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German Pages 1178 [1180] Year 1994
Studien zum 15. Jahrhundert
Studien zum 15. Jahrhundert
Festschrift für Erich Meuthen Bandl Herausgegeben von Johannes Helmrath und Heribert Müller in Zusammenarbeit mit Helmut Wolff
R.Oldenbourg Verlag München 1994
Die Drucklegung dieser Publikation wurde ermöglicht durch die finanzielle Unterstützung folgender Institutionen Bistum Aachen Bistum Mainz Bistum Trier Aachener Geschichtsverein Bankhaus Oppenheim Sal. jr. & Cie. Gesellschaft für Konziliengeschichtsforschung Landschaftsverband Rheinland Rudolf Siedersleben'sche Otto Wolff-Stiftung (Prof. Dr. G. Hartmann/ Dr. A. Woopen)
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Studien zum 15. Jahrhundert: Festschrift für Erich Meuthen / hrsg. von Johannes Helmrath und Heribert Müller in Zusammenarbeit mit Helmut Wolff. - München : Oldenbourg. ISBN 3-486-56078-6 NE: Heinirath, Johannes [Hrsg.]; Meuthen, Erich: Festschrift Bd. 1 (1994)
© 1994 R. Oldenbourg Verlag GmbH, München Das Werk einschließlich aller Abbildungen ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Bearbeitung in elektronischen Systemen. Foto: Erich Kramer, Köln Umschlaggestaltung: Dieter Vollendorf Gesamtherstellung: WB-Druck, Rieden Gedruckt auf alterungsbeständigem säurefreiem Papier ISBN 3-486-56078-6
Inhalt
Vorwort der Herausgeber HEIMPEL, HERMANN ( t ) :
XI Sitzordnung und Rangstreit auf dem Basler
Konzil. Skizze eines Themas I.
1
D I E KONZILIEN VON KONSTANZ UND BASEL UND IHR THEOLOGISCHES UMFELD
MIETHKE, JÜRGEN:
Kirchenreform auf den Konzilien des 15. Jahrhun-
derts. Motive - Methoden - Wirkungen LEPPER, HERBERT:
13
Aquensia zum Konzil von Konstanz
43
WATANABE, MORIMICHI: Henry Beaufort, Cardinal of England, and Anglo-papal Relations BLACK, ANTONY:
65
Diplomacy, Doctrine and the Disintegration of an
Idea into Politics HELMRATH, JOHANNES:
77 Capitula.
Provinzialkapitel und Bullen des
Basler Konzils fur die Reform des Benediktinerordens im Reich SIEBEN SJ, HERMANN JOSEF:
....
87
Non solum papa definiebat nec solus
ipse decretis et Statutibm vigorem praestabat.
Johannes von Ragu-
sas Idee eines römischen Patriarchalkonzils
123
LAUDAGE, JOHANNES: Certum est quod papa potest errare. Johannes von Ragusa und das Problem der Unfehlbarkeit
145
HORST OP, ULRICH: Nova Opinio und Novelli Doctores. Johannes de Montenigro, Johannes Torquemada und Raphael de Pornassio als Gegner der Immaculata Conceptio
169
BÄUMER, REMIGIUS: Die Entscheidung des Basler Konzils über die Unbefleckte Empfängnis Mariens und ihre Nachwirkungen in der Theologie des 15. und 16. Jahrhunderts
193
VI
INHALT
BRANDMÜLLER, WALTER: Siena und das Basler Konzil - die Legation des Battista Bellanti
207
MÜLLER, HERIBERT: Cum res ageretur inter tantosprincipes: Der Streit um das Bistum Tournai (1433-1438). Zu einem Kapitel französisch-burgundischer Beziehungen aus der Zeit des Konzils von Basel
231
PETERSOHN, JÜRGEN: Bischof, Konzil und Stiftsstadt. Die Bischöfe von Kammin und die Hansestadt Kolberg im Obedienzkampf zwischen Basel und Rom PATSCHOVSKY, ALEXANDER: Nikolaus von Buldesdorf. Zu einer Ketzerverbrennung auf dem Basler Konzil im Jahre 1446 II.
255 269
N I K O L A U S VON K U E S
HAUBST, RUDOLF (f): Nikolaus von Kues im Dialog
293
SENGER, HANS GERHARD: Metaphysischer Atomismus. Zur Transformation eines Denkmodells durch Nikolaus von Kues
311
BORMANN, KARL: Die Randnoten des Nikolaus von Kues zur lateinischen Übersetzung des platonischen 'Parmenides' in der Handschrift Volterra, Biblioteca Guarnacci, 6201
331
SCHIEFFER, RUDOLF: Nikolaus von Kues als Leser Hinkmars von Reims
341
VAN DIETEN, JAN-LOUIS: Nikolaus von Kues, Markos Eugenikos und die Nicht-Koinzidenz von Gegensätzen
355
HALLAUER, HERMANN JOSEF: Bruneck 1460. Nikolaus von Kues der Bischof scheitert an der weltlichen Macht
III.
381
FRÖMMIGKEIT, BILDUNG UND KULTUR
SCHREINER, KLAUS: Von dem lieben herrn sant Jheronimo: wie er geschlagen ward von dem engel. Frömmigkeit und Bildung im Spiegel der Auslegungsgeschichte eines Exempels VAN DIJK O.CARM., RUDOLF TH. M.:
415
D i e W o c h e n p l ä n e in einer
unbekannten Handschrift von 'De spiritualibus ascensionibus' des Gerhard Zerbolt von Zutphen
445
INHALT
VII
NEDDERMEYER, UWE: Radix Studii et Speculum Vitae. Verbreitung und Rezeption der 'Imitatio Christi' in Handschriften und Drucken bis zur Reformation
457
WASSERMANN, DIRK: Wissenschaft und Bildung in der Erfurter Kartause im 15. Jahrhundert. Ein anonymer Kommentar aus dem Bibliothekskatalog von St. Salvatorberg
483
WERNER, MATTHIAS: Johannes Kapistran in Jena
505
MORAW, PETER: Die Hohe Schule in Krakau und das europäische Universitätssystem um 1400
521
SÖTTILI, AGOSTINO: Die theologische Fakultät der Universität Pavia in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts. Die gescheiterte Berufung des Theologen Thomas Penketh und die Einrichtung der 'Lectura Thomae'
541
V. DEN BRINCKEN, ANNA-DOROTHEE: Occeani Angustior Latitudo. Die Ökumene auf der Klimatenkarte des Pierre d'Ailly
565
GLLOMEN, HANS-JÖRG: Der Traktat 'De emptione et venditione unius pro viginti' des Magisters Felix Hemmerlin
583
Band 2 IV.
RENAISSANCE UND HUMANISMUS
BUCK, AUGUST: Säkularisierende Grundtendenzen der italienischen Renaissance
609
SCHREINER, PETER: Giovanni Aurispa in Konstantinopel. griechischer Handschriften im 15. Jahrhundert
623
Schicksale
SCHULD, THOMAS: Bienen und Ameisen. Zu einer Stelle in den 'Elegantiae' Lorenzo Vallas
635
BEIERWALTES, WERNER: Plotin und Ficino: Der Selbstbezug des Denkens
643
TEWES, GÖTZ-RÜDIGER: Frühhumanismus in Köln. Neue Beobachtungen zu dem thomistischen Theologen Johannes Tinctoris von Tournai
667
VIII
INHALT
WORSTBROCK, FRANZ JOSEF: Hartmann Schedels 'Index Librorum'. Wissenschaftssystem und Humanismus um 1500
697
OBERMAN, HEIKO A.: Gansfort, Reuchlin and the 'Obscure Men': First Fissures in the Foundations of Faith
717
V.
D A S R E I C H UND E U R O P A
ERKENS, FRANZ-REINER: ... Und wil ein grosse Reise do tun. Überlegungen zur Balkan- und Orientpolitik Sigismunds von Luxemburg .
739
ENGELS, ODILO: Albert von Siegburg oder Albert Stuten? Beobachtungen zu einer Weltchronik des 15. Jahrhunderts
763
REPGEN, KONRAD: Antimanifest und Kriegsmanifest. Die Benutzung der neuen Drucktechnik bei der Mainzer Stiftsfehde 1461/63 durch die Erzbischöfe Adolf von Nassau und Diether von Isenburg
781
WOLFF, HELMUT:
Underwasfrolichundwolgemut...
Z u m Aufent-
halt Kaiser Friedrichs III. 1471 in Nürnberg
805
LANZINNER, MAXIMILIAN: Reichssteuern in Bayern im 15. und 16. Jahrhundert
821
SCHWARZ, BRIGIDE: Statuta sacri causarum apostolicipalacii atiditorum et notariorum. Eine neue Quelle zur Geschichte der Rota Romana im späten Mittelalter
845
ESCH, ARNOLD: Im Heiligen Jahr am römischen Zoll. Importe nach Rom um 1475
869
PARAVICINI, WERNER: Fürschrijften und Testimonia. Der Dokumentationskreislauf der spätmittelalterlichen Adelsreise am Beispiel des kastilischen Ritters Alfonso Mudarra 1411-1412
903
VONES, LUDWIG: Vom Pogrom zur Vertreibung. Die Entwicklung des jüdisch-christlichen Verhältnisses in den Kronen Kastilien und Aragon von 1391 bis 1492
927
VI.
STADTGESCHICHTE
-
K Ö L N : K I R C H E UND GEMEINDE
BOOCKMANN, HARTMUT: Deutsche Städte um 1500 in den Augen von Zeitgenossen
957
GROTEN, MANFRED: Devotio Moderna in Köln
971
INHALT
IX
JANSSEN, WILHELM: Eine Vereinbarung über die Bischofswahl zwischen dem Kölner Domkapitel und den Landständen aus der Zeit des Erzbischofs Dietrich von Moers
989
NEUHAUSEN, CHRISTIANE: Köln und der Kirchenbau: Beispiele zur Instrumentalisierung des Ablaßwesens
1005
VAN ELTEN, JOSEF: Die Inkorporation der Pfarrei Widdersdorf in die Abtei Brauweiler
1017
STEHKÄMPER, HUGO: Gemeinde in Köln im Mittelalter
1025
Schriftenverzeichnis Erich Meuthen
1101
Abkürzungsverzeichnis
1109
Register
1113
VORWORT
Schüler, Kollegen und Freunde haben sich zusammengefunden, um Erich Meuthen zur Vollendung des 65. Lebensjahres diese Festschrift zu widmen. Jeder Beitrag ist für sich Zeichen persönlicher Verbundenheit und Dankbarkeit. Zugleich aber haben die Autoren ihn in den Dienst einer gemeinsamen Sache gestellt, zu deren wissenschaftlicher Fortentwicklung sie beizutragen wünschen: der Erforschung des 15. Jahrhunderts - eines Bereichs, den als eigenständige Epoche zu konstituieren Erich Meuthen selbst wesentlich beigetragen hat. Qualitativ mehr als eine bloß periodisierungstechnische Centurie, hat dieser 'siècle charnière' mit seinen Überschichtungen, Brechungen und Widersprüchen ihn immer wieder angezogen; auch als das Jahrhundert jener Persönlichkeit, der sein Forscherinteresse in besonderem Maße galt, des Nikolaus von Kues, und schließlich wegen der vielen Entdeckungsreisen in unerschlossenes Quellenland, die hier noch möglich sind. 'Das 15. Jahrhundert', als Thema konkret und weit zugleich, war denn auch die einschränkende Vorgabe, welche die Herausgeber bewußt den vielen Autoren machten, die sich auf erste Einladung hin zur Mitarbeit bereit fanden. Ohne diese Begrenzung wäre der Kreis noch weit größer gewesen; und aus diesem Grund werden manche dem Jubilar nahe-, dem Thema indes fernerstehende Kollegen ihre wissenschaftliche Gratulation an anderer Stelle entbieten. Wie sich die Beiträge einer Festschrift am Ende konfigurieren, ist ebenso ein Produkt des Zufalls wie des Feinsinns der Autoren und des Ordnens der Herausgeber. Mit den vorliegenden 'Studien zum 15. Jahrhundert1 scheint jedenfalls am Ende ein Mosaik entstanden, dessen Steine sich so beziehungsreich zusammenfugen, als habe eine leitende Idee dahintergestanden. Denn die Schwerpunkte, zu denen sich die Beiträge ohne Mühe zusammenstellen ließen, spiegeln die bevorzugten Forschungsfelder des Jubilars, der Geschichte grundsätzlich als europäische Geschichte versteht; sie belegen auch die seinen Arbeiten und seiner breitangelegten Lehre stets eigene 'Polyvalenz': Neben den 'Cusana' sind dies die Konzilien von Konstanz und Basel samt ihrem theologischen Umfeld; neben Studien zur
XII
VORWORT
Frömmigkeit, Bildung und Kultur des Spätmittelalters treten solche zum Zeitalter von Renaissance und Humanismus, und schließlich findet die Erforschung des 'Makrokosmos' Reich und Europa im 15. Jahrhundert ihr Pendant in der des 'Mikrokosmos' der spätmittelalterlichen Stadt. Mag das Ensemble der Beiträge bis zu einem gewissen Grad auch eine Zwischenbilanz der Forschung für diese, Jubilar wie Autoren besonders interessierenden Schwerpunkte darstellen, so ging es dennoch nicht ohne Lücken ab. Wer Erich Meuthen kennt, weiß, daß Aquensia und Hilfswissenschaften, insbesondere die Paläographie, ihm in Forschung und Lehre viel mehr bedeutet haben, als diese Festschrift zum Ausdruck bringen kann. Denn wie wenige Historiker seiner Generation versteht er es, die beiden Erkenntnispole seiner Wissenschaft zu verbinden: den Blick für große geschichtliche Zusammenhänge und eine stupende handwerkliche Technik. In wie besonders hohem Maße der zu Ehrende als ein 'Mann der Quellen' geschätzt wird, mag die Tatsache erhellen, daß nicht weniger als 13 Beiträger ihm als Festgabe eine Edition widmen. Wenn die Bände mithin künftig als Quellenwerk wie als Arbeitsinstrument zur Erforschung des 15. Jahrhunderts intensiv genutzt werden sollten, dürfte dies ganz dem Wunsch des Jubilars entsprechen. Für den Inhalt der Beiträge sind selbstverständlich die Autoren verantwortlich; gewisse Eingriffe und Änderungen der Herausgeber bezweckten vornehmlich formale Angleichungen. Ein spezieller Dank gilt den Autoren, die - auch mit Blick auf die finanzielle Seite des Unternehmens - um Kürze und Kürzungen bemüht waren. Der außerordentliche Umfang des Schlußbeitrags erklärt sich aus Gründen inhaltlicher Geschlossenheit und war mit den Herausgebern abgesprochen. Auch die einleitende Studie fallt aus dem Rahmen: ein Vortrag aus dem Nachlaß von Hermann Heimpel, des Nestors der deutschen Spätmittelalterforschung. Zu Lebzeiten hätte er, der die Arbeiten Meuthens außerordentlich schätzte, zweifellos zu dieser Festschrift seinen Beitrag geleistet. Ohne Hilfe hätten die Herausgeber der Aufgabe nicht gerecht werden können. Gerne sagen sie darum Dank, und sie haben ihn vielen zu sagen: Uwe Neddermeyer, der an der Konzeption mitwirkte und maßgeblich an der Organisation des Registers beteiligt war, an dessen Erstellung auch Christiane Neuhausen, Wolfgang Rosen, Dirk Wassermann, Gero Wolff und besonders Gabriele Annas gearbeitet haben. Christian Kleinert, Frankfurt/M., hat manche Anmerkung überprüft und vervollständigt. Dorothee RhekerWunsch besorgte über nahezu zwei Jahre hinweg in allen Entstehungsphasen die druckfertigen Vorlagen. Daß Druck und Publikation rasch und problemlos vonstatten gingen, ist dem Oldenbourg-Verlag und dessen Lektor Christian Kreuzer zu verdanken. Alle Mühen wären am Ende ver-
VORWORT
XIII
geblich gewesen, hätten nicht Freunde und Förderer der Festschrift finanzielle Unterstützung gewährt - sie, deren Namen an anderer Stelle aufgeführt sind, seien besonders in den Dank einbezogen. Das Œuvre Meuthens zu würdigen, ist hier nicht der Ort; sein dem zweiten Band angefugtes Schriftenverzeichnis mag fur sich sprechen. Auch von seiner wissenschaftlichen Karriere mit ihren zahlreichen Höhepunkten - so ist er Mitglied dreier Akademien von Rang - soll hier nur andeutend die Rede sein. Und dies geschieht bewußt, mit Blick und Rücksicht auf eine ihn besonders charakterisierende Eigenschaft, die in der akademischen Welt nicht zu den verbreiteten gehört: Bescheidenheit. Gerade sie macht in Verbindung mit hoher Sachkompetenz, skeptischer Scharfsicht und bisweilen untergründigem Humor die Begegnung mit Erich Meuthen eindrucksvoll. Autoren und Herausgeber wünschen dem Jubilar, daß er an den Beiträgen Freude habe. Er möge sie als Zeugnisse menschlicher und wissenschaftlicher Wertschätzung betrachten und zugleich als Ermunterung und Ansporn, mit gewohnter Intensität im Erforschen des 15. Jahrhunderts voranzuschreiten. Köln, zum 31. Mai 1994 JOHANNES HELMRATH
HERIBERT MÜLLER
HELMUT WOLFF
Sitzordnung und Rangstreit auf dem Basler Konzil Skizze eines Themas VON HERMANN HEIMPEL ( t )
Aus dem Nachlaß herausgegeben von Johannes Helmrath Sitzordnung und Rangstreit scheinen Plagen zu sein und sind schon von Zeitgenossen des 1431-1449 tagenden Basler Konzils beklagt worden als Störungen der großen Konzilszwecke: Reform, Glaube, Frieden. Die liberale Geschichtsschreibung gar, gegen Formen kaltsinnig, konnte etwa urteilen: "Der langwierige Streit (der kurfürstlichen Gesandten) mit den burgundischen Abgeordneten, welche auf dem Koncil Sitze vor den kurfürstlichen beanspruchten, (war eine) lächerliche Zänkerei"1. Und es war nicht das beste liberale Erbe, wenn die Bundesrepublik anläßlich des Besuchs des Staatsratsvorsitzenden Honecker das Protokoll2 als 'zweitrangig' bezeichnete. Die alte Zeit vor Aufklärung und Liberalismus war eine in den Formen unerbittliche Zeit. Wehe der reichen Nürnbergerin, die ihren Mantel mit dem Pelz besetzte, der nur der Patrizierin zukam. Ein Konzil konnte nicht sitzen ohne ständische Ordnung. Aber auch nicht ohne Rangstreit. Wir begeben uns nun ins Längsschiff des Basler Münsters, wo die Konziliaren sich zwischen beidseitig sechs gestuften Bankreihen in die Augen sehen. Die alten Konzilien - vor den seit dem 12. Jahrhundert päpstlich geleiteten waren Bischofskonzilien gewesen, Versammlungen von Gleichrangigen; im Ehrenstreit mochte das Ordinationsalter entscheiden. Seitdem, eben seit dem 12. Jahrhundert, auf den päpstlich beherrschten und so politisierten Konzilien Gesandte weltlicher Mächte auftraten, die Konzilien also bis zu einem gewissen Grad zu Gesandtenkongressen wurden, hatte das Kirchenrecht keine auch die Weltlichen bindende Rangordnung bereit. Die aus der Verzweiflung über die immer wieder gemachten Versuche auch des Basler Konzils - dies auch und gerade auf Wunsch der Streitparteien - durch Konzilsbeschlüsse, durch 'ordinatio' den jeweiligen Streit zu schlichten, scheiterten und mußten scheitern. Das Konzil konnte bei Widerstand gegen eine seiner Sitzanweisungen nur in immer wieder neuen, aktenhäufenden Spezialkommissionen die Streitparteien zum Frieden mahnen, zur 'Concordia', während die von der jeweiligen Partei geforderte 'Justitia' immer nur das von der Partei reklamierte 'Recht' sein konnte. So vollzogen sich Sessionsstreite und deren Schlichtungen auf zwei Ebenen: das Konzil suchte die 'Concordia' und mußte es den Gesandtschaften bzw. den sie instruierenden Herren überlassen, für ihre gegenseitigen Ansprüche Rechtsgründe zur Geltung zu bringen. Dieser Lage suchte das Basler Konzil in seiner ersten Sitzung gerecht zu werden durch ein - auf älterer Tradition ruhendes - Dekret des sogenannten Nicht1
P. JOACHIMSOHN, Gregor Heimburg (Histor. Abh. aus dem Münchener Seminar 1/1) Bamberg 1891,28. 2 = Ergänzungen und Annotationen des Herausgebers (vgl. unten die Nachbemerkung).
2
HERMANN HEIMPEL
Präjudiz, nämlich der Feststellung, daß kein diesmal zugewiesener Sitz einen auch in Zukunft gültigen Anspruch auf den selben Platz begründe3. Kam nun im Einzelfall eine Einigung zustande, so protestierten Unbeteiligte - in einem Fall alle auf dem Konzil Anwesenden - nicht in sachlicher Kritik an der betreffenden Lösung, sondern als Beharren auf dem Nicht-Präjudizdekret, als Einschärfung der Unverbindlichkeit der in der Sache geduldeten Lösung. Das Dekret verhinderte aber keinen einzigen Gesandtenstreit - denn für die politischen Mächte war das Konzil die willkommene Gelegenheit, sich rangmäßig miteinander zu messen in einer Welt, die anders als geordnet nicht vorzustellen war. Zu den rechtlichen Argumenten der Mächte selbst gehörte dann gerade das vom Konzil ausgeschlossene Präjudiz: so berufen sich die Engländer und Kastilier jeweils auf die von ihnen auf früheren Konzilien eingenommenen Sitze, und die Gesandten des Herzogs von Burgund erzwingen vom Konzil eine umständliche Zeugenaktion mit dem Ziel, burgundischen Vorsitz vor den Gesandten der Kurfürsten auf dem Konstanzer Konzil zu beweisen. Gab es also keine verbindliche kirchenrechtliche Ordnung, so galten freilich allgemeinste, teilweise schon bei älteren Konzilien nachweisbare Grundsätze. So im geistlichen Bereich die Folgeordnung nach der Jurisdiktion, d.h. nach den Stufen der Befehlsgewalt in der Kirche (nicht nach der Weihe): Prälaten sitzen vor Nichtprälaten, Patriarchen vor Erzbischöfen, diese vor Bischöfen, diese vor Äbten. Doch können auch Weihegrade beachtet werden: Priester sitzen vor Diakonen, eben höhere Weihegrade vor niederen. Aber Beachtung der Weihegrade kann strittig sein zugunsten jurisdiktioneller Stufung, zumal wenn kuriale Jurisdiktion ins Spiel kommt. Jahrelang streiten in Basel, mit professoraler Wut, zwei Juristen innerhalb derselben, der aragonischen Gesandtschaft um den gegenseitigen Vorsitz, ein Erzbischof und ein päpstlicher Protonotar: der Erzbischof beruft sich auf seine bischöfliche Weihe, der Protonotar auf seinen bevorzugten Sitz an der Kurie. Die jurisdiktioneile Stufung drängt die Stufung der Weihen an der auffallendsten Stelle zurück: das Kardinalskolleg gliedert sich in drei Weihegrade, die drei Ordines der Kardinalbischöfe, der Kardinalpriester und der Kardinaldiakone. Aber auch die letzten, obwohl niedriger geweiht, sitzen vor (nichtkardinalizischen) Bischöfen: ein Kompromiß also zwischen Weihe und päpstlicher Kirchenregierung4. Betrachten wir nun aber Geistliche und Laien zusammen, also die fast stets aus Geistlichen und Laien gemischten Gesandtschaften, so klärt sich ein scheinbarer Wirrwarr der Sitzstreit-Akten nur durch die Kombination von drei trivialen Grundregeln: 1. Oben ist besser als unten. Die beiden obersten der je sechs gestuften Bankreihen sind die Kardinals-und Prälatenbänke. 2. Rechts ist besser als links: Kardinalbischöfe und Kardinalpriester sitzen rechts, Kardinaldiakone sitzen, wie gesagt, hoch, aber links. Die vier klassischen Patriarchen Alexandrien, Antiochien, Jerusalem, Konstantinopel sit-
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MANSIXXIX 15; MC II 57.
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SITZORDNUNG AUF DEM BASLER KONZIL
3
5
zen grundsätzlich rechts , das erst seit 558 als Patriarchat bezeugte Aquileja immer links. 3. Vorn ist besser als hinten: die Rangordnung richtet sich nach der relativen Nähe zum Hochaltar*. Sitzordnung und Rangstreit sind nur in Kombination der drei Regeln zu verstehen. Die drei Regeln stehen aber nirgends in den Akten, ja Einzelstreitfälle zeigen, daß die Konziliaren selbst über die Regeln uneins, jedenfalls unsicher waren, soweit nicht angebliche Unklarheit dem jeweiligen Partei-Interesse dienen mußte. Nur im Vorbeigehen sei bemerkt, daß Tätlichkeiten nicht ausblieben: die Kastilier ließen die Engländer eines Tages aus ihren Sitzen prügeln, wobei es Wunden und Knochenbrüche gab7. Als die Kastilier den Engländern den Sitz "unmittelbar hinter den Franzosen" streitig machten, waren prominente Konziliaren sich durchaus nicht einig, was dieses "unmittelbar hinter den Franzosen" bedeutete. Ob der monoton geforderte Sitz "unmittelbar hinter den Franzosen" heißen sollte: Bankfolge rechts unmittelbar hinter den Franzosen - der kastilische Wortführer nannte das "Sitzen nach dem Holz" - oder: Links ganz vorn neben den Franzosen; das nannte der Kastilier "Sitzen nach dem Geist" -, eben da saßen die Engländer schon, als die mächtigen und anspruchsvollen Kastilier in Basel ankamen. Bei Kombination der Regeln 2 (Rechts besser als Links) und 3 (Vorn besser als Hinten) gilt: die Ranglinie ist eine Zick-Zack-Linie -, das einzig Sinnvolle, da ein rangmäßiges Ausschöpfen von Rechts für die linke Seite nur niedere Ränge übrig gelassen hatte. Für die erwähnte Unsicherheit aber ist, dies sei nachgetragen, bezeichnend, daß die Kastilier bei einer ersten Einigung mit den Engländern mit dem Platz "nach dem Holz" zufrieden gewesen waren, bis sie begriffen oder begreifen wollten, daß "nach dem Geist" die Engländer besser saßen als sie. Für das Funktionieren der Regeln 2 und 3 ein Beispiel aus den Streitakten: Die Gesandten des Herzogs Amadeus von Savoyen, der Bischof von Belley und ein Kanoniker aus Lausanne, sitzen irgendwo rechts. Nun kommen, später, die Gesandten des Herzogs Filippo Maria Visconti von Mailand nach Basel und beanspruchen diese Plätze auf der rechten Seite. Denn: Der Mailänder dünkt sich mehr als der Savoyarde [die mailändische Herzogswürde ist älter als die savoyische]. Das Konzil gibt den Viscontigesandten nach, die Savoyarden fugen sich und weichen nach Links aus. Sie nehmen die horizontale Minderung von Rechts nach Links hin, weil sie sich in der Vertikale verbessern: nach vorn. Sie sitzen nämlich zwar links, aber hinter einem Patriarchen [wenn auch nur dem von Aquileja], während die Mailänder jetzt zwar rechts sitzen, aber nur hinter einem Bischof. Dabei ist 'Vorn und Hinten' nie geometrisch zu verstehen, sondern immer rangmäßig: hinter einem Patriarchen ist weiter 'vorn' als hinter einem Bischof. Nun aber ist die Basier Sitzordnung charakteristisch durch einen Kompromiß zwischen Hierarchie und Diplomatie. Gesandte sitzen stets vor solchen Konzilsbesuchern, die keine Gesandten sind. Das sprechendste Beispiel: in den obersten 5 6 7
Antiochenus bei Tod des Alexandrinus von links nach rechts. 2 x 6 Reihen in Stufen rechts und links wie im Bundestag.
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HERMANN HEIMPEL
Bänken, den Prälatenbänken, gilt: ein Bischof in Gesandteneigenschaft sitzt vor einem Bischof, ja Erzbischof, wenn diese Herren keine Gesandten sind. Dieser Kompromiß unterstreicht den teilweisen Charakter des Basler Konzils als eines Gesandtenkongresses; teilweiser Charakter, denn: das Konzil ist versammelt im heiligen Geiste. Beispiel: Niemals würde der Erzbischof des großen Salzburg als einfacher Konzilsbesucher vor dem Bischof des kleinen Nevers sitzen, denn dieser ist Gesandter - des Herzogs von Burgund. Nun aber ein umgekehrter Kompromiß: die meist von gelehrten Prälaten angeführten fürstlichen Gesandtschaften werden zerrissen, weil die Gesandten im Prälatenrang nicht bei ihren Gesandtschaftskollegen ohne Prälatenrang sitzen, nämlich in der zweitobersten Bank, sondern bei den Prälaten in der obersten, eben in der Prälatenbank. Hier kehrt sich also der Kompromiß um: siegte im ersten Kompromiß die Diplomatie über die Hierarchie, so im zweiten Kompromiß die Hierarchie über die Diplomatie. Hierzu einschlägig, daß auch das Stimmrecht die Gesandten auseinanderriß: nur Geistliche haben Stimmrecht. Nun kann ich Ihnen nicht eine Übersicht der Sitze im Basler Langschiff geben und beschränke mich auf zwei Beobachtungen: 1. Der gelehrte Charakter der spätmittelalterlichen Kirche erklärt, daß die Gesandten der Universitäten recht hoch sitzen, nämlich bevorzugt noch vor den Fürstengesandten in der zweitobersten Bank. 2. Das Konzil wird von Frankreich beherrscht, von dem Frankreich Karls VII. und der verbrannten Jeanne d'Arc. Höher kann niemand sitzen, als der bischöfliche Gesandte König Karls VII., der Erzbischof von Lyon, Amedee de Talaru. Dieser sitzt stets, nach den Kardinälen, oben rechts vorn . Der nicht prälatische französische Gesandte Morini sitzt in der zweiten Bank, denn in dieser zweitobersten Bank sitzen überhaupt die nichtprälatischen Fürstengesandten. Es streiten: ein Protonotar mit einem Bischof, Universität Avignon mit Universität Angers; nun aber die Fürstengesandten: Kastilien gegen England, Burgund gegen Kurfürsten, Burgund gegen Savoyen, Burgund gegen Bretagne. Diese dreifache burgundische Streitsucht erklärt uns das Ganze. Dreimal Burgund: das zur Souveränität strebende Burgund Philipps des Guten, in dem Geltungsdrang des nouveau-riche gegen seine alten Lehnsherren, gegen Frankreich wie gegen das Imperium; auch als Konkurrent unter den französischen Kronvasallen wie dem Herzog von Bretagne ist Burgund der neueste und der konsequenteste Störer des Konzils. Was ich Ihnen noch zumuten darf, sind in gebotener Kürze: 1. Die Natur der Argumentationen; 2. Die Einwirkung der Politik; 3. Das Schicksal des Imperiums, d.h. der Kaiseridee. 1. Die Argumente: Ich verschone Sie mit den langen Argumentenketten der Gesandten der Burgunder, der Kurfürsten, der Bretonen. Meine Hauptquelle ist heute die Rede des führenden kastilischen Gesandten gegen die Engländer: des 'Konversen', d.h. getauften Juden, und königlichen Rates und späteren Bischofs
SITZORDNUNG AUF DEM BASLER KONZIL
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von Burgos, Alfonso Garcia de Santa Maria, auch genannt de Cartagena. Der humanistisch gesinnte "Cartagena"-Diplomat, Prinzenerzieher und Doctor legum, nämlich weltlichen Rechts in Salamanca, Polemiker gegen die AristotelesÜbersetzung des Leonardo Bruni, hält eine Stunden dauernde Rede, die für uns den Stil der Argumentationen überhaupt widerspiegeln mag8. Die Argumente steigen wie stets vom Geistlichen zum Weltlichen. Das Schema verlangt: älteste, möglichst apostolische Christlichkeit. So also: Spanien durch Jacobus missioniert, Santiago. Zerpflückt wird zumal mit Argumenten aus der 'Legenda Aurea' englischer Anspruch auf noch ältere Christlichkeit. England nämlich verdankt, nach englischer Gegenrede, sein Christentum fast Jesus selbst, denn der erste Missionar Englands war der Bestatter des Herrn, Joseph von Arimathia, als Führer einer Zwölf-Schar des Apostels Philippus. Solche uns lächerlich scheinenden Argumente sind aber nun in heiligem Ernst vorgetragene Überzeugungen. Die Geschichte von Joseph von Arimathia wird von den Engländern wirklich geglaubt: es ist die Gründungslegende der ältesten Abtei Englands, des in die Keltenzeit zurückgehenden Klosters Glastonbury in Somerset. Für den Rang wie den argumentierenden Ernst des gelehrten Kastiliers spricht übrigens, daß er eine Predigt des hl. Paulus in Spanien, die er doch heiß wünschen mußte, in umständlicher Erwägung als unbeweisbar bezeichnet. Von den weltlichen Argumenten für den Vorsitz auf dem Konzil gebe ich nur die bizarrsten: Kastilien ist England überlegen mit den umständlich gerühmten Waffengattungen seines Heeres, zumal mit einer sarazenisch bewaffneten leichten Kavallerie, aber mit seiner Flotte: die Engländer müssen Krieg führen mit den Handelsschiffen (naves), wie können sie also am Konzil vor den Kastiliern sitzen, die Kriegsschiffe haben - Galeeren. Gewiß, der Kastilier gibt es zu, die Scharlachtuche der englischen Weber sind unerreicht. Aber woher haben sie ihr leuchtendes Rot und ihren angenehmen Geruch? Von der Kermes-Schildlaus, und dieses Tier lebt in Spanien und wird nach England exportiert; nach England, wo bäurisches Getreide wächst - in Kastilien wachsen Wein und adlige Ölbäume. Ein ökonomisches Argument im konziliaren Rangstreit, verwandt dem burgundischen Vorbringen gegen Bretagne von einer exportierenden Saline im Jura. Aus der Rede9 des kastilischen Redners sei noch hingewiesen auf 'metaphysische Geographie', d.h. die Konsequenz aus der Anschauung von der ozeanumflossenen Ökumene: Kastilien besitzt die Canarischen Inseln und zieht so, auch missionierend, in den Ozean hinaus. England aber liegt im Ozean, schaut zurück auf die Ökumene mit der Folge: Kastilien ist analog der vollberechtigten Stadt, England analog der halbberechtigten Vorstadt. Die Engländer sind - würden unsere Rechtshistoriker sagen - die Pfahlbürger der Kirche. Fragt man sich nach dem Sinn dieser Zusammenraffungen und sinnlos scheinenden Argumente für Plazierungsansprüche auf dem im heiligen Geist beschlie8 Wenn Zeit: Edition. 9 Wenn Zeit zu Cartagena.
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HERMANN HEIMPEL
ßenden Konzil, so wird man dafür ein zeitgemäßes Fehlen einer politischen Theorie verantwortlich machen, d.h. das theoretische Monopol einer in der Praxis abgelebten Ordnung der christlichen Welt in sacerdotium und imperium. An dem Textbestand der kastilischen Rede ist nun nachzuweisen, daß die Rede zwar nach Kenntnis des von den Engländern Vorgetragenen aktualisiert wurde, daß sie aber in ihrem abgeschlossenen Hauptteil nicht in Basel komponiert sein konnte, sondern zuhause. Man wird dies verallgemeinern: die Gesandtschaften kommen schon mit formulierten Argumenten gerüstet zum Konzil - Sitzstreit wird schon in der Heimat als Anlaß zum Rangstreit erkannt und ergriffen. Es wäre ja auch undenkbar, daß raffiniert disponierte Reden, die von Zitaten aus Bibel, Recht und antiken Autoren starrten, im Streß des konziliaren Alltags hätten entstehen können. 2. Einwirkung der Politik: Von der großen Politik aus hätte der grimmigste Sitzstreit Engländer und Franzosen gegeneinander treiben müssen, die beiden Frankreich des Hundertjährigen Krieges. Denn der - damals noch unmündige - Heinrich VI. von England nannte sich ebenso "König von Frankreich" wie Karl VII. von Valois. Aber die Engländer begnügen sich mit dem Sitz links vorn, also mit dem zweiten Platz, freilich "unmittelbar" nach dem Valois-Frankreich, sie verteidigen diesen Platz gegen die Kastilier. Warum waren die Engländer so kleinlaut? Weil bald nach Beginn des Konzils sich ihre militärische und politische Lage verschlechterte, die Lage Karls VII., des einst verachteten, von Jeanne d'Arc zur Reimser Krönung geführten 'Königs von Bourges' im Aufstieg war. Insbesondere waren die Engländer im Begriff, ihren Hauptverbündeten, Herzog Philipp den Guten zu verlieren, der eben damals sein Interesse darin fand, sich mit Karl VII. zu arrangieren. So verkürzte sich der Sitzstreit zwischen den Gesandten Karls VII. und Heinrichs VI. zu einem Titelstreit, d.h. zu allerdings wütenden Kontroversen darüber, ob die englischen Gesandten ihren König als "König von Frankreich" bezeichnen dürften. Der Weisheit des Konzilspräsidenten Giuliano Cesarini wie der prekären Lage der Engländer war es zu danken, daß auch dieser Streit einschlief, nämlich mit dem noch heute wirksamen Schlafmittel der Überweisung strittiger Fragen an eine Kommission. Immerhin liefern uns die Engländer einen Nachtrag zu dem Thema der Argumentationen. Im Streit mit den Kastiliern bringen die Engländer vor: nur ihr König sei am Haupte gesalbt, nur er, nicht die Kastilier, könne die Kranken heilen das aber ist der alte französische Anspruch auf das königliche Heilungswunder. 3. Konnte nicht der Kaiser helfen, durch Machtwort, gar durch gerichtlichen Spruch? Zwei Möglichkeiten hatte der Kaiser: als Herr der Welt, d.h. aller Fürsten, und als Herr der Kirche, d.h. des Konzils; der eben von seiner römischen Krönung nach Basel gekommene Siegmund also in der Nachfolge Konstantins, des Beherrschers des Konzils von Nikaea. Kaiser Siegmund, der sich als Retter des Konstanzer Konzils fühlen durfte, wie gern hätte er entschieden, wer wo auf dem Weltkonzil zu sitzen hätte; gern wäre er dem unermüdlichen Herold des kaiserlichen Anspruchs gefolgt, dem originellen Bischof Johann Scheie von Lübeck. Aber Siegmund war kein Träumer. Als manche seine Entscheidung verlangten, und nicht nur Deutsche, war er unsicher, daß er bei Kardinälen anfragte, ob
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er das auch dürfe, und sein Propagator kaiserlicher Konzilsherrschaft Bischof Scheie von Lübeck, holte sich z.B. bei den Engländern mehr höhnische als wütende Abfuhren. Aber immerhin: die Episode zeigt die Unentschiedenheit des Zeitalters: noch scheint das Weltkaisertum notfalls zur Disposition zu stehen. Das fuhrt uns zum Schluß noch einmal zum Reichsproblem, nämlich im kurfiirstlich-burgundischen Streit. Jahrelang streiten die beiden Gesandtschaften der Kurfürsten und des Herzogs von Burgund um den gegenseitigen Vorsitz im Langhaus des Münsters. Das aber ist verwunderlich. Ergänzen wir am Schluß dieser skizzenhaften Darlegungen das Bild der Sitzordnung: Vor dem Langhaus und Chor trennenden Lettner, Gesichter vom Hochaltar zum Portal, sitzen, allem Sitzstreit enthoben, in alter Tradition: der Konzilsprotektor Herzog Wilhelm von Bayern, der Konzilspräsident Giuliano Cesarini, die vom Papst abgesandten Präsidenten - und der Kaiser. Immer wieder bietet nun das Konzil den Kurfürstlichen Sitze vor dem Lettner, beim Konzilsprotektor, gar neben dem Kaiser, an - unbegreiflich, daß die Kurfürstlichen auf dieses höchst ehrenvolle Herausnehmen aus der Sitzordnung nicht eingehen wollen und sich weiter mit den Burgundern um Sitze im Langschiff streiten. Erst recht unbegreiflich, wenn man ihre Argumente hört, deren höchster Ton die Lehre von den vier Weltreichen ist: des assyrischen, persischen, griechischen und römischen Reichs. Die kurfürstlichen Gesandten nennen ihre Herren "Wähler des römischen Kaisers" - als Nachfolger des altrömischen Senats. Wer sich wie die Kurfürstlichen nicht nur auf Rom berief, sondern auf die Nachfolge des Assyrerkönigs Nebukadnezar, der gehörte vor den Lettner; gehörte dorthin, wo auch in jener Zeit der werdenden souveränen Staaten der imperiale Ehrenvorrang und somit der kaiserliche Ehrenvorsitz auf dem Konzil noch anerkannt war, also dorthin wo der Kaiser saß. Wieder also der vielberufene "deutsche Sonderweg". Man möchte ihn den Weg der Torheit nennen, wäre der Führer der Kurfürstlichen nicht der hochbegabte Schüler des Lorenzo Valla, Konziliarist und Papstfeind Gregor Heimburg gewesen. Man wird nun fragen dürfen: Sollten sich die Kurfürsten, trotz Nebukadnezar, trotz Analogie zum römischen Senat, trotz also ihrer universalistischen Argumentationen, mehr als Fürsten unter Fürsten gefühlt haben, nämlich als das, was sie waren, als Wähler des deutschen Königs? Und nicht als dieser ganzen Fürstenwelt enthobene Wähler und Paladine des Weltkaisers? Mit einem Fragezeichen muß ich schließen10.
Nachbemerkung des Herausgebers
Hermann Heimpel (1901-1988) und den fast dreißig Jahre jüngeren Erich Meuthen verband über Jahrzehnte eine ungewöhnliche Gelehrtenfreundschaft, die auf hoher gegenseitiger Wertschätzung gründete. Sie drückte sich in einem umfangreichen Briefwechsel 10 Dem elften Blatt des maschinenschriftlichen Vortragstextes waren drei handbeschriebene Blätter mit Informationen über den Verlauf des französisch-englischen Gegensatzes im Mittelalter beigefügt.
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aus, mit dem jeder von beiden die Arbeiten des anderen in (text-)kritischer Anteilnahme zu begleiten pflegte. Insbesondere die beiden Opera magna, Heimpels 'Vener' und Meuthens 'Acta Cusana 1/1-2' belebte dieser stetige Dialog. Oft kursierte mehrmals in der Woche zwischen Göttingen und Köln ein Brief subtilen Inhalts. Lebte Heimpel noch und wäre gesund, er hätte ohne Frage ebenso zu den Beiträgern dieser Festschrift gehört, wie 1972 Meuthen zu denen der seinigen. Der Herausgeber weiß sich daher sicher, im Sinne des Verstorbenen zu handeln, wenn er ihn nun posthum den Kreis der Autoren anfuhren läßt. Das 11 Blätter umfassende maschinenschriftliche Manuskript aus dem Nachlaß enthält Heimpels letzten öffentlichen Vortrag11. Er hielt ihn am 4. Dezember 1987 vor der Akademie der Wissenschaften in Göttingen, deren Mitglied er seit 1947 war. In der Einladung vom 26. November ist für "17 Uhr c.t. im Sitzungszimmer der Akademie", als der "wissenschaftliche Teil" der Tagesordnung angekündigt: "1. Herr Bechert legt vor: Udänavarga, Band III: ... Sanskrittexte aus den Turfanfunden X,3.- 2. Herr Heimpel legt vor: Sitzordnung und Rangstreit auf dem Basler Konzil. Skizze eines Themas" 12 . Heimpels letztes wissenschaftliches Werk, an dem er - achtundachtzigjährig - noch bis an die Schwelle des Todes arbeitete, war den Rangstreitigkeiten auf dem Basler Konzil gewidmet13. Ihm schwebte der faszinierende Plan vor, anhand der zahlreichen 'altercationes sedium1 auf der Basler Bühne, ihrer agonalen Regeln und Argumentationsweisen ein Theatrum sowohl der europäischen Fürstenpolitik wie der 'nationalen' Geschichtsbilder dieser Zeit zu inszenieren. Vertraut war ihm diese Perspektive seit seinen Arbeiten an den 'Acta Concilii Constanciensis' unter Heinrich Finke; sie begleitete auch spätere Forschungen. Und doch sollte der Historiker des deutschen Spätmittelalters in seinem letzten Werk sein erstes 'europäisches' entwerfen. Der Vortrag stellt somit die pointierte Zwischenbilanz eines Forschungsgangs vor, der noch weit auszuschreiten gedachte. Er will, wie der Untertitel sagt, 'nur' eine "Skizze" sein, freilich schon mit Tupfern plastischer Kolorierung. Die Vollendung des Gesamtplans war Heimpel hingegen nicht mehr vergönnt. Vermächtnishaft hing über seinem verwaisten Schreibtisch ein großformatiger Grundriß des Basler Münsters. Nach Heimpels Willen sollten diejenigen Teile seines Göttinger Nachlasses, welche die Rangstreitigkeiten des Basiiiense betrafen, nach seinem Tode dem jetzigen Herausgeber anvertraut werden. Er hatte daran ausdrücklich nicht die Erwartung geknüpft, daß partiell schon gediehene Teilmanuskripte nun pietätvoll-wortgetreu publiziert würden, sondern daß die Forschung auf ihrer Grundlage in sinnvoller Weise fortgeführt würde. Zumindest im Falle dieses Vortrags aber sieht der Herausgeber es geradezu als geboten an, den Wortlaut selbst in seiner unnachahmlichen Eigenwüchsigkeit zum Druck zu bringen und damit zugleich die Erinnerung an die Verbundenheit seines eigenen Lehrers Meuthen mit dem Nestor der deutschen Mediävistik wachzurufen. Der Text ist ganz offensichtlich nicht an allen Stellen völlig ausgearbeitet, manches blieb der Wirkung des unmittelbaren Wortes anheimgegeben. Vielleicht hatte doch auch die Kraft, kaum spürbar, nachgelassen. Aber hätte Heimpel selbst den Druck noch begleitet, zweifellos wäre der Text noch der Feile unterzogen, sicher auch beträchtlich erweitert und durch Skizzen der Sitzordnung veranschaulicht worden. 11 Laut H. BOOCKMANN, Der Historiker Hermann Heimpel, Göttingen 1 9 9 0 , 67 f. Anm. 184, hatte Heimpel einige Monate vorher, am 2 7 . April 1987, offenbar eine Frühstufe des Vortrags unter dem Titel " W e r sitzt w o ? " vor dem Göttinger Rotary-Club präsentiert. 1 2 Vgl. die Anzeige in: Jb. der Akad. der Wiss. in Göttingen 1987, Göttingen 1 9 8 8 , 129, wo auch die "Wiedervorlage ... für die Abhandlungen" (sc. der Akademie) mit Edition der Rede des Alonso Garcia de Santa Maria (vgl. Anm. 8 ) angekündigt ist. 13
BOOCKMANN, Hermann Heimpel (Anm. 11) 4 6 .
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Der Vortragstext findet sich hier unverändert. Nur offenkundige Versehen wurden stillschweigend korrigiert. Streichungen im Manuskript bleiben ausgeschieden. Dagegen sind alle Passagen aufgenommen, die nur für den Vortrag potentiell zur Auslassung vorgesehen waren. Sie sind im Manuskript durch eckige Klammern gekennzeichnet. Wie man am Original und seinen mit Feder, Bleistift und Kugelschreiber offenbar in drei Arbeitsgängen nachgetragenen Interlinear- und Randergänzungen sehen kann, pflegte Heimpel seine Manuskripte bis zur letzten Minute umzugestalten. Diese Ergänzungen wurden für den Druck dem Text eingefügt, wenn sie syntaktisch ausformuliert waren. Bloß stichwortartige Randbemerkungen erscheinen in den Anmerkungen. Der Herausgeber hat nicht den Versuch gemacht, die 23 Fußnoten, die Heimpel nur für die ersten drei Fälle in Stichworten skizziert, sonst aber bloß im Text örtlich markiert hatte, mehr oder weniger divinatorisch zu rekonstruieren, sondern sich darauf beschränkt, die allernötigsten Quellenbelege als Anmerkungen zu ergänzen. Unvermeidbare Zusätze und Annotationen des Herausgebers wurden in < > gesetzt. An neuerer L i t e r a t u r sei, beginnend mit HEIMPELS eigener Studie, genannt: Eine unbekannte Schrift über die Kurfürsten auf dem Basler Konzil, in: Institutionen, Kultur und Gesellschaft im Mittelalter, Festschrift Josef Fleckenstein, hg. von L. FENSKE, W. RÖSENER und TH. ZOTZ, Sigmaringen 1 9 8 4 , 4 6 9 - 4 8 2 . - A. P. LUTTENBERGER, Pracht und Ehre. Gesellschaftliche Repräsentation und Zeremoniell auf dem Reichstag, in: Alltag im 16. Jahrhundert, hg. von A. KOHLER und H. LUTZ (Wiener Beitr. zur Geschichte der Neuzeit 1 4 ) München 1 9 8 7 , 2 9 1 - 3 2 6 . - H. W. GOETZ, Der 'rechte Sitz'. Die Symbolik von Rang und Herrschaft im Hohen Mittelalter im Spiegel der Sitzordnung, in: Symbole des Alltags - Alltag der Symbole. Festschrift Harry Kühnel, hg. von G. BLASCHITZ u.a., Graz 1 9 9 2 , 1 1 - 4 7 ; J. HELMRATH, Das Basler Konzil 1 4 3 1 - 1 4 4 9 . Forschungsstand und Probleme (KHA 3 2 ) Köln-Wien 1 9 8 7 , 3 2 2 - 3 2 6 (Lit.); J. HELMRATH, Sitz und Geschichte. Köln im Rangstreit mit Aachen auf den Reichstagen des 15. Jahrhunderts, in: Köln - Stadt und Bistum in Kirche und Reich des Mittelalters. Festschrift Odilo Engels, hg. von H. VOLLRATH/ ST. WEINFURTER (KHA 3 6 ) Köln-Wien 1 9 9 3 , 719-760.
I. DIE KONZILIEN VON KONSTANZ UND BASEL UND IHR THEOLOGISCHES UMFELD
Kirchenreform auf den Konzilien des 15. Jahrhunderts Motive - Methoden - Wirkungen VON JÜRGEN MlETHKE "Moses, ein Heiliger und Freund der Einsamkeit, betrat in der Absicht innerer Betrachtung das Innere der Wüste; dort hatte er eine große Vision, die in ihrer Wunderhafiigkeit sein Herz zu außerordentlichem Staunen brachte: Ein Dornbusch stand in Flammen, wurde aber nicht verzehrt. Ich dagegen, ein Sünder und Weggefährte der Masse, steige in der Absicht neugieriger Ausschau in das Äußere der Welt und sehe oder zumindest glaube ich, eine Vision zu haben, die um vieles mehr zu verwundern ist: Die Geistlichkeit und der kirchliche Stand sehen sich in so schlimmer und bedeutsamer Zeit einem üblen Feuer ausgesetzt, von sengendem Wind werden sie heftig entflammt. Unaufhörlich lecken die Flammen an ihnen und dennoch verschwinden sie nicht gänzlich, sondern halten sich im Dasein. War jenes (was Moses schaute) schon ein echtes Mirakel, so ist dies (was ich sehe) noch viel wunderbarer. Denn mag jenes auch weit über die Kräfte der Natur gehen, so widersprach dort doch nichts der wunderwirkenden Gnade Gottes; hier aber wird das Natürliche verdorben, geht das Geistliche zugrunde und - wegen ihrer schlimmen Sünde - ist dabei doch alle Gnade und Gerechtigkeit Gottes zur Vernichtung der Bösen ausgeschlossen. Das Böse ist so stark auf den Plan gerufen, daß in solchem Ansturm der Laster eine Schonung und Bewahrung des Klerus und seine Rettung vor völligem Untergang als das allerwunderbarste aller göttlichen Wunderwerke erscheinen muß'"'. Mit diesen Worten beginnt der in Prag (1384) zum doctor theologiae promovierte, inzwischen aber (seit 1394) am Hof des Pfalzgrafen und deutschen Königs in Heidelberg lebende Theologe Matthäus von Krakau einen berühmten Text: De squaloribus curie Romane, "Der Sumpf der römischen Kurie", so ist der Traktat spätestens auf dem Basler Konzil betitelt worden. Die im Jahre 1403 entstandene Schrift beschreibt die Praxis der römischen Kirchenzentrale aus intimer Kenntnis und beleuchtet sie scharf2. Auf dem Höhepunkt der Schismazeit sieht der Heidel1
Matthäus von Krakau, De squaloribus curiae Romanae, ed. [nach 23 Mss.] W. SENKO: Mateusza z Krakowa, De praxi Romanae curiae, Breslau-Warschau-Krakau 1969, der Prologus hier 72 f. Da eine eindeutige Aussage über den originalen Titel des Werkes aus den Handschriften nicht zu gewinnen ist, wähle ich den sprechend bildhaften und bisher üblichen, nicht den blassen, unter dem Senko seine Edition veranstaltete. Zu dieser vgl. die kritischen Anmerkungen von H. BOOCKMANN, in: DA 29 (1973) 611. Einen (an einigen Handschriften und den älteren Drucken kontrollierten und emendierten) Abdruck, der insbesondere die von Senko stiefmütterlich behandelten Allegationen korrigiert, wird enthalten: Quellen zur Kirchenreform im Zeitalter der großen Konzilien des 15. Jahrhunderts, Bd. I: Die Konzilien von Pisa (1409) und Konstanz (1414-1418), hg. von J. MIETHKE/ L. WEINRICH (Freiherr-vom-Stein-Gedächtnisausgabe 38a) Darmstadt [voraussichtlich 1994], An der dortigen Übersetzung des Textes durch L. Weinrich habe ich mich hier orientiert, mit der dortigen Einleitung dazu überschneidet sich der vorliegende Text zum Teil in Wortlaut und Belegen. 2 Zur Verfasserschaft bzw. Mitverfasserschaft des Job Vener (der den Text des Matthäus durch kanonistische Allegationen und Argumente ergänzte), zu Datierung, Titel und Inhalt der Schrift vor allem H. HEIMPEL, Der verketzerte Matthäus von Krakau, in: Festschrift für Walter Schlesinger, hg. von H. BEUMANN, Bd. 2 (Mitteldeutsche Forschungen 74/11) Köln-Wien 1974, 443-455;
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berger Theologe im brennenden Dornbusch weniger die göttliche Epiphanie, die sich in reiner Flamme ohne irdische Nahrung zu erkennen gibt, als vielmehr ein staunenswertes, die Naturgesetze aufhebendes Mirakel, ein Schulbeispiel für ein göttliches Wunder, und vergleicht damit den Zustand der Amtskirche in der Schismazeit: Sie ist von dem Anprall der Laster und Übel zersetzt und in fortschreitendem Verfall begriffen, besteht jedoch aus Gottes Gnade weiter fort. Dem Verfasser scheint es ein Wunder, noch wunderbarer als Gottes Erscheinung vor Moses, daß es überhaupt noch eine Amtskirche gibt. Der Zerfallsprozeß ist schon so lange und rapide vorangeschritten, daß es unter normalen Umständen längst mit ihr zu Ende wäre. Doch führt Matthäus diese Metapher im weiteren Verlauf seiner Streitschrift nicht aus, schon im nächsten Abschnitt verläßt er das Bild eines immateriellen Feuers, behandelt den Kirchenbrand vielmehr bis zum Ende des Textes als ganz "normales" Schadensfeuer, das freilich, wie er anmerkt, anders als es in den engen Städten des Spätmittelalters bei gefährlichen Bränden sonst gehalten wurde, niemandem Anlaß gab, lautes Geschrei zu erheben, um gemeinsame Anstrengungen der Nachbarschaften zur Schadensbekämpfung auszulösen. Deshalb sieht sich der Verfasser verpflichtet, selbst in schlichtem Stil aufzuschreiben, was Ursprung und Nahrung fiir den gewaltigen Brand in und an der Kirche ist, auf daß mit der Wurzel des Verderbens dem Feuer alle Möglichkeit zu weiterem Ausgreifen genommen werde und es schließlich erstickt werden könne. Die Schrift aus Heidelberg will Alarm schlagen; sie ist, wie die moderne Forschung sie einordnet, eine "Reformschrift", wie viele Texte vor, neben und nach ihr. Denn die Forderung, Mißstände abzustellen, Auswüchse zu korrigieren, ist auch und gerade in der Kirche uralt, geht bis in die Zeit des Neuen Testaments zurück3. Für das Mittelalter sind wir es gewohnt, fast schon ohne nachzudenken von "Karolingischer Reform", von "Klosterreform", "Reformpapsttum", "Kirchenreform", "Reformbiblizismus", "Reformkonzilien", "Reichsreform" zu sprechen, wenn wir nicht Einzelerscheinungen, sondern große Bewegungen und umfassende Prozesse, ja ganze Zeitalter charakterisieren wollen. Am Ausgang des Mittelalters wird dann mit der "Reformation" eine Schwellenzeit zu einer neuen Epoche stehen, die ihren Namen ebenfalls auf die lateinischen Worte reformare, reformatio zurückführt.
H. HEIMPEL, Studien zur Kirchen- und Reichsreform des 15. Jahrhunderts. II: Zu zwei Kirchenreformtraktaten des beginnenden 15. Jahrhunderts (SB Heidelberger Akad. der Wiss. Phil.-hist. Kl. 1974,1); zusammenfassend H. HEIMPEL, Die Vener von Gmünd und Straßburg 1162-1447. Studien und Texte zur Geschichte einer Familie sowie des gelehrten Beamtentums in der Zeit der abendländischen Kirchenspaltung und der Konzilien von Pisa, Konstanz und Basel (VMPIG 52/I-III) Göttingen 1982, bes. I 220-222, 232-234; II 695-732 (hier 705-726 auch eine ausfuhrliche analysierende Paraphrase des Traktats; 696 f. Anm. 5: Nennung von vier von Senko nicht benutzten Mss.; vgl. weiterhin Augsburg, StB, 2° cod. 226 [XV. saec., 1/4], p. 415-459; Berlin, StB Preuß. Kulturbesitz, lat. fol. 704, p. 445-486 [Erfurt 1454-1460: es könnte das von Heimpel als verschollen genannte Ms. sein]; Brixen, Bibl. des Bischöfl. Seminars, A.13 [XV. saec.], fol. 47r-67r; somit ist die bisher bekannte Überlieferung auf insgesamt 30 Mss. zu beziffern und erreicht damit die Spitzengruppe "politischer" Traktate des Spätmittelalters, vgl. etwa unten Anm. 58). 3 Für die Frühgeschichte vor allem G. B. LADNER, The Idea of Reform. Its Impact on Christian Thought and Action in the Age of the Fathers, Cambridge/ Mass. 1959; fur das frühe Mittelalter G. B. LADNER, Images and Ideas in the Middle Ages, Selected Studies in History and Art, vol. II (Storia e Letteratura 156) Rom 1983, bes. 517-763.
KIRCHENREFORM AUF DEN KONZILIEN DES 15. JAHRHUNDERTS
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Wenn man ernsthaft das gesamte 15. Jahrhundert als Epoche der Kirchenreform kennzeichnen konnte, so ist deutlich, daß ich hier nur in enger (und relativ willkürlicher) Auswahl auf einige wichtige Aspekte dieser Reformbemühungen eingehen kann, auf Motive und Ziele der Reformer, Methoden und Träger der Reformdiskussion und auf die Wirkungen dieser Bemühungen in die Breite. Eine Reform, oder um es mit den Worten unseres Heidelberger Theologen zu sagen, von dessen Alarmruf wir ausgegangen sind, eine "Reform des Zerstörten und außer Form Geratenen" (reformado destructorum et deformium), eine "Berichtigung der Auswüchse" (correctio excessuumf wurde allenthalben am Beginn des 15. Jahrhunderts in der Christenheit gefordert5. Das Panorama dieser Klagen ist seit der konfessionellen Polemik im 16. und 17. Jahrhundert immer wieder kräftig akzentuiert vorgeführt worden; mit grellen Farben wurde aus polemischen oder satirischen Schriften, aus Predigten und normativen Dekreten ein eindrückliches Bild des Jammers präsentiert, ohne daß sich heute mit Sicherheit sagen ließe, daß die kirchlichen Zustände - verglichen mit anderen Zeiten vorher und nachher - wirklich ganz unhaltbar, daß die Mißstände und Exzesse wirklich allgemein verbreitet waren, daß es sich um typische allgemeine Übel und nicht um einzelne Extremfälle gehandelt habe. Die Bedrohung durch den Brand, die Matthäus von Krakau visionär schildert, ist jedenfalls nach allem, was wir wissen, stark auf die Wahrnehmung des Beobachters und der Zeitgenossen bezogen. Die kirchliche Pfründenpraxis, die der Text so eingehend und sachverständig beschreibt, ist inzwischen aus den archivalischen Quellen aus der Kirchenzentrale und aus den Regionen sehr eingehend erhellt worden6, ohne daß dieses ganze
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Beides in: De squaloribus (Anm. 1) c.2, 75. Das ist natürlich traditionell, aber hier eben m.E. keine Floskel. 5 Zum Reformbegriff des Mittelalters zusammenfassend E. WOLGAST, Reform, Reformation, in: Geschichtliche Grundbegriffe, Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, hg. von O. BRUNNER/ W. CONZE/ R. KOSELLECK, Bd. 5, Stuttgart 1984, 313-360, hier bes. 316 ff. Eine schöne Synthese der Reformforderungen in der Kirche sowie der praktischen Reformarbeit auf den Konzilien jetzt bei J. HELMRATH, Reform als Thema der Konzilien des Spätmittelalters, in: Christian Unity. The Council of Ferrara-Florence, 1438/39-1989, ed. G. ALBERIGO (Bibliotheca Ephemeridum Theologicarum Lovaniensium 97) Löwen 1991, 75-152 [jetzt überarbeitet in: J. HELMRATH, Theorie und Praxis der Kirchenreform im Spätmittelalter, in: Rottenburger Jahrbuch für Kirchengeschichte 11 (1992) 41-70], Den Versuch einer Analyse der verschiedenen Interessenlagen auf dem Konstanzer Konzil legte vor P. H. STUMP, Reform in Head and Members. The Reform Ideas of the Council of Constance (1414-1418), PhD-Thesis University of California, Los Angeles 1978 [Microfilm: Ann Arbor no. 79.91419] (vgl. auch unten Anm. 50). - Zum Wortgebrauch im Frankreich des 14. und 15. Jahrhunderts mit volkssprachlichen Beispielen auch PH. CONTAMINE, Le vocabulaire politique en France à la fin du moyen âge: L'idée de réformation, in: État et Église dans la genèse de l'État moderne, édd. J.-P. GENET/ B. VINCENT (Bibliothèque de la Casa Velazquez 1) Madrid 1986, 145-156. 6 Hier nenne ich exemplarisch nur A. MEYER, Arme Kleriker auf Pfründensuche. Eine Studie über die in forma pauperum-Register Gregors XII. von 1407 und über päpstliche Anwartschaften im Spätmittelalter (FKRGK 20) Köln 1990 [mit weiterer Lit.]; vgl. auch die Aufsätze zur Auswertung d e s Repertorium
Germanicum
v o n B . SCHWARZ, A . MEYER, E . MEUTHEN, D . BROSIUS in: Q F I A B
71 (1991) 243-309, 325-339. Exemplarische Untersuchungen zu einem bestimmten Stift legten etwa vor A. MEYER, Zürich und Rom. Ordentliche Kollatur und päpstliche Provisionen am Frau- und Großmünster 1316-1523 (BDHIR 64) Tübingen 1988; G. FOUQUET, Das Speyerer Domkapitel im späten Mittelalter (ca. 1350-1540) Bd. I-II (QAMRhKG 57) Mainz 1987.
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System auch in uns notwendig solch abscheuliche und ausschließlich abstoßende Empfindungen auslöste wie bei dem Heidelberger Theologen7. Nichts spricht dafür, daß "Reformbedürftigkeit" als Urteilskategorie in jener Zeit nicht auch, wie sonst, als ein Begriff einzuschätzen ist, der stark vom Betrachter, seinen Wahrnehmungen und Bedürfnissen bestimmt und darum rein positivistisch nicht zu rekonstruieren ist. Bei aller Subjektivität im Begriff freilich ist es doch ein Unterschied, ob wir es in einem Text mit einer vereinzelten Stimme zu tun haben oder ob wir einem vielstimmigen Chor begegnen, ob die Reformforderung sich zur Mächtigkeit einer Zeitströmung zu erheben vermag oder ob sie nur vereinzelt als Kassandraruf ertönt. Mit dem Ende des 14. Jahrhunderts beobachten wir in der Tat eine starke Verbreiterung der Zahl der Texte, eine Vielzahl der Belege, eine ganze Reformdiskussion, die auf Jahre und Jahrzehnte hin die öffentliche Debatte wesentlich bestimmt. "Hoch und niedrig, berühmte Gelehrte und namenlose Pamphletisten sind sich darin einig, daß am Leibe der Kirche auch nicht ein gesunder Fleck zu finden ist", so charakterisierte schon 1903 Johannes Haller das Bild, das uns die Reformtraktate und Predigten im 15. Jahrhundert bieten8. Ich verzichte hier darauf, dieses vielfaltige Klagelied erneut im einzelnen zu belegen; was etwa Prediger auf dem Konzil in Konstanz vorgetragen haben, ist in einer farbigen Zusammenstellung 1933 von Paul Arendt exemplarisch vorgeführt worden9. Mir kommt es hier vor allem auf den Umstand an, daß seit dem Beginn des 15. Jahrhunderts in den Texten immer deutlicher das Schisma thematisch mit dem Reformthema verbunden wird: nicht, daß es selbst als Ursache aller Schäden angesehen würde, so kurzschlüssig argumentierte man nicht. Aber es erscheint unabweisbar, daß eben das Schisma, die Doppelwahl des Jahres 1378 und die Spaltung der Christenheit in zwei Obedienzen, die Spaltung der Kirche in zwei Kirchen, zwei Kurien, zwei Päpste, die sich erbittert gegenseitig bekämpften, einen deutlichen Höhepunkt der Schäden markiere, ein unwiderlegliches Zeichen für den Verfall, das die Gefahr nun wirklich jedermann vor Augen führen könne. Das Schisma erscheint nicht als Ursache, sondern als Folge der Reformbedürftigkeit, als sein unüberbietbarer und unwiderleglicher Beweis10. Das ist das im7
Freilich kannte Matthäus den kurialen Pfründenbetrieb aus eigener Anschauung sehr genau und hat ihn auch für seine eigenen Einkünfte sehr wohl zu nutzen gewußt, verdankt er sie doch zu nicht geringem Teil päpstlicher Gunst wie schließlich auch das Wormser Bistum, das ihm - auf Drängen des deutschen Herrschers und römischen Königs Ruprecht von der Pfalz - kraft päpstlicher Provision zugefallen war. Zu seiner (in engster Nähe zum Pfalzgrafen und König Ruprecht durchlaufenen) Karriere besonders sprechend P. MORAW, Beamtentum und Rat König Ruprechts, in: ZGO 116 (1968) 59-125, hier 112-114; zusammenfassend über ihn F. J. WORSTBROCK, in: Verf.Lex VI (1987) 172-182 [mit weiterer Literatur]; G. LABUDA, in: LMA VI (1992) 397; FOUQUET (Anm. 6) 409 f. nr. 77. 8 Papsttum und Kirchenreform. Vier Kapitel zur Geschichte des ausgehenden Mittelalters, Berlin 1903 (ND 1966) 3 f. 9 P. ARENDT, Die Predigten des Konstanzer Konziles. Ein Beitrag zur Predigt- und Kirchengeschichte des ausgehenden Mittelalters, Freiburg i.Bg. 1933, 169-267. Vgl. später vor allem die Texte bei J. B. SCHNEYER, Konstanzer Konzilspredigten, in: ZGO 113, 115-120 (1965, 1967-1972); J. B. SCHNEYER, Neuaufgefundene Konstanzer Konzilspredigten, in: AHC 2 (1970) 66-77. 10 Vgl. für die frühe Zeit etwa Heinrich von Langenstein, 'Epistola concilii pacis', (nach H. VON DER HARDT) gedruckt von L. E. DUPIN (ed.): Johannis Gersonii Opera omnia, t. II, Antwerpen 1706 (ND 1987) 809-840, hier c.13 = 825C: Esto quod hoc schisma non evenisset, adhuc ad reformationem universalis ecclesiae in plurimis aliis exorbitacionibus et deviationibus inferius enumerandis opus fuisset diu concilio generali, et fortassis quia praelati ante ad hoc indispositi erant, deus hoc
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mer und immer wieder ausgeführte Thema unserer Texte, die im einzelnen manch unterschiedliche Ursachen benennen, deren Behebung zur Reform beitragen kann. Kaum je wird aber während der Schismazeit darauf verzichtet, auf diese Grundfrage als solche hinzuweisen. In der späteren breiten Diskussion sieht man darum auch die Aufgabe, die Kirchenspaltung zu beenden, in engster Verbindung mit der Aufgabe, künftige Schismata zu verhindern. Solche Prophylaxe schien auf verschiedenem Wege möglich. Da gab es institutionelle Vorkehrungen für Papstwähler und den Gewählten, Vorschläge für die nationale Zusammensetzung und Repräsentativität des Kardinalskollegs und die Forderung, durch einen Ausbau der Wahlkapitulation zu einer eng mensurierten 'Professio fidei'jedem Amtsmißbrauch gehörige Zügel anzulegen11. Naheliegend schien sehr vielen Vorschlägen aber auch die Aufforderung, nun endlich mit der Reform der Kirche ernst zu machen und damit für die Zukunft vorzubauen. Diese Instrumentalisierung der Kirchenreform für die Aufgabe der Schismabeseitigung mußte aber mit einiger Zwangsläufigkeit die lang verzögerte und bisher nie recht in Schwung gekommene 'via concilii' als Lösungsweg aus der allgemeinen Krise auf die Dauer favorisieren. Gewiß wäre der Eindruck verfehlt, als hätte jedermann damals die Kirchenspaltung als dringendste Frage auf seiner Tagesordnung gesehen. Aus Florenz in der Beratung der 'Consulte e pratiche' sind ebenso eindeutige wie zynische Äußerungen überliefert, wo einer der Bürger etwa im Februar 1408 meinte, für die Arnostadt wären 12 Päpste nebeneinander eher von Vorteil; Florenz solle sich daher keineswegs in die Bemühungen um die Kircheneinheit einmischen. Und diese Stimmen sind gewiß nicht absolut vereinzelt12. Je länger aber das Schisma andauerte und durch militärische Mittel ebenschisma ad virorum ecclesiasticorum quasi expergefactionem oriri permisit, ut in concilio eins occasione congregando ecclesia in hoc et in aliis reformaretur. Vgl. auch c.3 = 81 OB oder den Katalog der Mißstände c.16-18 = 835B-839C. Zur Entstehung der Schrift selbst, zu Handschriften, Textgeschichte, Drucken siehe G. KREUZER, Heinrich von Langenstein, Studien zur Biographie und zu den Schismatraktaten unter besonderer Berücksichtigung der 'Epistola pacis' und der 'Epistola concilii pacis' (Quellen und Forschungen aus dem Gebiet der Geschichte, NF 6) Paderborn u.a. 1987, 56 ff., 192-233. - Ähnlich andere; z.B. noch spät der Erzbischof Pileo von Genua in seiner unmittelbar vor dem Konzil von Konstanz verfaßten Reformschrift 'Informaciones super reformatione ecclesiae' (ed. J. J. I. VON DÖLLINGER, Beiträge zur politischen, kirchlichen und CulturGeschichte der sechs letzten Jahrhunderte, Bd. II, Regensburg 1863 [ND 1967]) 301: Cum hoc sacrum ei generale Constantiense concilium convocatum sit non solum propter ecclesiae unionem disponendam et obtinendam, verum etiam propter generalem ipsius reformacionem in capite et in membris, sine qua reformatione ipsa unio non esset adeo fructuosa et stabilis ... 11 Zusammenfassend H. HURKA, Die angebliche professio fidei Papst Bonifaz' VIII., Diss. (Masch, schrift) Freiburg i.Bg. 1954; zur Rolle einer professio fidei in extremis Bonifaz' VIII. im Prozeß gegen dessen Andenken jetzt T. SCHMIDT, Der Bonifaz-Prozeß, Verfahren der Papstanklage in der Zeit Bonifaz' VIII. und Clemens' V. (FKRGK 19) Köln-Wien 1989,279 f. 12 Florenz ASt, Consulte et pratiche 39, fol. 6r, zitiert nach P. HERDE, Politische Verhaltensweisen der Florentiner Oligarchie 1382-1402, in: Geschichte und Verfassungsgefuge, Frankfurter Festgabe für Walter Schlesinger, hg. von W. LAMMERS (Frankfurter Histor. Abh. 5) Wiesbaden 1973, 190 Anm. 178: ... et quodpro bono huius populi vellet quod essent xii pape ... et quod stare et non intromittere se de aliquo in hac materia utile est. Noch aus dem Jahr 1429 ist die schnöde Überlegung des Prokurators des Deutschen Ordens an der Kurie überliefert, für die Politik des Ordens wäre ein Schisma vorteilhafter als selbst ein dem Orden gewogener Papst; vgl. H. BOOCKMANN, Zur politischen Geschichte des Konstanzer Konzils, in: ZKG 85 (1974) 45-63, bes. 45 f. Satirisch benutzt dann bereits Erasmus von Rotterdam dies Motiv, wenn er in seinem 'Julius exclusus' dem Papst unterstellt, er ziehe 300 Schismata einem einzigen neuen Konzil vor; gedruckt etwa in: Erasmus von Rotterdam, Ausgewählte Schriften, Bd. V, hg. von W. WELZIG, Gütersloh 1968,6-109, Zitat 66.
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sowenig zu beseitigen war wie durch noch so patent ausgeklügelte Spezialrezepte gelehrter Gutachter, nicht auf der 'via facti', und auch auf der 'via iudicii' nicht, nicht durch Zession und ebensowenig durch den Gehorsamsentzug in einer einzelnen Obedienz, desto stärker mußte die Konzilslösung an Überzeugungskraft gewinnen. Zwar sah sich dieser Vorschlag von vornherein vor ungewöhnliche Schwierigkeiten des Verfahrensrechts gestellt, da es einen unbestrittenen Papst, der das Konzil hätte berufen und leiten können, ja nicht gab. Das erklärt nicht zuletzt die lange Frist, die verstrich, bis nach den ersten Erörterungen über ein Konzil in den frühen 80er Jahren des 14. Jahrhunderts endlich im ersten Jahrzehnt des 15. Jahrhunderts energischere Schritte zu einer Verwirklichung des Konzilsgedankens unternommen wurden. Konzilien aber sollten dann, einmal in Gang gekommen, nicht mehr von der Tagesordnung verschwinden, bis das Basler Konzil durch Überdehnung seiner Möglichkeiten sich selbst aufs Abstellgleis führte und einem restaurierten Renaissancepapsttum das Feld überlassen mußte. Die Erkenntnis, daß die Reformaufgabe mit einer erfolgreichen Beendigung des Schismas in enger Verbindung stehe, hat demnach die 'via concilii' beschreiten helfen, allen Schwierigkeiten zum Trotz, die das in der juridifizierten und für Verfahrensfragen hochsensiblen Amtskirche des Spätmittelalters heraufbeschwören mochte. Das Konzil nämlich war mit der Aufgabe der Kirchenreform seit langem verbunden, galt traditionell als Ort der 'reformado', als Werkzeug und Organ der Beratung und Durchführung von Reformbemühungen. Um hier nur von mittelalterlichen Konzilien zu sprechen: Schon die sogenannten Reformpäpste des 11. Jahrhunderts, allen voran Gregor VII. selbst, hatten die unter päpstlichem Vorsitz tagende römische Fasten-Synode als Ort wichtiger Beschlüsse etabliert, die auch für andere Ortskirchen verbindlich sprechen sollte13. In der Folge hatten es die Päpste dann bei der Berufung allgemeiner Konzilien nicht vergessen, die Reformaufgaben als Zweck der Beratungen ausdrücklich hervorzuheben, spätestens seit Innozenz III. zum IV. Laterankonzil ad corrigendos excessus et reformandas mores eingeladen hatte. Papst Gregor X. hat 1272 nach Lyon ein Konzil berufen, nicht ohne die Prälaten dazu aufzufordern, alles "was die Feile der Berichtigung und Reform erfordert, sorgfältig vorher zu erforschen, es getreulich niederzuschreiben und zur Kenntnis des Konzils zu bringen", denn er habe sich vorgenommen, all diese Beschwerden abzustellen; und Clemens V. hat diese Formulierungen seines Vorgängers wörtlich in seinem Berufiingsschreiben für das Konzil von Vienne wiederholt14.
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Dazu etwa zusammenfassend G. TELLENBACH, Die westliche Kirche vom 10. bis zum frühen 12. Jahrhundert (Die Kirche in ihrer Geschichte II F l ) Göttingen 1988,243-245. 14 [IV. Lateranum:] MANSI XXII 960 ff., hier 961B; [Lyon II:] Les registres de Grégoire X (12721276), éd. J. GUIRAUD (BEFAR, 2° sér. XII/1) Paris 1892 nr. 160, S. 53-55, hier 55a: ... Interim quoque per vos et alios prudentes viros deum timentes et habentes pre oculis omnia, que correctionis et reformationis limam exposcunt, inquirentes subtiliter et conscribentes fideliter eadem ad ipsius concilii notitiam deferatis. Et nos nichilominus variis modis et viis sollers Studium et efficacem operam dare proponimus, ut omnia et alia in examen eiusdem deducta concilii correctionem et directionem recipiant opportunam. Vgl. auch ebd. nr. 220, S. 91 (11.3.1373). [Viennense:] Vgl. MANSI XXV 374E bzw. Regestum dementis papae V, editum cura et studio monachorum O.S.B., annus 3, Rom 1886, nr. 3626, S. 391 (31.8.1308): Mandavimus insuper ut iidem archiepiscopi et praelati per se vel alios viros prudentes deum timentes et habentes prae oculis omnia, quae correctionis et reformationis limam exposcunt, inquirentes subtiliter et conscribentes fideliter eadem ad ipsius concilii notitiam deferant...
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Alle die Konzilien der mittelalterlichen Kirche, die überhaupt auf den Titel eines Generalkonzils Anspruch erheben können, haben zur Frage des kirchlichen Lebens und der Kirchenzucht Maßregeln getroffen, die in das 'Ius novum', das Dekretalenrecht der Päpste, unmittelbar einflössen15. So war es jetzt naheliegend, Reformabsichten mit dem Konzil als dem Schauplatz solcher Feilarbeit sehr eng zu verbinden. Auf dem Konzil von Vienne war unter den mancherlei Beschwerden auch eine Schrift vorgelegt worden, die noch nach langer Zeit in mehrfacher Hinsicht wie eine programmatische Vorwegnahme späterer Debatten erscheinen will, ein 'Tractatus de modis generalis concilii celebrandi'16. Verfaßt hatte diesen Text der Bischof von Mende in Südfrankreich, Guillelmus Duranti der Jüngere, als gelehrter Kanonist sozial geschichtlich ein Vertreter jener neuen Schicht der kirchlichen Würdenträger, die ihren Weg weniger ihrer familiären Herkunft als ihrer Qualifikation zu verdanken hatten. In seiner Schrift für das Konzil von Vienne verschränkte sich eine rückwärtsblickende Idealvorstellung von der Kirche mit kräftigen neuen Impulsen17. Er hat nicht nur den Versuch unternommen, für grundlegende Rechtsfragen innerhalb der Kirche vom päpstlich gesetzten Recht, so weit es irgend ging, zugunsten von älteren (vordekretalistischen, ja vorgratianischen) Vorstellungen abzusehen, er hat auch den Papst in seiner Handlungs-, insbesondere in seiner Gesetzgebungskompetenz eng an konziliare Entscheidungen binden wollen: Duranti hat damals mit Nachdruck eine 'reformatio in capite et membris'18 der Kirche gefordert. Zum ersten Mal offenbar hat er diese (ältere) Formel aus dem Bereich der Klosterreform und Visitation von Ortskirchen auf die Gesamtkirche übertragen19 und damit den Papst als 'caput' unmittelbarer Kritik unterworfen. Seit dem Ende des 14. Jahrhunderts sollte dann diese Forderung als Schlagwort und als abgegriffene Münze bei ganz unterschiedlichen Vorschlägen in selbstverständlichen Umlauf kommen. Auch Durantis Schrift richtete sich aber natürlich an Papst und Konzil gemeinsam, an den "Papst im Konzil"20. Sie sah 15 Vgl. etwa G. LE BRAS/ C. LEFEBVRE/ J. RAMBAUD[-BUHOT], L'âge classique, 1140-1378. Sources et théorie du droit (Histoire du droit et des institutions de l'Église en Occident 7) Paris 1965, 157 ff. 16 'De modis generalis concilii celebrandi', 'Tractatus maior' (ca. 1308/9); 'Tractatus minor' (ca. 1311/12) [diese Titel sind nicht authentisch]: Editio princeps (in einer mechanisch verwirrten Mischredaktion): Lyon 1531. Zu Textgeschichte und Aufbau des Traktats C. FASOLT, A New View of William Durant the Younger's 'Tractatus de modo generalis concilii celebrandi', in: Traditio 37 (1981) 291-324. Zu handschriftlicher Überlieferung und Drucken C. FASOLT, The Manuscripts and Editions of William Durant the Younger's Tractatus ... , in: AHC 10 (1978) 290-309; sowie C. FASOLT, Die Rezeption der Traktate des Wilhelm Durant d.J. im späten Mittelalter und in der frühen Neuzeit, in: Das Publikum politischer Theorie im 14. Jahrhundert, hg. von J. MIETHKE (Schriften des Historischen Kollegs/ Kolloquien 21) München 1992, 61-80. (Eine Edition ist von C. Fasolt zu erwarten.) 17 Umfassend jetzt C. FASOLT, Council and Hierarchy, The Political Thought of William Durant the Younger (Cambridge Studies in Medieval Life and Thought IV 16) Cambridge u.a. 1991. 18 'Tractatus maior' I 1, in der Editio princeps (Lyon 1531) fol. 4rb: De correctione eorum que male agunturpremittenda in Dei ecclesia a ministris ecclesiasticis in capite et membris. Zum Verständnis Durantis selbst: FASOLT, Council and Hierarchy (Anm. 17) 129 ff. 19 Im einzelnen vgl. das weitgespannte Material bei K. A. FRECH, Reform an Haupt und Gliedern. Untersuchung zur Entwicklung und Verwendung der Formulierung im Hoch- und Spätmittelalter (Europäische Hochschulschriften III/510) Frankfurt/M. u.a. 1992, passim (zu Duranti bes. 196-211). 20 Dazu allgemein vor allem B. TIERNEY, Foundations of the Conciliar Theory (Cambridge Studies in Medieval Life and Thought II 4) Cambridge u.a. 1955 (ND 1968) bes. 47 f f .
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ein Auseinandertreten beider Instanzen noch nicht voraus, selbst wenn der Autor bereits die kühne Forderung aufstellte, Konzilien in ihrem Rhythmus durch einen Abstand von zehn Jahren zu verstetigen21, auch das ein erstaunlicher Vorgriff auf die Konstanzer Erörterungen. Der dramatische Konflikt, den Durand noch auf dem Konzil mit dem Papst und den Kardinälen wegen dieser seiner Schrift auszutragen hatte22, soll hier nicht ausgebreitet werden. Auch eine in ihren Forderungen etwas reduzierte, von den aufregendsten Neuerungen gereinigte und dem Konzil unmittelbar eingereichte kürzere neue Denkschrift23 hatte gegen den geballten Widerstand der Kurie in Vienne keinen wahrnehmbaren Erfolg. Für uns wichtig ist außer den lange nachwirkenden Formeln und Vorschlägen seiner Schriften, daß auch Duranti sich nicht von der Zusammengehörigkeit von Papst und Konzil, von ihrer pflichtgemäßen Übereinstimmung in der Reformaufgabe, die seine Tradition ihm nahelegte, entfernt hat oder entfernen wollte. Hundert Jahre später wird diese Selbstverständlichkeit so selbstverständlich nicht mehr sein können. Das avignonesische Papsttum hatte die Allgemeinen Konzilien zurückgedrängt, das Schisma die päpstliche Position erschüttert. Seit ihrer Übersiedlung nach Avignon hatten die Päpste es sich abgewöhnt, noch Konzilien zu berufen; nach dem Konzil von Vienne 1311/12 trat kein Allgemeines Konzil der lateinischen Kirche mehr zusammen. Die Erinnerung an die Pressionen, denen sich Clemens V. in Vienne ausgesetzt gesehen hatte, mochte daran ihren Anteil haben; vor allem aber war es wohl die Überzeugung, daß Päpste mit der Aufgabe der Kirchenreform weit effizienter selbst unmittelbar fertig werden könnten und eines so sperrigen Instrumentes wie des Generalkonzils nicht eigentlich mehr bedürften. Kirchenreform von oben durch päpstliche Gesetzgebung und päpstliche Regulierung hat im 14. Jahrhundert dann mit durchgreifenden Folgen stattgefunden. Wenn wir von den energischen Schritten Johannes' XXII. zur Reorganisation der Kurie absehen, die unter den neuen Bedingungen in der Rhonestadt die überkommenen Institutionen des päpstlichen Haushalts und der kirchlichen Zentralverwaltung neu aufeinander abstimmte und rationalisierte24, so war es vor allem dessen Nachfolger Benedikt XII. gewesen, der bereits auf dem ersten Konsistorium seiner Regierung erklärt hatte, quod vellet pacem reformare 21
'Tractatus maior' II 96 (= Editio princeps, Lyon 1531, III 27, fol. 59ra, (unter der Rubrica fol. 58va:) De his, in quibus videtur, quod haberet se Romana ecclesia condescendendo prelatis et aliis subditis temperare et etiam reformare, d.h. in evidentem Zusammenhang mit Reformaufgaben in capite:] Item quod nulla iura generalia deinceps conderet, nisi vocato concilio generali, quod de decennio in decennium vocaretur ... Im selben Abschnitt noch (fol. 59rb) will Duranti erreichen, daß Provinzialsynoden im Abstand von jeweils drei Jahren in den einzelnen Kirchenprovinzen stattfinden sollten. Vgl. auch FASOLT, Council and Hierarchy (Anm. 17) 242 f. und 198 f. 22 Dazu bereits HALLER, Papsttum und Kirchenreform (Anm. 8) 58 f.; siehe auch für später H. FINKE (ed.), Acta Aragonensia, Bd. III, Berlin 1922 (ND 1966) S. 380 f., nr. 172. 23 Das ist der von FASOLT 'Tractatus minor' genannte Text, vgl. seine graphische Darstellung in: Council and Hierarchy (Anm. 17) 325. 24 G. MOLLAT, Les papes d'Avignon (1309-1378), Paris 101965, 46 ff.; J. E. WEAKLAND, Administrative and Fiscal Centralization under Pope John XXII, 1316-1334, in: Catholic Historical Review 54 (1968) 39-54, 285-310; zu den Anpassungsproblemen auf einem anderen Feld instruktiv B. SCHIMMELPFENNIG, Die Funktion des Papstpalastes und der kurialen Gesellschaft im päpstlichen Zeremoniell vor und während des Großen Schismas, in: Genèse et débuts du Grand Schisme d'Occident (Colloques Internationaux du CNRS.586) Paris 1980, 317-328.
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in tota ecclesia , und der sofort ein ansehnliches Reformprogramm vorgelegt hatte, das keineswegs "nur" den politischen Streit mit Ludwig dem Bayern betraf, sondern sein Verhältnis zu den Kardinälen und die Praxis der kurialen Pfründenvergabe (und dabei besonders die seines Vorgängers) kritisch ins Auge faßte. Im Schwung seiner ersten Regierungsjahre hat Benedikt XII. dann bei den Zisterziensern (1335), Benediktinern (1336), Franziskanern (1336) und schließlich auch den Regularkanonikern (1339) durch päpstliche Konstitutionen eine tiefgreifende Ordensreform verfugt, in der er Organisationsformen, Eigentumsstrukturen, Lebensweise, Gottesdienst und besonders das Verhältnis der Orden zu Studium und Universitäten neu und mit bis ins 16. Jahrhundert hinein nachhaltiger Wirkung geregelt hat26. Wenn auch seine Nachfolger keine unmittelbar vergleichbaren Initiativen aufbrachten, Reformimpulse haben sie in unterschiedlicher Intensität und Richtung durchaus zu geben versucht27. Noch das Schisma 1378 war unter vielen anderen Ursachen auch darin begründet, daß Urban VI. seine verstiegenen Vorstellungen von der Bedeutung des päpstlichen Amtes und der Stellung seiner Person in Kirche und Welt in ein harsches Reformprogramm auch seinen Kardinälen gegenüber umzumünzen versuchte und damit das ohnedies gespannte Verhältnis zu ihnen endgültig und unheilbar belastete28. War dies auf dem Höhepunkt der Schismazeit nach vielen Jahren endloser Debatten um die juristische Bewertung der Ereignisse von 1378 vielleicht auch nicht mehr allgemein bewußt, so richteten sich jetzt, da ein allgemein unzweifelhafter Papst nicht mehr zur Verfugung stand und alle anderen Versuche einer Klärung des Schismas sich als auswegslos erwiesen hatten, doch viele Hoffnungen auf ein Konzil, das seine traditionelle Nähe zu den Aufgaben der Reform der Christenheit nie verloren hatte. Je stärker die 'via concilii' als Lösungsweg für das 25
So seine 'Vita IIIA' in: Vitae paparum Avenionensium, edd. E. BALUZE/ G. MOLLAT, t. I, Paris 1916, 217; zu Verfasser und Entstehungszeit B. SCHIMMELPFENNIG, Benedikt XII. und Ludwig der Bayer. Zum Scheitern der Verhandlungen im Frühjahr 1337, in: AKG 59 (1977) 212-221. 26 Vgl. B. SCHIMMELPFENNIG, Zisterzienserideal und Kirchenreform, Benedikt XII. (1334-1342) als Reformpapst, in: Zisterzienserstudien III (Studien zur europäischen Geschichte 13) Berlin 1976, 1143; B. SCHIMMELPFENNIG, Das Papsttum und die Reform des Zisterzienserordens im späten Mittelalter, in: Reformbemühungen und Observanzbestrebungen (wie unten Anm. 102) 399-410. Eine reiche Detailforschung liegt vor; vgl. für die Reformbemühungen an den Franziskanern etwa den eingehenden Forschungsbericht von C. SCHMITT, Un pape réformateur et un défenseur de l'unité de l'Église: Benoît XII et l'Ordre des Frères Mineurs (1334-1342), Quaracchi-Florenz 1959; reich dokumentierend neuerlich F.-J. FELTEN, Le pape Benoît XII (1334-1342) et les Frères Prêcheurs, in: La papauté d'Avignon et le Languedoc, 1316-1342 (Cahiers de Fanjeaux 26) Toulouse 1991, 307-342, sowie jetzt F.-J. FELTEN, Die Ordensreformen Benedikts XII. unter institutionsgeschichtlichem Aspekt, in: Institutionen und Geschichte. Theoretische Aspekte und mittelalterliche Befunde, hg. von G. MELVILLE (Norm und Struktur. Studien zum sozialen Wandel in Mittelalter und früher Neuzeit 1) Köln u.a. 1992, 369-435 [dort weitere Literatur], 27 Zusammenfassend jetzt L. VONES, La réforme de l'Église au XIVE siècle: tentatives pontificales dans l'ésprit bénédictine et courants spirituels dans l'entourage d'Urbain V, in: Crises et réformes dans l'Église de la réforme grégorienne à la préréforme (115 e Congrès national des Sociétés Savantes, 1990, Avignon) Paris 1991, 189-206. 28 Dazu bereits A. HAUCK, Kirchengeschichte Deutschlands, Teil V/2, Berlin '1958, 676 ff.; M. SEIDELMAYER, Die Anfänge des Großen Abendländischen Schismas. Studien zur Kirchenpolitik insbesondere der spanischen Staaten und zu den geistigen Kämpfen der Zeit (Spanische Forschungen der Görres-Gesellschaft II 5) Münster 1940, 10 ff.; auch W. ULLMANN, The Origins of the Great Schism, London 1948, 45 ff.; O. PFTEROVSKY, L'elezione di Urbano VI e l'insorgere dello scisma d'Occidente (Miscellanea délia Société Romana di Storia Patria 20) Rom 1960, 65 ff., 106 ff.
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Schisma in den Vordergrund rückte, desto unverstellter kam auch die Reformaufgabe wieder in Sicht, zumindest im Zusammenhang einer provisio adversas futura schismatá19. Schon beim ersten ernsthaften Versuch, dem Konzil der Kardinäle in Pisa 1409, zeigte sich das deutlich. Die Konzilsbesucher wandten sich nämlich unmittelbar, nachdem sie ihre dringendste Aufgabe, die Kircheneinheit, durch den Absetzungsprozeß gegen die beiden Päpste und die Neuwahl Alexanders V. für erledigt hielten, dem Thema der Reform zu. Es ist ein Aktenstück erhalten, in dem die prelati et procuratores absentium aus dem Reich, aus Frankreich und England dem Papst nonnulla gravamina vortragen, Beschwerden, die seit vielen Jahren die allgemeine Kirche Gottes quälten. Die Konzilväter baten den Konzilspapst, nach Gnade und Recht für Abhilfe zu sorgen. Die zeitgenössische Überschrift ihrer Liste lautet Articuli reformacionis ecclesie in capite et in membris30. Wir prüfen hier nicht die einzelnen Artikel, in denen die Konzilsteilnehmer mit allergrößter Dringlichkeit zur Reform auffordern. Unmittelbar nachdem sie auf eine angemessene Publikation der Absetzungsprozesse gegen die beiden Schismapäpste gedrängt und bestimmte Vorkehrungen gegen eine mögliche Wiederholung einer gespaltenen Wahl für die Zukunft vorgeschlagen hatten, ersuchten sie den Papst, selbst oder durch Beauftrage eine "Reform an Haupt und Gliedern" in der Kirche einzuleiten. Sie verzichten dabei freilich ausdrücklich auf genaue Vorschläge, überlassen es vielmehr fürs erste dem Urteil des Papstes und des Kardinalskollegs, geeignete Wege zu finden. Doch fugen sie dem nicht weniger als 19 Artikel an, in denen sie genau mitteilen, wo ihrer Meinung nach Besserung dringend nötig sei. Die Antwort des Papstes ist erhalten31, sie bezieht sich angesichts des Generalauftrags zur Reform vorsichtig auf eine angeblich schon eingeleitete reformado in parte, vertröstet also die Konzilsväter mit dem Hinweis auf das bereits begonnene Werk und verspricht, eine Kommission von viri notabiles32 werde die Ausarbeitung der Einzelmaßnahmen in die Hand nehmen. Daß damit die Reform der Kirche an Haupt und Gliedern nicht auf die lange Bank der Kommissionsberatungen geschoben werden sollte, ist allein daraus ersichtlich, daß ein nächstes Generalkonzil bereits binnen drei Jahren vom Konzil gefordert und vom Papst versprochen wurde33. Der Mißerfolg bei dem Versuch aber, das Schisma durch dieses Konzil wirklich zu beenden, machte ebenso wie der überraschende Tod Alexanders V. diese Ansätze zu einer Reformarbeit bald 29
So die Formulierung etwa des Pileo von Genua (Anm. 10) 302: De provisione adversus futura schismata et remedio, si evenerit. (Vgl. auch unten Anm. 45.) 30 Ed. J. VINCKE, Acta concilii Pisani, in: RQ 46 (1938) 83-331, hier 205-213; in etwas verkürzter Form, aber dafür zusammen mit den Antworten des Papstes auch in: E. MARTÈNE/ U. DURAND (edd.), Veterum scriptorum et monumentorum ... amplissima collectio, t. VII, Paris 1733 (ND 1968) 1124B-1132A. Eine frühere Fassung [aus Ms. Krakau, UB, Mscr. 193, fol. 311-312] findet sich bei J. VINCKE, Zu den Konzilien von Perpignan und Pisa, in: RQ 49 (1954) 89-94, hier 92-94; hier werden zu Beginn - wie der Herausgeber plausibel macht - der Beratungen in schärferem Ton Forderungen erhoben und mit Strafdrohungen sanktioniert: et pena formidabilis Romano pontifici non curanti hoc pro tunc exequi imponatur (§1)! Vgl. etwa A. LANDI, Il papa deposto Pisa 1409. L'idea conciliare nel Grande Scisma (Studi storici) Turin 1985,210 f. 31 Vgl. den Druck bei MARTÈNE/ DURAND VII (Anm. 30) 1130A-1132A. 32 Das meint doch wohl nicht unbedingt eine Kardinalskommission, sondern einen Ausschuß von kurialen Spezialisten. 33 MARTÈNE/ DURAND VII (Anm. 30) 1130D (responsio adsextum capitulum).
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zunichte; das 1412 in Rom von Johannes XXIII., Alexanders V. Nachfolger, bei schlechtem Besuch eröffnete Konzil sollte über Präliminarien nicht hinauskommen. Bezeichnend ist immerhin der Weg, den man in Pisa ins Auge gefaßt hatte, ohne an einen Dissens zwischen Papst und Konzil zu denken. In der langen Reformagende und der engen zeitlichen Terminierung auf drei Jahre kann man aber über die herkömmliche und übliche Kasuistik mittelalterlicher Gravamina hinaus den festen Willen der Konzilsväter entdecken, die Richtung künftiger Aktivitäten zumindest mitzubestimmen. Der Weg, der dann das Konstanzer Konzil möglich machte, ist hier nicht darzustellen34. Reformarbeit war auch für dieses Konzil von vornherein fest ins Auge gefaßt, das beweist nicht nur das Berufungsschreiben Papst Johannes' XXIII.35, das beweisen auch die verschiedenen Traktate, die programmatisch für die künftige Kirchenversammlung bestimmte Reformaufgaben vorweg auflisteten. Die 'Capitula agendorum' aus Frankreich, die offenbar unter Aufsicht und der hauptverantwortlichen Mitwirkung des Kardinals Pierre d'Ailly zusammengestellt worden sind, seien hier als eines der bekannteren dieser Konzilsprogramme genannt. Auch dieses Zeugnis eines breit angelegten Arbeitswillens läßt die Gelegenheit nicht verstreichen, eine umfassende Reform zu fordern, freilich nur summarisch und jetzt bereits in einer gegenüber Pisa deutlich herabgestuften Reihenfolge: "Es wäre förderlich, wenn die römische Kirche, die das Haupt aller ist, sich zunächst selbst in ihrer Rechtsgestalt und ihrem Leben reformierte und erst danach zur Reform der anderen Glieder schritte"36. Auch hier wird die Einsetzung einer Reformkommission vorgeschlagen, die schon vor dem Zusammentreten des Konzils mit Papst und Kurie beraten könne, bis schließlich das Konzil alles endgültig durch seinen autoritativen Beschluß entscheiden werde37. Die wirkliche Reformarbeit, die tatsächlichen Diskussionen auf dem Konzil sahen bekanntlich anders aus. Statt des vorgesehenen harmonischen Miteinander des Konzils mit dem Pisaner Papst wuchs die vom Römischen König Sigismund kräftig geschürte Entschlossenheit, mit allen Papstprätendenten aufzuräumen, ohne noch auf eine einzelne bisherige Obedienz Rücksicht zu nehmen. Daraus wiederum folgte der dramatische Konflikt des Konzils mit seinem Papst: Johannes XXIII. verweigerte sich durch seine abenteuerliche Flucht aus Konstanz schließlich jeder Kooperation und stürzte das Konzil in eine tiefe Krise. Jetzt war es nötig, auch ohne und gegen den Papst zusammenzustehen, wollte man nicht den Gedanken an ein Konzil überhaupt fürs erste preisgeben. 34
Vgl. BOOCKMANN, Geschichte (Anm. 12); jetzt auch die Darstellung des Konstanzer Konzils von W. BRANDMÜLLER, Das Konzil von Konstanz, 1414-1418, Bd. I: Bis zur Abreise Sigismunds nach Narbonne (Konziliengeschichte, Reihe A: Darstellungen) Paderborn u.a. 1991, dessen Wertungen ich freilich häufig nicht teilen kann [vgl. meine Anzeige in D A 47 (1991) 6 9 2 - 6 9 5 ] und der Sigismunds Politik in ihrer Bedeutung m.E. unterschätzt. 35 MANSl XXVII 536C-538D, bes. 537A/B und 538C. (Freilich bleibt es bei formelhaften Anspielungen.) 36 'Capitula agendorum': A C C IV 548-583, Zitat: 557 - dieser Abschnitt ist (wie die Ausgabe feststellt) von Ailly dann nachweislich häufiger verwandt worden. Ganz ähnlich sehen die Reihenfolge der Dringlichkeit auch andere, etwa Dietrich von Nieheim: D e modis uniendi et reformandi ecclesiam in concilio generali: H. HEIMPEL (Hg.), Dietrich von Niem, Dialog über Union und Reform der Kirche 1410 (Quellen zur Geistesgeschichte des Mittelalters und der Renaissance 3) Leipzig-Berlin 1933, 43: Restat ergo ut primo reformetur ecclesia in papa, secundario in cardinalibus, tercio in prelatis aliis ecclesiasticis. 37 A C C IV 550 f.
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Daß die Konzilsväter in diesen dramatischen Wochen nicht die Zeit fanden, über die Kirchenreform zu beraten, ist nur zu verständlich. Das Thema selbst aber war und blieb ihnen so wichtig, daß sie bereits in der ersten Entschließung, die sie am 26. März 1415, nur eine Woche nach der heimlichen Flucht des Papstes, faßten38, unzweideutig konstatierten, die allgemeine Synode in Konstanz sei pro unione et reformacione dictae ecclesiae in capite et membris fienda versammelt. Hier werden also beide Aufgaben gleichberechtigt nebeneinander gestellt; dann wird sofort erklärt, auch der geflüchtete Papst könne das Konzil nicht mehr auflösen, "bevor nicht das Schisma endgültig beendet und die Kirche in Glauben und Leben, an Haupt und Gliedern reformiert" sei39. Damit aber wird die Reform ausdrücklich als Kernaufgabe der Konzilsarbeit unterschiedslos neben die 'causa unionis' gestellt und erhält sogar sitzungsterminierenden Rang. Schon mit diesem Dekret war praktisch vorweggenommen, was das Konzil auf seinen nächsten Sitzungen wenige Tage später dann ausdrücklich als theoretisch gemeinte Erklärung beschlossen hat: Die berühmte Konstitution 'Haec sancta'40, die das Konzil unmittelbar von Christus, nicht vom Papst abhängig sah, unterstreicht nämlich dort, wo sie den Zweck des Konzils formuliert, mit noch stärkeren Worten das Doppelziel der 'unio' und 'reformacio' und verpflichtet jedermann, auch einen Papst41, zum Gehorsam gegen Anordnungen in his quae pertinent ad fidem et exstirpationem dicti schismatis ac generalem reformacionem dictae ecclesiae Dei in capite et in membris. Die Reformaufgabe, so unmittelbar sie im Text auch verankert ist, war damals noch, wie die bekannten Umstände der Verkündigung des Beschlusses beweisen, in ihrer Gleichrangigkeit mit Glaubensfragen und den Problemen der Kircheneinheit nicht unumstritten, sie wurde dann aber von der Mehrheit der Konzilsteilnehmer gegen diesen Widerstand durchgesetzt42. Dies freilich bedeutete auch, daß, nachdem man mit Johannes XXIII., dem Papst, der das Konzil berufen hatte, nicht mehr rechnen wollte, die Reformdiskussionen in die eigene Hand zu nehmen waren. Als nach der Absetzung Johannes' XXIII. und der feierlichen Resignation Gregors XII. König Sigismund nach Narbonne aufbrach, um die Adhäsion der spanischen Königreiche zu bewirken, wurde auch folgerichtig aus der Mitte des Konzils im Sommer 1415 ein Reformausschuß, das sogenannte 'Reformatorium1, eingesetzt, das Vorschläge aus dem Konzil entgegennehmen, diese beraten und mit den Nationen abstimmen sollte, um schließlich in einem komplexen Hin und Her von Abstimmungen und Voten konsensfahige Vorlagen für die Beschlußfassung auf den Generalsessionen zu 38
Zum Hergang im einzelnen jetzt BRANDMÜLLER, Konzil von Konstanz (Anm. 34) I 226 ff. Sessio III (26.3.1415), in: COD5 407: ... nec dissolvatur usque ad perfectam exstirpationem praesentis schismatis et quousque ecclesia sit reformata in fide et in moribus, in capite et in membris. 40 Sessio IV (30.3.1415) und V (6.4.1415): COD3 408 f. Die umfängliche Diskussion dazu ist hier nicht aufzulisten, vgl. etwa die eingehende Erörterung von H. SCHNEIDER, Der Konziliarismus als Problem der neueren katholischen Theologie. Die Geschichte der Auslegung der Konstanzer Dekrete von Febronius bis zur Gegenwart (Arbeiten zur Kirchengeschichte 47) Berlin u.a. 1976. 41 Zu dieser Übersetzung - die noch einmal bei BRANDMÜLLER, Konzil von Konstanz (Anm. 34) 1255, kritisiert worden war - zuletzt S. KUTTNER, Zum Konzil von Konstanz. Brief an den Herausgeber, in: AHC 21 (1989) 428 f. 42 Zur Rolle Zabarellas vgl. jetzt etwa die Schilderung bei BRANDMÜLLER, Konzil von Konstanz (Anm. 34) I 247 ff. 39
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erarbeiten. Dieses 'Reformatorium' war zunächst paritätisch aus je 8 Vertretern der vier Nationen, die sich als Abstimmungskörperschaft des Konzils längst etabliert hatten, zusammengesetzt und hatte zusätzlich noch 3 Kardinäle zu Mitgliedern. Erst als im Sommer 1417, nach der Inkorporation der Spanier als fünfter Nation des Konzils, die Geschäftsordnung allgemein der neuen Lage angepaßt werden mußte, wurde ein organisatorischer Umbau vorgenommen: Fortan bestand das Reformatorium aus je 5 Vertretern der 5 Nationen, ohne anscheinend die Kardinäle eigens noch zu berücksichtigen. Im November 1417, unmittelbar nach der Wahl Martins V., wurde schließlich - mit päpstlicher Billigung - eine letzte Reorganisation vorgenommen; jetzt übernahmen je 6 Vertreter der einzelnen Nationen und zusätzlich 6 Kardinäle die Moderation der Reformdiskussionen43. Die Arbeit dieser Kommissionen war langwierig, der Papierausstoß groß. Noch heute sind umfangreiche Reste in Form von Reformvorschlägen und Beschlußvorlagen vorhanden, die freilich in ihrer persönlichen, selbst in ihrer chronologischen Zuordnung nicht alle sicher zu placieren sind. Eine Fülle von Reformdenkschriften von weitem Horizont ist überliefert, die wirklich caput et membra in ihre Überlegungen einbezogen und die sogar zugleich die Verfassungsprobleme des Römisch-Deutschen Reiches lösen wollten, quia pro reformacione sacri imperii est in multis par racio cum reformacione papatus, wie es der Heidelberger fürstliche Rat und Protonotar Job Vener scharf ausgedrückt hat44. Allzu zahlreiche Reformdekrete freilich konnte das Konzil der langen Arbeit zum Trotz nicht auf den Weg bringen oder gar verabschieden. Ob man sich mit der Debatte (in den Jahren der Abwesenheit Sigismunds) allzu viel Zeit gelassen hat, bleibe dahingestellt. Nach der Rückkehr des Römischen Königs im Januar 1417 jedenfalls zeigten sich sogleich erhebliche Konflikte um die weitere Dringlichkeit der Reform gegenüber der Forderung nach Vollendung der Kircheneinheit durch die Wahl eines neuen Papstes. Diese sogenannten Prioritätsstreitigkeiten brauchen wir nicht in ihren einzelnen Phasen und Manövern nachzuzeichnen, obwohl das ein lebhaftes Bild von der politischen Struktur und der differenzierten Zusammensetzung der auf dem Konzil präsenten Interessengruppierungen vermitteln könnte. Die ungewöhnlich lange Tagungsdauer, die zum Teil erhebliche Entfernung der Konzilsteilnehmer von ihrer gewohnten Lebenswelt, mit einem Wort: Konzilsüberdruß ließ ein weiteres Warten nicht zu. Das Drängen vor allem der "konzilsnahen" deutschen Nation unter Führung des deutschen Herrschers auf eine vorrangige Erledigung der Reformaufgaben traf insbesondere bei den Franzosen und Spaniern auf immer geringeren Widerhall. Das Ergebnis dieses Konflikts war ein berühmter Kompromiß. Man einigte sich offenbar darauf, in die Papstwahl und ihr kompliziert ausgeklügeltes Verfahren baldmöglichst, noch im Jahre 1417, einzutreten, 43
Zu den Reformatorien im einzelnen schon B. HOBLER, Die Constanzer Reformation und die Concordate von 1418, Leipzig 1867 (ND 1980); neuerlich insbes. HEIMPEL, Vener (Anm. 2) I 364 ff., II 736 ff.; HELMRATH, Reform als Thema (Anm. 5) 101-103 [mit umfangreicher Literatur]; vgl. auch W. BRANDMÜLLER, Causa reformationis. Ergebnisse und Probleme der Reformen des Konstanzer Konzils, in: AHC 13 (1981) 49-66; jetzt erneut in: W. BRANDMÜLLER, Papst und Konzil im Großen Schisma (1378-1431). Studien und Quellen, Paderborn u.a. 1990, 264-281, bes. 268 f. 44 'Avisamentum sacrorum canonum et doctorum', ed. HEIMPEL, Vener (Anm. 2) III 1290-1313 (nr. 28), dazu II 1128-1140; Zitat 1309; dazu die paraphrasierende Analyse II 832 f.
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zuvor aber die Reformarbeiten durch gemeinsamen Beschluß der entscheidungsreifen Vorlagen voranzubringen und für die noch nicht konsensfahigen Punkte dem künftigen Papst und dem Konzil einen bindenden Auftrag zu geben. Dieser Kompromiß zwischen Reformeifer und Konzilsmüdigkeit schlug sich nieder in den bekannten Beschlüssen der 39. und 40. Generalsession vom Oktober 1417, vor allem im Dekret 'Frequens'45 und im sogenannten "Kautionsdekret"46 sowie zusätzlich in klaren, wenn auch nicht allzu tief einschneidenden Reformbestimmungen47, nach denen die Kurie künftig auf eine Versetzung von Prälaten gegen deren Willen ebenso verzichten sollte wie auf ihr herkömmliches Spolienrecht am Nachlaß der Geistlichen und auf die Erhebung von Visitationsgebühren, von sogenannten procuraliones, durch die kurialen Kollektoren. Im Dekret 'Frequens' beschloß das Konzil, regelmäßig alle 10 Jahre Generalkonzilien abzuhalten, binnen einer Frist, die durch Festlegungen ausgesuchtester Kasuistik wohl im Bedarfsfall verkürzt, aber niemals gedehnt werden sollte. Das nächste Konzil hatte bereits nach 5 Jahren, das übernächste 7 Jahre danach zu folgen. Schon im ersten Satz ist ausdrücklich von den Reformaufgaben eines Konzils - excessus corrigere, deformata reformare - zwar konventionell, aber unzweideutig die Rede48; künftig anberaumte Konzilien erscheinen keineswegs von dieser Aufgabe entbunden. Im Kautionsdekret auf der unmittelbar folgenden Sitzung wurde von den Konzilsvätern dem künftig endlich neuzuwählenden Papst sowie dem Konzil selbst noch vor dem Ende der Sitzungen eine lange Liste von nicht weniger als 18 Reformaufgaben auferlegt - wiederum in capite et curia Romana, wie es diesmal einschränkend und präzisierend ausdrücklich heißt49 ohne freilich (mangels Konsens) bereits irgendwelche Aussagen über den Lösungsweg des umfänglichen Problemkataloges machen zu können. Alle gängigen Gravamina sind hier genannt; von der kurialen Pfründenvergabe und ihren Gebühren über die kurialen Prozesse und den kurialen Geschäftsgang bis hin zum Ablaßwesen reicht die Reformagende, und immer wieder werden die kurialen Finanzquellen angesprochen. Freilich ist auch, anständigerweise möchte man sagen, als Besprechungspunkt De provisione papae et cardinalium (Versorgung und Unterhalt von Papst und Kardinälen nach der Finanzreform) nicht ausgelassen. 45
Sessio XXXIX (9.10.1417): COD 3 438 f.; W. BRANDMÜLLER, Causa reformationis, in: Papst und Konzil (Anm. 43), 271 ff., sowie W. BRANDMÜLLER, Das Konzil, demokratisches Kontrollorgan über dem Papst? Zum Verständnis des Konstanzer Dekrets Frequens vom 9.10.1417, in: AHC 16 (1984) 328-347, jetzt erneut in: Papst und Konzil [Anm. 43] 243-263, hat bezweifelt, ob diese Bestimmungen von 'Frequens' überhaupt in enger Beziehung zu den Reformabsichten stünden, weil das Dekret selbst "nur" mit technischen Vorkehrungen gegen eine künftige schismatische Wahl verbunden verabschiedet wurde, während das Kautionsdekret zur Reform erst auf der folgenden Sitzung beschlossen werden konnte. An einem inhaltlichen Zusammenhang ist trotzdem kein Zweifel möglich: Allein schon die enge Verknüpfung der festgehaltenen Konzilsaufgabe einer Kirchenreform mit der provisio adversus fiitura schismata praecavenda [um hier den Namen des gemeinten Dekrets in den Hss. zu benutzen, vgl. COD 3 438] spricht dafür; vgl. auch die Aufzählung der Aufgaben eines Konzils in 'Frequens': quae [d.h. frequens generalium conciliorum celebratio] ... excessus corrigit, deformata reformat... etc. 46 Sessio XL (30.10.1417): COD3 444. 47 Sessio XXXIX [Anm. 45]: COD 3 443. 48 Wie Anm. 45. 49 COD 3 444 - vgl. aber die Textvariante: schon der erste Druck der Konstanzer Dekrete (Hagenau 1500) hat hier anders gelesen.
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Das selbstgesteckte Ziel wurde, solange das Konzil tagte, nicht mehr erreicht. Noch in Konstanz versuchte zwar der neue Papst Martin V., mit dem Reformatorium der Nationen zu einer generellen Einigung zu gelangen. Beschlossen wurde aber nicht mehr als eine Verschiebung der wesentlichen Fragen auf das nächste Konzil, das abzuhalten man sich nach fünf Jahren vorgenommen hatte, sowie eine vorläufige Vereinbarung von vorsorglichen Maßnahmen für diese nächsten fünf Jahre, d.h. auf ein Paket von Verträgen zwischen dem Papst und den einzelnen Konzilsnationen, die berühmten Konstanzer "Konkordate"50. Diese Verträge brachten - mit Abwandlungen und Unterschieden für die verschiedenen Teile der lateinischen Weltkirche - einige neue Ansätze51. Für die Zeitgenossen war das aber, so deutlich es auch in die herkömmliche Finanzierung der Kurie eingriff und so langfristige Wirkungen es auch haben sollte, keinesfalls der Durchbruch zur erhofften allgemeinen Reform der Kirche, der dann die vielbeschworene reformado in membris hätte folgen können52. Umorganisation der Kurie, Wiedergewinnung des Kirchenstaates, Restauration des Papsttums füllten die nächsten Jahre Martins V., ohne daß dieser Papst nachweislich von seinen in den Konkordaten übernommenen Verpflichtungen abgewichen wäre. Auch das vereinbarte Konzil kam fünf Jahre nach dem offiziellen Ende von Konstanz in Pavia und Siena wirklich zustande53. Der Papst ließ sogar von einer Kardinalskommission im Vorfeld Vorschläge für eine Kurienreform zusammenstellen, die auf dem Konzil beraten werden sollten54. Das Konzil hatte sich aber kaum an seine Arbeit gemacht, als es im Auftrag Martins V. von den päpstlich ernannten Konzilspräsidenten in einer Nacht- und Nebelaktion plötzlich für beendet und aufgelöst erklärt und damit gesprengt wurde55. Dieser überraschende Coup hatte angesichts des relativ spärlichen Besuchs der Versammlung unmittelbar gewiß wenig gravierende Folgen; die indirekten, vor allem die psychologischen Wirkungen freilich können kaum überschätzt werden: Die Arbeit an der Reformagende war definitiv aus ihrer in Konstanz so sorgfaltig abgestimmten Terminierung geworfen: Die Konstanzer "Konkordate" liefen aus und fanden nun nur noch nach der Diskretion der Kurie weitere Anwendung (diesen Lauf der Dinge nämlich hatten die Reformfreunde in Konstanz bei all ihrer Kasuistik nicht bedacht). Darüber hinaus freilich saß der Schock bei den vom Papst so unvermutet überraschten Konzilsteilnehmern tief und erwies sich als 50 Gedruckt in: Raccolta di concordati su materie ecclesiastiche trà la Santa Sede e le autorità civili, ed. A. MERCATI, Rom 21954, 144-150 [mit der spanischen Nation]; 150-157 [mit der französischen]; 157-165 [mit der deutschen]; 165-168 [mit der englischen]; sowie teilweise bei HOBLER, Reformation (Anm. 43) 164-206 (mit einer nützlichen deutschen "Synopsis" 218-249). 51 Im Vertrag mit der deutschen Konzilsnation wäre vor allem eine schiedlich-friedliche Teilung der Verfügung über die Pfründen, die vom Papst und den normalen Kollatoren abwechselnd zugeteilt werden sollten, sowie eine Beschränkung der von der Kirchenzentrale vergebbaren niederen Pfründen durch eine Wertgrenze, unterhalb derer die Zentrale keinen Zugriff haben sollte, zu nennen. 52 Zu den Wirkungen vgl. aber immerhin die sorgfältigen Aufstellungen von P. H. STUMP, The Reform of Taxation at the Council of Constance (1414-1418), in: Speculum 64 (1989) 69-105. Vgl. auch HELMRATH, Reform als Thema (Anm. 5) 108 f. 53 Die umfassendste Darstellung (mit Edition wichtiger Quellen) stammt von W. BRANDMÜLLER, Das Konzil von Pavia-Siena (1423-1424), Bd. I—II (Vorreformationsgeschichtliche Forschungen 16) Münster 1968-1974. 54 Ed. J. HALLER, in: CB I 163-183, dazu die Bemerkungen Hallers 107 ff.: Das wichtigste (zeitgenössische) Ms. stammt aus dem Besitz des Johannes von Ragusa (zu ihm vgl. unten Anm. 56). 55 Vgl. die kalmierende Schilderung bei BRANDMÜLLER, Siena (Anm. 53) I 225-245.
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dauerhaft. Männer wie Johannes Stojkovic von Ragusa56 haben ihn dem nächsten Konzil übermittelt, das sich sieben Jahre später in Basel zu versammeln begann, berufen noch von Martin V., eröffnet gegen manche Befürchtungen von dessen Nachfolger Eugen IV.57 Diesmal, so schien man entschlossen, sollte ein ähnlicher Handstreich weder dem Papst noch seinen Präsidenten mehr gelingen. Das gespannte Klima in den ersten Monaten des Basler Konzils war deutlich von den Erfahrungen von Siena geprägt. Eine undurchsichtige Politik Eugens IV., ein hartnäckiges Beharren des Konzils auf seinen Absichten, die nicht zuletzt Reformabsichten waren, führten nun jedenfalls von Konflikt zu Konflikt. Reformdiskussionen, vom Konzilspräsidenten Kardinal Giuliano Cesarini zunächst mit wahrem Feuereifer befördert, kamen in Gang, ja in Schwung. Auch aus Basel haben wir aus den verschiedenen Phasen seiner langjährigen Geschichte eine Fülle von Reformvorschlägen in mehr oder weniger umfangreichen Avisamenten und Traktaten ausgeführt, von denen der bekannteste die mächtige 'Concordantia catholica' des Nikolaus von Kues ist58. Es gibt sogar eine ganze Reihe von Beschlüssen, die teils in Konstitutionen, teils in staatlichem Recht (wie in der Pragmatischen Sanktion von Bourges für Frankreich oder in der Mainzer Akzeptation für Deutschland), teils dann in den Konkordaten der Jahrhundertmitte auch praktische Folgen hatten59. Ohne das hier im einzelnen verfolgen zu wollen, müssen wir in einer kurzen Überlegung der Frage nachgehen, was die Reformarbeit der Konzilien für die europäische Öffentlichkeit so wichtig machte, wie die Diskussionen der großen Kirchenversammlungen und ihre Debatten in einer Zeit in die Breite wirken konnten, als die Kommunikationswege schwierig, die Nachrichtenübermittlung langsam, die Zirkulation von Texten quälend zögerlich war. Wie konnten die Reformdebatten ins allgemeine Bewußtsein eingehen? Diese Frage läßt sich nicht ohne weiteres mit dem Hinweis auf den Rang der Theorie oder die Bedeutung der Gedanken für die Zukunft beantworten. Wir haben es uns angewöhnt, auf die großen Namen dieser Zeit immer so zu blicken, als sei die ganze Welt des 15. Jahrhunderts von ihren Thesen und ihren Auseinandersetzungen voll gewesen, als habe jedermann die neuesten Auffassungen eines Pierre d'Ailly, eines Jean Gerson - wir Deutschen sind geneigt hinzuzufügen, auch etwa die eines Dietrich von Nieheim oder Nikolaus von Kues - gekannt und jede Nuancierung ihrer Gedanken begierig verfolgt. Aber wer wußte wirklich etwas von diesen und den zahlreichen anderen Reformprogrammatikern, wie sie sich damals zu Worte meldeten? Man kann es nicht deutlich genug sagen, daß die Anzahl der Manuskripte, in denen uns diese Schriften überliefert sind, durchaus diesen naiven Vorstellungen widerspricht. Nehmen wir etwa die Reformtraktate des Jean Gerson, über die wir 56 Vgl. dazu etwa W. KRÄMER, Konsens und Rezeption. Verfassungsprinzipien der Kirche im Basler Konziliarismus (Beiträge zur Geschichte der Philosophie und Theologie des Mittelalters, NF 19) Münster 1980, bes. 90-124, 182-206 u.ö. 57 Über das Basler Konzil liegt ein dichter und sprechender Forschungsbericht vor, der hier näheres Eingehen überflüssig macht: J. HELMRATH, Das Basler Konzil 1431-1449. Forschungsstand und Probleme (KHA 32) Köln-Wien 1987; zur Reformarbeit vgl. 327-352. 58 Vgl. insbesondere die in CB VIII 32-136 von Heinrich DANNENBAUER gesammelten Texte. 59 Insbesondere hierzu HELMRATH, Reform als Thema (Anm. 5) 112-131; zum Wiener Konkordat im einzelnen A. MEYER, Das Wiener Konkordat von 1448, eine erfolgreiche Reform des Spätmittelalters, in: QFIAB 66 (1986) 108-152.
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in der Edition durch Palemon Glorieux von 1965 eine zwar nicht vollständige, aber in gewissem Sinne repräsentative und bequem zugängliche Sammlung besitzen. Von seinem bekannten Traktat 'De potestate ecclesiastica' nennt der letzte Herausgeber insgesamt 37 Manuskripte, denen sich freilich noch mindestens 14 weitere hinzufugen lassen60. Aber selbst angenommen, wir setzten statt der so errechneten rund 50 Handschriften dieses Textes insgesamt etwa 60 erhaltene Manuskripte an - eine erhebliche Zahl für mittelalterliche Textüberlieferung ja gesetzt wir verdoppelten kühn diese Ausgangsziffer wegen der durch Verlust oder Zerstörung seit dem Mittelalter verschwundenen Manuskripte, so erreichten wir immer noch keineswegs eine "Auflage", die heutigen Publikationsorganen oder auch nur den sogenannten Flugschriften der Reformationszeit gleichkäme, zumal die nachweisbaren (und also auch unsere angenommenen) Handschriften keineswegs alle mit dem Autor zeitgenössisch sind. Streng genommen sind von unserer Rechnung nämlich die Zahl der Abschriften aus "Stoßzeiten" ihrer Aktualität (sofern diese, wie etwa der Büchermarkt des Basler Konzils, später als die Lebenszeit ihrer Verfasser liegen) ebenso abzuziehen wie vor allem die späten Kopien, die aus wissenschaftlichem oder biographischem oder bibliographischem Sammeleifer herrühren. So bleibt uns ein bezeichnendes Ergebnis zu konstatieren: Auch die tatsächliche Kenntnis dieses Textes ist zur Zeit seiner Entstehung markant geringer gewesen, als wir das in der Regel voraussetzen. Dabei habe ich bewußt einen schon bei den Zeitgenossen relativ berühmten Text gewählt. Hätte ich selbst so bedeutende Reformprogramme, wie etwa die 'Capitula agendorum' des Pierre d'Ailly genommen, dann hätte ich für diesen Text nur ganze sechs erhaltene Handschriften nennen können61. Dietrich von Nieheims konkurrierende Denkschrift vom Beginn des Konstanzer Konzils bringt es gar nur auf drei Manuskripte62, wie auch das 'Avisamentum' Job Veners zur Reformfrage aus dem Jahre 1417 uns nur in zwei Manuskripten erreicht hat, von denen eines als das Handexemplar des Verfassers dessen "Archiv" nie verlassen hat und also nicht "öffentlich" wirken konnte63. Die Frage nach der Wirkung von "publizistischen" Texten des späteren Mittelalters stößt demnach auch im Falle der Reformtraktate auf eine gleichsam technisch-mechanische Grenze. Das zwingt uns, den allzu gängigen Begriff einer "Reformpublizistik" mit starken Modifikationen zu versehen. Solche Modifikationen dürfen gewiß nicht nur in einer proportionalen Verkleinerung der Strukturen bestehen, in einer bloß quantitativen Reduktion unserer Vorstellungen von 60
Jean Gerson, Oeuvres complètes, ed. P. GLORIEUX, t. VI, Paris 1965, XV nr. 282. Vgl. aber z.B. die Mss. (ich habe nicht systematisch gesucht!): Barcelona, Archivo de la Catedral 11 (XV. saec.) [freundlicher Hinweis von Pater Thomas Kaeppeli, OP]; Brixen, Bibl. des Bischöfl. Seminars, A.13, fol. 192r-217r; Genua, Bibl. Franzoniana, Urb. 49 (XVI. saec.), fol. 360rb-383rb; Paris, Bibl. Mazarine, 937, fol. 1-18v (vgl. P. Glorieux, in: Gerson [siehe oben XXXVIII]); Rom, Bibl. Angelica, 739 (Q. 515), fol. 27r-48v; Rom, Bibl. Casanatense, 1406 (a. 1470), fol. 307rb-317vb; Rom, Bibl. Vat., Vat. lat. 4039, fol. 356v-368r [aus Besitz des Kardinals Domenico Capranica, t 1456]; Vat. lat. 4117, fol. 51r-67v [aus Besitz des Kardinals Juan de Torquemada, OP, t 1474]; Vat. lat. 4130, fol. lv-32v; Vat. lat. 4131, fol. 86r-110r; Vat. lat. 4132, fol. 72v-89r; Vat. lat. 4152, fol. 86ra-109rb; Venedig, Bibl. Marc., Zan. lat. 193 (=1670), fol. 2ra-28vb [aus Besitz des Kardinals Bessarion, t 1474]; Wien, Schottenstift, 408 [a. 1433 vom Basler Konzil], fol. 216v-244r. 61
V g l . FINKE u n d HEIMPEL in: A C C I V 5 4 5 .
62
HEIMPEL, Dialog (Anm. 36) XXVII-XXIX.
63
HEIMPEL, V e n e r ( A n m . 2 ) III 1 2 9 0 ; c f . II 1 0 2 0 - 1 0 5 8 , 1 1 4 0 .
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dem durch solche Texte erreichbaren Publikum. Vielmehr müssen wir die abweichende Gestalt der damaligen "Öffentlichkeit" bedenken. Im Zeitalter handschriftlicher Vervielfältigung von Texten, das haben die neueren Forschungen sehr einleuchtend dargetan64, können wir nicht mit dem Modell eines grundsätzlich offenen Marktes der Texte und Meinungen arbeiten; eines Marktes, auf dem sich Texte gleichsam ihre Abnehmer suchen, sie dann finden und sich damit einen mehr oder minder großen Verbreitungskreis sichern. So etwa sähe ja der Idealtypus der liberalen Publizistik des 19. Jahrhunderts aus. Da die Herstellung von Handschriften einen größeren Zeitaufwand und somit auch relativ hohe Kosten verursachte, kam die Textproduktion für einen "Markt" durch einen "Anbieter" kaum in Frage (wo nicht aus besonderen Gründen, wie etwa bei den Grundtexten des Unterrichts an den Universitäten, ein ständiges Abnehmerinteresse sicher war), vielmehr war das Bedürfnis eines "Abnehmers", der den Text besitzen wollte, für die Herstellung einer Abschrift in aller Regel der entscheidende Auslöser65. Die Texte konnten also prinzipiell nur in Kreisen zirkulieren, die sich als solche gebildet hatten, ohne von dem Text selbst bewirkt worden zu sein, die vor der Berührung mit dem speziellen Text bereits existierten: Die Vervielfältigung eines bestimmten Textes war in der Regel jedenfalls keineswegs der eigentliche Existenzzweck dieser Kreise. Solche Kreise konnten sehr klein sein: eine Gruppe persönlicher Bekannter, die untereinander Texte austauschten, wie die Frühhumanisten um Jean de Montreuil und Nicolas de Clamanges in Frankreich oder der Kreis um Nikolaus von Kues im Reich66. Solche Kreise konnten relativ groß sein, wie etwa die großen 64
Insbesondere vgl. D. MERTENS, Iacobus Carthusiensis. Untersuchungen zur Rezeption der Werke des Kartäusers Jakob von Paradies, 1381-1465 (Studien zur Germania sacra 13 = VMPIG 50) Göttingen 1976, bes. 23 FÎ.; H. BOOCKMANN, ZU den Wirkungen der Reform Kaiser Siegmunds, in: DA 35 (1979) 514-541, überarbeitet auch in: Studien zum städtischen Bildungswesen des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit, hg. von B. MOELLER/ H. PATZE/ K. STACKMANN (Abh. der Akad. der Wiss. in Göttingen, Phil.-hist. Kl. 3. Folge Nr. 137) Göttingen 1983, 112-135; J. MIETHKE, Die Konzilien als Forum der öffentlichen Meinung im 15. Jahrhundert, in: DA 37 (1981) 736-775; J. HELMRATH, Kommunikation auf den spätmittelalterlichen Konzilien, in: Die Bedeutung der Kommunikation für Wirtschaft und Gesellschaft, hg. von H. POHL (VSWG Beiheft 87) Stuttgart 1989, 116-172. 65
Vgl. etwa E. ORNAT0, Les conditions de production et de diffusion du livre médiéval (XIIIe-XVe siècles): quelques considérations générales, in: Culture et idéologie dans la genèse de l'état moderne (Collection de l'École Française de Rome 82) Rom 1985, 57-84. 66 Zu Frankreich vgl. etwa E. ORNATO, Jean Muret et ses amis Nicolas de Clamanges et Jean de Montreuil. Contribution à l'étude des rapports entre les humanistes de Paris et ceux d'Avignon 13941420 (Centre des recherches d'histoire et de philologie de la IV'section de l'École pratique des Hautes Études. Hautes Études médiévales et modernes 6) Genf-Paris 1969, sowie die verschiedenen Arbeiten zum Umfeld von Jean Gerson von G. OUY, z.B.: Enquête sur manuscrits autographes du chancelier Gerson et sur les copies faites par son frère le célestin Jean Gerson, in: Scriptorium 16 (1962) 275-301; Le collège de Navarre, berceau de l'humanisme français, in: Actes du 95' Congrès nat. des Sociétés Savantes (Reims 1970). Sect. de philologie et d'histoire jusqu' à 1610,1, Paris 1975, 275-299; La recherche sur l'humanisme français des XIVe et XV e siècles, in: Francia 5 (1977) 693707; Nicolas de Clamanges (ca. 1360-1437), philologue et calligraphe: imitation de l'Italie et réaction anti-italienne dans l'écriture d'un humaniste français au début du XV e siècle, in: Renaissanceund Humanistenhandschriften, hg. von J. AUTENRIETH (Schriften des Historischen Kollegs, Kolloquien 13) München 1988, 31-50. Für das Reich instruktiv ist etwa ein Manuskriptentausch zwischen Nikolaus von Kues, Johannes von Segovia, Johannes von Lieser und Thomas Ebendorfer 1442, der beleuchtet wurde von E. MEUTHEN, Ein unerkanntes Cusanus-Autograph im StA Würzburg, in: Würzburger Diözesan-Geschichtsblätter 42 (1980) 175-186, bes. 181 ff. Vgl. außerdem
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Ordensverbände der spätmittelalterlichen Kirche, wo uns im 13. und 14. Jahrhundert etwa in den Mendikantenorden für die wissenschaftlichen Texte der bedeutenden Ordensgelehrten ein funktionierendes derartiges "Publikationssystem" 67 in einer frühen Ausprägung entgegentritt. Hier muß ein einziges besonders bezeichnendes Beispiel genügen: Die Augustinereremiten haben auf ihrem Generalkapitel in Florenz bereits 1287 beschlossen, hinfort habe im ganzen Orden unverbrüchlich zu gelten, daß alle Lektoren und Studierenden des Ordens die Lehrmeinungen und Aussagen, die "unser Magister" Aegidius Romanus schriftlich niedergelegt habe oder noch niederschreiben werde, annehmen sollten, ihnen ihre öffentliche Zustimmung gewähren möchten und sie im Streit der wissenschaftlichen Debatten nach allen Kräften zu verteidigen hätten 68 . Überlegen wir hier nicht, wie weit dieser Beschluß des spätesten und jüngsten der großen Mendikantenorden des 13. Jahrhunderts, dem vergleichbare Statuten zu den Schriften lebender Lehrer weder bei den Dominikanern noch erst recht bei den Franziskanern zur Seite stehen oder auch nur stehen könnten, aus einem gewissen Nachholbedürfnis der Augustinereremiten resultierte. Sprechen wir auch nicht von der Verwirklichung dieser regulatorischen Maßnahme in diesem Orden 69 . Hier interessiert allein, daß ein solcher Beschluß wenigstens idealiter voraussetzt, daß alle relevanten Schriften des Aegidius auch möglichst bald in den Ordensstudien bekannt werden mußten, sollten sie pflichtgemäß verteidigt werden können; daß der Beschluß also zumindest als normative Idee den Orden als Verbreitungskreis wissenschaftlicher Texte voraussetzt und ihn mithin als einen derartigen Verbreitungskreis auch in gewissem Sinne normiert. Andere solche "geschlossenen Öffentlichkeiten", solche vor- und außerliterarisch konstituierten Verbreitungskreise für Texte waren naturgemäß auch die einzelnen örtlichen Universitäten, die ja schon früh der großen Nachfrage entsprechend etwa im peci'a-System die Herstellung und die Vervielfältigung ihrer gebräuchlichsten Textcorpora und Handbücher rationalisiert und zugleich einer gewissen korporativen Kontrolle unterworfen hatten 70 , und die im 14. Jahrhundert z.B. G. KOLLER, Koloman Knapp. Ein Leben im Schatten des Konzils, in: Jb. des Stifts Klosterneuburg NF 3 (1963) 109-136; H. G. SENGER, Thomas Hirschhorn, ein Magdeburger Gelehrter des 15. Jahrhunderts, in: HJb 100 (1980) 217-239. Mailänder Beispiele instruktiv bei M. FERRARI, La 'littera antiqua' à Milan, 1417-1439, in: Renaissance- und Humanistenhandschriften, hg. von J. AUTENRIETH (wie oben) 13-29. Solche Hinweise ließen sich nahezu beliebig vermehren. 67 So BOOCKMANN, Wirkungen (Anm. 64) 522 bzw. 119. 68
C h a r t u l a r i u m U n i v e r s i t a t i s P a r i s i e n s i s , e d d . H . DENIFLE/ E . CHÂTELAIN, B d . II, P a r i s 1 8 9 1
(ND
1962), 12 nr. 542: Quia venerabilis magistri nostri Egidii doctrina mundum illustrât, diffinimus et mandamus inviolabiliter observan, ut opiniones, positiones et sententias scriptas et scribendas predicti magistri nostri omnes nostri ordinis lectores et studentes recipiant eisdem prebentes assensum et eius doctrinae omni qua poterunt sollicitudine sint seduli defensores. 69 Jedenfalls läßt selbst die relativ große Verbreitung der verschiedenen Schriften des Aegidius keineswegs auf eine auch nur in Ansätzen systematische Nutzung eines derart projektierten Verbreitungssystems schließen, wie man jetzt an den Handschriftenbeschreibungen in den (noch nicht abgeschlossenen) 'Prolegomena' der in Gang gekommenen Gesamtausgabe ablesen kann: Aegidii Romani Opera omnia, I: Catalogo dei Manoscritti, Bd. I 1/1, I 1/2*, I 1/3*, I 1/3**, I 1/5*, 16 (Florenz 1987-1990). 70 Letzthin instruktiv: La production du livre universitaire au moyen âge, exemplar et pecia, edd. L. J. BATAILLON/ B. G. GUYOT/ R. H. ROUSE, Paris 1988, besonders die Beiträge von R. H. und M. A. ROUSE, The Book Trade at the University of Paris, ca. 1250-ca. 1350 (41-113), H. V. SHOONER, La production du livre par la pecia (17-37), J.-F. GENEST, Le fonds juridique d'un stationaire italien à la fin du XIIIe siècle (133-154), usw.
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durch die Ausbildung des Gruppendiktats, der pronunciatio, für eine Beschleunigung der Produktion von Unterrichtsschriften sorgten71. In unserem Zusammenhang ist von großer Wichtigkeit, daß, von wenigen Grundlehrbüchern abgesehen, die überall in Europa in großen Mengen hergestellt wurden wie etwa den Sentenzen des Petrus Lombardus, dem 'Corpus iuris civilis', dem Dekret Gratians oder den Dekretalensammlungen samt ihren Hauptglossen, scholastische Wissenschaftstexte sich keineswegs ohne weiteres über die Grenzen der jeweils eigenen Universität hinaus verbreiten konnten. Das polemische Schlagwort der Anglicane subtilitates mag das für den Bereich der Logik exemplarisch beleuchten72. Es gibt freilich doch im einzelnen Grenzüberschreitungen über den Kreis einer einzelnen Universität hinaus. Am leichtesten noch erklären sich die bisweilen überraschend direkt geführten Diskussionen zwischen Gelehrten verschiedener Universitäten, falls hier Ordensverbindungen der Textverbreitung zu Hilfe kamen, sich also zwei verschiedene Textverbreitungskreise miteinander überschnitten und bei der Verbreitung ein und desselben Textes gegenseitig verstärkten. Wenn etwa Ockham in Oxford bald nach der in Paris gehaltenen Sentenzenvorlesung des Petrus Aureoli den Text seines Ordensbruders in Händen hatte, kurz zur Kenntnis nehmen konnte und natürlich erbarmungslos kritisierte, dann läßt sich diese Beobachtung trefflich zu farbigen Anekdoten über reisende Franziskanerstudenten ausspinnen, die in ihrem spärlichen Gepäck auch Reportationen einer jüngst gehörten Vorlesung aus Paris über den Ärmelkanal transportierten und in Oxford dem Ordensbruder Einblick in ihren treu gehüteten Schatz gewährten73, ohne daß freilich solche dramatischen Schilderungen mehr als rein illustrativen Wert haben können. Ebenso aber kann in exemplarischer Weise das Phänomen weniger phantasieanregend auch dort beobachtet werden, wo in der Tat eine Wanderung von Texten koordiniert mit der Wanderung von realen Personen auftritt. Persönliche Kontakte von Professoren oder Studenten bergen auch für die Texte in deren Besitz die Chance, den ursprünglichen Verbreitungskreis zu überspringen und neue Bereiche zu erschließen74. Nur stichwortartig seien die Ausstrahlung der 71
Bereits W. W ATTENBACH, Das Schriftwesen im Mittelalter, Leipzig 3 1896 (ND 1956) 563-565. Dazu etwa B. MICHAEL, Johannes Buridan. Studien zu seinem Leben, seinen Werken und zur Rezeption seiner Theorien im Europa des späten Mittelalters, Bd. I-II, Phil. Diss. FU Berlin 1978 (Privatdruck 1985) bes. I, 263-267; vgl. auch die Belege bei J. MIETHKE, Die mittelalterliche Universität und das gesprochene Wort, in: HZ 251 (1990) 1-44, hier 19 ff. N. R. KER, Eton College Ms.44 and its exemplar, in: Varia codicologica, Essays presented to G. I. Lieftinck, fasc.l, Amsterdam 1972, 48-60, weist einen Codex des Kommentars des Albertus Magnus zu Matthäus und Lukas nach, der (wahrscheinlich im New College, Oxford) um 1480 von nicht weniger als 53 jungen Schreibern in koordinierter Kopierarbeit (doch wohl auf Bestellung) angefertigt wurde. 72 Etwa J. MURDOCH, Subtilitates Anglicanae in Fourteenth Century Paris. John of Mirecourt and Peter Ceffons, in: Machaut's World, Science and Art in the Fourteenth Century, edd. M. P. COSMAN/ B. CHANDLER (Annals of the New York Academy of Sciences 314) New York 1978, 51-86; K. H. TACHAU, Vision and Certitude in the Age of Ockham. Optics, Epistemology and the Foundations of Semantics 1250-1345 (Studien und Texte zur Geistesgeschichte des Mittelalters 22) Leiden 1988, bes. 357 ff.; exemplarisch und zusammenfassend W. J. COURTENAY, Schools and Scholars in Fourteenth Century England, Princeton/ N.J. 1987, 147-169. 73 So etwa dramatisch zugespitzt bei C. K. BRAMPTON, A Note on Auriol, Ockham and Ms. Borghese 329, in: Gregorianum 41 (1960) 713-716. 74 In den Bibliotheken, die Konrad von Gelnhausen (t 1392) oder Marsilius von Inghen (t 1396) einerseits, Matthäus von Krakau (t 1410) andererseits bei ihrem Tode der Universität Heidelberg
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Schriften Wiclifs nach Prag , die Verbreitung der Pariser Artistenliteratur (etwa des Johannes Buridan) an die neu entstandenen Universitäten im deutschen Reich76, die Wanderung von Professoren und Texten aus dem Prag des Kuttenberger Dekrets an die deutschen Universitäten Leipzig, Erfurt, Köln und Heidelberg77 sowie auch die Wege humanistischer Texte und Manuskripte aus Italien nordwärts auf den Pfaden der aus ihrem Studienort heimwärts strebenden Rechtsstudenten78 erwähnt. An der Wende zum 15. Jahrhundert hatten damit die Universitäten in ganz ausgezeichnetem Sinn trotz allen zeitbedingten Beschränkungen ein eigenes überregionales "Kommunikationssystem" anzubieten, das sicherlich nicht als solches konstruiert worden war und das auch sicherlich nicht bewußt (oder doch nur sehr begrenzt) als solches benutzt werden konnte, das aber gleichwohl überraschend gut funktionierte. vermachten, sind bestimmt vorwiegend Pariser und Prager Codices zu vermuten; vgl. die Verzeichnisse der beiden ersten, zusammen mit weiteren kleineren Schenkungen zuletzt in Acta Universitatis Heidelbergensis I: Die Rektorbücher der Universität Heidelberg, Bd. I (1386-1410) Heft 2, hg. von J. MLETHKE, bearbeitet von H. LUTZMANN und H. WEISERT, Heidelberg 1990, nrr. 453-469, S. 466-513; das Verzeichnis der Mss. des Matthäus [nach G. TOEPKE, Die Matrikel der Universität Heidelberg, Bd. I, Heidelberg 1886, 687-689, § D] zuletzt bei W. SENKO/ A. L. SZAFRANSKI (edd.), Mateusza z Krakowa, Opuscula Iheologica, dotyczace sowiedzi i komunii (Textus et studia historiam theologiae in Polonia excultae spectantia II 1) Warschau 1974, 58-64. - Nur selten kann man auch eindeutige Studentenhandschriften, aus dem Ort der Studien mitgebracht, heute noch in ihrer Wirkung in der Heimat verfolgen. Ein solcher Fall: Bibl. Vat., Pal. lat. 659; vgl. N. MARTIN in: Bibliotheca Palatina [Ausstellungskatalog], hg. von E. MITTLER, Heidelberg 1986, 54 (Nr. B 7.2). 75
Reiches Material bei W. R. THOMSON, The Latin Writings of John Wyclyf (Subsidia mediaevalia 14) Toronto 1983. Vgl. besonders K. WALSH, Wyclifs Legacy in Central Europe in the Late Fourteenth and Early Fifteenth Centuries, in: From Ockham to Wyclif, edd. A. HUDSON/ M. WLLKS (Studies in Church History. Subsidia 5) Oxford 1987, 397-417. Einen ähnlichen Fall verfolgt K. WALSH, Die Rezeption der Schriften des Richard FitzRalph (Armachanus) im lollardisch-hussitischen Milieu, in: Das Publikum (Anm. 16) 237-253. 76 Beispielhaft MICHAEL, Buridan (Anm. 71). 77 Wir sind über die Personen noch relativ gut informiert, die damals gewandert sind, spätestens seit den prosopographischen Aufstellungen (die über die im Titel genannten Universitäten weit hinausführen) von S. SCHUMANN, Die nationes an den Universitäten Prag, Leipzig und Wien. Ein Beitrag zur älteren Universitätsgeschichte (Phil. Diss. FU Berlin 1974); vgl. auch den Überblick bei A. L. GABRIEL, Via antiqua and via moderna and the Migration of Paris Students and Masters to German Universities in the Fifteenth Century, in: Antiqui und moderni. Traditionsbewußtsein und Fortschrittsbewußtsein im späten Mittelalter, hg. von A. ZIMMERMANN (Miscellanea mediaevalia 9) Berlin-New York 1974, 439-483 [jetzt ergänzt in: A.L.GABRIEL, The Paris Studium, Robert de Sorbonne and His Legacy (...). Selected Studies (Texts and Studies in the History of Education 19) Notre Dame-Frankfurt/ M. 1992, 113-167]; vgl. auch oben Anm. 72. Weniger gut wissen wir über die Codices Bescheid, die damals "mitgewandert" sein müssen, obwohl sie teilweise noch vorhanden sind. Als ein Einzelbeispiel für ein recht bewegtes Geschick kann gelten die Sammelhs. u.a. mit der autographen Lectura in Matheum des Marsilius von Inghen (Bibl. Vat., Pal. lat. 142), die teilweise aus dem Besitz des von Prag (1383/84) über Wien im Jahre 1387 nach Heidelberg gekommenen und 1388 von Heidelberg nach Köln übergewechselten Magisters (und ersten Rektors der neuen Universität) Hartlevus de Marca ( t 1390) stammt: vgl. Bibliotheca Palatina (Anm. 74) 43b-45b (Nr. B 5.2). 78 Zu den Humanistenhss. vgl. vor allem L. BERTALOT, Studien zum italienischen und deutschen Humanismus, hg. von P. O. KRISTELLER, Bd. I-II (Storia e Letteratura 129/130) Rom 1975; sowie das reiche Material bei P. O. KRISTELLER, Iter Italicum, Bd. I-VI, Leiden 1969-1992. Zu den deutschen Rechtsstudenten im Italien des 15. Jahrhunderts jetzt die zahlreichen Forschungen von A. SOTTILI, vgl. etwa nur: La natio germanica dell' Università di Pavia nella storia dell'umanesimo, in: The Universities in the Late Middle Ages, hg. von J. IJSEWUN/ J. PAQUET (Mediaevalia Lovaniensia I 6) Löwen 1978, 347-365.
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In Fragen der Kirchenreform, Ordensreform und Reichsreform war dieses System der Kommunikation von den Zeitumständen zunächst in besonderem Maße begünstigt. Die große abendländische Kirchenspaltung hatte jene Entscheidungsinstanz gelähmt, auf die hin die spätmittelalterliche Kirchenverfassung mehr und mehr zentriert worden war. Sicherlich gab es auch in der Zeit des Schismas jeweils noch einen apostolischen Stuhl, die päpstliche Kurie, den Papst als "Vikar Christi", den Inhaber der 'plenitudo potestatis' und der höchsten Autorität bei Lehrentscheidungen und bei der Chancenzuteilung in der Pfriindenvergabe. Aber bereits die Erteilung von Provisionen, Expektanzen und sonstigen Gnadenerweisen wurde durch die Obedienzen stark eingeschränkt. Während das ganze System der päpstlichen Kirchenregierung angesichts der kleineren Ausgangsbasis mehr und mehr und mit einer gewissen Zwangsläufigkeit immer stärker der ohnehin vorhandenen Tendenz zum Fiskalismus verfiel, leistete es gerade das nicht mehr, was von seinen Apologeten und Theoretikern seit der Höhe des Mittelalters immer wieder als seine Hauptaufgabe angesetzt worden war: die Garantie der Kircheneinheit, die Sicherung der Einheit in Glauben und Leben der Kirche. Daß in dieser Situation den Universitätsangehörigen neue Aufgaben zuwachsen würden, war nahezu unvermeidlich. Schon in ihren Anfängen hatte die abendländische Wissenschaft die Klärung von widersprüchlichen Autoritäten als ihre vornehmste Aufgabe angesehen. Die Universitäten, die teilweise im engen Konnex zur päpstlichen Kurie ihre Rechtsstellung und ihre Aufgaben teils selbst definiert hatten, teils von der Kurie hatten definieren lassen, waren auch durchaus auf die jetzt neu auf sie zukommenden Aufgaben eingestellt. Ohnedies hatten doch schon im 13. Jahrhundert, dem ersten Jahrhundert ihres formellen Bestehens, die Theologischen Fakultäten sich selbst als Wächter über die Angemessenheit von Glaubenslehren verstanden, unabhängig auch von der römischen Kurie. Später hatten die Theologen zumindest noch ihre Expertisen gegeben und so ihren Anspruch auf Mitwirkung in solchen Fragen nicht fallengelassen79. Der einzelne Magister konnte etwa im 'Quodlibet' oder in der 'Quaestio disputata' sehr schwierige theoretische Probleme zur Debatte stellen oder vor sie gestellt werden und mußte sie dann anschließend mit dem Anspruch auf Gültigkeit "determinieren", d.h. eine wahrheitsentsprechende Antwort geben, über die widersprüchlichen Antworten eine gültige Entscheidung fällen80. Das war eines der wichtigsten Vorrechte eines graduierten Theologen schlechthin. Und auch die Kanonisten waren es ja durchaus gewohnt, bei strittigen oder turbulenten Wahlen, bei unklarer Geschäftslage oder umkämpften Entscheidungen irgendeines kirchlichen Gremiums oder Amtsträgers in genauer Untersuchung die Rechtslage definitiv zu klären und damit die Entscheidung eines Gerichtes vorzubereiten oder gar vorwegzunehmen. 79
Vgl. J. MIETHKE, Theologenprozesse in der ersten Phase ihrer institutionellen Ausbildung. Die Verfahren gegen Abaelard und Gilbert von Poitiers, in: Viator 6 (1975) 87-116; J. MIETHKE, Papst, Ortsbischof und Universität in den Pariser Theologenprozessen des 13. Jahrhunderts, in: Die Auseinandersetzungen an der Pariser Universität im XIII. Jahrhundert, hg. von A. ZIMMERMANN (Miscellanea mediaevalia 10) Berlin-New York 1976, 52-94. 80 Sprechend im 13. Jahrhundert Boethius von Dacien, der schreibt: omnem questionem per rationem disputabilem habet philosophus determinare [hier zitiert nach J. LE GOFF, Les intellectuels au moyen âge, in: Intellectuels français, intellectuels hongrois, XIIIe-XXe siècles, édd. J. LE GOFF/ B. KÖPECZI, Budapest-Paris 1985, hier 16]. Weitere Belege bei O. WEUERS, Terminologie des universités au XIII1 siècle (Lessico Intellettuale Europeo 39) Rom 1987, bes. 351-353, 354 f.
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Die strittige Papstwahl nun war ein Problem des materiellen wie des formellen Kirchenrechts, wie sie auch ein Problem der Theologie werden mußte, sobald klar wurde, daß mit kanonistischen Mitteln der Streit nicht gültig zu entscheiden war, da der oberste Richter, der Papst selber, als unumstrittene Instanz ausfiel. Damit aber wurde ein Rekurs auf die Prinzipien der Kirchenverfassung unausweichlich. Die Universitätsangehörigen erlebten also im Schisma und durch das Schisma, daß ihre ohnedies gleichsam angeborene Aufgabe, bei mehr oder minder praktischen Problemen mit den Mitteln ihrer Wissenschaft eine wahrheitsentsprechende und damit - so setzte man damals allgemein voraus - auch praktikable Lösung zu formulieren, nun in vordem ungeahntem Umfang "aktuell" und gefragt wurde, da sie jetzt auf ein Bedürfnis traf, das dringender schien als je zuvor. Natürlich wurde nur allzu bald sichtbar, daß in diesen Konflikten auch die beste wissenschaftliche These nicht notwendig zu allgemein anerkannten, tragfahigen Lösungen führte, obwohl man die wissenschaftliche Unangreifbarkeit der Prozeduren und Entscheidungen so ungeheuer wichtig nahm. Auf allen Seiten des Kampffeldes finden wir eine Fülle von Gutachten, die freilich, wie es so zu gehen pflegt, oft eher die tatsächliche oder mutmaßliche Interessenlage des Auftraggebers, mitunter freilich auch des Verfassers widerspiegeln, als daß sie denkbare, gar praktikable Wege aus der Wirrnis hätte weisen oder bahnen können. Jedenfalls hat im späten Mittelalter kaum jemals eine engere Verbindung zwischen gelehrtem 'consilium' und aktuellen Problemen bestanden als damals. Gutachten, 'consilia', 'avisamenta', Denkschriften, Memoranden hatten eine einsame Hochkonjunktur. Das färbte auch auf die Reformfragen gewissermaßen ab. Der Gedanke lag nahe, daß die Universitätsgelehrten ihre Anstrengungen miteinander verbinden müßten; so entscheidet schon bald in Frankreich die theologische Fakultät der Universität Paris auf den Kirchenversammlungen der Nationalkirche als Faktor eigenen Gewichtes mit, so ist der Weg zum ersten papstlosen Konzilsversuch in Pisa mit Gutachten und Ratschlägen nicht nur von bekannten Gelehrten etwa für den Kardinallegaten Baldassare Cossa, den späteren Papst Johannes XXIII., begleitet. Auch ganze Fakultäten beteiligen sich - damals und noch künftig - mit gemeinsamen Stellungnahmen: immer wieder Bologna, aber etwa auch Florenz und Padua, später Paris und Toulouse oder die englischen Universitäten, dann Krakau oder Wien, auch Heidelberg und Köln81. Als dann endlich - gewiß auf Grund auch politischer Umstände, aber ebenfalls auf der Basis der herrschenden wissenschaftlichen Meinung - das Pisaner Konzil zusammentrat, waren wiederum die Universitätslehrer in besonders hohem Maße beteiligt. Der konziliaren 81
Drei Gutachten von Paulus de Castro, Antonius de Butrio und Matteus de Mathessilanis [der ein Gutachten seines Lehrers Petrus de Ancarano zu Ende geführt hatte] sind abgedruckt etwa in: Annales ecclesiastici, post C. BARONIUM authore A. BZOVIO, t. XV, Köln 1622, 266b-271b [zu 1407]. Vgl. z.B. G. ALBERIGO, Chiesa conciliare. Identità e significato del conciliarismo (Testi e ricerche di scienze religiose 19) Brescia 1981, 91 ff. Für die nordalpinen Universitäten monographisch zuletzt R. N. SWANSON, Universities, Academics and the Great Schism (Cambridge Studies in Medieval Life and Thought III 12) Cambridge u.a. 1979. Für Heidelberg z.B. K. WRIEDT, Der Heidelberger Hof und die Pisaner Kardinäle. Zwei Formen des Konzilsgedankens, in: Aus Reichsgeschichte und nordischer Geschichte [Festschrift für Karl Jordan], hg. von H. FUHRMANN/ H. E. MAYER/ K. WRIEDT (Kieler Histor. Studien 16) Stuttgart 1972, 272-288. Für Köln E. MEUTHEN, Die alte Universität (Kölner Universitätsgeschichte 1) Köln-Wien 1988, 165 ff. Zur Krakauer Denkschrift auch GABRIEL, Paris Studium (Anm. 77) 289 ff.
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Absetzungssentenz gegen Gregor XII. und Benedikt XIII. ging eine Versammlung der auf dem Konzil anwesenden über hundert graduierten Theologen und Kanonisten voraus, die ihr geballtes wissenschaftliches Ansehen durch eine gemeinsame magistrale Proklamation für den politischen Zweck des Konzils einsetzten. Und auch in Florenz und Bologna erteilten die promovierten Juristen in einer großen Gemeinschaftsaktion jeweils ein gleichartiges gemeinsames Gutachten82. Von den etwa 235 Unterzeichnern des offiziellen Absetzungsdekrets waren ihrer Selbstbezeichnung nach dann mindestens 45 graduiert, also etwa 19%, ohne daß wir wüßten, wer damals zur Unterzeichnung zugelassen worden ist, und wer nicht83. Noch in der Anfangszeit des Konstanzer Konzils wird die sogenannte 'facultas theologica', die Versammlung aller graduierten Theologen, eine institutionell wahrnehmbare Rolle spielen84. Daß das Pisaner Konzil in seiner eigentlichen Absicht scheiterte, war gewiß auch eine Folge der grandiosen Überschätzung von Deklarationen gegenüber realen politischen Möglichkeiten, war damit auch Folge eines typischen Fehlers von Intellektuellen. Aber dem großen Anteil an Universitätsabgängern auf den folgenden Kirchenversammlungen tat das keinen Abbruch: Die 'Capitula agendorum' des Pierre d'Ailly forderten programmatisch, quod multum expedit quod intersint viri docti, vocentur de quolibet generali studio aliqui famosi, vel in canonibus vel in sacra pagina, prout studio in hiis habundant*5. Die Wirklichkeit strafte dieses Programm, wie jedermann weiß, keineswegs Lügen. Unter 2290 Teilnehmern am Konstanzer Konzil, die ein moderner Historiker, der Schüler Heinrich Finkes Johannes Riegel, in Teilnehmerlisten identifizierte, hat er 409 Graduierte aller Fakultäten, also etwa 18%, angetroffen, und in Basel sind die Zahlenverhältnisse teilweise noch eindrucksvoller86. Verzichten wir auf eine Aneinanderreihung statistischer Belege, die angesichts der Quellenlage ohnedies nur Annäherungswerte erbringen können, und die vor allem immer nur Mindestrelationen liefern, weil sie uns das gesamte bunte und vielfach abgestufte Bild der Wissenschaftsverbundenheit der Konzilsteilnehmer ohnedies nicht vermitteln könnten. Wie viele Konzilsväter hatten sich einige Zeit lang an irgendeinem Generalstudium aufgehalten, ohne jemals einen Abschluß auch nur zu suchen? Wie viele ließen sich durch die wissenschaftliche Technik der Argumentation, selbst wenn sie selbst zu ihr nicht unmittelbar in der Lage gewesen wären, in ihrem Urteil bestimmen? Wie viele schließlich richteten ihre Entscheidungen auch an älteren oder neueren Stellungnahmen von Fachleuten ihres Vertrauens aus, die ihnen bereits bekannt waren oder die ihnen auf den Kon-
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MANSI X X V I I 399-401 ; vgl. VINCKE, Acta concilii Pisani (Anm. 30) 209 f.
J. VINCKE, Schriftstücke zum Pisaner Konzil. Ein Kampf um die öffentliche Meinung (Beiträge zur Kirchen- und Rechtsgeschichte 3) Bonn 1942, 177-205, nr. 32. Die Frage des Stimmrechts sei hier nicht aufgenommen, dazu zuletzt etwa sehr zugespitzt H. MILLET, La représentativité, source de la légitimité du Concile de Pise (1409), in: Théologie et droit dans la science politique de l'État moderne (Collection de l'École Française de Rome 147) Rom 1991, 241-261, bes. 255 f. 84 Dazu jetzt vor allem BRANDMÜLLER, Konzil von Konstanz (Anm. 34) I 157, vgl. auch ebd. 163, 183. 85 ACC I V 571. 86 J. RIEGEL, Die Teilnehmerlisten des Konstanzer Konzils. Ein Beitrag zur mittelalterlichen Statistik, Phil. Diss. Freiburg i.Bg. 1916 (Teildruck). Für Basel vgl. jetzt die eingehende Erörterung bei HELMRATH, Basler Konzil ( A n m . 57) 71-178.
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zilien bekanntgemacht wurden? Jetzt, auf dem Konzil, konnte man sich Auge in Auge gegenübertreten, Argumente austauschen - und Texte weitergeben. Die Konzilien sind schon mehrfach, besonders eindrücklich vor 70 Jahren von Paul Lehmann, als Büchermärkte beschrieben worden87. Häufig denken wir dabei nur an die Überlieferung der klassischen Texte der Antike. "Plautus im Nonnenkloster" oder Nikolaus von Kues unterwegs für die Handschriftenjäger unter seinen italienischen Humanistenfreunden sind dafür die bestbekannten Beispiele, aber nicht die einzigen. Doch natürlich boten auch in anderen Sparten und Textarten diese Versammlungen die große Chance, neue Texte kennenzulernen, die vorher unerreichbar geblieben waren oder gar nicht erst in den Gesichtskreis treten konnten. Auf dem Konzil von Konstanz wurde von dem Franziskaner Giovanni Bertoldi da Serravalle Dantes 'Comedia' in die lingua franca der Gelehrten, in das Lateinische übersetzt und teilweise auch kommentiert; diese Arbeiten hat der Übersetzer dann offenbar in Konstanz öffentlich durch pronunciatio vorgetragen88. Benedictas de Pileo (de Piglio) hielt ebendort Vorlesungen über Lukans 'Pharsalia' und über Senecas Briefe89. Auch andere humanistisch-philologische Tätigkeit ist aus Konstanz und Basel bezeugt. Das Konzil konnte freilich selbst gewisse nationale Schranken verständlicherweise nicht in allen Fällen übersteigen, wie die "nationalen" Verbreitangskreise bestimmter Schriften heute noch belegen90. Zumindest aber läßt sich sagen, daß das Konzil denjenigen Texten, die überhaupt dort auftauchten, eine große, ja einmalige Zukunftschance gegeben hat. Hier verbanden sich die "geschlossenen Öffentlichkeiten" kleinerer Regionen lange genug, um miteinander in fruchtbare Berührung zu treten, verschmolzen für kurze Zeit miteinander und verstärkten damit gegenseitig ihre "normalen" Wirkungen. Es ist dieser Tatsache zuzuschreiben, daß sehr unterschiedliche Texte in relativ dichter Überlieferung erhalten blieben. Die Denkschriften etwa des Bischofs von Mende, Guillelmus Durantis des Jüngeren, sind uns in 10 Handschriften bekannt, von denen nur eine dem 14. Jahrhundert (dem Jahre 1396 [!]), angehört; alle anderen sind im 15. Jahrhundert entstanden, mindestens 5 davon wiederum im evidenten Zusammenhang mit dem Basler Konzil91. Das 'Memoriale' des Alexander von Roes aus dem Jahr 1283 ist zwar in insgesamt 67 Handschriften erhalten, 87
P. LEHMANN, Konstanz und Basel als Büchermärkte während der großen Kirchenversammlungen [1921; ND] in: P. LEHMANN, Erforschung des Mittelalters. Ausgewählte Abhandlungen und Aufsätze, Bd. I, München 1941, 253-280. Vgl. MIETHKE, Forum (Anm. 64); HELMRATH, Kommunikation (Anm. 64); auch HELMRATH, Basier Konzil (Anm. 57) 173 ff. 88 Fratris Johannis de Serravalle Translatio et commentum Dantis Alighieri cum textu italico fratris Bartholomei a Colle, nunc primum edita, Prato 1891. Zusammenfassend G. FERRAÜ, in: Enciclopedia Dantesca I, Rom 1970, 608b-609b. 89 L. BERTALOT, Benedictus de Pileo in Konstanz, in: QFIAB 29 (1938/39) 312-316, jetzt in BERTALOT, Studien (Anm. 78) II 305-310; vgl. auch C. GRAYSON, Benedictus de Pileo, in: DBI VIII (1966) 443 f. 90 Für Dantes Comedia beginnt ihre Geschichte in Deutschland offenbar gerade mit Serravalles Bemühungen auf dem Konzil (vgl. oben Anm. 87). Für nationale Grenzen aber, die nicht überstiegen werden konnten, ist kennzeichnend die handschriftliche Verbreitung etwa von Alexander von Roes (vgl. unten Anm. 92) oder Lupoid von Bebenburg [vgl. bereits H. MEYER, Lupoid von Bebenburg. Studien zu seinen Schriften (Studien und Darstellungen aus dem Gebiete der Geschichte VII/1-2) Freiburg i.Bg. 1909], die fast ausschließlich den deutschen Sprachraum erreichten. 91 FASOLT, Manuscripts, und FASOLT, Rezeption (beide Anm. 16).
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aber nur 6 davon entstammen dem 14. Jahrhundert, keine einzige ist dem Jahrhundert der Textentstehung, dem 13. Jahrhundert, zuzuweisen 92 . Ein anderes extremes Beispiel: Von den 13 Manuskripten, die Anselms von Havelberg 'Anticimenon', eine gelehrte Schrift des 12. Jahrhunderts, überliefern, stammt die als früheste sicher datierbar erhaltene aus dem Jahre 1417; keine einzige ist vor dem 15. Jahrhundert entstanden, zwei Handschriften sind noch später geschrieben worden93. Von einer Streitschrift aus Wibertinischen Kreisen gegen Papst Urban II., den 'Gesta Romanae ecclesiae contra Hildebrandum', sind insgesamt 3 Manuskripte erhalten geblieben, die jedenfalls nicht unmittelbar voneinander abhängen: eines aus dem 12. Jahrhundert, eines aus dem 16. Jahrhundert, als der Streit der Konfessionen das Interesse am Text neu weckte; eine dritte Handschrift stammt aus der Bibliothek des 1443 verstorbenen Dominikanertheologen, Basler Konzilsvaters und Kardinals Johannes Stojkovic von Ragusa94. Ähnliche, wenn auch nicht ganz so exzentrische Beispiele lassen sich für die Überlieferung der ekklesiologischen Traktate des frühen 14. Jahrhunderts auflisten95. Als Fazit dürfen wir festhalten: Wenn auch die nationalen Schranken durchaus nicht in jedem einzelnen Fall überstiegen wurden, brachten die Konzilien doch eine geradezu explosive Verdichtung der Überlieferung bestimmter Textsorten hervor. Schon den Zeitgenossen war diese einmalige Chance bewußt; wir besitzen eine sehr bezeichnende Äußerung Job Veners darüber96. Zeitgenossen machten sich 92
Alexander von Roes, Schriften, hg. von H. GRUNDMANN/ H. HEIMPEL (MGH Staatsschriften I 1) Stuttgart 1958, bes. 38-87 (nicht ganz vollständig). Vgl. H. GRUNDMANN, Ober die Schriften des Alexander von Roes, in: DA 8 (1950/51) 154-237, jetzt erneut in: GRUNDMANN, Ausgewählte Aufsätze, Bd. III (MGH Schriften 25/111) Stuttgart 1978, 196-274. 93 J. W. BRAUN, Studien zur Überlieferung der Werke Anselms von Havelberg, I: Die Überlieferung des Anticimenon, in: DA 28 (1972) 133-209. 94 Zusätzlich zu den zwei von K. FRANKE in seiner Edition (MGH, Libelli de lite II 366-422) benutzten Mss. nannte M. STEINMANN, Eine neue Handschrift der Gesta Romanae ecclesiae contra Hildebrandum, in: DA 27 (1971) 200-202, ein Ms. aus der Basel (Öffentl. Bibl. der Univ., A V 13), das aus dem Nachlaß des Johannes von Ragusa stammt [zu ihm auch oben Anm. 56]. Die von Franke benutzte Brüsseler Hs. (11196-11197) aus dem 12. Jh. war übrigens nachweislich im Besitz des Nikolaus von Kues, vgl. W. KRÄMER in: MFCG 14 (1980) 182-197 (186-189 die Marginalien des Kusaners, die freilich über Merk- und Exzerpierzeichen nicht hinausgehen). 95 J. MIETHKE, Die Traktate De potestate papae - ein Typus politiktheoretischer Literatur im späteren Mittelalter, in: Les genres littéraires dans les sources théologiques et philosophiques médiévales. Définition, critique et exploitation, édd. R. BULTOT/ L. GÉNICOT (Université Catholique de Louvain. Publications de l'Institut d'Études Médiévales 115) Louvain-la-Neuve 1982, 198-211. Nicht ohne einsichtigen Grund haben die Traktate 'De potestate papae' auf den Konzilien einen großen Markt gewonnen: so hat z.B. Rechtslizentiat Jacob Frieshaimer, als Beauftragter des Erzbischofs und des Domkapitels von Salzburg dem Basler Konzil am 29.2.1432 inkorporiert (CB II 47,13), in Basel 1441 eine höchst interessante kanonistisch-Iegistische Sammelhandschrift (geschrieben in Rom 1431 bis 1433; heute Ms. Tübingen, UB, Mc 16) erworben, die die 'Determinacio compendiosa' des Tholomeus von Lucca enthält (und im Buchdeckel Fragmente eines Basler Prozeßregisters von 1431-1433). Vgl. J. HALLER, in CB I (1896), 5, und J. WEIZSÄCKER, in: RTA X (1906) LXXIII, sowie jetzt H. RÖCKELEIN, Die lateinischen Handschriften, Teil 1 (Handschriftenkataloge der Universitätsbibliothek Tübingen 1) Wiesbaden 1991, 96. Vgl. auch K. WALSH, Augustinus of Ancona as a Conciliar Authority: The Circulation of his Summa in the Shadow of the Council of Basle, in: The Church and Sovereignty. Essays in Honour of Michael Wilks (Studies in Church History. Subsidia 9) Oxford 1991, 345-368; auch M. STEINMANN, Ältere theologische Literatur am Basler Konzil, in: Xenia medii aevi historiam illustrantia, oblata Thomas Kaeppeli, O.P., edd. R. CREYTENS O.P./ P. KÜNZLE O.P., vol. II (Storia e letteratura 142) Rom 1978, 471-482. Die Beispiele ließen sich unschwer vermehren. 96 Vener, Avisamentum sacrorum canonum (wie oben Anm. 44) 1295, Z. 82-102.
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diese Chance auch durchaus für die Verbreitung ihrer eigenen Texte zunutze. Mit Vorliebe werden universitäre Techniken der Textverbreitung angewandt, so etwa das "Gruppendiktat", besonders die spätmittelalterliche 'reportatio' oder 'pronunciatio'97. Unmittelbar belegt sind bisher nicht allzu zahlreiche Fälle; Jean Gerson scheint in Konstanz als erster auf diesen Einfall gekommen zu sein98. Im Versammlungslokal der Französischen Nation, dem Dominikanerkonvent in Konstanz, ließ er schon im April 1415 eine bereits 1409 zur Zeit des Pisaner Konzils (aber nicht auf dem Konzil selbst) verfaßte Streitschrift 'De auferibilitate sponsi ab ecclesia' zum Mitschreiben diktieren; ein Jahr später hat dann Gersons ehemaliger Lehrer Pierre d'Ailly dies Verfahren gleich für zwei seiner eigenen Traktate, 'De reformatione ecclesiae' und 'De potestate ecclesiastica', nachgeahmt, im Februar 1417 versorgte er noch einmal die Konzilsöffentlichkeit auf diesem Wege mit einem eigenen Text99. Für Basel sind bisher zwei eklatante derartige Fälle bekannt100, aber es steht zu vermuten, daß diese Form der Vervielfältigung häufiger vorausgesetzt werden darf. In die Öffentlichkeit wirkten die auf dem Konzil verbreiteten Texte dann auf den gewissermaßen üblichen Kanälen, auf denen auch sonst Ideen, Vorschläge und Forderungen aus den Universitäten die mittelalterliche Welt erreichten: über die Höfe, über die kirchlichen Zentren, über deren Bibliotheken und über einzelne Kleriker. Die Untersuchung der regionalen Überlieferung konziliarer Texte gibt dafür hinreichende Belege101. Zudem ließe sich auf die Tatsache verweisen, daß die Reformatorengestalten seit dem 14. Jahrhundert, daß ein Wiclif, ein Hus und noch ein Martin Luther, ohne ihr universitäres Milieu nicht denkbar wären, wenn das freilich auch keine ausreichende Erklärung ihrer Wirkung sein kann. Im 15. Jahrhundert folgte auf das Hochgefühl der Teilnehmer am Konzil in kurzer oder längerer Frist eine tiefe Ernüchterung; von dem großen Reformgeschrei blieb am Ende nur eine gewaltige Frustration, jedenfalls was die Amtskir97
Vgl. oben Anm. 70. Auch die burgundische Partei hatte in Paris freilich 1408 während der Debatten nach dem Mord an Ludwig von Orléans zur Verbreitung der Rechtfertigungsschrift des Jean Petit dieses Verfahren offensichtlich wirkungsvoll eingesetzt: Dessen Justification wurde nicht allein mündlich einer größeren Versammlung vorgetragen, es wurden auch Mss. durch Gruppendiktat vervielfältigt: C. C. WILLARD, The Manuscripts of Jean Petit's Justification: Some Burgundian Propaganda Methods o f the early Fifteenth Century, in: Studi Francesi 38 (1969) 271-280 [deren Interpretation der von ihr berichteten Daten mir freilich unverständlich ist]. Natürlich versorgte sich der burgundische Hof selbst mit besseren Exemplaren, vgl. die Honorarauszahlung am 22.11.1408 an Jean Petit für vier Prachtstücke seines Textes (am 14.5.1410 in geringerer Höhe für weitere Schreibarbeiten): P. COCKSHAW, Mentions d'auteurs, de copistes, d'enlumineurs et de libraires dans les comptes généraux de l'État bourguignon (1384-1419), in: Scriptorium 23 (1969) 122-144, hier 139 und 141 f., nrr. 71 und 78. 98
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Einzelnachweise bei MIETHKE, Forum (Anm. 64) 753 ff. Der lateinische Patriarch von Antiochien, Jean Mauroux, ließ nach Ausweis der Kolophone einiger Hss. seinen Traktat 'De superioritate' zu Anfang des Jahres 1434 in quadam magna stufa in conventu ordinis minorum diktieren, vgl. MlETHKE, Forum (Anm. 64) 755 mit Anm. 62. Ebenso konnte der namhafte junge Jurist Ludovico Pontano ( t 1439) im Januar 1438 in Basel diktieren lassen, worauf HELMRATH, Kommunikation (Anm. 64) 161 mit Anm. 198, hinwies; vgl. MC II 1142: plures de auctoritate concila supra papam pronunciari[\] fecit, quas plurimi scripserunt nominis excellentia sui magnam scriptis suis ut multiplicarentur tribuente auctoritatem. 101 v g l . etwa E. POTKOWSKI, Kirchliche Publizistik in spätmittelalterlichen Handschriften aus Polen, in: Probleme der Bearbeitung mittelalterlicher Handschriften, hg. von H. HÄRTEL/ W. MILDE/ 100
J. PLROZYNSKL/ M . ZWIERCAN ( W o l f e n b ü t t e l e r F o r s c h u n g e n 3 0 ) W o l f e n b ü t t e l 1 9 8 6 , 3 0 1 - 3 1 5 .
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che betrifft. Nimmt man es genau, so wird man gewiß in vielen Einzelheiten, ja in wichtigen Fragen Entscheidungen der Konzilien im ferneren 15. Jahrhundert fortwirken sehen, insbesondere hinsichtlich der Finanzverfassung, der Budgetsystematik, der Rechtsgestalt der Gesamtkirche. Auch in der Ordensreform wurde etwas geleistet und erreicht, was dem Ordenswesen der katholischen Kirche wenigstens in bedeutsamen Teilen neue Impulse gab, Neugründungen und Neubegründungen ermöglichte102. Die große Reform, die die Reformer erwartet hatten, ist freilich nicht zustande gekommen. Lag es allen Experten zum Trotz und entgegen allen ernsthaften, ja glühenden Bemühungen von jahrzehntelangen Gutachterkriegen daran, daß, wie schon Zeitgenossen nach ermüdenden Reformdebatten klarsichtig anmerkten, die Diskrepanz zwischen Sollen und Sein und die zwischen Forderungen an andere und Forderungen an sich selbst auch hier zu stark war? Johannes von Segovia klagte: "Welch ein großer Unterschied ist zwischen Sagen und Tun, zwischen der Forderung 'Eine Reform muß durchgeführt werden' und der Feststellung 'Eine Reform ist erfolgt'. Wirklich, es kann angenehm sein, über die Reform anderer Stände in der Kirche nachzudenken, in allem Freimut Vorschläge zu machen, aufsehenerregend darüber zu predigen. All das gilt als so fromm, daß man sich dadurch keinen Vorwurf zuzieht. Aber wenn einmal die Reformdiskussion bei der eigenen Position angelangt ist, kann man die Wahrheit des Sprichworts erfahren, das sich auf die Gerechtigkeit bezieht, dem entsprechend jedermann sie am Nächsten gerne geübt sieht, nicht aber im eigenen Haus."103 Schon am 7. März 1435 hatte der Prokurator des Bischofs von Nîmes und Precentor am dortigen Domkapitel Guillaume Maurel dem Kardinal Cesarini eine Denkschrift vorgelegt, die eine ähnliche Erfahrung auf die sarkastische Formel bringt: et omnes clamant refformacionem fiendam irt aliis, minime in se ipsism. Andere Zeitgenossen klagten über die mangelnden praktischen Folgen der gelehrten Debatten, über die Distanz zwischen Theorie und Lebenswirklichkeit. Kurz nach dem Tode Sigismunds hat die 'Reformatio Sigismundi' an der Flut der konziliaren Reformvorschläge herbe Kritik formuliert. Auch diese Schrift konstatiert, daß die gelerten wohl sehr genau wüßten, was zu tun wäre, aber nicht bereit schienen, sich selbst danach zu richten. Die Konzilien von Konstanz, Pavia, Siena und zuletzt Basel haben, so sagt der Autor, an der Reform der Kirche gearbeitet, und Basel etwa hat sein décréta gemacht; sehe man an, wer yrret es? wo kommen dye heupter? wo sein dye churfursten? wo sein dye cardinäle und ertzbischove? dye fliehen. Mich duncket, es rur sye, sye stunden gernn ab; man kan dye reformatz nit außgeben dann mit gewalt undpene zu verorden, daz sye bestee ,..105. Hier soll nicht diskutiert werden, ob 102 K. ELM, Verfall und Erneuerung des Ordenswesens im Spätmittelalter, Forschungen und Forschungsaufgaben, in: Untersuchungen zu Kloster und Stift (Studien zur Germania sacra 14 = VMPIG 68) Göttingen 1980, 188-238; zusammenfassend jetzt der Sammelband: Reformbemühungen und Observanzbestrebungen im spätmittelalterlichen Ordenswesen, hg. von K. ELM (Berliner Histor. Studien 14 = Ordensstudien 6) Berlin 1989, und darin bes. D. MERTENS, Reformkonzilien und Ordensreform im 15. Jahrhundert, 431-457. Vgl. auch den Beitrag von J. HELMRATH in dieser Festschrift. 103 MC II 359. 104 CB VIII 165-170, Zitat 169. 105 Reformation Kaiser Siegmunds, hg. von H. KOLLER (MGH Staatsschriften 6) Stuttgart 1964, 56, vgl. 336 f.
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der Anonymus "konservativ" oder "revolutionär" dachte . Der Realisierungschance seiner Aufforderung gegenüber, die Reform jetzt wirklich auch - und notfalls gewaltsam - durchzufuhren, bleibt er jedenfalls selbst höchst skeptisch. Die eigentliche Wende ist, so meint er, nicht von den heubtern, den gelerten, zu erwarten, die Umkehrung des bisherigen Mißerfolges zum gewaltigen Sieg wird nach seiner Überzeugung erst bringen ein deiner geweichter, ... ein demütiger gerechter, der geweicht ist zü priester. der wirt regiren und straffen das volck und wirt reysen von einem mere zü dem andernn; seine fusse sollen unterdrucken dye sunde, alle newe werdent leicht, die schedlichen werden zerstört und verbrent, aller folck wirt sich freüen, gerechtikeyt gewynnet loblichen gancki07. In der enttäuschten Sehnsucht, die sich in eschatologisch gefärbte Verheißung flüchtet, zeichnet sich, so scheint mir, schon relativ früh die Wirkung - oder Wirkungslosigkeit - universitärer Reformvorschläge auf den großen Konzilien ab. Der Weg zur Selbstreform der Glieder108, der Weg zur Reformation des 16. Jahrhunderts über die vielfältigen Reformbemühungen des späteren 15. Jahrhunderts ist bereits dunkel zu erkennen, wenngleich die deutsche und die europäische Reformation, die da kam, keine bloße Fortsetzung der konziliaren Reformbestrebungen gewesen ist, denen wir hier eingehender nachzugehen versucht haben. Der Hauptunterschied liegt, so scheint mir, darin, daß auf den Reformkonzilien des 15. Jahrhunderts von niemandem - und auch von dem für uns anonymen Verfasser der 'Reformatio Sigismunde auf dem Basler Konzil nicht - der Versuch gemacht worden ist, anderes an und in der Kirche zu ändern als gleichsam die moralische Qualität einzelner Teilbereiche, als die organisatorische Zuordnung der einzelnen Glieder zueinander. Das Gebäude der Kirche, der Rahmen und die Struktur des Miteinander, sollte nutzbar gehalten werden, freilich bisweilen auch durch energische Umbaumaßnahmen; aber an einen Neubau, an Strukturwandel war eigentlich nirgends gedacht. So blieben die Reformbemühungen trotz allen ernstlichen Erörterungen immer wieder gleichsam im Dickicht des organisationstechnischen Details stecken, zumal es sich immer deutlicher herausstellte, daß angesichts der sehr unterschiedlichen, ja gegensätzlichen Einzelinteressen kon106
Diese Kontroverse zwischen L. GRAF zu DOHNA, Reformatio Sigismundi. Beiträge zum Verständnis einer Reformschrift des 15. Jahrhunderts (VMPIG 4) Göttingen 1960, seinen Nachfolgern und seinen zahlreichen Kritikern ist hier nicht aufzunehmen: ein moderner Begriff von "konservativ" trifft jedenfalls m.E. nicht für die von dieser Schrift ersehnte Veränderung zu. 107 Reformation Kaiser Siegmunds (Anm. 105) 328 und 326. 108 So die Formel von H. JEDIN, Geschichte des Konzils von Trient, Bd. I, Freiburg i.Bg. 3 1977, 111 ff. An ihr dürfen wir, so meine ich, trotz der Kritik von D. MERTENS (Reformkonzilien und Ordensreform [wie oben Anm. 102] 432 f.) in unserem Zusammenhang festhalten, da wir von der fehlgegangenen reformatio in capite ausgehen. Zu der zugrundeliegenden Erörterung des Johannes Nider vgl. auch HELMRATH, Reform als Thema (Anm. 5) 150 f. Unbehandelt mußte hier die Frage des Zusammenhangs zwischen Kirchenreform und Reichsreform im 15. Jahrhundert bleiben, obwohl Job Vener in seinem Konstanzer Reform-Avisament ausdrücklich die Parallelität beider Forderungen festgehalten hat [vgl. oben Anm. 44], Die jüngste Diskussion zur Reichsreform kann nicht einmal angedeutet werden, vgl. zusammenfassend vor allem H. ANGERMEIER, Die Reichsreform 14101555. Die Staatsproblematik in Deutschland zwischen Mittelalter und Gegenwart, München 1984; P. MORAW, Die Verwaltung des Königtums und des Reiches und ihre Rahmenbedingungen, in: D e u t s c h e V e r w a l t u n g s g e s c h i c h t e , h g . v o n K . G . A . JESERICH/ H . POHL/ G . - C . VON UNRUH, B d . I,
Stuttgart 1983, 58-65; D. WLLLOWEIT, Deutsche Verfassungsgeschichte. Vom Frankenreich bis zur Teilung Deutschlands (Juristische Kurz-Lehrbücher) München 21991, 92-103; sowie zuletzt den nüchternen und sorgfaltigen Bericht bei K.-F. KRIEGER, König, Reich und Reichsreform im Spätmittelalter (Enzyklopädie deutscher Geschichte 14) München 1992, 49 ff., 114 ff.
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krete Maßnahmen oder auch nur konkretere Vorschläge sich gegenseitig blokkierten und somit den nötigen breiteren Rückhalt nicht zu gewinnen vermochten. Erst als ein neuer theologischer Ansatz das christliche Leben selbst in neuem Lichte sah und auch das Verständnis der Kirche und ihrer Aufgaben selbst in neue Dimensionen führte, konnte sich mit der Forderung nach Reform ein radikaler Wandel verbinden. Wie aber und auf welche Weise die Motive der Reformdiskussionen der Reformkonzilien im folgenden Jahrhundert zu neuem Leben kamen, das wäre in einer eigenen Untersuchung zu prüfen.
Aquensia zum Konzil von Konstanz VON HERBERT LEPPER Es zählt nach dem Urteil des Tübinger Kirchenhistorikers Karl August Fink zu den Lücken in der Überlieferung der Quellen zur Geschichte des Konzils von Konstanz (1414-1418), daß sich die Berichte der Gesandten der Städte auf dem Konzil "nur zum ganz geringen Teil erhalten" haben1. Um so beachtenswerter ist es daher, daß in der - infolge des Stadtbrandes von 1656 2 - substantiell gestörten archivischen Überlieferung der Reichsstadt Aachen 3 immerhin vier Schreiben die Unbilden der Zeiten überdauert haben, die sich zwar weder quantitativ noch inhaltlich messen lassen können an den Schreiben der Gesandten der Reichsstädte Straßburg4, Frankfurt5 und Regensburg6, erst recht nicht an denen der Gesandten der Universität Köln 7 oder gar des Wiener Professors Peter von Pulkau8, die aber gleichwohl belegen, daß Aachen auf dem Konzil durch eigene Gesandte und Be1 K. A. FINK, ZU den Quellen für die Geschichte des Konzils von Konstanz, in: Das Konzil von Konstanz. Beiträge zu seiner Geschichte und Theologie, hg. von A. FRANZEN/ W. MÜLLER, Freiburg i.Bg. u.a. 1964, 471-476, hier 4 7 5 . - E i n e andere Auffassung vertritt in dieser Frage H. BOOCKMANN, Zur politischen Geschichte des Konstanzer Konzils, in: ZKG 85 (1974) 45-63. Er führt die "Dürftigkeit" der Überlieferung nicht auf den "Verlust von Akten und Briefen" zurück, sie ist für ihn "in der Sache selbst begründet: in den Verhandlungen des Konzils, die am Ende doch das Geschäft von Kanonisten und Theologen waren" (53). - Zu den Quellen des Konzils von Konstanz: H. V. DER Hardt (= HARDT), Magnum Oecumenicum Constantiense Concilium t. I-VI, Frankfurt/ Leipzig 1696-1700, Indexband 1742.-MANSI XXVII und X X V I I I . - A c t a Concilii Constanciensis (ACC) I-IV. - Zur Quellenlage generell: H. FINKE, Forschungen und Quellen zur Geschichte des Konstanzer Konzils, Paderborn 1889 (FLNKE, Forschungen); H. FLNKE, in: ACC IV, IX-CIII.
Zur kaum übersehbaren Literatur zur Geschichte des Konzils von Konstanz: Das Konstanzer Konzil, hg. von R. BÄUMER (WdF 415) Darmstadt 1977, 3-34, 417-427 (Das Konstanzer Konzil); W. BRANDMÜLLER, Konstanz, Konzil, in: TRE XIX (1990) 529-535; W. BRANDMÜLLER, Das Konzil von Konstanz 1414-1418, 1: Bis zur Abreise Sigismunds nach Narbonne, Paderborn u.a. 1991 (BRANDMÜLLER I). - Eine mit J. HELMRATH, Das Basler Konzil 1431-1449. Forschungsstand und Probleme (KHA 32) Köln-Wien 1987, vergleichbare Untersuchung über das Konstanzer Konzil wird von Ansgar Franken (Köln) vorbereitet. 2 Zur Literatur zum verheerenden Stadtbrand vom 2.5.1656: Aachener Heimatgeschichte, hg. von A. HUYSKENS, Aachen 1924, IX-XXXII. 3 Hierzu zuletzt: W. KAEMMERER, Das Aachener Stadtarchiv in reichsstädtischer Zeit, in: ZAGV 57 ( 1 9 3 6 ) 18-31. - H . LEPPER, D a s Stadtarchiv A a c h e n , in: D e r Archivar 44 ( 1 9 9 1 ) 3 9 7 - 4 0 3 . 4
Siehe die Schreiben des Gesandten der Reichsstadt Straßburg Ulrich Meiger von Wasseneck, in: ACC III 228, 670 f.; IV 455-458, 484, 499 Anm. 4; vgl. auch IV 531-534. 5 Frankfurter Reichscorrespondenz nebst anderen verwandten Actenstücken von 1376-1519, hg. von J. JANSSEN, B d . 1, Freiburg i.Bg. 1863, N r . 4 8 4 S. 2 7 2 f., N r . 4 8 5 S. 2 7 3 ff., N r . 4 8 6 S. 2 7 5 f.,
Nr. 488 S. 278, Nr. 492 S. 282 f., Nr. 493 S. 283 f., Nr. 511 S. 296, Nr. 513 S. 297, Nr. 517 S. 299 f., Nr. 531 S. 308 f., Nr. 533 S. 310 f., Nr. 540 S. 313 f., Nr. 541 S. 314, Nr. 542 S. 314 f., Nr. 543 S. 315, Nr. 544-545 S. 316, Nr. 548-549 S. 317 f., Nr. 550 S. 318 f., Nr. 552 S. 319 f., Nr. 553554 S. 320, Nr. 560 S . 3 2 1 f. 6 H. HEIMPEL, Regensburger Berichte vom Konstanzer Konzil. Der reichsstädtische Jurist Konrad Duvel von Hildesheim, in: Festschrift für Karl Gottfried Hugelmann, hg. von W. WEGENER, Bd. 1, Aalen 1959,213-272. 7 E. MARTENE/ U. DURAND, Thesaurus novus anecdotorum t. II, Paris 1717 (ND 1968) 1609 ff. H. KEUSSEN, Die Stellung der Universität Köln im großen Schisma und zu den Reformkonzilien des XV. Jahrhunderts, in: AHVN 115 (1929) 225-254. 8 F. FIRNHABER, Petrus Pulka. Abgesandter der Wiener Universität am Concilium zu Constanz, in: Archiv für Kunde österreichischer Geschichts-Quellen 15 (1856) 1-79.
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obachter vertreten war. Des weiteren berichten sie eingehend vom Konzilsgeschehen und lassen überdies erkennen, daß die Gesandten beauftragt waren, gelegentlich Aachen betreffende Fragen am Hofe König Sigismunds zur Sprache zu bringen. Wenn diese Schreiben hier des näheren vorgestellt werden, so in Erinnerung an die fruchtbare Tätigkeit des Jubilars als Archivar und schließlich als Archivdirektor des Stadtarchivs Aachen während der Jahre 1959 bis 1971, zugleich aber auch als ein bescheidenes Zeichen vieljähriger Verbundenheit seines Amtsnachfolgers. Das älteste der vier Schreiben ist W. 639: ze Costans des vridais na sint Blasius dach [1415 Februar 8]9. Sein Inhalt fuhrt unmittelbar in die erste entscheidende Phase des am 5. November 1414 eröffneten Konzils10, während der zentrale Fragen der Geschäftsordnung zur Debatte standen11. Die etwa Mitte Januar 1415 einsetzende Diskussion kreiste bekanntlich um die Frage, ob die Abstimmungen auf dem Konzil nach der Anzahl der Teilnehmer oder nach "Nationen" zu erfolgen habe12. Das Schreiben nach Aachen geht über die bisher bekannten Fakten hinaus13 und kommt gleichsam auf seine Weise dem Anliegen von Heinrich Finke entgegen, der gegen Ende seines der Erforschung der Geschichte des Konzils gewidmeten Gelehrtenlebens bemerkte, daß "man über die Vorgänge vor dem 7. Februar" 1415 gerne "Genaueres wissen" möchte14. Nach StAA, W. 639 9
Text siehe Anhang I. - Größe 205 x 245 mm, Papier mit Wasserzeichen, ursprünglich in Briefform gefalten, wie die entsprechenden Faltknicke und die noch sichtbaren Spuren eines Verschlußsiegels zeigen. Die flüchtige Kursive ist, wie ein Buchstabenvergleich ergibt, identisch mit Stadtarchiv Aachen (künftig: StAA), RA I, W. 412. - Das Schreiben wurde nach der Verzeichnung des Urkundenbestandes durch den Aachener Bibliothekar, Archivar und Geschichtsschreiber Christian Quix, die 1838 abgeschlossen war (hierzu: StAA, Verzeichnis der älteren Archivalien = Verzeichnis), aufgefunden und unter der Nummer 110 in den Bestand "Nachträge" des Urkundenarchivs eingegliedert. Im Rahmen der von Erich Meuthen durchgeführten Ordnungsarbeiten wurde es in die entsprechende Abteilung des "Reichsstädtischen Archivs" (RA I) eingefügt und erhielt die Signatur W. 639. Zu Quix: K. WAKER, Christian Quix, Sein Leben und seine Werke, in: Aus Aachener Vorzeit 4 (1891) 41-80, 89-125; E. MEUTHEN, Aachen in der Geschichtsschreibung bis 1800, in: Speculum Historiale. Festgabe für Johannes Spörl, hg. von C. BAUER/ L. BÖHM/ M. MÜLLER, Freiburg i.Bg.-München 1965, 375-392, hier: 392; H. LEPPER, Das Stadtarchiv Aachen und seine Archivare 1821-1945, in: ZAGV 84/85 (1977/78) 585-589. 10
Zur Vor- und Frühgeschichte des Konstanzer Konzils zuletzt: BRANDMÜLLER (Anm. 1) I 17-210. FLNKE, Forschungen (Anm. 1) 29-37; J. HOLLNSTEINER, Studien zur Geschäftsordnung am Konstanzer Konzil. Ein Beitrag zur Geschichte des Parlamentarismus und der Demokratie [1925; ND], in: Das Konstanzer Konzil (Anm. 1) 121-142; K. M. WOODY, The Organisation of the Council, in: The Council of Constance. The Unification of the Church, New York 1961, 52-65. 12 Zum Problem der "Nationen" auf dem Konzil zu Konstanz: H. FINKE, Die Nation in den spätmittelalterlichen allgemeinen Konzilien, in: HJb 57 (1937) 323-338, N D in: Das Konstanzer Konzil (Anm. 1) 347-368; L. R. LOOMIS, Nationality at the council of Constance. An Anglo-French dispute, in: A H R 44 (1938/39) 503-527, N D in: Change in Medieval Society, ed. by S. L. THRUPP, New York 1964, 279-296; O. ENGELS, Der Reichsgedanke auf dem Konstanzer Konzil, in: HJb 86 (1966) 80-106, N D in: Das Konstanzer Konzil (Anm. 1) 369-403. - Vgl. BRANDMÜLLER (Anm. 1) I 198210: "Concilium constituitur nationibus - der Streit um Sitz und Stimme"; zum Problem generell U. NONN, Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation. Zum Nationenbegriff im 15. Jahrhundert, in: ZHF 9 (1982) 49-66. 13 Fillastre, in: ACC II 19; Cerretanus, in: ACC II 210-221. Zu den "Tagebüchern" von Fillastre und Cerretanus vgl. FINKE, Forschungen (Anm. 1) 69-80; H. FINKE, Zwei Tagebücher des Konstanzer Konzils, in: R Q 1 (1887) 46-79; ACC II 100 ff., 102-105, ebd. 219 f.; vgl. auch G. DE TURRE, in: ACC II 351,353 f. Zusammenfassend BRANDMÜLLER (Anm. 1) I 207 ff. 14 FINKE, Nation (Anm. 12)358. 11
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war es König Sigismund selbst, der des sundais na unser vrauwen dach, am 3. Februar 1415, an demselben Sonntag also, "an dem im apostolischen Palast Kardinäle, Prälaten und Prokuratoren" zusammenkamen, um unter dem Druck der Diskussionen über die Geschäftsordnungsfragen zu entscheiden, ob am folgenden Tage eine Sitzung des Konzils "abzuhalten und was auf ihr vorzunehmen sei"16, die Konzilsteilnehmer dczer nacien aufforderte, sich zur Erörterung dieser wichtigen Fragen - von deren Regelung nicht zuletzt der Erfolg der 'causa reformationis' abhing - zu versammeln, und zwar getrennt nach Bischöfen und Prälaten einerseits und Fürsten, Herren und Reichsstädten andererseits. Wo die beiden Versammlungslokale, die stoven, konkret lagen, in denen man zusammenkam, ist nicht gesagt. Der König übernahm es nach diesem Bericht, persönlich vor beiden Gremien seine Auffassung darzulegen: Er lehnte die Position des Konzilspapstes Johannes XXIII. (1410-1415) 17 , zu dessen Pisaner Obedienz er spätestens 1411 endgültig übergetreten war18, und die seiner Kardinäle19 strikt ab, die sich dafür einsetzten, gemäß den geltenden kanonischen Normen 20 ausschließlich nach Kardinälen, Erzbischöfen und Bischöfen abzustimmen. Es werden auch die Gründe genannt: Die Teilnehmer aus den weilschen landen, d.h. die Bischöfe aus Italien - ihre Zahl hatte Johannes XXIII. durch gezielte Neuernennungen von 'praelati cubicularii' erhöht21 - waren in der absoluten Majorität, so daß die Gefahr bestand, daß diese die Entscheidungen des Konzils einseitig bestimmten, obwohl, wie Sigismund geltend machte, ihre machtpolitische Bedeutung mit derjenigen der Bischöfe der duitzschen landen eigentlich nicht vergleichbar war: doch so were eyn busschoff in duitschen landen meichtiger ind riicher dan 20 in weilschen landen. Wie der Bericht weiter vermeldet, traten die Teilnehmer der deutschen Nation zur Beratung zusammen. Die Mitglieder beider 15
Zur Biographie Sigismunds ist noch immer unersetzt: J. ASCHBACH, Geschichte Kaiser Sigmunds, Bd. 1-4, Hamburg 1838-45 (ND 1964); RTA VII-XII; Regesta Imperii XI/1-2: Die Urkunden Kaiser Sigmunds (1410-1437), hg. von W. ALTMANN, Innsbruck 1896-1900 (ND 1968) (= Reg. Imp.). - Vgl. im übrigen: H. KOLLER, Sigismund. 1410-1437, in: Kaisergestalten des Mittelalters, hg. von H. BF.UMANN, München >1991, 277-300; H. THOMAS, Deutsche Geschichte des Spätmittelalters 1250-1500, Stuttgart-Berlin-Köln 1983, 377-437; E. MEUTHEN, Das 15. Jahrhundert (Oldenbourg Grundriß der Geschichte 8) München-Wien 21984, 46 f. Des weiteren E. MÄLYUSZ, Forschungsprobleme um Kaiser Sigismund, in: Bohemia 30 (1989) 94-98; S. WEFERS, Das politische System Kaiser Sigismunds (VIEG 138 = Beiträge zur Sozial- und Verfassungsgeschichte des Alten Reiches 10) Wiesbaden 1989. 16 FINKE, Forschungen (Anm. 1)31. 17 Zu Johannes XXIII: A. FRENKEN, in: LMA V (1991) 546 f.; darüber hinaus ist zu beachten: W. BRANDMÜLLER, Infeliciter electus fuit in Papam. Zur Wahl Johannes XXIII, in: Ecclesia et Regnum. Beiträge zur Geschichte von Kirche, Recht und Staat im Mittelalter. Festschrift für Franz-Josef S c h m a l e , h g . v o n D . BERG/ H . - W . GOETZ, B o c h u m 1 9 8 9 , 3 0 9 - 3 2 2 ; N D in: W . BRANDMÜLLER,
Papst und Konzil im Großen Schisma (1378-1471). Studien und Quellen, Paderborn u.a. 1990, 7184. 18 Sigismund, der sich vor seiner ersten Wahl zum römischen König (1410) hatte verpflichten müssen, den Papst der römischen Obedienz, Gregor XII., und seine Nachfolger anzuerkennen (RTA VII Nr. 11 S. 24 f.), wurde vor seiner zweiten Wahl (1411) auf die Anerkennung des Papstes der Pisaner Obedienz, Johannes XXIII., festgelegt: RTA VII Nr. 64 S. 106-109. - Zu Alexander V. (1409-1410) zuletzt G. SCHWAIGER, in: LMA I (1980) 373 f. 19 Zu den in der ersten Phase des Konzils anwesenden Kardinälen: K. ZÄHRINGER, Das Kardinalskollegium auf dem Konstanzer Konzil bis zur Absetzung Papst Johannes' XXIII. (Münstersche Beiträge zur Geschichtsforschung 59) Münster 1935, 38-59. 20
V g l . BRANDMÜLLER ( A n m . 1) 1 1 9 8 - 2 1 0 .
