders., NJW 1989, S. 1633 ff., 1636; Klein, H. H., DVB1. 1994, S. 489ff., 492f.; Lepa, Inhalt, S. 13; Ossenbühl, DÖV 1981, S. Iff., 4f.; Rauschning, VVDStRL 38 (1980), S. 167ff., 183; Robbers, Sicherheit, S. 121 f., 129ff., 187; Schmidt-Aßmann, AöR 106 (1981), S. 205 ff., 215 f. (für Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG); Steinberg, NJW 1984, S. 457 ff., 458; Stem, Staatsrecht I I I / l , S. 931 f., 937; Unruh, Dogmatik, S. 50, 56f.; Unruh differenziert diese Gruppe noch weiter aus, Dogmatik, S. 37-44. 4
4
36 Bejahend: Lübbe-Wolf, Grundrechte, S. 69 ff., 73; Murswiek, Verantwortung, S. 123; ders., WiVeiw 1986, S. 179ff., 183; Suhr, JZ 1980, S. 166ff., 167f.; ders., Immissionsschäden, S. llOff., insbesondere 119-121, 134, 141; ähnlich, aber nicht so weitgehend schon Schwabe, Probleme, S. 213-217.
C. Die Grundrechte als subjektive öffentliche Rechte
89
Inhalt der allgemeinen Schutzpflichten in der Literatur gegenüber der Rechtsprechung deutlich verkürzt wird. Der Förderaspekt wird überwiegend ganz ausgeklammert und der Terminus der Schutzpflicht auf die Pflicht des Staates zur Abwehr von Eingriffen nichtstaatlicher beziehungsweise nicht der Staatsgewalt unterliegender Stellen in grundrechtlich geschützte Positionen beschränkt;438 allenfalls wird vereinzelt der Schutz vor natürlichen Gefahren 439 und der Schutz vor Selbstgefährdung 440 einbezogen. Die Sonderung der Förderpflichten von den Schutzpflichten ist, wie oben begründet, sachgerecht. Das erübrigt aber nicht eine Auseinandersetzung mit den Förderpflichten, da die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts es nahelegen, jedem Grundrecht eine derartige Förderpflicht zu entnehmen.441 Teilweise wird eine Verortung von allgemeinen Schutzpflichten in den Einzelgrundrechten auch ganz abgelehnt.442 Manche Kritiker befürchten eine Aushöhlung der subjektivrechtlichen Abwehrfunktion der Grundrechte. 443 Dieser Einwand liegt auf der Hand, dient doch der Gedanke der Schutzpflicht dazu, Grundrechte Dritter zu beschränken.444 Die dogmatische Grundlage der Anerkennung von allgemeinen Schutzpflichten durch das Bundesverfassungsgericht und die ihm folgende Literatur ist die Werttheorie. 445 Wie bei der demokratisch-funktionalen und der institutionellen Deutung der Grundrechte besteht auch hier die Gefahr, daß das subjektive Abwehrrecht zugunsten eines objektiven Wertes zurückgedrängt oder letztlich sogar negiert wird. Diese Gefährdung der individuellen Freiheit im Sinne einer individuellen Willkür eignet jedoch jeder Annahme objektiver Grundrechts«7 Seewald, Verfassungsrecht, S. 79 ff., 83 ff., 141 ff. 438 Alexy, Grundrechte, S. 410; Badura, Staatsrecht, S. 97 f., C 22; Bleckmann, Grundrechte, S. 336, Rn. 204; Dietlein, Lehre, S. 102f.; Dimberger, Recht, S. 118; Faber, DVB1. 1998, S. 745 ff., 747; Hermes, Grundrecht, S. 37 f., 226; Isensee, Sicherheit, S. 34ff.; Klein, E., NJW 1989, S. 1633 ff., 1633; Murswiek, Verantwortung, S. 101, 106; ders., WiVerw 1986, S. 179 ff., 180; Preu, JZ 1991, S. 265 ff., 265, 267; Robbers, Sicherheit, S. 121, 124; anders Stem, Staatsrecht I I I / l , S. 949, der die Förderpflicht als Ausfluß der Schutzpflicht ansieht. 439 Badura, Staatsrecht, S. 98, C 22; Dietlein, Lehre, S. 102f.; Robbers., Sicherheit, S. 124; Unruh, Dogmatik, S. 22 f. 440 Dietlein, Lehre, S. 103. 441 Hierfür plädiert Kopp, NJW 1994, S. 1753 ff., 1753,1756 442 Starck, Praxis, S. 71, 74; Steinbeiß-Winkelmann, Freiheit, S. 165; Hain/Schiette/ Schmitz, AöR 122 (1997), S. 32 ff., 53. 443 BVerfGE 39, S. 68 ff., 73 (abweichende Meinung); Denninger, in: Wassermann, AKGG, vor Art. 1, Rn. 34; Goerlich, NJW 1981, S. 2616f., 2626; ders., DÖV 1982, S. 631 ff., 633; Hohmann, Der Staat 27 (1988), S. 589 ff., 592 f.; Müller, H., NJW 1979, S. 2378 ff., 2378 f.; Preu, JZ 1991, S. 265 ff., 266,271. 444 Hermes, Grundrecht, S. 206; Klein, H. H., DVB1. 1994, S. 489 ff., 490; Wahl/Masing, JZ 1990, S. 553 ff., insbesondere S. 555, die anhand der Besprechung von zwei Entscheidungen (BVerwG, NJW 1989, S. 2272ff.; VGH Kassel, NJW 1990, S. 336ff.) die Gefahr aufzeigen, daß der staatliche Schutzauftrag unmittelbare Grundlage der Beschränkung von Freiheitsrechten wird. 445 siehe S. 68.
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2. Teil: Das subjektive öffentliche Recht
gehalte. Andere sehen die Gefahr einer „Privatisierung des Öffentlichen". 446 Die Bejahung allgemeiner Schutzpflichten und ihre Subjektivierung447 führten dazu, daß ursprünglich ausschließlich dem Gemeinwohl dienende Vorschriften nunmehr als vorwiegend Privatinteressen schützende Bestimmungen erschienen, mit der Konsequenz, daß der Staat sich aus diesem Bereich zurückziehen könne.448
c) Verfahrens-
und Organisationsgehalte
von Grundrechten
Als Entdeckung neuerer Zeit erscheint die Einsicht, daß neben den prozessualen Grundrechten 449 auch die materiellen Grundrechte Verfahrens- und Organisationswirkungen besitzen. Grund hierfür ist eine wahre Flut von wissenschaftlichen Veröffentlichungen zu diesem Thema seit Anfang der achtziger Jahre. 450 Als Auslöser der Diskussion um diese Grundrechtsgehalte wird man wohl den Mülheim-Kärlich-Beschluß des Bundesverfassungsgerichts 451 ansehen können. Entgegen dem Anschein der Aktualität ergibt eine Durchsicht der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung, daß die Grundrechtsrelevanz der einzelnen materiellen Grundrechte für Verfahren und Organisation452 seit längerem durch das 446 Enders, Der Staat 35 (1996), S. 351 ff. 447 Dazu unten S. 97 ff. 448 Enders, Der Staat 35 (1996), S. 351 ff., 387. 449 Auswirkungen dieser Grundrechte auf Organisation und Verfahren sind unstreitig. 450 Ohne Anspruch auf Vollständigkeit seien genannt: Battis, DÖV 1981, S. 433 ff., 436 ff.; Baum, DÖV 1980, S. 425 ff.; Bethge, NJW 1982, S. 1 ff.; Blümel, Grundrechtsschutz, S. 23 ff., 29ff.; Bosselmann, KJ 1980, S. 389ff.; Dolde, NVwZ 1982, S. 65 ff.; Goerlich, NJW 1981, S. 2616 ff.; ders., NVwZ 1982, S. 607 ff., 608 f.; ders., DÖV 1982, S. 631 ff., 633ff.; Held, Grundrechtsbezug; Hufen, NJW 1982, S. 2160ff.; Ipsen, J., AöR 107 (1982), S. 259ff., 283 ff.; Jarass, AöR 110 (1985), S. 363 ff., 385 ff.; Laubinger, VerwArch 73 (1982), S. 60ff.; Lorenz, AöR 105 (1980), S. 623ff.; v. Mutius, Bürgerbeteiligung, S. 157ff., 160ff.; ders., NJW 1982, S. 2150ff.; Ossenbühl, DÖV 1981, S. Iff., 5ff.; ders., DVB1. 1981, S. 65 ff.; ders., NJW 1981, S. 375 ff.; ders., in: FS K. Eichenberger, S. 183 ff.; Pietzcker, VVDStRL 41 (1983), S. 193 ff., 207 ff.; Rauschning, DVB1. 1980, S. 831 ff.; Redeker, NJW 1980, S. 1593 ff.; Sellner, BauR 1980, S. 391 ff.; Stober, AöR 106 (1981), S. 41 ff., 78 f.; Thode, DVB1. 1982, S. 713ff.; Wahl, Bürgerbeteiligung, S. 113ff., 130ff.; ders., VVDStRL 41 (1983), S. 151 ff., 166ff.; Weber, JZ 1980, S. 314f., 315; vor dem Mülheim-KärlichBeschluß befaßten sich mit Verfahrens- und Organisationsgehalten insbesondere Starck, in: FG BVerfG II, S. 480ff.; Goerlich, DVB1. 1978, S. 362 ff.; ders., Grundrechte (Die Monographie erschien 1981 und war im Sommer 1980 bereits abgeschlossen; der Mülheim-KärlichBeschluß dürfte daher nicht der Anlaß der Untersuchung gewesen sein.); Häberle, VVDStRL 30 (1972), S. 43 ff., 81, 86 ff.; Hesse, EuGRZ 1978, S. 427 ff., 434 ff.; Kimminich, Funktion, S. 263ff., 265; Lorenz, NJW 1977, S. 865ff.; Redeker, in: FG BVerwG, S. 511 ff., 517ff.; Rupp, AöR 101 (1976), S. 161 ff., 183 ff.; Sattler, in: FS W. Weber, S. 325 ff. 451 BVerfGE 53, S. 30 ff. - Beschluß vom 20. 12. 1979. 452 Siehe die Nachweise der Rechtsprechung in Fn. 265 sowie die Darlegungen im Sondervotum der Richter Simon und Heußner zum Mülheim-Kärlich-Beschluß, BVerfGE 53, S. 69ff., 71 ff.; femer Goerlich, Grundrechte, S. 57 ff.; Laubinger, VerwArch 73 (1982), S. 60 ff., 62-68.
C. Die Grundrechte als subjektive öffentliche Rechte
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Bundesverfassungsgericht anerkannt ist. 453 Die Rechtsprechung zu den verfahrensrechtlichen Wirkungen läßt sich dahin zusammenfassen, daß jedes Grundrecht die objektive Pflicht des Staates beinhaltet, das gewährleistete Rechtsgut durch einen effektiven Rechtsschutz zu sichern. 454 Diesen zunächst für das gerichtliche Verfahren ausgesprochenen Gedanken hat das Bundesverfassungsgericht Ende der siebziger Jahre in einem Beschluß betreffend die erste juristische Staatsprüfung auch auf das Verwaltungsverfahren übertragen. 455 Sofern die behördliche Entscheidung ein Grundrecht betreffe, wirke es auch auf das behördliche Verfahren ein. 456 Im konkreten Fall folgerte das Gericht aus Art. 12 Abs. 1 GG eine Belehrungspflicht der Prüfungskommission in der mündlichen Prüfung der ersten juristischen Staatsprüfung. Der Prüfling hätte darauf hingewiesen werden müssen, daß sein Schweigen als Unterbrechung der Prüfung angesehen werden könnte, mit der Folge des Nichtbestehens der Staatsprüfung insgesamt.457 Letztlich wird hier das Gebot der Fairness des Verfahrens aufgestellt. 458 Der Mülheim-Kärlich-Beschluß wird - vom Bundesverfassungsgericht selbst459 und von der überwiegenden Literatur 460 - als konsequente Fortführung dieser Rechtsprechung betrachtet. Daran ist zutreffend, daß das Gericht in diesem Beschluß die Bedeutung der materiellen Grundrechte für die Verfahrensgestaltung betont 461 und er insoweit in der Tradition vorangegangener Entscheidungen gesehen werden kann. Dabei bleibt aber unberücksichtigt, daß diese Entscheidung eine grundlegend andere Sachverhaltskonstellation betrifft als die vorhergehenden. Wahrend jene sämtlich Verfassungsbeschwerden von Adressaten unmittelbarer Grundrechtseingriffe zum Gegenstand hatten,462 liegt dem Mülheim-KärlichBeschluß die Klage einer Dritten zugrunde.463 Die Beschwerdeführerin griff die «3 Bethge, NJW 1982, S. 1 ff., 1; Goerlich, DVB1. 1978, S. 362 ff., 362; ders., NJW 1981, S. 2616ff., 2616; Hufen, NJW 1982, S. 2160ff., 2161; Kunig, Rechtsstaatsprinzip, S. 374f.; Lorenz, AöR 105 (1980), S. 623ff., 624, 638; Ossenbühl, DÖV 1981, S. Iff., 5; Redeker, NJW 1980, S. 1593 ff., 1594; Wahl, Bürgerbeteiligung, S. 113 ff., 131. 454 Laubinger, VerwArch 73 (1982), S. 60ff., 67. 455 BVerfGE 52, S. 380ff., 389 f. 456 BVerfGE 52, S. 380 ff., 390. 457 BVerfGE 52, S. 380 ff., 390. 458 BVerfGE 52, S. 380 ff., 389. 459 BVerfGE 53, S. 30ff., 65; 53, S. 69ff., 70-75 (abweichende Meinung). 460 Bethge, NJW 1982, S. 1 ff., 5; Blümel, Grundrechtsschutz, S. 23 ff., 33-35; Bosselmann, KJ 1980, S. 389 ff., 391; Denninger, in: Wassermann, AK-GG, vor Art. 1, Rn. 15; Hufen, NJW 1982, S. 2160 ff., 2161; Kunig, Rechtsstaatsprinzip, S. 375; Laubinger, VerwArch 73 (1982), S. 60ff., 62, 70f.; Lorenz, AöR 105 (1980), S. 623ff., 624, 638; v. Mutius, NJW 1982, S. 2150ff., 2154; Redeker, NJW 1980, S. 1593 ff., 1594, 1598; Weber, JZ 1980, S. 314f., 315. 461 BVerfGE 53, S. 30 ff., 65. 462 Auf diesen Kreis der unmittelbar in Grundrechten Betroffenen will denn auch v. Mutius den „Grundrechtsschutz durch Verfahrensbeteiligung" begrenzen, Bürgerbeteiligung, S. 157 ff., 161 f., 163, 185.
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2. Teil: Das subjektive öffentliche Recht
Beschwerdeentscheidung eines Oberverwaltungsgerichts an, deren Gegenstand die Anordnung der sofortigen Vollziehung eines Freigabebescheids für die Errichtung eines Atomkraftwerks war. Sie rügte unter anderem die vom Oberverwaltungsgericht vertretene Auffassung, die Verletzung atomrechtlicher Verfahrensvorschriften könne sie nicht in subjektiven Rechten verletzen, da diesen keine drittschützende Wirkung zukomme. Die Verfahrensvorschriften dienten ausschließlich der Ordnung des Verfahrens und der Information der Behörde. 464 Die Argumentationsebenen, auf denen sich das Gericht bewegt, sind demgemäß unterschiedlich. Wird in den Ausgangsentscheidungen Rechtsschutz gegen den Staat begehrt und daher die Funktion der Grundrechte als Abwehrrechte herangezogen, um ihre Einwirkung auf das Verfahren zu begründen, wird im Mülheim-Kärlich-Beschluß Rechtsschutz durch den Staat gegen Eingriffe Privater angestrebt und zur Begründung des Verfahrensgehalts des materiellen Grundrechts auf die Schutzpflicht des Staates rekurriert. 465 Es erscheint daher zumindest vorschnell, den Mülheim-Kärlich-Beschluß als bloße Fortsetzung oder notwendige Konsequenz der vorhergehenden Entscheidungen anzusehen.466 Ferner wird deutlich, daß die Verfahrensgebote keine eigenständige Grundrechtsfunktion neben den bereits erörterten Grundrechtsgehalten darstellen. Sie verlaufen vielmehr quer zu diesen467 und bedürfen einer Systematisierung durch Zuordnung zu den einzelnen Grundrechtsaussagen. Diese ist von der Wissenschaft erst ansatzweise bewältigt.468 Durch 463 Diesen Unterschied stellen heraus: Baum, DÖV 1980, S. 425 ff., 427; Held, Grundrechtsbezug, S. 109f.; Ipsen, J., AöR 107 (1982), S. 259ff., 283f.; Rauschning, DVB1. 1980, S. 831 ff., 832f.; Wahl, VVDStRL41 (1983), S. 151 ff., 166. 464 BVerfGE 53, S. 30 ff., 62 f. 465 BVerfGE 53, S. 30 ff., 57-61, 65 f. (verfahrensrechtliche Anforderungen werden vom Bundesverfassungsgericht beispielsweise auch in E 72, S. 122 ff., 134 und 79, S. 51 ff., 66 f. aus allgemeinen und besonderen Schutzgehalten abgeleitet); Bethge, NJW 1982, S. 1 ff., 7, und v. Mutius, NJW 1982, S. 2150 ff., 2156, ordnen diese Entscheidung der abwehrrechtlichen Seite der Grundrechte zu. Dies mag zutreffen, entspricht aber nicht der Argumentation des Gerichts. Geht man von dieser aus, läge es näher, die Entscheidung unter der von Bethge gebildeten ersten Fallgruppe „Organisations- und Verfahrensbestimmungen, die zur Realisierung und Effektuierung eines grundrechtlichen Schutzbereichs in Form von gesetzlichen Regelungen vorwiegend für das Verhältnis zwischen einzelnen (Grund-)Rechtsträgern ... vonnöten beziehungsweise zulässig sind" einzureihen, die er aber auf „staatsfreie Geschehensabläufe" verengt, NJW 1982, S. 1 ff., 2 f. 466 Baum, DÖV 1980, S. 425 ff., 427, und Ossenbühl, in: FS K. Eichenberger, S. 183 ff., 189, sprechen von einer „neuen Dimension"; Wahl, VVDStRL 41 (1983), S. 151 ff., 166, 169 f. vom Ausnahmefall des „vorverlagerten Gerichtsschutzes"; kritisch zur Ableitung der Verfahrens- und Organisationsgehalte aus der allgemeinen Schutzpflicht, Goerlich, NVwZ 1982, S. 607 ff., 608; ders., DÖV 1982, S. 631 ff., 633. 467 Goerlich, Grundrechte, S. 186-216; Jarass, AöR 110 (1985), S. 363ff., 387; Ossenbühl, in: FS K. Eichenberger, S. 183 ff., 195; ders., DÖV 1981, S. 1 ff., 5 f.; Wahl, VVDStRL 41 (1983), S. 151 ff., 166 f., 189. 468 Soweit ersichtlich, hat bisher nur Held, Grundrechtsbezug, einetiefergehende Systematisierung der Verfahrenswirkungen von Grundrechten vorgenommen; eine erste grobe Strukturierung findet sich auch bei Ossenbühl, in: FS K. Eichenberger, S. 183 ff., 184-188.
C. Die Grundrechte als subjektive öffentliche Rechte
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die Zusammenfassung unter einem Oberbegriff 469 wird verwischt, daß es sich um unterschiedliche Grundrechtsgehalte handelt. Gleiches gilt im Hinblick auf die organisationsrechtlichen Wirkungen der materiellen Grundrechte. Hier hat das Bundesverfassungsgericht vor allem für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk aus Art. 5 Abs. 1 S. 2 G G 4 7 0 und für die wissenschaftlichen Hochschulen aus Art. 5 Abs. 3 GG 4 7 1 Anforderungen an die innere Ordnung abgeleitet.472 Eine generelle Übertragbarkeit auf andere Grundrechte erscheint äußerst fraglich. 473 Welche Organisationswirkungen sollten Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG entnommen werden können? Dennoch werden Verfahrens- und Organisationswirkungen häufig zusammen abgehandelt, was zumindest dem Anschein nach für eine grundsätzliche Eignung aller materiellen Grundrechte spricht, neben Verfahrens- auch Organisationswirkungen zu haben. Erst in jüngerer Zeit wird auch über eine Definition der Begriffe Verfahren und Organisation nachgedacht. Hier ist nicht der Ort, diese Probleme zu vertiefen und eine Lösung zu erarbeiten. Vielmehr genügt es, offenzulegen, wie die Begriffe hier verwendet werden und die für einen Normerlaßanspruch relevanten Punkte festzuhalten. Im folgenden wird im Anschluß an R. Alexy unter Verfahren ein System von Regeln und/ oder Prinzipien zur Erzeugung eines Ergebnisses verstanden.474 Organisation ist ein Unterbegriff dieses weiten Verfahrensbegriffs und bezeichnet die innere Struktur einer rechtlich verfaßten Personenmehrheit einschließlich der Kompetenzverteilung. In Übereinstimmung mit der oben dargestellten Rechtsprechung und der herrschenden Meinung in der Literatur 475 ist davon auszugehen, daß den materiel469 Bethge, NJW 1982, S. 1 ff., 2, weist daraufhin, daß es sich um einen „Pauschalbegriff' handelt, dem nur Signalwirkung zukommt. 470 BVerfGE 12, S. 205ff., 261 ff.; 31, S. 314ff., 325f.; 57, S. 295ff., 320, 325; 60, S. 53 ff., 64; 73, S. 118 ff., 152 f.; 74, S. 297 ff., 324; 83, S. 238 ff., 296; 87, S. 181 ff., 198; 90, S. 60 ff., 88; BVerfG, NVwZ 1996, S. 781 ff., 782; BVerfG, NJW 1998, S. 1627 ff. 1631. 471 BVerfGE 35, S. 79 ff., 115 f.; 39, S. 247 ff., 255; 43, S. 242ff., 267 ff.; 47, S. 327 ff., 387f.; 51, S. 369ff., 378f.; 54, S. 363ff., 387; 55, S. 37ff., 58f.; 61, S. 210ff., 239ff.; 85, S. 360 ff., 384; 93, S. 85 ff., 95. 472 Zustimmend Denninger, in: Wassermann, AK-GG, vor Art. 1, Rn. 15; Ossenbühl, in: FS K. Eichenberger, S. 183 ff., 187 f.; Sattler, in: FS W. Weber, S. 325 ff., 336 f. (für die Wissenschaftsfreiheit). 473 Für eine am einzelnen Gundrecht orientierte Betrachtung auch Starck, in: FG BVerfG II, S. 480 ff., 486. 474 Alexy, Grundrechte, S. 431. 475 Baum, DÖV 1980, S. 425ff., 427f.; Bethge, NJW 1982, S. Iff., 6; Bosselmann, KJ 1980, S. 389 ff., 391; Denninger, in: Wassermann, AK-GG, vor Art. 1, Rn. 15; Häberle, VVDStRL 30 (1972), S. 43ff., 81, 86ff.; Hesse, EuGRZ 1978, S. 427ff., 434ff.; Hufen, NJW 1982, S. 2160ff., 2161; Jarass, AöR 110 (1985), S. 363ff., 386-388; Kunig, Rechtsstaatsprinzip, S. 374-378; Redeker, NJW 1980, S. 1593ff., 1594, 1598; Rupp, AöR 101 (1976), S. 161 ff., 184, 186, 189; Sellner, BauR 1980, S. 391 ff., 394; Stober, AöR 106 (1981), S. 41 ff., 78; Weber, JZ 1980, S. 314f., 315; im Grundsatz zustimmend, aber die Rechtsprechung einschränkend und /oder differenzierend: Battis, DÖV 1981, S. 433 ff., 438;
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2. Teil: Das subjektive öffentliche Recht
len Grundrechten die Pflicht des Staates entnommen werden kann, durch eine angemessene Verfahrensgestaltung dafür Sorge zu tragen, daß die Grundrechte auch tatsächlich wirksam sind. 4 7 6 Eine derartige Pflicht kann sich bei einzelnen Grundrechten aufgrund spezifischer Besonderheiten auch im Hinblick auf eine gewisse Organisation im Sinne von bestimmten Anforderungen an die innere Ordnung ergeben. 477 Letztere Pflicht kann sich ausschließlich an den Normgeber, und weil es sich um die Regelung wesentlicher Fragen handelt, nur an die Legislative richten, 4 7 8 während die Verfahrenswirkungen auch durch die Exekutive und Judikative zu verwirklichen sind. 4 7 9 Angesichts der Durchnormiertheit der gerichtlichen und behördlichen Verfahren liegt der Schwerpunkt der Verfahrenswirkungen bei der verfassungsgemäßen Anwendung bestehender Verfahrensvorschriften. Durch den Abbau des Verfahrensschutzes in jüngerer Zeit duch verschiedene Gesetze 480 werden die Verfahrensgehalte aber auch gegenüber der Legislative wieder aktuell. Dolde, NVwZ 1982, S. 65ff., 70; Goerlich, NJW 1981, S. 2616ff, 2616; ders., DÖV 1982, S. 631 ff., 633; Held, Grundrechtsbezug, S. 161, 168, 175, 178, 183, 192, 255; Ipsen, J., AöR 107 (1982), S. 259ff., 284; Laubinger, VerwArch 73 (1982), S. 60ff., 84f.; Lorenz, AöR 105 (1980), S. 623ff, 640- 642, 647, 648f.; v. Münch, I., in: v. Münch/Kunig, GG, Vorb. Art. 1-19, Rn. 27; v. Mutius, NJW 1982, S. 2150ff, 2155ff.; Ossenbühl, DÖV 1981, S. Iff., 7; ders., in: FS K. Eichenberger, S. 183ff., 189ff., 195; Pietzcker, VVDStRL 41 (1983), S. 193 ff., 207, 209, 229 f.; Rauschning, DVB1. 1980, S. 831 ff., 833; Wahl, VVDStRL 41 (1983), S. 151 ff., 166 ff., 189. 476
Auf diesen gemeinsamen Kern lassen sich die bejahenden Auffassungen in der Wissenschaft zurückführen, die sich im übrigen im Hinblick auf die dogmatische Begründung und die konkreten Auswirkungen im Einzelfall stark unterscheiden. 4 77 Starck, in: FG BVerfG II, S. 480ff., 488 f., sieht die Besonderheit der Rundfunkfreiheit in der Knappheit der Freiheitsvoraussetzungen; bei der Wissenschaftsfreiheit ist das Spezifische die Abhängigkeit des subjektiven Grundrechts von staatlichen Einrichtungen, v. Münch, I., in: v. Münch/Kunig, GG, Vorb. Art. 1-19, Rn. 26; Starck, in: FG BVerfG II, S. 480ff., 500. 4 78 BVerfGE 12, S. 205ff., 263; 31, S. 314ff., 326; 57, S. 295ff., 319ff., insbesondere S. 320-322; 60, S. 53ff., 64; 73, S. 118ff., 153; 74, S. 297ff., 324; 83, S. 238ff., 296, 309f.; 87, S. 181 ff., 198; 90, S. 60ff., 89, 104; BVerfG, NVwZ 1996, S. 781ff., 782 (Rundfunkfreiheit); in den Entscheidungen zur Wissenschaftsfreiheit wird dies nur indirekt ausgesprochen: BVerfGE 35, S. 79 ff., 116 f., 120; 39, S. 247 ff, 255; 43, S. 242ff., 268; 55, S. 37ff., 58 f. 4 79 BVerfGE 52, S. 214ff, 219-221 (Üben); BVerfGE 72, S. 122ff., 135 (staatliches Wächteramt); BVerfGE 45, S. 422 ff, 430; 50, S. 16 ff, 30 f.; 52, S. 380 ff., 389 f.; 84, S. 34ff, 45 f. (Beruf); BVerfGE 35, S. 348 ff., 362; 37, S. 132ff., 145; 46, S. 325 ff., 334; 49, S. 220ff, 225; 51, S. 150ff, 156 (Eigentum); BVerfGE 52, S. 391 ff, 408-410; 65, S. 76ff., 98-100 (Asyl). 480 Etwa durch das Gesetz zur Beschleunigung von Genehmigungsverfahren vom 12. 9. 1996 (BGBl. I S. 1354), das Gesetz zur Beschleunigung und Vereinfachung immissionsschutzrechtlicher Genehmigungsverfahren vom 9. 10. 1996 (BGBl. I S. 1498) und das Sechste Gesetz zur Änderung der Verwaltungsgerichtsordnung und anderer Gesetze vom 1. 11. 1996 (BGBl. I S. 1626). Vergleiche zu den Änderungen des Verwaltungsverfahrens durch das Genehmigungsverfahrensbeschleunigungsgesetz und deren verfassungsrechtlicher Relevanz Bonk, NVwZ 1997, S. 320 ff., sowie allgemein zu den Aktivitäten der Beschleunigung und deren verfassungsrechtlichen Grenzen Steinbeiß-Winkelmann, DVB1. 1998, S. 809 ff.
C. Die Grundrechte als subjektive öffentliche Rechte
95
Zum Schluß ist noch einmal hervozuheben, daß die Verfahrens- und Organisationsgebote keine neue, selbständige Grundrechtsfunktion bezeichnen. Sie ergeben sich aus den anderen Grundrechtsgehalten, wobei sie sich keiner Grundrechtsfunktion ausschließlich zuordnen lassen. Sie sind unterschiedlichen Ursprungs.
4. Subjektiv-rechtliche Qualität von Grundrechtsinhalten a) Ermittlung
eines korrespondierenden
subjektiven Rechts
Es gilt hier dasselbe wie oben für das Verwaltungsrecht festgestellt: Ein subjektives Recht aus Grundrechten setzt zunächst das Bestehen einer entsprechenden objektiven verfassungsrechtlichen Pflicht voraus, dagegen muß einer derartigen objektiven Pflicht nicht in jedem Fall ein subjektives Recht korrespondieren. 481 Objektiv-rechtliche Grundrechtsgehalte begründen daher nicht zwingend subjektive Rechte des einzelnen. Der subjektiv-rechtliche Charakter muß vielmehr im Einzelfall eruiert werden. Trotz der Identität der Fragestellung im Verwaltungsund Verfassungsrecht ist eine gemeinsame Diskussion des Problems nicht zu finden. 482 Während die Erörterung der Voraussetzungen des subjektiven öffentlichen Rechts im Verwaltungsrecht in der Literatur breiten Raum einnimmt, wird diese Thematik im Verfassungsrecht in bezug auf die Grundrechte stark vernachlässigt, obwohl gerade der Frage, wann objektiven Grundrechtsgehalten subjektive öffentliche Rechte entsprechen, größte Bedeutung zukommt. Das mangelnde wissenschaftliche Interesse liegt wohl darin begründet, daß der subjektiv-rechtliche Charakter der Grundrechte in ihrer Funktion als Abwehrrechte unter der Geltung des Grundgesetzes zu keiner Zeit in Frage stand483 und so jegliche Begründung als obsolet angesehen wurde. Nach dem oben Gesagten ist aber Grundlage auch des subjektiven Abwehrrechts aus Grundrechten die entsprechende objektive Pflicht des Staates, unzulässige Eingriffe in die Freiheitssphäre des einzelnen zu unterlassen. Erst in einem zweiten Schritt ist zu ermitteln, ob dieser Pflicht ein subjektives Abwehrrecht des einzelnen entspricht.484 Das subjektive Abwehrrecht ergibt sich indes eindeutig aus der historischen Entwicklung der Freiheitsrechte. 485 Dagegen bedarf die subjektiv-rechtliche Qualität sämtlicher sonstiger diskutierten Grundrechtsinhalte einer Begründung. Dies gilt bereits für die grundrechtlichen Leistungsrechte, die teilweise befürwortet werden. In dem oben dargestellten Meinungsstreit über die Auslegung der Grundrechte als originäre Leistungsrechte vermißt man eine derartige Begründung, was darauf zurückzuführen sein dürfte, 481 Vergleiche oben S. 48. 482 Zur sachwidrigen Trennung der diesbezüglichen Dogmatik im Verwaltungs- und Verfassungsrecht vergleiche bereits oben S. 37. 483 Vergleiche die Nachweise und Ausführungen in Fn. 111 und Fn. 261. 484
Dietlein, Lehre, S. 55 f.; Steinbeiß-Winkelmann, Freiheit, S. 28-33. 85 Steinbeiß-Winkelmann, Freiheit, S. 32, 114.
4
96
2. Teil: Das subjektive öffentliche Recht
daß unter dem Begriff Leistungsrecht letztlich nichts weiter als eine Leistungspflicht verstanden wurde. 486 Es gilt aber erst recht für die bereits per se überwiegend als „objektive" Aussagen titulierten Inhalte wie Einrichtungsgarantien, Schutzpflichten und Verfahrens- und Organisationsgehalte. Soweit sich die verfassungsrechtliche Literatur mit dieser Fragestellung befaßt, wird die aus dem Verwaltungsrecht bekannte und oben 487 ausführlich erörterte Schutznormlehre zur Feststellung und Begründung eines korrespondierenden subjektiven Rechts herangezogen.488 Dies ist konsequent, wenn nicht sogar zwingend, wenn man dieser Theorie für die Ermittlung einfachgesetzlicher subjektiver öffentlicher Rechte folgt. Einleuchtende und logische Gründe, das subjektive öffentliche Recht im Verfassungsrecht anders zu bestimmen als im Verwaltungsrecht, sind nicht ersichtlich. Daraus folgt für die vorliegende Untersuchung, daß die Frage, inwieweit einer objektiven grundrechtlichen Pflicht ein subjektives Recht des Grundrechtsträgers entspricht, im folgenden anhand der Schutznormtheorie zu beantworten ist: Einer objektiven Grundrechtsaussage korrespondiert danach dann ein subjektives Recht des einzelnen, wenn die objektive Pflicht nicht nur im öffentlichen Interesse, sondern zumindest auch im Interesse des einzelnen besteht, wobei die Bejahung des Individualbegünstigungszwecks die Intention der Durchsetzbarkeit des Normbefehls durch den einzelnen einschließt.489
b) Einrichtungsgarantien
und korrespondierende
subjektive Rechte
Nach dem obigen Ansatz entsprechen denjenigen objektiv-rechtlichen Verpflichtungen aus Einrichtungsgarantien subjektive Rechte, deren Schutzzweck (auch) die Begünstigung einzelner ist. Dies wird man ohne Schwierigkeiten für die den Institutsgarantien zu entnehmenden Pflichten bejahen können, denn die Institutsgarantien gewährleisten privatrechtliche Einrichtungen, die ihre Grundlage in subjektiven grundrechtlichen Abwehrrechten haben und daher, wenn vielleicht auch nicht ausschließlich, so doch überwiegend, im Interesse des einzelnen Grundrechtsträgers garantiert werden. 490 486 Vergleiche dazu oben S. 76. 487 S. 42 ff. 488 Alexy, Der Staat 29 (1990), S. 49ff., 61; Bleckmann, Grundrechte, S. 346, Rn. 219; Dietlein, Lehre, S. 168 f.; Dimberger, Recht, S. 178 f.; Langer, NVwZ 1987, S. 195 ff., 197; Steinbeiß-Winkelmann, Freiheit, S. 12-15; Stern, Staatsrecht I I I / l , S. 541 mit weiteren Nachweisen und S. 987. 489 Vergleiche oben S. 42 und S. 48. Intention der Durchsetzbarkeit bedeutet nicht Klagbarkeit. 490 Abel, Bedeutung, S. 40f., 73; Dürig, in: Maunz-Dürig, GG, Art 1 Abs. III, Rn. 97 f.; Peine, Systemgerechtigkeit, S. 129; Scholz, Koalitionsfreiheit, S. 241, 247 f.; Steinbeiß-Winkelmann, Freiheit, S. 116 f.; Stem, Staatsrecht III /1, S. 873; im Ergebnis auch Alexy, Grundrechte, S. 444, der Institutsgarantien allerdings als „überflüssige Konstruktionen" ablehnt und insoweit einen subjektiven Verfahrensgehalt der Grundrechte annimmt, S. 443 f.
C. Die Grundrechte als subjektive öffentliche Rechte
97
Institutionellen Garantien fehlt dieser generelle Bezug zu subjektiven Grundrechten, so daß hier eine verallgemeinernde Aussage nicht möglich ist. Hier ist für jede Institution durch Auslegung zu ermitteln, ob ihre Gewährleistung ausschließlich im Allgemeininteresse erfolgt ist oder auch Belangen einzelner dienen soll. 491 So wird teilweise danach differenziert, ob sich die institutionelle Garantie auf die Gewährleistung einer öffentlich-rechtlichen Organisationsform beschränkt, die Aufgabe der Institution aber vorwiegend privaten Interessen dient, oder ob sich die Garantie auf eine öffentlich-rechtliche Aufgabe oder Kompetenz bezieht und diese gerade als öffentlich-rechtliche Aufgabe gewährleisten soll 4 9 2 Im ersten Fall besteht eine Verbindung zu subjektiven Rechten. Objektiv-rechtlichen Pflichten aus derartigen institutionellen Garantien könnten daher subjektive Rechte entsprechen. Im zweiten Fall wären korrespondierende subjektive Rechte dagegen eher zu verneinen.493 Wieder andere unterscheiden „grundrechtsnahe" und „grundrechtsferne" institutionelle Garantien. 494 Bei den „grundrechtsnahen" Garantien wird der subjektiv-rechtliche Charakter aufgrund der Verbindung mit einem subjektiven Grundrecht angenommen, die indiziert, daß die institutionelle Garantie auch Individualinteressen dient. 495 Diese Indizwirkung fehlt bei den „grundrechtsfernen" Garantien. Dennoch kommt diese Auffassung auch für diese Garantien unter Heranziehung ergänzender Normen zu einer subjektiv-rechtlichen Qualität und bejaht einen „Grundsatz der subjektiven Schutzberechtigung".496 Eine Einzelexegese der institutionellen Garantien erfolgt hier nicht, da der subjektiv-rechtliche Charakter einzelner Pflichten aus diesen Garantien nur insofern von Interesse ist, als sie auf Normsetzung gerichtet sind. Die Fragestellung wird daher erst weiter unten in diesem beschränkten Umfang relevant und, soweit erforderlich, erörtert.
c) Subjektive Rechte auf Schutz vor Eingriffen
Dritter
Während die Subjektivität der ausdrücklich normierten besonderen Schutzpflichten 497 keine ausführliche Diskussion in der Literatur erfahren hat - wohl weil der Bezug zum begünstigten Individuum überwiegend so offen zu Tage liegt - , ist die subjektiv-rechtliche Qualität der allgemeinen Schutzpflichten Gegenstand zahlAbel, Bedeutung, S. 69; Steinbeiß-Winkelmann, Freiheit, S. 116 f. 492 Scholz, Koalitionsfreiheit, S. 245 ; ders., in: Maunz-Dürig, GG, Art. 5 Abs. III, Rn. 132 f. 4 93 Steinbeiß-Winkelmann hält auch hier subjektive öffentliche Rechte für denkbar, sofern die Auslegung ergibt, daß die institutionelle Garantie nicht ausschließlich im öffentlichen Interesse besteht, Freiheit, S. 117. 494 Stem, Staatsrecht I I I / l , S. 874 f. 495 Stem, Staatsrecht I I I / l , S . 874. 496 Stem, Staatsrecht, I I I / l , S. 874f. 497 Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG, Art. 6 Abs. 1, Abs. 2 und Abs. 4 GG; anderes gilt für Art. 6 Abs. 5 GG. Der Streit um den Inhalt und den Charakter dieser Vorschrift war allerdings weniger rechtlich, als politisch geprägt. Ähnliches ist für Art. 3 Abs. 2 S. 2 GG zu erwarten.
7 Eisele
2. Teil: Das subjektive öffentliche Recht
98
reicher Abhandlungen. 498 Entgegen der anfänglichen, durch die ambivalente Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts 499 genährten, weitverbreiteten Skepsis läßt sich in jüngerer Zeit eine überwiegende Anerkennung des subjektiven Charakters von allgemeinen Schutzpflichten feststellen. 500, 5 0 1 Der genaue Inhalt des subjektiven öffentlichen Rechts auf Erfüllung der objektiven Schutzpflicht ist allerdings unklar. Folgt man der herrschenden Meinung in Rechtsprechung und Literatur und sieht die allgemeinen Schutzpflichten in den Grundrechten selbst begründet, 502 so folgen aus diesen bei Anwendung der Schutznormtheorie subjek-
498 Alexy, Grundrechte, S. 410ff; Badura, in: FS K. Eichenberger, S. 481 ff., 489ff.; Benda, UPR 1982, S. 241 ff., 243 f.; Breuer, DVB1. 1986, S. 849 ff., 852f.; Dietlein, Lehre, S. 133ff.; Dimberger, Recht, S. 169ff.; Ehlers, in: FS R. Lukes, S. 337ff., 339f.; Gallwas, Grundrechte, S. 6 f., Rn. 40 f., S. 22 f., Rn. 133-136; Götz, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch, Band 3, § 79, Rn. 13; Hermes, Grundrecht, S. 187 ff., insbesondere S. 208 ff.; Hesse, Handbuch, S. 127 ff., 150, Rn. 52; ders., Grundzüge, S. 155 f., Rn. 350; Hofmann, Rechtsfragen, S. 310f.; Isensee, Grundrecht, S. 27ff., 33f., 50f.; Klein, E., DÖV 1977, S. 704ff., 706708, 710; ders., NJW 1989, S. 1633ff., 1636f.; Klein, H. H., DVB1. 1994, S. 489ff., 493f.; Langer, NVwZ 1987, S. 195 ff., 197 f.; Murswiek, Verantwortung, S. 216 f.; ders., WiVerw 1986, S. 179 ff., 199 f.; Rauschning, VVDStRL 38 (1980), S. 167 ff., 183; Robbers, Sicherheit, S. 121 ff.; Schmidt-Aßmann, AöR 106 (1981), S. 205ff., 214ff.; Schwabe, Probleme, S. 211 ff.; Seewald, Verfassungsrecht, S. 148 ff.; Steiger, Entwicklung, S. 255 ff., 275 f.; Steinberg, NJW 1984, S. 457ff., 460f.; Stem, Staatsrecht I I I / l , S. 978ff., insbesondere S. 984 ff., 993 f. 4
99 Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ließ bei genauer Analyse anfangs keine klare Aussage zu (zur Entwicklung vergleiche unten, S. 112); inzwischen wird die subjektiv-rechtliche Qualität von Schutzpflichten aber eindeutig bejaht: BVerfGE 77, S. 170 ff., 214; 79, S. 174 ff., 201 f.; BVerfG, NJW 1995, S. 2343; ebenso BerlVerfGH, NVwZ 1996, S. 886 f., 886. 500
Nach Determann werden subjektive Rechte des einzelnen auf Schutz inzwischen „ohne Einschränkungen bejaht", NJW 1997, S. 2501 ff., 2501. soi Alexy, Grundrechte, S. 414f.; Badura, in: FS K. Eichenberger, S. 481 ff., 491 f.; ders., Staatsrecht, S. 98, C 22; Benda, UPR 1982, S. 241 ff., 243 f.; Bleckmann, Grundrechte, S. 346, Rn. 219; Breuer, DVB1. 1986, S. 849ff., 853 („Notinstitut des Individualschutzes"); Dietlein, Lehre, S. 168 ff., 173; Dimberger, Recht, S. 178 f.; Ehlers, in: FS R. Lukes, S. 337ff., 339f.; Gallwas, Grundrechte, S. 6f., Rn. 40f., S. 22f., Rn. 133-136; Götz, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch, Band 3, § 79, Rn. 13; Hermes, Grundrecht, S. 210; Hesse, Handbuch, S. 127 ff., 150, Rn. 52; ders., Grundzüge, S. 155 f., Rn. 350; Hofmann, Rechtsfragen, S. 310f.; Klein, E., DÖV 1977, S. 704ff., 706-708, 710; ders., NJW 1989, S. 1633ff., 1637; Klein, H. H., DVB1. 1994, S. 489ff., 493; Langer, NVwZ 1987, S. 195 ff., 197 f.; Murswiek, Verantwortung, S. 216f.; ders., WiVerw 1986, S. 179ff., 199; Ossenbühl, DÖV 1981, S. 1 ff., 4 f.; Rauschning, VVDStRL 38 (1980), S. 167 ff., 183; Robbers, Sicherheit, S. 121 f. mit weiteren Nachweisen; Schmidt-Aßmann, AöR 106 (1981), S. 205 ff., 217; Seewald, Verfassungsrecht, S. 152, 154-157; Steiger, Entwicklung, S. 255 ff., 276; Stern, Staatsrecht III/ 1, S. 993 f.; Unruh, Dogmatik, S. 64; alle den subjektiven Charakter bejahend, wobei deutliche Unterschiede in der Frage bestehen, wann ein subjektives Recht gegeben sein soll; ablehnend: Steinbeiß-Winkelmann, Freiheit, S. 165 in Verbindung mit S. 73 f.; ihre Auffassung aber jetzt tendenziell einschränkend DVB1. 1998, S. 809 ff., 812; Steinberg, NJW 1984, S. 457 ff., 461; ders., Der Staat 26 (1987), S. 161 ff., 182; mißverständlich: Karpen, Grundrecht, S. 9ff., S. 15f.; Isensee, Grundrecht, S. 33f., 50/51 f. 502 Vergleiche dazu oben S. 87 f.
C. Die Grundrechte als subjektive öffentliche Rechte
99
tive Rechte des einzelnen auf Schutz. Der Hinweis auf den objektiven Charakter der allgemeinen Schutzpflichten ist mißverständlich und enthält keinen Aussagegehalt in bezug auf eine eventuelle subjektiv-rechtliche Qualität. Jedem subjektiven Recht liegt eine objektive Rechtspflicht zugrunde. Das objektive Recht ist das Primäre, das subjektive Recht als deduziertes Recht das Sekundäre. Wenn aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG die Pflicht des Staates folgt, Angriffe nichtstaatlicher Stellen auf das Leben abzuwehren, dann ist es nicht begründbar, daß diese Pflicht ausschließlich überindividuellen Zwecken dienen und die Begünstigung des einzelnen nur Reflex sein soll. Im Gegenteil: Diese Pflicht besteht primär im Interesse des einzelnen. Zweifel am generellen Begünstigungszweck der allgemeinen Schutzpflichten sind vor allem vor dem Hintergrund geäußert worden, daß sich Schutzpflichten überwiegend an die Legislative richten.503 Die Begründung zeigt, worauf sich letztlich die Zurückhaltung bei der Anerkennung subjektiver Rechte auf Schutz gründet: Subjektive Rechte gegen den Gesetzgeber auf Normerlaß werden abgelehnt, da man sie für unvereinbar mit seiner Gestaltungsfreiheit und dem Grundsatz der Gewaltenteilung hält. 504 Diese Argumente gegen eine zu große Kontrolldichte der Judikative gegenüber der Legislative sind bekannt.505 Eine Argumentation von den (unerwünschten) Folgen her ist aber dogmatisch nicht überzeugend. Dabei wird zum einen übergangen, daß sich Schutzpflichten auch an die Exekutive506 und Judikative507 richten. Zum anderen beruht diese Ansicht auf einem falschen Begriffsverständnis des subjektiven Rechts, unter dem ausschließlich Rechte auf ein inhaltlich konkret bestimmtes staatliches Handeln verstanden werden. 508 Dieses Begriffsverständnis ist indes zu eng. Ein subjektives Recht ist auch dort gegeben, wo lediglich überhaupt ein staatliches Tun mit einem bestimmten Zweck verlangt werden kann, die Art und Weise der Erfüllung im einzelnen aber offen bleibt. 509 Da das subjektive Recht nie weiter gehen kann als die es begründende objektive Pflicht, und die Vorbehalte gegen subjektive Rechte auf Normerlaß richtigerweise bereits die Pflicht zum Normerlaß betreffen, 510 muß diese so interpretiert werden, daß den Besonderheiten der Normgebung Rechnung getragen wird. 503 Dazu siehe oben S. 84 f. und S. 88. 504 Dietlein, Lehre, S. 170; Karpen, Grundrecht, S. 9ff., 15; Klein, H. H., in: FS W. Weber, S. 643 ff., 651 f.; Isensee, Grundrecht, S. 50; Steinberg, NJW 1984, S. 457ff., 461. 505 Dazu allgemein: Hesse, in: FS H. Huber, S. 261 ff., 265 f., 270; Schuppert, Grenzen, S. 28 f., 38,42-45. 506 Vergleiche etwa BVerfGE 46, S. 160 ff., 164. 507 Vergleiche etwa BVerfGE 81, S. 242 ff., 256. 508 Badura, in: FS K. Eichenberger, S. 481 ff., 481; Klein, H. H., in: FS W. Weber, S. 643 ff., 652; Isensee, Grundrecht, S. 50; Rupp, AöR 101 (1976), S. 161 ff., 175; Seewald, Verfassungsrecht, S. 160 f. 509 Auf die Notwendigkeit der Trennung des Anspruchs auf Normerlaß von dem Anspruch auf Erlaß einer Norm bestimmten Inhalts weist auch Peine, DÖV 1983, S. 909 ff., 914, hin. Ebenfalls in diesem Sinne differenzierend Faber, DVB1. 1998, S. 745 ff., 751. 510 So auch Dimberger, Recht, S. 172 und Hermes, Grundrecht, S. 213. *
100
2. Teil: Das subjektive öffentliche Recht
Für die Annahme einer gewollten Begünstigung des Individuums spricht dagegen insbesondere der individuelle Charakter der Grundrechte. Im Gegensatz zum einfachen Recht, wo bei einer tatsächlichen Begünstigung nicht ohne weiteres eine Vermutung für das Vorliegen eines subjektiven Rechts streitet, ist das aufgrund der historischen Entwicklung der Grundrechte bei diesen der Fall. 511 Die Anerkennung eines nur objektiven Grundrechtsgehalts widerspricht dem Wesen der Grundrechte als Individualrechte.512 Daraus ergibt sich für Grundrechtsaussagen eine Art Beweislastumkehr dahin, daß nicht ihre Subjektivität, sondern ihre ausschließlich objektive Deutung einer dezidierten Begründung bedarf. Lediglich objektive Inhalte setzen voraus, daß eine deutliche Distanz zum individualrechtlichen Abwehrgehalt besteht, was bei institutionellen Garantien denkbar ist. Achtungs- und Schutzpflicht gewährleisten aber denselben personalen Wert. Aufgrund dieses einheitlichen Ursprungs und dem Bezug zum einzelnen ist eine Aufspaltung in eine subjektive und eine nur objektive Komponente nicht möglich. Schließlich greifen auch die meisten Argumente nicht, die zur überwiegenden Ablehnung originärer Leistungsrechte aus Grundrechten führen. 513 Da Schutzansprüche nicht auf finanzielle Leistungen gerichtet sind, sondern überwiegend auf normatives Handeln, kann ihnen die vorrangige Zuständigkeit des Gesetzgebers zur Planung und Prioritätensetzung nicht entgegengehalten werden. Allerdings besteht zwischen der individuellen Freiheit und der Anerkennung von Schutzansprüchen ein Spannungsverhältnis. Dieses angemessen aufzulösen, ist aber gerade Aufgabe des Gesetzgebers. Die dogmatische Ableitung allgemeiner Schutzpflichten aus Grundrechten führt daher in ihrer Konsequenz auch zur Annahme subjektiver Rechte des einzelnen gegen den Staat auf Schutz. Schutzpflicht und Schutzrecht sind dabei vom Umfang her deckungsgleich;514 allerdings aktualisiert sich das subjektive Recht auf Schutz nur bei individueller Betroffenheit, 515 während die objektive Schutzpflicht unabhängig von einer konkreten Betroffenheit einzelner staatliches Handeln gebietet. Nur insoweit geht die objektive Schutzpflicht über den subjektiven Gehalt hin-
511 Alexy, Der Staat 29 (1990), S. 49ff., 60f.; Dimberger, Recht, S. 178; Klein, H. H., DVB1. 1994, S. 489 ff., 493; Unruh, Dogmatik, S. 64. 512 Alexy, Grundrechte, S. 414; ders., Der Staat 29 (1990), S. 49 ff., 61; Dimberger, Recht, S. 178; Hermes, Grundrecht, S. 210; Klein, E., NJW 1989, S. 1633 ff., 1637; Robbers, Sicherheit, S. 143. 513 Siehe oben S. 74 f. 514 Dimberger, Recht, S. 171; Hermes, Grundrecht, S. 214; Klein, H. H., DVB1. 1994, S. 489 ff., 495; Murswiek, Verantwortung, S. 217; anderer Ansicht Faber, DVB1. 1998, S. 745 ff., 751. 515 Dietlein, Lehre, S. 171; Hermes, Grundrecht, S. 215; Langer, NVwZ 1987, S. 195 ff., 198; Murswiek, Verantwortung, S. 218 f.; ders., WiVerw 1986, S. 179 ff., 199; die allerdings bezüglich der Frage, wann eine individuelle Betroffenheit vorliegt, unterschiedliche Auffassungen vertreten. 516 Murswiek, Verantwortung, S. 218 f.
C. Die Grundrechte als subjektive öffentliche Rechte
d) Subjektivität
von Verfahrens-
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und Organisations gehalten
Bereits oben 517 wurde darauf hingewiesen, daß Verfahrens- und Organisationsgehalte von Grundrechten keine eigenständige und auch keine homogene Grundrechtsfunktion bilden. Sie stützen sich auf die verschiedensten Grundrechtsinhalte. Eine tiefergehende Systematisierung durch die Wissenschaft steht noch aus. Es können daher nur einige beispielhaft zu verstehende allgemein gehaltene Aussagen getroffen werden. Ausgangspunkt der Überlegungen muß die Erkenntnis sein, daß jede Verfahrensoder Organisationsregelung irgendwelche Auswirkungen auf grundrechtlich geschützte Positionen haben kann. 518 Die Grundrechtsrelevanz einer derartigen Vorschrift rechtfertigt daher nicht die Annahme, sie sei durch den Verfahrens- oder Organisationsgehalt eines Grundrechts geboten und der einzelne habe ein subjektives Recht auf Einführung und/oder Beachtung dieser Norm. Zu fordern ist vielmehr eine spezifische Beziehung eines subjektiven Grundrechtsgehalts zu Verfahrensoder Organisationsregelungen. Eine solche Beziehung besteht zunächst in Verfahren, die unmittelbar einen Grundrechtseingriff zum Ziel haben und die Ausgangspunkt der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu den Verfahrenswirkungen der materiellen Grundrechte waren. Beispiele hierfür sind das Enteignungsverfahren 519 und das Zwangsversteigerungsverfahren. 520 5 2 1 Bejaht man mit dieser Rechtsprechung522 einen jedem Grundrecht innewohnenden Anspruch auf effektiven Rechtsschutz und folgert hieraus eine konkrete Gestaltung des gerichtlichen oder bereits des behördlichen Verfahrens, so besteht auf die Schaffung und Beachtung der entsprechenden Verfahrensvorschriften ein subjektives Recht, denn ihr Sinn besteht ausschließlich in der Sicherung des subjektiven Abwehrrechts. 523 Die Verfahrensregelungen sind durch den subjektiven leistungsrechtlichen Inhalt des jeweiligen betroffenen Grundrechts geboten.524 Schwierigkeiten bereitet hier nicht die Sub517 S. 92 f. und 95. 518 Hufen, NJW 1982, S. 2160ff., 2162; Ossenbühl, in: FS K. Eichenberger, S. 183 ff., 190f.; Wahl, Bürgerbeteiligung, S. 112 ff., 132. 519 BVerfGE 24, S. 367 ff., 401; 45, S. 297 ff., 322,333. 520 BVerfGE 46, S. 325ff., 334f.; 49, S. 220ff., 225; 51, S. 150ff., 156. 521 Nicht hierher gehören die Entscheidungen, die sich mit selbständigen Grundrechtseingriffen aufgrund von Verfahrensvorschriften befassen, wie zum Beispiel BVerfGE 16, S. 194ff., 202; 17, S. 108ff., 117f.; 20, S. 144ff., 148f.; 33, S. 23ff., 34; 35, S. 35ff., 39f.; 42, S. 212 ff., 219 ff. (Zwangsmaßnahmen nach der Strafprozeßordnung). Held, Grundrechtsbezug, S. 68, weist zutreffend darauf hin, daß dieser Grundrechtsschutz im Verfahren, der sich als Abwehrrecht gegen unverhältnismäßige Grundrechtseingriffe darstellt, nichts zu tun hat mit Grundrechtsschutz, der durch das Verfahren selbst zu verwirklichen ist. 522 Vergleiche hierzu bereits die Ausführungen obfcn S. 91. 523 So auch - ohne Begründung - Alexy, Grundrechte, S. 433. 524 Es ist auf der Grundlage der Schutznormtheorie nicht vertretbar, den aus den Grundrechten hergeleiteten Anspruch" auf effektiven Rechtsschutz, dessen einziger Zweck der
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2. Teil: Das subjektive öffentliche Recht
jektivität des Verfahrensgehalts, sondern die Reichweite des subjektiven Rechts auf effektiven Rechtsschutz.525 Das subjektive Recht richtet sich zunächst an die Exekutive und Judikative, die aufgerufen sind, die bestehenden Verfahrensregeln so auszulegen und anzuwenden, daß der Grundrechtsschutz nicht leerläuft. Nur in den Fällen, in denen eine durch den Anspruch auf effektiven Rechtsschutz gebotene Verfahrensregelung ganz fehlt, ist Adressat dieser Verfahrenswirkung der Gesetzgeber, da die Verfahrensvorschrift zur Verwirklichung des materiellen Grundrechts erforderlich ist und damit wesentliche Fragen betrifft. 526 Diese Zielrichtung der Verfahrensgebote der Grundrechte gewinnt in jüngerer Zeit durch den erheblichen Abbau des Verfahrensschutzes an Relevanz.527 Unproblematisch im Hinblick auf die Subjektivität des Verfahrensgehalts sind auch die sogenannten verfahrensabhängigen Grundrechte. Damit sind Grundrechte bezeichnet, deren Realisierung als subjektives Recht von der Existenz eines Verfahrens abhängig ist. 528 Derartige Grundrechte sind das Grundrecht auf Asyl gemäß Art. 16 a Abs. 1 G G 5 2 9 und das Grundrecht auf Verweigerung des Kriegsdienstes mit der Waffe nach Art. 4 Abs. 3 S. 1 GG. 5 3 0 Ohne Anerkennungsverfahren können diese Grundrechte vom einzelnen nicht wirksam in Anspruch genommen werden. Das Verfahren ist damit durch den subjektiven Gehalt dieser Grundrechte geboten und dient primär den individuellen Interessen der Grundrechtsträger. Den Verfahrensgehalten korrespondieren daher nach der Schutznormtheorie subjektive Rechte der Grundrechtsträger auf Schaffung eines angemessenen Verfahrens. 531 Exekutive und Judikative können diese Rechte nicht verwirklichen. Schutz des individuellen Grundrechts ist, lediglich als objektiv-rechtliche Pflicht aufzufassen, so aber Lorenz, AöR 105 (1980), S. 623 ff., 648. 525 Vergleiche zu diesem Problemkreis die Erwägungen von Held, Grundrechtsbezug, S. 178 ff., 192, der zu dem Ergebnis kommt, daß die Grundrechte lediglich einen verfahrensrechtlichen Minimalstandard verlangten, der grundsätzlich durch das gerichtliche Verfahren gewährleistet sei. Nur bei Defiziten des gerichtlichen Verfahrens ergäben sich Anforderungen an das Verwaltungsverfahren; ähnlich Dolde, NVwZ 1982, S. 65 ff., 70; zurückhaltend auch Pietzcker, VVDStRL 41 (1983), S. 193 ff., 209. Demgegenüber ist im Sondervotum zum Mülheim-Kärlich-Beschluß mehrfach davon die Rede, daß den Grundrechten die Forderung nach einem bestmöglichen Verfahrensschutz zu entnehmen sei, BVerfGE 53, S. 69 ff., 70, 75, 88. 526
Ausführlich zur Wesentlichkeitstheorie siehe oben S. 85. «7 Siehe oben S. 94 und Fn. 480. n* Bethge, NJW 1982, S. 1 ff., 5; Hufen, NJW 1982, S. 2160ff., 2162; Ossenbühl, in: FS K. Eichenberger, S. 183 ff., 185; ders., DÖV 1981, S. 1 ff., 5. 529 Bis zum 29. 06. 1993: Art. 16 Abs. 2 S. 2 GG; dazu BVerfGE 56, S. 216 ff., 236; 60, S. 253 ff., 294f.; 65, S. 76ff., 94. 530 Bethge, NJW 1982, S. Iff., 5; Hufen, NJW 1982, S. 2160ff., 2162; v. Mutius, NJW 1982, S. 2150 ff., 2157; Ossenbühl, in: FS K. Eichenberger, S. 183 ff., 185; ders., DÖV 1981, S. 1 ff., 5; BVerfGE 60, S. 253 ff., 295 (Asylrecht); verfahrensabhängige Grundrechte ganz ablehnend Held, Grundrechtsbezug, S. 164-168. 531 Folgt man der Auffassung Heids, Grundrechtsbezug, S. 164-168, der die Verfahrensabhängigkeit dieser Grundrechte ablehnt und das Verfahren auch in diesen Fällen nicht als
C. Die Grundrechte als subjektive öffentliche Rechte
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Adressat kann nur der Gesetzgeber sein. 532 Die subjektive Qualität folgt wie bei der ersten Fallgruppe aus der engen Verknüpfung des Verfahrens mit einem subjektiven Grundrechtsgehalt. Wird die Einführung eines Verfahrens oder eine bestimmte Verfahrensgestaltung durch die allgemeinen Schutzpflichten gefordert, ist für den subjektiv-rechtlichen Charakter der Verfahrensgehalte entscheidend, ob man diesen für die allgemeinen Schutzpflichten annimmt. Das wurde oben bejaht. Erfordert die allgemeine Schutzpflicht daher die Schaffung eines Verfahrens oder eine bestimmte Verfahrensregelung, so besteht hierauf ein Anspruch des einzelnen. Dieser Anspruch kann nur vom Gesetzgeber erfüllt werden. 533 Fraglich kann vom hier vertretenen Standpunkt aus nicht die subjektiv-rechtliche Qualität des der Schutzpflicht entnommenen Verfahrensgehalts sein, sondern wie in der ersten Fallgruppe nur der Umfang der Schutzpflicht in formeller Hinsicht.534 Bei den Organisationsgehalten ist zu untersuchen, in welchem Verhältnis die geforderte Organisation zu einem subjektiven Grundrechtsgehalt steht. Setzt die Verwirklichung eines individuellen Grundrechts eine bestimmte Organisation voraus, führt die Verknüpfung dazu, daß der Organisationspflicht des Staates ein Organisationsrecht des jeweiligen Grundrechtsträgers entspricht.535 Das ist für die organisationsrechtlichen Anforderungen im Hochschulbereich zu bejahen.536 Das Bundesverfassungsgericht hat zur Begründung des Organisationsgehalts des Art. 5 Abs. 3 GG wesentlich darauf abgestellt, daß unabhängige Wisgrundrechtsgeboten, sondern als verfassungsrechtlich zulässige Beschränkung des individuellen Grundrechts ansieht, fehlt es an einem auf Schaffüng eines Verfahrens gerichteten leistungsrechtlichen Verfahrensgehalt. 532 Das folgt auch hier aus der Wesentlichkeitstheorie, dazu oben S. 85. 533 Siehe oben S. 84 f. und S. 88. 534 Hierzu läßt sich jedenfalls festhalten, daß es für die Beantwortung der Frage, ob die allgemeine Schutzpflicht eine bestimmte Verfahrensgestaltung erfordert, allein auf die inhaltliche Reichweite der allgemeinen Schutzpflicht ankommt; der Wille des Gesetzgebers ist unbeachtlich; so auch Wahl, VVDStRL 41 (1983), S. 151 ff., 169. In der Literatur werden hier häufig zwei unterschiedliche Fragen vermischt: die Frage nach der subjektiv-rechtlichen Qualität von Verfahrensvorschriften und die hiervon zu trennende Problematik, wann die allgemeine Schutzpflicht eine konkrete Verfahrensvorschrift gebietet. Nur für ersteren Aspekt kann es relevant sein, welche Absicht der Gesetzgeber bei Erlaß der Regelung verfolgt hat; seine Intention, eine allgemeine Schutzpflicht zu erfüllen, ist ein Indiz für den Schutznormcharakter der in Frage stehenden Norm. Im Hinblick auf den Umfang der Schutzpflicht spricht einiges für die Auffassung, daß ihr Anforderungen an das Verwaltungsverfahren nur dann zu entnehmen sind, wenn der Grundrechtsschutz ohne Vorverlagerung in das Verwaltungsverfahren nicht mehr gewährleistet ist, was nur bei Defiziten des gerichtlichen Verfahrens zutrifft, so Wahl, VVDStRL 41 (1983), S. 151 ff., 170, und Held, Grundrechtsbezug, S. 178 ff., 192, der den Anspruch auf effektiven Rechtsschutz dogmatisch der staatlichen Schutzpflicht zuordnet und die erste und dritte Fallgruppe daher nicht unterscheiden würde. 535 So auch Alexy, Grundrechte, S. 452. 536 Zu diesem Ergebnis kommt auch Rupp, AöR 101 (1976), S. 161 ff., 197 in Verbindung mit S. 194.
