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German Pages 240 [244] Year 1968
Andreas Fischer Studien zum historischen Essay und zur historischen Porträtkunst an ausgewählten Beispielen
Quellen und Forschungen zur Sprach- und Kulturgeschichte der germanischen Völker Begründet von Bernhard Ten Brink und Wilhelm Scherer
Neue Folge Herausgegeben von Hermann Kunisch Stefan Sonderegger und Thomas Finkenstaedt 27 (151)
Walter de Gruyter & Co vormals G. J. Göschen'sche Verlagshandlung — J. Guttentag, Verlagsbuchhandlung Georg Reimer — Karl J. Trübner — Veit & Comp. Berlin 1968
Studien zum historischen Essay und zur historischen Porträtkunst an ausgewählten Beispielen
von
Andreas Fischer
Walter de Gruyter & Co vormals G. J. Göschen'sche Verlagshandlung — J . Guttentag, Verlagsbuchhandlung Georg Reimer — Karl J. Trübner — Veit & Comp.
Berlin 1968
Archiv-Nr. 433068/2
© Copyright 1968 by Walter de Gruyter & Co., vormals G. J. Göschen'sche Verlagshandlung — J . Guttentag, Verlagsbuchhandlung — Georg Reimer — Karl J. Trübner — Veit & Comp. — Printed in Germany. Alle Reihte des Nachdrucks, der photomechanischen Wiedergabe, der Herstellung von Mikrofilmen, auch auszugsweise, vorbehalten. Satz und Druck: Walter de Gruyter & Co., Berlin
Gewidmet meinen Eltern
Vorwort Die vorliegende Arbeit, die im Wintersemester 1965—66 abgeschlossen und von der Philosophischen Fakultät der Universität Hamburg als Dissertation angenommen wurde, versucht einen Beitrag zur Diskussion um den Essay als literarische Kunstform zu geben. Sie untersucht das umfangreiche und mit literaturwissenschaftlichen Mitteln bisher wenig erschlossene Grenzgebiet zwischen „wissenschaftlicher" und „belletristischer" Auseinandersetzung mit historischen Gestalten und Phänomenen an sieben ausgewählten Beispielen. Die Auswahl wurde so getroffen, daß die untersuchten Texte trotz ihrer um fast dreihundert Jahre auseinanderliegenden Entstehungszeiten zumindest das Eine miteinander gemeinsam haben, daß sie sich jeweils mit einer bedeutenden und umstrittenen geschichtlichen Gestalt und ihrer Epoche auseinandersetzen: mit Cromwell und dem England der Puritanerzeit bzw. mit Friedrich II. von Preußen und seinem Staat. Danken möchte ich an dieser Stelle allen, die mit Anteilnahme und Hilfe die Entstehung dieser Arbeit verfolgt haben, insbesondere aber Herrn Professor Pretzel, dem ich die Anregung zur vorliegenden Arbeit und vielfältige Beratung und Hilfe verdanke. Hamburg, im April 1968 Andreas Fischer
Inhaltsverzeichnis Vorbemerkung 1. Überblick über das Gesamtgebiet a) b) c) d) e)
Historisch-biographische Essayistik und Porträtkunst Historisch-politische Publizistik und Essayistik Geschiditsphilosophisch-universalhistorisdie Betrachtungen Kultur- und geistesgeschiditliche Essayistik Essayistische Auseinandersetzungen mit Historikern
2. Zur Aufgabenstellung der Arbeit
1. Abschnitt. Abraham Cowley: A Discourse By way of Vision, Concerning the Government of Oliver Cromwell 1. Einleitung 2. Die „Discourses by way of Essays" und ihr Verhältnis zur geschichtlichen Welt 3. Der „Discourse By way of Vision, Concerning the Government of Oliver Cromwell"
1 4 9 15 17 24
29
39 41 45 48
a) Der Rahmen
48
b) Der Dialog
53
c) „Essayistische" Elemente des „Discourse By way of Vision"
59
2. Abschnitt. Heinrich von Treitschke: Milton 1. Dichtung und Politik in Treitschkes „Milton" 2. Die englische Revolutionszeit als Hintergrund des Milton-Essays
63 65 68
a) Die Anordnung des Stoffes
68
b) Die Gestalt Cromwells
71
3. Spiegelungen von Treitschkes politischen Anschauungen im Milton-Essay 3. Abschnitt. Hermann Oncken: Die Auserwähltheit eines Volkes und der religiöse Berufungsglaube des Führers 1. Hermann Onckens Essays über Cromwell 2. Zum Aufbau und Stil des Essays 3. Gegenwartsbezogenheit in Onckens Essay
73
79 81 84 91
X
Inhaltsverzeichnis
4. Abschnitt. Thomas Babington Macauly: Frederic the Great 1. Macaulays Begriff des Historischen Essays, dargestellt an „Frederic the Great" a) Die Entstehung des Essays b) Die Rezension als Ausgangspunkt von Macaulays Essayistik c) Improvisation als Wesenszug von Macaulays Essayistik
2. Macaulays Sprache und Darstellungsweise als Spiegelung seines Weltbildes
95 97 97 98 101
104
a) In der Beurteilung geistiger und künstlerischer Fragen
104
b) Im Urteil über politische Fragen
107
c) Im Urteil über einzelne Ereignisse und Personen
3. Sprachliche Gestaltung des Friedrich-Essays
109
111
a) Wechsel der Stilebenen
111
b) Anspielungen und Vergleiche als Mittel der Veranschaulichung
114
c) Häufung als Stilprinzip
4. Macaulays Urteil über Friedrich den Großen 5. Abschnitt. Thomas Mann: Friedrich und die Große Koalition. Ein Abriß für den Tag und die Stunde 1. Einleitung 2. Sprachliche Gestaltung des Friedrich-Essays
116
119
123 125 128
a) „Improvisationscharakter" des Friedrich-Essays
128
b) Erzählhaltungen im Friedrich-Essay
131
c) Zur Funktion der Anspielungen, Zitate und Selbstzitate
3. Das Porträt Friedrichs II. bei Thomas Mann
137
144
a) Im erzählenden Teil des Essays
144
b) Im Sdilußabschnitt des Essays
148
6. Abschnitt. Heinrich Mann: Der König von Preußen 1. Vorgeschichte des Essays 2. Die Interpretation Friedrichs des Großen 3. Zu Aufbau und Stil des Friedrich-Essays
155 157 160 166
a) Kompositionsprinzipien
166
b) Stilfragen
169
7. Abschnitt. Willy Andreas: Marwitz und der Staat Friedrichs des Großen 1. Einleitung 2. Kompositionsprinzipien
175 177 179
a) Im Aufbau der Essaysammlung „Geist und Staat"
179
b) Im Aufbau des Marwitz-Essays
180
Inhaltsverzeichnis
3. Sprachliche Gestaltung
XI
183
a) Sprachgestaltung und wissenschaftliche Grundhaltung
183
b) Künstlerische Prinzipien der Sprachgestaltung
186
4. Das historische Porträt Friedrich August Ludwigs von der Marwitz Auswertung der Ergebnisse 1. Zusammenfassung der Ergebnisse
190 195 197
a) Innere Einheitlichkeit und Geschlossenheit des Essays
200
b) Transparenz des Essays
202
c) Zur Kunstform des historischen Essays
204
d) „Wissenschaftlidikeit" im historischen Essay
206
e) Der Essay als „Probe"
210
2. Schluß Literaturverzeichnis I. Die benutzten Textausgaben II. Allgemeine Literatur III. Literatur zum Einführenden Teil IV. Literatur zum Interpretationsteil Namenregister
212 215 215 215 218 222 226
i. Überblick über das Gesamtgebiet „Aus dem Besonderen", heißt es in Rankes politischem Gespräch', „kannst du wohl bedachtsam und kühn zu dem Allgemeinen aufsteigen; aus der allgemeinen Theorie giebt es keinen Weg zur Anschauung des Besonderen" 1 . Wenn man die Richtigkeit dieses Grundsatzes auch für die wissenschaftliche Erforschung literarischer Gattungsformen voraussetzt, kann man sich gelegentlich des Eindrucks nicht erwehren, daß zahlreiche Auseinandersetzungen mit dem Gattungsbegriff „Essay" zu stark von allgemeinen gattungstheoretischen Erwägungen her Wesen, Geist und Form dieser Gattung zu umschreiben versuchen, ohne zuvor die — freilich ungeheure — Arbeit der Sammlung, Sichtung und Untersuchung des vorliegenden Materials an Essays, essayähnlichen und in irgendeiner Hinsidit geistig oder formal essayverwandten Schriften in Angriff zu nehmen. Bei einem solchen deduktiven Verfahren dürfte die Gefahr nicht von der H a n d zu weisen sein, daß der von vornherein auf eine allgemeingültige Wesensbestimmung und Theorie „des" Essays gerichtete Blick auf bestimmte Kriterien fixiert und ebendadurch unfähig wird, divergierende und in irgendeiner Hinsidit atypisch anmutende Ausprägungen dieser Gattung anders denn als Pseudo-Essays zu betrachten 2 . Dem deduktiven Verfahren gegenüber, das aus einer bestimmten Auffassung vom Wesen der Gattung heraus die einzelnen geistigen und formalen Gattungskriterien zu erschließen sucht, bietet sich also methodisch ein induktives Verfahren an, das vom Besonderen, das heißt von der Betrachtung einzelner — bewußt möglichst verschiedenartig gewählter — Beispiele aus zu allgemeineren Aussagen vorzudringen sucht, unbekümmert darum, ob sich die gewählten Beispiele sämtlich in eine wie auch immer zu formulierende Wesensbestimmung „des" Essays einfügen werden. Wenn man der Gefahr ausweichen will, sich schon bei der Auswahl der Beispiele auf ein bestimmtes, in Wahrheit 1 2
1
Leopold Ranke in „Historisch-politische Zeitschrift" II (1833—1836), S. 790. vgl. Bruno Berger, „Der Essay", S. 5: „ . . . alle vorliegenden Definitionsversudie widersprechen entweder einander, oder sie stehen (noch häufiger) in absolutem Widerspruch zu der seit zweihundert Jahren vorliegenden Essayistik, weil sie, jeweils aus vorgefaßter Idee, nur eine einzige Epoche betrachten und diese Betrachtung ohne weitere Prüfung verallgemeinern." Fischer, Studien zum historischen Essay
2
Uberblick über das Gesamtgebiet
ja erst zu findendes Kriterium festzulegen und dementsprechend in der Einzeluntersuchung nur das bestätigt zu finden, was man von vornherein als Auswahlprinzip zugrunde gelegt hat, wird man bewußt die entgegengesetzte Gefahr auf sich nehmen müssen, auch Schriften in die Betrachtung einzubeziehen, die vielleicht in mancher Hinsicht nicht als vollkommene und charakteristische Ausprägungen des postulierten Idealtypus „Essay" anzusehen sind. Der besseren Vergleichbarkeit halber werden in der hier vorliegenden Arbeit nur Schriften aus einem engbegrenzten Themenbereich, dem historischen nämlich, untersucht, und auch hier wiederum nur solche, die einer speziellen Thematik gewidmet sind: der Auseinandersetzung mit bedeutenden und umstrittenen Gestalten der politischen Geschichte. Bevor wir aber auf einzelne Beispiele näher eingehen, dürfte ein — angesichts der Fülle des Materials notwendig nur sehr knapper — orientierender Überblick nützlich sein über die außerordentliche Vielfalt mehr oder weniger essayistischer Formen innerhalb des deutschen historischen Schrifttums. Nötig erscheint ein solcher Uberblick vor allem deshalb, weil das umfangreiche und unübersichtliche Grenzgebiet zwischen historischer Spezialforschung, zusammenfassender historischer Darstellung und übergreifender universalgeschichtlicher Betrachtung, historischer Biographik, historisierender Belletristik und historisch-politischer Publizistik (in dem auch der „echte" historische Essay wohl vorzugsweise angesiedelt sein dürfte) noch fast unerschlossen ist. Bestandsaufnahmen fehlen gänzlich, und es erscheint bezeichnend für die geringe Durchdringung dieses Gebietes, wenn in den jüngsten und umfassendsten Gesamtdarstellungen der deutschen Essayistik die Namen Droysens, Mommsens und Rankes aufgeführt werden, weil man aus ihren Werken essayistisch geschriebene Passagen herauslösen könne, während Namen wie die Treitschkes, Doves oder Heigels unerwähnt bleiben3. Je nach Thema und Inhalt oder nach der Art der schriftstellerischen Behandlung kann man sehr unterschiedliche Gruppen innerhalb der historischen Essayistik unterscheiden — schon durch die Fülle all dessen, was zur „Geschichte" im weitesten Sinne gehört, wie anderseits durch die Weite der stilistischen Möglichkeiten. Da gibt es biographische Essays wie monographische, die entweder die Handlungen oder die Handelnden, die Menschen und die Taten oder die Verhält3
Vgl. Klaus Günther Just in „Deutsche Philologie im Aufriß" II, 2. Auflage. Sp. 1928, und Bruno Berger, „Der Essay", S. 217—218.
Uberblick über das Gesamtgebiet
3
nisse und Entwicklungen, oder auch den Lauf ganzer Epochen ins Auge fassen können; Essays können den geschichtsphilosophischen Aspekt ebenso wählen wie den konkret-kulturhistorischen, wobei sie häufig auch den im engsten Sinne historischen Rahmen überschreiten, indem sie geschichtliche Vorgänge und Ereignisse in Zusammenhang und Kausalbeziehung mit anderen geistigen Emanationen des Menschlichen setzen. Geht dies auf inhaltliche Kategorien, so können auch vom Stil her gesehen die verschiedenen Themen sehr verschieden behandelt sein: mehr sachlich oder mehr persönlich, nüchtern oder leidenschaftlich, im Hinblick auf ein anspruchsvolles Publikum oder in mehr populärer Absicht gestaltet, mit strenger Beschränkung oder mit weiten Ausblicken (dies ein zugleich inhaltliches und stilistisches Kriterium). Schließlich kann ein Mehr oder Weniger an künstlerischem Ehrgeiz dem Essay das Gepräge geben (dies mitunter auch eine Gefahr für die Wahrheitsforschung, wodurch wiederum ersichtlich wird, wie schwer inhaltliche und stilistische Kategorien sauber auseinanderzuhalten sind). Naturgemäß haftet all solchen Gruppierungsmöglichkeiten viel Künstliches und Willkürliches an; als die relativ eindeutigste und daher zur Gewinnung eines gewissen Überblicks geeignetste Hilfskonstruktion kann vielleicht doch eine Gruppierung nach inhaltlichen Gesichtspunkten betrachtet werden. Beispielsweise könnten einige enger zusammengehörige Gruppen innerhalb der historischen Essayistik unterschieden werden, je nachdem, ob vom Inhalt her gesehen der Hauptakzent auf der biographischen bzw. porträtierenden Auseinandersetzung mit einzelnen geschichtlichen Gestalten, auf der universalhistorischen oder geschichtsphilosophischen Meditation oder auf der kultur- und geistesgeschichtlichen Betrachtung liegt. Als eine weitere Gruppe könnten Essays betrachtet werden, die sich nicht so sehr mit dem geschichtlichen Leben unmittelbar auseinandersetzen als vielmehr mit seiner Spiegelung im Denken und Schaffen bedeutender Historiker. Ferner hebt sich relativ eigenständig eine Gruppe historisch-politischer Publizistik ab, ausgezeichnet durch einen unmittelbar auf die Gegenwart gerichteten politischen Wirkungs- und Erziehungswillen, deren Werken der Rang echter Essays sicherlich nicht immer abgesprochen werden kann. Freilich überschneiden sich auch hier die Kategorien: nicht wenige Werke, die nach inhaltlichen Gesichtspunkten einer der zuvor genannten Gruppen zuzuordnen wären, tragen zugleich unverwechselbar den Charakter politischer Bekenntnisschriften. Letztlich unbefriedigend bleibt eine Kategorisierung nach inhaltlichen Gesichtspunkten vor allem auch deshalb, weil sie nichts 1*
4
Überblick über das Gesamtgebiet
zur Beantwortung der Frage beizutragen vermag, ob im konkreten Einzelfall eine zu betrachtende Schrift historischen Inhalts tatsächlich die Bezeichnung als „Essay" verdient: die Bezeichnung „historischer Essay" selbst vereint ja einen inhaltlichen Gesichtspunkt („historisch") mit einem formalen, und für die Beantwortung der Frage nach dem Essaycharakter einer Schrift spielt der Gesichtspunkt formaler Vollendung eine — wenn nicht die — entscheidende Rolle. Zur Erleichterung des Überblicks über das unübersichtliche Gesamtgebiet dürfte dennoch auch eine Aufschlüsselung nach inhaltlichen Gesichtspunkten ihre Berechtigung haben.
a) Historisch-biographische
Essayistik
und,
Porträtkunst
Dem Wesen und der Geschichte des biographischen Essays nachgehend nennt Klaus Günther Just die Lebensbeschreibungen Plutarchs und Künstlerbiographien der Renaissance als frühe Beispiele dieser Gattung und zieht die Linie über französische und englische Charakterstudien des 17. Jahrhunderts bis hin zu dem Engländer Thomas Sprat (1635—1713), in dessen "Account of the Life and Writings of Mr. Abraham Cowley" (1668) der biographische Essay als vollgültige literarische Gattung erscheine4. Eingehendere literaturgeschichtliche Studien, als sie hier möglich sind, müßten sicherlich die Entwicklung der Biographik und der literarischen Porträtkunst als Ganzes mit einbeziehen, denn schon ein flüchtiger Uberblick zeigt, daß eine präzise und eindeutige Abgrenzung des eigentlichen biographischen Essays gegenüber diesen Bereichen kaum möglich sein dürfte 5 . Es zieht sich vielmehr ein breites Spektrum von den strengsten und exaktesten Formen wissenschaftlicher Biographik, die mit eigentlicher Essayistik nur wenig gemeinsam haben, bis hin zu flüchtigen, betont subjektiven Skizzen und Aufzeichnungen von Augenblickseindrücken, die ihrerseits in der Mehrzahl wohl eher der Feuille4
Vgl. Just in „Deutsche Philologie im Aufriß" II, 2. Auflage, Sp. 1910 und 1912.
5
Vor allem müßte bei intensiverer Betrachtung der deutschen historischen Porträtkunst (wie bei stilistischer und formgeschichtlicher Untersuchung der deutschen Historiographie) wohl der dominierende Einfluß der antiken Historiographie berücksichtigt werden, sagt doch Gundolf: „Alle entscheidenden deutschen Historiker des 18. und 19. Jahrhunderts . . . wollten nicht nur unbekannte Tatsachen zu Tage fördern oder neue Wertdeutungen geben, sondern auch auf den Spuren mehr oder minder straff vorgehaltener antiker Klassiker als Historiker die deutsche Sprache kunstvoll meistern." (Friedrich Gundolf, „Anfänge deutscher Geschichtsdireibung", S. 3).
Historisch-biographische Essayistik und Porträtkunst
5
tonistik als dem eigentlich essayistischen Bereich angehören. Als charakteristisch für die erstgenannte Richtung können etwa die historisch-biographischen Studien Rankes gelten: daß sie nicht nur als Porträtmalerei, sondern auch als wissenschaftliche Geschichtsschreibung im strengsten Sinne verstanden werden wollen, zeigen schon äußerlich die beigegebenen Quellenauszüge und quellenkritischen Untersuchungen. „Geschichtsschreibung" sind sie aber auch insofern, als sie über die dargestellte Persönlichkeit hinaus stets den Blick auf eine ganze Epoche richten und in ihrer Gesamtheit repräsentativ stehen für den Dualismus von Individuum und Epoche, Freiheit und Notwendigkeit6. Als Beispiele für einen ganz anders gearteten, mehr feuilletonistischen Typ des historischen Porträts können etwa betrachtet werden die knappen und gedankenreichen Betrachtungen und Charakteristiken in Georg Forsters (1754—1794) „Erinnerungen aus dem Jahre 1790 in historischen Gemälden und Bildnissen"7, in denen wir Skizzen Josephs II., Katharinas II., Franklins, Mirabeaus, Potemkins, Pitts des Jüngeren und anderer finden (zum Teil nekrologartigen Charakters), die „öffentlichen Charaktere" (1835) von Karl Gutzkow (1811—1878) mit Charakteristiken zeitgenössischer Herrscher, Politiker, Künstler und Philosophen8, und die Denkwürdigkeiten und vermischten Schriften (Sieben Bände, 1837—1859) von August Varnhagen von Ense (1785—1858.) Wohl ein Extrem in dieser Richtung stellt die bilderreiche Galerie der „Köpfe" (1910 ff.) von Maximilian Hardert (1861 bis 1927) dar: zwischen satirisch-polemischen Geißelungen prominenter Zeitgenossen, Theater- und Kunstkritik eingestreut verblüffende Parallelen und Gegenüberstellungen — imaginäre Zwiegespräche zwischen Tolstoi und Rockefeiler9, Gegenüberstellungen von Danton und Erzberger10, Parallelen zwischen Amphitryon und St. Joseph 11 usw. — in einem polemisch-pathetischen Stil, für den es in der deutschen Literatur wohl wenig Parallelen gibt. Zwischen solchen Extremen gibt es eine Vielzahl von Übergängen. Monographien wie beispielsweise Erich Mareks' (1861—1938) „Königin Elisabeth von England und ihre Zeit" können durchaus zu den wissenschaftlichen Biographien gezählt werden, wobei dodi auch eine Reihe mehr „essayistischer" Elemente unverkennbar ist: als äußerliches Symptom schon der Verzicht auf den wissenschaftlichen Apparat 6
7 8 9 10 11
Vgl. die Vorworte Rankes zur „Gesdiidite Wallensteins" und zu den „Historisch-Biographischen Studien". In „Forster's sämmtliche Schriften", Band 6. In „Karl Gutzkow's ausgewählte Werke", Band 8. Maximilian Harden, „Köpfe" II, S. 487 fi. Maximilian Harden, „Köpfe" IV, S. 429 ff. Maximilan Harden, „Köpfe" IV, S. 247 ff.
6
Überblick über das Gesamtgebiet
von Anmerkungen, Belegen und Auseinandersetzungen mit der Sekundärliteratur, als gewichtigeres inneres Kriterium die Straflung des schwierigen und verwickelten Stoffes unter künstlerischen Gesichtspunkten, eine gewisse Freiheit in Akzentuierung und Deutung der Fakten, Weite der Perspektiven und Hervortreten des kontemplativ-betrachtenden Elements. Ähnlich ausgeprägt erscheint der bewußte Verzicht auf tote Vollständigkeit des Materials und neutrale „Richtigkeit" der Interpretation, verbunden mit energischem Hervortreten künstlerischen Formwillens und deutlicher Gegenwartsbezogenheit, etwa in Karl Alexander von Müllers (1882—1964) „Danton. Ein historischer Essay" (1949) oder, bei stärkerem Hervortreten des subjektiven Urteils, in Treitschkes biographischen Essays. Steht hier das individuell-biographische Element, der Lebenslauf und die Taten, im Mittelpunkt, so geht es anderen historischen Porträts mehr darum, unter weitgehender Zurückstellung biographischer Fakten und äußerer Begebenheiten die bleibende Gestalt, die menschliche Totalität zu erfassen und zu würdigen: auf sie läßt sich vielleicht am ehesten das Wort Klaus Günther Justs anwenden, daß es dem biographischen Essay darum gehe, „die leibliche Gestalt darzustellen und damit zugleich die geistigen Gewalten, die in jener zentriert sind"12. (Hervorhebung vom Verfasser der vorliegenden Arbeit.) Dies Streben nach Herausarbeitung der bleibenden Gestalt und Würdigung der bleibenden Leistung, verbunden mit persönlicher Intimität, rückt auch das große und in sich eigengesetzliche Gebiet der Nekrolog-Literatur in die Nähe „echter" biographischer Essayistik. Ein etwas anderer, vom eigentlichen Porträt stärker abrückender Typ der Auseinandersetzung mit geschichtlichen Gestalten begegnet uns in Schriften, die nicht so sehr das Persönlich-Individuelle einer Gestalt, als vielmehr ihre Stellung in der Geschichte zu erfassen suchen. Ihnen kommt es, wie Gustav Adolf Rein in einer Gedenkrede auf Steuben sagt, nicht zu, sich dem rein Biographischen zuzuwenden und sich „in das Physo- und Psychographische, wie man heute zu sagen pflegt, zu verlieren"; ihre Aufgabe sei vielmehr allein, nach dem bleibenden historischen Wirken der Persönlichkeit, nach dem geschichtlichen Sinn ihrer Existenz zu fragen13. Das Bedürfnis nach Kürze und Konzentriertheit der Gestaltung in einer literarischen Gattung, der es um die Zeichnung der bleibenden Gestalt, nicht um die Fülle biographischen Details geht, läßt wiederum einen eigenständigen und in sich eigengesetzlichen Typus des 12
Klaus Günther Just in „Deutsche Philologie im Aufriß" II, 2. Auflage,
Sp. 1904. 13
Gustav Adolf Rein, „Europa und Übersee", S. 2 2 1 — 2 2 2 .
Historisch-biographische Essayistik und Porträtkunst
7
,Kurzessaysc biographischer Natur entstehen, wie er uns etwa in den Büchern von Theodor Heuss (1884—1963), „Deutsche Gestalten. Studien zum 19. Jahrhundert" (1947) und „Profile. Nachzeichnungen aus der Geschichte" (1964) begegnet. Von hier aus ist es kein allzu weiter Schritt mehr bis zu völliger Unterordnung des bloßen biographischen Faktenmitteilens unter das Meditieren und Reflektieren über eine geschichtliche Persönlichkeit, wie etwa in Carl J. Burckhardts (1891 geb.) „Gedanken über Karl V.". Eine besonders fesselnde Verbindung von weltgeschichtlicher Weite und persönlicher Intimität kann entstehen, wenn ein Porträt von unmittelbarer persönlicher Anschauung zeugt, wie manche der Bildnisse Carl J. Burckhardts, oder (vielfach durch phantasievolle Intermezzi, imaginäre Zwiegespräche usw. journalistisch aufgelockert und bereits in die Nachbarschaft des Feuilletons gerückt)- in Friedrich Naumanns (1860—1919) Miniaturporträts deutscher Staatsmänner, Politiker und Parlamentarier, die nadi dem Tode Naumanns 1919 von Theodor Heuss unter dem Titel „Gestalten und Gestalter. Lebensgeschichtliche Bilder" herausgegeben wurden. Freilich liegt hier auch ein Abgleiten in unverbindlichen Plauderton nicht immer völlig fern 14 , der mit Essayistik nichts mehr gemeinsam hat. Zur Vervollständigung des Bildes sei auch die Existenz von eigenwilligen Sonderausprägungen des historischen Porträts im Grenzgebiet zwischen Biographik, Essayistik, Belletristik und Populär-Historie erwähnt, die sich unter Verzicht auf selbständige wissenschaftliche Forschung meist an gebildete Laien wenden. Dies tun beispielsweise die Doppelporträts säkularer Gestalten aus Heilsgeschichte, Geschichte, Dichtung und bildender Kunst — von „Cäsar und Brutus" bis zu „Wagner und Nietzsche" —, die Rudolf K. Goldschmit-Jentner (1890—1964) unter dem Titel „Die Begegnung mit dem Genius. Darstellungen und Betrachtungen" (1939) und unter dem von Nietzsche entlehnten M o t t o " . . . Und so wollen wir an unsere Sternenfreundschaft glauben, selbst wenn wir einander Feinde sein müßten" veröffentlichte. Ähnlichen Bereichen gehören Schriften an wie etwa 14
Es erübrigt sich, Beispiele zu nennen. In unsere Betrachtung beziehen wir nur Schriften ein, die wirkliche „Porträts" geben wollen, indem sie die Gestalt als Ganzes zu erfassen und zu vergegenwärtigen streben — auch wenn der Ausgangspunkt sehr begrenzt scheinen mag (ein W o r t , eine Anekdote oder was immer). N u r wo sich die Einzelzüge und Teilaspekte zu einem einheitlich gesehenen Gesamtbild zusammenschließen, wird man von einem wirklichen „ P o r t r ä t " sprechen (wobei unter Umständen auch eine einzige Szene oder ein einziger charakteristischer Einzelzug den Kern eines vollgültigen literarischen Porträts zu bilden vermag, vorausgesetzt, daß die ganze Gestalt darin sichtbar wird).
8
Überblick über das Gesamtgebiet
Friedrich Sieburgs (1893—1964) „Napoleon. Die hundert Tage" (1956), wo das Lebensbild einer geschichtlichen Gestalt gleichsam mosaikhaft aus Rückblendungen, essayistischen Betrachtungen und romanhaft konzipierten Einzelszenen zusammengesetzt wird. Vollends unübersehbar wird das Material an historisch-biographischer Porträt- und Miniaturmalerei, wenn man auch große biographische Sammelwerke betrachtet. Die Artikel im Riesenwerk der „Allgemeinen Deutschen Biographie" (56 Bände, 1875—1912) dienen zwar vorwiegend informativen Zwecken und sind im allgemeinen gewiß nicht „essayistisch" angelegt, doch erschöpfen sich die umfangreicheren unter ihnen keineswegs in Zusammenstellungen von Daten und Fakten, wurden vielmehr von den Bearbeitern „auch formell durchaus als wirklich darstellende Biographien betrachtet, die in knappster Form die Vorzüge wissenschaftlicher Bestimmtheit und anziehender geschichtlicher Lektüre verbinden sollten" 15 . Nach dem Urteil Alfred Doves (1844—1916) sind die hervorragendsten unter ihnen „literarische Leistungen, die durch Forschung und Kunst, in Anlage und Bedeutung dem Ideal selbständiger Lebensschilderung im kleinen nahekommen" 16 . Als willkürlich herausgegriffene Beispiele seien etwa genannt Doves eigene Artikel über die Brüder Humboldt 17 und über Ranke 18 , vielleicht auch Petersdorffs „Treitschke" 19 oder Bailleus „Sybel" 20 , während etwa Max Lenz' „Bismarck" 21 oder Erich Marck's „Wilhelm I." 2 2 auch dem äußeren Umfang nach mit jeweils rund zweihundert Druckseiten die Grenzen zur ausgeführten Biographie hin überschreiten und mit Essays nichts mehr zu tun haben. Nur erwähnt werden können jüngere Sammelwerke ähnlicher Anlage: „Die Großen Deutschen. Neue Deutsche Biographie" (fünf Bände, 1935 ff., hrsg. von Willy Andreas und Wilhelm von Scholz), „Die Großen Deutschen. Deutsche Biographie" (fünf Bände, 1956 bis 1957, hrsg. von Hermann Heimpel, Theodor Heuß und Benno Reifenberg), sowie vor allem „Meister der Politik. Eine weltgeschichtliche Reihe von Bildnissen" (drei Bände, 1921, hrsg. von Erich Mareks und Karl Alexander von Müller). 15
Allgemeine Deutsche Biographie 56, S. I X .
16
Alfred Dove, „Ausgewählte Schriftchen vornehmlich historischen Inhalts", S. 221. I n : Allgemeine Deutsche Biographie 13, S. 338 ff. und S. 358 ff.
17 18
I n : Allgemeine Deutsche Biographie 27, S. 242 ff.
19
I n : Allgemeine Deutsdie Biographie 55, S. 263 ff.
20
I n : Allgemeine Deutsdie Biographie 54, S. 645 ff.
21
I n : Allgemeine Deutsdie Biographie 46, S. 571 ff.
22
I n : Allgemeine Deutsdie Biographie 42, S. 517 ff.
Historisch-politische Publizistik und Essayistik
9
Bei aller Unterschiedlichkeit der literarischen Formen scheint aber einem großen Teil der literarischen Porträtkunst doch eine gemeinsame Tendenz innezuwohnen: das Streben, aus dem Leben und Wirken der dargestellten Gestalt das herauszuarbeiten und für die Nachwelt zu bewahren, was beispielhaft und vorbildlich erscheint. So motiviert schon 1668 der bereits erwähnte Engländer Thomas Sprat das für seine Zeit ungewöhnliche Unterfangen, über einen einfachen Bürger und Gelehrten zu schreiben: " . . . it is from the practice of men equal to our selves that we are . . . taught to command our Passions, to direct our Knowledge, and to govern our Actions" 2 3 ; so entstand Carl von Clausewitz' „Charakteristik von Scharnhorst" 2 4 aus dem Bedürfnis heraus, „sich mit dem geliebten Andenken zu beschäftigen und auch für andere ein treues Bild von den seltenen Eigenschaften zu entwerfen, womit Gott diese große Seele begabt hatte" 2 5 . Vielleicht können all solche Zeugnisse des Willens zum Bewahren und Weitergeben zusammengefaßt werden in dem Wunsch Hugo von Hofmannsthals, „manche edle Gestalt, ehe ihre Umrisse für die Nation völlig verdämmern, ins Gedächtnis der Aufnehmenden kräftiger zurückzurufen, damit der Reichtum, der noch unser Besitz ist, den heraufkommenden Generationen nicht als eine Armut überantwortet werde" 2 6 .
b) Historisch-politische
Publizistik und
Essayistik
Eine noch so flüchtige Betrachtung der deutschen historischen Essayistik kann nicht an zahlreichen Zeugnissen leidenschaftlichen politischen Wirkungs- und Erziehungswillens vorbeigehen. Die Grenzziehung zwischen Wissenschaft, Essayistik und politischer Publizistik scheint in der Theorie klar und eindeutig; bei Betrachtung des tatsächlich vorliegenden Materials erscheinen die Grenzen fließend und fragwürdig. Inhaltlich wie formal durchaus wissenschaftliche Werke können durch den Zeitpunkt, zu dem sie vor die Öffentlichkeit treten, zu politischen Aktionen werden: die Ubersetzung der Reden des Demosthenes gegen Philipp von Makedonien wäre — im Jahre 1805! — selbst dann ein politischer Mahnruf an die Zeit gewesen, wenn ihr Urheber, der Altphilologe Friedrich Jacobs (1764—1847), darauf verzichtet hätte, im Vorwort und in den Anmerkungen auch noch aus23
Thomas Sprat in „Critical Essays of the Seventeenth Century" II (hrsg. von J. E. Springarn), S. 119.
24
In: Historisch-politische Zeitschrift I (1832), S. 191 ff.
25
Vgl. Leopold Ranke in „Historisch-politische Zeitschrift" I (1832), S. 220.
26
Hugo von Hofmannsthal, „Prosa" IV, S. 364.
10
Überblick über das Gesamtgebiet
drücklich den Gegenwartsbezug hervorzuheben 27 . Wollte man anderseits politisches Engagement, politischen Wirkungswillen — und freilich auch mitunter politische oder weltanschauliche Einseitigkeit — für unvereinbar mit dem Geist echter Essayistik erklären, so müßte man einem beträchtlichen Teil der Essayistik Macaulays, Carlyles und Treitsdikes, Fallmerayers, Heinrich Manns und gelegentlich auch Thomas Manns den Essayrang absprechen. Der vielseitige, auf den Gebieten der Länder- und Völkerkunde, Naturgeschichte und Philosophie gleich bewanderte Georg Forster war zugleich, wie sein Lebenslauf zeigt, ein leidenschaftlich politischer Geist. Bruno Berger sieht in ihm einen der ersten echten Autoren des welthaltigen, stofflich farbigen, stilistisch vorbildlichen Essays deutscher Sprache vor Einführung des Gattungsbegriffs „Essays" 28 (Forster kannte übrigens auch die Gattung des „Essays" von England her, schätzte sie aber nicht sonderlich hoch 29 ); in seinen Schriften zum Zeitgeschehen „Revolutionen und Gegenrevolutionen im Jahre 1790", „Parisische Umrisse" und „Darstellung der Revolution in Mainz" 3 0 , erscheint Forster aber wohl eher als Journalist. Die „Fragmente aus der neusten Geschichte des Politischen Gleichgewichts in Europa" (1806) von Friedrich Gentz (1764—1832) kommen bei souveräner Beherrschung und Darstellung einer überaus umfangreichen und diffizilen politisch-diplomatischen Materie vielleicht gerade dadurch der Essayform nahe, daß sie nur Bruchstücke eines geplanten, durch die Zeitumstände nicht zustande gekommenen größeren Werkes sind, gleichsam den Extrakt einer großangelegten historisdipolitischen Studie darstellen. Im Stilistischen überwiegt allerdings das mitreißende Pathos nationalen Aufrufs bei weitem die ruhige, leidenschaftslos-kontemplative Betrachtungsart. Als Probe möchten wir einen längeren Ausschnitt aus dem Vorwort anführen, der in mancher Hinsicht als extremes und doch zugleich typisches Beispiel gelten kann für eine ganze Gattung politischer Publizistik, die ethische Unbedingtheit und politischen Rigorismus, leidenschaftlichen Patriotismus und universalen europäischen Geist mit rhetorischer Sprachgewalt in ebenso hinreißender wie gefährlicher Weise zu vereinen vermag: „Euer unmittelbarer Einfluß mag gehemmt, Euer Wirkungskreis mit engen Schranken umzogen, Eure H a n d in Fesseln gelegt, Euer Mund ge27
Vgl. Rudolf Ehwald im V o r w o r t zu Friedrich Jacobs, „Deutsche Reden", S. 169.
28
Vgl. Bruno Berger, „Der Essay", S. 206.
29
Vgl. „Forster's sämmtliche W e r k e " 6, S. 3 6 — 3 7 , S. 155, S. 206.
30
„Forster's sämmtliche W e r k e " 6, S. 2 4 9 ff., S. 306 ff., S. 352 ff.
Historisch-politische Publizistik und Essayistik
11
waltsam verschlossen werden; dies alles sind nur Außenwerke Eurer Macht. Euer fester unerschütterlicher Sinn, die anerkannte Unwandelbarkeit Eurer Grundsätze, Eure immerwährende stille Protestazion, gegen alles, was frevelhafte Gewalt zu stiften oder zu rechtfertigen wähnt, die dem Feinde und dem Freunde gleich gegenwärtige, lebhafte Überzeugung, daß der Krieg zwischen der Ungerechtigkeit und Euch sich durch keine falsche Unterhandlungen schlichten, durch keine eingebildete Waffenstillstände unterbrechen, durch keine treulose Friedenstraktate beendigen läßt, die würdige, tapfere, stets-aufrechte, stets-gerüstete Stellung, in welcher Ihr Euren Zeitgenossen erscheint, — das sind Eure unvergängliche Waffen. Eure bloße, isolirte Existenz ist ein beständiges Schreckbild für die Unterdrücker, und für die Bedrückten ein unversiegbarer Trost. Vergeßt nie, daß da, wo Ihr Euch befindet, der wahre Mittelpunkt aller Unternehmungen ist, wodurch, früher oder später, Europa von der Knechtschaft erlöset, das Gesetzbuch der Willkühr zerrissen, der hochmüthige Luftbau vergänglicher Uebermacht gestürzt, und ein neuer unsterblicher Bund, zwischen Freiheit, Ordnung und Friede, für eine glücklichere Nachwelt gegründet werden muß. Nicht England, nicht Rußland vermögen es; als Bundes-Genossen beide erwünscht, als Gegengewichte oder Hülfsmächte unschätzbar; aber das eigentliche Werk der Befreiung muß auf Deutschem Boden gedeihen. Von hier muß die Wiederherstellung ausgehen, so wie hier die Zerrüttung entschieden, das Verderben zur Vollendung gebracht ward. Europa ist durch Deutschland gefallen, durch Deutschland muß es wieder emporsteigen. Nicht Frankreichs Energie oder Kunst, nicht die wilde, konvulsivische Kraft, die aus dem giftigen Schlünde der Revoluzion, eine vorüberziehende Wetterwolke, hervorbrach, nicht irgend eines Geschöpfes dieser Revoluzion persönliches Uebergewicht, oder Geschick, hat die Welt aus den Angeln gehoben, die selbstverschuldete Wehrlosigkeit Deutschlands hat es gethan. Unser innrer unseliger Zwiespalt, die Zersplitterung unserer herrlichen Kräfte, die wechselseitige Eifersucht unsrer Fürsten, das Verlöschen jedes echten Gefühls für das gemeinschaftliche Interesse der Nazion, die Erschlaffung des vaterländischen Geistes — das sind die Zerstörer unsrer Freiheit, das sind unsre tödlichen Feinde, und die Feinde Europa's gewesen" 31 . Gentz war Publizist und Politiker, nicht Historiker. Aber auch Geschichtsforscher Weber 3 5 , 31 32
wie Droysen 3 2 ,
in seinen politischen
Mommsen 3 3 ,
Treitschke 3 4 ,
Max
Schriften und Reden auch Friedrich
Friedrich Gentz: „Fragmente . . S . X L V — X L V I I . z. B. Droysen, „Beiträge zur neuesten deutschen Geschichte" (1849), oder Droysen, „Politische Sdiriften", im Auftrage der Preußischen Akademie der Wissenschaften hrsg. von Felix Gilbert.
33
Vgl. z. B. Mommsen, „Ausgewählte politische Aufsätze", abgedruckt im Anhang von Ludo Moritz Hartmann, „Theodor Mommsen".
34
Fast sämtliche in den „Historischen und Politischen Aufsätzen" veröffentlichten Schriften Treitschkes könnten hier genannt werden.
35
Max Weber, „Gesammelte Politische Schriften", 2. Auflage 1958.
12
Überblick über das Gesamtgebiet
Meinecke 36 , haben es keineswegs für unvereinbar mit wissenschaftlicher Sachlichkeit befunden, sich in kritisch analysierender oder auch leidenschaftlich Partei ergreifender Weise mit politischen Forderungen der Zeit auseinanderzusetzen, wobei sich doch Schriften wie etwa Treitschkes „Bundesstaat und Einheitsstaat", Mommsens „Auch ein Wort über unser Judentum" oder Webers „Politik als Beruf" durch die Weite des Blicks, die Grundsätzlichkeit der Fragestellung, den stilistischen Rang und die Solidität des historischen Fundaments über eine nurtagesgebundene Publizistik erheben. „Will die Publizistik nicht ins bodenlose Radotieren verfallen", schreibt Droysen 1844, „so muß sie historisch werden, sie muß die Notwendigkeit des Gegebenen und Bedingenden begreifen und anerkennen lernen, die das, was geworden ist, so werden ließ; sie muß in dem bunten Wellenspiel der Geschehnisse die Richtung des Stroms zu erkennen wissen, die ruhig und sicher ihrem Ziel zugewandt ist" 3 7 . Näher an das Gebiet der im engeren Sinne historischen Essayistik und Publizistik führen Schriften heran, die zwar nicht unmittelbar zu Gegenwartsfragen Stellung nehmen, sondern der Auseinandersetzung mit historischen Gestalten und Problemen gewidmet sind, wobei aber doch die persönliche Position des Autors und sein Wille, erziehend und bildend auf die Gegenwart einzuwirken, deutlich hervortreten. Freilich ist dies ein anderer Begriff der „Aktualität", als der des politischen Kampfes. So sagt Hermann Oncken (1869—1945) über seine eigenen „Historisch-Politischen Aufsätze und Reden" (1914): „Sie knüpfen in ihrer A r t , die Dinge zu sehen, an das universale, rein historisch interessierte und auf Objektivität gerichtete Erkenntnisstreben Rankes an, aber sie verschmähen darum nicht die befruchtende Berührung mit den Problemen der Gegenwart, wie sie der Anlaß der Stunde oder wohl gar der Gelegenheit auch an die historische Arbeit herantreibt; sie suchen Dinge der historischen Erkenntnis zu erobern, die bisher noch im Flusse der politischen Parteikämpfe lagen, und damit auch die Parteien zu einem stärkeren Bewußtsein ihrer historischen Stellung im nationalen Gesamtleben zu erheben. So wird man . . . die Fäden immer wieder in der Gegenwart münden sehen . . . Das Ziel aller historischen Arbeit liegt in ihr selber, wie ihre Erkenntnismittel, ihre Methoden, ihre innerlichsten Antriebe, aber sie braucht darum nicht zu vergessen, daß es auch für sie ein Endziel gibt: die Politisierung der Nation auf der Grundlage historischer Bildung" 3 8 . 36
37 38
Gesammelt im Band „Politische Schriften und Reden" der „Werke" Meineckes (hrsg. von Hans Herzfeld, Carl Hinridis, Walther Hofer). Droysen, „Politische Schriften", S. 10. Hermann Oncken, „Historisch-Politische Aufsätze und Reden" I, S. V — V I .
Historisch-politische Publizistik und Essayistik
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Es wäre aber ein grobes Mißverständnis, diese Zielsetzung so zu interpretieren, als würde hier die Unterordnung der Geschichtswissenschaft unter nationalpolitische Belange postuliert. „Soll man einen Wegweiser für einen Historiker in nationalen Fragen aufrichten", schreibt Oncken, „so müßte man draufschreiben: in der quellenmäßigen Einzelarbeit absolut sachliche Objektivität zu üben, und im Urteil stets den höchsten Standpunkt, die universale Betrachtungsweise, aufzusuchen, während der nationale Gedanke nur in der Farbe und dem Blute der Darstellung durchleuchten m a g . . . Man fordert, daß der Historiker Erzieher zur Vaterlandsliebe sei. Aber jede Wissenschaft dient der Nation nur dadurch, daß sie ihrer eigensten Aufgabe getreu bleibt" 3 9 . Da Geschichte und Politik verwandte Gebiete sind und zumal die Gegenwartsgeschichte unmittelbar in den politischen Bereich hineinreicht, verwundert es nicht, daß eine solche, wissenschaftliches und politisch-erzieherisches Ethos verbindende Zielsetzung sehr vielen Essays historischen Inhalts zugrunde liegt, die sich bei aller Verschiedenheit der prägenden politischen Anschauungen doch als eine verhältnismäßig einheitliche Gruppe betrachten lassen: als ihr Charakteristikum erscheint das Streben, Abrundung und Geschlossenheit der literarischen Form mit Farbigkeit und Uberzeugungskraft der Darstellung und Anregungskraft des Gehalts zu verbinden. Naturgemäß ist das Verhältnis von wissenschaftlichem Erkenntnisstreben, künstlerischem Gestaltungs- und politischem Wirkungswillen individuell verschieden und wird oft auch stark durch die jeweilige Zeitsituation beeinflußt. So meint Erich Mareks über einige im Jahre 1915 entstandene Aufsätze: „Das freilich kann nicht ausbleiben, daß Gesichtspunkt und Ton dieser Schlußaufsätze stärker politisch sind als der früheren. W e r dürfte sich in diesen Wirrnissen des Vollbesitzes jener über den Dingen schwebenden ruhigen Gerechtigkeit vermessen, so wie wir sie sonst vor allem erstreben? Erstrebt wird sie audi hier: aber auch der Historiker atmet die Luft des großen Kampfes und bekennt sich zu ihm. Genug, wenn er auch hier stets von der Geschichte herkommt und ernsthaft trachtet, die Gegenwart mit ihr zu verbinden und mit ihr zu durchdringen; wenn er, bei aller Stärke des inneren Anteils und des einseitigen Willens, statt bloßer Anklage auch hier doch zu begreifen trachtet. Sich dieser ungeheuren Gegenwart zu entziehen würde er vergeblich versuchen, und er soll es auch nicht w o l l e n " 4 0 .
Namentlich auch in einigen der späteren Aufsätze von Erich Mareks wird das erzieherische Wollen stark betont: „Die Stücke, die dieser 39 40
Hermann Oncken, „Historisch-Politische Aufsätze und Reden" I, S. 224. Erich Mareks, „Männer und Zeiten" I, 5. Auflage, S. I X .
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Überblick über das Gesamtgebiet
Band zusammenfaßt", schreibt er 1925, „ . . . folgen alle derselben Spur. Sie erzählen und deuten Geschichte und wollen durch diese politisch wirken... Die Folgerung, zu der sie hinführen möchten, ist überall allgemeiner und nicht spezieller Art und steht über dem Tage; sie wünschen, durch historische Darlegung erhellend und mahnend auf die Gesinnungen einzuwirken" 41 . In ähnlichem Sinne sa.gt Johannes Haller (1865—1947), daß die Geschichte, lauter und wahr gelehrt, das Gewissen der Nation sei 42 . Vor allem gilt dies Wort wohl auch für diejenigen von Hallers eigenen Schriften, in denen es um kritische Auseinandersetzung mit der jüngsten Vergangenheit geht, wie in der historisch-politischen Studie „Die Aera Bülow" (1922), einer leidenschaftlichen und bitteren Abrechnung mit der halsbrecherischen „Weltpolitik" der Vorkriegsjahre, von der Haller sagt, daß sie „mit höchster Wahrscheinlichkeit zu einem furchtbaren Krieg, den ihre Urheber — man glaubt es ihnen gern — gewiß nicht wollten" 4 3 , führen mußte. Freilich bringt ein solcher bewußt aufgenommener Erziehungsauftrag zugleich besondere Verantwortung. Auch aus diesem Grund berührt es fast tragisch, wenn ein von der nationalen Erziehungsaufgabe des Historikers so tief überzeugter Autor wie Karl Alexander von Müller nach der Katastrophe von 1945 in dem bereits erwähnten Danton-Essay die für ihn wohl besonders schmerzliche Einsicht niederlegt: „Der Gedanke der modernen Nation, den er" — Danton — „mit ins Leben rief und dem sein Bestes diente, hat seine geschichtliche Stunde durchlaufen" 44 , und wenn es an anderer Stelle des gleichen Essays heißt: „im Lichte unserer eigenen jüngsten Erlebnisse mag es uns wohl nachdenkenswert erscheinen, wie eng verschwistert schon bei ihrem ersten Aufflammen die edelsten und die schmählichsten Züge der modernen Vaterlandsliebe sich zeigen und wie kurz schon der erste Weg (nach dem erschütternden Wort Grillparzers), von der Humanität über die Nationalität zur Bestialität' war" 4 5 . Mit den Schriften der eben erwähnten Autoren gewissermaßen verwandt durch den Willen, von der Auseinandersetzung mit der Geschichte auf Gegenwart und Zukunft einzuwirken — wenn auch von anderen geistigen Positionen aus und mit anderer politischer Zielsetzung — sind manche Schriften, die mittels radikaler kri41 42 43 44 45
Erich Mareks, „Geschichte und Gegenwart", V o r w o r t . Johannes Haller, „Uber die Aufgaben des Historikers", S. 31. Johannes Haller, „Die Aera Bülow", S. 78. Karl Alexander von Müller, „Danton", S. 137. Karl Alexander von Müller, „Danton", S. 67.
Geschichtsphilosophisch-universalhistorische Betrachtungen
15
tischer Durchleuchtung der Vergangenheit zugleich Kritik an der Gegenwart üben wollen. Künstlerischer Formwille tritt in ihnen entweder überhaupt gegenüber der politischen Absicht zurück, oder er erscheint in den Dienst eines aufklärerischen Willens gestellt, der möglichst weite Kreise anzusprechen und in seinem Sinne zu beeinflussen sucht. Dies dürfte zum Beispiel für die Aufsätze Franz Mehrings (1846—1919) zur preußischen und deutschen Geschichte gelten. Ihr Ton ist meist aggressiv-kritisch; mit Vorliebe an „vaterländische Gedenktage" anknüpfend46 ziehen sie gegen die Geschichtsdarstellungen der „patriotischen Festharfner" 47 , das heißt der konservativen und national-liberalen Historiker zu Felde, um das gängige Geschichtbild und vor allem die These von der nationalen Mission des preußischen Staates als Legenden zu entlarven. Daß auch diese aggressiv-polemische Form historischer Publizität sich als Wissenschaft im Dienste einer großen volksaufklärerischen und volkserzieherischen Aufgabe versteht48, ist deutlich; der Form nach gehört sie aber wohl nicht mehr zur Essayistik, sondern zur Polemik als einer eigenen literarischen Form.
c) Geschichtsphilosophisch-universalhistorische
Betrachtungen
Wenn Bruno Berger dem „echten" Essay die Aufgabe zuweist, das Menschenbild der Epoche auszudrücken, „sei es in Teilstücken, implizit oder in überschauender Synthese"49, so könnte man fragen, ob dies nicht im historischen Essay ebenso für das Geschichtsbild der Epoche gilt, und wenn Berger fortfährt, hier deute sich in Umrissen eine Essayform kommender Zeiten an, so ist zu fragen, ob nicht seit mindestens zweihundert Jahren eine Vielzahl von Schriften mehr oder minder essayistischen Gepräges und Geistes sich mit der Aufgabe auseinandergesetzt hat, den Geheimnissen von Ursprung, Sinn und Ziel der Geschichte und der geschichtlichen Existenz des Menschen nachzugehen. Geschichtsphilosophisdie und universalgeschichtliche Betrachtung haben in Deutschland eine alte und ehrfurchtgebietende Tradition; der oft epochemachenden Ausstrahlung solcher Schriften nachzugehen würde fast dem Versuch gleichkommen, einen 46
Vgl. beispielsweise Franz Mehring, „Gesammelte Schriften und Aufsätze" III, S. 25 ff., S. 187 ff. usw.
47
Franz Mehring, „Gesammelte Schriften und Aufsätze" IV, S. 327.
48
Vgl. beispielsweise die Ausführungen bei Franz Mehring, Schriften und Aufsätze" IV, S. 21.
49
Bruno Berger, „Der Essay", S. 67.
„Gesammelte
16
Uberblick über das Gesamtgebiet
Abriß der geschichtlichen Wandlungen des deutschen Geschichtsbildes überhaupt zu geben. Herders „Auch eine Philosophie der Geschichte zur Bildung der Menschheit", Schillers „Was heißt und zu welchem Ende studiert man Universalgeschichte", manche der kleineren Schriften Wilhelm von Humboldts zur Altertumskunde und Universalgeschichte könnten ebenso einbezogen werden wie etwa Rankes „Politisches Gespräch", Burckhardts „Weltgeschichtliche Betrachtungen" oder Nietzsches „Von Nutzen und Nachteil der Historie für das Leben". Diese Werke samt und sonders als „historische Essays" klassifizieren zu wollen, würde zwar sicherlich zu weit gehen, wohl aber dürften bei jeder von ihnen charakteristische Elemente essayistischen Stils und essayistischer Haltung nachweisbar sein — bei Herder etwa die bei aller Subjektivität und Willkür der Gedankenführung doch einheitliche Grundauffassung der Geschichte als „Gang Gottes über den Nationen" —, und vor allem eben das Streben, etwas vom Sinn des Geschichtlichen überhaupt zu erfassen — sei es in Teilstücken, implizit oder in überschauender Synthese. Aus jüngerer Zeit könnten wohl manche der großen Aufsätze Meineckes oder etwa Gerhard Ritters Essays „Vom sittlichen Problem der Macht" in diesem Zusammenhang genannt werden, schon äußerlich deshalb, weil sie in ihrer Fragestellung oft sehr stark und bewußt an das Geschichtsdenken der deutschen Klassik, Rankes, Burckhardts und Nietzsches anknüpfen, so daß die Kontinuität einer großen Tradition unverkennbar ist. Wollte man in die Betrachtung solcher Werke geschichtsphilosophisch - universalgeschichtlichen Geistes auch noch Schriften einbeziehen, denen — analog zu dem oben zitierten Wort Bergers — ein bestimmtes, individuell geprägtes Geschichtsbild nur „in Teilstücken" oder „implizit" zugrunde liegt, so geriete man ins Uferlose: die Einzeluntersuchungen der vorliegenden Arbeit werden zu zeigen versuchen, wie stark auch in Schriften einer keineswegs dezidiert geschichtsphilosophischen Fragestellung charakteristische Züge des Weltund Geschichtsbildes der jeweiligen Autoren hervorzutreten vermögen. Mitunter geschieht dies gleichsam sogar ohne bewußtes Zutun des Autors: er schildert, mißt und bewertet den jeweiligen Gegenstand entsprechend dem Maßstab einer für ihn verbindlichen Gesdiichtsinterpretation, die der Darstellung zugrunde liegt, ohne ausdrücklich dargestellt und begründet zu werden, wobei sich doch charakteristische Züge einer solchen immanenten Geschichtsinterpretation schon aus Wortwahl und Schilderungsweise ablesen lassen. Vielfach ist aber auch sehr bewußt das Prinzip der Konzentrierung maßgebend: das Bedürfnis, im Besonderen das Allgemeine, die Quintessenz, die bleibende Erkenntnis zu fassen und dem Leser mitzugeben.
Kultur- und geistesgeschichtliche Essayistik
17
Nur erwähnt sei, daß neben ausgesprochen historischen Schriften auch Untersuchungen durchaus gegenwarts- und zukunftszugewandter Fragen stark geschieh tsphilosophisdhe Züge aufzuweisen vermögen: Walter Rathenaus (1867—1921) Aufsatz „Zur Kritik der Zeit" (1911) beispielsweise gipfelt in einem geradezu geschichtsmetaphysischen Ausblick, der versucht, das Zeitalter der Mechanisierung und des Intellektualismus als eine der großen Schulungen der Erdengeschlechter zu deuten, die in ihrer Einzigartigkeit und entgegen allen Tendenzen der „Entindividualisierung", der Sinnentleerung und Relativierung aller Ideale zu etwas Großem führen werde: zum Reich der Seele50. Aus Gründen der Form wird man solche Schriften allerdings meist dem „Essay" fernzuhalten haben. d) Kultur-
und geistesgeschichtliche
Essayistik
Eine sich mit dem geschichtsphilosophischen Essay zum Teil enger berührende Gruppe wird von Schriften kulturgeschichtlicher oder kultur- und geistesgeschichtlicher Thematik gebildet (eine differenziertere Betrachtung müßte hier freilich zu trennen suchen: das Wort „kulturgeschichtlich" kann einmal den Akzent des „Sittengeschichtlichen" tragen, wenn nämlich die Realia des Lebens, der Lebensweise, betont werden, während eine andere Auffassung des Begriffs „Kulturgeschichte" mehr auf das Geistige ausgeht und insofern der Geistesgeschichte zugeordnet erscheint. In der Praxis sind die Übergänge aber sehr fließend). Das Beispiel Jakob Philipp Fallmerayers (1790—1861) zeigt, wie fließend die Ubergänge auch zur politischen Publizistik zu sein vermögen. In seinen „Fragmenten aus dem Orient" (1845) wurde er, wie Srbik sagt, „der große Seher und Künder des tiefen Gegensatzes von Abendland und Morgenland, von slawisch-griechisch-byzantinischem Osten und germanisch-romanischem Westen, der Vertreter der Geschichtstheorie der naturanalogen geistigen Gesetzlichkeiten, der Notwendigkeiten und einer Teleologie menschlicher, geistiger und politischer Freiheit und der Geschichte als eines ständigen Ringens gegnerischer Kräfte" 5 1 . Daneben zeugen Fallmerayers Schriften aber auch von einem leidenschaftlich auf seine eigene Zeit gerichteten politischen Temperament. Grimmigen Haß gegen politischen Klerikalismus, gegen die russische Autokratie, gegen die europäische Pentarchie der Metternichzeit, gegen alle mit dem byzantinischen Griechentum zu50
51
2
Walter Rathenau, „Gesammelte Schriften" 1, S. 1 ff., v o r allem zu vergleichen S. 1 4 5 — 1 4 8 . Heinrich R i t t e r von Srbik, „Geist und Geschichte" II, S. 93. Fischer, Studien zum historischen Essay
18
Überblick über das Gesamtgebiet
sammenhängenden geschichtlichen und politischen Erscheinungen und — last but not least — gegen hochadlige Reiseschriftstellerinnen offenbaren nicht nur die ausgesprochen gegenwartspolitischen Schriften Fallmerayers, sondern an nicht wenigen Stellen auch die „Fragmente" selbst, vor allem in der Vorrede „Was der Fragmentist über die gegenwärtigen Zustände Deutschlands, besonders über die Revolution, über die Andächtigen und über die Russen denkt" 5 2 .
Abrisse nach Art des hier versuchten nötigen häufig genug dazu, Namen neben- oder nacheinander aufzuführen, die außer äußerlich stofflichen Berührungspunkten sehr wenig miteinander gemeinsam haben; ein gewisser Systemzwang bringt es mit sich, daß auch durchaus eigenständige, im Grunde nur mit sich selbst wirklich vergleichbare Schriftstellergestalten als „Vertreter" einer wie auch immer umschriebenen „Gruppe" zusammengerückt werden — nachträgliche Einordnungen haben immer etwas Künstliches und Anfechtbares, ob sie nach stofflichen, formalen, chronologischen oder was immer für Gesichtspunkten vorgenommen werden. Die Problematik solcher Eingruppierung zeigt sich etwa, wenn von den Büchern von Ferdinand Gregorovius (1821—1891) gesagt wird, daß sie „zwar nicht der Form, aber der Haltung nach" 5 4 ihren Platz in der Essayistik ihrer Epoche beanspruchen dürften. Aus den Werken dieses großen .Psychologen der Landschaft' 58 , in denen sich dichterische Neigung, geschichtlicher Sinn, Naturgefühl, Schwung und Gehobenheit der Sprach- und Schilderungskunst verbinden, möchten wir das letzte vollendete Werk von Gregorovius hervorheben: die Rede über „Die großen Monarchien oder die Weltreiche in der Geschichte" 66 . Wir erwähnen sie nicht, weil sie etwa der Form nach besonders „essay52
64
55 66
Bevor man sich aber einige aus neuerer Zeit stammende, fast enthusiastische Urteile über den Essayisten Fallmerayer — »Der einzige Prosaist jener Jahrzehnte, dessen Schaffen aus echtem Essaygeist entstanden ist" (Berger, „Der Essay", S. 218) — zueigen macht, wird man sich doch auch zu fragen haben, ob nicht manche seiner Schriften bei aller funkelnden Bewegtheit des Stils und bei aller Fülle frappierender Ideen und Ausblicke gelegentlich zu einer schwer erträglichen Lektüre werden durch stark hervorgekehrte Besserwisserei, durch verbitterten H o h n über Andersdenkende und durch ein Ubermaß sarkastisch-ironischer Polemiken gegen oft unbedeutende Objekte. Besonders in den „Kritischen Versuchen" (3. Band der „Gesammelten W e r k e " ) wirkt das Übermaß gallig-satirischer Polemik mitunter kraß. Klaus Günther Just in „Deutsche Philologie im Aufriß" II, 2. Auflage, Sp. 1929. Bruno Berger, „Der Essay", S. 222. Im dritten Band der „Kleinen Schriften zur Geschichte und C u l t u r " .
Kultur- und geistesgeschichtliche Essayistik
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istisch" wäre — hier müßten weit eher die Interpretationen gesdiichtsträchtiger Landschaften und Kulturdenkmäler in den „Wanderjahren in Italien" genannt werden — sondern weil sie in großen Umrissen und weitem Überblick über die Kulturgeschichte der Menschheit vielleicht als eine Zusammenfassung von Gregorovius' geschichtlichem Denken betrachtet werden k a n n 5 7 : von den antiken Grundpfeilern der Menschheitsgeschichte über Gregorovius' eigenes Zeitalter der nationalen Wiedergeburt Italiens und Deutschlands bis zu dem kühnen Ausblick auf ein künftiges System vereinigter Völkerstaaten Europas. Die lange Reihe historischer, biographischer und kulturkritischer Essays, die Karl Hillebrand ( 1 8 2 9 — 1 8 8 4 ) — nach Bruno Berger der „Vollender des klassischen Essays" 5 8 — in den sieben Bänden „Zeiten, Völker und Menschen" veröffentlichte, kann in Geist und Gehalt vielleicht nicht besser charakterisiert werden als mit den W o r ten seines Freundes Heinrich H o m b e r g e r : „ . . . die Mannigfaltigkeit ist nicht Buntheit, der Kreis der Stoffe ist ein begrenzter, und ein und derselbe Geist, ein Gedanke durchdringt sie alle: der Gedanke, durch die Vergleichung der Epochen und Länder des Lesers Auge und Sinn zu öffnen für das allgemein Menschliche; an der Begrenztheit der Jahrhunderte, der Nationen, der Individuen die große Lehre der Duldung und Mäßigung zu erweisen" 59 , und: „Seine Methode ist nicht streng, sondern spielend, seine Form nicht lehrhaft, sondern künstlerisch. Zu aller Kunst aber braucht es einen Künstler, eine individuelle Persönlichkeit, jenes unsagbare Etwas, welches in einem einzigen Menschen zur Erscheinung kommt und mit ihm verschwindet, ob man es nun Genius, Originalität, Spontaneität nenne. Audi von den wundervollsten wissenschaftlichen Entdeckungen darf man, muß man glauben, daß, hätte nicht Kepler oder Newton sie gemacht, ein anderer sie gemacht haben würde. Wesen und Werth der Wissenschaft besteht in ihrer objektiven, von der Person der einzelnen Forscher ablösbaren Wahrheit. Aber die Essays eines Montaigne, eines Bacon wären ohne den einen Montaigne, den einen Bacon nimmermehr geschrieben worden" 6 0 . Wissenschaftler, Novellist und Journalist, Staatswissenschaftler, Kulturhistoriker und Musikkenner zugleich istWilhelm bis 1897).
Kulturstudien und 57
58 59
60 2*
Heinrich Riehl ( 1 8 2 3
Eine äußerst reizvolle Verbindung v o n literarischer Porträtmalerei
Autobiographie,
stellen die
„Kultur-
Vgl. Johannes Hönig, „Ferdinand Gregorovius", 2. Auflage, (Stuttgart 1944), S. 411—414. Bruno Berger, „Der Essay", S. 221. Heinrich Homberger in Karl Hillebrand, „Frankreich und die Franzosen" („Zeiten, Völker und Menschen", Erster Band, Vierte Auflage, Straßburg 1898), S. 422. Heinrich Homberger a.a.O., S. 432.
20
Uberblick über das Gesamtgebiet
geschichtlichen Weise
Riehl,
Charakterköpfe"
(1891)
v o n /den scheinbar
dar.
In
welch
unbedeutendsten
charmanter
„Realien"
aus-
gehend, die Geistigkeit ganzer Epochen der Geistesgeschichte zu erschließen vermag, zeigen vielfach die „Culturstudien
aus drei J a h r -
hunderten" (1858); als Beispiel für die spielerische Leichtigkeit in der Verknüpfung des Materiellen und
des Geistigen, scherzenden Plau-
dertons und subtiler Analyse sei der Anfang des Essays „Das musikalische O h r " zitiert (zugleich als Beleg dafür, daß , H u m o r ' in der deutschen Essayistik keine so gänzliche Ausnahmerscheinung ist, wie gelegentlich angenommen wird) 6 1 : „Die norddeutsche Stimmung unterscheidet sich im allgemeinen von der süddeutschen — ich meine die Orchesterstimmung. Die Wiener Stimmung ist die höchste in Deutschland. Noch höher aber geht man in Petersburg; der Ton, aus welchem man an der Newa spielt, ist der höchste in ganz Europa. Die Klimax des europäischen Kammertons läßt sich in ihren drei Hauptstufen gegenwärtig nach der Orchesterstimmung folgender drei Hauptstädte darstellen, und zwar vom tiefsten Tone zum höchsten aufsteigend: Paris, Wien, Petersburg. Einem deutschen Kammerton gibt es nicht, wohl aber Dutzende verschiedener deutscher Kammertöne, einen Wiener, Berliner, Dresdner, Frankfurter etc., so daß bei solchem Particularismus selbst jene oben angedeutete Zweitheiligkeit der nord- und süddeutschen Stimmung nur als eine ganz allgemein zu fassende Hypothese erscheint. Dagegen nimmt man ganz unverfänglich Pariser Ton und französischen Ton für gleichbedeutend." (Fußnote: „Frankreich centralisirt auch hier, und man beruft gegenwärtig ein Tridentinum nach Paris, zur Wiederherstellung der Katholicität in der europäischen Orchesterstimmung"). „Andererseits hat auch Italien keine einheitliche Stimmung. Schon vor hundert Jahren unterschied man dort, vom tiefern zum höhern aufsteigend: römischen, venezianischen und lombardischen Ton. In Rom dürfte man also ungefähr aus dem Pariser Ton spielen, in Oberitalien aus dem Wiener und Petersburger. Ich schreibe keine politischen Metaphern, sondern trockene musikalische Wahrheit. Sollte aber diese Varietät der musikalischen Stimmung, die ihre historischen Wurzeln weit hinauf treibt, etwas ganz Willkürliches und Zufälliges seyn? Schon der deutsche Sprachgebrauch legt in das Wort .Stimmung' einen bedeutungsvollen Doppelsinn. Die gegebene Basis, auf welcher sich die Akkorde der Musik, andererseits die Akkorde des Gemüthslebens aufbauen, stempelt er mit dem gleichen Namen. Es ist eine der reizendsten aber auch schwierigsten Aufgaben der Culturgeschichte, die gleichsam persönliche Empfindungsweise, welche jedes Zeitalter besonders kennzeichnet, den Ton, auf welchen dasselbe gestimmt ist, zu belauschen, im Unterschied von der Erkenntnis seiner ausgesprochenen Thaten und Gedanken" 6 2 . 61
62
Beispielsweise: „Wahrscheinlich ist R U D O L F KASSNER der einzige aller deutschen Essayisten, der Humor besitzt" (Bruno Berger, „Der Essay", S. 227). Wilhelm Heinrich Riehl, „Culturstudien", S. 80—81.