21
So Fillastre, in: ACC II 19; hierzu: BRANDMÜLLER (Anm. 1) I 207.
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Gremien stimmten der Auffassung des Königs zu und unterstrichen, daß sich das Konzil nach den veir nacien - der deutschen, französischen, italienischen und englischen - zusammenzusetzen und abzustimmen habe, auch wenn die eine Nation mehr Teilnehmer stellte als die andere. Erst nach diesen von Sigismund einberufenen Zusammenkünften der "deutschen Nation", so macht das Schreiben nach Aachen deutlich, wurde die Verschiebung der für den 4. Februar vorgesehenen zweiten 'Sessio solemnis' auf den 6. Februar22 - bis des guesdais - beschlossen. Doch die Entscheidung in der Abstimmungsfrage erfolgte nach dem Bericht weder am 6. Februar noch an den beiden folgenden Tagen, so daß die Sessio "wiederum nicht zu Stande kam"23. Zwar weiß auch unser Schreiben darüber zu berichten, daß up deme guesdach - am 6. Februar - die Teilnehmer der weylche[n] nacie, unter denen diesmal die Franzosen zu verstehen sind, auf dem Concilium erschienen, während die anderen Nationen fernblieben; freilich nicht vermerkt wurde, daß eben an diesem 6. Februar Vertreter der Germania und der Anglia "zum entscheidenden letzten Sturm auf die Italia und die übrigen Pisaner" ansetzten, indem sie erklärten, "für den Fall, daß man nicht per nationes abstimmen würde, keinesfalls weiter am Konzil teilnehmen zu wollen"24. Um das Konzil nicht scheitern zu lassen, galt es, wie das Schreiben unterstreicht, vor allem Johannes XXIII. zu überzeugen - eine Aufgabe, die Sigismund persönlich übernahm. Seit guesdach alle dage verhandelte er mit dem Papst, so daß der Eindruck entstehen mußte, daß sie sich bald einigen würden, und dat dat concilium kurtlichen gehalden sale werden. Dies war der Stand der Erkenntnisse der Aachener Gesandten am 8. Februar25. Neben den Geschäftsordnungsfragen des Konzils ist im Bericht von den gebreiche [n] der Städte die Rede, die, wie eigens vermerkt, auf dem concilium, und zwar vur den heren ind vorsten, zur Sprache gebracht werden sollten. Nach ihm forderte der König ebenfalls am 3. Februar - up dem selven sundach - die Städte auf, sich hierüber zu beraten, einerseits um zo guden vreden [zu] comen, andererseits um zu einer Entscheidung darüber zu gelangen, wie er, der König, dat heiige riiche ze vreden setze. Diese Anregung des Königs kam dem Wunsch vieler Städte entgegen. Auch die Gesandten aus Aachen trugen auf der bald erfolgenden Städteversammlung, deren Datum nicht genannt ist, ihre "Gebrechen" vor, und zwar nach Maßgabe des ihnen gegebenen Auftrages: so wie wir van uch gescheiden sint. Um welche Gebrechen es sich im einzelnen handelte, ist hier nicht gesagt. Dieser Passus im Bericht der Aachener Gesandten, der unmittelbar in die Verhandlungen des - parallel zum Konzil - veranstalteten "Königlichen Hoftages" zu Konstanz im Februar und März 1415 führt26, auf dem nach dem Willen des Königs zentrale Fragen des Landfriedens, und damit des Reichsfriedens27, zur Dis22
Cerretanus, in: ACC II 210, III 219 f. Vgl. FLNKE, Forschungen (Anm. 1)31; zuletzt BRANDMÜLLER (Anm. 1)1208. 23 BRANDMÜLLER (Anm. 1) I 209. Vgl. Cerretanus, in: ACC II 210 f. 24
25
BRANDMÜLLER ( A n m . 1) I 2 0 8 f. - V g l . A C C II 2 1 0 , III 2 1 9 f.
Geschreven Constans des vridais na sint Blasius dach. D. KERLER, in: RTA VII 255-269 sowie Nr. 176-193 S. 269-288. Zum Problem des Land- und Reichsfriedens in Verbindung mit der Reichsreform unter Sigismund: H. ANGERMEIER, Königtum und Landfrieden im deutschen Spätmittelalter, München 1966, 343-390; H. ANGERMEIER, Die Reichsreform 1410-1555. Die Staatsproblematik in Deutschland zwischen Mittelalter und Gegenwart, München 1984, 55-103; H. KOLLER, Kaiserliche Politik und 26
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AQUENSIA ZUM KONZIL VON KONSTANZ
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kussion standen, bedarf in mehrfacher Hinsicht einer näheren Beleuchtung: Er bestätigt zunächst, daß die Reichsstadt Aachen auf dem "Hoftag" 28 zu Konstanz durch eigene Gesandte vertreten war 29 . Es waren dieselben Personen, die auch zum Konzil entsandt worden waren. Vor allem aber sind zwei Beobachtungen von besonderer Relevanz: Der Bericht wirft erstens ein bezeichnendes Licht auf den Stellenwert, den die Aachener Gesandten diesem "Hoftag" im Kontext der Ereignisse in Konstanz beimaßen, und er erweitert zweitens unsere bisherigen Kenntnisse der Vorgänge selbst. Weder begrifflich noch inhaltlich unterscheidet der Bericht zwischen "Hoftag" und "Konzil". Die Verhandlungen des ersteren sind nach ihrem Verständnis kein Vorgang sui generis, sondern, wie sie eigens betonen, Teil des concilium selbst. Damit knüpften sie an eine Sprachregelung an, die nach dem Bericht Eigils von Sassen der König selbst auf dem Hoftag zu Speyer im Juli 1414, bei dem als Gesandter aus Aachen einer der Unterzeichner dieses Schreibens anwesend gewesen war 30 , vorgegeben hatte. Sigismund forderte damals die Städte auf, daz si ir frunde wolden Schechen zum concilium gen Konstancze und wolden helfen raden zur heiligen kirchen und zu einer gemein freden des landis31; eine Aufforderung, die er auf dem königlichen Tag zu Heilbronn im Oktober 1414 nach dem Bericht der Frankfurter Gesandten eigens wiederholte 32 . "Kirchen- und Reichsreform" standen für die "Zeitgenossen", wie Hermann Heimpel einmal formulierte, "im allerengsten Zusammenhang" 33 , sie waren nach der ursprünglichen Zielvorstellung des Königs wie auch im Verständnis der Verfasser dieses Berichtes in der ersten Februarwoche 1415 noch eines der großen Themen des Konzils selbst. Daß die "Reichsreform", des näheren die Land- und Reichsfriedensprobleme, dann während des Konzils keine wirkliche Rolle mehr spielten, hatte mannigfache Gründe, die hier nicht zu erörtern sind. Galt es bisher als gesichert, daß im Rahmen des Konstanzer "Hoftages" nur eine einzige "Städteversammlung" stattfand, auf der die Propositionen der Städte für die nach dem 25. März vorgesehene, aber nicht mehr durchgeführte Versammlung der "Reichsstände" vorgetragen werden sollten - und zwar, wie bereits von Dietrich Kerler mit überzeugenden Argumenten dargelegt wurde, vor dem 21. Februar 34 -, so ist nach StAA, W. 639 davon auszugehen, daß bereits zuvor eine solche veranstaltet wurde: Am 3. Februar forderte Sigismund die Gesandten der Städte auf, zu einer "Städteversammlung" zusammenzutreten, die zwischen dem 3. und dem 8. Februar auch wirklich stattfand. Ihr folgte dann vor dem
die Reformpläne des 15. Jahrhunderts, in: Festschrift fiir Hermann Heimpel, Bd. 2 (VMPIG 36/11) Göttingen 1972, 61-79. 28 Zum terminologischen Problem "Reichstag" oder "Hoftag" vgl. P. MORAW, Fragen der deutschen Verfassungsgeschichte im späten Mittelalter, in: ZHF 4 (1977) 59-101; P. MORAW, Versuch über die Entstehung des Reichstags, in: Politische Ordnungen und soziale Kräfte im Alten Reich, hg. von H. WEBER (VIEG - Abt. Universalgeschichte, Beih. 8 = Beiträge zur Sozial- und Verfassungsgeschichte des Alten Reiches 2) Wiesbaden 1980, 1-36. 29 Vgl. RTA VII Nr. 181 S. 276 f., hier: S. 277; die Namen der Boten aus Aachen sind allerdings nicht genannt. 30 Siehe Anm. 62/63. 31 RTA VII Nr. 136 S. 195; vgl. auch WEFERS, Das politische System (Anm. 15) 44. 32 RTA VII Nr. 160 S. 230 ff., hier: S. 231. 33 H. HEIMPEL, Dietrich von Niem (Westfälische Biographien 2) Münster 1932, 163. 34 D. KERLER, in: RTA VII 260-267.
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21. Februar die bisher bekannte Sitzung. Bei den auf der "Städteversammlung" in der ersten Februarwoche von den Gesandten der Reichsstadt Aachen vorgetragenen "Gebrechen" handelte es sich ohne Zweifel um dieselben, die auf der folgenden Versammlung geltend gemacht wurden und über deren Inhalt die bekannte "Erklärung verschiedener Städte" informiert, die im Stadtarchiv Frankfurt überliefert ist36. Nach ihr beklagten die von Aiche, daß ihre Stadt weit entfernt von den königstreuen Fürsten und Reichsstädten gelegen und von den Territorien der Herzöge von Berg, von Brabant und von Burgund - und ezlichen andere umgeben sei; von Mächten also, die in unseres herren des konigs gehorsam nit seien31. Sie stellten daher den Antrag, der König möge des richs fursten graven herren rittern und knechten bescheiden und ermahnen, Aachen Recht und Schutz zu gewährleisten. Wer sich aber dem Willen des Königs versage oder sich sogar in eine Auseinandersetzung mit Aachen einlasse, sollte des Schutzes des Reiches verlustig gehen. Gesandte der Reichsstadt Aachen auf dem Konzil waren zu diesem Zeitpunkt, wie die Namen der Unterzeichneten dieses Schreibens ausweisen, der proifst van sint Albret und Johann Elreborne. Seit wann sie in Konstanz weilten, geht aus ihrem Schreiben wie auch anderen zeitgenössischen Quellen nicht hervor. Daß sie sich aber schon eine gewisse Zeit in der Konzilsstadt aufhielten, zeigt die Bemerkung zu Beginn des Schreibens, sie hätten bereits über die Vorgänge auf dem Konzil Bericht erstattet. Vielleicht zählten sie zu den Begleitern des Königs, der bereits 1410 und erneut 1411 gewählt38, nach seiner Krönung am 8. November 1414 in der Pfalzkapelle Karls des Großen in Aachen39 in der Weihnachtsnacht feierlich in Konstanz eingezogen war40. 35
Diese Zusammenhänge finden bei F. B. FAHLBUSCH, Städte und Königtum im frühen 15. Jahrhundert. Ein Beitrag zur Geschichte Sigmunds von Luxemburg (Städteforschung A 17) Köln-Wien 1983, keine Erwähnung. 36 RTA VII Nr. 181 S. 276 f.: "Erklärungen verschiedener Städte auf einer Zusammenkunft von Städteboten über den Plan des Königs, einen gemeinen Frieden zu bestellen [1415 vor Februar 21 Konstanz]". 37 Hier ist Bezug genommen einmal auf die Auseinandersetzungen zwischen König Sigismund und dem aus dem Hause Burgund stammenden Herzog Anton von Brabant-Limburg in der sog. "Luxemburgischen Frage", in deren Verlauf Herzog Adolf von Berg und zeitweise (bis Oktober 1414) auch Herzog Reinald von Jülich-Geldern auf Seiten Antons standen. Zum anderen ging es um die Streitigkeiten um die Nachfolge Friedrichs von Saarwerden, des Kurfürsten und Erzbischofs von Köln, während deren Adolf von Berg seinen Bruder Wilhelm - Elekt von Paderborn - favorisierte und Sigismund erfolgreich die Ernennung Dietrichs von Moers durchsetzte; ein Streit, der mit der Verzichtserklärung Wilhelms von Berg am 19.2.1415 endgültig beigelegt wurde. Vgl. KERLER, in: RTA VII 176-180, 236 ff. sowie 242 f.; Reg. Imp. XI/1 Nr. 212 S. 14, Nr. 720 S. 42, Nr. 1004 S. 58, Nr. 1148a S. 68, Nr. 1162 S. 69, Nr. 1311 S. 79; G. DROEGE, Verfassung und Wirtschaft in Kurköln unter Dietrich von Moers (1414-1463) (Rhein. Archiv 50) Bonn 1957, 25 f.; G. DROEGE, Dietrich von Moers, Erzbischof von Köln (t 1463), in: Rhein. Lebensbilder, Bd 1, Düsseldorf 1961,49-65. 38 Zur Wahl Sigismunds 1410 und 1411: RTA VII 1-89, 90-171. Vgl. auch J. LEUSCHNER, Zur Wahlpolitik im Jahre 1410, in: DA 11 (1954/55) 506-553; F. R. ERKENS, Der Erzbischof von Köln und die deutsche Königswahl (Studien zur Kölner Kirchengeschichte 21) Siegburg 1987, 91 f., 102 f., 111 f. Zu den Gegensätzen im Kurfürstenkollegium siehe D. JANK, Das Erzbistum Trier während des Großen Abendländischen Schismas (1378-1417/18) (QAMRhKG 47) Mainz 1983, 49 ff. 39 Zur Krönung Sigismunds in Aachen am 8.11.1414: RTA VII 235-254; Reg. Imp. XI/1, 76-79. Darüber hinaus zu nennen ist der Bericht der Gesandten des Grafen Amadeus VIII. von Savoyen vom 12.11.1414: ACC IV 447-450. 40 Ulrich von Richental, Chronik des Constanzer Concils 1414-1418, hg. von M. R. BUCK (Bibl. des litterarischen Vereins in Stuttgart 158) Tübingen 1882 (ND 1962) 35. - Zur Ankunft Sigismunds in Konstanz vgl. auch Fillastre, in: ACC II 17, und de Turre, in: ebd. 350, Cerretanus, in: ebd. 199.
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Propst des von Kaiser Otto III. gegründeten und von seinen Nachfolgern weiter ausgestatteten Stiftes St. Adalbert41 war der aus Aachen stammende Johann Scherpseil42. Dieser war 1387 an der Universität zu Prag zum magister in artibus promoviert worden43 und setzte 1389 seine Studien an der Universität Köln fort44. Scriptor in registris supplicationum unter BonifazIX. (1389-1404) 45 , erhielt er 1391 ein Kanonikat an St. Adalbert46. 1393 wird er erstmals Propst des Stiftes genannt47; seit wann er auch das Amt des Propstes am St. Georgstift zu Wassenberg innehatte, ist nicht exakt feststellbar48. Seine und des ihn begleitenden Elreborne[s] Anwesenheit in Konstanz verfolgte offensichtlich auch persönliche und städtische Interessen. Nach dem Rücktritt von Wilhelm von Hagen, dem Archipresbyter - also dem 'Stadtpfarrer' von Aachen49, spätestens am 23. August 141450, war die Stelle des Erzpriesters endgültig neu zu besetzen. Ziel der Bemühungen der Aachener Gesandten an der Kurie Johannes' XXIII., dem sich vor der endgültigen 'Wende' König Sigismunds bereits Aachen angeschlossen hatte51, war es, die 'reservatio' der vakanten Stelle des Archypresbyters zu erreiVgl. BRANDMÜLLER (Anm. 1) I 178; siehe auch H. HEIMPEL, Königlicher Weihnachtsdienst auf den Konzilien von Konstanz und Basel, in: Tradition als historische Kraft. Interdisziplinäre Forschungen zur Geschichte des früheren Mittelalters, hg. von N. KAMP/ J. WOLLASCH, Berlin-New York 1982, 388-411, hier 390-399; H. HEIMPEL, Königlicher Weihnachtsdienst im späteren Mittelalter, in: DA 39(1983) 169-173. 41 H. GATZWEILER, Das St. Adalbertstift zu Aachen, in: ZAGV 51 (1929) [1930] 64-298 (= GATZWEILER); vgl. auch die grundlegende Arbeit von D. FLACH, Untersuchungen zur Verfassung und Verwaltung des Aachener Reichsgutes von der Karolingerzeit bis zur Mitte des 14. Jahrhunderts (VMPIG 46) Göttingen 1976. 42 GATZWEILER (Anm. 41) 204; H. KLAUSER, Der Erzpriester von Aachen (Archipresbyter Plebanus Aquensis). Eine kirchenrechtsgeschichtliche Studie, in: ZAGV 74/75 (1962/63) 289 ff.: "Liste der Aachener Pfarrer (Archipresbyter)", zu Johannes Scherpseil: 290 (= KLAUSER); P. OFFERGELD, Die persönliche Zusammensetzung des Aachener Stiftskapitels bis 1614, Diss. (Masch.schrift) Aachen 1974, 938 ff.: "Verzeichnis der Erzpriester", hier: 939 (= OFFERGELD). 43 Monumenta histórica universitatis Pragensis I Prag 1830, 215, 251: Johannes de Aquis. 44 Ergänzend zu GATZWEILER (Anm. 41) 204: H. KEUSSEN (Bearb.), Die Matrikel der Universität Köln 1: 1389-1475 (PGRJiGK 8/1) Bonn 1928, 13: Joh[ann] Scherpseyl de Aqms. 45 Archivio Segreto Vaticano (= ASV), Reg. Lat. 15, fol. 209r. Druck: Vatikanische Regesten zur Geschichte der Rheinlande, Bd. 6, bearb. von H. V. SAUERLAND (PGRhGK 23/VI), Bonn 1913, Nr. 329, 153 (= Vat. Reg. 6); Analecta Vaticano-Belgica (= AVB) XXIX: Suppliques et lettres d'Urbain VI (1378-1389) et Boniface IX (cinq premières années 1389-1394), publ. par M. GATOUT, BrüsselRom 1976, Nr. 381, 392 f. - Vgl. auch Repertorium Germanicum II/l, bearb. von G. TELLENBACH, Berlin 1933-38 (ND 1961) 747, hier falschlich: Johannes Scharpfeil. - Bei H. KOCHENDÖRFFER, Päpstliche Kurialen während des grossen Schismas, in: NA 30 (1904/05) 549-691, ist Johannes nicht genannt. - Zu Bonifaz IX. (1389-1404): G. SCHWAIGER, in: LMA II (1983) 416 f. 46 ASV, Reg. Lat. 25, fol. 64v. - Druck: AVB XXIX Nr. 553 S. 474. - Vat. Reg. 6 (Anm. 45) Nr. 451 S. 206; vgl. Repertorium Germanicum: wie Anm. 45. - GATZWEILER (Anm. 41 ) 204. 47 Düsseldorf HStA, Aachen St. Adalbert, Urkunde vom 14.4.1393: Kopiar A, S. 257; Kopiar C, S. 7 7 . - V g l . GATZWEILER ( A n m . 4 1 ) 2 0 4 . 48
GATZWEILER (Anm. 41) 204; vgl. auch A. SCHUFFELS, Das St. Georgenstift zu Wassenberg bis
zum Ausgang des Mittelalters, Diss., Bonn 1911, 26 ff.: Liste der Pröpste. 49 KLAUSER (Anm. 42) 173-177, 218 f. sowie 172-274, 289-291. 50 Zu Wilhelm von Hagen und den Umständen seiner Amtseinsetzung: ASV, Reg. Lat. 141, fol. 210v, und ASV, Reg. Lat. 180, fol. 19v; Druck: Vat. Reg. 7, Nr. 1029 S. 419, Nr. 1056 S. 431 f.; Repertorium Germanicum III, bearb. von U. KUEHNE, Berlin 1935, 239. Vgl. auch KLAUSER ( A n m . 4 2 ) 2 8 9 f . ; OFFERGELD ( A n m . 4 2 ) 9 3 9 f. 51 Zur 'Wende' Sigismunds siehe Anm. 18. - Bereits am 9.1.1411 richtete Papst Johannes XXIII. eine in Bologna ausgestellte Urkunde an den Dechanten der Aachener Marienkirche. Die Urkunde ist inseriert in: HAStK HUA Nr. 8031, Notariatsinstrument vom 17.7.1411 mit Zeichen und Unterschrift des Hermannus Steven alias Strowange, cler. Coloniensis, publicus apost. auct. notarios:
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chen. Ihre Mission hatte Erfolg: Mit päpstlicher Bulle vom 23. Februar 1415 52 erfolgte diese offiziell. Johann Scherpseil hat allerdings die Stelle des Erzpriesters nicht angetreten53. Offensichtlich war er nicht der Kandidat des Herzogs von Jülich, dem die Präsentation des Kandidaten zustand54. An seiner Stelle wurde Arnoldus de Obendorp investiert, der aber bereits vor 1423 resignierte55. Scherpseil ist noch 1431 als Propst von St. Adalbert bezeugt56. In Johann von Ellerborn begegnen wir einem der beiden Bürgermeister der Stadt für das Jahr 1414-1415 57 . Bereits sein Vater, Johann Eilerborn d. Ä., hatte dem Rat der Stadt angehört und den am 14. August 1364 abgeschlossenen Landfriedensbund zwischen Maas und Rhein gesiegelt58. Johann Ellerborn d.J. war 1420, 1425, 1429 und 1436 erneut Bürgermeister59; seit 1420 ist er als Schöffe des Königlichen Schöffenstuhls60, 1432 als Mitglied des Rates bezeugt61. Im Juli 1414 war er zusammen mit dem Schöffenbürgermeister Kuno von dem Eichhorn und Wolter Volmer, wie ihr erhaltener Bericht nach Aachen belegt62, einer der Gesandten der Reichsstadt auf dem Hoftag zu Speyer gewesen 63 . Der Verfasser von W. 413 64 ist der soeben genannte Kuno von dem Eichhorn65. Aus einer Patrizierfamilie stammend, deren Angehörige in der Vergangenheit der Mitt. aus dem Stadtarchiv von Köln 16 (1889) 43. In diesem Zusammenhang ist festzustellen, daß, soweit erkennbar, weder im Stadtarchiv Aachen (RA I sowie Kirchen und Klöster) noch in den überlieferten Fonds des Marienstiftes, des St. Adalbertstiftes sowie der Aachener Klöster im HStA Düsseldorf, auch nicht im ms. lat. 9317 der Bibliothèque Nationale in Pans (R. KNIPPING, in: Mitt. der K. Preussischen Archiwerwaltung 8 (1904); vgl. auch Inventar von Quellen zur deutschen Geschichte in Pariser Archiven und Bibliotheken, bearb. von G. SCHNATH, hg. von W. H. STEIN, Koblenz 1986, 501) Ausfertigungen von Urkunden Gregors XII. nach der Wahl des Papstes der Pisaner Obedienz Johannes XXIII. (1410 Mai 10) erhalten sind. Dasselbe gilt auch für die am 9.5. und am 19.9.1408 von Gregor XII. ernannten Kardinäle (zu diesen vgl. C. EUBEL, Hierarchia Catholica Medii Aevi I, Münster 2 1913, 31 f.). 52 ASV, Reg. Lat. 180, fol. 19v; Druck: Vat. Reg. 7, Nr. 1029 S. 419; vgl. Repertorium Germanicum III (Anm. 50) 239. 53
GATZWEILER ( A n m . 4 1 ) 2 9 0 ; OFFERGELD ( A n m . 42) 9 4 0 .
54
Hierzu ausführlich KLAUSER (Anm. 42) 199-205.
55
KLAUSER ( A n m . 4 2 ) 2 9 0 .
56
Düsseldorf HStA, Aachen St. Adalbert, Kopiar A, S. 273 sowie Kopiar C, S. 82: Urkunde vom 26.3.1431; vgl. auch GATZWEILER (Anm. 41) 204. Somit ist die von SCHUFFELS, St. Georgenstift (Anm. 48) 26 Anm. 4, getroffene Aussage, daß Johann Scherpseil bereits 1417 verstorben sei, sowie die von OFFERGELD (Anm. 42) 940 geäußerte Vermutung, daß er sein Amt als Erzpriester nicht antreten konnte, weil er zuvor verstarb, hinfällig. 57 L. FREIIN COELS VON DER BRÜGGHEN, D i e A a c h e n e r B ü r g e r m e i s t e r v o n 1251 bis 1798, in: Z A G V 5 5 ( 1 9 3 3 / 3 4 ) [ 1 9 3 5 ] 52 (= COELS, Bürgermeister). - L. FREIIN COELS VON DER BRÜGGHEN,
Die Schöffen des Königlichen Stuhls von Aachen von der frühesten Zeit bis zur endgültigen Aufhebung der reichsstädtischen Verfassung 1798, in: ZAGV 50 (1928) 170 f., hier: 170 (= COELS, Schöffen). 58 StAA, RA I Z Nr. 121. - Druck: CH. QUIX, Biographie des Ritters Gerhard Chorus, Erbauer des Rathauses und des Chors an der Marien- oder Münsterkirche, Aachen 1842, S. 49: Nr. 2; vgl. auch COELS, S c h ö f f e n ( A n m . 5 7 ) 171. 59 60
61 62 63
COELS, Bürgermeister (Anm. 57) 52 f.; COELS, Schöffen (Anm. 57) 170 f. COELS, S c h ö f f e n ( A n m . 57) 170.
COELS, Schöffen (Anm. 57) 171. StAA, R A I U. 18. COELS, Schöffen (Anm. 57) 171. - Zum Hoftag zu Speyer: RTA VII 172-198; Reg. Imp. XI/1,
61-66. 64
Text siehe Anhang II. - Größe 200 x 73 mm, Papier ohne Wasserzeichen, längsformatig beschrieben, ursprünglich in Briefform gefalten, wie die entsprechenden Faltknicke und das noch sichtbare, gebrochene papierbedeckte Verschlußsiegel ausweisen; es handelt sich also um eine Ausfertigung.
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Stadt als Ratsmitglieder und Bürgermeister gedient hatten, ist er bereits 1400, 1407 und 1408 als einer der Bürgermeister bezeugt und bekleidete dieses Amt, wie erwähnt, zusammen mit Johann Ellerborn d.J. ebenfalls 1414-1415. Als einer der Gesandten Aachens auf dem "Hoftag" zu Speyer nahm ihn König Sigismund am 20. Juli 1414 in sein Hofgesinde auf und erteilte ihm Geleit66. Vielleicht wurde er auch um diese Zeit zum ritter geschlagen, als der er in diesem Schreiben erstmals ausdrücklich zeichnet. Unter dem 1. Juli 1400 ist Kuno erstmals als Schöffe des Königlichen Schöffenstuhls, unter dem 4. September 1413 auch als Schöffe des Aachener Sendgerichts67 genannt. Machtbewußt und politisch konservativ war er 1429 die treibende Kraft im Rat, der es zu verdanken war, daß der im Jahr zuvor ausgebrochene Aufstand von zehn Ambachten mit militärischer Gewalt niedergeschlagen und der alte Rat wieder eingesetzt werden konnte68. Über die Vorgänge auf dem Konzil ist Kuno von dem Eichhorn bestens unterrichtet. Er hatte sogar Zugang zu wichtigen Konzilsdokumenten. Zusammen mit seinem Bericht übersandte er eine Abschrift der 'Sententia depositionis' vom 29. Mai 1415 nach Aachen, die Kopie also jenes Dekrets des Konzils, mit dem die Absetzung Johannes' XXIII. ausgesprochen wurde69, sowie Abschriften zweier Briefe des Königs Ferdinand von Aragon vom 24. und 28. April 141570 an Sigismund, in denen er sein Einverständnis mit dem entschiedenen Vorgehen des Konzils gegen Johannes Hus und Johannes XXIII. erklärt hatte. Der Aachener Gesandte weiß auch um das Schreiben Johannes' XXIII. vom 26. Mai, in dem dieser Sigismund ersuchte, nach einer durch das Konzil erfolgenden Absetzung für die Wahrung seiner persönlichen Interessen einzutreten71. Eine Abschrift auch dieses Dokuments stand Kuno von dem Eichhorn zum Zeitpunkt der Absendung seines Schreibens nach Aachen allerdings noch nicht zur Verfügung. Er kündigt an, daß er dieses mit dem nächsten Boten ebenfalls übersenden werde. QUIX datierte das Schreiben auf der Rückseite 1414 (vgl. "Verzeichnis", 159); H. LOERSCH, Zur Gründungsgeschichte des Aachener Regulierherren-Klosters, in: A H V N 21/22 (1870) 246 f., in das Jahr 1415; F. HAAGEN, Geschichte Achens von seinen Anfangen bis zur neuesten Zeit, Aachen 1874, II 16 f., in das Jahr 1417. W. 413 wurde gedruckt bei CH. QUIX, Geschichte der St. PeterPfarrkirche, des Spitals zum hl. Martin, der ehemaligen Regulierherren-Kanonie, des St. Anna-Klosters und des Synodal-Gerichts, Aachen 1836, 29-31, wo es fälschlicherweise als "Copie" bezeichnet ist, und w o sich, wie ein Vergleich mit der Vorlage ergibt, wieder einmal bestätigt, "daß leider seine paläographischen Fähigkeiten oft unzureichend sind": MEUTHEN, Geschichtsschreibung (Anm. 9) 392. 65
Hierzu und zum Folgenden: COELS, Schöffen (Anm. 57) 153-160; COELS, Bürgermeister (Anm. 5 7 ) 5 1 f. 66 Reg. Imp. XI/1 Nr. 1049 S. 61; COELS, Schöffen (Anm. 57) 153 f. 67 Zur Geschichte des Aachener Sendgerichts vgl. L. FROHN, Das Aachener Sendgericht bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts, Aachen 1913. 68 COELS, Schöffen (Anm. 57) 154 f.; ergänzend E. MEUTHEN, Der gesellschaftliche Hintergrund der Aachener Verfassungskämpfe an der Wende vom Mittelalter zur Neuzeit, in: ZAGV 74/75 (1962/63)306-323. 69 'Sententia depositionis Ioannis papae XXIII': HARDT IV 280-283. MANSI XXVII 715 f.; zuletzt: C O D 3 3 9 3 f.; v g l . BRANDMÜLLER ( A n m . 1 ) 1 70
174-197,211-235,271-311.
Texte: 1415 April 24: MANSI XXVIII 38 f.: Serenissime Princeps ... Ferdinandus rex. - 1415 April 28: J. J I. DÖLLINGER, Beiträge zur politischen, kirchlichen und Cultur-Geschichte der sechs letzten Jahrhunderte I: Materialien zur Geschichte des fünfzehnten und sechszehnten Jahrhunderts, Regensburg 1863, 317 f.: Serenissime Princeps ... anno Domini MCCCCXV. 71 Text: HARDT IV 259-262; MANSI XXVII 699-701: Carissimo in Christo fllio Sigismundo ... manu proprio.
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HERBERT LEPPER
Das Schreiben ist aufgrund der in ihm zur Sprache kommenden Vorgänge eindeutig zu datieren: zu Constans des eychten daeges in den broemont, [1415] Juni 8. Kuno berichtet über die am 3. Juni erfolgte Überführung des seines Amtes enthobenen Johannes XXIII., des Baltasar, gescheischen de Cossa, der paes was, auf das Schloß des Bischofs von Konstanz in der Nähe der Stadt, dessen Name Gottlieben - er freilich nicht nennt72, wie auch über seine geheime Wegführung bei Nacht, also dat nyeman in weys, woe hee bleven is, und zwar, wie er eigens betont und ansonsten nirgends überliefert ist, auf Veranlassung des Königs und des Konzils 73 . Kunos Interesse gilt neben der 'causa unionis' auch der auf dem Konzil zur Verhandlung stehenden 'causa fidei', dem Vorgehen gegen die wegen Häresie angeklagten böhmischen Reformatoren Johannes Hus74 und Hieronymus von Prag75. Er berichtet über die Vorladung von Hus vor das Konzil und über seine Überfuhrung von Gottlieben, van deme slosse, dae der paes op was16, in die Stadt am 5. Juni77; aber auch darüber, daß auf Veranlassung des Königs durch Herzog Ludwig III., Pfalzgraf bei Rhein und Herzog von Bayern78, und den Burggrafen Friedrich VI. von Nürnberg79 aus Heidelberg eyn buich aus der Feder des Angeklagten nach Konstanz gebracht wurde, das man Hus vorlegte, und aus dem sich das Konzil selbst eyn instrument herstellen ließ. Bei diesem buich handelte es sich bekanntlich um den Traktat 'De ecclesia'80, bei dem instrument um jene 39 Artikel "die aus Hussens eigenen Schriften ausgezogen worden waren" und am 8. Juni zur Diskussion standen81. Daß in diesem instrument neben Auszügen aus der Schrift 'De ecclesia' auch solche aus dessen Traktaten gegen Stephan Pälec und Stanislaus von Znaim enthalten waren82, blieb dem Aachener Gesandten al72
Cerretanus, in: ACC II 251, III 510. Vgl. auch HARDT IV 296 f.; MANSI XXVIII 671 f.; vgl.
BRANDMÜLLER ( A n m . 1) 1 2 9 9 . 73
Dies wird bei BRANDMÜLLER (Anm. 1) I 299 nicht erwähnt. - Zum weiteren Schicksal Johannes' XXIII. und zu den damit gegebenen politischen und kirchenpolitischen Problemen vgl. zuletzt unter Berücksichtigung bisher unbeachteten Quellenmaterials BRANDMÜLLER (Anm. 1) I 302-311. 74 Zur Vorgeschichte der "causa Hus" zusammenfassend BRANDMÜLLER (Anm. 1) I 322-331. 75 Vgl. hierzu ergänzend: F. SEIBT, HUS in Konstanz, in: AHC 15 (1983) 159-171, sowie R. HOKE, Der Prozeß des Jan Hus und das Geleit Sigmunds, in: ebd. 172-191. 76 Vgl. die Tagebuchnotizen des Schreibers Franz von Dachau (1415 nach März bis 1416), in: ACC IV 509 ff., hier: 510. 77 Er wurde inhaftiert in einem Stadtturm, der zum Franziskanerkloster zählte: HARDT IV 306; MANSI XXVIII 671 f.: Hussus e carcere Gotlubieusi Constantiam in Monastenum Franciscartorum vinctus deportatus; vgl. BRANDMÖLLER (Anm. 1) I 392. - Zu den Aufenthaltsorten von Hus in Konstanz: G. BLECHER, WO war in Konstanz die Herberge des Jan Hus?, in: Schriften des Vereins für Geschichte des Bodensees 111 (1983) 49-71. 78 F. EBERHARD, Ludwig III. Kurfürst von der Pfalz und das Reich 1410-27, Giessen 1896; H. J. COHN, The Government of the Rhine Palatinate in the Fifteenth Century, London 1965; C. FRHR. V. BRANDENSTEIN, Urkundenwesen und Kanzlei, Rat und Regierungssystem des pfälzischen Kurfürsten Ludwig III. (1410-36) (VMPIG 71) Göttingen 1983. 79 E. BRANDENBURG, König Sigmund und Kurfürst Friedrich I. von Brandenburg 1409-1426, Berlin 1891. 80 Johannes Hus, Tractatus de ecclesia, ed. S. H. THOMSON, Cambridge/ Mass. 1956. 81
82
BRANDMÜLLER ( A n m . l ) 1 3 4 0 . - MANSI X X V I I I 6 7 1 f.
Documenta magistri Joannis Hus vitam, doctrinam, causam in Constantiensi concilio actam et controversias de religione in Bohemia annis 1403-18 motas illustrantia, ed. F. PALACKY, Prag 1869, 286-308. - Vgl. auch: Hus in Konstanz. Der Bericht des Peter von Mladoniowitz, übers., eingeleitet und erklärt von J. BUJNOCH (Slavische Geschichtsschreiber 3) Graz-Wien-Köln 1963, 181, und zusammenfassend BRANDMÜLLER (Anm. 1) I 340, ohne daß freilich hier auf die in den 'Documenta' herausgegebenen Texte eingegangen wird.
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lerdings unbekannt. Berichtet wird des weiteren über eine Petition der ritter ind kriecht van Berne an den König, Hus die Freiheit zu gewähren. Es ist hier offensichtlich die Rede von der Denkschrift, welche dessen Anhänger aus dem böhmischen Adel am 31. Mai zunächst den Deputierten der vier Nationen und dann Sigismund überreichten83. Kuno weiß auch Näheres über das Schicksal des Hieronymus von Prag: Dieser war nach seiner Flucht aus Konstanz auf Initiative des Herzogs Johann von Bayern84 erneut verhaftet85 und mit ketten gebunden am 23. Mai von Heidelberg in die Konzilsstadt gebracht und durch Pfalzgraf Ludwig dem Konzil präsentiert worden86. Hinsichtlich des Schicksals von Hus und Hieronymus bezog der Aachener Gesandte, dessen religiöse Gesinnung außer Zweifel steht87, gleichwohl unmißverständlich persönlich Position: Er drückte seine Erwartung aus, daß beide vor dem gewaltsamen Tode als Ketzer bewahrt bleiben mögen. Aus diesem Schreiben erfahren wir schließlich auch, daß der Aachener Gesandte in Konstanz dazu bestimmt war, den König auf seiner Reise nach Südfrankreich - wie man zunächst beabsichtigte: nach Nizza88 - zu begleiten. Kuno rechnete mit dem Aufbruch des Königs und seines Gefolges sowie der Konzilsdelegation binnen vierzehn Tagen. Er erörterte auch die Frage, auf welchem Wege die Reichsstadt Aachen über die Vorgänge in Nizza angemessen unterrichtet werden könnte. Da er selbst nicht in der Lage war, einen eigenen Boten in die Heimat zu entsenden, unterbreitete er der Stadt den Vorschlag, ihrerseits einen Boten nach Nizza zu schicken, der die Berichte des Gesandten nach Norden zu bringen hatte. Er nennt auch seinen Namen: Jacob van Stavel. Zur Reise nach Südfrankreich brach man allerdings erst am 18. Juli auf. Sie führte aus Gründen, die hier nicht zu erörtern sind, freilich nicht nach Nizza, sondern nach Narbonne und nach Perpignan. W. 41189 ist nicht von einem offiziellen Gesandten der Reichsstadt Aachen auf dem Konzil aus dem Kreise ihrer Amts- oder kirchlichen Würdenträger verfaßt, 83
Vgl. HARDT IV 288-290; MANSIXXVIII 671 f.; Documenta (Anm. 82) 266-270. Johann von Bayern (1410-1443), Pfalzgraf von Neunburg-Oberpfalz, geb. zu Neunburg um 1383; gest. Benediktinerkloster Kastl am 13.3.1443, bestattet bei St. Georg zu Neunburg: C. WAEUTLE, Genealogie des erlauchten Stammhauses Wittelsbach, München 1870, 127. 85 Vgl. 'Litera Ducis Bavariae Joannis missa Concilio, quando praesentavit Hieronymum de haeresi infamatum' (8.5.1415): DÖLLINGER (Anm. 70) 318 ff., sowie das Dankesschreiben des Konzils: ebd. 3 2 0 f. 86 MANSI XXVIII 669 f. - Auch nach TURRE (ACC II 364) wurde Hieronymus von Prag cum bona cathena de ferro am 23.5.1415 auf Veranlassung des Pfalzgrafen Ludwig nach Konstanz "geschickt": Et fuit dictus Jeronimus positus in carceribus; cf. ACC IV 510, wo die Ankunft des Hieronymus von Prag a u f f e r i a quinta ante Urbani, que fuit XXIII dies m[ensis] Maii datiert ist: et iacet in turri circa s. Paulum sub custodia civium. 87 Kuno von dem Eichhorn und seine Gattin Tette Havermann ließen 1417 ihr großes Wohnhaus zu einem Hospital und einer kleinen Kapelle umbauen und gründeten eine Kanonie der Kongregation der Windesheimer Chorherren, die 1424 von Mitgliedern der Kongregation aus Neuss und Zwolle bezogen wurde: LOERSCH, Gründungsgeschichte (Anm. 64) 234-271; J. GREVING, Geschichte des Klosters der Windesheimer Chorherren in Aachen, in: ZAGV 13 (1891) 2-15; H. LEPPER, Domus sancti Johannis Baptistae urbis Aquensis (Aachen), in: Monasticon Windeshemense, hg. von W. KOHL T. II: Deutsches Sprachgebiet (Archives et Bibliothèques de Belgique n° spéc. 16) Brüssel 84
1977, 13-23. 88
89
V g l . BRANDMÜLLER ( A n m . 1 ) 1 2 1 1 , z u m F o l g e n d e n e b d . 3 9 8 - 4 0 5 .
Text siehe Anhang III. - Größe: 310 x 350 mm, in Briefform gefalten, wie die entsprechenden Faltknicke und die noch erhaltenen Teile des Verschlußsiegels ausweisen. Bei der Schrift handelt es
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sondern von Ricolf vander Smitten, canonich der kirchen zoe siint Martiin van Ludich90. Seine Position läßt sich als "Konzilsbeobachter" der Stadt umschreiben. Er erstattete, wie er ausdrücklich formuliert, seinen Bericht auf Veranlassung des eigens nach Konstanz entsandten diener(s) der Stadt namens Mathiis Caster. Dieser ist auch anderweitig als solcher bezeugt, so als Unterhändler Aachens mit der Stadt Maastricht91. Ricolf van der Smitten, identisch mit Ricoldus van der Smitten92 sowie mit Richoldus de AquisgranP3, stammte aus einer Aachener Patrizierfamilie94. Als Kleriker ohne höhere Weihen und als scriptor in registris litterarum unter Innozenz VII. (1404-1406) und Gregor XII. (1406-1415) 95 wurde ihm am 20. Dezember 1406 die Pfarrkirche St. Stephan zu Kornelimünster im Erzbistum Köln übertragen, die er aber schon bald, vor dem 18. Mai 1408, resignierte96. Unter dem 20. Dezember 1406 wurde ihm auch ein der Kollation von Propst, Dechant und Kapitel des Aachener Marienstiftes zustehendes Benefizium übertragen97. Später verließ er die Obedienz Gregors XII. und schloß sich der Johannes' XXIII. an. Dieser erteilte ihm als Rektor der Kirche in Herstal (Bistum Lüttich) am 18. März 1415 in Konstanz sieben Jahre Dispens vom Empfang der höheren Weihen98, die Martin V. (1417-1431) unter dem 30. Januar 1426 auf drei Jahre erneuerte99. Dieser providierte ihn gleichzeitig erneut mit der Stelle des Rektors der Kirche zu Herstal100. Zum Zeitpunkt der Abfassung seines Konstanzer Schreibens zeichnet Ricolf van der Smitten als Kanoniker des St. Martin-Stiftes zu Lüttich101. Am 8. und erneut am 16. Dezember 1417 wurde ihm seitens des soeben gewählten Martin V. ein im Aachener Marienstift vakantes Kanonikat providiert102, zu dem
sich um eine besonders sorgfältig ausgeführte 'Kanzleischrift'. Auf der Rückseite von QUIX datiert: 1414, ebenfalls im "Verzeichnis" 159. 90 Der Name Ricolf van der Smitten ist nicht genannt in: Chartes du chapitre de Saint-Martin, à Liège, publ. par J. G. SCHOONBROODT, Lüttich 1871. 91 StAA, RA I W. 703: Schreiben der Reichsstadt Aachen an die Stadt Maastricht: "... Also wir Thys Caster unsen diener zo uch geschickt haint..." 92
OFFERGELD ( A n m . 4 2 ) 7 9 0 f.
93
C. SCHUCHARD, Die Deutschen an der päpstlichen Kurie im späten Mittelalter (1378-1447) (BDHIR 65) Tübingen 1987, 147 Anm. 812. Weder bei KOCHENDÖRFFER, Päpstliche Kurialen (Anm. 45), noch bei W. VON HOFMANN, Forschungen zur Geschichte der kurialen Behörden vom Schisma bis zur Reformation 1-2 (BDHIR 12/13) Rom 1914 (ND 1971), genannt. 94 H. F. MACCO, Beiträge zur Geschichte und Genealogie rheinischer Adels- und Patrizierfamilien II, Aachen 1887, 266; H. F. MACCO, Aachener Wappen und Genealogien II, Aachen 1908, 153 ff. 95 ASV, Reg. Lat. 129, fol. 140v. - Druck: Vat. Reg. 7, Nr. 604 S. 244 f., AVB XXX: Lettres de Grégoire XII, par M. SOENEN, Brüssel-Rom 1976, Nr. 26 S. 26. - Vgl. auch: F. BAIX, La Chambre Apostolique et les 'Libri Annatarum' de Martin V (1417-1431), 1.1 (AVB XIV/1) Brüssel-Rom 1942, 356 Anm. 3. - Zu Innozenz VII. (1404-1406): J. GROHE, in: LMA V (1991) 439. 96 Siehe Anm. 71 sowie ASV, Reg. Lat. 132, fol. 140r (Druck: Vat. Reg. 7, Nr. 591 S. 238 f.; AVB XXX, Nr. 18 S. 39) und Düsseldorf HStA, Kornelimünster Nr. 142, sowie ASV, Reg. Lat. 131, fol. 25r: Druck: Vat. Reg. 7, Nr. 666 S. 272; AVB XXX Nr. 90 S. 89 f. 97 ASV, Reg. Lat. 129, fol. 140v. - Druck: Vat. Reg. 7, Nr. 604 S. 244 f.; AVB XXX Nr. 26 S. 49. Vgl. auch Repertorium Germanicum IV: Martin V. 1417-1431, bearb. von K. A. FINK, 3. Teilbd. Berlin 1958, 1420, dort Ritoldus van der Schmitten de Aquis genannt. 98 Im Repertorium Germanicum III (Anm. 50) nicht vermerkt. 99 ASV, Reg. Lat. 263, fol. 240v; erwähnt AVB XIV/1 356 Anm. 2. 100 Ebd. 101 OFFERGELD (Anm. 42) 790 f. ist unser Schreiben entgangen. 102 ASV, Reg. Suppl. 107, fol. 123v; vgl. Repertorium Germanicum IV (Anm. 97) 3289; OFFERGELD ( A n m . 4 2 ) 7 9 0 .
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er am 6. August 1419 aufgrund dieses Rechtstitels Zulaß fand . Erst zum 9. August 1423 ist seine erste Residenz nachgewiesen104. Dies hatte seine Gründe. Ricolf war Martin V. nach Rom gefolgt 105 , wo er als scriptor in registro bullarum tätig wurde106. Seine Finanzmittel erlaubten es ihm, Bau- und Renovierungsmaßnahmen in demjenigen Saal des Apostolischen Palastes, in dem die Supplikenregister untergebracht waren107, vornehmen zu lassen, so an der Decke, an den Türen und an den Fenstern. Die verausgabte Summe betrug 81 fl. 2 s., sie wurde ihm unter dem 13. November 1420 zurückerstattet108. Ricolf verstarb am 31. Mai 1430109. Im Mittelpunkt des Berichtes stehen die Bemühungen Sigismunds, Benedikt XIII. (1394-1417/23), den Papst des Schismas, zu dessen Obedienz Aragon, Kastilien, Navarra, die Grafschaften Foix und Armagnac sowie Schottland zählten110, zur Abdankung zu veranlassen, um nach der bereits erfolgten Absetzung bzw. Zession der beiden anderen Päpste des Schismas, Johanns XXIII. und Gregors XII.111, die Voraussetzungen für die Wahl eines neuen, von der Gesamtkirche anerkannten Papstes zu schaffen, somit also das Schisma zu beenden und die 'unio ecclesiae' wiederherzustellen. Zu diesem Zweck war der König, wie bereits erwähnt, am 18. Juli 1415 zusammen mit einer Konzilsdelegation und einem ansehnlichen Gefolge nach Südfrankreich aufgebrochen112 und am 15. August in Narbonne, am 19. September in Perpignan eingetroffen, wo er zwei Tage später den erkrankten König Ferdinand von Aragon aufsuchte und erstmals auch mit Benedikt XIII. zusammentraf. Hier setzt der Bericht Ricolfs ein. Er ist infor103
OFFERGELD (Anm. 42) 790. OFFERGELD (Anm. 42) 790. 105 Vgl. F. MILTENBERGER, Das Itinerarium Martins V. von Constanz bis Rom 16.5.1418-28.9. 1420, in: MIÖG 15 (1894) 661-664. - Am Sonntag, dem 29.9.1420, zog Martin V. in den Vatikan ein. 106 SCHUCHARD, Die Deutschen (Anm. 93) 147 Anm. 812; vgl. auch Repertorium Germanicum IV (Anm. 97) 3289: in registro litterarum papae plures annos scribens. - Ricoldus de Aquisgrani ist bei VON HOFMANN, Forschungen (Anm. 93), ebensowenig aufgeführt wie bei TH. FRENZ, Zum Problem der Reduzierung der Zahl der päpstlichen Kanzleischreiber nach dem Konzil von Konstanz, in: Grundwissenschaften und Geschichte. Festschrift für Peter Acht, hg. von W. SCHLÖGL/ P. HERRE (Münchener Histor. Studien. Abteilung Geschichtliche Hilfswissenschaften 15) Kallmünz 1976, 256-273. 107 Hierzu vgl. A. M. CORBO, Martino, Eugenio IV et la ricostituzione delP archivio papale dopo Constanza, in: Rassegna degli Archivi di Stato 28 (1968) 37-65. 104
108
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SCHUCHARD, Die Deutschen ( A n m . 93) 147 A n m . 812.
Auf die quellenkritisch komplizierte Frage, ob bzw. wann Ricolf noch kurz vor seinem Tode die Kanonikate am Liebfrauenstift zu Utrecht sowie an St. Maria zu Huy übertragen worden sind und er diese annahm (vgl. AVB XIV/1, CLXII und CLXIII sowie S. 356 f., 379 f.; Repertorium Germanicum IV (Anm. 97) 3289; Repertorium Germanicum: Pontificat Eugen IV. (1431-1447), Bd. 1, bearb. von R.ARNOLD, Berlin 1897, Nr. 60 S. 13 f., Nr. 1231 S. 201, Nr. 1595 S. 260; OFFERGELD [Anm. 42] 790), kann im Rahmen dieser Skizze nicht eingegangen werden. 110 Zu Benedikt XIII.: W. BRANDMÜLLER, in: LMA I (1980) 1862 f. 111 Zu Gregor XII. (1409-1415): A. FRENKEN, in: LMA III (1986) 1674 f.; zur Stellung der Gregorianischen Partei auf dem Konzil sowie zu den Vorgängen der Zession des Papstes unter ausführlicher Behandlung der Quellen: J. HOLLERBACH, Die Gregorianische Partei, Sigismund und das Konstanzer Konzil, in: RQ 23 (1909) 129*-165*; 24 (1910) 3*-39*, 122M40*. Zusammenfassend: BRANDMÜLLER ( A n m . l ) 1 3 1 2 - 3 2 2 . 112
Zur Chronologie: Reg. Imp. XI/1, 122-128. - Zu den Verhandlungen Sigismunds mit Petrus de Luna: FINKE, in: ACC III 367-390 sowie 427-509, 510-530; W. PRINZHORN, Die Verhandlungen Sigismunds mit Benedikt XIII. und seine Obedienz in Perpignan August - Dezember 1415, Diss. (Masch.schrift) Freiburg 1925.
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miert über die Verhandlungen des Königs mit Petrus de Luna, de sich paifs nennet, und sein Bemühen, diesen zur Abdankung zu veranlassen; er weiß aber auch um das Scheitern dieser Bemühungen113. Er hat ebenfalls Kenntnis von der Flucht Benedikts XIII. nach Peniscola bei Valencia, oep eynen sunderlingen stercken slos in den merre oep eynre Hoger steynroitzschen gelegen,14. Mit unverkennbar spöttischer Akzentuierung zitiert er jenen - wohl kolportierten - Ausspruch des Petrus de Luna, daß Gott insofern ein Wunder, eyn miracel, vollbracht habe, als seine beiden Gegner, zu keinem Zeitpunkt rechtmäßige Päpste, abe gesät siint, und er nunmehr als der einzig rechtmäßige Papst der Kirche zu gelten habe. Es war dies eine Haltung, die der Konzilsbeobachter Aachens nur in beißender Ironie mit dem Hinweis auf Ex 8,14 kommentieren kann: In duratumfque] est cor Phar[a]onis [et non audivit eos sicut praeceperat Dominus]. Nachdrücklich weist Ricolf auf die Gefahren des eklatanten Starrsinns Benedikts XIII. für die ersehnte Einheit der Kirche hin. So habe dieser geäußert, daß er bald wieder eine feste Obedienz besitzen werde, da seine Gesandten, die ambaciatores, auf dem Wege nach Rom seien, um die Unterstellung der Römer unter seinen Pontifikat zu bewirken, und daß er gegebenenfalls selbst in die Ewige Stadt reisen werde mit dem Ziel, neben Rom auch Venedig, Florenz sowie den König von Neapel dazu zu bestimmen, sich ihm anzuschliessen115. Eine solche Wendung der Dinge war nach Einschätzung der Lage durch Ricolf allerdings zur Zeit nicht zu erwarten. Gleichwohl erinnerte er in diesem Zusammenhang daran, daß Peter de Luna schon früher - voermails - Gesandte nach Rom geschickt habe, um mit umfangreichen Bestechungsgeldern - mit groissen gelde - die dort entscheidenden politischen Kräfte zur Kündigung ihrer Obedienz gegenüber ihrem damaligen Papst zu bestimmen, was freilich ohne Erfolg geblieben sei, da der ebenfalls in Rom anwesende legait cardinail van Bononien die Abgesandten Benedikts XIII. zur Abreise gezwungen und seine Anhänger in Rom dazu veranlaßt habe, von diesem abzulassen116. Die Verhältnisse in Rom selbst waren nach Auskunft Ricolfs auch weiterhin sehr problematisch: So seien die Truppen des Königs von Neapel in die Ewige Stadt eingefallen und hätten sogar den Kardinal-Legaten beraubt und dessen capitainum gefangen gesetzt117. Hinsichtlich der Vorgänge auf dem Konzil selbst berichtet der Verfasser über die Rückkehr der Konzilsdelegation nach Konstanz und über deren Berichterstattung vor dem Konzil, in der groisser kirchen van Constans, am 30. Januar 1416118. Er weiß um den Vertrag von Narbonne vom 13. Dezember 1415119 ebenso wie um das von Sigismund dem Konzil zugeleitete Schreiben des Königs von Aragon vom 6. Januar 1416, in dem dieser die Mitteilung machte, daß er und die 113
Siehe Anm. 112. Am 13.11.1415 verließ Benedikt XIII. mit seinem Gefolge Perpignan und fuhr nach Collioure. Wenige Tage später trat er die Reise nach Pefliscola an; FINKE, in: ACC III 384. 115 Vgl. zu diesen Zusammenhängen K. DlETERLE, Die Stellung Neapels und der großen italienischen Kommunen zum Konstanzer Konzil, in: RQ 29 (1915) 3*-21*, 45*-72*, hier: 15* f., bes. auch 15* Anm. 2. 116 Hierzu: DlETERLE, Stellung (Anm. 115) 12*-15*. - Bei dem hier genannten Kardinal handelt es sich um Antonius Cor(r)arius (Correr) 'Bononiensis': ZÄHRINGER, Kardinalskollegium (Anm. 19) 44. 117 Zu diesen Vorgängen vgl. F. GREGOROVIUS, Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter, neu hg. von W. KÄMPF, Bd. 2, Basel 1954, 864. - Siehe auch den Bericht vom 11.12.1415 aus Florenz: ACC IV 667 ff., hier: 668. 114
118
H A R D T I V 5 8 3 f f . ; M A N S I X X V I I 8 1 1 - 8 1 7 ; C e r r e t a n u s , i n : A C C II 2 7 3 .
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Text: HARDT II 540 ff.;
MANSI
XXVIII 251-256: In nomine sanctae ... primogenitus.
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Könige von Kastilien und Navarra sowie die Grafen von Foix und Armagnac Peter de Luna endgültig die Obedienz aufgekündigt hätten120. Er geht ein auf die Rückkehr des Erzbischofs von Riga, Johann von Wallenrode (1395-1418) 121 , vom königlichen Hof nach Konstanz122 und auf die von diesem übermittelte Nachricht, daß Sigismund beabsichtige, nach Frankreich zu ziehen, um vreidde zoe machen tusschen den Fransosen ind Engelschenm\ er teilt überdies mit, daß der Erzbischof seinerseits nach Osten riden werde, um auch hier den lange ersehnten Frieden zwischen Polen und dem Deutschen Orden, tusschen den Polenderen ind Pruissener, herbeizufuhren124. Besonders begrüßte der Verfasser das am 4. Februar 1416 vom Konzil verabschiedete Einladungsschreiben an die Könige von Aragon, Kastilien und Navarra ind eren oenderseissen125, deren Text er seinem Schreiben beifügte. Ricolf selbst rechnete offenbar nicht mit einer kurzfristig erfolgenden Lösung der 'causa unionis', der Papstwahl126. Er beabsichtigte daher, bald Konstanz zu verlassen, um entweder direkt nach Hause zurückzukehren bzw. nach Straßburg oder anderswohin zu reisen. Die Begründung dieses Vorhabens erscheint besonders aufschlußreich: Nirgendwo sonst seien die Lebenshaltungskosten so teuer wie in der Konzilsstadt127. Die Unterzeichnenden von W. 412 128 sind die bereits genannten Konrad/ Kuno von dem Eichhorn und Johann Eilerborn. Ihr Bericht nach Aachen setzt ein mit der Mitteilung, daß Sigismund Konstanz verlassen habe und nach Meersburg gezogen sei129, und zwar in der Absicht, nicht eher in die Konzilsstadt zurückzukehren, bis daß sich Synode und Kardinäle dazu entschlossen hätten, Petrus de Luna seines Amtes zu entsetzen und einen neuen Papst zu wählen. Angesprochen 120 Text: MANSI XXVII 829: Generissimo ... Primogenitus. Vgl. auch: HARDT II 554-563; MANSI XXVII 824-829. - Die feierliche Obedienzentziehung war ursprünglich für den 7.2.1416 geplant, wurde aber dann auf das Fest der Erscheinung des Herrn vorverlegt; FlNKE, in: ACC III 387 f. 121 B. JÄHNIG, Johann von Wallenrode O.T. Erzbischof von Riga, königlicher Rat, Deutschordensdiplomat und Bischof von Lüttich im Zeitalter des Schismas und des Konstanzer Konzils (um 13701419) (Quellen und Studien zur Geschichte des Deutschen Ordens 24) Bonn-Bad Godesberg 1970. 122 Johann von Wallenrode ist zwischen dem 1. und 17.2.1416 nach Konstanz zurückgekehrt: Die Berichte der Generalprokuratoren des Deutschen Ordens an die Kurie II: Peter von Wormditt 14031419, bearb. von H. KOEPPEN (Veröffentlichungen der Niedersächsischen Archiwerwaltung 13) Göttingen 1960, 303 Anm. 7.
123 V g l . a u c h FIRNHABER ( A n m . 8 ) 4 1 - 4 4 ; C . M . D . CROWDER, H e n r y V . , S i g i s m u n d a n d
the
Council of Constance, in: Historical Studies IV, ed. G. H. HAYES-MCCOY, London 1963, 93-110. 124 Vgl. auch JÄHNIG (Anm. 121) 95. 125 Text: MANSI XXVII 950 f.: Quamquam ... Apostolica Sede vacante. 126 Zur Wahl Martins V. (1417-1431) am 11.11.1417 vgl. K. A. FINK, Die Wahl Martins V., in: Das Konstanzer Konzil (Anm. 1) 306-322. 127 Im übrigen vgl. J. RIEGEL, Die Teilnehmerlisten des Konstanzer Konzils. Ein Beitrag zur mittelalterlichen Statistik, Diss. Freiburg i.Bg. 1916, 8-24 [74 f.], 128 Text siehe Anhang IV. - Größe 200 x 73 mm, querformatig beschrieben und ursprünglich in Briefform gefalten, wie die entsprechenden Faltknicke und ein noch sichtbares gebrochenes papierbedecktes Verschlußsiegel ausweisen. Von derselben Hand wie W. 639 in flüchtiger Kursive geschrieben. W. 412 ist auf der Rückseite von der Hand von QUIX datiert: 1414, ebenso "Verzeichnis" 159. LOERSCH, Zur Gründungsgeschichte (Anm. 64) 246 f., weist das Schreiben in das Jahr 1415, ihm folgt HAAGEN, Geschichte (Anm. 64) II 16 f. Gedruckt bei QUIX, St. Peter-Pfarrkirche (Anm. 64) 29-31. Das Anm. 64 hinsichtlich der Qualität der Abschrift Gesagte gilt auch hier. 129 Sigismund verließ am 18.7.1417 Konstanz und kehrte erst wieder am 26. Juli dorthin zurück: Reg. Imp. XI/1 Nr. 2489a S. 175. - Vgl. auch FINKE, Forschungen (Anm. 1) 213; ACC II 129 (Fillastre).
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ist hier die schwere Krise zwischen dem König und den Kardinälen auf dem Konzil, die zwar durch die Vereinbarung vom 13. Juli 1417 überwunden schien130, na des anderen dais aber wieder ausbrach131, was eben dazu führte, daß Sigismund am 18. Juli 1417 Konstanz verließ und nach Meersburg aufbrach. Über die "eigentliche" Ursache des neuerlichen Konflikts wissen die beiden Gesandten Interessantes zu berichten. Diese war, wie sie erfahren hatten, darin begründet, daß Petrus de Luna etzliche kardenelen mit grois gelt bestochen habe, um so eine Amtsentsetzung zu verhindern; eine Politik, bei der die betreffenden Kardinäle auch die Unterstützung der van Kattelonien ind van Spanien erhalten hätten132. Über die weitere Entwicklung, die mit der feierlichen Absetzung Benedikts XIII. auf der Sitzung des Konzils am 26. Juli ihren Abschluß fand, bei der Sigismund persönlich anwesend war133, ist allerdings nicht mehr die Rede, da dieses Schreiben bereits guesdais vur sint Jacobs dach, also [1417] Juli [21] datiert ist. Gegenstand des Schreibens sind auch die Verhandlungen, die Konrad von dem Eichhorn und Johann Eilerborn am königlichen Hof zu Meersburg gefuhrt hatten, zu dem sie eigens gereist waren und an dem sie sich drei Tage aufhielten. Es ging um die Auslösung einer vom König der Reichsstadt Aachen geschuldeten Summe Gelds. Über deren Höhe und über die näheren Umstände, unter denen sich Aachen verpflichtet hatte, die Schuld des Königs auszulösen, ist freilich hier nichts gesagt. Es handelte sich offensichtlich um jene 8000 Rheinische Gulden, die Sigismund dem Dordrechter Bürger Pieter Pot Johansen schuldete und zu deren Auslösung sich die Reichsstadt Aachen zum Feste der Geburt des hl. Johannes des Täufers 1417 während des dortigen Aufenthaltes des Königs am 9. Dezember 1416 für den Fall verpflichtet hatte, daß dieser nicht in der Lage sein werde, die Geldsumme selbst auszulösen134. Ziel der Aachener Gesandten am königlichen Hof in Meersburg war es zu erkunden, ob und wann damit zu rechnen sei, daß die genannte Summe, die am 24. Juni fallig gewesen war, seitens des Königs ausgelöst werde. Verhandlungspartner in Meersburg waren der greve van Oittyngen sowie der greve van Sarwerten, also Graf Ludwig XII. von Öttingen (1378-1440), der Hofmeister Sigismunds, und Graf Friedrich IV. von Saarwerden (1375-1419). Die geführten Verhandlungen hatten Erfolg. Die Gesandten konnten melden, daß der Graf von Saarwerden persönlich nach Aachen reisen werde, um die Schuld des Königs auszulösen. Sie unterbreiteten daher den errsamen, wisen heren burgermeisteren, 130
FINKE, Forschungen (Anm. 1) 212 f.; ACC II 129 (Fillastre). - Reg. Imp. XI/1 Nr. 2467 S. 173. Vgl. FINKE, Forschungen (Anm. 1)213; ACC II 129 (Fillastre). 132 Zu diesen Vorgängen: B. FROMME, Die spanische Nation und das Konstanzer Konzil. Ein Beitrag zur Geschichte des großen Abendländischen Schismas, Münster 1896, 77-79; L. SUÁREZ FERNÁNDEZ, Castilla, el cisma y la crisis conciliar (1378-1440) (Consejo superior de investigaciones científicas. Estudios XXXIII) Madrid 1960, 93-96. - Vgl. auch J.-A. RUBIO, La política de Benedicto XIII desde la substracción de Aragón a su obediencia hasta su destitución en el Concilio de Constanza, Diss. Freiburg i.Bg., Zamora 1926, 67-82. - Zu den spanischen Teilnehmern am Konzil: J. GOÑI GAZTAMBIDE, LOS españoles en el concilio de Constanca. Notas biográficas, in: Hispania Sacra 15 (1962) 253-386; 18 (1965) 103-158, 265-332. 133 'Sententia contra Benedictum Papam decimumtertium in sua obedientia nuncupatum'. De vultu ejus ... salvis: HARDT IV 1373 f.; MANSI XXVII 1141 f., COD 3 413 f. - Vgl. FINKE, Forschungen (Anm. 1)213; ACC II 129 f. (Fillastre). 134 StAA, RA I A I Nr. 118. - Zum Aufenthalt Sigismunds in Aachen vom 24.11. bis 16.12.1416: Reg. Imp. XI/1 136-138. 131
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scheffen ind rait den Vorschlag, für den Fall, daß diese Geldsumme seitens der Stadt noch nicht ausgelöst sein sollte - off ir deme koifman neit bezailt in hait -, solange zu warten bis der Graf von Saarwerden in Aachen angekommen sei. Besonders aufschlußreich in diesem Zusammenhang ist die Mitteilung, daß der König die Zahlung einer bestimmten Geldsumme seitens des Bischofs von Lüttich, des Elekten Johann von Bayern135, zu erwarten habe, und der Graf von Saarwerden sowie Yvan van Cortenbach, Landkomtur von Altenbiesen, beauftragt seien, diese Gelder in Empfang zu nehmen, um daraus die Verpflichtungen des Königs gegenüber der Stadt Aachen zu begleichen. Diese Nachricht ergänzt die in Band F, fol. 45v, der "Reichs-Registraturbücher"136 Sigismunds überlieferte Mitteilung, daß der König am 19. Juli 1417 den Grafen von Saarwerden und den Landkomtur beauftragte, in seinem Namen Gelder einzunehmen, um davon die Forderungen der Stadt Basel über 8000 Gulden zu begleichen137, ohne daß dort freilich gesagt ist, wo und von wem diese Gelder zu erwarten waren. Daß Yvan van Cortenbach, der in mannigfachen Diensten des Bischofs von Lüttich stand138, zu den Beauftragten des Königs zählte, deutet darauf hin, daß er im Namen des Elekten die entsprechenden Verhandlungen am königlichen Hof zu führen hatte. Welch besonderen Anspruch finanzieller Art der König gegenüber Johann von Bayern geltend machte, ist freilich weder in einem entsprechenden Eintrag in dem genannten Band der "Reichs-Registraturbücher" noch in W. 412 gesagt139. Die hier vorgestellten Schreiben werfen nur wenige Schlaglichter auf bestimmte Vorgänge auf dem sich über vier Jahre hinziehenden Konzil von Konstanz, wenn sich auch manche Detailinformationen in ihnen erhalten haben, die sonst nicht oder nicht so überliefert sind. Für ihre Verfasser sind allerdings die Probleme des "Konziliarismus" ebensowenig ein Thema wie die Frage nach der Ökumenizität des Konzils, also der 'Repraesentatio ecclesiae'. Auch wird das Problem des "Konsenses" nicht thematisiert140, es wird lediglich im Rahmen der Geschäftsordnungsdebatte im Februar 1415 indirekt kurz angesprochen. Das Interesse der Gesandten und des Konzilsbeobachters der Reichsstadt Aachen gilt ebenfalls 135 Hierzu noch immer nicht überholt F. SCHNEIDER, Herzog Johann von Baiern. Erwählter Bischof von Lüttich und Graf von Holland. Ein Fürst und Staatsmann am Anfang des XV. Jahrhunderts (Histor. Studien 104) Berlin 1913 (ND 1965). 136 Zu ihnen ALTMANN, in: Reg. Imp. X/l, IV; vgl. auch L. BlTTNER, Gesamtinventar des Wiener Haus-, Hof- und Staatsarchivs I (Inventare Österreichischer Staatlicher Archive V/4) Wien 1936, 316-323, hier: 317. 137 Wien HHStA, Reichsregistraturbücher Sigismunds, F, fol. 45v; Reg. Imp. XI/1 Nr. 2477 S. 174. 138 SCHNEIDER, Herzog Johann von Baiern (Anm. 135) 135, 170; Cortenbach stand noch 1424 in seinem Dienst, nachdem Johann von Bayern (seit 1417) als Elekt zurückgetreten und die Herrschaft über die Grafschaft Holland übernommen hatte. 139 Vielleicht handelte es sich um Taxen, die im Rahmen der Erneuerung der alten Privilegien des Bistums und der Stadt Lüttich durch königliches Diplom vom 26.3.1417 zu zahlen waren. Hierzu: F. STRAVEN, Inventaire analytique et chronologique des archives de la ville de Saint-Trond, t. 1, Saint-Trond 1886, 179-183; E. BACHA, Catalogue des Actes de Jean de Bavière, in: Bulletin de la société d'art et d'histoire du diocèse de Liège 12 (1898) Nr. 81 S. 187. - Vgl. auch Reg. Imp. XI/1 Nr. 2144 S. 147. 140 Die hierzu für das Konzil von Basel vorgelegte beachtenswerte Untersuchung von J. WOHLMUTH, Verständigung in der Kirche untersucht an der Sprache des Konzils von Basel (Tübinger Theol. Studien 19) Mainz 1983, könnte als ein "Paradigma" für eine ähnliche Studie zum Konzil von Konstanz dienen.
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nicht den bedeutenden theologischen, kirchenpolitischen und politischen Grundsatzdebatten auf der Synode oder gar den ihren Verlauf maßgeblich bestimmenden großen Gestalten. Ihr Blick ist vielmehr in erster Linie auf die politischen und kirchenpolitischen "Ereignisse" gerichtet. Es sind dies im Rahmen der 'causa reformationis' die Bemühungen Sigismunds um den Land- und Reichsfrieden, wobei die Fragen der Kirchenreform überhaupt nicht zur Sprache kommen. Es sind dies hinsichtlich der 'causa unionis' die Absetzung des Pisaner Papstes Johannes XXIII. und sein weiteres Schicksal sowie der "Fall" Petrus de Luna und schließlich betreffend die 'causa fidei' die Geschehnisse um Johannes Hus und Hieronymus von Prag. Im Mittelpunkt aller vier Schreiben steht König Sigismund, der als die eigentlich zentrale Gestalt im Konzilgeschehen erscheint.
Anhang 1. Konstanz [1415] Februar [8] Johann Ellerborn - Johann Elreborne - und der Propst des St. Adalbertstiftes - der profst van sint Ailret [Johann Scherpseil] - an Bürgermeister, Schöffen und Rat der Stadt Aachen. Costans des vridais na sint Blasius dach. Sie berichten über die Vorgänge in Konstanz vom 3. bis zum 8. Februar und geben Kenntnis von den am Sonntag, dem 3. Februar (sundais na unser vrauwen dach), erfolgten Beratungen der Vertreter der deutschen Nation auf dem Konzil in der Abstimmungsfrage. Berichtet wird des weiteren über eine nicht datierte Zusammenkunft der Abgesandten der Städte, über die Schwierigkeiten, bereits bis Mittwoch, dem 6. Februar - des guesdais -, zur Generalsession des Konzils zusammenzutreten, und über die Bemühungen des Königs, Papst Johannes XXIII. zur Einberufung des Konzils zu veranlassen. - StAA, RA I W. 639. Sunderlingen lieve heren. Also wir uch geschreven haint, dat dat concilium gelengt was / bis des maindais na unser vrauwen dach, dar up laissen wir uch wissen, dat unse genedige / here der connic des sundais na unser vrauwen dach vergadert hadde die busschoffen ind / prelaten van der dczer nacien in eynre stoven ind die vorsten, heren ind des riichs / stede in der andere stoven. Ind saicht un alda, dat der poifs ind die kardenail / meinten, dat in dat concilium neyman gain in salde dana der paifs, kardenail ind / busschoff, ind die solden eitliche eyne stymme havenb. Ind want nu vele me busschoff in weilschen landen weren, dan in duytschen / landen, doch so were eyn busschoff in duitschen landen meichtiger ind riicher dan 20 / in weilschen landen, so were dat den duitschen landen eyn grois schade. Ind duchte eme / unredelich siin, want so in hedden die duitschen by deme concilium neit ze doin. Ind / dat man eme rede, wat he her zo doin solde, up dat herna neit gesaicht in worde, / dat duichzlant bie eme alsus versumpt were. Up deme rode wart gesaicht, dat / unmogelich ducht, dat der connic da by siin salde mit den koirfor[s]ten, ind wat van den / koirforsten gebreiche, da salde he an der vorsten in ere stat nemen, ind der paifs in salde / neit dar by siin. Ind alle busschoff ind kardenail, doctores ind ander prelaten solden dar / by siin. Ind man salde sich da ynne reichten na den veir nacien ind neit na der meisten / part, want eitliche nacie ind solde neit me dan eyne stymme haven, wie wail die eyne menre / were dan die ander. Ind dar up wart dat concilium verlengt dar na bis des guesdais. / Up deme guesdach in waren sii dis neit eyns, want die weyische nacie ginck zo dem / concilium ind der andere egeyne,
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so dat die dar äff neit in quam. Mer der connic geit / decke by dem paifs, so dat man meint, dat sii is wail eyns sint. Ouch saicht der connic / up dem selven sundach den Steden, alsulchen gebreiche als sii hedden, wanne dat concilium gehalden / were, dat sii bii dat dan vur den heren ind vorsten sagen wolden, he wolde sich alda beraden / ind dar zo helpen, dat sii alle des zo guden Vreden comen werden ind dar na gedenken, wie / he dat heiige riiche ze Vreden setze. Darup sint die stede by eyne geweist, ind wir haven / unse gebreiche da irzalt, so wie wir van uch gescheiden sint, desselven geliichz gebricht / ouch den anderen Steden. Wie id uns dar mit gain werde, des wissen wir noch neit. Ind in / is noch egeyn dach genumpt, wanne dat man dat concilium halden sole. Mer der connic is / sent guesdach alle dage bi dem paifs geweist, so dat man meint, dat dat concilium / kurtlichen gehalden sale werden. Ind wist bereit bescheitz van dem provenden wegen, / wir solden uns van danne machen neit anders up dese ziit. Got sii mit uch. Geschreven / ze Costans des vridais na sint Blasius dach. / Der profst van sint Ailbret ind Johann Elreborne. Ain die eirsame wise heren burgermeister, scheffen ind rait des conenclichen stoils van Aychen, unsen Heven heren inde vrunden. Dandum. * Es folgt kur durchgestrichen. Von ind bis haven mit Verweiszeichen über der Zeile.
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2. Konstanz [1415] Juni 8 Konrad von dem Eichhorn - Coen van deme Eychorn ritter - an Bürgermeister, Schöffen und Rat der Stadt Aachen. Costans, des eychten daeges in den broemont. Er berichtet über die Amtsabsetzung Johannes' XXIII. - Baltasar geheischen de Cossa - durch das Konzil und dessen weiteres Schicksal; er teilt sodann mit, daß der König in etwa vierzehn Tagen - van hude zu veyrtzyen daegen - nach Nizza aufbrechen und er selbst sich dessen Gefolge anschließen werde. Zwecks weiterer Unterrichtung der Stadt bittet er, Jacob van Stavel als Boten nach Nizza zu entsenden. Die Rede ist schließlich vom Schicksal des [Johannes] Hus - der Huiss - und des Hieronymus [von Prag] - Jeronimus - in Konstanz. - StAA, RA I W. 413. Mynen willigen dienst ind wat ich lieffs ind guyts vermach. Vurscreven / besunder lieve vrunde, ich senden uch mit diesen brief beslossen die / sentenciam depositionis, die overmitzs miinen heren den conninck ind des / gemeynen concilium wegen over den paes gegangen is, van worde zu worde / bescreven ind die copia van tzwen brieven, die der conninck van / Arrogoin unsen gnedigen heren deme conninck gesant hait ind hait / eme die tziit verlenget eynen moent lanck, also dat wyr czyen / verden van hude zu veyrtzyen daegen zu Nytzs wert, off got wilt. / Ind weyrt sache, dat yr Jacob van Stavel dar zu Nytzs senden wolt, / als ich uch vurgescreven hain, umb all Sachen zu verneinen, want / ich uch van danne egeyne boeden gesenden in kan. Vort so is Baltasar, / geheischen de Cossa, der paes was, van der stat, dae hee was, op eyn / slosse, dat des bisschofs van Costans is by der stat van Costans, gevurt / was, ind van danne hait eme miin here der conninck ind dat concilium / mit nacht vuren laissen, also dat nyeman in weys, woe hee bleven is. / Ouch so is der Huiss zu Costans ynne vur dat concilium bracht van / deme slosse, dae der paes op was, ind dae sande der conninck eyn buich / mit hertzoch Lodewich van Heydelberch ind mit deme burggreve / van Noerenberch, dat Huiss mit siinre hant gescreven hait, dat hee do / bekande. Dar op hiesch dat concilium van der bekentnesse sich machen / eyn instrument. Vort so hait hertzoch Johan van Beyeren van Heydelberch / deme concilium Jeronimum gesant mit ketten gebunden, ind
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den presentyerde / och hertzog Lodewich vurscreven van hertzog Johans wegen, siins broders, deme / vurscreven concilio, also dat die ritter ind knecht van Berne ain miinen hern / den conninck groisse bede stellen, umb den Huyss zu verloesen, dat ich / meyne, dat id nyet geschien in moege, hee in Jeronimus in muyssen beyde sterven. / Ouch so hait der paes was deme conninck eynen altzen sere guytlichen / brieff gesant, wes copia ich uch op diese tziit nyet gesenden in kan. / Nyet me zu dieser tziit mer wat ich nuyss vernemen werde, dat / wille ich uch mit den eyrsten boede scriven, dat ich kan. Ind hain / mich bas ain uch gequiit, dan etzlich van uren rode ain miir gedoen / haint, die uch bas gedient haint ind dienen moegen, dan ich in die miine / als sich dat wail ervenden sal, et cetera. Got si altziit mit uch. Gescreven / zu Costans des eychten daeges in den broemont under miinen secrete. / Coen van deme Eychorn ritter. Ain burgermeister, scheffen ind raet des kunnenclichen stuyls der stat van Aychen, mynen besunderen Heven vrunden. a
ouch gestrichen. 3. Konstanz [1416] Febr. 17
Ricolf van der Smitten, Kanoniker des St. Martin-Stiftes zu Lttttich - Ricolf vander Smitten, canonich der kirchen zoe siint Martiin van Ludich - an Schöffen und Rat der Stadt Aachen. Constans de 17 dages Februarii. Er berichtet auf Veranlassung des Dieners der Stadt namens Matthias Caster - ur diener Mathiis Caster, doe he nu lestwerf van uren vegen zoe Constans gesant was - über seine bisherigen Informationen betreffend die Reise des Königs nach Südfrankreich, über dessen erfolglose Bemühungen, Petrus de Luna - Petro de Luna, de sich paifs nennet -, also Benedikt XIII., zur Abdankung zu veranlassen, sowie über des Königs erfolgreiche Verhandlungen mit den Königen von Aragón, Kastilien und Navarra und mit den Grafen - hertogen - [von Foix und Armagnac] betreffend ihre Lösung von der Avignonesischen Obedienz. Er informiert über die Rückkehr der Konzilsgesandtschaft nach Konstanz, über die Einladung des Konzils an die genannten Könige und Grafen zur Teilnahme durch Gesandte, aber auch über die Absicht des Königs, nach Frankreich zu reisen, um zum Frieden zwischen Frankreich und England beizutragen. Schließlich wird erwähnt, daß der Bischof von Riga [Johann von Wallenrode] nach Preußen ziehen werde, um Frieden zwischen den Polen und dem Deutschen Orden zu schließen. StAA, RAI W. 411. Minen schuldigen ind villigen dienst vurscreven ind vat ich nu ind alleziit guitzs vermaich. Lieve heren, uch genüge / zu wissen, dat mich ur diener Mathiis Caster, doe he nu lestwerf van uren vegen zoe Constans gesant was, / sere bat, weirt sache, dat ich van oenses hern des connincx kumptzs of eynche sunderlinge sache icht verneme, / dat ich des nicht in leissen, ich in volde uch id schriben, dat ich doch schuldich bin zoe doen, of mich der selve / Mathiis dar umb nicht gebeden in hedde, want ich sither in uren dienst na miinre macht uch alleziit wil / bereyt siin. Her by, Heven heren, uch genüge zu wissen, dat oense here der conninc zoe Perpiniain ind in den landen / dar by mit Petro de Luna, de sich paifs nennet, sich langeziit sere gearbeyt hait, umb eyndreichticheyt der heilligen / kirchen zoe irverwen ind sunderlingen gerne gesien hedde, dat der selve Peter, de sich paifs heisschet, van sinen / paifsdum, dae he sich vermist, abe wolde laissen, des he in geynre wiis nicht doen in wilt. Ind is gewaren oep / eynen sunderlingen stercken slos in den merre oep eynre hoger steynroitzschen gelegen, dat eme zoe be-
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hoirt. Ind / seget, dat oense her got eyn mirakel gedain hait, dat siine widderpartyen abe gesät siint, want irre egeyn recht / paifs in was ind he eyn gewair hoift ind paifs der heylliger kirchen is. Quod induratum est cor Phar[a]onis. Ind sulligen / hy homelich gesaicht haint, dat he noch widder opt dat nuwe sine ambaciatores zu Romen gesant hait zoe / besien, of eme dy Romere obedienciam geven villen. Da hemilich vast oep gesaicht wirt, ist sache, dat he zoe Romen / kuimpt, eme solle obediencia der Romer ind Veneciaren, Florentiinre ind ouch des connincx van Neapels Verden, des / wir doch hier in consilio nicht in hoffen. Ouch so hadde der selve Peter, de sich paifs nennet, voermails sine amba-/ ciatores zoe Romen mit groissen gelde gesant, da dye selve ambaciatores der meichtichiste Romer eyn deil mit / gegolden hadden, dat sy deme anderen paifs der Romer obediencia verwen solden, wilche zoe den ziiden doe nicht / geschaffen in konden, want der legait cardinail van Bononien, de dar gesant was van oenses paifs, eyns was / Johannes, mit den commun van Romen dye ambaciatores verdreven ind sulligen Romeren, dy des anderen paifs partye / halden voldena, ere hove der abe deden halden, als ir licht vormails vail vernamen hait. Mer nu is des connincx wolck / van Neapels zoe Romen bennen ind haint den cardinail legait, de van oensen paifs b eyns vas Romen in helde, berouwet / ind siinen capitainum gevangen ind ouch so haint sy Romen van des selven connincx wegen ingenamen. Wat daer utzs / Verden wilt, des soellen wir vail geware verden. Voirt so siint des conciliums ambaciatores, dy zoe den paifs van / Aueram[!] mit oensen heren den conninc gereden waren, widder zoe Constans kamen ind haint in der groisser kirchen van Constans, / dae man dy sessiones zoe halden pleit, instromenta ind breve gelesen, da sich dri conninc, scilicet conninc van Arrogonien, conninc van / Castelle ind conninc van Nawarre, mit zwen hertzogen, dy des voergenanten paifs obediencia halden, hon verbonden / haint. Ist sache, dat ere paifs in eynre sicher ziit dy diese vurscreven brieve in halden nicht in resigniert siin paifsdom, / da he sich zoe vermist, so soellen dye selve conninc ind hertogen mit allen eren paifschafs in oenderseissen eme dye / obediencia abe trecken, also verre of he dar zoe gemaint wirt. Ind oense concilium sal 60 baden mit sinen vruntlichen / brieven zoe den connigen ind eren oenderseissen senden, dat sy zoe oensen consilium kamen villen, umb zoe machen / eyndreicheyt der heilliger kirchen, also als ir wail sien sollent in copy der articulen, dy dar oep gemaicht siint, dy / ich uch mit diesen brieve sende, so dat id noch eyne langeziit verden wilt, ere ver eyne paifs krigen mögen, / ind ouch noch langer, dan yman weint. Ind meynt dar umb, so denck ich, kurtzlich zoe huis zoe zien / of zoe Straisburch of anderswa, da id nicht also kostlich zoe zierren in is als hyer. Want ich noch nyman / in meynden, dat sich diese sache also lange vertrecket solde haben, da sich mennich sere umb verzeirt hait. / Ind wort so hait oense her der conninc deme consilium eynen brief gesant, den eme der conninc van Arrogonien geschreven / hait, dat he ind dy ander vorscreven conninc ind hertzogen mit eren onderseissen dy obediencia van honnen paifs getreckt / haint. Ind der busschof van Rige is kuirtlich van oensen heren den conninc kamen ind hait deme consilium van oenses / heren des connincx wegen gesaicht, dat der conninc zoe Vrancrich soele zien, vreidde zoe machen tusschen den Fransosen ind / Engeischen, ind de selve busschof sal kuirtzlich zu Polant ind Pruissen wert riden, umb ouch vrede tusschen / den Polenderen ind Pruissener zoe machen, den hon got verlene ind oens sinen ewygen Vreden. Got / gespa[i]re uch lancklivich in Vreden ind in eren. Gegeven zoe Constans de 17 dages Februarii. By mir Ricolf vander Smitten uren dyener, canonich der kirchen zoe siint Martiin van Ludich etcetera. Den erbaren inde wisen heren, scheffennen ind rait der conninclicher stat van Aachen. a b
Es folgt durchgestrichen dy. Mit Verweiszeichen über der Zeile eingefligt.
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4. Konstanz [1417] Juli [21] Konrad von dem Eichhorn und Johann Eilerborn - Conrait van dem Eychorne ritter ind Johan Elreborne - an Bürgermeister, Schöffen und Rat der Stadt Aachen. Costans des guesdais vur sint Jacobs dach Sie berichten über die Reise des Königs von Konstanz nach Meersburg nach dem gescheiterten Bemühen, mit den Kardinälen und dem Konzil zu einer Einigung in der Frage der Papstwahl zu gelangen. Sie informieren des weiteren über ihren dreitägigen Aufenthalt am königlichen Hof zu Meersburg und über ihre Verhandlungen mit dem Grafen [Ludwig XII.] von (Dettingen - greve van Oittyngen - und dem Grafen [Friedrich IV.] von Saarwerden[-Moers] - der greve van Sarwerten - betreffend die Auslösung einer seitens des Königs der Stadt Aachen geschuldeten Geldsumme und kündigen an, daß zu diesem Zweck der Graf von Saarwerden und der Landkomtur von Altenbiesen der lantcommendur van den Beyssen [Yvan von Cortenbach] - nach Aachen reisen werden. - StAA, RA I W. 412. Sunderlingen lieve heren. Wir lassen uch wissen, dat unse here der conninc van Constans ze Mersburch / die see up gevaren is ind in wilt neit widderumb comen, id in sii sache, dat dat concilium ind die / kardenele eyns werden, dat sii Petrum de Luna ontsetzen ind dan vort eynen poifs machen. Also dat / wir dar zo eme gevaren woren, umb unse ende zo irkrigen, ind haven 3 dage alda by eme gelegen ind / haven mit groser arbeit dat ende irkregen. Ind uns in kans up dese ziit neit me werden, dan uns / der greve van Oittyngen gesaicht hait ind ouch der greve van Sarwerten van des connincx wegen. Der / greve van Sarwerten sulle zer stunt heym zeyn ind sulle alda werffen, dat wir geloist solen werden. / Lieve heren, darup sult ir wissen, dat der greve van Sarwerten ind der lantcommendur van den Beyssen, / als wir verstanden haint, van des busschofs wegen van Lutche mit unsen heren den conninc gededunct haven, / also dat he eyne summe geltz deme conninc geven sole, ind mit deme gelde solen wir geloist werden. Ind off / ir deme koifman neit bezailt in hait, so moicht irt noch vertracken, want der greve van / Sarwerten, alse wir verstanden haven, selve wirt zo uch comen, so moicht ir un bidden, dat he uch / zen besten helpen wille, want wir eme ind ouch den lantcummendur dat selve gebeden haven. Ind dat / eirste dat wir mögen, so hoffen wir heym ze comen, als uch Thiis Caster wail sagen sal. Ouch lieve / heren, so in wissen wir uch van deme concilium neit ze schriven, dan id eyns dages sere guit was / ind die kardenaile hadden sich ze dem conninc irgeven, alle denck zo volenden, dar na des anderen dais / was id widderumb quoit. Ind man sait gemeynlich, dat Petrus de Luna etzlichen kardenelen grois / gelt sende, darumb dat allet gebrochen wirt, ind die van Kattelonien ind van Spanien helpen den / kardenelen, wat sii kunnen. Niet anders up dese zyt dan wir kurtlich hoffen heym ze comen, als uch / Thiis Caster ouch wail sagen sal. Got gespare uch lanklivich ind gesunt. Geschreven ze Costans / des guesdais vur sint Jacobs dach. Conrait van dem Eychorne ritter ind Johan Elreborne. Den errsamen, wisen heren burgermeisteren, scheffen ind rait des connincklichen stoils der stat van Aychen, unsen Heven heren ind vrunden. Dandum.
Henry Beaufort, Cardinal of England, and Anglo-papal Relations B Y MORIMICHI W A T A N A B E
The role which Henry Beaufort (c.1375-1447), Bishop of Winchester and later "Cardinal of England", played in English and European politics and his character as an ecclesiastical and secular leader have been variously interpreted by historians and commentators. In his famous book, The Constitutional History of England in Its Origin and Development, William Stubbs (1825-1901) wrote of Beaufort: "Beaufort had been the mainstay of his house; for fifty years he had held the strings of English policy, and done his best to maintain the welfare and honour of the nation. That he was ambitious, secular, little troubled with scruples, apt to make religious persecution a substitute for religious life and conversation; that he was imperious, impatient of control, ostentatious and greedy of honour, - these are faults which weigh very lightly against a great politician, if they be all that can be said against him ...">. Some other critics were closer in their estimates of Beaufort to William Shakespeare (1564-1616), who wrote in his King Henry Vof Beaufort: '... the haughty cardinal, More like a soldier than a man o' the church, As stout and proud as he were lord of all... 12 . K. H. Vickers, in his biography of Humphrey (1390-1447), Duke of Gloucester, who was Beaufort's great rival and enemy, criticized Beaufort: "As the legitimatised son of a royal prince, his birth had taught him to push himself forward. A man of great ability, he soon made himself a power that must be reckoned with ... As a man he was unscrupulous, imperious, and impatient of control; as an ecclesiastic, he was more ostentatious than clerical'^. G. L. Harriss, author of the most recent major study of Beaufort, seems to have swung back to a positive appraisal of Beaufort when he wrote the following: "Beaufort mainly impressed his contemporaries as a man of great wisdom, probity, and experience. His cast of mind was essentially political and legal, and he found little outlet in religion, learning, or the arts. He shared some of the military aptitudes of his brothers, and showed courage and resource at 1 W. STUBBS, The Constitutional History of England in Its Origin and Development, vol. 3, Oxford 2 1878, 139. 2 Cited in G. L. HARRISS, Cardinal Beaufort - Patriot or Usurer?, in: TRHS 5TH ser., vol. 20, Lon-
d o n 1970, 129-148, at 129. 3
K. H. VICKERS, Humphrey, Duke of Gloucester, London 1907, 105.
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moments of crisis. Although his own political career was beset with personal feuds, he was in considerable demand as a mediator in both private and political disputes. He brought patience, intelligence, and good humour to this, and to his diplomatic negotiations, and he similarly evoked confidence as an executor of wills and trusts"4. It is the purpose of this article to examine some of the problems related to the relationship of the Bishop of Winchester and Pope Martin V (1417-1431) and also to see how their relationship was increasingly affected by the crusades against the Hussites, which became intensified after the opening of the Council of Constance (1414-1418), and by the final phase of the Hundred Years' War (13371453). Before we discuss the role played by Bishop Beaufort in the politics of fifteenth-century England, it is important to describe briefly the changes in the English attitudes towards the Roman See that took place in the thirteenth and later centuries and some of the results of these developments. In examining Anglo-papal relations in the Middle Ages, there are two important areas that require our special attention and examination. The first one is the problem of clerical taxation, and the second deals with papal provisions. "Since the thirteenth century," one writer stated, "popes, like secular rulers, had experienced the difficulty of getting enough income to hold and administrate their realms"5. As a result, they began to experience a financial crisis before the end of the thirteenth century. During this period, the popes imposed taxation on many clerical incomes, especially for crusading purposes6. But the papal right to tax the English clergy began to be challenged. There were bitter protests to papal taxation in 1375 and 1376. It can be said that long before the fifteenth century, the pope's right to clerical taxation in England had been very much weakened7. Since the thirteenth century, papal provisions, the right to appoint clergy to English benefices, exercised a great influence in English politics, both ecclesiastical and secular, and elicited a strong objection in England8. Already in 12311232, there were anti-foreign demonstrations in England, which were mostly aimed at Italian clergymen who were brought to England as a result of the system of papal provisions9. The first formal attack on the system of papal provisions occurred in the Parliament of Carlisle in January 130710, and petitions against it 4
G. L. HARRISS, Cardinal Beaufort: A Study of Lancastrian Ascendancy and Decline, Oxford
1988,397. 5 F. R. H. DU BOULAY, The Fifteenth Century, in: The English Church and the Papacy in the Middle Ages, ed. C. H. LAWRENCE, New York 1965, 201. 6 M. H. KEEN, England in the Later Middle Ages: A Political History, London 1973, 203. 7 KEEN, England (note 6) 206. For a more detailed study of this topic, see J. T. ELLIS, Anti-papal Legislation in Medieval England (1066-1377), Washington 1930. Very useful for the study of the financial relations of the papacy with England in the later Middle Ages is W. E. LUNT, Financial Relations of the Papacy with England, 1327-1534 (Studies in Anglo-papal Relations during the Middle Ages 2) Cambridge/Mass. 1962. 8 DU BOULAY, The Fifteenth Century (note 5) 202. 9 H. MACKENZIE, The Anti-Foreign Movement in England, 1231-1232, in: Anniversary Essays in Medieval History by Students of Charles Homer Haskins, Boston-New York 1929, 183-203; ELLIS, Anti-papal Legislation (note 7) 57-62. 10 W. A. PANTIN, The English Church in the Fourteenth Century, Notre Dame 1962, 76, 82; KEEN, England (note 6) 211. The Statute of Carlisle is printed in H. GEE/ W. J. HARDY, Documents Illustrative of English Church History, London 1921, 92-95.
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were presented in 1343 and 1344. The pope's reaction to them was forceful and negative11. The impact of the Avignonese papacy (1309-1376) on Anglo-papal relations was not really deleterious before the outbreak of the Hundred Years' War. The war complicated the relations considerably and produced and strengthened antiFrench and jingoistic feelings in England, which contributed to the growth of anti-papal attitudes12. The Statute of'Provisors', passed in 1351, was followed by the Statute of'Praemunire' of 1353. The former was designed to check the practice of papal provisions and provided that "the king and other lords shall present into benefices of their own, and not the Bishop of Rome"13. By comparison, the latter was intended to protect rights claimed by the English crown against encroachment by the papacy. It forbade the withdrawals from England of cases which should be decided in the king's courts14. The Great Schism (1378-1417) in general strengthened the hand of the English king and made Anglo-papal relations easier and smoother15. But by the end of the fourteenth century, there was strong and widespread criticism of papal provisions, especially among the large mass of English public opinion. One commentator wrote: "... when the Roman popes whom England supported after 1378, and who needed all the support they could get, began to emphasize those claims [to papal provisions] ever more strongly in order to strengthen themselves, they were at the same time acting with astonishing lack of political sense"16.
11 ELLIS, Anti-papal Legislation (note 7) 107 f.; PANTIN, The English Church (note 10) 83. For the English opposition to papal provisions in 1342-1350 and the papal reaction, see LUNT, Financial Relations (note 7) 327-342. For a brief but excellent discussion of Anglo-papal relations in the fourteenth century, see W. A. PANTIN, The Fourteenth Century, in: The English Church and the Papacy in the Middle Ages (note 5) 159-194. 12 PANTIN, The English Church (note 10) 76, 81 f. 13 The Statute of'Provisors' was issued four times: in 1351, 1353, 1365 and 1389. About the first Statute of 1351, see W. W. CAPES, The English Church in the Fourteenth and Fifteenth Centuries (A History of the English Church 3) London 1920, 88-90; ELLIS, Anti-papal Legislation (note 7) 110 ff.; PANTIN, The English Church (note 10) 135; G. HOLMES, The Later Middle Ages 1272-1485, New York 1962, 172 n. 13; LUNT, Financial Relations (note 7) 342-351. The text of the last Statute of 1389, which recites the Statute of 1351, is printed in the Statutes of the Realm, II, London 1816, 69. Its English translation is found in GEE/ HARDY, Documents (note 10) 112-121 (No. XXXIX); its partial translation in H. BETTENSON (ed.), Documents of the Christian Church, London 1943, 233239. For the general background, see W. E. LUNT, Papal Revenues in the Middle Ages, 2 vols., New York 1934; G. BARRACLOUGH, Papal Provisions, Oxford 1935 (repr. 1971); C. DAVIES, The Statue of Provisors of 1351, in: History 38 (1953) 116-133. 14 The first Statute of'Praemunire' was issued in 1353 and confirmed in 1365. The text of the first Statute is printed in the Statutes of the Realm, I, London 1816, 329. Its English translation is found in GEE/ HARDY, Documents (note 10) 103 f. (No. XXXV); BETTENSON, Documents (note 13) 239242. See also CAPES, The English Church (note 13) 91 f.; W. T. WAUGH, The Great Statute of Praemunire, in: EHR 37 (1922) 173-205; E. B. GRAVES, The Legal Significance of the Statute of Praemunire, in: Haskins Anniversary Essays (note 9) 57-80. For the English translation of the second Statute of 1393, see GEE/ HARDY, Documents (note 10) 122-125 (No. XL), which is translated from the Statutes of the Realm II (note 13) 84. See also S. Z. EHLER/J. B. MORRALL (edd.), Church and State Through the Centuries, Westminster/ Maryland 1954, 101-104. 15 PANTIN, The English Church (note 10) 91; HOLMES, The Later Middle Ages (note 13) 173, 178; KEEN, England (note 6) 213. 16 DU BOULAY, The Fifteenth Century (note 5) 204.
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It is important to remember, however, that despite these manifestations of antipapal feelings, the English kings were on relatively friendly terms with the papacy, and that their criticism of the papacy did not amount to a rejection of papal spiritual authority17. In the fifteenth century, England looked much less to Rome than in the preceding centuries. One writer stated dramatically: "What was England to Englishmen in the fifteenth century? Three words await reflection: national, nationality, nationalism"18. Pope Martin V admitted that "it is not the pope but the king of England who governs the Church in his dominions"19. It is against these changes in Anglo-papal relations that we must examine the role that Henry Beaufort played in the politics of the fifteenth century. This is no place to discuss Beaufort's life and career in detail. For our purpose a short description of some important events in his life will suffice 20 : Born, according to tradition, at Castle Beaufort in Anjou in about 1375 as the illegitimate second son of John of Gaunt (1340-1399), Duke of Lancaster, and Catherine Swynford (f 1403), many years his mistress, Henry Beaufort was a half-brother of King Henry IV (1399-1413). He was educated at Peterhouse, Cambridge in 1388-1389 and at Queen's College, Oxford in 1390-1391 and 1392-139321. Legitimatized in 1397 after his parents' marriage in 1396, Beaufort served as chancellor at Oxford University for six years from 139722. Provided to the see of Lincoln in 1398, he was Bishop of Lincoln until 1404. Succeeding William of Wykeham (1324-1404) in 1404, he served as Bishop of Winchester until his death in 1447. On ascending the English throne in 1413, Henry V (1387-1422) appointed Beaufort as his chancellor, the position from which Beaufort resigned in August 1417, ostensibly to go on pilgrimage23. Arriving at the Council of Constance (1414-1418) on October 20, 1417, Beaufort played a major part in the election of Cardinal-Deacon Oddo Colonna as Martin V on November 11, 1417, St. Martin's 17 PANTIN, The English Church (note 10) 94; DU BOULAY, The Fifteenth Century (note 5) 205 f. For a discussion of the complex relations between Martin V and Henry V, especially in relation to Lancastrian France, see M. HARVEY, Martin V and Henry V, in: AHP 24 (1986) 49-70. 18 F. R. H. Du BOULAY, An Age of Ambition: English Society in the Later Middle Ages, New York 1970, 17. 19 Cited in KEEN, England (note 6) 202. Denys HAY discusses whether and when the phrase Ecclesia anglicana, which began to be used in the twelfth century, meant 'church in England', 'church of England' or 'Church of England' in his: The Church of England in the Later Middle Ages, in: History 53 (1968)35-50. 20 For recent studies of Beaufort's life, see A. TINDAL HART, The Rich Cardinal: The Life and Times of Henry Beaufort, Cardinal of England 1375/6 to 1447 [Privately Printed] 1985; HARR1SS, Cardinal Beaufort (note 4). The following two studies of Beaufort were not available to the author: L. B. RADFORD, Henry Beaufort, Bishop, Chancellor, Cardinal, London 1908, and G. L. HARRISS, Henry Beaufort, Cardinal of England, in: England in the Fifteenth Century, ed. D. WILLIAMS, Bury St. Edmunds 1987, 111-127. 21 TINDAL HART, The Rich Cardinal (note 20) 2; HARRISS, Cardinal Beaufort (note 4) 2. 22 TINDAL HART, The Rich Cardinal (note 20) 3; HARRISS, Cardinal Beaufort (note 4) 8. Beaufort is supposed to have studied canon and civil law at Aachen thereafter: TINDAL HART 2. But cf. A. EMDEN, A Biographical Register of the University of Oxford to A. D. 1500, vol. I, Oxford 1957, 140 (student at Oxford). 23 HARRISS, Cardinal Beaufort (note 4) 70, 91. About Henry V, there are two recent works: M. W. LABARGE, Henry V: The Cautious Conquerer, New York 1975; D. SEWARD, Henry V: The Scourge of God, New York 1988.
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Day . Although offered a red hat and made 'legatus a latere' on December 18, 1417 by the grateful new pope25, he was unable to accept these favors because of Henry V's displeasure and opposition26. Appointed in 1421 as one of the guardians of the young Henry VI (1421-1471), Beaufort acquired influence after Henry V's death in 1422, became chancellor again in 1424 and virtually ruled the country for the following two years27. After a serious quarrel in 1424-25 with Humphrey, Duke of Gloucester28, Henry V's youngest brother, Beaufort was driven from office on March 14, 1426 and went on a second "pilgrimage". Elevated to the cardinalate by Martin V on May 24, 1426, he joined the crusading army and led an unsuccessful attack on the Hussites at Tachov in 142729. His scheme to expand the crusading efforts and to raise an English crusading army in 1428 collapsed when John Talbot's army was defeated at Patay in 1429 by the French30. Beaufort later played a considerable part in English politics and foreign affairs, attending, for example, the Congress of Arras in 143531. Henry Beaufort died at his castle of Walvesey on Palm Sunday (April 11) in 144732. 24
J. HALLER, England und Rom unter Martin V., in: QFIAB 8 (1905) 250 f.; HARRISS, Cardinal Beaufort (note 4) 92-95, 250, 251. About the conclave of 1417, see M. LENZ, König Sigismund und Heinrich der Fünfte von England: ein Beitrag zur Geschichte der Zeit des Constanzer Concils, Berlin 1874, 172, 181-195; G. C. POWERS, Nationalism at the Council of Constance (1414-1418), Washington 1927, 146 f.; K. A. FINK, Die Wahl Martins V., in: Das Konzil von Konstanz. Beiträge zur seiner Geschichte und Theologie, hg. von A. FRANZEN/ W. MÜLLER, Freiburg etc. 1964, 138147. 25
K. B. McFARLANE, Henry V, Bishop Beaufort, and the Red Hat, 1417-1421, in: EHR 60 (1945) 316-348, at 316: "In December 1417 Bishop Henry Beaufort of Winchester, without first seeking the royal permission, accepted a cardinal's hat at the hands of Martin V."; HARRISS, Cardinal Beaufort (note 4) 94. 26 It was while Beaufort was at Constance that he hired the humanist Poggio Bracciolini (13801459), w h o lived in England from 1418 to 1422. For his letters from England to his friend Niccolò Niccoli, in which he often expressed unhappiness about his life in England, see: T w o Renaissance Book Hunters. The Letters of Poggius Bracciolini to Nicolaus de Niccolis, transl. by P. W. G. GORDAN, N e w York 1974, 31-77. See also E. WALSER, Poggius Florentinus. Leben und Werke, Berlin 1914, 71-83. About Beaufort's Greek doctor, Thomas Frank, see R. L. STOREY, Cardinal Beaufort's Greek Doctor, in: Nottingham Medieval Studies 29 (1985) 109-114. 27
On February 22, 1423 Beaufort was included among those envoys, who were "to go oversea on an embassy of the king to attend the General Council of Pavia", but there is no record of his going there. About the Council of Pavia-Siena, 1423-1424 and Beaufort, see W. BRANDMÜLLER, Das Konzil von Pavia-Siena 1423-1424, vol. 1 (Vorreformationsgeschichtl. Forschungen XVI/1) Münster 1 9 6 8 , 2 8 f., 33. 28 About Humphrey, see VICKERS, Humphrey (note 3). Humphrey's contribution to the Bodleian Library, Oxford is described in: Duke Humfrey and English Humanism in the Fifteenth Century: Catalogue of an Exhibition held in the Bodleian Library, Oxford, Oxford 1970. 29 For Beaufort's crusading activities in 1426, see K. SCHNITH, Kardinal Heinrich Beaufort und der Hussitenkrieg, in: Von Konstanz nach Trient. Festgabe flir August Franzen, ed. R. BÄUMER, München etc. 1972, 119-138; G. A. HOLMES, Cardinal Beaufort and the Crusade against the Hussites, in: EHR 88 (1973) 721-750. 30 HOLMES, Cardinal Beaufort and the Crusade (note 29) 741. 31 TINDAL HART, The Rich Cardinal (note 20) passim; HARRISS, Cardinal Beaufort (note 4) 241 f., 255 f., 271 f., 315 f. 32 TINDAL HART, The Rich Cardinal (note 20) 85; HARRISS, Cardinal Beaufort (note 4) 381. See also K. B. M c F ARLANE, At the Deathbed of Cardinal Beaufort, in: Studies in Medieval History Presented to F. W. Powicke, ed. R. W. HUNT et al., Oxford 1948, 405-428; R. QUIRCK, The Tomb of Cardinal Beaufort, Winchester 1954. On the so-called Albergati portrait, which many scholars now believe represents Beaufort himself, see M. VALE, Cardinal Henry Beaufort and the 'Albergati' Portrait, in: EHR 105 (1990) 337-354.
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It is now necessary to describe the attitude o f Pope Martin V to the English church in order to see the relationship between him and Beaufort. Martin V, to whose election on November 11, 1417, as we saw above, Henry Beaufort contributed a great deal, was determined to strengthen the papacy after the long period o f the Great Schism. Ludwig Pastor called him "the second founder o f the Papal Monarchy, and Restorer o f Rome" 33 . Himself a product o f the Roman nobility, Martin V was not friendly to the conciliar movement despite or because o f the fact that the decrees 'Haec Sancta' and 'Frequens' passed by the Council o f Constance had placed him under obligation to call a council in the near future34. His views on England were greatly affected by the fact that the Hussite heresy was closely related to the movement started by John Wycliffe (c. 1329-13 84) and that England, like Bohemia, was the incubator o f heresy and was responsible for the spread o f anti-papal elements in the fifteenth century35. Moreover England was to be criticized, in his opinion, for the passage and retention of the Statutes of 'Provisors' and the Statute of 'Praemunire' which together weakened the influence and power of the papacy in England. Martin V wanted nothing less than the repeal of these "offensive", anti-papal statutes36. In his attempts to bolster and strengthen the papal 'plenitudo potestatis' in England, Martin sent apostolic protonotary Heinrich Grenfeld 37 and papal collectors like Simon de Teramo and Giovanni de Obizzi 38 to England from Rome. When we remember that England had already had anti-foreign, especially antiItalian, movements in the late Middle Ages and that England had entered a period of "nationalism" in the fifteenth century, especially after the reign o f self-assertive and often ruthless Henry V, we can understand that Martin V's attempts did not go unchallenged and Anglo-papal relations entered a difficult period of discord and conflict. In order to understand the complex relations that began to develop between the papacy and England in the fifteenth century, we shall now turn to and analyze in more detail two periods from the life of Henry Beaufort. When Martin V elevated Bishop Beaufort of Winchester to the cardinalate on December 18, 1417, a little over a month after his own election as pope, and L. PASTOR, The History o f the Popes from the Close o f the Middle Ages, transl. by F. I. ANTROBUS, vol. I, London »1938 (repr. 1 9 6 9 ) 2 8 1 . 33
34 35
PASTOR, History (note 3 3 ) I 2 8 1 ; POWERS, Nationalism (note 2 4 ) 1 6 2 - 1 6 6 , 179. HARRISS, Cardinal Beaufort (note 4 ) 176.
HALLER, England und R o m (note 2 4 ) 2 5 3 , 2 7 5 . See also LUNT, Financial Relations (note 7 ) 4 1 8 427. 36
HALLER, England und R o m (note 2 4 ) 2 5 4 ; LUNT, Financial Relations (note 7 ) 4 1 8 ; HARVEY, Martin V und Henry V (note 17) 5 8 . Grenfeld went to England in 1 4 1 9 .
37
About Simon, who was sent in 1 4 2 1 , see HALLER, England und Rom (note 2 4 ) 2 5 5 , 2 6 4 ff.; VLCKERS, Humphrey (note 3 ) 139; GORDAN, T w o Renaissance B o o k Hunters (note 2 6 ) passim; W . BRANDMÜLLER, Simon de Lellis de Teramo: Ein Konsistorialadvokat a u f den Konzilien von Konstanz und Basel, in: A H C 12 ( 1 9 8 0 ) 2 2 9 - 2 6 8 (repr. in: W . BRANDMÜLLER, Papst und Konzil im Großen Schisma 1 3 7 8 - 1 4 3 1 . Studien und Quellen, Paderborn etc. 1990, 3 5 6 - 3 9 6 ) ; HARVEY, Martin V and Henry V (note 17) 6 2 - 6 4 ; M. HARVEY, The Benefice as Property: A n Aspect o f Anglopapal Relations during the Pontificate o f Martin V, 1417-31, in: The Church and Wealth (Studies in Church History 2 4 ) Oxford 1 9 8 7 , 1 6 1 - 1 7 3 , at 168; HARRISS, Cardinal Beaufort (note 4 ) 155. Obizzi, who c a m e to England in 1425 as Simon's successor and was imprisoned after April 2 0 , 1 4 2 7 and released on May 16, is discussed in HALLER, England und Rom (note 2 4 ) 2 6 6 ; TINDAL HART, The Rich Cardinal (note 2 0 ) 126; HARRISS, Cardinal Beaufort (note 4 ) 155. Martin V also provided Prospero Colonna, his nephew, to the archdeaconry o f Canterbury in 1 4 2 4 . See HALLER, England und R o m 2 6 5 f.; HARVEY, The Benefice 168; HARRISS, Cardinal Beaufort (note 4 ) 155.
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made Beaufort 'legatus a latere' for life in England, Wales, Ireland, and other lands under Henry V's rule beyond the sea39, his action was based not only on the indebtedness he felt towards the bishop, but also on the new pope's general policy of asserting the papal 'plenitudo potestatis' against the conciliarists and secular rulers. It was clear that the papal appointment was contrary to the Statute of 'Provisors'40. But in Martin's view, the Bishop of Winchester, who was an experienced, prudent ecclesiastical statesman, could be sent to England as his extraordinary and additional papal tax-collector. Beaufort was the king's uncle, his oldest and closest counselor41. After resigning as chancellor in 1417, Beaufort had left London as a pilgrim, but once he arrived in Ulm, an influential man like him could not possibly have remained uninvolved in the central drama of ecclesiastical politics that was taking place at the Council of Constance42. It is known that in some quarters in England there was a lively interest in the proceedings of the council. The attendance from England was correspondingly quite high, numbering "upwards of a hundred of Henry V's subjects"43. It has indeed been suggested that Beaufort's "pilgrimage" was merely the cover for a visit to Rome44, that Beaufort was interested in exploring the possibility of becoming a pope himself 45 , that Beaufort had come to Ulm carrying Henry V's secret commands directing the English delegates to secure a pope favorable to England46 and that favorably impressed by Beaufort's qualifications and not completely appreciative of the nationalistic developments in the English attitudes to the papacy, Martin V could not foresee the negative reaction of Henry V and Archbishop Chichele of Canterbury to Beaufort's appointment as a cardinal47. How Beaufort remained a bishop, but ceased to be a cardinal and a legate to England in the face of the king's aversion and hostility to Marin V's anti-English and unwelcome move and how the king killed the project "with so little fuss that it passed without mention in any contemporary chronicle" has already been studied carefully and illuminated well by the late K. B. McFarlane48. Even Martin V could not save Beaufort49. As a result of the Battle of Agincourt on October 25, 1415, Henry V had led England to a militarily invincible position, and his House of Lancaster had begun to enjoy the highest military and political prestige in Europe50. Was Bishop Beaufort prepared to become the pope's lieutenant in Eng39
MCFARLANE, Henry V (note 25) 317 f.; HARRISS, Cardinal Beaufort (note 4) 94. HARRISS, Cardinal Beaufort - Patriot or Usurer? (note 2) 142: "Beaufort had procured the cardinalate while retaining the see of Winchester, contrary to the Statute of Provisors." 41 MCFARLANE, Henry V (note 25) 316. 42 MCFARLANE, Henry V (note 25) 322 f.: "It is difficult to trace the bishop's itinerary in any detail during these critical months." 43 C. M. D. CROWDER, Correspondence between England and the Council of Constance, 1414-18, in: Studies in Church History, I, ed. C. W. DUGMORE/ C. DUGGAN, London 1964, 184-206, at 186. 44 TINDAL HART, The Rich Cardinal (note 20) 22, 104; HARRISS, Cardinal Beaufort (note 4) 98. Cf. MCFARLANE, Henry V (note 25) 340. 45 MCFARLANE, Henry V (note 25) 325, 346; TINDAL HART, The Rich Cardinal (note 20) 16, 87, 93, 105, 122; HARRISS, Cardinal Beaufort (note 4) 93. 46 TINDAL HART, The Rich Cardinal (note 20) 104 f. 47 MCFARLANE, Henry V (note 25) 317-320; HARRISS, Cardinal Beaufort (note 4) 95. 40
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MCFARLANE, H e n r y V ( n o t e 2 5 ) 3 1 6 - 3 4 8 .
MCFARLANE, Henry V (note 25) 346 f. HOLMES, Cardinal Beaufort and the Crusade (note 29) 723. On Aeneas Silvius Piccolomini's views of Henry V, see C. HEAD, Pope Pius II (Aeneas Silvius Piccolomini) as a Student of English 50
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land against his victorious and ruthless nephew who was an exponent of authoritarian kingship? Could the king tolerate disobedience when his vital interests were threatened51? If there was something constant in Beaufort's life and career that distinguished him, wasn't it his loyalty to and love of the House of Lancaster? The "Rich Cardinal", whose numerous loans to Henry V and Henry VI made it possible for the Lancastrian kings to carry on the Hundred Years' War, "was not primarily a merchant but a bishop of the royal blood"52. Henry V died suddenly at Vincennes on August 31, 1422, leaving nine-monthold Henry VI as heir to the throne. Did the ensuing unstable period of the new king's minority influence Anglo-papal relations significantly? What role did and could Henry Beaufort play53? After the death of Henry V, there were three who wielded much power and influence. They were his two brothers, the Dukes of Bedford and Gloucester, and the Bishop of Winchester. In the absence of the strong-willed king Henry V, Martin V was encouraged to pursue his goal of repealing the Statute of 'Provisors' more aggressively54. In order to accomplish this goal, Martin V made Henry Beaufort a cardinal for a second time in his bull of May 24, 142655. As we saw before, Beaufort had stepped down as chancellor on March 16, 1426, and received license to go on pilgrimage "beyond the sea" on May 14, 142656. It was as if he had anticipated his creation as a cardinal a little later. The rumors that he wanted to leave England for good may have been quite accurate57. Cardinal Giuliano Cesarini, Martin's ablest diplomatist and auditor of the camera, who had been sent to England on May 5, 1426 to work for the repeal of the Statutes, returned to Rome at the end of the year having completely failed in his mission and brought to Martin V the message that Beaufort was the pope's only real friend in England and that Archbishop Chichele was the center of opposition58. As a result, the pope took another step. On March 18, 1427, Beaufort was appointed 'legatus a latere' for the kingdoms of Bohemia, Hungary and Germany
History, in: AHP 9 (1971) 195-200. Aeneas mentions Beaufort in his works mostly in reference to King James I of Scotland and the Congress of Arras. 51 MCFARLANE, Henry V (note 25) 317, 318: "he [Martin V] showed remarkably little appreciation either of the strength of English prejudice or of the character of Henry V", 325, 338. HOLMES, The Later Middle Ages (note 13) 202: "Henry V [was] the greatest hero since the Black Prince near Poitiers." 52 So much has been written about the 'Rich Cardinal' that we refer here only to some useful recent discussions: HARRISS, Cardinal Beaufort - Patriot or Usurer? (note 2); TINDAL HART, The Rich Cardinal (note 20) 86-92; HARRISS, Cardinal Beaufort (note 4) 68-90, 401-406. 53 R. G. DAVIES, Martin V and the English Episcopate, in: EHR 92 (1977) 314: "Anglo-papal relations were basically good at the time of Henry V's death in August 1422." 5 4 HALLER, England und Rom (note 24) 259 f.; DAVIES, Martin V (note 53) 314 f., 339. See also HARVEY, The Benefice (note 38) 161: "One is bound to ask why Martin V was prepared to fight so fiercely, and part of the answer is 'fiscal pressure'." 5 5 HOLMES, Cardinal Beaufort and the Crusade (note 29) 721; TLNDAL HART, The Rich Cardinal (note 20) 45; HARRISS, Cardinal Beaufort (note 4) 152, 155 ff. 56 DAVIES, Martin V (note 53) 335 f. 57 DAVIES, Martin V (note 53) 336. 5 8 HOLMES, Cardinal Beaufort and the Crusade (note 29) 729 f.; HARRISS, Cardinal Beaufort (note 4) 155. See also HALLER, England und Rom (note 24) 270-274 for Cesarini's report. For Martin's letter of December 1426, in which he praised Beaufort for his defensione libertatis ecclesiastice as verum pugilem Romane ecclesie, see HALLER, England und Rom (note 24) 299 f.; cf. 261 n. 3.
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with the specific assignment of managing crusading efforts against the Hussites . Beaufort left England sometime in March 142760 and received the red hat in the presence of the Duke of Bedford, regent of France, at Calais on March 2561. The papal letter of appointment gave as the reasons for giving the task to Beaufort the magnitudo consilii et prudentiae which he had shown at the Council of Constance, the glory of the House of Lancaster, his wide experience of great affairs and his detachment from central European politics62. The significance of this extraordinary, unexpected assignment is understandable only in the light of Martin's attitude toward England and his continued desire to repeal the Statute of 'Provisors'. How this appointment was related to the attempts of a group of Swabian and Franconian princes, such as the Bishops of Bamberg and Würzburg, and Margrave Friedrich I of Brandenburg, to organize an expedition against the Hussites in 1427 has been discussed and analyzed63. Martin V was placing this German crusading expedition under Beaufort's supreme direction. When Beaufort, ever a negotiator, sent a conciliatory letter to the Hussites64 from Nürnberg on July 18, 1427, the military expedition was already in progress. Joining the advancing army on July 28, he tried to rally the German forces. His gallant act to raise a papal flag on a hill near Tachov on August 4 was a symbolic but ineffective gesture in view of the fact that the crusading army was already in retreat65. On October 25, 1427, Martin V proclaimed another crusade66. In the meantime, after the defeat of Tachov, Beaufort on his own authority issued at Nürnberg a call for an imperial diet (Reichstag) to be held at Frankfurt from November 16 to December 2, 1427. It was at this diet that an unprecedented scheme of general taxation, embracing both clergy and laity and young and old, was devised and adopted to collect the money by April 23, 1428 for an expedition against the Hussites under the command of Beaufort and Margrave Friedrich I of
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O. RAYNALDUS, Annales ecclesiastici, vol. 28, Lucca 1752, 49 § 1. See also HOLMES, Cardinal Beaufort and the Crusade (note 29) 721; DA VIES, Martin V (note 53) 336; SCHNITH, Kardinal Heinrich Beaufort (note 29) 123; TINDALHART, The Rich Cardinal (note 20) 123. 60 HALLER, England und Rom (note 24) 276; SCHNITH, Kardinal Heinrich Beaufort (note 29) 122. 61 SCHNITH, Kardinal Heinrich Beaufort (note 29) 122; HOLMES, Cardinal Beaufort and the Crusade (note 29) 722; DAVIES, Martin V (note 53) 340; HARRISS, Cardinal Beaufort (note 4) 174. 62 RAYNALDUS, Annales 28 (note 59) 53 § 9. See also SCHNITH, Kardinal Heinrich Beaufort (note 29) 123; HOLMES, Cardinal Beaufort and the Crusade (note 29) 722 f.; TINDAL HART, The Rich Cardinal (note 20) 45; HARRISS, Cardinal Beaufort (note 4) 175. 63 F. M. BARTOÄ, An English Cardinal and the Hussite Revolution, in: Communio viatorum 6 (1963) 52-54; SCHNITH, Kardinal Heinrich Beaufort (note 29). See RTA IX nr. 76. 64 SCHNITH, Kardinal Heinrich Beaufort (note 29) 123; HOLMES, Cardinal Beaufort and the Crusade (note 29) 723; TINDAL HART, The Rich Cardinal (note 20) 118. About this letter, see BARTOS, An English Cardinal (note 63) 47-52 and the text of the letter on 52 ff. 65 HALLER, England und Rom (note 24) 299; HOLMES, Cardinal Beaufort and the Crusade (note 29) 723; TINDAL HART, The Rich Cardinal (note 20) 118; HARRISS, Cardinal Beaufort (note 4) 175. About this phase of the expedition, see an insightful discussion in F. G. HEYMANN, The Crusades against the Hussites, in: A History of the Crusades, ed. K. M. SETTON, vol. ILL: The Fourteenth and Fifteenth Centuries, ed. H. W. HAZARD, Madison 1975, 614-618. Utilizing Friedrich I's report on raising the flag, HEYMANN wrote on 616 f.: "Nevertheless the Cardinal, believing deeply in the righteousness of the crusade and desperate in the face of defeat, tried to save his cause by displaying the papal banner." 66 LUNT, Financial Relations (note 7) 126.
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Brandenburg . Because of the reluctance of all concerned to commit themselves to the scheme, further meetings had to be held at Heidelberg from December 31, 1427 to January 6, 1428«». But, frustrated and discouraged by the fragmentation and ineffectiveness of the German princes, Cardinal Beaufort decided to broaden the basis of the crusade and to seek military support from north-western Europe. Sometime after the beginning of 1428 he left Germany and, as in 1419-1420, "disappeared", saying that "we intend to absent ourselves for some time from these parts of Germany"69. Although he apparently stayed on the Continent for a while, his exact itinerary is not known. It is undoubtedly during this time that he was in Trier and reformed the statutes of the cathedral chapter in cooperation with Otto von Ziegenhain, Archbishop of Trier (1418-1430) 70 . When Martin V renewed his commission to Beaufort as a legate on March 18, 142871, his intention was to effect what one historian called "a curious episode in English history, an attempt to raise a crusading army in England to fight against the Hussites"72. He also charged Beaufort with the preaching of a crusade in England. Thus the new crusade plan inaugurated a new phase in Anglo-papal relations. Another commentator was more forceful when he stated that the intrusion of a cardinal and 'legatus a latere' into English affairs at that time was "an effrontery to the hostile political world of England"73. In 1428 the royal council had enough trouble to raise money for the continuation of the Hundred Years' War. Considering the difficulties facing the country, it is remarkable that Beaufort, who presented the council with a memorandum on June 18, 1429, received permission to organize a crusading army,
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About the imperial diet at Frankfurt, see RTA IX p. 58-63, 65-123. The Reichskriegssteuergesetz is discussed on 85-112. See also SCHNITH, Kardinal Heinrich Beaufort (note 29) 119 f., 124 f., 127 f.; HOLMES, Cardinal Beaufort and the Crusade (note 29) 724; TINDAL HART, The Rich Cardinal (note 20) 119; HARRISS, Cardinal Beaufort (note 4) 175. 68 SCHNITH, Kardinal Heinrich Beaufort (note 29) 124; HOLMES, Cardinal Beaufort and the Crusade (note 29) 725; HARRISS, Cardinal Beaufort (note 4) 175. 69 Cf. TINDAL HART, The Rich Cardinal (note 20) 119. 70 About our knowledge of his whereabouts during this time, see McFARLANE, Henry V (note 25) 343: "Beaufort's whereabouts during the second half of 1420 can be traced but intermittently"; HOLMES, Cardinal Beaufort and the Crusade (note 29) 725, 733 f.; TINDAL HART, The Rich Cardinal (note 20) 24: "During 1420 Beaufort's whereabouts are uncertain". On his reform statutes in Trier, see C. STENZ (ed.), Die Trierer Kurfürsten, Mainz 1937, 41; G. KENTENICH, Geschichte der Stadt Trier, Trier 1915 (repr. 1979) 237; Die Taten der Trierer: Gesta Treverorum, ed. by E. ZENZ, vol. 6, Trier 1962, 20. Both Stenz and Kentenich say that Beaufort was in Trier in 1427, while 'Die Taten' noted Beaufort's presence in Trier in 1428 "mit einer Menge Gelehrter". See also HARRISS, Cardinal Beaufort (note 4) 175, n. 28, where Trier Stadtbibliothek MS 1666/353 is mentioned. The relationship between Beaufort and Archbishop Otto von Ziegenhain must be studied further. It is known that Otto led his army toward Stfibro before the defeat of the crusading army at Tachov in 1427. 71 LUNT, Financial Relations (note 7) 563; SCHNITH, Kardinal Heinrich Beaufort (note 29) 133; HOLMES, Cardinal Beaufort and the Crusade (note 29) 726; DAVIES, Martin V (note 53) 342; TINDAL HART, The Rich Cardinal (note 20) 119. 72 HOLMES, Cardinal Beaufort and the Crusade (note 29) 721. See also ibid. 726 f.; HARRISS, Cardinal Beaufort (note 4) 176. 73 HOLMES, Cardinal Beaufort and the Crusade (note 29) 750. See also ibid. 733, 749: "It had been a strange plan to put an English bishop in charge of an army in central Europe and stranger still for him to plan to bring the army from England"; DAVIES, Martin V (note 53) 342: "The pope acted with vigour, and indeed spiritedly, in the matter of the 'crusade' which, in 1428, Beaufort was commissioned to raise in England against the Hussites."
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although it had to remain under the conditions imposed by the council . Thus the English crusading army which Beaufort was raising was planned and placed strictly within the general political and military framework of the country75. Bedford was adamant that no soldier serving in Lancastrian France should be diverted to Beaufort's army. It is not surprising that the council became increasingly reluctant to divert troops from the Continent where the appearance of Joan of Arc (1412-1431) in 1429 had drastically changed the military scene and that after the defeat of the army of Lords Talbot and Scales at Patay on June 18, 1429, it finally refused to support Beaufort's army against the Hussites. A full-scale French attack upon Paris or advancement into Normandy was now a possibility76. Beaufort had to allow his army to be taken over by Bedford. It became a part of the forces in France in July 1429. The complete collapse of Beaufort's scheme to raise a new crusading army in England was attributable not so much to his personal weakness or lack of leadership as to a combination of political and military factors related to the gradually weakening position of the English army in Lancastrian Normandy towards the end of the Hundred Years' War. Disappointed and angered, Martin V wrote a letter on August 11, 1429, expressing his dismay and shock77. His sympathies swung thereafter towards Charles VII of France. The only excuse Beaufort could offer to the pope was that his troops would not have followed him to Bohemia78. Beaufort's choice was either Martin V or Duke of Bedford79. He chose the latter. The choice ended a long period of cooperation and negotiation between the pope and England under the guidance of the Bishop of Winchester, Duke of Bedford and others. "It also marked the end of Martin's trust in Beaufort and ended his career in papal service"80. In assessing the role which Henry Beaufort played in the development of Anglo-papal relations, it is important to consider it in the context of Europe as a whole and especially of the Hundred Years' War. Lancastrian kings, who were very orthodox, only wished to remain on good terms with the papacy. Henry V's S C H N I T H , (Cardinal Heinrich Beaufort (note 29) 135; H O L M E S , Cardinal Beaufort and the Crusade (note 29) 738-741; H A R R I S S , Cardinal Beaufort (note 4) 175-181. For a discussion of indulgences related to the crusade against the Hussites in 1427-1431, see LUNT, Financial Relations (note 7) 562-570. On Beaufort's Petitiones H. Cardinalis, ex parte Papae, pro Expeditione Cruciatae contra Bohemos; ac Indentura de Appunctuamentis inde conflcta, see T. R Y M E R , Foedera, conventiones, et litterae, 20 vols., London 1727-1735: X 419-422. 75 SCHNITH, Kardinal Heinrich Beaufort (note 29) 136. 76 H O L M E S , The Later Middle Ages (note 13) 206; H O L M E S , Cardinal Beaufort and the Crusade (note 29) 741 f.; C. T. ALLAND, Lancastrian Normandy. The History of a Medieval Occupation, Oxford 1983,33. 77 S C H N I T H , Kardinal Heinrich Beaufort (note 2 9 ) 1 3 7 ; H O L M E S , Cardinal Beaufort and the Crusade (note 2 9 ) 7 4 1 ; D A V I E S , Martin V (note 5 3 ) 3 4 2 f., at 3 4 3 : "Martin had no reason to quarrel with England, desired no wrangle, and did not expect the English episcopal hierarchy to be subservient. But, in his view, the Statute itself was so offensive as to imply a total and unforgivable rejection of papal authority. He was unable to appreciate how the Statute of Provisors had originated, which was not from any contempt of papal authority but rather from a recognition of its validity"; H A R R I S S , Cardinal Beaufort (note 4) 188. 78 S C H N I T H , Kardinal Heinrich Beaufort (note 2 9 ) 1 3 7 ; H A R R I S S , Cardinal Beaufort (note 4 ) 1 3 5 . 79 H A R R I S S , Cardinal Beaufort (note 4 ) 1 8 5 . 80 S C H N I T H , Kardinal Heinrich Beaufort (note 29) 137; H A R R I S S , Cardinal Beaufort (note 4) 184, 189. 74
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ultimate objectives were not only to win recognition of his title to the French throne, but also to enlist the pope's help against the French. It was obvious to Henry that he should not antagonize the pope. Martin V on his part had no reason to quarrel with English kings, except that, in his opinion, the "obnoxious" Statute of 'Provisors' stood as a hindrance to the restoration of the "pristine liberty of the Church in England"81. But even seen from this point of view, Anglo-papal relations were no worse than Franco-papal relations. The French were also working on the problem of the "liberties of the Gallican church" at that time, which resulted in the Pragmatic Sanction of Bourges in 143882. Neither Martin V nor Henry V thought only in terms of Anglo-papal relations. It was clear that in regard to the relations of the papacy and England, Henry V needed Martin V just as much as Martin V needed Henry V. Henry V, however, was very much interested in defending the Church in England. It is true that he gave a vague promise to Martin V that he would look into the matter of the Statute of 'Provisors'83. But he made it clear to the pope that the Statute could not be changed or repealed without the consent of the estates. Martin V interpreted Henry's gesture optimistically and was led to work harder for a repeal of the Statute. Unfortunately for the pope, during the minority of Henry VI, the English and the conciliar government became more xenophobic than before and were ready to defend the Statute84. Looking back, it can be stated that Martin V wanted to use Henry Beaufort as a useful instrument in restoring papal authority in England. Because of his own Roman ambitions, Beaufort himself took an active interest and part in the events surrounding Rome and also in waging war against the Hussites. But the English defeats at the hands of Joan of Arc forced Beaufort to sacrifice his army raised laboriously in England to fight the Hussites and send his troops to the Continent to join Bedford's army85. Orthodox as he was in religion and supportive of Martin V in ecclesiastical politics, Cardinal Beaufort, who was essentially a patriot and a loyal member of the House of Lancaster, chose to stay with the English. Haller stated that Martin V's endeavor ended with "a complete failure"86, and according to Lunt, "the surrender of Martin V proved to be permanent"87. It was clear that a new period began in the relations of the papacy and England even before the arrival of Henry VIII (1491-1547). I should like to express my gratitude to Prof. Dr. Erich Meuthen for the encouragement which he gave me when I expressed my interest in Henry Beaufort many years ago. He kindly placed his collection of pertinent data at my disposal.
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HARVEY, Martin V (note 17) 70; TLNDAL HART, The Rich Cardinal (note 20) 110; HARRISS, Cardinal Beaufort (note 4) 95. 82 HARVEY, Martin V (note 17) 70. 83 TLNDAL HART, The Rich Cardinal (note 20) 94. 84 HOLMES, Cardinal Beaufort and the Crusade (note 29) 729; TlNDAL HART, The Rich Cardinal (note 20) 31, 44, 138. 85 TINDAL HART, The Rich Cardinal (note 20) 87. 86 HALLER, England und Rom (note 24) 249. 87 LUNT, Financial Relations (note 7) 427.
Diplomacy, Doctrine and the Disintegration of an Idea into Politics BY ANTONY BLACK Historians of the Council of Basle are fortunate in possessing remarkably vivid and detailed eye-witness records, as well as a mass of private correspondence, confidential memoranda, official documents and treatises. Chief among these are the Council's own notarial record of the years 1432-38 (by Pierre Brunet), 143839 and 1440-43' (by Jacob Hiiglin) and Juan de Segovia's 'Historia actorum generalis synodi Basiliensis'2. Segovia was present from 1432 until the end; in 1441 he was appointed to oversee the collection of material for an 'authentic' history of the council3. Many incidents and behind-the-scenes negotiations are related by Enea Silvio Piccolomini in his letters and occasional writings, especially his 'De Gestis Concilii Basiliensis Commentariorum libri duo', which deals with the events surrounding the deposition of Pope Eugenius IV in 14394. The contrast between the lapidary reports of Hiiglin, Segovia's ponderous reconstruction of arguments and counter-arguments and Piccolomini's spicy classicist narrative makes their agreement on most points striking. I cannot share Haller's suspicion of Piccolomini's accuracy5; although he inserts detail not found elsewhere, there seems no reason to think he invented things. Such material enables us to form a coherent picture of what happened. The overall interpretation of events, however, remains in dispute. In particular, how does one interpret the motives of the Basle majority of conciliarists, and of the supporters of Eugenius? This becomes connected with the question of why the Council failed: why did it decline from its peak in 1433-34, when it commanded the support of most of Europe, to its miserable impotence in the 1440's? This in turn is related to the unhappy fate of the whole attempt to 'reform' the medieval church by means of representative councils. For it is clear that whatever happened to Basle dragged this enterprise down with it. The conciliarist programme never again had real credibility. The conciliarists themselves believed that the senior clergy had been seduced by papal bribes, and the secular powers appeased by cunning diplomacy6. Roman Catholic historians such as Noel Valois have tended to see conciliarism as a cloak for the selfish interests of secular rulers desiring to take over the material assets, and perhaps the spiritual power, of the church, and the Basle conciliarists them1 CB II-IV, VI, VII. See also E. DELARUELLE/ E.-R. LABANDE/ P. OURLIAC, L'Église au temps du Grand Schisme et de la crise conciliaire (1378-1449) (Histoire de l'Église 14) Paris 1962 (repr. 1985) 227 f. n.; A. MEIJKNECHT, Le concile de Bâle: aperçu général sur ses sources, in: RHE 65 (1970)465-473. 2 MC II-III. See also documents published in MANSI XXVII-XXXII; suppl. vol. IV-V. 3 CB VII 363. 4 Ed. and translated by D. HAY/ W.SMITH, Oxford 2 1992. Among his numerous other works, see especially: Der Briefwechsel des Eneas Silvius Piccolomini, vol. I 1-2, II, ed. R. WOLKAN (FRA 61-62,
67) Wien 1909-12. 5 6
CB I 12-17. Segovia in: MC III 949.
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selves as a bigoted faction, either subservient to those rulers, or merely self-interested small men7. Johannes Haller argued that both conciliar and papal supporters were caught up in an underlying trend towards greater state power, and that the chief actors on the conciliar side were not ignorant of this; in other words, this was the ultimate motive which makes sense of their actions 8 .1 believe that these interpretations contain some truth but miss the point. Against Haller it must be pointed out that from 1438 onwards, if not before, the leaders of the conciliarist party acted in defiance of the major secular powers and thus destroyed a large part of their own power base, namely the support of a great many French and German prelates. Rather, we are faced with a fascinating connection between theory and practice: conciliarists needed secular support, but their principles forbade them to use it except on their own, ecclesiastical terms. Their 'failure' was partly due to their refusal to compromise. But there was more to it than that. I will consider three episodes for which we have remarkably good sources: the debate on the presidency (chairmanship) of the Council in February-March 1434; the renascence of papal diplomacy during 1435-37; and the trial and deposition of Eugenius IV in March-May 14399. After the bitter struggle from December 1431 to December 1433, the Pope had finally capitulated and agreed to recognise Basle as a legitimate council. This was the moment when most people thought something could really be achieved. It seemed that the Council, the great secular princes, especially the respected emperor-elect Sigismund, and the Roman curia itself might at last cooperate to pacify the Hussites and reform the church. What actually happened was that the struggle between Eugenius and the Basle majority was transferred to the floor of the Council. Eugenius sent three legates as co-presidents of the Council alongside Cardinal Cesarini (the elected chairman of the Council). The majority resisted this as an attempt to reassert papal supremacy over conciliar proceedings. The result was a debate about ecclesiology which must have been largely incomprehensible to statesmen, but which made sense if one's chief aim was to subordinate pope to council. A special commission was set up to consider the matter, and between 15th and rd 23 February 1434 it considered three options: to reject the legates, to accept them on Eugenius' authority, or to accept them as honorary co-presidents without coercive jurisdiction. This last was the compromise advocated by Sigismund and Cesarini10. Most speakers urged rejection, although this may be exaggerated in Segovia's account. In the speeches he records, people were arguing not just about 7
N. VALOIS, Le pape et le concile (1378-1450). La crise religieuse du XV E siecle, vol. 2, Paris
1909. 8
J. HALLER, Die Kirchenreform auf dem Konzil zu Basel, in: Korrespondenzblatt des Gesamtvereins der deutschen Geschichts- und Altertumsvereine 58 (1910) 9-26, at 25 f.; see also H. MÜLLER, Die Franzosen, Frankreich und das Basler Konzil (1431-1449), 2 vols., Paderborn etc. 1990. 9 There is no up-to-date general history of the Council. The best general studies are J. HELMRATH, Das Basler Konzil. Forschungsstand und Probleme (KHA 32) Köln-Wien 1987; J. STIEBER, Pope Eugenius IV, the Council of Basel and the Secular and Ecclesiastical Authorities of the Empire (SHCT13) Leiden 1978; E. MEUTHEN, Das Basler Konzil als Forschungsproblem der europäischen Geschichte (Rhein.-Westf. Akad. der Wiss., Geisteswissenschaften; Vorträge G 274) Opladen 1985. 10 MC II 602-636; CB III 28, 30, 37. On Cesarini see W. KRÄMER, Konsens und Rezeption. Verfassungsprinzipien der Kirche im Basler Konziliarismus (Beiträge zur Geschichte der Philosophie und Theologie des Mittelalters, NF 19) Münster 1980, 125-165.
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how chairmen of councils should be appointed, but principally about whether a council's powers were unrestricted, so that it did not have to share power with a pope, and above all so that it could implement its decrees by setting up its own executive machinery11. That they did argue this is credible because this right of enforcement remained a key issue. When Eugenius was suspended from the papal office in 1432-33, the Council set up its own judicial and administrative organs, and it was the not unreasonable view of many conciliarists that reform could only be achieved if the Council itself controlled the means of implementing its own decrees. In Segovia's account, acceptance of legates on their own terms was argued only by two Dominican theologians, Giovanni de Montenigro and Juan de Torquemada12. The case for compromise was put first by Cesarini at the opening of the debate, and then on the fifth day by Nicholas of Cusa and an anonymous prior of St-Benigne in Dijon. Cusa, the unknown prior and several others, circulated their opinions in writing13. His witty speech was an application of the ecclesiology of the 'De Concordantia Catholica', to our understanding of which Professor Erich Meuthen has made such signal contributions14. This postulated exactly that cooperation between council and pope that one might have hoped for but that was never achieved. The commission decided by a majority for rejection; this was confirmed by a general assembly of the Council on February 24th. But when Sigismund was informed, he threatened to withdraw the Council's safe-conduct. After further controversy, Cesarini's compromise was adopted (26th April 1434)15. This debate showed how strongly the majority adhered to the programme of conciliar supremacy as their priority, and the importance they attached to the ecclesiology underlying this, not least the collegiate principles of communal self-government16. It showed how superficial was the reconciliation between Basle and Eugenius. Finally, it indicated the stance of major secular powers, aiming at a balance of power between pope and council. This could be based on ecclesiology but it could also justify rulers going their own way and ignoring both clerical parties. What emerges from this debate is that the conciliarists were unwilling to tolerate any dilution of the principle of conciliar sovereignty. Such an attitude was barely comprehensible to secular authorities such as Sigismund, whose ecclesiastical ambition was to lead a united and reformed Ecclesia, and to pacify the 11 MC II 606-616. On the ecclesiology of this period see KRÄMER, Konsens (note 10); H. J. SIEBEN, Traktate und Theorien zum Konzil. Vom Beginn des Grossen Schismas bis zum Vorabend der Reformation (1378-1521) (Frankfurter Theol. Studien 30) Frankfurt/M. 1983; A. BLACK, Council and Commune: the conciliar movement and the fifteenth-century heritage, London 1979. 12 MC II 611,614. 13 Cusa's 'De auctoritate presidendi in generali concilio' and the Dijon Prior's 'De auctoritate presidendi' are ed. by G. KALLEN, Cusanus-Texte 2 (SB der Heidelberger Akad. der Wiss. Phil.-hist. Kl., 1935/36 n. 3) Heidelberg 1935, 10-35 and 92-103 respectively. 14 Among his many works, see especially E. MEUTHEN, Konsens bei Nikolaus von Kues und im Kirchenverständnis des 15. Jahrhunderts, in: Politik und Konfession. Festschrift Konrad Repgen, ed. D. ALBRECHT etc., Berlin 1983, 11-29. 15 MC II 649 f.; MANSI XXIX 90. 16 Note especially the outburst of cardinal Alfonsus de Carrillo: se fuisse in multis notabilibus collegiis, quia canonicus in capitulis ecclesiarum cathedralium, quia doctor in collegiis doctorum, quia regum consiliarius in consiliis eorum, quia cardinalis in sacro cardinalium collegio, in quibus illud semper vidisset experientia observatum ... minorem partem cedere (maiori) ... alias nunquam finis esset actionum universitatis cuiuscunque: MC II 629.
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Hussites. It was these authorities who up till now had made the Council successful. It is not surprising that from now on a split developed within the Council, not only between supporters of papal and of conciliar supremacy, but among the Council's own former supporters. It was this division and the causes that lay behind it, which proved fatal to Basle. It was deepened by the reform programme which, since it involved both principles and property or income, pitted sectional interests against each other17. But an entirely new dimension was given to the split by the emergence of the question of reunion with the Greek church. The Greeks, desperate for military help, and willing to negotiate reunion as the price, had sent an embassy to Rome in 1433. In 1434 Basle opened its own negotiations with them; Eugenius acquiesced, and a Greek embassy visited Basle. The salient question became where to hold a council of Greeks and Latins, and this reopened a running controversy between supporters of pope and council. Both Constance and Basle had been chosen as free imperial cities where council members would be free from harassment by papal troops. Siena (1423-24) suggested what happened when councils were held in Italy. It was sheer geographical bad luck for conciliarists that the Greeks found a venue in Italy a satisfactory compromise between their preferred Constantinople and Basle's suggestions of Vienna, Buda, somewhere in Savoy or Basle itself. But the Basle majority18 compounded their bad luck by inept and high-handed diplomacy. They withdrew their list of choices for a venue before either the Greeks or Eugenius had even responded. This was partly because they were short of funds, for they proceeded to propose a n y city that would supply 70 000 ducats. They had hoped that Avignon would oblige; but when (as might have been anticipated) offers came from Venice, Milan and Florence, the council withdrew this proposal as well (even though Milan was one of its strongest secular allies). Eugenius now was able to persuade the Greeks to come to Italy19. He was now in a position to propose transferring the existing Council to a place much more favourable to his own interests on unimpeachable moral grounds: the healing of the ancient schism. Several senior prelates of high repute, such as Cesarini, and other important figures who had hitherto not favoured Eugenius' manoeuvres, such as Cusa, now found themselves in agreement with the old adversary. This was the background to the infamous simultaneous proclamation of two decrees, one transferring the Council to Ferrara, the other keeping it at Basle, on 7th May 1437. These decrees were supported by a pro-Eugenian minority, with a majority of prelates so that it could claim to be the 'sanior pars concilii', and by a proBaslean majority respectively. These two groups had been crystallising for about two years. They were becoming divided not only by ecclesiology and policy but by culture and national sentiment. If Piccolomini, when still pro-Baslean, de17
R. ZWÖLFER, Die Reform der Kirchenverfassung auf dem Konzil zu Basel, in: BZGA 28 (1929) 144-247 and 29(1930)2-58. 18 On the composition of the Council and its groups, see P. OURLIAC, La sociologie du concile de Bâle, in: RHE 66 (1961) 2-32 (repr. in P. OURLIAC, Études d'histoire du droit médiéval, t. I, Paris 1979, 331-355); L. BILDERBACK, The Membership of the Council of Basle, Diss. Washington D.C. 1966 (Microfilm: Ann Arbor 66-7868); HELMRATH, Basler Konzil (note 9) 71-178. 19 J. GILL, The Council of Florence, Cambridge/Mass. (repr. 1979) 69 ff.
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scribed them as the pars togatorum and the plebs respectively , he was exaggerating but there was some truth in this. The minority consisted chiefly of senior prelates, including those representing secular rulers; the majority consisted chiefly of clergy of lower ranks. The minority was strongly supported by clergy from most parts of Italy, from England, and by some from the Hispanic states. The clergy making up the majority were mostly, at this time, from parts of France and Germany, and from the duchy of Milan. Although the majority was composed mainly of 'lower (inferiores)' clergy, it was led by senior prelates, notably the remarkable cardinal Louis Aleman (archbishop of Aries), Philippe de Coetquis (archbishop of Tours), Amedee de Talaru (archbishop of Lyon) and the German Ludwig von Teck (patriarch of Aquileia)21. National antagonism and even hatred were openly expressed, mainly between Frenchmen and Italians, between whom one observed an odium quasi naturale22. This division was further entrenched by rival territorial interests and specifically territorial strategies. It was quite clear that a massive proportion of Italian clerics supported Eugenius because they and their compatriots did well out of the existing system of church revenues and benefices, which it was the firm intention of the conciliarists to abolish. It was not so clear, but apparent to some and Gabriel Perouse demonstrated it clearly, that the majority included in their ranks, especially among their leading prelates, men who were determined, as Coetquis actually put it, either to take the papacy from the Italians or so to clip its wings that it would not matter who had it23. This was a final residue of the Avignon papacy: areas adjacent to Avignon and to Basle itself had something to hope from a removal of the papacy back to those regions. It is noticeable that from the mid143 O's Basle's supporters included a swathe of geographically adjacent territories: Aragon-Catalonia, Savoy, south-eastern France, the Swiss and Milan. In part this strategy provided a secure territorial base. The conciliar reform programme, despite the best intentions of men like Gerson and Segovia, had become politically identified with a pitiful stratagem. This was observed in particular by an unknown Italian (either a minor diplomat or someone seeking employment) in a piece of advice offered to Pope Eugenius in November 1436. He warned the Pope against Charles VII of France, one of whose men Eugenius was using as a go-between; the Pope's diplomatic secrets, he said, should only be entrusted to fidos Italicos. Charles was plotting to remove the papal court to France; this would mean the destruction and perhaps subjection of Italy. The Duke of Savoy had the same ideas about Avignon24. The papacy made every use of all this. Eugenius despatched two outstandingly able cardinals as diplomats to Basle, Niccolo Albergati and Ambrogio Traversari; the latter combined Camaldolese piety with humanistic concerns. At the same time it used every conceivable means, including direct bribery, to persuade people to oppose the Basle majority. These manoeuvres reached a climax in the 20
Piccolomini, in: MANSI XXXI A 223 ff. G. PEROUSE, Le Cardinal Aleman et la fin du grand schisme, Lyon 1904, 194 ff. 22 CB I 435. 23 Piccolomini, De Rebus Basileae Gestis, ed. WOLKAN, Briefwechsel 2 (note 4) 188, and see remarks quoted in CB V 158; MC II 676; Piccolomini, De Gestis (note 4) 151. See especially PEROUSE, Aleman (note 21) 166 ff., 197, 289 ff., 400-404; MULLER, Franzosen (note 8) II 791-800; HELMRATH, Basler Konzil (note 9) 206-212. 24 CB I 435-439.
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autumn of 1436 as the decision whether to transfer the Council approached. Even Cesarini and Aleman were offered improvements in their circumstances25. The anonymous Italian assured Eugenius that Cesarini 'will undoubtedly be enticed if he can be sure about the recovery of the money which he says is due to him as his salary, or about benefices which would give him 2000 or 1500 ducats - et esset valde utilis impensa'26. Perhaps as importantly, the papacy was now being served and informed by remarkably perceptive individuals, who understood much better than the Basle theologians the niceties of politics and the delicacies of courtly intrigue. Some of this perceptiveness must be ascribed to the fact that h u m a n i s t s played such an important role at this point in papal diplomacy. Poggio Bracciolini had been papal secretary, responsible for drafting many bulls, since 1404; his friend Piero da Monte was now ambassador to England; Leonardo Bruni, although he had left papal service to become chancellor of the Republic of Florence, was close at hand (the papal court having moved to Florence in June 1434), and in 1438 dedicated his new translation of Aristotle's 'Politics' to Eugenius. It was due to such men, as well as to Dominican scholastics like Torquemada, that the papacy was able to recapture the moral high ground. This was achieved, partly at least, by shifting the terms of the constitutional debate into classical humanist Latin, identifying the conciliarists as an unruly democratic populace and Eugenius' supporters as comparable with Cicero's senatorial audience. More than that, monarchy was found after all to be desirable. This was the basis of a new appeal to the secular rulers as monarchs27. It was particularly ironical coming from men who, in their secular political discourse, proclaimed themselves defenders of republican liberty in Florence and Venice against the Caesarist despotism of Milan28. On 5th December 1436 the general congregation of the Council adopted the unusual measure of holding a public vote on the location of the Council29. Members were asked to list places in order of preference. We find that the French all voted for places north of the Alps, and none of them for an Italian venue. Nearly all the Germans also voted for northern venues, but about one third of them put an Italian city second or third; Cusa was the only German to put an Italian city first. One participant deserves to be remembered for having voted for terrestrem paradisum, et si non possumus intrare, Viennam30. The Italians, except the Milanese, all put an Italian city first; a few, including Piccolomini, put a northern city second or third. All the cardinals except Aleman put an Italian venue first. Northern cities gained a two-thirds majority, but Cesarini and other high prelates insisted on further work for a compromise31. People became angry and violent; the Basle city guard intervened to prevent verba from escalating into ver25
CB I 428 f. CB I 436. 27 K. ECKERMANN, Studien zur Geschichte des monarchischen Gedankens im 15. Jahrhundert (Abh. zur mittleren und neueren Geschichte 73) Berlin 1933, 45 f., 53 f.; A. BLACK, Monarchy and Community: Political ideas in the later conciliar controversy 1430-1450 (Cambridge Studies in Medieval Life and Thought, 3rd. ser. 2) Cambridge 1970, 86-124. 28 H. BARON, The Crisis of the Early Italian Renaissance, Princeton 1966. 29 CB IV 348-357. 30 CB IV 356. 31 On these events see Segovia, in: MC II 959 ff.; Johannes de Palomar, in: MANSI XXXI 197 ff.; also VALOIS, Le pape et le concile 2 (note 7) 54 ff.; GILL, Florence (note 19) 66-74. 26
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bera. The intransigence of the majority induced several Germans 'who took a particularly serious view of the discord'32 to join the minority. The minority, meeting in private houses, decided to promulgate their own decree in any case; the French argued that the majority must decide, according to the practice of 'every republic'33. A plenary session for the proclamation of a decree was fixed for Tuesday 7th May 1437. Both Piccolomini and Segovia recount the horror felt by many at the strength of the division within the Council34. Compromise was hoped for till the last; that very morning Cesarini and Aleman, now the leaders of the two factions, held a long conversation in the cathedral where the session was to take place. As the majority decree was being read out, a Portuguese bishop, surrounded by unarmed young men, stood up and started reciting the minority decree. The city guard were once again needed. Aleman went and stood in front of this bishop and, quivering with anger, excommunicated him and declared him deprived of his benefices. Since the legates' party's decree was shorter, their singing of the 'Te Deum' drowned the closing sentences of the majority's decree35. Finally, in 1438-40, the Basle majority, no longer constrained by moderate prelates who had now gone to Florence, enacted its dream of deposing Eugenius and electing a conciliarist pope. But in so doing, they were now bitterly opposed by a new minority within the Council, consisting of representatives of the now neutral powers of France and Germany, and also of those governments which still leant towards Basle, such as Milan, Castile and Aragon. Time and again these requested the Council to be satisfied with Eugenius' suspension and not to extend the schism. Yet during the crucial months of March, April and May 1439, the Basle majority insisted upon putting its principles above all diplomatic considerations. Piccolomini's account, though packed with graphic material not in Hiiglin or Segovia, for the most part accords with them36. We have a remarkable picture of conciliar procedures being interrupted or ignored, of unofficial house meetings, of strange procedural tricks by both sides. Radical ideas and anger, abuse and wit abound. Exactly one year before, the great conciliarist canon-lawyer Nicolaus de Tudeschi, representing Aragon, was suspected of delaying the process against Eugenius under instructions from secular governments; he had even told Eugenius' orators subtiliter et clam per intermedias personas about what was taking place at Basle. He was duly accused of duplicitas Italiana31. Now, on 24th April 1439, Aleman refuted an argument by Tudeschi that bishops' authority outweighed that of other clergy by saying that wisdom sits saepius in sordido palliolo quam in pictis vestibus; bishops, afraid of losing their 'temporalia', put their king's will before God's38. Talaru said that the present speech-making by the bishops was more wonderful than hearing the dumb speak39. Piccolomini has Aleman conclude with a Ciceronian appeal for courage in the face of persecution, 32 33 34 35 36 37 38 39
Piccolomini, in: MANSI X X X I A 227C. MANSI X X X I A 2 2 4 A , 226E. Piccolomini, in: MANSI X X X I A 224E, 2 2 9 D ; Segovia in: M C II 965. M C II 965; MANSI X X X I A 229 f. Piccolomini, D e Gestis (note 4); Huglin's protocol in: C B VI; Segovia in: M C III 247-326. C B V 158; M C III 31. Piccolomini, D e Gestis (note 4) 113; see also M C III 268, 273. Piccolomini, D e Gestis (note 4) 137 ff.
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citing examples from both classical and church history40. When Tudeschi tried to make a 'protest' the civic guard again had to be brought in41. When at a plenary session on Saturday 9th May, Aleman thwarted Tudeschi's delaying tactics by a procedural trick, Tudeschi responded angrily by shouting 'E due'*2. Eugenius was deposed on the ground that he denied that a pope could never dissolve, prorogue or transfer a council, a doctrine which, as a precondition for Eugenius's condemnation, was declared to be an article of faith. This declaration on 16th May 1439 took place in the teeth of bitter opposition from secular ambassadors and prelates, most of whom withdrew from the session. It was these men, not the conciliarist majority, who were serving temporal interests, as they themselves stated quite openly. They repeatedly affirmed their agreement with the doctrine being promulgated but pointed out that they were under instruction from their princes ad pacem43. As Coetquis put it, 'Even though this council has the fullest power, if the princes were to be treated with contempt in respect of their requests, he did not know what might happen'44. Why did the Basle majority persist in a policy which it knew must alienate from it the bulk of European princes and prelates? Neither Valois' notion of an essentially time-serving and self-interested group of men, nor Haller's notion of a general trend towards secular appropriation of ecclesiastical assets, offers a satisfactory explanation. The latter does, of course, fit perfectly the conduct of most secular authorities themselves, and of those prelates who acted on their behalf. The Basle majority and their supporters, on the other hand, who were now for the most part university 'doctores', seem rather to have been acting out commitment to an ideal. They insisted that the council remain a clerical assembly, not dominated by secular interests. They believed that it should legislate for the universal church regardless of the wishes of princes. They saw the deposition of Eugenius as the culmination of all they had worked for and the necessary step towards the conciliarisation of the church. Their ecclesiological beliefs and their reading of past and recent history led them to the conviction that they must not temporise any more. The failure of Basle was also due to an inability to communicate effectively with the major secular powers and their ministers. They did not know how to turn a morally and intellectually convincing argument into one that would carry conviction with the practical statesmen of their day. I would ascribe this partly to a particular kind of clerical and scholastic - or indeed more generally academic mentality: an inability to recognise that principles and abstract arguments are not everything, and that ordinary mortals and perhaps especially practical men used to command obedience are unlikely, when faced with critical decisions, to have great patience with repeated discussions of ideas. This would be especially true when those ideas touch the whole tenor of their policy and perhaps their very status - a point to which papal diplomats returned repeatedly from the late 1430's onwards. 40 41 42 43 44
Piccolomini, De Gestis (note Piccolomini, De Gestis (note Piccolomini, De Gestis (note Piccolomini, De Gestis (note CB VI 450; similarly Bishop
4) 128 ff. 4) 134 ff.; MC III 267. 4) 170; CB VI 415. 4) 183; MC III 279; VALOIS, Le pape et le concile 2 (note 7) 220 n. Scheie of Lübeck, in: CB VI 495 f.
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Certainly the papacy too had its principles of ecclesiastical primacy upon which it would insist and which on previous occasions had brought it into collision with major secular rulers. But now Eugenius and his advisers, prompted it would appear by humanists like Monte, were prepared to make considerable practical concessions on issues such as the right to appoint to benefices and church taxes45. Basle in its turn had its share of contention with princes over appointments to benefices46. The pope's supporters were prepared to use a much wider range of instruments, diplomatic and coercive, in the conflict. They offered bribes and they advocated the use of military force against the Council; the Council did neither of these. The point is not only that the papacy was more ruthless but that it was more systematic and sensitive in its use of the various instruments of diplomacy. This was partly because of its political milieu and the servants it recruited. The papal ambassadors were able to present their case much more tactfully and in a more alluring light than the conciliarists. To some extent one sees in the survival and triumph of the papacy the triumph of humanist rhetoric and intellectual subtlety over the rigours of scholastic discourse; and of the new intellectual technology of diplomatic intrigue, developed among the Italian states, over the academic, formal, high-minded approach of scholastic philosophers. The papacy was fortunate in being the power which could employ the best Italian rhetoricians. These people may not have been particularly sympathetic to those with whom they had to deal, but they knew how to speak their language. The Basle conciliarists, by comparison, had a limited understanding of political processes and of the arts of persuasion, perhaps of human nature itself. Many in governing circles, especially in France and Germany, remained conciliarist in conviction after the 1440's but now drew a distinction between the ideal of a reform council and the actual performance of Basle47. That is, in effect if not in intention, they consigned conciliar ideals to the realm of Utopia. And these were ideals which, if they could not be put into practice, necessarily lost their power to attract.
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STIEBER, Pope Eugenius (note 9); BLACK, Monarchy (note 27) 112-129.
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HELMRATH, B a s l e r K o n z i l ( n o t e 9 ) 1 8 8 - 1 9 3 .
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H. JEDIN, Geschichte des Konzils von Trient, vol. 1, Freiburg i.Bg. 3 1977, ch. 2.
Capitula. Provinzialkapitel und Bullen des Basler Konzils für die Reform des Benediktinerordens im Reich1 Mit einer Konkordanz und ausgewählten Texten VON JOHANNES HELMRATH Geschichte bietet sich wesentlich als Geschichte von Texten dar, auch wenn sie sich keineswegs in 'Textualität' erschöpft. Texte werden 'gemacht'; aber sie gewinnen doch ein Eigenleben, das die Sprache unwillkürlich biomorph faßt. Unser Beispiel setzt mit einem Erwachen ein. Die Rolle eines Weckers spielte dabei das Konstanzer Konzil. Es holte den Text einer päpstlichen Bulle aus seinem deutschen Halbschlaf: Benedikts XII. 'Summi magistri' vom 20. Juni 1336, die 'Benedictina' zur Reform des Ordens der Schwarzen Mönche2. Eine erstaunliche Spätwirkung! Ganz offensichtlich waren die Rezeptionsbedingungen für die Bulle in ihrer ganzen Überlänge achtzig Jahre nach der Promulgierung günstiger geworden. Zugleich erfüllte das Konzil mit dem Äbtekapitel von Petershausen 1 Im folgenden ständig zitiert: U. BERLIÈRE, Les chapitres généraux de l'ordre de S. Benoît, in: Revue Bénédictine (RBén) 18 (1901) 364-398 (Provinzen Köln/ Trier und Bremen/ Magdeburg); 19 (1902) 38-75 (Provinzen Mainz/Bamberg und Salzburg) und 374-411 (übriges Europa, Nachträge);
2 2 ( 1 9 0 5 ) 3 7 7 - 3 9 7 ( N o t e s s u p p l é m e n t a i r e s ) . Z i t i e r t als BERLIÈRE, C h a p i t r e s 18 u n d 19. D a s g l e i c h e
Werk erschien textidentisch in: U. BERLIÈRE, Mélanges d'histoire bénédictine, Maredsous 1902, 50171 (Seitenzahlen künftig in Klammern mitzitiert). - Aus der kaum übersehbaren Literatur zur Ordensreform hier nur: Reformbemühungen und Observanzbestrebungen im spätmittelalterlichen Ordenswesen, hg. von K. ELM (Berliner histor. Studien 14 = Ordensstudien VI) Berlin 1989, bes. 319 der "Überblick" von Elm sowie P. BECKER, Erstrebte und erreichte Ziele benediktinischer Reformen im Spätmittelalter (23-34). - Rottenburger Jahrbuch für Kirchengeschichte 11 (1992) 11222 (12 Beiträge), darunter zur Reform im OSB: J. HELMRATH, Theorie und Praxis der Kirchenref o r m ( 4 1 - 7 0 ; b e s o n d e r s 5 6 - 6 8 ) ; P . BECKER, B e n e d i k t i n i s c h e R e f o r m b e w e g u n g e n u n d k l ö s t e r l i c h e s
Bildungsstreben (161-74); J. SYDOW, Sichtbare Auswirkungen der Klosterreform im 15. Jahrhundert (209-22). - Ferner: P. BECKER, Das monastische Reformprogramm des Johannes Rode Abtes von St. Matthias in Trier. Ein darstellender Kommentar zu seinen Consuetudines (Beiträge zur Gesch. des Alten Mönchtums und des Benediktinerordens 30) Münster 1970; P. BECKER, Benediktinische Reformbewegungen im Spätmittelalter, in: Untersuchungen zu Kloster und Stift (VMPIG 68; Studien zur Germania Sacra 14) Göttingen 1980, 167-187; K. SCHREINER, Benediktinische Klosterreform als zeitgebundene Auslegung der Regel, in: Blätter fur württemb. Kirchengesch. 68 (1986) 105-195; K. SCHREINER, Mönchtum im Geist der Benediktinerregel. Erneuerungswille und Reformstreben im Kloster Blaubeuren während des hohen und späten Mittelalters, in: Blaubeuren, hg. v o n H . DECKER-HAUFF/ I. EBERL, S i g m a r i n g e n 1 9 8 6 , 9 3 - 1 7 6 ; P . MAIER, U r s p r u n g u n d A u s b r e i t u n g d e r K a s t l e r R e f o r m b e w e g u n g , in: S M B O 1 0 2 ( 1 9 9 1 ) 7 5 - 2 0 4 ; J . HELMRATH, R e f o r m a l s T h e m a d e r
Konzilien des Spätmittelalters, in: Christian Unity. The Council of Ferrara-Florence 1438/39-1989 (Bibliotheca Ephemeridum Theologicarum Lovaniensium XCVII) Löwen 1991, 75-153, bes. 131146 (Lit.). Zur Reformproblematik siehe auch den Beitrag von J. MIETHKE in dieser Festschrift. 2
Drucke im Magnum Bullarium Romanum: a) ed. A. M. CHERUBINI, I, Luxemburg 1727, 218a237a; b) ed. C. COQUELINES, IV, Rom 1741, 214b-240a; c) ed. A. TOMASETTI (Editio Taurinensis) V, Turin 1859, 347-387 (hiernach zitiert). Die angewachsene Literatur zu den Ordensreformen Benedikts XII. mit treffenden Überlegungen bei F. J. FELTEN, Die Ordensreformen Benedikts XII. unter institutionsgeschichtlichem Aspekt, in: G. MELVILLE (Hg.), Institutionen und Geschichte (Norm und Struktur 1) Köln u.a. 1992, 369-436, ebd. 369-71 (Lit.); zur Rezeption der 'Benedictina' und ihren Bedingungen weiterführend ebd. 411-435.
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(1417 Februar 28 bis März 29) 3 selbst ein wesentliches Anliegen der Bulle: die regelmäßige Versammlung von Provinzialkapiteln. Von jeher war diese Art eines Institutionalisierungsversuchs Kernpunkt der Benediktinerreform von oben gewesen 4 . Als nahezu einziger aus dem Themenfeld der Ordensreform hat er in einem offiziellen Konzilsdekret Platz gefunden, dem Synodendekret des Basiiiense vom 26. November 1433: Neben den Generalkonzilien, Provinzial- und Diözesansynoden sollten auch die Kapitel der Ordensprovinzen im festen Turnus stattfinden5. Der konziliare Zeitgeist war ebenso reform- wie versammlungsgünstig, und zwar für alle kirchlichen Ebenen. In den hundert Jahren nach Petershausen tagten dann tatsächlich Kapitel. Für die beiden wichtigsten Benediktiner-Provinzen im Reich, Mainz/ Bamberg und Köln/ Trier, geschah es recht konstant6. Die dabei produzierten Texte - Capitula, sc. Statuten, sc. Rezesse - fußten wesentlich auf der 'Benedictina'. Die Mainz/ Bamberger Rezesse, beginnend mit Petershausen, wurden gesammelt und gegen Ende des Jahrhunderts durch Trithemius gedruckt7. Den Köln/ Trierer Statuten gelang der Sprung über die Buchdruckhürde dagegen nicht8. 3
Nach wie vor grundlegend: J. ZELLER, Das Provinzialkapitel im Stifte Petershausen im Jahre 1417, in: SMBO 41 (1921/22) 1-73, ebd. 51-63 nr. 4 Edition des Rezesses. 4 Zur Institution von General- und Provinzialkapiteln im OSB siehe BERLLFERE, Chapitres 18 (Anm. 1) 364-71 (50-59); P. VOLK, Die Generalkapitel der Bursfelder Benediktiner-Kongregation (Beiträge zur Gesch. des alten Mönchtums und des Benediktinerordens 14) Münster 1928, dort 1144 zu Ämtern und Verlauf eines Kapitels; P. HOFMEISTER, Die Teilnehmer an den Generalkapiteln im Benediktinerorden, in: Ephemerides iuris canonici 5 (1949) 368-459; F. IANNONE, II capitolo generale. Saggio storico-giuridico, Rom 1988 (aktuelles Kirchenrecht mit historischem Vorspann 25-45, der das 15. Jh. ausblendet); FELTEN, Ordensreformen (Anm. 2) 373 f., 399; K. SCHREINER, Dauer, Niedergang und Erneuerung klösterlicher Observanz im hoch- und spätmittelalterlichen Mönchtum. Krisen, Reform- und Institutionalisierungsprobleme in der Sicht und Deutung betroffener Zeitgenossen, in: MELVILLE (Hg.), Institutionen (Anm. 2) 295-342, ebd. 309-11. 5 COD 476, 12-21. Die Bestimmung schreibt allgemein für alle Orden vor: omnibus praelatis religionum et ordinum quorumcumque, ad quos celebrare capitula pertinet, quod illa statutis temporibus ... servent et servari faciant (Z. 12-14). Es folgt die Einschärfung der Observanz und der Gelübde (Z. 18f.). 6 BERLLTRE, Chapitres (Anm. 1) passim, für ganz Europa, auch vor 1417. Ein europäischer Vergleich muß hier leider unterbleiben. Provinzen im Reich: J. ZELLER, Liste der BenediktinerOrdenskapitel in der Provinz Mainz-Bamberg seit dem Konstanzer Konzil, in: SMBO 42 (1924) 284-95. Nur Mainz/Bamberg kommt auf eine relativ kontinuierliche Reihe im Zwei- bis Dreijahrestumus von 1417 bis 1518. Köln/ Trier hat zwischen 1422 und 1436 eine Lücke, weist dann aber eine ziemlich regelmäßige Reihe, zunächst bis 1486 auf. In der Provinz Bremen/Magdeburg sind nach 1437 und 1439 erst ab 1452 turnusmäßige Kapitel belegt. In der Provinz Salzburg ließen die Kongregationsbildungen (Melk, Kastl) - folgt man BERLLIRE, Chapitres 19 (Anm. 1) 54 (102) - die Kapitel nicht aufleben. - Zu Überschneidungen mit den jährlichen Bursfelder Generalkapiteln siehe VOLK, Generalkapitel (Anm. 4) 2-4, ebd. 101-110 Listen der Bursfelder Generalkapitel. 7 Nach gelegentlichen Sammlungen durch einzelne Äbte, verfügte man erst 1482 auf dem Kapitel von Blaubeuren, jeder Abt habe einen derartigen Band anzufertigen; 1490 wird der Druck der Statuten beschlossen und Johannes Trithemius mit der Sammlung beauftragt. Dieser legte 1491 eine Abbreviaturform aus Exzerpten und Eigenkommentar vor, die 1493 gedruckt wurde: Abreviatura recessuum capitularium patrum ordinis divi Benedicti per provinciam Moguntinam ..., Nürnberg (Georg Stöchs) 1493, fol. 45r-76v [Hain *20]. Üblicherweise zitierter Druck: Johannes Trithemius, Opera pia et spiritualia, ed. J. BUSAEUS, Mainz 1605, 1026-1061 (Statuten 1417 bis 1493). Mitgedruckt (Nürnberg 1493 fol. 34v-45r) wurden die Basler Konzilsbulle 'Inter curas multiplices' (1439 Febr. 20) und ein Reformdekret des Legaten Nikolaus von Kues 'Cum iam pridem' (1451 Sept. 21). Die beiden Stücke treten oft bei Sammlungen der Provinzialstatuten auf und gehören zu einem Set von Standardtexten zur Benediktinerreform (Päpste Martin V. und Sixtus IV.; Konzilien von Konstanz und Basel; Legaten Henry Beaufort 1429, Louis Aleman 1446, Nikolaus von Kues 1451; Sal-
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Das Basler Konzil knüpfte die in Konstanz wiederbegründete Tradition weiter und gab ihr mit seinen Bullen neue Impulse. Die Konzile dienten nicht nur in natürlicher Sekundärfunktion als Treffpunkt der Reforminteressierten, sondern bildeten auch Formen eines Zusammenwirkens zwischen Konzilszentrale und regionalen Ordensgruppierungen aus. Die singulare Dauer des Basiiiense verhalf automatisch auch solchen Gremien über achtzehn Jahre hinweg 9 zu quasi-institutioneller Dauer. Auch sie tagten also - dies muß man sich für das Folgende bewußt machen - permanent! Für die erfreulich expandierende jüngere Ordensforschung stellen sich zusehends grundsätzlichere Fragen, zum Beispiel: In welchem Bedingungsverhältnis stehen Reform und Schriftlichkeit10? Wie funktioniert das Kräftespiel zwischen
vusconductus der Könige Sigmund und Albrecht II. usw.). Er ist auch in handschriftlichen Transsumpten überliefert, für deren Herstellung die Äbte von St. Ägidien in Nürnberg initiativ gewesen zu sein scheinen; siehe die Exemplare in Hannover und Köln im Anhang III; vgl. P. VOLK, Das Archiv der Bursfelder Benediktiner-Kongregation I (Seckauer Geschichtliche Studien 5) Seckau 1936, 147 f. Liste des Inventars von 1729. Die Überlieferung ist also recht verwickelt und müßte neu untersucht werden. Zahlreiche Hinweise wird, zentriert um entsprechende Cusanus-Stücke wie das Dekret 'Quoniam multorum' (zuerst 1451 Nov. 20), E. MEUTHEN in Acta Cusana 1/3 (im Druck) geben; bes. nrr. 1009, 1322, 1768, 2009. - Zur Genese der Statutensammlung: M. ZIEGELBAUER/ O. LEGIPONT, Historia rei literariae Ordinis sancti Benedicti, I-IV, Augsburg/Würzburg 1754 (ND 1967), IV 252b-253a; K. ARNOLD, Johannes Trithemius (1462-1516) (Quellen und Forschungen zur Gesch. des Bistums und Hochstifts Würzburg 23) Würzburg 2 1991, 42 f., 229; SCHREINER, Mönchtum im Geist (Anm. 1) 110 f.; SCHREINER, Dauer (Anm. 4) 315-18; SCHREINER, Verschriftlichung (Anm. 10) 55 f. - Mir bisher bekannte handschriftliche Sammlungen, durchweg nach 1482 entstanden (zum Teil sind es um neue Rezesse ergänzte Abschriften des Trithemius-Drucks): a) München StB, clm 4406, fol. 53r-212r (Statuten 1417 bis 1485; nur diese Hs. bei BERLIÈRE, Chapitres 19 [Anm. 1]); b) München StB, clm 21067, fol. 77v-122r (Statuten 1417 bis 1459); c) St. Paul i. Lavanttal, Klosterarchiv nr. 294/2, fol. 74r-127v (Statuten 1417-1493); d) Heidelberg, UB cod. Salem VII 122 [von 1518] fol. 38r-91v (Statuten 1417 bis 1521); bis 1493 meist dem TrithemiusDruck folgend; e) Salzburg, Stiftsbibl. St. Peter b V 49 (alt: Cist X 24) fol. 65-111 [17. Jh.] (nach brieflicher Mitteilung von Bibliothekar Dr. Adolf Hahnl); f) Augsburg, StB 4° Cod. 216 (aus St. Ulrich und Afra) fol. 61r-181r (Statuten 1417 bis 1496); g) Engelberg, Klosterbibl. cod. 319 fol. 174 (Statuten 1417-1525; erw. VOLK, Generalkapitel [Anm. 4] 3). Die verfügbare Anzahl dürfte noch weit höher Hegen. Vgl. auch die Listen unten Anhang III. Anders aufgebaut h) Stuttgart, Landesbibl. HB I 44 (1470/72 aus Elchingen[?], dann Blaubeuren) fol. 234r-252r (Notizen und Themenkataloge der Kapitel 1417 bis 1473); fol. 253r-255r: Kurzfassung des oben genannten Emsembles von Reformtexten; Die Handschriften der Württembergischen Landesbibliothek Stuttgart, II 1,1, Wiesbaden 1968, 66. 8
Trithemius plante offenbar um 1495 eine Sammlung, führte sie aber dann nicht aus; ZLEGELBAUER/ LEGIPONT (Anm. 7) III 265a: Liste der Inedita, nr. 4: "Statuta Provincialis Capituli Provinciae, ut suspicamur(!), Coloniensis et Trevericae". Dafür findet sich zum Teil ausfuhrliche Einzelüberlieferung. Ergänzungsbedürftig BERLIÈRE, Chapitres 18 (Anm. 1); U. BERLIÈRE, Les chapitres généraux de l'ordre de saint Benoit dans la province Cologne-Trêves, in: Bulletin de la Commission Royale d'histoire de Belgique 5e sér. 10 (1900) 125-185 (1482 und 1486); 11 (1901) 1-36 (1484 und 1520), jeweils mit Edition. Wichtig die Hs. Trier, Bibl. des Priesterseminars ms. 224, die Berlière noch unbekannt war; Beschreibung von P. BECKER, Eine neue Quelle über das Echternacher Mönchsleben im 15. Jahrhundert, in: Hemecht 37 (1985) 75-85. 9 Zum Problem der Permanenz demnächst J. HELMRATH, The permanent synod. Problems of représentation at the council of Basel, in: Nicholas of Cusa on Christ and the Church, ed. by G . CHRISTIANSON/ T . IZBICKI (1995).
10 Siehe etwa G. MELVILLE, Zur Funktion von Schriftlichkeit im institutionellen Gefüge mittelalterlicher Orden, in: Frühmittelalterliche Studien 25 (1991) 391-417 (v.a. zisterziensische Beispiele); K. SCHREINER, Verschriftlichung als Faktor monastischer Reform. Funktionen von Schriftlichkeit im Ordenswesen des hohen und späten Mittelalters, in: Pragmatische Schriftlichkeit im Mittelalter, hg.
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zentralen (Papst, Konzilien) und regionalen Reforminstanzen (Provinzen, Kongregationen, Einzelklöstern)11, zwischen amtskirchlicher und ordensinterner Kompetenz? Freilich hat das Niveau der Reflexion derzeit den Stand der Texterschließung vielfach überholt12. Das gilt ganz besonders für die Bullen und Statuten des Basler Konzils zur Reform der Benediktiner in Deutschland. Nicht einmal Art und Anzahl, geschweige denn Genese und Verbreitung dieser Texte sind bisher hinreichend erhellt. Dieses und nur dieses Defizit versucht unsere Studie auf einem eng begrenztem Sektor zu verringern. Das Augenmerk gilt zunächst den beiden Provinzialkapiteln, die 1435 und 1436 am Konzilsort Basel stattfanden: Basel 26. Juni 1435: Kapitel der Provinz Mainz/ Bamberg Mit der Bulle 'Inter ceteras sollicitudines' vom 27. März 143513 verlegte das Konzil den Tagungsort des bevorstehenden Kapitels vom zunächst vorgesehenen Nürnberg nach Basel, also an die Zentrale14. Vorausgegangen war ein Beschluß der deputatio pro communibus vom 15. März15. Er entsprach einer Supplik der benediktinischen Konzilsteilnehmer (religiosorum ordinis monachorum nobiscum existencium), die es verständlicherweise für praktischer ansahen, wenn das Kapitel in aliquo nobis viciniori (sc. oppido) celebraretur. Unter anderem könne man dann den Teilnehmern die von einem Ausschuß bereits pro totins ordinis huiusmodi reformacione erarbeiteten advisamenta schneller und reibungsloser bekannt machen16. von H. KELLER u.a. (Münstersche Mittelalter-Schriften 65) Münster 1992, 37-75, bes. 66 f.; SCHREINER, Dauer (Anm. 4) 311-321 zur Statutengebung. 11 So der Ansatz bei D.MERTENS, Reformkonzilien und Ordensreform im 15. Jahrhundert, in: ELM (Hg.), Reformbemühungen (Anm. 1) 431-458; darin zu Konstanz (435-46) und Basel (446-55); aufgegriffen bei HELMRATH, Theorie und Praxis (Anm. 1) 56-68. 12 Siehe die in Anm. 1,4, 10 und 11 genannten Titel. Unübersehbar aber die Maßstäbe setzenden Editionen von Petrus Becker und Joachim Angerer: P. BECKER, Consuetudines et observantiae monasteriorum sancti Mathiae et sancti Maximini Treverensium ab Iohanne Rode abbate conscriptae (Corpus Consuetudinum Monasticarum [= CCM] V) Siegburg 1968. - J. F. ANGERER, Caeremoniae regularis observantiae ... secundum quod in sacris locis, scilicet Specu et monasterio Sublacensi practicantur (CCM XI,1) Siegburg 1985; J. ANGERER, Breviarium Caeremoniarum Monasterii Mellicensis (CCM XI,2) Siegburg 1987. 13 Augsburg, Universitätsbibl., Öttingen-Wallersteinsche Bibl. II 1 4°, fol. 62v-63v; Überschrift: Translacio capituli in Nuremberga celebrati ad parvam Basileam (Kleinbasel); München StB, clm 4406, fol. 42r. Vgl. CB III 335,36-38; 339,34-41; BERLIERE, Chapitres 19 (Anm. 1) 45 (93). 14 Als Tagungsort war die Kartause in Kleinbasel vorgesehen, schließlich tagte man im Dominikanerkloster (CB III 420,19). Die Versammlung ist relativ gut dokumentiert: CB III 420,18-25; MC II 781,38-41. Kurzrezesse: München StB, clm 4406, fol. 89r-91r; clm 21067, fol. 95r-96r; St. Paul i. Lavanttal, Klosterarchiv 289/2, fol. 99r-100v; Heidelberg, Universitätsbibl., cod. Salem VII 122, fol. 57r-58r; Trithemius, Abbreviatura (Anm. 7) fol. 61rv; Opera pia (Anm. 7) 1043-1044. Ferner: Joannis Trithemii Spanheimensis ... t. II annalium Hirsaugensium, ed. J. G. SCHLEGEL, St. Gallen 1690, 3 9 1 f.; BERLLFERE, C h a p i t r e s 19 ( A n m . 1) 4 5 ( 9 3 ) ; ZELLER, L i s t e ( A n m . 6 ) 1 8 6 n r . 9 ; ZIEGELBAUER/
LEGIPONT (Anm. 7) I 78-80; V. REDLICH, Johann Rode von St. Matthias bei Trier (Beitr. zur Gesch. des alten Mönchtums und des Benediktinerordens 11) Münster 1923, 81 f.; BECKER, Reformprogramm (Anm. 1) 30 und 36. 15 CB III 335,36-38: placuit quod generale capitulum ordinis S. Benedicti Maguntine provincie in brevi celebrandum pro hac vice celebretur in hac civitate Basiliensi. 16 Augsburg StB, Öttingen-Wallersteinsche Bibl. II 1 4°, fol. 62v; München StB, clm 4406, fol. 42r. - Zustimmung der Deputatio pro communibus am 18.3.1435; CB III 339,34-41. Eine systematische Aufarbeitung der Ordensreformaktivitäten des Konzils fehlt. Siehe MERTENS, Reformkonzilien (Anm. 11) 446-55; HELMRATH, Theorie und Praxis (Anm. 1) 59-61.
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Das Ordenskapitel wurde damit zu einer semikonziliaren Veranstaltung. Es präsidierten zwar wie üblich vier Benediktineräbte; aber auch der für die Ordensreform stark engagierte Konzilspräsident Kardinal Giuliano Cesarini, Kardinal Louis Aleman und der Patriarch von Aquileia, Ludwig von Teck, nahmen teil sowie gleichsam in Doppelfunktion der Bischof von Lausanne und einstige Abt der Benediktinerabtei Tournus, Louis de Lapalud17. Sie dürften miterlebt haben, wie der Trierer Abt Johannes Rode seinen 'Tractatus de regimine abbatis' vortrug18. Am Konzilsort entfielen offenbar die Provinzgrenzen. Viele, vermutlich sogar alle anwesenden Benediktiner aus anderen deutschen und europäischen Provinzen nahmen an den Basler Provinzialkapiteln teil, etwa die führenden Melker Reformer, die der Salzburger Provinz, oder Rode, welcher der Trierer Provinz angehörte19. Im Bannkreis des Universalkonzils erhielten diese Versammlungen fast den Charakter von Generalkapiteln des gesamten Benediktinerordens. Und wenn nach Ende des Kapitels die meisten Äbte wieder abreisten, so blieben doch genug für länger in Basel. Mehr noch, wir erfahren von einem fest etablierten, sogar mit Strafgewalt ausgestatteten Reform-Ausschuß aus 12 Benediktinerprälaten der Mainzer Provinz20. Fast wie eine eigene Behörde approbieren am 23. März 1436 die Äbte Alexander von Vezelay 21 und Nikolaus von St. Blasien sowie die Pröpste von Meerssen und St-Bertin die Reformcharta für das
17 Celebratum fuit capitulum generale monachorum nigrorum provincie Maguntine ... convocatum per reverendissimum legatum. In quo capitulo missam celebravit quidam monachus de Anglia, inibique interfiierunt domini legatus et Arelatensis cardinales, patriarcha Aquilegiensis et plures alii prelati necnon omnes abbates et monachi in sacro concilio existentes tarn de ordine S. Benedicti quam de ordine Cluniacensi; CB III 420,18-25; vgl. MC II 781,38-41. - Zu Lapalud: Helvetia Sacra 1/4, red. von P. BRAUN, Bern-Frankfurt 1988, 135-37 (Lit.); ZELLER, Petershausen (Anm. 3) 16 f.; H. MÜLLER, Die Franzosen, Frankreich und das Basler Konzil (1431-1449) 2 Bde., Paderborn u.a. 1990,190 und II 845. 18 BERLIERE, Chapitres 19 (Anm. 1) 45 (93); BECKER, Reformprogramm (Anm. 1) 30, 34-37 (nennt 10 Handschriften). Druck: B. PEZ, Bibliotheca ascetica antiquo-nova I, Regensburg 1723 (ND 1967) 157-204. - Zu Rode, neben bereits genannten Titeln, P. BECKER, Johannes Rode, in: Verf.Lex 8 (1992) 128-35, zum Traktat: 133. 19 Noch am 25.7.1435, als das Kapitel der Mainzer Provinz im engeren Sinne längst vorbei war, schicken die vier Benediktineräbte der Diözese Halberstadt Johannes Witten, Prior von St. Ägidien in Braunschweig, zu Konzil und Benediktiner-Kapitel in Basel; B. SCHWARZ (Bearb.), Regesten der in Niedersachsen und Bremen überlieferten Papsturkunden 1198-1503 (Veröff. der Histor. Kommission für Niedersachsen und Bremen 37 = Quellen und Forschungen zur Gesch. Niedersachsens im Mittelalter 15) Hannover 1993, nr.1611 S. 401. 20 Rezeß Basel 1435:... in cuius (sc. ordinis) reformationis causa in dicto sacro concilio duodecim prelati prefati ordinis de dicta Maguntinensi provincia necnon diocesis Bambergensis deputati ac electi iam existunt. Quos quidem ... contra quoscunque abbates et monachos habere volumus omnem auctoritatem procedendi... ac aliis causis quibuscunque dicti ordinis concernentibus reformacionem; München StB, clm 4406, fol. 91r; Trithemius, Opera pia (Anm. 7) 1044b (bricht ab nach electi). Ulrich Stoeckel berichtet zum 20.7.1434, gewisse Avisamente seien in sacro concilio Basiliensi approbata et conclusa in congregacione(X) ordinis S. Benedicti', CB I 85. 21 Er hatte hier aus Konstanzer Konzilstagen Erfahrung; ZELLER, Petershausen (Anm. 3) 41, 69-71. Als überzeugter Konzilsanhänger war er im Februar 1431 der allererste Besucher des Basiiiense, um seither dort eine tragende Rolle zu spielen. Am 17.3.1433 war er mit der Organisation von Avisamenten beauftragt worden; CB II 371,15 f.; vgl. CB II 470,31f.; MC II 415. Eine eigene Studie fehlt. Siehe W. BRANDMÜLLER, Das Konzil von Pavia/Siena 1423-1424 (Vorreformationsgeschichtl. Forschungen 16) Münster 1974, II 466 s.v.; MÜLLER, Franzosen (Anm. 17) I 99 f. (Lit.), II 908 s.v.
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Kloster Sankt Gallen, die Cesarini im Oktober 1435 vorgelegt hatte22, und bestimmen die Visitatoren. Die auf dem Basler Kapitel von 1435 verabschiedeten Statuten iterierten lediglich die Bestimmungen aller vorausgegangenen Kapitel seit 141723. Neues kam hier noch nicht zustande. Festzuhalten ist: Die Reform ihres Ordens blieb zu einem Gutteil in der Hand der Schwarzen Mönche selbst, ohne daß dadurch das Konzil an Kompetenz verloren hätte. Die Benediktiner bildeten einerseits ein Gremium für sich, waren aber andererseits als Inkorporierte, als Mitglieder der Deputationen und Ausschüsse mit dem Konzil verbunden. Die Institutionen und Personenkreise von Konzil und Orden wirkten hier konstant, ja geradezu symbiotisch zusammen.
Basel 24. August 1436: Kapitel der Provinz Köln/ Trier. Auch dem zweiten Basler Generalkapitel vom Bartholomäustag 143624 war eine Supplik, abbatum et religiosorum ordinis s. Benedicti in hoc sacro concilio existencium, vorausgegangen: Die Pflicht, jedes Triennium ein Provinzialkapitel abzuhalten, solle nach Vorbild des IV. Lateranums und der 'Benedictina' vom Konzil eingeschärft werden; auf ein in Basel zu haltendes Kapitel seien die anwesenden Äbte und Prioren sowie auch andere, de provinciis Coloniensi et Treverensi, zu laden. Alle vier Deputationen stimmten zu25. Hatte man damals vor, um den Stamm der Dauerkonzilsteilnehmer des Ordens gruppiert, nach und nach die Provinzen einzeln zu einer Art 'synodus endemousa' des Benediktinerordens nach Basel zu zitieren? Das Einberufungsschreiben hat sich nicht erhalten26. Knapp scheint die Frist allemal gewesen zu sein. Denn selbst ein Johannes Rode, Abt von St. Matthias, Freund Cesarinis und wichtiger Reformer im Konzilsauftrag, hat von ihr nur ge-
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UB der Abtei Sanct Gallen V/4, bearb. von P. BÜTLER/ T. SCHIESS, St. Gallen 1909, 776 f. nr. 3909. Die Ausfertigung erfolgt Basilee in domo nostra abbatis Virziliacensis, möglicherweise einer Art Reformzentrale der Basler Konzilsbenediktiner. Cesarinis Entwurf: UB Sanct Gallen V/4, 736740 nr. 3852g. 23 München StB, clm 4406, fol. 89v: approbamus, ratificamus, innovemus et laudamus omnia et singula in celebratis iam capitulis ... (folgt Aufzählung von acht Kapiteln) édita statuta et conclusa. 24 BERLIÊRE, Chapitres 18 (Anm. 1) 378 (66); Chapitres 19 (Anm. 1) 400. - Trithemius, Opera pia ( A n m . 7 ) 1 0 1 6 ; ZIEGELBAUER/ LEGIPONT ( A n m . 7 ) I 7 8 - 8 0 , II 2 3 4 b ; U . BERLIÊRE, D . J e a n d e R o d e ,
abbé de Saint-Mathias de Trêves (1421-1439), in: RBén 12 (1895) 97-122, ebd. 114-17; P. BECKER, Fragen um den Verfasser einer benediktinischen Reformdenkschrift ans Basler Konzil, in: SMBO 74 (1963) 293-301, ebd. 295-98; BECKER, Reformprogramm (Anm. 1) 30; Benediktinische Reformbewegungen (Anm. 1) 178 Anm. 42. 25 CB IV 34,3-16. Weitgehend textgleich das Protokoll Kopenhagen, Kong. Bibl., Ny kong. Saml. 1847, fol. 270v. - Das in der Supplik offenbar angeführte Beispiel der Benediktinerprovinz LyonTarantaise-Besançon ließ H. STUTT, Die nordwestdeutschen Diözesen und das Baseler Konzil in den Jahren 1431-1441, in: Niedersächs. Jb. 5 (1928) 1-97, ebd. 20, vermuten, die Supplik sei deshalb von "Nichtdeutschen" ausgegangen. In der Tat funktionierten die Kapitel in der Provinz LyonTarantaise-Besançon damals gut und turnusmäßig: 1430, 1433, 1436 April 16(1), 1444, 1446, 1448, 1449, 1451; BERLIÈRE, Chapitres 19 (Anm. 1) 383-385. 26 Seine Existenz geht aus dem Prooemium der Statuten hervor: nos ... patres immeritiper sacrum Basiiiense consilium (sie!) convocati, ut in hac civitate Basiliensiprovinciale capitulum dicti ordinis de provinciis Coloniensi et Treverensi celebraremus\ Trier, Stadtbibl., ms. 2316/2257, fol. 150r.
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rüchteweise (relacione vaga quadam) und so spät gehört, daß er nicht zuletzt deshalb seine Teilnahme indigniert absagen muß27. Im August/September 1436 erlebt Basel dennoch einen Afflux von Benediktineräbten28. Prominente Teilnehmer und Quasivorsitzende des Kapitels von 'offizieller' Konzilsseite waren wieder der Präsident Cesarini29 mit den beiden einflußreichen Benediktinerbischöfen Louis de Lapalud von Lausanne30 und Pierre de Versailles von Digne 31 . Wie im Jahr zuvor Rodes Traktat, dürfte diesmal Martin von Senging aus Melk mit dem Vortrag seiner 'Tuitiones pro observantia regule'32 für einen Höhepunkt gesorgt haben. Die Konzilsprotokolle schweigen sich über dieses Kapitel ebenso aus wie Johann von Segovia; wohl ein Indiz dafür, daß man es eben nicht für eine Konzilsveranstaltung hielt. Wie sich Konzils- und Kapitelsgeschehen verzahnten, erfahren wir daher nur spärlich. Noch am 6. August hatte etwa die Generalkongregation in Sachen Benediktinerreform beschlossen, der Erzbischof von Lyon solle mit den deputati sacrarum deputacionum zusammentreffen, um ihre Ergebnisse 27
Brief vom 8.7.1436 an Cesarini. Zitate nach REDLICH, Rode (Anm. 14) 113 (nr. 2), ed. nach Trier, Stadtbibl., 1733/1178, fol. 31v-32v; Beschreibung der Handschrift bei P. BECKER, Die Visitationstätigkeit des Abtes Johannes Rode in St. Gallen und auf der Reichenau, in: Zeitschr. für Schweizerische Kirchengesch. 68 (1974) 193-239, ebd. 207-10. Siehe ferner: BERLIÈRE, Rode ( A n m . 2 4 ) 116 f.; BECKER, F r a g e n ( A n m . 2 4 ) 2 9 5 f.; BECKER, R e f o r m p r o g r a m m ( A n m . 1) 6 0 f.
nr.13. - Mit gleicher Post schickte Rode zwei Reform-Avisamente [Trier, Stadtbibl., 1733/1178, fol. 29v-31v (unediert) und fol. 28v-29v ; ed. H. DANNENBAUER, in: CB VIII 143-147, nach BernkastelKues, Cod. Cus. 164, fol. 160r-161v; dazu Korrekturen bei BECKER, Fragen 295 f.; Reformprogramm (Anm. 1) 61 f. nrr. 14 und 15; Visitationstätigkeit 208]. Zu den Vorschlägen, wie ein Provinzialkapitel besser als derzeit in Basel organisiert werden müsse, gehört auch derjenige, das Kapitel erst im Frühjahr 1437 abzuhalten, und zwar zu Trier im Gebiet der Provinz, nicht zentral in Basel; BECKER, Fragen (Anm. 24) 296 f. 28 STUTT, Diözesen (Anm. 25) 16 f. Ein Beispiel: Der neue Abt von St. Jakob in Lüttich, Rutgerus de Bloemendael, wird auf dem Basler Kapitel konfirmiert; Gallia Christiana III, Paris 1725, 985; Monasticon Belge, par Dom U. BERLIÈRE, t. II: Province de Liège, Maredsous 1928, 21 (Quellen). 29 So explizit Cornelius Zantfliet, Chronicon, in: E. MARTÈNE/ U. DURAND, Veterum Scriptorum ... collectio IV, Paris 1724 (ND 1968) 441: Cui personaliter praeerat Julianus cardinalis S. Angeli legatus in Germania. 30 Zu diesem Namen schleppen sich Fehler in der Literatur fort, seit BERLIÈRE, Rode (Anm. 24) 116, irrtümlich "Jean de Rochetaillée" (d.h. den Kardinal von Rouen/ Besançon), bzw. in anderer Variante BERLIÈRE, Chapitres 18 [Anm. 1] 378 (66): "Jean de Lausanne", statt richtig: Louis (de Lapalud), als teilnehmenden Bischof von Lausanne genannt hatte. Entsprechend zu korrigieren etwa BECKER, R e f o r m p r o g r a m m ( A n m . 1) 6 0 A n m . 119. 31
So die Überschriften der Statuten: Presentibus ibidem domino cardinali sancti Angeli et duobus episcopis dicti ordinis, Dignensis scilicet et Lausanensis; Köln HAStK, GB 4° 46, fol. 49r, ähnlich fol. 56v, sowie Brüssel, Bibl. Royale, tat. 3707, fol. 149r (andere Hand fügt hinzu: et aliisque plurimis abbatibus, propositis ac prioribus)-, Verdun, Bibl. municipale, ms. 7, fol. 23 lr. - Zu Pierre de Versailles: MÜLLER, Frankreich (Anm. 17) II 991 s.v.; H. MÜLLER, P.d.V., in: LMA VI (1993) 2140 f. 32 'Tuitiones pro observantia regulae sancti patris nostri Benedicti ex concilio Basiliensi'. Druck: PEZ, Bibliotheca ascetica ... VIII, Regensburg 1725, 505-50. Dazu siehe BERLIÈRE, Rode (Anm. 24) 116 f.; REDLICH, Rode (Anm. 14) 84 f.; ZELLER, Petershausen (Anm. 3) 32 Anm. 30, 39 Anm. 72; A. LHOTSKY, Quellenkunde zur mittelalterlichen Geschichte Österreichs (MIÖG Erg.-Bd. 19) GrazKöln 1963, 372 f.; BECKER, Reformprogramm (Anm. 1) 60 Anm. 119, 62 Anm. 128, 124; J. ANGERER, Die liturgisch-musikalische Erneuerung der Melker Reform (SB der Österr. Akad. der Wiss. Phil.-hist. Kl. 287,5 = Veröffentl. der Kommission für Musikforschung 15) Wien 1974, 65-70, 85 Anm. 30, 127-129, 167; HISCH (Anm. 58) 27-30, 40-48, 51 f. und öfter. Zur Person: M. BRUCK, Profeßbuch des Klosters Melk, 1. Teil, 1418-1452, in: Stift Melk in Geschichte und Gegenwart 4 (1985) 123-28, bes. 125 f.