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2. Teil: Das subjektive öffentliche Recht
senschaft unter den heutigen Bedingungen fast nur noch an staatlichen Hochschulen betrieben werden könne. Die Entscheidungen der Hochschulorgane wirkten sich auf das individuelle Grundrecht der Wissenschaftsfreiheit aus. Ein wirksamer Schutz dieses Grundrechts setze daher eine dem Grundrecht angemessene Organisation der Hochschulen voraus. 537 Entsprechend dieser Argumentation hat das Gericht von Anfang an ein subjektives Recht des einzelnen Wissenschaftlers auf angemessene organisatorische Vorkehrungen zum Schutz seiner Wissenschaftsfreiheit anerkannt.538 Nicht so eindeutig liegen die Dinge beim Rundfunk. Das Bundesverfassungsgericht hat hier organisationsrechtliche Forderungen aus der Eigenart der Rundfunkfreiheit hergeleitet. Diese wird darin gesehen, daß Inhalt der grundrechtlichen Gewährleistung weniger ein individuelles Grundrecht der Rundfunkfreiheit sei, sondern der freie individuelle und öffentliche Meinungsbildungsprozeß.539 Die Organisationsanforderungen dienen nicht individuellen Trägern der Rundfunkfreiheit, sondern sichern die Funktion der Rundfunkfreiheit in der Demokratie und damit einen objektiven Wert. 540 Zweck ist die Sicherstellung eines Meinungspluralismus. 541 Aus letzterem ergibt sich die Verbindung zum Grundrecht der Meinungsund Informationsfreiheit. Diese Beziehung wurde auch vom Bundesverfassungsgericht betont. Nach seiner Ansicht dient die Rundfunkfreiheit der Meinungsfreiheit in ihrer subjektiven und objektiven Funktion.542 Da sich Meinungsfreiheit auch außerhalb des Rundfunks verwirklichen kann, ist die Beziehung zwischen dem subjektiven Grundrecht und dem organisationsrechtlichen Gehalt der Rundfunkfreiheit aber nicht so eng wie bei der Wissenschaftsfreiheit. Das ist aber auch nicht erforderlich. Es genügt nach der Schutznormtheorie, daß die organisationsrechtlichen Inhalte des Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG auch den Schutz einzelner bezwekken. Das ist für die Träger der Meinungs- und Informationsfreiheit zu bejahen. Diesen stehen daher entsprechende subjektive Rechte zu. 5 4 3
537 BVerfGE 35, S. 79 ff., 114f., 120f. 538 BVerfGE 35, S. 79ff., 115f.; 43, S. 242ff., 267; 51, S. 369ff., 378f.; 54, S. 363ff., 388; 55, S. 37ff., 58; 61, S. 210ff., 239f.; 67, S. 202ff., 207; 88, S. 129ff., 137. 539 BVerfGE 12, S. 205ff., 260f.; 31, S. 314ff., 325f.; 57, S. 295ff., 319f.; 60, S. 53ff., 63f.; 73, S. 118ff., 152; 74, S. 297ff., 323; 83, S. 238ff., 315; 87, S. 181 ff., 197; 90, S. 60ff., 87. 540 BVerfGE 57, S. 295 ff., 320; 87, S. 181 ff., 197. 541 BVerfGE 12, S. 205ff., 262f.; 31, S. 314ff., 325f.; 57, S. 295ff., 320; 60, S. 53ff., 64; 73, S. 118 ff., 152 f.; 74, S. 297 ff., 324; 83, S. 238 ff., 315; 87, S. 181 ff., 198 f.; 90, S. 60 ff., 88. 542 BVerfGE 57, S. 295 ff., 320; 74, S. 297 ff., 323 f.; 87, S. 181 ff., 197. 543 Rupp, JZ 1979, S. 28 f., 29; Starck, in: FS M. Löffler, S. 375 ff., 388, der dies primär mit der Vergesellschaftung der Rundfunkfreiheit begründet, mit der Konsequenz, daß auch den Trägern dieses Grundrechts entsprechende subjektive Rechte zustehen; anderer Ansicht ist Bethge, UFITA 81 (1978), S. 75 ff., 92, der darin die Zulassung einer Popularklage sieht.
C. Die Grundrechte als subjektive öffentliche Rechte
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IV. Relevanz der Grundrechte für die weitere Untersuchung Die obige Darstellung der Grundrechtsgehalte hat gezeigt, daß die in neuerer Zeit verstärkt diskutierten sogenannten objektiven Grundrechtsaussagen Gesetzgebungspflichten begründen können und ihnen in weitem Umfang subjektive Rechte des einzelnen korrespondieren. Als Grundlagen derartiger Pflichten und Rechte kommen die Einrichtungsgarantien, die besonderen Schutz- und Förderaufträge, die allgemeinen Schutzpflichten sowie die Verfahrens- und Organisationsgehalte der Grundrechte in Betracht. Adressat dieser Grundrechtsinhalte ist, teils vorwiegend, teils neben den anderen staatlichen Gewalten, die Legislative. Die Subjektivität der einzelnen grundrechtlichen Inhalte ist anhand der aus dem Verwaltungsrecht bekannten Schutznormtheorie zu ermitteln, da eine differenzierende Lösung eines einheitlichen Problems nicht begründbar ist. Aufgrund der doch relativen Vielzahl potentieller grundrechtlicher Grundlagen für Gesetzgebungspflichten sind theoretisch auch eine Vielzahl von Normerlaßanspriichen einzelner gegen den Parlamentsgesetzgeber denkbar. Die folgende Analyse der Rechtsprechung wird Aufschluß darüber geben, welcher Stellenwert den Grundrechten als Basis von subjektiven Rechten gegen den Parlamentsgesetzgeber auf Erlaß von Gesetzen heute in der Praxis zukommt.
Dritter Teil
Normerlaßanspriiche in Rechtsprechung und Literatur A. Fallgestaltungen Die Sachverhalte lassen sich zum einen nach dem Inhalt des geltend gemachten subjektiven Rechts, dem erstrebten Ziel, systematisieren, zum anderen nach der Qualität des angegriffenen Verhaltens. Differenziert man nach dem Anspruchsinhalt, so lassen sich folgende Konstellationen unterscheiden: (1) Der Normgeber hat einen Gegenstand bisher überhaupt nicht geregelt. Das subjektive Recht richtet sich auf die erstmalige Regelung - den Erlaß einer Norm. (2) Es besteht eine Regelung, die aber unvollkommen ist. (a) Die Unvollkommenheit resultiert aus der nur teilweisen Erfüllung einer Normsetzungspflicht. (b) Die getroffene Regelung beruht nicht auf einer Normsetzungspflicht. Sie ist fehlerhaft, weil sie gleichheitswidrig ist. Inhalt des geltend gemachten Anspruchs ist in beiden Varianten die Ergänzung der vorhandenen Regelung im Sinne einer inhaltlichen Erweiterung. Darauf, wie diese inhaltliche Erweiterung realisiert wird, ob durch eine Teilnichtigerklärung der Norm durch ein Gericht oder die Ergänzung der Norm durch den Normgeber, kommt es nicht an. Entscheidend ist allein, daß materiell eine Erweiterung der Norm über den ursprünglichen Willen des Gesetzgebers hinaus erstrebt wird. (3) Der Gegenstand hat eine abschließende Regelung erfahren, die aber durch Zeitablauf den Anforderungen nicht mehr genügt. Verlangt wird hier die Nachbesserung der vorhandenen, ursprünglich verfassungsgemäßen, mittlerweile aber verfassungswidrig gewordenen Norm. Da zu erwarten ist, daß die Untersuchung hinsichtlich der dargestellten Fallgestaltungen zu unterschiedlichen Ergebnissen kommt, sollen diese im folgenden auch begrifflich unterschieden werden. Bei den Sachverhalten, die unter Fallgruppe (1) fallen, geht es um Ansprüche auf Normerlaß, wobei dieser Begriff weiterhin
Α. Fallgestaltungen
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als Oberbegriff beibehalten wird, bei den Fallgestaltungen unter (2)richtetsich das subjektive Recht auf Normergänzung und in den Fallkonstellationen der Gruppe (3) wird ein Anspruch auf Nachbesserung geltend gemacht. Die meisten Untersuchungen systematisieren nach dem Streitgegenstand und unterscheiden die Sachverhalte nach den Begriffen positives Tun/Unterlassen des Normgebers. Der Grund ist darin zu sehen, daß diese Arbeiten einseitig prozessual orientiert sind und sich schwerpunktmäßig mit der gerichtlichen Durchsetzbarkeit von Normerlaßansprüchen beschäftigen. Die Ausrichtung an der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts trägt ein weiteres dazu bei, daß durch prozessuale Probleme der klare Blick auf die Voraussetzungen eines Normerlaßanspruchs versperrt wird. Die vertretenen Unterlassensbegriffe sind schillernd. Sie reichen von einem ganz allgemeinen nichtrechtlichen Verständnis in dem Sinne, daß der Normgeber etwas nicht oder nicht in dem gewünschten Umfang geregelt hat,1 bis hin zu einem rein rechtlich determinierten Begriff, der Unterlassen als Nichtvornahme einer rechtlich gebotenen Handlung definiert. 2 Dazwischen liegen Versuche, Unterlassen und positives Tun nach der gesetzestechnischen Ausgestaltung einer Norm zu differieren. 3 Eine vertiefende Auseinandersetzung mit den verschiedenen Begriffen kann hier unterbleiben, da sich die vorliegende Untersuchung nur am Rande mit prozessualen Fragen befaßt. 4 Diese haben bereits eine hinreichende Darstellung in der Literatur erfahren. 5 Zutreffend dürfte aber die Auffassung sein, wonach ein Unterlassen nur dann gegeben ist, wenn eine Pflicht zum Normerlaß besteht. Für die Frage nach der Existenz, den Voraussetzungen und den Inhalten subjektiver Rechte auf Normerlaß, -ergänzung und -nachbesserung kommt es nicht auf die Qualifikation des Streitgegenstandes als positive Regelung oder Unterlassung an. Die Problematik von Rechten auf Normerlaß liegt in der Gestaltungsfreiheit des Normgebers, dem Demokratieprinzip und im Grundsatz der Gewaltenteilung begründet. Diese Bereiche sind unabhängig von der Einordnung des Streitgegenstandes als positive Regelung oder Unterlassung immer dann berührt, wenn 1 So wird der Begriff von Rauschning, Sicherung, S. 234, verwandt. Stahler nennt das den materiellen Unterlassensbegriff, Nachprüfung, S. 2 f. 2 Seiwerth, Verfassungsbeschwerde, S. 39 f.; Seufert, Gesetzgebungsgebote, S. 33,53. 3 Stahler, Nachprüfung, S. 2: (Formelles) Unterlassen bei einem Schweigen / Untätigbleiben des Normgebers; positives Tun dagegen bei einem ausdrücklichen Ausschluß; ebenso Schneider, R., AöR 89 (1964), S. 24 ff., 26. 4 Für eine prozeßrechtliche Untersuchung mag eine Festlegung im Hinblick auf die Formulierung des Antrags und des Entscheidungstenors notwendig sein; insbesondere zur Prüfung des Fristerfordernisses in § 93 Abs. 3 BVerfGG ist sie unerläßlich. 5 V. Barby, Klagen; Gleixner, Normerlaßklage; Jülicher, Verfassungsbeschwerde; Klinkhammer, Entwicklung, S. 100-158; Lange, NJW 1962, S. 417ff.; Lechner, NJW 1955, S. 1817 ff.; Rauschning, Sicherung, S. 229ff.; Ritter, Gesetzgebungspflichten, S. 135 ff.; Schenke, Rechtsschutz, S. 168-188, 332-342; ders., VerwArch 82 (1991), S. 307ff.; Schneider, R., AöR 89 (1964), S. 24 ff.; Schuhmann, AöR 88 (1963), S. 331 ff.; ders., Verfassungsbeschwerde, insbesondere S. 88, 190-192; Seiwerth, Verfassungsbeschwerde; Seufert, Gesetzgebungsgebote; Stahler, Nachprüfung; Walecki, Normsetzungspflicht, S. 185 ff.; Würtenberger, AöR 105 (1980), S. 370ff., 380ff.
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3. Teil: Normerlaßansprche in Rechtsprechung und Literatur
der einzelne ein subjektives öffentliches Recht auf den Erlaß oder die inhaltliche Änderung einer Norm geltend macht und dieses mit gerichtlicher Hilfe durchsetzen will. Daher ist hier eine Systematisierung nach dem erstrebten Anspruchsinhalt angezeigt und auch allein sachgerecht. Stellte man demgegenüber darauf ab, ob ein Unterlassen des Normgebers vorliegt, führte dies zum Ausschluß der Sachverhalte der Fallgruppe (2)(b) aus der Untersuchung. Bei diesen Sachverhalten ist nach der Auffassung von L. Seufert, 6 der hier der Vorzug eingeräumt wird, ein positives Tun und kein Unterlassen gegeben. Ein Ausschluß dieser Sachverhalte aus der Untersuchung würde der Fragestellung aber nicht gerecht werden. 7
B. Subjektive öffentliche Rechte auf Normerlaß in der Rechtsprechung I. Individualrechte auf Erlaß, Ergänzung oder Nachbesserung von formellen Gesetzen 1« Der Anspruch auf Gesetzerlaß oder Gesetzergänzung a) Voraussetzungen aa) Der ausdrückliche Verfassungsauftrag als Ausgangspunkt der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Das Bundesverfassungsgericht lehnte einen Anspruch des einzelnen auf ein Handeln des Gesetzgebers zuerst ab und verwarf die Verfassungsbeschwerde, soweit sie hierauf gerichtet war, mangels möglicher Rechtsverletzung als unzu6 Anderer Ansicht ist insoweit Seiwerth, der, entgegen seinem mit Seufert übereinstimmenden Ansatz, auch hier von einem (relativen) Unterlassen des Gesetzgebers ausgeht. Das leuchtet nicht ein, da er Art. 3 Abs. 1 GG allein keine Gesetzgebungspflicht entnimmt, Verfassungsbeschwerde, S. 66 und 74. Bestätigt wird das dadurch, daß er eine Kassation der gesamten begünstigenden Norm durch das Bundesverfassungsgericht für zulässig hält, Nachprüfung, S. 73 f. Allerdings sind seine Ausführungen insgesamt widersprüchlich, da er einen Angriff der positiven Regelung mangels Rechtsschutzbedürfnisses für unzulässig hält, Verfassungsbeschwerde, S. 74. Nachrichtiger Auffassung bildet Art. 3 Abs. 1 GG einen Maßstab für die inhaltliche Gestaltung von Rechtsnormen, die Entschließungsfreiheit des Normgebers kann er nicht einschränken, auch nicht in Verbindung mit dem vorherigen Erlaß eines begünstigenden Gesetzes. 7 Diese Erkenntnis veranlaßt Rauschning, Sicherung, S. 234, die Sachverhalte der Fallgruppe (2) einheitlich als Fälle relativen Unterlassens zu begreifen. Er stimmt daher insofern mit der hier vertretenen Auffassung überein, als er einen Grund für eine unterschiedliche materielle Behandlung je nach der Qualifikation des staatlichen Handelns als positives Tun oder Unterlassen verneint. Seine Ansicht verkennt aber, daß der Begriff des Unterlassens im Hinblick auf § 93 Abs. 3 BVerfGG anders definiert werden muß. Ein Unterlassen kann jedenfalls dann nicht angenommen werden, wenn der Gesetzgeber eine ausdrückliche Ausschlußregelung trifft und keine Normsetzungspflicht besteht.
Β. Rechte auf Normerlaß in der Rechtsprechung
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lässig.8 Die Argumentation ist knapp, was aber angesichts der Tatsache, daß die Anerkennung eines derartigen Anspruchs zu dieser Zeit (1951) geradezu revolutionär gewesen wäre, nicht weiter verwundert. Unter der Geltung der Weimarer Reichsverfassung kam ein solcher Anspruch schon deshalb nicht in Betracht, weil die herrschende Meinung eine Bindung des Gesetzgebers an die Rechtsordnung, einschließlich der Verfassung, aufgrund seiner unbegrenzten Souveränität noch immer ablehnte,9 und in der Zeit des Nationalsozialismus war für subjektive öffentliche Rechte des einzelnen gleich welcher Art ohnehin kein Raum.10 Erst das Grundgesetz, das eine Bindung des Gesetzgebers an die Verfassung und an die Grundrechte in Art. 20 Abs. 3 GG und Art. 1 Abs. 3 GG statuiert und damit die gesetzgebende Gewalt der verfassungsgebenden Gewalt unterordnet, eröffnete die theoretische Möglichkeit eines Anspruchs des einzelnen gegen den Gesetzgeber. Praktisch wurde ein derartiges Recht mit der Einführung der Verfassungsbeschwerde durch das Gesetz über das Bundesverfassungsgericht vom 12. März 1951,11 die dem einzelnen die unmittelbare gerichtliche Kontrolle auch des Gesetzgebers ermöglichte. Zwei Gründe führt das Bundesverfassungsgericht für die Ablehnung an: Zum einen führte die Anerkennung eines gerichtlich durchsetzbaren Anspruchs des Bürgers auf Gesetzerlaß zu einer Verschiebung der vom Grundgesetz vorgesehenen staatlichen Zuständigkeiten, das Gericht würde zum Gesetzgeber (Verstoß gegen den Grundsatz der Gewaltenteilung)12 und zum anderen sei die Entscheidung, ein Gesetz zu erlassen, aufgrund der Entschließungsfreiheit des Gesetzgebers nicht justitiabel.13 Der Bundesgerichtshof lehnt bis heute in seiner Rechtsprechung zum Amtshaftungsrecht die Drittbezogenheit der Amtspflichten des Normgebers und damit letztlich ein subjektives öffentliches Recht des einzelnen auf Normerlaß aufgrund des generell-abstrakten Inhalts einer Norm ab. Die Aufgabe der Rechtsetzung erfolge im Allgemeininteresse, dies schließe die Drittgerichtetheit der Amtspflicht des Normgebers aus. Ausnahmen hiervon werden bei Normen für möglich gehal-
8 BVerfGE 1, S. 97ff., lOOf.; bestätigend BVerfGE 2, S. 237ff., 244; 2, S. 287ff., 291. 9
Vergleiche hierzu die Ausführungen auf S. 33. 10 Vergleiche hierzu S. 33 ff. n BVerfGG, BGBl. I S. 243: Das Gesetz wurde am 16. 04. 1951 verkündet und trat am 17. 04. 1951 in Kraft. Im Grundgesetz war die Möglichkeit der Verfassungsbeschwerde bei seinem Inkrafttreten am 24. 05. 1949 nicht enthalten. Der Entwurf des Verfassungskonvents von Herrenchiemsee sah sie noch vor, der Parlamentarische Rat übernahm sie schließlich aber nicht (vergleiche v. Doemming, JöR n. F. 1, 1951, S. 669 ff.). Erst das 19. Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 29. Ol. 1969, BGBl. I S. 97, verankerte die Verfassungsbeschwerde im Grundgesetz (Art. 93 Abs. 2 Nr. 4 a, b, Art. 94 Abs. 2 S. 2 GG). 12 BVerfGE l,S.97ff., 100f. ,3
BVerfGE 1, S. 97 ff, 101; die o. g. weiteren ablehnenden Entscheidungen begnügen sich mit einem Verweis auf BVerfGE 1, S. 97 ff.
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3. Teil: Normerlaßanspriiche in Rechtsprechung und Literatur
ten, die keinen generell-abstrakten Inhalt haben.14 Diese wurden aber hier als Sonderfälle von der Untersuchung ausgenommen. Dagegen erkannte das Bundesverfassungsgericht bereits wenige Jahre nach seinen ablehnenden Judikaten an, daß der einzelne einen Anspruch auf Normergänzung haben kann. In einem Armenrechtsverfahren beurteilte es eine Verfassungsbeschwerde, die auf Ergänzung eines Gesetzes gerichtet war, als zulässig, da der Beschwerdeführer sich auf einen ausdrücklichen Gesetzgebungsauftrag des Grundgesetzes berufen konnte, der Inhalt und Umfang der Gesetzgebungspflicht im wesentlichen bestimmte, und die Möglichkeit bestand, daß er durch die Unvollständigkeit der Regelung in einem Grundrecht, Art. 3 Abs. 1 GG, verletzt war. 15 Die aufgestellten Voraussetzungen für einen solchen Anspruch, ausdrückliche verfassungsrechtliche Pflicht zum Gesetzerlaß, inhaltliche Bestimmtheit dieser Pflicht im Hinblick auf die zu treffende Regelung, nur teilweise Erfüllung der Gesetzgebungspflicht und hierdurch bedingte Grundrechtsverletzung, vertritt das Bundesverfassungsgericht seither in ständiger Rechtsprechung.16 Dabei bezieht es diese Voraussetzungen gleichermaßen sowohl auf Normergänzungsansprüche als auch auf Normerlaßanspriiche. 17 Häufig werden aber nicht alle Voraussetzungen so deutlich genannt. Meist findet sich die Formulierung, „der einzelne Staatsbürger habe grundsätzlich einen mit der Verfassungsbeschwerde verfolgbaren Anspruch auf ein Handeln des Gesetzgebers nur in den seltenen Fällen, in denen der Beschwerdeführer sich auf einen ausdrücklichen Auftrag des Grundgesetzes berufen könne, der Inhalt und Umfang der Gesetzgebungspflicht näher umgrenze."18 Das Erfordernis eines subjektiven Rechts auf ein Handeln des Gesetzgebers, oder negativ ausgedrückt, einer Rechtsverletzung des einzelnen durch Nichterfüllung oder nur teilweise Erfüllung einer Gesetz14 BGHZ 56, S. 40ff., 46; 84, S. 292ff., 300; 87, S. 321 ff., 335; BGH, NJW 1989, S. 101 ff., 101; NJW 1997, S. 123 ff., 124; ihm folgend etwa BayObLG, NJW 1997, S. 1514 f., 1515. 15 BVerfGE 6, S. 257 ff., 264. 16 BVerfGE 11, S. 255ff., 261; 12, S. 139ff., 142; 15, S. 46ff., 60; 23, S. 242ff., 249f.; 56, S. 54ff., 70f.; 59, S. 360ff., 375; BVerfG, NJW 1983, S. 2931 ff., 2932; BVerfG, NJW 1987, S. 2287f., 2287; BVerfG, DtZ 1991, S. 376f., 376; ebenso BFHE 156, S. 543ff., 546 f. (zu den Voraussetzungen einer Vorlage gem. Art. 100 Abs. 1 GG); BSGE 68, S. 31 ff., 34; ständige Rechtsprechung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs im Popularklageverfahren zu den Voraussetzungen einer Normsetzungspflicht, vergleiche NVwZ 1991, S. 1073 f., 1074 mit weiteren Nachweisen und BayVerfGH 45, S. 143 ff., 147; 46, S. 298 ff., 299, wo dies insoweit präzisiert wird, als diese Voraussetzungen auf die Pflicht zum Erlaß einer bestimmten Rechtsvorschrift bezogen werden; HessStGH, ESVGH 26, S. 18 ff., 20. 17
Eine Trennung dieser Rechte, die häufig schwierig ist und nach der gegebenen Umschreibung der Fallgestaltungen von der Feststellung abhinge, ob ein Gegenstand bisher überhaupt nicht oder nur unvollkommen geregelt ist, kann daher unterbleiben. Eindeutig einen Normerlaßanspruch betreffen BVerfGE 12, S. 139 ff., 142; BVerfG, DtZ 1991, S. 376 f., 376; wohl auch BVerfGE 59, S. 360ff., 375; BVerfG, NJW 1987, S. 2287 f., 2287. is BVerfGE 12, S. 139 ff., 142.
Β. Rechte auf Normerlaß in der Rechtsprechung
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gebungspflicht wird nicht explizit erwähnt.19 Man wird es wohl aus der Wendung, daß der einzelne sich auf den Verfassungsauftrag berufen können müsse, herauslesen können. Darüber hinaus folgt diese Voraussetzung zwingend aus Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 a GG, § 90 Abs. 1 BVerfGG, denn die Verfassungsbeschwerde ist - jedenfalls von ihrer Konzeption her - kein objektives Normenbeanstandungsverfahren, sondern ein individuelles Verfahren. 20 Sie ist nur zulässig, wenn eine Verletzung von Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten möglich ist. Aus dieser prozessualen Anforderung ergibt sich auch zwingend eine Verengung der hier diskutierten Individualrechte in derrichterlichen Praxis. Theoretisch besteht nach der hier 21 und in der Rechtsprechung22 vertretenen Schutznormtheorie immer dann ein subjektives Recht auf Erlaß eines formellen Gesetzes, wenn der ausdrückliche verfassungsrechtliche Regelungsauftrag nicht nur objektiven Interessen, sondern jedenfalls daneben auch subjektiven Interessen zu dienen bestimmt ist. Mit der Verfassungsbeschwerde verwirklicht werden kann es aber nur, wenn der Gesetzgebungsauftrag gleichzeitig ein Grundrecht oder grundrechtsgleiches Recht darstellt, wie dies beispielsweise bei Art. 6 Abs. 5 GG und Art. 33 Abs. 5 GG der Fall ist. 23 Keinerlei Erwähnung finden die obigen Voraussetzungen bei Gesetzergänzungsansprüchen, wenn sich die Verfassungsbeschwerde nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts gegen eine positive Regelung und nicht gegen ein Unterlassen richtet und die gleichheitswidrige Erfüllung eines ausdrücklichen Verfassungsauftrags gerügt wird. 24 Da der Bürger aber auch in diesen Fällen nicht die Nichtigkeit der gleichheitswidrigen Regelung, sondern die Erweiterung der Begünstigung erstrebt, sein Begehren also auf ein Handeln des Gesetzgebers zielt, ist das nicht einsichtig. Allerdings ist die Zulässigkeitsvoraussetzung der Möglichkeit einer Verletzung in Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten für eine Verfassungsbeschwerde, wo die oben dargestellten Anspruchsvoraussetzungen erörtert werden, in diesen Fällen gegenüber den Fällen absoluten Unterlassens unproblematisch durch Art. 3 Abs. 1 GG gegeben.25 Das gilt aber für alle Gesetzergänzungsansprüche, die auf die Gleichheitswidrigkeit einer Regelung gestützt werden, unabhängig davon, ob eine positive Regelung oder ein Unterlassen des Gesetz19 BVerfGE 11, S. 255ff., 261; 23, S. 242ff., 249f.; 56, S. 54ff., 70f.; BVerfG, NJW 1983, S. 2931 ff., 2932; BVerfG, NJW 1987, S. 2287 f., 2287; HessStGH, ESVGH 26, S. 18 ff., 20. 20 Dabei wird nicht verkannt, daß das Bundesverfassungsgericht der Verfassungsbeschwerde auch eine objektive Funktion zuspricht; vergleiche hierzu Benda /Klein, Verfassungsprozeßrecht, S. 140 ff., Rn. 331 ff. 21 Siehe oben S. 61. 22 Vergleiche die Nachweise im Zweiten Teil, Fn. 140. 23 Nach der hier vertretenen Ansicht ist die tatsächliche Durchsetzbarkeit für die Bejahung eines subjektiven Rechts irrelevant, siehe hierzu die Ausführungen oben S. 46 f. 24 Siehe etwa BVerfGE 6, S. 132ff.; 6, S. 246ff.; 6, S. 282ff. 25 BVerfGE 6, S. 132 ff., 134; 6, S. 246 ff., 250; 6, S. 282 ff., 285.
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3. Teil: Normerlaßansprche in Rechtsprechung und Literatur
gebers als Verfahrensgegenstand angenommen wird. 26 In der Begründetheit stellt sich die Problematik hinsichtlich des Grundsatzes der Gewaltenteilung und der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers dann sowieso in allen Fällen eines Gesetzerlaßanspruchs parallel dar, so daß jedenfalls hier für eine unterschiedliche Behandlung in Abhängigkeit von der Qualifikation des Angriffsgegenstandes kein Grund ersichtlich ist.
bb) Die allgemeinen Schutzgehalte der Grundrechte als weitere Grundlage Soweit versucht wurde, Ansprüche auf ein Tätigwerden der Legislative aus den allgemeinen Schutzgehalten der Grundrechte herzuleiten, läßt sich große Zurückhaltung konstatieren. Zwar hatte das Bundesverfassungsgericht bereits anerkannt, daß die Erfüllung der den Freiheitsgrundrechten innewohnenden allgemeinen Schutzpflichten auch und sogar primär dem Gesetzgeber obliege, sich aus den allgemeinen Schutzgehalten der Grundrechte also Gesetzgebungspflichten ergeben können,27 einem korrespondierenden subjektiven Recht aus den Schutzgehalten stand das Bundesverfassungsgericht aber skeptisch gegenüber. Der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts Schloß anfangs die Möglichkeit des Bestehens eines solchen Anspruchs nicht völlig aus, die Formulierungen lassen aber deutlich erkennen, daß eher eine ablehnende Haltung eingenommen wurde. Letztlich ließ der Senat diese Frage und damit die Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerden dahinstehen, weil er bereits eine Verletzung der (objektiven) staatlichen Schutzpflicht und damit die Begründetheit verneinte.28 Im Gegensatz hierzu hat der Zweite Senat ohne nähere Begründung ausgeführt, daß eine Verletzung der allgemeinen Schutzpflicht gleichzeitig eine Verletzung des Grundrechts darstelle, die mit der Verfassungsbeschwerde angegriffen werden könne.29 Der Zweite Senat bejahte damit eindeutig den subjektiv-rechtlichen Gehalt von aus Grundrechten abgeleiteten allgemeinen Schutzpflichten. Dieser Auffassung hat sich der Erste Senat inzwischen - ebenfalls ohne jegliche Begründung - angeschlossen.30 Uneinheitlich sind die Entscheidungen im Hinblick auf die gerichtliche Kontrolldichte. In einigen wird 26 Problematisch ist allerdings das Rechtsschutzbedürfnis, das vom Bundesverfassungsgericht unter Hinweis auf die Chance einer Gesetzergänzung bejaht wird, vergleiche etwa BVerfGE 22, S. 349 ff., 362 f. 27 Grundlegend BVerfGE 39, S. Iff., 41 f., 44, 51; seither gefestigte Rechtsprechung: BVerfGE 46, S. 160ff., 164; 49, S. 24ff., 53; 49, S. 89ff., 130-132, 141 f.; 53, S. 30ff., 57; 56, S. 54ff., 73, 81; 57, S. 250ff., 284f.; BVerfG, NJW 1983, S. 2931 ff., 2932; BVerfG, NJW 1987, S. 2287f., 2287; BVerfGE 77, S. 170ff., 214; 77, S. 381 ff., 402f.; 79, S. 174ff., 201 f.; 85, S. 191 ff., 212; 87, S. 363 ff., 386; 88, S. 203 ff., 251-253; 90, S. 145 ff., 195; 92, S. 26ff., 46; 92, S. 140ff., 150; BVerfG, NJW 1996, S. 651.
28 BVerfG, NJW 1983, S. 2931 ff., 2932; BVerfG, NJW 1987, S. 2287 ff., 2287. 29 BVerfGE 77, S. 170ff., 214; bestätigt in BVerfGE 77, S. 381 ff., 405; BVerfG, NJW 1997, S. 3085. 30 BVerfGE 79, S. 174 ff., 201 f.; BVerfG, NJW 1995, S. 2343; restriktiver wieder BVerfG, UPR 1998, S. 341 ff., 342.
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apodiktisch postuliert, eine gerichtlich feststellbare Schutzpflichtverletzung setze einen evidenten Verfassungsverstoß voraus, der nur bei gänzlicher Untätigkeit des Gesetzgebers oder bei völlig ungeeigneten oder völlig unzureichenden Regelungen vorliege.31 Diese Beschränkung derrichterlichen Nachprüfbarkeit sei deshalb angebracht, weil die Erfüllung einer aus den Freiheitsgrundrechten abgeleiteten staatlichen Schutzpflicht auf vielfältige Weise erfolgen könne und die Entscheidung über die konkrete Ausgestaltung Aufgabe des unmittelbar demokratisch legitimierten Gesetzgebers und nicht des nur mittelbar demokratisch legitimierten Bundesverfassungsgerichts sei.32 In anderen finden sich vorsichtigere und differenziertere Ausführungen. Wann eine Schutzpflichtverletzung gegeben sei, hänge vom Grad der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts, dem Rang des gefährdeten Rechtsguts und den vorhandenen Regelungen ab. 33 Die Weite der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers und davon abhängig die Dichte der gerichtlichen Überprüfbarkeit sei abhängig vom maßgebenden Sachbereich, den Möglichkeiten des Gesetzgebers, sich ein hinreichend sicheres Urteil zu bilden und der Bedeutung der betroffenen Rechtsgüter.34 Im Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 28. Mai 1993 zum neuen Recht des Schwangerschaftsabbruchs wird dem noch hinzugefügt: " Die im Beschluß des Senats vom 29. Oktober 1987 (vgl. BVerfGE 77, S. 170 [214 f.]) enthaltenen Ausführungen zur Zulässigkeit einer Verfassungsbeschwerde gegen staatliches Unterlassen dürfen nicht dahin verstanden werden, als genügten der Erfüllung der Schutzpflicht des Staates gegenüber menschlichem Leben schon Maßnahmen, die nicht gänzlich ungeeignet oder völlig unzulänglich sind."35 Das Bundesverfassungsgericht leitet in dieser Entscheidung aus der Schutzpflicht des Staates für das ungeborene Leben detaillierte Anforderungen an die gesetzliche Ausgestaltung ab. 36 Eine Respektierung der gesetzgeberischen Gestaltungsfreiheit vermag man nicht zu erkennen.37 Zur Rechtfertigung wird auf das Untermaßverbot rekur31 BVerfGE 56, S. 54 ff., 71, 81; BVerfG, NJW 1983, S. 2931 ff., 2932; BVerfG, NJW 1987, S. 2287f., 2287; BVerfGE 77, S. 170ff, 215; 77, S. 381 ff., 405; 79, S. 174ff., 202; 92, S. 26 ff., 46; BVerfG, NJW 1995, S. 2343; BVerfG, NJW 1996, S. 651; BVerfG, NJW 1997, S. 2509 ff., 2509; BVerfG, NJW 1997, S. 3085; BVerfG, UPR 1998, S. 145 f., 145; BVerfG, NJW 1998, S. 975 f., 976; so auch das Bundesverwaltungsgericht zum Inhalt von grundrechtlichen Ansprüchen aus der staatlichen Schutzpflicht gegen die Exekutive, DVB1. 1996, S. 563 f., 564. 32 BVerfGE 56, S. 54 ff., 71, 81; BVerfG, NJW 1983, S. 2931 ff., 2932; BVerfG, NJW 1987, S. 2287f., 2287; BVerfGE 77, S. 170ff., 215; 79, S. 174ff., 202; 92, S. 26ff., 46; BVerfG, NJW 1996, S. 651; BVerfG, NJW 1997, S. 1769f., 1770; BVerfG, NJW 1997, S. 2509ff., 2509; BVerfG, UPR 1998, S. 145 f., 145; BVerfG, UPR 1998, S. 341 ff., 342 f. 33 BVerfGE 49, S. 89 ff., 142; 53, S. 30 ff., 57; enger auch schon BVerfGE 39, S. 1 ff., 51. 34 BVerfGE 50, S. 290ff., 332f.; 77, S. 170ff, 170,215; 88, S. 203ff., 262. 35 BVerfGE 88, S. 203 ff., 262 f. 36 Vergleiche insbesondere die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts zur gesetzlichen Ausgestaltung des Beratungskonzepts, BVerfGE 88, S. 203 ff., 270 f., 281-289, die sich auch in Nr. 3 der Entscheidungsformel niedergeschlagen haben, BVerfGE 88, S. 203 ff., 210f. 37 Sehr kritisch hierzu auch Hermes/Walther, NJW 1993, S. 2337ff., 2339f., 2345,2347. 8 Eisele
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riert. Dieses Verbot bildet eine Grenze der staatlichen Gestaltungsfreiheit bei der Erfüllung von Schutzpflichten und beschreibt das mindestens gebotene Schutzniveau. Wird dieses nicht erreicht, ist das staatliche Verhalten, beziehungsweise präziser, das staatliche Untätigbleiben, verfassungswidrig. Um dem Untermaßverbot zu genügen, müssen die staatlichen Maßnahmen einen angemessenen und wirksamen Schutz garantieren.38 Dabei beurteilt sich die Angemessenheit aufgrund einer wertenden Betrachtung der Bedeutung und Schutzbedürftigkeit des zu schützenden grundrechtlichen Werts und damit kollidierender Verfassungswerte. 39 Das Untermaßverbot ist vielleicht geeignet, die Reichweite und damit die Kontrolldichte allgemeiner Schutzpflichten zu konkretisieren, angesichts seiner Weite trägt es aber die in dem Urteil vorgenommene Einschränkung der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers in keinem Fall. Es ist wohl angesichts der leidvollen Geschichte des Rechts des Schwangerschaftsabbruchs in der Bundesrepublik Deutschland gerechtfertigt, diese Entscheidung als nicht verallgemeinerungsfähig anzusehen. Schlagwortartig verkürzt limitieren die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers und der Grundsatz der Gewaltenteilung nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts die gerichtliche Durchsetzbarkeit des aus allgemeinen Schutzpflichten herleitbaren subjektiven Rechts auf Gesetzerlaß. Dabei ist als Regelfall von einer großen Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers auszugehen, die die Feststellung einer Schutzpflichtverletzung und damit auch einer subjektiven Rechtsverletzung durch das Gericht auf die Fälle gänzlicher Untätigkeit oder eindeutiger Unzulänglichkeit der getroffenen Regelungen beschränkt. Ausnahmsweise kann die Schutzpflicht die Entscheidungsfreiheit des Gesetzgebers aber auch einengen und bestimmte Anforderungen an den Gesetzesinhalt stellen. In diesen Fällen ist eine gerichtlich konstatierbare Schutzpflichtverletzung bereits dann gegeben, wenn das Gesetz diesen inhaltlichen Forderungen nicht genügt.40 Das Bundesverfassungsgericht hat ein gerichtlich durchsetzbares subjektives Recht auf Gesetzerlaß oder -ergänzung aus den allgemeinen Schutzgehalten der Grundrechte bisher also nicht ausgeschlossen, letztlich aber ein solches Recht im konkreten Fall nie als gegeben angesehen. Voraussetzung eines solchen Anspruchs ist nach der Rechtsprechung neben der Bejahung einer objektiven Gesetzgebungspflicht aus den allgemeinen Schutzgehalten der Grundrechte die Verletzung der Schutzpflicht und eine dadurch bedingte Rechtsverletzung des einzelnen. Gerichtlich feststellbar ist eine Verletzung der allgemeinen Schutzpflicht aufgrund der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers grundsätzlich nur bei Untätigkeit des Gesetz38 BVerfGE 88, S. 203 ff., 254,261; BVerfG, NJW 1995, S. 2343. 39 BVerfGE 88, S. 203 ff., 254, 261; BVerfG, NJW 1995, S. 2343. 40
Die Interpretation der unterschiedlichen Aussagen im Sinne eines Regel-AusnahmeVerhältnisses wird durch eine neuere Entscheidung bestätigt, die sowohl die ältere, engere Rechtsprechung zitiert als auch auf die neuere, differenzierendere Rechtsprechung Bezug nimmt, BVerfG, NJW 1996, S. 651.
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gebers oder bei völlig unzureichenden Regelungen; ausnahmsweise kann die Schutzpflicht aber eine höhere gerichtliche Kontrolldichte fordern. Da die Schutzpflichtverletzung gleichzeitig eine Grundrechtsverletzung darstellt, indiziert sie die Verletzung in einem subjektiven Recht.
cc) Verfahrens- und Organisationsgehalte als denkbare Anspruchsgrundlagen Organisationsgehalte begründen Gesetzgebungspflichten; Verfahrensgehalte tun dies dann, wenn keine oder keine ausreichenden Verfahrensregelungen vorhanden sind.41 Dienen organisations- oder verfahrensrechtliche Anforderungen der Verwirklichung oder Verstärkung eines Individualgrundrechts, bestehen subjektive Rechte auf Erlaß geeigneter Organisations- und Verfahrensbestimmungen. 42 Obwohl das Bundesverfassungsgericht subjektive Rechte auf Erlaß von Organisationsregelungen etwa für die Träger der Wissenschaftsfreiheit seit längerem bejaht, 43 sind Gesetzerlaß- oder -ergänzungsansprüche aus Organisations- und Verfahrensgehalten bisher nie praktisch geworden. Über die Ursachen kann man spekulieren. Soweit Verfahrensgehalte angesprochen sind, dürfte der Hauptgrund darin zu sehen sein, daß das Bundesverfassungsgericht selbst dann, wenn es primär den Gesetzgeber zur Regelung aufgerufen sieht, eine Pflicht der Judikative zur Schließung der verfahrensrechtlichen Lücke annimmt.44 Was die organisationsrechtlichen Anforderungen insbesondere der Rundfunk- und W^issenschaftsfreiheit betrifft, waren Organisationsregelungen in diesen Bereichen vorhanden und die Streitigkeiten entzündeten sich an Änderungen der hergebrachten Strukturen. Streitgegenstand war nicht ein Untätigbleiben oder teilweises Untätigbleiben, sondern ein Tätigwerden des Gesetzgebers.
dd) Gesetzergänzungsansprüche auf der Basis des Gleichbehandlungsgebots Die Mehrzahl der entschiedenen Fälle betrifft die Sachverhaltskonstellation des gleichheitswidrigen begünstigenden Gesetzes.45 Immer wieder haben Bürger versucht, durch eine auf Art. 3 Abs. 1 GG oder spezielle Gleichheitsrechte gestützte Verfassungsbeschwerde die Ergänzung eines begünstigenden Gesetzes zu erreichen. Hier entspricht es der gefestigten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, daß sich ausschließlich aus einer Verletzung des Gleichheitssatzes durch 41
Dazu siehe oben S. 94. « Siehe oben S. 101 ff.
« Etwa in BVerfGE 35, S. 79 ff., 116; 43, S. 242ff., 267. 44 So etwa in BVerfGE 37, S. 67 ff., 81; 39, S. 276 ff., 295, 297,300 f. 45 Der Begriff wird hier weit verstanden. Er erfaßt sowohl Leistungsgesetze als auch Privilegierungen in Eingriffsgesetzen. Die Auswertung der Rechtsprechung schließt neben Verfassungsbeschwerden (VB) auch konkrete Normenkontrollen ein (NK) und ist angesichts der Vielzahl der Entscheidungen nicht vollständig. 8·
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Nichtberücksichtigung in einer begünstigenden gesetzlichen Regelung oder einer sonstigen Benachteiligung im Rahmen einer Begünstigung kein Anspruch des Beschwerdeführers auf eine konkret bestimmte Normergänzung ergibt.46 Das Gericht sieht sich nicht als befugt an, die Gleichheit durch eine inhaltliche Erweiterung der gesetzlichen Regelung herzustellen, denn dies verstoße gegen den Grundsatz der Gewaltenteilung47 und greife (unzulässig) in die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers ein. 48 Dieser habe grundsätzlich mehrere Möglichkeiten, die Gleichbehandlung zu verwirklichen. 49 Er könne dem Gleichheitsverstoß sowohl durch die erstrebte Erweiterung der Begünstigung, als auch durch deren völlige Abschaffung 50 oder Neukonzeption abhelfen. 51 Konsequenterweise erkennt das Gericht von diesem Grundsatz Ausnahmen an, wenn kein Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers besteht, weil der Gleichheitsverstoß nur auf eine ganz bestimmte Weise beseitigt werden kann52 oder wenn kein Eingriff in die Gestaltungsfreiheit vorliegt, weil feststeht, wie der Gesetzgeber die Regelung bei Erkennen der Verfassungswidrigkeit formuliert hätte.53 Als konkrete Beispiele fehlender Gestaltungsfreiheit werden der zwingende Verfassungsauftrag 54 und die Kontinuität der gesetzlichen Regelung55 genannt. Eine Einschränkung des gesetzgeberischen Gestaltungsspielraums bis hin zu dessen Reduzierung auf Null können auch die Freiheitsgrundrechte bewirken.56 Ferner ergeben sich Beschränkungen aus anderen Wertentschei46 BVerfGE 8, S. 28 ff., 36 f. (NK); 9, S. 250 ff., 255 (NK); 18, S. 288 ff., 301 f. (VB); 22, S. 349 ff., 360 f. (VB); 23, S. 1 ff., 10 (VB); 25, S. 236 ff., 252 (VB); 27, S. 391 ff., 399 (NK); 37, S. 217ff., 260 (NK); 39, S. 316ff., 332f. (VB); 41, S. 399ff., 425f. (VB); 45, S. 376ff., 393 (NK); 47, S. 1 ff., 32 f. (VB); 61, S. 43 ff., 68 (NK); 74, S. 9 ff., 28 (NK); 78, S. 350 ff., 363 (VB); 84, S. 348 ff., 365 (NK); 87, S. 1 ff., 39 (NK,VB); 87, S. 234 ff., 262 (NK); 88, S. 5 ff., 17 (VB); 88, S. 87 ff., 101 (NK); 91, S. 389 ff., 404 (NK). 47 BVerfGE 9, S. 250ff., 255; 22, S. 349 ff., 362. 48 BVerfGE 8, S. 28ff., 37; 9, S. 250ff., 255; 22, S. 349ff., 361 f.; 27, S. 391 ff., 399; 37, S. 217ff., 260; 39, S. 316ff., 332f.; 47, S. 1 ff., 32f.; 61, S. 43ff., 68; 78, S. 350ff., 363; 84, S. 348ff., 365; 87, S. 1 ff., 39; 88, S. 5ff., 17; 88, S. 87ff., 101; 91, S. 389ff., 404. 49 BVerfGE 22, S. 349 ff., 361; 23, S. 1 ff., 10; 25, S. 236 ff., 252; 37, S. 217 ff., 261; 39, S. 316ff., 332f.; 61, S. 43ff., 68; 78, S. 350ff., 363; 84, S. 348ff., 365; 87, S. 234ff., 262; 88, S. 5 ff., 17; 91, S. 389 ff., 404. so BVerfGE 8, S. 28 ff., 36 f.; 9, S. 250 ff., 255; 22, S. 349 ff., 361; 39, S. 316 ff., 333. 51 BVerfGE 22, S. 349 ff., 361; 39, S. 316 ff., 333; 61, S. 43 ff., 68. 52 BVerfGE 17, S. 122ff., 134; 18, S. 288ff., 302; 22, S. 349ff., 362; 23, S. 1 ff., 10; 27, S. 220 ff., 230; 37, S. 217 ff., 260; 45, S. 376 ff., 393; 74, S. 9 ff., 28; ebenso ständige Rechtsprechung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs im Popularklageverfahren, vergleiche NVwZ 1991, S. 1073 f., 1074 mit weiteren Nachweisen; E 45, S. 143 ff., 147; 46, S. 298 ff., 299, wo dies insoweit präzisiert wird, als diese Voraussetzungen auf die Pflicht zum Erlaß einer bestimmten Rechtsvorschrift bezogen werden. 53 BVerfGE 8, S. 28 ff., 37; 18, S. 288 ff., 302; 22, S. 349 ff., 362; 23, S. 1 ff., 10; 27, S. 391 ff., 399; 37, S. 217 ff., 260; 45, S. 376ff., 393; 88, S. 87 ff., 101 f. 54 BVerfGE 21, S. 329 ff., 338, 354; 22, S. 349 ff., 362. 55 BVerfGE 17, S. 122 ff., 134; 27, S. 220 ff., 230. 56 BVerfGE 36, S. 321 ff., 330f., 333; 60, S. 123ff., 134f.; 62, S. 256ff., 274; 74, S. 9ff., 24 f.; 88, S. 5 ff., 12; 90, S. 46 ff., 56.
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düngen der Verfassung. 57 Diese Beschränkungen schließen die Gestaltungsfreiheit nicht aus, können aber dazu führen, daß es dem Gesetzgeber verwehrt ist, die Begünstigung, deren Erweiterung erstrebt wird, abzuschaffen oder so umzugestalten, daß es bei dem Ausschluß oder der Benachteiligung der bisher Betroffenen bleibt. Er ist dann verpflichtet, die begünstigende Norm gleichheitsgemäß zu ergänzen, lediglich das „Wie", die Ausgestaltung der Regelung im Detail, bleibt ihm überlassen.58 Als Ergebnis bleiben folgende Erkenntnisse festzuhalten: In Verbindung mit anderen Verfassungsbestimmungen oder sonstigen Besonderheiten des Einzelfalls, die die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers auf Null reduzieren, gewährt Art. 3 Abs. 1 GG nach der Rechtsprechung ein subjektives öffentliches Recht auf eine inhaltlich genau festgelegte Gesetzergänzung.59 Allein aus Art. 3 Abs. 1 GG läßt sich ein derartiges Recht dagegen nicht herleiten. Vergleichbar dem gegen die Exekutive gerichteten Recht auf ermessensfehlerfreie Entscheidung gibt Art. 3 Abs. 1 GG aber ein Recht auf erneute gesetzgeberische Gestaltung unter Beachtung des Gleichheitssatzes, da das Bundesverfassungsgericht in Fällen gleichheitswidriger Begünstigung von einer Nichtigerklärung absieht und lediglich die Unvereinbarkeit des Gesetzes mit der Verfassung feststellt. Art. 3 Abs. 1 GG eröffnet damit jedenfalls die Chance, die begehrte Normergänzung zu erreichen. 60 In Anlehnung an die verwaltungsrechtliche Terminologie liegt es nahe, dieses Recht, das inhaltlich weitgehend offen ist, weil es nicht auf die begehrte Normergänzung zielt, als formelles subjektives öffentliches Recht zu bezeichnen und so von materiellen subjektiven öffentlichen Rechten auf Normerlaß zu unterscheiden.61 Zwischen diesen beiden Extremen, dem materiellen subjektiven öffentlichen Recht auf eine konkrete Gesetzergänzung und dem bloß formellen subjektiven öffentlichen Recht auf irgendeine gleichheitsgemäße gesetzgeberische Gestaltung, liegen die materiellen subjektiven öffentlichen Rechte aus Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit weiteren Verfassungsbestimmungen, die ihrem Inhaber zwar kein Recht auf eine inhaltlich genau festgelegte gesetzgeberische Tätigkeit geben, wohl aber ein Recht auf Einbeziehung in die vorhandene Begünstigung.62 Diesen schwächeren materiellen Rechten liegen Fallkonstellationen zugrunde, in denen die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers durch andere Verfassungsbestimmungen nicht völlig ausgeschlossen, aber dahingehend eingeschränkt ist, daß er die Begünstigung um die 57 BVerfGE 45, S. 376 ff., 387 f. (Art. 20 Abs. 1 GG: Sozialstaatsprinzip); BVerfGE 82, S. 198 ff., 206; 87, S. 1 ff., 38 f.; 87, S. 234 ff., 256 (Art. 6 Abs. 1 GG). 58 Eine solcherart begrenzte Gestaltungsfreiheit hat das Bundesverfassungsgericht beispielsweise angenommen in E 41, S. 399 ff., 424,426 (VB); 45, S. 376 ff., 388, 393 (NK); 82, S. 60 ff., 87,97 (NK). 59 Bejaht und durch Teilnichtigerklärung verwirklicht in BVerfGE 17, S. 122 ff., 134; 27, S. 220ff., 230f.; 27, S. 391 ff., 399; 60, S. 123ff., 134f.; 74, S. 9ff., 28; 88, S. 87ff., 101 f. 60 BVerfGE 22, S. 349ff., 362 f.; 23, S. 1 ff., 11 ; 25, S. 236 ff., 251,255 f. 61 Ähnlich Gubelt, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 3, Rn. 35. 62 Vergleiche die Nachweise in Fn. 58.
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3. Teil: Normerlaßansprche in Rechtsprechung und Literatur
Benachteiligten erweitern muß, weil sie aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nicht ganz beseitigt oder unter fortdauerndem Ausschluß der Betroffenen gleichheitsgemäß umgestaltet werden kann. Das Ziel ist dem Gesetzgeber mithin zwingend vorgegeben, aber hinsichtlich der gesetzlichen Ausgestaltung im einzelnen ist er frei. b) Inhalt aa) Anspruchsinhalt bei Vorliegen eines ausdrücklichen Gesetzgebungsauftrags Besteht ein ausdrücklicher Gesetzgebungsauftrag, wird der Inhalt des korrespondierenden subjektiven öffentlichen Rechts auf Gesetzerlaß oder -ergänzung durch den Gesetzgebungsauftrag determiniert. Je konkreter der Verfassungsauftrag ist, desto geringer ist die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers. Bei ausgeschlossener Gestaltungsfreiheit geht der Anspruch auf Erlaß eines inhaltlich genau bestimmten Gesetzes oder auf eine konkret vorgegebene Gesetzesergänzung. Das Bundesverfassungsgericht hat einen solchen inhaltlich genau festgelegten Gesetzergänzungsanspruch aus Art. 131 GG i. V. m. Art. 3 Abs. 1 GG in mehreren Verfassungsbeschwerdeverfahren angenommen.63 Einen Eingriff in die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers verneinte das Gericht unter Hinweis auf die insoweit zwingenden Vorgaben des Art. 131 GG. 6 4 In den Fällen, in denen sich die Verfassungsbeschwerde nach Auffassung des Gerichts gegen positive Regelungen richtete, erfolgte die Realisierung des Gesetzergänzungsanspruchs durch das Gericht selbst im Wege der Teilnichtigerklärung 6 5 im übrigen verblieb es bei der genauen inhaltlichen Vorgabe in der Entscheidung und der Feststellung, daß die Unterlassung den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht auf Gleichheit vor dem Gesetz verletze. 66 Diese Rechtsprechung wird bestätigt durch Entscheidungen in Verfahren der konkreten Normenkontrolle. Auch hier hat das Bundesverfassungsgericht Gesetze durch Teilnichtigerklärung inhaltlich erweitert, mit der Begründung, daß aufgrund eines Verfassungsauftrags kein Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers verbleibe67 oder daß der Gesetzgeber ihn mit Sicherheit in dieser Weise ausgefüllt hätte.68 Inhalt des Anspruchs ist daher bei Vorliegen eines ausdrücklichen Verfassungsauftrags der Erlaß oder die Ergänzung eines Gesetzes in einer inhaltlich bestimm63 BVerfGE 6, S. 246 ff., 256 f.; 6, S. 282 ff., 289 f., 15, S. 46 ff., 75 (Ergänzung alternativ durch Gesetz oder Rechtsverordnung möglich). 64 BVerfGE 6, S. 246 ff., 256; 6, S. 282 ff., 289; 15, S. 46 ff., 75. 65 BVerfGE 6, S. 246 ff., 257; 6, S. 282 ff., 290. 66 BVerfGE 15, S. 46 ff., 75. 67 BVerfGE 17, S. 148ff., 155; 21, S. 329ff., 337f., 353f. 68 BVerfGE 22, S. 163 ff., 174 f.
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ten Weise, wobei die Dichte des Anspruchsinhalts abhängig von der Konkretheit der Gesetzgebungspflicht ist.
bb) Anspruchsinhalt bei konkludentem Gesetzgebungsauftrag Wird das subjektive öffentliche Recht auf Gesetzerlaß oder -ergänzung aus den allgemeinen grundrechtlichen Schutzpflichten hergeleitet, folgt aus deren inhaltlicher Offenheit, daß dieses Recht grundsätzlich nicht auf den Erlaß eines Gesetzes mit einem konkreten Inhalt gerichtet sein kann. Durch den Anspruch determiniert ist nur das Ziel. Die konkreten Mittel zur Zielerreichung sind nicht bestimmt. Anspruchsinhalt ist regelmäßig nur die Verpflichtung, überhaupt ein geeignetes Gesetz zum Schutz des grundrechtlichen Werts zu erlassen oder die vorhandenen Gesetze so zu ergänzen, daß sie zum Schutz des Grundrechts angemessen sind. In Ausnahmefällen kann sich auch aus der allgemeinen Schutzpflicht ein Anspruch auf Erlaß eines inhaltlich in gewisser Weise näher bestimmten Gesetzes ergeben. Dabei wird aber der Gesetzesinhalt wieder nur grob vorgegeben werden. Ein subjektives Recht, das den Erlaß detaillierter Einzelregelungen beinhaltet, dürfte sich aus den allgemeinen Schutzpflichten nicht herleiten lassen.69 Insoweit bleiben diese Ansprüche gegen den Gesetzgeber hinter den Ansprüchen, die sich auf einen ausdrücklichen, inhaltlich bestimmten Gesetzgebungsauftrag stützen können, zurück. Eine weitere Verengung im Hinblick auf die Durchsetzbarkeit ergibt sich aus den vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten Voraussetzungen für die Feststellung einer Schutzpflichtverletzung. Inhalt des justitiablen Anspruchs ist regelmäßig nur die Verpflichtung des Gesetzgebers, überhaupt ein nicht offensichtlich untaugliches Schutzgesetz zu erlassen oder die vorhandenen Gesetze so zu ändern, daß sie nicht mehr evident unzureichend sind. Allerdings ist eine höhere Kontrolldichte und damit eine weitere Durchsetzbarkeit nicht ausgeschlossen.
cc) Anspruchsdichte bei Gleichheitswidrigkeit Bei einem auf Art. 3 Abs. 1 GG gestützten Anspruch auf Normergänzung sind entsprechend den dargestellten Konstellationen vom Inhalt her die unterschiedlichsten Rechte denkbar: Allein aus Art. 3 Abs. 1 GG erwächst nur ein formelles subjektives öffentliches Recht auf erneutes Tätigwerden des Normgebers. Dieser ist inhaltlich nur insoweit gebunden, als er den festgestellten Gleichheitsverstoß beseitigen muß, was auch durch Aufhebung des begünstigenden Gesetzes geschehen kann. Es handelt sich vom Inhalt her um das schwächste subjektive Recht 69 Auf die nicht verallgemeinerungsfähige Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum neuen Recht des Schwangerschaftsabbruchs, BVerfGE 88, S. 203 ff., aus der sich anderes schließen ließe, wurde bereits oben eingegangen.
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gegen den Gesetzgeber. Nur in Verbindung mit anderen Verfassungsbestimmungen eröffnet Art. 3 Abs. 1 GG materielle subjektive öffentliche Rechte auf Normergänzung. Das stärkste materielle Recht hat eine genau festgelegte Gesetzergänzung zum Inhalt, während das schwächste materielle Recht den Gesetzgeber zwar zur Erstreckung der Vorschrift verpflichtet, die Ausgestaltung im einzelnen aber offen läßt. In diesen Fällen ist es durchaus vorstellbar, daß der Gesetzgeber die Einbeziehung der ausgeschlossenen Gruppe in einer anderen als der erwarteten Weise vornimmt. c) Entscheidungstenor
und Entscheidungswirkung
Als Verfahren zur unmittelbaren Durchsetzung von Gesetzerlaß- oder -ergänzungsansprüchen kommt für den einzelnen auf Bundesebene nur das Verfahren der Verfassungsbeschwerde in Betracht. Die Entscheidungsmöglichkeiten des Bundesverfassungsgerichts werden nach seiner eigenen Auffassung durch § 95 BVerfGG vorgegeben. Danach sieht sich das Gericht nicht als befugt an, eine Leistungsentscheidung zu treffen. Eine Verpflichtung des Gesetzgebers, ein Gesetz zu erlassen oder zu ergänzen, ist nicht möglich. Demgemäß kommt regelmäßig nur die Feststellung in Betracht, daß das Unterlassen des Gesetzgebers verfassungswidrig ist. Im Zusammenhang dieser Untersuchung wichtigste Folge der Unvereinbarkeitsfeststellung ist die Verpflichtung des Gesetzgebers, in angemessener Zeit durch Erlaß oder Ergänzung des Gesetzes einen verfassungsgemäßen Zustand herzustellen. 70 Ausnahmsweise führt das Bundesverfassungsgericht die angestrebte Gesetzergänzung im hier verstandenen Sinn einer inhaltlichen Erweiterung der vorhandenen Regelung durch eine gemäß § 95 Abs. 3 S. 1 BVerfGG zulässige Teilnichtigerklärung selbst herbei. Das ist (insbesondere) bei gleichheitswidrigen begünstigenden Gesetzen, die eine zwingende Gesetzgebungspflicht erfüllen, möglich, wenn die gleichheitswidrig nicht berücksichtigte Gruppe in der Vorschrift ausdrücklich ausgeschlossen wird. Voraussetzung einer derartigen Teilnichtigerklärung ist, daß der Anspruch auf Ergänzung des Gesetzes durch den Gesetzgebungsauftrag oder andere Umstände des Einzelfalles inhaltlich so determiniert ist, daß dem Gesetzgeber keine Gestaltungsfreiheit bleibt. Daneben kommt sie noch in Betracht, wenn feststeht, daß der Gesetzgeber die durch die Teilnichtigerklärung geschaffene „neue" Regelung so treffen würde.71 Dagegen führt eine Teilnichtigerklärung, die vom Gesetzestext her nicht möglich ist, weil der Verfassungsverstoß sich nicht 70 BVerfGE 32, S. 199 ff., 217 f.; 33, S. 303 ff., 347 f.; 34, S. 9ff., 43 f.; 37, S. 217 ff., 261; 41, S. 399ff., 425f.; 55, S. lOOff., 110; 61, S. 319ff., 356f.; 72, S. 330ff., 333, 422; 81, S. 363 ff., 384; 82, S. 126 ff., 155; 84, S. 168 ff., 186f.; 85, S. 191 ff., 212; 85, S. 226 ff., 237f.; 87, S. 114ff., 150f.;87, S. 153ff., 177f., 181; 87, S. 234ff., 262f.; 88, S. 5ff., 17; 90, S. 263 ff., 276; 91, S. 186 ff., 207; 92, S. 158 ff., 186 f. 71 Zu diesen Ausnahmefällen vergleiche die Ausführungen oben S. 116 und die Nachweise in Fn. 52 und Fn. 53.
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durch eine textliche Veränderung beseitigen läßt, nicht zu der erstrebten Erweiterung des Gesetzes, sondern nur zur ex tunc wirkenden Nichtigkeit des Ausschlusses von der Begünstigung. Hier muß, wie im Fall der Unvereinbarkeitsfeststellung, zunächst der Gesetzgeber tätig werden, bevor der einzelne Ansprüche aus der von ihm von Anfang an erstrebten Erweiterung des Gesetzes geltend machen kann.72 Gesetzergänzungsansprüche können neben der prinzipalen Verfolgung im Wege der Verfassungsbeschwerde 73 mittelbar auch im Verfahren der konkreten Normenkontrolle durchgesetzt werden. Während das Bundesverfassungsgericht zunächst die Entscheidungserheblichkeit der Frage der Gültigkeit des unvollständigen Gesetzes verneinte,74 da die fachgerichtliche Klage sowohl bei seiner Gültigkeit als auch bei seiner Ungültigkeit abgewiesen werden müsse, bejaht die heutige Rechtsprechung in diesen Fällen die Zulässigkeit der Richtervorlage nach Art. 100 Abs. 1 GG. 75 Das unvollständige Gesetz sei für die Entscheidung relevant, da das Gericht im Falle seiner Verfassungswidrigkeit das Verfahren aussetzen müsse, bis der Gesetzgeber die Verfassungswidrigkeit beseitigt habe.76 Auch im Verfahren der konkreten Normenkontrolle gibt es gemäß §§ 82 Abs. 1, 78 S. 1 BVerfGG keine Leistungsentscheidung. Das Bundesverfassungsgerichtsgesetz sieht in § 78 S. 1 nur eine Nichtigerklärung des Gesetzes vor. Abweichend hiervon stellt das Bundesverfassungsgericht im Falle gleichheitswidriger Gesetze unter Hinweis auf die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers lediglich die Unvereinbarkeit mit dem Grundgesetz fest; 77 ausnahmsweise erfolgt eine inhaltliche Erstreckung durch Teilnichtigerklärung. Die Tenorierung entspricht daher der Tenorierung im Verfassungsbeschwerdeverfahren.
