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Forschungen zum Alten Testament herausgegeben von Bernd Janowski und Hermann Spieckermann
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ARTIBUS
Hans-Jürgen Hermisson
Studien zu Prophetie und Weisheit Gesammelte Aufsätze
herausgegeben von Jörg Barthel, Hannelore Jauss und Klaus Koenen
Mohr Siebeck
HANS-JÜRGEN HERMISSON: Geboren 1933; Promotion Berlin 1962; Habilitation 1967; Universitätsdozent und api. Professor für Altes Testament an der Universität Heidelberg; 1977-1982 o. Professor für Altes Testament an der Universität Bonn, seit 1982 an der Universität Tübingen.
Die Deutsche
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Hermisson,
Hans-Jürgen:
CIP-Einheitsaufnahme
Studien zu Prophetie und Weisheit : Gesammelte Aufsätze / Hans-Jürgen Hermisson. Hrsg. von Jörg Barthel... - Tübingen : Mohr Siebeck, 1998 (Forschungen zum Alten Testament ; 23) ISBN 3-16-146966-6
978-3-16-157792-5 Unveränderte eBook-Ausgabe 2019
© 1998 J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) Tübingen. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Guide-Druck in Tübingen auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier der Papierfabrik Niefern gedruckt und von der Großbuchbinderei Heinr. Koch in Tübingen gebunden. ISSN 0940-4155
Vorwort Am 17. Mai 1998 feiert Hans-Jürgen Hermisson seinen 65. Geburtstag. Das gibt uns die Gelegenheit, wichtige Studien unseres verehrten Lehrers in einem Sammelband herauszugeben. Wir möchten damit zugleich unseren Dank für das zum Ausdruck bringen, was er uns vermittelt hat. Die Aufsätze, von denen zwei hier zum ersten Mal in deutscher Sprache publiziert werden, wurden durchgesehen und redaktionell vereinheitlicht, inhaltlich aber im wesentlichen unverändert gelassen (Nr. 14 ist leicht gekürzt). Die ursprünglichen Seitenzahlen wurden, durch senkrechte Striche gerahmt, in den Text eingefügt. Kurze Einführungen in die einzelnen Kapitel, die dem Jeremia- und Jesajabuch, den Gottesknechtsliedern und der Weisheit gewidmet sind, hat der Verfasser neu formuliert. Für die Möglichkeit der Veröffentlichung danken wir den Herausgebern der »Forschungen zum Alten Testament«, Bernd Janowski und Hermann Spieckermann, sowie dem Verlag Mohr Siebeck in Tübingen. In der Sache bieten die »Studien zu Prophetie und Weisheit« eine Art Summe aus drei Jahrzehnten exegetischer Arbeit zu zwei zentralen Bereichen des Alten Testaments. In ihnen spiegelt sich der Weg, den Hans-Jürgen Hermisson seit seiner Dissertation über »Sprache und Ritus im altisraelitischen Kult« (1965) und den »Studien zur israelitischen Spruchweisheit« (1969) gegangen ist. Die Aufsätze zur Weisheit nehmen Fragestellungen auf, die ihn schon früh und seither immer wieder beschäftigt haben. Ins Zentrum seines exegetischen Schaffens sind im Laufe der Jahre aber mehr und mehr die Prophetenbücher gerückt, insbesondere das Jeremia- und allen voran das Deuterojesajabuch. Kaum zufallig hat denn auch der vorliegende Sammelband in den Konfessionen Jeremias und den Gottesknechtsliedern des Deuterojesajabuches sein eigentliches Herzstück. Die Beiträge zu Deuterojesaja können nunmehr auch als Ergänzung zu Hans-Jürgen Hermissons ausführlicher Auslegung von Jes 45ff. im Biblischen Kommentar gelesen werden. Das Wort nachsprechen - so könnte das Motto der exegetischen Arbeit Hans-Jürgen Hermisson lauten. Bescheiden auf den Text zu verweisen ihn gerade auch dort in allen seinen Nuancen zu Gehör zu bringen, wo er in seiner inneren Vielstimmigkeit zu Wort meldet, zeichnet sein Wirken zu dem Gott ihm ad multos annos weiterhin Kraft geben möge. Jörg Barthel
Hannelore Jauss
von und sich aus,
Klaus Koenen
Inhalt Vorwort
V
Kapitel 1: Jeremia
1
1. 2. 3.
Jahwes und Jeremias Rechtsstreit. Zum Thema der Konfessionen Jeremias Die »Königsspruch«-Sammlung im Jeremiabuch. Von der Anfangs- zur Endgestalt
37
Kriterien »wahrer« und »falscher« Prophetie im Alten Testament. Zur Auslegung von Jeremia 23,16-22 und Jeremia 28,8-9
59
Kapitel 2: Jesaja und Deuterojesaja 4.
5
77
Zukunftserwartung und Gegenwartskritik in der Verkündigung Jesajas
81
5.
Der verborgene Gott im Buch Jesaja
105
6.
Jakob und Zion, Schöpfung und Heil. Zur Einheit der Theologie Deuterojesajas
117
7.
Einheit und Komplexität Deuterojesajas. Probleme der Redaktionsgeschichte von Jes 4 0 - 5 5
132
Diskussionsworte bei Deuterojesaja
158
8.
Kapitel 3: Der Gottesknecht
175
9.
177
Der Lohn des Knechts
10. Israel und der Gottesknecht bei Deuterojesaja
197
11. Das vierte Gottesknechtslied im deuterojesajanischen Kontext . . . 220 12. Gottesknecht und Gottes Knechte. Zur ältesten Deutung eines deuterojesajanischen Themas
241
VIII
Inhalt
Kapitel 4: Weisheit
267
13. Zur Schöpfungstheologie der Weisheit
269
14. Notizen zu Hiob
286
15. Von Gottes und Hiobs Nutzen. Zur Auslegung von Hiob 22
300
Nachweis der Erstveröffentlichungen
321
Bibelstellenregister
323
Sachregister
331
Kapitel 1
Jeremía Im Jeremiabuch kommt mehrfach und auf verschiedene Weise ein zentrales Problem aller Prophetie zur Sprache: die Legitimation der prophetischen Botschaft und als deren Kehrseite die falsche Prophetie. In den Konfessionen Jeremias werden »falsche Propheten« nirgends erwähnt; sie gehören pauschal zu den »Feinden«, sind aber als Propheten nicht thematisiert. Vielmehr ist die Frage nach innen gerichtet: Jeremia selbst könnte sich als »falscher Prophet« erweisen, weil Jahwe ihm ein doppeltes Amt aufgetragen hat: Unheil, Israels Untergang, als Jahwes Gericht anzukünden und zugleich aufzuhalten. Nicht, daß der Prophet an seinem Auftrag und seiner prophetischen Legitimität zweifelte, er ist sich seiner dunklen Botschaft nur zu gewiß. Aber er droht am Spott seiner Feinde und an Jahwes Langmut zu zerbrechen. So erscheint in den Reflexionstexten des angefochtenen Propheten eine fundamentale Krise seiner Gottesbeziehung und die Aporie seines doppelten Amtes. Wo die Krise behoben ist, bleibt die Aporie, bleibt vor allem die verheerende Botschaft, die dem Propheten »von Mutterleib an« (vgl. Jer 1,5) aufgeladen ist. Der Frage, wie sich diese Konstellation in den Konfessionen Jeremias gestaltet, geht der erste Beitrag nach. Es ist nicht modern, solche Texte für original zu halten und auf den Propheten zurückzuführen, aber es ist auch nicht das wichtigste Problem. Wesentlich ist die Einsicht, daß diese Texte Jeremias prophetische Existenz zum Thema haben. Dann aber sprechen nach meiner Einsicht die besseren Gründe für Originalität. Die anonymen Tradentenkreise als Ursprungsort sind solange eine Verlegenheitsauskunft, wie man für den Gebrauch und die Herstellung einer solchen Dichtung in diesen Kreisen keinen plausiblen Grund angeben kann. Im Unterschied zu Hiob thematisieren die Konfessionen nicht allgemein unschuldiges Leiden, sondern eine sehr spezifische prophetische Leidenserfahrung. Man könnte sich die freie dramatische Gestaltung dieses Geschicks in einer Tragödie vorstellen, aber gegen eine solche Erklärung sprechen nicht nur die gebrauchten Formen, sondern auch der Überlieferungsort. Der Einwand, welchen Sinn die Texte beim Propheten gehabt haben sollten und wie man sich ihre Überlieferung vorstellen solle, wiegt demgegenüber leicht: Natürlich handelt es sich um ein Schriftstück, und darin war nicht ein Stück prophetischer Auto-
2
Kapitel 1: Jeremía
biographie aufgezeichnet - die Autobiographie mag gut und gerne eine viel spätere Erfindung sein - , sondern darin war das angezeigte Problem mit den Mitteln psalmistischer und weisheitlicher Sprache dichterisch gestaltet und damit - soweit das überhaupt möglich war - zu bewältigen oder doch gültig zu formulieren versucht. Daß Jeremia Prophet und Dichter war, wird man nicht bestreiten. Ob aber der in einen Monolog ausmündende Dialog mit Gott ein gescheitertes Gespräch anzeigt, das bleibt offen - oder es bekommt am Ende wieder eine doppelte Antwort. Mit der falschen Prophetie befaßt sich auch der dritte Beitrag, zunächst in einem Überblick über alttestamentliche Positionen zum Thema, dann in der Auslegung zweier Texte des Jeremiabuchs, das diese Frage am ausfuhrlichsten und intensivsten erörtert. Der zweite, ex post in deuteronomistischen Tradentenkreisen formuliert, gibt mit dem Maßstab der Erfüllung ein aktuell nicht anwendbares Kriterium für wahre oder falsche Prophetie. Ein durchschlagendes Argument scheint dagegen die unmögliche »Heilsverkündigung an die (unbußfertigen) Übeltäter« zu sein (Jer 23,16-22). Aber auch das ist erst nachträglich eindeutig durchgeführt, bei Jeremia erweist es sich als zirkulär: Die »Übeltat« liegt gerade darin, daß man die Unheilsverkündigung des Propheten für falsche Prophetie hält und so »Jahwes Wort« verachtet. Das gilt für den ursprünglichen Wortlaut dieses Prophetenworts; die nachfolgende Tradition hat es mit Recht im Kontext jeremianischer Anklagen gegen die »bösen Taten« des Gottesvolks gelesen. Aber in ihrem Anspruch auf Allgemeingültigkeit hatte auch solche Anklage ihren Ausweis nur in der Vollmacht des Propheten. Mit der Überlieferung der Konfessionen in einem umfangreichen Kontext und mit ihrer Zerstreuung über 10 Kapitel des Jeremiabuchs stellt sich das redaktionsgeschichtliche Problem dieses Prophetenbuchs. Es ist, trotz grundlegender Untersuchungen zu dem unterschiedlichen Material 1 , nicht gelöst und auch für immer unlösbar, wenn neuere Untersuchungen mit der Annahme eines kontinuierlichen und diffusen Anreicherungsprozesses im Recht sein sollten. Aber es ist wenig wahrscheinlich, daß man die vorliegenden Schriftrollen jederzeit und nach Belieben erweitern konnte, und es ist für die Analyse der Texte auch nicht erforderlich. Für die Konfessionen ist im folgenden die Vermutung geäußert, daß sie einmal den Kern eines größeren Überlieferungskomplexes gebildet haben könnten. Dessen Abschluß in Jer 20 fallt mit dem Schluß der Konfessionen zusammen, der Anfang könnte bei 10,17 gelegen haben; deutlich sind eine Reihe sachlich ergänzender Texte eingefügt worden (vgl. u. a. bes. 16,1 ff., aber auch das Verbot der Fürbitte in 11,14; 14,1 lf. und die falschen Propheten in 14,13). Das 1 Vor allem W. THIEL, Die deuteronomistische Redaktion von Jer 1 - 2 5 ( W M A N T 41), N e u k i r c h e n - V l u y n 1973, und DERS., Die deuteronomistische Redaktion von Jer 2 6 - 4 5 ( W M A N T 52), N e u k i r c h e n - V l u y n 1981.
Kapitel 1: Jeremía
3
Hirten-Wort in 10,21 mag dann bereits auf den anschließenden Komplex der »Königssprüche« in Jer 2 1 , 1 - 2 3 , 8 hinweisen. Dessen Analyse im zweiten Beitrag ist ein Versuch, die komplizierte Redaktionsgeschichte des Jeremiabuchs an einem überschaubaren Textkomplex aufzuhellen. Zwar gibt es hier eine Redaktion, die wahrscheinlich auf diese Sammlung beschränkt war und weitere »Königssprüche« - oder was sie dafür hielt - hinzufügte. Wenn dieser zweite Sammler nach der ersten deuteronomistischen Bearbeitung tätig wurde, spricht das dafür, daß die Sammlung damals noch selbständig existierte. Wieweit die verschiedenen deuteronomistischen Bearbeitungen das ganze Jeremiabuch umfassen, müßte nun erst überprüft werden, aber sicher scheint mir, daß auch dort mit verschiedenen deuteronomistischen Händen zu rechnen ist. Die Unterschiede dieser Deuteronomisten untereinander und noch einmal zum Deuteronomistischen Geschichtswerk sprechen nicht gegen, sondern für eine »deuteronomische Bewegung«.
1. Jahwes und Jeremias Rechtsstreit Zum Thema der Konfessionen Jeremias In Jeremias prophetischer Hinterlassenschaft finden sich sechs oder sieben Texte 1 , die untereinander eng verbunden sind und die sich in ihrer sprachlichen Gestalt von Jeremias Botschaft abheben. Die naheliegende Frage, ob sie mit Recht dem jeremianischen Erbe zugewiesen wurden, stelle ich hier zurück; nicht deshalb, weil man in der derzeitigen Diskussion - mit Gottfried Benn zu reden - zuvor »das Ölzeug anziehen« müßte, sondern weil man die Texte zuvor verstehen muß. Dafür aber ist die Echtheitsfrage zweitrangig, und es mag genügen, daß die Texte jedenfalls von Jeremia reden. Was sie über den Propheten zu sagen haben und wie sie ihre Aussage gestalten, das ist die Frage, der im folgenden Versuch nachgedacht wird. Er sucht das Gespräch mit A. H. J. Gunneweg 2 auch oder gerade da, wo er zu einer anderen Sicht der Dinge kommt. Gunneweg hat in seinem Aufsatz zu den Konfessionen mit Recht unterstrichen, daß die Texte keine psychologisierende Deutung erlauben - schon ihre konventionelle Sprache und ihre partielle Gattungsgebundenheit verwehrt den unmittelbaren Einblick in das Seelenleben des Propheten. Er sieht in den »Konfessionen« vielmehr »exemplarische« Texte, und man wird ihm auch darin zustimmen; nur kann man noch einmal fragen, wofür sie exemplarisch sein sollen: für »jedermann«, dem sie den exemplarischen Gerechten vorstellten, oder, wie hier gezeigt werden soll, für ein spezifisches prophetisches Problem, vergleichbar den Gottesknechtstexten bei Deuterojesaja, die ja zum Teil auf die Konfessionen Bezug nehmen. | 310 | Wesentlich für das Verständnis dieser Texte ist die Frage nach ihrer Integrität und ihrem wechselseitigen Zusammenhang. Dazu gibt es drei neuere Untersuchungen, von denen im folgenden besonders die Arbeiten von N. Ittmann und F. W. Hubmann zu berücksichtigen sind 3 . J. Vermeylen 4 hat 1 Jer 11,18-23; 12,1-6; 15,10-21; 17,14-18; 1 8 , 1 8 - 2 3 ; 2 0 , 7 - 1 3 ; 2 0 , 1 4 - 1 8 . Umstritten ist vor allem die Zugehörigkeit des letzten Textes. 2 A. H. J. GUNNEWEG, Konfession oder Interpretation im Jeremiabuch, Z T h K 67 (1970), 3 9 5 - 4 1 6 = DERS., Sola Scriptura. Beiträge zu Exegese und Hermeneutik des Alten Testaments, Göttingen 1983, 6 1 - 8 2 . - Die D e u t u n g G u n n e w e g s wird im wesentlichen a u f g e n o m m e n bei P. WELTEN, Leiden und L e i d e n s e r f a h r u n g e n im Buch Jeremia, Z T h K 74 (1977), 123-150. 1 N. ITTMANN, Die K o n f e s s i o n e n Jeremias. Ihre B e d e u t u n g f ü r die Verkündigung des Propheten ( W M A N T 54), N e u k i r c h e n - V l u y n 1981; F . D . HUBMANN, U n t e r s u c h u n g e n zu
6
Kapitel 1: Jeremía
demgegenüber eine redaktionsgeschichtliche Lösung vorgelegt, bei der die Texte in viele sukzessive Schichten zerfallen. Eine detaillierte Auseinandersetzung mit seinem Vorschlag ist hier nicht möglich; es fallt aber auf, daß bei seiner Analyse für den A n f a n g der Textgeschichte z. T. nur fragmentarische und für sich nicht lebensfähige Texte übrig bleiben. Ob das ein mögliches Ergebnis ist, ist eine Frage an die Praxis israelitischer Prophetenüberlieferung; sie dürfte in der Regel anders verfahren und prophetische Texteinheiten erweitern, aktualisieren und kommentieren, mit - abgesehen von solchen Additamenta - minimalen Eingriffen in den vorgegebenen Textbestand. | 311 | 1. Für die Beurteilung der literarischen Integrität der Texte ist eine Voraussetzung zu nennen, die erst später im einzelnen begründet werden kann. Man muß davon ausgehen, daß die jetzt über zehn Kapitel des Jeremiabuchs verstreuten Texte einmal einen zusammenhängenden Textkomplex gebildet haben. Als vorläufiges Indiz dafür m a g ihre sprachliche und sachliche Eigenart und ihre Differenz zur übrigen Jeremiaüberlieferung dienen. 1.1 Dieses Textkorpus beginnt in 11,18 für den schulmäßigen literarischen Geschmack 5 recht unvermittelt: Jahwe6 tat mir kund, da erkannte ich, da ließest du mich sehen ihre Taten. Auffällig ist bereits der plötzliche Übergang vom Berichtsstil zur Anrede, aber das ist weder ein Grund zur Textkritik 7 noch zur Literarkritik, denn derselbe Wechsel begegnet bereits in V. 20 wieder, ähnlich zwischen 20,7 und 8f.; er ist im Rahmen der Psalmensprache nicht so ungewöhnlich, und der abweichende erste Satz mag sich hier als Eingangswendung erklären. Schwieriger erscheint der fehlende Bezug des Suffixes: Wer sind die »sie«,
den Konfessionen Jer 11,18-12,6 und Jer 15,10-21 (FzB 30), Würzburg 1978; DERS., Jer 18,18-23 im Zusammenhang der Konfessionen, in: P.-M. Bogaert (Hg.), Le livre de Jeremie (BEThL LIV), Leuven 1981, 271-296; DERS., Anders als er wollte: Jer 20,7-13, BiLi 54 (1981), 179-188. 4 J. VERMEYLEN, Essai de Redaktionsgeschichte des »Confessions de Jeremie«, in: P.-M. Bogaert (Hg.), Le livre de Jeremie (BEThL LIV), Leuven 1981, 239-270. 5 Ganz gewiß nicht für die literarische Technik der Moderne! Man vergleiche nur den neuesten Roman von Siegfried Lenz und seinen ersten Satz: »Sie haben ihn entmündigt.« Was würde ein Literarkritiker daraus schließen?! - Was uns längst geläufig wurde, kann freilich ebensowenig zum Maßstab antiker Texte werden, aber man soll umgekehrt nicht annehmen, das klassische Schema mit formgerechter Exposition sei eine Konstante des dichterischen Menschengeistes. 6 Das »und« zu Beginn ist schwerlich mehr als eine lose redaktionelle Klammer zum vorhergehenden Text, zu dem auf der Bildebene einige Beziehungen zu bestehen schienen, vgl. das Bild vom Baum 11,19 und vom »grünenden Ölbaum« 11,16. Tatsächlich haben die Texte nichts miteinander zu tun. 7 Die Septuaginta hat nur stilistisch ausgeglichen.
1. Jahwes und Jeremias Rechtsstreit
7
von deren Machenschaften der Prophet hier erfahrt? Man könnte versuchen, diese Unbestimmtheit aus der ursprünglichen Kommunikationssituation zu erklären: Im Gebet des Propheten zu Jahwe bedurfte es einer Näherbestimmung nicht. Aber abgesehen davon, daß man damit die Echtheit des Textes schon vorausgesetzt hätte, wäre in der literarischen Fassung eine Objektivierung zu erwarten. Das Textphänomen erklärt sich vielmehr aus einer dem klassischen Geschmack fremden, aber in der hebräischen (wie der modernen) Dichtung gar nicht so ungewöhnlichen Technik, anfängliche Aussagen erst im Fortgang des Textes zu explizieren. Wer die Gegner sind, das wird also erst allmählich entfaltet; der Leser braucht einen langen Atem. Die Tradenten des Textkorpus haben dem Leser solche Geduld nicht mehr abverlangen wollen und ihm ihre historische Erklärung gegeben. Hier läßt sich eine Ergänzungsschicht abheben, die durchweg das gleiche Interesse verfolgt und auch in den Konfessionen 12 und 18 begegnet. Es fällt nämlich auf 8 , daß sich die Identifizierung der Gegner Jeremias in 11,21 nicht mit dem Kontext verträgt: Der nach l l , 1 8 f . heimliche Anschlag wird hier zu einer offenen Drohung für den Fall weiterer prophetischer Tätigkeit, und die Nachstellungen der Anatoter, von deren spezieller Feindschaft gegen den Propheten die Jeremiatradition außerhalb der Konfessionen nichts weiß, sind exegetisch aus dem Topos der Klage über die Feindschaft der nächsten Angehörigen - hier in 20,10 - erschlossen. Da die Wiederholung der Botenformel in V. 22 nur der Wiederaufnahme dient, gehört V. 2 1 a a 2 ß b . 2 2 a a zur Ergänzung. Die gleiche Hand trifft man wieder in V. 23 mit der Wendung »Un-1 312 | heil über die Männer von Anatot« an. Der verbleibende Text läßt sich dann (im Gegensatz zur Druckanordnung in der BH) ohne Schwierigkeiten metrisch lesen 9 . Der gleichen Schicht gehört 12,6 an 10 . Der die zweite Konfession jetzt beschließende Vers ist an dieser Stelle überschüssig und wird deshalb gerne zwischen 11,18 und 19 eingefügt, um dort die vermißte Erklärung der Gegner zu liefern. Aber Ittmann hat mit Recht darauf hingewiesen, daß der Vers den explikativen Z u s a m m e n h a n g zwischen V. 18 und 19 sprengen w ü r d e " . Er will ihn unverstellt dem ursprünglichen Textbestand zurechnen, aber der Vers ist Exegese eines für sich nicht mehr zureichend verstandenen Bildwortes (V. 5), er operiert wieder mit der Verwandtschaft Jeremias und nimmt sie als Exempel der in 12,1 genannten "H33. Schließlich ist zu überlegen, ob auch 18,18 auf der gleichen redaktionel8 Vgl. schon W. THIEL, Die deuteronomistische Redaktion von Jeremia 1 - 2 5 ( W M A N T 41), Neukirchen-Vluyn 1973, 159f.; ITTMANN (S. Anm. 3), 36ff.; und vor allem HUBMANN,
U n t e r s u c h u n g e n (s. A n m . 3), 6 5 - 6 7 . 9 V. 18: 3+3; V. 19: zwei Trikola 3+3+3; V. 2 0 - 2 3 * durchweg Doppeldreier; in V. 22b ist das grammatisch nicht recht eingefügte o r r n J S l vielleicht zu streichen. 10
E b e n s o HUBMANN, U n t e r s u c h u n g e n (s. A n m . 3), 7 2 - 7 4 .
11
ITTMANN (s. A n m . 3), 6 4 .
8
Kapitel 1: Jeremía
len Ebene anzusiedeln ist; jedenfalls gehört der Text nicht zum ursprünglichen Bestand der Konfessionen 1 2 . Dafür kann man schon die Prosaform der Sätze anführen, darüber hinaus vielleicht ihre Funktion, den Konfessionstext mit dem Kontext (18,1 lf.) zu verknüpfen 1 3 . Vor allem aber ist die Situationsbeschreibung oder das Zitat der Gegner sonst immer in die Klage integriert; hier wäre sie der Klage vorangestellt und sprachlich nur locker mit dem Folgenden verbunden. Die inhaltliche Funktion dieses Prosatextes aber ist wieder dieselbe wie die der Ergänzungen in der ersten und zweiten Konfession: Es sollen die näheren Umstände angegeben werden, in die diese Klage gehört; ihr metaphorisch bezeichneter Anlaß, die Falle, die die Feinde dem Beter stellten (18,22), bedarf einer historischen Verifikation. Die bedient sich aber recht allgemeiner Wendungen und der Kenntnis des übrigen Jeremiabuchs: Priester und Propheten erscheinen mehrfach als Gegner des Propheten (2,8; 4,9; 26,7 u. ö.), die Weisen immerhin 8,8f.; sie mögen auch nur einer (Ez 7,26 allerdings abweichend ohne die »Weisen« belegten) geprägten Wendung entstammen. Daß man den Propheten »an der Zunge schlagen«, das heißt mundtot machen will 1 4 , liegt bei dem durch das | 313 | Wort wirksamen Propheten nahe, und das gegnerische Vorgehen dient nur dem sogleich im Folgesatz bezeichneten Zweck, nicht auf sein Wort zu hören. Die Ergänzung könnte geradezu durch V. 19a veranlaßt sein, wenn ""TT dort ursprünglich ist (und nicht mit der Septuaginta zu lesen ist): Die Stimme der Gegner mußte doch hörbar werden! Für Ittmann ist das ein Argument für die Ursprünglichkeit von V. 18, aber wenn man die gegebene Reihenfolge der Konfessionen beibehält, bedarf es dessen nicht: Jeremia hat seine Gegner j a in 17,15 zitiert, und er hat damit das T h e m a genannt, um das es in der Auseinandersetzung wesentlich geht 15 . 1.2 Viel weniger umstritten ist die sekundäre Z u f ü g u n g von zwei Passagen in 15,12-14 und 17,12-13. Ob beide zu einer Redaktionsschicht gehö-
12
V g l . THIEL (s. A n m . 8), 2 1 7 f . ; HUBMANN, J e r 18 (s. A n m . 3), 2 9 0 - 2 9 2 .