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zu prüfen; Interessierten sei eine copia auszuhändigen33. Daß all dies mit dem anstehenden Benediktiner-Kapitel in Verbindung zu bringen ist, darf man vermuten. Soweit, so unspektakulär. Spannender wird es erst, wenn man die neuen Texte in den Blick nimmt. Es handelt sich, so sei gleich vorweg gesagt, um vier verschiedene Dokumente: zwei Konzilsbullen 1) vom 27. Mai 1436 ('Inter curas innúmeras', künftig: ICI; sowie 2) vom 20. Februar 1439 ('Inter curas multíplices', künftig: ICM); 3) die Statuten des Basler Provinzialkapitels vom 24. August 1436 ('Quoniam ex negligencia', künftig: Q); 4) die bislang vage auf ca. 1436/37 datierten 'Statuta concilii Basiliensis ad fratres ordinis s. Benedicti'; künftig: Statuta). In der Forschung herrschte bisher über die Zusammenhänge einige Verwirrung34. Mehr Klarheit kann nur die Sichtung der Handschriften schaffen. 1. Die Bulle 'Inter curas innúmeras' (1436 Mai 27) Die am 27. Mai 143635, drei Monate vor dem Provinzialkapitel, promulgierte Bulle 'Inter curas innúmeras' (ICI) ist mir bisher nur in drei Handschriften bekannt: einer bullierten Originalausfertigung der Konzilskanzlei (Hannover HStA, Celle Or. 100, Michaeliskloster Lüneburg Nr. 755) und zwei Kopien in Kopenhagen (aus Kloster Cismar) und Melk36. Sie richtet sich an die Erzbischöfe Deutschlands und Nordosteuropas (Magdeburg, Mainz, Köln, Trier, Salzburg, Bremen, Riga, Uppsala, Lund) und ihre Suffragane, also etwa an das Einzugsgebiet der 'natio germanica'. Zwei der drei Provenienzen liegen weit im Norden. Aus dem Süden ließen sich immerhin die eifrigen Melker eine Kopie nicht entgehen. Seit langer Zeit war damit wieder eine zentralinstanzliche Deklaration zur Reform der schwarzen Mönche ergangen. Im ersten, vom Konzil intitulierten Teil der Urkunde werden die Bischöfe nach einem Reformbekenntnis und stilisierter Schilderung der Mißstände aufgefordert, die Benediktinerklöster ihrer Sprengel per Visitation zu reformieren, capitula et ordinaciones zu publizieren sowie deren Befolgung zu überwachen. Das Konzil autorisiert dazu und erteilt entsprechende Straf- und Absolutionsgewalt. Klosterreform sollte also über die 'Amtsschiene' der Ordinarien umgesetzt werden. Einen unmittelbaren Erfolg darf man vielleicht in den ein Jahr später anlaufenden Klostervisitationen im Gebiet der Bremen/ Magdeburger Provinz und im Provinzialkapitel von Stade (1437) sehen37. Der zweite Teil der Bulle enthält als Insert jene zuvor avisierten capitula et ordinaciones. Diese stellen eine grundsätzliche Reformcharta in 44 Kapiteln dar. Die Akteure bezeichnen ihre Tätigkeit als Sammeln und Exzerpieren (collegimus 33
CB IV 238,4-8. Ansatzweise Darlegung bei HELMRATH, Reform (Anm. 1) 143 f.; HELMRATH, Theorie und Praxis (Anm. 1) 62 f. 35 Der falsche Monat "1436 November 27" zieht sich durch die Literatur seit U. BERLIÈRE, Les origines de la Congrégation de Bursfeld, in: RBén 16 (1899) 400 [mit dem richtigen Datum dagegen BERLIÈRE, Chapitres 18 (Anm. 1) 385 (73)]. 36 Genauere Beschreibung in Anhang I. 37 Siehe unten bei Anm. 152. 34
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et excerpsimus) - eine schöne Beschreibung, wie 'neue' Statuten zu entstehen pflegen - und nennen auch ihre Quellen: nonnulla ex regula (sc. Benedicti) et constitucionibus ... reformacionis et ordinacionis capitula38. Ein Blick in die capitula zeigt, wie deutlich man aus dem Traditionsfundus von 'Benedictina' und Petershausener Rezeß schöpfte: 21 der 44 Kapitel - ohne die Doubletten - stehen schon in Petershausen. Andererseits taucht Eigengut in acht Kapiteln auf. Frappieren müssen vier doppelte Kapitel bzw. die Tatsache, daß die Konzilskanzlei und die beiden späteren Kopisten sie unbesehen mitschrieben39. Für die Situation des Mai 1436 wird man darin das Indiz für einen noch unfertigen Textzustand sehen, dessen Konzeptvorlagen (cedulae?) von Doppelungen und Streichungen verwirrt waren. Die Aussteller (Nos igitur) des zweiten Teils nennen sich prelati et professores eins dem ordinis de Coloniensi et Treverensi provinciis in civitate Basiliensi pro celebracione capituli provincialis congregatiA0. Wie aber konnte das sein? Das Provinzialkapitel fand doch erst am 24. August statt. Von einem auch nur geplanten Kapitel im Mai ist nichts bekannt. Es liegt also nahe, daß es sich bei den prelati und professores nicht schon um die eigens angereisten Kapitelsteilnehmer handelt, sondern um einen ständigen Köln/ Trierer Provinzialausschuß in Basel, ähnlich dem schon bekannten von Mainz/Bamberg 41 . Der Ausschuß sollte vermutlich das anstehende Kapitel der Kölner Provinz mit den dort zu diskutierenden Texten vorbereiten. Welche Funktion hatte aber dann die Bulle ICI? Sie wäre nichts anderes als eine Art Vorabveröffentlichung eines Statutenentwurfs für das Kapitel einer Benediktinerprovinz in Basel. Eine flankierende Beobachtung ermöglicht die Notiz am Textende der Melker Kopie von ICI: Eine ähnliche littera sei mit anderem Datum expediert worden pro monasteriis in diocesi Hildesemensi situatis etc.n. Stammte womöglich die in der Narratio erwähnte fide dignorum relacio, die dem Konzil von den Mißständen berichtete, aus Hildesheimer Benediktinerkreisen?43 Sollte sich das non sub illa simili data (sprich: nicht am 27. Mai 1436) auf eine gesonderte Expedition des Statutentextes für andere Empfänger, etwa Benediktiner aus Hildesheim, beziehen? Die drei Monate später zu Basel verabschiedeten Provinzialstatuten (Q) würde man wohl kaum als littera bezeichnet haben. Der Melker Schreiber jedenfalls scheint genau die Zusammenhänge gekannt zu haben, die hier Kopfzerbrechen machen. Feststehen dürfte, daß es konkretes Interesse an einer Veröffentlichung der Statuten gab, und zwar zu diesem Zeitpunkt und in dieser Form. Genauere Aussagen sind nur möglich, wenn es gelingt, das Verhältnis von ICI und Q zu klären.
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Siehe Textedition im Anhang I, Z. 70 f. (künftig zitiert: 'Text', mit Zeilenzahl). c. 19/31; c.20/32; c.21/33 und c.23/38 (siehe Konkordanz). 40 Siehe unten Text Z. 69 f. Schon der erste Teil der Bulle bezeichnete die capitula als per nonnullospatres ... hic in generali capitulo ... collecta et edita; ebd. Z. 51 f. 41 Siehe oben bei Anm. 20. 42 Melk, Stiftsbibl., Cod. 1915, fol. 243r, von der Texthand; siehe unten Anhang I zu Melk, Cod. 1915. 43 In diese Richtung vermutet STUTT, Diözesen (Anm. 25) 15: "Die Wiege der Reformen war ... die Diözese Hildesheim". Vgl. zu 1438 Mai 23 Supplik der Prioren der Diözesen Halberstadt, Hildesheim, Verden und Paderborn, daß Äbte und Religiöse der Provinz Magdeburg am Generalkapitel (1439 in Nürnberg?) teilnehmen dürften; CB VI 235,17-22. 39
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2. 'Quoniam': Statuten des Basler Provinzialkapitels vom 24. August 1436 Die Statuten sind als eigenständiger Text mit dem Incipit 'Quoniam ex negligencia' in acht Handschriften überliefert44. Mit Ausnahme der jüngsten Abschrift Arlon45 enthalten sie alle nur die Statuten, nicht wie die klassischen Rezesse auch die Listen der künftigen Präsidenten, Visitatoren usw. Die Provenienzen zentrieren sich mit Lüttich, Trier, Köln, Verdun, Luxemburg im Westen des Zielgebiets, der Köln/Trierer Provinz; südliche Ausnahmen bilden Kremsmünster und Michaelbeuern. Funktional entspricht Q dem zweiten Teil von ICI, den bereits das Wort 'Quoniam' einleitete46. Ein Vergleich bringt die Überraschung: Q ist zu mehr als 75% (31 von 40 Kapiteln) mit dem Statutenteil der Bulle ICI identisch! Unsere Vermutung, bei ICI handele es sich um eine Art Vorabveröffentlichung eines Statutenentwurfs, dessen Text man hier einfach verwendete, scheint im Prinzip richtig zu sein, aber doch mit beachtlichen Einschränkungen: Daß der erste Teil mit der Konzilslegitimation in Q fehlt, verwundert wegen der veränderten Publikationsbedingungen (Ordenskapitel statt Konzil) nicht. Aber auch das Prooemium des Statutenteils wurde Satz für Satz umgearbeitet. Neun Kapitel (3, 4, 17, 18, 24-28) und die vier Dubletten von ICI sind in Q ganz weggefallen, dafür vierzehn Kapitel47 (22-31,38-40) neu hinzugetreten: Der Text ist nicht mehr der gleiche. Das bestätigt freilich eher den Entwurfscharakter des Statutenteils von ICI. Ob publiziert oder nicht, er behielt offensichtlich die Funktion, dem anstehenden Provinzialkapitel als Textgrundlage zu dienen. Und es liegt in der Natur der Sache, daß dort überarbeitet, gestrichen und ergänzt wurde48. Warum jene neun Kapitel von ICI in Q verschwinden, ob man sie für zu speziell, zu regional gefärbt hielt, um für das Durchschnittskloster akzeptabel zu sein, wissen wir nicht. Die Tatsache verleiht ihnen jedenfalls den Charakter von Sondergut«. Der Forschung war bisher nicht bewußt, daß mit ICI und Q überhaupt zwei verschiedene Texte existieren. Und es bleibt ja nach wie vor etwas rätselhaft, warum man den Textentwurf schon Monate vorher im Mantel einer Konzilsbulle publizierte. Doch sollte man annehmen, daß diese multifunktionale Verwendung, ja Umfunktionierung eines Textes nicht bloß auf Zufall oder Verlegenheit beruhte, sondern durchaus auf System: Mit jeder der beiden Publikationsformen, hinter denen formal zwei verschiedene Institutionen, Generalkonzil und Ordenskapitel, standen, konnte man mit dem gleichen Reformanliegen einen anderen Rezeptionskreis erreichen: mit ICI via Konzilsbulle die Bischöfe, mit Q via Kapitelsstatuten die Äbte und Ordenskapitel. So gesehen, hätte sich kaum ein besseres Beispiel für den Synergismus von konziliaren und ordensinternen Reformmaßnahmen vorführen lassen. - Erst zweieinhalb Jahre später erscheint eine neue Textstufe: 44
Siehe Liste mit Beschreibungen unten Anhang II. Arlon, Archives de l'État, ms. divers 84, fol. 237r-238r - aus dem 17. Jh. 46 Siehe unten Text Z. 63. 47 Nach der internen Zählung von Q. 48 Et si quid aliquid a novo est statuendum, inseratur hoc die (sc. am dritten Tag) recessui; Trithemius, 'Modus et forma celebrandi capitulum provinciale', in: Trithemius, Opera pia (Anm. 7) 1014a; zum Werk siehe ARNOLD, Trithemius (Anm. 7) 43. 49 Siehe dazu ausführlicher unten die "Übersicht über den Inhalt der capitula". 45
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3. Die Bulle 'Inter curas multiplices' (1439 Februar 20) Sie ist nicht nur am besten kopial überliefert (bisher 23 Handschriften50), sondern im Gegensatz zu den anderen drei Texten auch seit jeher wohlbekannt51, nicht zuletzt weil sie als einzige früh, schon unter Trithemius, gedruckt wurde52. Eine umfassende Analyse fehlt aber auch hier. Zu markieren sind folgende Charakteristika: Der Statutenteil ist weitestgehend identisch mit Q. Somit bestehen auch enge Parallelen zu ICI, das insofern als Vorstufe betrachtet werden kann. Die nur leicht variierten Incipits der beiden Bullen deuten an, wie bewußt man sich dessen war. Wie ICI besteht ICM aus zwei Teilen. Der erste, die Konfirmationen und Vollmachten enthaltende Teil ist wieder vom Konzil {sacrosancta generalis synodus), der zweite, die Statuten enthaltende, von den Basler Konzilsbenediktinern intituliert (nos abbates et ceteri religiosi dicti ordinis in sacro concilio Basiliensi congregati)n. Teil I erscheint gegenüber ICI stark überarbeitet54. Aber im zweiten Teil stammen 29 der 39 Kapitel über Q aus ICI, 9 weitere (c.24-32) sind aus den in Q neu dazugekommenen übernommen. Streichungen wie Neuaufnahmen in Q erwiesen sich jetzt als stabil". Der Text hat sich verfestigt. Gewechselt haben die Adressaten. Nicht mehr die Bischöfe, sondern alle Präsidenten und Visitatoren künftiger Benediktinerkapitel (pro fiituris capitulis provincialibus ... ubilibet deputatis et in futurum deputandis), sind angesprochen, wobei jede Spezifizierung einer Provinz fehlt56. Man mag in diesem Wechsel mehr sehen: einen Rückzug 'nach innen', von den Ordinarien (Bischöfen) zu den intern Zuständigen (Äbten), ein Scheitern des 'amtskirchlichen Weges' der Reform, ja gar ein Paradigma für das partikulare Schicksal der Basier Gesamtreform selbst, - man wird jedesmal Richtiges treffen und zugleich übers Ziel hinaus. Textveranlassend habe diesmal eine klare petitio (nobis nuper exhibita) gewirkt, nämlich seitens religiosorum ordinis nigrorum monachorum nationis germanice, was wohl bedeutet: der germanischen Konzils-Nation. Das Ersuchen 50
Siehe Liste mit Beschreibungen unten Anhang III. ZIEGELBAUER/ LEGIPONT (Anm. 7) IV 583 f.; M. GERBERT, Historia nigrae silvae ordinis S. Benedicti Coloniae a Saec. XIII ad praesens usque tempus, II, St. Blasien 1788, 280 f., 288; ZELLER, Petershausen (Anm. 3) 44 und öfter; BERLIERE, Chapitres 18 (Anm. 1) 73 (95); K. SCHREINER, Sozial- und standesgeschichtliche Untersuchungen zu den Benediktinerkonventen im östlichen Schwarzwald (Veröff. der Kommission für geschichtl. Landeskunde in Baden-Württemberg B 31) Stuttgart 1954, 78 und 98; B. FRANK, Das Erfurter Peterskloster im 15. Jahrhundert. Studien zur Geschichte der Klosterreform und der Bursfelder Union (VMPIG 34 = Studien zur Germania Sacra 11) Göttingen 1973, 16-19; ANGERER, Liturgisch-musikalische Erneuerung (Anm. 32) 105-108; J. STIEBER, Pope Eugenius IV, the Council of Basel and the Secular and Ecclesiastic Powers of the Empire (SHCT 13) Leiden 1978, 98 mit Anm. 53 (Lit.); ANGERER, Caeremoniae (Anm. 12) S. CLXXXIII; SCHREINER, Klosterreform (Anm. 1) 169 f.; SCHREINER, Mönchtum im Geist (Anm. 1) 113, 155 Anm. 93; MAIER, Kastler Reformbewegung (Anm. 1) 123, 154 und öfter; FELTEN, Ordensreformen (Anm. 2) 412 f. 52 Nürnberg 1493 (Anm. 7); zitiert nach Trithemius, Opera pia (Anm. 7) 1016-25 und 1062. 53 Trithemius, Opera pia (Anm. 7) 1018. 54 Trithemius, Opera pia (Anm. 7) 1016 f. 55 Nur c.35 gelangt nicht von Q in ICM; c.[33] dürfte unter Umgehung von Q direkt auf ICI bzw. auf Petershausen c.23 zurückgehen. 56 Es gibt keinen Hinweis auf die Kirchenprovinz Mainz, was aber SCHRERNER, Klosterreform (Anm. 1) 170 Anm. 245, anzunehmen scheint. Richtig ist, daß die Rezeption auf den Kapiteln der Mainzer Provinz erfolgte. 51
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sei wie folgt begründet gewesen: Einige Ordensglieder der deutschen Nation (nacionis huiusmodi - hier deutlich allgemeiner gefaßt!) hätten den Visitatoren das Reformieren mit dem Argument verweigert, ihre Artikel seien nicht vom Basler Konzil ausgegangen (a nobis non processerunt). Wenn dagegen das Konzil die Reform anordne, werde man sie rezipieren (si reformacionem aliquam ordinaremus, illam reciperenif1. Wie aufrichtig diese dem Konzil schmeichelnde Forderung der Basis nach zentralinstanzlicher Legitimation auch gewesen sein mag, Basel konfirmiert die inserierten capitula als mit dem geltenden Recht und der Benediktregel übereinstimmend. Darüber hinaus - und das ist bemerkenswert - fordert es, die Artikel seien nicht nur von der deutschen Nation zu befolgen, sondern überall, in ómnibus et singulis aliis nationibus, monasteriis atque locis dicti ordinis, seien die nichtobservanten Klöster gemäß diesen Artikeln zu reformieren. Als ob man der Ansicht gewesen wäre, der Text bedürfe nach der regionalen Stufe Q wieder einer Publikation, welche den universalen Anspruch des Konzils autoritativ formulierte. In der Tat, fast möchte man 'Inter curas multiplices', den nach der 'Benedictina' wohl wichtigsten Reformtext des Ordens, dieser als 'Basilea' an die Seite rücken. 4. Die 'Statuta concilii Basiliensis' (1434 oder 1436/37) Im Vergleich zu den drei angesprochenen Texten spielen die in der Dissertation von Johann Hisch (1976) nach zwei Salzburger Codices des 16. Jahrhunderts gedruckten 'Statuta concilii Basiliensis ad fratres ordinis s. Benedicti' mit dem Incipit 'Cum inter ceteros ordines' 58 eine Sonderrolle, und zwar nach der Überlieferung zu urteilen eine eher marginale 59 . Datum und Umstände der Entstehung sind noch immer nicht exakt geklärt. Hier können folgende Bemerkungen genügen: Der Text ist denkbar breit an alle unter Observanz lebenden Benediktiner adressiert 60 . Doch gehören die 'Statuta' eindeutig nicht unmittelbar in die Sequenz ICI - Q ICM. Nur ein kleiner Teil der Kapitel ist identisch (siehe Konkordanz). Vielmehr dominieren den umfangreichen Text Bestimmungen zu Liturgie und Klosterämtern nach Art monastischer Consuetudines 61 . Sie orientieren sich deutlich an den Statuten von Subiaco/Melk, j a versuchen die von Melk geforderte Annahme der römischen Liturgie allgemein verbindlich zu machen 62 . Hisch konstatierte außerdem eine enge Verbindung zu den 'Tuitiones' Martins von Senging, die 57
Trithemius, Opera pia (Anm. 7) 1016. J. HISCH, Die liturgischen Bestimmungen der Basler Statuta für den Benediktinerorden aus zwei Salzburger Handschriften, Diss. theol. (Masch.schrift) Wien 1976, ebd. 115-80 Edition der 'Statuta' nach: a) Salzburg, Stiftsarchiv St. Peter Hs. A 202, fol. 36-47 (1518), hiernach die Zählung in 303 §§; Beschreibung nach A. HAHNL bei HISCH 108 f.; b) ebd. Hs. A 203 fol. 1-14; Beschreibung nach handschriftlichem Katalog in St. Peter bei HISCH 110 f. und ANGERER, Caeremoniae (Anm. 12) S. XXXI-XXXIII. - Die bei ANGERER ebd. CLXXX1I f. ungeprüft als dritte Überlieferung genannte Handschrift St. Paul i. Lavanttal, Klosterarchiv, chart. nr. 289 [2] (siehe unten Anhang III) enthält dagegen ICM! 59 Der Text wurde bereits vor Hisch extensiv von ANGERER, Liturgisch-musikalische Erneuerung (Anm. 32) genutzt und zitiert. Nach ANGERER, Caeremoniae (Anm. 12) S. CLXXXII f., bildeten die 'Statuta' einen wichtigen Baustein für die Langform der Melker Consuetudines. 60 Abbatibus, prioribus, decanis ceterisque religiosis fratribus ... sub observancia et monachis in observancia regulari; ed. HISCH (Anm. 58) 115. 61 Aber auch anderes Eigenständige ist zu nennen, z.B. die Schlußkapitel über die 'decem fructus' des monastischen Lebens; ed. HISCH (Anm. 58) 178-81 § 291-303, dazu ebd. 102-104. 62 Etwa c.8: De cerimoniis. In quo et aliis observanciis regularibus cerimonie et ritus monasteriorum Mellicensis et Scotorum Wienne observentur; ed. HISCH (Anm. 58) 117, dazu ebd. 47; SCHREINER, Klosterreform (Anm. 1) 170 Anm. 45. 58
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dieser im Juni 1436 in Basel vorgetragen hatte . Vermutlich wurde der Text also stark vom Melker Reformflügel in Basel beeinflußt, was auch ein Indiz für seinen Geltungs- und Empfangerraum liefert, der sehr wahrscheinlich in der Salzburger Provinz zu suchen ist 64 . "Das offizielle Konzilsdokument" 65 , mit dem Hisch, davon offenbar nur das Datum kennend, irrigerweise die 'Statuta' gleichsetzte, war jedoch die Bulle ICI 66 . Deren Publikationsformen gilt es im Folgenden zu untersuchen. Dafür muß in die Sequenz der Provinzialkapitel zurückgesprungen werden, die mit Basel im August 1436 verlassen worden waren:
Kapitel der Köln/ Trierer Provinz 1437 April 20-22 in St. Pantaleon zu Köln Das Basler Konzil selbst hatte mit der Bulle 'Vetus tradit auctoritas' vom 12. Februar 143767 die Äbte zu einem neuen Provinzialkapitel auf April nach Köln zitiert68. Dabei stellte es bemerkenswerterweise die novas executiones heraus, die das Konzil angeordnet habe, ubi veteres ... non reperiuntur69. Und man erinnerte prinzipiell an den Dreijahresturnus für Provinzialkapitel70. Umsomehr erstaunt daher der überaus kurze Abstand vom Basler zum Kölner Kapitel. Nicht drei Jahre lagen dazwischen, sondern kaum acht Monate. Dies deutet erneut darauf hin, daß das Basler Kapitel überraschend, zumindest außertourlich anberaumt worden war71. Man sah darin wohl eine Art Startversammlung und suchte nun mit Köln den 1422 abgebrochenen regulären Kapitelturnus neu zu begründen. Am ersten Sitzungstag in St. Pantaleon, dem Sonntag 'Jubilate' (21. April), war nach Prozession und Messe die Konzilsbulle 'Vetus tradit' verlesen worden72. Anschließend rezipierte man die Reformstatuten ('Quoniam') des vorausgegangenen Basler Kapitels vom August 1436 und hörte zum Abschluß die Ansprache des Abts Johannes Rode, der diesmal führend mitwirkte73. 63
HlSCH (Anm. 58) 51 f. und öfter; zu Senging siehe oben Anm. 32. So bereits SCHREINER, Mönchtum im Geist (Anm. 1) 112 f. 65 HlSCH (Anm. 58) 4; vgl. ANGERER, Liturgisch-musikalische Erneuerung (Anm. 32) 111. 66 Siehe HELMRATH, Theorie und Praxis (Anm. 1) 62 f. - ANGERER, Caeremoniae (Anm. 12) S. XXXII, CXIX Anm. 231 und CLXXXII f., sowie SCHREINER, Klosterreform (Anm. 1) 169 f. mit Anm. 245, machten zu Recht auf die unterschiedlichen Empfänger der 'Statuta' und der Bulle ICM aufmerksam, ohne ihrerseits die Zwischenstufen ICI und Q zu erkennen. - Die Datierung der 'Statuta' kann hier nicht Thema sein. Auch wenn 1436 Mai 27 (= Datum von ICI!), nicht in Frage kommt, sprechen die Parallelen zu Senging für eine späte Datierung um 1436 [so auch SCHREINER, Klosterreform (Anm. 1) 169 f.]. Ansätze für frühere Datierung (vor 1434 Juli 12) bei ANGERER, Liturgisch-musikalische Erneuerung (Anm. 32) 82 mit Anm. 21, 111. 67 So zu korrigieren die Angabe "1438" bei BERLIERE, Chapitres 18 (Anm. 1) 378 (67). 68 P. DIEL (Ed.), Beiträge zur Vita des Abtes Johann Rode von St. Matthias bei Trier (f 1439), in: SMBO 6 (1885) 301-303 nr. V; gerichtet an die als Präsidenten vorgesehenen Äbte von St. Matthias in Trier, St. Martin in Köln, Hornbach und St. Jakob in Lüttich. Vgl. den Kapitelsrezeß: patres et dominos abbates citatos per certas litteras citatoriales sacri Basiliensis consilii ...ad comparendum in eodem capitulo; Trier, Bibl. des Priesterseminars, ms. 224, fol. 197r. 64
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E d . DIEL ( A n m . 6 8 ) 3 0 2 f.
Ed. DIEL (Anm. 68) 302. Oder waren zu wenige Äbte aus der Köln-Trierer Provinz nach Basel gekommen? 72 Kapitelsrezeß zum 21.4.1437; Trier, Bibl. des Priesterseminars, ms. 224, fol. 197rv. Der protokollähnliche Rezeß verdient stärkere Beachtung. 73 Habita est (am 22.4.1437, d.h. am dritten Sitzungstag) collacio ... presertim super aliquibus certis articulis iam pro reformacione ordinis in precedenti capitulo Basilee (1436 Aug. 5) celebrato confectis et conclusis. Quibus articulis ita per me (den Notar Wernherus de Juliaco) lectis et finitis, venerabilis abbas Sancti Matthiae eosdem articulos rescripsit sub compendio, exhortans patres de capitulo, quatenus ... convertent ad deum et suorum votorum observanciam; Trier, Bibl. des Priesterseminars, ms. 224, fol. 190v. 71
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Drei Jahre später geriet die Provinz in den Sog des neuen Obödienzkampfes. Der Bischof von Lüttich, Johann von Heinsberg, verband seinen Souveränitätsanspruch als Ordinarius mit strikt papaler Haltung im Kirchenstreit und untersagte schlicht ein für 1440(?) im Lütticher Jakobskloster vorgesehenes Provinzialkapitel74. Es fiel daraufhin offenbar ganz aus. Das nächste fand wohl erst am 23./24. März 144275 in St. Maximin bei Trier statt, wo wieder quidam certi articuli super reformacione ordinis16 verlesen wurden. Das Kapitel vom 14. April 1448 in St. Maximin erwähnte das Basler Konzil schon nicht mehr77. Basel-Köln-Trier: es handelt sich um drei Publikationsschübe derselben Institution, des vermutlich selben Textes, aber zu verschiedener Zeit an verschiedenen Orten. Die 'Kölner' Statuten von 1437 sind die 'Basler' von 143678. Es liegt nahe, daß beide Male Exemplare vervielfältigt wurden. An den erhaltenen Kopien läßt sich nur in einem Fall genau sagen, welchem 'Schub' sie bzw. ihre Vorlage angehörte: Statuta nova ordinis promulgata Colonie19. Kapitel der Provinz Mainz/ Bamberg 1439 April 26 bis 28 in Nürnberg80 Zwei Monate nach Erscheinen wurde die Bulle ICM per Transsumpt rezipiert81, allerdings nicht von allen Nationen, wie der Text visioniert hatte, sondern nur in 74
Die Chronologie macht Schwierigkeiten. Die Basler Statuten von 1436 in der Handschrift Arlon und der Kölner Kapitelsrezess von 1437 nennen nicht Lüttich als nächsten Tagungsort, sondern St. Maximin bei Trier: Futurum capitulum provinciale proxime instans celebrabitur anno ... millesimo quadringentesimo dominica Jubílate ex tune ... in monasterio Sancti Maximiniprope Trehirios (sic); Arlon, Archives de l'État, Manuscrits divers 84, p. 513; in monasterio sancti Maximini prope Treveris\ Trier, Bibl. des Priesterseminars, ms. 224, fol. 199v. Zum gescheiterten Lütticher Kapitel behaupten die 'Gesta abbatum S. Jacobi Leodiensis', schon 1437 in Köln sei bestimmt worden, quod capitulum futurum celebraretur in Sancto Jacobo\ U. BERLIÈRE (Ed.), Documents inédits pour servir à l'histoire ecclésiastique de la Belgique, Maredsous 1894, 46; BERLIÈRE, Chapitres 18 (Anm. 1) 378 f. (67 f.); Monasticon Belge II (Anm. 28) 21. - Eine ausführlichere, bisher nicht genutze Quelle bietet die Nachschrift zu 'Quoniam' in Brüssel, Bibl. Royale, 3707, fol. 154r. Da heißt es am Ende: et sic abbates, qui venerunt (sc. nach Lüttich), confusi recesserunt. 75 So eindeutig das Datum im Rezeß Trier, Bibl. des Priesterseminars, ms. 224, fol. 192v; die Angabe "1440" bei BERLIÈRE, Chapitres 18 (Anm. 1) 379 (68), dürfte in "1442" zu korrigieren sein. 76 Trier, Bibl. des Priesterseminars, ms. 224, fol. 134v. 77 Trier, Bibl. des Priesterseminars, ms. 224, fol. 200r-201r. Die Statuten des 1445 in St. Martin zu Köln abgehaltenen Kapitels (erwähnt ebd. fol. 200r) scheinen nicht überliefert; vgl. BERLIÈRE, Chapitres 18 (Anm. 1)379(67). 78 1 442 könnte der Text theoretisch auch im Gewand von ICM rezipiert worden sein. 79 Trier, Stadtbibl., ms. 2316/2257, fol. 150r. Die geänderte Reihenfolge der Kapitel in der Hs. Michaelbeuern, ms. cart 97, könnte auf eine Zettel kombinierende Mitschrift eines früheren Textstadiums ebenso wie auf spätere Vertauschung zurückgehen. 80 Auf dem Basier Kapitel von 1435 war zunächst offenbar das Jahr 1438 angesetzt worden: quod futurum capitulum celebretur anno domini 1438\ München StB, clm 4406, fol. 89v. - Statuten: clm 4406, fol. 91v-92v; clm 20185, fol. 95r-96r; St. Paul i. Lavanttal, Klosterarchiv, nr. 297/2, fol. 100vlOlv; Heidelberg, Universitätsbibl., Cod. Salem VII, fol. 58r-59v; Trithemius, Opera pia (Anm. 7) 1044 f. Siehe ferner: Trithemius, Annales Hirsaugienses (Anm. 14) II 400; BERLIÈRE, Chapitres 19 (Anm. 1) 45 f. (94); BERLIÈRE, Rode (Anm. 24) 120; REDLICH, Rode (Anm. 14) 86 und 93; BECKER, Reformprogramm (Anm. 1) 27; FRANK, Peterskloster (Anm. 51) 16-19. 81 Concordi et unanimi voto nemine discrepante et cum matura deliberacione aeeeptamus et, quantum in nobis est, approbamus sacri generalis Basiliensis concilii bullam super reformacione monasteriorum nostro capitulo subiectorum; München StB, clm 4406, fol. 91v-92r; Trithemius, Opera pia (Anm. 7) 1045b. Zur Transsumierung siehe ferner unten Anm. 95.
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der deutschen Mainz/ Bamberger Benediktinerprovinz. Naheliegenderweise hatte das schon 1435 begegnende Basler 12er-Gremium aus Benediktinern dieser Provinz bei der Vorbereitung mitgewirkt82. Das Nürnberger Kapitel befahl den nichtobservanten Klöstern, künftig die Konzilsbulle als Reformwegweiser strikt zu befolgen, sowie allen Konventen, sich ein textkorrektes Exemplar zu verschaffen und viermal pro Jahr zu verlesen83. Der Akt wiederholte sich serienmäßig in den drei folgenden Kapiteln von Nürnberg April 144184, Erfurt Mai 144485 u n ( j Petershausen Mai 144786. Warum aber rezipierte systematisch nur die Provinz Mainz/ Bamberg, obwohl ICM keinen speziellen Adressaten auswies? Vermutlich kamen die im Text erwähnten Petenten tatsächlich aus Mainz/ Bamberger Benediktinerkreisen87, war die Bulle wohl von Anfang an primär für diesen Kreis bestimmt. Nur der Konzilsrahmen ist nationenübergreifend und wirkt wie ein reformrhetorischer Rückschwung des Basiiiense in die globalen Pläne seiner Anfangsjahre. Darf man unterstellen, daß ICM wie drei Jahre zuvor ICI als Konzilsbulle von der Kanzlei eigenständig expediert wurde? Ein Beweis ist schwierig; man kennt kein erhaltenes Original. Bestechend erscheint zwar die Vorstellung von zwei Verteilungskreisen; der eine, ausgreifend, via Konzil bedient, der andere, via Mainzer Provinzialkapitel an ein regionales Subsystem delegiert. In der Überlieferung faßbar ist derzeit nur letzterer. Sollte aber die für das Nürnberger Provinzialkapitel erstellte Ausfertigung des Konzils wirklich die einzige originale gewesen sein, könnte dies auch als weiteres Indiz für das Zusammenschrumpfen seines universalen Ausgriffs gedeutet werden. Ein Blick auf die ausschließlich klösterlichen Provenienzen der Kopien: Augsburg, Füssen, Salem, Erfurt, Köln, und als nördlichster Ast Lüneburg, aber eben auch Bayern und Österreich mit Tegernsee, Thierhaupten, Kremsmünster, Regensburg und St. Paul i. Lavanttal zeigt, daß die Bulle über die Mainzer Provinz hinaus in reformaktiven deutschen Benediktinerkreisen kopial verbreitet war, vor allem im Gebiet der Melker Reform. Der Blick auf Entstehungzeit und Kontext der Kopien zeigt des weiteren: Ein Großteil des derzeit verfugbaren Spektrums ist Spätüberlieferung, vor allem bestehend aus den Sammeltranssumpten der Äbte von St. Ägidien in Nürnberg und den seit 1482 vorgeschriebenen Statutensammlungen der Mainz/ Bamberger Provinz88. Im übrigen dauerte das Handschriftenzeitalter hier im Schriftgut der Benediktiner, deren elementare Profes-
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Trithemius hielt den Zwölfer-Ausschuß für die expeditio der Bulle für verantwortlich; Opera pia (Anm. 7) 1044b. Expeditio steht hier tatsächlich im Sinne von 'Expedierung', wenn man annimmt, daß die Zwölf selbst von Basel nach Nürnberg gingen - und ihren Textentwurf mitbrachten. 83 München StB, clm 4406, fol. 92r; vgl. Trithemius, Opera pia (Anm. 7) 1045. 84 München StB, clm 4406, fol. 99r-100r; vgl. Trithemius, Opera pia (Anm. 7) 1045 f. 85 München StB, clm 4406, fol. 100v-102r; Trithemius, Opera pia (Anm. 7) 1046; UB Sanct Gallen VI/1, bearb. von T. SCHIESS/ P. STAERKLE, St. Gallen 1955, 69-71 nr. 4594. Vgl. FRANK, Peterskloster (Anm. 51) 16 f. 86 Trithemius, Opera pia (Anm. 7) 1047; UB Sanct Gallen VI/1 (Anm. 85) 70; FRANK, Peterskloster (Anm. 51) 17 und 29. 87 In diesem Sinne Trithemius, Annales Hirsaugienses (Anm. 14) II 400: Anno prenotato (1439) patres de concilio apud Basileam congregati ad instantiam quorundam ordinis nos trae abbatum ... constitutionem imam pro reformatione monasteriorum satis utilem edentes, provinciali capitulo Moguntinaeprovinciae et Bambergensis diócesis tradiderunt, quae incipit: 'Inter curas multíplices'. 88 Siehe als Grundlage die Listen in Anm. 7 und unten Anhang I—III.
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sion ja das Schreiben war, offensichtlich noch lange an. Druck und Handschrift überlagerten und ergänzten sich. Publikationsprobleme: Schriftlichkeit und Mündlichkeit Der Einsicht ist sicher zu folgen, daß Verschriftlichung ebenso eine Voraussetzung von Reform war, wie diese wiederum jene beschleunigte89. Wie aber organisierte man die Verbreitung von Reformstatuten?90 Konkret: Wieviele Exemplare wurden bei der Erstverbreitung in notariell kontrollierter 'Iteration' hergestellt und wieviele in den folgenden Kapiteln? Alles sonstige unsystematischzufällige Kopieren entzieht sich fast jeder Quantifizierung. Die Bestimmungen von Nürnberg besagen, daß tatsächlich jedes einzelne Kloster eine Abschrift der Provinzialstatuten zu besitzen hatte91. Man könnte von Rezeption qua Verordnung sprechen. Bei 138 Benediktinerklöstern der Mainzer, 75 der Köln/ Trierer, 45 der Salzburger und 15 der Bremen/ Magdeburger Provinz würde das eine kaum realistische - Anzahl von maximal 273 Kopien bedeuten92. Das setzte flächendeckenden Versand voraus, der tatsächlich jedem Kloster und Priorat ein Exemplar hätte zukommen lassen. Wahrscheinlicher ist, daß nur die jeweils auf dem Kapitel anwesenden Äbte eine Kopie für ihr Kloster mitgenommen haben. So ist dann doch von einer schubweisen, von Kapitel zu Kapitel erfolgenden Bedarfsdeckung per Kopie auszugehen. Anders ist 1482 die Klage des Kapitels in Blaubeuren kaum erklärbar, daß viele Klöster die Statuten nicht erhalten bzw. sich nicht fortlaufend um einen Text bemüht hätten93. Etliche dürften das ganz bewußt versäumt haben, eben weil sie keine Reform wollten! Dieser 'menschliche Faktor' wird bei Publikationsberechnungen am grünen Tisch leicht übersehen. Insgesamt sind aber viel höhere Zahlen anzusetzen, als sich anhand der derzeit bekannten Exemplare und Kopien, 3 mal ICI, 8 mal Q und 23 mal ICM (8% von der Maximalzahl 273), vermuten ließen94. Technisch ging die Verbreitung auf 89
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S i e h e d i e A r b e i t e n v o n MELVILLE u n d SCHREINER in A n m . 10.
Vgl. dazu P. JOHANEK, Methodisches zur Verbreitung und Bekanntmachung von Gesetzen im Spätmittelalter, in: Histoire comparée de l'administration ..., hg. von W. PARAVICINI/ K. F. WERNER (Francia Beiheft 9) Zürich-München 1980, 89-101; J. HELMRATH, Kommunikation auf den spätmittelalterlichen Konzilien, in: Die Bedeutung der Kommunikation ffir Wirtschaft und Gesellschaft, hg. von H. POHL (VSWG-Sonderbd. 87) Stuttgart 1989, 116-70, ebd. 154-66. 91 Provinzialkapitel Nürnberg 1439: quod prefata reformationis forma in quolibet monasterio de verbo ad verbum diligenter auscultat in bona et legibili littera habeatur, Trithemius, Opera pia (Anm. 7) 1045b. Ähnlich die folgenden Provinzialkapitel. Vgl. Benedictina (Anm. 2) c.39: in singulis Ecclesiis cathedralibus et monasteriis et locis aliis conventualibus ... sub scriptura authentica perpetuo habeatur. Zum Verbreitungsprinzip auch VOLK, Generalkapitel (Anm. 4) 17 f.; MELVILLE, Schriftlichkeit (Anm. 10) 405 und 413. 92 Zahlen nach den Listen bei BERLIÈRE, Chapitres 18 (Anm. 1) 371 f. (59 f.), 384 f. (72 f.); 19 (Anm. 1) 38 f. (86-88), 53 f. (101 f.). Die Zitationsliste des Provinzialkapitels in St. Maximin vom April 1442 nennt nur 57 Klöster aus 8 Diözesen der Kirchenprovinzen Köln (ohne Minden und Utrecht) und Trier; Trier, Bibl. des Priesterseminars, ms. 224, fol. 200rv. 93 Siehe SCHREINER, Mönchtum im Geist (Anm. 1) 110; SCHREINER, Verschriftlichung (Anm. 10) 55, sowie oben Anm. 7. 94 Es dürfte kein Zufall sein, daß auch unter den Reformdekreten, die Nikolaus von Kues auf seiner Legationsreise verbreitete, dasjenige über die Observanz der alten Orden ('Quoniam sanctissimus') sowohl die häufigsten Publikationsbelege wie offenbar auch die meisten erhaltenen Originale und Kopien aufweist; E. MEUTHEN, Die deutsche Legationsreise des Nikolaus von Kues
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den Kapiteln durch notariell beglaubigte Transsumpte vor sich, die von einer Originalausfertigung erstellt wurden, wobei federführend die präsidierenden Äbte tätig waren95. Nach Notarsmanier läßt man die äußeren Merkmale der Konzilsbulle mit der Genauigkeit eines Diplomatikers beschreiben96. Schriftverbreitung der authentischen Normtexte: eine wichtige Voraussetzung für das Gelingen von Reform - mehr aber auch nicht97. Ein Grundprinzip vormoderner Gesetzespromulgierung ist die Iteration. Und dies in zwiefachem Sinne: Zum einen wurden ältere Bestimmungen in neueren kettengleich - schriftlich - wiederholt, man denke an die stereotype Rezeption von ICM auf vier Provinzialkapiteln. Bei Synodalstatuten ist das Phänomen ebenso bekannt. Doch läßt die Iteration die Möglichkeit offen zu modifizieren, zu erweitern, zu streichen. Die Lettern, mit denen Statuten geschrieben wurden, waren eben doch nicht ehern98. Zum anderen erhält im Kontext der 'Iteration' erhält auch die Mündlichkeit ihre Rolle. Die in festen Zeittakten vorgeschriebene Verlesung von Normtexten bildet einen solchen iterativen Akt: ein stereotypes, aber auch ein gleichsam beschwörendes 'Einschärfen' des Textes. Die Benediktiner mit ihrer reichen Tradition täglicher Lektüren in Refektorium, Chor und Schuldkapitel waren daran gewöhnt99. Die verschiedensten Intervalle sind möglich, zweimal im Jahr bei der 'Benedictina' oder, wie im Falle von ICM, viermal im Jahr, bei lokalen Visitationschartae auch einmal im Monat100. Regelmäßige Wiederholung der 'Kapitel' im 1451/52, in: Lebenslehren und Weltentwürfe im Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit, hg. von H. BOOCKMANN u.a. (Abh. der Akad. der Wiss. Göttingen Phil.-hist. Kl. 3. Folge 179) Göttingen 1989,421-499, ebd. 472-476 (nr. 8). Demnächst Acta Cusana 1/3. 95 Provinzialkapitel Nürnberg 1439: Nos Hartungus, Georius et Heinricus abbates presidentes ... hoc transsumptum fieri iussimus et per Michaelem Hickler, presbiterum Bambergensis dyocesis, subscribi mandavimus, diclo domino Nicoiao compresidente nostro proprio tunc sigillo carente ... sigillorum nostrorum appensione iussimus communiri\ fol. 182r der aus Erfurt stammenden Kopie Wien, Nationalbibl., ser. nova 3355; vgl. auch Anm. 73. Ein zweites vollständiges Transsumpt ist Köln, Erzbischöfl. Diözesanarchiv, Bu U 4; siehe unten Anhang III. 96 Coram nobis certe littere sacri Basiliensis concila, eins vera bulla bullata in Cordula canapea pendente more sacrorum conciliorum admodum quinterni plurimorum foliorum, continentes reformacionem sepedicti ordinis nostri non viciate, non cancellate, non abrase nec in aliqua sui parte suspecte omni prorsus vicio et suspicione carentes producte fuerunt et exhibuerunt, quorum tenor de verbo ad verbum sequitur et est talis: 'Sacrosancta ...' (folgt Text von ICM); Wien, Nationalbibl. ser. nova 3355 fol. 174r; vgl. Trithemius, Opera pia (Anm. 7) 1045. 97 Ähnliche Überlegungen dürften für die Diözesansynoden gelten. - Als Beispiel der Ankaufsvermerk: Item pro statutis synodalibus pro expensis V tal. III ß.; B. CERNIR, Das Schrift- und Buchwesen im Stifte Klosterneuburg während des 15. Jahrhunderts, in: Jb. des Stiftes Klosterneuburg 5 (1913) 127, 139 Z. 31, ähnlich Z. 41. 98 SCHREINER, Dauer (Anm. 4) 314 f. Vgl. die treffenden Beobachtungen von R. SCHIEFFER an hochmittelalterlichen Consuetudines: Consuetudines monasticae und Reformforschung, in: DA 44 (1988) 161-169. Ein Beispiel ftir Varianz bildet etwa der Michaelbeuerner Text von Q (siehe unten Anhang II). 99 Beipiele aus der Kastler Bewegung bei SCHREINER, Klosterreform (Anm. 1 ) 115-118. 100 Benedictina (Anm. 2) c.39: quod in singulis provincialibus capitulis ... bis quolibet in anno ... integre et attente legatur. - Basier Statuten 'Quoniam' (1436 Aug. 24) c.40: Que volumus nihilominus bis in anno in capitulo quotidiano, ne quis causam ignorancie pretendere valeat, distincte legi una cum constitutione Benedicti duodecimi-, siehe Anm. 139. - Nürnberger Kapitel 1439: Semel in qualibet angaria (sc. an den vier Fronfasten) in capitulo quotidiano publice legatur et per presidentem, aut cui iusserit ipse, in vulgari(!) fratribus exponatur, ne praetextu ignorantie se quisquam valeat excusare; Trithemius, Opera pia (Anm. 7) 1045b; ähnlich für Erfurt 1444: UB Sanct Gallen VI/1 (Anm. 85) 70 f. nr. 4594. Eine ähnliche Bestimmung über volkssprachliche Auslegung nennt
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doppelten Sinne, der Versammlungen wie der Statuten, soll die Dauerhaftigkeit der Reform selbst gewährleisten101. Übersicht über den Inhalt der 'capitula' Bei einer Analyse der Kapitelspektren ist davon auszugehen, daß die 'Regula Benedicti' ohnehin, aber auch 'Benedictina' und Petershausener Rezeß geltende Normen waren 1 0 2 . Das heißt, wenn Themen zu 'fehlen' scheinen, so oft nur, weil man sie zwar vorlas, aber nicht mehr eigens schriftlich wiederholte. Der größte Block 1 0 3 erweist sich durchaus als Gegenstand schriftlicher Iteration. Er erscheint als Kern weitgehend identisch im Peterhausener Rezeß, zum Teil schon in der Benedictina, sowie dann in ICI, Q und ICM. Dazu gehört: der überall erstplazierte Gottesdienst (c.l 'De officio divino' 104 ), das tägliche Schuldkapitel (c.2 und c.3), die Pflege von liturgischen Büchern und Geräten (c.6), die kleinteilig zerfaserte Passage zu Ordenstracht und Tonsur (c.8-9) 105 , zu Refektorium 1 0 6 , Lektur und Schlafsaal 1 0 7 (c.10-12). Ebenso gleich bleiben die Kapitel zu Schweigegebot (c.l3), Pförtnern (c.l4), Aufnahme von Mendikanten (c.l5), Novizenunterricht (c.l6), zur Veräußerung von Klosterbesitz ( c . l 9 und c.20), Anlage von Inventaren (c.21) 108 , zum Verbot, statt Viktualien Geld zu reichen (c.23/38), und zur Nonnenklausur (c.29). Die Einschränkungen des Adelsmonopols wurden, wie der Forschung nicht entgangen war 1 0 9 , in Basel gegenüber Petershausen etwas strikter gefaßt; und zwar bereits 1436 in Q (c.14), das damit gegenüber ICI einen neuen Akzent setzte 110 .
FRANK, Peterskloster (Anm. 51) 370; siehe auch SCHREINER, Klosterreform (Anm. 1) 116. Reichenauer Visitationsrezeß des Johannes Rode von 1435: presens carta nostra ... quolibet mense ad minus semel in presentía totius congregationis publice, distincte ac intelligibili voce legatur, ed. BECKER, Visitationstätigkeit (Anm. 27) 238 f., dazu ebd. 213. 101 Vgl. die Überlegungen von SCHREINER, Dauer (Anm. 4) 305. 102 Siehe zur Fortgeltung päpstlicher Bestimmungen ICI c.42, ICM c.37. 103 Kapitelszählung von ICI in der Konkordanz. 104 Siehe besonders HLSCH (Anm. 58) 61-70; ANGERER, Liturgisch-musikalische Erneuerung (Anm. 3 2 ) 8 0 - 8 3 , 111. 105 Vgl. ZELLER, Petershausen (Anm. 3) 31 f.; BECKER, Reformprogramm (Anm. 1) 216 s.v. 'Kleidung'; J. ANGERER, Die Bräuche der Abtei Tegernsee unter Abt Kaspar Ayndorffer (1426-1461) (SMBO Erg.-Bd. 18) Ottobeuren 1968, 346 s.v. 'cuculla', 362 s.v. 'vestes'; HLSCH (Anm. 58) 87-91. 106 Das in Petershausen gegenüber der 'Benedictina' wieder verschärfte Verbot jeglichen Fleischgenusses findet sich identisch in ICI (c.10), Q und ICM: nullus omnino carne vescatur (= Zitat aus X 3.35.6; Friedberg 2, 599). Vgl. G. ZIMMERMANN, Ordensleben und Lebensstandard. Die cura corporis in den Ordensvorschriften des abendländischen Hochmittelalters (Beitr. zur Geschichte des alten Mönchtums und des Benediktinerordens 32) Münster 1973, 61-64, 568 s.v.; C. BURGER, Aedificatio, Fructus, Utilitas. Johannes Gerson als Professor der Theologie und Kanzler der Universität Paris (Beitr. zur Histor. Theologie 70) Tübingen 1986, 167-173; SCHREINER, Klosterreform (Anm. 1) 193 f.; K. SCHREINER, Mönchsein in der Adelsgesellschaft des hohen und späten Mittelalters (Schriften des histor. Kollegs. Vorträge 20) München 1989, 30-33. 107 Einzelzellen bleiben verboten, canzellierte und Einblick gewährende Abtrennungen innerhalb des Dormitoriums sind aber indirekt gestattet. Non autem (sc. dormiant) per cameras, máxime, si non fuerint cancellatae competenter, ita quod aperte et clare possint videri in eis lectisternia pro modo conversationis; Trithemius, Opera pia (Anm. 7) 1020. Zum Zellenbau als Element von Reform sowie einer den Bettelorden nachvollzogenen Individualisierung siehe SYDOW, Auswirkungen (Anm. 1)211-15. 108 Siehe dazu SCHREINER, Verschriftlichung (Anm. 10) 64-67; K. SCHREINER, Erneuerung durch Erinnerung: Reformstreben, Geschichtsbewußtsein und Geschichtsschreibung im benediktinischen Mönchtum Westdeutschlands an der Wende vom 15. zum 16. Jh., in: Historiographie am Oberrhein (Oberrheinische Studien 7) Sigmaringen 1988, 35-88, ebd. 47 Hinweis auf ICM. 109 ZELLER, Petershausen (Anm. 3) 36, gewichtet unrichtig, wenn er c.l7 von ICM für "völlig" an Petershausen (c.28) angelehnt hält. SCHREINER, Sozial- und standesgeschichtliche Untersuchungen (Anm. 51) 98, erkennt die Veränderung gegenüber Petershausen; ebenso SCHREINER, Mönchsein in
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Einen zweiten Block von Kapiteln haben ICI, Q und ICM allein; sie führen also über Petershausen hinaus. Dazu gehören Bestimmungen zur Güterverwaltung: Ausreichende Versorgung der Mönche durch den Abt (c.30), Absetzung säumiger Verwalter (c.36), Verbote, Benefizien an Verwandte zu geben (c.40) und Laien an der Güterverwaltung führend zu beteiligen (c.44), Erlasse gegen die Jagd (c.37), gegen Proprietas (c.34 1 1 1 ) und Incontinentia (c.39). Die Kritik richtet sich deutlich gegen die Äbte, deren 'malum regimen' offenbar die Hauptschuld an der unterstellten Krise angelastet wird. Der dritte Block schließlich umfaßt die Kapitel (c.22 bis c.31), die in QACM neu hinzugefugt wurden. Kurz in Auswahl zu erläutern lohnt das nicht unoriginelle Sondergut von ICI 1 1 2 . c.3: Eine Tafel (tabula) mit den wöchentlich wechselnden Chor, Lektur- und sonstigen Diensten, hinter die jeweils die Namen der beauftragten Mönche zu schreiben sind, soll verlesen und öffentlich (in choro) aufgehängt werden; eine Praxis, die längst verbreitet gewesen zu sein scheint 1 1 3 , c.24 und c.25 1 1 4 befassen sich mit Büchern. Sie lassen schon deshalb aufhorchen, weil intensiviertes Bildungsstreben, sichtbar in verstärkter Pflege der Bibliotheken, zu den edelsten Komponenten der spätmittelalterlichen Benediktinerreform gezählt 115 , j a gelegentlich als Brücke zum Humanismus angesehen wird. Die Schriften des Alten und Neuen Testaments, der vier lateinischen Kirchenväter und anderer doctores, welche die Heilige Schrift auslegen, also Bibelkommentare, Homilien etc., sollen in einer publica libraria gut verschlossen aufbewahrt und gepflegt werden, was j a zunächst heißt: sie müssen vorhanden sein! Es ist nach meiner Kenntnis das einzige Beispiel zeitgenössischer beneder Adelsgesellschaft (Anm. 106) 47 f. Neben diesem grundlegenden Beitrag auch K. SCHREINER, Consanguinitas. Verwandtschaft als Strukturprinzip religiöser Gemeinschafts- und Verfassungsbildung in Kirche und Mönchtum des Mittelalters, in: Beiträge zu Geschichte und Struktur der mittelalterlichen Germania Sacra, hg. von I. CRUSIUS (VMPIG 93 = Studien zur Germania Sacra 17) Göttingen 1989, 257-60; H. HEIMPEL, Die Vener von Gmünd und Straßburg 1162-1447 (VMPIG 52,1-HI) Göttingen 1982, II 736-743, 891, 928, 953 f.; III 1288-1290 (Edition). 110 Auch wenn bei Konkurrenz dem Adelskandidaten Vorzug gegeben wird (so Petershausen c.28: nobiles in receptione ceteris paribus praeferantur, ed. ZELLER [Anm. 3] 61), darf das - unter pares keine grundsätzliche Exklusivität bedeuten: tarnen et alii ob hoc non excluduntur nec debent excludi; Trithemius, Opera pia (Anm. 7) 1021. 111 Zur Problematik besonders aufschlußreich: HEIMPEL, Vener (Anm. 109) II 933-51; III 1267-84 nr. 25a. 112 Text siehe Anhang I; c.18 (Spolien des Abtes) stammt aus Petershausen (c.24), bzw. der Benedictina (c.15), ohne in Q oder ICM überzugehen. 113 Die Sublacenser 'Caeremoniae' kennen die 'tabula officialium' ebenso wie das davon abgeleitete 'Breviarium' von Melk; ANGERER (Ed.), Caeremoniae (Anm. 12) 50-52 c.XVII; ANGERER (Ed.), Breviarium (Anm. 12) 56-58 c.XXI und 303 f. s.v. 'tabula'. Auch in Tegernsee ist die tabula officiorum hebdomae bekannt; ANGERER (Ed.) Bräuche (Anm. 105) 182,21-27 und 361 s.v.; ebenso in den Trierer 'Consuetudines' des Johannes Rode; BECKER (Ed.), Consuetudines (Anm. 12) 318 s.v. 'tabula officiatorum et celebrantium'. Anklänge auch an c.32: de tabula scribenda, des Lütticher 'Líber Ordinarius'; ed. P. VOLK, Der liber Ordinarius des Lütticher St.-Jakobs-Klosters (Beitr. zur Geschichte des Mönchtums und des Benediktinerordens 10) Münster 1923, 45-49. - Das Dekret der 21. Sessio des Basler Konzils (1435 Jan. 9) mag zunächst mit angeregt haben, bzw. könnte seinerseits monastisch beeinflußt gewesen sein; COD 491,18: statuatur tabella aliqua continué pendens in choro. Vgl. HELMRATH, Reform (Anm. 1)115. 114 Ergänzend zum traditionellen c.6 über die Pflege der liturgischen Bücher und Geräte. 115 Bester, die verschiedenen Reformbewegungen differenzierender Überblick bei SCHREINER, Klosterreform (Anm. 1) 112-137. Beispiele zur Bibliothekspflege als 'Reform' bei SYDOW, Auswirkungen (Anm. 1) 218 f. Vgl. auch CERNIK, Schrift- und Buchwesen (Anm. 97); K. HOLTER, Der Einfluß der Melker Reform auf das klösterliche Buchwesen in Österreich, in: Klösterliche Sachkultur des Spätmittelalters (SB der Österr. Akad. der Wiss. Phil.-hist. Kl. 367) Wien 1980, 305-320. Aus der reichen Lit. zur monastischen Bildung sei nur genannt: Los monjes y los estudios (IV a Semana de estudios monásticos, Pöblet 1961) Pöblet 1963; L. BOEHM, Papst Benedikt XII. als Förderer des Ordensstudiums, in: Secundum regulam vivere. Festschrift für Norbert Backmund, W i n d b e r g 1978, 2 8 2 - 3 1 9 ; SCHREINER, M ö n c h t u m im G e i s t ( A n m . 1) 126-39; BECKER, B i l d u n g s -
streben (Anm. 1) passim, sowie den Beitrag von D. WASSERMANN in dieser Festschrift.
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diktinischer Normtexte, das einen - bescheidenen - Bücherkanon enthält" 6 . Überbewerten wird man ihn nicht, für 'humanistisch' halten ebensowenig. Das Problem des sog. 'Klosterhumanismus' sei daher nur angedeutet; ist doch der Übergang vom reformintensivierten monastischen "Bildungsstreben" zum humanistisch inspirierten Leseinteresse fließend 117 . Aber Bücher sind als 'Aquaedukte der Weisheit' zugleich materieller Besitz, und ein kostbarer dazu: c.25 verbietet strikt deren Verkauf oder Verpfändung. Man sah mit einer spirituellen 'Reform' kaum trennbar verquickt auch ökonomische 'Reform', sprich disziplinierteres und effektiveres Wirtschaften. Voraussetzung dafür ist korrekte und rationelle Buchführung (siehe c.21), also Verwaltung durch Schriftlichkeit118. c.27 betrifft die geistliche Amtsführung des Abtes als vita communis mit seinen Mönchen 119 , wogegen c.28 den klassischen Casus von Simonie qua Geldnahme beim Klostereintritt verbietet120 und damit zum neuralgischen Laster der Proprietas überleitet. Ihr Makel wirkt sogar über den Tod hinaus: Die Dekretale 'Cum in monasterio' (X 3.35.6) hatte in drakonischer Schärfe Exhumierung von Proprietariern aus geweihter Erde und Verscharren "auf dem Mist" (in sterquilinio) angeordnet121, c.35 bietet dazu eine nicht weniger bizarre Ergänzung 122 : Wenn noch vor dem Tod ertappt, darf der proprietarius nach seinem Ableben zwar separiert von den Mitbrüdern und ohne Zeremonie, aber immerhin in geweihter Klostererde beigesetzt werden. Entlarvt man sein Tun erst nach seiner Beerdigung, ist ein posthumes Verfluchungsritual in Szene zu setzen: Alle Mönche gehen zum Grab, treten es mit Füßen und sagen: "Es reut uns, dich an öffentlichem (geweihtem) Ort begraben zu haben, wo du doch ein asozial Abgesonderter (particularis) und Eigentümer (proprietarius) warst." Ein ergänzender Satz der Handschrift Michaelbeuern erläutert, daß der Leichnam Exhumierung und Misthaufen auch dann nicht entgeht: servetur ins, also: 'Cum in monasterio' ist anzuwenden. Gleichsam kompensatorisch soll das Ritual offenbar nur dann wirken, wenn man die Knochen des Übeltäters im Friedhofsboden nicht mehr individuell von denen der Rechtschaffenen unterscheiden kann (si ossa nonpossunt discerní)123. Die Herkunft des Rituals ist bislang nicht zu klären124; möglicherweise handelt es sich um ein Unikum. Hatte eines der Ausschußmitglieder da Lokaltraditionen eingebracht? 116 In der Tat "bringen die Normtexte zu dieser Frage (sc. Bibliotheken) überraschend wenig"; SYDOW, Auswirkungen (Anm. 1) 217. - Hübsch die Anweisung fur gesammelt peripathetischen Mönchsgang: in librum vel in terram oculis defixis incedant orantes (c.4). 117 Zur Problematik, die dringend neuer Untersuchung bedarf, siehe zuletzt BECKER, Bildungsstreben (Anm. 1). Vgl. auch den Beitrag von K. SCHREINER in dieser Festschrift. - Ein Herzstück der Benedictina (c.7 und c.8), das Universitätsstudium der Mönche, erscheint in den 'Statuta' (c.218 und c.219), in Q (c.27b bis c.30), dann in ICM (c.30 und c.31). 118 In diesen Zusammenhang gehört auch c.26 über Einrichtung eines Klosterarchivs (archa aut armarium). 119 Dies liegt ganz auf der Linie von Johannes Rodes 'De bono regimine abbatis' (siehe oben Anm. 18). Nur im Sondergut von ICI (c.4b und hier c.27) finden sich im übrigen Hieronymus-Zitate. 120 Vgl. X 3.35.2 (Friedberg 2,596 f.; COD 216,15-18) als Kern derartiger Bestimmungen. Weiteres Material bei HEIMPEL, Vener (Anm. 109) II 1284-1287 nr. 25a. 121 X 3.35.6 (Friedberg 2, 599): Quodsi proprietas apud quemquam inventa fuerit in morte, ipsa cum eo in Signum perditionis extra monasterium in sterquilinio subterretur. Vgl. P. LEX, Das kirchliche Begräbnisrecht historisch-kanonistisch dargestellt, Regensburg 1904, 385; A. BERNARD, La sépulture en droit canonique du décret de Gratien au concile de Trente, Paris 1933, 117-125; HEIMPEL, Vener (Anm. 109) II 939 f. 122 Als c.20 auch in Q. - Das Kapitel der Köln/Trierer Provinz 1448 in Groß St. Martin zu Köln bestätigt in voller Strenge 'Cum in monasterio' (X 3.35.6) als Romanorum pontificum horribiles (!) sanxiones et décréta; Trier, Bibl. des Priesterseminars, ms. 224, fol. 200r. 123 Text Z. 169-171. Zum Inhalt vgl. X 3.28.12. 124 Gewisse Parallelen finden sich in kartäusischen Statuten: Defunctis vero in furto vel proprietate ultra duodecim denarios in coemeterio non sepeliuntur, immo et sepulti extrahuntur; Statuta antiqua ordinis Cartusiensis in tribus partibus comprehensa, Basel 1510, III 32 §7; von da in Johannes Rodes 'Consuetudines' eingegangen; ed. BECKER, CCM V (Anm. 12) 267,28-31. - Zum Begräbnisritus,
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Zusammenfassung Im Rückblick erscheint die Geschichte der drei Basier Texte als langgezogener, mehrstufiger Prozeß, der sich über wenigstens drei Jahre erstreckte. Ohne die komplexe "Phylogenese" (Angerer) etwa der Subiaco-Melker Caeremonialia zu erreichen, bietet sie doch in überschaubarerem Rahmen ein typisches Beispiel für Statutenentwicklung: sowohl für ihr proteushaft wandelbares Wachsen wie für ihre versatzstückhafte Starre. Statuten: Baukästen, deren Spielmaterial die Capitula sind. Doch zeigt ein Vergleich, wie intensiv in jeder Etappe an den Texten gearbeitet wurde. Die Schritte im einzelnen: 1) Der Basler Benediktinerausschuß, möglicherweise in Zusammenarbeit mit einem Konzilsausschuß, stellt einen Statutenentwurf für das Generalkapitel der Provinz Köln/ Trier zusammen, der partiell auf ältere Statuten ('Benedictina', Petershausen) zurückgreift. 2) Das Konzil publiziert diesen Entwurf als Bulle 'Inter curas innúmeras' 1436 Mai 27 (1. Text). 3) Der Statutenentwurf wird auf dem Basier Kapitel im August 1436 mit wesentlichen Modifikationen (Streichungen, neue Kapitel) für die Köln/ Trierer Benediktinerprovinz im Statutentext Q verabschiedet (2. Text). 4) Die Basler Statuten werden vom folgenden Köln/ Trierer Kapitel April 1437 in Köln rezipiert und weiter verbreitet. [5] In den Jahren 1434/36 entstehen mit gelegentlichen Parallelen zu ICI/Q die caeremonial ausgerichteten Salzburger 'Statuta' als Derivat der Melker Linie in Basel. 6) Nach zweijähriger Pause erhält die Textform Q mit geringen Veränderungen am 20. Februar 1439 als allgemeine Konzilsbulle 'Inter curas multíplices' neue Konfirmation und Publizität, um 7) in dieser Bullenform im April 1439 auf dem Nürnberger Kapitel und dann auf den folgenden drei Kapiteln der Mainz/ Bamberger Provinz bis 1447 wiederum regional und innerbenediktinisch rezipiert zu werden. Über weitere Abschriften gelangte er dann 8) als Teil spezieller Transsumptcorpora aus Reformtexten und der besonders seit 1482 angelegten Statutensammlungen der Provinz125 als Standardtext zu später Kodifikation. Diese schloß 9) auch den Buchdruck ein. Bis 1439 hatte sich das Pendel der Publikation zweimal zwischen Konzil und Benediktinerkapiteln hin und her bewegt. Es schwang dabei auch von der Kölner zur Mainzer Provinz hinüber. Äußerlich scheint es, als habe man sich in diesem frappanten Rezeptionszickzack die Capitula wie einen Sack Bälle zugespielt und den Text je nach Bedarf im konziliaren oder im ordensinternen Ausstellergewand konfirmiert. Doch Ägide, Kontrolle und, wie wir sahen, auch die Überlieferung behielten die Benediktiner weitgehend selbst in Händen, tätig auf beiden Seiten, in ihren Provinzialkapiteln u n d an der Zentrale Basel. Soweit unser Beispiel für die 'Lebensformen' eines Textes. Blickt man abschließend nochmals auf die Provenienz der Handschriften aller drei Texte, zwischen Melk und St. Paul i. Lavanttal im Südosten, Lüttich und Verdun im Westen, Cismar und Lüneburg im Norden, so zeigt sich überdeutlich: Die Benediktinerreform des Basler Konzils bezieht sich ausschließlich auf die deutschen Provinzen, auf die 'natio germanica'! Frankreich, Italien, Spanien und aber ohne Hinweis auf eine c.35 vergleichbare Passage: E. MARTENE, De antiquis ecclesiae ritibus IV: De antiquis monachorum ritibus, Lyon 1690, 728-799; H. FRANK OSB, Geschichte des Trierer Beerdigungsritus, in: Archiv für Liturgiewissenschaft 4 (1956) 279-315. 125 Siehe Anm. 7.
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England kommen in der Überlieferung der Texte nicht vor126, obwohl teilweise auch dort Reformbewegungen blühten127. Das Basiiiense war, so gesehen, ein Reformkonzil für die deutsche Kirche. Und manches spricht dafür, daß dies nicht allein für den Bereich der Benediktiner galt. Die 'reformatio particularis' der Schwarzen Mönche fügte sich in die Vision einer reformatio totae Germaniae, wie sie der Konzilspräsident Cesarini hegte128. In seiner Jugend bei der Legation des Kardinals Branda 1422/23 dabei gewesen, mußte er wegen des neuen Schismas den Plan einer eigenen Reformreise aufgeben. Seine Mission übernommen hat fünfzehn Jahre später ein anderer: Nikolaus von Kues 1451/52. Dessen Legationsreise aber wird Erich Meuthen bald selbst in den 'Acta Cusana' - dokumentieren129. Konkordanz, Handschriftenlisten und Texte Da hier keine textkritische Edition in Spaltenform geboten werden kann - dies wäre Zukunftsaufgabe -, sind in Konkordanz und Edition Vereinfachungen in Kauf zu nehmen. Als Haupttext wurde ICI in die erste Kolumne gestellt. Neben die Basler Texte treten zum Vergleich der Petershausener Rezeß, zwei weitere gedruckte Statuten (Trier 1422; Reichenau 1435) sowie die Benedictina und die Regula Benedicti. Schwierigkeiten: 1. Tituli. Nicht alle Kapitel sind in den Hss. mit eigenen Tituli versehen, und wenn sie vorhanden sind, finden sie sich nur selten einheitlich. Nach Möglichkeit wurden die Tituli aus den Hss. von ICI in die Konkordanz übernommen. Fehlen tituli von ICI in allen Exemplaren, wurden sie nach dem Druck von Trithemius ergänzt; fehlen sie auch dort, etwa bei Sondergut von ICI oder weil das betreffende Kapitel einem anderen Kapitel subsumiert wurde, wurden sie vom Herausgeber inhaltlich konjiziert und, zum Teil in deutscher Sprache, in < > gebracht. Die Tituli der c.22-31 von Q sind gleichfalls dem Trithemius-Druck entnommen. 2. Fortlaufende Zählung der Kapitel. Hier liegt das Problem ähnlich: Sofern eine Zählung in allen oder einzelnen Hss. vorhanden ist, wurde sie übernommen; falls nicht, sind die Kapitel der betreffenden Texte in der Reihenfolge der in den Hss. durch Item ... Item ... (oder durch markante Abschnitte) deutlich kapitelhaft abgesetzt erkennbaren §§ vom Herausgeber durchgezählt, nach Möglichkeit wieder unter Orientierung am Trithemius-Druck von ICM. 3. Materien, die in einigen Texten zu einem Kapitel gebündelt, in anderen jedoch in mehrere zergliedert sind, wurden nach den erkennbaren Zäsuren jeweils 126 Daß dort noch Texte auftauchen, ist nicht sehr wahrscheinlich. Für Mitteilungen hierzu wäre ich dankbar. 127 Die Kontakte, etwa zu Sta. Giustina über seinen Abt Ludovico Barbo, sind kaum untersucht. Aber es dürfte auch nicht viel dabei herauskommen. 128 Sed optabat realem reformacionem plus quam verbalem, iamque ut fieret misisset in Almaniam ... reformare totam Germaniam visitandopersonaliter, MC II 915,15-19. 129 Bisher bereits MEUTHEN, Legationsreise (Anm. 94); E. MEUTHEN, Thomas von Aquin auf den Provinzialkonzilien zu Mainz und Köln 1451 und 1452, in: H. VOLLRATH/ ST. WEINFURTER (Hg.), Köln - Stadt und Bistum in Kirche und Reich des Mittelalters, Festschrift für Odilo Engels (KHA 36) Köln 1993, 641-658.
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separat für ICI, Q, ICM usw. durchgezählt. Der Kapitelzählung ist demnach nur sehr relative Bedeutung zuzumessen. 4. In ICI doppelt auftretende Kapitel wurden unter Nennung beider §§-Ziffern mit durchgezählt, zum Beispiel 'de inventariis' 21/33 (siehe unten Zeichenerklärung). Siglen der in die Konkordanz-Tabelle aufgenommenen Texte: ICI Q ICM Sta Pet Tr Rei Ben RB
= = = = = = = = =
Bulle'Inter curas innúmeras'(1436 Mai 27) 'Quoniam'- Statuten des Basler Provinzial-Kapitels (1436 Aug. 24) Bulle'Inter curas multíplices'(1439 Februar 20) Basler 'Statuta' 'Cum inter ceteros ordines' [ca. 1436]130 Statuten des Petershausener Rezesses (1417 März 29)131 Statuten des Trierer Provinzialkapitels (1422 Oktober 17)132 Visitationsrezeß des Joh. Rode für Reichenau von ca. Mitte 1435133 Benedictina (1336 Juni 20)134 Regula Benedicti135 Zeichenerklärung:
Tituli ohne Klammern: nach Hss. von ICI oder Trithemius-Druck von ICM Zahlen ohne Klammern und Zeichen in einer Reihe: weitgehende Textidentität
nichtoriginale Tituli, durch Hg. konjiziert // doppelt auftretender Titel in ICI () enge Textnähe ohne ganz wörtliche Übereinstimmung [] thematische, aber kaum textliche Ähnlichkeit 1< enge Parallelen, aber mehr Text (sc. als ICI) 1> enge Parallelen, aber weniger Text (sc. als ICI) var stärkere Varianten in der hss. Überlieferung von ICI s.o. "siehe oben" - Verweis auf § des Ersterscheinens eines doppelt auftretenden Titels innerhalb der Kolumne (z.B. /De mutuis/ 32/20)
130 Nach der Edition von HlSCH (Anm. 58) mit Kapitelzählung nach Salzburg, Stiftsarchiv St. Peter, A 202. 131 Ed. ZELLER, Petershausen (Anm. 3) 57-62. 132 BERLIÉRE, Chapitres 18 (Anm. 1) 377 (65). Bei BERLIÉRE nicht genannt: Trier, Stadt-Bibl., 1239/601 fol. 85-87 (unvollst. Text; dazu P. BECKER, Die Vorstadien der Consuetudines des Abtes Johannes Rode von St. Matthias (t 1439), in: RBén 71 (1966) 292-316, ebd. 293; Trier, Bibl. des Priesterseminars, ms. 224, fol. 174r-181r (siehe BECKER, Neue Quelle [Anm. 8] 82). Der Text wurde zweifach gedruckt: a) durch U. BERLIÉRE, Das General-Capitel O.S.B, in Trier a. 1422, in: SMBO 8 (1887) 87-96; b) durch [CHR.] LAGER, in: ebd. 15 (1894) 95-111. 133 Druck: BECKER, Visitationstätigkeit (Anm. 27) 226-239, nach Trier, Stadtbibl., 1733/1178, fol. 90v-98r; Beschreibung der Handschrift ebd. 207-210. 134 Ed. Taurinensis (Anm. 2). 135 Die Benediktusregel lateinisch und deutsch, hg. von B. STEIDLE OSB, Beuron 4 1980.
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Konkordanztabelle: Texte zur Reform des Benediktinerordens136 Eft 11
Ir
Titulus De officio divino
IO 1
3 4ab
2
2
-
-
-
-
5
3
3
6
4
4
-
-
-
-
-
-
5ab 6ab
5-6 7-8
119-149
15
5
10
7
9
[87-89]
16
6
11 12
7 8
10 11
"
17
7< 8
15 16
13 14
20/32 21/33 22var
17 18 14
pastorem angelicum Wortstellung B i 2,W. innocencia W. m n ¡futuri B 1 2 ,W. fehlt W. adducentes B2. °korr.O. PfehltB 1>2 . 1 virgo Maria dei genitrix Wortstellung Bp
53 54 55 56 57 58 59 60 61 62 63
Vgl. Iac. 1, 17. Luc. 11,35. Matth. 6, 23. l.Cor. 12, 7. Vgl. Act. 2, 38. l.Cor. 12, 10. l.Ioan.4, 1. 2. Petr. 2, 1 und 3, 16. Ioan. 12, 34. Vgl. 2. Petr. 2, 1; siehe zum Folgenden oben S. 277. Vgl. Hebr. 13, 9: Doctrinis variis et peregrinis nolite abduci.
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sancti sepe eidem visibiliter apparuerunt precipientes, ut contenta in scripturisr suis cunctis fidelibus predicareI64 iturus per universum mundum. Unde, fatetur, huiusmodi sua scripta communicasse in Germania, Francia et Hispanias pluresque invenisse sibi consencientes. Veniensque deinde ad hoc sacrum concilium - missus, ut inquit, a deo sanctisque eius Emerano et Henrico1 - nonnullis ex patribus scripta sua presentavit. Sancta vero hec synodus, inter cetera ad extirpacionem" heresum legittime congregata permanens, persona eius primum diligenti custodie tradita scripta eius visitali precepit per plures sancte Romane ecclesie cardinales, episcoposv, abbatesw, magistros et doctores, extractis abinde articulis diversis quos fecit diligenter examinari. Et cum manifeste contradicant hiis, que olim65 deus patribus in prophetis et novissime locutus est nobis in filio suo, ex tenore demonstrant quas recitai visiones non Celestes sed vel illusiones fuisse maligni spiritus autx per66 tumorem sui animi ab? eo confictas, sancto Moysez, qui palam61 et non per enigmata deum videbat, attestante68: Verbum, quod propheta arrogando depravatus annunciat33 in nomine domini verumqueab non fuerit, hoc dominus non80 est locutus; non69 est enim quasi homo, ut menciatur, nec ut filius hominis, ut mute tur. Impossibile quippe est, ut inquit Apostolus70, deum mentiri, nec71 est dissensionis deus, sedpacis. Maturaad ergo desuper habita deliberacione huic sancte synodo visum est, quia non est participacio11 iusticie cum iniquitateae nec societas lucis ad tenebras: dogma contentimi in opusculis prefati Nicolai non vere fidei lumen73, sed pocius errorum tenebras esse. Et ut cuncti fideles precaveant, omnia et singula opuscula seu libellos predicti Nicolai et presertim libellum, quemaf vocat "Testimonia spiritus sancti in propheciis2«", item exposiciones eius super Oracione dominica, Psalterio, Apocalipsi et aliis libris novi et veteris testamenti tamquam74 non sanam sed erroneam in fide doctrinam continentes dampnat et reprobat. Decernit rursus et"11 declarat articulorum sequencium, qui ex dictis scriptis"' suis extracti sunt, multos incidere"« in iam dampnatasak erroresal et hereses, alios vero manifestam sapere heresim, eosque tamquam tales reprobat et condempnat.
r
scrìptis W. heresumBx. z
s
Hyspania W. " episcopis B
w
' Herenco Bj, Heinrico W. x abbatibus B,. ac W.
u
extirpandum heresim statt ext. y fehlt ab eo confictas B| 2.
m ab ac Moysi W. anmmciet B,. korr. O. fehlt W. ^ a natura B,. ^ iniquitati af a ai B,. korr. O. 8prophetis W. ^ fehlt et declarat fehlt W; scripturis B 2 . a dk al J korr. incìdere - errores O dampnatosBi2. fehlt error es et B| 2 ,W.
64
Das ist entweder eine Anspielung auf das Verkündigungsgebot an die Apostel, Marc. 16, 15: Euntes in mundum Universum praedicate evangelium omni creaturae; oder - vom Selbstverständnis des Nikolaus von Buldesdorf her näherliegend - eine Anspielung auf die Verkündung des evangelium regni am Ende der Zeiten, Matth. 24, 14: Et praedicabitur hoc evangelium regni in universo
orbe, in testimonio omnibus gentibus; et tunc veniet consummatio. 65 66 67 68 69 70 71 72 73 74
Vgl. Hebr. 1, 1. Vgl. Deut. 18,22. Vgl. Num. 12, 8. Deut. 18,20.22. Vgl. Num. 23, 19. Hebr. 6, 18. l.Cor. 14, 33. Vgl. 2. Cor. 6, 14. Zum Gegensatz lumen und tenebre siehe auch oben S. 283 Z. 3 f. Formulierung nach dem Verurteilungsdekret in Sachen Agostino Favaroni; COD 493 Z. 11 f.
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Sequuntur " articuli predicti:
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Iudicium vivorum et3" mortuorum erit diversis temporibus 75 . Nam in fine Antichristi Christus76 iudicabit vivos et aliquos mortuos, quia multi sanctorum, quorum corpora 77 dignum est ut clarificentur et una cum anima intrent1% in regnum celorum, tunc resurgent; etiam ao tuncaP multi mortuorum a i dampnatorum, quorum corpora non sunt digna ut terra ilia amplius sustineat, ut Iude et ar Pilati et aliorum huiusmodi, tunc resurgent ad mortem eternam. Sed non erit generale iudicium mortuorum, quia in fine huius presentis nequissimi sexti seculi 79 erit iudicium 38 generale vivorum et aliquorum mortuorum. Et in fine septimi seculi iudicabit generaliter dominus omnes mortuos, et vivi non iudicabuntur, quia vitam innocentem duxerunt, sed rapientur in celum 80 . Post Antichristum per sex milia at annorum erit regnum dei et vita venturi septimi seculi sanctissimi. Et vivent homines in ilio seculo etiam in corpore in eternum, et reddetur eis prima innocencia Ade et Eve; quoniam sicut Adam et Eva vixissent in eternum etiam in corpore si non peccassent, sic erit vita venturi seculi. Et tunc homines sancti nubent sancte, sicut primi parentes nostri fecissent in prima innocencia. Tunc dominus Iesus Christus reddet promissa sua etiam hic in terra de sacramento altaris 81 , quia vita au venturi seculi maxime erit in virtute sacramenti altaris, et illud noni2 esurient neque sicient: licet impleatur83 in celo, tamen utique etiam implebitur in terra. Regnum et vitam futuri septimi seculi petimus in Pater Noster, cum dicimus 84 : Adveniat regnum tuum, fiat voluntas tua sicut in celo et in terra. Hoc tantum est petere: "Omnipotens deus, destrue omnia regna mundi et da imperium tuum in av universum mundum!" Et fiat voluntas tua etc., id est: "Sicut in celo, id est in Iesu Christo, fit voluntas tua, sic in terra, id est in angelico pastore fiat. Per angelicum pastorem, quem Iudei Messiam appellant sed non intelligunt, liberabuntur a captivitate dabiturque illi una cum ipsis regnum tocius mundi.
31,1
3,1 30 am Rand: Nota artículos predicti Nicolai B,. fehlt et mortuorum B,. folgt durchstria 35 chen tune resurgent B¡. "Pfehlt B,. 1 fehlt W. "fehlt W. generale iudicium 3t 30 Wortstellung B, 2, W. millenarios statt milia annorum B,, miliarios B2, W. fehlt B|. av e/B,.
75
Bezug Apoc. 20,4-6. Vgl. R. SCHMIDT, Aetates mundi. Die Weltalter als Gliederungsprinzip der Geschichte, in: ZKG 67 (1955/56) 288-317, hier 297. Herkunft der folgenden Aussagen wohl aus Nikolaus' Apokalypsen-Kommentar. 76 Vgl. 2. Tim. 4, 1; l.Petr. 4, 5. 77 Dagegen Augustin, vgl. SCHMIDT (Anm. 75). 78 Vgl. etwa Matth. 5, 20. 79 Vgl. Galat. 1, 4: ... ut eriperet nos de praesenti saeculo nequam. 80 Vgl. l.Thess. 4, 16-17. 81 Vgl. Matth. 26, 26-29 und vor allem Luc. 22, 14-20, wo sich Vers 16 und 18 die Verheißung findet, Christus werde weder vom Brote essen noch vom Weine trinken donec impleatur in regno dei bzw. donec regnum dei veniat. 82 Vgl. Apoc. 7, 16. 83 Vgl. Luc. 22, 16. 84 Matth. 6, 10. Herkunft der Aussage höchstwahrscheinlich aus Nikolaus' Schrift über das Vaterunser.
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Candelabrum ecclesie reibit ad synagogam, et deus omnipotens transferet et movebitis candelabrum ad Iudeos, quos ab inicio elegit. Ecclesia e x gentibus succumbet et convertetur86 retrorsum; et synagoga assumetur*1, et ecclesia relinquetur. 5
10
15
Sicut sanctus Paulus dixit Iudeis 88 : Quia hoc salutare dei datum est gentibus, et hoc ipsi audient, sic angelicus pastor dicit ecclesie e x gentibus, quod presens salutare dei dabitur Iudeis, et hoc ipsi audient. Sicufi9 in sexta mundi etate reiecto carnaliaw luddismo et vetustate prioris seculi convaluit novus ordo cum n o v o duce Iesu Christo cum nova lege vita et cruce, sic in septima etate mundi reiecta carnalium Christianorum ecclesia et vetustate prioris seculi convalescet novus ordo c u m n o v o duce, scilicet angelico pastore, in quo renovabitur Christi lex et vita et crux. Tria erunt testamenta, quorum duo sunt, scilicet vetus et novum, et tercium testamentum erit ewangelium eternum90. Primum testamentum est patris, secundum filli, et terciu m erit spiritus sancti, quod est liber91 vite, in quo renovabitur Christi lex et vita et crux perfectius quam quatuor ewangeliste scripserunt™, quia Christus seminavit ewangelium, sed angelicus pastor perficiet 9 2 .
aw
fehlt W.
3)1
scripserant B,.
85 Vgl. Apoc. 2, 4-5 (an die Kirche von Ephesus): Sed habeo adversum te, quod charitatem tuam primam reliquisti. Memor esto itaque unde excideris, et age poenitentiam, et prima opera fac. Sin autem, venio tibi, et movebo candelabrum tuum de loco suo, nisi poenitentiam egeris. 86 Vgl. Ps. 39, 15 u.ö.; vom Sinn her am nächsten steht 2. Petr. 2, 21-22: Melius enim erat Ulis non cognoscere viam iustitiae, quam post agnitionem retrorsum converti ab eo, quod Ulis traditimi est, sancto mandato. Contigit enim eis illud veri proverbii: Canis reversus ad suum vomitum; et, Sus Iota in volutabro luti. 87 Vgl. Matth. 24, 40-42. 88 Act. 28,28. 89 Der folgende Absatz stammt fast vollständig aus dem Prolog der 'Postilla super Apocalypsim' des Petrus Johannis Olivi, nach Rom, Bibl. Angelica, Hs. 382 zitiert bei REEVES (Anm. 27) 198; er findet sich als § 9 auch unter den verurteilten Olivi-Sätzen, ed. BALUZE/ MANSI, Miscellanea... t. II, Lucca 1761, 260, 272. Ich zitiere nach der Manuskript-Fassung der kritischen Edition des Werkes von W. LEWIS, die dieser im Rahmen seiner von H. A. OBERMAN betreuten Diss. Tübingen 1975 ("Peter John Olivi: Prophet of the Year 2000. Ecclesiology and Eschatology in the 'Lectura super Apocalipsim'") in provisorischer Form vorgelegt hat. Dem Editor danke ich für die Bereitschaft, mir das Manuskript der Edition zur Verfugung zu stellen. Die hier in Frage stehende Passage findet sich dort auf S. 95 f. Die Übereinstimmungen sind kursiv ausgezeichnet. Bei Olivi lautet der Text (nach Lewis): Sicut etiam in sexta etate, reiecto (Variante: revocato) carnali Iudaismo et vetustate prioris seculi, venit novus homo Christus (fehlt in einer Hs.) cum nova lege et (fehlt Baluze) vita et cruce, sie in sexto statu, reiecta carnali ecclesia et vetustate prioris seculi, renovabitur Christi lex et vita et crux; propter quod in eius primo initio (Variante: folgt beatus) Franciscus apparuit, Christi plagis characterizatus et Christo totus concrucifixus (Variante: crucifixus) et configuratiis (Variante: figuratus). 90 Der Begriff geht auf Apoc. 14, 6 zurück. Zu dem von dem Franziskaner-Spiritualen Gerardo di Borgo San Donnino in dessen 'Introductorius' zu Joachims Hauptwerken (Concordia, ApokalypsenKommentar und Psalterium decem chordarum) entwickelten Konzept eines dritten, 'Ewigen' Evangeliums - das er mit Joachims Oeuvre gleichsetzte - siehe REEVES (Anm. 27) 59 ff., 187 ff. Vgl. auch die Exzerpte im Gutachten der Kommission von Anagni (1255), ed. H. DENIFLE, in: Archiv für Litteratur- und Kirchengeschichte 1 (1885) 49-142, hier 99 f.; dazu BENZ, Joachim-Studien II (Anm. 46)415-455, bes. 416 f. 91 Vgl. Apoc. 3, 5 u.ö. 92 Das dürfte eine Anspielung auf Joh. 4,31 -38 sein.
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Iudei servabunt legem Moysi propter patres. Si enim in ordine sancti Benedicti tenenda est regula ipsius, et si in ordine sancti Francisci fratres vivere tenentur iuxta doctrinam regule eius: quare Iudei non secundum legem dei patris? Angelicus pastor erit filius dei, ymo deus, sicut dominus noster Yesus Christus. Angelicus pastor erit filius naturalis Yesu Christi. Angelicus pastor et sibi adherentes in veritate erunt omnipotentes93. In concilio Constanciensi non potuerunt secundum doctrinam euuangelicam occidere magistrum Iohannem Huss"*, etiam si fuisset hereticus, quoniam Christus dixit94: Nolite condempnare, et non condempnabimini! Et95: Sinite utraque crescere usque admessem. Angelicus pastor cum suis adherentibus habebit auctoritatem metendi et exterminandi malos. Non debuerunt ergo iudicare96 ante tempus. Nullus malus91 est occidendus ante consumacionem seculi. Qui Consilia euuangelii22 potest facere et non facit, peccat contra mandatum98 maximum, quia non diligit deum ex toto corde et virtute. Sicut ambulaverunt apostoli et dominus in altissima paupertate, ita qui volunt esse ecclesia apostolica similiter faciantba, alias sunt Antichristi" ecclesia100 malignancium et conciliumbbA01 vanitatis. Ecclesia Romana est in lecto adulterii et finaliter per maliciam recedet a deo. Hasbc denique proposiciones que sequuntur in dictisbd scripturis contentas102: In angelico pastore abundabitm grada infinita, et universe benedicciones tocius veteris testamenti, tocius novi et tocius libri vite104 implebuntur perfecte in eo sicut in Christo filio dei et virginis Marie, et illuminabitur sicut Christus et non105 commovebitur in eternum. Doctrina angelici pastoris descendet non in omnem ecclesiam sed tantum in ecclesiam Iesu Christibe, tamquam liceret dicere duas esse ecclesias: unam universalem et aliambf Iesu Christi, item unam purgatam et aliam non purgatam, cum una tantum sit ecclesia sancta catholica et apostolica. Potestas106 angelici pastoris erit potestas eterna, que non auferetur, et regnum, quod non corrumpetur, omnesque populi, tribus et lingue servient ei. ba WHuß B,. ^ ewangelica B, 2 ,W. faciunt B,. bc Randglosse: Secuntur proposiciones istius Nicolai etc. Bj bi B 1 2 ,W. te fehlt Christi - Iesu W. alteram B,.
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bb
consilium B, 2,W. bd suis libris statt dictis script.
Die mögliche Quelle dieses Paragraphen könnte Nikolaus' Schrift über das Credo gewesen sein. Luc. 6, 37. 95 Matth. 13,30. 96 Vgl. 1. Cor. 4, 5. 97 Vgl. vor allem Matth. 13, 40.48-49. 98 Vgl. Matth. 22, 37-38. 99 Das moraltypologische Konzept einer armen und demütigen Kirche Christi und der Apostel als Gegenbild zur 'Kirche' des Antichrist - worunter gern der Papst und die römische Kirche verstanden werden - ist Gemeingut der radikalen Kirchenreformer im 14. und 15. Jh. Dazu vorderhand A. PATS CHOVSKY, Ekklesiologie bei Johannes Hus, in: Lebenslehren und Weltentwürfe im Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit, hg. von H. BOOCKMANN/ B. MOELLER/ K. STACKMANN (Abh. der Akad. der Wiss., phil.-hist. Kl. 3. Folge 179) Göttingen 1989,370-399, hier 369 ff. 100 Vgl. Ps. 25, 5. 101 Vgl. Ps. 25,4. 102 Die Satzkonstruktion ist fehlerhaft. 103 Die Wendung gratia abundat o.ä. öfters in den Paulus-Briefen, etwa Rom. 5, 15. 104 Siehe oben S. 286 Z. 15. 105 Vgl. Ps. 124, 1 u.ö. 106 Vgl. Dan. 7,14. 94
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In angelico pastore benedicentur107 omrtes tribus terre, et adorabunt eum omnes reges, omnesque gentes sibi servientes magnifìcabunt eum. Et10i dabit sibi deus hereditatem suam et possessionem suambs terminos terre, et reget eos in virga ferrea. Angelicus pastor erit caput tocius mundi habens a deo omnem legittimam auctoritatem tocius papatus et imperii109 necnon omnium regnorum tocius mundi, illuminabitque totum mundum sicut sol in meridie. Angelicus pastor certissime habebitm clavem David in apercionibus sacre scripture: et aperit et nemo claudit - id est claudere iuste potent et repugnare et condempnare nisi deo repugnando -, et claudit et nemo aperit, sicut dominus Iesus Christus qui habitabit in eo. Angelicus pastor habetx 11 claves mortis et inferni et ligabit sathanam in inferno. Angelicus pastor est ille, de quo scriptum est in Apoc(alypsi)112: Et vidi celum apertum, et ecce equus albus, et qui sedebat super eum vocabatur Fidelis et Verax et cetera. Angelicus pastor certe est homom ille, qui vivet et non videbit mortem, et eruet animam suam de manu inferi. Et vivet etiam in corpore in eternum, quia ipse est de quo scriptum est114: Permanet in eternum in conspectu dei, et in euuangelio115: Christus manet in eternum. Quasm quidem proposiciones tamquam male sapientes in fide, temerarias, blasphemas et presumptuosas piarumque aurium offensivas hec sancta synodus dampnat et reprobat inhibetque districte precipiens, ne quis articulos, proposiciones et opuscula predicti Nicolai tenere, predicare, dogmatizare aut quomodolibet audeat approbare. Et ut prefati N(icolai) perniciosum dogma de medio ecclesie eradicetur, eadem sancta synodus locorum ordinariis et inquisitoribus heretice pravitatis mandai in virtute obediencie per censuram ecclesiasticam - et si necesse eis videatur: cum aliarum adieccione penarum acbh fautorie heresis - inquiri predictos libellos seu opuscula illaque reperta ignibus publice concremari; quod in loco huius sancte synodi, ut simili modo fiat, ordinat per presentes. Cum autem prefatus Nicolaus heresum et errorum predictorum impius dogmatizator iam a pluribus annis in carcere huius sacri concilii detentus117 magna cum mansuetudine et cantate ac diligenti studio instructus fuerit et informatus de doctrina catholice fidei suis erroribus contraria tam per reverendissimos sancte Romanebi ecclesie cardinales quam alios prelatos, magistros et doctores nostre congregacioni incorporates alios-que plures diversorum ordinum viros religiosos eidem manifeste ostendentes, quod dicti articuli contenti in scriptis suis vel inciderent in iam dampnatos errores per generalia concilia et sanctos patres vel manifestam saperentbJ heresim repugnaretque suum
b
bh 8 folgt omnes Bj. et B,. resim saperent statt sap. heres. W.
107
bl
korr. Rom. eccl. card. O.
b
J sapientes (unterstrichen) he-
Vgl. Ps.71, 11 u. 17. Vgl. Ps. 2, 8-9; siehe auch Apoc. 19, 15. Das ist zweifellos ein Reflex auf das Endkaiser- und Engelpapst-Motiv, wie es Nikolaus etwa im Werk des sog. Telesforus finden konnte. Siehe oben S. 278 mit Anm. 36 und 37. 110 Vgl. Apoc. 3,7. 111 Vgl. Apoc. 1, 18 und 20, 2-3. 112 Apoc. 19, 11. 113 Vgl. Ps. 88,49. 114 Ps. 60, 8. 115 Ioan. 12,34. 116 Der folgende Absatz weist durch Kursivdruck kenntlich gemachte Übereinstimmungen mit dem Verurteilungsdekret in Sachen Agostino Favaroni auf; COD 493 Z. 37 ff. und 494 Z. 11 ff. 117 Wenigstens seit 1443; siehe oben S. 274 mit Anm. 21. 108
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dogma perversum simbolo apostolorum euuangelio aliisque libris novi et veteris testamenti sacramentorum participacionem evacuans a deo pro salute fidelium institutam, huiusmodi sanis instructionibus et doctrinis acquiescere numquam voluit, quinymmobl respondens dedit quamplures cedulas scriptas manu propria in confirmacionem priorum errorum maiori semper pertinacia fìrmatus. Fuit preterea caritative ac iudicialiter iteratis vicibus monitus et requisitus, quatenus conformaret se doctrine catholice fidei submittens se et suam doctrinam ecclesie iudicio. Respondens vero dicebat se habere donum a deo 118 seque ab eo missum, ideoque non vellet perdere donum istudbm propter suam submissionem iudicio cuiuscunque, eo quod in hac causa - quam dei esse dicebat - soli deo eratbn subiectus. Hec autem aliaque multa deviancia a racione audientes instructores eius ab informacione suab0 non desistebantbP, expectantes adhuc per diuturnam carcer i s i affliccionem continuasque instrucciones animum eius revocari debere. Ipse vero supra humanum modum superbia repletus adeo excecatus est, ut semetipsum glorificans sibique de se solus perhibens testimonium exponat de se sacram scripturam in quammultis passibus, et presertim psalmos David qui de Christo loquuntur. Ex qua presumpcione temeraria iudicans omnes alios preter se errare dura cervice omnem instruccionem contempnit, nichilipendens et contumeliis afficiens instructores quoscunque, etiam illos quos ad conferendum et discernendum de suis scripturis elegit. Demum quia instruccione aut ammonicione caritativa flecti non poterat, ut terrore traheretur datus est sibi libellus continens formam revocacionis et abiuracionis suorum errorum ac confessionis veritatis fidei. Cuibr per scripturam respondens confirmavit quos primo errores scripserat, allegans quod ipse est primus119 et novissimus, ita quod talis est nunc ut prius, quodque levius est sibi mori quam aliquid abiurare, nec agnosceret sebs unquam errasse et errare. Ideoque nichil revocare deberet, quinymmo si liber esset vellet adhuc vulgarizare dieta sua et ponere in locis publicis, ut omnes noticiam de illis haberent. Docet autem princeps apostolorum hiis, qui audacesm sibi placentes sectas non metuunt inducere caliginem tenebrarum reservari in eternum. Rex etiam in ewangelica parabola suis precepit ministrism mittendum esse in exteriores tenebras vestem nonbt habentem nupcialem. Cum igitur per122 ea, que vidit et audivit, hec sancta synodus cognoscat dictum Nicolaum nolle habere vestembu fidei Christiane, sed permanere in sua obduracione et pertinacia, quodque non valente in eum proficere tam multiplici et diuciusbv exspectata correpcione subversus est et deliquit proprio iudicio condempnatus: quia, ut divina scriptum ait123, similiter odio sunt deo impius et impietas eius, condempnata ut premittitur doctrina pariformiter hacbw sua sentencia diffinitiva, condempnans eius personam decemit et declarat ipsum Nicolaum fuisse et esse incorrigibilem, obduratum et pertinacem et adeo talem, quod non vult quovismodo hereses et errorej bx per eum scriptos, publicatos et defensatos ad mandatum ecclesie revocare et abiurare, sed in eis bk
bl bm bn bo perniciosum B,. folgt dedit illud B,. esse B,, esset B2,W. fehlt b b br bs bt W. P discedebant B j W. 1korr. O. Qui B,. fehlt W. vestem bu bv nupcialem non habentem Wortstellung B, 2, W. folgt nupcialem idestQv diutina B,. bw
118
hec B!.
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folgt et horrores (letzteres durchstrichen) B,.
'Gottesgeschenk' ist biblischer Sprachgebrauch; vgl. etwa Joh. 4, 10; Act. 8, 20; Ephes. 2, 8. Vgl. Apoc. 1, 17 u.ö. 120 Vgl. 2. Petr. 2, 10 und 17. 121 Vgl. Matth. 22, 12-13. 122 Das Folgende weist Übereinstimmungen mit Hussens Verdammungssentenz auf; vgl. COD 429 Z. 2 ff. 123 Sap. 14, 9. 119
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ALEXANDER PATSCHOVSKY
finaliter persistere, nec cupit - sed pocius contempnit - rediread gremium sancte matris ecclesie. Quare eadem sancta synodus pronunciai, decernit et declarat prefatum Nicolaum laicum fitisse et esse pseudoprophetam et seductorem populi Christiani ac pertinacem hereticum etbz incorrigibilem, et tamquam talem eum condempnat. Datfurn) in generali congregacene nostra in ecclesia maiori Basilienfsi,) celebrata octavo ca Idus Iulii anno a nativitate domini Millesimo"* quadringentesimo quadragesimo sexto 124 . Kanzleivermerke (nur in O): Am rechten Rand (von selber Hand wie Text): B. Vrigdach 125 . Direkt darunter (in anderer Tinte und wohl auch von anderer Hand): 15/5/46. Dies könnte der Zeitpunkt der Ingrossierung oder der Konzeptabfassung sein, also knapp zwei Monate vor der feierlichen Konzilssitzimg, die die Verurteilung aussprach und zu der die Sentenz datiert ist. Darunter (von einer weiteren Hand, sicher der des Notars Michael Galteri, in Kursive): Ita fiiit lectfum) in ipsa sacra generali congregatone per Organum mei ipsius sacri concilii BasilienfsisJ notarii. Eine Zeile tiefer, rechter Rand: Michfaelj Galteri126 SN. Darunter, ziemlich in der Mitte des Blattes, wiederum von einer anderen Hand, großes verschnörkeltes Rfegistrajta mit (in Kursive) eingeschriebenem episcopus Dunkeldenfsis)127. ^redeat B,.
bz
fehlt W.
ca
VIII5 2 ,W.
cb
M°CCCC°LVI W.
124
Schluß in B, 2 und W. Unter den "Beamten des Büros der Reinschriften" verzeichnet bei LAZARUS (Anm. 52) 324 - entsprechend bei MONGIANO (Anm. 127) 219 - als Kleriker der Ratzeburger Diözese; zu seiner Funktion LAZARUS 209 ff. Ergänzend dazu DEPHOFF (Anm. 52) 91; zum Aufgabenbereich der Schreiber ebd. 74 ff. Außer dem Namen und der Tatsache seiner häufigen Beschäftigung im Zeitraum 1435 bis 1441 ist über ihn bislang nichts bekannt. 126 Zu ihm LAZARUS (Anm. 52) 311 und vor allem DEPHOFF (Anm. 52) 65; zur Aufgabe der Notare 125
DEPHOFF 52 ff.
127 Das war Thomas Livingston (t 1460), Abt des schottischen Klosters Dundrennan, den der Konzilspapst Felix V. 1440 zum Bischof der schottischen Diözese Dunkeid promovierte (wo er sich freilich nicht durchzusetzen vermochte) und 1443 zum Registrator ernannte. Zu ihm DEPHOFF (Anm. 52) 111 sowie J. H. BURNS, Scottish Churchmen and the Council of Basle, Glasgow 1962, 12 f., 68, 73, 83 f.; E. MONGIANO, La cancelleria di un antipapa. II bollario di Feiice V (Amedeo VIII di Savoia) (Deputazione subalpina di storia patria. Biblioteca storica subalpina 204) Turin 1988, 223, 231 s.v. - Zum Amt des Registrators und dessen Aufgaben, zu denen auch das eigenhändige Anbringen des Registratur-Vermerks gehörte: LAZARUS (Anm. 52) 230 ff.; DEPHOFF (Anm. 52) 100 ff.
II. NIKOLAUS VON KUES
Nikolaus von Kues im Dialog v o n RUDOLF HAUBST ( f ) *
A)
Einführung
Wer das spekulative Hauptwerk des Nikolaus von Kues 'De docta ignorantia' ohne seine Vor- und Nachgeschichte betrachtet, dem mag dieses wie eine mit intuitiver Kraft ganz aus seiner geisterfiillten Innerlichkeit aufbrechende Selbstdarstellung seiner tiefsten und originärsten Ideen erscheinen. Nicht von ungefähr hat daher auch die um 1930 aufbrechende Cusanus-Renaissance, die bald zur Heidelberger Cusanus-Ausgabe führte, besonders bei Ernst Cassirer, Cusanus sozusagen mit den Augen neukantianischer Idealisten angeschaut. Bei einer solchen Deutung des "Neuen" in 'De docta ignorantia' schien es manchem auch zu genügen, daß Nikolaus von Kues sein Gottesbild, ja auch seine trinitarische Sehweise der "Einheit, Gleichheit und Verbindung" von allem in Gott sowie die Christologie im III. Buch von 'De docta ignorantia' einzig und ganz aus der schöpferischen Subjektivität oder Transzendentalität seines Geistes produziert habe. Eine solche Cusanus-Interpretation ist von der exakten historischen Forschung mittlerweile in ihre Grenzen verwiesen worden. Zu deren Ergebnissen gehört nämlich nunmehr methodisch-grundlegend die Unterscheidung dessen, was Cusanus aus dem christlichen Glauben oder - mit anderen Worten - aus der neutestamentlichen Offenbarung der Menschwerdung des Sohnes oder, wie es bereits im Johannes-Evangelium heißt, der Inkarnation des "Logos", der selbst Gott ist und schon vor aller Erschaffung "bei Gott" dem Vater war, also aus den fundamentalsten christlichen Glaubensinhalten schöpfte, von dem, was wir mit unserer natürlichen Kraft "philo-sophisch" die Urweisheit suchend, erkennen und mit Cusanus in ein philosophisch-theologisches Konzept unseres gläubigen Denkens integrieren können. Schon diese methodische Einheit oder einheitliche Methodik kann oder könnte man insgesamt eine "Dialogik des Denkens und Glaubens", und zwar sowohl eines "gläubigen Denkens" wie eines "denkenden Glaubens" nennen, die einerseits im göttlichen Logos ihren Urgrund hat, aber auch uns als gläubige Menschen für Zeit und Ewigkeit zu Gesprächspartnern Gottes macht. In einem solchen Dialog bewegt sich besonders deutlich das gesamte Predigtwerk des Nikolaus von Kues. Das dokumentiert schon der Sermo, der sich mittlerweile als der erste seiner insgesamt 293 erhaltenen Predigten erwiesen hat. Denn das Motto der zu Weihnachten 1430 gehaltenen Predigt lautet: In principio erat Verbum und das dazu hinführende Prothema: Verbum caro factum est. * Der Verfasser ist am 19. Juli 1992 verstorben. Trotz langer und schwerer Krankheit hat er diese seinem Kollegen und Freund zugedachte Studie unter Mühen noch fast vollenden können. (Die Vorbereitung für den Druck erfolgte durch Herrn Dr. Alfred Kaiser vom Institut für Cusanus-Forschung an der Theol. Fakultät Trier und durch die Herausgeber. Die äußere Textgestaltung wurde gegenüber den anderen Beiträgen der Festschrift leicht verändert.) So will dieser Aufsatz - es ist ein letzter Gang des Autors durch das cusanische Gesamtwerk - wesentlich auch als ein Zeugnis menschlicher Verbundenheit verstanden sein. Die Herausgeber.
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RUDOLF HAUBST
Mit dieser gottmenschlichen Dialogik verbindet sich aber auch schon in der besagten I. Predigt, und sogar besonders kühn, eine zwischenmenschliche, interreligiöse Dialogik. Denn dort schon berichtet der junge Nikolaus aus seinen eigenen Gesprächen mit Heiden und zumal mit Juden1: "Ich konnte schon mal (ialiquando) weise Juden zum Glauben an die Trinität führen; und es ist nicht schwierig, sie dazu zu bringen (eis persuadere)". "Doch", so konstatiert Nikolaus auch schon damals: "daß der Sohn in Gott {Filius in Deo) Fleisch angenommen hat (sit incarnatus), davon wollen sie nichts hören"2. So können wir schon bei der ersten Predigt von Nikolaus von Kues konstatieren, daß er keineswegs nur als ein einsamer, aus der Welt und von den Mitmenschen sich zurückziehender Denker von Gott sprach und schrieb, sondern sich auch auf Dialoge einließ, die in Disputationen zum Inhalt des Dogmas hineinfuhren konnten. B)
Der dialogische Spannungsreichtum in der geistigen Umwelt des jungen Cusanus
Erich Meuthen und den von ihm bereits edierten 'Acta Cusana' verdanken wir, nunmehr sogar schon von der Zeit der Paduaner Studien des Nicolaus Treverensis im ius Canonicum an, die Sammlung von solchen Hinweisen, welche die hohe Einschätzung des menschlichen Redens miteinander, sowohl innerhalb des kirchlichen als auch des sonstigen gesellschaftlich-kulturellen Lebens, dokumentieren. Hierher gehören zwei spätere Erinnerungen des Kardinals an den Eindruck, den der Franziskaner-Minorit Bernhardin von Siena Anfang 1423 in Padua und Juni/ Juli 1424 zu Rom als Prediger auf ihn machte. Die erste: "Ich hörte zu Padua, daß der Prediger, der Feuer im Geiste hat, aus toten Kohlen Feuer erwecken kann" 3 . Die zweite Reminiszenz: "Ich hörte, daß der Papst Martin das Volk zu Rom nicht zur Annahme gewisser Ermahnungen bewegen konnte. Da rief er Bruder Bernhardin ... Der brachte fertig, was der Papst nicht vermochte" 4 . Eine hohe Wertschätzung der Verbundenheit, die in den Studienjahren aus dem Gedankenaustausch mit anderen Fachgelehrten hervorgehen kann, bekundet ein Brief vom Jahre 1445 an den Mathematiker und Kosmologen Paolo dal Pozzo Toscanelli: "Wie sehr hast Du mich seit den Jahren unserer Jugend und unseres Heranreifens (adolescentiae) immer wieder durch engere Freundschaftsbande und sozusagen in herzlicher Umarmung verbunden!" 5 Als decretorum doctor aus Padua in seine Heimat zurückgekehrt, wurde Nikolaus von Kues bald auch in verschiedenen Funktionen im Dienste des Trierer Erzbistums aktiv. So kam er im Sommer 1427 als Sekretär und Prokurator des Trierer Erzbischofs Otto von Ziegenhain nach Rom, wo ihn Papst Martin V. trotz seiner Bitte um Aufschub der Priesterweihe (die er wohl sogar erst im November 1440 empfing) am 6. September 1427 zum Dekan des St. Florinstiftes ernannte 6 . 1 Zu den Sermones siehe die Edition im Rahmen der Nicolai de Cusa opera von R. HAUBST u.a. (h XVI 1-4; XVII 1-2) Hamburg 1970-91 (bis Sermo XLVIII); zu Juden siehe Sermo I (h XVI) N. 7, Z. 19-31 ; zu Heiden (Platonici) vgl. ebd. Sermo II, N. 3. 2 Sermo I N . 7, Z. 27-31 ; vgl. AC I 2 N. 82. 3 AC I 1 N. 16. 4 AC I 1 N. 20. 5 AC I 1 N. 19. 6 A C I 1 N. 41; vgl. N. 47.
NIKOLAUS VON KUES IM DIALOG
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Auch als solcher pflegte er u.a. seine Kontakte zu Poggio Bracciolini im Zuge der Erforschung von Handschriften antiker Klassiker weiter7. Ein Lehrstuhlangebot der Universität Löwen nahm er nicht an8. Die pastorale Verbindung mit Dekanen und Pfarrern in Koblenz und in der gesamten Diözese Trier war ihm offenbar schon im Jahre 1429 wichtiger9. Als dann am 13. Februar 1430 Erzbischof Otto starb und Martin V. am 22. Mai statt des Trierer Elekten Ulrich von Manderscheid den Speyrer Bischof Raban von Helmstedt als dessen Nachfolger vorsah, da begann mit der Appellation des Grafen Ulrich auf der Burg Wittlich10 "an den besser zu unterrichtenden Papst" ein "die große Politik" betreffender "Rechtsstreit"", der sich alles in allem bis Sommer 1438 hinzog12 und sich ans Basler Konzil verlagerte. Nikolaus von Kues stand schon "an der Spitze der Wittlicher Zeugen"13. Solange wie möglich, nämlich bis zur Konzilssentenz gegen Ulrich vom 15. Mai 1434, hat er ihm als Prokurator des Trierer Klerus die Treue gehalten14. Mittlerweile war er aber am Konzil so sehr in den allgemein-kirchlichen Problemen und in den großen Aufgaben der Kirche seiner Zeit engagiert, daß er um derentwillen auch literarisch sehr aktiv wurde. Das gilt vor allem von seinem ersten großangelegten Werk De c o n c o r d a n t i a c a t h o l i c a 1 5 , aber auch schon vor dessen Abschluß von seinen Verhandlungen am Konzil mit den Böhmen16. Als Sinn und Ziel für deren Inkorporation ins Konzil erklärte er nämlich die "wahrhafte und vollkommene Einigung in brüderlicher Liebe"17. Zu den "vier Artikeln" der Böhmen konstatierte er auch schon von vornherein spontan (sine deliberacione a se ipso): "Der erste, der über die Kommunion unter den beiden Gestalten, gehört zum Glaubensinhalt (est fidei articulus); die anderen betreffen die Reformation der Sitten. Um die einzuleiten sitzt Ihr mit dem Konzil zusammen. Alles, was Euch gut scheint, werdet Ihr sagen können"18. In seinem 'Opusculum D e u s u c o m m u n i o n i s (Contra Bohemorum errorem)'hat er dann freilich näherhin dargelegt, daß das Insistieren der Böhmen auf den beiden Gestalten bis zur Abtrennung vom "Leib der Kirche" sowohl der Einheit der Kirche wie zumal dem Sinn der Eucharistie als dem Sakrament der Einheit Christi mit seinen Gliedern19 widerspreche.
7
AC I 1 N. 62 f., 70, 73. AC I 1 N. 64; vgl. N. 232. 9 Vgl. AC I 1 N. 69a, 71 f., 78, 80; für die Jahre 1432-33 siehe besonders N. 128, 147 und 156; vgl. R. HAUBST, Nikolaus von Kues in Koblenz, in: Zugänge zu Nikolaus von Kues, hg. v. H. GESTRICH, Bernkastel-Kues 1987, 112-116. 10 Siehe nunmehr AC I 1 N. 80. 11 So E. MEUTHEN, Das Trierer Schisma von 1430 auf dem Basler Konzil. Zur Lebensgeschichte des Nikolaus von Kues (Buchreihe der Cusanus-Gesellschaft 1) Münster 1964, 76. 12 Näheres MEUTHEN, Schisma (Anm. 11) 55-254. 13 MEUTHEN, Schisma (Anm. 11) 76. 14 Siehe AC I 1 N. 134, 142 ff., 163, 179 f., 183, 188 f., 206 f., 210-226. 15 Vgl. R. HAUBST, Streifzüge in die cusanische Theologie (Buchreihe der Cusanus-Gesellschaft, Sonderband 3) Münster 1991,480-506 u.ö. 16 Vgl. HAUBST, Streifzüge (Anm. 15) 462-465 u.ö. 17 So am 15.3.1433: AC I 1 N. 166, Z. 2-4. 18 Ebd. Z. 43 ff. 19 'De usu communionis' in der Edition des Faber Stapulensis: Nicolai Cusae cardinalis opera, Paris 1514, II/II, fol. 5r-13v; AC I 1 N. 171. 8
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RUDOLF HAUBST
Wie Meuthen erstmals klargestellt hat, verfaßte Nikolaus, der am 30. April 1433 in die Reformkommission des Basler Konzils berufen wurde, bald danach auch den Traktat20, in dem er anhand alter Konzilsakten seine Überlegungen zu der Frage: Superiorität des Allgemeinen Konzils oder des Papstes? so akzentuierte: Auch ein Konzil aus Ost- und Westkirche hat nicht die Autorität, über den Papst zu richten; es ist diesem aber andererseits nur bei der Annahme einer als allgemeingültig definierten Glaubenslehre untergeordnet21. So suchte er die radikalsten Gegensätze durch die Leitidee der Konkordanz und Kooperation von Papst und Konzil zu überwinden. Doch wie kam es dann im Jahre 1437 zu seiner Entscheidung "gegen das Konzil für den Papst"? Obwohl er als Prokurator Ulrichs gegen den vom Papst zum Erzbischof von Trier ernannten Raban ans Konzil gekommen war, führte es dennoch irre, wenn man dies einfachhin einen Seitenwechsel nennt. Es war ja vielmehr so: Die Konzilsminorität unter der Leitung desselben Kardinals Julianus Cesarini, dem Nikolaus schon seine Programmschrift 'De concordantia catholica' gewidmet hatte, schlug ihn dem Papst als Gesandten der Westkirche zu den Griechen vor22. Auch die Konzilsmaiorität schickte Gesandte. Doch dem griechischen Patriarchen mißfiel diese Rivalität. Deshalb lehnte er die Einladung des Konzils nach Avignon ab mit der Begründung: Bonum est concordia23. So konnte Nikolaus darin, daß nun der Kaiser und der Patriarch von Konstantinopel mit Bischöfen zu einem "Ökumenischen Konzil" unter Leitung des Papstes kämen, eine beglückende Fügung des in der Kirche wirkenden Heiligen Geistes erblicken24. Rem Dei amplexus es!, so gratulierte ihm im April 1438 herzlich Francesco Pizolpasso, der Erzbischof von Mailand. Multos habes, quos imiteris ... ne scisma generetur utque fiat una eademque ecclesia orientalis et occidentalis obviando nostris dissidiis25. Dessen Wirken setzte sich nach seiner Sicht auch in der Konzeption des Leitprinzips der docta ignorantia bei der Rückfahrt von Konstantinopel26 sowie in seinem folgenden intensiven und erfolgreichen Einsatz zur Überwindung des weiterhin drohenden Schismas zwischen den Konziliaristen und den Papsttreuen in Deutschland fort. C)
Das Dialogische in Predigten, Opuscula und Werken
Wenn ich vom "Dialogischen" bei Cusanus spreche, meine ich eine vielschichtige Spannweite von allegorischen Stimmen, Sehweisen, Vergleichen, Diskussionsoder Argumentationsbeiträgen, die nur zum Teil auch in der literarischen Sprachform der zwei- oder mehrstimmigen Dialoge, wie sie Piaton vorbildhaft gestaltet hat, ausgebaut sind. Im Hinblick auf die chronologische Aufeinanderfolge dieser Denk- und Darstellungsweisen bei Cusanus ist hier mit der Entfaltung der dialo20
E. MEUTHEN (ed.), De maioritate auctoritatis sacrorum conciliorum supra auctoritatem papae (Cusanus-Texte II/2 = Abh. der Heidelberger Akad. der Wiss., Phil.-histor. Klasse 1977/3) Heidelberg 1977. Zur späteren Diskussion dieses Themas siehe A C 1 2 N. 315 f. 21 'De maioritate auctoritatis', ed. MEUTHEN (Anm. 20) 60; vgl. HAUBST, Streifzüge (Anm. 15) 542547. 22 AC I 2 N. 295a, 298 und 306. 23 AC I 2 N. 329; siehe bes. Z. 27 und 38. 24 AC I 2 N. 330 f. 25 AC I 2 N. 349, Z. 10-12. 26 De docta ignorantia, Epilogus ( h l ) 163, Z. 6-13.
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gischen Denk- und Darstellungsweisen in seinen frühesten Predigten zu beginnen. 1. Schon seine als erste nachweisbare P r e d i g t ist für die Variationsbreite der cusanischen Dialogik geradezu typisch. Gipfelt diese doch sogar in der sehr anthropomorphen Darstellung einer "frommen Zwietracht" (piae discordiae), in der "die Wahrheit und die Gerechtigkeit" als Advokaten Gottes "den sündigen Menschen anklagen", während "der Friede und die Barmherzigkeit" für die Rettung des Menschen eintreten27, und zwar so, daß die beiden Gegensatzpaare sich in diesem Gnadenbündnis (confoederationis gratia) begegnen: "Aus Barmherzigkeit werde der Mensch befreit, um der Gerechtigkeit willen leiste er dem Willen des Schöpfers Genugtuung!"28 Das führte zu der christo-soteriologischen Folgerung: "Der Gott-Mensch (der das allein vollgültig kann) soll genugtun"29, und es leitet zugleich "zur Betrachtung (contemplatio) der Güte des göttlichen Richters" und der "unbegrenzten Pietas des Vaters an", der "Seines eigenen Sohnes nicht schonte" (Rom 3,32)30. Das Schema dieser "Zwieträchten" konnte Nikolaus letztlich schon von Bernhard von Clairvaux31 übernehmen. Schon damals dürfte er sich aber auch dessen bewußt gewesen sein, was Ubertino di Casale32 an dieser longa disputatio zu bedenken gibt: "In Gott gibt es keine solchen Disputationen oder Konsultationen. Doch wenn unser Geist Göttliches einsieht, sieht er es auf seine Weise ein; und er kann durch solches ... Denken die Gefühlsregungen (affectus) seiner Betrachtung ausweiten." Daß Nikolaus später, zumal nach der Programmierung der coincidentia oppositorum in 'De docta ignorantia', solche Modellvorstellungen nicht wiederholte, war kritische Konsequenz. Ja, vielleicht hatte er selbst in dem zu seinem Autograph in Cod. Cus. 220 nachgetragenen Prothema33 auch den Leser oder vielmehr Hörer seiner Predigt vor einer Simplifizierung der besagten Dialogik warnen wollen mit der Erklärung: "Je höher der Sinn dieses Evangeliums (Verbum caro factum est, Joh 1,14) ist, desto gefährlicher ist das Disputieren" und damit auch die dialogische Veranschaulichung -, "da unsere schwache Einsicht sich bei ihren Schlußfolgerungen (in discursu) nicht (zuverlässiger) helfen kann". Dem entspricht auch schon im I. Hauptteil der Predigt selbst - vor seinen mehr sprachlichen Erklärungen über die Namen Gottes - die Absicherungs-Formel ProtestorM gegenüber allen Irrtümern, die sich einschleichen können. "Dialogisch" mag man z.B. auch das thematisch differenzierte Ansprechen der verschiedenen Zuhörer-Kreise nennen, mit der Nikolaus schon in seiner II. Predigt (ad sapientes - ad populäres - pro contemplativis) begann34". Nach demselben rhetorisch-dialogischen Prinzip sprach Nikolaus z.B. in Sermo V, angesichts Johannes des Täufers in der Wüste auch seine Anleitung 27
Sermo I (Anm. 1) N. 17-25; dazu bereits R. HAUBST, Die Christologie des Nikolaus von Kues, Freiburg i.Bg. 1956, 74-79. 28 Sermo I N . 23, Z. 18-21. 29 Sermo I N . 23, Z. 26. 30 Sermo I N . 24, Z. 1-6. 31 BERNARDUS CLARAVALLENSIS, De sanctis. In festo Annuntiationis BMV sermo I, in: MPL 183 385-390 (c.6-14). 32 Arbor vitae crucifixae Iesu I, c.7, Venedig 1485 (ND 1961), p. 22 b. 33 Sermo I (Anm. 1) N. 1, Z. 37-40. 34 Siehe die Hinweise zu Sermo I N . 2, Z. 3. 34a Sermo II (h XVI) N. 2.
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zum christlichen Leben abschließend, seine Hörer möglichst konkret und gezielt so an: "Bist du ein Mann ...; Bist du eine Frau ...; Mußt du Kinder ernähren ...; Bist du ein Heranwachsender ...; Ein Greis soll je reicher an Jahren, desto mehr auf Tugend bedacht sein"35. Analog hat er anschließend auch vornehme und einfache Leute, Reiche und Arme für entsprechende ethische Fingerzeige unterschieden36. Am Maria Magdalenen-Tag 1431 kulminierten ebenfalls seine Darlegungen über die Gnade der Rechtfertigung spontan in einem Dialog, den er als der Prediger, aber zugleich im Namen seiner Zuhörer sprechend, mit jener Frau als der Sünderin, die sich zu Füßen des Herrn niederwarf (Lk 7, 38), führte, und in dem diese selbst mehr und mehr sogar zu der eigentlichen Predigerin wird37. Gerne aus den Quellen der "deutschen Mystik" schöpfend, konnte er dabei den mittleren Teil38 großenteils aus dem Werk des Rudolf von Biberach 'De Septem itineribus aeternitatis' übernehmen. 2. In dem folgenden Jahrzehnt, ja bis über 'De docta ignorantia' hinaus, findet sich bei Nikolaus nirgends ein ausgeformter Dialog; wohl jedoch ein zusammenfassendes Motiv, in dem mehrere Abwandlungen desselben Themas zusammengeschaut werden, nämlich das bei ihm zu dieser Zeit dominierende Thema der dreifachen Gottesgeburt (triplex nativitas): der in Gott selbst, der in Jesus Christus aus "Maria der Jungfrau" und drittens der geistig-gnadenhaften in den Herzen. Das aber bedeutet mit anderen Worten: Gott ist in sich selbst im ewigen Dialog von Vater und Sohn (Logos); dieser Logos ist uns in seiner Menschwerdung so nahe wie möglich gekommen, um uns durch sein Sprechen und Wirken an uns zu erlösen und in unserem Menschsein zu vollenden; und drittens: Der Mensch, der diesen Christus aufnimmt und sein Wort bejaht, erfahrt in sich selbst eine geistlich-gnadenhafte (Neu-)Geburt und je nachdem auch eine von Tag zu Tag wachsende Gotteskindschaft. Weihnachten 1431 sah Nikolaus die drei Geburten in Sermo XI, N. 2 erstmals und in der gleichen Reihenfolge wie in den Evangelien der drei Weihnachtsmessen (in der dunklen Nacht, in der Morgenfrühe und am Tage) symbolisiert; ähnlich in Sermo XX (N. 3) und Weihnachten 1440 in Sermo XXII, N. 5. In den Sermones XVI-XVIII widmete er auch jeder dieser drei Geburten je eine eigene Predigt. In seinem ersten Sermo mit dem Motto Dies sanctificatus (XXII) hat er als Prediger die spekulativen Neuaufbrüche seiner Trinitätslehre und Christologie aus 'De docta ignorantia' mit vollem Elan eingebracht39. In einem Triduum vom Weihnachtsfest bis zum Johannistag 1444 predigte Nikolaus in Mainz fünfmal, und zwar zunächst unter allegorischer Auslegung des Evangeliums (Lk 2,1-14) zweimal von der geistlichen Christusgeburt "in der Herberge dieser Welt" (Sermo XLII, N. 5,1-2), die "täglich" geschehen sollte (Sermo XLIII, N. 1,5 und N. 3-4),
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Sermo V (h XVI) N. 32. Ebd. N. 33-35. 37 Sermo VII (h XVI) N. 19-33. 38 Sermo VIIN. 28, Z. 13 - N. 32, Z. 80. 39 Vgl. W. LENTZEN-DEIS, Den Glauben Christi teilen. Theologie und Verkündigung bei Nikolaus von Kues, Stuttgart u.a. 1991, 103-113. Der neue manuduktorische Charakter der Hinführung zu den zentralen Glaubensgeheimnissen der dreifachen Geburt ist dort mit Recht betont. 36
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dann in Sermo XLIV und XLV von der zeitlichen und in Sermo XLVI im Anschluß an den Johannesprolog von der ewigen. Wie aber kam es dann, daß der junge Cusanus in den Jahren 1433 bis 1443, auf der Höhe seiner kerygmatischen Eigendynamik, in keiner einzigen Predigtpartie auch seine Beurteilung der sich damals überstürzenden kirchenpolitischen Ereignisse in Dialogform mitillustrierte? Der entscheidene Grund dafür scheint mir der nach seinem Empfinden in keinen Gottesdienst passende polemische Sprachstil in den vielen Streitereien zwischen "Papalisten" und "Konziliaristen" zu sein. Schon bei dem Hin und Her zwischen ihm als dem Prokurator des Trierer Klerus und den sich auf den Papst berufenden Anhängern Rabans, der an die Stelle Ulrichs treten sollte, ging es ja längere Zeit hindurch so feindselig zu, daß Nikolaus deren Erwiderungen (replicationes) geradezu als "null, falsch, lügnerisch ... unglaubwürdig" apostrophierte40. Als es dann schließlich am 25. Juni 1439 in Basel zum Absetzungsdekret (einer kleinen Anzahl von Bischöfen) gegen den Papst und am 5. November zur Aufstellung eines Gegenpapstes (Herzog Amadeus VIII. von Savoyen) kam, da waren für Nikolaus vollends alle Brücken zu einem friedlichen Dialog mit den Baslern abgebrochen; da blieb nur noch die Möglichkeit einer die Ereignisse kanonistisch ventilierenden kirchenpolitischen Auseinandersetzung in Form eines "Dialogs, der aus den Entscheidungen (ex gestis) und der Lehre des Basler Konzils den Irrtum der 'Amedisten' erschloß" und zu präzisieren suchte. Wie Erich Meuthen als dessen Herausgeber41 festgestellt hat, ist dieser 'Dialogus' in der Zeit von Februar bis April während des Mainzer Reichstags 1441 entstanden. Wer aber war der Dialog-Partner? Mittlerweile hat Meuthen nachgewiesen, daß Cusanus (wohl schon) im Frühjahr 1433 auch einen Traktat D e m a i o r i tate auctoritatis sacrorum conciliorum supra auctoritatem p a p a e verfaßt hat, und diesen in den 'Cusanus-Texten' 1977 ediert. Die Nähe zu 'De concordantia catholica' hat Meuthen (dort S. 42-87) mit zahlreichen Textübereinstimmungen belegt. Mehrmals taucht dabei auch die Überlegung auf, ob der Text von 'De maioritate' nicht durch Helwig von Boppard als "Mitarbeiter des Cusanus auf dem Basler Konzil" (S. 8; vgl. S. 11 und 13-15) übermittelt ist. Diese Vermutung wird m.E. in der umgekehrten Sicht dadurch bestätigt, daß auch der, der als "alter Schüler" (des Cusanus) den 'Dialogus' eröffnet und den daraufhin auch Nikolaus als diu amate discipule anredet (N. 1,3-5), schwerlich ein anderer als derselbe Helwig gewesen sein kann42.
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Siehe AC I 1 N. 183 (zwischen 5.6. und 15.7.1433), Z. 1-5. Dialogus concludens Amedistarum errorem ex gestis et doctrina concilii Basiliensis, in: MFCG 8 (1970) 11-114, Text 78-114; aus Ms. 107. C der Universitäts-Bibl. Lüttich, fol. 173r-181v und 183rb, sowie Ms. 1927/1426 der Trierer Stadtbibl., fol. 156r-161v. Zur Datierung des Dialogus ebd. 24-40, besonders 40; vgl. AC I 2 N. 488. Zum geistesgeschichtlichen Vergleich der hier angewandten "dialogischen Form" hat MEUTHEN ebd. 66-77 Näheres ausgeführt. In MFCG 17 (1986) 142-154 hat er aus der Gießener Univ.-Bibl., Hs. 796, sowie aus der Univ.-Bibl. Würzburg, Hs. M. ch.f. 245, zwei weitere Kopien des Dialogus, die wohl beide "noch 1441 in Mainz hergestellt worden sind" (146), aufgewiesen und kollationiert. 42 Siehe MEUTHEN (ed.), De maioritate (Anm. 20). Vgl. auch Dialogus (Anm. 41) 97 N. 20, Z. 1-4: Audivi et ego aliquando Basilee introductam disputationem de decreto irritanti et obtentum a prudentiorìbus non esse possibile Romanum pontificem ligari posse. 41
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Zum Thema des 'Dialogus': Der "Schüler" stellt seinen einstigen "Lehrer" vor die Frage, ob er auch noch nach der "Synode von Florenz" (also nach der Bulla unionis Graecorum vom 6. Juli 1439) an dem Großen festhalte, das er nach der Konzilsauseinandersetzung mit den Böhmen (am 15. März 1433; siehe AC I 1 N. 166) "über die Heiligkeit der Basler Synode" ausgeführt habe (N. 1,6-10). Der Kern der Antwort des Magisters: "Die Väter des Konzils von Florenz sahen es so, daß die Basler Synode, die rechtmäßig berufen war, auch richtig und heilig reagiert hätte, wenn sie die Dekrete des Konstanzer Konzils nicht verkehrt ausgelegt hätte (dedit pravum intellectum)", anders nämlich als "die Synode von Konstanz selbst und die katholische Kirche als ganze mit Haupt und Gliedern" (N. 3,5-10). Danach (N. 4-36) wird bei den Stichworten des Dekrets 'Haec Sancta' (6. April 1415) deren Bedeutung im Sinne der katholischen Kirche von der, die das Konzil in diese hineinlegte, unterschieden. Hier nur diese wichtigsten Gesichtspunkte: (1) Nach der derzeitigen Praxis "repräsentiert" jede Versammlung von Gläubigen auch ohne Apostolischen Legaten die gesamte Kirche. Was den Bischof von Rom angeht, genügt es für ein Konzil, daß seine Autorität bei dessen Einberufung mitwirkt43. (2) "Wenn sie (die Versammelten) eine Universalsynode bilden, haben sie also nach dem Konstanzer Konzilsdekret unmittelbar von Christus die Gewalt und repräsentieren (so) die Gesamtkirche"44. (3) "Wie also Christus und seinen Geboten zu gehorchen ist, einerlei ob uns diese durch wenige oder durch viele verkündet werden, so auch der Synode, einerlei ob es viele oder wenige Bischöfe sind"45. Diese Konzils-Auffassung nennt auch der Schüler "gefärbt (coloratus)", und er fragt: "Kann sie gesund sein?" Der Magister antwortet: "Keineswegs!", und er fuhrt aus der Konziliengeschichte das Beispiel der (zweiten) Synode von Ephesos (449) an, deren "Beschlüssen" die Apostolischen Legaten nicht zustimmen konnten46. Demgegenüber nimmt Nikolaus die Ehre der "echten Basler Synode" in Schutz, weil diese die Repräsentanz der Kirche in Haupt und Gliedern forderte47. So gilt auch vom 'Dialogus1, was neuerdings Giuseppe Alberigo48 vor allem an dem Werk 'De concordantia catholica' rühmend hervorhebt: Nikolaus übernimmt das am Konstanzer Dekret Gültige; er entfaltet die Leitideen des consensus und der repraesentatio sowie auch ein entsprechendes Verständnis der Ortskirche. In seiner S u m m a d i c t o r u m mit dem Incipit Damnatis Amedistis (AC I 2 N. 520, 376-421), der schriftlichen Zusammenfassung einer kurz zuvor in Frankfurt gehaltenen Rede, hat Cusanus zwischen dem 24. und 28. Juli 1442 das im 'Dialogus' Gesagte im leichteren Erzählungsstil breit dargelegt. Im 'Dialogus' treten seine kanonistisch-ekklesiologischen Akzentsetzungen umso kompakter hervor. 43
Dialogus (Anni. 41) N. 9, Z. 1-3. Dialogus (Anm. 41) N. 9, Z. 1-3. 45 Dialogus (Anm. 41) N. 9, Z. 10-13. 46 Dialogus (Anm. 41) N. 10, Z. 1-5. Zur "Raubersynode" siehe H. BACHT, in: LThK 2 VIII (1963) 1009 f. 47 Dialogus (Anm. 41)N. 10, Z. 17-29. 48 G. ALBERIGO, Chiesa conciliare. Identità e significato del conciliarismo (Testi e ricerche di scienze religiose 19) Brescia 1981, 241-354. 44
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3. Um den Neujahrstag 1445 brach sich auch das philosophisch-theologische "Neue in De docta ignorantia"49 beim "Dialogus zwischen einem Heiden und einem Christen" in D e D e o a b s c o n d i t o 5 0 eindrucksvoll Bahn. Die Anfangsworte Et ait Gentiiis ("Da sprach der Heide") lassen darauf schließen, daß Nikolaus den "Einfall" zur Niederschrift dieses Dialogs im Anschluß an den Schlußappell in seiner Predigt in der dritten Weihnachtsmesse 1444 im Mainzer Dom erhielt: "Darum, ihr Heiden, die ihr Christus noch nicht in euch gefunden habt51, kommt und betet Ihn an! Bekennt euer Unwissen ..., werft euch vor Ihm nieder und gießt vor Ihm eure Herzen aus!"52 Genau dort hebt der Heide nämlich mit seinem Fragen an: "Wer bist du? ... Was betest du an? ... Wer ist der Gott, den du anbetest?"53 Der Christ antwortet darauf: Ignoro, und er fuhrt den mehr und mehr staunenden Heiden zu der Einsicht: "Es gibt nur e i n e W a h r h e i t ... Ohne Geist (amens) ist deshalb der, der etwas in (seiner) Wahrheit zu wissen meint"54. Auf die weitere Frage "Was weißt du von dem Gott, den du anbetest?" antwortet der Christ dann aber keineswegs skeptisch, sondern ganz im Sinne der theologia eminentiae. "Gott ist über dem Nichts und dem Etwas. Denn Ihm gehorcht das Nichts so, daß 'etwas' wird"55. So ist Gott auch nicht "unaussprechbar", sondern - als die Ursache alles Benennbaren - "über alles aussprechbar"56. Der Dialog kulminiert in der Analogie: Wie der Gesichtssinn (visus) als solcher ohne Farbe ist, um alle Farben sehen und ihnen je ihre Namen geben zu können, ähnlich ist auch Gott über allen Gegensätzen zu suchen und (nur) in der von Ihm geschenkten gnadenhaften Vollendung in der Gotteskindschaft zu finden57. So eröffnet eben der Dialog 'Vom verborgenen Gott' dem Heiden wie dem Christen den rechten Ausblick auf die alles nur ich- und weltbezogene Denken übersteigende Erhabenheit, Weisheit und Güte Gottes. Die beiden Briefe'Vom Gottsuchen' ( D e q u a e r e n d o D e u m ) und'Über die Gotteskindschaft' ( D e f i l i a t i o n e D e i ) , die Nikolaus bald danach an einen "Bruder in Christus"58, vielleicht beide an den Münstermaifelder canonicus und devotus sacerdos Konrad von Wartberg59, schrieb, setzen den damit eröffneten Weg zum Verständnis der durch und in Christus eröffneten Gnade der Gotteskindschaft 60 fort. Im Anschluß an seine Predigt am Fest Mariä Heimsuchung meditierte Nikolaus am 2. Juli 1446 auch die biblische Ankündigung der Geburt Christi durch den Engel und den Besuch Mariens bei Elisabeth (Lk 1,28-56) in einem Zwiegespräch, das er vermutlich im Anschluß an seine Predigt (LXVIII) auch in der 49
Vgl. R. HAUBST, Das Neue in De docta ignorantia, in: MFCG 20 (1992) 27-56. In: Opuscula I, ed. P. WLLPERT (h IV) Hamburg 1959, N. 1-14. Dieser Sermo XLIII gipfelt zuvor in der Frage: Quo signo Christum natum in nobis cognoscimus? (Sermones II, 1 [Anm. 1] N. 10-12). 52 Sermones II, 1 (Anm. 1)N. 14, Z. 2-4 undN. 15, Z. 16f. 53 De Deo abscondito (Anm. 50) N. 1, Z. 1-9. 54 Ebd. N. 5, Z. 2 und Z. 14 ff. 55 Ebd. N. 8, Z. 2 und 9, Z. 8. 56 N. 10, Z. 5. 57 N. 14. 58 De quaerendo deum, in: Opuscula I (Anm. 50) N. 16, Z. 2. 59 De filiatione dei, in: Opuscula I (Anm. 50) N. 51, Z. 1 f. 60 HAUBST, Streifzüge (Anm. 15) 89-95. 50 51
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Kirche vortragen ließ . Darin "spricht ein devotarius", der "mit größtem Verlangen" über das Thema des Tages nachdachte, mit Maria. Der Name des devotarius ist "Christ". Formal ist diese Dialog-Eröffnung der von 'De Deo abscondito' ähnlich. Doch hier "erscheint" auch "die glorreiche Jungfrau"62, und so kommt es zu einem Fragen des Christen und zu Antworten Mariens, die der Christ dankbar annimmt. Diese gipfeln darin63: "Mein Sohn ist 'der Vater' jedes Menschen, der Segen erlangt; denn er macht alle zu Kindern Gottes"; und dann - gemäß dem Jesus-Wort "Wer den Willen meines Vaters tut, ist mir Bruder und Schwester und Mutter" (Mt 12,50) - noch zugespitzter darin: "Jesus ist (auch unser) Sohn, wenn wir (als seine Schüler) ihm Mutter und Brüder sind"64. Am 2. März 1447 führte Nikolaus in dem Dialog D e G e n e s i - dessen Titel zunächst oder grundlegend allgemein "die Erschaffung oder das Werden" besagen soll65 - die metaphysische Perspektive, die der Dialog 'De Deo abscondito' eröffnete, im Hinblick auf die Selbstbekundung Gottes in Welt und Mensch weiter. Das Gespräch mit Konrad von Wartberg bezieht hier aber auch das Ziel, den Sinn und die Tragweite der Dialogführung - auf eine für die folgenden CusanusDialoge exemplarische Weise - mit ein. Konrad verlangt nach einer schmackhaften geistigen Nahrung. Cusanus: "Schon längst weißt du von mir, Konrad, daß ich in unermüdlichem Bemühen dem Nicht-Begreifbaren zustrebe und mich freue, dazu auch durch Fragen stimuliert oder durch Einwände gedrängt zu werden (violentari)" 66 . Konrad konstatiert als erstes: Das Suchen aller Weisen endet in "einem Ursprung (principium)"; der ist gleichsam "die Quelle, zu der man beim Aufstieg über Seen und Fluß gelangt". So fallen Ursprung und Ziel in-eins. Dazu der Prophet (Ps 101,26-28; zit. Hebr 6,10-12): "Zu Anfang hast Du die Erde erschaffen, und die Himmel sind Werke Deiner Hände. Diese werden vergehen. Du aber bist Derselbe selbst (Idem ipse). Alles Forschen sucht mithin die Entstehung des Weltalls"67. Darauf fragt Nikolaus sich selbst: "Wie soll ich Tölpel (stolidissimus omnium) eine Sache, die alle Alten als die schwierigste und unerklärbarste auf sich beruhen ließen, in leichtem Zugriff (facili compendio) eröffnen?" 68 Und: "Wie kann Dasselbe (oder Derselbe) die Ursache des Verschiedenen sein?"69 Das philosophisch sowie auch trinitätstheologisch zu erklären70 und zu veranschaulichen, u.a. am Beispiel eines Glasbläsers71 und der Belehrung eines Schülers durch das Wort
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Die Edition ist als dritte der 'Elucidationes thematum Novi Testamenti' in: Opuscula II, 1 (h X/l) vorgesehen. Vgl. vorerst: HAUBST, Streifzüge (Anm. 15) 430-439. 62 Künftig in h X/l (vgl. Anm. 61): N. 2, Z. 1. 63 Ebd. N. 25, Z. 1-5. 64 Ebd. N. 25, Z. 11-12. 65 De Genesi (h IV) N. 142, Z. 3; N. 149, Z. 17: creatio seu genesis. Im II. Teil (N. 158-160) bezieht sich der Titel auf das I. Buch Mose, näherhin auf den Schöpfungsbericht. 66 Ebd. N. 141, Z. 6-9. 67 N. 142, Z. 1 - N . 143, Z. 3. 68 N. 143, Z. 5-7. Zur 'Theologia facilis' siehe HAUBST, Streifzüge (Anm. 15) 71-75. 69 N. 143, Z. 13. 70 N. 144-159, 175, 187. 71 N. 161-164.
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des Lehrers , darum geht es in dem gesamten folgenden Dialog, der die GesamtWirklichkeit73 vor den Blick bringen möchte. 4. Es mag überraschen, es ist aber nicht nur ein Zufall, daß Nikolaus nach diesem Dialog 'De Genesi' seine meisten philosophisch-theologischen Werke74 in Dialogform meditierte und verfaßte. Auf besondere Weise gilt dies auch von der A p o l o g i a d o c t a e i g n o r a n t i a e . Der Nachweis, daß bei der Polemik Johannes Wencks in 'De ignota litteratura' gegen die wissenschaftliche Ernsthaftigkeit der docta ignorantia, der coincidentia oppositorum, die er des Pantheismus verdächtigte, und der Christologie des Nikolaus von Kues seine kirchenpolitische Gegnerschaft seit der Zeit des Mainzer Reichtags 144175 mitspielte, braucht hier nicht wiederholt zu werden76. Doch inwiefern ist die 'Apologia' ein Dialog? Nikolaus selbst bleibt hier formal im Hintergrund. Denn das "Gespräch" verläuft als ganzes zwischen zwei Cusanus-Schülern, die ihren Meister nach seiner Kardinalserhebung am 20. Dezember 1448, zumeist praeceptor nennen. Der Anteil des einen, der als ein eifriger Sammler und begeisterter Verbreiter des cusanischen Gedankengutes gepriesen wird, auch wegen seines Bemühens, die "veralterte aristotelische Tradition" zu überwinden77, besteht hier freilich nur darin, daß er von Anfang bis Ende aufmerksam zuhört, während der andere ihm "einiges berichtet, das die nicht voll Unterrichteten irreführen könnte". Er tut dies, damit der Zuhörende "solchen Attacken (insultationibus) leichter entgegentreten könne". Sein Bericht beginnt damit, daß er "soeben die Schrift eines nicht nur unklugen, sondern auch sehr arroganten Mannes namens Johannes Wenck, der sich 'Magister in der Theologie' nenne, mit dem Titel 'De ignota litteratura' erhalten habe: "Weil ich darin schwere und ungerechte Schmähreden (invectivas) gegen unseren Unterweiser (praeceptor) und sein Buch 'De docta ignorantia' las, wandte ich mich, durch manches, das mir mißfiel, verwirrt, an den Unterweiser; ich erklärte den Grund meines Kommens und den Inhalt der Invektiven". Diesem Vorspann folgt in dem ausführlichen Dialog zwischen dem SchülerSprecher mit Cusanus selbst eine bis in die Details von 'De docta ignorantia' und 'De ignota litteratura' gehende Diskussion der von Wenck inkriminierten Formulierungen. Die Antworten von Cusanus selbst sind mitunter so zurückhaltend, daß sie dem Schüler noch zu blaß erscheinen78. Aufs Ganze gesehen stimmen beide jedoch darin überein, daß Wenck "aus Leidenschaft gesprochen" habe79, daß er das, was Cusanus geschrieben habe, verfälsche80, ja daß er nicht einmal verstehe, was er bekämpfe81 usw. Alles in allem besteht also kein Grund zu zweifeln, daß 72
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N. 175, Z. 1: omnium summam.
Ausnahmen sind 'De beryllo', der Brief 'De aequalitate', der Traktat 'De principio' und das 'Compendium'. 75 Vgl. R . H A U B S T , Studien zu Nikolaus von Kues und Johannes Wenck. Aus Handschriften der Vatikanischen Bibliothek (Beiträge zur Geschichte der Philosophie und Theologie des Mittelalters 38,1) Münster 1955, 95-98. Zur Datierung von 'De ignota litteratura' (spätestens Hochsommer 1443) und der Apologia (um 9. Oktober 1449) siehe ebd. 99 f. 76 Vgl. auch J. H O P K I N S , Nicholas of Cusa's Debate with John Wenck, Minneapolis 1981, 3-18. 77 Apologia doctae ignorantiae, ed. R. KLIBANSKY (h II) Hamburg 1932, 1, Z. 7-11. 78 Ebd. 6, Z. 15-17; vgl. 19, Z. 23 f. 79 Ebd. 5, Z. 9; vgl. 16, Z. 13; S. 21, Z. 17. 80 Ebd. 30, Z. 8; 31, Z. 4-9. 81 Ebd. 31, Z. 22.
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Nikolaus selbst den ganzen Dialog mitsamt der Rahmen-Erzählung in der vorliegenden Fassung formuliert hat. Bald nach der 'Apologia' hat der Kardinal in den L i b r i i d i o t a e de s a p i e n t i a I und II sowie in 'De mente' (1450) auch die erkenntnistheoretischen Leitgedanken von 'De docta ignorantia' weiter entfaltet. Im Dialog mit dem aus der geisteswissenschaftlichen Tradition schöpfenden Orator (und in 'De mente' auch mit einem Philosophus) betonte er dort als eigenständiger Laie (idiota) die je eigene geistige Erfahrung als die je eigene Erkenntnisquelle und das ins Unendliche zielende Verlangen nach deren Vertiefung als das, was die Geistseele zum "lebendigen Bild" Gottes macht. Dieses Bild kommt nämlich nur in dem zur Ruhe, dessen Bild es ist und von dem es Ursprung, Mitte und Ziel hat"82. In der Sicht, daß das gesamte spekulative Denken (speculatio) nichts anderes ist "als eine Bewegung des Geistes von Daß (etwas ist) zum Was"83, gibt es sogar auch "keine leichtere Schwierigkeit als das Göttliche 'im Spiegel zu betrachten' (,speculari)"84. So erklärt gerade der bisher so traditionsgebunde Orator schließlich: O, quantum exhilaratus tarn lucidam aufiens explanationem\%5 Im IV. Buch bekundet der "Laie" auch sein statistisches Interesse an den beobachtbaren (experimentales) Gewichtsunterschieden86. Im Jahre 1453 hat Cusanus in 'De pace fidei' und 'De visione Dei' zwei damals besonders aktuelle Schriften verfaßt, die wir nicht nur in der formalen Sicht, sondern vor allem auch im Hinblick auf die von diesen diskutierten und übergriffenen Inhalte weit und tief ausholende ökumenisch orientierte Dialoge nennen können. In D e p a c e f i d e i ruft nach all dem, was soeben bei der Eroberung Konstantinopels an Unmenschlichkeiten geschehen ist, der göttliche Logos selbst zur Besinnung auf, um mit siebzehn Weisen, die je verschiedene Nationen repräsentieren, ein Gespräch zu eröffnen, das zentral zum Glauben an den Einen und Dreieinen Gott und an die Inkarnation im Sohne sowie zu dem eschatologischen Ziel des Heilswirkens Gottes an der ganzen Menschheit hinfuhren soll87. Die Schrift D e v i s i o n e D e i geht von einem sinnenfälligen Gemälde aus, das Christus als Alles-Sehenden darstellt88, um dieses Bild allen Verschränkungen unseres menschlich-irdischen Lebens zu entheben und, so gut uns das möglich ist, auf Gott selbst als "den absoluten Sinn-Grund, in dem jede Andersheit Einheit und jede Verschiedenheit Selbigkeit ist"89, zu übertragen und zu transzendieren. Dabei wird das Geheimnis-Dunkel des durch sein Sehen alles erschaffenden Gottes besonders meditiert90, auch daß Gott nur als der Unendliche das 82
Idiota de sapientia - Idiota de mente - Idiota de staticis experimentis, ed. R. STEIGER (h V) Hamburg 1983; siehe ebd. De sapientia I N . 18; De mente 13 N. 148 f. 83 Näheres im 'Complementum theologicum' (September 1453) 2, in: Nicolai Cusae cardinalis opera (Anm. 19) II/II fol. 93r. 84 De sapientia (Anm. 82) II N. 28. 85 De mente (Anm. 82) 13 N. 148. 86 De staticis experimentis (Anm. 82) N. 161, Z. 10. 87 Näheres im Sammelband: Der Friede unter den Religionen nach Nikolaus von Kues (MFCG 16) Mainz 1984. 88 Näheres im Sammelband: Das Sehen Gottes nach Nikolaus von Kues (MFCG 18) Trier 1989. 89 Vom Gottes Sehen (De visione Dei), übersetzt v. E. BOHNENSTÄDT (Nikolaus von Kues. Schriften in deutscher Übersetzung 4 = Philosoph. Bibl. 219) Hamburg 2 1944, 3 N. 8. 90 Ebd. 6 N. 21; 9 N. 36; vgl. 12.
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Ziel aller Sehnsucht und nur in seiner Dreieinigkeit die Glückseligkeit selbst sein kann92, sowie daß all dies nur in und durch Christus zu erreichen ist93. Der "Dialog" lebt bei all dem aus dem Impuls, daß dem Christen zur Orientierung auf diesem Weg die ganze sichtbare Welt, die ganze Heilige Schrift und "Jesus als der Weg, die Wahrheit und das Leben" geschenkt sind. Gott dem Vater, dem Heiligen Geist und Jesus dankt er dafür: "Du lockst mich durch das Vorverkosten der Wonne des Lebens und der Herrlichkeit dazu an"94. 5. Der Historiker mag im Rahmen unseres Themas, vielleicht sogar in erster Linie, Einblicke in die Art erwarten, wie Nikolaus als Bischof und Landesfürst sich im Gespräch mit Bittstellern, bei der Erteilung von Aufträgen zu politischem, sozialem und religiösem Tun sowie bei der priesterlich-seelsorglichen Besprechung mit solchen verhielt, die von schweren Gewissensfragen bedrängt waren. Statt darüber vorschnell oder nur auszugsweise zu urteilen, scheint mir das geduldige Warten auf das Erscheinen der "Acta Cusana" für die fünfziger Jahre besser angebracht. Im Rückblick auf Briefe wie 'De quaerendo Deum' und 'De filiatione Dei' sowie auf den Dialog 'De Genesi' und auf die Gesprächsführung in den bereits angesprochenen 'Libri idiotae' darf jedoch schon vermutet werden: Soweit gleiche Erfahrungen vorlagen, knüpfte Nikolaus mitbrüderlich an diese an, um sie meditierend zu vertiefen. Die mitmenschliche Gleichheit hinderte ihn aber auch nicht daran, schiefe oberflächliche Ansichten, auch wo sie damals gang und gäbe waren, aufzubrechen und sie in seiner Sicht weiterzuführen. Unter diesem Aspekt sei hier auch insbesondere sein Briefwechsel mit den Tegernseern über Grundfragen der Mystik95 mitberücksichtigt. Auf die Frage, "ob die anima devota ... auch ohne vorhergehendes Denken, ... allein im Affekt Gott erreichen könne"96, antwortet er dem Abt Kaspar Aindorffer am 22. September 1442 unter anderem: "In jeder Liebe, durch die jemand zu Gott hingetrieben wird, gibt es eine Erkenntnis, obwohl er das Was-ist dessen, was er liebt, nicht weiß"97. In seinem Brief vom 14. September 1453 hielt Nikolaus von Kues gegen den Kartäuser Vinzenz von Aggsbach und dessen Berufung auf Dionysius Areopagita auch daran fest, daß das Ziel des mystischen Aufstiegs: "Gewißheit", die "Finsternis", die er vorfinde: "Licht" und das "Nichtwissen (ignorantia): Wissen" sei9«. Seine letzte Karfreitagspredigt zu Brixen (Sermo CCLXXVIII) widmete der Kardinal am 26. März 1457 dem Sinn und den Geheimnissen des Todesleidens Christi, und zwar durchgehend in einem Dialog: zwischen der Brixener Kirche und Maria, der Mutter Jesu, die Johannes den Evangelisten als Prediger hinzuzieht99. Das Predigt-Motto lautet: "Gekreuzigt wurde er sogar für uns." Die 91
Ebd. 16. Ebd. 18. 93 Ebd. 24 f. 94 Ebd. 25 N. 119. 95 Vgl. E. VANSTEENBERGHE, Autour de la docte ignorance (Beiträge zur Geschichte und Philosophie des Mittelalters 14, 2-4) Münster 1915; HAUBST, Streifzüge (Anm. 15) 325-354. 96 VANSTEENBERGHE (Anm. 95) 110, z . 12-15. 97 Ebd. 112, Z. 3-4. 98 Ebd. 113-117; die Zitate: 115, Z. 10-14. 99 Rom, Bibl. Vat., Vat. lat. 1245, fol. 247va-250rb; siehe dazu ferner HAUBST, Streifzüge (Anm. 15)416-429. 92
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Kirche bittet Maria vor allem darum: "Sage doch, bitte, Mutter der Gnade, wie wir mit dem Erlöser mit-leiden und mit-sterben sollen". Johannes fuhrt das weiter aus100. In dieser "Predigt des Johannes" hat der Kardinal sein eigenes Verständnis des Kreuzes Christi möglichst schlicht und ausgiebig zum Ausdruck gebracht101. Im Prothema zur Predigt Confide, filia!102, vor allem aber in seiner Brixener Pastoralkonferenz unter dem Motto Ego sum Pastor bonns hat Nikolaus in der kirchlichen Glaubensverkündigung, ohne auch dort das Wort "Dialog" zu gebrauchen, ein "Vermittlungsgeschehen" gesehen, in dem die Selbsthingabe des Guten Hirten für die Seinen sich in einer "Wechselbeziehung von Wort Gottes, Predigern und Hörern" fortsetze103. Zu einer formalen Gleichbewertung von Predigt und Dialog hat dies bei Cusanus jedoch nicht gefuhrt. 6. Um die innere Sinnerschließung der Predigt durch den Dialog ging es Cusanus jedoch oft. Er formulierte ja nicht nur, wie wir bereits sahen, einige Predigten (oder Predigt-Teile) ausgesprochen "dialogisch". Öfter bezog er auch Sprichwörter des Volkes, vor dem er durchweg auf Deutsch (nostra vulgari Almana lingua) predigte, mit ein104. Um seine theologia sermocinalis möglichst verständlich zu gestalten, fügte er von September 1455 (Sermo CC) an in "ungefähr zwanzig Predigten" auch ein (manchmal mehrmaliges) Frage-Antwort-Spiel mit den Zuhörern ein. Diese "Kolloquien" eröffnete er zunächst schon in Sermo XIII (N. 8-14) so, daß er mit Worten wie quaestio oder quaeris etc. Fragen, Zweifel oder Einwände der Zuhörer anmeldete, auf die er antwortete. Vom 6. Februar 1457 an bis zu den Traktaten 'De aequalitate' und 'De principio' drückte er dies auch geradezu formelhaft in den Worten diceres (Du möchtest sagen) und dico (Ich antworte) aus105. Wie sehr der Kardinal auf solche Weise auch die freie Überlegung und Zustimmung seiner Zuhörer anvisierte, dafür ist vor allem seine letzte uns erhaltene Predigt vor der Gelübde-Ablegung des Mönches Nicolaus Albergati in Montoliveto beispielhaft106. 7. Nach der Beendigung seiner Predigttätigkeit in Brixen und bei seiner Römischen Legation hat der Kardinal in den Jahren 1460 bis 1464 sogar vier dialogisch gestaltete Opuscula hinterlassen. In diesen Dialogen wollte er nicht zuletzt auch Ideen von 'De docta ignorantia' in neuer Gewandung verlebendigen. a) Der Trialog D e p o s s e s t (Über das Können-Ist) entstand im Februar 1460 auf der Bergfestung Andraz (Buchenstein) in den Dolomiten. Bernhard von Kraiburg, damals Kanzler des Erzbischofs von Salzburg, und Giovanni Andrea (Bussi) aus Vigevano, der mit der Geistigkeit des Kardinals bestens vertraut war107, regten einander zu solchen Fragen an, die Nikolaus besonders interessier100
Vat. lat. 1245 (Anm. 99) fol. 247va, Z. 45 - 249rb, Z. 35. Siehe HAUBST, Streifzüge (Anm. 15) 427. 102 Sermo XLI N. 2-3. 103 LENTZEN-DEIS, Den Glauben Christi teilen (Anm. 39), bes. 130. Den lat.-dt. Paralleltext von Sermo CCLXXVII siehe ebd. 213-235. 104 Vgl. R. HAUBST, Praefatio generalis zu h XVI, p. XXIX f. 105 Das Nähere siehe HAUBST, Praefatio (Anm. 104) p. XXXIII. 106 Sermo CCXCIII, in: Cusanus-Texte IV/3, Heidelberg 1955, N. 22-24. 107 Näheres E. MEUTHEN, Die letzten Jahre des Nikolaus von Kues. Biographische Untersuchungen nach neuen Quellen (Wissenschaft. Abh. der Arbeitsgemeinschaft für Forschung des Landes NRW 3) Köln-Opladen 1958 s.v. 101
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ten . Zuerst bitten sie ihn um eine Erklärung des Pauluswortes (Rom 1,20) Invisibilia ... per ea, quae facta sunt, intellecta conspiciuntur. Der Kardinal entwikkelt seine spekulative Grundkonzeption: "Die absolute Möglichkeit, Wirklichkeit und Verbindung von beiden sind gleich ewig"109. Auf Rückfragen werden dies und die Dreieinheit des Prinzips u.a. durch das Wortgebilde Poss-est illustriert110. Der Kardinal erklärt aber auch, daß "die Allmächtige Form, die über allem Sein und Nicht-Sein ist, negativ besser erreicht werde"111. "Die dialogische Form" ist dabei "nicht nur die Erinnerung an ein Gespräch", sondern zugleich ein "wesentliches Element der Wahrheitsfindung"112. Der Dialog stellt hier eben den geistigen Vorgang der manuductio dar. b) Die cusanische Metaphysik des Gott-Denkens hat in dem Dialog D i r e c t i o s p e c u l a n t i s s i v e D e n o n a l i u d im Rückgriff auf seine früheren Darlegungen dazu ihren reifsten und kompaktesten Ausdruck gefunden113. Im Grundstock der Kapitel 1-19 richtet ein Ferdinandus, der "das Geistesgut des Aristoteles zu durchschauen sucht"114, aus dessen Sicht an Nikolaus seine bohrenden Fragen. Ganz zu Anfang bietet er auch Cusanus auf dessen Frage: Quid est, quod nos apprime facit scirel das Stichwort definitio und den Leitsatz: Non aliud est non aliud quam non aliud. Ferdinandus möchte daraufhin unter verschiedenen Aspekten ausgelotet haben, was Non aliud als Gottesnamen bedeutet115. Dann wendet er sich dem Verhältnis der Schöpfung zu Gott zu. Auf die Frage, ob es Ideen als "Urbilder vor den Dingen und nach Gott" gebe, konstatieren beide die gegensätzliche Antwort des Aristoteles zu der Piatons116. Ferdinand bittet nun um eine Einfuhrung in das, was "der große Theologe Dionysius" über die Erkenntnis der Umwelt-Dinge und über die Erkenntnis Gottes als "nichts von allem..." sage117. Hätte Nikolaus seine Schrift 'De non aliud' mit Kapitel 19 abgeschlossen, so ließe diese sich kurz und bündig eine Gegenüberstellung der Einheit Gottes als Nichtandersheit zur Andersheit in der Vieleinheit der Welt bei Cusanus und Aristoteles nennen. Die folgenden Beiträge von Pietro Balbo (c.20-21) und Abt Johannes Andreas (c.22-24) sind indes nicht nur Anhänge. Diesen beiden schrieb der Kardinal ja sogar eine besondere Aktualität zu118. Pietro Balbo, der soeben die Theologia Piatonis des Proklos ins Lateinische übersetzt hatte, wollte nämlich mit Cusanus über diese sprechen, offensichtlich weil er dessen schon frühere In108
Trialogus de Possest, ed. R. STEIGER (h XI/2) Hamburg 1973, N. 1. So ebd. N. 6, Z. 16 f.; dazu N. 6-17. 110 Ebd. N. 18-61. 111 Ebd. N. 62-72. 112 So R. STEIGER (Hg.), Dreiergespräch über das Können-Ist (Nikolaus von Kues. Lateinisch-deutsche Parallelausgaben 9 = Philosoph. Bibl. 285) Hamburg 1990, VIII. 113 In De venatione sapientiae, ed. R. KLIBANSKY/ H. G. SENGER (h XII) Hamburg 1982, Kap. XIV N. 41, Z. 23 f., vermerkte Nikolaus von Kues im Herbst 1462: Scripsi autem latius de li non aliud in tetralogo Romae anno transacto. 114 Directio speculantis seu de non aliud, ed. L. BAUR/ P. WILPERT (h XIII) Hamburg 1944, 3, Z. 5: Aristotelis perlustrai ingenium. 115 Ebd. Kap. 2-8. 116 Kap. 10. 117 Kap. 14: 29-43. In Kap. 15-17 geht der Kardinal einzelnen Zitaten aus dem Werk des Dionysius Areopagita nach, so in Kap. 16 dem von "Gott als Zeit und Augenblick". Die Kap. 18 und 19 fassen Einzelaspekte der aristotelischen Erkenntnislehre kritisch in den Blick. 118 Vgl. Kap. 19, 47, Z. 13: Praesentis speculationis ... sunt. 109
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teressen an dieser Proklosschrift (und deren Übersetzung) kannte119. Das Ergebnis faßt Nikolaus in den Satz: Plato ... inpaucis suis verbis acutissima multorum ingenia excitavit120. Der uns schon bekannte Collocutor Johannes Andreas steuert vor allem aus dem 'Parmenides' Piatons und dem Kommentar des Proklos zu diesem einiges bei. c) Die Gespräche mit den jungen Bayemherzögen Johann und Albert in D e l u d o g l o b i Buch I und II verliefen (in den Jahren 1462 und 1463?) im Vergleich zu 'De non aliud' in den philosophiegeschichtlich weniger anspruchsvollen, aber existentielleren Dimensionen der Sinndeutung des Globus-Spiels und der Einübung in ein bewußt christliches Leben121. Die Genannten sprechen über die Bewegtheit des Weltalls und der Seele122 sowie über den Globus und dessen Bewegung, die infolge einer Delle nur durch den Gottmenschen Christus und nur in Spiralform geordnet ans Ziel gesteuert werden kann123. Zu Beginn des II. Buches bittet der jüngere Albert darum, ihm "den mystischen Sinn der Kreise des Lebensbereiches" (in denen der Mensch sich bewegt) zu erklären124. Der Kardinal erörtert zunächst das Grundverhältnis des einen Urbildes zu den Abbildern: Das "absolute Sein (des Schöpfers) ist: Alles in Allem, das Enthaltende im Enthaltenen"125. Demgemäß ist "das Leben Christi die Vorbildform" aller in Christus Lebenden. Die Figur (des Spielfeldes) drückt dies dadurch aus, daß alle (neuen) Bereiche des Lebens denselben Mittelpunkt haben. Die neuen Kreise (vom sinnlichen Sehen bis zur höchsten geistigen Schau) sind also "Stufen der Schau", deren Zentrum und Quelle Jesus Christus ist126. Die Ergebnisse der beiden Dialoge "Über das Globusspiel" lassen sich so zusammenfassen, daß der sein Altern verspürende Kardinal die Tiefe und Vieleinheit und Lebensnähe seiner philosophisch-theologischen Weisheit nicht nur ausgereiften Akademikern, sondern auch schon begabten und auf universale Bildung bedachten jungen Menschen ebenso anschaulich wie geistvoll nahezubringen suchte. d) Seinen letzten Dialog schrieb der Kardinal um Ostern 1464, nach Tagen tiefen Nachsinnens, nun aber voller Freude über seine Neuentdeckung, der er den Titel D e a p i c e t h e o r i a e gab127. Er widmete diesen seinem Mitarbeiter Peter von Erkelenz128, der ihn "nun schon seit vierzehn Jahren vieles öffentlich und 119 Näheres siehe R. HAUBST, Die Thomas- und Proklos-Exzerpte des "Nicolaus Treverensis' in Codicillus Straßburg 84, in: MFCG 1 (1961) 34-51. 120 D e non aliud (Anm. 114) Kap. 21: 51, Z. 30 f. 121 Siehe die Übersetzung von G. v. BREDOW, Vom Globusspiel (De ludo globi) (Nikolaus von Kues. Schriften in deutscher Übersetzung 13 = Philosoph. Bibl. 233), Hamburg 2 1978. Vgl. H. GOLDSCHMIDT, Globulus Cusani (Kleine Schriften der Cusanus-Gesellschaft 13) Trier 1989, sowie den Beitrag von H. G. SENGER in diesem Band. Cusanus rückt jedoch auch bei diesen Gesprächen "näher an Piaton heran als wohl alle mittelalterlichen Platoniker", so G. v. BREDOW in der Einführung zu ihrer Übersetzung S. XXIX. Vgl. dazu ebd. N. 1 2 , 2 2 , 49, 57. 122
Buch I, Übersetzung G. v. BREDOW (Anm. 121) N. 3-43. Buch I N . 31 und N . 44-60. 124 Buch II N . 61. 125 N . 62-67. 126 N . 68-75. 127 Ed. R. KLIBANSKY/ H. G. SENGER (h XII), Hamburg 1982, 117-136. Siehe auch H. G. SENGER (Hg.), Die höchste Stufe der Betrachtung (De apice theoriae) (Nikolaus von Kues. Lateinischdeutsche Parallelausgaben 19 = Philosoph. Bibl. 383) Hamburg 1986. 128 Über ihn siehe E. MEUTHEN, in: Z A G V 84/85 (1977/78) 701-744. 123
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privat über seine lebhaften Neuentdeckungen reden hörte und mehrere (seiner) Schriften gesammelt hat". Kürzlich hat der Kardinal ihn auch zum Priester geweiht. Nun ermuntert er ihn dazu, selbst mit "Sprechen und Fragen zu beginnen"129. Dessen erste Frage lautet: "Was suchst Du?"130 Die Antwort fuhrt, über den früheren Dialog 'De Possest' hinaus, dahin: Das Können selbst (Posse ipsum) ist das Gesuchte oder die Washeit selbst, ohne die nichts sein kann. Damit, so erklärt Nikolaus, befaßte ich mich an den Festtagen mit überaus großer Freude131. Dies erscheint ihm nunmehr auch als die "klarste, wahrste und leichteste Benennung (Formulierung) des Gesuchten, die möglich ist"132. Peter stimmt zu: "Nichts ist gewisser; ich meine, daß die Wahrheit dessen niemand verborgen bleiben kann"133. Nikolaus fuhrt dies vor allem mit Hilfe der Licht-Symbolik und des Ternars esse, vivere, intellegeren4 darin weiter: Das einfache Sehen des Geistes ist nicht komprehensiv, sondern es erhebt sich von der erfassenden (comprehensiva) visio zum Sehen des Unbegreifbaren (incomprehensibile)\ "... und dies Sehen-Können des Geistes über jede Fassungskraft hinaus ist das höchste Können des Geistes, in dem sich das Können-selbst manifestiert"135. Jetzt fragt Peter: "Was sonst könnte das Verlangen des Geistes mehr sättigen als das Können-selbst, das Können allen Könnens, ohne das nichts etwas vermöchte!?"136 Der Kardinal weiß sich damit am Ziel: "Du siehst nun sehr gut, Peter, wie viel Dir die Gewohnheit des Dialogs (colloquii) und das Lesen meiner Schriften dazu hilft, daß Du mich leicht verstehst"137.
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De apice theoriae (Anm. 127) N. 1, Z. 10-15. N. 2, Z. 11. 131 N. 4, Z. 14-17. 132 N. 5, Z. 6-9. 133 N. 6, Z. 24 f. 134 N. 8-10. 135 N. 11,Z. 1-3 undZ. 8-11. 136 N. 12, Z. 2-6. 137 N. 13, Z. 1-3. 130
Metaphysischer Atomismus Zur Transformation eines Denkmodells durch Nikolaus von Kues VON HANS GERHARD SENGER
In einer seiner letzten Schriften benutzte Nikolaus von Kues ein Spiel als imaginativen Ausgangspunkt für eine 'globale' Weltdeutung. Ein Kugelspiel gibt in Spielregeln und im Spielverlauf den sinnfälligen Erfahrungshorizont, aus dem in der Schrift 'De ludo globi'1 kosmologische, metaphysisch-theologische, erkenntnistheoretische und moralische Fragen 'aus einem Punkt' systematisch entwickelt werden. Spielanleitung und Spielverlauf sind schnell erläutert. Gespielt wird mit einer Holzkugel von besonderer Form. Die Oberfläche des Globus ist in ihrem größeren Teil konvex gewölbt; im verbleibenden kleineren Teil ist die Kugel konkav gehöhlt. Infolge dieser Oberflächenkonfiguration beschreibt eine solche, in Bewegung gesetzte Kugel natürlicherweise keine geradlinige, sondern eine mehr oder weniger spiralförmige, gekrümmte Bewegungslinie. Die im Wurf jeweils erzielte Bewegungslinie wird durch die der Kugel vom Spieler mitgeteilte Bewegungsenergie, aber auch durch die Beschaffenheit der Ebene bestimmt, auf der die Bewegung erfolgt (LG I n. 4-7). Als Spielfeld dient eine möglichst glatte Ebene, auf der um ein Zentrum C ein Kreis beschrieben ist, dem neun weitere Kreise konzentrisch einbeschrieben sind. Die Spielanweisung ist folgende: Die Kugel ist vom Spieler, der außerhalb des größten Kreises am Standort A steht, so zu werfen, daß sie dem Zentralpunkt C als Zielpunkt des Spiels möglichst nahekommt (LG I n. 20 f.; n. 50). Die einzelnen Kreise sind vom äußeren Kreis zum Zentrum hin mit Wertzahlen von 1 bis 10 versehen (vgl. LG II n. 77 f.). Die Spielregel (lex ludi) des Gewinnspiels sieht vor, daß die Kugel innerhalb des größten Kreises zur Ruhe kommt. Die Zahl des von der Kugel erreichten Kreises geht in die Spielwertung ein. Es gewinnt derjenige, der durch Addition der bei den Würfen erreichten Punkte als erster die Zahl 34 erreicht. Diese Zahl symbolisiert - nach älterer Zählung gerechnet - die Lebensjahre Christi (LG I n. 50 f.). Dem Spiel insgesamt wird von Nikolaus, der sich als dessen Erfinder bezeichnet (LG I n. 31 und n. 49 f.), Symbolbedeutung beigelegt. Die Bewegungsverläufe der Kugel symbolisieren die Bewegung der menschlichen Seele von ihrem welthaft-menschlichen Bereich zum "Bereich des Lebens", der durch den Kreisumfang des größten Kreises symbolisiert wird. Dessen und aller anderen Kreise gemeinsames Zentrum steht für den Thron des Königs, der seinerseits Christus symbolisiert (LG I n. 51). In dieser Hinsicht erweist sich das Spiel als ein mora1 De ludo globi (nachfolgend mit der Sigle LG bezeichnet) wird hier nach der in Vorbereitung befindlichen kritischen Edition zitiert, die demnächst als Vol. IX der Opera omnia Nicolai de Cusa (hier zitiert unter der Sigle h) erscheinen wird. Vorläufig steht der Text u.a. in der Pariser Edition zur Verfügung: Nicolai Cusae Cardinalis opera I, Paris 1514 (ND 1962) fol. 152r-168v. Die Randnummern (n.) der kritischen Edition, nach denen hier zitiert wird, finden sich bereits in: Nikolaus von Kues, Werke (Neuausgabe des Straßburger Drucks von 1488). Hg. von P. WILPERT, Bd. II, Berlin 1966, 575-625, ferner in: Nikolaus von Kues. Vom Globusspiel, Übersetzt von G. VON BREDOW (Schriften des Nikolaus von Kues in deutscher Übersetzung 13) Hamburg 21978.
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lisierendes, von dem sich, wie bei jedem ernsthaften Spiel überhaupt, eine reiche philosophische Spekulation erhoffen läßt2. Im 'Globusspiel' entwickelte Nikolaus seine Spekulation im wörtlichen Sinn aus einem Punkt. Dazu griff er auf die antike Atomtheorie zurück. Ausgehend von der traditionellen Definition des Atoms führte er jene Theorie zu einer Anwendung, die, soweit ich sehe, in der von ihm geprägten Form ohne Vorbild war und, außer bei Giordano Bruno, auch keine Nachahmung gefunden hat3. Nach einer kurzen historischen Einführung (1.) werde ich (2.) die Elemente der Atomlehre darlegen, soweit sie sich in den cusanischen Schriften finden, und diese (3.) in ihrer für das 'Globusspiel' charakteristischen spekulativen Anwendung auf die Welt und (4.) auf den Menschen darstellen. 1. Historischer Zugang: die Definition des Atoms Eine der im Mittelalter verbreiteten Atom-Definitionen findet sich in den 'Etymologiae' des Isidor von Sevilla. Die Definition lautet folgendermaßen: Atomos philosophi vocant quasdam in mundo corporum partes tarn minutissimas ut nec visuipateant nec TOßtfv, id est sectionem, recipiant. Eine andere, aus der 'Summa quae vocatur Catholicon' (1286) des Johannes Baibus stammende Definition lautet: Athomus corpus indivisibile propter sui paruitatem, quamuis forte nullum corpus sit quod diuisionem recipere non possit. Et dicitur sie , quia non reeipit seccionem sensui subiacentem. Als atomi gelten also vor allem die insecabilia ac solida corpora4. In der lateinischen Terminologie des Mittelalters wird, wie schon in der griechischen, 'atomus' darüber hinaus auch noch in anderen Bedeutungen verwendet, im wesentlichen aber in der Bedeutung 'kleinster Teil' (pars minima), und dies vor allem in dreifachem Bezug, nämlich in Hinblick auf Materie, auf mathematische Elemente und auf Zeit. Hinsichtlich der Materie bezeichnet 'atomus' in phi2 In dem Beitrag "Globus intellectualis. Geistsphäre, Erkenntnissphäre und Weltsphäre bei Plotin, Nikolaus von Kues und Francis Bacon" habe ich u.a. den Symbolcharakter dieses moralisierenden Spiels zu verdeutlichen versucht. Der Beitrag erschien in der Festschrift: Concordia discors. Studi su Niccolò Cusano e l'umanesimo europeo offerti a Giovanni Santinello, a cura di G. PIAIA (Medioevo e umanesimo 84) Padua 1993, 275-307. 3 Daß der antike Atomismus in der mittelalterlichen Philosophie nicht rezipiert, auch nicht, wie bei Nikolaus von Kues, transformiert worden ist, kann nicht allein mit der späten Wiederauffindung einer Lukrez-Handschrift erklärt werden (siehe dazu unten, Anm. 20), durch die der Atomismus gleichsam aus der Vergessenheit geholt worden wäre. Isidor von Sevilla, Hrabanus Maurus, Wilhelm von Conches zeigten sich mit seinen Grundzügen durchaus vertraut. Man wird auch das tiefe Mißtrauen in Rechnung zu stellen haben, das seit dem 9. Jahrhundert gegen jede Spielart des Atomismus bestand, zumal er in Sekten auflebte, die - wie Katharer und Albigenser - als ketzerisch galten. Siehe dazu E. J. D. DIJKSTERHUIS, Die Mechanisierung des Weltbildes, Berlin-GöttingenHeidelberg 1956, 135. Vgl. auch J. PHILIPPE, Lucrèce dans la théologie chrétienne du IIIe au XIII 1 siècle et spécialement dans les écoles carolingiennes, in: Revue de l'histoire des religions 32 (1895) 284-302, 33 (1896) 19-36 und 125-162. Zur Rezeption des cusanischen Atomismus bei Giordano Bruno siehe unten Anm. 77. 4 Isidori Hispalensis episcopi Etymologiarum sive originum libri XX, Tom. I-II, ed. W. M. LINDSAY, Oxford 1911, VIII 6,16 und XIII 2,1.-Joannes Balbus, Catholicon, Mainz 1460 (ND 1971), s.v. 'Athomus'. Ein Exemplar der editio prineeps (Mainz 1460 bei Johannes Gutenberg), das wahrscheinlich Nikolaus von Kues gehörte, befindet sich in der Bibliothek des St. Nikolaus-Hospitals zu Kues; siehe J. MARX, Verzeichnis der Handschriften-Sammlung des Hospitals zu Cues bei Bernkastel a./ Mosel, Trier 1905, 329 Nr. 84.
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losophischer Verwendung entweder in unbestimmer Redeweise ein Einzelwesen oder einen fundamentalen Einzelbestandteil (individuum membrum, fundamentum), in speziellerer Bedeutung ein unteilbares Körperliches (indivisibile corporate, quod est punctus vel atomus) oder den Grundbestandteil einer als weiter nicht teilbar angesehenen Materie (elementum indivisibile materiae). In mathematischer Verwendung bezeichnet 'atomus' den Punkt als kleinste geometrische Einheit, als kleinste arithmetische Einheit die Eins. Hinsichtlich der Zeit bedeutet 'atomus' entweder einen unbestimmt kurzen Zeitmoment oder Zeitpunkt (temporale momentum, temporale punctum) oder in definierter Bestimmung den kleinsten Teil eines Augenblicks (pars minima momenti), der als der 376. Teil einer Minute (ostentum) definiert wird. Mit diesen Definitionen sind wir auf die Bestimmungen verwiesen, die griechische Atomisten über Atome gegeben hatten. Mit ihrer Lehre war Nikolaus von Kues wohl in den Grundzügen vertraut, wie bereits seine frühen Schriften zeigen5, und nicht erst, seit er die Philosophiegeschichte des Diogenes Laertius studiert hatte. Das war im Jahr 1462, als er die lateinische Übersetzung erhielt, die Ambrogio Traversari 1433 angefertigt und Cosimo de' Medici gewidmet hatte. Zahlreiche Randnoten in seinem Leseexemplar dokumentieren eine intensive Lektüre, die auch der Darstellung der Lehren des Leukipp, Demokrit und Epikur galt6. Bei Diogenes Laertius las Nikolaus, Leukipp habe als erster Atome als die Prinzipien der Welt angesetzt7. Demokrit, so erfuhr er weiter, sei seinem Lehrer darin gefolgt. Die Atome, die neben dem Leeren (das heißt neben dem leeren Raum als unkörperlicher Wesenheit; vgl. D. L. X 86; fol. 194v) die Prinzipien von allem seien, seien unendlich an Größe und Zahl. Indem sie, selbst unbeeinflußbar und unveränderlich, sich im All bewegen, erzeugen sie alles Zusammengesetzte, die vier Elemente, die Himmelskörper und auch die Vernunftseele (D. L. IX 44 f.; fol. 168v-169r). Über Epikur erfuhr er darüber hinaus, daß dieser die Atome als unteilbar, unauflösbar, unvergänglich und undurchdringbar, kurz als notwendig unzerlegbare körperliche Wesenheiten bestimmt habe, die in ihren Formunterschieden für unseren Verstand unerfaßbar und prinzipiell unsichtbar8 seien (D. L. X 41-45 und 56; fol. 187r-188r und 189v). Aus ihnen und, da sie der Größe und Zahl nach unendlich sind, aus dem Unendlichen seien die Welten und alle materiellen Körper durch Konglomeration hervorgegangen (D. L. X 73; fol. 192v), eben auch die Seele, die aus absolut glatten und runden Atomen bestehe (D. L. X 66)9. Mit der Umlaufordnung der Himmelskörper, so las Nikolaus schließlich, verhalte es sich so wie bei den Dingen, über die wir hier Erfahrung gewinnen. Die göttliche Natur solle aber auf keinen Fall zur Erklärung des Um5
Vgl. etwa De docta ignorantia I 11 n. 32 (h 124,1-5); Idiota de mente 9 n. 119,1-10 (h 2 V 174). London, British Library, cod. Harleian. 1347, fol. lv-205v: Diogenes Laertius, De vitis atque sententiis philosophorum; der Bericht über Leukipp und Demokrit (Buch IX, Kap. 6 und 7) fol. 166r-167r und 167r-169v, über Epikur (Buch X, Kap. 1) fol. 180v-205v (im Folgenden mit der Sigle D. L. zitiert). Die Notizen, die Nikolaus bei der Lektüre machte, sind im wesentlichen kritik- und wertungsfreie Texthervorhebungen. 7 D. L. IX 30; fol. 166v. Die Stellenangaben erfolgen hier nach der üblichen Buch- und Abschnittzählung der Editionen und nach der Foliierung des cod. Harleian. 1347. 8 Zu D. L. X 42 notierte Nikolaus: athomi seu indiuidua corporum ßgurarum differenciis incomprehensibilia sunt (fol. 187v); zu X 44: numquam athomus sensu visa est (fol. 188r). 9 Dazu die Marginalnoten fol. 191 r: nota composicionem anime ex tenissimis et rotundissimis athomis\ fol. 191 v: nota quomodo probat animam corpoream. 6
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laufs der Gestirne herangezogen werden; sie müsse freibleiben von solchen Aufgaben und in vollem Genuß der Seligkeit belassen werden, weil anders keine vernünftige, sondern nur eine eitle Deutung der Himmelsphänomene möglich sei (D. L. X 97; fol. 196r). Denn Epikur habe gerade für alle Himmelsbewegungen eine Leitung oder Anordnung durch ein vollkommen glückseliges und unsterbliches Wesen, also durch Gott, abgelehnt (D. L. X 76). Fehlgeleitet durch die ihm vorliegende Traversari-Übersetzung, verstand Nikolaus gerade diese Stelle falsch. Denn er nahm sie geradezu als Beweis dafür, daß in der Welt nichts durch die Leitung irgendwessen, sondern alles allein durch Gottes Anordnung und auf seinen Befehl hin geschehe10. Der nicht folgenlose Irrtum fand schon bald seinen Niederschlag in 'De venatione sapientiae', wo Nikolaus Epikur gegen Aristoteles ausspielte: Epikur habe besser als dieser gesehen, daß nicht nur (wie Aristoteles meinte) die Verwaltung der Himmelssphären, nicht aber die des ganzen Universums Gott zuzuschreiben sei, sondern "die Verwaltung des Universums insgesamt Gott allein ohne Mithilfe von anderer Seite"11.
2. Elemente der Atomlehre in den cusanischen Schriften Der griechischen Atomlehre stand Nikolaus von Kues insgesamt eher ablehnend gegenüber. Schon früh hatte er sich die im Mittelalter verbreitete Meinung zu eigen gemacht, der epikureische Atomismus leugne Gott und vernichte dadurch alle Wahrheit. Zudem glaubte er den Atomismus bereits durch Pythagoreer und Peripatetiker überwunden, die mathematisch demonstriert hätten, daß man zu unteilbaren und einfachen Atomen überhaupt nicht gelangen könne12. Später hat er zwar sein Urteil über Epikur dahingehend revidiert, daß er in ihm nicht mehr den sah, der die Götter schlechthin leugnete, sondern nur die Wahrheit aller Äußerungen über sie13; eine Anschauung also, mit der sich der Philosoph der ignorantia-Doktrin zufrieden geben konnte. Mit der Lehre der griechischen Atomisten insgesamt wußte Nikolaus aber zunächst nicht viel anzufangen. In der epikureischen Lehre von der Materie, die aus einer unendlichen Menge von Atomen bestehe, vermochte er entsprechend seiner resolutiven Konkordierungsmethode nichts anderes zu erblicken als das, was seiner Meinung nach andere griechische Philosophen mit ihren unterschiedlich angesetzten Weltprinzipien auch hatten sagen wollen, nämlich daß Gott das Werdenkönnen der Welt und aus diesem alles andere gemacht habe14. Der Grund für ein solches, die Erklärungsintention Epikurs verschleierndes Mißdeuten liegt, wie auch im Fall der 10 Vgl. die Marginalnote fol. 193r: nota nichil mundi ministerio alicuius factum sed ordinacione et imperio dei zum Übersetzungstext: in meteoris motum neque ministerio cuinsquam facta existimandum est: uerum illius ordinatione et imperio, qui omnem simul beatitudinem atque inmortalitatem habeat. 11 De venatione sapientiae 8 n. 22,7-11 (h XII 23). M. DE GANDILLAC hat sich schon (in der deutschen Übersetzung seines Buches 'La philosophie de Nicolas de Cues1 [Paris 1942]) darüber überrascht gezeigt, freilich ohne den Grund des Irrtums zu kennen: Nikolaus von Cues. Studien zu seiner Philosophie und philosophischen Weltanschauung, Düsseldorf 1953, 313, Anm. 64. 12 De docta ignorantia I 12 n. 32 (h 1,24,1-5; der Hinweis der Herausgeber auf Albertus Magnus als Quelle ebd.). 13 De venatione sapientiae 21 n. 63,15 sq. (h XII 60). 14 Ebd. 9 n. 23-25 (h XII 24-27).
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Ablehnung des kosmologischen Atomismus überhaupt, im Ausgangspunkt seiner eigenen kosmogonischen Lehre. Ausgangspunkt auch seiner Weltentstehungslehre war die christliche Doktrin, nach der die Welt eine Schöpfung Gottes ist, und zwar creatio ex nihilo. Nach christlicher Doktrin konnte aber die Welt nicht aus Atomen und durch deren Bewegung im leeren Raum entstanden sein. Demgemäß und unter dem Einfluß der Nachwirkung der aristotelischen Physik und Metaphysik mußte auch Nikolaus das materielle Werden der Welt und ihren materiellen Bestand aus prozessualer Veränderung der Dinge selbst erklären. Dazu bediente er sich eines in seinen Wurzeln aus der aristotelischen Philosophie stammenden doppelten Materiebegriffs. Die Materie, aus der die Welt besteht (Materie2), war nicht von ewig her (LG I n. 46). Ihr ging etwas voraus, aus dem alles Materielle werden konnte. Dieses dem Materiellen Vorausgehende hat keinen Namen und kann keinen Namen haben, weil es einer sensitiv oder rational erkennbaren Form ermangelte und nur in der Konkretion der wahrnehmbaren materiellen Welt und materieller Weltteile erkannt wird. Das solcher Konkretion Vorausgehende wurde in verschiedenen Philosophien unterschiedlich erschlossen und unterschiedlich benannt: So wurde es zwar auch als Materie bezeichnet, jedoch als Materie anderer Art (Materiei). Diese wurde im aristotelischen Hylemorphismus als weitgehend ungeformte Erste Materie (jtp©TTi ü>Xt|) bezeichnet. Von anderen aber wurde es als Chaos, Möglichkeit (possibilitas), Werdenkönnen (posse fieri), Zugrundeliegendes (subiectum) und anders mehr benannt15. Nikolaus selbst verstand diese Materiei auf seine Weise als das Werdenkönnen der Welt (posse fieri mundi)16. Während in den 'De ludo globi' voraufgehenden und in den auf sie folgenden Schriften die antike Atomlehre meist nur als philosophiehistorische Kuriosität am Rande Berücksichtigung fand und ex negativo behandelt wurde, formulierte Nikolaus in dieser Schrift allerdings eine Atomtheorie eigener Art. Hier führte er den atomus-Begriff zunächst in durchaus traditionellem mittelalterlichem Verständnis ein, um ihn dann in einer spezifischen Adaptation auf seine spekulative Welterklärung anzuwenden: Der atomus - Nikolaus verwendete das Wort nicht, wie sonst üblich, im genus femininum, sondern im genus masculinum - ist das infolge seiner Kleinheit Unsichtbare (Et est atomus sua parvitate invisibilis. LG I n. 12; vgl auch n. 13). Der spekulativen Anwendung des traditionellen Atom-Begriffs und seiner philosophiegeschichtlichen Verwendung wird im weiteren die Aufmerksamkeit gelten.
3. Spekulative Anwendung der Atomtheorie auf die Welt Heinrich Dörrie hat die antike Atomistik Leukipps, Demokrits und Epikurs als eine spekulative Theorie interpretiert, die nicht als eine Vorform der modernen Atomwissenschaft gedeutet werden könne17. Dagegen hat Alfred Stückelberger geltend gemacht, daß der antike Atomismus nicht immer "auf der Ebene der 15
Compendium 7 n. 19 (h XI, 3,16). LG I n. 45 f.; De venatione sapientiae 9 n. 23,5-15; n. 25,3-8; 38 n. 110,14 (h XII 24-27 und 104). 17 H. D(ÖRRIE), Atomistik, in: Der kleine Pauly, Bd. I, Stuttgart 1964 (ND 1979) 713. 16
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'Spekulation' gefangen blieb" . In diesem Zusammenhang spricht Stückelberger von zwei Wendezeiten. Die erste setzt er in den Übergang von vorhellenistischer zu hellenistischer Zeit, die zweite in den Übergang der Renaissance in die Zeit der Aufklärung 19 . Das Ende der antiken Atom-Tradition sieht er jedoch erst im 20. Jahrhundert gekommen, als 'Atom' nicht mehr als äto^og" gedacht wurde. Beide Wendezeiten werden uns hier nicht weiter beschäftigen, wohl aber zunächst die Zeit der Frührenaissance. Stückelberger hat noch einmal daran erinnert, daß die Rezeption der antiken Atomtheorie in der Renaissance durch die Wiederauffindung einer Lukrez-Handschrift vorbereitet wurde. Der Fund gelang Poggio Bracciolini im Jahre 1417 während des Konstanzer Konzils. Gefördert wurde die Renaissance des Atomismus dann vor allem durch die 'Editio princeps' um 147320. Stückelbergers Behauptung, daß wenig später "bei Leonardo da Vinci die ersten Wiederverwendungen des Begriffs 'Atom' im physikalischen Sinn" zu verzeichnen seien, und daß einer "der ersten Naturwissenschaftler, der dann die atomare Materieauffassung unter Berufung auf Demokrit, Epikur und Lukrez zu vertreten wagte, der italienische Arzt Girolamo Fracastoro mit seinem 1545 erschienenen Traktat 'De sympathia et antipathia rerum'" gewesen sei21, trifft so generell allerdings nicht zu. Es wird zu zeigen sein, daß schon von Nikolaus von Kues nicht nur der mathematische Linienatomismus, sondern auch die antike physikalische Atomtheorie wieder aufgegriffen wurde, wenn auch, wie bereits angedeutet, letztere ex negativo, unter nachdrücklicher Ablehnung des epikureischen Atomismus und in spezifischer Transformation22. Einer der leitenden Begriffe der Schrift 'Vom Globusspiel' ist der Begriff 'atomus', freilich nicht aufgrund einer Häufigkeit des Vorkommens. Aber in Verbindung mit den äquivalenten Termini punctus und indivisibile bekommt der Begriff ein dominantes Gewicht. Zum Leitbegriff wird er vor allem wegen der spekulativen Bedeutung, die ihm in der Gedankenexplikation zukommt. Nikolaus fuhrt den Atom-Begriff sogleich nach der Beschreibung der Spielkugel und ihrer Bewegungsabläufe ein. Aus ihnen soll eine philosophische Theorie (speculatio philosophica, LG I n. 7) der figura oder forma mundi und der in der Welt stattfindenden Veränderungen gewonnen werden. Dies schien ihm wegen einer strukturellen Ähnlichkeit möglich, die zwischen dem Bereich des Artifiziellen, aus dem die Theorie gewonnen werden soll, und dem der Natur als gegeben anzunehmen sei. Ähnlichkeitscharakter besteht zwischen beiden deshalb, weil, wie man seit Aristoteles23 anzunehmen pflegte, im Bereich des Artifiziellen die Natur nachgeahmt wird. Aus diesem Grund schien es Nikolaus möglich, sich von Erfahrungen her, die im Bereich des Artifiziellen gewonnen werden, in Erkennt18 A. STÜCKELBERGER, Vestigia Democritica. Die Rezeption der Lehre von den Atomen in der antiken Naturwissenschaft und Medizin (Schweizer. Beitr. zur Altertumswissenschaft 17) Basel 1984, 9 ff. und 29. 19 Siehe dazu A. STÜCKELBERGER, Lucretius reviviscens. Von der antiken zur neuzeitlichen Atomphysik, in: AKG 54 (1972) 1-25. 20 Die editio princeps erfolgte durch Thomas Ferandus, Brescia ca. 1473. 21 Zu dem Veroneser Arzt, Poeten und späteren Paduaner Philosophielehrer Girolamo Fracastoro (Hieronymus Fracastorius 1483-1553) siehe Enciclopedia Italiana XV (1932) 829 f.; Enciclopedia filosofica II (1957) 513 f.; E. Dl LEO, Scienza e umanesimo in Girolamo Fracastoro, 2 vol., Salerno 1937, 2 1953. 22 Vgl. De docta ignorantia, loc. cit. (Anm. 5); De venatione sapientiae 9 n. 24,19-21. 23 Aristoteles, Phys. II 2, 194a 12 f.
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nisabsicht dem Bereich der Natur zu nähern (LG I n. 7). Das Artefakt des Spielglobus ist zudem ein Produkt menschlicher Intelligenz, aus dessen Beobachtung, zumal aus der Beobachtung seiner Bewegung, im Rückschluß Erkenntnis über die Intelligenz gewonnen werden kann. So darf daraus auch Selbsterkenntnis erhofft werden24. Zunächst geht es aber um eine Erklärung der natürlichen Welt. Dazu bedarf es eines Weltbegriffs. In begrifflicher Bestimmung ist die Welt für Nikolaus "die Quantität, im Vergleich zu der keine größere Quantität existiert". Diese Bestimmung entspricht dem Universum-Begriff, den Nikolaus schon in 'De docta ignorantia' zugrundegelegt hatte. Dort hatte er die Welt, das Universum als das eingeschränkt Größte verstanden, als die universelle Seinseinheit, in der alles umfaßt ist25. In zugespitzter Weise wird von dieser Welt als der maximalen Quantität dann behauptet, sie sei in einem Punkt enthalten. Begriffsbestimmung des Punktes ist es aber, das Minimum zu sein, im Vergleich zu dem ein Kleineres nicht existiert. Die Frage ist dann, wie die Welt als das Maximum im Minimum enthalten und durch es bestimmbar sein kann. Eine solche Bestimmung ist nicht folgenlos. So folge, wie Nikolaus ausfuhrt, aus der behaupteten Punktualität der Welt, daß weder ihr Zentrum noch ihr Umfang sichtbar sei und daß es nur e i n e n solchen Punkt geben könne. Denn es komme dem Punkt begrifflich zu, nicht vermehrbar zu sein. Wie allem, was weiß ist, nur eine Weiße zugrundeliege, so existiere in den vielen Atomen nur ein und derselbe Punkt. So jedenfalls sieht es der Geist26. Unter dem so eingeführten atomus-Begjriff verstand auch Nikolaus den aktual nicht weiter teilbaren Teil, zu dem man bei der Teilung eines Kontinuums in gedanklicher Betrachtung gelangt. Das Atom, so hatte auch er früher definiert27, ist also eine wegen ihrer Kleinheit aktual unteilbare Quantität. Zur Begriffsbestimmung des Punktes oder, was hier dasselbe bedeutet, des Atoms gehört nach traditioneller Auffassung, daß er deswegen nicht in quantitativ Kleineres teilbar ist, weil er selbst keine teilbare Quantität ist. Das war die euklidische Definition des Punktes28. Und weil er keine quantitative Größe ist, kann aus Punkten auch nichts zusammengesetzt werden. Nach diesem Ansatz konnte Nikolaus die Welt also gar nicht als eine Zusammensetzung aus atomaren Materiepunkten denken, wie es die griechischen Atomisten getan hatten. 'Punkt' bezeichnet bei ihm also überhaupt nicht irgendein materielles Unteilbares, sondern, wie sich noch zeigen wird, immer ein Unteilbares (indivisibile) als Einheitsprinzip in mehrfacher Hinsicht. Für die Welt als der als Einheit gedachten größten, universalen Seinsquantität erschien Nikolaus der Punkt (in mathematischer Bestimmung) als geeignetster 24
Vgl. 297 ff. des oben Anm. 2 zitierten Aufsatzes. De docta ignorantia I 2 n. 6; II 4 n. 112 (h I 7,16 ff. und 72,23 ff.). Et sic concipis mundum, quo nulla quantitas maior, in puncto, quo nihil minus, contineri et centrum atque circumferentiam eius non posse videri nec esse plura diversa puncto, cum punetus non sit plurificabilis. In pluribus enim atomis non est nisi unus et idem punetus, sicut in pluribus albis una albedo: LG I n. 10; vgl. LG II n. 85. 27 Idiota de mente 9 n. 119,6-10 (h 2 V 174): PHILOSOPHVS: Quomodo intelligis atomum? IDIOTA: Secundum mentis considerationem continuum dividitur in semper divisibile et multitudo crescit in infinitum, sed actu dividendo ad partem actu indivisibilem devenitur, quam atomum appello. Est enim atomus quantitas ob sui parvitatem actu indivisibilis. 28 Euklid, Elemente I, Def. 1 (The First Latin Translation of Euclid's Elements Commonly Ascribed to Adelard of Bath, ed. by H. L. L. BUSARD, Toronto 1983,31): Functus est illud cuipars non est. 25 26
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Erklärungsansatz. Zwar galt auch für ihn, daß nur das Teilbare und das Quantum für uns sichtbar sind; aber auf die sichtbare Welt wollte Nikolaus mit dem durch den Punkt bestimmten Weltbegriff hier nicht hinaus. Er stellte vielmehr in Rechnung, daß ein zu gewinnender Weltbegriff nicht rein quantitativer Art sein kann. Als Ganzes nämlich, als Universum ist die Welt nicht sichtbar, und das nicht allein wegen ihrer unerfahrbaren Größe. Selbst von einem 'Archimedischen Punkt' aus, der außerhalb der Welt läge, bliebe diese in ihrer Ganzheit unsichtbar, so wie der einem Betrachter abgewandte Teil einer Kugel für diesen unsichtbar bleibt. Darin gleicht die Welt also dem unsichtbaren Punkt. Wegen dieser ihrer Unsichtbarkeit kann sie mit dem Punkt verglichen und aus ihm erklärt werden. Nicht durch wahrnehmendes Sehen, sondern nur durch begriffliches Erfassen kann es gelingen, einen Weltbegriff zu gewinnen. Und um einen solchen Reflexionsbegriff geht es im 'Globusspiel'. Gedacht wird die Welt auch von Nikolaus als runde Kugel (LG I n. 9). Aber unter dem Begriff sphärischer Rundheit ist sie eben nicht sichtbar, sondern nur denkbar. Nikolaus präzisierte diese Aussage (LG I n . 11): Es ist nicht so, daß man etwas Rundes nicht sehen könnte. Aber 'Rundheit', das heißt die Oberflächenbegrenzung des Runden {rotunditas rotundi extremitas), ist an einer Sache nicht sichtbar. Sie ist es deshalb nicht, weil die rotundi extremitas mit dem Punkt der Kugeloberfläche identisch ist. Wenn Rundheit an ihr sichtbar werden sollte, müßte die Oberfläche der Kugel als aus lauter Punkten bestehend gedacht werden. So kann sie aber nicht gedacht werden, weil der Punkt das atomare Einheitsprinzip der Fläche ist. 'Rundheit' bleibt also unsichtbar. Auch wenn die Wahrnehmung etwas als rund beurteilt, hat sie damit noch keine zutreffende Vorstellung von Rundheit gewonnen. Denn im Begriff der Rundheit wird diese als größtmögliche, nicht steigerbare Rundheit gedacht, wie dies bei der mathematischen Definition der Kugel geschieht, die den Kugelumfang als in allen Richtungen gleichweit vom Kugelzentrum entfernt bestimmt (LG I n. 8). Daraus ergibt sich, daß die 'Höhe' der Rundheit immer identisch e i n e ist und gleicherweise in j e d e m Punkt, das heißt aber auch, in nur e i n e m Punkt erfaßt wird (LG I n. 9). So kann die Welt punktual erfaßt werden, indem sie auf den Begriff des Punkts gebracht wird. Begrifflich war aber der Punkt als einheitlich einer bestimmt. Der Punkt als Erklärungsprinzip für Welterkenntnis führt nach cusanischem Verständnis also nicht zu unendlich vielen materiellen Atomqualitäten, aus denen die Welt aufgebaut wäre, sondern zu der e i n e n Welt, die trotz der Vielheit ihrer Konkretionen 'auf den Punkt gebracht' wird. Mit seiner Atom-Spekulation ging Nikolaus nicht von einer infiniten Zahl von Materie-Atomen aus. Sein Ansatz war vielmehr der eines begrifflichen Atom-Monismus, der zu einem GestaltMonismus der Welt führen sollte. Gemessen an dem zugrundegelegten Rundheitsbegriff erfaßt ein Sinnenurteil über etwas Rundes keine "wahre Rundheit". Echte Rundheit im Sinne ihrer begrifflichen Bestimmung kann es im Materiebereich auch gar nicht geben. Die exakte Wahrheit der Rundheit erscheint nämlich (nach platonischer Sichtweise) im Materiellen immer nur abbildhaft. Beim Runden kann auch kein Oben und Unten erkannt werden. Denn das Runde, Oben und Unten sind immer ein und dasselbe unteilbare Atom. 'Oben' und 'unten' fallen also bei der Kugel und beim Runden zusammen. Wie man es auch drehen und wenden mag, ein Weltbegriff wäre so nicht zu gewinnen.