2. Das Recht auf Nachbesserung eines Gesetzes a) Der Begriff der Nachbesserung Eine Analyse der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zeigt, daß der Begriff der Nachbesserung im Rahmen der vorliegenden Untersuchung näher eingegrenzt werden muß, da er nicht einheitlich verwendet wird und mannigfache Deutungen zuläßt. Unter Nachbesserung kann jede verfassungsrechtlich gebotene 72
Das gilt nicht, soweit hierfür keine gesetzliche Grundlage erforderlich ist. 73 Nach Detterbeck, DÖV 1990, S. 858 ff., 863, scheitert eine Verfassungsbeschwerde gegen das unvollständige Gesetz am Subsidiaritätsgrundsatz gem. § 90 Abs. 2 S. 1 BVerfGG, da die Möglichkeit besteht, durch eine Klage auf Leistungsgewährung inzident eine Normenkontrolle im Verfahren nach Art. 100 Abs. 1 GG zu erreichen. 74 BVerfGE 1, S. 97 ff., 103; 8, S. 28 ff., 32ff.; 14, S. 308 ff., 311 f.; 15, S. 121 ff., 125 f. 75 BVerfGE 17, S. 210ff., 215f.; 23, S. 74ff., 78; 23, S. 135ff., 142f.; 49, S. 280ff., 282; 56,S. Iff., 11; 61,S. 43ff., 55f.; 64, S. 158ff., 167f.;68,S. 155ff., 169;75, S.40ff.,55. 76 Sei es durch Erstreckung, Umgestaltung oder Aufhebung des Gesetzes. 77 BVerfGE 23, S. 135 ff., 142; 61, S. 43 ff., 56,67 f.
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3. Teil: Normerlaßansprche in Rechtsprechung und Literatur
Neugestaltung einer gesetzlichen Regelung verstanden werden.78 Bei diesem weiten Begriffsverständnis würde auch der Sachverhalt des in Grundrechte des Bürgers eingreifenden Gesetzes erfaßt werden, das aufgrund veränderter Umstände oder einer sich als falsch erweisenden Prognose verfassungswidrig wird. 79 Hier kann der Bürger, gestützt auf die Freiheitsrechte in ihrer klassischen Funktion als Abwehrrechte, „Nachbesserung" in Form der Kassation des Gesetzes erreichen. Da hier keine positive Leistung des Gesetzgebers erstrebt wird, sind diese Fälle durch eine engere Fassung des Begriffs der Nachbesserung aus der Untersuchung auszuscheiden. Der Begriff soll hier nur die Änderung oder Umgestaltung eines vorhandenen Gesetzes, nicht aber die Aufhebung eines Gesetzes durch das Gericht oder den Gesetzgeber bezeichnen. Das Recht auf Nachbesserung kommt insoweit dem Anspruch auf Normergänzung nahe.
b) Voraussetzungen Für das so näher konkretisierte Recht auf Nachbesserung fordert das Bundesverfassungsgericht in Übereinstimmung mit den oben dargestellten Voraussetzungen eines Anspruchs auf Gesetzerlaß oder -ergänzung das Bestehen einer objektiven Nachbesserungspflicht des Gesetzgebers, die Verletzung dieser Nachbesserungspflicht und eine dadurch bedingte Rechtsverletzung des Bürgers. Inhalt der Nachbesserungspflicht muß die Änderung der vorhandenen Regelung sein. Daraus ergibt sich zwingend, daß der Nachbesserungspflicht eine Gesetzgebungspflicht zugrunde liegen muß, denn ansonsten könnte der Gesetzgeber die Regelung auch aufheben. aa) Nachbesserungsanspruch aufgrund eines ausdrücklichen Gesetzgebungsauftrags Ein Nachbesserungsanspruch kann sich zunächst aus einem ausdrücklichen Gesetzgebungsauftrag der Verfassung ergeben. Das setzt voraus, daß die Gesetzgebungspflicht durch den einmaligen Erlaß des entsprechenden Gesetzes nicht für alle Zeit erfüllt ist, weil sie einen dynamischen Inhalt hat, der von Zeit zu Zeit eine Änderung des erlassenen Gesetzes erfordert. Ferner muß der Gesetzgeber die Änderung unterlassen haben und dies den Bürger in subjektiven Rechten verletzen. Letzteres ist nur der Fall, wenn der Regelungsauftrag nicht nur eine objektive Gesetzgebungspflicht begründet, sondern gleichzeitig dem einzelnen ein subjektives Recht auf den Erlaß des Gesetzes einräumt. Das Bundesverfassungsgericht hat einen solchen Nachbesserungsanspruch bisher nur aus dem Regelungsauftrag des 78 So BVerfGE 56, S. 54 ff., 78; 65, S. 1 ff., 55 f. 79 Solche Sachverhalte lagen beispielsweise zugrunde: BVerfGE 25, S. Iff., 12f.; 50, S. 290ff., 335; 55, S. 274ff., 317; 65, S. 1 ff., 55 f.; 83, S. 1 ff., 13, 21 f.; 92, S. 365 ff., 396f., 402; VGH München, BayVBl. 1987, S. 557 ff.
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Art. 33 Abs. 5 GG hergeleitet.80 Danach kann ein Beamter aus Art. 33 Abs. 5 GG ein Recht auf Änderung eines Besoldungsgesetzes dahingehend geltend machen, daß das Gesetz eine Besoldung vorsieht, die den Mindestanforderungen eines angemessenen Unterhalts entspricht. Zur Verletzung der Nachbesserungspflicht hat das Gericht ausgeführt, daß eine Verletzung erst dann angenommen werden könne, „wenn für ein Festhalten an der bisherigen Regelung schlechthin keine verfassungsmäßige Grundlage mehr gegeben ist, wenn also die aus dem Grundgesetz folgende Notwendigkeit einer Gesetzesänderung sich mit der für eine richterliche Entscheidung erforderlichen Eindeutigkeit ergibt".81
bb) Die allgemeinen Schutzgehalte als Grundlage von Rechten auf Nachbesserung Neben ausdrücklichen verfassungsrechtlichen Gesetzgebungspflichten kommen auch die allgemeinen Schutzgehalte der Grundrechte als Grundlage von subjektiven öffentlichen Rechten auf Nachbesserung von Gesetzen in Betracht.82 Die allgemeinen Schutzaufträge können nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, wie oben bereits dargelegt, den Gesetzgeber zunächst verpflichten, eine Regelung überhaupt zu erlassen;83 darüber hinaus begründen sie Nachbesserungspflichten, sofern die ursprüngliche Regelung aufgrund veränderter Umstände ihre Funktion nicht mehr zureichend erfüllt. 84 Eine Aufhebung der unzulänglichen Vorschriften scheidet aus. Erläßt der Gesetzgeber zur Erfüllung einer Schutzpflicht ein Gesetz, ist er potentiell zu dessen Nachbesserung verpflichtet, denn Schutzpflichten sind immer dynamisch, da sich die tatsächlichen Lebensumstände unaufhörlich verändern und eine ursprünglich zum Schutz des Rechtsguts geeignete und ausreichende Maßnahme diese Qualität einbüßen kann. Diese potentielle Nachbesserungspflicht bedingt allerdings nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts in der Regel keine Pflicht zur fortlaufenden Kontrolle; die Nachbesserungspflicht aktualisiere sich häufig erst bei positiver Kenntnis oder jedenfalls deutlicher Erkennbarkeit der Verfassungswidrigkeit. 85 Eine Verletzung der Nachbesserungspflicht, oder anders ausgedrückt, eine Verletzung der Schutzpflicht durch Unterlassen der Nachbesserung und damit einhergehend eine subjektive Grundrechtsverletzung, könne nur dann vom Gericht festgestellt werden, wenn die Verfassungswidrigkeit der Regelung offensichtlich und der Gesetzgeber dennoch untätig ge80 BVerfGE 8, S. 1 ff.; 44, S. 249 ff. ei BVerfGE 8, S. 1 ff., 19; ebenfalls für eine Verletzung der Alimentationspflicht Evidenz fordernd: BVerfGE 44, S. 249 ff., 267 f., 272, 279; ähnlich BVerfGE 81, S. 363 ff., 383. 82 BVerfGE 49, S. 89ff., 141 f. in Verbindung mit S. 130f.; 56, S. 54ff., 71 f., 78f.; BVerfG, NJW 1983, S. 2931 ff., 2932; BVerfGE 88, S. 203 ff., 309 f. 83 BVerfGE 49, S. 89 ff., 142. 84 BVerfGE 49, S. 89 ff., 130; 88, S. 203 ff., 309 f. 85 BVerfGE 88, S. 203 ff., 310.
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3. Teil: Normerlaßansprche in Rechtsprechung und Literatur
blieben sei oder die Regelung evident unzureichend nachgebessert habe.86 Da die Nachbesserungspflicht Ausfluß der allgemeinen grundrechtlichen Schutzpflicht ist, stellt ihre Verletzung gleichzeitig eine Verletzung der Schutzpflicht dar, der nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts ein subjektivrechtlicher Gehalt zukommt.87 Damit ist die erforderliche Rechtsverletzung des Bürgers bei Bejahung einer Verletzung der Nachbesserungspflicht aufgrund der Schutzgehalte der Freiheitsgrundrechte immer gegeben.
cc) Gleichbehandlungsgebot und Nachbesserungsrecht Als Anknüpfungspunkt eines Nachbesserungsanspruchs kommt nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts schließlich auch Art. 3 Abs. 1 GG in Betracht. Art. 3 Abs. 1 GG begründet eine Anpassungspflicht des Gesetzgebers für den Fall, daß eine ursprünglich verfassungsgemäße begünstigende Regelung durch eine Veränderung der tatsächlichen Umstände zu einer sachlich nicht zu rechtfertigenden Ungleichbehandlung von Personengruppen führt. 88 Dieser Pflicht aus Art. 3 Abs. 1 GG korrespondiert unproblematisch ein entsprechendes subjektives öffentliches Recht der Benachteiligten auf Anpassung. Die Anpassung kann aber wiederum durch Aufhebung oder völlige Umgestaltung der Begünstigung ohne Erstrekkung auf die bisher Ausgeschlossenen erfolgen, so daß in diesen Fällen keine Nachbesserung im Sinne der oben gegebenen Definition vorliegt. Ein materielles subjektives öffentliches Recht auf Nachbesserung setzt daher zusätzlich eine Einschränkung der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers dahingehend voraus, daß er das begünstigende Gesetz nicht aufheben kann, sondern es auf die benachteiligte Gruppe erstrecken muß. Ist die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers dagegen nicht in dieser Weise beschränkt, so besteht nur ein formelles subjektives öffentliches Recht auf eine neue gleichheitsgemäße gesetzgeberische Gestaltung.
dd) Doppelte Evidenz als Voraussetzung der Justitiabilität Unabhängig von der Anspruchsgrundlage fordert das Gericht für ein verfassungsgerichtlich durchsetzbares subjektives öffentliches Recht auf Nachbesserung eines Gesetzes eine doppelte Evidenz: die Evidenz der Nachbesserungsbedürftigkeit des Gesetzes und die Evidenz der Pflichtverletzung. 89 Erst wenn die Verfassungswidrigkeit der bestehenden Regelung offensichtlich ist, sieht sich das Bun86 BVerfGE 56, S. 54 ff., 81. 87 Siehe oben S. 112 und Fn. 29 und 30. 88 BVerfGE 89, S. 15 ff., 24 f. 89 Das gilt auch, wenn Art. 3 Abs. 1 GG die Grundlage des Nachbesserungsanspruchs bildet, obwohl die einschlägige Entscheidung, BVerfGE 89, S. 15 ff., hierzu keine Ausführungen enthält. Die Ungleichbehandlung der beiden Personengruppen war anhand des vorliegenden Zahlenmaterials evident und der Gesetzgeber war untätig geblieben.
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desVerfassungsgericht in der Lage, das Bestehen einer Nachbesserungspflicht festzustellen,90 die vom Gesetzgeber durch Nichterfüllung oder Schlechterfüllung verletzt werden kann. Die Konstatierung einer Pflichtverletzung wiederum ist nur dann möglich, wenn der Gesetzgeber gänzlich untätig bleibt oder eine eindeutig unzureichende Regelung erläßt. 91 Begründet werden diese Einschränkungen der verfassungsgerichtlichen Kontrolle bei einem Nachbesserungsanspruch aus Art. 33 Abs. 5 GG mit der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers.92 Folgt das Nachbesserungsrecht aus den allgemeinen Schutzgehalten der Grundrechte, wird auf den Vorrang des Gesetzgebers zur Regelung komplexer Fragen verwiesen, der auf dem Grundsatz der Gewaltenteilung und dem Demokratieprinzip beruhe.93 Diese zweifache Evidenz war nach Auffassung des Gerichts bei Herleitung des Anspruchs auf Nachbesserung aus den allgemeinen Schutzgehalten der Freiheitsgrundrechte bisher nie gegeben. Obwohl explizite Ausführungen fehlen, wird man im Hinblick auf die Aussagen des Gerichts zur Verletzung der allgemeinen Schutzpflicht aus Grundrechten94 annehmen können, daß eine Feststellung der Verletzung der Nachbesserungspflicht in Ausnahmefällen nach den für eine Schutzpflichtverletzung aufgestellten Kriterien auch bei fehlender Evidenz möglich ist. 95 Dasselbe muß für die Offensichtlichkeit der Nachbesserungsbedürftigkeit gelten.
c) Inhalt Zum Inhalt eines subjektiven öffentlichen Rechts auf Nachbesserung kann auf die Ausführungen zum Inhalt eines Anspruchs auf Gesetzerlaß oder -ergänzung verwiesen werden. Ist Grundlage des Nachbesserungsanspruchs ein ausdrücklicher Gesetzgebungsauftrag, wird der Inhalt durch die Gesetzgebungspflicht bestimmt. Von deren Dichte hängt die Dichte des entsprechenden Anspruchs ab. Wird das Nachbesserungsrecht dagegen auf die allgemeinen Schutzgehalte der Grundrechte gestützt, richtet es sich in der Regel auf eine der Schutzpflicht genügende Ergänzung der vorhandenen Vorschriften; eine Nachbesserung in ganz bestimmter Weise kann nicht verlangt werden. Justitiabel ist das Recht nur insoweit, als die Nachbesserung nicht völlig unzureichend zum Schutz des grundrechtlichen Werts sein darf. Eine größere inhaltliche Dichte ist in Ausnahmefällen ebenso wie eine höhere Durchsetzbarkeit denkbar. Bei einem in Art. 3 Abs. 1 GG gründenden Nachbes90
Siehe oben S. 123 (ausdrücklicher Verfassungsauftrag) und S. 123 f. (allgemeine Schutzgehalte); ebenso BFHE 156, S. 543 ff., 547. Siehe oben S. 123 f. 92 BVerfGE 8, S. 1 ff., 19. 93 BVerfGE 56, S. 54 ff., 81; BVerfG, NJW 1983, S. 2931 ff., 2932; BFHE 156, S. 543 ff., 548. 94 Siehe oben S. 112 f. 95 Dafür sprechen auch die weiteren Ausführungen zum Inhalt der objektiven Nachbesserungspflicht in BVerfGE 88, S. 203 ff., 310f.
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3. Teil: Normerlaßansprche in Rechtsprechung und Literatur
serungsrecht ist im Falle des Hinzutretens weiterer Verfassungsbestimmungen und dadurch ausgeschlossener Gestaltungsfreiheit eine bestimmte Nachbesserung (materielles Recht) Inhalt des Rechts. Ansonsten folgt aus Art. 3 Abs. 1 GG allein nur ein formelles subjektives öffentliches Recht auf eine neue gleichheitsgemäße Gestaltung der Rechtslage.
d) Entscheidungstenor
und Entscheidungswirkung
Das Recht auf Nachbesserung in der hier gegebenen Definition ist auf eine Leistung des Gesetzgebers gerichtet. Daher ist nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts nur eine Unvereinbarkeitsfeststellung mit der Folge der Verpflichtung des Gesetzgebers, in angemessener Zeit einen verfassungsgemäßen Zustand herzustellen, möglich.
3. Systematisierende und ergänzende Zusammenfassung der Anspruchsvoraussetzungen einschließlich ihrer Justitiabilität a) Materielles subjektives öjfentliches auf Gesetzerlaß oder -ergänzung
Recht
Ein materielles subjektives öffentliches Recht auf Gesetzerlaß oder -ergänzung setzt nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zunächst das Bestehen einer objektiven Gesetzgebungspflicht voraus. Diese kann sich aus einem ausdrücklichen Verfassungsauftrag (eventuell i. V. m. Art. 3 Abs. 1 GG) oder den allgemeinen Schutzgehalten der Grundrechte ergeben. Besondere Anforderungen an die inhaltliche Bestimmtheit eines ausdrücklichen Verfassungsauftrags sind im Gegensatz zur Rechtsprechung nicht zu stellen. Dies folgt daraus, daß das Bundesverfassungsgericht inzwischen die allgemeinen Schutzpflichten der Grundrechte als Basis von Gesetzgebungspflichten anerkannt hat und diese Pflichten inhaltlich in hohem Maße unbestimmt sind. Die verfassungsrechtliche Gesetzgebungspflicht muß nicht oder nur teilweise erfüllt sein, das heißt, der Gesetzgeber muß die Pflicht verletzt haben. Wann eine Pflichtverletzung vorliegt, hängt von der Konkretheit der Gesetzgebungspflicht ab. Ist die Gesetzgebungspflicht inhaltlich weitgehend offen, was bei den den allgemeinen Schutzgehalten der Grundrechte zu entnehmenden Gesetzgebungspflichten regelmäßig der Fall ist, ist die Justitiabilität begrenzt. Das Bundesverfassungsgericht bejaht eine Pflichtverletzung regelmäßig nur bei Untätigkeit oder einer offensichtlichen Ungeeignetheit bestehender Regelungen. Eine intensivere Kontrolle ist in Einzelfällen denkbar. Schließlich muß die Pflichtverletzung des Gesetzgebers den Bürger in einem subjektiven Recht verletzen.
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Als Voraussetzungen bleiben daher festzuhalten: (1) Bestehen einer verfassungsrechtlichen objektiven Gesetzgebungspflicht, (2) Verletzung dieser Gesetzgebungspflicht und dadurch (3) Verletzung des einzelnen in einem verfassungsrechtlichen subjektiven Recht.
b) Materielles subjektives öffentliches
Recht auf Nachbesserung
Die Voraussetzungen eines materiellen subjektiven öffentlichen Rechts auf Nachbesserung können analog den oben dargestellten Voraussetzungen eines Anspruchs auf Gesetzerlaß oder Gesetzergänzung gebildet werden, wobei als Basis der objektiven Gesetzgebungs- und Nachbesserungspflichten ebenfalls ausdrückliche Verfassungsaufträge oder die allgemeinen Schutzgehalte der Grundrechte in Betracht kommen. Danach müssen für die Annahme eines materiellen Rechts des einzelnen auf Nachbesserung eines Gesetzes folgende Voraussetzungen gegeben sein: (1) Vorliegen einer verfassungsrechtlichen dynamischen objektiven Gesetzgebungspflicht als Grundprämisse, (2) Bestehen einer objektiven Nachbesserungspflicht, (3) Verletzung dieser Nachbesserungspflicht und dadurch (4) Verletzung des einzelnen in einem verfassungsrechtlichen subjektiven Recht. Im Unterschied zu subjektiven öffentlichen Rechten auf Erlaß oder Ergänzung formeller Gesetze ist die verfassungsgerichtliche Kontrolle von Nachbesserungsansprüchen in doppeltem Sinn begrenzt. Zusätzlich zur oben dargestellten Evidenz der Pflichtverletzung fordert das Bundesverfassungsgericht bereits für die Feststellung des Bestehens einer Nachbesserungspflicht die Offensichtlichkeit der Notwendigkeit der Änderung des bestehenden Gesetzes.
c) Materielles subjektives öffentliches Recht auf Gesetzergänzung oder Nachbesserung Kein materielles subjektives öffentliches Recht auf Gesetzerlaß, aber in Ausnahmefallen ein materielles subjektives öffentliches Recht auf Gesetzergänzung oder Nachbesserung kann sich ergeben, wenn der Gesetzgeber ein begünstigendes Gesetz erlassen hat, dieses Gesetz gleichheitswidrig ist oder durch Veränderung der tatsächlichen Umstände gleichheitswidrig geworden ist und die Beseitigung des Gleichheitsverstosses aufgrund des Einwirkens weiterer Verfassungsbestimmungen nur durch eine Erstreckung des Gesetzes möglich ist. Ein materielles subjektives öffentliches Recht auf Ergänzung oder Nachbesserung eines Gesetzes ist daher neben den unter a) und b) genannten Voraussetzungen auch bei Vorliegen folgender Voraussetzungen zu bejahen:
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3. Teil: Normerlaßanspriiche in Rechtsprechung und Literatur
(1) Existenz eines begünstigenden Gesetzes, (2) Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG oder spezielle Gleichheitsrechte bei Erlaß des Gesetzes oder später und (3) Schrumpfung der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers auf die Pflicht zur Normerstreckung.
d) Formelles subjektives öffentliches auf gesetzgeberische Gestaltung
Recht
Neben den oben dargestellten materiellen subjektiven öffentlichen Rechten gegen den Gesetzgeber auf legislatives Handeln sind auch formelle subjektive öffentliche Rechte anzuerkennen. Aufgrund dieser Rechte, die ihre Grundlage in Art. 3 Abs. 1 GG haben, kann der einzelne vom Gesetzgeber eine neue fehlerfreie gesetzgeberische Gestaltung verlangen, vergleichbar dem gegen die Exekutive gerichteten Recht auf ermessensfehlerfreie Entscheidung. Diese Gestaltung kann allerdings auch in der Aufhebung des gleichheitswidrigen Gesetzes oder in einer völligen Umgestaltung der Begünstigung liegen, so daß der einzelne sein Ziel, die Erstreckung der Begünstigung, nicht zwingend erreichen kann. Diese formellen subjektiven öffentlichen Rechte eröffnen nur die Chance der Gesetzergänzung oder Nachbesserung. Voraussetzungen solcher formellen subjektiven öffentlichen Rechte auf neue gesetzgeberische Gestaltung sind: (1) Existenz eines begünstigenden Gesetzes und (2) Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG oder spezielle Gleichheitsrechte bei Erlaß oder später.
IL Subjektive öffentliche Rechte auf Erlaß, Ergänzung oder Nachbesserung von Rechtsverordnungen 1· Voraussetzungen Normerlaßanspriiche gegen den Verordnungsgeber wurden noch bis in die jüngste Zeit - schon entgegen der Rechtsprechung der Verfassungsgerichte 96 - von den Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit überwiegend kategorisch abgelehnt.97 % BVerfGE 6, S. 273ff., 281; 13, S. 248ff., 253; 15, S. 46ff., 61; 16, S. 332ff., 338; BVerfG, NJW 1983, S. 2931 f., 2932; allerdings kaschiert das Gericht die Tatsache, daß es materiell um Normerlaßanspriiche geht, damit, daß es sich auf den Angriffsgegenstand zurückzieht, der in BVerfGE 6, S. 273 ff.; 13, S. 248 ff. und 16, S. 332 ff. eine positive Regelung war; ständige Rechtsprechung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs, VerfGH 38, S. 143 ff., 149 mit weiteren Nachweisen; BayVBl. 1987, S. 589 f., 589; VerfGH 45, S. 143 ff., 147; 46, S. 104 ff., 108.
Β. Rechte auf Normerlaß in der Rechtsprechung
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Die Begründungen sind teilweise nur schwer verständlich. Einigermaßen deutlich wird, daß ein Einwand gegen solche Rechte aus dem Grundsatz der Gewaltenteilung hergeleitet wird. 98 Meistens finden sich Umschreibungen. So liest man, die Anerkennung derartiger Ansprüche setzte voraus, daß die Gerichte zur Rechtsetzung befugt wären; 99 teilweise wird auch nur auf die begrenzten Befugnisse der Rechtsprechung, jedenfalls in der Verwaltungsgerichtsbarkeit, verwiesen.100 Als weiteres damit in Zusammenhang stehendes Argument wird gegen subjektive Rechte gegen den Verordnungsgeber die mangelnde Klagbarkeit angeführt. 101 Hinter letzterer Begründung steht wieder die in die Weimarer Zeit zurückreichende Vorstellung von der rechtlich nicht gebundenen Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers, die auf den Verordnungsgeber übertragen wird. 102 Bedenken werden ferner aus der abstrakt-generellen Natur von Normen gefolgert. 103 Als Einwände gegen Normerlaßanspriiche gegen den Verordnungsgeber lassen sich daher der Grundsatz der Gewaltenteilung, die mangelnde Justitiabilität aufgrund der Gestaltungsfreiheit und der generell-abstrakte Inhalt von Rechtsnormen festhalten. Inzwischen wird die Möglichkeit subjektiver Rechte auf Erlaß von Rechtsverordnungen aber auch in der Verwaltungsgerichtsbarkeit bejaht.104 Die Rechtsprechung hinsichtlich der Voraussetzungen derartiger Ansprüche entspricht weitgehend der oben dargestellten Rechtsprechung zu Individualrechten auf den Erlaß formeller Gesetze. Ein materielles subjektives öffentliches Recht auf ein Tätigwerden des Verordnungsgebers setzt danach zunächst voraus, daß es objektive Verordnungsgebungspflichten gibt. Wie dem Parlamentsgesetzgeber, so wird auch dem Verordnungsgeber grundsätzlich Gestaltungsfreiheit hinsichtlich der Fragen, ob eine Rechtsverordnung erlassen wird (Entschließungsfreiheit) und mit welchem Inhalt sie ergeht 97 BVerwGE 7, S. 188f., 188; 13, S. 328ff., 329; OVG Münster, NJW 1982, S. 1415f., 1415; VGH Kassel, ESVGH 22, S. 224ff., 226; VGH Kassel, DÖV 1983, S. 385 f.; OVG Koblenz, NJW 1988, S. 1684; VGH Kassel, NVwZ-RR 1993, S. 186; anderer Ansicht: OVG Berlin, DVB1. 1970, S. 700f., 701; VGH München, BayVBl. 1980, S. 209ff., 211; BayVBl. 1981, S. 499 ff., 503 f. 98 OVG Münster, NJW 1982, S. 1415 f., 1415; OVG Koblenz, NJW 1988, S. 1684. 99 OVG Koblenz, NJW 1988, S. 1684; VGH Kassel, NVwZ-RR 1993, S. 186. 100 BVerwGE 13, S. 328 ff., 329; VGH Kassel, DÖV 1983, S. 385 f., 385. ιοί BVerwGE 13, S. 328 ff., 329; VGH Kassel, DÖV 1983, S. 385 f., 385; NVwZ-RR 1993, S. 186. 102 BVerwGE 13, S. 328 ff., 329: „rechtsschöpferischer Vorgang"; VGH Kassel, ESVGH 22, S. 224 ff., 225. 103 BVerwGE 80, S. 355 ff., 359; VGH Kassel, ESVGH 22, S. 224 ff., 225. 104 BVerwGE 80, S. 355 ff., 359 ff.; VGH Kassel, GewArch 1993, S. 252 f., 253. Die Feststellung von Klinkhammer in seiner im Jahr 1997 veröffentlichten Dissertation, daß „bis heute dennoch mehrheitlich an der Zulässigkeit der Klage auf Erlaß untergesetzlicher Normen gezweifelt werde", dürfte sich nicht halten lassen. 9 Eiscle
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3. Teil: Normerlaßanspriiche in Rechtsprechung und Literatur
(Ausgestaltungsfreiheit), zuerkannt.105 Dabei betrifft der Aspekt der Entschließungsfreiheit das Problem der Existenz und der Voraussetzungen materieller subjektiver öffentlicher Rechte auf Verordnungserlaß, während der Gesichtspunkt der Ausgestaltungsfreiheit sich auf den Inhalt derartiger Rechte bezieht und daher an dieser Stelle noch nicht interessiert. Die Entschließungsfreiheit des Verordnungsgebers wird für den Regelfall von der Rechtsprechung nicht in Frage gestellt; eine generelle Pflicht zur Verordnungsgebung damit verneint. Spezielle Verordnungsgebungspflichten sind dagegen anerkannt. 106 Solche Pflichten können sich mittelbar aus Verfassungsrecht ergeben. Führt der Parlamentsgesetzgeber einen ausdrücklichen verfassungsrechtlichen Regelungsauftrag nicht vollständig selbst aus, sondern ermächtigt den Verordnungsgeber zu weiteren Regelungen, so kann der Verfassungsauftrag eine Pflicht zum Erlaß der Rechtsverordnung begründen.107 Gleiches gilt, wenn formelle Gesetze allgemeine Schutzpflichten aus Grundrechten erfüllen und den Verordnungsgeber zum Erlaß von Vorschriften ermächtigen.108 Ferner ist es denkbar, daß der Gleichbehandlungsgrundsatz dergestalt auf eine Ermächtigungsnorm einwirkt, daß diese verfassungskonform dahin auszulegen ist, daß sie eine Verordnungsgebungspflicht begründet. 109 Diese Judikate lassen sich dahin verallgemeinern, daß immer dann eine verfassungsrechtliche Pflicht zum Verordnungserlaß besteht, wenn der Parlamentsgesetzgeber zum Erlaß eines Gesetzes verpflichtet ist und einen Teil seiner Rechtsetzungsbefugnis, die in diesem Fall eine Rechtsetzungspflicht ist, auf den Verordnungsgeber delegiert. Vorrangig folgen Verordnungsgebungspflichten aber unmittelbar aus der jeweiligen Ermächtigungsnorm. Diese kann den Verordnungsgeber ausdrücklich zum Erlaß einer Rechtsverordnung verpflichten. 110 Fehlt es, wie im Regelfall, an einer ausdrücklichen Pflicht des Verordnungsgebers, kann sich eine solche im Wege der Auslegung der Ermächtigungsnorm ermitteln lassen, so insbesondere aus Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung. Eine Verordnungsgebungspflicht ist danach bei »05 BVerfGE 16, S. 332 ff., 338 f.; BayVerfGH 24, S. 57 ff., 67; 38, S. 143 ff., 149; 42, S. 188 ff., 193; 46, S. 104 ff., 108; BVerwGE 80, S. 355 ff., 359; VGH Kassel, ESVGH 22, S. 224ff., 225; OVG Schleswig, NVwZ 1998, S. 301 f., 301. 106 BVerfGE 13, S. 248ff., 254; 15, S. 46ff., 62; 16, S. 332ff., 338; 78, S. 249ff., 272; 79, S. 174ff., 193f.; BayVerfGH 42, S. 188f., 193; BVerwGE 80, S. 355ff., 359f.; VGH Kassel, GewArch 1993, S. 252 f.; OVG Schleswig, NVwZ 1998, S. 301 f., 301. 107 BVerfGE 15, S. 46 ff., 62 f., 76 f. 108 BVerfG, NJW 1983, S. 2931 f., 2932 (Hilfsanträge); BayVerfGH 42, S. 188 ff., 194 (konkrete Pflicht verneint); BVerwGE 80, S. 355 ff., 360; OVG Schleswig, NVwZ 1998, S. 301 f., 301. 109 OVG Schleswig, NVwZ 1998, S. 301 f., 301; BVerwG, NVwZ 1990, S. 162 ff., 163 f. (für eine Satzungsermächtigung). no BVerfGE 13, S. 248 ff., 254; 34, S. 165 ff., 194; BVerwGE 42, S. 169 ff., 174; VGH Kassel, GewArch 1993, S. 252 f.; OVG Schleswig, NVwZ 1998, S. 301 f., 301.
Β. Rechte auf Normerlaß in der Rechtsprechung
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objektiv-teleologischer Auslegung immer dann zu bejahen, wenn die vom Parlamentsgesetzgeber getroffene gesetzliche Grundentscheidung ohne den Erlaß der Rechtsverordnung nicht durchführbar ist. 111 Auch systematische Gründe können zu einer Einschränkung der Entschließungsfreiheit des Verordnungsgebers führen. Hierher gehört der Fall, in dem das Bundesverfassungsgericht eine Pflicht zum Erlaß einer Rechtsverordnung aus der verfassungsrechtlichen Stellung des Verordnungsgebers gefolgert hat. 112 Dieser sei verpflichtet, eine Rechtsverordnung zu erlassen, wenn sich ansonsten das vom Gesetzgeber Gewollte verzerre. Der Verordnungsgeber müsse von der ihm erteilten Ermächtigung in einer Weise Gebrauch machen, die die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers respektiere. Diese Argumentation zielt ausschließlich auf die Ausgestaltungsfreiheit. Eine Einschränkung der Entschließungsfreiheit vermag sie allein nicht zu begründen. Diese folgt vielmehr aus den Besonderheiten des zugrunde liegenden Sachverhalts. Das formelle Gesetz, das Bundesentschädigungsgesetz, enthielt mehrere Verordnungsermächtigungen zur Rentenerhöhung. Von einigen hatte der Verordnungsgeber bereits Gebrauch gemacht, von anderen nicht.113 Das sah das Bundesverfassungsgericht als von der Ermächtigungsnorm nicht gedeckt an, da der Gesetzgeber eine bestimmte Relation der unterschiedlichen Renten zueinander gewollt habe und dieses Verhältnis durch ein nur teilweises Ausschöpfen der Ermächtigungen entgegen dem Willen des Gesetzgebers verändert werde. 114 Die Verordnungsgebungspflicht wird aus dem „System" des zugrundeliegenden Parlamentsgesetzes gefolgert. Die verfassungsrechtliche Zulässigkeit der dargestellten Einschränkungen der Entschließungsfreiheit des Verordnungsgebers wird kaum erörtert und wenn ja, ganz knapp mit der allgemeinen Regelungsbefugnis des Parlamentsgesetzgebers begründet,115 woraus man indirekt schließen kann, daß die Gerichte hieran keinen Zweifel haben. Für den Sonderfall, daß die gesetzliche Regelung ohne den Erlaß der Rechtsverordnung unanwendbar ist, hat das Bundesverfassungsgericht in einer Entscheidung eine Begrenzung der Entschließungsfreiheit im Bereich der Geltung des Gesetzesvorbehalts sogar gefordert. Art. 80 Abs. 1 GG verbiete, daß in einer Rechtsverordnung „originärer politischer Gestaltungswille der Exekutive zum Ausdruck komme."116 m BVerfGE 13, S. 248 ff., 254; 16, S. 332 ff., 338; 78, S. 249 ff., 272f.: In dieser Entscheidung folgert das Bundesverfassungsgericht eine Verordnungsgebungspflicht bei der geschilderten Sachverhaltskonstellation erstmals unmittelbar aus Art. 80 Abs. 1 GG. Diese Vorschrift verbiete es im Geltungsbereich des Grundsatzes des Gesetzesvorbehalts, es dem freien Belieben der Exekutive zu überlassen, ob sie von der Ermächtigung Gebrauch machen wolle oder nicht. Die Ermächtigungsnorm sei nur dann hinreichend bestimmt, wenn der Gesetzgeber dem Verordnungsgeber auch hinsichtlich des „Ob" Vorgaben gemacht habe; BVerwGE 31, S. 177, 179 f.; OVG Schleswig, NVwZ 1998, S. 301 f., 301. Π2 BVerfGE 13, S. 248 ff., 255. 113 BVerfGE 13, S. 248 ff., 255. 114 BVerfGE 13, S. 248 ff., 255. 115 BVerfGE 79, S. 174 ff., 194. n BVerfGE 78, S. 249 ff., 273. 9*
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3. Teil: Normerlaßanspriiche in Rechtsprechung und Literatur
Die Entschließungsfreiheit des Verordnungsgebers kann also durch Verfassungsrecht und durch die formelle gesetzliche Ermächtigungsnorm dahin verengt sein, daß er verpflichtet ist, eine Rechtsverordnung zu erlassen. In diesen Fällen besteht nach der hier 117 und von der Rechtsprechung118 angewandten Schutznormtheorie dann ein materielles subjektives Recht des einzelnen auf Erlaß oder Ergänzung einer Rechtsverordnung, wenn die Rechtsverordnung jedenfalls auch seinem Schutz oder seinen Interessen zu dienen bestimmt ist. 119 Ein Anspruch auf Nachbesserung ist gegeben, wenn die Verordnungsgebungspflicht einen dynamischen Inhalt hat und eine Anpassung der Rechtsverordnung an veränderte Umstände erfordert. 120 Für die gerichtliche Feststellbarkeit der Nachbesserungspflicht sowie ihre Verletzung wird Evidenz verlangt. 121 Entsprechend der Lage bei subjektiven Rechten gegen den Parlamentsgesetzgeber ist es auch bei Rechtsverordnungen denkbar, daß Ansprüche auf Ergänzung oder Nachbesserung in Ausnahmefällen aus Art. 3 Abs. 1 GG oder speziellen Gleichheitsrechten folgen, wenn der Verordnungsgeber seine Entschließungsfreiheit gleichheitswidrig ausgeübt und eine fehlerhafte begünstigende Rechtsverordnung erlassen hat oder diese später gleichheitswidrig wird und besondere Umstände des Einzelfalles eine Aufhebung oder grundsätzliche Umgestaltung der Rechtsverordnung verbieten.122 Eine bestimmte Dichte der Verordnungsgebungspflicht ist nicht Voraussetzung eines materiellen subjektiven öffentlichen Rechts auf Verordnungserlaß, sondern betrifft nur den Anspruchsinhalt. Deutlich wird dies in einigen Entscheidungen des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs. Dort wird die oben auf Seite 110 dargestellte Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu den Voraussetzungen von Ansprüchen auf den Erlaß formeller Gesetze für subjektive Rechte gegen den Verordnungsgeber grundsätzlich übernommen, aber insoweit präzisiert, als sie auf Ansprüche auf ein inhaltlich ganz bestimmtes Handeln des Verordnungsgebers bezogen werden. 123 Ein formelles subjektives öffentliches Recht auf fehlerfreie Entscheidung über den Erlaß oder Nichterlaß einer Rechtsverordnung nimmt die Rechtsprechung an, wenn keine Pflicht zur Verordnungsgebung besteht, sondern die ErmächtigungsN7 Siehe oben S. 61. 118 Siehe die Nachweise oben im Zweiten Teil, Fn. 140. BVerwGE 80, S. 355ff., 366ff.; VGH München, BayVBl. 1981, S. 499ff., 503f.; OVG Münster, NJW 1982, S. 1415 f., 1416. 120 Zur Nachbesserungspflicht des Verordnungsgebers aufgrund des dynamischen Inhalts des einfachen Rechts und der allgemeinen Schutzpflicht aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG etwa BVerwGE 101, S. 347 ff., 351, 361 f. = NVwZ 1997, S. 161 ff., 162, 164. 121 BVerfG, NJW 1983, S. 2931 ff., 2932 (Hilfsanträge - Verweis auf die Ausführungen zum Nachbesserungsanspruch gegen den Parlamentsgesetzgeber); BVerfG, NJW 1996, S. 651 f., 652. 122 BayVerfGH 38, S. 143 ff., 150 f.; 45, S. 143 ff., 147; 46, S. 104ff., 108. 123 BayVerfGH 38, S. 143ff., 149; BayVerfGH, BayVBl. 1987, S. 589f., 589; BayVerfGH 42, S. 188 ff., 192; 45, S. 143 ff., 146; 46, S. 104 ff., 108.
Β. Rechte auf Normerlaß in der Rechtsprechung
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norm dem Verordnungsgeber Entschließungsfreiheit läßt, die zu erlassende Rechtsverordnung aber auch Individualinteressen schützen soll. Der einzelne kann hier verlangen, daß der Verordnungsgeber fehlerfrei darüber entscheidet, ob er von seiner Rechtsetzungsbefugnis Gebrauch macht oder nicht. 124 Ebenso vermögen der allgemeine Gleichheitssatz oder spezielle Gleichheitsrechte allein nur zu formellen subjektiven Rechten gegen den Verordnungsgeber führen, denn sie begründen keine Pflicht und damit auch keinen Anspruch auf Erlaß einer Rechtsverordnung.125 Sie geben aber bei Vorliegen einer begünstigenden Rechtsverordnung, die den Gleichheitssatz verletzt, ein formelles subjektives öffentliches Recht auf neue Gestaltung durch den Verordnungsgeber.
2. Inhalt Hinsichtlich des Anspruchsinhalts kann zunächst auf die Ausführungen oben 126 zum Inhalt subjektiver Rechte gegen den Parlamentsgesetzgeber Bezug genommen werden. Der Unterschied gegenüber materiellen subjektiven öffentlichen Rechten auf Erlaß von Parlamentsgesetzen besteht darin, daß auf der Ebene der Verordnungsgebung eine höhere Anspruchsdichte gegeben ist und weitgehend offene subjektive Rechte, die den Verordnungsgeber lediglich zum Erlaß einer Rechtsverordnung mit einem bestimmten Ziel verpflichten, nicht möglich sind. Das folgt zunächst daraus, daß die Ausgestaltungsfreiheit des Verordnungsgebers nur in den Grenzen des Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG besteht,127 dessen Anforderungen aufgrund entsprechender Bestimmungen in den Länderverfassungen 128 oder unmittelbar aufgrund des Demokratie- und Rechtsstaatsprinzips129 auch für die Landesgesetzgeber gelten. Durch diese Begrenztheit hebt sich die Gestaltungsfrei124 BVerwGE 80, S. 355ff., 369f.; VGH München, BayVBl. 1980, S. 209ff., 212; BayVBl. 1981, S. 499 ff., 504. 125 BayVerfGH 38, S. 143 ff., 150f.; 42, S. 156ff., 173. 126 S. 118 ff. und S. 125 f. 127 BVerfGE 13, S. 248ff., 255; 16, S. 332ff., 338f.; 42, S. 374ff., 387; 46, S. 120ff., 145; 58, S. 68 ff., 79. 128 Art. 61 Abs. 1 S. 2 - Baden-Württemberg; Art. 47 Abs. 1 S. 2 - Berlin; Art. 80 Abs. 1 S. 2 - Brandenburg; Art. 53 Abs. 1 S. 2 - Hamburg; Art. 57 Abs. 1 S. 2 - Mecklenburg-Vorpommern; Art. 43 Abs. 1 S. 2 - Niedersachsen; Art. 70 Abs. 1 S. 2 - NordrheinWestfalen; Art. 110 Abs. 1 S. 2 - Rheinland-Pfalz; Art. 104 Abs. 1 S. 2 - Saarland; Art. 75 Abs. 1 S. 2 - Sachsen; Art. 79 Abs. 1 S. 2 - Sachsen-Anhalt; Art. 38 Abs. 1 S. 2 - SchleswigHolstein; Art. 84 Abs. 1 S. 2 - Thüringen. In Bayern, Bremen und Hessen fehlen vergleichbare Vorschriften. ι 2 9 Streitig, aber ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, E 7, S. 244 ff., 253; 34, S. 52ff., 59f.; 41, S. 251 ff., 266; 55, S. 207ff., 226; 58, S. 257ff., 277; 73, S. 388ff., 400.
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3. Teil: Normerlaßanspriiche in Rechtsprechung und Literatur
heit des Verordnungsgebers wesentlich von der grundsätzlich uneingeschränkten inhaltlichen Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers ab. Gemäß Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG muß das ermächtigende Gesetz Inhalt, Zweck und Ausmaß der Ermächtigung festlegen. Auch wenn die Rechtsprechung insofern keine allzu hohen Anforderungen stellt, ist jedenfalls das Ziel und der grobe Inhalt der Rechtsverordnung durch die Ermächtigungsnorm vorgegeben.130 Inhaltlich im Hinblick auf die Mittel der Verwirklichung völlig offene Ansprüche, die auf der Basis allgemeiner Schutzpflichten durchaus vorstellbar sind, sind hier ausgeschlossen. Neben dieser verfassungsrechtlichen Einschränkung der Ausgestaltungsfreiheit des Verordnungsgebers sind Einengungen durch den Parlamentsgesetzgeber möglich. Dieser kann den Verordnungsgeber nicht nur zum Erlaß einer Verordnung überhaupt verpflichten und damit die Entschließungsfreiheit ausschließen, er ist auch befugt, die Ausgestaltungsfreiheit durch inhaltliche Vorgaben zu begrenzen. Ob ein völliger Ausschluß der Ausgestaltungsfreiheit verfassungsrechtlich zulässig wäre, soll offenbleiben, denn er ist grundsätzlich131 nicht sinnvoll und dürfte in der Praxis kaum vorkommen. Schriebe der Parlamentsgesetzgeber dem Verordnungsgeber den Inhalt der Verordnung im Detail vor, würde der Zweck der Delegation der Rechtsetzung, die Entlastung des Parlaments, nicht erreicht. Dann könnte der Gesetzgeber die Regelung selbst treffen. Es ist daher davon auszugehen, daß dem Verordnungsgeber aufgrund der ermächtigenden Vorschrift im Regelfall immer eine gewisse Ausgestaltungsfreiheit verbleibt. Außer den in dem ermächtigenden Gesetz ausdrücklich enthaltenen Einschränkungen der Ausgestaltungsfreiheit werden von der Rechtsprechung Beschränkungen aus dem systematischen Zusammenhang, in dem die Ermächtigungsnorm steht, hergeleitet. Der Verordnungsgeber darf den Gesetzgeber nicht korrigieren. 132 Basiert dessen Regelungswerk auf einem bestimmten „System" oder gewissen Grundsätzen, muß der Verordnungsgeber dies bei seiner Rechtsetzung beachten.133 Weitere Unterschiede gegenüber der Lage bei subjektiven Rechten auf Erlaß formeller Gesetze im Hinblick auf den Anspruchsinhalt sind nicht erkennbar.
'30 BVerfGE 26, S. 16ff., 30; 31, S. 145ff., 176. •3i Ein Ausschluß jeglicher Ausgestaltungsfreiheit kann in Fällen legitim sein, in denen der Parlamentsgesetzgeber es dem Verordnungsgeber überlassen will, ob und wann er die Regelung in Kraft setzt, also bei bestehender Entschließungsfreiheit; für die Zulässigkeit solcher „Inkraftsetzungsermächtigungen": Lepa, AöR 105 (1980), S. 338 ff., 355 f.; v. Danwitz, Gestaltungsfreiheit, S. 166. >32 BVerfGE 13, S. 248ff., 255; 16, S. 332ff., 339; 31, S. 145ff., 176f.; 42, S. 374ff., 387 f. 133
Zum Inhalt dieser Entscheidung vergleiche oben S. 131.
Β. Rechte auf Normerlaß in der Rechtsprechung
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3. Entscheidungstenor und Entscheidungswirkung Soweit die Entscheidungen von den Verfassungsgerichten gefällt wurden, bestehen keine Unterschiede gegenüber den oben bei formellen Gesetzen dargestellten Entscheidungsmöglichkeiten. Eine Verurteilung des Verordnungsgebers zum Erlaß einer Rechtsverordnung scheidet aus, da die jeweiligen Verfahrensordnungen in den in Betracht kommenden Verfahren keine Leistungsentscheidungen vorsehen und diese Vorschriften nach Auffassung der Rechtsprechung insofern abschließend sind. Überwiegend wurden feststellende Entscheidungen getroffen; 134 Teilnichtigerklärungen kommen unter denselben engen Voraussetzungen wie bei Gesetzerlaßansprüchen ausnahmsweise in Betracht. 135 Den Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit stehen, abhängig von der streitigen Verfahrensart, weitergehende Entscheidungsmöglichkeiten zur Verfügung. Je nachdem, ob das Verfahren der Normenkontrolle gemäß § 47 VwGO oder der reguläre Verwaltungsrechtsweg als einschlägig angesehen wird, variieren die denkbaren Entscheidungstenores. Sieht man § 47 VwGO als das allein zutreffende Verfahren zur Durchsetzung von Ansprüchen auf Erlaß untergesetzlicher Normen an, 136 ist man vor das Problem gestellt, daß § 47 Abs. 5 S. 2 VwGO als Entscheidungstenor im Regelfall nur die Nichtigerklärung der für ungültig befundenen Rechtsvorschrift vorsieht. Eine Durchsetzung von Normerlaßansprüchen durch Teilnichtigerklärung ist jedoch nur in den wenigen Fällen möglich, in denen das Rechtsschutzziel auf Normergänzung gerichtet und die vorhandene unvollständige Vorschrift entsprechend formuliert ist. Erstrebt der Bürger dagegen den erstmaligen Erlaß einer Rechtsverordnung oder ist die gewünschte Normerstreckung durch Teilnichtigerklärung nicht möglich, ist die in § 47 Abs. 5 S. 2 VwGO vorgesehene Nichtigerklärung dem Rechtsschutzziel nicht adäquat. Feststellende Entscheidungen analog der Rechtsprechung der Verfassungsgerichte 137 oder sogar verpflichtende Tenores138 müßten daher auch im Verfahren nach § 47 VwGO als zulässig angesehen werden. 139 Heute läßt sich die Tendenz erkennen, daß die Verwaltungsgerichtsbarkeit, soweit sie Ansprüche auf Erlaß untergesetzlicher Normen für möglich hält, den Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten gemäß §§ 40 Abs. 1 S. 1, 45 VwGO als 134 BVerfGE 13, S. 248ff., 260f.; 15, S. 46ff., 75. 135 BVerfGE 6, S. 273 ff., 281. 136 So zunächst der VGH München, BayVBl. 1975, S. 168 ff., 169; BayVBl. S. 209 ff., 211 (letztlich offengelassen); aufgegeben durch VGH München, BayVBl. S. 499 ff., 500ff.; zur Normenkontrolle tendierend auch OVG Koblenz, NJW 1988, S. anderer Ansicht: VGH Kassel, DÖV 1983, S. 385 f., 385 f.; VGH Kassel, DÖV S. 121 f., 121 f.
1980, 1981, 1684; 1992,
137 VGH München, BayVBl. 1975, S. 168 ff., 168 (Feststellungsanträge; letztlich keine Ausführungen, da unbegründet). 138 So VGH München, BayVBl. 1980, S. 209 ff., 211. 139 Ablehnend VGH Mannheim, UPR 1991, S. 394 (Satzungsänderung).
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3. Teil: Normerlaßanspriiche in Rechtsprechung und Literatur
gegeben ansieht.140 Das gilt jedenfalls für die Fälle, in denen ein (absolutes) Unterlassen Streitgegenstand ist. Richtet sich der Angriff dagegen gegen eine unvollständige Rechtsnorm, läßt sich eine eindeutige Richtung in der Rechtsprechung nicht ausmachen.141 Als Klagearten werden die Feststellungsklage und die vorrangige Leistungsklage erörtert. Die Rechtsprechung hat sich insoweit bis heute nicht festgelegt, sondern hält wohl beide Klagearten für zulässig.142 Zugunsten der Feststellungsklage wird in den neuesten Entscheidungen vorgebracht, daß sie am ehesten dem Grundsatz der Gewaltenteilung entspreche, der den Gerichten gebiete, die Entscheidungsfreiheit des Normgebers nur soweit einzuschränken, wie dies für den Rechtsschutz des Bürgers unbedingt nötig sei. 143 Eine Leistungsklage wird aber nicht ausgeschlossen.144 Danach käme sowohl ein feststellendes Urteil als auch eine Verurteilung des Verordnungsgebers zum Erlaß einer Rechtsverordnung in Betracht. Da alle bisherigen Klagen gegen den Verordnungsgeber unbegründet waren, ist keine der Alternativen praktisch geworden. Neben diesen Möglichkeiten zur prinzipalen Verwirklichung von Normerlaßansprüchen gegen den Verordnungsgeber hat das Bundesverwaltungsgericht bei gleichheitswidrigen Regelungen auch eine inzidente Korrektur durch Unterstellen einer verfassungsgemäßen Rechtsverordnung ausnahmsweise anerkannt.145 Zwar seien die Verwaltungsgerichte wegen der Prärogative des Verordnungsgebers grundsätzlich nicht befugt, Personen Ansprüche zuzusprechen, die der Verordnungsgeber gleichheitswidrig von einer Begünstigung ausgeschlossen habe, jedoch sei dies dann möglich, wenn nur die Einbeziehung der ausgeschlossenen Personen in die Vergünstigung verfassungsgemäß wäre. 146 Durch die Zuerkennung des nicht vorgesehenen Anspruchs erweitert das Bundesverwaltungsgericht inzident die zugrunde liegende unvollständige Rechtsverordnung.147 Dieses Vorgehen wird unter Hinweis auf die überwiegend als zulässig angesehene und vom Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung praktizierte Teilnichtigerklärung in Fällen fehlender Gestaltungsfreiheit des Normgebers gerechtfertigt. 148 Die Inten140 BVerwGE 80, S. 355 ff., 363; BVerwG, NVwZ 1990, S. 162 ff., 163 (Satzungserlaß); VGH München, BayVBl. 1981, S. 499 ff., 500; VGH Kassel, GewArch 1993, S. 252 f., 253; OVG Münster, NWVB1. 1994, S. 414 ff., 414 (Satzungserlaß). 141 So beschränkt der VGH München seine Ausführungen zur Zulässigkeit der Klage vor dem Verwaltungsgericht ausdrücklich auf die Fälle absoluten Unterlassens, BayVBl. 1981, S. 499 ff., 500. 142 BVerwGE 80, S. 355 ff., 363, 365; VGH München, BayVBl. 1981, S. 499 ff., 503. ι « BVerwG, NVwZ 1990, S. 162ff., 163; OVG Münster, NWVB1. 1994, S. 414ff., 414 (beide zu Satzungen). 144 Vergleiche die Nachweise in Fn. 143. 145 BVerwG, NJW 1997, S. 956 ff. 146 BVerwG, NJW 1997, S. 956 ff., 957; so auch schon Schenke, Rechtsschutz, S. 182, Fn. 54. 1 47 Das Gericht spricht selbst von einer „Erstreckung" der Verordnung, NJW 1997, S. 956 ff., 958. 148 Vergleiche die Nachweise in Fn. 52.
Β. Rechte auf Normerlaß in der Rechtsprechung
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sität des Eingriffs in den Bereich der Legislative sei in beiden Fällen gleich, da Voraussetzung die auf Null reduzierte Gestaltungsfreiheit des Normgebers sei. Die Befugnisse der Judikative könnten nicht von der gesetzestechnischen Ausgestaltung einer Norm abhängen.149
4. Ergebnis Ansprüche gegen den Verordnungsgeber sind unter denselben Voraussetzungen wie subjektive öffentliche Rechte gegen den Parlamentsgesetzgeber in der Rechtsprechung anerkannt. Der Hauptunterschied ist darin zu sehen, daß sich die Verordnungsgebungspflichten und das korrespondierende subjektive öffentliche Recht nicht aus dem Verfassungsrecht ergeben müssen. Ferner könnte ein Unterschied darin liegen, daß es bei fehlender Verordnungsgebungspflicht eine weitere Gruppe formeller subjektiver Rechte gibt, die ihre Grundlage nicht in Gleichheitsrechten haben, sondern in dem individualschützenden Charakter der zu erlassenden Rechtsverordnung. Ob hier tatsächlich ein Unterschied besteht oder ob nur entsprechende Entscheidungen in bezug auf den Parlamentsgesetzgeber fehlen, wird noch zu erörtern sein. Die Ausgestaltungsfreiheit des Verordnungsgebers ist aufgrund von Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG geringer als die des Parlamentsgesetzgebers. Weitere Einschränkungen können sich aus der Ermächtigungsnorm ergeben. Gegenüber dem Verordnungsgeber kommen daher häufiger inhaltlich dichtere Ansprüche vor. Soweit über den Erlaß untergesetzlicher Normen die Gerichte der Verwaltungsgerichtsbarkeit im normalen Instanzenzug zu entscheiden haben, sind Verurteilungen des Verordnungsgebers zum Erlaß einer Rechtsverordnung und nicht nur Feststellungsurteile denkbar.
I I I . Normerlaß-, Normergänzungsund Nachbesserungsansprüche gegen den Satzungsgeber 1. Voraussetzungen Subjektive Rechte auf Erlaß, Ergänzung oder Nachbesserung von Satzungen wurden anfangs von den Gerichten mit denselben Argumenten abgelehnt wie Ansprüche auf Gesetz- oder Verordnungserlaß und werden heute unter denselben Voraussetzungen bejaht: Bestehen einer objektiven Satzungsgebungspflicht/Nachbesserungspflicht, Nichterfüllung oder Schlechterfüllung dieser Pflicht und dadurch Verletzung des einzelnen in einem subjektiven Recht. 150 Gleichheitsrechte können 149 BVerwG, NJW 1997, S. 956 ff., 957 f. 150 BVerwG, NVwZ 1990, S. 162ff., 163; OVG Münster, NWVB1. 1994, S. 414ff., 414f.
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3. Teil: Normerlaßanspriiche in Rechtsprechung und Literatur
in Einzelfällen Ansprüche auf Satzungsergänzung151 oder -nachbesserung begründen; in der Regel gewähren sie nur formelle subjektive Rechte gegen den Satzungsgeber auf erneute fehlerfreie Gestaltung. Solche formellen Rechte bestehen auch dann, wenn es mangels Satzungsgebungspflicht kein materielles Recht auf Satzungserlaß geben kann, die zu erlassende Satzung aber auch oder ausschließlich den Interessen einzelner dienen soll. Die Übereinstimmung der Voraussetzungen von Normerlaßansprüchen unabhängig vom jeweiligen Normgeber in der Rechtsprechung ist konsequent, weil es sich in allen drei Fällen um Ansprüche auf Rechtsetzung handelt. Unterschiede bestehen daher von der Qualität her nicht, lediglich die Gebundenheit der Normgeber ist aufgrund ihrer unterschiedlichen demokratischen Legitimation verschieden. Auswirkungen kann dies aber nur im Hinblick auf die Häufigkeit und die Dichte von Normerlaßansprüchen haben. Eine Sonderstellung, sowohl was die praktische Bedeutung von Normerlaßansprüchen auf Satzungsebene als auch die Argumentation angeht, nimmt der Bebauungsplan ein. Er wird deshalb hier in die Untersuchung einbezogen, obwohl seine Einordnung als materielle Rechtsnorm streitig ist. Formell ergeht er gemäß § 10 Abs. 1 BauGB als Satzung. Differenziert man Rechtsnorm und Verwaltungsakt anhand der Begriffspaare generell-abstrakt und individuell-konkret, so spricht die Tatsache, daß der Bebauungsplan die Bodennutzung für konkrete Grundstücke festlegt, dafür, ihn als Summe einzelner Verwaltungsakte anzusehen.152 Betont man dagegen, daß der Bebauungsplan eine gegenüber jedermann verbindliche städtebauliche Ordnung schafft, die über die Regelung konkreter Grundstücksnutzungen hinausgeht, kommt man zur Annahme einer Rechtsnorm.153 Für den Rechtsnormcharakter kann auch die planerische Gestaltungsfreiheit bei Erlaß des Bebauungsplans ins Feld geführt werden. Die Bindung der Verwaltung ist bei Planungsakten geringer als gemeinhin beim Erlaß von Verwaltungsakten. Das rückt Planungsakte in die Nähe von Rechtsetzungsakten der Exekutive. Verbindet man beide Aspekte, so liegt die vermittelnde Auffassung nahe, die den Charakter des Bebauungsplans als ambivalent bezeichnet und eine Mischform von Verwaltungsakt und Rechtsnorm bejaht.154 Für letztere Meinung spricht schon der immer noch andauernde Streit um die Rechtsnatur des Bebauungsplans, der allerdings angesichts der gesetzgeberischen Entscheidung für die Form der Rechtsnorm an praktischer Bedeutung eingebüßt hat. Die rechtliche Besonderheit des Bebauungsplans im Hinblick auf Normerlaßanspriiche besteht in zweierlei: Zum einen besteht bei Vorliegen der Voraussetzungen gemäß § 1 Abs. 3 BauGB eine Pflicht der Kommunen zur Aufstellung eines Bebauungsplans, zum anderen schließt § 2 Abs. 3 und 4 BauGB Ansprüche BVerwG, NVwZ 1990, S. 162ff., 163; OVG Münster, NWVB1. 1994, S. 414ff., 415. 152 So Peine, Baurecht, S. 165, Rn. 223. 153 Etwa Bielenberg, in: Ernst /Zinkahn/ Bielenberg / Krautzberger, BauGB, § 10, Rn. 4; Gaentzsch, in: Schlichter/Stich, BauGB, § 10, Rn. 2. 154 Sendler, UPR 1984, S. 317 ff., 322.
Β. Rechte auf Normerlaß in der Rechtsprechung
139
auf Aufstellung, Änderung und Ergänzung eines Bebauungsplans ausdrücklich aus. Letzteres hat dazu geführt, daß die Rechtsprechung bis heute durchgängig subjektive Rechte auf Erlaß oder Änderung eines Bebauungsplans trotz bestehender Satzungsgebungspflicht der Gemeinde verneint. 155 Neben den genannten Vorschriften wird zur Begründung auf § 1 Abs. 3 BauGB verwiesen. Aus dieser Regelung ergebe sich, daß die Gemeinde sich ausschließlich vom Interesse an der städtebaulichen Entwicklung und Ordnung leiten zu lassen habe und nicht von Individualinteressen einzelner. 156 Ferner wird die Ablehnung auf die Unvereinbarkeit subjektiver Rechte mit dem vorgesehenen Verfahren und der notwendigen planerischen Abwägung gestützt.157 Diese letzten Argumente greifen jedoch nur gegenüber einem Anspruch auf Erlaß eines Bebauungsplans mit konkreten Festsetzungen.158 Schließlich wird einem subjektiven Recht auf Erlaß eines Bebauungsplans auch das mangelnde praktische Bedürfnis entgegengehalten.159 Lediglich bei willkürlicher Nichteinbeziehung eines Grundstücks in einen Bebauungsplan160 und bei einem mittelbaren Eingriff in Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG bei Ausschluß des Grundstücks aus der Planung161 wird die Zulässigkeit eines Normenkontrollverfahrens erwogen und damit teilweise zu erkennen gegeben, daß ein Anspruch auf Ergänzung des Bebauungsplans aus Art. 3 Abs. 1 GG oder Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG nicht ausgeschlossen wird. 162 155 BVerwG, DVB1. 1977, S. 529 ff., 529 f.; BVerwG, DVB1. 1982, S. 1096 f., 1096; BVerwG, NVwZ 1995, S. 598; BayVerfGH, DVB1. 1966, S. 798 f., 798; VGH Kassel, ESVGH 22, S. 224ff., 226; OVG Berlin, BauR 1980, S. 536 ff., 539; VGH Mannheim, VB1BW 1995, S. 204f., 204; OVG Bautzen, NVwZ 1996, S. 1028ff., 1028; BVerwG, UPR 1997, S. 102 f., 103 (Letztlich geht es auch hier um einen Anspruch auf Erlaß eines Bebauungsplans, obwohl die Ausführungen des Gerichts einen Unterschied suggerieren, weil das Verfahren von der Gemeinde bereits begonnen worden war und dann abgebrochen wurde; inhaltlich bleibt offen, ob noch eine Planungspflicht der Gemeinde gem. § 1 Abs. 3 BauGB besteht oder ob diese entfallen ist. Einiges spricht dafür, daß die Gemeinde die Planung wegen Wegfalls der Planungspflicht aufgab.). 156 BVerwG, UPR 1997, S. 102 f., 103. 157 BVerwG, DVB1. 1977, S. 529 ff., 530; BVerwG, UPR 1997, S. 102 f. 158 Von einem derartigen subjektiven Recht geht das Bundesverwaltungsgericht aus, DVB1. 1977, S. 529 ff., 530. Ein vom Anspruchsinhalt her offenes subjektives Recht wird nicht in Erwägung gezogen. 159 BVerwG, DVB1. 1977, S. 529 ff., 530. 160 VGH Mannheim, VB1BW 1995, S. 204 f., 205; OVG Bautzen, NVwZ 1996, S. 1028 ff.,
1028. 161 OVG Berlin, BauR 1980, S. 536 ff., 539; zur Pflicht aus Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG ein Grundstück in einen Bebauungsplan einzubeziehen auch BVerwG, BRS 24 (Rechtsprechung 1971), Nr. 166, S. 257 ff., 264; BVerwGE 47, S. 144 ff., 153. 162 OVG Berlin, BauR 1980, S. 536 ff., 539. Der VGH Mannheim geht allerdings auch in diesem Fall davon aus, daß Ziel des Antrags die Nichtigerklärung des Bebauungsplans sei. Ein Anspruch auf Ergänzung des Plans und ein entsprechender feststellender Ausspruch im Normenkontrollverfahren werden nicht erwogen, obwohl das Gericht klar sieht, daß das Begehren des Antragstellers auf eine Erweiterung des Bebauungsplans gerichtet ist, VB1BW 1995, S. 204 f.; ganz offen: OVG Bautzen, NVwZ 1996, S. 1028 ff., 1028.