Kultur- und geistesgeschichtliche Essayistik
21
Karl Theodor Heigel (1842—1915) widmet sein sehr umfangreiches essayistisches Werk — nicht weniger als neun Sammlungen seiner kleinen historischen Schriften erschienen zwischen 1881 und 1906 — vor allem „jenen Geschichtsfreunden, welche nicht die Muße haben, umfangreiche Werke zu studieren, welche sich aber gern mit kürzeren historischen Abhandlungen beschäftigen, wenn sie daraus Neues erfahren können oder wenn ihnen Bekanntes in neuer Auffassung dargeboten wird" 63 . Er ist Erzähler und Schilderer mit starkem Sinn für das lebensvolle und farbige anekdotische Detail; seine Lieblingsgebiete sind vor allem die französische Revolutionszeit, die deutsche und österreichische Geschichte im 18. und frühen 19. Jahrhundert, vor allem aber die Geschichte seiner engeren bayrischen Heimat mit ihren Menschen und Landschaften und ihrer Fülle farbiger und volkstümlicher Gestalten — von Fürsten und Staatsmännern über Gelehrte, Künstler und Originale bis zu dem berühmten Räuberhauptmann, dem „bayrischen Hiesel"64. Dabei ist er keineswegs nur Populärhistoriker: „Nur der Kenner", sagt Karl Alexander von Müller, „sieht auch in den scheinbar leichtesten dieser Gebilde die strenge wissenschaftliche Arbeit, die Menge tatsächlicher neuer Aufschlüsse, Berichtigungen und Ergänzungen, die hier auf anmutigen Fahrzeugen beinahe verborgen mitgeführt werden; nur er kann ermessen, welches Kapital von Kenntnissen, Geduld, vorsichtiger und mühsamer Untersuchung in Archiven und Büchereien seine Zinsen in diesen liebenswürdigen Schilderungen trägt, die unterrichten, indem sie nur anzuregen scheinen"65. Die Künstlernatur und das Verlangen nach dem Schauen des Bildhaften im geschichtlichen Leben, der universalhistorische Drang und ,die innere Fremdheit gegenüber moderner philosophischer Spekulation verknüpfen nach den Worten Srbiks den Franken Friedrich von Bezold (1848—1928) mit Kulturhistorikern wie Burckhardt und Huizinga66. Im Zentrum der kulturgeschichtlichen Studien Bezolds, die 1918 unter dem Titel „Aus Mittelalter und Renaissance" herausgegeben wurden, stehen die Ubergänge zwischen den Epochen und ihre Persönlichkeiten, Gestalten, die — wie etwa der Franzose Bodin — an der Wende zweier geistes- und seelengeschichtlicher Zeitalter stehen67. Zum Teil 63
Karl Theodor von Heigel, „Biographische und kulturgeschichtliche Essays", Vorwort.
64
Karl Theodor von Heigel, „Essays aus neuerer Geschichte", S. 128 ff.
65
Karl Alexander von Müller, „Zwölf Historikerprofile", S. 63.
66
Heinrich R i t t e r von Srbik, „Geist und Geschichte" II, S. 1 7 2 — 1 7 3 .
67
Heinridi R i t t e r von Srbik, „Geist und Geschichte" II, S. 1 7 2 — 1 7 3 .
22
Überblick über das Gesamtgebiet
tragen diese Studien den Charakter von Spezialuntersuchungen, wahren aber immer den universalhistorischen Ausblick auf die geschichtlichen Kontinuitäten über die Epochengrenzen hinweg, so etwa, wenn Bezold über ein Vierteljahrtausend hinweg den Bogen von Conrad Celtis zu Jean Jacques Rousseau schlägt68, oder wenn er, von den Wahlrechtsdebatten seiner eigenen Gegenwart ausgehend, im Gefolge der feindseligen Dogmen noch einmal die Staatsauffassungen der abendländischen Geschichte vom frühen Mittelalter ab auf dem Kampfplatz erscheinen sieht: „Hier scheinen sidi weit auseinanderliegende Zeiten zu berühren; wir mögen uns im gleichen Augenblick an die mystische Salbung des Königs Chlodovedi und an Rousseaus contrat social erinnern" 6 9 .
Wesentlich und charakteristisch für das Schaffen Karl Brandis (1868 bis 1946) erscheinen einige Gesichtspunkte, die sich aus manchen theoretischen Äußerungen Brandis ebenso ablesen lassen, wie etwa aus der Gestaltung seiner Aufsätze in „Vier Gestalten aus der italienischen Renaissance": erstens die Schätzung der Biographie als strengster und künstlerisch geschlossenster Form der Geschichtsschreibung — „hier gibt es Anfang und Ende und innere Einheit" 70 —; zweitens die Zusammenschau von Kunst und Geschichte einer Epoche — „wie wäre sonst das Wesen der Renaissance zu verstehen, wenn man bei der historischen Schilderung die Kunst ausschalten oder in den Hintergrund drängen wollte?", wird in einer Würdigung seines Werks gefragt71 —; und drittens die Überzeugung, daß die Geschichtsschreibung selbst eine Kunst sei. Das „Wissenschaftliche" der Geschichtsschreibung liegt für Brandi, wie er ausführt, allein in den lehrbaren Methoden der Erforschung72. Sobald die Grenze von Forschung und Darstellung überschritten wird, endet für ihn das Reich der Wissenschaft: „Es beginnt die Welt des Subjektiven in Auswahl und Auffassung und Wiedergabe. Alle Gestaltung ist Kunst, nicht Wissenschaft; deshalb ist sie jeder Wissenschaft beigemischt oder eingepflanzt — nirgends mehr als in der H i s t o r i e " 7 2 .
So könnte man, leicht überspitzend, Brandis Auffassung vielleicht dahingehend interpretieren, daß letztlich aller Geschichtsdarstellung von Natur aus „essayistische" Züge eigentümlich sind. 68
Vgl. Friedrich von Bezold, „Aus Mittelalter und Renaissance", S. 152.
69
Vgl. Friedrich von Bezold, „Aus Mittelalter und Renaissance", S. 2 und S. 48. Karl Brandi, „Ausgewählte Aufsätze", S. 6. Walter Goetz (über Karl Brandi) in „Historiker in meiner Zeit", S. 364. Karl Brandi, „Ausgewählte Aufsätze", S. 24.
70 71 72
Kultur- und geistesgeschichtliche Essayistik
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Als der bedeutendste unter den noch im vorigen Jahrhundert geborenen lebenden Essayisten des deutschen Sprachgebietes wird von Bruno Berger Carl J. Burckhardt (1891 geb.) gewürdigt: „wie er nach gründlichem Fachstudium und der Bewährung an exponierter Stelle der Weltgeschichte nun nicht als Schriftsteller, sondern großer Herr des Geistes von seinen Begegnungen (1958) spricht, Gestalten und Mächte (1942) schildert, Bildnisse (1958) zeichnet und ebenso in Reden und Aufzeichnungen (1952) und Erinnerungen . . . . in edit essayistischem Ton seine Aussage formulieren kann, zeigt, daß sie organisch gewachsen ist. Man spürt den tiefen Lebensernst, man ahnt kaum die Summe unendlicher Erfahrungen und das profunde Wissen, so selbstverständlich sind sie in fast heiterer Gelassenheit... als unausgesprochenes Fundament wirkend vorhanden"73. Das Künstlertum und das geschichtliche Denken dieses Autors mit wenigen Worten charakterisieren zu wollen, dürfte wenig sinnvoll sein; statt dessen mag ein Wort aus Burckhardts jüngster Essaysammlung „Betrachtungen und Berichte" (1964) veranschaulichen, wie die Geschichte als Lebensmacht in seinem ganzen Leben und Werk gegenwärtig ist: „Immermann hat einmal gesagt, überall wo er noch auf Spuren des alten Reiches gestoßen sei, habe es ihm das H e r z bewegt. So erging es auch mir lebenslang. Jenes alte Reich, das sich niemals völlig verwirklicht hat, ist nicht mehr und wir sollen nicht zurückschauen und sollen ihm nicht nachtrauern, wir dürfen jedoch an die Kraft des Gedankens glauben, der einst jene ehrwürdige F o r m entworfen hatte, um uns die Mahnung zu hinterlassen, immer wieder nach neuen Formen friedlicher Gemeinschaft zu streben" 7 4 .
Mehr geistegeschichtlich als eigentlich kulturhistorisch sind die „Historischen Meditationen", die der Schüler und Biograph Jacob Burckhardts, Werner Kaegi (1901 geb.), 1942 herausgab (eine Fortsetzung wurde 1946 veröffentlicht). Von dem uralt-geschichtsträchtigen Basler Münsterhügel „auf Burg" richtet er seinen Blick mitten in den Wirren des zweiten Weltkrieges auf beherrschende Gestalten der europäischen Geistesgeschichte75 — Erasmus, Machiavelli, Voltaire — und, zugleich universalhistorisch und gegenwartsbezogen, auf die Grundlagen europäischen staatlichen Lebens. Die gleichsam antithetisch aufeinander bezogenen Aufsätze „Entstehimg der Nationen" und „Der Kleinstaat im europäischen Denken" bilden als Anfang und Schluß des Buches gleichsam den Rahmen: dem auf ein historisch 73
Bruno Berger, „Der Essay", S. 236.
74
Carl J. Burckhardt, „Betrachtungen und Berichte", S. 15.
75
Werner Kaegi, „Historische Meditationen" (erster Band, 1942), V o r w o r t .
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Uberblick über das Gesamtgebiet
fragwürdiges Bewußtsein völkischer Einheit gegründeten Begriff des Nationalstaates stellt der Schweizer sein „ P a x et Justitia" als ältere und universalere Grundlage staatlichen Zusammenlebens gegenüber: „Der deutschrömische Kaiser, der vor seiner Krönung am Grab Karls des Großen den Schutz der Kirche und die Wahrung von Frieden und Gerechtigkeit gelobte, wie es der französisdie König in Reims und der englische in Westminster tat, sie alle haben vielleicht im Akkord jenes Begriffes, den wir Nation nennen, einen tieferen Ton zum Klingen gebracht als der Publizist der Gegenwart, der die Lehre von der-nationalen Individualität und dem Primat der Selbsterhaltung als letzte Wahrheit politischen Wissens verkündet" 7 6 .
e) Essayistische Auseinandersetzungen
mit
Historikern
Nicht vergessen werden darf schließlich auch eine Gruppe v o n Schriften, die sich nicht so sehr mit dem geschichtlichen Leben selbst in seiner Unmittelbarkeit auseinandersetzen, als vielmehr mit der Spiegelung geschichtlichen Lebens im Denken und Schaffen bedeutender Historiker: sie greifen, wie Friedrich Meinecke sagt, zu den Spiegeln der Dinge statt zu den Dingen selbst, aber sie dürfen auch, wie Meinecke fortfährt, v o n ihrem Verfahren sagen: am farbigen Abglanz haben wir das Leben 7 7 . So betrachtet vermag auch die W ü r digung von Leben und W e r k einzelner Historiker zur Auseinandersetzung m i t der Totalität des Geschichtlichen zu werden, wie Meinecke über Alfred Dove ( 1 8 4 4 — 1 9 1 6 ) sagt: „ . . . nie wieder ist durch das Bild eines einzelnen Geschichtsschreibers hindurch das geschichtliche Leben selbst so reich, tief und ahnungsvoll unergründlich angedeutet worden, wie in den berühmten Ranke-Aufsätzen Doves, die man nicht vergessen dürfte, so lange es einen Sinn für klassische Leistung gibt. Alles, was hier mit unerreichter Sprachkunst, lebendigster Intuition und zugleich schärfster Prägnanz über den großen Meister, der seinem eigenen Leben immer vorleuchtete., gesagt ist, ist zugleich noch ein Symbol allgemeiner und umfassender Werte, es ist Quintessenz von Universalgeschichte, eingeschlossen in ein glänzendes Kristallfläschchen" 77 . Es dürfte kein Zufall sein, daß gerade Meinecke dieses W o r t geprägt hat, liebt er es doch selbst (vielleicht noch stärker und bewußter als Dove), aus der Interpretation der Werke großer V o r bilder heraus zu tiefgründigen Überlegungen über Wesen und W a n d 76 77
Werner Kaegi, „Historische Meditationen" (erster Band, 1942), S. 37. Friedrich Meinecke im Vorwort zu Alfred Dove, „Ausgewählte Aufsätze", S. XIII.
Essayistische Auseinandersetzungen mit Historikern
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lungen geschichtlichen Denkens und zu universaler Betrachtung vorzudringen 78 . Steht bei Meinecke oft noch die individuelle Gestalt eines Historikers im Vordergrund, wie etwa in den Studien über Droysen und Troeltsch, so sind die Vorträge Werner Kaegis, die 1954 unter dem Titel „Chronica Mundi. Grundformen der Geschichtsschreibung seit dem Mittelalter" veröffentlicht wurden, ganz der Interpretation weltgeschichtlicher Epochen aus ihrem Geschichtsverständnis heraus gewidmet. Geschichtsschreibung als ein „Suchen nach der Offenbarung nicht im Schönen, sondern im Wahren" 7 9 ist der Gegenstand dieser Reden, in denen mit O t t o von Freising und Suger von St. Denis, Macchiavelli und Sebastian Franck, Leopold von Ranke und Jacob Burckhardt jeweils zwei große und für ihre Epoche repräsentative Vertreter universalen Geschichtsdenkens einander gegenübergestellt werden. Wie sich individuelle Charakteristik eines Historikers mit grundsätzlicher Betrachtung über Sinn und Wesen der Geschichtswissenschaft zu verbinden vermag, zeigt der Aufsatz von Ottokar Lorenz (1832 bis 1904) über „Friedrich Christoph Schlosser und über einige Aufgaben und Prinzipien der Geschichtschreibung" (1876). Er erwächst aus dem Versuch heraus, das Andenken eines vielverkannten Historikers vor verständnisloser Kritik ebenso wie vor unkritischer Uberschätzung zu bewahren, wird zu einer Auseinandersetzung mit der Situation der Geschichtschreibung im neunzehnten Jahrhundert und gipfelt in der Mahnung, „einer ungeheuren Rührigkeit und einem gewaltigen Fleiße gegenüber, welche in den Vorhallen und auf den Vorstufen des Tempels herrschen,. . . einen orientierenden Blick auf den ganzen Bau zu werfen, um sich zu vergewissern, ob nicht vom Grundriß abgewichen worden ist" 8 0 . Es geht Lorenz um die Frage der Bewertungsmaßstäbe in der Geschichtschreibung: gewiß habe die moralisierende Historiographie Schlossers zu vielfachen Verzerrungen und Verrenkungen des Urteils geführt, doch müsse man einsehen — heißt es polemisch — , „daß eine Geschichtschreibung ohne Maßstäbe überhaupt besser dem Strome der Vergessenheit angehörte" 8 1 . Diese Maßstäbe könnten freilich nicht „aus den 78
Vgl. v o r allem einige der unter dem Titel „Schaffender Spiegel" gesammelten Aufsätze Meineckes, etwa über Droysen (S. 146 ff.) und über Troeltsdi (S. 211 ff.)
79
Werner Kaegi, „Chronica Mundi", S. 7.
80
O t t o k a r Lorenz, „Friedrich Christoph Schlosser und über einige Aufgaben und Principien der Geschichtschreibung", S. 91.
81
O t t o k a r Lorenz, „Friedrich Christoph Schlosser", S. 74.
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Überblick über das Gesamtgebiet
Wolken, aus Dante's Paradies, aus Kant, aus Aristoteles" genommen werden, sondern nur aus der Geschichte selbst: „ . . . wer dereinst über das, was man heute in Deutschland den Culturkampf nennt, ein Urteil fällen will, der muß so oder so den Werth berechnet haben, welchen die unfehlbare Papstkirche historisch für die menschliche Gesellschaft haben konnte, sonst bleibt er uns ein Stümper, wenn er noch so sehr den unparteiischen Weltenrichter spielen wollte" 82 . Individuelle Porträts zahlreicher Historiker und allgemeine Betrachtungen über Probleme der Geschichtschreibung finden wir auch in zahlreichen Schriften von Walter Goetz (1867—1958), allerdings nicht innerhalb einer einzelnen Schrift miteinander so eng verbunden wie bei Lorenz. „Die deutsche Geschichtschreibung des letzten Jahrhunderts und die Nation" (1919) interpretiert den Zusammenhang zwischen dem politischen Leben eines Volkes und seiner Geschichtschreibung; „Intuition in der Geschichtswissenschaft" (1935) ist eine grundsätzliche Auseinandersetzung mit modernen Versuchen, eine als Gegensatz zur rationalen wissenschaftlichen Forschung aufgefaßte intuitive Wesensschau zur Grundlage der Geschichtschreibung zu machen. Zeugnisse kollegialer und menschlicher Verbundenheit dagegen sind die Porträts der „Historiker in meiner Zeit" (1957). Auf den eigentümlichen literarischen und menschlichen Reiz solcher Schriften weist Theodor Heuss im Vorwort hin: „Nun ist es so — das weiß jedermann — Geburtstagswürdigungen und Nekrologe haben ihr zugehöriges literarisches Klima; der aufmerksame Leser mag, will er den Wärmegrad
finden,
sich darüber
Rechenschaft
geben, ob sich solcher Essay publizistisch entfalten kann oder mehr in den Pfliditrahmen etwa der Totentafel einer Akademie einfügt. Das ist dann aber sehr spürbar — und dies schenkt einen diskreten Reiz bei der Lektüre — : hier die menschliche Wärme, ja Liebe zu dem Mann und seinem Werk, dort der etwas ,korrekt' wirkende distanzierende Respekt, der doch das rechte Maß nicht verfehlen m ö c h t e " 8 3 .
Jedes Bild erzählt, wie Heuss im gleichen Zusammenhang schreibt, auch etwas von der Art des Bildenden selbst 83 . Auseinandersetzungen mit Persönlichkeiten, die dem jeweiligen Autor einmal zum Erlebnis geworden sind — sei es durch persönliche Begegnung, sei es durch Begegnung mit ihrem Leben und Schaffen — haben insofern immer auch etwas Bekenntnishaft-Autobiographisches, sind Zeugnisse eigenen geistigen Werdens. Mitunter sind solche Schriften sogar von überwiegend autobiographischem Charakter, wie etwa die aus dem Nachlaß Kurt Breysigs (1867—1940) veröffentlichten, zum 82 83
O t t o k a r Lorenz, „Friedrich Christoph Schlosser", S. 81. Theodor Heuss im V o r w o r t zu Walter Goetz, „Historiker in meiner Zeit", S. X I V — X V .
Essayistische Auseinandersetzungen mit Historikern
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Teil nur skizzenhaften „Bildnisse" 84 : gleichsam impressionistisch aus dem Augenblick heraus gezeichnete Bilder Schmollers, Herman Grimms, Treitschkes, Burckhardts, Lamprechts, Nietzsches, Georges. Sie sind Niederschlag unmittelbar empfangener, für das eigene Leben bestimmender Eindrücke, gewissermaßen Dokumente eigenen Werdens und Wachsens, ursprünglich anscheinend auch dazu bestimmt, in den Zusammenhang von Breysigs unvollendeter Autobiographie „Aus meinen Tagen und Träumen" eingeschmolzen zu werden. Gleichsam als eine Brücke zwischen den Generationen der Geschichtsforscher und -lehrer verstehen sich die „Zwölf Historikerprofile" (1935) Karl Alexander von Müllers — durchweg Skizzen nach dem Leben: Nachrufe, Gedenkreden, Glückwünsche —, die der Autor seinen eigenen, bereits wieder lehrenden Schülern widmet, um der Jugend etwas vom Erbe der voraufgegangenen und der gegenwärtigen Generation weiterzugeben, wie es das vorangestellte LukrezWort ausdrückt: „Inque brevi spatio mutantur saecla animantum Et, quasi cursores, vitai lampada tradunt" 85 .
Wir brechen hier den Versuch ab, aus der nicht auszuschöpfenden Vielfalt mehr oder weniger essayistischen historischen Schrifttums thematisch enger zusammengehörige Untergruppen herauszusondern. Den aufgeführten Schriftsteller- und Historikerpersönlichkeiten gerecht zu werden, vermag er wohl schon deshalb nicht, weil er immer wieder dazu nötigt, aufgrund äußerlicher Kriterien einzelne Teilstücke aus der Ganzheit in sich geschlossener Lebenswerke herauszulösen, isoliert zu betrachten und schematisch in die eine oder andere Kategorie einzuordnen. Aufsatzsammlungen wie Max Lehmanns (1845—1929) „Historische Aufsätze und Reden" (1911), Max Lenz' (1850—1932) „Kleine Historische Schriften" (drei Bände, 1910—1922), Max Dunckers (1811—1886) oder Reinhold Kosers (1852 bis 1914) Aufsätze zur preußischen und deutschen Geschichte, Paul Bailleus (1853—1922) „Preußischer Wille" (1924 herausgegeben), Reinhold Lorenz' „Drei Jahrhunderte Volk, Staat und Reich" (1943), Otto Hintzes (1861—1940) „Historisch-Politische Aufsätze" (1903), Heinrich Friedjungs (1851—1920) „Historische Aufsätze" — um nur einige bisher noch nicht aufgeführte Historiker zu nennen — sind in sich einheitliche, weil von einheitlichem Geist durchzogene Bücher, so sehr eine rein formale Betrachtung in ihnen willkürliche und zufällige Zusam84 85
Kurt Breysig, „Aus meinen Tagen und Träumen", S. 47 ff. Karl Alexander von Müller, „Zwölf Historikerprofile", Motto.
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Überblick über das Gesamtgebiet
menstellungen heterogener Bestandteile (Spezialuntersuchungen, Problemstudien, Lebensbilder, Kulturstudien usw.) erblicken müßte. Die nach Entstehungsdatum, Anlaß und Gegenstand so unterschiedlichen Aufsätze Friedjungs beispielsweise werden doch zu einer unlöslichen Einheit dadurch, daß sie — mitten in den Tagen des Zusammenbruchs der Donaumonarchie erschienen — in ihrer Gesamtheit einen Nachruf darstellen auf den Heimatstaat ihres Verfassers: „Wie ich über mein großes und unglückliches Vaterland gedacht habe, dafür sei auch in diesem Buche Zeugenschaft abgelegt" 86 . Aber aus ethischsittlichen Begriffen wie „Vaterlandsliebe" lassen sich freilich keine literaturwissenschaftlichen Kriterien zur Untersuchung von Form- und Gattungsproblemen ableiten, so unverkennbar sie für viele der aufgezählten Schriften und Schriftensammlungen das einigende geistige Band bilden. 86
Heinrich Friedjung, „Historische Aufsätze", S. XIV.
2. Zur Aufgabenstellung der Arbeit Die hiermit vorgelegte Arbeit versucht einen Beitrag zur Diskussion um den Essay als Kunstform zu liefern, indem sie anhand von ausgewählten Beispielen aus einem verhältnismäßig eng umgrenzten stofflichen Bereich vor allem auf die folgenden Fragenkreise eingeht, die in der Literatur zum Begriff des „Essay" als besonders dringliche Forschungsaufgaben bezeichnet werden 87 . Erstens wird als eine der Vorbedingungen zu einer präzisen Wesensbestimmung des Essays gefordert, die Beziehungen zwischen Wissenschaft und Essayistik näher zu untersuchen. Um hierzu beizutragen, konzentriert sich die vorliegende Arbeit auf Beispiele aus einem Stoffbereich — dem geschichtlichen nämlich —, der besonders geeignet ersdieint, den Essay als „Umschlaghafen zwischen Wissenschaft und Literatur" 8 8 kennenzulernen. Zweitens wird auf die Wünschbarkeit stoffgeschichtlicher Untersuchungen und Querschnitte zur Essayistik hingewiesen; eine Stoffgeschichte des Essays verfassen heißt — nach Klaus Günther Just — recht eigentlich seine Wesensgeschichte verfassen: „Die Stoffwahl bedeutet für den Essayisten jeweils einen A k t vollverantwortlidier Entscheidung. Niemals wird diese lau und unentschlossen sein, immer steht ein sehr persönlidi akzentuiertes Ja oder Nein dahinter" 8 9 .
Bewußt werden daher in der vorliegenden Arbeit Schriften untersucht, die sich mit heftig umstrittenen geschichtlichen Gestalten auseinandersetzen, und in denen es nicht allein um die Einsicht in historische Sachverhalte, sondern vor allem auch um ihre Sinngebung und Wertung geht. Ein Vergleich solcher Schriften verschiedener Autoren über vergleichbare Themen soll behilflich sein bei der Untersuchung der Frage, ob und in welchem Ausmaß die Anwendung persönlich akzentuierter Wertmaßstäbe Wesensmerkmal des jeweils untersuchten Essays ist. Drittens werden formgeschichtliche Untersuchungen gefordert. Solche Untersuchungen haben, wie wir meinen, dem Versuch der Be87
88 89
Vgl. zu den folgenden Punkten: Klaus Günther Just in „Deutsche Philologie im Aufriß" II, 2. Auflage, Sp. 1946—1947. Just a.a.O., Sp. 1898. Just a.a.O., Sp. 1902.
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Zur Aufgabenstellung der Arbeit
griffsbestimmung voranzugehen, da sich der Begriff „Essay", wie Just erläutert, vor allem aus der besonderen Art der Stoffverwertung, das heißt aus Form und Stil ableiten läßt 9 0 . Deshalb soll im folgenden an inhaltlich vergleichbaren Schriften untersucht werden, in welcher Weise vorgegebene Sachverhalte und Tatbestände verarbeitet werden und inwieweit sich die individuell verschiedenen Fragestellungen, Betrachtungsweisen und Bewertungsmaßstäbe der jeweiligen Autoren auf Stoffwahl, Komposition, Gedankenführung und sprachliche Gestaltung des Essays auswirken. Die bisherigen Versuche, zu allgemeingültigen, normativen Aussagen über Wesen und Form des Essays zu gelangen, haben im allgemeinen keinen durchschlagenden Erfolg zu verzeichnen gehabt. Wir zitieren einige Stimmen aus neuerer Zeit zur Illustration. 1955 urteilt Hans Wolffheim: „In den wenigen Fällen, wo die literaturkritische und literaturwissenschaftliche Forschung den Versuch unternahm, sich mit der vernachlässigten Gattung des Essays zu beschäftigen, sind die Ergebnisse verblüffend unbefriedigend und unzureichend geblieben" 9 1 .
In der bisher umfassendsten deutschsprachigen Gesamtdarstellung wird 1964 hervorgehoben, daß die Ausgangsbasis der meisten theoretischen Äußerungen zu eng gewählt sei: „ . . . alle vorliegenden Definitionsversudie widersprechen entweder einander, oder sie stehen (nodi häufiger) in absolutem Widerspruch zu der Summe der seit zweihundert Jahren vorliegenden Essayistik, weil sie, jeweils aus vorgefaßter Idee, nur eine einzige Epoche betrachten und diese Betrachtung ohne weitere Prüfung verallgemeinern" 9 2 .
Und auch in allerjüngster Zeit — September 1965 — wird die wissenschaftliche Diskussion um den Essay als „chaotisch und chronisch belastet" bezeichnet, wobei vor allem auch das Deduzieren von einer zu schmalen und einseitigen Basis aus getadelt wird 93 . Je stärker andererseits manche Arbeiten (vor allem Handbuchartikel) sich um allgemeinere Formulierungen bemühen, um allen verschiedenartigen Ausprägungen des Typus „Essay" gerecht zu werden, desto allgemeiner und im Grunde konturloser werden die Begriffe „Essay" und „essayistisch"; die zahlreichen und verschiedenartigen Elemente, die in ihrer Gesamtheit als konstituierend für den Essay bezeichnet 90 91 92 93
Just a.a.O., Sp. 1946. Hans Wolffheim in „Festgruß für Hans P y r i t z " , S. 27. Bruno Berger, „Der Essay", S. 5. Vgl. Ludwig Rohner in „Neue Zürcher Zeitung" v o m 17. September 1965, Blatt 6.
Zur Aufgabenstellung der Arbeit
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werden, sind einerseits durchaus nicht in jedem Essay vollzählig anzutreffen, und andererseit lassen sie sich einzeln jeweils auch in durchaus nicht-essayistischen Schriften nachweisen. Wir möchten daher darauf verzichten, die zahlreichen und sehr verschiedenartigen theoretischen Äußerungen zum Themenkomplex „Essay" einzeln aufzuzähln und zu diskutieren. Statt dessen verweisen wir auf die Habilitationsschrift von Peter M. Schon 94 , in der einige der vor 1945 entstandenen Diskussionsbeiträge kritisch gewürdigt werden, sowie vor allem auf Bruno Bergers Werk „Der Essay. Form und Geschichte", das sich sehr kritisch und recht ausführlich mit wesentlichen neueren Beiträgen, u. a. von Theodor W. Adorno, Max Bense, Karl August Horst, Klaus Günther Just, Fritz Martini, Hans Wolffheim auseinandersetzt und damit als orientierender Überblick über den derzeitigen Forschungsstand gelten kann 95 . Wo Äußerungen dieser und anderer Autoren für unser spezielleres Thema von Belang sind, werden sie im jeweiligen Zusammenhang herangezogen. Der speziellere Begriff „Historischer Essay" wird in der deutschsprachigen Literaturwissenschaft bislang kaum verwendet 96 . Berger benutzt ihn gelegentlich als Bezeichnung für eine Untergruppe der Essayistik 97 ; wie ungeklärt der Begriff aber ist, zeigt sich daran, daß er einerseits Ranke als einen Vertreter des historischen Essays nennt 9 7 , andererseits aber starke Zweifel äußert, ob die wissenschaftliche Prosa eines Droysen und Mommsen oder die „kleineren, äußerlich essayhaft scheinenden" Arbeiten Rankes der Essayistik zuzurechnen seien, und ob man wirklich von einem „wissenschaftlichen" Essay sprechen könne 9 8 . 94
Peter M. Sdion, „Vorformen des Essays in Antike und S. 3 — 4 .
95
Über die Thesen Adornos vgl. Berger a.a.O., S. 13, S. 115, S. 1 7 2 ; über Bense S. 13, S,' 115 ff., S. 1 2 1 ; über H o r s t S. 95 ff., S. 108 ff.; über Martini S. 8 ; über Wolffheim S. 9 ff., S. 70 ff., S. 108, S. 110.
Humanismus",
Mit dem Artikel Justs in „Deutsche Philologie im Aufriß" setzt sich Berger an zahlreichen Stellen auseinander. U n t e r den bei Berger nicht näher gewürdigten neueren Arbeiten scheinen vor allem die Aufsätze Richard Exners beachtenswert, ebenso K. A. Horsts „Kritischer Führer durch die deutsche Literatur der Gegenwart", der sich sehr eingehend der zeitgenössischen Essayistik widmet. 96
Justs Artikel in „Deutsche Philologie im Aufriß" beispielsweise nennt zwar diverse Historiker als Verfasser von Essays, verwendet aber nicht den Terminus „Historischer Essay".
97
Berger a.a.O., S. 9 7 — 9 8 .
98
Berger a.a.O., S. 2 1 7 — 2 1 8 .
32
Zur Aufgabenstellung der Arbeit
Daneben stehen ganz sporadische theoretische Bemerkungen einzelner Historiker, die für eigne kleinere Arbeiten die Bezeichnung „Essay" gewählt haben. Eine Zusammenstellung solcher Äußerungen zeigt, daß diese Autoren den Begriff „Essay" sehr bewußt verwenden und in ihm deutlich ein eigengesetzliches Genre sehen, das beispielsweise von der rein fachlich orientierten wissenschaftlichen Abhandlung oder auch von der populären Geschichtsdarstellung klar unterschieden ist. So schreibt Treitschke 1864 an Gustav Freytag: „Der Essay darf ja sehr subjektiv sprechen und sich Winke und Abschweifungen erlauben, die in einem großen historischen Werk unmöglich sind" 9 9 .
Auf die gleiche Eigentümlichkeit des Essays, wenn audi gewissermaßen mit umgekehrten Vorzeichen — nämlich als straffe Konzentration auf das jeweils Wesentliche — weist Karl Alexander von Müller hin. Er schildert die bewußte Subjektivität des Essays am Beispiel von Friedrich Meineckes „kleinen souveränen Essays", denen niemand das Recht bestreiten könne, ihr Feld nach eigenem Belieben zu umschreiben: „ . . . sie haben den unschätzbaren Vorteil, der dem Gelehrten sonst so selten vergönnt ist, daß ihnen erlaubt ist, nach dem Goetheschen W o r t , ,das Unnütze zu ignorieren' " 1 0 ° .
Karl Theodor von Heigel kennzeichnet als „Essay" solche Aufsätze, „in denen auf die Form besondere Sorgfalt verwendet ist" 1 0 1 . Erich Mareks betont im Vorwort zu „Männer und Zeiten" allgemein „das Recht und die Eigenart des Essays" 102 . Bemerkenswert ist, daß er neben dem „geschriebenen" auch einen „gesprochenen" Essay anerkannt wissen will — ein Gedanke, der heutzutage nach mehr als fünfzig Jahren wieder eine Rolle zu spielen beginnt, wenn auf charakteristische Stileigentümlichkeiten des sogenannten Radio- oder Funkessays aufmerksam gemacht wird 103 . Auf Willy Andreas' Auffassung vom Wesen des historischen Essays wird in einem späteren Kapitel noch ausführlicher einzugehen sein. Erwähnung verdient hier auch der schöne Vergleich des Schweizer Werner Kaegi — der allerdings nicht das Wort „Essay" benutzt — : 99
Heinrich von Treitschke, „Briefe" (Hrsg. Max Cornicelius) Bd. II, S. 345 (Brief an Gustav Freytag v o m 13. N o v e m b e r 1864).
100
Karl Alexander von Müller in „Historische Zeitschrift" 162 (1940), S. 345.
101
Karl Theodor von Heigel, „Biographische und kulturgeschichtliche Essays", Vorwort.
102
Erich Mareks, „Männer und Zeiten", I, S. VI.
103
Vgl. Berger a.a.O., S. 1 8 3 — 1 8 5 .
Zur Aufgabenstellung der Arbeit
33
„Es sind Entwürfe, die hier gegeben werden, aber es sind Entwürfe des Forschens. Es sind — wenigstens in einigen Fällen — gleichsam Sondierungsgräben, wie sie der Archäologe zieht, wenn er in einem fruchttragenden Boden nicht alle Teile eines verborgenen Baues freilegen kann, sondern Schnitte ziehen muß, die er dann so zu legen sucht, daß doch für die Vorstellungskraft das Ganze erkennbar wird" 1 0 4 .
Etwas differenzierter als bei den meisten deutschen A u t o r e n sind die theoretischen Äußerungen zum historischen Essay in England. In England ist das W o r t „Historian-Essayist" ein fester Begriff, der speziell eine Gruppe von Autoren des 19. Jahrhunderts bezeichnet 1 0 5 . In den englischen literarischen Zeitschriften des 19. Jahrhunderts entwikkelte sich, wie H u g h Walker beschreibt, die Personalunion von „Historiker" und „Essayist": "There was no class of writers to whom the rise of the reviews and magazines proved more convenient than it did to the historians. Their subject, being human, was of wide interest, so that it commended itself to editors; and the historians were practised in the art of expression, so that they could present it attractively" 1 0 5 . Während in deutschsprachigen Untersuchungen gelegentlich ein fundamentaler Wesensunterschied zwischen „essayistischer" und „fachwissenschaftlicher" Haltung hervorgehoben wird 1 0 6 , bezeichnet Walker gerade den Fachspezialisten als prädestiniert zum Essayisten: "The man who has undertaken the history of a great period is not thereby precluded from discussing side issues as they arise, or delineating the great characters with whom his studies have made him familiar, or presenting conclusions which he means afterwards to embody in the longer work. On the contrary, he is just the man who above all others is capable of doing this . . . " 1 0 5 . U n t e r den „Historian-Essayists" nennt Walker v o r allem Carlyle und Macaulay. Über einige theoretische Äußerungen Macaulays wird noch zu reden sein; vorweggenommen sei hier schon, daß auch er im „Essay" in erster Linie einen Zeitschriftenartikel sieht, und ihn, wie noch zu zeigen sein wird, mehr zur Journalistik als zur GeschichtsWerner Kaegi, „Historische Meditationen" I, (S. 6). 105 Ygi Hugh Walker, „The English Essay and Essayists", S. 266 (und folgende). 1 0 6 Stellvertretend für viele ähnliche Äußerungen sei Hans Wolffheim zitiert: „Der Essay ist nicht gelehrte Abhandlung oder Untersuchung und nicht Aufsatz, der einen Beitrag ,zu etwas' liefert. Er ist nicht Ausdruck einer wissenschaftlichen Haltung; seine Absicht geht nicht auf ein objektiv gültiges Ergebnis." (Hans Wolffheim in „Festgruß für Hans Pyritz", S. 28). 104
3
Fischer, Studien zum historischen Essay
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Zur Aufgabenstellung der Arbeit
Schreibung zählt. „Their natural life is only six weeks" 107 , sagt er über seine eigenen Beiträge zur „Edinburgh Review", und deutet damit an, daß es dieser Literaturgattung im allgemeinen nicht zukomme, Anspruch auf inhaltliche oder formale Ewigkeitsgültigkeit zu erheben. Von den englischen Historikern neuerer Zeit hat sich Hugh Trevor-Roper recht prägnant über seine eigenen „Historical Essays" ausgesprochen. Audi er scheint es als normal anzusehen, daß solche Essays in Zeitschriften veröffentlicht werden; jedenfalls glaubt er es ausdrücklich rechtfertigen zu müssen, daß er seine bereits veröffentlichten Essays nun auch in der anspruchsvolleren Gestalt eines eigenen Buches dem Publikum gesammelt vorlegt: "Essays like these, various in time, depth and subject, can only bear republication if they receive an underlying unity from the philosophy of the writer: a philosophy, I would add, whidi is best illustrated by their very variety" 108 .
Man wird diese Worte dahingehend auffassen dürfen, daß TrevorRoper hier ein allgemeineres Kriterium aufstellen will, um ein anspruchsvolleres Genre des historischen Essays von bloßen journalistischen Eintagsfliegen zu unterscheiden: zur ersteren Gruppe „Essays like these") will er nur solche Schriften gerechnet wissen, die hintergründig von einer in sich einheitlichen, originellen Geschichtsauffassung — so glauben wir in diesem Zusammenhang den schwierigen Ausdruck „philosophy" umschreiben zu können — geprägt sind. Letztlich würde das bedeuten, daß man nur den historischen Essays mehr als tagesgebundene Bedeutung zugestehen darf, die — wie auch immer ihr Thema lauten möge — repräsentativ stehen f ü r das gesamte Geschichtsbild ihres Verfassers. In diesem Sinne nennt Trevor-Roper seine Essays „random samples from a great ocean" 109 , Stichproben gewissermaßen aus dem Ozean des Geschichtlichen, an denen der Verfasser seine „philosophy" darstellt und zugleich überprüft. Akzeptiert man diese Auffassung des historischen Essays als Arbeitshypothese, so ergibt sich die Folgerung, daß die Untersuchung oder Darstellung eines historischen Gegenstandes im Essay nicht Selbstzweck ist, sondern unausgesprochen zugleich stets der Auseinandersetzung mit der Gesamtheit der geschichtlichen Welt dienen soll. Eine solche Tendenz des Essays zu universaler Fragestellung hebt — in ganz anderem Zusammenhang und ohne speziellen Bezug auf die Welt des Geschichtlichen — auch Bruno Berger hervor. Er bezeichnet den „idealen Essay" 107 108 109
Trevelyan, „The Life and Letters of Lord Macaulay" II, S. 110—111. Trevor-Roper, „Historical Essays", S. V. Trevor-Roper a.a.O., S. VI.
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Zur Aufgabenstellung der Arbeit
als eine vermittelnde und verbindende Ausdrucksform, „vermittels welcher ein verlorengegangenes gemeinsames Weltbild auf anderer Ebene synthetisch aufgebaut werden sollte, jeweils nur in winzigen Teilstücken, die aber jeweils in große, umfassende Zusammenhänge gestellt werden" 110 . In Trevor-Ropers oben zitierten Äußerungen scheint es freilich doch mehr um wissenschaftlich-fachhistorische Theorien beziehungsweise Hypothesen zu gehen, als um eine intuitiv-inspiratorische Welterfassung, wie sie Berger vom echten Essayisten verlangt 111 . Die oben zitierte Formulierung Trevor-Ropers für seine eigenen historischen Essays („random samples from a great ocean") berührt sich merkwürdig eng mit einer in Deutschland geprägten und vielzitierten Wesensbestimmung des Essays schlechthin — merkwürdig und aufschlußreich vor allem deshalb, weil keine direkte Übernahme vorzuliegen scheint. In der vierten Sammlung seiner Essays erläutert Herman Grimm im Vorwort die Herkunft und Bedeutung des Gattungsnamens folgendermaßen: „Ein aus dem Griechischen in das spätere Latein übergegangenes exagium wird als der Ursprung des französischen essai und des italienischen saggio angenommen. Saggio bedeutet einen Theil einer größeren Menge, aus dem man auf die Beschaffenheit des Ganzen schließt. Eine Probe" 1 1 2 .
Auf die an dieses Wort „Probe" anknüpfende, seit mindestens zwanzig Jahren umstrittene Frage nach der richtigen Übersetzung und Interpretation des Terminus „Essay" — als „Probe" beziehungsweise „Stichprobe", oder, nach einer sehr viel verbreiteteren Ansicht, als „Versuch" — braucht hier nicht näher eingegangen zu werden; in jüngster Zeit hat sich Bruno Berger mit starken Gründen gegen die Interpretation als „Versuch" und gegen alle daraus abgeleiteten Anschau110
Berger a.a.O., S. 188.
111
Vgl. Berger a.a.O., S. 192: „Aller stilistische Glanz und die profundeste Bildung können nicht vortäuschen, was der echte Essayist als Mitgift besitzt; wem der Begriff der Intuition romantisch oder abgegriffen erscheint, setze dafür das Eingeweiht-sein des Essayisten, die unbewußte Teilhabe am Sdiöpfungsvorgang, das Organ für die ultrareale Schwingung, die seismographisdie Registriernadel für den Geist der Zeiten, die Radarantenne für das zukünftige Ereignis. In jedem echten Essayisten ist ein poeta m&gus sive divinans am Werke . . . " Es ist verständlich, daß Berger von dieser Auffassung ausgehend daran zweifelt, „ob man wirklich von einem .wissenschaftlichen' Essay sprechen" könne (Berger a.a.O., S. 218).
112
Herman Grimm, S. V—VI.
3*
„Aus den
letzten
fünf
Jahren.
Fünfzehn
Essays",
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Zur Aufgabenstellung der Arbeit
ungen über Wesen und Form des Essays ausgesprochen 113 . Nach den oben angeführten Bemerkungen deutscher und englischer Historiker scheint uns das Wort „Probe" recht gut auf den historischen Essay zu passen, der ja kaum „versucht", Geschichte zu schreiben, sondern eher „Proben" einer individuellen, fertig ausgeprägten historischen Sichtweise geben will. So sieht die vorliegende Arbeit eine ihrer Hauptaufgaben darin, ausgewählte Beispiele daraufhin zu untersuchen, ob und inwieweit sie in ihrer Auseinandersetzung mit einer begrenzten Thematik Rückschläge gestatten auf das Verhältnis ihres Autors zur Welt des Geschichtlichen, und inwieweit sie in ihrer individuellen Sicht- und Urteilsweise als repräsentative „Probe" gelten können für das Geschichtsverständnis ihres Verfassers. U m bei der Fülle und Vielgestaltigkeit des Materials nicht ins Uferlose zu geraten, beschränkt sich die vorliegende Arbeit — wie oben gesagt — auf einen enger begrenzten Ausschnitt aus dem unübersehbaren Bereich der historischen Essayistik: auf Auseinandersetzungen mit bedeutenden und umstrittenen geschichtlichen Persönlichkeiten und ihrem Wirken. Ein annähernd vollständiger Querschnitt durch das Gesamtgebiet der historischen Essayistik müßte außer diesem Typus des essayistischen historischen Porträts zumindest auch Beispiele der sonstigen oben charakterisierten thematischen Gruppen einbeziehen: essayistische Auseinandersetzungen mit bedeutenden Historikern und ihrem Werk, mit einzelnen geschichtlichen Erscheinungen, mit gegenwärtigen politischen Fragen, mit universalgeschichtlichen und geschichtsphilosophischen Problemen. Indessen sind die Grenzen zwischen diesen Gruppen durchaus fließend. Wenn man unterstellt, daß der historische Essay seinen wie immer auch gearteten Gegenstand nicht nur um seiner selbst willen untersucht und darstellt, wird deutlich, welch starke Tendenz ihm innewohnt, von einem einzelnen Fall ausgehend zu allgemeineren Fragestellungen und zu Kernproblemen allen geschichtlichen Seins vorzustoßen: schon dadurch, daß der Gegenstand in bestimmter Beleuchtung gesehen und unter bestimmten Aspekten betrachtet wird, öffnet sich der Blick auf größere Zusammenhänge und übergreifende Fragen. Ein biographischer Essay, der diesen Namen verdient, ist wohl niemals nur-biographisch. Durch den Hintergrund, vor dem die zentrale Gestalt gesehen wird, durch die Wahl der Worte, mit denen sie geschildert wird, durch die Maßstäbe, die an sie angelegt werden, durch Vergleiche und Gegenüberstellungen, durch Hervorheben bestimmter Gesichts113
Berger greift dabei auf Gesichtspunkte zurück, die bereits 1944 von Barbara Klie in ihrer Dissertation „Der Deutsche Essay als G a t t u n g " erörtert wurden, vgl. Klie a.a.O., S. 12 ff. Zur Etymologie vgl. Klie a.a.O., S. 122, Anm. 44.
Zur Aufgabenstellung der Arbeit
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punkte und Weglassen anderer Aspekte wird der Gegenstand gleichsam transparent gemacht. Gerade beim historisch-biographischen Essay ist es fesselnd zu beobachten, wie hinter der dargestellten geschichtlichen Gestalt — vielleicht sogar ohne bewußte Absicht des Autors immer auch etwas sichtbar wird von Weltanschauung, Wertmaßstäben und Geschichtsauffassung des Autors selbst; — um so mehr, je stärker die dargestellte Persönlichkeit dem Verfasser zum Anlaß geistiger Auseinandersetzung wird und je stärker sie durch ihre Eigenart zur Stellungnahme und zum Bekenntnis herausfordert. Deshalb rücken wir zwei von jeher heiß umstrittene Themenkreise in den Mittelpunkt der folgenden Untersuchungen: Cromwell und das England der Puritaner — Friedrich den Großen und seinen Staat. So hoffen wir, einen trotz aller Knappheit bezeichnenden und charakteristischen Querschnitt durch das Gebiet der historischen Essayistik geben zu können, in dem außer der historisch-biographischen Grundfragestellung auch der universale geistige Erkenntniswille, die moralistische Haltung und die politiche Leidenschaft zur Geltung kommen, die dem historischen Essay, nach Klaus Günther Justs bereits zitierter — freilich sehr zugespitzt formulierter — Feststellung innewohnen können: „Die Stoffwahl bedeutet f ü r den Essayisten jeweils einen A k t vollverantwortlidier Entscheidung. Niemals wird diese lau und unentschlossen sein, immer steht ein sehr persönlich akzentuiertes Ja oder Nein dahinter. Denn ein Essay kann nur"(?) „aus Liebe oder Haß, aus intensiver Zuneigung oder heftiger Abneigung entstehen" 8 9 .
i. Abschnitt Abraham Cowley: "A Discourse By way of Vision, Concerning the Government of Oliver Cromwell"*
Verweisungen und Seitenangaben beziehen sidi auf folgende Ausgabe: Abraham Cowley: Essays, Plays and Sundry Verses. The Text Edited by A. R. Waller, Cambridge 1906.
i. Einleitung Die Ansichten über die Bedeutung, die Abraham Cowley (1618 bis 1667) in der Geschichte der englischen Essayistik zukommt, scheinen weit voneinander abzuweichen. In den umfassendsten deutschsprachigen Gesamtdarstellungen der europäischen Essayistik werden Cowleys Schriften nicht einmal erwähnt 1 . In seinem Mutterland hingegen wird der Essayist Cowley bemerkenswert hoch eingeschätzt. So schreibt E(dmund) G(osse) in der „Encyclopedia Britannica", also einem Informationswerk, das im allgemeinen wohl nicht durch extravagante Werturteile hervorsticht: "The name of Bacon inspires awe, but it is really not he, but Cowley, who is the father of the English Essay" 2 .
Die (zu seinen Lebzeiten außerordentlich berühmten) poetischen Werke Cowleys werden heute meist als ungenießbar bezeichnet, während sich seine Prosa (und das heißt: seine Essays, denn sonst hat er kaum nennenswerte Prosaschriften veröffentlicht) bis heute unangefochtenen Rufes erfreut. Eine Gesamtdarstellung der englischen Essayistik urteilt beispielsweise: „Though his poetical reputation is gone, as an essayist his position is sure" 3 , und in einer vielzitierten Gesamtdarstellung der englischen Literaturgeschichte heißt es: "His prose is as easy and sensible as his poetry is contorted and unreasonable. A polished man, writing for polished men, pretty much as he would speak to them in a drawing-room, — this I take to be the idea which they had of a good author in the Seventeenth century" 4 .
Diese Charakteristik erinnert sehr an manche modernen Versuche, die Stillage „des Essays" schlechthin zu kennzeichnen. Das allein würde uns freilich noch nicht berechtigen, Cowleys Essays — der volle Titel 1
Bei Klaus Günther Just wird Cowley nur als der Gegenstand eines Essays (von Thomas Sprat) genannt, nicht als Verfasser von Essays. Vgl. Just in „Deutsche Philologie im Aufriß" II, 2. Auflage, Sp. 1912.
2
E(dmund) G(osse) in „The Encyclopedia Britannica" IX, 11. Auflage, S. 777. — Einen Überblick über die kritischen und literatur-geschichtlichen Würdigungen von Cowleys Werken gibt Moulton, „The Library of Literary Criticism of English and American Authors" II, S. 193 ff.
3
Hugh Walker in „The English Essay and Essayists", S. 84.
4
Hippolyte Taine in seiner Geschichte der Englischen Literatur zitiert nach dem (übersetzten) Auszug bei Moulton a.a.O. II, S. 197.
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Einleitung
lautet: „Several Discourses by way of Essays in Verse and Prose" — im Zusammenhang unserer Arbeit näher zu betrachten, denn sie berühren die Sphäre des Geschichtlichen nur am Rande. Gewiß zitiert Cowley in ihnen unter zahlreichen antiken Schriftstellern auch manchen Historiker, gewiß illustriert er seine Thesen gern durch historische Beispiele; von eigentlich historischem Interesse ist aber in diesen Essays recht wenig zu bemerken. Indessen spielt die geschichtlich-politische Sphäre doch eine keineswegs unbeträchtliche Rolle in Cowleys Leben und Werk. Wesentlich ist zunächst, daß er die Welt politischer Konflikte und Verwicklungen nicht nur als unbeteiligter Betrachter oder allenfalls als passiv Erduldender kennengelernt hatte, sondern zeitweise sehr aktiv an den politischen Kämpfen seiner Zeit Anteil nahm. Nach zahlreichen autobiographischen Äußerungen Cowleys müßte man ihn zwar gänzlidi für den Typus eines weitabgewandten, beinahe einsiedlerhaften Philosophen halten. Das ist indessen erst die durch mancherlei Enttäuschungen beeinflußte Haltung seiner späteren Jahre: „ . . . there's no fooling with Life when it is once turn'd beyond Forty" 5 , sagt er selbst zur Rechtfertigung seiner Abkehr von der Welt. Während seiner jüngeren Jahre dagegen stand Cowley in naher Beziehung zum königlichen Hofe und war während des Bürgerkrieges und während der Gefangenschaft Karls I. in höchst heiklen Missionen für die Hofpartei tätig 8 . Auch in einigen seiner Werke spiegelt sich Cowleys intensive Auseinandersetzung mit zeitgeschichtlichen Fragen. Neben einer Satire „The Puritan and the Papist" und einer unvollendeten Verserzählung „A poem on the late Civil War" ist hier vor allem die Auseinandersetzung mit der Gestalt Oliver Cromwells zu erwähnen, mit der wir uns hier befassen wollen. Nach Angabe des Autors wurde diese Schrift unmittelbar nach dem Tode des Lord-Protektors 1658, also noch zur Zeit des Protektorates, niedergeschrieben; veröffentlicht wurde sie erst nach der Wiedereinführung der Monarchie 1661 T . Verschiedene Einzelheiten innerhalb der Schrift selbst scheinen allerdings auf eine Abfassung (oder zumindest Überarbeitung) dieser Schrift nach 1660 zu deuten, vor allem der „prophetische" Hinweis auf das unsichere Erbe, das Cromwells 5 6
7
Cowley, „Essays, Plays and Sundry Verses" (hrsg. von Waller), S. 452. Über Cowleys Schicksale während der Revolutionszeit berichtet ausführlich Arthur H. Nethercot, „Abraham Cowley", vor allem S. 142 ff. Über ein persönliches Zusammentreffen Cowleys mit Cromwell und seine Spiegelung im „Discourse By way of Vision" vg. Nethercot a.a.O., S. 147—148. Uber die Entstehung der Schrift berichtet, anscheinend allerdings nicht sehr zuverlässig, Cowley selbst; vgl. Cowley, „Essays, Plays, and Sundry Verses", S. 493. Vgl. auch Ruth Nevo, „The Dial of Virtue", S. 87, Anm. 11.
Einleitung
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Sohn anzutreten habe: „I doubt he will find it Quickly Blasted" (S. 372). Der äußeren Form nach ist Cowleys Schrift ein Dialog, eingekleidet in eine allegorische Rahmenhandlung. Sie führt den recht eigenwilligen Titel „A Discourse By way of Vision, Concerning the Government of Oliver Cromwell" — wird vom Autor also nicht „Essay" genannt. Ihrer Tendenz nach unterscheidet sie sich wohl nicht sehr von zahlreichen anderen politischen Pamphleten in Dialogform, wie sie in dem politisch und geistig aufgewühlten England des 17. Jahrhunderts ja sehr zahlreich waren 8 . Wieweit solche dialogisierten Streitschriften zu den Vorläufern des eigentlichen „Essays" gehören, braucht hier nicht erörtert zu werden, zumal Peter M. Schon dem „Dialog" als einer Vorform des „Essays" bereits sorgfältig nachgegangen ist9. Hier sollen sowohl die „Several Discourses by way of Essays" (im folgenden kurz als „Essays" zitiert) wie der „Discourse by way of Vision" etwas ausführlicher betrachtet werden, obwohl der letztere — zumindest nach dem Urteil Hugh Walkers10 — nicht zu den vollendetsten von Cowleys Prosawerken zu zählen ist. Erstens steht Cowley den Anfängen des Essays bei Bacon und vor allem bei Montaigne (dessen Essays er sehr gut zu kennen scheint und mit Beifall zitiert) zeitlich und wohl audi geistig noch nicht allzu fern. An manchen seiner Essays (beispielsweise „Of Liberty", „Of Greatness") kann gut beobachtet werden, wie sich aus dem Meditieren über philosophisch-lebenskundliche Begriffe gleichsam am Rande auch schon Seitenblicke auf geschichtliche Erscheinungen und Urteile über historische Gestalten ergeben. Zweitens ist der „Discourse By way of Vision" im Gegensatz zu den Essays sogar ausdrücklich einem historisch-politischen Problem beziehungweise der Beurteilung einer historischen Persönlichkeit gewidmet. Neben manchen formalen Altertümlichkeiten (Dialogform, äußerer Rahmen einer „Vision" etc.) weist er dodh auch schon Eigentümlichkeiten auf, in denen man Wesenszüge moderner historischer Essayistik sehen mag. Die Auseinandersetzung mit einer historischen Gestalt weist schon dadurch eine gewisse betonte Subjektivität auf, daß sie — wie auch die Essays — weitgehend in der Ichform abgefaßt ist. Die vollkommene Gegensätzlichkeit der im „Discourse" ausgesprochenen Urteile über Cromwell (sie werden den Verfechtern entgegengesetzter Weltanschauungen, einem Moralisten und einem Macchiavel8 9
10
Vgl. Hirzel, „Der Dialog" II, S. 398 ff. Vgl. Peter M. Schon, „Vorformen des Essays in Antike und Humanismus", S. 14 ff. Vgl. Hugh Walker, „The English Essay and Essayists", S. 38.
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Einleitung
listen, in den Mund gelegt), deutet darauf hin, daß dem Verfasser durchaus deutlich ist, wie relativ jedes Urteil über historische Vorgänge und Gestalten ist, und wie sehr es durch Persönlichkeit und Lebenseinstellung des Urteilenden selbst beeinflußt wird. U n d endlich wird hinter der Auseinandersetzung mit der individuellen Gestalt Cromwells unmißverständlich auch auf allgemeinere Fragen überpersönlichen und überzeitlichen Ranges abgezielt, wie noch zu zeigen sein wird. Drittens kann schon eine flüchtige Vergleichung der Essays und des „Discourse" auch deutlich machen, was den letzteren doch noch von „echten" Essays unterscheidet. Mit ungefähr der gleichen Berechtigung wie als Vorläufer des historischen Essays könnte er auch als politisches Pamphlet, philosophierender Dialog oder moralischer Traktat bezeichnet werden — wodurch nicht ausgeschlossen zu werden braucht, daß nicht auch diese literarischen Formen, jeweils in ihrer Art, als Voroder Nebenformen „echter" Essayistik betrachtet werden können. Bevor wir Cowleys ausführliche Auseinandersetzung mit historischpolitischen Problemen im „Discourse By way of Vision" kennenlernen, versuchen wir zunächst, anhand der Essays einen Eindruck zu gewinnen von seinem Verhältnis zur Welt des Geschichtlichen und Politischen allgemein. D a nämlich der „Discourse By way of Vision" der Wertung einer im höchsten Grade politischen Persönlichkeit gilt, ist es zur Vermeidung von Einseitigkeiten nötig, möglichst genau die Grundlagen zu kennen, von denen Cowley bei seinem Urteil über politische Probleme ausgeht.
2. Die „Discourses by way of Essays" und ihr Verhältnis zur geschichtlichen Welt Die „Several Discourses by way of Essays, in Verse and Prose" von Abraham Cowley bestehen aus elf Abschnitten von unterschiedlicher, meist geringer Länge: in der Ausgabe der „Cambridge English Classics" umfassen sie rund fünfundachtzig Druckseiten, wovon ein beträchtlicher Teil auf eingestreute Gedichte entfällt. Jedes der elf Kapitel hat eine eigene Überschrift und ist in sich abgeschlossen. Den Hauptteil jedes Kapitels bildet eine Prosa-Abhandlung, in die sehr häufig einzelne Verse oder auch ganze Gedichte eingeflochten sind; an diesen Prosaabschnitt sind jeweils ein oder mehrere Gedichte angehängt, in denen Leitgedanken der Abhandlung wiederaufgenommen und in poetisch überhöhter Form variiert werden. Bei diesen Gedichten handelt es sich zum Teil um eigene Dichtungen Cowleys, größtenteils aber um Nachdichtungen lateinischer Vorlagen. Die Persönlichkeit des Autors tritt in diesen Essays kräftig in den Vordergrund: er spricht durchweg in der Ichform, zieht gerne eigene Erfahrungen zur Illustration seiner Überlegungen heran und läßt keinen Zweifel daran, daß er seine Themen von einem ganz persönlich bestimmten Standpunkt aus betrachtet. Jeder einzelne der „Discourses by way of Essays" ist in sich abgeschlossen und selbständig; dennoch ergänzen sie sich, Teilstücken eines Panoramas vergleichbar, derart, daß sie in ihrer Gesamtheit ein abgerundetes Bild von Lebensauffassung und Welthaltung ihres Verfassers vermitteln. So spiegeln die Essays die Persönlichkeit ihres Verfassers in der Auseinandersetzung mit verschiedensten Fragen der Lebensgestaltung und unter den verschiedensten Blickwinkeln; in ihrer Gesamtheit stellen sie zugleich eine Lebenslehre und ein Selbstporträt des Dichters dar. Zunächst scheint es, betrachtet man den Inhalt der „Discourses by way of Essays", als interessiere sich Cowley ganz und gar nicht für historisch-politische Fragen. Die Essays befassen sich ausschließlich mit der Lebensgestaltung des einzelnen Menschen. Das Zusammenleben der Menschen in Städten und Staaten scheint nach Cowleys Ansicht einem Kriege aller gegen alle zu gleichen; jedenfalls behauptet er, daß nur schleuniger Rückzug aus den „humane affairs" (das hieße in moderner
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Die „Discourses by way of Essays"
Sprache etwa: aus dem politisch-sozialen Bereich) die Möglichkeit biete, sich als anständiger Mensch gegen die Bosheit und Hinterlist der Mitmenschen zu behaupten und den Versuchungen von Ruhm, Ehre und Reichtum zu entgehen. Dennoch spielt die Welt des Geschichtlichen in Cowleys Essays eine gewisse Rolle, denn ihr entnimmt der Autor gern die (meist abschrekkenden) Beispiele zur Veranschaulichung seiner Gedankengänge und zur Untermauerung seiner Ansichten. An Roms großen Männern sucht Cowley zu zeigen, wie sehr das Streben nach Macht und Ehre den Menschen korrumpiert und unfrei macht: "Pray, let us but consider a little, what mean servil things men do for this Imaginary Food. We cannot fetch a greater example of it, then from the diief men of that Nation which boasted most of Liberty." (S. 378)
Von dieser Verurteilung allen Ehrgeizes her gelangt Cowley zur moralischen Abwertung gerade der erfolgreichsten und ruhmreichsten Politiker der Geschichte. Ein Caesar und ein Catilina gehören für ihn in eine Kategorie und unterscheiden sich lediglich durch ein Mehr oder Weniger an Glück voneinander, nicht durch charakterliche Qualitäten: beide sind Beispiele für die Macht des Ehrgeizes. Das geschichtlich Besondere, Einmalige der Person interessiert Cowley weniger als gerade das Gegenteil, das überall und jederzeit Wiederkehrende; geschichtliche Berühmtheiten werden einfach als Beispiele für allgemein menschliche, überall und zu jeder Zeit zu beobachtende Eigenschaften betrachtet. Am eindrucksvollsten zeigt sich diese Tendenz zur Typisierung, wenn Cowley seinen Blick auf Konstellationen berühmter geschichtlicher Gestalten wendet, die dabei gleichsam unter seinen Händen aus Individuen zu Sinnbildern ewig gleichbleibender menschlicher Torheiten und Laster werden: "Let this suffice at present to be spoken of those great Triumviri of the World; the Covetous Man, who is a mean villain, like Lepidus; the Ambitious, who is a brave one, ike Octavius, and the Voluptuous, who is a loose and debauched one, like Mark Antony." (S. 385)
Die Triumvirn stehen als Sinnbilder irdischer Macht und Größe und zugleich als Verkörperungen ihrer jeweiligen Laster; beides ist für Cowley nahezu das gleiche. Wo er die Sphäre geschichtlichen und politischen Geschehens berührt, geht es ihm letztlich nur um Nachweise für seine Grundthese, daß alle Größe eitel sei. Da die krassesten Beispiele für diesen Zweck die geeignetsten sind, wirken Cowleys Griffe in die Geschichte beinahe wie Streifzüge durch eine Kuriositätenschau: Die Hohlheit äußerer Machtfülle kann an nichts drastischer demonstriert werden als an Domitian, der mit aller Herrschergewalt nichts Besseres
Die „Discourses by way of Essays"
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zu tun wußte, als täglich stundenlang Fliegen zu fangen (vgl. S. 430). So dient die Geschichte in Cowleys „Discourses by way of Essays" im wesentlichen nur als Anekdoten- und Exempelreservoir, als eine Vorratskammer, aus der sich der Autor mit Argumenten zugunsten seiner weitabgewandten Lebenseinstellung versorgt. Diese Lebenseinstellung Cowleys und diese Einschätzung geschichtlicher Persönlichkeiten wird man berücksichtigen müssen, um seine Auseinandersetzung mit der Gestalt eines extrem politischen Menschen vor dem richtigen Hintergrund zu sehen. Vieles, was in dem „Discourse By way of Vision, Concerning the Government of Oliver Cromwell" auf den ersten Blick nur als Ausdruck parteipolitischer Gehässigkeit erscheint, wird vielleicht eher als Auswirkung von Cowleys antipolitischer Lebenseinstellung zu interpretieren sein.
3. Der „Discourse By way of Vision Concerning the Government of Oliver Cromwell" a) Der
Rahmen
Cowleys Schrift über Cromwells Regierungstätigkeit ist der äußeren Form nach ein Dialog, der in eine teils realistische, zum größeren Teil allegorische Rahmenerzählung eingebettet ist. „Realistisch" wirkt die Rahmenhandlung vor allem dadurch, daß sie sich in Zeit und Raum genau fixieren läßt. Sie spielt am Tage des feierlichen Staatsbegräbnisses für Oliver Cromwell, am 23. November 1658 also. Auch die Schauplätze der Handlung sind der Wirklichkeit entnommen: die von Cowley geschilderten Vorgänge spielen sich zunächst am Ort der Bestattung ab, dann in des Dichters eigener Wohnung in London und schließlich, in der eigentlichen „Vision", auf dem berühmten Aussichtspunkt auf der Insel Man, von dem aus der Betrachter die Küsten Englands, Irlands und Schottlands zugleich erblicken kann. Wie in den „Discourses by way of Essays" spricht Cowley auch hier in der Ichform; da er zur angegebenen Zeit tatsächlich in London weilte, wird man annehmen dürfen, daß er Cromwells Bestattung aus eigener Anschauung schildert. Seine Empfindungen bei dieser Begräbniszene schildert er mit folgenden Worten: " A t last, (for it seemed long to me, and like his short Reign too, very tedious) the whole Scene past by, and I retired back to my Chamber, weary, and I think more melancholy than any of the Mourners. Where I began to reflect on the whole life of this Prodigious Man, and sometimes I was filled with horror and detestation of his actions, and sometimes I inclined a little to reverence and admiration of his courage, conduct and success" . . . (S. 3 4 2 — 3 4 3 ) .
Damit ist die Fragestellung der Schrift bereits angegeben: die Suche nach einem gültigen Urteil über eine vieldeutige und umstrittene Gestalt der Zeitgeschichte. Zugleich ist damit der „reale" Teil der Rahmenhandlung abgeschlossen; der Erzähler schildert, wie er in Schlaf und Traum versinkt und in visionärer Entrückung auf die Insel Man versetzt wird. Dort macht er seinem Kummer über Englands Zerrüttung in einem Tränenstrom und einem langen Gedicht Luft (wie in
Der Rahmen
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den Essays wird auch hier die Prosa mehrfach durch eingeschobene Gedichte unterbrochen). Eine furchteinflößende Erscheinung, die vor den Augen des Erzählers aus dem Erdboden emporwächst, unterbricht dieses Klagelied: ein nackter Riese mit Schwert und Gesetzbuch in den Händen, drei glühende Kronen auf dem Haupt, den Leib mit Schlachtenszenen aus dem englischen Bürgerkrieg bemalt. Auf die Frage des Erzählers stellt sich dies Ungetüm als Schutzengel Britanniens vor: " I am called The North-west Principality, his Highness, the Protector of the Common-wealth of England, Scotland and Ireland, and the D o m i n ions belonging thereunto, for I am that Angell, to whom the Almighty has committed the Covernment of those three Kingdoms which thou seest f r o m this place." (S. 346)
Diese anmaßende Titulatur gibt dem Erzähler Gelegenheit zu einer ironischen Antwort, und aus Rede und Gegenrede entspinnt sich ein langes Streitgespräch über Cromwells Leistungen und Übeltaten, der eigentliche „Discourse" also. Für den Leser ist es nicht schwer, nach der eben zitierten Titulatur des „Engels" dessen Identität mit Cromwell selbst zu vermuten, und das äußere Erscheinungsbild zeigt zugleich mit hinreichender Deutlichkeit, daß sich hinter der Maske eines „Engels" ein höllisches Wesen verbirgt. Äußerlich erinnert der „Discourse" also stark an mittelalterliche Legenden, in denen ein standhafter Glaubenszeuge durch den verkappten Satan versucht wird — wobei sich Cowley selbst die dankbare Rolle des unbeirrbaren Glaubenshelden vorbehalten hat, an dem alle teuflischen Verführungskünste zunichte werden. Indessen wird Cowley kaum angenommen haben, daß seine Leser diese pittoreske Einleitung des „Discourse" als Schilderung einer wirklichen Vision respektieren würden. Der eigenwillige Titelzusatz „By way of Vision" zeigt deutlich, daß Cowley dies einfach als eine Form der Darbietung seiner Meditationen über Cromwell betrachtet. Die Form eines fiktiven Dialogs zwischen „Gut" und „Böse" gewährte ihm als einem erklärtermaßen royalistischen Schriftsteller doch die Möglichkeit, auch positive Aspekte von Cromwells Gestalt zu erörtern, ohne deshalb mit seinem Gewissen oder mit der Kavalierpartei in Konflikt zu geraten, wenn nur die anschließende Widerlegung der zugunsten Cromwells angeführten Argumente deutlich genug ausfiel. Für die Beurteilung der Schrift ist es sehr wesentlich, zu wissen, ob die in der Rahmenhandlung durchgeführte Identifizierung der beiden Gesprächspartner als „Vertreter des Guten" und „Vertreter des Bösen" uneingeschränkt ernst gemeint ist. Wäre dies der Fall, so wäre 4
Fischer, Studien zum historischen Essay
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Der „Discourse By way of Vision . .
der „Discourse" kaum mehr als ein Parteipamphlet und noch dazu eine wenig geschmackvolle Verunglimpfung eines toten Gegners. Der religiös-erhabene äußere Rahmen des Dialogs, eben die „Vision", scheint zunächst anzudeuten, daß Cowley die in so -weihevoller Sphäre ausgesprochenen Urteile als gleichsam göttlich sanktionierte, unumstößliche letzte Wahrheiten betrachtet wissen -will. Mancherlei humoristische und selbstironische Züge von Cowleys Darstellung deuten aber darauf hin, daß er dem vorgeblich „visionären" Charakter seiner Schilderung kein allzu schweres Gewicht beimißt, vielmehr die Illusion religiös-visionärer Ergriffenheit beinahe mutwillig selbst zerstört. Vor allem in der Schilderung seines eigenen Auftretens zeigt der Erzähler eine liebenswürdige Selbstironie, die schlecht zu visionärer Entrücktheit und zu der Rolle eines von teuflidher Arglist versuchten Sehers passen will. Und andererseits zeigt sich der „Engel" so höflich, liebenswürdig und witzig, daß es gelegentlich schwerfällt, ihn in der Gestalt eines scheußlich aussehenden, teuflischen nackten Riesen zu sehen. Deutlichen Sinn für Humor beweist er beispielsweise, wenn er den Erzähler mit der gemütvollen Anrede „Countryman" beehrt und zur Begründung treuherzig versichert, er verwalte in seiner Eigenschaft als Schutzengel schon so lange die Angelegenheiten Englands, daß er sich nun als „naturalized English Angel" (S. 347) betrachte. Nicht selten gibt Cowley dem „Engel" auch Gelegenheit, mit leichtem Sarkasmus die Argumente seines Gesprächspartners (also Cowleys selbst) zu ironisieren. Bemerkenswert ist beispielsweise eine kaum verhüllte Anspielung auf Cowleys Haltung zu Lebzeiten Cromwells. Der „Engel" zitiert nämlich einen griechischen Vers, um darzutun, daß man das Andenken eines Toten tunlichst nicht verunglimpfen sollte, und fügt den Kommentar hinzu: „ . . . it is spoken to a person who was proud and insolent against those dead men to whom he had been humble and obedient whilst they lived" (S. 350). Im Dialog nimmt Cowley diesen Vorwurf der Charakterlosigkeit kommentarlos hin; tatsächlich hatte er während der letzten Jahre von Cromwells Herrschaft vorübergehend in seiner sonst straff royalistischen Einstellung geschwankt 11 . Daß er innerhalb seines „Discourse" selbst auf diese dunklen Punkte seiner politischen Vergangenheit hinweist, zeigt gewiß seine Wahrheitsliebe, ist aber seiner im Dialog gespielten Rolle eher abträglich: die vorhergehenden flammenden Tiraden Cowleys über die Unermeßlichkeit von Cromwells Verbrechen (S. 348—349) verlieren durch diese Anspielung des „Engels" merklich an Überzeugungskraft. 11
Vgl. Nethercot a.a.O., S. 148 ff.