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Die sphärische Rundheit der Welt, das heißt ihre Kugelgestalt, ist also ein Unteilbares. Deshalb kann sie nicht im Materiellen bestehen. Denn sie wäre dann mit der Materie teilbar. Selbst wenn sie materialisiert bestehen könnte, bliebe sie im Unterschied zu anderen Formen immer unsichtbar. Das liegt eben an ihrer atomaren Besonderheit, durch die sie gegenüber anderen Materieformen ausgezeichnet ist. Länge, Breite und sonstige Formbestimmungen des Materiellen sind zwar in der Welt erkennbar. Aber ihre Kugelgestalt ist nicht von solcher Formart. Die einzige und hinreichende Formbestimmung der Rundheit lautet: Rundheit ist "eine Art Herumfiihrung oder auch eine von Punkt zu Punkt herumgeführte Rundung, bei der überall 'oben' ist". Mit dieser Bestimmung beschrieb Nikolaus den Kugelumfang formal, in nicht-quantifizierender Weise29. Die Rundheit ist an jedem Punkt, also überall. Weil es aber den Punkt in seiner Unteilbarkeit und Unvermehrbarkeit nur einmal gibt, ist sie zugleich auch nirgends. In dieser Bestimmung erfüllt 'Rundheit' in formaler Weise ein Definitionsmerkmal der materiellen Atome: Wie diese ist sie unsichtbar wegen ihrer Kleinheit. Rundheit selbst hat also atomaren Charakter (LG I n. 12). Dagegen könnte ein Einwand geltend gemacht werden. Der Dialogpartner Johannes hat ihn in heuristischer Absicht zu formulieren: Wenn schon Rundheit nicht sichtbar ist, so könnte doch wenigstens irgendein Teil von ihr gesehen werden. Das wäre doch vielleicht unter der Voraussetzung denkbar, daß eine Mehrzahl von Atomen eine Mehrzahl von 'Oben' wäre und diese zusammen eine konvexe Linie bildeten, die sichtbar sein könnte. Dem Einwand liegt eine spezielle Auffassung der Linie zugrunde, diejenige nämlich, die von der Vorstellung ausgeht, eine Linie bestehe additiv aus Punkten und könne deshalb auch endlos in Teile zerteilt werden. Dieser Einwand wird von Nikolaus erwartungsgemäß abgewiesen. Er hatte bereits zuvor die Vorstellung verworfen, daß aus einer Folge von mehreren Punkten überhaupt irgend etwas entstehen könnte, weil 'Punkt' eine nicht vermehrbare, nicht-quantitative Form und überall identisch derselbe ist30. 'Linie' muß demnach anders definiert werden. So definierte er die Linie als Entfaltung (evolutio) des Punkts. Darunter verstand er, Albertus Magnus folgend31, eine Ausfaltung des Punktes, jedoch nicht in substantialer Hinsicht, sondern in der Vorstellung des bewegten Punktes. Danach ist der Punkt zwar Wesens-, nicht aber integraler Bestandteil der Linie. Die Vorstellung der Linie als Explikation des Punktes durch Bewegung bedeutet dann aber, daß "der Punkt in mehreren Unteilbaren derart ist, daß er in den einzelnen verbunden und fortgeführt existiert". Mit dieser Definition der Linie griff Nikolaus eine schon in 'Idiota de mente'32 vertretene Position wieder auf. Es ist dies die Position des geometrischen Atomismus, den im 13. und 14. Jahrhundert die englischen "Indivisibilisten" Robert Grosseteste, Heinrich von Harclay und Walter Chatton vertreten hatten33. 29
LG I n. 12: circumductio quaedam et circumducta quaedam de puncto ad punctum convexitas, cuius summum est ubique. 30 Siehe oben, hier 317 und Anm. 26 f. 31 Vgl. Albertus Magnus, Super Dionysium De divinis nominibus (Opera omnia, Vol. XXXVII, Pars I, ed. P. SIMON, Münster 1972) II 48 und V 28 (76,7-11 und 319,21 f.). 32 Vgl. Idiota de mente 9 n. 119,1-5; vgl. ebd. n. 116,3 f. und n. 118,14 (h 2 V 174, 171 und 173). 33 Siehe dazu die Einleitung der Herausgeberin von: Adam de Wodeham, Tractatus de indivisibilibus. A Critical Edition with Introduction, Translation, and Textual Notes by R. WOOD, DordrechtBoston-London 1988, 3 ff.
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Der eigentliche Abweis des Einwands erfolgt aber erst über eine weitere Bestimmung der Rundheit (LG In. 13), durch die der Einwand ad absurdum gefuhrt werden soll. Was immer in Rundheit existiert, ist ein Höchstes (summum). Wenn dem aber so ist, wo sollte das Auge dann einen Anfang nehmen, Rundheit zu sehen? Jedenfalls nicht beim Atom, denn dieses ist unsichtbar. Also bleibt nur das Höchste der Rundheit. Dieses Höchste aber ist selbst wiederum ein atomus, ein Unteilbares also, weil der höchste Grad der Rundheit (summitas rotunditatis) ein Unteilbares, ein Atom ist. Summitas bezeichnet hier in mathematischer Verwendung die höchste Höhe oder das Oben (summum) einer Sache, deren Oberfläche also. Sollte sie der Ausgangspunkt sein, von dem aus Rundheit sichtbar werden könnte, dann hieße dies, daß der Wahrnehmungsblick von einem Oberflächenpunkt zum anderen zu gehen hätte. Und genau das ist absurd, wenn 'Oberfläche' selbst als ein unsehbares Atom bestimmt ist. Als autoritativen Beweis für die Richtigkeit dieser These führte Nikolaus "Merkur" an, der die Unsichtbarkeit der Welt an sich mit ihrer Rundheit begründet habe. Sichtbar seien von der Welt und in ihr nur die in ihr vorkommenden Formen der Dinge. Damit spielte Nikolaus auf die pseudo-hermetische Schrift an, die, aus einer griechischen Sammlung anonymer Schriften des 2. und 3. nachchristlichen Jahrhunderts hervorgegangen, nur in lateinischer Überlieferung erhalten und unter dem Namen 'Asclepius' bekannt war34. Seit seinen frühesten Schriften und Predigten hat Nikolaus immer wieder aus dem 'Corpus hermeticum' zitiert, teils unter namentlicher Nennung des 'Autors', den er unter mehrfachem Namen, als Hermes, Trismegistus, als Hermes Trismegistus oder auch als Merkur zitierte35, teils ohne Namensnennung in verdeckter Zitation36. In der Mehrzahl entstammen diese Zitate dem 'Asclepius'. Die Annahme Vansteenberghes, Nikolaus habe diese Schrift bereits vor Abfassung von 'De docta ignorantia' gekannt37, trifft allerdings so generell nicht zu. Zunächst entnahm er 'Asclepius'-Zitate nämlich anderen Quellen, vor allem den 'Divinae institutiones' des Laktanz38, dann aber auch den Schriften des Thierry von Chartres39 und Augustinus' 'De civitate dei'. Später aber, nachdem italienische Humanisten die Beschäftigung mit dem Corpus Hermeticum intensiviert hatten40, besaß Nikolaus selbst unter den Apuleius-Werken auch die Asclepius-Schrift. Er hat sie 34
Vgl. Asclepius III 17 b (Hermetica. The Ancient Greek and Latin Writings . Ascribed to Hermes Trismegistus. Ed. by W. SCOTT, London 1968, vol. I, 316,12-22 und 326,24-328,9). Die editio princeps, die der Cusanus-Freund Giovanni Andrea de' Bussi zusammen mit Apuleius-Werken wahrscheinlich schon seit 1461 vorbereitet hatte, erfolgte 1469 in Rom durch die deutschen Buchdrucker C. Sweynheim und A. Pannartz. 35 Vgl. etwa De docta ignorantia I 24 n. 75; II 8 n. 134 (h I 48,13 und 86,18); Sermo I n. 11,7 (1430; h XVI 10). 36 Vgl. z. B. De docta ignorantia I 25 n. 83 (h I 52,11 f.); De venatione sapientiae 32 n. 95,17-19 (h XII 91). 37
38
E. VANSTEENBERGHE, Le cardinal Nicolas de C u e s (1401-1464), Paris 1920 ( N D 1963), 435.
Vgl. z. B. die Anm. 35 genannte Predigt-Stelle. Nikolaus besaß die Laktanz-Schrift unter dem Titel 'Contra gentes' in dem heutigen Cod. Brüssel, Bibl. Royale 9799-9809; siehe VANSTEENBERGHE ( A n m . 3 7 ) 4 0 9 . 39
Vgl. De dato patris luminum, n. 102,10 ff. (h IV 77: Asclepius 6 und 20) mit Thierrys Lectiones IV 11 (Commentaries on Boethius by Thierry of Chartres and His School, ed. by N. M. HÄRING, Toronto 1971, 189 f.). 40 So Alberti, Salutati, Manetti; Marsilio Ficino beendete im April 1463 seine für Cosimo de' Medici angefertigte lateinische Übersetzung, die 1471 in Treviso bei Venedig gedruckt wurde; siehe F. A. YATES, Giordano Bruno and the Hermetic Tradition, Chicago 1978 (ND) 12 f.
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mit zahlreichen Anmerkungen versehen. Zu der oben genannten Stelle findet sich nun die Bemerkung: Die kugelgestaltige Welt an sich bleibt immer unsichtbar41. Dieses Asclepius-Zitat ist eines der ganz wenigen Direktzitate, die Nikolaus in 'De ludo globi' überhaupt gab. Das zeigt die Bedeutung an, die er der Schrift und ihrem Autor beimaß, den er mit vielen anderen für einen Zeitgenossen des Moses hielt«. Die nicht leicht verständliche Argumentation des Nikolaus, zu der wir nun wieder zurückkehren, wird durch die ihr zugrundeliegende Quelle um einiges einsichtiger. Aber auch diese ist nicht so ohne weiteres verständlich. Die Kommentare der Herausgeber fuhren nun zu folgendem Verständnis43. Im dritten Teil des 'Asclepius', der über die Verehrung der Götter handelt (De cultu deorum), wird bei der Behandlung der drei Erstursachen, nämlich Materie, Gott und Geist, eine kurze Disgression über das Unsichtbare eingefugt (Asel. 17b). Dabei werden zwei Ansichten zusammengebracht: (1) Die sphärische Welt ist, aufs Ganze gesehen, nicht sichtbar. Auch wenn man irgendeinen Punkt ihrer Oberfläche (summum locum) wählte, um von ihm aus nach unten (in imo), das heißt ins Zentrum, zu sehen, könnte man - wie bei jedem festen Rundkörper - dieses nicht sehen. (2) Auch die Materie ist an sich unsichtbar. Dies gilt jedenfalls von der Materie der Welt, welche die Form einer nach innen gewölbten Kugel hat und die Rundheit der Welt meint. Denn nur die Formen, die an den Dingen gegenwärtig sind, sind sichtbar, nicht aber die intelligiblen Formen, von denen jene sichtbaren Formen Abbilder sind. Verfuhrt durch die Sichtbarkeit der Dingformen, wähnt man auch die Form der Weltmaterie als ganze als sichtbar. Tatsächlich, so bekräftigt der anonyme Autor, bleibt aber die Materie ohne die ihr aufgeprägten Formen an sich unsichtbar. - Das beide Ansichten verknüpfende Band ist die platonische Vorstellung, daß die wahrnehmbare Welt mit allen in ihr enthaltenen Dingen das Produkt einer höheren, intelligiblen Welt ist. Nikolaus verknüpfte in seiner Argumentation beide Momente: Die letzte sphärische Rundheit der Welt, die als die vollkommenste Rundheit angesehen wird, ist überhaupt unsichtbar. Sie bleibt es, selbst wenn es möglich wäre, daß jemand von außerhalb der Welt auf diese blickte. Was sichtbar wird, sind nur die in der Welt auftretenden Formen der Dinge (LG I n. 9 f.). Nikolaus fugte der pseudo-hermetischen Argumentation ein weiteres, platonisches Argument hinzu, mit dem auch er auf eine intelligible Weltform hinauswill: Die Rundheit der materiellen Welt ist nämlich - wie alle Formbestimmung des Materiellen - Abbild einer anderen Rundheit. Dieses Abbild einer höherwertigen Rundheit bleibt in seiner materiellen Konkretion auch deshalb unsichtbar, weil es sich der "wahren Rundheit", das heißt der ihrerseits unsichtbaren intelligiblen Form der Rundheit, so nähert, daß es sich dem Gesichts- und jedem Wahrnehmungssinn ganz und gar entzieht. Welt und Weltform können überhaupt nur partiell wahrgenommen werden, nämlich allein in den Formen der Dinge. Abstrahiert man jedoch vom viel41
Brüssel, Bibl. Royale, ms. 10054-56, fol. 16v-38r; die Marginalnote fol. 24v: quod mundus spericus sibi ipsi sit Semper inuisibilis. 42 In der genannten Hs. notierte er fol. 16v unter Berufung auf Augustinus (De civitate dei XVIII, XXXIX: ed. B . DOMBART/ A . KALB, t. II [CC 4 8 ] Turnhout 1 9 5 5 , 6 3 5 , 3 0 f.) u.a.: Eodem tempore yses natus est. 43 SCOTT, Hermetica (Anm. 34) vol. III, 124-127; vgl. auch die Addenda: vol. IV, 406 f. - Corpus Hermeticum, t. II, ed. A.-D. NOCK/ A.-J. FESTUGIÈRE, Paris 1945, 373 f.
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fähigen Formenreichtum, unter dem Welt partiell sichtbar wird, bleibt als Weltfigur nur die eine Gestalt einer zwar nicht sichtbaren, jedoch vorstellbaren gestaltlosen Materie. Ovid44, den Nikolaus ohne namentliche Nennung zitiert45, hatte von ihr gesprochen. Christliche Denker hatten den biblischen Schöpfungsbericht in diesem Sinn interpretiert46. Die gestaltlose Materie ist die Vorstellung einer der Welt vorausgehenden ungeformten Materie (Materiei). Indem man sie als Chaos bestimmte47, wurde sie ineins als die Seinsmöglichkeit der Welt gedeutet. Von dieser Materiei wird behauptet, in ihr sei die Gesamtheit aller Weltdinge der Möglichkeit nach enthalten. Die Welt in ihrer Möglichkeit als Gesamtheit aller Dinge (rerum universitas) zu denken, heißt die in dieser Gesamtheit unsichtbare Welt in ihrer Vollkommenheit (perfectio) zu denken. In philosophischer Argumentation, so räsonierte Nikolaus, könne man deshalb zu Recht sagen, daß die Welt um dieser gedachten Vollkommenheit willen als Rundheit bestimmbar sei. Der auf die Welt angewandte Rundheitsbegriff bedeutet also nichts anderes als deren Vollkommenheit (LG I n. 14). Unsichtbare Perfektion oder Rundheit ist also die Form, unter der Welt überhaupt intelligibel wird. Die Bezeichnung der Welt als actu maxima rotunditas ist dann allerdings mehr als eine Metapher48. Es handelt sich nämlich um den Begriff, unter dem Welt oder Universum in 'De ludo globi1 überhaupt gedacht wird. Das Runde galt seit alters als das Vollkommene. Kreis und Kugel, als anfangsund endlose Figuren bestimmt, wurden deshalb als vollkommene Figuren angesehen, weil kein Punkt der Kreisperipherie und der Kugeloberfläche als Anfang oder Ende ausgezeichnet ist (LG I n. 16). Anaximander und Empedokles, die Pythagoreer und Piaton hatten aus diesem Grund die Gestalt der Welt als kugelförmig bestimmt und in dieser Bestimmung die Vollkommenheit ihrer Gestalt ausgedrückt gesehen49. Daß die Rundheit einerseits die Vollkommenheit der Welt als ganze bezeichnen, andererseits selbst aber nur Abbild von etwas anderem sein soll, bedarf allerdings näherer Erläuterung. Denn eine solche Bestimmung "übersteigt", wie 44
Ovid, Metamorphosen I 6 f.: Unus erat toto naturae vultus in orbe, Quem dixere Chaos, rudis indigestaque moles. Zur Interpretation siehe z. B. Calcidius, Commentarius in Piatonis Timaeum (Corpus Platonicum medii aevi. Plato Latinus, vol. IV) ed. J. H. WASZINK, London-Leiden 21975, CXXIII, 167. 45 LG In. 14: Visibilibus igitur formis subtractis "unus" manet "in toto orbe vultus", scilicet essendi possibilitas sive materia invisibilis, in qua dicitur esse rerum universitas. 46 Gen 1,2: Terra autem erat inanis et vacua. Zur Interpretation als chaos vgl. z. B. Augustinus, De Genesi contra Manichaeos I 5: MPL 34,178; Thierry von Chartres, Tractatus de sex dierum operibus, n. 24 (Commentaries, [Anm. 39] 565,10 ff.). 47 Vgl. dazu De docta ignorantia II 8 n. 134 (h I 86,19-21); Directio speculantis seu de non aliud 7 n. 24 (h XIII 16,1 f.); Compendium 7 n. 19,37-43 (h XI, 3,15 f.). Zu den philosophischen Quellen des Nikolaus - vor allem Plato, Proklos, Thierry von Chartres und Raymundus Lullus - siehe demnächst den Quellenapparat der kritischen Ausgabe zu LG II n. 104. 48 Als Metapher deutete sie C. L. MILLER: Nicholas of Cusa's De ludo globi. Symbolic Roundness and Eccentric Life Paths, in: Text and Image, ed. D. W. BURCHMORE, Binghamton, New York 1983, 139. 49 Anaximander: H. DIELS (Ed.), Die Fragmente der Vorsokratiker, Berlin '1959, 12 A 10; Empedokles: ebd. 31 B 28 f.; Plato, Timaios 33b 1-7; zu den Pythagoreern siehe den Bericht des Diogenes Laörtius, VIII 25; in seinem Exemplar der lat. Übersetzung des Ambrogio Traversal! notierte Nikolaus (London, Brit. Libr., cod. Harleian. 1347, fol. 15 lv) zur genannten Stelle: que opinio pythagoricorum.
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Nikolaus zugibt, "das Begreifen". Das liegt daran, daß er sowohl den Begriff des Runden als auch den der Rundheit bewußt äquivok verwendete: Es gibt in der Welt viele runde Dinge, und die Welt selbst gilt als rund. Der Unterschied zwischen jenen und dieser liegt darin, daß runde Dinge durchaus sichtbar sind, während die Welt als ganze nicht als ein Rundes wahrgenommen werden kann. Es gibt also eine sichtbare und eine unsichtbare Rundheit. Sie unterscheiden sich dadurch, daß alle sichtbare Rundheit veränderlicher Weltdinge relativ ist. Das eine Runde kann im Vergleich zu einem anderen Runden mehr oder weniger rund sein, entsprechend der Cusanischen Regel, derzufolge es im Bereich des Endlichen absolute Gleichheit nicht geben kann50. Alles relativ Runde kommt aber darin überein, daß es einen größeren Grad an Rundheit erreichen könnte, weil keines Rundheit an sich ist. Mit dieser Bestimmung setzte Nikolaus den Unterschied zur unsichtbaren Rundheit des Weltkörpers, die "von anderer Art ist als die Rundheit irgendeines anderen runden Körpers". Denn die Rundheit der Welt ist ja nicht derart, daß sie vom Weltkörper materiell aufgenommen werden könnte und damit sinnlich wahrnehmbar würde, wie das bei der Rundheit sichtbarer runder Dinge der Fall ist. Jene andere Rundheit war ja als unteilbarer, atomarer Begriff erkannt und deshalb als unsichtbar bestimmt worden51. Die Rundheit der Welt ist im Vergleich zu allem relativ Runden die aktual größte Vollkommenheit des Runden. Sie ist "die Rundheit, im Vergleich zu der es keine größere geben kann". Im Hinblick auf sie realisiert alles steigerbare Runde Rundheit nur relativ. Solche Rundheit wird im Vergleich mit jener aktual größten Rundheit der Welt ihrerseits als Abbild erklärt. Aber auch die aktual größte Rundheit der Welt ist dem gewählten Erklärungsansatz zufolge keine absolut größte Rundheit. Die aktual größte Vollkommenheit des Runden bedarf selbst einer begründenden Ursache oder, platonisch gesprochen, eines Urbildes. Ihre begründende Ursache aber ist "die absolute, absolut wahre Rundheit", die Nikolaus auch als Ewigkeit ( a e t e r n i t a s ) bezeichnete. Diese ist die exemplarische Ursache der aktual größten Rundheit, die eben die Vollkommenheit der Welt als ganze bezeichnet. Sie fungiert als vergegenwärtigendes Abbild der absoluten Rundheit oder Ewigkeit. Absolute Rundheit und Ewigkeit haben beide dieselbe Bezugnahme. 'Absolute Rundheit' und 'Ewigkeit' bezeichnen ein und dasselbe. Sie sind referentiell identisch; sie bezeichnen Gott. Nikolaus verwendete sie als absolute Begriffe. 'Absolute Rundheit' und 'Ewigkeit' sind also Gottesbegriffe, deren Gebrauch ihm durch das Diktum des Hermes Trismegistus legitimiert schien, Gott müsse mit den Namen aller Dinge benannt werden, wie alle Dinge mit dem Namen Gottes52. Auch die Welt als Abbild der Ewigkeit und absoluter Rundheit einerseits und die aktual größte Rundheit der Welt andererseits haben bei gleicher Bezugnahme referentielle Identität (LG I n. 16). 'Aktual größte Rundheit' und 'Abbild absoluter 50
Zur Regel und ihrer Begründung siehe De docta ignorantia I 3 n. 9 (h I 8 f.); vgl. De coniecturis I 9 n. 37,10 f. (h III 42 f.). 51 LG I n . 15: Mundus igitur ideo in sua rotunditate est invisibilis, quia id, quod se visui offert de rotunditate mundi, atomus est. 52 LG I n. 17: cum aeternitas et rotunditas illa absoluta sint idem\ I n. 19: Aeternitas igitur mundi creatrix deus est. - Zur Hermes Trismegistus-Stelle, die Nikolaus mehrfach zitierte (vgl. De beryllo n. 13,10-12 und die dort [h 2 XI, 1,17] verzeichneten Parallelstellen), siehe Asclepius 20a (Hermetica, vol. I [Anm. 34] 332,9 f.).
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Rundheit' sind also Begriffe, mit denen das Weltganze gedacht und durch die das Universum bestimmt wird. Mit der Bestimmung der Welt als vergegenwärtigenden Abbilds der Ewigkeit kommt die zeitliche Dimension der Welt ins Spiel, die implizit bereits in der Bestimmung von Welt als Seinsmöglichkeit und Gesamtheit der Dinge angeklungen war. Denn in beiden Begriffen, dem der 'Seinsmöglichkeit' und dem der 'Gesamtheit der Dinge', wird explikative Entfaltung der Welt aus der in ihr ruhenden Möglichkeit in sukzessiver Abfolge der Weltdinge mitgedacht. Wenn nun die Welt als Abbild der Ewigkeit und damit selbst als etwas Ewiges bestimmt wird, widerspricht das nicht dem Hinweis auf ihre zeitliche Entfaltung in Prozessualität. Denn als Abbild der Ewigkeit wird sie nur im Hinblick auf ihre Teilhabe an der Ewigkeit bezeichnet. Aufgrund dieser Teilhabe konnte Nikolaus sich dann auch dazu verstehen, die Welt als mundus aeternus zu bezeichnen, insofern dieser als in Ideen vorgedacht, als ewig in Gott und somit als von der 'Ewigkeit' abstammend gesehen wird. Der mundus aeternus wird deshalb nicht als anfanglos, wohl aber als unbegrenzbar und immerwährend ewig (perpetuus) bestimmt. Auf diese Weise erhielt die vieldiskutierte Frage der Ewigkeit der Welt durch Nikolaus eine positive Umdeutung: Die 'Ewigkeit-der-Welt' ist, da sie die Ewigkeit der (d. h. in Hinblick auf die) Welt ist, vorweltlich ewig. 'Ewigkeit-der-Welt' ist also wiederum ein Gottesbegriff (LG I n. 17 f.). Indem Nikolaus die Welt als aktual größte Rundheit verstand, folgte für ihn aus dieser ihrer Maximität die Einzigkeit der Welt (LG I n. 18). Nach dem logischen Prinzip, demzufolge ein Progreß ins Unendliche zu vermeiden ist, müsse man bei einer Abfolge von mehr oder weniger Rundem nach dem Gesetz von Überschreiten und Überschritten-werden (regula excedentium et excessorum) zu einem Runden von größter Rundheit gelangen, eben zur aktual größten Rundheit. Als diese hatte er die Welt bestimmt, die nach einem anderen Gesetz - dem der unerreichbaren Präzision {regula inattingibilis praecisionis), demzufolge es zwei genau Gleiche nicht geben kann - einmalig sein muß53. Es gibt also nur die e i n e Welt. So heißt es jetzt im 'Globusspiel' - prononcierter als in früheren Überlegungen zur Pluralität bewohnbarer Teilwelten (vgl. 'De docta ignorantia' II 12 n. 169-172, h I 107 f.) -, daß es eine Vielheit von Welten gar nicht geben kann. Dieses Merkmal der Welt, ihre Einzigkeit, war implizit schon in der Bestimmung der Welt als universitas rerum angelegt. Was nämlich als Gesamtheit der Dinge gedacht wird, ist ja ein aktual Größtes, dem gegenüber nichts Größeres existieren kann. Denn es existiert nichts, was nicht schon in ihr mitgedacht wäre, und es gibt demzufolge auch nichts, was ihr noch hinzugefügt werden könnte, weil sie ja alles umfaßt, was überhaupt existierte, existiert und existieren wird. Welt als universitas rerum ist das Universum54, das nach alter etymologischer Deutung das zum Einen gewendete Viele bedeutet. Mit der Bestimmung der Welt als Abbild der 'Ewigkeit' ist also das Moment ihrer zeitlichen Entfaltung und Bewegung bereits mitbedacht. Diese werden dann noch einmal von einem anderen Aspekt aus betrachtet. An der beobachtbaren Kugelbewegung nahm Nikolaus Gelegenheit, eine Bewegungstheorie der Welt, 53
54
Zu den beiden regulae siehe De coniecturis, Adnotatio 19, 2. und 3 (h III 201 f.).
LG I n. 42: magnus qui universum dicitur; vgl. De docta ignorantia II 4 n. 112 f. (h I
72,28, 73,14 u.ö.).
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der Weltdinge und des Menschen zu gewinnen . Infolge ihrer konkav-konvexen Form kann die Spielkugel keine gerade, sondern nur eine gekrümmte Bewegungslinie ausfuhren, von welcher Art Kugel und Bewegungsebene im einzelnen auch immer sein mögen. Selbst eine vollkommen runde Kugel könnte keine geradlinige Bewegung ausfuhren; auch auf einer vollkommen ebenen Fläche könnte sie den Zielpunkt C vom Wurfpunkt A aus nicht über die kürzeste Verbindung der Linie AC erreichen. Die Begründung, die Nikolaus dafür gab, überrascht zunächst: Eine Kugel dieser Art würde weder eine absolut geradlinige Bewegung zwischen A und C ausführen noch je im Zentrum C zur Ruhe kommen können, weil eine Kugel eine Ebene nur in einem Punkt (in atomö) berührt. Ihre Bewegung beschreibt überdies jeweils nur eine unsichtbare und unteilbare, also punkthafte 'Linie'. Nikolaus faßte die Bewegungslinie der Kugel also atomisiert auf, so daß nach der schon erwähnten Indivisibilitätstheorie nichts als einzelne Bewegungspunkte gegeben sind. Darüber hinaus kann die vollkommen runde Kugel, wenn sie einmal in Bewegung versetzt wurde, auf einer vollkommen ebenen Fläche von sich aus gar nicht zur Ruhe kommen. Würde sie zur Ruhe kommen, dann müßte sie auf einem unteilbaren Punkt (super atomo) ruhen. Ihre natürliche Bewegimg ist zudem die beständige, immerwährende Bewegung. Der Grund dafür liegt in der Form ihrer Rundheit, der naturhaft eine immerwährende Bewegung zukommt und zwar deshalb, weil bei der Rundheit oben und unten, das heißt für die Kugel Oberfläche und Zentrum identisch sind. Denn Oberfläche und Zentrum (summum et imurri) sind unteilbare Bestandteile ihrer Bestimmung. Sie haben also atomaren Charakter. Für den Übergang von der Bewegung zur Ruhe ist aber ein unterschiedliches Verhalten in zwei verschiedenen Zeitpunkten erforderlich. Diese Bedingung erfüllt weder die Kugel noch deren Bewegung. Diese bleibt in ihrer atomaren Bewegungsstruktur immer gleich, und jene ist selbst schon die Figur der Gleichheit, weil das Verhältnis von der Oberfläche zum Zentrum überall gleich ist und sich an keinem Punkt anders verhält als an jedem anderen56. Die Gleichheit ihrer Bedingungen bleibt ja gewahrt. Deshalb bestimmt Nikolaus die Kugel, die rollend sich bewegt, zugleich auch als das Zentrum ihrer Bewegung. Für die Bewegung der Welt als der ultima sphaera folgerte Nikolaus daraus, daß sie nach diesem Denkmodell nur als ständige Bewegung gedacht werden kann, ohne naturwidrigen gewaltsamen Eingriff und ohne Ermüdung (sine violentia et fatigä). An dieser Bewegungsart soll aber auch alles teilhaben, dem in der Welt eine natürliche Bewegung zukommt. Während die Bestimmung der Bewegung der letzten Sphäre, d.h. der Himmels- oder Fixsternsphäre, als von Natur kreishaft und deshalb immerwährend57 auf Aristoteles58 zurückgeht und von mittelalterlichen Autoren tradiert wurde59, liegt der atomaren Auffassung der Kugelbewegung ein mathematisches Denk-
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LG I n. 20 und n. 51. LG I n. 21; vgl. auch Compendium 12 n. 37 (h XI, 3,29). 57 LG I n. 21; vgl. De venatione sapientiae 10 n. 29,11-14 (h XII 30). 58 Aristoteles, Phys. IV 8 215a 1 f.; De caelo III 2 301b 17-22. 59 Vgl. z. B. Albertus Magnus, De caelo II tract. 2 c.l (Alberti Magni opera omnia, vol. V,l, ed. P. HOSSFELD, MOnster 1971, 128,16-18). 56
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modell zugrunde. Wie schon Thomas Bradwardine60 und Cecco d'Ascoli61 wußten, geht diese Auffassung auf Euklid und Theodosius von Bithynien zurück. Danach berührt die Kugel eine Ebene nur in einem unsichtbaren Punkt, das heißt in einem Atom. Dies gilt allerdings nur in der Theorie der mathematischen Bestimmung, nicht aber von der realen Bewegung einer materiehaften Kugel. Indem Nikolaus sich die mathematische Vorstellungsweise zu eigen machte, gelangte er mittels dieser Abstraktion zu einer Theorie der Kugelbewegung, mit der er das Prinzip der Trägheit vorwegnahm. Anneliese Maier hat darauf aufmerksam gemacht, daß er mit dieser Vorstellung der Sache nach als erster, vor Galilei und Newton62, das Trägheitsprinzip formulierte, das der impetus-Theorie des 14. Jahrhunderts noch unbekannt war. Dazu sei er aus philosophischer Spekulation gelangt, indem er den rotunditas-Begriff in platonisierender Weise herangezogen habe63. 4. Spekulative Anwendung der Atomtheorie auf den Menschen 'De ludo globi' ist eine kosmologische Schrift im strikten Sinn; in ihrer ganzen Themenbreite geht sie aber über kosmologische Fragen weit hinaus. Wie schon früher in 'De docta ignorantia', werden auch in ihr drei große Themenbereiche behandelt. Während in der Frühschrift von 1440 Gott, Universum und Christus die Hauptthemen der drei Bücher waren, sind es in 'De ludo globi' die drei Welten oder kosmoi: der macrocosmuslmagnus mundus oder das Universum, der microcosmus/parvus mundus oder der Mensch und der maximus mundus oder Gott. Der Zusammenhang dieser drei Welten war für Nikolaus durch eine Stufung von Ähnlichkeit konstituiert, derzufolge das Universum Abbild Gottes, der Mensch Abbild des Universums und als Teil des Universums auch Abbild Gottes ist64. Aus der zwischen Mensch und Universum bestehenden Ähnlichkeit, die unter anderem in der Existenz beider als atomare Welten gründet, ergab sich für ihn eine Kohärenz von Kosmologie und Anthropologie. Diese ist durch Konsequenzen bestimmt, die sich aus jener herleiten. Der Mensch als microcosmus findet Bestimmungen über sich selbst aus der Bestimmung der makrokosmischen Welt, in der er lebt. So hatte Nikolaus eingangs des ersten Buches im Rahmen einer "nicht unbedeutenden Philosophie" als "Ergebnis eine überaus erwünschte und klare Selbsterkenntnis" angekündigt65. 60
Thomas Bradwardine, Geometria speculativa. Latin Text and English Translation, ed. G. MOLLAND (Boethius. Texte und Abhandl. zur Gesch. der exakten Wissenschaften XVIII) Stuttgart 1989, 140(4.41). 61 Cicchus Esculanus, In Sphaeram mundi enarratio, in: The Sphere of Sacrobosco and His Commentators, ed. L. THORNDIKE, Chicago 1949, 367. 62 Die Newtonsche Formulierung des Trägheitsprinzips lautet nach den Philosophiae naturalis principia mathematica, Axiomata, Lex I. (Isaaci Newtoni opera quae exstant omnia, vol. II, London 1779 [ND 1964], 13): Corpus omne perseverare in statu suo quiescendi vel movendi uniformiter in directum, nisi quatenus illud a viribus impressis cogitur statum suum mutare. 63 A. MAIER, Die Vorläufer Galileis im 14. Jahrhundert. Studien zur Naturphilosophie der Spätscholastik (Storia e Letteratura 22) Rom 1949, 152 Anm. 39. 64 LG I n. 42: triplex est mundus: parvus qui homo, maximus qui est deus, magnus qui universum est; parvus est similitudo magni, magnus similitudo maximi. 65 LG I n. 2: Hoc enim tarn iucundum globi exercitium nobis non parvam puto repraesentare philosophiam; n. 3: si intra vos receperitis et custodieritis, magnae discretionis circa sui ipsius desideratissimam notitiam lucis fructum generabunt (seil, scientiarum semina).
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Wie zunächst Kugel und Kugelbewegung zum Ausgangspunkt einer Spekulation über die Weltkugel gemacht wurden, so werden beide dann auch für eine anthropologische Spekulation herangezogen. Während die Kugel als Gleichnis des Körpers dient, versinnbildlicht die Kugelbewegung die Seele. Das Gleichnis deckt Ähnlichkeit und Unähnlichkeit gleichermaßen auf. Der Drechsler stellt eine Kugel her, indem er der Materie des Holzes die Form der Kugel gibt, der ein Mensch Bewegung verleiht, indem er der Kugel durch einen Impuls Bewegung von außen aufdrückt. Beim Menschen werden jedoch Bewegung und Veränderung, anders als bei der Kugel, nicht von außen aufgedrückt. Denn sie sind dem menschlichen Körper anerschaffen (concreatus corpori). Das Prinzip der Bewegung liegt hier, wie Aristoteles im Hinblick auf Bewegung und Veränderung der menschlichen \|/a)%f| erklärt hatte66, im Menschen selbst. Das Bewegungsprinzip des Menschen heißt Seele, als Prinzip menschlicher Erkenntnisbewegung Intellekt. Und diese sind selbstbewegt. Die Bestimmungen der Bewegung überhaupt, nämlich an sich unsichtbar, nicht atomisierbar, also unteilbar, und nicht raumhaft zu sein, sind jedoch den Bestimmungen der Seele als Bewegungsprinzip des Menschen ähnlich. Die Seele trägt insofern also Bestimmungen des Atoms. Unähnlichkeit besteht wiederum insofern, als die Bewegimg der Kugel eine ihr von außen beigebrachte akzidentelle Bewegung ist. Dagegen gilt die Seele, da sie ein dem Menschen anerschaffenes Bewegungsprinzip darstellt, als ein ihm substantiell verbundenes Prinzip. Deshalb qualifizierte Nikolaus dieses mit der Rundheit, die, wie schon weiter oben angemerkt wurde, über die beste Eignung zur Bewegung verfügt und überhaupt Vollkommenheit bedeutet. Je exakter die Rundheit eines Körpers ist, desto widerstandsloser ist seine Bewegung. Der Maximalwert der Rundheit, über den hinaus keine größere Rundheit existieren könnte, so spekulierte Nikolaus weiter, wäre dann erreicht, wenn sich ein Körper selbst bewegen, das heißt das Prinzip seiner Bewegung in sich selbst tragen würde. Das aber ist die Bestimmung, die der Seele in ihren vorzüglichen Fähigkeiten zuerkannt wurde. Sie ist Bewegungsprinzip ihrer selbst und zugleich selbst ein Bewegbares67. In stark verändernder Weise griff Nikolaus damit die materialistisch-atomare Seelentheorie der antiken Atomisten auf. Demokrit hatte, wie Aristoteles berichtet, die Seele als aus kugelförmigen Atomen bestehend bestimmt, diese als durch Wärme und Feuer belebt und belebend erklärt und die kugelförmige Gestalt als die bewegteste Form überhaupt angesehen68. Bei Diogenes Laertius las Nikolaus, Epikur habe die Seele als einen Körper aus feinsten Teilchen, eben aus höchst glatten und höchst runden Atomen definiert und damit ihre Körperhaftigkeit gelehrt69. Beides, sowohl die Zusammensetzung der Seele aus materiellen Atomen als auch ihre Körperhaftigkeit überhaupt, mußte Nikolaus ablehnen, um dem materialistischen Monismus antiker Atomisten den christlichen Leib-Seele-Dualismus und das Spiritualitätsprinzip der unsterblichen Individualseele (als Form des Lei66
Aristoteles, De anima I 2 f. 403b 28 ff. LG In. 25. Aristoteles, De anima I 2 403b 31-404a 9 und 405a 8-13. 69 D. L. X 64 und 66 f. In seinem Handexemplar notierte Nikolaus zu den beiden Stellen: nota composicionem anime ex lenissimis et rotundissimis athomis (fol. 191r) und: nota quomodo probat animam corpoream (fol. 191v). 67
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bes) entgegensetzen zu können. Wegen ihrer individuellen Unteilbarkeit und wegen ihrer Vollkommenheit als sich selbst bewegendes Prinzip sprach auch Nikolaus von der atomaren Rundheit der Seele. Im Kugelspiel wird dies sinnfällig figuriert und metaphorisch ausgedeutet70: Die Lebensbewegung der Seele wird als Kreis dargestellt. Die Kreise der individuellen Lebensbewegungen sind Figurationen der Rundheit (figurae rotunditatis). 'Rundheit der Seele' bezeichnet demnach den Kreislauf (circulatio) der Bewegung eines ewigen und unbegrenzbaren Lebens. Wie in mathematischer Betrachtung alle konzentrischen Kreise denselben Mittelpunkt und dieselbe Rundheit haben, so haben alle Lebensbewegungen denselben Mittelpunkt als Zentrum ihrer Bewegung. In christologischer Ausdeutung bestimmte Nikolaus dann den Gottessohn als Zentrum aller individuellen Lebensbewegungen. Die Lebensbewegung eines jeden Menschen wird des weitern mit der Kugelbewegung verglichen: "Ein jeder ist sein eigener Globus"71, bei Wahrung personaler Identität. Der "Globus deiner Person", der durch den 'Geist des Glaubens' angetrieben wird72, bewegt sich so, daß er in dem ihm eigenen Punkt und Atom zur Ruhe kommt, weil nicht zwei Kugeln in ein und demselben Punkt ruhen können73. Mit der Lehre von der atomaren Bewegung der Seele des Menschen zu Gott stellte Nikolaus schließlich der materialistischen Theorie atomarer Bewegung im leeren Raum und speziell der Theorie der Seelenatome das Modell eines psychischen Atomismus entgegen, um den atomaren Seelenglobus des Menschen in den ubiquitären Raum des Göttlichen zu fuhren, der "überall und nirgends" ist. Die Kugelbewegung als Sinnbild der Lebensbewegung und Lebensführung eröffnete Nikolaus die Möglichkeit, den Lebensweg des Menschen dann in moralischer und heilsgeschichtlicher Sicht mysterienhaft weiter auszudeuten, weil der Globus und seine Bewegung dem "irdischen Menschen und dessen Lebensweg in gewisser Weise ähnlich ist"74. Es ist bereits früher auf den Zusammenhang hingewiesen worden, der zwischen der Monas-Theorie des Giordano Bruno und dem Atomismus des Nikolaus von Kues besteht75. In diesem Zusammenhang wurde die Frage gestellt, inwieweit ausgehend von Cusanus überhaupt eine atomistische Theorie entwickelt werden könne76. Daß Nikolaus eine über die Theorie des minimum hinausge70
LG II n. 69: Figuratur haec vita regionis viventium inßgura, quam rotundam vides. Et ut circuli omnes habent idem centrum, circuli sunt figurae rotunditatis. Rotunditas circulatio est motus vitae perpetuae et infinibilis. Unde sicut nec notitia nec essentia rotundi seu perpetui sciri aut haberi potest nisi a centro, super quo volvitur motus perpetuus, sie se habet centrum, quod Christus est, ad omnes circulationes. Circuli igitur hic motum vitae figurant. 71 LG In. 54. 72 LG I n. 53 \globus personae tuae 'spiritu fidei' (2 Kor 4,13) impellitur. 73 LG In. 51. 74 LG I n. 54-59. Vgl. dazu den oben Anm. 2 zitierten Aufsatz (290 ff.). 75 F. J. CLEMENS, Giordano Bruno und Nicolaus von Cusa. Eine philosophische Abhandlung, Bonn 1847, bes. 27 und 133-166; D. MAHNKE, Unendliche Sphäre und Allmittelpunkt. Beiträge zur Genealogie der mathematischen Mystik (Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte, Buchreihe 23) Halle/Saale 1937, 48-59; A. KOYRE, Von der geschlossenen Welt zum unendlichen Universum, Frankfurt/M. 1969, 42-59. 76 S. MEIER-OESER, Die Präsenz des Vergessenen. Zur Rezeption der Philosophie des Nicolaus Cusanus vom 15. bis zum 18. Jahrhundert (Buchreihe der Cusanus-Gesellschaft 10) Münster 1989, 258 f. - Vgl. dazu meinen Beitrag "Überlegungen zur Wirkungsgeschichte des Nikolaus von Kues", in: EN KAI nAHQOI. Einheit und Vielheit, Festschrift für Karl Bormann, hg. von L. HAGEMANN/ A. TH. KHOURY (Religionswissenschaft!. Studien) Würzburg-Altenberge 1993, 174-210.
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hende atomistische Theorie entwickelt hat, sollte hier gezeigt werden. Er hat seinen Atomismus zwar nicht systematisch zur Entfaltung gebracht; aber er hat ihn ansatzweise auf seinen Erklärungswert hin geprüft und diesen punktuell aufgewiesen. Der cusanische Atomismus ist von seinem Ausgang her ein mathematischer, in der Anwendung aber ein metaphysischer Atomismus. Giordano Bruno hat, von Nikolaus angeregt, beide Aspekte aufgegriffen und in seiner MonasTheorie zu einem mathematischen (punctus), physischen (atomus) und metaphysischen (monas) Atomismus systematisch weiterentwickelt77. Dem mathematischen und metaphysischen Atomismus stellte Bruno einen physischen zur Seite, den Nikolaus in seiner Atomismus-Spekulation wohl deshalb weitgehend ausgespart hatte, weil dieser mit seiner Lehre inkompatibel war.
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Giordano Bruno, De triplici minimo et mensura libri V: Jordani Bruni Nolani opera latine con-
s c r i p t a , e d . F. FIORENTINO/F. TOCCO et al., N e a p e l - F l o r e n z 1 8 7 9 - 1 8 9 1 ( N D 1 9 6 2 ) v o l . I 3, 1 1 9 f f . ;
De monade, numero et figura, secretioris nempe physicae, mathematicae et metaphysicae elementa (ebd. vol. I 2, 323 ff.); dt. Übersetzung: Über die Monas, die Zahl und die Figur als Elemente einer sehr geheimen Physik, Mathematik und Metaphysik. Mit einer Einleitung hg. von E. VON SAMSONOW (Philos. Bibliothek 436) Hamburg 1992; Articuli adversus mathematicos (ebd. vol. I 3, 3 ff.); De la causa, principio et uno, Dialogo V, ed. G. AQUILECCHIA, Turin 1973. - Der Rezeption des cusanischen Atomismus und seiner weiteren Ausformung durch Giordano Bruno werde ich demnächst an anderer Stelle nachgehen.
Die Randnoten des Nikolaus von Kues zur lateinischen Übersetzung des platonischen 'Parmenides' in der Handschrift Volterra, Biblioteca Guarnacci, 6201 VON KARL BORMANN
Nikolaus von Kues kannte Piatons 'Parmenides' bis zum Ende der ersten Hypothesis (142a8) zunächst in der durch Wilhelm von Moerbeke angefertigten Übersetzung des Proclus-Kommentars 'Expositio in Parmenidem' Piatonis1. Gegen Ende der fünfziger Jahre des 15. Jahrhunderts2 widmete ihm Georg von Trapezunt seine Übersetzung des platonischen 'Parmenides', von der nur ein einziges Exemplar bekannt ist3: Ms. Volterra, Biblioteca Guarnacci, 6201, fol. 61r-86v4. Die Handschrift enthält zusätzlich zum lateinischen Text Korrekturen und Randnoten von der Hand des Nikolaus von Kues und des Bessarion. Eine Ausgabe der lateinischen Übersetzung "with the various annotations" ist von R. Klibansky in Aussicht gestellt5; auf eine Wiedergabe der interlinearen und marginalen Textkorrekturen wird deshalb hier verzichtet, auch wenn sie von der Hand des Cusanus stammen; lediglich die kommentierenden Randbemerkungen werden geboten6. Zur Qualität der Übersetzung bemerkt R. Klibansky treffend7: "Georgius' work ... is a piece of oratory in classical style, polished and fluent, but gliding over the difficulties inherent in the philosophical argument ... the well-rounded periods ... while easy to read, more often veil than reveal the problems under discussion". Kardinal Bessarions Urteil war härter: Georg von Trapezunt hat den 'Parmenides' nicht übersetzt, sondern ruiniert8. Inhalt der Handschrift Volterra 6201: Es handelt sich um eine Sammelhandschrift mit verschiedenen Übersetzungen. Das Vorsatzblatt bietet in jüngerer Schrift die Inhaltsangabe: In hoc Volumine continentur Lampi Biragi Traductio Oeconomici Xenofontis Nicoiao Papae V dicata. Eiusdem traductio Libri I originum Romanarum Dionysii Alicarnassaei eidem Pontifici dicata. Donati Acciaioli Vita Demetrii per eum ex graeco in Latinum traducta ex Plutarco ad Petrum Medicem. Georgii Trapesuntii translatio Parmenidis Piatonis Nicoiao Sancti Petri in Vincula Cardinali Apostolicae Sedis Legato dicata. 1
Vgl. Cusanus-Texte III/2,2, Heidelberg 1986, 5, und die dort genannte Literatur. "At the beginning of 1459": R. KLIBANSKY, Plato's Parmenides in the Middle Ages and the Renaissance, in: Medieval and Renaissance Studies 1 (1941-1943), ND New York u.a. 1981 (1982), S. V; vgl. auch Nicolai de Cusa opera omnia h XII adn.l, 147: circa a.D. 1459. 3 KLIBANSKY, Plato's Parmenides (Anm. 2) 304 (= 24): "of the Parmenides only one chance manuscript copy has survived". 4 Zu dieser Handschrift vgl. H. FUNAIOLI, Index codicum Latinorum qui Volaterris in Bibliotheca Guarnacciana adservantur, in: Studi Italiani di Filologia Classica 18 (1910) 121 f.; KLIBANSKY, Plato's Parmenides (Anm. 2) V; 289-304 (= 9-24); vgl. auch ebd. 304-312 (= 24-32); h XII adn. 1, 147; E. GARIN, Ricerche sulla traduzione di Platone nella prima metà del sec. XV, in: Medioevo e Rinascimento. Studi in onore di Bruno Nardi, Florenz 1955, 372 f. und Anm. 48. 5 KLIBANSKY, Plato's Parmenides (Anm. 2) V. 6 Als Textgrundlage benutzte ich einen Mikrofilm. 7 KLIBANSKY, Plato's Parmenides (Anm. 2) 304 (= 24). 8 KLIBANSKY, Plato's Parmenides (Anm. 2) 290 (= 10) Anm. 2 und S. 307 (= 27). 2
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Fol. Ir: Clementissimo Domino Nicoiao Quinto papae Lampus Biragus; es folgt der Text des Widmungsschreibens. Fol. lv beginnt die Übersetzung des 'Oeconomicus': Et ipsum quandoque audivi etiam de administratione rei familiaris disserentem his verbi s... Fol. 16v: ... quemadmodum apud inferos Tantalus dicitur tempus omne conter[r]ere ne bis moriatur timens. Finis. Clementissimo domino nostro papae Nicoiao V. Lampus biragus. In der nächsten Zeile9 folgt das Widmungsschreiben zur Dionys-Übersetzung: Clementissimo Domino Nicoiao V Papae Lampus Biragus-, die Übersetzung beginnt fol. 17r: Dionisii alicarnasei Originum Romanarum sive antiquitatum Liber primus. Cum nec rationes vellem que afferri solent inproemiis hystoriarum scribere ...; fol. 36v:... Servium autem interficiens Lucius Tarquinius vir Tyrampnicus [sie!] et ob iustitie contemptum superbus cognominatus ad quintum usque et vigesimum annum extraxisse dominationem dicitur. Fol. 37rv ist unbeschrieben; fol. 38r: Donati Acciaioliprohemium ad clarissimum ac praestantissimum virum petrum Medicem in vitam demetriiper eum ex greco in latinum traduetam incipit, fol. 38v: prohemium explicit. Demetrii vita ex Plutarcho incipit. Fol. 58r: Finis. Fol. 58v ist unbeschrieben; fol. 59r enthält Schriftproben; fol. 59v ist unbeschrieben; fol. 60r: Vita marci antoniiper leonardum tradueta; es folgen jedoch nur zwei Wörter: Iam mihi. Fol. 60v ist unbeschrieben. Die folia 61r-86v enthalten die Parmenidesübersetzung des Georg von Trapezunt sowie das vorangestellte Widmungsschreiben: Ad Reverendissimum in christo patrem et dominum Nicolaum tituli sancii Petri ad Vincula presbyterum Cardinalem apostolicae sedis Legatum Georgii trapesuntii in Parmenidis platonis translationem prefatio.
Text des Widmungsschreibens: R. Klibansky publizierte den Text des Widmungsschreibens anhand einer Kopie, welche "Dr. L. Bertalot, of the Vatican Library", angefertigt hatte10; einen Teil daraus veröffentlichte auch E. Garin11. Da in den beiden Wiedergaben des Textes Fehler enthalten sind, sei das Widmungsschreiben hier nochmals ediert12: Traduxi his diebus, pater optime, de Graeco in Latinum Piatonis Parmenidem vel de ideis13; hac enim duplici librum ipse inscriptione insignivit, quarum altera materiam respicit, altera virum, cui disserendi summa committitur, ostendit, quod facere solet fere Semper Plato. Fuit autem Parmenides, vir omnium temporibus suis in philosophia clarissimus, ante Piatonis tempora annis circiter sexaginta14. Nam adolescente Socrate senex iam erat Parmenides, Socrate autem sene virilem Plato agebat aetatem. De ideis vero inscripsit, non quod aperte totus liber de ideis esse videatur, sed quia mea quidem sententia, cum de uno maxime agatur, de idea unius agi ambiguendum non est. 9 10 11 12 13 14
Fol. 16v, 4. KLIBANSKY, Plato's Parmenides (Anm. 2) 291 f. (= 11 f.). Vgl. hierzu Anm. 4. Ich habe hier und im folgenden die Schreibweise normalisiert. Zur doppelten Überschrift vgl. Diogenes LaSrtios 3,58. LX annis circiter, corr.
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Est autem über sic et altitudine rerum profundus et argumentorum crebritate refertus, ut facile hinc Piatonis ingenium et naturae acumen et disserendi ad utramque partem mirabilis facultas eluceat. Brevitas quoque dicendi tanta, ut nihil brevius dici possit; quo fit, ut etiam in ornatu verborum longo intervallo a ceteris Piatonis operibus relinquatur, quod natura ipsarum rerum fieri necessario dixerim. Verborum enim ornatus et compositionis pompa nisi16 latius confluat et quasi luctator nudos in arena lacertos ostentet iactetque, omnem gravitatem suam17 infringit. Hinc fit, ut retrusas res atque abditas18, quantum ornatius dicere coneris, tantum minus explices, communiores contra, nisi ornate dicas, ne dicere quidem videaris. Illud etiam non praetermittam, quod, sicut in ceteris paene omnibus, ita hic19 quoque Plato nihil decidit, sed cum more suo multa in utramque partem afferat, quid tenendum sit non determinat. Quod ille faciebat vel modestia, ne determinando de aliquo impudens20 forsan videretur, vel ne21 ullo pacto reprehendi posset, vel ut auditorum ingenia excitaret, quod eis22 disputandi viam planiorem relinqueret, vel quia Socratem sequebatur, qui fertur solitus dicere fuisse illud solum se scire quod nihil sciret. Hunc autem librum de rebus altissimis tibi potissimum dedicavi, qui et philosophorum et theologorum ita facile principatum tenes, ut non solum multa videris, legeris, docueris, verum etiam ipse conscripseris atque pepereris. Accedit, quod antiquitas Platonica eo tibi commendatior sit, quanto mirabiliores, qui philosophari coe(fol. (5/v)perunt, videntur quam qui posterius effulserunt, nec id iniuria, siquidem Aristoteles etiam invenire difficillimum, inventis vero addere facillimum ducit23. Praeterea non minus aequitate, iustitia24, humanitate quam doctrina poliere te perspicuum est. Quis enim nescit: non forte aut casu, sed sanctimonia vitae et laboribus, quos pro ecclesia subiisti cum in Basiliensi concilio tum maxime orator ad Ioannem Constantinopolitanum imperatorem pro ecclesiae unione missus, ad cardinalatus dignitatem merito ascendisti. Quis ignorat tua Providentia praecipue factum, ut universa orientalis ecclesia congregata Italiani ad pontificem Eugenium venerit? Partim ergo doctrina prudentiaque tua me impulit, ut acutissimum atque in naturae secretis reconditum Piatonis opus mihi traductum ad te mitterem, partim etiam humanitas tua hortata est, ne iudicium tuum25 de tanta re temere fortassis a me suscepta reformidem. Accipias igitur Parmenidem Latinum tandem factum et tuo nomini dedicatum, et pro humanitate tua et legas et edas, ut tuo etiam nomine atque auctoritate adiutus et mordentium linguas effugiat et laetior in posteritatem atque securior transvolet26.
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Est autem - se scire quod nihil sciret publiziert auch von GARIN, Ricerche (Anm. 4) 3 7 2 f. si coni. KLIBANSKY, GARIN. 17 suam om. KLIBANSKY, GARIN. 18 abolitas KLIBANSKY, GARIN. Z u retrusas ... atque abditas vgl. Cicero, Ver. 1,7; D e orat. 1,87: retrusa atque abdita. 19 Bis scr., primum hic del. 20 impudens om. GARIN. 21 ne om. GARIN. 22 eius GARIN. 23 Vgl. Eth. Nie. 1098a21-25; b7. Zu 1098b7 vgl. Hesiod, Opera et dies 40. 24 et del. 25 tuum om. KLIBANSKY. 26 Der Rest von fol. 61v ist unbeschrieben, ebenso fol. 62r-63v. 16
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Die Folia 64r-86v enthalten dann die Übersetzung: Parmenides vel de ideis. Randnoten27: fol. 64r (126al): Cum domo e Clazomenis Athenas venissemus Note: Clazomenae urbs in Ionia (126b9): et audiverunt hunc Antiphonem cum Pythodoro28 quondam Zenonis socio multa contulisse Note: Pythodorus fol. 64v (127el-3): Quo pacto, Zeno, id dicis? si multa sunt entia, quod necesse sit ipsa similia et dissimilia esse idque esse impossibile. Note: Prima Zenonis ratio. Si multa sunt entia, eadem erunt et similia et dissimilia, quod est impossibile. fol. 65v (128e6): Putasne esse similitudinis speciem quondam ipsamper se ipsam Note: quaestio an sit similitudinis species29 (129b3): Si veroparticipantia utrisque utraquepassa sunt30 Note: passa sunt: vocabulo hoc passionis frequentissime utitur Plato in compositis, in quibus aliud est subiectum, aliud passio eius. Unde saepissime dicit ens non esse unum sedpassum fuisse unum aut similia31. fol. 66r (130a7-bl): Sicut Parmenides, cum finem Socrates fecisset, dixit: O Socrates, dignus admiratione es propter eloquentiae studium. Note: Hinc loquitur Parmenides, ubi primam de ideis quaestionem non probat sed supponit, probat autem secundam. Quattuor enim quaestiones de ideis sunt. Prima: Si sunt; secunda: quorum sunt et quorum non sunt; tertia: quomodo eis participant sensibilia; quarta: ubi suntponendae. fol. 66r-66v (130bl-d9): Sed die mihi, tu ipse itapartitus es sicut dicis, seorsum quidem species quasdam et seorsum speciebus participantia, videturque tibi quiddam32 esse ipsa similitudo seorsum (fol. 66v), quam nos habemus, et unum et multa et cetera, quae modo a Zenone audiebas? Ego ipse, Socrates respondit. An et talium, dixit Parmenides, sicut iusti speciem quondam ipsam per se ipsam et boni et pulchri aut honest?3 et aliorum talium? Certe, dixit Socrates. Quid porro? inquit, hominis speciem seorsum a nobis et omnium talium quales nos sumus, ipsam speciem hominis vel ignis vel aquae? In dubitatione, inquit Socrates, saepius, o Parmenides, de ipsis fui, utrum sicut de illis oporteat dicere an aliter. An etiam de illis, o Socrates, quae ridicula esse videbuntur, sicut de pilis et luto et macula et de aliis indecoris et vilissimis, dubitas si cuiuslibet ipsorum ponendo 27 28 29 30 31 32 33
Der zur Randnote gehörende Text ist jeweils wiedergegeben. Pysodoro, corr. Nikolaus von Kues. passa sunt: habere contendit, corr. Nikolaus von Kues. quiddam: aliquid, corr. pulchri aut honesti: mali, corr.
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est species seorsum, quae alia sit ab ipsis, quae nos videmus, an non? Nequaquam, dixit Socrates, sed haec quae videmus, ipsa etiam esse; speciem vero ipsorum aliquam arbitrari esse vereor ne nimis absurdum sit. Quamvis iam olim turbavit ea cogitatio me, ne idem de omnibus sit; et quando hie fuero, fugio timens, ne in magnam delirationem incidens peream; quare ilio reversus, in quae nunc dicebamus species habere, de illis cogitans persevero. fol. 66v; Note am oberen Rand: Socrates alia dixit habere speciem separatam, de aliquibus dubitavit, de aliquibus negavi fi5. (130el-4): Adolescens, ait Parmenides, adhuc es, o Socrates, et nondum aphilosophia susceptus es, sed mea quidem sententia suscipieris, quando nihil ipsorum reicies. Nunc vero adhuc hominum opiniones propter aetatem respicis36. Note: haec non ideo dicit Parmenides, quia putabat luti etiam etpilorum species esse, non enim sunt, sed quia videbatur Socrates ea putare sine causa esse et fieri dicens ea esse tantum quae videntur. Parmenides autem vult eorum causam esse, ideo corrigit Socratem. Nullius enim rei causa remota reperiri origo potest, ut in Timaeo37 dicitur. (130e5-131a2): videtur tibi, ufi* ais, species esse quasdam, quibus haec participantia nomina ipsarum habent, et sic similitudine participantia similia esse39, magnitudine magna, pulchritudine et iustitia iusta et pulchra? Note: idem in Phaedro dicit40 fol. 66v-67r (131a4-el): Ergo, inquit, quodlibet participans aut tota specie aut parte ipsius participat, nisi aliqua alia participatio praeter has sit. Et quomodo possibile est? ait Socrates. Utrum igitur, inquit, tota species in quolibet (fol. 67r) multorum esse, cum sit una, tibi videtur, an aliter dicis? Et quid prohibet, ait Socrates, unam esse? Cum ergo, inquit, una et eadem sit41 in multis existentibus seorsum*2, tota simul una erit, et sic43 ipsa seorsum erit a se ipsa. Non erit ita, Socrates inquit, sicut si dies una et eadem sit, simul tamen in multis locis est nec ipsa a se ipsa seorsum est, sic et specierum singulae una omnibus simul eadem erit. Perpulchre, inquit, o Socrates, unum44 idem simul multis in locis facis, quasi velamine super multos homines extenso dicas unum esse in multis45 totum. An non46 putas te tale41 quid48 dicere? Forsan, inquit. Utrunt>9 igitur totum velamen 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44 45 46 47 48 49
sint. Nikolaus von Kues. opiniones - respicis: Zeichen des Nikolaus von Kues. Vgl. Tim. 28a5. ut: quod, corr. esse: dici, corr. Nikolaus von Kues, in Phaedro: Vgl. 247d5-e2; 250bl-5. sit in marg. sit del. Zeichen des Nikolaus von Kues. et del. multis: multo, corr. supralin. supralin. tale del. utrum: vel, corr.
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cuilibet supererit vel pars eius alia super aliud erit? Pars, inquit. Divisibiles ergo, inquit, o Socrates, ipsae species e runt50, et participantia ipsis parte aliqua participabunt, nec erit in quolibet tota, sed pars cuiusque unum erit. Sic videtur. An igitur, o Socrates, inquit, dicere tu velis speciem unam vere dividi et etiam unum esse? Minime, inquit, id dicam. Animadverte51 enim, inquit, si magnitudinem ipsam partieris singulaque52 multorum magnorum parte magnitudinis ipsius minore quam ipsa sit magna erunt, nonne id absque ratione videbitur? Omnino, inquit. Quid porro? Si53 aequalis partis singula parva parte participent, habebunt ipsa participantia qua minore parte ipsius aequalis aequalia erunt? Impossibile id est. Sed si habebit aliquis nostrum parvi partem, qua ipsum parvum maius erit, pars enim ipsius est, et sic ipsum parvum maius est, cui autem addita fuerit ablata pars, id minus erit et non maius quam antea. Noten, fol. 66v (rechts unten): primum dubium tertiae quaestionis de ideis, utrum participantia specie tota an parte participent. (links und am unteren Rand): quaerente Parmenide si participantia specie utrum parte an tota specie participant, et Socrate respondente quod tota, quod et rectum est; sed quia propter exemplum diei54 videbatur corporalem putare participationem, Parmenides eum arguii dicens, quod neque tota neque parte, cum tamen utrumque verum sit, si quis totum et partem non sensu55, sed ratione percipiat56. fol. 67r: nota argumentum, si una est species tota in omnibus participantibus, ipsa est seorsum seu separata a se ipsa51. Hoc argumento quoddam inconveniens inferi dicens, quod si species una et eadem existens sit in multis, quae a se ipsis divisa et distincta sunt, ergo ilia species divisa et distincta a se est, quod est inconveniens. Dicit autem haec temptans Socratem et contentiose arguens, praesertim propter exemplum diei introductum a Socrate5*. Quod non fit participatio partis, probatur per quantitatem continuam, videlicet magnitudinem, aequalitatem etparvitatem. fol. 67v (132b3-9): Sed, o Parmenides, inquit, vide ne quaelibet istarum specierum conceptus mentis sit nec potest alibi esse quam in animo; sic enim una quaelibet erit nec accident ea quae modo dicebantur. Quid igitur? inquit, quilibet conceptus mentis unus59 est et tamen nullius rei conceptus est? Note: Incipit quarta quaestio, videlicet0 ubi sunt ponendae ideae, et quaeritur si sunt tantum animae conceptus et in ea ponendae an extra.
50 51 52 53 54 55 56 57 58 59 60
erunt: sunt, corr. animadvertere, corr. que supra lin. supra lin. 131 b3. sensu: corporaliter, corr. Zeichen des Nikolaus von Kues. Zeichen des Nikolaus von Kues. Zeichen des Nikolaus von Kues. supra lin. supra lin.
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(132cl2-d6): Sed, o Parmenides, haec mihi sic se habere videntur: has species arbitror flrmas in natura quasi exemplaria stare, cetera vero ipsis similia esse et esse simulacra61, et haec partieipatio ceteris a speciebus fit non alia quaedam, quam quia similia ipsis sunt. Si ergo, inquit, quiddam speciei simile est, estne possibile speciem ipsam non esse similem Uli assimilato eatenus, quatenus62 ipsi assimilatum est? Noten: hic vide sententiam Piatonis per Socratem expressam63. Concludit esse species intelligibiles praeter conceptus animae, quae exemplaria sunt aliorum, et quaerit, an similitudine partieipantur, et quoniam exemplo videtur Socrates eas non solum exemplaria sed etiam simulacra esse putare, ideo quoad hoc arguii eum Parmenides. fol. 68r (133a5-6): Non igitur per similitudinem speciebus cetera participant, sed aliud quaerendum est quo participant. Note: nota participationem specierum non fieri per similitudinemM. (133a8-c2): Vides igitur, inquit, o Socrates, quanta suboritur dijficultas, si quis quasi species sint ipsas per se ipsas definiat? Optime video, inquit. Immo scias65, inquit, ut breviter dicam, quod nondum sentis, quanta dijficultas sit, si unam speciem cuilibet rerum semper disseparans ponas? Quomodo id? inquit. Multa, inquit, etiam alia sunt, sed hoc maximum. Si quis dicat non posse ipsas cognosci, cum sint huiusmodi, quales dicimus oportere species esse, ergo Uli66, qui haec dicit, non poterit aliquis demonstrare quia falsa dicit, nisi multarum rerum peritus sit, qui dubitai, et ingeniosus et cupidus sequi demonstrantem multa valde et remotissima tractantem. Nec non verisimiliter dicere videbitur, qui credere coget incognoscibiles ipsas esse. Quomodo, inquit Socrates, o Parmenides, et cur61? Noten: nota dijficultatem68 utrum intelligibiles sint nobis ideae et an cognoscantur a nobis, quomodo species incognoscibiles69 fol. 68v (134c4-d7): Vide igitur, inquit, aliud hoc ipso gravius. Quod illud? inquit. Dabis certe, inquit, si aliquid est ipsum genus scientiae, multo perfectius70 esse quam sit haec nostra scientia, etpulchritudo et cetera omnia sic. Ita prorsus. Ergo si quid ipsa scientia participai, neminem magis quam deum exquisitissimam habere scientiam concedes? Necesse est, inquit. An igitur possit ipse deus nostra cognoscere, cum ipsam scientiam habeat? Cur non? Quia, inquit, o Socrates, iam convenimus concessimusque nec species illas habere virtutem quam habent ad res nostras, nec quae apud nos sunt ad illas, sed utraque ad se ipsa71. Note: utrum ideae intelligant et cognoscant haec sensibilia. 61 62 63 64 65 66 67 68 69 70 71
in marg., ut ita dicam similimenta del. eatenus, quatenus: tantum quantum, corr. Nikolaus von Kues und Zeichen des Nikolaus von Kues. Nikolaus von Kues. Aas del. supra lin. Zeichen am linken und rechten Rand. Nikolaus von Kues. Nikolaus von Kues. exquisitius, corr. ipsam, corr.
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fol. 69r (135a5-7): Sed qui haec dicit, videtur aliquid dicere et, quod modo dicebamus12, mirum in modum est incredibile et viri valde ingeniosi est. Note: nota "valde ingeniosi"73 (135b5-c2): Verumtamen, dixit, o Socrates, si quis rursus74 species rerum non ponat dicta omnia considerans aliaque similia nec cuiuslibet rei speciem disseparet7S, nec quo vertat mentem habebit, cum non concedat eandem semper cuiuslibet rei esse ideam, et sic disserendi virtutem omnino exterminabit. Note: hanc rationem etiam tangit Aristoteles in Metaphysica16 fol. 70r (136d6-8): Et si quidem plures essemus, indignum esset orare; non enim decet coram multis talia dicere. Note: nota, quod coram multis haec non sunt dicenda11. (136e8-137a4): Et Parmenidem dixisse: Necesse mihi est facere, quamvis mihi ipsi videar Ibycio78 equo simile quodpatf9, cuP° ille certatori equo et senfl1 currule certamen subituro et pro peritia trementi et eventum timenti se ipsum conferens, invitus, dixit, etiam ipse similiter senex ad amores regredi cogor. Note: Ibycio equo: Ibyx*2 poeta fuit, qui dixit ita se senem cum cogeret ad amores redire tremere, sicut equus, qui saepe certamina subivit, tremit, cum nunc senex cogatur iterum facere. (137c4): si unum est Note: prima suppositio: Si unum est, quae ipsi uni accident. Note am unteren Rand: Novem sunt in hoc dialogo suppositiones. Quorum primae quaeque supponentes unum esse ex hoc probant omnium entium productionem et existentiam, quattuor reliquae posito, quod unum non sit, probant omnia entia perire. Quinque autem superiorum: In prima de primo principio, quod supra omnem substantiam est, et ipso uno et ipso bono ratio habetur. In secunda de intelligentiis et eis, quae vere sunt, disputatur, in tertia de pluralitate particularium animarum et de differentia, quae in eis est, in quarta de partibilibus circa corpora et non separatis a materia formis, in quinta de ipsa materia83. 72 73 74 75 76 77 78 79 80 81 82
1 33b4-cl. Nikolaus von Kues. supra lin. difiniet, corr. Nikolaus von Kues. Vgl. Met. 987bl-10; 1078M7-33; 998b6-8. Nikolaus von Kues. hibitio. simile quodpati: passionem sustinere, corr. cui conieci; quam mutavit: qua. in del. Gemeint ist Ibycus. Vgl. auch Proclus, In Parmenidem Piatonis, ed. V. COUSIN, Paris 1864 (ND
1980) 1028,27-1029,27. 83
Zu dieser Einteilung der Hypotheseis vgl. Proclus, In Parmenidem Piatonis, ed. COUSIN (Anm. 82) 1063,18-1064,12; vornehmlich Theologia Piatonis I 56,11-57,20: H. D. SAFFREY/ L. G. WESTERINK, Proclus, Théologie Platonicienne I, Paris 1968; vgl. auch ebd. LXXXVII. Zu den beiden genannten Proclustexten gibt es keine Marginalie des Nikolaus von Kues in den codices Cusani 185 - Theologia Piatonis - und 186; zu der Einteilung des Plutarch von Athen - bei Proclus, In Par-
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Piatons 'Parmenides' bis zum Ende der ersten Hypothesis - soweit reicht der Kommentar des Proclus - lenkte die Aufmerksamkeit des Nikolaus von Kues in hohem Maße auf sich. Das ist bezeugt durch das autographische Exzerpt im Codex Argentoratensis 84, durch die zwanzig Randnoten im Codex Vat. Lat. 3074 und vor allem durch die sechshundertzwanzig Marginalien im Codex Cusanus 18684. Anders ist die Sachlage bei der Parmenidesübersetzung des Georg von Trapezunt: Anmerkungen zum Inhalt finden sich lediglich bis zur ersten Hypothesis ausschließlich; zur Übersetzung der Hypotheseis gibt es eine Fülle von Textkorrekturen, auch von der Hand des Nikolaus von Kues, von denen im folgenden nur wenige Beispiele geboten werden; darüber hinaus ist lediglich der Anfang der einzelnen Hypotheseis vermerkt und bis zur fünften einschließlich der Inhalt im Anschluß an Proclus angegeben: fol. 73r (142b3; im griechischen Text beginnt die zweite Hypothesis 142bl): Secunda suppositio, in qua de intelligentiis tractat et de eis, quae vere sunt. fol. 80v (155e4): Tertia suppositio: de pluralitate particularium animarum et differentia, quae in eis est. fol. 81v (157b6): Quarta suppositio: de partibilibus circa corpora et non separatis a materia formis. fol. 82v (159b4; im griechischen Text beginnt die fünfte Hypothesis 159b2): Quinta suppositio: de materia85. Der Grund dafür, daß der Beginn der fiinften Hypothesis zu 159b4 vermerkt wurde, ist der Wortlaut dieser Stelle: Dicamus ergo ex initio si unum est, quid alia ab uno pati opus sit. fol. 83r (160d3; im griechischen Text beginnt die sechste Hypothesis 160b5): Sexta suppositio. Das Versehen ist durch den Wortlaut von 160d3 zu erklären: Dicendum igitur ab initio, quid oportet esse, unum si non est. fol. 84v(163b7): Septima suppositio. fol. 85r(164b5): Octava suppositio. fol. 86r(165e2): Nona suppositio. fol. 86v folgt auf Verissime86 mit etwas Abstand, leicht unter der Zeile: finis. In der Folio-Mitte: Parmenides Piatonis, vel de ideis. Zwei Beispiele für Textkorrekturen seien vorgelegt. Georg von Trapezunt übersetzte 141c8-d3 fol. 72v: Necesse ergo est omnia, quae in tempore sunt, singula ipso tali participare et eandem huic ipsi aetatem habere et antiquius unumquodque se ipso simul et iunius esse. Am Rand sind zwei Vorschläge zur Verbesserung der Übersetzung gemacht: Necesse est ergo, quaecumque in tempore sunt et participant tali, singula eorum eandem sibi ipsis aetatem habere, vel sie et Latimenidem Piatonis 1059,3-7: COUSIN (Anm. 82) - vgl. Cusanus-Texte III. Marginalien. 2. Proclus Latinus. Die Exzerpte und Randnoten des Nikolaus von Kues zu den lateinischen Übersetzungen der Proclus-Schriften. 2.2. Expositio in Parmenidem Piatonis, hg. von K. BORMANN, Heidelberg 1986, Randnote 404. 84 Vgl. Cusanus-Texte III 2.2. 85 Zu diesen Inhaltsangaben vgl. oben die Notiz am unteren Rand von fol. 70r. 86 1 66c5.
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KARL BORMANN
nius: Necesse est ergo, ut unumquodque eorum, quae in tempore sunt et participant tali, eandem sibi ipsi aetatem habeat et antiquius unumquodque. Daß gemäß diesem Vorschlag im folgenden statt iunius esse: iunius sit zu lesen ist, setzte der Korrektor87 offenbar voraus. Ein zweites Beispiel: Fol. 73r übersetzte Georg von Trapezunt 142a6: nec aliquid sentire quicquam de ipso potest. Die Korrektur am Rand88 betrifft die beiden nicht übersetzten Wörter xrav övxrov: nec aliquid eorum quae sunt sentire. Die Qualität der Parmenidesübersetzung des Georg von Trapezunt beurteilte R. Klibansky, wie gesagt, treffend 89 . Daß die Übersetzung für wenig exakt90 und zum Teil für unelegant gehalten wurde, lassen die beiden Korrekturbeispiele erkennen. Vornehmlich der zweite alternative Vorschlag fol. 72v vel sie et Latinius enthält einen sehr schweren Vorwurf; denn Georg von Trapezunt "boasted that he, though born a Greek, wrote with the elegance of a Roman of Cicero's day"91.
87 88 89 90 91
Nikolaus von Kues. Nikolaus von Kues. KLIBANSKY, Plato's Parmenides (Anm. 2) 304 (= 24); vgl. oben Anm. 7. Vgl. hierzu KLIBANSKY, Plato's Parmenides (Anm. 2) 297 (= 17). KLIBANSKY, Plato's Parmenides (Anm. 2) 295 (= 15).
Nikolaus von Kues als Leser Hinkmars von Reims VON RUDOLF SCHIEFFER
Vier Ebenen hat der Jubilar im Verhältnis des Cusanus zur Geschichte unterschieden. Vom antiquarischen Interesse an der Aufspürung unbekannter Quellen über die praktische Nutzung des historischen Materials für die eigene Argumentation fuhrt eine gewissermaßen aufsteigende Linie zur kritischen Auseinandersetzung mit dem Überlieferten und schließlich zur Einsicht in den geschichtlichen Wandel überhaupt1. Die Analyse hat den Vorzug, sich auch im ganz speziellen Fall der geistigen Begegnung des Nikolaus von Kues mit dem um mehr als ein halbes Jahrtausend älteren Erzbischof Hinkmar von Reims (845-882) zu bewähren, dem führenden Kirchenmann des Westfränkischen Reiches in den ersten Jahrzehnten nach dem Teilungsvertrag von Verdun2. Es war eine Zufallsbekanntschaft, die nicht auf zielstrebiger Suche beruhte, sondern sich daraus ergab, daß in einer der Sammelhandschriften des Trierer Klosters St. Eucharius/ Matthias, die um 1430 in den Besitz des Cusanus gelangten3, ein länglicher Traktat Hinkmars zum Vorschein kam und die Aufmerksamkeit des Erwerbers fand. Der heutige Codex 52 der Hospital-Bibliothek4 in Kues, ganz überwiegend aus der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts, enthält nach 22 anderen Texten bzw. Textgruppen patristischkanonistischen Inhalts auf fol. 275ra-302rb5 das sog. Werk der 55 Kapitel (Opusculum LV capitulorum), das Hinkmar zwischen März und Juni 870 zur Entgegnung auf Vorwürfe und Eingaben seines Neffen und Suffragans, des Bischofs Hinkmar von Laon, und - wie sich zeigen sollte - zur Anbahnung von dessen synodaler Verurteilung in Douzy (871) verfaßt hat6. Die Trierer Provenienz der Kueser Kopie wird auch durch ein bisher unbekanntes Detail deutlich, nämlich die einzige bedachtsame Textveränderung, die der Schreiber vornahm und die darin bestand, die Reihe der in Hinkmars Praefatio aufgezählten, zu Unrecht verurteilten Bischöfe aus früherer Zeit um Paulinus von Trier zu ergänzen7. 1 Vgl. E. MEUTHEN, Nikolaus von Kues und die Geschichte, in: Das Menschenbild des Nikolaus von Kues und der christliche Humanismus. Festgabe für Rudolf Haubst zum 65. Geburtstag dargebracht von Freunden, Mitarbeitern und Schülern (MFCG 13) Mainz 1978, 234-252. 2 Vgl. R. SCHIEFFER, Hinkmar von Reims, in: TRE XV (1986) 355-360 (mit weiterer Literatur). 3 Vgl. K. MANITIUS, Eine Gruppe von Handschriften des 12. Jahrhunderts aus dem Trierer Kloster St. Eucharius-Matthias, in: Forschungen und Fortschritte 29 (1955) 317-319; P. BECKER, Die Abtei St. Eucharius-St. Matthias und Nikolaus von Kues, in: Kurtrierisches Jb. 18 (1979) 31-51, bes. 40 f. 4 Vgl. J. MARX, Verzeichnis der Handschriften-Sammlung des Hospitals zu Cues bei Bernkastel aVMosel, Trier 1905, 47-51; S. HELLMANN, Der Codex Cusanus C 14 nunc 37, in: ZKG 26 (1905) 96-104; S. HELLMANN, Anecdota aus Codex Cusanus C 14 nunc 37, in: NA 30 (1905) 15-33. 5 Einzubeziehen ist das von HELLMANN, Anecdota (Anm. 4) 23 f. Nr. 2, gedruckte Textstück auf fol. 302ra-302rb, denn es handelt sich um den durch einen Bindefehler in der Vorlage des Kopisten versprengten Schluß des 22. der 55 Kapitel, der in den bisherigen Hinkmar-Drucken fehlt. 6 Druck: MPL 126, 282-494, nach Sirmond (1645); Neuausgabe in MGH Concilia 4 Suppl. 2 [in Vorbereitung]. Zum Inhalt vgl. H. SCHRÖRS, Hinkmar, Erzbischof von Reims. Sein Leben und seine Schriften, Freiburg 1884, 331-334; J. DEVISSE, Hincmar, archevêque de Reims 845-882, t. 2 (Travaux d'histoire éthico-politique XXIX/2) Genf 1976,753-763. 7 MPL 126, 291 B 14 (nach Damasus, Sixtus, Leo III. von Rom, Athanasius von Alexandrien, Johannes Chrysostomus von Konstantinopel und Caecilian von Karthago hat Cod. Cus. 52, fol. 276ra
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Die 55 Kapitel müssen im 15. Jahrhundert eine äußerst rare Lektüre gewesen sein. Von dem erst 16158 gedruckten Werk sind außer dem Codex Cusanus überhaupt nur drei mittelalterliche Abschriften bekannt: eine zeitgenössische aus Reims (heute in Paris)9, eine des 11. Jahrhunderts aus Hildesheim (heute im Vatikan)10 sowie die verschollene, wohl Würzburger Vorlage einer in Hannover aufbewahrten Zenturiatoren-Handschrift des 16. Jahrhunderts". Daß Kues 52 in diesem Quartett ohne eigenständigen Wert ist, weil es sich um eine Wiedergabe des Reims-Pariser Codex in mäßiger Textqualität handelt12, konnte Nikolaus nicht wissen und brauchte ihn auch wenig zu kümmern. Vielmehr kam die Entdeckung seiner Neigung entgegen, "seine Umwelt mit Kenntnissen (zu verblüffen), die er aus Quellen schöpfte, von denen andere noch nichts wußten"13. Den auch sonst spärlich verbreiteten14 - Autor Hinkmar als neugewonnenen Gewährsmann auf dem Gebiet der kirchlichen Rechtsgeschichte rückte er sich zunächst in den eigenen Horizont, indem er am oberen Rand der ersten Textseite der 55 Kapitel notierte, er sei derselbe wie der Adressat zweier Dekretalen Nikolaus' I. im 'Decretum Gratiani', worin der Papst zudem lobende Worte über diesen Reimser Erzbischof finde15. Später hob er eine Erwähnung Nikolaus' I. in Hinkmars 5. Kapitel eigens am Rand hervor16 und wies dem Autor bei Gelegenheit einer Nennung Hadrians II. im 16. Kapitel noch exakter seinen geschichtlichen Platz an, als er wiederum am Rand festhielt, Hinkmar habe zur Zeit des Nikolaus und des Hadrian gelebt, die einander ablösten17. Die insgesamt 72 Randnotizen von der Hand des Cusanus, die den Text der 55 Kapitel begleiten (ungeachtet nicht weniger Randstriche sowie Hervorhebungen mittels graphischer Symbole)18, werden im Anhang zu dieser Studie wiedergegeben, nachdem Erich Meuthen schon einige davon publik gemacht hat19. Sie zeugen von einer gründlichen, geduldigen Bemühung um den schwierigen Text, die sich gemäß dem durchaus unterschiedlichen Duktus der Einträge zudem in mehreren Anläufen vollzogen haben dürfte20. Gelegentlich tritt dabei des Cusanus zusätzlich: sancto Paulino Trevirorum praesuli dignissimo. Nikolaus von Kues hat die ganze Aufzählung durch Anstreichen am Rande hervorgehoben). 8 Joannes CORDESIUS (Hg.), Opuscula et epistolae Hincmari Remensis archiepiscopi, Paris 1615, 1-282. 9 Paris BN, ms. lat. 2865, fol. I-VI, 1-249. 10 Vatikan, Biblioteca Apostolica Vaticana, Pal. lat. 296, fol. 22v-l 18. 11 Hannover, Niedersächs. Landesbibl., Ms. I 245, p. 1: Liber sancti Kyliani (aus der Vorlage). Die Abschrift findet sich p. 119-546. 12 Näheres in der künftigen Ausgabe. Maßgeblich sind Lücken und Umstellungen des Textes, deren Umfang exakt einzelnen Blättern des Parisinus entspricht. 13
14
MEUTHEN (ANM. 1) 2 3 6 .
Die einzige Ausnahme bildet die an Karl den Kahlen gerichtete Abhandlung 'De cavendis vitiis' (MPL 125, 857-930) in Dutzenden von Abschriften, darunter übrigens auch Cod. Cus. 52, fol. 201209 (mit der Randnotiz des Cusanus auf fol. 207vb: Ab hoc loco infi-a de sacramento eucharistie valde singularia, zu 912D ff.). 15 Siehe den Eintrag, unten im Anhang Nr. 1. 16 Siehe Anhang Nr. 8. 17 Siehe Anhang Nr. 34. 18 Vgl. AC 1/1,89 Nr. 149b. 19 Vgl. MEUTHEN (Anm. 1) 242 Anm. 39, 245; E. MEUTHEN (Hg.), Cusanus-Texte II/2: De maioritate auctoritatis sacrorum conciliorum supra auctoritatem papae (Abh. der Akad. Heidelberg, Phil.hist. Kl., Jg. 1977 Nr. 3) Heidelberg 1977 [zitiert MA], 74 Anm. 5, 84 Anm. 3, 5,6. 20 Zu seiner Technik der Texterschließung mittels Marginalien vgl. bereits u.a. L. BAUR, Nicolaus Cusanus und Pseudo-Dionysius im Lichte der Zitate und Randbemerkungen des Cusanus (Abh. der
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"historiokritische Betrachtungsweise" hervor, wenn er etwa eine Verwechslung der Synoden von Nicaea und Antiochia durch den Trierer Kopisten aus überlegener Sachkenntnis zutreffend am Rand berichtigt22. Auch einzelne der zahlreichen kleinen Korrekturen innerhalb des Textes mögen von ihm herrühren, was sich bei der Winzigkeit der Schrift kaum sicher beurteilen läßt23; aber viele sind es wohl kaum. Offenbar war er es gewohnt, mit unzuverlässigen Abschriften umzugehen, und schritt eher erst zu Emendationen, wenn er Exzerpte in eigenen Schriften weiterverwendete. So betrifft die große Mehrzahl der Randbemerkungen die inhaltliche Seite, und dies in mannigfachen Formen. Am häufigsten ist die punktuelle Hervorhebung markanter Begriffe (Rechtstermini) und paraphrasierter Formulierungen24, zur Charakteristik längerer Partien auch die Beifügung rubrikartiger "Überschriften"25. Mitunter werden im Text begegnende Autorennamen am Rand ausgeworfen26, je einmal finden sich ein lobender Kommentar27, eine sachliche Ergänzung durch einen zusätzlichen Quellenbeleg28 sowie eine autobiographische Assoziation29. Immer häufiger wird im Laufe des Textes der unspezifische Gebrauch des bloßen Wortes Nota u.ä.30. Zusammengenommen geben die Marginalien deutlich zu erkennen, was Nikolaus an der mühsamen Lektüre gereizt hat. Er ignorierte das situationsbezogene Grundanliegen der 55 Kapitel, überlas die Fülle persönlich geprägter Vorwürfe und Rechtfertigungen im Streit der beiden Hinkmare und konzentrierte sich auf die vermeintlich zeitlosen Ausfuhrungen, die der ältere Hinkmar über die kirchliche Hierarchie und die kanonischen Rechtsquellen gemacht hatte, um dem Versuch des jüngeren entgegenzutreten, mit Hilfe pseudoisidorischer Dekretalen die Befugnisse seines Metropoliten gegenüber den eigenen wie auch denen des Papsttums zu relativieren31. Daß der Reimser Erzbischof Belegstellen und Argumente beibrachte, um beispielsweise Appellationen zum Apostolischen Stuhl an bestimmte Voraussetzungen zu knüpfen32 oder notfalls die Autorität der nicaenischen Kanones den Dekretalen der Frühzeit überordnen zu können33, andererseits aber auf die päpstlichen Vorbehalte gegen die Konzilsbeschlüsse von Chalcedon Akad. Heidelberg, Phil.-hist. Kl., Jg. 1940/41 Nr. 4) Heidelberg 1941; E. COLOMER, Nikolaus von Kues und Raimund Llull. Aus Handschriften der Kueser Bibliothek (Quellen und Studien zur Geschichte der Philosophie 2) Berlin 1961, 60 ff., 186 ff.; D. F. DUCLOW, Nicholas of Cusa in the Margins of Meister Eckhart: Codex Cusanus 21, in: Nicholas of Cusa in Search of God and Wisdom. Essays in Honor of Morimichi Watanabe by the American Cusanus Society, ed. by G. CHRISTIANSON/ T . M . IZBICKI ( S H C T 4 5 ) L e i d e n u . a . 1 9 9 1 , 5 7 - 6 9 . 21
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MEUTHEN ( A n m . 1) 2 3 9 .
Siehe Anhang Nr. 5; alle anderen Handschriften haben an der Stelle Nicena. Abzuheben ist vor allem eine älteste, auf jeder Seite faßbare Korrekturschicht, die noch auf die Vorlage, den heutigen Pariser Codex, zurückgreift und meist auf den oberen und unteren Rändern Auslassungen des Kopisten ausgleicht; sie gehört dem 12. Jh. an. 24 Siehe Anhang Nr. 2-4, 9, 10 u.ö. 25 Siehe Anhang Nr. 26, 31, 51-53. 26 Siehe Anhang Nr. 18-23, 28. 27 Siehe Anhang Nr. 46; dazu wiederholten Gebrauch von bene. 28 Siehe Anhang Nr. 47. 29 Siehe Anhang Nr. 41. 30 Siehe Anhang Nr. 14,40, 42, 54 u.ö. 31 Vgl. H. FUHRMANN, Einfluß und Verbreitung der pseudoisidorischen Fälschungen. Von ihrem Auftauchen bis in die neuere Zeit, Bd. 3 (Schriften der MGH XXIV/3) Stuttgart 1974, 662 ff. u.ö. 32 Siehe Anhang Nr. 10. 33 Siehe Anhang Nr. 48, 67. 23
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hinwies34, ließ den Cusanus aufhorchen und weckte sein "historisch-praktisches Interesse"35, schien sich hier doch ein gedankliches Arsenal aufzutun, das bei nur ein wenig eklektischem Gebrauch auch in den ihn bedrängenden kirchenpolitischen Grundsatzfragen der Anfangsjahre des Basler Konzils 36 von einigem Nutzen sein konnte - und sei es nur, um darzutun, daß die aktuellen Konflikte nicht ohne Vorläufer waren, sich also "historisieren" ließen. Ein Tertium comparationis zwischen den an sich so unvergleichlichen Situationen von 870/71 und 1431/33 zu sehen, lag keineswegs auf der Hand und stellt daher die eigentlich produktive Leistung des Cusanus im Umgang mit Hinkmar dar, dessen 55 Kapitel eine aufs Prinzipielle gerichtete Abstraktion nicht eben erleichtern. Nikolaus von Kues jedenfalls, der in dem karolingerzeitlichen Werk einen Fundus zur geistigen Bewältigung der Gegenwartsprobleme erkannte, über den er zudem exklusiv verfugte, richtete sich sein Exemplar als annotierte Arbeitshandschrift ein, um alles aus seinem Blickwinkel Wesentliche zielsicher auffinden zu können. Die Häufigkeit, mit der seine Glossen, Anstreichungen und Handweiser gerade das Zitatmaterial betreffen, das Hinkmar aufgehäuft hatte, läßt überdies auf eine früh schon vorhandene Absicht schließen, das Werk der 55 Kapitel auch als mittelbare Quelle gleich einem Florileg oder einer systematischen Rechtssammlung zu verwerten. Erstmals geschah dies im Frühjahr 1433 bei der Abfassung seiner unvollendet gebliebenen, von Meuthen wiederentdeckten Schrift 'De maioritate auctoritatis sacrorum conciliorum supra auctoritatem papae'37, die in den Abschnitten 17, 18, 20 und 26 keine irgendwie prägnanten Wendungen Hinkmars aufgreift, sondern dessen Werk nahezu ausschließlich Exzerpte aus echten oder gefälschten Dekretalen entlehnt38. Der Nachweis dieses Vermittlungsweges gründet sich, abgesehen von einer expliziten Nennung Hinkmars ( M A 18,16), denn auch auf die ganz entsprechende Anordnung, Kennzeichnung und Textgestalt dieser Zitate im 13., 15., 16., 10. und 23. der 55 Kapitel sowie auf die wiederholte Anstreichung der beigezogenen Stellen im Cod. Cus. 5239. Da es sich um nicht eben entlegene Autoritäten handelt (Leo, Ps.-Clemens, Ps.-Anaklet, Innozenz, Gelasius), hätte sich Nikolaus von Kues die meisten Belege fraglos auch anderweitig beschaffen können40. Er folgt hier offenbar eher einer gewissen Bequemlichkeit des raschen Zugriffs, nachdem ihn das Studium von Hinkmars Werk zu Überlegungen angeregt (oder zumindest darin bestärkt) hatte, die in 'De maioritate' eingeflossen sind, ohne sich in ausdrücklichen Zitaten niederzuschlagen. In diesen Rahmen gehören nicht bloß das für die ganze Schrift zentrale Konzept der Pentarchie der Patriarchate41, sondern auch der Einleitungs34
Siehe Anhang Nr. 48, 50.
MEUTHEN (ANM. L) 237. 3 6 V g l . E. MEUTHEN, Nikolaus von Kues in der Entscheidung zwischen Konzil und Papst, in: Nikolaus von Kues als Promotor der Ökumene. Akten des Symposions in Bernkastel-Kues vom 22. bis 24. September 1970, hg. von R. HAUBST ( M F C G 9 ) Mainz 1971, 19-33. 35
V g l . A C V\, 103 Nr. 174; Druck: MEUTHEN (Anm. 19). Zum Inhalt vgl. E. MEUTHEN, Kanonistik und Geschichtsverständnis. Über ein neuentdecktes Werk des Nikolaus von Kues, in: V o n Konstanz nach Trient. Festgabe für August Franzen, hg. von R. BÄUMER, München u.a. 1972, 147-170.
37
38
M A 17,3-5; 18,8-17; 20,10-16; 26,1-3.4-11 (mit Einzelbelegen).
V g l . MEUTHEN (Anm. 19) 18. V g l . ebd. 20. 4 1 V g l . MEUTHEN (Anm. 1) 245 f.; R. SCHIEFFER, Der Papst als Patriarch von Rom, in: M . MACCARRONE (Hg.), Il primato del vescovo di Roma nel primo millennio. Ricerche e testimonianze (Pontificio Comitato di Scienze storiche. Atti e documenti 4 ) Città del Vaticano 1991, 433-451. 39
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gedanke von der varietas temporum et vocabulorum (MA2,1) oder etwa der Hinweis auf die Konfrontation zwischen den päpstlichen Legaten und dem Chalcedonense (MA 16,1 ff.)43. Was der Reimser Erzbischof 560 Jahre zuvor in Konfrontation zu den ahistorischen Dekretalen-Fiktionen Pseudoisidors an Gedanken und Belegen aufgeboten hatte, half dem Cusanus, die Kirchenverfassung als Ergebnis einer geschichtlichen Entwicklung zu verstehen und darzustellen. Während der Einfluß Hinkmars auf den Entwurf von 'De maioritate' weithin geklärt ist44, bedarf seine Rezeption in dem annähernd gleichzeitig entstandenen Hauptwerk des frühen Cusanus, 'De concordantia catholica'45, noch näherer Präzisierung. Der Index auctorum, der den Kommentar der maßgeblichen Ausgabe Gerhard Kallens zusammenfaßt, erweckt den Eindruck, als habe Nikolaus außer den 55 Kapiteln noch andere Schriften des Reimser Erzbischofs gekannt und herangezogen46, was tatsächlich jedoch nicht der Fall ist. Von den vier geltend gemachten Stellen entfällt CC 220,3 f f , weil es sich nicht um eine Entlehnung aus Hinkmars Werk 'De iure metropolitanorum', sondern um eine klare weitere Übernahme aus den 55 Kapiteln handelt (siehe unten). Die Hinweise auf die bekannte Schrift 'De ordine palatii' bei CC 470,6 und CC 475,1-3 haben allenfalls illustrierenden Charakter und können schwerlich als Vorlagennachweis verstanden werden, zumal dieses Werk Hinkmars noch spärlicher als die 55 Kapitel überliefert ist und keinerlei bislang erkennbare Resonanz gefunden hat47. Bei CC 553,1-6 schließlich wird in abweichender Zitierweise scheinbar auf eine Stelle der 55 Kapitel verwiesen, doch beruht die ganze Kommentar-Fußnote überhaupt auf einem sachlichen Mißverständnis48. Es bleibt demnach dabei, daß die 55 Kapitel das einzige waren, was Nikolaus von Kues - erstaunlich genug - aus Hinkmars Feder gekannt hat. Davon jedoch machte er bei der Niederschrift seiner 'Concordantia catholica' regeren Gebrauch, als man bisher gesehen hat. Nachdem Erich Meuthen auch hier bereits wichtige Spuren gewiesen hat49, empfiehlt es sich, den Text unter diesem Gesichtspunkt durchzumustern. CC 63,2 f. ist im 16. Kapitel des I. Buches erstmals ausdrücklich von Hinkmars Schrift gegen Hinkmar von Laon die Rede, und zwar in einer deutlich 'De maioritate' verpflichteten50 Erörterung über die historische Herleitung bevorrech42
Siehe Anhang Nr. 39. Siehe Anhang Nr. 48, 50. Zu ergänzen ist allenfalls, daß MA 17,2 canones spiritu dei conditi auf Leo JK 411 zurückgeht (MPL 54, 672 A) und damit sehr wohl durch Hinkmar, Opusc. LV capp. c.10 (MPL 126, 322 B; Cod. Cus. 52, fol. 279rb) vermittelt sein könnte. 45 Vgl. AC 1/1, 129 f. Nr. 202; Druck: De concordantia catholica, ed. G. KALLEN (h XIV), Hamburg 1959/68, zitiert CC. 46 Vgl. Opera 14/4: Indices, ed. G. KALLEN/ A. BERGER, Hamburg 1968, 480. Darauf fußt H. J. SIEBEN, Traktate und Theorien zum Konzil. Vom Beginn des Großen Schismas bis zum Vorabend der Reformation (1378-1521) (Frankfurter Theol. Studien 30) Frankfurt/M. 1983,67 ff. 47 Vgl. Hinkmar von Reims, De ordine palatii, hg. und übers, von T. GROSS/ R. SCHIEFFER (MGH Fontes iuris 3) Hannover 1980, 12 ff. 48 Zu CC 553,1-6 wird MPL 126, 325 (also eine Stelle aus dem 11. der 55 Kapitel) angeführt, jedoch mit Berufung auf G. WAITZ, Deutsche Verfassungsgeschichte 4, Berlin 31885, 107, der in Anm. 3 mit "Hincmar Op. II 325" gar nicht Migne, sondern dessen Vorlage, die Ausgabe Sirmonds, gemeint hatte. Die bezeichnete Stelle, wiedergegeben bei Migne MPL 125, 1050 D-1051 A, ist in Hinkmars Quaternionen von 868 enthalten und höchstens als Sachparallele zu den Ausführungen des Cusanus zu betrachten.
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V g l . MEUTHEN ( A n m . 1 9 ) 18 A n m . 5 5 , 8 4 A n m . 2 .
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Vgl. ebd. 33 f.
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tigter Bischofssitze, also der Patriarchate. Aus dem angeführten 15. der 55 Kapitel51 stammt nicht bloß der paraphrasierte, teilweise auch wörtlich (quae apud ethnicos; CC 63,5) wiedergegebene Einschub Hinkmars in ein Zitat des 6. Kanons von Nicaea (CC 63,4-6), sondern auch einige Zeilen weiter52 eine Wendung aus Ps.-Clemens (JK + 10) c.29, die Hinkmar im selben Kapitel zuvor verwendet hatte53: in civitatibus ethnicis et eorum archiflaminibus (CC 63,9 f.)54. Ferner hat Nikolaus ein Zitat aus der Innozenz-Dekretale JK 310 (CC 64,30-33) auf dem Wege über Hinkmars 16. Kapitel55 gewonnen, wie an dem gleichlautenden rubrikartigen Auftakt de Antiochena {sede) zu erkennen ist. Gleich zu Beginn des II. Buches, das den Synoden gilt, nutzt er dann erklärtermaßen das 20. Kapitel Hinkmars56 für ein längeres, mit einigen kleinen Eingriffen gebotenes Zitat aus den 'Libri Carolini' (CC 70,5-21) 57 , die ihm als solche nicht zur Hand waren. Mit gutem Grund ist bereits angenommen worden, daß auch das wenig später (CC 71,10-15) mit der gleichlautenden Inskription in Africano concilio begegnende Zitat des 62. afrikanischen Kanons der 'Collectio Hadriana' demselben der 55 Kapitel entnommen ist58. Zum Beleg für universale concilium konnte der Kanon übrigens nur durch die von Hinkmar ins Zitat einbezogene, aber von Nikolaus ausgesparte Rubrik der 'Hadriana' (Concilium universale non nisi necessitate faciendum) werden59. Im weiteren Verlauf des II. Buches der 'Concordantia catholica' tauchen zunächst zwei vereinzelte Anleihen bei Hinkmar auf. Unübersehbar ist in CC 108,7-10 der namentliche Verweis auf seine eigenwillige Etymologie des Wortes promulgare, die in Opusc. LV capp. c.10 entwickelt wird60; in diesem Zusammenhang kommt Nikolaus auch auf die von ihm an der Spitze des Werkes im Cod. Cus. 52 vermerkte Rühmung Hinkmars durch Papst Nikolaus I. zurück61. 51 MPL 126, 332 D; Cod. Cus. 52, fol. 280va (mit Handweiser und Randnotiz wie im Anhang Nr. 26), auch benutzt MA 18,16 f. 52 Die anschließende Bezugnahme auf Chalcedon (CC 63,6-8) betrifft eigentlich nur die Rubrik, unter der dort derselbe nicaenische Kanon aufgegriffen wurde (Acta Conciliorum Oecumenicorum II 3, 3, 109 [548], 19 f.), und ist nicht aus dem 55-Kapitel-Werk abzuleiten. 53 MPL 126, 330 A; Cod. Cus. 52, fol. 280rb (ohne Hervorhebung). 54 Vgl. bereits MA 18,8 f., hier jedoch näher zur Vorlage. - Die nachfolgend (CC 63,12-15) wiedergegebene Äußerung der (Galla) Placidia ist gar kein wirkliches Zitat, sondern eine im römischen Sinne zugespitzte Paraphrase aus einem Brief an Kaiser Theodosius II., der sich in den gängigen Handschriften des Chalcedonense findet (Acta Conciliorum Oecumenicorum II 3, 1, 15, 6 f.: maximae civitati, domina omnium terrarum\ vgl. auch MA 18,6 f.). Keine Vermittlung durch Hinkmar. 55 MPL 126, 335 BC; Cod. Cus. 52, fol. 280vb (ohne Hervorhebung), ausführlicher in MA 20,13 ff. 56 MPL 126, 360 BC; Cod. Cus. 52, fol. 283vb-284ra (mit Randnotiz wie im Anhang Nr. 41, teilweise auch am Rand angestrichen). 57 Die Textgestaltung Kallens weicht in zwei Punkten unnötig von der unmittelbaren Vorlage im Cod. Cus. 52 ab; vielmehr dürfte ihr gemäß zu lesen sein: 9 versu, 9 unitatum. Dagegen sind die Lesarten 14 servaverunt und 18 aut allein durch diese Vorlage gedeckt! 58 MPL 126, 361 BC; Cod. Cus. 52, fol. 284ra (ohne Hervorhebung). 59 Nur wenige Zeilen darunter erscheint bei Hinkmar als explizites Zitat der Synode von Antiochia (c.16) der Satz: Perfectum illud esse concilium, ubi interfiierit metropolitanus antistes (MPL 126, 361 C; Cod. Cus. 52, fol. 284ra, ohne Hervorhebung), was recht genau CC 73,7 f. entspricht, dort aber auf die paenultima actio von Chalcedon zurückgeführt wird. Hinkmar ist somit jedenfalls nicht die direkte Quelle, doch dürfte abweichend von Kallens Kommentar das Zitat von Antiochia c.16 in der 11. (12.) Konzilssitzung gemeint sein (Acta Conciliorum Oecumenicorum II 3, 3, 57 [496], 13). 60 MPL 126,316D-317A; Cod. Cus. 52,fol. 278vb(mit Randnotiz wie im Anhang Nr. 13). 61 Zu CC 108,9 vgl. Randnotiz im Anhang Nr. 1. In Kallens Kommentar zur Stelle lies: C. XI (statt C. II).
NIKOLAUS VON KUES ALS LESER HINKMARS VON REIMS
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Dazu tritt CC 125,4 f. eine knappe Paraphrase aus der Bonifatius-Dekretale JK 362, die hauptsächlich auf dem Wort sibimet beruht; da die falsche Angabe des Adressaten mit dem Hinkmar entlehnten wörtlichen Zitat in CC 178,12-16 übereinstimmt (siehe unten), steht die Vermittlung wiederum durch dessen 10. Kapitel fest. Der für die Hinkmar-Rezeption ergiebigste Abschnitt findet sich dann im 20. Kapitel des II. Buches, wo es um die Hoheit des Papstes über Synodalbeschlüsse geht. Nach dem im Cod. Cus. 52 von Nikolaus nachgetragenen Zosimus-Zitat62, das er CC 169,16 f. (wie schon MA 26,3 f.) verwendet, gibt er CC 170,1-3 frei ein Postulat aus der Damasus-Dekretale JK 235 wieder, das zweimal im 10. der 55 Kapitel63 ähnlich umrissen, beim zweiten Mal teilweise auch zitiert wird (außer der Inskription wörtlich iubebat... revertentes ... subscribere: CC 170,2). CC 171,9-16 ist ein verkürztes Zitat aus Leos Schreiben JK 481, beginnend bereits mit CC 171,11 nulla, das ebenso wie zuvor in MA 26,8-11 aus Hinkmars 23. Kapitel entnommen ist64. Es geht weiter CC 172,23-27 mit dem (vom Cusanus gekürzten) 14. Kanon des 1. Konzils von Karthago in der Version der 'Collectio Hispana', der unter derselben Bezeichnung bei Hinkmar am Ende der Praefatio zu den 55 Kapiteln zu lesen war65. CC 173,3 f. resümiert Nikolaus knapp das in MA 26,6-8 genauer gebotene Zitat aus der Leo-Dekretale JK 495, das wieder dem 23. Kapitel bei Hinkmar entstammt66, während er abermals auf dessen Praefatio zurückgreift67, wenn er CC 174,7-12 einen Passus aus Leos JK 539 mit derselben Inskription, derselben Rubrik {de sua erga leges consensione: CC 174,9 f.) und in denselben Abmessungen anführt68. Erst CC 177,9 f. wird dann Hincmarus contra Laudunensem ausdrücklich als Quelle genannt, aus der (c.10)69 bereits das eben vorausgehende Leo-Zitat aus JK 402 (CC 177,2-8), erkennbar an der wörtlich entsprechenden Inskription/Rubrik, abzuleiten war70. Der angeschlossene Hinweis des Cusanus auf D. 19 c.l (CC 177,8) ist bloß eine sekundäre Assoziation und deckt nur einen Teil des voraufgegangenen Wortlauts. Einem tatsächlich aus Gratians Dekret geschöpften Hinweis auf Damasus (CC 177,8 f.) folgt dann eine stark komprimierte Wiedergabe der Erwägungen, die Hinkmar im 10. Kapitel71 zu jenem Leo-Zitat angestellt hat (wörtlich advertendum, quoniam: CC 177,10 f.; ferner die /voww/gare-Etymologie wie bereits CC 108,10). Auch CC 177,11-14 beruht auf dem weiteren Gedankengang von Opusc. LV capp. c. 1072. Im nämli62
Siehe Anhang Nr. 47. MPL 126, 321 B, 324 AB; Cod. Cus. 52, fol. 279rb (mit Randnotiz wie im Anhang Nr. 16), fol. 279va (mit Nota-Zeichen). 64 MPL 126, 371 CD; Cod. Cus. 52, fol. 285va (mit Randnotiz wie im Anhang Nr. 49). - Durch den Kueser Codex bedingt ist die Variante inspirante (statt instruente) in CC 171,15. 65 MPL 126, 292 D - 293 A; Cod. Cus. 52, fol. 276ra (mit Handweiser). - Dem Kueser Codex entspricht CC 172,25 die Lesart sunt scripta (statt conscriptä). 66 MPL 126, 369 CD; Cod. Cus. 52, fol. 285rb (mit Randnotiz wie im Anhang Nr. 48). 67 MPL 126, 292 D; Cod. Cus. 52, fol. 276ra (mit Anstreichung am Rande). 68 In Kallens Ausgabe ist zu beachten, daß CC 174,10 das wörtliche Leo-Zitat erst mit eis einsetzt und Si contrafecerim verkürzend Hinkmars Worte si contra illa fecerint (so Cod. Cus. 52) aufnimmt. 69 MPL 126, 316 BC; Cod. Cus. 52, fol. 278vb (mit Randnotiz wie im Anhang Nr. 12). 70 Die in Kallens Kommentar zu CC 177,2-10 hervorgehobene Diskrepanz der Lesarten commiserit und contempserit ist nur scheinbar, denn contempserit stellt entgegen den Handschriften eine willkürliche Textveränderung der Hinkmar-Drucke (einschließlich Mignes) dar. 71 MPL 126, 316 CD; Cod. Cus. 52, fol. 278vb (mit Randnotiz wie im Anhang Nr. 13). 72 MPL 126, 321 B-D; Cod. Cus. 52, fol. 279rb (mit Randnotiz wie im Anhang Nr. 16). 63
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chen Kontext steht zudem das Muster für das CC 178,12-16 teilweise wörtlich präsentierte Zitat der Bonifatius-Dekretale JK 362, die an Hilarius, nicht Rusticus von Narbonne gerichtet war, denn dieselbe Verwechslung unterlief bereits Hinkmar in seinem 10. Kapitel73. Damit dürfte auch der vorangestellte pauschale Hinweis auf Innozenz die von Hinkmar zuvor74 teils zitierten, teils paraphrasierten Dekretalen JK 286, 310, 303 (mit eingeschobenen, expliziten Erwähnungen von Sardica und Nicaea) meinen75. Der irrig inskribierten Bonifatius-Dekretale schließt sich ebenso wie bei Hinkmar76 in CC 179,1 f. der Verweis auf Coelestins JK 37177 an. Es folgt, weiterhin der Anordnung in Hinkmars Kapitel 10 entsprechend78, eine Leo-Reihe mit zwei Zitaten aus JK 483 (kürzer auch schon in MA 26,1-3) und je einem aus JK 495™ und JK 41l 80 , die sich über CC 179,2-17 erstrecken; in einem Falle (nulla est umquam ex: CC 179,7) ist auch eine hinkmarische Abwandlung des Leo-Textes übernommen81. Aus derselben Sequenz Hinkmars82 stammt mit identischer Inskription noch der Zitatanfang aus der GelasiusDekretale JK 636 in CC 179,18 f., bevor der Cusanus die Vorlage wechselt und zur Benutzung Gratians übergeht. Er kehrt zu Hinkmar zurück mit dem CC 179,24-29 wiedergegebenen Exzerpt aus dem unechten Brief des Hormisdas JK + 866 an Remigius von Reims, der überhaupt erst seit Hinkmar überliefert und ziemlich sicher von ihm gefälscht ist, und bietet den Wortlaut aus Opusc. LV capp. c.1083 gemäß den Lesarten der Kueser Handschrift84. Eine namentliche Hervorhebung findet der Reimser Erzbischof nach diesen stillschweigenden Anleihen noch einmal in CC 181,11 f., wo Nikolaus ohne nennenswerten wörtlichen Bezug auf dessen Darlegungen im 23. Kapitel85 über den 9. und den 17. Kanon von Chalcedon, den darin festgelegten Vorrang des Sitzes von Konstantinopel und Leos entgegnende Berufung auf Nicaea in JK 495 hinweist. Reminiszenzen an das 55-Kapitel-Werk verbergen sich schließlich auch in 'De concordantia catholica' 11,28 zum Problem der Vorrechte des Papstes gegenüber den Metropoliten. Hier erscheint CC 219,29-34 ein Zitat aus Leos JK 411, das in 73
MPL 126, 320 D - 321 A; Cod. Cus. 52, fol. 279ra-279rb (teilweise am Rand angestrichen). CC 219,4-18 wird dieselbe Dekretale nochmals angeführt, jedoch in größerem Textumfang und mit richtig bezeichnetem Empfanger, also aus anderer Vorlage. 74 MPL 126, 320 B-D; Cod. Cus. 52, fol. 279ra (mit Anstreichung am Rande). 75 Kallens Kommentar zu CC 178,11 nennt JK 294. 76 MPL 126, 321 A; Cod. Cus. 52, fol. 279rb (ohne Hervorhebung). 77 Nicht JK 369, wie in Kallens Kommentar zu CC 179,1 f. Nikolaus ließ in der Inskription Apuliam et beiseite. 78 MPL 126, 321 D - 322 C; Cod. Cus. 52, fol. 279rb (mit Anstreichung am Rande). 79 Der von Hinkmar mehrfach angeführte Brief ist hier offenbar mit den umgebenden Zitaten dem 10. Kapitel entlehnt, während CC 173,3 f. und CC 219,34-36 eher auf das 23. Kapitel zurückzufuhren ist (siehe dort). 80 JK 411 kehrt in größerem Umfang aus derselben Vorlage in CC 219,29-34 wieder (siehe unten). 81 In der von MPL 126, 322 A abweichenden Form des Cod. Cus. 52: nulla est usquam (zu umquam verb.), dann erneutes est über der Zeile. 82 MPL 126, 322 C; Cod. Cus. 52, fol. 279rb (mit Nota-Zeichen am Rande). 83 MPL 126, 323 A; Cod. Cus. 52, fol. 279rb-279va (teilweise am Rand angestrichen). 84 Dadurch bedingt sind folgende Abweichungen von Migne: CC 179,25 kein et hinter regulas; 26 quantum\ 28 praescriptum. Auch der letzte Halbsatz des Zitats (ubi - praesumere) dürfte nur deshalb fehlen, weil er im Cod. Cus. 52 ausgefallen ist. In Kallens Text wäre wegen der Übereinstimmung mit dieser Vorlage CC 179,25 diffinita/definita vorzuziehen. 85 MPL 126, 369 A - 370 B; Cod. Cus. 52, fol. 285rb (mit Nota-Zeichen und Randanstreichung am Beginn des Leo-Zitates, ferner die Randnotiz wie im Anhang Nr. 48).
NIKOLAUS VON KUES ALS LESER HINKMARS VON REIMS
349
Inskription und Abmessungen genau mit Hinkmars 10. Kapitel übereinstimmt86. Gleich anschließend wird CC 219,34-36 Leos Dekretale JK 495 herangezogen, die mit derselben Inskription, jedoch in wesentlich weiterem Umfang auch im 23. der 55 Kapitel begegnet87. Das Opusc. LV capp. (und nicht Hinkmars 'De iure metropolitanorum') ist ferner gemeint, wenn der Cusanus an einer etwas mißglückten Stelle in CC 220,3-6 den Reimser namentlich für die Feststellung in Anspruch nimmt: episcopus non debet papam sine consultu sui metropolitani adire, ut scribit Zosimus universis episcopis per Gallias in epistula quae incipit Placuit, ubi de commendaticiis loquitur. Dem liegt im Kern ein Zitat aus afrikanischem Kirchenrecht (Kanon 23 von Karthago nach der 'Collectio Hadriana') in der Umformung von Hinkmars 17. Kapitel zugrunde: episcopi trans mare proficisci non debent nisi consulto primae sedis episcopo suae cuiusque provinciae%%. Die Herleitung wird dadurch zur Gewißheit, daß Hinkmar sofort danach ein Zitat aus der Zosimus-Dekretale JK 328 mit Worten89 einleitet, die der Cusanus offenbar irrtümlich auf den voraufgegangenen Text bezogen hat. Alles in allem: Nikolaus von Kues hat seinen Codex mit der Schrift des älteren Hinkmar gegen den jüngeren - oder daraus abzuleitende Notizen - bei der Ausarbeitung von 'De concordantia catholica' an über 20 Stellen des ersten und vor allem des zweiten Buches zu Rate gezogen und jedenfalls unabhängig von der früheren Benutzung für 'De maioritate' ausgewertet. Gegenüber diesem Entwurf ist auch die Streubreite der Entlehnungen größer und erfaßt neben dem 10., 15., 16. und 23. zusätzlich die Praefatio sowie das 17. und 20. der 55 Kapitel, doch bleiben die Schwerpunkte des Interesses letztlich dieselben und sind bereits durch die Verteilung der Marginalien im Codex bezeichnet, von der des Cusanus Beschäftigung mit Hinkmar ihren Ausgang genommen hat. Wie in 'De maioritate' erwecken auch diesmal die nachweislichen Entsprechungen den Eindruck, daß er sich des 55-Kapitel-Werks in erster Linie stillschweigend als Fundgrube vorgeformten Zitatmaterials für bestimmte Detailthemen bediente90. Immerhin treten daneben in 'De concordantia catholica' einige deutlichere Reflexe auf Hinkmars eigene Gedanken zutage, die an den sechs Erwähnungen seines Namens ablesbar sind. Drei betreffen Zitationen ausgefallener Art, die ohne den Hinweis auf ihn kaum erklärlich gewesen wären, nämlich die Anfuhrung der Nikolaus nicht verfügbaren 'Libri Carolini' (CC 70,5), einen von Hinkmar spezifisch "fortentwickelten" Kanon von Nicaea (CC 63,2) sowie seine irrig mit Zosimus in Verbindung gebrachte Abwandlung eines afrikanischen Kanons (CC 220,3). Gar nichts mehr mit Zitaten Dritter haben die drei übrigen Nennungen zu tun, denn zweimal (CC 108,8; 177,9) beziehen sie sich auf Hinkmars gelehrten Exkurs über das Wort promulgare im 10. Kapitel und seine spitzfindigen Distinktionen von leges 86
MPL 126, 322 BC; Cod. Cus. 52, fol. 279rb (ohne Hervorhebung). Die in CC 219,31 vermerkte Textlücke bezeichnet lediglich einen ohne Sinnstörung vom Cusanus ausgelassenen Relativsatz innerhalb des Leo-Zitats bei Hinkmar. Der letzte Halbsatz (CC 219,33 f.) wurde bereits CC 179,16 f. zitiert. 87 MPL 126, 370 B; Cod. Cus. 52, fol. 285rb (mit Nota-Zeichen). In Kallens Kommentar zu CC 219,35 f. lies: MPL 54/1045. 88 MPL 126, 342 C; Cod. Cus. 52, fol. 281va - 281vb (ohne Hervorhebung). 89 Sanctus quoque Zosimus universis episcopis per Gallias et Septem provintias constitutis scripsit, quia (ebd.). 90 Jedenfalls zieht SIEBEN (Anm. 46) 79, einen voreiligen Schluß, wenn er meint, Nikolaus zitiere frühe Papstbriefe, die nicht bei Pseudoisidor vorkommen, aus "Originaltexten".
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promulgare, de legibus promulgare u.ä., was der Cusanus schon in seinen Marginalien als bemerkenswert herausgestellt hatte 91 . Außerdem fallt Hinkmars Name (CC 181,11), wo es um d i e - v o n Nikolaus ganz knapp resümierten - Erörterungen in seinem 23. Kapitel über das Verhältnis Papst Leos zum Chalcedonense geht. Gerade hier ist die Erwähnung wertvoll, weil Hinkmar andernfalls gar nicht so leicht als leitendes Vorbild auszumachen wäre. Wie man sieht, verschweigt ihn der Cusanus, wenn er ihm nichts als gängige Zitate früher Päpste und Synoden verdankt, und wo er sich gedanklich angeregt fühlt, nennt er ihn, zitiert ihn aber nicht im Wortlaut. Er behandelt Hinkmar von Reims also nicht wie eine patristische Autorität, sondern eher als einen Vorläufer seiner selbst im Bemühen um das rechte Verständnis der frühen Kirchengeschichte.
Anhang Randnotizen des Nikolaus von Kues zum Text von Hinkmars 55-Kapitel-Werk im Cod. Cus. 52 Cod.Cus. Wortlaut 52 fol. 275r (oben)
276ra (unten) 276va (seitl.) 277va (oben) 277 va (seitl.)
91
Bezug MPL 126
(Handweiser) De isto Hincmaro archiepiscopo Remorum habetur in suprascriptione XI q. Ili Excellentissimus, et dicit Nicolaus papa ibidem eum divine sanctitatis etc.91, et ad eundem scribit Nicolaus papa etiam 8 d. Mala conswetudo93 (Handweiser) Nota professionem episcopi et quod subscriptio operatur
vor der Capitulatio, Sp. 282 ff.
Notafìrmitatem canonum Nicenorum et ordinem et eminenciam apostolice sedis alias Nicena
c.5, Sp. 304D 5 ff.
Praefatio, Sp. 292D (Zitat Karthago c.13 Hadr.) Nota: Anthioceni canones explanant Nicenos c.2, Sp. 297B 8-10
c.5, Sp. 304D 5 (Korrektur der Lesart Antiocena im Cod. Cus.)
Siehe Anhang Nr. 13, 15. Gerade CC 108,8 nennt er Hinkmar subtilissimus\ C. 11 q. 3 c.102: quia docta divinitus sanctitas tua valde novit (aus JE 2800, MGH Epp. 6, 314 Z. 29 f.); vgl. aiich Cod. Cus. 52, fol. 228r (oben) zu Beginn einer Textfolge aus Schriften Bernolds von Konstanz (analysiert von HELLMANN, Anecdota [Anm. 4] 20; zuletzt C. MÄRTL, Aus dem Umkreis Bernolds von Konstanz, in: DA 46 (1990) 535 f.) den Eintrag: Higmarus archiepiscopus Remensis, de quo XI q. III Excellentissimus (dort kaum auch von Nikolaus, da ebenso in mehreren italienischen Handschriften seit dem 15. Jh. zu lesen; vgl. P. FOURNIER, Un tournant de l'histoire du droit 1060-1140, in: Nouvelle Revue historique de droit français et étranger 41 (1917) 176 f.; ND in: P. FOURNIER, Mélanges de droit canonique, t. 2, éd. par T. KÖLZER, Aalen 1983,420 f. 93 D. 8 c.3 (aus JE 2823, MGH Epp. 6,430 Z. 3-6). 92
NIKOLAUS VON KUES ALS LESER HINKMARS VON REIMS 6.
7. 8.
9. 10. 11. 12.
13. 14.
277va (seitl.) 277va (seitl.) 277vb (seitl.) 278rb (oben) 278rb (seitl.) 278va (seitl.) 278vb (seitl.) 278vb (seitl.) 279ra (seitl.)
15.
279ra (unten)
16.
279rb (seitl.) 279va (oben) 279va (seitl.) 279va (seitl.) 279va (seitl.) 279va (seitl.) 279va (seitl.) 279vb (seitl.) 279vb (unten) 280va (seitl.)
17. 18.
19. 20. 21. 22.
23. 24. 25.
26.
27,
280va (seitl.) 280va (seitl.)
(Handweiser) Nota bene istudde cc.vo.
c.5, Sp. 306A
Nota hec de cc.vo.
c.5, Sp. 306D307A c.5, Sp. 308C 12
Hic habes de Nicoiao papa Hic infra habetur, quid archiepiscopus iurisdictionis habeat in suffraganeum Nota sedem apostolicam, ante metropolitanum non esse consulendam Nota subscripcionem suffragami metropolitano Istud nota addito notato (mit Bezug auf eine Textergänzung am oberen Seitenrand) Quodpromulgare sit et unde dicatur Nota
Nota, quod canones et quod secundum canones promulgare etc., et decretalia secundum canones promulgata servari debent etc. Hic infra de firmitate canonum Nicenorum
c.6, Sp. 312A c.6, Sp. 313B 5 ff. c.9, Sp. 316A 2 c. 10, Sp. 316C (Zitat Leo JK 402) c. 10, Sp. 316D317A c.10, Sp. 318D (Zitat Augustin, De vera religione, CC 32, 225) c. 10, Sp. 320A 7 ff.
Augustinus
c.10, Sp. 321B 2 ff. c.10, Sp. 323B 6ff. c.10, Sp. 323C 15
Damasus
c.10, Sp. 324A 3
Leo
c.10, Sp. 324B 3
Gregorius
c.10, Sp. 324B 15
Gelasius
c.10, Sp. 324C 10
Dionisius
c.12, Sp. 325D 8
Laudes canonum
Hic habes de celesti et ecclesiastica jerarchia c.13, Sp. 326B327B Nota, quod Petrus partim a deo, partim ab c.15, Sp. 332C 8apostolis preficitur 10 (Zitat Ps.Anaklet JK +4 c.33) (Handweiser) De statuto Niceno c.15, Sp. 332D 2 ff. Quidprimates, quid metropolitani c.15, Sp. 333A 8 ff. (Zitat Ps.-Stephanl. JK+131 c.9)
352 28,
29
30. 31. 32. 33. 34. 35. 36. 37.
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280va (seitl.) 280va (seitl.) 280vb (seitl.) 280vb (seitl.) 28 Ira (seitl.) 281rb (seitl.) 281rb (seitl.) 281rb (seitl.) 28 Iva (seitl.) 28 Ivb (seitl.)
38.
282va (seitl.)
39.
283ra (unten) 283vb (seitl.)
40.
41. 42. 43. 44 45
283vb (unten) 284ra (seitl.) 284ra (unten) 284rb (seitl.) 284rb (seitl.)
Pelagius
c.15, Sp. 333C 7
Hic nota ordinem et graduacionem in causis
c.15, Sp. 333D 4 ff. (Zitat Ps.Pelagius II. JK+1051) c.16, Sp. 334D Quot et que sedes 4 ff. De reverenda canonum Nicenorum c.16, Sp. 336A 2 f. (Zitat Leo JK 495) Nota istud: Licet Allexandrina et Anthiocena c.16, Sp. 337C Petri sedem teneant, tarnen sub Roma esse 14 ff. cognoscunt etc. Ormisda papa c.16, Sp. 338C2 Nota de Adriano, et hic precessit Nicolaum, c.16, Sp. 339B quia Hincmarus fuit tempore Nicolai et Adri9 ff. ani, qui eum sequebatur Nota de cc.vo. c.16, Sp. 339C (Handweiser) c.17, Sp. 342A3 Statutum Nicenum c.17, Sp. 343B I ff. (Zitat Nicaea Nota, quod si unus universalis est, restat: c.4) alii non sunt episcopi c.17, Sp. 348D 12 f. (Zitat Gregor causa variacionis statutorum JE 1683) c.20, Sp. 353D ff. c.20, Sp. 358DNota 359B (u.a. Zitate Gregor JE 1747, Beda Chron. ad a. 4639) (Handweiser) Hoc volumen vidi J428 in Lau- c.20, Sp. 350A 15 f. duno in Biblioteca maioris ecclesie94 c.20, Sp. 361A Nota 3 ff. c.20, Sp. 361A Que universalia dicantur concilia 3 ff. c.20, Sp. 361D Quando concilium Nicenum II ff. Quomodo potestas ligandi et solvendi princi- c.20, Sp. 362A paliter Petro et ex conveniencia omnibus 10 ff. data sit c.21, Sp. 365AProbat pulchre XX tantum capitula concilii Niceni fuisse 366C
46
284vb (unten)
94
AC 1/1,23 Nr. 65.
NIKOLAUS VON KUES ALS LESER HINKMARS VON REIMS
47.
48.
353
Zosimus papa: Contra statuta patrum aliquid c.23 (allg.) condere vel mutare nec huius quidem sedis potest auctoritas. Apud nos enim inconvulsis radicibus vivit antiquitas, 25. q. I Contra95 Nota hic, que capitula Calcedonensis concila c.23, Sp. 369A non sunt per apostolicam sedem recepta 6 ff. Item quod nulla statuta contra Nicenos canones valent
53.
c.23, Sp. 369C 15 ff. (Zitat Leo JK 495) Item quod statuta, de quibus nichil apud c.23, Sp. 370B Niceam est diffinitum, potest [!] valere 10 f. (Zitat ebd.) Nota perpetuitatem canonum Nicenorum. Ad c.23, Sp. 371C papam pertinet execucio decretorum concilii 10 ff. (Zitat Leo JK 481) Nota istud capitulum, quod papa videtur esse c.24, Sp. 375C super concilium excepta materia fidei, ut ha- 2 ff. bes tali signo (5 Punkte) De conciliis apostolorum c.24, Sp. 376B 7 ff. De symbulo apostolorum c.24, Sp. 376C 10 ff. (Handweiser) De Sardicensi concilio c.24, Sp. 377B 2
54.
Nota
c.24, Sp. 382D
55.
(Handweiser) Nota totum
c.25 (allg.)
56.
Nota istud bene
57.
Nota
58.
(Handweiser) Nota bene istud
c.25, Sp. 388B3 89A (mehrere Zitate aus Augustin, De baptismo) c.25, Sp. 388C 1 f. c.25, Sp. 389B
59.
Nota
49. 50. 51. 52.
60.
61.
62.
63. 64. 95
Nota bene de ftrmitate canonum Istud nota bene (Handweiser) Nota, que in breviario canonum Affricanorum Nota (Handweiser) Quod canones a Roma firmitate promulgantur
c.32, Sp. 414C 10 ff. c.34, Sp. 418B 5 ff. (Zitat Gelasius JK 664) c.34, Sp. 419A 14 ff. (Zitat Gelasius JK 622) c.34, Sp. 420C 13 f. c.35, Sp. 427A 14 ff. c.36, Sp. 430C
JK 334, MGH Epp. 3, 11 Z. 28-31; die Quellenangabe bei FRIEDBERG I ist ltigen). Das Zitat kommt im 55-Kapitel-Werk selbst nicht vor.
354
65. 66.
67. 68. 69. 70. 71.
72.
96
RUDOLF SCHIEFFER
293vb (seitl.) 294ra (seitl.) 295va (seitl.) 295va (seitl.) 295va (seitl.) 299ra (seitl.) 299rb (seitl.)
301rb (seitl.)
Quecumque li (für ligaveris?) (Notai) quod scisma
(Handweiser) Nota differenciam ínter cánones et epístolas pape Bonifacius
c.36, Sp. 431A 11 f. c.36, Sp. 433C 10 f. (indirektes Zitat Isidor, Etym. 8,3,5)% c.43, Sp. 445A 10 c.43, Sp. 445C 5
Leo
c.43, Sp. 445D 1
(Handweiser)
c.47, Sp. 472A 2 ff. c.48, Sp. 473D474C (u.a. Zitate Leo JK 485; Gregor, Homil. in evang. 26; Augustin, De baptismo 2,5), am Rand durch Querstriche abgegrenzt c.51, Sp. 488A 12 ff. (Zitat Gregor JE 1272)
hic
Nota causam electorum
Zur Vermittlung an Hinkmar durch eine verlorene Vorlage vgl. R. SCHIEFFER, Eine übersehene Fiktion aus dem Dreikapitelstreit, in: ZKG 101 (1990) 80-87.
Nikolaus von Kues, Markos Eugenikos und die Nicht-Koinzidenz von Gegensätzen1 VON JAN-LOUIS VAN DIETEN "Nur dadurch, daß Widersprüche miteinander in Einklang gebracht werden, läßt sich die Macht unbegrenzt behaupten." (Orwell "1984") Zwei berühmte Männer, jeder eine Stütze seiner Kirche, und der Einspruch gegen das philosophische Leitmotiv des ersteren, was haben sie miteinander zu tun? Cusanus (so der Kürze halber), Abtrünniger des Basler Konzils, trug viel dazu bei, daß Papst Eugen IV. die Basler durch das Unionskonzil von Ferrara-Florenz (1438/39) ausbooten konnte, nahm aber selbst am letztgenannten Konzil nicht aktiv teil. Er wird hier zuerst genannt, weil von ihm und seinem Denken hauptsächlich die Rede sein soll. Markos Eugenikos, auf dem Unionskonzil Hauptsprecher der Orthodoxen, stellte in der Filioque-Diskussion seinen lateinischen Gegner Giovanni di Montenero vor ein unlösbares Dilemma, konnte aber dessen Glauben in die Irrtumslosigkeit Roms nicht erschüttern und der Türkengefahr wegen eine Scheinunion nicht verhindern. Mit seinem Angriff auf das Filioque soll Cusanus hier konfrontiert werden. Cusanus' These der coincidentia oppositorum in der Unendlichkeit Gottes inspirierte mich zu der Frage: Wäre in Florenz eine Aufhebung des kirchlichen Ost-West-Gegensatzes möglich gewesen, wenn kein gelernter Thomist wie Montenero, sondern ein selbständig denkender Mann wie Cusanus persönlich mit Eugenikos diskutiert hätte? Die Frage "Was wäre, wenn...?" mag einem Historiker unwürdig scheinen. Dem, der glaubt, der Mensch solle aus seiner Geschichte lernen, könnte die Antwort auf diese Frage zu ergründen helfen, wie die Gegensätze zwischen den Kirchen noch vor der Ewigkeit auszuräumen seien. Warum führte die Diskussion Eugenikos - Montenero zu keiner Einigung? Letztendlich, weil beide Seiten nicht sahen, daß nicht Christus, sondern die Väter der frühen Christenheit die Basis für ihre Streitfrage gelegt hatten, so daß man die Frage selbst als offenbarungsfremd hätte beseitigen können. Dazu fehlte aber nicht nur die geistige Freiheit, sondern auch die exegetische Kompetenz 2 . Man stritt wegen eines Dogmas, das auf der Basis griechischer Philosophie in die Bot1
Auf die Werke des Cusanus, aus denen ich wörtlich (lateinisch bzw. in eigener Übersetzung) oder dem Sinne nach zitiere, verweise ich mit folgenden Abkürzungen: a.d.i. = apologia doctae ignorantiae (1449), a.t. = de apice theoriae (1464, nach c.), c. = compendium (1464), d.i. = de docta ignorantia (1440), d.p. = trialogus de possest (1460), n.a. = directio speculantis sive de non aliud (1461), t.q. = tu quis es (de principio) (1459), v.s. = de venatione sapientiae (1462). Ich bringe diese Verweise in Klammern im Text und notiere dazu der Kürze halber außer der Sigle für das jeweilige Werk nur die Seite (nicht § und Zeile) der betreffenden Heidelberger Ausgabe (= h). - Anmerkung der Herausgeber: Die in diesem Beitrag besonders häufigen philosophischen und theologischen Termini wurden im Schriftbild nicht eigens abgesetzt. 2 Vgl. dazu J.-L. VAN DIETEN, Die Rolle der Bibel auf dem Konzil von Ferrara-Florenz, in: AHC 19 (1987) 392-398.
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schaft Jesu hineininterpretiert worden war und eine göttliche Natur in drei Hypostasen (Personen) lehrte. Beim philosophischen Wort genommen war das Tritheismus, aber man gab den Begriffen Natur und Hypostase einen transzendenten, d.h. das normale Verständnis übersteigenden Sinn und präsentierte eine Geheimformel, die ein unbegreifliches Geheimnis andeuten und scheinbaren Tritheismus und Monotheismus als kompatibel ausweisen sollte. Man versuchte begreiflich zu machen, daß es eine gottimmanente Trinität gäbe von drei verschiedenen, sich gegenseitig konstituierenden und nicht getrennt für sich existierenden Trägern einer gemeinsamen invariablen und nicht multiplizierbaren göttlichen "Natur1, der diese Träger gemeinsam die reale Existenz verleihen würden, an der sie einzeln teilhätten. Diese Trinität hatte man erschlossen aus dem Bild Gottes als dem Vater Jesu, dem Bild Jesu als dem Sohn Gottes und dem Bild des Geistes Gottes als dem göttlichen Atem. Man erklärte diese Bilder mit gottimmanenten Vorgängen, mit dem Prinzipsein des Vaters durch Zeugung eines Sohnes und Hervorbringung seines Geistes, dem ein Gezeugtwerden des Sohnes und ein Hervorgehen des Geistes entsprachen. Diesem Dogma liegen zwei Denkfehler zugrunde: die Verwendung eines abstrakten Begriffes "Natur Gottes' und die Annahme, auch diese müsse aus einem Prinzip (Ursprung) sein. Ich komme auf beides zurück3. Dies war das ursprüngliche, der östlichen und westlichen Christenheit gemeinsame Dogma. In der lateinischen Kirche aber wurde, um die Gleichheit des Sohnes mit dem Vater hervorzuheben, dem Sohn zugeschrieben, Mitprinzip des Geistes zu sein, und dies wurde im Credo festgeschrieben. Durch die Fixierung auf das Vater-Sohn-Verhältnis trennte man die Vaterschaft vom Prinzipsein und sah nur noch in der Vaterschaft das Eigene der 'Vater' genannten Hypostase. Die Ostkirche machte diese Fehlentwicklung nicht mit, und so entstand gegen 800 der Filioque-Streit, der 1438/39, zumindest dem Anschein nach, der Entscheidung eines ökumenischen Konzils vorgelegt wurde4. In der Konzilsdiskussion vom März 1439 legte Eugenikos den schon dargelegten Denkfehler der Lateiner offen. Ich fasse seine Argumentation zusammen: Wenn Ihr das Hervorgehen des Geistes als ein Hervorgehen aus der Vater-Hypostase versteht, muß das "und aus dem Sohn" auch so verstanden werden. Ein Hervorgehen aus zwei Hypostasen ist aber ein Hervorgehen aus zwei Ursprüngen (principia). Zwei Ursprünge in Gott leugnet Ihr aber auch selbst. Nehmt Ihr aber ein Hervorgehen aus der Natur des Vaters und also auch aus der Natur des Sohnes an, muß diese eine andere als die des Geistes sein; sonst könnte sie nicht dessen ursächliches Prinzip sein. Dann aber hat der Geist nicht die dem Vater und 3
Ich befasse mich also mit philosophischen Spekulationen, die Menschen aufgrund der Bilder, in denen Jesus über Gott und sich selbst gesprochen hat, angestellt haben, und bin gezwungen, dabei in einer Weise über Gott zu sprechen, die ich sonst für unangebracht halten würde. 4 Über Schein ging dieser Anschein nicht hinaus. Rom ließ die 'Griechen' zwar glauben, daß in Ferrara-Florenz auf einem ökumenischen Konzil nach orthodoxem Verständnis in bezug auf die wichtigen Streitfragen eine nicht präjudizielle Untersuchung und Entscheidung stattfinden würde, gab aber zu keiner Zeit die Auffassung preis, daß es in Wirklichkeit um eine 'reductio Graecorum' zum römischen Glauben und zum Gehorsam gegenüber Rom ging. Dazu ausführlich J.- L. VAN DIETEN, Der Streit in Byzanz um die Rezeption der Unio Florentina, in: Ostkirchliche Studien 39 (1990) 160-180, hier 161, 167-169. Das Konzil war außerdem lateinischerseits aufgrund der Entscheidungen des Konstanzer und des Basler Konzils illegitim und griechischerseits aus moralischer Sicht zu beanstanden, da man Basel gegenüber wortbrüchig geworden war; ebd. 176 Anm. 26.
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dem Sohn gemeinsame göttliche Natur. Ihr bekennt Euch aber auch zur Wesensgleichheit des Geistes5. Aus diesem Dilemma versuchte Montenero sich mit einem 'datur tertium' zu retten. Zur Natur Gottes würden vis generandi und potentia productiva gehören. Im Vater schließe die göttliche Natur beide ein, im Sohn nur noch die potentia productiva (da sonst der Sohn auch selbst zeugen würde! sie), und dem Geist werde die Natur nur mitgeteilt, sofern noch möglich, d.h. ohne vis generandi und potentia productiva. Da es in der göttlichen Natur nur eine potentia productiva gäbe und Vater und Sohn gemeinsam durch diese als prineipium quo den Geist hervorbrächten, täten sie dies als ein Prinzip. Dieser Interpretation stimmte Eugen IV. zu6. Zu solchen Absurditäten mußte Montenero seine Zuflucht nehmen, um wenigstens den Eindruck zu erwecken, er habe aus dem Dilemma herausgefunden. Er schreckte nicht davor zurück, allein dem Vater die "Natur' Gottes im absoluten Sinne, dem Sohn und dem Geist nur Abstufungen derselben zuzuschreiben, und er ersetzte den Begriff prineipium quod durch den des prineipium quo. Es ist klar, daß mit dem theologischen Rüstzeug Monteneros dem Dilemma, entweder zwei principia in Gott oder keine Wesensgleichheit des Geistes anzunehmen, nicht zu entrinnen war. Sein letztes Wort war denn auch nicht theologisch, sondern ein Bekenntnis, daß nicht sein kann, was nicht sein darf: "Einziges Fundament für alle Kirchen ... ist die römische ..., und darum erkennt ihr Glauben keine zwei principia ..., sondern nur ein Prinzip"7. Was ergibt sich aus dieser Bestandsaufnahme für unsere Frage: 'Was wäre, wenn Cusanus ...'? Für ein besseres Ergebnis der Diskussion hätte sein Denken folgende Kriterien erfüllen müssen: 1. Verzicht auf jede Bezeichnung Gottes mittels eines abstrakten Begriffes; 2. Verzicht auf den Versuch, Gott aus Gott zu erklären; 3. Vermeidung des Begriffs Hypostase; 4. Ablehnung jedes Trinitätskonzepts, worin es eine Gemeinsamkeit von zwei gegen eins gibt; 5. Bereitschaft, die römische Unfehlbarkeit zur Diskussion zu stellen. Ich werde Cusanus als imaginären Gesprächspartner des Eugenikos nicht auf das Stadium seines Denkens festlegen, das er erreicht hatte, als im März 1439 die Diskussion stattfand, sondern ihm zutrauen, daß er in einem so wichtigen Dialog seine ganze weitere Entwicklung vorweggenommen hätte. Am Anfang dieses Denkens steht die 'Erleuchtung', die er auf dem Rückweg von Konstantinopel nach Italien (27. November 1437 - 8. Februar 1438), also mehr als ein Jahr vor dem Disput, hatte. Darüber schreibt er seinem Freund Cesarini: "Nehme entgegen ..., was ich seit langem auf dem Wege unterschiedlicher Lehren zu erreichen ver5
Vgl. CF1 Ser. B. Quae supersunt Actorum Graecorum Concilii Florentini (= AG) Pars II, vol. V/2, ed. J. GILL, Rom 1953, 260,18-25; 287,27 - 288,5; 292,16 - 22; 293,15-19; 351,1-9. 6 Monteneros 'Lösung' des Dilemmas ist mühsam aus seinem Diskussionsanteil zusammenzustellen. Eine einigermaßen systematische Darstellung seiner Interpretation des Dreifaltigkeitsdogmas trug er erst auf der vorletzten Florentiner Sitzung vor (AG 395,10 - 396,15), zu der sein Kontrahent Eugenikos nicht mehr erschienen war, weil man auf weiteres Diskutieren verzichtete (ebd. 394,1-9). Zu obiger Zusammenfassung siehe außerdem AG 260,26-34; 261,11-17; 266,19 -267,9; 268,1-14; 283,4-26; 288,10 - 291,13; 293,6-14, 20-26; 294,27 - 295,6. Ausführlich habe ich diese Diskussion behandelt in einem Vortrag "Die theologische Diskussion in Florenz" (vor einem Symposion der Societas internationalis historiae conciliorum investigandae in Prato am 19.4.1990), der noch der Veröffentlichung harrt. Zur Zustimmung des Papstes zur Filioque-Verteidigung Monteneros siehe AG 469,34 - 470,4, wo berichtet wird, daß Eugen IV. eine Verurteilung und Bestrafung des Eugenikos verlangte quia scimus ipsum in disputationibus haesisse nec potuisse respondere ad ea quae frater Ioannes ex eo quaerebat. 7 AG 390,1-15 (verkürzt).
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langte, aber vorher nicht konnte, bis ich auf dem Rückweg aus dem Land der Griechen, durch ein Geschenk des Vaters der Lichter ... soweit gekommen bin, daß ich Unbegreifliches auf unbegreifliche Weise in unterrichteter Unwissenheit verstand durch Übersteigung der vergänglichen Wahrheiten, die ein Mensch kennen kann" (d.i. 163; vgl. a.d.i. 12). Als roter Faden fuhren durch sein Denken die docta ignorantia, worüber er sein aus dieser Erleuchtung heraus verfaßtes Werk dieses Namens schrieb, und das Schlüsselwort dieses Werkes, das Axioma der Koinzidenz der Gegensätze. Zu beidem ist vorab etwas zu sagen. Ignoranz läuft nicht herum, dafür tun es aber ihre Träger; jene, die keine Fragen stellen, da sie alles schon wissen. Solche Leute versuchte Sokrates mit Fragen zu heilen, die zeigten, daß hinter jeder Frage eine Reihe von weiteren steht, deren letzte man nicht lösen kann, so daß man im Grunde gar nichts weiß. Er schloß daraus für sich selbst: "Ich weiß, daß ich nichts weiß" (vgl. d.i. 6; a.d.i. 2); eine formal-logisch widersprüchliche Aussage, die, weil nicht die nackten Worte den Sinn eines Satzes bestimmen, von niemandem mißverstanden wird und gerade als paradoxer Aphorismus Geschichte gemacht hat. Paradoxe leben von Mehrdeutigkeit, die durch den Kontext, wozu das ganze Umfeld der Aussage gehört, aufgehoben wird. Das Paradoxon des Sokrates wurde im Ausdruck 'docta ignorantia' zum Oxymoron verdichtet und ist als solches so wenig beim Wort zu nehmen, wie etwa 'beredtes Schweigen'. Oxymora sind bekanntlich beliebt bei barocken Rednern, Mystikern und allen, die Gegensätze zu vereinen versuchen. Beim Erfinder der coincidentia oppositorum sprudeln Paradoxa und Oxymora nur allzu reichlich. Als Sünde gegen die altgriechische Weisheit "von nichts zuviel" wäre das nur ein Stilfehler, aber Cusanus mißbraucht sie, um aus Unwissen den Anfang höherer Erkenntnis zu machen. Für Sokrates verdeckte vermeintliches Wissen Scheinwissen, und Belehrung entlarvte es als echtes Unwissen. Cusanus' Unwissenheit lernt durch Belehrung, sich selbst als Anfang höheren Wissens zu sehen. Sie verleugnet das von ihm selbst anerkannte Axioma infinitum ut infinitum, cum omnem proportionem aufugiat, ignotum est (d.i. 6) und wird zum selbstbewußten mystischen Wissen von Gott. Der Humanismus leitete den Bruch der Verlobung von Glauben und Wissen ein. Cusanus' Bewußtwerden der menschlichen Unwissenheit in bezug auf Gott hätte für ihn den Bruch dieser Verlobung vollenden müssen, doch für den Schritt weg von einem Glauben, der der Rückendeckung vermeintlicher eigener Gotteserkenntnis bedarf, hin zum Glauben aus praktischer Vernunft ("zu wem sollen wir gehen?" Joh 6,68) waren er und seine Zeit nicht reif. Kant hat später diesen großen Schritt für die Menschheit getan. Cusanus hielt noch fest am scheinbar von Paulus (Rom 1,20) verbürgten Vernunftwissen, die Schöpfung offenbare den Schöpfer, und versuchte, die Granitsäule der Glaubwürdigkeit Jesu mit dem Schilfrohr eigener mystischer Erfahrung abzustützen. Er führte dazu eine Übervernunft ein, die dort, wo der dem Menschen eigene Verstand ihn im Stich läßt, weiter sieht. Da er die Dualität von 'ist' und 'ist nicht' als Basis unseres Wissens anerkannte (z.B. d.i. 11; a.d.i. 14), andererseits aber auf das von Parmenides erfundene wahre Sein fixiert war und die Beständigkeit der Bewegung (das Continuum) nicht als das Sein des Nichtseienden erkannte, dachte er sich Gottes Wesen als reinen Widerspruch zu seinem Werk, als eine dem mathematischen Punkt gleichende, in sich ruhende allereinfachste Einheit, die aus sich Bewegung und Vielfältigkeit entfalte (a.d.i. 15; vgl. de mente 78). Um diesen Gott nicht leugnen zu müssen, flüchtete er in Oxy-
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mora, deren Widersprüchlichkeit nicht vom Kontext, sondern durch eine Überführung des Widerspruchs ins Unendliche aufgehoben wird, was nur der sogenannte intellectus videns nachzuvollziehen vermag (a.d.i. 28). Das Unbegreifliche wird in einem irrationalen Begreifen begriffen, das Unsagbare in einem jedes Verstehen übersteigenden Sinn gesagt (vgl. d.i. 8). Wortgebrauch wird willkürlich festgelegt (d.i. 11). Widerspruch wird mit der Arroganz des Mystikers, der vom hohen Turm der docta ignorantia über das Wissen der Denkenden urteilt (a.d.i. 16), abgelehnt (a.d.i. 6-8). Wer nicht begreift, hat das dazu erforderliche Gottesgeschenk der Erleuchtung (ebd. 12 f., 20) nicht bekommen. Nicht wahr war für Cusanus, was nicht wahr sein durfte, nämlich, daß keine Theorie Gott wahr machen kann. Unbefriedigtes Verlangen darf es für ihn nicht geben (d.i. 1). Der Mensch verlangt aber, das Unbekannte und Unbegreifliche zu kennen, und kennt es daher auch: "Sprechen über das Eine (= Gott) kann man nicht, da es undefinierbar ist. Darum sagte Plato, daß etwas bejahen oder verneinen in bezug auf das Eine beides lügen sei. Das Eine ist für jedes Sinnesorgan, jeden Verstand, jede Vermutung, jedes Wissen und jede Namensgebung ungreifbar ... Gott aber nennen wir das Eine, das besser ist als alles, was man denken kann ..., und das von allen begehrt wird. Wir nennen Gott nicht das Eine, als ob wir es kennen würden, aber weil das Eine begehrenswert ist vor aller Erkenntnis. Es gibt also kein Erfassen Gottes in dem Sinne, daß er zu den erkennbaren Dingen gehören würde, denen man einen Namen geben könnte, aber unser Verstand, der das Unbekannte begehrt und nicht in Erfahrung bringen kann, gibt ihm den Namen des Einen und ahnt gewissermaßen seine Subsistenz (sein für sich Existieren) aufgrund des nie versiegenden Begehrens aller nach dem Einen" (t.q. 38 f.). So macht Cusanus sich von Gott einen Begriff wie vom Einen, auch wenn nicht einmal "Eines" echt von Gott gesagt werden kann (ebd. 37). Vor irrationalem Wissen versagt jeder Widerspruch. Nun zur coincidentia oppositorum, für Cusanus' Widersacher Wenck venenum erroris et perfidiae (siehe a.d.i. 28), für ihn selbst initium ascensus in mysticam theologiam (ebd. 6). Ich will hier nicht stillstehen beim unglücklichen OppositaBeispiel Größtes/Kleinstes (für groß/nicht groß) (d.i. 10 f.) noch bei der cusanischen Ansicht 'je größer, je besser' ohne Rücksicht auf unterschiedliche Größennormen, z.B. für Elefanten und Megabitchips. Die Crux ist, daß Cusanus Abwesenheit als Koinzidenz darstellt. Für ihn fallen Polygon und Kreis im Unendlichen in der Weise zusammen, daß das Polygon nach vergeblicher unendlicher Vermehrung der zu verbindenden Punkte sich in Identität mit dem Kreis auflöst (d.i. 9: polygonia ... circulo numquam efficitur aequalis, etiam si angulos in inflnitum multiplicaverit, nisi in identitatem cum circulo se resolvat). In einem Polygon werden Punkte durch gerade Linien verbunden, die die kürzestmöglichen sind. Auch eine potentiell unendliche Zahl davon ergibt nie eine krumme Linie, wie sie der Kreis erfordert, so wie man sich nie in Bewegung setzen kann, indem man sich unendliche Male nicht bewegt. Wesen und Form des Endlichen ist seine Endlichkeit und das, worin diese besteht, bestimmt seine Vollkommenheit. Die vollkommene Gerade ist die kürzeste Linie von Punkt zu Punkt; jede Abweichung vom geraden Fluß der Linie zerstört ihr Wesen. Der vollkommene Kreis verbindet auf dem kürzesten Wege Punkte, die gleich weit von einem bestimmten Mittelpunkt entfernt sind, und jede Abweichung vom Fluß der gekrümmten Linie zerstört sein Wesen. Nichts fällt deshalb im Unendlichen
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zusammen. Cusanus präzisiert zwar, daß der Begriff Gott nach Möglichkeit in seiner Einfachheit alle contradictoria in dem Sinne umfassen müsse, daß er über ihnen stehe und ihnen vorausgehe (ipsa antecedenter preveniendo, d.i. 38), aber das Darüberstehen und Vorausgehen besteht für ihn eben darin, daß das Absolute alles Gegensätzliche, aufgelöst in seiner Einheit, in sich enthält, so daß man vom Absoluten scheinbar sinnvoll Gegensätzliches behaupten kann (d.i. 17), mithin Gott das bestimmteste Unbestimmte, das konkreteste Abstraktum, das einzigartigste Allgemeine sei (a.d.i. 9 f.). Erkennbar ist für unseren Verstand nur, daß Gegensätzlichkeit ihre Basis in Relativität hat (in der Zweckgebundenheit aller Teile im Ganzen) und nur auf dieser Basis existieren kann. Was es außerhalb der Relativität nicht gibt, kann dort in nichts enthalten sein, und dem kann dort auch nichts vorausgehen. Daß Relativität Absolutes voraussetzt, ist genau das, was zu beweisen wäre. Abschließend will ich nicht verhehlen, daß ich jeder 'Erleuchtung', auch jeder eigenen, mißtraue, besonders jeder, die ein Geschenk Gottes sein soll, und vollends einer solchen, die dem Erleuchteten angeblich ein Verstehen, Sehen, Sichten oder geistiges Umarmen des Unbegreiflichen beschert, worüber dieser einem anderen nichts Verständliches mitteilen kann, sondern nur in der Widersprüchlichkeit rhetorischer Paradoxe zu reden vermag. Mag sein, daß Cusanus, der sich, wie man sich das vorstellt, 1437/38 zum ersten Mal auf einem kleinen Schiff in einem von keiner sichtbaren Küste eingeengten Meer unter dem endlos weiten und tiefen Nachthimmel befand, in ungekanntem Maße vor der schöpferischen Größe Gottes seine eigene Nichtigkeit erkannte und aus ererbter Glaubenssicherheit heraus in dieser Erfahrung ein fast sinnliches Gewahrwerden der Größe Gottes zu erkennen geglaubt hat. Wer sich wie ein Kierkegaard oder Dostojewski gleichermaßen dem Problem des Elends und des Bösen in der Welt stellt, dem Cusanus nur wenig Aufmerksamkeit widmet {carent hypostasi... talia, a.t. 136), und wessen Ideale nicht absolut Größtes und absolutes Können, sondern eher Güte und Liebe sind, traut solchen gefühlsbedingten Erfahrungen weniger als dem nüchternen Verstand. Wenn der Erleuchtete den Skeptiker auch noch glauben machen will, daß, wer die Aussagekraft seiner in widersinnigen Oxymora sprechenden Sprachlosigkeit nicht anerkennt, nicht verdiene, daß man die Perle der Mystik den Schweinen zum Fraß vorwirft (a.d.i. 5), kann man daraus nur schließen, daß die Kluft zwischen Denkern und Mystikern unüberbrückbar ist. Wer außer Skeptiker auch Christ ist, darf sich zudem in der angedeuteten Gesellschaft wohlfühlen (Mt 9,10 f.; Lk 18,13). Es stellt sich nun zu den Grundlagen des cusanischen Denkens die Frage, ob dieses sich gut oder schlecht auf die Filioque-Diskussion ausgewirkt hätte. Eugenikos war kein so selbständiger Denker wie Cusanus. Seine Vorurteile waren die Unantastbarkeit der Dogmen der Väter und sein Gottesverständnis war das des Gregorios Palamas (1296/97-1359). Dieser hatte ursprünglich eine mystische Schau Gottes mit den Augen des Körpers gelehrt, diese aber gegen die traditionelle Lehre der Unzugänglichkeit des Wesens Gottes nicht aufrechterhalten können. Er milderte daraufhin seine Lehre dahingehend ab, daß man nicht das Wesen Gottes sehe, sondern sein davon realiter unterschiedenes Wirken, das auch Gott sei und sich in unendlich vielen Wirkungen (energeiai) offenbare. Sein Ausgangspunkt war eine der buddhistischen ähnliche Meditationsmethode gewesen, von der man glaubte, daß sie zu mystischer Vision führen würde. In dieser Praxis
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war Palamas ein anerkannter Meister und er ließ sie denn auch nicht in Frage stellen. Mit Hilfe der nicht nur geistigen Macht der Athosmönche und unter Ausnutzung einer politischen Konstellation in Byzanz hatte er seine Lehre 1351 durch die Kirche kanonisieren lassen8. Ihr wurde danach fast nur noch von sogenannten Latinisierern widersprochen, vor allem von zum Katholizismus konvertierten Byzantinern, die sich der thomistischen Theologie verschrieben hatten9. Eugenikos dürfte als Palamit gegen den mystischen Hintergrund der cusanischen Theologie wenig einzuwenden gehabt haben. Auch ihm galt Gott als in seinem Wesen dem menschlichen Erkenntnisvermögen unzugänglich; in allem Erschaffenen aber sah er Gott am Werke, so wie Cusanus in allen Dingen Gott als ihr eigentliches Wesen (quiditas) und ihre eigentliche Wirklichkeit (hypostasis) sah und das weniger mit der reinen Vernunft als durch mystische Erleuchtung. Und wie Cusanus nicht erklärt, auf welche Weise die in jeder Hinsicht undefinierbare und unentfaltete Urwirklichkeit 'Gott' sich in determinierten Erscheinungen entfalte, so hatte der Palamit Eugenikos keine Antwort auf die Frage, in welcher Weise Wesen und Wirken Gottes eine Einheit bildeten10. Beider Theologie lebte vom gleichen apriori, von der Erleuchtung durch den, dessen Existenz als bewiesen bzw. einleuchtend ohne Nachweis vorausgesetzt wurde. In dieser Hinsicht war keiner dem anderen in kritischem Denken voraus und so gegen Spekulieren über Gott gefeit 11 . Über die Terminologie, wie man das Sichoffenbaren Gottes im Erschaffenen sehen und bezeichnen sollte, hätte man sich vielleicht einigen können, aber die Grundthese des Palamismus, die realis distinctio von Wesen und Wirken Gottes, war mit der lateinischen Theologie unvereinbar, und Cusanus
8 Für eine ausfuhrlichere, kritische Stellungnahme zum Palamismus siehe J.-L. VAN DLETEN, in: Nikephoros Gregoras, Rhomäische Geschichte IV. Übers, und erl. von J.-L. VAN DIETEN (Bibliothek der Griechischen Literatur [=BGL]), erscheint Stuttgart 1993, Einl. § II. 9 Namentlich zu nennen sind die Brüder Demetrios und Prochoros Kydones (zu Demetrios siehe F. TINNEFELD, in: Demetrios Kydones, Briefe 1.1 [BGL 12] Stuttgart 1981, Einl. 4-74; zu Prochoros ebd., Exkurs 237-244). Die wichtigsten byzantinischen Gegner waren vor 1351 Gregorios Akindynos (zu ihm: A. CONSTANTINIDIS HERO, Letters of Gregory Akindynos [Corpus Fontium Historiae Byzantinae 21] Dumbarton Oaks 1983, Einl.), vor und nach 1351 Nikephoros Gregoras (zu ihm: VAN DIETEN [Anm. 8]) und danach Johannes Kyparissiotes (zu ihm: Prosopographisches Lexikon der Palaiologenzeit [Österr. Akad. der Wiss., Veröff. der Kommission für Byzantinistik 1/6] Wien 1983, nr. 13900). 10 Für Eugenikos' Bekenntnis zum Palamismus siehe vor allem sein Opusculum 'Syllogistische Kapitel gegen die Häresie des Akindynos über die Unterscheidung von Gottes Wesen und Wirken', hg. in: W. GASS, Die Mystik des Nikolaus Cabasilas vom Leben in Christo, Leipzig 1899, Appendix secundus 217-232. 11 Wer Cusanus zugute halten möchte, daß er eines Gottesbeweises nicht zu bedürfen glaubte und, die Existenz Gottes voraussetzend, nach dessen Wesen fragte (so z.B. P. WLLPERT, in: Nikolaus von Cues, Vom Nichtanderen [Schriften des Nikolaus von Cues 12] Hamburg 1952, VIII f.), sollte zuerst zeigen, daß es möglich sei, in bezug auf 'Gott' die Frage nach 'Existenz' und 'Wesen' zu trennen. Wer kann beweisen, daß etwas ist, ohne zu wissen, was es ist, oder zeigen, wie etwas ist, ohne zu wissen, ob es überhaupt ist? Selbstverständlich muß man dabei auf der gleichen Erkenntnisebene bleiben und nicht die Existenz der Offenbarung entnehmen und dann philosophisch Spekulationen anstellen, die von der Offenbarung nicht gedeckt werden. Der Name Gott hat in der Geschichte der Menschheit für so vieles gestanden, daß jeder, der von Gott spricht, erst einmal sagen sollte, wie er zu seiner Erkenntnis gekommen ist und was er genau unter Gott versteht. Er wird dann bald feststellen, daß die Frage nach Wesen und Existenz 'Gottes' eine und dieselbe ist. Man kann versuchen, sich mit angeblicher mystischer Schau über das Ausmaß der menschlichen Unwissenheit hinwegzusetzen, soll aber nicht, wie Cusanus, für erkanntes Unwissen ausgeben, was in Wirklichkeit Leugnung des Unwissens ist, weil man mit dem Unwissen nicht leben zu können glaubt.
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hätte sich darauf ganz gewiß nicht eingelassen. Er geht im Leugnen jeder alteritas ('Andersheit', Unterschiedlichkeit) in Gott so weit, daß er sogar den Unterschied der Hypostasen in Gott nicht ernstzunehmen scheint (siehe unten). Dieser Punkt wurde jedoch in Florenz byzantinischerseits absichtlich aus dem Spiel gelassen. Montenero versuchte einmal, seinen Diskussionspartner zu einer palamitischen Stellungnahme zu veranlassen; dieser aber zögerte, und der Kaiser persönlich wies die darauf abzielende Frage sofort als nicht zur Sache zurück, da er das Unionsgespräch nicht mit einer zusätzlichen Streitfrage belasten wollte 12 . Nun zu unserer Frage, was Cusanus dem Filioque-Dilemma des Eugenikos hätte entgegensetzen oder sonst zur Beseitigung der Streitfrage hätte beitragen können. Betrachten wir zuerst sein Gottesverständnis. Er hat wiederholt versucht, Gott, den er als primum principium oder als die eigentliche 'Washeit' (quiditas) aller Dinge suchte (c. 33; a.t. 119; cuncti primum principium Deum appellant, n.a. 5)13, 'annähernd' zu definieren. Er benutzte dazu nichtabsolute allgemeine Begriffe, deren Inhalt er ins Absolute überführte, so daß aus dem Universale ein existenzfähiges Singulare wurde, das er als aus sich, wie aus einem Prinzip, existierend interpretierte. Vier 'Namen' hat er so vorgeschlagen: Maximum absolutum (d.i., 1440), Possest (d.p., 1460; vgl. v.s. 13, 1462), Non-aliud (n.a., 1461; vgl. v.s. 14, 1462), Posse ipsum (c., 1464; vgl. a.t. 4 ff., 1464). Keine dieser Bezeichnungen steht für etwas für sich Bestehendes, sondern alle verselbständigen irgendeine Beschaffenheit. Mir scheint, daß Cusanus sich durch die Entpersonifizierung des Gottes der Philosophen die Möglichkeit einer Dreifaltigkeitsinterpretation des jeweiligen Begriffes offenhalten wollte. Daß die "Neutralisierung' etwas mit Entpatriarchalisierung zu tun haben könnte, halte ich für ausgeschlossen, auch wenn Cusanus sich durchaus bewußt gewesen sein mag, daß sein primum principium nur geschlechtsneutral definiert werden könne. In allen Menschen sieht er aber non nisi paternum posse primi parentis (a.t. 121). Cusanus selbst fand jeden neuen von ihm ermittelten Namen immer besser als den früheren. 'Possest' hält er für dei satis propinquum nomen secundum humanum de eo conceptum (d.p. 18), zu 'non aliud' meint er (nomen) praecisius utique Ii 'non aliud' non occurrit, licet non sit nomen Dei (n.a. 6), und posse ipsum ist für ihn longe aptius ... quam possest aut aliud quodcumque vocabulum, und einen klareren, wahreren und einfacheren Namen könne man Gott wohl nicht geben (a.t. 120). Ich muß mich deshalb nicht mit allen vier Namen ausführlich befassen. Zum ersten und dritten Namen 'absolut Größtes' und 'Nichtanderes' werde ich nur ein paar Bemerkungen machen; ausführlicher beschäftige ich mich mit dem zweiten Namen, aus dem der vierte hervorgegangen ist, und den vierten werde ich vor allem in seiner trinitarischen Interpretation betrachten. Zu 'absolut Größtes': 'Groß' deutet im eigentlichen Sinne räumliche Ausdehnung an, die eine Norm oder ein Vergleichsobjekt mehr oder weniger übertrifft; 'nicht groß' ist das, was darunter bleibt. Basis des Begriffes ist Vergleichbarkeit, die Meßbarkeit voraussetzt. Das trifft auch für groß/ nicht groß in übertragenem Sinne zu, wie bei Menge, Zahl, Elend, Liebe usw. Transponierung ins Absolute
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AG 346, 2-20. Vgl. E. CRANZ, The Late Works of Nicholas of Cusa, in: Nicholas of Cusa in Search of God and Wisdom. Essays in Honor of Morimichi Watanabe by the American Cusanus Society, ed. by G. CHRISTIANSON/ T. M. IZBICKI, Leiden u.a. 1991, 141-160, hierbes. 141 f. 13
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ist unmöglich, da dort die Begriffsbasis, die Vergleichbarkeit, fehlt. Es hilft nicht, die quantitative Bedeutung beiseite zu schieben und nur noch den Superlativ sehen zu wollen (d.i. 10). Jeder Superlativ beruht auf Vergleich, ob mit Realem, Denkbarem oder Möglichem, und verliert seinen Sinn, wenn die Vergleichsmöglichkeit wegfällt. Auch 'allesübertreffend' reicht nicht weiter als alles, was wir kennen oder für möglich halten, und auch das bietet keine Basis für eine Aussage über etwas, das so unvergleichlich ist, daß es nicht einmal als 'anders' bezeichnet werden kann (n.a.). Selbst wenn man bei groß wie bei Zahlen von potentieller Unendlichkeit reden kann, eine solche kommt für Gott nicht in Frage. Eine real existierende unendliche Größe ist ein Widerspruch in sich, da der Begriff groß für die Endlichkeit des Endlichen geprägt ist und meßbares Unermeßliches für niemanden einen Sinn ergibt. So hält man am Ende nicht mehr in der Hand, als was jeder 'positive' Theologe lehrt: Alles was ist, spiegelt Gott, aber ist, analog gesprochen, verglichen mit ihm, so unecht und tot, wie ein Spiegelbild verglichen mit einem lebendigen Menschen, der in seinem Spiegelbild sich selbst erkennt, ohne daß dieses von sich aus ihn je sehen könnte. Zu 'non aliud': aliud heißt als Substantiv 'das andere (von mehreren Gegenständen)' als Adjektiv 'anders (beschaffen)'. 'Anders' setzt ein bestimmtes 'so' voraus, womit es genügend gemeinsam hat, um von einem anderen 'so' als das des Vergleichsobjekts sprechen zu können. Die eigentliche Bedeutung von 'non aliud' ist demnach 'nicht nicht so', also 'gleich', entweder in einer bestimmten Hinsicht oder im Sinne von Identität. Cusanus gibt aber 'non aliud' einen völlig anderen, vom normalen Sprachgebrauch abweichenden Sinn und deutet es als 'kein anderes so, weil es kein vergleichbares so gibt'. Wir haben es bei diesem Namen also nicht mit dem uns verständlichen Begriff aliud zu tun, sondern mit einem aliud, das Vergleichbares nicht voraussetzt, sondern ausschließt, mit einem aliud, das für uns seinen Sinn verloren hat, so daß es wohl einfacher wäre, gleich von unvergleichlich zu reden. Der Grund, weshalb Cusanus auf non aliud verfiel, dürfte sein, daß 'das Unvergleichliche' ihm zu negativ erschien. Seine auf der Beseitigung des principium contradictionis und der ratio basierte docta ignorantia soll Unwissen in höheres Wissen verwandeln. Non aliud enthält, wenn auch verdeckt, eine doppelte Negation ('nicht nicht so') und wirkt dadurch positiv. Man versteht: "Nicht einfach anders, sondern in höherem Sinne anders' und in diesem Sinne nicht ganz und gar unaussprechlich, sondern irgendwie (als 'non aliud') definierbar. So ist denn das Nichtandere um nichts besser als das modernere 'der absolut Andere', das ehrlicher das Versagen unseres Denkens ausdrückt und vor sinnlosen Spekulationen bewahrt. Zu 'possest': Cusanus lehrt uns: "Daraus, daß alles Existierende sein kann, was es wirklich ist, erblicken wir die absolute Wirklichkeit, durch welche die Dinge, die wirklich sind, das sind, was sie sind; so wie wir, wenn wir mit dem sichtbaren Auge weiße Sachen sehen, geistig die Weißheit sehen, ohne die Weißes nicht weiß wäre" (d.p. 6 f.). Cusanus manipuliert auf merkwürdige Weise den Begriff 'können'. Können, z.B. können werden oder sein, bezeichnet einen Tatbestand, der ein nicht verwirklichtes Werden oder Sein voraussetzt, während wirkliches Werden oder Sein bezüglich des hic et nunc Werdenden oder Seienden den Tatbestand des Könnens zunichte macht bzw. gemacht hat. Wirkliches Werden/ Sein und wirkliches Können-werden/sein dürfen nicht hier und jetzt zugleich vom Gleichen gesagt werden. (Daß es in unserer Wirklichkeit immer um Werden und
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nie um parmenidisches Sein geht, lasse ich hier weiter außer acht.) Posse (= können = vermögen = imstande sein) besagt, daß ein Subjekt eine Beschaffenheit aufweist, die es befähigt, etwas Bestimmtes zu realisieren. Posse fieri heißt möglich sein, verwirklicht werden können und besagt, daß für die Ausübung des posse facere die erforderliche Voraussetzung erfüllt ist. Auch wenn ich lesen kann, kann ich kein Buch lesen, das mir nicht zugänglich ist. Alle nichtabsoluten Subjekte, d.h. alle, die wir kennen, können nichts, wenn nicht in ihnen das posse facere und unabhängig davon auch das posse fieri gegeben ist. Das tatsächliche Verwirklichen einer konkreten Möglichkeit aufgrund eines hier und jetzt real vorhandenen Könnens ist immer etwas Einmaliges, so daß die Wirklichkeit einer Sache oder eines Tatbestandes immer das ihr/ihm zugrundeliegende posse (facere und fieri) als fortbestehend ausschließt. Nicht einmal Gott kann ein Geschöpf erschaffen, das zugleich schon erschaffen und noch zu erschaffen wäre. In unserer Welt gilt die Regel, daß erschaffene Gegensätze nicht zusammenfallen können. Können und gemacht werden können, setzen sich auch nicht um in die Realität, die aus ihnen hervorgeht, noch reichen sie allein aus, diese zu erklären. Ich kann eine bestimmte Seite aus dem cusanischen Œuvre, wenn nötig, mehrmals lesen, ich kann sie aber nur einmal zum ersten Mal lesen, und nur solches konkretes Können kann zur konkreten Realität werden. Wäre es anders, würde alles seine Einmaligkeit und damit seine Existenzberechtigung verlieren. Alles Existierende ist nicht das, was es sein kann, sondern das, was es werden konnte, als es noch nicht war. Aus dieser Richtigstellung wird klar, daß nur die Rede ist vom Existierenden, das sein oder auch nicht sein kann und Wirklichkeit werden konnte, da die erforderlichen Bedingungen erfüllt waren. Es geht dabei um Bedingungen, wie sie in der Welt des Nichtabsoluten, des Sein- oder Nichtseinkönnen gelten. Die Feststellung, daß alles Existierende etwas ist, das (gemacht) werden konnte, ist freilich unbefriedigend, weil nicht einsichtig wird, wie z.B. in der Evolution vom einzelligen Lebewesen zum hochbegabten Menschen Niedrigeres Höheres hervorzubringen vermochte. Die Antwort: Weil ein grenzenloses Können am Werke ist, geht es über das Notwendige hinaus, denn was es zu erklären gibt, hat seine Grenzen, und weiter ist diese Antwort nur ein Postulat, dem wir keinen vom Hervorgebrachten unabhängigen Inhalt geben können. Das Können erklärt vor allem nicht, warum es was auch immer realisierte, und reduziert Gott auf das Vermögen zur creatio ex nihilo. Cusanus fährt fort: "Da die Wirklichkeit wirklich ist, kann auch sie ohne Zweifel sein, da unmögliches Sein nicht ist" (d.p. 7). Er verwechselt Abstraktes und Reales. Wirklichkeit ist ein abstrakter Begriff und steht im menschlichen Denken für das Menschen und Dingen gemeinsame wirkliche Sein, das von einem nur imaginären Sein unterschieden werden soll. Mitnichten begründet die Idee der Wirklichkeit der nichtabsoluten Dinge ein Können im Sein des Absoluten, das dieses selbst betrifft, denn es wäre sinnlos, zugleich ein Nichtnichtseinkönnen und ein Seinkönnen zu postulieren. Das absolut = bedingungslos Wirkliche braucht weder das Vermögen noch die Möglichkeit, wirklich zu sein. Die einzige Schlußfolgerung, die man aus dem Gesagten ziehen kann, ist, daß Wirklichkeit, die aus posse facere et fieri hervorgegangen ist, bedingte Wirklichkeit ist; unsere Wirklichkeit, für die unser Verstand keine befriedigende letzte Erklärung bereithält und deren Erklärung wir uns vom unbedingt Wirklichen erhoffen, auch wenn wir uns dieses nicht denken können. Könnten wir es, hätten wir die Erklärung. Hören wir weiter Cusanus: "Auch kann
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die absolute Möglichkeit selbst nicht vom (absoluten) Können und die absolute Wirklichkeit nicht vom Wirklichen verschieden sein. Die schon besagte Möglichkeit kann auch nicht vor der Wirklichkeit sein, so wie wir sagen, daß eine potentia einem Akt vorausgeht. Wie würde sie Wirkliches geworden sein, wenn nicht durch die Wirklichkeit? Wenn das Können-Werden sich selbst zur Wirklichkeit verhelfen würde, wäre es wirklich, ehe es wirklich wäre. Die absolute Möglichkeit also, worüber wir sprechen, die, wodurch das, was wirklich ist, wirklich sein kann, geht der Wirklichkeit weder voraus, noch folgt sie ihr nach. Wie könnte die Wirklichkeit sein, wenn die Möglichkeit (dazu) nicht bestünde? Mit(einander) ewig sind also absolute potentia, absoluter actus und beider Verbindung" (d.p. 7 f.). 'Absolute Möglichkeit' kann nur heißen 'von jeder Bedingung losgelöste Möglichkeit'. Unser Begriff Möglichkeit wird hier gleichermaßen aufgelöst wie der Begriff endlich in seinem Oppositum unendlich. Unser Begriff 'möglich' stellt für das, wovon wir sprechen, Bedingungen, legt die Grenzen fest für das, was wir für realisierbar halten. Wo diese Grenzen aufgehoben werden, wird 'möglich' sinnlos, wird aber auch das Können (machen) grenzenlos und sinnlos. Wo es zwischen wirklichem Seinkönnen und wirklichem Nichtseinkönnen keinen Unterschied gibt, kann es nur noch das absolut Wirkliche oder das absolute Nichts geben. Wo es aber einmalig Wirkliches gibt, ist für den Begriff Wirklichkeit kein Platz, der wie alle unsere Begriffe lebt von der Paarung mit dem Oppositum, das hier Nichtwirklichkeit heißt. Cusanus macht aber diesen Begriff wie Weißheit zu einer platonischen Idee, zur Wirklichkeit an sich, die als solche das Wirkliche selbst ist, und versucht so, sich aus dem Bedingten ein Bild des Unbedingten zu machen, eine Aufgabe, die nur mit seiner visionären docta ignorantia zu lösen ist. Es ist, wie wenn mein Schatten versuchen würde, sich vorzustellen, was es heißt, ein lebendiger Mensch zu sein. Es gibt in unserer Welt keinen Schatten, der nicht von etwas geworfen wird, keine Abbildung, die nicht etwas abbildet. Das mag uns den Gedanken nahelegen, daß wir auch so etwas wie ein Schatten oder Abbild von etwas sein könnten. Warum aber sollten wir uns besser als unsere Schatten und Abbilder in das von uns nachgebildete Wirkliche eindenken können? Cusanus' Bedürfnis, dem Können/ der Möglichkeit im Absoluten ein Vorausgehen des Wirklichseins abzuerkennen, zeigt, daß er sich bewußt ist, den von ihm benutzten Begriffen einen Inhalt zu geben, der ihrem normalen Sinn nicht entspricht. Trotzdem argumentiert er damit, und seine Schlußfolgerungen ex absurdo beruhen auf der falschen Voraussetzung, daß im Absoluten die Gegensätze 'können realisieren'/ 'realisiert werden können1 und 'Realität sein' zusammenfallen müssen, und er versucht deshalb, bedingt und unbedingt in gegenseitige Bedingtheit aufzulösen, wozu ihm rhetorische Fragen, die nicht beantwortet werden müssen, das rechte Mittel sind. Gegenfragen: Was würde das Können können, wenn es nicht wirklich wäre? Wie wäre das Wirkliche wirklich, wenn es nicht wirklich sein könnte? Das absolut Wirkliche kann auf Können-sein verzichten, weil es ist, ehe die Frage nach können sich stellt. Aber geben wir Cusanus wieder das Wort. "Ich sage, daß nunmehr für uns feststeht, daß Gott als das einfache Prinzip der Welt existiert vor der Wirklichkeit, die sich vom Vermögen (zu verwirklichen) unterscheidet und vor der Möglichkeit, die sich von ihrer Verwirklichung unterscheidet. In allem, was nach ihm ist, sind Möglichkeit und wirkliches Sein verschieden, so daß nur Gott das ist,
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was er sein kann, keineswegs aber irgendwelches Geschöpf, weil Möglichkeit und Wirklichkeit nur im Ursprung identisch sind" (d.p. 8). Hier zeigt sich noch einmal, daß Gott für Cusanus über den Gegensätzen steht, da sie in ihm zusammenfallen (vgl. d.p. 17). Das heißt einerseits, daß das principium contradictionis beim Denken über Gott nicht anwendbar ist (es macht halt vor ihm), und andererseits, daß alle Gegensätze ununterscheidbar in ihm als in ihrem Ursprung vorhanden sind. Wenn man, um unsere bedingt vorhandene Welt zu erklären, Unbedingtes als ihre Ursache voraussetzt, ist es wenig sinnvoll 'nachzuweisen', daß das Unbedingte dem Bedingten vorausgeht, aber geradezu abwegig zu behaupten, die Bedingungen unserer Welt müßten als unbedingt im Unbedingten vorhanden sein, und zwar so, daß man sie voneinander unterscheiden kann. Das aber tut Cusanus, denn wir werden sehen, daß er in potentia, actus und beider Nexus die göttliche Dreieinigkeit abgebildet sieht. Noch ein Wort zum Satz "Nur Gott ist das, was er sein kann" bzw. Gott ist de facto alles, was sein kann (d.p. 11; vgl. 16). Jedes Ding kann zwar anders werden als es ist, aber es kann hier und jetzt real existierend nicht anders sein, als es in diesem Moment eben ist. Aus allem Gesagten ist klar, daß die Feststellung lauten müßte: Nur das 'Seiende', das kein Können- oder Möglichsein in sich trägt, kommt für das 'Seiende' in Frage, das ohne jede Bedingung ist und deshalb mit unserer Wirklichkeit, die eine bedingte ist, nichts gemein hat, erst recht nicht, wenn man mit Cusanus dem Absoluten ein parmenidisches Sein zuschreiben will. Beschließen wir unsere Zitate mit der Findung des Gottesbegriffs 'possest': "Nehmen wir an, daß ein gewisser Ausdruck mit einfachster Bezeichnung den komplexen Begriff'können ist' wiedergibt, also besagt, daß das Können selbst ist, und weil es das, was es ist, wirklich ist, Könnensein gleichbedeutend ist mit wirklichem (real existierendem) Könnensein. Nennen wir es 'Könnist'. Darin ist ohne Zweifel alles zusammengefaltet enthalten, und es ist für menschliches Begreifen ein Name für Gott, der ihm ziemlich nahe kommt" (d.p. 17 f.). Dieses Zitat zeigt, was auch schon vorher deutlich geworden ist, daß Cusanus nicht gebührend zwischen Gott an sich und Gott als Schöpfer unterscheidet. Es geht ihm um das Sein des Könnens, des Vermögens, der Macht, das/die alles eingefaltet in sich Enthaltene (omnia in illo utique complicantur) entfalten (= erschaffen) kann. Da das absolute Können per se actu ist, d.h. sich verwirklicht, ist Gott nur als Schöpfer denkbar. Für Cusanus ist aber das absolute Können, wie wir noch sehen werden, nicht nur das Können des Schöpfers, sondern auch das Können in Gott, das als Vaterhypostase den Sohn zeugt (gewissermaßen als Urbild der schöpferischen Tätigkeit Gottes). Cusanus tut dem Begriff Können Gewalt an, indem er ihn zum real existierenden Absolutum macht. Können ist ein Hilfsverb und nur als Abstraktum substantivierbar. Wirkliches Können gibt es nur 'cum addito', d.h. mit Angabe, was gekonnt wird. Können ist auch nicht mit der Ausübung dessen, was gekonnt wird, zu identifizieren. Können erklärt nie allein, was auf Basis des Könnens realisiert wird. Dieses kann nur vom Könnenden her erklärt werden, in dem die erforderlichen Fähigkeiten vorhanden sind, und vom Gekonnten her aus der vorgegebenen Möglichkeit. Ich konnte schon lange die Werke des Cusanus lesen. Ich konnte lesen, war des Lateinischen mächtig und besaß die nötige Reife; gute Ausgaben waren mir zugänglich. Dieses Können war Jahrzehnte lang da, ohne daß es realisiert wurde. Gelesen habe ich endlich einige davon (neunundeinhalb) seit Februar 1992, weil ich sie nun aus bestimmten Gründen lesen
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wollte. Für das tatsächliche Lesen gibt mein Können nur eine Teilerklärung, so wie mein Wollen eine weitere Teilerklärung gibt, aber weder das eine noch das andere funktioniert allein. Gelesen habe ich, der ich konnte und wollte. Es gäbe zu Cusanus' Gottesbegriffen noch manches zu sagen, aber das Gesagte möge genügen, um unser erstes Kriterium als nicht erfüllt auszuweisen. Auf die Frage: "Wie abstrakt ist Gott für Cusanus?" kann die Antwort nur lauten: eine mit leeren Worten konkretisierte Abstraktion. Cusanus überbietet noch die Abstraktion 'das Sein selbst', die nicht mehr als ein Existieren unabhängig von unserem Denken attestiert, das allem wirklich Existierenden gemeinsam ist und jede inhaltliche Präsizierung vermissen läßt. Gott wird so der quantitativ größten, aber qualitativ niedrigsten Seinskategorie zugeordnet, und daß seine Unabhängigkeit von unserem Denken qualitativ nichts mit unserem Sein zu tun hat, kommt nicht zum Ausdruck. Wer das Sein selbst inhaltlich nicht näher präzisiert, verzichtet vor lauter Abstraktion darauf, beim näheren Denken über Gott zumindest von der höchsten Seinsstufe unserer Wirklichkeit, d.h. vom Menschen auszugehen. Cusanus geht aber in der Abstraktion noch weiter, indem er das Absolute auf pures Können (posse sine addito), auf Können ohne jeglichen bestimmten Inhalt, auf 'nichts nicht können' reduziert. Er erhebt das Machtwort 'können' zum primum principium (= ultima causa efficiens), das dem, der es auf unbegreifliche Weise begreift, alles erklärt. Alles, was ist, kann sein, weil es das absolute Können gibt, das es realisiert. Dieses Können ist Gott. Und weil es ein Können ohne Zusatz ist, das von jeglicher Präsizierung abstrahiert, läßt es sich trefflich über drei Hypostasen verteilen, wie wir nachher sehen werden. Die zweite kritische Frage, die wir an Cusanus Denken richten, ist: "Wie steht es bei ihm mit der Suche nach einer Erklärung für Gott in Gott?" Am besten zeigt uns das sein Gottesbegriff posse ipsum. Posse heißt vermögen, imstande sein (etwas zu realisieren). Der Zusatz ipsum gibt an, daß nacktes Können (posse sine addito) gemeint ist, also ein auf nichts festgelegtes Können ohne Grenzen. Der nicht absolute Begriff können steht, wie gesagt, für die Beschaffenheit eines Subjekts, die es befähigt, dies oder jenes zustandezubringen. Können ohne Subjekt und Objekt ist eine reine Abstraktion, die als solche mit irgendeiner konkreten Realisierung nichts zu tun hat. Können ist synonym mit imstande sein und muß in einem Seienden verankert sein. Cusanus löst aber auch diesen Begriff von seiner Basis. Er räsoniert: "Nichts kann früher sein als das Können. Was könnte dem Können vorausgehen, wenn es nicht vorausgehen könnte? ... Das Können gibt es vor dem Sein und dem Nichtsein, denn nichts ist, wenn es nicht sein kann. ... Nichts von allem, was das Können selbst nicht ist (d.h. als 'gekonnt' einschließt), kann ohne es sein oder erkannt werden" (c. 23 f.). Daß nichts sein kann, ohne sein zu können, gilt nur für das, was sein oder auch nicht sein kann (vgl. d.p. 6). Weil Cusanus das Können selbst vor das Sein und das Nichtsein setzt, muß er das auch so meinen, denn das Absolute geht bei ihm den Gegensätzen voraus. Mit posse ipsum wird also in erster Instanz kein Können-Sein Gottes angedeutet, sondern wird Gott, wie gesagt, auf ein Können sine addito reduziert, dem das creare ex nihilo möglich ist. Über Gott an sich ist damit nichts ausgesagt. Tatsächlich sieht Cusanus aber dieses posse ipsum auch als Prinzip Gottes in Gott. Das geht, wie bereits angedeutet, aus der trinitarischen Ausarbeitung des Begriffes hervor, die das posse ipsum im Sinne von posse facere mit dem Vater gleichsetzt, aus dem Sohn und Geist, wenn auch von Ewigkeit, hervorgehen als zwei andere Arten von
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posse (posse fieri und posse nexus). Ich komme darauf beim vierten Kriterium zurück. Ohne Zweifel entspricht diese Auffassung dem Dogma von Nikaia I, und also auch dem Gottesbegriff der Orthodoxen Kirche. Die Frage ist, ob sie auch offenbart ist oder nur aus dem Sprechen Jesu, des Menschensohnes, über seinen Vater im Himmel und über die Sendung des Geistes seitens des Vaters als gottimmanenter Vorgang in Gott hineininterpretiert wurde. Wer in Gott nach einem Prinzip für Gott sucht, erscheint mir wie einer, der mit einer Taschenlampe die Sonne auszuleuchten versucht. Er probiert, mit einem nutzlosen Apparat (seinem Verstand) eine Lichtquelle in der Sonne zu entdecken, um das Leuchten der Sonne zu erklären. Entweder ist Gott das Licht selbst und kann nicht ausgeleuchtet werden, oder etwas in ihm, das ihn erklärt, ist die letzte Evidenz, die es gibt, und alles andere in ihm ist nicht Gott. Das heißt, entweder die Trinität als solche 'erklärt' sich und nicht ein einziges Prinzip Gottes in Gott oder nur das Prinzip, aus dem Gott zu sein angenommen wird, ist wahrhaftig Gott und nicht die Trinität. Absolutes Können ist Gott für uns als Schöpfer, nicht als Gott an sich. Einer Einigung mit Eugenikos hätte freilich die Annahme eines Prinzips der göttlichen Natur in Gott nicht im Wege gestanden. Sie gehört, wie schon anfangs gesagt, zum ursprünglichen Trinitätsdogma. Nun zur dritten kritischen Frage: "Hätte der Begriff Hypostase Cusanus veranlassen können, das Trinitätsdogma kritischer zu betrachten?" Wenngleich er den Begriff in seinen Trinitätsspekulationen nicht häufig verwendet, so stellt er ihn doch nie in Frage (vgl. a.d.i. 23 f.). 'Ewig' im Plural kann es für ihn nicht geben tribus suis hypostasibus exceptis (t.q. 35 f.), wobei aber von einem zahlenmäßigen Plural keine Rede ist. Für Cusanus ist Gott als Dreieinigkeit zwar auch eine Hypostase, die wahre Hypostase aller Geschöpfe: unum exaltatum est hypostasis omnium hypostaseum (t.q. 40 f.), est enim Veritas hypostasis suae imaginis (v.s. 105), aber das natürlich in transzendentem Sinne, da Cusanus kein Pantheist sein will (a.d.i. 16-18). Allein die einmalige, reale Existenz eines jeden Geschöpfes trägt, wie auch immer, letztendlich nur der Schöpfer. Ziemlich unklar ist Cusanus bezüglich des Charakters und des Unterschiedes der Hypostasen in Gott. So schreibt er: "Du sagst richtig, daß die Person des Vaters, des Sohnes und des Geistes jeweils eine andere ist wegen der Dreifaltigkeit der unendlichen Vollkommenheit. Der Vater ist aber nicht eine andere Person durch irgendein Anderssein (alteritas, Verschiedenheit), da die heilige Dreifaltigkeit jedes Anderssein übersteigt; sie ist nicht durch anderes, sondern durch sich, was sie ist. Darum ist der Vater wegen der Identität von Wesen und Natur nicht verschieden vom Sohn. Nicht durch ein Nichtsein ist der Vater nicht der Sohn, denn der dreieinige Gott ist vor jedem Nichtsein" (d.p. 59 f.). Cusanus versucht, jedes Anderssein (jedes unterschiedliche Sosein) aus dem Wesen Gottes zu verbannen und doch den Unterschied der Personen nicht zu leugnen. Was er dazu sagt, befriedigt keineswegs. Da es ein absolutes Nichtsein nicht gibt (nichts kann unmöglicher sein als das Nichtsein; vgl. d.p. 7: impossibile esse non est), kann dies nur heißen, daß Gott vor jedem nicht absoluten Nichtsein ist, was in bezug auf Gott an sich keine Bedeutung hat. Daß der Unterschied zwischen Vater und Sohn nicht erschaffen sein kann, ist klar, daß absolutes Nichtsein ebenfalls nicht in Frage kommt, noch klarer. Daß der Vater nicht durch ein Nichtsein nicht der Sohn ist, scheint mir demnach so zu interpretieren, daß das Nicht-Sohn-Sein des Vaters für dessen
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wirkliches Sein keine Bedeutung hat. Demnach ist das Sein der Vater-Hypostase kein anderes Sein als das Gott-Sein, das er mit dem Sohn teilt. Wodurch unterscheidet sich dann aber der Vater vom Sohn wirklich? Wenn der Vater nicht der Sohn ist und beide im absoluten Sinn eins sind, welch relative gottimmanente Unterschiede gibt es dann in Gott, und wieso sind diese Unterschiede Hypostasen, die dem Sein, womit sie identisch sind, als seine Träger das Sein ermöglichen? Cusanus hatte schon früher geschrieben: "In der göttlichen Natur, wo der Vater alles dem Sohn gibt, ist der Vater nicht verschieden vom Sohn und kann der Sohn nicht im eigentlichen Sinne 'principiatum' (aus dem Prinzip) genannt werden, weil das 'principiatum' verschieden ist vom Prinzip. Der Vater aber gibt dem Sohn das Prinzipsein, so wie er (selbst) Prinzip ist. Dieser ist also Prinzip vom Prinzip, so wie Licht vom Licht und Gott von Gott" (t.q. 21 f.). Schon der große Gegner des Palamas, Barlaam, wies auf die Gefährlichkeit des Ausdrucks 'Gott von Gott' hin. Dieser setzt eine abstrakte Natur Gottes voraus, die es nicht geben kann. In bezug auf Gott ist jegliche Abstraktion unmöglich, sonst wäre er nicht das absolut Wirkliche. Wenn Gott Trinität ist, kann man den 'Begriff Gott nicht in einem Sinne verwenden, die nicht trinitarisch wäre. Man kann also nicht sagen 'Gott von Gott' und damit meinen 'Sohn vom Vater', denn dann würde man bei der ersten Nennung des Wortes 'Gott' von Vater und Geist abstrahieren und bei der zweiten von Sohn und Geist, und das würde bedeuten, daß man in keinem Fall von einem wirklich dreieinigen Gott spräche. Cusanus' Aussage, die im Grunde von einem realen Unterschied zwischen Vater und Sohn nichts wissen will und diesen nur mit Worten zu retten versucht, trifft tatsächlich die Schwachstelle des Dreifaltigkeitsdogmas; die entscheidenden Fragen will er aber offenbar nicht stellen. Schon relatives Anderssein paßte nicht zu seiner Vorstellung von der simplicissima simplicitas des Absoluten. Darum fällt sein Bekenntnis zur Trinität so negativ aus. Eugenikos hätte ihn aber dieses Bekenntnisses wegen wohl genau so wenig wie Rom verdächtigt. Es war ja nicht geheimnisvoller als das Dogma selbst, das es, ohne es zu wollen, in Frage zu stellen scheint. Der Weg zur Einsicht, daß man die Bilder der Offenbarung nicht in Begriffe irgendeiner Philosophie umsetzen kann, blockierte auch bei Cusanus die religiöse Ignoranz, für die Fragen zu stellen in eigener Sache eine Todsünde ist: Trinitatis secretum (= dogma) Dei utique dono fide receptum (n.a. 13). Kommen wir zu unserem vierten Kriterium der Frage nach der vollkommenen Gleichheit der drei die Einheit bildenden Elemente in Cusanus' Trinitätskonzepten. Er unterließ es nie, bei seinen Gottesbezeichnungen zu zeigen, wie schön sie mit dem Dreifaltigkeitsgeheimnis im Einklang stünden. Dabei schreckte er vor abstrusen Interpretationen nicht zurück. Der Gottesbegriff posse ipsum spiegelt sich für ihn z.B. im esse corporis unitrino. Er identifiziert dazu den Körper mit seiner Länge, Breite und Tiefe einzeln und zusammen und macht die Länge zum Prinzip der Breite und Länge und Breite zusammen zum Prinzip der Tiefe, die ex utroque procedit (a.t. 134; vgl. d.i. 41). Nicht besser ist die Trinitas aus vernunftbegabter, lebender und (nur) existierender Natur (v.s. 89) oder die Trinität als Prinzip der Mathematik (d.p. 55), von der Trinitätsspiegelung in dem Satz non aliud est non aliud quam non aliud (n.a. 12) gar zu schweigen, wo ich auf dem Margo meiner Fotokopie spontan notierte: "si tacuisses". Ich übergehe sie wohl besser. Die ansprechendere Trinität Augustins mens memorans, mens intellegens, mens volens wird nur erwähnt, nicht analysiert (a.t. 134). Allzu direkt auf das ka-
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tholische Dogma zugeschnitten ist die dem Begriff Ordnung zugeordnete Trinität (v.s. 88 f.). Die Ordnung (gehörige Reihenfolge) in der Schöpfung setzt Ordnung in ihrem Prinzip voraus ("wenn es im Prinzip keine Ordnung gibt, woher haben sie denn die Dinge, die aus dem Prinzip sind?"). Eugenikos hätte hier vermutlich eingeworfen: "Man kann die Personen nicht nach Rangordnung oder Folgenummer zählen; in Gott gibt es nicht erster, zweiter, dritter, sondern nur eins und eins und eins und ein Wesen"14. Da Cusanus aber präzisierte: "Wesentlich für Ordnung sind Anfang, Mitte und Ende", hätte man sich sicher darauf geeinigt, daß hier nicht Ober- und Unterordnung, sondern nur gegenseitige Zuordnung gemeint sei. Cusanus selbst schrieb ja auch Augustinus folgend: "Wenn du anfängst, die Trinität zu zählen, verläßt du die Wahrheit" (d.i. 38; vgl. a.d.i. 24). Zu diesem 'geordneten' Prinzip heißt es dann unvermittelt: "Wie soll es im allereinfachsten Prinzip Ordnung geben, wenn dieses nicht zugleich Prinzip ohne Prinzip, Prinzip aus dem Prinzip und aus beiden hervorgehendes Prinzip wäre?" Diese Aussage wäre gewiß seitens Eugenikos nicht ohne Kritik geblieben. Als Prinzip der Dinge steht Prinzip hier zuerst für den einen Gott in drei Hypostasen, danach wird dieses Prinzip mit dem Vater identifiziert als mit dem Prinzip der Schöpfung ohne Prinzip (sc. in Gott), mit dem Sohn als Prinzip der Schöpfung aus dem Prinzip und auch selbst Prinzip (sc. in Gott) und mit dem Geist als aus beiden hervorgehendes Prinzip der Schöpfung, aber in keiner Weise auch Prinzip in Gott. Das Prinzipsein der Schöpfung wird allen drei Personen gleichermaßen zuerkannt, aber nicht allen die gleiche Art des Prinzipseins. Nur der Vater ist Schöpfer als principium non principiatum, der Sohn ist es als principium principiatum und der Geist als principium bis principiatum (ex patre filioque). Dies stellt den Geist nur in bezug auf die Schöpfung mit Vater und Sohn gleich, sofern sie als Dreieinheit handeln, nicht aber in Gott. Seine Trinität der Ordnung erläutert Cusanus nicht weiter, es sei denn, man hält die angefugten Spiegelungen in der Schöpfung für Erläuterungen. Solche sieht Cusanus in der Trinität von essentia, virtus und operatio (procedens ab utroque) sowie in den bereits genannten von natura intellectualis, Vitalis und existentialis. Schlecht zu den anderen cusanischen Trinitäten paßt die Zuordnung der essentia zum Vater und der virtus zum Sohn. Kommen wir zu den zwei wichtigsten Trinitäten, die Cusanus in 'De possest' und 'Compendium' (vgl. a.t.) präsentiert. Die erste bilden posse (potentia), esse (actus) und nexus, die zweite posse ipsum, aequalitas und unio. Letztere entspricht für Zweidrittel der von den Vätern übernommenen Trinität unitas, aequalitas, connexio, die Cusanus in 'De docta ignorantia' und 'De non aliud' bringt und mit der Dreieinheit hoc, id, idem vergleicht (d.i. 18; vgl. n.a. 13: lucidius praecisiusque sed minus sunt in usu)15. Zur ersten folgendes: Vorab stellt Cusanus fest, daß es einen absoluten Begriff gibt, der so etwas wie ein real existierender Allbegriff ist: absolutus conceptus est actu omnis conceptibilis conceptus, und dieser unbegreifliche Begriff Gottes {inconceptibilis Dei conceptus) sei für den Menschen unfaßbar und übersteige auch jeden Dreieinigkeitsbegriff (d.p. 49). Demnach ist Gott im gleichen Sinne, 14
AG 351,1-9. Aus kritischer Sicht ist sie keinesfalls besser, eher willkürlicher in der Weise, wie Cusanus aus der trinitas hoc, id, idem die aus unitas, iditas, identitas herstellt und identitas zur connexio iditatis et unitatis erklärt (d.i. 18). 15
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in dem er groß ist, auch drei, d.h. so wie er groß ist, ohne vergleichbar oder meßbar zu sein, ist er drei, ohne daß drei hier etwas mit einer Zahl zu tun hätte (d.p. 57: si trinitas in divinis esset numerus, principiata a se ipsa esset). Beim Wort genommen, bedeutet das, daß es sinnlos ist, um, wie in Nikaia geschehen, mit unseren alltäglichen oder auch philosophischen Begriffen und Begriffsbezeichnungen überhaupt von Dreieinigkeit Gottes zu reden. Aber da Cusanus auch hier, wie sonst, vom Schweigen über das Unsagbare nichts hält, räsoniert er weiter: "Ohne Vermögen (potentia) (zu sein) und Akt (actus) (tatsächliches Sein) und beider Verknüpfung (nexus) gibt es kein Ding, das ist oder sein kann. Wenn eins von denen (dem Ding) fehlen würde, wäre es nicht. Wie sollte etwas sein, wenn es nicht sein könnte? Und wenn es sein könnte, aber nicht wäre, wie wäre es dann? Also muß es beider Verknüpfung geben" (d.p. 58). Lassen wir die Frage, was wäre, wenn Gott nicht wäre, und versuchen wir, auch wenn es schwer fallt, diese Argumentation ernst zu nehmen. Cusanus gibt hier 'Gott' einen Namen (possest = Könn[en]ist; siehe dazu oben), der voraussetzt, daß das Absolute, um zu sein, den Seinsakt muß realisieren können, natürlich ohne als Können selbst das Sein zu sein, aber als logische und ontologische Voraussetzung für das Sein des Seins bzw. als seinsimmanente Bedingung. Hier wird der unserer nicht absoluten Realität entnommene Begriff 'können', der das Vorhandensein einer Vorbedingung, nämlich einer bestimmten Beschaffenheit eines Subjekts, zum Inhalt hat, in das Absolute hineininterpretiert, das unser Denken gerade als bedingungslos gegeben postuliert, damit es nicht immer weiter nach einer Erklärung für alles nur bedingt Gegebene suchen muß. Wie kam Cusanus dazu, die absolute Wirklichkeit als absolutes Können zu sehen, das absolut wirkliche 'Sein' durch ein absolutes 'Verwirklichungsvermögen' zu ersetzen? Ich glaube, weil der Begriff 'können' ihm das zu bieten schien, was dem parmenidischen Seinsbegriff fehlt: Dynamik, Leben, Pluralität, die im Können zumindest prinzipiell anwesend sind. Tatsächlich vermag aber der Begriff 'können' diesen Ersatz nicht zu bieten. Können ist begrifflich an Sein gebunden und ist auch für Cusanus nur in der Verbindung mit Sein Wirklichkeit. Im Begriff 'Können, das das eigene Sein realisiert' versuchte Cusanus, die opposita 'werden' und (parmenidisches) 'sein' zu einer Einheit zu verbinden. 'Werden' ist aber, anders als 'können', lebendige Wirklichkeit; 'können' setzt Wirklichkeit voraus und dient ihr. Das Absolute kann nur das Wirkliche oder das Nichts sein, da es weder von einer Voraussetzung noch von einem Ziel abhängig sein darf. Cusanus' posse ipsum ist deshalb als Gottesbegriff nicht 'annähernd' so gut wie der Begriff actus purus des Aristoteles, auf den er wegen seiner Unkenntnis des Prinzips der Koinzidenz der Gegensätze stolz herabsieht (a.d.i. 6; vgl. de beryllo 31). Während man für posse ipsum noch eine Erklärung erahnen kann, steht man der 'Verknüpfung' vom 'Vermögen zu verwirklichen' mit dem 'Akt der Verwirklichung' als einem selbständigen dritten Element dieser Dreiheit ratlos gegenüber. Was soll diese Verknüpfung für eine eigene Realität sein? Braucht das Vermögen zu verwirklichen eine Geburtshelferin, um als Vermögen das zu tun, was es vermag? Und, wenn ja, ist dann nicht das, was als Verknüpfung dem Können zu seinem Akt verhilft, die entscheidende Ursache, daß es das Absolute überhaupt gibt? Aber hören wir, was Cusanus weiter über diese Trinität sagt: "Könnensein, wirkliches Sein und ihre Verknüpfung sind nicht jeweils etwas anderes, denn ihr Wesen ist das gleiche, da sie ein und dasselbe ausmachen. Eine Rose in potentia, in actu und in beiden ist immer die
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gleiche Rose" (d.p. 58). Was nun dieses abstrakte gleiche Wesen sein soll, wird nicht weiter erläutert. Angewandt auf Gott ergibt die Philosophie des posse ipsum folgendes: Das absolute Können ist der Vater, der Akt dieses Könnens, wodurch das Können selbst wirklich ist, ist der Sohn und beider Verknüpfung ist der Geist (ebd. 59). Erstere Gleichsetzung entspricht der Ansicht, daß Gott sein eigenes Prinzip ist, daß er 'aus sich' sein muß. Man kann also auch sagen, daß das absolute posse für dieses 'sich' steht. Im Sohn wird das reine Können Wirklichkeit, die potentia zum actus, freilich nicht so, wie im aristotelischen Sinne eine potentia, d.h. eine in der 'materia' vorhandene Möglichkeit zur Realität (gebracht) wird, sondern indem eine als aktives Vermögen verstandene potentia (aus sich) zum Akt, d.h. zur Realität wird, freilich nicht direkt, sondern mittels einer Verknüpfung, die zwar von den beiden Elementen Können und tatsächliches Handeln des Könnens hervorgebracht wird, aber dennoch als auch selbst aktives (verknüpfendes) Element zu denken ist, das erst das Sein der Dreiheit vollendet. Welchen Sinn ergibt das Ganze? Die Wirklichkeit, die für die Hypostase des Sohnes in Anspruch genommen wird, kann nicht mit dem Sein Gottes identifiziert werden, das erst aus der Verbindung von potentia und actus hervorgeht. Auch wäre dann die Hypostase des Sohnes als solche mit Gott identisch und würde die beiden anderen Hypostasen gleichermaßen ein- und ausschließen. Leider überläßt Cusanus es dem Leser, nach einer orthodoxen Interpretation dieser Trinitätsvorstellung zu suchen. Ich habe den Eindruck, daß er im posse das reine Verwirklichungsvermögen sieht, das 'zuerst' das allesumfassende Seinsmodell hervorbringt, welches gewissermaßen als platonische Idee zu denken ist, die zum Urbild aller erschaffenen Schattenbilder wird. Um aus dem Realität verleihenden Können und der das Wesen aller Dinge bestimmenden Seinsidee, die zusammen als primum principium für die Dualität existentia-essentia ausreichen, eine Trinität zu machen, nahm Cusanus zur traditionellen Bezeichnung des Geistes als nexus, connectio, unio seine Zuflucht, ohne sich groß darum zu kümmern, daß dieser Begriff sich nun wirklich nicht zu einem selbständigen Faktor neben potentia und actus machen läßt. Jegliche Verbindung als Beziehung existiert nur in den aufeinander bezogenen Dingen. Die 'Hypostasen' einer Ehe sind die Ehefrau und der Ehemann, und es schwebt nirgends eine dritte über ihren Köpfen. Die 'Hypostasen' einer Liebesbeziehung sind die Liebenden und nicht auch noch ein außerhalb von beiden für sich als tragendes Element fungierendes Band zwischen beiden. Mit der Vorstellung, daß der Vater als Prinzip zweier wesensgleicher principiata Sohn und Geist zugleich auch Prinzip der göttlichen Natur sei, läßt sich dieses befremdliche Trinitätsgebilde nicht in Einklang bringen. Es scheint mir, daß Cusanus sich eine solche Trinität nur deswegen ausdenken konnte, da er ausschließlich mit substantivierten Abstraktionen arbeitet; mit Begriffen, die in dem ihnen inhärenten, nicht absoluten Sinn ausschließlich nicht für sich Existierendes bezeichnen. Von diesem Sinn losgelöst und mit einem unseren Verstand übersteigenden Sinn versehen, werden sie von Cusanus als Einmaliges auf sich gestellt und gehorchen keinem Gesetz unseres Denkens mehr. Ihr Markenzeichen wird der innere Widerspruch, dem in den Augen des Mystikers keine Kritik etwas anhaben kann. Akzeptiert man dies, stört es nicht, daß das absolute Können nur real existieren kann im wirklichen Sein, das seinerseits von diesem Können verwirklicht wird auf Basis einer Verknüpfung, die das Können in potentia und das
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Können 'in actu' zusammen hervorbringen, damit sie zu ihrer und der Verknüpfung Existenz kommen, weil sie sonst nicht existieren können. Cusanus ist nicht bei diesem Gottes- und Trinitätskonzept stehen geblieben. Eine Entwicklung, die in seinen letzten Werken (1464) ihren Niederschlag findet, bahnte sich schon in 'De possest' an. Im Anschluß an obiges Zitat über Identität und Nichtidentität von Vater und Sohn schreibt er: "Ich sehe also, wie das absolute Können selbst in der Ewigkeit des Könnens selbst nur durch das Können ist, und dementsprechend glaube ich, daß das ewige Können selbst eine Hypostase und durch sich ist und daß von Gott Vater, der durch sich ist, ein Gott gezeugt wird, der alles ist, was durch die Allmacht des Vaters ist, damit er der Sohn der Allmacht sei, nämlich das, was der Vater kann, Allmächtiger vom absoluten Können, d.h. vom Allmächtigen, und damit aus beiden die Verknüpfung der Allmacht und des Allmächtigen hervorgeht. So sehe ich Gott in Ewigkeit und denselben Gott von Gott in Ewigkeit und denselben Gott aus beiden (sc. Göttern!) hervorgehend in Ewigkeit" (d.p. 61). Hier wird zuerst Gott aus philosophischer Sicht als das Können selbst definiert und mit der Ewigkeit identifiziert, die als 'Natur' Gottes gilt (d.i. 14-17: de trina et una aeternitate; vgl. t.q. 13 al.). Anschließend wird dann der Gott-Vater des kirchlichen Dogmas ebenfalls damit identifiziert, so daß, wie bei Montenero, schon der Vater allein mit dem Gott der Philosophen identisch ist. Dieses absolute Können aber zeugt einen Sohn der Allmacht, der alles ist, was der Vater kann, d.h. alles Können, ein Ebenbild der Allmacht. Beider Verknüpfung (= der Geist) wird ohne jede Erläuterung nachgetragen. Man wundert sich nicht, daß dieser kaum nachvollziehbare Ansatz Cusanus nicht befriedigte, so daß er eine Aufbesserung versuchte. Die letzte Trinität, die er uns vorstellt, ist die von posse ipsum, (summa) aequalitas und (summa) unio. Der Zusatz summa zu aequalitas und unio ist, wie so viele Superlative bei Cusanus, philosophisch unzulässig, da er damit im Bereich des Vergleichbaren bleibt; nur der Zusatz absoluta wäre zulässig, und auch das kaum ohne den Hinweis, dieses Wort beim Wort zu nehmen, d.h. sich bewußt zu bleiben, daß die mit diesem Prädikat versehenen Worte ihren eigentlichen, für uns verständlichen Sinn verloren haben. Solche Trinität hat Cusanus aber bald noch weiter auf posse ipsum zu reduzieren versucht, indem er von einem dreifachen posse spricht, das kein tria posse, sed idem posse ist (a.t. 135). Auch bei dieser 'Definition' relativiert Cusanus wie üblich das Absolute. Das gesuchte erste principium muß das mächtigste sein, das es gibt. Früheres oder Mächtigeres darf es nicht geben (c. 23). Wer mit einer Erklärung des Beschränkten aus dem Beschränkten selbst nicht zufrieden ist und Unbeschränktes postuliert, schließt aber von vornherein jede Vergleichbarkeit aus. Wie er ursprünglich in bezug auf sein Maximum absolutum definierte, daß es Größeres nicht geben kann (d.i. 10), spricht er nun von Macht, die größer nicht sein kann und dies darin zeigt, daß sie ihre genaue Gleichheit zeugt (c. 23). Wohl jeder fragt sich, was denn nun gezeugt wird. Genaue Gleichheit würde bedeuten Macht, die nicht größer sein kann. Das wiederum hieße, daß wir nun zwei Mächte hätten, die nicht größer sein könnten, und somit zwei absoluta bzw. zwei Götter, denn ein sich selbst (noch einmal) Zeugen kann erst recht nicht gemeint sein. Die Frage ist darum: Was hat sich Cusanus hier unter Gleichheit vorgestellt? Was heißt über-
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haupt Gleichheit? Zweierlei: Entweder eine beschränkte Gleichheit bei sonstiger Verschiedenheit oder völlige Identität. Von gleich im ersten Sinne sprechen wir z.B., wenn zwei Menschen die gleichen blauen Augen haben. Die Gleichheit beschränkt sich auf die äußerst ähnliche Farbe der Augen und läßt jedem der Verglichenen seine eigenen Augen. Von gleich im zweiten Sinne sprechen wir, wenn ich zum Beispiel ein von Rubens gemaltes Bild gezeigt habe und von einem weiteren Bild sage, es sei vom gleichen Maler. Der Begriff Gleichheit im ersten Sinne setzt das Nichtabsolute, das Vergleichbare voraus, im zweiten sagt es in bezug auf das für 'gleich' Erklärte nichts Neues aus, sondern nur bezüglich des Wissens derer, für die die Gleichheit/ Identität festgestellt wird. Er ist dementsprechend auf alles anwendbar, auf das Nichtabsolute nicht absolut, auf das Absolute absolut, d.h. in einem unseren beschränkten Begriff für nichtig erklärenden Sinn. Auf das Trinitätsdogma angewendet läßt sich der Begriff Identität gemäß dem traditionellen Verständnis nur so anwenden: Der Vater als Hypostase ist nur identisch mit dem Vater usw., Gott ist identisch mit der Trinität von Vater, Sohn und Geist. Demnach sind also Vater, Sohn und Geist gleich im ersten Sinne, sofern sie trotz hypostatischer Verschiedenheit wesensgleich sind (ewig, unendlich allmächtig usw.), nicht gleich im zweiten Sinne, da hypostatische Identität von Vater, Sohn und Geist die Trinität zunichte machen würde. Wenn nach Cusanus die Absolute Macht, die er mit dem Vater identifiziert, Gleichheit zeugt, darf diese Gleichheit nur die göttliche Natur und nicht die Hypostase des Sohnes sein (vgl. d.i. 17: generatio est... eiusdem naturae multiplicatio a patre procedens in filiurri). Wir müssen aber noch genauer auf den Begriff Gleichheit eingehen. Wer von Gleichheit spricht, setzt immer zwei Realitäten bzw. zwei Möglichkeiten voraus. Ersteres ist der Fall bei beschränkter Gleichheit, das zweite bei Identitätsfeststellung. Gleichheit der ersten Art existiert gleichermaßen in beiden Subjekten, wovon die Rede ist, und kann schon deswegen nicht als einmalige Hypostase fungieren; die der zweiten Art müßte im Falle des Absoluten absolut sein und würde jede Unterscheidung von Hypostasen in Gott unmöglich machen. In dieser Trinitätsvorstellung des Cusanus rächt sich seine Flucht ins Abstrakte und seine mangelnde Sprachkritik. Diese Schwächen verrät zur Genüge folgendes Zitat zum Hervorgang des Geistes, das keines Kommentars bedarf: "Aus dem absoluten Können und seiner Gleichheit geht die am meisten vermögende Einigung hervor. Denn vereinte Kraft ist stärker. Die Einigung also dessen, das mächtiger als alles ist, und seiner Gleichheit ist nicht geringer als jene (beiden), aus denen sie hervorgeht. Und so sieht unser Geist, daß Können (= Vermögen), seine Gleichheit und beider Vereinigung ein einziges gleichstes (aequalissimum) und einstes (unissimum) Prinzip ist" (c. 24; vgl. die Definition des Geistes d.i. 18: unitatis et aequalitatis unitatis ipsius unitas). Schließlich erscheint das posse ipsum als eine trinitas possendi, die sich in der Einheit des Wirkens (operatio) offenbare und nicht als tria posse, sondern als ein und dasselbe posse zu betrachten sei, das Können machen des Machenden, das Können (gemacht) werden des Machbaren und das Können (verknüpfen) der 16 Für Cusanus steht fest: aequalitas naturaliter praecedit inaequalitatem. Dazu kann man nur sagen: Ohne die Realität der Ungleichheit gäbe es unseren Begriff Gleichheit nicht. Wo es keine Ungleichheit gibt, ist Gleichheitsfeststellung sinnlos. Der Begriff Gleichheit setzt Relativität voraus. Weil es die für Cusanus im Absoluten nicht geben kann, genügen die von ihm konstruierten Trinitäten in keinem Fall den Anforderungen des Dogmas.