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3. Teil: Normerlaßanspriiche in Rechtsprechung und Literatur
2. Inhalt Bei den subjektiven Rechten gegen den Verordnungsgeber wurde als Unterschied zu Ansprüchen gegen den Parlamentsgesetzgeber die höhere Anspruchsdichte hervorgehoben, die sich zwangsläufig aus den Anforderungen des Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG, den entsprechenden Vorschriften in den Landesverfassungen oder unmittelbar aus dem Rechtsstaats- und Demokratieprinzip an die Ermächtigungsnorm ergibt. 163 Wie die ausgewertete Rechtsprechung zeigt, sind auch auf Satzungsebene inhaltlich mehr 164 oder minder bestimmte165 subjektive Rechte möglich. Dieser Befund überrascht nicht, denn Satzungen bedürfen, ebenso wie Rechtsverordnungen, einer Ermächtigung durch Parlamentsgesetz. Je konkreter die ermächtigende Vorschrift und damit die Satzungsgebungspflicht inhaltlich ist, desto bestimmter ist der Anspruch gegen den Satzungsgeber. Von einer generell höheren Anspruchsdichte gegenüber subjektiven Rechten gegen den Parlamentsgesetzgeber kann jedoch nicht ausgegangen werden, da Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG und die ihm entsprechenden Bindungen des Landesgesetzgebers nach herrschender Meinung 166 für den Satzungsgeber nicht gelten. Satzungen sind zwar wie Rechtsverordnungen abgeleitete Rechtsquellen, sie gründen sich aber nicht auf eine Delegation von Gesetzgebungsbefugnissen, sondern auf die Verleihung von Autonomie.167 Eine generelle gesetzliche Ermächtigung reicht daher grundsätzlich aus. Die Entschließungs-, aber vor allem die Ausgestaltungsfreiheit des Satzungsgebers ist daher größer als die des Verordnungsgebers und in den Bereichen, in denen nur generelle Ermächtigungen bestehen, der Gestaltungsfreiheit des Parlamentsgesetzgebers vergleichbar.
3. Entscheidungstenor und Entscheidungswirkung Ansprüche gegen den Satzungsgeber können sowohl Gegenstand verfassungsgerichtlicher 168 als auch verwaltungsgerichtlicher Verfahren sein. 163 Siehe oben s. 133 f. 164 BVerwG, NVwZ 1990, S. 162 ff., 163 f. 165 Zum Beispiel ist ein subjektives Recht auf Erlaß eines Bebauungsplans mit einem ganz konkreten Inhalt wegen seines Charakters als Planungsakt nur in Ausnahmefällen denkbar, etwa wenn er nur eine einzige Festsetzung enthält. 166 Bryde, in: v. Münch, GG, Art. 80, Rn. 10; Maunz, in: Maunz-Dürig, GG, Art. 80, Rn. 47; ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts: E 12, S. 319 ff., 325; 19, S. 253ff., 266f.; 21, S. 54ff., 62f.; 32, S. 346ff., 361; 33, S. 125ff., 157; 49, S. 343ff., 362; 73, S. 388 ff., 400; NJW 1998, S. 2128 ff., 2129. Bryde, in: v. Münch, GG, Art. 80, Rn. 10; Maunz, in: Maunz-Dürig, GG, Art. 80, Rn. 47; ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts: E 12, S. 319 ff., 325; 19, S. 253 ff., 266f.; 21, S. 54ff., 62f.; 32, S. 346ff., 361; 33, S. 125 ff., 156f. 168 BayVerfGH, DVB1. 1966, S. 798 f.
C. Diskussionsstand in der Literatur und kritische Würdigung
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Hinsichtlich der Entscheidungsmöglichkeiten gilt dasselbe wie oben zu subjektiven Rechten gegen den Verordnungsgeber ausgeführt. 169 Unterschiede bestehen nicht, insbesondere ist dierichtigeVerfahrensart in der Verwaltungsgerichtsbarkeit streitig. 170
4. Ergebnis Die Voraussetzungen subjektiver Rechte auf Erlaß, Ergänzung oder Nachbesserung von Satzungen gleichen den oben dargestellten Voraussetzungen derartiger Rechte gegen den Parlamentsgesetzgeber und Verordnungsgeber. Interessant ist die Lage beim Bebauungsplan, wo unstreitig bei Vorliegen der in § 1 Abs. 3 BauGB genannten Voraussetzungen eine objektive Satzungsgebungspflicht der Gemeinden besteht, subjektive Rechte aber einfachgesetzlich ausgeschlossen sind und demzufolge von der Rechtsprechung grundsätzlich verneint werden. Die Anspruchsdichte ist zwischen Ansprüchen gegen den Parlamentsgesetzgeber und Ansprüchen gegen den Verordnungsgeber angesiedelt. Da nicht nur generelle, sondern auch eine Vielzahl spezieller Ermächtigungen vorhanden und zum Teil auch erforderlich sind,171 kommen quantitativ mehr inhaltlich bestimmte Ansprüche in Betracht als gegen den Parlamentsgesetzgeber, da konkrete Verfassungsaufträge selten sind. Im Gegensatz zu subjektiven Rechten gegen den Verordnungsgeber sind aber auch inhaltlich weitgehend offene Rechte gegen den Satzungsgeber denkbar. Die Durchsetzung subjektiver Rechte gegen den Satzungsgeber erfolgt regelmäßig im Verwaltungsrechtsweg, so daß Leistungsurteile theoretisch möglich sind.
C. Diskussionsstand in der Literatur und kritische Würdigung I· Die Argumente der Gegner von Normerlaßansprüchen Die Auswertung der einschlägigen Literatur fördert Überraschendes zu Tage: Entgegen der bereits in der Einleitung geschilderten latent vorhandenen allgemeinen Überzeugung der nicht speziell mit dem Thema befaßten Juristen, einen An»«> Siehe oben S. 135 ff. 170 Entscheidungen im Normenkontrollverfahren: VGH Mannheim, VB1BW 1995, S. 204f.; OVG Bautzen, NVwZ 1996, S. 1028 ff. (beide zu Ansprüchen auf Satzungsergänzung); im normalen Instanzenzug: VGH Kassel, ESVGH 22, S. 224 ff.; BVerwG, NVwZ 1990, S. 162ff.; OVG Münster, NWVB1. 1994, S. 414ff.; BVerwG, UPR 1997, S. 102f.; wohl auch VGH Mannheim, BRS 33 (Rechtsprechung 1978), Nr. 22, S. 63; OVG Berlin, BauR 1980, S. 536 ff., 537; VGH Mannheim, UPR 1991, S. 394. •71 BVerfGE 33, S. 125 ff., 158 ff., 160.
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3. Teil: Normerlaßanspriiche in Rechtsprechung und Literatur
spruch auf Normerlaß gebe es nicht, finden sich in der Literatur, auch in der älteren, nur wenige, die die Existenz von Individualansprüchen auf Normerlaß unter der Geltung des Grundgesetzes gänzlich in Frage stellen. Bereits früh wurde von R Lerche beklagt, daß die Problematik der nicht erfüllten Gesetzgebungspflichten fast ausschließlich im Hinblick auf prozessuale Fragestellungen in der Literatur behandelt wird. 172 Dieser Befund trifft auch heute noch zu. Die gerichtliche Durchsetzbarkeit von Rechtsetzungspflichten und damit auch von Normerlaßansprüchen wird breit erörtert und in allen Facetten dargestellt, die logisch vorrangige Frage nach der Existenz eines solchen Anspruchs wird ohne jegliche Diskussion, allenfalls unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, bejaht. 173 So verwundert es auch nicht, daß die Ablehnung von Normerlaßansprüchen überwiegend prozessual motiviert und formuliert ist. Man könnte sogar, wenn man den hier vertretenen Begriff des subjektiven Rechts zugrunde legt, 174 behaupten, daß es außer H. Krüger 175 niemanden gebe, der ein subjektives öffentliches Recht des einzelnen auf Normerlaß völlig ablehne, denn verneint werde ausschließlich die Klagbarkeit. Diese sei aber nicht Voraussetzung eines subjektiven öffentlichen Rechts. Zutreffend hieran ist, daß die Gegner prozessual argumentieren und eine Klage auf Erlaß einer Rechtsnorm für unzulässig halten.176 Die Stellungnahmen sind alle sehr kurz. Eine vertiefende Betrachtung im Hinblick auf die unterschiedlichen Arten von Rechtsnormen oder die möglichen Anspruchsinhalte findet sich nicht. Überwiegend wird nicht nach formellem Gesetz, Rechtsverord-
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AöR 90 (1965), S. 341 ff., 342 mit zahlreichen Nachweisen in Fn. 1; vergleiche auch die Nachweise oben in Fn. 5. 173 Ausdrücklich in diesem Sinn, Jülicher, Verfassungsbeschwerde, S. 21; ohne Verweis auf die Rechtsprechung, Stahler, Nachprüfung, S. 35 f., bezüglich Gesetzgebungspflichten und korrespondierenden subjektiven Rechten. "4 Vergleiche oben S. 47. π* Krüger, Staatslehre, S. 787, Fn. 106, S. 886 f.; häufig erweisen sich die für die ablehnende Auffassung zitierten Nachweise als falsch. So nennt Seiwerth, Verfassungsbeschwerde, S. 100, Fn. 553, zum Beispiel v. Turegg, Generalklauseln, S. 41 f. Dem Wortlaut der Fundstelle aber läßt sich die generelle Ablehnung derartiger Ansprüche nicht entnehmen: V. Turegg unterscheidet Status und subjektives Recht und führt dann aus: „So hat jeder Staatsbürger unter Berücksichtigung der Verfassung einen bestimmten Status gegenüber dem Gesetzgeber; nicht jeder hat aber ein subjektives Recht, durch welches er den Gesetzgeber, auch die als Gesetzgeber tätige Verwaltungsstelle, zu bestimmten gesetzgeberischen Maßnahmen, etwa zum Erlaß einer Rechtsverordnung, zwingen könnte." ™ Allesch, BayVBl. 1990, S. 120ff., 120; Bachof, VVDStRL 12 (1954), S. 37ff., 52; ders., Vornahmeklage, S. 17f. (aufgegeben in VerfR I, S. 245; VerfR II, S. 143f.); Backhaus/ Wenner, DB 1988, S. 115 ff., 119; Eyermann, BayVBl. 1974, S. 237 ff., 243; Eyermann/Fröhler, VwGO, 9. Auflage, § 42, Rn. 55, § 47, Rn. 2, Rn. 21 (aufgegeben in der 10. Auflage, § 42, Rn. 63); Spanner, BayVBl. 1958, S. 1 ff., S. 38 ff., 39; Zuleeg, DVB1. 1970, S. 157 ff., 160, der aber vorgibt, materiell-rechtlich zu argumentieren, wobei er zum einen unter dem Begriff Anspruch nur das Verlangenkönnen eines ganz konkret bestimmten Tuns (im Sinne völlig fehlender Ausgestaltungsfreiheit des Normgebers) versteht, S. 161, und ihn zum anderen nicht nur mit der gerichtlichen Durchsetzbarkeit, sondern mit der unmittelbaren gerichtlichen Durchsetzbarkeit durch Leistungsurteil identifiziert, S. 160.
C. Diskussionsstand in der Literatur und kritische Würdigung
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nung und Satzung unterschieden. Es finden sich allgemeine Ausdrücke wie Rechtsnorm177 und Gesetz,178 wobei bei letzterem oft unklar bleibt, ob damit Parlamentsgesetze gemeint oder der Begriff im Sinne von Rechtsnorm verwandt wird. Sofern ein subjektives öffentliches Recht auf Erlaß einer untergesetzlichen Norm erörtert wird, wird auf die ablehnende Haltung gegenüber Ansprüchen auf Erlaß formeller Gesetze verwiesen. 179 Gegen subjektive Rechte auf Satzungserlaß finden sich außerhalb der Spezialliteratur 180 keine zusätzlichen Argumente. Die Verneinung von Normerlaßansprüchen wird - wie in der Rechtsprechung181 - vor allem darauf gestützt, daß die Gerichte nur zur Rechtsprechung, nicht aber zur Rechtsetzung befugt seien,182 womit konkret der Grundsatz der Gewaltenteilung 183 angesprochen ist. Zum Teil klingt als weiteres Argument die mangelnde Justitiabilität von Normerlaßansprüchen an. 184 Auch in der Literatur wirkt damit die Auffassung der Weimarer Zeit von der uneingeschränkten Souveränität des Gesetzgebers fort. 185 Diese Begründungrichtetsich daher nicht nur gegen die gerichtliche Durchsetzbarkeit, sondern erfaßt trotz der prozessualen Einkleidung auch die Frage der Existenz eines subjektiven öffentlichen Rechts auf Normerlaß, da eine rechtliche Gebundenheit des Gesetzgebers verneint wird. Ein subjektives öffentliches Recht auf Normerlaß setzt aber eine objektive Gesetzgebungspflicht und damit eine Bindung der gesetzgeberischen Gewalt voraus, denn ohne Pflicht ist kein korrespondierendes Recht denkbar. Soweit die Ablehnung allerdings ausschließlich mit dem Grundsatz der Gewaltenteilung begründet wird, kommt ihr nach der hier vertretenen Meinung keine Relevanz im Hinblick auf die Möglichkeit des Bestehens von Individualansprüchen gegen den Normgeber zu. Sieht man die gerichtliche Durchsetzbarkeit nicht als Wesensmerkmal des subjektiven Rechts an, so kann allein die Bejahung von subjektiven öffentlichen Rechten auf Norm177 Allesch, BayVBl. 1990, S. 120ff., 120; Bachof, Vornahmeklage, S. 17f.; Backhaus/ Wenner, DB 1988, S. 115 ff., 119; Eyermann, BayVBl. 1974, S. 237 ff., 243. π» Krüger, Staatslehre, S. 787, Fn. 106, S. 886f.; Spanner, BayVBl. 1958, S. Iff., 38ff.; während ersterer den Begriff wohl im Sinne von Rechtsnorm als generell-abstrakter Regelung verwendet, läßt der Inhalt des Aufsatzes bei letzterem darauf schließen, daß er Parlamentsgesetze meint. 179 Merten, DVB1. 1970, S. 701 f., 702; Zuleeg, DVB1. 1970, S. 157 ff., 160f. 180 Hinsichtlich eines Anspruchs auf Erlaß oder Ergänzung eines Bebauungsplans verweist die ablehnende Auffassung in der baurechtlichen Literatur ebenso wie die Rechtsprechung auf § 2 Abs. 3 und 4 BauGB. Diese speziellen Regelungen können aber subjektiven öffentlichen Rechten auf Satzungserlaß nicht generell entgegengehalten werden. «ei Vergleiche oben S. 109 und S. 129 f. 182 Allesch, BayVBl. 1990, S. 120ff., 120; Bachof, Vornahmeklage, S. 17f.; Eyermann, BayVBl. 1974, S. 237 ff., 243; Zuleeg, DVB1. 1970, S. 157 ff., 160. 183 Backhaus/Wenner, DB 1988, S. 115 ff., 119; Bogs, Einwirkung, G 5 ff., 15; Spanner, BayVBl. 1958, S. Iff., 38 ff., 39. 184 Allesch, BayVBl. 1990, S. 120ff., 120; Backhaus/Wenner, DB 1988, S. 115ff, 119; Spanner, BayVBl. 1958, S. 1 ff., 38 ff., 39. 185 Dazu bereits oben S. 33.
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3. Teil: Normerlaßanspriiche in Rechtsprechung und Literatur
erlaß keine Verschiebung der staatlichen Zuständigkeiten bewirken und den Grundsatz der Gewaltenteilung nicht tangieren. Hier zeigt sich, daß Begriff und Voraussetzungen des subjektiven öffentlichen Rechts nach wie vor im Streit stehen und die Klagbarkeit teilweise als notwendige Voraussetzung für die Annahme eines subjektiven öffentlichen Rechts gesehen wird. Obwohl der Grundsatz der Gewaltenteilung nicht das Bestehen subjektiver öffentlicher Rechte auf Normerlaß in Frage stellen kann, ist eine Auseinandersetzung mit diesem Einwand nicht obsolet. Zum einen kommt Normerlaßansprüchen erst dadurch praktische Bedeutung zu, daß sie zwangsweise gerichtlich durchgesetzt werden können, zum anderen bedingt der Grundsatz der Gewaltenteilung nach der überwiegenden Auffassung in der Rechtsprechung eine Beschränkung der Entscheidungsmöglichkeiten der Judikative auf Feststellungsurteile,186 jedenfalls aber werden diese als vorzugswürdig gegenüber einer Verurteilung des Normgebers zum Normerlaß angesehen.187 Die prozessuale Sicht gipfelt bei einigen in bezug auf untergesetzliche Normen in der Erkenntnis, aus dem Fehlen einer ausdrücklich geregelten Normerlaßklage in der Verwaltungsgerichtsordnung müsse man folgern, daß der Gesetzgeber objektive Rechtsetzungspflichten ausnahmslos nicht als durchsetzbare subjektive Rechte gewollt habe. 188 Das Argument trägt schon deshalb nicht, weil die Verwaltungsgerichtsordnung die Klagearten nicht abschließend regelt. 189 Ferner widerspricht es Art. 19 Abs. 4 GG» Die Rechtsschutzgarantie verdeutlicht die Nachrangigkeit des Prozeßrechts. Das Vorliegen eines subjektiven öffentlichen Rechts kann unter der Geltung des Grundgesetzes nicht von seiner gerichtlichen Durchsetzbarkeit abhängig gemacht werden, die Reihenfolge ist vielmehr umgekehrt. Ist ein subjektives Recht gegeben, so ist es wegen Art. 19 Abs. 4 GG auch justitiabel, gleichgültig ob die Prozeßordnungen hierfür spezielle Vorschriften zur Verfügung stellen oder nicht. Im Gegensatz zu der prozessual argumentierenden Ansicht begründet H. Krüger seine Ablehnung von Normerlaßansprüchen ausschließlich inhaltlich mit dem Demokratieprinzip. Nach seiner Auffassung zeichnet sich die Staatsgewalt in einer Demokratie vor allem durch zwei Eigenschaften aus: ihre Einzigkeit und ihre Einseitigkeit.190 Unter Einseitigkeit versteht er den Ausschluß aller nichtstaatlichen Stellen und Subjekte von der Ausübung der Staatsgewalt.191 Staatsgewalt darf nur von Repräsentanten des Volkes innegehabt und ausgeübt werden. Die Einseitigkeit •86 Vergleiche hierzu oben S. 120, 126, 135 ff. 187 Siehe oben S. 136. 188 Backhaus /Wenner, DB 1988, S. 115 ff., 119. 189 Hufen, Verwaltungsprozeßrecht, S. 238, § 13, Rn. 3, 5; Pietzcker, in: Schoch/SchmidtAßmann/Pietzner, VwGO, Vorb § 42 Abs. 1, Rn. 16: Schmitt Glaeser, Verwaltungsprozeßrecht, S. 245, § 7, Rn. 396. 190 Krüger, Staatslehre, S. 847. 191 Krüger, Staatslehre, S. 879.
C. Diskussionsstand in der Literatur und kritische Würdigung
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soll die ausschließliche Ausrichtung der Staatsgewalt am Allgemeinwohl und die Richtigkeit ihrer Ausübung gewährleisten.192 Als ein Element der Einseitigkeit nennt H. Krüger die Einseitigkeit der Willensbildung.193 Bezogen auf die Legislative bedeutet das deren ausschließliche Herrschaft über die Gesetzesinitiative.194 Diese sieht H. Krüger durch die Anerkennung von Gesetzerlaßanspriichen gefährdet: „In Wahrheit läuft diese Entwicklung erst recht darauf hinaus, an die Stelle der Einheitlichkeit und vor allem der Einseitigkeit der Initiative eine Vielzahl, und zwar eine Vielzahl der Initiativen ,νοη unten4 zu setzen, die zudem notwendig nicht »repräsentative4, sondern »natürliche4 Initiativen sind."195 Tatsächlich ist ein gewisses Spannungsverhältnis zwischen dem Demokratieprinzip und subjektiven öffentlichen Rechten des einzelnen nicht zu leugnen. Gibt es einen Anspruch auf Erlaß eines formellen Gesetzes, so bestimmt nicht die das Staatsvolk unmittelbar repräsentierende Legislative (mittelbare Demokratie) und auch nicht die Mehrheit des Volkes (unmittelbare Demokratie) über den Erlaß des Gesetzes, sondern ein einzelner Bürger, der, da er nicht demokratisch legitimiert ist, das Staatsvolk auch nicht repräsentiert. Vergleichbares gilt im Hinblick auf Ansprüche auf Erlaß untergesetzlicher Normen. Zwar ist der Verordnungsgeber nicht unmittelbar demokratisch legitimiert. Seine Legitimation läßt sich aber auf das Staatsvolk zurückführen, so daß auch in diesem Fall die Initiative bei einem Repräsentativorgan der Staatsgewalt liegt. Der Einwand H. Krügers ist daher nicht von der Hand zu weisen und bedarf näherer Erörterung. Faßt man alle Argumente der Rechtsprechung und der Literatur gegen Normerlaßanspriiche zusammen, lassen sich folgende Einwände festhalten: - Der Normgeber sei rechtlich nicht gebunden; er habe uneingeschränkte Gestaltungsfreiheit. - Er werde ausschließlich im Allgemeininteresse tätig. - Das Demokratieprinzip stehe der Anerkennung von Normerlaßansprüchen entgegen. - Der Grundsatz der Gewaltenteilung verbiete eine Rechtsetzung durch die Gerichte oder eine Verurteilung zum Normerlaß. Die ersten drei Argumenterichtensich gegen die Möglichkeit subjektiver Rechte gegen den funktionellen Gesetzgeber überhaupt. Lehnt man jegliche rechtliche Bindung der normsetzenden Staatsgewalt oder ein Handeln im Individualinteresse generell ab, kann auch kein Anspruch auf ein Tätigwerden bestehen. Das erste Argument ist widerlegt, wenn die Untersuchung ergibt, daß die Verfassung und einfache Gesetze Normsetzungspflichten begründen. Diese sind dann im Hinblick auf das zweite Argument dahin zu analysieren, ob sie dem Normgeber ausschließ192 193 194 195
Krüger, Staatslehre, S. 879. Krüger, Staatslehre, S. 883. Krüger, Staatslehre, S. 884 f. Krüger, Staatslehre, S. 886.
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3. Teil: Normerlaßanspriiche in Rechtsprechung und Literatur
lieh im öffentlichen Interesse auferlegt sind. Kommt man hier zu dem Ergebnis, daß es Rechtsetzungspflichten gibt, die der Normgeber zumindest auch im Individualinteresse zu erfüllen hat, greift auch der zweite Einwand nicht durch. Aus der Bejahung von Normsetzungspflichten folgt ferner zwingend, daß ein subjektives öffentliches Recht auf Normerlaß auch nicht gegen das Demokratieprinzip in der Ausgestaltung, die es durch das Grundgesetz erfahren hat, verstößt. Die Beschränkung der Entschließungsfreiheit der Normsetzungsorgane erfolgt durch das ihnen übergeordnete objektive Recht, dessen bloßer Vollstrecker der einzelne ist. Das höherrangige objektive Recht verbürgt die Einseitigkeit der Willensbildung. Der einzelne übt daher bei Anerkennung eines subjektiven öffentlichen Rechts auf Normerlaß keine Staatsgewalt aus. 196 Das vierte Argument kann subjektiven öffentlichen Rechten gegen den Normgeber dagegen überhaupt nicht entgegengehalten werden, da deren Bestehen nicht von der gerichtlichen Durchsetzbarkeit abhängt. Es ist aber relevant im Hinblick auf die Stärke derartiger subjektiver Rechte und die Einwirkungsmöglichkeiten der Judikative auf den Normgeber.
II. Der Standpunkt der Befürworter 1. Subjektive öffentliche Rechte auf ein Tätigwerden des Parlaments a) Breite Zustimmung zu Gesetzerlaßansprüchen Im Gefolge der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts wird die Möglichkeit von Ansprüchen auf Erlaß formeller Gesetze in der Literatur überwiegend bejaht.197 Häufig erschöpfen sich die zustimmenden Äußerungen allerdings in einer Wiederholung der Voraussetzungen, die das Bundesverfassungsgericht am Anfang seiner Rechtsprechung für die Zulässigkeit einer Verfassungsbeschwerde 196 So auch Jank, Rechtsanspruch, S. 59 f. 197
Mit erheblichen Unterschieden im Detail: Badura, in: FS K. Eichenberger, S. 481 ff., 481, 491 f.; Bettermann, in: Bettermann /Nipperdey/ Scheuner, Die Grundrechte, S. 779 ff., 840, Fn. 332; Friesenhahn, Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 66; Gleixner, Normerlaßklage, S. 107; Heintzen, DÖV 1994, S. 413ff., 419; Henke, DÖV 1984, S. Iff., 5, Fn. 21, S. 8, Fn. 43, S. 10; Jülicher, Verfassungsbeschwerde, S. 12, 21; Kalkbrenner, DÖV 1963, S. 41 ff., 45; Lange, NJW 1962, S. 417ff., 418; Lechner, NJW 1955, S. 1817ff., 1818; Lechner/Zuck, BVerfGG, § 90, Rn. 69ff., 71, 76, 80; Lerche, AöR 90 (1965), S. 341 ff., 351 f.; Maurer, in: FS W. Weber, S. 345 ff., 348; Mayer, C., Nachbesserungspflicht, S. 187 f.; Murswiek, WiVerw 1986, S. 179ff., 199; Peine, Systemgerechtigkeit, S. 144ff.; ders., DÖV 1983, S. 909 ff., 914; Rauschning, Sicherung, S. 231 f.; Ritter, Gesetzgebungspflichten, S. 149 ff., 154; Robbers, JuS 1988, S. 949ff., 950; Schenke, Rechtsschutz, S. 170, 173; Scheuner, in: FS E. Forsthoff, S. 325ff., 333f.; Schmidt-Bleibtreu, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/ Ulsamer, BVerfGG, § 90, Rn. 107; Schneider, R., AöR 89 (1964), S. 24ff., 38; Seiwerth, Verfassungsbeschwerde, S. lOOff.; Seufert, Gesetzgebungsgebote, S. 271 ff., 275f.; Walecki, Normsetzungspflicht, S. 217; Westbomke, Anspruch, S. 24f., 27 f.; Würtenberger, AöR 105 (1980), S. 370 ff., 376 f.
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gegen ein Unterlassen des Gesetzgebers aufstellte. So wird ein subjektives öffentliches Recht auf Erlaß eines formellen Gesetzes nur ausnahmsweise dann angenommen, wenn ein ausdrücklicher Verfassungsauftrag zum Gesetzerlaß besteht, auf den der Bürger sich berufen kann und der die Gesetzgebungspflicht inhaltlich konkretisiert. 198 Allenfalls wird die Forderung nach einem ausdrücklichen und inhaltlich bestimmten Verfassungsauftrag der Kritik unterzogen und zu Recht verworfen. 199 Besondere Anforderungen an die inhaltliche Bestimmtheit der Gesetzgebungspflicht sind nicht zu stellen. Soweit das Bundesverfassungsgericht und ihm folgend Teile der Literatur eine im wesentlichen inhaltlich bestimmte Gesetzgebungspflicht als Voraussetzung für einen Normerlaßanspruch ansahen oder ansehen, liegt dieser Ansicht eine Begrifflichkeit zugrunde, die nicht zwingend und wohl überwiegend prozessual geprägt ist. Ein Anspruch ist nicht nur dann gegeben, wenn der Erlaß eines inhaltlich im wesentlichen bestimmten Gesetzes oder eine näher beschriebene Ergänzung verlangt werden, sondern schon dann, wenn überhaupt eine Tätigkeit des Gesetzgebers mit einem bestimmten Ziel erreicht werden kann. Derartige Ansprüche, bei denen lediglich das Ziel, aber nicht die Mittel konkret vorgegeben sind, sind auch aus dem Zivilrecht bekannt.200 Sofern die Möglichkeit von Normerlaßansprüchen gegen den Parlamentsgesetzgeber in der Literatur näher begründet wird, wird auf die Verfassungsgebundenheit des Gesetzgebers,201 das Bestehen verfassungsrechtlicher legislativer Handlungspflichten 202 und den teilweise eindeutig individualbegünstigenden Charakter einzelner Gesetzgebungspflichten verwiesen.203 Vertiefende wissenschaftliche Unter198 Bettermann, in: Bettermann/Nipperdey/Scheuner, Die Grundrechte, S. 779ff., 840, Fn. 332, der auf zwei Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts verweist; Friesenhahn, Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 66; Gleixner, Normerlaßklage, S. 107, 110; Henke, DÖV 1984, S. 1 ff., 5, Fn. 21; Jülicher, Verfassungsbeschwerde, S. 12, 21; Rauschning, Sicherung, S. 231 f., 238 f.; Robbers, JuS 1988, S. 949 ff., 950; Scheuner, in: FS E. Forsthoff, S. 325 ff., 333f.; Schmidt-Bleibtreu, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Ulsamer, BVerfGG, § 90, Rn. 107, der noch einzelne Grundrechtsbestimmungen auf ihren Charakter als ausdrückliche Verfassungsaufträge hin untersucht, Rn. 108-111; Walecki, Normsetzungspflicht, S. 217; Westbomke, Anspruch, S. 28. 199 Lechner/Zuck, BVerfGG, § 90, Rn. 71; Lerche, AöR 90 (1965), S. 341 ff., 351 f.; Schenke, Rechtsschutz, S. 171. zoo ζ . B. der Beseitigungsanspruch aus § 1004 Abs. 1 S. 1 BGB: Inhalt des Anspruchs ist die Abstellung der Eigentumsbeeinträchtigung für die Zukunft; Klageantrag und Urteil lauten auf Vornahme geeigneter Maßnahmen, durch die die konkrete Eigentumsbeeinträchtigung in Zukunft vermieden wird. Die Auswahl der Maßnahmen wird dem Beklagten überlassen, es sei denn, es kommt nur eine einzige geeignete Maßnahme in Betracht; Bassenge, in: Palandt, BGB, § 1004, Rn. 22, 26.
201 Badura, in: FS K. Eichenberger, S. 481 ff., 481; Westbomke, Anspruch, S. 24. 202 Badura, in: FS K. Eichenberger, S. 481 ff., 481; Peine, Systemgerechtigkeit, S. 145; Robbers, JuS 1988, S. 949 ff., 950. 203 Badura, in: FS K. Eichenberger, S. 481 ff., 481; Peine, Systemgerechtigkeit, S. 145 f.; Seiwerth, Zulässigkeit, S. lOOf.; Westbomke, Anspruch, S. 24f. 10*
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suchungen zu den einzelnen Anspruchsvoraussetzungen sind nur in geringer Zahl vorhanden und vorwiegend 204 älteren Datums.205 Ihr Schwerpunkt liegt bei der Analyse objektiver Gesetzgebungspflichten. Angesichts der Entwicklung der Grundrechtsdogmatik decken sie auch in diesem Bereich nur noch Teilgebiete des Themas ab. Die folgenden Ausführungen erschöpfen sich deshalb nicht in einer Darstellung und Kritik der Literatur, sondern stellen insbesondere bei der Erörterung der einzelnen Anspruchsvoraussetzungen die eigene Auffassung dar.
b) Die Existenz von Gesetzgebungspflichten aa) Eingeschränkte Souveränität des Parlamentsgesetzgebers Aus der oben geschilderten mehrheitlichen Bejahung von subjektiven öffentlichen Rechten auf Gesetzerlaß folgt, daß die herrschende Meinung, trotz der Betonung der grundsätzlichen Gestaltungsfreiheit des Parlamentsgesetzgebers,206 Gesetzgebungspflichten für denkbar hält. Subjektive Rechte setzen nach allgemeiner Ansicht eine objektive Pflicht und damit eine Bindung des Verpflichteten voraus. Die These von der Ungebundenheit des Parlamentsgesetzgebers als höchstem Souverän gehört eindeutig der Vergangenheit an, auch wenn sie aufgrund ihrer überwiegenden Anerkennung in der Weimarer Zeit zunächst noch Eingang in die staatsrechtliche Literatur zum Grundgesetz gefunden hat. Mit der Unterscheidung von verfassungsgebender und untergeordneter gesetzgebender Gewalt, die in Art. 1 Abs. 3 und Art. 20 Abs. 3 GG ihren Ausdruck gefunden hat, steht die Bindung des Parlamentsgesetzgebers an die Verfassung außer Frage. Damit ist aber auch bereits das oben zuerst genannte Argument gegen Normerlaßanspriiche widerlegt. Der Gesetzgeber besitzt keine uneingeschränkte Gestaltungsfreiheit, sondern unterliegt den Bindungen der Verfassung. Enthält diese Gesetzgebungspflichten, sind subjektive öffentliche Rechte auf Erlaß formeller Gesetze jedenfalls nicht von vornherein ausgeschlossen.
bb) Die allgemeine verfassungsrechtliche Pflicht zur Rechtsetzung In der älteren Literatur zum Staatsrecht ist der Gedanke einer allgemeinen Gesetzgebungspflicht noch weit verbreitet. Nach dieser Auffassung ist der Gesetzgeber nicht nur berechtigt, Gesetze zu erlassen, sondern das Recht erstarkt zur 204
Eine Ausnahme ist die Dissertation von C. Mayer, Nachbesserungspflicht, 1995. 205 Kalkbrenner, DÖV 1963, S. 41 ff.; Lerche, AöR 90 (1965), S. 341 ff.; Ritter, Gesetzgebungspflichten, 1967; Seiwerth, Zulässigkeit, 1962; Seufert, Gesetzgebungsgebote, 1969; Walecki, Normsetzungspflicht, 1972. 206 Gleixner, Normerlaßklage, S. 106; Kalkbrenner, DÖV 1963, S. 41 ff., 41; Peine, Systemgerechtigkeit, S. 117 mit weiteren Nachweisen; ders., ZG 1988, S. 121 ff., 129; Maunz, in: Maunz-Dürig, GG, Art. 70, Rn. 15; Mayer, C., Nachbesserungspflicht, S. 40; Walecki, Normsetzungspflicht, S. 68 f., 69 f., 71, 183.
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Pflicht, soweit es um den Erlaß der erforderlichen Gesetze geht. 207 Überwiegend liegt dieser Meinung die Vorstellung von der Identität von Berechtigung und Pflicht zugrunde.208 Diese Vorstellung ist naturrechtlichen Ursprungs und wohl damit zu erklären, daß dem Naturrecht die Differenzierung von Recht und Sittlichkeit fremd war. Jeder Befugnis entsprach so zumindest eine sittliche Pflicht gegenüber der Allgemeinheit, sie auch auszuüben. Versteht man unter Pflicht eine rechtliche und nicht nur eine sittliche oder ethische Sollensanordnung, ließe sich diese These heute nur aufrechterhalten, wenn man sie aus der Rechtsordnung herleiten könnte. Eine allgemeine Pflicht zum Gesetzerlaß müßte sich daher aus dem Grundgesetz ergeben. Nur J. Seiwerth unternimmt den Versuch, die allgemeine Rechtsetzungspflicht des Parlaments aus der Verfassung zu begründen.209 Er sieht die allgemeine Pflicht zur Rechtsetzung in Art. 1 Abs. 3 und Art. 20 Abs. 3 GG verankert. 210 Aus der normativen Gebundenheit des Gesetzgebers leitet er dessen dienende Funktion gegenüber dem Menschen ab: Der Gesetzgeber sei zur Verwirklichung der Staatsidee der Verfassung aufgerufen. Er habe deshalb alle Gesetze zu erlassen, die für ein störungsfreies Funktionieren der sozialen Lebensordnung unerläßlich seien.211 Dabei versteht er unter sozialer Lebensordnung eine materiell gerechte Ordnung. 212 Die generelle Pflicht zur Gesetzgebung folge auch daraus, daß sonst die in Art. 20 Abs. 3 GG angeordnete Bindung der Exekutive und Judikative an Gesetz und Recht weitgehend leerliefe. 213 Das Grundgesetz setze daher eine allgemeine Pflicht zur Rechtsetzung stillschweigend voraus. 214 Gegen diese Auffassung wird von E.-H. Ritter eingewandt, daß Gesetze nicht notwendig materiell gerecht seien. Der Erlaß von Gesetzen schaffe daher nicht automatisch eine gerechte Lebensordnung. Eine allgemeine Rechtsetzungspflicht der Legislative könne damit nicht begründet werden. 215 Aus Art. 20 Abs. 3 GG lasse 207 V. der Heydte, VVDStRL 24 (1966), S. 210ff., 218; v. Hippel, Emst, Rechtsdenken, S. 400, der die interessante Ansicht vertritt, daß Recht und Pflicht sich völlig decken und der Gesetzgeber auch nur die erforderlichen Gesetze erlassen darf; Kalkbrenner, DÖV 1963, S. 41 ff., 45; Lechner, NJW 1955, S. 1817ff., 1818; Lerche, AöR 90 (1965), S. 341 ff., 351, Fn. 30; Scherer, Verfassungsbeschwerde, S. 331; Seiwerth, Verfassungsbeschwerde, S. 42ff.; Seufert, Gesetzgebungsgebote, S. 144, Fn. 1. Auch Gleixner, Normerlaßklage, S. 107, scheint diese Auffassung zu vertreten. Allerdings widerspricht er sich, da er auf S. 79 das Bestehen einer allgemeinen verfassungsrechtlichen Rechtsetzungspflicht definitiv ablehnt. 208 Vergleiche hierzu Ritter, Gesetzgebungspflichten, S. 30 ff. 209 Seiwerth, Verfassungsbeschwerde, S. 41 ff.; die übrigen Autoren gehen von der Identität von Recht und Pflicht aus. 210 Seiwerth, Verfassungsbeschwerde, S. 41,43 f. 211 Seiwerth, Verfassungsbeschwerde, S. 42. 212 Seiwerth, Verfassungsbeschwerde, S. 42 f. 213 Sei werth, Verfassungsbeschwerde, S. 43 f.; zustimmend Seufert, Gesetzgebungsgebote, S. 144, Fn. 1. 214 Seiwerth, Verfassungsbeschwerde, S. 43; zustimmend Seufert, Gesetzgebungsgebote, S. 144, Fn. 1. 215 Ritter, Gesetzgebungspflichten, S. 33.
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3. Teil: Normerlaßanspriiche in Rechtsprechung und Literatur
sich nicht herleiten, daß der Gesetzgeber alle Bereiche durch Gesetz regeln müsse.216 Ferner führe die Annahme einer generellen Pflicht des Gesetzgebers zum Erlaß von Gesetzen zu einer totalen Verrechtlichung der Gesetzgebungstätigkeit; der Gesetzgeber werde zum bloßen Vollzugsorgan der durch die Verfassung vorgegebenen Allgemeinwohlentscheidungen. Die Bejahung einer generellen Gesetzgebungspflicht sei deshalb undemokratisch, da sie die Anpassung an veränderte Allgemeinwohlvorstellungen verhindere. 217 F.-J. Peine führt als Hauptargument gegen die Meinung Seiwerths an, daß die Anerkennung einer allgemeinen Pflicht zur Rechtsetzung in ihrer Konsequenz dazu fuhren müßte, daß der Gesetzgeber dauernd Gesetze erlasse;218 dies sei aber mit dem Charakter der Gesetze als generell-abstrakte und auf Beständigkeit angelegte Regelungen nicht vereinbar. 219 Im übrigen handelte es sich bei der von J. Seiwerth genannten Pflicht des Gesetzgebers zur Schaffung einer gerechten Sozialordnung, sollte man eine solche Pflicht für gegeben halten, um eine spezielle Gesetzgebungspflicht, die ihre Grundlage im Rechts- und Sozialstaatsprinzip hätte.220 Zudem verweist er auf die Zulässigkeit richterlicher Rechtsfortbildung 221 und spricht der These einer allgemeinen Rechtsetzungspflicht die praktische Bedeutung ab, da die Vorstellung eines untätigen Gesetzgebers unrealistisch sei 222 und bereits Gesetze bestünden.223 Einigkeit herrscht darin, daß das Grundgesetz, wie etwa Art. 20 Abs. 3 GG zeigt, von einem tätigen Gesetzgeber ausgeht224 und daß es - allerdings neben Judikative und Exekutive - Aufgabe der Legislative ist, die Inhalte der Verfassung zu verwirklichen. 225 Eine allgemeine Rechtsetzungspflicht kann dies aber schon deshalb nicht rechtfertigen, weil die Vorstellung eines völlig untätigen Gesetzgebers geradezu absurd erscheint. Die Verfassung basiert auf der selbstverständlichen Annahme, daß die drei Staatsgewalten die ihnen zugewiesenen Aufgaben auch (freiwillig) wahrnehmen. Eine Selbstverständlichkeit ist das deshalb, weil eine andere Ansicht das Funktionieren des Staates überhaupt in Frage stellen würde. 226 Im übrigen kommt dem Gesetzgeber kein Vorrang gegenüber den anderen Gewalten 216
Ritter, Gesetzgebungspflichten, S. 33. Ritter, Gesetzgebungspflichten, S. 36. 2 18 Peine, Systemgerechtigkeit, S. 121; ders., ZG 1988, S. 121 ff., 131; davor schon Walecki, Normsetzungspflicht, S. 58. 217
219 Peine, Systemgerechtigkeit, S. 121; ders., ZG 1988, S. 121 ff., 131. 220 Peine, Systemgerechtigkeit, S. 122. 22
1 Peine, Systemgerechtigkeit, S. 122; ders., ZG 1988, S. 121 ff., 131. Peine, Systemgerechtigkeit, S. 122; auch Walecki, Normsetzungspflicht, S. 58. 22 3 Peine, Systemgerechtigkeit, S. 122. 222
224
Peine, Systemgerechtigkeit, S. 121; ders., ZG 1988, S. 121 ff., 131; Ritter, Gesetzgebungspflichten, S. 36 f.; Walecki, Normsetzungspflicht, S. 58. 225 Peine, Systemgerechtigkeit, S. 121. 226 Ritter, Gesetzgebungspflicht, S. 37.
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bei der Verwirklichung der Ziele der Verfassung zu. Gesetze sollten zwar vom idealistischen Anspruch her materiell gerecht sein; dies aber als Realität zu unterstellen, ist angesichts des immer mehr zunehmenden Einflusses mächtiger Partikularinteressen auf die Politik und damit auf die Gesetzgebung schon mehr als naiv. Insoweit ist der ablehnenden Auffassung, die heute die Mehrheit repräsentiert, 227 zuzustimmen. Nicht zwingend sind aber die Einwände, die Anerkennung eines allgemeinen Rechtsetzungsgebots verpflichte den Gesetzgeber zu dauerndem legislativen Handeln und widerspreche dem auf Beständigkeit angelegten Charakter von Gesetzen. Ferner bedinge sie eine gänzliche Verrechtlichung der gesetzgeberischen Tätigkeit und sei deshalb undemokratisch. Ist Inhalt der generellen Normsetzungspflicht der Erlaß der notwendigen Gesetze, könnte man hierin sogar eine Begrenzung der Befugnis des Gesetzgebers zum Gesetzerlaß sehen.228 Ein Zwang zum dauernden Erlaß von Gesetzen muß der so formulierten Pflicht nicht entnommen werden. Der Gesetzgeber wäre allerdings gehalten, stets zu beobachten, ob eine Veränderung der Umstände den Erlaß neuer oder die Anpassung bestehender Gesetze erforderlich machte. Die Annahme einer allgemeinen Pflicht zum Gesetzerlaß wäre auch nicht undemokratisch, weil der unbestimmte Rechtsbegriff „notwendig" keine Zementierung des Gesetzgebers auf bestehende Gemeinwohlvorstellungen bewirkt, wie E.-H. Ritter unterstellt,229 sondern die Notwendigkeit eines Gesetzes sich durchaus nach den Anschauungen zum Zeitpunkt des beabsichtigten oder geforderten Gesetzerlasses beurteilt. Entscheidend für die Ablehnung einer allgemeinen Pflicht zur Rechtsetzung ist neben der mangelnden dogmatischen Begründbarkeit aus der Verfassung und dem fehlenden praktischen Bedürfnis die inhaltliche Unbestimmtheit der postulierten Pflicht. J. Seiwerth konkretisiert zwar, was er inhaltlich unter den notwendigen Gesetzen versteht. Damit formuliert er aber, wie F.-J. Peine bereits hervorhebt, 230 keine allgemeine Pflicht zur Gesetzgebung, sondern eine spezielle, aus dem Rechts- und Sozialstaatsprinzip abgeleitete Pflicht. Sämtliche Versuche, der generellen Pflicht zur Rechtsetzung Konturen zu geben, müssen letztlich darauf hinauslaufen, der Verfassung spezielle Gesetzgebungspflichten zu entnehmen und widerlegen daher die Annahme einer allgemeinen Rechtsetzungspflicht aus ihr selbst heraus 2 3 1 227 Vergleiche die Nachweise oben in Fn. 206 (mit Ausnahme von Kalkbrenner); außerdem Peine, Systemgerechtigkeit, S. 121 f.; ders., ZG 1988, S. 121 ff., 130f.; Ritter, Gesetzgebungspflichten, S. 36, 38; Schmidt-Bleibtreu, in: Maunz /Schmidt-Bleibtreu/ Klein /Ulsamer, BVerfGG, § 90, Rn. 107. 228 In diesem Sinn v. Hippel, Emst, Rechtsdenken, S. 400. Vergleiche auch oben Fn. 207. 229 Ritter, Gesetzgebungspflichten, S. 36. 230 Peine, Systemgerechtigkeit, S. 122. 231 In diese Richtung zielend auch Ritter, Gesetzgebungspflichten, S. 33, der es aber für theoretisch möglich hält, dem Begriff des Notwendigen einen eigenen, weiteren Inhalt zu geben. Aber woran sollte sich die Auslegung orientieren, wenn nicht an der Verfassung und damit doch wieder an konkreten Pflichten?
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Selbst wenn man eine derartige Pflicht aber bejahen würde, wäre sie für die vorliegende Untersuchung ohne Bedeutung. Sie könnte aufgrund ihrer inhaltlichen Unbestimmtheit und der daraus folgenden ausschließlichen Ausrichtung am Gemeinwohl nie im Individualinteresse bestehen. Ein korrespondierendes subjektives öffentliches Recht auf Gesetzerlaß wäre ausgeschlossen.232 Sobald sich die Pflicht aber dahin konkretisierte, daß ihr der Schutz auch bestimmter einzelner entnommen werden könnte, läge eine spezielle Gesetzgebungspflicht vor. Aus der Bindung der Legislative an die Verfassung läßt sich eine allgemeine Pflicht zur Rechtsetzung nicht herleiten; besondere Gesetzgebungspflichten sind dagegen theoretisch möglich und im folgenden näher zu untersuchen.
cc) Spezielle Gesetzgebungspflichten (1) Rechtsgrundlagen, Voraussetzungen und Arten von Gesetzgebungspflichten Als Grundlagen konkreter Pflichten zum Erlaß eines formellen Gesetzes kommen aufgrund der Themeneingrenzung233 nur das Grundgesetz und die Verfassungen der Länder in Betracht. 234 Jüngere Veröffentlichungen 235 geben allerdings Anlaß, die Frage aufzuwerfen und kurz zu erörtern, ob auch Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Gesetzgebungspflichten begründen können. Denkbar ist das deshalb, weil eine nicht zu vernachlässigende Zahl von Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts 236 Aufforderungen an den Gesetzgeber enthält, tätig zu werden. Dabei reicht das Spektrum vom bloßen stillschweigenden Hinweis in den Entscheidungsgründen bis zur ausdrücklichen Verpflichtung des Gesetzgebers im Tenor. 237 Hinsichtlich derartiger Aufforderungen sind die materiellrechtlichen und die prozeßrechtlichen Wirkungen 238 zu unterscheiden. Letztere interessieren hier dann nicht, wenn die 232
So auch Seufert, Gesetzgebungsgebote, S. 144, Fn. 1; Seiwerth, Zulässigkeit, S. 44 f. (aber beide mit der Begründung mangelnder Justitiabilität). 233 Siehe oben S. 19 f. 234 Zwar wäre es auch denkbar, daß ein einfaches Gesetz eine Gesetzgebungspflicht enthielte, einer solchen Pflicht käme aber keine große Bedeutung zu, da es der Parlamentsgesetzgeber jederzeit in der Hand hätte, sich von ihr zu lösen. 235 Hein, Unvereinbarerklärung, S. 168 ff.; Ipsen, J., Rechtsfolgen, S. 266 ff.; Kleuker, Gesetzgebungsaufträge, S. 87 f.; Mayer, C., Nachbesserungspflicht, S. 75 ff., 156 ff. 236
Kleuker legt seiner Untersuchung vor allem eine Liste des Bundesministeriums der Justiz zugrunde. Dort werden Aufforderungen des Bundesverfassungsgerichts an den Gesetzgeber seit 1979 erfaßt. Die Liste vom 23. 09. 1991 enthielt 63 solcher Aufforderungen; Kleuker, Gesetzgebungsaufträge, S. 13, 17, 122 und Fn. 74. 237 Kleuker, Gesetzgebungsaufträge, S. 13; Mayer, C., Nachbesserungspflicht, S. 75,78. 238 Auf diese beschränken sich die Ausführungen von Hein, Unvereinbarerklärung, S. 168-176, und Ipsen, J., Rechtsfolgen, S. 266 - 269.
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Entscheidungen im Hinblick auf eine Gesetzgebungspflicht nicht rechtsgestaltend, sondern lediglich feststellend sind. 239 In materiellrechtlicher Hinsicht gilt, daß Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, unabhängig davon, an welcher Stelle die Verpflichtung des Gesetzgebers zum Gesetzerlaß ausgesprochen wird, grundsätzlich240 keine Gesetzgebungspflichten erzeugen.241 Das folgt aus der Funktion des Bundesverfassungsgerichts als Organ der Rechtsprechung.242 Das Bundesverfassungsgericht kann eine Gesetzgebungspflicht nur dann zulässigerweise feststellen, wenn sich diese aus der Verfassung ergibt. 243 Anderenfalls würde es Gesetzgebungsfunktionen wahrnehmen, die ihm nach der Verfassung nicht zukommen. Es bleibt daher dabei, daß sich besondere Gesetzgebungspflichten nur aus den Verfassungen ergeben können. Damit eine Verfassungsbestimmung überhaupt eine Gesetzgebungspflicht begründen kann, muß sie zwei Voraussetzungen erfüllen: Sie muß sich, ausschließlich oder jedenfalls auch, an die Legislative richten und inhaltlich das Gebot enthalten, ein näher bezeichnetes Gesetz zu erlassen.244 Ein solches Gebot ist bereits dann anzunehmen, wenn die Pflicht im Hinblick auf das Ziel bestimmbar ist. Keine Normerlaßpflichten folgen daher aus verfassungsrechtlichen Vorschriften, die den Gesetzgeber lediglich zum Erlaß von Gesetzen ermächtigen245, und solchen, die nur den Inhalt von Gesetzen, die Ausgestaltungsfreiheit, nicht aber die Entschließungsfreiheit des Parlamentsgesetzgebers, tangieren.246 Die Bezeichnung der pflichtbegründenden Vorschriften ist uneinheitlich. Verwandt werden überwiegend die Begriffe Verfassungsauftrag, 247 Gesetzgebungsauf239
Zu den prozeßrechtlichen Folgen vergleiche Kleuker, Gesetzgebungsaufträge, S. 9 0 -
107. 240
Anderes gilt nur bei Fehlentscheidungen, soweit man solche für möglich hält. Da sie wirksam sind, würden sie die Rechtslage gestalten; Maunz/Bethge, in: Maunz/SchmidtBleibtreu/Klein/Ulsamer, BVerfGG, § 31, Rn. 5; Pestalozza, Verfassungsprozeßrecht, S. 274, § 201, Rn. 7; dieser Ausnahmefall wird hier vernachlässigt. 241 Kleuker, Gesetzgebungsaufträge, S. 87 f., 107; Mayer, C., Nachbesserungspflicht, S. 159; Seufert, Gesetzgebungsgebote, S. 281. 242
Dazu Kleuker, Gesetzgebungsaufträge, S. 20-26. Kleuker, Gesetzgebungsaufträge, S. 26, 87; Mayer, C., Nachbesserungspflicht, S. 158 f.; Seufert, Gesetzgebungsgebote, S. 281. 244 Seufert, Gesetzgebungsgebote, S. 117; Stahler, Nachprüfung, S. 15; auch Seiwerth, Zulässigkeit, S. 46, und Walecki, Normsetzungspflicht, S. 81, die aber als dritte Voraussetzung ein gewisses Maß an rechtlicher Bestimmtheit fordern. Daran ist zutreffend, daß von einer Pflicht im Rechtssinn nur gesprochen werden kann, wenn wenigstens der Zweck des Gesetzes vorgegeben ist. Das meint auch Walecki, wie insbesondere seine Ausführungen, Normsetzungspflicht, S. 90, zeigen, der aber mißverständlich von einem Gebot zum Erlaß eines bestimmten Gesetzes spricht und damit ein vom Inhalt her festgelegtes Gesetz suggeriert. 243
245
Gleixner, Normerlaßklage, S. 108; Schmidt-Bleibtreu, in: Maunz /Schmidt-Bleibtreu/ Klein /Ulsamer, BVerfGG, § 90, Rn. 109; Seiwerth, Zulässigkeit, S. 56; Seufert, Gesetzgebungsgebote, S. 122; Walecki, Normsetzungspflicht, S. 82. ™ Seiwerth, Zulässigkeit, S. 46; Seufert, Gesetzgebungsgebote, S. 130 ff., 135. 247 Kalkbrenner, DÖV 1963, S. 41 ff., 42.
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trag 248 und Gesetzgebungsgebot,249 wobei diese Begriffe aber von anderen Autoren zum Teil mit einem anderen Begriffsinhalt versehen werden. 250 Das Gebot zur Rechtsetzung kann ausdrücklich oder konkludent in der Verfassungsbestimmung zum Ausdruck kommen. Ein ausdrücklicher Auftrag zum Gesetzerlaß liegt vor, wenn die verfassungsrechtliche Norm sich direkt an die Legislative wendet, weil sie den Erlaß eines Gesetzes vorsieht. Konkludente Gesetzgebungspflichten begründen solche Verfassungsvorschriften, die den Gesetzgeber nicht unmittelbar ansprechen, deren Umsetzung in die Verfassungswirklichkeit aber ein Tätigwerden des Gesetzgebers erfordert. Welche Regelungen der Verfassungen im einzelnen einen ausdrücklichen oder konkludenten Gesetzgebungsauftrag enthalten, kann im folgenden nur exemplarisch untersucht werden. 251 Die Arbeit beschränkt sich auf eine nähere Analyse der Bestimmungen des Grundrechtsteils des Grundgesetzes, da unterstellt werden kann, daß grundrechtlich fundierten Gesetzgebungspflichten im Hinblick auf korrespondierende subjektive öffentliche Rechte einzelner die größte Bedeutung zukommt. Diese subjektiven öffentlichen Rechte wären bei Nichterfüllung oder Schlechterfüllung der Gesetzgebungspflicht aufgrund der dann immer gegebenen Grundrechtsverletzung auch mit der Verfassungsbeschwerde durchsetzbar. Im übrigen wird nur grob skizziert, bei welchen Verfassungsbestimmungen nach der überwiegenden Auffassung in der Literatur oder nach der eigenen Ansicht Gesetzgebungspflichten anzunehmen oder zu verneinen sind.
(2) Ausdrückliche Gesetzgebungspflichten
im Grundrechtsteil
Im Grundrechtsteil könnten die Art. 4 Abs. 3 S. 2, 6 Abs. 5, 12 a Abs. 2 S. 3, 16 a Abs. 2 S. 2, 16 a Abs. 3 S. 1 , 16 a Abs. 4 S. 2 GG sowie die Gesetzesvorbehalte 248 Seiwerth, Zulässigkeit, S. 46. 249 Seufert, Gesetzgebungsgebote, durchgehend; Seufert verwendet alle drei Begriffe im gleichen Sinn. 250 Bei Ritter werden nur die Staatszielbestimmungen mit dem Begriff Verfassungsauftrag umschrieben, Gesetzgebungspflichten, S. 47 ff.; Lerche, AöR 90 (1965), S. 341 ff. bezeichnet alle Bestimmungen als Gesetzgebungsaufträge, die bindende Anweisungen an die Legislative enthalten, sei es auch nur in bezug auf den Inhalt des Handelns. Eine ganz andere Verwendung findet der Begriff Gesetzgebungsauftrag bei Kleuker. Er faßt darunter die Aufforderung des Bundesverfassungsgerichts an den Gesetzgeber, tätig zu werden; Gesetzgebungsaufträge, S. 13. 251 Selbst die Ermittlung aller ausdrücklichen Gesetzgebungsgebote des Grundgesetzes wäre sehr zeitaufwendig, da die Verfassung eine Vielzahl von Artikeln enthält, die sich an den Gesetzgeber wenden und den Erlaß eines Gesetzes vorsehen; vergleiche Ermacora, DÖV 1960, S. 561 ff., 561, der für die damalige Zeit ca. 90 derartige Verweise angibt. In den wenigsten Fällen ergibt sich bereits aus dem Wortlaut, ob die Bestimmung nur eine Befugnis oder eine Pflicht des Gesetzgebers ausspricht. Eine Einzelexegese erfolgt nicht einmal in Untersuchungen, die sich vorrangig mit Gesetzgebungspflichten befassen, vergleiche Ritter, Gesetzgebungspflichten; Seufert, Gesetzgebungsgebote; Walecki, Normsetzungspflicht.
C. Diskussionsstand in der Literatur und kritische Würdigung
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der Freiheitsgrundrechte ausdrückliche Gesetzgebungspflichten enthalten, denn in allen diesen Bestimmungen ist der Erlaß eines Gesetzes vorgesehen. Die erste Voraussetzung für das Vorliegen eines Gesetzgebungsauftrags ist unproblematisch erfüllt. Fraglich ist allerdings, ob die genannten verfassungsrechtlichen Normen ein Gebot zum Gesetzerlaß statuieren oder ob sie den Gesetzgeber nur zu einem Handeln ermächtigen. Zweifelhaft ist ein Zwang zur Gesetzgebung vor allem hinsichtlich der Gesetzesvorbehalte der Freiheitsgrundrechte. Bei den einschränkenden Gesetzesvorbehalten spricht häufig schon der Wortlaut, „darf 4, „kann", gegen die Annahme einer Gesetzgebungspflicht, jedenfalls ergibt aber eine an Sinn und Zweck orientierte Auslegung, daß eine Pflicht zum Gesetzerlaß zu verneinen ist. 252 Der Gesetzgeber ist aufgrund der Schrankenregelungen keinesfalls verpflichtet, die jeweils garantierte Freiheit einzuschränken. Dies widerspräche geradezu dem Sinn dieser Grundrechte, dem einzelnen eine bestimmte Freiheitssphäre zu sichern. Er ist aber dazu berechtigt, weil eine unbeschränkte und unbeschränkbare Freiheit des einzelnen in einem demokratischen Gemeinwesen unvorstellbar ist. Die gegenteilige Auffassung wird von O. Seewald für die qualifizierten Schrankenregelungen253 der Grundrechte vertreten. Nach seiner Meinung verpflichten diese Regelungen den Gesetzgeber zum Erlaß entsprechender Gesetze.254 Er beruft sich hierfür auf die These von der Identität von Recht und Pflicht, 255 die er hilfsweise auf das Sozialstaatsprinzip stützt. Letzterem soll als Mindestgehalt die Pflicht aller Staatsgewalt zum Handeln entnommen werden können.256 Diese Pflicht sieht er dann durch die qualifizierten Schrankenregelungen konkretisiert. 257 Dabei geht er von folgenden Prämissen aus: Die Beschränkung der Grundrechte sei nicht die Ausnahme, sondern die Regel. 258 Dabei komme dem Gesetzgeber die Aufgabe zu, konkurrierende Grundrechtspositionen unter Beachtung der Maßstäbe der Verfassung zum Ausgleich zu bringen. Das bedeute, daß er die in den qualifizierten Schrankenregelungen zum Ausdruck kommenden Wertungen beachten müsse. Die konkretisierten Schrankenregelungen dienten nicht nur der Grenzziehung der verschiedenen Freiheitssphären, sondern sie seien als „Kollisionsnormen" zu verstehen, die zugleich Begünstigungen enthielten.259 Diesen Prämissen wird 252 Rauschning, Sicherung, S. 232; Schmidt-Bleibtreu, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/ Klein/Ulsamer, BVerfGG, § 90, Rn. 109; Seiwerth, Zulässigkeit, S. 56; Seufert, Gesetzgebungsgebote, S. 124; Unruh, Dogmatik, S. 49. 253 Darunter sind Gesetzes vorbehalte zu verstehen, die das Handeln des Gesetzgebers an bestimmte Voraussetzungen knüpfen. Als Beispiele seien Art. 11 Abs. 2 GG und Art. 13 Abs. 3 GG genannt. 254
Seewald, Verfassungsrecht, S. 81. 55 Seewald, Verfassungsrecht, S. 81, 142.
2
256
Seewald, Verfassungsrecht, S. 81 f. 57 Seewald, Verfassungsrecht, S. 82.
2
259
Seewald, Verfassungsrecht, S. 80 f. Seewald, Verfassungsrecht, S. 81.