13
V g l . HUBMANN, ebd.
u
Wodurch das geschehen soll, kann man der W e n d u n g nicht e n t n e h m e n . Möglich, aber nicht so gut z u m nächsten Satz passend, wäre auch die U b e r s e t z u n g »mit der Z u n g e schlagen« - natürlich nicht mit Jeremias Z u n g e und auch nicht im W e t t k a m p f (das w ü r d e nicht mit H2H bezeichnet), sondern durch irgendein d e m Jeremia schädliches Reden. 15 Dagegen scheint mir die L ö s u n g HUBMANNS (Jer 18 [s. A n m . 3], 284ff.), der das Zitat der G e g n e r in V. 20a sucht, nicht möglich, denn die Frage der Gegner, ob J a h w e denn »so ungerecht sein kann ..., daß er >anstelle von G u t e m Böses e r s t a t t e t « (286), paßt nicht in den Z u s a m m e n h a n g , in dem Jeremia gerade auf seine Guttat hinweist: die Fürbitte für die G e g ner. Überdies hätte Jeremia eine solche Frage leicht beantwortet: Seine ganze A n k l a g e ist eine A n t w o r t auf den G e d a n k e n göttlicher Ungerechtigkeit, und als Falle (aaO., 286f.) hätte Jeremia solche Frage schwerlich betrachtet oder gar fürchten müssen. A u c h mit der gleichen B e d e u t u n g von rmtä in V. 20a und b kann man nicht argumentieren, denn einmal lassen sich hier d u r c h a u s N u a n c e n denken, und zum anderen ist m i ü in V. 2 0 b nicht auf »ein von J a h w e her k o m m e n d e s Heil« (aaO., 286) festgelegt.
1. Jahwes und Jeremias Rechtsstreit
9
ren, kann hier nicht untersucht werden; jedenfalls setzen beide bereits den weiteren Kontext der Konfessionen, d. h. Jer 10-20, speziell den Anfang von 17 voraus. Das kollektiv formulierte Bekenntnis in Jer 17,12f. ist wohl als liturgisches Echo auf 17,1-4 zu verstehen (die weisheitliche Passage 17,5-11 dürfte noch später zugefügt worden sein), und mit Elementen aus 17,1-4 ist 15,13f. konstruiert, wahrscheinlich ebenso 15,12 16 . Beide Ergänzungen scheinen die vorgefundenen Konfessionen bereits kollektiv zu interpre-1 314 | tieren, wie insbesondere 15,13 zeigen kann: Obwohl die Anrede wie in (V. 11 oder) V. 19ff. in der 2. Person sg. formuliert ist, kann hier nicht der Prophet, sondern nur Israel gemeint sein 17 . Mit dem Einschub in 15,1214 ist auch die vorliegende Gestalt von V. 11 zu erklären: Das stilistisch ganz ungewöhnliche m r p "TON zu Beginn des Textes mag aus einem Imperativ m m "1DX oder vielleicht auch m!T ]ÜK hervorgegangen sein, falls "IOK nicht überhaupt erst jetzt hinzugefügt wurde, und Zusatz ist jedenfalls das nachklappende a^HTIX am Ende der Zeile. Statt dessen gehört das (wenn objektlose, immer rückbezügliche) »du weißt« aus V. 15 noch zur zweiten Verszeile von V. II 1 8 . Die Sekundärgestalt von 15,1 Off. ist ein vorzügliches Beispiel für das redaktionelle Verfahren: Sie zeigt, wie der Redaktor mit ganz geringfügigen Retouchen am überlieferten Text und darüber hinaus mit einem aus jeremianischem Material gestalteten Zusatz der Überlieferung einen neuen und aktuellen Sinn abgewinnen konnte 19 . Im übrigen war die kollektive Deutung durch den Kontext in 15,8 und 9 nahegelegt (vgl. bes. die der Kinder beraubte Mutter in der Gerichtsankündigung; dem entspricht - in den Augen des Redaktors - der Weheruf der Kinder im Munde eines Kindes in V. 10). 1.3 Mit der Ausscheidung dieser Ergänzungsschichten, deren Auslegung hier nur angedeutet werden konnte, wäre dann aber der ursprüngliche Textbestand im wesentlichen zurückgewonnen. Man kann bei einzelnen Versen oder Versteilen noch überlegen, ob sie erst später eingefügt wurden, aber das 16 Vgl. W. RUDOLPH, Jeremia (HAT 1/12), Tübingen M968, z. St. Eine eingehende Unters u c h u n g zu den Doppeluberlieferungen im Jeremiabuch legt HUBMANN, U n t e r s u c h u n g e n (s. A n m . 3), 217ff., vor. Für die Verse Jer 15,13f. k o m m t er literarkritisch z u m gleichen Ergebnis, wobei man ¡hm z u s t i m m e n muß, daß die » w i e d e r v e r w e n d e t e n « Texte ihrem neuen Kontext b e w u ß t e i n g e f ü g t und dabei auch umgestaltet wurden. 17 A n d e r s HUBMANN, U n t e r s u c h u n g e n (s. A n m . 3), 216ff., bes. 267; er will den Textbestand des M T unverändert lassen, k o m m t damit aber zu einer recht geschraubten A u s s a g e folge. - V. 11 soll jetzt wohl ebenso Israel angesprochen sein. 18 A u ß e r d e m ist in V. 11 " ^ r n t i zu lesen; woran M T dachte, kann m a n nur raten, vielleicht wie das Targum an den Rest ( " [ n n t l wie vgl. V. 9. Jedenfalls ist die seltsame L e s u n g gewählt, um den Zusatz e i n z u f ü g e n und den Text zugleich neu zu interpretieren; sie gehört also nicht oder nicht nur in die Textkritik. 19 Daß dieser Sinn uns in V. 13 und 14 nicht mehr ganz deutlich wird, liegt wohl - abgesehen von Textverderbnis - daran, daß man später am Text weitergearbeitet hat - ein M u sterbeispiel auch für die Unklarheit der heute wieder so beliebten »Endgestalt«.
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Kapitel 1: Jeremía
Bild im ganzen ändert sich damit nicht mehr wesentlich. Insbesondere ist die von E. Gerstenberger angenommene umfangreiche deuteronomistische Erweiterung in 15,16.19-21 2 0 mit der Sprachgestalt der betreffenden Passagen nicht zu | 315 | begründen 2 1 , und die sachlichen Parallelen bleiben zu vage, um als Argument zu dienen. Die Beziehung zu 4,1 ff. - einem m. E. der Jeremia-C-Schicht 2 2 angehörigen Text - ist nur locker und könnte, wenn überhaupt, auch von dem Verfasser jener Sätze hergestellt worden sein. Willkürlich ist die Beseitigung des für die Aussage von V. 15 entscheidenden Ausdrucks "pX 1 ? und somit die Umwandlung der anstößigen Bitte »Raffe mich nicht hin in deiner Langmut« in »Raffe mich nicht hin in deinem Zorn!« - womit man dann allerdings bei einer geläufigen Psalmenwendung wäre 2 3 . Kurz, es gibt für den nach Ausscheidung von V. 12-14 etc. verbleibenden Text von 15,10-21 keinen Grund zur A n n a h m e einer deuteronomistischen Komposition aus Psalmenmaterial und deuteronomistischem Eigengut. Über Einzelelemente des Textes kann man diskutieren - so hat schon B. Duhm 2 4 V. 19aa ( p b + Botenformel) wohl mit Recht als sekundären Zusatz erklärt; ebenso ist auch das Verhältnis von V. 20f. zum (eher jüngeren) Berufungsbericht noch offen; das Gesamtbild und die grundlegende Thematik der Texte ist davon nicht betroffen. Ein eigenes Problem ist die Zugehörigkeit des letzten Konfessionstextes, Jer 2 0 , 1 4 - 1 8 , zum zusammenhängenden Textkomplex. Aber das ist keine Frage an die Literarkritik, sondern an die Konzeption der Textfolge. Oberflächlich betrachtet scheint die Antwort klar: Nach dem befriedigenden Abschluß mit dem Hymnenmotiv in 20,13 ist der radikale U m s c h w u n g zu der Verfluchung des Geburtstages in 20,14ff. nur schwer verständlich, wenn man nicht die Psychologie und die plötzlichen Stimmungsumschwünge der menschlichen Seele zu Rate ziehen will 25 . Der Ausweg ist nicht ratsam, auch dann nicht, wenn die Texte von Jeremia stammen, denn wir haben es durchweg mit einem kunstvoll gestalteten Text zu tun, nicht mit Seelenergüssen. Aber auf der anderen Seite ist auch mit einer Abtrennung vom ursprünglichen Textkorpus nicht viel gewonnen, denn es bleibt j a die Frage, wer diesen Text dann angefügt haben soll und vor allem: mit welcher Absicht? Eine Antwort ist so oder so erforderlich; die Frage ist später wieder aufzunehmen.
20
E. GERSTENBERGER, J e r e m i a h ' s C o m p l a i n t s . O b s e r v a t i o n s o n Jer 1 5 , 1 0 - 2 1 , J B L 82
(1963), 21
393-408.
V g l . T H I E L (S. A n m .
8), 1 9 4 , A n m . 4 3 ; ITTMANN (s. A r a n . 3), 7 0 , A n m .
MANN, U n t e r s u c h u n g e n (s. A n m . 3 ) , 2 8 5 , A n m .
230;
HUB-
109.
22 D i e B e z e i c h n u n g d i e n t h i e r n u r als S a m m e l b e g r i f f f ü r e i n e R e i h e d e u t e r o n o m i s t i s c h e r Schichten im Jeremiabuch. 23
G E R S T E N B E R G E R (S. A n m . 2 0 ) , 4 0 0 .
24
B. DUHM, D a s B u c h J e r e m i a ( K H C XI), T ü b i n g e n - L e i p z i g 1901, 135.
25
S o z . B . R U D O L P H (S. A n m . 1 6 ) , z . S t .
1. Jahwes und Jeremias Rechtsstreit
11
1.4 Zur Frage der Integrität des Textkorpus gehört endlich auch die Reihenfolge der Texte. Wieder läßt sich das positiv erst bei der inhaltlichen | 3161 Behandlung der Texte klären, aber ein neuerer und beachtenswerter Versuch, die ursprüngliche Reihenfolge wiederherzustellen, muß hier doch vorweg besprochen werden. N. Ittmann, der mit guten Gründen die Umstellung von 12,6 zwischen 11,18 und 19 ablehnte, sucht doch seinerseits der Logik und Folgerichtigkeit der Textsequenz aufzuhelfen, indem er 18,18ff. an den A n f a n g stellt und danach die Texte in Jer 11 und 12 folgen läßt; die Konfession in Kap. 17 bildet nach ihm dann den Übergang zu den beiden letzten in Kap. 15 und 20 26 . Er sucht die Konfession Kap. 18 gerade unter strukturellem Aspekt der ersten Gruppe zuzuordnen, aber die Unterschiede im A u f b a u zwischen 18 einerseits und 11 und 12 andererseits erweisen sich als stärker als die Gemeinsamkeiten, wie seine Darstellung selbst lehrt 27 . Die Strukturähnlichkeit fallt vollends hin, wenn 18,18 erst eine sekundäre Ergänzung ist. Aber könnte denn nicht 18 am A n f a n g den in 11,18 vermißten Bezug der Suffixe liefern? Das wäre erwägenswert, wenn man damit nicht in noch größere Schwierigkeiten käme. Denn was soll die den Propheten überraschende Mitteilung über die Pläne seiner Feinde (11,18), was soll der Hinweis auf seine bis dato anhaltende Vertrauensseligkeit (11,19), wenn der Prophet zuvor schon in der Klage von seinen Feinden berichtet hat? Das ist gerade mit dem Gesetz der Folgerichtigkeit, nach dem die Texte hier geordnet werden sollen, nicht vereinbar. Ob es tatsächlich das Gesetz ihrer Anordnung ist, ist freilich eine andere Frage, und unter einem anderen Gestaltungsprinzip ließe sich das Hysteron-Proteron wohl vertreten. Aber dann gibt es auch zur Umstellung vorerst keinen Grund. Die folgenden Überlegungen gehen deshalb von der überlieferten Reihenfolge der Texte aus. 2. Daß diese Texte von »Jeremia« reden, ist im allgemeinen nicht strittig und auch bei Gunneweg vorausgesetzt. Wohl aber ist zu zeigen, daß das Textkorpus mehr und anderes ist als die passende Zusammenstellung einschlägiger Psalmen mit gelegentlichem prophetischem Kommentar. 2.1 Man kann die zusammenhangstiftenden sprachlichen Investitionen zunächst an den Konfessionen 11 und 12 studieren. Sieht man sie genauer auf ihre sprachliche Gestaltung an, so findet man ein dicht geknüpftes Netzwerk von aufeinander bezogenen Bildern, Stichwörtern und Formulierungen, die es | 317 | ausschließen, daß die Texte unabhängig voneinander entstanden sind.
26 ITTMANN (S. Anm. 3), 65ff„ speziell 69.82ff.l22ff.; Jer 20,14-18 rechnet er nicht zu den Konfessionen (vgl. 25f.). 27 Vgl. z. B. 68, 4.3.3, zweiter Satz, mit 4.3.4, erster Satz, aber auch den Hinweis auf »Jeremias Eigenständigkeit gegenüber vorgegebenen Strukturmerkmalen« (67): Wer - außer dem Exegeten - hat sie ihm eigentlich vorgegeben?
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Kapitel 1: Jeremía
Dabei kehren sich die im ersten Text verhandelten Dinge im zweiten in mancher Hinsicht um. Ein Stichwort zunächst: Der des Propheten mit den Feinden, den er nach 11,20 Jahwe »aufdeckt« 2 8 , erweist sich in 12,1 zugleich als ein mit Jahwe, und daran knüpft sich die Umkehrung der Bilder: dem Baum, den die Feinde verderben wollen mit seiner Frucht (?), entsprechen die Feinde als Jahwes fruchttragende Pflanzung, und das Bild vom Lamm, das zur Schlachtung gebracht wird, wird wiederaufgenommen mit dem Wunsch, die Feinde möchten wie Schafe zur Schlachtung ausgesondert werden. Weitere Stichwort- und zugleich Sachbezüge findet man in 11,20 und 12,1 mit der Prädizierung Jahwes als p l S (£332?) bzw. p ^ X : Der gerechte Richter bleibt Jahwe, aber er muß sich nun doch auf seine Gerechtigkeit befragen lassen. Wenn Jahwe nach 11,20 Herz und Nieren prüft, so taucht auch das Motiv in einer bezeichnenden Variante wieder auf, denn für die gottlosen Feinde gilt: Jahwe ist fern ihren Nieren, nur nahe in ihrem Munde, aber Jahwe prüft das Herz des Propheten. Im gleichen Zusammenhang erscheint eine für die Unschuldsbeteuerung typische Wendung: »du kennst mich« (12,3), sonst auch einfach »du weißt es« (15,15; 17,16; vgl. auch 18,20 »gedenke«), umgekehrt kennt Jahwe die Pläne der Feinde (18,23). Die Wendung verbindet 12,3 zunächst mit dem »er ließ mich wissen« / »du ließest mich sehen« bzw. »ich wußte nicht« in 11,18.19, andererseits mit dem Feindzitat »er sieht nicht« (12,4), dann aber, wie die angeführten Belege zeigen, auch schon mit den folgenden Konfessionen. Schließlich mag sich auf der assoziativen Verknüpfungsebene auch 12,4aba mit der »Pflanzung der Gottlosen« verbinden: Jene sind eingepflanzt, bringen Frucht, aber gerade darum verdorrt alles Kraut des Feldes. Die Beispiele haben naturgemäß nicht alle gleiches Gewicht, und man kann hier und da auch bezweifeln, ob eine bestimmte Beziehung wirklich beabsichtigt war, aber im ganzen scheint mir kein Zweifel an der bewußten Verknüpfung der Texte möglich zu sein. Der Bezug zur Psalmensprache spielt dabei eine gewisse Rolle, aber einmal ist j a aus der weitaus reichhaltigeren | 318 | Psalmentopik eine ganz begrenzte Auswahl getroffen, und zum andern wird die Benutzung der psalmistischen Wendungen in unseren Texten weit überschätzt, weil die Psalmensprache bei genauerem Zusehen meist gerade spezifisch abgewandelt ist oder einem besonderen Zweck dienstbar gemacht wird.
28 Was war da eigentlich a u f z u d e c k e n - n a c h d e m doch J a h w e d e m Propheten erst die Sache mitgeteilt hatte? A b e r vielleicht ist das gerne verbesserte nur ein Signal, das schon auf den zweiten Text vorausweist. - Natürlich sind solche B e z i e h u n g e n einzeln nie ganz zu sichern. A b e r gegen die Möglichkeit, g e m ä ß der Psalmensprache in zu ändern, spricht die W i e d e r h o l u n g derselben Lesart in Jer 20,12; es gehörte schon ein ungehöriges M a ß an G e d a n k e n l o s i g k e i t dazu, daß ein Abschreiber ausgerechnet die f e h l e r h a f t e Lesart übertragen haben sollte.
1. Jahwes und Jeremias
Rechtsstreit
13
2.2 Es ist nicht möglich, hier alle verknüpfenden Elemente in den Texten aufzuzählen, aber ehe wir auf die eigentlich sinntragenden Stichwörter kommen, seien doch noch einige große Querverbindungen genannt. Die fast gleichlautenden Verse 11,20 und 20,12 sind doch wohl als beabsichtigte Inklusion zu verstehen. Daneben ist bemerkenswert der Weheruf über die eigene Geburt in 15,10a gegenüber der Verfluchung des Geburtstages in 20,14ff., oder das Wehgeschrei, das jener Tag hören soll (20,16), neben dem erwünschten Wehgeschrei der Feinde in 18,22 und dem Schreien des Propheten in 20,8; daß diese Verknüpfung auch einen sachlichen Grund hat, wird sich noch zeigen. Zahlreiche Verbindungen bestehen zwischen den Konfessionen 11 und 15 und wiederum zwischen 15 und 20. So hat das »Jahwe, gedenke meiner und suche mich heim« in 15,15 seine deutlichen Bezüge in 11,19 einerseits, der Rede der Feinde: »seines Namens soll nicht mehr gedacht werden«, und in 11,22.23 andererseits: »ich suche sie (die Feinde) heim« bzw. »ich bringe das Jahr ihrer Heimsuchung«. Oder 20,8: »das Wort Jahwes wurde mir zur Schmach« entspricht 15,15.16: »erkenne, daß ich um deinetwillen Schmach trage« ... »dein Wort wurde mir zum Jubel und zur Herzensfreude«. Die Konfessionen 15; 17 und 18 verbindet das Motiv des »Stehens vor Jahwes Angesicht«. Oder die Wunde, die nicht heilen will ( N 2 " l ) 15,18 verbindet sich mit der Bitte um Heilung in 17,14. Die Rolle des Stichworts Ss"1 in 20,7-13 ist schon gelegentlich beobachtet worden 29 ; die damit gebildete Wendung vom Unvermögen der Feinde taucht aber auch schon in 15,20 auf. So könnte man noch eine Weile fortfahren und Stichwortverbindungen nennen, die in aller Regel auch Sachbezüge bezeichnen, wiewohl zum Teil sub contrario. Wir werfen statt dessen noch einen Blick auf die Begriffe und Wendungen, die für das Thema der Konfessionen tragende Bedeutung haben. 2.3 Diese relativ wenigen Grundbegriffe sollen hier noch nicht auf ihren jeweiligen Gehalt, sondern nur auf ihre verknüpfende Funktion angesehen und notiert werden. 2.3.1 Geradezu als einen roten Faden kann man die Wurzel nehmen, da sie in allen Konfessionen außer in der vierten (17) und siebenten (20,14ff.) | 3191 anzutreffen ist: ... dir hab' ich meine Rechtssache
aufgedeckt (11,20)
Du bist gerecht, Jahwe, wenn ich mit dir streite ... (12,1) Weh mir ... einen Mann des Streits und Haders für das ganze Land (15,10) ... höre auf die Stimme meiner Rechtsgegner30
29
(18,19)
D. J. A. CLINES / D. M. GUNN, Form, Occasion and Redaction in Jeremiah 20, ZAW 88 (1976), 390-409. 30 Falls nicht auch hier mit der Septuaginta »meines Rechtsstreits« zu lesen ist. Da-
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Kapitel 1: Jeremía ... dir hab' ich meine Rechtssache aufgedeckt (20,12 = 11,20)
2.3.2 Daß es alle Konfessionen außer der letzten mit den Feinden zu tun haben, bedarf für 11; 15; 17; 18 und 20,7ff. keines Belegs, ist aber auch für 12 leicht zu zeigen, da die Gottlosen natürlich die gottlosen Feinde sind, wie man an der Gegenüberstellung Gottlose/Beter in 12,2.3, an dem Vernichtungswunsch 12,3 und an den mancherlei Querverbindungen sehen kann. 2.3.3 Durchgehend findet sich auch das Motiv »Rache«, Wurzel Dp3:
entweder mit der
... ich werde deine Rache an ihnen sehen ... (11,20) ... räche mich an meinen Verfolgern ... (15,15) ... wir wollen unsere Rache an ihm nehmen (20,10) ... ich werde deine Rache an ihnen sehen ... (20,12 = 11,20) Oder es ist der Sache nach von solcher »Rache« die Rede, deutlich in 12,3; 17,18; 18,21 ff.; vielleicht auf eigene Weise auch in der letzten »Konfession«: das kann aber erst die inhaltliche Interpretation zeigen. 2.3.4 Ein stehendes Motiv der ersten fünf Konfessionen ist die Bezeichnung der Zeit des Eingreifens Jahwes: »das Jahr ihrer Heimsuchung« (11,23); der »Tag der Schlachtung« (12,3); die »Zeit des Unheils und die Zeit der Bedrängnis« (15,11); »der unheilbare Tag« (17,16); oder der »Unheilstag« (17,17.18); schließlich die »Zeit deines Zorns« (18,23). Dazu gehört das Motiv der Verzögerung, das zwar terminologisch nicht festgelegt ist, aber die Konfessionen 12; 15 und 17 deutlich bestimmt: ... du pflanzt sie (die Gottlosen) ein, sie schlagen auch Wurzeln, wachsen31, bringen auch Frucht... (12,2; vgl. »Wie lange ...« 12,4) Raffe mich nicht hin in deiner Langmut...
(15,15)
Warum ward mein Schmerz ewig und meine Wunde unheilbar... (15,18) Siehe, sie sagen zu mir: »Wo ist das Wort Jahwes?, es treffe doch ein!« (17,15) Daneben steht in den Konfessionen 15; 17 und 18 das Motiv der Fürbitte, des Eintretens für die Gegner, gewissermaßen als Ursache der Verzögerung: | 320 | ... Jahwe, wenn ich dir nicht 'diente' zum Guten, wenn ich nicht in dich drang zur Zeit des Unheils und zur Zeit der Bedrängnis (15,11) Ich aber habe nicht gedrängt 'zum Unheil' 32 bei dir, und den unheilbaren Tag habe ich nicht begehrt (17,16) für könnte man geltend machen, daß »hören auf die Stimme von ...« sonst in der Regel im Sinne von »erhören« gebraucht wird, was hier nicht in Frage kommt. 31 Wörtlich etwa: »schreiten voran«.