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Verknüpfung beider (a.t. 135). Hier entspricht das Können selbst der "Natur' Gottes, und die drei 'Arten' von Können entsprechen den drei Hypostasen Vater, Sohn und Geist, während die operatio für das schöpferische Wirken Gottes steht, das auch als einziges Prinzip bezeichnet wird. Es verleiht den Dingen ihre Substanz und ihr Wesen. Das an sich in keiner Weise bestimmte Können erscheint nun als substantivierte Zusammensetzung aus drei Arten von Können, die durch drei Hypostasen vertreten werden, den Macher, das Modell und den Mittler, der beider Zusammenarbeit zur Herstellung dessen, was zu machen ist, zustandebringt. Das posse ipsum ist die Dreieinigkeit. Im Schöpfergott wird jeder Person/ Hypostase eine Rolle zugeteilt, die ihrer Art des Gott-Seins entsprechen soll. Der Vater erscheint dabei als der bestimmende Faktor, der das Allmodell (den Sohn/ das Wort) aus sich hervorbringt und die Nachbildung desselben realisiert: der Sohn steht für die aristotelische potentia, die einerseits vom unbegrenzten Können des Vaters inhaltlich als unendliche Möglichkeit bestimmt wird und andererseits bei der Nachbildung als Vorbild mitwirkt, während die Rolle des Geistes unklar bleibt. Ein Künstler, der für ein Kunstwerk einen Entwurf gemacht hat, braucht vielleicht zusätzlich Inspiration bzw. muß sich noch in den Entwurf verlieben, damit er zur Ausführung übergeht. Dieser zündende Funke kann aber nicht als das bezeichnet werden, das Künstler und Entwurf zur Zusammenarbeit vereinigt, und ist dem Macher nicht weniger untergeordnet als der Entwurf. Das zeigt auch Cusanus selbst dadurch, daß er nur das Machen einer Person zuordnet und vom 'posse facere facientis' spricht, was einer Gleichsetzung Gottes mit dem Vater entspricht, während er die Bezeichnungen 'posse fieri facientis' (Gottes Wesen entfaltet sich in den Geschöpfen) und 'posse nectere facientis' vermeidet. Auch unser viertes Kriterium erfüllt Cusanus also nicht. In seinen Trinitätskonzepten, denen ich sogar distantissima similittido (d.i. 19) absprechen möchte, wird eine Nennung des G eistes immer nur als Pflichtübung einer ausführlicheren Betrachtung der Dualität von Vater und Sohn hinzugefügt. Das dritte Element der cusanischen Trinitäten fügt den beiden anderen inhaltlich so viel hinzu, wie wenn ich zuerst zwei Markstücke auf den Tisch lege und diese dann durch ein Zweimarkstück ersetze. Trotzdem stehen diese Trinitäten vor allem, wenn man sie beim Wort nimmt, dem orthodoxen Trinitätsbegriff diametral gegenüber. Bei Cusanus geht die Einheit Gottes aus der Dualität zweier Hypostasen hervor und stellt selbst eine dritte Hypostase dar; im orthodoxen Verständnis dagegen ist eine Hypostase (die des Vaters) die Quelle zweier anderer (Sohn und Geist), die, da sie innerhalb der mit ihm geteilten Natur bleiben, mit ihm eine Dreieinheit bilden. So gibt auch Cusanus' Trinitätsdenken nicht den geringsten Grund zur Annahme, er hätte die Kirchen der Union einen Schritt näher bringen können. Letztes Kriterium: Wäre Cusanus zum Verzicht auf die römische Unfehlbarkeit bereit/ fähig gewesen? Nichts deutet darauf hin. In seine Gottesdefinitionen läßt sich eine Trinität nach dem katholischen Verständnis des Dogmas nur mit Mühe hineininterpretieren. Willkür und Inkonsequenz nimmt Cusanus dazu in Kauf. Man vergleiche die Trinitäten ordo = essentia, virtus, operatio (siehe oben) mit posse = posse facere (virtus), posse fieri (essentia), posse connexionis (siehe oben) und mit actio = potentia, obiectum, actus (Können, Gekonntes, Verwirklichung des Gekonnten) (d.i. 41). Cusanus schreibt lieber Unverständliches und Widersprüchliches, als daß er das römische Dogma einer kritischen Prüfung unterwerfen würde. Auch von seiner ganzen Einstellung her war er nicht zu einer
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vorurteilsfreien Diskussion bereit oder fähig. Den Byzantinern gegenüber war er um nichts besser als seine abendländischen Zeitgenossen (von wenigen löblichen Ausnahmen abgesehen). Er sah wie sie den Fall Konstantinopels im Jahre 1453 als eine verdiente Bestrafung der ketzerischen Griechen, die sich Rom nicht gebeugt hatten. In den Akten des sogenannten Regensburger Türkenreichstags von 1454 heißt es über ihn: "Weil er auch selbst in Griechenland gewesen war und Konstantinopel gesehen hatte, trug er vieles vor über die Macht der Türken und die Sitten der Griechen. Er versicherte, daß seiner Meinung nach das Geschlecht der Griechen würde ausgerottet werden, weil sie die römische Kirche geringschätzten, starrköpfige Menschen mit unreinem Geist seien, die offenkundig begriffen, daß die Lateiner vom Glauben viel mehr verstünden als sie selbst, aber lieber dem Irrtum unterlägen, als die Unterrichtung durch den römischen Stuhl zu akzeptieren. Er hätte noch nie ein unerträglicheres Volk als die Griechen gesehen, die Reichtum und Kaisertum verloren und weder Beredsamkeit noch irgendwelche Studien erhabener Wissenschaft bewahrt hätten und trotzdem nicht ohne Überheblichkeit und unglaublichen Stolz auskommen könnten." Weiter: "Er versicherte zwar, daß die Griechen ihre verdienten Strafen erlitten hätten, weil sie der römischen Kirche nicht hätten folgen wollen und auf trügerische Weise eine heuchlerische Union geschlossen hätten, mahnte aber gleichwohl die Christen sehr, das dem Erlöser zugefügte Unrecht zu rächen"17. Zwei Jahre später in einer Predigt erwähnte er anläßlich einer erfolgreichen Verteidigung Belgrads gegen Mehmed auch dessen Eroberung Konstantinopels und meinte dazu: "Denn ihre Einwohner sind bei der Lehre über den Hervorgang des Heiligen Geistes von der Einheit des katholischen Glaubens abgewichen und dem Glauben, den sie auf dem Konzil in der Hoffnung auf Hilfe gegen die Türken hinterlistig versprochen hatten, dann doch nicht treu geblieben ..."'8. Nicht unerwähnt bleibe hier der psychische Zwang, sich zum Papst und seinen Ansprüchen zu bekennen, dem Cusanus sich nach seiner Abkehr von Konstanz und Basel kaum hätte entziehen können. Eine aufrichtige Rückbekehrung zur concordantia catholica wäre ihm noch weniger abgenommen worden, als das schon mit seiner Bekehrung zur päpstlichen Monarchie der Fall gewesen war. Nicht uninteressant ist in diesem Zusammenhang die Frage, ob Cusanus im Denken einen neuen Weg ging, weil er sich aus eher praktischen Überlegungen zu Rom bekehrt hatte, oder umgekehrt zuerst anders zu denken anfing und sich aus diesem Denken heraus bekehrte. Ich möchte mich der Ansicht Stiebers anschließen, daß wohl ersteres der Fall war und die 'Bekehrung' von 1436/37 aus Motiven erfolgte, die in erster Instanz mit dem angestrebten sozialen Status, mit Pfründen (Sicherheitsbedürfnis) und Karrieremöglichkeiten für einen gewandten Juristen zu tun hatten19. Man geht wohl nicht fehl in der Annahme, daß Ehrgeiz und Stolz (die u.a. in 'Apologia doctae ignorantiae' zum Ausdruck kommen) die stärksten treibenden Kräfte im Leben des Mannes waren. Dafür sprechen die Fakten. Als 17 RTA XIX/l, 230 Nr. 26, 1 c und 2 c. Lateinisch zitiert von E. MEUTHEN, Der Fall von Konstantinopel und der lateinische Westen, in: MFCG 16 (1984) 35-60, hier 43 Anm. 35. 18 Zitiert nach MEUTHEN (Anm. 17) 48. Cusanus liegt mit dieser Aussage voll auf der päpstlichen Linie, vgl. VAN DIETEN (Anm. 4) 66 f. 19 J. W. STIEBER, The "Hercules of the Eugenians" at the Crossroads: Nicholas of Cusa's Decision for the Pope and against the Council in 1436/1437. Theological Political and Social Aspects, in: Nicholas of Cusa (Anm. 13) 221-255, hier bes. 221, 232, 235.
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die Zukunft für einen tüchtigen Juristen in Basel zu liegen schien, machte er sich dort bald einen Namen als scharfsinniger Verfechter der Basler Ideale ('De concordantia catholica', 'De auctoritate praesidendi', 1432-34). Als sich die Schwächen und die Unsicherheiten eines seinen Weg suchenden demokratischen Konzils und die größere Schlagkraft einer erprobten Monarchie herauszustellen begannen (1434-36), verdarb er es zunächst mit keiner Partei20. Als 1436/37 sich aber jeder entscheiden mußte, wechselte er zum Papst und wurde sofort in vorderster Front aktiv (Mitüberbringer des Minderheitsvotums nach Rom; Mitgesandter nach Konstantinopel, um die Griechen nach Rom zu holen; danach Herkules der Eugenianer21). Erst ab 1441 artikulierte sich sein neues Denken, das er selbst auf eine Erleuchtung aus der Zeit von 1437/38 zurückfuhrt. Für möglich halte ich, daß er aus dem, was er in bezug auf seine eigene Zukunft aus dem Basler Experiment als Lehre zog, auch eine Lehre ftir die Kirche ziehen zu müssen glaubte, nämlich daß Alleinherrschaft mehr Sicherheit biete als Demokratie. Doch dürften die eigenen, besseren Aussichten ihm am meisten geholfen haben, sämtliche selbst zusammengetragenen Argumente für 'Einheit in der Vielheit des Ganzen durch Eintracht und Toleranz' aus seinem Geist zu verdrängen und Platz zu schaffen für das neue alte Ideal vom Absolutismus des Hauptes und von der Dienstbarkeit aller Glieder unter dem einen Haupte. Auch die 'Apologia doctae ignorantiae' läßt uns keinen Mann erkennen, der bereit oder fähig war, Widerspruch Verständnis entgegenzubringen und Kritik ohne Animositäten zu prüfen, den Argumenten des Gegners statt Wiederholungen des eigenen Standpunktes wirkliche, auf die Kritik eingehende Argumente entgegenzusetzen oder Fehler in der eigenen Argumentation anzuerkennen22. Soweit meine Antwort auf die Frage: Was wäre, wenn Cusanus usw. Es ging mir aber auch um die daran anschließende Frage, was wir aus dieser Antwort lernen könnten. Was man auch von coincidentia oppositorum halten möge, die Gegensätze zwischen den christlichen Kirchen sind diesseits des jüngsten Gerichts auszuräumen; danach ist es zu spät, insbesondere für jene, die der Einheit im Wege gestanden haben. Miteinander sprechen hat keinen Sinn und ist Betrug, wenn nicht jeder auf jedes Vorurteil verzichtet und sich jeder kritischen Frage offen und ehrlich stellt. Auch die Glaubwürdigkeit Christi ist von kritischer Hinterfragung nicht auszuschließen. Es gilt noch immer als jeden Tag an jeden gerichtet seine Frage: "Für wen haltet ihr mich?" (Mk 8,29). Und jeder hat sich immer wieder zu entscheiden, ob er bei der Antwort bleibt: "Zu wem sollen wir gehen? Du hast Worte des 20
Ebd. 232-242. Ebd. 242-244. 22 Cusanus macht in a.d.i. Gebrauch vom literarischen Kunstgriff, das, was man von sich selbst hält, einem anderen in den Mund zu legen. Er läßt einen seiner Schüler einem anderen berichten über ein Gespräch, das er mit dem Meister über Wencks Buch hatte. Das ermöglicht es dem Autor, ohne üblen Geruch Eigenlob zu verbreiten und nur indirekt preiszugeben, wie sehr ihn dieser vir arrogantissimus (a.d.i. 1) verärgert hatte. Cusanus nutzt auch die Gelegenheit, durch den Mund seines Schülers seinen inzwischen siegreichen Kampf gegen die "verdammte Partei der Basler", zu der Wenck gehörte, hervorzuheben ("Du weißt, bester Freund, daß niemand mit soviel Leidenschaft den Baslern die Stirn bot wie unser Meister") und den päpstlichen Sieg über das Konzil als Sieg der Wahrheit hinzustellen (a.d.i. 5). 21
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ewigen Lebens" (Joh 6,68). Erst recht ist dann die Frage nicht auszuschließen, ob offensichtlich von Menschen unter Einfluß der Kultur ihrer Zeit in die Offenbarung hineininterpretierte, philosophische Dogmen auch Worte des ewigen Lebens sind. Wer so schwer, wie zuerst die Kirche, später die Kirchen in Haupt/Häuptern und Gliedern gegen das, was der Herr sagte, gesündigt hat, sollte nicht glauben, die Art, theologisch "Herr, Herr" zu rufen, könnte nicht genau so daneben gegangen sein. Cusanus schreibt über Vorurteile: "So groß ist die Kraft langjähriger Übung, daß viele sich lieber das Leben als das, woran sie sich gewöhnt haben, nehmen lassen. Wir erleben das bei der Verfolgung von Juden, Sarazenen und anderen hartnäckigen Ketzern, die eine mit der Zeit gefestigte Meinung zum Gesetz erheben, das sie ihrem Leben vorziehen" (a.d.i. 6). Der Mann, der als Reformer in päpstlichem Auftrag die Judendiskriminierung einschärfte, liefert mit diesem Satz selbst den besten Beweis für die Macht des Vorurteils: Er wird sich nicht bewußt, daß es - frei nach Sokrates - besser ist, aus Vorurteil zu sterben als zu töten, wie es 'die Kirche' tat. Ich möchte schließen mit dem Hinweis auf ein philosophisches Vorurteil, das von Parmenides über Plato, Philo, Plotinos, Proklos, Pseudo-Dionysios in die lateinische Theologie eindrang, ganz besonders auch von Cusanus geteilt wird, aber auch noch lange nach ihm die Lehre von Gott bestimmte: Der Mensch kennt kein anderes 'Sein' als 'Sein in Bewegung'. Parmenides erklärte diesem 'Sein' Heraklits den Krieg und erfand ein 'Sein', das mit Bewegung in keiner Weise etwas zu tun haben durfte. So wurde 'Sein' zu einem reinen Negativum in bezug auf unsere Realität. Das parmenidische 'Sein' ist dimensionslos, weder irgendwo noch überall, zeitlos, ohne früher, ohne später, ohne Dauer, unbeweglich, unveränderlich, ohne jede Pluralität oder Zusammensetzung und daher so eins, daß darin nichts unterschieden werden kann. Bei Plato wurde es sogar zum überseienden Einen, wovon man nur eins sagen kann: "Eines". Letztendlich mündete dieser Monismus in den Glauben, im Einen sei alles enthalten, wie alle Zahlen in der Zahl eins und wie alle Dimensionen im (dimensionslosen) Punkt (a.d.i. 15). Man kann diese Ansicht eine Vision nennen; mit ratioalem Denken, das von dem, was der Mensch kennt, ausgeht, hat sie nichts zu tun. So wie der Punkt als Realität nur denkbar ist als Schnittpunkt zweier Linien, eine Linie nur als Schnittlinie zweier Flächen, eine Fläche nur als Begrenzung eines dreidimensionalen Körpers und ein Körper nur als existent im Raum-Zeit-Kontinuum, kann die nulldimensionale Einheit des frei schwebenden Punktes nicht existenzfähig, nicht einmal Ausgangspunkt des Urknalls sein, so wenig wie Alleinexistierendes je die Zahl eins ergeben hätte. Es ist unlogisch, aus dem einzigen 'Sein', das wir kennen und das sich in seiner höchsten Entfaltung als Leben, Denken und Wollen offenbart - was alles ohne Bewegung undenkbar ist - auf eine Ur-Sache zu schließen, der jedes Leben fremd sein müßte, da es Bewegung und deshalb Pluralität und Unterscheidbarkeit in die Urmonade einfuhren würde. Logischer wäre es, als Ursache eines 'Seins in Bewegung' und einer unübersehbaren 'Pluralität des Seins' ein unseren Verstand übersteigendes, lebendiges 'Ursein' zu postulieren, das nicht den cusanischen Superlativ eines Aspekts des Seins verselbständigt wie etwa 'groß' oder 'mächtig', sondern das eine Vielheit in Einheit entfaltet, von der wir uns kein Bild und keinen Begriff machen können. Will man es doch versuchen, dann nicht mit Hilfe von Abstraktionen, sondern indem man das Zusammengehen höchster Komplexität und harmonischer Einheit bewundert, wo es das nur gibt. Weil das Zusammengefaltetsein nicht Vorbild und Ziel der
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Entfaltung sein kann, halte ich diese 'Vision' für logischer als die des 'überseienden Einen'. Wie dem auch sei, auf der Ebene des Glaubens haben beide Visionen nichts zu suchen. Wenn die Cusanus-Lektüre etwas deutlich macht, ist es dies, daß keine unserer philosophischen oder theologischen Spekulationen aus dem beschränkten Kennen und Wissen, worin wir eingemauert sind, auszubrechen vermag. Jede rationale Aussage über Gott erweist sich als unmöglich, jede irrationale Aussage hat nicht mehr Autorität als ihr Urheber. Jesus hat nicht über Gott spekuliert, sondern nur gelehrt, wie wir unser Verhältnis zu ihm und seinetwegen zueinander zu gestalten haben. Philosophische Aussagen über Gott sollten die Kirchen den Philosophen überlassen. Ihr Auftrag ist es, über Gott nur mit den Worten Gottes zu reden und vor allem einträchtig nach diesen Worten zu handeln.
Bruneck 1460 Nikolaus von Kues - der Bischof scheitert an der weltlichen Macht VON HERMANN JOSEF HALLAUER Für Nikolaus von Kues sollten die dramatischen Apriltage des Jahres 1460 zu einem Einschnitt, wahrscheinlich dem härtesten in seinem Leben werden. Obwohl die Forschung den damaligen Geschehnissen breiten Raum widmete 1 , blieben Ablauf und Hintergründe dennoch in einem merkwürdigen Nebel; einmal, da sich unmittelbare Zeugnisse aus jenen Wochen nur spärlich erhalten haben, vor allem aber, weil die Kanonade von Bruneck bald in den Strudel wechselseitiger Polemik hineingezogen wurde und als Waffe diente in einer hochbrisanten kirchenpolitischen Auseinandersetzung um Konziliarismus und die kurz zuvor publizierte Bulle 'Execrabilis'2. Nachdem Behauptungen Gegenbehauptungen provoziert hatten, wurde es immer schwieriger zu ergründen, wie es nun wirklich gewesen war. Eine damit Hand in Hand einhergehende Emotionalisierung erschwerte obendrein das objektive Urteil. Bisher nicht bekannte oder kaum beachtete Dokumente ermöglichen es uns, Abläufe deutlicher nachzuzeichnen, Korrekturen an früheren Annahmen anzu1 In den hier gesetzten engen Grenzen kann nur eine kleine Literaturauswahl angegeben werden: F. A. SLNNACHER, Beyträge zur Geschichte der bischöflichen Kirche Säben und Brixen in Tyrol, VI, Brixen 1828 (ND 1992) 486 ff.; F. A. SCHARPFF, Der Cardinal und Bischof Nicolaus von Cusa, I, Tübingen 1843 (ND 1967) 305 ff.; A. JÄGER, Der Streit des Cardinais Nicolaus von Cusa mit dem Herzoge Sigmund von Österreich als Grafen von Tirol, 2 Bde., Innsbruck 1861 (ND 1968); A.JÄGER, Geschichte der landständischen Verfassung Tirols II/2, Innsbruck 1885 (ND 1970); G. VOIGT, Enea Silvio de' Piccolomini als Papst Pius der Zweite und sein Zeitalter III, Berlin 1863 (ND 1967) 345 ff.; E. VANSTEENBERGHE, Le cardinal Nicolas de Cues (1401-1464), Paris 1920 (ND 1963) 191 ff.; A. SPARBER, Wie kam es zur Gefangennahme des Fürstbischofs und Kardinals Nikolaus von Cues in Bruneck, in: Brunecker Buch = Schlern-Schriften 152 (1956) 97-107; E. MEUTHEN, Die letzten Jahre des Nikolaus von Kues. Biographische Untersuchungen nach neuen Quellen (Wissenschaftl. Abhandlungen der AG für Forschung des Landes NRW 3) Köln-Opladen 1958, 53 ff.; N. GRASS, Cusanus als Rechtshistoriker, Quellenkritiker und Jurist, in: Cusanus Gedächtnisschrift, hg. von N. GRASS, Innsbruck-München 1970, 101-210, ebd. 193 ff.; N. GRASS, Cusanus und das Fehdewesen, in: Arbeitsleben und Rechtsordnung, Festschrift Gerhard Schnorr, hg. von O. MARTINEK/ G. WÄCHTER, Wien 1988, 792 ff.; W. BAUM, Nikolaus Cusanus in Tirol (Schriftenreihe des Südtiroler Kulturinstituts 10) Bozen 1983, 375 ff.; W.BAUM, Sigmund der Münzreiche (Schriftenreihe des Südtiroler Kulturinst. 14) Bozen 1987, 177 ff. Im folgenden werden - teils über das Abkürzungsverzeichnis hinaus - noch folgende Kürzel verwendet: BA = Bistumsarchiv; CGS = Cusanus Gedächtnisschrift (vgl. oben GRASS); GNM = Germanisches Nationalmuseum; HHStA = Haus-, Hof- und Staatsarchiv; HStA = Hauptstaatsarchiv; NvK = Nikolaus von Kues; StA = Staatsarchiv/ Archivio di Stato; StB = Staatsbibliothek; StiB = Stiftsbibliothek; TLA = Tiroler Landesarchiv. 2 Die Bulle vom 18.1.1460 ist daher immer wieder in Verbindung mit dem Brixener Streit überliefert, u.a. Bozen StA, U 61; ebd., Cod. 3, p. 148-152; Cod. 4, p. 65-66; Cod. 6, p. 31-32. Von den zahlreichen Drucken seien hier genannt: G. B. PLCOTTI, La pubblicazione e i primi effetti della 'Execrabilis' di Pio II., in: Archivio della R. Società Romana di Storia Patria 37 (1914) 51 f.; R. KEMPER, Gregor Heimburgs Manifest in der Auseinandersetzung mit Pius II., o.O. 1985, 123 f.; zur Bewertung jetzt: H.-J. BECKER, Die Appellation vom Papst an ein allgemeines Konzil (Forschungen zur kirchl. Rechtsgeschichte und zum Kirchenrecht 17) Köln-Wien 1988, 162 ff.; J. HELMRATH, Execrabilis, in: LMA IV (1989) 160.
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bringen und, dies scheint mir noch wichtiger, überzeugender die Beweggründe der Gegenspieler, des Kardinals und des Herzogs, zu interpretieren. Jene Quellen relativieren auch die Glaubwürdigkeit der Aussagen und Argumente, denen wir in der reichen Publizistik begegnen. Denn der mühsam vermittelte Frieden endete bald in einem schonungslosen Propagandakrieg, in dem Herzog, Bischof und Domkapitel3 immer wieder, sei es anklagend oder apologetisch, vom "Überfall" sprechen, ohne dabei wesentlich zu helfen, die Fakten ans Licht zu bringen. Nachdem Nikolaus von Kues im September 1458 sein Bistum verlassen hatte, um in Rom größere Aufgaben zu übernehmen4, schien es zeitweise, als ob seine Abwesenheit eine Aussöhnung mit dem Herzog begünstige. Für Sonnenburg konnte der Herzog mit Barbara Schöndorffer5 eine neue Äbtissin präsentieren; Gebhard von Bulach, der Generalvikar des Bischofs, durfte dem Klerus weitreichende Absolutionsvollmachten übertragen, und mit der Herzogin entspann sich ein freundlicher Briefwechsel. Schließlich gelang es dem Trienter Bischof Hack im April 1459, in weiteren Punkten Kompromisse zu erzielen6. Diese Entspannung lag ganz im Sinne des Papstes, dessen Aktivitäten sich damals auf die Vorbereitung eines Kreuzzuges und die Einberufung eines Fürstenkongresses nach Mantua konzentrierten. Der leidige Brixener Streit war hier nur eine Belastung, und so erhoffte er, den endgültigen Ausgleich persönlich vermitteln zu können. Entsprechend setzte Pius II. seine ganze Überredungskunst ein - uns sind nicht weniger als neun Einladungsschreiben bekannt -, um Herzog Sigismund zur Reise nach Mantua zu bewegen7. Dorthin rief er auch Nikolaus von Kues, der sich - allerdings ohne sonderlichen Enthusiasmus - von Rom aus aufmachte. Nachdem auch noch eine Delegation des Domkapitels aus Brixen angereist war8, schienen alle Voraussetzungen zu erfolgreichen Gesprächen erfüllt. Am 21. November 1459 kam es im Konsistorium vor Papst und Kardinälen zu einer ersten Begegnung zwischen Bischof und Herzog9. Sigismund ergriff selbst nicht das Wort, sondern überließ dies seinem Rat Gregor Heimburg, der noch 3
Die Polemik nimmt die häßlichsten Formen an: alle Schuld liege bei NvK (ex cuius culpa cuncta procedunt - Bozen StA, Lade 3, nr. 9 H, fol. 4r) oder NvK stehe den Verbrechern näher als den Anständigen (ut socius sceleratorum magis dici quam bonorum - Brixen BA, OA 7321). 4 Dazu MEUTHEN, Die letzten Jahre (Anm. 1) 15 ff. 5 Barbara Schöndorffer kam aus der Abtei Nonnberg/ Salzburg, wo sie seit 1446 belegt ist. Obwohl sie in Quellen und Literatur häufig 'Äbtissin' genannt wird, erhielt sie nie die benedictio, blieb also 'Erwählte'. So noch kurz vor ihrem Tode in einer Urkunde von 1472 Mai 31: Nürnberg GNM, Allg. Urkunde-Reihe, 1472 V 31. 6 Innsbruck TLA, Sigm. IX, 62, fol. 206r-v, fol. 267r, fol. 169r-v; ebd., Hs. 5911a, fol. 63r-v; JÄGER, Streit (Anm. 1) I 323 f. 7 MEUTHEN, Die letzten Jahre (Anm. 1) 186 Anm. 7; JÄGER, Streit (Anm. 1) I 318. Ankunft in Mantua am 15. November: Budapest, Mus. Nat. NB Szechenyi, Cod. Lat. 211, fol. 178. 8 Vollmacht für Georg Golser und Stephan Stainhorn: Brixen BA, OA 7314; zu den Aufgaben der Gesandten: Innsbruck TLA, Hs. 591 la, fol. 71r-74r. 9 Zu den Verhandlungen noch immer grundlegend: P. JOACHIMSOHN, Gregor Heimburg (Histor. Abh. aus dem Münchener Seminar 1/1) Bamberg 1 8 9 1 , 1 4 4 ff.; JÄGER, Streit (Anm. 1) I 3 2 9 ff.; JÄGER, Landständische Verfassung (Anm. 1) II/2 1 6 9 ff.; G. B. PLCOTTI, La dieta di Mantova e la politica de'Veneziani, Venedig 1912, 236 ff.; M. WATANABE, Humanism in the Tyrol: Aeneas Sylvius, Duke Sigmund, Gregor Heimburg, in: The Journal of Medieval and Renaissance Studies 4 ( 1 9 7 4 ) 194 ff.
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nicht den Konflikt ansprach . Erst an den folgenden Tagen erörterte man in kleinem Kreis die Differenzen. Da sich keine Protokolle aus den Sitzungen erhalten haben, sind wir weitgehend auf fragmentarische Bemerkungen in Briefen und späteren Streitschriften angewiesen". Auf die Verhandlungen kann hier nicht näher eingegangen werden. Trotz vielfaltiger Schlichtungsversuche, zuletzt auch noch durch den Bischof von Eichstätt, verließ Herzog Sigismund am 29. November Mantua, ohne daß man sich nähergekommen war, und nach dem Zeugnis des Papstes ritt der Herzog aus der Stadt ut ipse testatus est, cardinalis inimicus, papae amicusn. Zu dem Scheitern der Gespräche wird nicht unwesentlich die Anwesenheit Gregor Heimburgs beigetragen haben. Dieser geniale Agitator sollte in den nächsten drei Jahren entscheidend die Qualität des Streites prägen13. Pius II. ließ nicht ab, den Herzog zu umwerben. Während noch einige Innsbrucker Räte in Mantua weilten, konnte er den Markgrafen Karl von Baden, dessen freundschaftliches Verhältnis zum Tiroler Fürsten bekannt war, überreden, die Vermittlungsbemühungen wieder aufzunehmen14. Nikolaus von Kues, seine Skepsis nicht verhehlend, willigte ein. Als willkommene Brücke sollte eine Klausel der Kompaktaten vom 13. Januar 1454 dienen15. Beide Parteien wurden aufgefordert, Anfang Januar je drei Bevollmächtigte nach Trient zu entsenden. Dort sollte versucht werden, den Konflikt, der nun schon über 30 Monate andauerte, beizulegen. In seinem Breve an den Herzog beschwor Pius II. diesen nachzugeben: andernfalls seien schlimmste Folgen zu befürchten16. Der Prozeß werde seinen Lauf nehmen und auch Cusanus sei entschlossen, iuris remedia experiri. Wie sehr dem Papst daran lag, Sigismund günstig einzustimmen, machte auch ein Schreiben deutlich, das er drei Tage später folgen ließ17. Etwa gleichzeitig rang sich auch Cusanus zu einer wichtigen Entspannungsgeste durch: er bestätigte die Kapitelsstatuten, obgleich nur im Umfang seines Vor10 Druck: JOACHIMSOHN, Gregor Heimburg (Anm. 9) 316-318. Die von P. JOHANEK, Gregor Heimburg, in: Verf.Lex III (1981) 636, zusammengestellte Überlieferung ist zu ergänzen durch: Salzburg, Abtei St. Peter, Hs. b VIII 15, fol. 174r-180r. 11 Aus einer Vielzahl von Belegen: Innsbruck TLA, Hs. 5672, p. 25-27; ebd., Hs. 591 la, fol. 37lr373v; Bozen StA, Lade 34, nr. 19 B und C. 12 Pii II Commentarii, ed. A. VAN HECK (Studi e testi 312) I, Città del Vaticano 1984, 235. 13 Zur Besonderheit von Heimburgs Publizistik vgl. JOACHIMSOHN, Gregor Heimburg (Anm. 9) 205. NvK umschreibt seine Haltung im Oktober 1462: Ego me subieci. Ipse [Sigismund] recusavit et abiit; Bernkastel-Kues StiB, Hs. 221, p. 427. Anders das Kapitel: et ex qua causa seu cuius culpa expresse ignorât capitulum; Bozen StA, Lade 3, nr. 9 P. 14 Pius II. an Herzog Sigismund, Mantua, 1459 Dezember 17, Or.: Innsbruck TLA, Pestarchiv Akten XXXIX, 155. Das Schreiben war bisher unbekannt, wird jedoch erwähnt in der Aktensammlung des Domkapitels "Handlung", Innsbruck TLA, Hs. 5911a, fol. 8Ir. Vgl. auch JÄGER, Streit (Anm. 1) I 344. 15 Or. Innsbruck TLA, U I, 8967. Ein Faksimile der Urkunde in: Der Herzog und sein Taler. Erzherzog Sigmund der Münzreiche, Landesausstellung Innsbruck 1986, 116, Nr. 1.48. Der Gegenbrief des Herzogs ist im Original nicht überliefert, liegt jedoch in vielen Kopien vor, z.B. Innsbruck TLA, Pestarchiv Akten XXXIX, 131; Nürnberg GNM, WA, Fasz. 30a, Nr. 2. Zum Inhalt ausfllhrlich: GRASS, Cusanus als Rechtshistoriker (Anm. 1) 168. Die beiden Verträge wurden in den folgenden Jahrhunderten immer wieder von den Bischöfen zur Verteidigung der Reichsstandschaft herangezogen, so noch 1641 in Regensburg: Brixen BA, OA 22 145. 16 Innsbruck TLA, Pestarchiv Akten XXXIX, 155: liberabis te a strepitu iudiciali contra te et tuos. 17 Or. Wien HHStA, 1459 Dezember 20. Regest: E. M. LlCHNOWSKY, Geschichte des Hauses Habsburg VII, Wien 1843 (ND 1973) Nr. 285.
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gängers Georg von Stubai . Als schließlich die Gespräche in Trient begannen, standen eben jene Fragen im Mittelpunkt, über die man in Mantua keinen Konsens hatte finden können: der "Wiltener Überfall", das Interdikt, die Lehen19 und als neuer Streitpunkt die Schürfrechte in Garnstein20. Noch vor Eröffnung der Verhandlungen versuchte das Kapitel seinerseits auf den Bischof einzuwirken, indem es ihm über die intransingente Haltung des Herzogs und dessen Entschlossenheit berichtete, notfalls auch mit Gewalt seine Forderungen durchzusetzen. Außerdem sei das Hochstift weder personell noch materiell für einen Konflikt gerüstet, so daß, falls in Trient keine Einigung erfolge, versehenlich sey, wir möchten mit swaren gewalt gedrungen werden11. Solche verzweifelten Mahnungen der Domkapitularen verfehlten nicht ihre Wirkung, und so nahmen die Gespräche einen insgesamt günstigeren Verlauf, trotz einer Schikane, mit der zu Beginn die Innsbrucker Delegierten das Klima belasteten. Sie zweifelten das Credentiale des Kardinals an, weil dieses auf Papier geschrieben und nur mit der Petschaft beglaubigt sei. Erst als Boten eine neue Vollmacht, nun auf Pergament, aus Mantua herangeschafft hatten, konnten die Unterhandlungen fortgesetzt werden. Ein Ausgleich schien in greifbare Nähe zu rücken, scheiterte dann aber an den Rechtsansprüchen auf Garnstein22. Bei Garnstein, im Gericht Latzfons gelegen 23 , hatte Herzog Sigismund auf der Suche nach Silber einen Stollen in den Berg treiben lassen. Noch von Mantua aus ließ Nikolaus von Kues die Arbeiten unterbinden, da seiner festen Überzeugung nach Garnstein zum Hochstift gehörte, wo die Bischöfe seit 1217 das unumschränkte Bergregal besaßen24. Die Reaktion des Herzogs blieb nicht aus: Er ließ erneut das Bergwerk besetzen und vertrieb seinerseits die bischöflichen Knech-
18 14.12.1459: Innsbruck TLA, Hs. 591 la, fol. 77v; JÄGER, Streit (Anm. 1) I 339 ff., allerdings mit falscher Datierung 9. Dezember; Bischof Johann Röttel hatte sich ebenfalls nur zu einer Bestätigung der vorliegenden Statuten bereitgefunden: L. SANTIFALLER, Gli Statuti del capitolo della cattedrale di Bressanone nel Medio Aevo, in: Archivio per PAlto Adige 22 (1927) 105-108. Die Bestätigung von 1442 VII 12: Brixen, Kapitelsarchiv, Lade 25, Nr. 5, A. Eine Kopie, o.D., Innsbruck TLA, Hs. 591 la, fol. 74r-77v. Druck: SANTIFALLER 101-104. 19 Inzwischen hatte NvK weitergehende Ansprüche aufgegeben und bestand nur noch auf einer Belehnung mit gleichzeitiger Aufzählung der Lehen, etwa in der Form der Urkunde von 1438 Dezember 17: Bozen StA, U 1384; Kopie: Bernkastel-Kues StiB, Hs. 221, p. 363; Innsbruck TLA, Hs. 5672, p. 93-94. Herzog Sigismund drängte auf eine pauschale Neubelehnung. 20 Credentiale der Vertreter des Herzogs: Innsbruck TLA, U I, 8978; zum Inhalt der Gespräche: Innsbruck TLA, Sigm. IX, 62, fol. 363; ebd., Hs. 5911a, fol. 81r-83r; fol. 335v-336r; Bozen StA, Cod. 82, p. 27. Vgl. auch JÄGER, Streit (Anm. 1) I 356 ff. 21 Innsbruck TLA, Hs. 5911a, fol. 87v. Zur Haltung des Kapitels auch die Randnotiz von W. Neidlinger: Bozen StA, Cod. 3, p. 142. 22 Eine abgewogene Bewertung der Brixener Ansprüche: J. v. SPERGES, Tyrolische Bergwerksgeschichte, Wien 1765, 80 f. Vgl. auch A. JÄGER, Beitrag zur Tirolisch-Salzburgischen BergwerksGeschichte, in: AÖG 53 (1875) 360 f f ; O. STOLZ, Die Anfänge des Bergbaues und Bergrechtes in Tirol, in: ZRG GA 48 (1928) 241; O. TRAPP, Tiroler Burgenbuch, Bd. 4, Bozen, 1977, 178 ff. 23 O. STOLZ, Politisch-historische Landesbeschreibung von Südtirol, in: Schlern-Schriften 40 (1937) 395 ff. 24 NvK ließ sich am 7.12.1452 die Kaiserurkunde bestätigen: Bozen StA, U 23. Druck: W. BAUM, in: Der Schiern 61 (1987) 108f. - Die von A. POSCH geäußerten Zweifel an der Echtheit der Urkunde sind gänzlich unbegründet. NvK zu seinen Rechtsansprüchen: Innsbruck TLA, Hs. 591 la, fol. 346rv. Dazu auch die autographe Notiz des NvK auf der Urkunde München HStA, HU Brixen Nr. 73. Vgl. auch JÄGER, Bergwerks-Geschichte (Anm. 22) 341 f.; GRASS, Cusanus als Rechtshistoriker (Anm. 1) 164.
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te . Also wurden die Gespräche abgebrochen, man verständigte sich jedoch auf den Rechtsweg26. Wenig später unternahm Markgraf Albrecht von Brandenburg auf Bitten des Papstes einen weiteren Versuch, Frieden zu stiften27. Auf diese Vermittlung setzte Pius II. seine besondere Hoffnung, trotz des Trienter Fehlschlages. In einem Breve vom 18. Januar 1460 bat er Herzog Sigismund, alle Schritte zu unterlassen, die einen Ausgleich erschweren könnten, der immer noch auf der Grundlage der Kompaktaten von 1454 möglich sei. Diese wollte auch der Kardinal strikt beachten (inviolabiliter conservabitur)28. In der Tat versicherte Cusanus in jenen Tagen immer wieder seinen Friedenswillen, zuletzt noch Ende Januar dem Kapitel gegenüber29. In dieser gereizten Situation durfte man gespannt sein, ob Nikolaus in seine Diözese zurückkehren werde. Er hatte zwar mehrfach Andeutungen fallen lassen, nochmals für kurze Zeit Brixen zu besuchen. Doch als er noch am 20. Januar 1460 die Verwaltung der Temporalien dem Kapitel übertrug mit der Auflage, zwei Chorherren ihrer Wahl sowie Bartholomä von Liechtenstein, den Hauptmann von Bruneck, als Verweser einzusetzen30, schien er den Gedanken an eine Heimkehr aufgegeben zu haben. Offensichtlich verstand das Kapitel das ebenso und richtete sich auf die neue Lage ein, indem es am 26. Januar dem Herzog seine uneingeschränkte Loyalität zusagte31. Ende Januar kursierten dann überraschend Nachrichten: der Kardinal wolle nach Deutschland reisen32, oder präziser, er plane für die nächsten Tage seine Rückkehr nach Brixen33. Was hatte ihn, trotz verschiedener Warnungen34, zu dem riskanten Entschluß bewogen? Er selbst sprach später mehrfach von einem Brief des Trienter Bischofs, der ihn dringend aufforderte, in sein Bistum zu kommen, und alle Bedenken einer möglichen Gefährdung zerstreut habe35. Das genaue Abreisedatum läßt sich nicht mit letzter Sicherheit ermitteln. Einerseits nennt Bar25
Frankfurt/M., Stadt- und Univ.bibl., Ms. Barth. 96, fol. 260v; Bozen StA, Cod. 82, p. 27; Innsbruck TLA, Hs. 591 la, fol. 328r, 335v-336r; J Ä G E R , Streit (Anm. 1) I 362 f. 26 Innsbruck TLA, Hs. 591 la, fol. 81r-83r; ebd., Sigm. IX, 62, fol. 363. 27 Das päpstliche Memoriale, von der Hand des Peter von Erkelenz, datiert vom 15.1.1460, also unmittelbar nach Abbruch der Trienter Verhandlungen: Innsbruck TLA, Sigm. IX, 62, fol. 214. Eine Kopie: Innsbruck TLA, Hs. 5911a, fol. 108r-v. Zum Inhalt: J Ä G E R , Streit (Anm. 1) I 359 f., und B A U M , Sigmund (Anm. 1) 186 (stark verkürzend). 28 Bernkastel-Kues StiB, Hs. 221, p. 208; ein Regest: Innsbruck TLA, Hs 5911a, fol. 89r-v. Die Antwort des Herzogs: Bernkastel-Kues StiB, Hs. 221, p. 208. 29 Einem undatierten Memorandum aus der Kanzlei des NvK ist zu entnehmen, daß dieser vor seiner Rückkehr bereit war, den status quo zu akzeptieren, d.h. weitergehende Ansprüche, die in verschiedenen Denkschriften erhoben wurden, ruhen zu lassen. Brixen BA, OA 7316; München StB, Cgm 975, fol. 82v-104r; Innsbruck TLA, Hs. 5911a, fol. 333r-351v. Eine lat. Version: BernkastelKues StiB, Hs. 221, p. 239-244. 30 Or. Brixen, Kapitelsarchiv, Lade 101. Einen vicarius in spiritualibus bestellte er, soweit wir wissen, nicht. 31 Innsbruck TLA, Hs. 591 la, fol. 89v-90v; JÄGER, Streit (Anm. 1) I 363. 32 Budapest, Mus. Nat. NB Sz6chenyi, Cod. Lat. 211, fol. 178r; München HStA, Geh. Hausarchiv, Akt 588 1/2, fol. 21. Dazu auch: J O A C H I M S O H N , Gregor Heimburg (Anm. 9 ) 166; M E U T H E N , Die letzten Jahre (Anm. 1) 213. 33 Innsbruck TLA, Hs. 591 la, fol. 89r; M E U T H E N , Die letzten Jahre (Anm. 1) 56 und 213 f. 34 Innsbruck TLA, Hs. 591 la, fol. 71v; Brixen, Bibliothek des Priesterseminars, Ms. D 13, fol. 46r. 35 Bernkastel-Kues StiB, Hs. 221, p. 102, 201, 240, 249, 427; Innsbruck TLA, Hs. 591 la, fol. 336r, 355v. Vgl. auch J Ä G E R , Streit (Anm. 1) I 360; V A N S T E E N B E R G H E , Le cardinal (Anm. 1) 194.
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bara Gonzaga den 4. Februar36, andererseits existieren mehrere Belege, die seine Anwesenheit in Bruneck bereits für den 5. Februar bezeugen 37 . Trotz der beruhigenden Worte des Trienter Bischofs und der angeblichen Sicherheitsgarantien des Herzogs bestimmten Ängste das Verhalten des Kardinals. In einem Gewaltritt auf frbmden Wegen, wie man ihm später vorhielt38, d.h. nicht auf der üblichen Route, sondern am Territorium des Herzogs vorbei, eilte er nach Bruneck, eine angesichts der Wegeverhältnisse im frühen Februar für den 60jährigen Herren imponierende Leistung. Seine alte Energie schien wiedergewonnen. Unverzüglich nahm er seine bischöflichen Pflichten wahr, verlieh die Lehen39, ordnete Reparaturarbeiten an40, ließ in Bruneck und Säben die Wehranlagen überprüfen41 und Eisenkugeln für die Festungskanonen (terraszpüchsen) beschaffen 42 . Wir haben Grund zur Annahme, daß Nikolaus von Kues von Bruneck sogleich weiter nach Buchenstein wollte. Denn am 5. Februar zog Peter Gruber, bischöflicher Hauptmann zu Thum an der Gader, mit 44 Gesellen dem Kardinal bis Saalen entgegen, um ihm sicheres Geleit nach Buchenstein zu geben, doch dieser kam nicht43. Drei Tage später, am 8. Februar, ritt Peter Gruber abermals dem Kardinal bis Saalen entgegen, und wieder vergebens44. Warum zögerte Cusanus, warum ritt er zuerst nach Bruneck45 und nicht direkt durch das Fleims- und Fassatal in seine Dolomitenburg? Ein möglicher Grund könnte sein, daß er dort den päpstlichen Legaten Kardinal Bessarion anzutreffen hoffte, den Simon von Wehlen vom 2. bis 4. Februar vergeblich in Schloß Bruneck erwartet hatte46. 36
Zum Abreisedatum: MEUTHEN, Die letzten Jahre (Anm. 1) 56, 214 Anm. 4; BAUM, Nikolaus Cusanus (Anm. 1) 382 (Brief jedoch nicht 'an' Barbara Gonzaga). Irrig VANSTEENBERGHE, Le cardinal (Anm. 1) 195. 37 Vgl. Anm. 39. Da die Datierungen im Lehensregister eindeutig sind, andererseits die Strecke Mantua-Bruneck kaum in zwei Tagen zu bewältigen ist, dürfte sich entweder beim Abreise- oder Ankunftsdatum ein Fehler eingeschlichen haben. Denkbar ist auch eine Vordatierung der Lehensurkunden. Es steht anzunehmen, daß NvK im Herbst 1458 die Register mitführte, da alle Eintragungen zwischen Herbst 1458 und dem 5.2.1460 fehlen. Als NvK am 25.4.1460 sein Bistum verließ, nahm er wiederum die Lehensregister mit, was das Kapitel später als 'Entführung' bezeichnete (Bozen StA, Cod. 3, p. 235). Dies erklärt ebenfalls, daß sich aus den späteren Jahren nur eine einzige Belehnung im Register findet: 1463 März 27, Schützenlehen für Konrad Glotz: Bozen StA, BL I, fol. 80v, fol. 430v-431r. Das Or.: Bozen StA, Arch. feudale U 74; Kopie: ebd., Lade 43, nr. 26 A. 38 Bozen StA, Lade 34, nr. 19 B; Innsbruck TLA, Hs. 5672, p. 25-31; ebd., Hs. 5911a, fol. 373v. Vgl. auch SlNNACHER, Beyträge (Anm. 1) VI, 479. 39 An Primus Seil, Lazarus Wenczel von Köstlan und Lienhard den Maler (Leonhard Scherhauff?): Bozen StA, BL I, fol. 355r-356r. Zur Belehnung des Lienhard Maler auch E. STEINMAIR, Michael von Sabs, Brixen 1985,202 fol. Nr. 39. 40 Brixen BA, OA 5761, fol. 8v, 9r. 41 Brixen BA, OA 5761, fol. 9v-10r; Bozen StA, Lade 3, nr. 9 P; Innsbruck TLA, Hs. 5911a, fol. 364r, 373v. 42 Brixen BA, OA 5762, fol. 4v. 43 Item am ertag [5.2.], da meins Herren gennad gen Puechenstayn wolt reyten von Prawnechken, da pin ich geczogen gen Sälen [Saalen] selb xxxxiiii, da cham meins herren genad nytt; da hab ich verczertt zu Czbyssenbasser [Zwischenwasser] xxi gr., i'j'i/[irer], vnd hab zu Pyculein [Pikolein] verczertt xxiv gr. 44 Diesmal mit 18 Gesellen: Brixen BA, OA 27 863, Nr. 9. 45 Der kurze Zwischenaufenthalt in Bruneck Anfang Februar 1460 drang nur wenig ins Bewußtsein der Akteure, die gewöhnlich von einer Rückkehr von Mantua nach Buchenstein sprechen: Bernkastel-Kues StiB, Hs. 221, p. 101, 249, 427; Bozen StA, Cod. 3, p. 82; Innsbruck TLA, Hs. 591 la, fol. 91r-v. 46 Brixen BA, OA 5761, fol. 13r. Zum Aufenthalt Bessarions in Tirol: E. MEUTHEN, Zum Itinerar der deutschen Legation Bessarions (1460/61), in: QFIAB 37 (1957) 329.
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Inzwischen erhielt das Domkapitel Nachricht von der Rückkehr seines Bischofs und beeilte sich, ihn zu begrüßen. Simon von Wehlen brachte den Brief aus Brixen mit. Das Schreiben verrät nichts von Freude über die Heimkehr des Oberhirten, im Gegenteil. Selbstbewußt erinnern die Domherren ihn an seine Pflichten als Seelenhirt47, fordern die Freigabe der cura animarum und berufen sich dabei auf Artikel der Konzilien von Konstanz und Basel. Vom Herzog habe er nichts zu befürchten {nihil desiderare inhonestum). Cusanus reagierte verstimmt und antwortete erst am 13. Februar. In der zentralen Frage der cura animarum lehnte er ein Einlenken ab: Ego non moveor passione, sed ducor racione et consilio apostolico. Diese seine Haltung könne er vor einem geistlichen Gericht verteidigen. Zugleich warnte er die Kanoniker, denen er Abhängigkeit vom Landesherrn vorwarf, die Frage der Seelsorge dem Legaten vorzulegen, der sich in jenen Tagen in Brixen aufhielt48. Wie sehr mußte er sich von einem Domkapitel verraten fühlen, das seiner Meinung nach mit dem Herzog kollaborierte und nun auch versuchte, hinter dem Rücken des Bischofs vom päpstlichen Legaten das zu erreichen, was er, Cusanus, ihnen abgeschlagen hatte. Furcht und Empörung zugleich überwältigten ihn. Noch am gleichen Tag verließ er das bequeme Bruneck, um mitten im Februar den Ritt (Schlittenfahrt?) über den fast 2200 m hohen winterlichen Val Parola-Paß zu seiner Felsenburg Buchenstein, von ihm St. Raphaelsburg genannt49, zu wagen, 1750 m hoch in den Dolomiten gelegen50. Eine schier unglaubliche Strapaze51! Nach dieser Reise oder sollte man richtiger Flucht sagen? - suchte er hier, nahe der Grenze zu Venedig, Schutz, wie bereits in den Jahren 1457 bis 1458. Nikolaus von Kues muß diesen Schritt als bittere Niederlage empfunden haben, die ihn zutiefst verletzte - totaliter mente consternatus, wie er es ausdrückte. Denn aus dem unmittelbar nach seiner Ankunft niedergeschriebenen eigenhändigen Brief an die Domherren schlagen uns Enttäuschung und Entrüstung entgegen52: Das Kapitel habe in den Innsbrucker Verhandlungen mit dem Herzog gleichsam den Anspruch des Fürsten auf Oberhoheit, principatus, über die Territorien des Hochstifts anerkannt. Dem müsse er entgegnen, daß die Rechte der 47
Sein Verhalten sei gefährlich et nobis videtur contra conscienciam fore in eo casu, quodpuniantur pauperes villani, qui neque in culpa sunt neque in causa, vt igitur oves vestro regimini commisisse. 1460 Februar 7, Brixen: Innsbruck TLA, Hs. 5911a, fol. 91v-94r. Ein knappes Regest bei JÄGER, Streit (Anm. 1) I 366 f. 48 Innsbruck TLA, Hs. 5911a, fol. 94v-95r. 49 Es trifft allerdings nicht zu, daß NvK der Burg diesen Namen gegeben habe. Bereits 1420 taucht in einer Urkunde für Schloß Andraz die Bezeichnung St. Raphaelsburg auf. B. und L. SANTIFALLER, Urkundenregesten der Archive Ladiniens bis zum Jahre 1500, in: Mitt. des Österreichischen Staatsarchivs 8 (1955) 2, Nr. 90. 50 Zur Burg und ihrer Geschichte: G. MUTSCHLECHNER, Tiroler Burgen im Leben des Nikolaus Cusanus, in: CGS (Anm. 1) 279-287; A. STEINHAUSER, Die Gerichte Buchenstein und Thum an der Gader, San Martin de Tor 1979, 86 ff.; B. RICHEBUONO, Aggiunte alle notizie sul castello di Andraz, in: Ladinia 12 (1988) 127 ff. 51 Ausgaben für Pferde und Knechte: Brixen BA, OA 27 863, Nr. 9. Gänzlich irreführend die Angaben bei JÄGER, Streit (Anm. 1) I 368, der sich dabei auf den Bussi-Brief vom 24. April beruft. Vgl. unten Anm. 82. NvK klagt öfters über die harten klimatischen Bedingungen in der Burg: Bernkastel-Kues StiB, Hs. 221, p. 427. 52 Or.: Bozen StA, Lade 34, nr. 20, B; Kopien: ebd., Lade 34, nr. 20 ad B (2 Exemplare), und Lade 51, nr. 15 B; Brixen, Priesterseminar, Ms. D 11, p. 229-230. Eine Übersetzung: SLNNACHER, Beyträge (Anm. 1) VI, 480-483. Druck: W. BAUM, in: Tiroler Heimat 50 (1986) 98 f. Vgl. auch JÄGER, Streit ( A n m . 1) I 3 6 9 ff.; VANSTEENBERGHE, L e cardinal ( A n m . 1) 195.
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Brixener Bischöfe ingenuin seien, ursprünglicher als die der Tiroler Grafen. Ähnlich wie in seinen Denkschriften aus den Jahren 1457 und 1458 belegte er seine Rechtsauffassung mit Hinweisen auf Urkunden, die er im bischöflichen Archiv gefunden hatte. Auf St. Raphaelsburg, so rechtfertigt er sich, habe er Schutz gefunden vor der Bedrohung, die von den Soldaten des Herzogs in Sonnenburg ausgehe 53 . Da direkte Zeugnisse über den Aufenthalt des Bischofs in Buchenstein fehlen, läßt sich die weitere Entwicklung nur aus späteren, nicht selten tendenziösen Berichten rekonstruieren. Jedenfalls hatte diese zweite 'Flucht' nach Buchenstein allen Beteiligten den außerordentlichen Ernst der Lage deutlich gemacht. Neue Vermittlungsbemühungen setzten ein: durch die Räte des Herzogs, durch Wolfgang Neidlinger im Auftrage des Kapitels und durch Bischof Georg von Trient54, der nicht ins Zwielicht geraten wollte. Um sich selbst ein Bild von den letzten Absichten des Herzogs zu verschaffen, schickte er seinen engen Vertrauten Peter von Erkelenz55 nach Innsbruck, weil beunruhigende Meldungen auf militärische Vorbereitungen des Herzogs hindeuteten. Mochten diese anfangs als Maßnahmen zur Sicherung der Grenze nach Kärnten56 verstanden werden, so kamen dem Kardinal inzwischen Zweifel, besonders seitdem der Herzog Balthasar von Welsberg die strategisch wichtige Burg Rodeneck übertragen hatte57. Gegenmaßnahmen des Bischofs konnten daher nicht verwundern, doch blieben sie nach den uns vorliegenden Raitungen in sehr bescheidenem Rahmen. Wenn Herzog Sigismund in späteren Invektiven von gewaltigen Kriegsvorbereitungen des Bischofs sprach58, um seinen Angriff als Präventivschlag zu rechtfertigen59, müssen wir dies als reine Schutzbehauptung zurückweisen. Es ist absurd 53 Der Anlaß erneuter Differenzen mit der Abtei Sonnenburg läßt sich nicht eindeutig ermitteln, vermutlich ging es um die Vogteirechte in Enneberg; dazu Johannes Würzburger am 14.2.1460: Innsbruck TLA, Sigm. IX, 62, fol. 218. Da NvK an diesem Tag bereits über die Besetzung der Abtei informiert war (sie erfolgte durch den Hauptmann Eysengrein mit 23 Söldnern: Innsbruck TLA, Raitbuch 1, fol. 259r-v), muß der Konflikt schon während seiner Abwesenheit ausgebrochen sein. NvK verbot am 11.3.1460 den Zinsbauern Ablieferungen an die Abtei: Trient StA, Sez. tedesca XXXIV, nr. 30. Der Konflikt ist auch erwähnt in dem Brief des Herzogs an Pius II., 1460 Februar 24: Bernkastel-Kues StiB, Hs. 221, p. 208-209. 54 NvK an Georg von Trient, 1460 April 1: Innsbruck TLA, Sigm. IX, 62, fol. 225; ebd., Hs. 591 la, fol. 96r-97r; Bernkastel-Kues StiB, Hs. 221, p. 249-250. 55 Zur Person: E. M E U T H E N , Peter von Erkelenz, in: ZAGV 8 4 / 8 5 ( 1 9 7 7 / 7 8 ) 7 0 1 - 7 4 4 . 56 Dazu: JÄGER, Streit (Anm. 1 ) I 3 4 6 ; B A U M , Nikolaus Cusanus (Anm. 1 ) 3 8 2 . 57 Als Pfleger bereits belegt 1459 September 22: Innsbruck TLA, Sigm. IX, 62, fol. 212r-v. Entwurf der Belehnung, o.D.: Innsbruck TLA, Hs. 111, p. 452-453. Balthasar von Welsberg stellt Revers aus am 28.2.1460: Nürnberg GNM, WA, Urkunde 1460 Februar 28 (Or.); Entwurf: ebd., Fase. 30a, Nr. 13. Ein Darlehen an den Herzog auf Rodeneck erfolgte am 27.2.1460: Innsbruck TLA, Raitbuch 1, fol. 22r. - Die Angaben bei W. B A U M , in: a) Dolomiten vom 24.7.1984 und b) Nikolaus von Kues und die Wolkensteiner, in: Jb. der Oswald von Wolkenstein-Gesellschaft 3 (1984/85) 133 ff., sind entsprechend zu berichtigen. 58 Hier nur eine Auswahl an Belegstellen: Bozen StA, Cod. 82, p. 54; Brixen BA, OA 7319; Innsbruck TLA, Hs. 591 la, fol. 364r; ebd., fol. 328r, fol. 472v, fol. 143r-145v; München StB, Cgm 975, fol. 128r-156v; Nürnberg GNM, Papierakten, Weltl. Fürsten Österreich 1451-1460, fol. 2r-3r; Frankfurt/M., Stadt- und Univ.bibl., Ms. Barth. 96, fol. 261r-v. In einer Apologie des Kapitels vom Spätherbst 1460 heißt es: Etiam p.s.r. castra et fortilicia ecclesie vltra solitum victualibus et aliis muniri fecit: Bozen StA, Lade 3, nr. 9 P. Auszüge: SCHARPFF, Cardinal (Anm. 1) I, 322 ff.; SLNN A C H E R , Beyträge (Anm. 1) VI, 510-518; VOIGT, Enea(Anm. 1)111,354. 59 Innsbruck TLA, U I, 8987, 8988, 8989; ebd., Hs. 5911a, fol. 221r, fol. 355v; Bozen StA, Cod. 82, p: 10, 19; Frankfurt/M., Stadt- und Univ.bibl., Ms. Barth. 96, fol. 262r. Anfang 1463 heißt es bei
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anzunehmen, Cusanus habe mit den geringen Mitteln seines winzigen Territoriums in wenigen Wochen eine Kriegsmacht aufstellen können, die als Bedrohung des mächtigen Herzogs empfunden werden konnte. Dürfen wir Nikolaus von Kues wirklich einen derartigen Realitätsverlust unterstellen? Um die Initiative wiederzugewinnen, berief er für den 30. März eine Klerusversammlung60 nach Bruneck ein. War es eine Flucht nach vorn? Von seinem Kapitel im Stich gelassen, diffamiert und bedroht durch den Herzog, erhoffte er sich aus dem direkten Gespräch mit seinen Priestern eine Wende, vor allem Verständnis für seine Rechtspositionen und die unpopulären Entscheidungen in der Frage der Seelsorge61. Beruhigende Zusicherungen über seine Sicherheit erleichterten ihm den Entschluß62. Als Nikolaus von Kues am 24. März Buchenstein verließ, ritt ihm aus St. Martin in Thum eine Eskorte zum Schutz entgegen63. Aufreibende Wochen lagen hinter ihm. Dennoch hatte er in der winterlichen Abgeschiedenheit der kleinen Burg Kraft und Muße gefunden, seinen 'Trialogus de possest' niederzuschreiben64. Ob jene Anspannung seine Meditationen befruchtete, oder war es eine Flucht in die geistige Welt65? Die drei folgenden Wochen bis zum 12. April verliefen in scheinbarer Normalität. Belehnungen erfolgten66, der Bischof verlieh Ablässe67, er predigte68, weihte das Chrisma; sein wissenschaftliches Interesse war wach wie eh, so daß er seinen Sekretär beauftragte, historische Texte zu kopieren69. Er fand sogar Zeit, der Stadt Bruneck eine neue Verfassung zu geben70 und machte sie zur ersten Stadt Gregor Heimburg, NvK habe statum principis insidiatum: Innsbruck TLA, Hs. 5911a, fol. 154r. Auch hier muß darauf verzichtet werden, Parallelüberlieferungen anzuführen. 60 M.E. sollte man nicht von einer 'Synode' sprechen (so meist in der Literatur), sondern von einer außerordentlichen Klerusversammlung. NvK meidet das Wort synodus\ er spricht vielmehr von plebani congregati oder omnes plebanos ad se vocavit (Brixen BA, OA 7321). Das Kapitel spricht von clerum [convocare], maxime curalos (Bozen StA, Lade 3, nr. 9 P). 61 Hierhin gehört das eigenhändige Memorandum des NvK: Innsbruck TLA, Sigm. IX, 62, fol. 268r-v. 62 Innsbruck TLA, Sigm. IX, 62, fol. 225; ebd., Hs. 591 la, fol. 96r-97r; Bernkastel-Kues StiB, Hs. 221, p. 250. 63 Brixen BA, OA 27 863, Nr. 9. 64 Zur Abfassungszeit des undatierten Werkes R. STEIGER (Hg.), Nikolaus von Kues, Dreiergespräch über das Können-Ist (Phil. Bibl. 285) Hamburg 1973, VIII, mit weiterer Literatur. 65 K. JASPERS, Nikolaus Cusanus, München 1964, 260 sieht in dem Spannungsverhältnis zwischen meditativer und aktiver Natur das Geheimnis seiner Arbeitskraft. 66 Am 28.3.1460 erhält Balthasar von Welsberg das Kirchenlehen zu Taisten, über das er am gleichen Tag einen Revers ausstellt (Bozen StA, BL I, fol. 533r-v, 387r). In den folgenden Tagen werden belehnt Andre Gruber aus Lüsen, Hans Niedermair aus Anras, Lienhart Stroschawp von Niedervintel und weitere Lehensträger: Bozen StA, BL I, fol. 533r-v; 355r-358r. 67 Ablaß für Stilfes, 1460 April 4: Stilfes, Pfarrarchiv, AB II, 403, Nr. 2049. 68 Bezeugt sind Predigten am 28. Märzund 11. April (Karfreitag). Texte haben sich nicht erhalten. Bernkastel-Kues StiB, Hs. 221, p. 250; Innsbruck TLA, Hs. 591 la, fol. 336v, 374r. 69 Am 8. April vollendet Giovanni Andrea de Bussi die Kopien der 'Historia Langobardorum 1 und der Akten des Konzils von Mantua des Jahres 827. Bussi fand seine Vorlage in der Bibliothek der Bischofskirche. Vgl. P. S. PIACENTINI, In Brunnecha absolvi: Un autografo di Giovanni Andrea Bussi nel Manoscritto Vallicelliano B 61, in: Scrittura, biblioteche e stampa a Roma nel quattrocento (Littera Antiqua 3) Rom 1983, 709 ff. 70 Kopie: Bozen StA, Lade 97, nr. 2 D. Druck: I. v. ZINGERLE/ J. EGGER, Die Tirolischen Weistümer IV, Wien 1888, 467-488. Die Vorlage ist undatiert; die Forschung stützt sich auf den gleichzeitigen Archiwermerk: 1460, unter Nie. de Cusa.
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des Hochstiftes mit einer modernen Bürgermeister- und Ratsverfassung71. Eine trügerische Ruhe, denn insgeheim traf Herzog Sigismund bereits Vorbereitungen, um seine Ziele so oder so durchzusetzen72. Akten oder Protokolle der Klerusversammlung liegen nicht mehr vor73. Wie gespannt die Lage im Lande sich darstellte, machen Nachrichten deutlich, die uns von Belästigungen und Plünderungen anreisender Kleriker berichten. Kriegsknechte hielten vor Bruneck einen Wagen an und kontrollierten die Ladung; die Habe des Bischofs war abzuladen, der Fuhrmann durfte mit dem leeren Karren weiterziehen74. Während der Beratungen mußte Nikolaus von Kues erfahren, wie weit sich nicht nur das Kapitel von ihm entfernt hatte75, sondern auch ein Teil der Priesterschaft, die kein Verständnis für das Weiterbestehen des Interdiktes aufbringen konnte. Einige Geistliche bezweifelten mit formaljuristischen Argumenten die Gültigkeit der päpstlichen Bulle von 145776, andere warfen ihm öffentlich abusus censurarum vor, wieder andere beriefen sich auf den Unmut der Bevölkerung oder den Druck, dem sie seitens des Herzogs ausgesetzt seien. Ob formelle Beschlüsse gefaßt wurden, wissen wir nicht; wohl haben wir Kenntnis von einer Delegation, die im Auftrage der Priesterschaft in Innsbruck einen weiteren Vermittlungsversuch unternahm und den Herzog von Plänen des Bischofs unterrichtete, die Lehen dem Kaiser zurückzugeben77. Nachdem auch dieser Initiative der Erfolg versagt blieb, war der Bruch unabwendbar. Vorerst blieb ein Teil des Klerus in Bruneck, angeblich vom Bischof zurückgehalten, um so den Druck auf den Fürsten zu verstärken78. Herzog Sigismund nutzte die nächsten Tage, um seine Kriegsvorbereitungen abzuschließen, aber auch zu neuen Verhandlungen oder - richtiger - Scheinverhandlungen, damit niemand ihm nachsagen sollte, es habe an Bereitschaft gefehlt79. Also schickte er am 7. April, dem Montag in der Karwoche, seinen "ge71
Vgl. F. HUTER, Die Anfänge von Bruneck, in: Schlern-Schriften 150 (1956) 131; F. H. HYE, Die Städte Tirols am Ausgang des Mittelalters, in: Die Stadt am Ausgang des Mittelalters, hg. von W.RAUSCH, Linz/Donau 1974, 165. Hye interpretiert die Verleihung als Dank des NvK für die Treue der Stadt. GRASS, Cusanus als Rechtshistoriker (Anm. 1) 147 f. 72 Dazu die Eintragungen Innsbruck TLA, Raitbuch I, fol. 22r, lOOv, 259v. 73 Hierhin gehört möglicherweise Innsbruck TLA, Sigm. IX, 62, fol. 268r-v: Es nymt villeicht vijl leute wonder.... Vgl. Anm. 61. 74 Innsbruck TLA, Raitbuch I, fol. 198v. - Dazu auch: NvK an Bischof Georg von Trient, 1460 April 1, Innsbruck TLA, Sigm. IX, 62, fol. 225; ebd., Hs. 591 la, fol. 96r-97r. 75 Bernkastel-Kues StiB, Hs. 221, p. 101, 240, 250; Innsbruck TLA, Hs. 5911a, fol. 95r. Eine Zusammenstellung der Vorwürfe des Kapitels: Bozen StA, Lade 3, nr. 9 P, von ca. November 1460. 76 Es handelt sich um die Bulle Gregis dominici nostre vom 12.11.1457: Rom, Arch. Segr. Vat., Reg. Vat. 461, fol. 171r-172v; Innsbruck TLA, U I, 9066, und viele weitere Überlieferungen. Repertorium Germanicum VII (Calixt III.), bearb. von E. PITZ, Tübingen 1989, Nr. 2195. Zur kontroversen Frage der Publizierung Bozen StA, Lade 3, nr. 9 O. Zur Kontroverse um die Datierung R. GLSMANN, Die Beziehungen zwischen Tirol und Bayern im Ausgang des Mittelalters, Phil. Diss. Innsbruck 1976, 112 mit Anm. 165. 77 Innsbruck TLA, Hs. 591 la, fol. 95v. 78 An den Gesprächen nahmen u.a. teil: Bischof Georg von Trient, Abt Ingenuin Moesei von Wilten, der Brixener Domherr Wolfgang Neidlinger, ein Favorit des Herzogs. Es liegen nur indirekte Berichte vor: Bozen StA, Lade 3, nr. 9 P; Brixen BA, OA 7321; Innsbruck TLA, Hs. 5911a, fol. 95r-v. 79 Herzog Sigismund sicherte seine Aktionen ab durch Verhandlungen mit Venedig und Görz (Innsbruck TLA, Raitbuch 1, fol. 104r, fol. 139v) sowie Herzog Ludwig von Bayern (Innsbruck
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heimsten" Rat Parzival von Annenberg nach Bruneck . Inhalt und Verlauf der Unterhandlungen, die sich bis zum 12. April hinzogen, wurden später von beiden Seiten recht unterschiedlich geschildert81. Meines Erachtens verdienen jene Aufzeichnungen, welche Giovanni Andrea Bussi unmittelbar nach den Ereignissen für seinen Freund Gasparo Biondo anfertigte, die größte Glaubwürdigkeit82. Denn bei ihm, der dem engsten Kreis der bischöflichen familia angehörte und das Geschehen aus nächster Nähe beobachtete, müssen wir weder Gedächtnislücken vermuten noch bewußte Verfälschungen befurchten. Da die Verhandlungen noch nicht abgeschlossen waren, konnte niemand ahnen, welche publizistischen Leidenschaften freigesetzt wurden, die schließlich die Wahrheit korrumpieren sollten. Wider alles Erwarten führten die vertraulichen Gespräche der Karwoche zu einer Einigung, ausgenommen in einem Punkt, den Ansprüchen auf das Silberbergwerk bei Garnstein. Obwohl Nikolaus von Kues den Wert der Mine nicht sonderlich hoch einstufte83 - hierin war er sich mit dem Kapitel einig84 -, glaubte er aus prinzipiellen Gründen nicht nachgeben zu dürfen, da in der Konsequenz eines Verzichtes von der Gegenseite ein genereller Verzicht auf das Bergregal und damit auf eine Säule seiner landesherrlichen Stellung gesehen werden konnte85. Bussi berichtet uns noch, daß man durch Vermittlung des Kapitels in letzter Stunde einen Ausgleich erzielt habe86. Worin dieser Kompromiß bestand, können wir einem Dossier entnehmen, welches vermutlich im Spätherbst 1460 in der Kanzlei des Kardinals zusammengestellt wurde87. Danach habe Parzival von Annenberg vorgeschlagen, die ungelöste Streitfrage Garnstein für zwei Jahre ruhen zu lassen; der Bischof sei aber nur zu einem Anstand von einem halben Jahr bereit gewesen. Erst durch Vermittlung des Kapitels sei eine Frist von einem Jahr vereinbart worden. Bussis Bericht TLA, Lib. Fragmentorum 1/3, fol. 64r-v). Zu den Verhandlungen auch JÄGER, Streit (Anm. 1) II 72; GISMANN, Beziehungen (Anm. 76) 181; E. MEUTHEN, Nikolaus von Kues und die Wittelsbacher, in: Festschrift für Andreas Kraus (Münchener Histor. Studien. Abt. Bayer. Geschichte 10) Kallmünz 1982, 95-113, ebd. 109; auch W. BAUM, in: Der Schiern 66 (1992) 311, doch wie Gismann ohne Kenntnis der Überlieferung in Lib. Fragmentorum 1/3, fol. 64r-v, und daher, diesem folgend, mit falschen Schlußfolgerungen. 80 Parzival von Annenberg bekleidete von 1449 bis 1456 das herausragende Amt des Landeshauptmannes. Die Kosten seiner Reise nach Bruneck: Innsbruck TLA, Raitbuch 1, fol. 93r. 81 Bozen StA, Lade 3, nr. 9 P; ebd., Cod. 3, p. 82; Innsbruck TLA, Hs. 591 la, fol. 472v. 82 Bernkastel-Kues StiB, Hs. 221, p. 249-254. Datiert vom 24.4.1460, dürfte es sich nicht um eine Kopie des Briefes an Biondo handeln, sondern um einen Entwurf, nach dem (auch) der Brief ein Gasparo Biondo abgefaßt wurde. NvK hat den Text mit eigenhändigen Marginalien versehen. Zum Brief: SCHARPFF, Cardinal (Anm. 1) I, 308 f.; JOACFFLMSOHN, Gregor Heimburg (Anm. 9) 185; MEUTHEN, Die letzten Jahre (Anm. 1) 87 f. 83 Bernkastel-Kues StiB, Hs. 221, p. 250-251 : parvi ponderis, sed sequela fuit maxima. Die Gruben lägen in suo principatu temporali et regalibus, de quibus est principalis questio inter ducem et ecclesiam. 84 Bozen StA, Lade 3, nr. 9 P: de qua ecclesia in memoria hominum numquam habuit fructum et in sola spe fructus hoc consista. 85 Bernkastel-Kues StiB, Hs. 221, p. 241: ne suus consensus preiudicaret iuribus et privilegiis et maxime imperialibus ecclesie sue. Auch Brixen BA, OA 7316; München StB, Cgm 975, fol. 82v104r. Zur Problematik vgl. GRASS, Cusanus als Rechtshistoriker (Anm. 1) 188. 86 Bernkastel-Kues StiB, Hs. 221, p. 250. Aus der Sicht des Kapitels: Bozen StA, Lade 3, nr. 9 P. 87 Bernkastel-Kues StiB, Hs. 221, p. 239-244; gleichzeitige Übersetzungen: Brixen BA, OA 7316; Innsbruck TLA, Hs. 591 la, fol. 333r-351v; München StB, Cgm 975, fol. 82v-104r.
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findet eine Bestätigung in weiteren Quellen, so in der Replik des Kardinals auf eine Invektive Gregor Heimburgs vom Sommer 1461. Dort werden die Verhandlungen sogar amicabiles tractatus genannt88. Auffallend knapp und teilweise mit widersprüchlichen Angaben gehen die Streitschriften aus dem herzoglichen Lager auf die Gespräche der Karwoche ein. In seiner Appellation vom 13. August 1460 behauptete Herzog Sigismund lapidar, Cusanus habe bis zuletzt die Vorschläge Annenbergs abgelehnt, auf einen Konflikt hingearbeitet, sich sogar seiner militärischen Stärke gerühmt89. Ahnlich werden die Verhandlungen geschildert in den Briefen, die Sigismund an den Erzbischof von Salzburg90, den Dogen von Venedig91, den Pfalzgrafen Otto92 und Erzbischof Dietrich von Mainz93 richtete. Alle Schreiben dienten der Rechtfertigung des Überfalles, der von Nikolaus von Kues provoziert worden sei. In den bekannten Streitschriften Sigismunds und Heimburgs aus den Jahren 1462 und 1463 verzichten beide meist auf Einzelheiten. Vielmehr beschuldigen sie den Kardinal, weder taiding noch anstal gewollt zu haben94. Wenn Cusanus dies anders darstelle, sei es eine Lüge95. Eine differenziertere Sicht finden wir in den apologetischen Pamphleten des Kapitels. Dort werden die Härte und Halsstarrigkeit des Bischofs angeklagt, der sich nicht einmal durch das Weinen der Frauen erweichen ließ. Sie versäumen nicht, sowohl ihre Warnungen an den Bischof als auch die Vermittlungsbemühungen im Streit um Garnstein zu erwähnen. Merkwürdig nur, daß wir nicht erfahren, ob der Bischof dem Kompromißvorschlag zustimmte oder nicht. Statt dessen hören wir von der Belagerung Brunecks, zu der nach Meinung des Kapitels der Herzog gedrängt wurde durch eine explosive Stimmung innerhalb der Bevölkerung, die allein den Bischof für die Verhängung des Interdiktes verantwortlich machte96. 88
Bernkastel-Kues StiB, Hs. 221, p. 427-428. Omnia cardinalis ipse refutavit, spem ponens, ut creditur, in certis armigeris, qui tunc comitatum Goriciae nobis finitimum invaserunt. Et cum ipse cardinalis a suis admoneretur ... ne publicam pacem perturbaret, respondit, nihil vereri, oportere sibi armigeros et homines, qui nedum unam, sed plures volles replere valerent. Die Appellation ist häufig überliefert. Hier sei nur verwiesen auf Innsbruck TLA, U I, 8987. Druck: M. FREHER/ B. STRUVE, Rerum Germanicarum Scriptores, ed. M. FREHER, t. II, Straßburg 1717, 203-206. Ähnliche Vorwürfe: Frankfurt/M., Stadt- und Univ.bibl., Ms. Barth. 96, fol. 26 lr. 90 1460 September 5, Innsbruck: Brixen BA, OA 7316; Innsbruck TLA, Hs. 5911a, fol. 323r-332v; München StB, Cgm 975, fol. 12v-25v. Auch dort werden die (angeblichen) bramarbasierenden Bemerkungen des NvK kolportiert. Zum Brief ausfuhrlich O. STOLZ, Land und Landesfurst in Bayern und Tirol, in: ZBLG 13 (1941/42) 251 f. 91 [ca. 1460 September 5:] Bernkastel-Kues StiB, Hs. 221, p. 257-263. 92 [ca. 1460 September 16:] Innsbruck TLA, U I 9068. Vgl. dazu W. BAUM, in: Das Fenster 37 (1985) 3684. 93 1460 September 16, Innsbruck: Frankfurt/M., Stadt- und Univ.bibl., Ms. Barth. 96, fol. 258r261v, hier fol. 261. Druck: J. P. SCHUNK, Codex diplomaticus, exhibens Chartas historiam medii aevi illustrantes ..., Mainz 1797, 338-357, hier 351. 94 Innsbruck TLA, Hs. 5911a, fol. 472v: [Annenberg] hat nit erlangen mfigen frid noch anstal. Ähnliche Belege: Bozen StA, Cod. 82, p. 29; Innsbruck TLA, Hs. 5911a, fol. 223v: neque pacem neque treugas ... obtinere potuit (auf dem Mainzer Tag Juni 1461); ebd. fol. 358v-359r, fol. 365r, fol. 476r (dort: cardinalis recusavit inducias, quia gloriabatur de gentibus). 95 München StB, Cgm 975, fol. 128r-156v; Innsbruck TLA, Hs. 5911a, fol. 355v-356r; Bozen StA, Cod. 82, p. 29. Dazu SLNNACHER, Beyträge (Anm. 1) VI 510 ff. 96 Bozen StA, Lade 3, nr. 9 P; ebd., Cod. 3, p. 31-32. 89
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Nikolaus von Kues hatte während der Verhandlungen die grundsätzliche Bedeutung des Streites um Garnstein erkannt. Hier plante der Herzog einen Anschlag auf die Reichsunmittelbarkeit des Stiftes. Welche Absichten Sigismund verfolgte, zeigten ihm die schändlichen Verträge, welche der Bischof von Trient wenige Tage vorher hatte abschließen müssen. Doch davon wird noch zu sprechen sein. Verständlich auch die Weigerung, sich auf einen zweijährigen Anstand einzulassen, weil er dahinter bloße Verschleppungstaktik vermuten durfte. Wenn er schon eine Entscheidung der Gerichte akzeptierte, dann möglichst sofort, war er sich doch seiner Sache sicher. Ob Nikolaus von Kues nicht die Vergeblichkeit seiner Verständigungsbereitschaft ahnte? Für den Augenblick herrschte Erleichterung. Den Bürgern wurde verkündet, der Kardinal werde Ostern, also am nächsten Tag, mit ihnen die Auferstehung feiern97. Doch längst waren in Innsbruck Entscheidungen gefallen. Von allen Seiten strömten bewaffnete Scharen auf Bruneck zu. Es sollen 3000 Fußsoldaten und 800 Reiter gewesen sein98. Noch weilte Parzival von Annenberg in der Stadt99, noch hatten die Verhandlungen nicht ihren formellen Abschluß gefunden, da überbrachten Herolde cum vexillo Sigismundi in der Frühe des Ostertages eine Reihe Absagebriefe, teils des Adels, teils von Gefolgsleuten des Herzogs100. Der Kardinal, so begründeten sie ihren Schritt, trachte Herzog Sigismund nach seinem väterlichen Erbe, er habe grundlos das Interdikt über das Land verhängt und einen Ausgleich abgelehnt. Also müsse sich nun der Herzog sein Recht nehmen. Nikolaus von Kues sah sich hintergangen101. Nur dem Einfluß der Domkapitularen hatte Parzival von Annenberg es zu verdanken, daß man ihn nicht in der Stadt zurückhielt. Nach Meinung des Kardinals wurden die Verhandlungen von Annenberg absichtlich so lange hinausgezögert, bis die Stadt eingekreist und ihm damit der Fluchtweg nach Buchenstein verlegt worden war102.
97
Bernkastel-Kues StiB, Hs. 221, p. 427; Brixen BA, OA 7316; Innsbruck TLA, Hs. 5911a, fol. 337r. 98 Diese Zahlen sind in den Quellen mehrfach erwähnt: Bernkastel-Kues StiB, Hs. 221, p. 251; Innsbruck TLA, Hs. 5911a, fol. l l l r ; 356r. H. HÖRTNAGEL, Der Brunecker Überfall des Herzogs Sigmund und sein Ritt an die Etsch zu Ostern 1460, in: Der Schiern 7 (1926) 468, hält die Zahlen für übertrieben. In der Tat werden nach dem Ende der Belagerung am 28. April nur 568 Söldner entlohnt, nämlich mit 3610 Gulden (Innsbruck TLA, Raitbuch 1, fol. 260r). Jedoch ist zu bedenken, daß in der Abrechnung der herzoglichen Kammer nicht die Kontingente auftauchen, die die Landstände, Städte und Adel auf eigene Kosten stellen mußten. Zum Beispiel stellte die Stadt Hall unter dem Hauptmann Christoph Wach 42 Reisige nach Bruneck ab. Sie erhielten Sold und Verpflegung für 3 Wochen. Brot und Fleisch wurden auf einem Wagen nach Bruneck geschafft: Hall, Stadtarchiv, Raitbuch 4, fol. 57r. Dazu auch M. STRAGANZ, Hall in Tirol, Innsbruck 1903, 112. 99 Bernkastel-Kues StiB, Hs. 221, p. 200. 100 1460 April 12: Innsbruck TLA, U I, 8980; Kopie: Bozen StA, Cod. 3. p. 131-133, Druck: GRASS, Cusanus als Rechtshistoriker (Anm. 1) 209-211. Ein weiterer Absagebrief des Balthasar von Welsberg u.a.: Bernkastel-Kues StiB, Hs. 221, p. 361; ein Absagebrief des Chr. Wach u.a.: Innsbruck TLA, Sigm. XIII, 40. W. KÖFLER, Land, Landschaft, Landtag. Geschichte des Tiroler Landtags (Veröffentlichungen des Tiroler Landesarchivs 3) Innsbruck 1985, 259, erwähnt auch einen Absagebrief der Landschaft, ohne Quellenangabe. 101 Bernkastel-Kues StiB, Hs. 221, p. 201: bona flde deceptus. Herzog Sigismund argumentierte später, die Räte seien ohne Vollmacht gewesen. 102 NvK hatte Parzival von Annenberg gegenüber geäußert, er wolle am Ostermontag nach Rom abreisen. Bernkastel-Kues StiB, Hs. 221, p. 427-428.
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Den folgenden Ostertag erlebte Bruneck als belagerte Stadt. Verständlich, wenn unter diesen Umständen das feierliche Pontifikalamt nicht stattfand103. Am Montag beobachteten die Bürger, wie man vor den Mauern Bombarden und Belagerungsmaschinen in Stellung brachte. Noch lag keine Absage des Herzogs vor, somit beschränkte sich der Konflikt formell auf Bischof und Adel, was Bussi zu der naiven Bemerkung veranlaßte, daß aufgrund der Beistandsverträge Herzog Sigismund sogar zur Hilfe verpflichtet gewesen wäre104. Angesichts der Kräfteverhältnisse war an erfolgreichen Widerstand nicht zu denken. Daher entsandte der Kardinal Unterhändler ins gegnerische Lager mit dem Angebot, über die einzelnen Anschuldigungen der Absagebriefe zu verhandeln. Dieses Ansinnen wiesen die Feldhauptleute zurück und forderten ihrerseits die Stadt auf, dem Bischof die Treue aufzukündigen105. Nach anfänglicher Gegenwehr, die auch von den Bauern der Umgebung unterstützt wurde106, gab Bruneck den ungleichen Kampf auf107. Ein von den Kriegsknechten gezündelter Heuschober vor den Mauern108 mag den Bürgern bewußt gemacht haben, was sie andernfalls zu erwarten hätten. Damit entstand für Cusanus, der sich mittlerweile aus seinem Stadthaus in die Burg zurückgezogen hatte, eine schwierige Lage. Sollte er ebenfalls aufgeben, zumal weitere Truppen mit schwerem Gerät heranrückten? Kopflosigkeit oder unbeugsamer Friedenswille: er bat die Feldhauptleute um eine einstündige Waffenruhe und verlangte von ihnen sicheres Geleit, da er dem Herzog, der sich auf dem Weg nach Bruneck befand, entgegenreiten werde, um in einem persönlichen Gespräch mit dem Fürsten den Frieden zu retten. Die Hauptleute mochten nicht wenig erstaunt gewesen sein, lehnten jedoch den Wunsch des Bischofs ab und erwiderten ihm kurz, ihr Befehl laute einzig, die Burg zu stürmen und den Kardinal gefangenzunehmen. Nikolaus von Kues antwortete mit einem verklausulierten "nein": das Schloß sei nicht sein Besitz, sondern gehöre der Kirche. Daher könne er die Burg nur dem Domkapitel ausliefern. Sein eigenes Schicksal sei dabei unwichtig. Doch nehme er an, daß sie als Herren von Adel nicht zu Mördern werden wollten109. Mittlerweile erhielten die Kanoniker, die sich noch in Brixen aufhielten, Kenntnis von den Vorgängen in Bruneck. Drei Vertreter zogen daraufhin dem Herzog entgegen, der inzwischen auf dem Weg zum Belagerungsheer in Sterzing eingetroffen war110. In einer Audienz übermittelten sie dem Fürsten den Wunsch des Bischofs zu einer persönlichen Begegnung. Wie die Hauptleute vor Bruneck, 103
NVK hatte eigens zum Osterfest Wein kaufen lassen. Brixen BA, OA 5762, fol. 4v. Bernkastel-Kues StiB, Hs. 221, p. 251. 105 Bernkastel-Kues StiB, Hs. 221, p. 201, 251. 106 Bernkastel-Kues StiB, Hs. 221, p. 349. 107 Die Stadt mußte dem Herzog den Treueid leisten. Bernkastel-Kues StiB, Hs. 221, p. I I I , 130, 137,251. Innsbruck TLA, Hs. 591 la, fol. 336v. 108 Innsbruck TLA, Hs. 5911a, fol. l l l v , 337r; Bernkastel-Kues StiB, Hs. 221, p. 240. Dabei handelte sich um ein Gebäude, das dem Zolleinnehmer Balthasar Mentelberger gehörte. Zeitweise versah er auch das Amt des Bürgermeisters: Bozen, Landesarchiv, Stadtarchiv Bruneck, U 105. 109 Recipiendi Castrum et corpus suum; et quia ipsi essent milites et nobiles viri, non deceret eos esse carnifices. Bernkastel-Kues StiB, Hs. 221, p. 251. 110 Es waren die beiden Domherren Christian von Freiberg und Wolfgang Neidlinger, beide als Kritiker des Kardinals bekannt, sowie der Brixener Stadtrichter Adolf von Oberweinper. Innsbruck TLA, Hs. 591 la, fol. 11 lr-v; Bozen StA, Lade 3, nr. 9 P. 104
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so wies auch Sigismund das Ansinnen zurück und begründete seine Weigerung mit den uns aus den Absagebriefen geläufigen Vorwürfen: der Bischof habe seine fürstliche Ehre verletzt, sei unversöhnlich und provoziere mit Gewalt Gegengewalt" 1 . Wir fragen uns heute, warum Sigismund Angst vor einem Zusammentreffen hatte. Fürchtete er, dem Kardinal nicht gewachsen zu sein? Oder ahnte er den moralischen Druck, dem er ausgesetzt sein würde, falls ihm der alte Mann, der Priester, der Bischof, mit ausgestreckter Hand und offenem Herzen entgegentreten würde? Sah er darin gar einen besonders raffinierten Schachzug, mit dem Cusanus seine Pläne zu durchkreuzen versuchte?112 Wie dem auch sei, der Herzog setzte mit seinen Leuten den Zug nach Bruneck fort, wo er am Nachmittag des 15. April, einem Dienstag, eintraf. Mittlerweile waren alle Vorbereitungen zu einem Sturm auf die Burg getroffen. Vor den Augen der Belagerten brachten die Soldaten unmittelbar neben der St. Katharinen-Kirche113 schwere Kanonen in Stellung. Die ersten Kugeln wurden abgefeuert. Plötzlich ritten zwei Herolde vor das Burgtor, die Waffen ruhten114. Sie übergaben dem Kardinal, der persönlich ans Tor gekommen war, zwei Schreiben des Herzogs: einen Absagebrief, datiert vom 12. April115, und ein Memorandum über die Verleihung der Lehen116. Cusanus las beide Dokumente durch, um den Herolden dann folgende mündliche Antwort zur Übermittlung an den Herzog zu geben: Nach gemeinem Reichsrecht sei die Fehdeansage mit einer dreißigtägigen Friedenspflicht verbunden. Dieses Gesetz werde hier gebrochen117. Nun verlange er sicheres Geleit zum Fürsten, um mit diesem zu verhandeln. Zu einem Treffen kam es aber nicht, statt dessen gingen die Kämpfe vorerst weiter. Wie schwer sie waren und wie lange sie andauerten, läßt sich nicht mehr ermitteln, da die verschiedenen Berichte zu unterschiedliche Angaben enthalten. Andererseits erfahren wir nichts über schwere Verluste oder größere Schäden. Daher dürften sehr bald die vom Domkapitel vermittelten Friedensgespräche begonnen haben, also nach einem fast "unblutigen" Feldzug118.
111 Innsbruck TLA, Hs. 591 la, fol. 11 lv. Der Verfasser von Codex 'Handlung' schreibt: d. dux dixit nihil velle respondere donec videret Brunek. 112 So Gregor Heimburg [1461 nach Juni 4]: [timuit] ne callidus sacerdos ipsum oscitantem opprimeret. Nürnberg GNM, Papierakten 1451-1460, p. 10-11; Innsbruck TLA, Hs. 591 la, fol. 223v. 113 Die St. Katharina-Kirche, auch Rainkirche genannt, lag ursprünglich außerhalb der Stadtbefestigung, direkt am Fuß des Schlosses. J. WEINGARTNER, Die Kunstdenkmäler Südtirols I, Bozen 1985, 516. 114 Zum Übergabedatum: Bernkastel-Kues StiB, Hs. 221, p. 197, 241; Innsbruck TLA, Hs. 5911a, fol. 337v, 359r. Einer der 'Trompeter', sein Name wird mit Gabriel angegeben, erhielt für seine Aufgabe 1 Rh. Gulden: Innsbruck TLA, Raitbuch 1, fol. 98r. 115 Or.: Innsbruck TLA, U I, 8979; Druck: GRASS, Cusanus als Rechtshistoriker (Anm. 1) 208 f. Der Absagebrief enthielt nur einen Teil der Vorwürfe. Später erklärt Sigismund, daß, wenn er alle Beschuldigungen angeführt, keine Ochsenhaut ausgereicht hätte: Bozen StA, Cod. 82, p. 61. 116 Das Dokument ist nicht erhalten. Vermutlich WEIT es die Begründung, warum er noch nicht um eine Belehnung nachgesucht habe. 117 Bernkastel-Kues StiB, Hs. 221, p. 200, 252. Dazu kritisch: GRASS, Cusanus und das Fehdewesen (Anm. 1) 793 ff. 118 Von einem Zwischenfall mit einem Toten(?) am Ostersonntag: Innsbruck TLA, Hs. 5911a, fol. 349r.
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Mit dieser Vermutung möchte ich keineswegs die Belagerung von Bruneck, insbesondere jene dramatischen Tage vom 12. bis 16. April, bagatellisieren. Sie zwangen Nikolaus von Kues in eine Bewährungsprobe, die tiefe Spuren zurückließ, an Leib und Seele. Wir können die Ängste nachfühlen, die Last der Verantwortung, die ihn drückte, die Qual der Entscheidungen. Er mußte sich fragen, ob die Verteidigung von Besitzansprüchen der Kirche den Einsatz von Blut und Leben rechtfertige. Er sah sich konfrontiert mit der Frage nach dem Wesentlichen"«. Die Belagerung und Gefangennahme eines Kardinals gehörten auch im unruhigen 15. Jahrhundert nicht zum historischen Alltag. Wen wundert es daher, wenn die Kunde aus dem fernen Pustertal eine Eigendynamik entwickelte120 und der Überfall zu einem unerhörten Frevel, die Kanonade zur blutigen Schlacht, der Kardinal zum Märtyrer für die Freiheit der Kirche glorifiziert und Sigismund zum Bösewicht schlechthin stilisiert wurden121. Soweit ich sehe, beteiligte sich Nikolaus von Kues nicht an dieser Legendenbildung. Noch schmerzlicher als die Verluste, die durch die Beschießung von Stadt und Burg entstanden waren - beiläufig werden in den Quellen einige Verletzte erwähnt -, drückten die Übergriffe der Söldner, Plünderungen122, Ausschreitungen der Soldateska. Über 4000 Kriegsknechte - sollte nun die Zahl zutreffen - vor der kleinen Stadt: Dabei konnte es nicht "ordentlich" zugehen. Auch dürfen wir eine Kriegsregel der damaligen Zeit nicht vergessen: der Krieg ernährt den Krieg. Also bediente man sich zur Versorgung von Mensch und Pferd zuerst aus den Maierhöfen des Bischofs im mittleren Pustertal123. Hierbei werden sich stärker die ca. 600 Söldner des Herzogs hervorgetan haben als die Kontingente der Stände, welche für ihre Verpflegung selbst sorgen mußten. Aber auch die Bauern in der Umgebung von Bruneck sowie die Stiftsterritorien im Pustertal hatten zu leiden124. Priester, die ihrem Bischof die Treue hielten, wurden ausgeraubt oder tätlich angegriffen125. Anhänger des Kardinals und Mitglieder der familia wurden inhaftiert, teilweise über mehrere Wochen126. Nicht zu vergessen die verbalen Attak119 Manches davon scheint in dem bekannten Brief durch, den NvK am 11.6.1460 an den Bischof von Eichstätt schrieb: München StB, Clm 19697, fol. 145r-146r. JOACHIMSOHN, Gregor Heimburg (Anm. 9) 185. 120 Dazu MEUTHEN, Die letzten Jahre (Anm. 1) 57 f. mit Anm. 14, wo vor allem auf die Wirkung in Italien hingewiesen wird. JOACHIMSOHN, Gregor Heimburg (Anm. 9) 184, spricht von der "Tat eines Stegreifritters". Die erste Reaktion des Papstes datiert vom 27.4.1460: Innsbruck TLA, U I, 8984; Rom, Arch. Segr. Vat., Arm. XXXIX, Vol. 9, fol. 184r-v. 121 Sehr farbige Berichte, die sich wegen sonst nicht überlieferter Einzelheiten auf eigene Informationen stützen müssen, finden sich in den Chroniken des Nürnberger Klarissenkonventes: Nürnberg StA, St. Klara, Akten Nr. 2, p. 130; ebd., Nr. 1, fol. 41v-42v; München, Bayer. Nationalmuseum, Hs. 1191, fol. 54v-55r. 122 U.a. wurde das Stadthaus des Bischofs geplündert: Bernkastel-Kues StiB, Hs. 221, p. 253. 123 Bernkastel-Kues StiB, Hs. 221, p. 406. Dort werden u.a. genannt [Georg Mair] zu Wartberg, [Hanns Mair] an dem ortt [zu Ehrenberg], der Mair zu St. Georgen. 124 Flures alii et fere omnes subditi prope Bruneckam spoliati sunt. Oder: Item, quasi omnes subditi in iudicio Vintel spoliati sunt. Bernkastel-Kues StiB, Hs. 221, p. 406. 125 Genannt werden u.a. die Pfarrer von Gais, Anras und Taufers: Bernkastel-Kues StiB, Hs. 221, p. 406. 126 Konrad Bossinger blieb drei Wochen in Haft, ebenso Heinrich Walpod, der später gegen Martin Halthoff, den Diener des Laurentius Blumenau, ausgetauscht werden sollte. Bernkastel-Kues StiB,
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ken, die Schmähungen und Beleidigungen der Landsknechte, deren antiklerikale Affekte bereits damals sprichwörtlich waren. Wenn Nikolaus von Kues sich später auch über Angriffe auf seine Person beklagt, dürfen wir dabei meines Erachtens weniger an Handgreiflichkeiten denken als an Schmähungen durch seine Bewacher127. Während die Waffen ruhten - am 16. und 17. April - verhandelte der Kardinal in der Burg mit den Bevollmächtigten des Herzogs, Thüring von Hallwil und Happe Hack, dem Bruder des Trienter Bischofs. Ohne Einladung128 gesellten sich zu ihnen zwei Vertreter des Kapitels, weniger um zu vermitteln, als vielmehr um dem Bischof gegenüber Selbständigkeit zu demonstrieren. Die Namen der beiden Domherren machten dem Bischof deutlich, wo in der Stunde der Not das Kapitel stand: es waren Christian von Freiberg und Wolfgang Neidlinger129, Adlige, deren Opposition hinlänglich bekannt war. Cusanus nannte Neidlinger später unverhohlen einen Verräter und Werkzeug des Landesfiirsten130. Des weiteren waren anwesend Jakob Lotter, der Dompropst und Michael von Natz. Herzog Sigismund stellte harte Forderungen: Rückgabe von Burg und Gericht Taufers131, Verzicht auf Rückzahlung des 1456 gewährten Darlehens über 3000 Gulden, dazu 25 000 Gulden Kriegsentschädigung132. Da Cusanus über eine solche Summe nicht verfugte, vermittelte das Kapitel, das hier im eigenen Interesse agierte, einen Kompromiß133: die beiden ersten Bedingungen wurden akzeptiert. Als Kriegsentschädigung waren nun zu zahlen 10 000 Gulden, davon 6000 direkt, 4000 in je zwei Raten innerhalb von zwei Jahren. Die 6000 Gulden wurden sofort übergeben und teils nach Innsbruck geschafft, teils an Ort und Stelle den Soldaten, die auf ihren Sold warteten, ausgezahlt134. Noch ehe die entsprechenden Urkunden ausgefertigt waren, ließ Herzog Sigismund in Stadt und Feldlager feierlich den Friedensschluß verkünden und empfahl dem Kardinal, Entsprechendes zu veranlassen. Hs. 221, p. 167. Ausgeraubt wurde auch Georg Pürnpeck, der Amtmann zu Bruneck und [Lienhart] Reczer [Pfleger zu Neurasen]: Bernkastel-Kues StiB, Hs. 221, p. 141,406. 127 Brixen BA, OA 7316; Bozen StA, Cod. 82, p. 30-32; Innsbruck TLA, Hs. 5911a, fol. 338r, fol. 357r; Bernkastel-Kues StiB, Hs. 221, p. 243. 128 Bernkastel-Kues StiB, Hs. 221, p. 252: veneruntsine vocacione. 129 Zu beiden: L. SANTIFALLER, Das Brixener Domkapitel in seiner persönlichen Zusammensetzung im Mittelalter, in: Schlern-Schriften 7 (1924) 306,401 ff. 130 Wolfgang Neidlinger, auch Neindlinger bzw. Neundlinger, galt als ausgesprochener Günstling des Herzogs, der ihm unmittelbar nach den Brunecker Ereignissen zum Dank für die Pfarrei Tisens präsentierte. Auf Betreiben des Fürsten wurde er 1460 September 24 bzw. 1460 Dezember 26 zum Verweser in temporalibus bestellt. Bozen StA, Cod. 3, p. 32; ebd., Lade 3, nr. 9 D. Vgl. auch C. GUFLER, Beiträge zur Geschichte der Urpfarre Tisens, in: Der Schiern 63 (1989) 71. 131 Bernkastel-Kues StiB, Hs. 221, p. 254; Innsbruck TLA, Lib. Fragmentorum 1/3, fol. 63r. Herzog Sigismund urkundet bereits am 25. April als Herr von Taufers. Regest: LlCHNOWSKY, Geschichte (Anm. 17) VII, Nr. 365. 132 An anderen Stellen beziffert Sigismund den ihm zugefugten materiellen und ideellen Schaden weit höher. Es werden Summen von 30 000, 60 000 und sogar 200 000 Dukaten genannt: Innsbruck TLA, Hs. 5911a, fol. 62v-63r, 357v, 376r; Brixen BA, OA 7321; Innsbruck TLA, Lib. Fragmentorum 1/3, fol. 263r. 133 Bozen StA, Lade 3, nr. 9 T; ebd., Cod. 3, p. 71-73; Innsbruck TLA, Hs. 5911a, fol. 116v-117r, 162v-165r. 134 Innsbruck TLA, Raitbuch 1, fol. 23r, fol. 97v, 202v. Bei der Abrechnung in der herzoglichen Kammer ergab sich ein Fehlbetrag, der mit dem Umrechnungsmodus der verschiedenen Münzsorten, die in den Säcken enthalten waren, begründet wurde.
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Als am Abend des 17. April die beiden Unterhändler den Kardinal verließen, verlangten sie zu dessen Bestürzung die Torschlüssel, öffneten ihren Soldaten die Burg und forderten die bischöfliche Besatzung auf, sich aus dem Schloß zu entfernen135. Damit befand sich der Bischof ganz in der Hand des Herzogs. Sein Protest, hier liege ein Rechtsbruch vor, da die Besetzung nach Abschluß der Verträge erfolgt sei, wird wenig Eindruck auf seine Gegner gemacht haben136. Am nächsten Morgen, dem 18. April, ließ ihm der Herzog die Bitte übermitteln, seine Kapläne zu absolvieren, da er die Messe hören wolle. Nikolaus gab zur Antwort, nicht er habe etwas untersagt (sondern der Papst habe die Strafen verhängt), und ließ die Abgesandten wieder ziehen137. Als jene dem Herzog die Antwort übermittelten, reagierte Sigismund mit einem Wutausbruch, hatte er doch zutreffend verstanden, daß der Bischof ihn nach wie vor als exkommuniziert betrachte. Bussi kolportiert dann in seinem Brief eine theaterreife Szene, von Zeugen ihm zugetragen: Der Herzog habe außer sich vor Zorn nach seiner Rüstung verlangt und geschrien: wenn man mich schon als Exkommunizierten ansieht, dann soll nun Blut fließen, damit die Strafe zu Recht auf mir lastet138. In der Umgebung des Herzogs brach Panik aus. Jakob Trapp, der Hofmeister, Wolfgang Neidlinger, Christian von Freiberg und weitere Höflinge eilten zur Burg und beschworen den Kardinal, die Kirchenstrafen zu suspendieren, wenn er das Schlimmste verhindern wolle. Auch das Kapitel flehte ihn an139. Nikolaus von Kues reagierte nicht weniger emotional und temperamentvoll: lieber werde er sterben als das Recht beugen. Man möge ihn abfuhren, er sei bereit140. Man ist versucht, sich die Dramatik auszumalen: der Kardinal, seine Hände ausstreckend, damit man sie binde, bereit zum Opfergang. Ihm gegenüber die Unterhändler, beklommen und ratlos141. Wir sollten heute dankbar sein, daß Nikolaus von Kues rasch ernüchtert einsah, wie wenig sein Martyrium bewirken werde. Wenn neben dieser Erkenntnis ihn auch Angst überkam, wer wird ihm an-
135 Inwieweit die Schlüsselübergabe "freiwillig" erfolgte, wie Sigismund behauptete (Bozen StA, Cod, 82, p. 32, 40), läßt sich nicht entscheiden. NvK vermerkt eigenhändig neben die entsprechende Passage in Bussis Brief: Nota fraudem! Bernkastel-Kues StiB, Hs. 221, p. 253. 136 Hoc fecerunt post pactum: Bernkastel-Kues StiB, Hs. 221, p. 253. 137 So in seinem Memorandum zur Seelsorge: want wir syne der bullen vnd appellacion dheyn richter, sunder wir sullen dem gescriben rechten gehorsam syne, uncz vns anders von vnserm oberen gebotten wirt. Innsbruck TLA, Sigm. IX, 62, fol. 268r-v. Vgl. auch Anm. 61. 138 Bernkastel-Kues StiB, Hs. 221, p. 253. Herzog Sigismund wird von seinen Zeitgenossen immer wieder als unbeherrscht und jähzornig geschildert. Zur Gewaltanwendung gegen NvK bemerkt er: si offendere enim violencia manu voluissem, quis me prohibuisset, quamvis meruisset [M>A7| in mille pecias dividi propter diffamaciones suas. Brixen BA, OA 7321. 139 Wie NvK über die Aufgabe des Kapitels dachte: Vos non debebatis esse mediatores sed nobiscum pars una. Bernkastel-Kues StiB, Hs. 221, p. 85. 140 Pocins gloriosa morte mori quam consentire in nephas et quod reciperent eum et marterent sicut vellent. Bernkastel-Kues StiB, Hs. 221, p. 253. 141 JÄGER, Streit (Anm. 1) II 14, tut die Geschichte als 'Histörchen' ab. Mir scheint sie durchaus glaubwürdig, nicht nur weil Bussi sie kaum eine Woche später aufzeichnete, sondern weil sie sich in das uns bekannte Charakterbild des Kardinals einfügt. In seinem Brief an den Bischof von Eichstätt heißt es dazu: gaudebam et sperabam me gloriosa morte pro iusticia diem ultimum clausurum, sed non fui dignus. München StB, Clm 19697, fol. 145v. Eine Übersetzung bei BAUM, Nikolaus Cusanus (Anm. 1) 393-396. Eine verfälschende humanistische Stilisierung durch Bussi vermag ich nicht zu erkennen. MEUTHEN, Die letzten Jahre (Anm. 1) 87.
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lasten, kein Held gewesen zu sein? Jakob Trapp drängte: Gefahr sei im Verzug . Schließlich rang sich der Kardinal zum befreienden "ja" durch. Daß er dann die Dispensvollmacht den beiden Herrn vom Kapitel zuschob, se exonerando, wie Bussi kommentierte, muß uns allerdings befremden. Wollte er den Schein der Festigkeit wahren oder glaubte er wirklich, so sein Gewissen entlasten zu können?143 Unerwartet weigerte sich einer der herzoglichen Kapläne, die unter Zwang ausgesprochene Dispens anzuerkennen, so daß der Herzog für den Augenblick sein Ansinnen aufgab144. Später wurden andere Priester genötigt, sich über das Interdikt hinwegzusetzen. Am Abend des 18. April, nach der Besiegelung der ersten Verträge, kam es im Schloß zu tumultartigen Szenen, weil sich das Gerücht verbreitete, Gabriel Prack, der Hauptmann zu Buchenstein, nahe mit starken Kräften, um den Bischof zu befreien145. Da man einen hinterhältigen Vertragsbruch vermutete, wurden nun auch die privaten Gemächer des Kardinals besetzt, deren Immunität bisher respektiert worden war. Beschimpfungen, Drohungen wurden ausgesprochen146. Die Hintergründe jenes Vorfalles, der zu einer gravierenden Eskalation führte und Vorwand sein sollte, dem Bischof in den nächsten Tagen weitere Konzessionen abzupressen, lassen sich nicht mit Sicherheit rekonstruieren. Wir wissen indessen, daß Prack, als sich die Belagerung Brunecks abzeichnete, durch einen Boten benachrichtigt wurde147. Die Hilfsaktion des Hauptmanns ist uns nur durch Gerüchte bezeugt, allerdings denkbar, da dies auch den Pflichten Pracks entsprochen hätte. Gänzlich unglaubwürdig sind die Angaben über die Stärke des Entsatzheeres. Allenfalls handelte es sich um eine relativ kleine Schar. Denn einmal ist es unwahrscheinlich, daß Prack in dem abgelegenen und noch verschneiten Val Parola innerhalb von drei bis vier Tagen ein größeres Kontingent rekrutieren und ausrüsten konnte. Noch gewichtiger sprechen die uns erhaltenen Inventare von Buchenstein dagegen. Überblickt man die dürftige Ausrüstung der kleinen Burg, findet man nicht den geringsten Anhaltspunkt für Kriegsvorbereitungen, wie sie später immer wieder von Sigismund unterstellt wurden148. Das Inventar, das man am 3. Mai 1460 anläßlich der vom Herzog erzwungenen Übergabe der Burg von Gabriel Prack an Leonhard Weinecker anfertigte, registriert nur wenige Waffen 149 . Exakt diesen Bestand führt schon das Inventar vom 26. September
142 Erlaubt sei die hypothetische Frage: Wie würde man über NvK urteilen, wenn er angesichts des paradoxen Kräfteverhältnisses seine Soldaten geopfert hätte? 143 Der stark formalistische Standpunkt wird auch in seinem Memorandum über die Seelsorge deutlich. Vgl. Anm. 61. 144 Sein Name ist überliefert mit: Hieronymus Sauerwein, lic. in iure. 145 Gabriel Prack venirel cum valde magno exercitu Italorum contra ducem: Bernkastel-Kues StiB, Hs. 221, p. 254. 146 Talia signa ostenderunt contra cardinalem et suos, quod nemo putabat se mortem evasurum. Oder: cum minis eciam mortis. Bernkastel-Kues StiB, Hs. 221, p. 254, 241. 147 Im Raitheft des Peter Gruber: mehr hab ich einem knecht geben vi gr., der dem Prachken lies wissen, das manflir Prawnechken lag. Brixen BA, OA 27 863, Nr. 9. 148 NvK dazu später: wolt got, das das beschehen whr. Brixen BA, OA 7316. 149 9 Hakenbüchsen, 5 Messing-Handbüchsen, eine kurze dreiläufige Büchse, eine gute Terrazbüchse und eine zerbrochene, 4 alte Steinschloßbüchsen aus Eisen, davon eine zerbrochen, 15 Armbrüste aus Horn (Gehörn), 10 gute panckharprost (zum Einsatz auf der Brustwehr). U.a. werden noch angeführt ein Fäßchen Pulver, 1/4 voll und 90 Pfund Blei. Innsbruck TLA, Inventare 200/1.
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1458 an . Wo lassen sich hier die gewaltigen Kriegsvorbereitungen erkennen, mit denen Cusanus angeblich die Sicherheit des Tiroler Fürsten bedrohte?151 Wer möchte im Ernst glauben, Prack habe mit diesem Arsenal Truppen ausrüsten können, die eine ernste Gefahr für die 4000 Soldaten von Bruneck darstellten? Vielmehr wäre denkbar, daß Prack, von seinem Bischof alarmiert, sich mit seinen Knechten aufmachte, unterwegs Informationen über die Stärke des gegnerischen Heeres erhielt, bald von der Kapitulation erfuhr und sein Unternehmen aufgab. Jedenfalls kam er nie in die Nähe Brunecks. Was wir konkret wissen, ist nur, daß er bereits am 20. April dem Herzog Urfehde schwor152 und wenige Tage später sich mit Jobst von Hornstein aussöhnte153. Außerdem verlor er als zuverlässiger Dienstmann des Bischofs sein Amt als Hauptmann und Richter von Buchenstein154. Daß Nikolaus von Kues ihm Verrat vorwarf, ihn sogar in Andraz an einem Fensterkreuz aufhängen ließ, ist in den Bereich der Fabel einzuordnen155. Im Gegenteil, wenig später belobigte Pius II. seine Treue und setzte ihn wieder in alle Ämter ein156. In den folgenden Jahren verwaltete er gemeinsam mit Simon von Wehlen die Gerichte des Hochstiftes, die im Territorium der Grafen von Görz lagen. Mehrfach versuchte Oswald von Wolkenstein, ihn daran zu hindern und seiner habhaft zu werden157. Die Besetzung der Wohngemächer als Folge einer angeblichen Hilfsaktion des Gabriel Prack markiert einen von der Forschung bisher nicht beachteten Einschnitt. In Zukunft sollte man von z w e i Verhandlungsphasen und z w e i Vertragsgruppen sprechen, die sowohl durch ihren zeitlichen Abstand als auch durch die Rigorosität der Bedingungen gekennzeichnet sind. Wenn ein drastischer Vergleich erlaubt sei, könnte man die ersten Tage mit den Verträgen vom 18. April das Stadium der Nötigung nennen, das übergeht in eine Phase der Vergewaltigung und abschließt mit den Verträgen vom 24. und 25. April. Nikolaus von Kues, nun völlig dem Herzog ausgeliefert, mußte neue Verhandlungen aufnehmen, deren Tendenz rasch sichtbar wurde. Sigismund forderte nichts weniger als die Stiftstemporalien oder zumindest die Verfügungsgewalt über sie. Noch deutlicher formulierte er seine Ansprüche in Propagandaschriften der folgenden Jahre: Das Stift Brixen liege in der Grafschaft Tirol und sei ein Teil von ihr. Daher gebühre dem Grafen die Landeshoheit158. Was man ihm in Trient willig überlassen habe, das werde er sich nun in Brixen nehmen. Die 150
Innsbruck TLA, Inventare 200/1. Eine italienische Übersetzung: I. VALLAZZA, Livinallongo (ND 1984) 113 f. Vgl. auch RJCHEBUONO, Aggiunte (Anm. 50) 129. 151 So Gregor Heimburg Anfang 1463: statum principis insidiatus. München StB, Clm 232, fol. 154r. 152 Innsbruck TLA, Lib. Fragmentorum 1/3, fol. 64v. Regest: LICHNOWSKY, Geschichte (Anm. 17) VII, Nr. 353. 153 1 460 April 29: Brixen BA, OA 758. Diese Urkunde wirft die Frage auf, ob sich Jobst von Hornstein, der bis September 1458 in Taufers in Haft war, beim Belagerungsheer aufhielt. 154 Innsbruck TLA, Inventare 200/1. 155 G. LOSS, Livinallongo e ¡1 castello d'Andraz, Trient 1858 (ND 1956), 23; VALLAZZA, Livinallongo (Anm. 150) 135, immer ohne Quellenangabe. 156 Rom, Arch. Segr. Vat., Reg. Vat. 477, fol. 121v-122r. 157 Nürnberg, GNM, WA, Raitheft Oswald von Wolkenstein 1460/61. 158 Frankfurt/M., Stadt- und Univ.bibl., Ms. Barth. 96, fol. 262v; desgleichen die Appellation vom 1461 März 16: Wien HHStA, 1461 März 16. Druck: FREHER/ STRUVE (Anm. 89) II 193-197. Grundsätzlich zu diesen Bestrebungen: E. MEUTHEN, Fürst und Kirche am Vorabend der Reformation, in: Thomas-Morus-Gesellschaft. Jb. 2 (1982) 35 f.
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Tragweite konnte niemand übersehen: ein Bischof von Brixen als Untertan des Tiroler Grafen - das wäre das Ende der Reichsunmittelbarkeit (gewesen). Die Brunecker Ereignisse können die Anstrengungen des Kardinals, Rechte und Ansprüche der Fürstbischöfe, auch verlorene und entfremdete, in gelehrten Denkschriften zusammenzustellen, in neuem Licht erscheinen lassen. Sie waren Teil einer Defensivstrategie gegen einen Fürsten, der entschlossen schien, eine zweihundertjährige Entwicklung langsamer Machtausweitung zu einem erfolgreichen Abschluß zu bringen, nämlich die in Tirol liegenden Hochstifte zu mediatisieren159. Ein Bündel von wenigstens 16 Verträgen und Erklärungen liegen uns als Ergebnis der fieberhaften Verhandlungen, die zwischen dem 19. und 25. April auf der Burg geführt wurden, vor. Von Anfang an hatte man das Kapitel als dritten Partner einbezogen. Es ist müßig darüber zu reflektieren, wie frei sich Cusanus in seinen Entscheidungen fühlte160: Eine eroberte Stadt, eine besetzte Burg, Soldaten überall, auch vor dem Turmzimmer, in das er sich zurückgezogen hatte. Mit den drei bereits am 18. April ausgefertigten Urkunden dokumentierten sie das Scheitern des Fürstbischofs, eine totale Niederlage, die tiefste Erniedrigung. Da in der Literatur eine beachtliche Verwirrung über die damaligen Abmachungen herrscht, sie oft unzulänglich gegeneinander abgegrenzt werden und teilweise auch unbekannt blieben161, sollen im folgenden die insgesamt 19 Dokumente knapp zusammengestellt werden: I.
1. Verhandlungsphase
1. 1460 April 18, Bruneck Nikolaus von Kues verpflichtet sich als Entschädigung für die Herzog Sigismund entstandenen Kriegskosten zur bedingungslosen Rückgabe von Taufers, zum Verzicht auf die Rückzahlung eines Darlehens in Höhe von 3000 Gulden sowie zur Zahlung von 10 000 Gulden. Von dieser Summe werden 6000 Gulden sofort übergeben, 4000 Gulden sind später in zwei Raten zu bezahlen. Damit soll alle Feindschaft beigelegt sein. Beide Seiten verzichten auf weitere Ansprüche und auf Rechtsmittel. Das Kapitel tritt dem Vertrag bei, übernimmt eine Bürgschaft und besiegelt ihn ebenfalls162.
159 JÄGER, Landständische Verfassung (Anm. 1) II/2 145 ff. K. FAJKMAJER, Studien zur Verwaltungsgeschichte des Hochstiftes Brixen im Mittelalter, in: Forsch, und Mitt. zur Geschichte Tirols und Vorarlbergs 6 (1909) 228 ff.; STOLZ, Land und Landesfürst (Anm. 90) 193 ff.; GRASS, Cusanus als Rechtshistoriker (Anm. 1) 135. 160 Man war sich der Fragwürdigkeit erpreßter Verträge bewußt. Bussi: sciens talia, que sie ab eo violenter extorquerentur, non posse ... preiudicare iure. In einer Replik aus dem Spätherbst 1460: do er den cardinal yn seinen henden hett, trang er von im, was er wolt. Innsbruck TLA, Hs. 5911a, fol. 350v. 161 JÄGER, Streit (Anm. 1) II 14 ff.; A. JÄGER, Regesten und urkundliche Daten über das Verhältnis des Cardinais Nicolaus von Cusa zum Herzoge Sigmund von Österreich und zu dem Lande Tirol von 1450 bis 1464, in: Archiv für die Kunde Österreich. Geschichtsquellen 4 (1860), Nr. 274-283; VANSTEENBERGHE, Le cardinal (Anm. 1) 197 f. Die Zusammenstellung bei BAUM, Nikolaus Cusanus (Anm. 1) 396 f., muß entsprechend ergänzt bzw. berichtigt werden. 162 Or.: Innsbruck TLA, U I, 8981; Kopien: Innsbruck TLA, Hs. 5911a, fol. 114v-116v; ebd., Hs. 457, fol. 156r-157v; ebd., Sigm. IX, 62, fol. 221r-222v; Bozen StA, Lade 131, nr. 4 C; ebd., Cod. 3,
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2.
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1460 April 18, Bruneck Herzog Sigismund quittiert dem Nikolaus von Kues und dem Kapitel den Empfang von 4000 Rh. Gulden als Abschlag auf eine Schuld von 10 000 Gulden163.
3.
1460 April 20, Bruneck Herzog Sigismund nimmt Gabriel Prack, der in Ungnade gefallen ist, wieder in seine Huld auf. Alle Hauptleute etc. erhalten den Befehl, sich entsprechend zu verhalten164.
II. 2. Verhandlungsphase 4.
1460 April 21 [Bruneck] Das Brixener Domkapitel bekennt, in dem Konflikt zwischen dem Bischof und Herzog Sigismund folgenden Ausgleich vermittelt zu haben: Der Bischof wird die Stiftstemporalien, insbesondere Burgen und Gerichte, dem Kapitel übergeben. Dieses verpflichtet sich, nur Hauptleute und Pfleger einzusetzen, die das Vertrauen des Landesfursten besitzen. Die Städte und Burgen sollen diesem jederzeit offenstehen. Kapitel und Herzog übernehmen eine wechselseitige Beistandsverpflichtung165.
5. [1460 April 23, Bruneck] Nikolaus von Kues teilt allen Untertanen der Brixener Kirche mit, aus freien Stücken die Verwaltung der Stiftstemporalien dem Domkapitel übertragen zu haben166. 6.
[1460 April 23, Bruneck] Nikolaus von Kues gibt allen Pflegern und Hauptleuten die Übertragung der Stiftstemporalien an das Kapitel bekannt. Er entbindet sie von ihrem Treueid und fordert sie auf, zukünftig dem Kapitel gehorsam zu sein167.
7.
1460 April 23, Bruneck Nikolaus von Kues teilt den Bürgern von Brixen, Bruneck und Klausen die Übergabe der Stiftstemporalien an das Domkapitel mit und fordert sie auf, dem Kapitel Gehorsam zu leisten168.
8.
1460 April 24, Bruneck Nikolaus von Kues zählt die Gründe auf, die Herzog Sigismund nötigten, ihn zum Schutz seines Fürstentums die Fehde anzusagen. Er verzichtet in dem durch das Kapitel vermittelten Frieden auf alle Wiedergutmachungsansprüche, verpflichtet sich zur Rückgabe der Fehdebriefe und gibt alle Ansprüche auf [strittige] Lehen auf. Dem Herzog verspricht er, sich für die Aufhebung der Zensuren einzusetzen und
p. 37-38; Brixen BA, OA 7315; Brixen, Priesterseminar, Ms. D 11, p. 233-234; Bernkastel-Kues StiB, Hs. 221, p. 20-21 (mit Randglosse des NvK). 163 Or.: Brixen BA, OA 4716. Kopie: Innsbruck TLA, Lib. Fragmentorum 1/3, fol. 60v. 164 Kopie: Innsbruck TLA, Lib. Fragmentorum 1/3, fol. 64v. 165 Or.: Brixen, Kapitelsarchiv, Lade 101 (Text ist weitgehend identisch mit der Urkunde vom 28. April [hier Nr. 19], trägt jedoch von späterer Hand den Vermerk: non fiiit expedita; wartete man mit der Ausfertigung bis zur Abreise des NvK?). Kopie: Brixen BA, OA 7315. 166 Kopie: Bozen StA, Cod. 3, p. 42 (o.D.); Innsbruck TLA, Hs. 5911a, fol. 120v-121r (o.D.). 167 Regest: Innsbruck TLA, Hs. 5911a, fol. 120r (o.D.). 168 Kopie: Bozen StA, Cod. 3, p. 41; Innsbruck TLA, Hs. 591 la, fol. 120r-v; Brixen, Bibliothek des Priesterseminars, Ms. D 11, p. 236.
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selbst Kirchenstrafen, soweit es in seiner Vollmacht liegt, zu suspendieren. Er verpfändet sein fürstliches Ehrenwort, alle Bestimmungen des Vertrages zu erfüllen. Das Kapitel als teilweiser Rechtsnachfolger des Bischofs besiegelt ebenfalls den Vertrag169. 9.
1460 April 24, Bruneck Herzog Sigismund fertigt eine teilweise gleichlautende Gegenurkunde aus170.
10. 1460 April 24, Bruneck Herzog Sigismund billigt die Übergabe der Stiftstemporalien an das Domkapitel und alle Verpflichtungen, die das Kapitel auf sich genommen hat171. 11. 1460 April 24, Bruneck Nikolaus von Kues gibt alle Rechtsansprüche, die er Herzog Sigismund gegenüber erhoben hat, auf, insbesondere die Ansprüche auf die Silbergruben bei Garnstein172. 12. 1460 April 24, Bruneck Nikolaus von Kues verpflichtet sich, den Schuldbrief über 3000 Gulden auszuliefern173. 13. 1460 April 24, Bruneck Nikolaus von Kues verpflichtet sich aufgrund des Vertrages vom 18. April (vgl. Nr. 1) zur Zahlung von 4000 Gulden in zwei Raten. Das Kapitel besiegelt als Bürge ebenfalls den Vertrag174. 14. 1460 April 24, Bruneck Nikolaus von Kues billigt die Verlängerung des Vertrages, der am 23. November 1447 zwischen der Abtei Sonnenburg und Bischof Johann [Röttel] geschlossen wurde und der die Rechtsansprüche der Abtei in Enneberg ordnet175. 15. 1460 April 24, Bruneck Herzog Sigismund erklärt sich mit der Verlängerung des Vertrages vom 23. November 1447 einverstanden. Das Kapitel und Barbara Schöndorffer, Verweserin der Abtei Sonnenburg, geben ebenfalls ihre Zustimmung176. 169 Or.: Wien HHStA, 1460 April 24. Kopien: Bozen StA, Cod. 3, p. 44-46; Innsbruck TLA, Hs. 591 la, fol. 123v-126v; Bernkastel-Kues StiB, Hs. 221, p. 22-24, 359-361; München StB, Clm 1389, fol. 26r-27r; ebd., Cgm 975, fol. 44r-47r. Druck: J. CHMEL, Materialien zur österreichischen Geschichte II, Wien 1840 (ND 1971) 203 ff. Nr. 162. 170 Kopie: Innsbruck TLA, Lib. Fragmentorum 1/3 fol. 59r-60r; München StB, Cgm 975, fol. 289r290v; Bernkastel-Kues StiB, Hs. 221, p. 26-29 (mit autographer Notiz des NvK). 171 Or.: Bozen StA, U 1492. Kopien: Bozen StA, Cod. 3, p. 35-36; Innsbruck TLA, Lib. Fragmentorum 1/3, fol. 60v-61v; ebd., Hs. 5672, p. 51-53; ebd., Hs. 5911a, fol. 112r-114v; München StB, Cgm 975, fol. 291 v-293v; Brixen, Bibliothek des Priesterseminars, Ms. D 11, p. 243-245. 172 Or.: Innsbruck TLA, U I 8982. Kopie: Bernkastel-Kues StiB, Hs. 221, p. 18. 173 Or.: Innsbruck TLA, U I 8983. Kopie: Bernkastel-Kues StiB, Hs. 221, p. 19. Nach Bussi wurde der Schuldbrief dem Kardinal gewaltsam (violenter) genommen. Das mag erklären, warum das Original der Urkunde vom 18.3.1456 nicht mehr zu finden ist. NvK ließ sich am 5.6.1460 Kopien vidimieren: Bozen StA, U 57. Vgl. auch H. HALLAUER, in: MFCG 1 (1961) 84. 174 Kopie: Bozen StA, Cod. 3, p. 42-43; Innsbruck TLA, Hs. 5911a, fol. 121v-122v; BernkastelKues StiB, Hs. 221, p. 19-20. Die Restschuld wurde am 27.12.1461 beglichen: Brixen BA, OA 4717, 4616. 175 Or.: Innsbruck TLA, Stift Sonnenburg, U 102. Der Vertrag von 1447 ist mehrfach überliefert, u.a. Innsbruck TLA, Hs. 2336, p. 30-33. 176 Kopie: Innsbruck TLA, Lib. Fragmentorum 1/3, fol. 60r; München StB, Cgm 975, fol. 291r.
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16. 1460 April 24, Bruneck Nikolaus von Kues erkennt Herzog Sigismund als Vogt der Abtei Sonnenburg an. Er verzichtet auf eine Kontrolle der Klostertemporalien, doch bleiben seine Rechte als Bischof unberührt177. 17. 1460 April 24, Bruneck Herzog Sigismund teilt Ulrich von Halbsleben, Hauptmann auf Säben, den Abschluß der Friedensverträge mit. Er fordert ihn auf, sein Amt niederzulegen und mit allen Truppen die Burg zu verlassen. Diese sei dem Kapitel übergeben worden178. 18. 1460 April 25, Bruneck Nikolaus von Kues verspricht, das Kapitel schadlos zu halten, falls dieses aufgrund der Bürgschaftserklärung zu Zahlungen herangezogen werden sollte179. 19. 1460 April 28, Bruneck Das Domkapitel von Brixen gelobt Sigismund, diesem alle Burgen und Städte offenzuhalten und Hauptleute nur mit dessen Zustimmung einzusetzen180. Entmachtet, gedemütigt, der Kuratel des Domkapitels unterworfen, konnte Nikolaus von Kues nur daran denken, möglichst rasch sein Bistum zu verlassen. Denn auch seinem geistlichen Wirken wären enge Grenzen gesetzt gewesen, ganz abgesehen von dem heillosen Zerwürfnis mit Teilen des Kapitels, des Klerus und wohl auch seiner Diözesanen. Während der Herzog die Urkunden, Trophäen seiner "Großtat", wie Gregor Heimburg später den Sieg nennen wird181, nach Innsbruck bringen ließ, wo man sie am 30. Mai ins Archiv einordnete182, während den Söldnern nach "geschlagener Schlacht" ihre Löhnung abgezählt wurde183 und man mit den eigens in Nürnberg angeworbenen Büchsenschützen Sold und Reisespesen abrechnete184, während die Bewohner des Pustertals immer noch unter Übergriffen und Requirierungen litten185, trafen beide, Fürst und Bischof, Vorbereitungen, diesen unseligen Platz zu verlassen. Dem Papst hatte Nikolaus von Kues bereits am 23. April 177 Or.: Bozen StA, U 2357. Kopie: Innsbruck TLA, Lib. Fragmentorum 1/3, fol. 60v; München StB, Cgm 975, fol. 291v. 178 Kopie: Innsbruck TLA, Lib. Fragmentorum 1/3, fol. 62r; München StB, Cgm 975, fol. 293v294r. 179 Kopie: Bozen StA, Cod. 3, p. 43-44; Innsbruck TLA, Hs. 5911a, fol. 122v-123v; BernkastelKues StiB, Hs. 221, p. 21-22. 180 Or.: Innsbruck TLA, U I 8985. Kopien: ebd., U I 8986 (2 Exemplare); Hs. 591 la, fol. 117r-l 19v (o.D.); ebd., Hs. 195, fol. 89r-91r; Wien HHStA, 1460 April 28; ebd., Hs. 435 (W 220), fol. 64r67v; Bozen StA, Cod. 3, p. 39-41 (o.D.); Brixen, Bibliothek des Priesterseminars, Ms. D 11, p. 234236 (o.D.); Innsbruck, Museum Ferdinandeum, BF 2719, fol. 53r-56r. Druck: CHMEL, Materialien (Anm. 169) II, 204-205, Nr. 157b. 181 Magnificum et animosum factum, als Glosse zum Breve Pius II. vom 18.10.1460. Innsbruck TLA, U I , 8990. Druck: FREHER/ STRUVE (Anm. 89) II 210. 182 Innsbruck TLA, Sigm. IX, 62, fol. 219. Von den dort angeführten 8 Urkunden ist ein Dokument, Sonnenburg betreffend, nicht mehr zu finden. Demnach gab es noch mehr als 19 "Verträge". 183 Innsbruck TLA, Raitbuch 1, fol. 260r. 184 Innsbruck TLA, Raitbuch 1, fol. 260v (Eintragung vom 29.4.1460). 185 Innsbruck TLA, Hs. 591 la, fol. 356v; Bozen StA, Cod. 82, p. 40-41; Bernkastel-Kues StiB, Hs. 221, p. 254. NvK spricht von usque ad multa milia steriorum Kom. Nach Brixener Maß von 1450 war 1 Stör Getreide ca. 30 Liter.
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sein baldiges Kommen angekündigt und die Bitte hinzugefügt, inzwischen von allen Strafmaßnahmen gegen den Herzog abzusehen186. Doch vorher sollte es noch zu einer persönlichen Begegnung der beiden so verschiedenen Persönlichkeiten kommen. Das denkwürdige Ereignis dürfte am 25. April stattgefunden haben, da an diesem Tag die über den Kardinal verhängte "Haft" aufgehoben wurde187. Wenn auch nur spätere und zudem kontroverse Berichte vorliegen, gilt als sicher, daß es zu einer versöhnenden Umarmung kam, bei der man sich versprach, den wolf aus dem buessen [zw] lassen, und - welch ein Akt der Selbstüberwindung - Nikolaus von Kues den Fürsten um Vergebung bat188. Eine unglaubwürdige Geste? Keineswegs! Bezeugen auch manche Zeitgenossen seinen starren, unbeugsamen Charakter (duri cervicis), erwähnen sein aufbrausendes Temperament oder sehen in ihm nur den formalistischen Juristen, so erleben wir in den Quellen auch einen anderen Cusanus, der in christlicher Demut bereit ist, sich zu beugen, der fähig ist, sein Versagen einzugestehen189. Daher möchte ich glauben, daß jenes Zusammentreffen, wenigstens für Nikolaus von Kues, zu einer Stunde tiefer Aufrichtigkeit wurde: Einsicht in die Eitelkeit seiner politischen Ziele, eine Mahnung an das urchristliche Gebot der Nächsten- und Feindesliebe. Er erkannte die Gefahr, über dem erbitterten Machtkampf das Wesentliche aus den Augen zu verlieren. Wenige Wochen später schrieb er ähnliche Gedanken in seinem Brief an Johann von Eich nieder190. Was zwischen den beiden Herren außerdem an Versprechungen ausgetauscht oder konkreten Absprachen vereinbart wurde, läßt sich nur mühsam aus den kontroversen Erzählungen herauslesen. Keinesfalls wollte Nikolaus von Kues seine Versöhnungsbereitschaft als Billigung des der Kirche zugefugten Unrechts verstanden sehen. Daher konnte er später behaupten, dem Herzog die Verwerflichkeit seines Handelns vorgehalten und ihm die einschlägigen canones des Kirchenrechts ins Gedächtnis gerufen zu haben, desgleichen das Fortbestehen der Kirchenstrafen. Er habe ihm empfohlen, sofort Schritte an der Kurie zu unternehmen, um einen Prozeß abzuwenden, aber auch auf eine unabdingbare Voraussetzung hingewiesen, nämlich Restitution oder widerkerung, wie er es in seinem Brief an Lienhart Weinecker ausdrückte191. Völlig anders die Erinnerung des Herzogs, der daher den Kardinal als Lügner brandmarkte. Er, Sigismund, habe Bruneck beruhigt und arglos verlassen192. 186 1460 April 23: Bernkastel-Kues StiB, Hs. 221, p. 196 und 362. Der Brief, den Mathias Bloemert nach Siena überbrachte, wurde zensiert. Dazu die Notiz in Bernkastel-Kues StiB, Hs. 221, p. 196. 187 NvK an Leonhard Weinecker, 1460 April 29: Bozen StA, Cod. 3, p. 48-49; Bernkastel-Kues StiB, Hs. 221, p. 197-198; Innsbruck TLA, Hs. 5911a, fol. 130v-132r. Vgl. auch JÄGER, Streit (Anm. 1)11 32-34. 188 Innsbruck TLA, Hs. 5911a, fol. 338v, 357r; ebd., Lib. Fragmentorum 1/3, fol. 62r (das frimtlich abschaiden); Bozen StA, Hs. 82, p. 33; NvK an Simon von Wehlen, 1460 Mai 14: dimisi enim omnem rancorem. Bernkastel-Kues StiB, Hs. 221, p. 210. 189 MEUTHEN, Die letzten Jahre (Anm. 1) 55; MEUTHEN, Nikolaus von Kues 1401-1464. Skizze einer Biographie, Münster 71992, 107 f. 190 München StB, Clm 19697, fol. 145r-146r. BAUM, Nikolaus Cusanus (Anm. 1) 393-396; JOACHIMSOHN, Gregor Heimburg (Anm. 9) 185. 191 Vgl. Anm. 187. Ähnlich NvK an Pado Morosini, ca. Oktober 1462: Bernkastel-Kues StiB, Hs. 221, p. 428. Zu den kirchenrechtlichen Konsequenzen des Überfalles vgl. GRASS, Cusanus und das Fehdewesen (Anm. 1)795. 192 Bozen StA, Cod. 82, p. 32.
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In meinen Augen verdient der Bericht des Bischofs die höhere Glaubwürdigkeit, da zu den Indizien eine innere Wahrscheinlichkeit tritt. Aus seinem Handeln spricht der Priester und Seelsorger, für den Mahnung zur Reue, Umkehr und Wiedergutmachung der Verzeihung und Aussöhnung vorausgehen. Wen psychologische Überlegungen nicht befriedigen, den können möglicherweise Dokumente, die uns aus den folgenden Tagen vorliegen, überzeugen. In seinem bereits erwähnten Brief an Weinecker wiederholt er die uns bekannten Ratschläge an den Herzog193. Bussi beschwört in einem Schreiben vom 7. Mai den Trienter Bischof, in diesem Sinne auf den Fürsten einzuwirken194. Wie läßt sich sonst die Eile erklären, mit der Sigismund eine Gesandtschaft an den päpstlichen Hof abordnet? Cusanus hatte ihm dazu geraten195. Die Lorenz Blumenau und Hans von Kronmetz mit auf den Weg gegebenen Instruktionen verraten die Angst, mit der der Herzog einem Prozeß an der Kurie entgegensah. Alle Anstrengungen der Diplomaten sollten sich hierauf richten, ihn abzuwenden196. Einen Tag später verließ Sigismund Bruneck197, nicht ohne vorher geheime Späher auszuschicken, die alle weiteren Schritte des Kardinals beobachten sollten198. Nach einer Übernachtung in Brixen, das er jetzt als "seine" Stadt betrachten konnte199, traf er am 27. April in Bozen ein200. Hier konnte er seinem Brunecker Triumph einen weiteren, kampflosen Sieg hinzufugen. Was ihm Nikolaus von Kues nur angesichts drohender Kanonen überlassen hatte, das überließ ihm Bischof Georg von Trient am 6. Mai willig201. Seinem Ziel, die Grafschaft durch die Einbeziehung der Stiftsterritorien "abzurunden", war er innerhalb eines Monats einen entscheidenen Schritt nähergekommen. Cusanus rüstete sich mittlerweile zur Abreise, ohne dem Wunsch des Kapitels zu folgen, einen vicarius in spiritualibus einzusetzen202. Der Papst habe ihm dies untersagt. Nur für die Görzer Gebiete im Pustertal traf er eine Ausnahmerege193
Vgl. Anm. 187. Bernkastel-Kues StiB, Hs. 221, p. 199-201. Die völlig irrigen Angaben bei JÄGER, Streit (Anm. 1) II 35 f., hat bereits MEUTHEN, Die letzten Jahre (Anm. 1) 166 Anm. 1, korrigiert. Allerdings wurde der Brief nicht in Levico, sondern in Lonigo, ca. 25 km südwestlich von Vicenza, wo sich NvK an diesem Tage aufhielt (MEUTHEN 215, Anm. 2), abgefaßt. Das von Bussi erwähnte Kloster dürfte die Abtei SS. Fermo e Rustico gewesen sein (freundlicher Hinweis von E. Meuthen). Zu dem Brief auch die Bemerkungen des Michael von Natz: Bernkastel-Kues StiB, Hs. 221, p. 206. 195 Innsbruck TLA, Hs. 5911a, fol. 132v. Die Reisekosten sind verbucht in: Innsbruck TLA, Raitbuch 1, fol. 102r. Vgl. auch H. BOOCKMANN, Laurentius Blumenau - Fürstlicher Rat, Jurist, Humanist (ca. 1415-1484) (Göttinger Bausteine zur Geschichtswissenschaft 38) Göttingen 1965, 170 f. 196 Das bisher übersehene Memoriale für die beiden Räte, das auch dem Verfasser von Codex 'Handlung' nicht vorlag (Innsbruck TLA, Hs. 591 la, fol. 132v): Innsbruck TLA, Lib. Fragmentorum 1/3, fol. 62r-63v; München StB, Cgm 975, fol. 294r-297r. 197 Das Datum 26. April ist zweifelsfrei durch die Eintragung im Raitbuch der Innsbrucker Kammer belegt. Der Verfasser von Codex 'Handlung' (Innsbruck TLA, Hs. 5911a, fol. 127v) gibt fälschlicherweise den 28. April an, ein weiteres Indiz für die Annahme, daß diese Aktensammlung erst lange nach den Ereignissen zusammengestellt wurde und so die Erinnerungslücken zu erklären sind. 198 Innsbruck TLA, Raitbuch 1, fol. 142v. •"Innsbruck TLA, Raitbuch 1, fol. lOlr. Das bischöfliche Hofamt gibt die Bewirtungskosten des Hofgesindes an mit 10 Ib., 4 gr., 2 fr. Brixen BA, OA 27 326, p. 99. Ein Jahr später wird der Herzog "seiner" Stadt alle Privilegien bestätigen: Or. Nürnberg GNM, Allg. Urkunde-Reihe, 1461 November 5. Der Entwurf in Innsbruck TLA, Hs. 111, p. 93-94 trägt das Datum 30.10.1461. 200 Herzog Sigismund blieb dort bis zum 13. Mai, um sich u.a. der Jagd zu widmen. Vgl. dazu die allerdings oft mißverstandenen Angaben bei HÖRTNAGEL, Brunecker Überfall (Anm. 98) 467 ff. 201 Dazu unten Anm. 230. 202 Bozen StA, Lade 3, nr. 9 P; Brixen BA, OA 7322. 194
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lung ; desgleichen übertrug er dem Dekan und Kapitel von Innichen Sondervollmachten204. Zu der allseits erhofften Aufhebung des Interdiktes wollte er sich ebenfalls nicht entschließen205. Cusanus war sich wohl bewußt, eine Reise ohne Wiederkehr anzutreten. Abschiedsgeschenke wurden verteilt an das Schloßgesinde und die Familie des Brunecker Amtmannes Jörg Pümpeckh, die ihn in jenen schweren Tagen betreuten206. Er hatte Beweise großer Anhänglichkeit und standhafter Treue erfahren207, noch mehr bittere Enttäuschungen. Ja, selbst sein "Neffe" Simon von Wehlen geriet zeitweise, wenn auch grundlos, ins Zwielicht208. Spätere Behauptungen, von der Literatur zu bereitwillig aufgegriffen, die pauschal von einer nahezu einhelligen Ablehnung des Bischofs durch Klerus und Volk sprechen209, werden durch nicht wenige Gegenbeispiele relativiert210. So wurde Heinrich, der Zolleinnehmer von Klausen, durch Oswald von Wolkenstein verhaftet und blieb über drei Monate in Rodeneck arretiert, weil er sich den Anordnungen des Herzogs nicht beugte211. *
Am 27. April verließ Nikolaus von Kues Bruneck, eine Stadt, die ihm liebgeworden war und in der er alljährlich mehrere Wochen Erholung gefunden hatte212. Ohne noch einmal in Buchenstein zu nächtigen, ritt er direkt durch das Gadertal nach Hayden (Cortina d'Ampezzo), dicht an der Bistumsgrenze gelegen, doch bereits Teil der Republik Venedig. Drei Tage weilte er dort213, traf letzte Anweisungen, übergab Leonhard Weinecker 2000 Gulden als Abschlagszahlung auf die restliche Kriegsentschädigung214, um dann langsam, durch Aufregung und 203
Bernkastel-Kues StiB, Hs. 221, p. 210-211. Das Datum ist korrupt. Vermutlich liegt ein Lesefehler vor (prima/penultima). Da NvK am 1. Mai noch im Ampezzino weilte, dürfte die korrekte Datierung sein: 1460 Mai [30]. 204 Paul II. an das Stift Innichen, 1468 April 26: Brixen BA, Konsistorialarchiv, Excerpta Roschmann. 205 Innsbruck TLA, Hs. 5911a, fol. 127v-128r, 129v-130v. 206 Brixen BA, OA 5762, fol. 5r (durch Simon von Wehlen). 207 So wird der Burghauptmann Bartholomä von Liechtenstein in einer Bulle vom 19.8.1460 für seine Treue zu NvK belobigt und in die familia des Papstes aufgenommen: Rom, Arch. Segr. Vat., Reg. Vat. 477, fol. 121v; Bernkastel-Kues StiB, Hs. 221, p. 137. 208 Bozen StA, Cod. 3, p. 47; Innsbruck TLA, Hs. 591 la, fol. 128v; JÄGER, Streit (Anm. 1) II 30 ff. 209 Repräsentativ dazu die Bemerkung des Laurentius Blumenau in seinem Brief an Hermann Schedel, 1461 Januar 11: Nam nullus Cusanum (non sie: volo dicere Bavium) dilexit, unter Anspielung auf Vergil, Ecl. 3, 90. München StB, Clm 215, fol. 327v. Druck: J. CHMEL, Reiseberichte II (SB Akad. Wiss. Wien Phil.-hist. Kl. V) Wien 1850, 699. 210 Zu berücksichtigen ist auch der vielfach belegte Druck, den der Herzog auf den Klerus ausübte und der sich aus Gründen der Selbsterhaltung beugte. Dazu die Notiz in München StB, Clm 466, p. 211. Noch im März 1461 gelten die Pfarrer von Rodeneck, Albeins, Villnöss, Enneberg, Prutz, Wenns, Abtei, Gais und Buchenstein als Anhänger des NvK. Innsbruck TLA, Hs. 111, p. 67; vgl. auch JOACHIMSOHN, Gregor Heimburg (Anm. 9) 192 Anm. 1. Sogar das Kapitel spürte den Druck: Bozen StA, Lade 3, nr. 9 H„ fol. 20r. 211 Nürnberg GNM, WA, Raitheft Oswald von Wolkenstein. 212 G. MUTSCHLECHNER, Itinerar des Nikolaus von Kues für den Aufenthalt in Tirol, in: CGS (Anm. 1) 526-532. Die Angaben dort können beachtlich differenziert werden. 213 Innsbruck TLA, Hs. 5911a, fol. 128r. 214 Brixen BA, OA 759; Brixen, Bibl. des Priesterseminars, Ms. D 9.
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Krankheit geschwächt , seine Reise zum Papst nach Siena fortzusetzen, wo er am 28. Mai eintraf216. Uns kann hier nicht mehr der weitere Lauf der Dinge beschäftigen. Doch wollen wir Fragen stellen, Fragen nach den Motiven des Herzogs, der Rolle des Domkapitels und den Beweggründen des Kardinals. Verlockend auch über die Schuldfrage zu reflektieren, wenn man sie denn stellen darf oder gar beantworten kann. Die Motive des Herzogs lassen sich leicht ergründen. Ihm stand Nikolaus von Kues von Anfang an im Wege. Wieviel leichter hätte er mit seinem Favoriten, dem Kanzler Leonhard Wiesmayer, seine Ziele verfolgen können, nämlich die Landeshoheit auch über die beiden Hochstifte Brixen und Trient auszudehnen217. Nun mußte er sich mit dem berühmten Kardinal auseinandersetzen, einem erfahrenen Diplomaten, einem Historiker und Juristen von höchstem Ansehen, der ihm selbstbewußt entgegentrat und sich als gleichberechtigter Partner und ebenbürtiger Reichsfurst verstand. Superioritätsansprüche, die der Herzog aus seiner Position als Vogt der Kirche abzuleiten versuchte, wies Cusanus entschieden zurück218. Folglich versuchte Sigismund die Stellung des Bischofs mit anderen Mitteln zu schwächen. Zum Beispiel begründete er, allseits verbreitete antirömische Affekte ausnutzend, seinen Widerstand gegen die Brixener Provision mit der Notwendigkeit, die deutsche Kirche schützen zu müssen, damit sie nicht vollends der Kurie unterworfen werde219. Nicht weniger fadenscheinig war die Abqualifizierung des Nikolaus von Kues als eines landfremden Eindringlings, als "Ausländers" in Tirol. Denn ein Blick auf die Herkunft der Brixener und Trienter Bischöfe des Spätmittelaters zeigt, wie unpassend ein solches Argument war220. Um an einige Namen zu erinnern: Johann von Lenzburg, Friedrich von Erdingen, Ulrich Reicholf, Bertold von Bückeisburg, Ulrich Putsch, Johann Röttel, Georg Golser, Melchior von Meckau - sie alle waren "landfremd", nur daß bei ihnen jener Makel in der Regel aufgehoben wurde durch eine imponierende Ahnenreihe, die allerdings der Kardinal aus dem Moseldorf nicht vorzuweisen hatte, oder durch ihr intimes Verhältnis, sprich Abhängigkeit, zum jeweiligen Landesfürsten. Nicht anders lagen die Verhältnisse in Trient221. Und was für die Bischöfe zutraf, das galt in glei215
Confractus et amplius senex: Bussi an Georg von Trient, 1460 Mai 7. Bernkastel-Kues StiB, Hs. 221, p. 201. 216 MEUTHEN, Die letzten Jahre (Anm. 1) 215 f., Anm. 2. 217 Vgl. Anm. 159. JÄGER, Landständische Verfassung (Anm. 1) II/2 135 ff.; STOLZ, Land und Landesfürst (Anm. 90) 230 ff.; GRASS, Cusanus als Rechtshistoriker (Anm. 1) 188. Zu der damals verbreiteten Tendenz, die kirchlichen Ämter mit willfährigen Kreaturen zu besetzen, etwa aus dem Kreis des Kanzleipersonals: MEUTHEN, Fürst und Kirche (Anm. 158) 39. 218 Aus einer Vielzahl von Belegen: Bernkastel-Kues StiB, Hs. 221, p. 240; Innsbruck TLA, Hs. 591 la, fol. 133r-v (gleich als ob er waer ein patron oder Stifter des gotshaus), fol. 353r., ebd., U I, 8976. Druck: W. BAUM, in: Tiroler Heimat 50 (1986) 87-91. 219 A. KRANTZ, Wandalia, Frankfurt 1580, 285: non est passus Sigismundos dux Austriae, ut ea in Germaniam tenderetur consuetudo, quod Romani cardinales ecclesias Germaniae haberent in commendis, quo modo abbatias et monasterio Italiae, Galliarum, Hispaniae, Angliae. Teilweise als Zitat bei FREHER/ STRUVE (Anm. 98) II 183. 220 L. SANTIFALLER, Stand und Herkunft der Bischöfe von Brixen vom 11.-15. Jh., in: Der Schiern 2 (1921) 238 ff. Zu dieser Form der Stigmatisierung vgl. auch E. MEUTHEN, Auskünfte des Repertorium Germanicum zur Struktur des deutschen Klerus im 15. Jh., in: QFIAB 71 (1991) 295. 221 J. KÖGL, La sovranità dei vescovi di Trento e di Bressanone, Trient 1964, 235.
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chem Maße für die Domkapitel. Leo Santifaller rechnete aus, daß in Brixen im 15. Jahrhundert ganze 21 Prozent der Kanoniker "Tiroler" waren, 1459 dies gar nur auf einen einzigen herrn zutraf222. Dem Verdikt vom landfremden Eindringling war ein zähes Leben beschieden. Immer wieder begegnen wir ihm, seit es Mathias Burglechner in seinem monumentalen Werk aufgegriffen hatte. Es färbte Albert Jägers Urteil223, und von ihm ließen sich nicht wenige spätere Autoren beeinflussen. Um Sigismunds Auseinandersetzungen mit Nikolaus von Kues zu verstehen, ist ein Blick auf Trient unerläßlich. Denn exemplarisch konnte er dort mit der Billigung des Bischofs, des Schlesiers(!) Georg Hack, schrittweise verwirklichen, was ihm in Brixen vorerst verwehrt wurde: das Hochstift zu mediatisieren und seine Landeshoheit zumindest de facto auf die Territorien der Kirche auszudehnen224. Hier können nur knapp die einzelnen Schritte dieser erstaunlich geschickt betriebenen Politik angedeutet werden. Dabei fallen sogleich Parallelen zu Brixen ins Auge225. 1. 1446 September 28 Herzog Sigismund übernimmt auf fünf Jahre die Verwaltung der Temporalien des Hochstiftes Trient und nennt sich dominus, advocatus, gubernator und defensor hereditarum ecclesiae Tridentinae226. 2. 1454 April 29 Zwischen Herzog Sigismund und dem Bischof von Trient werden Kompaktaten vereinbart. Die Stiftstemporalien stehen dem Landesfursten bei Bedarf zur Verfugung. Alle Hauptleute, Pfleger und Richter müssen dem Herzog den Treueid leisten227. 3. 1459 April 24 Der Bischof von Trient tritt endgültig seine Vogteirechte über die Abtei Sonnenburg an Herzog Sigismund ab228. 222
SANTIFALLER, Brixener Domkapitel (Anm. 129) 81. Jägers Aversion gegen NvK zieht sich wie ein roter Faden durch seine Veröffentlichungen und schlägt sich nieder in herabsetzenden Urteilen, Verdächtigungen, sogar Verfälschungen. Zwei Beispiele aus einer Besprechung in der "Neuen Freien Presse", Wien, 14.9.1867: In den Augen des Cardinais gab es weder Recht noch Wahrheit; die römische Politik dürfte kaum ein anderes mal mit größerer Perfidie und Grundsatzlosigkeit, vom rechtlichen und moralischen Standpunkt aus betrachtet, zu Werke gegangen sein als in ihrem Vernichtungsversuch gegen den Grafen von Tirol. Ich vermute, daß seine tendenziöse Einstellung einmal aus einem verspäteten Josefinismus resultiert (anders jedoch: N. GRASS, A. Jäger, in: Stifte und Klöster, Bozen 1962, 325 f.), dann aus einem übersteigerten Tiroler Patriotismus. Damit möchte ich jedoch keineswegs den außerordentlichen Wert von Jägers umfassender und bisher noch nicht ersetzter Monographie schmälern. 224 JÄGER, Streit (Anm. 1) I 14 ff., 98 ff.; JÄGER, Landständische Verfassung (Anm. 1) II/l 262 ff., II/2 189 f f ; KÖGL, La sovranità (Anm. 221) 158 ff.; W. GÖBEL, Entstehung, Entwicklung und Rechtsstellung geistlicher Territorien im deutsch-italienischen Grenzraum, Phil. Diss. Würzburg 1976, 155 f f ; I. ROGGER, I principati ecclesiastici di Trento e di Bressanone delle origini alla secolarizzazione de 1236, in: Annali dell'Istituto storico italo-germanico 3 (1979) 177 ff. 225 GÖBEL, Entstehung (Anm. 224) 160 ff. 226 CHMEL, Materialien (Anm. 169) I 222; JÄGER, Landständische Verfassung (Anm. 1) II/2 74; KÖGL, La sovranità (Anm. 221) 158 f.; GÖBEL, Entstehung (Anm. 224) 155 f. 227 Aus der reichen Überlieferung nur: Or. Trient StA, Sez. tedesca XXIV, nr. 210; Brixen BA, OA 7321; Innsbruck TLA, U I, 8524 (Entwurf). Druck: CHMEL, Materialien (Anm. 169) II, 67 ff. Vgl. auch KÖGL, La sovranità (Anm. 221) 160 f.; GÖBEL, Entstehung (Anm. 224) 157 f. 223
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4. 1460 März 21 Die Kompaktaten von 1454 werden erneuert und die Beistandspflicht wird bekräftigt*». 5. 1460 Mai 6 Die Hauptleute und Pfleger des Hochstifts dürfen nur mit Zustimmung des Herzogs ernannt werden, dem sie den Treueid leisten230. 6. 1462 August 14 Die Bergwerke des Hochstiftes Trient werden dem Tiroler Fürsten übertragen231. 7. 1462 November 20 Bischof Georg von Trient überläßt Herzog Sigismund die Stadt Bozen auf Lebenszeit232. 8. 1463 August 6 Bischof Georg überträgt, wie bereits 1446, die Verwaltung der Temporalien auf den Herzog233. Genau dieses Schicksal hatte Sigismund auch dem Stift Brixen zugedacht, dessen wenige kleine Stadt- und Landgerichte, Inseln gleich, vom Territorium der Grafschaft umschlossen wurden. Sie bildeten gleichsam eine störende Barriere zwischen den beiden Landesteilen nördlich und südlich des Brenners. Durch ihre Lage an der Paßstraße und an den Verbindungswegen nach Kärnten und zu den Krimmeier Tauern besaßen sie nicht nur hohen strategischen Wert, sondern weckten obendrein Begehrlichkeiten durch ihre Zollstellen. Die Bestrebungen der Tiroler Grafen, das Brixener Hochstift unter ihren Einfluß zu bringen, lassen sich bis zum Anfang des 14. Jahrhunderts zurückverfolgen. Sie hatten inzwischen zu einer bedenklichen Aushöhlung der landesherrlichen Stellung der Brixener Bischöfe gefuhrt, so daß man um 1450 von einer eingeschränkten Reichslandschaft sprechen könnte234. Herzog Sigismund knüpfte somit an die Politik seiner Vorfahren an, nur daß er zielstrebiger und auch rücksichtsloser seinen Weg ging. Nach dem Brunecker Überfall bezeichnete er sich mehrfach ungeniert als dominus terrae, als der eigentliche Landesherr im Stift Brixen235. 228
Trient StA, Sez. tedesca XXXIV, nr. 24; Innsbruck TLA, Sigm. IX, 62, fol. 250r. Noch 1522 klagt Bischof Bernhard von Cles über die Vergewaltigung des Stiftes durch Sigismund. Er habe damals aus aigem fitmemen die Vogtei Sonnenburg dem Hochstift entwunden: Innsbruck TLA, Pestarchiv Akten XXXI, 63. 229 Es handelt sich um ein Bündel von Verträgen; der Text der Kompaktaten: Nürnberg GNM, Allg. Urkunde-Reihe, 1460 März 21, und zahlreiche weitere Überlieferungen. Regesten: LlCHNOWSKY, Geschichte (Anm. 17) VII, Nr. 332-336, Bei dem von JÄGER, Streit (Anm. 1) II 40, erwähnten Vertrag vom 21.4.1460 handelt es sich um einen Datierungsfehler, übernommen auch von GÖBEL, Entstehung (Anm. 224) 166. 230 Innsbruck TLA, Pestarchiv Akten XXXI 44 und 65 und viele weitere Überlieferungen; Druck: CHMEL, M a t e r i a l i e n ( A n m . 1 6 9 ) II 2 0 6 f. GÖBEL, E n t s t e h u n g ( A n m . 2 2 4 ) 167. 231
J . A. BRANDIS, Geschichte der Landeshauptleute von Tirol, Innsbruck 1850, 257; JÄGER, Landständische Verfassung (Anm. 1)11/2 191. 232 Innsbruck TLA, U I, 8531-8533; ebd., U II, 7349. 233 JÄGER, Landständische Verfassung (Anm. 1) II/2 191 ff. 234 Vgl. Anm. 159. 235 Sigismund an den Erzbischof von Mainz, 1460 September 19:... ewr fruntschaffl wol verstet, das eynem iglichen landesfursten wol geburt, in den kreissen syner lantfurstlichkeit sin oberkeit also czu
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Nikolaus von Kues erkannte seine gefährdete Stellung, sah den Widerspruch zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Niemand mußte dem Juristen und Historiker sagen, welchen Rang und welche Rechte er als Reichsfurst beanspruchen durfte. Ob er dagegen das aus der Gewohnheit wachsende Recht und die Macht des Faktischen nicht realistisch genug einschätzte?236 Da beide, Bischof und Herzog, unbeirrt ihren Weg beschritten, war der Zusammenprall seit längerem abzusehen. Somit kam "Bruneck" nicht unerwartet und mußte zumindest als Möglichkeit seit Mantua einkalkuliert werden. Überraschen mag allenfalls die Unbekümmertheit, mit der der Herzog den Schlag wagte, obwohl man auch hier auf parallele Entwicklungen in eben jenen Tagen verweisen kann237. Die Haltung des Domkapitels bleibt für uns ebenfalls nachvollziehbar. Nur mühsam hatte sich eine harmonische Zusammenarbeit zwischen Bischof und Kapitel entfalten können. Nicht nur das mißachtete Wahlrecht, sondern auch Standesvorurteile belasteten das Verhältnis. In den engen Beziehungen einzelner Domherren zum Innsbrucker Hof und in familiären Bindungen zu Beratern des Herzogs sah Cusanus Grund zu Mißtrauen. Da er auch im religiösen Leben andere Maßstäbe setzte als seine Vorgänger, rührte er an liebgewonnenen Gewohnheiten und forderte die Kanoniker stärker. Zwischen Bischof und Landesfurst stehend, verkörperte das Kapitel Kontinuität. Es dachte pragmatisch an die Folgen eines heillosen Streites und hatte die Jahre nach Cusanus im Auge. Außerdem stand den Domherren kein Fluchtweg nach Rom offen. Daher mußten sie sich arrangieren, im Interesse der Brixener Kirche, wie sie sagten238. Weit weniger eindeutig läßt sich die Frage beantworten, warum Nikolaus von Kues sich auf das Risiko seiner Rückkehr nach Tirol einließ. Unmöglich konnten ihm die Absichten des Herzogs entgangen sein, zumal vor seinen Augen Trient seine Eigenständigkeit einbüßte. Man ließ ihm Warnungen zukommen, ihm wurden die militärischen Vorbereitungen des Herzogs gemeldet, die ihn sogar am 12. Februar bewogen hatten, Bruneck zu verlassen, um Schutz in seiner St. Raphaelsburg zu suchen. Warum also kehrte er von Mantua in sein Bistum zurück, warum später von Buchenstein nach Bruneck? Da er uns selbst im Ungewissen läßt, können wir nur mutmaßen, so daß unsere Antworten redlicherweise zu Fragen werden. Nahm er den tiefen Sturz auf sich, um aller Welt zu beweisen, wen die Schuld am zerbrochenen Frieden traf? Wollte er mit seinem Opfer ein aufrüttelndes Zeichen setzen, um seinen Mitbrüdern zu zeigen, wie sehr die 'libertas ecclesie' bedroht sei?239 War Cusanus bereit, in hanthaben, da mit die gehorsamkeit vngespalten vnd das fiirstentombe vnertrennet blibe. Frankfurt/M., Stadt- und Univ.bibl., Ms. Barth. 96, fol. 262r-v. Ähnlich Bernkastel-Kues StiB, Hs. 221, p. 257-258; Bozen StA, Cod. 82, p. 42; Innsbruck TLA, Hs. 591 la, fol. 333r. 236 GRASS, Cusanus als Rechtshistoriker (Anm. 1)135. 237 Etwa gleichzeitig erlitt sein Freund, der Bischof von Eichstätt, ein ähnliches Schicksal. Vgl. auch MEUTHEN, Fürst und Kirche (Anm. 158) 37 f. - Das sehr enge Verhältnis des NvK zu ihm umschrieb Andreas Mack, der Prokurator der Abtei Sonnenburg: sunt colligati tamquam fratres: Innsbruck TLA, Sigm. IX, 62, fol. 162v. 238 Das Kapitel rühmte sich, adiutorio suorum consangineorum, amicorum et fautorum eine völlige Katastrophe verhindert zu haben. Bozen StA, Lade 3, nr. 9 P. Ähnlich: Brixen BA, OA 7324. 239 MEUTHEN, Fürst und Kirche (Anm. 158) 41; MEUTHEN, Nikolaus von Kues (Anm. 189) 98 ff.
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einem Akt der Selbstverleugnung bisher zäh verteidigte Positionen aufzugeben, den status quo zu akzeptieren, um durch eine entwaffnende Versöhnungsbereitschaft den Herzog umzustimmen, wenn auch vergeblich? Oder erkennen wir in der Kapitulation die späte Einsicht eines erschöpften Mannes in die eigentlichen Aufgaben eines Bischofs, nämlich nicht mit Kanonen Machtpositionen zu verteidigen, sondern die anvertrauten Seelen hinzuführen zu Gott?240 Während Cusanus uns hier in Nachdenklichkeit zurückläßt, werden wir ihm wenige Monate später in Rom wiederbegegnen, aufgerichtet und streitbar wie zuvor. Doch das ist, wie schon gesagt, nicht mehr unser Thema.
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Dazu auch der erwähnte Brief an den Bischof von Eichstätt: München StB, Clm 19697, fol. 145r-146r.
III. FRÖMMIGKEIT, BILDUNG UND KULTUR
Von dem lieben herrn sunt Jheronimo: wie er geschlagen ward von dem engel Frömmigkeit und Bildung im Spiegel der Auslegungsgeschichte eines Exempels VON KLAUS SCHREINER
Die von dem Kirchenvater Hieronymus aufgeworfene Frage, was "Horaz mit dem Psalter zu tun" habe, "was Maro mit den Evangelien, was Cicero mit den Aposteln"1, beunruhigte nicht nur die Gottesgelehrten der alten Kirche. Sich mit kulturellen Hinterlassenschaften der antiken Welt auseinanderzusetzen, empfanden auch Mönche und Theologen des Mittelalters als Herausforderung. Um dieser zu genügen, hielten sie sich an Normen und Geschichten des Alten Testaments, mit deren allegorischem Sinngehalt bereits die Kirchenväter begründet hatten, weswegen es für Christen von Nutzen und rechtens sei, sich mit den Schriften heidnischer Autoren zu befassen. Im Lichte allegorischer Auslegung konnte die von Gott gebotene und gebilligte "Beraubung der Ägypter" (spoliatio Aegyptiorum) (Ex 3,20 ff.; 11,1 ff.) als Aufforderung verstanden werden, die Heiden ihrer geistigen Schätze zu berauben, um mit diesen dem Evangelium zu dienen und das Lehrgebäude der christlichen Kirche zu schmücken2. Die "heidnische Gefangene" (captiva gentilis) (Dt 21,11 - 13), die ein Israelit unter der Bedingung heiraten darf, daß er ihr zuvor Haare und Nägel schneidet, nahm den Charakter einer Metapher an, die über den richtigen Umgang mit heidnischer Literatur und Wissenschaft belehrte3. Die Schriften der Heiden sollten nämlich von dem gereinigt werden, was an ihnen unrein und für Christen schädlich ist: "dem Götzendienst, der Sinnlichkeit und dem Irrtum"4. Von Augustinus bis Erasmus von Rotterdam sind diese Beispiele immer wieder zitiert worden, um Christen, die sich mit dem geistigen Erbe der Antike befaßten, ein gutes Gewissen zu machen. Nicht ins Konzept dieser Rechtfertigungsgeschichten paßte der Bericht des Hieronymus über einen Traum, demzufolge er vor dem Richterstuhl Gottes geprügelt worden sei, weil er in der Fastenzeit Cicero gelesen habe. Einem größeren Leserkreis bekannt geworden ist dieser Prügeltraum durch den sog. 'Seelentrost', einen aus der zweiten Hälfte des 1 Hieronymus, Epistvlae, ep. 22, 29, in: CSEL 54, 189: Quid facit cum psalterio Horatius? cum euangeliis Maro? cum apostolo Cicero? - Für kritische Lektüre des Manuskripts schulde ich Dank Frau Dr. Gabriela Signori und Herrn Norbert Schnitzler, beide Bielefeld. - Vgl. zu diesem Thema auch die Ausführungen von TH. SCHULD in vorliegender Festschrift. 2 Augustinus, De doctrina christiana II, 60, in: MPL 34, 63. - Vgl. E.-W. KOHLS, Die Theologie des Erasmus, Bd. 1 (Textband) (Theol. Zeitschrift Sonderband 1,1) Basel 1966, 35-37 (Die Tradition der 'Spoliatio Aegyptiorum'). 3 Hieronymus, Epistvlae, ep. 21, 13, in: CSEL 54, 122; ep. 66, 8: ebd. 658; ep. 70, 2: ebd. 702. Zur Deutung dieser Metapher bei Rhabanus Maurus vgl. J. LECLERCQ, Wissenschaft und Gottverlangen. Zur Mönchstheologie des Mittelalters, Düsseldorf 1963, 60. Zum Topos der captiva gentilis bei Erasmus vgl. KOHLS, Theologie des Erasmus (Anm. 2) I 36. 4 A. BUCK, Die humanistische Tradition in der Romania, Bad Homburg u.a. 1968,47.
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K L A U S SCHREINER
14. Jahrhunderts stammenden Erbauungstraktat5, der 1474 zum erstenmal in Köln gedruckt wurde. Der Augsburger Bürger und Inkunabeldrucker Anton Sorg brachte 1478 und 1483 zwei weitere Drucke auf den Markt. Das Interesse war groß. Mehrere Neuauflagen folgten6. Der fromme Text fand Liebhaber und Käufer. Wie der 1483 in Augsburg gedruckte 'Seelentrost' die schmerzhaften Erfahrungen des Hieronymus beschrieb und, seiner handschriftlichen Vorlage folgend, deutete, soll im Spiegel einer bis ins frühe Mittelalter zurückreichenden und bis zu Erasmus von Rotterdam fortdauernden Wirkungsgeschichte gezeigt werden.
Der Prügeltraum des Hieronymus in der Fassung des Augsburger 'Seelentrostes' Anton Sorg versichert im Vorwort seiner Ausgabe, er habe das buechlin drucken wollen dem allmächtigen und dreifaltigen Gott zum Lob, seiner werten und hochgelobten Jungfrau Maria zur Ehre, den lebendigen menschen zu einer besserung vnd allen gelaubigen seien czu trost. Unser aller Trost, erläutert Sorg den Lesern und Käufern seiner Schrift, bestehe darin, daß jeder Christ auf ewiges Leben hoffen könne, wenn er sich während seiner irdischen Pilgerschaft an Gottes Gebote halte. Die von ihm gedruckte Sammlung erbaulicher Exempel, Ermahnungen und Gebete sollte Christen befähigen, das goetlich gebot zur alleinigen Richtschnur ihres Lebens zu machen7. Gottgefällig zu leben, komme dem Bemühen gleich, den Weisungen der Heiligen Schrift zu folgen, die got gesprochen hat durch den propheten vnd durch die heiligen lerer vnd noch alletag spricht durch der lerer mund. Deshalb die Aufforderung des Autors an den Leser: Liebes kind, darumb soltu geren lesen vnd hoeren die lere der heiligen geschrijft, do der seien trost anliget auff das dein sele gespeiset werde vnd gesterckefi. 5
Zur Datierung und Überlieferungsgeschichte des 'Seelentrostes' vgl. N. F. PALMER, Seelentrost, in: Verf.Lex. VIII (1992) 1030-1034. Von Margarete SCHMITT stammt eine kritische Edition: Der große Seelentrost. Ein niederdeutsches Erbauungsbuch des vierzehnten Jahrhunderts, Köln-Graz 1959. - Eine wichtige Quelle für die Verbreitung des Prügeltraumes war insbesondere die 'Legenda aurea', die zwischen 1263 und 1267 von Jacobus de Voragine erstellte Sammlung von Heiligenviten, die gleichfalls von der Unglücksgeschichte des Kirchenvaters berichtet (ed. T. GRAESSE, Regensburg 3 1896 [ND 1969] 654), und deren Übersetzungen ins Deutsche. Vgl. W. WILLIAMS-KRAPP, Die deutschen Übersetzungen der 'Legenda aurea' des Jacobus de Voragine, in: Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur (Paul's und Braune's Beiträge) 101 (1979) 252-276; Die 'Elsässische Legenda Aurea', Bd. 1: Das Normalcorpus, hg. von U. WILLIAMS/ W. WLLLIAMSKRAPP, Tübingen 1980, 656 f. Zur Überlieferungsgeschichte der Hieronymus-Vita in der volkssprachlichen Hagiographie des späteren Mittelalters vgl. auch W. WILLIAMS-KRAPP, Die deutschen und niederländischen Legendare des Mittelalters. Studien zu ihrer Überlieferungs-, Text- und Wirkungsgeschichte, Tübingen 1986, 419. - Das älteste deutsche Zeugnis filr die Rezeption der 'Legenda aurea' ist das um 1300 im Umkreis des Deutschen Ordens entstandene 'Passional', ein Verslegendar, das in gereimten Versen eingehend 'Von sante Ieronimo' und seinem Traum berichtet. Vgl. Das Passional. Eine Legenden-Sammlung des dreizehnten Jahrhunderts, hg. von K. KÖPKE, Quedlinburg-Leipzig 1852 (ND 1966) 505 f. Zur Überlieferung und Verbreitung des Passionais vgl. H.-G. RICHERT, Wege und Formen der Passionalüberlieferung, Tübingen 1978. 6
Zwischen 1474 und 1568 ist der 'Seelentrost' nicht weniger als 25 Mal gedruckt worden. Der seien trost mit manigen hübschen Exempeln durch die zehen geböte vnd mit ander guotten lere, Augspurg 1483, Einleitung des Druckers Anthonius Sorg (die Einleitung ist nicht foliiert). Fürderhin abgekürzt: "Seelentrost". Benutzt habe ich das Exemplar der Bayerischen Staatsbibliothek München [im Folgenden: StB] 2°. Inc. c.a. 1371 (Hain *14 583). 8 Seelentrost (Anm. 7) 'Die vorrede'. 7
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Das Register des Druckers, welches aufschlüsselt, auf welcher Seite der Leser welche Geschichte zu welchem Gebot des Dekaloges findet, nennt als erstes Beispiel die Geschichte 'Von dem lieben heiligen Herrn Hieronymus, wie er geschlagen wurde von dem Engel'. Sie bildet den Inhalt der Vorrede und beschreibt jenen Vorgang, der als 'Prügeltraum des hl. Hieronymus' in das geistliche, theologische und kanonistische Schrifttum der abendländischen Kirche Eingang fand. Es heißt da: Sanctus Jeronimus spricht, die weyl daz er weltlich was, do pflag er zuo lesen weltlicher buecher. Er ward siech vnd ward gefiiert für gotes gericht. Do sprach der richter czuo jm: Was mannes bistu? Ich bin, sprach er, ein cristen mensche. Do sprach der richter zuo jm: Du leugst, du bist keyn cristen. Du lisest geren weltlicher buecher. Da dein schaze ist, do ist auch dein hercze. Do sprach der richter: Nement in und schlahent in mit geyßlen. Do namend sy in und schlugen in mit geißlen gar sere vnd lang vnd er ruffi: O lieber her erbarme dich über mich. Ich will dir das geloben vnd schweren, das ich nymmermer weltliche buecher haben wil. Do baten für in die knecht die darbey stunden. Also ward er erlediget vnd kam wider zuo jm selber vnd gewan die heyligen geschriffl so lieb, das er lernot vnd schrib die heiligen geschrifft vnd tranßferieret die auß dem hebreischen vnd kriechischen buecher in das latein9. Was der anonyme Verfasser des 'Seelentrostes' den Lesern seiner Erbauungsschrift einschärfen will, ist eindeutig: Die Lektüre heidnischer Autoren schadet dem Trost der Seele10. Ein Beispiel nehmen sollen sich Christen an Philadelphus, einem König Griechenlands, der in seiner Bibliothek nahezu 50 000 Bücher besaß. Als dieser erfuhr, daß es im Land der Juden ein jüdisch ee gebe, die got selber gemachet mit seinen fingern, ließ er durch zweiundzwanzig jüdische Gelehrte eben diese ee auß dem jüdischen in das kriechisch übersetzen. Der König sei ein Heide gewesen, dennoch leget er so grosse macht an die buecher der heiligen geschrifft. Das soll auch jeder Christenmensch tun. Er soll lesen und hören die buecher der heiligen geschrifft do der seien trost anligt. Er soll fliehen die weltlichen buecher, wann die mißfallent got sere vnserm herren, das cristen leut vil darinn lesent11. Aus dem Prügeltraum des Hieronymus leitete der Verfasser des 'Seelentrostes' eine Verhaltensnorm ab, die er als schriftgemäße heylige lere verstanden wissen wollte. Wie hat Hieronymus selber sein Traumerlebnis beschrieben? Welchen Auslegungstraditionen folgte der Verfasser des 'Seelentrostes', als er aus dem Traumbericht des Hieronymus ein normatives Exempel machte, das Christen davor warnen sollte, heilsgefahrdende weltliche Bücher zu lesen?
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Wie Anm. 8. Die in der handschriftlichen Vorlage ausgesprochene Warnung vor den boke van Persevalen vnde van Tristram vnde van hern Didericke van den Berne vnde van den olden hunen (Seelentrost, hg. von M. SCHMITT [Anm. 5] 1) ließ der Augsburger Drucker Anton Sorg weg. 11 Seelentrost (Anm. 7) fol. Xlv-XIIr. 10
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Ciceronianus es, non Christianus\ - Der lebensgeschichtliche Ort des Traumgesichts "Die antike Bildungswelt, die in allen Werken des Hieronymus lebendig ist, ist in jeder Weise von Cicero geprägt"12. Unproblematisch war dieses Verhältnis zwischen christlichem Glauben und römischer Kultur nicht. In der Lebensgeschichte des Hieronymus unterlag es mannigfachen Schwankungen. Kenner der römischen Literatur zu sein, erfüllte den gelehrten Hieronymus mit Stolz. Dem christlichen Hieronymus hingegen verursachte es Gewissensbisse, sich mit den Texten römischer Klassiker zu beschäftigen. Die Absage an alle vernünftige Weltweisheit war ein Bestandteil der christlichen Heilslehre. Tertullian hatte die von Paulus verworfene Weltklugheit auf die griechische Welt bezogen. Es war Hieronymus, der die Weltweisheit der Römer in einen unversöhnlichen Gegensatz zum Glauben der Christen brachte. Die von ihm gestellte Frage, was denn Horaz mit dem Psalter, Vergil mit den Evangelien und Cicero mit dem Apostel Paulus zu schaffen haben, ließ dem Leser und Hörer keine freie Wahl. Sie enthielt bereits die richtige Antwort: nichts. Um Eustochium, einer zu einem jungfräulichen Lebenswandel entschlossenen jungen Frau, die Unvereinbarkeit zwischen christlicher Askese und der Beschäftigung mit weltlicher Literatur verständlich zu machen, schilderte er ihr in einem Brief seinen Traum, den er in der südöstlich von Antiochia gelegenen Wüste von Chalkis hatte, als er beim Fasten Cicero und nicht die Bibel las. Die dabei gemachten Erfahrungen brachten zum Bewußtsein, daß sich heidnisches Denken und christliche Lebensführung nicht miteinander versöhnen lassen. Um die junge Frau davon zu überzeugen, daß "wir nicht zu gleicher Zeit den Kelch Christi und den Kelch der Dämonen trinken" können, berichtet er ihr folgendes: "Vor vielen Jahren verließ ich Heimat, Eltern, Schwestern und Verwandte und verzichtete, was noch schwieriger ist, auf meinen wohlgedeckten Tisch. So hatte ich mich gleichsam um des Himmelreiches willen selbst verschnitten und machte mich auf nach Jerusalem, um ein Gott geweihtes Leben zu fuhren. Die Bibliothek aber, welche ich mir zu Rom mit großer Mühe und viel Arbeit erworben hatte, glaubte ich nicht entbehren zu können. Ich Elender fastete also, während ich den Tullius las. Nachdem ich manche Nacht durchwacht und viele Tränen vergossen hatte, welche die Reue über meine früheren Sünden gelöst, nahm ich den Plautus zur Hand. Als ich wieder zu mir selbst zurückfand, fing ich an, einen Propheten zu lesen, aber die harte Sprache stieß mich ab. Mit meinen blinden Augen sah ich das Licht nicht. Ich aber gab nicht den Augen die Schuld, sondern der Sonne. Während so die alte Schlange ihr Spiel mit mir trieb, überkam meinen entkräfteten Körper etwa um die Mitte der Fastenzeit ein Fieber, das bis ins innerste Mark drang. Es ließ mir, fast klingt es unglaublich, keinen Augenblick Ruhe und dörrte meine unglücklichen Glieder so aus, daß die Knochen kaum zusammenhielten. Man traf sozusagen schon Anstalten zu meinem Begräbnis. Der Körper war bereits erkaltet, und nur in der erstarrenden Brust zitterte noch ein Funken natürlicher Lebenswärme. Plötzlich fühlte ich mich im Geiste vor den Richterstuhl geschleppt. Dort umstrahlte mich so viel Licht, und
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C . BECKER, C i c e r o , in: R A C III ( 1 9 5 7 ) 1 1 4 .
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von der Schar der den Richterstuhl Umgebenden ging ein solcher Glanz aus, daß ich zu Boden fiel und nicht aufzublicken wagte. Nach meinem Stande befragt, gab ich zur Antwort, ich sei Christ. Der auf dem Richterstuhl saß, sprach zu mir: 'Du lügst, du bist ein Ciceronianer, aber kein Christ. Wo nämlich dein Schatz ist, da ist auch dein Herz'. Darauf verstummte ich. Er aber gab Befehl, mich zu schlagen. Mehr noch als die Schläge peinigten mich die Gewissensqualen. Mir fiel der Vers ein: 'Wer wird dich in der Hölle preisen'? Ich fing an zu schreien und zu heulen: 'Erbarme dich meiner, o Herr, erbarme dich meiner'! Dieser Ruf übertönte die Peitschenhiebe. Schließlich warfen sich die Umstehenden dem Richter zu Füßen und baten, er möge meinem jugendlichen Leichtsinn verzeihen. Er möge mir Gelegenheit geben, meinen Irrtum zu büßen, jedoch die Strafe weiter an mir vollziehen, falls ich mir erneut einfallen lassen sollte, Werke der heidnischen Literatur zur Hand zu nehmen. In meiner unglücklichen Lage hätte ich noch viel mehr versprochen. Ich fing an, bei seinem Namen zu schwören: 'Herr, wenn ich je wieder weltliche Handschriften besitze oder aus ihnen lese, dann will ich dich verleugnet haben'. Nach diesem heiligen Eide entließ man mich, und ich kehrte wieder zur Erde zurück. Zu aller Verwunderung öffnete ich meine Augen, aus denen Ströme von Tränen flössen, die selbst die Ungläubigen angesichts meines Schmerzes zum Glauben brachten. Es war dies kein Gaukelbild des Schlafes, es waren keine leeren Traumbilder, wie sie so manches Mal mit uns ihr Spiel treiben. Zeuge dafür ist mir der Richterstuhl, vor dem ich lag; Zeuge ist mir das schreckliche Urteil, vor dem ich erzitterte - ich habe nur den einen Wunsch, daß mir so etwas nie wieder zustößt -, meine Schultern zeigten blaue Flecken, nach dem Erwachen fühlte ich noch die Schläge. Und nachher habe ich mich mit einem solchen Eifer den göttlichen Schriften zugewandt, wie ich ihn bei der Beschäftigung mit den profanen nie gekannt hatte"13. Verdient der Bericht des Hieronymus Glauben oder ist er nur als literarische Einkleidung einer asketischen Verhaltensnorm zu betrachten? An der Tatsächlichkeit des Traumes zu zweifeln besteht kein triftiger Grund. In der Schilderung des Traumgesichtes bringt der Kirchenvater einen inneren Konflikt zur Sprache. Diesen stilisiert er so, daß er als warnendes Beispiel in einen asketischen Lehrbrief eingefügt werden kann. Hat sich Hieronymus an seinen Schwur, profane Autoren fürderhin zu meiden, auch wirklich gehalten oder hat er "kaum mehr als ein prophylaktisch-didaktisches Lippenbekenntnis" abgelegt 14 ? Rufinus (um 345 -410), sein Freund und zeitweiliger Mitbruder in einem Kloster von Aquileja, hat ihm, als die Freundschaft in Brüche ging, vorgehalten, seinen Eid ständig gebrochen zu haben. Man solle, schreibt Rufinus aufgebracht und verbittert, gefälligst die Schriften des Hieronymus lesen und dabei darauf achten, "ob sich in seinem Werk auch nur eine einzige Stelle findet, die ihn nicht anklagt, daß er wieder ein Ciceronianus geworden ist, und wo er nicht sagt, aber unser Cicero, aber unser 13 Hieronymus, Epistvlae, ep. 22, 30, in: CSEL 54, 189-191. Übersetzung: Des heiligen Kirchenvaters Hieronymus ausgewählte Briefe. Aus dem Lateinischen übersetzt von L. SCHADE (Bibl. der Kirchenväter 11/16) München 1936, 100 f. - Zur Deutung des Briefes vgl. F.F. SCHWARZ, Hieronymus Flagellatus. Überlegungen zum literarischen Schlagschatten Ciceros, in: Acta Antiqua Academiae Scientiarum Hungaricae 30 (1982-1984) 363-378. - Vgl. auch W. MAAZ, Hieronymus, in: Enzyklopädie des Märchens VI (1990) 998. 14 SCHWARZ, Hieronymus Flagellatus (Anm. 13) 377.