Der Rahmen
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An anderen Stellen sind die Reaktionen des „Engels" auf Cowleys Anklagereden liebenswürdiger, aber gleichfalls deutlich ironisch gefärbt: "Here I stopt; and my pretended Protector, who, I expected, should have been angry, fell a laughing; it seems at the simplicity of my discourse . . . " (S. 372); "Hold friend (said his Highness, pulling me be my Arm) for I see your zeal is transporting you again . . ." (S. 354)
Diese Beispiele zeigen einen leisen selbstironischen Unterton, der sich durch den ganzen Dialog hindurchzieht und vor allem durch die weltmännisch-höflichen Antworten des Engels auf Cowleys eifernde Anklagen hervorgerufen wird. Anderseits sind eben diese Anklagen doch auch zweifellos von tiefem Ernst und wirklicher Entrüstung getragen, so daß sich Ironie und Ernst in merkwürdiger Weise überschneiden und gegenseitig in Frage zu stellen scheinen. Am deutlichsten wird dies an einer Stelle, an der Cowley mit hohem Pathos die Verdammenswürdigkeit jeder Tyrannei theoretisch verficht und sich dabei derartig in Feuer redet, daß er sich von heiliger Begeisterung entrückt („transported by a holy fury") sieht: also innerhalb der Vision nochmals eine Entrückung! In dieser potenzierten Entrückung spricht er gar in Versen, doch nach acht pathetischen Strophen beginnt der Fluß seiner Verse zu stocken: „Here the spirit of Verse beginning a little to fail, I stopt", sagt Cowley. Gründlicher kann der Zustand visionärer Begeisterung kaum parodiert werden, als durch diese „holy fury", der plötzlich der Atem ausgeht, so daß der begeisterte Dichter in erfolglosem Kampf mit den Tücken des Metrums versucht, sich weitere Strophen abzuringen. Daß das Groteske dieser Szene vom Dichter durchaus beabsichtigt ist und nicht etwa als unfreiwillige Komik erklärt werden kann, wird durdi die sarkastische Antwort des Engels auf diese Verse bewiesen. Denn dieser läßt sich die Gelegenheit nicht entgehen, das unvollendete Gedicht seines Gesprächspartners — also Cowley selbst — durch eine ironische Danksagung lächerlich zu machen: " . . . I stopt, and his Highness smiling, said, I was glad to see you engaged in the Enclosures of Meeter, for if you had staid in the open plain of Declaiming against the word Tyrant, I must have had patience for half a dozen hours, till you had tired your self as well as me." (S.353)
Die Souveränität, mit der Cowley hier sein eigenes Gedicht und seine eigene deklamatorische Redseligkeit bespöttelt, zeigt, daß er vor sich selbst und vor seiner im Dialog gespielten Rolle keinen übertriebenen Respekt hat. Diese Feststellung erscheint uns nicht unwichtig, denn bei flüchtiger Betrachtung der Rahmenhandlung allein könnte man sehr leicht den Eindruck gewinen, daß der „Discourse By way of 4*
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Der „Discourse By way of Vision . .
Vision" lediglich der Beweihräucherung der königlichen Partei und der Selbstverherrlichung Cowleys gelte, weil der Autor sich so ostentativ als Vorkämpfer der „gerechten" Sache gebärdet. Vor allem die Schlußpartien der Rahmenhandlung des „Discourse" müßten, für sich betrachtet, als höchst geschmacklose Lobrednerei und Selbstbeweihräucherung erscheinen. Die Szene nimmt hier ganz opernhaften Charakter an: der entlarvte „Engel" macht gerade Miene, sich auf den Erzähler zu stürzen, als plötzlich aus einer Wolke ein Lichtstrahl fällt und die überirdisch verklärte, jugendlich strahlende Gestalt Karls I. zeigt (wobei Cowleys Sprache erneut in Verse übergeht). Mit dem Englischen Kreuz in der Hand schlägt die Himmelserscheinung den „Engel" in die Flucht: " H e trembled, and he roar'd, and fled away; Mad to quit thus his more than hop'd-for prey. Sudi Rage inflames the Wolves wild heart and eyes (Rob'd as he thinks unjustly of his prize) Whom unawares the Shepherd spies, and draws The bleating L a m b f r o m out his ravenous jaws. The Shepherd fain himself would he assail, But Fear above his Hunger does prevail, H e knows his Foe too strong, and must be gone; H e grins as he looks bade, and howls as he goes o n . " (S. 376)
So schließt die Abhandlung über den „Königsmörder" Cromwell mit einer kräftig dosierten Huldigung an das Haus Stuart: um den König und Cromwell recht augenfällig als Vertreter des Guten und des Bösen erscheinen zu lassen, schreckt Cowley nicht davor zurück, Karl den Ersten als „Guten Hirten", Cromwell als Teufel und als Wolf, und sich selbst als „bleating Lamb" zu stilisieren. Indessen zeigen die oben erwähnten leise humoristischen und selbstironischen Züge der Erzählung, daß Cowley selbst den feierlich-pathetischen Rahmen nicht völlig ernst zu nehmen scheint: die fiktive „Vision" dient vorwiegend wohl dazu, überhaupt eine Debatte über ein so verfängliches Thema zu motivieren, und wird vom Leser deshalb nicht uneingeschränkt als verbindlicher Ausdruck von Cowleys Stellungnahme zu Cromwell betrachtet werden dürfen. Zwar kann kein Zweifel sein, daß Cowley den Diktator von Herzen verabscheute; die Dialogpartien des „Discourse" zeigen jedoch, daß sein Cromwell-Bild bedeutend differenzierter und problemreicher ist, als die pittoreske Rahmenhandlung erkennen läßt. Nur so wird auch die Anerkennung begreiflich, mit der in der Sekundärliteratur gelegentlich über den „Discourse By way of Vision" gesprochen wird. So meint Ruth Nevo mit Bezug auf Cowley und einen — für unser Thema irrelevanten — puritanisch gesinnten Dichter:
Der Dialog
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" . . . their response to the experience of their time is marked by a greater precision and depth of implication than any we have hitherto encountered; and the range and delicacy of discrimination which informs their historical judgment is unusually great" 1 2 .
Betrachtet man lediglich den äußerlichen Handlungsablauf des „Discourse", so erscheint dieses Lob nahezu als eine Ironie; verständlich wird es erst beim Blick auf die in diesem Rahmen eingebetteten Dialogpartien. b) Der Dialog Polemische Auseinandersetzungen mit politischen Gegnern haben für den Leser leicht etwas Peinliches, vor allem, wenn der Angegriffene tot ist und sich nicht mehr zur Wehr zu setzen vermag. Cowley war sich offenbar genau der Gefahr bewußt, daß seine Schrift als geschmacklose Verunglimpfung eines Toten empfunden werden könnte, denn er weist durch den Mund des „Engels" selbst auf die Peinlichkeit dieser Situation hin: "T'is wicked with insulting feet to tread Upon the Monuments of the Dead." (S. 350)
Die Ausführlichkeit, mit der Cowley auf diesen Vorwurf eingeht, zeigt, daß ihm die Frage sehr wichtig ist. In der Tat weist der Vorwurf des „Engels" über die Person Cromwells hinaus auf allgemeinere Probleme, und so zielt auch Cowleys Antwort auf eine Grundsatzfrage ab, auf die Frage nämlich, aus welcher Ursache und in welchem Sinne sich der Geschichtsschreiber mit negativen geschichtlichen Gestalten — er spricht von „Tyrants" —auseinanderzusetzen habe. Am besten wäre es nach seiner Ansicht, wenn die Existenz verwerflicher geschichtlicher Gestalten überhaupt verschwiegen werden könnte; da dies aber nicht möglich ist, hat der Chronist wenigstens die Verpflichtung, das Andenken solcher Tyrannen so zu brandmarken, daß sie mit Sicherheit nur noch als abschreckende Beispiele wirken können: "If it were possible to cut them out of all History, and to extinguish their very names, I am of opinion that it ought to be done; but since they have left behind them too deep wounds to be ever closed up without a Scar, at least let us set such a Mark upon their memory, that men of the same wicked inclinations may be no less affrighted with their lasting Ignominy, than enticed by their momentary glories" (S. 351)
So hebt Cowley das Problem aus dem Persönlichen ins Allgemeine: aus einer Abrechnung mit der individuellen Gestalt Cromwells wird eine Auseinandersetzung mit dem Tyrannen schlechthin als einer immer 12
Ruth Nevo, „The Dial of Virtue", S. 95.
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wiederkehrenden geschichtlichen Erscheinung. Zeitweise scheint die Debatte zu einem ganz abstrakten Wortgefecht um den Begriff des „Tyrannen" zu werden: spöttisch spricht der Engel von „sciomachy, or imaginary Combat with words" (S. 353). Doch Cowley weiß stets den Zusammenhang zwischen konkretem Einzelfall und abstrakter Begrifflichkeit wiederherzustellen, und so bleibt er dem „Engel" die auf den Hauptgegenstand zurückführende Antwort auch hier nicht schuldig: " . . . in all these sences no History can afford us a more evident example of Tyranny, or more out of all possibility of excuse, or palliation, than that of the person whom you are pleased to defend . . . " (S. 354). Dieses Abwechseln von konkretem Einzelfall und verallgemeinernder Abstraktion ist charakteristisch für Cowleys Dialog: immer wieder wird deutlich, daß das dialektische Ringen um die Beurteilung Cromwells zugleich ein Ringen um Grundfragen allen menschlichen Lebens ist. Einige Beispiele sollen zeigen, wie Cowley den Dialog immer wieder so führt, daß der Einzelfall auf die Ebene des Allgemeingültigen erhoben wird und exemplarische Bedeutung gewinnt. a) Daß es in dem Dialog um Schwerwiegenderes geht als um eine einzelne geschichtliche Gestalt, machen beide Gesprächspartner fast vom ersten Satz an deutlich. Bezeichnend sind die Worte, mit denen der „Engel" seine erste große Lobrede auf Cromwell einleitet: "And pray Countryman (said he, very kindly and very flatteringly), for I would not have you fall into the general errour of the World, that detests and decryes so extraordinary a Virtue, what can be more extraordinary than that . . . " (S. 347)
Die anschließende Aufzählung der von Cromwell vollführten Großtaten soll also nicht nur dessen Persönlichkeit verherrlichen, sondern vor allem auch das illustrieren, was der Engel als „Virtue" anerkannt wissen will. Und auch Cowleys Antwort zielt auf Grundsätzliches: . . sure New and even the actions of
I am, that we must renounce or forget all the Laws of the Old Testament, and those which are the foundations of both, Laws of Moral und Natural Honesty, if we approve of the that man whom I suppose you commend by Irony." (S. 348)
Die anschließende Aufzählung von Untaten Cromwells ist sehr merkwürdig: sie stimmt nämlich Punkt für Punkt und fast Wort für Wort mit der voraufgegangenen Aufzählung von Cromwells Großtaten überein. Selbst die rhetorische Einleitungsfrage ist beiden Reden gemeinsam: „what can be more extraordinary", fragt der Engel (Seite 347), und „What can be more extraordinarily wicked" fragt Cowley zurück (S. 348). Der Streit um die Beurteilung Cromwells wird also
Der Dialog
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keineswegs in der Weise ausgetragen, daß positive und negative Züge, Großtaten und Verbrechen gegeneinander aufgeredinet würden; vielmehr sind eben die Großtaten für Cowley zugleich die Verbrechen des Protektors. Er ist weit davon entfernt, die „Größe" Cromwells zu leugnen, den er vielmehr ausdrücklich als „the late great, and (I confess) extraordinary person" (S. 348) bezeichnet. So entsteht eine seltsam verzwickte Gesprächssituation, in der scheinbar beide Disputanten aneinander vorbeireden, denn alle Beweise der einen Partei, daß Cromwell ein „großer" (beziehungsweise „schlechter") Mann sei, widerlegen nicht im mindestens die Ansicht der Gegenpartei, daß Cromwell ein „schlechter" (beziehungsweise „großer") Mann sei. Scheinbar besteht also gar kein Gegensatz zwischen den beiderseitigen Positionen, deren Konfrontration doch den ganzen Inhalt des „Discourse" ausmacht. Dieser Widerspruch löst sich erst dann, wenn wir annehmen, daß gar nicht die geschichtliche Gestalt Cromwells eigentliches Thema der Schrift ist, sondern eine viel allgemeinere Frage: soll das endgültige Urteil über einen Menschen durch die „Größe" seiner Erdentaten bestimmt werden, oder durch die moralische Vertretbarkeit seiner Handlungen? — Doch diese Frage wird von Cowley vorläufig offengelassen und erst gegen Ende des Dialogs in größerem Zusammenhang wieder aufgenommen. b) Ein beträchtlicher Teil des Dialogs gilt dem Begriff des „Tyrannen" beziehungsweise des „Usurpators". (Beide Begriffe sind für Cowley nahezu identisch, vgl. a.a.O. S. 353—354). Wieder ist es der „Engel", der die Debatte von der individuellen Gestalt Cromwells hinweg in allgemeinere Bahnen lenkt durch die kühne Behauptung, daß jede Herrschaft von Gott sei — also auch die eines Tyrannen — also auch die Cromwells. Seine Beweisführung beruft sich letzten Endes auf das Recht der Eoberung: . . either rhis Title" — das Recht des Eroberers — "is right, and then there are no Usurpers, or eise it is a wrong one, and then there are none eise but Usurpers, if you examine the Original pretences of the Princes of the World." (S. 355)
Die Widerlegung dieses Syllogismus macht Cowley außerordentliche Mühe. Er kann nicht bestreiten, daß so manche allgemein als rechtmäßig anerkannte Herrschaft ihrem Ursprung nach auf gewaltsame Eroberung oder widerrechtliche Usurpation zurückgeht und demgemäß, seiner eigenen Definition nach, als „Tyrannei" betrachtet werden müßte. Durch ein langwieriges und höchst spitzfindiges Manipulieren der Begriffe „Eroberung", „Usurpation" und „Tyrannei" versucht er deshalb darzutun, daß Cromwell die Herrschaft nicht „erobert", sondern „usurpiert" habe. Da er aber auch nicht abstreiten kann, daß die Geschichte anerkannter Herrscherhäuser häufig genug
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mit „Usurpation" beginne, muß er sich letztlich auf das wenig durchschlagskräftige Argument zurückziehen, daß dann eben erst durch die Zeit Unrecht zu Recht geworden sei: "If perhaps we find Usurpation in stead of Conquest in the Original Titles of some Royal Families abroad (as no doubt there have been many Usurpers before ours, though none in so impudent and execrable a manner) all I can say for them is, that their Title was very weak, till by lenght of time, and the death of all juster pretenders, it became to be the true, because it was the onely ohne." (S. 358)
So gelingt es Cowley schließlich doch mit einer Notlösung, auch in diesem Punkte Crom wells Herrschaft als illegitim nachzuweisen: zufällig sind in diesem Fall ja noch „juster pretenders" am Leben. — Fraglos ist hier Cowleys Beweisführung außerordentlich gekünstelt. Denn er steht an dieser Stelle des Dialogs vor einer schweren, wenn nicht geradezu unlösbaren Aufgabe. Gerade die dialektischen Künsteleien, zu denen Cowley greifen muß, zeigen, daß es ihm mehr um die Auseinandersetzung mit grundsätzlichen, immer wieder durchdachten und nie voll gelösten Problemen geht als um eine individuelle geschichtliche Gestalt: um die grundlegende, wenn auch kaum befriedigend zu lösende Frage, wie man den Primat des Rechtes vor der Macht nachweisen kann, obwohl man zu gleicher Zeit zugeben muß, daß das „Recht" vielfach erst durch die „Macht" in Gestalt von Eroberung und Usurpation begründet wird. c) Eine weitere in den Dialog eingeschobene allgemeine Betrachtung, diesmal nicht in den Mund des „Engels" gelegt, sondern vom Autor in eigener Person vorgetragen, gibt uns Aufschluß über sein Geschichtsbild: eine Meditation über die „Größe" historischer Gestalten. Cowley bestreitet, daß die großen Verwirrungen und Veränderungen in der Welt Resultat menschlicher Anstrengungen seien; die Initiatoren großer geschichtlicher Wandlungen sind für ihn in Wahrheit nur blinde Werkzeuge eines unbekannten Geschickes: " . . . though we see a Man, like that which we call Jack of the Clockhouse, striking, as it were, the H o u r of that fulness of time, yet our reason must needs be convinced, that his hand is moved by some secret, and to us, who stand without, invisible direction." (S. 360—361)
Diese Auffassung leugnet zwar nicht den freien Willen der Persönlichkeit, wohl aber ihre Fähigkeit, irgendeinen wesentlichen Einfluß auf den Ablauf der Ereignisse zu nehmen. Alles Agieren der Menschen ist deshalb Selbsttäuschung und Illusion: wer zu handeln glaubt, vollführt doch nur, was ohnehin geschehen würde. So ist es unsinnig, einen Menschen nur aus dem Grunde zu bewundern, daß große Ereignisse mit seinem Namen verknüpft sind:
Der Dialog
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"These are the Spring-Tides of publick affairs which we see often happen, but seek in vain to discover certain c a u s e s , . . . and one man then, by malitiously opening all the Sluces that he can come at, can never be the sole A u t h o r of all this (though he may be as guilty as if really he were, by intending and imagining to be so) but it is God that breaks up the Flood-Gates of so general a Deluge, and all the art then and industry of mankind is not sufficient to raise up Dikes and Ramparts against it." (S. 361)
Ruth Nevo hebt die Originalität und Eigenständigkeit dieser Geschichtsmetaphysik — „a deterministic theory of history of his own" — hervor; im Zusammenhang einer politischen Kampfschrift wirkt aber die Einführung eines so 'schwergewichtigen geschiehtsphilosophischen Ballasts beinahe befremdlich. Im Dialog ist dieser umfangreiche Exkurs (etwa S. 360, 24 — S. 363, 23) durchaus entbehrlich. Die im allgemeinen sehr straffe Gliederung des Dialoges in Argumente des „Engels" und Gegenargumente Cowleys wird durch diesen geschichtsphilosophischen Exkurs sogar empfindlich gestört, weil die kontrapunktische Ergänzung durch eine korrespondierende Gegentheorie des „Engels" ausbleibt. Cowley kennzeichnet diesen Exkurs audi selbst als gewissermaßen nur halb zur Sache gehörig, wenn er anschließend die Floskel „to return closely to the discourse from which I have a little digrest" (S. 363) gebraucht. Es scheint deshalb aus formalen wie inhaltlichen Erwägungen heraus nicht unwahrscheinlich, daß die geschichtsphilosophischen Erwägungen (S. 360—363) erst nachträglich in den Dialog eingeschoben worden sind. Wenn dies den Tatsachen entsprechen sollte, würde es eindrucksvoll zeigen, wie wichtig (und wie schwierig) es Cowley (und seinen royaliistischen Zeitgenossen) erschienen sein muß, eine Gestalt wie Cromwell geistig zu bewältigen: um nicht überhaupt am Sinn der Geschichte zweifeln zu müssen, mußte eine Erklärung der unbegreiflichen Tatsache gefunden werden, daß eine Gestalt wie Cromwell überhaupt zur Herrschaft und zu hoher Berühmtheit gelangen konnte. Daß aber Cowleys geschichtsphilosophische Skizze, auch abgesehen von ihrem Bezug auf Cromwell, Beachtung verdient, betont Ruth Nevo. Sie hebt die Modernität von Cowleys Ansatz hervor: "His argument probes towards a philosophy of history which questions the validity of the hero's claim to affect events f o r good or ill at all. A n d while no doubt originating in the fatalistic and sceptical bent of his mind, it comes close to being a completely secular and rational statement of social determinism in a context of historial process" 1 3 .
Ob diese Interpretation nicht ein wenig zu unbekümmert über die christlich-theologischen Elemente von Cowleys Ausführungen hin13
R u t h Nevo, „The Dial of Virtue", S. 130.
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Der „Discourse By way of Vision . .
weggeht — Cowley bezeichnet, wie allerdings audi kaum anders zu erwarten, alle historischen "Wandlungen als „effects . . . of the Divine Justice and Predestination" (S. 360) — ist hier nicht zu entscheiden. Wesentlich für unseren Zusammenhang ist aber, daß sich auch hier die Intensität beweist, mit der Cowley versucht, hinter der Fülle verwirrender Erfahrungen allgemeine Prinzipien und einen gültigen Sinn zu finden. d) Am Schluß kehrt der Dialog zu dem zentralen Begriff zurück, von dem die erste große Rede des „Engels" ihren Ausgang genommen hatte: zum Begriff der „Virtue". Mit großer Kunst werden die entgegengesetzten Standpunkte beider Parteien jeweils in ein einziges Wort zusammengedrängt, und diese entscheidende Zuspitzung des Dialogs trägt einen durchaus ironischen Charakter, weil beide Parteien sich auf das gleiche Wort „Virtue" berufen. Cowleys Tendenz zur Selbstironie, von der schon gesprochen wurde, erreicht hier einen bemerkenswerten Höhepunkt, denn er spricht seine eigene Auffassung der „Virtue" nidit selbst aus, sondern legt sie als verhöhntes und karikiertes Zerrbild in den Mund des „Engels": "For this I perceive which you call Virtue, is nothing else but either the frowardness of a Cynick, or the laziness of an Epicurean. I am glad you allow me at least Artfull Dissimulation, and unwearied Diligence in my Hero and I assure you that he whose Life is constantly drawn by those two, shall never be misled out of the way of Greatness. But I see you are a Pedant, and Platonical Statesman, a Theoretical Commonwealthsman, an Utopian Dreamer. Was ever Riches gotten by your Golden Mediocrities? or the Supreme place attained to by Virtues that must not stir out of the middle? Do you study Aristotles Politiques, and write, if you please, Comments upon them, and let another but practise Machiavil, and let us see then which of you two will come to the greatest preferments." (S. 373)
Und mit der gleichen doppelbödigen Ironie, mit der Cowley hier seinen eigenen Begriff der „Virtue" der Lächerlichkeit preisgibt, läßt er als Gegenbild dazu den „Engel" ein glänzendes Bild der „Virtue" des Immoralisten entwerfen: "If the desire of rule and superiority be a Virtue (as sure I am it is more imprinted in human Nature than any of your Lethargical Morals; and what is the Virtue of any Creature but the exercise of those powers and Inclinations which God has infused to it?) if that (I say) be Virtue, we ought not to esteem any thing Vice, which is the most proper, if not the onely means of attaining of it." (S. 373)
So endet der Dialog über Cromwell mit einer schroffen Gegenüberstellung zweier unvereinbarer Wertsysteme. Mit der historischen Gestalt Cromwells hat diese Schlußrede des „Engels" nur noch ganz indirekt zu tun; die Fragestellung zielt vielmehr auf das Wesen des
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Menschen schlechthin und nimmt im Grunde schon Nietzsches Konfrontation von Moral und Willen zur Macht vorweg. Die Schlußallegorie des „Discourse", die Entlarvung und Vertreibung des „Engels", scheint die Streitfrage zwar im Sinne der christlichen Sittlichkeit zu entscheiden. Doch der vorhergehende Hohn des Engels über Cowleys „Lethargical Morals" deutet darauf hin, daß Cowley zu sehr Skeptiker und Realist ist, um selbst ernstlich an die Realisierbarkeit seiner „obsolete rules of Virtue and Conscience" (S. 372—373) zu glauben in einer Welt, die den skrupellosen Usurpator als Inbegriff der „Greatness" anerkennt. c) „Essayistische" Merkmale des „Discourse By way of Vision" Einige der Gründe, die es gestattet erscheinen lassen, den Cromwell-Discourse in eine Betrachtung der historischen Essayistik einzubeziehen, wurden bereits eingangs genannt. Freilich wäre es kaum gerechtfertigt, die Schrift deshalb bereits als einen wirklichen historischen Essay anzusprechen, denn ein Vergleich mit den „echten" Essays des gleichen Autors zeigt doch wesentliche formale Unterschiede. Die „Discourses by way of Essays" kultivieren einen gepflegten Gesprächston: „A polished man, writing for polished men, pretty much as he would speak to them in a drawing-room" — so charakterisiert Taine den Essayisten Cowley 1 4 . Auf den „Discourse By way of Vision" ließe sich diese Charakterisierung kaum beziehen. Denn die Sprache des Dialogs über Cromwell wirkt vielfach steif-rhetorisch und eintönig pathetisch, in den langen Aufzählungen von Cromwells Schandtaten auch mitunter pedantisch moralisierend. Die straffe Gegenüberstellung von Rede und Gegenrede, Behauptung und Zurückweisung erinnert stark an den systematischen Aufbau eines Traktates. Der starre Parallelismus des Aufbaus zeigt sich nicht zuletzt audi in den Verseinlagen des „Discourse": Mit dem Klagelied über Englands Niedergang unter der Tyrannei (S. 343 ff.) korrespondiert die triumphierende Schilderung der Schlußszene, in der die Erscheinung Karls I. den Widersacher in die Flucht schlägt (S. 375—376); dem Gedicht Cowleys über die Schändlichkeit jedes Tyrannen (S. 351 ff.) steht eine Versrede des „Engels" gegenüber über das Thema „'Tis Godlike to be Great" (S. 373—374). Nur der geschichtsphilosophische Exkurs (S. 360—363) wirkt in diesem straffen Aufbau, wie gesagt, wie ein nachträglicher Einschub. Dennoch kann der Sprache des Cromwell-Dialoges manch essayistischer Zug nicht abgesprochen werden. So steif die Rhetorik mitunter 14
Taine a.a.O., S. 197.
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Der „Discourse By way of Vision .
wirkt, •wenn sich die beiden Gesprächspartner gegenseitig wohlgegliederte lange Vorträge halten, so unverkennbar ist doch das Streben Cowleys, durch knappe und oft amüsante Regieanmerkungen, die zwischen Rede und Gegenrede eingeschoben werden, die nebeneinanderstehenden Monologe zum wirklichen Dialog zu verbinden und so die widerspenstige Begrifflichkeit der Erörterung in den Rahmen eines lebendigen Gesprächs, einer temperamentvollen und leidenschaftlichen Debatte hineinzuzwängen. Auch die überaus geschmeidige, zeremonielle und zugleich untergründig ironische Höflichkeit und weltmännische Zuvorkommenheit, mit der sich die Kontrahenten begegnen, weist auf Cowleys Bestreben hin, die starre antithetische Begrifflichkeit der Gedankenführung zu mildern. Sie kontrastiert zugleich in amüsanter Weise mit dem weihevoll-unheimlichen Rahmen der „Vision": trotz aller rhetorischen Temperamentsausbrüche befleißigen sich die Wortführer von „Gut" und „Böse" — als solche treten Cowley und der „Engel" ja auf — einer liebenswürdigen Höflichkeit und Uberkorrektheit, als wären sie Parteiideologen, die in öffentlicher Podiumsdiskussion jeweils die Unhaltbarkeit und Verwerflichkeit des Standpunkts der im übrigen sehr geschätzten Gegenpartei nachzuweisen versuchen. Freilich darf der antithetisch-dialogische Aufbau des „Discourse" nicht darüber hinwegtäuschen, daß das „Gespräch" doch nur eine poetische Fiktion ist, und daß der Dialog im Grunde in das Autors eigenem Innern spielt. Reden und Gegenreden des Dialogs sind artikulierte Umschreibungen unklarer und widerstreitender Emotionen des Autors: " . . . I began to reflect on the whole life of this Prodigious Man, and sometimes I was filled with horror and detestation of his actions, and sometimes I inclined a little to reverence and admiration of his courage, conduct and success..." (S. 343). Gerade diese innere Dialektik der Gedankenführung — um von der auch äußerlich dialogischen Form unseres Textes abzusehen — wird in der Sekundärliteratur oft als charakteristisches Element vieler Essays hervorgehoben, und es wirkt wie auf Cowleys „Discourse By way of Vision" gemünzt, wenn beispielsweise Rudolf Hirzel meint: „Ist doch der Essay auch vielfach nichts anderes als ein verkümmertes Gespräch, und in manchem Essay . . . würden die miteinander ringenden, auf und ab wogenden Gedanken sidi deutlicher gegeneinander abheben, wenn der Verfasser sie in die F o r m eines Dialogs gebracht h ä t t e " 1 5 .
Äußerlich gesehen erscheint zwar der „Engel" im Dialog einzig und allein als „Advocatus Diaboli": die eben zitierte Bemerkung Cowleys (S. 343) deutet aber in vorsichtig verhüllter Form an, daß auch in sei15
Rudolf Hirzel, „Der Dialog" I, S. 2 4 4 — 2 4 5 .
„Essayistische" Merkmale des „Discourse By way of Vision"
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nein eigenen Innern solche Gedanken, wie sie in den Mund des „Engels" gelegt werden, einst gewisse Zweifel ausgelöst haben dürften. Aufgelockert wird die starre Antithetik des Dialogs durch die Bewegtheit der Gedankenführung, die, wie oben gezeigt, verschiedenartigste geistige Bereiche in die Betrachtung einbezieht, ohne doch den Ausgangspunkt, nämlich Cromwells Leben und Taten, je aus dem Auge zu verlieren. Dies Hin- und Herschwingen zwischen konkretem Ausgangspunkt und abstrahierender Verallgemeinerung, Wirklichkeit und Idee gibt dem Dialog etwas Schwebendes und Doppeldeutiges, so handgreiflich und massiv die Formulierungen im einzelnen auch sind: jeder konkrete Einzelzug aus Cromwells Laufbahn steht einmal als Beweis für Cromwells Schlechtigkeit, zugleich aber auch als Beleg für eine grundsätzliche, ins Transzendente weisende Uberzeugung, und umgekehrt Siind die allgemeinen Meditationen des Dialogs stets auch zugleich so zugeschnitten, daß sie als Argumente im Ringen um Cromwells Beurteilung verwendbar sind. Kompositorisch ist weiterhin eine durchgehende, ständig ansteigende Linie der Gedankenführung zu beobachten. Mit einer belanglosen Zufälligkeit setzt der „Discourse" ein: Cowley sieht sich durch einen zufälligen U m s t a n d —
„by the importunity of m y
Company"
(S. 342) — genötigt, halb wider Willen der Bestattung des Protektors beizuwohnen. Seine dadurch ausgelösten Überlegungen gelten zunächst durchaus nur der Person Cromwells und seiner erstaunlichen Laufbahn. Selbst die nun beginnende „Vision" und der Dialog mit dem „Engel" scheint zunächst einzig und allein die Person Cromwells zum Gegenstand zu haben. Nur der vom „Engel" wie zufällig in der Debatte gebrauchte Ausdruck „Virtue" läßt bereits durchblicken, daß der Streit gar nidit so sehr um Cromwells Taten selbst entbrennt, als um die weltanschaulichen Positionen, von denen aus die beiden Gesprächspartner Cromwells Handlungen betrachten und bewerten. Immer deutlicher wird durch die Einbeziehung prinzipieller Erwägungen in die Auseinandersetzung, daß es dem Autor zugleich um politische, philosophische und selbst theologische Grundprobleme geht, bis dann das geistige Ringen des Dialogs in der Schlußszene in den allegorischen Kampf von Gut und Böse übergeht. Freilich wirkt diese Schlußallegorie, in der zwei politische Parteistandpunkte schlicht mit „Gut" und „Böse" identifiziert werden, recht grobschlächtig. Doch im Grundsatz wird man einen Weg der Gedankenführung, der von einer belanglosen Begebenheit ausgeht und mit einer metaphysischen Interpretation der Zeitgeschichte endet, als „essayistisch" bezeichnen können.
2. Abschnitt
Heinrich von Treitschke: „Milton" *
* Verweisungen und Seitenangaben beziehen sich auf folgende Ausgabe: Heinrich von Treitsdike: Historische und Politische Aufsätze. Erster Band: Charaktere, vornehmlich aus der neuesten deutsdien Geschichte. Siebente Auflage, Leipzig 1911.
i. Dichtung und Politik in Treitschkes „Milton" „Ein Märdien ist es, erfunden in philisterhaften Tagen, als könne je ein vorwiegend literarisches Volk bestehen. Zuerst nach dem R u h m e seiner Fahnen schaut ein Volk aus, wenn es seiner Vergangenheit gedenkt, und gern vergißt es die Mängel, das Veraltete eines Kunstwerks, wenn die Glorie einer großen Zeit aus der alten Dichtung redet. Nie genug werden wir die Briten um jenes vornehmste Zeichen ihrer Gesundheit und harmonischen K r a f t beneiden, daß ihnen die Kunst auf dem festen Boden staatlicher Größe reifte. Liest der Engländer die Verse von der Feenkönigin, so steigt vor seinen Augen auf das Bild der großen Elisabeth, er sieht sie reiten auf dem weißen Zelter vor jenem Heere, dem die unüberwindliche Armada wich, und hinter den kriegerischen Schaaren der Engel in Milton's Verlorenem Paradiese erblickt er kämpfend Cromwell's gottselige Dragoner." (S. 57)
Diese Worte aus dem Essay über Lessing zeigen beispielhaft, wie eng für Heinrich von Treitschke die Welten der Dichtung und der Politik, des Ästhetischen und des Historischen miteinander verbunden sind. Es ist recht bezeichnend, daß bei ihm unter der Sammelbezeichnung „Historische und Politische Aufsätze" unter anderem Schriften über Milton, Lessing, Kleist, Uhland, Otto Ludwig und Hebbel zu finden sind. Aber auch diejenigen Schriften Treitschkes, die unmittelbar der Politik dienen, verraten nach den Worten Alfred Doves „nicht bloß reiche ästhetische Begabung, sondern einen fast universellen Sinn für geistige Interessen überhaupt"; nie zuvor seien, wie Dove fortfährt, Literatur- und Kulturgeschichte so innig mit der politischen Geschichte verbunden worden, wie in Treitschkes „Deutscher Geschichte" 1 . So enthalten auch diejenigen Essays von Treitschke, die im strengsten Sinne nicht als „historisch", sondern eher als literaturkritisch oder literaturgeschichtlich zu bezeichnen wären, nicht wenig an spezifisch historischem Gehalt. Treitschkes schriftstellerische Laufbahn begann mit Aufsätzen über Männer des Wortes, Dichter und Gelehrte. „Freilich mit was für Poeten und Denkern?" fragt Erich Mareks in einer Skizze von Treitschkes Leben und gibt selbst die Antwort: „ . . . fast lauter Kämpfer, die das Wort, die Dichtung, den Gedanken mit der politischen Einwirkung verbunden haben, Kämpfer, die wie Lessing, Kleist, Fichte, Uhland sich einreihten in die Vorgeschichte des Ringens 1
5
Alfred Dove, „Ausgewählte Sciiriftchen vornehmlich historischen Inhalts", — S. 390—391. Fischer, Studien zum historischen Essay
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Dichtung und Politik in Treitschkes „Milton"
für die deutsche Nationalität und somit auch für den deutschen Staat«3. Der 1860 verfaßte Milton-Essay nimmt unter diesen Schriften Treitschkes eine gewisse Sonderstellung ein, da er weder zur deutschen Geschichte noch zu politischen Gegenwartsproblemen Deutschlands in direkter Beziehung steht. Dennoch zeigen briefliche Äußerungen Treitschkes, daß im weitesten Sinne politische Gesichtspunkte bei der Wahl auch dieses Stoffes eine nicht unwesentliche Rolle gespielt haben. In einem Brief an Gustava von Haselberg vom 4. November 1859 meint er, daß sich in Milton „der Freiheitsmuth der modernen Völker wie in keinem Andern verkörpert" 3 , und in einem Brief vom 13. September des gleichen Jahres an Julius Klee heißt es: „Midi haben meine Vorlesungen auf Milton sehr begierig gemacht: jammerschade, daß seine prosaischen Schriften bei uns kaum dem N a m e n nach, seine Gedichte nach der alten deutschen Unsitte vorwiegend durch Literaturgeschichten bekannt sind. Ich glaube, das war der idealste Demokrat, den die moderne Welt gesehen; und schon darum wünschte ich die defensio pop. Anglicani in vielen Händen, weil wir dran lernen k ö n nen, wie halb und zaghaft und leidenschaftslos wir heutzutage über die heiligsten Dinge reden" 1 — .
Der Aufsatz gilt gewiß in erster Linie dem Dichter Milton, seinem Leben und Werk, doch die ästhetische Würdigung des Werkes steht nicht für sich, begreift vielmehr stets auch die geistigen und historischpolitischen Hintergründe von Miltons Dichtung mit ein; Treitschke unterscheidet sogar sorgfältig zwischen dem „historischen" und „subjectiven" Wert einer Dichtung einerseits, dem „rein-ästhetischen" Wert anderseits (S. 41). Vom „rein-ästhetischen" Gesichtspunkt findet er beispielsweise am Verlorenen Paradies manches auszusetzen (vgl. S. 35 bis 39). Aber eine Verabsolutierung dieses einen Gesichtspunktes liegt ihm fern; er sieht das Werk stets in Zusammenhang mit seinem Dichter, den Dichter in Zusammenhang mit seiner Zeit und seinem Volk. So ist das Verlorene Paradies für ihn nicht allein Kunstwerk, sondern vor allem auch biographisches und historisches Denkmal: „ . . . nidit bloß die Person des Dichters, auch die Leiden und Kämpfe des puritanischen England treten uns aus den Versen des Paradise lost entgegen. Kein Gesang darin, der nicht mahnend, strafend, begeisternd auf die N ö t h e des Jahrhunderts wiese. Wenn Milton das H e e r des E r z engels wider die Dämonen der Hölle ausziehen läßt, so meinen wir sie mit Händen zu greifen, jene ,Männer, wohlgewappnet durch die Ruhe ihres Gewissens und von außen durch gute eiserne Rüstung, feststehend wie ein Mann* — jenes gottbegeisterte Herr, welchem England seine 2 3 4
Erich Mareks, „Heinrich von Treitschke. Ein Gedenkblatt", S. 20. Heinrich von Treitschke, „Briefe" (hrsg. von Max Cornicelius) II, S. 60. Heinrich von Treitschke, „Briefe" II, S. 52.
Dichtung und Politik in Treitsdikes „Milton"
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Freiheit dankt. Wir sehen vor Augen das Schlachtfeld von Dunbar, wir schauen, wie die Eisenseiten Oliver Cromwell's ihr blutiges Schwert in die Scheide stecken und das Haupt entblößen und über das leichenbedeckte Feld das Siegeslied des streitbaren Protestantismus erschallt: ,lobet den Herrn, alle Helden, preiset ihn, alle Völker!' Dieser Hintergrund einer großen Geschichte verleiht dem Gedichte Milton's jenen Reiz dramatischer Wahrheit, welchem auch Goethe nicht widerstehen konnte." (S. 40) Wenn schon die frühesten literaturkritischen Aufsätze Treitsdikes, wie gesagt, starke historisch-politische Akzente tragen, wird hier geradezu die Einheit von „literaturgeschichtlichem" und „historischem" Essay verwirklicht, weil Leben und Werk des Dichters aus der Geschichte heraus interpretiert und auf ihre geschichtliche Wirkung hin untersudit werden. Eben durch dieses stärkere Hervortreten des Geschichtlichen nimmt der Milton-Essay auch in Treitsdikes Biographie eine wesentliche Sonderstellung ein. E r bezeichnet — nach der Feststellung von Andreas Dorpalen — Treitschkes endgültige Wendung von der Literatur zur Geschiditswissensdiaft und zur politischen Publizistik: „Yet these ventures into literary criticism" — gemeint sind die Aufsätze über Otto Ludwig, Gottfried Keller und andere — „could not satisfy him for long. Even if he made them serve as a vehicle for his political views, historical essays could perform this function far more effectively. A paper on Milton, so like Treitschke with his combination of poetic and political aspirations and his serious handicap when stricken with blindness in his later years, provided the transition from aestheticism to history" 5 . Zwar tritt diese Eigenschaft des historischen Essays als „vehicle for political views" im Milton-Aufsatz nodi nicht so stark hervor wie in vielen der späteren Schriften Treitsdikes; schon wegen des zeitlichen und räumlichen Abstandes zwischen Milton und den innerdeutschen politischen Auseinandersetzungen des Neunzehnten Jahrhunderts können direkte Bezugnahmen auf die deutsche Gegenwart nur gelegentlich und am Rande eingeflochten werden. Dennoch ist die Wahl gerade dieses Themas im Grunde selbst schon ein Bekenntnis, — ein Bekenntnis zur politischen Parteinahme und zum aktiven politischen H a n d e l n : „Diese Tage künstlerischer Seligkeit" — heißt es im Essay über das elisabethanische Zeitalter — „waren dahin. Die Parteien begannen sich zu scheiden. Jetzt galt es zu wählen zwischen dem weltverachtenden Ernste der Puritaner und der vornehmen Leichtfertigkeit der Cavaliere; mit nichten war Milton's Meinung, daß der Dichter solcher Wahl sich entziehen dürfe." (S. 5) 5
5;
Andreas Dorpalen, „Heinrich von Treitschke", S. 51.
2. Die englische Revolutionszeit als Hintergrund des Milton-Essays a) Die Anordnung des Stoffes (verglichen mit Macaulays Milton-Essay) Treitschke beschreibt Miltons Leben in chronologischer Folge, beginnend mit der Geburt des Dichters in einem strengen gottseligen Puritanerhause, endend mit Miltons letzter Dichtung und mit einer kurzen Würdigung, die Leben und Werk noch einmal als Ganzes überblickt: »Sein N a m e w i r d leben, so lange die edlen Geister aller N a t i o n e n das große E v a n g e l i u m der Freiheit singen u n d sagen werden, so lange das W o r t eine Wahrheit b l e i b t : no sea swells like the bosom of a man set free."
(S. 55)
Diese Darstellungsweise bringt einige Besonderheiten mit sich, die beim Vergleich mit einer anders angelegten Darstellung des gleichen Gegenstandes deutlicher hervortreten. Zum Vergleich bietet sich der inhaltlich weitgehend parallelgehende Milton-Essay Thomas Babington Macaulays an; da Macaulay auch in der politischen Grundhaltung und im Stil vieles mit Treitschke gemeinsam hat, lassen sich die kompositorischen Unterschiede beider Essays und die daraus resultierenden Modifikationen der Sichtweise aus einem Vergleich recht klar ablesen. Macaulay verzichtet, anders als Treitschke, auf eine biographischchronologische Anordnung des Stoffes. Die erste Hälfte seines Essays ist dem Dichter Milton gewidmet, die zweite dem politischen Schriftsteller. So ergibt sich eine übersichtliche Gliederung, bei der die einzelnen ästhetischen, weltanschaulichen und politischen Fragen, um die es dem Autor geht, nacheinander ausführlich abgehandelt werden können. Es ergibt sich etwa folgendes Bild: Der äußere Anlaß des Essays.
Milton als Dichter:
Miltons Dichtertum; Miltons kleinere Dichtungen; _ „„ .. T „ ... Das Paradise Lost und die "Divina Commedia".
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Die Anordnung des Stoffes
Milton als politischer Schriftsteller:
Milton und die Hinrichtung Karls I.; Milton und Cromwell; Miltons Stellung unter den Parteien der Bürgerkriegszeit.
Miltons Größe 6 . Dank dieser Anordnung kann Macaulay jeden der aufgeführten Punkte in sich zusammenhängend abhandeln. Bei Treitschke hingegen ziehen sich die verschiedenen Gesichtspunkte — Miltons persönliches Schicksal, sein Dichtertum, seine geistige und politische Haltung — ineinander verflochten durch den ganzen Essay. Bei Treitschke hat der Leser stets die Einheit von Leben, Dichtung und politischem Kämpfertum Miltons vor Augen, bei Macaulay werden die verschiedenen Aspekte sorgsam voneinander getrennt; wo Treitschke ein einheitliches Werden schildert, gibt Macaulay eine Reihe von Einzelerscheinungen, die aber dennoch durch die Eingangs- und die Schlußpassage zur Einheit verklammert werden. Das eigentlich biographische Element, das Werden und Wachsen der Persönlichkeit und ihres Werkes, kommt bei Macaulays Anordnung des Stoffes wenig zur Geltung. Milton erscheint bei ihm als eine in sich geschlossene, von Anfang bis Ende gleichbleibende Gestalt, die nur von jeweils verschiedenen Seiten her beleuchtet wird. Diese Beleuchtung erfaßt zwar jeweils nur Teilaspekte, diese aber scharf und detailliert. Wo seine Gliederung des Stoffes die Gelegenheit bietet, kann Macaulay recht ausführliche und farbenreiche Miniaturporträts Karls I. und Cromwells, detaillierte und farbenreiche Schilderungen der revolutionären und der royalistischen Partei einflechten. Die Untersuchung von Miltons Haltung zwischen den Bürgerkriegsparteien beispielsweise8 ist in sich so geschlossen, daß sie aus dem Kontext herausgelöst werden könnte, ohne an künstlerischer Abrundung und inhaltlicher Verständlichkeit wesentlich einzubüßen. Auch die vergleichende Gegenüberstellung von „Paradise Lost" und „Divina Commedia" 6 wirkt wie ein in sich abgeschlossener kleiner Essay. 6
Die entsprechenden Seitenzahlen der „Albany Edition" Works of L o r d Macaulay. In Twelve Volumes) sind:
(The
Complete
(Der äußere Anlaß des Essays) S. 1 — 4 ; (Miltons Dichtertum) S. 4 — 1 0 ; (Miltons kleinere Dichtungen) S. 1 0 — 1 8 ; (Das „Paradise L o s t " und Dantes „Divina Commedia") S. 1 8 — 3 0 ; (Milton und die Hinrichtung Karls I.) S. 3 2 — 4 6 ; (Milton und Cromwell) S. 4 6 — 4 9 ; (Miltons Stellung unter den Parteien der Bürgerkriegszeit) S. 4 9 — 5 7 ; (Miltons Größe) S. 5 8 — 6 2 . (Albany Edition VII, Essays and Biographies I, S. 1 ff.).
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Die englische Revolutionszeit als Hintergrund des Milton-Essays
Anders bei Treitschke. Die biographisch-chronologische Anordnung des Stoffes gestattet es ihm nicht, Miltons menschliches Schicksal, dichterische Entwicklung und politische Haltung sorgsam getrennt abzuhandeln. So ausführliche und detaillierte Exkurse wie etwa Macaulays Darstellungen der puritanischen und der königlichen Partei würden den chronologischen Aufbau seines Essays sprengen oder bis zur Unkenntlichkeit entstellen, denn die Dinge, die Macaulay auf wenigen Druckseiten zusammenfaßt, wirkten in Wahrheit ja jahrzehntelang auf Miltons Schicksal und Dichtung ein. Bei Treitschke steht Miltons Gestalt durchaus im Vordergrund; nur verstreute, wie zufällig wirkende Schlaglichter fallen auf einzelne Persönlichkeiten des Hintergrundes und auf die Parteien des Bürgerkrieges, soweit sie sich in Miltons Denken und Handeln spiegeln. Wo Macaulay mit minutiöser und farbenreicher Detailschilderung den geistigen und politischen Hintergrund seines Porträts zeichnet, wird der Hintergrund von Treitschkes Milton-Bildnis von wenigen starken, gleichsam unvermischt aufgetragenen Farben beherrscht. Wo Macaulay „den Puritaner" und „den Kavalier" als fest umrissene, liebevoll und differenziert geschilderte Gestalten vor das Auge des Lesers rückt, erscheinen bei Treitschke Puritanismus und Absolutismus als gleichsam allgegenwärtige Wesenheiten, die zwar nirgends näher geschildert werden, aber gleichwohl durch ihr Einwirken auf das Leben und durch ihre Spiegelung im Schaffen der Titelgestalt die ganze Atmosphäre des Essays wesentlich mitbestimmen. Wo diese beiden geistigen und politischen Strömungen im Essay sichtbar werden, kennzeichnet sie Treitschke mit wenigen starken Farben, meist nur durch einzelne charakterisierende und zugleich moralisch bewertende Adjektive. Karl I. wird „der meineidige, herzlose Stuart" (S. 21) genannt, seine Parteigänger — und mit ihnen im Grunde alle Verfechter der absoluten Monarchie überhaupt — kennzeichnet der Autor als „Creaturen König Karl's" (S. 12) und als „die feilen Verfechter des frivolen Absolutismus" (S. 25). Ein Ausspruch des ersten Stuartkönigs wird als „jenes blasphemische Wort" (S. 19) zitiert, und Treitschke spricht von ihm als von „dieser frivolen Selbstvergötterung eines durchaus ungermanischen Despotismus" (S. 19). N u r selten und dann schnell vorübergehend wird der einheitliche Grundton dieser Urteile abgewandelt und gemildert, wenn der „romantische Reiz der ritterlichen Cavalierehre" (S. 19) aufleuchtet, im gleichen Satz aber auch schon wieder abgewertet wird. Etwas differenzierter sind die Äußerungen über die königsfeindliche Partei. Sie erscheint als die Partei der Freiheit schlechthin; freilich fällt in Treitschkes Darstellung der Glanz fast ausschließlich auf die überragenden Gestalten Cromwells und Miltons, während das Puri-
Die Gestalt Cromwells
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tanertum, sobald es als Ganzes gesehen wird, überwiegend mit einheitlich düsteren Farben geschildert wird. Immer wieder hebt der Autor die „jüdische Starrheit" (S. 10), die „jüdische Härte" (S. 11), die „plumpe Unduldsamkeit" (S. 46) des Puritanertums hervor. Er spricht von „pfäffisdien Verirrungen" (S. 15) der Gottseligen; demgegenüber wirkt es beinahe schon versöhnlich, wenn er meint, daß das Wort, wunderliche Heilige' recht eigentlich für die Puritaner geschaffen scheine (S. 41). Weder die Frivolität des Hofes noch die Starrheit der Puritaner werden von Treitschke näher geschildert; er begnügt sich mit ganz kurzen, wie selbstverständlich eingeschalteten Bemerkungen, die eher ein Urteil aussprechen, als daß sie Sachverhalte eigentlich schildern. Ausgeführte Zustandsschilderungen oder Beschreibungen von Ereignissen sind im Milton-Essay kaum zu finden; der Autor gibt die Quintessenz (sein persönliches Urteil), ohne erst ausführlich zu erläutern, wie er zu diesem Urteil kommt, und ohne den Leser durch Beispiele und Argumente pro und contra zum Beipflichten zu überreden. Alfred Dove kennzeichnet diese Eigenart von Treitschkes Stil: „Bei der tiefsten und klarsten Geschichtserkenntniß trifft man doch in seinen bisherigen Aufsätzen nirgends die epische R u h e eigentlicher E r z ä h lung an. Der dichterische und weit mehr noch der moralische Schwung seiner Empfindung hebt ihn über die breiten Niederungen der Nebendinge hinweg von Spitze zu Spitze der Erscheinungen und Gedanken . . . " 7 .
Diese Urteilsweise Treitschkes läßt sich in der Gestaltung des Hintergrundes im Milton-Aufsatz besser beobachten, als in der Zeichnung der Titelgestalt selbst. Das Bild Miltons wird durchaus differenziert gesehen und beurteilt, gewissermaßen in Nahaufnahme. Aber alles, was im Hintergrund steht, wird gleichsam in perspektivischer Verkürzung gezeigt und auf einprägsame, schlagwortartig zugespitzte und dadurch einseitig wirkende Formeln reduziert. Da Treitschkes Aufsatz hier vor allem als Beispiel der Gattung „historischer Essay" und als Beispiel für die Auseinandersetzung eines Essayisten mit historisch-politischen Problemen betrachtet wird, ist für unseren Zusammenhang dieser Hintergrund des Dichterporträts wichtiger als das Porträt selber. b) Die Gestalt Cromwells Die einzige Gestalt des Essays, die — außer Milton selbst — sich mit individuellen Zügen gegen den Hintergrund abhebt, ist die Cromwells. Aber auch sie wird aus der Distanz gesehen und nur mit wenigen kräftigen Konturen umrissen. Epische Breite gestattet sich Treitschke 7
Alfred Dove, „Ausgewählte Schriftchen vornehmlich historischen Inhalts", S. 3 8 5 — 3 8 6 .
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Die englische Revolutionszeit als Hintergrund des Milton-Essays
auch hier nicht, so nahe es beispielsweise gelegen hätte, den Freundschaftsbund Miltons und Cromwells zu einem Sinbild der Vereinigung v o n Gedanke und T a t zu erheben. D e m Leser bleibt nur eine eindrucksvolle, aber rasch wieder von anderen Dingen verdrängte und überlagerte Impression: „Wie verschieden geartet die Beiden auch waren: der schöne, feingebildete Dichter und der plumpe, wetterfeste, nüchterne Mann des Kriegs und der Geschäfte begegneten sich in dem tiefen Ernste ihres Glaubens, in ihrer Verachtung des Scheines, und Beide standen hoch genug, um keiner Partei sich gänzlich zu verpfänden. Solche grundverschiedene Naturen mit gleicher Überzeugung schließen sich leicht an einander zu dauernder, werkthätiger Freundschaft." (S. 20) Aber Freundschaft und schließliches Zerwürfnis werden nicht mehr geschildert. Die Gestalt des Protektors verschwindet alsbald wieder aus dem Blickfeld des Lesers, und Milton bleibt allein im Vordergrund zurück. N u r aus großer Entfernung, in idealisierender Distanz, wird C r o m well noch einigemale sichtbar gemacht: „Nie hatte das englische Volk die Herrschaft eines ruchlosen Königs so unruhig getragen wie das Regiment seines größten Beherrschers . . . Und bald ist Milton selbst, wie es scheint, irr geworden an seinem Helden. . . . der die Wiedergeburt der antiken Freistaaten gehofft hatte, vermochte sich nicht zu befreunden mit der Fortdauer der Dictatur. Er begann den Staatsmann nicht mehr zu verstehen, welcher den Muth hatte, das N o t wendige zu wollen, und das Königthum, das unentbehrliche, neu zu gründen traditete." (S. 28) So, aus der Ferne gesehen, erscheint Cromwells Bild fast als das des idealen Staatsmannes. Eine nähere, intimer ins Detail gehende Betrachtung von Cromwells Taten müßte vieles zeigen, was auf den Leser befremdlich und abschreckend wirken könnte. Die Distanz verklärt; selbst das Furchtbare erweckt eher Ehrfurcht als Schrecken, da es dem Leser nicht unmittelbar gezeigt wird, sondern nur indirekt, durch seine W i r kung auf Milton, sichtbar wird: „Das Kriegsrecht herrschte in England; ihn beirrte es nicht. In gräuelvollem Kampfe ward Irland unterworfen, also daß die irische Mutter noch heute mit dem Namen Cromwell ihr weinendes Kind zur Ruhe schreckt; dem Dichter aber war kein Zweifel, wider Papisten und Rebellen müsse der Streiter Gottes das Schwert Gideon's gebrauchen." (S. 23) So wird Cromwells Gestalt fast in biblisch-mythische Sphären entrückt, eben dadurch, daß nicht so sehr seine reale Gestalt v o r dem Leser erscheint als vielmehr das dichterisch und religiös überhöhte CromwellBild Miltons: „Er erkannte in dem Helden, ,der Gottes Schlachten schlug', der voran stand, ,als des Messias großes Banner flog', den gebornen Herrscher, dem die von Gott gewollte Regierung der Besten zufallen müsse." (S. 19—20)
3. Spiegelungen von Treitschkes politischen Anschauungen im Milton-Essay Der Milton-Aufsatz gehört zu den nicht sehr zahlreichen Schriften Treitschkes, in denen es weder um ein Problem der deutschen Geschichte oder Kultur noch um eine gegenwartsbezogene national-politische Frage geht. Unmittelbar tagesgebundene politische Polemik findet sich in ihm verhältnismäßig selten, wenn auch einzelne heftige Seitenhiebe, beispielsweise gegen „die harmlosen Bewunderer des musterhaften Familienlebens deutscher Kleinkönige" (S. 21), nicht fehlen. Dennoch ist es nicht schwer, einige Grundzüge von Treitschkes politischen Überzeugungen auch aus diesem Aufsatz abzulesen. Seine Urteilsweise und die Art seiner Charakteristiken zeigt deutlich, welche Maßstäbe er an politisches Denken und Handeln anlegt. Zwar identifiziert er sich durchaus nicht immer mit den Anschauungen Miltons, aber gerade dadurch, daß er auf alles nach seiner Auffassung nur Zeit- und Situationsbedingte in Miltons Denken besonders hinweist, hebt sich umso stärker dasjenige ab, was für Treitschkes Empfinden Ewigkeitsgeltung beanspruchen kann; gerade dort, wo er Kritik übt, fällt durch den Kontrast zugleich besonders scharfe Beleuchtung auf seine eigenen Ideale. Mit dem starren Antimonarchismus von Miltons politischen Streitschriften beispielsweise vermag er «ich nicht zu identifizieren, so sehr er auch das Stuart-Königtum und seine Parteigänger verabscheut. So wird Miltons Staatsauffassung aus den besonderen Zeitumständen erklärt und damit relativiert, seine Verwerfung der Monarchie schlechthin als zeitbedingt gleichsam entschuldigt: „Die Anhänger des constitutionellen Königthums waren vorderhand vers t u m m t ; nur die feilen Verfechter des frivolen Absolutismus traten dem Dichter entgegen. Was Wunder, daß Milton, solchen Feinden gegenüber, in eine streng republikanische Richtung hineintrieb? E r verdammt jetzt schlechthin die Monarchie . . . Daß gerade die schreiende Ungleichheit unserer Bürger, die Macht unserer socialen Gegensätze die Monarchie nothwendig hervorruft — die Bedeutung dieser verwickelten wirthschaftlichen Thatsache vermag der starre moralische Rigorismus des Puritaners nicht zu begreifen." (S. 25)
Daß eine solche Betrachtungsweise ihre Kriterien nicht aus dem Gegenstand selbst ableitet, sondern sie von außen her an ihn heran-
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Spiegelungen v o n Treitsdikes politischen Anschauungen im Milton-Essay
trägt, ist deutlich; Treitschke würdigt zwar die Andersartigkeit einer von anderen Voraussetzungen bestimmten Epoche, aber nichtsdestoweniger setzt er seine eigenen Ideale absolut und wendet sie auch auf von anderen Vorstellungen geprägte Zeiten und Regionen an. Darin spricht sich seine Uberzeugung aus, daß die wesentlichen Ideale der Menschheit trotz aller äußeren Wandlungen im Kern überall und zu allen Zeiten die gleichen seien. Wo aber diese Ideale einen so ausgesprochen politischen Akzent tragen wie bei Treitschke, ergeben sich leicht gewisse Gewaltsamkeiten, wenn sie als Maßstab an einen geschichtlichen Gegenstand angelegt werden. Die eben zitierte Passage beispielsweise besagt ungefähr — sinngemäß, wenn auch etwas vergröbert umschrieben —, daß Milton sicherlich Treitschkes konstitutionell-monarchisches Ideal geteilt haben würde, wenn er nicht zufällig ein englischer Puritaner des Siebzehnten Jahrhunderts gewesen wäre. Es ist überhaupt bezeichnend, daß Treitschke überall dort, wo er mit den Anschauungen seines Helden nicht übereinzustimmen vermag, zur Erklärung gerne zeit- und situationsbedingte Faktoren, Miltons Engländertum und Miltons Puritanertum, heranzieht: „Selbst dieser freie Geist hat, wie alle seine Zeitgenossen und wie noch heute die ungeheure Mehrzahl der Briten, nicht gewagt, die letzten C o n sequenzen der protestantischen Freiheit zu ziehen. Auch sein Denken ist theologisch gebunden, ist wesentlich scholastisch . . . Diese theologische Verbildung und die jüdische Härte des puritanischen Wesens entfremdet Milton's W e r k e gar o f t uns Söhnen eines geistig freieren Volkes." (S. 1 1 )
Immer wieder wird Milton als ein im Grunde moderner Geist gezeigt, den nur die einseitige Ausrichtung seiner Zeit an voller Entfaltung hindert: „So dringt dieser reine Mensch in Allem, was er ergreift, auf das Wesen, auf den sittlichen Kern der Dinge. N u r leider hindert ihn auch hier seine theologische Verbildung, die köstlichen Früchte seines Denkens zu ernten" (S. 17); „Vielleicht hat in jenen Tagen nur der Deutsche Samuel Hartlieb diese Schrift, welche der englische .Schulmeister 1 ihm widmete, ganz verstanden; so wenig hatte der Miltonisdie Plan eines freien, w a h r h a f t classischen Jugendunterrichts mit den theologischen Begriffen des Jahrhunderts gemein" (S. 18).
Selbst von Miltons größter Dichtung meint der Essayist, daß sie unter dem niederdrückenden Einfluß des Zeitgeistes nicht zu angemessener Form gefunden habe, weil Milton entgegen seinem ursprünglichen Plan (vgl. S. 40) nicht die dramatische Form wählte: „Der protestantische Glaube w a r ein Gemeingut des Volkes geworden; aber so gänzlich war in dem besseren Theile der Nation die alte glückliche Lust am künstlerischen Spiel erstorben, daß ein Genius wie Milton in
Spiegelungen von Treitsdikes politischen Anschauungen im Milton-Essay
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die embryonische F o r m der Allegorie zurückfallen konnte, wenige Jahre, nachdem sein Volk das vollendete Kunstwerk des Dramas geschaffen h a t t e ! " (S. 33)
Hier legt der Autor wie selbstverständlich seine eigenen ästhetischen Vorstellungen als Maßstab zugrunde; an ihnen wird Miltons Dichtung gemessen. Am deutlichsten wird dieses Absolut-Setzen der eigenen Anschauungen aber, wenn Treitschke auch in Miltons politischem Denken das nur Zeitbedingte gegen das Dauernde abzusetzen sucht und dabei beispielsweise die Lehre von der Volkssouveränität als eine nur zeit- und umstandsbedingte, lediglich aus der besonderen Situation des 17. Jahrhunderts entspringende Theorie darstellt: „Damit, offenbar, ist ohne jede Rücksicht auf die Verschiedenheit der Staatsformen die den Staat auf den Kopf stellende vieldeutige Lehre der Volkssouveränität verkündet — das Kind einer Epoche, welche Alles zu fürchten hatte von dem Mißbrauche fürstlicher Gewalt. Sie hat seitdem ruhigeren Theorien das Feld räumen müssen, welche auch erwägen, wie das Königthum zu schützen sei gegen die Ubergriffe des Volkes. Dauern aber für alle Zeiten werden jene schlagenden Sätze, womit Milton das göttliche Recht des Königthums widerlegt . . . " (S. 24)
So sucht der Autor eine ferne Epoche nicht aus ihren eigenen zeitgebundenen Voraussetzungen heraus zu verstehen und sich ganz in ihren besonderen Geist hineinzuversetzen; er sieht und beurteilt sie von außen her und versucht aus der Fülle des Zeitbedingten und Vergänglichen dasjenige herauszuheben, was — von ihm aus gesehen — überzeitliche Geltung besitzt. Dieses Ewiggültige in Miltons Leben und Werk ist für Treitschke die Idee der Freiheit. Sie ist der Kern von Miltons politischen Kampfschriften: „Wollen wir diesen Streitschriften gerecht werden, womit er während eines Vierteljahrhunderts die drei Grundlagen jedes menschenwürdigen Lebens, die'religiöse, die häusliche und die politische Freiheit, vertheidigte . . . " (S. 9). Selbst das Privateste von Miltons Leben wird unter diesem Aspekt gesehen: „Inzwischen hatten sorgenvolle Erlebnisse Milton zum Nachdenken geführt über einen anderen Grundpfeiler des Völkerglückes, über die häusliche Freiheit" (S. 16). Den Begriff der Freiheit versteht Treitschke im naturrechtlichen Sinne. Der Schwerpunkt von Miltons Argumentationen in der „defensio pro populo Anglicano" liegt für ihn „durchaus in dem großartigen Idealismus einer naturrechtlichen Doctrin" (S. 24). Von ihr sieht Treitschke auch die Zukunft bestimmt: „Am letzten Ende liegt die welthistorische Bedeutung Milton's darin, daß er kühner, eindringlicher, denn irgend Einer zuvor, die Freiheit als ein angeborenes Recht der Völker verkündete, während die Völker noch immer nach mittelalterlicher Weise hergebrachte Freiheiten als einen privatrechtlichen Besitz
7 6 Spiegelungen von Treitsdikes politisdien Anschauungen im Milton-Essay
vertheidigten. Insofern war der Dichter wirklich einer der Pioniere einer neuen Zeit, deren Morgengrauen wir heute erst schauen . . . " (S. 27). Dieser zentrale Begriff der Freiheit ist es, der Miltons Dichtung mit seinem Leben und seinem politischen Wirken zur Einheit zusammenschließt. So heißt es über das "Paradise Lost": „Endlich hat Milton auch den Kern seines politischen Nachdenkens in dem Gedichte ausgesprochen. Ganze Stellen seiner prosaischen Schriften wiederholen sich in poetischer Umschreibung, die staatliche Freiheit wird verherrlicht als die Belohnung der Tugend der Völker, und das Glaubensbekenntniß des Republikaners ausgesprochen in dem berühmten Worte: man over men God made
not lord."
(S. 41—42)
Fraglos sind die von Treitschke als bleibend gültig und überzeitlich angesehenen und verfochtenen Ideale in Wahrheit selbst vielfach höchst zeitbedingt und subjektiv, wie vor allem beim Blick auf die im MiltonEssay vertretenen politischen Anschauungen sichtbar wird. Theodor Schiemann weist — wenn auch nur mit einem eingeschobenen Nebensatz — auf diese starke Subjektivität und persönliche Färbung in der ganz vom persönlichen Standpunkt des Autors geprägten Sichtweise des Essays hin: „ . . . die tiefe Auffassung, mit der Milton die Idee des Staates verkündigte, deckte sich, wenn er in Abzug brachte, was von dem Geiste des 17. Jahrhunderts nicht zu trennen ist, mit den Uberzeugungen, die in ihm selber lebten" 8 .
Man muß hier fragen, ob dem Bild des puritanischen Dichters nicht eben Wesentliches genommen wird, wenn von seinem Denken alles das als nur zeitbedingt abgezogen wird, „was von dem Geiste des 17. Jahrhunderts nicht zu trennen ist". Indessen würde eine solche Fragestellung der Grundhaltung des Essays wohl nicht völlig gerecht. Milton interessiert den Autor eben nicht so sehr als Gestalt des Siebzehnten Jahrhunderts, sondern als Mensch, der auch für die Gegenwart als Vorbild wirken soll, wie vor allem in einer bereits erwähnten Briefstelle zum Ausdruck kommt: „Ich glaube, das war der idealste Demokrat, den die moderne Welt gesehen; und schon darum wünschte ich die defensio pop. Anglicani in vielen Händen, weil wir dran lernen können, wie halb und zaghaft und leidenschaftslos wir heutzutage über die heiligsten Dinge reden" 4 . —
Obwohl der Milton-Aufsatz noch vor der Zeit der eigentlichen politischen-publizistischen Kämpfe Treitschkes liegt, fällt auch in ihm 8
Theodor Schiemann, „Heinrich von Treitsdikes Lehr- und Wanderjahre", S. 150.