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3. Teil: Normerlaßanspriiche in Rechtsprechung und Literatur
man im großen und ganzen zustimmen können, sie tragen aber die gezogene Schlußfolgerung nicht. Letztlich zeigen sie nur auf, daß O. Seewald der Ansicht ist, daß sich Aufgabenzuweisung und Pflicht immer decken. Weil die Realität die Zuordnung der Freiheiten der Bürger erfordert und der Gesetzgeber dazu berechtigt ist, soll er auch verpflichtet sein. Die Nichtbegründbarkeit dieser These wurde bereits oben aufgezeigt. 260 Auch der Verweis auf das Sozialstaatsprinzip gibt für diese Vorstellung nichts her. Es ist nicht ersichtlich, inwiefern dem Gebot an alle staatliche Gewalt zu sozialer Aktivität die Transformation von bloßen staatlichen Berechtigungen in Verpflichtungen entnommen werden könnte. Für die Regelungsvorbehalte in Art. 12 Abs. 1 S. 2 und Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG könnte dagegen vertreten werden, daß der Gesetzgeber zum Erlaß inhaltsbestimmender Gesetze verpflichtet sei. 261 Während Art. 12 Abs. 1 S. 2 GG vom Wortlaut her eine bloße Ermächtigung nahelegt, ist Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG zwingend formuliert. Eine Pflicht zur gesetzlichen Konkretisierung und Ausgestaltung wäre dann zu bejahen, wenn die Grundrechte der Berufs- und Eigentumsfreiheit ohne gesetzliche Inhaltsbestimmung ohne Substrat und damit bedeutungslos wären. Davon kann indes nicht ausgegangen werden. Den Schutzbereich dieser Grundrechte legt die Verfassung durch die Begriffe Beruf und Eigentum unmittelbar selbst fest. 262 Da der Gewährleistungsbereich dieser Grundrechte aber vom Wandel der tatsächlichen Verhältnisse stark berührt wird, ist der Gesetzgeber befugt, den Schutzbereich dieser Grundrechte durch inhaltsbestimmende Gesetze an die veränderte soziale Wirklichkeit anzupassen. So kann er neue Berufsbilder festlegen und immateriellen Positionen durch Gesetz Vermögenswert beilegen und sie so zu Eigentum im Sinne des Grundgesetzes erheben. Tut er dies nicht, werden diese Grundrechte aber nicht obsolet. Dann wäre es Aufgabe der Verfassungsrechtsprechung, die Begriffe Beruf und Eigentum den gewandelten Verhältnissen entsprechend auszulegen. Den Regelungsvorbehalten läßt sich daher ebenfalls keine Gesetzgebungspflicht entnehmen. Dagegen ist heute überwiegend anerkannt, daß die Art. 4 Abs. 3 S. 2, 2 6 3 6 Abs. 5 2 6 4 und 12 a Abs. 2 S. 3 G G 2 6 5 den Gesetzgeber nicht nur zum Erlaß eines Gesetzes berechtigen, sondern verpflichten. 260 Siehe oben S. 148 ff. und Peine, Systemgerechtigkeit, S. 118 f. 261 Eine Gesetzgebungspflicht aus Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG bejaht Lechner, NJW 1955, S. 1817 ff., 1818 (ohne Begründung). 262 Seufert, Gesetzgebungsgebote, S. 128, Fn. 1. 263 Ermacora, DÖV 1960, S. 561 ff., 562 f.; Herzog, in: Maunz-Dürig, GG, Art. 4, Rn. 194; Kalkbrenner, DÖV 1963, S. 43, Fn. 34; Ritter, Gesetzgebungspflichten, S. 93; Schneider, H., Gesetzgebung, Rn. 94; Seufert, Gesetzgebungsgebote, S. 129, Fn. 2; Stahler, Nachprüfung, S. 35. 264 Gleixner, Normerlaßklage, S. 109: Henke, DÖV 1984, S. 1 ff., 5; Kalkbrenner, DÖV 1963, S. 43, Fn. 34; Lechner, NJW 1955, S. 1817ff., 1818; Lerche, AöR 90 (1965), S. 341 ff., 355; Maunz, in: Maunz-Dürig, GG, Art. 6, Rn. 45; Pestalozza, Verfassungsprozeßrecht, S. 179, § 12 II, Rn. 34, Fn. 117; Rauschning, Sicherung, S. 232; Ritter, Gesetzgebungs-
C. Diskussionsstand in der Literatur und kritische Würdigung
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Bei Art. 12 a Abs. 2 S. 3 GG, dessen Wortlaut „kann" für eine bloße Ermächtigung spricht, wird dies mit den Prinzipien der Lastengleichheit und der Wehrgerechtigkeit begründet.266 Das zeigt, daß die Gesetzgebungspflicht nicht allein auf Art. 12 a Abs. 2 S. 3 GG fußt, sondern zusätzlich darauf, daß der Gesetzgeber von der Ermächtigung in Art. 12 a Abs. 1 GG Gebrauch gemacht und die allgemeine Wehrpflicht eingeführt hat. Die genannten Prinzipien führen in Verbindung mit der allgemeinen Wehrpflicht auch bei Art. 4 Abs. 3 S. 2 GG zur Annahme einer Regelungspflicht, da Art. 12 a Abs. 2 GG und Art. 4 Abs. 3 GG im Zusammenhang zu sehen sind. 267 Der Gesetzgeber ist danach verpflichtet, sicherzustellen, daß die Verweigerung des Kriegsdienstes auf der von Art. 4 Abs. 3 S. 1 GG vorausgesetzten Gewissensentscheidung beruht. 268 Aber auch unabhängig von Art. 12 a GG verpflichtet Art. 4 Abs. 3 S. 2 GG den Gesetzgeber zum Erlaß eines konkretisierenden Gesetzes. Zwar ist das Grundrecht rechtlich unmittelbar wirksam, 269 es kann aber in der Wirklichkeit nur dann effektiv wahrgenommen werden, wenn die Gewissensentscheidung, die ja als solche nach außen hin nicht erkennbar ist, festgestellt und dokumentiert wird. Es ist unrealistisch, zu glauben, das Grundrecht könne ohne vorheriges Feststellungsverfahren auch dadurch wirksam in Anspruch genommen werden, daß sich der Kriegsdienstverweigerer auf das Grundrecht berufe, wenn er konkret zum Kriegsdienst mit der Waffe herangezogen werde. Insbesondere bei einem Kriegsausbruch ist das nicht zu erwarten. Vor der Einführung der allgemeinen Wehrpflicht war das aber der einzige Sachverhalt, in dessen Rahmen Art. 4 Abs. 3 S. 1 GG Relevanz zukam. Das Grundrecht der Kriegsdienstverweigerung ist aus diesem Grund verfahrensangewiesen.270 Art. 4 Abs. 3 S. 2 GG enthält daher keine bloße Ermächtigung, sondern eine Verpflichtung des Gesetzgebers, die Verweigerung des Kriegsdienstes näher auszugestalten. pflichten, S. 93; Schenke, Rechtsschutz, S. 170; Schmidt-Bleibtreu, in: Maunz/SchmidtBleibtreu/Klein/Ulsamer, BVerfGG, § 90, Rn. 113; Mayer, C., Nachbesserungspflicht, S. 42; Schmitt-Kammler, in: Sachs, GG, Art. 6, Rn. 87; Schneider, H., Gesetzgebung, Rn. 94; Seiwerth, Zulässigkeit, S. 80, 93 ff.; Seufert, Gesetzgebungsgebote, S. 153; Stahler, Nachprüfung, S. 35. 265 Kokott, in: Sachs, GG, Art. 12 a, Rn. 13; Scholz, in: Maunz-Dürig, GG, Art. 12 a, Rn. 92. 266 Herzog, in: Maunz-Dürig, GG, Art. 4, Rn. 206; Kokott, in: Sachs, GG, Art. 12 a, Rn. 13; Scholz, in: Maunz-Dürig, GG, Art. 12 a, Rn. 92. 267 Kokott, in: Sachs, GG, Art. 12 a, Rn. 13; Scholz, in: Maunz-Dürig, GG, Art. 12 a, Rn. 94. 268 BVerfGE 48, S. 127 ff., 168; 69, S. 1 ff., 24; Kokott, in: Sachs, GG, Art. 12 a, Rn. 14; Scholz, in: Maunz-Dürig, GG, Art. 12 a, Rn. 97-99,105. 269 BVerfGE 48, S. 127 ff., 163 mit weiteren Nachweisen; Kokott, in: Sachs, GG, Art. 4, Rn. 69; Leibholz /Rinck/ Hesselberger, GG, Art. 4, Rn. 236. 270 Kokott, in: Sachs, GG, Art. 4, Rn. 68; v. Münch, I., in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 4, Rn. 78 („Verfahrensvorbehalt 44).
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3. Teil: Normerlaßanspriiche in Rechtsprechung und Literatur
Diese Ansicht steht auch nicht in Widerspruch zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Das Gericht hat zwar verschiedentlich betont, daß der Gesetzgeber nicht verpflichtet sei, ein Anerkennungsverfahren einzurichten.271 Die weiteren Ausführungen zeigen jedoch, daß das Gericht damit nicht zum Vorliegen einer Regelungspflicht überhaupt Stellung nimmt, sondern nur zu der Frage, ob der Gesetzgeber inhaltlich dahin gebunden ist, ein besonderes Prüfungsverfahren für Kriegsdienstverweigerer vorzusehen. Das wird verneint. Die Feststellung einer echten Gewissensentscheidung gegen den Kriegsdienst kann auch auf andere geeignete Weise erfolgen. 272 Das Vorliegen eines Gesetzgebungsauftrags ergibt sich bei Art. 6 Abs. 5 GG bereits eindeutig aus dem Wortlaut. Der Streit 273 um den bloßen Programmsatzcharakter 274 der Vorschrift ist überholt. Eine Gesetzgebungspflicht statuiert auch Art. 16 a Abs. 2 S. 2 GG. 2 7 5 Zum einen ist die Bestimmung zwingend formuliert, zum anderen ergibt sich die Pflicht auch aus Sinn und Zweck der Gesamtregelung des Art. 16 a GG. In Art. 16 a Abs. 1 GG ist das Grundrecht auf Asyl für politisch Verfolgte gewährleistet. Art. 16 a Abs. 2 4 GG dienen der Beschränkung des früher vorbehaltslos garantierten Grundrechts. Ihr Zweck ist die Begrenzung des Zustroms von Asylbewerbern nach Deutschland. Dazu stellt Absatz 2 eine unwiderlegliche und Absatz 3 eine widerlegliche Vermutung für eine fehlende politische Verfolgung auf, während Absatz 4 Regelungen für das gerichtliche Verfahren enthält. Ohne Erlaß des in Art. 16 a Abs. 2 S. 2 GG genannten Gesetzes ist die unwiderlegliche Vermutung des Absatz 2 nur hinsichtlich der in Satz 1 genannten ersten Alternative vollziehbar, da das Gesetz Voraussetzung für die Anwendung der zweiten Alternative ist. Die unwiderlegliche Vermutung, der im Hinblick auf den Zweck des neuen Art. 16 a GG die größte praktische Bedeutung zukommt, könnte daher nur eine eingeschränkte Wirkung entfalten. Im Gegensatz hierzu ist für die Regelungen in Art. 16 a Abs. 3 S. 1 GG und Art. 16 a Abs. 4 S. 2 GG von bloßen Ermächtigungen auszugehen. Der Wortlaut des Art. 16 a Abs. 3 S. 1 GG deutet auf eine reine Befugnis hin. Zwar kann die 271 BVerfGE 48, S. 127 ff., 169; 69, S. 1 ff., 25. 272 BVerfGE 48, S. 127 ff., 169; 69, S. 1 ff., 25. 273 Hierzu ausführlich Krüger, Hildegard, DÖV 1957, S. 356 ff., und Seiwerth, Zulässigkeit, S. 76 ff. 274 Der Begriff des Programmsatzes bezeichnete in der Weimarer Zeit Verfassungsbestimmungen, die als unverbindlich angesehen wurden. Das waren insbesondere solche Bestimmungen, die sich ausschließlich an den Gesetzgeber wandten oder ohne ausführende Gesetze nicht vollziehbar waren. Da der Gesetzgeber an die Verfassung nicht gebunden war, enthielten diese Bestimmungen nach überwiegender Auffassung kein aktuelles Recht. Das Grundgesetz kennt aufgrund der in Art. 20 Abs. 3 GG angeordneten Bindung der Legislative an die Verfassung keine Programmsätze in diesem Sinn mehr. Der Begriff sollte daher nicht mehr verwendet werden. 275 Dieses Ergebnis stützen auch die Materialien zu Art. 16 a GG; vergleiche die Begründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Art. 16 und 18 GG), BT-Drs. 12/4152, S. 4.
C. Diskussionsstand in der Literatur und kritische Würdigung
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widerlegliche Vermutung des Art. 16 a Abs. 3 S. 2 GG nur greifen, wenn der Gesetzgeber das Gesetz gemäß Art. 16 a Abs. 3 S. 1 GG erlassen hat, so daß auch hier der bei Art. 16 a Abs. 2 S. 2 GG gezogene Schluß auf eine Gesetzgebungspflicht möglich scheint, dagegen spricht aber die unterschiedliche Wortwahl in Art. 16 a Abs. 2 S. 2 GG und Art. 16 a Abs. 3 S. 1 GG. Dieser muß deshalb Bedeutung zugemessen werden, weil es sich bei Art. 16 a GG um eine neue Vorschrift „aus einem Guß" handelt und nicht unterstellt werden kann, daß der Gesetzgeber trotz unterschiedlicher Formulierung ein und dasselbe aussagen wollte. 276 Im übrigen kommt Art. 16 a Abs. 3 GG gegenüber Art. 16 a Abs. 2 GG nur untergeordnete Bedeutung zu, so daß hier die Annahme einer Regelungspflicht im Hinblick auf den oben dargestellten Sinn der Absätze 2 bis 4 nicht erforderlich ist. Der reine Ermächtigungscharakter des Art. 16 a Abs. 4 S. 2 GG läßt sich nicht so einfach eruieren. Der Wortlaut „Das Nähere ist durch Gesetz zu bestimmen" spricht für eine Gesetzgebungspflicht. Zweifel kommen auf, wenn man sich fragt, was näher zu bestimmen ist. Man könnte daran denken, daß sich der Auftrag an den Gesetzgeber nur auf die Einschränkung des Prüfungsumfangs und die Zurückweisung verspäteten Vorbringens bezieht.277 Da es sich hierbei um eine „Kann-Bestimmung handelt, würde hieraus unproblematisch folgen, daß es sich bei Art. 16 a Abs. 4 S. 2 GG trotz des gegenteiligen Wortlauts nur um eine Berechtigung, nicht aber um eine Verpflichtung handelt. Gegen eine Beschränkung des Gesetzgebungsauftrags in der dargestellten Weise ist aber anzuführen, daß er in einem selbständigen Satz formuliert ist und damit den gesamten Art. 16 a Abs. 4 S. 1 GG erfaßt, soweit dieser einer Konkretisierung bedarf. Danach ist es auch Aufgabe des einfachen Gesetzgebers, die Sachverhalte zu bestimmen, in denen ein Asylantrag als offensichtlich unbegründet gilt. 278 Solange ein ausgestaltendes Gesetz fehlt, bleibt dieser Teil der Verfassungsbestimmung ohne Relevanz. Dennoch liegt angesichts der auch ohne Tätigwerden des Gesetzgebers gegebenen überwiegenden unmittelbaren Anwendbarkeit279 des Art. 16 a Abs. 4 S. 1 GG, der für eine Verfassungsbestimmung überraschend konkret ist, wohl eine reine Ermächtigung vor. 280 276 in der Begründung des Entwurfs ist ebenfalls von der Möglichkeit des Gesetzgebers, verfolgungsfreie Herkunftsländer zu bestimmen, die Rede, BT-Drs. 12/4152, S. 4. 277 Das legen die Ausführungen von Bonk nahe: Bonk, in: Sachs, GG, Art. 16 a, Rn. 69 f. 278 So auch die Entwurfsbegründung, BT-Drs. 12/4152, S. 4. 279 Es sind nur ganz wenige Fälle vorstellbar, in denen die gesetzliche Fiktion der offensichtlichen Unbegründetheit vor der Verfassung Bestand hätte. 280 Zweifel bleiben. Die Ausführungen dürfen nicht dahin mißverstanden werden, daß Aufforderungen an den Gesetzgeber, „das Nähere zu regeln", immer dann als reine Berechtigungen anzusehen sind, wenn die Verfassungsvorschrift auch ohne ein Handeln des Gesetzgebers anwendbar ist. Hier wird die gegenteilige Meinung vertreten, dazu unten S. 174 f. Die Entwurfsbegründung ist in diesem Punkt nicht hilfreich. Im Hinblick auf die Einschränkung des Prüfungsumfangs etc. wird von „ermächtigt" gesprochen, dagegen „obliegt" die Ausgestaltung der als unbegründet geltenden Asylanträge dem Gesetzgeber, vergleiche BT-Drs. 12/4152, S. 4.
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3. Teil: Normerlaßanspriiche in Rechtsprechung und Literatur
(3) Im Grundrechtsteil
begründete konkludente Gesetzgebungspflichten
(a) Potentielle Grundlagen Entsprechend den aufgestellten Kriterien für das Vorliegen einer Gesetzgebungspflicht kommen alle Verfassungsbestimmungen im Grundrechtsteil als Basis einer konkludenten Pflicht zum Gesetzerlaß in Betracht, bei denen die Auslegung ergibt, daß sie dem Gesetzgeber ein Handeln aufgeben. Während früher Gesetzgebungspflichten aus den Freiheitsgrundrechten aufgrund ihres abwehrrechtlichen Charakters überwiegend abgelehnt wurden 281 und stillschweigende Gesetzgebungspflichten nur im Hinblick auf Einrichtungsgarantien, besondere Schutzaufträge und Art. 3 Abs. 1 GG diskutiert wurden, läßt sich dies heute nicht mehr aufrechterhalten. Wie die obige Darstellung282 gezeigt hat, erkennt die herrschende Meinung neben der abwehrrechtlichen Seite der Freiheitsgrundrechte weitere Grundrechtsinhalte wie besondere Fördergebote, Verfahrensund Organisationsgehalte sowie allgemeine Schutzpflichten an, die einen leistungsrechtlichen Inhalt haben und sich jedenfalls auch an die Legislative richten können. Allgemeine Schutzpflichten und Verfahrensgebote sind dabei im Unterschied zu den Einrichtungsgarantien, den organisationsrechtlichen Aussagen und den besonderen Schutz- und Förderpflichten, die nur in einzelnen Grundrechten enthalten sind, potentiell jedem Freiheitsgrundrecht immanent. Neben den Einrichtungsgarantien, den besonderen Schutzaufträgen und dem allgemeinen Gleichheitssatz sind daher die besonderen Förderpflichten und die allgemeinen Schutzgebote sowie die Verfahrens- und Organisationsinhalte der Freiheitsgrundrechte als Basis von Gesetzerlaßpflichten näher zu erörtern. Es ist bei der Entfaltung der verschiedenen Grundrechtsaussagen bereits untersucht und begründet worden, daß alle oben angesprochenen Grundrechtsgehalte den Gesetzgeber ausschließlich oder jedenfalls auch als Adressaten haben. Fraglich und zu klären ist ausschließlich noch die Frage, ob diesen Grundrechtsinhalten ein Gebot zum Erlaß eines Gesetzes entnommen werden kann. Fraglich ist das insbesondere in bezug auf die Einrichtungsgarantien. (b) Die Einrichtungsgarantien Verdeutlicht man sich, daß Einrichtungsgarantien schon per definitionem nach vorherrschender Ansicht bestehende Normenkomplexe und bestehende öffentliche Einrichtungen gewährleisten und diese Einrichtungen in ihrem Kern vor einer Be281 Henke, DÖV 1984, S. 1 ff., 2 f., 5 ff.; Seiwerth, Zulässigkeit, S. 47 f., 55 (einschränkend S. 50); Seufert, Gesetzgebungsgebote, S. 118-120; Stahler, Nachprüfung, S. 23-25; so auch heute noch Schmidt-B leibtreu, in Maunz / Schmidt-Bleibtreu / Klein / Ulsamer, BVerfGG, § 90, Rn. 108; bereits anderer Ansicht Walecki, Normsetzungspflicht, S. 85, 87 f. und Ritter, Gesetzgebungspflichten, S. 62 ff., 69, der eine Pflicht zur Ausführungsgesetzgebung in bezug auf die Grundrechte aber aus dem Rechtsstaatsprinzip deduziert. 282 S. 61 ff.
C. Diskussionsstand in der Literatur und kritische Würdigung
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seitigung und Umgestaltung durch den Gesetzgeber schützen,283 liegt es nicht nahe, ihnen Gesetzgebungspflichten zu entnehmen. Der Gesetzgeber ist zwar außerhalb des Kernbereichs der Einrichtung zu einer Ausgestaltung befugt, wie er generell berechtigt ist, die Rechtsordnung zu gestalten. Eine Pflicht korrespondiert diesem Recht aber nicht unbedingt. Einrichtungsgarantien fordern von ihrem Zweck her nicht zwingend den Erlaß bestimmter Gesetze, sie verbieten vielmehr Gesetze mit einem bestimmten Inhalt. Diese Gewährleistungen, sofern man sie nicht überhaupt in Frage stellt, berührten daher nicht die Entschließungsfreiheit. Sie setzten der Ausgestaltungsfreiheit des Gesetzgebers Grenzen, sofern er von sich aus tätig wird. 284 Zu einem anderen Ergebnis käme man nur dann, wenn es erstens vorstellbar wäre, daß eine bestehende Rechtseinrichtung nicht nur durch gesetzgeberisches Handeln gefährdet, sondern ihr Bestand auch durch das Handeln Privater oder Veränderungen der sozialen Wirklichkeit bedroht sein könnte, und wenn man zweitens den Inhalt der Einrichtungsgarantien um eine leistungsrechtliche Komponente erweiterte. Träfe die erste Prämisse zu, wäre der Staat verpflichtet, den Kernbestand der Einrichtung zu schützen, was primär nur durch den Erlaß von Gesetzen möglich erschiene. Diese Voraussetzung bereitet aber Schwierigkeiten. Eine Rechtseinrichtung kann nicht durch privates, also lediglich tatsächliches Handeln in ihrer Existenz als Rechtseinrichtung beseitigt werden. Sie kann lediglich ihre Bedeutung in der gesellschaftlichen Wirklichkeit verlieren, die Einrichtungsgarantie als Rechtsgarantie berührt dies nicht. Soweit in der Literatur Gesetzgebungspflichten aus Einrichtungsgarantien bejaht werden, lassen sie sich anderen Grundrechtsfunktionen zuordnen. Von einigen wird argumentiert, der Staat sei verpflichtet, sicherzustellen, daß die Einrichtungen ihren Zweck erfüllen könnten. Dieser Zweck sei durch die Einrichtungsgarantie zu einem Verfassungswert geworden.285 Die Gesetzgebungspflicht wird hier mit dem objektiven Wert begründet, der hinter der Einrichtungsgarantie steht und den der Staat umfassend schützen muß. Diese Argumentation läßt beim heutigen Stand der Grundrechtsdogmatik eine Einordnung derartiger Gesetzgebungspflichten als Ausfluß der allgemeinen Schutzpflicht zu. Von anderen werden Gesetzgebungspflichten aus Institutsgarantien befürwortet, soweit das der Institutsgarantie korrespondierende Grundrecht des einzelnen den Gesetzgeber zur Normsetzung verpflichtet. Dabei wird der Ursprung der Gesetzgebungspflicht primär im subjektiven Grundrechtsgehalt gesehen.286 Aus Einrichtungsgarantien folgen somit keine Gesetzgebungspflichten.287 283 Siehe oben S. 79. 284 Kalkbrenner, DÖV 1963, S. 41 ff., 42; Seufert, Gesetzgebungsgebote, S. 139f.; Stahler, Nachprüfung, S. 33. 285 Ritter, Gesetzgebungspflichten, S. 61 f. 286 Peine, Systemgerechtigkeit, S. 129; Stahler, Nachprüfung, S. 33; Walecki, Normsetzungspflicht, S. 102. 287 Zu einem anderen Ergebnis kommen diejenigen, die Einrichtungsgarantien nicht nur als Rechtsgarantien ansehen, sondern ihnen auch die Gewährleistung eines gesellschaftlichen Sachverhalts zuschreiben, vergleiche etwa Ritter, Gesetzgebungspflichten, S. 60-62. 11 Eisele
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3. Teil: Normerlaßanspriiche in Rechtsprechung und Literatur
(c) Der allgemeine Gleichheitssatz Aufgrund der praktischen Relevanz viel diskutiert wurde die Eignung des Art. 3 Abs. 1 GG als Grundlage einer Gesetzgebungspflicht. Im wesentlichen lassen sich drei Auffassungen differenzieren. Versteht man Art. 3 Abs. 1 GG lediglich als negatives Abwehrrecht, das nicht generell ein Verbot der Ungleichbehandlung beinhaltet, sondern eine Ungleichbehandlung nur insofern verbietet, als es nicht um eine ungleiche Begünstigung geht, 288 scheidet dieses Grundrecht als Basis einer Gesetzgebungspflicht aus. Folge einer Verletzung kann immer nur die Aufhebung des gleichheitswidrigen belastenden Gesetzes sein. Zum gegenteiligen Ergebnis gelangt, wer mit einer Mindermeinung Art. 3 Abs. 1 GG als umfassendes Gebot der Chancengleichheit interpretiert und dem allgemeinen Gleichheitssatz das Gebot entnimmt, allen die gleichen tatsächlichen Voraussetzungen für die Wahrnehmung der grundrechtlich garantierten Freiheiten zu schaffen. 289 Dieses leistungsrechtliche Gebot würde sich primär an die Legislative richten, da seine Verwirklichung eine Zuordnung der Freiheitssphären der einzelnen erforderte und Begünstigungen auf der einen weitgehend Belastungen auf der anderen Seite entsprächen. Die heute herrschende Meinung 290 ist zwischen diesen Extrempositionen angesiedelt. Sie beschränkt Art. 3 Abs. 1 GG nicht auf die Funktion als Abwehrrecht, sondern entnimmt ihm ein umfassendes Gleichbehandlungsgebot, das auch ungleiche Begünstigungen verbietet. Im Gegensatz zu der zuletzt dargestellten Ansicht kommt Art. 3 Abs. 1 GG aber kein selbständiger leistungsrechtlicher Gehalt zu. 2 9 1 Das Grundrecht wird erst bedeutsam, wenn der Staat handelt; es ist akzessorisch. Da es kein Handlungsgebot enthält, läßt sich ihm keine Pflicht zum Erlaß eines Gesetzes entnehmen.292 Abgelehnt wird auch eine Gesetzergänzungspflicht für den Fall eines vorhergehenden gleichheitswidrigen gesetzgeberischen Handelns.293 Dies folge aus der Ablehnung originärer Leistungsansprüche unmittelbar aus Art. 3 Abs. 1 GG. 2 9 4 Eine Pflicht zur Gesetzergänzung bestehe nur dann, wenn eine andere Verfassungsbestimmung den Gesetzgeber zum Gesetzerlaß verpflichte. 295 Die Gesetzgebungspflicht fußt dann nicht auf Art. 3 Abs. 1 GG, sondern auf der sonstigen Verfassungsvorschrift. 296 288 So Schmidt-Bleibtreu, in: Maunz /Schmidt-B leibtreu/ Klein /Ulsamer, BVerfGG, § 90, Rn. 96. 289 Siehe dazu oben S. 73 und im Zweiten Teil, Fn. 324. 290 Vergleiche hierzu oben S. 70 und 77 und die Nachweise im Zweiten Teil, Fn. 313. 291 Gubelt, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 3, Rn. 10; Rüfner, in: Bonner Kommentar, Art. 3, Rn. 5. 292 Gubelt, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 3, Rn. 10, 35; Klinkhammer, Entwicklung, S. 37, 77; Seiwerth, Zulässigkeit, S. 66; Seufert, Gesetzgebungsgebote, S. 132, 166; Stahler, Nachprüfung, S. 29; Walecki, Normsetzungspflicht, S. 151,155. 293 Heintzen, DÖV 1994, S. 413 ff., 420; Osterloh, in: Sachs, GG, Art. 3, Rn. 89. 294 Osterloh, in: Sachs, GG, Art. 3, Rn. 89. 295 Gleixner, Normerlaßklage, S. llOf.; Gubelt, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 3, Rn. 10, 35; Osterloh, in: Sachs, GG, Art. 3, Rn. 89; Seufert, Gesetzgebungsgebote, S. 173 f.; Walecki, Normsetzungspflicht, S. 152.
C. Diskussionsstand in der Literatur und kritische Würdigung
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Die Ausführungen von J. Seiwerth an einer Stelle 297 könnten dahin verstanden werden, daß er eine Gesetzergänzungspflicht allein aus Art. 3 Abs. 1 GG befürwortet, 298 obwohl er Art. 3 Abs. 1 GG in Übereinstimmung mit der überwiegenden Auffassung keine selbständige Handlungspflicht entnimmt.299 Im weiteren Verlauf seiner Untersuchung zeigt sich aber, daß J. Seiwerth diese Meinung nicht vertritt. So schreibt er, es stehe im „pflichtgemäßen Ermessen des Bundesverfassungsgerichts, ob es den Gesetzgeber durch Feststellung der Gleichheitswidrigkeit seiner teilweisen Unterlassung zu einer Ergänzungsregelung zwingen oder aber der Behauptung einer gesetzlichen Ungleichbehandlung durch Aufhebung der gesamten Begünstigungsnorm den Boden entziehen" wolle. 300 Die zuletzt genannte Alternative der Abschaffung der Begünstigung zeigt, daß er keine Gesetzergänzungspflicht aus Art. 3 Abs. 1 GG annimmt.301 Im übrigen wäre eine derartige Ansicht in sich widersprüchlich. Wenn der Gleichheitssatz kein Handlungsgebot beinhaltet, kann ihm ein solches auch dann nicht entnommen werden, wenn der Gesetzgeber tätig geworden ist. Der Auffassung der Mehrheit, die mit der Rechtsprechung übereinstimmt302 und sowohl eine Gesetzerlaß- als auch eine Gesetzergänzungspflicht ausschließlich aus Art. 3 Abs. 1 GG verneint, ist zuzustimmen. Art. 3 Abs. 1 GG statuiert ein umfassendes Gleichbehandlungsgebot. Die Forderung nach Gleichbehandlung ist letztlich auch ein Postulat materieller Gerechtigkeit.303 Diese ist sowohl bei einer ungleichen Belastung als auch bei einer ungleichen Begünstigung berührt. Die Reduzierung des allgemeinen Gleichheitssatzes auf ungleiche Belastungen läßt sich daher nicht rechtfertigen. Allerdings läßt sich aus Art. 3 Abs. 1 GG auch kein selbständiges Gebot zur Verwirklichung der tatsächlichen Chancengleichheit herleiten. Eine derartige Auslegung läßt sich mit den herkömmlichen Auslegungsmethoden nicht gewinnen. Der Rückgriff auf sozialstaatliche Erwägungen304 zur Rechtfertigung des Auslegungsergebnisses zeigt, daß jedenfalls nicht Art. 3 Abs. 1 GG allein, sondern allenfalls das Gleichheitsgebot in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip die Forderung nach Chancengleichheit beinhaltet.305 Art. 3 Abs. 1 GG hat keinen selbständigen Inhalt. Wirkung entfaltet er nur in Verbindung mit 296 Seufert, Gesetzgebungsgebote, S. 174; Stahler, Nachprüfung, S. 29. 297 Seiwerth, Zulässigkeit, S. 70. 298 So Schmidt-Bleibtreu, in: Maunz /Schmidt-B leibtreu/ Klein /Ulsamer, BVerfGG, § 90, Rn. 111; Seufert, Gesetzgebungsgebote, S. 175 f. 299 Siehe oben Fn. 291. 300 Seiwerth, Zulässigkeit, S. 73. 301 Diese Interpretation wird auch auf S. 74 bestätigt. 302 Siehe oben S. 117. 303 Hesse, AöR 77 (1951/52), S. 167ff., durchgehend, insbesondere S. 197ff.; Rüfner, in: Bonner Kommentar, GG, Art. 3 Abs. 1, Rn. 3 f. 304 Reuter, DVB1. 1974, S. 7 ff., 12ff.; Zacher, AöR 93 (1968), S. 341 ff., 360ff.; hierzu auch Hesse, AöR 77 (1951/52), S. 167ff., 178ff. 305 So ausdrücklich Scholler, Interpretation, S. 15,44. 11*
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3. Teil: Normerlaßanspriiche in Rechtsprechung und Literatur
einem vorangegangenen staatlichen Verhalten. Eine Aussage im Hinblick darauf, wie die Gleichbehandlung zu realisieren ist, enthält er nicht. 306 Deshalb läßt sich ihm auch keine Gesetzergänzungspflicht für den Fall entnehmen, daß der Gesetzgeber eine gleichheitswidrige Begünstigung geschaffen hat. Gleichbehandlung ist auch durch Abschaffung der Begünstigung möglich. Als Fazit bleibt festzuhalten, daß Art. 3 Abs. 1 GG weder als Grundlage einer Gesetzerlaßpflicht noch als Basis einer Gesetzergänzungspflicht in Betracht kommt. (d) Besondere Förderpflichten Anderes gilt für die besonderen Förderaufträge. Schreiben Grundrechte ausdrücklich oder konkludent die Förderung bestimmter Personen oder Güter vor, begründen sie regelmäßig Gesetzgebungspflichten, da es primär Aufgabe des Gesetzgebers ist, die Art und Weise der Förderung zu bestimmen. Eine Erfüllung von Förderpflichten ausschließlich durch die Exekutive oder Judikative dürfte nur ausnahmsweise bei Untätigkeit und einer sehr hohen Bedeutung des verfassungsrechtlichen Gutes oder fehlender Gestaltungsfreiheit der Legislative in Betracht kommen. Als Grundlagen von stillschweigenden Gesetzgebungsgeboten, die auf eine Förderung zielen, kommen entsprechend den oben 307 getroffenen Feststellungen bereits vom Wortlaut her Art. 3 Abs. 2 S. 2 GG und Art. 6 Abs. 4 GG sowie in eingeschränkterem Maß Art. 6 Abs. 1 GG in Betracht. Daneben sind von der Rechtsprechung anerkannt Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG (Rundfünkfreiheit), 308 Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG (Wissenschafts- und Kunstfreiheit) 309 und Art. 7 Abs. 4 GG. 3 1 0 Während man der Herleitung von Förderpflichten aus Art. 3 Abs. 2 S. 2 GG, Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 6 Abs. 4 GG wird zustimmen können, gilt dies für die bejahten Förderpflichten aus den anderen Grundrechten nicht unbedingt. Die Problematik kann hier allerdings nur angerissen werden. Betrachtet man die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts isoliert und vom Ergebnis her, spricht wenig gegen die Anerkennung von Förderpflichten für den Rundfunk, die Wissenschaft, die Kunst und das private Ersatzschulwesen. Immer wird auf die Besonderheiten des jeweiligen Grundrechts abgehoben, sei es die Funktion des Rundfunks in einer Demokratie und die bestehende Rundfunkordnung oder die besonderen verfassungsrechtlichen Genehmigungsvoraussetzungen für private Ersatzschulen. Dennoch stellt die Begründung letztlich darauf ab, daß die Verfassung bestimmte 306 Rüfner, in: Bonner Kommentar, GG, Art. 3 Abs. 1, Rn. 5; Seufert, Gesetzgebungsgebote, S. 171. 307 s. 82 und S. 83. Art. 6 Abs. 5 GG enthält ein ausdrückliches Gesetzgebungsgebot und wurde bereits erörtert. 308 BVerfGE 73, S. 118ff., 158; 74, S. 297ff., 342; 87, S. 181 ff., 198; 90, S. 60ff., 90f.; ihm folgend BVerwG, NJW 1998, S. 1578, 1579. 309 Siehe die Nachweise im Zweiten Teil, Fn. 397. 310 Siehe die Nachweise im Zweiten Teil, Fn. 397.
C. Diskussionsstand in der Literatur und kritische Würdigung
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Werte gewährleistet, die durch die tatsächliche Entwicklung bedroht sind. Denkt man das konsequent zu Ende, besteht entgegen der Aussagen des Bundesverfassungsgerichts doch eine allgemeine Förderpflicht, die, wie beim privaten Ersatzschulwesen, darauf gerichtet ist, den Bestand des geschützten verfassungsrechtlichen Werts zu sichern. Ist die Ausübung eines Freiheitsgrundrechts daher der Mehrzahl der Grundrechtsträger aufgrund der realen Gegebenheiten nicht mehr möglich, bestünde eine Pflicht des Staates, fördernd einzugreifen, um ein Leerlaufen des Grundrechts zu verhindern. 311 Es spricht daher einiges dafür, besondere Förderpflichten, die nicht aus dem Wortlaut des jeweiligen Grundrechts folgen oder von diesem wenigstens nahegelegt werden, nur mit größter Zurückhaltung zu bejahen. (e) Besondere und allgemeine Schutzpflichten Unproblematisch im Hinblick auf ihre Eignung als Basis von Gesetzerlaßpflichten sind auch die besonderen und allgemeinen Schutzaufträge. Erfordert der Schutz gesetzgeberisches Handeln, begründen die Schutzgebote Gesetzgebungspflichten. 312 Mit der Anerkennung allgemeiner Schutzpflichten können daher neben den ausdrücklichen grundrechtlichen Schutznormen der Art. 1 Abs. 1 S. 2,3 Abs. 2 S. 2, 6 Abs. 1, Abs. 2 und Abs. 4 G G 3 1 3 sämtliche Grundrechte, die einen objektiven Wert verkörpern, Basis von Gesetzerlaßpflichten sein. Es ist daher auf dem Boden der herrschenden Meinung irrelevant, ob neben den ausdrücklichen besonderen Schutzaufträgen weitere konkludente besondere Schutzaufträge, etwa für das Privatschulwesen oder für die Freiheit von Wissenschaft und Forschung,314 anzunehmen sind, da jedenfalls eine allgemeine Schutzpflicht besteht. Wichtig und deshalb an dieser Stelle noch einmal hervorzuheben ist, daß grundrechtliche Schutzpflichten alle staatlichen Gewalten ansprechen und nicht nur die Legislative. Schutzpflichten richten sich zwar theoretisch nach überwiegender Auffassung primär an den Gesetzgeber.315 Begründet wird dies zum einen damit, daß häufig Eingriffe in Grundrechte anderer notwendig seien,316 zum anderen wird auf die Unbestimmtheit der Schutzpflicht verwiesen, deren adäquate Verwirklichung nur durch Gesetz sichergestellt werden könne.317 Angesichts der heute erreichten Regelungsdichte dürften Schutzpflichten aber in der Praxis häufig durch die Exekutive und Judikative erfüllbar sein, da das bereits vorhandene Regelungsinstrumentarium auch zum Schutz vor neuartigen natürlichen oder von anderen 3Π Diese Schlußfolgerung zieht Kopp, NJW 1994, S. 1753 ff., 1756. 312 Dietlein, Lehre, S. 71; Dimberger, Recht, S. 164,166. 313 Dazu siehe oben S. 82 und Mayer, C., Nachbesserungspflicht, S. 42 (für Art. 3 Abs. 2 GG). 314 Diese Schutzaufträge werden durch Auslegung gewonnen; vergleiche hierzu oben S. 83. 315 Vergleiche die Nachweise im Zweiten Teil, Fn. 433; kritisch Robbers, Sicherheit, S. 125. 316 Siehe die Ausführungen oben S. 84 sowie Unruh, Dogmatik, S. 23. 317 Unruh, Dogmatik, S. 24.
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3. Teil: Normerlaßanspriiche in Rechtsprechung und Literatur
Personen ausgehenden Gefahren ausreicht. Sie begründen deshalb nur dann eine Gesetzgebungspflicht, wenn der Schutz zwingend den Erlaß eines Gesetzes erfordert. 318 Verdeutlicht werden soll dies am Beispiel der Krankheit Aids. Angesichts der Übertragbarkeit und der Gefährlichkeit der Krankheit kann kein Zweifel bestehen, daß es Aufgabe des Staates ist, Maßnahmen zum Schutz des Lebens seiner Bürger zu ergreifen. Fraglich ist aber erstens, ob sich diese staatliche Aufgabe zu einer Schutzpflicht verdichtet, und, wenn ja, zweitens, ob Schutzpflicht dann Gesetzgebungspflicht bedeutet. Eine staatliche Schutzpflicht wird man deshalb bejahen können, weil der einzelne sich mangels ausreichender Kenntnisse über die Krankheit nicht wirksam selbst schützen und man die Informationsbeschaffung angesichts der Gefährlichkeit und der schnellen Ausbreitung der Krankheit auch nicht der Eigeninitiative überlassen kann. Inhalt der Schutzpflicht ist jedenfalls eine ausreichende staatliche Aufklärung, die dem einzelnen einen wirksamen Selbstschutz ermöglicht. Adressat dieser Schutzpflicht ist die Exekutive. Neben der Aufklärung der Bevölkerung wären auch gesetzliche Maßnahmen, die auf eine vollständige Erfassung und /oder Aussonderung der Erkrankten gerichtet wären, zur Erfüllung der Schutzaufgabe denkbar; 319 fraglich ist aber, ob sie durch die Schutzpflicht geboten wären. Bisher sieht die Praxis die Information der Bevölkerung als wirksames Mittel zur Verhinderung der weiteren Ausbreitung der Krankheit an, 3 2 0 spezielle321 gesetzliche Maßnahmen zur Erfüllung der Schutzpflicht werden nicht als erforderlich betrachtet. Das Bundesverfassungsgericht hat diese Auffassung bestätigt.322 Das Beispiel zeigt, daß selbst die allgemeine Schutzpflicht für ein so bedeutendes Rechtsgut wie das Leben im konkreten Einzelfall nicht zwingend zu einer Gesetzgebungspflicht führen muß. Es sind vielmehr drei Stufen zu differenzieren, die auch begrifflich auseinandergehalten werden sollten: 1. Die Schutzaufgabe, die in jedem Grundrecht enthalten ist, das einen objektiven Wert verkörpert, und die besagt, daß der Staat zum Schutz dieses Wertes aufgerufen ist (potentielle Schutzpflicht); 2. die (aktuelle) Schutzpflicht, die die Schutzaufgabe in bezug auf einen bestimmten Sachverhalt zu einer konkreten staatlichen Handlungspflicht verengt, und 3. schließlich die Gesetzgebungspflicht als auf den Gesetzerlaß verdichtete konkrete Schutzpflicht. Interessant für die vorliegende Untersuchung ist, wann die Schutzaufgabe in eine Schutzpflicht und wann diese in eine Gesetzgebungspflicht umschlägt. Für 318 So schon Seiwerth, Zulässigkeit, S. 60, zur besonderen Schutzpflicht für die Menschenwürde aus Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG; in jüngerer Zeit Preu, JZ 1991, S. 265 ff., 268, der sogar so weit geht, das Erfordernis eines formellen Gesetzes als seltenen Ausnahmefall zu bezeichnen, S. 268 und 269; das dürfte zu weit gehen. 319 Ihre Verhältnismäßigkeit unterstellt. 320 Vergleiche hierzu die Ausführungen im Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 28. 07. 1987, NJW 1987, S. 2287 f., 2287. 321 Es bestehen bereits gesetzliche Regelungen, die auch die Krankheit Aids erfassen, wie insbesondere das Bundesseuchengesetz. 322 BVerfG, NJW 1987, S. 2287 f., 2287.
C. Diskussionsstand in der Literatur und kritische Würdigung
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diese Abgrenzungen lassen sich vielleicht zwei Rechtsfiguren fruchtbar machen: das Subsidiaritätsprinzip und das Untermaßverbot. J. Isensee vertritt die Ansicht, daß sich die staatliche Aufgabe des Schutzes nur zur Schutzpflicht aktualisiert, wenn der Bürger sich nicht selbst schützen kann. Staatlicher Schutz sei immer subsidiär.323 Trifft diese These zu, markiert sie die Grenze zwischen der ersten und der zweiten Stufe: Voraussetzung für das Erstarken der Schutzaufgabe zur konkreten Schutzpflicht ist dann, daß ein wirksamer Selbstschutz ausscheidet. Die Grenze zwischen der zweiten und dritten Stufe könnte durch das Untermaßverbot konkretisiert sein. Dieses in der Literatur entwickelte324 und vom Bundesverfassungsgericht 325 aufgenommene Rechtsinstitut umschreibt das Maß an Schutz, das staatliche Vorkehrungen bewirken müssen, damit eine staatliche Schutzpflicht erfüllt ist. Die Erfüllung ist danach gegeben, wenn die staatlichen Maßnahmen einen angemessenen und ausreichenden Schutz zur Folge habe. Übertragen auf die oben aufgeworfene speziellere Fragestellung führt das Untermaßverbot zu dem Ergebnis, daß die Schutzpflicht sich dann zur Gesetzgebungspflicht wandelt, wenn andere staatliche Maßnahmen den erforderlichen Umfang an Schutz nicht herstellen können.326 Für die Bejahung einer Gesetzgebungspflicht auf der Grundlage der allgemeinen Schutzaufgabe des Staates für einen grundrechtlichen Wert müßten bei Anwendung des Subsidiaritätsprinzips und des Untermaßverbots also zwei Voraussetzungen erfüllt sein. Zum einen müßte sich der einzelne nicht ausreichend selbst schützen können und zum anderen müßte wirksamer staatlicher Schutz nur durch Gesetze möglich sein. Hinterfragt werden muß zunächst das Subsidiaritätsprinzip. Für J. Isensee ist es als liberales Prinzip Element des Rechtsstaats,327 das die Allzuständigkeit des modernen Staates begrenzt. 328 Der Staat darf nur tätig werden, wenn der einzelne oder die Gesellschaft die Aufgabe nicht selbst wirksam wahrnehmen kann. 329 Seine Geltung ist nicht unbestritten.330 Inwieweit das Subsidiaritätsprinzip als Regulativ der gesamten staatlichen Tätigkeit anzusehen ist, kann hier offenbleiben, 323 Isensee, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch, Band 5, § 111, Rn. 142. 324 Canaris, AcP 184 (1984), S. 201 ff., 228. 325 BVerfGE 88, S. 203 ff., 254,261 ; zum Inhalt bereits oben S. 113 f. 326 Eine noch weitere Verdichtung zu einer inhaltlich bestimmten Gesetzgebungspflicht hat das Bundesverfassungsgericht in seinen beiden Entscheidungen zum Schwangerschaftsabbruch bejaht: Rechtliche Mißbilligung des Schwangerschaftsabbruchs; jedenfalls im Ergebnis Strafbarkeit, BVerfGE 39, S. 1 ff., 46 f., 52 ff., 65 f.; 88, S. 203 ff., 255,257 f. 327 Isensee, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch, Band 3, § 57, Rn. 167 f. 328 Isensee, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch, Band 3, § 57, Rn. 157. 329 Isensee, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch, Band 3, § 57, Rn. 168. 330 Ablehnend etwa Bull, Staatsaufgaben, S. 190ff., 210; Herzog, Der Staat 2 (1963), S. 399 ff., insbesondere S. 422 (zur Ausgestaltung des Prinzips in der katholischen Soziallehre); zurückhaltend auch Rupp, in: Isensee /Kirchhof, Handbuch, Band 1, § 28, Rn. 51 ff.
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3. Teil: Normerlaßanspriiche in Rechtsprechung und Literatur
sofern ihm in bezug auf die staatliche Aufgabe des Schutzes eine Berechtigung zukommt. Unentschieden bleiben kann auch, ob das Subsidiaritätsprinzip dem Staat ein Tätigwerden zum Schutz verbietet, wenn der einzelne des Schutzes nicht bedarf. Relevant ist hier nur, ab wann der Staat tätig werden muß. Zur Markierung dieser Grenze ist das Subsidiaritätsprinzip geeignet. Die Aufgabe des Staates, die grundrechtlichen Werte zu schützen, ist unendlich und nicht gleichzeitig und nie endgültig erfüllbar. Eine Pflicht zum Schutz eines grundrechtlichen Werts bedeutet, daß dem Staat die Wahrnehmung zwingend aufgegeben ist. Idealerweise kann eine Pflicht im Rechtssinne zwangsweise durchgesetzt werden. Die Annahme einer derartigen Pflicht führt dazu, daß der Staat die Prioritäten der Aufgabenerfüllung nicht selbst bestimmen kann. Sie werden ihm durch die Verfassung vorgegeben. Diese gravierende Einschränkung der Entscheidungsfreiheit der staatlichen Organe ist nur gerechtfertigt, wenn der einzelne auf den Schutz des Staates angewiesen ist. Eine Schutzpflicht besteht nur dann.331 Darüber hinaus ist der Staat allenfalls berechtigt, aber nicht verpflichtet, staatliche Schutzmaßnahmen zu ergreifen. Insofern ist eine Subsidiarität staatlichen Schutzes gegeben. Der Begriff Subsidiaritätsprinzip soll allerdings hier nicht für diese Nachrangigkeit staatlichen Schutzes verwendet werden, da er, wie oben dargestellt, mit einem bestimmten juristischen Inhalt belegt ist, der über das hier Erörterte hinausgeht. Aus dem im Subsidiaritätsprinzip enthaltenen Ansatz läßt sich also etwas für die vorliegende Untersuchung gewinnen. Ob gleiches für das Untermaßverbot gilt, ist nun zu diskutieren. In der Literatur ist umstritten, ob dem Untermaßverbot überhaupt eigenständige Bedeutung zukommt.332 Es wird vertreten, Verhältnismäßigkeitsprinzip und Untermaßverbot seien kongruent,333 letzteres daher überflüssig. Diese These kann nur für die Fälle Geltung beanspruchen, in denen der Schutz durch einen Eingriff in Rechte anderer realisiert werden muß. 334 Eine Auseinandersetzung mit ihr erübrigt sich aber, wenn das Untermaßverbot bereits aus anderen Gründen nicht geeignet ist, die Grenze des Umschlagens der Schutzpflicht in eine Gesetzgebungspflicht zu markieren. Das ist der Fall. Der Inhalt des Untermaßverbots, wonach die Erfüllung einer grundrechtlichen Schutzpflicht nur dann anzunehmen ist, wenn der Schutz des grundrechtlichen Gutes angemessen und wirksam ist, bedingt eine Abwägung der gegenläufigen verfassungsrechtlichen Schutzgüter im konkreten Einzelfall. Generelle Kriterien dafür, wann sich eine 331 So sind wohl auch die Ausführungen von Peine, ZG 1988, S. 121 ff., 135, zu § 43 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG zu verstehen. 332 Bejahend beispielsweise Dietlein, ZG 1995, S. 131 ff., 136; verneinend dagegen Hain, DVB1. 1993, S. 982ff, 983; ders., ZG 1996, S. 75ff., 80, 82; Starck, JZ 1993, S. 816ff, 817; ders., Praxis, S. 82, 89. 333 Hain, DVB1. 1993, S. 982 ff., 983; ders., ZG 1996, S. 75 ff., 80; ders. / Schiette / Schmitz, AöR 122 (1997), S. 32ff., 51 f.; Starck, JZ 1993, S. 816ff., 817; ders., Praxis, S. 82. 334 Insofern besteht ein Konsens: Dietlein, ZG 1995, S. 131 ff., 135; zustimmend Hain, ZG 1996, S. 75 ff., 80; ders. / Schiette / Schmitz, AöR 122 (1997) S. 32 ff., 51. Auf diese Fallgruppe beschränkt auch Starck seine Ausführungen, JZ 1993, S. 816 ff., 817; ders., Praxis, S. 82, 89.
C. Diskussionsstand in der Literatur und kritische Würdigung
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Schutzpflicht zu einer Pflicht des Gesetzgebers zum Tätigwerden vedichtet, lassen sich dem Untermaßverbot nicht entnehmen. Eine Konkretisierung der Reichweite der staatlichen Schutzpflicht ist mit ihm daher nicht verbunden.335 Zusammenfassend läßt sich festhalten, daß sich aus der Schutzfunktion der Grundrechte Gesetzgebungspflichten ergeben können. Voraussetzung einer derartigen Pflicht ist zunächst eine Verdichtung der Staatsaufgabe des Schutzes grundrechtlicher Werte zu einer konkreten Schutzpflicht. Eine konkrete Schutzpflicht kann immer nur in bezug auf einen bestimmten Sachverhalt festgestellt werden und besteht bei fehlender Möglichkeit ausreichenden Selbstschutzes. Ferner muß die konkrete Schutzpflicht sich zu einer speziellen Form staatlichen Schutzes, einer Gesetzgebungspflicht, verengen. Gesetzliche Schutzmaßnahmen sind erforderlich, wenn in dem gegebenen Sachverhalt nur sie einen angemessenen und wirksamen Schutz gewähren. (f) Verfahrens- und Organisationsgehalte Eine potentielle Eignung zur Begründung von Gesetzerlaßpflichten kann man auch den Verfahrens- und Organisationsgehalten der Grundrechte zusprechen. Die unter diesen Begriffen zusammengefaßten Grundrechtsinhalte sind sehr vielfältig und inkonsistent. Einzig der Verfahrensaspekt verbindet sie bei einer entsprechend weiten Definition des Verfahrensbegriffs. 336 Welchen einzelnen Grundrechten unter welchen Voraussetzungen ein Verfahrens- und/oder Organisationsgehalt zu entnehmen und wie dieser jeweils dogmatisch zu begründen ist, wird deshalb gegenüber dem Grundlagenteil337 nicht weiter vertieft. Die Arbeit beschränkt sich auf einige generelle Aussagen, die bei dem gegebenen Stand der Erforschung im Hinblick auf Gesetzgebungspflichten möglich sind. Verfahrensgehalte werden aus unterschiedlichen Grundrechtsfunktionen abgeleitet. 338 Zum Teil lassen sie sich auf die allgemeine Schutzpflicht des Staates zurückführen. Das trifft für die Verfahrensgehalte der Grundrechte in den Sachverhaltskonstellationen des mittelbaren Grundrechtseingriffs zu. Grundgedanke der Verfahrensgehalte in den sogenannten Dreieckskonstellationen ist die Sicherung der betroffenen grundrechtlichen Werte Dritter vor Eingriffen Privater. Sofern einer nachträglichen Abwehr des mittelbaren Grundrechtseingriffs durch die betroffenen Dritten rechtliche oder tatsächliche Gründe entgegenstehen, die sie unmöglich machen oder jedenfalls unverhältnismäßig erschweren, soll der Staat verpflichtet sein, bereits durch die Gestaltung des Verwaltungsverfahrens einen 335 Ebenso im Ergebnis: Dietlein, ZG 1995, S. 131 ff., 137 f.; Hain, DVB1. 1993, S. 982ff., 983; ders., ZG 1996, S. 75 ff., 76; Starck, Praxis, S. 89; der Streit ist daher rein akademischer Natur. 336 Alexy, Grundrechte, S. 431. 337 Siehe oben S. 90-95; 101 -104. 338 Dazu bereits oben S. 92; 101 -103.
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3. Teil: Normerlaßanspriiche in Rechtsprechung und Literatur
angemessenen Schutz aller betroffenen Grundrechtspositionen sicherzustellen.339 Angesprochen ist also die allgemeine Schutzaufgabe des Staates, die sich auch zu einer konkreten Schutzpflicht verdichten würde, da ein Selbstschutz nicht möglich wäre. Eine Gesetzgebungspflicht wäre gegeben, wenn die bestehenden behördlichen und gerichtlichen Verfahrensregelungen keinen wirksamen Schutz Drittbetroffener ermöglichten. Diese Verfahrensgehalte führen also unter den oben bereits dargestellten Voraussetzungen zu Gesetzgebungspflichten. Ein selbständiger Erkenntniswert kommt ihnen in bezug auf das Thema dieser Arbeit nicht zu. Gegenüber der Schutzfunktion eigenständigen Charakter haben dagegen die Verfahrensgehalte der Grundrechte in den klassischen Eingriffsfällen, 340 die Verfahrensgehalte der oben 341 als verfahrensabhängig bezeichneten Grundrechte sowie die Organisationsgehalte. In einem weiteren Sinn geht es auch hier um den Schutz des grundrechtlichen Werts, aber nicht um den Schutz vor Grundrechtsbeeinträchtigungen durch Private oder natürliche Gefahren, auf den der Begriff der allgemeinen Schutzpflicht überwiegend beschränkt wird. In den klassischen Eingriffsfällen richtet sich der Schutz gegen den eingreifenden Staat selbst; das Recht auf eine angemessene Verfahrensgestaltung erscheint hier als eine Art leistungsrechtliche Nebenpflicht der Achtungspflicht des Staates. Diese Verfahrensgehalte waren bis vor kurzem im Hinblick auf Gesetzgebungspflichten praktisch bedeutungslos, da sie vorwiegend auf eine grundrechtsangemessene Auslegung und Anwendung des bestehenden Verfahrensrechts durch die Exekutive und Judikative zielten.342 Heute muß diese Aussage vor dem Hintergrund des zunehmenden Abbaus des Verfahrensschutzes bereits wieder eingeschränkt werden. 343 Jedenfalls bei einer weiteren Einschränkung des Verfahrensschutzes wird diskutiert werden müssen, inwiefern dies mit den Verfahrensgehalten der Grundrechte noch vereinbar ist. Im Gegensatz zu den gerade erörterten Verfahrensgeboten richtensich die Verfahrensgehalte der verfahrensabhängigen Grundrechte und die Organisationsgehalte, die nur bei einigen Grundrechten zu bejahen sind, ausschließlich an den Normgeber. 344 Beide Gruppen sind im Grundlagenteil nur exemplarisch dargestellt worden 345 und werden auch hier nur insoweit erörtert. Eine weitere Ausdifferenzierung der Verfahrensgehalte muß eigenständigen Untersuchungen überlassen werden. Für die beiden exemplarisch dargestellten Fallgruppen lassen sich folgende Voraussetzungen für eine Pflicht zum Erlaß von Verfahrens- oder Organisations339
Praktisch kann dies durch die Einführung eines Genehmigungsverfahrens und eventuell zusätzlich durch die Einräumung von Beteiligungsrechten Dritter geschehen, wo Dazu siehe oben S. 101 f. 341 s . 102.
Siehe oben S. 102. 343 Dazu oben im Zweiten Teil, Fn. 480. 344 Zur Begründung wird auf die Ausführungen oben S. 94 (Organisationsgehalte) und S. 102 f. (Verfahrensgehalte) verwiesen. 345 s . 1 0 2 f.
und
S. 103 f.
C. Diskussionsstand in der Literatur und kritische Würdigung
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regelungen aufstellen: Falls ein Grundrecht aufgrund seiner spezifischen rechtlichen Gewährleistung (verfahrensabhängige Grundrechte) oder den tatsächlichen Voraussetzungen seiner Ausübung ein Verfahren, eine bestimmte Organisation oder bestimmte Verfahrensregelungen erfordert, damit es überhaupt wirksam in Anspruch genommen werden kann, ist der Gesetzgeber verpflichtet, geeignete Verfahrens- und Organisationsvorschriften zu erlassen. Während der Kreis der ersteren Grundrechte abschließend durch Auslegung bestimmt werden kann, steht die Zahl der Grundrechte, die Organisationsgebote enthalten, nicht ein für allemal fest, da sich die tatsächlichen Verhältnisse ändern. Als Fazit bleibt: Verfahrensgehalte, die auf die allgemeine Schutzaufgabe des Staates rückführbar sind, begründen unter den bei den allgemeinen Schutzgehalten erörterten Voraussetzungen Gesetzgebungspflichten. Pflichten zum Erlaß von Verfahrens- und organisationsrechtlichen Regelungen folgen daneben kumulativ auch aus einzelnen Grundrechten, deren tatsächliche Verwirklichung ohne diese Vorschriften nicht möglich ist. Verfahrensgehalten, die bei Eingriffen des Staates aus den Grundrechten aktiviert werden, kann angesichts des zunehmenden Abbaus des Verfahrensschutzes in jüngerer Zeit ebenfalls wieder Bedeutung im Hinblick auf die Statuierung von Gesetzgebungspflichten zukommen. (4) Gesetzgebungsaufträge
in den übrigen Teilen der Verfassung
(a) Kompetenznormen Vereinzelt werden Gesetzgebungspflichten den Verfassungsbestimmungen über die Verteilung der Gesetzgebungszuständigkeiten zwischen Bund und Ländern entnommen.346 Die Kompetenznormen kommen als Grundlage solcher Pflichten in Betracht, weil sie an den Gesetzgeber adressiert sind. Allerdings begründen die allgemeinen Zuständigkeitsvorschriften gemäß Art. 70 ff. GG nach ganz überwiegender Ansicht347 grundsätzlich348 kein Gebot zum Erlaß entsprechender Gesetze. Dieser Auffassung ist zuzustimmen. Diese Bestimmungen legen ausschließlich fest, welcher der Gliedstaaten im Bundesstaat zur Gesetzgebung befugt ist, sie enthalten Ermächtigungen, ein bestimmtes Sachgebiet zu regeln, aber keine diesbezüglichen Verpflichtungen. Gesetzgebungspflichten können sich aber aus besonderen Zuständigkeitsnormen außerhalb des allgemeinen Zuständigkeitskatalogs ergeben.349 346 Lerche, AöR 90 (1965), S. 341 ff., 347. 347 Degenhart, in: Sachs, GG, Art. 70, Rn. 54; Ermacora, DÖV 1960, S. 561 ff., 563 f.; v. Mangoldt / Klein / Pestalozza, GG, Band 8, Art. 70 Abs. 1, Rn. 44, 124; Maunz, in: MaunzDürig, GG, Art. 70, Rn. 14; Mayer, C., Nachbesserungspflicht, S. 43; Merten, in: FS Juristische Gesellschaft zu Berlin, S. 431 ff., 450 f.; Rengeling, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch, Band 4, § 100, Rn. 7; Seufert, Gesetzgebungsgebote, S. 152. 348 Ausnahmen bestehen, so sind etwa die Länder gem. Art. 75 Abs. 3 GG zur Gesetzgebung verpflichtet. 349 Degenhart, in: Sachs, GG, Art. 70, Rn. 54; Ermacora, DÖV 1960, S. 561 ff., 563 f.; v. Mangoldt/Klein/Pestalozza, GG, Band 8, Art. 70 Abs. 1, Rn. 45,124; Maunz, in: Maunz-
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3. Teil: Normerlaßanspriiche in Rechtsprechung und Literatur
(b) Die verfassungsgestaltenden Grundentscheidungen Mit diesem Begriff werden hier die Strukturbestimmungen und Staatsziele der Republik, des Bundesstaats, der Demokratie, des Rechtsstaats, des Sozialstaats und des Schutzes der Umwelt umschrieben. Damit diese Grundprinzipien überhaupt Grundlagen von Gesetzgebungspflichten sein können, müssen sie zunächst verbindliches Recht darstellen. Das war unter der Geltung des Grundgesetzes anfangs noch umstritten. Der Streit wurde dadurch geprägt, daß die Staatslehre der Weimarer Zeit die rechtliche Verbindlichkeit entsprechender Vorschriften ablehnte, weil sie sich nur an den Gesetzgeber richteten und deshalb für die Verwaltung und Rechtsprechung nicht unmittelbar vollziehbar waren. Solchen Programmsätzen wurde die Bindungswirkung abgesprochen. Diese Ansicht ist unter der Geltung des Grundgesetzes wegen Art. 20 Abs. 3 GG nicht haltbar und inzwischen aufgegeben.350 Dagegen wird die Frage, ob sich aus dieser Bindung konkrete Handlungspflichten des Gesetzgebers ableiten lassen, kontrovers 351 und ohne eindeutiges Ergebnis diskutiert. Die Auseinandersetzung dürfte angesichts des fortschreitenden Abbaus sozialer Leistungen vor dem Hintergrund leerer Staatskassen und der Einfügung des Art. 20 a GG nun wieder aufleben. Einigkeit läßt sich insoweit konstatieren, als der Gesetzgeber diese Prinzipien bei seinem Handeln beachten muß, sie also seine Ausgestaltungsfreiheit beschränken.352 Angesichts der Offenheit der Bestimmungen und des Spannungsverhältnisses unter ihnen sowie zwischen ihnen und anderen Verfassungswerten ist die Begrenzung allerdings gering. Ferner besteht Übereinstimmung, daß die Grundentscheidungen einer Konkretisierung bedürfen, die, soweit eine weitere Präzisierung durch die Verfassung fehlt, nur durch den Parlamentsgesetzgeber erfolgen kann. 353 Eine Einschränkung der Entschließungsfreiheit des Gesetzgebers wird von manchen wegen der inhaltlichen Unbestimmtheit der Prinzipien abgelehnt.354 Sie enthielten kein Gesetzgebungsgebot, da sich ihnen keine „hinlänglich prägnanten Anweisungen für den Gesetzgeber"355 entnehmen ließen. Dieser Einwand ist nicht durchschlagend. Zwar trifft es zu, daß die genannten Grundentscheidungen inhalt-
Dürig, GG, Art. 70, Rn. 14; Merten, in: FS Juristische Gesellschaft zu Berlin, S. 431 ff., 450 f.; Rengeling, in: Isensee /Kirchhof, Handbuch, Band 4, § 100, Rn. 7. 350 Herzog, in: Maunz-Dürig, GG, Art. 20, VIII., Rn. 6 am Ende. 351 Verneinend: Seufert, Gesetzgebungsgebote, S. 148 f.; bejahend: Bachof, VVDStRL 12 (1954), S. 37 ff., 39 f., 43, 52; Bogs, Einwirkung, G 5 ff., 14 f., 61 (beide für das Sozialstaatsprinzip); Peine, Systemgerechtigkeit, S. 130, 133, 135; Ritter, Gesetzgebungspflichten, S. 52, 53 f.; Walecki, Normsetzungspflicht, S. 109, 111; wohl auch Scheuner, in: FS E. Forsthoff, S. 325 ff., 335 ff. 352 Walecki, Normsetzungspflicht, S. 104 f., 111. 353 Bleckmann, Staatsorganisation, S. 331, Rn. 745; Peine, Systemgerechtigkeit, S. 133 (beide für das Sozialstaatsprinzip); Walecki, Normsetzungspflicht, S. 104, 107. 354 Seufert, Gesetzgebungsgebote, S. 148 f. 355 Seufert, Gesetzgebungsgebote, S. 148.