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Flaccus, aber Maro" . Es sei offenkundig, daß in den Schriften des Hieronymus die Zitate der heidnischen Autoren die der Propheten und Apostel an Zahl und Umfang bei weitem übertreffen. Es ist richtig: Alle Werke des Hieronymus sind von der Sprache und dem Wissensfundus Ciceros nachhaltig geprägt. "Cicero ist für Hieronymus die Hauptquelle der griechischen Philosophie"16. Gerade weil Hieronymus die heidnischen Autoren "immer noch liebt und im Grunde niemals entbehren kann", hat er sie nicht "ohne Schmerzen, aber mit um so stärkerer, fast höhnischer Verbitterung" von sich gestoßen17. An den abgelegten Eid, die profanen Bücher von nun an zu meiden, hat er sich, wenn man den Schwur wörtlich nimmt, auf die Dauer nicht gehalten. "Aber Rufin hat trotzdem Hieronymus Unrecht getan; denn seiner Absicht und seinem bewußten Wollen nach ist Hieronymus nie wieder im alten Sinne zu profanen Studien zurückgekehrt. Die heidnischen Autoren kommen für ihn hinfort nur noch als Hilfsmittel der Bibelerklärung in Betracht; er liest sie nicht mehr um ihrer selbst willen, nicht mehr zum bloßen Genuß. Selbst heidnische Historiker zitiert er 'nicht aus Willkür, sondern sozusagen nur aus zwingender Notwendigkeit' - nämlich um zu zeigen, daß die biblischen Weissagungen wahr und wirklich erfüllt sind"18.
Interessengeleitete Traditionsbildung Der Prügeltraum des hl. Hieronymus wirkte traditionsbildend. Kleriker und Mönche, denen die Lektüre heidnischer Autoren Skrupel verursachte, haben immer wieder von Träumen erzählt, die sie davon abhielten, der Verführungskraft weltlicher Literatur und Wissenschaft zu erliegen. Bischof Caesarius von Arles (um 470-542) soll, als er sich bei dem afrikanischen Rhetor Julianus Pomerius in der Kunst der Rhetorik unterrichten ließ, folgenden Traum gehabt haben: "Als er eines Nachts mit einem Buch unter dem Kopfpolster eingeschlafen war, erschien ihm dieses als Drache, der ihm in den Arm biß"19. Dieser Biß habe ihn aus dem Schlaf gerissen und zu der Einsicht geführt, daß sich das "Licht der heilstiftenden Regel" (lumen regulae salutaris) nicht mit törichter Weltweisheit verbinden lasse. Von weltlicher Wissenschaft habe er dann entschieden Abstand genommen. Der aus schwäbischem Adel stammende Ermenrich (um 814-874) will als Mönch von Ellwangen folgende Traumvision gehabt haben: "Oftmals, wenn ich jenen Virgil las und ihn nach der Lektüre unter den Kopf steckte, dann war gleich im ersten süßen Schlummer nach der Arbeit ein dunkles Ungeheuer da, voll des Grauens; bald trug es ein Buch, bald eine Feder am Ohr, als wollte es etwas schreiben und lachte mich an oder verlachte mich, weil ich seine Worte gelesen. Aber ich zeichnete mich beim Aufwachen mit dem Zeichen des Kreuzes, warf sein Buch weit von mir und streckte mich wieder zum Schlaf. Aber das Gespenst des Virgil hörte auch so nicht auf, mich zu schrecken; jetzt trug es einen Drei15 16 17 18 19
Rufinus, Apologia in sanctum Hieronymum libri duo, lib. II 6-7, in: MPL 21, 588 f. BECKER, Cicero (ANM. 12) 115. H. FRH. VON CAMPENHAUSEN, Lateinische Kirchenväter, Stuttgart 1960, 117. Ebd. 115 f. G. SCHEIBELREITER, Der Bischof in merowingischer Zeit (VIÖG 27) Wien u.a. 1983, 68.
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zack, vielleicht den des Pluto, seines Hausgenossen, oder irgendeines anderen Gesellen, aus kohlschwarzem Angesicht leuchteten nur die Zähne weiß. Auch diese Bedrohung verachtete ich im Schutze des Gottesnamens, wie mir sein erstes Spiel ein Nichts gewesen"20. Gleich Ermenrich von Ellwangen bekennt auch Otloh von St. Emmeram (um 1010-kurz nach 1079), ein belesener und theologisch gebildeter Mann des Regensburger Benediktinerklosters, durch ein Traumerlebnis aus dem verführerischen Bann der heidnischen Literatur befreit worden zu sein. In der Fastenzeit des Jahres 1032 hatte er sich nicht, wie es die Regel Benedikts vorschreibt, an einem geistlichen Autor erbaut, sondern Lucan gelesen. Das hatte schlimme Folgen. Als er schlief, wurde er von einem Mann mit bedrohlichem Antlitz und schrecklichem Aussehen heimgesucht. Schläge, mit denen er ihn quälte, überstiegen jedes Maß menschlicher Strenge und Grausamkeit. Am Morgen, als er erwachte, suchte er nach Blutspuren, welche die nächtliche Strafaktion in seinem Bettzeug hinterlassen hatte. Finden konnte er keine. Nur sein Rücken war mit angeschwollenen Verletzungen übersät. Otloh erinnert sich: Dem hl. Hieronymus sei ähnliches widerfahren. Auch der Kirchenvater sei im Traum gezüchtigt worden. In dessen Erfahrungen glaubt er, der armselige, unwürdige Mönch aus St. Emmeram, der sich mit Hieronymus keinesfalls vergleichen will, den Schlüssel zum Verständnis seiner eigenen Erlebnisse gefunden zu haben21. Auf welche Weise Otloh von dem Prügeltraum des Hieronymus erfuhr, kann vermutet, nicht bewiesen werden. Der Brief, in dem Hieronymus von seinen Prügelstrafen berichtet, hat die Spiritualität des frühen lateinischen Mönchtums nachhaltig beeinflußt22. Gregor von Tours (538/539-583/594) schildert ausfuhrlich den Vorgang. Er berichtet von den Täuschungen (fallaciae) Ciceros und Virgils, denen Hieronymus erlegen sei; er hebt des Kirchenvaters Bekenntnis hervor, fürderhin nur noch das lesen und bedenken zu wollen, was Gottes würdig sei und der Kirche zur Erbauung diene23. Ohne Hieronymus beim Namen zu nennen schreibt Beda Venerabiiis (673/674-735), der angelsächsische Mönch und Gelehrte: Viele angesehene Kirchenlehrer hätten, weil sie mit Leidenschaft und Lust in den Büchern der Heiden lasen, Schuld auf sich geladen. Einer von ihnen sei im Traum gezüchtigt worden. Gott habe ihm unter schmerzlichen Geißelhieben vorgehalten, er würde sich nicht wie ein Christ (Christianus), sondern eher wie ein Ciceronianer (Ciceronianus) verhalten24. Bischof Atto von Vercelli (f vor 964) berichtet in seiner Schrift 'De pressuris ecclesiasticis' (nach 943), Hieronymus sei von einem Engel geschlagen worden, weil er ein Buch Ciceros gelesen
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H. LIEBESCHÜTZ, Fulgentius Metaforalis. Ein Beitrag zur Geschichte der antiken Mythologie im Mittelalter, Leipzig-Berlin 1926, 10. 21 Othlonus monachus S. Emmerami, Liber visionum, visio tertia, in: MPL 146, 348 f. Vgl. dazu H. SCHAUWECKER, Otloh von St. Emmeram. Ein Beitrag zur Bildungs- und Frömmigkeitsgeschichte des 11. Jahrhunderts, in: SMBO 74 (1963) 60 f., 191 f.; P. ANTIN, Autour du songe de S. Jérôme, in: P. ANTIN, Recueil sur saint Jérôme (Latomus 95) Brüssel 1968, 71-98; H. RÖCKELEIN, Otloh, Gottschalk, Tnugdal: Individuelle und kollektive Visionsmuster des Hochmittelalters, Frankfurt/M. 1987,38-57. 22
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S. FRANK, H i e r o n y m u s , i n : L M A V ( 1 9 9 1 ) 3.
Gregor von Tours, In gloria martyrum, praef., in: MGH SS rer. Meroving. 1/2, ed. B. KRUSCH, Hannover 1885 (ND 1969/88) 487. 24 Beda Venerabiiis, In Samuelem prophetam allegorica expositio, in: MPL 91, 589 f.
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und sich so auf heidnische Trugbilder (paganorum figmenta) eingelassen habe25. Ivo von Chartres (um 1040-1115/16) nahm den Bericht Attos wörtlich in seine Rechtssammlung 'Panormia' auf. Der rechtsgelehrte und theologisch gebildete Ivo ging aber nicht soweit, Weltklerikern die Lektüre weltlicher Bücher grundsätzlich zu verbieten. Was sie in diesen an nutzbringenden Lehren (utilia) finden, sollten sie sich - gleich Moses und Daniel, die von der Weisheit und dem Wissen der Ägypter und Chaldäer profitierten - zu eigen machen26. Die herrschende Meinung war das nicht. "Das Ciceronianus es, non Christianus empfanden viele schwankende Gemüter als Mahnung zur radikalen Abkehr von jedem antik-heidnischen Autor, nicht nur von Cicero, und immer wieder haben es wohl auch die Lehrer ihren Schülern warnend erzählt, um sie vor falschem wissenschaftlichen Ehrgeiz zu bewahren, wie Onulf, Speyers Dom-Magister im 11. Jahrhundert"27. Das Interesse am Prügeltraum des Hieronymus verweist auf ein Spannungsverhältnis zwischen antiker Kultur und christlichem Glauben, zwischen Humanität und Frömmigkeit, zwischen weltlicher Bildung und der Suche nach himmlischem Heil. Wie haben Theologen und Rechtslehrer des hohen und späten Mittelalters diesen Widerspruch zu lösen versucht? Der gegeißelte Hieronymus in Kanonistik und Theologie des hohen und späten Mittelalters Der Kamaldulenser Gratian übernahm in seine als Lehrbuch des Kirchenrechts gedachte 'Concordantia discordantium canonum1 (um 1140) Wort für Wort, was Atto von Vercelli über den von einem Engel malträtierten Hieronymus berichtet hatte. Aus den Schlägen, die Hieronymus als Leser Ciceros hatte einstecken müssen, zieht Gratian aber nicht den Schluß, daß es Christen grundsätzlich und generell verboten sei, die Bücher heidnischer Autoren zu lesen. In diesem Punkt hält es Gratian mit dem Kirchenvater Ambrosius, der die Auffassung vertreten hatte: Wer wahrhaft Christus kenne, finde auch in den Schriften heidnischer Autoren einen Schatz der Weisheit und des Wissens. Wer Christus kenne und liebe, der wisse auch, was ihm bei der Beschäftigung mit heidnischer Literatur zum Nutzen gereiche. Diejenigen Leser weltlicher Bücher, die das Nützliche {utilia), das sie in diesen finden, für ihre geistliche Bildung verwenden, seien zu loben28. Magister Rufinus, Kanonist in Bologna ( | um 1192) bemerkt in seinem Kommentar zum Dekret des Gratian: Die Distinctio 37 von Gratians Dekret enthalte einen Widerspruch. Im ersten Teil dieser Distinctio werde es Klerikern untersagt, die "Bücher weltlicher Künste" (libri artium secularium) zu lesen; im zweiten Teil zitiere er viele Autoritäten, die genau das Gegenteil behaupten würden. Die scheinbare Unvereinbarkeit beider Standpunkte sei aber unschwer zu lösen. Einige nämlich würden die weltliche Literatur zum Vergnügen {ad voluptatem) lesen, andere zur Bildung {ad eruditionem). Die erste Art zu lesen sei verboten, die zweite erlaubt und erwünscht. Als Beispiel für tadelnswertes und strafwürdiges 25 26 27 28
Atto von Vercelli, De pressuris ecclesiasticis, in: MPL 134, 75. Ivo von Chartres, Panormia lib. II 132, in: MPL 161, 1114 f. SCHAUWECKER, Otloh von St. Emmeram (Anm. 21) 195 f. Decretum Gratiani dist. 37, c.7.
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Leseverhalten erinnert er an den hl. Hieronymus, der bekanntermaßen von einem Engel gezüchtigt worden sei, weil er die Bücher Ciceros gelesen habe29. Huguccio von Pisa vertritt in seiner zwischen 1190 und 1210 abgefaßten Dekretsumme dieselbe Ansicht. Hieronymus sei bestraft worden, weil er bei der Lektüre des Cicero Lust (delectatio), nicht Belehrung (eruditio) gesucht habe. Um einsichtig zu machen, daß eine rein ästhetische Beschäftigung mit weltlicher Literatur ins Verderben führt, zitiert Huguccio das Gleichnis vom verlorenen Sohn (Lk 15). Unter den Trebern, mit denen man gemeinhin Schweine mäste und von denen sich der durch Verschwendungssucht in Not geratene jüngere Sohn ernährte, seien die weltlichen Wissenschaften zu verstehen. Diese würden nur den Bauch belasten, aber nicht den Hunger nach geistlichen Gütern stillen; niederdrücken würden sie durch die Last des von ihnen verursachten sündigen Verhaltens, desgleichen durch die Tatsache, daß die Liebhaber weltlicher Bildung und Gelehrsamkeit mit Höllenstrafen zu rechnen hätten. Als biblisches Gegenargument verweist Huguccio auf den Auszug der Israeliten aus Ägypten. Dieser Exodus sei insofern bemerkenswert gewesen, als das aus der Knechtschaft befreite Volk auf Gottes Geheiß goldene und silberne Gefäße der Ägypter mitnahm (Ex 3,20 ff.; 11,1 ff.). Huguccio folgt in diesem Punkt einer durch Augustinus begründeten Auslegungstradition, welche die in Ägypten gestohlenen silbernen und goldenen Gefäße als Metaphern für nutzbares weltliches Wissen betrachtete. Huguccio ist gleich Augustinus der Überzeugung, daß die Kenntnis weltlicher Künste für die Auslegung der Heiligen Schrift nützlich und notwendig sei. Es seien nämlich nicht die Künste (artes) und deren Kenntnis, die Menschen in Irrtümer verstricken, sondern die Menschen selber, welche eben diese Künste mißbrauchen30. Auf die Frage, warum eigentlich Hieronymus "für das Lesen philosophischer Schriften" und "wegen der Bücher Ciceros" so heftig geschlagen und gezüchtigt worden sei, daß er sich veranlaßt gefühlt habe, der Lektüre weltlicher Bücher gänzlich abzuschwören, gab Peter Abaelard (1079-1142) folgende Antwort: Hieronymus habe sich nicht der bloßen Nützlichkeit (utilitas) wegen mit Cicero beschäftigt, sondern aus Lust an dessen Eloquenz. Die Folge davon sei gewesen, daß er das Studium der Heiligen Schrift vernachlässigt habe, deren ungeformte Sprache (incultus sermo) ihn, wie er selber zugab, abschreckte. Abaelard hielt nicht dafür, einem Mönch das Lesen von Büchern zu verbieten, die eine "Kunst" (ars) zum Inhalt haben. Voraussetzung sei allerdings, daß durch solche Lektüre "irgendein größerer Nutzen" (major aliqua utilitas) keinen Schaden nehme und innerhalb des Lektürekanons eine Rangordnung gewahrt bleibe. Uneingeschränkt müsse die Regel gelten, daß das Studium weniger bedeutsamer Texte im Interesse gewichtigerer Schriften unterbrochen oder gänzlich aufgegeben wird. Abaelard nahm zwischen der Heiligen Schrift und den Büchern weltlicher Wissenschaft eine Güterabwägung vor. Sich mit Grammatik oder Rhetorik zu beschäftigen, sei rechtens, wenn man diese Künste deshalb erlerne, um tiefer in die 29
Rufinus von Bologna, Summa Decretorum, hg. vonH. SINGER, Paderborn 1902 (ND 1963) 86 f. Huguccio, Summa decretorum pars I et II, München StB, Clm. 10247, fol. 41r. - Zur Handschrift vgl. Katalog der Handschriften der Bayerischen Staatsbibliothek München, neu beschrieben von E. REMAK-HONNEF/H. HAUKE (Catalogus codicum manu scriptorum Bibliothecae Monacensis IV/1) Wiesbaden 1991, 136 f.
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Geheimnisse der Heiligen Schrift einzudringen31. Als unnütz, überflüssig und gefährlich betrachtete Abaelard die "Bücher der Heiden" (libri gentilium). Abaelard denkt dabei vermutlich nicht an die Werke heidnischer Philosophen, sondern an Bücher mit mythologischen Stoffen. Christen sollten sie "aus Liebe zur Heiligen Schrift" nicht in die Hand nehmen32. Thomas von Aquin (um 1226-1274) zitiert den Prügeltraum des Hieronymus als Beleg dafür, daß die Beschäftigung mit Fragen des Glaubens den Rückgriff auf philosophische Argumente auszuschließen und entbehrlich zu machen scheine. Thomas nimmt insbesondere auf das eidlich bekräftigte Bekenntnis des Hieronymus Bezug, sich fürderhin als Gottesleugner zu betrachten, wenn er noch einmal zu weltlichen Büchern (saeculares codices) greife. Thomas macht aus dem Versprechen des Kirchenvaters einen grundsätzlichen Einwand: Wenn es nicht einmal statthaft sei, in weltlichen Büchern zu lesen, dann sei es um so weniger erlaubt, die Schriften profaner Autoren bei der Abfassung theologischer Abhandlungen zu benutzen33. Thomas ist aber nicht bereit, diesen Einwand als stichhaltiges Argument gelten zu lassen. In den von ihm aufgelisteten Gegenargumenten sucht er Hieronymus durch Hieronymus selber zu widerlegen. Er zitiert Stellen aus Briefen des Kirchenvaters, in denen dieser durch die allegorische Deutung der Ehe zwischen einem Israeliten und einer gefangenen heidnischen Frau zeigt, unter welchen Voraussetzungen es für Christen "fruchtbringend" (fructuosum) sein kann, sich "Weltweisheit" (sapientia saecularis) anzueignen. Unter Berufung auf Deuteronomium 21,11-13 legt er dar, daß ein Israelit eine gefangene Heidin zur Frau nehmen dürfe, wenn er ihr zuvor die Haare geschoren und ihre Nägel geschnitten habe. Entsprechend solle auch die Weisheit der Heiden gereinigt werden, um sie für den Glauben der Christen nutzbar zu machen34. Weil nach Ansicht des Thomas von Aquin das "Licht des Glaubens" durch das "Licht der natürlichen Vernunft" nicht zerstört wird35, lehnte er es ab, aus den Erfahrungen des Hieronymus ein Argument zu machen, das sich gegen die Einheit von Glaube und Vernunft verwenden läßt. Es sei doch offenkundig, daß Hieronymus von den Büchern der Heiden zeitweise so fasziniert war, daß er die Heilige Schrift verachtete. Hieronymus sage doch selber, daß ihn die ungeformte Sprache der Propheten abgeschreckt habe, wenn er sich nach der Lektüre der heidnischen Bücher wiederum den Schriften der alttestamentlichen Seher zugewandt habe36. Bonaventura (1217-1274) liest das Traumgesicht des Hieronymus als Warnung vor dem gefährlichen Abstieg in die Niederungen der Philosophie. Hieronymus habe nach dem Studium Ciceros an den Büchern der Propheten keinen Geschmack mehr gefunden. Deshalb sei er vor dem Richterstuhl Gottes gepeinigt worden. Das sei zu unserer Belehrung geschehen, resümiert der Franziskaner31
Petrus Abaelardus, Introductio ad theologiam, in: MPL 178, 1044. - Im zweiten Buch seiner 'Theologia christiana' kommt Abaelard von neuem auf den Prügeltraum des Hieronymus zu sprechen: vgl. ebd. 1208. 32 Ebd. 1043 und 1208 unter Berufung auf Isidor von Sevilla. 33 S. Thomae de Aquino, Expositio super librum Boethii de trinitate, ed. B. DECKER (Studien und Texte zur Geistesgeschichte des Mittelalters IV) Leiden 1955 C21959), 91. 34 Ebd. 93. Vgl. Hieronymus, Epistvlae, ep. 56, in: CSEL 54, 658; ep. 21: ebd. 122 f., 124; ep. 70: ebd. 702. 35 Expositio super librum Boethii (Anm. 33) 94. 36 Ebd. 96.
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theologe, und zwar aus dreifachem Grund: damit die Magister nicht über alle Maßen die Lehrsätze der Philosophen empfehlen und hochschätzen (1); damit das Volk Gottes, wenn es sich auf die Lehren der Philosophen einläßt, nicht ins sündige Ägypten zurückkehrt (2) und, deren Beispiel folgend, das Wasser von Siloah (Is 8,6), das höchste Vollkommenheit (summa perfectio) in sich birgt, verläßt und sich zu den Wassern der Philosophen begibt, die nur ewige Täuschung (aeterno deceptio) enthalten37. Bonaventura wollte sagen: Ohne das Licht des Glaubens Philosophie zu treiben, ist gefährlich. Deshalb hielt er 1267 in der Pariser Franziskanerkirche Brandpredigten "gegen die Epikureer, die behaupteten, es gebe kein Leben nach dem Tod", "gegen die Nikolaiten, nach denen jeder Mann mit jeder Frau Schändliches treiben kann", gegen überhebliche Philosophen, die behaupten, "die Welt sei ewig"38. In Predigten, die er 1270 vor Pariser Magistern und Scholaren hielt, sah er "Paris von einer Woge der ungläubigen Philosophie überschwemmt"; die aristotelische Philosophie schilderte er als "apokalyptische Bedrohung der Christenheit"39. Das göttliche Strafgericht, das Hieronymus als Leser Ciceros hatte über sich ergehen lassen müssen, stärkte ihn in dieser Überzeugung. Moderater urteilte Johannes Gerson (1363-1429). Um darzutun, daß Gott denjenigen, den er liebt, zurechtweist, erinnerte der Pariser Universitätskanzler und Konstanzer Konzilstheologe an Erfahrungen des Kirchenvaters Hieronymus40. Dieser sei im Schlaf entrückt, streng befragt und hart gegeißelt worden, weil er mit großer Hingabe die Bücher Ciceros gelesen habe, die Heilige Schrift und das theologische Schrifttum hingegen sträflich vernachlässigt habe. Gerson warnt jedoch vor unangemessenen Konsequenzen. Es sei falsch, betont er, aus Erfahrungen des Hieronymus den Schluß zu ziehen, daß die Bücher heidnischer Autoren (infidelium libri) grundsätzlich zu verwerfen seien. Wäre dem so, hätten Hieronymus, Augustinus und Bernhard, ja sogar der Apostel Paulus, Cyprian und Origines sowie alle christlichen Philosophen, Rechtslehrer und Mediziner Schuld auf sich geladen, weil sie durch den Gebrauch weltlicher Bücher zwangsläufig auf Irr- und Abwege geraten seien. Da alles Wahre vom Heiligen Geist komme, wäre es falsch, um nicht zu sagen vermessen, behaupten zu wollen, daß christliche Autoren die Bücher von Rhetoren, Philosophen und Dichtern nicht lesen und in ihren Predigten nicht zitieren dürfen. Wer könnte denn verbieten, den Dialog Senecas über den Tod, die rhetorischen, moralphilosophischen und politischen Schriften Ciceros, die 'Tröstungen' des Boethius sowie die Ethik von Aristoteles und Piaton zu lesen? Weder Paulus noch Augustinus, weder Hieronymus noch andere große Theologen hätten sich gescheut, Dichtkunst, Rhetorik und Philosophie mit der Theologie zu verknüpfen. Es sei jedoch, betont Gerson, bei der Lektüre weltlicher Autoren Maß zu halten. Die weltlichen Wissenschaften dürften sich nicht als Herrinnen (dominae) aufspielen. Sie müßten Mägde (ancillae) bleiben. Theologen seien gehalten, der Theologie außerordentliche Ehre {prae37
Bonaventura, In Hexaëmeron coll. 19, 12, in: Opera omnia, t. V, ed. studio et cura PP. Collegii a S. Bonaventura, Quaracchi 1891, 42. Aufklärung im Mittelalter? Die Verurteilung von 1277, eingeleitet, übersetzt und erklärt von
38
K . FLASCH, M a i n z 1 9 8 9 , 4 3 . 39 40
Ebd. 52. Johannes Gerson, In festo S. Michaelis archangeli, collatio: 'Factum est', in: Oeuvres complètes,
é d . P . GLORIEUX, v o l . 5, P a r i s - T o u m a i u . a . 1 9 6 3 , 3 2 1 .
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cipuus honor) zu erweisen, höchste Autorität (summa auctoritas) zuzubilligen und unermüdlichen Eifer (frequentius Studium) entgegenzubringen. Genau das aber habe Hieronymus, wie er selber angibt, nicht gründlich und besonnen genug bedacht. Geschlagen worden sei er deshalb, weil ihm die Liebe zu Cicero den Geschmack an den Büchern der Heiligen Schrift verdorben habe.
Humanistische Auslegungsinteressen Die Traumdeutung theologischer Fach- und Schulgelehrter gab Gewähr, daß die Rangordnung zwischen Theologie und Philosophie, zwischen der Heiligen Schrift und den Büchern der Heiden gewahrt blieb. Wer die Botschaft des Prügeltraums zu hören verstand, fühlte sich herausgefordert und verpflichtet, dafür Sorge zu tragen, daß der christliche Glaube weder durch die natürliche Vernunft noch durch Prosa und Dichtung der Heiden Schaden nimmt. Humanistisch denkende Theologen waren nicht gewillt, aus den visionären Erlebnissen des Hieronymus Lese- und Bildungsnormen abzuleiten, die ihnen bei der Lektüre antiker Klassiker moralische Skrupel verursachten. Johannes von Salisbury (1115/20-1180) meinte in seinem vielgelesenen und weitverbreiteten 'Policraticus1, einer staats- und gesellschaftsphilosophischen Lehrschrift, in der gleichermaßen Gegenwartserfahrungen und antike Wissensbestände verarbeitet sind, Hieronymus sei in seinem Traum von bösen Geistern getäuscht und genarrt worden 41 . Wörtlich wollte er die Geschichte mit dem geprügelten Kirchenvater nicht nehmen. "Nichts wäre sinnloser, als Johanns Hochschätzung der heidnischen Antike damit in Frage stellen zu wollen, daß er auch einmal den berühmten Prügeltraum des Hieronymus, ein Kern-Exemplum mittelalterlicher Bildungsfeindlichkeit, zitiert; er tut es nicht im geringsten in einer Diskussion über antike Autoren, sondern im Zusammenhang mit den Arten der Traumdeutung" 42 . Bemerkenswert ist die Auslegung, die sich der Dominikaner Vinzenz von Beauvais 1264) einfallen ließ, als er auf Bitten der Königin Margaretha, der Gemahlin des französischen Königs Ludwigs IX., eine Anleitung zur Erziehung von Söhnen des Adels ('De eruditione filiorum nobilium') schrieb. Vinzenz von Beauvais ging von folgenden Annahmen aus: Unterricht bedarf der Ordnung. Diese gebietet, das zuerst und mit größerem Eifer zu lesen, was nützlicher (utilius) erscheint, um das angestrebte Ziel zu erreichen. Weil man nicht alles lesen könne, komme es darauf an, das "Nutzbringendere" (utiliora) zu lesen. Einiges lese man freilich auch deshalb, weil es gefährlich sei, es nicht zu wissen. Nur ein Übel, das man als solches erkannt habe, ließe sich vermeiden. An diese Grundsätze würde sich auch das kirchliche Recht halten. Das vierte Konzil von Karthago habe den Bischöfen erlaubt, die Bücher der Häretiker zu lesen, sofern das Zeit und Umstände erforderlich machen würden. Schüler, Laien und Neugetaufte aber sollten sie nicht lesen, damit sie nicht in die Schlinge des Irrtums 41
Ioannes Saresberiensis episcopus Carnotensis, Policraticus, ed. C. C. I. WEBB, 1.1, London 1909, 100 (II 17). - Vgl. dazu A. BUCK, Humanismus. Seine europäische Entwicklung in Dokumenten und Darstellungen (Orbis academicus I 16) Freiburg i.Bg.-München 1987,44. 42 P. VON MOOS, Geschichte als Topik. Das rhetorische Exemplum von der Antike zur Neuzeit und die historiae im 'Policraticus' Johanns von Salisbury (Ordo 2) Hildesheim-Zürich-New York 1988, 349.
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stürzten. Umgekehrt aber sei auf demselben Konzil, das Bischöfen das Lesen heidnischer Bücher (libri gentilium) verbot, Knaben und Jünglingen ausdrücklich gestattet worden, die Schriften antiker Autoren zu lesen, "damit sie in diesen wegen der Notwendigkeit der Lehre unterwiesen werden"43. Dieser Unterscheidung der Lesestoffe trage auch Hieronymus Rechnung, wenn er gegenüber Papst Damasus Klage führe, daß Priester anstelle der Evangelisten und Propheten Komödien und Liebesgedichte lesen und damit das, was bei Schülern eine "Sache der Notwendigkeit" (causa necessitatis) sei, in ein "Laster der Lust" (crimen voluptatis) verwandeln würden. Aus dem Prügeltraum des Hieronymus, von dem Vinzenz von Beauvais ausführlich berichtet, glaubt er denn auch, folgende Lehre ziehen zu dürfen: Die christliche Mission rede nicht einer Verwerfung der antiken Literatur das Wort, sondern plädiere für eine Ordnung des Wissenserwerbes. Jeder solle das lesen und lernen, was seinem Alter und seinem Stand angemessen sei. Das Kirchenrecht verbiete ja auch Mönchen, Medizin und weltliches Recht zu studieren, was an sich niemandem zu verwehren sei. So verhalte es sich auch mit den "Büchern der Heiden": Schüler sollen sie lesen, Kleriker nicht44. Francesco Petrarca (1304-1374) verband sein Bekenntnis zum Christentum mit dem Bekenntnis zu Cicero. "Ich bin ein Christ", beteuerte er in seiner im Jahre 1366 verfaßten Altersschrift 'Über seine und vieler anderer Unwissenheit' ('De sui ipsius et multorum ignorantia'), um auf das Urteil von Freunden aus Venedig zu reagieren, die ihn als guten, aber ungebildeten und ungelehrten Menschen bezeichnet hatten45. Ihren Vorwurf der Unbildung begründeten sie mit dem Hinweis, daß Petrarca "nichts von der aristotelisch-averroistischen Naturwissenschaft versteht. Sie gönnen ihm seinen Ruhm nicht, und sie haben seinen Widerspruch gegen ihre Naturwissenschaft und gegen ihren Abgott Aristoteles nicht vertragen. Der tiefste Ursprung ihres mißgünstigen Urteils ist der: er ist Christ, und sie sind im Grunde Feinde des katholischen Glaubens. Mit diesem Bekenntnis zum Christentum verschlingt sich das Bekenntnis zu Cicero"46. Petrarca räumt ein: Um sein Christentum in Frage zu stellen, könne man ihm wie Hieronymus vorhalten: "Du lügst, ein Ciceronianer bist Du, kein Christ. Wo nämlich Dein Schatz ist, da ist auch Dein Herz"47. Auf einen solchen Vorwurf aber würde er antworten: Seinen unvergänglichen Schatz und den höchsten Teil seines Herzens habe er bei Christus. Petrarca streitet nicht ab, sich von vielen nichtigen und schädlichen Sorgen in Beschlag nehmen zu lassen. "Doch dazu", sagt er ausdrücklich, "zähle ich nicht Cicero. Ich weiß, er hat mir nie geschadet, oft sogar genützt. Niemand wird sich über einen solchen Satz aus meinem Mund
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Vincent of Beauvais, De eruditione filiorum nobilium, ed. by A. STEINER, Cambridge 1938,42. Ebd. 43. - Zu den Vorbehalten der Zisterzienser gegen das Studium und die Anwendung des kanonischen Rechts vgl. U. STUTZ, Die Cistercienser wider Gratians Dekret, in: ZRG KA 40 (1919) 63-98. 45 Francesco Petrarca, De sui ipsius et multorum ignorantia, in: Prose. A cura di G. MARTELLOTI/
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P . G . RICCI/ E . CARRARA/ E . BIANCHI, M a i l a n d - N e a p e l 1 9 5 5 , 7 5 8 . - V g l . d a z u T . HEYDENREICH,
Petrarcas Bekenntnis zur Ignoranz, in: Petrarca 1304-1374. Beiträge zu Werk und Wirkung, hg. von F. SCHALK, F r a n k f u r t / M . 1 9 7 5 , 7 1 - 9 2 . 46
F. KLINGNER, Cicero und Petrarca. Vom Ursprung des humanistischen Geistes, in: F. KLINGNER, Römische Geisteswelt, München 3 1956, 606. 47 Petrarca, De ignorantia (Anm. 45) 758.
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verwundern, zumal Augustinus von sich ähnliches bekennt. Ich verberge es nicht, ich habe meine Freude an Geist und Sprachkunst Ciceros"48. Durch die mißlichen Erfahrungen des Kirchenvaters Hieronymus will er sich den Geschmack an dem römischen Rhetor nicht nehmen lassen. Auch Hieronymus selber habe - dem strafenden Traumgesicht und der Schelte des Rufinus zum Trotz - stets etwas von einem Ciceronianer behalten. Nie habe Hieronymus seine von Cicero geprägte Schreibweise geändert. Zu sagen, "Ich bin ein Ciceronianer", falle ihm nicht schwer, "wenn Cicero bewundern dasselbe ist wie Ciceronianer sein"49. Gehe es aber darum, über höchste Wahrheiten, über das wahre Glück und das ewige Heil nachzudenken, fühle er sich weder als Ciceronianer noch als Platoniker, sondern als Christ. Der christliche Glaube könne seine Liebe zu Cicero nicht dämpfen, auch nicht das Bemühen, dem römischen Rhetor einen würdigen Platz unter den heidnischen Vorboten der christlichen Erlösung einzuräumen. In den philosophischen Werken Ciceros, so die Überzeugung Petrarcas, "spreche kein heidnischer Philosoph, sondern ein Apostel". Der Annahme, "Cicero wäre Christ geworden", wäre er nicht kurz vor dem Beginn des wahren Glaubens gestorben, gebe ein solcher Befund ein hohes Maß an historischer Wahrscheinlichkeit. Ein katholisch gewordener Cicero, mutmaßt Petrarca außerdem, wäre der Kirche von großem Nutzen gewesen. Unstreitig hätte er der christlichen Predigt eine andere sprachliche Gestalt gegeben. Dann würde die Christenheit in ihren Kirchen "zwar keine wahrere, heiligere, aber vielleicht eine mehr wohlgefällige, klingende Verkündigung haben"50. Die Stoßrichtung einer solchen Auslegung dessen, was Hieronymus in seinem Traum erlebt hatte, entbehrt nicht der Eindeutigkeit: Petrarca ist nicht bereit, sich durch das Beispiel des geprügelten Hieronymus seine Begriffe von Bildung und christlicher Humanität in Frage stellen zu lassen. Zugleich Christ und Humanist zu sein, empfindet er nicht als Widerspruch. Menschliches Leben erfülle sich zwar nicht in der Tugend; Tugend, die zu lieben man von Cicero lernen könne, sei aber eine wesentliche Hilfe auf dem Weg zur ewigen Glückseligkeit, dem wahren Ziel menschlichen Lebens51. Bei Humanisten, die von der ethischen und religiösen Bedeutsamkeit antiker Bildung überzeugt waren, löste der Prügeltraum des Hieronymus keinen Normund Wertkonflikt aus - im Gegenteil. Was dem Kirchenvater widerfuhr, haben sie so umgedeutet, daß es einer Bestätigung ihres Bildungsbegriffs gleichkam. Lorenzo Valla (f 1457) nahm in seinen 1444 abgeschlossenen 'Elegantiarum linguae latinae libri VI' die Erfahrungen des Kirchenvaters zum Anlaß, sich mit Leidenschaft zur Kunst der Beredsamkeit zu bekennen, die seiner Ansicht nach auch für das Erkenntnis- und Ausdrucksvermögen der Theologie von grundlegender Bedeutung sei. Strafwürdig gemacht habe sich Hieronymus nur deshalb, weil er durch das intensive Studium der antiken Autoren das Lesen der Heiligen Schrift vernachlässigt habe. Ausdrücklich hebt Valla hervor: Nachdem Hieronymus "das zarte Knabenalter mit der gesunden Nahrung der heiligen Schriften genährt und sich in der von ihm 48 49 50 51
Ebd. 758 - Vgl. KLINGNER, Cicero und Petrarca (Anm. 46) 607. Petrarca, De ignorantia (Anm. 45) 760. KLINGNER, Cicero und Petrarca (Anm. 46) 607 f. Petrarca, De ignorantia (Anm. 45) 746.
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verachteten Wissenschaft gestärkt hat und schon außer Gefahr war, ist er zur Lektüre der Heiden zurückgekehrt, entweder um sich ihre Bedeutsamkeit zu leihen oder um, was sie gut sagen, zu loben, was schlecht, zu tadeln - wobei er gleichzeitig dem schön Gesagten zustimmte. Das haben doch auch die übrigen Lateiner und Griechen getan. Hilarius, Ambrosius, Augustinus, Laktanz, Basilius, Gregor, Chrysostomus und andere mehr, die in jeder Epoche die wertvollen Gemmen der göttlichen Rede mit dem Gold und Silber der Beredsamkeit ausgeschmückt haben"52. Er warnt deshalb vor unbedachten Verallgemeinerungen. "Allein Hieronymus", so seine eindringliche Mahnung, "ist angeklagt worden, nicht die übrigen Schriftsteller, - sonst wären sie doch ähnlich wie Hieronymus gezüchtigt worden. Es paßt ja auch nicht eine Medizin für alle: jeder braucht eine andere; und es ist nicht zu allen Zeiten und an allen Orten dasselbe erlaubt oder verboten: keineswegs also hat jener Richter den anderen diese Beschäftigung zu verbieten gewagt; vielmehr hat er umgekehrt viele Redner gelobt - aus der früheren und aus seiner Zeit"53. Den Vorwurf, der dem hl. Hieronymus im Namen christlicher Frömmigkeit gemacht wurde, bezieht Valla auf sich selber. Er schreibt: "Ich weiß, daß einige Leute - zumal solche, die sich für besonders heilig und religiös halten - es wagen werden, diesen meinen Unterricht und meine Arbeit, in der ich die anderen Menschen ermahne, weltliche Bücher zu lesen, als eines Christenmenschen unwürdig zu verurteilen. Hieronymus bekennt nämlich, daß er vor dem göttlichen Tribunal gegeißelt worden sei, weil er allzu eifrig die weltlichen Bücher gelesen habe, und daß er angeklagt worden sei, ein Ciceronianer und kein Christ zu sein (als ob er nicht gläubig und doch ein Ciceronianer sein könnte): schließlich habe er geschworen - und das mit fürchterlichem Eide -, die weltlichen Bücher fortan nicht mehr zu lesen. Der Tatbestand dieses Vergehens trifft genauso auf die gegenwärtige Arbeit zu wie auf mich und die übrigen Schriftsteller, deren Eifer und Gelehrsamkeit in den weltlichen Schriften man mißbilligt"54. Valla ist aber nicht bereit, durch überzogenen moralischen und religiösen Rigorismus die Einheit zwischen weltlicher Gelehrsamkeit und christlicher Lebensführung aufs Spiel zu setzen. Er warnt vor einer falschen Auslegung dessen, was Hieronymus widerfuhr. Sein Prügeltraum sei kein Argument gegen die Beschäftigung mit weltlicher Wissenschaft und gegen die Lektüre antiker Autoren. Es gehe auch nicht an, aus dem Lektürekanon christlicher Leser jene Autoren auszusparen, die ausschließlich "um des Erwerbs der Beredsamkeit willen gelesen werden"55. Eine Trennung zwischen Form und Inhalt sei undenkbar. Deshalb seine rhetorische Frage: "Ist denn in jenen Büchern", die aus Gründen ihrer verführerischen Eloquenz verdammt werden sollen, "nichts außer der Beredsamkeit? Nicht die Erinnerung an die Geschichte der Zeiten und Völker, ohne die wir alle (unwissend) wie Kinder wären? Nicht auch vieles über die Sitten? Nicht eine Behandlung aller Wissenschaften? Soll ich das alles vernachlässigen, um nur nicht 52 Lorenzo Valla, Elegantiarum libri, in: E. GARIN (ed.), Prosatori latini del Quattrocento, MailandNeapel 1962, 620. - Die deutsche Wiedergabe des Textes von Valla wird hier und im folgenden zitiert nach der Übersetzung von W. RAITH, in: K. VORLÄNDER, Philosophie der Renaissance. Beginn der Naturwissenschaft (Geschichte der Philosophie 3) Hamburg 1979, 171-175. 53 Valla (Anm. 52)618. 54 Valla (Anm. 52)612. 55 Valla (Anm. 52)614.
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etwa auch die Beredsamkeit zu erlernen, während ich dies alles lernen will, und somit ja nicht das Gift zu trinken, das jenem Weine beigemischt ist"56. Es sei absurd, Wissenschaft und rednerischen Schmuck, Weisheit und Beredsamkeit auseinanderdividieren zu wollen. Auf die Frage, ob er die Kunst der Rede für schädlich halten solle, antwortet er: "In der Tat: nicht mehr als Malerei, Bildhauerei und - um über die freien Künste zu reden - Musik! Und wenn den göttlichen Dingen viel Nutzen und Schmuck von denen entsteht, die gut malen, gut singen, gut bildhauern usw. (so daß man fast meint, sie seien dazu geschaffen), so trifft dies in der Tat viel mehr für die Redner zu"57. Beredsamkeit sei auch für die Theologie eine unabdingbare Voraussetzung: "Wer nicht in der Beredsamkeit bewandert ist, den halte ich für geradezu unwürdig, über Theologie zu sprechen, mit Sicherheit sind allein die Redner - von denen ich einige aufgezählt habe - die Pfeiler der Kirche, auch wenn du direkt von den Aposteln ausgehst, von denen mir Paulus durch nichts anderes als durch seine Beredsamkeit irgendwie hervorzuragen scheint. Du siehst, daß diese Angelegenheit sich in ihr Gegenteil verkehrt: nicht nur nicht verbieten darf man das Studium der Beredsamkeit, sondern es ist zu verurteilen, sie nicht zu studieren"58. Und: "Wer nicht kunstvoll zu reden weiß und doch seine Überlegungen niederschreibt, der ist, zumal in der Theologie, sehr schamlos, und wenn er sagt, daß er dies bewußt mache, dann ist er wahnsinnig, denn es gibt niemanden, der nicht kunstvoll und gewandt reden will"59. Durch die Kunst der Rede will Valla das Haus Gottes geschmückt wissen, "damit die dort Eintretenden nicht etwa durch den darin befindlichen Schmutz zur Verachtung, sondern durch die Erhabenheit des Ortes zum Glauben angeregt werden"60. Deshalb komme es darauf an, den Schmuck der Rede von den Heiden, die ihn zu Unrecht besitzen, auf die christliche Religion zu übertragen. Angelo Poliziano (1454-1494), Hofmeister am Hof des Lorenzo de' Medici, erinnerte diejenigen, die glaubten, unter Berufung auf den Prügeltraum des kranken Hieronymus (somnium aegroti Hieronymi vapulantis) vor der sittlichen und religiösen Gefährlichkeit der heidnischen Literatur warnen zu sollen, an die Bedeutung Ciceros für die Bildung und den Lebensweg Augustins: Dieser rühme die Weisheit und die vollkommene Sprache "seines Cicero". In seinen 'Confessiones' verliere der Kirchenvater kein kritisches und abschätziges Wort über jene, die Cicero bewundern, im Gegenteil. Es sei Ciceros Schrift 'Hortensius' gewesen, dessen Lektüre Augustinus veranlaßt habe, die ewige Weisheit zu suchen und sich zu Gott zu bekehren61. "Jenes Buch", hatte Augustinus in seinen 'Confes56
Valla (Anm. 52)614. Valla (Anm. 52)616. 58 Valla (Anm. 52) 620. 59 Valla (Anm. 52) 620. 60 Valla (Anm. 52) 622. 61 Angelus Pontianus, Miscellaneorum centvriae primae ad Lavrentium Medicen, in: Opera omnia, Basel 1564, 285 (lib. 1). - Symptomatisch für die Einstellung Polizianos zum Bildungswert christlicher Literatur ist folgende Episode: "Höchstes Ziel seines pädagogischen Strebens war es, daß die ihm [am Hof des Lorenzo de' Medici] anvertrauten Knaben Briefe in vergilischem Latein verfassen konnten. Bitter beklagte sich deshalb Poliziano bei Lorenzo darüber, daß die Mutter seiner Zöglinge, die Römerin Ciarice Orsini, den vierjährigen Giovanni, den späteren Papst Leo X., im Psalter lesen lasse; das hindere den ganzen Fortschritt der Bildung" (G. MÜLLER, Bildung und Erziehung im Humanismus der italienischen Renaissance. Grundlagen-Motive-Quellen, Wiesbaden 1969, 137). 57
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siones1 geschrieben, "veränderte mein Streben und lenkte auf dich, Herr, meine Gebete und gab meinem Wünschen und Sehnen eine ganz neue Richtung. Zunichte wurde mir mit einem mal alle eitle Hoffnung, und mit unglaublicher Heftigkeit erglühte mein Herz nach unvergänglicher Weisheit, und ich begann mich zu erheben, um zu dir zurückzukehren"62. Albrecht von Eyb (1420-1475), Domherr in Eichstätt, Bamberg und Würzburg, greift in seinem 1474 entstandenen 'Spiegel der Sitten' gleichfalls die Frage auf, ob es zimlich sey die poeten Oratores vnd Philosophos zuo lesen vnd zuo gebrauchen63. Auf der Suche nach einer Antwort, die sich auf die Autorität des Kirchenvaters Hieronymus stützen kann, zitiert er nicht dessen Prügeltraum, wohl aber eine Stelle aus einem an Papst Damasus gerichteten Brief (epist. 21,13). Diese lautet: die gedieht der poeten vnd weltlicher weißhait zuo lesen / ist ain speyse der teüfel vnd ist eytelkait der poeten nit anders dann hoffart der woerter / wann so die poeten mit fleiß vnnd arbait gelesen werden / betzalen sy mitt Worten / da ist kain warhait / da kain gerechtigkait / sunder die emssigen leser der poeten beleiben in hunger vnd durst der warhait vnd in mangeln der fügenden / der sy durch poeten vnd philosophos nit mügen erlangeti64. Albrecht von Eyb gibt sich aber mit dieser Antwort nicht zufrieden. Er sucht Hieronymus durch Hieronymus zu widerlegen. Jheronimus spricht, beteuert der humanistisch gebildete Domherr an anderer Stelle, wenn wir lesen die poeten vnd philosophos vnd in den püchern der weltlichen weißhait / so wir etwas guotes vnnd nützes darinnen finden / des mügen wir zuo vnser leer verfügen vnd ist nitt vntzimlich ains yegkllichen geschlechts kunst zuo erforschen vnd vernüfftiklich zuo gebrauchen / was wir aber überfluessigs zuo abgoetterey / zuo vnordenlicher lieb / vnd zuo weltlichen sorgen finden / ob wir das lesen soellen wir es verachten^. Deshalb seine rhetorische Fragen: Haben sich nicht Hieronymus, Cyprian, Laktanz, Seneca und viele andere von der sueßigkeit der woerter vnd rede Ciceronis vnd ander haidnischer leerer vnd poeten anregen und belehren lassen66? Soll man die alttestamentlichen Bücher gleichfalls nicht lesen, weil sie von grossen sünnden vnnd missethaten berichten? Seine Antwort ist eindeutig: Dichter, Redner und Philosophen solle man lesen und gebrauchen, wo sy uns zuo guetten sitten vnd wercken (die fügenden zuo vmbfahen vnd die poßhayt zuo vermeiden / als dann solchs mein fürnemen ist) mügen gedienen vndfruchtber sin61. Erasmus von Rotterdam (1466/69-1536) suchte die antihumanistischen Züge im Traumgesicht des Hieronymus zu glätten und zu tilgen. Hätten ihn die schmerzhaften Erfahrungen des Kirchenvaters an der Vereinbarkeit von Frömmigkeit (pietas) und Bildung (eruditio) zweifeln lassen, er hätte sich von einem Hieronymus-Bild verabschieden müssen, das ihm lieb und teuer war. Den Kir62
Aurelius Augustinus, Confessionum libri XIII, ed. I. CAPELLUS, Turin 1948, 64 (III 4). Albrecht von Eyb, Spiegel der Sitten, hg. von G. KLECHA (Texte des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit 34) Berlin 1989, 19. 64 Von Eyb, Spiegel der Sitten (Anm. 63) 19. Vgl. Hieronymus, Epistvlae, ep. 21, 13, in: CSEL 54, 122. 65 Von Eyb, Spiegel der Sitten (Anm. 63) 23. 66 Von Eyb, Spiegel der Sitten (Anm. 63) 24. 67 Von Eyb, Spiegel der Sitten (Anm. 63) 25. 63
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chenvater über alle Maßen zu verehren, kam einer Rechtfertigung seiner eigenen Lebensführung gleich. Erasmus war davon überzeugt, daß Hieronymus, der die doctrina sacra mit der doctrina gentilis zu verbinden verstand, als Christ, Mensch und Gelehrter den richtigen Weg eingeschlagen hatte, um als nachahmenswertes Vorbild gelten zu können. Ihm, den er als "Erleuchter unserer Religion" feierte68, wollte er nacheifern. Bereits im Konvent der regulierten Augustinerchorherren von Steyn bei Gouda, dem er von 1487 bis 1493 angehörte, wählte er den Kirchenvater zu seinem Patron69. Weil er sich als Schüler des frommen und gelehrten Hieronymus fühlte, nannte er sich seit 1496 Desiderius. Die Namensänderung war Ausdruck einer geistigen Wahlverwandtschaft: Desiderius hieß ein mit Hieronymus befreundeter Priester, dem er seine Übersetzung des 'Pentateuch' gewidmet hatte. In den Briefen des Hieronymus fand Erasmus "sehr viele Waffen", "um die Lästerungen der Barbaren im Nu, wie man sagt, widerlegen zu können"70. Die Autorität des Hieronymus rechtfertigte das Studium der antiken Literatur. Nicht zuletzt deshalb, schreibt Erasmus im Dezember 1500, spürte er seit langem in sich "ein unbändiges Verlangen, die Briefe des Hieronymus zu kommentieren ... Es packt mich die Frömmigkeit des himmlischen und zweifellos gelehrtesten und redegewandtesten Mannes unter allen Christen; seine Schriften verdienten es, von allen allenthalben gelesen und kennengelernt zu werden"71. Um diese Einsicht in die Tat umzusetzen, nahm Erasmus die Mühsal eines Editors auf sich und brachte die Briefe des Hieronymus zum Druck. In den ersten vier Bänden seiner bei Froben in Basel erschienenen Hieronymusausgabe machte er sie der gelehrten Welt zugänglich72. Ein Hieronymus, der vor dem dämonischen Gift der antiken Literatur glaubte warnen zu sollen, war für Erasmus nicht denk- und annehmbar. Diese Einstellung bestimmte die Deutung der von Hieronymus im Traum geschauten und erlebten Prügelei, welche dieser als eingefleischter Ciceronianer vor dem Richterstuhl Gottes angeblich hatte erdulden müssen. Den ersten Band der 1516 von Froben in Basel gedruckten Opera des Hieronymus hat Erasmus mit einer Beschreibung von dessen Leben eingeleitet73. In dieser Vita geht er auch auf das Traumerlebnis des Kirchenvaters ein74. Jene, meint Erasmus, die den Traum des Hieronymus zitieren, um zu beweisen, daß der Kirchenvater damals einer weiteren Beschäftigung mit Philosophie und Literatur gänzlich abgeschworen habe, wissen nicht, wovon sie reden. In seiner Antwort an Rufinus habe Hieronymus nämlich klargestellt, daß es sich um einen einfachen Traum gehandelt habe, der, was seinen Wahrheitsgehalt anbetrifft, so nichtssa68
R. STUPPERICH, Erasmus von Rotterdam und seine Welt, Berlin-New York 1977, 54. STUPPERICH, Erasmus von Rotterdam (Anm. 68) 117. So in einem Brief an Cornelius Gerard aus dem Jahre 1489. Vgl. W. P. ECKERT, Erasmus von Rotterdam. Werk und Wirkung, Bd. 1, Köln 1967, 266. 71 ECKERT, Erasmus von Rotterdam (Anm. 70) 266. 72 ECKERT, Erasmus von Rotterdam (Anm. 70) 269. 73 Deren Titel lautet: 'Eximii doctoris Hieronymi Stridonensis vita ex ipsius potissimum litteris contexta per Desyderivm Erasmvm Roterodamvm'. Sie ist nicht foliiert und steht am Anfang von: Omnium operum divi Evsebii Hieronymi Stridonensis tomus primus ... cum argvmentis et scholiis Des. Erasmi Roterodami, Basileae 1516. 74 Hieronymi Stridonensis vita, in: Desiderii Erasmi Roterodami opera omnia. Supplementum, ed. W. K. FERGUSON, Hildesheim-New York 1978, 175-178. 69
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gend und bedeutungslos gewesen sei wie jeder andere Traum auch, der nächtens die Vorstellung wecke, man sei mit Daedalus übers Meer geflogen75. Der in jugendlichem Alter in einem Brief an Eustochium verfaßte Bericht, so Erasmus, sei als fromme Fiktion zu verstehen, mit welcher der Kirchenvater eine junge Frau zu einer asketischen Lebensführung habe ermahnen wollen. Nirgendwo gebe Hieronymus zu erkennen, daß ihn das Traumerlebnis bewogen habe, auf weltliche Bücher (libri saeculares) zu verzichten. Eine bald nach dem Traum abgefaßte Schrift 'De optimo genere interpretandi' enthalte "zahlreiche wörtliche Zitate aus Cicero" (plurimos versus ad verbum ex Cicero), die er in seiner Jugend seinem Gedächtnis eingeprägt habe76. "Wenn es ein Vergehen ist", fragt Erasmus weiter, "weltliche Bücher zu besitzen und wenn jeder, der sie liest, Christus verleugnet, warum wurde dann allein Hieronymus geschlagen? Warum genießt heutzutage in den Schulen der Theologen Aristoteles größeres Ansehen als Paulus und Petrus77?" Näher will Erasmus auf die kindische und lächerliche Sache mit dem Traum nicht eingehen. Seine Traumdeutung schließt er mit dem trotzigen Bekenntnis: "Ich jedenfalls .... empfange lieber mit Hieronymus Prügel, als daß ich mich gemeinsam mit jenen mit Honig einschmieren lasse, die der Traum des Hieronymus so sehr abschreckt, daß sie sich voller Skrupel von aller guten Literatur (ab omnibus bonis litteris) abwenden, indem sie aber keinesfalls die Laster jener vermeiden, deren Bücher sie des Glaubens wegen nicht anzurühren wagen"78. Dem Bildungsdefizit jener, die den Traum des Hieronymus als Alibi für geistige Untätigkeit benutzen, entspreche ein Mangel an Moral. Den literarischen Rang und den geschichtlichen Zeugniswert der Traumgeschichte schätzt Erasmus, wie er in einem Scholion zum zweiundzwanzigsten Brief des Hieronymus dartut, nicht hoch ein79. Er hält sie für eine Fabel (fabula), die besonders jene in ihrem Gedächtnis festhalten, die nie ein Wort von Hieronymus gelesen haben. Mit bemerkenswerter Scheu würden sie sich von aller guten Literatur fernhalten, um ja nicht auf ein Wort Ciceros zu stoßen und mit Hieronymus Prügel zu bekommen. Sie seien des Glaubens, den Aposteln zu gleichen, wenn sie möglichst ungepflegt und stillos daherreden. Erasmus wollte sagen: Den Prügeltraum des Hieronymus benutzen die Verächter der antiken Literatur als Deckmantel für mangelnde geistige Anstrengung. Niemals habe Hieronymus die Auffassung vertreten, daß man Cicero nicht lesen solle. Lesen sollte man ihn in der Absicht, "das Göttliche" (divina) besser zu verstehen und angemessener behandeln zu können. Eine solche Einschätzung Ciceros wurzelte in Wertbegriffen eines christlichen Humanismus, der Bildung und Frömmigkeit miteinander verbinden wollte.
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Ebd. 177. - Hieronymus selber hatte auf die Vorwüfe des Rufinus folgendermaßen geantwortet: ... qui somnium criminatur, audiatprophetarum voces, somniis non esse credendum, quia nec adulterium somnii ducit me ad tartarum, nec corona martyrii in coelum levat (Hieronymus, Apologia adversus libros Rufini I, 31, in: MPL 23,442). 76 Hieronymus (Anm. 74) 177. 77 Hieronymus (Anm. 74) 177 f. 78 Hieronymus (Anm. 74) 178. 79 Hieronymus ad Evstochivm de cvstodia virginitatis, in: Omnium operum divi Evsebii Hieronymi Stridonensis tomus primus (Anm. 73) fol. 61v.
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Hieronymus beim Wort genommen: Von der Schädlichkeit weltlicher Bücher Hugo von Trimberg (um 1235-nach 1313), "ein religös geprägter Intellektueller"80, der als rector scholarum seit etwa 1260 an der Stiftsschule St. Gangolf in der Bamberger Vorstadt Teuerstadt tätig war, mahnte gegenüber den Schriften alter meister zu besonnener Zurückhaltung. Denn: Swer der buochen volget nach Ze sere, der merke wie geschach Sant Jeronimo dem heiligen man, Do er die heiligen schrift hin dan Leite und gerne diu buoch las, An den unsers Herren lop niht was: Des wart er släfende also geslagen, Daz erz wachende muoste klagen: Daz vindet man von im geschriben. Diejenigen aber, die auf Erden ihre Zeit mit gotes lere verbringen, dürften gewiß sein, himel bürger zu werden. Hugo von Trimberg mahnt deshalb: Swer heiliger schrift volger ist Der wirt dir liep, herre Jhesu Crist! Swer niht wil volgen der heiligen schrift, Des wisheit nimt vür honic gift%i. Christen tun deshalb gut daran, die heilige Schrift zu lesen. Wer ihre Weisungen befolgt, gewinnt die Liebe Christi und Bürgerrecht im Himmel. Das alles vermag die Lektüre antiker Klassiker nicht82. Der Verfasser des 'Passional' (um 1300) deutete in seinem Bericht 'Von sante Ieronimo' dessen Traum als einen Akt bußfertiger Umkehr. Während der Fastenzeit habe er Tag und Nacht der heiden buch Tullius und Piatonis gelesen. Das habe den göttlichen Richter so aufgebracht, daß dieser mit zorne im lie sinen rucken wol durchslan. Daraufhin der reumütige Hieronymus: 'ia, ia, herre, ich wil', sprach Ieronimus der gute, 'dir geloben an stetem mute, daz ich vurwart nicht ruche der werltlichen buche. 80
D. SCHMIDTKE, Hugo von Trimberg, in: LMA V (1991) 179. Der Renner von Hugo von Trimberg, hg. von G. EHRISMANN, Bd. 1 (Bibl. des Litterarischen Vereins in Stuttgart 247) Tübingen 1908 (ND 1970) 353. - Unter den buochen versteht er die Schriften von Plato, Aristoteles, Seneca, Sokrates, Demosthenes, Diogenes, Tullius, Empedokles und von anderen alten Meistern. Vgl. L. ROSENPLENTER, Zitat und Autoritätenberufung im Renner Hugos von Trimberg. Ein Beitrag zur Bildung der Laien im Spätmittelalter (Europ. Hochschulschriften, R. I: Deutsche Sprache und Literatur 457) Frankfiirt/M.-Bern 1982,205 f. 82 Auf der einen Seite bezeichnet er die heidnischen Schriftsteller als blind; auf der anderen Seite kann er aber auch sagen, die lere von Juden und weisen Heiden zu lesen, sei nütze und guot (ROSENPLENTER, Zitat und Autoritätenberufung [Anm. 81] 206). 81
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ich wil verlouken din, ob du siehst me bi mir sin dikein der buch der heiden. ich wil sie von mir scheiden also, daz ich ir vri wesen wil und nicht me in in lesen.1 Das Strafgericht änderte das Leseverhalten des Kirchenvaters grundlegend: der heiligen schrift er las noch vil steter, dan er ie sich uf iene schrift gelie, um die er was gestrafet e83. Wahres Frommsein macht die Kenntnis der antiken Literatur entbehrlich. Für ein Leben, das Abstand zur Welt sucht, ist sie hinderlich. Deshalb mahnt der Kamaldulenser Giovanni da San Miniato seinen Schüler Angelo Corbinelli, einen jungen Florentiner Edelmann, in einem im Januar 1405 (oder 1404) geschriebenen Brief, auf das Studium der antiken Dichtung zu verzichten. Er erinnerte an ein Wort des Hieronymus, wonach die Gedichte der Poeten nichts anderes seien als Speise der Dämonen. Gleichfalls wiederholte er die Warnung des Hieronymus, nicht die Bücher von Philosophen, Rednern und Dichtern zu lesen. Um den Adressaten, falls er Worten nicht glaubt, mit Tatsachen zu überzeugen, erzählt er ihm den Prügeltraum des Hieronymus und erinnert an dessen Schwur: "Wenn ich jemals wieder weltliche Bücher besitze und in ihnen lese, habe ich Dich [Gott] verleugnet". Poesie sei eine Mausefalle des Teufels, mit welcher dieser nach dem Bilde Gottes geschaffene Seelen dem Körper Christi zu entreißen suche. Vom Teufel mißbrauchte Poesie betöre den Geist mit dem Wohlklang von Liedern und mit Hilfe erfundener Geschichten; durch die Verfuhrungskraft einer falschen Süße bringe sie die Seele vom richtigen Weg ab. Eifrig gepflegte Lektüre antiker Dichter lade nur zur Sünde ein. Deshalb möge sich Angelo zur Quelle der Heiligen Schrift begeben. "An deren nüchternem Trünke", schärft er seinem Schützling ein, "berausche Dich; sie wird aus Deiner Seele Ströme des Lebens entspringen lassen und Dich mit nicht geringer Freude ergötzen"84. 83
Das Passional (Anm. 5) 505 f. B. L. ULLMANN, A Letter of Giovanni da San Miniato to Angelo Corbinelli, in: B. L. ULLMANN, Studies in the Italian Renaissance, Rom 1973, 247-253, hier: 251, 252, 253. - Wie Angelo Corbinelli auf diesen Brief reagierte, wissen wir nicht. Eingeschaltet in die Diskussion hat sich Coluccio Salutati (1331-1406). Dem Mönch Giovanni da San Miniato suchte er in einem Brief (September 1401) klarzumachen, daß deijenige, der bei Dichtern und in anderen Büchern der Heiden Wahrheit suche, keinesfalls die von Gott vorgezeichneten Heilswege verlasse. "Deshalb", versicherte er, "klage nicht wider deinen Bruder, weil er in Dichtungen Wahrheit sucht. Keine Art des sprachlichen Ausdrucks steht nämlich der göttlichen Ausdrucksweise, ja der Gottheit selbst näher als die Ausdrucksweise der Dichter". Dem fügte er hinzu: "Und ich möchte nicht, daß du Hieronymus als Gegenargument anführst, da man weder von Augustinus, fast seinem Zeitgenossen, noch von einem anderen, der vor oder nach ihm lebte, liest, daß er in ähnlicher Weise ermahnt und angeklagt wurde" (Epistolario di Coluccio Salutati, ed. F. NOVATI, vol. 3, Rom 1896, 539-543). Auf den Prügeltraum des Hieronymus nimmt Salutati nicht ausdrücklich Bezug; er spielt aber auf ihn an, wenn er sich dagegen verwahrt, aus dem Kirchenvater einen Einwand gegen den Bildungs- und Erkenntniswert antiker Autoren zu machen. Salutati wollte sagen: Die Verschiedenartigkeit objektiver Aufgaben 84
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Das konfliktträchtige Spannungsverhältnis zwischen christlicher Weltentsagung und humanistischer Weltfreude verstrickte nicht nur in literarische Fehden. Auch die Kunst bemächtigte sich des Themas und brachte auf ihre Weise Widerstand gegen eine Überschätzung weltlichen Bildungsstrebens zum Ausdruck. Der vor dem Richterstuhl Gottes gegeißelte Hieronymus wurde seit der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts zu einem oft behandelten Thema kirchlicher Kunst85. Es war der Geist christlicher Askese und kirchlicher Reform, der klerikale Auftraggeber bewog, den gepeinigten Kirchenvater immer wieder ins Bild setzen zu lassen. Das bildlich dargestellte Tribunal vergegenwärtigte nicht nur eine denkwürdige Episode aus dem Leben des gelehrten Theologen und gefeierten Kirchenmannes; es richtete sich auch gegen die Verfechter antiker Bildungsideale und deren Versuche, der Traumvision des Hieronymus ihre antihumanistische Spitze zu nehmen. Die Botschaft, die von den unkommentierten Bildern des im Traum vollzogenen Strafgerichtes ausging, war eindeutig: Die Beschäftigung mit antiken Autoren, welche vom Lesen der Heiligen Schrift abhalten und wegfuhren, verdient Prügel. Ein Frömmigkeitsideal, das die meditative Aneignung der Heiligen Schrift zum einzigen Quellgrund wahrer Christlichkeit machte, nahm der Beschäftigung mit dem antiken Geisteserbe ihre für Glaube und Frömmigkeit wegbereitende Funktion. Das Lesen weltlicher Bücher schien in Weltlichkeit zu verstricken, die der Pflege einer verinnerlichten Frömmigkeit abträglich war. Nur die Heilige Schrift, beteuerte der Verfasser des 'Seelentrostes', vermag zu trösten, weil sie demjenigen, der ihre Lehren und Gebote beherzigt, ewiges Leben verheißt. Deshalb seine entschiedene Mahnung: Also sol ein cristen mensch darnach stellen das er laese vnd hoere die buecher der heiligen geschrifft ... vnd soll fliehen die wehlichen buecher, wann die mißfallent got sere unserm herren das cristen leut vil darinn lesent86. Allein die Heilige Schrift gab Trost und Heilsgewißheit. Fürwahr: "Am einfachsten war halt eben: Gottvertrauen, sola fides, sola scriptura, sola gratia ... Nur ja weg von allem, was so kompliziert ist und die meisten vielleicht sogar alle - überfordert"87.
begründet einen verschiedenartigen Gebrauch der heidnischen Literatur: Hieronymus hatte "die Aufgabe, die Bibel ins Lateinische zu übersetzen. Dafür wäre es aber schädlich gewesen, wenn sich Hieronymus allzu sehr dem Studium Ciceros hingegeben hätte, darum wurde ihm im Traum untersagt, sich mit heidnischen Schriftstellern, vor allem Cicero, weiter zu beschäftigen. Augustinus dagegen hatte die Aufgabe, die Heiden durch ihre eigenen Schriften zu schlagen und sie so zu verwirren. Er bedurfte daher der heidnischen Literatur und wurde niemals durch ein Gebot von ihr abgehalten" (E. KESSLER, Das Problem des frühen Humanismus. Seine philosophische Bedeutung bei Coluccio Salutati, München 1968, 86). 85 Vgl. dazu D. RUSSO, Humanist und Christ. Der Traum des heiligen Hieronymus in der italienischen Kunst des 15. Jahrhunderts, in: Träume im Mittelalter. Ikonologische Studien, hg. von A. PARAVICINI BAGLIANI/G. STABILE, S t u t t g a r t - Z ü r i c h 1 9 8 9 , 1 3 7 - 1 4 8 ; C . WIEBEL, A s k e s e u n d E n d l i c h -
keitsdemut in der italienischen Renaissance, Weinheim 1988, 77. 86 Seelentrost (Anm. 7) fol. XHr. 87 E. MEUTHEN, Gab es ein spätes Mittelalter?, in: Spätzeit. Studien zu den Problemen eines historischen Epochenbegriffs, hg. von J. KUNISCH (Histor. Studien 42) Berlin 1990, 91-135, hier: 115. Zur spätmittelalterlichen Vorliebe für "Sola-Formulierungen" vgl. neuerdings auch B. HAMM, Reformation als normative Zentrierung von Religion und Gesellschaft, in: Jahrbuch für Biblische Theologie 7 (1992) 252 f.
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Andacht und Bildung in religiöser und humanistischer Sichtweise Differenzierende Betrachtung, die es dem Einzelnen anheim stellt, nach eigenem Ermessen Polaritäten aufzulösen, ist nicht die Stärke dessen, der den 'Seelentrost' verfaßt hat. Was der anonyme Autor denkt, sagt er ohne Umschweif: Sich in weltliche Bücher zu vertiefen fuhrt nicht in den Himmel, sondern auf heilsgefährdende Abwege. Wäre dem nicht so, wäre Hieronymus auch nicht bestraft worden. Einer solchen Einschätzung der weltlichen Literatur lag ein Frömmigkeitsverständnis zugrunde, das zum einen deren Lektüre entbehrlich machte, zum anderen vom Druck eines religiösen Pflichtenkanons entlastete, der, wurde er vollständig erfüllt, Ansprüche auf zähl- und meßbare himmlische Gegenleistungen begründete. "Innigkeit" und "Andacht", die Leitbegriffe einer neuen Frömmigkeit88, nahmen den Schriften der antiken Klassiker ihre Bedeutung für das Verständis des christlichen Offenbarungsgutes; sie bewirkten überdies die Ausbildung einer qualitativ bestimmten Frömmigkeit, die den Einzelnen zum verantwortlichen Subjekt für sein eigenes Heil machte. Die neuen Bewertungsmuster für Literatur und Frömmigkeit sind Folgeerscheinungen eines religiösen Aufbruchs. Im 'Seelentrost' ist er mit Händen zu greifen. Seine frömmigkeitsgeschichtliche Dimension sei noch genauer beleuchtet. Liebes kind, ermahnt der Verfasser des 'Seelentrostes' den Leser und die Leserin seiner geistlichen Texte, du solt das pater noster mit großer andacht sprechen; besser ist eyn pater noster gesprochen mit andacht dann hundert oder tausent on andacht*9. Um den Widersinn verrechenbarer Gebetsleistungen einsichtig zu machen, erzählt er folgende Geschichte: Eine ehrbare Frau sagte ihrem Beichtiger, wohl einem Franziskanerbruder, sy kund nit mer dann jr pater noster das sprich ich alle zeit zu teutsch. Dies tue sie insbesondere deshalb, daz ich mig vernemen waz ich sprech; wann ich es zuo latein sprich so vernym ich es nit; davon wirt mir kein jnnikeit. Daraufhin wollte der Bruder, dem sie beichtete, wissen, wie viele 'Pater noster' sie an einem Tag spreche. Sie antwortete: Gehe es ihr während der Meßfeier dank Gottes Gnade gut, spreche sie das 'Vater unser' zur Hälfte, den vierten Teil davon oder das ganze. Gehe es ihr übel, bete sie ein vollständiges 'Vater unser', ja sogar fünfzig oder hundert. Das machte den Beichtvater ratlos. Er wollte wissen, wie das zu verstehen sei. Die Frau erwiderte ihm: wann ich das pater noster anfahe und sprich also Pater noster, Vater unser, so nenn ich die ersten zwey wort und beginn darauff zu betrachten, daß der himmlische Gott ihr Vater sein wolle, der durch seine Menschwerdung so groß lieb und treu bewiesen habe. Aber nicht allein das würde sie betrachten, sondern auch und vor allem die große Armut, die Gott auf sich genommen, die große Schmach und den bitteren Tod, die er um der Erlösung seiner Kinder willen erduldet habe. Und sie fuhr fort: wann ich das alles betracht in meinem herczen so gibt mir got so grosse jnnigkeit underweilen und süssikeit das ich en ganncze meß zuo pring über das einig wort vatter vnser. Bete sie, der du bist in den himeln, beginne sie zu betrachten die freud in dem himel an der froeliche beschawung des wunnek88
K. SCHREINER, Laienfrömmigkeit - Frömmigkeit von Eliten oder Frömmigkeit des Volkes? Zur sozialen Verfaßtheit laikaler Frömmigkeitspraxis im späten Mittelalter, in: Laienfrömmigkeit im späten Mittelalter, hg. von K. SCHREINER (Schriften des Histor. Kollegs - Kolloquien 20) München 1992, 42 ff. 89 Seelentrost (Anm. 7) fol. CIr.
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liehen antlitz gotes. So bedenke und betrachte sie Satz für Satz, weswegen sie im Verlauf einer Messe kaum ein halbes 'Vater unser' sprechen könne. Dann sei sie sich gewiß, das es mir wol zehand gegangen sey. Empfinde sie aber kein jnnigkeit noch suessikeit, bete sie ein 'Vater unser' nach dem anderen. So komme sie während einer Messe a u f f ü n f e z i g pater noster an jnnikeit. Dann habe sie das Bewußtsein, das es mir nit wol gegangen sey. Dem fugte der Autor hinzu: die frau die hett recht. Wie klein das Gebet auch immer sei, es müsse mit jnnikeit getan werden. Besser nämlich sei ein pater noster mit jinnikeit wann hundert on jnnikeit. Auf die Frage, ob es besser sei, das 'Vater unser' deutsch oder lateinisch zu beten, gibt der Autor folgende Antwort: Ein gutes Schwert sei in der Hand eines Krüppels genau so gut und genau so scharf wie in der Hand eines Kämpfers. Einem Kämpfer, der damit zu fechten verstehe, sei es aber nüczer als einem Krüppel, der das Schwert nicht handhaben könne. So verhalte es sich auch mit Büchern: ein buoch ist als guott in eines layen hand als in eins meisters hand; aber der meister kan es nüczer gemachen dann ein lay der das buoch nit verstat. Mit einer Kerze sei es ebenfalls so. Sie leuchte in der Hand eines Blinden nicht weniger stark als in der Hand eines Sehenden. Also so ist das pater noster zuo latein daz ist also gut in eins layen mund als in eins pfaffen mund aber ein pfaf der es verstat der mag mer jnnikeit darzuo haben dann ein lay hat vnd es nit verstat, der es nit waist was er spricht. Deshalb sei es sinnvoller, leichte gebet zu sprechen, die man verstehe, um auf diese Weise in der Seele mer andachte zu verspüren. Zu bedenken sei auch dies: Als Jesus seinen Jüngern das 'Vater unser' lehrte, lehrte er es ihnen nicht in der lateinischen Sprache, wie es die Priester am Altar singen; er lehrte es ihnen in der jüdischen Landessprache. Hätte er sich in teutschen landen aufgehalten, hätte er das 'Pater noster' zuo teutsch gelehrt. Hätte Jesus in welschen Landen gelebt, hätte er es in waeisch gelert; waer er in Schwaben gewesen er hett es in schwaebischem gelert, damit es die Leute hätten verstehen können. Jeder solle das 'Vater unser' so sprechen, wie er es am besten verstehe. Zwischen dem lateinischen und deutschen 'Vater unser' bestehe kein Qualitätsunterschied: sy sind beide guot. Welches von beiden einem am besten gefalle, das solle er in gotes eren sprechen 91 . Um so zu beten, daß Gott daran Gefallen findet, kommt es nach Ansicht des Autors nicht auf den Umfang der Gebetsleistungen an, sondern auf Andacht und Innerlichkeit. Dem Bedürfiiis nach persönlicher Frömmigkeit trägt der Verfasser insofern Rechnung, als er dem Einzelnen das Recht einräumt, selber zu entscheiden, was und wieviel er beten will. Laienchristen sollten sich an solche Gebete halten, die ihnen die allermeyst innigkeyt geben und sie geystliche syssigkeyt empfinden lassen. Deshalb der Rat: Es ist besser, ein pater noster mit innigkeyt wann ein ganezer psalter [Rosenkranz] on innigkeyt92. Kirchenmänner und Theologen, die den Rosenkranz populär zu machen suchten, taten das auch stets mit dem Hinweis, daß Rosenkranzbeter genau berechnen könnten, wieviele Tage Ablaß ihnen die Zahl der gebeteten Ave-Marias ein-
90 91 92
Seelentrost (Anm. 7) fol. CIrv. Seelentrost (Anm. 7) fol. Clv-CIIr. Seelentrost (Anm. 7) fol. Lr-v.
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bringe . Der Verfasser des 'Seelentrostes' vertritt einen genau entgegengesetzten Standpunkt: Gezählter Frömmigkeit billigte er keinen Heilswert zu. Das illustriert er an zwei Exempeln. Das erste berichtet von einer Jungfrau, die regelmäßig im Winkel einer Kirche ihr 'Vater unser' betet. Ein heiliger Bischof bemerkt das. Er stellt aber zugleich fest, daß dann, wenn die Jungfrau betet, sich auf ihr Haupt eine weiße Taube niederläßt, um ihre Gebetstränen zu trinken. Der Bischof will das Gebetspensum der begnadeten Jungfrau erweitern und gibt ihr einen Rosenkranz, den sie jeden Tag beten soll. Sie tut, was ihr der Bischof empfiehlt. Die Taube, wohl ein Symbol des Heiligen Geistes, bleibt daraufhin aus. Das braucht nicht zu verwundern. Innere Tränen, die von Empfindsamkeit und Zerknirschung herrühren, gibt es jetzt keine mehr abzuholen. Die Jungfrau bekennt, beim Beten des Rosenkranzes keine solche Innigkeit zu verspüren wie beim Beten des 'Vater unser'94. Da nimmt der Bischof ihr den Psalter (Rosenkranz?) wieder ab und befiehlt ihr, das sy beten soelte das pater noster als sy vor het getan. Das zweite Exempel handelt von einem edelgeborenen Ritter, der in einen Orden eintritt, im Kloster aber nur die beiden Worte 'Ave Maria' lernte, die er alle sein lebtag betete und das mit grosser innigkeyt. Nach seinem Tod wächst auf seinem Grab eine Lilie, auf deren Blättern mit goldenen Buchstaben geschrieben steht: "Ave Maria". Als seine Brüder das Grab öffnen, finden sie, daß die Lilie im Mund des toten Analphabeten verwurzelt war95. Ein göttliches Wunder bestätigte den Grundsatz, daß es beim Beten auf Gesinnung, nicht auf Leistung ankomme, auf die Qualität der betenden Person, nicht auf die Quantität abzählbarer Gebete. Bemerkenswert für den Frömmigkeitsbegriff des 'Seelentrostes' ist überdies die Tatsache, daß dessen Verfasser trennt, was zahlreiche christliche Theologen zusammenführen wollten: Bildimg und Frömmigkeit, antikes Geisteserbe und christlichen Offenbarungsglauben. Einen Trennungsstrich zog er im Namen einer Frömmigkeit, welche die Heilige Schrift ins Zentrum christlicher Frömmigkeitspraxis rückte. Die einzige Möglichkeit und denkbare Antwort war das damals nicht, um die Frage nach dem Verhältnis zwischen Frömmigkeit und Bildung zu beantworten. In der Vielfalt von Auslegungen spiegeln sich unterschiedliche geistige und religiöse Strömungen. Ob das Lesen weltlicher Bücher - an christlichen Maßstäben gemessen - als legitim oder illegitim zu gelten hatte, betrachteten Mönche des frühen und hohen 93
Vgl. dazu den Kartäuser Adolf von Essen (um 1370/75-1439) in seiner "Zwanzig-Exempel"Schrift, die man als "Grundkurs für das Rosenkranz-Beten einfacher Leute" bezeichnet hat (K. J. KLINKHAMMER, A d o l f v o n E s s e n , in: M a r i e n l e x i k o n , hg. v o n R. BÄUMER/L. SCHEFFCZYK I [ 1 9 8 8 ]
38). Im 14. Exempel 'Von dem ablaiß, den man verdiene in dem rosenkrantz' heißt es: Wie oder was mochte nu ein mensche beßers oder nutzliches thun die zijt, so es den Rosenkrantze spricht, dar jnne es L Ave-Maria spricht und in itzlichem LX tage abloß verdient. Wie vil jare daz machent, so eyn mensche den Rosenkrantze ein jare umb spricht, daz rechen selber, der rechen kan (K. J. KLINKHAMMER, Adolf von Essen und seine Werke. Der Rosenkranz in der geschichtlichen Situation seiner Entstehung und in seinem bleibenden Anliegen. Eine Quellenforschung [Frankfurter Theol. Studien 13] Frankfurt/M. 1972, 182 f.). 94 Seelentrost (Anm. 7) fol. Lv. 95 Seelentrost (Anm. 7) fol. Lv-LIr. Zur Überlieferungsgeschichte dieses Exempels vgl. K. SCHREINER, Caesarius von Heisterbach (1180-1240) und die Reform zisterziensischen Gemeinschaftslebens, in: Die niederrheinischen Zisterzienser im späten Mittelalter, hg. von R. KOTTJE, Köln 1992, 9 8 f.
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Mittelalters als ein Problem asketischer Lebensführung. Eine einheitliche Problemlösung gab es in diesem Punkt nicht. Die einen wurden wegen des Lesens antiker Autoren gezüchtigt - anderen erschien im Traum Cicero, wie er mit heidnischen und christlichen Autoren über das Wesen der Tugend eine gelehrte Debatte führt96. Theologen des hohen und späten Mittelalters definierten das problematische Verhältnis zwischen Frömmigkeit und Bildung in ein Verhältnis zwischen Glaube und Vernunft um. Die Antworten, die sie gaben, entbehrten nicht der Eindeutigkeit: Die Theologie bedurfte, sollte sie ihrem Auftrag gerecht werden, der Vernunft (ratio) und Beredsamkeit (eloquentia). Andacht und Innigkeit hingegen, die Leitbegriffe eines neuen, von der Mystik geprägten Frömmigkeitsideals stellten eingespielte Konkordanzen wiederum in Frage. Der Verfasser des 'Seelentrostes' beweist das. In Fragen des Heils kommt es seiner Ansicht nach ausschließlich und allein auf die Bibel an. Weltliches Bildungswissen verliert seine propädeutische Funktion für Glaube und Frömmigkeit. Beachtung verdienen die Versuche des Erasmus von Rotterdam, Bildung und Frömmigkeit, die sich im Zeichen verstärkter Verwissenschaftlichung und unter dem Einfluß religiöser Reformströmungen zunehmend voneinander entfernten, wieder zusammenzuführen. Lebensferne scholastische Begriffstheologie wollte er in "fromme Lehre" (pia doctrind) verwandeln; rituelle Religiosität, die sich im gedankenlosen Vollzug bloßer Zeremonien erschöpfte, suchte er durch "wissende Frömmigkeit" (docta pietas) zu überwinden97. Als Vorbild für dieses anspruchsvolle Unterfangen wählte er sich den Kirchenvater Hieronymus. Diesem war seiner Ansicht nach gelungen, was der Kirche an der Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert Not tat: die Verbindung von saeculares litterae und sacrae scripturae. Und folgt man den Überlegungen des Erasmus, so verfügte Hieronymus, der einzige Theologe, der diesen Namen verdient, über Fähigkeiten und Tugenden, die eine Erneuerung von Theologie und Frömmigkeit gewährleisten: Kenntnis der Sprachen (linguarum peritia), Aufrichtigkeit des Glaubens (fidei sinceritas) und sittlich vollkommene Lebensführung (vitae integritasj9i. 96
Es ist richtig: "Die Gleichsetzung von Heidentum und Weltfreude entsprach dem Geiste von Cluny. Dort wiederholten sich die Fieberträume des heiligen Hieronymus, der in seinem berühmten 22. Briefe erzählt, wie ihm in sehr fühlbarer Weise der Ciceronianus zum Bewußtsein gebracht wurde und der Christianus in ihm geweckt worden sei. Ebenso erging es dem Abt von Cluny, der durch ähnliche Visionen von dem verderblichen Studium Vergils und der römischen Dichter abgemahnt wurde, und Otloh von St. Emmeram, den die heidnischen Dichter mit Satans Einflüsterungen umschmeichelten und den als letztes Mittel des Himmels schließlich die vorgegaukelten Höllenqualen auf den richtigen Weg brachten" (R. NEWALD, Nachleben des antiken Geistes im Abendland bis zum Beginn des Humanismus, Tübingen 1960, 207 f.). - Aber auch folgendes gilt es zu beachten: Mönche des Mittelalters fühlten sich durch Traumerlebnisse nicht nur gequält und gepeinigt, sondern auch bestätigt. Letzteres war insbesondere im späteren Mittelalter der Fall. Dem Verfasser der im 13. Jahrhundert in der steiermärkischen Zisterze Rein geschriebenen 'Excerpta de virtutibus ex operibus Salomonis, Ciceronis, Sallustii aliorumque' (Wien, ÖNB, Cod. Vindob. 858, fol. 8-34) erscheint im Traum Cicero, der mit anderen Philosophen (wie Seneca, Sallust, Boethius, Salomon, Sedulius u.a.) eine Diskussion über die Tugend führt. Auf dem ersten Blatt der Handschrift hat ein Zeichner die Situation bildlich dargestellt. Einem schlafenden Mönch erscheint Cicero, der mit drei Philosophen debattiert. Die Zeichnung ist abgebildet in A. SCHNEIDER (Hg.), Die Cistercienser. Geschichte, Geist, Kunst, Köln 2 1977, 490. 97
So in einem Brief an Paul Volz, den Abt des Benediktinerklosters von Hugshofen vom 15.8. 1518, in: Erasmus von Rotterdam, Ausgewählte Schriften, hg. von W. WELZIG, Bd. 1, Darmstadt 1968,2. 98 Hieronymi Stridonis vita (Anm. 74) 173.
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Nicht zu übersehen ist, daß Erasmus beim Nachdenken darüber, was christliche Frömmigkeit eigentlich sei, Anstöße und Grundsätze aufgreift, denen auch der Verfasser des 'Seelentrostes' Rechnung zu tragen suchte. Gleich diesem wendet sich Erasmus gegen eine Frömmigkeitspraxis, die aus zähl- und verrechenbaren Leistungen besteht, jedwede Innerlichkeit aber vermissen läßt. "Paulus", schreibt Erasmus in seinem 'Handbüchlein eines christlichen Streiters' ('Enchiridion militis christiani'), "schätzt zehntausend heruntergeleierte Worte gering neben fünf Worten, die einer mit Verständnis sagt ... Nicht das Geräusch der Lippen, sondern das glühende Gelübde des Herzens gewinnt gleich einer hellen, lauteren Stimme die Ohren Gottes"99. An anderer Stelle schärft Erasmus von neuem ein: "Die Betrachtung eines einzigen Verses [der Bibel] wird Dich mehr erfreuen und Dir mehr geben als der ganze Psalter, den Du Wort für Wort herunterleierst, wenn Du, nachdem die Schale aufgebrochen worden ist, den Kern heraussuchst" 100 . Die Auffassung, daß Frömmigkeit mit der Zahl der erbrachten frommen Leistungen wachse, sei, wie Erasmus kritisch vermerkt, nicht nur beim gewöhnlichen Volk (vulgus), sondern auch unter Mönchen und Klerikern verbreitet. Auch diese würden glauben, "daß die höchste Frömmigkeit einzig darin liege, möglichst viele Psalmen, die sie nicht einmal dem Buchstaben nach verstehen, täglich herzusagen" 101 . Gibt es - in der Begrifflichkeit des Erasmus ausgedrückt - für das Streben nach wahrer Frömmigkeit (ad verae pietatis Studium) auch "Hilfen des Wissens" (scientiae subsidia)102, die aus Büchern der Heiden gelernt werden können? Was der Verfasser des 'Seelentrostes' verwirft, vermag Erasmus gutzuheißen und zu billigen. In den gentilium litterae, so Erasmus, findet sich vieles, was dazu beiträgt, richtig zu leben. Jedes heidnische Buch, mit Maßen und vorsichtig genutzt, kann zum Nutzen sein. Es kommt insbesondere darauf an, aus den Schriften heidnischer Autoren wie eine Biene den heilsamen und edlen Saft zu saugen 103 . Denn diese bilden und beleben nicht nur einen jugendlichen Geist, "sie bereiten auch auf erstaunliche Weise zur Erkenntnis der göttlichen Schriften vor"104. Sich mit weltlichen Schriften zu befassen, ist nach Ansicht des Erasmus gut, "wenn es wegen Christus geschieht. Wenn Du sie aber des Wissens wegen liebst, so bleibst Du dort stehen, von wo aus man weiter gehen sollte. Wenn Du aber nach weltlicher Wissenschaft und weltlicher Literatur verlangst, weil Du mit ihrer Hilfe Christus deutlicher siehst, der in den Geheimnissen der Heiligen Schrift verbor-
99
Enchiridion militis Christiani, in: Erasmus, Ausgewählte Schriften (Anm. 97) 78. - Übereinstimmungen zwischen Erasmus und dem Verfasser des 'Seelentrostes' über das eigentliche Wesen christlicher Frömmigkeit sind offenkundig. Daß diese in der 'Devotio moderna' eine gemeinsame geistige Wurzel haben, kann vermutet, aber nicht bewiesen werden. Vgl. dazu die beherzigenswerte Feststellung, mit welcher R. R. POST, The Modern Devotion. Confrontation with Reformation and Humanism (SMRT 3) Leiden 1968, 676, seine Erwägungen über das Verhältnis des Erasmus zur 'Devotio moderna' abschließt: "One must not take it for granted that everyone who showed any signs of piety at the end of the Middle Ages, or who was assumed to be devout, belonged to the Modern Devotion, or that any pupil from the schools of Deventer or Zwolle who achieved something in later life was a product of the Brothers". 100 Erasmus, Enchiridion (Anm. 99) 90. 101 Erasmus, Enchiridion (Anm. 99) 90. 102 Brief an Paul Volz (Anm. 97) 4; Erasmus, Enchiridion (Anm. 99) 78. 103 Erasmus, Enchiridion (Anm. 99) 84. 104 Erasmus, Enchiridion (Anm. 99) 84.
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gen ist, und wenn Du den Erkannten und Geliebten den anderen mitteilen oder genießen willst, so rüste Dich zu ihrem Studium"105. Erasmus ist sich allerdings bewußt, daß nicht alle christlichen Frommen willens und fähig sind, kraft ihrer Bildung zu einem geistlichen Verständnis der Heiligen Schrift zu gelangen. Deshalb sieht er keinen Grund, jene zu verachten, die im Gottesdienst "in einfältigem und reinem Glauben hersagen", was sie nicht verstehen. Erasmus meint: "Ja, ebenso wie in den Zaubersegen und Gebeten manche Worte stehen, die auch von denen, die sie sprechen, nicht verstanden, aber doch für wirksam gehalten werden, so dürfen wir annehmen, daß die göttlichen Worte, obwohl sie wenig verstanden werden, doch denen nützen, die sie mit ehrlichem Glauben und reinem Herzen sprechen oder hören, und daß die Engel, die dabei sind und das erkennen, dadurch eingeladen werden zu helfen"106. So zu denken gebietet die Pflicht zur Toleranz. Dennoch bleibt es, wie Erasmus den Lesern seines 'Enchiridion' einschärft, Aufgabe eines jeden Christen, im Glauben zu reifen. Christen sollen nicht wie kleine Kinder ein Leben lang Milch trinken, sondern mit vorrückendem Alter auch kräftigere Speisen zu sich nehmen. "Unnatürlich wäre es, ewig ein Kind zu sein"107. Zur kräftigen Speise rechnet Erasmus vor allem die Heilige Schrift. In der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts, als der Verfasser des 'Seelentrostes1 alle Christenmenschen ermahnte, daß sie zu ihrem Trost die buecher der heiligen geschriffi lesen und hören sollen, entstanden im deutschen Sprachraum die ersten Übersetzungen der Bibel in die Volkssprache108. Schriftlektüre, so sie in der richtigen Absicht und Gesinnung gepflegt wurde, vergrößerte den Abstand zu traditionellen Formen christlichen Frommseins - zur Heiligen- und Reliquienverehrung, zur Wallfahrt und zum Bilderkult, zum magisch anmutenden Umgang mit geweihtem Wachs und geweihtem Wasser. Trennend wirkte sie auch, so man den Mahnungen des 'Seelentrostes' folgte, gegenüber der weltlichen Literatur. Frömmigkeit, die sich aus dem Lesen und Hören heiliger Texte speiste, gebot verstärktes Nachdenken über sich selber. Sie war eine Sache des Individuums, dem zugetraut und zugemutet wurde, für sein eigenes Heil ein höheres Maß an Verantwortung zu übernehmen. Was hat das alles mit dem Prügeltraum des Hieronymus zu tun? Die Wieder- und Weitergabe dieser Geschichte verweist auf Problemfelder christlicher Frömmigkeitsgeschichte, die das späte Mittelalter als "Epoche mannigfaltiger Differenzierung und Individualisierung" zu erkennen geben. Fürwahr: eine solche "Zeit der Vielfalt" kann für einen Historiker "zum spannendsten Gegenstand" werden, "den er sich denken kann"109. Wer heutzutage die spätmittelalterliche Wirkungsgeschichte antiker Autoren wiederherzustellen beabsichtigt, hat Prügelstrafen nicht mehr zu befurchten. Mit 105
Erasmus, Enchiridion (Anm. 99) 172. Erasmus, Enchiridion (Anm. 99) 90-92. Zur Wirksamkeit von Gebeten, die ein Beter nicht versteht, vgl. K. SCHREINER, Laienbildung als Herausforderung fur Kirche und Gesellschaft. Religiöse Vorbehalte und soziale Widerstände gegen die Verbreitung von Wissen im späten Mittelalter und in der Reformation, in: ZHF 11 (1984) 309 f. 107 Erasmus, Enchiridion (Anm. 99) 90. 108 SCHREINER, Laienbildung (Anm. 106) 295 ff. 109 E. MEUTHEN, Das 15. Jahrhundert (Oldenbourg Grundriß der Geschichte 9) München u.a. 2 1984, 110. 106
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Wörtern und Sätzen von Johann Gottfried Herder ist dem Jubiliar, einem Liebhaber des Humanismus, zu wünschen: "Behalten Sie also immer Ihre Heiden lieb, wie Sie sie lieb gehabt haben, und lernen Sie aus ihnen, was zu lernen ist; weder Schrift, noch Gnade, noch Offenbarung verbeuts Ihnen. Kein Heiliger wird Ihnen, wie dem Hieronymus im Schlaf erscheinen und Sie dafür, daß Sie den Cicero gelesen, geissein; oder es wäre kein rechter Heiliger. Die Kirchenväter haben vieles aus den Heiden genommen, und mancher hat gewünscht, daß sie noch mehr aus ihnen genommen, und einige, jetzt verlohren gegangne Stücke mehr damit aufbewahrt hätten; wir wollen uns dafür an denen noch geretteten erholen""».
110 So Johann Gottfried Herder in seinen 1781 zum ersten Mal gedruckten "Briefen, das Studium der Theologie betreffend", in: Herders Sämmtliche Werke, hg. von B. SUPHAN, Bd. 10, Berlin 1879, 298 f. - Während der Drucklegung meines Beitrages stieß ich auf die material- und perspektivenreiche Studie von B. HAMM über "Hieronymus-Begeisterung und Augustinismus vor der Reformation. Beobachtungen zur Beziehung zwischen Humanismus und Frömmigkeitstheologie (am Beispiel Nürnbergs)", in: Augustine, the Harvest, and Theology (1300-1650). Essays dedicated to Heiko Augustinus Oberman in Honor of his Sixtieth Birthday, ed. K. HAGEN, Leiden u.a. 1990, 127235. Hamm kommt auf die von mir hier behandelten Probleme auf den Seiten 166-170 zu sprechen.
Die Wochenpläne in einer unbekannten Handschrift von 'De spiritualibus ascensionibus' des Gerhard Zerbolt von Zutphen VON RUDOLF TH. M . VAN DIJK O.CARM.
1. Eine bisher unbekannte Handschrift Vor kurzem wurde mir eine in Privatbesitz befindliche Handschrift bekannt, die den vollständigen Text eines Hauptwerkes von Gerhard Zerbolt von Zutphen, 'De spiritualibus ascensionibus', in ostmittelniederländischer Sprache enthält1. Diese bisher unbekannte Handschrift aus dem 15. Jahrhundert möchte ich, dem Jubilar Erich Meuthen zu Ehren, näher bekannt machen und zwar unter dem Gesichtspunkt der für die tägliche Betrachtung in diesem Jahrhundert üblichen materia diei. Die Handschrift ist aus Pergament, umfaßt 108 Blätter, 195 x 135 mm, mit Lagenformel 13 IV (103) + IV (107), einspaltig, 28 Zeilen; sie wurde von einer Hand in gothica textualis libraria wahrscheinlich um die Mitte des 15. Jahrhunderts geschrieben. Die Außenmaße des Originalbandes betragen 200 x 145 x 35 mm (25 mm ohne Holzdeckel). Eine andere Hand aus dem selben Jahrhundert hat auf der Innenseite des Vorderdeckels einen Besitzvermerk eingetragen: Dyt boeck hoert den zusteren van [der] derden oerden tot Alme lo. Es handelt sich zweifellos um eine Handschrift des Terziarinnenklosters Sankt Katharina zu Almelo, das 1407 vom devoten Pfarrer Johannes Hilbinck mit Hilfe örtlicher Beginen gegründet worden war, sofort die Drittordensregel angenommen hatte, in das Utrechter Kapitel der Terziare und Terziarinnen einverleibt worden war und aufgrund der Beschlüsse des Westfälischen Friedens im Jahre 1665 aufgehoben worden ist2. Die 28 damals vertriebenen Schwestern haben aber ihr Ordensleben direkt hinter der niederländisch-deutschen Grenze in Glane weitergeführt, wo ihr Kloster Marienflucht sich später der Sächsischen Provinz des Franziskanerordens angeschlossen hat und 1811 durch das Säkularisationsgesetz endgültig von der Klosterkarte verschwunden ist3. Obwohl die Klosterbibliothek 1 Fol. lr inc.: Hier beghint die tafele der capittelen in een deuoet boecsken uan gheesteliken opclimmingen. - Fol. 5r inc:. Dat ierste capittei is uan vijf punten die den ghenen die daer inne uoertgaen wil noetdruftich sin.// Salich is die man wies hulpe van di here is. hi heuet opclimminge in sijnre herten ghesacket in dat dal der tränen in die stede die hi ghesettet heuet. - Fol. 107v expl.: Hier(\) een deuoet boec van gheestliken opclimmingen. Der Text ist auf Mikrofiches im Titus-BrandsmaInstitut der Katholischen Universität Nimwegen zugänglich. 2 D. VAN HEEL, De Tertiarissen van het Utrechtsche Kapittel, Utrecht 1939, 107-109 (nr. 11); M. SCHOENGEN, Monasticon Batavum. I: De franciscaansche orden (Verhandelingen der Nederlandsche Akademie van Wetenschappen, afdeeling Letterkunde, n.r. 45) Amsterdam 1941, 18 f.; D. DE KOK, Supplement, Amsterdam 1942, 13 f. 3 A. ROELOFS, St. Catharina-klooster Almelo en Klooster Maria Vlucht Op de Glaan. (Bijdrage van de Stichting Historische Kring Losser I) Losser 1983; W. KOHL, Glane - Terziarinnen, gen. Marienflucht, in: K. HENGST (Hg.), Westfälisches Klosterbuch. Lexikon der vor 1815 errichteten Stifte und Klöster von ihrer Gründung bis zur Aufhebung, Teil 1: Ahlen-Mülheim (Veröffentl. der Histor. Kommission für Westfalen 44 = Quellen und Forschungen zur Kirchen- und Religionsgeschichte 2) Münster 1992, 354 f. (mit Literaturangaben).
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bei der Aufhebung 280 Bände umfaßte und dabei angeblich keine Handschrift aufwies, darf trotzdem vermutet werden, daß der Codex noch bei der Aufhebung als Kuriosum im Besitz der Schwestern war und der Versteigerung entkommen ist. Wie er in Privatbesitz geraten ist, bleibt unklar. Vom Almeloer Katharinenkloster sind mir jedenfalls keine weiteren Handschriften bekannt. Die frühe Devotio moderna hat einige grundlegende Werke hervorgebracht, die im ganzen 15. Jahrhundert als Leitfaden der Spritualität im allgemeinen und der devoten Betrachtung im besonderen gewirkt haben. Unter diesen Schriften hat der Traktat 'De spiritualibus ascensionibus' von Gerhard Zerbolt von Zutphen (1367-1398) wohl die hervorragendste Stelle eingenommen4. In 70 Kapiteln beantwortet der Autor die Frage, wie der Mensch aus seinem Zustand der Sündigkeit heraus in den Zustand der Gnade hinaufzusteigen vermag. Zum größten Teil enthält das Buch Betrachtungen, die im ganzen 15. Jahrhundert von devoten Personen für die tägliche Meditation der Mysterien Christi benutzt wurden. Gerhard Zerbolt gehörte der ersten Generation der Brüder vom gemeinsamen Leben in Deventer an und gilt als einer der kirchenrechtlich und theologisch fähigsten Schüler von Florens Radewijns (um 1350-1400), dem Freund Geert Grotes (1340-1384), des Urhebers der Devotio moderna in den Niederlanden5. Als Bibliothekar des Brüderhauses hatte Gerhard die Aufsicht über die Schreibstube und die Betätigung der Kopisten. Besonders für die Verteidigung des semireligiösen status medius als der eigenen Lebensart der Brüder hat er sich mit seiner Schrift 'Super modo vivendi devotorum simul commorantium' verdient gemacht6. In seiner Schrift 'De libris teutonicalibus et de precibus vernaculis' hat er sich für das eigene Recht der Volkssprache im religiösen Bereich eingesetzt7. Als Hauptwerke haben sich aber 'De reformatione virium animae' und vor allem 'De spiritualibus ascensionibus' erwiesen8. Sie werden von verschiedenen Quellen in einem Satz erwähnt9. In den 59 Kapiteln der Abhandlung 'De reformatione viri4
TH. M. M. VAN R.00IJ, Gerard Zerbolt van Zutphen. I. Leven en geschritten, Nimwegen u.a. 1936. G. EPINEY-BURGARD, Gérard Grote (1350-1384) et les débuts de la Dévotion moderne (VIEG 54) Wiesbaden 1970; Moderne Devotie. Figuren en facetten. Tentoonstelling ter herdenking van het sterfjaar van Geert Grote 1384-1984 (Catalogus) Nimwegen 1984; Geert Grote & Moderne Devotie. Voordrachten gehouden tijdens het Geert Grote congres, Nijmegen 21-29 September 1984, uitgeg. door J. ANDRJESSEN e.a., in: Ons Geestelijk Erf 49 (1985) 111-505; De doorwerking van de Moderne Devotie. Windesheim 1387-1987. Voordrachten gehouden tijdens het Windesheim Symposium Zwolle/Windesheim 15-17 oktober 1987, uitgeg. doorP. BANGE u.a., Hilversum 1988. 6 A. HYMA (ed.), Het traktaat 'Super modo vivendi devotorum hominum simul commorantium' door Gérard Zerbolt van Zutphen, in: Archief voor de Geschiedenis van het Aartsbisdom Utrecht 52 (1926) 1-100. 7 A. HYMA (ed.), The 'De libris teutonicalibus' by Gerard Zerbolt of Zutphen, in: Nederlandsch Archief voor Kerkgeschiedenis, n.s. 17 (1924) 42-70; J. DESCHAMPS, Middelnederlandse vertalingen van 'Super modo vivendi' (7de hoofdstuk) 'De libris teutonicalibus' van Gérard Zerbolt van Zutphen, in: Handelingen Koninklijke Zuidnederlandse Maatschappij voor Taal- en Letterkunde en Geschiedenis 14 (1960) 67-108; 15 (1961) 176-220. 8 VAN ROOIJ (Anm. 4) 322-336 und 285-322. 9 Thomas a Kempis, ed. POHL (Anm. 19) VII, 275; Rudolf Dier von Müden, ed. DUMBAR (Anm. 26) I, 50; zur Handschrift Leeuwarden, Provinciale Bibliotheek van Friesland, B.H. 686: D. A. BRINKERINK, Biographieën van beroemde mannen uit den Deventerkring, in: Archief voor de Geschiedenis van het Aartsbisdom Utrecht 28 (1902) 337; Johannes Busch: K. GRUBE (Hg.), Des Augustinerpropstes Iohannes Busch Chronicon Windeshemense [künftig: Chron. Wind.] und Liber de reformatione monasteriorum (Geschichtsquellen der Provinz Sachsen und angrenzender Gebiete 19) Halle 1886, 49. 5
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um animae' beantwortet der Autor die Frage, wie der Mensch durch die Umformung von intellectus, memoria und voluntas zu Reinheit des Herzens und Liebe, dem eigentlichen Lebensziel des devoten Menschen, geraten kann10. 'De spiritualibus ascensionibus' ist als Fortsetzung des Traktates 'De reformatione virium animae' zu betrachten11. Beide beschreiben also die spirituelle Umformung des Menschen aus der Sünde in die Gnade. Sie wurden bereits früh aus dem Lateinischen in volkssprachliche Fassungen übersetzt. Th. M. M. van Rooij zählte 1936 für beide Traktate schon 120 vollständige und unvollständige Handschriften, darunter 83 lateinische von 'De spiritualibus ascensionibus' und zwölf vollständige Texte desselben Traktates in mittelniederländischer Sprache12. Seitdem sind laut G. H. Gerrits wenigstens 25 weitere Handschriften von 'De spiritualibus ascensionibus' gefunden worden, acht von ihnen auf mittelniederländisch13. Die Almeloer Handschrift ist also als die 21. vollständige mittelniederländische Handschrift von Gerhard Zerbolts 'De spiritualibus ascensionibus' zu betrachten. 2. Zwei Wochenpläne für die tägliche Betrachtung Unter materia diei sind Betrachtungen zu verstehen, die sowohl über die Stunden des Tages als auch über die Tage der Woche verteilt werden können. Sie ermöglicht also die Entwicklung von Tages- und Wochenplänen. Die Handschrift aus dem Almeloer Katharinakloster weist mittels Randbemerkungen zwei Wochenpläne auf, die auf den ersten Blick nicht unmittelbar in Einklang zu bringen sind. Man kann sie der Reihenfolge der Kapitel nach thematisch wie folgt näher bestimmen14: fol. 13r fol. 26v fol. 29r fol. 30v fol. 34v fol. 35v fol. 52r fol. 57v fol. 59r fol. 59v
[Kap. 6] [Kap. 19] [Kap. 20] [Kap. 21] [Kap. 24] [Kap. 25] [Kap. 32] [Kap. 33]
Des saterdaghes: memoria peccatorum Des wonsdaghes: de morte Des manendaghes: de extremo indicio Des donredaghes: memoria penarum infernalium Des sonnendaghes: de regno celorum Des dinxdaghes: memoria beneficiorum Dei Des vridaghes: de dominica passione Des manendaghes onder missen: partícula prima (in monte Oliveto, ad domum Anne) [Kap. 34] Des dinxdaghes: partícula secunda (in domum Caiphae, ad Herodem) [Kap. 35] Des wondesdaghes: partícula tertia (coram Pilatopre-
10 Gerardus de Zutphania, De reformatione virium animae, in: Bibliothecae Patrum et veterum Auctorum ecclesiasticorum Tomus Quintus, ed M. DE LA BLGNE, Paris 41624, 833 ff. 11 Ut etiam circa has ascensiones modum habeas te exercitandi, etiam hie sicut et in precedent i bus generalem modum meditandi de vita et passione Christi Jesu curavimus annotare; Gerardi a Zutphania de spiritualibus ascensionibus, ed. H. MAHIEU, Brügge 1941, 142. 12 VAN ROOIJ (Anm. 4)281-322. 13 G. H. GERRITS, Inter timorem et spem. A Study of the Theological Thought of Gerard Zerbolt of Zutphen (1367-1398) (SMRT 37) Leiden 1986,4-37 (mit Literaturangaben). 14 Am Rand einer Seite (fol. 13r) ist neben der Kapitelaufschrift ([Kap. 6]) ein Wochentag (Des saterdaghes) vermerkt. Die entsprechende Thematik habe ich bei diesen mittelniederländischen Randschriften mit Kennwörtern aus dem lateinischen Text kurz angedeutet.
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fol. 60v fol. 61v fol. 62r
R U D O L F TH. M. V A N DIJK
[Kap. 36] Des donredaghes: partícula quarta (in montem Calvarle) [Kap. 37] Des vriedaghes: partícula quinta (latus eins aperuit) [Kap. 38] Des saterdaghes: qualiter devotus in suis ascensionibus passionem Christi debet dirigere
Ab fol. 57v erscheint also ein Wochenplan, der von Montag bis Samstag die in den Kapiteln 33-38 dargestellte evangelische Reihenfolge des Leidens Christi nachvollzieht, ohne jedoch den Sonntag zu berücksichtigen. Wenn wir diese Kapitel von den übrigen abtrennen, erscheint ein zweiter Wochenplan, der in der Reihenfolge weder der sieben Tage noch der Kapitel auf den ersten Blick einen logischen Zusammenhang aufweist. Dürfen wir ihn zuerst als einen zweiten Wochenplan betrachten, so läßt er sich nach den sieben Wochentagen wie folgt rekonstruieren15. fol. 34v fol. 29r fol. 35v fol. 26v fol. 30v fol. 52r fol. 13r
[Kap. 24] [Kap. 20] [Kap. 25] [Kap. 19] [Kap. 21] [Kap. 32] [Kap. 6]
Des Des Des Des Des Des Des
sonnendaghes: de regno celorum manendaghes: de extremo iudicio dinxdaghes: memoria beneficiorum Dei wonsdaghes: de morte donredaghes: memoria penarum infernalium vridaghes: de dominica passione saterdaghes: memoria peccatorum
Wie sind beide Wochenpläne zu verstehen und miteinander zu vereinbaren? Es wäre für unsere Einsicht in die mehr formellen Aspekte der Spiritualität des 15. Jahrhunderts wichtig, der Bedeutung dieser Wochenpläne im Rahmen der materia diei nachzugehen. 3. Die Methodik der täglichen Betrachtung in Brüderkreisen Das Ideal der Innigkeit und der inneren Reform wurde in der Devotio moderna von Anfang an besonders durch Betrachtung der Mysterien Jesu Christi angestrebt. Sowohl die Brüder und Schwestern vom gemeinsamen Leben als auch die Regularkanoniker und Regularkanonissen des Windesheimer Kapitels sammelten beim fleißigen Studium und Abschreiben der heiligen Schrift und der Werke der Kirchenväter Zitate, die sie in ihre persönlichen 'Rapiarien' (rapiaria) eintrugen. Außerdem verfugten sie für ihre tägliche Betrachtung aus eigenem Kreise über grundlegende Werke, die der spirituellen Umformung des devoten Menschen und der heilsgemäßen Einordnung seiner Zeit zu dienen versuchten. 1. Dazu gehörte zuerst das ursprüngliche Traktat 'De quatuor generibus meditabilium', in dem Geert Grote die Betrachtung der mysteria Christi behandelt, übrigens ohne die Weise des Meditierens zu berücksichtigen16. In seinem Brief an Johannes ten Water schreibt er über das Thema der letzten Dinge17. Obwohl 15 Weil der Montag/ena secunda ist, soll man - im Gegensatz zur heutigen bedauerlichen Gewohnheit - vom Sonntag als erstem Tag der Woche ausgehen. Vgl. Joh 20,1. 16 I. TOLOMIO (ed.), Gerardo Groote, II trattato 'De quattuor generibus meditabilium', Padua 1975. 17 W. MULDER (ed.), Gerardi Magni Epistolae (Tekstuitgaven van Ons Geestelijk Erf 3) Antwerpen 1933, 124-131; vgl. M. GOOSSENS, De meditatie in de eerste tijd van de Moderne Devotie, HaarlemAntwerpen 1954, 55 f.
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Grote mit diesen Schriften die wesentlichste Betrachtungsthematik der Devotio moderna vorgegeben hat, ist jedoch bei ihm von einem Zeitplan für den Tag oder die Woche keine Rede. 2. Zweitens ist das Schrifttum des Florens Radewijns zu berücksichtigen18. Von den ihm zugeschriebenen Traktaten ist der 'Modus vivendi Deo tarn in interioribus quam exterioribus' als ein erster Leitfaden des inneren Weges zu betrachten19. Er war für den Windesheimer Chorherrn Heinrich Balveren geschrieben und ist durch Johannes Busch und Thomas von Kempen überliefert worden. In einem Zusatz, der bei Busch fehlt, fugt Thomas eine wichtige Mitteilung hinzu: Ante prandium cogitabis de passione Domini, postprandium de morte, de iudicio, de penis inferni, post cenam de viciis et peccatis10. Hieraus läßt sich schließen, daß die üblichen Betrachtungsthemen einem dreiteiligen Tagesplan unterworfen sind, in dem die beiden Mahlzeiten als zeitmäßige Drehpunkte wirken: Vor dem Mittagessen betrachtet man das Leiden Christi, nach dem Mittagessen die letzten Dinge und nach dem Abendmahl das eigene Gewissen. Außerdem ist der angedeutete Meditationsstoff nach dem Mittagessen nicht sinnvoll als Ganzes zu betrachten, sondern eher als ein Angebot von Themen, die sich leicht über verschiedene Tage verteilen lassen. Also liegt ein unausgesprochener thematischer Wochenplan der empfohlenen Tagesordnung zugrunde. Dieser meditative Tagesplan muß sich schon zu Radewijns' Lebzeiten eingebürgert haben. Von einem Wochenplan ist im Traktat 'Florentii parvum et simplex exercitium' die Rede21. Es handelt sich um Themen des vorigen Tages, die beim Aufstehen am nächsten Tag erneut ins Gedächtnis gerufen werden sollen. Hieraus läßt sich der folgende Wochenplan ableiten: dominica: feria secunda: feria tertia: feria quarta: feria quinta: feria sexta: sabbato:
de regno celorum de morte de beneßciis Dei de iudicio de inferno de passione Domini et vita eius de peccatis
In den 'Consuetudines' der Brüder vom gemeinsamen Leben, die schon zu Radewijns' Lebzeiten festgelegt wurden, ist ebenfalls ein ähnlicher thematischer Wochenplan für die Betrachtung der materia diei vorgesehen22. Es geht um The18 EPINEY-BURGARD (Anm. 5) 158-173; M. VAN WOERKUM, Florens Radewijns, in: DSp 5 (1964) 427-434. 19 M. I. POHL (ed.), Thomae Hemerken a Kempis Opera omnia, t. VII, Freiburg i.Bg. 1922, 195198; Chron. Wind. (Anm. 9) 255, 110 f. 20 POHL (ed.), t. VII (Anm. 19) 198. 21 Deinde ulterius te vestiendo ad memoriam reduces materiam diei, scilicet Dominica die de regno coelorum; feria secunda de morte; feria tertia de beneflciis dei; feria quarta de iudicio extremo; feria quinta de inferno; feria sexta de passione domini et de vita ejus; sabbato de peccatis tuis (D. J. M. WOSTENHOFF [ed.], 'Florentii parvum et simplex exercitium', naar een Berlijns handschrift medegedeeld, in: Archief voor Nederlandsche Kerkgeschiedenis 5 (1895) 89-105; Zitat: 100, 103,
9 6 ) . V g l . EPINEY-BURGARD ( A n m . 5) 165-173. 22
Expedit materias ad spem et amorem Dei provocantes, videlicet de regno celorum, de beneficiis divinis, de vita Ihesu Cristi et passione eius. Quas materias sic solemus dividere et alternare, ut meditemur sabbatis de peccatis, dominica die de regno celorum, feriis secundis de morte, feriis
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men, welche die Hoffnung auf und Liebe zu Gott hervorrufen und ernähren müssen. Hieraus läßt sich der folgende Wochenplan erschließen, in dem aber nicht der Sonntag, sondern der Samstag an erster Stelle kommt: sabbato: dominica: feria secunda: feria tertia: feria quarta: feria quinta: feria sexta:
de peccatis de regno celorum de morte de beneficiis Dei de iudicio de penis inferni de passione Domini
Den Wochenplänen im 'Parvum et simplex exercitium' und in den 'Consuetudines' entspricht fast das ganze Fragment von 'De spiritualibus ascensionibus' in einer Handschrift des 'Instituut voor Franciscaanse Geschiedenis' zu Sint-Truiden (B), das aus einem Terziarenkloster stammt und in erweiterter Form sechs Kapitel aus 'De spiritualibus ascensionibus' und ein Kapitel aus 'De reformatione virium animae' enthält23. Es handelt sich um eine Betrachtungsweise über das Reich Gottes, welche die Zerknirschung des Herzens beabsichtigt, einen Wochenplan enthält und eine zweiteilige Tagesordnung voraussetzt24: dominica: feria secunda: feria tertia: feria quarta: feria quinta: feria sexta: sabbato:
de regno celorum [Kap. 24] - ad vesperas de morte [Kap. 19] - circa noctem de beneficiis Dei [Kap. 25] - de mane, de vesperis de extremo judicio [Kap. 20] - de mane, de vesperis de penis infernalibus [Kap. 21] - de mane, de nocte sive de vespere de passione [Kap. 33-37] de peccatis ['De reformatione virium animae', Kap. 20] de vesperis
Obwohl auch 'De spiritualibus ascensionibus' ein Kapitel der memoria peccatorum widmet (Kap. 6), ist die Betrachtung für den Samstag (de peccatis) in dieser Handschrift aus 'De reformatione virium animae' (Kap. 20) entnommen. Dieser Wochenplan läßt vermuten, daß der übliche Betrachtungsstoff auch getrennt vom vollständigen Traktat 'De spiritualibus ascensionibus' in erweiterter Form bestanden hat. Zugleich ergibt sich, daß die Themen pauschal über zwei Betrachtungen terciis de beneficiis Dei, feriis quartis de iudicio, feriis quintis de penis inferni, feriis sextis de passione Domini: A. HYMA, The Christian Renaissance. A History of the Devotio Moderna, Hamden/ Conn., 2 1965, 443; Jacobus Traiecti alias De Voecht, Narratio de inchoatione domus clericorum in Zwollis, ed. M. SCHOENGEN (Werken Historisch Genootschap, derde serie, nr. 13) Amsterdam 1908, 241 f. Siehe fur die Verwandtschaft C. VAN DER WANSEM, Het ontstaan en de geschiedenis der Broederschap van het Gemene Leven tot 1440 (Univ. te Leuven Pubi, op het gebied der geschiedenis en der philologie 4,12) Löwen 1958, 25-47. 23 Hs. Sint-Truiden, Instituut voor Franciscaanse Geschiedenis, APB St Truiden Ma 20 (olim Reekhem, Franziskanerkloster). Sie wurde laut eingetragener Bemerkung am 30.5.1909 in Antwerpen von P. Bonaventura Kruitwagen OFM identifiziert. Ich danke P. Alex Coenen OFM, Archivar des Instituts, recht herzlich für einige Auskünfte über diese Handschrift. Der Text wurde herausgegeben von V. BECKER, Eenige Meditaties uit den Windesheimer Kring, in: De Katholiek 85 (1884) 29-47, 101-116 (Text 40-47 und 101-116). Vgl. VAN RooiJ (Anm. 4) 308 f. und 380. 24 Generalis modus formandi meditationes de regno celorum ad habendem compunctionem et desiderium ad ipsum obtinendum; ed. BECKER (Anm. 23) 40.
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am Tag (de mane, de vespere oder de nocte) verteilt wurden, wie allgemein in devoten Kreisen empfohlen wurde25. Dies könnte wohl auch auf die fünf particula zum Leiden Christi am Freitag zutreffen, obwohl die Handschrift hier keine Unterverteilung aufweist. Eher läßt sie vermuten, daß alle Kapitel (33-37) über den Freitag verteilt wurden, angeblich de mane und de vespere. 3. Wenn er in seiner Chronik des Heer-Florenshuis die Schriften von Florens Radewijns erwähnt, weist Rudolf Dier von Müden zugleich auf die mündliche Tradition hin, Gerhard Zerbolt habe für seine beiden aszetischen Traktate 'De spiritualibus ascensionibus' und 'De reformatione trium virium animae' den 'Libellus Omnes inquit artes' von Radewijns benutzt26. Ebenfalls trifft das bei einem weiterem Traktat Radewijns' zu, dem 'Tractatulus devotus'27. Nach der Vorstellung Goossens' hängen die Traktate 'De spiritualibus ascensionibus' und 'De reformatione virium animae' von Gerhard Zerbolt mit dem 'Libellus Omnes inquit artes' und eben dem 'Tractatulus devotus' von Florens Radewijns engstens zusammen: "Wanneer men deze vier geschritten met elkander vergelijkt, komt men tot de bevinding, dat zij uit elkander zijn gegroeid. Men kan spreken van een boek, dat vier maal achter elkaar in sterk omgewerkte vorm verscheen"28. Die beiden Schriften Radewijns' weisen keinen Tagesplan für die devote Betrachtung auf. Der 'Tractatulus devotus' aber fugt am Schluß einen Wochenplan für die tägliche Betrachtung der generales materie de passione christi secundum evangelia hinzu29. Er läßt sich wie folgt beschreiben und von der damaligen Idee der Evangelienharmonie aus verstehen30: feria secunda de mane: in monte Oliveto - fuga omnium discipulorum (Mt 26,30-56 + Mk 14,29-50 + Lk 22,39-53 + Joh 18,1-11) feria tertia: ad Annam - ad Herodem (Mt 26,57-27,14 + Mk 14,53-15,5 + Lk 23,6-12 + Joh 18,12-40) feria quarta: dimittitur Barrabas latro - in monte Calvarie (Mt 27,15-31 + M k 15,6-28 + Lk 23,13-33 + Joh 19,1-18) feria quinta: pendens in cruce - tradidit spiritum (Mt 27,33-50 + Mk 15,29-37 + Lk 23,34-46 + Joh 19,19-30) feria sexta: franguntur latronum crura - turba cum planctu redit (Mt 27,51-56 + Mk 15,38-39 + Lk 23,47-48 + Joh 19,31-37) sabbato: sepelitur - Magdalena preparat aromata (Mt 27,57-66 + Mk 15,40-47 + Lk 23,49-56 + Joh 19,38-42) In diesem Plan erkennt man die fünf particula zum Leiden Christi aus 'De spiritualibus ascensionibus' (Kap. 33-37) von Montag bis Freitag sofort wieder. 25
26
GOOSSENS (ANM. 17) 164.
Rudolf Dier von Müden, Scriptum de magistro Gherardo Grote, Domino Florencio et multis aliis devotis Fratribus, in: Analecta seu Vetera aliquot scripta inedita, 1.1, ed. G. DUMBAR, Deventer 1719, 1-133, bes. 50 f.; M. VAN WOERKUM, Het Libellus 'Omnes, Inquit, Artes'. Een Rapiarium van Florentius Radewijns. Inleiding, Tekst, Noten en Indices, Löwen 1950. Diese Arbeit blieb leider ungedruckt; VAN WOERKUM veröffentlichte nur die Einführung unter dem Titel Het Libellus 'Omnes, Inquit, Artes'. Een Rapiarium van Florentius Radewijns, in: Ons Geestelijk Erf 25 (1951) 113-158, 2 2 5 - 2 6 8 . 27 28 29 30
GOOSSENS GOOSSENS GOOSSENS GOOSSENS
(Anm. (Anm. (Anm. (Anm.
17) 2 1 3 - 2 5 4 (Textausgabe). 17) 64. 17)251. 17)251-254.
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4. Die Windesheimer Praxis der täglichen Betrachtung Johannes Busch hat aus der ersten Generation der Devotio Moderna einen Brief übersetzt, die 'Epistola de vita et passione domini nostri Jhesu Christi', die im Windesheimer Kreis weite Verbreitung gefunden hat31. Als Verfasser gilt Johannes Vos van Heusden (1363-1424), obwohl seine Autorschaft umstritten ist32. Er war als Schüler nach Deventer gekommen und mit Geert Grote in Kontakt getreten. Dieser hatte ihn mit Schreibarbeiten beauftragt. Nach dessen Tod blieb er im Heer-Florenshuis, wo er die erste Brüdergemeinde kennenlernte. Zu dieser gehörten Brüder der ersten Stunde, wie Johannes van den Gronde (f 1392), Johannes Brinckerinck (1359-1419), Gerhard Zerbolt von Zutphen (1367-1398), Lubertus ten Busch (f 1398) und Johannes Kessel (t 1398). Mit Heinrich Balveren, für den Radewijns seinen 'Modus vivendi Deo tarn in interioribus quam exterioribus' geschrieben hatte, war Johannes Vos der erste, der nach der Gründung des Klosters zu Windesheim in die Brüdergemeinschaft eingetreten ist33. Im Kloster entsprach er völlig den Erwartungen Grotes und Radewijns'. Er wurde dessen zweiter Prior (1391-1424) und führte es in zwei Bauabschnitten (1399 und 1405) fast zu seiner Vollendung34. Er war der Architekt des Windesheimer Kapitels und wurde dessen erster 'prior superior' (1395-1424). Als er starb, umfaßte das Kapitel von Windesheim schon 31 Klöster35. Johannes Vos darf also als der wichtigste Prior angesehen werden, den Windesheim je gekannt hat. Mit Dirc von Herxen, Rektor des Sint-Gregoriushuis in Zwolle (14101457), galt er als pater omnium devotorum36. Sein Leben wurde von Thomas von Kempen, Johannes Busch und Petrus Impens beschrieben37. Als Gerhard Zerbolt 1398 auf der Rückfahrt von Dikninge nach Deventer war, ist er in Windesheim erkrankt, gestorben und wurde dort auch begraben. Johannes Vos war damals Prior. In seiner berühmten Ansprache im Baumgarten für den Konvent von Windesheim und die Rektoren dreier Brüderhäuser erwähnt er 31
M. HEDLUND (ed.), 'Epistola de vita et passione Domini nostri'. Der lateinische Text mit Einleitung und Kommentar (Kerkhistorische bijdragen 5) Leiden 1975, 89-110. 32 J. G. R. ACQUOY, Is de Windesheimsche prior Johannes Vos van Heusden de schrijver van de 'Epistola de vita et passione Domini nostri Jesu Christi'?, in: Handelingen en Mededeelingen van de Maatschappij der Nederlandsche Letterkunde te Leiden 1891-1892, Leiden 1892, 95-97, hat die Autorschaft bestritten. GRUBE, in: Chron. Wind. (Anm. 9) 226, und S. VAN DER WOUDE, Johannes Busch, Windesheimer kloosterreformator en kroniekschrijver, Edam 1947, 150, haben die Autorschaft angenommen. C. C. DE BRUIN, De Dietse oertekst van de anonieme 'Epistola de vita et passione domini nostri Jhesu Christi et aliis devotis exercitiis', in: Nederlandsch Archief voor Kerkgeschiedenis n.s. 34 (1944-45) 8-23, hat angeblich die mittelniederländische Urfassung wiedergefunden und veröffentlicht. L. HEDBERG, 'Epistola de vita et passione domini nostri und Regula Augustini' in mittelniederdeutschen Fassungen. Diözesanarchiv Trier, Ms. 45 (Lunder Germanistische Forschungen 29) Lund-Kopenhagen 1954, 45-72, gibt eine historische Übersicht über die Forschung, die Verfasserfrage und die Quellenerschließung und vermittelt eine Liste von neun volkssprachlichen Handschriften mit dem Text. HEDLUND, 'Epistola' (Anm. 31) 6 f., umgeht die Verfasserfrage. 33 J. G. R. ACQUOY, Het klooster te Windesheim en zijn invloed, t. III, Utrecht 1880, 267. 34 R. T. M. VAN DUK, De ligging van het klooster te Windesheim, in: F. C. BERKENVELDER e.a., Windesheim. Studies over een Sallands dorp bij de IJssel, Kampen 1987, 103-108. 35 R. T. M. VAN DIJK, Windesheim als centrum van Noordwest-Europa, in: BERKENVELDER (Anm. 34) 44. 36
VAN DER WANSEM ( A n m . 2 2 ) 4 2 .
37
POHL (ed.), t. VII (Anm. 19) 384; Chron. Wind. (Anm. 9) 27-60.
DIE WOCHENPLÄNE IN EINER UNBEKANNTEN HANDSCHRIFT
453
Gerhard Zerbolt, der in Windesheim zu Ruhe gelegt wurde und zwei devote Traktate hinterlassen habe, nämlich Beatus vir (= 'De spiritualibus ascensionibus') und Homo quidam (= 'De reformatione virium animae')38. Auch im persönlichen Bereich war Prior Johannes seinen Mitbrüdern Vorbild im beschaulichen Gebet39. Von Gerhard Delft von Naaldwijk (f 1434), Prokurator unter Johannes Vos und nur ein einziges Jahr sein Nachfolger im Priorat (1424-1425), schreibt Busch, daß er sich sein ganzes Leben in allen geistlichen Exerzitien des berühmten Priors geübt habe40. Ausfuhrlich behandelt Busch auch die 'devota exercitia' des Johannes Scutken (f 1423). Hier werden die allgemeinen Themen seiner Betrachtungen verbunden mit dem Traktat Gerhards Zerbolt 'De spiritualibus ascensionibus'41. Obwohl die Verfasserfrage nicht endgültig gelöst werden kann, steht wohl fest, daß die 'Epistola' ausdrücklich mit Blick auf 'De spiritualibus ascensionibus' zu betrachten ist. Ihr Ansehen wurde aufgrund der großen Autorität des Windesheimer Priors Johannes Vos seit dem Beginn des 15. Jahrhunderts erheblich erhöht. Die 'Epistola' zerfallt in drei Teile: einen Prolog, einen Wochenplan mit drei Betrachtungspunkten für jeden Tag der Woche (von Montag bis Sonntag) und eine Partie mit Ermahnungen und Hinweisen, wie man ein gutes Mitglied der Ordensgemeinschaft wird. Die drei Betrachtungspunkte beziehen sich auf das Leben Jesu, seine Leidensgeschichte und das Leben der Heiligen. Die 'Epistola' stützt sich quellenmässig auf Bonaventura ('Meditationes vitae Christi'), Ludolf von Sachsen ('Vita Jesu Christi') und Florens Radewijns ('Tractatulus devotus')42. Am Schluß ist in den lateinischen Handschriften ein kurzes Kapitel hinzugefugt, mit einer Anleitung zum Gebrauch der geistlichen Übungen43: 1) 2) 3)
de nocte vel de mane infra missam cum Signum refectorii pulsatur adprandium
Nach dem Mittagessen ist ein Wochenplan vorgesehen, der sich wie folgt kurzfassen läßt: feria secunda. feria tertia: feria quarta: feria quinta: feria sexta: sabbato: dominica: 38
de extremo iudicio de omnibus Dei beneficiis de morte de penis inferni de passione Domini de peccatis de regno celorum
Chron. Wind. (Anm. 9) 49. Chron. Wind. (Anm. 9) 54. Chron. Wind. (Anm. 9) 70. 41 Prandio facto assumpsit exercicìa ad timorem dei cordisque compunctionem ipsum inducencia, de quatuor novissimis morte sua extremo iudicio penis purgatorii et inferni aut regno celorum seu edam de peccatis, que in libello 'Beatus vir' de spiritualibus ascensionibus formaliter sunt descripta, quatinus naturam suam ad levitatem tunc pronam in dei timore conservaret: Chron. Wind. (Anm. 9) 195 f. Nur die beneficia Dei werden nicht erwähnt. 42 HEDLUND (Anm. 31) 8-20. 43 De tempore quando ista exercitia sunt meditando: HEDLUND (Anm. 31)110. 39 40
454
RUDOLF TH. M. VAN DIJK
Für die Erfüllung des Wochenplans wird auf 'De spiritualibus ascensionibus' verwiesen44. Es fällt auf, daß am Montag nicht de morte, sondern de extremo iudicio meditiert wird, wie in der Almeloer Handschrift vorgesehen ist. Hiermit wird klar, daß in unserer Handschrift von einer Verwechslung keine Rede sein kann, vielmehr die 'Epistola' zum Vorbild gewählt wurde. Diese Vermutung wird noch dadurch bestätigt, daß auch in der Handschrift des Katharinenklosters die particula prima als Meditation 'onder missen' (infra missam) vorgesehen ist - wie in der 'Epistola'. Vielleicht aber beschränkte sich diese Betrachtungsweise auf fratres deuotarum congregacionum45. Angeblich ist hier von einer späteren Anfügung, die den Brief auch semireligiösen Brüdern und Schwestern zu erschließen versuchte, die Rede. Mit ihnen dürften auch die verwandten Terziare und Terziarinnen gemeint sein. 5. Schlußfolgerungen Aus diesen kurzen Notizen können hinsichtlich der devoten Betrachtungspraxis im allgemeinen und der Almeloer Handschrift im besonderen einige Schlußfolgerungen gezogen werden: 1. Über den Anfang der Woche und damit des Wochenplans besteht in der frühen Meditationsliteratur der Devotio Moderna keine Übereinstimmung: er wechselt von Sonntag bis Samstag und Montag. 2. Die Betrachtungsthemen de peccatis wurden im allgemeinen dem Traktat 'De spiritualibus ascensionibus' (Kap. 6) entlehnt, konnten aber auch aus dem Traktat 'De reformatione virium animae' (Kap. 20) entnommen werden. 3. Die übliche Betrachtung de passione dominica ließ sich nicht nur den Kap. 33-37, sondern auch den Kap. 32 oder 38 in 'De spiritualibus ascensionibus' entlehnen. 4. Der erste Wochenplan (Kap. 6, 19-21, 24-25 und 32) in der Almeloer Handschrift entspricht fast völlig den Wochenplänen im 'Florentii parvum et simplex exercitium' und den 'Consuetudines' der Brüder vom gemeinsamen Leben. Nur wird hier am Montag de extremo iudicio betrachtet, am Mittwoch de morte. Dieser Unterschied beruht nicht auf irgendeiner Verwechslung, sondern ist in der 'Epistola' enthalten, die also dem Wochenplan in unserer Handschrift zum Vorbild gedient haben muß. 5. Der zweite Wochenplan (Kap. 33-38) entspricht fast völlig dem Wochenplan im 'Tractatulus devotus'. Nur wird in der Almeloer Handschrift am Samstag nicht die Grabesruhe Christi, sondern ein allgemeines Kapitel über das Leiden Christi zur Betrachtung genommen (Kap. 38). Auch läßt sie den Sonntag aus. Das ist in der 'Epistola' nicht nachzuweisen. 6. Dieser zweite Wochenplan läßt sich zugleich als Tagesplan verstehen. Die Passionsbetrachtungen am Montag (Kap. 33), Dienstag (Kap. 34), Mittwoch (Kap. 35), Donnerstag (Kap. 36), Freitag (Kap. 37) und Samstag (Kap. 38) waren nach dem Modus videndi Deo für die Zeit vor dem Mittagessen vorgesehen, während nachmittags an den verschiedenen Tagen die eigenen Tagesthemen nach 44 45
Materiam habes in 'Beatus vir': HEDLUND (Anm. 31) 110. HEDLUND (Anm. 3 1 ) 1 1 0 .
DIE WOCHENPLÄNE IN EINER UNBEKANNTEN HANDSCHRIFT
455
dem ersten Wochenplan betrachtet wurden: am Sonntag über das Reich Gottes (Kap. 24), am Montag über den Tod (Kap. 19), am Dienstag über Gottes Wohltaten (Kap. 25), am Mittwoch über das letzte Gericht (Kap. 20), am Donnerstag über die Hölle (Kap. 21), am Freitag über das Leiden Christi (Kap. 32) und am Samstag über die Sünden (Kap. 6). Auch diese Tagesordnung ist in der 'Epistola' erhalten, aber als eine dreiteilige. 7. Die Sint-Truidener Handschrift, die aus Terziarenkreisen (um 1450) stammt, erweist, daß sich die Deventer Praxis des Modus vivendi Deo (drei Betrachtungen tagsüber) nicht überall durchgesetzt hat, daß man durchschnittlich zwei Betrachtungen am Tag kannte, und daß die Meditation des Leidens Christi auf den Freitag festgelegt wurde. Die aus einem Terziarinnenkloster hervorgegangene Almeloer Handschrift schließt sich sichtlich diesen Gewohnheiten an.
Radix Studii et Spéculum Vitae Verbreitung und Rezeption der 'Imitatio Christi' in Handschriften und Drucken bis zur Reformation VON UWE NEDDERMEYER Radix studii tui et speculum vitae sirtt primo evangelium Christi: quia ibi est vita Christi. Deinde vitae et collationes patrum. [...] Deinde libri devoti, ut Meditationes Bernardi et Anselmi, Horologium, De conscientia Bernardi, Soliloquia Augustini et consimiles libri. Diese Anweisungen Geert Grotes für das geistliche Studium überliefert uns Thomas Hemerken a Kempis in seiner 'Vita Gerardi Magni'1. Der Biograph hätte wohl kaum erwartet, daß wenige Jahrzehnte später ein ihm zugeschriebenes oder gar von ihm verfaßtes Werk2 die 'libri devoti' Heinrich Seuses, Bernhards von Clairvaux und Anselms von Canterbury in ihrer Bedeutung weit hinter sich lassen und über Jahrhunderte hinweg zum Kanon christlicher Literatur gehören würde. In älteren und jüngeren Lexika, in Monographien und in Ausgaben der Imitatio Christi wird oft nicht nur hervorgehoben, das schmale Büchlein sei die wirksamste Schrift der Devotio moderna, sondern darüber hinaus betont, es handele sich nach der Bibel um das verbreitetste Buch aller Zeiten und Länder3. Augustin de Backers "Essai bibliographique sur le livre De Imitatione Christi" enthält tatsächlich zahlreiche Druckauflagen4, die Willem Audenaert jüngst allein aus den niederländischen und niederrheinischen Bibliotheken um eine ganze Reihe weiterer Drucke des 17. und 18. Jahrhunderts ergänzte. Für das "Manuskriptzeitalter" steht zudem Stephanus G. Axters umfangreicher Katalog der Imitatio-Handschriften zur Verfügung5. 1 Vita Gerardi Magni, in: Thomae Hemerken a Kempis Opera Omnia, ed. M. I. POHL, Bd. VII, Freiburg i.Bg. 1922, 97 f. Pohl bezieht 'Anselmi' (durch die Zeichensetzung) auf'Horologium' (H. Seuse). Gemeint sind aber die 'Meditationes Anselmi', die pseudo-augustinischen 'Meditationes', die damals oft Anselm von Canterbury zugeschrieben wurden. Eine Verwechslung von "Horologium" und "Monologion" (Anselm v. Canterbury) ist wenig wahrscheinlich. 2 Mit weiterer Literatur: M. GERWING, Imitatio Christi, in: LMA V (1991) 386 f.; A. AMPE, L'imitation de Jésus-Christ et son auteur. Reflexions critiques (Sussidi eruditi 25) Rom 1973; A. AMPE, Imitatio Christi, in: DSp VII (1971) 2338-2355. 3 E. ISERJLOH, Thomas von Kempen und die Devotio Moderna (Nachbarn 21) Bonn 1976, 18: "Dieses Erbauungsbuch ... ist nicht nur das meist- und weitverbreitetste Buch der Devotio moderna, sondern - nach der Bibel - der Weltliteratur überhaupt." Vgl. F. SCHNABEL, Der Buchhandel und der geistige Aufstieg der abendländischen Völker, Freiburg i.Bg. 1951, 21. Weitere Beispiele bei: J. SUDBRACK, Das geistliche Gesicht der vier Bücher von der Nachfolge Christi, in: Thomas von Kempen. Beiträge zum 500. Todesjahr 1471-1971, Kempen 1971, 14, und T. CLEMENS, Een verkennend onderzoek naar de waardering voor de Imitatio Christi in de Nederlanden tussen 1600 en 1800, in het bijzonder onder katholieken, in: De doorwerking van de Moderne Devotie. Windesheim 1387-1987. Voordrachten Windesheim 15-17 Oktober 1987, hg. von P.BANGE u.a., Hilversum 1988, 2 1 7 f. 4 A. DE BACKER, Essai bibliographique sur le livre De Imitatione Christi, Lüttich 1864 (ND 1966); W. AUDENAERT, Thomas a Kempis. De Imitatione Christi en andere werken. Een short-title catalogus van de 17de en 18de eeuwse drukken in de bibliotheken van nederlandstalig Belgie (Instrumenta theologica 3) Löwen 1985. 5 S. G. AXTERS, De Imitatione Christi. Een handschrifteninventaris bij het vijfhondertste verjaren
458
UWE NEDDERMEYER
Weit schlechter als um die Materialsammlung ist es um ihre Bearbeitung bestellt. Zwar unternahm Th. Clemens einen ersten Versuch, die von Audenaert veröffentlichte Bibliographie hinsichtlich der Beachtung des Werkes in den Niederlanden zwischen 1600 und 1800 auszuwerten, doch sind die gewählten geographischen und zeitlichen Grenzen weniger günstig, weil der niederländische Buchhandel seine Produkte damals in ganz Europa absetzte. Clemens fehlt jeglicher Maßstab, um den Erfolg der Imitatio Christi mit dem anderer Bücher vergleichen zu können. Die Grundlagen dafür müssen in einer Untersuchung entwickelt werden, welche die Zusammensetzung des jeweiligen Literaturkanons und die Wirkungsgeschichte der Standardwerke ins Auge faßt. Ich bearbeite u.a. aus diesem Grund das Thema "Literaturkanon, Standardwerke und Leseinteresse im späten Mittelalter und in der frühen Neuzeit - Vom Manuskript zum gedruckten Buch". Für eine Erprobung der dort angewandten Methodik eignet sich die Imitatio Christi besonders, weil sie sowohl handschriftlich als auch gedruckt weit verbreitet war. Die fast 900 Manuskripte und über 2300 Drucke bis zum Ende des 18. Jahrhunderts sprengen allerdings den vorliegenden Rahmen, so daß hauptsächlich die Zeit vor der Reformation ins Auge gefaßt wird. Damit ergeben sich zwei grundlegende Fragestellungen: 1. Durch welche Lesergruppe und in welcher spezifischen Art und Weise wurden die Handschriften der Imitatio Christi rezipiert? Lange standen Verfasser und Autograph zu sehr im Vordergrund, nicht nur bei diesem Werk. In den letzten Jahren wird vermehrt die Vielfalt der mittelalterlichen Textüberlieferung betont: "Philology [...] joined forces with the mechanical press in a movement away from the multiplicity and variance of a manuscript culture, thereby rejecting, at the same time, the representation of the past which went along with medieval manuscript culture: adaptation or translatio, the continual rewriting of past works in a variety of versions, a practice which made even the copying of medieval works an adventure in supplementation rather than faithful imitation"6. Im folgenden liegt das Gewicht auf dem Umgang der Kopisten mit der Imitatio Christi, um Aufschlüsse über Stellenwert und Leserkreis des Buches zu gewinnen. 2. Wie wirkte sich der Buchdruck auf die Nachfolge Christi aus? Die Gutenbergsche Erfindung wird oft als entscheidender Einschnitt der Schriftlichkeitsentwicklung, als Beginn des "Buchzeitalters" oder gar der Neuzeit angesehen7. Man nimmt an, daß sich Textrezeption und Textbehandlung nach 1450 grundlegend änderten8. Von anderer Seite wird allerdings kritisch angemerkt, es handele van Thomas Hemerken van Kempen t 1471, Kempen 1971; hierzu mit Ergänzungen: H. BECKERS, in: Amsterdamer Beiträge zur älteren Germanistik 5 (1973) 181-183; S. G. AXTERS, Bijdrage tot de inventarizering van de Imitatio-handschriften: Addenda en dubia, in: Nederlands archief voor kerkgeschiedenis 56 (1975) 141-158; E. BAUER, Die Oberdeutsche Überlieferung der Imitatio Christi, in: Spätmittelalterliche Geistliche Literatur in der Nationalsprache, I, Salzburg 1983, 111-135; P. BONARDI/T. LUPO, L'Imitazione di Cristo e il suo autore, I/II, Turin 1964; T. LUPO, Nuovi codici Gerseniani del 'De imitatione Christi', in: Aevum 53 (1979) 313-337. 6 S. G. NLCHOLS, Introduction: Philology in a manuscript culture, in: Speculum 65 (1990) 9. Vgl. D. MERTENS, Iacobus Carthusiensis. Untersuchungen zur Rezeption der Werke des Kartäusers Jakob von Paradies (1381-1465) (VMPIG 13) Göttingen 1976. 7 M. GIESECKE, Der Buchdruck in der frühen Neuzeit. Eine historische Fallstudie über die Durchsetzung neuer Informations- und Kommunikationstechnologien, Frankfurt/M. 1991; dazu mit weiterer Literatur: U. NEDDERMEYER, Wann begann das Buchzeitalter?, in: ZHF 20 (1993) 205-216. 8 Ein wesentlicher Fund zur Datierung der ältesten Drucke bei E. MEUTHEN, Ein neues frühes Quellenzeugnis (zu Oktober 1454?) für den ältesten Bibeldruck. Enea Silvio Piccolomini am
459
VERBREITUNG U N D REZEPTION DER 'IMITATIO CHRISTI'
sich bei Gutenbergs Erfindung nur um eine von mehreren Zäsuren in der langen Geschichte des Buches9. Die Untersuchung der weit verbreiteten Imitatio Christi vermag hier wichtige Hinweise zu geben, auch wenn der umfangreiche Fragenkomplex nicht anhand eines Einzelfalles abschließend geklärt werden kann. Tabelle I: Im Spätmittelalter häufig abgeschriebene Bücher (Auswahl) (ca.- Angaben, >: Mindestangaben) Autor/Titel Altes/Neues Testament, deutsch Nikolaus von Lyra, Postillae Jacobus de Voragine, Legenda aurea Imitatio
Christi
Valerius Maximus, Facta et dicta Innozenz III., De miseria Heinrich Seuse, Horologium Augustinus, Soliloquium animae Bernhard v. Clairvaux (Ps.), Meditationes Anselm/Augustinus (Ps.), Meditationes
Mss. *
nur Teile überliefert
Europa 15. Jh.
davon Reich
800 1500 1100
oft 700 oft
900
660
>770
650
708 670 350 >400 200 >150
>160 oft oft oft oft >70
520 300 >300 >250 >100 >100
93 160 135 60 >20 20
>800 400
120
* Alle bekannten Manuskripte
Damit zur handschriftlichen Überlieferung: Obwohl die Nachfolge Christi erst nach 1420 in größerem Umfang kopiert wurde und somit bis zur Augsburger Auflage (vor Juni) 1473 gerade fünfzig Jahre vergingen, sind heute mehr als 770 Manuskripte aus dem 15. Jahrhundert bekannt, fast dreimal soviel wie von den oben zitierten 'libri devoti' der Augustinus10, (Pseudo-)Bernhard von Clairvaux, (Pseudo-)Anselm von Canterbury und Heinrich Seuse. Die große Zahl wird allerdings dadurch relativiert, daß drei Viertel der Handschriften nur einen mehr oder minder kleinen Teil des Textes überliefern, oft lediglich eines der vier Bücher. Die 'Admonitiones ad spiritualem vitam utiles' (Buch I) waren mit 245 eigenständigen Exemplaren der Favorit der Kopisten, die 'Devota exhortatio ad sacram communionem' (Buch IV, 71 Exemplare) folgte mit weitem Abstand, während die 'Admonitiones ad interna trahentes' (Buch II, 46 Exemplare) und der 'Liber internae consolationis' (Buch III, 32 Exemplare) als Einzelstücke keine große Rolle spielten (vgl. Tabelle II). So liegen insgesamt vom ersten Buch knapp 650, vom vierten dagegen gerade 320 Fassungen vor, die des öfteren nur einige Kapitel enthalten. 12. März 1455 aus Wiener Neustadt an Kardinal Juan de Carvajal, in: Gutenberg-Jb. 52 (1982) 108118. 9 R. CHARTIER, Lesewelten. Buch und Lektüre in der frühen Neuzeit (Histor. Studien 1) Frankfürt/ M.-New York 1990, bes. 33-37. 10 Die Handschriften der 'Meditationes Anselmi' und des 'Soliloquium Augustini' sind erst teilweise katalogisiert: M. OBERLEITNER/ F. RÖMER u.a., Die handschriftliche Überlieferung der Werke des heiligen Augustinus (SB der Österr. Akad. der Wiss., Phil.-hist. Kl. 263, 267, 276, 281, 289, 292, 301, 350) I-V, Wien 1969-1979.
460
UWE NEDDERMEYER
Tabelle II: Der Textbestand der Imitatio-Manuskripte Zusammenstellung: Buch I, II, III, IV I, II, III II andere Kombinationen I II III IV ?/kurze Auszüge I,
Manuskripte 207 98 50 33 245 46 32 71 61
andere Abfolge der Bücher 12 15 3 8
Manuskripte insgesamt* 219 113 53 41 646 458 395 320 61
* Einschließlich der "Gesamtausgaben"
Rechnet man die Exzerpte mit oder geht vom ersten Buch aus, wurde die Nachfolge Christi um die Mitte des 15. Jahrhunderts in ihrer Verbreitung nur durch das Alte und Neue Testament noch deutlich übertroffen. (Allein über 700 deutsche Bibel-Handschriften sind bekannt, die fast ausschließlich Teile enthalten, z.B. Psalter, Evangeliare, Evangelistare, Lektionare usw.) Berücksichtigt man allerdings lediglich vollständige Kopien, stehen die 219 Exemplare der Imitatio Christi in einer größeren Gruppe damals häufig benutzter theologischer Texte. Ordnet man das Material nach seiner geographischen Herkunft aus den verschiedenen europäischen Ländern, ergibt sich ein ganz anderes Bild. Die zahlreichen Manuskripte der Imitatio Christi aus dem Heiligen Römischen Reich fallen sofort ins Auge: Im 15. Jahrhundert sind es 631 von insgesamt 782, über 80 Prozent. Aus Italien stammen dagegen in dieser Zeit11 gerade 60, aus Frankreich 42 und aus England 35 Codices. Bei keinem anderen weit verbreiteten lateinischen Werk konzentrieren sich die erhaltenen Stücke in ähnlicher Weise. Das 'Compendium theologicae veritatis' des Straßburger Dominikaners Hugo Ripelin muß immer noch als ein in "Deutschland" äußerst erfolgreiches Handbuch gelten, obwohl 40 Prozent der insgesamt 650 Manuskripte aus Italien, Frankreich, England und Spanien kommen12.
11
Davon laut BONARDl/ LUPO, L'Imitazione (Anm. 5) II 7 ff. und 85 ff., mindestens fllnf italienische (1280-1330, 14. Jahrhundert, 14. Jahrhundert, 1330-1360, 1350-1420), eine deutsche (1384/85; nach der Schrift allerdings 15. Jahrhundert) und eine französische Handschrift aus dem 14. Jahrhundert. Eine Beurteilung wäre nur nach Prüfung der Originale möglich. Vgl. T. LUPO (Ed.), De imitatione Christi libri quatuor, Città del Vaticano 1982, XIII-XIX. 12 G. STEER, Hugo Ripelin von Straßburg: Zur Rezeptions- und Wirkungsgeschichte des 'Compendium theologicae veritatis' im deutschen Spätmittelalter (Texte und Textgeschichte 2) Tübingen 1981.
VERBREITUNG UND REZEPTION DER 'IMITATIO CHRISTI'
461
Tabelle III: Handschriften der Imitatio Christi Herkunft/Zeitraum: Reich/lateinisch deutsch niederdeutsch französisch niederländisch
XV/(ca. XV)
XVII
XVI
Gesamt
511 [106/53]
22 [2/1]
5 [1/3]
538 [109/57]
41 [7/11]
2 [1/1]
2 [1/0]
45 [9/12]
13 [2/2]
2 [0/1]
1 [1/0]
16 [3/3] 2 [1/0]
2 [1/0] 64 [2/2]
6 [1/1]
3
73 [3/3]
631 [118/68]
32 [4/4]
11 [3/3]
674 [125/75]
54* [30/4] 6 [4/0]
0 0
0 6
54 [30/4] 12 [4/0]
Frankreich/lateinisch französisch
35 [9/11] 7 [1/3]
1 [2/3] 5 [1/3]
0 4 [3/0]
36 [11/14] 16 [5/6]
England/lateinisch englisch
31 [11/9] 4 [0/3]
1 2 [1/1]
0 0
32 [11/9] 6 [1/4]
weitere Mss.
14 [10/1]
1 [1/0]
0
16 [12/1]
782 [183/99]
42 [9/11]
21 [6/3]
845 [198/133] 37 [21/0]
Reich/gesamt Italien/lateinisch italienisch
Gesamt 18. Jh. usw.
882 [219/113] * Darunter laut Bonardi/ Lupo mindestens 5 aus dem 14. Jahrhundert. [] Vollständige Handschriften [Buch I-IV/I-III]
Durchschnittlich wurden bei lateinischen Autoren nämlich allenfalls gut 30 Prozent der Codices im Reich hergestellt, bei Klassikern oder humanistischen Autoren meist weit weniger. Die Fülle der Überlieferung ermöglicht es, über die nationale Verteilung hinaus regionale Zentren der Imitatio-Rezeption zu bestimmen. Dabei darf man freilich nicht von absoluten Zahlen heute erhaltener Exemplare ausgehen, weil insbesondere Oberdeutschland dabei überbewertet würde. Das hat zwei Gründe: Die großen Bücherschätze der Benediktinerklöster sind oft noch faßbar, weil die Verluste im Zeitalter der Reformation, im Dreißigjährigen Krieg, in der Säkularisation usw. gerade den Süden des Reiches weniger betrafen. Viele Manuskripte sind heute in der Münchener Staatsbibliothek leicht zugänglich. Zusätzlich finden sich in der Wiener Sammlung zahlreiche Handschriften aus den ehemaligen habsburgischen Ländern, u.a. auch aus den Niederlanden. Deshalb kann das Wir-
462
UWE NEDDERMEYER
kungsfeld der Nachfolge Christi nur über einen Vergleich präzise bestimmt werden. Um die schon auf den ersten Blick unübliche Verteilung quantitativ festzumachen, wurde eine Kontrollgruppe anderer Schriften zusammengestellt, deren Manuskriptbestand eingehend erforscht ist: die Satiren des Persius, die Chronik Martins von Troppau, die Kaisergeschichte(n) des Valerius Maximus und das 'Soliloquium de arra animae' Hugos von St. Viktor13, des weiteren der 'Liber de causis', der 'Liber Scintillarum' des sogenannten Defensor von Liguge, Hermann v. Schildesches 'Speculum manuale sacerdotum' und Heinrich Seuses 'Büchlein der ewigen Weisheit'14. Sie bieten durch ihre unterschiedliche Thematik und Herkunft einen Querschnitt der spätmittelalterlichen Standardliteratur. Die im folgenden angewandte relative Berechnung erlaubt es, aus dem heutigen Aufbewahrungsort der Handschriften auf die Rezeption eines Werkes zurückzuschließen, und verhindert, daß Städte wie Paris, London, München, Wien und Berlin überbewertet werden, die viele Exemplare erst weit später hinzugewannen. Ein großer Teil des Bestandes der meisten Handschriftensammlungen stammt aus der näheren oder weiteren geographischen Umgebung des gegenwärtigen Fundortes, so daß der Vergleich der Handschriftenverteilung verschiedener Werke Rückschlüsse darauf erlaubt, wo das jeweilige Buch ursprünglich stark verbreitet war. Möglich ist das freilich nur bei verbreiteten Werken, bei denen die weiten Wanderungen einzelner Manuskripte eine geringere Rolle spielen. Der Schwerpunkt der Imitatio-Rezeption lag vor der Erfindung des Buchdrucks in Brabant und im Lütticher Raum sowie im Rhein-Mosel-Gebiet (vgl. die beiliegende Karte und Tabelle IV), Regionen, deren Handschriftenbestände heute generell eher gering sind. Über 23 Handschriften aus Mainz, 29 Kölner, 30 Trierer und 65 Brüsseler Manuskripte fallen besonders ins Auge. Die Sonderrolle des Nordwestens wird durch die nationalsprachlichen Übersetzungen bestätigt. Über 70 niederländischen, 9 "mitteldeutschen" (ribuarisch usw.) und 16 niederdeutschen stehen nur 36 oberdeutsche Fassungen gegenüber15, während üblicherweise die süddeutschen Texte deutlich überwiegen16.
13 Berücksichtigt wurden nur Manuskripte vor 1600. D. M. SCHULLIAN, A revised list of manuscripts of Valerius Maximus, in: Miscellanea Augusto Campana (Medioevo e Umanesimo 44/45) Padua 1981, 695-728; P. S. PIACENTINI, Studi sulla tradizione di Persio e la scolastica persiana. Serie II: Saggio di un censimento dei manoscritti contenenti il testo di Persio e gli scoli e i commenti al testo (Studi su Persio 3,1) Rom 1973; A. D. v. DEN BRINCKEN, Studien zur Überlieferung der Chronik des Martin von Troppau (Erfahrungen mit einem massenhaft überlieferten historischen Text), in: DA 41 (1985) 460-531 und 45 (1989) 551-591; R. GOY, Die Überlieferung der Werke Hugos v. St. Victor. Ein Beitrag zur Kommunikationsgeschichte des Mittelalters (Monographien zur Geschichte des Mittelalters 4) Stuttgart 1976. 14 R. C. TAYLOR, The Liber de causis: A preliminary list of extant mss., in: Bulletin de la Societé internationale pour l'étude de la philosophie médiévale 25 (1983) 63-84; H.-M. ROCHAIS, Les manuscrits du 'Uber Scintillarum1, in: Scriptorium 4 (1950) 294-309; A. ZUMKELLER, Schrifttum und Lehre Hermanns von Schildesche (Cassiciacum 15) Würzburg 1959; G. HOFMANN, Seuses Werke in deutschsprachigen Handschriften des späten Mittelalters, in: Fuldaer Geschichtsblätter 45 (1969)
113-206. 15
BAUER, Oberdeutsche Überlieferung (Anm. 5); dazu eigene Funde (im Anhang). Genauere Vergleichswerte lassen sich im Inkunabelzeitalter angeben: So gibt es z. B. 14 deutsche, drei niederdeutsche bzw. niederrheinische Bibeldrucke, aber nur einen niederländischen Bibeldruck. 16
VERBREITUNG UND REZEPTION DER 'IMITATIO CHRISTI'
463
Tabelle IV: Imitatio-Handschriften im Reich und in Europa (heutiger Aufbewahrungsort) O r t ( l . datierte Hs.)
Imitatio Christi
Vergleichs-
Prozent
gruppe Mainz (1423/1431) Salzburg (ca. 1432) Lüttich (?) Köln (1410-35; dt. 1434) Kremsmünster (ca. 1438) Brüssel (1416/1427) Trier (1435) Utrecht (?) Den Haag (1386?) Darmstadt (1449) Melk (14217/1435) St. Gallen (1435) Wolfenbüttel (1424)
23 18+1 6 29 8 65 30 7 14 8 13 13 24
7 6 2 13 4 33 19 5 9 8 16 18 33
328 316 300 223 200 196 157 140 155 100 81 72 72
Reich/ gesamt
674
1031
65
Karlsruhe Würzburg München Stuttgart Breslau Wien, ÖNB Basel Leiden Berlin Prag Klosterneuburg Nürnberg Bern Kopenhagen
6 5 81 6 8 38 10 7 20 6 1 1 0 14
10 9 160 14 22 106 29 26 79 50 14 12 22 18
60 55 51 42 36 36 34 27 25 12 7 8
Europa/ gesamt
821
2903
28
37 4 1 2 12 5
248 45 12 44 284 163
15 9 8 5 4 3
Paris Mailand Krakau Venedig Vatikan Florenz
-
77
464
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Bei vielen Handschriften ist die Herkunft bekannt, immer wieder sind es Städte und Klöster aus den Reichsteilen, die auf der einen Seite von Flandern, auf der anderen vom Verlauf des Rheins bis Mainz begrenzt werden: Aachen, Afflighem, Arnheim, Baudeloo, Bethlehem bei Löwen, Brügge, Brüssel, Diepenveen, Eberhardsklausen, Eemstein, Groenendaal, Köln, Leiden, Löwen, Mainz, Metz, Namur, Nazareth bei Bredevoort, Nijmegen, Oudenaarde, St. Truiden, Trier, Zwolle usw. Das liest sich wie eine Liste der Windesheimer und großen Kartäuserbibliotheken, die auch außerhalb des genannten Gebietes in Rebdorf (Windesheimer17), Erfurt, Stettin und Buxheim (Kartäuser) viele weitere Exemplare der Nachfolge Christi besaßen. Im Norden Europas war die Imitatio Christi mit heute 24 Manuskripten in Wolfenbüttel (darunter fünf niederdeutsche Übersetzungen und zahlreiche norddeutsche Provenienzen: Reinhausen, Gandersheim, Northeim, Wöltingerode) und 14 in Kopenhagen (davon mindestens 6 aus Cismar, OSB, Diöz. Lübeck) ebenfalls recht stark vertreten, während ihre Wirkung gegen Osten schnell zurückging 17 W. KOHL, Die Windesheimer Reform, in: Reformbemühungen und Observanzbestrebungen im spätmittelalterlichen Ordenswesen, hg. von K. E l m (Berliner hist. Studien 14 = Ordensstudien 6) Berlin 1989, 83-106; K. ELM, Reform- und Observanzbestrebungen im spätmittelalterlichen Ordenswesen. Ein Überblick, ebd. 3-19.
VERBREITUNG UND REZEPTION DER 'IMITATIO CHRISTI'
465
und in Bayern und der Schweiz mit Ausnahme St. Gallens ebenfalls deutlich unter dem Durchschnitt lag. Mindestens sechs, wenn nicht sogar neun der insgesamt 12 St. Gallener Handschriften entstanden in den Jahren 1435-1439, als dort Mönche aus Hersfeld eine strenge Reform durchführten18. Zahlreiche Handschriften entstammen einzelnen österreichischen Klöstern, die der benediktinischen Erneuerungsbewegung19 angeschlossen waren, wobei besonders die 19 im Salzburger Stift St. Peter (zuerst ca. 1433) und die 13 aus Melk hervorstechen. In diesen geistesgeschichtlichen Rahmen passen zehn Tegernseer Codices, Bursfelder, Göttweiger und Braunauer Provenienzen. Für 12 Handschriften läßt sich als Herkunftsort St. Matthias bei Trier (OSB)20 nachweisen, bei weiteren zumindest vermuten. Allerdings gehörten wenigstens fünf Trierer Manuskripte einstmals den Windesheimern in Eberhardsklausen21, vier der Kartause St. Albanus (Trier)22. Der relative geringe Bestand der Münchener Staatsbibliothek23 und der Österreichischen Nationalbibliothek zeigt, daß es sich bei den süddeutschen Manuskripten um Sonderfälle handelt, die eng mit bestimmten Klöstern und Zentren der benediktinischen Reform verbunden waren. Dort war die Imitatio Christi dann gleich mehrfach vorhanden. So können dem Benediktinerorden gut 130 der über 800 Codices zugeordnet werden. Dies darf man jedoch nicht überbewerten, weil die umfangreichen und geschlossen erhaltenen Bibliotheken dieses Ordens die Provenienz-Bestimmung erleichtern24, die sich bislang nur auf die oft unzureichenden Angaben der gedruckten Kataloge stützt. Knapp 80 Handschriften der Imitatio Christi stammen von Augustinerchorherren und Regularkanonikern. Die Kartäuserbibliotheken folgen mit beinahe 70 Exemplaren. Im Vergleich dazu sind die 20 Fassungen aus dem Besitz der Mendikanten und die jeweils etwa 15 aus Bibliotheken der Zisterzienser und Kreuzherren unbedeutend. Die Zentren der Imitatio-Rezeption (vgl. die beiliegende Karte) lagen somit gerade dort, wo das Buch nach P. Bonardi und T. Lupo erst am Ende einer langen Wanderung von Vercelli über Melk und Basel in den Norden Europas ankam25. Die beiden italienischen Gelehrten datieren fünf italienische (u.a. aus den Jahren 1280-1330, 1330-1360 und 1350-1420) Manuskripte, eine deutsche (1384/85?) 18
Die Hersfelder Mönche weilten bereits seit 1430 in St. Gallen: P. OCHSENBEIN, Spuren der Devotio moderna im spätmittelalterlichen Kloster St. Gallen, in: SMBO 101 (1990) 475-496, hier 480 und 484-487. 19 P. BECKER, Erstrebte und erreichte Ziele benediktinischer Reformen im Spätmittelalter, in: Reformbemühungen (Anm. 17) 23-34; P. ENGELBERT, Die Bursfelder Benediktinerkongregation und die spätmittelalterlichen Reformbewegungen, in: HJb 103 (1983) 35-55. 20 Berlin, Staatsbibl., Görres 103 = Lat. Oct. 232.; Trier, Bibl. des Priesterseminars, 77, ebd. 138, 140, 149 und 152; Trier, Stadtbibl. 507/1249; bei AXTERS, Inventarizering (Anm. 5): Trier, Histor. Archiv/ Stadtbibl., 380/1079, ebd. 557/799, 689/251 und 762a/310. Drei aus Maria ad Martyres (OSB): Trier, Stadtbibl., 762b/311, ebd. 766/315 und 767/315. In zahlreichen Fällen ermöglichte die Provenienzbestimmung S. KRÄMER, Handschriftenerbe des deutschen Mittelalters (Mittelalterliche Bibliothekskataloge Deutschlands und der Schweiz, Ergbd. 1) I-III, München 1989-1990. 21 Trier, Stadtbibl., 621/1561, 725/1661, 788/1372, 803/1361 (XV2) und 1990/17 (a. 1514); bei AXTERS, Inventarizering (Anm. 5): 1990/491. 22 HAStK, W* 58; Trier, Stadtbibl., 568/802(7), ebd. 636/867 und 1059/1264. Trier, Stadtbibl., 2017/ 660 gehörte den Dominikanerinnen, ebd. 667/235 den Dominikanern, ebd. 680/879 dem Kollegiatsstift St. Simeon. 23 Darunter je sieben Manuskripte aus Indersdorf und St. Emmeram (Regensburg). 24 Nur 21 von über 100 Manuskripten der 'Sermones super Cantica Canticorum' Bernhards von Clairvaux (OCist) lassen sich Zisterziensern, aber 38 Benediktinern zuordnen. 25 BONARDI/ LUPO, L'Imitazione (Anm. 5) I 96 f.
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und eine französische Handschrift ins 14. Jahrhundert 26 . Die Beurteilung dieser Manuskripte ist wesentlich für die Entstehungsgeschichte der Imitatio Christi, spielt aber für unsere Fragestellung keine entscheidende Rolle, da die Breitenwirkung des Werkes erst im 15. Jahrhundert und in einer ganz anderen Region begann. Tabelle V: Auf Jahre oder Jahrzehnte datierte Manuskripte Zeitraum: Herkunft Niederlande Reich/Mitte & Norden Reich/Süden gesamt davon dt./niederl. übriges Europa Zeitraum: Herkunft Niederlande Reich/Mitte & Norden Reich/Süden gesamt davon dt./niederl. übriges Europa
14101419 1+1
2 0 14701479 4 8 14 26 4 7
14201429 5+1 6+1 3+1 16 1+1 0 14801489 1 5 8 14 5 3
14301439 4+4 12 23+2 45 5 3 14901499 0 7 3 10 2 2
14401449 5 9 24+1 39 5 0 15001509 0 0 3 3 0 2
14501459 3 11 23 37 5 3 15101519 0 1 0 1 1 0
14601469 5 5 25 35 8 11 15201529 2 0 0 2 1 0
+ unsichere Zuordnung (verschollene Handschriften usw.)
Diagramm [I] zeigt, daß die Kopistentätigkeit bei der Imitatio Christi zwischen 1415 und 1430 steil anstieg. Die frühen genau (d. h. auf bestimmte Jahre) datierten Handschriften stammen hauptsächlich aus den Niederlanden und wenig später aus dem Rheinland (15 datierte Manuskripte, vgl. Diagramm [II] und Tabelle V); hier ist in den späten zwanziger Jahren schon ein erster Höhepunkt der Kopistentätigkeit zu erkennen, der allerdings auf das erste Buch beschränkt war. Vor 1430 enthalten nämlich lediglich zwei Fassungen 27 aus dem Jahr 1427 den gesamten Text. Das weist darauf hin, daß die 'Admonitiones ad spiritualem vitam utiles' (Buch I) zeitweise unabhängig von den drei folgenden Traktaten überliefert wurden. Aus dem Süden des Reiches lassen sich bis 1430 nur sechs, zwischen 1432 und 1439 dann schon 26 datierte Handschriften nachweisen. Als die Bildungselite Europas während des Basler Konzils in näheren Kontakt zueinander trat, wurden weitere Kreise in Süddeutschland (vielleicht auch in Italien und England) auf die Imitatio Christi aufmerksam 28 . Die frühesten genau datierten italieni26
Vgl. oben Anm. 11. Gaesdonck bei Goch, Collegium Augustinianum 62 (zerstört); Brüssel, Bibl. Royale, 22084. Der Textbestand des verschollenen Codex Leodiensis (a. ca. 1417) ist nicht bekannt. 28 J. HELMRATH, Kommunikation auf den spätmittelalterlichen Konzilien, in: Die Bedeutung der Kommunikation für Wirtschaft und Gesellschaft, hg. von H. POHL (VSWG Beih. 87) Stuttgart 1989, 116-172, bes. 154-167. 27
VERBREITUNG UND REZEPTION DER 'IMITATIO CHRISTI'
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29
sehen und englischen Imitatio-Manuskripte stammen erst vom Ende dieses Jahrzehnts, während der älteste datierbare französische Text noch weit später entstand - im Jahr 145630! Eine Untersuchung der anfänglichen Verbreitung der Imitatio Christi muß sich daher auf die Zeit vor dem Basler Konzil konzentrieren. Die frühesten datierten Manuskripte stammen meist aus dem Windesheimer Umfeld: dem Roo(de)klooster (1416) bei Brüssel, Frenswegen (1425), Bethlehem bei Löwen (1427, 1431), St. Catharina vor Nijmegen (1427) und Eemstein (1428)31. Kurz darauf32 folgen die Benediktiner aus St. Genovefa bei Leiden (ca. 1417, verschollen), Melk (1421, ebenfalls verschollen), Göttweig (1422, 1429/ 1430), Ochsenhausen (1427) und Reichenau (geschrieben in Speyer, ca. 1428)33; wenig später die Brüder vom gemeinsamen Leben aus Hieronymusberg bei Zwolle (1424) und aus Osnabrück (?, 1429)34 sowie die Kartäuser aus Mainz (ca. 1420, 1432/31), Basel (1424) und Erfurt (1428, verschollen)35. Der anfängliche Erfolg der Imitatio Christi war eng mit den niederländischen Zentren der Devotio moderna verbunden und auf die Windesheimer Kongregation, einige reformierte Benediktinerklöster und den Kartäuserorden beschränkt. Die dennoch große Zahl der Handschriften erklärt sich dadurch, daß es sich um solche Regionen und religiöse Gemeinschaften handelte, wo sowohl der Anteil der Lesefahigen als auch 29
Die älteren Handschriften bei BONARDI/ LUPO, L'Imitazione (Anm. 5), sind nur sehr ungenau datiert. Nicht berücksichtigt wurden zudem: St. Paul i. Lavanttal, ohne Signatur (Wiblingensis IV): a. 1384/85, dazu LUPO (Hg.), De imitatale (Anm. 11) 85 f.: Schrift des 15. Jahrhunderts(?); Paris BN, Cabinet des estampes, E. a. 2 (ML 4668), a. 1406 (Bandrücken) aus dem Reich; Padua, Bibl. universitaria 945: Scriptum Constantiae tempore concilii generalis. Anno MCCCCXV, laut BONARDI/ LUPO, L'Imitazione (Anm. 5) II 55 ff.: 2. Hälfte des 15. Jhs.; Den Haag, Koninklijke Bibliothek, 128. G. 17, fol. 6v-140v, a. 1386, und ebd. 128. G. 19, fol. lr-55r, a. 1386, beide laut AXTERS, Inventarizering (Anm. 5), aus dem 15. Jahrhundert. 30 Troyes, Bibl. de la ville, 1428. Provenienz: Clairvaux (OCist). Vgl. P. DEBONGNIE, L' "Imitatio" de Clairvaux. De l'abbaye des Dunes à l'abbaye de Clairvaux, in: Revue d'ascétique et de mystique 12 (1931) 128-141. Während man die frühzeitige schnelle Verbreitung in den Niederlanden als Argument für Jean Gerson werten könnte, spricht die späte Rezeption in Frankreich gegen seine Verfasserschaft. Aber es erscheint ebenfalls unwahrscheinlich, daß das Werk eines unbekannten Benediktiners nach fast 200 Jahren über tausend Kilometer vom Entstehungsort entfernt entdeckt wurde, weil es plötzlich aktuell war. 31 St-Maurice en Valais, Abbaye, ohne Signatur (Rubeaevallensis); Straßburg, Bibl. nationale et universitaire, 79 (Lat. 76); Brüssel, Bibl. Royale, 22084; Gaesdonck, Collegium Augustinianum 62 [später Münster Univ.Bibl.; vgl. KRÄMER, Handschriftenerbe (Anm. 20) 207, dort im Krieg vernichtet]; Oxford, Bodleian Library, Marshall 124 (Cat. 5311); Straßburg, Bibl. nationale et universitaire, 344 (Latin 289). 32 Dabei wurde nicht berücksichtigt: St. Paul i. Lavanttal, ohne Signatur (Wiblingensis IV): a. 1384/ 1385 (?; vgl. Anm. 29). 33 Verloren sind der sog. "Mellicensis I" und der "Leodiensis XI"; dazu kommen: Göttweig, Stiftsbibl., 297 (332) und 467 (286); vgl. BONARDI/ LUPO, L'Imitazione (Anm. 5) 95-98 und 113 f.; Karlsruhe, Badische Landesbibl., Aug. Pap. 39, hier wird ein Kartäuser als Autor vermutet; Paris BN, Nouv. acq. lat. 226 (Réserve 1515). 34 Wolfenbüttel, Herzog August Bibl., Codex Guelf. 509 Heimst. (Cat. 556); Brüssel, Bibl. Royale, 1018-21; bei AXTERS, Handschrifteninventaris (Anm. 5) 38 fälschlicherweise: 1492. Vgl. BONARDI/ LUPO, L'Imitazione (Anm. 5) II 111 und 113. 35 Basel, Öffentl. Bibl. der Univ., A XI 67; Bristol, Library of the Catholic Bishop of Clifton (= Erfordernis 1, verschollen). Die ältesten Handschriften der Mainzer Kartause (Mainz, Stadtbibl., 227; ebd. 621) bei KRÄMER, Handschriftenerbe (Anm. 20) II 539 und 544. BONARDI/LUPO, L'Imitazione (Anm. 5) II 32 f. und 96-98, datieren einen Kodex der Mailänder Kartause (Bibl. della Brera A.D. XVI. 24.4.) in den Zeitraum zwischen 1394 und 1404 und den verschollenen Melker Kodex (aus Subiaco) auf das Jahr 1421.
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der Stellenwert der Schriftlichkeit damals bereits sehr hoch war. Insbesondere das schmale Bändchen der 'Admonitiones ad spiritualem vitam utiles' (Buch I) begleitete viele Geistliche anscheinend dauernd und hatte somit im Gegensatz zu umfangreichen Folianten einer Gemeinschaftsbibliothek nur einen Benutzer. Wenn allein aus dem Salzburger Peterstift heute noch 19, aus der Mainzer Kartause 18 und aus St. Matthias bei Trier 12 Exemplare erhalten sind36, läßt sich daraus ableiten, daß dort nahezu jeder Mönch, der lesen konnte, über ein "privates" Exemplar verfugte37. Man kompilierte gerne kleinere Abschnitte des recht schmalen Bändchens, das sich wegen seiner Struktur ganz besonders zur Textauswahl eignete. Vor der Jahrhundertmitte erfaßte die Ordensreform immer größere Gebiete. Das wirkte sich bei vielen Konventen positiv auf Skriptorien und Bibliotheken aus, deren Bestand man rasch zu verbessern suchte38. In diesem Zusammenhang wurden die vier Bücher der Nachfolge Christi immer mehr als Gesamtwerk kopiert, das in einem konsequenten Ablauf auf die 'Devota exhortatio ad sacram communionem' (Buch IV) hinarbeitete. Daneben verbreitete sich in Bayern und Österreich - bei den Benediktinern - eine Version, die nur die ersten drei Traktate umfaßte39. Die Abfolge der Bücher (Qui sequitur me, Regnum Dei, Audiam quid loquatur, Vox Christi) wurde dabei nur in Ausnahmefällen verändert40. Während anfanglich allein das erste Buch selbständig weitergegeben wurde, löste man seit den späten dreißiger Jahren andere Bücher oder Bücherkombinationen aus dem Gesamtzusammenhang. Um den Beginn des folgenden Jahrzehnts ging die Zahl der Abschriften dann gerade in den bisherigen Zentren der Imitatio-Rezeption zurück (vgl. Diagramm [II]) und folgte dabei dem reichsweiten Einbruch der Handschriftenproduktion41 in den Krisenjahren 1437/38 (vgl. Diagramm [I])42. 36
Mainz, Stadtbibl., 162, ebd. I 72,1 115,1 129,1 131,1 150,1 151,1 156,1 161,1 163,1 168,1227, I 297, I 307, I 405, I 621, II 160, II 274; für St. Matthias vgl. Anm. 20; bei den Salzburger Handschriften ist die Provenienz im Einzelfall nicht nachweisbar. 37 Zur Lektüre der Geistlichen vgl. Spätmittelalterliche geistliche Literatur in der Nationalsprache, I/II, Salzburg 1983/84; F. W. OEDIGER, Über die Bildung der Geistlichen im späten Mittelalter (Studien und Texte zur Geistesgeschichte des Mittelalters 2) Leiden-Köln 1953. 38 Vgl. P. BECKER, Benediktinische Reformbewegung und klösterliches Bildungsstreben. Die rheinischen Abteien der Bursfelder Kongregation, in: Rottenburger Jb. für Kirchengeschichte 11 (1992) 161-174; V. REDLICH, Tegernsee und die deutsche Geistesgeschichte im 15. Jahrhundert (Schriftenreihe zur bayer. Landesgesch. 9) München 1931 (ND 1974). 39 Hier lag anscheinend ein eigenständiger Überlieferungsstrang vor. Die benediktinische Meßfrömmigkeit unterschied sich nicht grundsätzlich von der der übrigen Kirche: A. HEINZ, 'Opus et meditatio simul peragantur'. Priesterliche Meßfrömmigkeit im benediktinischen Reformmönchtum des 15. Jahrhunderts, in: Itinera Domini. Gesammelte Aufsätze aus Liturgie und Mönchtum. Festschrift für Emmanuel v. Severus OSB, Münster 1988, 319-340. 40 Zuerst: Wolfenbüttel, Herzog August Bibl., Codex Guelf. 808 Heimst. (Cat. 904; ca. a. 1434); Brüssel, Bibl. Royale 5855-61 ("Autograph" des Thomas von Kempen, a. 1441). 41 Die Kurve der Gesamtproduktion beruht u.a. auf folgenden Quellen: Manuscrits datés conservés en Belgique. Notices et tabl. sous la direction de F. MASAI/ M. WITTEK, I-V, Bruxelles-Gent 19681987; Katalog der datierten Handschriften in lateinischer Schrift in Österreich, hrsg. von der Österr. Akad. der Wiss., Kommission für Schrift und Buchwesen, I-VIII, Wien u.a.. 1969-1988; B. M. VON SCARPATETTI, Katalog der datierten Handschriften in der Schweiz vom Anfang des Mittelalters bis 1550,1-III, Zürich 1977-1991, und die datierten Manuskripte bei KRÄMER, Handschriftenerbe (Anm. 20). Manuscrits datés conservés dans les Pays-Bas. Catalogue paléographique des manuscrits en écriture latine, portant des indications de date, par G. I. LLEFTINCK/ J. G. GUMBRECHT, I-II, Köln 1964-1988; C. SAMARAN/R. MARICHAL, Catalogue des manuscrits en écriture latine, portant des indications de date, de lieu ou de copiste, I-VII, Paris 1959-1984.
VERBREITUNG U N D REZEPTION DER 'IMITATIO CHRISTI'
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Vom schwindenden Interesse der Kopisten war fast ausschließlich das isolierte erste Buch betroffen. Die Imitatio Christi machte dann auch als Gesamtwerk die bald wieder steigende Produktion im Reich nicht mehr mit, sondern blieb bis in die sechziger Jahre auf einem recht gleichmäßigen Niveau. Ein Erklärungsversuch muß zwei Fragen beantworten: (1) Aus welchen Gründen nahm die Zahl der Abschriften des ersten Teils um 1440 deutlich ab? Gerade vor der Jahrhundertmitte exzerpierte man die Nachfolge Christi und setzte sich mit einzelnen Leitsätzen intensiv auseinander - als Grundlage eigener religiöser "Meditationen". So kombinieren zwei Handschriften der Kölner Kreuzherren (vor 1450) auf wenigen Folioseiten ganz unterschiedliche Texte mit Abschnitten der Imitatio Christi, nämlich: Augustinus, Gregor, Bernhard v. Clairvaux, Hugo v. St. Victor, Hieronymus, das 'Speculum Monachorum', Gebetsratschläge, Viten, Exerzitien, die 'Meditationes de passione Christi' usw.43. Viele ähnliche Beispiele ließen sich anfügen. Die Zahl solcher (lateinischer) Kompilationen ging nach 1440 zurück, weil die Nachfolge Christi später mehr und mehr als Gesamtwerk angesehen wurde. Schon in den vierziger Jahren stieg der Anteil der vollständigen Ausgaben stark an. Dies weist auf eine veränderte Haltung zum Schreiben als "meditativer Tätigkeit" hin. In den sechziger Jahren wurde die Imitatio Christi allerdings nochmals vermehrt exzerpiert, und jetzt von einer ganz neuen Lesergruppe! Zwar fertigte ein Regularkanoniker aus Eemstein schon 1428 eine erste auszugsweise Übersetzung ins Niederländische an (om orbaerkeit ende salicheit alre religiösen ende devoten men diet lesen of hören lesen44), damit man den Text weniger gebildeten Mitbrüdern vorlesen konnte, und auch die älteste deutsche Übersetzung des ersten Buchs aus dem Fraterhaus Weidenbach in Köln stammt bereits aus dem Jahr 1434. Friedrich Kölner, der 1430 aus Hersfeld nach St. Gallen gekommen war, übersetzte spätestens 1436 die ersten drei Bücher der Imitatio Christi ins Hochdeutsche45. In größerer Zahl tauchten nationalsprachliche Teilfassungen aber erst um 1460 in Kodizes auf, die in ihrer Zusammensetzung an die älteren lateinischen Exzerpt- und Predigtsammlungen erinnern, welche ebenfalls Teile der Imitatio Christi enthalten46. Das auf "Intellektuelle" zugeschnittene Buch47 stieß jetzt außerhalb der lateinisch gebildeten Konvente auf ein steigendes Interesse. Ob es sich dabei um Laienbrüder handelte oder ob hier schon von Anfängen einer breiteren Rezeption außerhalb der Klöster ausgegangen werden kann, ist nicht 42 Mit der schlimmsten Hungersnot des 15. Jahrhunderts: W.ABEL, Agrarkrisen und Agrarkonjunktur. Eine Geschichte der Land- und Ernährungswirtschaft Mitteleuropas seit dem hohen Mittelalter, Hamburg-Berlin '1978, 67 ff. 43 HAStK, GB 8° 60, und GB 8° 144. 44 Oxford, Bodleian Library, Marshall 124 (Cat. 5311), Hb. I 1 und II 3. Eine zweite volkssprachliche Fassung aus Gent spätestens 1443 von onse lieven gheminde maier suster wiven rincs enthält Buch II 5. HAStK, GB 4° 255; Gent, Univ.Bibl. 1339. 45 St. Gallen, Stiftsbibl., Cod. Sang. 965, ebd. Cod. Sang. 970 und 998. Friedrich Kölner wurde noch im Jahre 1436 aus St. Gallen in ein unbekanntes Reformkloster verbannt. Vgl. OCHSENBEIN, Spuren der Devotio moderna (Anm. 18) 480 und 488 f. 46 Vgl. etwa die Predigten, Betrachtungen und Gebete in: Cuijk, St. Agatha, C 1 0 (ca. a. 1473) und C 124 (a. 1452/53). Beide stammen aus Frenswegen - freundlicher Hinweis von Frau Dr. Irene Stahl, Herzog August Bibl., Wolfenbüttel. 47 E. MEUTHEN, Das 15. Jahrhundert (Oldenbourg Grundriß der Geschichte 9) München 21984, 88, zur Zielgruppe der Imitatio Christi: "Doch gilt die Mahnung zur Einfalt einem ungebildeten Tölpel?"
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endgültig zu klären . Jedenfalls waren die Übersetzungen auf die städtisch weiterentwickelten Niederlande (73 Manuskripte) und Süddeutschland (36 Manuskripte) konzentriert, wo es bereits eine kleine "Bildungsbürgerschicht" gab. Dagegen lag die Zahl der ungekürzten Fassungen von der Mitte der vierziger Jahre bis 1470 auf einem recht gleichmäßigen Niveau, weil die Imitatio Christi auch in Süddeutschland immer weitere Kreise erreichte. (2) Warum nahm die Zahl der Kopien des Gesamtwerks nach dem Höhepunkt von 1445 nur noch wenig zu? Bei einer angenommenen Verlustrate49 um etwa 95 Prozent lassen sich über 15 000 Handschriften der Imitatio Christi aus dem 15. Jahrhundert hochrechnen, allein 12 500 aus dem Reich, von denen etwa 3700 fast den gesamten Text umfaßten. In einer Zeit, in der die meisten Bücher - wegen ihres Preises, aber auch wegen der gemeinschaftlichen Lebensform vieler "Leser" mehreren Benutzern zugänglich waren, kamen jährlich somit immer noch beinahe hundert Kopien (Buch I-III/I-IV) hinzu, obwohl die Erbauungsschrift im Gegensatz etwa zur Bibel auf bestimmte Regionen und Kongregationen konzentriert war. Weil es keine Bibliographien, mißverständliche Buchtitel und nur wenige Kataloge gab, dauerte es damals lange, bis ein neues Buch in den Kanon der Standardliteratur aufgenommen wurde. Einen Büchermarkt gab es noch so gut wie gar nicht. Textvorlagen für Abschriften galt es selbständig zu beschaffen, dazu mußte man aber zuerst einmal von der Existenz eines Werkes wissen! Weil selten zitiert, öfter aber kompiliert wurde, fanden sich in Büchern kaum bibliographische Angaben. Wichtig waren damals mündliche Hinweise, die z.B. der eingangs angeführten Literaturliste zugrundeliegen. So etwas brauchte aber wegen der geringen Mobilität (gerade des Rezipientenkreises der Imitatio Christi) seine Zeit, wenn nicht zufallig besondere Anlässe wie etwa große Kirchenversammlungen die geistige Elite zu weiten Reisen nötigten. Deshalb verbreitete sich die Nachfolge Christi nach 1440 nur noch dort, wo die Windesheimer Kongregation, der Kartäuserorden und die Melker Reformer die notwendigen institutionellen und persönlichen Verbindungen herstellten. Obwohl die Klosterverbände nicht an "nationale" Grenzen gebunden waren - die älteste (1438) englische Handschrift stammt aus der Kartause Sheen50 - nahm man das Buch besonders in Frankreich vor dem Ende des Hundertjährigen Krieges, aber auch in Italien nur zögernd zur Kenntnis. Der Grund hierfür war nicht das mangelnde Interesse des dortigen Leserpublikums. Denn sobald der Text unter Gersons Namen durch den Buchdruck veröffentlicht51, d.h. faßbar und bekannt wurde, entwickelte sich eine starke Nachfrage, die anfanglich durch die Offizinen kaum befriedigt werden konnte. 48
Man kann davon ausgehen, daß Bücher aus Laienbesitz in geringerer Zahl erhalten sind, weil sich die grundsätzlich kleineren Bibliotheken wegen der wiederholten Erbgänge rasch auflösten. Daher ist eine höhere Verlustrate bei nationalsprachlichen Handschriften zu erwarten. Vgl. H. J. KOPPITZ, Fragen der Verbreitung von Handschriften und Frühdrucken im 15. Jahrhundert, in: Buch und Text im 15. Jahrhundert. Arbeitsgespräch Wolfenbüttel 1.-3. März 1978, hg. von L. HELLINGA/ H. HÄRTEL (Wolfenbütteler Abhandlungen zur Renaissanceforschung 2) Hamburg 1981, 179-188. 49 Vgl. dazu die unten gegebenen methodischen Hinweise. 50 Oxford, Magdalen College, XCIII (Cat. 2334). 51 Drucke dienten daher noch als Vorlage für vollständige Abschriften; z.B. Marburg, Univ.Bibl., 32; Wolfenbüttel, Herzog August Bibl., Codex Guelf. G.13 657 Heimst, (nach: Straßburg 1488); Florenz, Uffizzi, E. 2577 (nach: Venedig 1483).
VERBREITUNG UND REZEPTION DER TMITATIO CHRISTI'
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Ein weiterer Grund für die regionale Beschränkung der Imitatio-Rezeption läßt sich nur vermuten. Der Erfolg mancher Werke, z. B. der pseudo-bernhardischen 'Meditationes' oder des pseudo-augustinischen 'Speculum peccatoris'52, wurde durch die vermeintliche Verfasserschaft eines Kirchenvaters oder großen Gelehrten beschleunigt. Dagegen überliefern die meisten Handschriften die Imitatio Christi anonym; nur etwa zehn führen vor 1470 Thomas von Kempen53 (ca. 1380-1471) auf, der älteste sicher datierbare Beleg stammt von 1441 - d e r sogenannte 'Autograph'. Ähnlich selten wird "Gerson" (1363-1429) bzw. "Gersen" (1. Hälfte des 13. Jahrhunderts)54 erwähnt, allerdings laut T. Lupo in mehreren Handschriften des 14. und frühen 15. Jahrhunderts55. Recht früh wurde die Nachfolge Christi auch einem unbekannten Kartäuser56 (Heinrich von Kalkar57?) zugeschrieben, 1428 in einem Erfurter Manuskript58 und im folgenden Jahr in einer Göttweiger Abschrift mit dem Incipit Editus per quendam Carthusianum in reno59. In Einzelfällen vermutete man Bernhard v. Clairvaux (1433/36) 60 , Bonaventura61, Anselm (von Canterbury) und Augustinus als Verfasser. Insgesamt handelt es sich bei den Autorenangaben aber um seltene Ausnahmen. Die unabhängige Tradierung einzelner Teile wurde darüber hinaus dadurch gefördert, daß das Gesamtwerk keinen einheitlichen Titel besaß und oft wie das erste Buch 'De imitatione Christi et contemptu omnium vanitatum mundi' hieß. Vielen Skriptorien war unbekannt, daß auf die 'Admonitiones' noch drei weitere Traktate folgen. Andererseits wurde mehrfach das 'Exercitatorium monachiale' (Pseudo-Thomas von Kempen) in den Ablauf eingereiht und abschließend das
52
G. ROTH, Sündenspiegel im 15. Jahrhundert. Untersuchungen zum pseudo-augustinischen 'Speculum peccatoris' in deutscher Überlieferung (Deutsche Literatur von den Anfängen bis 1700, 12) Bern u.a. 1991. 53 Bzw. einen unbekannten Regularkanoniker: Wien, ÖNB, 4 3 3 8 (Theol 7 8 8 ; ca. a. 1 4 4 0 ) : fecit quídam Canonicus Regularis ordinis S. Augustini. Nicht unbedingt Thomas von Kempen! Vgl. München, Bayer. Staatsbibl., clm 2 7 4 1 2 : editus a quodam canonico regulari in monasterio Podichen Hardeburgensis diócesis provincie Coloniensis (Böddeken, Paderborn); ähnlich: Padua, Bibl. universitaria, 513. 54 BONARDI/ LUPO, L'Imitazione (Anm. 5) I, besonders 1 ff. und 5 ff.; LUPO, Nuovi codici Gerseniani (Anm. 5), und T. LUPO, I manoscritti primitivi del >De Imitatione Christk, in: Benedictina 27 ( 1 9 8 0 ) 5 7 4 - 6 1 8 , beleben die alte These, es handele sich um einen Benediktiner aus Vercelli ( 1 2 2 3 1 2 4 0 ) , den zuerst Cajetan 1 6 1 5 als Verfasser der Imitatio Christi vermutete. Es ist allerdings nicht einmal sicher, daß in Vercelli ein Abt Johann Gersen lebte. 55 Die jeweiligen Handschriften listen BONARDI/ LUPO, L'Imitazione (Anm. 5) II 1-6, tabellarisch auf. In AXTERS "Handschrifteninventaris" (Anm. 5) finden sich zwar weitere Kodizes, die Autor und Titel angeben, aber bei den bisher von mir überprüften handelte es sich um nachträgliche Angaben von anderer Hand. Manche Kataloge nennen fälschlicherweise einen Autor, ohne kenntlich zu machen, daß dessen Name im Text gar nicht vorkommt; z.B. die auch laut AXTERS, Handschrifteninventaris (Anm. 5) 90, Thomas von Kempen zugeschriebene Wolfenbütteler Handschrift: Herzog August Bibl., Codex Guelf. 3 6 9 Heimst. (Cat. 4 0 4 , a. 1 4 2 1 / 2 6 ) . 56 Ludolf v. Sachsen: Lille, Bibl. de la ville, 138, a. 1538. 57 Wolfenbüttel, Herzog August Bibl., Codex Guelf. 896 Heimst. (Cat. 998): ut dicitur Thome [...] auctore Henrico Kalkarensi. 58 Bristol, Library of the Catholic Bishop of Clifton (= Erfordensis 1, verschollen) ex-libris: Vit de kartuize van Salvatorberg bij Erfurt. 59 Göttweig, Stiftsbibl., 4 6 7 ( 2 8 6 ) . B O N A R D I / L U P O , L'Imitazione (Anm. 5 ) : a. 1 4 2 9 / 3 0 ; danach: Wien, ÖNB, 4 0 6 4 (Nov. 2 1 9 = Gemnicensis VI): a. 1 4 3 9 . 60 Valenciennes, Bibl. de la ville, 1 7 9 ( 1 7 1 ) , insgesamt fünf Zuschreibungen. 61 Insgesamt vier Handschriften, eine von 1467.
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'Soliloquium Animae' des ("echten") Thomas von Kempen ergänzt62, so daß man dann auf "Sechs Bücher der Nachfolge Christi" kam. Das heterogene Bild sollte sich nach der Erfindung der Typographie bald ändern. Klangvolle Namen berühmter Gelehrter waren für den Verkaufserfolg äußerst förderlich; daher kam es schnell zur Einführung von Titelblättern, die Verfasser und Herkunft der Druckerzeugnisse nannten. Knapp zwei Drittel der ca. einhundert Inkunabeln weisen die Nachfolge Christi einem bestimmten Autor zu: in Italien, in Spanien, bald auch in Frankreich und in England Jean Gerson, dessen 'De meditatione cordis' man oft mit in den Band aufnahm, im Reich einschließlich der Niederlande und der Schweiz etwas später Thomas von Kempen63. Brescia, das anfänglich Bernhard von Clairvaux favorisierte, produzierte für den italienischen Markt64 und ging daher bald ins "Lager Gersons" über. Den Buchhändlern war damals weniger wichtig, wer tatsächlich der Verfasser war, solange der Käufer nur wußte, um welches Buch es sich handelte. Deshalb wurde nur selten durch den Zusatz attribuitur65 oder alternative Autorennamen66 auf die unsichere Herkunft des Werkes hingewiesen. Ungefähr 20 Jahre nach der Erfindung der Typographie ging die Zahl der Manuskripte europaweit schnell zurück, als 1470 massenweise mechanisch hergestellte Bücher auf dem Markt erschienen. Davon war auch die Imitatio Christi betroffen, deren Entwicklung parallel zum allgemeinen Niedergang der Handschriftlichkeit verlief (vgl. Diagramm [I]). Man könnte zwar annehmen, die abnehmende Kopistentätigkeit sei in diesem Fall eine direkte Reaktion auf den frühen Imitatio-Druck in Augsburg (vor Juni 1473, ein weiterer: Tübingen 1472 ist zweifelhaft 67 ), doch die wenigen mechanisch hergestellten Exemplare der Nachfolge Christi reichten keinesfalls aus, um den manuellen Reproduktionsrückgang dieses Werkes zu kompensieren (vgl. Diagramm [III]), bis zu Beginn der achtziger Jahre ein deutscher Druck und zahlreiche lateinische Ausgaben folgten. Grund für die negative Entwicklung war der schwindende Stellenwert der Handschriftlichkeit bzw. des Schreibens, das bis dahin einen besonderen Rang im klösterlichen Leben besessen hatte68. Insbesondere Teilkopien der Imitatio Christi 62
So etwa in Wolfenbüttel, Herzog August Bibl., Cod. Guelf. 657 Heimst., 808 Heimst. (Cat. 904), 896 Heimst. (Cat. 998), 953 Heimst. (Cat. 1055). 63 Trithemius unterschied zwei Autoren dieses Namens, deren älterer die Nachfolge Christi verfaßt habe. Ciaruit Thomas iste senior [...] sub Ruperto Bavaro imperatore, anno MCCCCX. Doch wird das hohe Alter und wechselhafte Leben des Augustinerchorherrn die Fehleinschätzung verursacht haben. Catalogus illustrium virorum Germaniae (Mainz 1495); hg. von M. FREHER, Johannes Trithemii opera histórica, Frankfurt/M. 1601,1 151. 64 Im Unterschied zu den übrigen politischen Grenzen ("Reich") rechne ich Reichsitalien zu "Italien". 65 Ohne Ort, ca. 1480; Toulouse 1488; Rouen 1498; Paris 1493. 66 Brescia 1481 (Bernhard v. C\a\T\a.xndJohanni Gerson tribuitur); Paris 1493 (Thomas von Kempen/Jean Gerson); Nürnberg 1494: (falso Joh. Gersoni impingitur)-, französisch o.O. ca. 1500 (Jean Gerson/ Bernhard von Clairvaux). Das Incipit Libellus devotus et utilis titulo vita Christi gerson alias tomas de chimpis De imitatione Christi (Mailand, Bibl. Ambrosiana, a 36 sup., a. 1436) steht laut BONARDI/ LUPO, L'Imitazione (Anm. 5) II 43 f., auf einer Rasur. 67 Wohl eine Verwechslung von de Backer. Herr Dr. Holger Nickel (Staatsbibl. Berlin, Gesamtkatalog der Wiegendrucke) teilte mir freundlicherweise mit, daß das GW-Manuskript (wie auch F. R. GOFF, Incunabula in American libraries. A third census of fifteenth-century books recorded in North American collections, New York 1964, 325) vor 1480 nur den Augsburger Druck nennt. 68 Der Rückgang betraf gedruckte und nicht gedruckte Werke in gleicher Weise.