1. Jahwes und Jeremias Rechtsstreit
15
G e d e n k e daran, d a ß ich vor dir stand, G u t e s über sie zu reden, deinen Z o r n von ihnen zu w e n d e n (18,20)
Diese Aussagen sind zugleich Unschulds- oder Loyalitätsbekenntnisse wie 12,3 und sind über das schon erwähnte »du weißt es« oder »du kennst mich« (12,3; 15,15 als Abschluß von 15,11; 17,16; in etwas anderem Zusammenhang auch 18,23) mit den ebenfalls schon aufgeführten Wendungen vom gerechten Richter Jahwe, der Nieren und Herz prüft (11,20; 12,3; vgl. 12,2), verbunden. 2.3.5 Ein letztes gewichtiges Motiv ist endlich das Wort Jahwes, zunächst begrifflich gefaßt in den Konfessionen 15; 17 und 20: F a n d e n sich W o r t e von dir, so v e r s c h l a n g ich sie, und dein W o r t w u r d e mir zu Jubel und zur H e r z e n s f r e u d e ( 1 5 , 1 6 ) Siehe, sie sagen zu mir: W o ist das W o r t J a h w e s ? Es t r e f f e d o c h ein! (17,15) D e n n das W o r t J a h w e s w u r d e mir zu S c h m a c h und S c h a n d e den g a n z e n T a g (20,8)
Vom Wort Jahwes ist auch in 20,9 die Rede: Sprach ich: Ich will seiner nicht g e d e n k e n und nicht m e h r reden in s e i n e m N a m e n , so w u r d e es in m e i n e m Innern w i e ein b r e n n e n d e s Feuer
Und das ist wiederum zu vergleichen mit dem Kontext des ersten Zitats (15,16): ... mit G r i m m erfülltest du m i c h ( 1 5 , 1 7 )
Hierher gehört vielleicht auch die Wendung: ... u m deinen Z o r n von ihnen zu w e n d e n ( 1 8 , 2 0 )
Das läßt sich aber nicht mehr von der inhaltlichen Frage trennen, was für ein Wort Jahwes eigentlich gemeint ist. Immerhin haben wir das ausdrückliche Zitat eines Jahwewortes in 11,23, somit ein eindeutiges Unheilswort, und bei näherem Zusehen werden sich weitere Hinweise auf solchen Inhalt finden. | 321 | 3. Daß die Texte zwingend miteinander verbunden sind und nicht eine bloße Zusammenstellung einschlägigen Psalmenmaterials sein können, dürfte an den vorgeführten Beispielen übergreifender Stichwörter und Motive ausreichend deutlich geworden sein. Wie sie zusammenhängen, das kann erst die inhaltliche Interpretation zeigen. Zuvor aber ist die Frage der Beziehung der Texte zu den Psalmen einerseits und zum übrigen Jeremiabuch andererseits kurz aufzunehmen, weil sich schon daraus etwas über ihren Gegenstand ergibt. 32 L. n r n S , s. BH; der Sinn ist durch den Parallelismus eindeutig. Was sich der Korrektor dachte, kann man wieder nur raten, vielleicht verwechselte er Jeremia mit Arnos.
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Kapitel 1: Jeremía
Der Bezug der Konfessionen zu den Psalmen ist lange bekannt, hat zu den unterschiedlichsten Vermutungen über Jeremia als Dichter der Psalmen oder Psalmisten als Dichter der Konfessionen geführt und ist von W. Baumgartner 33 erstmals systematisch im Zuge der damals neuen Gattungsforschung untersucht worden. Seitdem geht der Streit, wieweit die Klagegattung mit spezifisch prophetischen Zügen abgewandelt wurde - oder ob überhaupt. Für ein Minimum spezifisch prophetischer Retouchen sind H. Graf Reventlow und A.H.J. Gunneweg 3 4 eingetreten. Handelt es sich gar um wirkliche Klagetexte mit nur scheinbar prophetischen Zügen - allerdings mehrdeutigen, so daß die Texte dann auch für die Interpretation Jeremias verwandt werden konnten? 35 Nun ist die Beziehung unserer Texte zur Psalmensprache wie zum Teil zur Sprache der Weisheit noch kein zureichender Grund, an fertig übernommene Texte zu denken. Auch wenn man davon ausgeht, daß die Tradenten nur Jeremias Geschick als exemplarisches Geschick interpretieren wollten, schließt das ja nicht die Möglichkeit aus, daß sie selber in bewährter Manier Klagegedichte verfaßt haben, Texte also, die sich der geläufigen Sprachmuster bedienen, um eine eigene dichterische Konzeption zu entwerfen und auszuführen. Und in der Tat scheinen mir die stringenten Beziehungen zwischen den Konfessionen die Annahme höchst schwierig zu machen, man habe hier einfach mit einer Kombination und gelegentlichen Variation vorgefundener Texte operieren können. 3.1 Stellt man die Belege zusammen, die in der Forschung für den Psalmenbezug der Konfessionen angeführt werden 36 , so finden sich neben den unbe-1 322 | streitbaren Parallelen eine Menge von außerordentlich vagen Ähnlichkeiten, und darüber hinaus erscheinen auch die bekannten Wendungen der Psalmensprache jetzt in einer dichterischen Komposition, die sie dem allgemeinen Gebrauch entzieht. Ich möchte daher die Gegenthese vertreten, daß keine einzige der Konfessionen in dieser Gestalt als ein allgemeiner Psalmtext hätte gedichtet werden können. Damit ist natürlich nicht ausgeschlossen, daß man sich nachträglich diese Texte »kollektiv« angeeignet hat - wie ja auch die Redaktionsgeschichte zu zeigen scheint. Einige Beispiele für »Psalmenparallelen« mögen das verdeutlichen. Gleich zur Einführung der ersten Konfession: »Jahwe hat mir kundgetan, da erkannte ich, da ließest du mich sehen ihre Taten« (11,18) - gibt es über33 34
W. BAUMGARTNER, Die K l a g e g e d i c h t e des Jeremia ( B Z A W 32), G i e ß e n 1917. H. GRAF REVENTLOW, Liturgie und prophetisches Ich bei Jeremia, Gütersloh 1963,
2 0 5 f f . ; G U N N E W E G (S. A n m . 2 ) . 35 GUNNEWEG (S. A n m . 2) spricht z. B. bezüglich 20,7ff. von einer »Vorlage«, die nur durch eine W e n d u n g in V. 9 spezifisch prophetisch a b g e w a n d e l t w o r d e n sei (410f.). 36 Die A n g a b e n sind vor allem aus den Arbeiten von BAUMGARTNER und GRAF REVENTLOW (s. A n m . 33 und 34) zusammengestellt, ohne daß das hier in j e d e m Fall einzeln n a c h g e w i e s e n wird.
1. Jahwes und Jeremias Rechtsstreit
17
haupt keine Psalmenparallelen, so daß schon Baumgartner konstatierte: »In den Psalmen ist ein solcher Zug ganz undenkbar« 37 . Graf Reventlow will den psalmistischen Stil in dem T X und der einleitenden Kopula wiederfinden 38 , aber die Psalmenbelege für TK sind nicht vergleichbar und kein Psalm beginnt mit einer Kopula. Für den folgenden Vers verweist man seit Baumgartner allgemein auf Ps 44,12f.23, aber die vermeintliche Parallele besteht ausschließlich in der Metapher von den »Schlachtschafen«. Die einzige wirkliche Parallele, auch dort etwas variiert, findet sich Jes 53,7, aber da sind die Abhängigkeitsverhältnisse umgekehrt - der deuterojesajanische Autor bezieht sich auch sonst auf die Konfessionen. Erst die Pläne der Feinde gegen den Beter haben terminologische Parallelen in den Psalmen, aber schon für die Metapher vom Baum, den die Feinde vernichten wollen, fehlt ein Psalmbeleg: nicht, daß derlei Metaphern nicht im Klagepsalm stehen können; man bleibt also im Rahmen der Gattung, aber für die spezielle Topik gibt es keinen Beleg. Natürlich, die Feinde wollen den Beter vernichten, das ist die gleiche, hier wie dort wiederkehrende Situation. Aber bei der Lektüre der zu 11,19bß angeführten Belege stößt man zwar hier und da auf sprachliche Anklänge, aber auch auf ein kunterbuntes Allerlei, wie man sich bei einem Vergleich von Ps 71,11 oder 74,8 mit Jer 11,19bß leicht verdeutlichen kann. Anders steht es in 11,20a: die Jahweprädikationen erweisen sich als relativ fest geprägte Elemente der Psalmentopik. Das gilt jedoch schon wieder nicht mehr für V. 20b: zwar gibt es allerlei Rachewünsche in den Psalmen, aber eine sprachlich vergleichbare Wendung sucht man vergeblich, und wo überhaupt von Jahwes »Rache« (DpVHDpi) in den Psalmen die Rede ist, da erscheint sie in | 323 | spezifisch anderem, nämlich »außenpolitischem« oder globalem Kontext 39 . Die Durchsicht aller Konfessionstexte ist hier nicht möglich, sie würde aber das Bild nicht wesentlich ändern. Es gibt nähere und fernere Parallelen zu den Psalmen, es gibt jedoch in sprachlicher Hinsicht viel mehr Differenzen als Übereinstimmungen. Damit ist die »Gattungsgemäßheit« der Konfessionen oder vielmehr bestimmter Partien darin nicht bestritten, und dafiir mögen auch weitere, entferntere Parallelen als Beleg dienen. Wohl aber kann man dann nicht mehr mit der Gattung argumentieren, wenn man die »Verfasserfrage« im Sinn hat. Im Blick auf das reichhaltige Psalmenmaterial, das uns zur Verfügung steht, könnte man nur konstatieren: Die Texte wurden nicht von Psalmdichtern verfaßt, wohl aber - wenn nicht von Jeremia selbst, dann - von solchen, die mit der Jeremiatradition aufs beste vertraut waren.
37
A a O . (s. A n m . 33), 30. A a O . (s. A n m . 34), 253f. 39 Ps 79,10; 94,1; 149,7; und wohl auch Ps 18,48 in der Topik des K ö n i g s p s a l m s sowie Ps 58,11. Das Verb Dp3 k o m m t in den Psalmen nur zweimal im ptz. hitp. vor, aber wieder nicht für die Feinde des einzelnen. 38
Kapitel 1: Jeremía
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3.2 Das muß nun noch die Gegenprobe zeigen, in der auch die Stellen zu erörtern sind, deren prophetische Eigenart bestritten wurde. 3.2.1 Das zuletzt erwähnte Stichwort »Rache«, das in den Konfessionen gleich viermal auftaucht, erscheint im Jeremiabuch in einer festen Wendung mehrfach für das Einschreiten Jahwes gegen das eigene, frevelhafte Volk als eines (5,9.29; 9,8 Dpa hitp.). Ganz ähnlich kann man für die Wurzel der Hauptstichworte der Konfessionen auf Jer 2,9.29 hinweisen, aber warum hier ein innerer Zusammenhang besteht, wird erst klar, wenn man die Konfessionen inhaltlich interpretiert. Oder eine Einzelheit: Die Wurzel nnn (17,17f.) kommt - mit einer hier ganz unpassenden Ausnahme 40 - in den Psalmen überhaupt nicht vor, wohl aber mehrfach bei Jeremia und in der Jeremiatradition (bes. nahe steht Jer 1,17, das aber möglicherweise von den Konfessionen abhängig ist). Ähnliches gilt für das seltene, aber hier wiederum zwei Konfessionen verknüpfende Stichwort töUK (15,18/17,16): es gehört nicht zur Psalmensprache 41 , erscheint aber zweimal in einem Unheilswort Jeremias (30,12.15) 42 , in 30,12 neben rDO (im parallelen Stichos) wie in 15,18, und rDQ ist wieder nur einmal im Psalter belegt, jedoch zehnmal im Jeremiabuch. So könnte man weiter rechnen, aber wichtiger als die Wörtersuche ist die Aufdeckung größerer Sachzusammenhänge. 3.2.2 Hier ist zuerst der den Auslegern schon immer peinliche Rachewunsch 1324 | Jeremias in 18,21 f. zu nennen - wer unter den Exegeten seinem Jeremia ins Herz sah, konnte ihm das nicht zutrauen und griff deswegen, wenn möglich, zur literarkritischen Schere. Aber das beruht auf einem Mißverständnis. Es läßt sich nämlich zeigen, daß dieser Rachewunsch nichts anderes zum Inhalt hat als die Unheilsbotschaft des Propheten, wie sie uns andernorts überliefert ist. Das heißt: Was hier als Bitte formuliert ist, begegnet sonst als Ankündigung, überdies ist die Bitte »stilgerecht« mit dem sonst das Drohwort eröffnenden p b eingeleitet, nur daß statt der sonst vorangehenden Scheltrede hier scheinbar eine private Ursache genannt ist; tatsächlich geht es, wie sich zeigen wird, um die gleiche Sache. Die nächste Parallele zu dem das Drohwort vertretenden Rachewunsch findet sich innerhalb der Konfessionen, nämlich in dem Drohwort 11,21-23*; man vergleiche: ... die j u n g e n Leute sollen sterben d u r c h ' s Schwert, ihre S ö h n e ' ' sollen sterben d u r c h H u n g e r , und einen Rest sollen sie nicht h a b e n ... (1 l , 2 2 f . )
mit:
40
nnnn in Ps 89,41.
Einzige Ausnahme: der verderbte Text in Ps 69,21. 42 Das Unheilswort 30,12-15 wird erst durch die sekundäre Ergänzung 30,16f. zu einem Heilswort. 41
1. Jahwes und Jeremias Rechtsstreit
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Ü b e r g i b ihre S ö h n e d e m H u n g e r , u n d liefere sie a u s der G e w a l t d e s S c h w e r t s , u n d ihre F r a u e n sollen k i n d e r l o s u n d W i t w e n sein, ihre M ä n n e r v o n der Pest g e t ö t e t , ihre j u n g e n L e u t e v o m S c h w e r t e r s c h l a g e n im K r i e g . Geschrei werde gehört aus ihren Häusern, w e n n du p l ö t z l i c h die S t r e i f s c h a r ü b e r sie b r i n g s t . ( 1 8 , 2 1 f.);
und wiederum, nun außerhalb der Konfessionen, mit einem Text, der vielleicht schon auf das eingetretene Unheil zurückblickt (15,5—9)43: ... ich m a c h t e k i n d e r l o s , v e r n i c h t e t e m e i n V o l k . . . z a h l r e i c h e r w u r d e n m i r s e i n e W i t w e n als d e r S a n d d e s M e e r e s , ich b r a c h t e i h n e n ' d a s v e r w ü s t e n d e ' V o l k 4 4 , d e n R ä u b e r a m M i t t a g , ich ließ p l ö t z l i c h a u f ' s i e ' f a l l e n E r r e g u n g u n d B e s t ü r z u n g ... u n d ihren R e s t g e b ' ich d e m S c h w e r t p r e i s ... ( 1 5 , 7 - 9 )
Oder schließlich (hier doch wohl in einer antizipierten und somit ankündigenden Klage): G e h ' ich h i n a u s a u f s Feld - siehe, S c h w e r t e r s c h l a g e n e , | 325 | k o m m ' ich h i n e i n in die S t a d t - siehe, H u n g e r q u a l e n . ( 1 4 , 1 8 )
Das sind natürlich keine Duplikate, denn ein Prophet zitiert sich nicht, aber die sachliche Verwandtschaft zwischen jenen Unheilsschilderungen und dem »Rachewunsch« zeigt sich bis in die Details. Ist aber die Unheilsbotschaft mit diesem Wunsch inhaltlich identisch, dann geht es offenbar in der Bitte nicht um die persönliche Rache, sondern um die Verwirklichung der Botschaft, die dem Propheten aufgetragen war. Wir sind damit schon bei den bestrittenen prophetischen Eigentümlichkeiten der Texte. Gewiß gibt es Rachewünsche genug in den Psalmen, aber gibt es auch solche Rachewünsche? 3.2.3 Umstritten sind vor allem die Aussagen vom Eintreten für die Verfolger und vom Jahwewort, das dem Propheten zu Schmach und Spott wird. Man hat nachweisen wollen, daß auch diese Elemente nichts anderes als Psalmenmotive seien 45 . Denn auch dort findet sich ja gelegentlich der Hinweis, daß der Beter früher für diejenigen eingetreten sei, die ihn jetzt verfolgen. Das ausbleibende Jahwewort aber sei nichts anderes, als das vergeblich erwartete Heilsorakel. Zunächst zur Fürbitte. Der Text, auf den man sich zum Beleg der Fürbitte für die Feinde als Topos der allgemeinen Klage vor allem beruft, ist Ps 43 Das hängt davon ab, ob man die Klage Jahwes als real zurückblickende oder als antizipierende Aussage zu verstehen hat. Solche Antizipationen sind bei Jeremia häufig, allerdings sonst nicht als Jahweklage formuliert. 44 L. A-NNN s. BH. MT hat dafür »über die Mutter des Jünglings«; S »und über die jungen Leute«; beides fügt sich nicht gut in den Zusammenhang. 45 V g l . f ü r d a s J a h w e w o r t b e s . GRAF REVENTLOW (S. A n m . 3 4 ) , 2 2 0 ( G e b o t ) b z w . 2 3 7 ( H e i l s o r a k e l ) ; zur F ü r b i t t e GUNNEWEG (S. A n m . 2), 4 0 8 ; ä h n l i c h WELTEN (S. A n m . 2).
20
Kapitel
1:
Jeremía
35,11 ff".46 Der Psalm schildert eingehend, wie der Beter einst, als seine jetzigen Feinde krank waren, für sie die Trauerriten auf sich genommen, gefastet und gebetet habe, und wieder erscheint das unter dem Titel, daß sie nun Gutes mit Bösem vergelten. Da sind gewisse allgemeine Ähnlichkeiten, wie sie die Gattungsforschung liebt, gar nicht zu bestreiten. Aber hier muß man die Dinge genau nehmen, und dann kommt eine Formulierung wie Jer 18,20 für den allgemeinen Beter gar nicht in Betracht. Welcher Beter könnte denn sagen: »Gedenke daran, daß ich vor dir stand ... um deinen Zorn von ihnen abzuwenden« - es sei denn, der Beter wäre ein Priester oder eben ein Prophet? Das wird noch deutlicher, wenn man die Wendung nicht isoliert, sondern in ihrem Zusammenhang liest. Dann kommt man auf weitere Aussagen, in denen es thematisch um das »Stehen vor Jahwes Angesicht« geht: um die Möglichkeit dazu in 15,19; um etwas, was der Beter vor Jahwes Angesicht gesagt hat, in 17,16. In diesem Zusammenhang beruft sich derselbe Beter darauf, daß er vor Jahwes Angesicht nicht auf das Unheil gedrängt, | 3261 nicht den »unheilbaren Tag« begehrt habe: Nimmt man das zur Kenntnis, dann wird der Vergleich mit jenem frommen Fürbitter von Ps 35 ganz hinfällig. Denn mag er wie der Prophet Fürbitte geleistet haben: Das war jedenfalls nicht sein Thema. - Weiter führt der Zusammenhang auf den Grimm, mit dem Jahwe den Propheten angefüllt hat (15,17) - damit, wie gleich zu zeigen ist, schon auf das Jahwewort - und darüber hinaus auf den »Tag deines Zorns« (18,23) und alles, was stichwortartig damit verbunden ist - also gewiß nicht das Thema des frommen Beters von Ps 35. Das ausbleibende Jahwewort - ist das einfach das erwartete und nicht gewährte Heilsorakel? Man könnte dagegen schon anführen, daß unter den angegebenen Parallelen nur Belege für die Wendung »Wo ist nun dein/ihr Gott?« erscheinen, nirgends aber »Wo bleibt denn dein Heilsorakel?«. Es ist ja denkbar, daß der Einzelbeter auf ein Heilsorakel warten mußte (vgl. vielleicht Ps 130,5f.), aber daß man ihn deswegen verspottet hätte oder der Beter solchen Spott seinen Feinden in den Mund legte, ist nicht belegt. Und wenn man derlei hätte formulieren wollen - hätte man wirklich gesagt: »Das Wort Jahwes wird mir zu Schmach und Spott den ganzen Tag« (20,8)? Hier ist doch nicht von einem ausgebliebenen, sondern von einem mitgeteilten, gegebenen Wort die Rede, und daneben kann 17,15 nicht heißen: Das Heilsorakel möge doch erteilt werden, sondern nur: Dieses Jahwewort möge doch eintreffen, das heißt in Erfüllung gehen. Das zeigt aber: Mehrdeutig sind alle diese Wendungen durchaus nicht; sie lassen sich, im Zusammenhang gelesen, nur als Reflexionen über das Prophetenwort verstehen, und sie legen auch je für sich genommen kein anderes Verständnis nahe. Es gibt noch weitere Hinweise. Daß das nächstliegende Jahwewort in 46 Ps 38,21 belegt nur die Wendung »Gutes mit Bösem vergelten«. Ps 109,4 belegt neben der gleichen Wendung vielleicht das Gebet für die Feinde (Text?).
1. Jahwes und Jeremias Rechtsstreit
21
11,21 ff. erscheint und in 18,21 ff. aufgenommen wird, wurde schon gesagt; es wäre also der nächstliegende Inhalt des verhandelten Jahwewortes. Aber wenn man 11,21 ff. nur als prophetische Umgestaltung von Psalmtexten gelten lassen will, so erlauben die »Wort-Jahwes«-Aussagen selbst keine psalmistische Interpretation. Wollte man 15,16 als Aussage eines beliebigen Beters über das Heilsorakel verstehen, so müßte man sich einen Beter vorstellen, der immer wieder einmal durch ein Heilsorakel vertröstet würde: Das mag es, realistisch betrachtet, j a gegeben haben, aber wo wäre dergleichen j e in einen Klagepsalm a u f g e n o m m e n ? Es kann also hier nur um den wiederkehrenden prophetischen Wortempfang gehen, und dann erst wird der Z u s a m m e n h a n g deutlich. Denn die drastische Wendung: »Fanden sich Worte von dir, so verzehrte/verschlang ich sie« in 15,16 wird ebenso drastisch fortgesetzt in V. 17: »mit Grimm fülltest du mich«. W. Zimmerli 4 7 hat darauf hingewiesen, daß | 3271 die metaphorische Wendung von V. 16 sich bei Ezechiel imaginativ verdichtet habe und zur visionären Handlung des Verzehrs einer mit Klagen, Seufzen und Wehe beschriebenen Schriftrolle geworden sei (Ez 2,10; 3,1-3). Im Deutewort, das die visionäre Wahrnehmung begleitet, wird der Prophet aufgefordert, seine Eingeweide damit zu »füllen« V. 3) - so wie hier Jahwe den Propheten mit Grimm füllt. Der Zusammenhang der beiden Akte ist offenbar noch dem neutestamentlichen Apokalyptiker geläufig, wenn er nach Ezechiels Vorbild eine Rolle verzehrt, die süß wie Honig auf der Zunge schmeckt, aber bitter im Leibe ist (Apk 10,8-11). Von demselben verzehrten Wort, das dem Propheten als Jahwes Grimm im Leibe sitzt, ist dann auch in 20,8f. die Rede. Denn das Wort im Innern des Propheten, das ihn von innen her verbrennt, wenn er es verschweigen will, ist klärlich die Unheilsbotschaft und nicht ein ausgebliebenes Heilsorakel, und eine gewisse metaphorische Ähnlichkeit mit Ps 32 bedeutet dagegen gar nichts, weil der Inhalt ganz verschieden ist: dort ein verschwiegenes Schuldbekenntnis, hier das prophetische Drohwort. Der Autor dieses Textes könnte also die Wendungen von Ps 32 höchstens als leere Worthülsen aufgegriffen haben, aber das könnte auch umgekehrt gelaufen sein. Zu allem Überfluß hat Jer 20,9 eine enge Parallele in der authentischen Jeremiaüberlieferung. Da wird Jeremia, wieder in einem Dialog mit Jahwe, zur sorgfältigen Nachlese am Weinstock, dem Rest Israels, angehalten (Jer 6,9), aber sein Ergebnis ist ganz negativ: Z u w e m soll ich r e d e n u n d b e z e u g e n , d a ß sie h ö r e n ? S i e h e , u n b e s c h n i t t e n ist ihr O h r , sie k ö n n e n n i c h t l a u s c h e n . Siehe, das Wort Jahwes wurde ihnen zur Schmähung, es g e f ä l l t i h n e n n i c h t . A b e r mit d e r Z o r n e s g l u t J a h w e s bin ich a n g e f ü l l t , ich bin e r s c h ö p f t , sie zu f a s s e n .
47
W. ZIMMERLI, Ezechiel (BK XIII/1), Neukirchen-Vluyn 2 1979, 77f.
22
Kapitel 1: Jeremía
Und Jahwe antwortet dem Propheten: Schütte aus über den Säugling auf der Gasse und über den Kreis der jungen Leute zugleich, ja, auch Mann 'und' 4 8 Frau werden gepackt, Greis und der seine Tage 'nicht' 4 9 erfüllt hat. (Jer. 6,10f.)