C. Diskussionsstand in der Literatur und kritische Würdigung
173
lieh offen sind, sie sind konkretisierungsbedürftig. Ihr Inhalt ist aber bestimmbar. 356 Damit ist der Pflichtencharakter gegeben.357 Das soll zunächst exemplarisch anhand der Sozialstaatsklausel gezeigt werden, die durch andere Verfassungsbestimmungen kaum konkretisiert wird 358 und wohl am unbestimmtesten von den genannten Grundentscheidungen ist. Nach überwiegender Meinung zielt das Sozialstaatsprinzip auf die Herstellung sozialer Sicherheit und sozialer Gerechtigkeit.359 Der Inhalt der Begriffe läßt sich weiter präzisieren. Soziale Sicherheit etwa bedeutet vorwiegend Absicherung sozialer Notlagen, die beispielsweise durch Erwerbsunfähigkeit oder Arbeitslosigkeit herbeigeführt werden können.360 Zu dieser Absicherung ist der Staat durch das Sozialstaatsprinzip verpflichtet. 361 Während also die Sozialstaatsklausel verbindliche Ziele vorgibt, ist sie im Hinblick auf die Mittel zur Zielverwirklichung offen. 362 Insoweit besteht ein weiter Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers.363 Da auch dieses Prinzip nach der hier vertretenen Ansicht zu optimieren ist, ist die konkrete Ausgestaltung von den rechtlichen und tatsächlichen Möglichkeiten des Staates, insbesondere von seinem Wohlstand,364 abhängig. Welche näher bestimmten Gesetzgebungspflichten bestehen, läßt sich daher nur für den jeweiligen Zeitpunkt feststellen. Von der Existenz der Pflicht und einem eventuell korrespondierenden subjektiven Recht zu trennen ist das Problem ihrer Justitiabilität, das daraus resultiert, daß vielfältige gesetzliche Möglichkeiten bestehen, um etwa die Absicherung sozialer Notlagen vorzunehmen. Darauf wird unten365 im Rahmen der Erörterung 356 So auch Ritter, Gesetzgebungspflichten, S. 52 (der die Bestimmbarkeit allerdings auf einen Mindestinhalt beschränkt. Dabei verwechselt er aber den Inhalt der Pflicht mit seiner Justitiabilität); Stem, Staatsrecht I, S. 891. 357 Siehe oben S. 153. 358 Bogs, Einwirkung, G 5 ff., 10; Herzog, in: Maunz-Dürig, GG, Art. 20, VIII., Rn. 5. 359 Bogs, Einwirkung, G 5 ff., 12; Peine, Systemgerechtigkeit, S. 133; Stem, Staatsrecht I, S. 890 mit weiteren Nachweisen sowie ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, E 5, S. 85 ff., 198; 22, S. 180ff., 204.
360 Peine, Systemgerechtigkeit, S. 133; Ritter, Gesetzgebungspflichten, S. 71; Stem, Staatsrecht I, S. 911 f.; BVerfGE 40, S. 121 ff., 133; 43, S. 13 ff., 19; 44, S. 353 ff., 375; 45, S. 376 ff., 387 (Fürsorge für Hilfsbedürftige). 361 Peine, Systemgerechtigkeit, S. 133; Ritter, Gesetzgebungspflichten, S. 71; Stem, Staatsrecht I, S. 915 f.; BVerfGE 22, S. 180 ff., 204; 35, S. 202ff, 236; 40, S. 121 ff., 131; 43, S. 13 ff., 19; 44, S. 353 ff., 375; 45, S. 376 ff, 387; 68, S. 193 ff., 209,218. 362 BVerfGE 22, S. 180ff., 204; 43, S. 13ff., 19. 363 BVerfGE 22, S. 180ff., 204; 40, S. 121 ff., 133; 43, S. 13ff., 19. 364 Herzog, in: Maunz-Dürig, GG, Art. 20, VIII., Rn. 23; Stern, Staatsrecht I, S. 918 f. Herzog rät insgesamt zu einer restriktiven Auslegung des Sozialstaatsprinzips, was der hier getroffenen Aussage der Optimierung zu widersprechen scheint. Das muß aber im Ergebnis aus zwei Gründen nicht so sein: Da das Sozialstaatsprinzip mit gegenläufigen Verfassungswerten abgewogen werden muß, bedingt eine Optimierung keine uferlose Sozialstaatlichkeit. Ferner beinhaltet der Umfang der Pflicht keine Aussage im Hinblick auf die gerichtliche Kontrolldichte; davon geht Herzog aber aus, Maunz-Dürig, GG, Art. 20, VIII., Rn. 22. 365 Siehe S. 191 ff.
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3. Teil: Normerlaßanspriiche in Rechtsprechung und Literatur
der Probleme der gerichtlichen Durchsetzbarkeit subjektiver Rechte auf Gesetzerlaß näher eingegangen. Gesetzgebungspflichten folgen etwa auch aus dem Demokratieprinzip. Das Demokratieprinzip ist Grundlage des Parlamentsvorbehalts.366 Dieser Vorbehalt besagt nicht nur, daß gewisse Lebensbereiche nur durch den Parlamentsgesetzgeber geregelt werden dürfen, sondern logisch daraus folgend auch, daß der Parlamentsgesetzgeber, soweit der Parlamentsvorbehalt reicht, zur Regelung verpflichtet ist. 367 Denn wenn eine untergesetzliche Regelung aufgrund der Bedeutung des betroffenen Gegenstandes von Verfassungs wegen ausscheidet, ist ein ungeregelter Zustand erst recht verfassungsrechtlich nicht hinnehmbar. Der Auffassung, die eine generelle Eignung der verfassungsgestaltenden Grundentscheidungen zur Begründung von Gesetzgebungspflichten annimmt, ist daher zuzustimmen. Sie begrenzen die Entschließungsfreiheit des Gesetzgebers und verpflichten ihn, Gesetze zu ihrer Verwirklichung zu erlassen.368 (c) Ausdrückliche Verweise Das Grundgesetz enthält eine Vielzahl von Verfassungsbestimmungen, die den Erlaß eines Gesetzes vorsehen und daher potentiell Gesetzgebungspflichten begründen. 369 Am häufigsten findet sich die Formulierung „Das Nähere regelt ein (Bundes)Gesetz".370 Daneben finden sich Regelungen, die die Gestalt von Mußvorschriften haben.371 In der Regel fehlt eine Fristbestimmung.372 Mußvorschriften begründen vom Wortlaut her zwingend Gesetzgebungspflichten. Ihr Gebotscharakter wird denn auch ganz überwiegend bejaht.373 Dagegen führt die grammatikalische Auslegung bei der Formulierung im Indikativ Präsens nicht zu einem eindeutigen Ergebnis. Der Wortlaut läßt sowohl die Annahme einer Gesetzgebungspflicht als auch einer bloßen Ermächtigung zu. Es ist deshalb eine 366 Zum Parlamentsvorbehalt vergleiche die Ausführungen oben S. 85. 367 Ähnlich Peine, Systemgerechtigkeit, S. 136, der die Gesetzgebungspflicht von einem Regelungsbedarf abhängig macht. Der dürfte in dem vom Parlamentsvorbehalt erfaßten Bereich immer gegeben sein. 368 Zu Gesetzgebungspflichten aus dem Rechtsstaats- und dem Demokratiegebot, vergleiche Peine, Systemgerechtigkeit, S. 132 f., 133-136; aus Art. 20 a GG, vergleiche Murswiek, NVwZ 1996, S. 222 ff., 229. Neuerdings hat Heintzen aus dem Rechts- und Sozialstaatsprinzip die Pflicht des Gesetzgebers zur Regelung der Wiedergutmachung des SED-Unrechts gefolgert, DÖV 1994, S. 413 ff., 416,421. 369 Vergleiche hierzu die Aufzählungen bei Ermacora, DÖV 1960, S. 561 ff., 562, Fn. 22, und Kalkbrenner, DÖV 1963, S. 41ff., 43, Fn. 34. 370 Etwa in Art. 21 Abs. 3, 38 Abs. 3,41 Abs. 2,45 b S. 2,45 c Abs. 2,48 Abs. 3 S. 3 GG. 371 Etwa Art. 33 Abs. 5,98 Abs. 1,104 Abs. 2 S. 4,131 S. 1 und 2 GG. 372 Eine immer wieder zitierte Ausnahme stellt Art. 117 Abs. 1 GG dar. 373 ipsen, H. P., DVB1. 1956, S. 358 ff, 359; Kalkbrenner, DÖV 1963, S. 41 ff., 43; Mayer, C., Nachbesserungspflicht, S. 42; Ritter, Gesetzgebungspflichten, S. 87 f.
C. Diskussionsstand in der Literatur und kritische Würdigung
175
Frage der Auslegung der jeweiligen Vorschrift, ob eine Pflicht zum Erlaß des Gesetzes vorliegt. 374 Eine Auffassung stellt auf das Kriterium der Anwendbarkeit der Verfassungsnorm ab: Ist die Verfassungsvorschrift ohne konkretisierendes Gesetz für die Verwaltung und Rechtsprechung nicht vollziehbar, besteht eine Gesetzgebungspflicht, anderenfalls nur eine Befugnis des Gesetzgebers.375 Dieser Ansicht ist insoweit zu folgen, als sie eine Gesetzgebungspflicht bei ansonsten fehlender Vollziehbarkeit der Verfassungsbestimmung bejaht; die Beschränkung des Gebotscharakters auf derartige Verfassungsvorschriften ist aber nicht überzeugend. Die ausdrücklichen Verweise lassen erkennen, daß der Verfassungsgeber eine konkretisierende gesetzliche Regelung für erforderlich hielt. Dafür können unterschiedliche Gründe maßgebend gewesen sein. Zum einen kann die Verfassungsbestimmung aufgrund ihrer Unbestimmtheit oder Unvollständigkeit ohne ausführendes Gesetz unanwendbar sein. Hier würde man im Wege der teleologischen Auslegung auf jeden Fall eine Gesetzgebungspflicht folgern. Zum anderen kann ein Gesetz aber auch deshalb als notwendig erachtet werden, weil die Verfassungsbestimmung einen wichtigen Gegenstand nur in seinen Grundzügen regelt, eine unmittelbare Anwendung durch die Verwaltung und Rechtsprechung daher mit Abweichungen von Fall zu Fall verbunden wäre und eine nähere gesetzliche Ausgestaltung aus Gründen der Rechtssicherheit erforderlich ist. 376 Deshalb ist in allen Fällen, in denen die Verfassung eine nähere Regelung durch den Gesetzgeber vorsieht, grundsätzlich von einer Gesetzgebungspflicht auszugehen.377 Die Annahme einer bloßen Ermächtigung ist zwar nicht in jedem Fall ausgeschlossen, bedarf aber einer stichhaltigen Begründung. (5) Nachbesserungspflichten Als Quelle von Gesetzgebungspflichten kommen schließlich auch die sogenannten Nachbesserungspflichten in Betracht. 374 Ipsen, H. P., DVB1. 1956, S. 358 ff., 360; Mayer, C., Nachbesserungspflicht, S. 43; Seufert, Gesetzgebungsgebote, S. 192. 375 Ermacora, DÖV 1960, S. 561 ff., 563; Kalkbrenner, DÖV 1963, S. 41 ff., 42 f. 376 in diese Richtung argumentiert auch Ritter, Gesetzgebungspflichten, S. 89. 377 So auch Krüger, Hildegard, DÖV 1957, S. 356 ff., 357; Ritter, Gesetzgebungspflichten, S. 88-90; Seufert, Gesetzgebungsgebote, S. 193; Stahler, Nachprüfung, S. 34f.; Walecki, Normsetzungspflicht, S. 91, 94; anderer Ansicht, ohne jegliche Begründung, Mayer, C., Nachbesserungspflicht, S. 43. Die neuen Kommentierungen zum Grundgesetz setzen sich mit dieser Problematik nicht auseinander. Teils werden bei einzelnen Verweisen ohne Begründung Gesetzgebungspflichten angenommen (etwa v. Münch, I., in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 38, Rn. 81; Magiera, in: Sachs, GG, Art. 38, Rn. 114 - beide zu Art. 38 Abs. 3 GG; Maunz, in: Maunz-Dürig, GG, Art. 21, Rn. 47 zu Art. 21 Abs. 3 GG), teils bleibt der Pflichtencharakter offen (etwa in der Kommentierung von Magiera, in: Sachs, GG, zu Art. 41 Abs. 2, 45 b S. 2, 45 c Abs. 2 GG). Dies erklärt sich überwiegend daraus, daß die jeweiligen Gesetze inzwischen erlassen worden sind, wobei allerdings noch geklärt werden müßte, ob die Verfassungsaufträge damit vollständig erfüllt sind.
176
3. Teil: Normerlaßanspriiche in Rechtsprechung und Literatur
Der Terminus der Nachbesserungspflicht ist inzwischen fester Bestandteil der Literatur. 378 Er hat sich eingebürgert. Nachbesserungspflichten erscheinen als eigenständige dogmatische Kategorie, ohne daß Klarheit über den Begriff und die Voraussetzungen bestünde. 379 Meist erfassen die literarischen Äußerungen nur Teilaspekte. 380 Erst C. M a y e r 3 8 1 hat in jüngster Zeit im Rahmen einer monographischen Untersuchung die Nachbesserungspflicht umfassend dargestellt und dogmatische Konturen erarbeitet. Die Unsicherheiten in der Literatur verwundern nicht. Wie oben 3 8 2 bei der Darstellung der Rechtsprechung angesprochen, verwendet das Bundesverfassungsgericht den Begriff der Nachbesserung oder sinngemäße Ausdrücke sowohl im Zusammenhang mit Eingriffs- 383 als auch mit Leistungs- 384 und Schutzgesetz e n . 3 8 5 Der Begriff und die Voraussetzungen einer Nachbesserungspflicht lassen sich der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung nicht eindeutig entnehmen. 386 Zudem besteht ein gewisser Widerspruch zwischen der Bejahung von Nachbesserungspflichten und der herrschenden Auffassung 387 von der Ipso-iure-Nichtigkeit 378 Etwa Badura, in: FS K. Eichenberger, S. 481 ff.; Bernd, Prognosen, S. 122 ff.; Isensee, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch, Band 5, § 111, Rn. 155 f.; Klein, in: Benda/Klein, Verfassungsprozeßrecht, S. 497, Rn. 1196; Lechner/Zuck, BVerfGG, § 90, Rn. 77ff.; Murswiek, Verantwortung, S. 184ff.; Peine, Systemgerechtigkeit, S. 136f.; Pestalozza, Verfassungsprozeßrecht, S. 338, § 20 VI, Rn. 110; Roßnagel, JZ 1985, S. 714ff.; Schiaich, Bundesverfassungsgericht, S. 293, Rn. 400; Steinberg, Der Staat 26 (1987), S. 161 ff.; Stern, Staatsrecht III/1, S. 1315; Stettner, DVB1. 1982, S. 1123ff., 1126. 379 Roßnagel versteht unter Nachbesserungspflicht beispielsweise die Verpflichtung des Gesetzgebers aufgrund des Parlamentsvorbehalts eine eigenständige gesetzliche Regelung betreffend den Einstieg in die Plutoniumwirtschaft zu schaffen, JZ 1985, S. 714 ff., 716 f. Da Inhalt dieser Pflicht nicht die Änderung bestehender atomrechtlicher Regelungen, sondern die Einfügung einer neuen Vorschrift mit einem von existenten Normen unabhängigen Inhalt ist, handelt es sich nicht um eine Nachbesserung im hier verstandenen Sinn, sondern um eine ursprüngliche Gesetzgebungspflicht, deren Grundlagen sowohl im Demokratieprinzip als auch im Schutzgehalt von Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG gesehen werden können. 380 So erfaßt Badura, in: FS K. Eichenberger, S. 481 ff., zwar die unterschiedlichen, vom Bundesverfassungsgericht unter dem Topos „Nachbesserungspflicht" behandelten Sachverhalte (S. 484-486), sieht die Nachbesserungspflicht aber generell - auch bei Eingriffsgesetzen - als Folge grundrechtlicher Schutzpflichten an (S. 487). Das überzeugt nicht. Bernd beschränkt seine Untersuchung auf Nachbesserungspflichten, die aus Fehlprognosen des Gesetzgebers resultieren, Prognosen, S. 122 ff., 124. 381 Nachbesserungspflicht, 1996. 382 s. 121 f. 383 Beispiele hierzu bei Steinberg, Der Staat 26 (1987), S. 161 ff., 162. 384 Etwa in BVerfGE 8, S. 1 ff. 385 Siehe etwa das Beispiel bei Steinberg, Der Staat 26 (1987), S. 161 ff., 162 f. 386 Zur Rechtsprechung im einzelnen und den daraus möglichen Schlußfolgerungen, siehe Mayer, C., Nachbesserungspflicht, S. 20-26. 387 Nichtigkeitslehre: Hein, Unvereinbarerklärung, S. 92 ff., 97, mit Nachweisen der Gegenansicht (sogenannte Vernichtbarkeitslehre) auf S. 94, Fn. 15; Ipsen, J., Rechtsfolgen, S. 72-75, 159ff., 167; Schiaich, Bundesverfassungsgericht, S. 261 f., Rn. 344; Stem, Staatsrecht II, S. 1039 f.
C. Diskussionsstand in der Literatur und kritische Würdigung
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von rechtswidrigen Normen. Praktische Relevanz in den Eingriffskonstellationen konnten Nachbesserungspflichten nur dadurch gewinnen, daß das Bundesverfassungsgericht auf die Nichtigerklärung von verfassungswidrigen Gesetzen verzichtete und lediglich ihre Unvereinbarkeit mit der Verfassung feststellte. Unstreitig dürfte sein, daß der Begriff der Nachbesserungspflicht eine Gesetzgebungspflicht kennzeichnet.388 Die Problematik läßt sich hier daher auf die Fragestellung reduzieren, ob die Rechtsfigur der Nachbesserungspflicht geeignet ist, neben den bereits dargestellten Gesetzgebungspflichten weitere spezielle Gesetzgebungspflichten zu begründen oder ob ihr insoweit keine Relevanz zukommt. Nachbesserungspflichten im Kontext mit Eingriffsgesetzen bleiben daher außer Betracht, da sie durch die Aufhebung des belastenden Gesetzes erfüllt werden können. Die Nachbesserung eines Leistungs- oder Schutzgesetzes im hier verstandenen Sinn einer Änderung desselben389 ist dann erforderlich, wenn die gewährte Leistung oder der Schutz dem Leistungs- oder Schutzgehalt der Verfassungsbestimmung, auf deren Grundlage die bestehenden Gesetze beruhen, nicht mehr genügen.390 Rechtsgrundlage der Nachbesserungspflicht ist damit der Leistungsoder Schutzgehalt einer Verfassungsvorschrift. 391 Die Rechtsgrundlagen von Gesetzgebungspflichten und Nachbesserungspflichten sind damit teilidentisch. Nachbesserungspflichten sind eine bestimmte Kategorie von Gesetzgebungspflichten, deren offensichtlichstes Merkmal darin besteht, daß sie an ein existentes Gesetz anknüpfen. 392 Weitere Rechtsgrundlagen für spezielle Gesetzgebungspflichten liegen Nachbesserungspflichten nicht zugrunde. Anderer Ansicht ist C. Mayer. Er verneint die Identität von Nachbesserungspflichten und speziellen Gesetzgebungspflichten. Wörtlich führt er aus: „Von anderen Gesetzgebungspflichten unterscheidet sich die Nachbesserungspflicht insofern, als die Verfassung unmittelbar keine gesetzliche Regelung verlangt, sondern daß dieser Zwang erst indirekt durch die Legislative selbst hervorgerufen wird. Ein Gesetz, das gerade nicht bloße Folge einer Gesetzgebungspflicht ist, sondern aufgrund gesetzgeberischen Ermessens existiert, muß vom Gesetzgeber repariert werden." 393 An späterer Stelle betont er die Anknüpfung der Nachbesserungspflicht 388 Badura, in: FS K. Eichenberger, S. 481 ff., 481 f.; Bernd, Prognosen, S. 123, 134; Mayer, C., Nachbesserungspflicht, S. 26, 34,48. 389 Siehe oben S. 122. 390 Isensee, in: Isensee / Kirchhof, Handbuch, Band 5, § 111, Rn. 155. 391 So auch Badura, in: FS K. Eichenberger, S. 481 ff., 482 f.; Baumeister, Rechtswidrigwerden, S. 204; Stettner, DVB1. 1982, S. 1123 ff., 1126 f.; Klinkhammer sieht die Rechtsgrundlage für Nachbesserungspflichten ausschließlich in Art. 3 Abs. 1 GG, Entwicklung, S. 38, 77. Das verkürzt die Problematik ganz erheblich. 392 Badura, in: FS K. Eichenberger, S. 481 ff., 484; Bernd, Prognosen, S. 122. Diese Voraussetzung ist logisch zwingend. C. Mayer, Nachbesserungspflicht, S. 168 f., ist gegenteiliger Auffassung, widerspricht aber damit seinen Ausführungen auf S. 51. 393 Mayer, C„ Nachbesserungspflicht, S. 47. 12 Eisclc
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3. Teil: Normerlaßanspriiche in Rechtsprechung und Literatur
an einen Verfassungsverstoß als wesentlichen Unterschied zu originären Gesetzgebungspflichten. 394 Rechtsgrundlage der Nachbesserungspflicht ist nach seiner Auffassung vor allem Art. 20 Abs. 3 GG. 3 9 5 Daneben stützt er sie auf das Gesetzgebungsmonopol, das den Gesetzgeber bei einem Gesetzesverstoß aufgrund der Geltung des Vorrangs der Verfassung zur Korrektur verpflichte, und das Restitutionsprinzip als allgemeinen Rechtsgrundsatz.396 Zustimmen könnte man der Meinung C. Mayers vielleicht insoweit, als er Art. 20 Abs. 3 GG die Pflicht der Legislative entnimmt, verfassungswidriges Recht mit dem Grundgesetz in Einklang zu bringen. 397 Das kann regelmäßig durch Aufhebung des verfassungswidrigen Gesetzes geschehen. Art. 20 Abs. 3 GG begründete daher jedenfalls die Pflicht der Legislative, ein verfassungswidriges Gesetz aufzuheben. Sofern man auch diesen isolierten Akt „negativer" Gesetzgebung als Nachbesserung bezeichnete, was hier nicht geschehen ist, wäre Rechtsgrundlage dieser Art von Nachbesserungspflicht Art. 20 Abs. 3 GG. Die Annahme einer Beseitigungspflicht des Gesetzgebers setzte allerdings voraus, daß man entgegen der herrschenden Meinung nicht von der Ipso-iure-Nichtigkeit verfassungswidriger Gesetze ausginge, denn bei Ungültigkeit des verfassungswidrigen Gesetzes bestünde kein Widerspruch zur Verfassung und gäbe es demgemäß nichts zu beseitigen. Häufig wird die Verpflichtung des Gesetzgebers zur Beseitigung einer verfassungswidrigen Rechtslage deshalb in Zusammenhang mit den Unvereinbarerklärungen des Bundesverfassungsgerichts und aus prozessualem Blickwinkel erörtert. 398 Letztlich kann offenbleiben, ob und in welchen Fallkonstellationen Art. 20 Abs. 3 GG eine Pflicht des Gesetzgebers zur Aufhebung verfassungswidrigen Rechts statuiert, 399 denn auch C. Mayer vertritt keinen derart eingeschränkten Nachbesserungsbegriff. Unter Nachbesserung eines Gesetzes versteht er dessen Aufhebung und Ersetzung durch ein neues Gesetz.400 Eine diese beiden Akte umfassende Nachbesserungspflicht folgert er aus Art. 20 Abs. 3 GG. Diese Vorschrift enthält aber keinerlei Vorgaben hinsichtlich der Art, wie der Gesetzgeber einen verfassungsgemäßen Zustand herzustellen hat. Eine Pflicht zur Neuregelung kann ihr nicht entnommen werden. C. Mayer begründet die Neuregelungspflicht damit, 394 Mayer, C., Nachbesserungspflicht, S. 152 f. 395 Mayer, C , Nachbesserungspflicht, S. 155. 3% Mayer, C., Nachbesserungspflicht, S. 155 f. 397 Mayer, C., Nachbesserungspflicht, S. 154, der auf BVerfGE 15, S. 337 ff., 349 f. verweist. 398 So etwa Hein, Unvereinbarerklärung, S. 172; Ipsen, J., Rechtsfolgen, S. 268 f. 399 Eine solche Pflicht bestand etwa im Hinblick auf verfassungswidriges Besatzungsrecht, das nach dem Vertrag zur Regelung aus Krieg und Besatzung entstandener Fragen vom 26. Mai 1952 i. d. F. der Bekanntmachung vom 30. März 1955, BGBl. II, S. 405 ff., bis zu seiner Aufhebung oder Änderung in Kraft blieb. Einen derartigen Fall betrifft die von C. Mayer zitierte Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, E 15, S. 337 ff. Dazu siehe auch Pestalozza, in: FG BVerfG I, S. 519ff, 523-525. 400
Mayer, C., Nachbesserungspflicht, S. 164.
C. Diskussionsstand in der Literatur und kritische Würdigung
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daß „die Verfassung aber kein völliges Fehlen einer gesetzlichen Regelung auf dem betreffenden Gebiet erlaube. Die bloße Beseitigung hinterließe eine Rechtslücke, die von der Verfassung nicht geduldet würde." 401 Durch seine Argumentation widerlegt er sich selbst. Wenn die Verfassung eine gesetzliche Regelung verlangt, dann muß sie eine Gesetzgebungspflicht für diesen Bereich enthalten. Die Pflicht zur Neuregelung basiert dann aber nicht auf Art. 20 Abs. 3 GG, sondern eben auf dieser originären Gesetzgebungspflicht, die dazu führt, daß der Verfassungsverstoß nicht allein durch die Aufhebung des verfassungswidrigen Gesetzes behoben werden kann. Dem entspricht es, daß C. Mayer im weiteren Verlauf seiner Untersuchung eingestehen muß, daß Art. 20 Abs. 3 GG den Inhalt der Neuregelung in keinster Weise determiniert. 402 Dieser soll sich vielmehr aus anderen Verfassungsbestimmungen ergeben.403 Ausdrücklich nennt er unter anderem die Schutzgehalte der Grundrechte. 404 Im Anschluß relativiert er seine Meinung dahin, daß diese Verfassungsbestimmungen in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG die Rechtsgrundlage der Nachbesserungspflicht bilden. Letztlich kommt er damit zu dem Ergebnis, daß Grundlage der Beseitigungspflicht des verfassungswidrigen Gesetzes Art. 20 Abs. 3 GG und Grundlage der Neuregelungspflicht die sonstigen Verfassungsbestimmungen sind. Für die vorliegende Untersuchung läßt sich festhalten, daß Nachbesserungspflichten keine von originären Gesetzgebungspflichten zu differenzierenden speziellen Gesetzgebungspflichten bezeichnen. Jedenfalls insoweit405 kommt dem Begriff keine eigenständige dogmatische Bedeutung zu. 4 0 6 dd) Ergebnis Primäre Voraussetzung eines subjektiven öffentlichen Rechts auf Erlaß, Ergänzung oder Nachbesserung eines formellen Gesetzes ist - von den Sonderfällen gleichheitswidriger Gesetze abgesehen - das Vorliegen einer im Verfassungsrecht begründeten objektiven Gesetzgebungspflicht. Eine allgemeine verfassungsrechtliche Pflicht des Gesetzgebers zur Rechtsetzung besteht nicht, dagegen sind spezielle Gesetzgebungspflichten anerkannt. 401
Mayer, C., Nachbesserungspflicht, S. 165 f. 402 Mayer, C., Nachbesserungspflicht, S. 169 f.
403
Mayer, C., Nachbesserungspflicht, S. 170. Mayer, C., Nachbesserungspflicht, S. 170. 405 Baumeister, Rechtswidrigwerden, S. 205, verneint jegliche dogmatische Bedeutung des Begriffs. 406 Als bloße Sammelbezeichnung einer bestimmten Unterkategorie von Gesetzgebungspflichten kann er aber eine Berechtigung haben. Nachbesserungspflichten sind Gesetzgebungspflichten, die auf eine Änderung existenter Gesetze zielen und deren Rechtsgrundlagen Gesetzgebungspflichten mit dynamischem Inhalt sind. Sie entstehen immer dann, wenn die bestehenden Regelungen den Anforderungen der zugrundeliegenden Gesetzgebungspflichten nicht mehr entsprechen. 404
1*
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3. Teil: Normerlaßanspriiche in Rechtsprechung und Literatur
Als Rechtsgrundlagen besonderer verfassungsrechtlicher Gesetzgebungspflichten kommen im Grundrechtsteil potentiell sämtliche Grundrechtsbestimmungen in Betracht. Vereinzelt enthalten sie ausdrückliche Gesetzgebungsgebote, im übrigen lassen sich konkludente Pflichten zum Erlaß eines Gesetzes den Förder-, Schutz-, Verfahrens- und Organisationsgehalten der Grundrechte entnehmen, wobei jedem Grundrecht, das einen objektiven Wert verkörpert, auch ein allgemeiner Schutzgehalt sowie ein Verfahrensgebot eigen ist. Pflichten zur Förderung oder Organisationsgestaltung begründen demgegenüber nur einzelne Grundrechte. Aus allgemeinen Schutzpflichten ergeben sich nur dann staatliche Handlungspflichten, wenn der einzelne sich nicht selbst schützen kann. Gewähren Maßnahmen der Exekutive oder der Judikative keinen angemessenen Schutz, verdichtet sich die staatliche Handlungspflicht zu einer Gesetzgebungspflicht. Keine Gesetzgebungspflichten folgen aus Einrichtungsgarantien und dem allgemeinen Gleichheitssatz. Außerhalb des Grundrechtsteils erzeugen insbesondere die ausdrücklichen Verweise auf den Erlaß eines Gesetzes konkrete Handlungspflichten des Gesetzgebers, solche können sich aber auch aus den verfassungsgestaltenden Grundentscheidungen ergeben. Die allgemeinen Kompetenznormen verpflichten dagegen regelmäßig nicht zum Gesetzerlaß. Aus der Rechtsfigur der Nachbesserungspflicht leiten sich keine weiteren Gesetzgebungspflichten ab; Nachbesserungspflichten liegen vielmehr die exemplarisch dargestellten speziellen Gesetzgebungspflichten zugrunde, soweit ihnen nicht durch den einmaligen Erlaß eines Gesetzes genügt werden kann.
c) Korrespondierende
subjektive Rechte
aa) Maßgeblichkeit der Schutznormtheorie Ob einer objektiven verfassungsrechtlichen Gesetzgebungspflicht ein subjektives Recht eines einzelnen entspricht, ist mit Hilfe der Schutznormtheorie zu klären, an der trotz zahlreicher Angriffe festzuhalten ist und die sowohl für das Verwaltungsrecht als auch für das Verfassungsrecht Geltung beanspruchen kann. 407 Im folgenden soll der subjektive Charakter der dargestellten Gesetzgebungspflichten näher erörtert werden, wobei zum Teil auf Untersuchungsergebnisse im Grundrechtsteil zurückgegriffen werden kann.
w Vergleiche dazu die Ausführungen oben S. 61 und S. 95 f.
C. Diskussionsstand in der Literatur und kritische Würdigung
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bb) Subjektivität der Gesetzgebungsaufträge im Grundrechtsteil (1) Ausdrückliche
Gesetzgebungsgebote
Keine Probleme wirft der subjektiv-rechtliche Charakter des Gesetzgebungsauftrags zur Gleichstellung der nichtehelichen Kinder in Art. 6 Abs. 5 GG auf. Die Gesetzgebungspflicht besteht ausschließlich oder jedenfalls vorwiegend im Interesse der nichtehelichen Kinder. Das Bundesverfassungsgericht hat Art. 6 Abs. 5 GG schon früh als „Schutznorm" zugunsten des nichtehelichen Kindes bezeichnet. 408 Art. 6 Abs. 5 GG enthält daher ein subjektives öffentliches Recht des nichtehelichen Kindes auf Gleichstellung mit den ehelichen Kindern 409 durch die Gesetzgebung.410 Ebenfalls ein subjektives Recht korrespondiert der Gesetzgebungspflicht aus Art. 4 Abs. 3 S. 2 GG. Vernachlässigt man zunächst Art. 12 a GG, so läßt sich dies mit der oben411 als Verfahrensabhängigkeit oder Verfahrensangewiesenheit bezeichneten Besonderheit des Grundrechts aus Art. 4 Abs. 3 S. 1 GG begründen. Die von der Verfassung geforderte Konkretisierung des Grundrechts dient dem Schutz des Kriegsdienstverweigerers, da das Grundrecht erst hierdurch in der Verfassungswirklichkeit wirksam wird. Den Grundrechtsträgern des Art. 4 Abs. 3 S. 1 GG steht daher ein Anspruch auf Erlaß des Gesetzes zu. Im Zusammenhang mit der allgemeinen Wehrpflicht könnte man erwägen, ob auch denjenigen Wehrpflichtigen, die Wehrdienst leisten wollen, ein Anspruch auf nähere Ausgestaltung des Rechts auf Kriegsdienstverweigerung zusteht. Die Verbindung zwischen Art. 12 a GG und Art. 4 Abs. 3 S. 2 GG wurde bereits 412 aufgezeigt und entspricht der herrschenden Meinung. Hauptargument für die Pflicht des Gesetzgebers, eine Verfahren vorzusehen, das die Feststellung der von Art. 4 Abs. 3 S. 2 GG verlangten Gewissensentscheidung ermöglicht, ist nicht der Schutz des Kriegsdienstverweigerers, sondern die Wehrgerechtigkeit, die letztlich eine Ausprägung des allgemeinen Gleichheitssatzes ist. 413 Dieses Prinzip schließt es 408 BVerfGE 17, S. 148ff., 153; 84, S. 168ff., 184f.; 85, S. 80ff., 87. 409 Maunz, in: Maunz-Dürig, GG, Art. 6, Rn. 45; v. Münch, Ε. M., in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 6, Rn. 53; Schmitt-Kammler, in: Sachs, GG, Art. 6, Rn. 89. 410 Sei werth, Zulässigkeit, S. 104. Diese Konsequenz wird in der Rechtsprechung und in der Literatur so kaum ausgesprochen, vielmehr stehen objektive Gesetzgebungspflicht und subjektives Recht mehr oder minder unverbunden nebeneinander; vergleiche etwa BVerfGE 84, S. 168 ff., 184f.: Die Bezeichnung von Art. 6 Abs. 5 GG als Konkretisierung des allgemeinen Gleichheitssatzes und die weiteren Ausführungen zur Einschränkung der gesetzgeberischen Gestaltungsfreiheit durch die Schutznorm lassen den Schluß zu, daß das Bundesverfassungsgericht Art. 6 Abs. 5 GG lediglich im Hinblick auf die Ausgestaltung der Regelung subjektiven Charakter beimißt, nicht aber bezüglich des Erlasses einer Regelung. Begründbar ist dies nicht. 4Π S. 157. 412 S. 157.
182
3. Teil: Normerlaßanspriiche in Rechtsprechung und Literatur
zum einen aus, daß der Gesetzgeber die Konkretisierung des Art. 4 Abs. 3 S. 1 GG gänzlich unterläßt, zum anderen begrenzt es zusätzlich die inhaltliche Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers. Die durch die Wehrgerechtigkeit geforderte Regelung muß so beschaffen sein, daß sie einen Mißbrauch des Kriegsdienstverweigerungsrechts weitgehend ausschließt. Da die Wehrgerechtigkeit Ausfluß des allgemeinen Gleichheitssatzes und damit jedenfalls kein ausschließlich objektives Verfassungsgebot ist, steht daher allen Wehrpflichtigen, solange die allgemeine Wehrpflicht besteht, ein Anspruch auf Erlaß eines Gesetzes gemäß Art. 4 Abs. 3 S. 2 GG mit dem oben näher eingegrenzten Inhalt zu. Aus denselben Erwägungen korrespondiert der Gesetzgebungspflicht aus Art. 12 a Abs. 2 S. 3 GG ein subjektives Recht der Wehrdienstleistenden auf gesetzliche Einführung eines zivilen Ersatzdienstes. Da der Gesetzgeber von der Ermächtigung des Art. 12 a Abs. 1 GG Gebrauch gemacht hat, erfordert die Wehrgerechtigkeit die Einrichtung eines Zivildienstes. Neben der Entschließungsfreiheit ist auch die Ausgestaltungsfreiheit des Gesetzgebers insoweit eingeschränkt, als die Belastungen durch den Wehr- und Ersatzdienst weitgehend gleich sein müssen.414 Als letztes bleibt die subjektiv-rechtliche Qualität der Gesetzgebungspflicht aus Art. 16 a Abs. 2 S. 2 GG zu erörtern. Das Gesetz ist erforderlich, damit die Beschränkung des Grundrechts auf Asyl durch die Regelung in Art. 16 a Abs. 2 S. 1 GG ihre volle Wirksamkeit entfalten kann. Die Begrenzung des Asylgrundrechts dient dazu, die Zahl der Asylbewerber zu verringern. Dieser Zweck liegt ausschließlich im Interesse der Allgemeinheit. Eine Gruppe einzelner, die von der Allgemeinheit unterscheidbar wäre und durch die Einschränkung begünstigt würde, ist nicht erkennbar. Da die Gesetzgebungspflicht somit ausschließlich im öffentlichen Interesse besteht, korrespondieren ihr keine subjektiven Rechte einzelner Bürger. Subjektive Rechte einzelner auf Erlaß formeller Gesetze begründen somit von den ausdrücklichen Gesetzgebungsgeboten im Grundrechtsteil Art. 6 Abs. 5 GG, Art. 4 Abs. 3 S. 2 GG und Art. 12 a Abs. 2 S. 3 GG in Verbindung mit der Einführung der allgemeinen Wehrpflicht. Während die beiden letzten Gesetzgebungsaufträge erfüllt sind und subjektive Rechte im Hinblick auf diese zur Zeit keine praktische Relevanz besitzen, gilt dies für Art. 6 Abs. 5 GG angesichts des umfassenden Gleichstellungsauftrags nicht. Die Lebensformen und die gesellschaftlichen Anschauungen unterliegen dem ständigen Wandel. Dieser Wandel ergreift auch die Einschätzung, ob eine Gleichstellung nichtehelicher Kinder bereits erreicht ist oder in einzelnen Beziehungen erst noch verwirklicht werden muß. Art. 6 Abs. 5 GG enthält eine dynamische Gesetzgebungspflicht, die nicht ein für allemal erfüllt werden kann. Im übrigen aktualisiert sie sich bei jeder unmittelbar oder mittelbar bewirkten Veränderung der Rechtsstellung ehelicher Kinder. Ansprüche auf Erlaß,
413 BVerfGE 48, S. 127 ff., 162, 169; Herzog, in: Maunz-Dürig, GG, Art. 4, Rn. 205; Kokott, in: Sachs, GG, Art. 12 a, Rn. 14. 4 4 1 Herzog, in: Maunz-Dürig, GG, Art. 4, Rn. 207-209.
C. Diskussionsstand in der Literatur und kritische Würdigung
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Ergänzung oder Nachbesserung von Gesetzen auf der Grundlage des Art. 6 Abs. 5 GG sind daher immer und auch heute noch in Erwägung zu ziehen. (2) Schlüssige Gesetzgebungspflichten (a) Subjektive öffentliche Rechte auf Förderung Der Anspruchscharakter der Gesetzgebungspflichten, die auf den ausdrücklichen Förderaufträgen gemäß Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 6 Abs. 4 GG fußen, ist unproblematisch. Diese Verfassungsbestimmungen, die bereits vom Wortlaut her einen leistungsrechtlichen Inhalt haben, nennen einen begünstigten Personenkreis, der sich klar von der Allgemeinheit abhebt. Die Begünstigung dieser Personen ist auch der primäre Zweck der Vorschriften. Ein nur objektiv-rechtlicher Gehalt ist nicht begründbar. Den begünstigten Personen stehen daher subjektive Rechte auf Förderung zu, die auf den Erlaß von Gesetzen gerichtet sind.415 Zum gleichen Ergebnis muß man auch bei Art. 3 Abs. 2 S. 2 GG kommen. In Frage stellen könnte man die Subjektivität des Fördergebots deshalb, weil allenthalben416 der bloß objektive Gehalt dieser Förderpflicht betont wird, eine Auffassung, die sich auch auf die Entwurfsbegründung der Verfassungsänderung stützen kann. Dort wird ausgeführt: „Dabei wird durch die Formulierung als Staatsziel deutlich, daß kein Individualanspruch auf ein bestimmtes staatliches Handeln eingeräumt wird." 417 Diese Begründung steht aber in eklatantem Widerspruch zu der unbestrittenen Intention des Fördergebots, der Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen 418 und Männern in der gesellschaftlichen Wirklichkeit. 419 Im übrigen wird aus der Formulierung deutlich, daß wohl nur ein verfassungsunmittelbares Recht auf Förderung im Sinne eines originären Leistungsrechts abgelehnt wird. 420 Ein subjektives Recht auf ein Tätigwerden des Gesetzgebers wird nicht in Betracht gezogen. Ferner spricht gegen eine rein objektivrechtliche Verpflichtung zur Förderung der Gleichberechtigung die Verankerung in Art. 3 GG, also in einem So bereits Seiwerth, Zulässigkeit, S. 103 f. (Art. 6 Abs. 1 GG), S. 105 (Art. 6 Abs. 4 GG). Förderpflichten sind durch den Gesetzgeber zu realisieren, dazu siehe oben S. 84 f. 41« Osterloh, in: Sachs, GG, Art. 3, Rn. 262. 417 Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und F.D.P., Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Art. 3, 20 a, 20 b, 28, 29, 72, 74, 75, 76, 77, 80, 87, 93, 118 a und 125 a), BT-Drs. 12/6633, S. 6; vergleiche auch den Bericht der Gemeinsamen Verfassungskommission, BT-Drs. 12/6000, S. 50, der eine fast identische Formulierung enthält. 418 Entgegen der Formulierung des Art. 3 Abs. 2 S. 2 GG geht es heute praktisch primär um die Gleichberechtigung der Frauen, denn diese ist in vielen Bereichen zwar rechtlich, aber nicht tatsächlich verwirklicht. Dagegen sind Benachteiligungen von Männern durch gesellschaftliche Strukturen die Ausnahme. 419 Vergleiche auch hierzu die Begründung des Gesetzentwurfs der Fraktionen der CDU/ CSU, SPD und F.D.P., BT-Drs. 12/6633, S. 6 und den Bericht der Gemeinsamen Verfassungskommission, BT-Drs. 12/6000, S. 50. 420 Zu diesem Meinungsstreit siehe oben S. 72 ff.
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3. Teil: Normerlaßanspriiche in Rechtsprechung und Literatur
klassischen Individualgrundrecht, sowie die Tatsache, daß der Förderauftrag das Diskriminierungsverbot des Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG verschärft und letztlich eine spezielle Ausprägung des allgemeinen Gleichheitssatzes darstellt. Der gegenläufigen Begründung kann demgegenüber nicht das entscheidende Gewicht zukommen, obwohl nicht verkannt wird, daß der historischen Auslegung bei Verfassungsbestimmungen eine andere Bedeutung zukommt als bei einfachen Gesetzen. Das gilt aber vorrangig im Hinblick auf Verfassungsbestimmungen, die auf historische Vorbilder zurückgehen und deren Wortlaut mehr von Pathos denn von juristischer Präzision geprägt ist. Bei Verfassungsänderungen neueren Datums tritt der Wille des Verfassungsgesetzgebers, der im Wortlaut der Bestimmung keinerlei Ausdruck gefunden hat, dagegen hinter dem objektiven Sinn der Vorschrift zurück. Zutreffend ist sicher, daß sich aus dem Förderauftrag nur in wenigen Ausnahmefällen ein subjektives Recht auf eine inhaltlich bestimmte Förderungsmaßnahme durch den Gesetzgeber wird herleiten lassen, da der Verfassungsauftrag die Art und Weise der Förderung nicht festlegt und sie damit der Gestaltung des Gesetzgebers überläßt. Die Subjektivität der übrigen, nur konkludenten besonderen Förderaufträge im Grundrechtsteil beurteilt sich nach den gleichen Grundsätzen wie die Subjektivität von Schutz-, Verfahrens- und Organisationsgehalten. Wird die Förderpflicht aus einem Individualgrundrecht abgeleitet und dient die Förderung auch der Ermöglichung der individuellen Grundrechtsausübung, was bei allen vom Bundesverfassungsgericht anerkannten Förderpflichten der Fall ist, entsprechen der Förderpflicht subjektive Rechte der jeweiligen Grundrechtsträger. Rein objektive Förderpflichten könnten sich nur aus Grundrechten ergeben, die ausschließlich einen objektiven Wert gewährleisteten. (b) Ansprüche auf Schutz durch gesetzgeberisches Handeln Schutzpflichten entsprechen subjektive Rechte. Dies wurde bereits ausführlich begründet.421 Soweit die Schutzpflicht daher bezogen auf einen konkreten Fall den Erlaß eines formellen Gesetzes erfordert, bestehen subjektive Rechte all derer auf Erlaß dieses Gesetzes, die durch die Nichterfüllung individuell betroffen sind. Der Kreis der Berechtigten kann, insbesondere wenn es um den Schutz der Gesundheit vor Umweltbeeinträchtigungen geht, sehr groß sein. Dies steht der Annahme der subjektiven Qualität der Schutzpflicht aber nicht entgegen, da die Begrenztheit der Zahl der Begünstigten keine Voraussetzung für die Annahme eines subjektiven öffentlichen Rechts ist, sondern nur Indizwirkung im Hinblick auf den Individualbegünstigungszweck einer Vorschrift hat. 422 Der Individualbegünstigungszweck der Grundrechte und aller aus ihnen hergeleiteten Gehalte folgt aber aus dem individuellen Charakter der Grundrechte. 423 421 S. 98 ff. 422 Siehe S. 44. 423 Siehe S. 100.
C. Diskussionsstand in der Literatur und kritische Würdigung
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(c) Rechte einzelner auf Verfahrens- und Organisationsregelungen Entscheidend für den subjektiven Charakter der Verfahrens- und Organisationsaussagen ist allein ihr Bezug zu einem Individualgrundrecht. Dienen Organisation und Verfahren auch den Grundrechten einzelner, weil sie deren Ausübung erst ermöglichen oder ihre Wirksamkeit sichern, korrespondieren den darauf zielenden Grundrechtsinhalten subjektive Rechte konkret betroffener Grundrechtsträger. Sofern diese Gehalte daher durch den Gesetzgeber zu erfüllen sind, stehen ihnen Ansprüche einzelner gegenüber.424
cc) Handlungspflichten in der übrigen Verfassung und Rechte einzelner (1) Explizite
Gesetzgebungsaufträge
Die ausdrücklichen Verweise auf eine nähere Regelung durch den Parlamentsgesetzgeber sind nach der hier vertretenen Auffassung unabhängig von ihrer sprachlichen Fassung regelmäßig als zwingende Gesetzgebungsgebote zu interpretieren. 425 Einem solchen Gebot korrespondiert dann ein subjektives Recht, wenn die Verfassungsbestimmung, deren Konkretisierung dem Gesetzgeber anbefohlen ist, nicht nur das Interesse der Allgemeinheit im Auge hat, sondern auch einzelne begünstigen oder schützen will. Teilweise wird bei Gesetzgebungspflichten außerhalb des Grundrechtsteils die Möglichkeit korrespondierender subjektiver Rechte generell verneint. 426 Das beruht wohl darauf, daß der Begriff des subjektiven Rechts mit der gerichtlichen Durchsetzbarkeit gleichgesetzt und auf die Zulässigkeit einer Verfassungsbeschwerde abgestellt wird. Diese rein prozessuale Sichtweise wird hier nicht geteilt.427 Über die Frage, ob ein subjektives Recht gegeben ist, entscheidet das materielle Recht, das Prozeßrecht muß dem materiellen Recht folgen. Als Paradebeispiel für einen Regelungsauftrag mit subjektivem Gehalt außerhalb des Grundrechtsteils kann Art. 131 S. 1 und 2 GG genannt werden. Diese verfassungsrechtliche Vorschrift bezweckt primär die Begünstigung ehemaliger Angehöriger des öffentlichen Dienstes. Diesen stehen beziehungsweise standen daher subjektive Rechte auf Erlaß der konkretisierenden Gesetze zu. Praktische Bedeutung kommt diesem Beispiel nicht mehr zu, da die Gesetzgebungspflichten erfüllt sind. Ebenfalls eindeutig korrespondieren subjektive Rechte den Gesetzgebungspflichten, die in grundrechtsgleichen Rechten verankert sind. So kann jeder Wahl424 So auch Klinkhammer, Entwicklung, S. 34 f.; zu den einzelnen Fallgruppen vergleiche bereits oben S. 101 ff. 4 25 Siehe oben S. 174 f. 4 26 Peine, Systemgerechtigkeit, S. 146; Seiwerth, Zulässigkeit, S. 103. 427
Dazu siehe oben S. 46 f.
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3. Teil: Normerlaßanspriiche in Rechtsprechung und Literatur
berechtigte den Erlaß eines Wahlgesetzes verlangen, da er ohne ein solches Gesetz sein Wahlrecht nicht ausüben kann. Man könnte erwägen, ob die unmittelbare Anwendbarkeit einer Verfassungsvorschrift trotz Verweisung auf ein Ausführungsgesetz zwar nicht der Annahme einer Gesetzgebungspflicht in diesen Fällen, aber der Bejahung eines subjektiven Rechts auf Erlaß des Gesetzes entgegensteht.428 Schließlich wird der individualbegünstigende Zweck der Verfassungsbestimmung durch die anderen Staatsgewalten verwirklicht. Problematisch hieran ist bereits die These von der unmittelbaren Anwendbarkeit von Verfassungsbestimmungen, die ausdrücklich eine nähere gesetzliche Ausgestaltung vorsehen. Ohne daß dies im einzelnen untersucht werden könnte, spricht einiges dafür, die unmittelbare Anwendbarkeit als „Notlösung" der Rechtsprechung anzusehen, um der Verfassung auch bei Untätigkeit des Gesetzgebers zur Wirksamkeit zu verhelfen, weil andere Möglichkeiten der Einwirkung auf den Gesetzgeber nicht gesehen, insbesondere einklagbare Rechte einzelner auf Erlaß dieser Gesetze nicht in Betracht gezogen wurden. Die Zulässigkeit dieses Vorgehens kann hier letztlich dahinstehen. Unterstellt man, daß diese Verfassungsbestimmungen trotz des Verweises auf ein Tätigwerden des Gesetzgebers teilweise unmittelbar vollziehbar sind, schließt das subjektive Rechte der Begünstigten auf Erlaß des ausführenden Gesetzes deshalb nicht aus, weil die anderen Staatsgewalten den Zweck der VerfassungsVorschrift nicht umfassend verwirklichen können. Da der Gegenstand nur in Grundzügen geregelt ist, beschränkt sich die unmittelbare Anwendung auf den eindeutigen Gehalt der Verfassungsbestimmung. Ein eindrückliches Beispiel für die Begrenztheit der unmittelbaren Anwendung liefert ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts aus jüngster Zeit 4 2 9 zu Art. 104 a Abs. 5 GG, der eine gegenseitige Haftung von Bund und Ländern für eine ordnungsgemäße Verwaltung vorsieht. Das Bundesverwaltungsgericht konstatiert zunächst die unmittelbare Anwendbarkeit des Art. 104 a Abs. 5 S. 1 GG, um - wie die weiteren Ausführungen zeigen - die Wirksamkeit der Verfassung zu sichern. 430 Aufgrund der vielfältigen Regelungsmöglichkeiten des Gesetzgebers beschränkt sich die Anwendbarkeit aber auf einen „Haftungskern", der zwar vorsätzlich schädigendes Handeln erfaßt, jedoch grob fahrlässiges Verhalten bereits nicht mehr einschließt.431 Dieses Urteil erhellt, daß die Rechtsprechung, gleiches gilt auch für die Verwaltung, den Gesetzgeber nicht substituieren kann. 432 Die unmittelbare Anwendbarkeit einer Verfassungs V o r s c h r i f t trotz Verweises auf ein Gesetz steht deshalb weder der Annahme einer fortbestehenden Gesetzgebungspflicht noch der eines korrespondierenden subjektiven Rechts entgegen.
428 So Schenke, Rechtsschutz, S. 174, Fn. 28, der dies aber nicht begründet. 429 Urteil vom 16. 01. 1997, DVB1. 1997, S. 717ff. «ο BVerwG, DVB1. 1997, S. 717 ff., 718. 431 BVerwG, DVB1. 1997, S. 717 ff., 718. 432 Und auch nicht darf.
C. Diskussionsstand in der Literatur und kritische Würdigung
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(2) Ansprüche auf der Grundlage der verfassungsgestaltenden Grundentscheidungen Ganz allgemein läßt sich auf der Grundlage der Schutznormtheorie feststellen, daß den aus verfassungsgestaltenden Grundentscheidungen fließenden konkreten Handlungspflichten des Gesetzgebers immer dann subjektive Rechte entsprechen, wenn sie inidividualbegünstigend sind. In der Regel werden den Gesetzgebungspflichten aus Staatszielbestimmungen keine subjektiven Rechte gegenüberstehen, weil sich kein Kreis von individuell Begünstigten feststellen läßt. 433 Das gilt für die Staatsziele der Republik, des Bundesstaats, der Demokratie, des Rechtsstaats, aber auch des Umweltschutzes gemäß Art. 20 a GG. 4 3 4 Der Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen dient ausschließlich dem Allgemeininteresse. Einzelne Begünstigte lassen sich weder dem Wortlaut der Verfassungsbestimmung noch dessen Sinn entnehmen. Die Vorteile, die einzelnen durch konkrete staatliche Maßnahmen zum Umweltschutz entstehen, sind bloß reflexhaft. Für die legislativen Pflichten, die im Sozialstaatsprinzip wurzeln, gilt hingegen anderes. Sicher dient das Staatsziel auch dem Allgemeininteresse, indem es den sozialen Frieden sicherstellen soll, aber im Gegensatz zur oben erörterten Grundentscheidung für den Schutz der Umwelt läßt sich hier durch Auslegung eine begünstigte Personengruppe feststellen. Die Verpflichtung des Staates zu sozialer Aktivität besteht im Interesse derjenigen, die in soziale Not geraten und auf die Solidarität der Gemeinschaft angewiesen sind. Das subjektive Recht auf soziale Absicherung durch entsprechende Gesetze, das potentiell jedem zustehen kann, sich aber nur bei konkreter individueller Betroffenheit aktualisiert, geht dabei über das aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG herzuleitende Recht auf Gewährung des Existenzminimums, das nach zutreffender Ansicht ebenfalls primär durch den Gesetzgeber zu erfüllen ist, hinaus. Die Verpflichtung zur Sozialstaatlichkeit beinhaltet mehr als die bloße Existenzerhaltung des Individuums. Lediglich im Extremfall, wenn die Leistungsfähigkeit des Staates, gemeint als Leistungsfähigkeit aller Staatsangehörigen, es nicht anders zuläßt, können sich die Pflichten im Ergebnis decken.
dd) Ergebnis Den erörterten speziellen Gesetzgebungspflichten entsprechen in weitem Umfang subjektive öffentliche Rechte einzelner auf Gesetzerlaß. Das gilt vor allem mit Blick auf die im Grundrechtsteil verankerten Gesetzgebungsgebote.
433 Jegliche subjektive Berechtigung aus Staatszielen ablehnend Klinkhammer, Entwicklung, S. 34. 434 Verneinend für Art. 20 a GG etwa auch Murswiek, NVwZ 1996, S. 222 ff., 230 und das Bundesverwaltungsgericht, DVB1. 1998, S. 585 ff., 586.
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3. Teil: Normerlaßanspriiche in Rechtsprechung und Literatur
Von den ausdrücklichen Gesetzgebungsaufträgen im Grundrechtsteil enthält lediglich Art. 16 a Abs. 2 S. 2 GG eine ausschließlich objektive Pflicht zum Erlaß eines Gesetzes. Im Bereich der konkludenten Verfassungsgebote zum Gesetzerlaß aus grundrechtlichen Förder- und Schutzpflichten sowie aus Verfahrens- und Organisationspflichten sind rein objektive Gesetzgebungspflichten nur im Hinblick auf Verfahrens- und Organisationsgehalte denkbar, die keinen Bezug zu einem Individualgrundrecht aufweisen. Die Subjektivität der Gesetzgebungspflichten in den übrigen Teilen der Verfassung ist eine Frage der Auslegung und für die ausdrücklichen Verweise im Einzelfall zu klären. Den Gesetzgebungsgeboten aus verfassungsgestaltenden Grundentscheidungen dürften, soweit das abstrakt übersehen werden kann, mit Ausnahme des Sozialstaatsprinzips keine Individualrechte korrespondieren.
d) Reichweite der subjektiven Rechte Zum Inhalt subjektiver Rechte auf Gesetzerlaß finden sich in der Literatur nur wenige Äußerungen, da der Schwerpunkt der tiefergehenden wissenschaftlichen Untersuchungen bei prozessualen Fragestellungen oder bei der Feststellung objektiver Gesetzgebungs- und Nachbesserungspflichten liegt. Häufig sind sie sehr allgemein gehalten und beziehen sich nur auf eine bestimmte Gruppe von Gesetzgebungspflichten. So besteht Übereinstimmung, daß Gesetzgebungsaufträge - seien es originäre oder sekundäre in Form von Nachbesserungsgeboten - , die ihre Grundlage in Schutzpflichten haben, regelmäßig keine subjektiven Rechte auf Erlaß eines vom Inhalt her konkret bestimmten Gesetzes erzeugen können, daß also diese Rechte meist nur auf ein gesetzgeberisches Handeln mit einem bestimmten Ziel gerichtet sind.435 Näher untersucht wurde auch die Bindung des Gesetzgebers durch die ausdrücklichen Verweise. Hierzu wird die Auffassung vertreten, die Ausgestaltungsfreiheit des Gesetzgebers sei dadurch beschränkt, daß die Verfassung bereits eine grobe Regelung enthalte, die der Gesetzgeber konkretisieren müsse, aber nicht verändern dürfe. Meist verbleibe eine nicht unbeträchtliche Ausgestaltungsfreiheit, weil nur der Gegenstand der Regelung durch die Verfassung festgelegt, 436 die Art und Weise der Verwirklichung aber nur grob oder überhaupt nicht umrissen werde. 4 3 7 Das Maß der Gebundenheit des Gesetzgebers lasse sich letztlich nur durch eine Untersuchung der jeweiligen Verfassungsvorschrift klären. 438 435 Badura, in: FS K. Eichenberger, S. 481 ff., 492; Faber, DVB1. 1998, S. 745 ff., 751 f.; Mayer, C., Nachbesserungspflicht, S. 46; Murswiek, WiVerw 1986, S. 179 ff., 192; SteinbeißWinkelmann, DVB1. 1998, S. 809 ff., 812. 436 Ermacora, DÖV 1960, S. 561 ff., 563. 437 Ritter, Gesetzgebungspflichten, S. 113. 438 Ermacora, DÖV 1960, S. 561 ff., 565; Ritter, Gesetzgebungspflichten, S. 109.
C. Diskussionsstand in der Literatur und kritische Würdigung
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Diese Aussagen sind zutreffend. Sie verdeutlichen, daß generelle Feststellungen nur in ganz begrenztem Umfang möglich sind, da der Inhalt des subjektiven Rechts abhängig ist vom Inhalt der zugrundeliegenden objektiven Gesetzgebungspflicht. Entsprechend der Vielgestaltigkeit dieser Pflichten im Hinblick auf die Konkretheit der in ihnen enthaltenen Anweisungen sind auch die subjektiven Rechte auf Gesetzerlaß sehr unterschiedlich. Es kann insoweit auf die Ausführungen bei der Analyse der Rechtsprechung verwiesen werden. Auf einen Einwand muß aber noch eingegangen werden. Gelegentlich findet sich in der Literatur die nicht näher begründete Behauptung, die Gesetzgebungspflicht könne häufig weiter reichen als der korrespondierende Anspruch auf Gesetzerlaß.439 Dem ist nicht zuzustimmen. Besteht die Gesetzgebungspflicht insgesamt im Individualinteresse, decken sich Pflicht und subjektives Recht. Letztlich dürfte die Aussage darauf hindeuten, daß das subjektive Recht mit seiner Klagbarkeit identifiziert wird und gar nicht der Anspruchsinhalt, sondern die Grenzen der Justitiabilität angesprochen werden. Stark verallgemeinernd wird man sagen können, daß sich das subjektive öffentliche Recht auf Erlaß, Ergänzung oder Nachbesserung eines formellen Gesetzes in den meisten Fällen nur auf die Vornahme einer geeigneten gesetzlichen Regelung überhaupt mit einem bestimmten Ziel richten wird, 440 da es nur wenige inhaltlich konkrete Gesetzgebungspflichten in der Verfassung gibt. Am ehesten kommen inhaltlich genau festgelegte Gesetzergänzungsansprüche im Fall gleichheitswidriger Erfüllung von Verfassungsaufträgen in Betracht.
e) Probleme der Justitiabilität aa) Erfüllungszeitpunkt Subjektive Rechte auf Gesetzerlaß bereiten im Hinblick auf ihre gerichtliche Durchsetzbarkeit einige Schwierigkeiten, die ihre Ursache teilweise in der Offenheit der Gesetzgebungspflichten haben. So enthält die Mehrzahl der Gesetzgebungsaufträge keine Fristbestimmung. Es stellt sich daher die Frage nach dem Erfüllungszeitpunkt, denn die Untätigkeit des Gesetzgebers verletzt die Verfassung erst dann, wenn die Erfüllung fällig war und nicht erfolgt ist. Ein Gesetzerlaßanspruch kann erst ab diesem Zeitpunkt bestehen. Zu dieser vorwiegend in der älteren Literatur diskutierten Problematik werden im wesentlichen zwei Positionen vertreten: Eine Mindermeinung ist der Auffassung, die Erfüllung der Gesetzgebungspflicht stehe in zeitlicher Hinsicht im freien 439 Faber, DVB1. 1998, S. 745 ff., 751 ; Mayer, C., Nachbesserungspflicht, S. 188. 440
det.