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waren von der rückläufigen Entwicklung betroffen, während die Zahl der Manuskripte mit dem gesamten Text auch in den neunziger Jahren zumindest konstant blieb, obwohl man gedruckt nur Gesamtausgaben kaufen konnte! Die Tätigkeit des Schreibens hatte - schon vor der Gutenbergschen Erfindung - gegenüber dem Endprodukt "Buch" entscheidend an Boden verloren. Das "Manuskriptzeitalter" war längst zu Ende, als Johannes Trithemius in seinem 'De laude scriptorum pulcherrimus tractatus' 1492 mahnte69: Nemo cogitet, fratres, nemo dicat: quid necesse est me scribendo fatigari, cum ars impressoria tot tantosque libros transfiindat in lucem, ut modico ere magnam bibliothecam possimus instruere? Vere, quicunque talia loquitur, ocio suo tenebras facere conatur. Tabelle VI: Auflagenzahlen der "Bestseller" (1450-1530) Titel Brevier Missale Bibel (Plenarien)/nationalsprachlich Psalter Jacobus de Voragine, Legenda Aurea
Europa »900 «740 337/74 >260 212
Imitatio Christi
179
Sallust, Catilina/»Jugurtha Valerius Maximus, Facta et dicta (Ps.-) Bernhard v. Clairvaux, Meditationes (Ps.-) Augustinus, Meditationes/«Soliloquium
116 81 32 38
nur Reich «300 «240 162/36 >125 128 59 32 17 6 8
Gutenbergs Erfindung hatte aber nur kurzfristig negative Auswirkungen auf die Imitatio Christi, die im Gegenteil der neuen Technologie ihren europaweiten Erfolg verdankte. Seit 1480 setzte sich das Thomas von Kempen und Gerson zugeschriebene Buch zuerst in Deutschland und bald in Italien und Frankreich deutlich von den übrigen 'libri devoti' ab. Diese "Verspätung" ist ein weiterer Beleg dafür, daß der Bekanntheitsgrad des Textes bis dahin nicht zu hoch eingeschätzt werden darf. Die Frühdrucke verteilen sich weit gleichmäßiger als die Manuskripte; den 59 deutschen Drucken bis 1529 stehen immerhin 120 Ausgaben aus den Nachbarländern gegenüber. Die lateinische Gesamtauflage der Nachfolge Christi erreichte in Deutschland bis 1530 ca. 20 000 Exemplare, der Verkauf blieb damit weit hinter Bibeln, Brevieren, Meßhandbüchern, Psaltern und Heiligenlegenden zurück. Gerade ein Vergleich mit den Brevieren bietet sich an, weil man hier ebenfalls von einer "privaten" Benutzung ausgehen kann70. Nur ein Teil 69
Mainz 1494 (Hain »15617), Kapitel VII bei: H. WIDMANN, Von Nutzen und Nachteil der Erfindung des Buchdrucks - aus der Sicht der Zeitgenossen des Erfinders (Kleiner Druck der Gutenberg Ges. 92) Mainz 1973, 40 f. Vgl. D. I. HOWIE, Benedictine monks, manuscript copying and the Renaissance: Johannes Trithemius' "De laude scriptorum", in: Revue Bénédictine 86 (1976) 129-154, bes. 151-153; K. ARNOLD, Johannes Trithemius (1462-1516) (Quellen und Forschungen zur Geschichte des Bistums und Hochstifts Würzburg 23) Würzburg 21991, 62 ff., 247 und 265. 70 Die Auflagenhöhe solcher Handbücher lag allerdings unter dem Durchschnitt, weil sie oft auf den begrenzten Absatzmarkt einer Diözese zugeschnitten waren. Zudem muß man von einem hohen Verschleiß ausgehen.
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der Kleriker und Mönche wurde also von der Imitatio Christi angesprochen, die man weiterhin besonders im Norden des Reiches und in den Niederlanden rezipierte. Relativ zur Bevölkerungszahl war der Erfolg in Italien und besonders in Frankreich sogar größer als in Deutschland, wo man allerdings im Gegensatz zum übrigen Europa auch auf zahlreiche Manuskripte zurückgreifen konnte. Tabelle VII: Gedruckte Ausgaben der Imitatio Christi Zeitraum: Herkunft Reich/lateinisch dt./niederdt./niederländ. Italien/lateinisch italienisch Frankreich/lateinisch französisch übriges Europa/lateinisch englisch spanisch Auflagenhöhe (ca.)
14701479
1480- 1490- 1500- 1510- 15201489 1499 1509 1519 1529 2 19 6 5 1 3 3/1 3/1/2 1/2/2 2/0/4 0/0/2 7 5 3 1 5 1 5 11 5 6 4 5 10 6 8 3 3 7 1 1 6 1 1 4 3 1 4 1 1 1 0
300
400
1000
1000
1000
1200
Tabelle VIII: Volkssprachliche Werke im Reich Zeitraum: Titel Imitatio Christi Lucidarius Belial Melusine Narrenschiff
-1479 2 13 12 0
14801489 4 15 8 7 0
14901499 6 11 4 1 13
15001509
15101519 5 5 2 1 3
15201529 6 7 0 1 2
2 1 0 0 0
Das Erbauungsbuch erreichte in gedruckter Form einen ganz anderen Leserkreis als zuvor; die nationalsprachlichen Ausgaben machen weit über die Hälfte vom Gesamt der Inkunabeln und Frühdrucke aus. Die Nachfrage nach italienischen Übersetzungen war so groß, daß die Produktion erst nach fast 30 000 Exemplaren langsam zurückging. Mit über 10 000 deutschen und fast ebenso vielen niederländischen Drucken bis 1530 erreichte der Verkauf im Reich beinahe d a s Maximum des überhaupt Möglichen. Einzig der 'Lucidarius', dessen Verbreitung von G. Steer das Attribut "ohne Beispiel" erhielt71, kam noch über 20 000 Stück hinweg. 'Melusine', 'Belial' und ähnliche erbauliche volkssprachliche Lesebücher72 71
Verf.Lex V (1985) 943. Vgl. A. SCHMITT, Die deutschen Volksbücher. Ein Beitrag zur Begriffsgeschichte und zur Tradierung im Zeitraum von der Erfindung der Buchdruckerkunst bis 1550, Diss. (Masch.schritt) Berlin/Ost 1973, Tabelle 8; die zweifelhafte Ausgabe Straßburg 1498 wurde nicht berücksichtigt. 72 Ebd. Tabelle 6 und 30. N. H. OTT, Rechtspraxis und Heilsgeschichte. Zu Überlieferung, Ikonographie und Gebrauchssituation des deutschen "Belial" (Münchener Texte und Untersuchungen zur
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lagen deutlich darunter. Sebastian Brants 'Narrenschiff, oft als das herausragende deutsche Werk gewürdigt, blieb nach 18 deutschen, niederdeutschen und niederländischen Auflagen erst einmal 20 Jahre lang ungedruckt (vgl. Tabelle VIII). Ein größerer Anteil an Übersetzungen wurde in Deutschland einzig bei der 'Legenda aurea' erreicht, aus der in den Klöstern täglich Viten vorgelesen wurden. Die zahlreichen deutschen und niederländischen Versionen der Imitatio Christi lassen sich aber wohl kaum in gleicher Weise erklären, weil sie eher auf das "private" kontemplative Studium als auf den "öffentlichen" Vortrag zugeschnitten waren. Die Typographie erschloß ihr besonders in Italien und den Niederlanden einen ganz neuen Absatzmarkt oder erweiterte diesen zumindest stark: auf Leser, welche die lateinische Sprache entweder gar nicht oder nur unzureichend beherrschten - zum großen(?) Teil gebildete Laien. In Westeuropa war das Interesse noch deutlich geringer, nach etwa 10 000 französischen Drucken folgte erst einmal eine längere Pause von 1501 bis 1513. In Frankreich und Italien hergestellte lateinische Bücher wurden auch in Spanien verkauft. Die Bemühungen des Kardinales Ximenes de Cisneros schlugen sich auf der Iberischen Halbinsel seit 1482 in immerhin sieben volkssprachlichen Ausgaben nieder. Aus dem Reich belieferte man den Norden und Osten Europas, aber auch England, das sich sogar mit nationalsprachlichen Büchern kaum selbst versorgen konnte. Erst 1502 kam in London ein englischer, 1503 ein lateinischer Druck unter die Presse. Zur gleichen Zeit erlitt die Imitatio Christi auf dem Kontinent bereits einen starken Absatzeinbruch, der 1490 zuerst in Süddeutschland begann. Anstatt sich an neue Texte zu wagen, hatten viele Offizinen im Reich erfolgreiche Titel immer wieder nachgedruckt und den Markt damit völlig überfrachtet. Darauf spielten 1495 die bekannten Verse aus Sebastian Brants "Narrenschiff an: All land syndt yetz voll heyiger geschrifft. Und was der seien Heyl antrifft, Bibel, der heyigen vätter ler Und ander der glich buocher mer, in maß, das ich ser wunder hab Daß nyemant bessert sich dar ab.13 Wegen der anfanglichen Fehlkalkulation ging auch die Zahl der Imitatio-Ausgaben um die Jahrhundertwende schlagartig fast auf Null zurück - 20 Jahre vor der Reformation, die "Thomas von Kempen" dann in den protestantischen Teilen Europas endgültig aus dem Kanon der Standardliteratur drängte74. Dieser Einschnitt ermöglicht uns ein vorläufiges Fazit. Im "Manuskriptzeitalter" war der Leserkreis der Nachfolge Christi auf bestimmte kirchliche Gruppen beschränkt und eng mit der Devotio moderna verbunden. Gleichsam im Gefolge der Reformbewegung verbreitete sich das Werk aus den Niederlanden und dem Rhein-Moselraum nach Süddeutschland. Das Interesse der Windesheimer und anderer Regularkanoniker, der Benediktiner aus dem Umfeld der Melker Reform und der Kartäuser richtete sich lange auf die 'Admonitiones ad spiritualem vitam utiles'. Die "private" Benutzung sorgte im rheinisch-niederländischen Raum bereits vor 1440 für viele (Teil-)Abschriften. Auch eine vollständige Fassung des Textes gehörte im Reich bald zum Bestand vieler Bibliotheken. Das kontemplative Schreiben verlor schon vor 1450 an Bedeutung und man konzentrierte sich immer stärker auf das Endprodukt "Buch". Aus dieser Sicht stellte die Erfindung deutschen Literatur des Mittelalters 40) München 1983. 73 Seb. Brants Narrenschiff, hrsg. v. F. ZARNCKE, Leipzig 1854 (ND 1964) 2. 74 Auch wenn es durch den Pietismus hier später zu einer "Renaissance" kam!
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der Typographie keine entscheidende Zäsur der "Rezeptionsgeschichte" der Imitatio Christi dar. Andererseits begann man bald, die Druckerzeugnisse im großen Stile zu vermarkten und zu standardisieren. In diesem Zusammenhang legte man sich auch auf einen Autor fur das Erbauungsbuch fest: im Reich war das Thomas von Kempen, im Süden und Westen Europas Jean Gerson. Seit 1480 verbreiteten sich die vier devoten Traktate gemeinsam rasch in ganz Europa, allerdings stießen sie nicht in allen kirchlichen Kreisen auf ein gleichermaßen großes Interesse. Wichtiger war eine neue Leserschicht: die gebildeten Laien aus den städtisch weiterentwickelten Regionen Italiens, aus den Niederlanden, Süddeutschland und Frankreich, deren Zahl langsam zunahm. Die volkssprachliche Rezeption - dies sei weiterblickend bemerkt - ermöglichte erst den ungeheueren Erfolg, den die Imitatio Christi hundert Jahre später im katholischen Europa, insbesondere aber in Frankreich und den Niederlanden haben sollte. Methodische Hinweise (1) Grundlage für die Erfassung der Manuskripte war S. G. Axters "Handschrifteninventaris", das durch eine ganze Reihe weiterer Veröffentlichungen zu ergänzen ist75. Zahlreiche über Axters hinausgehende Hinweise auf Textbestand, Sprache, Entstehungszeit und -ort der Kodices wurden den gedruckten Handschriftenkatalogen und S. Krämers "Handschriftenerbe des deutschen Mittelalters"76 entnommen. Zudem konnten 31 Manuskripte hinzugefügt werden (siehe Anhang). Tabelle IX: Auflage und Verlustrate ausgewählter Wiegendrucke Jahr 1471 1468 1465 1499 1472 1478 1500 1480
Druckort Rom Rom Subiaco Venedig Paris Venedig Paris Würzburg
Titel Cyprian Augustinus Cicero, De oratore Dioscurides Cicero, De oratore Biblia latina Erasmus, Adagia Breviarium Ratisbon.
Auflage erhalten 275 47 275 >26 22 275 1000 67 200 13 930 31 1000 20 400 7
% 17 >10 8 6,7 6,5 3,3 2,0 1,7
Aus den vorliegenden Handschriften wurde die Zahl der im 15. Jahrhundert geschriebenen Texte hochgerechnet. Der Prozentsatz erhaltener Manuskripte ist leider unbekannt. G. Eis setzte vor einigen Jahrzehnten eine Zahl unter einem Prozent an77. Überträgt man seinen Schätzwert auf andere Werke, so hätten z.B. von Bedas 'De ratione temporum' schon im 9. Jahrhundert über 7500 Manuskripte existiert, weitere 3750 wären im "dunklen" 10. Jahrhundert geschrieben 75
Vgl. oben Anm. 5. Freundliche Hinweise verdanke ich Herrn Dirk Wassermann (Köln).
76
KRÄMER, H a n d s c h r i f t e n e r b e ( A n m . 20).
77
G. Eis, Vom Werden altdeutscher Dichtung. Literarhistorische Proportionen, Berlin 1962, 14 f.; dazu kritisch: H. J. KOPPITZ, Studien zur Tradierung der weltlichen mittelhochdeutschen Epik im 15. und beginnenden 16. Jahrhundert, München 1980, 27-33.
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worden: eine Größenordnung, die fern jeder annehmbaren Realität liegt . Im Gegensatz zu den Manuskripten ist bei einer ganzen Reihe von Inkunabeln die Auflagenhöhe bekannt (vgl. Tabelle IX)79. Von den ausgewerteten 60 Ausgaben mit über 25 000 Exemplaren haben sich heute zwischen fünf und zehn Prozent erhalten. Die Verlustrate war bei schmaleren und häufig benutzten Handbüchern weit größer als bei umfangreicheren Drucken. Man kann somit den Rückschluß wagen, daß heute höchstens fünf Prozent der ebenfalls wenig umfangreichen Imitatio-Manuskripte noch vorhanden sind. Bei den gleitenden Kurven (in Diagramm [I]) wurde sowohl der steigende Anteil datierter Handschriften am Gesamt als auch ihr unterschiedlicher Prozentsatz in Deutschland und im übrigen Europa berücksichtigt. (2) Die Angaben zu den Drucken stammen aus de Backers "Essai bibliographique", verschiedenen Inkunabelkatalogen, den großen Nationalkatalogen (NUC, CG, BMC, ÖNB Wien), dem Katalog der Bayerischen Staatsbibliothek, der Sammlung der Kölner Universitätsbibliothek80 und den Zentralkatalogen Nordrhein-Westfalens und Niedersachsens (mit Göttingen / Wolfenbüttel). Für die Auflagenhöhe wurde ein Durchschnittswert (in Tabelle VII) aus über 180 bekannten Ausgaben bis 1530 angesetzt (Beispiele liefert Tabelle IX). Die jeweilige Zahl wurde in den Diagrammen auf fünf Jahre verteilt, weil es oft sehr lange dauerte, bis alle Exemplare beim Leser angelangt waren.
Anhang: Bisher unbekannte Handschriften Basel, Univ.Bibl., A VI 30, fol. lra-62ra, a. 143[7], lib. I-III, Basel OP. — A VIII 32, fol. 55r-?, XV, lib. I, Kartäuser. — A IX 91, fol. lr-95r, a. 1468, lib. IV, per me fratrem Iohannem de Wezalia dyaconum in et pro domo Sancti Leonardi in Basilea (Regulierte Kanoniker). — A X 132, fol. 69r-?, XV 3. Viertel, lib. I. — A X 93, fol. 2r-?, XV Mitte, lib. I-III. — A I X 37, fol. 288r-?, XIV und XV, lib. I. — A XI42, fol. 145v-?, XV 1, lib. I (Teile). Brüssel, Bibl. Royale, 4976-82 (Cat. 2200), fol. 79-98v, XV, lib. IV, Kartäuser. — 4656-58 (Cat. 2211), fol. 10-93, a. >1600, lib. I-IV, Abschrift des Drucks: Amsterdam 1600. — 21889 (Cat. 2205), fol. 52v-70, XV, lib. I, Gruenendael. — 22005 (Cat. 2219), fol. l-303v, XVIII, lib. I-IV, italienische Verse. Dublin, Trinity College, 321 (C.4.9), fol. 113v-115, XV, lib. II 11/12, aus England. Frankfurt/M., Stadt- und Univ.Bibl., Ms. Barth. 108, fol. 143va-153rb, a. 1433, lib. I. Innsbruck, Univ.Bibl., Cod. 48, fol. 135ra-143va, XV Mitte (ca. 1455), lib. IV. 78
Bedae Opera de temporibus, ed. by W. JONES, Cambridge/ Mass. 1943. Der Gesamtkatalog der Wiegendrucke, I ff. Leipzig 1925 ff. (ND 1968), führt die heute erhaltenen Exemplare auf. 80 Herrn PD Dr. Wolfgang Schmitz (Univ.Bibl. Köln) danke ich für seine Hilfe. 79
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Karlsruhe, Badische Landesbibl., (Lichtenthai) L 70, fol. 329v, XV, üb. I 5-6. — St. Peter, Pap. 44, fol. 90r-92v, dt. XVI Anfang, lib. III 54. Köln, HASt (HAStK), GB 4° 37, fol. 119r und 135r, XV 1, Excerpte aus lib. I, Kreuzherren Köln. — GB 8° 60, fol. 66v-67r, XV 2. Viertel, lib. I 13, II 9, Kreuzherren Köln. — GB 8° 126, fol. lr-20v, XV 1. Drittel (a. 1410-1435), lib. I, Kreuzherren Köln. — GB 8° 144, fol. 49r-50v, a. ca. 1440, lib. III 3, 5, Kreuzherren Köln. — GB 8° 206 (verschollen), fol. 89r-124, XVI 1, Liber canonicorum regularium prope Nissiam sub custodia fr. Iohannis Zuchtelen-, Krämer: Jesuiten, Köln81. — W* 35, fol. 55r-68v, a. ca. 1499, lib. I, Kartause Köln, est Thome Kempis (fol. 1). München, Bayer. Staatsbibl., cgm 778, fol. 78v-81r, dt. lib. III 54, Tegernsee. — cgm 784, fol. 278r-280r, a. 1458, dt. lib. II 12, Scheyern. — cgm 826, fol. 245v- 258v, XV Ende, dt. (Elsaß) lib. IV (Teile). — cgm 828, fol. 173r-178r, a. ca. 1480, dt. lib. II 12. — cgm 457, fol. lr-131r, dt. a. 1465/72, lib. III, Indersdorf. München, Univ.Bibl., 2° Cod. Ms. 103, fol. 238va-250vb, XV Mitte (ca. 1463), dt. lib. I. Nürnberg, Germanisches Nationalmuseum, Hs 33035, fol. 4r-10r, llr-22v, 25r21T, a. ca. 1440, lib. I, II, III (Teile). — Hs 33035, fol. 287r-298v, a. ca. 1440, lib. I und II (Teile). Wien, ÖNB, Ser. nov. 3527 (ganzer Band), dt. ca. 1800, Teile in Versform.
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KRÄMER, Handschriftenerbe (Anm. 20) II 422.
VERBREITUNG UND REZEPTION DER 'IMITATIO CHRISTI'
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UWE NEDDERMEYER
Diagramm II: Datierte Handschriften der Imitatio Christi Niederlande 1
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Mitte und Norden des Reiches
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Süden (Bayern und Österreich) n
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VERBREITUNG UND REZEPTION DER 'IMITATIO CHRISTI'
Diagramm III: Manuskripte und Drucke der Imitatio Christi 2500
Reich III niederländische Drucke
2000
fl deutsche Drucke Q lateinische Drucke
1500
M Manuskripte
1000 500
2500
2000
1500
Italien
M italienische Drucke E3 lateinische Drucke I
Manuskripte
1000
2500 2000 1500
Frankreich H französische Drucke El lateinische Drucke H
1000
Manuskripte
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Wissenschaft und Bildung in der Erfurter Kartause im 15. Jahrhundert Ein anonymer Kommentar aus dem Bibliothekskatalog von St. Salvatorberg VON DIRK WASSERMANN Seit geraumer Zeit widmet sich die einschlägige Forschung einer Erscheinungsform der mittelalterlichen Geistesgeschichte, die im Schatten der großen Themen "Humanismus" und "Wegestreit" ein bislang eher verborgenes Dasein führte: der "monastischen Theologie" des 15. Jahrhunderts1. In ihr gingen monastische Spiritualität, Bildung und Reformgesinnung eine epochenspezifische Verbindung ein, die, bei aller offensichtlichen Abhängigkeit von älteren Traditionen, einen durchaus eigenständigen Charakter besaß2. Angesichts einer erst ansatzweise erfolgten Aufarbeitung der zahllosen Quellen muß eine nähere Bestimmung indes stets provisorische Züge tragen. So seien an dieser Stelle lediglich einige ihrer wichtigsten Merkmale genannt: die Ablehnung der als hypertroph empfundenen Scholastik zugunsten eines kontemplativen Bildungsideals, das Bemühen um einen direkten Rückgriff auf Väterliteratur und Hl. Schrift, ein empirischer Grundtonus und oftmals ihre Verwendung für praktische, pastorale Zwecke. Wenngleich offensichtlich alle Mönchsorden, insbesondere die Vertreter ihrer Observanzflügel, Affinitäten zu dieser Variante der monastischen Theologie aufwiesen, so nahmen zweifellos die Kartäuser eine Schlüsselposition für ihre Verbreitung ein: Nicht nur stand ihr Orden als einziger von allen im Ruf, keiner Reform zu bedürfen, da er niemals von der alten Regel abgewichen sei (Cartusia 1 Die Bezeichnung "monastische Theologie" ist nur einer von mehreren Versuchen einer näheren Bestimmung, vgl. etwa noch: "geistliche Theologie", "Universitätsspiritualität" und "Frömmigkeitstheologie". Aus der mittlerweile umfangreichen Literatur: J. SUDBRACK, Die geistliche Theologie des Johannes von Kastl. Studien zur Frömmigkeitsgeschichte des Spätmittelalters (Beiträge zur Geschichte des alten Mönchtums und des Benediktinerordens 27, 1-2) Münster 1966-1967, besonders Teil 1, 1-23; B. HAMM, Frömmigkeit als Gegenstand theologiegeschichtlicher Forschung. Methodisch-historische Überlegungen am Beispiel von Spätmittelalter und Reformation, in: Zeitschrift für Theologie und Kirche 74 (1977) 464-497, besonders 477 ff. Die gesamte Thematik vorläufig resümierend: U. KÖPF, Monastische Theologie im 15. Jahrhundert, in: Rottenburger Jb. für Kirchengeschichte 11 (1992) 117-135. 2 So bedürfen die Beziehungen der monastischen Theologie des 15. zu jener des 12. Jahrhunderts noch eingehender Untersuchungen, insbesondere auch im Hinblick auf die Rezeption einzelner Autoren. Dies gilt etwa für Hugo und Richard von St. Viktor, deren Einfluß auf die spätmittelalterliche Spiritualität nicht hoch genug bewertet werden kann. Doch sei vor allzu schnellen Analogisierungen oder gar Identifikationen gewarnt. Zur monastischen Theologie des 12. Jahrhunderts immer noch grundlegend: J. LECLERCQ, L'amour des lettres et le désir de Dieu, Paris 1957; neuerdings: J. LECLERCQ, Monastic and Scholastic Theology in the Reformers of the Fourteenth to the Sixteenth Century, in: From Cloister to Classroom. Monastic and Scholastic Approaches to Truth. The Spirituality of Western Christendom III, ed. by E. R. ELDER (Cistercian Studies, Series 90) Kalamazoo 1986, 178-201; sowie einführend: J. EHLERS, Monastische Theologie, historischer Sinn und Dialektik. Tradition und Neuerung in der Wissenschaft des 12. Jahrhunderts, in: Antiqui et Moderni. Traditionsbewußtsein und Fortschrittsbewußtsein im späten Mittelalter, hg. von A. ZIMMERMANN (Miscellanea Mediaevalia 9) Berlin-New York 1974, 58-79; A. HÄRDELIN, Monastische Theologie - eine "praktische" Theologie vor der Scholastik, in: Münchener Theologische Zeitschrift 39(1988) 109-120.
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DIRK WASSERMANN
numquam reformata, quia numquam deformata), sondern er war schon für die Zeitgenossen wegen des außergewöhnlichen Umfangs seiner Bibliotheken der traditionelle Bücherorden. Den Kartäusern und einem ihren Kreisen entstammenden Entwurf zur Legitimation monastischer Bildung - einem Kommentar aus dem Bibliothekskatalog der Erfurter Kartause St. Salvatorberg - gilt im weiteren das Interesse der vorliegenden Studie. Anhand einer Inhaltsanalyse soll ermittelt werden, inwiefern für den Verfasser des Kommentars zwischen Bildung bzw. "Wissenschaft" und spätmittelalterlicher monastischer Existenz innere, womöglich gar konstituierende Zusammenhänge existieren. Der dazu erforderlichen Textexegese seien einige einführende Bemerkungen vorausgeschickt. Jede Erörterung der monastischen Theologie des 15. Jahrhunderts greift zu kurz, sofern sie nicht die Situation an den zeitgenössischen Universitäten in ihre Betrachtungen mit einbezieht. Auch an diesen, so in Paris, Prag, und später in Wien, wurden in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts Rufe nach einer reformatio, in diesem Fall einer Reform der theologischen Studien, laut. Auf exemplarische und programmatische Weise von Jean Gerson anläßlich seiner beiden Vorlesungen 'Contra curiositatem studentium' im Jahre 1402 formuliert, finden sich vergleichbare Äußerungen schon in den Jahren und Jahrzehnten zuvor bei so unterschiedlichen Geistern wie Geert Grote, Heinrich Totting von Oyta oder auch Heinrich von Langenstein3. Mit dem Vorwurf der curiositas polemisieren diese Reformer gegen eine Wissenschaft, die in Anlehnung an das Apostelwort 1 Kor 8,1 nicht mehr aufbaut, sondern aufbläht. Entsprechende "Mißstände": subtile Differenzierungen, Neuerungssucht, insbesondere auch die Reduktion des Offenbarungswissens auf die 3
Erste Anzeichen dieser Entwicklung zeigt auf anhand der Bemühungen Benedikts XII. um eine Studienreform L. BOEHM, Papst Benedikt XII. (1334-1342) als Förderer der Ordensstudien, in: Secundum regulam vivere. Festschrift für N. Backmund, hg. von G. MELVILLE, Windberg 1978, 281-310. Zur zeitgenössischen Diskussion im Umfeld der Pariser Universität: H. SMOLINSKY, Johannes Gerson (1363-1429), Kanzler der Universität Paris, und seine Vorschläge zur Reform der theologischen Studien, in: HJb 96 (1978) 270-295; C. BURGER, Aedificatio, Fructus, Utilitas. Johannes Gerson als Professor der Theologie und Kanzler der Universität Paris (Beiträge zur historischen Theologie 70) Tübingen 1986, besonders 40-70 und 110-125; G. EPINEY-BURGARD, Die Wege der Bildung in der Devotio Moderna, in: Lebenslehren und Weltentwürfe im Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit. Politik - Bildung - Naturkunde - Theologie, hg. von H. BOOCKMANN/ B. MOEL.LF.Ry K. STACKMANN (Abh. der Akad. der Wiss. in Göttingen, phil.-hist. Kl., 3. Folge, Nr. 179) Göttingen 1989, 181-200; H. M. KLINKENBERG, Die Devotio moderna unter dem Thema "antiqui-moderni" betrachtet, in: Antiqui und Moderni (Anm. 2) 394-419; W. HÜBENER, Der theologisch-philosophische Konservatismus des Jean Gerson, in: ebd. 171-200. Zur Situation an der Pariser Universität vgl. auch: Z. KATUZA, Les querelles doctrinales à Paris: Nominalistes et réalistes aux confins du XIV e et du XV e siècle, Bergamo 1988; S. BURROWS, Jean Gerson and 'De Consolatione Theologiae' (1418). The Consolation of a Biblical and Reforming Theology for a Disordered Age (Beiträge zur Historischen Theologie 78) Tübingen 1991. Zur Beurteilung der 'curiositas1: H . A . OBERMAN, Contra vanam curiositatem (Theologische Studien 113) Zürich 1974; SMOLINSKY, Johannes Gerson (siehe oben) 285 Anm. 94. Zu den Wiener Reformtheologen Heinrich von Langenstein und Heinrich Totting von Oyta vgl. die instruktiven Arbeiten von A. LANG, SO etwa: Die Universität als geistiger Organismus nach Heinrich von Langenstein, in: Divus Thomas 27 (1949) 41-86; sowie: Heinrich Totting von Oyta. Ein Beitrag zur Entstehungsgeschichte der ersten deutschen Universitäten und zur Problemgeschichte der Spätscholastik (Beiträge zur Geschichte der Philosophie und Theologie des Mittelalters 33, 4/5) Münster 1937; speziell zur Situation in Erfurt: E. KLEINEIDAM, Universitas Studii Erffordensis - Überblick über die Geschichte der Universität Erfurt im Mittelalter 1392-1521, Teil I: 1392-1460, Leipzig 2 1985, Teil II: 1460-1521, Leipzig 1969 ( 2 1992), hier: I 199 und II 21-37.
WISSENSCHAFT UND BILDUNG IN DER ERFURTER KARTAUSE
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Rolle eines bloßen Objekts der Dialektik, fuhren sie dabei nicht zuletzt auf fehlerhafte, in der Person ihres Betreibers selbst zu suchende Prämissen zurück. Nutzlose Wissenschaft beruht demnach zu einem beträchtlichen Teil auf einer verwerflichen Gesittung, auf Eitelkeit, Ruhm- und Profitsucht. Die Stoßrichtung der Kritik zielt somit weniger auf wissenschaftsimmanente Lösungen, sondern begibt sich vielmehr auf eine moralische Ebene, indem sie die individuellen "Schwächen" des Gelehrten und seine "lasterhafte" Lebensführung thematisiert. Vor diesem Hintergrund gewinnt für die Zeitgenossen ein traditionelles Ideal geistlicher Gelehrsamkeit an Attraktivität, das seit dem Siegeszug der Universitäten allenfalls noch ein Schattendasein führte: das des (schrift-)gelehrten Mönchs, der sich fernab der weltlichen Betriebsamkeiten allein in seiner Zelle dem (Bibel-)Studium widmet. Wie sich die Universität als Hort gelehrter Zänkerei und vorwitzigen Wissensdurstes darstellt, der "eitlen" disputatio, erscheint das Kloster nunmehr als Alternative des Intellektuellen, in der frommen lectio den akademischen Profilierungsversuchen zu entfliehen. Gottesfürchtig und gebildet sucht man sich in seiner Obhut einen anderen, verläßlicheren Zugang zum Verständnis der Schrift und somit zum heilsrelevanten Wissen zu eröffnen. Als bevorzugte Heimstätte dieses Ideals aber dienen ganz offensichtlich die Klöster der reformwilligen Observanten sowie der Kartäuser, denen allesamt ein bemerkenswert hoher Anteil universitär gebildeter Mitglieder zu eigen ist4. Auf eindrückliche Weise läßt sich diese Transformation des Ideals universitärer Gelehrsamkeit in das einer monastisch geprägten Bildung anhand der exemplarischen Entwicklung im Kartäuserorden in Mittel- und Westeuropa verfolgen. Aus verschiedenen Gründen, die hier nicht zu erörtern sind, erscheinen Regel und Organisation des ordo carthusiensis als Ideal zur Befriedigung spezifischer Ansprüche der spätmittelalterlichen Spiritualität5. Unterstützt durch weite Teile 4
Unter der ausufernden Literatur zur monastischen Bildung im Spätmittelalter zuletzt mit mehreren interessanten Beiträgen: ELDER (ed.), From Cloister to Classroom (Anm. 2); sowie W. WILLIAMS-KRAPP, Ordensreform und Literatur im 15. Jahrhundert, in: Jahrbuch der Oswald von Wolkenstein-Gesellschaft 4 (1986/87) 41-51, in dem die ordensübergreifenden Aktivitäten bei der Verbreitung von Literatur betont werden. Vgl. auch K. SCHREINER, Bücher, Bibliotheken und "Gemeiner Nutzen" im Spätmittelalter und in der Frühneuzeit. Geistes- und sozialgeschichtliche Beiträge zur Frage nach der "utilitas librorum", in: Bibliothek und Wissenschaft 9 (1975) 202-249; sowie K. SCHREINER, Verschriftlichung als Faktor monastischer Reform. Funktionen von Schriftlichkeit im Ordenswesen des hohen und späten Mittelalters, in: Pragmatische Schriftlichkeit im Mittelalter. Erscheinungsformen und Entwicklungsstufen, hg. von H. KELLER/ K. GRUBMÜLLER/ N. STAUBACH (Münstersche Mittelalter-Schriften 65) München 1992, 35-75. Aus der Reihe der zahlreichen Einzelstudien: K. GANZER, Monastische Reform und Bildung. Ein Traktat des Hieronymus Aliotti (1412-1480) über die Studien der Mönche, in: R. BÄUMER (Hg.), Reformatio Ecclesiae. Beiträge zu kirchlichen Reformbestrebungen von der Alten Kirche bis zur Neuzeit. Festgabe für Erwin Iserloh, Paderborn u.a. 1980, 181-199; N. HÖRBERG, Die Bücherschenkung des Augsburger Kardinals Peter von Schaumburg an das Kloster St. Mang zu Füssen (1460), in: Aus Archiven und Bibliotheken. Festschrift für Raymund Kottje zum 65. Geburtstag, hg. von H. MORDEK (Freiburger Beiträge zur Mittelalterlichen Geschichte 3) Frankfurt/M. u.a. 1992, 497521. 5 Einführend: J. HOGG, Kartäuser, in: TRE XVII (1988) 666-673; J. HOGG, Die Ausbreitung der Kartäuser, in: Analecta Cartusiana (künftig: An.Cart.) 89, Salzburg 1987, 5-26; H. RÜTHING, Zur Geschichte der Kartausen in der Ordensprovinz Alemannia inferior von 1320 bis 1400, in: Die Kartäuser. Der Orden der schweigenden Mönche, hg. von M. ZADNIKAR/A. WIENAND, Köln 1983, 139-167. Für die Literatur vor 1976 sei auf die Bibliographie von A. GRUYS verwiesen: Cartusiana. Un instrument heuristique, 2 Bde. und Supplement, Paris 1976-1978; im übrigen auf die Reihe der An.Cart., Berlin 1970 ff., später Salzburg. Zum wichtigen Aspekt der Ordensorganisation:
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DIRK WASSERMANN
der Bevölkerung breitet sich der Orden in erstaunlichem Tempo in den dichtbesiedelten Gebieten Deutschlands seit den Jahren nach 1320 aus. Auf die in der Mitte des 14. Jahrhunderts endende Etablierungsphase folgt seit den 1380er Jahren - es ist die Zeit der Universitätsgründungen im Reich - der rasche Ausbau fast aller Klosterbibliotheken, die schon nach wenigen Jahrzehnten zu den umfangreichsten Büchersammlungen im Reich zählen6. Die Bestände der Kartausen von Köln, Mainz und Basel im Westen sowie Erfurt im Osten sind nur herausragende Exempel einer Entwicklung, von der wahrscheinlich die meisten Häuser erfaßt werden und die den Ruf der Kartäuser, ein "Bücherorden" zu sein, auf nachhaltige Weise untermauert7. In gleichem Maße wächst die Zahl der Universitätsabsolventen, die, teils als junge Baccalare, teils erst am Ende ihrer Karriere als Doktoren, in den häufig stadtnahen Kartausen ihre Profeß ablegen. Mitunter besteht zu dieser Zeit der überwiegende Teil eines Konvents aus Akademikern, die das Eremitendasein gewählt haben und dennoch der "Welt" nicht verloren gehen. Insbesondere auch sorgt ein dichtes Geflecht von persönlichen Beziehungen dafür, daß der enge Kontakt der Klöster zu "ihren" jeweiligen Universitäten von beiden Seiten kontinuierlich gepflegt wird8. Neben der "Akademisierung" des Ordens sei ein weiterer Punkt angesprochen: die Bedeutung der Kartäuser für die spätmittelalterlichen Ordensreformen. Zunehmend wird in den letzten Jahren deutlich, welch wichtige Rolle sie für die Initiierung, Ausbreitung und Stabilisierung der Reformen spielten, sei es allein durch ihr Vorbild als strenge und aszetische Gemeinschaft oder auch durch die direkte personelle und materielle Unterstützung reformwilliger Klöster. Als Reformer schreibend, visitierend, beratend und mitunter sogar predigend, bewirken die Kartäuser eine effektive Ausbreitung ihrer Ideale über den eigenen Orden H. RÜTHING, "Die Wächter Israels". Ein Beitrag zur Geschichte der Visitationen im Kartäuserorden, i n : ZADNIKAR/ WIENAND, K a r t ä u s e r 1 6 9 - 1 8 3 . 6
Zur explosionsartigen Vermehrung der Bücherbestände in diesen Jahren und der Vorreiterrolle der Kartäuser vgl. die statistischen Erhebungen in der bald erscheinenden Habilitationsschrift von U. NEDDERMEYER. 7
Zu den spätmittelalterlichen Kartäuserbibliotheken einführend: J. P. GUMBERT, Over Kartuizerbibliotheken in de Nederlanden, in: Contributions à l'histoire des bibliothèques et de la lecture aux Pays-Bas avant 1600. Studies over het boekenbezit en boekengebruik in de Nederlanden voor 1600 (Archives et Bibliothèques de Belgique. Archief- en Bibliotheekwezen in België, n° spéc. 11) Brüssel 1974, 159-186. Zu den Bibliotheken einzelner Kartausen hier nur eine knappe Auswahl: R. B. MARKS, The Medieval Manuscript Library of the Charterhouse of St. Barbara in Cologne, 2 Bde. (An.Cart. 21) Salzburg 1974; H. SCHREIBER, Die Bibliothek der ehemaligen Mainzer Kartause. Die Handschriften und ihre Geschichte, Leipzig 1927 (ND 1968). Zur Überlieferung der reichen Handschriftenbestände vgl. die Erfassung durch S. KRÄMER, Mittelalterliche Bibliothekskataloge Deutschlands und der Schweiz. Ergänzungsband I (Handschriftenerbe des deutschen Mittelalters, Teil 1 und 2) München 1989. Die Entwicklung der spätmittelalterlichen Bibliotheksbestände primär als Ausfluß der Ordenstradition zu erklären, wie dies ehedem Lehmann und Gómez taten, verstellt eher den Zugang zu diesem Phänomen; vgl. P. LEHMANN, Bücherliebe und Bücherpflege bei den Karthäusem, in: Miscellanea F. Ehrle, vol. V (Studi e Testi 41) Rom 1924, 364-389; N D in: P. LEHMANN, Erforschung des Mittelalters. Ausgewählte Abhandlungen und Aufsätze, Bd. 3, Stuttgart 1960, 121-142; I. M. GÓMEZ, Los Cartujos y los Estudios, in: Los Monjes y los Estudios (IV a Semaña de Estudios Monásticos, Pöblet 1961) Pöblet 1963, 163-208. 8
Dazu: G.-R. TEWES, Die Kölner Universität und das Kartäuserkloster im 15. Jahrhundert - eine fruchtbare Beziehung, in: Die Kölner Kartause um 1500. Aufsatzband hg. von W. SCHÄFKE, Köln 1991, 154-168; D. MERTENS, Kartäuser-Professoren, in: Die Kartäuser in Österreich (Zweiter Internationaler Kongreß über Kartäusergeschichte und -Spiritualität = An.Cart. 83,3) Salzburg 1981, 7587; HAMM, Frömmigkeit (Anm. 1) 483.
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hinaus . Getragen wird diese Bewegung von ebenjener gut ausgebildeten Schicht ehemaliger Akademiker, die ganz bewußt eine hinlängliche Bildung als wichtiges Element einer (monastischen) Reform erachten. Die 1372 gegründete Erfurter Kartause St. Salvatorberg ist in dieser Hinsicht keine Ausnahme. Wie viele andere Klöster ihres Ordens unterhält auch sie engste Kontakte zur Universität, wirkt im Sinne einer Reform von Kirche und Gesellschaft und besitzt zudem eine sehr reiche Bibliothek10. Berühmtheit erlangten St. Salvatorberg und seine Büchersammlung nicht zuletzt durch das um 1480 realisierte Projekt des Kartäusers Jacobus Volradi, den Bestand mittels eines umfangreichen Katalogs zu erschließen. Zentrales Element des von Volradi in großer Sorgfalt erstellten und zum Teil illuminierten Werks sind zwei ausführliche Register, in denen über 800 Bände, gleichermaßen nach alphabetischen und inhaltlichen Gesichtspunkten geordnet, erfaßt werden11. Die in dem Katalog verzeichneten Schriften überraschen durch ihre umfassende Themenbreite: Neben der erwartungsgemäß zahlreich anzutreffenden patristischen und monastischen Literatur befinden sich in ihm recht viele Werke der Summisten des 13. Jahrhunderts, so etwa Thomas von Aquin, Albertus Magnus und Alexander von Haies, sowie bedeutende Sammlungen von exegetischem und pastoralem Schrifttum, aber auch Titel aus dem Bereich der Jurisprudenz und der Medizin.
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Grundlegend zum Verständnis der spätmittelalterlichen Ordensreformen K. ELM (Hg.), Reformbemühungen und Observanzbestrebungen im spätmittelalterlichen Ordenswesen (Berliner histor. Studien Bd. 14 = Ordensstudien VI) Berlin 1989; darin die Aufsätze von H. RÜTHING, Die Kartäuser und die spätmittelalterlichen Ordensreformen (35-58), und D. MERTENS, Reformkonzilien und Ordensreform im 15. Jahrhundert (431-457). Den Einfluß der Kartäuser auf die Devoten hob schon früh hervor W. LOURDAÜX, Kartuizers - Moderne Devoten, een problem van afhankelijkheid, in: Ons geestelijk erf 37 (1963) 402-418; vgl. auch: H. ROTHING, Zum Einfluß der Kartäuserstatuten auf die Windesheimer Konstitutionen, in: Ons geestelijk erf 59 (1985) 197-210. 10 Zur Erfurter Kartause J. KURT, Die Geschichte der Kartause Erfurt Montis Sancti Salvatoris 1372-1801, Teil 1 (An.Cart. 32) Salzburg 1989; mehrfach hebt Kurt die Bedeutung der Erfurter Universität als Rekrutierungsort für den Kartäuserkonvent hervor. Beachtenswert ist insbesondere das langjährige Priorat des Johannes Rotlös de Neuwenburg (1414-1448), eines Erfurter Magisters, unter dem allein acht Professen - sieben davon ehemalige Angehörige der Universität - Prioren anderer Kartausen werden, vgl. 93 ff. und 140-152. Zur Erfurter Universität E. KLEINEIDAM, Universitas Studii Erffordensis (Anm. 3). Kleineidam bezeichnet die Kartause als zweiten geistigen Brennpunkt neben der Universität in Erfurt (I 337). Beispiele für die vielfältige Reformtätigkeit der Erfurter Kartäuser finden sich bei J. KLAPPER, Der Erfurter Kartäuser Johannes Hagen. Ein Reformtheologe des 15. Jahrhunderts, I-II (Erfurter Theol. Studien 9/10) Leipzig 1960/61, I 113-118; ebd. auch zur Wertschätzung des Johannes Hagen durch Nikolaus von Kues; B. FRANK, Das Erfurter Peterskloster im 15. Jahrhundert. Studien zur Geschichte der Klosterreform und der Bursfelder Union (VMPIG 34 = Studien zur Germania Sacra 11) Göttingen 1973, 118-120; vgl. auch RÜTHING, Kartäuser (Anm. 9) 47 f. Die bedeutendsten Erfurter Kartäuser sind zweifellos Johannes Hagen und der Konverse Jakob von Paradies, vgl. H. RÜTHING, Jean Hagen, in: DSp VIII (1974) 543-552; D. MERTENS, Hagen, Johannes, in: Verf.Lex III (1981) 388-398; D. MERTENS, Jakob von Paradies, in: ebd. IV (1983) 478-487, und die von ST. A. PORPSKI besorgte Textausgabe: Jacub z Paradyia. Wybör tekstöw Dotycz^cych reformy Kosciola. Wydaf; wstfpem i notami krytycznymi opatrzyl' (Textus et Studia. Historiam theologiae in Polonia excultae spectantia VI) Warschau 1978. 11 Die Handschrift befindet sich heute im Erfurter Domarchiv unter der Signatur Ms. Hist. 6. Den Bibliothekskatalog veröffentlichte und beschrieb P. LEHMANN, Mittelalterliche Bibliothekskataloge Deutschlands und der Schweiz (hg. von der Bayer. Akad. der Wiss. in München, II: Bistum MainzErfurt) München 1927, hier besonders 232-593. Schon 1412, also nur vier Jahrzehnte nach ihrer Gründung, besaß die Bibliothek laut zeitgenössischer Aufzeichnung 321 Bände; vgl. ebd. 223.
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DIRK WASSERMANN
Erich Kleineidam widmete sich als erster diesem Katalog und wies anhand einer Untersuchung seiner inneren Systematik zu Recht auf dessen Funktion als Leitfaden einer kartäusisch-monastischen Spiritualität hin12. Indes beschränken sich Kleineidams Untersuchungen im wesentlichen auf eine deskriptive Darstellung, in deren Verlauf er wohl auf die Vielseitigkeit der Bücherbestände hinweist, ohne jedoch zu einer Beurteilung auch der nicht-monastischen Literatur als genuinem Wesenselement der Bibliothek zu gelangen. So etwa begreift er die in der Erfurter Kartause stark vertretene Scholastik lediglich in ihrer Polarität zur "mystischen Theologie", zu einer "Theologie des Affekts und der persönlichen Erfahrung" 13 ; die Frage nach Möglichkeiten ihrer tieferen Integrierung in eine spezifische spätmittelalterliche Variante der monastischen Theologie bleibt jedoch aus. Indes scheint es erforderlich, die Rolle dieses wissenschaftlich-enzyklopädischen Impetus der Erfurter Kartäuser exakter zu bestimmen und ihn weniger als bloßes Akzidens einer nur vage skizzierten "mystischen Theologie" darzustellen14, als vielmehr seine integrale und gleichwertige Funktion im Dienste eines umfassenden Bildungskonzepts zu erfassen. Ansätze für weitergehende Studien ermöglicht eine in den Bibliothekskatalog inserierte Abhandlung, die auf 42 dicht beschriebenen Seiten (fol. 13r-34v, Inc.: Quomodo ignorantia scripturarum, que mater est erroris et nutrix omnium vitiorum) in apologetischer Weise die Argumente zugunsten einer im Kloster praktizierten, heilsrelevanten Bildung zusammenfaßt. Das Datum der Niederschrift veranschlagte Lehmann auf spätestens 147715, ließ die Identität des Verfassers jedoch im Dunkeln. Da ein umfassender Schriftvergleich mit den erhaltenen, allerdings weit verstreut liegenden Manuskripten der Erfurter Kartause als die am ehesten zum Erfolg fuhrende Methode bislang nicht durchgeführt wurde, läßt sich den Erkenntnissen Lehmanns zu diesem Zeitpunkt nichts hinzufügen. Sicher ist nur, daß Jacobus Volradi wegen des abweichenden Schriftduktus als Autor nicht in Betracht kommt. Neben dieser umfangreichen Abhandlung stammen von dem somit anonym bleibenden Erfurter Kartäuser noch zahlreiche weitere Einträge im Katalog. Insbesondere weist ihn die bibliographische, literaturkundliche Übersicht (auf fol. 148v-170r) als intimen Kenner der mittelalterlichen Literatur aus und läßt eine universitäre oder zumindest höhere Bildung als sicher erscheinen16. 12
E. KLEINEIDAM, Die theologische Richtung der Erfurter Kartäuser am Ende des 15. Jahrhunderts - Versuch einer Einheit der Theologie, in: Miscellanea Erfordiana II (Erfurter Theol. Studien 12) Leipzig 1962, 241-271, zuletzt veröffentlicht in: ZADNIKAR/WIENAND, Kartäuser (Anm. 5) 185202, und hiernach zitiert. Weitestgehend sind die Bestände verloren, die wenigen Ausnahmen werden bei LEHMANN, Bibliothekskataloge (Anm. 11) 228-232, genannt, vgl. auch 237-239. 13 KLEINEIDAM, Theologische Richtung (Anm. 12) 192 f. 14 Zur Problematik des Begriffs "mystische Theologie" vgl. KÖPF, Monastische Theologie (Anm. 1) 124. 15 Vgl. LEHMANN, Bibliothekskataloge (Anm. 11) 234. 16 Die Identität der Adressaten läßt sich meines Erachtens nicht eindeutig klären, sollte aber über den engeren Kreis der Chormönche hinaus gesucht werden. Zumindest wird an keiner Stelle der Gegenstand des Traktats auf diese selbst begrenzt, wohl aber ist neben der Bezeichnung quilibet studiosus ac virtuosus vir mehrfach die Rede vom theologus sive religiosus oder einfach vom studiosus christianus. Daß die Kartäuserbibliotheken auch Externen zumindest begrenzt offenstanden, bezeugt als frühes Beispiel Geert Grote, der ein eifriger und säumiger Benutzer der Bibliothek der Kartause von Monninkhuizen war: W. LOURDAUX, Het boekenbezit en het boekengebruik bij de Moderae Devotie, in: Contributions (Anm. 7) 249 f.; weitere Beispiele nennt GUMBERT, Kartuizer-
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Leider berücksichtigt Lehmann den Traktat im Rahmen seiner Edition nicht, sondern begnügt sich lediglich mit der Wiedergabe einer knappen Zusammenfassung aus dem Katalog selbst17, so daß zunächst einiges zu äußerem Aufbau und Inhalt gesagt werden muß. Zur besseren Übersicht sei der Text unter vier Gesichtspunkten zusammenfaßt: 1. ignorantia. Der Erfurter Kartäuser fuhrt in die Materie seiner Abhandlung ein, indem er menschliche Unwissenheit und die daraus resultierenden Laster in ihren vielfaltigen Formen und Auswirkungen schildert und zu ihrer Überwindung auffordert: Quomodo ignorantia scripturarum, que mater est erroris et nutrix omnium vitiorum, a quolibet studioso et virtuoso viro secure volenti inquirere et consequi vitam eternam, summo eorum studio sit evitanda (fol. 13r). Unterstützt durch häufige und intensive Zitierung einschlägiger Autoritäten - allen voran Augustinus -, die mitunter die selbstständigen Äußerungen des Verfassers als karges Beiwerk erscheinen lassen, wird dem Leser der Schaden menschlicher Ignoranz in immer neuen Anläufen vergegenwärtigt. Als eine direkte Folge der Erbsünde ist die selbstverschuldete Unwissenheit, insbesondere die Unkenntnis der heiligen Schriften, ein Ausdruck pervertierter menschlicher Entscheidungsfreiheit und die Grundlage allen Übels, der zu entrinnen es beständiger Anstrengungen bedarf18. Über die einfache Rekapitulation augustinischer Positionen hinaus19 wird die Bedrohung durch Unwissenheit, und damit verbunden die Verpflichtung, ihr zu begegnen, nachdrücklich in den Mittelpunkt gerückt. Wo etwa Augustinus die Gefahr der curiositas, des übermäßigen und fehlgeleiteten Wissenseifers, als Korrelat zur Wissenschaft betont, rekurriert der Erfurter Kartäuser ausschließlich auf Sinn und Nutzen einer angemessenen Bildung. Nicht zuletzt der verstärkte Rückgriff auf einschlägige Stellen aus Ps.-Chrysostomus, Ambrosius, auf diverse Briefe von Hieronymus und Seneca sowie auf die 'Philippicae' des Cicero verdeutlicht seine, den Kirchenvater weit übertreffende Wertschätzung antiker Bildungstraditionen20. Den Brückenschlag zur universitären Gelehrsamkeit bildet eine Zitierung des ps.-ambrosianischen Römerbrief-Kommentars, die sich im weiteren Verlauf als eine Übernahme aus 'De malo' des Thomas von Aquin erweist21. Dem Aquinaten schließlich ver-
bibliotheken (Anm. 7) 177 f.; vgl. auch die Kapitelüberschrift im Standortregister des Erfurter Katalogs, fol. 136ar: Libri arcium liberalium [...] ad habendum quandoque recursum in dubiis et alias et ad concedendum eosdem libros pauperibus studentibus, amicis et familiaribus huius domus [...]. V g l . LEHMANN, B i b l i o t h e k s k a t a l o g e ( A n m . 11) 4 8 0 . 17
Fol. L*r, in: LEHMANN, Bibliothekskataloge (Anm. 11) 240 f. [...] summopere per divini auxilii implorationem et utilium et sacrorum librorum lectionem indefessam a se etiam studeat periculose ignorantie nebulas seriosius propulsare ad evadendum principia et amfractus malorum pretactorum, que innumerabiles excecatos et ignavos homines in baratrum demergunt dampnationis (fol. 13r). 19 Siehe etwa: De civitate Dei XXII 22, 1-94: CC 48, 842-844; De libero arbitrio III 22, 64: CC 29, 312 f.; De gratia et libero arbitrio I 2: MPL 44, 882; Enchiridion ad Laurentium de fide et spe et caritate V 16 und VII 19-21: CC 46, 56 f. bzw. 59 ff. 20 Beispielsweise Ps.-Chrysostomus, Opus imperfectum in Mattheum: MPG 56, hier: 870; Ambrosius, De obitu Valentiniani: CSEL 73, 335; Seneca, Epistolae morales ad Lucilium (im Folgenden: Ep.) 2,7 und 5,4. 21 Glosse Petri Lombardi in Rom. 2.4: MPL 191, 1338, zit. durch Thomas in: De malo 3,8, ad prim. (vgl. Anm. 22). 18
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dankt der Kartäuser diverse, zumeist der 'Summa theologiae' entnommene Begriffsinstrumentarien zur Definition der ignorantia11. Nützliches Wissen ermöglicht nicht allein das Studium der christlichen Überlieferung. Mit Bedacht vorgenommen, cum moderamine et discretione (fol. 16r), stehen dem Bildungsbeflissenen ebenso jüdisches Schriftgut - erwähnt wird der Talmud -, insbesondere aber die libri gentilium zur Verfugung 23 . Auch in diesem Punkt schöpft der Erfurter Kommentator wieder eifrig aus der Tradition: die Summa des Alain de Lille, weitere Briefe von Hieronymus und Seneca, und wiederholt augustinische Schriften. Im Zentrum der Argumentation steht indes ein längeres Zitat aus dem Genesis-Kommentar des Heinrich von Langenstein, in dem Vor- und Nachteile der Hinzuziehung heidnischen Wissens abgewogen und erwartungsgemäß zu dessen Gunsten entschieden werden. Bildungshungrig wie die heidnischen Philosophen sollen die christlichen Gelehrten sein: Sed utinam Uli, qui in christiano populo studio sapientie seu acquisitioni scientiarum insistere dicuntur sie diligentes et laboriosi essent, non dico in pertranseundo regiones sicut gentiles ut Appollonius, Pitagoras et Plato, sed in discurrendo tarn attente et laboriose per varios libros et codices, sicut tili discurrebant per populos et regiones (fol. 18v). So verwundert es nicht, wenn der Autor mit Zurückhaltung jener bildungsskeptischen Meinung begegnet, die auf die Möglichkeit der seligen Gottesschau auch für Ungebildete hinweist: So wie der Apostel Paulus sine membrana et litteris in den dritten Himmel entrückt wurde24, mögen manche glauben, daß auch ein simplicissimus ohne Schriftwissen Christus per faciem erblicken könne. Auszuschließen ist diese Form der göttlichen Gnade nicht, doch stellt sie eher die große Ausnahme dar: Sed rara satis est hodie avis ista in terra nostra propter hominum multiplicatam infirmitatem et desidiam in passionum expurgatione. Quare videtur perutile et necessarium studio, quibus conceditur intendere, sanetorum librorum (fol. 16v). Und er fahrt fort: Unde non impertinenter videtur a morali illo Seneca dictum: 'Vita sine littera mors est et vivi hominis sepultura' (ebd.)25. Der illustre Reigen zitierter Autoritäten endet schließlich mit einem Rekurs auf die Ordenstradition, um anhand dreier im 15. Jahrhundert häufig benutzter Motive die Kartäuser als den traditionellen Bücherorden par excellence zu präsentieren: Neben dem Hinweis auf das Schreiberlob durch Bernhardus (Wilhelm von St-Thierry) in seiner 'Epistola aurea' sowie der Anfuhrung des einschlägigen
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Mit Thomas von Aquin legt der Autor mehrere distinetiones ignorantie dar. Die erste folgt wörtlich De malo 3,8 ad prim.; sowie im weiteren: ignorantia vincibilis-invincibilis: STh I II 76,2 und 3; ignorantia voluntaria-affectata: STh I II 6,8 (fol. 14r-14v). 23 [...] quod non solum scrutando scripturas ex scripturis sacri canonis, scilicet veteris testamenti et novi, sunt aeeipienda testimonia, sed etiam ab aliis scripturis, quarum plures habebant et hodie habent Iudei, quibus firmissime fldem adhibent, ut sunt multe glose et precipue scriptura talmutica [...] (fol. 16r), sowie: [...] quia ut sciatur, quodphilosophorum ac poetarum gentilium Christiane religioni accommoda autem fidei consona licite a christißdelibus possunt assumi et allegari ac addisci, quoniam prodesse sepe inveniuntur (fol. 16r). Unter anderem bedient er sich des traditionellen, ursprünglich auf Origenes zurückgehenden Motivs der spoliatio Aegyptorum (ebd.), nach Augustinus, De doctrina Christiana II 40, 60: CC 32, 73 f.; vgl. H.-I. MARROU, Saint-Augustin et la fin de la culture antique, Paris "(erw.) 1958, 393 Anm. 2. 24 2 Kor 12, 2 ff. 25 Nach Seneca, Ep. 82, 3-4.
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Passus aus den altehrwürdigen 'Consuetudines Guigonis' , zitiert der Erfurter Kartäuser die Bekehrung des im 15. Jahrhundert zum Bibliophilen stilisierten Ordensheiligen Hugo von Lincoln 27 . 2. scientia - sapientia. Im Folgenden widmet sich der Verfasser der Erörterung des Wertes philosophischer und theologischer Erkenntnis (rationes phisice et metaphisice bzw. rationes theologicales) auf der Grundlage eines platonisierenden augustinischen Gedankenguts. Scientia und eruditio, auch jene der heidnischen philosophi, erfahren ihre wahre Existenzberechtigung erst durch die Einordnung in das universale Streben nach höherer Erkenntnis, der sapientia. Ausfuhrlich schildert der Erfurter Kartäuser mit Augustinus, Laktanz und Hieronymus die Bemühungen der Philosophen um Weisheit, deren Erlangung auch das Hauptaugenmerk des gelehrten Christen sein muß, und beendet den Reigen seiner Zitationen resümierend: His ergo exemplis patet, quomodo omnes homines naturaliter scire desiderent, et quam amandum sit Studium sapientie (fol. 18r). Zugleich läßt er einen weiteren Aspekt anklingen, auf den er später noch einmal zurückgreift: Streben nach Weisheit bedeutet stets auch Anstrengung und Entbehrung, ist eine Form der Aszese: Auch Plato und Apollonius vergossen in den gignasia (fol. 18r) ihren Schweiß. Es geht einher mit dem Verzicht auf Reichtümer und Ehren, vor allem aber erfordert es den Rückzug in die (geistige) Einsamkeit: Quia enim sciebant verum bonum non in estimatione hominum, sed in pura conscientia esse absconditum2t. Daß er in der Einbindung aristotelischer Theoreme durchaus keinen Widerspruch sieht, gibt der Erfurter Kartäuser plakativ zu verstehen in Gestalt einer unbekümmerten Analogisierung zweier einleitender, apodiktischer Zitate, die der oben schon angeführten Metaphysik des Aristoteles sowie den augustinischen Confessiones entstammen: In filiis Adam, quamvis lapsuparentum obtenebrati fiierunt, remansit naturale desiderium inquisitive cognoscendi, ut patet primo Metaphisice: 'Omnes', inquit, 'homines naturaliter scire desiderant, et maxime summum in entibus', iuxta illud vulgatum beati Augustini libro primo Confessionum dicentis: 'Domine, quia creasti nos ad te, inquietum est cor nostrum donec requiescat in te'29. Ganz im Sinne dieses Konkordanzstrebens stellt 26
Fol. 17v; vgl. Guigo I, Consuetudines Cartusie 28, 3-4; zitiert nach: Guiges I er . Prieur de Chartreuse, Coutumes de Chartreuse. Introduction, Texte critique, Traduction et Notes par un Chartreux (Sources chrétiennes 313) Paris 1984, 222-224. 27 Die 'Vita sancti Hugonis episcopi Lincolniensis ordinis Cartusiensis' (MPL 153, 937-1114) aus der Feder des Engländers Adam Carthusianus (ca. 1340-1400) schildert Hugo (f um 1200) ganz im Sinne des Spätmittelalters als einen Mönch von kaum stillbarem Bildungseifer und großer Belesenheit. Angeblich beruhte Hugos Entschluß, dem Orden beizutreten, nicht zuletzt auf seiner Bewunderung der kartäusischen Bibliophilie. Vgl. ebd. Lib. I, 6. Zu Adam M. ILGE, Adam le Chartreux, in: DSp 1(1937) 195 f. 28 Das vollständige Zitat nach Hugo von St. Viktor, Didasc. III 14: Nam Parmenides philosophus 15 annis in rupe Egiptia consedisse legitur. Et Prometheus ob immodicam meditandi curam in monte Caucaso vulturi expositus memoratur. Quia enim sciebant verum bonum non in estimatione hominum, sed in pura conscientia esse äbsconditum, et eos iam non homines esse, qui rebus perituris inherentes bonum suum non agnoscerent. Ideo quantum mente et intelligentia a ceteris différent, ipsa locorum distantia demonstrabant, ne una teneret habitatio, quos non eadem sociabat intentio (fol. 18r); alle weiteren Zitierungen aus dem Didascalicon nach: C. H. BUTTIMER, Hugonis de Sancto Victore Didascalicon de Studio Legendi. A Critical Text, Washington 1939, hier: 64 f. 29 Fol. 17v. Augustinisch klingt es im weiteren: Ut incipiat illa ymago reformari ab eo, a quo formata est, in veritatis agnitione. Quis autem deformis aut deformatus existens reformationem suam
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er der augustinischen reformatio mentis die thomasische Rezeption des Gedankens vom naturhaften Verlangen nach Wissen in Gestalt einer recht umfangreichen Zitierung aus der Einleitung zum Metaphysikkommentar zur Seite, in welcher der Aquinate in drei Punkten die Beschäftigung mit der Wissenschaft begründet30. Nichtsdestoweniger bewahrt sich der Kartäuser seine neuplatonische Grundhaltung und stützt sich im weiteren auf das 'Didascalicon' des Hugo von St. Viktor, dessen Konzept einer propädeutischen Funktion der Wissenschaft er wie weiter unten zu sehen sein wird - viel verdankt. Neben der sich abzeichnenden dominierenden Adaptation des augustinischviktorinischen Weisheitsbegriffs greift der Autor auf einen weiteren Traditionsstrang, den der ps.-dionysischen Überlieferung, zurück. In Anlehnung an einen commentator Dionysii (gemeint ist wahrscheinlich Thomas Gallus Vercellensis) entwirft er ein Aufstiegsschema, welches fünf Stufen menschlicher Erkenntnis auf dem Wege zur Erlangung der göttlichen Weisheit voneinander differenziert: sensus, imaginatio, ratio, intellectus und intelligentia31. Erst in der vollendeten, begnadeten Weisheit, auch vera theologia genannt, vermag sich die Seele jenseits der autonomen Verstandestätigkeit und ihrer höchsten Ausformung, des status rationalis sive doctrinalis, zu erheben, um, sukzessive auf ihre eigenen Verstandestätigkeiten verzichtend, sich der gnadenhaften Erleuchtung des pater luminum hinzugeben32. Aus eigenen Kräften erworbene Weisheit muß letztlich angesichts des Unendlichen stets unvollkommen bleiben, in der Reichweite ihrer Erkenntnis begrenzt und von geringerer Sicherheit als ihr gnadenhafit illuminiertes Pendant. Ungeachtet dessen sieht der Kartäuser keine Veranlassung, an der Notwendigkeit eines vernunftgemäßen Zugangs zur göttlichen Wahrheit zu zweifeln. Vielmehr zeigt er sich an den Möglichkeiten einer Abhilfe interessiert, einer Perfektionierung der menschlichen scientia, welche zu erlangen dem Menschen durch zwei Grundübel erschwert wird: unzureichende wissenschaftliche Methodik und mangelnde moralische Disposition. 3. Artes liberales. Fundamentale Bedeutung als Garant einer geregelten Methodik weist der Verfasser den Artes liberales zu. Unter Berufung auf Heinrich non appetat, quam creatura rationalis per gratiam et gloriam appetit et expectat? Quia, cum apparuerit Christus, símiles ei erimus (fol. 18r). 30 Fol. 17v, nach: Commentarium S. Thomae in Metaphysicorum L.1,1. 1, c.2-4. 31 Fol. 19r. Vgl. E. VON IvÁNKA, Zur Überwindung des neuplatonischen Intellektualismus in der Deutung der Mystik: intelligentia oder principalis affectio, in: Scholastik 30 (1955) 185-194, ND in: Piatonismus in der Philosophie des Mittelalters, hg. von W. BEIERWALTES (WdF 197) Darmstadt 1969, 121-146. 32 Quanto igitur ab inferiori ad superius magis secundum dictos quinqué gradus processeris, tanto magis ad sapientiam appropinquabis. Nam cum multiplex sit scientie status et differentia circa naturales rerum corporearum status, sensus et ymaginatio vigent, sed absque ratione non satis valent. Sed ad rationalem sive doctrinalem non ascendunt, sed ita remanentes eundem ascendendum rationi quasi a longe ostendunt. [...] Supereminet autem his duobus modis, scilicet statibus naturali et doctrinali, theologia, que de divinis rationatur, ad quam ratio valet iitvare, sed non valet pervenire. [...] Rationem vero superat intellectus ordine et virtute. Similiter intelligentia superat intellectum. Tune enim anima in mentis sue vertice constituía, unum verum Simplex pure incorporeum pro data sibi facúltate et gratia contemplatur. [...] Et ubi talis theologia humanitus acquisita, scilicet metaphisicalis, dimisit, ibi theologia supranaturalis mortalium illuminationem complendo et perfleiendo inchoavit. Que quidem vera theologia, ut supra habitum est, non deorsum de fönte humane conditionis, sed a sursum de patre luminum descendit propter salutem mortalium, quam sine ea consequi non possunt (fol. 19r).
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von Langenstein (fol. 20r ff.) sieht er in der Beachtung des rectus ordo eine der Grundvoraussetzungen des sinnvollen Einsatzes der Freien Künste. Weder dürfen einzelne Disziplinen übergangen noch außerhalb der ihnen zugeordneten Materie angewendet werden. Wozu aber dienen die derart formierten Artes? Eine ausfuhrliche Bestimmung findet der Kartäuser im Genesis-Kommentar des genannten Wiener Theologen33: zur Beseitigung von Ignoranz und Unwissenheit, zur Perfektionierung des menschlichen Intellekts, als Grundlage einer Erfassung der mysteria celestis sapientie und, besonders ausfuhrlich, als Mittel zur Erkenntnis ethischer Grundregeln. Die enge Verbindung von Artes-Wissen und ihrem Vermögen, Einblicke in das "natürliche" Regelwerk der Schöpfung zu erlauben, dient nicht etwa als Selbstzweck, sondern im Sinne eines Propädeutikums zu einer philosophia moralis. Das Studium der Freien Künste bedeutet die Voraussetzung des recte vivere, ihre Kenntnis verhilft zur Auffindung der Regeln eines geordneten zwischenmenschlichen Zusammenlebens und dient somit auch als Grundlage jeglicher positiver Gesetze34. In dem Maße, wie das göttliche Wirken zur Schöpfung in einem zumindest eingeschränkt transparenten Verhältnis steht, der irdische Ordo, seine Gesetze und seine Moral die himmlische Weisheit reflektieren, bleiben demnach auch die Freien Künste der theologia eng zugeordnet35. Potentielle Nachteile des Artes-Studiums ergeben sich allenfalls aus falscher, d.h. autarker Zielsetzung, implizieren dann aber jene Schäden, die mit der oben aufgezeigten mangelnden persönlichen Disposition einhergehen, und äußern sich im Hochmut des Wissenden, in der Beschäftigung mit verbotenen Gegenständen, persönlicher Überforderung des Einzelnen und bösartiger Zielsetzung seines Wissensdrangs (fol. 20v). Ausfuhrlich zitiert der Erfurter Kartäuser im weiteren die Wissenschaftslehre Hugos von St. Viktor, dargelegt in den Büchern I-IV des 'Didascalicon', doch klammert er in auffälliger Weise die Kapitel über die Rolle der disputatio bzw. der Logik aus36. 33
[...] quod Septem artes liberales, ut summarie et in generale dicam, sunt utiles. Primo ad removendum maculum(!) erroris et ignorantie, quod omnis rationalis creatura naturaliter refugit tamquam contrarium sue perfectioni. [...] Secundo sunt utiles ad perficiendum humanum intellectum septemplici cognitione veritatis, quam naturaliter appetii sicut suam primam et naturalem perfectionem. Tertio sunt utiles ad exercendum, disponendum, subtiliandum, scilicet intellectum hominis ad capiendum etplenius intelligendum [...] profunda mysteria celestis sapientie. [...] Quarto sunt utile ad cognitionem virtutum moralium et iustitie. Hoc patet, quia ex cognitione nature conditionis et finis rerum cognoscitur, que operatio, que disposino, que habitudo deceat vel debita sit cuilibet homini secundum suum statum et conditionem. Ex quo patet, quod philosophia moralis pullulavit de scientiis liberalibus speculativis, que versantur circa cognitionem rerum secundum diversas rationes (fol. 20r). 34 Et consequenter ex morali philosophia et naturali processi! civilium legum adinventio a philosophis moralibus in liberalibus scientiis excellenter instructis, ut fuit Seneca, Boethius, Katho et alii sapientes, qui Atheniensibus et Romanis legem condiderunt. Unde patet, quomodo ex liberalibus scientiis tamquam ex primario fonte pullulavit omnis scientia moralis speculativa et practica, humane conversationis regitiva et ordinativa (fol. 20r). 35 Est etiam una species theologice scientie, que metaphisica vacatur, que ex liberalibus artibus quasi ex fonte derivata est. Quia ex cognitione rerum sensibilium et correptibilium intellectus humamos devenit per viam discursionis et abstractionis in cognitionem rerum insensibilium et incorporalium, ut sunt deus et angeli seu intelligentie (fol. 19r). 36 Im Einzelnen werden zitiert: Didasc. I 1-5; II 1-3, 16-17 (z.T.); III 1-19; IV 1-5, 7 und 13, verteilt über fol. 21v-25r.
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4. dispositio studendi. An die bereits durch die Übernahme entsprechender Passagen des 'Didascalicon' ausgiebig erörterte Bedeutung der persönlichen Disposition des Lernenden37 schließt der Verfasser eine selbständige Abhandlung über die tranquillitas mentis an (fol. 23v ff.). Während Hugo von St. Viktor die quies in seinem 'Didascalicon' nur sehr kurz streift, greift der Kartäuser hier ausfuhrlich auf Seneca zurück und vermag dem Motiv der inneren Ruhe dadurch eine andere Gewichtung zu verleihen. Um die Gemütsruhe (auch als Akt der collectio bezeichnet) zu wahren, hat sich der gelehrte religiosus aller Ablenkungen zu enthalten, die das Leben in der Welt mit all seinen Verlockungen und Gelegenheiten bietet, Ruhm zu erlangen und finanzielle Vorteile zu erzielen. Wie schon die antiken Philosophen widmet er sich in der distantia loci dem gottesfürchtigen Studium. Doch genügt kein noch so abgeschiedener Ort, wenn er die erforderliche Stille nicht verinnerlicht: Parum enim proficit ad tranquillitatem locus, sed magis animus. Videmus enim frequenter in civitate amena et hilari viros mestos et in loco solitario occupatos (fol. 26v)38. Unter Hinzuziehung eines knappen Dutzends der Briefe und weiterer Schriften Senecas (De tranquillitate animi, Naturales quaestiones) illustriert der Kartäuser im Folgenden das Ideal eines in sich ruhenden und abgeschiedenen Gelehrtenlebens. Neben der Gemütsruhe stellt die innere Reinigung, die purgatio mentis, ein weiteres wichtiges Element dieses Gelehrtenideals dar, welches der Verfasser aus der überreichen Tradition am eingehendsten in den 'Conlationes patrum' des Johannes Cassian vorformuliert findet (fol. 26v-27r). Gemeint ist das Ziel der Herzensreinheit (puritas cordis), insbesondere aber die Abkehr vom Hochmut (iactantia) als Voraussetzung einer spiritalis scientia, wie sie der Mönchsvater im 14. Buch seiner 'Conlationes' darstellt. Die Zitation ist derart dicht, daß von einer eigenständigen Textgestaltung durch den Autor an dieser Stelle kaum noch die Rede sein kann. Da aber die geistliche Wissenschaft Cassians selbst Teil eines aszetischen Aufstiegsprozesses ist, vermag der Kartäuser sie dem status rationalis des oben erwähnten fünfstufigen Aufstiegs anzunähern. Der dritten Stufe der Hierarchie aus sensus, imaginatio, ratio, intellectus und intelligentia, der Vernunft, gilt denn auch fortan das Interesse des Erfurter Kartäusers. Sie nimmt als Vermittlerin eine zentrale Stellung zwischen den ewigen Gesetzen Gottes einerseits und dem menschlichen Handeln andererseits in der im Folgenden ausfuhrlich dargelegten Heilspsychologie ein. Ihre Urteilsfähigkeit beruht auf dem direkten Bezug zur lex eterna und der Möglichkeit, an deren Unfehlbarkeit zu partizipieren39. Im weiteren Verlauf des Traktates ergeht der Autor sich schließlich in unablässigen Verweisen auf die Notwendigkeit eines geordneten Aufstiegs zur Erkenntnis Gottes sowie auf Abhängigkeit der ratio von den beiden externen Faktoren der göttlichen illuminatio und der persönlichen dispositio. Noch einmal wer37
Siehe vor allem Didasc. III 13-19: 'De humilitate', 'De studio quaerendi1, 'De quiete', 'De scrutinio', 'De parcitate' und 'De exsilio'. 38 Nach Seneca, Ep. 56, 12. 39 Ratio legem eternarti consulti, per quam immutabiliter de mutabilibus discernit. Mens enim nostra est mutabiliter, sed lex eterna, que supra mentem nostram est, in qua est omnium artium veritas, mutabilitatem non habet erroris (fol. 31 r). Im weiteren werden zahlreiche Stellen aus augustinischen Werken zitiert, u.a.: De trinitate IX 6; V 3; De civitate Dei X I 2 und XI26.
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den Cassian, Hugo und jetzt auch Richard von St. Viktor mit einem 'Beniamin minor' entnommenen Aufstiegsschema bemüht, ohne daß jedoch grundlegend neue Momente zur Sprache kommen. Mit der Übernahme des Lektürekanons aus Jean Gersons Abhandlung 'De libris legendis a monachis' (fol. 34v)40 und einer rekapitulierenden exhortatio finalis ad Studium sacrae lectionis schließt der Erfurter Traktat 41 . Kurz sei noch einmal die breite Quellenbasis des Erfurter Kommentars aufgezeigt: Die Palette der zitierten Autoritäten spiegelt naheliegenderweise den umfangreichen Bestand der Erfurter Kartause wider und, darüber hinaus, die der übrigen deutschen Kartäuser-Bibliotheken. Den Löwenanteil stellt die Patristik, und diese wird im überwiegendem Maße durch Augustinus repräsentiert: Etwa einhundert Mal mit insgesamt 33 Titeln zitiert, ist der Kirchenvater zumindest in quantitativer Hinsicht allgegenwärtig. Vorlieben des Erfurter Kartäusers für ein spezielles Werk zeichnen sich weniger deutlich ab, wenngleich 'De civitate Dei', 'De doctrina christiana', 'Enchiridion ad Laurentium', 'De Trinitate' und 'Confessiones' zu den bevorzugten Werken zählen. Häufigkeit der Zitationen und die breitgefächerte Nutzung des augustinischen Opus entsprechen weitgehend der allgemeinen Überlieferung in den kartäusischen Bibliotheken. Bemerkenswert ist allerdings die sichere Hand des Verfassers in der Auswahl der Werke des Kirchenvaters, die ihn nur bei der Benutzung der 'Quaestiones in veteri et novo testamento' des Ambrosiaster auf ein Apokryph zurückgreifen läßt42. Was die Intention seiner Zitierung betrifft, so liest der Kartäuser den Kirchenvater vorwiegend als einen neuplatonisch inspirierten Propagator der Artes und der Schriftexegese. Weder finden Aspekte der Gnadenlehre besondere Berücksichtigung, noch wird der um Gott ringende Mensch Augustinus dargestellt; es sind hier also nicht jene Varianten der Augustinusrezeption zu finden, die ansonst zu dieser Zeit durchaus aktuell sind. Nächst Augustinus spielt Hugo von St. Viktor die wichtigste Rolle. Doch im Gegensatz zu dem Kirchenvater erscheint Hugo in dem Erfurter Kommentar lediglich - dafür umso ausfuhrlicher - als Verfasser des 'Didascalicon', aus dem mehr als ein Drittel wörtlich übernommen wird 43 . In vergleichbarer Weise be40
Jean Gerson, Oeuvres complètes, éd. P. GLORIEUX, vol. IX, Paris 1973, 612 f. Auf den nächsten Seiten folgt ein nachträglich hinzugefügter Abschnitt, der jedoch nicht mehr zum eigentlichen Gegenstand des Traktats zählt. Wahrscheinlich von gleicher Hand geschrieben, widmet er sich dem vornehmsten Stadium der Geistestätigkeit, der Wahrnehmung im status perfectionis (fol. 35r ff.). Weitestgehend orientiert sich der Autor an Richards von St. Viktor 'Beniamin minor' und 'Beniamin maior' sowie 'De exterminatione mali'. Die Verlagerung der Schwerpunkte spiegelt sich zudem in der vermehrten Zitierung des Ps.-Dionysius Areopagita wider, wenngleich auch hier für den Erfurter Kommentator weniger mystische als aszetische und methodische Aspekte im Vordergrund stehen. 42 Zum Vergleich: Von etwa 100 überlieferten Handschriften aus rheinischen Kartäuserbibliotheken mit augustinischen Titeln bewahrt fast die Hälfte ps.-augustinische Werke. Die beliebtesten Schriften stellen gar zwei apokryphe dar: 'Spéculum peccatorum' (achtmal), und 'Epistola ad Cyrillum' (sechsmal). 43 Zur Bedeutung Hugos, und mit ihm eines Großteils der Autoren seiner Zeit, im 15. Jahrhundert vgl. G. CONSTABLE, The Popularity of Twelfth-Century Spiritual Writers in the Late Middle Ages, in: Renaissance Studies in Honor of Hans Baron, ed. by A. MOLHO/ J. A. TEDESCHI, Florenz 1971, 3-28; R. BARON, L'influence de Hugues de Saint Victor, in: RThAM 22 (1955) 56-71. Statistische Daten zur großen Bedeutung der Kartäuser für die spätmittelalterliche Überlieferung der Werke Hugos bei R. GOY, Die Überlieferung der Werke Hugos von Sankt Viktor. Ein Beitrag zur Kom41
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nutzt der Autor eine der umfangreichsten Schriften des Heinrich von Langenstein, den Genesiskommentar. Heinrichs Abhandlung paßt sich in ihrer Absicht, der Wissenschaft neue Perspektiven zu erschließen, problemlos in die durch Augustinus und Hugo vorgegebene Richtung ein. Leider wurde der Kommentar und darüber hinaus das gesamte reformerische Werk des Wiener Theologen von der Forschung bislang kaum erschlossen, so daß hier auf eine eingehendere Behandlung verzichtet werden muß44. Welch hohes Ansehen jedoch seine Schriften, zusammen mit jenen des Heinrich Totting von Oyta, bei den Kartäusern in Erfurt genossen, deutet eine Bemerkung im Katalogteil an, in welcher beide als duo luminaria ecclesie bezeichnet werden45. Neben Hugo ist der andere nicht minder bedeutende Viktoriner, Richard, zu nennen, auf dessen Werke 'Beniamin minor' und 'Beniamin maior' der Autor des Kommentars insbesondere zur Schilderung der heilspsychologischen Aspekte zurückgreift. Häufig wird die 'Epistola ad fratres de Monte Dei' des Wilhelm von St-Thierry zitiert; auch hier, wie so oft in den zeitgenössischen Quellen, unter dem Namen Bernhards von Clairvaux. Dieser wiederum ist lediglich mit einigen wenigen Stellen seines Hohelied-Kommentares präsent. Zurück zur Patristik! Weit seltener als die drei oben erwähnten Autoren finden sich in etwa gleichem Umfang Hieronymus mit einem halben Dutzend seiner Briefe, Isidor von Sevilla mit 'De summo bono' sowie Ambrosius mit 'De officiis' zitiert, gefolgt von den beiden Griechen Gregor von Nazianz und Gregor von Nyssa. Sehr interessiert greift der Kartäuser zudem auf die im 15. Jahrhundert beliebten 'Conlationes' Johannes Cassians, insbesondere auf das die Bildung (scientia spiritalis) behandelnde 14. Kapitel, zurück46. Überraschend gering ist hingegen die Hochscholastik präsent. Neben der noch recht häufigen Zitierung des Thomas von Aquin findet allein Wilhelm von Auvergne einige Male Erwähnung, doch weitere in der Erfurter Kartause und in anderen Bibliotheken sehr beliebte Summisten, wie etwa Albertus Magnus oder Alexander von Haies, bleiben völlig unbeachtet. Ausfuhrlich und explizit wird der Aquinate mit seinem Metaphysik-Kommentar zitiert, mehrfach auch mit der munikationsgeschichte des Mittelalters (Monographien zur Geschichte des Mittelalters 14) Stuttgart 1976, 561 f. 44 Ein Exemplar des Kommentars, aus der Erfurter Kartause stimmend, befindet sich in der Berliner Staatsbibliothek unter der Signatur Ms. lat. fol. 709. Zu Heinrich von Langenstein, über dessen Bedeutung für die spätmittelalterliche Spiritualität eine angemessene Studie leider immer noch aussteht, neben den Arbeiten von LANG (Anm. 3) auch K. J. HEILIG, Kritische Studien zum Schrifttum der beiden Heinriche von Hessen, in: RQ 40 (1932) 105-176; HAMM, Frömmigkeit (Anm. 1) 479. 45 Vgl. LEHMANN, Bibliothekskataloge (Anm. 11) 571. 46 Zu Cassian vgl.: L. WRZOT, Die Psychologie des Johannes Cassian, in: Divus Thomas (2. Ser.) 5 ( 1 9 1 8 ) 181-213 u n d 4 2 5 - 4 5 6 ; 7 (1920) 70-96; 9 ( 1 9 2 2 ) 2 6 9 - 2 9 4 ; (3. Ser.) 1 ( 1 9 2 3 ) 3 8 5 - 4 0 4 u n d 2 ( 1 9 2 4 ) 8 4 - 9 1 ; z u r A p a t h e i a : ( 2 . S e r . ) 9 ( 1 9 2 2 ) 2 8 1 - 2 8 6 ; M . OLPHE-GALLIARD, L a p u r e t é d e c o e u r
d'après Cassien, in: Revue d'ascétique et de mystique 17 (1936) 28-60; K. RUH, Die 'Conlationes' des Johannes Cassianus. Ein Grundbuch monastischer Vollkommenheit, in: Mystik och verklighet. En festskrift tili Hans Hof, sammamställd av O. FRANCK, Delbo 1987, 203-219. Die Rolle Cassians im Spätmittelalter behandelt G. H. GERRITS, Inter timorem et spem. A Study of the Theological Thought of Gérard Zerbolt of Zutphen (1367-1398) Leiden 1986; sowie zusammenfassend: K. KUNZE/ U. WILLIAMS/ P. KAISER, Information und innere Formung. Zur Rezeption der 'Vitaspatrum', in: Wissensorganisierende und wissensvermittelnde Literatur im Mittelalter: Perspektiven ihrer Erforschung, hg. von N. R. WOLF (Wissensliteratur im Mittelalter 1), Wiesbaden 1987, 123142.
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'Summa Theologiae' und (ungenannt) mit 'De malo' . Wesentlich mehr sagt dem Erfurter Kartäuser Seneca zu, dessen Briefcorpus48 sowie 'De tranquillitate' und "Naturales quaestiones1, in denen das Lob von Seelenruhe, Mäßigung und Bildung zu finden ist, sich eines auffallend großen Interesses erfreuen49. Ein kurzes Wort noch zum Nominalismus: Bei aller Zitatenfülle läßt sich in dem gesamten Traktat keinerlei einschlägiges Schrifttum nachweisen. Diese Tatsache ist umso bemerkenswerter angesichts der sehr engen Kontakte der Kartäuser zur Erfurter Universität, erscheint aber mit Blick auf die Bücherbestände von St. Salvatorberg sowie der anderen Kartausen, in denen nominalistische Autoren absolut unterrepräsentiert sind, durchaus als naheliegend. Mehrere Aspekte dieses Kommentars verdienen noch nähere Betrachtung: 1. Unter Berufung auf patristische Quellen, insbesondere aber in Anlehnung an das Proömium des 'Didascalicon'50, richtet der Kartäuser sein Augenmerk auf die heilsrelevante Funktion der Gelehrsamkeit und verwirft vehement jegliche selbstverschuldete Unwissenheit. Eruditio nimmt in seiner Werteskala einen hohen Rang ein, da sie zentraler Bestandteil des Kampfes gegen die ignorantia ist, den geistlichen Fortschritt fordert, zu einem Leben in Weisheit und Gottesliebe führt und zur Hoffnung auf die zukünftige Erlösung berechtigt. Obgleich der Kartäuser mit diesen Positionen der augustinischen Wissenschaftslehre und mehr noch der von Hugo weiterentwickelten Vorstellung von der Bildung als therapeutischer Methode verpflichtet ist, weiß er darüber hinaus einige durchaus markante und zeitspezifische Akzente zu setzen51. Unter scientia versteht der Erfurter Kommentator, wie dargestellt, primär die umfassende Aneignung der Artes liberales. Wissenschaft, die Ordnung der Dinge, Moral, Weisheit und letztlich auch die begnadete visio dei sind in einem 47
Zur Thomasrenaissance im Spätmittelalter vgl. z.B. M. GRABMANN, Das Weiterleben und Weiterwirken des moraltheologischen Schrifttums des hl. Thomas von Aquin im Mittelalter, in: Aus Theologie und Philosophie. Festschrift für F. Tillmann, hg. von T. STEINBÜCHEL/ T. MÜNCKER, Düsseldorf 1950, 64-83. E. MEUTHEN beleuchtete jüngst die Bedeutung des Thomas von Aquin für die Reforminitiativen des Nikolaus von Kues: Thomas von Aquin auf den Provinzialkonzilien zu Mainz und Köln 1451 und 1452, in: Köln. Stadt und Bistum in Kirche und Reich des Mittelalters. Festschrift für O. Engels, hg. von H. VOLLRATH/ ST. WEINFURTER (KHA 36) Köln u.a. 1993, 641658. 48 Im Einzelnen: Epp. 2, 19, 45, 50, 56, 66, 72, 82, 88; De beneficiis Lib. IV, c.38. Zu Seneca, dessen Einfluß im Spätmittelalter bislang weitgehend unerforscht ist, zuletzt mit weiterführender Literatur N. HENKEL, Seneca d.J., Lucius Annaeus, in: Verf.Lex VIII (1992) 1080-1099; sowie die instruktiven Überlegungen von G. MAURACH, Seneca. Leben und Werk, Darmstadt 1991, 181 ff. Seneca als Argumentenlieferant für die Reformer an der Pariser Universität, besonders auch für Gerson, skizziert HÜBENER, Konservatismus (Anm. 3) 172 und 180 f. 49 Das Seneca-Corpus aus der Erfurter Kartause umfaßt den Großteil seines Werks, vgl. LEHMANN, Bibliothekskataloge (Anm. 11) 418 und 516. 50 Vgl. die Aufzählung der Väter fol. 19v. In der überreichen Literatur über Hugos 'Didascalicon' ist neben Buttimers Edition (Anm. 28) grundlegend J. TAYLOR, The Didascalicon of Hugh of St. Victor. A medieval guide to the arts, New York-London 1961; unter den neueren Arbeiten sind hervorzuheben: E. STEPHAN, Gewißheit des Glaubens. Der Glaubenstraktat Hugos von St. Viktor als Zugang zu seiner theologischen Systematik (Beiträge zur Geschichte der Philosophie und Theologie des Mittelalters NF 30) Münster 1987, bes. 93-109; I. ILLICH, Im Weinberg des Textes. Als das Schriftbild der Moderne entstand. Ein Kommentar zu Hugos 'Didascalicon', Frankfurt/M. 1991. 51 Zum Wissenschaftsverständnis bei Augustin vgl. MARROU, Saint-Augustin (Anm. 23) 307-312; f e r n e r R . LORENZ, D i e W i s s e n s c h a f t s l e h r e A u g u s t i n s , in: Z K G 6 7 ( 1 9 5 5 / 5 6 ) 2 8 - 6 0 u n d 2 1 3 - 2 5 1 ,
hier: 54-60.
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untrennbaren, hierarchisch strukturierten Zusammenhang miteinander verbunden. Gewährleistet aber wird die Funktionabilität dieses Systems durch zwei Voraussetzungen, aus denen heraus sich die Bedeutung der Artes ergibt: (a) Die Natur der Schöpfung, d.h. auch die Natur des Menschen, ist Ausfluß eines zumindest partiell transparenten Schöpferwillens und liegt daher in ihrer Gesetzlichkeit dem Gebildeten in einem sukzessive verlaufenden Erkenntnisprozeß bis zu einem gewissen Grad offen. (b) Mehrmals betont der Kartäuser in Anlehnung an Hugo von St. Viktor die Notwendigkeit eines geordneten und geregelten Lernens im Dienste der geistlichen Perfektion. Das (Schrift-)Studium, cum moderamine et discretione betrieben, besitzt jenseits aller nichtigen Neugier einen zentralen Platz im Heilsplan des Einzelnen. Hierbei übernehmen die Artes als Grundlage einer kontrollierten Wissensaneignung die Funktion eines Regulativs zur Vermeidung von überflüssigem und falschem Lernen. Daß sich der Autor keineswegs mit einer bloßen Übernahme viktorinischer Positionen begnügt, beweist sein durchaus selbstständiger Umgang mit Hugos 'Didascalicon'. Wo dieser etwa eine umfassende Wissenschaftssystematik entwirft, in der die Freien Künste lediglich Bestandteil eines übergeordneten Lernprogramms sind, beschränkt sich der Kartäuser in seiner Darstellung allein auf die Artes liberales, was bei der Ignorierung der mechanischen Künste nicht verwundert, im Falle der in St. Viktor durchaus geschätzten Logik indes geradezu symptomatisch wirkt: Gesteht der Viktoriner der (Sprach-)Logik (logica sermocinalis) gemäß der zu seiner Zeit einsetzenden Aristotelesrezeption einen wichtigen propädeutischen Nutzen zu52, übergeht der Erfurter Kartäuser eine derart exklusive Behandlung kommentarlos. Mit seinem Rückgriff auf die traditionelle Systematik von Trivium und Quadrivium verfolgt er eigene Ziele: Ganz offensichtlich ordnet der Kommentator die Beherrschung der Logik und der disputatio viel nachdrücklicher dem Ideal einer möglichst umfassenden Bildung auf der Grundlage der Artes in ihrer gesamten Breite unter. Erst ein durch sie vermitteltes Wissen dient der wahren Gelehrsamkeit und ermöglicht ein vielseitiges und damit heilsrelevantes Erfassen der heiligen Schriften und der inneren Ordnung der Schöpfung. Diese Scheu des Kartäusers vor der Logik hat indes weitreichende Folgen: Statt die Dialektik als ein Instrumentarium wissenschaftlichen Verstehens anzuerkennen, zieht er sich auf eine eher moralisch-praktisch argumentierende Position zurück und rückt die Wissenschaft in ihrer Eigenschaft als diskursive und disputierende Tätigkeit in die Nähe zur gestelzten und unfruchtbaren Geltungssucht. Bei allem "viktorinischen" Erkenntnisoptimismus hegt der Autor wesentlich größere Zweifel an einer der "differenzierenden" Vernunft zugänglichen Intelligibilität der Welt. 2. In seinem alternativen Gegenentwurf eines aszetischen und gottesfurchtigen Gelehrtenideals beruft sich der Erfurter Kartäuser nicht nur auf die christliche Tradition, sondern er verweist darüber hinaus in eindringlicher Weise auf Parallelen heidnisch-philosophischer Existenzgestaltung. 52 Vgl. Didasc. I 11, 20 'De ortu logice1: Haec enim incohantibus philosophiam prima legenda est, propterea quod in ea docetur vocum et intellectuum natura, sine quibus nullus philosophiae tractatus rationabiliter explicari potest.
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Von Weisheit erfüllt, oder doch zumindest von dem Ziel ihrer Erlangung beseelt, liefern ihm die antiken philosophi zahlreiche Beispiele tugendhafter Lebensführung: Als Prototypen einer exemplarischen (kartäusischen) Vita entsagten sie allen öffentlichen Aktivitäten, Ehrungen und Reichtümern, und führten in Absonderung von der übrigen Welt die Existenz eines Weisen. Gerade durch ihr Leben in Einsamkeit und Weltflucht versinnbildlichen Themistocles, Plato, Socrates und Pithagoras für den Kartäuser die Möglichkeit einer kontemplativen Gelehrtenexistenz53. Zur Definition der Inhalte eines derartigen modus vivendi greift er indes durchaus auf traditionelle Quellen zurück und stimmt mit Augustinus, Gregor, Isidor von Sevilla, Bernhard von Clairvaux und mit Hugo das Lob der monastischen humilitas an54. Insbesondere aber richtet er sein Augenmerk auf zwei Protagonisten der gebildeten Askese, die mehr oder weniger stark dem stoischen Denken verpflichtet sind: auf Cassian und Seneca. Senecas Ideal des stoischen Weisen und Cassians Bemühungen um eine puritas cordis bilden in gewisser Hinsicht die zwei Pole, zwischen denen sich das Leben des Gelehrten zu entfalten hat. Erst in der tranquillitas mentis, die Seneca so eindringlich beschwört, kann der Mensch sich an das Projekt wagen, an der divina sapientia zu partizipieren und wahrhaftige Weisheit zu erlangen. Schon die heidnischen Philosophen erkannten den Nutzen des selbstgewählten Exils (fol. 24r), um sich in ihm, jenseits aller Ablenkungen, auf ein tugendhaftes Leben zu konzentrieren. Das exsilium des Christen aber ist das Kloster, die Aneignung der Tugenden die repressio et sedatio passionum carnalium (fol. 23v). Es fällt auf, daß der Autor die einzelnen Tugenden kaum einer näheren Betrachtung unterzieht und sich einer Angabe ihrer Inhalte völlig enthält. Allein die Demut wird durch mehrere Zitate illustriert, doch jenseits dieser versteht der Erfurter Kartäuser unter einem tugendhaften Leben vornehmlich das Streben nach innerer Reinheit, eben der puritas cordis Johannes Cassians. Erst in dieser vollständigen Herzensreinheit gelangt der Prozeß des zur-Ruhe-Kommens, der im Rückzug in die Stille des Klosters beginnt und in der vollkommenen tranquillitas der gezähmten Leidenschaften endet, zu seinem Abschluß. Wie diese puritas die weitestmögliche Teilhabe an der göttlichen Weisheit erlaubt, so ist der Weg dorthin - entsprechend dem Grad der Zügelung der Leidenschaften - durch verschiedene Qualitäten der Erkenntnis markiert. Unter den zahlreichen Aufstiegsschemata, die ihm die Tradition zur Verfügung stellt, wählt der Kartäuser den Fünferschritt von sensus, imaginatio, ratio, intellectus und intelligentia, in dem der Vernunft eine Schlüsselrolle zufällt. Erst durch ihre Tätigkeit, also durch die ordnungsgemäße Indienstnahme der Artes, gelangt der Mensch zu weiterführendem, heilsrelevantem Wissen. Da die ratio als Bestandteil des aszetischen Aufstiegsprozesses begrenzt an der göttlichen Erleuchtung partizipiert, vermag sie Einblicke in die lex eterna zu gewinnen, die ihr nicht nur Aufschlüsse über den ordo der Dinge vermittelt, sondern auch zur weiteren Perfektionierung des Menschen beiträgt. 53 So zitiert der Kartäuser einen ausführlichen Auszug aus der 'Epistola ad Nepotianum Presbyterum' des Hieronymus mit den Beispielen der genannten Philosophen. Teile davon erwähnt er später noch ein weiteres Mal in Gestalt eines Inserts aus Didasc. III 14 (fol. 18r); vgl. 'Ad Nepotianum Presbyterum': CSEL 54, Ep. 52, 2-3, 414-418; vgl. auch Anm. 28. 54 Vgl. Anm. 37.
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Ein entscheidendes Charakteristikum des Aufstiegs der Erkenntnis ist die nachhaltig hervorgehobene Methodik des Ablaufs. Unermüdlich weist der Erfurter Kartäuser auf die Notwendigkeit des klar geordneten und geregelten Fortschreitens hin. Lernen wie auch die Aneignung der Tugenden sind Prozesse, die einer strikten Systematik unterworfen werden und in ihren Fortschritten und Ergebnissen permanent kontrollierbar sind. Um den Erfolg zu gewährleisten, ihn gar planen zu können, werden jegliche Unwägbarkeiten weitestmöglich vermieden: Bevor sich der religiosus auf den Weg zur Weisheit begibt und sich dem Studium der Wissenschaft widmet, müssen die Voraussetzungen einer erfolgreichen Umsetzung, zunächst also die eigenen Fähigkeiten, kritisch beleuchtet werden. Geistige, aber auch körperliche Veranlagungen, ingenium und virtus corporis, sind einer eingehenden Prüfung zu unterziehen und im Hinblick auf die Chance, das vorher abgesteckte Ziel zu erreichen, zu bewerten55. Alle individuelle Disposition bleibt indes machtlos, wird sie nicht mittels beständiger Übung gefordert und ausgebaut: Usus und disciplina sind unverzichtbare Eigenschaften, ohne die Ordnung und Beständigkeit weder der tugendhaften Existenz noch der heilsrelevanten Erkenntnis garantiert sind. Diskrete Lebensführung und Wissenschaft können ihren engen Konnex nur produktiv gestalten, wenn sie im Vertrauen in die Intelligibilität der Schöpfung gründen. Erst dieser erkenntnistheoretische Optimismus fuhrt den Kommentator letztlich zu der apodiktischen Forderung, gemäß der vernunftgemäßen Erfassung der Dinge zu leben: vivere secundum scientiam. Der wahre Philosoph, der Freund der Weisheit, nutzt die wissenschaftliche Erkenntnis zur Besserung der Lebensführung und umgekehrt, da die Betrachtung der Schöpfung mittels der Artes Aufschluß über die göttliche Ordnung gibt und somit der rectificatio morum und directio vitae dient56. 3. Gemeinsam präparieren Wissenschaft und tugendhafte Lebensführung den Menschen für den Aufstieg zu göttlicher Erleuchtung und verschmelzen zu einer Einheit, auf deren Fundamenten der studiosus christianus die Stufen zur perfekten sapientia erklimmt. Weisheit stellt für den Kartäuser das vorrangige Ziel menschlichen Strebens diesseits der mystischen, eschatologischen Erleuchtung dar und partizipiert in ihrer höchsten Form an der allumfassenden göttlichen sapientia. Will der Weise weiter voranschreiten auf dem Wege zur Vollendung, so vermag er dies von nun an nicht mehr aus eigener Kraft und mittels eigenen Erkenntnisvermögens. Sein 55 Considerare debet quisque sapientie et scientie amator ingenium suum, et secundum conditionem eius et qualitatem congruentibus se applicat scientiarum doctrinis et disciplinis. [...] Est autem attendenda dispositio in organis potentie interioris sensibilis. Sunt enim aliqui Optimum habentes Organum fantasie et ymaginationis in qualitate et complexione, compositione, situ, figura et huius, que ad ymaginationis bonitatem sunt necessaria (fol. 25v). 56 Mit einem Zitat aus dem Genesiskommentar des Heinrich von Langenstein fordert er, ut sapientiam amet et querat recta et debita intentione et ad verum eius finem. Quia alius non legittime sed adulterne amat sapientiam. Secundum est, ut quidquid speculative notet, ad mores quandocumque convertat. Tertium est, quod secundum scientiam suam vivat. Ita quod quanto proflcit in scientia et sapientia, tanto crescit in laudabili vita. Pro istis facit, quod dicit beatus Augustinus octavo 'De Civitate Dei', capitulo tertio, quod Socrates primus universam philosophiam ad corrigendos componendosque mores flexisse memoratur, cum ante ipsum homines naturalibus rebus perscrutandis maximam operam impenderint. Quod autem omnes speculative considerationes artium liberalium ad rectificationem morum et vite directionem adaptari possint, patet satis ex libro Senece 'De Questionibus naturalibus' (fol. 24r).
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Wissensgebiet erstreckt sich nunmehr auf die eigentliche Theologie (vera theologia), in welcher die Fähigkeiten des Weisen nicht mehr auf Wissen und Tugend beruhen. In ihr übergibt sich die Seele nunmehr in Demut und Liebe der Gnade ihres Schöpfers, bereit zur Illumination durch den Hl. Geist, um zur visio dei zu gelangen. Dennoch bildet dieser begnadete Zustand, mag er auch die Vollendung der gelehrten mönchischen Existenz sein, nicht den Gegenstand des Traktates, sondern er besitzt lediglich komplementären Charakter. Es lohnt sich, den Weisheitsbegriff des Erfurter Kommentars noch einmal näher zu betrachten: Wie dargelegt, beruht die Welt auf einer Ordnung, die einer progressiven, wissenschaftlich geschulten Erkenntnis zugänglich ist. Nirgends vermittelt der Autor den Eindruck, die Transzendenz Gottes als Argumentation gegen den Wert vernunftgemäßer Wahrnehmung anführen zu wollen. Wenn er auch mehrmals ein ps.-dionysisch inspiriertes Aufstiegsschema zitiert, so interessiert ihn daran weniger der mystische Gehalt dieses Entwurfs als vielmehr die Möglichkeit, ratio und virtus als komplementäre Bestandteile der Weisheit in die christliche Kosmologie einzugliedern57. Dennoch dürfen die im Weltbild des Erfurter Kartäusers durchaus vorhandenen Elemente einer gewissen erkenntnistheoretischen Skepsis nicht vernachlässigt werden. Auch wenn der Autor die Intelligibilität der Schöpfung prinzipiell gewahrt sieht, verwirft er das Erkenntnispotential der Logik zugunsten eines betont anthropozentrisch orientierten Wahrheitsverständnisses. Anstelle des vernunftgemäßen und differenzierenden Denkens als eines Vermögens autonomer menschlicher Erkenntnistätigkeit gelangt für ihn nunmehr der Gelehrte selbst als tugendhafte und ethische Instanz in den Blickpunkt, der erst dank seiner moralischen Qualität dazu befähigt ist, mit Hilfe der göttlichen illuminatio den wertgesättigten Kosmos schrittweise zu erkennen. Was aber macht den eigentlichen Inhalt dieser Befähigung aus? Der Mensch schafft, oder: rekonstruiert, in sich selbst den ordo - zuweilen bedient sich der Kartäuser des augustinischen Begriffs reformatio58 -, der zugleich das Grundmuster der Schöpfung darstellt. Indem der Lernende alles Wissen zu seinem Fortschritt nutzt und seine Leidenschaften kontrolliert, verinnerlicht er den ordo der Schöpfung und beginnt, in sich selbst das Wirken Gottes zu erkennenS9. Die Schöpfung besitzt, da sie direkter Ausdruck der göttlichen Weisheit ist, einen moralischen Wert; ihre Regeln zu verstehen, der Wahrheit Gottes teilhaftig zu werden, bedeutet in letzter Konsequenz die Selbsterkenntnis des Menschen. Die Voraussetzung für das rechte Zusammenspiel dieses Regelwerks aus persönlicher Disposition, intelligiblem Kosmos, gnadenhafter Weisheit und Selbsterkenntnis besteht in dem Willen des Menschen, sich der Unübersichtlichkeit der Welt zu entziehen, um sich in der Stille und Abgeschiedenheit des Klosters auf das Eine zu konzentrieren, das gleichermaßen in der Schöpfung und im Menschen selbst zu finden ist. Das Subjekt relevanter Erkenntnis ist somit der fromme und demütige Gelehrte in seiner eremitischen Existenz, exklusive Lebensführung und Geisteshaltung in einem umfassenden Habitus miteinander verbindend. 57
Vgl. Anra.31. Vgl. z.B. das Zitat in Anm. 29. Quod autem prodest homini, si mundum universum curretur, anime autem sue dispendium patiatur? Ideo debemus discere, ut nosipsos valeamus edificare. [...] Quod quadrupliciter faciamus: Si que legimus in scripturis, ad utilitatem nostram vertamus, si quid videmus in creaturis, in nobis spirituale intelligamus, si nosipsos interius cognoscamus, si ex cognitione nostra in dei notitiam ascendamus (fol. 31v). 58
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Sicherlich endet der Aufstieg der erkennenden Seele nicht mit der Erlangung der Weisheit und bleibt, zumindest dem Anspruch nach, auf eine mystische und gnadenhafte Gottesschau ausgerichtet, doch bildet die gelehrte Demut den vornehmsten Bestandteil der religiösen Lebensführung, welche die visio dei wohl als Ziel vor Augen hat, deren Erreichbarkeit in diesem Leben jedoch eher skeptisch beurteilt und in ihr einen primär eschatologischen Zustand sieht. Faktisch bedeutet die begnadete sapientia als aszetisches Nahziel die vorläufige Vollendung des religiosus, indem sie gleichermaßen eine Synthese aus perfekter Lebensführung und höchster Form der Bildung darstellt. Insofern ist damit auch eine eindeutige Absage an den ps.-dionysischen deus absconditus gegeben. Die Grundlagen der Erkenntnistheorie des Erfurter Kartäusers sind vielmehr anderswo zu suchen: in der Aufforderung zur Selbsterkenntnis als Voraussetzung der Gotteserkenntnis, wie dies Augustinus formulierte und die Viktoriner weiter ausarbeiteten. Ein weiterer Aspekt, der, obwohl explizit im Kommentar nicht behandelt, dennoch in Gestalt seiner umfassenden Quellennutzung präsent ist, verdient unser Interesse: Worin lagen die Gründe für den enzyklopädischen Anspruch, der hinter dieser Rezeptionsbreite steht und wahrscheinlich demselben Gestus entspringt, welcher den Aufbau der immensen Bücherbestände durch die Kartäuser des 15. Jahrhunderts mitbewirkte? Hier sei einer von mehreren möglichen Erklärungsansätzen genannt: Das Verständnis von Weisheit, wie es der Erfurter Kartäuser zu erkennen gibt, steht ganz unter dem Eindruck des neuplatonischen Einheitsdenkens. Wie die Wahrheit nur als eine einzige, ungeteilte und in sich homogene Qualität erfaßt wird, die dem Menschen in ihrer vollkommenen Variante allein durch die göttliche illuminatio zuteil werden kann, so erfordert ebendiese Erleuchtung das gottgefällige Verhalten des "ganzen" Menschen in all seinen Facetten, die beständige Kontrolle seiner Leidenschaften und die vernunftgemäße Erkenntnis. Wenn aber die Wahrheit nicht, wie etwa in der Scholastik, als Resultat diskursiver und disputierender Vernunft definiert wird, sondern letztendlich als ein Ergebnis der pneumatischen Illumination, so lassen sich analoge Kriterien auch auf den Umgang mit der christlichen Tradition übertragen. Jede Autorität, jedes Buch muß Teil dieser einen, umfassenden Wahrheit sein, nicht im Sinne der scholastischen Dialektik als eine, allerdings autoritativ abgesicherte Quelle des produktiven Zweifels, sondern allein in der Anschauung durch den illuminierten Verstand. Unter diesem Aspekt gesehen erscheint die spätmittelalterliche Kartäuserbibliothek ein letztes Mal als materialisierter Glaube an die Möglichkeit der Einheit des Wissens. Nichts aber kann dieser Glaube weniger dulden als den Widerspruch. Daß die nominalistische Tradition des 14. Jahrhunderts als Gegner eines derartigen Einheitsdenkens aus dieser Spiritualität ausgeklammert wird und in der in engsten Verbindungen zur nominalistisch geprägten Universität stehenden Erfurter Kartause kaum und in vielen anderen Kartausen sogar überhaupt nicht präsent ist, erscheint unter diesem Gesichtspunkt als plausibel. Erinnern wir uns: Die wachsende Überzeugung von der angeblichen Sterilität und nutzlosen Subtilität der magistralen Gelehrsamkeit sorgt im ausgehenden 14. Jahrhundert für ein Klima, in dem die Forderung nach neuen, heilsrelevanten Methoden der Wissensaneignung und -nutzung laut wird. Die Stoßrichtung dieser Fundamentalkritik dürfte ein wesentlicher Faktor für die wachsende Anziehungskraft der monastischen Reform- und Observanzströmungen auf die universitäre Intelligenz gewesen sein, ist doch ein fast zeitgleiches und dennoch unverbunde-
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nes Einsetzen beider Phänomene mehr als unwahrscheinlich. Daß speziell die traditionelle Lebensform der Kartäuser dieser Entwicklung entgegenkommt, ist leicht einsehbar. Nicht eingebunden in den Lehrbetrieb wie andere Orden und die Zurückgezogenheit und Autarkie des Einzelnen pflegend, findet der Religiöse im ordo carthusiensis beste Voraussetzungen, eine derartige Spiritualität zu leben. So wie der Orden niemals Anstalten traf, eigene Studien aufzubauen, Bildung zu institutionalisieren und Schulen zu bilden, so liegt es allein im Ermessen des jeweiligen Mönchs, der Wissenschaft eine von Aszese und Selbstbetrachtung geprägte Funktion in seinem Leben zuzuweisen. Anstelle der institutionalisierten universitären Lehre bietet das bibliophile desertum der Kartause beste Bedingungen für ein individualistisch geprägtes Bildungsideal und vermag gerade in dieser Eigenschaft von großer Attraktivität gleichermaßen für die Intellektuellen und die monastische Kultur des 15. Jahrhunderts zu sein. Der Erfurter Bibliothekskatalog ist einer der letzten Höhepunkte spätmittelalterlicher monastischer Gelehrsamkeit: Die durch ihn erfaßten Bestände sind im Sinne der bildungsaufgeschlossenen und zugleich aszetischen Spiritualität ihrer Schöpfer weitgehend komplett und bedürfen keines weiteren Ausbaus mehr. So verstanden steht der Kommentar als innerer Bestandteil des Katalogs am Ende einer Entwicklung, indem er noch einmal die theoretischen Grundlagen einer geistesgeschichtlichen Strömung zusammenfaßt, die unter den Kartäusern schon früh Fuß fassen konnte und sich in ihren hervorragendsten Vertretern, Dionysius dem Kartäuser aus Roermond, Nikolaus Kempf und Johannes Hagen, zu exemplarischer Bedeutung entwickelte60.
60
Zu Dionysius und Nikolaus vgl. neuerdings K. EMERY Jr., Dionysii Cartusiensis opera selecta, 1.1. Bibliotheca manuscripta I A und I B: Studia Bibliographica (CC Cont. med. 121/121A) Turnhout 1991; sowie D.D.MARTIN, Fifteenth-Century Carthusian Reform. The World of Nicholas Kempf (SHCT 49) Leiden u.a. 1992; zu Johannes Hagen vgl. Anm. 10.
Johannes Kapistran in Jena v o n MATTHIAS WERNER
"Uns geht es dank Gottes Gnade bestens. Ich erfreue mich guter Gesundheit, arbeite täglich auf meine gewohnte Weise im Garten des Herrn und werde in einigen Tagen nach Erfurt zurückkehren, wo ich, da ich von jenem erlauchten Fürsten für wenigstens vier Tage (hierher) gebeten wurde, die Frucht aus dem gesäten Samen noch nicht habe einbringen können"1. Den Brief an den Rat der Stadt Nürnberg, dem er diese persönlichen Mitteilungen einfügte, schrieb Johannes Kapistran am 6. September 1452 ex Jhane. Als einziges authentisches Zeugnis seines kurzen Besuches in Jena bildet das Schreiben die wichtigste Quelle für den Aufenthalt des berühmten franziskanischen Bußpredigers in der Saalestadt und sein dortiges Zusammentreffen mit dem thüringischen Landgrafen Herzog Wilhelm III. von Sachsen (1445-1482). Ergänzende Nachrichten bringen die um 1462 abgeschlossene Kapistran-Biographie des Christoph von Varese2 und einige Urkunden Herzog Wilhelms III. aus den Jahren 1452/573. Unter den zahlreichen Stationen der langen Predigtreise, die Kapistran von Italien aus auf Einladung König Friedrichs III. und im Auftrag Papst Nikolaus' V. in den Jahren 1451/56 zunächst nach Österreich und dann nach Mähren, Bayern, Franken, Thüringen, Sachsen, Schlesien, Polen und schließlich Ungarn unternahm, stellen die wenigen Septembertage 1452 in Jena nur eine bescheidene, vergleichsweise schlecht dokumentierte Episode dar4. Andererseits trägt jede einzelne dieser Stationen - sei sie von noch so kurzer Dauer und noch so lückenhaft bezeugt - dazu bei, das Gesamtbild dieser spektakulären Reise zu erweitern5, 1
J. KLST, Der hl. Johannes Kapistran und die Reichsstadt Nürnberg, in: Franziskanische Studien 16 (1929) 212 (Beilage 11): Status autem noster divina favente gratia optime se habet. Ego quidem bona valetudine utor, laborans quotidie pro mea consuetudine in agro Dominico rediturusque Erffordiam per aliquot dies, ubi, rogatus ab isto illustri principe pro quatuor saltem diebus, fructum ex sparso semine non dum recollegeram. - Siehe auch O. BONMANN (f), A Provisional Calendar of St. John Capistran's Correspondence, ed. G. GAL/ J. M. MLSKULY, in: Franciscan Studies 50 (1990) 345 f. nr. 381. 2 Vita S. Johannis a Capistrano, scripta a Fr. Christophoro a Varisio, in: AASS Oct. 10, Paris-Rom 1869 (künftig: Varese), 525; zu Verfasser und Werk vgl. J. HOFER, Johannes Kapistran. Ein Leben im Kampf um die Reform der Kirche. Neue, bearb. Ausgabe [von O. BONMANN] (Bibliotheca Franciscana I-II) 2 Bde., Rom 1964/65; hier I 8 f. 3 Vgl. dazu unten S. 509 f. mit Anm. 36, 38 und 40. 4 Ausführlichste Darstellung in dem grundlegenden Werk von HOFER (Anm. 2) II (Kap. 9-14), dazu das detaillierte Itinerar, I 524-527; beste jüngste Übersicht und Analyse bei K. ELM, Johannes Kapistrans Predigtreise diesseits der Alpen (1451-1456), in: H. BOOCKMANN/ B. MOELLER/ K. STACKMANN (Hg.), Lebenslehren und Weltentwürfe im Obergang vom Mittelalter zur Neuzeit (Abh. der Akad. der Wiss. Göttingen, Phil.-hist. Kl. 3. Folge 179) Göttingen 1989, 500-519; vgl. auch die Bemerkungen von E. MEUTHEN, Die deutsche Legationsreise des Nikolaus von Kues, in: ebd. 440, sowie S. PAULDRACH, Bußpredigten und Bußprediger, besonders Johannes von Capestrano, in: Der Bußprediger Capestrano auf dem Domplatz in Bamberg (Schriften des Histor. Museums Bamberg 12) Bamberg 1989, 95-109. 5 Für zahlreiche Einzelstationen liegen bereits Detailuntersuchungen vor; Zusammenstellung bei HOFER (Anm. 2) II passim und ELM (Anm. 4) 504 ff.; zu seinem Wirken im thüringisch-sächsischen Raum vgl. zuletzt J. SIMON, Auf den Spuren des hl. Johannes Kapistran. Sein Aufenthalt in Görlitz 1453, in: Vita Seraphica 69 (1988) 26-42.
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die zweifellos zu den aufschlußreichsten Ereignissen für die religiöse und kirchenpolitische Situation in Mitteleuropa in den ersten Jahren nach dem Ende des Basler Konzils zählt. Doch auch für sich alleine genommen - insbesondere unter dem vielerörterten Aspekt landesherrlicher Kirchenreform in den spätmittelalterlichen deutschen Territorien, namentlich in den Entstehungsgebieten der Reformation - erscheint der Kapistran-Besuch in Jena von Interesse; umso mehr, als er in der örtlichen Geschichtsforschung nahezu unberücksichtigt blieb6. I.
Nach längerem Aufenthalt in Franken im Juli/August 1452 - allein vier Wochen hatte er in Nürnberg verbracht - wandte sich Kapistran Ende August Thüringen zu7. Von hier aus plante er, seine Reise nach etwa einem Monat über Leipzig nach Böhmen fortzusetzen8. Von Coburg aus den Thüringer Wald überquerend9, erreichte er als erste Station das schwarzburgische Arnstadt10, das er auf Einladung des Rates, vor allem aber wohl weil der Arnstädter Franziskanerkonvent kurz zuvor zur Observanz übergegangen war, mit einem kurzen Besuch beehrte". Höhepunkt war seine öffentliche Predigt am 27. August, der sich, wie überall, Krankenheilungen anschlössen12. Das eigentliche Ziel seiner Thüringen-Reise aber bildete die inclyta civitas Erfurt13, als weitaus größte Stadt nicht nur Thüringens, sondern des gesamten 6
Kurze Erwähnung mit Quellenhinweisen bei E. DEVRIENT (Hg.), Urkundenbuch der Stadt Jena und ihrer geistlichen Anstalten 3 (Thüringische Geschichtsquellen NF 3) Jena 1936, 123, Nr. 223 (künftig: UB Jena). In der maßgeblichen Monographie von H. KOCH, Geschichte der Stadt Jena, Stuttgart 1966, blieb der Kapistran-Besuch ebenso unberücksichtigt wie in der jüngeren stadtgeschichtlichen Forschung. 7 Die ausführlichste Darstellung seiner Thüringen-Reise bietet noch immer HOFER (Anm. 2) II 165 ff.; die Bedeutung des Kapistran-Besuches in Thüringen im Rahmen der kirchlichen Reformbemühungen Herzog Wilhelms III. stellte jüngst nachdrücklich vor allem M. SCHULZE, Fürsten und Reformation. Geistliche Reformpolitik weltlicher Fürsten vor der Reformation (Spätmittelalter und Reformation NR 2) Tübingen 1991, 67 ff., heraus. 8 Noch in Jena - nach seinen ersten Gesprächen mit Herzog Wilhelm III. - teilte Kapistran als weitere Reiseroute nach seiner Rückkehr nach Erfurt mit: Accedam deinde Lipzk, demum versus ingratos obstinatosque Bohemos profecturus; KlST (Anm. 1)212; vgl. auch HOFER (Anm. 2) II 169. 9 In Coburg, wo er vom 23. bis 25. August bezeugt ist (vgl. HOFER [Anm. 2] II 163 mit Anm. 45), befand er sich vorübergehend bereits im Herrschaftsgebiet Wilhelms III. 10 J. BÜHRING, Johanns von Capistrano, des andächtigen Vaters Aufenthalt in Arnstadt 1452, in: A l t - A r n s t a d t 3 ( 1 9 0 6 ) 8 3 f f . ; HOFER ( A n m . 2 ) II 1 6 3 f. 11 Varese (Anm. 2) 525 spricht von Arnesth, ubi est locus noster de Observantia. Der 1250 gegründete Arnstädter Franziskanerkonvent hatte sich 1445/50 als viertes Kloster der sächsischen Ordensprovinz und als zweites Kloster der Kustodie Thüringen nach den Niederlassungen in Brandenburg (vor 1428), Eisenach (1438) und Angermünde (1438/45) der Observanz angeschlossen; vgl. F. DOELLE OFM, Die Observanzbewegung in der sächsischen Franziskanerprovinz (Mittel- und Ostdeutschland) bis zum Generalkapitel von Parma 1529 (Reformationsgeschichtl. Studien und Texte 30/31) Münster 1918, 9 f. Ob im Beisein Kapistrans in Arnstadt ein Provinzialkapitel der sächsischen Observanten stattfand, auf dem Henning Sele als Provinzvikar bestätigt bzw. gewählt wurde, wie die Ordenshistoriographie des 18. Jhs. berichtet, der sich HOFER (Anm. 2) II 164 anschließt, bedarf noch weiterer Klärung. Sicher ist, daß spätestens 1449 ein Provinzvikariat für die Observanten der sächsischen Ordensprovinz eingerichtet worden war; vgl. DOELLE 10 mit Anm. 1 sowie unten S. 515 mit Anm. 83. 12 Varese (Anm. 2) 525; vgl. auch die von J. BÜHRING, Urkunden und Auszüge zur Geschichte Capistranos und des Barfußerklosters zu Arnstadt, in: Alt-Arnstadt 3 (1906) 75, mitgeteilte Urkunde des Bürgermeisters und der Stadt Arnstadt von 1462. 13 Varese (Anm. 2) 525.
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mitteldeutschen Raumes Sitz der "in diesem Jahrzehnt... angesehenste(n) Universität Deutschlands"15, dazu als Ort des franziskanischen Generalstudiums für die umfangreiche Provinz Sachsen eines der wichtigsten Zentren des Franziskanerordens in Deutschland16. In Erfurt, das er nach eigenen Angaben wegen der civitatis inclytae fama, excellentiae Universitatis aufsuchte17, traf er auf Einladung des Rates18 am 28. August ein19. Er nahm seine Wohnung im Barfüßerkloster und hielt am 29. August seine erste öffentliche Predigt. Über drei Wochen blieb Kapistran in der thüringischen Metropole. Mitschriften seiner 22 Erfurter Predigten20 und zahlreiche zeitgenössische Schilderungen vermitteln ein anschauliches, präzises Bild seines Besuches 21 . Wie an allen Stationen seiner Reise standen auch in Erfurt tägliche mehrstündige Predigten und anschließende Krankenheilungen im Vordergrund seines Wirkens. Die einzige Unterbrechung des langen Erfurter Aufenthalts brachte die Reise nach Jena. Für sie ist mit Kapistrans Jenaer Brief an den Nürnberger Rat vom 6. September ein sicherer zeitlicher Fixpunkt gegeben22. Da Kapistran nach eigenen Angaben für sein Treffen mit Herzog Wilhelm III. mindestens vier Tage ansetzte23 und die Aufzeichnungen seiner Erfurter Predigten eine Lücke zwischen 14
Ihre Einwohnerzahl Ende des 15. Jhs. wird auf etwa 18 700 Einwohner geschätzt; vgl. zuletzt S. OEHMIG, Zur Getreide- und Brotversorgung der Stadt Erfurt in den Teuerungen des 15. und 16. Jahrhunderts, in: U. WEIß (Hg.), Erfurt 742-1992. Stadtgeschichte - Universitätsgeschichte, Weimar 1992, 221. Leipzig als nächstgrößte Stadt zählte zur selben Zeit etwa 9000 Einwohner; vgl. etwa K. CzOK, Das alte Leipzig, Leipzig 1985,29. 15 So E. KLEINEIDAM, Universitas Studii Erffordensis. Überblick über die Geschichte der Universität Erfurt, T. I: Spätmittelalter 1392-1460 (Erfurter Theolog. Studien 14) Leipzig 2 1985, 153. 16 Vgl. L. MEIER OFM, Die Barfüßerschule zu Erfurt (Beitr. zur Gesch. der Philosophie und Theologie des Mittelalters 38,2) Münster 1958. 17 So in seiner ersten Erfurter Predigt vom 29.8.1452, zu deren Beginn er den Ruhm der Stadt und der Universität als causam adventus sui tetigit, HAStK, GB 4° 34, fol. 177r; vgl. L. LUSZCZKI OFM, De Sermonibus S. Ioannis aCapistrano (Studia Antoniana 16) Rom 1961, 122. 18 Wenn Härtung Kammermeister, der 1452 Bürgermeister von Erfurt gewesen war, in seiner 1467 abgeschlossenen Chronik schreibt, Kapistran sei bei seiner Ankunft vom Rat der Stadt empfangen, in sein Quartier im Franziskanerkloster geleitet und jeden Morgen von zwei Ratsmeistern und Viermännern der Stadt feierlich abgeholt worden, so kann kein Zweifel daran bestehen, daß er wie in zahlreichen anderen Städten auch in Erfurt vom Rat eingeladen worden war; R. REICHE (Hg.), Die Chronik Härtung Cammermeisters (Geschichtsquellen der Provinz Sachsen 35) Halle 1896, 131 ff. (cap. 61). 19 Die von HOFER (Anm. 2) II 164 Anm. 49 aus der Stadtbibliothek Braunschweig, Hs. XLIV, fol. 344v, mitgeteilte Nachricht des Eisenacher Kanonikers und Scholasters Heinrich Brunswigk, wonach Johannes Kapistran die vero XXVII mensis augusti, quifuit secunda feria et dies sancti augustini (sc. 28. August), intravit erffordiam ... prope horam XII, ist - von der Tageszählung abgesehen - in sich so stimmig und deckt sich derart genau mit der Nachricht Härtung Kammermeisters (Anm. 18) über die Ankunft Kapistrans in Erfurt an Senle Augustins tage, daß kein Grund besteht, mit Hofer den Beginn seines Erfürt-Aufenthaltes schon für den 27. August anzunehmen. 20 L. MEIER OFM, De sermonibus quos S. Ioannes a Capistrano fecit Erfordiae, in: Collectanea Franciscana 21 (1951) 89-94; LUSZCZKI (Anm. 17) 120-126; dazu HOFER (Anm. 2) I 448 f., II 164ff. 21
22
HOFER ( A n m . 2 ) 1 4 6 8 f f . , II 1 6 4 ff.
Vgl. oben S. 505 mit Anm. 1. Kapistrans Bemerkung vom 6. September: Hac die, cum venissem ad illustrissimum principem, ducem Saxonie iuniorem, allatae sunt mihi gratiosissime littere vestre (sc. des Nürnberger Rates) und die Nachricht des Christoph von Várese (Anm. 2) [525] über die ersten Wunderheilungen Kapistrans in Jena am 6. September entsprechen einander. Rechnet man daneich mit einer Predigt Kapistrans am Vormittag des 6. September, so war Kapistran wohl schon am Vortag in Jena eingetroffen. 23 Wie Anm. 1.
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dem 5. und 9. September aufweisen, läßt sich der Abstecher nach Jena exakt auf diese Tage datieren24. Nach seiner Rückkehr nach Erfurt wohl noch am 9. September setzte Kapistran vom 10. September an seine täglichen Predigten zwei Wochen hindurch fort. Am 24. September verließ er Erfurt, um über Zwischenstationen in Weimar - hier traf er möglicherweise noch einmal mit Wilhelm III. zusammen25 -, Naumburg und Merseburg zu seinem nächsten größeren Predigtort Halle zu reisen26, wo ihn Erzbischof Friedrich von Magdeburg, ein Freund Herzog Wilhelms III.27, am 1. Oktober feierlich empfing. Soweit der Verlauf der gut einmonatigen Thüringen-Reise Kapistrans als der äußere Rahmen seines Besuches in Jena. Erfurt, wo er sich über drei Wochen aufhielt, war sein mit Abstand wichtigstes Ziel28. Deutlich erkennbar wird aber auch die herausgehobene Stellung der Tage in Jena. Es handelte sich nicht wie in Arnstadt, Weimar, Naumburg und Merseburg um eine Etappe auf dem Wege zu einer der großen Stationen, sondern um einen Aufenthalt, der ihm wichtig genug war, seine intensive Arbeit in Erfurt für eine zusätzliche Reise zu unterbrechen29. II. Über die Vorgänge in Jena selbst sind wir nur unzureichend informiert. Übereinstimmend lassen die Quellen allerdings erkennen, daß im Vordergrund die Begegnung mit Herzog Wilhelm III. stand. Nicht der Rat wie in Erfurt, Arnstadt, 24
Ähnlich auch HOFER (Anm. 2) II 165 f. mit Anm. 54 und I 449, 526, der freilich am 5. und 8. September Besuche in Weimar annimmt. Sollte Kapistran in Weimar, gleichsam auf halbem Wege zwischen Erfurt und Jena, Station gemacht haben, so lediglich als bloße Quartiernahme zur Übernachtung; vgl. auch Anm. 25. 25 Varese (Anm. 2) [525] nennt als nächste Aufenthaltsorte nach Erfurt Merseburg, Halle und Magdeburg; Johannes Busch begleitete nach eigenen Angaben Kapistran von Erfurt über Weimar und Naumburg nach Halle; K. GRUBE (Hg.), Des Augustinerpropstes Iohannes Busch Chronicon Windeshemense und Liber de reformatione monasteriorum (Geschichtsquellen der Provinz Sachsen 19) Halle 1886, 340 f. Die auf eigene Informationen zurückgehende Magdeburger Schöppenchronik (Die Chroniken der deutschen Städte 7,1) Leipzig 1869 (ND 1962), 391, gibt nach Erfurt und Jena als nächste Stationen Naumburg, Merseburg und Halle an. Härtung Kammermeister (Anm. 18) 133, wie Christoph von Varese und Johannes Busch Augenzeuge, teilt mit, daß Kapistran, nachdem man ihn am 24. September aus der Stadt Erfurt geleitet hatte, wulde gein Wymar, do yn hertzoge Wilhelm, des landes furste, bie ort hen zu komen hatte lozin betin. An einem Aufenthalt Kapistrans in Wilhelms III. Residenz Weimar nach seinem Erfurt-Besuch ist danach nicht zu zweifeln. Nimmt man nicht an, daß Härtung Kammermeister, der Kapistrans Abstecher nach Jena verschweigt, das Treffen mit Wilhelm III. erst in diesem Zusammenhang berichtet, so scheint eine zweite, dann allerdings wesentlich kürzere Begegnung in Weimar durchaus denkbar. 26
27
HOFER ( A n m . 2 ) II 170.
Vgl. W. WLNTRUFF, Landesherrliche Kirchenpolitik in Thüringen am Ausgang des Mittelalters (Forschungen zur thüringisch-sächsischen Geschichte 5) Halle 1914, 38. 28 Die Ansicht von HOFER (Anm. 2) II 162 ff., von Franken aus sei im thüringisch-sächsischen Gebiet für Kapistran Jena "das nächste Reiseziel" gewesen, und die Reise nach Jena habe durch den Aufenthalt in Erfurt "eine neuerliche Unterbrechung" erfahren, dürfte irrig sein. 29 In die jüngere sächsische Historiographie fand vor allem die Anm. 25 wiedergegebene Version Härtung Kammermeisters Eingang; vgl. etwa J. S. MÜLLER, Des Chur- und Fürstlichen Hauses Sachsen Ernestin- und Albertinischer Linien Annales, Weimar 1700, 28 f. In Anschluß an diese Nachrichten verlegt noch B. STREICH, Zwischen Reiseherrschaft und Residenzbildung: Der wettinische Hof im späten Mittelalter (Mitteldeutsche Forschungen 101) Köln-Wien 1988, 87, die Begegnung Wilhelms III. mit Kapistran vor allem nach Weimar. Sehr ungenau läßt SCHULZE (Anm. 7) 67, Herzog Wilhelm III. Kapistran "im August 1452 eigens nach Weimar" rufen.
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Nürnberg und zahlreichen anderen Städten hatte Kapistran eingeladen, sondern Wilhelm III. als Landes- und Stadtherr: vor allem ihm galt der Besuch des berühmten Predigers30. Drei Schwerpunkte seines Wirkens in Jena sind zu erschließen: Kapistrans öffentliche Predigten, gemeinsame Maßnahmen mit Wilhelm III. zur Förderung der Franziskaner-Observanten in Thüringen und Gespräche über das Hussitenproblem. Kapistrans Mitteilung in seinem Brief an den Nürnberger Rat, er arbeite in Jena in gewohnter Weise im Garten des Herrn31, bezog sich vor allem auf seine Predigttätigkeit. Christoph von Varese berichtet von täglichen Wunderheilungen in Jena zwischen dem 6. und 16. September - insgesamt führt er 41 einzeln auf 32 . Treffen die Tagesdaten auch nicht zu, so steht hinter dem Bericht doch mit Sicherheit, daß Kapistran an sämtlichen Tagen seines Jena-Besuches öffentlich predigte und daß es nach jeder dieser Predigten zu Wunderheilungen kam. Kapistrans Sekretär Konrad von Freystadt, der nach 1455 über 2000 Wunder Kapistrans nach den heute verlorenen, jeweils an Ort und Stelle aufgezeichneten Wunderprotokollen in einem 'Liber miraculorum' festhielt33, nennt unter anderem auch Geheilte aus Saalfeld, Pforte und Bürgel34. Es ist wahrscheinlich, daß es sich hierbei um Besucher der Jenaer Predigten handelte. Weitere Hinweise auf seine Predigten, die neben der großen Breitenwirkung auch auf ihren Inhalt schließen lassen, bieten einige Urkunden Wilhelms III. Nur sieben Wochen nach dem Auftreten Kapistrans in Jena erließ der Herzog eine an die Amtleute und Stadträte seines Landes gerichtete Anordnung zur Abstellung sittlich-moralischer Mißstände, das sog. "Sittenmandat"35 vom 27. Oktober 1452, für das er sich ausdrücklich auf die Autorität und die Predigt Kapistrans berief: als uß dez andechtigen vaters unßirs heiligisten vaters dez babistis legaten bruder Johan von Capistran barfußen ordens predigat in unßir geinwertikeyt zu Ihene und sust yn dissen und andern landen gethan36. Die einzeln aufgeführten Punkte: Sonntags- und Festtagsheiligung, Verbot von Brett-, Karten-, Würfel30 So neben Kapistrans eigener, oben Anm. 1 zitierter Bemerkung in seinem Jenaer Brief an den Nürnberger Rat, in dem er als Ziel seines Jena-Besuches angibt: cum venissem ad illustrissimum principem, ducem Saxonie iuniorem: KlST (Anm. 1) 211 f.; siehe auch Varese (Anm. 2) 525: De Erfordia perrexit ad Jenas ad illustrem principem ducem Wilhelmum, ducem Saxonie, und die oben Anm. 25 zitierte Nachricht Härtung Kammermeisters. Vgl. auch ELM (Anm. 4) 506. 31 Wie Anm. 1. 32 Varese (Anm. 2) 525. 33 Zu dieser zentralen Quelle vgl. neben HOFER (Anm. 2) I 11 und II 45, ELM (Anm. 4) 507 und PAULDRACH (Anm. 4) 105 vor allem F. M. DELORME OFM, Ex Libro miraculorum SS. Bernardini Senensis et loannis a Capistrano auctore Fr.Conrado de Freyenstat, in: AFH 11 (1918) 400 ff. 34 Paris BN, ms. nouv. acq. lat. 868, fol. 119v (Nr. 1333, 1334), fol. 120r (Nr. 1341), fol. 120v (Nr. 1353). Der Großteil der übrigen Geheilten, die fol. 119v-121v aufgelistet werden, dürfte nach Erfurt gezogen sein. Für freundliche Hilfe bei der Beschaffung von Kopien danke ich auch an dieser Stelle Herrn Dr. Rolf Große (Deutsches Historisches Institut Paris). 35 So SCHULZE (Anm. 7) 67 f. 36 Erhalten haben sich die Ausfertigung an die Amtleute von Jena, Leuchtenburg, Windberg (östl. Jena), Dornburg und Eisenberg und an die Stadträte von Jena, Dornburg und Kahla (UB Jena 3 [Anm. 6] 123 ff. Nr. 224), sowie eine weitere Ausfertigung an die Amtleute von Weißensee, Sachsenburg, Herbsleben und Gebesee und an die Stadträte von Weißensee, Tennstedt und Kindelbrück; ausfuhrliches Regest bei C. SCHÖTTGEN/ G. C. KREYSIG, Diplomataria et Scriptores historiae Germaniae medii aevi I, Altenburg 1753, 527 f. Mit weiteren, heute offenbar verlorenen Ausfertigungen ist zu rechnen.
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und anderen Spielen, öffentliche Verbrennung dieser Spiele, Kampf gegen Konkubinat und Hurerei sowie Verbot von Wucher und Zins zählten zu den Standardund Kernthemen der öffentlichen Predigten Kapistrans37. Wie sehr sie seine Jenaer Predigten beherrschten, zeigt als weiteres Beispiel eine zweite Urkunde Wilhelms III. vom 27. Oktober 1452, in der er unter Hinweis auf sulche grosse erinnerunge die newlichen der wirdige andechtige vater bruder Johann de Capistrano gat vor grosser und vor viel werlt vor uns zcu Kene, zu Erffurdt und auch in viel andern landen und steten ojfenberlich geprediget, seinen Amtleuten befahl, das Kloster Homburg vor Wucherzinsen zu schützen38. Ob es auch in Jena wie in zahlreichen anderen Städten nach der letzten Predigt Kapistrans zur öffentlichen Verbrennung von Spielgerät, Karten, Würfeln, Brettern und Spieltischen kam39, ist nicht überliefert, dürfte aber nach den Hinweisen im sog. Sittenmandat äußerst wahrscheinlich sein. Weniger Gegenstand des öffentlichen Auftretens als interner Verhandlungen waren die beiden anderen erwähnten Themen, an denen Kapistran und Wilhelm III. gemeinsames Interesse besaßen und die gleichfalls in Jena erörtert wurden: die Förderung der franziskanischen Observanten in Thüringen und das Hussitenproblem. Urkunden Wilhelms III. von 1453/54 und 1457 entnehmen wir, daß Kapistran von bebistlicher macht, ym verliheinn, uns zu unser flissigen begerunge gegunnet und zugegebin had, zwey nuwe closterchin desselben barfiisen (sie!) ordens von der heiligen observancien in unser landen uffzuruckenn, das wir also zuthunde umme merunge willen gotes dinstes zu besserunge des Volkes angenommen', die neuen Klöster sollten in Langensalza und in der Residenzstadt Weimar errichtet werden40. Daß diese Gründungen, die den bedrängten Observanten in der Ordensprovinz Saxonia bzw. der Kustodie Thüringen entscheidenden Zuwachs und Hilfe brachten, bei dem Treffen in Jena vereinbart wurden, steht außer Zweifel 41 . Wesentlich heikler war möglicherweise das zweite Thema: die böhmische Frage. Da Kapistran beabsichtigte, im Anschluß an seinen Thüringen-Aufenthalt über Leipzig nach Böhmen zu reisen42, dürfte er auch bei Wilhelm III. um Rückhalt für sein ehrgeiziges Vorhaben geworben haben, Böhmen von dem durch ihn als Häresie verfolgten hussitischen Utraquismus zu bekehren43. Dessen politischer Führer Georg von Podiebrad, faktischer Regent Böhmens und seit Herbst 37
Vgl. dazu zuletzt ELM (Anm. 4) 510 ff.; PAULDRACH (Anm. 4) 98 ff. sowie in Hinblick auf das
s o g . S i t t e n m a n d a t SCHULZE ( A n m . 7 ) 68 f. u n d HOFER ( A n m . 2) II 2 9 4 . 38
E. G. FÖRSTEMANN, Die Urkunden des Klosters Homburg bei Langensalza, in: Neue Mittheilungen aus dem Gebiet historisch-antiquarischer Forschungen 8 (1848) 76; vgl. WLNTRUFF (Anm. 27) 62 Anm. 6. 39 Zu den entsprechenden Vorgängen in Erfurt ausführlich Härtung Kammermeister (Anm. 18) 133. Vgl. allgemein den Bericht von Varese (Anm. 2) 497. 40 So die Urkunde Wilhelms III. vom 7.3.1454, die im wesentlichen der Ausstattung des Weimarer Konvents galt: Dresden HStA, Copial Nr. 49, fol. 39v-40r; ähnlich Wilhelms III. Urkunde vom 24.7.1453, die vorwiegend von der Ausstattung des Klosters in Langensalza handelt (ebd. fol. 41v42r), und seine beiden Klöstern geltende Urkunde vom 15.5.1457; Teiledition bei F. GEB, Akten und Briefe zur Kirchenpolitik Herzog Georgs von Sachsen I, Leipzig 1905, XXVI Anm. 1. 41 HOFER (Anm. 2) II 165, bezeichnet den Beschluß zur Errichtung beider Klöster geradezu als "das greifbare Ergebnis dieses Besuches". Zur Gründung der Minoritenklöster in Weimar und Lang e n s a l z a vgl. a u c h DOELLE ( A n m . 11) 11 f.; STREICH ( A n m . 2 9 ) 8 7 f.; SCHULZE ( A n m . 7 ) 8 6 m i t
Anm. 163, sowie unten S. 519. 42 Vgl. oben S. 506 mit Anm. 8. 43 Vgl. dazu allgemein HOFER (Anm. 2) II 57 ff.
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1451 von Kapistran leidenschaftlich bekämpft , war während des wettinischen Bruderkrieges 1445/51 mehrfach mit Wilhelm III. verbündet gewesen45. Zusätzliche Brisanz erhielt die böhmische Frage dadurch, daß spätestens während Kapistrans Jena-Aufenthalt unzutreffende Nachrichten aus der Endphase der Kämpfe Podiebrads mit den hussitischen Taboriten eintrafen, wonach jener eine Niederlage vor Tabor erlitten habe - tatsächlich hatte Tabor am 1. September 1452 vor Podiebrad kapituliert46. Kapistrans Bemerkung aus Jena an den Rat der Stadt Nürnberg zu dieser angeblichen, ihm unerklärlich erscheinenden Niederlage: Tarnen id verum fuisse hic princeps certior/actus est, läßt deutlich erkennen, daß die aktuelle Lage in Böhmen und die Person des gubernator ille Georgius hereticus47 Gegenstand der Gespräche mit Wilhelm III. waren und zweifellos eine nicht geringe Rolle spielten48. III. Das Treffen in Jena war die erste und - von einer möglichen kurzen Zusammenkunft Kapistrans und Wilhelms III. wenige Tage später in Weimar abgesehen49 auch die einzige Begegnung beider Persönlichkeiten. Für Kapistran, der sich auf seinen vielen Reisestationen kaum der Einladungen erwehren konnte und mit zahlreichen hochgestellten Würdenträgern zusammentraf50, mochte das Jenaer Treffen auf den ersten Blick von geringerem Gewicht gewesen sein als für den jungen Landgrafen, der nach sechsjährigem Bruderkrieg 1451 mit Mühe seine thüringisch-osterländischen Territorien behauptet hatte und vor der Aufgabe stand, einem verwüsteten, verschuldeten Land Ordnung, inneren Frieden und wirtschaftlichen Aufschwung zu verschaffen51. Betrachtet man jedoch die Hintergründe des Kapistran-Besuches in Jena und vergleicht sie mit seiner Aufnahme in Erfurt, so zeigt sich sehr bald, daß die Jenaer Tage auch für den berühmten, weltgewandten Prediger weit mehr waren als nur eine flüchtige, einem Landesherrn geschuldete Begegnung am Rande. Für das Anliegen seiner Reise, die Reform des Franziskanerordens durch Ausbreitung der Observanz, den Aufruf zum Frieden, die Bußpredigt gegen sittlichen 44
HOFER (Anm. 2) II 83 ff. und 86 ff. Vgl. H. KOCH, Der sächsische Bruderkrieg (1446-1451), in: Jbb. der Königl. Akademie gemeinnütziger Wiss. zu Erfurt NF 35 (1909) 139, 149 f., 165 f., 175. Allgemein zu den wettinisch-böhmischen Beziehungen unter Wilhelm III. vgl. auch H.-D. HEIMANN, Zwischen Böhmen und Burgund. Zum Ost-Westverhältnis innerhalb des Territorialsystems des Deutschen Reiches im 15. Jahrhundert (Dissertationen zur mittelalterl. Geschichte 2) Köln-Wien 1982, 94 ff., 153 ff. 46 KlST (Anm. 1) 212; hierzu sowie zu den Ereignissen selbst HOFER(Anm. 2) II 169, 179. 47 KlST (Anm. 1)212. 48 Schwierig in diesen Zusammenhang einzuordnen ist ein offenbar gegen Böhmen gerichtetes wettinisches Aufgebot vom August 1452, für das sich mehrere "Hertfartzedel" erhalten haben: Weimar HStA, RyR, fol. 56r, die Stadt Jena hatte dafür 6 Wagen sowie zwei steynbuchsen uff karren mit der zugehörigen Munition zu stellen, fol. 15r. Für freundliche Auskünfte danke ich auch an dieser Stelle Herrn Archivoberrat Dr. Johannes Mötsch (HStA Weimar). 49 Vgl. oben S. 508 mit Anm. 25. 50 Vgl. die stolze Aufzählung bei Kapistrans Sekretär und Biograph Nikolaus von Fara in dessen Vita S. Johannis a Capistrano, in: AASS Oct. 10 (Anm. 2) 466; siehe auch ELM (Anm. 4) 506. 51 Zusammenfassend zur Regierung Wilhelms III. zuletzt H. PATZE, Politische Geschichte im hohen und späten Mittelalter, in: H. P A T Z E / W . SCHLESINGER (Hg.), Geschichte Thüringens 2,1 (Mitteldeutsche Forschungen 48/2,1) Köln-Wien 1974, 132 ff.
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MATTHIAS WERNER
512
52
Verfall und soziale Mißstände und - dahinterstehend - "die Stärkung der Bindung der deutschen Kirche und ihrer Gläubigen an die römische Kirche und das Papsttum"53, bildete Thüringen ein ebenso wichtiges wie schwieriges Arbeitsfeld. An der Spitze der franziskanischen Ordensbrüder Kapistrans im mitteldeutschen Raum, der großen, weit nach Norden und Osten ausgreifenden Provinz Saxonia, stand mit dem Provinzialminister Matthias Döring (1427-1461) ein führender Vertreter der Konventualen. Seit dem Generalkapitel von Bologna 1433, spätestens jedoch nach seiner Wahl zum Ordensgeneral durch Anhänger des vom Basler Konzil zum (Gegen-)Papst erhobenen Felix V. 1443, zählte Döring zu den schärfsten Gegnern Kapistrans und der von ihm angeführten Observanten54. Entsprechend war das Erfurter Generalstudium für die Provinz Saxonia unter Leitung von Dörings engem Vertrauten, dem überragenden Prediger Nikolaus Lakmann (1446-1461)55, ebenso wie der bedeutende Erfurter Konvent - in dem Kapistran wohnte und einmal auch predigte56 - eine der Hochburgen der Konventualen in Deutschland57. Zwar konnte Döring das Vordringen der Observanten in der sächsischen Provinz nicht gänzlich verhindern, doch setzte er ihnen, wie der 1449/50 eskalierende Streit um das Provinzvikariat der sächsischen Observanten zeigt, entschiedenen Widerstand entgegen58. Im Oktober 1451 trug er mit einem Gutachten für die Erfurter Universität über die Unterschiede zwischen den beiden franziskanischen Ordenszweigen zusätzlich zur Verschärfung der Spannungen bei5». Die tiefgreifenden Unterschiede, ja Gegensätze in der Ordensfrage zwischen Kapistran und den führenden Vertretern seines Ordens in Thüringen verknüpften sich mit konträren Positionen in der Frage des Konziliarismus. Kapistran als ei-
52
HOFER ( A n m . 2 ) I 3 5 2 f.
53
ELM (Anm. 4)501. Zu ihm, der nach HOFER (Anm. 2) I 188 "in mehrfacher Hinsicht als das konventualistische Gegenstück Kapistrans bezeichnet werden" kann, vgl. neben der veralteten Biographie von P. ALBERT, Matthias Döring, ein deutscher Minorit des 15. Jahrhunderts, Stuttgart 1892, besonders HOFER 54
( A n m . 2 ) I 1 8 8 f f . , II 2 4 4 ff.; KLEINEIDAM ( A n m . 15) 131 f f , 2 8 8 f.; K . COLBERG, in: V e r f . L e x II
(1980) 207 ff.; B. DEGLER-SPENGLER, Observanten außerhalb der Observanz. Die franziskanischen Reformen "sub ministris", in: ZKG 89 (1978) 358 f.; P. L. NYHUS, The Franciscan Observant Reform in Germany, in: K. ELM (Hg.), Reformbemühungen und Observanzbestrebungen im spätmittelalterlichen Ordenswesen (Berliner Histor. Studien 14 = Ordensstudien 6) Berlin 1989, 215 f.; S. DREXHAGE-LEISEBEIN, Reformerisches Engagement städtischer Obrigkeit in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts. Die franziskanischen Reformbewegungen in der städtischen Kirchenund Klosterpolitik am Beispiel ausgewählter Städte im Gebiet der Sächsischen Ordensprovinz, in: D. BERG (Hg.), Bettelorden und Stadt (Saxonia Franciscana 1) Werl 1993, 211 f. 55 Vgl. zu ihm und zum Erfurter Konvent zu seiner Zeit die Hinweise bei MEIER (Anm. 16) 26 ff., L. MEIER, Nikolaus Lakmann O.F.M. und die Erfurter Predigttätigkeit um die Mitte des 15. J a h r h u n d e r t s ,
in: F r a n z i s k a n i s c h e
Studien
25
(1938)
176 f.; KLEINEIDAM ( A n m . 15)
304;
C. MICHLER, in: Verf.Lex. V (1985) 487 ff. Zur Rolle Dörings und Lakmanns in dem Kampf um die Reform des Franziskanerklosters in Halle 1460/61, bei dem der Streit zwischen den beiden Ordensrichtungen in der Provinz Saxonia erneut ausbrach, vgl. DOELLE (Anm. 11) 15 ff. und SCHULZE (Anm. 7 ) 8 3 . 56
V g l . HOFER ( A n m . 2 ) I 4 4 9 ; LUSZCZKI ( A n m . 17) 123.
57
Noch im frühen 16. Jh. scheiterten Versuche einer Reform, vgl. F. DOELLE OFM, Die Martinianische Reformbewegung in der sächsischen Franziskanerprovinz (Mittel- und Nordostdeutschland) im 15. und 16. Jahrhundert (Franziskanische Studien, Beih. 7) Münster 1921, 39 f. 58 Vgl. unten S. 515. 59
HOFER ( A n m . 2 ) II 2 4 4 f.; v g l . a u c h DREXHAGE-LEISEBEIN ( A n m . 5 4 ) 2 1 1 f.
J O H A N N E S K A P I S T R A N IN JENA
513
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nem "bewußten Papalisten" stand Döring als "engagierter Vorkämpfer des Konzils" gegenüber61. Sein Standpunkt war zugleich auch derjenige der Universität Erfurt, die als eine der am stärksten konziliaristisch orientierten deutschen Hochschulen noch nach dem Ende des Basiiiense 1449 an der Tradition des Konziliarismus festhielt62. Doch waren es nicht nur alte persönliche Spannungen, der in Kapistran und Döring gleichsam personifizierte und kurz zuvor in Thüringen erneut eskalierte Streit im Franziskanerorden63 und das Fortleben konziliarer Strömungen an der Erfurter Universität, die wenig günstige Bedingungen für Kapistrans Besuch in der thüringischen Metropole schufen. Erschwerend trat hinzu, daß mit ähnlichem Anliegen - "der Versöhnung der deutschen Kirchen und der deutschen Gläubigen mit der die ecclesia universalis repräsentierenden ecclesia Romana"64 -, aber mit weit höherer Autorität ein gutes Jahr zuvor, im Mai/Juni 1451, Kardinal Nikolaus von Kues als päpstlicher Legat mit umfassendem Reformauftrag und mit der Vollmacht, den Jubiläumsablaß zu verkünden, Erfurt auf seiner Legationsreise besucht hatte und seine triumphale Aufnahme und seine öffentlichen Predigten hier noch in frischer Erinnerung waren65. Kapistrans Bemerkungen aus Jena, er habe die in Erfurt gesäte Saat noch nicht ernten können66, verweisen vor diesem Hintergrund wohl nicht nur auf die Kürze der Zeit, die ihm vor seinem Jena-Besuch in Erfurt zur Verfügung stand. Am Ende seines zweiten, längeren Erfurt-Aufenthalts war seine eigene Bilanz nach außen hin zwar wesentlich positiver: auf 60 000 Menschen schätzte er selbst die Zahl seiner Hörer67; sein Begleiter und Biograph Nikolaus von Fara sprach sogar von über 100 000 Hörern und von Erfurt als der Stadt mit der höchsten Besucherzahl68. Dennoch dürften Kapistran die kritischen Stimmen nicht entgangen sein, die in Erfurt so zahlreich und laut wie nirgendwo anders erhoben wurden69. Mit den hiesigen Kartäusern Jakob von Jüterbog70 und Johannes Hagen71 und 60
HOFER (Anm. 2)1237. J. HELMRATH, Das Basler Konzil 1431-1449. Forschungsstand und Probleme (KHA 32) KölnWien 1987, 123 f.; zur Haltung Dörings auch ebd. 127 mit Anm. 193.
61
62
KLEINEIDAM ( A n m . 15) 1 3 4 f f . s o w i e v o r a l l e m HELMRATH ( A n m . 6 1 ) 1 4 3 f., 1 4 6 , 1 5 6 .
63
Vgl. unten S. 515. 64 MEUTHEN (Anm. 4) 497. 65 Zu seinem Aufenthalt in Erfurt vom 29.5. bis 7.6.1451 vgl. T. KOLDE, Das religiöse Leben in Erfurt beim Ausgange des Mittelalters (Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte 63) Halle 1898, 8 ff.; J. KOCH, Nikolaus von Kues und seine Umwelt (SB der Akad. der Wiss. Heidelberg, P h i l . - h i s t . KL. J g . 1 9 4 4 / 4 8 , 2 . A b h . ) H e i d e l b e r g 1 9 4 8 , 1 2 3 f.; HOFER ( A n m . 2 ) I 4 6 9 ; KLEINEIDAM
(Anm. 15) 192; B.FRANK, Das Erfurter Peterskloster im 15. Jahrhundert (VMPIG 34) Göttingen 1973, 37 ff. Zur Wirkung seines Auftretens in Erfurt vgl. die Berichte des Härtung Kammermeister (Anm. 18) 128 ff. und des Johannes Busch (Anm. 25) 739 f. 66 Vgl. Anm. 1. 67 So in einer Äußerung gegenüber Johannes Busch (Anm. 25) 340; vgl. auch HOFER (Anm. 2) II 168. 68
Nikolaus von Fara (Anm. 50) 466: in Germania ... saepenumero supra centum millia hominum, Erphordie maxime, conspeximus. Auf 100 000 schätzte auch Härtung Kammermeister (Anm. 18) die Zahl der Hörer bei Kapistrans letzter Predigt in Erfurt am 24.9.1452 (133). 69 Vgl. dazu die - freilich unvollständigen Ausführungen - von HOFER (Anm. 2) I 468 ff. (Exkurs 23: Zur Aufnahme Kapistrans in Erfurt). 70 Die von E. JACOB, Johannes von Capistrano, II 1, Breslau 1905, 407 ff., edierten, gegenüber Kapistran äußerst kritischen Passagen aus dem 1452 verfaßten Traktat 'De erroribus et moribus Christianorum' des Erfurter Kartäusers Jakob von Jüterbog, für die HOFER (Anm. 2) I 469 f., eine Autorschaft Jakobs anzweifelte und die er als nachträglichen Einschub ansah, sind nach D. MERTENS,
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dem Windesheimer Reformer Johannes Busch72 waren es führende, zum Teil der Universität eng verbundene Reformer des sächsisch-thüringischen Raumes, die sich entschieden gegen seine Wunderheilungen und die Art seines öffentlichen Auftretens wandten. Selbst der einzige positive Bericht, die Chronik des Erfurter Bürgermeisters Härtung Kammermeister, erwähnt die Wunder mit keinem Wort73. Daß Kapistran, der in Erfurt auch coram universitate gepredigt hatte74, hier im Unterschied zu anderen Universitäten wie Wien, Leipzig und Krakau keine Studenten als Novizen für die Observanz gewinnen konnte75, erstaunt nach alledem wenig - an einer Hochschule, deren Professoren die Krankenheilungen Kapistrans examinierten und ihnen den Wundercharakter absprachen!76 Schwierigkeiten dieser Art, ja Ablehnung und Feindseligkeiten77 waren bei dem kurzen Abstecher nach Jena nicht zu befürchten. Im Gegenteil: mit Herzog Wilhelm III. traf Kapistran auf einen ihm eng verbundenen Förderer, der ebenso auf die Hilfe des wundermächtigen Predigers angewiesen war wie er umgekehrt Kapistrans Anliegen zu seinen eigenen machte und damit angesichts der Proble-
Iacobus Carthusiensis. Untersuchungen zur Rezeption der Werke des Kartäusers Jakob von Paradies (1381-1465) (VMPIG 50) Göttingen 1976, 132 f., eindeutig Jakob zuzuweisen und wurden von ihm 1452 unter dem Eindruck des Besuches Kapistrans in Erfurt eingefügt; vgl. auch KLEINEIDAM (Anm. 15) 192 f. Zu Jakob, der von 1442 bis zu seinem Tode 1465 in der Erfurter Kartause - nach KLEINEIDAM 378 damals der "zweite geistige Brennpunkt in Erfurt" - lebte, vgl. zuletzt D. MERTENS in: Verf.Lex. IV (1983) 478 ff. 71 Vgl. J. KLAPPER, Der Erfurter Kartäuser Johannes Hagen 1 (Erfurter Theolog. Studien 9) Leipzig 1960, 105, 115 ff., sowie die kritischen Bemerkungen von Johannes Hagen in seinem Traktat über "Die Hexe von Blomberg" ebd. II (Erfurter Theolog. Studien 10) Leipzig 1961, 104 f.; dazu ELM (Anm. 4) 517 Anm. 78. Zu Johannnes Hagen vgl. auch D. MERTENS in: Verf.Lex. III (1981) 388 ff. 72 Johannes Busch war nach eigenen Angaben bei Kapistrans Predigten in Erfurt zugegen und begleitete ihn bis nach Halle. Nicht nur in der Beschreibung der Predigtweise (manibusque et pedibus more ytalico predicata demonstravit) äußerte er Zurückhaltung bis Ablehnung (vgl. ELM [Anm. 3] 517), sondern auch mit seiner Verwunderung und Kritik gegenüber den Wunderheilungen und mit seinem Befremden gegenüber Kapistrans Methoden zur Gewinnung von Novizen für die Observanz unter den Leipziger Studenten; GRUBE (Anm. 25) 340 f. 73 Wie Anm. 18. Geschildert werden der feierliche Empfang, der äußere Ablauf der Predigten sowie Kapistrans Kampf gegen Glücksspiel und Eitelkeit. Geradezu auffällig und bezeichnend für das bewußte Verschweigen der Wunder, die von den übrigen Berichterstattern - auch von den Anm. 7072 erwähnten Kritikern - stets in Anschluß an die Predigten mitgeteilt werden, ist der Passus: noch uszgehin der messe hub er an zeu predigen, als vorberurt ist, und wan dis allis gesehen was, szo geleittenyn dy vorgnanten herren widir in sin kloster; Härtung Kammermeister (Anm. 18) 132. 74
LUSZCZKI ( A n m . 1 7 ) 1 2 2 .
75
Diesen auffalligen, von Kapistran in seinem unten Anm. 113 zitierten Sendschreiben selbst indirekt zugegebenen Mißerfolg betonen auch MEIER (Anm. 16) 30, HOFER (Anm. 2) II 167 und KLEINEIDAM ( A n m . 1 5 ) 1 9 2 f. 76 So Johannes Hagen, ed. KLAPPER (Anm. 71) II 104: Sed doctores Erffordie et alii secuti statim post illum (sc. Johannes Kapistran) examinaverunt studiosius nec umquam repererunt aliquod miraculum aut Signum de omnibus, que publice pronunciata fuerunt in eorum et aliorum presencia, sicut in suis conscientiis dixerunt doctores. 77 Zu diesen gehörte nicht zuletzt auch, daß die Erfurter Dominikaner mit dem päpstlichen Legaten Bartholomäus Lapacci einen der damals berühmtesten Prediger ihres Ordens und zugleich einen scharfen Gegner der franziskanischen Observanz dazu gewinnen konnten, während des Erfurter Aufenthalts Kapistrans gleichzeitig mit diesem und in Konkurrenz zu ihm öffentlich in der Stadt zu predigen; vgl. L. MEIER OFM, De praedicatione dominicana sermonibus Capestranensibus Erfordiae parallela, in: Antonianum 29 (1954) 154 ff. Wenn es, wie ELM (Anm. 4) 510, betont, Kapistran ganz wesentlich auch um die Predigt vor Weltklerus und Ordensleuten ging, dann mußte ihn diese Maßnahme der Erfurter Dominikaner besonders empfindlich treffen.
JOHANNES KAPISTRAN IN JENA
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me, zum Teil auch des Scheiterns in Erfurt, um so mehr zum Gelingen der Mission in Thüringen insgesamt beitragen konnte. IV. Wilhelms III. großes Vorhaben einer "Verflechtung von Landesbesserung und geistlicher Reform" 78 , das er unmittelbar nach dem Beginn seiner selbständigen Regierung in Thüringen im Herbst 1445 mit seiner Landesordnung vom 9. Januar 1446 und seiner Verordnung zur Reform der Benediktinerklöster in unsern landen vom 11. April 1446 angekündigt hatte79, war schon kurz darauf mit dem Ausbruch des sächsischen Bruderkrieges (1446/51) ins Stocken geraten. Wie sehr der junge Fürst jedoch auch in diesen Jahren an seinem Reformprogramm festhielt, zeigen neben Einzelreformen wie derjenigen der Johanniter in Weißensee 1449 oder des Benediktinerklosters Homburg 145180 und seiner Bereitschaft zu der 1451 von Nikolaus von Kues angeordneten Reform der thüringisch-sächsischen Regularkanoniker81 vor allem seine Bemühungen um die Reform der Franziskaner - jenes Ordens, den bereits sein Oheim Landgraf Friedrich der Friedfertige (1407-1440) vor der andern Bettelorden vaste vornemer und wirdiger gehalten und dessen Reformbemühungen er 1438 durch die Einfuhrung der Observanz in Eisenach unterstützt hatte82. 1448/49, als es in der sächsischen Ordensprovinz zum offenen Konflikt um die päpstlich zugesicherte Selbständigkeit des Provinzvikars der Observanten kam, trat Wilhelm III. entschieden für die Anliegen der von den Konventualen unter Dörings Führung bedrängten sächsischthüringischen Observanten ein83. An ihn als ihre wichtigste Stütze wandten sich in ihrer Not die fratres reformati seu observantie dediti michi et omni populo merito dilecti um Hilfe, sein Schutz bewahrte sie vor der Resignation, und für sie intervenierte er in einem Schreiben an Papst Nikolaus V. vom 13. Januar 145084. Von daher überrascht es wenig, daß Wilhelm III., kaum hatte sich die Kunde von Kapistrans Reise in das Reichsgebiet verbreitet, diesen im Frühsommer 1451 um einen Bruderschaftsbrief bat und von ihm angesichts seiner Verdienste um den 78
So SCHULZE (Anm. 7) 47, dem die jüngste ausführliche Darstellung der Kirchen- und Reformpolitik Wilhelms III. zu verdanken ist; grundlegend bereits WlNTRUFF (Anm. 27) 34 ff. 79 F. RUDOLPHI, Gotha Diplomatica oder Ausfuhrliche historische Beschreibung des Fürstentums Sachsen-Gotha V, Frankfurt 1717, 223 ff.; ebd. I (1715) 138 ff. Vgl. dazu G. RICHTER, Die ernestinischen Landesordnungen und ihre Vorläufer von 1446 und 1482 (Mitteldeutsche Forschungen 34) Köln-Graz 1964, 35 ff., sowie zuletzt SCHULZE (Anm. 7) 46 ff., 58 ff. 80 WINTRUFF (Anm. 27) 62, 67 ff.; SCHULZE (Anm. 7) 64 f. 81 Johannes Busch (Anm. 25) 758 ff.; dazu SCHULZE (Anm. 7) 63. 82 J. G. REINHARD, Meditationes de iure principum Germaniae, cumprimis Saxoniae, circa sacra ..., Halle 1717, 141 ff. (Zitat 142). Zur Reform des Eisenacher Franziskanerklosters 1438 - des zweiten innerhalb der großen sächsischen Ordenprovinz -, vgl. DOELLE (Anm. 11)8, ferner zuletzt STREICH (Anm. 29) 86 f. und SCHULZE (Anm. 7) 81 mit Anm. 141. 83 Dies geht aus dem unten (mit Anm. 84) angeführten Schreiben Wilhelms an Papst Nikolaus V. hervor, das unter anderem von Verhandlungen der beiden zerstrittenen Franziskanerrichtungen coram me et officialibus meis in der kontroversen Frage des Provinzialvikariats berichtet und betont, daß die Observanten in Wilhelms Herrschaftsgebiet seitens der Konventualen crudeliter persecutionem patiuntur, mutantur et tribulantur. DOELLE (Anm. 11) 19 mit Anm. 1, setzt die Vorgänge und damit die Wahl des ersten sächsischen Provinzvikars 1449 an; möglicherweise ist jedoch zeitlich noch etwas weiter zurückzugehen. 84 DOELLE (Anm. 11) 203 f. (Beilage 1); vgl. dazu ebd. 9 ff; WLNTRUFF (Anm. 27) 75 f.; HOFER (Anm. 2) II 164; SCHULZE (Anm. 7) 81 f.
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Orden am 23. Juli 1451 in die Gebetsbrüderschaft der Franziskaner aufgenommen wurde85. Ob Wilhelm III. ähnlich dem Rat der Stadt Nürnberg bereits damals eine Einladung an Kapistran richtete86 oder erst später an ihn herantrat - etwa im Zusammenhang von Kapistrans Aufenthalt im März 1452 bei Wilhelms Bruder Kurfürst Friedrich von Meißen87 steht dahin. Sicher ist, daß die Kontakte zu dem berühmten Prediger und einflußreichsten Vertreter der Observanten weiter zurückreichten und bereits lange vor der ersten persönlichen Begegnung außerordentlich eng waren. Der erbetene Besuch Kapistrans in der Landgrafschaft versprach jedoch nicht nur ein Zusammengehen gegen die zusammen bekämpfte Provinzleitung unter Matthias Döring und Hilfe für die bedrängten, gemeinsam geforderten Observanten in der Kustodie Thüringen. Vielmehr war das Auftreten Kapistrans als ein breitenwirksames, tief religiöses Ereignis wie kaum etwas anderes geeignet, Wilhelms III. großes kirchenpolitisch-religiöses Reformprogramm von 1446 nun, da nach dem Ende des Bruderkriegs günstigere Voraussetzungen gegeben waren, mit neuen Impulsen wieder zu beleben. Wenn es nach den Heimsuchungen des Bruderkrieges und der 1449/52 in Thüringen erneut ausgebrochenen Pest88 einer Autorität bedurfte, um der Bevölkerung den Zusammenhang zwischen thurunge, missewachße, sterben, unfrede und ander hertikeyt und vorbrechunge der zehin gebod gots und ander missetad vor Augen zu führen89 und sie zur Besserung aufzurufen, dann bot die päpstlich legitimierte Predigtreise Kapistrans von 1451/52 die geradezu einzigartige Möglichkeit, den in der deutschen Bevölkerung damals wohl berühmtesten Prediger hierfür zu gewinnen. Da über die Observanten - von deren Vorbild und Wirken sich Wilhelm III. unter allen Orden die stärksten Impulse für die angestrebte Landesbesserung versprach90 - ältere Kontakte und gemeinsame Interessen mit Kapistran bestanden, konnte sich Wilhelm III. jetzt gute Hoffnungen auf ein enges Zusammenwirken im Sinne seiner Anliegen machen91. 85 Ausfuhrliches Regest bei J. KREMER, Beiträge zur Geschichte der klösterlichen Niederlassungen Eisenachs im Mittelalter (Quellen und Abh. zur Geschichte der Abtei und Diözese Fulda 2) Fulda 1905, 78. Der Brief gehört zu der ersten großen Gruppe von 13 (erhaltenen) Filianzurkunden, die Kapistran wenige Wochen nach Eintreffen im deutschen Reichsgebiet im Juni/ Juli 1451 bei seinem ersten längeren Aufenthalt in Wien ausstellte. Unter den Empfangern war Wilhelm III. neben der Reichsstadt Nürnberg der räumlich mit Abstand am weitesten entfernte Adressat; vgl. J. HOFER, Bruderschaftsbriefe des hl. Johannes Kapistran, in: Franziskanische Studien 22 (1935) 327 ff. 86 Die Nürnberger Gesandtschaft am königlichen Hof in Wien, die, am 28.6.1451 vom Rat der Stadt mit einer entsprechenden Bitte beauftragt, am 16.7.1451 einen Filianzbrief Kapistrans erhielt, verhandelte bereits in Wien über einen Besuch Kapistrans in Nürnberg; vgl. KlST (Anm. 1) 194 f. Der Eichstätter Bischof Johann III. von Eych richtete schon am 3.7.1451 ein Einladungsschreiben an Kapistran: A. BAUCH, Zur Kapistranforschung in Franken, in: Jb. für Fränkische Landesforschung 26 (1966) 6 f. (Anlage 1). 87 Zu den Kontakten Kurfürst Friedrichs II. des Sanftmütigen mit Kapistran 1451 und bei dessen Aufenthalt im März 1452 in der Markgrafschaft Meißen vgl. HOFER (Anm. 2) II 281 mit Anm. 57, 117 ff., und STREICH (Anm. 29) 87. 88 Vgl. KOCH (Anm. 45) 149, und HOFER (Anm. 2) II 163 mit Anm. 44. 89 So unter Hinweis auf die Predigten Kapistrans in der Arenga des sog. Sittenmandats von 1452; UB Jena 3 (Anm. 6) 123 f. Nr. 224; vgl. auch SCHULZE (Anm. 7) 68. 90 Zu Wilhelms III. besonderer Vorliebe für die franziskanischen Observanten vgl. neben dem oben Gesagten insbesondere DOELLE (Anm. 11) 68 f. Wilhelm selbst gab in der Ausstattungsurkunde des Observantenklosters in Weimar 1454 als Motiv seiner Neugründungen in Weimar und Langensalza an: umme merunge willen gotes dinstes zu besserunge des volke: Dresden HStA, Copial Nr. 49, fol. 40r. 91 So besehen ist wohl die Sichtweise von HOFER (Anm. 2) II 163, wonach es "in erster Linie Or-
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Wilhelms sog. "Sittenmandat" vom 27. Oktober 1452 läßt diese Zusammenhänge mit aller Klarheit erkennen: Wie bereits oben erwähnt, berief sich der Landgraf ausdrücklich auf Kapistrans Predigten, vor allem in Jena92, die ihn dazu bewegt hätten, zu seiner und eynem iderman besserunge ... den fließ dorzu notdürftig, alz vil an uns ist, gein den unßern ungespart zu thunde, dormit sollich gebrechlickeit dorch gots hülfe und vorhenkeniß gerechtvertigit und gewandilt werde93. Die anschließenden Verfugungen an seine Amtleute und an die Räte seiner Städte greifen mit der Heiligung von Sonn- und Feiertagen und dem Glücksspielverbot Elemente der Landesordnung von 1446 wieder auf 94 , erweitern diese aber um moralisch-sittliche Vorschriften, die unmittelbar den Ermahnungen Kapistrans in seinen Bußpredigten entsprachen95. Manfred Schulze hat jüngst das Mandat von 1452 geradezu als "direkte, jeden Untertan verpflichtende, in Rechtsvorschriften gegossene Umsetzung eines monastischen Sittenideals" bezeichnet96. Wenn Herzog Wilhelm III. dieses tief in das Leben der Bewohner seines Landes eingreifende Gesetz nur wenige Wochen nach dem Kapistran-Besuch in Jena erließ, so nicht nur unter dem direkten Einfluß seiner Begegnung mit Kapistran, sondern wohl mehr, weil das bei breiten Bevölkerungskreisen noch unmittelbar lebendige Erlebnis des charismatischen Bußpredigers seinen herrscherlichen Anordnungen das nötige Gewicht und offene Aufnahmebereitschaft verlieh. War diese Wirkung beabsichtigt - und daran kann kein Zweifel bestehen - , so mußte für die Predigten Kapistrans vor dem Fürsten und seinem Volk ein Rahmen geschaffen werden, der eine möglichst große Zuhörerzahl und damit eine möglichst breite Resonanz versprach. Unter den größeren landgräflichen Städten Eisenach, Gotha, Jena und Weimar kam von der Größe, Einwohnerzahl und Lage in erster Linie Jena in Frage97. Die Stadt, im frühen 14. Jahrhundert von den Lobdeburgern an die Wettiner gelangt und 1445 bei der Teilung der 1440 wiedervereinigten wettinischen Länder zusammen mit der Landgrafschaft Thüringen und Teilen des Osterlandes Wilhelm III. zugesprochen98, wies mit ihren weit über 3000 Einwohnern99 und mit ihrem großen Marktplatz die besten äußeren Bedingungen für ein festliches "Großereignis" auf, wie es das Treffen des Landesherrn mit dem hochangesehenen Kirchenmann und die angekündigten Predigten vor den zu erwartenden Mendensangelegenheiten gewesen sein (dürften), daß Herzog Wilhelm den berühmten Führer der Reform nach Thüringen berief', zu einseitig. 92 Vgl. oben S. 509 mit Anm. 36. 93 Wie Anm. 36. 94
V g l . SCHULZE ( A n m . 7 ) 6 8 .
95
Vgl. oben S. 509 f.
96
SCHULZE ( A n m . 7 ) 6 9 .
97
Zur Einwohnerzahl von Eisenach und Gotha um 1500 bzw. zu Beginn des 16. Jhs. vgl. die abweichenden Schätzungen von B. STREICH, Die Itinerare der Markgrafen von Meißen. Tendenzen der Residenzbildung, in: BDLG 125 (1989) 170 f., die auf jeweils 4000 Einwohner kommt, während H. EBERHARDT, Die Anfänge und die ersten Jahrhunderte der Stadtentwicklung, in: G. GÜNTHER/ L. WALLRAF, Geschichte der Stadt Weimar, Weimar 1976, 110 f., aufgrund einer Aufstellung aus dem frühen 16. Jh., die für Eisenach und Gotha 524 bzw. 526 hausbesitzende Bürger nennt, zu einem niedrigeren Ansatz gelangt. Zu Weimar und Jena vgl. Anm. 103 und Anm. 99. 98 KOCH (Anm. 6) 24 ff.; STREICH (Anm. 29) 19. 99 Die Einwohnerzahl, die aufgrund des Jenaer Geschoßbuches von 1406 zu Beginn des 15. Jhs. mit einiger Sicherheit auf 2600 geschätzt werden kann, stieg bis Ende des 15. Jhs. auf etwa 3750 an; vgl. KOCH (Anm. 6) 45.
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MATTHIAS WERNER 100
schenmassen waren . Aus ähnlichen Gründen hatte Wilhelm III. bereits 1446 seine Hochzeit mit Anna von Habsburg, bei der etwa 4000 Gäste unterzubringen und zu verköstigen waren, nach Jena verlegt101. Weimar, seit Landgraf Friedrich dem Friedfertigen (1407-1440) Hauptresidenz der thüringischen Wettiner, schied für derartige Veranstaltungen aus. Die Stadt trug in vielfacher Hinsicht noch immer die Züge eines "unbedeutenden Ackerbürgerstädtchens"102 und dürfte auch nach dem Ausbau durch Wilhelm III. bis zum Ende des 15. Jahrhunderts kaum mehr als 1800 Einwohner gezählt haben103. Autorität und Resonanz schufen dem Auftreten Kapistrans - und damit auch dem Reformanliegen Wilhelms III. - in der breiten Bevölkerung jedoch nicht nur der päpstliche Auftrag104, sein vorauseilender Ruhm105, seine persönliche Ausstrahlung106 und die Gewalt seiner Predigt, sondern auch und nicht zuletzt seine die Wahrheit seiner Worte bestätigenden Wunder107. Sie wirkte er im Anschluß an die Predigten bei den meist in großen Scharen zusammengeströmten Kranken und versuchte mit ihrer Hilfe gleichsam zu übertreffen, was Kardinallegat Nikolaus von Kues kurz zuvor mit der Verkündung des Jubiläumsablasses an singulärer "Verbindung von Reform und Heilsgeschenk"108 mit großen Erfolg erreicht hatte. Was in Erfurt auf die Kritik breiter geistlicher Kreise stieß, war in Jena wahrscheinlich höchst erwünscht. Es ist kaum zu bezweifeln, daß Herzog Wilhelm III. in der Frage der Wunder anders dachte als etwa der Eichstätter Bischof Johann III. von Eych, der Kapistran in seinem Einladungsschreiben von 1451 als 100 Landgräfliche Hofrechnungen, Reisebücher, Küchenbücher u.ä., wie sie für die Wettiner seit der Mitte des 14. Jhs. und in geschlossenen Reihen seit den 1450er Jahren vorliegen und mit ihren detaillierten Aufzeichnungen über die täglichen Ausgaben des Hofes sicherlich auch die landgräflichen Aufwendungen für den Kapistran-Besuch in Jena dokumentieren könnten, sind nach freundlicher Auskunft von Herrn Archivoberrat Dr. Johannes Mötsch (HStA Weimar) für Wilhelm III. zum Jahre 1452 unter den betreffenden Beständen (Registrande Bb 5477-5654) nicht nachweisbar; vgl. auch B. STREICH, Vom Uber computacionum zum Küchenbuch. Das Residenzenproblem im Spiegel der wettinischen Rechnungen, in: P. JOHANEK (Hg.), Vorträge und Forschungen zur Residenzenfrage (Residenzenforschung 1) Sigmaringen 1990, 121 ff. 101 Vgl. UB Jena 3 (Anm. 6) 100 ff., und H. KOCH, Herzog Wilhelms III. von Sachsen erste Hochzeit vom 20.6.1446, in: Zs. des Vereins für Thüringische Geschichte und Altertumskunde NF 22 (1915) 318, der ebd. 301 betont, daß das 1471 erstmals erwähnte landgräfliche Schloß in Jena nach den Festlichkeiten von 1446 und wohl auch erst nach dem Ende des Bruderkrieges 1451 errichtet wurde, d.h. 1452 noch nicht zur Verfugung stand. 102 Vgl. STREICH, Reiseherrschaft (Anm. 29) 54, 99 ff. (Zitat), und STREICH, Itinerare (Anm. 97) 172. 103
104
EBERHARDT ( A n m . 9 7 ) 1 1 1 .
Wenn Wilhelm III. in seinem 'Sittenmandat von 1452' wie in den übrigen Anm. 38 und 40 genannten Urkunden sich auf Kapistrans Stellung als dez babistis legaten berief (UB Jena 3 [Anm. 6] 123 f. Nr. 224), so gab er damit die allgemein verbreitete Meinung und offiziell propagierte Version der Stellung Kapistrans als velut apostolicae sedis legatus wieder; vgl. AASS Oct. 10 (Anm. 2) 328 (cap. 191).Tatsächlich aber handelte es sich bei der in päpstlichem Auftrag unternommenen Reise nicht um eine Legationsreise im eigentlichen Sinne, und Kapistran verfügte über keine Legatengewalt; vgl. HOFER (Anm. 2) 1457 f. und nachdrücklich MEUTHEN (Anm. 4) 440. 105 Keine zwei Monate nach seinem ersten Auftreten im Reichsgebiet schrieb ihm der Eichstätter Bischof Johann III. von Eych am 3.7.1451 nach Wien: dum crebra omnis fere germanice Nationis relatione ad nos quoque fama pervenisset\ BAUCH (Anm. 86) 6. 106 Nach den Worten von Kapistrans Gefährten und Biographen Nikolaus von Fara nahmen die Deutschen Kapistran tamquam amentes prae nimia devotione und tamquam coeleste oraculum auf, AASS Oct. 10 (Anm. 2) 330 f. (cap. 198). 107 Vgl. Anm. 109. 108
MEUTHEN ( A n m . 4 ) 4 4 1 .
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einen Gottgesandten bezeichnete, quod et sana doctrina, ewangelie (sie!) veritate homines ad salubriorem vite viam perduceres, attestans verbo, dicto, virtutibus et signis, que ... operatur per te (sc. omnipotens dominus)109. Kapistrans Biograph Christoph von Varese fuhrt für Jena mit 41 Heilwundern fast das Vierfache der Erfurter Mirakel an, wobei er den Jenaer Besuch um eine Woche verlängerte110. Auch wenn es sich bei der hohen Zahl der Wunderheilungen möglicherweise um einen überlieferungsbedingten Zufall und bei den Zeitangaben um einen eindeutigen Irrtum handelt - beides spiegelt dennoch das Gewicht der Wunder in Jena und die Bedeutung des Jenaer Besuches zutreffend wider: über keinen Aufenthaltsort Kapistrans in Franken und Thüringen berichtet der Autor ausführlicher. Wilhelms III. in eine Bitte an Kapistran gekleidete Zusage, in seinem thüringischen Herrschaftsgebiet zwei neue Klöster für die Observanten zu gründen111, war für Kapistran angesichts der Mißerfolge in Erfurt und der Schwierigkeiten, in der von Döring geleiteten sächsischen Provinz ältere Konvente zu reformieren, sicherlich das wichtigste und bleibende Ergebnis nicht nur seines Jena-Aufenthalts112, sondern seiner Thüringen-Reise insgesamt. Die neuen Observantenniederlassungen in Weimar und Langensalza wurden von ihm stolz als Gewinn für die Familie des hl. Franziskus gepriesen113. Für Wilhelm III. hingegen, der diese Gründungen dank Kapistrans bebistlicher macht ohne Einschaltung des Provinzials vornehmen konnte und die Gründungskonvente von Kapistran zugeführt erhielt114, eröffneten die beiden neuen, der von ihm bevorzugten Reformrichtung angehörenden Klöster eine willkommene Möglichkeit, seine 1452 formulierten sittlich-moralischen Reformvorschriften zum Wohle des Landes durchzusetzen konnte er doch nun auch "über die Mönche die Pfarrerschaft und die Laien im Lande erreichen"115. Zugleich dienten sie ihm als Stätten vertiefter persönlichherrscherlicher Religiosität: Kaum zufällig war eine der beiden Gründungen für die Residenzstadt Weimar geplant; ihr Guardian wurde Beichtvater des Herzogs und in ihr ließ sich Wilhelm III., nachdem er kurz vor seinem Tode die Tracht der Franziskaner angenommen hatte, 1482 bestatten116. 109
110
BAUCH ( A n m . 8 6 ) 6.
Varese (Anra. 2) 525, berichtet in den ersten vier Tagen des Erfurt-Aufenthalts von 12 Wundern und begnügt sich für die Zeit nach Kapistrans Rückkehr aus Jena mit pauschalen Bemerkungen über eine Fülle - leider nicht aufgezeichneter - Heilungen. Vgl. auch oben S. 509. 111 Vgl. oben S. 510 mit Anm. 40. Daß die Anregung hierzu von Kapistran ausging, betont vor allem SCHULZE (Anm. 7) 86 mit Anm. 163; von einer "Erlaubnis" Wilhelms III. für Kapistran spricht hingegen STREICH (Anm. 29) 87. 112
113
S o HOFER ( A n m . 4 1 ) .
In seinem umfangreichen, in zahlreichen Exemplaren verbreiteten Sendschreiben an Georg von Podiebrad vom Januar 1454 stellte Kapistran unter seinen Leistungen ausdrücklich heraus: Qui Wienne ... qui Amberge, qui Vimarge, qui Salze ... claustra perpulcra reeepi cum magno religiosorum cetu, quos divina dementia nostro ministerio ex universitate potissimum Wiennensi, Lipsensi et Cracoviensi ad pauperis Francisci familiam eduxi: München StB, clm 18626, fol. 85v-86r (für freundliche Hilfe danke ich auch an dieser Stelle Frau Dr. Katharina Bierbrauer, München); vgl. HOFER ( A n m . 2 ) II 2 6 5 . 114 Dies ist aus der Anm. 113 zitierten Passage auch für die Konvente von Weimar und Langensalza zu erschließen - unter den Universitäten, an denen Kapistran Mönche für die von ihm neugegründeten Observantenniederlassungen gewinnen konnte, fehlt bezeichnenderweise Erfurt. 115 So SCHULZE (Anm. 7) 80 allgemein zu der Franziskanerreform unter Wilhelm III. Vgl. auch die oben S. 510 mit Anm. 40 zitierten Passagen der Urkunden von 1454/57.
116 WINTRUFF ( A n m . 2 7 ) 7 7 ; STREICH ( A n m . 2 9 ) 88.
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VI. Der Besuch Johannes Kapistrans in den ersten Septembertagen 1452, nach der großen Fürstenhochzeit von 1446 sicherlich das aufsehenerregendste Ereignis in der mittelalterlichen Geschichte Jenas, bleibt auch nach diesen Zeilen kaum mehr als eine bescheidene Episode. Dennoch sind zusammenfassend einige Beobachtungen festzuhalten, die über den lokalen Rahmen hinaus Interesse beanspruchen dürfen. Dies gilt vor allem für die besondere historische Konstellation, die das Treffen zwischen dem greisen italienischen Franziskanermönch und dem jungen thüringischen Landgrafen Wilhelm III. prägte, und für den bemerkenswerten Kontrast der Jenaer Tage zur Aufnahme Kapistrans in der Stadt Erfurt - jener inclyta civitas, der Kapistrans Hauptaugenmerk bei seiner Thüringen-Reise galt. Aufgeschlossenheit gegenüber der franziskanischen Observanz, Anerkennung der päpstlichen Vollgewalt, Offenheit gegenüber seiner Predigt und Vertrauen in seine Wundermächtigkeit - Ziele und Elemente seines leidenschaftlichen Wirkens, die bei den fuhrenden Reformkreisen und der Universität in Erfurt auf Reserve, ja Ablehnung stießen - traf Kapistran in höchstem Maße in Jena bei Wilhelm III. an. In der Hinwendung des jungen Fürsten zur franziskanischen Observanz - und damit auch zur Person Kapistrans - verband sich landesherrliches Bemühen um kirchliche Reformen und um allgemeines Wohlverhalten vor Gott zum Wohle des Landes mit tiefer persönlicher Frömmigkeit. Kapistrans Bußpredigten und Wunderheilungen in Jena als der vom äußeren Rahmen her geeignetsten landgräflichen Stadt und die mit seiner Hilfe gegründeten landgräflichen Observantenklöster schufen Wilhelm III. Autorität und Rückhalt für seine tiefgreifenden sittlich-moralischen Reformen und entsprachen seinen eigenen religiösen Normen. Dank dieser günstigen Konstellation gelang es Kapistran, wenn schon nicht die bedeutendste thüringische Stadt Erfurt mit ihren Ordensleuten, Reformern, Studenten und Professoren, so doch den mächtigsten Fürsten Thüringens als einen seinem Anliegen besonders aufgeschlossenen Landesherrn zu gewinnen. Dies war - bei aller Würdigung des fast überall erwachenden landesherrlichen Reformbemühens - in dieser Form durchaus ein bemerkenswerter, alles andere als selbstverständlicher Erfolg. Die zahlreichen Entwicklungsstränge und Interessenebenen, die sich im Vorfeld und im Verlauf des Treffens in Jena kreuzten und überlagerten, spiegeln an hervorgehobener Stelle das große, vielfältig ambivalente Ringen um Reform und Beharrung in der besonderen Situation nach dem Ende des Basler Konzils brennpunktartig im kleinen wider. Daß Kapistrans Besuch in Jena aus äußeren Gründen an einem Ort stattfand, der wenige Jahrzehnte später unter Wilhelms III. ernestinischen Neffen zu einem Zentrum der Reformation und zur Stätte einer der frühesten protestantischen Universitätsgründungen wurde, trug gewiß mit zu seinem raschen Vergessen in Jena bei, verleiht - auf Kontinuitäten wie Brüche landesherrlicher Kirchenpolitik zwischen Reform und Reformation verweisend dem Geschehen der Septembertage 1452 im Rückblick aber zusätzlichen historischen Reiz.
Die Hohe Schule in Krakau und das europäische Universitätssystem um 1400 VON PETER M O R A W I.
Erich Meuthen hat der Universität zu Köln ein Meisterwerk gewidmet1. Sie ist 1388 gegründet worden. Dieser Zeitpunkt wird umrahmt von den beiden Jahreszahlen, die die Hohe Schule in Krakau2 betreffen, von 1364 und 1400. Es trügt der Eindruck, daß es zu diesen und anderen viel erörterten Daten, wie 1348 (Prag), 1365 (Wien), 1386 (Heidelberg) oder 1392 (Erfurt), nichts Neues mehr zu sagen gäbe. Im Gegenteil - was zwar für Köln unnötig scheint, was aber am Fall der Prager Carolina3 mit Grund versucht worden ist, kann an der Jagiellonischen Universität ein weiteres Mal geübt werden: die Konfrontation allgemein anerkannten, geradezu traditionellen national-monographischen Ertrags mit denjenigen eher neuartigen Plausibilitäten oder gar Notwendigkeiten, die von der Respektierung der Universitätsgeschichte des ganzen papstchristlichen Europa herrühren. Der Historiker kommt bei diesem Gegenüber rasch in eine eigentümliche, manchmal sogar paradoxe oder heikle Situation. Er scheint undankbar, denn er kritisiert diejenigen Ergebnisse, auf die er sich zugleich stützen muß. Die Kritik richtet sich zwar nicht so sehr gegen pure Tatsachen, doch schlimmer: Sie richtet sich gegen den Umgang mit diesen Tatsachen und weitet sich damit aus zur Historiographiekritik, ja unter Umständen zur Kritik an nationalen Geschichtsdenkmälern4 und Geschichtsbildern. Hier genügt es davon zu sprechen, daß es sich um Methodenkritik handelt. Methodisch problematisch ist bei den national-monographischen Universitätshistorikern (immer abgesehen von dem einen oder anderen Realisten) vor allem dreierlei: ihr Verzicht auf systematischen übergreifenden Vergleich, immer wieder ein ahnungs- oder gar bedenkenloser Umgang mit Anachronismen und das Aussprechen oder Voraussetzen von positiven Qualitätsurteilen, die nicht argumentativ untermauert werden. 1 E. MEUTHEN, Die alte Universität (Kölner Universitätsgeschichte 1) Köln-Wien 1988. Vgl. dazu P. MORAW, in: GGA 243 (1991) 239-245. 2 Quellen: Statuta nec non liber promotionum philosophorum ordinis in universitate studiorum Jagellonica ab anno 1402 ad annum 1849, ed. J. MUCZKOWSKI, Cracoviae 1849; Codex diplomaticus universitatis studii generalis Cracoviensis, pars prima (1365-1440), Cracoviae 1870; Das älteste Matrikel-Buch der Universität Krakau, Beschreibung und Auszüge mitgetheilt durch H. ZEISSBERG, Innsbruck 1872; Album studiosorum universitatis Cracoviensis, 1.1, Cracoviae 1887; Index studiosorum universitatis Cracoviensis annis 1400-1500, ed. cura G. ZATHEY/ G. REICHAN, Wratislaviae etc. 1974. Literatur unten, besonders in Anm. 17 und 25. - [Anm. der Herausgeber: Beim Zitieren von ostmitteleuropäischen Erscheinungsorten werden in diesem Beitrag nur die jeweiligen slawischen und lateinischen Bezeichnungen verwendet.] 3 P. MORAW, Die Prager Universitäten des Mittelalters, in: Spannungen und Widersprüche. Gedenkschriftfi\rFrantiäek Graus, hg. von S. BURGHARTZ u.a., Sigmaringen 1992, 109-123. 4 Vgl. A. MACZAK, National traditions in the historiography of the state: the case of Poland. Vervielfältigt durch European Science Foundation: The origins of the modern state in Europe (13th-18th century). First Plenary Conference Rome, 28-31 march 1990.
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Ein Beispiel aus einem Bereich, der im folgenden keine Rolle mehr spielen wird, möge zur Illustration genügen. Um einen Gelehrten irgendeiner Universität von damals als bedeutend, herausragend oder ähnlich einzustufen, gibt es u.E. bisher keine wirklich brauchbaren Kriterien. Welche Anhaltspunkte für ein solches Werten die Verbreitung seiner Texte oder deren Weiterwirken bieten mag, ist bisher nicht systematisch geprüft worden und kann wohl auch heute kaum schon geprüft werden. Gleichwohl hat es - liest man die entsprechenden Monographien und Aufsätze nacheinander - selten so viele hochrangige Universitätslehrer gegeben wie im 14. und 15. Jahrhundert. Solche Aussagen sind nahezu wertlos. Um dem kritischen Vergleich, der ja Unterschiede und damit Besseres und Schlechteres herausarbeiten soll, geradezu entgegenzuwirken, wird dann noch vom Ganzen einer beliebigen Universität, einfach weil sie existierte, auf das Ganze einer anerkannt hochgeschätzten anderen verwiesen. So findet man, was man suchte: terminologische Gleichheit und damit auch den Anschein der Gleichartigkeit und Gleichrangigkeit. Der Schritt zum "hohen Niveau" des heimischen Gebildes ist dann sehr kurz. Die realen Quantitäten, Inhalte und noch mehr die Rahmenbedingungen universitärer Existenz bleiben weithin beiseite. Problematisch verhält es sich vor allem bei den Rahmenbedingungen. Bevor man zum Beispiel - was gern das Ziel ist - eine alte Universität zur Ehre eines ganzen Landes in Anspruch nimmt, müßte man sie bei genauerer Prüfung einer Stadt (südlich der Alpen) oder einer Dynastie, einer Stadt und der regionalen Kirche (nördlich der Alpen) zuordnen. In welchem Maß diese Stadt damals das je Eigene des ganzen Landes sichtbar machte oder ob sie nicht eher ein Fremdkörper in diesem war, spielt keine Rolle. Vor allem aber bleibt - wie gesagt - unerörtert, ob sich die so gewonnenen Einzelergebnisse sinnvoll einordnen lassen in das wenigstens in vagen Umrissen erkennbare, wenngleich seinerseits fortlaufender Präzisierung und Kritik bedürftige europäische Kultur- oder allgemeine Zivilisationsgefuge. Innerhalb seiner geht es um die Umrisse eines Universitätssystems, insofern es dieses damals gab5. Man kann jetzt schon sagen, daß die Situation von Krakau, wie sie derzeit datiert und bewertet wird, in diesem Zusammenhang Schwierigkeiten macht oder, vorsichtiger formuliert, besonderen Erklärungsbedarf mit sich bringt. So kann man mit einigem Bedauern resümieren: Der nationale oder auch lokale Stolz auf eine möglichst alte und seinerzeit attraktive Hohe Schule ist im ganzen Milieu der Universitätsgeschichtsschreibung, auch da sich Kollegen über "Kollegen" äußern, weniger abgebaut worden als anderswo. Vergleichbar ist wohl nur noch das auch sachlich nicht ganz fernstehende Thema des nationalstaatlichen Legitimierungsbedarfs. Rektifizierungsbestrebungen in der Universitätsgeschichtsschreibung lassen sich in der Tat innerhalb eines heutigen Staates leichter realisieren als über moderne Grenzen hinweg6. Im 14. und 15. Jahrhun5 A History of the European University. General Editor W. RÜEGG, vol. 1: Universities in the Middle Ages, ed. H. DE RIDDER-SYM0ENS, Cambridge 1991; dt. Ausgabe München 1993. Vgl. die Zeitschrift "History of Universities" und: Le università dell'Europa. La nascita delle università, a cura di G. P. BRIZZI/ J. VERGER, Mailand 1990; F. REXROTH, Deutsche Universitätsstiftungen von Prag bis Köln (Beihefte zum AKG 34) Köln u.a. 1992. 6 Beispielsweise P. DENLEY, Academic rivalry and interchange: the universities of Siena and Florence, in: Florence and Italy. Renaissance Studies in honor of Nicolai Rubinstein, ed. by P. DENLEY e.a., London 1988,193-208.
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dert indessen waren Tatbestände der Universitätsgeschichte allenfalls hie und da und vorübergehend etwas Nationales. Interessanter als der Zusammenhang mit der staatlichen Geographie ist oft das soziale und sozialräumliche Verhalten im Umkreis der Hohen Schule. Die Wirkungen städtischer und kirchlicher Lebenswelten auch über einige Entfernung und über wechselnde dynastische Zuständigkeiten hinweg sind - wenn die Anstalt einmal bestand - höher zu bewerten als politischer Wille. Auch dann bleibt man gelassener, wenn man die beim Entstehen oder Erlöschen oder auch bei einem vergeblichen Gründungsversuch seinerzeit bewegte Masse nicht allzugroß veranschlagt. Desgleichen tut man gut daran, die Motive für den Einrichtungsentschluß, abgesehen vom religiösen Streben nach guten Werken, im dynastischen Ehrgeiz und im Wunsch nach Bereitstellung fachkundiger Helfer aus den oberen Fakultäten für Hof und Kirche zu erblicken; bei weitem nicht war irgendein "bildungspolitisches" Interesse an der Förderung junger Leute zum Wohl des Gemeinwesens maßgebend. Wie bei vielen mittelalterlichen und neuzeitlichen Anfängen waren die Folgewirkungen nicht im mindesten abzusehen, erst recht nicht späte Folgen unter gänzlich veränderten Rahmenbedingungen. Hier ist der Verzicht auf Anachronismen besonders wichtig. Schließlich sollte man sich gleich am Anfang des schwierigen Paradoxons bemächtigen, daß die Existenz einer Universität einerseits legitim sein mußte, also dem Beispiel von Bologna oder von Paris so getreulich wie nur möglich zu folgen hatte (oder gar - was eigentlich unmöglich scheint - beiden Vorbildern zugleich), daß aber andererseits diese Protagonisten der europäischen Hochschulgeschichte aus großer Distanz für kaum einen wesentlichen Punkt wirklich überzeugend nachgeahmt werden konnten. Allzu deutlich unterschieden sich zum Beispiel die Lebensbedingungen des "Jüngeren Europa" von jenen am Ort der zwei erwähnten Hauptausprägungen dessen, was wir "Älteres Europa" mit seinem vorerst uneinholbaren Vorsprung nennen7. Innerhalb dieser beiden großen Zonen ist dann noch zwischen Zentren und Peripherie zu unterscheiden. Die Peripherie des "Jüngeren Europa", ob Schottland oder Skandinavien, war am meisten benachteiligt und zurückgeblieben. Dies läßt sich leicht an den Daten der Universitätsgründungen, aber auch an zahlreichen weiteren Parametern ablesen. Die positive Antwort auf bescheidene Rahmenbedingungen war demnach, wenn die Einwurzelung einer Hohen Schule geglückt war, bei stark betontem Legitimseinwollen eine ganz spezielle Ausformung oder "Dehnung" des Phänomens "europäische Universität des Mittelalters", wie es den Notwendigkeiten eines schwierigen Existenzkampfes entsprach. Am Beispiel der Prager Carolina, der ältesten Universität im "Jüngeren Europa", läßt sich diese Situation am besten studieren8; keine Universität war auch für die Hohe Schule in Krakau wichtiger. Der Bedarf an "Entmythologisierung" erwies sich für die exponierte Position an der Moldau als besonders groß. Für unseren Gedankengang sind daraus folgende Punkte von Bedeutung:
i P. MORAW, Über Entwicklungsunterschiede und Entwicklungsausgleich im deutschen und europäischen Mittelalter, in: Hochfinanz. Wirtschaftsräume. Innovationen. Festschrift fllr Wolfgang von S t r o m e r , h g . v o n U . WESTMANN u.a., B d . 2, T r i e r 1 9 8 7 , 5 8 3 - 6 2 2 .
8 P. MORAW, Die Universität Prag im Mittelalter, in: Die Universität zu Prag (Schriften der Sudetendeutschen Akademie der Wissenschaften und Künste 7) München 1986, 9-134. Zeitschrift: Acta universitatis Carolinae - Historia universitatis Carolinae Pragensis.