Spiegelungen von Treitschkes politischen Anschauungen im Milton-Essay
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die Leidenschaft und Subjektivität der Urteilsweise auf. Am Beispiel einiger Äußerungen über die Parteien und Staatstheorien der Bürgerkriegszeit haben wir sie bereits kennengelernt. Betrachtet man seine Worte über das Stuart-Königtum und die Hofpartei isoliert, so müßte man ihn für einen radikalen Republikaner halten; im Urteil über republikanische Staatstheorien wiederum erscheint er als Monarchist konservativster Prägung. Eine Reihe ähnlich leidenschaftlicher Äußerungen über geschichtliche, weltanschauliche und künstlerische Fragen, die durch ihre zugespitzte, verallgemeinernde Formulierung noch mehr als durch ihre sachliche Aussage zum Widerspruch geradezu provozieren, ließe sich ohne große Mühe zusammenstellen. „Nun aber ist jeder Dichter nothwendig Polytheist" (S. 38), heißt es beispielsweise, und die Politik der Habsburger wird „fluchwürdig" (S. 22) genannt. Häufig spielt der Autor auf den seiner Ansicht nach „ungeheuren Abstand zwischen deutscher Freiheit und englischer Befangenheit des Geistes" (S. 11) an, und temperamentvoll attackiert er „die englischen Eiferer und jene Deutschen, welche die Geistesfreiheit unseres Volkes wieder zu der Beschränktheit englischer Rechtgläubigkeit zurückzuführen denken" (S. 39). Der apodiktische Ton derartiger Werturteile erweckt mitunter den Eindruck, als lehne es Treitschke prinzipiell ab, die eventuelle Berechtigung abweichender Anschauungen auch nur in Erwägung zu ziehen, so etwa, wenn er behauptet, daß Milton „auf die Masse mit dem vornehmen Stolze aller feineren Geister herabschaute" (S. 29). Nur selten spricht er mit einer größeren Distanz vom Gegenstand, die es erlaubt, die Relativität scheinbar unversöhnlicher weltanschaulicher Gegensätze zu erkennen, wie in der Gegenüberstellung Dantes und Miltons: „. . . der glühende Vertheidiger der kaiserlichen Monarchie, der den Brutus erbarmungslos in die Hölle verstößt, steht dem radicalen Anwalt des Königsmordes, dem Feinde der Cäsaren in seinen politischen Schriften näher, als der oberflächliche Blick erkennen mag . . . Nach Bürgerpflicht ergriffen Beide Partei, aber der Überlegenheit dieser Köpfe blieben die Sünden ihrer Genossen unverborgen: wie Milton aus reiner H ö h e v o r nehm herabsdiaute auf die plumpe Unduldsamkeit der Puritaner, so mahnte der ghibellinische Dichter: ,mit andern, andern Waffen zieh' zum Streit der Ghibelline; Jeden wird's gereuen, der trennt den Aar von der Gerechtigkeit'." (S. 46)
Die vielberufe Heftigkeit und Einseitigkeit von Treitschkes polemischem Stil läßt sich gerade vom Milton-Essay her besonders klar beleuchten; nicht weil dieser Essay besonders polemisch im Ton gehalten wäre, sondern weil Treitschke in ihm am Beispiel Miltons besonders ausführlich über die Problematik politischer Publizistik spricht. Daß Treitschke im Bild des englischen Dichters viele Züge seiner selbst wie-
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Spiegelungen von Treitschkes politischen Anschauungen im Milton-Essay
derfand, wird in der Literatur häufig hervorgehoben 9 , und es wirkt wie auf seinen eigenen Stil gemünzt, wenn er die Sprache von Miltons Streitschriften rühmt, „eine Sprache voll Kraft und Wahrheit, welche wie voller mächtiger Glockenklang das dürftige Gezwitscher des ,möchte' und ,dürfte' gemeiner diplomatischer Redeweise übertönt" (S. 27). Er bestreitet keineswegs die intolerante Enge und Einseitigkeit solcher Polemik: „ . . . er war vollkommen unfähig, die relative Berechtigung seiner Feinde zu begreifen. E r sah in ihnen nur Götzendiener, Hurer, Despoten, Priester des Baudies; und nie begegnet uns in seinen Schriften jenes überlegene, objective Lächeln, das wir von einem genialen Menschen selbst im Feuer des Parteikampfes dann und wann erwarten." (S. 10)
Aber diese Schroffheit erscheint als notwendige Begleiterscheinung einer geistigen Konsequenz, die es wagt, Problemen wirklich auf den Grund zu gehen: „Sein starker Geist, gewohnt die historischen Dinge in der ganzen Schärfe ihrer Gegensätze zu begreifen, bekannte sich zu dem W o r t e : wer A u t o rität sagt, sagt Papst, oder er sagt gar nichts — zu jenem schrecklichen Worte, welches nur darum nicht wahr ist ,weil der müden Mehrzahl der Menschen der Muth fehlt, ihren Glauben bis in seine letzten Spitzen zu verfolgen." (S. 14)
Ein solches Wort ist von eigentümlicher Doppelseitigkeit. Treitsthke selbst nennt die aus solch radikaler Konsequenz resultierenden Folgerungen „schrecklich", und doch verraten seine Worte audi, wie verächtlich ihm eine geistige Bequemlichkeit erscheint, die es nicht wagt, einer einmal gewonnenen Uberzeugung bis in extreme Folgerungen hinein treuzubleiben. Dieser Wille zur geistigen Konsequenz gibt seinen Formulierungen oft auch dort einen intoleranten, auf Andersdenkende verletzend wirkenden Klang, wo die zugrunde liegenden Überzeugungen durchaus nicht besonders extrem erscheinen. So wirken seine Worte über die Schärfe von Miltons Kampfschriften wie eine vorweggenommene Rechtfertigung gegen viele der später so häufig gegen Treitschke selbst erhobenen Vorwürfe: „Der gemeinen Mittelmäßigkeit der Menschen ist der Ausdruck einer Meinung wichtiger als die Meinung selber; deshalb ist Milton, der gemäßigte Ansichten mit schonungsloser Ehrlichkeit aussprach, der thörichten Nachrede verfallen, er zähle zu den Schwärm- und Rottengeistern, den Demagogen des Protestantismus." (S. 10) 9
Vgl. z . B . Dorpalen a.a.O., S. 5 1 ; Schiemann a.a.O., S. 1 4 9 — 1 5 0 .
3- Abschnitt
Hermann Oncken: „Die Auserwähltheit eines Volkes und der religiöse Berufungsglaube des Führers"*
* Verweisungen und Seitenangaben beziehen sich auf folgende Ausgabe: Hermann Oncken: Cromwell. Vier Essays über die Führung einer Nation. Berlin 1935, S. 35 ff.
i. Hermann Onckens Essays über Cromwell Hermann Onckens „Cromwell. Vier Essays über die Führung einer Nation" entstand in den Jahren 1933 bis 1935; als das Buch erschien, war dem Verfasser die akademische Lehrtätigkeit bereits genommen 1 . Keimzelle des Buches war, wie Oncken im Vorwort berichtet, ein von ihm im Dezember 1933 gehaltener Vortrag, „Cromwell als Staatsmann"; die Arbeit an diesem Gegenstand wurde ihm zum Anlaß, unter Wiederaufnahme weit zurückliegender Studien „dem Wesen und den Bedingungen des nationalen Führertums, wie es sich in Cromwell verkörpert, näherzutreten" (S. VII). Die Worte des Untertitels — „über die Führung einer Nation" — bezeichnen eine einheitliche, übergreifende Thematik der vier Aufsätze. Die Einzelthemen sind so formuliert, daß sie sich gegenseitig ergänzen, zum Teil überschneiden. Weitaus am umfassendsten ist die Themenstellung des ersten und auch zeitlich am frühesten entstandenen, ursprünglich als Vortrag konzipierten Aufsatzes „Cromwell als Staatsmann". Inhaltlich begreift er wesentliche Gesichtspunkte der drei folgenden Aufsätze gewissermaßen schon in sich, denn diese betrachten eng umschriebene Teilaspekte von Cromwells Politik unter einer jeweils veränderten Perspektive. Der zweite Essay, „Die Auserwähltheit eines Volkes und der religiöse Berufungsglaube des Führers", interpretiert Cromwells religiöse Vorstellungswelt und ihren Einfluß auf die politischen Entscheidungen des Lord-Protektors. Der dritte Essay, „Englische Seepolitik und protestantische Weltpolitik", verengt diesen Gesichtskreis weiter auf einen bestimmten Aspekt von Cromwells Außenpolitik. Der vierte Essay endlich ist, wie eine zeitgenössische Rezension urteilt, durch seine Auswertung bis dahin unveröffentlichten Materials der wissenschaftlich gewichtigste von allen 2 . Inhaltlich zeigt er eine abermalige Verengung des Gesichtskreises gegenüber dem auf Cromwells Außenpolitik konzentrierten dritten Aufsatz; er trägt den Titel „Die Außenpolitik Cromwells, von der deutschen Nordseeküste aus gesehen".
6
1
Über die näheren Umstände von Onckens Verdrängung aus dem Lehramt berichtet Gerhard Ritter in „Geistige Welt" Jg. 1, H e f t 3 (Oktober 1946), S. 29.
2
Vgl. Hans Honstedt in „Die Literatur" 37 (1935), S. 421. Fischer, Studien zum historischen Essay
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Hermann Onckens Essays über Cromwell
Bildlich gesprochen läßt sich Onckens Cromwell-Buch so einer Sammlung von Bildnissen der gleichen Persönlichkeit vergleichen, deren erstes den Dargestellten in ganzer Figur erfaßt, während die folgenden immer näher an das Objekt herantreten und unter bewußter Verengung des Gesichtsfeldes jeweils nur einen einzelnen, wenn auch wesentlichen und charakteristischen Zug voll zur Anschauung zu bringen suchen. Freilich ist diese Verengung in anderer Hinsicht zugleich jeweils auch eine Erweiterung. Hinter jedem der vier verschiedenen (Teil-) porträts wird — gewissermaßen durch den Standortwechsel des Betrachters — ein anderer Hintergrund sichtbar gemacht, wodurch auch der Gegenstand selbst in immer neuartige Beleuchtung gerückt erscheint. Wohl am stärksten zeigt sich diese Einbeziehung eines universalhistorischen Hintergrundes in Onckens Cromwell-Porträt an dem zweiten der vier Essays: „Die Auserwähltheit eines Volkes und der religiöse Berufungsglaube des Führers". Ihn betrachten wir deshalb näher. In den zeitgenössischen Rezensionen wird gelegentlich bemängelt, daß die wissenschaftliche Erforschung Cromwells durch Onckens Essays nicht wesentlich erweitert werde; in diesem Sinne äußert sich vor allem Hans Honstedt 2 . Audi Hans Rühl meint, mit der bloßen Feststellung der von Oncken herausgearbeiteten Tatsachen sei „das Problem Cromwell doch wohl noch nicht gelöst"; erst weitere eingehende Studien zu bestimmten Fragen würden „eine wirkliche Erkenntnis der Persönlichkeit Cromwells ermöglichen" 3 . Bei solcher Kritik erhebt sich die Frage, ob es wirklich die einzige Absicht des Autors war, neues Material oder fundamental neue Interpretationen der Gestalt Cromwells zu geben; es scheint, daß solche Einwände zu wenig den Untertitel „Vier Essays über die Führung einer Nation" berücksichtigen. Wir werfen deshalb einen kurzen Blick auf die Problemstellung der einzelnen Essays. (Der vierte muß dabei außer Betracht bleiben; er nimmt eine gewisse Sonderstellung ein, da er, wie gesagt, hauptsächlich der Verarbeitung bis dahin unbekannten Quellenmaterials gewidmet ist). Der erste der Essays beginnt mit einer Gegenüberstellung zweier weltgeschichtlicher Ereignisse und zweier Gestalten, der Englischen und der Französischen Revolution, Cromwells und Napoleons: „Das Problem Napoleon steht unserem gesdiiditlidien Bewußtsein näher, wir glauben es als Ganzes begreifen zu können — im Vergleich dazu bleibt die Gestalt Cromwells von einem rätselvollen Dunkel umgeben —, und doch sind Wesen und Probleme einer so einzigartigen L a u f b a h n an 3
H a n s R ü h l in „Archiv f ü r das Studium der Neueren Sprachen", 91. Jg., 169. Band (1936), S. 105.
Hermann Onckens Essays über Cromwell seiner Figur in einer noch reineren Form, Reichtum des Lebens zu studieren." (S. 3)
in einem
83 ursprünglicheren
Es geht hier also nicht allein um Cromwells Individualität sondern vor allem auch um ein überindividuelles geschichtliches Problem: die Problematik des siegreichen Revolutionsgenerals. Noch weit umfassender ist der Rahmen im zweiten Essay: die Motive persönlichen und nationalen Erwähltheitsbewußtseins werden von der alttestamentarischen Epoche bis in die Gegenwart hinein verfolgt, wie noch näher zu untersuchen sein wird. Der dritte Aufsatz endlich, „Englische Seepolitik und protestantische Weltpolitik", zeigt am Beispiel der englischen Revolutionszeit ein in der Gesdiichte wiederholt auftretendes Phänomen revolutionärer Politik auf und weitet dabei das Blickfeld bis zur russischen Revolution hin aus: „Bei allen Revolutionen, die den innern Aufbau eines großen Volkes grundstürzend umgestalten, läßt sich beobachten, daß die revolutionäre Umwälzung, nachdem sie ihre innern Ziele erreicht hat, in einem gewissen Moment auf die auswärtigen Beziehungen des Staates überspringt und manchmal in ausgreifenden Kriegen ihre Vollendung sucht. Es ist, als ob die revolutionären Gewalten, um den Bestand der von ihnen ausgehenden innern Neuordnung zu behaupten, sich auch mit der sie umgebenden Staatengesellschaft und den in ihr gültigen politischen N o r m e n messen müßten. Nicht selten wird das Schicksal der ursprünglichen Bewegung erst auf diesem äußeren Schauplatz entschieden." (S. 75)
In allen drei Essays ist also die gleiche Art der Einführung zu beobachten: bevor der Autor jeweils unter einer bestimmten Fragestellung Wesen und Problematik der Laufbahn des Lord-Protektors näher untersucht, skizziert er zunächst mit wenigen Sätzen den universalhistorisdien Hintergrund, vor dem sich dann das individuelle Profil der Titelgestalt mit perspektivischer Tiefenwirkung abhebt. So bezieht es sich nicht nur auf die einmalige Erscheinung Cromwells, sondern vor allem auf den Einblick in allgemeinere, überindividuelle Strukturen historischen Geschehens, wenn Oncken im Vorwort davon spricht, daß „diese anspruchslosen Studien . . . in erster Linie eine Anregung zu tieferer Erkenntnis sein wollen" (S. VI).
6*
2. Zum Aufbau und Stil des Essays Bereits der Titel des hier zu betrachtenden Essays (des zweiten in der Sammlung) zeigt, daß seine Fragestellung sich nicht im Biographischen erschöpft. Nicht „England" und „Cromwell" werden in der Oberschrift genannt: diese lautet vielmehr, über die individuelle Gestalt Cromwells hinausgreifend, „Die Auserwähltheit eines Volkes und der religiöse Berufungsglaube des Führers". Von Anfang des Essays an wird Cromwell als beispielhafter Vertreter eines in der Geschichte immer wiederkehrenden Typus gesehen und geschildert: als der religiös inspirierte Volksführer. So wird er von Beginn des Essays an in eine über Jahrtausende hinwegreichende Tradition eingegliedert. Einleitend zitiert Oncken eine Bibelstelle — die Berufung des Propheten Jeremia durch den alttestamentarischen Gott — und skizziert anschließend mit wenigen Sätzen, wie dieser Vorgang der göttlichen Berufung zur Führung eines Volkes immer wieder von späteren Geschlechtern als Aufruf und Vorbild erlebt wurde: „So hat die Bibel in den beiden letzten Jahrtausenden immer wieder die Vorstellung erweckt, daß ein Einzelner durch den göttlichen Willen berufen werden könne, der Führer der großen Gemeinschaft seines Volkes zu werden. Wie die persönliche Religiosität des Einzelnen durch die Übernahme der Verantwortung für sein Volk, das er Gott verbunden weiß, ins Uberindividuelle gesteigert und über sich selbst hinausgehoben wird, das ist eines der inhaltsreichsten Probleme der Geschichte. Es ist das Problem Cromwell." (S. 37)
Dies Problem wird von Oncken unter zwei Aspekten gesehen und untersucht. Einmal geht es um eine im Kern biographische Frage, nämlich um die Beurteilung einer individuellen historischen Gestalt: „Wie ist das religiöse Motiv zu bewerten, das in unzähligen seiner Handlungen als alleinbestimmend für sein Handeln auftritt? Von der Antwort hängt das letzte Urteil über die geschichtliche Erscheinung Cromwells ab." (S. 38)
Zum anderen geht es, wie Oncken sagt, um den „Ausblick in ein überindividuelles und überzeitliches Problem" (S. 38), nämlich um die Neigung der Nationen des christlichen Europa, „die alttestamentarische Situation des auserwählten Volkes auf die eigene Existenz zu übertragen" (S. 43). Mit einem anschaulichen Bild kennzeichnet Oncken selbst diese Doppelseitigkeit der Fragestellung seines Essays:
Zum Aufbau und Stil des Essays
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„Die religiöse Sendung des Staatsmanns und die religiöse Auserwähltheit des Volkes sind wie zwei Kreise, die, um denselben Mittelpunkt gezogen, ineinander liegen: es ist ein und dasselbe Leben, das den von ihnen umschlossenen Raum durchflutet." (S. 38) Diese Zweiseitigkeit des Essays spiegelt sich auch in seinem äußeren Aufbau. Er gliedert sich im Druckbild in drei Abschnitte. Der erste skizziert in gleichsam makroskopischer Überschau die Entwicklung des Nationalgefühls der christlichen Völker Europas aus der Wurzel religiösen Sendungsbewußtseins (S. 38—45). In diesen universalgeschichtlichen Rahmen wird dann die zweite, speziell auf Cromwells Persönlichkeit gerichtete Frage hineinprojiziert: „Die stärkste wechselseitige Durchdringung religiös-reformatorischer und nationalpolitischer Inhalte, die überhaupt in der protestantischen Welt erfolgte, sollte erst in dem England des 17. Jahrhunderts vollzogen werden, und damit berühren wir den Zusammenhang, in dem wir an das religiöse und das politische Problem Cromwell herantreten." (S. 45) So wird in dem zweiten Teil des Essays (S. 45—52) die makroskopische Betrachtungsweise durch eine mikroskopierende abgelöst: w o eben der Blick des Historikers die Leitlinie nationalen Sendungsbewußtseins durch die Jahrhunderte hindurch verfolgte, werden jetzt die Selbstzeugnisse eines einzigen Menschen befragt, um Aufsdiluß über die persönliche Frömmigkeit dieses einen Mannes zu gewinnen. Der dritte Teil (S. 52—72) ist der weitaus umfangreichste. Er verbindet beide Seiten des Problems, die biographische und die universalgeschichtliche, wieder zur Einheit. Oncken schildert zunächst, wie sich die religiöse Einstellung Cromwells in seinem politischen Wirken, in seinem Handeln f ü r das v o n ihm geführte Volk auswirkt, wobei doch zugleich die universalgeschichtliche Fragestellung des ersten Abschnittes wieder stärker ins Blickfeld gerückt wird. Denn wo v o n Cromwell gesprochen wird, steht er zugleich als individuelle Persönlichkeit und als Inbegriff des religiösen Staatsmannes, wie ihn (in Onckens Sicht) etwa auch Bismarck darstellt: „Das Leben eines wahrhaften Führers der Nation wird bis in den letzten Atemzug sidi mit seinem Volke gleichsetzen, dergestalt, daß unter dem Schatten des Todes noch der Gedanke an sein Volk selbst über die Sorge um die eigene Seele übermächtig hinwegschreitet — so ist Bismarck dahingegangen, in den letzten halblichten Augenblicken der Agonie gepeinigt von der Vision eines Überfalls von allen Seiten, der seiner Schöpfung bevorstehe. Auch bei Cromwell tritt in dem letzten Dokument seines Lebens, in dem Gebet, das er in seinen letzten Tagen auf dem Sterbebette an den Herrn richtete, die eigene Person ganz hinter dem Volke Gottes zurück; seine Familie und seine Angehörigen werden gar nicht erwähnt, aber immer wieder schweifen seine Gedanken zu seinem Volke. Es ist, als ob seine Existenz in ihrer Vollendung restlos in dem von Gott ihr zugewiesenen Wirkungskreise aufgegangen wäre." (S. 70—71)
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Z u m A u f b a u und Stil des Essays
So können in den abschließenden Sätzen des Essays die gedanklichen Linien des Eingangs wiederaufgenommen und bis in die Gegenwart weitergeführt werden. Von der Berufung des Propheten Jeremia wurde in den ersten Sätzen des Essays gesprochen; zu den Begriffen des religiös inspirierten Staatsmannes und des auserwählten Volkes kehren die letzten Absätze unter dem besonderen Blickwinkel der Gegenwart zurück. Freilich überträgt Oncken die Erscheinungen religiös geprägter Epochen nicht undifferenziert auf die Gegenwart; er sagt vielmehr ausdrücklich: „Die Gestalt des religiösen Staatsmannes steht uns heute ferner, weil die religiöse Bindung das Leben nidit mehr so allmächtig wie damals beherrscht." (S. 71), und „Völlig fremd erscheint uns heute in der Gemeinschaft der christlichen Völker der Anspruch eines einzelnen Volkes, mit seiner A r t der Verwirklichung der christlichen Ideale, den Willen Gottes auf Erden zu vertreten, somit seine nationalen Ziele und seine religiöse Haltung in eins zu setzen, seine eigene Existenz gleichsam mit einem göttlichen Glänze zu umgeben. Der Nationalismus religiöser Prägung hat in der gegenwärtigen Welt keinen Platz mehr." (S. 72)
Für sich betrachtet würden diese Sätze besagen, daß Persönlichkeit und Problematik einer Gestalt wie Cromwell für die Gegenwart nur noch von historischem Interesse seien. Doch in den anschließenden letzten Sätzen des Essays wird die universalgeschichtliche Kontinuität wieder sichtbar gemacht. So erscheint in Onckens Aufsatz Cromwells Politik als ein geschichtlich schöpferisches, durch den religiösen Absolutheitsanspruch aber gefährliches Phänomen. Die an die eben zitierte Passage anschließenden Worte Onckens enthalten, wenn auch nur angedeutet, eine Kritik an der Radikalität, mit der Cromwell über alles hinwegschritt, was seinem Anspruch in den Weg trat. Vor allem aber sind Onckens Worte hier auch eine unverkennbare Mahnung und Warnung an seine eigene Gegenwart: „Wir dürfen aber nicht verkennen, daß, wenn die Motive und Triebkräfte des Nationalismus seitdem auch einer A r t von Säkularisierung unterlegen sind, sie mit anderen und nicht geringeren Ansprüchen auf Absolutheit sich von neuem erhoben haben. O b sie ihre Begründung in der Tiefe des Volkswillens suchen oder in dem geheimnisvollen Zusammenhange des Blutes, in dem Bewußtsein einer großen Geschichte oder in einer geistigen Leistung f ü r die Menschheit — das eine steht fest, daß sie in der Gegenwart zu einer der gewaltigsten Erscheinungen allen Geschehens geworden sind: mit dem vollen Sonderrecht ursprünglichen Lebens, mit allen ihren unberechenbaren Ansprüchen, aber auch mit ihrer niemals abzustreifenden Bindung an die Allgemeinheit. Sie werden ihrer Aufgabe nur gerecht, wenn sie ganz sie selber sind und doch das gleichgerichtete Bestreben aller anderen Völker würdigen, mit denen sie auf dieser Erde zusammenleben." (S. 72)
Zum Aufbau und Stil des Essays
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Audhi in der sprachlichen Gestaltung des Essays spiegelt sich der Wechsel von „makrologischer" universalgesdhichtlicher Betrachtung und „mikrologischer" biographischer Untersuchung. a) Soweit Cromwells individuelle Persönlichkeit Gegenstand der Untersuchung ist, wählt Oncken die wissenschaftliche Methode und die sprachliche Haltung des Quellenforschers, der soweit wie möglich die überlieferten Zeugnisse selber sprechen läßt. Besonders der zweite Teil des Aufsatzes (S. 45—52) besteht zum großen Teil aus Selbstzeugnissen Cromwells, die im Wortlaut gegeben und durch interpretierende Erläuterungen des Autors verbunden werden. Insgesamt werden nicht weniger als dreiundzwanzig Belege aus Reden und Briefen Cromwells im Wortlaut angeführt, um dem Leser Art und Intensität von Cromwells religiöser Gebundenheit möglichst umfassend und differenziert vor Augen zu führen. Ästhetisch gesehen wirkt diese Überfülle aufgehäufter Materialien unbefriedigend, zumal sich die oft recht umfangreichen Zitate — sie nehmen im Druckbild mitunter bis zu einer halben Druckseite ein — in ihrer Aussage zum Teil überschneiden, so daß Wiederholungen nicht ausbleiben. Für die künstlerische Abrundung und Geschlossenheit des Essays wäre es sicherlich vorteilhaft gewesen, diese Uberfülle des Belegmaterials zu reduzieren: entweder durch Einschmelzen der wesentlichen Aussagen in eine referierende und zusammenfassende Darstellung oder durch einfache Streichung. Zwei oder drei besonders bezeichnende Worte Cromwells, an zentralen Punkten des Essays eingefügt, hätten künstlerisch wahrscheinlich überzeugender gewirkt, als ein Viertelhundert Zitate, die alle im Grunde nur Beispiele für ein und dasselbe Phänomen sind. In seinem Vortrag „Cromwell als Staatsmann" hatte Oncken diesen Weg gewählt, ein einziges eindrucksvolles Zitat in den Mittelpunkt zu stellen, nämlich Cromwells Ausspruch über seine eigene Laufbahn: „Der k o m m t am weitesten, der nicht weiß, wohin er geht." (S. 17, ähnlich S. 32)
Wir haben uns zu fragen, weshalb er in dem hier behandelten Essay einen anderen, künstlerisch weniger überzeugenden Weg eingeschlagen hat. Die Antwort liegt zweifellos darin, daß Oncken bei der hier zu untersuchenden Frage dem Prinzip wissenschaftlicher Gewissenhaftigkeit und Sauberkeit den Vorrang gibt vor allen ästhetischen Erwägungen. Die alte Streitfrage, wieweit Cromwells religiöses Sendungsbewußtsein echt und lauter sei, kann nicht aufgrund einiger weniger zufälliger Belege entschieden werden. Erst bei Berücksichtigung des gesamten vorliegenden Materials kann eine Antwort gewagt werden: „Vor der Einheitlichkeit dieses seelischen Tones muß jede Annahme verfliegen, das alles könne nicht echt empfunden und gelebt sein; die V o r -
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Zum A u f b a u und Stil des Essays Stellung eines Heuchlers könnte sich vielleicht an Einzeläußerungen heften, vor der Gesamtheit seines persönlichen Vermächtnisses bricht sie in sich zusammen." (S. 46)
Onckens Essay ist, mindestens zu einem Teil, auch fachwissenschaftliche Spezialuntersuchung; er gilt dem Nachweise einer bestimmten wissenschaftlichen These, die im Vorwort folgendermaßen umschrieben wird: „ . . . insbesondere wurde ich durch die Erkenntnis gefesselt, daß das in Cromwell lebendige Bewußtsein einer göttlichen Sendung in unlöslichen Zusammenhange mit dem Auserwähltheitsglauben der englichen Nation steht" (S. V). Dieser Nachweis kann durch einen formal noch so abgerundeten Essay nicht geführt werden, wenn nicht eine genaue Analyse nachprüf baren Quellenmaterials hinzukommt: der Leser soll zur Ansicht des Autors nicht nur überredet werden, sondern aufgrund der angeführten Belege selbst die Interpretation Onckens nachvollziehen. Die Auswertung des Quellenmaterials geschieht mit der größten Vorsicht; die Zurückhaltung, die sich Oncken in seiner Ausdrucksweise auferlegt, ist bemerkenswert. Voreilig verabsolutierende Behauptungen und Schlußfolgerungen werden sorgfältig vermieden, Tatbestände nur dann festgestellt, wenn sie wirklich über jeden vernünftigen Zweifel hinaus erwiesen sind. Gewissenhaft gibt der Autor durch seine Formulierung zu erkennen, wo ein Urteil oder eine Feststellung auf subjektiver Einsicht beruht: „ U n d das ist überhaupt bei Cromwell der beherrschende Eindruck . . ." (S. 47); „Man darf annehmen, daß . . (S. 59); „Es ist anzunehmen, daß . . . " (S. 60); „Es scheint, als ob . . . das verborgene Nebenmotiv zugrundeläge . . ." (S. 66); „Wenn man sich . . . vergegenwärtigt, so erscheint es nicht zulässig . . ." (S. 69)
Solche Wendungen verraten eine im Grunde skeptische Haltung, die den eigenen Argumenten mißtraut und bei jeder Behauptung schon mögliche Einwände voraussieht. Aus ihr scheint die Uberzeugung zu sprechen, daß bei der Deutung historischier Quellenbefunde absolute Sicherheit und Klarheit nicht immer zu erreichen ist, und sie verschmäht es, dort Sicherheit und Beweisbarkeit vorzutäuschen, wo es keine gibt. Als eigentlich essayistisch wird man diese Sprachhaltung nicht bezeichnen können. Sie ist vielmehr ausgesprochen wissenschaftlich in einem Sinne, den man mit Bruno Berger geradezu als genaues Gegenteil essayistischer Subjektivität folgendermaßen kennzeichnen könnte: „Jegliche Subjektivität also muß eliminiert sein, subjektive Anschauungen sollen mindestens als solche gekennzeichnet . . . werden, wenn die These,
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Z u m Aufbau und Stil des Essays ihre Beweisführung soll" 4 .
und
Darstellung
glaubwürdige
Gültigkeit
haben
Muß daraus der Schluß gezogen werden, daß Onckens Essay seine Gattungsbezeichnung zu Unrecht trägt und in Wahrheit als fachwissenschaftliche Abhandlung bezeichnet werden müßte? Diese Frage läßt sich erst dann beantworten, wenn man auch den universalhistorischen Rahmen betrachtet, der die sehr spezielle Analyse von Cromwells Frömmigkeit einschließt. b) So vorsichtig sich Oncken bei der Untersuchung eines speziellen Problems an das überlieferte Quellenmaterial hält und so vorsichtig er es vermeidet, voreilig zu schlußfolgern, so großzügig verfährt er andererseits, wo es darum geht, universalgeschichtliche Leitlinien und Parallelen über Jahrhunderte hinweg sichtbar zu machen. Der Gedankengang des Aufsatzes stellt sich als ein gewaltiger Bogen dar vom Zeitalter der alttestamentarischen Propheten bis zur Gegenwart. Im Zentrum steht Cromwell, aber nidit nur als individuelle Gestalt, sondern auch als Vertreter eines bestimmten Typus geschichtlicher Gestalten. Die Reihe weltgeschichtlicher Persönlichkeiten, zu denen er durch angedeutete oder ausgeführte Vergleiche in Parallele gesetzt wird, reicht von den biblischen Prophetengestalten über Luther und Gustav Adolf von Schweden bis zu Bismarck. So wird die Zentralfigur des Essays in eine überindividuelle Sphäre gehoben und mit dem Inbegriff des aus religiöser Bindung heraus handelnden Menschen schlechthin identifiziert: „Man hat häufig daran Anstoß genommen, wie außerordentlich langsam sidi die Entschlußbildung bei ihm vollzog. Aber eben hier liegt das Geheimnis. Solange die Ereignisse nicht entscheidend gesprochen haben, wird der Handelnde, der auf die Stimme Gottes horcht, den anderen schw ankend erscheinen; erst wenn er die Stimme zu hören glaubt, wird er stark und unbeirrbar voranschreiten. Was sich für einen Staatsmann von nicht religiöser Haltung aus einer verstandesmäßigen Rechnung ohne weiteres ergibt, wird für denjenigen Staatsmann, der sich in seinem Tun und Lassen gottgebunden weiß, immer wieder durch dieses Erleben der religiösen Gewißheit hindurchgehen." (S. 61) (Hervorhebung v o m Verfasser der vorliegenden Arbeit.)
An derartige Passagen ist wahrscheinlich gedacht, wenn es in einer zeitgenössischen Rezension heißt, Onckens Cromwell-Buch gewänne „durch manche hübsche Bemerkung allgemeiner Art einen besonderen Reiz" 5 . Es handelt sich aber nicht nur um gleichsam zufällig eingestreute Sentenzen; Onckens Schrift ist in ihrer ganzen Anlage ein Versuch, durdi Verbindung sorgsamsten Detailstudiums mit universalhistorisdi gerichteter Blickrichtung Strukturen weltgeschichtlichen Ge4 5
Vgl. Bruno Berger, „Der Essay", S. 58—59. G. Mentz in „Vergangenheit und Gegenwart" 26 (1936), S. 233.
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Z u m Aufbau und Stil des Essays
schehens zu beleuchten. Mit der vorsichtigen, beinahe ängstlich wirkenden sprachlichen Zurückhaltung der analytischen Partien des Aufsatzes verglichen fällt die Bestimmtheit der Diktion in denjenigen Passagen besonders auf, in denen Oncken über das individuelle Problem Cromwell hinaus zu allgemeiner Aussage vorstößt wie in dem folgenden Abschnitt: „Der christliche Staatsmann wird sich nicht damit begnügen, seine Ideale innerhalb des eigenen Staates zu erstreben, sondern alles daran setzen, seine innerpolitisdien Grundsätze audi in die Außenpolitik hineinzutragen, um dem, was er als Gottes Willen erkannt zu haben glaubt, auch in der Welt zum Durchbruch zu verhelfen. E r wird sich daher mit Gleichgesinnten verbinden und gegen Andersgesinnte angriffsweise vorgehen; er wird in Krieg und Frieden die christliche Idee seines eigenen Staates zur höchsten und allgemeinen N o r m zu erheben suchen. Mit anderen W o r t e n : er wird Innenpolitik und Außenpolitik zu einer aus derselben Quelle genährten Einheit verschmelzen." (S. 6 4 — 6 5 )
So ist der Aufsatz zugleich vorsichtig abwägende Quellenstudie zu einem eng umgrenzten Spezialproblem und universal orientierte Auseinandersetzung mit einer in der Geschichte immer wiederkehrenden Frage: mit der wechselseitigen Durchdringung göttlicher und irdischer, idealistischer und machtpolitischer Ziele in der Politik eines und desselben Staatsmannes. Diese Absicht, mikrologische und makrologische Sicht, detaillierte Analyse und übergreifende Synthese zu vereinen, dürfte für Oncken den Anlaß gebildet haben, seinen Aufsätzen über Cromwell die Bezeichnung „Essays" zu geben.
3- Gegenwartsbezogenheit in Onckens EssayHermann Oncken sieht, wie wir zu zeigen versuchten, historische Ereignisse und Gestalten nicht isoliert, sondern in epochenübergreifender universaler Sicht, die auch seine eigene Gegenwart zumindest implicite mit umgreift. Er selbst schreibt 1914, daß man in seinen Aufsätzen die Fäden immer wieder in der Gegenwart münden sehen werde®, und er hat sich — wie eingangs bereits erwähnt — eingehend mit der Frage auseinandergesetzt, ob und inwieweit der Wissenschaftler berechtigt und verpflichtet sei, auf die „öffentliche Meinung" seiner Nation im politischen Sinne einzuwirken 7 . Kurz zusammengefaßt sieht er die historische Wissenschaft als eine erzieherische Kraft, die über tagesgebundene Emotionen und politische Tagestendenzen hinweg den Blick auf größere historische Zusammenhänge zu leiten vermag und dadurch das Fundament politischer Bildung darstellt. So fordert er von einer nationalen Politik, daß sie „in verständnisvollem Ergreifen und Fortbilden der lebensfähigen historischen Elemente doch tätig in die Zukunft" blicken solle, von der Geschichtschreibung, daß die großen Gedanken der Zeit aus ihr widerklingen sollten 8 . Vor allem aber wünscht er ein Volk, das aufgeschlossen ist für die Lehren und Warnungen der Geschichte: „eine öffentliche Meinung, die . . . ihren Gesichtskreis weiter zu dehnen sich bemüht als die Augenblickssituation und die rasche Aufwallung sie sehen lassen, nicht bloß das Heute und Morgen, sondern den großen historischen Zusammenhang und die Rechnung auf eine fernere Zukunft ins Auge faßt . . ." 9 . So ist für Oncken die Aufgabe des Historikers zugleich politisch. Zwischen Erhellung der Gegenwart und wissenschaftlicher Durchdringung der Vergangenheit wird bewußt keine Grenzlinie gezogen, so klar Oncken selbst auch die Unterschiede in Ausgangspunkt, Methode und Zielsetzung hervorhebt. Der verfängliche Begriff „Politisierung der Nation" 10 ist also, wie der Zusatz „auf der Grundlage historischer Bildung" zeigt, als Erziehung zur Einsicht in die Wesensgesetze politisch 6 7
8 9 10
Oncken, „Historisch-Politische Aufsätze und Reden" I, S. V. Hermann Oncken: „Politik, Geschichtschreibung, öffentliche Meinung". In: Oncken, Historisch-politische Aufsätze und Reden I, S. 203 ff. Oncken a.a.O., S. 242. Oncken a.a.O., S. 243. Oncken, „Historisch-politische Aufsätze und Reden" I, S. VI.
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Gegenwartsbezogenheit in Onckens Essay
verantwortungsbewußten Handelns aufzufassen. So, als einen Anwalt politischer Bildung und Vernunft, schildert auch Gerhard Ritters Nachruf den Historiker Hermann Oncken: „Diese Grundsätze nüchterner Staatsraison und ruhigen nationalen Selbstbewußtseins auch in der tiefen Verwirrung der ersten Nachkriegsjahre aufrecht zu erhalten, die deutsche Nation ebenso v o r jämmerlichem Verzagen wie v o r verstocktem T r o t z und Selbstüberhebung bewahren zu helfen, das betrachtete Oncken als seine öffentliche Mission in der Weimarer Epoche, und es ist gar nicht abzuschätzen, wie viel seine ruhige und klare Stimme, die von J a h r zu Jahr immer weitere Kreise der deutschen Bildungswelt erreichte, damals mitgeholfen hat, die Deutschen zu politischer Vernunft zu bringen" 1 1 .
Die vier Essays über Cromwell ersichienen in einer Zeit, die zum Nachdenken „über die Führung einer Nation" reichen Anlaß bot. Den zuerst entstandenen konnte der Autor im Dezember 1933 noch mündlich zum Vortrag bringen — wie es scheint, mit beträchtlicher Resonanz 12 . Kurz danach wurde ihm die akademische Lehrtätigkeit genommen 1 ; die einzige Möglichkeit, noch gehört zu werden, bot das geschriebene Wort. Naturgemäß ist es schwierig und verfänglich, eine in jener Zeit erschienene Schrift auf eventuelle zeitbezogene Untertöne abhorchen zu wollen; es mag sein, daß manche von Oncken in den CromwellEssays verwendeten Vokabeln — „Führer", „Berufungsglaube" etc. — vor dreißig Jahren in unbefangenerem, historisch weniger belastetem Sinne gebraucht und verstanden wurden als heutzutage. Immerhin glaubt schon eine zeitgenössische Rezension den Verdacht abwehren zu sollen, daß Oncken in Cromwell „Vergleichsmöglichkeiten mit heutigen Erscheinungen konstatieren" wolle 13 . Einige Bemerkungen Onckens können kaum anders denn als zeitgebundene Anspielungen verstanden werden. Gleich im Vorwort ist von dem Gang der deutschen Geschichte die Rede, „deren Bild heute in vielen Köpfen den merkwürdigsten Verschiebungen ausgesetzt" sei 14 . Aufs Ganze gesehen sind es aber nicht so sehr einzelne Formulierungen, die auf die Gegenwart hindeuten, als die schon im Untertitel des Buches 11
Gerhard Ritter in „Geistige W e l t " 1/3 (Oktober 1946), S. 29.
12
Im V o r w o r t zu „Cromwell. Vier Essays über die Führung einer N a t i o n " , 2. Auflage, S. V I berichtet Oncken von zahlreichen an ihn herangetragenen Wünschen, diesen Vortrag drucken zu lassen.
13
Vgl. Hans Honstedt a.a.O., S. 421.
14
Oncken, „Cromwell", S. VI.
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angedeuteten allgemeinen Feststellungen. Gewiß ist zunächst nur von dem historischen Crom well die Rede, wenn etwa „die demagogische Vermengung göttlicher und irdischer Ziele" in Cromwells Außenpolitik geschildert wird (S. 67), und wenn Oncken das Scheitern dieser „protestantischen Weltpolitik" (S. 67) konstatiert. Doch zu einer unmißverständlichen Warnung vor den Gefahren rein ideologisch ausgerichteter Politik wird der gleiche Gedanke, wenn ihn Oncken folgendermaßen ins Allgemeine wendet: „Alle Versuche . . . , die Außenpolitik eines großen Staates ausschließlich auf einer, wie auch immer begründeten, prinzipiellen Haltung aufzubauen, sind von jeher an dem höheren Gesetze der Macht und ihrer realen Interessen gescheitert, das in der Dynamik der Staatengesellschaft waltet." S. 69)
Am auffälligsten wirkt es aber, wenn Oncken am Schluß die Thematik seines Aufsatzes beinahe gewaltsam in gegenwartsbezogene Richtung lenkt. Er selbst stellt zwar fest, daß der Nationalismus religiöser Prägung — von dem doch bis dahin ausschließlich die Rede war — in der gegenwärtigen Welt keinen Platz mehr habe. Um so bemerkenswerter erscheint es aber, daß er seine Ausführungen mit einem mahnenden Wort über moderne, säkularisierte Spielarten des Nationalismus abschließt: „Ob sie ihre Begründung in der Tiefe des Volkswillens sudien oder in dem geheimnisvollen Zusammenhange des Blutes, in dem Bewußtsein einer großen Geschichte oder in einer geistigen Leistung für die Menschheit — das eine steht fest, daß sie in der Gegenwart zu einer der gewaltigsten Erscheinungen allen Geschehens geworden sind . . . Sie werden ihrer Aufgabe nur gerecht, wenn sie ganz sie selber sind und doch das gleichgerichtete Bestreben aller anderen Völker würdigen, mit denen sie auf dieser Erde zusammenleben." (S. 72)
4. Abschnitt
Thomas Babington Macaulay: "Frederic the Great"*
Verweisungen und Seitenangaben beziehen sidi auf den Text der „Albany Edition" der Werke Macaulays: The Complete Works of Lord Macaulay IX (Essays and Biographies III), London MDCCCXCVIII.
i. Macaulays Begriff des Historischen Essays, dargestellt an „Frederic the Great" a) Entstehung des Essays Macaulays Aufsatz über Friedrich den Großen ist auf ähnliche Weise entstanden wie fast all seine historischen Essays. Er ist eine Buchbesprechung, eine „review", wie Macaulay diese Art von Aufsätzen zu bezeichnen pflegte. Den äußeren Entstehungsanlaß bildete eine 1842 von Thomas Campbell herausgegebene Schrift „Frederick the Great, His Court and Times" 1 , deren erste Hälfte von Macaulay mit einer umfangreichen Besprechung in der „Edinburgh Review" angezeigt wurde, eben mit dem Essay „Frederic the Great" 2 . Allerdings ist dieser Titel etwas weit gefaßt. Seiner Anlage nach ist Macaulays Essay zwar eine Lebensbeschreibung des Preußenkönigs, er umfaßt aber nur die erste Hälfte von Friedrichs Regierungszeit und bricht mit der Schilderung von Friedrichs siegreicher Rückkehr aus dem Siebenjährigen Krieg ziemlich unvermittelt ab. Zur Begründung sagt Macaulay, daß eine so lange und ereignisreiche Geschichte nicht auf den für eine Buchbesprechung vorgeschriebenen Umfang zusammengedrängt werden könne (S. 548); zweifellos spielte aber auch der Umstand eine Rolle, daß Macaulay zunächst nur die erste, bis 1756 führende Hälfte von Campbells Werk zu behandeln hatte 3 . Der Essay ist also Fragment geblieben. Macaulay stellt zwar mehrfach (S. 548; S. 642) eine Fortsetzung in Aussicht, ohne aber dies Versprechen einzulösen — obwohl eine abschließende Würdigung von Friedrichs Persönlichkeit erst in diesem vorgesehenen zweiten Teil des Essays erfolgen sollte:
7
1
(Thomas Campbell): Frederick the Great, His C o u r t and Times. Edited, with an Introduction, by Thomas Campbell. Zweite Auflage, zwei Bände, London 1845.
2
U b e r andere Rezensionen des Werkes von Campbell vgl. Hans Marcus, „Friedrich der Große in der englischen Literatur", S. 180 ff.
3
Die erste Auflage von Campbells W e r k war (nach Marcus a.a.O., S. 177) in vier Bänden erschienen. Der vierte Band mit der Schilderung der Jahre 1 7 6 3 — 1 7 8 6 scheint erst erschienen zu sein, nachdem Macaulay seinen Essay bereits abgeschlossen hatte. Fischer, Studien zum historischen Essay
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Macaulays Begriff des Historischen Essays "Here, for the present, we must pause . . . Possibly, when these Memoirs" (gemeint ist Campbells Buch) "are completed, we may resume the consideration of his character, and give some account of his domestic and foreign policy, and of his private habits, during the many years of tranquillity which followed the Seven Years' War." (S. 642) b) Die Rezension als Ausgangspunkt von Macaulays
Essayistik
Da Macaulays Essay seinem Ursprung nach nichts anderes als eine Buchbesprechung ist, wirkt es überraschend, daß die eigentliche Rezension des zugrunde gelegten Werkes sehr knapp in drei einleitenden und recht unverbindlichen Sätzen erledigt wird, nach denen der R e zensent sogleich zu einer ausführlichen eigenen Darstellung von Friedrichs Leben und Regierung übergeht. Indirekt gibt er damit wohl zu erkennen, daß Campbeils Buch in seinen Augen keine voll befriedigende Lebensbeschreibung des Königs sei; sonst hätte er ja kaum einen Grund gehabt, die gleichen Ereignisse noch einmal abzuhandeln. (In der Tat ist Campbeils Buch keine wirkliche Biographie, sondern eine nur leicht überarbeitete Zusammenstellung zeitgenössischer Berichte, in denen Großherzigkeit, Milde und Humor des Herrschers immer wieder hervorgehoben werden. Auf eine selbständige Interpretation dieses Materials verzichtet Campbell fast gänzlich, obwohl in Auswahl und Kommentierung seine Sympathie für den König deutlich zum Ausdruck kommt; Friedrich erscheint bei ihm als ein überaus humaner und liebenswerter, wenn auch reichlich kauziger Landesvater.) Diesem Bilde Friedrichs stellt Macaulay seine eigene Darstellung gegenüber als Ergänzung und Korrektur zugleich — eine indirekte Form der Kritik, die er in seinem „reviews" auch sonst sehr häufig praktiziert. In der Einleitung des bekannten Essays „Warren Hastings" heißt es beispielsweise: "We are inclined to think that we shall best meet the wishes of our readers, if, instead of minutely examining this book, we attempt to give . . . our own view of the life and character of Mr. Hastings." (S, 408) Ganz ähnlich im Friedrich-Essay. Macaulay macht dem Verfasser des rezensierten Werkes rasch ein unverbindliches Kompliment — „it is an exceedingly amusing compilation, and we shall be glad to have more of it" (S. 548) — und geht dann sogleich zur Entwicklung seiner eigenen Anschauungen über den Gegenstand über. So ist ihm eine wirksame indirekte Kritik an dem zur Debatte stehenden Werk möglich, ohne daß er in jeder strittigen Einzelfrage ausführlich gegen den Verfasser polemisieren müßte. Nur einmal bezieht er sich auch unmittelbar auf Campbeils Buch:
Die Rezension als Ausgangspunkt von Macaulays Essayistik
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" W e will not condescend to refute at length the pleas which the compiler of the Memoirs before us has copied f r o m D o c t o r Preuss." (S. 566)
Von dieser einen, allerdings sehr wesentlichen Stelle abgesehen — es handelt sich um die Erörterung der Kriegsschuldfrage von 1740 4 — nimmt Macaulay nirgends direkt Stellung zu dem Werk, dem seine Besprechung doch eigentlich gilt. Er beschränkt sich darauf, der Campbellschen Version seine eigene entgegenzusetzen, denn schon durch den erheblichen Kontrast zwischen den beiderseitigen Kommentaren zu den gleichen Ereignissen muß sich der Leser zu eigener, kritisch abwägender Stellungnahme herausgefordert fühlen. Man wird deshalb berücksichtigen müssen, daß „Frederic the Great" kein in sich selbständiges Werk ist, sondern innerlich stets ergänzend und mitunter wohl auch absichtlich kritisch überspitzend auf eine andere Darstellung Bezug nimmt. Als eine erschöpfende und abschließende Darstellung, die vom Leser gläubig akzeptiert werden sollte, war Macaulays Essay — von seinem äußerlich fragmentarischen Charakter ganz abgesehen — sicherlich nidit gedacht, sondern eher als kritisches Pendant zu Campbells voluminöser Kompilation. In einem Brief an den Verleger der „Edinburgh Review" hebt Macaulay selbst ausdrücklich hervor, daß er den Friedrich-Essay nicht als ein Geschichtswerk mit dem Anspruch auf sachliche Unanfechtbarkeit verstanden wissen wolle: "If you judge of it as you would judge of a regular history, your censure ought t o go very much deeper than it does, and t o be directed against the substance as well as against the diction" 5 .
Bezeichnenderweise hat sich Macaulay audi lange dagegen gesträubt, daß seine für die „Edinburgh Review" verfaßten Aufsätze gesammelt und dem Publikum in Buchform erneut vorgelegt werden sollten 6 . Sie waren seinen eigenen Worten nach dazu bestimmt, einige Wochen lang gelesen und dann vergessen zu werden 7 . Bei einer Neuveröffentlichung aber wurden sie von ihrem tagesgebundenen Entstehungsanlaß abgelöst, mußten deshalb als in Form und Inhalt reiflich erwogene Äußerungen erscheinen und von der Kritik entsprechend bewertet werden. Gerade im Fall des Friedrich-Essays hatte der Verfasser erhebliche Bedenken. In die ersten Bände der Gesammelten Schriften Macaulays wurde „Frederic the Great" nicht aufgenommen, und noch 1851 4 5
6
7
7»
Vgl. Campbell a.a.O. I, S. 1 7 7 — 1 8 0 . Brief Macaulays an Napier v o m 24. Juni 1842. Trevelyan, „The Life and Letters of Lord Macaulay" II, S. 107. Macaulay entschloß sich schließlich vorwiegend deshalb, seine Essays in Buchform neu herauszugeben, weil sie audi ohne seine Genehmigung schon in mannigfach entstellten unautorisierten Ausgaben im Buchhandel kursierten. Vgl. Trevelyan a.a.O. II, S. 110 ff. „Their natural life is only six weeks". Trevelyan a.a.O. II, S. 110
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Macaulays Begriff des Historischen Essays
— neun Jahre nach der Entstehung des Aufsatzes — notierte Macaulay in seinem Tagebuch: "I looked over m y paper on Frederic. It contains much that is just, and much that is lively and spirited; but, on the whole, I think I judged rightly in not reprinting i t " 8 .
Auch vom Standpunkt der geschichtlichen Diskussion um die Bewertung von Friedrichs Gestalt wird man diese Entstehungsgeschichte des Friedrich-Essays im Gedächtnis behalten müssen. Für den zeitgenössischen Leser der „Edinburgh Review" lag es nahe, den Essay vor allem als kritisch ergänzendes Gegenstück zum Buche Campbells zu betrachten und Macaulays mitunter sehr apodiktische Formulierungen als bewußt zugespitzte Gegen-Thesen zu werten. Einem späteren Publikum aber erschien „Frederic the Great" als Macaulays reiflich überlegtes, endgültiges Urteil über den König. In diesem Zusammenhang ist es angebracht, auf eine theoretische Äußerung Macaulays über die Methode geschichtlicher Darstellung hinzuweisen. Er meint, daß der Geschichtsschreiber nur äußerst selten zu wirklich objektiver Wiedergabe geschichtlicher Ereignisse oder Personen fähig sei; die hohe, überparteiliche Schilderungskunst eines Thukydides sei nirgends mehr zu finden. Und da dies hohe theoretische Ideal der Geschichtsschreibung in der Praxis kaum zu verwirklichen ist, sieht Macaulay gerade in der denkbar größten Einseitigkeit und absichtlichen Ungerechtigkeit der Schilderung eine notwendige Zwischenstufe auf dem Wege zu einem der Wahrheit wenigstens nahekommenden Urteil über geschichtliche Ereignisse und Gestalten: nur durch schroffste Gegenüberstellung des Für und Wider lasse sich so etwas wie die Wahrheit ermitteln. Durch einen Vergleich der Geschichtschreibung mit einem Gerichtsverfahren bringt Macaulay diesen Gedanken sehr sinnfällig zum Ausdruck: "It has always been held, in the most enlightened nations, that a tribunal will decide a judicial question most fairly when it has heard two able men argue, as unfairly as possible, on the two opposite sides of it: and we are inclined to think, that this opinion is just" 8 . 8 9
Tagebuchnotiz Macaulays v o m 5. Februar 1851; Trevelyan a.a.O. II, S. 292. „Albany Edition" VII, S. 211. Audi bei anderen Gelegenheiten betont Macaulay nachdrücklich, daß er auf das Streben nach absoluter Unparteilichkeit bewußt verzichte; so in der Rezension eines Buches von Hallam: " W e should probably like Mr. Hallam's book more, if, instead of pointing out with strict fidelity the bright points and the dark spots of both parties, he had exerted himself to whitewash the one and to blacken the o t h e r . " (Albany Edition VII, S. 226).
Improvisation als Wesenszug von Macaulays Essayistik
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Da sich dies Bekenntnis zu bewußt parteilicher Darstellung auf die Geschichtschreibung im strengsten Sinne bezieht, wird man es erst recht auch auf Macaulays Essayistik anwenden dürfen. So hat man „Frederic the Great" (und im Grunde wohl auch Macaulays gesamte Essayistik) als bewußt einseitige Stellungnahme zu würdigen. Gegenüber der fraglos recht einseitigen Monographie Campbells beleuchtet Macaulay ebenso einseitig die negativen Aspekte im Bilde Friedrichs, damit sich der Leser nach Darlegung beider Versionen ein eigenes, der Wahrheit wenigstens nahekommendes Urteil zu bilden vermöge. So hat Macaulays Essay im Lauf der Jahre ein sehr viel größeres Gewicht bekommen, als ihm von seinem Verfasser selbst ursprünglich beigelegt worden war. Denn Campbeils Buch ist nahezu vollständig in Vergessenheit geraten, während der hauptsächlich als kritische Ergänzung dazu gedachte Essay Macaulays die englische Geschichtschreibung in ihrem Urteil über den Preußenkönig sehr nachhaltig beeinflußt hat 1 0 . Deshalb sollte beachtet werden, daß sich Macaulay selbst in der bereits zitierten Tagebuchnotiz wenigstens teilweis von den im Friedrich-Essay geäußerten Urteilen distanziert hat. c) Improvisation
als Wesenszug von Macaulays Essayistik
Macaulay hat es zwar bescheiden abgelehnt, der „Erfinder" des historischen Essays zu sein 11 ; dennoch ist es kaum übertrieben, ihn zumindest als den ersten hervorragenden Vertreter dieser literarischen Gattung zu bezeichnen 12 , der mit seiner spezifischen Darstellungskunst unübersehbaren Einfluß auf die spätere Entwicklung der historischen Essayistik ausgeübt hat. Daher ist es für eine Wesensbestimmung des historischen Essays (und des Essays überhaupt) wesentlich, einige der theoretischen Äußerungen Macaulays über Ziel und Methode seiner „reviews" heranzuziehen. Im Vorwort zur ersten Sammelausgabe seiner Essays sagt er: "The author of these Essays is so sensible of theit defects that he has repeatedly refused t o let them appear in a form whidi might seem t o indicate that he thought them worthy of a permanent place in English 10
11 12
Vgl. Stephan Skalweit in „Geschichte in Wissenschaft und Unterricht" 2 (1951), S. 91 ff., besonders S. 9 8 — 9 9 und Walter Bußmann in „Deutschland und Europa. Festschrift für Hans Rothfels", S. 375 ff., besonders S. 3 8 5 — 3 8 6 . Trevelyan a.a.O. II, S. 110. Bei G. P. Gooch, „History and Historians in the Nineteenth C e n t u r y " , S. 279 heißt es: "If Macaulay did not invent the historical essay, he found it of bridt and left it of marble".
102
Macaulays Begriff des Historischen Essays literature. Nor would he now give his consent to the republication of pieces so imperfect, if, by withholding his consent, he could make republication impossible" 13 .
Obwohl man von diesen Worten gewiß einige konventionelle Autoren-Bescheidenheit abzuziehen hat, sind sie für das Verständnis von Macaulays Essayistik sehr wesentlich. Denn sie zeigen eindeutig, daß er seine „reviews" als aus dem Augenblick geborene und nur für den Augenblick bestimmte Gelegenheitsarbeiten betrachtet wissen wollte. So wird man von Improvisationen sprechen dürfen ungeachtet der Tatsache, daß sich gerade Macaulays Aufsätze durch stilistische Vollendung ebenso auszeichnen wie durch ungewöhnliche Sorgfalt der Detailmalerei. Sie entstanden aus dem zufälligen, tagesgebundenen Anlaß einer Buchbesprechung und wurden durchweg innerhalb relativ kurzer Zeit ohne größere Vorarbeiten niedergeschrieben; „Frederic the Great" zum Beispiel wurde im Dezember 1841 begonnen und lag bereits Anfang April 1842 gedruckt vor. Unter Berufung auf diese hastige Arbeitsweise hat Macaulay nachdrücklich erklärt, daß er in ihnen keinerlei Anspruch auf formale Vorbildlichkeit oder sachliche Unanfechtbarkeit erheben wolle. Sein erklärtes Ziel war, das Publikum auf anziehende und möglichst amüsante Weise zu unterhalten; wissenschaftliche und künstlerische Gesichtspunkte berücksichtigte er demgegenüber nur in zweiter Linie. Die Essays sollten von einem aufgeschlossenen und gebildeten Publikum mit Genuß gelesen, nicht von Fachgelehrten und Literaturkritikern analysiert werden. In einem Brief an seinen Verleger schreibt er mit deutlicher Anspielung auf den Friedrich-Essay: "The public judges, and ought to judge, indulgently of periodical works. They are not expected to be highly finished. Their natural life is only six weeks. Sometimes their writer is at a distance from the books to which he wants to refer. Sometimes he is forced to hurry through his task in order to catch the post. He may blunder; he may contradict himself; he may break off in the middle of a story; he may give an immoderate extension to one part of his subject, and dismiss an equally important part in a few words. All this is readily forgiven, if there be a certain spirit and vivacity in his style" 14 .
Gewiß spricht aus diesen Worten auch etwas von der sehr selbstbewußten Bescheidenheit eines Autors, der in seinen kleineren Arbeiten lieber als (hervorragender) Tagesschriftsteller, denn als (zweitrangiger) Geschichtschreiber erscheinen wollte. Aber aus seiner Abneigung gegen die Neupublikation namentlich auch des Friedrich-Essays geht doch 13 14
„Albany Edition" VII, S. XI. Trevelyan a.a.O., II, S. 110—111.
Improvisation als Wesenszug von Macaulays Essayistik
103
deutlich hervor, daß er bei der Abfassung tatsächlich nicht an eine dauernde Nachwirkung über den zufälligen Anlaß hinaus dachte, und daß er bei diesen Gelegenheitsarbeiten künstlerischem Ehrgeiz nur in zweiter Linie folgte. Gerade dieser improvisierte, „unfertige" Charakter seiner Essays gehört aber für Macaulay auch zum Wesen dieser Kunstform. Denn während er an seinem Hauptwerk, der „History of England", mit unermüdlicher Sorgfalt ständig neu stilisierte und arbeitete 15 — hier kam es ihm darauf an, höchsten wissenschaftlichen und künstlerischen Ansprüchen zu genügen — nahm er bei der Neupublikation seiner Essays (von der Berichtigung offenbarer Irrtümer abgesehen) keinerlei Veränderungen mehr vor 16 . Trotz mancher Bedenken beließ er ihnen ihren ursprünglichen Charakter, den Charakter aus dem Augenblick heraus geborener Improvisationen. 15 16
Vgl. Trevelyan a.a.O., II, S. 216 ff. und S. 223 ff. Vgl. „Albany Edition" VII, S. XI ff.
2. Macaulays Sprache und Darstellungsweise als Spiegelbild seines Weltbildes a) In der Beurteilung geistiger und künstlerischer
Fragen
Sicherlich ist Macaulays Essayistik nicht als Ausdruck einer objektiven Betrachtungsweise anzusehen, wenn man unter Objektivität das Bemühen versteht, jede historische Erscheinung aus ihrer Zeitgebundenheit und aus ihrer individuellen Eigengesetzlichkeit heraus zu verstehen. In seiner Betrachtungsweise kommt überall das Streben zum Ausdruck, -überzeitliche und überpersönliche — und im Grunde doch wieder sehr persönliche — Maßstäbe anzulegen. So gut wie nirgends beschränkt er sich auf die einfache Wiedergabe des Faktischen; fast jede seiner Schilderungen enthält eine persönliche Stellungnahme, fast jede Metapher hat ein positives oder negatives Vorzeichen, die meisten Adjektive und Adverben enthalten ein ästhetisches oder moralisches Werturteil. Gleich der Eingang des Essays ist für Macaulays Verfahren charakteristisch. Er beschreibt die Erscheinungen dadurch, daß er sie zugleich in ein festes Bewertungsschema einordnet: "The Prussian monarchy, the youngest of the great European states, but in population and revenue the fifth among them, and in art, science, and civilisation entitled to the third, if not to the second place, sprang from a humble origin." (S. 548)
Es ist für Macaulay also ganz selbstverständlich, daß Kunst, Wissenschaft und Kultur eines Landes ebensogut wie etwa Bevölkerungszahl oder Steueraufkommen statistisch exakt gemessen und klassifiziert werden können. Die Größe von Personen kann ebenfalls gemessen und klassifiziert werden; die Titelgestalt des Essays ist " . . . the greatest king tat has, in modern times, succeeded by right of birth to a throne." (S. 548)
Friedrich wird also von Anfang an hinsichtlich seiner „Größe" eingestuft. Der einschränkende Zusatz „by right of birth" besagt nämlich, daß ein anderer König noch größer gewesen sei — vermutlich bezieht sich diese Anspielung auf Macaulays Lieblingshelden Wilhelm III. von Oranien, der ja nicht durch Geblütsrecht, sondern durch Parlamentsbeschluß auf den Thron Englands berufen wurde.
In der Beurteilung geistiger und künstlerischer Fragen
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Dies Streben nach bewertender Einordnung aller Einzelerscheinungen verleiht Macaulays Urteilen mitunter einen sehr apodiktischen Klang. Besonders über ästhetische Fragen äußert er sich in seinen Essays mit der gleichen unbefangenen Selbstsicherheit wie in seinen Privatgesprächen. Gewiß ist es nicht sonderlich schwerwiegend, wenn er in einem Gespräch äußert, für ihn seien die größten Dichter der Weltliteratur in dieser Reihenfolge Shakespeare, Homer, Dante, Aesdiylos, Milton und Sophokles 17 , oder wenn er bei anderer Gelegenheit den „Othello" als das beste Stück jeglicher Literatur bezeichnet18. Aber ähnlich dogmatische Feststellungen finden sich wieder und wieder auch in seinen Essays — Beispiele werden wir noch kennenlernen —, und man muß den Eindruck gewinnen, daß für den Autor selbst so inkommensurable Dinge wie das Format eines Dichters gleichsam mit dem Zollstock abmeßbar seien. (Man wird diese Neigung zu sehr subjektiv gefärbten Werturteilen eher dem persönlichen Temperament des Autors zuschreiben als einer etwaigen Gattungseigentümlichkeit der Essayistik. Immerhin ist es auffällig, daß selbst ein in seinem Urteil so vorsichtig abwägender Autor wie Thomas Mann sich in seinen essayistischen Äußerungen mitunter ähnlich überschwänglich gibt, so etwa, wenn er den Stawrogin aus Dostojewskijs „Dämonen" als „vielleicht die unheimlich anziehendste Gestalt der Weltliteratur" 19 bezeichnet.) Für Macaulays Haltung gegenüber Friedrich dem Großen ist diese Betrachtungsweise literarischer Fragen von erheblicher Bedeutung. Denn Macaulay legt in seinen historischen Porträts höchstes Gewicht auf die künstlerischen und vor allem die literarischen Züge im Bildnis der dargestellten Persönlichkeiten. Im Friedrich-Essay stellt er sogar ausdrücklich den militärischen und politischen Talenten des Herrschers die Gaben des Poeten als „those higher and rarer gifts" (S. 558) gegenüber. So verlagert sich ein Hauptakzent seiner Schilderung auf die Porträtierung des Literaten und Kunstfreundes Friedrich: " A d m i d s t the cares of the State the K i n g music, f o r reading, f o r writing, f o r literary light is t h r o w n on his diaracter by w h a t relaxation, than by his battles or his laws."
had retained his passion f o r society . . . and perhaps m o r e passed during his hours of (S. 586)
Es bleibt allerdings fraglich, ob er von diesem Ansatz her der geschichtlichen Bedeutung seines Gegenstandes voll gerecht werden kann. Denn erstens beleuchtet er diese Seite vor allem von den kleinlichen 17 18 19
Trevelyan a.a.O. II, S. 198. G . Walcha, „ M a c a u l a y als Geschichtschreiber", S. 16. T h o m a s Mann, „ N e u e S t u d i e n " (Stockholmer Gesamtausgabe), S. 83—84.
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Macaulays Spradie und Darstellungsweise
Einzelzügen her, die er mit Hilfe von Voltaires Denkwürdigkeiten 20 im Bild des Königs entdeckt; zweitens sind gerade diese Partien seines Essays (S. 556—561; 586—601; 619—624) bei aller Ausführlichkeit recht lückenhaft. Friedrichs Liebe zur Musik wird nur summarisch erwähnt, und für seine philosophische Gedankenwelt bringt Macaulay überhaupt kein Verständnis auf — obwohl Friedrich selbst sich wohl eher als Philosophen denn als Dichter empfand, und obwohl jedes Urteil über Friedrichs Dichtungen ohne einen Blick auf die dahinterstehende geistige Haltung notwendig schief ausfallen muß. Aber Macaulay als extrem unmusikalische21 und der spekulativen Philosophie gänzlich abgeneigte Natur 2 2 findet hier keinen Zugang zum Wesen seines Helden. Er beschränkt sidi daher in seiner Schilderung von Friedrichs geistiger Persönlichkeit fast gänzlich auf die Porträtierung des Literaten. Wie aber werden Friedrichs Dichtungen dem Leser präsentiert? Wiederum durch Einordnung in ein festes Bewertungsschema. Macaulay unternimmt gar nicht den Versuch, die Dichtungen des Königs zu interpretieren. Er stellt von vornherein fest, daß der König allem Anschein nach kein Dichtertalent gehabt habe (S. 558); ferner habe er schon deshalb kein Dichter sein können, weil er keine Sprache voll beherrscht habe. Diesen Gedanken variiert Macaulay mehrfach und zieht dann die Summe, indem er Friedrichs Werke in die angemessene literarische Rangstufe einsortiert: " I t ist not stränge, therefore, that, in the F r e neh verses of Frederic, we can find nothing beyond the readi of any man of good parts and industry, nothing above the level of Newdigate and Seatonian poetry. His best pieces may perhaps rank with the worst in Dodsley's collection," (S. 559)
Ebenso die mitten im Siebenjährigen Krieg, nach der Katastrophe von Kolin verfaßten Oden und Episteln des Königs. Sie sind nach Macaulay „a little better than Cibber's, and a little worse than Hayley's" (S. 619). Am deutlichsten wird aber Macaulays Tendenz zu schematisch einordnender Bewertung aller literarischen Erscheinungen, wenn er Friedrichs ästhetische Urteilslosigkeit und insbesondere seine unange20
Marcus, „Friedrich der Große in der englischen Literatur", S. 184, weist auf Macaulays unkritische Benutzung der Quellen, vor allem der Schriften Voltaires und Wilhelmines von Bayreuth hin.
21
Amüsante Beispiele für Macaulays schwach entwickelte Musikalität Trevelyan a.a.O. I, S. 133 und II, S. 290, Anm. 1.
22
Über Macaulays Einstellung zur Philosophie urteilt Gooch, " H i s t o r y and Historians in the Nineteenth C e n t u r y " , S. 2 8 1 : " . . . he frankly despised the speculations of philosophers f r o m Plato downwards."
bei
Im Urteil über politische Fragen
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brachte Bewunderung für Voltaire mit Friedrichs lückenhafter Bildung zu entschuldigen versucht: " H a d Frederic been able to read H o m e r and Milton, or even" (!) "Virgil and Tasso, his admiration of the Henriade would prove that he was utterly destitute of the Power of discerning what is excellent in a r t . " (S. 559)
Macaulay verteilt hier seine Zensuren an fünf Epiker zugleich, und in ganz analoger Weise konstruiert er unmittelbar daran anschließend auch Ranglisten der großen Dramatiker und Geschichtschreiber, in denen Voltaire gleichfalls nicht sehr schmeichelhaft placiert wird. E r ist offensichtlich fest davon überzeugt, daß seine eigene literarische Urteilskraft einen untrüglichen Wertmaßstab darstelle — George Peabody Gooch kennzeichnet diese außerordentliche Selbstsicherheit recht amüsant: "Melbourne wished that he was as cocksure about anything as Macaulay was about everything" 2 3 .
Man wird diese apodiktischen Urteile Macaulays nicht einfach mit seiner Animosität gegen Voltaire erklären können, den er als Quelle für seinen Essay ja ausgiebig benutzt hat, und auch nicht mit der Absicht, Friedrichs literarischen Geschmack in ein ungünstiges Licht zu setzen — er meint ausdrücklich, daß Friedrich wohl zutreffender geurteilt hätte, wenn ihm eine vernünftige Erziehung vergönnt gewesen wäre. Eher sind seine Äußerungen über Voltaires wie über Friedrichs Schriften als Ausdruck eines gewiß einseitigen, aber in seiner problemlosen Geschlossenheit eindrucksvollen literarischen Weltbildes aufzufassen, in dem jeder Dichter und jedes Dichtwerk seinen festen, genau abmeßbaren Rang besitzt. b) Im Urteil über politische Fragen Macaulays stark ausgeprägter Sinn für Rangordnung, der ihn immer wieder dazu führt, Dichter und Dichtungen als erst-, zweit- oder drittrangig in eine imaginäre Stufenleiter einzuordnen, spricht sich nicht weniger deutlich im Urteil auch über historisch-politische Fragen aus. „Frederic the Great" ist unter anderem auch ein kurzgefaßter Uberblick über Preußens Geschichte von den Anfängen an, und gleich in den ersten Sätzen deutet Macaulay mit einem Hinweis auf die unscheinbaren Anfänge des preußischen Staates (S. 549) darauf hin, daß Preußen eigentlich nicht recht unter die legitimen, alteingesessenen Monarchien Europas zu redinen sei. Die kurze Charakterisierung des ersten H o 23
Gooch a.a.O., S. 281.