Anders noch Seiwerth, Zulässigkeit, S. 46, der seine Meinung aber nicht näher begrün-
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3. Teil: Normerlaßanspriiche in Rechtsprechung und Literatur
Belieben des Gesetzgebers,441 dagegen geht die Mehrheit davon aus, daß die nicht ausdrücklich mit einer Fristbestimmung versehenen Gesetzgebungsaufträge in angemessener Frist auszuführen seien.442 Nur letztere Ansicht ist vertretbar. Von einer Gesetzgebungspflicht kann nur gesprochen werden, wenn sie auch in einer bestimmten Zeit erfüllt werden muß. Ohne Zeitbestimmung existierte keine Pflicht, 443 die Entschließungsfreiheit des Gesetzgebers wäre nicht wirklich beschränkt. Gesetzgebungspflichten ist daher auch bei fehlender Erfüllungsfrist in angemessener Zeit nachzukommen. Das Kriterium der Angemessenheit ist von Ε. H. Ritter als „nichtssagend" bewertet worden, 444 aber es trifft durchaus das Richtige. Die Frist muß dem Gesetzgebungsgebot gerecht werden. Sie kann daher nur von Fall zu Fall bestimmt werden und richtet sich insbesondere nach der Komplexität der zu regelnden Materie.445 Daneben spielt auch die Zahl und Dringlichkeit anderer Gesetzgebungsvorhaben eine Rolle. 446 Zu diesem Ergebnis kommt auch E.-H. Ritter. 447 Nichts anderes drückt aber der Begriff der Angemessenheit aus. Zum Teil wird vertreten, Gesetzgebungspflichten seien zwar in angemessener Frist zu erfüllen, die Einhaltung der Frist sei aber nicht gerichtlich überprüfbar, da sie sich nicht aus der Verfassung ergebe. 448 Überzeugen kann das nicht. Wie bereits dargelegt, setzt bereits die Annahme einer Gesetzgebungspflicht bei nicht ausdrücklicher Fristsetzung voraus, daß die Erfüllung bis zu einem bestimmten Zeitpunkt erfolgen muß. Das Kriterium der Angemessenheit wird mithin durch die Auslegung der Verfassungsvorschrift gewonnen. Besondere Schwierigkeiten des Gerichts bei der Beurteilung der Angemessenheit oder ein Kompetenzvorrang des Parlaments, die zur mangelnden Justitiabilität führen könnten, sind nicht ersichtlich. Die Frist orientiert sich an objektiven Maßstäben, die durch das Gericht ermittelt und berücksichtigt werden können. Dabei ist die angemessene Frist als diejenige Frist zu verstehen, bis zu der der Gesetzgebungsauftrag spätestens umgesetzt sein muß. 449 441 Lerche, AöR 90 (1965), S. 341 ff., 363. 442 Badura, in: FS K. Eichenberger, S. 481 ff., 492; Bryde, Verfassungsentwicklung, S. 395; Kalkbrenner, DÖV 1963, S. 41 ff., 44; Kleuker, Gesetzgebungsaufträge, S. 88; Krüger, Hildegard, DÖV 1957, S. 356 ff., 358; Seiwerth, Zulässigkeit, S. 91; Seufert, Gesetzgebungsgebote, S. 98f., 156; Stahler, Nachprüfung, S. 137; Pestalozza, in: FG BVerfG I, S. 519ff., 558-560 (allgemein zu Fristen für den Gesetzgeber); BVerfGE 8, S. 210 ff., 216; 25, S. 167 ff., 173; 85, S. 80ff., 93. 443 Seiwerth, Zulässigkeit, S. 91. 444 Ritter, Gesetzgebungspflichten, S. 107. 445 Seufert, Gesetzgebungsgebote, S. 99; BVerfGE 25, S. 167 ff., 180; die meisten der übrigen von Ritter genannten Kriterien folgen aus der Komplexität der Materie. 446 BVerfGE 25, S. 167 ff., 185. 447 Ritter, Gesetzgebungspflichten, S. 107 f. 448 Stahler, Nachprüfung, S. 137. 449 Das Bundesverfassungsgericht spricht von der „äußersten Grenze", E 25, S. 167 ff., 185.
C. Diskussionsstand in der Literatur und kritische Würdigung
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bb) Pflichtverletzung nur bei Evidenz der Nichterfüllung? Große Probleme wirft die gerichtliche Konstatierung der Pflichtverletzung auf, wenn die Gesetzgebungspflicht keinerlei Angaben zur Art der Erfüllung enthält, sondern nur das Ziel des gesetzgeberischen Handelns vorgibt. Angesichts der Durchnormiertheit aller Lebensbereiche ist ein absolutes Unterlassen des Gesetzgebers die seltene Ausnahme. Fast immer existieren Regelungen, so daß beurteilt werden muß, ob der Gesetzgeber die Pflicht bereits erfüllt hat. Warum diese Feststellung nicht einfach ist, soll anhand der Gesetzgebungspflichten auf der Grundlage allgemeiner Schutzpflichten erläutert werden. Vergleichbares gilt aber für alle Gesetzgebungsaufträge, die die Art ihrer Erfüllung nicht festlegen. R. Alexy hat die Unterschiede zwischen Abwehrrechten und Rechten auf Schutz prägnant beschrieben. Während Achtungspflichten und die ihnen entsprechenden Abwehrrechte jede Beeinträchtigung des Schutzguts verbieten, gebieten Schutzpflichten kein bestimmtes Schutzmittel. Allgemeine Schutzpflichten und die korrespondierenden Rechte auf Schutz können nicht nur durch eine konkrete, sondern durch jede geeignete Schutzmaßnahme erfüllt werden. 450 Das allein könnte aber die besonderen Schwierigkeiten noch nicht erklären. Diese resultieren erst aus zwei weiteren Erkenntnissen. Die Schutzmaßnahmen können von unterschiedlicher Wirksamkeit sein und sie können mit anderen verfassungsrechtlichen Werten kollidieren. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit von Prognosen im Hinblick auf die Beurteilung der Effektivität der Schutzmittel und von Abwägungen, um die Wertekollision zu entscheiden.451 Letztlich geht es um die Frage, wem der Entscheidungsvorrang einzuräumen ist, der Legislative oder der Judikative. Diese Kompetenzfrage unter Hinweis auf seine unmittelbare demokratische Legitimation zugunsten des Gesetzgebers zu beantworten, wäre zu einfach und würde der Problemlage nicht gerecht. Vertretbar wäre dieses Ergebnis zudem nur im Hinblick auf die Prognosekompetenz. Die Abwägung verfassungsrechtlicher und einfachrechtlicher Werte war schon immer Teil derrichterlichen Tätigkeit. Hier einen Vorrang des Parlaments anzunehmen, ermangelt einer überzeugenden Begründung. Die Abwägungen mögen im Bereich der Rechte auf Normerlaß häufig komplexer sein als in anderen Bereichen, das ändert aber nichts daran, daß etwa auch bei abwehrrechtlichen Sachverhalten teilweise sehr vielschichtige Abwägungen erforderlich sind. Eine unterschiedliche Zuordnung des Vorrangs bei der Abwägung, abhängig von der zugrundeliegenden Sachverhaltskonstellation, läßt sich daher nicht rechtfertigen. 452 Die Frage, wem die Prognosekompetenz zukommt, ist dagegen differenzierter zu beantworten. Prognosen zu erstellen, ist keine typischrichterliche Tätigkeit, 4
50 Alexy, Grundrechte, S. 420 f. 451 Alexy, Grundrechte, S. 423. 452 Vergleiche hierzu Alexy, Grundrechte, S. 423-426, der sich ausführlich mit der gegenteiligen Auffassung Schupperts, Grenzen, S. 38 ff., auseinandersetzt.
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vergleichbar dem Abwägen von rechtlich geschützten Positionen. Prognosen sind Wahrscheinlichkeitsurteile, die zukünftige tatsächliche Entwicklungen betreffen. 453 Sie können sich später als richtig oder falsch erweisen, im Zeitpunkt ihrer Erstellung lassen sie ein derartiges Urteil nicht zu. Gesetzen liegen häufig Prognosen zugrunde. Das gilt für alle Arten von Gesetzen. Prognosen sind kein Spezifikum von Leistungs- und Schutzgesetzen. Die Prognose kann sich etwa auf die künftige Entwicklung des geregelten Sachverhalts oder auch auf die Wirkungen des Gesetzes beziehen. Solche Wahrscheinlichkeitsurteile gehören primär in den Bereich politischer Verantwortung und damit zur Kompetenz der Legislative.454 Dies spiegelt die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts deutlich wider. Der Prognosevorrang des Gesetzgebers findet in der hier untersuchten Rechtsprechung zum Normerlaßanspruch Ausdruck in der Formulierung, das Gericht könne eine Pflichtverletzung des Gesetzgebers durch unterlassene Normsetzung nur feststellen, wenn diese evident sei, was bei völliger Untätigkeit oder offensichtlich unzureichenden Regelungen bejaht wird. 455 Hieraus ist der Schluß gezogen worden, ein subjektives Recht auf Gesetzerlaß setze völlige Untätigkeit des Parlamentsgesetzgebers oder die evidente Unzulänglichkeit der bestehenden Regelungen voraus. Das ist indes eine verfehlte prozessuale Sicht und entspricht zudem nicht der vom Gericht getroffenen Aussage. Diese betrifft nur die Justitiabilität eines subjektiven Rechtes auf Gesetzerlaß, nicht aber seine Anspruchsvoraussetzungen. Im praktischen Ergebnis besteht freilich kein Unterschied, da hierfür nur relevant ist, in welchem Umfang sich das Recht durchsetzen läßt. Hervorzuheben ist allerdings, daß die Ausführungen der Rechtsprechung in bezug auf diesen Problemkreis erheblich verkürzt werden. So hat das Bundesverfassungsgericht mehrfach betont, daß es bei der Kontrolle von Prognosen des Gesetzgebers nicht auf eine Evidenzkontrolle beschränkt sei, sondern die Kontrolldichte „von einer Evidenzkontrolle ... über eine Vertretbarkeitskontrolle ... bis hin zu einer intensivierten inhaltlichen Kontrolle reiche". 456 Dem wird man insgesamt zustimmen können. Knüpft man an die Ausgangsprämisse an, daß der Legislative ein Prognosevorrang zuzugestehen ist, so kann das Bundesverfassungsgericht die Nichterfüllung einer inhaltlich offenen Gesetzgebungspflicht regelmäßig nur feststellen, wenn diese offensichtlich ist. Mit der Bedeutung der von der Gesetzgebungspflicht betroffenen verfassungsrechtlichen Position schrumpft der Prognosevorrang des Gesetzgebers und steigt die Kontrolldichte der gerichtlichen Prüfung. Die Inten453 Stettner, DVB1. 1982, S. 1123 ff., 1123. 454 Kleuker, Gesetzgebungsaufträge, S. 45; Murswiek, Verantwortung, S. 186; Steinberg, Der Staat 26 (1987), S. 161 ff., 178. 455 Siehe oben S. 112 f. und S. 125. 456 BVerfGE 50, S. 290 ff., 333 mit weiteren Nachweisen; Klinkhammer, Entwicklung, S. 80, faßt die Rechtsprechung dahin zusammen, daß Ansprüche auf Gesetzerlaß gerichtlich nur überprüfbar seien, wenn es sich um Rechtsgüter von höchster Bedeutung handele. Das ist insofern zutreffend, als in diesen Fällen die Kontrolldichte am höchsten und die Durchsetzbarkeit eines Normerlaßanspruchs am ehesten gegeben ist.
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sivierung der Kontrolle ist dadurch gerechtfertigt, daß mit der zunehmenden Bedeutung des verfassungsrechtlichen Werts der Schutz der Verfassung Oberhand gewinnt vor dem Entscheidungsvorrang der Legislative.457 cc) Sonderproblem: Nachbesserungspflicht nur bei Evidenz der Nachbesserungsbedürftigkeit? Die Analyse der Rechtsprechung hat ergeben, daß das Bundesverfassungsgericht für die Begründetheit der Verfassungsbeschwerde über die Evidenz der Pflichtverletzung hinaus bei Nachbesserungsansprüchen zusätzlich die Evidenz der Nachbesserungsbedürftigkeit fordert. 458 Anders ausgedrückt wird die Feststellung des Bestehens einer objektiven Nachbesserungspflicht davon abhängig gemacht, daß die Notwendigkeit der Nachbesserung offensichtlich ist. Das wirft die Frage nach dem Entstehungszeitpunkt der Nachbesserungspflicht auf. Dogmatisch knüpft die Nachbesserungspflicht an einen Verfassungsverstoß an. Sie entsteht daher in dem Zeitpunkt, in dem die bestehende Regelung in Widerspruch zu höherrangigem Recht tritt 459 und damit verfassungswidrig wird. 460 D. Murswiek hingegen vertritt die Meinung, die Nachbesserungspflicht bestehe schon vor diesem Zeitpunkt.461 Er begründet seine Ansicht damit, daß sonst solange ein verfassungswidriger Zustand hingenommen werden müßte, bis die Nachbesserung erfolgt sei. Der Gesetzgeber sei aber verpflichtet, das Verfassungswidrigwerden seiner Gesetze zu verhindern. 462 Daran ist sicherrichtig,daß es zum Ver457 Alexy, Grundrechte, S. 427. 458 Siehe oben S. 124 f. 459 Baumeister, Rechtswidrigwerden, S. 205; Mayer, C., Nachbesserungspflicht, S. 152, 178,180. 460 Hier wird der Ansicht Baumeisters, Rechtswidrigwerden, S. 178 f., 208, 255 f., gefolgt, der im Hinblick auf das Rechtswidrigwerden keine praktischen Unterschiede zwischen den möglichen Begründungsalternativen sieht: Folgt man der Lehre vom Verhaltensunrecht, ergibt sich die nachträgliche Rechtswidrigkeit der Norm aus der pflichtwidrigen Aufrechterhaltung derselben, gibt man dagegen der Lehre vom Zustandsunrecht den Vorzug, kommt es für die Rechtswidrigkeit allein auf den Widerspruch zum ranghöheren Recht an. Letzterer erzeugt die Pflicht zur Beseitigung. Verneint man zutreffenderweise auch eine Nachbesserungsfrist des Gesetzgebers, fallen pflichtwidrige Aufrechterhaltung der Norm und Kollision mit übergeordnetem Recht zeitlich zusammen. 461 So für bestimmte Ausnahmefälle auch Steinberg, Der Staat 26 (1987), S. 161 ff., 171, der ein Auseinanderfallen von Nachbesserungspflicht und Verfassungswidrigwerden in den Fallkonstellationen annimmt, in denen das Bundesverfassungsgericht trotz bestehender verfassungsrechtlicher Mängel eine noch verfassungsgemäße Regelung bejaht hat. Problematisch hieran ist schon die in bezug genommene Rechtsprechung. In vielen dieser Fälle dürfte die Regelung tatsächlich verfassungswidrig gewesen und die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nur darauf zurückzuführen sein, daß das Gericht die Folgen einer Nichtigerklärung, aber auch einer Unvereinbarkeitserklärung, vermeiden wollte. 462 Murswiek, Verantwortung, S. 187; ähnlich C. Mayer, Nachbesserungspflicht, S. 180, der eine „prophylaktische" Nachbesserungspflicht kreiert. 13 Eisele
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3. Teil: Normerlaßanspriiche in Rechtsprechung und Literatur
antwortungsbereich der Legislative gehört, die Verfassungsmäßigkeit der Gesetze zu gewährleisten. Ebenso wie sie gehalten ist, nur verfassungsmäßige Gesetze zu erlassen, ist sie dahingehend gefordert, das Verfassungswidrigwerden durch rechtzeitige Änderung zu verhindern. Letztere Pflicht ist aber rechtlich nicht faßbar. Solange keine Verfassungsverletzung vorliegt, kann keine rechtliche Pflicht zur Änderung eines Gesetzes bestehen, sondern nur eine moralische. Die Begründung D. Murswieks ist aber auch deshalb nicht durchschlagend, weil auch beim Erlaß eines verfassungswidrigen Gesetzes bis zur Kassation ein verfassungswidriger Zustand eintritt. Das gilt zwar nicht in dogmatischer Hinsicht, wenn man der Lehre von der anfänglichen Nichtigkeit verfassungswidriger Gesetze folgt, wohl aber in praktischer Hinsicht, weil das verfassungswidrige Gesetz solange angewandt wird. Noch einen anderen Vorschlag unterbreitet R. Steinberg. Grundsätzlich geht er davon aus, daß der Zeitpunkt der Entstehung der Nachbesserungspflicht und der Zeitpunkt des Verfassungswidrigwerdens zusammenfallen. 463 Die Entstehung der Nachbesserungspflicht und den Beginn des Fristlaufs will er aus praktischen Erwägungen an einer entsprechenden Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts festmachen. Dem kann nicht gefolgt werden. Praktische Gründe können eine rechtliche Begründung verstärken, sie können sie aber nicht ersetzen. Eine rechtlich tragfähige Argumentation für die Auffassung R. Steinbergs ist aber nicht ersichtlich. Es bleibt daher dabei, daß die Nachbesserungspflicht in dem Moment entsteht, in dem die Norm mit ranghöherem Recht kollidiert. So präzise diese Aussage in dogmatischer Hinsicht ist, in der Praxis läßt sich dieser Zeitpunkt oft nur schwer bestimmen. Es ist hier nicht möglich, im einzelnen zu untersuchen, welche Veränderungen zu einem Verfassungswidrigwerden einer Norm führen können, eine Grobsystematisierung muß ausreichen. Danach sind Änderungen tatsächlicher oder rechtlicher Art zu unterscheiden. Sofern die Kollision mit übergeordnetem Recht durch eine Rechtsänderung ausgelöst wird, kann das Entstehen der Nachbesserungspflicht nicht von der Erkennbarkeit des Widerspruchs für den Gesetzgeber abhängig gemacht werden, denn ein Verschulden der Legislative ist keine Voraussetzung für das Rechtswidrigwerden einer Norm 464 und damit auch nicht für die Entstehung der Nachbesserungspflicht. Wird der Verstoß gegen ranghöheres Recht dagegen durch eine Änderung der Tatsachengrundlage bewirkt, gilt anderes. Bestehen hier Unsicherheiten dergestalt, daß mehrere Sachverhaltsvarianten denkbar sind, und ist in einer Variante die Norm verfassungsgemäß, so führt das dazu, daß regelmäßig ein Verfassungsverstoß und damit das Bestehen einer Nachbesserungspflicht des Gesetzgebers nicht festgestellt werden kann. Dieses Ergebnis stützt sich auf mehrere Erwägungen. Zum einen kann man der Legislative wie bei Prognoseproblemen den Vorrang bei der Tatsachenbewertung einräumen,465 zum anderen spricht die Rechtssicherheit dafür. 466 Nor4*3 Steinberg, Der Staat 26 (1987), S. 161 ff., 170f.; zu den Ausnahmen vergleiche Fn. 461. 464 Baumeister, Rechtswidrigwerden, S. 235-237. 465 Murswiek, Verantwortung, S. 186 f.
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men sind auf Beständigkeit hin angelegt. Das Urteil der Verfassungswidrigkeit über eine ursprünglich rechtmäßige Regelung aufgrund geänderter tatsächlicher Verhältnisse ist grundsätzlich nur akzeptabel, wenn die Sachlage eindeutig ist. Allerdings wird man auch hier nach der Bedeutung der betroffenen verfassungsrechtlichen Positionen differenzieren müssen, so daß es durchaus denkbar ist, daß in Ausnahmefällen trotz tatsächlicher Unsicherheiten bereits die Verfassungswidrigkeit der Norm konstatiert werden muß.
dd) Verurteilung des Parlaments zum Gesetzerlaß oder Vornahme durch das Gericht Die ganz überwiegende Mehrheit in der Literatur geht davon aus, daß das Bundesverfassungsgericht den Gesetzgeber trotz Bestehens eines subjektiven Rechts auf Erlaß, Ergänzung oder Nachbesserung eines formellen Gesetzes nicht zum Tätigwerden verurteilen, geschweige denn, die fehlende Regelung selbst setzen könne; möglich sei nur die Feststellung, daß das Unterlassen mit der Verfassung nicht vereinbar sei. 467 Diese Meinung entspricht der Auffassung des Bundesverfassungsgerichts.468 Für diese Ansicht werden zwei Argumente ins Feld geführt. Zum einen wird auf das Bundesverfassungsgerichtsgesetz verwiesen,469 das in den einschlägigen Verfahrensarten die Möglichkeit eines Leistungsurteils nicht nennt,470 zum anderen wird in der Verpflichtung zur Rechtsetzung und in der Selbstvornahme ein Übergriff in die Kompetenzen des Gesetzgebers und damit ein Verstoß gegen den Gewaltenteilungsgrundsatz gesehen.471
466 Steinberg, Der Staat 26 (1987), S. 161 ff., 172, allerdings im Zusammenhang mit seiner oben abgelehnten Auffassung, die Entstehung der Nachbesserungspflicht knüpfe an eine diesbezügliche Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts an. 467
Badura, in: FS K. Eichenberger, S. 481 ff., 492; Friesenhahn, Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 66; Gleixner, Normerlaßklage, S. 146; Klinkhammer, Entwicklung, S. 39 f.; Lechner, NJW 1955, S. 1817ff., 1819; Lechner/Zuck, BVerfGG, § 95, Rn. 9; Schenke, Rechtsschutz, S. 341; ders., Verwaltungsprozeßrecht, S. 327, Rn. 1083; Schmidt-Bleibtreu, in: Maunz/ Schmidt-Bleibtreu/ Klein /Ulsamer, BVerfGG, § 90, Rn. 107, 121, § 95, Rn. 18; Schneider, R., AöR 89 (1964), S. 24ff., 40f., 45; Seiwerth, Zulässigkeit, S. 52f., 118; Stahler, Nachprüfung, S. 129 f., 131 f.; in jüngster Zeit auch noch Mayer, C., Nachbesserungspflicht, S. 195 f., 200, 204, der nicht einmal ansatzweise erwägt, ob ein Nachbesserungsanspruch im Verfassungsbeschwerdeverfahren durch Vornahme- oder Verpflichtungsentscheidung durchgesetzt werden kann. Eine Begründung für seine These, „das geltende Verfassungsprozeßrecht lasse eine unmittelbar auf Normerlaß gerichtete Klage nicht zu" (S. 200), bleibt er schuldig. 468 Siehe oben S. 120. 469 Lechner, NJW 1955, S. 1817ff., 1819; Schenke, Rechtsschutz, S. 341; Schneider, R., AöR 89 (1964), S. 24ff., 40f.; Seiwerth, Zulässigkeit, S. 118. 470 Vergleiche § 95 BVerfGG für die Verfassungsbeschwerde und § 82 Abs. 1 in Verbindung mit § 78 S. 1 BVerfGG für die konkrete Normenkontrolle. 471 Gleixner, Normerlaßklage, S. 146; Lechner, NJW 1955, S. 1817 ff., 1819; SchmidtBleibtreu, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Ulsamer, BVerfGG, § 90, Rn. 121; Sei1
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Beide Gesichtspunkte sind nicht durchschlagend, werden aber nur von wenigen in Frage gestellt.472 Der Grundsatz der Gewaltenteilung ist ein beliebtes Argument, wenn es um die Beschränkung der Befugnisse des Bundesverfassungsgerichts im Verhältnis zum Parlamentsgesetzgeber geht, obwohl er hierfür nur sehr wenig hergibt. Es gehört heute zum Standardwissen, daß das Grundgesetz keine Gewaltenteilung im Sinne von Montesquieu vorsieht, dessen Konzeption von einer strengen Dreiteilung der Gewalten in funktioneller, personeller und organisatorischer Hinsicht ausgeht. Eine derartige strikte Gewaltenteilung kennt das Grundgesetz nicht. Die grundgesetzliche Ordnung geht vielmehr nur grundsätzlich von einer organisatorischen und funktionellen Dreiteilung der Staatsgewalten aus, die sich durch mannigfache Verschränkungen gegenseitig hemmen und kontrollieren. 473 Die personelle und organisatorische Trennung ist nur unvollkommen verwirklicht. 474 Ein Verstoß gegen den Grundsatz der Gewaltenteilung, wie er in der Verfassung zum Ausdruck kommt, setzt deshalb voraus, daß ein Eingriff in den Kernbereich einer anderen Staatsgewalt vorliegt. Entscheidend hierfür ist, ob eine Staatsgewalt über eine andere ein von der Verfassung nicht vorgesehenes Übergewicht erhält 4 7 5 Die Zulässigkeit einer Verpflichtung des Gesetzgebers zum Erlaß eines Gesetzes ist aufgrund dieser konkreten Ausgestaltung der Gewaltenteilung durch die Verfassung zu untersuchen. Dabei ist zunächst zu berücksichtigen, daß das Grundgesetz selbst in Art. 92 2. Halbsatz GG die Einrichtung des Bundesverfassungsgerichts vorschreibt und ihm durch Art. 93 Abs. 1 GG Kompetenzen zuweist. Zu seinen wesentlichen Aufgaben gehört danach der Schutz der Verfassung. Dieser erstreckt sich auch auf den Schutz vor Beeinträchtigungen durch den Gesetzgeber, wie die Verfahren der abstrakten und konkreten Normenkontrolle, aber auch der Verfassungsbeschwerde, zeigen. Die Kontrolle der Legislative gehört damit eindeutig zum verfassungsrechtlich bestimmten Kompetenzbereich des Bundesverfassungsgerichts und kann als solche nicht den Grundsatz der Gewaltenteilung verletzen. Ferner läßt sich mit der Verfassung und dem Grundsatz der Gewaltenteilung nicht begründen, daß die Kontrolle lediglich durch eine Kassation von Gesetzen, nicht aber durch eine Verpflichtung zum Gesetzerlaß oder durch eigenen Erlaß erfolgen könne. In beiden Fällen zieht das Gericht nur die Konsequenzen aus der vorliegenden Verfassungsverletzung. Ein Verstoß gegen den Gewaltenteilungsgrundsatz ist mithin weder bei einem verpflichtenden Tenor noch bei einer Selbstvornahme durch das Bundesverfassungsgericht gegeben.
werth, Zulässigkeit, S. 118; Stahler, Nachprüfung, S. 131; anderer Ansicht insoweit Schenke, Rechtsschutz, S. 341. 472 So etwa von Seufert, Gesetzgebungsgebote, S. 279-315. 473 Bryde, Verfassungsentwicklung, S. 333 f.; BVerfGE 9, S. 268 ff., 279; 22, S. 106 ff., 111; 34, S. 52 ff., 59; BVerfG, NJW 1997, S. 383 ff., 383. 474 Die personelle Trennung von Exekutive und Legislative ist überhaupt nicht verwirklicht, so daß heute überwiegend Vertreter der Exekutive die Legislative bilden. 475 BVerfGE 9, S. 268ff., 279f.; 22, S,. 106ff., 111; 34, S. 52ff., 59; BVerfG, NJW 1997, S. 383 ff., 383.
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Als beachtliches Argument verbleibt somit lediglich der Verweis auf die fehlende Möglichkeit von Leistungsurteilen nach § 95 und §§ 82 Abs. 1 in Verbindung mit 78 S. 1 BVerfGG. Letztlich überzeugt aber auch diese Begründung nicht. Die Verfassung überläßt die nähere Ausgestaltung der Befugnisse des Bundesverfassungsgerichts gemäß Art. 94 Abs. 2 GG dem Gesetzgeber. Falls die genannten Vorschriften die Entscheidungsmöglichkeiten des Bundesverfassungsgerichts daher abschließend regelten, wäre ein Leistungs- oder Vornahmeausspruch unzulässig. Das Bundesverfassungsgericht selbst und die überwiegende prozeßrechtliche Literatur erklären § 95 BVerfGG hinsichtlich der dort genannten Ziele für abschließend.476 Dasselbe müßte dann auch für § 78 S. 1 BVerfGG gelten,477 da § 95 Abs. 3 S. 1 BVerfGG und § 78 S. 1 BVerfGG sich entsprechen und kein Grund ersichtlich ist, warum zwar § 95 BVerfGG, nicht aber § 78 BVerfGG die Entscheidungsmöglichkeiten abschließend vorschriebe. Damit könnte im Verfassungsbeschwerdeverfahren nur ein Feststellungsantrag, ein Antrag auf Aufhebung von Entscheidungen sowie ein Antrag auf Nichtigerklärung eines Gesetzes verfolgt werden. Verfahren der Normenkontrolle könnten lediglich zur Nichtigerklärung eines Gesetzes führen. Soweit eine Begründung für diese Auffassung gegeben wird, was selten der Fall ist, wird auf den Gesichtspunkt der Rechtssicherheit verwiesen.478 Gegen die Annahme des abschließenden Charakters der §§ 95, 78 S. 1 BVerfGG läßt sich einwenden, daß das Bundesverfassungsgerichtsgesetz insgesamt lückenhaft ist. 479 Bei Fehlen einer Entscheidungsvariante spricht daher zunächst mehr für die Unvollständigkeit des Gesetzes, die vom Bundesverfassungsgericht beseitigt werden kann, denn für die Unzulässigkeit einer derartigen Entscheidung. Hinzu kommt, daß bei Erlaß des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes die Möglichkeit einer Normenkontrolle oder einer Verfassungsbeschwerde bei gesetzgeberischem Unterlassen mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht in Betracht gezogen wurde. Verstärkt werden diese Argumente durch die Tenorierungspraxis des Bundesverfassungsgerichts in Normenkontroll- und Verfassungsbeschwerdeverfahren und die Reaktion des Gesetzgebers hierauf. Entgegen seinen eigenen Feststellungen zum zwingenden Charakter der §§ 95 Abs. 3 S. 1 und 78 S. 1 BVerfGG sieht das Bundesverfassungsgericht in zunehmendem Maße davon ab, das verfassungswidrige Gesetz für nichtig zu erklären und hat zahlreiche Tenorierungsformen entwikkelt. 480 Der Gesetzgeber ist hiergegen trotz mehrfacher Änderungen des Bundes476 BVerfGE 55, S. 349ff., 364; 77, S. 137ff., 146; Lechner/Zuck, BVerfGG, § 95, Rn. 1, 13, 19; Rennert, in: Umbach/Clemens, BVerfGG, § 95, Rn. 11; Schiaich, Bundesverfassungsgericht, S. 304, Rn. 419; Schmidt-Bleibtreu, in: Maunz /Schmidt-Bleibtreu/ Klein /Ulsamer, BVerfGG, § 95, Rn. 9. 477 Diese Schlußfolgerung wird in der in Fn. 476 genannten Literatur aber nicht mit dieser Eindeutigkeit gezogen. 478
Schiaich, Bundesverfassungsgericht, S. 304, Rn. 419. 479 Schiaich, Bundesverfassungsgericht, S. 42, Rn. 51; Seiwerth, Zulässigkeit, S. 37; Seufert, Gesetzgebungsgebote, S. 286. 480 Ausführlich dargestellt von Pestalozzi in: FG BVerfG I, S. 519 ff.
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Verfassungsgerichtsgesetzes nicht eingeschritten. Er hat weder den abschließenden Charakter der Vorschriften durch einen ausdrücklichen Zusatz bekräftigt, noch eine neue differenziertere Rechtsfolgenanordnung für den Fall der Verfassungswidrigkeit von Gesetzen getroffen. Deshalb ist insoweit der Ansicht von C. Pestalozza zu folgen, der hieraus den Schluß gezogen hat, das Bundesverfassungsgericht könne jedenfalls nunmehr frei über die Rechtsfolgen der Verfassungswidrigkeit eines Gesetzes entscheiden.481 Die Entscheidungspraxis des Bundesverfassungsgerichts und die Untätigkeit des Gesetzgebers482 führen aber ferner zwingend dazu, die Abgeschlossenheit der genannten Regelungen zu verneinen. Dieser Einwand kann daher einem verpflichtenden Tenor oder einer Vornahmeentscheidung des Bundesverfassungsgerichts ebenfalls nicht entgegengehalten werden. Es gibt nach alledem keine stichhaltigen Gründe für eine Beschränkung des Bundesverfassungsgerichts auf feststellende Entscheidungen, so daß Leistungsurteile durchaus möglich sind. Fraglich ist, ob es darüber hinaus Fälle gibt, in denen sogar eine Vornahmeentscheidung in Betracht kommt. Für den einzelnen hätte dies den unbestreitbaren Vorteil, daß er nicht noch länger auf die begehrte Regelung warten müßte. An eine Vornahme durch das Bundesverfassungsgericht selbst könnte man denken, wenn sich nicht nur die Gesetzgebungspflicht, sondern auch der konkrete Inhalt des Gesetzes aus der Verfassung ergibt. Ersetzte das Gericht in diesen Fällen mangelnder Entschließungs- und Ausgestaltungsfreiheit die fehlende Regelung durch seine Entscheidung, vollzöge es lediglich die Verfassung. Die Verfassung selbst beschränkte die Entscheidungsfreiheit des Gesetzgebers. Einen Eingriff in seine Kompetenzen durch die Judikative könnte man mit diesem Argument verneinen. Für die Zulässigkeit von Vornahmeentscheidungen bei fehlender Ausgestaltungsfreiheit des Gesetzgebers spricht auch die Praxis des Bundesverfassungsgerichts, das unter Berufung auf die fehlende Ausgestaltungsfreiheit der Legislative begünstigende Regelungen durch Teilnichtigerklärung auf positiv ausgeschlossene Personengruppen erstreckt. 483 Wenn hiergegen keine Bedenken bestehen, müßte eine Erstreckung der Regelung durch das Gericht auch dann möglich sein, wenn sie sich nicht durch eine Teilnichtigerklärung verwirklichen läßt, da sich die Sachverhalte in ihrer materiellrechtlichen Beurteilung völlig gleichen484 und man geneigt ist, zu sagen, daß die zufällige Regelungstechnik des Gesetzgebers für die Art der Verwirklichung eines Normergänzungsanspruchs nicht entscheidend sein könne. Dennoch sind Vornahmeentscheidungen durch das Bundesverfassungsgericht aus Gründen der Rechtssicherheit abzulehnen, weil sie die klaren Grenzen zwischen «« Pestalozza, Verfassungsprozeßrecht, S. 280, § 201, Rn. 17. 482 in bezug auf eine Änderung der §§ 95 Abs. 3 S. 1,78 S. 1 BVerfGG. Andere Vorschriften, etwa §§31 Abs. 2 S. 2 und 3, 79 Abs. 1 BVerfGG wurden an die Tenorierungspraxis des Bundesverfassungsgerichts angepaßt. 483 Siehe oben S. 120. 484 Seufert, Gesetzgebungsgebote, S. 312 f.
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der Judikative und der Legislative verwischen würden. Die Rechtsetzung ist grundsätzlich der Legislative in dem von der Verfassung vorgesehenen Verfahren vorbehalten. Die Rechtsprechung ist zu einer Gestaltung der Rechtslage nur in den ausdrücklich geregelten Fällen befugt. So ist dem Bundesverfassungsgericht die Kompetenz zur Nichtigerklärung von formellen Gesetzen eingeräumt. Dadurch unterscheidet sich die Erstreckung einer Rechtsnorm durch Teilnichtigerklärung von der Setzung einer nicht bestehenden Vorschrift durch das Gericht. Im übrigen ist auch die Praxis der Teilnichtigerklärung der Kritik ausgesetzt.485 Das Bundesverfassungsgericht kann durch seine Entscheidung kein Recht setzen, aber es ist - entgegen der herrschenden Meinung - befugt, den Parlamentsgesetzgeber zum Erlaß eines Gesetzes zu verurteilen.
ee) Ergebnis Die gerichtliche Durchsetzung von Gesetzerlaßansprüchen wirft spezifische Probleme auf. Teils beziehen sie sich auf die gerichtliche Feststellung des Vorliegens der Anspruchsvoraussetzungen, teils sind sie prozessualer Natur. In materiell-rechtlicher Hinsicht betreffen die Schwierigkeiten die Frage der Fälligkeit des Anspruchs bei fehlender Fristbestimmung, die Konstatierung der Pflichtverletzung und bei Nachbesserungsansprüchen zusätzlich die Festlegung des Zeitpunkts des Entstehens der Nachbesserungspflicht. Prozessual steht vor allem der Entscheidungstenor im Streit. Nach zutreffender Ansicht sind Gesetzerlaßansprüche, wenn das Gesetzgebungsgebot keine Fristbestimmung enthält, in angemessener Frist zu erfüllen. Dies folgt zwingend aus dem Pflichtencharakter des Gesetzgebungsauftrags. Welche Frist angemessen ist, ist eine Frage des Einzelfalls. Die Feststellung der Nichterfüllung und damit der Verletzung einer Gesetzgebungspflicht ist dann problembeladen, wenn die Pflicht keinerlei Vorgaben fiir die Art der Erfüllung enthält. Die Fragestellung berührt das Spannungsverhältnis zwischen Judikative und Legislative und ist, soweit die Bejahung einer Pflichtverletzung von Prognosen abhängt, zugunsten eines Prognosevorrangs des unmittelbar demokratisch legitimierten Gesetzgebers zu lösen. Spielen hingegen Abwägungen eine Rolle, sind diese gerichtlich voll nachprüfbar. Die Nachbesserungsbedürftigkeit einer Regelung folgt aus ihrem Verfassungswidrigwerden. Der Zeitpunkt des Umschlags einer verfassungsgemäßen in eine verfassungswidrige Vorschrift ist dann nicht eindeutig feststellbar, wenn das Verfassungswidrigwerden auf einer Veränderung der tatsächlichen Verhältnisse beruht und unterschiedliche Tatsachenbewertungen möglich sind. Hier ergibt sich aus Vergleiche hierzu Gleixner, Normerlaßklage, S. 147-149 mit weiteren Nachweisen.
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dem Prinzip der Rechtssicherheit, daß ein formelles Gesetz solange verfassungsgemäß ist, als es bei einer der möglichen Sachverhaltsalternativen als rechtmäßig zu beurteilen wäre. Zum selben Ergebnis kommt man angesichts des auch hier zum Zuge kommenden Prognosevorrangs der Legislative, wenn die Tatsachenbewertung prognostische Elemente enthält. Im Hinblick auf die Entscheidungsmöglichkeiten des Bundesverfassungsgerichts nimmt die ganz überwiegende Auffassung in der Literatur in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung eine Beschränkung auf feststellende Tenores an. Begründet wird dies mit den Regelungen des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes und dem Grundsatz der Gewaltenteilung. Da sich beide Argumente als nicht überzeugend erwiesen haben, ist festzustellen, daß das Bundesverfassungsgericht den Parlamentsgesetzgeber durchaus zum Erlaß eines Gesetzes verurteilen kann. Eine Rechtsetzung durch das Bundesverfassungsgericht selbst ist aber im Interesse der Rechtsklarheit abzulehnen.
2. Ansprüche auf Erlaß von Rechtsverordnungen a) Uberwiegende Anerkennung Nach den vorangegangenen Ausführungen zu subjektiven öffentlichen Rechten gegen den Parlamentsgesetzgeber erstaunt es nicht, daß die Mehrheit in der Literatur heute auch Berechtigungen einzelner auf Setzung von Rechtsverordnungen für denkbar hält. 486 Bejaht man Ansprüche auf Erlaß formeller Gesetze, dann folgt daraus, daß auch subjektive Rechte auf Verordnungsgebung möglich sind. Jedes andere Ergebnis wäre unlogisch, da in beiden Fällen Gegenstand des subjektiven Rechts eine Rechtsnorm ist und die Freiheit des Parlamentsgesetzgebers ungleich größer ist als die des Verordnungsgebers. Wenn also einer Bindung des Parlamentsgesetzgebers und einer dieser Bindung entsprechenden subjektiven Berechtigung zugestimmt wird, läßt das den Erst-Recht-Schluß zu, daß es auch subjektive öffentliche Rechte einzelner auf Verordnungserlaß gibt. Das stellt auch die Hauptbegründung in der Literatur für die Zustimmung zu Ansprüchen auf Erlaß von Rechtsverordnungen 486 Bachof, Verfassungsrecht, Band 1, S. 245, Band 2, S. 143 f.; v. Barby, Klagen, S. 67 ff., insbesondere S. 72, 74f.; ders., NJW 1989, S. 80f., 80; v. Danwitz, Gestaltungsfreiheit, S. 181; Duken, NVwZ 1993, S. 546 ff., 547; Gleixner, Normerlaßklage, S. 50; Jank, Rechtsanspruch, S. 58, 65, 67 f.; Kalkbrenner, DÖV 1963, S. 41 ff., 51; Obermayer, DVB1. 1965, S. 625 ff., 633; Peine, Baurecht, S. 100, § 8, Rn. 121; Renck, JuS 1982, S. 338 ff., 340; Robbers, JuS 1988, S. 949 ff., 950f.; ders., JuS 1990, S. 978 ff., 978; Soell / Martin, BayVBl. 1978, S. 649 ff., 656; Westbomke, Anspruch, S. 28 f.; Würtenberger, AöR 105 (1980), S. 370ff., 376f.; ders., BayVBl. 1980, S. 662f.; auch Konrad, BayVBl. 1981, S. 481 ff., 486, der solche Ansprüche aber für das damals geltende Recht ausschließt, BayVBl. 1981, S. 481 ff., 487 f.
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dar. 487 Daneben wird von einigen auf § 2 Abs. 3 und 4 BauGB verwiesen, die einen Anspruch auf Aufstellung, Änderung, Ergänzung und Aufhebung eines Bauleitplans ausschließen. Diese Regelungen ließen den Umkehrschluß zu, daß außerhalb des Bauplanungsrechts subjektive Rechte auf Erlaß von Rechtsverordnungen und Satzungen bestehen könnten, insbesondere in der Grauzone zwischen Norm und Einzelakt. Sonst wären sie rein deklaratorischen Charakters und damit überflüssig. 488 Die Grauzone bezeichnet behördliche Entscheidungen, die in der Rechtsform einer Norm ergehen, deren abstrakt-genereller Inhalt aber zweifelhaft ist, so daß auch eine Entscheidung in Form eines Verwaltungsakts in Betracht käme. Diese Austauschbarkeit von materiellem Gesetz und Verwaltungsakt wird als zusätzliches Argument für die Anerkennung subjektiver öffentlicher Rechte auf Normerlaß genannt. Die Form könne nicht maßgeblich dafür sein, ob dem einzelnen Rechte zustünden.489 Ferner wird auf diese Sonderfälle wie Maßnahmegesetze und Bauleitpläne rekurriert, um darzulegen, daß normative Regelungen durchaus im Individualinteresse erfolgen könnten.490 Noch viel grundsätzlicher argumentiert eine andere Ansicht, die aus der Stellung des Bürgers im sozialen Rechtsstaat als Partner des Staates oder aus Art. 19 Abs. 4 GG eine Vermutung für das Vorliegen eines subjektiven öffentlichen Rechts für den Fall herleitet, daß eine Rechtsnorm Individualinteressen berücksichtigt.491 Überzeugen kann aus den oben bereits angestellten Erwägungen vor allem der Erst-Recht-Schluß von Ansprüchen auf Erlaß formeller Gesetze auf subjektive öffentliche Rechte auf Verordnungserlaß. Den übrigen Argumenten kommt nur subsidiäre Bedeutung zu. Der Hinweis auf § 2 Abs. 3 und 4 BauGB ist zwar plausibel, der Umkehrschluß ist aber alles andere als zwingend, denn er würde voraussetzen, daß es keine nur deklaratorischen Bestimmungen in Gesetzen gibt. Daß dem (leider) nicht so ist, weiß jeder Jurist. Das Argument der zunehmenden Austauschbarkeit von Norm und Einzelakt spricht nur dann für die Annahme eines subjektiven öffentlichen Rechts auf Normerlaß, wenn feststeht, daß bei einer Rege487 V. Barby, Klagen, S. 74 f.; ders., NJW 1989, S. 80 f., 80; Gleixner, Normerlaßklage, S. 42f.; Peine, Baurecht, S. 100, § 8, Rn. 121; Robbers, JuS 1988, S. 949ff., 950f.; Soell/ Martin, BayVBl. 1978, S. 649 ff., 656; Westbomke, Anspruch, S. 29; Würtenberger, AöR 105 (1980), S. 370 ff., 376; kritisch hierzu Klinkhammer, Entwicklung, S. 42 f., 231, der den ErstRecht-Schluß als „pauschalierende Betrachtungsweise" wegen der Unterschiede zwischen formellen Gesetzen und untergesetzlichen Normen ablehnt, die Existenz von Ansprüchen auf Erlaß formeller Gesetze aber als Indiz für das Bestehen subjektiver Rechte auf Verordnungserlaß wertet. 488 Gleixner, Normerlaßklage, S. 50; Robbers, JuS 1988, S. 949 ff., 951; Soell/Martin, BayVBl. 1978, S. 649 ff., 656 f. 489 y Barby, Klagen, S. 68 f.; ders., NJW 1989, S. 80f.; Duken, NVwZ 1993, S. 546ff., 547; Gleixner, Normerlaßklage, S. 42; Klinkhammer, Entwicklung, S. 64, 67 f., 231; Peine, Baurecht, S. 100, § 8, Rn. 121; Robbers, JuS 1988, S. 949ff., 950; Würtenberger, BayVBl. 1980, S. 662 f., 662. 490 v. Barby, Klagen, S. 68f.; ders., NJW 1989, S. 80f. 491 V. Barby, Klagen, S. 70f.; Peine, Baurecht, S. 100, § 8, Rn. 121; Würtenberger, AöR 105 (1980), S. 370 ff., 376.
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3. Teil: Normerlaßanspriiche in Rechtsprechung und Literatur
lung durch Einzelakt ein Anspruch auf denselben bestünde. In diesen Fällen muß dann auch die Normregelung im Individualinteresse ergehen. Die Begründung trägt aber nur im Hinblick auf atypische Fälle. Für den Regelfall einer Rechtsverordnung mit generell-abstraktem Inhalt, auf den hier der Schwerpunkt gelegt wurde, ist sie nicht einschlägig. Das geänderte Staat-Bürger-Verhältnis schließlich legt subjektive öffentliche Rechte des Bürgers nahe, wenn beim Normerlaß auch seine Interessen zu berücksichtigen sind. Große Durchschlagskraft kommt ihm angesichts seiner Allgemeinheit aber nicht zu. Als Ergebnis bleibt festzuhalten, daß Ansprüche des Bürgers auf Verordnungserlaß grundsätzlich möglich sind. Insofern stimmen die herrschende Meinung in der Literatur und die Rechtsprechung mittlerweile überein. Voraussetzung eines Rechts auf Verordnungsgebung ist zunächst das Bestehen einer objektiven Verordnungsgebungspflicht. Deren Grundlagen sind im folgenden zu untersuchen.
b) Verordnungsgebungspflichten Was die Basis von Verordnungsgebungsaufträgen anbelangt, lassen sich zwischen der bereits dargestellten Rechtsprechung492 und der Wissenschaft keine wesentlichen Unterschiede ausmachen. Als Grundlagen kommen das Verfassungsrecht und formelle Gesetze in Betracht. Verfassungsrechtliche Verordnungsgebungsgebote werden angenommen, wenn der Parlamentsgesetzgeber Gesetzgebungsaufträge nur teilweise erfüllt und die Vervollständigung durch eine Rechtsverordnungsermächtigung dem Verordnungsgeber überträgt. Da eine Gesetzgebungspflicht besteht, kann der Erlaß der Rechtsverordnung nicht im Belieben des Verordnungsgebers stehen, die Gesetzgebungspflicht wandelt sich in eine Verordnungsgebungspflicht. 493 Verfassungsrechtlich begründete Verordnungsgebungsgebote können sich daher aus allen Verfassungsbestimmungen ergeben, die Gesetzgebungspflichten begründen oder begründen können. Insoweit kann auf die Ausführungen zu den Gesetzgebungspflichten verwiesen werden. 494 Daneben werden Verordnungsgebungspflichten der jeweiligen Ermächtigungsnorm entnommen. Zwar geht auch die herrschende Lehre von der grundsätzlichen Gestaltungsfreiheit des Verordnungsgebers aus,495 aber es besteht Übereinstimmung, daß der Parlamentsgesetzgeber die Gestaltungsfreiheit einschränken, ins492 Siehe oben S. 130 ff. 493 Peine, ZG 1988, S. 121 ff., 132. 494 Unzutreffend deshalb v. Barby, Klagen, S. 76 f., der die Möglichkeit des „Weitergebens" der Gesetzgebungspflicht übersieht. 495 Badura, in: GS W. Martens, S. 25 ff., 26; v. Danwitz, Gestaltungsfreiheit, S. 179 f.; Lepa, AöR 105 (1980), S. 338 ff., 347; Peine, ZG 1988, S. 121 ff., 129; Robbers, JuS 1988, S. 949ff., 951; Schmidt-Bleibtreu, DÖV 1962, S. 105 ff., 105; Schneider, H., Gesetzgebung, S. 164, Rn. 248; Zuleeg, DVB1. 1970, S. 157 ff., 157.
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besondere den Verordnungsgeber zum Erlaß einer Rechtsverordnung verpflichten kann. 496 Begründet wird die Zulässigkeit verpflichtender Ermächtigungen damit, daß es sich bei der Übertragung der Rechtsetzungsbefugnis gemäß Art. 80 Abs. 1 S. 1 GG um eine sogenannte unechte Delegation handele.497 Die unechte Delegation unterscheidet sich von der echten Delegation dadurch, daß der Delegierende seine Rechtsetzungsbefugnis nicht verliert. Die unechte Delegation führt zu einer kumulativen Zuständigkeit.498 Aus der Parallelzuständigkeit von Parlamentsgesetzgeber und Verordnungsgeber wird zu Recht auf die Befugnis des Gesetzgebers geschlossen, den Verordnungsgeber zum Verordnungserlaß zu verpflichten, denn wenn der Parlamentsgesetzgeber die Regelung wieder ganz an sich ziehen kann, dann ist nicht einzusehen, warum er den Verordnungsgeber nicht auch zum Erlaß der Verordnung verpflichten können sollte.499 Aus diesem Grund ist die Zulässigkeit verpflichtender Ermächtigungen auch nicht auf bestimmte Fälle beschränkt.500 Eine Verordnungsgebungspflicht besteht daher immer dann, wenn die ermächtigende Norm ausdrücklich zur Rechtsetzung verpflichtet. 501 Darüber hinaus wird eine Verpflichtung des Verordnungsgebers dann befürwortet, wenn der Wortlaut der Ermächtigungsnorm offen, aber das Gesetz ohne Erlaß der Verordnung nicht durchführbar ist. 502 Dem ist zuzustimmen. In diesen Fällen führt die teleologische Auslegung der ermächtigenden Vorschrift zur Annahme einer Verordnungsgebungspflicht. 503 Ein anderes Ergebnis würde unterstellen, daß der Gesetzgeber ein nicht vollziehbares Gesetz schaffen wollte. Dagegen kann nicht eingewandt werden, der Gesetzgeber könne die Regelung bei Untätigkeit des Verordnungsgebers wieder an sich ziehen. Das trifft zwar zu, 5 0 4 würde aber dem 496 V. Danwitz, Gestaltungsfreiheit, S. 29,180; Jank, Rechtsanspruch, S. 44; Klinkhammer, Entwicklung, S. 71 ; Lepa, AöR 105 (1980), S. 338 ff., 347 f.; Peine, ZG 1988, S. 121 ff., 133 f.; Schmidt-Bleibtreu, DÖV 1962, S. 105 ff., 105; Schneider, H., Gesetzgebung, S. 164, Rn. 248. 497 Jank, Rechtsanspruch, S. 44. 4
98 V. Danwitz, Gestaltungsfreiheit, S. 29. 499 V. Danwitz, Gestaltungsfreiheit, S. 167, 180. 500 Anderer Ansicht sind Lepa, AöR 105 (1980), S. 338 ff., 347 f., der ein legitimes Interesse des Parlamentsgesetzgebers verlangt, das er als gegeben ansieht, wenn der Parlamentsgesetzgeber ohne Tatigwerden des Verordnungsgebers sein Ziel nicht erreichen kann, und im Anschluß an ihn Peine, ZG 1988, S. 121 ff., 132f. soi V. Danwitz, Gestaltungsfreiheit, S. 180; Schmidt-Bleibtreu, DÖV 1962, S. 105 ff., 105. 502 v. Danwitz, Gestaltungsfreiheit, S. 181; Kalkbrenner, DÖV 1963, S. 41 ff., 50; Lepa, AöR 105 (1980), S. 338 ff., 348; Peine, ZG 1988, S. 121 ff., 133; Zuleeg, DVB1. 1970, S. 157 ff., 157; wohl auch Klinkhammer, Entwicklung, S. 71 f.; anderer Ansicht: SchmidtBleibtreu, DÖV 1962, S. 105 ff., 105. 503 Nicht überzeugend insoweit v. Danwitz, Gestaltungsfreiheit, S. 181, der einerseits ausführt, die Auslegung der Ermächtigungsnorm ergebe keine Verpflichtung, andererseits aber eine Reduzierung der Entschließungsfreiheit des Verordnungsgebers auf Null annimmt, weil die Zwecksetzung der Entschließungsfreiheit keine andere fehlerfreie Entscheidung zulasse. 504 Peine, ZG 1988, S. 121 ff., 137.
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Verhältnis zwischen Parlamentsgesetzgeber und Verordnungsgeber nicht gerecht werden. Die Delegation der Rechtsetzungsbefugnis an den Verordnungsgeber dient der Entlastung des Parlamentsgesetzgebers. Sie ermöglicht insbesondere die Inanspruchnahme des Sachverstandes der Exekutive sowie eine schnellere Anpassung der Regelungen an sich verändernde Umstände. Der Verordnungsgeber ist „Gehilfe" des Parlaments. Dieser Stellung würde es widersprechen, wenn man unter Hinweis auf die Parallelzuständigkeit des Gesetzgebers eine Pflicht zum Verordnungserlaß verneinen würde, obwohl das Gesetz ohne Tätigwerden des Verordnungsgebers nicht anwendbar wäre. Im Bereich der Geltung des Parlamentsvorbehalts läge hierin zudem auch ein Verstoß gegen Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG, wie das Bundesverfassungsgericht hervorgehoben hat. 505 Es ist mit dem Sinn des Art. 80 Abs. 1 GG in diesen Fällen nicht vereinbar, die Anwendbarkeit des Gesetzes zur Disposition des Verordnungsgebers zu stellen, denn damit würde der Parlamentsgesetzgeber sich seiner Verantwortung für das Gesetz entledigen. Das will Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG aber gerade verhindern. 506 Vereinzelt wird vertreten, es bestehe im Regelfall eine Vermutung für eine Verpflichtung zum Verordnungserlaß, da jede Rechtsverordnungsermächtigung erkennen lasse, daß das Gesetz bewußt unvollständig und vom Gesetzgeber auf eine Vervollständigung durch den Verordnungsgeber angelegt sei. 507 Die Begründung trifft inhaltlich durchaus zu, aber sie trägt die Vermutungsregel letztlich nicht. Gegen sie spricht der Wortlaut der meisten Verordnungsermächtigungen, die eine bloße Befugnis, aber keine Verpflichtung des Verordnungsgebers zur Rechtsetzung nahelegen. Zwar dürfte in vielen Fällen der Existenz einer Verordnungsermächtigung der Erlaß der Rechtsverordnung aus der Sicht des Parlamentsgesetzgebers wünschenswert sein, das reicht aber nicht aus, um eine zwingende Verpflichtung des Verordnungsgebers anzunehmen. Aus jüngster Zeit stammt die Ansicht, ein Anspruch des einzelnen auf Erlaß einer untergesetzlichen Norm könne sich in Ausnahmefällen aus ungeschriebenen Rechtsgrundsätzen wie etwa dem Grundsatz von Treu und Glauben ergeben.508 Dann müßte sich diesen Grundsätzen eine Gesetzgebungspflicht entnehmen lassen. Das ist angesichts der Unbestimmtheit dieser Rechtssätze, die immer erst im Zusammenhang mit anderen Rechtsnormen Konturen gewinnen, für eine originäre Rechtsetzungspflicht zu verneinen. Es erscheint aber nicht völlig ausgeschlossen, daß sich die gesetzlich begründete Befugnis zum Erlaß einer untergesetzlichen Norm durch einen allgemeinen Rechtsgrundsatz zu einer Pflicht und einem korrespondierenden Anspruch verdichtet. Diese Möglichkeit dürfte sich allerdings auf Normen beschränken, die Einzelfallregelungen enthalten oder einer Einzelfallentscheidung nahekommen. 505 506 507 508
BVerfGE 78, S. 149 ff., 272. BVerfGE 78, S. 149 ff., 272. Westbomke, Anspruch, S. 34-36. Klinkhammer, Entwicklung, S. 73,231.
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Nachbesserungspflichten des Verordnungsgebers sind denkbar, wenn die Verordnungsgebungspflicht einen dynamischen Inhalt hat. Da der Parlamentsgesetzgeber häufig dann von seiner Delegationsbefugnis Gebrauch macht, wenn zu erwarten ist, daß aufgrund sich wandelnder Umstände oder Erkenntnisse häufiger eine Rechtsanpassung erforderlich wird, dürften auf der Ebene der Verordnungsgebung häufiger Nachbesserungspflichten virulent werden als auf der Ebene der formellen Gesetzgebung. Ergebnis der Literaturauswertung ist, daß sich Verordnungsgebungspflichten sowohl aus Verfassungsrecht als auch aus der jeweiligen Ermächtigungsnorm ergeben können. Wissenschaft und Praxis stimmen insoweit überein.
c) Verordnungsgebungspflichten
im Individualinteresse
Die Frage, ob einer verfassungsrechtlichen oder einfachgesetzlichen Pflicht zum Verordnungserlaß ein subjektives öffentliches Recht eines einzelnen gegenübersteht, wird in der Literatur auch hier mit Hilfe der Schutznormtheorie beantwortet. Danach ist ein subjektives öffentliches Recht auf Erlaß, Ergänzung oder Nachbesserung einer Rechtsverordnung gegeben, wenn die Verordnungsgebungspflicht zumindest auch im Individualinteresse und nicht ausschließlich im Interesse der Allgemeinheit besteht.509
d) Formelles subjektives öffentliches Recht bei individualschützender Ermächtigung? Im Rahmen der Untersuchung der einschlägigen Rechtsprechung wurde festgestellt, daß diese außerhalb der bei formellen Gesetzen dargestellten Gleichheitsproblematik bei bestehender Entschließungsfreiheit des Verordnungsgebers ein formelles subjektives öffentliches Recht des einzelnen auf fehlerfreie Entscheidung über den Erlaß einer Rechtsverordnung bejaht, wenn die gesetzliche Ermächtigung auch Individualinteressen dient. 510 Das wirft zwei Fragen auf. Einmal die Frage nach der Existenz eines derartigen Rechts, zum anderen die oben 511 bereits aufgeworfene Frage, ob ein solches Recht auch gegenüber dem Parlamentsgesetzgeber denkbar ist. Auffällig an der Figur des Rechts auf fehlerfreie Entscheidung über den Gebrauch der Normsetzungsbefugnis ist die Parallele zum subjektiven öffentlichen 509 Bachof, Verfassungsrecht, Band 1, S. 245; v. Barby, Klagen, S. 68,77 f.; Gleixner, Normerlaßklage, S. 44, 62; Jank, Rechtsanspruch, S. 6, 55; Konrad, BayVBl. 1981, S. 481 ff., 486, 488; Robbers, JuS 1988, S. 949ff., 950/951; Westbomke, Anspruch, S. 36; Würtenberger, AöR 105 (1980), S. 370ff., 377 f. 510 Siehe oben S. 132 f. 511 S. 137.
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3. Teil: Normerlaßanspriiche in Rechtsprechung und Literatur
Recht auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über den Antrag auf Erlaß eines Verwaltungsakts. Keine Bedenken gegen die Bejahung eines solchen Rechts bestünden daher, wenn zwischen dem Erlaß eines Verwaltungsakts als Rechtsanwendung und der Setzung einer Rechtsnorm oder aber wenigstens dem Erlaß einer Rechtsverordnung keine rechtlich ins Gewicht fallenden Unterschiede bestünden. Die herrschende Meinung geht indessen von einer grundsätzlichen Verschiedenheit von Rechtsetzung und Rechtsanwendung aus, jedenfalls soweit die formelle Gesetzgebung durch das Parlament in Rede steht.512 Der Schwerpunkt der rechtsetzenden Tätigkeit wird in der eigenen schöpferischen, von rechtlichen Bindungen weitgehend freien Gestaltung gesehen,513 während die Rechtsanwendung als überwiegend reiner Gesetzesvollzug begriffen wird. 514 Konsequenz dieser Trennung sind Unterschiede in der rechtlichen Bindung von Legislative und verwaltender Exekutive und daraus folgend eine unterschiedliche gerichtliche Kontrolldichte. Dieser Differenzierung wird man im Hinblick auf die Rechtsetzung durch den Parlamentsgesetzgeber zustimmen können, auch wenn seine Gestaltungsfreiheit durch die Verfassung nicht unerheblich eingeschränkt ist. Dennoch ist Gesetzgebung kein bloßer Vollzug der Verfassung. Der rechtlich nicht gebundene Entscheidungsspielraum des Parlamentsgesetzgebers ist aufgrund seiner ausschließlichen Verfassungsbindung und der Offenheit der Verfassung wesentlich größer als der der Exekutive im Rahmen der Rechtsanwendung. Die verwaltende Exekutive verfügt nur in bestimmten, eindeutig definierten Fällen über einen eigenen Handlungsspielraum. Anerkannt ist er bei Beurteilungsermächtigungen und bei Ermessensentscheidungen, diskutiert wird er in jüngerer Zeit vor allem im technischen Sicherheitsrecht als Befugnis zur Normenkonkretisierung. Aber auch die Freiheit in diesen Bereichen bleibt hinter der politischen Gestaltungsfreiheit des Parlamentsgesetzgebers zurück, da es sich um eine rechtlich determinierte Freiheit handelt. Die Freiheit des Parlamentsgesetzgebers ist nicht nur quantitativ etwas anderes als die Freiheit der Verwaltung, sondern qualitativ. Eine Übertragung der Lehre vom Verwaltungsermessen auf die Rechtsetzung durch den Parlamentsgesetzgeber ist deshalb ausgeschlossen. Ein Recht auf fehlerfreie Entscheidung über den Erlaß eines formellen Gesetzes bei bestehender Entschließungsfreiheit des Parlamentsgesetzgebers kann es nicht geben. Fraglich ist allerdings, ob das auch in bezug auf die Normgebung durch die Exekutive Geltung beansprucht. Zur Einordnung der Verordnungsgebung werden drei Auffassungen vertreten. Legt man das Schwergewicht mit der überwiegenden Rechtsprechung515 auf die 512 Badura, in: GS W. Martens, S. 25 ff., 29 mit weiteren Nachweisen. 513 Badura, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch, Band 7, § 163, Rn. 12 f.; Schmidt-Aßmann, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch, Band 1, § 24, Rn. 29; Stem, Staatsrecht I, S. 85. 514 Stem, Staatsrecht I, S. 84 f. 515 Siehe etwa BVerfGE 13, S. 248ff., 255; 69, S. 150ff., 160; HessStGH, NVwZ 1984, S. 99 ff., 100; BVerwGE 72, S. 126 ff., 132 mit weiteren Nachweisen; VGH Mannheim, NVwZ 1983, S. 369 ff., 369.
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Funktion der Verordnungsgebung als Rechtsetzung, ist die Gestaltungsfreiheit des Verordnungsgebers der Gestaltungsfreiheit des Parlamentsgesetzgebers vergleichbar und unterscheidet sich von dieser nur durch die zusätzliche Begrenzung durch das ermächtigende Gesetz. Stellt man dagegen entscheidend auf die Herkunft der Norm von der Exekutive und die Rechtsanwendungsfunktion im Hinblick auf die ermächtigende Vorschrift ab, gelangt man zu einer Annäherung an Einzelfallentscheidungen der Exekutive und einer Anwendung der dortigen Ermessenslehre auf die Gestaltungsfreiheit des Verordnungsgebers. 516 Die dritte Ansicht begreift die Gestaltungsfreiheit des Verordnungsgebers als Kategorie sui generis, weil die beiden anderen Meinungen jeweils einen dieser Gesichtspunkte vernachlässigten.517 Die Kritik ist berechtigt, aber die Konstruktion einer eigenständigen Kategorie ist nur dann sinnvoll, wenn für die Ausübung der verordnungsgeberischen Gestaltungsfreiheit einheitliche Maßstäbe aufgestellt werden können, die sich von den für die Gestaltungsfreiheit des Parlamentsgesetzgebers und die Ermessensausübung durch die Verwaltung erarbeiteten Kriterien unterschieden. Das ist aber gerade nicht der Fall. Die Verordnungsgebung steht zwischen der formellen Gesetzgebung und den Entscheidungen der Exekutive durch Einzelakt.518 Es ist daher für jede Fragestellung zu prüfen, ob der Verordnungsgeber in diesem Punkt eher dem Parlamentsgesetzgeber oder eher der gesetzesvollziehenden Exekutive gleichzuachten ist. Danach entscheidet sich, welche Maßstäbe zur Anwendung kommen. Für die noch offene Frage nach der Möglichkeit formeller subjektiver öffentlicher Rechte gegen den Verordnungsgeber auf fehlerfreie Ausübung seiner Entschließungsfreiheit ergibt sich aus diesem Ergebnis folgendes: Da der Verordnungsgeber nach allgemeiner Auffassung von einer Ermächtigung nur ihrem Zweck entsprechend Gebrauch machen darf, 519 ist er in dieser Hinsicht der rechtsanwendenden Verwaltung vergleichbar, die ihr Ermessen ebenfalls sachgerecht ausüben muß. Sofern die Ermächtigung zum Erlaß einer Rechtsverordnung daher auch den Interessen einzelner dient, haben diese ein Recht auf sachgerechte Entscheidung über den Erlaß der Rechtsverordnung.520
516 So Soell/Martin, BayVBl. 1978, S. 649 ff., 656; Westbomke, Anspruch, S. 48 (allerdings im Zusammenhang mit der Ausgestaltungsfreiheit des Verordnungsgebers); Zuleeg, DVB1. 1970, S. 157ff., 159f., 162. 517 V. Danwitz, Gestaltungsfreiheit, S. 177-179. 518 Jank, Rechtsanspruch, S. 7 f.; Schmidt-Aßmann, in: Maunz-Dürig, GG, Art. 19 Abs. IV, Rn. 217. 519 Badura, in: GS W. Martens, S. 25 ff., 27; v. Danwitz, Gestaltungsfreiheit, S. 171; Konrad, BayVBl. 1981, S. 481 ff., 482; Schenke, in: Bonner Kommentar, Art. 19 Abs. 4, Rn. 379. 520 Von der Möglichkeit eines formellen subjektiven öffentlichen Rechts in diesen Fällen gehen aus: Konrad, BayVBl. 1981, S. 481 ff., 482; Renck, JuS 1982, S. 338ff., 340; Soell/ Martin, BayVBl. 1978, S. 649 ff., 657; wohl auch Gleixner, Normerlaßklage, S. 66, aber für den Fall verbleibender Ausgestaltungsfreiheit; ablehnend: Schenke, in: Bonner Kommentar, Art. 19 Abs. 4, Rn. 379.