Die leichten Modifikationen brauchen hier nicht mehr erläutert zu werden; daß es genau um dieselbe Sache geht, ist evident ebenso wie die Ähnlichkeit, teils Identität der Wendungen. Hier besteht ein eindeutiger sprachlicher und sachlicher Zusammenhang; dagegen kann der Verweis auf den Psalm | 328 | für Jer 20,9 nur eine äußerliche Ähnlichkeit namhaft machen. Das mag genügen. Ein weiteres Beispiel wird noch bei der thematischen Erörterung zur Sprache kommen. Als Ergebnis halte ich fest: Die Texte hängen untereinander aufs engste zusammen, und sie reden durchweg und nicht erst sekundär vom Propheten. Was das Problem des Propheten ist und wie es in Texten gestaltet wurde, davon soll im folgenden die Rede sein. Dabei wird sich auch zeigen, daß die Konfessionen ihre ursprüngliche Abfolge bewahrt haben. 4. Die Thematik der Konfessionen ist zunächst mit wenigen Stichworten zu bezeichnen. Da sind die Akteure: Jahwe, sein Prophet Jeremia, die Feinde; zwischen ihnen ein Rechtsstreit um das Jahwewort, genauer das Unheilswort, dessen Verkündigung dem Propheten aufgetragen ist. Das wäre eine sehr einfache Konstellation, wenn nicht zweierlei Komplikationen hinzuträten. Die erste: Jahwe zögert die Erfüllung seines Wortes hinaus, und eben das ermöglicht den feindlichen Spott über den Propheten, existenzbedrohend deshalb, weil der Prophet mit der Nichteinlösung der Unheilsansage als falscher Prophet erwiesen zu sein scheint. Die zweite: Der Prophet selbst hat das Eintreten des Unheils bei Jahwe aufgehalten, indem er für die Feinde vor Jahwe eintrat und so seine Pflicht, die Pflicht eines Propheten, getan hat. So wird er zwischen Jahwe und den Feinden zerrieben. Andere Komplikationen kommen hinzu, aber das läßt sich erst beim Durchgang durch die Texte zeigen. Eine detaillierte Auslegung der Texte ist hier nicht möglich und nicht nötig, wo es um die Entwicklung des Themas und um die literarische Anlage des ganzen Textkomplexes geht. Die Verfasserfrage kann dabei noch immer offen bleiben, weil sie zur Deutung der Texte zunächst nichts beiträgt; es ist also vorerst gleichgültig, ob der historische Jeremia oder der Jeremia der Dichtung in diesen Texten redet. 4.1 Der erste Text, 11,18-23*, bedient sich einer konventionellen Konstellation der Psalmen: Jahwe, der gerechte Beter, die Feinde; aber er ist alles andere als ein formgerechtes Klagegebet. Genau genommen entstammt 48 49
L. DJ, s. BH. Ins. t ó , s. B H .
1. Jahwes und Jeremias
Rechtsstreit
23
diesem Gattungsmuster außer jener Konstellation nur die (implizite) Unschuldsbeteuerung und die Vertrauensaussage (11,20); dagegen ist sowohl der Eingang wie der Schluß ganz eigener Art, und da V. 21-23* deutlich das formale Muster des Drohwortes zeigen, kann man in V. 18-20 auch die zugehörige Scheltrede sehen - freilich in einer eigenen Variante. Über die Identität der Feinde erfahrt man in diesem ersten Text ursprünglich nichts. Das entspricht dem gewählten Modell der Psalmen, hat aber zugleich seinen Effekt für die Anlage der ganzen Dichtung, in der die Gegenstände erst allmählich expliziert werden. Wenn man die Dichtung im | 329 | ganzen schon kennt, erkennt man auch hier eine bezeichnende Duplizität: Da sind zum einen die Verfolger des Propheten, und das können naturgemäß immer nur bestimmte einzelne oder Gruppen sein; da ist aber auf der anderen Seite ein allgemein formuliertes Drohwort, das durchaus das Unheil ganz Israels bezeichnen könnte. Hier ist das, wie gesagt, noch offen 50 . Die erste Konfession hat eine Parallele in der Jeremiaüberlieferung, die diese Konstellation erhellt. Jer 23,9-12 klingt am Ende an unseren Text an51 und berichtet im Eingangsteil von dem Entsetzen des arglosen Propheten, dem Jahwe die Zustände im Lande aufdeckt. Die allgemeine Verderbtheit (V. 10) gipfelt darin, daß sogar Priester und Propheten darein verwickelt sind (V. 11), als hervorgehobene Vertreter der Allgemeinheit. Schließlich ist bemerkenswert, daß V. 10 wiederum den das Land verheerenden Fluch namhaft macht - wie die zweite Konfession 52 . 4.2 Dem vollkommenen Vertrauen auf Jahwe, den gerechten Richter, entsprach die den Beter voll befriedigende Jahweantwort von der Vernichtung seiner Feinde; was gibt es darüber hinaus eigentlich noch zu erörtern? Die Abfolge der Texte hat manchen Ausleger gestört, und insbesondere der »akademische« Ton dieser zweiten Konfession hat viele veranlaßt, die Abhandlung über das Glück der Gottlosen kopfschüttelnd für sekundär zu erklären. Aber es geht, wie die folgenden Texte explizieren, vielmehr um ein Problem des angefochtenen und leidenden Propheten, und daß es hier zunächst als »akademisches« Problem erscheint, beruht auf dem Verfahren des Dichters, der jetzt mit einer Referenz auf die weisheitliche Sprachwelt arbeitet - so wie sonst vielfach auf die Sprachwelt der Psalmen. Solche Referenzen sind nicht beliebige Verzierungen poetischer Textgestaltung, sondern der Dichter greift damit eine sprachliche Konvention auf, in der ein Problem formuliert und bedacht wird. Aber der Text geht ebensowenig in jener weis50
51
Vgl. dazu 15,19-21 und die K o n f e s s i o n 18.
Vgl. amps njttf ... x-ax 11,23/23,12.
52 A u c h dieses Textelement ist strittig: 2 3 , 1 0 a ß wird o f t gestrichen, weil die Verszeile einen Z u s a m m e n h a n g zu unterbrechen scheint. Tatsächlich gehören die Dinge enger zus a m m e n , als das unserer Logik scheint; der Fluch ist j a nur die Kehrseite des f l u c h w ü r d i g e n und die Welt zerstörenden Verhaltens.
24
Kapitel 1: Jeremía
heitlichen Referenz auf wie andernorts in seinen Psalmenbezügen. Denn der Rechtsstreit des Propheten, den er seinem Gott als gerechten Richter anvertraut hatte, erweist sich auch als eine Rechtssache, die er mit seinem Gott auszufechten hat: Das ist das eine weiterführende Element der zweiten Konfession. Zweierlei kommt hinzu. In den weisheitlichen Motiven, insbesondere aber in den | 330 | Wachstumsbildern (12,2a) wie schließlich in dem »Wie lange?« (V. 4) erscheint erstmals das Motiv der Verzögerung. Zum andern zeigt der V. 4, daß es in der Auseinandersetzung des Propheten mit den Feinden um mehr geht als eine private Angelegenheit: Es geht um die Bosheit der Landesbewohner und infolgedessen um eine Landeskalamität; um Zusammenhänge also, die auch die prophetische Anklage nachdrücklich in Gestalt einer Rechtsrede herauszustellen hat, wie Jer 3 , 1 - 5 beispielhaft zeigen kann. Das zunächst auffällige Nebeneinander von »Gottlosen« und »Landesbewohnern« (und deren Bosheit) aber bekommt von späteren Texten her 5 3 seinen Sinn: die gottlosen Feinde sind nur die Exponenten der Gesamtheit des Volkes 54 . Die Jahweantwort weist den Propheten zurück und beantwortet seine Frage nicht, enthält vielmehr einen leisen Verweis. Auch darin zeigt sich ein bestimmtes Gefalle zwischen der ersten und zweiten Konfession: nicht mehr wie dort die bedingungslose Zusage der Bestrafung der Gegner, sondern ein Appell an den Propheten. Das Bildwort scheint wenig sinnvoll als Mahnung zur Geduld an einen vertrösteten Beter; wohl aber wird es verständlich als Hinweis auf die größeren Belastungen, denen der Beter-Prophet in seinem A m t standzuhalten haben wird. 4.3 Die dritte Konfession - die letzte, in der eine Jahweantwort erfolgt strebt schnell einem Höhepunkt zu. Da ist am A n f a n g der Klageruf des Propheten, der schon auf die letzte Konfession des Propheten vorausweist und zugleich in einer entfernteren Beziehung zum Eingang von Jeremias Berufungsbericht steht (Jer 1,5) 55 . Der Prophet beklagt, als »Mann des Rechtsstreits und des Haders für das ganze Land« geboren zu sein, und fährt fort: Ich b i n n i c h t G l ä u b i g e r u n d n i c h t S c h u l d n e r , | 331 | aber 'sie alle v e r f l u c h e n m i c h ' 5 6 (15,10)
53
Vgl. bes. 1 8 , 1 9 - 2 3 . Nicht ganz ernst zu nehmen v e r m a g ich d a g e g e n das A r g u m e n t , daß es bei einer allgemeinen Landeskalamität doch auch den Gottlosen im Widerspruch zu V. lf. schlecht gehen müßte (wirklich?), daher V. 4* zu streichen sei. Man m u ß überdies sehen, daß hier unterschiedliche S p r a c h m u s t e r geltend g e m a c h t w e r d e n , die sich einem völlig logischen Ausgleich entziehen; V. 4 malt auch m e h r die Folgen f ü r Pflanzen und Tiere als f ü r die M e n s c h e n . Und schließlich m u ß man ein gehöriges M a ß an Phantasie b e m ü h e n , um den Versteil als Untat eines Redaktors zu erklären. Im übrigen ist der Vers gegen BH nicht als Prosa zu lesen. 55 Wie diese B e z i e h u n g zu d e n k e n ist, hängt von der U r s p r ü n g l i c h k e i t der Texte ab, insb e s o n d e r e d a v o n , ob der B e r u f u n g s b e r i c h t einen v o r d e u t e r o n o m i s t i s c h e n Kern hat. 56 L. ^ I ^ P NRFE, s. BH. 54
1. Jahwes und Jeremias Rechtsstreit
25
Man hat das allgemein als eine sprichwörtliche Wendung aufgefaßt, mit der der Geldverleih als beispielhafter Anlaß zum Streit genannt sei, aber wenn auch in Geldsachen die Freundschaft aufhören soll - in unserem Zusammenhang ist das Beispiel nicht sonderlich überzeugend. Man muß vielmehr die Rede vom 3"H, vom Rechtsstreit, ernst nehmen und bedenken, welchen Streit der Prophet auszutragen hat: zuerst nicht seinen, sondern Jahwes Rechtsstreit mit Israel. Die Vorstellung ist schon ein prophetisches Erbe aus der Hoseatradition (Hos 4,1), und jener Rechtsstreit wird z. B. in Jer 2; 3,15 umfassend praktiziert. Der Prophet sollte dabei ganz auf Jahwes Seite stehen, aber nun sieht er sich zwischen die Fronten geraten und sucht sich zu distanzieren: nicht Gläubiger, nicht Schuldner in jenem Verfahren - man könnte das Bild geradezu fortsetzen: nur der Gerichtsvollzieher. Der schwierige V. 11 kann im ursprünglichen Kontext nur als Loyalitäts- und Unschuldsbekenntnis wie 17,16 57 und 18,20 verstanden werden: Der Prophet ist gerade für die Schuldner eingetreten und hat damit sein Fürbittamt wahrgenommen, aber das, so explizieren die beiden folgenden Konfessionen, wird ihm nun zum Verderben, oder es wird zu einem Aspekt seiner eigenen Anfechtung. Der zweite Teil dieser Konfession setzt mit der Anrede Jahwes formell neu ein, ist aber von vorangehender Klage und Unschuldsbekenntnis nicht zu trennen; erst die Jahweantwort (V. 19-21) markiert einen Einschnitt. Die Bitte knüpft an die erste Konfession mit bezeichnenden Stichwörtern an. Hatten die Feinde ihr Ziel genannt: »seines Namens soll nicht mehr gedacht werden« (11,19), so bittet der Beter um Jahwes Gedenken, und ähnlich mag die Bitte um Heimsuchung der korrespondierenden Heimsuchung der Feinde in ll,22f. entsprechen. Vor allem aber wird das »Rache«-Motiv wiederaufgenommen; nur jetzt als dringliche Bitte, während es in 11,20 noch feste Zuversicht war. Dieser Wechsel ist in der Sprache der Klage nicht ungewöhnlich, hat aber in dieser Komposition seinen besonderen Grund durch das mit der zweiten Konfession zwischenein gekommene Motiv der Verzögerung. Gerade das wird jetzt mit einer bitteren Referenz auf eine hymnische Prädikation Jahwes namhaft gemacht: Jahwes Langmut gegen die Verfolger ist das Verderben des Verfolgten (V. 15a). Theoretisch könnte das wohl jeder Verfolgte sagen, aber abgesehen davon, daß uns dieser Gebrauch der Hymnenprädikation nur noch einmal in der Prophetie belegt ist (Jon 4,2), erlaubt auch der Kontext solche Deutung nicht. Denn es geht um die Verzögerung des durch den | 332 | Propheten verkündeten Unheilsworts Jahwes, um dessentwillen der Prophet »Schmach trägt« 58 . Der an dieser Stelle beliebte Hinweis auf Ps 69,8(—10) leistet weniger, als man sich davon verspricht. Denn man muß, um den Psalm zu erklären, ja 57 58
Vgl. auch dort das »du weißt«. Vgl. dazu oben 2.3.5 und 3.2.3.
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Kapitel 1: Jeremía
erst eine Geschichte von einem verhinderten Tempelbauer (Ps 69,10) erfinden. Mag sie zutreffen oder nicht: Es handelt sich jedenfalls nicht um ein allgemeines Klagemotiv, und der späte Psalm arbeitet vielleicht schon mit Jeremia-Referenzen. Den Vorwurf der Verzögerung des Jahwewortes, mit der die Existenz des Propheten auf dem Spiel steht, treibt Jeremia mit dem Bild vom Trugbach auf die Spitze: Du bist mir wahrhaftig geworden wie ein Trugbach, Wasser, auf die kein Verlaß ist. (15,18) Das ist in bestimmter Hinsicht bereits der negative Höhepunkt im Verhältnis Jahwes und seines Propheten, und so wird es in der folgenden Jahweantwort auch verstanden. Das Wortspiel mit dem Stichwort »umkehren« (V. 19) sagt im Endeffekt: Du hast dich mit solcher Aussage bereits auf die Seite deiner Gegner begeben (V. 19b), denn du behauptest dasselbe wie sie, indem du das Jahwewort für unzuverlässig erklärst. Nur wenn der Prophet sich davon distanziert, kann er wieder Jahwes Mund und Bote sein. 4.4 Darauf antwortet der Prophet in den beiden folgenden Konfessionen (17; 18) auf seine Weise und mit Leidenschaft. Zunächst ist die enge Verk n ü p f u n g zwischen den Konfessionen 15 und 17 zu notieren: Die »unheilbare Wunde« des Propheten, »die nicht heilen will« (15,18) könnte nur Jahwe heilen, vordergründig betrachtet dadurch, daß er den »unheilbaren Tag« (17,16) k o m m e n ließe - aber den hat der Prophet nie begehrt. Da erhebt sich ein Problem, auf das man beim letzten Text zurückkommen muß. Hier geht es zuerst um die Distanzierung Jeremias - von den Gegnern, nicht sogleich von seiner polemischen Klage. Kennzeichnend ist die betonte Gegenüberstellung von »sie« und »ich«, so in 17,15 und 16: Sie sagen zu mir: Wo ist das Wort Jahwes? Es komme doch! Das Zitat der Gegner hat eine sachlich enge Parallele in der übrigen Jeremiatradition: Sie haben Jahwe geleugnet und gesagt: Er ist nicht, und nicht kommt Unheil über uns, und Schwert und Hunger werden wir nicht sehen; und die Propheten werden zu Wind (mi), und das Wort ist nicht in ihnen ... (Jer 5,12f.) | 332 | Das heißt, man verleugnet Jahwe, indem man das durch seinen Propheten verkündete Wort verleugnet: Es geht um das gleiche Problem der Verzögerung des prophetisch angesagten Jahweworts, mit dessen Nichterfüllung der Prophet als Prophet zunichte würde. Die spöttische Formulierung in Jer 17,15 unterstellt also, daß Jeremia als falscher Prophet erwiesen werden wird, aber er: Er hat j a nicht auf den Unheilstag gedrängt - im Gegenteil,
1. Jahwes und Jeremias
Rechtsstreit
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wie die nächste Konfession wieder ausdrücklich betont. Ihm ist die Unheilsbotschaft aufgeladen (man vergleiche wieder jenes »nicht Gläubiger, nicht Schuldner« von 15,10). Aber nachdem er einmal damit identifiziert wird, bleibt ihm angesichts des Spottes der Feinde über das Jahwewort nichts anderes, als den Unheilstag und damit den Untergang der Verfolger zu begehren: Meine Verfolger mögen zuschanden werden, nicht ich, sie mögen erschrecken, nicht ich. Bringe über sie den Unheilstag, und mit doppeltem Zusammenbruch zerbrich sie. (17,18)
Aus der Sicht des Propheten bedeutet das zugleich: Es ist ganz und gar nicht dasselbe, wenn er und die Gegner von der Nichterfüllung des Jahwewortes reden, denn er steht mit seinem Leben für das Wort ein. Die zweite Entgegnung auf die letzte Jahweantwort und zugleich eine weitere Komplikation des Prophetenamtes kommt in der Konfession 18 zur Sprache. In negativer Wendung war davon schon in der Loyalitätsbeteuerung 17,16 die Rede: nicht auf Unheil gedrängt, sondern - so nun 18,20 gerade für diejenigen vor Jahwe eingetreten, die jetzt das Jahwewort ob seines Ausbleibens verspotten und ihn damit zum falschen Propheten erklären. Damit aber ist weitere Fürbitte, die doch zu seinem prophetischen Amt gehörte, unmöglich. Denn nun droht gerade die Fürbitte die Glaubwürdigkeit des Jahwewortes in Frage zu stellen. Der Rachewunsch in 18,21 f. expliziert die Bitte um den Unheilstag für die Verfolger von 17,18 und entspricht inhaltlich, wie gezeigt, der Unheilsbotschaft des Propheten. Dabei braucht der Sachverhalt, daß die Gegner nach V. 22f. doch einzelne sind, andererseits Fürbitte wie Unheilsverkündigung dieser Art sonst immer auf die Gesamtheit bezogen sind 59 , nicht zu verwundern: Die Feinde sind hier wie sonst nur die Exponenten der Gesamtheit. Man findet eine ganz ähnliche Konstellation in Am 7,16-17: Auch da ist das Unheilswort über den das Jahwewort in der Gestalt des Propheten angreifenden Oberpriester von Bethel nichts anderes als eine Spezifikation der allgemeinen Unheilsbotschaft des Arnos. Man vergleiche hier noch: »zur Zeit deines (allgemeinen) Zornes handle an ihnen« (18,23), | 334 | vielleicht auch die Wendung vom doppelten Zusammenbruch in 17,18. Zur unmöglichen Fürbitte gehört als sachliche Parallele die verbotene Fürbitte in Jer 14,11 u. ö. Daß in jener Wendung das Verhältnis zwischen Jahwe und dem Propheten anders charakterisiert ist als hier, muß man nicht als Widerspruch geltend machen; es ist nur eine andere Reflexion über den gleichen Gegenstand. 4.5 Der letzte Text, in dem Jahwe direkt angeredet wird, führt zu einem scheinbar ganz zufriedenstellenden Schluß. In 20,7-9 kommt zuerst ein 59
Vgl. dazu besonders HUBMANN, Jer 18 (s. Anm. 3), 283.
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Kapitel 1: Jeremía
weiterer Aspekt des Prophetenamtes zur Sprache: der Zwang, den Jahwe gegen den Propheten ausübt 6 0 , die Gerichtsbotschaft zu verkünden 6 1 . V. 7b.8b zeigt noch einmal jene unauflösbare Verwicklung des Propheten in seinen Auftrag: »ich wurde zum Gelächter« / »das Jahwewort wurde mir zu Schmach und Schande«. Von den folgenden Wendungen (V. 9) und ihrer Beziehung zu Jer 6,10f. war schon die Rede 6 2 . Das Problem des vom Propheten aufgehaltenen und nicht mehr aufhaltbaren Jahwezorns in Gestalt des zu verkündigenden Unheilswortes erscheint hier noch in einer ganz anderen Perspektive, nämlich als der Zwang zur Verkündigung. Man soll keine Alternative daraus machen, ob der Prophet zu schweigen versuchte, um dem Spott zu entgehen, oder ob er an sich hielt, um das Unheil aufzuhalten: Es sind nur verschiedene Aspekte einer komplexen Situation, die von allen Seiten betrachtet werden will. Letzten Endes macht der Spott über das ausbleibende Jahwewort und damit über den »falschen Propheten« das »Aufhalten« durch Verschweigen gerade unmöglich, aber das ist wieder keine private Angelegenheit des Propheten, und der göttliche Zwang bleibt so oder so entscheidend. Der V. 10 schildert wieder die Machenschaften der Feinde, die ihre »Rache« am Propheten zu nehmen suchen, so wie der Prophet Jahwes »Rache« an den Fein-1 335 | den erwartet, d. h. das Eintreten des verkündeten Gerichts 6 3 . Daß darin wie im folgenden Vertrauensbekenntnis z. T. wieder die Psalmentopik erscheint, ist bekannt; daneben ist aber hier noch einmal auf das dichterische Spiel mit bestimmten Stichwortanklängen aufmerksam zu machen. So wird in dem Zitat der Gegner mit dem »vielleicht läßt er sich betören« gewiß das anfängliche »du hast mich betört« wiederaufgenommen (V. 7/V. 10) 64 ; aber angesichts der Rückwendung zum A n f a n g der Konfessionen-Reihe mag auch die Formulierung von der »ewigen Schmach (der Feinde), die nicht vergessen wird«, auf die anfänglich zitierte Absicht der Feinde anspielen, daß »seines (des Propheten) N a m e n nicht mehr gedacht werde« (20,11 /11,19).
60 Der G e d a n k e an das »betörte« und vergewaltigte M ä d c h e n , der sich lange in der Exegese großer Beliebtheit erfreute, liegt dabei g a n z fern, wie schon G. QUELL, Wahre und falsche Propheten ( B F C h T h 46/1), Gütersloh 1952, 104, A n m . 2, gesehen hat; n n s läßt vielm e h r an den u n e r f a h r e n e n j u n g e n M a n n , den TIS der Proverbien, denken. 61 Man m u ß V. 8a speziell V. 7a und V. 8b V. 7b zuordnen; dann wird deutlich, daß mit dem Geschrei über Gewalttat und Bedrückung in V. 8a nicht die Klage des Propheten über persönlich erlittene Unbill gemeint ist, sondern wie in Jer 6,7 das Gerichtswort (dort speziell die Scheltrede, aber die akademische Unterscheidung der Gattungselemente brauchte den Propheten wohl weniger zu kümmern). Vgl. auch G. VON RAD, Die Konfessionen Jeremias (1936), in: DERS., Gesammelte Studien II (TB 48), M ü n c h e n 1973, 2 2 4 - 2 3 5 , dort 230. 62 S . o . 3.2.3. 63 S . o . 3.2.1 und 3.2.2. 64 Das logische Subjekt des nns-' im (fingierten) Zitat ist J a h w e , nicht die G e g n e r ; es geht nicht d a r u m , daß sie den Propheten hereinlegen, sondern noch immer darum, daß sie ihn bei seiner Verkündigung ertappen.
1. Jahwes und Jeremias Rechtsstreit
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Die Rückwendung zum Vertrauen des A n f a n g s ist j a in der Sache evident und soll wohl durch die Wiederholung von 11,20 in 20,12 verdeutlicht werden 65 . Daß der Vers nur durch ein Mißgeschick an diese Stelle geraten sei, ist ganz unwahrscheinlich; dann ist aber die Inklusion viel eher als originales denn als sekundäres dichterisches Kunstmittel zu verstehen. Erst recht ist der abschließende kleine H y m n u s (20,13) nicht zu beanstanden, wenn man es hier mit einem Kunstwerk und nicht mit den Schulaufgaben eines angehenden Psalmisten zu tun hat. Der Dichter darf also die Rettung und ihren Ausdruck im Jahwelob vorwegnehmen, wo der Prophet seinen Rechtsstreit mit Jahwe beendet und sich der Realisierung des verkündeten Jahwewortes (wieder) gewiß geworden ist. Damit könnten die Konfessionen schließen. Der Zyklus hätte höchst kunstvoll eine prophetische Krise und ihre Bewältigung dargestellt. Die Feinde lauern noch darauf, daß Jeremia »sich betören läßt«, aber Jahwe steht ganz hinter seinem Wort und auf Seiten seines Propheten - das ist genug. 4.6 Wie der scheinbar voll befriedigende Abschluß des Zyklus mit der Verfluchung des eigenen Geburtstags fortgesetzt werden kann, das hat noch niemand überzeugend erklärt, und es mag j a sein, daß es gar nicht erklärbar ist. Man muß nur sehen, daß die Bemühung eines Redaktors überhaupt nichts erklärt: Warum um alles in der Welt soll er dieses Stück hinzugedichtet haben? Oder wenn er es vorgefunden und aus bloßem Sammeleifer dem Zyklus eingereiht hätte, warum dann nicht an der »richtigen« Stelle, bei | 3361 dem Klageruf von 15,10? Kurz: es scheint mir geboten, den Text so oder so in seinem jetzigen Z u s a m m e n h a n g ernst zu nehmen. Mehr als der Versuch einer Erklärung kann das Folgende nicht sein. Wo man am Z u s a m m e n h a n g der Texte festgehalten hat, sucht man die Einheit gern in einer biographisch-psychologischen Situation. Bezeichnend dafür ist W. Rudolphs 6 6 Überschrift für das ganze Stück: »Seelenkämpfe Jeremias«. Nun ist nicht zu bestreiten, daß ein solches Wechselbad zwischen Verzweiflung und lichten Momenten menschlich realistisch ist; aber ob das eine biographische Situation Jeremias war, werden wir nicht mehr ermitteln. Uns bleibt als Zugang nur die Frage nach einem Text, der sich bisher in allen seinen Teilen als kunstvoll gestaltet erwiesen hat, und auf der Textebene, nicht auf der biographischen Ebene, ist die Erklärung zu suchen. Man m u ß dafür noch einmal beim Schluß der vorangehenden Einheit einsetzen und nicht nur seine äußere Gestalt ansehen, sondern auch die Sache, die zur Verhandlung steht. Sind mit dem wiedergewonnenen Vertrauen und dem kleinen H y m n u s wirklich alle Probleme gelöst? Die konventionierte 65 O b die kleinen Variationen in 20,12a im neuen Kontext einen b e s o n d e r e n Sinn anzeigen sollen, ist schwer zu sagen: sie könnten auch nur d e m Stilwillen des Dichters entspringen. 66
RUDOLPH (s. A n m . 16),
129.