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Macaulays Sprache und Darstellungsweise
henzollernkönigs als „insatiably eager for frivolous distincitons" (S. 549) gibt bereits recht klar zu erkennen, daß dem Königstitel Friedrichs I. nicht allzuviel Gewicht beizulegen sei. Aber mit dieser Andeutung begnügt er sich nicht. Er liebt es, seine Gedanken mehrfach zu variieren und durch Anspielungen, Bilder, Vergleiche zu illustrieren, und so widmet er dem Königstitel Friedrichs I. einen recht bissigen Kommentar: " C o m p a r e d with the other crowned heads of Europe, he made a figure resembling that which a N a b o b or a commissary, who had bought a title, would make in the company of Peers whose ancestors had been attainted for treason against the Plantagenets." (S. 550)
Der unangemessene Ehrgeiz Friedrichs I. wird hier ebenso bespöttelt wie der Ahnenstolz der britischen Hocharistokratie. An anderen Stellen aber sind die Hohenzollern allein Zielscheibe von Macaulays Ironie. Friedrich Wilhelm I. wird gerade in seinen unköniglichsten Augenblicken als „the Majesty of Prussia" (S. 557) vorgeführt; seine furchtbaren Wutausbrüche gelten als „his usual kingly style" (S. 557). Wiederholt wird Preußens minderer Rang unter den europäischen Mächten hervorgehoben: Macaulay schildert Friedrichs II. führende Stellung in der Weltpolitik seit 1745 und fügt beinahe empört hinzu: " . . . a high dignity for one who ranked lowest among kings, and whose great-grandfather had been no more than a margrave." (S. 577)
In dieser Hinsicht ist Macaulay also sehr konservativ; er bemißt die Rangfolge der europäischen Monarchien nach ihrem Alter. Seiner Ansicht nach haben alte, traditionsreiche Großmächte gewissermaßen ein natürliches Anrecht auf Gewaltpolitik. Daß aber auch traditionell zweit- oder drittrangige Staaten machtpolitisch zu profitieren suchen, wird folgendermaßen kommentiert: "While the lion and the tiger were tearing eadi other, the jackal had run off into the jungle with the prey. The real gainer by the Thirty Years' War had been neither France nor Austria, but Sweden. The real gainer by the war of the Pragmatic Sanction had been neither France nor Austria, but the upstart of Brandenburg." (S. 605)
Man braucht aus diesen abschätzigen Äußerungen allerdings nicht unbedingt eine aktuell-tagespolitisch bedingte Verstimmung des Engländers gegen Preußen herauszulesen24. Entscheidend dürfte auch hier Macaulays tiefeingewurzeltes Gefühl für feste Rangordnung, sein im Grunde statisches Weltbild sein. Diesem Gefühl widerstrebt es, wenn althergebrachte Rangordnungen plötzlich durch ehrgeizige und respekt24
Vor allem Herman G r i m m , „Fünfzehn Essays. Zweite vermehrte Auflage der Neuen Essays", S. 118 erklärt Macaulays Urteil über Friedrich aus einer Voreingenommenheit gegenüber Preußen heraus.
Im Urteil über einzelne Ereignisse und Persönlichkeiten
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lose Mächte in Frage gestellt werden. So erscheint ihm Friedrichs Politik beinahe als ein Verstoß gegen die natürliche Weltordnung: "He had a kingdom which in extent and population was hardly in the second rank of European powers; and yet he aspired to a place not inferior to that of the sovereigns of England, France, and Austria." (S. 580)
c) Im Urteil über einzelne Ereignisse und Persönlichkeiten Im Urteil über einzelne historische Persönlichkeiten wird der moralisierende Zug von Macaulays Essayistik womöglich noch deutlicher sichtbar. Schon in den beiläufig in die erzählenden Abschnitte eingeschalteten charakterisierenden Bemerkungen verteilt er von seinem festen, ethisch bestimmten Standpunkt aus mit großer Selbstverständlichkeit seine Werturteile. Auf die Kunstmittel indirekter Charakterisierung verzichtet er sp gut wie gänzlich. Uberall bringt er seine persönliche Stellungnahme so unmißverständlich wie nur irgend möglich zur Geltung, wobei er deutlich zu erkennen gibt, daß er Leben und Taten seines Helden aus zeitlicher Distanz heraus als abgeschlossenes Ganzes vor sich sieht und beurteilt. Friedrichs Charakterbild wird nicht aus den einzelnen Geschehnissen heraus vor dem Leser entwickelt, sondern von Anfang an als feststehende, invariable Gegebenheit eingeführt: "Nobody hat the least suspicion that a tyrant of extraordinary military and political talents, of industry more extraordinary still, without fear, without faith, and without mercy, had ascended the throne." (S. 562)
Zweifel an der Richtigkeit seines eigenen Urteils scheint Macaulay kaum zu kennen. Bezeichnend für das Dominieren moralischer Bewertungsmaßstäbe und für die Methode direkter Charakterisierung ist der folgende Satz: "By the public, the King of Prussia was considered as a polician destitute alike of morality and decency, insatiably rapacious, and shamelessly false; nor was the public much in the wrong." (S. 577)
So werden auch geschichtliche Ereignisse vor allem daraufhin untersucht, ob sie vor dem strengen Urteil der Moral zu bestehen vermögen. Wir haben oben gesehen, daß Macaulay die Geschichtschreibung mit einem Gerichtsverfahren zu vergleichen liebte, und in der Tat hat auch im Friedrich-Essay beispielsweise die sehr ausführliche Erörterung der Kriegsschuldfrage von 1740 einen ausgeprägt juristischen Tonfall (S. 563 ff), so etwa, wenn der Autor nachzuweisen sucht, daß der juristische Grundsatz der Verjährung auch auf das Völkerrecht anzuwenden sei (S. 566) und daß Friedrich schon aus diesem Grunde keinerlei Rechtsansprüche auf Schlesien mehr gehabt haben könne. Unter den späteren
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Macaulays Sprache und Darstellungsweise
Kritikern weist insbesondere Herman Grimm auf das Advokatenhafte in der Argumentationsweise Macaulays hin 25 . Und in der Tat wird man ihm darin beizupflichten haben, daß namentlich diese Erörterungen der Kri-egsschuldfrage — wenn auch keineswegs! sie allein — mit ihrer Anhäufung rhetorischer Fragen und anaphorisdi aneinandergereihter Anklagen sehr lebhaft an das Plädoyer eines temperamentvollen Gerichtsredners erinnern. Allerdings muß beachtet werden, daß Macaulays Essay gerade an dieser Stelle ein polemisches Gegenstück zu dem Buche Campbells ist, auf das in diesem Zusammenhang ausdrücklich Bezug genommen wird (S. 566). Und vollständigkeitshalber muß auch darauf hingewiesen werden, daß nicht nur an den Preußenkönig so rigorose Maßstäbe angelegt werden: die Empörung des Autors über die treulose Politik der englischen Regierung gegenüber Friedrich im Jahre 1761 (S. 638) islt kaum geringer als über die Vertragsverletzungen Friedrichs. Auch bei der bloßen Erwähnung wenig bedeutungsvoller Randfiguren unterläßt es Macaulay selten, durch ein moralisch betontes Beiwort die Böcke von den Schafen zu sondern. Audi hier neigt er auffallend dazu, eine feste Rangfolge der Tugend wie der Lasterhaftigkeit zu konstruieren. In der Stufenleiter der Lasterhaften zum Beispiel rangiert der Herzog von Ridielieu, „the most eminent of that race of seducers by profession" (S. 623), an führender Stelle. Aber auch für Weisheit und Tugend gibt es eine entsprechende Klassifizierung: "Benedict the Fourteenth, the best and wisest of the two hundred and fifty successors of St. Peter, was no m o r e . " (S. 633)
Gewiß sind solche superlativischen Formulierungen zum guten Teil nur rhetorisch zugespitzte Floskeln. Aber auch in ihnen spricht sich etwas von Macaulays Überzeugung aus, daß es wie auf künstlerischem und literarischem, so auch auf moralischem und ethischem Gebiet feste, jenseits allen Zweifels stehende Bewertungsmaßstäbe gebe. Solche Maßstäbe gibt es aber auch auf dem Gebiet des Kriegswesens. Daun ist nach Macaulays Urteil der vorsichtigste, Laudon der unternehmungslustigste unter Maria Theresias Generälen (S. 631); beide reichen aber nicht an Ferdinand von Braunschweig heran, denn dieser erweist sich als „the second general of the age" (S. 629). Am höchsten aber steht Friedrich selbst, "the greatest warrior of that age" (S. 571). Und amüsiert stellt der Leser fest, daß es für Macaulay selbst so etwas wie eine Rangfolge weiblicher Häßlichkeit gibt, in der Voltaires Nichte zualleroberst eingruppiert wird als „the ugliest of coquettes" (S. 594). 25
H e r m a n G r i m m a.a.O., S. 133.
3. Sprachliche Gestaltung des Friedrich-Essays a) Wechsel der Stilebenen Da Macaulay in seinen Essays wie in seiner großen Geschichte Englands vor allem das Ziel verfolgt, seine Leser auf anregende und fesselnde Art zu unterhalten — den neuesten Roman für einige Tage vom Tische der jungen Damen zu verdrängen, wie er sagte —, versteht es sich von selbst, daß er nicht durchweg in derselben Tonlage verharrt. Gerade am Beispiel des Friedrich-Essays legt er in einem Brief an seinen Verleger seine Ansichten über die sprachliche Gestaltung historischer Essays dar: "Where the subject requires it, they may rise, if the author can manage it, to the highest altitudes of Thucydides. Then, again, they may without impropriety sink to the levity and colloquial ease of H o r a c e Walpole's Letter"26.
Diesem Grundsatz entsprechend paßt Macaulay seine Diktion den jeweils geschilderten Ereignissen und Persönlichkeiten an. Den liebenswerten Gestalten wird fast durchweg die höchste Stilebene vorbehalten; die unsympathischen werden überwiegend mit den drastischen Stilmitteln der Satire und der Karikatur vergegenwärtigt. Von den im Friedrich-Essay auftretenden Personen besitzt Maria Theresia als einzige die nahezu ungeteilte Sympathie des Autors. Während er historische Gestalten sonst sehr gern von ihrer menschlich-allzumenschlichen Seite her beleuchtet, gibt er die Gestalt der Kaiserin nur in ganz allgemeinen, großzügigen Umrissen wieder, wodurch ihr Bild an Hoheit und Liebenswürdigkeit zwar gewinnt, an individueller Lebendigkeit aber einbüßt. Wirklich persönliche, unverwechselbare Eigenheiten Maria Theresias werden kaum erwähnt; sie erscheint vor allem als die Verkörperung des Typus der zugleich hoheitsvollen und schutzbedürftigen Frau und Mutter. Freilich ist Macaulay ein viel zu kritischer Beobachter, als daß er Maria Theresia etwa gänzlich zur fleckenlosen Idealgestalt erhöbe: " T h e Empress Queen had the faults a well as the virtues whidi are connected with quick sensibility and a high spirit." (S. 602)
Vor allem ihr Rachedurst gegen den Räuber Schlesiens wird tadelnd hervorgehoben. Aber das tut seiner Bewunderung keinen Abbruch. Ihr Verlangen nach Wiedergewinnung des Verlorenen und Bestrafung des
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Sprachliche Gestaltung des Friedrich-Essays
Schuldigen erscheint ihm ja durchaus begreiflich wenn nicht sogar gerechtfertigt, und zudem ist dieser Rachedurst in seinen Augen derart übermenschlich und titanisch, daß seine Schilderung sich gerade bei dieser Gelegenheit zu den stolzesten Höhen antiker Mythologie, zur höchsten überhaupt denkbaren Stilsphäre erhebt: "She toiled during many years for this end, with zeal as indefatigable as that which the poet ascribes to the stately goddess who tired out her immortal horses in the work of raising the nations against T r o y , and who oifered to give up to destruction her darling Sparta and Mycenae, if only she might once see the smoke going up f r o m the palace of Priam. With even such a spirit did the proud Austrian Juno strive to array against her foe a coalition such as Europe never had seen." (S. 603)
Mit so eindrucksvollen Würdigungen verglichen treten schon im Wortmaterial die ganz andersartigen Stilmittel besonders hervor, mit denen Macaulay die ihm widerwärtigen Gestalten charakterisiert, wobei er vor herzhaften Übertreibungen keinesfalls zurückschreckt. Während er zur Schilderung Maria Theresias den homerischen Mythos heranzieht, vergleicht er den Vater Friedrichs des Großen, dem seine ganze Antipathie gilt, mit einem Tollhäusler (S. 550), mit einem aus der Menagerie ausgebrochenen Tiger (S. 552) und mit einer „Kreuzung zwischen Moloch und Puck" (S. 553). Vor allem verwendet er aber hier satirische Stilmittel, indem er diesem königlichen Schreckgespenst ein ebenso stumpfsinniges wie belustigendes „Regierungsprogramm" zuschreibt, wobei er boshafterweise den Anschein erweckt, als referiere er sachlich und quellenmäßig belegt nur Friedrich Wilhelms eigene Maximen: "The business of life, according to him, was to drill and t o be drilled. The recreations suited to a prince, were t o sit in a cloud of tobacco smoke, t o sip Swedish beer between the puffs of the pipe, t o play backgammon for three shillings a rubber, to kill wild hogs, and to shoot partridges by the thousand." (S. 553)
Wie groß die Spannweite der stilistischen Möglichkeiten zwischen dem Lächerlichen und dem Erhabenen aber auch innerhalb der Schilderung einer einzigen Person sein kann, wird in einem eigenen Abschnitt am Schluß dieses Kapitels zu zeigen sein. Neben den einfach erzählenden, dem Gang der Ereignisse folgenden Partien finden wir immer wieder kunstvoll aufgebaute Passagen, in denen der Autor mit großer Sorgfalt sein eigenes Urteil zu den geschilderten Vorgängen darlegt und durch zahllose Parallelen aus Mythologie, Geschichte, Literatur und Alltagsleben zu untermauern sucht. Da Macaulay bisher fast nur mit negativen Äußerungen über Friedrich zu Wort gekommen ist, soll hierfür ein Beispiel angeführt werden, in dem er höchste Bewunderung für Friedrichs übermenschliche Leistungen
Wechsel der Stilebenen
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während des Siebenjährigen Krieges erkennen läßt. In drei ganz kurzen, wie gehetzt wirkenden Sätzen umreißt er die Situation am Ende des großen Ringens und schaltet dann mit wirkungsvollem Kontrast eine rhetorisch höcht eindrucksvoll gestaltete Würdigung ein, mit der er Friedrich über die ruhmvollsten Gestalten der Weltgeschichte noch hinaushebt: "The war was over. Frederic was safe. His glory was beyond the readi of envy. If he had not made conquests as vast as those of Alexander, of Caesar, and of Napoleon, if he had not, on fields of battle, enjoyed the constant success of Marlborough and Wellington, he had yet given an example unrivalled in history of what capacity and resolution can effect against the greatest superiority of power and the utmost spite of f o r t u n e . " S. 640—641)
Dies Emporwachsen kunstvoll stilisierter, von hoher Warte ausblickender Betrachtung aus verhältnismäßig schlichter Erzählung heraus gibt Macaulays Schilderungsweise ihr charakteristisches Gepräge. Immer wieder geht die einfache Schilderung in zusammenfassende Gesamtschau über, und in solchen kunstvoll eingeschobenen Ruhepunkten seiner Erzählung entfaltet der Autor seine ganze Sprachgewalt in der Hervorhebung übergreifender Gesichtpunkte. So resümiert die abschließende Würdigung der beiden Schlesischen Kriege Friedrichs bisherige Laufbahn und gibt zugleich auch schon den Grundton an, der die Schilderung des dritten, größten Krieges durchziehen wird: " H i s career had hitherto, with little interruption, been prosperous; and it was only in adversity, in adversity whidi seemed without hope or resource, in adversity which would have overwhelmed even men celebrated for strength of mind, that his real greatness could be shown." (S. 578)
Freilich sind Schilderung und betrachtende Würdigung nur selten scharf voneinander zu trennen. In dem ganzen Essay findet sich kaum ein Absatz, der nicht auch den direkten oder indirekten Kommentar des Autors zu den geschilderten Ereignissen enthielte. Dies Vordrängen der eigenen Stellungnahme gibt der Sprache Macaulays einen sehr persönlichen, ja, wie er selbst meinte, geradezu geschwätzigen Klang. Er war sich dessen durchaus bewußt, und für eine nähere Kennzeichnung seiner Essayistik ist es bedeutsam, daß nach seiner Ansicht diese Eigentümlichkeit geradezu zum Wesen der Gattung gehört, wie er unter ausdrücklicher Berufung auf „Frederic the Great" an seinen Verleger schreibt: " T h e tone of whole passages, nay of whole pages would justly be called flippant in a regular history. But I conceive that this sort of composition has its own l a w s " 2 8 . 26
Trevelyan a.a.O. II, S. 107.
8 Fischer, Studien zum historischen Essay
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Sprachliche Gestaltung des Friedrich-Essays
b) Anspielungen
und Vergleiche als Mittel der
Veranschaulichung
Trotz der bunten Mischung verschiedenster Stilebenen vom vergleichsweise sachlichen Bericht bis zu bitterer Satire, vom anekdotischen Plauderton bis zu leidenschaftlicher Anklage hat Macaulays Sprache einen unverwechselbaren, durchaus persönlichen Klang, denn auf allen Stilebenen zeichnet sie sich durch die gleiche lebensvolle Anschaulichkeit aus. Uber dies Geheimnis farbiger und effektvoller Darstellung hat sich Macaulay selbst so deutlich ausgesprochen, daß seine Worte keines Kommentars bedürfen: "While our historians are practising all the arts of controversy, they miserably neglect the art of narration, the art of interesting the affections and presenting pictures to the imagination" 27 .
Im Grunde werden in diesem Satze die hervorstechendsten Elemente von Macaulays Erzählkunst genannt. Er ist kein Analytiker, sondern ein Erzähler; er wendet sich nicht an den Intellekt seiner Leser, sondern an Phantasie und Gefühl. Sein Ziel ist die fesselnde und farbige Verlebendigung des Gegenstandes, und um dieses Zieles willen wendet er sich immer wieder mit eingestreuten Anspielungen, Bildern und Vergleichen an Phantasie und Gefühl seiner Leser. „Take at hazard", urteilt Thackeray, „any three pages of the Essays or History: and, glimmering below the stream of the narrative, you, an average reader, see one, two, three, a half-score of allusions to other historic facts, characters, literature, poetry, with which you are acquainted" 28 . Zu einem nicht geringen Teil sind diese Anspielungen speziell auf das zeitgenössische gebildete englische Publikum berechnet, beziehen sich auf englische Literatur und englisches Alltagsleben um 1842. Wenn man sich vergegenwärtigt, daß gerade in diesen Jahren die ersten großen Romane von Charles Dickens erschienen und zum Gespräch der Öffentlichkeit wurden („Oliver Twist" erschien 1837), kann man ermessen, wie unbefangen Macaulay beispielsweise Friedrichs Jugendgeschichte aktualisiert: "The history of his boyhood is painfully interesting. Oliver Twist in the parish workhouse, Smike at Dotheboys Hall, were petted children when compared with this wretched her apparent of a crown." (S. 552)
Audi der Schwester Friedrichs ist es, nach Macaulays Meinung, in ihrer Jugend kaum besser ergangen, auch ihre Leiden werden dem Leser durch eine Anspielung auf Dickens deutlich gemacht: "The Princes Wilhelmina . . . was treated almost as ill as Mrs. Brownrigg's apprentices" (S. 554) 27 28
„Albany Edition" VII, S. 211. Zitiert nach Trevelyan a.a.O. II, S. 216.
Anspielungen und Vergleiche als Mittel der Veransdiaulichung
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Ebenso dienen die Hindeutungen auf Erscheinungen des englischen Alltags dazu, dem Leser eine farbige Vorstellung zu vermitteln; wenn beispielsweise der Zustand von Friedrichs Bekleidung durch den Zusatz „fit for Monmouth Street" (S. 582) illustriert wurde, konnte jeder Ortsansässige die Gardierobe des Preußenkönigs gewissermaßen mit eigenen Augen in der erwähnten Straße begutachten. Auch wenn Friedrichs poetische Bemühungen folgendermaßen charakterisiert werden: " H e wrote prose and verse as indefatigably as if he had been a starving hade of Cave or Osborn . . . " (S. 558),
zeigt dies Macaulays Freude an lebensnahen Bildern und am englischen Lokalkolorit. — Macaulays literarische und politische Anspielungen setzen gelegentlich recht detaillierte Spezialkenntnisse voraus, die darauf hinweisen, daß Macaulay bei seinem Essiay wohl vor allem an das gebildete Publikum der „Edinburgh Review" dachte. Der folgende humoristische Seitenhieb auf einen 1842 noch Lebenden — einen ToryParlamentarier — beispielsweise kommt nur dann voll zur Geltung, wenn man weiß, daß Macaulay hier in seiner Eigenschaft als ehemaliger britischer Kriegsminister einen parlamentarischen Kollegen aufs Korn nimmt: " . . . every rixdollar of extraordinary diarge was scrutinised by Frederic with a vigilance and suspicion such as Mr. Joseph H u m e never brought to the examination of an army estimate . . ( S . 581)
Audi der für den heutigen Leaer gelegentlich wohl etwas befremdliche parteipolitische Akzent von Macaulays Essays hatte für den Leserkreis der „Edinburgh Review", der sich ja überwiegend aus liberalen Gesinnungsfreunden des Autors zusammensetzte 29 , wohl kaum etwas Erstaunliches. Wenn beispielsweise die unter Friedrich herrschende religiöse Toleranz als leuchtendes Vorbild der englischen Katholikenpolitik gegenübergestellt wurde (S. 583), war es für den zeitgenössischen Leser naheliegend, an die Parlamentsreden Macaulays über die irische Frage zu denken. An anderer Stelle findet Macaulay Gelegenheit zu noch viel direkterer Parteipolemik. Er schildert den Sturz des Whig-Ministers Pitt im Jahre 1761, durch den Friedrich seines einzigen Verbündeten beraubt wird, und schaltet hierbei einen erbitterten Ausfall gegen die seiner Ansicht nach notorisch kurzsichtige und verräterische Außenpolitik der Tories ein: 29
8*
Vgl. Gooch a.a.O., S. 280—281: "Most of his essays appeared in a review the main object of which was the propagation of certain ideas."
116
Sprachliche Gestaltung des Friedrich-Essays " H e had fallen; and the power whidi he had exercised . . . on a favourite who was the representative of the T o r y party which had thwarted William, which had persecuted and which had given up the Catalans to the vengeance Anjou." (S. 638)
had devolved party, of the Marlborough, of Philip of
Die Sünden, die er hier den Tories vorrechnet, haben mit dem Gegenstand des Essays gar nichts zu tun; Macaulay spricht hier unverkennbar nicht als Historiker, sondern als Parteischriftsteller. Die Färbung von Macaulays Geschichtschreibung durch diesen parteipolitischen Akzent ist häufig untersucht worden 3 0 . Für unsere Zwecke genügt es, darauf hinzuweisen, daß er die Regierungspraxis Friedrichs des Großen überall dort mit Wohlwollen betrachtet, wo sie sich mit den Vorstellungen des englischen Liberalismus vereinbaren läßt, wie in der religiösen Toleranz und in der Respektierung von Rede- und Pressefreiheit (S. 582—584), während alle autokratischen Züge des friderizianischen Staates — nach einem Wort von Manfred Messerschmidt — gewissermaßen als abschreckende Beispiele „für die unenglische und unvernünftige Einrichtung der kontinentalen Militärmonarchien" verwertet werden; Macaulay „urteilte nicht als Engländer gegen Deutschland, sondern als Whig gegen den Absolutismus" 3 1 .
c) Häufung
als Stilprinzip
In seiner Schilderung geht Macaulay mit äußerster Ausführlichkeit vor, sobald es ihm darum zu tun ist, charakteristische Züge im Bild des Titelhelden zu beleuchten und durch anekdotische Beispiele so drastisch und handgreiflich wie nur möglich zu illustrieren. Die bloße Feststellung, daß Friedrich durch Schuld seines Vaters keine klassische Bildung genossen habe, wäre ihm viel zu nichtssagend; er illustriert die Auswirkungen dieser Bildungslücke mit sichtlichem Behagen: " . . . Frederic's classical studies ended for ever. H e now and then affected t o quote Latin sentences, and produced such exquisitely Ciceronian phrases as these: — ,Stante pede morire', — ,De gustibus non est disputandus', — ,Tot verbas tot spondera'." (S. 557)
In diesem Streben nach größtmöglicher Eindringlichkeit schreckt er vor herzhaften Vereinfachungen und Übertreibungen durchaus nicht zurück; er will seine Leser ja vor allem auch unterhalten. Seine Schilderung nimmt gelegentlich karikaturistische Züge an, denn nach seiner 30
31
U n t e r anderem in der Dissertation von G. Waldia, „Macaulay als Geschichtsschreiber", S. 65 ff. Vgl. auch Messerschmidt, „Deutschland in englischer Sicht", S. 22 ff. Messerschmidt a.a.O., S. 26.
Häufung als Stilprinzip
117
Meinung kann eine mit wenigen kräftigen Strichen gezeichnete Karikatur viel lebendiger, überzeugender und selbst wirklichkeitsgetreuer sein, als eine in allen Einzelheiten getreue Aufzählung, wie er in einem für das Weisen seiner historischen Porträtkunst sehr aufschlußreichen Aufsatz sagt: "An outline scrawled with a pen whidi seizes the marked features of a countenance, will give a much stronger idea of it than a bad painting in oils. Yet the worst painting in oils that ever hung at Somerset House resembles the original in many more particulars" 3 2 .
So notiert er mit besonderer Sorgfalt gerade die skurrilen und anekdotischen Einzelheiten. Er will zum Beispiel Friedrichs Sparsamkeit illustrieren, aber die Auswirkungen dieser Sparsamkeit auf Preußens Verwaltung und Politik werden nur flüchtig erwähnt; viel interessanter erscheinen ihm in diesem Zusammenhang Friedrichs häusliche Ausgaben: " . . . the whole charge of his kitchen was brough within the sum of two thousand pounds sterling a year." (S. 582)
Diese sachliche Angabe ist ihm aber noch längst nicht anschaulich genug; Friedrichs Knausrigkeit wird ausführlich illustriert und bis zum Grotesken übersteigert: "He examined every extraordinary item with a care which might be thought to suit the mistress of a boarding house better than a great prince. When more than four rixdollars were asked of him for a hundred oysters, he stormed as if he had heard that one of his generals had sold a fortress to the Empress Queen. N o t a bottle of Champaigne was uncorked without his express order." (S. 582)
Macaulay erzählt überall mit dieser Liebe zum Detail. Seine Lieblingsstilfigur ist die anaphorische Reihung, die den aufgezählten Beispielen Eindringlichkeit und höchsten Nachdruck verleiht. Nicht weniger als vier streng parallel gebaute Sätze werden anaphorisch aneinandergereiht, um auch den schwerfälligsten Leser von Friedrichs kleinlicher Bosheit gegen seinen Hofstaat zu überzeugen: "If a courtier was fond of dress, oil was flung over his richest suit. If he was fond of money, some prank was invented to make him disburse more than he could spare. If he was hypochondriacal, he was made to believe that he had the dropsy. If he had particularly set his healrt on visiting a place, a letter was forged to frighten him from going thither." (S. 589)
Diese Vorliebe Macaulays für rhetorische Satzhäufungen verleiht seiner Sprache höchste Eindringlichkeit, aber auch eine gewisse Ubergenauigkeit und Weitschweifigkeit. „Man muß ihn verstehen, ob man will oder nicht", wie Hippolyte Taine halb bewundernd, halb ironisch 32
„Albany Edition" VII S. 178.
118
Sprachliche Gestaltung des Friedrich-Essays
sagt 3 3 . E r greift sich nur ganz wenige, bezeichnende Einzelzüge heraus, aber diese werden dem Leser förmlich eingehämmert. E r sdiildert beispielsweise Friedrichs Manie, alle Regierungsgeschäfte eigenhändig zu erledigen: "He was not content with being his own prime minister: he would be his own sole minister." (S. 578) Dieser Satz ist ihm aber noch nicht ausdrucksstark genug, er wird dutzendfach ausgeführt, variiert und illustriert; nicht weniger als fünf anaphorische Reihen werden in einem knappen Dutzend Zeilen zusammengedrängt und ineinander verflochten, u m Friedrichs Arbeitswut ins rechte Licht zu setzen: "A love of labour for its own sake, a restless and insatiable longing to dictate, to intermeddle, to make his power felt, a profound scorn and distrust of his fellow-creatures, made him unwilling to ask counsel, to confide important secrets, to delegate ample power . . . He was his own treasurer, his own commander-in-chief, his own intendant of public works, his own minister for trade and justice, for home affairs and foreign affairs, his own master of the horse, steward, and Chamberlain." (S. 578) W o aber Macaulay gar v o n seinem eigenen moralischen Standpunkt aus zum selbständigen Urteil über Friedrichs Charakter und Politik übergeht, steigert sich die Beredsamkeit des gefeierten Parlamentsredners bis zum Exzeß. Mit flammender Rhetorik häuft er Anapher auf Anapher, rhetorische Frage auf rhetorische Frage, Anklage auf Anklage, ob er nun die Unverletztbarkeit der Pragmatischen Sanktion verficht (S. 5 6 6 ff), oder ob er den Leser von Friedrichs niedriger Rachsucht gegen Voltaire zu überzeugen sucht: "It is absurd to say that this outrage is not to be attributed to the king. Was any body punished for it? Was any body called in question for it? Was is not consistent with Frederic's character? Was is not of a piece with his conduct on other similar occassions? . . . Why should we believe that he would have been more scrupulous with regard to Voltaire?" (S. 600—601) G. P. Gooch, der ihn sonst sehr bewundert, urteilt über diese Eigentümlichkeit v o n Macaulays Stil: " . . . it is sometimes better suited for an oration than an essay, and the coruscating eloquence becomes turgid and oppressive. Ossa is heaped upon Pelion till we groan beneath the load" 3 4 . 33
34
Zitiert nach Josef Hofmiller im Nachwort zu Macaulay, „Mächte der Geschichte", S. 204. G. P. Goodi a.a.O., S. 284.
4. Macaulays Urteil über Friedrich den Großen Es ist Macaulays oftmals ausgesprochene Uberzeugung, daß es in der Geschichte keine vollkommen guten und keine vollkommen schlechte Gestalten gebe: „In every character, in every human transaction, there is a mixture of good and evil" 3 5 .
So oft er auch von seinem sehr ausgeprägten weltanschaulichen Standpunkt aus zu einseitigen und mitunter geradezu ungerechten Urteilen gelangt, muß doch zugegeben werden, daß er in jedem Falle beide Seiten, Positives wie Negatives, zu berücksichtigen sucht — in seinen theoretischen Überlegungen allerdings wohl stärker als in seiner schriftstellerischen Praxis. Diese Eigentümlichkeit gibt seinen Charakteristiken gelegentlich etwas Zwiespältiges; rednerisches Temperament und historischer Gerechtigkeitssinn gelangen nicht immer zu vollkommener Synthese. Im weitaus größeren Teil des Essays ist Macaulays Urteil über Friedrichs Charakter und Politik von mitunter erschreckender Schroffheit, aber daneben finden sich gegen Ende des Essays weite Passagen, in denen sich der Autor zu eindrucksvoller, fast hymnischer Würdigung des großen Kriegshelden emporsteigert. Bis zu einem gewissen Grade kann man seine Worte über Voltaire auch auf ihn selbst anwenden: "It would probably have puzzled Voltaire himself to say what was his real feeling towards Frederic. It was compounded of all sentiments, f r o m enmity to friendship, and f r o m scorn to admiration; and the proportions in which these elements were mixed, changed every m o m e n t . " (S. 622)
Mitunter scheint es, als rede Macaulay von mehreren, ganz verschiedenen Menschen: "Such was Frederic the Ruler. But there was another Frederic, the Frederic of Rheinsberg . . . " (S. 586)
Er schildert die verschiedenen Seiten seines Helden von ganz unterschiedlichen Standpunkten aus. In seiner Darstellung von Friedrichs Privatleben und Künstlertum hebt er vor allem die lächerlichen und abstoßenden Züge hervor; die mit sichtlichem Behagen am Anekdotischen erzählten skurrilen Details sollen ja hauptsächlich den Beweis 35
„Albany Edition" VII, S. 208.
120
Macaulays Urteil über Friedrich den Großen
dafür liefern, daß der König ein herzloser Tyrann gewesen sei, „suspicious, disdainful, and malevolent" (S. 589). Auch Friedrich, den Politiker, verurteilt Macaulay aufs heftigste, aber hier spricht er nicht mit überlegenem Sarkasmus und ironischer Detailschilderung, sondern mit leidenschaftlicher Entrüstung über so viel Selbstsucht und Skrupellosigkeit. Maßvoller beurteilt er die Innenpolitik des Königs. Die autokratischen Eingriffe in Justiz, Wirtschaft und Verwaltung erscheinen ihm zwar verhängnisvoll, aber er erkennt doch an, daß Friedrich hierbei nicht von unedlen Motiven geleitet worden sei, und daß seine betrüblichen Irrtümer auf wirtschaftspolitischem Gebiet aus den damals herrschenden — nach Macaulays liberaler Ansicht natürlich verfehlten — Anschauungen heraus begreiflich seien (S. 585 ff.). In seiner Schilderung des Siebenjährigen Krieges endlich erhebt sich Macaulay zu schrankenloser Bewunderung für Friedrichs übermenschliche Ausdauer und Seelenstärke. Seine an die Schlacht bei Roßbach anknüpfenden Betrachtungen sind geradezu ein Hymnus auf das in Friedrichs Person erstmals ein Zentrum gewinnende deutsche Nationalgefühl: "That great host had been put to flight by a small band of German warriors, led by a prince of German blood on the side of father and mother, and marked by the fair hair and clear blue eye of Germany . . . Then first it was manifest that the Germans were truly a nation. Then first was descernible that patriotic spirit which, in 1813, achieved the great deliverance of central Europe, and which still guards, and long will guard, against foreign ambition the old freedom of the Rhine." (S. 627)
Zu einer einheitlichen Deutung Friedrichs schließen sich all diese von Macaulay so eindrucksvoll geschilderten Teilausschnitte aus Friedrichs Persönlichkeit nicht zusammen, und der Leser bleibt im Zweifel, ob Macaulay nun den Helden des Siebenjährigen Krieges oder den skrupellosen Gewaltpolitiker, den arbeitswütigen Administrator oder den in seinem ungerechtfertigten Künstlerstolz lächerlich wirkenden Schöngeist als den „wirklichen" Friedrich ansieht, denn jeden dieser Teilausschnitte weiß er mit der gleichen Eindringlichkeit und Uberzeugungskraft lebendig zu machen. Man muß zwar berücksichtigen, daß Macaulay in einem geplanten zweiten Teil des Essays eine zusammenfassende Würdigung von Friedrichs Charakter geben wollte, aber es ist nicht anzunehmen, daß hier alle inneren Widersprüche aufgehoben worden wären. Macaulay selbst betont ja immer wieder in eindrucksvollen Antithesen, daß in Friedrichs Wesen unvereinbarste Gegensätze nebeneinanderlagen. So ist für
Macaulays Urteil über Friedrich den Großen
121
ihn vielleicht gerade diese Zwiespältigkeit und innere Disharmonie die wichtigste Eigentümlichkeit v o n Friedrichs Wesen: "We hardly know any instance of the strength and weakness of human nature so striking, and so grotesque, as the character of this haughty, vigilant, resolute, sagacious blue-stocking, half Mithridates and half Trissotin, bearing up against a world in arms, with an ounce of poison in one pocket and a quire of bad verses in the other." (S. 620)
5- Abschnitt Thomas Mann: „Friedrich und die Große Koalition. Ein Abriß für den Tag und die Stunde"*
* Verweisungen und Seitenangaben beziehen sich auf den Text der „Stockholmer Gesamtausgabe der Werke von Thomas Mann" : Thomas Mann: Altes und Neues. Kleine Prosa aus Fünf Jahrzehnten. (Frankfurt am Main) 1953.
i. Einleitung Es ist nicht ganz einfach, den Charakter von Thomas Manns Essay über Friedrich den Großen mit wenigen Worten zu umschreiben. Schon der volle Titel „Friedrich und die große Koalition. Ein Abriß für den Tag und die Stunde" deutet indirekt etwas von der Vielschichtigkeit des Werkes an. a) Erstens steht — schon dem Titel nach — nicht die Gestalt des Königs allein im Mittelpunkt des Essays. Äußerlich gesehen ist sogar weit mehr von den Voraussetzungen und dem Zustandekommen der gegen Friedrich gerichteten Koalition die Rede als von dem König selbst. Ein erster Überblick über den Inhalt zeigt etwa folgendes Bild: das erste Fünftel des Essays (S. 38—50) umreißt den Eindruck, den die Umwelt während der ersten fünf Jahre von Friedrichs Regierungszeit, von seiner kriegerischen Außenpolitik, von seinem Wesen und Charakter empfing. Ein knappes Zwölftel (S. 50—55) gibt die Empfindungen von Friedrichs Zeitgenossen angesichts von Friedrichs Regierungspraxis und privater Lebensgestaltung wieder. Nahezu die Hälfte des Werkes dagegen (etwa S. 55—82) befaßt sich so gut wie ausschließlich mit den Aktionen von Friedrichs Gegenspielern. Lediglich in den letzten Seiten des Essays (S. 99—102) ist unmittelbar und ausschließlich von dem König selbst die Rede. b) Zweitens deutet der Untertitel des Werkes unmißverständlich an, daß es sich nicht um eine historische Studie im gebräuchlichen Sinne des Wortes handeln solle, daß der Ende 1914 entstandene „Abriß" vielmehr als eine höchst gegenwartsbezogene politische Stellungnahme zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges aufzufassen sei. Und in der Tat kann und soll der Leser die Worte Thomas Manns über weite Strecken fast Wort für Wort auf „den Tag und die Stunde" von 1914 beziehen. c) Indessen wäre es eine zu einseitige Betrachtungsweise, den Essay allein als eine psychologisierende Studie zur Vorgeschichte des Siebenjährigen Krieges zu interpretieren oder als ein (nur oberflächlich als historisches Porträt verkleidetes) zeitgebundenes Pamphlet zu betrachten. Schon die Entstehungsgeschichte spricht dagegen. Wie man aus brieflichen Äußerungen Thomas Manns weiß, hatte er schon lange vor 1914 den Plan gefaßt, den König zum Helden eines großen Werkes zu
126
Einleitung
machen 1 ; der erste Gedanke an einen „Friedrich-Roman" ist mindestens bis ins Jahr 1904 zurückzudatieren2. Bereits diese Tatsache macht es sehr wahrscheinlich, daß die Gestalt Friedrichs in Thomas Manns Essay doch wohl erheblich mehr bedeutet als einen bloßen Vorwand für die Behandlung sehr aktueller Probleme unter dem Deckmantel historischer Erörterung. Ein Biograph Thomas Manns meint gar, daß die aktuellen Bezüge bloße unorganische Zutat seien: „Ohne sie — und man könnte sie entfernen, so wie man Fremdkörper entfernt, und gewiß ohne der Komposition auch nur den geringsten Schaden zuzufügen — ist es sehr wohl denkbar, daß der Essay sich inmitten des Chauvinismus von 1914 fast wie ein Pamphlet gegen die Nationallegende v o m großen König ausgenommen hätte . . . " 3 .
Dem steht allerdings die Tatsache gegenüber, daß der Essay eben doch für einen ganz bestimmten weltgeschichtlichen Augenblick und aus dem unmittelbaren Impuls dieses Augenblickes heraus niedergeschrieben worden ist. So haben wir schon vom Ansatz her mindestens zwei (bzw. drei) Schichten innerhalb des Werkes auseinanderzuhalten. Zum ersten handelt es sich um eine psychologisierende Skizze der Vorgeschichte des Siebenjährigen Krieges, wobei sich dem Leser — zum zweiten — immer wieder bald mehr, bald weniger deutlich die Parallelen zu den Ereignissen von 1914 aufdrängen. Zum dritten aber ist der Aufsatz auch eine Auseinandersetzung mit der historischen Gestalt Friedrichs; freilich müßte man wohl eher von einer sehr kühnen und hintergründigen Wesensdeutung sprechen als von einem eigentlichen, bewußt nur greifbare Fakten interpretierenden historischen Porträt. Von diesen Schichten steht ohne Frage die erste weitaus im Vordergrund. Es könnte mitunter scheinen, als behandle der Verfasser die Person Friedrichs eigentlich nur als Staffage für die Entstehung der großen Koalition. An einer Stelle indessen, am Schluß des Essays nämlich, wird sichtbar, daß es in dem gesamten Werk doch um mehr geht, als Titel und Untertitel erkennen lassen. 1
2
3
In einem Brief an seinen Bruder Heinrich sagt Thomas Mann, daß er schon v o r „Königliche H o h e i t " (erschienen 1909) einen „Friedrich" geplant habe. Vgl. Kantorowicz, „Heinrich und Thomas Mann", S. 87. Im N o v . 1906 hatte Thomas Mann die Arbeit an „Königliche H o h e i t " bereits begonnen, wie aus einem Brief an Hilde Distel v o m 14. N o v e m ber 1906 hervorgeht (Thomas Mann „Briefe 1 8 8 9 — 1 9 3 6 " , S. 6 6 — 6 7 ) . Da die Grundidee des Romans anscheinend auf den Beginn der Bekanntschaft mit Katja Pringsheim zurückgeht, also etwa auf die Jahre um 1904, dürften auch die ersten Pläne zu einem „Friedrich"-Roman auf diese Zeit zu datieren sein. Erich Heller, „Thomas Mann. Der ironische Deutsche", S. 133.
Einleitung
127
Hier am Ende des Werkes geht der Verfasser über das in der Überschrift genannte Thema hinaus. Dies Thema wird mit einem Satz zuendegeführt, der zusammenfassend das Scheitern des großen Bündnisses feststellt und zugleich einen Ausblick auf die weltgeschichtliche Bedeutung von Friedrichs Sieg gibt: „Der Spruch des Fatums hatte gegen alle Wahrscheinlichkeit für ihn entschieden, das Urteil anzufechten war untunlich auf lange Zeit, man mußte Preußen, mußte Deutschland den Weg freigeben — welcher sich auch hinfort als ein Weg erwies, so steil und schicksalsvoll, an mächtig erzieherischen Wendungen so reich, wie keiner, den ein Volk je gegangen." (S. 99)
Mit diesem Ausblick auf Deutschlands Zukunft könnte der Essay beendet sein. Aber es folgt noch ein kurzer Überblick über Friedrichs letzte Regierungsjahre und seinen Tod. Äußerlich gesehen wirkt dieser Schlußabschnitt als eine matte und beinahe überflüssige Zutat, denn das in der Uerschrift genannte Thema „Friedrich und die große Koalition" ist ja zum Abschluß gebracht. Und der Erzähler tut noch ein übriges, um diesen Absichnitt als überflüssig zu kennzeichnen, indem er mit scheinbar sichtlich erlahmender Anteilnahme fortfährt — ganz so als schildere er Friedrichs Lebensabend nur noch aus Pflichtgefühl, der Vollständigkeit halber: „Was Friedrich betraf, so war sein Lebensabend, der sich noch lange hinzog, kalt, trübe und abstoßend." (S. 9 9 — 1 0 0 )
Und doch verbirgt sich gerade hinter diesen so matt eingeleiteten Schlußsätzen der geistige Kern des ganzen Werkes — wir dürfen annehmen, auch der geistige Kern des geplanten Friedrich-Romans. Hier wird es erkennbar, daß der Friedrich-Essay mehr anstrebt als nur einen polemischen Beitrag für „den Tag und die Stunde"; in diesen letzten Sätzen ist Thomas Manns Essay ein Versuch, über die individuelle Gestalt Friedrichs hinaus den großen Menschen als Vollstrecker und Opfer eines unergriindbaren Schicksalswillens zu begreifen.
2. Sprachliche Gestaltung des Friedrich-Essays a) „Improvisationscharakter"
des
Friedrich-Essays
Thomas Manns eigene Äußerungen über den Friedrich-Essay sind nicht frei von Widersprüchlichkeiten. Einmal führt er die „glücklichleichten Eigenschaften" des Aufsatzes ausdrücklich darauf zurück, daß er, der Autor, von langer Hand darauf vorbereitet gewesen sei4; häufiger aber sind Äußerungen, in denen der Essay als Stegreifwerk5, als eine Improvisation der Leidenschaft8, als ein von den Zeitereignissen eingegebenes, ja abgepreßtes Werkchen7, als „was Essayistisches8" bezeichnet wird. Freilich wird man diese Ausdrücke nicht im allerengsten Sinne aufzufassen haben. Soweit der Aufsatz ein Porträt des Königs ist, kann — bei einer Vorgeschichte von rund einem Jahrzehnt — von „Stegreifwerk" wohl nicht die Rede sein. Und daß auch die bald mehr, bald weniger offensichtlichen Anspielungen auf „den Tag und die Stunde" nicht unbesonnen in der ersten leidenschaftlichen Aufwallung niedergeschrieben worden sind, erkennt man am deutlichsten beim Vergleich mit einer thematisch eng verwandten „echten" Improvisation: viele der im Friedrich-Essay angedeuteten Gedanken zur geistigen und politischen Situation Deutschlands sind auch schon in den „Gedanken im Kriege" vom September 1914® ausgesprochen, aber in einer unvergleichlich direkteren und leidenschaftlicheren und eben deshalb weniger überzeugenden Tonart. In den „Gedanken im Kriege" spricht der Autor mit apodiktischem Nachdruck aus, was er im Friedrich-Essay eher nur ahnen als erkennen läßt: „Und Deutschland ist heute Friedrich der G r o ß e " 1 0 . 4
5 6 7
8
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10
Thomas Mann, „Betrachtungen eines Unpolitischen" (Stockholmer Gesamtausgabe), S. 67. Thomas Mann, „Rede und A n t w o r t " , S. X I . Thomas Mann, „Rede und A n t w o r t " , S. X I I . Thomas Mann, „Betrachtungen eines Unpolitischen" (Stockholmer Gesamtausgabe), S. 67. Thomas Mann, „Briefe 1 8 8 9 — 1 9 3 6 " (Stockholmer Gesamtausgabe), S. 113. (Brief an Philipp Wittkop v o m 11. November 1914.) „Gedanken im Kriege". I n : Thomas Mann, „Friedrich und die große Koalition", S. 1 ff. Thomas Mann, „Friedrich und die große Koalition", S. 15.
Jmprovisationsdiarakter" des Friedrich-Essays
129
Wie wenig es angeht, die aktuellen Bezüge etwa als unorganisch eingeflickte Einschübe abzuwerten, geht wohl am deutlichsten aus dem Urteil eines französischen Kritikers hervor: „Cet écrit ne relève pas nullement de l'improvisation patriotique, comme l'article Gedanken im Kriege; il présente, au contraire, la maitrise de pensée et la solidité formelle des oeuvres d'avant-guerre 1 1 ".
Aber wichtiger als die tatsächliche Entstehung des Essays ist für unseren Zusammenhang seine sprachliche Gestaltung. Sie läßt erkennen, daß es dem Verfasser wünschenswert erschien, sein Werk als eine leichthändig hingeworfene Skizze erscheinen zu lassen, und daß er ihm mit voller Absicht äußere Stileigentümlichkeiten einer Stegreifrede verliehen hat. Gleich der erste Satz deutet darauf hin. Der Erzähler stellt sich seinem Publikum gewissermaßen als unvorbereiteter Redner und „Gelegenheitshistoriker" (S. 38) vor und beginnt in gespielter komischer Ratlosigkeit mit dem Ausruf: „Ja, womit soll man anfangen!" (S. 38)
Getreu dieser Rolle wählt der Erzähler namentlich im Eingang seines Essays einen scheinbar anspruchslosen, mitunter salopp wirkenden Plauderton. Mit großer Unbefangenheit läßt er die abgegriffensten Floskeln der Alltagssprache einfließen, wie sie sich in unvorbereitete mündliche Äußerungen einzuschleichen pflegen. Klischeeworte wie „himmelhoch" (S. 44), „direkt" (S. 44), „in Gottes Namen" (S. 45), „offengestanden" (S. 45) gelten ja in einem historischen Aufsatz nicht allgemein als literaturfähig; jedenfalls kontrastieren sie sonderbar mit dem ernsten Gegenstand. Der Leser muß unwillkürlich den Eindruck haben, daß es nicht gar zu ernst zu nehmen sei, wenn beispielsweise über den Verlauf des Feldzuges von 1744 berichtet wird: „Die Sache geht sehr schwer, sie steht dann und wann direkt verzweifelt." (S. 44)
Auch ganze Redewendungen werden scheinbar gedankenlos der Umgangssprache entlehnt; auch hier entsteht durch den Kontrast zwischen bedeutungsschwerem Inhalt und salopper Form eine leicht humoristische Wirkung: „. . . Österreich ist schlecht in Form, die Sache geht gut aus für Preußen." (S. 43), „Dann kam ein Malheur auf diesem Gebiet . . ." (S. 54), „Frankreich stand groß da auf dem Kontinent . . ." (S. 59), „Wenn es im Hochsommer zum Klappen kam . . ." (S. 80), „Was Friedrich ihm zumutete, war ja ein wenig stark." (S. 84) 11
9
Louis Leibrich in „Les Langues Modernes" X L VI (1952), S. 69. Fischer, Studien zum historischen Essay
130
Spradilidie Gestaltung des Friedrich-Essays
Dem Leser muß es bei solchen Formulierungen scheinen, als spreche der Erzähler die Worte ohne langes Überlegen so aus, wie sie ihm gerade in den Mund kommen. Dieser Eindruck verstärkt sich noch, wenn der Autor gelegentlich einen besonders „unakademischen" Ausdruck im gleichen Atemzuge wieder etwas abschwächt, so als habe er momentan leider kein angemessenes Wort zur Verfügung: „Das Militär war ja so etwas wie ein Puschel des höchstseligen H e r r n gewesen . . . " (S. 41)
In seiner Gedankenführung geht er mit der gleichen scheinbaren Sorglosigkeit vor, wie in seiner Wortwahl. Mitunter „berichtigt" er sich mitten im Satz: „Dieser König war allzu geheimnisvoll und hinterhältig, — verschlossen auch gegen Vertraute, oder richtiger gesagt: er hatte keine Vertrauten." (S. 49)
Sehr häufig leitet er seine Sätze mit Verlegenheitswörtchen wie „übrigens" ein, was ebenfalls zu dem Eindruck beiträgt, daß der Autor recht planlos daraufloserzähle und alles so aneinanderreihe, wie es ihm zufällig gerade in den Sinn kommt: „An Voltaire übrigens schreibt er . . . " (S. 43) „Übrigens langt audi Bayern nach der Kaiserkrone . . . " (S. 43), „Übrigens konnte Georg II. Friedrich so wenig leiden, wie irgend jemand ihn leiden konnte." (S. 59)
Dadurch erhält seine Sprache etwas Unsystematisches, scheinbar Zusammenhangloses; ein mit „übrigens" eingeleiteter Satz wirkt ja immer als unorganischer, behelfsweise eingeflickter Einschub. Bisweilen imitiert der Erzähler auch die Redeweise eines zu Abschweifungen geneigten Plauderers, der sich häufig in Nebensächlichkeiten zu verlieren droht; mitten in der amüsantesten Detailschilderung ruft er sich dann mit einem „Doch dies nebenbei.—" (S. 60) gleichsam selbst zum Thema zurück, und in ähnlicher Weise unterbricht er sich im folgenden Beispiel in einem (scheinbar) nebensächlichen Gedankengang: „England und Österreich haben sich gegenseitig die Besitzungen garantiert, die sie bis 1739 innegehabt. Bis 39? Das war ja wohl, bevor Friedrich Schlesien nahm! U n d zwischen Österreich und Sadisen k o m m t es zu ähnlichen Verträgen . . . Genug!" (S. 44)
Solche abgebrochenen Sätze geben seiner Sprache etwas Sprunghaftes, nur Andeutendes; er überläßt es dem Leser, sich seine eigenen Gedanken über die Konsequenzen des nicht voll Ausgesprochenen zu machen. Dabei erhält er unausgesprochen die Fiktion aufrecht, daß er als unvorbereiteter Stegreifredner seine Gedanken eben nicht planvoller zum Vortrag bringen könne, so etwa, wenn er sich gelegentlich den Anschein gibt, als habe er etwas Wesentliches vergessen, was aber gewis-
Erzählhaltungen im Friedrich-Essay
131
senhafterweise doch noch nachgetragen werden müsse, 9ei es auch an falscher Stelle. Ein Beispiel sind die Erörterungen der Frage, ob die heimlichen Pläne zur Zerschlagung Preußens wirklich nur „Entwürfe" gewesen seien; Thomas Mann unterbricht sich mitten im Satz, weil ihm noch etwas „einfällt", was er bisher zu erwähnen „vergessen" hatte: „Kein Mensch, gelehrt oder ungelehrt, wird je entscheiden können, ob die Entwürfe jemals zustande gekommen wären, wenn nicht . . . Noch eins!" (S. 77)
In Wahrheit ist der mit dem Ausruf „Noch eins!" eingeleitete Satz freilich nur ein verzögernder Einschub, nach dem der angefangene Satz mit doppeltem Nachdruck wieder aufgenommen wird: „Wenn nämlidi nicht? Wenn nämlich Friedrich nicht losgeschlagen hätte." (S. 77)
Aber der unerfahrene Leser muß bei solchen scheinbar unmotivierten Unterbrechungen des Erzählflusses den Eindruck haben, daß Thomas Mann ein etwas zerstreuter Erzähler sei, dem die verschiedensten Dinge zu gleicher Zeit einfallen. Und es ist bezeichnend für das Versteckspiel, daß Thomas Mann mit seinen Lesern zu treiben liebt, daß er gerade entscheidendste Hinweise als belanglose Abschweifungen und Gedankenspielereien maskiert: „Übrigens meinte er es vielleicht redlich — und täuschte sich nur über seine eigene Gefährlichkeit? Der allen ein Geheimnis war, vielleicht war er sich selber eins?" (S. 50)
Dieses Beispiel gibt einigen Aufschluß über die Gründe, die den Autor bewogen haben, seinem Essay über weite Strecken unaufdringlich, aber deutlich spürbar das stilistische Gepräge einer Stegreifäußerung zu geben. Gerade bei den Kernproblemen des Essays zieht er sich immer wieder mit einem unverbindlichen „vielleicht", „wer weiß, ob nicht . . ." (S. 58), „Zuweilen möchte man glauben . . . " (S. 101) auf seine Position als spielerisch improvisierender Plauderer zurück. Denn diese Form gibt ihm die Möglichkeit, unter dem Deckmantel bloßer Vermutung Gedankengänge anzudeuten, die zu diffizil sind, um mit dem exakten Begriffsapparat wissenschaftlicher Methodik erörtert oder gar bewiesen werden zu können. So verzichtet er bewußt auf logisch nachprüfbare Schlußfolgerungen und gibt gerade den entscheidendsten Gedankengängen äußerlich die Form eines unverbindlichen, versuchsweise experimentierenden Gedankenspiels. b) Erzählhaltungen im Friedrich-Essay Wie wir sehen, hat Thomas Mann seinem Essay bezeichnende Stileigentümlichkeiten des mündlichen Stegreifvortrages verliehen. Diese 9*
132
Sprachliche Gestaltung des Friedrich-Essays
Sprachhaltung prägt vor allem den einleitenden Teil (S. 38—45) des Aufsatzes, tritt aber auch sonst gelegentlich hervor. Seine Erzählweise macht hier den Eindruck, als spreche er zu einer leibhaftig vor ihm sitzenden Zuhörerschaft, und mitunter wendet er sich auch „persönlich" an dies imaginäre Publikum — nicht mit feierlicher Rednergeste, sondern in unbefangenem Gesprächston. Mit einer solchen Wendung ans Publikum wird die Schilderung des jugendlichen Friedrich eingeleitet: „Man erinnere sich nur . . ( S .
38),
und in entsprechender Weise wird auch Maria Theresia dem Leser sozusagen persönlich vorgestellt: „Kennt man die schöne Porträtzeichnung der Kaiserin-Königin Meytens, im Kupferstichkabinett zu Berlin?" (S. 57)
von
Jeder Leser, der die erwähnte Zeichnung kennt, muß sich durch diese vertrauliche Anspielung persönlich angeredet fühlen. Ständig machen Anspielungen, Fragen, Antworten, Zwischenrufe, protestierende Einwendungen und ironische Randglossen den Essay zu einem Scheindialog zwischen Leser und Erzähler. Durch ganz unscheinbare Stilmitcel identifiziert sich der Autor für einen Augenblick mit seinem Publikum, wenn er mit weltmännischer Geste die Zustimmung seines Auditoriums als sozusagen selbstverständlich vorwegnimmt — auch bei recht gewagten Behauptungen: „Einiges, was der junge H e r r gleich in den ersten Tagen tut, hat ja literarischen Habitus, — ist also keck und etwas extravagant." (S. 3 9 — 4 0 )
Das ist eher der Tonfall einer angeregten Unterhaltung als einer geschichtlichen Darstellung. Das Gewicht liegt weit weniger auf der Wiedergabe von Ereignissen und Tatsachen als auf den zwanglos eingeflochtenen und meist im Ton harmlos-unverbindlicher Mutmaßung gehaltenen Randbemerkungen des Autors: „Ein paar Plumpheiten im Werbewesen werden allenfalls abgestellt, das Fuchteln der Kadetten, Mißhandlungen des gemeinen Mannes haben ehrenhalber zu unterbleiben, — das ist alles. Was sich aber ändern zu sollen scheint, das ist der Sinn der Einrichtung, der Geist, in dem man sich ihrer bedient, k u r z u m : ihre politische Bedeutung, — und eben dies ist das Bedenkliche." (S. 41)
Die äußeren Vorgänge werden also nur knapp und beinahe stichwortartig vergegenwärtigt. „Vergegenwärtigt" im engsten Sinne des Wortes, denn Thomas Mann spricht im einleitenden Teil des Essays in der Gegenwartsform; Friedrichs erste Unternehmungen werden von Leser und Erzähler wie von unmittelbaren Zeitgenossen miterlebt. Die geistige Einstellung des Lesers wird durch diesen einfachen Kunstgriff
Erzählhaltungen im Friedrich-Essay
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in merkwürdiger Weise manipuliert: er erlebt die in Wirklichkeit ja altvertrauten geschichtlichen Ereignisse als etwas gerade erst Wirklichkeit Werdendes, gänzlich Unvorhergesehenes. Ohne sich darüber bewußt Rechenschaft zu geben, identifiziert man sich unwillkürlich mit den peinlich überraschten Zeitgenossen und betrachtet die Ereignisse aus „zeitgenössischem" Blickwinkel, ohne historische Distanz: „Aber was soll man aus alledem nun machen!" (S. 42) „Aber dann ist er ja ein hinterhältiger, versteckter und in aller Rheinsberger Geselligkeit einsamer junger Mensch gewesen!" (S. 4 2 — 4 3 )
Als unvoreingenommener Leser muß man annehmen, mit solchen und ähnlichen Äußerungen Thomas Manns eigenen Kommentar zu den geschilderten Vorgängen zu vernehmen. Beim Weiterlesen erlebt man indessen eine Überraschung. Plötzlich wechselt nämlich der Autor in die eigentliche historische Erzählform, ins Präteritum über (S. 45), und das ist nicht nur ein Wechsel der grammatischen Konstruktion. An dieser Stelle gibt der Verfasser mit den Worten „Nun müssen wir aber eines sagen " (S. 45) nämlich zu erkennen, daß alles bisher Gesagte nur als sehr bedingungsweise gültig aufzufassen sei. Mit anderen Worten: er hat bisher offenbar gar nicht in eigener Person gesprochen. Erst rückschauend erkennt man so den Kunstgriff des Erzählers: bei dem ganzen einleitenden, in der Gegenwartsform abgefaßten Teil des Essays handelt es sich in Wahrheit um den Monolog eines — fiktiven — zeitgenössischen Beobachters und Kommentators der geschilderten Ereignisse. Diesen und ähnliche Kunstgriffe verwendet der Verfasser auch in der Folge überaus häufig, und nicht überall ist der Übergang von einer Erzählhaltung zur anderen so eindeutig zu fixieren wie an der eben erwähnten Stelle. Mitunter wird die Perspektive mitten im Satz gewechselt, und wenn wir der Übersichtlichkeit halber einige Haupttypen der Erzählhaltung zu charakterisieren suchen, dürfen wir nicht übersehen, daß sie sich in Wahrheit in unentwirrbarer Weise verflechten und gegenseitig durchdringen. Einheitlich aber sind sie darin, daß sie — den Schlußabschnitt (S. 99—102) immer ausgenommen — durchweg im Sinne ironischer Distanzierung eingesetzt werden. Erstens liebt es Thomas Mann, wie wir bereits gesehen haben, das Medium eines fingierten zeitgenössischen Berichterstatters und Kommentators einzuschalten, der gewissermaßen als Sprachrohr der zeitgenössischen „öffentlichen Meinung" fungiert. Uber das ausführlichste Beispiel dieser Erzählhaltung (S. 38—45) ist eben gesprochen worden; ein anderes eindrucksvolles Beispiel ist der Abschnitt, in dem die Reaktion der europäischen Öffentlichkeit auf Friedrichs Einfall in Sachsen wiedergegeben wird (S. 82 ff.).
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Sprachliche Gestaltung des Friedrich-Essays
Eine zweite Methode der Perspektivenverschiebung ist damit eng verwandt. Der Unterschied liegt nur darin, daß nicht eine anonyme „öffentliche Meinung" zum Ausdruck gebracht wird, sondern die Meinung der unmittelbar beteiligten Gegenspieler Friedrichs: „Wie gut, daß wir nidit früher gerüstet haben, — man hätte alles verderben können." (S. 79)
Der Erzähler identifiziert sich für den Augenblick — meist nur durch die Wahl der Adjektive erkennbar — mit der Gestalt, von der jeweils die Rede ist: „Wie war das übrigens, was jener Mensch über unsere Marquise, über den ,Mätressenstaat', über unsere allerhöchste Frömmigkeit und Faulheit in Vers und Prosa von sich gegeben hatte"? (S. 69)
Wessen Worte werden hier eigentlich referiert? Dem Zusammenhang nach ist Kaunitz der Sprecher; dem Wortlaut nach ist es aber Ludwig XV., der sich hier selbst charakterisiert — und zwar nicht mit seinen eigenen Worten, sondern mit den Worten Friedrichs — bzw. mit den Worten Thomas Manns. Zu offener Karikatur steigert sich diese Form der Ironisierung, wenn der Autor die (angeblichen) Überlegungen seiner Personen in die Form wörtlicher Zitate kleidet, die in dieser Form gar nicht ausgesprochen werden konnten. Es ist ja ein Wesenselement der Karikatur überhaupt, den Karikierten das offen und vergröbert aussprechen zu lassen, was er — so will uns der Karikaturist suggerieren — heimlich denkt: „,Wie!' rief Elisabeth. ,Haben wir deshalb von England so viel Geld genommen, damit nun England diesen Mann beschützt, der mich harmloser Liebhabereien wegen vor ganz Europa verhöhnt hat?'" (S. 74)
Eine dritte Spielart der Ironie ist weniger leicht zu durchschauen. Dem Anschein nach spricht der Autor hier durchaus in eigener Person; seine Überlegungen wirken schlüssig und sachlich gerechtfertigt: „Was Mütterchen Elisabeth betraf, so bot sie ihm einige Blöße durch ihre Neigung zum Branntwein und zu muskulösen Soldaten, aber deswegen blieb sie doch eine gewaltige Potentatin, und es war ausgemacht unvernünftig von Friedrich, diese kleinen Schwächen zum Gegenstand stadilichter Reimereien zu machen, die ihr natürlich hinterbracht wurden und ihm die Herrscherin Rußlands auf immer giftig verfeindeten. U n d warum gewann er es nicht über sich, der Pompadour gelegentlich ein paar freundliche W o r t e zu geben, — da sie sidi doch in der zierlichsten Weise um sein Entgegenkommen bemüht hatte, und da sie nun einmal Frankreich regierte?" (S. 56)
Auf den ersten Blick ist es schwierig zu definieren, was in derartigen Passagen eigentlich die ironische Wirkung hervorbringt. Die Kritik an
Erzählhaltungen im Friedrich-Essay
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Friedrichs Verhalten ist ja nicht unbegründet, sondern durch die gesellschaftliche Courtoisie ebenso gerechtfertigt wie durch die politische Staatsklugheit. Erst vom Ende des Essays her gesehen wird es deutlich, daß die Maßstäbe gesellschaftlicher Verkehrsformen und diplomatischer Klugheit sich auf einen Friedrich (so, wie ihn Thomas Mann versteht) eben nicht anwenden lassen, und daß der vom Erzähler ironischerweise so benannte „gesunde und richtige Menschensinn" für ihn nur ein Medium ist, mit dem er sich von herkömmlichen Urteilen über Friedrich ironisch distanziert: „ U n d hatte nicht selbst seine unerhörte Arbeitswut etwas Zynisches, Dürres, Unmenschliches und Lebensfeindliches — für den gesunden und richtigen Menschensinn?" (S. 5 2 — 5 3 )
Außer der durchgehend ironischen Grundhaltung haben die eben skizzierten Typen der Erzählhaltung auch in ihrer Funktion etwas Gemeinsames. In jeder von ihnen wird Friedrichs Gestalt von einem eng umgrenzten, einseitigen (und eben deshalb inadäquaten) Standpunkt aus gesehen: aus der Perspektive einer fingierten „öffentlichen Meinung", aus der Perspektive von Friedrichs unmittelbaren Gegenspielern, oder schließlich aus der Perspektive eines rein pragmatisch orientierten „gesunden Menschensinnes". Durch seine ironisch-distanzierende Sprachbehandlung deutet der Autor die Relativität und Unzulänglichkeit all dieser Sichtweisen an, ohne sich doch gänzlich von ihnen zu distanzieren. Denn durch alle mitunter dick aufgetragene Ironie hindurch läßt der Autor doch fast immer auch etwas von seinem eigenen Urteil durchschimmern. Wir haben gesehen, daß er gerne unvermerkt in die Rolle eines zeitgenössischen Chronisten hineinschlüpft, der sich von seiner ehrbaren Gesinnung häufig zu naiv-empörten Glossen über Friedrichs mutmaßlichen Charakter hinreißen läßt, — und doch drücken solche Glossen in einem gewissen, schwer bestimmbaren Umfang auch die wirkliche Meinung des Erzählers aus. So etwa, wenn er sich über den unvermuteten (und in Wahrheit — vermutlich — sorgsam vorbereiteten) Angriff auf Schlesien im Jahre 1740 moralisch entrüstet und dabei ein scheinbar höchst naives Urteil über Friedrich ausspricht, daß doch in mancher Hinsicht von seinem wahren Urteil nicht gar zu weit entfernt sein dürfte: „Seit langer Zeit? U n d alles längst vorbereitet? Ohne daß irgend jemand eine Ahnung davon gehabt hat? Ohne daß er von solchen Ansprüchen und Absichten sich bisher das geringste hat anmerken lassen? Aber dann ist er ja ein hinterhältiger, versteckter und in aller Rheinsberger Geselligkeit einsamer junger Mensch gewesen!" (S. 4 2 — 4 3 )
Es ist selbstverständlich, daß der Autor hier die biedere Entrüstung des Sprechers — hinter dem er sich ja selbst verbirgt — ironisiert, und
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Sprachliche Gestaltung des Friedrich-Essays
doch schwingt hinter der scheinbaren Naivität dieses Ausspruches auch viel Unausgesprochenes mit, was freilich erst in den letzten Sätzen des Essays voll erkennbar wird: wenn auch Worte wie „hinterhältig" und „versteckt" viel zu oberflächlich sind, um Friedrichs eigentliches Wesen zu berühren, — ein einsamer Mensch ist Friedrich gewiß, einsamer als der Leser bei diesem scheinbar naiven Wort zu ahnen vermag. So gibt der unvermerkte Wechsel der Perspektive dem Autor die Möglichkeit, seinen Gegenstand in den vielfältigsten und verwirrendsten Farben vor den Augen des Lesers schillern zu lassen. Es wird unmöglich, den Erzähler auf eine bestimmte Aussage im Wortlaut festzulegen; was „zwischen den Zeilen" steht, entzieht sich ja weitgehend der Analyse. So wird es dem Erzähler möglich, seinen Gegenstand aus den verschiedensten Blickwinkeln zugleich zu betrachten und sich doch von jeder dieser einseitigen Teilperspektiven im gleichen Augenblick wieder zu distanzieren. So wird eins der hintergründigsten Worte über Friedrich ausgerechnet seiner Todfeindin Maria Theresia in den Mund gelegt: „Sie hatte ein zugleich kindliches und geheimnisvolles W o r t für ihn, welches anzudeuten scheint, daß ein hellsichtig-weiblicher Instinkt ihr sein Wesen verriet: Sie nannte ihn nie anders als ,Der böse Mann'. Ja, das war er." (S. 58)
Dieses scheinbar so eindeutige Wort „böse" ist nicht im wörtlichen Sinne zu verstehen; es wird in der Folge mit allen Spielarten heimlicher und offener Ironie („Aber Friedrich zog mit großer Bosheit den Kopf aus der Schlinge", S. 66) variiert, und zum Schluß wird es deutlich, daß dies Wort „böse" doch nur eine absichtlich an der Oberfläche bleibende Umschreibung für etwas Unerklärbares, mit moralischen Wertmaßstäben nicht mehr Erfaßbares ist. Hier dürfte der Grund liegen, daß der Autor so selten eine unmißverstehbare eigene Stellungnahme zur Person seines Helden abgibt und auch dort, wo er unverkennbar in eigener Pers,on spricht, sich so gerne auf halbausgesprochene Andeutungen beschränkt, die das Gemeinte eher ahnen als erkennen lassen. Es scheint, daß aus dieser Sprachhaltung so etwas wie Scheu vor einem Unerforschlichen spricht, das nur indirekt und verhüllt angedeutet, aber nicht ausgesprochen werden sollte. An einer Stelle des Essays gibt Thomas Mann selbst einen Hinweis in dieser Richtung. Äußerlich gesehen ist freilich nur von der Frage die Rede, ob der Siebenjährige Krieg von Seiten Friedrichs nun ein Angriffs- oder ein Verteidigungskrieg gewesen sei, und doch verbirgt sich dahinter auch so etwas wie ein Eingeständnis, daß die eigentlichen Fragen des menschlichen Seins nicht mehr mit rationalen Methoden zu erkennen und mit sachlichen Feststellungen zu beantworten seien:
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Zur Funktion der Anspielungen, Zitate und Selbstzitate
„So widerspruchsvoll geht die Rede. Was uns betrifft, wenn man uns fragt, wir möchten wohl schweigen dürfen. Denn uns ist zumute, als ob Schweigen das Resultat der einander aufhebenden Meinungen über das Leben und über die Taten sei." (S. 78)
c) Zur Funktion der Anspielungen, Zitate und Selbstzitate Daß Thomas Manns Essay sich nicht in der Fragestellung einer historisch-psychologischen Studie erschöpft, ist bereits erwähnt worden. Der Untertitel spricht eine deutliche Sprache, und gleich in den ersten Sätzen gibt der Verfasser einen noch deutlicheren Hinweis, wenn er von einer Skizze der Ursprünge eines Krieges spricht, „. . . dessen (S. 38)
"Wiederholung
oder
Fortsetzung
wir
heute
erleben
. . ."