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e) Dichte der Individualrechte Eine tiefergehende Analyse des Inhalts subjektiver öffentlicher Rechte auf Verordnungserlaß findet sich in der direkt einschlägigen Literatur nicht. Das findet seine Rechtfertigung in der Tatsache, daß letztlich nur wenige allgemeingültige Aussagen zur Anspruchsdichte getroffen werden können, da diese vom Verordnungstyp, von der Einwirkung des Verfassungsrechts, von der inhaltlichen Dichte der Ermächtigungsnorm, dem zu regelnden Sachbereich und sonstigen Umständen des Einzelfalls abhängt. Die Äußerungen lassen sich dahin zusammenfassen, daß je nach dem Maß der Ausgestaltungsfreiheit des Verordnungsgebers Ansprüche unterschiedlichsten Inhalts denkbar sind.521 Das schwächste materielle subjektive öffentliche Recht ist auf den Erlaß einer Rechtsverordnung überhaupt im Rahmen der Ermächtigungsnorm gerichtet, während das stärkste materielle Recht dem einzelnen die Befugnis einräumt, die Setzung einer inhaltlich genau bestimmten Rechtsverordnung zu verlangen. 522 Übereinstimmung besteht auch in der Einschätzung, daß ein Anspruch auf Erlaß einer ganz konkreten Rechtsverordnung nur in Ausnahmefällen in Betracht kommt 523 und daß ein subjektives Recht auf Verordnungserlaß häufiger vorkommen wird als ein subjektives Recht gegen den Parlamentsgesetzgeber auf Erlaß eines formellen Gesetzes.524 Von einigen wird bei bestehender Ausgestaltungsfreiheit, also im Regelfall, lediglich ein formelles subjektives öffentliches Recht angenommen.525 Als die Ausgestaltungsfreiheit begrenzende Faktoren werden das Verfassungsrecht, 526 insbesondere die Grundrechte 527 und der Gleichheitssatz,528 sowie die inhaltlichen Vorgaben der Ermächtigungsnorm genannt.529 Diesen Ergebnissen ist im wesentlichen beizupflichten. Lediglich die Annahme einer bloßen Destination bei bestehender Ausgestaltungsfreiheit des Verordnungsgebers ist abzulehnen. Der Begriff der Destination oder des formellen subjektiven öffentlichen Rechts sollte auf die Fälle beschränkt bleiben, in denen der Verwaltung ein Handlungsspielraum hinsichtlich des „Ob" ihres Tätigwerdens eingeräumt ist. Hier rechtfertigt sich die Bezeichnung formelles Recht dadurch, daß der Bürger keinen Anspruch auf das begehrte Handeln an sich geltend machen kann, sondern 521 522 523 524
V. Barby, Klagen, S. 81; Jank, Rechtsanspruch, S. 58; Renck, JuS 1982, S. 338 ff., 340. Ähnlich Gleixner, Normerlaßklage, S. 66; Renck, JuS 1982, S. 338 ff., 340. Westbomke, Anspruch, S. 50. V. Barby, Klagen, S. 82 f.
525 Gleixner, Normerlaßklage, S. 66; Westbomke, Anspruch, S. 49 f., 67; Würtenberger, AöR 105(1980), S. 370 ff., 378. 526 V. Danwitz, Gestaltungsfreiheit, S. 185. 527 v. Danwitz, Gestaltungsfreiheit, S. 185. 528 v. Barby, Klagen, S. 82; v. Danwitz, Gestaltungsfreiheit, S. 185. 529 V. Barby, Klagen, S. 82; Badura, in: GS W. Martens, S. 25 ff., 30; v. Danwitz, Gestaltungsfreiheit, S. 186.
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nur auf eine fehlerfreie Entscheidung, es also möglich ist, daß die Exekutive rechtmäßig von einem Tätigwerden absieht. Dagegen ist immer dann von einem materiellen subjektiven öffentlichen Recht auszugehen, wenn der einzelne ein Tätigwerden der Verwaltung in seinem Sinne verlangen kann, weil keine Entschließungsfreiheit gegeben ist. Bestehende Spielräume bei der inhaltlichen Ausgestaltung des Einzelakts oder der Rechtsnorm betreffen nur die Dichte des materiellen Anspruchs. f) Einzelfragen
der gerichtlichen Durchsetzbarkeit
aa) Fälligkeit der Leistung Die Frage, wann eine Verordnungsgebungspflicht zu erfüllen ist, wird in der Literatur nur vereinzelt 530 angesprochen. Dem Verordnungsgeber wird ebenso wie dem Parlamentsgesetzgeber eine angemessene Frist zum Erlaß der Rechtsverordnung zugebilligt.531 Was angemessen sei, könne nur im Einzelfall ermittelt werden. 532 Dem läßt sich noch hinzufügen, daß die Frist für den Verordnungsgeber im Regelfall wesentlich kürzer sein wird als die von der Rechtsprechung gegenüber dem Parlamentsgesetzgeber anerkannten Fristen. Das ergibt sich daraus, daß der Verordnungsgeber nur einen bestimmten Teilausschnitt zu regeln hat, die Materie also zumeist nicht so komplex ist, und das Normsetzungsverfahren aufgrund seiner geringeren rechtlichen Formalisierung schneller durchführbar ist. Grundsätzliche Unterschiede zwischen Verordnungsgeber und Parlamentsgesetzgeber sind aber in bezug auf den Zeitpunkt der Erfüllung nicht zu konstatieren.
bb) Das Evidenzkriterium Der Forderung nach Evidenz kommt bei der gerichtlichen Durchsetzung von Ansprüchen auf Erlaß, Ergänzung oder Nachbesserung einer Rechtsverordnung dieselbe Bedeutung zu wie bei subjektiven öffentlichen Rechten gegen den Parlamentsgesetzgeber. Sie betrifft die Frage der Pflichtverletzung und bei Nachbesserungsansprüchen zusätzlich das Problem, wann die Nachbesserungspflicht entsteht. Erörtert wird es in der Literatur in diesem Zusammenhang nicht. Im Grundsatz gilt nichts anderes wie bei Ansprüchen gegen den Parlamentsgesetzgeber. Ein Entscheidungsvorrang des Verordnungsgebers gegenüber der Judikative kommt nur bei Prognosespielräumen und bei Tatsachenbewertungen in 530 Kalkbrenner, DÖV 1963, S. 41 ff., 50; Westbomke, Anspruch, S. 57-59. 531 Kalkbrenner, DÖV 1963, S. 41 ff., 50; Westbomke, Anspruch, S. 58 f., dessen Ausführungen sich das indirekt entnehmen läßt. 532 Westbomke, Anspruch, S. 59. 14 Eisele
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3. Teil: Normerlaßanspriiche in Rechtsprechung und Literatur
Betracht. 533 Hier ist die Gestaltungsfreiheit des Verordnungsgebers der des Parlamentsgesetzgebers vergleichbar. Dennoch ist sie nicht gleich. Aufgrund der geringeren demokratischen Legitimation des Verordnungsgebers muß die gerichtliche Kontrolldichte auch in diesen Bereichen höher sein als gegenüber dem Parlamentsgesetzgeber.534 cc) Entscheidungsinhalt Da sich die Theorie schwerpunktmäßig mit den prozessualen Aspekten von Normerlaßansprüchen beschäftigt 535 und der Inhalt der gerichtlichen Entscheidung zunächst vom jeweiligen Rechtsweg und sodann von der Verfahrensart abhängt, könnte an dieser Stelle eine umfassende Erörterung der ganzen Problematik erfolgen. Die Arbeit beschränkt sich indes im wesentlichen auf Ausführungen zum Entscheidungstenor, weil diesem aus der Sicht des einzelnen die größte Bedeutung zukommt und die übrigen Streitfragen mittlerweile nur noch von theoretischem Interesse sein dürften, da die Rechtsprechung zu ihnen inzwischen Stellung bezogen hat. Für die Diskussion des möglichen Entscheidungsinhalts soll hier deshalb der Stand der Rechtsprechung zugrunde gelegt werden. 536 Zunächst ist festzustellen, daß für die Verfolgung von Ansprüchen auf Erlaß einer Rechtsverordnung regelmäßig der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten eröffnet ist. 537 Bei Verfassungsverletzungen kommen daneben Verfahren vor den Verfassungsgerichten in Betracht. Werden die Rechte im Verwaltungsrechtsweg geltend gemacht, ist die richtige Verfahrensart die Feststellungs- oder Leistungsklage im normalen Instanzenzug. Eine analoge Anwendung des § 47 VwGO scheidet aus, da es an der hierfür erforderlichen planwidrigen Gesetzeslücke fehlt. 538 Es 533 Ähnlich, aber etwas unpräzise formuliert v. Danwitz, Gestaltungsfreiheit,S. 189, der im Gegensatz zu der hier vertretenen Meinung auch Abwägungen miteinbezieht. 534 Die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung geht wohl eher in die andere Richtung, vergleiche v. Danwitz, Gestaltungsfreiheit, S. 183 (in Zusammenhang mit der Verpflichtung zur Aufhebung von Verordnungsrecht). 535 Vergleiche die Nachweise oben in Fn. 5. 536 Siehe hierzu die Darstellung S. 135 f. 537 Die gegenteilige Auffassung wird vor allem von Schenke vertreten, der Normerlaßklagen generell als verfassungsrechtliche Streitigkeiten qualifiziert, vergleiche Schenke, Verwaltungsprozeßrecht, S. 39, Rn. 132, S. 102 f., Rn. 347, S. 114, Rn. 389, S. 325 ff., Rn. 1083; ders., VerwArch 82 (1991), S. 307 ff., 336 ff., 347. 538 Genauso Allesch, BayVBl. 1990, S. 120ff., 121; Gleixner, Normerlaßklage, S. 19; Renck, JuS 1982, S. 338ff., 342; Robbers, JuS 1988, S. 949ff., 951 f.; Schenke, Veiwaltungsprozeßrecht, S. 265, Rn. 883; Sodan, in Sodan/Ziekow, VwGO, § 42, Rn. 47; ähnlich Westbomke, Anspruch, S. 128 f., der die Ablehnung der Analogie mit der fehlenden rechtlichen Vergleichbarkeit begründet und im Anschluß an ihn Soell / Martin, BayVBl. 1978, S. 649 ff., 657; wohl auch Duken, NVwZ 1993, S. 546 ff., 547; anderer Ansicht Klinkhammer, Entwicklung, S. 114 f. Seine Ansicht basiert auf der Ablehnung der Leistungsklage; diese berücksichtige die speziellen Zulässigkeitsvoraussetzungen bei Rechtnormen nicht angemessen. Es ist fraglich, ob das bereits für die Annahme einer planwidrigen Gesetzeslücke ausreicht.
C. Diskussionsstand in der Literatur und kritische Würdigung
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bedarf daher keiner Auseinandersetzung mit den Stimmen, die sich für eine Anwendung des § 47 VwGO aussprechen. Selbst wenn dieses Verfahren vorzugswürdig wäre, kann es mangels Vorliegen der Voraussetzungen für eine Analogie nicht zum Zuge kommen. Das gilt auch, wenn die Ergänzung einer Norm erstrebt wird. 539 Für eine unterschiedliche Behandlung von sogenannten echten Normerlaßklagen und den als unechten Normerlaßklagen bezeichneten Normergänzungsklagen fehlt ein rechtfertigender Grund. 540 Sowohl im verfassungsgerichtlichen Verfahren wie im verwaltungsgerichtlichen Verfahren stellt sich wiederum die Frage der Zulässigkeit von Leistungsurteilen. Für die Entscheidungen der Verfassungsgerichtsbarkeit kann auf die obige 541 Argumentation zum Anspruch auf Erlaß formeller Gesetze verwiesen werden. Danach sprechen keine Gründe gegen die Zulässigkeit von Leistungsurteilen der Verfassungsgerichte mit dem Inhalt, daß der Verordnungsgeber eine Rechtsverordnung zu erlassen, zu ergänzen oder nachzubessern habe. Die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung hat sich in dieser Frage noch nicht eindeutig entschieden,542 aber anklingen lassen, daß aus Gründen der Gewaltenteilung die Feststellungsklage vorzuziehen sei. 543 Da dieses Argument schon gegenüber dem Parlamentsgesetzgeber nicht durchgreift, kann es die Ablehnung eines Leistungsurteils gegen den Verordnungsgeber erst recht nicht tragen. 544 Ebenso hilft ein Verweis auf die Verwaltungsgerichtsordnung nicht weiter, da diese im Gegensatz zum Bundesverfassungsgerichtsgesetz die Möglichkeit der Verurteilung zur Leistung in § 113 Abs. 4 und Abs. 5 VwGO ausdrücklich vorsieht. Die verneinende Auffassung in der Literatur begründet die Nichtanwendbarkeit der Leistungsklage noch damit, daß die Leistungsklage immer nur auf Einzelakte der Verwaltung gerichtet sein könne.545 Warum das so sein soll, bleibt offen. 546 Die allgemeine Leistungsklage ist in der Verwaltungsgerichtsordnung nicht ausdrücklich geregelt. Die Beschränkung auf die Verfolgung von Einzelakten müßte daher im Wege der Interpretation gewonnen werden. Nach ganz überwiegender Ansicht 539 Sodan, in: Sodan/Ziekow, VwGO, § 42, Rn. 47; anderer Ansicht Robbers, JuS 1988, S. 949 ff., 951, jetzt aufgegeben, ders., JuS 1990, S. 978ff., 980. 540 Robbers, JuS 1990, S. 978 ff., 980. 541 S. 195 ff. 542 Diese Einschätzung teilen auch Gleixner, Normerlaßklage, S. 26, und Robbers, JuS 1990, S. 978ff., 980. 543 Siehe dazu oben S. 136. 544 Ebenso Pietzcker, in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 42 Abs. 1, Rn. 160. 545 Hartmann, DÖV 1991, S. 62ff., 65; Robbers, JuS 1988, S. 949ff., 952; ders., JuS 1990, S. 978 ff., 980; Schmitt Glaeser, Verwaltungsprozeßrecht, S. 235 f., Rn. 375 f.; Sodan, in: Sodan/Ziekow, VwGO, § 42, Rn. 49; Würtenberger, AöR 105 (1980), S. 370ff., 383; ders., BayVBl. 1980, S. 662 f., 663. 546 Schmitt Glaeser, Verwaltungsprozeßrecht, S. 235, Rn. 375, führt zur Begründung lediglich an, die Leistungsklage sei „vom Typus her" auf Einzelakte gerichtet, die Feststellungsklage passe besser. 14*
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3. Teil: Normerlaßanspriiche in Rechtsprechung und Literatur
kommt der allgemeinen Leistungsklage aber eine Auffangfunktion zu. Sie ist immer dann dierichtigeKlageart, wenn etwas anderes als ein Verwaltungsakt begehrt wird. 547 Diese Funktion spricht gerade dafür, keine Begrenzung auf bestimmte Akte anzunehmen. Die allgemeine Leistungsklage ist deshalb die statthafte Klageart zur Durchsetzung subjektiver öffentlicher Rechte auf Erlaß untergesetzlicher Normen. Einer Konstruktion einer Klageart sui generis bedarf es nicht. 548 Letztlich verbleiben daher keine Einwände gegen eine Verurteilung des Verordnungsgebers zum Erlaß von Rechtsverordnungen im Wege der allgemeinen Leistungsklage. Sie ist daher zulässig.549 Ob daneben auch eine Feststellungsklage in Betracht kommt, weil von Hoheitsträgern erwartet werden kann, daß sie Urteile befolgen und eine Vollstreckung deshalb nicht notwendig ist, oder ob eine solche Klage an der Subsidiaritätsklausel in § 43 Abs. 2 VwGO scheitert,550 soll hier dahinstehen. Eine allgemeine Leistungsklage ist für den einzelnen jedenfalls effektiver, falls sich diese Erwartungshaltung als unzutreffend erweisen sollte. Besteht nur ein formelles subjektives öffentliches Recht, weil dem Verordnungsgeber Entschließungsfreiheit zukommt, ergeht ein Bescheidungsurteil gemäß § 113 Abs. 5 S. 2 VwGO analog.551 g) Ergebnis Die Voraussetzungen und der Inhalt subjektiver öffentlicher Rechte auf Erlaß formeller Gesetze und auf Verordnungserlaß unterscheiden sich im Grundsatz nicht wesentlich. Da sich Verordnungsgebungspflichten aber neben dem Verfassungsrecht auch aus der einfachrechtlichen Ermächtigungsnorm ergeben können, kom547 V. Barby, Klagen, S. 129; ders., NJW 1988, S. 80f., 80; Gleixner, Normerlaßklage, S. 24; Hufen, Verwaltungsprozeßrecht, S. 349, § 17, Rn. 2; Jank, Rechtsanspruch, S. 79; Pietzcker, in: Schoch/ Schmidt-Aßmann /Pietzner, VwGO, § 42 Abs. 1, Rn. 152 f.; Soell/ Martin, BayVBl. 1978, S. 649 ff., 657 f.; Westbomke, Anspruch, S. 132. 548 Für ein Klageverfahren eigener Art spricht sich Würtenberger, AöR 105 (1980), S. 370 ff., 389 ff., und BayVBl. 1980, S. 662 f., 663, aus. 549 V. Barby, Klagen, S. 136; Duken, NVwZ 1993, S. 546 ff., 548; Gleixner, Normerlaßklage, S. 26; Hufen, Verwaltungsprozeßrecht, S. 349, § 17, Rn. 2, S. 351, § 17, Rn. 8, S. 411, § 20, Rn. 13, S. 412, § 20, Rn. 15; Jank, Rechtsanspruch, S. 79; Kopp, VwGO, § 47, Rn. 9; Pietzcker, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 42 Abs. 1, Rn. 153, 160; Soell/ Martin, BayVBl. 1978, S. 649 ff., 658; zu diesem Ergebnis kommt auch Würtenberger, AöR 105 (1980), S. 370ff., 399, für sein Klageverfahren eigener Art in Fällen fehlender Gestaltungsfreiheit des Verordnungs- oder Satzungsgebers. 550 So Duken, NVwZ 1993, S. 546ff., 547 f.; Hufen, Verwaltungsprozeßrecht, S. 403, § 20, Rn. 12. Für diese Auffassung, die im Gegensatz zur Rechtsprechung steht, spricht vieles. 551 Gleixner, Normerlaßklage, S. 64 - 66, allerdings für den Fall vorhandener Ausgestaltungsfreiheit. Nach der hier vertretenen Ansicht trifft das nicht zu. Ist der Verordnungsgeber zum Erlaß einer Verordnung verpflichtet, ergeht ein Leistungsurteil, das den Inhalt der Rechtsverordnung so genau wie möglich umschreibt. Ist die Verordnungsgebungspflicht inhaltlich kaum näher konkretisiert, kann sich das Urteil in der Verpflichtung zum Erlaß einer zur Zielerreichung geeigneten Rechtsverordnung erschöpfen.
C. Diskussionsstand in der Literatur und kritische Würdigung
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men Rechte einzelner gegen den Verordnungsgeber häufiger in Betracht als Ansprüche gegen den Parlamentsgesetzgeber. Ferner ist die Ausgestaltungsfreiheit des Verordnungsgebers durch Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG generell stärker gebunden, was inhaltlich konkretere Ansprüche bedingt. Neben formellen subjektiven Rechten auf Verordnungserlaß, die ihre Grundlage in Gleichheitsrechten haben und die auch auf der Ebene des formellen Gesetzes existieren, gibt es gegen den Verordnungsgeber eine weitere Gruppe formeller subjektiver Rechte. Voraussetzung dieser formellen Rechte ist eine Verordnungsermächtigung, die dem Verordnungsgeber Entschließungsfreiheit einräumt, ihn also nicht zum Verordnungserlaß verpflichtet, die aber die Möglichkeit des Erlasses der Verordnung im Individualinteresse statuiert. Bei der gerichtlichen Durchsetzung von Berechtigungen gegen den Verordnungsgeber treten vergleichbare Probleme auf wie bei Ansprüchen gegen den Parlamentsgesetzgeber. Der Hauptunterschied ist hier darin zu sehen, daß dem Verordnungsgeber eine gegenüber dem Parlament deutlich verminderte demokratische Legitimation zukommt, was sich in einer höheren gerichtlichen Kontrolldichte niederschlagen muß.
3. Subjektive Rechte einzelner auf Satzungsebene a) Unterschiede zu Individualberechtigungen
auf Verordnungserlaß
Satzungen und Rechtsverordnungen sind untergesetzliche Rechtsnormen;552 außerdem handelt es sich nach überwiegender Meinung um abgeleitete Rechtsquellen.553 Sie sind nur aufgrund gesetzlicher Ermächtigung und nur in deren Grenzen zulässig.554 Diese Gemeinsamkeiten könnten dazu führen, daß im Hinblick auf Ansprüche auf Satzungserlaß dasselbe gälte wie für subjektive öffentliche Rechte gegen den Verordnungsgeber. Zwischen diesen beiden Arten von Rechtsnormen bestehen aber auch Unterschiede. Der Hauptunterschied ist darin zu sehen, daß es sich bei der Rechtsverordnung um heteronome, bei der Satzung dagegen um autonome Rechtsetzung selbständiger Verwaltungsträger handelt.555 Nach herrschender Meinung findet daher Art. 80 Abs. 1 GG auf Satzungsermächtigungen 552 Ossenbühl, in: Erichsen, Verwaltungsrecht, S. 145, § 6 VII 2, Rn. 65; Peine, Verwaltungsrecht, S. 34, Rn. 55; Schmidt-Jortzig, Kommunalrecht, S. 206, § 14, Rn. 614. 553 Ossenbühl, in: Erichsen, Verwaltungsrecht, S. 145, § 6 VII 2, Rn. 65; Peine, Verwaltungsrecht, S. 34, Rn. 55; Schmidt-Jortzig, Kommunalrecht, S. 206, § 14, Rn. 614; Wolff/ Bachof/ Stober, Verwaltungsrecht, S. 286, § 25, Rn. 49. 554 Ossenbühl, in: Erichsen, Verwaltungsrecht, S. 145, § 6 VII 2, Rn. 65; Schmidt-Jortzig, Kommunalrecht, S. 205, § 14, Rn. 611; Wolff/ Bachof/Stober, Verwaltungsrecht, S. 286, § 25, Rn. 49. 555 Schmidt-Jortzig, Kommunalrecht, S. 206, § 14, Rn. 615; Wolff/ Bachof/Stober, Verwaltungsrecht, S. 287, § 25, Rn. 50 und die Nachweise in Fn. 167.
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3. Teil: Normerlaßanspriiche in Rechtsprechung und Literatur
weder direkt noch analog Anwendung.556 Die Verleihung der Satzungsbefugnis kann grundsätzlich in genereller Form für alle eigenen Angelegenheiten des selbständigen Verwaltungsträgers erfolgen. 557 Nur wenn die Satzung in Grundrechte eingreift, ist eine spezielle Ermächtigung erforderlich. 558 Diese schwächere Gebundenheit des Satzungsgebers führt dazu, daß nicht undifferenziert auf die Ergebnisse zu subjektiven öffentlichen Rechten auf Verordnungserlaß verwiesen werden kann. Allerdings konzentriert sich die Darstellung auf etwaige Unterschiede. Die Wissenschaft hat sich bisher nur ganz vereinzelt 559 umfassender mit dem Problem von Ansprüchen auf Satzungserlaß befaßt. Die meisten Äußerungen sind in der Spezialliteratur zu finden, so insbesondere zum Bau- und Kommunalrecht. Das hat zur Folge, daß keine verallgemeinerungsfähigen Aussagen getroffen und regelmäßig keine vertiefenden Untersuchungen angestellt werden. Es läßt sich aber auch hier die Tendenz erkennen, subjektive öffentliche Rechte auf ein Tätigwerden des Satzungsgebers für möglich zu halten.560
b) Objektive Pflichten zum Erlaß von Satzungen Der Satzungsgeber besitzt, wie der Verordnungsgeber, im Grundsatz Entschließungsfreiheit. 561 Dabei ist bei einer Verleihung der Satzungsbefugnis in allgemeiner Form für alle eigenen Angelegenheiten562 im Regelfall nicht von einer Satzungsgebungspflicht auszugehen. Die pauschale Verleihung der Satzungsautonomie gleicht den Kompetenznormen der Verfassung, die, von Ausnahmen abgesehen, ebenfalls keine Gesetzgebungspflichten des Parlamentsgesetzgebers begründen.563 Spezielle Satzungsermächtigungen können aber zum Satzungserlaß verpflichten. 564 Eine Verpflichtung zum Satzungserlaß kommt bei entsprechendem 556 Ossenbühl, in: Erichsen, Verwaltungsrecht, S. 146, § 6 VII 2, Rn. 66; Peine, Verwaltungsrecht, S. 34, Rn. 55; Schmidt-Jortzig, Kommunalrecht, S. 206f., § 14, Rn. 617; Stober, Kommunalrecht, S. 260, § 18 I 3a; Waechter, Kommunalrecht, S. 275, Rn. 473; Wolff/ Bachof/Stober, Verwaltungsrecht, S. 286, § 25, Rn. 49 und die Nachweise in Fn. 166. 557 V. Mutius, Kommunalrecht, S. 182, § 6, Rn. 337; Ossenbühl, in: Erichsen, Verwaltungsrecht, S. 146, § 6 VII 2, Rn. 66; Schmidt-Jortzig, Kommunalrecht, S. 206, § 14, Rn. 614. 558 V. Mutius, Kommunalrecht, S. 182, § 6, Rn. 337 f.; Peine, Verwaltungsrecht, S. 34 f., Rn. 55; Schmidt-Jortzig, Kommunalrecht, S. 209 f., § 14, Rn. 628 f.; Stober, Kommunalrecht, S. 260, § 18 I 3b; Waechter, Kommunalrecht, S. 276, Rn. 475; Wolff/ Bachof/Stober, Verwaltungsrecht, S. 286 f., § 25, Rn. 49; unklar Ossenbühl, in: Erichsen, Verwaltungsrecht, S. 147, § 6 VII 3, Rn. 69. 559 Westbomke, Anspruch, S. 68 ff. 560 Battis, Baurecht, S. 294f., § 8 II; Peine, DÖV 1983, S. 909ff., 914; ders., Baurecht, S. 100, § 8, Rn. 121; Waechter, Kommunalrecht, S. 289 f. 561 Stober, Kommunalrecht, S. 259, § 18 12 (für den kommunalen Satzungsgeber). 562 Wie durch Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG für die Gemeinden. 563 Siehe dazu oben S. 171. 564 Stober, Kommunalrecht, S. 259, § 18 12 (für den kommunalen Satzungsgeber).
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Wortlaut der Ermächtigungsnorm, aber auch dann in Betracht, wenn der Träger der Satzungsautonomie ohne Erlaß der Satzung die ihm obliegende Aufgabe nicht sachgerecht wahrnehmen könnte. In diesen Fällen liegt die logisch erste Voraussetzung für ein subjektives öffentliches Recht gegen den Satzungsgeber auf Rechtsetzung vor. Verpflichtende Satzungsermächtigungen können theoretisch in allen höherrangigen Rechtsquellen enthalten sein. Die Verfassungen kennen allerdings keine derartigen besonderen Satzungsverleihungen. Zu klären bleibt, ob sich Satzungsgebungspflichten wie Verordnungsgebungspflichten unabhängig von unmittelbaren verfassungsrechtlichen Satzungsgebungsgeboten mittelbar aus dem Verfassungsrecht ergeben können. Obwohl dies eher unwahrscheinlich ist, kann es doch nicht definitv ausgeschlossen werden, da dies eine Untersuchung sämtlicher besonderen Satzungsermächtigungen voraussetzen würde. Das ist im Rahmen dieser Arbeit nicht möglich. Zumindest theoretisch erscheint es denkbar, daß der Parlamentsgesetzgeber zur Erfüllung einer verfassungsrechtlichen Gesetzgebungspflicht auch einen selbständigen Verwaltungsträger einschaltet und diesem eine Teilregelung durch Satzungsermächtigung überträgt. Als Unterschied hinsichtlich der Grundlagen von Verordnungsgebungs- und Satzungsgebungspflichten ergibt sich, daß Satzungsgebungspflichten ihren Ursprung neben dem Verfassungsrecht und den formellen Gesetzen auch im Verordnungsrecht haben können.
c) Korrespondierende
materielle und formelle subjektive öffentliche
Die Bejahung eines materiellen Rechts auf Satzungserlaß ist davon abhängig, daß die Pflicht zur Satzungsgebung auch im Interesse einzelner besteht.565 Hierzu ist die Satzungsermächtigung auszulegen. Insoweit gilt nichts anderes als oben für subjektive Rechte auf Gesetz- und Verordnungserlaß ausgeführt. Formelle subjektive öffentliche Rechte auf fehlerfreie Ausübung der Gestaltungsfreiheit des Satzungsgebers sind bei gleichheitswidrigen Satzungen und daneben zusätzlich bei bestehender Entschließungsfreiheit unter der Voraussetzung möglich, daß die Satzungsermächtigung individualschützenden Charakter hat. Insbesondere bei Verleihungen von Satzungsautonomie in genereller Form sind aber außerhalb der Gleichheitsproblematik keine formellen subjektiven öffentlichen Rechte denkbar, da es an jeglichem Individualbezug fehlt. Formelle subjektive öffentliche Rechte dieser Art, die sich nicht auf einen Gleichheitsverstoß gründen, sind nur bei speziellen Satzungsermächtigungen ohne verpflichtenden Charakter in Erwägung zu ziehen.566 565 Peine, Baurecht, S. 100, § 8, Rn. 121. 566 Als Beispiel sei § 12 Abs. 2 BauGB genannt. Diese Vorschrift gibt dem Vorhabenträger ausdrücklich einen Anspruch auf fehlerfreie Entscheidung über die Einleitung eines Satzungsverfahrens gegen die Gemeinde.
Rechte
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3. Teil: Normerlaßanspriiche in Rechtsprechung und Literatur
d) Einfachgesetzlicher Ausschluß subjektiver öffentlicher Rechte auf Satzungserlaß Bei der Darstellung und Analyse der Rechtsprechung zum Problemkreis des Anspruchs auf Normerlaß wurde bereits auf den Bebauungsplan eingegangen. Hier spielt der Anspruch auf Satzungserlaß in der Praxis seit längerem eine Rolle und wird in der Wissenschaft erörtert, wohl vor allem deshalb, weil das Bauplanungsrecht in § 1 Abs. 3 BauGB eine Planungspflicht der Gemeinden statuiert und in § 1 Abs. 6 BauGB ausdrücklich die Einstellung der privaten Belange in die Abwägung vorschreibt. Während im Hinblick auf den einfachgesetzlichen Ausschluß eines Anspruchs auf Aufstellung, Änderung, Ergänzung und Aufhebung eines Bebauungsplans in § 2 Abs. 3 und 4 BauGB früher ein derartiges Recht generell verneint wurde, mehren sich in der Literatur die Stimmen, die ein subjektives Recht auf Änderung oder Ergänzung eines Bebauungsplans unter Berufung auf Grundrechte für denkbar halten.567 Größere praktische Bedeutung könnte einem solchen Anspruch in bezug auf den vorhabenbezogenen Bebauungsplan gemäß § 12 BauGB zukommen. Immerhin räumt das Gesetz dem Vorhabenträger hier bereits ein formelles subjektives Recht auf Einleitung des Satzungsverfahrens ein. Vereinzelt wird ein Anspruch auf Erlaß eines Bebauungsplans auch aus dem Gebot der Rücksichtnahme bejaht.568 Dies rechtfertigt ein Eingehen auf die Frage, ob es der Gesetzgeber in der Hand hat, subjektive öffentliche Rechte des einzelnen auf den Erlaß untergesetzlicher Normen auszuschließen. Die Antwort soll exemplarisch am Beispiel des Bebauungsplans erfolgen. Für die Verneinung der gestellten Frage spricht, daß die Grundrechte nicht zur Disposition des einfachen Gesetzgebers stehen. Grundrechtlich begründete subjektive Rechte kann § 2 Abs. 3 und 4 BauGB nicht ausschließen.569 Das Gebot der Rücksichtnahme scheidet aber aufgrund dieser einfachgesetzlichen Vorgaben als Anspruchsgrundlage für den Erlaß eines Bebauungsplans aus, da ihm kein Verfassungsrang zukommt.570 Selbst wenn man aber unterstellt, daß das Gebot der Rücksichtnahme der Verfassung zu entnehmen ist, bliebe offen, inwiefern es als Basis von Ansprüchen auf normative Leistung in Betracht käme. Von seiner bisherigen Entwicklung her, hat das Gebot der Rücksichtnahme als subjektives Recht für den einzelnen rein abwehrrechtlichen Charakter. Ein leistungsrechtlicher Inhalt bedürfte daher zunächst einer dogmatischen Begründung. Damit ist nur zu untersuchen, ob es aus Grundrechten einen Anspruch auf Erlaß, Ergänzung oder Nachbesserung eines Bebauungsplans gibt, denn daran würde der einfachgesetzliche Ausschluß nichts ändern. 567 Dürr, DÖV 1990, S. 136ff., 143; Fackler, Aspekte, S. 159f.; Peine, DÖV 1983, S. 909ff., 914; Schneider, R., DVB1. 1966, S. 799f„ 800; Waechter, Kommunalrecht, S. 289 f.; Würtenberger, AöR 105 (1980), S. 370ff., 379 f. 568 Klinkhammer, Entwicklung, S. 95 f. 569 Westbomke, Anspruch, S. 106. 570 So die Rechtsprechung, vergleiche die Nachweise im Zweiten Teil, Fn. 160.
C. Diskussionsstand in der Literatur und kritische Würdigung
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Grundlage eines Anspruchs auf erstmaligen Erlaß eines Bebauungsplans könnte zunächst Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG sein. Dieses Grundrecht kommt deshalb in Betracht, weil das Recht zur baulichen Nutzung von Grund und Boden, die sogenannte Baufreiheit, nach herrschender Meinung571 trotz der Beschränkungen durch das Baugesetzbuch zum Inhalt des durch Art. 14 Abs. 1 GG geschützten Eigentums gehört und ferner die bauliche Nutzbarkeit eines Grundstücks, von §§ 34, 35 BauGB abgesehen, einen Bebauungsplan voraussetzt. Dennoch läßt sich aus Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG kein Anspruch auf Erlaß eines Bebauungsplans herleiten. Nach allgemeiner Ansicht schränken die §§ 29-35 BauGB das Grundeigentum angesichts seiner besonderen Bedeutung für die Allgemeinheit und der daraus resultierenden starken Sozialbindung in verfassungsgemäßer Weise ein. 572 Das Recht zum Bauen besteht mithin nur nach Maßgabe der §§ 34, 35 BauGB oder nach Maßgabe der Festsetzungen eines Bebauungsplans. Im Außenbereich ist die Bebaubarkeit eines Grundstücks damit grundsätzlich ausgeschlossen. Damit fehlt es aber für den Außenbereich auch an der Begründbarkeit eines Anspruchs auf Erlaß eines Bebauungsplans aus Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG zur Ermöglichung der baulichen Nutzung eines Grundstücks. Für den Innenbereich scheitert ein derartiger Anspruch daran, daß hier eine Bebauung ohne Bebauungsplan zulässig ist und das Unterbleiben einer Bauleitplanung nicht als unverhältnismäßiger Eingriff in das Grundeigentum angesehen werden kann. § 34 BauGB erlaubt eine der Situation angepaßte Bebauung und trägt damit Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG hinreichend Rechnung. Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG stellt somit keine Anspruchsgrundlage für den Erlaß eines Bebauungsplans dar. 573 Für den Sonderfall der beabsichtigten Bebauung eines Grundstücks mit einer Anlage, von der Gefahren für Leben und Gesundheit ausgehen, wurde in der Literatur auch Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG als mögliche Basis eines Anspruchs auf Erlaß eines Bebauungsplans erörtert. 574 Prämisse war die damals überwiegend bejahte575 und inzwischen vom Bundesverwaltungsgericht weitgehend verneinte576 Planungsbedürftigkeit von komplexen Vorhaben im Innen- und Außenbereich (§§ 34, 35 BauGB). Ob diese Prämisse zutrifft, bedarf hier dann keiner 571 Battis, Baurecht, S. 82f.; Finkelnburg/Ortloff, Baurecht I, S. 21; Hoppe/Grotefels, Baurecht, § 2, Rn. 55; Krautzberger, in: Battis/Krautzberger/Lohr, BauGB, § 1, Rn. 7 f.; Leisner, DVB1. 1992, S. 1065 ff., 1068; Papier, in: Maunz-Dürig, GG, Art. 14, Rn. 58-66; Peine, Baurecht, S. 98, Rn. 120; BVerfGE 35, S. 263 ff., 276; BVerwGE 45, S. 309 ff., 324; BVerwG, NVwZ 1998, S. 842 ff., 844 = UPR 1998, S. 228 ff., 229; anderer Ansicht: Breuer, Bodennutzung, S. 162-222; Schmidt-Aßmann, Grundfragen, S. 89-96. 572 Battis, Baurecht, S. 83; Finkelnburg/Ortloff, Baurecht I, S. 23-25; Hoppe/Grotefels, Baurecht, § 2, Rn. 70; Krautzberger, in: Battis/Krautzberger/Lohr, BauGB, § 1, Rn. 7; BVerwGE 45, S. 309 ff., 345; BVerwG, UPR 1998, S. 228 ff., 229 (für § 35 BauGB). 573 Genauso Fackler, Aspekte, S. 141 f.; Peine, DÖV 1983, S. 909ff., 911, 914; anderer Ansicht Klinkhammer, Entwicklung, S. 96,99. 574 Peine, DÖV 1983, S. 909 ff., 914. 575 Vergleiche die Nachweise bei Peine, DÖV 1983, S. 909, Fn. 1 und Fn. 2. 576 BVerwG, NVwZ 1984, S. 169 f., 170; BVerwG, NJW 1984, S. 1773 f., 1774.
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3. Teil: Normerlaßanspriiche in Rechtsprechung und Literatur
Untersuchung, wenn ein Anspruch auf Erlaß eines Bebauungsplans aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG auch dann zu verneinen ist, wenn ihre Richtigkeit unterstellt wird. Denkbar wäre ein Anspruch auf Erlaß eines Bebauungsplans im oben dargestellten Fall aus der allgemeinen Schutzpflicht des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG. Der abwehrrechtliche Gehalt des Grundrechts kommt als Grundlage nicht in Frage, da es nicht um die Abwehr einer Grundrechtsbeeinträchtigung geht, sondern um den Erhalt einer normativen Leistung. Grundrechtliche Schutzpflichten können Ansprüche auf Normerlaß begründen. Ein Anspruch auf Erlaß eines Bebauungsplans aus der Schutzpflicht des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG setzt aber voraus, daß der Schutz von Leben und Gesundheit in der gebildeten Sachverhaltskonstellation nicht bereits gewährleistet ist, und kumulativ, daß der Schutz nur durch den Erlaß eines Bebauungsplans erfüllt werden kann. Daran fehlt es. Anlagen, von denen Gefahren für Leben und Gesundheit ausgehen, unterfallen alle der präventiven staatlichen Kontrolle durch Statuierung einer Genehmigungspflicht. Die Genehmigungspflicht dient unter anderem dem Schutz der Rechtsgüter Dritter vor den Gefahren, die von solchen Anlagen ausgehen. Damit hat der Staat seiner Schutzpflicht genügt. Der Erlaß eines Bebauungsplans ist zum Schutz von Leben und Gesundheit nicht erforderlich. Damit entfällt die Möglichkeit, einen Anspruch auf Erlaß eines Bebauungsplans in diesen Fällen mit der allgemeinen Schutzpflicht des Staates für Leben und Gesundheit zu begründen. Nach alledem ist keine Grundlage für einen Anspruch auf erstmaligen Erlaß eines Bebauungsplans ersichtlich. Allerdings kann sich aus Art. 14 Abs. 1 GG ein subjektives öffentliches Recht auf Nachbesserung eines Bebauungsplans ergeben. Voraussetzung eines Nachbesserungsanspruchs ist, daß einzelne Festsetzungen des Bebauungsplans durch tatsächliche Veränderungen unverhältnismäßig geworden sind, 577 eine Aufhebung des gesamten Bebauungsplans aber wegen fortbestehender objektiver Planungspflicht nicht möglich ist. 578 Wegen der gesetzlich begründeten objektiven Planungspflicht gibt es auch Ansprüche auf Ergänzung eines Bebauungsplans. Wurde ein Grundstück unter Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG nicht in einen Bebauungsplan einbezogen, kann wegen der Planungspflicht oder sonstiger rechtlicher Gründe, die eine Aufhebung des Bebauungsplans verbieten, die Erstreckung des Bebauungsplans verlangt werden. 579 Dagegen besteht kein subjektives öffentliches Recht auf Ergänzung des
577 Zu denken ist insbesondere an eine Bebauung und Nutzung einzelner Grundstücke im Widerspruch zu den Festsetzungen des Bebauungsplans, gegen die nicht eingeschritten wurde und deren Rückgängigmachung rechtlich unmöglich oder aber nicht gewollt ist. Ferner können Festsetzungen, die eine künftige Entwicklung vorwegnehmen, die dann so nicht eintritt, unverhältnismäßig werden. 578 So auch Westbomke, Anspruch, S. 118-120, 122, der den Begriff Planänderungsanspruch verwendet; anderer Ansicht ist Fackler, Aspekte, S. 138-140, der bei diesen Fallgestaltungen ein Außerkrafttreten der Bebauungspläne annimmt. Das ist aber bei Planungsbedürftigkeit nach § 1 Abs. 3 BauGB eine nicht interessengerechte Lösung.
C. Diskussionsstand in der Literatur und kritische Würdigung
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Bebauungsplans, wenn der Gleichheitsverstoß auch durch eine Aufhebung des Plans beseitigt werden kann. Darauf, ob die Aufhebung dem Betroffenen „nützt" oder ob dieser lediglich ein Interesse an einer Satzungsergänzung hat, kann es hingegen nicht ankommen. Aus dem Gleichheitssatz allein läßt sich kein Recht auf Ergänzung des Bebauungsplans herleiten. 580 Von der Frage des Normergänzungsanspruchs an sich zu trennen ist die Frage, ob darüber hinaus bestimmte Festsetzungen für das einzubeziehende Grundstück verlangt werden können. Das hängt davon ab, ob insoweit noch Gestaltungsfreiheit besteht oder ob diese aufgrund der Beplanung der übrigen angrenzenden Grundstücke auf Null reduziert ist. 581 Fazit ist, daß Ansprüche auf Erlaß, Ergänzung oder Nachbesserung von Bebauungsplänen nicht unter Hinweis auf den einfachgesetzlichen Ausschluß generell verneint werden können, da grundrechtlich begründete Ansprüche in Betracht kommen. Das läßt sich dahin verallgemeinern, daß trotz ausdrücklicher einfachgesetzlicher Verneinung eines subjektiven öffentlichen Rechts auf Erlaß einer untergesetzlichen Norm ein solches Recht aus Grundrechten folgen kann. Das gilt für Rechtsverordnungen und Satzungen gleichermaßen.
e) Anspruchsumfang und prozessuale Fragen Unterschiede gegenüber den erörterten subjektiven Rechten auf Verordnungserlaß bestehen hier theoretisch zunächst im Hinblick auf den Inhalt des subjektiven Rechts, da Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG auf Satzungen keine Anwendung findet. Praktisch dürfte sich das aber deshalb kaum auswirken, weil sich aus pauschalen Satzungsermächtigungen keine Pflichten zum Satzungserlaß ergeben und spezielle Satzungsverleihungen in ihrer Konkretheit den Ermächtigungen zum Erlaß von Rechtsverordnungen vergleichbar sein dürften. Der Anspruchsinhalt kann auch hier nur im Einzelfall ermittelt werden. Ansprüche auf Erlaß einer inhaltlich genau festgelegten Satzung bilden den Ausnahmefall und sind am ehesten denkbar, wenn es um subjektive öffentliche Rechte auf Satzungsergänzung geht. Was die gerichtliche Durchsetzung angeht, besteht die wesentliche Differenz darin, daß manche Satzungsgeber unmittelbar demokratisch legitimiert sind und daher dem Parlamentsgesetzgeber näher stehen als dem Verordnungsgeber. Die 579 Fackler, Aspekte, S. 155 ff., 159f.; Schneider, R., DVB1. 1966, S. 799 f., 800; Westbomke, Anspruch, S. 116; Würtenberger, AöR 105 (1980), S. 370ff., 379f.; wohl auch Dürr, DÖV 1990, S. 136 ff., 143. 580 Fackler, Aspekte, S. 159; Klinkhammer, Entwicklung, S. 97; mißverständlich Westbomke, Anspruch, S. 107 f. 581 Klar sprechen dies auch Peine, DÖV 1983, S. 909ff., 914, und Waechter, Kommunalrecht, S. 290, aus. Mißverständlich insoweit Würtenberger, AöR 105 (1980), S. 370ff, 380, der nicht differenziert und eine Normergänzungsklage wohl nur dann für zulässig hält, wenn keine Ausgestaltungsfreiheit des Satzungsgebers besteht.
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3. Teil: Normerlaßanspriiche in Rechtsprechung und Literatur
gerichtliche Kontrolldichte bei Prognoseentscheidungen und Tatsachenbewertungen ist daher in diesen Fällen genauso beschränkt wie gegenüber dem Parlamentsgesetzgeber. Ansonsten gilt das oben zu Rechtsverordnungen Ausgeführte: Zur Erfüllung der Satzungsgebungspflicht steht dem Satzungsgeber eine angemessene Frist zu. Ansprüche auf Satzungserlaß sind im Verwaltungsrechtsweg mit der allgemeinen Leistungsklage zu verfolgen.
f) Ergebnis Unterschiede zwischen subjektiven öffentlichen Rechten gegen den Verordnungsgeber und Individualrechten gegen den Satzungsgeber bestehen vor allem im Hinblick auf die gerichtliche Kontrolldichte. Sofern der Satzungsgeber unmittelbar demokratisch legitimiert ist, steht er dem Parlamentsgesetzgeber näher als dem Verordnungsgeber. Seine Gestaltungsfreiheit ist dann von den Gerichten in gleichem Umfang wie die Gestaltungsfreiheit des Parlamentsgesetzgebers zu respektieren. Die nicht gegebene Bindung des Satzungsgebers an Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG dürfte sich dagegen kaum im Sinn inhaltlich weniger konkreter Rechte auswirken, da sich Satzungsgebungspflichten in der Regel nur speziellen Satzungsermächtigungen entnehmen lassen, die sich hinsichtlich der Vorgaben für den Satzungsgeber nicht wesentlich von den Vorgaben einer Rechtsverordnungsermächtigung unterscheiden dürften. Satzungsgebungspflichten können sich neben dem Verfassungsrecht und dem einfachen formellen Gesetzesrecht zusätzlich noch aus dem Verordnungsrecht ergeben. Weitere Unterschiede zwischen subjektiven öffentlichen Rechten auf Verordnungserlaß und subjektiven öffentlichen Rechten auf Satzungserlaß sind nicht ersichtlich. Die hier am Beispiel des Bebauungsplans erörterte Problematik, ob ein einfachgesetzlicher Ausschluß subjektiver Individualrechte auf Erlaß einer Satzung möglich ist, stellt sich bei Verordnungen ebenfalls. Das gefundene Ergebnis, daß ein solcher Ausschluß grundrechtlich begründete Ansprüche nicht erfaßt, gilt für alle Individualrechte auf Erlaß untergesetzlicher Normen. Die Darstellung erfolgte im Rahmen des Satzungsrechts, da die Frage hier praktische Bedeutung erlangt hat.
Vierter
Teil
Zusammenfassung und Ausblick Wesentliche Erkenntnis der Untersuchung ist zunächst, daß es subjektive öffentliche Rechte des einzelnen auf Normerlaß geben kann. Die Argumente, die bereits die Existenz derartiger Rechte in Frage stellen, greifen nicht durch. Dieses Ergebnis bestätigt die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, das die Möglichkeit subjektiver öffentlicher Rechte auf Setzung von Rechtsnormen seit langem anerkennt, aber auch die neueren Judikate des Bundesverwaltungsgerichts, das nun in Einzelfällen Ansprüche auf Erlaß untergesetzlicher Normen bejaht hat. Insofern fördert die Untersuchung nichts Neues zutage. Eines überrascht aber doch. Trotz der noch immer von den meisten als befremdlich empfundenen Vorstellung, daß der einzelne den Erlaß sogar eines formellen Gesetzes soll verlangen können, gibt es kaum Gegenstimmen in der Wissenschaft. Überwiegend werden solche Ansprüche für denkbar gehalten, eingehendere Untersuchungen zu deren Voraussetzungen und Inhalt sucht man aber vergebens. Einzig die Gesetzgebungspflichten sind in der Literatur vertiefend erörtert worden. Im übrigen betritt die Arbeit weitgehend Neuland. Im Hinblick auf den Inhalt subjektiver öffentlicher Rechte auf Normerlaß lassen sich formelle und materielle Rechte differenzieren. Während die materiellen Rechte auf die Setzung einer neuen, einer ergänzten oder einer geänderten Rechtsnorm gerichtet sind, zielen die formellen Rechte lediglich auf eine Neugestaltung der Rechtslage, die auch in der Aufhebung einer Rechtsnorm liegen kann, oder auf der Ebene der untergesetzlichen Normen zusätzlich auf eine fehlerfreie Ausübung der Entschließungsfreiheit. Die Voraussetzungen eines materiellen subjektiven öffentlichen Rechts auf Erlaß, Ergänzung oder Nachbesserung einer Rechtsnorm lassen sich für alle hier diskutierten Arten von Rechtsnormen vereinfachend so zusammenfassen: Erstens muß eine Normsetzungs- beziehungsweise Nachbesserungspflicht des Normgebers bestehen. Grundlage einer Nachbesserungspflicht ist eine dynamische Normsetzungspflicht, die nicht durch den einmaligen Erlaß eines Gesetzes erfüllt werden kann. Zweitens darf die Pflicht trotz Fälligkeit nicht erfüllt worden sein und drittens muß die Nichterfüllung den einzelnen in einem subjektiven Recht verletzen. Letzteres ist auf der Grundlage der Schutznormtheorie, die trotz aller Angriffe mangels besserer Alternativen weiterhin anzuwenden ist, der Fall, wenn die Normsetzungspflicht zumindest auch im Interesse des einzelnen besteht.
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4. Teil: Zusammenfassung und Ausblick
Welche Rechtsnormen Normsetzungspflichten enthalten oder enthalten können und welche dieser Normsetzungspflichten subjektiven Charakter haben, wurde nur in bezug auf das Grundgesetz analysiert und auch insoweit nur exemplarisch. Dabei zeigte sich, daß insbesondere die neuerdings stark diskutierten Grundrechtsinhalte wie Schutz- und Förderpflichten sowie Verfahrens- und Organisationsgehalte potentiell Gesetzgebungspflichten begründen können und die Erfüllung dieser Gesetzgebungspflichten überwiegend auch von einzelnen verlangt werden kann. Der Inhalt eines Anspruchs auf Normerlaß ist von der Konkretheit der zugrundeliegenden Normsetzungspflicht abhängig und damit nur im Einzelfall bestimmbar. Subjektive Rechte auf Erlaß einer inhaltlich genau bestimmten Norm sind absolute Ausnahmefälle. Das gilt insbesondere bei Ansprüchen gegen den Parlamentsgesetzgeber. Denkbar sind derart strikte Rechte auf allen angesprochenen Normebenen als Normergänzungsansprüche. Daneben sind solche Rechte gegen den Verordnungsgeber und Satzungsgeber vorstellbar, da deren Ausgestaltungsfreiheit durch die Vorgaben der Ermächtigungsnorm stark eingeschränkt werden kann. Dagegen fehlt es regelmäßig an einer jegliche Ausgestaltungsfreiheit ausschließenden Verfassungsbindung des Parlamentsgesetzgebers. Im Regelfall sind subjektive öffentliche Rechte auf Normerlaß unabhängig vom jeweiligen Normgeber nur darauf gerichtet, daß dieser ein geeignetes Gesetz zum Schutz eines bestimmten Werts oder zur Erreichung eines vorgegebenen Ziels erläßt. Formelle subjektive öffentliche Rechte gegen jeden Normgeber begründet der Gleichheitssatz, wenn der Normgeber begünstigend tätig geworden ist, gleichheitswidrig bestimmte Personen nicht in die Regelung miteinbezogen hat und auch eine Aufhebung der Begünstigung zur Beseitigung des Gleichheitsverstoßes in Betracht kommt. Ferner bestehen formelle subjektive Rechte auf fehlerfreie Ausübung der Entschließungsfreiheit gegen den Verordnungsgeber und gegen den Satzungsgeber, wenn die Ermächtigungsnorm diesen Normgebern zwar Entschließungsfreiheit einräumt, der Erlaß der untergesetzlichen Norm aber auch im Interesse einzelner ist. Subjektive öffentliche Rechte auf Normerlaß können erst gerichtlich geltend gemacht werden, wenn sie fällig sind. In der Regel enthalten die Bestimmungen, die Normsetzungspflichten begründen, keine Fristvorgabe. Dem Normgeber steht in diesen Fällen eine angemessene Frist zur Erfüllung der Normsetzungspflicht zu. Erst nach Ablauf dieser Frist ist eine Verletzung der Gesetzgebungspflicht gegeben. Die Länge der Frist ist eine Frage des Einzelfalls. Dem Parlamentsgesetzgeber sind längere Fristen zuzubilligen als dem Verordnungs- und Satzungsgeber. Die Justitiabilität subjektiver öffentlicher Rechte auf Normerlaß bereitet aufgrund der Gestaltungsfreiheit der Normgeber Schwierigkeiten. Die Gestaltungsfreiheit führt zu einer Reduzierung dtr gerichtlichen Kontrolldichte bei prognostischen Entscheidungen. Hier kommt den Normgebern aufgrund ihrer politischen Verantwortlichkeit eine Einschätzungsprärogative zu. Da die Feststellung der Er-
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füllung einer Gesetzgebungspflicht in den überwiegenden Fällen von Prognosen abhängt, kann das Gericht regelmäßig nur dann eine Pflichtverletzung annehmen, wenn der Normgeber überhaupt nicht gehandelt hat oder sein Handeln evident unzureichend ist. Allerdings ist die Intensität der gerichtlichen Prüfung auch bei Prognoseentscheidungen von der Bedeutung des beeinträchtigten Verfassungswerts abhängig. Je gewichtiger die betroffene Position ist, desto höhere Anforderungen sind an die Vertretbarkeit der Prognose zu stellen. Schließlich genießen der Parlamentsgesetzgeber und die Satzungsgeber, die unmittelbar demokratisch legitimiert sind, aufgrund dieser Legitimation ein höheres Maß an Gestaltungsfreiheit als der Verordnungsgeber. Ein Sonderproblem werfen Nachbesserungsansprüche auf. Sie entstehen, wenn eine ursprünglich verfassungsgemäße Norm verfassungswidrig wird. Haben sich die tatsächlichen Verhältnisse geändert und sind mehrere Tatsachenbewertungen möglich, fragt sich auch hier, wessen Bewertung maßgeblich ist: die des Gerichts oder die des jeweiligen Normgebers. Wie oben ist zugunsten der Normgeber zu entscheiden. Sie tragen die politische Verantwortung für die Rechtmäßigkeit der Gesetze. Ein Gericht kann die Nachbesserungsbedürftigkeit einer Norm im Regelfall daher erst dann konstatieren, wenn diese eindeutig ist. Für dieses Ergebnis spricht auch der Gedanke der Rechtssicherheit, da Normen auf Beständigkeit hin angelegt sind. Bei entsprechender Bedeutung des in Rede stehenden verfassungsrechtlichen Werts ist eine höhere gerichtliche Kontrolldichte gegeben. Entgegen der Auffassung der herrschenden Meinung können die Gerichte die Normgeber zum Tatigwerden verurteilen. Das gilt für alle in Betracht kommenden Normgeber, auch für den Parlamentsgesetzgeber. Eine Beschränkung auf feststellende Entscheidungen entbehrt einer tragfähigen Begründung. Sie läßt sich weder auf die jeweiligen Prozeßordnungen noch auf den Grundsatz der Gewaltenteilung stützen. Eine Rechtsetzung durch die Gerichte selbst ist dagegen aus Gründen der Rechtssicherheit abzulehnen. Die interessante Frage zum Schluß lautet, wie die weitere Entwicklung subjektiver öffentlicher Rechte des einzelnen auf Normerlaß zu beurteilen ist. Die Rechtsprechung verhält sich bisher eher restriktiv. Die vielen hier eruierten potentiellen Gesetzgebungspflichten grundrechtlichen Ursprungs könnten die Vermutung nahelegen, daß diese Zurückhaltung sachlich nicht gerechtfertigt und hier eine Änderung anzustreben ist. Für einen Teilbereich, die Ansprüche auf Erlaß untergesetzlicher Normen, trifft das zu. Häufig werden subjektive Rechte einzelner auf Erlaß untergesetzlicher Normen von den Gerichten mit der Begründung abgelehnt, Normen würden ausschließlich im Interesse der Allgemeinheit gesetzt und ferner würde die gerichtliche Zuerkennung derartiger Rechte gegen den Gewaltenteilungsgrundsatz verstoßen. Wie gezeigt wurde, treffen diese Argumente nicht zu. Hier wird in Zukunft sorgfältiger zu prüfen sein, ob eine Normsetzungspflicht gegeben ist und ob diese auch im Interesse einzelner besteht. Denkbar ist das vor allem in den Fällen, in
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4. Teil: Zusammenfassung und Ausblick
denen statt einer Regelung durch eine Rechtsnorm inhaltlich auch eine Regelung durch Verwaltungsakt in Betracht käme, der Gesetzgeber aber den Erlaß einer Rechtsverordnung oder Satzung vorgegeben hat. Außerhalb dieser sogenannten Grauzone sind Ansprüche einzelner auf Erlaß untergesetzlicher Normen beispielsweise immer dann in Betracht zu ziehen, wenn der Parlamentsgesetzgeber durch den Erlaß eines Gesetzes eine grundrechtliche Schutzpflicht erfüllen wollte, Detailregelungen aber dem Verordnungsgeber überlassen hat. Der von der Nichterfüllung konkret Betroffene kann in diesem Fall regelmäßig ein Tätigwerden des Normgebers verlangen. Mehr Beachtung durch die Gerichte verdienen die Grundrechte auch, wenn Berechtigungen einzelner auf Erlaß untergesetzlicher Normen durch das formelle Gesetz ausgeschlossen werden. Grundrechtlich fundierte Ansprüche vermag das einfache Gesetz nicht zu erfassen. Ansprüche auf Setzung von Rechtsverordnungen und Satzungen werden also von den Gerichten häufig mit nicht durchschlagender Begründung verneint. Angesichts der neueren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, das nach jahrzehntelang ablehnender Haltung nunmehr derartige Individualrechte zugesprochen hat, ist damit zu rechnen, daß für untergesetzliche Normen ein Umdenken stattfindet und solche Rechte zumindest ernsthaft geprüft und im Ergebnis auch in mehr Fällen bejaht werden. Allerdings ist nicht zu erwarten, daß subjektive öffentliche Rechte auf Erlaß untergesetzlicher Normen ein Massenphänomen werden. Selbst bei einer großzügigeren Handhabung durch die Gerichte stellen solche Ansprüche angesichts der grundsätzlichen Entschließungsfreiheit der Normgeber Ausnahmefälle dar. Soweit subjektive öffentliche Rechte auf Erlaß formeller Gesetze in Rede stehen, verdient die zurückhaltende Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Zustimmung. Die überwiegende Zahl der Gesetzgebungspflichten ist inhaltlich im Hinblick auf die Art der Erfüllung unbestimmt. Nur bei völliger Untätigkeit des Gesetzgebers ist es eindeutig, daß die Gesetzgebungspflicht nicht erfüllt und ein etwaiges subjektives Recht damit verletzt ist. Sobald Regelungen bestehen, die den Gegenstand der Gesetzgebungspflicht erfassen, ist die Feststellung der Verletzung des Gesetzgebungsgebots problematisch. Die Gerichte haben hier zu beachten, daß der Gesetzgeber unmittelbar demokratisch legitimiert ist und die politische Verantwortung für den Bereich der Gesetzgebung trägt. Ihm gebührt daher eine Einschätzungsprärogative. Die Beschränkung der gerichtlichen Kontrolle im Regelfall auf Fälle der völligen Untätigkeit des Parlamentsgesetzgebers oder der evidenten Unzulänglichkeit der getroffenen Regelungen ist somit durch sachliche Gründe gerechtfertigt. Eine andere Auffassung würde das Gewicht der beiden Gewalten zu Lasten der Legislative verschieben und einen deutlichen Machtzuwachs der Judikative bewirken. Angesichts der Fehlleistungen und der Schwerfälligkeit des Gesetzgebers, die gerade in jüngster Zeit wieder für jedermann offensichtlich ist, mag dies manchem wünschenswert erscheinen. Die in der Einführung zitierte Frage E. v. Hippels als Reaktion auf die Ablehnung eines Normerlaßanspruchs durch das Bundesverfassungsgericht „Wer anders könnte die Rechte der
4. Teil: Zusammenfassung und Ausblick
Betroffenen schützen als das Bundesverfassungsgericht?", die einem Hilferuf gleichkommt, ist dafür ein beredtes Beispiel. Für die Beurteilung der Frage, welche Gesetze mit welchem Inhalt zu erlassen sind, gibt die Verfassung aber nur einen Rahmen vor.1 Innerhalb dieses Rahmens ist es in einer Demokratie Aufgabe der unmittelbar demokratisch legitimierten Legislative, die wesentlichen Entscheidungen zu treffen. Sie trägt dafür die politische Verantwortung. Die Kritik des Bürgers muß hier ansetzen. Hält er den Erlaß bestimmter formeller Gesetze für erforderlich, so muß er auf politischem Weg versuchen, diese durchzusetzen. Nur so ist gewährleistet, daß das Gesetz auf einer Mehrheitsentscheidung und nicht auf der Entscheidung eines Richtergremiums beruht. Die Anerkennung einer Vielzahl von Gesetzerlaßanspriichen durch das Bundesverfassungsgericht ließe erkennen, daß das Verständnis der Verfassung als Rahmenordnung aufgegeben wurde. Die Verfassung stellte eine perfekte Ordnung dar, die auch gegenüber dem Gesetzgeber überwiegend strikte Vorgaben enthielte. Alle wichtigen Fragen wären durch die Verfassung entschieden, die Funktion des Parlaments erschöpfte sich im Vollzug der Verfassung. Eine solche Interpretation der Verfassung würde letztlich die freiheitliche Demokratie in Frage stellen. Das wäre der Weg in den Richterstaat, den einige bereits als beschritten ansehen.
1
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