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Kapitel 1: Jeremía
Psalmensprache erschwert uns das Verständnis, aber sie ermöglicht andererseits die Beobachtung einer Differenz. Da ist daran zu erinnern, daß hymnische Elemente im Danklied des einzelnen durchaus gattungsgemäß sind 67 ; sie sind das sprachliche Signal dafür, daß der aus der Menschengemeinschaft herausgefallene Leidende sich nun wieder in die Gott lobende Gemeinde integriert. Diese Gemeinde lobt Jahwe, weil sie im Heil lebt und ihre Heilsexistenz als die Wirkung der großen Taten ihres Gottes erfährt. Eine solche Erinnerung zeigt sogleich die Differenz. Von einer im Heil existierenden und Jahwe lobpreisenden Gemeinde, in die der errettete Prophet sich wieder eingliedern könnte, kann ja in Jeremias Situation ganz und gar keine Rede sein. Dem Sachverhalt entspricht auch das »Hymnenkorpus« (V. 13b); es redet nicht von den großen Heilserweisen Jahwes im allgemeinen, an Israel oder der Welt, sondern von der Tat an einem einzelnen, vom »Leben des Armen« und seiner Errettung. Das heißt im Zusammenhang: das Leben des armen Propheten, der Prophet bleibt, oder genauer, der Unheilsprophet bleibt. Das aber ist die Kehrseite, die nun auf schreckliche Weise in den Versen 14-18 zur Sprache kommt. »Verflucht der Tag meiner Geburt« - das heißt wie in 15,10: meiner Geburt zum Propheten oder wiederum zum Unheilspropheten. Weil er Unheilsprophet bleibt, darum möchte der Prophet im Fluchwunsch | 337 | seinem Geburtstag das zuteilen, was er nun selber in die Welt bringen muß: Verwüstung, panisches Schreckensgeschrei und Kriegslärm (V. 16)68; hier ist der Bezug zur Unheilsbotschaft des Propheten wieder deutlich zu greifen 69 . Aber das bleibt natürlich ein frommer oder vielmehr unfrommer Wunsch; er entrinnt ja dem Zwang nicht mehr, als Unheilsprophet Unheil zur Welt zu bringen und so seine Tage in Schmach zu enden, Mühsal und Kummer vor Augen. So fügte sich auch dieser letzte Text dem prophetischen Verständnis der Konfessionen ein: als die Kehrseite der Rettung des Propheten durch die Bestätigung seiner Unheilsbotschaft. Es ist kein Vergnügen, Prophet zu sein: Die Ambivalenz prophetischer Existenz in der Angewiesenheit auf das Jahwewort und in der Vereinsamung durch dasselbe Wort, weil Jahwe ihn »mit Grimm erfüllt«, hatte der Prophet schon in 15,16ff. ausgesprochen. Das bringt er hier zu einer letzten Konsequenz, und hier erst begreift man, warum seine »Wunde unheilbar« (15,18) ist. Und die Distanz zwischen Jahwe
67
Ein schönes Beispiel d a f ü r ist Ps 30,5f. In V. 16a ist »jener Tag« statt »jener M a n n « zu lesen, s. BH. 69 M a n vgl. zu den einzelnen Motiven: Jer 18,22 (HpJJT ÜHOn) und dann auch pBTN Jer 20,8; weiter 4,19 zu n i m r i ; (6,4;) 15,8 z u m »Mittag« als Unheilszeit; entfernter auch 23,14 zu » S o d o m und G o m o r r h a « . 68
1. Jahwes und Jeremias Rechtsstreit
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und seinem Propheten wäre womöglich noch krasser als in j e n e m Wort vom Trugbach. Der harte Gegensatz zum Schluß der vorletzten Konfession ist mit alledem nicht beseitigt. Aber es scheint ein Gegensatz zu sein, der im A m t des mitleidenden Unheilspropheten angelegt ist. 5. Gerhard von Rad hat vor nunmehr f ü n f z i g Jahren den Konfessionen Jeremias eine eindringliche und nach wie vor bedeutsame kleine Studie gewidmet 7 0 . Daß er darin dem »psychologischen Ansatz« noch immer zuviel Raum zugestehe, hat A. H. J. Gunneweg wohl zu Recht beanstandet 7 1 . Aber die Frage nach dem Anteil des »Subjektiven« an den Texten ist hier zurückzustellen: Daß es sich nicht unmittelbar, sondern nur in einer objektivierenden und verfremdenden Sprache äußern könnte, ist j a bereits durch den Bezug zu den Psalmen gegeben. Wir fragen zuerst noch einmal nach der Anlage des Konfessionszyklus in der Abfolge der Texte. 5.1 Für unser Verständnis liegt es nahe, in den Texten eine zielstrebige Bewegung, einen Fortschritt des Gedankens oder des Geschehens zu suchen. Auch G. von Rad hat sie so verstanden: er sieht in 20,14ff. »die unterste | 338 | Stufe des Leidens Jeremias«, »wohl auch biographisch aus einer der letzten Phasen der Leiden Jeremias« 7 2 . Oder auch: Im Blick auf die Abfolge »steht der Leser vor dem beklemmenden Eindruck, daß das Dunkel wächst und sich von Mal zu Mal tiefer in den Propheten hineinfrißt« 7 3 . Aber ein solcher Eindruck bedarf m. E. einer bestimmten Modifikation unabhängig davon, ob die Texte vom Propheten stammen oder nicht. Man kann zunächst beobachten, daß sich an den Themen und Inhalten nicht so sehr viel ändert. Es geht, bei aller Variation, immer um die gleichen Dinge: das ausbleibende oder sich verwirklichende, aber so oder so schreckliche Jahwewort, die Feinde, den leidenden Propheten und sein Amt. Was die Leiden betrifft, so läßt sich eine Verschlimmerung der äußeren Lage nicht erkennen: Der Prophet wird verfolgt, verlacht, verhöhnt, man trachtet ihm nach dem Leben, will ihn seiner Verkündigung wegen anzeigen. Daß Jeremía im Gefängnis sitzt oder gar in jener Zisterne (Jer 38,6) 7 4 , davon läßt die Reihe von Texten nichts verlauten, und noch 20,10 lauern die Feinde darauf, daß er sich betören lasse und man ihn anzeigen kann: Mit der äußersten Leidenssituation Jeremias ist das schwer zu vereinbaren. Der letzte Text schließlich läßt von der äußeren Lage des Propheten gar nichts erkennen.
70
S. Anm. 61. AaO. (s. Anm. 2), 397. 72 AaO. (s. Anm. 61), 230f. 73 G. VON RAD, Theologie des Alten Testaments II, München 4 1965, 211. 74 Übrigens ist auch das ein Psalmenmotiv: Man vergleiche die Stichwörter T Q , E 1 ^, U3tD und ihre Bedeutung in der Chaosmetaphorik der Klagelieder des einzelnen. 71
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Kapitel 1 : Jeremia
Das bedeutet aber: Die Texte zeigen keinen entscheidenden Gedankenfortschritt, sie zeigen auch keine biographische Abfolge. Kennzeichnend ist vielmehr eine Steigerung der Intensität, in der die jeweilige »Sache« zur Sprache kommt, und damit verbunden die allmähliche Verdeutlichung einer anfänglich nur angedeuteten höchst komplexen Situation. Darin liegt natürlich auch ein »Fortschritt«, aber nicht die geradlinige Entwicklung eines Gedankens; man begegnet vielmehr einem Denken, das die Gegenstände umkreist, von allen Seiten betrachtet und dabei verdeutlicht: dem hebräischen Denken 7 5 . Die Intensivierung der Aussagen kann man am besten an einzelnen Gegenständen beobachten. Da ist das Rachemotiv (11,20; 15,15; 17,18) gesteigert bis zu dem schrecklich ausgeführten Unheilsgemälde in 18,21 f. Oder da ist eine Bewegung von dem anfanglichen Vertrauensverhältnis ( l l , 1 8 f f . ) über eine vorwurfsvolle Frage (12,1 ff.) zu dem groben Vorwurf »Trugbach« (15,18), schließlich auch zu j e n e m letzten Text, in dem die | 3391 Wendung zu Jahwe hin ganz aufgegeben ist: Aber unmittelbar zuvor steht die Rückkehr an den Anfang, freilich auf einer vertieften Grundlage. In den gleichen Z u s a m m e n h a n g gehört das jeweilige Gotteswort: ein unbedingtes Unheilswort über die Feinde (11,21-23*), dann eine zurechtweisende Frage (12,5), dann ein energischer Tadel und U m k e h r als Bedingung dafür, künftig »vor Jahwe zu stehen« (15,19-21); am Ende wohl auch das göttliche Schweigen. Deutlich ist die Steigerung vom Weheruf über die Geburt in 15,10 zur Verfluchung des Geburtstages in 20,14ff. In alledem ist keine Systematik - der »Höhepunkt« des Rachemotivs ist ja z. B. schon in Jer 18 erreicht - aber das ist in hebräischer Dichtung auch nicht zu erwarten. Es bleibt der Eindruck der Intensivierung und Vertiefung, das »tiefere Dunkel« am Ende, die stärkere Entfremdung zwischen Prophet und Gott - dagegen unmittelbar vor dem abschließenden Fluch die Gegenbewegung, das Vertrauen, das lösende Loblied. Das verbietet aber die naheliegende Annahme, das letzte Wort sei auch das endgültige, das alles zuvor Gesagte überholte und ungültig machte. Haben wir die Konstellation der Texte richtig verstanden, so verweist sie vielmehr auf einen vom Propheten nicht auflösbaren Konflikt seines Amtes: Er m u ß das Unheilswort Jahwes in die Welt bringen und kann und darf es nicht mehr aufhalten, und seine Rettung ist der Untergang seines Volkes. 5.2 Damit steht man noch einmal vor der Frage nach dem Ort und Zweck der Konfessionen. A. H. J. Gunneweg hat die These vertreten, die exilische Schülerschaft Jeremias habe die Texte aus der Psalmentradition zusammengestellt und geringfügig modifiziert, um damit ihre eigene Situation zu reflektieren: Sie stellten Jeremia als den exemplarischen leidenden Gerechten
75 M a n vergleiche nur die H i o b d i c h t u n g und dazu VON RAD, T h e o l o g i e des Alten Testaments I, M ü n c h e n 4 1962, 422ff.
1. Jahwes und Jeremias
Rechtsstreit
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dar, um sich dann mit Jeremia in jener Rolle zu verstehen. Ich möchte dagegen erstens fragen, ob denn Jeremia in den Texten wirklich als exemplarischer leidender Gerechter erscheint. Denn die Leidenszüge wie die Gerechtigkeits- und Unschuldsbeteuerungen sind als solche eher konventionell als exemplarisch - ganz anders als bei Hiob. Allerdings: Einen Rechtsstreit mit seinem Gott führt auch Hiob. Aber - und das ist mein zweites Bedenken dort geht es fraglos um das Thema unschuldigen Leidens, hier dagegen um ein sehr spezifisches und nicht übertragbares Problem des prophetischen Amtes. Überdies steht der Text mit der Verfluchung der eigenen Geburt bei Hiob am Anfang, und Hiobs Problem wird am Ende auf eine Lösung hingeführt; bei Jeremia steht er am Ende: Die theologische Lösung eines gestellten Problems bliebe hier aus, und die Frage nach dem Leiden des Unschuldigen bekäme keine Antwort. Darum ist mir drittens die Frage, wieweit die Texte in ihrem ursprünglichen Sinn überhaupt als Identifikationsmuster für eine Gruppe von Frommen geeignet waren. Nachfolger im prophetischen Amt mochten sie sich | 340 | zu eigen machen, und man mag solche Nachfolger in der exilischen Tradentenschar des Propheten suchen76, aber eine Lösung bekamen sie mit diesen Texten nicht, es sei denn die Auskunft, daß ein Jünger nicht über dem Meister ist. Über den Horizont der Probleme bloßer Überlieferer des Prophetenwortes gingen die Texte doch hinaus. 5.3 Echtheitsfragen sind ein leidiges Geschäft, weil sie nie endgültig zu beantworten sind, aber am Ende müssen sie wenigstens gestellt werden. Ich beginne mit einer negativen Feststellung: Jedenfalls waren die Konfessionen nicht die Tagebucheinträge des Propheten. Das ist durch die kunstvolle Anlage des Zyklus und die mannigfachen Querverbindungen zwischen den Texten ausgeschlossen: Die Konfessionen sind als ein zusammenhängendes Ganzes konzipiert und durchgeführt worden, und mögen auch Stationen eines prophetischen Leidensweges als Erfahrung im Hintergrund stehen, so werden sie doch hier nicht aufgezeichnet. »Biographisch« deutbar wären die Texte also allenfalls auf Grund der Gesamtsituation des Propheten, nicht oder jedenfalls nicht unmittelbar als eine Abfolge von Erfahrungen. Daß die Texte eine eigene Sprache sprechen und insofern das Geschick der Prosareden des Jeremiabuchs zu teilen scheinen, war des öfteren ein Grund, sie wie jene dem Propheten abzusprechen. Aber das Argument ist schwach und der Vergleich deswegen nicht statthaft, weil der Prophet zwar nicht die »deuteronomistische«, wohl aber die Sprache der Psalmen spricht, auch in Partien, deren Echtheit kaum zu bezweifeln ist. Dem Priestersohn war diese Sprache gewiß nicht fremd, und daß er sich ihrer in verstärktem Maße bediente, wo es die verhandelte Sache gebot, wäre ihm nicht zu verdenken. Demgegenüber sind aber auch die mannigfachen Bezüge zu Sprache 76
V g l . F. STOLZ, P s a l m e n i m n a c h k u l t i s c h e n R a u m ( T h S t 129), Z ü r i c h 1983, 67.
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Kapitel 1: Jeremía
und Thematik Jeremias zu notieren, die sich in der voranstehenden Untersuchung gezeigt haben. Gegen jeremianische Verfasserschaft könnte man schließlich anführen, daß dann »die einzelnen Lieder unverständlicherweise auseinander gerissen und auf die jetzigen Kapitel 10-20 des Jeremiabuchs verteilt« worden sein müßten 7 7 . Aber man hat sich m. W. nie überlegt, daß die Dinge auch andersherum gelaufen sein könnten. So ist z. B. die jetzige Komposition von Kap. 14-15 gar nicht zu bestreiten, aber sie ist um die Konfession herum komponiert und benutzt sie nicht als einen beliebig verfügbaren Baustein, sondern als Ausgangspunkt. Das dürfte aber nicht für einen einzelnen Konfessionstext, sondern für die Konfessionen im ganzen gelten: Sie sind der | 3411 Kern einer (vordeuteronomistischen) 7 8 Sammlung in Jer 10-20, und man hat sie als Grundbestand mit dazu passendem Material aus der prophetischen Überlieferung angereichert. Die These kann hier nicht weiter ausgeführt werden und bedarf angesichts einer längeren Redaktionsgeschichte des Jeremiabuchs auch noch näherer Prüfung, aber sie würde zwanglos erklären, warum die Texte uns aller Wahrscheinlichkeit nach in der ursprünglichen Reihenfolge überliefert sind, und zugleich, warum sie jetzt nicht mehr unmittelbar zusammenhängen. Damit wäre jeremianische Verfasserschaft möglich, nicht notwendig. Doch k o m m e n weitere Überlegungen hinzu. Da sind die Bezüge bei Ezechiel (3,2, s. o. 3.2.3) und in den Gottesknechtsliedern Deuterojesajas, die sich m. E. nur als Bezugnahmen dieser Texte auf die Konfessionen erklären, nicht umgekehrt. Deuterojesajas prophetische Reflexionen z. B. geben schon eine Antwort auf das Problem des leidenden Propheten: »Ich war nicht widerspenstig, bin nicht zurückgewichen« (Jes 50,5). Vor allem aber ist nicht leicht zu sehen, wie man in der hebräischen Antike auf die Idee gekommen wäre, ein solches Jeremia-Gedicht zu verfassen, mit den spezifischen Problemen des Prophetenamtes Jeremias und in Sonderheit mit dem so schwer begreiflichen Schluß. Man könnte dagegenhalten, daß der Todeswunsch des Propheten in der Eliatradition ( l K ö n 19,4) vorgegeben war und wiederum in der Jonaerzählung auftaucht; bei Jona sogar mit demselben prophetischen Problem der Nichterfüllung des Prophetenwortes und der gleichen Verwendung des Wortes von der Langmut Jahwes. Aber die Jonaerzählung ist darin offensichtlich ein später Reflex der Konfessionen, und bei Elia wie bei Jona
77
78
S o z . B . STOLZ, e b d .
D a s h e i ß t z. B. o h n e die u m f a n g r e i c h e n dtr. P a r t i e n in J e r 11,1 ff. o d e r J e r 19 u. a., o h ne d e n w e i s h e i t l i c h e n A b s c h n i t t in Jer 17,5ff. o d e r die n a c h d e u t e r o n o m i s t i s c h e n T e x t e Jer 1 0 , 1 - 1 6 ; 17,19ff. usw., a b e r a u c h o h n e d i e z. B. in Jer 1 5 , 1 2 - 1 4 ; 17,12f. e r k e n n b a r e k o l l e k tive N a c h i n t e r p r e t a t i o n der K o n f e s s i o n e n . D a g e g e n s i n d b e s t i m m t e S p u r e n dtr. S p r a c h e in Jer 14 n i c h t g l e i c h K e n n z e i c h e n e i n e r dtr. R e d a k t i o n ; hier ist d o c h w o h l m i t f l i e ß e n d e n Ubergängen zu rechnen.
1. Jahwes und Jeremias Rechtsstreit
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handelt es sich um £Vzä/z/gestaltungen 79 , die wohl ein prophetisches Problem reflektieren, aber die Tiefendimension der Konfessionen nicht erreichen; auch steht dort nicht der Todeswunsch, sondern die lösende Jahweantwort am Schluß. Man kann diese Texte also schwerlich als Beleg für eine derartige literarische Produktion anführen; und das gilt für das Hiobbuch ebenso, weil es ein ganz anderes Modell hat und überdies der Dichter wohl die Konfessionen Jeremias | 342 | kannte. Unbestreitbar ist schließlich, daß Jeremia zu den großen Dichtern der Antike gehörte, und große Dichtung, das sind die Konfessionen auch; ein zuweilen geäußertes abschätziges Urteil beruht auf hier nicht anwendbaren modernen Geschmackskriterien. Kurz: Es gibt keine überzeugenden Gründe gegen jeremianische Verfasserschaft und dagegen eine Reihe von Indizien, die für die Originalität der Texte sprechen. Daß dann auch das Moment des »Subjektiven« eine Rolle spielt, m a g hier wenigstens angemerkt werden; es sind j a die - literarischen - Klagen des betroffenen Propheten. Der Einblick in sein Seelenleben bleibt uns gleichwohl verwehrt. Hier muß man Gunneweg uneingeschränkt zustimmen - die »Bekenntnisse einer schönen Seele« passen nicht in die geistige Welt der hebräischen Antike. 5.4 Dann bleibt als letztes die Frage, wozu die Texte abgefaßt und warum sie überliefert wurden. Die Antwort kann ich einfach fassen: Nicht ihres subjektiven Gehalts wegen, sondern weil sie von einem Objektivum reden, von Jahwes Unheilswerk an Israel, das er durch seinen Propheten vollzieht. Man m u ß dazu an die jeremianischen Texte erinnern, in denen das »Ich« Jahwes und das des Propheten zu verschmelzen scheinen, d.h. in denen der Prophet das Pathos Jahwes in Klage, Anklage und Gerichtsansage zu vertreten und zu artikulieren hat. Die Konfessionen zeigen dagegen überdeutlich auch die Differenz: Jahwe kann warten, der Prophet nicht. Die Texte hätten dann die Funktion, die Kehrseite, die »Innenseite« der Unheilsverkündigung im A m t des Propheten zu zeigen. Stammen sie von Jeremia, so sind sie zuerst Texte der Selbstverständigung des Propheten über sein Amt. Sie sind j a - bis auf den kleinen H y m n u s 20,13 - nirgends nach außen gewandt formuliert, aber sie sind eine Rechtfertigung des Propheten in seinem Amt vor Jahwe. Daß sie auch mit diesem Sinn von vornherein der Frewc/deutung des Propheten dienen sollten und von anderen abgefaßt waren, scheint mir nicht unmöglich; aber die Beweislast hätte der Exeget, und sie wäre nicht ganz leicht zu tragen. Jedenfalls waren die Texte dann auch kommunikabel, und sie gaben auf ihre Weise eine Legitimation der prophetischen Unheilsbotschaft.
79 Sie bedienen sich im Unterschied zu den K o n f e s s i o n e n der A u ß e n p e r s p e k t i v e , nicht der Ich-Rede des B e t r o f f e n e n .
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Aber zuerst galten sie dem Propheten, dessen A m t den entsetzlichen Zwang zur Unheilsverkündigung bedeutet, der zu Isolierung, zu Feindschaft und zu Verfolgung führt. Der Prophet ist so in dieses A m t verwickelt, daß er um Jahwes und um seines Lebens willen ein Interesse am Eintreten der Katastrophe haben muß und diesem Interesse doch zugleich widerstrebt; und auch dieses Widerstreben gehört zu seinem Amt. Er hat in alledem von sich aus keine Machtbefugnis, und Jahwe bleibt frei, ist nicht an die Erwartungen des Propheten gebunden, den er seinerseits so völlig in Anspruch nimmt. Aber in dem unlösbaren Problem des Prophetenamtes, der »unheilbaren Wunde« | 343 | des Propheten, spiegelt sich doch auch etwas von dem Erbarmen des Gottes Jeremias, der über das Unheil klagt, das er über sein Volk bringt, und der in dieser Spannung zwischen Zorn und Erbarmen zuletzt allerdings kein anderer ist als der Gott Hiobs, so sehr sich die theologischen Horizonte dort gewandelt haben. Diese Spannung hat der Prophet mit seinem Leben zu vertreten, und es ist ihm nur zugesagt, daß Jahwe mit ihm ist und er mit dem Leben davonkommt.
2. Die »Königsspruch«-Sammlung im Jeremiabuch von der Anfangs- zur Endgestalt Antike Texte, an denen viele Generationen gearbeitet und ihre Spuren hinterlassen haben, sind leicht auseinanderzunehmen, aber schwer wieder zusammenzusetzen. Die Spuren findet man besonders bei Texten, die von Anfang an einen Anspruch auf Geltung erhoben und daher nicht beliebig zu verändern waren: bei heiligen Texten einer Buchreligion, bei biblischen Texten, aber sie sind nicht immer eindeutig zu lesen. Wen wundert's, daß die neuere Exegese sich zunehmend der Endgestalt als dem vermeintlich sicheren Fundament aller Auslegung zugewandt hat. Für eine bestimmte Sicht, in der der Kanon als die inspirierte und undifferenzierte Einheit erscheint, ist sie das in der Tat. Aber wenn man dem historischen Sinn der Texte nachgeht, kann man sich damit nicht begnügen; aus zwei Gründen: Zum einen deshalb nicht, weil die Endgestalt nicht einfach die Summe aller vorangehenden Gestalten ist, oder weil ihr Sinn nicht allen Sinn vorangehender Textgestalten wiederholt und zusammenfaßt. Selbstverständlich gibt es auch Korrekturen und Widersprüche, die den Text additiv überlagern, ohne doch vergangene und widerrufene Sinngebungen zu tilgen. Wer den Text nun als einheitliche Endgestalt interpretiert, wird Brücken zur Versöhnung der Widersprüche bauen, an die der Endredaktor nicht im Traum gedacht hat - und bei denen es zumindest fraglich bleiben muß, ob er sie betreten hätte. Zum andern genügt der letzte Eindruck alttestamentlicher Texte nicht, weil sie dem tieferen Blick noch eine Geschichte erzählen wollen, die Geschichte ihres Werdens jenseits der Geschichte oder Mitteilung, die an der Oberfläche liegt. Rolf Rendtorff hat in seiner alttestamentlichen Arbeit beides getan: die Frage nach dem Anfang und der Textgeschichte gestellt und die Beachtung der Endgestalt gefordert. Die folgende Untersuchung sucht den Weg vom Anfang zum Ende für einen kleinen Teil des Jeremiabuchs nachzugehen und dabei zu lernen, was die Geschichte dieser Texte zum Verständnis ihrer Endgestalt beiträgt - und was sie dem zu bedenken gibt, der nur die Endgestalt interpretieren möchte. 1278 |
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Kapitel
1:
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1. Redaktionelle und ursprüngliche Einheit der Sammlung Die Sammlung der Königssprüche bildet im Jeremiabuch eine kleinere redaktionelle Einheit. Wiewohl sie auch im größeren Zusammenhang des Buches gelesen werden soll, ist sie doch wesentlich stärker in sich verklammert. Ihre Abgrenzung kann man zunächst thematisch zu bestimmen suchen: Der erste Spruch über einen König findet sich in 21,1-7, der letzte in 23,5-6; dazu kommen noch die Verse 23,7-8, die an die Thematik von 23,1-4 anknüpfen und jedenfalls jetzt den Abschluß der Sammlung bilden. Danach beginnt mit der Sammlung der Prophetensprüche 23,9^10 etwas Neues. Diese zweite Sammlung paßt unter dem Oberbegriff »fuhrende Kreise« o. ä. zwar an diese Stelle, steht aber in keiner engeren Beziehung zur ersten und ist mehr unter einem äußerlichen Ordnungsgesichtspunkt hierhergestellt. Ob man im Sinne der Bucheinteilung noch Kap. 24 zur gleichen Großeinheit rechnen soll, wie W. Thiel1 für seinen dtr. Redaktor des Jeremiabuchs annimmt, kann jetzt dahingestellt bleiben. Das Kapitel würde zwar mit der Wiederaufnahme des Unheilsworts über Zedekia aus 21,1-7 zum Abschluß der fö'mgsspruch-Sammlung passen2; aber der dazwischenliegende Propheten-Abschnitt 23,9-40 ist in 24 überhaupt nicht berücksichtigt und die Rahmenfunktion daher fraglich. Wir beschränken uns also im folgenden auf 21,1 -23,8. Daß diese Reihe von »Königssprüchen« keine ursprüngliche Einheit ist, ist freilich längst erkannt, und daß der jetzigen Sammlung eine ältere Sammlung vorausgegangen sein muß, hat W. Thiel gründlich und vorbildlich dargelegt3. Den auffalligen Sachverhalt, daß die Reihe ausgerechnet mit dem letzten judäischen König beginnt, während die drei Vorgänger JoahasSchallum, Jojakim und Jojachin erst später erscheinen, erklärt er mit der Ergänzung und Bearbeitung einer ursprünglich in 21,11 beginnenden Sammlung durch den dtr. Redaktor des Jeremiabuchs, und hinsichtlich der Aussonderung des dtr. Materials ist W. 1279 | Thiel nachdrücklich zuzustimmen; man kann nur noch einmal fragen, ob es in sich so einheitlich ist, wie seine These zur Redaktion des Jeremiabuchs das voraussetzt. Das muß aber zu1 W. THIEL, Die deuteronomistische Redaktion von Jer 1-25 (WMANT 41), NeukirchenVluyn 1973, 230f. Das Buch wird im folgenden ebenso wie die Jeremia-Kommentare nur mit dem Verfassernamen zitiert. 2 Zu K. F. POHLMANNS (Studien zum Jeremiabuch. Ein Beitrag zur Frage nach der Entstehung des Jeremiabuchs [FRLANT 118], Göttingen 1978, 19-46) Versuch, 21,1-10 und 24 als Kronzeugen der »golaorientierten Redaktion« zusammenzufassen, s. auch unten S. 54. Die Alternative von Heil für die Gola und Unheil für die Daheimgebliebenen in Jer 24 schließt Jojachin nicht ein: Zwar wird er unter den Weggeführten genannt, aber nicht im Heilswort an die Gola. Nach 22,23-30 ist das auch nicht anders möglich. Zu der Alternative von 24 bildet allenfalls 21,8-10 eine entfernte Analogie, aber es geht dort nur um die Vernichtung der Stadt und ihrer Bewohner und nicht um ein menschenleeres Land. 3 AaO. (s. Anm. 1), 230-249.