Freilich werden die Parallelen zwischen 1756 und 1914 nicht im einzelnen aufgewiesen; der Erzähler schildert mit scheinbarer Absichtslosigkeit das diplomatische Spiel der europäischen Regenten und überläßt es weitgehend dem Leser selbst, sich etwaige Parallelen zur Gegenwart einfallen zu lassen. Wie tief die Durchdringung des historischen Stoffes mit aktuellen Bezügen tatsächlich geht, ist daher im Einzelfall so gut wie unmöglich zu entscheiden, zumal die Gefahr einer Überinterpretation des Textes hier sehr naheliegt. Während beispielsweise Erich Heller nur vereinzelte, „da und dort zur Erbauung ,des Tages und der Stunde' gehißte(n) Vaterlandsfähnchen" 12 wahrnimmt, spricht Thomas Mann selbst — allerdings Jahrzehnte später — von einem „Dokument dieser konservativ-nationalistischen und ,militaristischen' Stimmungsperiode", von kriegsgerechter Tendenz, von fortwährender Anwendung auf den Tag und die Stunde 13 . So zitiert der Verfasser nicht weniger als fünfzehn Briefe Friedrichs aus der Zeit des schwersten Kampfes gegen eine überwältigende Ubermacht (S. 90—94) und bemerkt dazu: „Man erinnert sich dabei in absonderlicher Richtung, nämlich vorwärts, — welches entschieden die anregendste F o r m der Erinnerung ist." (S. 90)
Dies Wort „Erinnerung nach vorwärts" umschreibt treffend den von Thomas Mann angewendeten Kunstgriff: wieweit der Leser sich „erinnern" kann oder will, wird ihm selbst überlassen. Deshalb soll hier auf den Versuch verzichtet werden, die mehr oder minder greifbaren Beispiele kriegsbezogener Anspielungen aus der 12 13
Erich Heller, „Thomas Mann. Der ironische Deutsche", S. 133. Im V o r w o r t zu „Altes und Neues" (Stockholmer Gesamtausgabe), S. X I I .
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Sprachliche Gestaltung des Friedrich-Essays
historisch-psychologischen Studie herauszutrennen und zu analysieren. Nur ein Beispiel sei angeführt, um die fast unerschöpfliche Fülle gerechtfertigter oder ungerechtfertigter Interpretationsmöglichkeiten anzudeuten. Thomas Mann schildert die Reaktion der zeitgenössischen ausländischen Beobachter auf die unvermutet zutagetretenden Eigenheiten des jungen Königs, indem er einen Bericht des damaligen österreichischen Gesandten paraphrasiert: „ ,Der größte Fehler an ihm', hat Graf Seckendorff einmal über den Kronprinzen nach Wien geschrieben, ,ist seine Verstellung und Falschheit, daher mit großer Behutsamkeit sich ihm anzuvertrauen ist.' Ja, das scheint so. Und wenn Seckendorff f o r t f ä h r t : , . . . Er sagte mir, er wäre ein Poet, könne in zwei Stunden hundert Verse machen. Er wäre auch Musiker, Moralist, Physiker und Mechaniker. Ein Feldherr und Staatsmann wird er niemals werden', — so sieht es jetzt aus, als ob auch dies Verstellung und Falschheit v o n Seiten des jungen Menschen gewesen sei. Denn was nun kommt, ist denn doch das Stärkste an Überraschung und zeigt überhaupt erst, wessen man sich v o n ihm zu versehen hat." (S. 42)
Zweifellos wird hier eine zeitgenössische Quelle, ein authentischer Bericht über Friedrich zitiert. Und doch spricht der Zusammenhang, in dem das Zitat angeführt wird, dafür, daß der Autor damit mehr kennzeichnen will als lediglich Friedrichs individuellen Charakter 14 . Die Worte Seckendorffs paslsen jedenfalls erstaunlich gut auch auf Deutschland, das seit den Sechziger Jahren des Neunzehnten Jahrhunderts und dann wieder 1914 gleichfalls ganz andere Eigenschaften an den Tag legte, als sie dem „Volk der Dichter und Denker" bis dahin zugeschrieben wurden. Im strengen Sinne beweisen läßt sich freilich nicht, daß derartige Assoziationen, die sich dem Leser mitunter aufdrängen, vom Verfasser tatsächlich beabsichtigt sind; zum Wesen der Anspielung gehört es ja, das Gemeinte nicht mit plumper Eindeutigkeit bei Namen zu nennen. Aber der Untertitel des Essays gibt dem Leser wohl das Recht, derartige Kombinationen anzustellen und beispielsweise die Worte „Maria Theresia" und „Schlesien" an nicht wenigen Stellen sinngemäß mit „Frankreich" und „Elsaß-Lothringen" in Parallele zu setzen: „Nun müssen wir aber eines sagen: Wenn man die schlesische .Erwerbung' f ü r einen Raub hielt, f ü r ein rechtswidrig errafftes G u t — und das tat 14
Wenige Zeilen zuvor heißt es: „Preußens Vertreter an fremden Höfen führen plötzlich eine Sprache, daß man seinen Ohren nicht traut. Preußen tritt auf, Preußen wünscht durchaus, sich als die beträchtliche Realität betrachtet zu wissen, die es ist . . Die Parallele zum Stil der Außenpolitik im wilhelminischen Deutschland ist naheliegend.
Zur Funktion der Anspielungen, Zitate und Selbstzitate
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man, und das war sie ja wohl auch —, so durfte man sie dem Räuber nicht feierlich garantieren. Wenn man sie ihm aber garantierte, so mußte man es der Zeit überlassen, aus Unrecht Recht zu machen — denn dazu ist die Zeit ja imstande —, so mußten Europa und Maria Theresia fortan allen Machinationen und Konspirationen gegen den Räuber entsagen und sich mit der vollendeten Tatsache zufriedengeben." (S. 45—46) Eine weitere versteckte Pointe dieser Passage liegt in der Tatsache, daß Thomas Mann hier eine durchaus gängige Argumentation verwendet, aber in einem veränderten Sinn. Es ist ja einer der wichtigsten, beispielsweise audi in Macaulays Essay auftauchenden Vorwürfe gegen Friedrich, daß seine wirklichen oder angeblichen Ansprüche auf Schlesien im Jahre 1740 längst verjährt gewesen seien. So heißt es bei Macaulay: "Is it not perfectly clear that, if antiquated claims are to be set up against recent treaties and long possession, the world can never be at peace for a day? The laws of all nations have wisely established a time of limitation, after which titles, however illegitimate in their origin, cannot be questioned . . . It concerns the commonwealth — so runs the legal maxim — that there be an end of litigation" 1 5 . Thomas Mann n i m m t diesen staatsklugen, wenn auch moralisch anfechtbaren Gedanken auf, aber er wendet ihn nicht gegen Friedrich, sondern gegen Maria Theresia. Hier, wie auch an manchen anderen Stellen, scheint eine indirekte Beziehung zu Macaulays Friedrich-Essay zu bestehen, dessen Formulierungen mehrfach nahezu wörtlich, aber durchweg m i t ironischen Nebenton, in Thomas Manns Aufsatz wiederkehren 1 6 . Obwohl sich nicht im strengen Sinne nachweisen läßt, daß 16 16
„The Complete Works of Lord Macaulay" (Albany Edition) IX, S. 566. Hier seien einige Hinweise auf inhaltliche und formale Ähnlichkeiten zwischen Macaulays und Thomas Manns Friedrich-Essay gestattet. Zwei parallele Stellen schildern die gleiche, äußerlich nicht sehr bedeutsame Szene aus Friedrichs ersten Regierungstagen: beide spielen bei dieser Gelegenheit auf die gleiche Szene von Shakespeares Drama „Heinrich I V " an. Bei Macaulay heißt es: "The disappointment of Falstaff at his old boon-companion's coronation was not more bitter than that whidi awaited some of the inmates of Rheinsberg . . . 'no more of these fooleries', was the short, sharp admonition given by Frederic to one of them." („Albany Edition" VII, S. 562). Bei Thomas Mann lautet die entsprechende Stelle: „ . . . ein lustiger Bruder von Rheinsberg, der die Harmlosigkeit hatte, das Tönchen von damals zutraulich wieder anzuschlagen, bekam einen glanzblauen Blidc und das schneidende Wort: .Monsieur, à present je suis Roi!' Auf deutsch: ,Die Possen haben ein Ende!' Das ist die Stelle bei Shakespeare, die schönste vielleicht in seinem ganzen Werk, wo jemand unter einem ebensolchen Blick zu jemandem sagt: ,Ich kenn dich, Alter, nicht'." (Altes und Neues, S. 39.)
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Thomas Mann den Essay des Engländers gekannt und benutzt hat, sind die Anklänge im einzelnen zu zahlreich, um durch bloßen Zufall erklärt zu werden; sie lassen es recht wahrscheinlich erscheinen, daß Thomas Mann den Essay Macaulays als typisch für die „europäische" Betrachtungsweise gegenüber Friedrich empfand und deshalb manche der E r ö r terungen des Engländers in leicht abgewandelter F o r m und m i t einem leicht ironischen Akzent wieder anklingen ließ. Am überraschendsten ist hier wohl die beiderseitige Umschreibung von Worten; Macaulay überträgt sie im Wortsinne ungenau, aber durchaus sinngetreu mit „No more of these fooleries", und wörtlich entsprechend heißt es bei Thomas Mann: „Die Possen haben ein Ende!" Nichtsdestoweniger ist eine merkliche Akzentverschiebung in der Benutzung der Shakespeare-Reminiszenz zu beobachten. Macaulay benutzt den Vergleich mit Falstaff, um die zwielichtigen Gestalten zu charakterisieren, mit denen sich Friedrich in seiner Kronprinzenzeit umgab; Thomas Mann benutzt den Vergleich mit Prinz Heinrich, um anzudeuten, von welcher Art der junge König ist. Deutlicher ist die Ubereinstimmung im folgenden Beispiel, das auf den ersten Blick wie eine wörtliche Entlehnung erscheint. Uber den Ausbruch des Zweiten Schlesischen Krieges heißt es bei Macaulay: "Accordingly in the autumn of 1744, without notice, without any decent pretext, he recommenced hostilities, marched through the electorate of Saxony without troubling himself about the permission of the Elector, invaded Bohemia, took Prague, and even menaced Vienna." („Albany Edition" IX, S. 576). Die entsprechende Passage bei Thomas Mann stimmt damit wohl zu wörtlich überein, um durch bloß zufällige Ähnlichkeit erklärt zu werden: „. . . und im Hochsommer 44 schlägt er abermals los, fällt, ohne auch nur den Krieg zu erklären, achtzigtausend Mann hoch in Böhmen ein, zieht audi durch Sachsen, ohne den dortigen Kurfürsten im geringsten um Erlaubnis zu bitten, rückt gegen Prag, rückt geradezu gegen Wien." („Altes und Neues", S. 44.) Trotz der frappanten äußeren Ubereinstimmung liegt aber auch hier eine gewisse Akzentverschiebung vor. Macaulay spricht unverkennbar im Tone heftiger moralischer Entrüstung; bei Thomas Mann ist nicht zu übersehen, daß die hinzugefügten Wörtchen „auch nur" und „im geringsten" eben diese moralische Entrüstung in stark ironische Beleuchtung rücken. An einer dritten Stelle wirkt Thomas Manns Essay geradezu wie eine indirekte Polemik gegen Macaulays Friedrich-Essay. In Macaulays Schilderung der unerhörten und nach seiner Ansicht krankhaften Arbeitswut des Königs heißt es: "He was his own treasurer, his own commander-in-chief, his own intendant of public works, his own minister for trade and justice, for home affairs and foreign affairs, his own master of the horse, steward and chamberlain." („Albany Edition" IX, S. 579).
Zur Funktion der Anspielungen, Zitate und Selbstzitate
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Eine andere Art von Assoziationen, die sich dem Leser des Essays gelegentlich aufdrängt, weist auf Thomas Manns eigene Werke hin. Freilich ist schwer zu entscheiden, was hier zufälliger Anklang und was bewußte Anspielung (bzw. Selbstzitat) ist. Deshalb wäre es wenig fruchtbar, einzelne Eigentümlichkeiten aufzuzählen, die der Held des Friedrich-Essays mit anderen Roman- oder Novellengestalten Thomas Manns gemeinsam hat; sie können allenfalls zeigen, daß der Dichter verschiedene Motive seines sonstigen Werkes auch in die historische Gestalt Friedrichs hineinprojiziert hat. Auf etwas festerem Boden bewegt man sich, wo wörtliche oder fast wörtliche Anklänge nachweisbar sind. es wird unmöglich, ihn sich in einer zärtlichen Situation vorzustellen, es wird lächerlich", heißt es im Friedrich-Essay (S. 54), und rund dreißig Jahre später heißt es über den Helden des „Doktor Faustus", daß man sich ihn „in einer ,galanten' Situation überhaupt nicht vorstellen konnte — und wollte " 1T . Hier weist die äußere Ubereinstimmung des Motivs, auch wenn es im übrigen sehr verschieden behandelt ist, auf tiefere Beziehungen: bei Friedrich wie bei Adrian Leverkühn ist das Nicht-Lieben-Dürfen äußeres Sinnbild für eine schicksalhafte, nicht recht geheure Gebundenheit des Wesens. Ein Leitmotiv des Friedrich-Essays wird, diesmal sogar im Wortlaut, auch im „Zauberberg" wieder aufgegriffen: es deutet auf die tiefgreifende Veränderung von Thomas Manns Friedrich-Bild hin, wenn Worte Friedrichs auf den Jesuitenorden angewendet werden und wenn dadurch eine Beziehung hergestellt wird zwischen dem militärischen Geist des friderizianischen Preußen und dem finsteren Radikalismus des Fanatikers Leo Naphta (vgl. S. 48—49, S. 96): „Den Feind schwächen und brechen! hieß es in der Felddienstvorschrift, und ihr Verfasser, der spanische Loyola, war da wiederum ganz eines
11
Man vergleiche damit, was Thomas Mann über den gleichen Gegenstand sagt. Die Übereinstimmung der Satzkonstruktion ist verblüffend; sie w i r k t wie eine ironische Nachahmung v o n Macaulays charakteristischem Satzbau, — vermehrt um parenthetisch eingeschobene Randglossen, die Macaulays Anschauung widerlegen, indem sie sie „ergänzen" : „Er war sein eigener Finanzminister (zähe sparsam hier, verschwenderisch dort, wenn es nämlich große und manchmal unmögliche Pläne galt); sein eigener Minister f ü r Landwirtschaft (welcher einfach nicht glaubte, daß die Kartoffel eine Giftpflanze sei, was Linné und die anderen glaubten, sondern mit Gewalt den Kartoffelbau durchsetzte); sein eigener Handelsminister (konservativ als solcher, ganz in den Spuren seines Vaters wandelnd, mit Schutzzöllen arbeitend und hauptsächlich darauf bedacht, daß das Geld im Lande bleibe); sein eigener Oberbaurat, Oberbergrat, Oberhofmarschall und was noch alles . .." („Altes und Neues", S. 51—52.) Thomas Mann, „Doktor Faustus" (Stockholmer Gesamtausgabe), S. 197.
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Sprachliche Gestaltung des Friedrich-Essays Sinnes mit Joachims Capitan general, dem preußischen Friederich und seiner Kriegsregel ,Angriff, Angriff!' — ,Dem Feind in den Hosen gesessen!' — ,Attaquez donc toujours!" 1 8 .
Ein weiteres Motiv, das in Thomas Manns Spätwerk eine gewisse untergründige Rolle spielt, wird in halb scherzhafter Form schon im Friedrich-Essay angeschlagen, das Operieren mit mythischen Zahlen: „Man weiß, der Kampf dauerte sieben Jahre, — diese alte Märdienzahl v o n Prüfungsjahren, und er ging ein wenig hinaus über das, was den Prinzen und Müllerburschen des Märchens an Prüfung auferlegt zu werden pflegt . . ( S . 96—97)
Gewiß ist eine solche Bemerkung nicht allzu schwerwiegend. Aber sie gewinnt eine gewisse Pikanterie dadurch, daß Thomas Mann sich in viel späteren Jahren ausdrücklich zu einem „halb spielerischen Glauben an gewisse Symmetrien und Zahlenentsprechungen" 19 bekannt hat, und durch die merkwürdige Bedeutung der Siebenzahl in Komposition und Motivik von Thomas Manns späteren Romanen. Charles Neider, der dieser Problematik einen eigenen Aufsatz gewidmet hat, glaubt in der Siebenzahl ein Symbol für Vollkommenheit („finality"), Weisheit und Göttlichkeit, aber auch für Knechtschaft, Sünde und Verfolgung zu erkennen 20 . So weitgehende Konstruktionen lassen sidh aus der einmaligen Erwähnung dieser Zahl im Friedrich-Essay gewiß nicht ableiten, doch trägt die spielerische Zitierung der mythischen Ziffer in halb scherzhafter Form dazu bei, die Gestalt des Königs mit einem mythischen Schimmer zu umkleiden. Ein letztes Beispiel möge zeigen, daß eine leitmotivische Verknüpfung den Essay auch nach rückwärts mit Thomas Manns früherem Werk verbindet. Im Essay heißt es über Friedrichs private Lebensweise: „Der gesunde und richtige Menschensinn findet und fand auch damals, daß das Leben in Beruf und Leistung nidit aufgeht, daß es seine rein menschlichen Anforderungen und Glückspflichten hat, welche zu verabsäumen eine schwerere Sünde bedeutet, als etwa in Gottes Namen eine gewisse Jovialität gegen sich selbst und andere auf dem Gebiete der Arbeit, und eine harmonische Persönlichkeit, findet der gesunde und richtige Menschensinn, darf jedenfalls nur genannt werden, w e r jedem Teile, dem Beruf und der Menschlichkeit, dem Leben und der Leistung das Seine zu geben versteht." (S. 53)
Das findet der gesunde und richtige Sinn aber nicht nur in bezug auf den Preußenkönig. In „Königliche Hoheit" ist es „irgend ein guter 18 19
20
Thomas Mann, „Zauberberg", (Stockholmer Gesamtausgabe), S. 635. Thomas Mann, „Die Entstehung des D o k t o r Faustus" (Stockholmer Gesamtausgabe), S. 9. Vgl. Charles Neider in „The Stature of Thomas Mann", S. 340—342 und S. 346—348, v o r allem S. 341.
Zur Funktion der Anspielungen, Zitate und Selbstzitate
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Kopf", der wörtlich dasselbe „ganz zutreffend im Hinbiidt auf Doktor Uberbein" bemerkt 21 . In beiden Fällen werden diese Worte als Meinung eines Dritten (nicht des Autors selbst) angeführt; es könnte sich also um ein wirkliches Zitat eines namentlich nicht genannten Autors handeln. Daß Thomas Mann diese Worte durch zweimalige (ironisch gefärbte) Anführung in zwei ganz verschiedenen Werken in den Rang eines Leitmotivs erhoben hat, zeigt jedenfalls, welche Bedeutung er ihnen als dem Ausdruck einer bestimmten Lebenshaltung beimißt; daß er sie einmal auf eine von ihm selbst erfundene Romangestalt und einmal auf den historischen Friedrich anwendet, zeigt, in welch starkem Maße Dichtung und Essayistik einander in Thomas Manns Werk überschneiden. 21
Thomas Mann, „Königliche H o h e i t " (Stockholmer Gesamtausgabe), S. 119.
3- Das Porträt Friedrichs II. bei Thomas Mann a) Im erzählenden Teil des Essays Es wurde bereits angedeutet, daß T h o m a s Manns Aufsatz n u r in einem recht eingeschränkten Sinne als „Historisches P o r t r ä t " bezeichnet werden kann. Erstens steht, zumindest äußerlich gesehen, weniger die Person des preußischen Königs im M i t t e l p u n k t , als das Zustandekommen der gegen ihn gerichteten Koalition. Zweitens wird Friedrich zumindest streckenweise gar nicht als individuelle Persönlichkeit gesehen, sondern als Repräsentant f ü r etwas Überpersönliches: einmal für das Deutschland v o n 1914, zum anderen f ü r die Tragik des großen M e n schen — des „Gottgeschlagenen und G o t t e r w ä h l t e n " , wie ihn T h o m a s M a n n einmal n e n n t (S. 98) — , und letztlich für „den Drang des Schicksals", den „Geist der Geschichte" (S. 102). D r i t t e n s hat auch die A r t der Darstellung einige Besonderheiten, die im folgenden näher zu untersuchen sind. W i r beschränken uns dabei zunächst auf den Hauptteil des Essays (S. 3 8 — 9 9 ) ; der epilogartige Schlußabschnitt (S. 9 9 — 1 0 2 ) erfordert gesonderte Betrachtung. D e r A u t o r geht zunächst scheinbar auf ganz konventionelle Weise v o r ; nach einer kurzen V o r b e m e r k u n g stellt er seinem Publikum sogleich den Titelhelden vor, den jungen Friedrich am Beginn seiner R e gierung. In einem einzigen Riesensatz f a ß t er alles zusammen, was es an Erwähnenswertem v o n Aussehen, Lebenslauf und Charakterzügen des bisherigen K r o n p r i n z e n zu berichten gibt: „Man erinnere sidi nur: Der junge Mann, knabenhaft seinen Zügen nach, zierlich und etwas dicklich von Statur, ,das niedlichste Menschenkind im Königreich', wie ein Fremder urteilte, von lebhafter Gesichtsfarbe und kindlichen Backen, mit großen, kurzsichtig glanzblauen Blicken, sowie einer Nase, die genau in der Linie der Stirn verläuft und vorn eine naive Rötung aufweist, nach damaligen Bildern zu urteilen, — dieser niedliche junge Mann, dessen teils liederliche, teils schreckhafte und momentweise fürchterliche Kronprinzenvergangenheit bekannt ist, libre-penseur dabei, keck philosophisch, Literat, Verfasser des überaus humanen Antimachiavell, durchaus unmilitärisch, wie es bisher den Anschein hatte, zivil, lässig, selbst weibisch, ein Schuldenmacher, auf Kurzweil und Prunk von Herzen bedacht, — wird König . . ( S . 38—39) T h o m a s M a n n beginnt also ganz in der vertrauenerweckenden, v o r sichtig abwägenden H a l t u n g eines Geschichtschreibers, der nicht einmal
Im erzählenden Teil des Essays
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die Belege für seine Behauptungen schuldig bleibt („wie ein Fremder urteilte", „nach damaligen Bildern zu urteilen"). Die Schilderung des jungen Friedrich ist recht detailliert, und man könnte sie bereits für endgültig halten, wenn die gegebene Charakteristik nicht schon im gleichen Atemzuge durch das vorsichtigerweise eingeschaltete „wie es bisher den Anschein hatte" wieder relativiert würde. Dieser „niedliche junge Mann" wird König (Thomas Mann sagt es noch immer im gleichen Satz), „ . . . und benimmt sich als König in einer Weise, daß man nidit weiß, was man denken soll." (S. 39)
Hier wird es dem Leser klar, daß die so lebensvoll und bei allen bedenklichen Einzelzügen sympathisch anmutende Charakteristik des Kronprinzen allem Anschein nach gar nicht den wahren Friedrich, zumindest nicht den ganzen Friedrich trifft; daß der Erzähler vielmehr nur das Bild wiedergegeben hat, das man sich bis 1740 von Friedrich zu machen pflegte. Denn er erzählt zwar von den ersten Handlungen des jungen Herrschers, die so gänzlich von allem Erwarteten abweichen, aber er gibt keinerlei Erklärung dafür, daß sich Friedrich allem Anschein nach von einem Tag auf den anderen ins Gegenteil seiner selbst verwandelt hat. Und um die Antwort auf diese Frage schuldig bleiben zu können, verwendet er einen Kunstgriff: er begibt sich seiner „epischen Allwissenheit" und spricht in der Gegenwartsform, als gebe er ganz naiv die Ereignisse so wieder, wie sie 'sich gleichsam unter seinen Augen abspielen. Das gibt ihm die Möglichkeit, unter der Maske gespielter Ahnungslosigkeit die widersprechendsten Charakterzüge seines Helden nebeneinanderzustellen und mit vorgegebener Verständnislosigkeit zu kommentieren. Er schildert (von den letzten Seiten des Essays vorläufig abgesehen) nicht so sehr Friedrich selbst, als den Eindruck, den seine Taten in der Weltöffentlichkeit hervorriefen, und die Gefühle, die dem König von seiner Mitwelt entgegengebracht wurden. Sein Thema ist ja die Entstehung der großen Koalition, die Entstehung des „großen Mißtrauens" gegen Friedrich, und von dieser Themenstellung her ist es selbstverständlich, daß vor allem die befremdlichen und mißtrauenerregenden Seiten seines Wesens zur Geltung gebracht werden: sein Militarismus, sein Arbeitsfanatismus, sein absonderliches Privatleben. In den letzten Seiten seines Essays läßt Thomas Mann erkennen, daß auch in Friedrich nicht wenig von dem humanen Geist der Aufklärung lebendig war. Aber diese zugänglichere Seite seines Wesens wird absichtlich schattenhaft gelassen, denn nicht gegen diesen Friedrich richtet sich das feindliche Bündnis, sondern gegen den „bösen Mann" von Potsdam. In dem Schlußabschnitt wird Friedrichs Wesen, anknüpfend 10
Fischer, Studien zum historischen Essay
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Das Porträt Friedrichs II. bei Thomas Mann
an ein Wort von Jean Jacques Rousseau, aus dem Dualismus von „Literatur" und „Instinkt" heraus gedeutet, aber in dem Essay selbst liegt alles Gewicht auf der Schilderving der instinkthaften, dämonischen Seite. Alles im weitesten Sinne „Literarische" in der Person des Königs wird mit absichtsvoller Ironie (scheinbar) bagatellisiert: „Er schafft die Folter ab, — desto besser für die Diebe. E r erklärt, daß Gazetten, wenn sie ein bißchen amüsant sein sollen, nicht geniert werden dürfen, und hebt die Zensur auf (führt sie übrigens ein J a h r danach wieder ein). E r proklamiert religiöse Toleranz, — nun, das ist die berühmte Aufklärung." (S. 40)
So hat es seine Bedenken, von einem „Porträt" des Königs zu reden. Gewiß wird gleich eingangs eine zusammenfassende „Charakteristik" des bisherigen Kronprinzen geboten, aber sie erweist sich alsbald als ziemlich lückenhaft, wenn auch nicht geradezu als unrichtig. Nur schlaglichtartig, fragmentarisch und gelegentlich auch ironisch-irreführend werden in der Folge die einzelnen Züge eher angedeutet als gezeichnet, aus denen sich das ganz andersartige Bild des Herrschers zusammensetzt. Aber auch jetzt wird Friedrich nur von außen gesehen. Es ist eine ganz ähnliche Technik, wie sie Thomas Mann später in den ersten Kapiteln von „Lotte in Weimar" anwendet. In diesem Roman sieht der Leser zunächst nur den Abglanz der Person Goethes, wie sie sich zunächst in den Augen unbedeutender Alltagspersönlichkeiten, dann in den Augen derer spiegelt, die Goethe näherstehen, ehe dann im siebenten Kapitel der Dichter selbst dem Leser entgegentritt. In vergleichbarer Weise werden im Friedrich-Essay die äußeren Verhältnisse und die Randfiguren aus der Sichtweise epischer Allwissenheit dargestellt, die zentrale Gestalt selbst aber zunächst nur so, wie sie dem oberflächlichen Blick der Zeitgenossen erscheint. Nirgends sagt der Autor etwas über Friedrich, was nicht im buchstäblichen Sinne richtig oder zumindest vertretbar wäre, und doch ahnt der Leser, ohne es vorläufig begründen zu können, daß damit über den „wirklichen" Friedrich noch nicht viel gesagt wird. Je enger die Erzählung um die tieferen Motive von Friedrichs Handeln kreist, desio häufiger greift der Erzähler zu Fragesätzen, die sich nicht mit Ja oder Nein beantworten lassen: „Übrigens meinte er es vielleicht redlich — und täuschte sich nur über seine eigene Gefährlichkeit? Der allen ein Geheimnis war, vielleicht war er sich selber eins?" (S. 50)
Eine solche Frage bleibt vorläufig ohne Antwort, obwohl — oder besser gesagt: weil — es sich gerade hier um eine der Grundfragen des ganzen Essays handelt: um die Frage der Willensfreiheit. So unerforsch-
Im erzählenden Teil des Essays
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liehe Probleme läßt der Autor einstweilen auf sich beruhen; er bricht an dieser Stelle unvermittelt ab und wendet sich ganz anderen, scheinbar sehr viel handgreiflicheren Dingen zu: der Schilderung von Friedrichs Privatleben und den privatesten Einzelheiten der „chronique scandaleuse". Die ganze Schroffheit dieses Überganges erkennt man, wenn man sich den Aufbau des Essays vergegenwärtigt. Bis zu der eben zitierten Stelle wurden die Ereignisse von Friedrichs Regierungsantritt bis zum Dresdener Frieden in chronologischer Folge berichtet; jetzt wird ein Gesamtüberblick über Friedrichs ganze Verwaltungstätigkeit eingeschoben, und in der Schilderung von Friedrichs privater Existenz greift der Erzähler tief in die Jugendzeit seines Helden zurück, ehe er den Faden des fortlaufenden Berichtes wieder aufnimmt. Thomas Mann beginnt, scheinbar ganz unverfänglich, von Friedrichs gewöhnlichem Tagesablauf zu erzählen. Aber auch hier wird Friedrich nicht unmittelbar geschildert, sondern durch ein vorgeschobenes Medium, das an einigen Stellen ironisch als der „gesunde und richtige Menschensinn" (S. 52, S. 53) bezeichnet wird. Dieses Medium ermöglicht es dem Erzähler auch hier, seine eigene Auffassung zu verhüllen und sich ironisch von seinen eigenen Worten zu distanzieren: „Seine Lebenshaltung war sonderbar, sie Stadl ab gegen jedwede Gepflogenheit zeitgenössischen Monarchentums. Im Sommer stand er um drei U h r auf . . . Aber um drei U h r geht man zu Bett, wenn man von Gottes Gnaden und folglich geboren ist, sein Leben ein wenig zu genießen!" (S. 50)
Es ist wiederum bezeichnend für das Versteckspiel, das Thomas Mann mit seinen Lesern zu treiben liebt, daß er mit solchen scheinbar belanglosen Randglossen gerne schon etwas durchblicken läßt, was erst am Ende des Werkes voll sichtbar wird. Schon hier steht für den aufmerksamen Leser zwischen den Zeilen, daß Friedrich nicht im landläufigen Sinne „von Gottes Gnaden" ist, und daß er gewiß nicht dazu geboren ist, „sein Leben ein wenig zu genießen". Eine Erklärung dafür, daß der einst so lebenslustige Friedrich als Herrscher jetzt gänzlich in seinen Pflichten aufgeht und so gar keinen Sinn mehr für die genußreicheren Seiten des Daseins zeigt, gibt Thomas Mann auch jetzt nicht; er begnügt sich mit kolportiertem Hofklatsch und mit der Andeutung: und ein beträchtlicher Teil seiner Bösartigkeit und Unheimlichkeit hatte sicher mit sleinem Verhältnis zu den Frauen zu tun " (S. 53). Eine tiefergehende Erklärung vermißt der Leser freilich auch gar nicht, denn der Erzähler gibt sich den Anschein, als interessiere ihn Friedrichs wie auch immer geartete Persönlichkeit nur am Rande, als 10*
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Das Porträt Friedrichs II. bei Thomas Mann
erzähle er dies alles nur, um das große Mißtrauen der Welt psychologisch begreiflich zu machen: „Wozu das alles? Weil es mit dem Politischen vielleicht nicht wenig zu tun hat. Man darf nicht vergessen, daß die mächtigsten Länder Europas damals von Frauen regiert wurden: von der Zarin Elisabeth, der KaiserinKönigin und der Pompadour." (S. 55)
Dennoch wird es vom Schluß des Essays her ganz deutlich, daß für Thomas Mann gerade hier der Schlüssel zu Friedrichs unerforschlichem Wesen liegt; daß Friedrich nur deshalb sein Werk zu vollbringen vermag, weil er vom Glück anderer Menschen ausgeschlossen ist. Aber dieser Gedanke klingt einstweilen nur in parodistisdi verharmloster Form an: „. . . wenn man um drei U h r aufsteht und von seiner Frau getrennt lebt, so kann man tagsüber ja mehreres vor sich bringen." (S. 52)
b) Im Schlußabschnitt des Essays Wie schon erwähnt wurde, scheint der Friedrich-Essay mit dem zusammenfassenden Ausblick auf das Endergebnis des Siebenjährigen Krieges (S. 99) beendet zu sein. Das in der Überschrift genannte Thema ist damit zum Abschluß gebracht. Und auch der „Abriß für den Tag und die Stunde" ist hier abgeschlossen. Die entscheidende Frage nach der „Kriegsschuld" ist beantwortet, soweit sie sich überhaupt beantworten läßt — denn so, wie Thomas Mann es sieht, kann hier nicht von Schuld gesprochen werden, sondern höchstens von Verhängnis: „Die Streitfrage der Historiker . . . will nicht verstummen, sie ist heute lauter als je; und doch liegen die Dinge zu verschränkt, als daß eine schlicht entscheidende A n t w o r t am Platze wäre. In seinen allerletzten Gründen war dieser ungeheuerliche Kampf ein Angriffskrieg; denn die junge, die aufsteigende Macht ist psychologisch genommen immer im Angriff, und die anderen, die bestehenden Mächte sind es, die sich gegen sie zu verteidigen haben." (S. 95-—96)
Dennoch hat es schon von der Sprachgestaltung her den Anschein, daß erst der epilogartige Schlußabschnitt den eigentlichen Kern des Essays bildet. So sehr der Autor auch im Vorhergehenden die unterschiedlichsten Kunstmittel aufgeboten hat, um seinem Werk das Äußere einer geistvoll-unverbindlichen Plauderei zu geben; — in diesen letzten Seiten erinnert seine Sprache in ihrer bekenntnishaften Eindringlichkeit geradezu an die eines Visionär^ der seine intuitive Sicht als eine tiefere, geheimnisvollere und wahrere Deutung Friedrichs allen gelehrten und kritischen Bemühungen um die Gestalt des Königs gegenüberstellt. Trotz dieses Wechsels der Spradihaltung wächst aber der Schlußabschnitt durchaus organisch aus dem zuvor Gesagten hervor; die Ein-
Im Schlußabschnitt des Essays
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zelzüge, aus dienen sich diese abschließende Deutung zusammensetzt, sind durchweg schon lange vorher angedeutet in scheinbar absichtslos gebrauchten Formulierungen, die ihre wahre Bedeutung erst vom Schluß her enthüllen. Mit ironisch vorgegebener Entrüstung hatte der Erzähler auf die Naturwidrigkeit von Friedrichs Arbeitsfanatismus hingewiesen ( „ . . . Aber um drei Uhr geht man zu Bett, wenn man von Gottes Gnaden und folglich geboren ist, sein Leben ein wenig zu genießen!", S. 50), und erst jetzt sieht der Leser, daß dieser Zwischenruf wörtlich zu nehmen ist, daß Friedrich wahrhaftig nicht dazu geboren war, sein Leben „ein wenig zu genießen". Und auch wenn der Erzähler, scheinbar nur rhetorisch, davon sprach, daß sich Friedrichs Ruhm als der „eines Gottgeschlagenen und Gotterwählten" (S. 98) um die Erde verbreitete, gewinnen diese Worte vom Schluß her eine tiefere Bedeutung: „Da er übermenschlich gekämpft und gelitten hatte, sah er in allem Menschenvolk um ihn her nur Pack und kinderzeugendes Gesindel. Es bleibt unverständlich, warum er, bis an den Hals voll Verachtung, für dieses Gesindel so ungeheuerlich zu arbeiten fortfuhr, rastlos sich der Aufgabe unterzog, das Unglück, das er verursacht hatte, wiedergutzumachen, dem Ackerbau, den Finanzen seines Landes zur Genesung half, ganze Industrien hervorrief, eine weitere Provinz hinzuerwarb, und sie durch großartigste Kolonisation aus ihrem vernachlässigten Zustande erhob, — wenn man sein Pflichtgefühl nicht als eine A r t Besessenheit und ihn selbst nicht als Opfer und Werkzeug höheren Willens begreift." (S. 100)
Bisher hat der Leser nur immer wieder vernommen, wie argwohnerregend Friedrichs Wesen den Zeitgenossen erschien; erst jetzt läßt der Autor durchblicken — freilich in absichtlich unbestimmter, sich selbst halb und halb zurücknehmender Formulierung —, daß dieses Wesen vielleicht noch unheimlicher war, als es schon der Mitwelt erschien: „Zuweilen möchte man glauben, er sei ein Kobold gewesen, der aller Welt Haß und Abscheu machte und alle Welt hineinlegte, ein ungeschlechtlicher, boshafter Troll, den umzubringen hundert Millionen Menschen sich vergebens ermatteten, da er entstanden und gesandt war, um große, notwendige Erdendinge in die Wege zu leiten, — worauf er unter Zurücklassung eines Kinderleibes wieder entschwand." (S. 101)
Hier werden im Grunde die Grenzen überschritten, die den Essay von der Dichtung trennen. „Vom Dämonischen", heißt es in einem späten Aufsatz Thomas Manns, „soll man dichten, nicht schreiben. Es möge, tunlichst in humoristischer Verhüllung, aus der Tiefe eines Werkes reden; ihm kritische Essays zu widmen, erscheint mir, gelinde gesagt, als Indiskretion" 22 . 22
Thomas Mann, „Neue Studien" (Stockholmer Gesamtausgabe), S. 77.
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Das Porträt Friedrichs II. bei Thomas Mann
Naturgemäß kann hier nicht untersucht werden, inwiefern dieses Porträt der geschichtlichen Gestalt Friedrichs gerecht wird; unzweifelhaft könnte vom Sachlichen her mancher Einwand sowohl gegen Einzelheiten wie auch gegen die gesamte Betrachtungsweise erhoben werden 23 . Um 1915 jedenfalls wurde ein solche Interpretation des Königs vielfach beinahe als Sakrileg empfunden; Friedrich wurde von manchen Kritikern gegen Thomas Manns Schrift geradezu in Schutz genommen 23 . Selbst ein Bewunderer Thomas Manns und des Friedrich-Essays wie Martin Havenstein steht dieser Schlußpassage des Essays recht skeptisch gegenüber: „Merkt man es nicht bei genauem Zusehen schon der Charakteristik an, daß die im Wesentlichen von außen, nidit von innen her entworfen ist? . . . So wie Thomas Mann seinen Thomas Buddenbrock, seinen Tonio Kröger und Hans Castorp gestaltet hat . . . kann er einen Friedrich nidit gestalten. Im tiefsten Grunde bleibt ihm dieser unverständlich, und er ruft daher zum Schluß seiner Abhandlung einen ,Dämon' herbei, um durch ihn das Rätsel zu lösen" 2 4 .
Dieser Einwand wäre wohl gerechtfertigt, wenn es wirklich um nichts anderes ginge, als um eine dichterische Verlebendigung der geschichtlichen Gestalt Friedrichs. Daß Friedrich vorwiegend von außen her gesehen wird, ist aber zum Teil schon in der Themenstellung des Essays begründet: Thomas Mann schildert ja die Entstehung des „großen Mißtrauens" und der großen Koalition gegen Friedrich, und von dieser Themenstellung her steht nicht so sehr die wirkliche Persönlichkeit des Königs im Mittelpunkt als der Eindruck, den sein Leben und seine Taten auf die Umwelt machten. Die Art der Charakterisierung „von außen her" hat aber noch einen zweiten, tieferen Grund. Friedrich s o l l dem Leser „im tiefsten Grunde unverständlich" bleiben, weil 23
24
Thomas Mann selbst meinte später, daß sein Essay vielfach geradezu als eine gegen Friedrich gerichtete Schmähschrift aufgefaßt worden sei („Altes und Neues", S. 13). — Besonders heftig und verständnislos wandte sich Arthur Trebitsch mit einem offenen Brief „Friedrich der Große" gegen den Friedridi-Essay. Tiefer geht die Kritik Paul Uedings im X I X . Band der „Neuen Jahrbücher für das klassische Altertum, Geschichte und Deutsche Literatur", S. 413 ff. Ueding erkennt an, daß die Einzelzüge von Thomas Manns Friedridh-Porträt richtig sein könnten, meint aber, daß das Gesamtbild völlig verzerrt sei. Zwar übersieht Ueding — wie Trebitsch — erstaunlicherweise vollkommen das Ironische in Thomas Manns Darstellungsweise; er nimmt alle Formulierungen Thomas Manns für bare Münze. Dadurch wird aber sein Haupteinwand nidit entkräftet, daß Thomas Mann die Dämonie und innere Disharmonie in Friedrichs Bild erst hineininterpretiert habe. Martin Havenstein, „Thomas Mann. Der Dichter und Schriftsteller", S. 258—259.
Im Schlußabschnitt des Essays
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psychologische Intimität hier beinahe deplaciert wirken würde: „Vom Dämonischen soll man dichten, nicht schreiben" 25 . Drittens wird Friedrich in Wahrheit aber auch keineswegs nur von außen her gesehen. Man betrachte etwa die folgenden Sätze: „Solche Gegensätze vereinigt und zum Streit der Instinkte geworden in einem Geist und Blut, — das gibt selbstverständlich kein wohliges, logisches und harmonisches Leben. Es gibt Ironie nach beiden Seiten hin, eine radikale Skepsis, einen im Grunde nihilistischen Fanatismus der Leistung und eine so bösartige als melancholische Souveränität." (S. 101)
In der Thomas-Mann-Literatur wird vielfach darauf hingewiesen, daß dieser Zwiespalt des innersten Wesens den Helden des FriedrichEssays zu einem Verwandten sehr vieler Roman- und Novellengestalten des Dichters mache 26 . Eine Interpretation bezeichnet den Helden des Friedrich-Essays geradezu als „Bruder" Raoul Uberbeins, Girolamo Savonarolas, Gustav Aschenbachs und — Thomas Manns 27 . So wirkt es beinahe etwas verwunderlich, daß Jonas Lesser den Friedrich-Essay in dem Abschnitt „Geheime Selbstbildnisse" »eines Thomas Mann-Buches nicht erwähnt 28 . Denn von dem Gegensatz zwischen „Instinkt" und „Literatur" handeln in verschiedensten Wendungen zahlreiche Schriften Thomas Manns, vor allem auch seine Selbstanalyse in den „Betrachtungen eines Unpolitischen" 29 ; es handelt sich um eins der Zentralprobleme Thomas Manns bis über den „Zauberberg" hinaus. Audi er selbst hatte — audi vor 1914 schon — den gleichen Dualismus wieder und wieder gestaltet und dabei vielfach auch für das Partei genommen, was er dann in der Weltkriegsizeit als aufklärerisch und jakobinisch, als radikal und undeutsch, als ästhetizistisdi und demagogisch, mit einem Wort als „Literatur" empfand und befehdete. Noch 1913 pries der spätere Verfasser der „Betrachtungen" und des Friedrich-Essays unter dem Motto „Phil25
In diese Richtung weist unseres Erachtens auch die folgende Bemerkung des Friedrich-Essays: „So widerspruchsvoll geht die Rede. Was uns betrifft, wenn man uns fragt, wir möchten wohl schweigen dürfen. Denn uns ist zumute, als ob Schweigen das Resultat der einander aufhebenden Meinungen über das Leben und die Taten sei." („Altes und Neues", S. 78.)
26
Vgl. zum Beispiel Hanne Back, „Thomas Mann. Verfall und Uberwindung", S. 68 ff., und Paul Ueding in „Neue Jahrbücher" X I X , S. 4 1 3 ff.
27
Franz Leppmann, „Thomas Mann", S. 149.
28
Jonas Lesser, „Thomas Mann in der Epoche seiner Vollendung", S. 275 ff.
29
Vgl. das Kapitel „Einkehr" in den „Betrachtungen eines Unpolitischen" (Stockholmer Gesamtausgabe), S. 61 ff.
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Das Porträt Friedrichs II. bei Thomas Mann
anthropie und Schreibkunst als herrschende Passionen einer Seele" 30 die französischen Publizisten der Aufklärung. Eben diese eigene frühere Position ist es, die im Friedrich-Essay als „die berühmte Aufklärung" (S. 40) und „Literatur" (S. 101) ironisiert, in den „Betrachtungen" als Position des „Zivilisationsliteraten" bekämpft wird und sich — dann wieder mit positivem Wertakzent — im „Zauberberg" in der Figur Settembrinis verkörpert. Es ist deshalb zwar nicht gerade autobiographisch, wenn es im Essay heißt: „Friedrich schrieb den Antimachiavell, und das war nicht Heuchelei, sondern Literatur" (S. 101); doch man wird ohne weiteres sagen können, daß Thomas Mann hier bewußt eigene zentrale geistige Probleme in das Porträt Friedrichs hineinprojiziert — ebenso, wie er Deutschlands politische und militärische Situation von 1914 in die politischen Konstellationen Europas von 1756 hineinprojiziert. Wieweit der Dichter die Antithetik von Recht und Macht, Freiheit und Schicksal, Vernunft und Dämon, bürgerlicher Sittigung und heroischer Pflicht in der historischen Gestalt Friedrichs vorfand, wieweit er sie erst nachträglich hineininterpretierte, wird kaum zu entscheiden sein. Aber wie es sich damit auch verhalten mag, ist doch deutlich, daß es sich bei Thomas Manns Essay, vor allem im Schlußabschnitt, um ein höchst vielschichtiges Werk handelt, das nur bedingungsweise in die Rubrik „Historisches Porträt" eingeordnet werden kann, so lebensvoll uns daraus Persönlichkeit und Tragik des Preußenkönigs auch entgegentreten. Denn in den letzten Seiten des Essays handelt es sich um mehr als um die Verlebendigung einer einzelnen Gestalt; es handelt sich um eine hintergründige Auseinandersetzung mit der Tragik des großen Menschen überhaupt, der als der seiner selbst nur halb bewußte Vollstrecker eines unbekannten, aber sinnvollen Schicksalswillens gedeutet wird. Thomas Mann knüpft an das Wort vom „geheimen Instinkt" an, mit dem Friedrich selbst zu umschreiben versuchte, was ihm bei seiner Laufbahn getrieben habe. Es ist zu beachten, daß Thomas Mann gerade bei diesen Worten (wie überhaupt etwa im letzten Drittel des FriedridiEssays) mit einer persönlichen Unmittelbarkeit und einer bekenntnishaften Eindringlichkeit spricht, die seinem ironisch-distanzierenden Stil sonst kaum jemals eigen ist: 30
Dies Aufsatzfragment ist in der „Stockholmer Gesamtausgabe der Werke von Thomas Mann" nicht enthalten; es findet sich in der Ausgabe des Fischer-Verlages „Gesammelte Werke in Zwölf Bänden" X , S. 62 ff.; die programmatische Formulierung „Philanthropie und Schreibkunst als herrschende Passionen einer Seele" a.a.O., S. 64. Über seine eigenen früheren „zivilisationsliterarischen" Neigungen und speziell über den erwähnten Aufsatz berichtet Thomas Mann in den „Betrachtungen eines Unpolitischen" (Stockholmer Gesamtausgabe) S. 91 ff.
Im Schlußabschnitt des Essays
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„Er war ein Opfer. Er meinte zwar, daß er sich geopfert habe: seine Jugend dem Vater, seine Mannesjahre dem Staate. Aber er war im Irrtum, wenn er glaubte, daß es ihm freigestanden hätte, es anders zu halten. Er war ein Opfer. Er mußte unrecht tun und ein Leben gegen den Gedanken führen, er durfte nicht Philosoph, sondern mußte König sein, damit eines großen Volkes Erdensendung sich erfülle." (S. 102)
6. Abschnitt Heinrich Mann: ,Der König von Preußen" *
* Verweisungen und Zitate beziehen sich auf folgende Ausgabe: Heinrich Mann: Die traurige Geschichte von Friedrich dem Großen. Ein Fragment. Der König von Preußen. Ein Essay. (Hamburg 1962.)
i. Vorgeschichte und Entstehung des Essays Bei Gegenüberstellungen thematisch verwandter Werke treten oft Verschiedenheiten und Gegensätzlichkeiten stärker hervor als eventuelle Gemeinsamkeiten. So sagt Marleen Schmeisser beim Vergleich der beiden Friedrich-Aufsätze von Thomas und Heinrich Mann: „Anlaß, Absicht, Ort und Zeit dieser beiden Werke der Brüder sind ganz verschieden" 1 . Und Karl August Horst leitet seine Betrachtungen über „Friedrich und die große Koalition" und über Heinrich Manns Essay „Der König von Preußen" mit den Worten ein: „Man scheut sich fast, die beiden Essays in Parallele zu setzen, die zu beiden Seiten der beiden Weltkriege ein geradezu indiskretes Pendant bilden"; der Gegensatz von nationalem Aufbruch in Thomas Manns Weltkriegsschrift, Abgesang in Heinrich Manns Essay hat, wie Horst meint, etwas Beklemmendes 2 . Näher auf die geistige Konzeption der beiden Aufsätze und ihre jeweilige Interpretation Friedrichs eingehend, betont Horst auch hier die Gegensätzlichkeit: die im höchsten und gefährlichsten Sinne „künstlerische" Freiheit, aus der bei Heinrich Mann Friedrichs Taten entspringen, sei das genaue Gegenteil zur Übereinstimmung mit dem „Drang des Schicksals", dem „Geist der Geschichte" 3 in Thomas Manns FriedrichBild. Ohne vorerst auf Inhalt und Sichtweise von Heinrich Manns Aufsatz einzugehen, möchten wir demgegenüber doch darauf hinweisen, daß schon im Hinblick auf Vorgeschichte und Entstehung beider Essays auch merkwürdige Übereinstimmungen sichtbar werden. Auf beide kann nahezu wörtlich eine Formulierung angewendet werden, die sonst nur vergleichsweise und im übertragenen Sinn auf die Kunstform „des" Essays allgemein bezogen wird: beide sind „Vorreden gleichsam zu ungeschriebenen Büchern" 4 . Beide Essays sind fragmentarische und gleichsam vorläufige Verwirklichungen weit größer angelegter Pläne, die ursprünglich nicht auf essayistische, sondern auf epische Form angelegt waren. Auch hinter Heinrich Manns Essay steht — mit den Worten seines Bruders gespro1 2
3 4
M a r k e n Schmeisser in „Neue Deutsche H e f t e " 90 (1962), S. 97. K. A. Horst, „Kritischer Führer durch die deutsche Literatur der Gegenwart", S. 471. K. A. Horst a.a.O., S. 472. Herman G r i m m , „Aus den letzten fünf Jahren, Fünfzehn Essays", S. VIII.
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Vorgeschichte und Entstehung des Essays
chen — »lange Gehegtes, größtes Geträumtes" 5 : der nur in den Anfängen verwirklichte Entwurf eines Dialogromans „Die traurige Geschichte von Friedrich dem Großen", an dem Heinrich Mann nach brieflichen Zeugnissen mindestens von 1940—1948 gearbeitet hatte. Geplant war das Werk anscheinend als ein sehr merkwürdiges Experiment: eine Vereinigung epischer Erzählung und dramatischer Darstellung zu einer neuartigen Literaturform. Doch ausgeführt wurde nur rund ein Fünftel des geplanten Werkes, das (nach Bodo Uhses Schätzung) auf rund sechshundert Druckseiten berechnet war 6 . Heinrich Mann gab die Arbeit an diesem Plan noch vor seinem Tode auf; als einziges abgeschlossenes Ergebnis der jahrelangen Vorarbeiten wurde 1949 noch zu Heinrich Manns Lebzeiten ein knapper Essay von rund sechzehn Druckseiten veröffentlicht: „Der König von Preußen". So ist dieser Essay „gleichsam Heinrich Manns letztes Wort zu diesem Thema", wie ein anonymer Vorwortschreiber sagt 7 , geblieben. Auch in der Tendenz fällt eine deutliche Gemeinsamkeit beider Werke auf: nicht viel weniger als Thomas Manns Essays beziehen sich auch der Essay und der fragmentische Dialogroman seines Bruders unter der historischen Oberfläche auf die politische Gegenwart. Freilich gilt Heinrich Manns Schrift nicht so sehr „dem Tag und der Stunde", als vielmehr allgemein dem Deutschland des Zwangzigsten Jahrhunderts, besonders dem besiegten und zerschlagenen. „Späte Folgen für Deutschland, Europa und die Welt können vorausgesehen werden und müssen von selbst hervorgehen aus den Bildern und Szenen dieser .Traurigen Geschichte von Friedrich dem Goßen' " (S. 131), heißt es in den Notizen Heinrich Manns. In dem Essay kommt diese Auffassung sogar in noch viel direkterer Form zum Ausdruck, denn hier läßt der Autor die Moral nicht nur aus dem Agieren seiner Figuren „hervorgehen", sondern spricht in eigener Person aus, daß Friedrich am Anfang späterer verhängnisvoller Entwicklungen stehe: „Friedrich ist allerdings in seiner Person das vorweggenommene Preußen Deutschland wie es eines späten Endes werden sollte. Die Uberspannung der Kräfte, das ist er. ,Das gefährlichen Leben' f ü r alle Tage, die herausgeforderte Entzweiung des einzelnen Landes mit der europäischen Ordnung, man erkennt ihn. Wenn er Wien unterworfen hätte, aber er konnte es nidit einmal herabsetzen, das Gefüge der Ordnung hielt — sein Erfolg würde den Anschluß an das Mittelmeer unterbrochen haben. Die Deut5 6
7
Thomas Mann, „Rede und A n t w o r t " , S. X I . Über Entstehung und Quellengrundlage der „Traurigen Geschichte von Friedrich dem Großen" berichtet Bode Uhse in „Sinn und F o r m " X (1958), S. 238 ff. Heinrich Mann, „Die traurige Geschichte von Friedrich dem Großen", S. 7. (Vorwort eines anonymen Herausgebers.)
Vorgeschichte und Entstehung des Essays
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sehen hätten ihren Versuch, aus der christlidi-mediterranischen K u l t u r auszuscheiden, damals nicht gemacht, nur ihn gründlicher vorbereitet als seither geschehen." (S. 152)
So unterschiedlich die Interpretation und Bewertung Friedrichs in beiden Essays auch sein mag, ist doch die Grundanschauung und Ausgangsposition für Thomas und Heinrich Mann nahezu die gleiche. Beide sehen Friedrich (stellvertretend für Preußen und Deutschland) als den Gegenspieler beziehungsweise sogar „Empörer" gegen eine geistige Macht, der er sich innerlich doch zugleich zutiefst verbunden fühlen muß. Bei Thomas Mann allerdings wird diese Macht mit stark ironischem Akzent als „Europa", als „Literatur" und „Aufklärung" apostrophiert; bei Heinrich Mann wird sie ganz unironisch im Bilde der französischen Zivilisation des 18. Jahrhunderts dargestellt und aufs höchste gefeiert.
2. Die Interpretation Friedrichs des Großen Eigenarten der Gedankenführung und des Stils, von denen nodi ausführlicher zu sprechen sein wird, madien es äußerst schwierig, die zentralen Aussagen von Heinrich Manns Essay auch nur mit annähernder Genauigkeit wiederzugeben. Der Gedankengang ist zu stark von überraschenden und scheinbar willkürlichen Assoziationen bestimmt, um als durchgehende Linie nachgezeichnet zu werden, enthält auch in angedeuteter Form vieles, was nicht ausdrücklich ausgesprochen wird und sich dadurch weitgehend der Untersuchung entzieht. Richard Exner charakterisiert diesen Stil der Gedankenführung folgendermaßen: „Die Ereignisse erscheinen . . . so stark stilisiert, daß jeder Satz eine ganze Folge von Gedankenreihen auszulösen vermag, weil er diese Gedankenreihen konzentriert in sich trägt" 8 . Diese Feststellung Exners macht deutlich, wie schwierig es sein kann, auch nur den Inhalt eines Textes von Heinrich Mann wiederzugeben: die durch den Text im Leser ausgelösten Emotionen und Gedankenreihen gehören zur Aussage des Textes, entziehen sich aber der exakten Nachprüfung. Bildlich gesprochen ähnelt der Essay einem Mosaik, bei dem der Leser sehr viele verschiedene Verbindungslinien zwischen den einzelnen Steinen ziehen mag, ohne doch beweisen zu können, daß die auf diese Weise zustandekommenden Figuren wirklich die vom Künstler gemeinten sind. Ein Ausgehen vom Wortlaut einzelner Sätze oder Satzfolgen erscheint also nicht unbedenklich; einzelne herausgelöste Mosaiksteine können kaum einen Eindruck von dem Ganzen eines Mosaiks geben. So erscheint es recht schwierig, den Essay als Ganzheit in den Griff zu bekommen, ohne an einzelnen Formulierungen oder Behauptungen hängen zu bleiben und dadurch in Sackgassen zu geraten. Einen Ausweg sehen wir in dem Versuch, von der Rolle auszugehen, die bestimmte, besonders aufschlußreiche Begriffe spielen. Schon ein statistisches Erfassen der Häufigkeit solcher Worte — um im Bilde zu bleiben: besonders auffällig gefärbter Mosaiksteine — kann eventuell Aufschluß geben über die besonderen Akzente und Aspekte des betreffenden Werkes. Solche besonders typischen Worte zu finden, ist bei Heinrich Mann nicht sehr schwierig, da er die Kernworte oft schon durch ihre 8
Richard Exner in „ S y m p o s i u m " X I V (1960), S. 36.
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Die Interpretation Friedridis des Großen
Stellung im Satz heraushebt, wie etwa hier: „Die Zivilisation, sie ist an der Macht" (S. 151); „Das Französische — er sagte davon ganz ruhig . . . " (S. 152); „Sein eigener Ruhm, preußisch war er nicht gemeint, deutsch ganz und gar nicht" (S. 157). Eine Zusammenstellung der Belege für das Auftreten einiger der wichtigsten solcher Leitvokabeln in den rund sedizehn Druckseiten des Essays gibt folgendes Bild: Barbarei, barbarisch: Zivilisation, zivilisiert, Gesittung, gesittet: Frankreich, Franzose, Französisch „français": Preußen, preußisch, „Prusse": Deutschland, deutsch : Sprache, (eine Sprache) sprechen, (eine Sprache) reden, „parier": Ruhm, Nachruhm, berühmt, ruhmbegierig:
6 16 48 27 12
Belege Belege Belege Belege Belege
15 Belege 24 Belege
Gewiß kann eine solche Zusammenstellung nur einen ganz groben Gesamteindruck geben; das statistische Verfahren zeigt beispielsweise nicht, welch zentrale Stellung die Worte „Empörer" (gegen die Zivilisation) und „Vasall" (Frankreichs) in Heinrich Manns Interpretation des Preußenkönigs einnehmen, denn sie kommen nur zwei- beziehungsweise dreimal im Text vor. Aber trotz der Grobheit des Verfahrens erlaubt die obige Liste einige Feststellungen. Zunächst zeigt sich deutlich, wie stark Heinrich Mann in seiner Auseinandersetzung mit Friedrich zwei ganz bestimmte Aspekte hervorhebt: sein Streben nach Ruhm und die Problematik seines Verhältnisses zur deutschen und französischen Sprache. Sodann ist zu erkennen, daß der Essay in starkem Maße darauf abzielt, die antithetische Spannung des Begriffspaares „Barbarei" — „Zivilisation" zum Hintergrund zu madien, vor dem sich Friedrichs Bild abzeichnen soll. Endlich wird die schlechthin dominierende Rolle sichtbar, die Frankreich, der französischen Sprache und der französischen Zivilisation in diesemEssay beigemessen wird; von Frankreich ist weit häufiger (und vor allem auch weit intensiver) die Rede als von Preußen und Deutschland. So ist schon aus der statistischen Betrachtung des Wortmaterials ersichtlich, daß ein einzelner Gesichtspunkt — Friedrichs Verhältnis zu Frankreich — so weit in den Vordergrund gerückt wird, daß alle anderen Aspekte von Friedrichs Persönlichkeit demgegenüber sekundär erscheinen. Gewiß ist keineswegs überall von Frankreich die Rede; vor allem im Schlußabschnitt (S. 157—159) tritt die Frankreichproblematik äußerlich in den Hintergrund. Doch durch das außerordentliche Gewicht, das 11
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ihr in anderen Passagen (vor allem S. 147—151) beigemessen wird, überschattet sie auch diese Partien des Essays. Heinrich Manns Essay trägt zwar den Titel „Der König von Preußen", und dieser Titel impliziert, daß Friedrichs Gestalt als Ganzes den Gegenstand bilden soll und nicht etwa nur ein einzelner Teilaspekt; der Text aber steht weitgehend unter dem Zeichen der Frankreichproblematik. D a s kann nur so interpretiert werden, daß für den Autor Friedrichs ganzes Leben zugleich eine Auseinandersetzung mit Frankreich ist: alle anderen Fragen, die im Essay sonst noch angeschnitten werden, müssen als untergeordnete Teilaspekte dieser Grundproblematik angesehen werden. Damit ist eine Ausgangsbasis gewonnen, von der aus es möglich erscheint, in dem verwirrenden Gedankenmosaik des Essays Wichtiges von Unwichtigem zu unterscheiden und die Verbindungslinien zwischen den Steinen dieses Mosaiks so zu ziehen, daß die Grundzüge von Heinrich Manns Interpretation des Königs klarer hervortreten. Freilich bedeutet dieser Gewinn an Deutlichkeit eine gewisse Vergröberung, da viele Beziehungen und Andeutungen, die vom Autor „zwischen die Zeilen" verlegt sind, mit plumpen und direkten Worten ausgesprochen werden müssen. Dann ergibt sich etwa die folgende Skizze: Das 18. Jahrhundert wird von Frankreich beherrscht. Die Zivilisation ist an der Macht, Voltaire der unverkennbar erste Mann des Jahrhunderts; „La bonne société parle français" (S. 146). Frankreich ist Inbegriff Europas und Maßstab der Zivilisation: „Frankreich auf einem seiner geistigen und weltlichen Gipfel sah wen man will barbarisch. Preußen sah es bis zu Friedrich weder gesittet noch wild" (S. 143) — sondern gar nicht, wie man hier offenbar ergänzen muß. Friedrich seinerseits kann barbarische Züge nicht verleugnen, doch um sich zu rechtfertigen vor seinem geliebten Frankreich, nennt er die Russen „barbarisch". Denn er liegt auf den Knien vor der Zivilisation und vor Frankreich: „Hatte er nicht das Recht, sich den Versallen des Königs Louis zunennen, er wäre es lieber gewesen als nur ein Kurfürst des heiligen römischen Reiches . . . " (S. 155). Er begehrt nach Ruhm — nach Ruhm, den ihm Frankreich als Sinnbild der Zivilisation zollen soll, nach Ruhm in französischer Sprache: „Er selbst hat diese Sprache bevorzugt als das Zeugnis von Taten, die er sich wünschte. Die Taten fand er abhängig von dem Idiom, das auch seines war" (S. 145). Durch seine Schlachten und seine geräuschvollen Niederlagen legt er zwar seinem kleinen Preußen nicht den Ruf der Größe bei, wohl aber gewinnt er für sich selbst den heißersehnten Ruhm, den sensationellen Ruhm eines Empörers gegen die Zivilisation. Dabei stößt es ihm einmal zu, daß er auf dem gleichen Schlachtfeld ein Reichsheer und die Franzosen schlagen muß — ein schwerer Tag für ihn, vor dem er gezittert hatte, seit Frankreich nicht mehr ihn, sondern seine
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Gegner unterstützte. Friedrich verhält sich, als habe er nur über Deutsche triumphiert und als wären die Franzosen eigentlich mit ihm gewesen: unwandelbar bleibt er ihr Schüler, „in den lettres, in der gloire" (S. 155). Friedridis Alter gilt der Schaustellung des gewonnenen Ruhmes. Er schwindelt noch immer, um diesen Ruhm glaubwürdig vorzuführen, und erfindet nachträglich die schräge Schlachtordnung, die seinen Schlachten nur nachgesagt wurde. Aber: „Nach dem Westen, in beschämende Nähe eines allzu verehrten Landes, ist er nie gefahren, seit jener Flucht des gequälten Jünglings, für den aber Katte starb" (S. 159) Hier kann nicht untersucht werden, wieweit diese Deutung sich mit den Ergebnissen historischer Forschung zur Deckung bringen läßt: die Mühseligkeit einer solchen Untersuchung würde in keinem angemessenen Verhältnis zu 'den zu erwartenden Resultaten stehen. Denn selbst wenn es offensichtlich sein sollte, daß ein historischer Essay seinen Gegenstand in sehr einseitige Beleuchtung rückt, kann dem Autor doch nicht das Recht 'bestritten werden, seinen Blickpunkt so zu wählen und die Akzente so zu setzen, wie es seinen Zielen am besten entspricht, und wegzulassen, was er aufgrund seiner subjektiven Einsicht für weniger maßgeblich hält, also beispielsweise alles, was sich nicht auf den Nenner der Frankreichproblematik bringen läßt. Freilich macht Heinrich Mann von dieser Lizenz des Weglassens recht reichlichen Gebrauch: der eben zitierte Satz beispielsweise stellt zwar einen eindrucksvollen Schlußakkord für das Thema „Friedrich und Frankreich" dar, tut aber den Tatsachen Gewalt an 9 , indem er spätere Reisen Friedrichs in den Westen seines Reiches einfach ignoriert. Die Schlußpointe v o n Heinrich Manns Essay ist also sachlich irreführend. (Überhaupt ist der Essay in den nachprüfbaren historischen Details nicht immer korrekt 1 0 .) Die künstlerische Qualität des Aufsatzes wird auch von Kritikern wie Marleen Schmeisser — die gegen den Inhalt sehr viele Einwände gel0
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Diese Schlußpointe von Heinrich Manns Essay ist sachlich irreführend. Über spätere Inspektionsreisen Friedrichs in die westlichen Provinzen berichtet beispielsweise Hegemann, „Fridericus", S. 406. Heinrich Mann ignoriert sie. Zu den von Marleen Schmeisser aufgezählten sachlich anfechtbaren Punkten von Heinrich Manns Essay seien hier noch zwei kleinere Einzelbeobachtungen beigesteuert: S. 153 wird Katharina II. mit ihrer Vorgängerin Elisabeth verwechselt; S. 150 muß der Leser den Eindruck erhalten, daß sich die Schlacht von Fontenoy zur Zeit des Siebenjährigen Krieges abgespielt habe. Friedrich wird nämlich die folgende Überlegung unterstellt: „Louis hatte wenigstens einen Tag lang seine sichere Erhabenheit aufgegeben; hatte hoffentlich einen Wink bekommen, über das Lebensgefühl eines anderen ,gekrönten Hauptes', das ohne seine Schlachten obskur wäre und mit ihnen ein Gehetzter ist." Zumindest „ein Gehetzter" war Friedrich während der Zeit, in der Ludwig den Sieg bei Fontenoy feierte, sicherlich noch nicht; die Gegenüberstellung geschieht also nur um des Effektes willen. —
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tend macht — nicht in Frage gestellt 11 . Zumindest durch ihre Einheitlichkeit und Geschlossenheit beeindruckt Heinridi Manns Interpretation des Königs. D a ß der Autor es vermag, die ganze Fülle und Wechselhaftigkeit eines historischen Lebens auf zwei Grundantriebe — Ruhmsucht und Liebe zu Frankreich — zusammenzupressen, zeigt ebenso die K r a f t seines Abstraktionsvermögens wie die Unbedenklichkeit, mit der er nahezu alles fortläßt, was sich den Schlüsselworten „Frankreich", „Zivilisation", „Ruhm" nicht erschließt. Hierin kann „Der König von Preußen" als gutes Beispiel gelten für die in der wissenschaftlichen Diskussion häufig als charakteristisch für den Essay bezeichnete Souveränität gegenüber dem Stoff. An Beispiele wie dieses fühlt man sich erinnert bei Bruno Bergers These: „Die in einem Essay vorgebrachte, durch die Wissenschaft (welche audi immer) gefundene Tatsache hat für den Essayisten keinen Eigenwert, sondern nur Stellenwert; sie ist grundsätzlich den Zielen oder der Tendenz des Essays untergeordnet, nicht aber den Gesetzen der Wissenschaft, aus der sie herkommt" 1 2 . Ganz unabhängig von seinem Verhältnis zur historischen Realität, scheint sich aber in den letzten Worten des Essays auch eine gewisse innere Disharmonie und Brüchigkeit von Heinrich Manns Friedrich-Bild anzudeuten. Auf den oben zitierten elegischen Schlußakkord der Frankreich-Thematik folgen nämlich noch einige Worte, die Friedrichs Gestalt als Ganzes würdigen: Zusammenfassend urteilt Marleen Schmeisser, es frage sich, „ . . . ob nicht strengere Bemühung um Annäherung an die historische Realität von einer künstlerischen Darstellung, die zugleich den Ehrgeiz hat, ein überliefertes Bild zu korrigieren, erwartet werden kann." (Neue Deutsche Hefte 90, S. 102.) Die von Marleen Schmeisser geübte Kritik bezieht sidi allerdings zu einem beträchtlichen Teil stärker auf die „Traurige Geschichte" als auf den Essay; die stark von den Tatsachen abstrahierende Sprachhaltung von Heinridi Manns Essay macht es schwierig und unergiebig, hier einzelne Tatsachen auf ihre „Richtigkeit" hin zu überprüfen, da Heinridi Mann eher durch Suggerieren von Zusammenhängen als durch Aussprechen klarer und überprüfbarer Behauptungen sein Bild Friedrichs zeichnet. An dem skizzenhaften „Outline" der „Traurigen Geschichte" ist Sadikritik sehr viel einfacher zu üben; da es sich hier nur um ein Gerüst von Fakten und Urteilen handelt, ist es hier viel einfacher, den Autor auf konkret greifbare, überprüfbare Aussagen festzulegen, als in dem sprachlich komplizierteren Essay. 11
Marleen Sdimeisser hebt die „manchmal bis zur Dunkelheit knappen, gleichsam herausgestoßenen Sätze dieser kaltfunkelnden Sprache" hervor („Neue Deutsche Hefte" 90, S. 102); gerade diese Eigenschaft der Sprache madit es so sdiwer, den Essay an der historischen Realität zu überprüfen.
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Berger, „Der Essay", S. 82.
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„Nach dem Westen, in beschämende Nähe eines allzu verehrten Landes ist er nie gefahren, seit jener Flucht des gequälten Jünglings, für den aber Katte starb. Friedrich stirbt nicht. Lebt er dereinst mit keinem Staat mehr, dann um so sicherer in der Tragödie, die er sich selbst schrieb. Sein zerrissenes Königreich — vergangen. Übrig — der König vor Preußen." (S. 159)
Ob ein einzig von befriedigter Ruhmgier und unglücklicher Liebe zur französischen Zivilisation bestimmtes Leben die Bezeichnung „Tragödie" verdient, erscheint zweifelhaft. Was an diesem König von Preußen dem Autor unsterblich erscheint, wird nicht völlig deutlich. Der Versuch, Friedrichs Wesen und Geschick ganz auf zwei allbeherrschende Motive zu reduzieren, läßt wohl zu vieles von Leben und Werk des historischen Friedrich unberücksichtigt, als daß das Pathos der Schlußworte völlig überzeugend wirken könnte.
3- Zu Aufbau und Stil des Friedrich-Essays a)
Kompositionsprinzipien
Von einem irgendwie planvollen Aufbau, von einer systematischen Gliederung des Friedrich-Essays scheint auf den ersten Blick kaum die Rede zu sein. Die nur durch lose und anscheinend zufällige Assoziationen zusammengehaltene Gedankenführung macht in ihrer Sprunghaftigkeit den Eindruck vollendeter Willkür. Man betrachte etwa die folgende Passage: „Beachtung verdient auch, daß er bei seinem Volk nichts wagte — die Preußen, ihren König absetzen! — und daß kein Staat seines Jahrhunderts nach unglücklichen Kriegen von den Stärkeren aufgelöst worden ist. Geteilt wurde Polen, das nicht gekämpft hatte, und wer die Abweichung betrieb, war Friedrich. Ihn trug die gründlichste Verbundenheit der christlichen Monarchien; er hat sie nicht geleugnet, hat nur gröber als andere gegen sie verstoßen. Ähnlich ließ er die Existenz Gottes zu; er behauptete einfach, die menschlichen Kleinigkeiten übersehe das höchste Wesen. Aber Voltaire behauptete dasselbe. Eine Philosophie, die aus dem ewigen Richter einen unbeteiligten Geometer macht, läßt alle Sitten gelten, Palastrevolutionen und Zarenmorde, die Ehebrüche einer Majestät als eine Form ihrer Selbstherrlichkeit. Audi der Krieg, der eine ruhmbegierige Persönlichkeit ausdrückt, hat seine Philosophie, er bestätigt dieselbe Zivilisation. Das 18. Jahrhundert erneut und beendet die Renaissance, noch einmal kehren ihre Typen wieder, Sitten, die nicht haltbar wären, gehen dennoch in einen hohen Begriff auf, den ganz literarisch verstandenen Begriff der Zivilisation. Wäre sie unrein, der Verstöße voll, ihr Beweis und Zeuge bleibt die Sprache." (S. 144—145) Es fällt schwer, hier auch nur zu sagen, wovon eigentlich gesprochen wird; kaleidoskopartig wirbeln Begriffe durcheinander, nur äußerst lose durch syntaktische Bindeglieder aneinandergeknüpft. Jeder Satz enthält Feststellungen und löst Assoziationen aus, deren genaue Analyse eine eigene Spezialuntersuchung erfordern würde. Gedankenreihen und Behauptungen, in diesem Stil vorgetragen, entziehen sich im Grunde jeglicher Überprüfung. Der Aufbau des gesamten Essays zeigt die gleiche verwirrende Beweglichkeit der Gedankenführung. Bezeichnend ist schon der Anfang des Essays: eine Meditation über ein Wort. Es ist ein einziger, anscheinend völlig willkürlich gewählter Begriff, der von jedem anderen ebensogut
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wie von Friedrich hätte verwendet werden können. Warum der Autor ausgeredinet diese eine Vokabel herausgreift, scheint zunächst völlig unklar: „Friedrich der Große hat die Russen seines Jahrhunderts barbarisch genannt." (S. 143)
Erst rund zehn Druckseiten später wird die Funktion dieses Wortes „barbarisch" deutlich: es ist ein Leitmotiv, das an zentraler Stelle wieder aufgenommen wird, -und zwar mit einem wesentlichen Zusatz: „Seine Totenmaske, die endlich die relative Wahrheit spricht, zeigt befremdliche Formen, unheimlich — unheimische. Das kommt von sehr weit her, sein ,barbarisches' Rußland liegt diesseits. Friedrich hat die Russen seines Jahrhunderts barbarisch genannt, hauptsächlich um sich zu rechtfertigen vor seinem geliebten Frankreich." (S. 153)
Die Worte des Eingangs führen also, ohne daß dem Leser dies zunächst deutlich sein könnte, bereits unmittelbar in den Kern von Heinrich Manns Friedrich-Interpretation hinein. Denn der Leser kann nicht wissen, daß er nur die erste Hälfte eines zweigeteilten Satzes vor sich hat. Die erste Satzhälfte „Friedrich der Große hat die Russen seines Jahrhunderts barbarisch genannt" gibt nur einen zufälligen Tatbestand wieder. Aufschlußreich wird er erst durch die spätere Interpretation: „hauptsächlich um sich zu rechtfertigen vor seinem geliebten Frankreich". Als Ganzes erscheint der Satz wie eine ungeheure Klammer: alles, was zwischen den auseinandergerissenen Satzhälften gesagt wird, ist gleichsam eine einzige gigantische Parenthese. Die „Parenthese" muß klarmachen, was Frankreich im 18. Jahrhundert ist, warum Friedrich es liebt und warum sich Friedrich vor Frankreich rechtfertigen will: erst dann kann der angefangene Satz zum Ende geführt werden. Eine sehr ähnliche Konstruktion begegnet im gleichen Essay noch einmal. Zunächst glaubt man, eine grobe syntaktische Fahrlässigkeit des Autors vor sich zu haben, wenn man liest: „Er wurde unter den Herrschern der berühmte Mann — weniger durch seine gewonnenen Schlachten, verloren hat er ebenso viele, und keinen seiner Feldzüge beendete er anders als durch Vergleich." (S. 143)
Das mit dem „weniger" notwendig verknüpfte „als vielmehr" bleibt aus. Wodurch, muß man sich fragen, wurde Friedrich berühmt, wenn nicht durch seine Siege? Der Autor bleibt die Erklärung zunächst schuldig — ein wirksames Mittel, Neugier und Spannung beim Leser hervorzurufen. Es ist gleichsam eine Verfeinerung des alten Stilmittels der „rhetorischen Frage": nicht der Autor selbst fragt, sondern er zwingt den Leser, die Frage zu stellen, und läßt sich so die Antwort gleichsam abnötigen. So ist die Antwort, wenn sie endlich erfolgt, aufs wirkungsvollste vorbereitet, und der Autor kann, indem er den kunst-
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voll abgebrochenen Gedankengang plötzlich wieder aufnimmt, auf besondere Aufmerksamkeit für seine eigenwillige Erklärung von Friedrichs Ruhm rechnen: »Eine geräuschvolle Niederlage tut mehr als leise Erfolge vermöchten, für seinen R u h m : es ist der sensationelle R u h m eines gekrönten E m p ö rers gegen Europa." (S. 144)
Solche weitausgreifenden Satzkonstruktionen oder Gedankengänge sind in erster Linie wohl Stilmittel, die den Leser zum intensiveren Mittdenken nötigen sollen. Ihnen kommt aber auch kompositorische Bedeutung zu: durch lange Einschübe gleichsam in zwei Hälften auseinandergerissen, wirken solche Gedankenkonstruktionen wie Klammern, mit denen die Fülle und Vielfalt der dazwischengeschobenen Überlegungen zusammengehalten und auf bestimmte übergreifende Gesichtspunkte konzentriert wird. Das am häufigsten verwendete und auffälligste kompositorische Mittel der Gedankenverknüpfung ist im Friedrich-Essay aber wohl die Assoziation. Ein Beispiel haben wir in der bereits zitierten längeren Passage vor uns: „Beachtung verdient a u c h . . . ihr Beweis und Zeuge bleibt die Sprache" (S. 144—145). Dies Beispiel zeigt recht eindrucksvoll die Beweglichkeit einer Gedankenführung, die innerhalb weniger Sätze von der Undenkbarkeit einer Absetzung preußischer Könige zu einer sprachphilosophischen Überlegung gelangt. Trotz der gedanklichen Sprunghaftigkeit bleibt die Kontinuität gewahrt dadurch, daß jeder Satz durch eine mehr oder minder lose Assoziation mit seinem Vorgänger verknüpft ist. Eine ganz ähnliche Technik finden wir auch bei der Verknüpfung einzelner Absätze miteinander. Streckenweise sind ganze Reihen von Absätzen jeweils paarweise miteinander verknüpft dadurch, daß je ein Wort (oder ein Begriff zumindest) vom Ende des einen zum Anfang des anderen Absatzes überleitet. Da es hier lediglich um die Technik dieser assoziativen Gedankenfügung geht, greifen wir aus einer charakteristischen Passage jeweils nur die von Absatz zu Absatz überleitenden Sätze heraus und heben die verknüpfenden Vokabeln hervor: „Er machte gut, wie er konnte . . . Wenn das nicht Literatur ist! Es ist das Übergewicht des Herzens. Politik war es, insofern . . . H a t t e er nicht das Recht, sich den Vasallen des Königs Louis zu nennen, er wäre es lieber gewesen als nur ein K u r fürst des heiligen römischen Reiches, mit dem A m t , knieend einem verachteten Kaiser den Becher zu reichen. Vasall Frankreichs, er handelte nach seinem Vermögen, als w a r ' er es gewesen . . . U m so weniger belästigte ihn ein verfrühtes Gehör für die Schritte Napoleons. Gleichwohl hatte niemand wie er Deutschland und den Kontinent für
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ihren Eroberer reif gemacht . . . Friedrich hätte ihn womöglich tiefer verehrt als ein Goethe. Ein Dichter in Weimar schaut . . . Wer sagt, daß sie diesseits eindeutig sind?" (S. 155—156) Ähnliche Beispiele ließen sich häufen. Doch das eben zitierte dürfte genügen, um zu zeigen, wie stark die assoziative Verknüpfungstechnik die Gedankenführung beeinflußt und ihr bei aller Beweglichkeit und Sprunghaftigkeit doch zugleich Kontinuität verleiht.
b) Stil fragen Eine ausführlidiere stilistische Untersuchung des Friedrich-Essays braucht hier nicht gegeben zu werden, da Richard E x n e r in einem Aufsatz über die Essayistik Heinrich Manns ausführlich auf sprachliche und stilistische Fragen eingeht und dabei auch den Friedrich-Essay heranzieht 1 3 . Einzugehen ist lediglich auf die (von E x n e r negativ beantwortete) Frage, ob die Sprachhaltung Heinrich Manns hier als spezifisch „essayistisch" gelten kann 1 4 . M a n wird diese Frage zumindest dann bejahen, wenn man die von Bruno Berger formulierten Kriterien der literarischen Kunstform des Essays akzeptiert. Berger schreibt nämlich: „Zwei äußerliche Formelemente allerdings werden schnell erkannt werden können, und sie sind bei fast jedem Essayisten von Rang vorhanden. Das ist die Fassung des Anfangs, des Beginnens, und das andere ist eine gewisse Sprachsprenkelung durch das Fremdwort" 15 . D a ß das zweite der hier genannten Kriterien auf den FriedrichEssay nicht weniger zutrifft als auf den Großteil von Heinrich Manns später Prosa, bedarf kaum des Nachweises. Nicht nur Worte Friedrichs werden häufig im französischen U r t e x t zitiert, sondern auch Heinrich Manns eigener T e x t wird durch Einschmelzung französischer V o k a b e l n — „ingénu" (S. 147), „roi de Prusse" (S. 143, S. 155), „ t ê t e c o u r o n 13
Über die Sprache Heinrich Manns vor allem in „Symposium" XIV, S. 30 ff.
14
Exner bezieht sogar Textbeispiele aus Romanen Heinrich Manns in seine Untersuchung von Heinrich Manns Essayistik ein. Er meint, daß Mann nie eine besondere essayistische Methode ausgebildet habe: „ . . . losgelöste Sätze und Passagen lassen nicht — es sei denn, man kenne den Inhalt — erkennen, ob sie essayistisch oder nicht-essayistisch angelegt sind" („Symposium" XIV, S. 36). Es fragt sich aber, ob man bei der Frage nach dem essayistischen oder nichtessayistischen Charakter einer Schrift wirklich von ihrem Inhalt absehen kann. —
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Berger, „Der Essay", S. 148.
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née" (S. 156), „vilain" und „roture", „lettres" und „gloire" (S. 155) etc. — in den deutschen Text gewissermaßen zum Abbild von Friedrichs eigener sprachlicher und geistiger Zwiespältigkeit. Freilich ist die „Sprachsprenkelung" hier wohl mindestens ebenso sehr auf die Besonderheit des Themas und auf Heinrich Manns individuellen Stilwillen zurückzuführen wie auf die von Berger hervorgehobene Gattungseigentümlichkeit des Essays. Aber auch das erste von Berger genannte Gattungskriterium, die besondere Art des Beginnens, ist an Heinrich Manns Essay in charakteristischer Weise zu beobachten. Berger umschreibt diesen Punkt näher: „Das .einladende Titelwort' zeigt, worauf es beim Anfangen für den Essayisten ankommt: der erste Blick des Lesers muß eingefangen werden, damit er nicht abschweift, sondern weiterliest. Sofort muß die Atmosphäre geschaffen sein, in welcher man verweilen möchte. Interesse und Neugier werden angeregt, ein kostbarer Gegenstand, ein auffallendes Wort, ein zündender Begriff, ein Paradoxon oder Oxymoron, eine Frage, ein Zitat aus fremder Sprache, ein Aphorismus: sie alle werden in das Licht des Beginnens gehalten, wo sie ihre besondere Strahlkraft erweisen . . . Man wende nicht ein, daß jegliches Prosakunstwerk . . . derart bestimmte Einsetze-Möglichkeiten benötige; man prüfe die oben zitierten Beispiele und wird finden, daß sie als Beginn einer erzählenden Prosa völlig ungeeignet wären, daß sie aber ebenso deutlich nicht auf das Niveau eines Alltagsfeuilletons weisen . . . , daß kaum eine wissenschaftliche Prosa wagen dürfte, derart zu beginnen" 16 .
An diesen Kriterien gemessen wird man den Einsatz des FriedrichEssays — „Friedrich der Große hat die Russen seines Jahrhunderts barbarisch genannt" — als geradezu schulmäßiges Beispiel essayistischer Introduktionstechnik bezeichnen könnnen. Auch aus einem anderen, äußerlichen Grunde scheint der Friedrich-Essay besonders geeignet, Aufschluß über stilistische Eigentümlichkeiten der Essayistik Heinrich Manns (wenn nicht der Essayistik überhaupt) zu geben: in der unvollendeten „Traurigen Geschichte von Friedrich dem Großen" liegt ein inhaltlich und gedanklich weitgehend parallelgehendes, aber nicht-essayistisches Werk des gleichen Autors vor, wodurch besonders gute Vergleichsmöglichkeiten gegeben sind. Zwar behandeln die vollendeten Partien der „Traurigen Geschichte" nur Friedrichs Jugend, während der Essay erst die vollendete Gestalt des „roi de Prusse" zum Gegenstand hat. Dennoch sind bemerkenswerte motivische Ubereinstimmungen zwischen Dialogroman und Essay festzustellen, vor allem, wenn man Heinrich Manns Notizen für die 16
Berger, „Der Essay", S. 150—151.
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nicht mehr ausgeführten späteren Teile der „Traurigen Geschichte" 17 in den Vergleich einbezieht. Man wird deshalb mit dem Sdiluß nicht fehlgehen, daß die „Traurige Geschichte" und der Essay weitgehend parallel konzipiert sind. Wo bei der Behandlung analoger Motive in beiden Werken wesentliche formale Unterschiede festzustellen sind, scheint es sich also um wirkliche Gattungsunterschiede zu handeln, die in ihrer Art bezeichnend sein können für die besonderen Möglichkeiten der Kunstform des Essays gegenüber einer episch-dramatischen Darstellungsform, wie sie in der „Traurigen Geschichte" vorliegt. Wir beschränken uns auf zwei Beispiele. a) im Dialogroman macht der noch redit jugendliche Kronprinz Friedrich dem „Alten Dessauer" gegenüber die vorlaute Bemerkung: „Ein berühmter Feldherr werd ich auch sein. Nichts leichter als das." (S. 11)
Diese Bemerkung dient hier wohl vorwiegend der Charakterisierung und der Vorausdeutung auf Kommendes. Der gleiche Gedanke kehrt aber auch im Essay wieder, und zwar in stark zugespitzter, sentenziös verallgemeinernder Formulierung: „Der R u h m widersteht keinem wahrhaft Ruhmbegierigen. Der R u h m ist erreichbar, wenn der Begehrende ein unbeschränkter König ist." (S. 143)
Die Zuspitzung liegt hier nicht nur in der Formulierung, sondern vor allem auch darin, daß hier der Essayist in eigener Person und eigener Verantwortung spricht. In den Munde einer vom Dichter geschaffenen Gestalt wirken die Worte „Nichts leichter als das" allenfalls naseweis. Im Essay wird der gleiche Gedanke dadurch, daß ihn der Autor selbst ausspricht, zum Ausdruck einer Weltanschauung, die in historisch überliefertem Ruhm eines Fürsten etwas Wohlfeiles und fast moralisch Verdächtiges zu sehen sdieint. Beachtenswert ist dabei die außerordentliche Distanz, aus der heraus Heinridi Mann seinen Gegenstand betrachtet: hinter den abstrahierenden Wendungen „keinem Ruhmbegierigen", „der Begehrende" verschwindet die individuelle Gestalt Friedrichs. Der König von Peußen ist hier gewissermaßen nur noch lebloses Demonstrationsobjekt, an dem die Wahrheit eines allgemeinen Gesetzes aufgewiesen wird. In der „Traurigen Geschichte", die ja ausschließlich aus Bildern und Szenen besteht, hätte der Autor kaum die Möglichkeit gehabt, derartig stark von der Person der Titel17
Das „Outline" des Werkes mit Heinridi Manns Notizen für die nicht mehr ausgeführten Partien des Dialogromans ist abgedruckt in „Die traurige Geschichte v o m Friedrich dem Großen", S. 123 ff.
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figur zu abstrahieren. Im Dialogroman wird dargestellt, im Essay wird kommentiert. Der historische Dialogroman konkretisiert historische Vorgänge in Bildern und Szenen, der Essay zieht historische Vorgänge in zugespitzt abstrahierenden Sentenzen zusammen. b) Ein zweites Beispiel ist bezeichnend für die Darstellung geistiger Prinzipien in episch-dramatischer und in essayistischer Form. Ausgangspunkt ist ein historisches Ereignis, das in den Memoiren der Wilhelmine von Bayreuth geschildert wird: der Besuch Peters des Großen in Berlin im Jahre 1717. Heinrich Mann gestaltet aus dieser Begebenheit in der „Traurigen Geschichte" zwei Szenen. Die erste, die das Verhalten der hohen Besucher im Lustschloß der Königin schildert, folgt weitestgehend der Schilderung Wilhelmines. Quintessenz dieser Szene (S. 74—78) ist die Feststellung, daß die Russen in den Augen der Preußen Barbaren seien (vgl. S. 77, S. 126). Die zweite Szene dagegen ist mit größter historischer Freiheit gestaltet; ihr wildbewegter Verlauf schildert das Festgelage im Berliner Schloß und zeigt Friedrich — in Wahrheit damals noch ein kleiner Junge — als virtuos intrigierenden Prinzen (S. 78—95). Die Szene gipfelt in den Worten des Zaren angesichts der abstoßenden Vorkommnisse am Preußischen Hof: „Barbaren — sind das nicht. Jetzt weiß ich, wo die Civilisation anfängt: mit der Feigheit." (S. 95)
Dieses Wort bezeichnet im Dialogroman die Gegenüberstellung von Preußentum und Russentum. Die Pointe liegt darin, daß die Preußen ihre Gäste für „Barbaren" halten, daß jedoch „Barbar" geradezu ein Ehrentitel ist: die Preußen sind nicht einmal das. Diese Pointe kommt jedoch im Dialog kaum zur Geltung: die beiden langen Szenen enthalten eine solche Vielzahl unübersichtlicher Geschehnisse und Nebenhandlungen, daß der kurze Wortwechsel Peters und Friedrichs darin fast untergeht. — Ganz anders im Essay. Hier kann Heinrich Mann darauf verzichten, die Vertreter „Preußens" und „Rußlands" persönlich auf die Bühne zu bemühen. Die quasi-historisdie Szene im Berliner Schloß mit ihrer Fülle äußerer Begebenheiten entfällt; von allem Beiwerk abstrahierend kann der Autor „Preußen" und „Rußland" gleichsam als entkörperte Ideen behandeln und mit schneidender Antithetik einander gegenüberstellen. „Friedrich der Große hat die Russen seines Jahrhunderts barbarisch genannt" — diese Feststellung ist noch als konkreter Tatsachenbefund zu verstehen. Dann aber setzt die abstrahierende Kunst des Autors ein: mit ganz wenigen Worten ein ganzes Land und ganze Epochen in eins fassend stellt er fest, wie wenig der Preuße Friedrich zu solchem Urteil qualifiziert ist, und endet mit einer aufs äußerste zugespitzten Antithese:
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» E r " — Friedrich — „sprach und schrieb es hin, als wäre er ein Franzose gewesen. Frankreich auf einem seiner geistigen und weltlichen Gipfel sah wen man will barbarisch. Preußen sah es bis zu Friedrich weder gesittet noch wild. Die Barbarei hat ihre Größe. Die Untertänigkeit hat keine." (S. 143)
Die Kunst äußerster Zuspitzung und Konzentration in Heinrich Manns Essayistik tritt hier besonders hervor. In der „Traurigen Geschichte" muß er den ganzen preußischen und russischen Hofstaat auf die Bühne bringen, um „Preußen" und „Rußland" als Gegensätze sichtbar zu machen; Peter der Große muß persönlich auftreten, um zu verkünden, daß die Preußen keine Barbaren seien. Im Essay wird nicht nur von individuellen historischen Gestalten abstrahiert; selbst Begriffe wie „Preußen" und „Rußland" werden beinahe wesenlos, und übrig bleibt in äußerster Abstraktion die Antithese von „Barbarei" und „Untertänigkeit".
7. Abschnitt Willy Andreas: .Marwitz und der Staat Friedrichs des Großen"*
* Verweisungen und Seitenangaben beziehen sich auf folgende Ausgabe: Willy Andreas: Geist und Staat. Historische Porträts. 5. Auflage, Göttingen, Berlin, Frankfurt (1960).
i. Einleitung Für eine Beleuchtung des Verhältnisses zwischen historischem Essay und historischer Abhandlung ist es aufschlußreich, einige Bemerkungen heranzuziehen, die Willy Andreas in einem Vorwort der fünften Auflage seines Essaybandes „Geist und Staat. Historische Porträts" vorausschickt. In gedrängtester Form enthalten sie eine Wesensbestimmung des historischen Essays. Willy Andreas stellt den Essay — oder, wie er schreibt, Essai — als selbständige Gattung der „spröderen und zweckbestimmteren" Art der wissenschaftlichen Abhandlung gegenüber und nennt folgende Eigenschaften dieser Gattung: Erstens gehöre der Essay den Bereichen der Wissenschaft und der Kunst zugleich an; er unternehme es, die Ergebnisse eigener oder fremder Forschung vorzutragen. Zweitens stehe er seinem Gegenstande freier, persönlicher gegenüber als die wissenschaftliche Abhandlung. Drittens sei er ein in sich geschlossenes, an bestimmte Formgesetze gebundenes Kunstwerk: „Er kann der Strenge und Geschlossenheit nicht entraten, eben deshalb, weil er in sich ein eigenes einheitliches Gebilde ist und sein soll. Künstler sein heißt ja nicht, sich das Leben leichter machen, sondern das Verhältnis zur Wirklichkeit und die Wiedergabe ihrer Erscheinungen unter das Gebot höchster Forderungen stellen." (S. 10—11)
Wenn Klaus Günther Just den Essay als den wichtigsten U m schlaghafen zwischen Wissenschaft und Literatur definiert 1 , wird man das im speziellen Fall der Essaykunst von Willy Andreas dahin erweitern 'dürfen, daß hier geradezu die Identität von wissenschaftlicher Durchdringung und künstlerischer Darstellung als Wesen des Essays postuliert wird. Freilich dürfte dies nach Willy Andreas im Grunde wohl für jedes Werk der Geschichtsschreibung gelten, das mehr anstrebt als bloße Mitteilung von Tatsachenmaterial. Schon die Entstehungsgeschichte des Marwitz-Essays deutet in diese Richtung. Es ging dem Autor um die gedrängte Verarbeitung eines voluminösen und inhaltsreichen Quellenmaterials: die Denkwürdigkeiten, Tagebücher, Briefe und politischen Schriften des märkischen Edelmannes Marwitz (1777—1837), um die es sich handelt, sind nach den Worten ihres Herausgebers Friedrich Meusel: 1
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Just in „Deutsche Philologie im Aufriß" II, 2. Auflage, Sp. 1898. Fischer, Studien zum historischen Essay
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Einleitung „ . . . ein farbenreiches und scharf umrissenes Bild aus der Zeit der tiefsten Erniedrigung und Erhebung Preußens, wie wir, unter so schroff konservativem Gesichtswinkel betrachtet, schlechterdings kein zweites besitzen; sie geben in großen Zügen, in markiger Sprache, ein von einem Zeitgenossen herrührendes, anschauliches Bild fast der ganzen preußischen Geschichte vor einem Jahrhundert. Sie ergänzen, durch den Standpunkt ihres Verfassers, das reiche Quellenmaterial über die R e f o r m z e i t " 2 .
Es mußte für den Historiker also eine wissenschaftlich ebenso lohnende wie künstlerisch reizvolle Aufgabe sein, aus diesem überaus reichhaltigen Material — die keineswegs vollständige Ausgabe Meusels umfaßt mehr als 1600 Druckseiten — die politische und geistige Gestalt eines Mannes herauszuarbeiten, von dem schon Ranke sagte, daß es unrecht sei, seinen Nachlaß dauernd zu begraben3. Von der äußeren Gesdiichte des Essays her gesehen erscheint er zunächst vor allem als wissenschaftliche Arbeit. Der 1919 entstandene und im Rostocker Dozentenverein zum Vortrag gebrachte Aufsatz wurde erstmals 1920 in der „Historischen Zeitschrift", einem ausgesprochen wissenschaftlichen Fachorgan also, veröffentlicht 4 . Die zahlreichen — rund fünfzig — und zum Teil sehr umfangreichen Anmerkungen, die dem Aufsatz bei dieser ersten Veröffentlichung beigegeben wurden, lassen ihn durchaus als fachwissenschaftliche Untersuchung erscheinen; Willy Andreas bezeichnet ihn hier als ein historisches Porträt, aber noch nicht als einen Essay. Die Bezeichnung „Essai" verwendete der Autor erst, seit er den Marwitz-Aufsatz mit fünf anderen Aufsätzen zusammen in den Essayband „Geist und Staat. Historische Porträts" aufgenommen hatte. Der Anmerkungsapparat ist in dieser Buchausgabe fortgefallen, aber an der wissenschaftlichen Grundhaltung änderte sich dadurdi nichts; Willy Andreas spricht mit ihr ausdrücklich auch den Kreis der zünftigen Fachgelehrten an und betont, daß er sich bei der Neubearbeitung seiner Essays verpflichtet fühlte, den jeweils neuesten Stand der Forschung mitzuberücksichtigen (S. 10). So ist die Form des Essays bei Willy Andreas Ausdruck einer durchaus wissenschaftlichen Haltung, denn ihr Ziel ist, wie schon aus dem eingangs angeführten Zitat hervorgeht, die objektivste und gerechteste Wiedergabe der geschichtlichen Wirklichkeit. 2
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Meusel (Hrsg.), „Friedrich August Ludwig von der Marwitz" bis VIII. Vgl. Meusel a.a.O., S. V. In „Historische Zeitschrift" 122 (1920), S. 44 ff.
I, S. VII
2. Kompositionsprinzipien a) Im Aufbau der Essaysammlung „Geist und Staat" Wiewohl der Aufsatz „Marwitz und der Staat Friedrichs des Großen" ein in sich geschlossenes selbständiges Werk ist, müssen wir ihn zunächst doch als Glied eines größeren Ganzen betrachten. Denn ein einheitlicher Plan, ein innerer Zusammenhang lag dem Sammelband „Geist und Staat" zugrunde, schon ehe die einzelnen Essays komponiert und niedergeschrieben wurden (vgl. S. 11). Der Titel „Geist und Staat" verrät bereits, daß es dem Autor nicht allein um eine zufällige Aneinanderreihung historischer Lebensbilder geht. Hinter jeder der dargestellten Persönlichkeiten steht zugleich auch ein ganzes Volk und eine ganze Geschichtsepoche in fest umrissener Eigenart. In keinem dieser Porträts wird der Lebenslauf einer geschichtlichen Gestalt nur um ihrer selbst willen dargestellt, nie wird psychologische Einführung oder kulturgeschichtliche Detailschilderung zum Selbstzweck. Es geht um die Auswirkung geistiger Mächte im Werden und Sichwandeln der Staaten, und nur als lebendigen Ausdruck dieses geschichtlichen Werdens greift der Autor die einzelne Persönlichkeit heraus, ob sie nun in ihrer politischen Wirksamkeit zu den großen, beherrschenden Gestalten ihrer Zeit gehört oder nicht. Wie oft in seinen größeren Werken („Deutschland vor der Reformation", „Das Zeitalter Napoleons und die Erhebung der Völker") geht es ihm auch in seinen Essays mehr um das Gesicht einer Epoche als um individuelle Biographik. Mit besonderer Sorgfalt widmet er sich den Gestalten, die den Geist ihrer Nation, ihres Staates und ihrer Epoche repräsentativ vertreten können, auch wenn sie äußerlich nichts Epochales vollbracht haben. Mit Vorliebe wendet er sich den Gestalten zu, die im Sprachgebrauch der Geschichtschreibung gemeinhin an die zweite Stelle verwiesen werden: (Richelieu und) Pater Joseph, (Marx und Engels, (Bismarck und) Moltke. Zu diesen Gestalten zählt auch Marwitz. In geschichtlichen Werken wird sein Name weit hinter denen seiner Zeitgenossen und Gegenspieler Stein und Hardenberg genannt. Seine politischen Gedanken blieben großenteils Entwürfe. Die Geschichte Preußens ging in anderen Bahnen, als er es hoffte. Und doch ist er für Willy Andreas mehr als nur ein 12»
180
Kompositionsprinzipien
Hemmschuh für Preußens geistige und politische Erneuerung. Gerade in einer Zeit schleichenden Verfalls und schließlidien Zusammenbruchs des friderizianischen Staates ist Marwitz noch einmal ein unbeugsamer Verfechter dieses Staatsgedankens, und einer ganzen Geschichtsepoche. So sah ihn, 1918, Friedrich Meinecke: „Als Preußen vor einem Jahrhundert die ersten entscheidenden Schritte v o m ständisch gegliederten Staate zum nationalbürgerlichen Staate tat und eine Fülle bedeutender Persönlichkeiten an dieser Aufgabe sidi geschichtlich entfaltete, war es doch zugleich auch ein prachtvoller Anblick, den Junker Marwitz von märkischem Schrot und Korn wie in klirrender Rüstung zum ritterlichen Kampfe gegen die neue Zeit auftreten zu sehen" 6 .
So sieht ihn auch Willy Andreas: als den leidenschaftlichen Verteidiger des Alten gegen eine übermächtig andrängende neue Zeit. Diese geistige und politische Auseinandersetzung grundverschiedener Welten, gespiegelt im persönlichen Schicksal des Menschen Marwitz wie im größeren Ganzen des preußischen Staates, bildet den eigentlichen Kern des Essays, ebenso wie sie in verwandter Form allen Essays der Sammlung „Geist und Staat" das Gepräge gibt und sie über den Bereich des Nur-Individuellen heraushebt. Castiglione wie Francis Bacon sind echte Renaissancegestalten, und doch kündigen sich in ihren Porträts bereits die bestimmenden Kräfte der Zukunft an: bei Castiglione die beginnende gegenreformatorische Bewegung, bei Bacon das Zeitalter des Frühimperialismus und selbst schon das technische Zeitalter. Pater Joseph ist Vertreter eines Zeitalters mächtiger religiöser Leidenschaften, doch in seiner Politik vertritt er bereits den reinen Staats- und Machtgedanken, den Absolutismus, der dann im Porträt Maria Theresias in seiner Auseinandersetzung mit dem Gedankengut der Aufklärung veranschaulicht wird. Die Zeitgenossenen Moltke und Engels endlich, so gegensätzlich sie geartet sind, verkörpern gerade in ihrer Verschiedenheit die ungeheure Vielfalt des Neunzehnten Jahrhunderts, und zugleich sind sie doch auch Repräsentanten der Tendenzen, die in ihrer Auseinandersetzung das Zwanzigste Jahrhundert wesentlich mitbestimmen: des nationalstaatlichen Gedankens und des revolutionären Sozialismus.
b) Im Aufbau des
Marwitz-Essays
Wie sehr sich Willy Andreas Strenge und Geschlossenheit der Form zum Gesetz macht, zeigt ein Blick auf die kompositorische Gestaltung des Marwitz-Essays. Im Druckbild sind (in der Ausgabe von 1960) 5
Friedrich Meinecke, „Werke" IV, S. 42.
Im Aufbau des Marwitz-Essays
181
sieben Abschnitte gegeneinander abgesetzt, die etwa folgendermaßen überschrieben werden könnten: a) Friedrich der Große und Marwitz (S. 133—134) b) Der friderizianisdie Staat (S. 134—138) c) Marwitz, die Nachfolger Friedrichs und der Zusammenbruch Preußens (S. 138—146) d) Marwitz und die Ideen der Französischen Revolution (S. 146—150) e) Marwitz und die Erneuerung Preußens (S. 150—154) f) Marwitz und die Befreiungskriege (S. 154—156) g) Preußischer und deutscher Gedanke — Friedrich der Große und Deutschland (S. 156—158)
Zunächst ist zu erkennen, daß der Marwitz-Essay zyklisch komponiert ist: Anfang und Ende schließen sich zusammen im Blick auf die Gestalt Friedrichs des Großen. Von der Begegnung des fünf- oder sechsjährigen Jungen mit dem alten König nimmt der Essay seinen Ausgang, zur Bedeutung dieses alten Mannes für Marwitz — und für Deutschland — kehrte der letzte Satz zurück. Dazwischen aber liegt die Auseinandersetzung mit dem Gedankengut der neuen Zeit, und auch sie findet sinnbildhaften Ausdruck in einer Gegenüberstellung zweier Personen in jener Szene, in der Marwitz beim Regierungsantritt Friedrich Wilhelms III. dem Gesandten des revolutionären Frankreich begegnet; nicht zufällig wird diese Begegung fast genau in der Mitte des Essays geschildert. Zwisdien diesen beiden Polen bewegt sich die ganze Erzählung, in diesen beiden Bewegungen spiegelt sich der ganze Inhalt von Marwitz's Leben: seine Verbundenheit mit der friderizianischen Welt, und sein Haß gegen das Prinzip der Revolution. Darin liegt aber auch seine Tragik, daß ihm die Erneuerung Preußens als Revolutionierung, als Verrat am Erbe Friedrichs erscheinen mußte. Eine weitere kompositorische Besonderheit des Essays bringt diese Verbundenheit mit dem friderizianischen Preußen noch stärker zum Ausdruck. Die Schilderung des altpreußischen Staates (S. 134—138) fällt, äußerlich betrachtet, aus dem Rahmen des Essays heraus: kein einzigesmal wird in diesem Abschnitt der Name der Titelgestalt auch nur erwähnt. Dennoch ist dieser scheinbare Exkurs bis in kleinste Einzelheiten hinein eine vorausdeutende Exposition für die Darstellung der kommenden Auseinandersetzungen. Man könnte diese Schilderung des alten Staates mit einer Ouvertüre vergleichen, in der bereits alle Themen angeschlagen werden, die im folgenden mannigfach miteinander verknüpft und — durch den Zusammenstoß mit dem revolutionären Prinzip — auch in sich abgewandelt und ausgeweitet werden:
182
Kompositionsprinzipien
a) Dem allmählichen Werden und Wadisen Preußens (S. 134—135) entspricht die Darstellung des schleichenden Verfalls unter den Nachfolgern Friedrichs. (S. 138 ff.) b) M i t der Schilderung des friderizianischen Heeres (S. 135—136) innerlich verbunden ist die Darstellung von Marwitz' militärischer L a u f bahn, die Schilderung des Zusammenbruchs von 1806 und schließlich Marwitz' Auseinandersetzung mit den Heeresreformen unter Scharnhorst u n d Boyen (S. 141 ff.). c) Die Worte über den altpreußischen Landadel (S. 136—137) finden ihre lebensvolle Illustration in der Charakterisierung des Gutsherrn und Musterlandwirts Marwitz (S. 148 ff.). d) Weiterhin wird der ständische A u f b a u des altpreußischen Staates skizziert (S. 137), und auch dies findet seine Entsprediung in dem K a m p f , den Marwitz f ü r die verbrieften Rechte seines Standes und f ü r das alte Recht gegen Stein und Hardenberg führt (S. 150 ff.). e) Endlich wird das allmähliche Zusammenwachsen der preußischen Provinzen z u m einheitlichen Staat angedeutet (S. 137—138), und auch dies Thema wird in größerem, weltgeschichtlichem Zusammenhang wieder aufgenommen im Ausblick auf die kommende Auseinandersetzung zwischen preußischem und deutschem Staatsgedanken (S. 154 ff.), im Ausblick auf die Gestalt Bismarcks: „Im selben Jahr, als Marwitz diese Worte niederschrieb, wurde der andere märkisdie Landedelmann geboren, der die Marwitzsche Forderung vollstreckte. Er konnte sie erfüllen, weil der Junker von einem bestimmten Zeitpunkt seiner Entwicklung an über sich selbst hinausgewachsen war und Staatsmann wurde, weil er schließlich das Bündnis mit jenen aufsteigenden Lebensmäditen der Nation vollzog, denen der andere so tief mißtraute." (S. 157)
3. Sprachliche Gestaltung a) Sprachgestaltung
und wissenschaftliche
Grundhaltung
Die oben aufgestellte Behauptung, daß die Essayistik von Willy Andreas Ausdruck eines wissenschaftlichen Erkenntnisstrebens sei, versteht sich für historische Essays keineswegs von selbst. In der Forschung wird ja immer wieder darauf hingewiesen, daß die Kunstform des Essays gerade als Ausdruck einer dezidiert nicht-wissenschaftlichen Haltung anzusehen sei6. Auf den ersten Blick mutet auch zumindest der Beginn des Marwitz-Essays in der T a t unwissenschaftlich genug an; jedenfalls hat er mit dem Werk eines Romanciers äußerlich sehr viel mehr Ähnlichkeit als mit einem fachwissenschaftlichen Aufsatz: „Vier Jahre vor dem Tode Friedrichs des Großen, an einem Sommerabend, hielt eine altmodische Fensterkutsche vor dem Pfarrhaus von Dolgelin in der Mark. Die Pferde wurden eben umgespannt. In dem Wagen saß ein alter Mann, der immer geradeaus vor sich hin sah. Er hatte einen dreieckigen Hut auf; dessen hintere Krempe war nach vorne gesetzt, um gegen die Sonne zu schützen, die Hutschnüre waren los und tanzten auf dem heruntergelassenen Rand umher. Die weiße Generalsfeder war schmutzig und zerrissen, die einfache blaue Uniform mit roten Aufschlägen, Kragen und goldenem Achselband abgetragen und bestaubt, die gelbe Weste voll Tabak; dazu hatte er sdiwarze Samthosen an. Allerlei Volk war zusammengelaufen. Die Bauern standen anfangs ehrerbietig abseits mit abgezogenen Mützen, jetzt rückten sie sachte näher und schauten begierig hinein. Die alte Semmelfrau von Lebbenichen war auch da. Sie hob einen kleinen Jungen gerade vor dem Fenster auf dem Arm: nun war er höchstens eine Elle weit von dem schweigsamen Fahrgast entfernt. Ihm war, als ob er den lieben Gott ansähe. Er fürchtete sich gar nicht, aber er hatte ein unbeschreibliches Gefühl von Ehrfurcht. Der Bub gehörte dem Kammerherrn von der Marwitz auf Fredersdorf, und das war seine erste Begegnung mit Friedridi dem Großen." (S. 133) Wer nicht weiß, daß diese Sätze einem Essay entstammen, würde sie mit Sicherheit für den Beginn einer historischen Novelle halten. Dennoch ist kein Wort dieser Schilderung Erzeugnis künstlerischer Phantasie. Ein Vergleich mit der von Marwitz selbst niedergeschriebenen Schilderung dieses Jugenderlebnisses 7 zeigt sehr eindrucksvoll, mit welch andächtiger Sorgfalt Willy Andreas dem zu gestaltenden Material gegenübersteht: 6 7
Vgl. beispielsweise Wolffheim in „Festgruß für Hans Pyritz", S. 28. Vgl. Meusel a.a.O. I, S. 22—25.
184
Sprachliche Gestaltung
er verzichtet auf jede Zutat zu Marwitz* schlichter Erzählung. Er beschränkt sich in dem zitierten Abschnitt auf ganz geringfügige Auslassungen und Umstellungen, durch die am Sadilidien nicht das geringste geändert wird. Und doch wird durch diese fast unsichtbaren Kunstmittel die Begegnung des Königs mit dem fünf- oder sechsjährigen Jungen aus dem Bereich des Anekdotischen herausgehoben. Marwitz selbst erzählt in seinen Denkwürdigkeiten, wie er mit seinem Kindermädchen nach Dolgelin geschidkt wurde, um dort die Durdireise des Königs abzuwarten. Das ist bei Willy Andreas fortgelassen; bei ihm kann der Leser zunächst nur ahnen, daß der schweigende alte Mann im Wagen der König selber ist. Und gerade dadurch, daß die Begegnung nicht motiviert wird, als „Zufall" erscheint, erhebt sie sich zu sinnbildhafter Bedeutung. So wird alles Zufällige und Äußerliche ausgespart; alles Gewicht liegt auf zwei Sätzen, die zwar wörtlich aus Marwitz* eigenem Bericht entnommen sind, aber — durch bloße Satzumstellung — ein unvergleichlich größeres Gewicht erhalten. Bei Marwitz sind sie nur beiläufig in den Bericht eingeschaltet. Bei Willy Andreas werden sie an den Kulminationspunkt der Szene gesetzt, werden zum Sinnbild für Marwitz' lebenslange Verbundenheit mit dem Erbe des Königs: „Ihm war, als ob er den lieben G o t t ansähe. E r fürchtete sich gar nicht, aber er hatte ein unbeschreibliches Gefühl von Ehrfurcht." (S. 133)
So kann die zitierte Passage geradezu als ein Musterbeispiel dafür gelten, wie andächtigste Akribie in der Verarbeitung des Quellenmaterials mit künstlerisch wirkungsvoller Gestaltung Hand in Hand zu gehen vermag. Die Essaykunst von Willy Andreas ist vor allem eine Kunst des Zusammenfassens und Verdichtens, nicht zuletzt auch des Weglassens. Damit soll freilich nicht gesagt werden, daß die Dinge im Marwitz-Essay etwa in populärer Vereinfachung dargeboten werden. Zwar könnte man vermuten, daß die so stark hervortretende Polarität in Aufbau und Gehalt des Essays (friderizianischer Staat hier — Französische Revolution dort) eine eigenmächtig vereinfachende Konstruktion des Verfassers sei; tatsächlich ist das nicht der Fall. Mit der Herausarbeitung dieser polaren Spannung gibt der Verfasser nichts anderes wieder als Marwitz' eigenes politisches Weltbild, und er betont sehr nachdrücklich, daß die Dinge in Wahrheit komplizierter lagen, als es Marwitz erschien: „Marwitz nannte alles, was Stein und nadi ihm Hardenberg tat, beide so verschieden in Persönlichkeit, Schaffen und Weltanschauung, Revolution schlechthin, Übertragung eines fremden Giftes in den gesunden deutschen Staatskörper. F ü r den Historiker, der dem verschlungenen, oft widerspruchsvollen Reichtum geistiger Einflüsse, der gesetzgeberischen Motive einheimisch deutscher und ausländischer Herkunft nachgeht, liegt die
Sprachgestaltung und wissenschaftliche Grundhaltung
185
Sache nicht so einfach, zumal Hardenberg die Bahnen Steins wieder verlassen und manche seiner Ziele ins Gegenteil umgebogen hat. Für Marwitz war die ganze Umbildung, war alles Niederschlag, Nadiäffung der Französischen Revolution." (S. 147) Was so häufig als entscheidendes Wesensmerkmal des Essays hervorgehoben wird, der freie Ausdruck einer bewußt subjektiven Haltung des Autors 8 , trifft auf die Essaykunst von Willy Andreas also nur bedingt zu. Gewiß betont er im Vorwort zu „Geist und Staat", daß der historische Essay sich freier und persönlicher geben dürfe als die fachwissenschaftliche Abhandlung (S. 10), aber das ist eher ein Unterschied des Grades als des Wesens. Im Marwitz-Essay jedenfalls fühlt sich der Essayist im höchsten Grade dem Ethos des Wissenschaftlers verpflichtet: „Der Historiker weiß, daß bei solchen Ereignissen der Knäuel der Schuld verwickelt, wenn nicht gar unentwirrbar i s t . . ( S . 142) Gerade in den Passagen, wo der Autor von der Wiedergabe der E r scheinungen zu ihrer Interpretation und Würdigung übergeht, spiegelt sich der unerschütterliche Wille zur Gerechtigkeit, der nach seinem W o r t (S. 13) das Handwerk des Historikers adelt; der Wille, jede Erscheinung der geschichtlichen Welt in all ihren positiven wie negativen Zügen als ein in sich einheitliches, eigengesetzliches Wesen zu begreifen. So in der Würdigung der altpreußischen Staatsidee: „Zucht, Straffheit, Ordnung überall. Arndt hat diese Poesielosigkeit tief beklagt; aber wer möchte leugnen, daß sie großen Stils ist?" (S. 135). So auch in der Darlegung von Marwitz' politischem Programm: „So verzerrt, so unrichtig und maßlos ungerecht das alles war, wirkte es doch mit der Wucht eines eigenen Programms, eines vielleicht engen, aber in seiner Art geschlossenen, stilechten Programms." (S. 150) 8
Besonders scharf versucht beispielsweise die Dissertation von Ursula Brandes, „Der Essay als psychologische Quelle", die „Subjektivität" als entscheidendes Kriterium des Essays herauszuarbeiten: „Innerhalb der essayistischen Darstellungen ist zwar . . . ein stärkeres Tendieren zu künstlerischer Gegenstandsbehandlung oder" (!) „zu sachlicher Treue möglich, die formalen Bedingungen lassen jedoch eine Vermischung der beiden Darstellungsformen nicht zu, da der Beziehungspunkt des Essays grundsätzlich der Autor selbst, der Beziehungspunkt der wissenschaftlichen Abhandlung aber die Sache ist, so daß da, wo von einer Grenzverwischung beider Formen gesprochen wird, zwangsläufig ein Aufgeben der einen oder anderen Darstellungsart vorliegen muß." (Brandes a.a.O., S. 161). Solch scharfer Trennung gegenüber wird zu fragen sein, ob nicht sehr wohl eine Betrachtungsweise möglich ist, die sowohl auf (objektive) Erkenntnis eines Gegenstandes als auch auf Gewinnung eines (subjektiven) persönlichen Standpunktes zu ebendemselben Gegenstand ausgeht. Die schroffe Antithese von „künstlerischer Gegenstandsbehandlung" und „sachlicher Treue" mutet etwas scholastisch an.
186
Sprachliche Gestaltung
b) Künstlerische Prinzipien der
Sprachgestaltung
Sehr im Gegensatz zu der bewußten Subjektivität Macaulays, im Gegensatz auch zu der virtuos in allen stilistischen Nuancen schillernden Kunst Thomas Manns ist in den Essays von Willy Andreas das Bestreben des Autors unverkennbar, hinter den Gegenstand zurückzutreten, die geschichtlichen Erscheinungen selbst für sich sprechen zu lassen. Am Beispiel der Eingangssätze haben wir bereits einen Eindruck davon gewonnen, mit welcher Behutsamkeit der Verfasser bei der Formung seiner Materials vorgeht. Und auch im weiteren Verlauf des Essays läßt sidi oft Zeile für Zeile verfolgen, wie sehr es sein Ziel ist, durch seine eigenen Formulierungen hindurch die Formulierungen von Marwitz selbst durchschimmern zu lassen, durch seine eigene Sprache hindurch D i k tion, Denkweise und persönlichen Stil der Titelfigur sichtbar zu machen. Die sprachliche Formung des Essays steht deshalb nicht im Dienst der subjektiven Stellungnahme des Verfassers, sondern im Dienst der treuestmöglichen Nachgestaltung und Interpretation des Gegenstandes. Auf den ersten Blick fällt die spröde, präzise Knappheit der Sprache auf, der Verzicht auf Glätte und Eleganz des Satzbaus. Alle irgend entbehrlichen Bindewörter sinid fortgelassen; die hartgefügten Sätze bezeichnen die Eigenart des friderizianischen Staates ebenso wie den Charakter der Titelgestalt. Das Wortmaterial zeigt alle Eigentümlichkeiten eines ausgeprägten Nominalstils. Denn nicht um die Handlungen der Titelgestalt geht es, sondern um ihr Wesen, nicht um die Vorgänge im preußischen Staat, sondern um den Staat selber. Die innere Dynamik der Sprache beruht ganz auf den mit äußerster Spannung und höchstem Nachdruck erfüllten Substantiven. In der folgenden Passage beispielsweise kommen rund drei Substantive auf je ein Verbum; noch dazu sind die Verben häufig als Partizipien, also in nominaler Funktion, gebraucht. U n d von den wenigen „echten" Verben bezeichnen die meisten auch kein Geschehen, sondern einen Zustand: „Ziele und Eigenart dieser hodistrebenden Politik bedingten und formten den inneren Bau des Staates. Ehrgeiz, Machtwille lebt in ihm. Fragt man nadi seiner Berechtigung, so gründet sie sich nicht bloß auf geographischpolitische Notwendigkeiten; sie ruht auch in der fast durchweg vorbildlichen Auffassung des Herrscheramtes, in der Fürsorge für die U n t e r tanen und den Wohlfahrtsbestrebungen des aufgeklärten Despotismus. Freilich fehlt einem solchen Gebilde der Reiz des natürlichen Wachstums. Es bleibt spröde und karg wie die N a t u r seiner Kernlandschaft; ein nüchtern rechnender Zug durchwaltet das Ganze. Alles ist auf Zweck, Nützlichkeit zugeschnitten, da ist ständige Hochspannung, kein Gehenlassen der Menschen und Dinge. Alle sind nur im Staate gedacht, gleichsam nur für ihn da und nur in seinem Dienste daseinsberechtigt. Zucht, Straffheit, Ordnung überall." (S. 135)
Künstlerische Prinzipien der Spradigestaltung
187
Diese Tendenz zu äußerster Knappheit der Sprache gibt vor allem der Schilderung des preußischen Staates vor 1806 das Gepräge, aber sie ist keineswegs auf diesen Abschnitt besdiränkt. Beherrschend tritt sie dort in Erscheinung, wo in prägnantester, schlagwortartig zugespitzter Form die Resultate weltgeschichtlicher Ereignisse umrissen werden. Freilich ist dieser Schlagwortcharakter nur äußerlich; in Wahrheit sind solche Wendepunkte kompositorisch von langer Hand her vorbereitet und im motivisdien Aufbau des Essays kunstvoll verzahnt. Nur wenn man gelesen hat, was zuvor über das Heer als Kernstück und Fundament des friderizianischen Staates gesagt wurde (S. 135—136), und wenn man andererseits die Heeresformen Scharnhorsts und Boyens bereits im Blick hat, wird das ganze Gewicht spürbar, das in der Schilderung des preußischen Zusammenbruchs auf dem einen Schlüsselwort „Armee" liegt: „Fremdherrschaft im Lande. Jena das Symbol des Zusammenbruchs: die Armee geschlagen!" (S. 141)
Am eindrucksvollsten aber kommt dieser Hauptwortstil zur Geltung, wo Marwitz' Anschauungen und Ziele mit ganz wenigen kraftvollen Strichen skizziert werden. Auch diese Abschnitte gipfeln in sdilagzeilenhaften zugespitzten Thesen, in denen sich die ganze Unbedingtheit und Geradlinigkeit von Marwitz' Denkweise spiegelt: „Ohne Grundadel keine Monarchie." (S. 150) „Kein fremdes Volkstum, keinen Rückfall in napoleonische Methoden, keinen Gewaltfrieden!" (S. 155)
Kompositionsprinzipien und sprachliche Formung sind sorgfältig aufeinander abgestimmt. Das Kompositionsprinzip schroffer Konfrontierung des alten Staatsgedankens und des Gedankenguts der neuen Zeit spiegelt sich, freilich in sehr unauffälliger und unaufdringlicher Form, in der Wortwahl. Als Beleg können die beiden Kulminationspunkte des Essays dienen, die Begegnungen des Titelhelden mit Friedrich dem Großen und mit dem Gesandten der revolutionären Französischen Republik. Die erste der beiden Szenen (S. 133) ist statisch, gewissermaßen als lebendes Bild, gestaltet. Kein Geräusch wird hörbar, kein Wort fällt zwischen dem Knaben und dem alten Mann im Wagen. Nur die tanzenden Hutschnüre des Königs und die sadite heranrückenden Zuschauer verleihen der Szene eine leise äußere Bewegung. Die andere im Marwitz-Essay geschilderte Begegnung hat damit zunächst vieles gemeinsam. Audi in ihr geschieht äußerlich überhaupt nichts. Audi sie wird größtenteils mit Marwitz' eigenen Worten wiedergegeben®, auch sie ist ganz bildhaft gestaltet. Dennoch wirkt sie viel bewegter und unruhiger. Der entscheidende Au9
Vgl. Meusel a.a.O. I, 1 3 4 — 1 3 5 .
188
Sprachliche Gestaltung
genblick wird in der Gegenwartsform wiedergegeben; in dem plötzlichen Eintreten des Gesandten wird etwas von der Dynamik einer neuen Zeit spürbar: „Er selber, Marwitz, hat uns seine erste Berührung mit ihr beim Regierungsantritt des Königs geschildert: wie im Weißen Saale vor dem Thron die Ritterschaft, darunter die getreuen Stände der Kurmark, die Minister und Vertreter der fremden Mächte versammelt sind. Und was er nun erblickte, erschien ihm wie ein schreckliches Omen der Zeit, die er acht Jahre später am eigenen Vaterland erleben sollte. In die festliche Versammlung, unter die wohlgepuderte, feinfrisierte Gesellschaft in Glanz und Orden tritt plötzlich der neuernannte Gesandte der Französischen Republik, niemand anders als der berüchtigte Sieyès, ein Kerl, sagt Marwitz, mit einem wahren Kanaillengesicht, mit seinem schwarzen Kopf und seiner enormen dreifarbigen Schärpe. Ein Murmeln ging durch den Saal. Das Ancien Régime hatte die Revolution gesehen." (S. 147) Ähnlich wird die Gegensätzlichkeit zwischen dem altpreußischen Staatsideal und dem Geist der Stein-Hardenbergschen Reformzeit schon durch die Wortwahl augenfällig sichtbar. In der Skizze des friderizianischen Staates wirkt die Sprache ausgesprochen statisch; selbst die Verben bringen, wie wir oben gesehen haben, fast durchweg etwas Beharrendes, in sich Ruhendes zum Ausdrude. Demgegenüber zeigt die Sprache ein merkbar verändertes Gepräge dort, wo die Gedankenwelt der preußischen R e f o r m e r umrissen wird. Zwar stehen auch hier Substantive und Adjektive dominierend im Vordergrund; dennoch ist der Gesamteindruck hier bewegter und dynamischer, weil die Verben ein viel größeres Eigengewicht und einen gänzlich anderen Charakter haben: „Ist es gestattet, den Sinn dieser Gesetzgebung auf eine kurze Formel zu bringen, so war es ungefähr der: das hohenzollernsche Preußen mit dem deutschen Geiste zu durchtränken, den harten Obrigkeitsstaat aufzutauen durch die Lebensmacht unserer Bildung und zugleich durch Entfesselung und freie Hingabe der Kräfte von unten, durch die Gedanken der Rechtsgleichheit und der persönlichen Freiheit. Es galt Individuum, Volk und Staat, Regierung und Regierte inniger miteinander zu wahrer Gemeinschaft zu verschmelzen, sie in ein lebensvoll entfaltetes, selbsttätiges und schöpferisches Gemeinwesen, in ein verantwortungsfreudiges und nach außen widerstandskräftiges Staatsvolk zu verwandeln, kurz, sie zur Staatsnation zu machen." (S. 149) So stehen kompositorische wie sprachliche Gestaltung des Essays im Dienste einer im Grunde wissenschaftlichen Aufgabe; keinesfalls sind sie Kunst um der Kunst willen. Aus dem Aufbau seines Essays wie aus seiner Diktion spricht das Streben des Geschichtschreibers, aus der Fülle geschichtlichen Lebens die bestimmenden Kräfte erkennend herauszuarbeiten und lebensvoll nachzugestalten. Aus dem Zusammenstoß verschieden gearteter Persönlichkeiten heraus wird mit eindrucksvoller Antithetik der Gegensatz weltgeschichtlicher Prinzipien sichtbar gemacht. So
Künstlerische Prinzipien der Sprachgestaltung
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in der Konfrontation der beiden Protagonisten des Essays, Marwitz und Hardenberg (S. 153), so auch in der Gegenüberstellung des Reichsfreiherrn von Stein und des märkischen Junkers von der Marwitz: „War Marwitz ein knorriger Baum, tief verwurzelt im Boden der Mark, Stockpreuße durch und durch, so bekannte der alte Reichsfreiherr, er habe nur ein Vaterland, das heiße Deutschland. Schonungslos, wie er mit gekrönten Häuptern umsprang, war er audi bereit, den Einzelstaat zu opfern. Marwitz und in diesem Falle sein Gesinnungsgenosse, der liberale Boyen, sahen von Preußen auf Deutschland, Stein umgekehrt von Deutschland auf Preußen. In Steins Phantasie glühte der Traum vom deutschen Kaisertum in der feierlichen Pracht gotischer Kirdienfenster, und weil er so viel tiefer im Reich, im alten Heiligen Reich lebte, weil er den Flug so viel höher, über Österreich und über Preußen hinweg, nach Deutschland hineinrichtete, verkannte er die schneidende Schärfe dieses Gegensatzes, den der Bewunderer Friedrichs des Großen als natürlich empfand und unbefangen zugunsten seines Staates bejahte." (S. 158)
4- Das historische Porträt Friedrich August Ludwigs von der Marwitz Für den Unterschied zwischen „echter" Biographie und historischbiographischen Porträt gibt es kaum ein schlagenderes Beispiel als den Marwitz-Essay. Dem Verfasser liegt nichts ferner, als dem Lebensweg seines Helden von Station zu Station zu folgen. Vorname, Geburt und Abkunft des Titelhelden werden nicht erwähnt; sein Tod wird nur beiläufig erwähnt, um am Beispiel der umständlich-feierlichen Begräbniszeremonien den patriarchalischen Lebensstil des preußischen Gutsherren zu vergegenwärtigen, der sich wie eh und je „als kleiner Fürst in seinem Bereiche" (S. 149) fühlte. Die Lebensdaten des Titelhelden erfährt der Leser nur aus einem knapp gehaltenen Anhang unter der Rubrik „Nachweise und Bemerkungen" (S. 217—218); in dem Essay selbst werden Jahreszahlen kaum genannt. Alles, was nicht in unmittelbarer Beziehung zur politischen und geistigen Problematik der Epoche steht, bleibt an der Peripherie. Daß Marwitz verheiratet war, wird beispielsweise nur in Parenthese erwähnt innerhalb einer eindeutig politischen Erörterung: „Mag sein, daß im einzelnen Marwitz, vielleicht unter dem Einfluß seiner zweiten Gemahlin, der Gräfin Moltke, einer ehemaligen Hofdame der Königin Luise, über manche Züge des Monarchen zu gallig absprach." (S. 139)
Dabei sind auch Marwitz' persönliche Schicksale durchaus nicht ohne eigenen Reiz; seine eigenen Aufzeichnungen zeigen mitunter eine Weichheit und Empfänglichkeit des Empfindens, die man bei dem streitbaren Marwitz nicht ohne weiteres vermuten sollte 10 . Aber solche privaten Züge treten bei Willy Andreas gänzlich in den Hintergrund. Persönliches Schicksal, persönlicher Lebenskreis werden stets in Beziehung zu den politischen und geistigen Fragen der Zeit geschehen. Die Schilderung der patriarchalisch wohlwollenden Gutsherrschaft Fredersdorf zum Beispiel ist gewiß lebensvoll und anschaulich (S. 148—149), aber Selbstzweck ist sie nicht, denn der Erzähler fährt fort: „ N u r aus diesem Gesichtskreis begreift man Marwitzens Verhältnis zur preußischen Staatserneuerung." (S. 149) 10
In ihrer spröden Nüchternheit ergreifend ist beispielsweise die Schilderung von Marwitz' kurzer erster Ehe durch ihn selbst.
Das historische P o r t r ä t Friedrich August Ludwigs von der Marwitz
191
So finden wir in dem Essay auch keine für sich stehende Gesamtcharakteristik der Titelfigur; das historische Porträt erwächst vielmehr aus den Auseinandersetzungen der Titelgestalt mit ihrer Zeit heraus. Zwei Hauptmittel der Charakterisierung herrschen dabei vor. Erstens wird Marwitz — indirekt — schon dadurch gekennzeichnet, daß er in höchstem Maße als Vertreter des friderizianischen Staatsgedankens erscheint. Alles, was über den Geist des altpreußischen Staates gesagt wird, gilt auch für Marwitz persönlich — obwohl sein Name in diesem Abschnitt (S. 134—138) gar nidit genannt wird. Zweitens werden seine Art und sein Denken immer wieder durch antithetische Gegenüberstellungen mit dem Wesen der politisch maßgebenden Zeitgenossen herausgearbeitet: „Marwitzens kühn angelegter, feuriger N a t u r mußte die schwunglose, hausbackene A r t des Königs zuwider sein . . . Während Marwitz nadi der Niederlage von Jena sein Freikorps organisierte, Truppen ausbildete, voll verzehrenden Eifers sorgte und arbeitete, erlebte er es, daß der König unmittelbar nach den furchtbaren Ereignissen in kleinlichsten Montierungsfragen aufging. W o ihn selber das Pathos der Befreiung mitriß, begegnete er auf dem T h r o n der Beschränktheit eines braven Unteroffiziers." (S. 138—139)
Vor allem aber gewinnt seine geistige Persönlichkeit Plastik und Anschaulichkeit durch Konfrontierung mit der Atmosphäre der preußischen Reformzeit, mit der Welt Hardenbergs (S. 153) und Steins (S. 158), Scharnhorsts und Boyens (S. 145—146). Variiert und aufgelockert wird dieses Stilprinzip der antithetischen Gegenüberstellung durch beiläufig eingeflochtene individuellere, anekdotische Einzelzüge: „Uberhaupt fand Scharnhorst von allen Neuerern in Heer und Beamtent u m am meisten Gnade v o r seinen Augen, so unbehaglich der arm und niedergeborene Bauernjunge ihm zunädist war . . . Allerdings glaubte er dem Artilleristen Scharnhorst Benachteiligung der Kavallerie vorwerfen zu müssen und nannte ihn einmal in seinem U n m u t gar deren Mörder, wie er überhaupt mit Kraftworten nidit geizte. E r selber war als toller Reiter in der ganzen Armee bekannt, und wenn er an seinem König eine gute Eigenschaft entdeckte, so die, daß er vorzüglich zu Pferde war, während Kaiser Alexander angeblich wie ein Mehlsack im Sattel saß, N a p o leon aber wie ein Schneider ritt." (S. 145)
Solche leichthändig eingestreuten Details bewahren den Essay davor, zu einer nur-gedanklichen, abstrakten Erörterung zu werden. Gewiß geht es dem Verfasser mehr um die Erkenntnis geistiger Tendenzen als um die Nachzeichnung individueller Schicksale, aber dadurch, daß Marwitz an den Bewegungen seiner Zeit so leidenschaftlichen Anteil nimmt, tritt auch seine Individualität in unverwechselbarer Eigenart hervor. Denn mit Vorliebe werden die Dinge so wiedergegeben, wie Marwitz selbst sie sah, so daß gerade in solchen Passagen Marwitz selbst indirekt auf
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Das historische P o r t r ä t Friedrich August Ludwigs von der Marwitz
das prägnanteste charakterisiert wird. Die von Willy Andreas zitierten Worte Marwitz* über ¡den Freiherrn von Stein zum Bdispiel diarakterisieren viel weniger den rheinischen Reichsfreiherrn, als den märkischen Junker selbst in all sein Unbeugsamkeit, aber auch in seiner Einseitigkeit und Beschränktheit. Freilich geht es im Grunde nicht um Stein und Marwitz allein, sondern um den Zusammenstoß zweier Epochen, um den ewigen Gegensatz zwischen Konservatismus und Neuerertum: „Hören wir ihn, wie er über Stein urteilte, den er zwar für einen begabten Menschen, aber für einen herrschsüchtigen Wirrkopf hielt. Gewiß hätte ihm die altpreußische Gruppe Yorcks, der Voß, Zastrows, Dohnas und Köckeritz zugestimmt, wenn er rückblickend sagte: .Stein fing nun die Revolutionierung des Vaterlandes an, den Krieg des Besitzlosen gegen das Eigentum, der Industrie gegen den Ackerbau, des Beweglichen gegen das Stabile, des krassen Materialismus gegen die von G o t t eingeführte Ordnung, des eingebildeten Nutzens gegen das Recht, des Augenblicks gegen die Vergangenheit und Zukunft, des Individuums gegen die Familie, der Spekulanten und Korruption gegen die Felder und Gewerbe, des Wissens und eingebildeten Talents gegen Tugend und ehrenwerten Char a k t e r . ' " (S. 1 4 9 — 1 5 0 )
Ein kurzes Wort ist noch zu sagen über die Rolle, die der Gestalt Friedrichs des Großen in Aufbau und Gehalt des Marwitz-Essays zukommt. Seine geistige Nachwirkung und sein geschichtliches Werk bilden das eigentliche Thema des Aufsatzes. Wie wir gesehen haben, schließen sich Anfang und Ende des Essays im Blick auf seine Gestalt zusammen. In allen Auseinandersetzungen zwischen Marwitz und dem von ihm so benannten „Allerliebsten Zeitgeist" (S. 147) wird als Leitmotiv die Gestalt des Königs beschworen: „Da, in unerschütterlicher Standhaftigkeit inmitten tiefsten Unglücks, in der lauernden Bereitschaft, die Fortuna am Schöpfe zu packen, den gesunkenen Staat wieder aufzurichten, im nie verzagenden Glauben, daß ein Volk, das nicht untergehen wolle, sich behaupten werde, daß alle Gewalthaber der Erde, wenn man nur den Willen zur Freiheit hat, auf Granit beißen, darin lebte Geist v o m Geiste Friedrichs, da fiel auf ihn der A b glanz der Seelennöte des Siebenjährigen Krieges. H i e r sprang der Funke des friderizianischen Genies auf den Landedelmann von der Marwitz über." (S. 141)
So ist auch der Marwitz-Essay im Grunde ein indirektes Porträt des Königs. Genauer gesagt, er ist die in sich geschlossene Hälfte eines Doppelporträts. In seinem Essay über Maria Theresia (S. 91 ff.) läßt Willy Andreas als Gegenspieler den „gekrönten Räuber Schlesiens", den „arglistigen, treulosen Politiker, vollkommen bar aller sittlichen und religiösen Bedenken" (S. 98) auftreten, so, wie ihn seine Feindin sehen mußte. Im Marwitz-Essay zeichnet er jenen anderen Friedrich, „der den Sieben-
Das historische Porträt Friedrich August Ludwigs von der Marwitz
193
jährigen Krieg heldenmütig bis zum Ende durchgekämpft hat, durch Grauen und Verzweiflung hindurch, an Untergang und Selbstmord vorbei" (S. 133). Hier geht es nicht mehr um die irdische Persönlichkeit Friedrichs, sondern um das Überdauernde seines Werkes, um seine geschichtliche Nachwirkung im Leben des märkischen Adligen Marwitz wie im Leben des deutschen Volkes. In diesem Sinne spiegelt sich etwas von höherer Aktualität im Marwitz-Essay, wenn man unter „Aktualität" den Ausdruck der Überzeugung versteht, daß es die Mächte der geschichtlichen Vergangenheit sind, die als Antriebe und Leitbilder auch die Gegenwart mitgestalten. In der ersten Fassung des Essays — von 1920 — ist das ganz deutlich. Die Schlußsätze lauten dort: „Denn für Marwitz war jener alte Mann im Wagen, den er als Kind so ehrfürchtig angestaunt hatte, Symbol all dessen, worum er sein Leben lang gekämpft hatte. E r war die unsterbliche, persönliche Großmacht, die auch in das Dunkel unserer Tage von ferne hineinleuchtet" 1 1 .