2. Die »Königsspruch«-Sammlung
im
Jeremiabuch
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nächst offen bleiben; wir wenden uns zuerst dem Material zu, das nach Abzug der dtr. Partien verbleibt.
2. Beobachtungen zur nichtdeuteronomistischen Sammlung
»Königsspruch«-
Im nichtdeuteronomistischen Textbestand der Königsspruch-Sammlung fallen einige Merkwürdigkeiten auf, vor allem dem, der nur Königssprüche sucht. Wir gehen die Texte der Reihe nach durch.
2.1 Jer 21,11-12 Der Spruch gilt als Einleitung der ursprünglichen Sammlung mit der Überschrift »Über das Haus des Königs von Juda«. Gehörte die Überschrift von Anfang an zu dieser Sammlung, dann genügte dem dtr. Bearbeiter die Hinzufügung der Kopula, um den Spruch mit dem vorangehenden zu verknüpfen (vgl. 21,8: »Und zu diesem Volk sollst du sagen ...«). Ebenso ist die Überschrift der folgenden Prophetenspruch-Sammlung ein bloßes »Über die Propheten«. Wir kommen später darauf zurück. Der Spruch selbst beginnt in V. I I b ; er fallt durch seine Allgemeinheit auf und ist gerade dadurch als programmatische Einleitung einer Sammlung wohl geeignet. Zweifelhaft ist jedoch, ob er je so verkündet wurde. Dagegen spricht sein Kompositcharakter, den schon B. Stade 4 beobachtete. B. Stade sah allerdings in V. 12a eine sekundäre Nachbildung von 22,3, während man heute wohl mit Recht 22,1-5 eher für eine dtr. Nachbildung von 21,11 f. hält. Aber der mahnende Teil des Spruchs »Richtet am Morgen nach dem Recht, und errettet den Beraubten aus der Hand des Bedrückers« ist zu wesentlichen Teilen mit Stichworten aus dem Jojakim-Spruch 22,13ff. gebildet 5 , und er ist vor allem so konventionell, daß er zwar als Inschrift über dem Palasttor, aber kaum zum Prophetenwort taugte - so beherzigenswert seine Maxime wäre. Die anschließende bedingte Drohung ist ebensowenig originell. Sie begegnet 1280 | nicht nur in Jer 4,4 noch einmal 6 , sondern mit ihren ein-
4 5
4.3).
B. STADE, Bemerkungen zum Buche Jeremia, ZAW 12 (1892), 276-308, dort 277-280. Vgl. zu YH 22,16; BDTTSN 22,13; ptfSJ 22,17b (nach THIEL [S. Anm. 1] dtr., vgl. unten
6 Der Vers mag dort auf den gleichen Redaktor zurückgehen, ist aber nicht von unserem Text abgeschrieben. Nur 21,12bß ist wohl erst nachträglich von dort übertragen, da der Nachsatz in G* noch fehlt, jedoch ist auch das ein redaktioneller Vorgang, s. unten 4.5. Als »mechanische« Anpassung mag sich die unpassende 3. Person des Suffixes (ihre Taten) erklären, dagegen haben die griechischen Rezensionen, Theodotion und das Q're die gewiß ursprüngliche Form der Anrede.
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Kapitel 1: Jeremía
zelnen Elementen auch sonst in der prophetischen Literatur 7 . So ist dieser Spruch ein literarisches Motto über dem Eingangsportal der nachfolgenden Sammlung; er zeigt, wie der Redaktor die Königssprüche vorrangig gelesen haben wollte 8 . Sein Anhaltspunkt bei Jeremia ist nur der Jojakim-Spruch mit seiner sozialen Komponente.
2.2 Jer 21,13-14 W. Rudolph hält die beiden Verse für die ursprüngliche Fortsetzung von 21,11 f., aber das ist ihm erst nach gravierenden Eingriffen in den Textbestand von V. 13a möglich. Das davidische Königshaus kommt hier gar nicht mehr vor, aber es käme auch niemand auf die Idee, daß dessen Residenzstadt Jerusalem oder deren Königspalast gemeint sein könnte, wenn der Spruch nicht gerade in diesem Z u s a m m e n h a n g stünde. Die »Herausforderungsformel« 9 ist für Ezechiel (und N a h u m ) bezeichnend, gar nicht für Jeremia 1 0 . Die Anrede in 2. Person fem. gilt offenbar einer Stadt, aber Jerusalem ist weder »Talbewohnerin« noch gar »Fels in der >EbeneLibanonwaldhaus< ..., den weiten Gängen glich den Bergwäldern von Libanon und Gilead«. Aber daß sich Natur und Kunst in der Anschauung des Dichters so rasch gefunden hätten, wird gerade durch den Hinweis auf das Libanonwaldhaus unglaubwürdig: Die nach V. 7 abgehauenen »besten Zedern« bleiben durchaus noch im Bild und meinen nicht das kostbare Bauholz des Palastes oder die Zedernholzsäulen des »Waldhauses«. Mit B. Duhm ist vielmehr an Israel als den hier gemeinten Vergleichsempfanger zu denken; seinen Hinweis auf die Parallele in Jer 12,8 kann man auf die ganze Klage Jahwes über sein aufsässiges und zugrundegehendes Erbteil Israel in 12,7-13* ausweiten und muß bei »Israel« die Einheit von Volk und Land vor Augen haben. In zweiter Linie wäre auch der Vorschlag C. H. Cornills zu erwägen, Jerusalem sei gemeint 17 - wogegen W. Thiel freilich mit einigem Recht die maskuline Anrede einwendet. Natürlich ist auch hier der metaphorische Charakter des Gleichnisses festzuhalten: Israel ist also in seiner realen Erscheinung ebensowenig insgesamt Waldland wie es insgesamt) 283 | ein Weingarten (12,10) oder ein bunter Vogel (12,9) ist. Vielmehr: Israel ist oder war kostbar in Jahwes Augen. 2.4 Jer
22,10.13-19
Die zwei oder drei folgenden nichtdeuteronomistischen Sprucheinheiten können zusammen besprochen werden, da nicht in Frage steht, daß sie Judas letzten Königen gelten und auf Jeremia zurückgehen. Auffällig ist, daß der erste Spruch, 22,10, gar keine thematische Verbindung zu den vorhergehenden Sprucheinheiten aufweist, sondern (im Sinne des Sammlers) ein neues Thema anschlägt, das auch in den folgenden Einheiten mehr oder weniger deutlich wiederkehrt: das Thema »Klage«. 17 Eine mythologische Deutung der Bildrede, w o n a c h die Vorstellung vom »Gottesgarten auf d e m Libanon« auf Jerusalem übertragen sei, erwägt H. BARTH, Die Jesaja-Worte in der Josiazeit ( W M A N T 48), N e u k i r c h e n - V l u y n 1977, 7 0 - 7 2 (im A n s c h l u ß an F. STOLZ, Z A W 84 [1972], 1 4 1 - 1 5 6 ) , u. a. für Jer 22,6f. und 22,23. Aber die dort z u s a m m e n g e s t e l l t e n Texte haben m. E. doch verschiedenen Sinn, und j e d e n f a l l s erklärt die These nicht die Parallelism e n »Gilead« (22,6) bzw. »Basan« und »Abarim« (22,20).
2. Die »Königsspruch«-Sammlung
im Jeremiabuch
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Weiter fallt auf, daß die Sprüche ohne den dtr. K o m m e n t a r V. 11 f. bzw. ohne die anscheinend sekundäre V e r k n ü p f u n g von zwei Sprüchen in V. 18act 18 gar nicht aussprechen, um welchen K ö n i g es sich jeweils handelt. Der Wechsel in der R e d e f o r m von der A n r e d e in V. 1 3 - 1 7 zur Rede über den K ö n i g in V. 18aßb. 19 zeigt, daß beide Abschnitte keine ursprüngliche Einheit sind. Schließlich ist festzuhalten, daß V. 10 und V. 1 8 a ß b . l 9 für sich allein nicht lebensfähig wären, sondern eines K o m m e n t a r s oder eines Z u s a m m e n h a n g s bedürfen, der natürlich ursprünglich durch die Situation gegeben gewesen sein kann, aber literarisch expliziert werden muß.
2.5 Jer
22,20-23
Erst am Schluß zeigt sich, daß dieser Spruch das K ö n i g t u m (oder vorsichtiger: die herrschende Schicht) betrifft, nämlich in Gestalt der V. 22 erwähnten »Hirten«. A n g e s p r o c h e n ist eine Frauengestalt wie in 21,13; dieses Bild wird hier bis zum Ende durchgehalten. A b e r wer ist mit dieser Frauengestalt gemeint? Die übliche D e u t u n g auf Jerusalem 1 9 ist kontextuell nahegelegt, aber der Spruch f ü r sich g e n o m m e n spricht eher dagegen. Viel häufiger als zur ] V 2 S ¡"Q20 spricht Jeremia | 284 | zur ,OJJ I"Q21 (wobei natürlich die Differenz zwischen beiden Metaphern nicht sehr groß ist, wenn »Zion« auch die Gesamtheit repräsentieren kann). Die nächste Parallele zu den »Liebhabern« ist Jer 30,14, wo nach dem Kontext eher Land und Volk (Israel) angesprochen ist. Mit der A n r e d e in 2. Person fem. ist in Jer 2 , 1 4 - 1 9 Israel gemeint, ebenso in 2 , 2 0 - 2 5 . 3 3 - 3 7 ; 3 , 1 - 5 usw. Der A u f r u f zur Klage auf den umliegenden hohen Gebirgen spricht auch m e h r für »Israel«. Ob mit den »Liebhabern« dann tatsächlich die Herrschenden gemeint sind, wie der Parallelismus in V. 22 nahezulegen scheint, m u ß o f f e n bleiben; j e d e n f a l l s wäre die sonst für Nachbarreiche oder f r e m d e Götter gewählte Metapher ung e w ö h n l i c h für die Führungsschicht. A u f f a l l i g ist schließlich der V. 23, weil er aus dem vorherigen Bild herausfallt und vor allem nicht zur A u f f o r d e r u n g
18 Von der Sprachgestalt her ist kaum zu entscheiden, ob auch V. I 8 a a erst durch den D e u t e r o n o m i s t e n z u g e f ü g t wurde; d a f ü r spricht aber die V. 1 l a a recht genau entsprechende Einleitung mit Botenformel und Filiation nach dem K ö n i g s n a m e n sowie einer u n g e n a u e n A d r e s s i e r u n g mit o b w o h l in beiden Fällen der König nicht a n g e s p r o c h e n ist. Korrekt und b v wäre was den Redaktor freilich nicht b e k ü m m e r n muß, zumal dann, w e n n nicht m e h r präzise auseinandergehalten werden - THIEL (s. A n m . 1) führt Königstitel und Filiation auf D(tr.) zurück. 19 S. M0W1NCKEL, Zur Komposition des Buches Jeremia, Kristiania 1914, 22; P. VOLZ, Der Prophet Jeremia (KAT 10), Leipzig 2 1928; A. WEISER (s. A n m . 12); W. L. HOLLADAY, Jeremiah 1 (Hermeneia), Philadelphia 1986. R. P. CARROLL (Jeremiah [OTL], London 1986) denkt an eine n a m e n l o s e Stadt; richtig B. DUHM (S. A n m . 11): »die , ? S i r n 3 « 20 Jer 4,31; 6,2.23. 21 Jer 4,11; 6,26; 8,11.19.21.22.23; (9,6); 14,17.
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Kapitel 1: Jeremía
in V. 20 paßt: Wer schon im Libanon wohnt, braucht nicht erst hinaufzusteigen. Der Spruch hat mit V. 22 oder besser V. 22a schon einen guten Abschluß erreicht, und V. 23a scheint mit der Libanon-Bewohnerin, die »in den Zedern nistet«, einen Kontrast zur Talbewohnerin, die ein »Fels in der Ebene« ist, von 21,13a herzustellen: dann wäre dieser Vers erst ein Element der Komposition. Wörtlich genommen paßt er natürlich ebensowenig zu Jerusalem wie zu Israel und kann nur Metapher für angemaßte Größe sein.
2.6 Jer
22,24-30
Zu dieser dtr. Spruchkomposition mit jeremianischem Originalmaterial kann ich mich kurz fassen 22 ; es genügt der Hinweis, daß auch hier eine wahrscheinlich namenlose Spruchkomposition 23 erst durch die Redaktion ihren expliziten Bezug und ihre historische Deutung erhalten hat.
2.7 Jer
23,5f.
Der letzte Text in dieser Reihe bedarf ebenfalls nur einer kurzen Erörterung. W. Thiel hatte aus dem Zusammenhang von 23,1-4 und 23,7-8 geschlossen, daß der messianische Text erst nachträglich hier eingefügt | 2851 worden sei; das ist aber bei der lockeren Anknüpfung von V. 7f. an V. 1-4 nicht so sicher. Die Einleitung des Spruchs selbst ist zwar im Jorcmiabuch oft belegt, stammt aber nirgends von Jeremia; auch im Gehali des Spruchs ist nichts spezifisch Jeremianisches zu erkennen. Die Anspielung auf Zedekia in V. 6, die für viele die Echtheit begründen soll, ist gar nicht zu bestreiten; sie rundet aber auch die Komposition ab, in der nach Joahas, Jojakim und Jojachin der letzte judäische König nicht gänzlich fehlen sollte. Daß der Spruch noch in anderer Hinsicht kompositionell erwünscht ist, wird sich zeigen; es liegt daher nahe, daß er überhaupt erst für die Sammlung verfaßt wurde.
22 Vgl. H.-J. HERMISSON, Jeremias Wort über Jojachin, in: Werden und Wirken des Alten Testaments (FS C. Westermann z u m 70. Geb.), Göttingen - N e u k i r c h e n - V l u y n 1980, 2 5 2 270. 23 Ihr erster Spruch war in der FS C. Westermann (s. A n m . 22), 257, so rekonstruiert: »So w a h r ich lebe, Spruch Jahwes, wärest du auch ( K o n j a h u ) ein Siegelring an meiner rechten Hand - ich reiße dich doch von dort w e g und schleudere dich auf die Erde.« Es kann nicht ganz ausgeschlossen werden, daß das » K o n j a h u « als Vokativ noch z u m ursprünglichen Spruch gehörte. Der N a m e ist aber vielleicht auch in V. 28 erst sekundär; dann wäre dort Hin ttTXn festzuhalten.
2. Die »Königsspruch«-Sammlung im Jeremiabuch
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3. Stichwörter und Leitthemen Unverkennbar ist die ganze Sammlung von einigen Stichwörtern und leitenden Themen beherrscht. Nehmen wir jetzt die dtr. Partien hinzu, so ist zuerst das Stichwort Feuer (21,10.12.14; 22,7) als Instrument oder Metapher des Strafgerichts zu nennen. Damit sind der Wald (21,14) und die Zedern (22,7) als »Brennmaterial« verknüpft, und dazu gehören die Waldgebiete Libanon und Gilead (22,6). Der Libanon mit seinen Zedern kommt unter anderem Aspekt noch in 22,23 vor, wieder anders Libanon und Basan (als Teil Gileads) in 22,20, schließlich erscheinen die Zedern als Baumaterial (22,14f.). Als Kontrastmotiv stehen sich Talbewohnerin (21,13) und Libanonbewohnerin (22,23) gegenüber. Ein weiterer Komplex von Stichwörtern und leitender Thematik betrifft das gerechte Gericht, insbesondere mit den Stichwörtern "[H und ESÜ73 npi2J1 (21,12; 22,3; 22,13.15f.; 23,5). Ein anderes Motiv wurde schon genannt: Die Klage um den toten oder den weggeführten König (22,10) mit ihrem Kontrast, der ausfallenden Totenklage um den König (22,18), daran sogleich anknüpfend der Aufruf zur Klage an jene Frauengestalt über den Verlust jeder Herrschaft (22,20ff.). Darin begegnet als ein letztes bezeichnendes Stichwort das von den Hirten, das dann in 23,1-4 breit wiederaufgenommen wird. Wieweit der ursprünglich unterschiedliche Gebrauch der Stichwörter in der Sammlung vereinheitlicht wurde oder wieweit sie nur Anlaß zur Zusammenstellung von Texten unter anderen Leitideen waren, hängt von dem Umfang der jeweiligen Sammlung ab; diesem Problem wenden wir uns jetzt zu.
4. Sammlung, Komposition und Redaktion - ein Versuch Das leichtere Geschäft ist die Analyse alttestamentlicher Texte, schwieriger die Synthese: Das hängt damit zusammen, daß Gleicharti-1 286 | ges nicht gleichzeitig sein muß, und daß das Hysteron oder Proteron oft schwer oder gar nicht zu bestimmen ist. Geht man davon aus, daß die von einem Originaltext erwartete Stringenz nicht gleichermaßen von einer Komposition und schon gar nicht von einer Sammlung erwartet werden darf, dann folgt daraus bereits eine gewisse Undeutlichkeit der Maßstäbe. Dazu kommt, daß an die Stelle thematischer Stringenz die lockeren Bezüge des Wortspiels und der Anspielung treten können, die einer eindeutigen Beurteilung nicht immer offenstehen. So kann die folgende sukzessive Anordnung der Textschichten nur ein Versuch sein, der sich dann auch noch im größeren Maßstab des Jeremiabuchs bewähren müßte.
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Kapitel 1: Jeremía
4.1 Der älteste Bestand Auszugehen ist von den Texten, die mit einiger Sicherheit auf Jeremia selbst zurückgeführt werden können und den zeitgenössischen Königen des Propheten gelten 2 4 . Das sind zum einen die beiden Jojakimsprüche Jer 2 2 , 1 3 - 1 9 * , auch wenn sie zunächst vielleicht ohne explizite N e n n u n g des Adressaten überliefert waren. Dazu k o m m e n die ursprünglichen Elemente der Jojachin-Passage Jer 2 2 , 2 4 - 3 0 * , die wohl schon vordeuteronomistisch eine kleine Komposition gebildet haben 2 5 . Ebenso gehört dazu Jer 22,10: Sieht man diesen Spruch ohne seinen dtr. Kommentar im ursprünglichen Kontext der Jojakim- und Jojachinsprüche, so verstärkt sich noch einmal die Vermutung, daß der Spruch ursprünglich gar kein Joahasspruch war, sondern gerade auf den Wechsel von Jojakim zu Jojachin und die rasche Wegführung des jungen Königs im Jahre 597 gemünzt war 2 6 . Daß Jeremia zu Lebzeiten Jojakims ungleich schärfer formulieren konnte (22,18aßb.l9), spricht nicht dagegen; daß auch das nicht erfüllte Unheilswort bewahrt wurde, spricht für den Propheten und gegen fundamentale Mißverständnisse der Prophetie. Wir haben es bei diesem ältesten Bestand mit einer Sammlung ohne größere kompositorische Ansprüche zu tun; die Zusammenstellung nach sachlichen und zeitlichen Gesichtspunkten spricht für sich selbst. Zwei Ausnahmen sind jedoch zu nennen. Da ist die kleine Komposition im Grundbestand von 2 2 , 2 4 - 3 0 nach dem Modell eines Klagerituals, die schon andernorts vorgestellt wurde 2 7 . Darüber hinaus ist die Anfangsstellung von V. 10 zu bedenken. War das ein Jojakim-Jojachinspruch, so 1287 | könnte man überlegen, ob er nicht ursprünglich an der chronologisch »richtigen« Stelle zwischen den Sprüchen über Jojakim und Jojachin stand, also nach V. 19, und erst von dem auf Joahas deutenden Deuteronomisten an den A n f a n g gestellt wurde. Das ist aber nicht wahrscheinlich, weil der V. 10 sich nach V. 19 viel härter mit dem Unheilswort V. 18*. 19 gerieben hätte, und weil der älteste dtr. Kommentator anders gar nicht auf seine Deutung gekommen wäre. Dann ist dieser Spruch der kleinen Sammlung von A n f a n g an, gewissermaßen als ein prophetischer Kommentar, vorangestellt: So muß man das Verhältnis von Jojakim und Jojachin jetzt, 597, verstehen.
4.2 Der erste deuteronomistische
Kommentar
Man kann darüber im Zweifel sein, ob nicht dem poetischen Bestand insgesamt oder doch überwiegend der Vorrang vor den Prosastücken gebührt, 24 CARROLLs (S. A n m . 19) Z w e i f e l daran sind verständlich, w e n n er zwischen den verschiedenen H e r a u s g e b e r n der S a m m l u n g nicht unterscheidet. 25
V g l . H E R M I S S O N (S. A n m . 2 2 ) , 2 6 8 f .
26
Vgl. aaO., 267f. Vgl. aaO. 2 6 4 - 2 6 6 ; 268f.
27
2. Die »Königsspruch«-Sammlung
im Jeremiabuch
AI
und wenn man den dtr. Bestand des Jeremiabuchs als Einheit versteht, hat W. Thiel zweifellos recht. Aber diese Einheit ist angesichts recht disparater Intentionen des gesamten Dtr.-Materials fraglich, und so ist auch hier zu überlegen, ob nicht verschiedene dtr. Stimmen zu Wort kommen: z. B. eine die Texte nur kommentierende Stimme, eine katechisierend-belehrende, schließlich eine (erst bedingt, dann unbedingt) verheißende. Solche Differenzierungen am begrenzten Material können selbstverständlich nur vorläufig sein; im Blick auf das ganze Jeremiabuch wäre das Material einerseits wohl noch weiter aufzufächern, andererseits manches auch auf das Konto einer dtr. Schule zu rechnen, deren verschiedene Stimmen zeitlich nicht so weit auseinanderliegen müssen. Ein reiner Kommentar des Deuteronomisten begleitet gerade die ältesten Stücke der jeremianischen Sammlung, und da diese die Adressaten ganz oder überwiegend nicht genannt hatte, war solcher Kommentar für spätere Leser auch notwendig. Die Spitzenstellung des voranstehenden Leitspruches hat der Kommentator zeitlich gedeutet und ihn daher auf Joahas-Schallum bezogen, für den j a eine vergleichbare Konstellation gegeben war: Josia gestorben, Joahas nach wenigen Monaten weggeführt. Die Deutung nach dem chronologischen Anordnungsprinzip von Sammlungen war naheliegend, gab auch einen guten Sinn, aber nicht den ursprünglichen, weil die älteste Sammlung viel eher auf eine Konstellation beschränkt war und ein unkommentierter Schallumspruch an der Spitze der Sammlung kaum lebensfähig, weil unverständlich gewesen wäre. Für spätere Leser, die Jojakims Bauwesen nicht mehr aus eigener Anschauung kannten, war aber auch die N e n n u n g des Adressaten der beiden Jojakimsprüche erforderlich. Der dtr. Kommentator gab sie in 1288 | V. 18aa und verknüpfte damit zugleich die beiden ursprünglich selbständigen, aber in der Sammlung bereits nebeneinanderstehenden Sprüche nach dem Modell von Scheltrede und Drohwort. Zuvor hat er den V. 17b ergänzt 2 8 und damit die Anklage von V. 13, vor allem das »ohne Recht und Gerechtigkeit«, nach seiner Kenntnis der Jojakim-Zeit ausgeführt und erläutert. A m stärksten hat er schließlich das dritte Spruchgebilde, vor allem den ersten Teil in V. 2 4 - 2 7 , kommentiert. Das war ganz natürlich, weil hier ein Bildwort des Propheten vorlag, dessen Konkretion aus dem Exilsgeschick des j u n g e n Königs samt der Königinmutter abzulesen war. Er mußte also nur die historischen Daten der Erfüllung eines bildhaften Unheilsworts nachtragen. In V. 2 8 - 3 0 hat er sich (angesichts des erneuten Bildworts) auf kleine kommentierende Bemerkungen beschränken können, da sich der Sinn aus dem Duktus des Gesamttextes und seiner bereits zuvor gegebenen historischen Deutung ergab.
28
T H I E L ( S . A n m . 1), 2 4 1 f.
48
Kapitel 1: Jeremía
Schließlich ist damit zu rechnen, daß 21,1-7 einmal am Ende dieser kommentierten Ausgabe stand. Das kann aber erst später erörtert werden 29 . 4.3 Die Erweiterung
der
Spruchsammlung
Eine Einzelheit spricht dafür, daß die Erweiterung der Sammlung um einige poetische Texte erst nach dem ersten dtr. Kommentar anzusetzen ist. Wenn der Verfasser von 21,12 die wichtigsten Stichworte seines Mahnworts aus dem Jojakimspruch bezogen hat, so gehört dazu auch die Wurzel pttiJJ, die erst in der dtr. Erweiterung 22,17b erscheint. Womit hat diese erweiterte Sammlung begonnen? Üblich ist die Annahme, V. IIa habe als Überschrift über der »vordtr.« Sammlung gestanden. Aber notwendig ist dieser Registraturvermerk nicht; die Adresse war ja sogleich aus dem Hör-Aufruf ersichtlich, und erst der Ergänzer von 21,8-10 mußte nach seiner Wendung zum Volk (V. 8) den erneuten Adressenwechsel notieren; dafür konnte er sich an der Einleitung von 22,6 orientieren. Die Annahme wird sich bei der Sichtung des weiteren dtr. Materials bestätigen; dort ist auch zu überlegen, ob der Redaktor dieser Sammlung 21,1-7 schon vorfand und vom Schluß an den Anfang rückte. Sein eigenes Anliegen ist eine erweiterte Auflage der Königssprüche Jeremias, und er hat sich dafür an einer bestimmten Thematik orientiert, deren Stichworte und Motive ihm durch die ältere Sammlung bereits vorgegeben waren. Das gerechte Gericht und die Zedern (als Bauholz) hat er dem Jojakimspruch 22,13-19 entnommen, der ganzen Sammlung das Klagemotiv. 1289 | Den einleitenden Spruch ( 2 1 , l l b . l 2 a b a ) hat er aus vorgegebenen Elementen selber komponiert und der Mahnung eine konventionelle Unheilsandrohung nach Am 5,6 u. a. (die gleiche Wendung in Jer 4,4) beigegeben. Damit hat er das Feuer als ein Motiv für die Beschreibung des Unheils, ein Stichwort, mit dem sich vortrefflich gegen das schon von Jeremia inkriminierte Zedernbauholz argumentieren ließ. Wenn man den schwierigen Kompositspruch 21,13.14b erst einmal beiseite läßt, so hat der Sammler diese Thematik jedenfalls in dem Gilead-Libanon-Spruch 22,6f. angetroffen, ihn ausdrücklich als Spruch über den Königspalast identifiziert und wörtlich genommen, was einst figürlich gemeint war: Jojakims Zedernbauholz muß ins Feuer! Die Zedern gehören sprichwörtlich zum Libanon, und das Stichwort »Libanon« in 22,6 ermöglichte dem Sammler einen weiteren Fund. Es ist der Aufruf zur Klage in 22,20-22a, der eigentlich nur die Randgebirge als Ort der übergroßen Klage nennen wollte. Aber nicht nur der Libanon erlaubte ihm die Zusammenstellung, sondern auch »Basan« als die sprichwörtliche ffaWlandschaft Gileads. Keine Frage, daß der Spruch 22,20-22a nicht von 29
S. unten 4.4.
2. Die »Königsspruch«-Sammlung
im Jeremiabuch
49
Waldgebieten als Brennholzlieferanten reden wollte und mit dem Holz der Gebirge überhaupt nichts im Sinn hatte, aber dem Sammler genügte die assoziative A n k n ü p f u n g , weil er thematisch mit dem Spruch das vorgegebene Leitmotiv »Klage« belegen und weiter ausführen konnte. Wahrscheinlich hat der gleiche Sammler/Redaktor aber auch die Verse 22,22b.23 als Kommentar beigegeben. Der Vers 22b ist ganz konventionell, soll aber offenbar mit an das TpiJTbs von V. 22a anknüpfen und mit dem Anklang die D,1T] qualifizieren. Dagegen könnte der Verfasser in V. 23 wieder einen bereits vorgegebenen Spruch verwendet haben. Was besagte der Vers hier, vor allem: Wer ist damit angeredet? Wäre der Adressat nicht im Femininum angesprochen, so könnte man V. 23a im jetzigen größeren Z u s a m m e n h a n g direkt auf Jojakim und seinen Palast samt dem »Libanonwaldhaus« beziehen. Solche assoziative A n k n ü p f u n g an Jojakims Wohnung »in den Zedern des Libanon« ist gewiß beabsichtigt, aber durch das in 2 2 , 2 0 - 2 3 verwendete »Libanon«-Material hat sich für den Sammler der Blickwinkel erweitert: Er denkt nun in der Tat an »Zion« oder »Jerusalem« - als den Ort jenes Königspalastes. Dann kann schließlich auch die Komposition des Spruchgebildes 21,13.14b auf den gleichen Autor zurückgehen. Wir treffen hier das Feuer im Wald (V. 14b) und dazu die »Bewohnerin«, nur im Kontrast die »Bewohnerin des Tals« statt der »Bewohnerin des Libanon« (21,13/22,23). Im Zusammenhang der Sammlung von Sprüchen über das Davidshaus muß an beiden Stellen doch wohl die gleiche Dame gemeint sein, aber wie soll das angehen, wenn sie, als Stadt, einmal im | 290 | Tal, einmal auf der Höhe liegt? Daß 21,13 keine angemessene Beschreibung der Ortslage Jerusalems ist, haben wir gesehen; das gilt für 22,23 auch. Aber der Zusammenhang der beiden Sprüche, als Klammer um den Jojakimspruch, könnte auch nur einen Wechsel der Perspektive andeuten und die Höhen- und Tiefenlage als metaphorische Rede miteinander versöhnen: Die hochmütige Libanonbewohnerin ist in Wirklichkeit, von Jahwe her gesehen, nur eine Talbewohnerin. Solche Deutung von 21,13 ist nur in der Komposition möglich; der Einzelspruch gibt sie nicht her. Für die Zugehörigkeit von 21,13.14b zur erweiterten Sammlung spricht auch der vorzügliche Anschluß von 22,6 an 21,14b. Die leichte Verschiebung vom Königspalast zum Residenzort in den beiden rahmenden Sprüchen kann freilich auch ein Indiz dafür sein, daß hier noch eine andere Hand die vorgegebenen Motive a u f g e n o m m e n und weitergeführt hat. Solche Unsicherheit ist nicht zu beheben, aber sie hat kein so großes Gewicht, wenn man erst einmal gesehen hat, daß ein mit vorgegebenem Material arbeitender Redaktor seine Texte nicht in logischer Stringenz anordnen und bearbeiten will. N u r darf man ihn in der Interpretation dann nicht auf jede Einzelheit festnageln. Gewichtiger ist die Frage, ob der »messianische« Spruch 23,5f. zur glei-
50
Kapitel 1: Jeremía
chen Schicht gehört. Ein Motiv für den Sammler, mit dem Anklang an Zedekia auch den letzten judäischen König - wenigstens im Kontrast - in der Sammlung zu repräsentieren, wurde schon genannt. Darüber hinaus aber erscheint hier ein letztes Mal das Leitmotiv »Recht und Gerechtigkeit«, und die ganze Wendung n p l U I ttSCE HtCUT ist sogar wörtlich aus der JosiaReminiszenz in 22,15 übernommen. Mit einem solchen Abschluß hätte die Sammlung ihr Thema abgerundet: Sie hätte nach M a h n u n g und Drohung sowie Feststellung von Versagen und Untergang des Königtums noch eine Zukunftsperspektive gewonnen und erst damit auch Aktualität für eine Gegenwart, die den Untergang des davidischen Königshauses nicht mehr unmittelbar vor Augen hatte. Daß die beiden Verse den Z u s a m m e n h a n g von 2 3 , 1 - 4 und 2 3 , 7 - 8 sprengten, kann man dagegen nicht einwenden, denn einmal ist dieser Z u s a m m e n h a n g nicht so eng, und zum andern konnte ein Redaktor die verschiedenen Aussagen kaum anders anordnen: Der Weheruf mit nachfolgender Verheißung gehörte j a vor die reine Verheißung, in V. 7f. aber ging es gar nicht mehr um das Königtum, sondern um die Heimkehr des Volkes als der in alle Länder versprengten Herde von V. 4. Zwar ist das Interesse von 23,5f. deutlich ein anderes als das von 2 3 , 1 - 4 . 7 - 8 , aber der Spruch stand doch auch nicht im direkten Widerspruch dazu. Wenn die Wendung »... einen erfolglosen Mann in seinen Tagen« in 22,30 ursprünglich war 30 , konnte der Autor mit der Einlei-1291 | tung »Siehe, Tage kommen ...« interpretierend und den ursprünglichen Sinn korrigierend daran anknüpfen 3 1 .
4.4 Die übrigen dtr. Texte und die spätdeuteronomistische
Redaktion
Wann der einleitende Königstext, das unbedingte Unheilswort über Zedekia Jer 2 1 , 1 - 7 , der Sammlung vorangestellt wurde, kann in diesem Zusammenhang nur vorläufig erörtert werden. Sicher erscheint mir, daß 2 1 , 1 - 7 nicht ursprünglich mit dem Wort an das Volk in 2 1 , 8 - 1 0 , das ein wenig ungeschickt angehängt ist 32 , zusammenhing, nun aber von dessen Verfasser vorausgesetzt wird. Man kann jedoch überlegen, ob der Text schon zur ersten dtr. Sammlung (s. oben 4.2) gehörte, da anscheinend auch hier ein Jeremiaspruch 3 3 ausführlich kommentiert wurde. Dann müßte er nach dem
30
So HERMISSON (S. A n m . 22), 2 6 3 f . In der S a c h e ä n d e r t e es n i c h t s , w e n n d i e W e n d u n g in 2 2 , 3 0 s e k u n d ä r w ä r e - so die g ä n g i g e M e i n u n g : D a n n hätte der A u t o r v o n 2 3 , 5 f . s e i n e n S p r u c h d a m i t v o r b e r e i t e t . D o c h ist m i r die e r s t e M ö g l i c h k e i t n a c h w i e v o r w a h r s c h e i n l i c h e r . R e d a k t i o n s g e s c h i c h t l i c h nötigt die L ö s u n g d a n n d a z u , d e n Z u s a t z '131 3ttr 2TX z u e r k l ä r e n . S. d a z u u n t e n S. 53. 11
32 D a s J a h w e w o r t , d a s J e r e m i a a n d e n K ö n i g a u s r i c h t e n läßt, w i r d in V. 8 w i e d e r zu einem Wort an Jeremia. 33 In 2 1 , 4 e t w a T B H - J i r f b x TOinS p n ü n a n b a n ^ " n x a o n MJH. D e r D o p p e l v i e r e r s c h e i n t m i r d e r e t w a s l ä n g e r e n R e k o n s t r u k t i o n T H I E L S ( S . A n m . 1), 2 3 3 , v o r z u z i e h e n zu sein.
2. Die »Königsspruch«-Sammliing
im Jeremiabuch
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chronologischen Anordnungsprinzip dieses Redaktors am Schluß gestanden haben und in der nächsten Redaktion von der messianischen Verheißung 23,5f., die an 22,30 anknüpfte, von seinem Platz verdrängt worden sein. In der erweiterten Sammlung (s. oben 4.3) hätte das Unheilswort an Zedekia mit der Verheißung des p t ^ - K ö n i g s den Rahmen gebildet; der Anschluß von 2 1 , l l b . l 2 f f . an 2 1 , 1 - 7 wäre kein Problem. Eine solche Einleitung hätte dem Verfasser der erweiterten Sammlung mit Jahwes Grimm (Hön V. 5) ein Stichwort für das Drohwort seines Eingangsspruchs (V. 12b) hergeben können. Der Charakter der erweiterten Sammlung wäre durch den »Zedekia«Rahmen nur noch unterstrichen, das Leitthema »Recht und Gerechtigkeit« war j a mit dem N a m e n des letzten judäischen Königs nahegelegt. Aber das alles kann hier nur eine Vermutung für den begrenzten Z u s a m m e n h a n g sein; die ungelösten Deuteronomismus-Probleme des ganzen Jeremiabuchs könnten auch zu einer anderen Lösung führen. - Hier muß genügen, daß 2 1 , 1 - 7 jedenfalls von 2 1 , 8 - 1 0 schon an dieser Stelle am Anfang der Sammlung vorausgesetzt wird. Von der Gesamtanalyse des Jeremiabuchs abhängig ist auch die Frage, ob die restlichen Stücke im dtr. Gewand alle auf einer Ebene liegen. Es gibt aber einige Anzeichen dafür, daß wenigstens 2 1 , 8 - 1 0 und | 292 122,1-5 der gleichen Überlieferungsschicht angehören, und unter dem Aspekt gebotener Aktualität kann auch die Z u k u n f t s h o f f n u n g in 2 3 , 1 - 4 . 7 - 8 hinzugerechnet werden. Denn es scheint mir keine Frage, daß diese Überarbeitung und Erweiterung der Königsspruchsammlung frühestens in frühnachexilische Zeit gehört. Die beiden Textabschnitte 2 1 , 8 - 1 0 und 2 2 , 1 - 5 sind zunächst darin miteinander verbunden, daß sie die Adressaten vor eine Alternative stellen. Dem Volk wird mit einer spätdeuteronomistischen Wendung (vgl. Dtn 30,15) die Alternative von Leben und Tod angeboten, dem Königtum und dem Volk die Aussicht auf ein künftiges davidisches Königtum oder die Verwüstung »dieses Hauses«. Beide Abschnitte knüpfen an den vorgegebenen Text an, der erste mit der Fortsetzung der Königsbotschaft für das Volk an 2 1 , 1 - 7 , zugleich mit der Androhung der Verbrennung der Stadt (als mittlerweile historischer, aber stereotyp so formulierter Gegebenheit) an das Feuer-Motiv der erweiterten Sammlung. Die A n k n ü p f u n g von 2 2 , 1 - 5 an 21,12 ist evident und längst erkannt. Es handelt sich aber nicht um die Parallelüberlieferung eines Jeremiaworts im dtr. Gewand, sondern um eine literarische Weiterbildung eines seinerseits erst literarisch gebildeten Eingangsspruchs (oder Mottos) einer Sammlung. Gegenüber der Formulierung in 21,12 fallt vor allem der positive Zukunftsaspekt von 22,3f. auf; das bleibt freilich eine Hoffnung, deren Bedingung, vom Ende her gesehen, in der Vergangenheit nicht erfüllt wurde, wie das Beispiel »Jojakim« belegt. Daß der Text nicht zur ältesten dtr. Schicht gehört, zeigt auch die fast
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Kapitel 1: Jeremía
w ö r t l i c h g l e i c h l a u t e n d e V e r h e i ß u n g v o n » K ö n i g e n ( ), d i e d a s i t z e n a u f d e m T h r o n D a v i d s , d i e f a h r e n m i t W a g e n u n d P f e r d e n « in d e r s p ä t e n S a b b a t P r e d i g t Jer 1 7 , 1 9 - 2 7 (V. 2 5 ) . V e r g l e i c h b a r ist d a r ü b e r h i n a u s in b e i d e n Texten die Alternative von bedingter Verheißung und bedingter D r o h u n g , wobei d i e letztere g e n a u d i e ( l e t z t e n E n d e s a u s A m 1 s t a m m e n d e ) D r o h f i g u r v e r w e n d e t , d i e d e r A u t o r v o n 2 1 , 1 4 b e i n g e b r a c h t hatte: n b s N I ... ' 3 m Tism. D a s h e i ß t : D e r dtr. A u t o r v o n 2 2 , 1 - 5 u n d 1 7 , 1 9 - 2 7 kannte s c h o n 2 1 , 1 4 b u n d h a t d i e D r o h u n g m u t a t i s m u t a n d i s a u c h in s e i n e r S a b b a t p r e d i g t v e r w e n d e t 3 4 . In d e r N e u f a s s u n g u n d I n t e r p r e t a t i o n d e s v o r a n g e h e n d e n S p r u c h s 2 1 , 1 2 f f . m u ß t e er d i e s e n Teil n i c h t w i e d e r h o l e n , w e i l er d a s F e u e r m o t i v , d i e v e r b r a n n t e Stadt, s c h o n in s e i n e r e r s t e n E r w e i t e r u n g 2 1 , 8 - 1 0 u n t e r g e b r a c h t h a t t e u n d es ü b e r d i e s i m n ä c h s t e n S p r u c h d e r v o r g e g e b e n e n S a m m l u n g , 2 2 , 6 f . , v o r f a n d . I m ü b r i g e n h a t s i c h d e r A u t o r d i e s e r S c h i c h t k r ä f t i g in d e r dtr. T e m p e l r e d e , J e r 7, b e d i e n t . 1293 | W. Thiel hatte alle hier erwähnten dtr. Texte der gleichen Redaktion des Jeremiabuchs um die Mitte des 6. Jh.s zugewiesen. Das stößt in unserem Zusammenhang auf Schwierigkeiten wegen der inneren Schichtung der Sammlung, und dazu kommt mit der Parallele in 17,19-27 eine Sachfrage. Der Hauptstrom dtr. Texte des Jeremiabuchs erhebt massive und stereotype Vorwürfe gegen Israel - ganz überwiegend geht es um die Verletzung des Ersten Gebots. Die Verletzung des Sabbatgebots wäre nur an dieser einen Stelle geltend gemacht und sonst nicht so wichtig genommen. Das ist bei der bewußten Monotonie dieser Predigtsprache (und -themen) nicht gerade wahrscheinlich. Dazu kommt eine Einschätzung der Opfer in 17,26, die sich von Jer 7,21 ff. dtr. entschieden abhebt, vielleicht sogar eine Korrektur jener Aussage im Sinn hat. Eine genauere zeitliche Einordnung dieser Schicht ist mit dem begrenzten Material und angesichts der Unsicherheiten aller externen Anhaltspunkte kaum möglich. Die Sabbatpredigt von Jer 17 wollte B. Duhm in eine Zeit datieren, in der man Nehemias Sabbatreform schon wieder vergessen hatte, P. Volz in die Zeit Maleachis, während W. Rudolph (wie W. Thiel) sie zur Quelle C rechnete. Geht man von der letztgenannten Zuweisung ab, so ist doch mit dem Anhaltspunkt »Sabbat« nicht viel zu gewinnen. Die Datierung der Sabbat-Aussagen im Ezechiel-Buch ist strittig (Ez 20 passim; 22,8; 22,26; 23,38), doch wird die Anklage Israels wegen Entweihung der Sabbate auf den Propheten zurückgehen. Mit der Gerichtsrede von Ez 20 hat freilich Jer 17,19ff. nichts gemeinsam. Vielleicht hat erst die Priesterschrift 3 5 den besonderen Rang von Sabbat und Beschneidung durchgesetzt. Wenn man sie in die Zeit zwischen 538 und 520 ansetzt, wäre damit ein Terminus a quo für derartige Sabbatpredigten gewonnen, nicht mehr, da der Sabbat nachexilisch j e länger j e mehr Bedeutung erlangt. Ein Terminus ad quem ließe sich gewinnen, wenn die verbrannte Stadt und der verbrannte Königspalast noch zur Gegenwart des Verfassers gehörte. Dann käme man am ehesten in die Zeit vor 520 und in die Nähe von P.
34 Er hat aber anscheinend auch im Amosbuch die Drohung für Jerusalem nachgelesen, vgl. Am 2,5. Daß Arnos dem Autor dieser Schicht verfügbar war, beweist darüber hinaus die Abschlußwendung in 21,10: »Ich richte meine Augen auf diese Stadt zum Bösen und nicht zum Guten« nach Am 9,4. 35 Ich will mich jetzt nicht streiten: Hier täte es auch eine priesterschriftliche Redaktion.
2. Die »Königsspruch«-Sammlung
im Jeremiabuch
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Die Beziehung dieser Schicht zur voraufliegenden Sammlung zeigt sich auch in einigen Details. Der Verfasser hat die Überleitungs- und Einleitungswendung »(zum) Haus des Königs von Juda« 3 6 in 21,11a und 22,1 aus 22,6 bezogen und dabei ¡V3 in 22,1 als »Palast«, in 21,11a als »Dynastie« verstanden. Die für IT 2 sonst geläufige Doppelbedeutung ist freilich im Zusammenhang dieser Wendung nicht korrekt. Es gibt keine »Dynastie des Königs von Juda«, sondern nur eine Daviddynastie, T R JT3. Der Redaktor der erweiterten Sammlung hatte das offenbar noch unterschieden (21,12/ 22,6).
Gewichtiger ist die Korrektur von 22,30. Wir haben oben die Frage offen gelassen, wer das in V. 30 überschüssige (1) I H 3t£T ETX eingefügt hat. Ein Blick auf die ganze Sammlung belehrt uns 1294 | rasch: Die Wendung kommt nur noch in 2 2 , 2 - 4 vor 3 7 . Dann dürfte der Autor dieses Textes sie auch in 22,30 eingesetzt haben, im Blick auf eine Erwartung, die er selber beizutragen hatte. Das nächste dtr. Stück, 2 2 , 8 - 9 , gehört zunächst zu einer über das Jeremiabuch verstreuten Gruppe von Texten im Frage-Antwort-Schema, die j e desmal die Katastrophe kommentieren und mit Israels Bundesbruch, Gesetzesübertretung und Abfall zu fremden Göttern erklären 3 8 . Die Schichtenzuordnung kann also nur im Z u s a m m e n h a n g dieser Textgruppe erfolgen und ist hier nicht zu leisten. Mit der Bezeichnung der Katastrophe - dem Untergang der Stadt Jerusalem - paßt der Text durchaus in den Duktus von 2 1 , 8 10 und, wenn man den Trümmerhaufen des Palastes als pars pro toto nimmt, auch zu 2 2 , 1 - 5 . Daß sich das Interesse der dtr. Texte mehr auf Volk und Stadt richtet, hat schon W. Thiel 3 9 beobachtet. Dagegen hat die stereotype Begründung mit der Verletzung des Ersten Gebots in dieser ganzen Sammlung keinen Anhalt. Der Spruch ist also auch ein Beispiel für ein redaktionelles Verfahren, dem ein Anhaltspunkt im Kontext genügt; die Erklärung, die ihm für die Katastrophe so geläufig ist, muß sich dann nicht zur Thematik der Scheltrede dieser Sammlung fügen. Anders steht es mit der letzten dtr. Erweiterung, 2 3 , 1 - 4 . 7 - 8 . Der Text knüpft mit seinem Weheruf über die Hirten an die Klage über die Hirten in 2 2 , 2 0 - 2 2 a (V. 22a) an. Er verbindet damit das in der eschatologischen Prophetie verbreitete Motiv der Sammlung der zerstreuten Herde (vgl. Mi 4,6; Zeph 3,19; am ausführlichsten und ebenfalls mit dem Weheruf über die Hirten Ez 34). Eigentümlich aber ist die Verheißung besserer Hirten, die Jahwe einsetzen wird 4 0 , im Unterschied zu Ez 34, wo Jahwe selbst seine 36
Diese Wendung findet sich noch Jer 27,18.21; 32,2; 38,22; immer vom Palast, nur 21,11 wäre auf die Dynastie zu beziehen. 37 Sonst Jer 13,13; 17,25; 29,16; 36,30; vgl. 33,17.21. 38 Jer 5,18f.; 9,11-13; 16,10-13; 22,8-9; vgl. Dtn 29,21-27; lKön 9,8-9. 39 THIEL (s.Anm. 1), 239. 40 So noch Jer 3,15, ein Text, der auch einer späteren dtr. Schicht angehören dürfte.