In der Fassung von 1960 ist dieser insgesamt doch hoffnungsvolle Schluß abgeändert worden. Es scheint, daß diese Abänderung der Resignation vor einer Gegenwart entspringt, die das lebendige Bewußtsein der Verbundenheit mit den Mächten ihrer Vergangenheit zu verlieren droht: „Denn für Marwitz war jener alte Mann im Wagen, den er als Kind so ehrfürchtig angestaunt hatte, Symbol all dessen, worum er sein ganzes Leben gekämpft hatte. E r war eine persönliche Großmacht, die für ihn etwas Unvergängliches hatte und — so wünschte er es — auch für die deutsche Welt ringsum dauernde Nachwirkung behalten sollte." (S. 158) 11
13
„Historische Zeitschrift" 122 (1920), S. 82.
Fischer, Studien zum historischen Essay
Auswertung der Ergebnisse
i. Zusammenfassung der Ergebnisse Wir stehen am Ende der Einzeluntersuchungen und haben uns nun zu fragen, ob die sieben untersuchten Beispiele außer ihrer rein stofflichen Verwandtschaft audi in der Art der Darstellung des Stoffes und in der Methode der Auseinandersetzung imit dem Thema irgendwelche Gemeinsamkeiten aufzuweisen haben, die uns berechtigen könnten, sie in einer als „historische Essayistik" zu bezeichnenden Gruppe zusammenzufassen. Um diese Frage beantworten zu können, müssen wir versuchen, die sieben Beispiele auf ihre jeweiligen zentralen Aussagen, auf das jeweils Spezifische ihrer Sichtweite, auf ihren geistigen Kern zu reduzieren. a) Abraham Cowley tritt mit einer einzigen zentralen Frage an seinen Gegenstand heran: ist Cromwell eine „große" oder eine moralisch zu verurteilende Persönlichkeit? Diese Frage führt den Autor weit über die individuelle Gestalt Cromwells und über die einzelnen geschichtlichen Fakten hinaus, denn allein aufgrund von Tatbeständen kann sie nicht entschieden werden: eben die Tatsadien und Geschehnisse, die von dem einen Dialogpartner als Beweise von Cromwells Größe bewertet werden, gelten dem anderen als Beweise seiner Verworfenheit. So ist Cowleys „Discourse by way of Vision" zwar alles andere als ein historisches Porträt Cromwells — und formal gewiß auch kein wirklicher Essay —, aber ein tiefschürfender Versuch, vermittels einer einzigen klaren Ausgangsfrage die verschiedenartigsten Probleme auszuloten, die durch das Auftreten eines geschichtlichen Phänomens wie Cromwell ausgelöst werden. b) Heinrich von Treitschkes „Milton" ist biographisch angelegt: Leben, Werk und politisches Wirken der Titelgestalt werden von einer Vielzahl unterschiedlicher Gesichtspunkte her beleuchtet. Dennoch ist die Sichtweise durchaus einheitlich, so groß die Vielfalt der zur Sprache kommenden biographischen, historisch-politischen und ästhetischen Gesichtspunkte zunächst anmutet; denn dadurch, daß all jenes, was (nach Treitschkes Auffassung) nur zeit- und umstandsbedingt ist, in den Hintergrund tritt, hebt sich um so stärker das heraus, was bleibende Geltung besitzt und Leben, Dichtung und Politik zur Einheit zusammenschließt, das „große Evangelium der Freiheit". c) Hermann Onckens vier Aufsätze über Cromwell betrachten jeweils nur Teilaspekte in der Persönlichkeit des Lord-Protektors, doch
198
Z u s a m m e n f a s s u n g der Ergebnisse
diese Teilaspekte werden jeweils in universalgeschichtlichen Dimensionen gesehen. Der in unserer Arbeit untersuchte Aufsatz beschäftigt sich — wenn man ihn als Auseinandersetzung mit Cromwell betrachtet — nur mit einem Spezialproblem, nämlich mit der religiösen Komponente von Cromwells Politik. Doch im Besonderen wird das Allgemeine sichtbar. Cromwell und das England der Puritaner sind für Oncken nur ein Glied der langen Kette, die sich von den Tagen der Propheten bis in die Gegenwart hinein erstreckt: sie stehen stellvertretend für alle Menschen und alle Nationen, die jemals in der Überzeugung gelebt und gehandelt haben, durch ihre Existenz und durch ihr Wirken eine schicksalhafte Aufgabe zu erfüllen. d) Macaulays „Frederic the Great" ist, ähnlich wie Treitschkes Aufsatz, biographisch angelegt; wie bei Treitschke wird das Leben der Titelgestalt in chronologischer Folge geschildert und dabei von einer Vielzahl verschiedenartiger Gesichtspunkte her beleuchtet. Doch anders als bei Treitschke fehlt hier das verbindende Element; die verschiedenen Aspekte stehen ohne inneren Zusammenhang nebeneinander. N u r im Ansatz wird eine übergreifende Interpretation der Gestalt des Königs sichtbar, die gerade das Widersprüchliche, seltsam Disharmonische in Friedrichs Bild, das Nebeneinanderliegen bewundernswerter, abstoßender und lächerlicher Züge als Wesenskern sieht. e) Thomas Manns „Friedrich und die große Koalition" umfaßt, äußerlich gesehen, nur den Zeitraum weniger Jahre vor dem Beginn des Siebenjährigen Krieges und schildert, wiederum äußerlich gesehen, mehr die Voraussetzungen für das Entstehen der großen Koalition, als die Persönlichkeit des Königs selbst. Doch in diesen absichtsvoll beschränkten Rahmen wird — freilich in ironisch gebrochener und verschleiernder Art — ein überaus komplexes Bild von Friedrichs Leben, Wesen und Werk hineinprojiziert. Und alle Fäden laufen am Schluß in eine einheitliche Deutung zusammen: Friedrich, der den Geist und die trockene Helligkeit der Vernunft liebt, muß doch handeln unter dem Drang eines dämonischen Geistes der Geschichte als der seiner selbst unbewußte Vollstrecker eines unergründlichen Schicksalswillens. f) Heinrich Mann deutet den „König von Preußen" aus einem einzigen psychologischen Aspekt heraus. Friedrich ist bei ihm der Verehrer und Gegenspieler der französischen Zivilisation seines Jahrhunderts. Er erhebt sich gegen die Zivilisation, um vor dem Forum eben dieser Zivilisation Ruhm zu gewinnen und zu behaupten: den sensationellen Ruhm eines gekrönten Empörers gegen die Zivilisation und Europa. Kern des Essays ist also ein psychologisches Problem: Friedrich erhebt sich gegen die Zivilisation, weil er nicht Vasall des Königs von
Zusammenfassung der Ergebnisse
199
Frankreich sein, darf, und gerade indem er sich gegen sie erhebt, erkennt er noch ihre Überlegenheit und die Verbindlichkeit ihres Urteils an. g) Willy Andreas stellt, wie sdion der Titel „Marwitz und der Staat Friedrichs des Großen" verrät, die Persönlichkeit der Titelgestalt bewußt unter einem Teilaspekt dar: nur so weit wird seine Gestalt sichtbar gemacht, wie sie im Staat und für den Staat lebt. Daß Marwitz sich selbst und dem Staatsgedanken friderizianischer Prägung unbeirrbar treu bleibt, während eben dieser Staatsgedanke sich längst in der Entwicklung zu anderen, neuen Formen hin befindet, bestimmt die innere Thematik dieses Aufsatzes. Vom rein Stofflichen abstrahiert erscheint Marwitz so sinnbildhaft für die Tragik einer Haltung, die in einer sich wandelnden und verjüngenden Welt doch ganz der leuchtenden Vergangenheit zugewandt bleibt. Zweifellos sind diese Beispiele in vieler Hinsicht außerordentlich verschieden voneinander: in der Art der Auseinandersetzung mit dem Gegenstand ebenso, wie in der kompositorischen und sprachlichen Gestaltung des Gegenstandes, zumal das älteste Beispiel durch mehr als ein Vierteljahrtausend vom jüngsten getrennt wird. Dennoch scheint bei aller gebotenen Vorsicht zumindest eine allgemeinere Feststellung möglich: Alle Beispiele setzen sich mit einer markanten, zur Stellungnahme herausfordernden Persönlichkeit auseinander. Allen Beispielen — den Essay Macaulays vielleicht ausgenommen — liegt ein einziger zentraler Leitgedanke (beziehungsweise eine bestimmte, klar umrissene Anschauung des Gegenstandes oder eine bestimmte, an den Gegenstand gerichtete Frage) zugrunde. Diesem Leitgedanken wird im einzelnen in sehr unterschiedlicher Weise Ausdruck verliehen. In zwei Beispielen (Hermann Oncken und Willy Andreas) wird der leitende Aspekt schon durch die Formulierung der Überschrift sichtbar gemacht und beherrscht so von vornherein das Ganze des Werkes. Bei Cowley wird die zentrale Fragestellung in der Einleitung des „Discourse" angedeutet und in dem anschließenden Dialog immer weiter vertieft und ausgeweitet: „ . . . sometimes I was filled with horror and detestation of his actions, and sometimes I inclined a little to reverence and admiration of his courage, conduct and succes . . B e i Heinrich Mann lautet der Titel des Essays zwar umfassend: „Der König von Preußen", doch der für den Autor entscheidende Gesichtspunkt wird schon im ersten Satz halb ausgesprochen und im Zentrum des Werkes voll zur Entfaltung gebracht: „Friedrich der Große hat die Russen seines Jahrhunderts barbarisch genannt... hauptsächlich um sich zu rechtfertigen vor seinem geliebten Frankreich 2 ". 1 2
Cowley a.a.O., S. 343. Heinrich Mann, „Die traurige Geschichte von Friedrich dem Großen", S. 143—153.
200
Zusammenfassung der Ergebnisse
Bei Treitschke manifestiert sich die leitende, übergreifende Idee in dem Wort „Freiheit", das die verschiedenen Aspekte von Miltons Leben zur Einheit zusammenschließt und am Schluß noch einmal eindrucksvoll hervorgehoben wird. Bei Thomas Mann wird die alle Teilaspekte zusammenschließende, einheitliche Anschauung der Gestalt Friedrichs erst am Schluß voll sichtbar gemacht; doch alle Teilaspekte, unter denen Friedrich zuvor dargestellt wird, sind darauf angelegt, sich am Schluß zu dieser einheitlichen Deutung zusammenzuschließen. Einzig bei Macaulay ist ein übergreifender, leitender Gesichtspunkt über den verschiedenen Teilaspekten nicht nachzuweisen; doch ist sein Essay als Gegenbeispiel wenig beweiskräftig, da eine zusammenfassende Würdigung von Friedrichs Gestalt — wie oben erwähnt — einer von Macaulay beabsichtigten späteren Fortsetzung des Essays vorbehalten bleiben sollte. So ergibt sich folgendes Fazit: Die Hauptabsicht der untersuchten Schriften richtet sich auf die Auseinandersetzung mit einer zur Stellungnahme herausfordernden geschichtlichen Gestalt unter einem einheitlichen leitenden Gesichtspunkt. Auswahl, Darstellung und Interpretation der Einzelfakten, Aufbau, Gedankenführung und Form des Essays werden weitgehend durch die Art dieses leitenden Gesichtspunktes bestimmt. Entweder wird er bereits am Anfang (in der Überschrift oder zumindest in den einleitenden Worten) durch eine an den Gegenstand gerichtete zentrale Frage sichtbar gemacht, so daß er von vornherein allen zur Sprache kommenden Teilaspekten übergeordnet erscheint, oder er wird am Schluß in einer zusammenfassenden Würdigung und Deutung herausgearbeitet, in der sich die vorher zur Sprache kommenden Teilaspekte zu übergreifender Synthese, zu einheitlicher Anschauung des Gegenstandes zusammenschließen. Dieses Ergebnis soll im folgenden näher beleuchtet werden durch Heranziehung verschiedener Gesichtspunkte, die in der nunmehr seit Jahrzehnten anhaltenden Diskussion über Wesen und Form des Essays eine wesentliche Rolle spielen. Da unsere Resultate aus einem verhältnismäßig sehr schmalen Material abgeleitet sind, das selbst aus dem speziellen Gebiet der „historischen" Essayistik nur einen kleinen Ausschnitt darstellt, wollen wir sie überprüfend vergleichen anhand einer Reihe von Aussagen zur Form des Essays allgemein, wie sie sich in wissenschaftlichen und schöngeistigen Auseinandersetzungen mit dieser Kunstform finden. a) Innere
Einheitlichkeit
und Geschlossenheit
des
Essays
Die eben ausgesprochene Ansicht, daß in den untersuchten Beispielen die Auseinandersetzung des Autors mit seinem Thema jeweils aus
Innere Einheitlichkeit und Geschlossenheit des Essays
201
einer zentralen Fragestellung erwachse oder in einer einheitlichen Anschauung des Gegenstandes aus einem leitenden Gesichtspunkt heraus gipfele, scheint in starkem Gegenstaz zu stehen zu vielen anderslautenden Definitionen und Wesensbestimmungen des Essays. Alexander v. Gleichen-Rußwurm beispielsweise nennt den Essay eine „literarische Arbeit, die aus den Quellenstudien der Fachgelehrten emporwachsen, ihren Vorwurf nicht ergründen soll, nur von verschiedenen Seiten beleuchten"3. Ursula Brandes gelangt in ihrer Dissertation „Der Essay als psychologische Quelle" zu der Feststellung: „Eine Untersuchung von einem festumrissenen Standpunkt aus widerspricht grundsätzlich der für den Essayisten kennzeichnenden gestalterischen Grundhaltung" 4 . In der gleichen Arbeit heißt es auch: „Die Freiheit des Essays in Stil und Anlage, seine Unvollständigkeit in der Durchführung des Gegenstandes und der sachlichen Belege durch Begründungen, die flüchtige und wechselseitige Beleuchtung des jeweiligen Problems von verschiedenen Gesichtspunkten aus, trennt diese Darstellungsart von der formal bestimmten wissenschaftlichen Abhandlung . . ," 5 . Ähnlich grenzt Max Bense den Essay gegen die wissenschaftliche Abhandlung ab: „Essayistisch schreibt, wer experimentierend verfaßt, wer also seinen Gegenstand hin und her wälzt, befragt, betastet, prüft, durchreflektiert, wer von verschiedenen Seiten auf ihn losgeht und in seinem Geistesblick sammelt, was er sieht, und verwertet, was der Gegenstand unter den im Schreiben geschaffenen Bedingungen sehen läßt" 6 . Bei Herbert Fischer endlich erscheint die Struktur des Essays geradezu zersplittert: „Das literarische Muster des Essays ist in jedem Fall ein kaleidoskopisches — sei es auch mehr zeichnerisches Ornament oder mehr malerisches Mosaik" 7 . Demgegenüber fragen wir uns, ob sich nicht auch solche mosaikhafte Vielfalt der Einzelaspekte zu einem einheitlich gesehenen Gesamtbild zusammenzuschließen vermag, ob nicht auch bei kaleidoskopischer äußerer Struktur ein untergründig leitender Gesichtspunkt die einzelnen mosaiksteinartigen Elemente in geheimen Zusammenhang bringt und ordnet. Auf Heinrich Manns Essay beispielsweise dürfte nach sprachlicher und gedanklicher Struktur das Wort „kaleidoskopisch" durchaus anzuwenden sein; dennoch wird in ihm eine bemerkenswert einheitliche, in sich geschlossene Sicht des Gegenstandes vermittelt. Auf ihn wie auf die meisten der von uns untersuchten Beispiele trifft Hans Wolffheims These zu: 3
4 5 6 7
Alexander von Gleidien-Rußwurms in „Das litterariche Echo" 6 (1903 bis 1904), Sp. 747. Ursula Brandes, „Der Essay als psychologische Quelle", S. 170. Ursula Brandes a.a.O., S. 6. Max Bense in „Merkur" 1 (1947), S. 417. Herbert Fischer, „Die Literarische F o r m des Essays", S. 117.
202
Zusammenfassung der Ergebnisse „In der Behandlung seines Gegenstandes strebt der Essayist nicht Vollständigkeit in den Einzelheiten und den erreichbaren Fakten an. E r arbeitet prägnante Einzelzüge seines Gegenstandes heraus, wobei er diese prägnanten Einzelzüge zu einem Gesamtbild (Komposition) vereinigt. Das Prinzip, durch Auswahl ein Gesamtbild (Komposition) zu erreichen, hat als eines der Grundgesetze des Essays zu gelten" 8 .
Diese Zentrierung auf ein einheitliches (und doch wohl meist auch von einem einheitlichen Gesichtspunkt aus gesehenes) Gesamtbild des Gegenstandes bringt es mit sich, daß manche Teilaspekte des Gegenstandes im Gesamtbild dominierend hervortreten, andere an der Peripherie bleiben, viele auch gänzlich unberücksichtigt bleiben, sofern sie nämlich, vom Blickpunkt des jeweiligen Autors aus gesehen, irrelevant erscheinen. Diese Abhängigkeit des entstehenden Gesamtbildes von Persönlichkeit und Blickpunkt des jeweiligen Autors hebt eindrucksvoll Georg von Lukacs (in einem Essay über Rudolf Kassner) hervor: „Er vermag mit so suggestiver Kraft, Dinge nicht zu sehen, daß sein Blick die Menschen aus ihrer Hülse schält und wir von dem Augenblick an die Hülse als Spreu empfinden und nur das als wichtig, was er als Kern betrachtet" 9 .
Für die in der vorliegenden Arbeit untersuchten Beispiele wird man jedenfalls sagen können, daß gerade auch dort, wo der Autor seinen Gegenstand von verschiedenen Seiten untersucht und beleuchtet, dies dem Ziel dient, das Wesentliche, den eigentlichen einheitlichen Wesenskern herauszuschälen. b) Transparenz
des Essays
Die Betrachtung der Einzelbeispiele hat immer wieder gezeigt, wie hinter dem jeweils in der Überschrift genannten Thema etwas Allgemeineres, Oberindividuelles sichtbar gemacht wird. Mitunter offenbart es sich nur in den Maßstäben, an denen der Gegenstand gemessen und beurteilt wird, öfter — auch und sogar vornehmlich in Arbeiten, die von streng geschichtswissenschaftlichem Geist und wissenschaftlicher Methodik geprägt sind — äußert es sich als Streben nach Erkentnis allgemeiner Strukturen und Wesensgesetze geschichtlichen Geschehens (so v o r allem in sehr kräftigen Zügen bei Hermann Oncken, mehr andeutend bei Willy Andreas). Sehr häufig wird die Auseinandersetzung mit einer bedeutenden geschichtlichen Gestalt zugleich zur Auseinandersetzung mit Urproblemen menschlicher Größe, Tragik und Schuld, so daß mitunter die Grenze von „Essayistik" und „Dichtung" gestreift, ja sogar 8
Hans Wolffheim in „Festgruß für Hans Pyritz", S. 28.
9
Georg von Lukacs, „Die Seele und die F o r m e n " , S. 4 4 — 4 5 .
Transparenz des Essays
203
überschritten wird. So heißt es bei Treitschke in einem Essay über Hans von Gagern: „Auch in der Darstellung der Geschichte bewährt sich der Glaubenssatz jedes Künstlers, daß das Individuelle zugleich das Allgemeine bedeutet. Aus einer anspruchslosen Skizze von dem Wadisen eines innerlich ringenden und arbeitenden Charakters treten uns die Widersprüche des Lebens, die Gesetze der menschlichen Entwicklung leicht unmittelbarer, ergreifender entgegen, als aus der Schilderung eines ganzen Zeitraumes" 1 0 .
Als Mittler zwischen dem Individuell-Menschlichen und dem Epochalen sieht Klaus-Günther Just den biographischen Essay — „Dem biographischen Essay geht es darum, die leibliche Gestalt darzustellen und damit zugleich die geistigen Gewalten, die in jener zentriert sind" 1 1 . Als Mittler zwischen dem Speziellsten und dem Allgemeinsten erscheint der Essayist angesichts von Walter Hilsbediers Gegenüberstellung: „Der Spezialist sieht im Speziellen am Ende nur noch das Spezielle. Der Essayist kann nicht ruhen, ehe er darin das Allgemeinste erkennt" 1 2 . Damit werden aber, auf unser spezielles Thema bezogen, die sachund fachgebundenen Grenzen des Begriffs „historischer Essay" gesprengt; das Beiwort „historisch" erscheint fast nur noch als äußerliches, rein stofflich orientierendes Etikett. Wie wenig belangvoll die stoffliche Thematik eines Essays gegenüber seinem Bezug zum Absoluten beispielsweise für Georg von Lukacs ist, zeigen seine Worte über den literaturund kunstkritischen Essay: „Die Ironie meine ich hier, daß der Kritiker immer von den letzten Fragen des Lebens spricht, aber doch immer in dem Ton, als ob nur von Bildern und Büchern, nur von den wesenlosen und hübschen Ornamenten des großen Lebens die Rede wäre; und auch hier nicht v o m Innersten des Innern, sondern bloß von einer schönen und nutzlosen Oberflädie . . . " 1 3 .
Ganz so unwesentlich, wie es hier erscheint, ist freilich im historischen Essay die äußere Thematik wohl nicht, denn in ihm ist auch vordergründig nicht „nur" von Bildern und Büchern die Rede, sondern vom Menschen und vom Leben selbst. So sind vielleicht gerade Essays historischer Thematik besonders geeignet, die Aufgabe zu erfüllen, die Bruno Berger dem „echten" Essay — vor allem dem kommender Zeiten — stellt: 10
11
12 13
Heinrich von Treitschke, „Historische und Politische Aufsätze" I, 7. Auflage, S. 143. Klaus Günther Just in „Deutsche Philologie im Aufriß" II, 2. Auflage, Sp. 1904. Walter Hilsbedier in „Frankfurter H e f t e " 17 (1962), S. 52. Georg von Lukacs, „Die Seele und die F o r m e n " , S. 20.
204
Zusammenfassung der Ergebnisse „Der edite Essay hat die Aufgabe, sei es in Teilstücken, implizit oder in überschauender Synthese, das Menschenbild der Epoche auszudrükken . . . " 1 4 .
Da sich das „Menschenbild der Epoche" als ein im weitesten Sinne „historisches" Phänomen auffassen läßt, wäre so im Grunde jeder „echte" Essay in einem tieferen Sinne auch „historischer" Essay. Daher wirkt es nicht verwunderlich, daß manche Interpretationen des Begriffs „Essay", ohne dabei auf spezifisch historische Essayistik bezogen zu sein, dennoch das Aufklären und Interpretieren historischer Zusammenhänge als wesentliche Aufgabe des Essays schlechthin verstehen: „ . . . der Essay, wenn er wirklich den N a m e n einer Kunstform verdient, ist mehr als eine Darstellung des Erforschten, darüber hinaus unternimmt er es, auf dem Fundament des Tatsächlichen Zusammenhänge zu erklären, Hintergründe zu erhellen und die geheimnisvollen Schriftzüge zu entziffern, in denen das Leben des einzelnen und das Leben der Völker sich manifestieren"- 15 .
Und ein anderer Beitrag sieht im Essay schlechthin einen Interpreten und Träger geschichtlicher Kontinuität: „Der Essay zieht Verbindungslinien nicht nur im ,Horizontalen', unter gleichzeitigen, gleichgeordneten Erscheinungen: im ,Vertikalen' spürt er historischer Kontinuität nadi. Audi sie bezieht er aufs Leben, auf zentrale Interessen. Jeder Essay wird so .lebendige und ehrfürchtige Brücke' von der vergangenen Zeit auf unsere h i n " 1 6 .
c) Zur Kunstform
des historischen Essays
Zur Klärung der Frage, welche charakteristischen formalen und ästhetischen Eigenschaften den Essay als Kunstform gegenüber anderen Prosagattungen auszeichnen, vermag die Vergleichung der hier untersuchten Beispiele anscheinend nicht viel beizutragen: die Verschiedenheiten sind — bedingt durch das individuelle Temperament, den ganz unterschiedlichen Stilwillen und die persönliche Welt- und Geschichtsauffassung der jeweiligen Autoren — auch im Kompositorischen und in der Sprachhaltung außerordentlich groß. Es scheint kaum möglich, auch nur drei oder vier der untersuchten Beispiele in formaler Hinsicht auf einen Nenner zu bringen, ohne die Texte zu pressen. In diesem Zusammenhang sei auf die Arbeit von Peter M. Schon verwiesen, die nur Texte eines einzigen Autors (Montaigne) untersucht und trotz dieser äußersten Einschränkung zu dem Fazit gelangt: 14
Bruno Berger, „Der Essay", S. 67.
15
Hans Rosenkranz in „Die Literatur" 35 (1932—1933), S. 208.
16
Barbara Klie, „Der deutsche Essay als Gattung", S. 62.
Zur Kunstform des historischen Essays
205
„Er" — Montaigne — „hat zwar als erster den Titel Essais gebraucht, aber alle, die nach ihm sich dieser Bezeichnung bedienten, schrieben keine Essays im Montaigneschen Sinne. Sein Werk steht als etwas Einmaliges vor uös, zu dem viele Fäden hinführen und von dem viele wieder ausgehen, und solche kompositorischen Ähnlichkeiten wie in anderen literarischen Gattungen, wie etwa zwischen Werken der dramatischen Dichtung, gibt es zum Werk Montaignes nicht. Und wenn wir nach dem Wesen, nach einer Definition des Montaigneschen Essays fragen, um dieses Einmalige zu charakterisieren, müssen wir bekennen, daß es einen Prototyp des Essays bei Montaigne gar nicht gibt" 1 7 . Diese Schwierigkeit, einen „ P r o t o t y p " des Essays zu definieren, wächst u m so mehr, je mehr Autoren verschiedener Epochen, unterschiedlichen Temperaments und ganz verschiedener geistiger Grundhaltung — und in der Auseinandersetzung mit gänzlich heterogenen Themen — unter dem Begriff „Esisayist" (beziehungsweise „Verfasser von Essays") zusammengefaßt werden sollen. So meint Schon: „Das Wort Essay ist als Aushängeschild für formal und inhaltlich ganz verschiedene Erzeugnisse gebraucht oder, was in vielen Fällen zweifellos treffender ist, mißbraucht worden . . . Hieraus kann man ableiten, daß jede differenzierte Definition, die alle Essayformen einschließen wollte, scheitern müßte 1 8 ". K. A. H o r s t scheint den Essay sogar prinzipiell f ü r undefinierbar zu erklären, wenn er sagt, „der Essay werde u m so definierbarer, je mehr er sich seinem eigentlichen Wesen entfremde" 1 9 . Daher scheint -es wenig aussichtsreich, aus den untersuchten Beispielen äußere formale Gattungseigentümlichkeiten „desl" historischen Essays deduzieren zu wollen. Die Untersuchung hat vielmehr zu zeigen versucht, wie stark die persönliche A r t der Auseinandersetzung mit dem jeweiligen Stoff auch A u f b a u , Gedankenführung und damit die literarische F o r m des jeweiligen Textes bestimmt. So meint auch B r u n o Berger, daß sidi im Essay vielleicht stärker als in anderen K u n s t p r o s a f o r m e n die wechselseitige Beeinflussung v o n Inhalt und Form, Gehalt und Gestalt auswirke: „Als ein Stück Prosa, das stilistisch künstlerisch intentioniert ist, ist die Gestalt nur durch den Gehalt und der Gehalt nur in künstlerischer Gestalt denkbar (anders als die Abhandlung, deren Umfang und Formung durch den Stoff bestimmt wird)" 2 0 . Als formales Kriterium! f ü r den „Essaycharakter" eines Textes scheint so die Feststellung möglich, daß ein T e x t u m s o mehr z u m Peter M. Schon, „Vorformen des Essays in Antike und Humanismus", S. 90. 1 8 Schon a.a.O., S. 6—7. 1 9 K. A. Horst, „Kritischer Führer", S. 289. 2 0 Bruno Berger a.a.O., S. 114—115. 17
206
Zusammenfassung der Ergebnisse
„echten" Essay hin tendiert, je klarer und künstlerisch überzeugender sich der „Gehalt", das heißt die individuelle Auseinandersetzung des Autors mit dem jeweiligen Stoff, in Aufbau, Gedankenführung und sprachlicher Gestaltung ausprägt. Freilich erscheint dieser Ansatz wenig geeignet, zu einer allgemeineren, verbindlichen Wesensbestimmung der Kunstform des Essays zu führen; in letzter Konsequenz würde er dahin führen, jeden einzelnen Essay nicht so sehr als Vertreter einer formal bestimmten Gattung „Essays" aufzufassen sondern vielmehr als autonomes Gebilde, das seine Formgesetze jeweils ganz neu aus sich selbst heraus entwickelt, indem es die Auseinandersetzung eines ganz bestimmten Autors mit einem ganz bestimmten Stoff in eine sprachlich und gedanklich adäquate, damit aber einmalige und unwiederholbare Form umsetzt. d) „Wissenschaftlichkeit"
im historischen Essay
In den Auseinandersetzungen mit dem Begriff des Essays spielen die Versuche, sein Verhältnis zur wissenschaftlichen Prosa und zur Wissenschaft schlechthin zu bestimmen, eine dominierende Rolle. Auch die vorliegende Arbeit kann an diesem Problem nicht vorbeigehen, da es — wenn man die in zahlreichen Beiträgen ausgesprochenen Stellungnahmen zu diesem Problem zugrunde legt — durchaus zweifelhaft erscheinen könnte, ob Arbeiten überhaupt den Titel „Essay" verdienen, die so stark von wissenschaftlichem Geist und wissenschaftlicher Methodik geprägt erscheinen wie etwa die von Hermann Oncken und Willy Andreas. Unter den verschiedenen Formen wissenschaftlicher Prosa wird meist die wissenschaftliche „Abhandlung" als besonders deutliches Gegenbeispiel dem „echten Essay" gegenübergestellt. So sagt Alexander von Gleichen-Rußwurm: „Namentlich in Deutschland wird der Essai vielfach mit einer gelehrten Abhandlung verglichen, aber er unterscheidet sich von dieser wie das geistvolle Gespräch im Salon von einer Dissertation in der Universitätsaula"21.
Diese Abgrenzung bezieht sich im wesentlichen auf die äußere Form. Ähnlich erwähnt Egon Vietta einen eigentümlichen „Mangel an Systematik, den der Essay konzediert" 22 ; er macht aus dieser Not gewissermaßen eine Tugend, wenn er weiterhin sagt: 21
Alexander von Gleichen-Rußwurm in „Das litterariche Echo" 6 (1903 bis 1904), Sp. 7 4 7 — 7 4 8 .
22
Egon Vietta in „Die Literatur" 37 (1934—1935), S. 485.
207
„ Wissensch aftlidikeit" im historischen Essay
„Wir würden ihn" — den Essay — „unterschätzen, wenn wir uns mit einer formalen Charakteristik begnügten und den Essay als konziliantere Form der wissenschaftlichen Mitteilung charakterisierten. Seine wissenschaftliche Leiditwertigkeit ist Gewinn. Sie gestattet, das Interesse am Mensdien wachzuhalten, und weil dieses Interesse durdi die wissenschaftlichen Absperrungsmaßnahmen, die rationale Ernüchterung durchbrochen ist, beginnt unsere Zeit wieder Essays zu lesen" 2 3 . Viel grundsätzlicher faßt R o b e r t Musil den Unterschied, wenn er den Essay als Formkunstwerk auffaßt, ihn nahe an die L y r i k heranrückt und gegen die Fachprosa scharf abgrenzt: im wissenschaftlichen Gedanken trete die Form des Gedankens gegen seinen invarianten, rein rationalen Gehalt sehr zurück. Ganz anders im Essay: „Schon im Essay aber, in der ,Betrachtung', im .Sinnen', ist der Gedanke ganz von seiner Form abhängig, und es wurde bereits darauf hingewiesen, daß dies mit dem Inhalt zusammenhänge, der in einem echten Essay, der nicht bloß Wissenschaft in Pantoffeln ist, zur Darstellung gelangt. Im Gedicht vollends ist das Auszudrückende nur in der Form seines Ausdrucks das, was es ist" 2 4 . Ursula Brandes sieht den Unterschied zwischen Essay und wissenschaftlicher Abhandlung primär
in der geistigen und
methodischen
Grundhaltung, aus der sich (sekundär) die Unterschiede der F o r m ergeben: „Während die wissenschaftliche Abhandlung im Dienste der Sache eine weitgehende Ausscheidung jedes subjektiven Faktors anstrebt und den Gegenstand durch Hineinstellen in logische Ordnungen zu beschreiben, zu begrenzen und zu klären versucht, bringt der Essay die persönliche Stellungnahme des Autors selbst zur Darstellung und bedingt durch die Beleuchtung und Erfassung des Gegenstandes von verschiedenen Gesichtspunkten aus und die Freiheit der künstlerischen Stilbehandlung sowohl eine individuelle Willkür in der Vermittlung des Tatbestandes, als auch eine Mannigfaltigkeit der Formen . . ." 2 5 . Ähnlich sagt Hans Wolffheim, der Essay sei „nicht Ausdruck einer wissenschaftlichen H a l t u n g " . Bestimmte Phänomene würden nicht objektiv erkannt; der Gegenstand erscheine vielmehr im Spiegel einer subjektiven Erkenntnis, was nach Lebensstimmung und Lebensgesinnung dem Essay stets Bekenntnischarakter verleihe 2 8 . Daß der Essay keine wissenschaftliche Zielsetzung anstrebe, sagt auch B r u n o Berger. Allerdings könne sich der Essayist gegebenenfalls streng wissenschaftlich ausdrücken. Aber Wissenschaft sei für ihn nur Mittel, niemals Zweck: 23
Egon Vietta a.a.O., S. 486.
24
Robert Musil in „Die neue Rundschau" 1931/11, S. 410.
25
Ursula Brandes, „Der Essay als psychologische Quelle", S. 161.
26
Hans Wolffheim in „Festgruß für Hans Pyritz", S. 28.
208
Zusammenfassung der Ergebnisse „Der Essay ist Essay, und weder Traktat nodi Abhandlung noch Dissertation, weder Abriß noch Versudi noch Einführung, kein Aufsatz und kein Forschungsergebnis oder wie die Formen wissenschaftlichen Schreibens, Berichtens, Darstellens sich immer nennen mögen. Der Essay als literarische Kunstform will überhaupt weder die Wissenschaft noch die Forschung bedienen und beliefern, so sehr er oft auch aus der Wissenschaft leben, sie für seine Formulierungen benutzen, so sehr der Essayist von ihr herkommen (und also auch sich streng wissenschaftlich ausdrücken) kann" 2 7 . Diesen Anschauungen steht jedoch eine Reihe von Stellungnahmen
gegenüber, die den Essay sehr nahe an die Wissenschaft heranrücken. Bereits 1865 beißt es in den „Preußischen Jahrbüchern": „Man wird uns einige Parteilichkeit für die Form des Essays zu Gute halten; denn sie zu Ehren zu bringen, war allezeit eine der Hauptbestrebungen unserer Zeitschrift. Die besten Bücher sind noch immer diejenigen gewesen, deren Verfasser so gut wie z. B. Jacob Burckhardt mit seiner ,Cultur der Renaissance in Italien' wußten, daß ,Versuche' das Beste seien, was der Einzelne zu dem Fortschritt des Wissens und der Bildung beizusteuern vermag" 2 8 . Aus diesem Beleg dürfte hervorgehen, daß der Essay sehr wohl imstande ist, der Wissenschaft neue Wege zu weisen — auch wenn m a n mit B r u n o Berger annimmt, daß es nicht sein Ziel sei, die Wissenschaft und Forschung zu bedienen und zu beliefern. Auch neuere Beiträge interpretieren den Essay als ein Mittel wissenschaftlicher Erkenntnis. Sehr zugespitzt sagt beispielsweise E d m o n d Jaloux: „Vom Essay scheint mir, macht man sich augenblick eine völlig falsche Vorstellung. Der Essay hat aufgehört, eine allein literarische Gattung zu sein, seitdem er vor allem wissenschaftlich ist . . . Er ist in den Händen der Gelehrten, er wird dort bleiben" 2 9 . In jüngster Zeit betont v o r allem K. A. Horst, daß der Essay seinen Rückhalt an der Wissenschaft finde: „Die Essays von Macaulay sind Essays eines Historikers und finden an der Geschichtswissenschaft und an der kritischen Noblesse des Verfassers Rückhalt. Die strenge Verbindlichkeit der Forschungsmethode wird elastischer gehandhabt; aber auch die Person des Forschers macht einen ähnlich gelockerten Eindruck, wie wenn man einem Gelehrten, den man auf dem Katheder zu sehen gewohnt ist, in ungezwungenem Gespräch begegnet. Wir werden im folgenden sehen, daß auch in Deutschland der Gelehrten-Essay, um ihn zunächst unter dieser Bezeichnung einzuführen, . . . dem ursprünglichen Geist der Gattung am treuesten geblieben und sie vielleicht im höchsten Sinne erfüllt hat" 3 0 . 27 28
29 30
Bruno Berger, „Der Essay", S. 77. Anonymer Verfasser (Rudolf Haym?) in „Preußische Jahrbücher'* 15 (1865), S. 102. Edmond Jaloux, zitiert nach „Die neue Rundschau" 1925, S. 447. K. A. Horst, „Kritischer Führer", S. 284—285.
„Wissenschaftlichkeit" im historischen Essay
209
Bei diesen Formulierungen mag der Leser zunächst versucht sein, an Musils launiges Wort von der Wissenschaft in Pantoffeln" 24 zu denken. Indessen betont Horst, daß der Essay gerade in der Hand von Gelehrten sich zwar an dem „Kontinent des Gewußten" orientiere, von dort aus aber mutig ins Ungesicherte vorstoße; der Gefahr einer Verwechslung von „Essayistik" mit „popularisierender Wissenschaft", vor der Bruno Berger warnt 31 , dürfte somit vorgebeugt sein: „Gediegenheit und Stoßkraft des Essays bemessen sich danach, wieviel an Wissen er im Rücken hat. Auf die Konstanz dieses Verhältnisses ist unbedingter Verlaß. Der Essay ist die Abweichung, die bewegte Kurve, der ungesicherte Kurs, zuweilen audi die Arabeske oder das Ornament, die sich an einem gesdilossenen Komplex, an der unpersönlichen Geraden, an dem Kontinent des Gewußten orientieren und ihnen auf eigene Gefahr ein persönliches Profil verleihen. Dies gilt für Montaigne und Francis Bacon ebenso wie für Carlyle und Macaulay, für H e r m a n Grimm und Alfred Dove, für Ernst Bloch und Ernst Robert C u r t i u s " 3 2 .
Damit nimmt Horst — um auf das engere Gebiet des historischen Essays zurückzukommen — ungefähr den gleichen Standpunkt ein, den die bereits eingangs zitierte Formulierung Hugh Walkers vertritt: "The man who has undertaken the history of a great period is not thereby precluded from discussing side issues as they arise, or delineating the great characters with whom his studies have made him familiar, or presenting conclusions which he means afterwards t o embody in the longer work. O n the contrary, he is just the man who above all others is capable of doing this . . , " 3 3 .
So betrachtet, scheint die Kluft zwischen „historischem Essay" und „wissenschaftlicher Geschichtschreibung" sich beträchtlich zu verringern. Sicherlich wird dadurch noch keine „Abhandlung" zum „Essay". Aber zumindest die Grenzen zwischen GeschiehtSchreibung (im Gegensatz zur Abhandlung, der es mehr auf die Erforschung als auf die Darstellung eines Problems ankommt) und Essay scheinen in der Tat alles andere als undurchdringlich zu sein: es dürfte kaum schwerfallen, auch in durchaus wissenschaftlichen Geschichtsdarstellungen Elemente essayistischer Sichtweisen und Stilmittel nachzuweisen. Nur kurz sei in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, daß die Übergänge zwischen „wissenschaftlicher" und „essayistischer" Prosa schlechthin fließender erscheinen, als in vielen der oben angeführten Anschauungen zum Ausdruck kommt. Schon 1926 fragte Max Rychner: „Ist es nicht eine der erfreulichsten Erscheinungen in der modernen Geisteswissenschaft, daß sie nicht mehr von gestrengen Fachmännern für ge31 32 33
14
Vgl. Bruno Berger, „Der Essay", S. 7 8 — 7 9 . K. A. Horst, „Kritischer Führer", S. 3 0 3 — 3 0 4 . Hugh Walker, „The English Essay und Essayists", S. 266. Fischer, Studien zum historischen Essay
210
Zusammenfassung der Ergebnisse strenge Fachmänner geschrieben wird, sondern sich als ,freie Kunst' wieder an die von Schiller als ideales Publikum gedachten philosophischen Köpfe wendet"34.
Diese Frage dürfte in die gleiche Richtung weisen, auf die auch Horst abzielt, wenn er den Begriff des „Gelehrten-Essays" in Deutschland heimisch zu machen hofft; sie dürfte auch auf den Typ historischer Aufsätze passen, den wir oben an Beispielen von Hermann Oncken und Willy Andreas kennengelernt haben. Gerade diesen beiden Autoren dürfte eine unexakte Vermischung „wissenschaftlicher" und „unwissenschaftlicher" Denk- und Darstellungsweisen kaum vorzuwerfen sein; eine Uberbetonung des Gegensatzes von „objektiver" Wissenschaftlichkeit und „subjektiver" Essayistik scheint einfach an der Tatsache vorbeizusehen, daß bei aller Verschiedenheit der Methoden „subjektiver" und „objektiver" Erkenntniswille im Wesen doch auf das Gleiche abzielen: auf Erkenntnis. In diesem Sinne verstehen wir das Wort von Georg von Lukacs, das den historischen Essay sehr genau trifft, ohne eigens auf ihn gemünzt zu sein: „ . . . der Essay spricht immer von etwas bereits Geformten, oder bestenfalls von etwas schon einmal Dagewesenem; es gehört also zu seinem Wesen, daß er nicht neue Dinge aus einem leeren Nichts heraushebt, sondern bloß solche, die schon irgendwann einmal lebendig waren, aufs neue ordnet. U n d weil er sie nur aufs neue ordnet, ist er auch an sie gebunden, muß er immer ,die Wahrheit' über sie aussprechen, Ausdrude für ihr Wesen findet"35.
e) Der Essay als „Probe" Hermann Grimm gebraucht in bezug auf die Essay Bacons und auch auf seine eigenen Essays verschiedentlich die Formulierung, sie seien „Vorreden gleichsam zu ungeschriebenen Büchern", „kurze Auszüge gleichsam ungeschriebener, umfangreicher Bücher" 3 6 . Es fragt sich, ob diese nur metaphorische und im Sinne der Veranschaulichung gebrauchte Redewendung auf manche Essays und manche Essayisten nicht sogar im wörtlichen Sinne angewendet werden könnte. In den FriedrichEssays der Brüder Mann haben wir bereits Schriften kennengelernt, die im eigentlichen Sinne als „Auszüge" beziehungsweise Stellvertreter von ungeschriebenen Friedrich-Romanen bezeichnet werden könnten. Aber auch im Bereich der eigentlichen Geschichtschreibung finden wir Autoren, die ein umfangreiches Gebiet zunächst in essayartigen Monographien durchstreifen, bevor sie ihre Kraft zu einem großangelegten, 34 35 36
Max Rychner in „Die Literatur" (1926—1927), S. 10. Georg von Lukacs, „Die Seele und die F o r m e n " , S. 23. H e r m a n Grimm, „Aus den letzten fünf Jahren", S. VIII, S. VII.
Der Essay als „Probe"
211
überschauenden Gesamtbild zusammenfassen; als Beispiele möchten wir Macaulays Essays zur englischen Geschichte und Kultur des 17. und 18. Jahrhunderts sowie Treitschkes Aufsätze zur deutschen Geschichte und Literatur des 19. Jahrhunderts nennen. Vergleichbare Beispiele nennt Rudolf Hirzel 3 7 . In solchen Fällen mag es gerechtfertigt sein, den Essay als gleichsam noch experimentierenden Vorläufer eines noch ungeschriebenen großen Werkes zu interpretieren, als ausgeführten Teil einer noch nicht bewiesenen und in allen Einzelheiten belegten, aber im Geist des Verfassers bereits konzipierten und in Grundzügen gestalteten Synthese. In diesem Sinne versteht das oben angeführte Wort H u g h Walkers den historischen Essay als Vorstufe oder Seitensproß eines größeren Werkes 3 3 und in ähnlichem Sinne ist es aufzufassen, wenn Trevor-Roper seine eigenen „Historical Essays" als „random samples f r o m a great ocean" bezeichnet, die durch die „philosophy" des Autors zur Einheit zusammengeschlossen würden 3 8 . Bei dieser Betrachtungsweise stellt sich der Essay (oder Aufsatz, kleiner Beitrag, Miszelle etc.) des Historikers gleichsam als Probe der Geschichtsauffassung und Geschichtsinterpretation des Autors dar, beispielhaft zum Ausdruck gebracht an einem durch seine äußere Begrenztheit überschaubaren Einzelgegenstand, an dem aber doch schon die Möglichkeit größerer, übergreifender Gesamtschau sichtbar wird. Eine derartige Erscheinung stellt Barbara Klie am Lebenswerk Burckhardts fest: „Burckhardt z. B. zerlegt das ungeheure Vorhaben einer ,Bibliothek der Kulturgeschichte des Mittelalters' in eine Reihe von Einzelmonographien; Anfang und Ende nur f ü h r t er aus (es sind ,Die Zeit Konstantins des Großen' und ,Die Kultur der Renaissance in Italien'). Solche Zeugnisse sind (zwar nicht Essays, aber) Zeugnisse des .Essayistischen' auf dem Boden der Wissenschaft. U n d bis in heutige Zeit immer häufiger zeigen jene ,Sammelwerke mit Einzeldarstellungen' . . . monographischen Charakter, der stets auf essayistische Elemente schließen l ä ß t " 3 9
Barbara Klie interpretiert solche Beispiele als „Proben", die zu ihrem Teil für eine „mitgedachte, nicht ausgeführt Enzyklopädie" einträten. Diesen tiefen Zusammenhang von Spezialistentum und universaler Gesamtschau erläutert Friedrich Meinecke: „ U n d da hält uns doch eines immer hoch im Spezialistentum: Wir gewinnen damit ungesucht im Lauf des Lebens doch ein eigenes Gesamtgefühl v o m geschichtlichen Leben, das wir nicht schwarz auf weiß immer zu Papier bringen können und wollen — eine ungeschriebene, lebendige Synthese erwächst ganz von selbst sogar beim eingezogensten Spezialistentum . . . Eine solche ungeschriebene lebendig gewachsene Geschichtsphilosophie 37 38 39
14»
Rudolf Hirzel, „Der Dialog" II, S. 22. Vgl. H u g h Trevor-Roper, „Historical Essays", S. V—VI. Barbara Klie, „Der deutsche Essay als Gattung", S. 19.
212
Zusammenfassung der Ergebnisse — erwachsen aus strengster Zucht und Arbeit — ist oft mehr wert als ein geschlossenes System. Weisheit läßt sich nicht auf Flaschen ziehen" 4 0 .
Insofern erscheinen schon die verschiedenartigsten Typen kleinerer historischer Aufsätze, Einzelstudien, Monographien usw. unausgesprochen auf universale Zusammenhänge ausgerichtet. Stärker noch gilt dies für eigentliche historische Essays, in denen gleichsam in nuce und noch unausgefaltet größere, universale Synthesen angedeutet werden. So betrachtet kann der Essay, unbeschadet seines Eigenwertes, zugleich zum vorbereitenden Vorläufer großer Gesamtschau werden, wie es Lukacs in eindrucksvoller Weise zum Ausdruck bringt: „Der Essayist ist ein Schopenhauer, der die Parerga schreibt auf die A n kunft seiner (oder eines anderen) ,Welt als Wille und Vorstellung' wartend; er ist ein Täufer, der auszieht, um in der Wüste zu predigen von einem, dessen Sdiuhriemen zu lösen er nicht würdig sei . . . Ruhig und stolz darf der Essay sein Fragmentarisches den kleinen Vollendungen wissenschaftlicher Vollendung und impressionistischer Frische entgegenstellen, kraftlos aber wird seine reinste Erfüllung, sein stärkstes Erreichen, wenn die große Ästhetik gekommen i s t " 4 1 .
Auf den historischen Essay bezogen wird man diesen Formulierungen zumindest soweit beipflichten können, daß er nicht so sehr auf die Fixierung (zur Zeit) gültiger Teilergebnisse, als auf ein (für die Zukunft) gültiges Gesamtbild, auf gültige Maßstäbe ausgerichtet ist. Fraglich ist allerdings, ob man deshalb auch der von Lukacs im letzten Satz gewagten Behauptung beipflichten muß: der Essay verliert kaum schon dadurch seinen Eigenwert als Formkunstwerk, daß sein gedanklicher Gehalt in den Zusammenhang eines späteren, umfassender angelegten Werkes (vom gleichen oder einem anderen Verfasser) eingeht. „Probe" einer größeren, umfassenden Konzeption mag der Essay im Inhaltlichen, Gedanklichen sein; in der Form aber scheint uns jeder Essay, der diesen Namen verdient, ein Kunstwerk zu sein, das — aus der Auseinandersetzung einer individuell geprägten Persönlichkeit mit einem für eben diese Persönlichkeit wichtigen Gegenstand erwachsen — unwiederholbar und damit auch in einer spezifischen Eigenart unübertreffbar ist. 40 41
Friedrich Meinecke, „Werke" IV, S. 185 Anm. Georg von Lukacs, „Die Seele und die F o r m e n " , S. 35—37.
2. Schluß Die in der vorliegenden Arbeit niedergelegten Überlegungen sind aus der Untersuchung konkreter Beispiele abgeleitet worden. Sie haben versucht, sich von vorgefaßten Ansichten über das Wesen „des" historischen Essays nach Möglichkeit freizuhalten. Deshalb wurde darauf verzichtet, der Untersuchung eine der zahlreichen verschiedenartigen Wesensbestimmungen zugrunde zu legen, die in der umfangreichen Literatur zum Begriff des Essays vorgelegt worden sind. Dennoch ist die so gewonnene Anschauung des historischen Essays in ihren Grundzügen keineswegs neuartig. Sie deckt sich in allen wesentlichen Punkten mit einer Formulierung, die vor mehr als hundert Jahren in den Preußischen Jahrbüchern niedergelegt wurde: „Herman Grimm hat sehr recht gethan, das fremde W o r t , E s s a y ' in unsere Sprache einzuführen. Seit Steele's und Addison's Zeiten bis auf Macauly hat der Begriff sidi so verfeinert, daß das hausbackene ,Versuch' des vorigen Jahrhunderts ihn weder ganz noch transparent genug deckt. Das M o ment des Untersuchens tritt etwas in den Hintergrund; die Hauptabsicht geht auf die künstlerische Darstellung einer Anschauung, welche eine unmittelbar an den Schriftsteller herantretende Frage oder Thatsache in dessen Seele eher lebendig angeregt als zu vollem Abschluß gebracht hat. D e r ächte Essay hat darum ein Anrecht darauf, subjectiv sein zu dürfen, wie er nur bedeutenderen Naturen ganz gelingen wird: er ist die ausgeführte prosaisdie Lyrik unseres modernen Bewußtseins . . . " 4 2 .
Hinzuzufügen wäre noch die der gleichen Quelle entnommene Ergänzung: „Die besten Bücher sind noch immer diejenigen gewesen, deren Verfasser so gut wie z. B. Jacob Burckhardt mit seiner ,Cultur der Renaissance in Italien' wußten, daß ,Versuche' das Beste seien, was der Einzelne zu dem Fortschritt des Wissens und der Bildung beizusteuern v e r m a g 2 8 " .
Diese Aussagen waren 1865 nicht speziell auf den historischen Essay gemünzt worden. Ob sie alle jemals verwirklichten Formen des Essays treffen, wagen wir nicht zu entscheiden; gerade für den engeren Bereich der „historischen" Essayistik aber glauben wir ihnen auch heute noch zustimmen zu können. Mit unseren eigenen Überlegungen stimmen sie auch insofern über42
Anonymer Verfasser (Rudolf H a y m ? ) in „Preußische Jahrbücher" 15 (1865), S. 696.
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Schluß
ein, als sie das Wesen des Essays nicht von äußeren formalen Gesichtspunkten her zu erfassen suchen, sondern vom Gehalt her, von der „Anschauung, welche eine unmittelbar an den Schriftsteller herantretende Frage oder Thatsache in dessen Seele eher lebendig angeregt als zu vollen Abschluß gebracht hat". Aus solcher in sich einheitlichen Fragestellung ergeben sich, wie wir an sieben Beispielen zu zeigen versuchten, Auswahl, Darstellung und Interpretation des Faktenmaterials, Aufbau, Gedankenführung und literarische Formung des Essays. Zugespitzt gesagt würde dies bedeuten, daß die literarische Kunstform des historischen Essays nicht festgelegt und vorgegeben ist, sondern sich bei jeder Auseinandersetzung einer bedeutenden Schriftstellerpersönlichkeit mit einem zur Stellungnahme herausfordernden Gegenstand neu und individuell entwickelt. So erscheint es fraglich, ob „jenes feierlich-gründliche Gesetzbuch des Essays43, dessen Herannahen Kurt Wais prophezeit, wirklich der Gesamtheit der vorliegenden Essayistik jemals wird gerecht werden können. Wir schließen deshalb mit den Worten Richard Exners: „Jeder aufmerksame Leser von Essays wird sich . . . gegen ein pedantisches Gesetzbuch verwehren wollen, denn das widerspäche dem studierten Gegenstand aufs schärfste" 4 4 . 43 44
Zitiert nach Richard E x n e r in „Neophilologus" 46 (1962), S. 169. Richard E x n e r in „Neophilologus" 46 (1962), S. 169.
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Namenregister J. Addison 213 Th. Adorno 31 Aesdiylos 105 Alexander der Große 113 Alexander I. von Rußland 113 W. Andreas 8, 32, 175—193, 199, 202, 206, 210 — „Das Zeitalter Napoleons" 179 — „Deutschland vor der Reformation" 179 — „Geist und Staat" 177—178, 179—180 — „Marwitz und der Staat Friedrichs des Großen" 175—193, 199 Aristoteles 26, 58 E. M. Arndt 185 F. Bacon 19, 41, 43, 180, 209, 210 P. Bailleu 8, 27 Benedikt X I V . 110 M. Bense 31, 201 B. Berger 1 (Anm.), 2 (Anm.), 10. 15, 16, 18, (Anm.), 19, 23, 30, 31, 32 (Anm.), 34, 35—36, 88—89, 164, 169, 202—204, 205, 207 bis 208, 209 F. v. Bezold 21—22 O. v. Bismarck 8, 85, 89, 179, 182 E. Bloch 209 J. Bodin 21 H .v. Boyen 182, 187, 191 U. Brandes 185 (Anm.), 201, 207 K. Brandi 22 K. Breysig 26—27 Brutus 7, 77 B. v. Bülow 14 C. J. Burckhardt 7, 23 J. Burckhardt 16, 21, 23, 25, 27, 208, 211, 213 Caesar 7, 46, 113 Th. Campbell 97—101, 110 Th. Carlyle 10, 33, 209
B. Castiglione 180 Catilina 46 C. Celtis 22 Chlodovech 22 C. Cibber 106 C. v. Clausewitz 9 A. Cowley 4, 39—61, 199 — „A Poem on the Late Civil War" 42 — „Discourse By way of Vision" 39—61, 197—198, 199 — „Discourses by way of Essays" 41—43, 45—47 — „Of Greatness" 43 „Of Liberty" 43 — „The Puritan and the Papist" 42 O. Cromwell 37, 39—61, 67, 69, 70, 71—72, 79—93, 197—198 R . Cromwell 42—43 E. R . Curtius 209 Dante 26, 69 (Anm.), 77, 105 G. J. Danton 5, 6, 14 L. v. Daun 110 Demosthenes 9 Ch. Dickens 114 H. Distel 126 (Anm.) R . Dodsley 106 Dohna 192 Domitian 46 A. Dorpalen 67 F. M. Dostojewski 105 A. Dove 2, 8, 24, 65, 71, 209 J. G. Droysen 2, 11—12, 25, 31 M. Duncker 27 Elisabeth I. von England 5, 65 Elisabeth von Rußland 134, 148, 163 (Anm.) F. Engels 179—180 Erasmus 23 M. Erzberger 5 R. Exner 31 (Anm.), 160, 169, 214
227
Namenregister J . Ph. Fallmerayer 10, 17—18 Falstaff 139—140 (Anm.) Ferdinand von Braunschweig 110 H . Fischer 201 G . Forster 5, 10 S. Franck 25 B . Franklin 5 G. Freytag 32 H . Friedjung 27—28 Friedrich I. von Preußen 108 Friedrich II. von Preußen 37, 95 bis 121, 123—153, 179, 181, 183 bis 184, 187, 191, 192—193, 197 bis 200 Friedrich Wilhelm I. von Preußen 10S, 112 Friedrich Wilhelm III. von Preußen 181
E. Heller 126 (Anm.), 137 J . G. Herder 16 T h . Heuss 7, 8, 26 K. Hillebrand 19 W. Hilsbecher 203 0 . Hintze 27 R . Hirzel 60, 211 H . v. Hofmannsthal 19 H . Homberger 19 Homer 105, 107 H . Honstedt 81 (Anm.), 82, 92 (Anm.) K. A. Horst 31, 157, 205, 208—210 J . Huizinga 21 Gebrüder Humboldt 8 W . v. Humboldt 16 J . Hume 115
F. v. Gentz 10—11 Georg II. von England 130 S. George 27 A. v. Gleichen-Rußwurm 201, 206 J . W. v. Goethe 32, 67, 146, 169 W . Goetz 22 (Anm.), 26 R . K. Goldschmidt-Jentner 7 G. P. Gooch 101 (Anm.), 106 (Anm.), 107, 115 (Anm.), 118 E . Gosse 41 F. Gregorovius 18—19 F , Grillparzer 14 H . Grimm 27, 35, 108 (Anm.), 110, 157, 209, 210, 213 F. Gundolf 4 (Anm.) K. Gutzkow 5 Gustav Adolf von Sdiweden 89
K. L. Immermann
H . Hallam 100 (Anm.) J . Haller 14 M . Harden 5 K. A. v. Hardenberg 179, 184 bis 185, 188—189, 191 S. Hartlieb 74 G . v. Haselberg 66 W. Hastings 98 M. Havenstein 150 Hayley 106 R . Haym 208, 213—214 W . Hegemann 163 (Anm.) K . T h . Heigel 2, 21, 32 H . Heimpel 8 Prinz Heinrich 139—140 (Anm.)
23
F. Jacobs 9—10 E . Jaloux 208 Jeremia 84 Joseph II. von Österreich 5 Pater Joseph 179—180 K. G. Just 2 (Anm.), 4, 6, 18 (Anm.), 29—30, 31, 37, 41, 177, 203 W. Kaegi 23—24, 25, 32—33 1. Kant 26 Karl der Große 24 Karl V. 7 Karl I. von England 42, 52, 59, 69, 70 R . Kassner 19 (Anm.), 202 Katharina II. von Rußland 5, 163 (Anm.) H . H . v. Katte 163, 165 Graf Kaunitz 134 J . Kepler 18 J . Klee 66 B. Klie 36 (Anm.), 204 (Anm.), 211 Köckeritz 192 Konstantin der Große 211 R . Koser 27 K. Lamprecht 27 E. G. v. Laudon 110 M. Lehmann 27
228
Namenregister
L. Leibridi 129 M. Lenz 8, 27 Lepidus 46 K. v. Linné 141 J. Lesser 151 0 . Lorenz 25—26 R . Lorenz 27 1. v. Loyola 141 Ludwig X V . 134, 162, 163 (Anm.), 168 Königin Luise 190 G. v. Lukacs 202, 203, 209, 211 Lukrez 27 M. Luther 89 T. B. Macaulay 10, 33—34, 95 bis 121, 139—141, 186, 198 bis 200, 208, 209, 211, 213 — „Frederic the Great" 95—121, 139—141, 198—200 — „History of England" 103, 111 — „Milton" 68—70 — „Warren Hastings" 98 N . MacdiiavelÜ 23, 25, 58 H. Mann 10, 126 (Anm.), 155—173, 198—199, 201, 210 — „Der König von Preußen" 155—173, 198—199, 201 — „Die traurige Geschichte von Friedrich dem Großen" 158, 164 (Anm.), 170—173 Th. Mann 10, 105, 123—153, 157—159, 186, 198—200, 210 — „Betrachtungen eines Unpolitischen" 151—152 — „Der Zauberberg" 141—142, 151, 152 — „Die Entstehung des Doktor Faustus" 142 (Anm.) — „Doktor Faustus" 141 — „Friedrich und die große Koalition" 123—153, 198—200 — „Gedanken im Kriege" 128—129 — „Königliche Hoheit" 126 (Anm.), 142—143 — „Lotte in Weimar" 146 E. Mareks 5—6, 8, 13—14, 32, 65—66 Marcus Antonius 46 Maria Theresia 111—112, 117, 132, 136, 138—139, 148, 180, 192
F. Martini 31 Herzog von Marlborough 113—116 F. A. L. v. d. Marwitz 177—193, 199—200 K. Marx 179 F. Mehring 15 F. Meinecke 11—12, 16, 24—25, 32, 180, 211—212 Melbourne 107 G. Mentz 89 M. Messerschmidt 116 K. L. von Metternich 17 F. Meusel 177—178 M. v. Meytens 132 J . Milton 63—78, 105, 107, 197—200 Graf Mirabeau 5 Mithridates 121 Moltke 179—180 Gräfin Moltke 190 Th. Mommsen 2, 11—12, 31 M. de Montaigne 19, 43, 204—205, 209 K. A. v. Müller 6, 8, 14, 21, 27, 32 R . Musil 207, 209 Napier 99 (Anm.) Napoleon 8, 82, 113, 191 F. Naumann 7 Ch. Neider 142 R . Nevo 52—53, 57 I. Newton 19
168—169,
Octavius 46 H. Oncken 12—13, 79—93, 197 bis 199, 202, 206, 210 — „Cromwell als Staatsmann" 81, 82—83, 87 — „Die Auserwähltheit eines Volkes und der religiöse Berufungsglaube des Führers" 79—93, 197—199 — „Die Außenpolitik Cromwells, von der deutschen Nordseeküste aus gesehen" 81 — „Englische Seepolitik und protestantische Weltpolitik" 81, 83 — „Historisch-Politische Aufsätze und Reden" 12—13, 91 Otto von Freising 25
229
Namenregister Peter der Große 172—173 Petersdorff 8 St. Petrus 110 Philipp von Anjou 116 Philipp von Makedonien 9 W. Pitt d. Ä. 115—116 W. Pitt d. J. 5 Plato 106 (Anm.) Plutarch 4 Marquise de Pompadour 134, 148 G. A. Fürst Potemkin 5 J. D. E. Preuss 99 K. Pringsheim 126 (Anm.) L. v. Ranke 1, 2, 5, 8, 16, 25, 31, 178 W. Rathenau 17 B. Reifenberg 8 G. A. Rein 6 Herzog von Richelieu 110 Kardinal Richelieu 179 W. H . Riehl 19—20 G. Ritter 16, 81 (Anm.), 92 J. D. Rockefeiler 5 L. Rohner 30 H . Rosenkranz 204 J. J. Rousseau 22, 146 H. Rüh] 82 M. Rydiner 209—210 G. J. D. Scharnhorst 9, 182, 187, 191 Th. Sdiiemann 76 F. Schiller 16, 210 F. Ch. Schlosser 25—26 M. Schmeisser 157, 163—164 G. Schmoller 27 W. v. Scholz 8 P. M. Schon 31, 43, 204—205 A. Schopenhauer 212 Graf Seckendorf! 138 W. Shakespeare 105, 139 (Anm.) F. Sieburg 8 Abbé Sieyès 188 Sophokles 105 Th. Sprat 4, 9 H . Ritter v. Srbik 17, 21 R. Steele 213 K. Freiherr v. Stein 179, 184—185, 188—189, 191, 192
F. W. v. Steuben 6 Suger von St. Denis 25 Heinrich V. Sybel 8 H . Taine 41 (Anm.), 59, 117 T. Tasso 107 W. M. Thackeray 114 Thukydides 111 L. N . Tolstoi 5 H . v. Treitschke 2, 6, 8, 10, 11—12, 27, 32, 63—78, 197—200, 203, 211 — „Milton" 63—78, 197—200 — Essay über Fidite 65 — Essay über H . v. Gagern 203 — Essay über F. Hebbel 65 — • Essay über G. Keller 67 — Essay über H . v. Kleist 65 — Essay über Lessing 65 — Essay über O. Ludwig 65, 67 — Essay über L. Uhland 65 H . Trevor-Roper 34, 35, 211 E. Troeltsch 25 P. Ueding 150 (Anm.) B. Uhse 158 K. A. Varnhagen von Ense 5 E. Vietta 207—208 Virgil 107 Voltaire 23, 106, 107, 110, 118, 119, 130, 162, 166 Voß 192 R. Wagner 7 K. Wais 214 H . Walker 33, 41 (Anm.), 43, 209, 211 H . Walpole 111 M. Weber 11—12 Herzog von Wellington 113 Kaiser Wilhelm I. 8 Wilhelm III. von England 104, 116 Wilhelmine von Bayreuth 106 (Anm.), 114, 172 H . Wolffheim 30 (Am.), 31, 33 (Anm.), 183 (Anm.), 201—202, 207 L. Yorck v. Wartenburg Zastrow
192
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QUELLEN UND FORSCHUNGEN ZUR SPRACH- UND KULTURGESCHICHTE DER GERMANISCHEN VÖLKER Neue Folge Groß-Oktav. Ganzleinen
Untersuchungen zu Miltons Paradise Lost Interpretation der beiden Schlußbücher V o n BERTA MORITZ-SIEBECK
VIII, 274 Seiten. 1963. DM 36,—. Band 12
Der Harder Texte und Studien I V o n TILO BRANDIS
VIII, 214 Seiten. 1964. DM 36,—. Band 13
Studien zu Bruder Hansens Marienliedern V o n M I C H A E L S . BATTS
VI, 77 Seiten. 1964. DM 12,—. Band 14
Das Pathos in Schillers Jugendlyrik V o n WERNER KELLER
X, 180 Seiten. 1964. DM 26,—. Band 15
Das Ebersignum im Germanischen Ein Beitrag zur germanischen Tiersymbolik V o n HEINRICH BECK
X, 207 Seiten. 1965. DM 32,—. Band 16
Max Frischs „ H ° m o Faber" Studien und Interpretationen V o n H A N S GEULEN
VHI, 103 Seiten. 1965. Neue Auflage in Vorbereitung. Band 17
Walter de Gruyter & Co • Berlin
QUELLEN UND FORSCHUNGEN ZUR SPRACH- UND KULTURGESCHICHTE DER GERMANISCHEN VÖLKER Neue Folge Groß-Oktav. Ganzleinen
Ethik und Ethos bei Grillparzer Denkerische Bemühung und dramatische Gestaltung V o n B E R N D BREITENBRUCH
VI, 215 Seiten. 1965. DM 34,—. Band 18
Jakob Bidermanns „Belisarius" Edition und Versuch einer Deutung V o n H A R A L D BÜRGER
VIII, 222 Seiten. 1966. DM 42,—. Band 19
Stil und Bedeutung des Gesprächs im Werke Jeremias Gotthelfs V o n A L F R E D REBER
XII, 191 Seiten. 1967. DM 32,—. Band 20
Christian Wolfis Metaphysik und die zeitgenössische Literatur- und Musiktheorie: Gottsched, Scheibe, Mizler Im Anhang: Neuausgabe zweier musiktheoretischer Traktate aus der Mitte des 18. Jahrhunderts V o n JOACHIM B I R K E
XII, 107 Seiten. 1966. DM 28,—. Band 21
Getica Untersuchungen zum Leben des Jordanes und zur frühen Geschichte der Goten V o n NORBERT W A G N E R
XII, 280 Seiten. 1967. DM 54,—. Band 22
Textkritische Studien zum Welschen Gast Thomasins von Zerclaere V o n F R I E D R I C H W I L H E L M VON K R I E S
X, 174 Seiten. 1967. DM 48,—. Band 23
Walter de Gruyter & Co • Berlin
QUELLEN U N D FORSCHUNGEN ZUR SPRACH- UND KULTURGESCHICHTE DER GERMANISCHEN VÖLKER Neue Folge Groß-Oktav. Ganzleinen
Studien zu den starken Verbalabstrakta des Germanischen V o n ROBERT HINDERLING
VIII, 181 Seiten. 1967. DM 48—, Band 24
Johann Wilhelm von Stubenberg (1619—1663) und sein Freundeskreis Studien zur österreichischen Barockliteratur protestantischer Edelleute V o n MARTIN BIRCHER
XIV, 340 Seiten. 4 Tafeln. 1968. D M 64,—. Band 25
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Literatentum, Magie und Mystik im Frühwerk Hugo von Hofmannsthals V o n MANFRED HOPPE
Etwa 150 Seiten. 1968. DM etwa 36,—. Band 28
Der junge Hebbel V o n WOLFGANG WITTKOWSKY
Etwa 305 Seiten. 1968. DM etwa 56,—. Band 29
Joseph Berglinger Eine Studie zu Wackenroders Musiker-Dichtung V o n ELMAR HERTRICH
Etwa 125 Seiten. 1968. DM etwa 42,—. Band 30
Walter de Gruyter & Co • Berlin 30