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Kapitel
1:
Jeremía
Herde zu weiden verspricht. Der Text stimmt darin mit der bedingten Zusage von 22,1-5 überein, daß er von einer Mehrzahl künftiger Herrscher spricht. Er unterscheidet sich darin, daß er das Thema »Recht und Gerechtigkeit« (als Königstugend und dann auch Tugend des Volkes) nicht noch einmal aufnimmt. Von da aus gesehen könnte man geneigt sein, 23,5f. als die passende Ergänzung zu 22,1-5 anzusehen, aber der dtr. Stil ist 22,1-5 und 23,1-4.7-8 gemeinsam, nicht 23,5f. Wenn der Verfasser von 22,1-5 in 17,19ff. das Sabbatthema der Priesterschrift aufgenommen hat, so knüpft 23,1 ff. mit dem Motiv »sie werden fruchtbar sein und sich mehren« (V. 3) an eine | 295 | stereotype Wendung jener Pentateuchquelle an 41 . Wenn also stilistische Gemeinsamkeiten für den Zusammenhang von 22,1-5 und 23,14.7-8 sprechen, so hat sich der Bearbeiter des Textes in seiner Zukunftshoffnung offenbar mit der Qualifikation des künftigen Königtums begnügen können, die er in seiner Vorlage bereits vorfand. Daß er jene »messianische« Verheißung mit der Mehrzahl der Hirten faktisch korrigierte, brauchte ihn nicht zu stören: ein ausdrücklicher Widerspruch lag ja nicht darin. Und wenn er statt der Könige die Hirten nannte, so war das durch das vorgegebene Bild bedingt. In diesen Zusammenhang dürfte aber auch seine Korrektur in 22,30 gehören. Die in 22,1-5 angebotene Alternative war faktisch zum Negativen hin entschieden: Keiner mehr auf Davids Thron! Vielleicht soll man das mit der Negativwendung in 22,5 sogar wörtlich nehmen: mit dem Palast war auch der Thron verbrannt. Aber »Hirten« würde Jahwe dem Volk wieder geben - das läßt ja die Herkunft kommender Könige noch in der Schwebe. Es läßt auch offen, daß nach dem vorgegebenen Spruch 23,5f. darunter ein Sproß Davids sein könnte. N a t u r g e m ä ß ist der V e r s u c h , dtr. S c h i c h t e n in e i n e m b e g r e n z t e n Teil d e s Jeremiab u c h s zu b e s t i m m e n , am p r o b l e m a t i s c h s t e n . Immerhin haben sich I n d i z i e n dafür erg e b e n , daß nicht a l l e s dtr. Material g l e i c h z e i t i g und s c h o n u m die Mitte d e s 6. Jh.s entstand; d i e s e D a t i e r u n g k o m m t am e h e s t e n für die ersten, die Jeremiatexte nur k o m m e n t i e r e n d e n dtr. Partien in Betracht. A n d e r e r s e i t s b i e t e n die hier untersuchten T e x t e auch k e i n e n A n l a ß zu einer Spätdatierung, w i e sie K. F. P o h l m a n n gerade im B l i c k a u f Jer 2 1 , 1 - 1 0 und Jer 2 4 für s e i n e » g o l a o r i e n t i e r t e R e d a k t i o n « a n n a h m 4 2 . Ü b e r Jer 2 4 und 4 4 ist hier nicht zu urteilen, aber w e d e r ist Jer 2 1 , 1 - 1 0 e i n e urs p r ü n g l i c h e Einheit, n o c h besteht über den T o d Z e d e k i a s hinaus ein e n g e r e r Z u s a m m e n h a n g z w i s c h e n 2 1 , 1 - 7 . 8 - 1 0 und Jer 2 4 . Der a n g e n o m m e n e kompositioneile Zus a m m e n h a n g gibt k e i n e Erklärung für die in 2 3 , 9 f f . z w i s c h e n e i n g e k o m m e n e Prophetenspruchsammlung.
41 Die Wendung mit der Verknüpfung der beiden Verben HIB und H31 erscheint außerhalb von P nur noch Ez 36,11 (als sekundäre, noch in G fehlende Glosse, vgl. ZIMMERLI [Anm. 9], 856 z. St.) und Jer 3,16 (im hif. vgl. noch Lev 26,9). Jer 3,16 gehört zur gleichen spätdeuteronomistischen Schicht wie Jer 3,15 (vgl. Anm. 40), vgl. noch das 115J natC'K 1 ? in Jer 3,16 und 23,7. 42 Studien (s. Anm. 2), 19-47.
2. Die »Königsspruch«-Sammlung
im Jeremiabuch
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4.5 Klammern Ein geringer Rest fehlt noch in der von der ursprünglichen Septuaginta bezeugten Version und gehört damit wohl in die letzte Phase der Textentwicklung bis zur »Endgestalt«. Ich beschränke mich hier auf zwei Stellen, an denen M und G* differieren, weil manches andere auch auf ein unterschiedliches Stilempfinden zurückgehen mag. 21,12bß und | 296 121,14a aber sind bewußt eingefügt, um noch einmal einen großen Bogen zu schlagen und den Anfang der Sammlung mit ihrem Ende zu verknüpfen. Wenn es am Ende im Weheruf hieß: »Ich suche heim die Bosheit ihrer Taten« (23,2), so schien dem letzten Bearbeiter solch ausdrücklicher Hinweis auf menschliche Schuld als Ursache des Jahwegerichts auch in 21,12.14 notwendig. Daß in beiden Fällen die vorgegebene Aussage vergröbert wird, ist evident: Es war ja erst eine ernste Warnung (V. 12), und es war im Zitat V. 13 der implizite Vorwurf des Hochmuts, nicht der bösen Taten. Aber wer die ganze Sammlung gelesen hatte, wußte schon, wie »Judas Königshaus« sich verhalten hatte (und wäre es faktisch auch nur der »hochmütige« Jojakim gewesen).
5.
Ergebnisse
Ohne alle Kautelen ist das Ergebnis der redaktionsgeschichtlichen Untersuchung einfach zusammenzufassen: 5.1 Am A n f a n g stand eine Sammlung von Jeremia-Sprüchen über Jojakim und Jojachin. Dazu gehörten Jer 22,10; 22,13-17a; 22,18aßb. 19; 22,24*.26*.28-30*. Beiden Königen hatte der Prophet Unheil anzusagen, aber das Thema der Sammlung ist doch viel mehr die Klage: die dem einen, dem weggeführten Jojachin, gebührt, dem anderen, dem gestorbenen Jojakim, zu verweigern ist. Nach dem Muster eines Klagerituals war denn auch schon das Jojachinspruchgefüge im ganzen ( 2 2 , 2 4 - 3 0 * ) komponiert. Mit dem Klagegebot wurde von dem angekündeten Unheil kein Stück zurückgenommen, im Gegenteil: Der Eingangsspruch 22,10 in seinem ursprünglichen Bezug auf die beiden folgenden Könige sagte unzweideutig, daß über »Jojachin« (und nicht über Jojakim) die Totenklage anzustimmen sei. Diese Sammlung gehört mit ihrem ganz aktuellen Anspruch in das Jahr 597. 5.2 Eine erste dtr. Bearbeitung der Sammlung hat sich darauf beschränkt, die Jeremiaworte zu kommentieren und vielleicht ein Wort über den letzten König, Zedekia, hinzuzufügen. Die kommentierte Spruchsammlung hatte jetzt folgenden Umfang: Jer 2 2 , 1 0 - 1 2 ; 2 2 , 1 3 - 1 9 ; 22,24-29.30*; dazu vielleicht 2 1 , 1 - 7 (am Ende). Sie hat den Anfangsspruch auf Joahas gedeutet in der verständlichen, aber irrtümlichen Annahme einer chronologischen Anordnung der ganzen Sammlung. Darüber hinaus gibt der Bearbeiter fast nur
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Kapitel 1: Jeremía
den notwendigen historischen Kommentar: Namen und Erfüllungsfakten. Zu Jojakim hat er wenig zu sagen, nur seine Ungerechtigkeit ist noch mit weiteren Daten zu belegen (V. 17b). Viel mehr interessiert ihn das Geschick Jojachins. Er weiß noch, daß sein Schicksal dem des Joahas vergleichbar war; darum kann er es mit Elementen des ersten (von ihm auf Joahas | 297 | gedeuteten) Spruches näher beschreiben 43 . Nachdem er einmal in der Sammlung eine chronologisch angeordnete Königsspruchreihe sah (und nicht nur die Komposition zu einer geschichtlichen Konstellation), lag es nahe, auch noch einen Zedekiaspruch beizufügen. Ein unmittelbares Zedekia-Wort Jeremias stand ihm offenbar nicht zur Verfügung, vielleicht statt dessen ein entsprechendes Element der erzählenden Jeremia-Überlieferung 44 ; jedoch hat er ein Jeremiawort zur Einnahme der Stadt (21,4*), mit der ja das Schicksal des Königs besiegelt war, weiter ausgeführt. So ist, aufs ganze gesehen, die Annahme naheliegend, daß 21,1-7 am Ende seiner Sammlung stand. An Jeremias uneingeschränktem Unheilswort über das Königtum und insbesondere über Jojachin und seine Nachkommen hält er fest. Das Unheilswort kommentierend kann er die Nachricht vom Tod Jojachins beisteuern (natürlich ohne aus dem Stil der Weissagung zu fallen). Man wird diesen »kommentierenden« und das Jeremiawort im ganzen treu bewahrenden Deuteronomisten daher nicht lange nach Jojachins Tod anzusetzen haben. 5.3 Ein ganz anderes Interesse hat der Redaktor der erweiterten Sammlung. Er sucht weitere Sprüche (Jeremias - oder was er dafür hält) zu diesem Zusammenhang, aber er setzt vor allem an die Stelle der chronologischen Anordnung sein thematisches Anliegen: »Recht und Gerechtigkeit« als Königstugend und Fundament heilvoller Zukunft. Seine Königsspruchsammlung umfaßt jetzt: Jer 21,1-7 (am Anfang); 21,11 b-12abcx.( 13.14b); 22,6-7; 22,10-12; 22,13-19; 22,20-22a.(22b-23); 22,24-29.30*; 23,5-6. Seine Themastichworte wie die Maßstäbe für die Erweiterung der Sammlung hat er vor allem dem ersten Jojakimspruch Jeremias entnommen. Seine neugefundenen Sprüche haben es alle nicht oder nur am Rande (22,22a) mit dem Königtum zu tun, auch nicht mit dem Königspalast, mit Jerusalem allenfalls einer 45 . Aber da der Jojakimspruch das Thema »Königspalast« vorgegeben hatte und dafür die Zedernholzbauweise als Zeichen von Überheblichkeit, hat er allerlei »Libanon«- und »Zedern«-Material angelagert, das nunmehr den brennenden Palast (22,6f.) und die untergehende und brennende Stadt (22,20-23; 21,14) anzeigen sollte. Das Feuermotiv war natürlich ein geschichtliches Datum, aber er belegte es in seinem selbstformulierten Eingangswort mit einem konventionellen Drohspruch. Das Klagemotiv der je-
43 44 45
Vgl. V. 10b und V. 27; auch V. 26 • m ' r Vgl. Jer 37,17. 2 2 , 2 0 - 2 3 a ; ursprünglich aber eher Israel.
2. Die »Königsspruch«-Sammlung im Jeremiabuch
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remianischen Sammlung schließlich fand er in einem anderen »Libanon«Spruch, den er auf Jerusalem gedeutet hat. | 298 | Er unterstreicht, daß das bisherige Königtum aus Mangel an Recht und Gerechtigkeit zugrunde gehen mußte, aber er läßt es dabei nicht bewenden. Den »Tagen des Jojachin« (22,30) werden andere Tage folgen, Tage eines wirklichen »Zedekia«. Den ihm wahrscheinlich an dieser Stelle schon überlieferten Zedekiaspruch 21,1-7 hat er an den Anfang gestellt und durch 23,5f. ersetzt: Der Kontrast bildet einen wirkungsvollen Rahmen seiner Sammlung. Zeitlich kann man diesen Sammler in der spätexilischen oder frühnachexilischen Epoche ansetzen. 5.4 Eine zweite dtr. Redaktion hat dann 2 1 , 8 - 1 0 . I I a ; 22,1-5 und 2 3 , 1 4.7-8 nachgetragen (dazu in 22,30 die Wendung »einen, der auf Davids Thron sitzt«). In einer Neufassung des Mottos der erweiterten Sammlung formuliert sie die Alternative, an der das davidische Königtum - belegt durch Jojakims Verhalten - versagt hat, aber darüber hinaus das Volk (22,15). Für das Volk zur Zeit der letzten Belagerung Jerusalems gab es ebenfalls eine - tödliche - Alternative: entweder mit der Stadt unterzugehen oder zu den Chaldäern überzugehen (21,8-10). Die vorgefundene Zukunftserwartung hat diese Redaktion modifiziert und korrigiert, indem sie an ein Stichwort der erweiterten Sammlung anknüpfte: Jahwe wird dem aus allen Ländern gesammelten Volk - d. h. denen, die damals nicht in Jerusalem geblieben und untergegangen waren - Hirten geben, nicht nur jenen einen Zukunftskönig. Mit der endgültigen Verwerfung der Jojachiniden kann diese Redaktion das so vereinbaren, daß darin gemeint war, niemand werde jemals wieder auf Davids Thron sitzen - vielleicht hat der Redaktor das sogar wörtlich verstanden wissen wollen. Diese Redaktion ist viel stärker am Geschick des zerstreuten Volks interessiert. Sie ist frühestens in frühnachexilischer Zeit anzusetzen, möglicherweise auch später; da erhebliche Teile dieser Redaktion außerhalb der Königsspruchsammlung liegen, ist ein abschließendes Urteil nach dem begrenzten Bestand nicht möglich. Das gleiche gilt für den letzten dtr. Zusatz, 22,8-9, der in einer Reihe mit ganz ähnlichen Frage-Antwort-Texten im Jeremiabuch steht und die Katastrophe mit Israels Versagen am Ersten Gebot erklärt - ein Thema, das in der ganzen Sammlung sonst keine Rolle spielt. 5.5 Zur Vollendung der Endgestalt gehören, wenn man auf reine Textfehler verzichten kann, dann nur noch zwei kurze Bemerkungen in 21,12bß und 21,14a, durch die der Text enger mit dem Schluß (23,2) verklammert und das Unheil ausdrücklich auf die bösen Taten - speziell der Könige? 46 - zurückgeführt wird. 1299 | 46 An wen hat der Verfasser von 21,14a bei der Lektüre von 21,13 gedacht? Da er 23,2 a u f n i m m t , vielleicht auch hier an das Königtum.
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Kapitel 1: Jeremía
6. Moral Die verschiedenen Stimmen in der Geschichte des Textes sprechen für sich selbst. Sind sie nicht alle in der Endgestalt versammelt? Das kommt darauf an, wie man die Endgestalt auffaßt - als neue Einheit oder als Endstation einer langen Textgeschichte. Der Endredaktor wäre ohne allen Zweifel mit so vielen Sinngebungen gänzlich überfordert. Aber wer ist das überhaupt? Der, der zufallig die letzte Hand an den Text legte - in 21,12bß. 14a? Da auch das hypothetisch bliebe, kann, wenn Sicherheit gefragt ist, doch nur das fertige Produkt gemeint sein. Das aber trägt die deutlichen Spuren einer langen Geschichte, und man muß sie aufsuchen, wenn man die Endgestalt deuten will. Man kann die Aufgabe freilich einschränken. Was die großen Linien betrifft, so ist die letzte Ausgabe allerdings »einstimmig«: Vieles ist einfach additiv-ergänzend hinzugetreten und kann als solches zur Kenntnis genommen werden, auch wenn die besonderen Akzente der einzelnen Stimmen darin untergehen. Vieles, aber nicht alles. Gerade die Detailfreudigkeit nicht erst unserer Exegese muß sich durch die Redaktionsgeschichte belehren lassen, welche scharfsinnigen Beobachtungen und Folgerungen angesichts der Endgestalt historisch unsinnig sind, auch im Rahmen »kanonischer« Auslegung, wenn denn der Kanon eine historische Größe ist. Nur ein Exempel: Die »unbewohnten Städte« von 22,6 oder die »Talbewohnerin« von 21,13 wie die »Libanonbewohnerin« von 22,23 sind jetzt tote Motive, und man muß dann nicht mehr fragen, wie ein Palast zu »Städten« werden kann. Die letzte größere Redaktion hat ihre Akzente gesetzt, aber nicht alles Widersprüchliche ausgeglichen; das soll auch die Exegese nicht tun und wenigstens in der Endgestalt nicht mehr versuchen, das Gras wachsen zu hören. Ob solcher Scharfsinn an einem als Einheit verstandenen Text in einem anderen Bezugssystem »Sinn« ergibt, ist hier nicht zu untersuchen. Aber die Folge ist jedenfalls deutlich: Die Texte verlieren ihr eigenes Gewicht und dienen nur noch als Spiegel für ein selbständig gewordenes System von Glaubenssätzen. Daß Glaubenssätze einmal daraus erwachsen sind, könnte die Sache freilich reizvoll machen. Aber wenn unterschiedliche Traditionsbildungen sich auf den Kanon berufen, dann ist ein Gespräch nur über den historischen Sinn der Texte möglich und die Unterscheidung der historischen von einer weitergehenden Sinngebung nötig.
3. Kriterien »wahrer« und »falscher« Prophetie im Alten Testament Zur Auslegung von Jeremia 23,16-22 und Jeremia 28,8-9* Über das Thema »Wahre und falsche Prophetie im Alten Testament« ist zuzeiten viel geschrieben worden 1 , so daß das allgemeine Problem jetzt nur in den Grundzügen, hier und da mit einem neuen Aspekt, darzustellen ist. Seinen alttestamentlichen Schwerpunkt hat es ohnedies im Jeremiabuch, und darum geht es im folgenden vor allem um einige Fragen der JeremiaAuslegung. Die Konzentration der Thematik um Jeremia hängt mit den Erfahrungen gerade dieses Propheten zusammen. Die wiederkehrende Hochkonjunktur des Themas ist nicht verwunderlich: Der jeweils aktuelle Wahrheitsanspruch von Prophetie gehört zu den bleibend beunruhigenden Fragen jeder Religion, in der »Propheten« auftreten oder eine vergleichbare Instanz tätig wird. Die Frage betrifft ja nicht so sehr ein erkenntnistheoretisches oder nur prognostisches Problem, sondern zielt auf das jetzt richtige Verhalten - auch da, wo Propheten etwas vorhersagen. In säkularisierter Gestalt begegnet sie darüber hinaus ganz allgemein: als Frage nach einer zuverlässigen und verbindlichen Analyse der Situation und nach einer verbindlichen Anweisung, was in dieser Lage zu tun sei. In den Religionen erscheint solche Verhaltensmaßregel als der Wille Gottes oder der Götter, und der Streit darüber, was denn in einer bestimmten geschichtlichen Situation oder einer aktuellen ethischen Frage »Gottes Wille« sei, geht bis in unsere Tage weiter. Wenn man heute in der theologischen Fakultät die Antworten eher beim Ethiker sucht und | 122 | der Titel »Prophet« nicht mehr offiziell vergeben wird, so ist doch der prophetische Anspruch unter uns nicht verstummt und kann das wohl auch nicht, solange die großen und immer wiederkehrenden Zweifelsfragen sich gegen eine allgemeingültige oder
* Gerhard Sauter zum 60. Geburtstag. 1 Eine klassische Arbeit zum Thema stammt von G. QUELL, Wahre und falsche Propheten. Versuch einer Interpretation (BFChTh 46/1), Gütersloh 1952; vgl. weiter F. L. HOSSFELD / I. MEYER, Prophet gegen Prophet. Eine Analyse der alttestamentlichen Texte zum Thema: Wahre und falsche Propheten (BiBe NF 9), Fribourg 1973; G. MÜNDERLEIN, Kriterien wahrer und falscher Prophetie. Entstehung und Bedeutung im Alten Testament (EHS.T 33), Frankfurt u . a . 2 1979 (Lit.); I. MEYER, Jeremia und die falschen Propheten (OBO 13), Fribourg - Göttingen 1977; aus älterer Zeit G. VON RAD, Die falschen Propheten, ZAW 51 (1933), 109-120.
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Kapitel 1: Jeremía
gar allgemein akzeptierte Antwort sperren 2 . Die prophetisch-verbindlichen Auskünfte einzelner aber werden in der Regel nur von einer Minderheit akzeptiert und in j e d e m Fall umstritten sein; auch das ist unvermeidlich, wo immer gültige Kriterien fehlen oder für den konkreten Fall nicht ausreichen. Das war im alten Israel nicht anders. Daß Prophetie den »Beweis des Geistes und der Kraft« zu erbringen habe, ist gewiß richtig und überdies eine Voraussetzung dafür, daß sie überhaupt Gehör findet, aber worin dieser Beweis besteht und woran er gemessen wird, dafür fehlen gerade die rationalen und nachprüfbaren Kriterien. Darum hat man sich schon im alten Israel um solche Kriterien bemüht: bekanntlich weithin vergeblich, aber doch nicht unnötig.
1. Jahwe- und
Baalspropheten
Die Dinge sind einfach, wo Feuer vom Himmel fällt und den Opferaltar des einen entzündet, den der anderen aber nicht: Elia am Karmel war damit gegenüber den Baalspropheten als der wahre Prophet erwiesen und zugleich die Frage entschieden, welchem Gott Israel dienen sollte. Auch ohne das Feuer, das wohl nicht für jedermann sichtbar wurde, war doch eine klare Grenze dadurch gezogen, daß die Vertreter zweier Religionen aufeinanderstießen: hier der Prophet Jahwes, dort die Prophetenschar des Baal. Diese nachträglich so klare Unterscheidung war freilich damals, in der ersten Hälfte des 9. Jahrhunderts, nicht gleichermaßen deutlich: Wenn man denn mit Recht die Frömmigkeit der Mehrheit als Synkretismus von Jahwe- und Baalsreligion kennzeichnet - worauf j a noch das sprichwörtlich gewordene »Hinken auf beiden Seiten« hinweist, das Elia seinen Hörern vorwirft dann kam dieses Kriterium für die Vielen erst in der Folge jener religionspolitischen Auseinandersetzung am Karmel zur Geltung. N u r für Elia und seinen Anhang war die Differenz zwischen Jahwe und Baal klar. Was aber die wunderbare Bestätigung seiner Position betrifft, so war das offensichtlich kein Patentrezept für die Entscheidung der Frage nach dem wahren Propheten: Ganz abgesehen davon, daß Zeichen und Wunder nicht immer zu haben sind, konnten doch auch Wunder sich als zweideutig erweisen - davon ist noch zu reden. | 123 | Ging es in der Erzählung aus dem 9. Jahrhundert 3 v. Chr. um die religiöse
2 Man m u ß derzeit nur an die weltpolitischen Probleme auf dem Balkan denken oder an die unklare Behauptung, der Zivildienst sei g e g e n ü b e r dem Wehrdienst das »deutlichere Z e i c h e n « christlicher Haltung. 1 Die vorliegende Gestalt der Geschichte ist zweifellos jünger, im Kern wird die Erzählung aber auf Elia und seine Zeit zurückgehen. Da es hier nur um alttestamentliche G r u n d sätze geht, m ü s s e n die Fragen nach Alter und Wachstum des Textes auf sich beruhen.
3. Kriterien »wahrer« und »falscher« Prophetie
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Grundfrage, welchem Gott man dienen solle und welcher als wahrer Gott auch durch den wahren Propheten vertreten werde, so geht es später, schon im 8. Jahrhundert, um eine Auseinandersetzung innerhalb der Jahwereligion. Die Frage, wer der wahre Gott sei, scheint damit von der nach dem wahren Propheten abgelöst. Doch darf man den Unterschied nicht überschätzen: Zwar war der Name des »wahren Gottes« in der Regel nicht mehr strittig, aber durchaus sein Wesen 4 , seine Forderung, die Art, in der er Menschen begegnen wollte - auch darin steckt ja eine Aussage über den wahren Gott. Aber vordergründig ging es um andere Fragen.
2. Prophetie und Geld Die Problematik bezahlter Prophetie erscheint ausdrücklich zuerst bei Micha von Moreschet, wenn er seinen prophetischen Antipoden vorhält, sie weissagten je nach Entlohnung: den Zahlungskräftigen Heil, den Zahlungsunwilligen aber den Heiligen Krieg (Mi 3,5-8; vgl. V. 11). Implizit steckt dieses Problem wohl schon in der Geschichte von der Auseinandersetzung zwischen Arnos und dem Oberpriester von Bethel: Wenn der Priester dem Propheten ohne böse Nebengedanken rät, sein Brot in Juda zu essen, dann antwortet Arnos, er sei kein Prophet und also nicht von Bezahlung abhängig, er habe vielmehr sein eigenes Auskommen (Am 7,12-14). Das Problem ist banal und nur all zu menschlich: daß der für Geld weissagende Prophet von seinem Geldgeber mehr oder weniger abhängig sein könnte 5 . Andererseits war das natürlich kein praktikables Kriterium für »wahre« und »falsche« Prophetie 6 , und in den älteren Prophetenerzählungen war solche Entlohnung selbstverständlich vorausgesetzt - bei Saul, der zum Seher nicht ohne Geld gehen wollte und bei seinem Knecht eine Anleihe aufnehmen mußte ( l S a m 9), ebenso wie bei der reichen Frau von Sunem, die für den wandernden Propheten Elisa Beköstigung und Wohnung bereitstellte, wann immer er vorüber kam, und sich so den Propheten und Wundermann verpflichtete (2Kön 4). 11241 Dabei fand im Normalfall niemand etwas; Propheten lebten vielfach von Spenden, und nur im Konfliktfall konnte die Bezahlung einen Verdacht wecken. D a s Geld spielt auch in der N a c h g e s c h i c h t e der E r z ä h l u n g v o n der H e i l u n g des A r a m ä e r s N a e m a n eine Rolle: Elisa hatte j e d e B e z a h l u n g abgelehnt, aber sein ges c h ä f t s t ü c h t i g e r D i e n e r Gehasi holte den L o h n und m u ß t e d a f ü r den A u s s a t z des
4 Dessen Verständnis kann auch in einem »Namen« artikuliert werden, vgl. Hos 2,18: »... nicht mehr >mein BaalAUernächste