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Innerhalb eines einheitlich privilegierten Studiums bestanden in Prag wohl von Anfang an, jedenfalls seit dem Beginn des wirklichen Funktionierens, zwei Universitäten, eine vornehmere Juristenuniversität und eine weniger vornehme "Dreifakultäten"-Universität der Artisten und Theologen mit dem Anhang der Mediziner. Die Zielpunkte der Legitimierung der beiden Gebilde, Bologna und Paris, waren nicht vereinbar, auch war die soziale Beschaffenheit der Studentenschaften beider Vorbilder und beider Nachahmer zu verschieden. Der Anfang der Prager Universitäten war mühsam. Kaum früher als kurz vor 1370 haben sie wirklich zu funktionieren begonnen9 - wenigstens nach jenem Maßstab, den man beim Reden von italienischen, französischen und englischen Hohen Schulen für selbstverständlich hält, den man demnach auch für Anstalten des "Jüngeren Europa" anlegen sollte: am besten mit Hilfe des Nachweises von Graduierungen in einer höheren Fakultät, so daß ein Doktorenkollegium bestanden haben muß. Die Erfolgszeit der alten Carolina war kurz; nach Besucherzahlen gerechnet gab es eine Hochblüte von etwa einem Jahrzehnt, das von zwei weiteren Dezennien sehr ansehnlicher Existenz umrahmt wurde. Beim anspruchsvollsten "Leistungsangebot", bei der Graduierung von Juristen, wies man abgesehen vom Nahbereich vor allem dort Erfolge auf, wo es sich um Studierende aus den eher mittelmäßig oder gering entwickelten deutschen Landschaften an Nord- und Ostsee handelte. Aus dem höchstentfalteten Nordwesten, aus dem Westen, Südwesten und anderen recht "modernen" Gegenden des Reiches ging man - wie vor 1348- lieber anderswohin, nach Italien oder Frankreich. Besucher aus dem "Älteren Europa" gab es in Prag nicht, Ausländer kamen von der Peripherie10. Im Jahr 1417 wurden die Prager Privilegien vom Konstanzer Konzil wegen Ketzerei aufgehoben, so daß die höheren Fakultäten, die faktisch schon um 1409 erloschen waren, nicht mehr zum Leben erweckt werden konnten. Die Carolina bestand (unter dem Namen einer Universität) als regionale Artistenschule bis zu den habsburgischen Erneuerungsmaßnahmen der Neuzeit fort. Ähnlich mühsam wie in Prag war der Anfang der Rudolfina in Wien". Es entstand wie an der Moldau eine primär dynastische und sekundär kirchlich getragene Gründung in einer ansehnlichen Stadt. Vor 1384/85 findet man nur Spuren auf, die bei der Orientierung an den Anforderungen des "Älteren Europa" wohl nicht ausreichen, um von einer funktionierenden Universität zu sprechen. Der Zeitpunkt des Umschwungs weist auf das fundamentale Datum der Universitätsgeschichte Mittel- und Osteuropas hin, auf den Beginn des Großen Schismas (1378). Das Papsttum war erpreßbar geworden, und die Dynastien erfuhren einen Legitimierungsschub auch für die Regelung geistlicher oder halbgeistlicher Angelegenheiten. Das im Falle Prags bleibend Bemerkenswerte ist demnach der Tatbestand, daß die Carolina auch schon vor 1378 funktionsfähig gewesen war. Im bereits genannten Jahr 1384 setzte indessen das Prager Krisenzeitalter ein. 9 Vgl. die ganz unabhängig von unserem Zusammenhang festgestellte Auflösung der bis dahin führenden, jedoch nicht privilegierten Artistenschule in Erfurt um 1370 (S. LORENZ, Studium generale Erffordense. Zum Erfurter Schulleben im 13. und 14. Jh. [Monographien zur Gesch. des Mittelalters 34] Stuttgart 1989, 332). 10 Vgl. auch R. C. SCHWINGES, Französische Studenten im spätmittelalterlichen Reich, in: Les échanges universitaires franco-allemands du moyen âge au XX siècle (Actes du Colloque de Göttingen. Mission Historique Française en Allemagne, 3-5 XI 1988). Textes réunis par M. PARISSE, Paris 1991,37-54. 11 REXROTH (Anm. 5) 108 ff. mit der älteren Literatur.
DIE H O H E S C H U L E IN K R A K A U
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Nachdem die von einigen propagierte, aber realitätsferne Idee der Verlegung der Pariser Universität nach Frankfurt am Main, wieder in demselben Jahr bezeugt12, fallengelassen worden war, folgten in derselben hochschulpolitischen Lage die Anfange in Heidelberg und kurz darauf in Köln und Erfurt. Erfurt hatte sich seit 1378(!) um eine Universität bemüht13. Die Kölner Gründung14 ist vor allem deshalb bemerkenswert, weil sie vom ersten Augenblick an als die mit weitem Abstand opulenteste in Deutschland gelten kann. Ob man gleich am Anfang zwanzig Magister als Kern oder fünfzig als Elite hervorhebt, ob man die Pfründen oder die Bursen zählt und wägt, die beiden Rechtsfakultäten mit elf Lehrpersonen beider Rechte (1389, bei einem knappen Übergewicht legistischer Graduierung) nennt, stets ist Köln den viel günstigeren Verhältnissen des "Älteren Europa" zuzurechnen. Damit kommt zur Sprache, was neben der Legitimität der Existenz für jede Hohe Schule am wichtigsten war: Urbanität und Reichtum, Differenziertheit und lange Geschichte der Trägerlandschaft und Trägerstadt. So konnte sich mit Köln kein zweites Zentrum in Mitteleuropa, um von Ost- und Nordeuropa zu schweigen, messen. Von diesem Bild, das sich in den letzten Forschungsjahren immer klarer abzeichnet, heben sich nun die Fragen an die Krakauer Situation ab. Es genügt hier, zwei Hauptprobleme aufzugreifen. Das erste ist der Realitätsgehalt des Datums von 1364, das zweite ist die personelle Beschaffenheit der ersten Jahre und Jahrzehnte des 15. Jahrhunderts. Mit der Antwort auf beide Fragen könnten die Anfänge der Jagiellonengründung in das zeitgenössische europäische Universitätssystem eingeordnet werden. Ein drittes ebenso wichtiges, hier nicht mehr zu erörterndes Problem wäre dasjenige der Stellung der Weichseluniversität innerhalb des kommenden "Massen"studiums des mitteleuropäischen 15. Jahrhunderts15. Es brachte neuartig modernisierende Wandlungen mit sich, die noch nicht genug bekannt sind.
II. Vor dem Hintergrund des einleitend Skizzierten erhebt sich die Frage nach dem Krakauer Datum von 1364 drängender als bisher. Denn dieses stellt sich nicht mehr nur als Problem des nationalen Wettbewerbs dar, sondern möglicherweise auch als Signal an einem Haltepunkt europäischer Universitätsgeschichte. Gab es, nachdem die Wiener Rudolfina mit dem Datum 1365 ausgeschieden worden ist, vor den erst um 1370 wirklich funktionierenden Hohen Schulen in Prag16 ein erstaunliches Zeichen aus der Peripherie des "Jüngeren Europa", das an der "Logik" von Geographie und Chronologie der kontinentalen Universitätsgründungen Zweifel wecken darf? Konnte dynastische Kraftentfaltung, die man in diesem Fall unter Hintanstellung entwicklungsgeschichtlicher Bedenken aufs 12 K. BUND, 1436-1986. 550 Jahre Stadtarchiv Frankfurt am Main (Mitteilungen aus dem Frankfurter Stadtarchiv 39) Frankfurt/M. 1986, 68. 13 LORENZ (Anm. 9) 332. 14 MEUTHEN (Anm. 1) 57, 71 u.ö.; REXROTH (Anm. 5) 251, 267. 15 R. C. SCHWINGES, Deutsche Universitätsbesucher im 14. und 15. Jahrhundert. Studien zur Sozialgeschichte des Alten Reiches (VIEG 123) Stuttgart 1986. •6 Vgl. zu Wien und Prag oben Anm. 11 und 8. Die Rudolfina bedarf wohl einer einschlägigen Neuuntersuchung.
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stärkste beanspruchen müßte, über die geringe Bewegung hinaus, die ein Handeln auf dem Pergament verlangt, die soziale Basis eines ganzen Landes oder wenigstens seiner Mitte wirksam modernisieren? Nur unter der Voraussetzung des Akzeptiertwerdens nämlich wäre jenes Geschehen wirklich ein Erfolg über den Tag hinaus, ein Gründungsakt mit Substanz, das heißt der Anfang eines fortdauernden, annähernd die Intentionen des Beginns realisierenden Unternehmens. Die einschlägigen Quellen sind wie im Falle Prags längst bekannt. Mehr als um Fragen der Einzelinterpretation geht es wieder um Probleme der Bewertung und Einordnung oder auch darum, wie weit man Wunsch und Wirklichkeit zu unterscheiden vermag. Die ausfuhrliche Jubiläumspublikation von 196417 stellt schon durch das Erscheinungsdatum ein Programm dar und ist auch so gegliedert, daß die Alternative von 1400 im Schatten liegt (1364-1390, 1390-1414). Bis zur Gegenwart halten die polnischen Autoren ohne Diskussionsbedarf an 1364 fest18. Weniger gut informierte Auswärtige haben dies ohne Bedenken akzeptiert, nur bei bester Kennerschaft hat man gezögert19. Es gibt drei Gedankenbahnen, bei deren Verfolgung sich schwerwiegende Zweifel erheben. Zunächst ist dies der klassische Weg der Prüfung der Texte, die man tatsächlich nur bei sehr gutem Willen des Historikers so zusammenfugen kann, daß sie zugunsten jenes erstrebten Zieles ihre Aussage machen. Zum zweiten läßt die bisher unbeachtet gebliebene europäische Gesamtsituation, wie sie angedeutet worden ist, ein so frühes Datum äußerst unwahrscheinlich wirken und lädt daher einem Befürworter eine noch weit höhere als bisher angenommene Beweislast auf. Zum dritten ist wiederum ein unzulässig großherziger Umgang mit der Terminologie zu fürchten. Denn selbst wenn alles zutreffend wäre, was von der Situation an der Weichsel behauptet wird, würde man wohl immer noch einen für Krakau beibehaltenen Begriff "Universität" im Vergleich zu den südund westeuropäischen Protagonisten so sehr dehnen müssen, daß Inhalt und Wert beinahe verloren gingen. Offiziell-juristische Texte sind mangels anderer gleichzeitiger Nachrichten am Anfang die Quellen nicht nur für das Sollen, sondern auch für das Sein. Die von der Selbstverpflichtung der Stadt vom 12. Mai 1364 begleitete Urkunde König Kasimirs vom gleichen Tag, der die Privilegien Papst Urbans V. vom 1. und 13. September folgten20, enthält recht Erstaunliches. Sie benennt die Errichtung eines neuen Studiums in Krakau nach dem Beispiel von Bologna und Padua und zielt im einzelnen ab auf scolas des kanonischen und römischen Rechts, der Medizin und der Artes. Für jedes Detail werden norditalienische Verhältnisse zum Vorbild gemacht. Zu drei Lehrstühlen (sedes) des Kirchenrechts und dreien des Zivilrechts sollen im folgenden Jahr zwei weitere der letztgenannten Art hinzutreten. Mit Ausnahme je eines Lehrenden in beiden Rechten, der mit je zwanzig Mark Silber zu besolden sei, werden vierzig Mark als Jahressalär ausgesetzt. Zwei Mediziner und ein Artist, mit zwanzig bzw. mit zehn Mark entlohnt, treten hinzu. 17 Dzieje uniwersytetu Jagiellonskiego w latach 1364-1764, 1.1, red. K. LEPSZY, Krakow 1964. Autoren der einschlägigen Teile sind J. DABROWSKI (15-36), Z. KOZKOWSKA-BUDKOWA (37-89) und K. PLERADZKA (91-137); P. W. KNOLL, Casimir the Great and the University of Cracow, in: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas 16 (1968) 232-249. Weitere Literatur unten. 18 Wie Anm. 17 und 25. 19 J. VERGER, Patterns, in: A History I (Anm. 5) 35-74, besonders 46, 63, 71 f. 20 Codex diplomaticus (Anm. 2) Nr. I-IV.
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Handlungsfähige, also erwachsene und selbständige Scholaren stehen nach außen der Stadt gegenüber und regeln nach innen das Funktionieren der Hochschule. Der Rektor wird ein von ihnen bestimmter Scholar sein, Doktoren und Magister sollen fakultätsweise von den Scholaren gewählt werden, auch dies bekanntlich wie in klassischen italienischen Fällen. Auf die im Jahr 1363 eingeleiteten, im päpstlichen Register nachweisbaren Verhandlungen mit der Kurie weist hin, daß Kasimir auf eine Theologische Fakultät verzichtete, die Papst Urban grundsätzlich nicht genehmigt hat21. Die übliche Bewertung der Königsurkunde als eines besonders modernen und zukunftsweisenden Dokuments teilen wir nicht. Wir sehen den Text als Idee einer winzig kleinen, "elitären" geistlichen Personengruppe von höherer Abkunft und von Wohlhabenheit an. Diese Gruppe hatte den Herrscher gewonnen. Vermutlich war der wichtigste Betreiber des Unternehmens der in der datum per manusFormel des königlichen Privilegs genannte Doktor des Kirchenrechts offensichtlich einer italienischen Universität, Johannes Suchywilk, Krakauer Domdekan und Kanzler; ein anderer war vielleicht der Bischof von Krakau mit unbekannter Ausbildung22. Jedenfalls war die Entscheidung für das vornehmere der beiden damals bestehenden Hauptmodelle europäischen Studierens gefallen, das mediterranen Ursprungs und Zuschnitts war, der hochentwickelten Urbanen Welt Oberitaliens und Südfrankreichs angemessen blieb und in besonderen Fällen (Orleans, England) von den modernsten außermediterranen kirchlichen und staatlichen Strukturen Westeuropas angenommen worden ist; den Rest des papstchristlichen Europa bediente es aus der Ferne mit einer vergleichsweise geringen Zahl von Wanderscholaren. Nicht entschied man sich in Krakau für das Pariser Modell mit seiner viel größeren sozialen Spannweite, aber eben auch mit seinem geringeren sozialen Ansehen, obwohl es - wie sich bald zeigte - für das "Jüngere Europa" viel besser geeignet war und erst recht als einziges brauchbar schien für dessen Peripherie. Damit ist das Urteil gesprochen. Gerade wegen seiner Modernität, die interessen- oder besser lebensweltbestimmte Einseitigkeit war, erscheint ein Pergament, das für Italien und Südfrankreich gut verwendbar gewesen wäre, in der östlichen Mitte Europas als völlig wirklichkeitsfremd und von vornherein ohne jede Chance der Realisierung. Erst fünf Jahre nach 1364, nach zwanzig Jahren der Krise oder des Experimentierens, stellte sich in Prag ein entsprechender erster, einigermaßen erfolgreicher Beginn ein, der aber weniger als die Hälfte der Krakauer Ansprüche verwirklichte. Er betraf allein die Kanonistik, die im ganzen Jahrhundert die einzige tatsächlich benötigte Rechts- oder eher "politische" Wissenschaft des "Jüngeren Europa" war, und galt einem ersten und vorerst einzigen Doktor, 21 E. DELARUELLE, La politique universitaire des papes d'Avignon - spécialement d'Urbain V - et la fondation du Collège Espagnol de Bologne, in: El cardenal Albornoz y el Colegio de Espafla, ed. E. VERDERA Y TUELS, vol. 2, Zaragoza 1972, 7-39, besonders 10 ff.; REXROTH (Anm. 5) 284. 22 K. OZ0G, Kultura umyslowa w Krakowie w XIV wieku, Wroclaw etc. 1987, 144, 153. Vgl. auch A. RADZIMINSKI, Pralaci i kanonicy kapituly katedralnej plockiej w XIV i I pol. XV w., 1.1, Pralaci, Tonin 1991, besonders 40 ff.; J. WIESOLAWSKI, Episkopat polski XV w. jako grupa spoleczna, in: Spoleczenstwo polski sredniowiecznej 4, Warszawa 1990, 236-295; E. POTKOWSKI, Écriture et société en Pologne du bas moyen âge (XIV c -XV e siècles), in: Acta Poloniae Historica 39 (1990) 47100; E. WISNIOWSKI, Die Pfründen der Diözesangeistlichen in Polen, in: L'hostie et le denier, ed. M. PACAUT/ O. FATIO, Genf 1991, 63-70.
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der wirklich lehrte. Es war Wilhelm Horborch (Harburg, heute Teil von Hamburg), der ein langjähriger Praktiker im päpstlichen Dienst und finanziell potent gewesen ist und der vor allem zweifellos jene Übersicht besaß, die man an der Weichsel vermißt. Denn mit gutem Grund halten wir die bisher stets stillschweigend gemachte Annahme, die Zeitgenossen müßten die gesamte europäische Hochschullandschaft überblickt und verstanden und sich daher in Krakau wohlüberlegt entschieden haben, für grob anachronistisch. Noch im Jahr 1400 wird in der neuerlichen und diesmal wirksamen Gründungsurkunde des Königs Wladislaus II. Jagiello bei der Nennung der zu diesem Zeitpunkt aktuellen Vorbilder Oxford nach Deutschland verlegt werden23: So wenig war man sich über die Hochschulgeographie im klaren, wohl im Unterschied zur dynastischen Geographie. Es gab aber noch keine allgemeine Geographie als Basis; Quelle jeglicher Geographie war die persönliche Erfahrung der gerade verfugbaren Fachleute, bei denen allen naturgemäß als Regel zu gelten hat, daß genau Gewußtes, weil Erlebtes, hart an nur vage Bekanntes oder gänzlich Unbekanntes stieß. Erst recht konnte man wenig oder gar nichts von den komplexen sozialen und wirtschaftlichen Zusammenhängen und Auswirkungen wissen, die wir heute wie selbstverständlich mit dem großen Überblick verbinden. Texte wie derjenige von 1364 verweisen wohl auf Erfahrungen um 1350 oder aus der ersten Jahrhunderthälfte, die im Universitätsmilieu auch in Deutschland noch recht ungewiß und ungleich beschaffen waren. Es ging dabei - schärfer gefaßt - um nach sozialen Gruppen streng geordnete Erfahrungen: Ein Universitätsbesucher aus gutem Adel oder ein Gleichrangiger aus wohlhabender Familie sah etwas anderes und nur etwas Bestimmtes, zum Beispiel das 1364 vom polnischen König Anvisierte - wieder etwas anderes sah ein Armer oder ein Durchschnittsstudent. Betont aristokratische oder aristokratengleiche Erfahrungen von monopolartigem Einfluß scheinen typisch zu sein für wenig entwickelte Verhältnisse; man kann sie bei studierenden deutschen Adeligen seit dem 12. Jahrhundert vorfinden. Der praktischen Wahrnehmung des Aristokraten oder seinesgleichen entsprach gerade nicht das in unseren Augen Zweckmäßige, also nicht der Aufbau einer Universität von unten nach oben, sondern in sehr einleuchtender Weise das "Aufdemkopfstehen" der Quantitäten des Lehrpersonals wie eben in der urkundlichen Konkretisierung von 1364. Diese Vorstellung war in extremer Weise den anderswo bestehenden "vernünftigen" Verhältnissen und der bald auch in Krakau lebensfähigen "bürgerlichen" Praxis entgegengesetzt. In der Reifezeit der Prager Erfahrungen wird ein sozial bevorzugter und demgemäß künftig erfolgreicher Scholar, Johann von Jenzenstein, später als Nachfolger seines Onkels und Großonkels Erzbischof von Prag, in Paris und in Italien studieren, anstatt nur hier oder dort. Er wird damit womöglich eine vage Vorstellung davon gewinnen, daß das europäische Studiensystem, grob gesprochen, "zweistöckig" war. Aber davon dürfte seinerzeit so vieles "naturwüchsig" und daher unveränderlich und somit auch damals nicht befragbar gewesen sein, daß man nur sehr weniges grundsätzliche Begreifen in solche Vergewisserung hineindenken mag - schon gar keine Idee von der Zukunft. Denn nach dem gewaltsamen Ende der alten Carolina (1409/1417) sollte in der Tat eine dritte Form der Universität nach 23 Codex diplomaticus (Anm. 2) Nr. XVI, dasselbe Nr. XXI (1401) und XXXI (1403).
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denjenigen von Bologna und Paris "unbewußt" entstehen - mit großer Folgewirkung, in die dann auch die Krakauer Hohe Schule von 1400 hineinwuchs. Es war die eher bescheidene Vierfakultäten-Universität des 15. Jahrhunderts umgestalteten Pariser Erbes. Sie zwang wegen der Mittelmäßigkeit Mitteleuropas und erst recht seiner Peripherie unter dem Dach des Dynastenstaats sozial Unterschiedliches zusammen, auch wenn das den Bessergestellten nicht so recht gefiel. Das alles heißt: Das beharrliche Schweigen der Quellen über den Kern jener Urkundentexte von Frühjahr und Sommer 1364 bedeutet diesmal nicht extremen Quellenverlust, sondern meint, daß schlechterdings nichts vom Hauptziel von 1364 Wirklichkeit geworden ist. Weder gab es Scholaren wie in Italien noch ebensolche Doktoren, am wenigsten Legisten; schwerlich jemals einen Rektor, Dekan, juristische Graduierungen und alles weitere, was mit einer höheren Fakultät zusammenhängt. Überwältigend ist dabei der Druck, der von den gesicherten Tatbeständen der allgemeinen Universitätsgeschichte dieser Generation ausgeht und dem sich auch die Krakauer Verhältnisse, da offenkundig kein Gegenargument erkennbar ist, beugen müssen. Man sollte sich darüber nicht wundern. Die große Mehrzahl aller Anläufe zu Universitäten in Europa ist im 14. Jahrhundert gescheitert. Die gut bekannte Mühsal der Prager Juristenuniversität würde unerklärlich werden, wenn man an der Weichsel Erfolg gehabt hätte. Man hätte dort zaubern, d.h. entgegen allen Voraussetzungen handeln müssen. Prag war moderner als Breslau, und Breslau war moderner als Krakau. Zu beachten ist hilfsweise noch das völlig unrealistische Krakauer Verhältnis von Kanonistik und Legistik, mit dem Überwiegen von dieser. Selbst in Köln, das - wie bald mit ihm Löwen - auf eine ganz andere, viel modernere Bedarfssituation als auf die polnische antwortete, war bei ungefähr gleichgewichtiger formaler Verteilung beider Zweige das Kirchenrecht in der Lehre beträchtlich im Vorteil; alle rechtsrheinischen Universitäten bildeten ausschließlich Kanonisten aus und gewöhnten sich erst nach und nach im 15. Jahrhundert an das römische Recht. Zu Unrecht ist schließlich unbeachtet geblieben, daß die schwachen Spuren eines Hochschullebens, die man in Krakau vor 1400 auffindet und von denen gleich die Rede sein wird, der Absicht von 1364 geradezu entgegengesetzt waren und ganz anderen Verhältnissen, nämlich dem nichtaristokratischen Studienniveau und dem Pariser Universitätsmodell, zuzuordnen sind. Der eine Artistenlehrer der Urkunde von 1364 besaß konzeptionell kaum mehr als eine Alibifunktion; in Italien mit seinen reichen Möglichkeiten und seiner sozialen Mobilität und im ärmeren und starreren Mitteleuropa hatte das Artistenstudium durchaus verschiedene Aufgaben und Quantitäten. Für den Krakauer "Kurswechsel" war gewiß der Einfluß aus der Prager Nachbarschaft verantwortlich, der sich auf einem anderen Weg als dem höfisch-juristischen, nämlich dem bürgerlich-artistischen und von der "Dreifakultäten"-Universität her, durchgesetzt hat. In der Kanzlei und am Hof wirkte die höhere Geistlichkeit, vor der Burg aber erstreckte sich die 1364 sicherlich mit gutem Grund urkundlich mitbeteiligte Bürgerstadt (wohl 12 000 bis 14 000 Einwohner). Es war die weitaus größte und modernste Stadt Polens, auch Hansestadt wenigstens im weiteren Sinn, mit ihrem deutschen Handels- und Handwerksbürgertum und den daraus hervorgewachsenen Führungsfamilien, die
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über den Rat die Stadt beherrschten24. Für die Frage nach der Universität interessiert praktisch allein die deutsche Einwohnerschaft, die das bis 1507 auch formal gesicherte Privileg der Stadtführung besaß. Es handelte sich wie in Prag um ein "natürliches" Umfeld und Reservoir einer funktionsfähigen Universität des "Jüngeren Europa" mit ihrem erdrückenden Übergewicht der Artisten. Die Prager Altstadt und Krakau waren der Größe nach, ethnisch, wirtschaftlich und sozial durchaus verwandt. Im Dekansbuch der Prager Artistenfakultät finden sich zu den Jahren 1368, 1370 und 1373 sowie rückblickend auf die Zeit bis 1370 in der Wohltäterliste am Anfang der Krakauer Matrikel von 1400 ff. die Namen von vier Krakauer Bakkalaren25. Sie haben somit den untersten der artistischen Grade erworben. Eine Magisterpromotion ist nicht bezeugt. Für die Erhebung zum Bakkalar wird der schon 1364 im Königsprivileg erwähnte einzige (unbekannte) Magister, der schon zuvor tätig gewesen sein mag, genügt haben; daß eine Artistenfakultät bestanden habe, wird nirgends belegt und ist äußerst unwahrscheinlich. Im Schatten der Privilegien und mit städtischer Flankierung hatte jenes einzige Ergebnis der Pergamente von 1364 einige Jahre Bestand. Das Interesse der Stadt an dieser schon in der Urkunde Kasimirs an die (deutsche) Marien-Hauptkirche der Stadt gebundenen "Grundausbildung" liegt in der Tat nahe. Den wichtigsten Hinweis 24 j. STRZELCZYK, Krakau, in: LMA V (1991) 1467-1470. Vgl. M.LUDWIG, Tendenzen und Erträge der modernen polnischen Spätmittelalterforschung unter besonderer Berücksichtigung der Stadtgeschichte (Gießener Abhandlungen zur Agrar- und Wirtschaftsforschung des europäischen Ostens 128) Berlin 1983, besonders 38 ff.; P. W. KNOLL, The Urban Developement of Medieval Poland, with Particular Reference to Cracow, in: Urban Society of Eastern Europe in Premodern Times, ed. by B. KREKIC, Berkeley u.a. 1987, 63-136. Zum Allgemeinen: Polen im Zeitalter der Jagiellonen 1388-1572 [Ausstellungskatalog], Schallaburg 1986; F. SEIBT, Polen von der Jahrtausendwende bis 1444, in: Handbuch der europäischen Geschichte, Bd. 2, hg. von F. SEIBT, Stuttgart 1987, 1042-1079, besonders 1067 ff. 25 Monumenta histórica universitatis Carolo-Ferdinandeae Pragensis, 1.1, Prag 1830, 138, 143, 155; Album Studiosorum I (Anm. 2) 9. Außerdem sind zwei Scholaren bekannt, von denen einer Albert heißt. Vgl. DABROWSKI (Anm. 17); A. VETULANI, L'enseignement universitaire du droit à Cracovie d'après les dessins de Casimir le Grand, in: Etudes d'histoire du droit canonique dédieés à Gabriel Le Bras, Paris 1965, 373-383; Z. KoztOWSKA-BUDKOWA, La fondation de l'Université de Cracovie en 1364 et son rôle dans le développement de la civilisation en Pologne, in: Les universités européennes du XIV e au XVIIIe siècle. Aspects et problèmes (Etudes et documents 4) Genf 1967, 1325; M. MARKOWSKI, Methodologische Grundlagen der offiziellen Universitätsbeschlüsse und Erklärungen der Professoren an der Krakauer Universität im XV. Jahrhundert, in: Studia Mediewistyczne 17 (1977) 5-32; A. GlEYSZTOR, Origines sociales et nationales du corps universitaire de Cracovie au XIV e et XV e siècles, in: Les universités à la fin du moyen âge, ed. J. PAQUET/ J. IJSEWIJN, Löwen 1978, 475-483; B. CHMIELOWSKA, Stanislas de Skarbmierz - le premier recteur de l'université de Cracovie après le renouveau de celle-ci, in: Mediaevalia philosophica Polonorum 24 (1979) 73-112; J. BABICZ, Die exakten Wissenschaften an der Universität zu Krakau und der Einfluß Regiomontans auf ihre Entwicklung, in: Regiomontanus-Studien (Österreichische Akad. der Wiss., Phil.-hist. Kl., SB 363) Wien 1980, 301-314; K. MROZOWSKA/ L. HAJDUKIEWICZ, Pologne, in: CRE-Information Nr. 69, 1985, 113-180; L. HAJDUKIEWICZ, Bildungswesen und Wissenschaft in der Epoche der Jagiellonen, in: Polen im Zeitalter der Jagiellonen (Anm. 24) 77-85; F. KlRYK, Nauk przemozinych perla, Krakow 1986, 52 ff.; R. ZAWADZKI, Die Anfänge des Renaissance-Humanismus in Polen in den Gründungsjahren der Universität Krakau, in: Zeitschrift ftlr Ostforschung 36 (1987) 175-190; H.PROTZE, Bedeutung und Ausbreitung von Humanismus und Reformation und der Anteil ostdeutscher und osteuropäischer Universitäten und Gelehrter, in: Soziokulturelle Kontexte der Sprach- und Literaturentwicklung. Festschrift für Rudolf Große z. 65. Geburtstag, hg. von S. HEIMANN, Stuttgart 1989, 81-92; J. WYROZUMSKI, L'université de Cracovie à l'époque conciliaire, in: The Jagiellonian University in the Evolution of European Culture, Kraków 1992, 7-23.
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auf die Beschaffenheit dieser Schule bieten die Namen der drei bestimmbaren, wohl 16-19jährigen Adepten: Zwei Scholaren kamen aus westlicher (Osterhausen, Sachsen-Anhalt; Gleiwitz, Schlesien) und einer aus nördlicher Richtung (Elbing, Preußen)26. Unsicher ist die Verknüpfung eines Gebäudes (collegium) im benachbarten Kazimierz mit diesem Betrieb; der Sache nach recht unwahrscheinlich, weil man mit den vorhandenen Baulichkeiten an der Marienkirche ausgekommen sein dürfte. Eine nur als Regest bekannte Urkunde König Kasimirs von 1369, die formelhaft vom Rektor oder Vizerektor als Gerichtsinstanz für Scholaren wie im Gründungsprivileg spricht27, ist als Quelle für die Realität nicht brauchbar. Denn da, wie gesagt, kein einziges Zeugnis über juristischen Unterricht oder entsprechende Personen vorliegt, kann man sich auch nicht die Wahl eines Rektors aus den Scholaren der höheren Fakultäten, wie vorgeschrieben, vorstellen. Das Fazit aus alledem ist einfach: Es ist unzulässig, vom Bestehen einer Universität in Krakau seit 1364 zu sprechen. Das von vornherein fehlgesteuerte Vorhaben dieses Jahres ist nie Wirklichkeit geworden. Zeitweiliger Anfangerunterricht im artistischen Milieu ist als Ausweis für eine Begriffswahl, die Paris und Bologna mit dem gleichen Terminus bedenkt, nicht geeignet. Krakau I gehört vielmehr in eine Reihe mit anderen gescheiterten Vorhaben des Jahrhunderts in West- und Südeuropa, mit Wien I (1365), Fünfkirchen (1367), Kulm (1386) und Altofen (1395)28, von denen einige ungefähr vergleichbare oder ansehnlichere Spuren hinterlassen haben. Seit 1390 bestehen dürftige programmatisch-zielorientierte Quellen, die mit Plänen zur (Neu-)Errichtung einer Universität in Krakau in Verbindung zu bringen sind29; keine Belege mehr bieten sich für ein konkretes Funktionieren im Sinn der Privilegierung von 1364 oder gemäß der Praxis an der Marienschule. Nach mancherlei kaum erkennbarem Hin und Her, das für uns nicht so sehr von Bedeutung ist, mündete die Entwicklung in den erfolgreichen Akt von 1400 ein. Herauszuheben für unsere Fragestellung ist dabei zweierlei: 1. Es gab keine klare Linie zugunsten des Krakau-Plans, vielmehr bestand daneben oder besser an seiner Stelle einige Zeit der Gedanke, sich an der bewährt erscheinenden Prager Carolina gleichsam zu beteiligen, statt ein neues Experiment an der Weichsel zu wagen. Hauptargument ist dafür die Stiftung des litauischen Kollegs in Prag durch die Königin Hedwig von Polen im Jahr 139730, was angesichts der insgesamt beschränkten und für 1400 dann recht mager gebliebenen polnischen Mittel viel eher als Alternative denn als großzügige Doppelung herrscherlichen Handelns bezeichnet werden muß31. 26 Beim nicht bestimmbaren Theodoricus de Lucca ist schwerlich an die italienische Stadt zu denken, viel eher an Lucka (Thüringen) oder Luckau (Brandenburg). 27 DABROWSKI ( A n m . 17) u n d w i e in A n m . 25.
28 SCHWINGES, Universitätsbesucher (Anm. 15) 17. Vgl. B. KÜRBIS, Die mißlungene Gründung einer Universität in Kulm (1386), in: AKG 46 (1964) 203-218. 29 KOZ-EOWSKA-BUDKOWA (Anm. 17) und wie in Anm. 25. Von den in der Predigt des Bartholomäus von Jaslo angesprochenen zwei Juristen und dem einem Artisten gibt es keine konkrete Spur. 30 M. SVATOS/ J. HAVRÄNEK, University Colleges at Prague from the fourteenth to the eighteenth centuries, in: Collegi universitari in Europa tra il XIV e il XVIII secolo, a cura di D. MAFFEI/ H. DE RLDDER-SYMOENS (Orbis academicus IV) Mailand 1991, 143-154, besonders 147 f. 31 Die für das Prager Kolleg ausgesetzte Summe war höher als der zunächst vom Königtum im Jahr 1400 versprochene Betrag (100 Mark Silber). Erst die Hinzunahme künftig freiwerdender 14 Kirchenpfründen sicherte das Vorhaben (1401 ff.).
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2. Was auch immer hätte verwirklicht werden sollen und verwirklicht wurde: Es geschah nach 1378, also in der Schismaphase der Papstkirche und in der national- und territorialstaatlichen, nicht mehr in der universalen Periode der mittelalterlichen Universitätsgeschichte32. So konnte auch vom erpreßbar gewordenen Papst ein vorsorgliches Privileg für eine Theologische Fakultät (1397) erlangt und dann verwendet werden. Die Krakauer Situation ist demnach gleichzuachten den schon erwähnten Situationen von Wien II, Heidelberg, Köln und Erfurt und ordnet sich gemäß der Hochschulchronologie und -geographie hinter diesen, immerhin jedoch vor Leipzig ein. Damit wurde, wie obendrein zahlreiche Personenbeziehungen und Sachargumente bezeugen33, die Jagiellonische Universität eine Tochter und war keine Schwester der Prager Carolina - eine Tochter mit ihrerseits mehreren älteren und jüngeren Schwestern. Daß sich das Schicksal der Mutter schon wieder zum Negativen neigte und so rasch der Katastrophe zueilen würde, war um 1400 nicht abzusehen. So haben sich nach der tatsächlichen Gründung von 140034 ganz unerwartete Chancen geboten: besonders die Teilhabe am Prager Lehrerreservoir und die Möglichkeit, sich als Hort betonter Rechtgläubigkeit rasch ein höheres Ansehen zu verschaffen, als es dem Alter der Anstalt und dem Rang der Trägerstadt eigentlich entsprach. III. Die zweite Frage, die wir hier stellen, aber angesichts des beschränkten Umfangs dieser Studie nur skizzenhaft und vereinfachend beantworten können, ist diejenige nach der Rolle der Universität Krakau innerhalb des europäischen Universitätssystems in den Jahren und Jahrzehnten nach 1400. Diese Frage ist aus einem verständlichen Grund noch nie gestellt worden: Ein Blick auf die Karte der funktionierenden Universitäten des 15. Jahrhunderts35 zeigt nämlich, daß in diesem Fall, wie es auch für Skandinavien gilt, die Begriffe "europäisch" und "deutsch" inhaltlich fast zusammenfallen, jedenfalls für die große Mehrzahl der einfacheren Studenten. Die polnischen und skandinavischen Scholaren vornehmer Herkunft verhielten sich hingegen wie ihre deutschen Standesgenossen: Schon im 14. und noch im 16. Jahrhundert waren bei ihnen italienische und französische Hohe Schulen begehrter als deutsche. Das Gefälle der Reputation und wohl vielfach auch der Qualität blieb eben von Anfang an und mehrere Jahrhunderte hindurch im großen und ganzen dasselbe. Auffallige Abweichungen davon sind uns bisher 32 P. MORAW, Careers of graduates, in: A History I (Anm. 5) 244-279, besonders 253 ff., 264 ff. 33 H. BARYCZ, Dziejove zwiaski polski z uniwersytetem Karola w Pradze, in: Przeglad Zachodni 1 ( 1 9 4 8 ) 2 5 1 - 2 6 9 , 3 3 7 - 3 5 5 ; O . ODLO2ILIK, P r a g u e a n d C r a c o w S c h o l a r s in t h e F i f t e e n t h C e n t u r y , in:
Polish Review 9 (1964) Nr. 2, 19-29; J. KRZYZANIAKOWA, Zwiaski uniwersytetu praskiego z uniwersytetem krakowskim w drugiej polowie XIV wieku, in: Acta Universitatis Carolinae-Historia universitatis Carolinae Pragensis V, 1-2 (1964) 53-134; K. ESTREICHER, Collegium Maius, Warszawa 1974, 11 ff.; F. MACHILEK, Die Schlesier an der Universität Prag vor 1409, in: Archiv filr schlesische Kirchengeschichte 32 (1974) 81-102; I. HLAVÄÖEK, U öeskopolskym kulturnim vztahum v dobe pfedhusitske, in: Acta universitatis Nicolai Copernici Nr. 204, Historia 24, Torün 1990, 79-87. Selbst der Erker vom Prager Rotlöwhaus, dem "Collegium Carolinum", ist am Collegium maius, ebenfalls einem ehemaligen deutschen Bürgerhaus (Stefan Pecherz, Peter Gerhardsdorf), in vereinfachter Form nachgeahmt worden. 34 Codex diplomaticus (Anm. 2) Nr. XVI mit einer dichten Folge weiterer Urkunden Nr. XVIIXXIV (1401) usw. 35 VERGER, in: A History I (Anm. 5) 74, vgl. 72.
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nur im Fall regionaler Gruppenbildung begegnet, die offenbar zusätzliche Aspekte aufkommen läßt. Krakau beherbergte die östlichste Universität des Mittelalters. Die polnische Hauptresidenz lag auswärts der Kette Greifswald-Leipzig-Erfurt-Wien in weitgedehnten Bereichen dünner und sehr dünner Besiedlung. Man kann sich demnach vom Fall Krakau Aufschlüsse für dieses selbst und daneben auch für das ganze deutsche Universitätssystem versprechen, das bekanntlich das in Europa bestüberlieferte und -dokumentierte ist36. Auch die Chronologie der Entstehungsgeschichte und die nationale Beschaffenheit von Land und Stadt deuten auf interessante Ergebnisse hin. Die Jagiellonische Universität mochte auch eingefügt gewesen sein in die Krise der Carolina und die Aufstiegszeit der deutschen Hohen Schulen der Schismageneration. Gab es Nischen, die man besetzen konnte? Wegen des Vorwaltens des deutschen Elements im "Jüngeren Europa" könnte man unter bestimmten Aspekten von einer Quasi-Internationalität von dessen Universitätssystem sprechen, da Deutsche überall und oft sozial führend anzutreffen sind. Am wichtigsten scheint, daß in Krakau die älteste erfolgreiche Universität der Peripherie des "Jüngeren Europa" entstanden ist, vor St. Andrews in Schottland (1412) und erst recht vor der ersten Gründung in Skandinavien (Kopenhagen 1479); Ungarn hat es bekanntlich das ganze Mittelalter hindurch trotz mehrerer Anläufe nicht zu einer eigenen Hohen Schule gebracht. Krakau war also in seiner hier vorauseilenden Art ein kleines Prag. So könnte man versuchsweise auch von Prag aus chronologisch ordnen: in eine erste Phase 1400-1409 (bis zum Abzug der Lehrer und Studenten der nichtböhmischen Nationen aus Prag), in eine zweite Phase 1410-1417 (bis zur Aufhebung der Prager Privilegien) und in eine dritte Phase 1418-1432 (bis zum Anschluß an die bestehende Forschung)37. Aber nicht alles kam aus Prag; der Verzicht auf die Nationenverfassung nach dem Beispiel Heidelbergs, Kölns und Erfurts zeigt, daß auch ganz Modernes rezipiert wurde, während das jüngere Leipzig, weil es sich als das rechtgläubige Prag zu "profilieren" suchte, am alten Nationensystem festhielt. Vor allem bot ein ausgedehntes Königreich mit einer schon ansehnlich entwickelten Kirchenverfassung und mit einer Anzahl von Städten eine eigenständige soziale Basis für eine Hohe Schule, wenn damit auch über das Anspruchsniveau noch nichts Eindeutiges ausgesagt ist. Insgesamt wird aus alledem zu lernen sein, daß der Wandel von Beschaffenheit und Funktion einer Universität vielfach von außen auferlegt wurde und keineswegs allein den eigenen Kräften der Anstalt zuzuschreiben ist. Das wesentlichste, wenn auch mehrdeutige Kenndatum für die Entfaltung der Jagiellonischen Universität ist wie üblich die Anzahl der Immatrikulationen, die in der Art mitteleuropäischer Hoher Schulen von 1400 an aufgezeichnet wurden und erhalten sind38. Die einfachste, aber besonders eindrucksvolle Information, die daraus entnommen werden kann, ist diejenige vom Erfolg der neuen Gründung. Auf das ganze Jahrhundert gesehen reihte man sich ein nach der Gruppe der großen und vor der Gruppe der mittelgroßen Universitäten, vergleichbar etwa
36 SCHWINGES, Universitätsbesucher (Anm. 15) passim. 37 I. KANIEWSKA, Les étudiants de l'Université de Cracovie aux XV e et XVI e siècles (1433-1560), in: Les universités européennes du XIV e au XVIIIe siècle. Histoire sociale des populations étudiantes I. Études rassemblées par D. JULIA e.a., Paris 1986, 113-133. 38 Album studiosorum mit Index studiosorum (Anm. 2).
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mit Heidelberg . Sehr starke Schwankungen sind durchaus normal, in Krakau zwischen 239 (1420) und 35 (1408) Immatrikulationen im Jahr. Der Jahresdurchschnitt lag bis 1432 bei 129, je Phase (siehe oben) bei 96 (ohne die - wie üblich große Eröffnungsklientel: 84), 119 und 156. Der quantitative Anstieg ist unverkennbar. Die Summe von 1400 bis 1432 beträgt 4248 Immatrikulationen, das waren je Phase 961, 950 und 233740. Für die Dreifakultäten-Universität in Prag hat man für die Zeit von 1399 bis 1409 3800 bis 4200 Immatrikulationen erschlossen41, also für die erste Phase das Vierfache der Krakauer Daten. Dieser Vergleich ist angemessen; denn man wird die Anzahl der Jurastudenten in Krakau sehr niedrig veranschlagen, wie üblich die Mediziner vernachlässigen und Artisten und Theologen sehr eng zusammenrücken. Der Zuwachs der Krakauer Immatrikulationen bis 1432 ist normal, oder besser, knapp normal im Vergleich zum besonders langfristigen "Trend" der sogenannten Reichsfrequenz des 15. Jahrhunderts42. Diese gibt zwischen 1400 und 1432 ungefähr einen Anstieg von 700 auf 1400 Immatrikulationen jährlich an. Für den quantitativen Vergleich der Studienneigung in Deutschland und Polen kann man jedoch besonders die erste Zahl nicht verwerten. Sie liegt viel zu niedrig. Wert und Bedeutung der "Reichsfrequenz" rühren nämlich von der durchgehend nach streng gleichartigen Kriterien ausgewerteten Basis von zwölf einwandfrei dokumentierten deutschen Universitäten her. Für die Phase von 1400 bis 1409 und etwas darüber hinaus bringt das Fehlen der nur erschließbaren Immatrikulationen der Prager Dreifakultäten-Universität (1399-1409 wohl ca. 400 jährlich) eine gravierende, der Verzicht auf die Juristenuniversität am selben Ort sowie der Nachweismangel für die kurzlebige Hohe Schule in Würzburg (14021411/13) eine kleine Lücke (zusammen wohl zwischen 50 und 100 Immatrikulationenjährlich) mit sich. Auf die Auskünfte, die die Krakauer Matrikel zur Frage nach zyklischen Phänomenen im Sinne von Schwinges bietet, kann hier schon aus Gründen des Raumes nur hingewiesen werden. Erst durch eine solche Analyse wird wohl der soziale Ort der Jagiellonischen Universität bestimmt werden können, zumal ein hervorragendes Vergleichsmaterial in Gestalt der deutschen Universitäten vorliegt. Schwinges zieht im 15. Jahrhundert ganz im allgemeinen eine erste Grenze um 1430, die eine von kurzatmigen Schwingungen dominierte Phase abzuschließen scheint43. Die deutlichsten Negativstationen der Krakauer Immatrikulationsfrequenz sind 1401 (auch als Rückschlag gegenüber der Eröffhungssituation), 1408, 1422 und 1433. Die positivsten Stationen waren außer 1400 noch 1405, 1411, 1420 und 1425. Auf dem Weg zur wichtigsten qualitativen Frage an die neue Gründung, inwieweit sie nämlich ein eigenständiges Studentenpotential an sich zu binden vermochte oder ob sie sich in hohem Maß in den Nischen des schon bestehenden Systems etablierte, etwa von den Katastrophen und dem Scheitern der Carolina 39 SCHWINGES, Universitätsbesucher (Anm. 15) 544 f. 40 Die Zahlen im Matrikel-Buch (ZEISSBERG: [Anm. 2]) 19 ff., scheinen nicht ganz zuverlässig. Hier nach eigener Zählung. F. &MAHEL, Praiske universitni studentstvo v pfedrevoluinim obdobi 1399-1420, Praha 1967,
16Cf.
« «
SCHWINGES, Universitätsbesucher (Anm. 15) 23 ff. Ebd. 189 f.
DIE HOHE SCHULE IN KRAKAU
535
abhängig gewesen sei, geben die Zahlen eine klare Antwort. Sie bestätigen auch die Aussagen über die quantitative Geringfügigkeit der unmittelbaren Studentenabwanderung von Prag nach Krakau aus Anlaß der bekannten Katastrophenstationen von 1409 und 141744. In Anlehnung an die tabellarischen Darlegungen von Schwinges über die deutschen Universitäten stellt sich die erste Krakauer Generation wie folgt dar (Tabelle 1): Tabelle 1: Immatrikulationsfrequenz in Krakau 1400-1435 Zeitraum
Frequenz
Index
1400-1405
65245
100
1406-1415
1053
115
1416-1425
1386
152
1426-1435
1412
155
Diese Tabelle gewinnt ihre volle Aussagekraft erst im Vergleich mit den entsprechenden Aufstellungen bei Schwinges, die zeigen, was für Wien, Heidelberg, Köln, Erfurt, Leipzig und die folgenden Gründungen galt46: Stets traten sehr rasch "negative Wachstumstrends" an den Platz der in der ersten Dekade gut ausgeprägten Zunahme. Das zeugt in zeitlich versetzter Form - abwechselnd mit neuen Phasen des Zugewinns - vom Ineinandergreifen des deutschen Hochschulsystems. So war es also - wenigstens vorerst - in Krakau nicht; man schöpfte größtenteils aus einem von anderswoher kaum erreichbaren Potential. Dasselbe Urteil ergibt sich beim Überblick über die Herkunftsregionen der Studierenden bis 143247. Zuerst fallt das Auge auf die Schlesier, die bis 1409 in Prag den relativ größten Prozentsatz (32-33) der Polnischen Nation, die daher eigentlich Schlesische Nation hätte heißen sollen, gestellt haben und dies auch in Leipzig taten. Genau so deutlich traten ihre führenden Magister hervor. Ein wesentlich kleinerer Anteil fand aus Schlesien den Weg nach Krakau. Hier dürften die Schlesier zusammen mit den Deutschen aus den Städten Polens (vor allem aus Krakau, aber auch aus Posen und anderswoher) samt einigen Scholaren aus den Städten Ordenspreußens (Danzig, Thorn, Königsberg) sowie aus annähernd anstoßenden Gebieten (Lausitzen) und schließlich mit den Deutschen aus den ungarischen (slowakischen) Städten eine ethnisch und sozial ziemlich einheitliche Gruppe gebildet haben. Die Schlesier waren wohl etwa so zahlreich wie alle 44 Drei nachgewiesene Personen in Krakau gegenüber 302 in Leipzig, 60 in Erfurt und 36 in Wien (§MAHEL [Anm. 41] 73 f., 79). 45 im Unterschied zu den Tabellen von S c h w i n g e s (siehe Anm. 46) ist hier bei der Immatrikulationsfrequenz die erste naturgemäß unvollständige Dekade (1400-1405) auf ein volles Jahrzehnt hochgerechnet (652 werden daher rechnerisch 913 Personen), um eine präzise Vorstellung vom Wachstum zu vermitteln. 46 SCHWINGES, Universitätsbesucher (Anm. 15) 69, 77, 88, 98, 113 usw. 47 Vgl. H. BOOCKMANN, Die preußischen Studenten an den europäischen Universitäten bis 1525, Historisch-geographischer Atlas des Preußenlandes. Lieferung 3, Wiesbaden 1973, und T. M. TRAJDOS, Spiszacy na akademii krakowskiej w XV w., in: Spoleczenstwo polski sredniowiecznej 4 (1990)296-357.
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PETER M O R A W
anderen Genannten zusammengenommen. Nach überschlägiger Zählung bewegte sich diese ganze Gruppe bei leicht steigender Tendenz etwa zwischen 17 und 22 Prozent. So ähnlich verhielt es sich auch noch in den anschließenden Jahren48. Die große Mehrheit der Scholaren an der Weichsel war zweifellos polnischer Herkunft. Krakau lag eben abseits. Aus den böhmischen Ländern zeigten sich sehr wenige Studenten, während Prag in seiner Blütezeit ziemlich viele Polen angezogen hatte (etwa zwei Drittel der oben erwähnten Schlesier). Die Nachahmung Prags nahm einen anderen Weg. Sie verlief über die Lehrer und wirkte sich daher gemäß dem Selbstergänzungsprinzip der damaligen Universitäten personell gesehen nur relativ kurze Zeit aus. Das Problem der Jagiellonischen Universität mochte - mit jenem positiv erscheinenden Faktor der ethnischen Eigenständigkeit eng verknüpft - anderswo liegen. Es mochte liegen in der unvermeidlichen Anpassung des Studienbetriebs an die Gesamtsituation eines Landes an der Peripherie. Beobachtet man zum Vergleich unvoreingenommen den um zwei Generationen vorausgegangenen mühsamen Aufstieg der Carolina ebenfalls in einem Land ohne Universität, so erkennt man hier zum Beispiel sehr klar die anfanglichen Defizite bei der (einzig erkennbaren) formalen Qualifikation der Hochschullehrer49 und ersieht dasselbe an der im Vergleich zum "Älteren Europa" andauernden ziemlich extremen Verteilung der Studenten zugunsten der unteren Fakultät und zu Lasten der höheren. Umso mehr zu beachten wären daher gegebenenfalls Analogien zur Rolle der Prager Juristenuniversität50, deren Untergang (1409/17) zunächst oder auch auf längere Zeit ein tiefes Loch in die Qualifikationen des "Jüngeren Europa" bis hinauf nach Skandinavien gerissen haben dürfte. Daraus ergeben sich an die Universität in Krakau Fragen, die man zunächst anhand des Materials aus der Artistenfakultät, der Liste der Rektoren und mit Hilfe der Reihe der Hochschullehrer stellen kann, die wie in Prag zeitgenössisch am Anfang der Matrikel eingetragen wurden51. Zuerst das Positive: Jedes Jahrzehnt, das verstrich, füllte Qualifikationslücken im "Jüngeren Europa". Das Erbe Prags bot an und für sich und infolge des individuellen Geschicks der Carolina ein reichhaltiges Reservoir, für Krakau wie für andere Universitäten. Im Jahr 1400 befand man sich an der Weichsel in der Tat gleichsam an einer Wegkreuzung. Einesteils verfügte man nun bei Theologen und Kanonisten von Anfang an über je zwei oder drei vollgraduierte Lehrer, brauchte sich um eine sehr ansehnliche Zahl von Artistenmagistern keine Sorge zu machen und konnte die selten befriedigend gelöste Situation bei der Medizin auf sich beruhen lassen. Die Verhältnisse im viel günstiger gelegenen Erfurt 52 waren kaum großzügiger bemessen. Zum anderen macht stutzig die überragende Rolle der Artistenfakultät, die Verschmelzung von Fakultäts- und Universitätsverfassung in wichtigen Punkten und 48 KANIEWSKA ( A n m . 3 7 ) 1 2 8 . 49
Ein Aufsatz des Verfassers über "Improvisation und Ausgleich. Der deutsche Professor tritt ans Licht" wird sich um die Aufteilung des bisher unbearbeiteten Themas bemühen. 50 p. MORAW, Die Prager Juristenuniversität (1372-1419), verfassungs- und sozialgeschichtlich betrachtet, in: Schulen und Studium im sozialen Wandel des hohen und späten Mittelalters, hg. von J. FRIED ( V U F 3 0 ) S i g m a r i n g e n 1 9 8 6 , 4 3 9 - 4 8 6 .
51 Statuta (Anm. 2), passim; Matrikel-Buch (Anm. 2) 22 ff.; Album studiosorum I (Anm. 2) 4 ff.; Codex diplomaticus (Anm. 2) 202 ff. 52 E. KLEINEIDAM, Universitas studii Erffordensis - Überblick über die Geschichte der Universität Erfurt im Mittelalter 1392-1521, Teil I: 1392-1460, Leipzig 2 1985.
DIE HOHE SCHULE IN KRAKAU
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die Beschaffenheit der Überlieferung für andere als artistische Disziplinen. Wir haben, um es rundheraus zu sagen, entgegen den möglicherweise anachronistischen Vorwegannahmen in der Literatur, die sich einem Beweiszwang noch nicht gegenübersah, in den uns zugänglichen Quellen keinen Nachweis für die Existenz einer höheren Fakultät oder für einen entsprechenden Dekan vor und nach 1422 aufgefunden. Auch der Beleg von 142253, der für uns isoliert steht, beschreibt aus der Sicht des Bischofs von Krakau eher das Sollen als das Sein für drei Fakultäten und Dekane (Theologie, Kirchenrecht, Artes). Von den an dieser Urkunde beteiligten führenden Hochschullehrern wird aber, wie auch in den folgenden Jahren, kein Theologe und Jurist als Dekan bezeichnet. Entgegen sonstigem Brauch blieben zunächst (nur zunächst?) auch vollqualifizierte Doktoren und Professoren dieser Disziplinen oder mindestens je einer von ihnen mitwirkende Mitglieder der Artistenfakultät, wenigstens bei wichtigen Entscheidungen54. Es gab auch keinen fachlichen Turnus beim Rektoramt. Hier wirkte natürlich das Erbe der Prager Dreifakultäten-Universität nach, die man nach solcher Erfahrung vielleicht anders nennen sollte, mit ihrem erdrükkenden Übergewicht der Artisten, bei einer separierten Juristenuniversität und mit einer zuletzt sehr problematischen und kaum mehr aktionsfahigen, da "konfessionell" tief und zwar entlang den Qualifikationsgrenzen gespaltenen Theologischen Fakultät (Etablierte gegen "Mittelbau"). Angesichts der Überlieferung ist es nicht in der Breite, sondern wohl nur bei den Qualifikationsstufen der Hochschullehrer nachprüfbar, ob überhaupt, seit wann und welche Graduierungen in den höheren Disziplinen eindeutig und einwandfrei in Krakau vorgenommen wurden (nicht auswärts oder mit Dispens). Der einflußreiche Paul Wladimiri erwarb jedenfalls 1411/12 seinen Krakauer juristischen Doktorgrad mit Dispens des Papstes55. Ganz sicher war der Aufstieg zum Doktor der Medizin im 15. Jahrhundert an der Weichsel nicht möglich. Im Hinblick auf die regionale und sprachliche Struktur des Lehrkörpers der ersten Generation verhält es sich so, daß analog zu den Prager Verhältnissen die beiden vornehmsten juristischen Positionen, da als einzige mit der kirchlichen Hierarchie kompatibel, von Einheimischen mit ebensolchen Ambitionen und Erfolgen besetzt waren. Bei Theologen und Artisten war zunächst der Anteil der Deutschsprachigen - ganz ohne vergleichbaren Pfründen-Hintergrund - sehr groß, partiell größer als die Hälfte, und damit weitaus größer als bei den Studierenden, was sich auch auf das Amt des Rektors deutlich auswirkte. Allen Lehrern war gemeinsam, daß sie in erster Linie in Prag ausgebildet worden waren. Nur einmal ist uns in den Quellen der ersten Jahrzehnte der Hinweis darauf begegnet, daß ein Hochschullehrer - als Inhaber einer Altaristenpfründe - die polnische Sprache so beherrschen sollte, daß er im Dom predigen könne56. Wie in Prag war bei der Predigt das Sprachenproblem besonders konkret. Der Wandel dieser Anfangssituation noch innerhalb der ersten Jahrzehnte zugunsten der Polen hängt eng mit der beachtlich hohen Produktion von Bakkalaren 53 Codex diplomaticus (Anm. 2) Nr. LXXI. 54 Statuta (Anm. 2) I, IV. Noch 1485 (ebd. XL) ist der Dekan der Artisten ein Theologieprofessor. 55 P. W. KNOLL, The university of Cracow and the conciliar movement, in: Rebirth, Reform, and Resilience. Universities in Transition 1300-1700, ed. by J. M. KITTELSON/P. J. TRANSUE, Columbus 1984, 190-212, besonders 194. 56 Codex diplomaticus (Anm. 2) Nr. LVI, vgl. LXXI.
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PETER MORAW
und Magistern zusammen, die man in Krakau beobachtet und die eine vergleichende Untersuchung verdienen würde (siehe die nachstehende Tabelle 2). Von 1402 an, dem ersten möglichen Datum nach der Gründung gemäß dem zweijährigen Kursus, sind bis 1432 insgesamt 579 Bakkalare und 150 Magister promoviert worden. Aus dem Kreis der Magister gingen neue Hochschullehrer hervor, das heißt solche, die über das auch in Krakau ungeliebte Biennium hinaus an der Universität verblieben. Sie wirkten weiterhin in der Artistenfakultät oder machten sich auf den Weg in eine höhere Disziplin. Die Gleichheit von Herkunftsnamen deutet mehrfach darauf hin, daß sich - wie üblich - auch in Krakau Personenverbände bildeten oder schon von außen auf die werdende Universität eingewirkt hatten, indem ein einflußreicher Patron jüngere Verwandte und Landsleute forderte. Im ganzen beobachtet man dabei eher altertümliche Sozialformen, zumal das Klerikermonopol bis tief in das 15. Jahrhundert hinein. Den Kreis der Stifter und Wohltäter, unter denen es einen bemerkenswerten Anteil von Universitätslehrern, also von "Selbstfinanzierung" gegeben hat, sollte man hinzunehmen. Tabelle 2: Bakkalar- und Magisterpromotionen in Krakau 1400-1435 Zeitraum
Bakkalare
Index Prozentanteil an Magister Index Prozentanteil an der Studentenzahl der Studentenzahl
1400-1405
61"
100
9,4
100
1,9
1406-1415
115
76
10,9
23
77
2,2
1416-1425
207
135
14,9
69
230
5,0
1426-1435
246
162
17,4
62
207
4,5
1257
Auf jeden Fall wird man hier - abgesehen vom fortdauernden Auslandsstudium der Vornehmen und Begüterten - das geistige Zentrum des Königreichs erblicken und in der Artistenausbildung dessen besondere Ausprägung58; dabei war die Kirche die entscheidende Kraft. In Frankreich, um von den italienischen Kommunen zu schweigen, hatte damals längst eine staatlich-juristische Elitebildung mit großen Zahlen stattgefunden59. In Deutschland handelte es sich wohl um eine gemischte Situation. Abgesehen von Krakau und von Italien war dabei für das Königreich Polen weiterhin die Universität Leipzig von ansehnlicher Bedeutung60, 57 Die Indexzahl 100 wird auf die Basisdaten 152 statt 61 und 30 statt 12 gegründet, indem die flir vier Jahre (1402-1405) gebotenen Original-Zahlen auf ein volles Jahrzehnt hochgerechnet werden. 58 Daher rührt wohl auch die international eher ungewöhnliche Tatsache, daß man wissenschaftsgeschichtlich den Artisten größte Aufmerksamkeit schenkt und die höheren Disziplinen in Krakau fast außer acht läßt - mit der latenten oder manifesten Neigung, die Qualität dieses "Anfängerunterrichts" einer Philosophischen Fakultät des 19. Jahrhunderts anzunähern. 59 F. AUTRAND, Naissance d'un grand corps de l'État. Les gens du Parlament de Paris 1345-1454 (Publ. de la Sorbonne - Sér. NS Recherche 46) Paris 1981. 60 M. BLSKUP, Die Bedeutung der Leipziger Universität für das intellektuelle Leben des polnischen Staates im XV. und bis zur Mitte des XVI. Jahrhunderts, in: Leipziger Beiträge zur Universitätsgeschichte 2 (1988) 5-16.
DIE HOHE SCHULE IN KRAKAU
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deren polnische und "polnische" Studenten allerdings eher aus dem näher gelegenen Großpolen und besonders aus dessen Städten, in erster Linie aus den größeren deutschgeprägten (Posen, Fraustadt), stammten, statt wie in Krakau eher aus Kleinpolen. Wie weit dies innenpolitische Folgen zeitigte, wäre noch zu untersuchen. IV. Als übergreifenden Befund der binnenpolnischen Universitätsgeschichte, die sich auf das 15. Jahrhundert beziehen sollte, kann man sich eine Gliederung in drei Krakauer Phasen vorstellen; von ihnen ist hier die erste und ein Teil der zweiten angesprochen worden. Es waren die Gründungsphase, die Einwurzelungsphase, die nach den vorliegenden Daten deutlich über den hier gewählten Endpunkt hinausreicht, und eine Öffhungsphase. Diese brachte wohl zweistufig in den sechziger und in den achtziger Jahren eine kräftige Vermehrung und veränderte Zusammensetzung der Studentenpopulation mit sich. Von Europa, das heißt von Deutschland aus betrachtet handelte es sich dabei kaum um etwas Singuläres, wie die polnischen Kollegen annehmen, sondern um das Weiterwandern einer Welle der mitteleuropäischen Bildungsgeschichte durch starke Vermehrung des Artistenstudiums mit zugleich gewandelter sozialer Zielsetzung61. Man kann dies am Rhein schon in den zwanziger/dreißiger Jahren erkennen. In Zukunft mag man solchen Vorgängen um ihrer selbst willen und zur Auflockerung monographischer Argumentation mehr Aufmerksamkeit schenken und des weiteren auch noch allgemeineren Prozessen wie demjenigen der europäischen Laisierung62.
61 In einem kommenden Sammelband des Max-Planck-Instituts für Geschichte (Studien zur Germania Sacra) wird sich der Verf. unter dem Titel "Stiftspfründen als Elemente des Bildungswesens im spätmittelalterlichen Reich" u.a. dazu äußern. 62 Ansätze im Sammelband Intellectuels français, intellectuels hongrois, XIII'-XX® siècles, éd. J. LE GOFF/B. KÖPECZI, Budapest-Paris 1985.
Die theologische Fakultät der Universität Pavia in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts Die gescheiterte Berufung des Theologen Thomas Penketh und die Einrichtung der 'Lectura Thomae' VON AGOSTINO SOTTILI Der Verfasser eines bibliographischen Berichtes über die Erforschung der italienischen Renaissance-Universitäten mußte vor nicht langer Zeit feststellen, daß eine systematische Erfassung der Studentenschaft wegen des fast totalen Mangels an Matrikelbüchern so gut wie unmöglich ist; die sehr zahlreich überlieferten Listen von Professoren sollten hingegen die Untersuchung des Lehrkörpers zum bevorzugten Thema italienischer Universitätsforschung werden lassen1. Die Erforschung der Studentenschaft scheint in der Tat in der Vergangenheit kein Lieblingsthema bei den italienischen Universitätshistorikern gewesen zu sein. Leider war es mit der Erfassung des Lehrkörpers in einigen Fällen nicht besser bestellt. Obwohl mehrere sehr lange Listen von Studenten, die man in Pavia anläßlich der jährlich stattfindenden Rektorenwahlen zusammengestellt hat, den Geschichtsschreibern dieser Hochschule nicht unbekannt gewesen sein können, hat man es nicht für nötig gehalten, sie zu publizieren2. Auch die Professorenverzeichnisse des 15. Jahrhunderts, die in den Archiven Pavias und Mailands aufbewahrt und in der Fachsprache 'Rotuli' genannt werden, sind sehr zahlreich, aber nur wenige aus der Zeit zwischen 1450 und 1499 wurden bis jetzt veröffentlicht 3 . Die Universität 1
P. DENLEY, Recent Studies on Italian Universities of the Middle Ages and Renaissance, in: History of Universities 1 (1981) 202. Zu den Anfangsjahren der theologischen Fakultät der Universität Pavia: Z. VOLTA, La facoltà teologica ne' primordi dello Studio generale di Pavia, in: Archivio storico lombardo, serie terza 10 (1898) 282-316. Die Statuten sind von M. BERNUZZI ediert worden: Gli statuti della Facoltà teologica e il Collegio dei teologi a Pavia, in: Annali di storia pavese 18-19 (1989) 121-135. - Zur theologischen Matrikel: A. FERRARESI/A. MOSCONI GRASSANO/A. PASI TESTA, Cultura e vita universitaria nelle miscellanee Belcredi, Giardini, Ticinensia, Mailand 1986, 274 f. 2 G. PARODI, Elenchus privilegiorum et actuum publici Ticinensis Studii ab anno 1361 ad annum 1750, o.O. 1753, 42 und 45; A. SOTTILI, Università e cultura a Pavia in età visconteo-sforzesca, in: Storia di Pavia II/2, Mailand 1990, 421. Das medizinisch-artistische 'Scrutinium rectoris' vom 29.4.1482 und die juristischen 'Scrutinia' vom 4.7.1462 und vom 4.7.1482 sind inzwischen von mir veröffentlicht worden: Università e cultura a Pavia (wie oben) 403-418 und: Nürnberger Studenten an italienischen Renaissance-Universitäten mit besonderer Berücksichtigung der Universität Pavia, in: Nürnberg und Italien. Begegnungen, Einflüsse und Ideen, hg. von V. KAPP/ F.-R. HAUSMANN, Tübingen 1991, 64-71. In den letzten Jahren hat die Zahl der Veröffentlichungen über Lehrkörper und Studentenschaft der italienischen Renaissance-Universitäten stark zugenommen. Aus Platzmangel muß ich auf einen detaillierten bibliographischen Bericht verzichten. 3 M. FORMENTINI, Il ducato di Milano. Studi storici documentati, Mailand 1877, 631-634; G. PORRO, Pianta delle spese per l'università di Pavia nel 1498, in: Archivio storico lombardo 5 (1878) 507-516; R. MAIOCCHI, Ticinensia. Noterelle di storia pavese dei secoli XV e XVI, Pavia 1900, 78-80; A. F. VERDE, LO Studio fiorentino 1473-1503. Ricerche e documenti I, Florenz 1973, 384-392; A. SOTTILI, L'Università di Pavia nella politica culturale sforzesca, in: Gli Sforza a Milano e in Lombardia e i loro rapporti con gli Stati italiani ed europei (1450-1535), Mailand 1982, 528 Anm. 14; M. C. ZORZOLI, Università, dottori, giureconsulti. L'organizzazione della "facoltà legale" di Pavia nell'età spagnola, Padua 1986, 29. Eine Sammlung von 'Rotuli' (Vorlesungsverzeichnissen) lagert in: Pavia, Archivio di Stato (künftig: ASt), Università 22.
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AGOSTINO SOTTILI
Pavia folgte dem Zweiuniversitätensystem, die in der Amtssprache der Zeit 'Universitas juristarum' und 'Universitas artistarum et medicorum' genannt wurden4. Natürlich muß die Frage geklärt werden, ob überhaupt eine theologische Fakultät in Pavia existierte oder nicht. Die 'Rotuli' können bei oberflächlicher Betrachtung zu einer negativen Antwort verleiten, und merkwürdigerweise nicht deshalb, weil keine Theologieprofessoren in ihnen aufgeführt werden, sondern ausgerechnet aufgrund der Tatsache, daß sowohl der Juristen- wie auch der medizinisch-artistische 'Rotulus' das Fach Theologie verzeichnen. Der 'Rotulus' der Juristenfakultät fängt mit der 'Lectura domini rectoris' an. An zweiter Stelle folgt die 'Lectura theologiae', und erst danach kommen die kanonistischen und zivilistischen Vorlesungen. Die Reihenfolge ist im medizinisch-artistischen 'Rotulus' die gleiche: an erster Stelle die 'Lectura domini rectoris', an zweiter die 'Lectura theologiae' und danach die medizinischen und artistischen Disziplinen5. Eine Besonderheit des medizinisch-artistischen 'Rotulus' könnte als Zeichen geringer Bedeutung des theologischen Unterrichts im pavesischen akademischen Kontext interpretiert werden: Die Fakultät hatte keine eigenen Theologie-Dozenten, sondern übernahm die Theologen des Juristenrotulus. Ad lecturam theologie: ut in rotulo dominorum iuristarum-, die Vertreter des Faches Theologie werden im medizinisch-artistischen 'Rotulus' stets mit diesem oder ähnlichen Ausdrücken aufgeführt. Auch das Fach Rhetorik wird in beiden Verzeichnissen, aber ebenfalls allein bei den Juristen mit Nennung der Dozenten aufgeführt. Der medizinischartistische Rotulus verweist wiederum auf den juristischen: Ad lecturam rhetoricae: ut in rotulo iuristarum. Nun ist Rhetorik zwar eine Disziplin, deren Bedeutung im akademischen Kontext des 15. Jahrhunderts stetig steigt, trotzdem bleibt sie eher 'Wahl'- als 'Pflichtfach', wenn solche Termini des modernen akademischen Betriebs auf das 15. Jahrhundert übertragbar sind. Zu diesen Schlußfolgerungen berechtigt meiner Ansicht nach auch die Stelle, die der 'Lectura rhetoricae' in beiden 'Rotuli' zugewiesen ist. Sie steht unter den Unterrichtsfachern ganz am Ende: Nach 'rhetorica' findet man gewöhnlich keine Namen von Dozenten mehr, sondern es werden nur noch Pedelle, 'custodes clavium scholarum' und solche Universitätsangestellte verzeichnet, die unentbehrlich für den reibungslosen Ablauf des alltäglichen akademischen Lebens gewesen sein mögen, aber didaktisch sicher nicht 'aktiv' waren, wie man heute sagen würde. Die 'Lectura rhetoricae' nimmt beispielsweise im medizinisch-artistischen 'Rotulus' für das akademische Jahr 1461-62 die vorletzte Stelle ein; an letzter befindet sich das 'Officium bidellatus'6. Dieses Amt und die 'Custodia clavium' sind die einzigen Posten, die im Juristenrotulus für das akademische Jahr 1487-88 der Rhetorik noch folgen7. Selbst die 'Lectura notariae' und jene Fächer, die Altsemestern und Jungpromovierten vorbehalten und eher als Stipendien denn als vollberechtigte 4
Einen Gesamtüberblick über die Geschichte der Universität Pavia findet man bei: P. VACCARI, Storia della Università di Pavia, Pavia 3 1982. Man vgl. ferner u.a.: Discipline e maestri dell' Ateneo pavese, Pavia 1961; D. ZANETTI, A l'Université de Pavie au XV e siècle: les salaires des professeurs, in: AESC 17(1962)421-433. 5 Die 'Rotuli' bis 1450 sind von R. MAIOCCHI ediert worden: Codice diplomatico dell'Università di Pavia, I, II 1, II 2, Pavia 1905-1915 (ND 1971; künftig: MAIOCCHI). Meine Bemerkungen gelten aber den 'Rotuli' der 2. Hälfte des 15. Jahrhunderts, die in der oben Anm. 3 zitierten Sammlung überliefert sind. 6 Pavia ASt, Università 22 fol. 143r-144r. 7 Pavia ASt, Università 22 fol. 186r-187r.
DIE THEOLOGISCHE FAKULTÄT DER UNIVERSITÄT PA VIA
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Unterrichtsdisziplinen betrachtet wurden, gehen der Rhetorik voran. Der 'Rotulus' verzeichnet vor der Rhetorik die 'Lectura notariae'8 und vor dieser jeweils an erster, zweiter und dritter Stelle die 'Lectura Institutionum' mit vier9, die 'Lectura festorum iuris civilis' mit drei10 und die 'Lectura ultramontanorum' mit einem Dozenten". Die Ähnlichkeit zwischen der Position der Theologie und der Position der Rhetorik in den 'Rotuli' der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts wird ferner durch eine weitere Besonderheit hervorgehoben: Mancher medizinisch-artistische 'Rotulus' unterläßt es ganz, die beiden Disziplinen zu erwähnen. Der Verweis auf das Vorlesungsverzeichnis der Juristen war so selbstverständlich geworden, daß eine ausdrückliche Anfuhrung sich erübrigte. Theologie und Rhetorik fehlen z.B. in den medizinisch-artistischen 'Rotuli' der akademischen Jahre 1491-92, 1493-94 und 1494-9512. Wenn Rhetorik nicht Haupt-, sondern Nebenfach war, könnte man denken, daß die Stellung der Theologie nicht besser sein durfte und daß die Lehrstühle der Humanisten nur deshalb reicher dotiert waren, weil sie ein modisches Fach vertraten. Die 'scientia divina' wurde lediglich deshalb, so könnte man weiter denken, in den 'Rotuli' an erster Stelle genannt, weil diese nach hierarchischem Prinzip aufgebaut sind. Der Juristenrotulus verzeichnet nach der Theologie zuerst die kanonistischen und dann die zivilistischen Fächer13, der medizinisch-artistische zuerst die medizinischen und dann die artistischen14. Die ordentlichen Vorlesungen kommen vor den außerordentlichen; die Vorlesungen 'de mane' vor den Übungen 'de sero'; die 'Lecturae in festis' stehen am Ende. Dem hierarchischen Prinzip entsprechend hatte die Theologie vor den anderen Fächern eingeordnet werden müssen, obwohl ihre tatsächliche akademische Bedeutung nicht besonders groß sein konnte, wenn die theologischen Vorlesungen nicht die Ausbildung von Theologen als Ziel hatten, sondern jene Studenten anzusprechen versuchten, die außer der fachlichen Ausbildung in Jurisprudenz, Medizin und den sogenannten 'artes' Zeit und Lust fanden, ihr Interesse auf andere Gebiete, etwa die modische Rhetorik und die vielleicht weniger modische 8
Dozent: Joannes Petrus Caccia. Luchinus de Curte, Ambrosius Bozulus, Bernardinus de Busti und Gualterius Confalonerius de Candia. 10 Joannes de Carena de Monte/errato, Joseph de Leodio und Nicolaus de Cremona. Dieser Lehrauftrag war den Studenten vorbehalten. 11 Joannes Garbusius. 12 Pavia ASt, Università 22 fol. 199r-v, 202r-203r, 205v-206v. 13 Im schon erwähnten 'Rotulus' für das akademische Jahr 1491/92 haben wir folgende Reihenfolge, die aber in allen 'Rotuli' mit geringfügigen Abweichungen wiederkommt: Lectura Decreti, Lectura iuris canonici ordinaria de mane, Lectura Sexti et Clementinarum, Lectura extraordinaria iuris canonici de sero, Lectura festorum iuris canonici, Lectura ordinaria iuris civilis matutina, Lectura extraordinaria iuris civilis vespertina, Lectura extraordinaria iuris civilis de mane, Lectura institutionum, Lectura festorum iuris civilis, Lectura ultramontanorum, Lectura notorie'. Pavia ASt, Università 22 fol. 197r-198v. 14 Im medizinisch-artistischen 'Rotulus' für dasselbe akademische Jahr haben wir folgende Reihenfolge der Fächer: Lectura medicinae ordinariae de mane, Lectura practicae medicinae ordinariae de sero, Lectura Almansoris de mane, Lectura medicinae extraordinariae de Nonis, Lectura practicae medicinae extraordinariae de sero, Lectura philosophiae naturalis ordinariae de sero, Lectura philosophiae naturalis extraordinariae de Nonis, Lectura logicae de mane ordinaria, Lectura sophistariae, Lectura chirurgiae, Lectura astrologiae in festis solum, Lectura metaphisicae in festis, Lectura philosophiae moralis in festis, Lectura ultramontanorum, Lectura mathematicorum, philosophiae naturalis aut logicae ad eorum (der Lehrbeauftragten) libitum in festis: Pavia ASt, Università 22 fol. 199r-v. 9
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Theologie auszudehnen. Wie sich zeigen wird, ist diese These nicht stichhaltig, aber bevor sie widerlegt wird, halte ich es für angebracht, mich mit einigen Aspekten des akademischen Lebens in Pavia kurz zu befassen, die sie dem Anschein nach stützen. Der 'Rotulus' beider Fakultäten beginnt, wie schon erwähnt, mit der 'Lectura rectoris', was die Folge des hierarchischen Ranges ist, der dem Inhaber der 'Lectura', dem Universitätsrektor, zustand. Obwohl die Rektoren von den Studenten gewählt wurden bzw. hätten gewählt werden sollen - das Einschreiten der herzoglichen Verwaltung hat nämlich oft dieses Vorrecht eingeschränkt15 -, erstreckte sich ihre Amtsbefugnis auch auf die Professoren selbst. Die Professoren der Theologie, die in den 'Rotuli' den anderen Dozenten vorangehen, aber dem Rektor den ersten Platz überlassen, können eben deshalb von dieser Regel nicht ausgenommen gewesen sein, um so mehr weil ihre Ernennung nicht anders als die der anderen Professoren erfolgte. In der Korrespondenz zwischen Universität und herzoglicher Verwaltung ist von zwei verschiedenen Arten von 'Rotuli' die Rede, dem 'Rotolo de la lectura' und dem 'Rotolo dei salari'16. 'Rotolo de la lectura' hieß u.a. die Professorenliste, welche die Universität jährlich der zuständigen herzoglichen Behörde zur Genehmigung vorlegte. Diese Liste wurde in Mailand nicht nur überprüft und in vielen Fällen geändert, sondern es wurden die den einzelnen Lehrern zustehenden Gehälter hinzugefugt. Das Verzeichnis, das nach Pavia zurückkam, hieß 'Rotolo dei salari', da es auch die Gehälter enthielt. Die Ernennung der Theologieprofessoren war gleichfalls dieser Prozedur unterworfen. Dies ist um so merkwürdiger, weil das Gremium, dem das Vorschlagerecht zustand, allein aus Studenten der Jurisprudenz bestand. Die Erschließung der Quellen zur Geschichte der Universität Pavia in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts steckt noch in den Anfangen. Trotzdem kann ich mit Sicherheit behaupten, daß die archivalische Dokumentation besonders reich ist. Sie besteht hauptsächlich aus zwei Kategorien von Dokumenten: der Briefkorrespondenz, die die Universität mit der herzoglichen Verwaltung gefuhrt hat, und den Urkunden, die bei den verschiedensten Anlässen von den zuständigen Notaren ausgestellt wurden. Die 'cancellarii' der bischöflichen Kurie sind unter ihnen an erster Stelle zu nennen, da der Bischof von Pavia Kanzler der Universität war. Man kennt hingegen keine Bücher mit Protokollen der Sitzungen der verschiedenen akademischen Gremien, da sie entweder noch nicht wiedergefunden oder endgültig verlorengegangen sind. Unter den Akten des Notars Pietro Mombretto ist das Protokoll der Sitzung aufbewahrt, in welcher der 'Rotolo de la lectura' der Juristenfakultät für das aka-
15 A. SOTTILI, Il palio per l'altare di Santa Caterina e il 'dossier' sul rettorato di Giovanni di Lussemburgo, in: Annali di storia pavese 18-19 (1989) 77-102. 16 Man vgl. den Paragraphen LXXV der Statuten der Juristenuniversität: Statuimus et ordinamus, quod omnes doctores Studii Papiensis, tarn iuris canonici quam civilis, teneantur omni anno iurare rectori servare omnia statuta universitatis tarn edita quam edenda et obedire rectori in licitis et honestis, et quod ad vocationem rectoris venient quotiens per bidellum ex parte sua fuerint requisiti: MAIOCCHI (Anm. 5) I 280. Zu den verschiedenen Arten von 'Rotuli' vgl. man den Brief der Agnese del Maino an Bianca Maria Visconti vom 25.11.1453: [...] Secundo sono informata la Signoria vostra a fato dare una lectura qui in Pavia a maestro Antonio Guayne, et quamvix sia messo in el rotulo de la lectura po' no he messo in el rotulo de li sellarti [...]: Mailand ASt, Studi. Parte antica 390.
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demische Jahr 1482-83 beschlossen wurde . An der Sitzung nahmen der Rektor der Juristen18, die 'Consiliarii rectoris'19 und die 'OfFiciales statutarii'20 teil; ein Exemplar des 'Rotulus' ist dem Protokoll beigefügt. Unter den Professoren, deren Ernennung dem Herzog empfohlen wird, fehlen die Theologen nicht21. Damit sollte als endgültig bewiesen gelten, daß die Theologie in Pavia kein autonomes Dasein führte und bloßes Anhängsel der zwei anderen Fakultäten war. Das paßt sehr gut ins Wunschbild jener Humanismuswissenschaftler, die der Theologie im Geistesleben des italienischen Humanismus eine ganz nebensächliche Rolle zusprechen22. Wahrscheinlich führte sie in Pavia wirklich ein Schattendasein und wurde als akademisches Fach tatsächlich fast nur von Mitgliedern der religiösen Orden gepflegt, jedoch war sie als Unterrichtsfach ebensowenig ein Anhängsel des juristischen und medizinisch-artistischen Betriebs. Der theologische Unterricht war die didaktische Äußerungsform einer theologischen Fakultät, die nicht nur auf dem Papier existierte. Die päpstliche Bulle vom 16. November 1389, durch die im Anschluß an die Gründungsbulle Kaiser Karls IV. vom 13. April 1361 der Universität Pavia die Eigenschaft eines 'Studium generale' bestätigt worden war, hatte auch die Errichtung einer theologischen Fakultät mitbewirkt23. Man wird für die Nennung der Theologen in den 'Rotuli' der juristischen und der medizinisch-artistischen Fakultäten also andere Gründe als die genannten finden müssen. Es wäre z.B. denkbar, daß die Theologen im 'Rotulus' erfaßt wurden, um ihre Besoldung durch den Staat juristisch zu sichern. Wenn sie nicht in einem offiziellen Professorenverzeichnis aufgezeichnet gewesen wären, wie hätte ihr Gehalt im Haushalt überhaupt vorgesehen werden können? Hätte es aber nicht auch einen 'Rotulus theologorum' geben können? Die Antwort muß negativ ausfallen, denn die Herstellung eines 'Rotulus theologorum' setzte das Vorhandensein von Gremien voraus, welche die theologische Fakultät weder hatte noch haben konnte bzw. durfte. In den anderen Fakultäten war der akademische Betrieb vom Zusammenwirken dreier verschiedener Körperschaften bestimmt: den Doktorenkollegien, die das Prüfungsrecht besaßen; den Professoren, denen die Lehre oblag; der 'Universitas studentium', die keine Zunft passiv Lernender war, wie man heute sagen würde, sondern die dank ihrer Privilegien, ihrer wirtschaftlichen Stärke und der Zahl ihrer Mitglieder die Interessen der Hochschule, sei es der 17
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SOTTILI , U n i v e r s i t à e c u l t u r a ( A n m . 2 ) 4 3 3 - 4 3 5 .
Andreas Pochuletus, der in dem zweiten Teil des akademischen Jahres die Funktionen des Rektors ausüben sollte: A. SOTTILI, Rettori e vicerettori dell'Università legista pavese nella seconda metà del Quattrocento, in: Bollettino della Società Pavese di Storia Patria 1987, 56. 19 Iohannes de Canali, Matheus Alamanus, Carollus Vicecomes, Bartholomeus Ritius, Alexander Amidanus, Angellus Spinola. 20 Antonius Galicus, Ieronimus Pegnis, Iohannes Andreas Horabonus substitutus loco domini Gabrielis Gamondi, Iohannes Amadeus Thanandus (sic?), Thadeus de Zardinis substitutus loco domini Sigismondi Cremonensis. 21 Dominus frater prior Sancii Thome, dominus frater Gometius, dominus frater Petrus Andreas de Inviciatis ordinis fratrum Sancii Thome. Es ist merkwürdig, daß die Studenten zwei Dominikaner vorschlagen. Das vom Senat verabschiedete Vorlesungsverzeichnis verzeichnet allein Gometius und Petrus Andreas. Für beide siehe unten Anm. 31 und 33. 22 "Soweit Theologie überhaupt unterrichtet wurde, gehörten ihre Professoren zumeist den Klöstern und Ordenshäusern der Stadt an", bemerkt P. O. KRISTELLER, Die italienischen Universitäten der Renaissance, Krefeld o. J., 11. Wie im Verlauf dieses Aufsatzes deutlich werden wird, zeigte die ganze Universität in Pavia Interesse für den Theologieunterricht. 23 Die päpstliche Privilegierungsbulle bei MAIOCCHI (Anm. 5) I 160 f. Zum Theologenkollegium vgl. m a n BERNUZZI, Gli statuti ( A n m . 1).
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herzoglichen Verwaltung, sei es der Stadt Pavia gegenüber, mit mehr Nachdruck als Professoren und Kollegien zu vertreten wußte. Die Lage ist bei der theologischen Fakultät völlig anders. Die Professoren sind - wie gesagt - nicht in einem 'Rotulus' erfaßt, und nur jene, die öffentlich dozieren, werden in den 'Rotuli' der anderen Fakultäten genannt. Aber der Theologieunterricht entfaltet sich hauptsächlich in den Klöstern, wo 'magistri' und 'baccalarei' wirken, die nicht öffentlich besoldet werden. Die Studenten bilden hier keine 'Universitas'; die Existenz eines Theologenkollegiums ist hingegen dokumentarisch gut belegt. Zu allen diesen Feststellungen berechtigen vor allem die pavesischen Doktordiplome in Theologie und die darin enthaltenen Hinweise. Sie sind zusammen mit den entsprechenden Urkunden der zwei anderen Fakultäten überliefert, denn sie wurden von den gleichen Notaren hergestellt, und sie sind selbst in Aufbau und Wortschatz den übrigen Promotionsurkunden sehr ähnlich24. Sämtliche Urkunden enden zum Beispiel mit der Erwähnung der Zeugen, die der Verleihung des akademischen Grades beigewohnt haben. Wie wichtig diese Zeugenlisten für die Erforschung der nichtitalienischen Studenten der Universität Pavia sind, habe ich bei anderer Gelegenheit zu beweisen versucht25. In den Urkunden, die für italienische Studenten bestimmt sind, treten als Zeugen nur die Pedelle auf, während in den Promotionsurkunden für Ausländer außer den Pedellen meistens auch hochgestellte Persönlichkeiten aus der Heimat des Doktorkandidaten unter den Zeugen erwähnt werden. Die Gründe für solchen Brauch waren verschiedener Art und sind in diesem Kontext belanglos26. Es muß dagegen hervorgehoben werden, daß auch die theologische Promotionsurkunde für Johannes Vredewolt es nicht bei der Erwähnung der amtlichen Zeugen allein beläßt, so daß diese Urkunde wiederum bei der Erforschung der 'Papiensis Transalpina Natio' nicht unberücksichtigt bleiben darf27. Es ist schon oben gesagt worden, daß das Prüfungsrecht in allen Fakultäten allein den Doktorenkollegien zustand. Die Promotionsurkunden nehmen auf diesen Zustand Rücksicht und betonen, daß der Doktorand vom zuständigen Collegium geprüft wurde, und fugen in den meisten Fällen die Namen der Mitglieder des Collegiums hinzu. Die Liste beginnt in den Diplomen für Juristen, Mediziner und Artisten mit dem Namen des amtierenden Rektors oder seines Stellvertreters28. Von 'Rectores' oder 'Vicerectores' ist in den theologischen Urkunden nie die Rede, weil die Theologiestudenten keine Rektoren wählten und wählen durften und keine mit der juristischen und der medizinisch-artistischen Studentenschaft vergleichbare 'Universitas' bildeten. Für die Erforschung der theologischen Fakultät ergibt sich daraus eine sehr schwerwiegende Konsequenz, nämlich ein fast totaler 24
A. SOTTILI, Lauree pavesi nella seconda metà del Quattrocento, in: Respublica Guelpherbytana. Wolfenbiitteler Beiträge zur Renaissance- und Barockforschung. Festschrift für Paul Raabe, hg. von A BUCK/M. BLRCHER, Amsterdam 1987, 127-166, und A. SOTTILI, Die Lobrede des Baldassarre Rasini auf den Kölner Juristen und Kanzler Johann Ruysch (1437/38), in: GiK 23 (1988) 37-64. 25 A. SOTTILI, Tune floruit Alamannorum natio: Doktorate deutscher Studenten in Pavia in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts, in: Humanismus im Bildungswesen des 15. und 16. Jahrhunderts, h g . v o n W . REINHARD, W e i n h e i m 1 9 8 4 , 2 5 - 4 4 . 26
A. SOTTILI, Notizie per il soggiorno italiano di Rodolfo Agricola, in: Rodolphus Agricola Phrisius (1444-1485). Proceedings of the International Conference at the University of Groningen 28-30
O c t o b e r 1 9 8 5 , e d . b y F. A K K E R M A N / A . J. VANDERJAGT, L e i d e n 1 9 8 8 , 8 0 - 8 3 . 27
SOTTILI, Notizie (Anm. 26)81. Man vergleiche z.B. das Doktordiplom in Medizin für Bernardinus de Augusto bei Storia della Università di Pavia (Anm. 4) 92 f.
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Mangel an archivalischer Dokumentation über die Studenten der Theologie. Die Listen der Teilnehmer an den Rektorwahlen sind, wie schon erwähnt, die vollständigste Auskunftsquelle für die Erforschung der pavesischen Studentenschaft, da sie jeweils Hunderte von Namen verzeichnen. Doktordiplome, der Briefaustausch zwischen akademischer Behörde und herzoglicher Verwaltung und die übrigen Studenten betreffende Akten der Notare beziehen sich in der Regel nur auf Einzelfalle. Aber selbst Dokumente dieser Art ergeben nur wenig über die Theologen. Am 12. Oktober 1462 wendet sich der Herzog brieflich an den Generalvikar der Dominikanerprovinz Lombardei zugunsten des Ordensmannes Domenico Bianchetti, der in Pavia 'sacram paginam' studieren will. Hieronymus de Vicecomitibus, der angesprochene Ordensobere, soll dafür sorgen, daß Domenico Bianchetti Unterkunft im Kloster San Tommaso gewährt wird29. Am 20. Oktober 1481 teilt der Minoritengeneral dem Herzog mit, daß Gometius Ulixobonensis, der einen Ruf als Theologieprofessor nach Pavia erhalten und angenommen hat, aufgefordert wurde, sich bald nach Pavia zu begeben. Der Ordensgeneral verspricht, viele Ordensleute nach Pavia zu schicken, damit sie an der Universität und im Kloster unter Leitung des erwähnten Professors den theologischen Studien obliegen30. Die Berufung von Gometius bedeutet eine Wende in der Geschichte der Paveser theologischen Fakultät, da ihm ein Gehalt gewährt wird, das erheblich höher als jenes seiner Kollegen war31. Gometius kam nicht gleich nach der Aufforderung seines Generals nach Pavia, da er im Vorlesungsverzeichnis für das akademische Jahr 1481-82 noch nicht erwähnt wird32. Er wird dagegen im Vorlesungsverzeichnis für das akademische Jahr 1482-83 aufgelistet, aber mit dem für Paveser Theologen völlig unüblichen Gehalt von 150 Gulden. Sein Kollege Petrus Andreas de Inviciatis, der mit der 'Lectura Thomae' beauftragt ist, muß sich mit 30 Gulden begnügen33. Das Gehalt von Gometius wird noch weiter steigen: Im Vorlesungsverzeichnis für das akademische Jahr 1485-86 sind ihm 200 Gulden zugewiesen, das Gehalt seines Kollegen bleibt unverändert34. Die Berufung von Gometius und die Verleihung eines für Theologen besonders hohen Gehaltes hatten den offensichtlichen Zweck, den Theologieunterricht in Pavia zu verstärken. Anzeichen in diesem Sinne lassen sich nämlich für die Jahre vor der Berufung von Gometius nachweisen. Die für die Zeit zwischen 1452 und 1476 erhaltenen Vorlesungsverzeichnisse listen immer nur zwei Theologen auf 29
Mailand ASt, Missive 58, S. 219. Siehe unten Anhang I. 31 Zu Gometius: A. CORNA, I Francescani e le origini del Monte di pietà di Piacenza, in: AFH 2 (1909) 40; A. CORNA, Compendium chronicarum Fratrum Minorum scriptum a patre Mariano de Florentia (continuatio), in: AFH 4 (1911) 337 f.; A. MOREIRA DE SÀ, Humanistas portugueses em Itàlia. Subsidios para o estudo de Frei Gomes de Lisboa, dos dois Luises Teixeiras, de Joào de Barros e de Henrique Caiado, Lissabon 1983, 11-42. Im Mailänder Archivio di Stato (Visconteosforzesco 1177) wird eine Supplik des Gometius an Bartolomeo Calco vom 25.11.1490 zugunsten der Nonnen von Sancta Maria de la Stora aufbewahrt. 32 In diesem akademischen Jahr hatten der Minorit Bernardinus de Rubeis de Mediolano, der Dominikaner Paulus (Giustiniani) de Monilia ('Lectura Thomae') und der Karmelit Thomas de Bassignana die öffentlichen theologischen Professuren inne: Pavia ASt, Università 22 fol. 171r. Zu Bernardinus de Rubeis vgl. Anm. 120, zu Paulus de Monilia vgl. Anm. 126, zu Thomas de Bassignana vgl. Anm. 128. 33 Pavia ASt, Università 22 fol. 174r. Zu Petrus Andreas de Inviciatis vgl. Anm. 133. 34 Pavia ASt, Università 22 fol. 179v. 30
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und zwar vom akademischen Jahr 1452-53 bis zum akademischen Jahr 1467-68 den Minoriten Franciscus de Mangano und den Karmeliten Antonius de Mediolano35. Im akademischen Jahr 1468-69 lehrt der Karmelit weiter, an die Stelle des Minoriten ist nun der Dominikaner Benedictus Baruti getreten36. Bis zum akademischen Jahr 1472-73 scheint kein weiteres Vorlesungsverzeichnis erhalten zu sein. In diesem Jahr ist eine der öffentlichen Professuren für Theologie immer noch mit dem Karmeliten Antonius de Mediolano besetzt, die zweite Stelle hat ein Minorit, Rolandus de Rovascala, inne37. Ein Karmelit (Antonius de Mediolano) und ein Minorit (Henricus de Curte) besetzen die zwei Stellen im Vorlesungsverzeichnis des akademischen Jahres 1475-7638. Von 1476 bis 1479 gibt es wieder eine Lücke in der Überlieferung der Verzeichnisse. 1479-80 wird Theologie öffentlich von drei Dozenten unterrichtet, dem Karmeliten Antonius de Mediolano, dem Minoriten Henricus de Curte und dem Dominikaner Paulus (Giustiniani) de Monilia, der mit dem Zusatz qui legat opera beati Thomae de Aquino aufgeführt wird39. Nach einer Zeit, in der Theologie von einem Minoriten, also einem Skotisten, und einem Karmeliten doziert worden war, hat man es für angebracht gehalten, einen dritten Professor zu ernennen, nämlich einen Dominikaner, der den Thomismus zu vertreten hatte. In der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts erlebte der Thomismus in Italien bekanntlich eine Renaissance40, weshalb seine Institutionalisierung im Lehrplan der Universität Pavia keine besondere Überraschung darstellt. Wie es aber genau zur Ernennung des Thomas-Professors gekommen ist, belegt eine Urkunde, die im Anhang zu diesem Aufsatz veröffentlicht wird, weil sie die sparsame Dokumentation über die theologische Fakultät der Universität Pavia, die uns zur Verfugung steht, um ein sehr wichtiges Stück bereichert. Am 7. Oktober 1479 suppliziert die Universität Pavia bei der Regentin Bona von Savoyen und Herzog Gian Galeazzo Maria Sforza, daß ein Professor ernannt werde, der Theologie nach den Werken des heiligen Thomas unterrichten solle, da zur Zeit an der Universität allein die skotistische Richtung vertreten sei. Man betont, daß die Universität Pavia in der ganzen Welt bekannt ist, daß die Herzöge immer bemüht gewesen seien, ausgezeichnete Professoren für die Universität zu wählen. Ferner wird auch der Name des Professors genannt, den die Universität für geeignet hält, den neuen Posten zu besetzen: es handelt sich um den Dominikaner 35
Antonius de Mediolano wurde 1450 in die Paveser Theologenmatrikel eingetragen, Franciscus de Mangano 1456: Pavia, Biblioteca Universitaria, Ticinensia 181 fol. 87va-b. Zu Antonius de Mediolano: Bibliotheca Carmelitana notis criticis et dissertationibus illustrata, cura et labore unius e Carmelitis provinciae Turoniae collecta, I, Orléans 1752, 165. Zu Franciscus de Mangano: L. Dl FONZO, Sisto IV. Carriera scolastica e integrazioni biografiche (1414-1484), Rom 1987, 497 s.v. Die Notizen über ihre Lehrtätigkeit entnehme ich der Hs. Università 22 des Archivio di Stato in Pavia. 36 Zu Benedictus Baruti vgl. Anm. 117. 37 Zu Rolandus de Rovascala vgl. Anm. 105. 38 Zu Henricus de Curte vgl. Anm. 119. 39 Pavia ASt, Università 22 fol. 165v. Vgl. Anm. 32. 40 C. PIANA, Ricerche su le Università di Bologna e di Parma nel secolo XV, Quaracchi 1963, 1622, 62 f.; E. P. MAHONEY, Saint Thomas and the School of Padua at the End of the Fifteenth Century, in: Thomas and Bonaventura. A Septicentenary Commemoration, ed. by G. MCLEAN = Proceedings of the American Catholic Philosophical Association 48 (1974) 277-285; A. POPPI, Scienza e filosofia nelle scuole tomista e scotista all'Università di Padova nel sec. 15, in: Scienza e filosofia all'Università di Padova nel Quattrocento, Triest 1983, 329-343; I. W. FRANK, Die Bettelordensstudia im Gefüge des spätmittelalterlichen Universitätswesens, Stuttgart 1988, 49.
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Johannes de Curte, der selbstverständlich in Theologie promoviert worden war und schon an mehreren italienischen Universitäten als Philosophie- und Theologieprofessor gewirkt hatte. Er hatte sein Wissen und seine Fertigkeit in der Disputierkunst besonders am päpstlichen Hof und an der Universität Neapel unter Beweis gestellt41. Es ist nicht irrelevant, daß die Initiative um die Errichtung eines ThomismusLehrstuhls von der Universität selbst ausgeht. Denn dies bedeutet, daß der theologische Unterricht eine Angelegenheit war, die die ganze Universität betraf. In Pavia wirken, wie schon erwähnt, zwei Kategorien von Theologielehrern: diejenigen, deren Unterricht ausschließlich in den Konventen stattfand, und diejenigen, die vom Herzog bezahlt wurden und die Vorlesungen sowohl im Konvent ihres Ordens wie auch öffentlich für Theologen und Nichttheologen hielten. Dies kommt klar in dem erwähnten Brief des Minoritengenerals42 an den Herzog wegen Gometius Ulixobonensis zum Ausdruck, der verspricht, viele Ordensleute nach Pavia zu senden, damit sich die Universität sowohl im Minoritenkonvent als auch bei den öffentlichen Vorlesungen entfalte. Bei dieser Situation ist es kein Wunder, daß die gesamte Universität und nicht die Theologen allein sich um die Besetzung der theologischen Lehrstühle kümmerten. Das war z.B. der Fall, als es darum ging, Rolandus de Rovascala, der Pavia hatte verlassen müssen, zu ersetzen43. In einem älteren Standardwerk über die Universität Pavia wird Johannes de Curte als Theologie-Professor für das Jahr 1479 erwähnt44. Ob das tatsächlich der Fall gewesen ist, scheint mir zweifelhaft. Der Supplik der Universität bezüglich der Institutionalisierung der 'Lectura Thomae', wurde zwar sofort stattgegeben, 41
Siehe unten Anhang II. Schon im Juni 1443 war ein Versuch unternommen worden, um einen Thomas-Professor (Ludovicus Pisanus) an der Universität zu behalten. Weder der 'Rotulus' für das akademische Jahr 1441/42 noch derjenige für das Jahr 1443/44 verzeichnen aber einen Thomas-Professor. Da im Juni 1443 Ludovicus Pisanus in Pavia anwesend war, darf man annehmen, daß er kein öffentlicher Theologie-Professor war, sondern in seinem Kloster unterrichtete: MAIOCCHI (Anm. 5) II 2, 430, 460 f., 468. Ebenfalls für den Klosterunterricht wird wohl die 'Lectura fratris Blasini de Ast' bestimmt gewesen sein, die im Generalkapitel der Dominikaner vom Jahre 1474 beschlossen wurde: A. D'AMATO, Gli atti dei capitoli generali del 1474 e del 1486 e altri frammenti, in: AFP 17 (1947) 229. 42 Zu Francesco Sansoni: A. ZANELLI, Maestro Francesco Sanson. Notizie e documenti, in: Bolletino senese di storia patria 4 (1897) 83-100; C. PIANA, Il traduttore e commentatore della Divina Commedia fra Giovanni Bertoldi da SeiTavalle O.F.M. baccalario a Ferrara nel 1379 e altri documenti per la storia degli Studi francescani, in: Analecta Pomposiana 7 (1982) 163 f., 167. 43 Im Herbst 1472 suppliziert Henricus de Curte, daß ihm offiziell die öffentliche theologische Professur verliehen werde. Er betont, daß Rolandus de Rovascala zwar im 'Rotulus' verzeichnet wurde, aber in Pavia nicht mehr residierte, da er zum päpstlichen Pönitentiar ernannt worden war. Henricus de Curte erwähnt ferner, daß er sowohl Rolandus als auch den inzwischen verstorbenen Franciscus de Mangano während ihrer Abwesenheit von der Universität vertreten habe, und daß sein Gesuch von den Rektoren der Universität unterstützt werde. In der Tat haben der Rektor der Juristen (Antonius Bugiarinus) und der medizinisch-artistische Rektor (Matheus Richilus) die Supplik des Henricus de Curte mitunterschrieben: Mailand ASt, Comuni 69. Der Supplik des Professors und der Rektoren wurde am 24.10.1472 stattgegeben: Mailand ASt, Comuni 69, und oben Anm. 38. 44 Memorie e documenti per la storia dell'Università di Pavia e degli uomini più illustri che v'insegnarono, I, Pavia 1877 (ND 1970) 189. Giovanni Corte wurde im Jahre 1480 in die Theologenmatrikel eingetragen, aber er gehört nicht zu den Theologen, die wahrscheinlich in Pavia promoviert haben; vgl. die Liste unten S. 555 f. Giovanni da Corte lehrte anscheinend im Kloster San Tommaso, da er in einem herzoglichen Brief vom 14.6.1464 theologie professor genannt wird: Mailand ASt, Missive 62 fol. 265r.
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aber das Vorlesungsverzeichnis für das akademische Jahr 1479-80 verzeichnet als Thomisten nicht Johannes de Curte, sondern Paulus (Giustiniani) de Monilia45. Wir haben aber zusätzliche Beweise, daß das Problem einer Verstärkung des Theologieunterrichts in Pavia in den siebziger Jahren des 15. Jahrhunderts als akut empfunden wurde. 1475 wurde nämlich der Augustinereremit Thomas Penketh berufen 46 . Diesmal scheint die Initiative nicht von der Universität, sondern vom Herzog bzw. seiner für die Angelegenheiten der Universität zuständigen Behörde ausgegangen zu sein. Die Berufungsverhandlungen wurden nämlich, wie es üblich war, vom Senat, dem Consiglio segreto, gefuhrt. Die Kontrahenten scheinen sich über ein Gehalt von 100 Gulden geeinigt zu haben. Wir besitzen in der Tat eine Notiz des Senats, die die Quellen nennt, aus denen die 100 Gulden zu schöpfen sind47: Zu den 30 Gulden, die das Gehalt bilden, das ein Theologe gewöhnlich bekommt48, werde man 40 Gulden addieren, die man sparen wolle, indem die den Studenten vorbehaltenen Lehraufträge für Metaphysik nicht verliehen würden49. Die noch fehlenden 30 Gulden werde man durch eine entsprechende Erhöhung des Gesamtetats der Universität aufbringen können. Penketh muß mit diesem Gehaltsvorschlag einverstanden gewesen sein, weil der Herzog sich am 7. September 1475 bemüht50, im Konvent der Paveser Augustinereremiten eine passende Unterkunft für Thomas Penketh bereitzustellen. Ihm sollen die Räume zur Verfugung gestellt werden, die der Mailänder Weihbischof Paolo da San Genesio bewohnt hatte51. Es darf nicht verschwiegen bleiben, daß Metaphysik also im Lehrplan der Universität eine so nebensächliche Rolle spielte, daß sie nicht nur von Studenten gelehrt wurde, sondern daß man auch bereit war, sie vom Professor einer anderen Disziplin unterrichten zu lassen, um das Gehalt des Professors in einem Fach zu verbessern, dem man zu mehr Geltung verhelfen wollte. Penketh kam nicht nach Pavia, was im November 1475 feststand. Am 19. dieses Monats wenden sich nämlich der Rektor der medizinisch-artistischen Fakultät und seine Räte an den Herzog, damit nach dem Fernbleiben Penkeths doch noch die studentischen Lehraufträge verliehen werden, die man zugunsten Penkeths eingespart hatte52. Die Bitte der Studenten wird am 22. November vom Senat unterstützt53. Der Senat schaltete sich am 29. in derselben Angelegenheit wieder ein und befürwortete zugleich die Verleihung der Lehraufträge in Theologie an Antonius de Mediolano 45
Vgl. Anm. 126. R. J. MITCHELL, English Students at Padua, 1460-75, in: TRHS IV' h ser. 19 (1937) 114-116. G. B. PARKS, The English Traveler to Italy. I: The Middle Ages (to 1525), Rom 1954, 444-446; G. FEDALTO, Stranieri a Venezia e a Padova, in: Storia della cultura veneta. Dal primo Quattrocento al Concilio di Trento I, Vicenza 1980, 532; A. POPPI, La teologia nelle università e nelle scuole, ibid. III, Vicenza 1981, 13, 21; A Biographical Register of the University of Oxford to A.D. 1500, by A. B. EMDEN, III, Oxford 1989,1457. 47 Siehe unten Anhang III. 48 Im schon erwähnten 'Rotulus' für das akademische Jahr 1472-73 ist für die zwei aufgeführten Theologen Antonius de Mediolano und Rolandus de Rovascala ein Gehalt von jeweils 30 Gulden vorgesehen: Pavia ASt, Università 22 fol. 155r. 49 Im 'Rotulus' für das akademische Jahr 1474/75 ist für die zwei Professoren für Metaphysik ein Gehalt von 20 Gulden pro Kopf vorgesehen: Mailand ASt, Studi. Parte antica, 390. 50 Siehe unten Anhang IV. Penketh soll auch Metaphysik lehren: Siehe unten Anhang III. 51 M. FERRARI, II Quattrocento. Dai Visconti agli Sforza, in: Storia religiosa della Lombardia. Diocesi di Milano, a cura di A. CAPRIOLI/ A. RIMOLDI/ L. VACCARO, Brescia 1990, 339. 52 Siehe unten Anhang V. 53 SOTTILI, L'Università (Anm. 3) 574 f.
46
DIE THEOLOGISCHE FAKULTÄT DER UNIVERSITÄT PAVIA
551
und Henricus de Curte, die diese schon seit Jahren innehatten 54 . Der Brief von Rektor Palavicinus und seinen 'Consiliarii' beginnt mit den Worten: Vidimus rotulum hoc anno diligenter et mature confectum, in quo non designati fuerunt ad lecturas in festis scholares, quos Universitas nostra eligerat. Rektor und Räte haben das rechtzeitig angefertigte Vorlesungsverzeichnis zur Kenntnis genommen, wo aber die Lehrbeauftragten für Metaphysik nicht erwähnt wurden. Nachdem feststeht, daß Thomas Penketh den Ruf abgelehnt hat, soll die Situation korrigiert werden. Für das akademische Jahr 1475-76 ist ein Vorlesungsverzeichnis ('Rotulus') vom 18. Dezember 1475 überliefert, in dem als Professoren für Theologie Antonius de Mediolano und Henricus de Curte verzeichnet und zwei Lehrbeauftragte für Metaphysik genannt werden (Bernardinus de Bossiis und Andreas de Ghirighellis) und sich schließlich die Gehälter mit Abzug der zu entrichtenden Steuer (capsoldo) angegeben finden55. Wie schon angedeutet, unterscheidet die Mailänder Bürokratie zwischen Vorlesungsverzeichnis der zu unterrichtenden Fächer (Rotolo de la lettura) und Vorlesungsverzeichnis der Gehälter (Rotolo de Ii salari). Das genannte Vorlesungsverzeichnis gehört zweifelsohne der zweiten Kategorie an. Für das akademische Jahr 1475-76 muß aber der Senat zunächst ein Vorlesungsverzeichnis verabschiedet haben, worin Penketh als Professor für Theologie aufgeführt wurde und auch das Fach Metaphysik vertrat. Dieses Vorlesungsverzeichnis hatten Rektor Palavicinus und seine Räte im Sinn, als sie am 19. November dem Herzog schrieben. Nach dem Verzicht von Penketh und den Stellungnahmen der 'Universitas' und des Senats, die darauf abzielten, daß die studentischen Lehraufträge verliehen wurden und Antonius de Mediolano und Henricus de Curte die öffentlichen Professuren für Theologie wieder bekamen, wurde ein zweites Vorlesungsverzeichnis mit herzoglicher Bestätigung verabschiedet, nämlich dasjenige vom 18. Dezember. Die aufgezählten Urkunden allein reichen noch nicht als Beweis dafür, daß die Theologiestudenten in der Mehrzahl den in Pavia ansässigen religiösen Orden angehörten. Daß es doch so war, glaube ich der kurzen Reihe von theologischen Promotionen entnehmen zu dürfen, denen ich bei Durchsicht der Notarakten des Staatsarchivs Pavia begegnet bin. In den von mir untersuchten Bündeln befinden sich einundzwanzig Doktordiplome in sacra pagina56, denen noch jenes für Leonardus Reinstein hinzuzufügen ist, das noch von Arnold Luschin von Ebengreuth gesehen wurde, aber heute verschwunden zu sein scheint57. Zweiundzwanzig Theologiepromotionen in fünfzig Jahren sind recht wenig. Es haben aber sicher noch weitere stattgefunden, wie wir sehen werden, die entweder in den Akten nicht dokumentiert oder deren Diplome mir nicht bekannt sind. Ich möchte deshalb die Schlußfolgerung, daß die 'Facultas theologica Papiensis' wegen kleinerer Besucherzahl, geringer Ausstrahlungskraft der Professoren und sonstiger Gründe weit hinter den anderen Fakultäten derselben Hochschule zurückblieb, vorläufig noch hinausschieben. Nur fünf von den zweiundzwanzig oben erwähnten Promotionen in Theologie betreffen Nichtitaliener: Nicolaus Tinctoris war ein Priester aus Nürnberg58. Von einer Zugehörigkeit des Johannes Vredewolt zu einem reli54 55 56 57 58
SOTTILI, L'Università (Anm. 3) 575 f. Pavia ASt, Università 22 fol. 158r-160v. SOTTILI, Lauree (Anm. 24) 127-166. SOTTILI, Die Lobrede (Anm. 24) 42. Zu Reinstein siehe Anm. 134. Vgl. Anm. 136.
552
AGOSTINO SOTTILI
giösen Orden ist in seiner Promotionsurkunde keine Rede59. Jacobus Hilpoldi60, Leonardus Reinstein61 und Nicolaus Clenger62 waren hingegen Dominikaner. Die übrigen siebzehn italienischen 'sacrae theologiae doctores' waren alle Ordensleute: Giangiacomo Campeggi63, Girolamo da Verona64, Ambrogio Pusteria65, Pietro da Sant'Agata66, Alessandro Vitali67 und Filippo Muzzana68 waren Augustinereremiten. Vincenzo Conte69, Stefano Tornielli70, Matteo Corte71, Luca Barbieri72 und Francesco da Busti73 waren Franziskaner. Ambrogio Inviciati74 gehörte zu den Humiliaten. Ludovico della Croce75 und Agostino Campeggi76 zählten zu den Serviten, Tommaso Canneti77 und Beda Craveri zu den Karmelitern, Angelo Rizzardini78 schließlich war Dominikaner. Die Matrikel des Theologenkollegiums oder genauer jenes Verzeichnis, das man als Matrikel des Theologenkollegiums bezeichnet, bestätigt vollkommen die eben geschilderte Tatsache, nämlich daß nur Angehörige der Orden unter den italienischen Studenten theologische Promotionen anstrebten. Die Originalmatrikel des Theologenkollegiums ist nicht mehr vorhanden bzw. noch nicht wiedergefunden worden. Uns steht eine Abschrift zur Verfugung, die von Girolamo Bossi fertiggestellt wurde und deren Zuverlässigkeit wegen der darin verwendeten Abkürzungen und der Schreibart mancher Namen fraglich ist79. Falls ich indes nicht falsch gezählt habe, enthält das Verzeichnis für die hier behandelte Zeitspanne 122 Eintragungen. Wenn nur in Pavia promovierte Doktoren dem Collegium beitreten durften, kämen wir hiermit mit einem Schlag auf eine Promotionszahl, die mehr als fünfmal größer als die oben erwähnte Liste ist. Fest steht jedenfalls, daß alle Theologiedoktoren dieser Liste mit zwei Ausnahmen im Jahr ihrer Promotion in die sogenannte Matrikel eingetragen wurden. Jacobus Hilpoldi de Constancia ist sicher identisch mit dem Dominikaner Giacomo de Alemania de civitate Constancia, den die Matrikel im Jahr 1489 verzeichnet, als Hilpoldi eben zum Magister sacrae paginae promoviert wurde80. Der Priester Nicolö Alemani, der im Jahr 1487 in die Matrikel aufgenommen wurde, ist mit Sicherheit der im gleichen 59
Vgl. Anm. 26. Vgl. Anm. 143. 61 Vgl. Anm. 134. 62 Vgl. Anm. 147. 63 Vgl. Anm. 104. 64 Vgl. Anm. 107. 65 Vgl. Anm. 123. 66 Vgl. Anm. 124. 67 Vgl. Anm. 142. 68 Vgl. Anm. 148. 69 Vgl. Anm. 108. 70 Vgl. Anm. 112. 71 Vgl. Anm. 121. 72 Vgl. Anm. 122. 73 Vgl. Anm. 138. 74 Lizentiatur und Promotion in sacra pagina am 11.3.1472: SOTTILI, Lauree (Anm. 24) 134 Nr. 100. 75 Vgl. Anm. 127. 76 Augustinus de Mortario: Vgl. Anm. 129. 77 Vgl. Anm. 128. 78 Vgl. Anm. 141 sowie Anm. 140. 79 Pavia, Biblioteca Universitaria, Ticinensia 181. Vgl. BERNUZZI, Gli statuti (Anm. 1) 121 Anm. 3. 80 Vgl. Anm. 143. 60
DIE THEOLOGISCHE FAKULTÄT DER UNIVERSITÄT PAVIA 81
553
82
Jahr promovierte Nicolaus Tinctoris . Johannes Vredewolt und Ambrosius de Inviciatis83 werden von der Matrikel nicht verzeichnet. Nicht alle in Pavia promovierten Theologen traten also dem Collegium bei, dem jedoch solche Theologen angehört haben, die einen Ruf an die Universität angenommen hatten. Als Beweis für diese Behauptung reicht der Hinweis auf den Franziskaner Gometius Ulixobonensis, von dessen Ruf nach Pavia schon die Rede gewesen ist. Er wird im Jahre 1486 in der Matrikel der Theologen genannt84, war jedoch früher nach Pavia gekommen. Nach Durchsicht der Matrikel kann kein Zweifel mehr bestehen, daß die Theologie in Pavia in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts fast ausschließlich eine Angelegenheit von Ordensmitgliedern war. Nicolaus Tinctoris ist das einzige Mitglied des Collegiums, das mit Sicherheit kein Bettelmönch, sondern Säkularpriester war. Selbst die wenigen anderen Ausländer, denen man hier und da in der Matrikel begegnet, gehörten einem Orden an: so Nicolö Marquitz de Magdeburg85 und Nicolö Clenger Alemano86, die 1497 in die Matrikel aufgenommen worden waren, wie der mehrfach erwähnte Hilpoldi dem der Dominikaner. Ebenfalls zum Predigerorden gehörten Leonardo Reinstein87 Erbipolensis und Hermanno Jena di Sassonia Alemano88, die 1482 und 1487 in die Liste eingetragen wurden. Der 1454 immatrikulierte Franziskaner Henrico de Constantia wird wohl auch ein Deutscher gewesen sein. Die theologische Fakultät wurde also überwiegend von Ordensleuten besucht; die Ausländer bildeten eine sehr kleine Gruppe, die Italiener kamen aus nicht weit entfernten Gebieten. Die Promotionsurkunden geben folgende Herkunftsorte der Doktoranden: Novara, Mailand, Pavia, Vercelli, Genua, Bassignana (Provinz Alessandria), Mortara (Provinz Pavia), Savigliano (Provinz Cuneo), Asti, Lodi. Girolamo da Verona war Profeß des Augustinerklosters in Pavia. Von überregionaler Ausstrahlung der pavesischen Theologie kann man also nicht sprechen. Man käme bei einer systematischen Untersuchung der Matrikel ohne Schwierigkeit zum gleichen Ergebnis. Die Matrikel soll aber vorläufig noch unberücksichtigt bleiben, denn viele Fragen, die ihre Entstehung, Überlieferung und Zuverlässigkeit betreffen, sind immer noch ohne zufriedenstellende Antwort. Ich begnüge mich mit einem Beispiel. Es ist in diesem Aufsatz mehrmals von einem Theologencollegium die Rede gewesen, von dem angenommen wurde, daß es sich dabei analog zu den Juristen- und medizinisch-artistischen Collegien um das Prüfungsgremium der theologischen Fakultät handelt. Ebenfalls ist stillschweigend angenommen worden, daß es sich bei der 'Matrikel', von der wiederholt die Rede gewesen ist, um das amtliche Verzeichnis dieser Prüfer handelt. Gegen eine solche Behauptung steht die Tatsache, daß in den Jahren 1498 und 1499 zwei Bakkalare verzeichnet werden, die Dominikaner Tomaso conte di Langosco und Alberto di Novara89. Nicht jede Promotionsurkunde erwähnt namentlich die Prü81
Vgl. Anm. 136. Vgl. Anm. 27. 83 Vgl. Anm. 74. 84 Pavia, Biblioteca Universitaria, Ticinensia 181 fol. 88rb. 85 E. KLEINEIDAM, Universitas Studii Erffordensis - Überblick über die Geschichte der Universität Erfurt im Mittelalter 1392-1521, Teil II: 1460-1521 (Erfurter Theol. Studien 22) Leipzig 2 1992, 287. 86 Vgl. Anm. 147. 87 Vgl. Anm. 134. 88 Vgl. Anm. 137. 89 Pavia, Biblioteca Universitaria, Ticinensia 181 fol. 88va. 82
554
AGOSTINO SOTTILI
fer. Ist das der Fall, dann sind es lauter Doktoren, keine Bakkalare, wie man sich bei den Doktordiplomen von Filippo Muzzana, Nicolaus Tinctoris und Jacobus Hilpoldi überzeugen kann, die im Druck zugänglich sind90. Doch wurden die Bakkalare in die Theologenmatrikel aufgenommen, wie in der Urkunde für die Bakkalarpromotion des Johannes Vest ausdrücklich gesagt wird: eundem in sua matricula incorporarunt ac aliorum baccalariorum numero aggregarunt et inter alios baccalarios descripserunP>, nämlich die kurz zuvor verzeichneten Magistri der Theologie. Der Satz beweist, daß eine Theologenmatrikel geführt wurde, in die Doktoren und Bakkalare eingetragen wurden. Sie war aber keinesfalls mit der Matrikel des Prüfercollegiums identisch, denn dieses bestand nur aus Doktoren. Es ist indes vielleicht eine zweite Interpretation des zitierten Satzes zulässig: Vest ist in seine, d.h. die Matrikel der Bakkalare, eingetragen worden, die von jener der Doktoren getrennt geführt wurde. Was soll man nun von der pavesischen Theologenmatrikel halten? Prüfermatrikel ist sie nicht, denn sie enthält Bakkalareintragungen. Bakkalarmatrikel kann sie auf keinen Fall sein, weil sie für die uns angehende Zeit nur die Namen zweier Bakkalaren verzeichnet. Es wird sich wohl um eine unvollständige Abschrift der allgemeinen Theologenmatrikel handeln, in die sowohl Doktoren als auch Bakkalare, aber keine Studenten eingetragen wurden. Dies würde eventuell die Existenz einer getrennt geführten Bakkalarenmatrikel ausschließen. Das Fehlen der Eintragung von Johannes Vest wäre der Beweis für die Unvollständigkeit des Verzeichnisses. Die Entscheidung, ob die Lücken allein auf das Konto des Kopisten Girolamo Bossi gehen, fallt schwer. Ich bin aber fest davon überzeugt, daß dieser keine sorgfältige wörtliche Abschrift angefertigt hat. Italienische Namensformen und italienische Übersetzungen von Ortsnamen sind in einer Universitätsmatrikel des 15. Jahrhunderts unvorstellbar92. Es lohnt sich, noch bei einer Eigentümlichkeit dieser Theologenmatrikel zu verweilen. Die Einträge sind, wie schon angedeutet, knapp: Dem Namen des immatrikulierten Theologen werden die Ordenszugehörigkeit sowie der Vermerk, daß er ins Kolleg aufgenommen wurde (incorporato), und ab 1455 in 79 Fällen ein weiterer Vermerk hinzugefügt, nämlich, daß er als Theologe promoviert hat (laureato). Nicht bei allen Inkorporierten wird vermerkt, daß sie promoviert haben, obwohl feststeht, daß es der Fall gewesen ist. Bei dem erwähnten Gometius Ulixobonensis lautet der Eintrag: Gometio di Portogallo, spagnolo, minore (i486) 93 . Bei Francesco Mangani, der promoviert haben muß, weil er in Pavia jahrelang den öffentlichen theologischen Lehrstuhl innegehabt hat, lautet der Eintrag (1456): Francesco Mangani, minore, Papiensis94. Ich habe nur eine Er90
R. MAIOCCHI/N. CASACCA, Codex Diplomaticus Ord. E. S. Augustini Papiae, II (ab anno MCCCCI ad annum MD), Pavia 1906, 349; SOTTILI, Tune floruit Alamannorum natio (Anm. 25)
40. 91
Pavia ASt, Archivio notarile di Pavia, 91 fol. 346r; siehe SOTTILI, Lauree (Anm. 24) 132 Nr. 54. Vest ist am 23.8.1465 wieder in Pavia nachweisbar: J. MAUZ, Ulrich Molitoris aus Konstanz (ca. 1442-1507). Leben und Schriften, Diss. Konstanz 1983, 657. Vest wurde 'Decretorum doctor', Domherr in Konstanz und Vikar des Konstanzer Bischofs: Helvetia sacra II/2 (Die weltlichen Kollegiatsstifte der deutsch- und französischsprachigen Schweiz, hg. von G. P. MARCHAL) Bern 1977, 256. 92 Vgl. den veröffentlichten Teil der Paveser Juristenmatrikel bei MAIOCCHI (Anm. 5) II 2, 552563. 93 94
Pavia, Biblioteca Universitaria, Ticinensia 181 fol. 88rb. Pavia, Biblioteca Universitaria, Ticinensia 181 fol. 87vb.
DIE THEOLOGISCHE FAKULTÄT DER UNIVERSITÄT PAVIA
555
klärung für die Unstimmigkeit: Der Vermerk laureato begleitet die Namen jener Theologen, die in Pavia promoviert haben; er wird dagegen bei jenen Theologen weggelassen, die anderswo promoviert haben. Wenn meine Vermutung stimmt, und daran habe ich keinen Zweifel, ändert sich das Bild der theologischen Fakultät der Universität Pavia grundsätzlich: Die Zahl der in Pavia promovierten Theologen steigt von 22 auf 82, nämlich die 79 in der Matrikel mit dem Vermerk laureato versehenen Theologen und zusätzlich Ambrosius de Inviciatis und Johannes Vredewolt, die in der Matrikel nicht verzeichnet sind, aber in Pavia promoviert haben, sowie Nicolaus Tinctoris. Soll der Zuwachs uns wirklich wundern? Ich meine nein, denn unsere Kenntnis der Paveser Promotionen ist aus verschiedenen Gründen äußerst lückenhaft: Weder sind alle Akten der Paveser Notare untersucht worden, die Promotionsurkunden redigiert haben könnten, noch sind die Akten der untersuchten Notare vollständig überliefert. Das Doktordiplom des Gabriel von Eyb etwa wurde von Matteo Paltonieri angefertigt, aber es ist unter dessen Akten nicht überliefert95. Wegen der Bedeutung, die diese neugewonnene Einsicht in die Geschichte der Paveser theologischen Fakultät hat, halte ich es für notwendig, die Liste der Theologen mitzuteilen, die in der Matrikel mit dem Vermerk laureato versehen sind. Das Verzeichnis der Paveser theologischen Promotionen müßte damit den Forschern fast vollständig zur Verfügung stehen: Stefano de Genova, servita, laureato et incorporato96. Rafael Grilli Papiensis, servita, laureato et incorporato97. Pietro de Cairate, predicatore, laureato, incorporato98. Martino de Vailate, her. agostiniano, laureato, incorporato99. Domenico da Tortona, predicatore, laureato, incorporato. Giacomino Inviciati, predicatore, Alessandrino, laureato, incorporato100. 7. Filippo da Castelnuovo, servita, laureato, incorporato101. 1457 8. Miliano da Novara, carmelitano, laureato, incorporato. 9. Francesco de Montaleo Genovese, minore, laureato, incorporato. 10. Francesco Bordi Alessandrino, her. agostiniano, laureato, incorporato102. 1455
1. 2. 1456 3. 4. 5. 6.
95
O. RJEDER, Doktordiplom des Eichstätter Bischofs Gabriel von Eyb, in: Sammelblatt des historischen Vereins Eichstätt 22 (1907) 61-70. A. M. SERRA, Memoria di Paolo Attavanti (1440ca.-1499), in: Studi storici dell'ordine dei Servi di Maria 21 (1971) 66. Ferner: A. M. LÉPICIER, La Corse servite au cours des siècles, in: ebd. 8 (1957-58) 66 (Identifizierung unsicher); D.-M. MONTAGNA, Liber Capitulorum generalium OSM, II: Verona 1491, in: ebd. 14 (1964) 339, 341 f. (Identifizierung unsicher). 96
97
98
PIANA, R i c e r c h e ( A n m . 4 0 ) 4 3 3 f.
T. KAEPPELI, La Bibliothèque de St-Eustorge à Milan à la fin du XV« siècle, in: AFP 25 (1955) 16. Siehe ferner Anm. 153.
99
MAIOCCHI/ CASACCA ( A n m . 90) 4 0 6 s.v. M a r t i n o d a Velate.
100
Eine Identifizierung mit dem Jacobus de Inviciatis, der am 30.6.1459 'in artibus' promoviert wurde, ist auszuschließen. Vgl. ferner: E. FUMAGALLI, Aneddoti della vita di Annio da Viterbo, in: AFP 52 (1982) 210 Anm. 37. 101 PIANA, Ricerche (Anm. 40) 78, 84, 290; P. M. BRANCHESI, Nota sui Servi nella Facoltà teologica delle Università di Bologna e di Parma, in: Studi storici dell'Ordine dei Servi di Maria 16 (1966) 113 (1460 und 1463 in Bologna nachweisbar). 102
F r a n c e s c o d a A l e s s a n d r i a ? Vgl. MAIOCCHI/ CASACCA ( A n m . 9 0 ) 391 s.v.
AGOSTINO SOTTILI
556
11. 1459
12.
1460
13.
1461
14. 15.
1462
16. 17. 18. 19. 20. 21.
1463
22. 23.
1464
24. 25.
1465
26. 27. 28.
1466
29. 30. 31.
1467
32. 33.
103 104
Antonio Millanta Genovese, carmelitano, laureato, incorporato103. Andrea Suardi, humiliato, laureato, incorporato. Giovanni Iacopo Campeggi, laureatus in ecclesia maiori, incorporato104. Rolando conte de Roscala, minore, laureato, incorporato105. Michel de Napoli, minore, laureato, incorporato. Siro Astolfi, minore, laureato, incorporato. Michel da Como, servita, laureato, incorporato. Francesco da Milano, carmelitano, laureato, incorporato106. Girolamo da Verona, her. agostiniano, laureato, incorporato107. Vincenzo Conte, minore, laureato, incorporato108. Agostino Marliani Milanese, her. agostiniano, laureato, incorporato109. Lazaro Simonetta Genovese, her. agostiniano, laureato, incorporato110. Gabriel Vismara Milanese, predicatore, laureato, incorporato111. Stefano Tornielli, minore, Novariensis, laureato, incorporato112. Girolamo Baracani Papiensis, servita, laureato, incorporato113. Stefano Notti, humiliato, laureato, incorporato114. Boniforto Vachini, servita, laureato, incorporato115. Michel Maggi Astigiano, predicatore, laureato, incorporato. Domenico di Genova, predicatore, laureato, incorporato. Andrea da Marca Anconitana, her. agostiniano, laureato. Matteo di Candia, carmelitano, laureato, incorporato. Bartolomeo de Aquis, heremitano, laureato, incorporato116. Benedetto Barrati de Rupella, predicatore, laureato, incorporato117.
Bibliotheca Carmelitana (Anm. 35) I 182-83. Lizentiatur und Promotion in sacra pagina am 8.9.1460: SOTTILI, Lauree (Anm. 24) 131 Nr. 26;
MAIOCCHI/ CASACCA ( A n m . 9 0 ) 3 9 4 s . v . 105 MAIOCCHI/ CASACCA ( A n m . 9 0 ) 4 0 3 s . v . V g l . f e r n e r A n m . 4 3 . 106
Vgl. Anm. 151. Lizentiatur und Promotion in sacra pagina am 1.4.1462: SOTTILI, Lauree (Anm. 24) 131 Nr. 32. 108 Lizentiatur und Promotion in sacra pagina im April-Juni 1462: SOTTILI, Lauree (Anm. 24) 131 Nr. 33. Zu Vicentius de Comite ferner: C. PIANA, in: AFH 82 (1989) 265. 107
109
MAIOCCHI/ CASACCA ( A n m . 9 0 ) 3 9 9 s.v.
110
MAIOCCHI/ CASACCA ( A n m . 9 0 ) 4 0 4 s . v .
111
KAEPPELI, La Bibliothèque (Anm. 98) 16 Anm. 25. Lizentiatur und Promotion in sacra pagina am 12.3.1464: SOTTILI, Lauree (Anm. 24) 131 Nr. 44. Ferner: PIANA, Ricerche (Anm. 40) 544 s.v.; C. PIANA, La Facoltà teologica dell'Università di Firenze nel Quattro e Cinquecento, Grottaferrata 1977, 539 s.v. sowie C. PIANA, in: AFH 82 (1989) 265. 113 Wahrscheinlich identisch mit Hieronymus de Papia: PIANA, Ricerche (Anm. 40) 84,428. 114 Lizentiatur und Promotion in kanonischem Recht am 26.4.1474: SOTTILI, Lauree (Anm. 24) 139 Nr. 192. Er beteiligt sich ferner an der Promotion des Ambrosius de Inviciatis am 11.3.1472: ebd. 134 Nr. 100. 112
115 116
MAIOCCHI/ CASACCA ( A n m . 9 0 ) 4 0 5 s . v .
MAIOCCHI/ CASACCA ( A n m . 9 0 ) 3 9 1 s.v.; PIANA, R i c e r c h e ( A n m . 4 0 ) 2 6 1 . B a r t h o l o m e u s d e
Aquis hat die öffentliche Professur fur Theologie in den akademischen Jahren 1486/87 bis 1489/90 innegehabt: Pavia ASt, Università 22 fol. 183v, 186r, 189v, 193v. 117 Benedetto Barruti hat im akademischen Jahr 1468/69 die öffentliche theologische Professur innegehabt: Pavia ASt, Università 22 fol. 153r.
DIE THEOLOGISCHE FAKULTÄT DER UNIVERSITÄT PAVIA
34. 35. 36. 1468 37. 1472 38. 39. 40. 1474 41. 42. 43. 1475 44. 1476 45. 46. 47.
1477
118
48. 49. 50.
557 118
Bernardo Ricordi Lodigiano, heremitano, laureato, incorporato . Francesco de Voghera, minore, laureato, incorporato. Henrico Corte Papiensis, minore, laureato, incorporato119. Bernardino Rossi Mediolanensis, minore, laureato, incorporato120. Matteo Corte, minore, laureato, incorporato121. Luca Barberi da Ceva, minore, laureato, incorporato122. Ambrosio Pusterla, her. agostiniano, laureato, incorporato123. Pietro da Vercelli, her. agostiniano, laureato, incorporato124. Lodovico Brandelli de Mediolano, minore, laureato, incorporato. Lodovico Coda de Voragine, minore, laureato, incorporato. Marco de Reclusi, carmelitano, laureato, incorporato125. Paolo Monelia Genovese, predicatore, laureato, incorporato126. Aluigi Croce Genoeze, servita, laureato, incorporato127. Tomaso de Caneto da Bassignana, carmelitano, laureato, incorporato128. Gratiadio Crotti Cremonese, predicatore, laureato, incorporato. Agostino Campeggi di Pavia, servita, laureato, incorporato129. Filippo Maria Crivelli Milanese, predicatore, laureato, incorporato.
M A i o c c H i / CASACCA ( A n m . 90) 403 s.v.
119
MAIOCCHI/ CASACCA (Anm. 90) 395 s.v. Vgl. ferner Anm. 43. Henricus de Curte hat die öffentliche theologische Professur in den akademischen Jahren 1473/74, 1474/75, 1475/76, 1479/80 innegehabt: Pavia ASt, Università 22 fol. 158r und 165v; Mailand ASt, Studi.Parte antica, 390. Zwischen 1476 und 1479 gibt es eine Lücke in der Überlieferung der Vorlesungsverzeichnisse; ich nehme an, daß Henricus de Curte auch während dieser Zeit Theologie unterrichtet hat. 120 In den akademischen Jahren 1480/81 und 1481/82 hat Bernardinus de Rubeis die öffentliche theologische Professur innegehabt: Pavia ASt, Università 22 fol. 168r und 171r. 121 Lizentiatur und Promotion in sacra pagina im April 1472: SOTTILI, Lauree (Anm. 24) 135 Nr. 106. 122 Lizentiatur und Promotion in sacra pagina im April 1472: SOTTILI, Lauree (Anm. 24) 135 Nr. 107. 123 Lizentiatur und Promotion in sacra pagina am 26.7.1472: SOTTILI, Lauree (Anm. 24) 135 N r . 119; MAIOCCHI/ CASACCA ( A n m . 9 0 ) 4 0 2 s . v . 124 Petrus de Sancta Agatha; Lizentiatur und Promotion in sacra pagina am 10.11.1474: SOTTILI, Lauree (Anm. 24) 140 Nr. 222; MAIOCCHI/ CASACCA (Anm. 90) 406 s.v. Pietro da Vercelli. 125 Bibliotheca Carmelitana (Anm. 35) II 331 f. 126 J. QUETIF/J. ECHARD, Sciptores Ordinis Praedicatorum ... II 1, Paris 1721 (ND 1959), 3 f.; G. M. LÖHR, Die älteste theologische Promotionsordnung der Kölner Universität, in: AFP 9 (1939) 219; D'AMATO, Gli atti (Anm. 41) 235; R. CREYTENS, Les écrivains dominicains dans la chronique d'Albert de Castello (1516), in: AFP 30 (1960) 235; S. L. FORTE, Le province domenicane in Italia nel 1650. Conventi e religiosi. V. La "Provincia utriusque Lombardiae", in: ebd. 41 (1971) 439; FUMAGALLI, Aneddoti (Anm. 100) 210 Anm. 37. In den akademischen Jahren 1479/80, 1480/81, 1481/82 hat Paulus de Monilia die öffentliche theologische Thomas-Professur innegehabt: Pavia ASt, Università 22 fol. 165v, 168v, 171r. 127 Lizentiatur und Promotion in sacra pagina am 28.3.1476: SOTTILI, Lauree (Anm. 24) 141 Nr. 240. 128 Lizentiatur und Promotion in sacra pagina am 29.3.1476: SOTTILI, Lauree (Anm. 24) 141 Nr. 241. Thomas de Bassignana hat in den akademischen Jahren 1480/81 und 1481/82 die öffentliche theologische Professur innegehabt: Pavia ASt, Università 22 fol. 168v und 171r. 1477 wurde er wieder in die theologische Matrikel eingetragen. 129 Lizentiatur und Promotion in sacra pagina am 15.3.1477: SOTTILI, Lauree (Anm. 24) 142 Nr. 263. Augustinus de Papia O.S.M.: PIANA, Ricerche (Anm. 40) 292 Anm. 1.
558
AGOSTINO SOTTILI
1478
51.
1480
52. 53.
1481
54. 55. 56. 57.
1482
1484
58. 59. 60.
1486
61.
1487
62. 63. 64.
1488
65.
1483
Antonio Biglia de Sancta Agata, dottore de arte, her. agostiniano, laureato, incorporato. Lodovico da Regio, carmelitano, laureato, incorporato. Eliodoro o Eduardo, carmelitano, Cremonese, laureato, incorporato130. Stefano da Castelnuovo, servita, laureato, incorporato131. Francesco Martinengo Lodigiano, minore, laureato, incorporato132. Pietro Andrea de Inviciati, predicatore, laureato, incorporato133. Leonardo Reinstein Erbipolensis, predicatore, laureato, incorporato134. Andrea Maletta da Mortara, minore, laureato, incorporato. Pietro Varilia de Sicilia, carmelitano, laureato, incorporato. Francesco conte de Meda, minore, laureato, incorporato. Obiit 1498. Giacomo Corte, her. agostiniano, rettor Santa Giulietta, laureato, incorporato135. Giovanni Antonio Scaravazzi, predicatore, laureato, incorporato. Nicolò Alemani, prete, incorporato136. Hermanno Jena, predicatore, di Sassonia, Alemano, laureato, incorporato137. Francesco Busti Lodigiano, minore, laureato, incorporato138.
130
Heliodorus Oldrandus Cremonensis: Bibliotheca Carmelitana (Anm. 35) 1617 f. D.-M. MONTAGNA, Regesta Priorum Generalium O.S.M. 1249-1625, 1: Indice dei documenti raccolti da fra Giacomo Tavanti, in: Studi storici dell'Ordine dei Servi di Maria 11 (1961) 166; O J. DIAS, Estremi di generalato dei priori generali O.S.M. dal 1496 al 1552, in: ebd. 18 (1968) 89, 117. P. M. BRANCHESI, Servi di Maria nelle promozioni agli ordini sacri a Bologna e alle dignità ecclesiastiche nel Veneto nei secoli XIV-XV, in: ebd. 18 (1968) 249; PIANA, Ricerche (Anm. 40) 125 Anm. 1. 132 P. M. SEVESI, Tavola capitolare della provincia dei minori conventuali di Milano redatta nel 1498, in: AFH 24 (1931) 186 Anm. 1. 133 MAIOCCHI/ CASACCA (Anm. 90) 398 s.v. Petrus Andreas de Inviciatis hat die öffentliche Thomas-Professur in den akademischen Jahren 1482/83, 1485/86 und 1486/87 innegehabt: Pavia ASt, Università 22 fol. 174r, 179v, 183v. Die Vorlesungsverzeichnisse für die akademischen Jahre 1483/84 und 1484/85 sind mir nicht bekannt. Ich nehme an, daß Petrus Andreas auch in diesen Jahren unterrichtet hat. Vgl. ferner FUMAGALLI, Aneddoti (Anm. 100) 210 Anm. 37. 134 Lizentiatur und Promotion in sacra pagina im Jahr 1482: SOTTILI, Die Lobrede (Anm. 24) 42. Zu Reinstein: G. M. LOEHR, Die Dominikaner an der Universität Trier, in: Studia Mediaevalia in honorem R. J. Martin, Brügge 1948, 512 f. 131
135
136
MAIOCCHI/ CASACCA ( A n m . 9 0 ) 3 9 5 s.v.
Obwohl Tinctoris in der Matrikel nicht als 'laureato' angeführt wird, hat er am 27.10. 1487 in Pavia promoviert: SOTTILI, Lauree (Anm. 24) 148 Nr. 378, und SOTTILI, Nürnberger Studenten (Anm. 2) 52 f. 137 Unter den Studenten, die sich an der Universität Erfurt im Sommersemester 1447 immatrikuliert haben, befindet sich auch Hermannus de Ienis: J. C. H. WEISSENBORN, Acten der Erfurter Universit ä r , Halle 1881 (ND 1976) 212. Aus chronologischen Gründen halte ich eine Identifizierung des Pavia-Studenten mit seinem gleichnamigen Erfurter Kommilitonen für unmöglich. 138 Lizentiatur und Promotion in sacra pagina am 13.4.1488: SOTTILI, Lauree (Anm. 24) 148 Nr. 381; C. PIANA, Chartularium Studii Bononiensis S. Francisci (saec. XIII-XVI), Quaracchi 1970, 109, und C. PIANA, in: AFH 82 (1989) 447; M. FERRARI, Per una storia delle biblioteche francescane a Milano nel Medioevo e nell'Umanesimo, in: AFH 72 (1979) 447.
DIE THEOLOGISCHE FAKULTÄT DER UNIVERSITÄT PAVIA
1489
66. 67. 68. 69. 70. 71.
1490 1491 1493 1494
72. 73. 74. 75. 76. 77.
1495 1497 1498
78. 79. 80.
559
Bernardo Granelli da Genoa, predicatore, laureato, incorporato139. Stefano da Vercelli, predicatore, laureato, incorporato. Agostino Rizardini da Savigliano, predicatore, laureato, incorporato140. Beda di Asti, carmelitano, laureato, incorporato141. Alessandro di Pavia, her. agostiniano, laureato, incorporato142. Giacomo de Alemania de civitate Constancia, predicatore, laureato, incorporato143. Bono di Candia, carmelitano, laureato, incorporato. Girolamo Ricardo, predicatore, laureato, incorporato. Raimondino di Ceva, minore, laureato, incorporato. Giacomo Campeggi, servita, laureato, incorporato144. Andrea Medulagi de Mediolano, her. agostiniano, laureato, incorporato145. Giovanni Simon Fronolandi da Borgofranco, carmelitano, laureato, incorporato. Bartolomeo de Genoa, servita, laureato, incorporato146. Nicolò Clengher Alemano, predicatore, laureato, incorporato147. Filippo da Lodi, her. agostiniano, laureato, incorporato148.
Die Urkunde für die Bakkalarprüfiing des Johannes Vest stellt nicht das einzige Dokument dieser Art dar, das für die theologische Fakultät der Universität Pavia überliefert ist. Vest wurde am 21. März 1465 zum Baccalaureus formatus in Sacra pagina promoviert. Fünf Monate früher hatte sich der Krainer Erasmus Rockhil, 139 MAIOCCHI/ CASACCA (Anm. 90) 397 s.v.; E. FUMAGALLI, Aneddoti della vita di Annio da Viterbo O.P., in: AFP 50 (1980) 192 Anm. 74. In den akademischen Jahren 1487/88, 1488/89, 1494/95 hat Bernardus de Granellis die öffentliche Thomas-Professur innegehabt: Pavia ASt, Università 22 fol. 186r, 189v, 204r. 1495/96 las an seiner Stelle sein Vertreter: fol. 207r. 140 Rizardinis Vorname war Angelus. Er hat in sacra pagina am 11.4.1489 promoviert: SOTTILI, Lauree (Anm. 24) 150 Nr. 416. Ferner MAIOCCHI/ CASACCA (Anm. 90) 403 s.v. In den akademischen Jahren 1489/90, 1491/92, 1493/94, 1496/97 hat er die öffentliche Thomas-Professur innegehabt: Pavia ASt, Università 22 fol. 193v, 197v, 200r, 217r. 141 Beda de Craveriis; Lizentiatur und Promotion in sacra pagina am 14.4.1489: SOTTILI, Lauree (Anm. 24) 150 Nr. 417. 142 Alexander de Vitalibus; Promotion in sacra pagina am 5.5.1489: SOTTILI, Lauree (Anm. 24) 150
N r . 4 2 0 ; MAIOCCHI/ CASACCA ( A n m . 9 0 ) 4 0 6 s.v. 143
Jacobus Hilpoldi de Constancia; Lizentiatur und Promotion in sacra pagina am 4.7.1489: SOTTILI, Lauree (Anm. 24) 150 Nr. 433. Zu Jakob Hilpolt: LOEHR, Die Dominikaner an der Universität Trier (Anm. 134) 514 f. 144 MAIOCCHI/ CASACCA (Anm. 90) 394 s.v. Gian Giacomo Campeggi. 145
146
MAIOCCHI/ CASACCA ( A n m . 90) 399 s.v. A n d r e a da Milano.
MONTAGNA, Regesta Priorum (Anm. 131) 164; D.-M. MONTAGNA, Liber capitulorum generalium O.S.M., I: Bologna 1494, in: Studi storici dell'ordine dei Servi di Maria 12 (1962) 104; D.-M. MONTAGNA, Liber capitulorum generalium O.S.M., II: Verona 1491, in: ebd. 342. 147 Lizentiatur und Promotion in sacra pagina am 14.2.1497: SOTTILI, Lauree (Anm. 24) 155 Nr. 531; ferner KLEINEIDAM, Universitas Studii Erffordensis (Anm. 85) II 274. 148 Philipus de Muzano; Promotion in sacra pagina am 23.7.1498: SOTTILI, Lauree (Anm. 24) 157 N r . 5 7 0 ; MAIOCCHI/ CASACCA ( A n m . 9 0 ) 4 0 0 s . v .
560
AGOSTINO SOTTILI
Kleriker der Diözese Aquileia, der gleichen Prüfung unterzogen149. Die entsprechende Urkunde ist vorhanden und bietet zusammen mit derjenigen für Vest Hinweise zum theologischen Lehr- und Lernbetrieb in Pavia, die mangels einer ausfuhrlichen Darstellung am besten gleich ausgewertet werden sollen. Weder Vest noch Erasmus Rockhil war Ordensmann; dieser wurde als Kleriker der Diözese Aquileia bezeichnet, jener war vermutlich Weltpriester. Venerabiiis vir presbiter dominus magister Johannes Vest de Constancia meine ich in der Urkunde lesen zu dürfen, wobei presbiter Auflösung einer Abkürzung pr ist, die in die Zwischenzeile eingeschoben wurde150. Rockhil wurde von den Karmeliten und Magistri der Theologie Antonius de Mediolano und Franciscus de Mediolano lsl zur Prüfung vorgeschlagen und von einem dritten Magister der Theologie aus dem Karmelitenorden, dem reverendus pater dominus frater Jacobus de Puteo Bonellois2, zusammen mit den zwei ersten privatim et rigorose geprüft. Diesem ersten Teil der Examensprozedur ist eine Disputation mit mehreren Bakkalaren der Theologie im Karmelitenkloster gefolgt, und anschließend fand die öffentliche Bakkalarpromotion in der Aula der bischöflichen Residenz statt, wo der feierliche Teil der Prüflingen zelebriert wurde. Wenn man den Vorgang mit modernen Worten beschreiben wollte, würde man sagen, Rockhil sei zum 'baccalaureus formatus' bei den Karmeliten befördert worden. Das ist aber nur dem Anschein nach wahr, denn Rockhil erhielt den akademischen Titel weder vom General der Karmeliter noch vom Dekan des Prüfercollegiums, sondern vom Kanzler der Universität, dem Bischof von Pavia, der von seinem Vikar, Corrado Marcellini, vertreten wurde. Der Bischof trat auch bei den theologischen Promotionen wie bei den Prüfungen in den anderen Fakultäten als Oberhaupt der Universität kraft Privilegierung der Hochschule durch Kaiser und Papst auf. Die theologische Fakultät war in Pavia - und bestimmt nicht nur dort - eine Art Konföderation der 'Studia' einiger in Pavia ansässiger Orden153. Wer kein Ordensmitglied war, nahm zwar an den Vorlesungen der öffentlichen Professoren für Theologie teil, aber hauptsächlich studierte er in einem Kloster, weil er allein hier Magistri, Promotoren, Prüfer und Publikum für die Disputationen und Vorlesungen fand, die er zu halten verpflichtet war. Der Bischof als Universitätskanzler und das Prüfercollegium, das aus Doktoren aller Orden bestand, waren das Bindeglied der Fakultät. Die Urkunde für Vest ist ausfuhrlicher als jene für Rockhil und bringt zusätzliche Details sowohl über den eben geschilderten Vorgang als auch über die Weise, 149
SOTTILI, Lauree (Anm. 24) 132 Nr. 49. 150 p a via ASt, Archivio notarile di Pavia, 91 fol. 346r. 151 Vgl. oben Nr. 18 der Promoviertenliste. 152
153
MAIOCCHI ( A n m . 5 ) II 2 , 4 5 8 , 5 5 1 .
Zum 'Studium' der Augustinereremiten in Pavia vgl. MAIOCCHI/ CASACCA (Anm. 90) passim; z.B. 299, wo ein 'sacre theologie professor', zwei 'magistri', ein 'baccalaureus biblicus', ein 'lector', ein 'magister studentium' und ein 'Cursor' erwähnt werden. Das 'Studium' der Serviten wird ausdrücklich in einer Konstitution des Generalkapitels von 1461 erwähnt: PIANA, La Facoltà teologica (Anm. 112) 126 f. Die Humiliaten hatten in Pavia ein Studentenwohnheim. Dies geht hervor aus zwei Urkunden: Pavia ASt, Archivio notarile di Pavia, 87 fol. 179r-180v, und 88 fol. 200r. Für die Geschichte des 'Studium' der Dominikaner in San Tommaso sind zwei Urkunden vom 26.6.1454 und vom 15.4.1455 von Bedeutung: Pavia ASt, Archivio notarile di Pavia, 85 fol. 175r-176v und 298r299v. In beiden wird die Anwesenheit im Kloster eines Professors der Theologie (Magister Georgius de Canibus, inquisitor) und zweier 'baccalaurei' (1454: Iohannes Anizius und Paulus de Folpertis; 1455: Iohannes de Mediolano und Petrus de Cayrate) dokumentiert. Zu Petrus de Cayrate vgl. Anm. 98.
DIE THEOLOGISCHE FAKULTÄT DER UNIVERSITÄT PA VIA
561
wie die ganze Fakultät funktionierte. Die Liste der Prüfer ist diesmal erheblich länger und wird vom Augustinereremiten Iohannes Iacobus de Campisiis angeführt154, der als Decanus procurandorum magistrorum sacre theologie felicis Studii Papiensis tituliert wird. Die Verwendung dieser Bezeichnung bestätigt meines Erachtens die oben vorgetragene Meinung, das Collegium der Theologen und das Collegium der Prüfer seien auseinanderzuhalten; sonst hätte Campisius ja diese Bezeichnung nicht gewählt. Die Urkunde verzeichnet ferner folgende Magistri der Theologie: Bartholomens de Fazardis eiusdem ordinis155, Iacobus de Puteo Bonello156 und Antonius de Mediolano ordinis carmelitarum, Laurentius de Biffis157 und Augustinus de MarlianoXi% ordinis heremitarum, Raphael de Grillis ordinis servoruml59, Sirus de Astulphism ordinis minorum, Gabriel de Vicemalis ordinis predicatorum161. Nachdem Vest den Teil der Prüfung bestanden hatte, der in der Urkunde für Rockhil examen privatum et rigorosum genannt wird, folgte die schon erwähnte Eintragung in die Matrikel und die Zuordnung zu den Baccalaurei. Die anschließenden Stufen des Promotionsverfahrens zum 'Baccalaureus formatus in sacra pagina' bestehen aus dem 'Principium super primo libro Sententiarum' und über andere Gebiete der Theologie, aus einer Vorlesungsreihe, die Vest gratis im Dominikanerkloster San Tommaso gehalten hat und die von multi venerabiles patres et auditores besucht wurde, sowie einer publica disputatio. Vest war kein Dominikaner, sein Auftritt als Dozent fand dessenungeachtet im Dominikanerkloster statt. Der Notar teilt die Hörer des erfolgreichen Bakkalars in zwei Kategorien ein: patres und auditores, Ordensleute, Theologen und andere Interessenten. Die theologischen Vorlesungen, die in den Klosterschulen stattfanden, waren also nicht für deren interne Bedürfnisse allein bestimmt. Wenn es so war, dann wird auch klar, warum der theologische Unterricht von der herzoglichen Verwaltung mitfinanziert wurde und Rektor und Studenten der juristischen Fakultät die Besetzung der öffentlichen theologischen Lehrstühle mitzubestimmen versuchten. In der Urkunde für Vest wird einmal der 'terminus' facultas und einmal der Ausdruck universitas predictorum magistrorum predicti Studii Papiensis verwendet. Studium Papiense entspricht dem, was man heute Universität nennt. Auch 'Facultas' weicht vom heutigen usus kaum ab. Vest hat sich der öffentlichen Disputation unterworfen und den vielen Magistern und Bakkalaren unter Beachtung der in der Fakultät bei festlichen Gelegenheiten üblichen Bräuchen passend geantwortet. Fakultät bezeichnet das Zusammenwirken der Studenten, Professoren und Prüfer der Theologie des Studium Papiense. Der Ausdruck Universitas magistrorum ist weniger abgrenzbar. Er bezeichnet im Kontext der Urkunde entweder das Prüfercollegium oder die Gesamtheit der theologiae magistri. Der Ausdruck Universitas theologorum kommt aber auch gelegentlich vor. Magister Franciscus de Mangano nennt sich in einem Brief aus dem Jahre 1453 sacre 154
Vgl. Anm. 104. MAIOCCHI (Anm. 5) II 2, 551. 156 Vgl. Anm. 152. 157 Laurentius de Biffis wurde 1450 in die Theologenmatrikel eingetragen: Pavia, Biblioteca Universitaria, Ticinensia 181 fol. 87va. 158 Vgl. Anm. 109. 159 Vgl. Anm. 97. 160 vgl. Nr. 16 der Promoviertenliste. 161 Vgl. Anm. 111. 155
562
AGOSTINO SOTTILI
theologie professor indignus et universitatis theologorum vicedecaniisi62. Waren damit allein die Graduierten gemeint oder wurden die Studenten eingeschlossen? Eine Antwort auf diese und viele andere Fragen über die Ticinensis theologica facultas wird erst nach besserer Erschließung der Quellen möglich sein. Sie war vielleicht nicht anders strukturiert als die gleichnamigen Fakultäten etwa der Universitäten Padua, Bologna und Florenz. Manches Problem kann man deshalb durch Heranziehung der Literatur, die diese Hochschulen behandelt, lösen. Eine zusammenfassende Monographie wie das Buch von Gasparo Zonta und Giovanni Brotto über die theologische Fakultät der Universität Padua163 oder eine so reichhaltige Dokumentensammlung wie die von Celestino Piana über die theologische Fakultät in Florenz164 wird man für die theologische Fakultät Pavia im 15. Jahrhundert wohl nicht in naher Zukunft zusammenstellen können. Anhang I Der Minoritengeneral verspricht, Magister Gometius so bald wie möglich nach Pavia zu senden; Rom, 20. Oktober 1481. — Mailand ASt, Autografi, Uomini celebri 133 n° 8: Gomezio da Lisbona. Illustrissime Princeps et invictissime Dux. Humilima et subiecta comendatione premissa etc. Longe antea intellexeram vestram illustrissimam Dominationem, sua inata in ordinem nostrum ardentissima devotione motam et viri modestia, probitate et virtute, venerabilem magistrum Gometium Ulixbonensem ad lecturam sacre theologie in Papiensi gignasio designasse, quo nil mihi in eo genere gratius evenire potuisset, cum ea in re et vestre illustrissime Dominationis beneplacitum, mee religionis honorem multorumque inspexerim comodum. Eum autem magistrum Gometium ad desyderium vestrum exequendum, ut eo promptiorem facerem quo esset precepto astrictus multis ante diebus per litteras meas adhortatus sum et coegi ut in quibuscunque gratis vestre illustrissime Dominationi se totamque religionem meo nomine offerret. Nuper vero omni subiectione et debita reverentia litteris illustrissime Dominationis vestre acceptis, pro quibus non debitas, sed quas possum gratias habeo que id mihi suadere dignata est, quod mihi et ordini eo est honori, ob quarum reverentiam novas litteras precepto astrictas prefato magistro Gometio transmitto, quo quanto cicius comode fieri potest se Papiam personaliter conferai iussionibus vestre illustrissime Dominationis obtemperaturum. Eo tarnen libentius ut illic morari et vestre illustrissime Dominationi satisfacere queat, scripsi reverendo ministro illius provincie, ut comodam sibi cameram pro possibilitate conventus designet eaque omnia pro ipso gerat, que pro me agere vellet si interessem adiecique intentionis mee et propositi esse quam plures studentes fratres litteris aptos illuc destinare, quo nedum in ginasio, verum etiam in conventu sancti Francisci ibidem vestre illustrissime Dominationis sacre theologie Studium sub tanto viro vigeat et civitas ipsa dignissima honorificentia colatur. Si quid autem in alio aut eo generis opere quam minime ordinis et mee facultates suppetunt, super quibus non modo in dominio illustrissime Dominationis vestre, verum et per totum mundum dominum et patronum constitui, agere valeo, iubeat et letanti animo efficiam. Quam Dominus ex alto prospiciat, adaugeat feliciter et conservet. Rome die XX° Octobris 1481. Eiusdem illustrissime Dominationis vestre humilimus et assiduus orator ad Dominum frater Franciscus Sanson generalis minister totius ordinis minorum. (A tergo:) Illustrissimo 162
Mailand ASt, Visconteo-sforzesco 753: 10.9.1453. La Facoltà teologica dell'Università di Padova I, Padua 1922. 164 PIANA, La Facoltà teologica (Anm. 112). Für Bologna: Chartularium Studii Bononiensis Sancti Francisci (Anm. 138). 163
DIE THEOLOGISCHE FAKULTÄT DER UNIVERSITÄT PAVIA
563
Principi et potentissimo Domino Domino Iohanni Galeaz Marie Sfortie Vicecomiti, dignissimo Duci Mediolani etc., Domino et benefactori meo singularissimo. Anhang II Supplik der Universität Pavia, daß an der theologischen Fakultät die Lectura Thomae eingerichtet werde; Pavia, 7. Oktober 1479. — Pavia ASt, Università 32, Faszikel 75. Ihesus165. Cum nobis exploratissimum sit illustrissimis Dominationibus vestris Semper curae extitisse idque in dies diligentissime studuisse Ticinensse silicet Gimnasium, quod toto ferme terrarum orbi celleberrimum existit, leccionibus idoneis decorare doctorumque et gravissimorum virorum auctoritatibus exornare, condignum esse duximus et Universitati nostre saluberrimum sacre silicet theologiae lectioni legentem superaddere, qui cum Schoti scripta tantummodo lectitentur, divi Thomae opera iam prope pereuntia in lucem edat. Cui quidem rei ubi illustrissime Dominationes vestre satisfacere cupiant, nemo nobis idonior aut aptior visus est, qui tanti operis mollem apertius aperiturus sit quam reverendus magister Iohannes de Curte, ordinis praedicatorum, clarissimus sacre theologie magister, qui quidem ingenio facilis, doctrina clarus et relligione integerrimus plurima Italiae Gimnasia theologorum leccionibus tum disputationibus Romana Curia saepius dechorata ipsa quoque Neapolis quantum in sacris et philosophicis disciplinis vir iste valeat apertissime cognovit, cognoverunt et innumere civitates Italie. Nos itaque huic Ticinensi Studio tantum virum coniungere cupientes, illustrissimis Dominationibus vestris affectuosissime supplicamus ut hanc nostram satis honestam petitionem auctoritate sua comprobare dignentur hoc unum atestantes eam ipsam rem vestrae immortali gloriae non exiguum laudis incrementum praestituram, tarn cellebrem silicet virum nostro Gimnasio condonasse. Ex Ticinia urbe septimo Octobris MCCCC°LXXVIIII°. Anhang III Zusammenstellung des Gehalts für Thomas Penketh. — Mailand ASt, Comuni 69. Magistro Thomase Anglico a la lectura de theologia et methafisica ne le feste in summa floreni cento, li quali se haverano in questo modo: primo, fiorini trenta, li quali l'anno passato se daveno ad uno de quelli che lezevano theologia, nel loco dil quale questo serà deputato; secondo, floreni XL, li quali si solevano dare ad doy scholari deputati a la methafisica ne le feste; terzo, floreni XXX, li quali166 se zonzeno a la somma de tutto el Studio. Anhang IV Intervention des Herzogs, daß Thomas Penketh eine passende Unterkunft vorbereitet wird; Villanova, 7. September 1475. — Mailand ASt, Comuni 69. .. Dux Mediolani etc.167 Dilecte noster. Habiamo conducto a la lectura de theologia in quello nostro Studio de Pavia el venerabile magistro Thomase Penchet Anglexe, clarissimo in philosophia et theologia, quale per la soa excellentia de doctrina merita sie honorato et ben tractato, et deve zonzere a Pavia ne la setimana proxima. Pertanto volemo 165 Die Urkunde ist PARODI, Elenchus (Anm. 2) 41, und M. MARIANI, Vita universitaria pavese del secolo XV, Pavia 1899, 44 f., bekannt. 166 quali ist von el devono gefolgt; el ist durchgestrichen, devono ist aus Sinngründen überflüssig. 167 Auf diesen Brief verweist E. MOTTA, Studenti Svizzeri a Pavia nella seconda metà del 1400, in: Bollettino storico della Svizzera italiana 7 (1885) 152.
564
AGOSTINO SOTTILI
tu vadi al monasterio de sancto Augustino, de la cui relligione è esso magistro Thomaxe, et conforti da parte nostra tutto el convento ad apparecchiarli el lozamento et cose necessarie per il suo lozare, provedendo che gli sia apparechiato quelle medesime camere quale solevano essere date ad domino Paulo suffraganeo. Et benché ne rendiamo certi che quello convento de bona voglia apparecchiarà el dicto lozamento et non gli mancará dal canto suo ad tutta possanza in fare ogni cosa che sera de comodità del prefato magistro Thomase, perché serà ad honore del convento ad havere in casa un homo de la soa religione, de tanta doctrina et etiam perché gli serà utile ad chi vorà imparare, tamen faragli intendere che ad nuy non poteriano fare mazore piacere che ben tractarlo et accarezarlo. Et ti sollicitaray che così sia misso ad effecto et ch'el suprascripto magistro Thomase a la soa venuta, trovi apparechiato el suprascripto lozamento et che non gli manchi cosa alcuna. Datum Ville Nove VII septembris 1475.
Cichus.
(A tergo:) Nobili viro Referendario Papié nostro dilecto. Anhang V Supplik des Rektors der medizinisch-artistischen 'Universitas' und seiner Räte, daß studentische Lehraufträge vergeben werden; Pavia, 19. November 1475. — Mailand ASt, Comuni 69. Illustrissime et excellentissime Princeps. Vidimus rotulum hoc anno diligenter et mature confectum, in quo non designati fuerunt ad lecturas in festis scholares, quos Universitas nostra eligerat, pro laudabili more, honore ac amplitudine Studii tui, pro observatione statutorum et privilegiorum eiusdem Universitatis. Ferebamus hoc equo animo expectantes Anglicum illum ad lecturam theologie debere deputari, quod cum factum non fuerit, dignum duximus excellentissime Dominationi tue supplicare, que pro honore et exaltatione huius felicis Gimnasii Semper vigilat et nulli parcit impense, ut has lecturas eis scolaribus qui per Universitates electi erant, concedere dignetur, eo maxime quod qui deputati sunt, iuvenes existunt preclari, habentes ingenia bone spei et qui dictis lecturis omni cura, diligentia et sollicitudine vacabunt. Exercebunt ingenia sua, quibus aliquando Dominatio tua in maioribus uti potent. Omnes enim subditi sunt imperio tuo, omnes certe doctissimi. Hoc si fecerit illustrissima Dominatio tua, rem toti Universitati gratissimam efficiet. Habent enim cetera Studia huiuscemodi lecturas in festis, quibus Studium tuum si careret, quod in reliquis omnia Italie Studia antecellit, in hoc saltem esset illis longe inferius. Multi quoque ob hanc causam scolares Ticinense Studium minime peterent, qui aliquando huiuscemodi preheminentiis ad nos venire excitantur. Datum die XVIIII 0 Novembris 1475. Iohannes Palavicinus R Bernardinus de Dominicus de T Petrus Iacobus de S consilarii Evasius de Brixia Gabriel de Rizolis Aloysius Cernusculu. (A tergo:) Illustrissimo et excellentissimo Principi Domino, Domino nostro, Duci Mediolani, Papié Anglerieque Corniti ac Ianue et Cremone Domino, Duci nostro Semper metuendo.
Occeani Angustior Latitudo Die Ökumene auf der Klimatenkarte des Pierre d' Ailly VON ANNA-DOROTHEE V. DEN BRINCKEN Einleitung: Der Anteil des Ozeans an der Erdkugeloberfläche Die einzige mittelalterliche Weltkarte präkolumbischer Zeit, die die Verteilung von Wasser und Festland auf der Erdoberfläche als fundamentale Fragestellung anspricht und herrschenden Lehrmeinungen auch auf einer kleinen Inventarkartenskizze entgegenzutreten wagt, hat den französischen Kardinal und namhaften Konziliaristen Pierre d'Ailly (1350-1420) zum Schöpfer1. Sie gehört zu seiner kosmographischen Schrift 'Ymago Mundi' bzw. dem angehängten 'Epilogus Mappae Mundi' als Kartenskizze Nr. 72. Als Abschlußdatum ist der 12. August 1410 ausgewiesen3. An insgesamt vier Stellen der in den Handschriften im Durchmesser nur zwischen 110 und 128 mm4 messenden Zeichnung deutet der Kartograph an, daß etwaige weiße Flecken auf der Landkarte dem Zeugnis authentischer Geschichtswerke mit Nachrichten über eine Besiedlung entgegenstehen. Die 'Ymago Mundi' erlangte Berühmtheit, weil ein Exemplar des von Johannes de Westfalia5 1483 erstellten Löwener Wiegendruckes, der eine Reihe von Pierres Schriften6 enthält, Christoph Kolumbus als Handbuch gedient hat und von ihm vor 1492 reichhaltige Glossierung erfuhr. Dieses bedeutsame Zeugnis vom Weltbild des Kolumbus ist in der Biblioteca Colombina in Sevilla erhalten und wurde durch Edmond Buron7 der Forschung zugänglich gemacht. Die Karte ist Bestandteil dieses Werkes. 1 Über die Werke Pierres orientiert immer noch am besten L. SALEMBIER, Petrus de Alliaco (Diss. théol.) Lille 1886; vgl. aus jüngerer Zeit u.a. A. E. BERNSTEIN, Pierre d'Ailly and the Blanchard Affair. University and Chancellor of Paris at the Beginning of the Great Schism (SMRT 24) Leiden 1978; G. OUY, Pierre d'Ailly, in: LMA I (1980) 289; B. GUENÉE, Entre l'Église et l'État. Quatre vies de prélats français à la fin du Moyen Âge, Paris 1987, 125-299. 2 Vgl. Abb.; auch E. BURON, Ymago Mundi de Pierre d'Ailly, cardinal de Cambrai et chanceliier de l'Université de Paris (1350-1420). Texte latin et traduction française des quatre traités cosmographiques de d'Ailly et des notes marginales de Christophe Colomb. Études sur les sources de l'auteur, I-III, Paris 1930: II, Tafel X neben S. 356 und Tafel XIII S. 405; weitere Abb. u.a. bei Y. KAMAL, Monumenta Cartographica Africae et Aegypti IV 3, Kairo 1938, fol. 1354; L. BAGROW/ R. A. SKELTON, Meister der Kartographie, Berlin 21963 (ND 1994) 58 f.; J. G. LEITHÄUSER, Mappae Mundi. Die geistige Eroberung der Welt, Berlin 1958, 161 und 173; M. DESTOMBES, Mappemondes A.D. 1200-1500 (Monumenta Cartographica Vetustioris Aevi I) Amsterdam 1964, Tafel XVII/ S; A.-D. V. DEN BRINCKEN, Fines Terrae. Die Enden der Erde und der vierte Kontinent auf mittelalterlichen Weltkarten (Schriften der MGH 36) Stuttgart 1992, Abb. 46. 3 Ymago, ed. BURON (Anm. 2) II, 496. 4 DESTOMBES (Anm. 2) beschreibt die handschriftlichen Karten section 48, 161-163; es geht hier um die beiden Handschriften der Bibliothèque Municipale von Cambrai 927, fol. 4, und 954, fol. lOv, sowie der Bibliothèque Royale von Brüssel 21198-21204, fol. 4. Abgebildet ist hier Ms. Cambrai 954. 5 Jetzt T. CAMPBELL, The Earliest Printed Maps, 1472-1500, Berkeley-Los Angeles 1987, Nr. 15, 87 f. 6 Vgl. BURON (Anm. 2) im Vorwort zur Edition I 111 f. 7 In der Ausgabe Paris 1930.
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ANNA-DOROTHEE V. DEN BRINCKEN
Der Komplex Wasser - Land spricht ein zentrales Problem im Bereich Kosmos - Ökumene an. Das Mittelalter akzeptierte sehr wohl die Kugelgestalt der Erde8, zitierte aber stets Augustinus9 betreffs etwaiger Besiedlung der Rückseite der Erde, weil eine solche durch die Nachkommen Noes nicht in der Bibel bezeugt war. Ein Ausschluß von Adamssöhnen aus der Heilsgeschichte war undenkbar, Augustin vermutete daher Wasser auf der Erdrückseite. Um just diesen rückseitigen Ozean zwischen Westende der Ökumene und Ostanfang von Indien sollte es Kolumbus bei Erkundung der Westpassage gehen, gegebenenfalls aber auch um das Meer zwischen unserer Ökumene und dem Periökenkontinent, falls man mit den Schulbüchern des Mittelalters im Gefolge des Macrobius10 die Erdkugel als Globus des Krates von Mallos aus Pergamon (um 150 v. Chr.) verstand, nämlich durch zwei sich kreuzende Ozeanringe, einen Polarozeanring und einen Äquatorialozeanring, gevierteilt und in vier Inselkontinente untergliedert. Als Periökenkontinent bezeichnete man die Festlandsinsel auf der Rückseite der nördlichen Halbkugel, als Antökenkontinent das Land südlich vom Äquator, als Antichthonenkontinent den Erdteil auf der Rückseite der südlichen Halbkugel. Pierre d'Ailly, optimal an der Pariser Universität ausgebildet, hat auch die Quadriviumsfächer intensiv studiert und geht in seinen Schriften weit über das Lehrbuchwissen hinaus. Seine in Anbetracht des Formats erstaunlich inhaltsreiche Ökumene-Karte weist in den Handschriften - der Druck hat das nur teilweise übernommen - wörtlich übereinstimmende Verbindungsnotizen zur 'scriptura' der Werke, dem Text - den sie erläutern soll - auf, nämlich am K o p f : Hec figura servit XIIIP capitulo et pluribus aliis pro divisione terre in tres partes et similiter pro distinctione maris ac quorundam fluminum et regionum; hic gratia exempli positorum, quia particularior distinctio maiorem figuram requirit. Die Kartenzeichnung wird dem 14. Kapitel der 'Ymago' zugeordnet und erläutert die Aufteilung der Erde in die damals bekannten Erdteile im Zusammenhang mit Meeren, Flüssen und Landschaften. Sie kann die Zeugnisse nur andeuten, sonst wäre eine größere Skizze vonnöten. Unter der 'pictura' aber wird in Akzentuierung der Bildaussage festgestellt, daß die Breite des rückseitigen Ozeans zwischen den Herkules-Säulen im Osten und im Westen geringer sei, als die Mehrzahl der Gelehrten annehme12. Die folgenden Betrachtungen beschränken sich auf eine Interpretation der Karte Pierres und ziehen seine Texte nur zur Erläuterung heran. Ganz verzichtet wurde daher auch auf eine Diskussion der aus Ptolemäus übernommenen Zahlen, Gradeinteilungen und Maßangaben, deren Ungereimtheiten die Forschung vielfach beschäftigte. Vielmehr wird die Karte hier lediglich unter geisteswissenschaftlichen Aspekten analysiert, da die 'pictura' nur diese akzentuiert. 8
Vgl. V. DEN BRINCKEN, Fines Terrae (Anm. 2); R. SlMEK, Erde und Kosmos im Mittelalter, München 1992. De civitate Dei XVI, 9. 10 Commentarii in Somnium Scipionis, ed. J. WILLIS, Leipzig 1970, 122-124 (II 9); zu den Macrobius-Karten vgl. DESTOMBES (Anm. 2) insbes. 85 f. u.ö. 11 Nachweise von Reproduktionen der Handschriften vgl. oben Anm. 2. 12 Cuius OCCEANI inter orientales et occidentales Gades Herculis ANGUSTIOR LATITUDO, quam vulgus philosophorum credat esse perhibetur; der Text fehlt im Frühdruck. Er entspricht 'Epilogus Mappae Mundi' c.5, ed. BURON (Anm. 2) II 534. 9
OCCEANI ANGUSTIOR LATITUDO
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Hauptteil: 'Occeani angustior latitudo'. Die Ökumene auf der Klimatenkarte des Pierre d'Ailly 1. Kartographische Interessen französischer Konziliaristen im Umfeld des Konstanzer Konzils In den Jahren der Übersetzung der "Einführung in die darstellende Erdkunde" wie man den Titel der Schrift des Ptolemäus 'Geographiké Hyphégesis', gemeinhin 'Geographia' oder auch 'Cosmographia' genannt, korrekt übersetzt - durch Jacobus Angeli da Scarperia13 ins Lateinische haben sich zu einer Zeit, aus der gar nicht so viele Karten bezeugt sind, zwei französische Konziliaristen mit kosmographischen Ambitionen getragen: Pierre d'Ailly aus Compiégne, der am Navarra-Kolleg in Paris zunächst Artes studierte, 1381 mit 31 Jahren bereits Magister der Theologie und 1389 Kanzler der Pariser Universität, 1395 Bischof von Le Puy und 1397 von Cambrai war, engagierte sich hier ebenso wie sein Freund Guillaume Fillastre der Ältere (ca. 1350-1428), Dekan in Reims. Durch Einsatz für das Pisaner Konzil wurden beide 1411 von Johannes XXIII. zu Kardinälen erhoben und nahmen führende Positionen auf dem Konstanzer Konzil14 ein. Pierre hat kurz davor seine kosmographischen Traktate erstellt, nämlich bis zum 12. August 1410 seine 'Ymago Mundi'15, daran anschließend den 'Epilogus Mappae Mundi'16, der die acht Karten der 'Ymago' zusammenfaßt, ferner die beiden Kompendien bzw. Traktate zur Kosmographie des Ptolemäus, mit denen er die wichtigsten Provinzen der Ökumene im Auszug vorstellen wollte17. Mit Guillaume Fillastres Namen ist die Reimser Mela-Karte verbunden, die als Mappa Mundi gestaltete O-Initiale des Incipits Orbis situm dicere aggreditur, d.h. zu den Anfangsworten der Schrift 'De situ orbis' des Pomponius Mela, Relikt einer verlorenen Karte in derselben Handschrift - eine Auftragsarbeit für Fillastre, aber stets mit seinen eigenen Arbeiten in Verbindung gebracht18. Fillastre war gleichfalls ein Ptolemäus-Benutzer. Die Reimser Karte wird auf ca. 1418 datiert, es handelt sich um eine TO-Karte, auf der die Ränder von Festlandsregionen aller Richtungen als 'terrae incognitae' vorgestellt werden. Die Karte ist trotz Kleinformates ein kunstvolles Gemälde. 13 Den besten Eindruck eines lateinischen Ptolemäus-Textes im 15. Jahrhundert vermittelt die Faksimile-Ausgabe aus der Vaticana: Die Cosmographia des Claudius Ptolemäus, Cod. Urb. Lat. 277, mit einer Einführung von A. DÜRST (Codices e Vaticanis Selecti 53) Zürich 1983. Dt. Teilausg.: Theorie und Grundlagen der darstellenden Erdkunde (I und II: Vorwort), ins Deutsche übertragen und mit Erläuterungen versehen von H. VON MIK unter Mitarbeit von F. HOPFNER (Klotho 5) Wien
1938. 14
Vgl. hierzu jüngst W. BRANDMÜLLER, Das Konzil von Konstanz 1414-1418, I (Konziliengeschichte, Reihe A: Darstellungen 11) Paderborn u.a. 1991, passim. 15 Wie oben Anm. 3. 16 Ed. BURON (Anm. 2) II 498 ff. 17 Ebd. III 556 ff.; L. THORNDIKE, Four British Manuscripts of Scientific Works by Pierre d'Ailly, in: Imago Mundi 16 (1962) 157, zitiert einen Handschriftenbeleg für 1409 als Entstehungsjahr der Kompendien. 18 Vgl. DESTOMBES (Anm. 2) sect. 51,27 S. 185 f. mit weiteren Nachweisen; Abb. u.a. ebd., Tafel XXI/Y sowie K. MILLER, Mappae Mundi. Die ältesten Weltkarten 3, Stuttgart 1895, 137 f.; KAMAL (Anm. 2) IV/4, Kairo 1939, fol. 1398; v. DEN BRINCKEN (Anm. 2) Abb. 42; Farbreproduktion bei U. RUBERG, Mappae mundi des Mittelalters im Zusammenwirken von Text und Bild, in: Text und Bild. Aspekte des Zusammenwirkens zweier Künste in Mittelalter und früher Neuzeit, hg. von C. MEIER/ U. RUBERG, Wiesbaden 1980, 589; jetzt P. GAUTIER DALCHE: siehe unten Nachtrag.
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A N N A - D O R O T H E E V. D E N B R I N C K E N
Kosmographische Interessen sind zu Beginn des 15. Jahrhunderts keine Alltäglichkeit, auch nicht bei der Elite der studierten Geisteswissenschaftler. Schon gar nicht muß man meinen, man habe damals nur so auf die Ptolemäus-Renaissance gewartet. Vielmehr greift diese sehr behutsam; erst der Buchdruck veranlaßt nach 1477 und nach der Ulmer Ptolemäus-Ausgabe von 1482 die Verbreitung der sogenannten 'Geographie' und die Kenntnis von Weltkarten, die nach des Ptolemäus Anweisung, jedoch nicht von diesem selbst, gezeichnet sind19. Vielmehr gibt es unter den Handschriften aus der ersten Jahrhunderthälfte nur einen Beleg des neuen Kartentyps, die Vatikanische Mela-Karte von vor 1415, die Pirrus de Noha zugeschrieben wird20. Pierre d'Ailly und Guillaume Fillastre, befreundete Kollegen und kirchenpolitisch Verbündete, haben sich mit ihren Ptolemäus-Interessen auf einem ungewöhnlichen und andersgearteten Gebiet getroffen, denn außerhalb der Zentren der Portolankartographie im Mittelmeerraum war das Interesse fiir "darstellende Erdkunde" mäßig. Doch könnte das Große Abendländische Schisma zu einem Überprüfen der Grenzen unserer Ökumene angeregt haben. Natürlich ist auch nicht zu verkennen, daß kartographische Versuche in den Bibliotheken geistlicher Institutionen und ihrer Würdenträger generell gute Überlebenschancen vor vergleichbaren Arbeiten anderer hatten. 2. Das Kartenwerk des Pierre d'Ailly Die Zeichnungen Pierres illustrieren die 'Ymago Mundi', im 'Epilogus Mappae Mundi' sind erläuternde Bemerkungen dazu angefugt21. Nach den theoretischen Darlegungen in der 'Ymago' begründet der Autor dies im Anhang, ut res ipsa velut in speculo clarius appareret, nec solum oculis cordis, sed etiam corporis sensibili visione nota fieret, figuram que mappa mundi dici solet, cum astronomica climatum distinctione temptavi describere. Die Skizzen stellen den Himmel mit den Planetensphären und Elementen, die Erde mit Zonen und Klimata sowie die Winde dar22. Die 'Septima Figura' bietet als einzige Details der Ökumene. Dabei ist Pierre nie Maler, sondern stets nur Zeichner. Alle seine Karten sind "Inventar-Karten", d.h. Sammlungen von Inschriften, die so einander zugeordnet sind, daß man aus der Art ihrer Aufschreibung die Lage der 'res' aus den 'nomina' erschließen kann, insbesondere in ihrer Beziehung untereinander. Ein solcher Kartentyp nimmt gewissermaßen eine Zwischenstellung ein zwischen 'scriptum' und 'pictura', er ist eine dem Itinerar verwandte Darstellungsform. Dieser in der wissenschaftlichen Literatur nicht ganz seltene Typ empfahl sich in besonderem Maße für die Klimatenkarten. Die Klimatenkarte des Mittelalters 19 Zur Geographie des Ptolemäus vgl. E. POLASCHEK, {Claudios Ptolemaios. Das geographische Werk, in: Pauly-Wissowa, RE Suppl. 10 (1965) 680-833. 20 Vgl. DESTOMBES (Anm. 2) sect. 51,34 S. 187 f. mit Nachweisen; Abb. u.a. ebd. Tafel XXII/Z
s o w i e KAMAL ( A n m . 2 ) I V / 3 , K a i r o 1 9 3 8 , f o l . 1 3 7 6 ; BAGROW/ SKELTON ( A n m . 2 ) 3 6 7 ; LEITHÄUSER ( A n m . 2 ) 1 4 5 ; v . DEN BRINCKEN ( A n m . 2 ) A b b . 4 4 . 21
Epilogus, ed. BURON (Anm. 2) II 498. Ebd. I 126-143, nach den Frühdruck-Fassungen der Edition vorangestellt; vgl. zu den Karten auch J. GLENN, The World Map of Pierre d'Ailly, in: England in the Fifteenth Century. Proceedings of the 1986 Harlaxton Symposium, ed. byD. WILLIAMS, Woodbridge 1987, 103-110.
22
OCCEANI ANGUSTIOR LATITUDO
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aus der Antike ist sie als Zeichnung nirgends erhalten - ist eine Sonderform der auf Macrobius zurückgehenden Zonenkarte. Die Zonenkarte23 ist die flächige, d.h. zweidimensionale Wiedergabe des halben Globus des Krates von Mallos. Dabei wird der Äquatorialozean als undurchdringlicher heißer Gürtel verstanden, während im Norden und im Süden das ewige Eis um die Pole jegliches Leben unmöglich macht. Dazwischen finden sich auf der nördlichen wie auf der südlichen Halbkugel jeweils breite Gürtel bewohnbaren Raumes, durch den Polarozeanring in eine Vorder- und eine Rückseite so aufgeteilt, daß man spekulativ vier Inselkontinente auf der Erdkugel erschlossen hat. Nur von einem, unserem nördlichen, weiß man sicher, daß er tatsächlich bewohnt ist. Diesen bewohnten Teil hat man spätestens im vierten Jahrhundert v. Chr. in sieben Klimazonen24 eingeteilt, die ihre Namen nach kennzeichnenden Plätzen in ihrer Breitenregion erhielten. Die Klimagürtel erscheinen im Bild auf einer Buchseite zwangsläufig als schmale Segmente, die sich zugleich als Liniensystem für die Legenden anbieten. Insofern forderte das Schema der Klimatenkarte gewissermaßen zum Inventarisieren auf. Nicht von ungefähr haben die drei aus dem Abendland bekannten Klimatenkarten ebenso wie übrigens die syrische des Barhebraeus aus dem 13. Jahrhundert diese Charakteristika. Das älteste lateinische Beispiel stammt von Petrus Alfonsi, einem getauften Juden aus Huesca. Um 1110 entstanden, zeigt es nur das Schema und ist gesüdet, zählt lediglich die Klimata durch und nennt als Mittelpunkt Aren civitas, den Sitz des Teufels der Moslems, am Rande der bewohnten Welt angenommen25. Die zweite Karte ist geostet und gehört zur Chronik des Engländers Johann von Wallingford um 1250, steht offenbar in engem Zusammenhang mit Texten des Matthaeus Parisiensis26 und bietet beachtliches, zumeist aktuelles Legendengut neben der Teufelsstadt 'Aren'. Wenn Pierre diese Kartentradition nach gut eineinhalb Jahrhunderten wieder aufnimmt, hat dies sicherlich mit dem Studium des Ptolemäus zu tun, der noch nicht so sehr durch die Geographie als vielmehr durch den seit Ende des 12. Jahrhunderts im Westen bekannten 'Almagest'27 wirkt, ein Handbuch der Astronomie bzw. der sphärischen Trigonometrie. Hier findet sich die klassische Einteilung in sieben Klimata, wie sie mittelalterliche Klimatenkarten kennen, dazu werden auch differenziertere Einteilungen vorgenommen. Pierre d'Ailly bietet als fünfte Figur unter seinen acht Karten eine schematische Zonenkarte28, als sechste eine schematische genordete Klimatenkarte. Die 23
Vgl. DESTOMBES (Anm. 2) sect. 36-38 S. 85 f. Vgl. grundlegend E. HONIGMANN, Die sieben Klimata und die poleis episemoi, Heidelberg 1929. 25 Vgl. zuletzt hierzu V. DEN BRINCKEN (Anm. 2) 76 f. und Abb. 25. 26 Ebd. 109-112 und Abb. 36; auch A.-D. v. DEN BRINCKEN, Die Klimatenkarte in der Chronik des Johann von Wallingford - ein Werk des Matthaeus Parisiensis?, in: Westfalen 51 (1973) 47-56. 27 Griechische Ausgabe unter dem Titel 'Mathematike Syntaxis' in den Opera 11-2, ed. J. L. HEIBERG, Leipzig 1898-1903; dt. Übersetzung von K. MANITIUS, Ptolemäus, Handbuch der Astronomie I-II, Leipzig 1912-1913 u.ö.; engl, zuletzt: Ptolemy's Almagest, Translated and Annotated by G. J. TOOMER, London 1984. Zur Wirkung, insbes. im Mittelalter, zuletzt O. PEDERSEN, A Survey of the Almagest (Acta Histórica Scientiarum Naturalium et Medicinalium, ed. Bibliotheca Universitatis Havniensis 30) Odense 1974, bes. 16-19. 1160 wurde die erste von vier Übersetzungen in Sizilien aus dem Griechischen erstellt, am weitesten verbreitet war die von Gerhard von Cremona um 1175 aus dem Arabischen; dazu auch P. KUNITZSCH, Almagest, in: LMA I (1980) 444 f. 28 BURON (Anm. 2) I 136 ff. 24
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siebte Figur endlich stattete er mit geographischem Legendengut aus und suchte unter dem Einfluß des Ptolemäus, seine eigenen Vorstellungen und die der vorgegebenen Autoritäten zur Übereinstimmung zu bringen. 3.
Die detaillierte Klimatenkarte des Pierre d'Ailly ('Séptima Figura')
Kaum ein jüngeres Handbuch zur mittelalterlichen Kartographie versäumt es, die ausführliche Klimatenkarte Pierres zu erwähnen und abzubilden 29 , obwohl sie 33"ttfimiw ftuitt m
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.CiuuhwätaitunS. CfuwiOOTflw mm auaunla aomcmtnltt gotto ()cu«Ui Hiigufiior Incuuis if iiuigue ptjtloiopiju:.' nvûir effe jutjitmu' Pierre d'Ailly, Septima figura (aus 'Ymago Mundi' bzw. 'Epilogus Mappae Mundi'). Aus: Cambrai, Bibliothèque Municipale, Ms. 954, fol. 40v.
Abbildung:
(Geringfügig vergrößerte Reproduktion mit frdl. Genehmigung der Eigentümerbibliothek.) 29
Nachweise vgl. oben Anm. 2.
OCCEANI ANGUSTIOR LATITUDO
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absolut nicht dazu angetan ist, den unvorbereiteten Beobachter durch malerische Effekte anzulocken. Sie gilt jedoch als Beleg besonderer Fortschrittlichkeit in ihrer Zeit. Um oder direkt vor 1410 entstanden, weist sie intensive Auseinandersetzung mit den Schriften des Ptolemäus auf, bei dem die Klimata einen wichtigen Platz einnehmen, in seinem 'Almagest' ebenso wie in der 1406 ins Abendland gekommenen "Geographie". Eindeutig ptolemäisch an der Karte ist zunächst sicherlich die Nordung, die im lateinischen Mittelalter nur bei einigen Macrobius-Karten zu finden ist. Sie taucht zu gleicher Zeit einzig auf der vor 1415 zu datierenden ptolemäischen Karte des Pirrus de Noha zu Pomponius Mela30 auf. Während jene Karte aber die Form des ausgebreiteten Mantels hat, ist die Klimatenkarte des Pierre rund31. Eingerahmt ist sie von den oben zitierten Verbindungstexten zu 'Ymago' c.14 und 'Epilogus' c.5. Außerhalb des Kreises liest man oben im Norden die Überschrift polus septentrionalis, unten polus australis, auf dem rechten nördlichen Kreis sind die Klimatenzählungen eingetragen, links heißt es zweifach Occeanus am Rande der Ökumene gen Nordwesten. Nord- und Südpol-Region sind durch Linien Circulus ar(c?)ticus und Circulus antarticus abgetrennt, weitere feste Vorgaben sind Tropicus cancri im Norden und Tropicus Capricorni im Süden, ferner eine Linie Equinoxialis für den Äquator. Die südliche Halbkugel trägt außer den noch zu erörternden Mitteilungen über das viel größere Ausmaß der bewohnten Welt sonst nur den Eintrag Arim am Mittelpunkt des Kreises. Die nördliche Halbkugel ist mit Legenden übersät. Allerdings ist der Gürtel direkt über dem Äquator ausgespart, denn er entspricht der torrida zona der Zonenkarte südlich von den Klimata, wegen Hitze gewöhnlich als unpassierbar eingestuft. Darüber liegt primum (seil, clima). Man liest von links nach rechts, d.h. von Westen nach Osten folgende Legenden: Esper ides\ montes Athlas\ Garamantes\ Etyopia; trogodite\ Regio inhabitabilis propter calorem; nubia; Meroe als die dem Klima den Namen gebende Eintragung; sodann senkrecht auf der Mittellinie Beronice, rechts nur die Notiz Habitatio elephantum. Secundum (seil, clima) ist vom Wendekreis des Krebses durchteilt. Im südlichen Kasten finden sich links: Gades; Mauri\ getuli; numide; Ajfrica in Auszeichnungsschrift; Cirtes minores; bizancium; Tripolis', Cirtes maiores; Syene als kennzeichnender Ort; rechts Mare rubrum cuius longitudo vix VI mensibus pertransitur; im nördlichen Kasten erscheinen links Cartago; libia; rechts arabia;
30
Wie oben Anm. 20. Die folgende Beschreibung legt das Exemplar der Handschrift Cambrai, Bibliothèque Municipale, Ms. 954, fol. 10v zugrunde, das im Original nur einen Durchmesser von 110 mm hat; Abb. auch BURON (Anm. 2) II, Tafel XIII, 405. Inhaltlich ist die Karte identisch mit deijenigen von 31
M s . 9 2 7 d e r s e l b e n Bibliothek, reproduziert bei KAMAL, BAGROW/ SKELTON u n d
LEITHÄUSER
(Anm. 2). Viel abgebildet wird auch die Karte aus Brüssel Ms. 21198-21204, fol. 4, u.a. BURON II, T a f e l X , 3 5 6 , DESTOMBES u n d v . DEN BRINCKEN ( A n m . 2). THORNDIKE ( A n m . 17) 157-160, m a c h t
in British Library Ms. Harl. 637 einen Textzeugen für 'Ymago', 'Epilogus', 'Compendium' und 'Tractatus' dingfest, der auch Zeichnungen aufzuweisen scheint; 'Epilogus' wird außerdem British Library Harl. 3742, ferner in Oxford, Oriel College 69, nachgewiesen. - Die hier wiedergegebenen Lesungen halten sich auch bei Groß- und Kleinschreibung strikt an die gewählte handschriftliche Vorlage.
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ydaspen\ Indus sowie eine noch zu deutende Mitteilung über die Ausdehnung Indiens. Tercium (seil, clima) wird links von der Legende Mare mediterraneum usque Asiam et dividit europam a qffrica beherrscht, es folgt: alexandria als kennzeichnender Ort; nilus; Egiptus', im rechten Teil von baruth\ babilonia\ assiria; Asia in Auszeichnungsschrift; parthia\ bactria. IIII. (seil, clima) nennt: im Westen Hyspanie; als Aushängeschild Rodus; im Osten cilicia oder hier cicilia; eufrates; tigris; ararim; Armenia. V. (seil, clima) hat: links als Kennzeichen Roma-, Europa in Auszeichnungsschrift; grecia; rechts thanay; Georgia; montes armenie und mare Caspium sowie Montes Caspii. VI. (seil, clima) hat: links liguria; hystria; Germania; Danubius', rechts Montes. Ein Aushängeschild ist nicht auszumachen. VII. (seil, clima) nennt: links francia\ rechts yrcania; sein Aushängeschild montes riphei wirkt nördlich verschoben. Der anschließende breite Gürtel vor dem Circulus articus ist links wiederum mit einem Text zur Bewohnbarkeit postklimatischer Zonen gefüllt, es folgen noch die Legenden Ruthenia; Cumania; rechts Regio inhabitabilis propter algorem. Die Polarkuppe weist Legenden wie links yperborei und rechts Arumphei auf. Das Namengut der Karte ist durchweg konservativer Art und keineswegs so zeitgenössisch bestimmt wie bei Johann von Wallingford32, denn der humanistisch gebildete Pierre steht in klassisch-antiker Tradition. Das Außergewöhnliche an der Karte sind die vier Inschriften, die in brauner Farbe33 gehalten sind wie alle Aussagen über Festland und Gebirge, während Mitteilungen über Gewässer blaugrüner Farbe sind, Orte und Länder ebenso wie das Rote Meer rot eingetragen wurden. Mit dieser Farbwahl deutet Pierre an, daß er in vier Richtungen festes, gesichertes Land vermutet. Die erste der Legenden im Südwesten lautet Ante climata versus equinoxialem et ultra multas habitationes continent, ut ex historiis autenticis compertum est. Im Nordwesten findet sich nördlich von francia korrespondierend die zweite Inschrift: Post climata versus polum multas habitationes et insulas continent, que non possunt hic convenienter describi; sie muß auf Britannien, Skandinavien und Island bezogen werden. Die dritte Legende im Osten, östlich von Indus, bactria und Habitatio elephantum, lautet: India fere terciam partem terre habitabilis continet, versus meridiem se extendens, und deutet an, daß der Indische Subkontinent über die Ränder des Planiglobs sowohl nach Osten als auch nach Süden hinausreicht, wenn Indien ein Drittel der bewohnten Welt einnimmt. Die vierte Inschrift im Südosten steht auf der sonst unbeschrifteten südlichen Halbkugel neben dem Wendekreis des Steinbocks: Frons Indie meridianus secundum quosdam protenditur usque tropicum capricorni; Orientale vero latus usque prope finem affrice, wiederholt die vorgenannte Aussage. 32
Vgl. oben Anm. 26. So auf den Zeichnungen Brüssel Ms. 21198-21204, fol. 4, sowie Cambrai Ms. 927, fol. 4, und 954, fol. 10v. 33
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Das auch im Begleittext wiederholt angesprochene Problem, daß der bewohnten Erde anteilmäßig weitaus mehr Raum gebühre, als gemeinhin vorgesehen werde, ist zeichnerisch nur angedeutet. Für die westliche Hemisphäre geht es um die Besiedlung von Ante- und Postklimaten im Süden bzw. im Norden; für den Orient wird im Norden wie im Süden das viel größere Ausmaß von Indien akzentuiert. Pierre bediente sich keinerlei malerischer Mittel, sondern inventarisiert innerhalb wie außerhalb der Klimata mit Hinweisen auf die Überschreitung der Kreisränder; das ist singulär. Ehe die textlichen Quellenvorlagen erörtert werden, ist das Verhältnis zum Weltbild des Ptolemäus anzuschneiden. Authentisches Kartenmaterial von ihm selbst besitzt man nicht. Die sich auf ihn berufenden Weltkarten haben übereinstimmend die Form des ausgebreiteten Mantels34 und zeigen nur unsere Ökumene, wobei der Indische Ozean als Binnenmeer erscheint. Die Karte wirkt im Osten und Süden abgeschnitten und endet nur nach Westen und Norden im Meer. Der Meeresanteil ist nicht anders als auf den meisten mittelalterlichen ÖkumeneKarten. Hätte Pierre d'Ailly diesen Typ der Ptolemäus-Karten bereits gekannt, etwa die Karte des Pirrus de Noha35, er hätte vermutlich Gebrauch davon gemacht! Ganz offensichtlich war sie ihm fremd; er versuchte daher auf andere, visuell weniger einprägsame Art, die Aussagen des Ptolemäus bildlich umzusetzen. Er bediente sich der Klimata als Hilfe und hielt sich eng an den 'Almagest', wie dies auch die Texte der 'Ymago' belegen. Die "Geographie" des Ptolemäus erschloß er sich offensichtlich erst allmählich, selbst wenn das Kompendium ins Jahr 1409 zu datieren wäre. Die Klimatenkarte Pierres ist aussagekräftig, aber nur für Kenner der Materie aus sich verständlich. Daher sind die zugehörigen Texte wenigstens kursorisch heranzuziehen, denn zur 'mappa mundi' gehört 'scriptura' wie 'pictura', Text und Bild36. 4. Der Umfang der bewohnten Welt nach dem Textzeugnis des Pierre d'Ailly In seinen Schriften hat Pierre d'Ailly sich ausführlich mit dem Ausmaß der bewohnten Welt und der Meinung der Philosophen, d.h. der heidnischen Gelehrten der Antike befaßt. Insbesondere in seiner 'Ymago Mundi' geht er detailliert darauf ein. Um als bewohnbar eingestuft zu werden, muß eine Region unter zweierlei Aspekten betrachtet werden37, nämlich unter dem klimatischen, von der Sonne bestimmten und unter dem der Wasser-Land-Verteilung. Diese logische Unter34
Vgl. Beispiel Anm. 20 sowie die zahllosen Frühdruck-Karten zu Ptolemäus gegen Ende des 15. Jahrhunderts. 35 Wie oben Anm. 20. 36 Vgl. hierzu Paulinus Minorita, De mapa mundi, Ms. Vat. Lat. 1960, fol. 13; Text u.a. A.-D. v. DEN BRINCKEN, Kartographische Quellen. Welt-, See- und Regionalkarten (Typologie des sources du Moyen-Âge occidental 51) Turnhout 1988, 29; dazuRUBERG (Anm. 18) 550-593. 37 Ymago c.8, ed. BURON (wie Anm. 2) I 206: Ad investigandum quantitatem habitationis terre intelligendum est, quod habitatio dupliciter consideratur: Uno modo respectu celi, scilicet quantum propter Solem potest habitari, et quantum non; et de hoc superius generaliter est satis dictum. Alio modo consideratur respectu aque, scilicet quantum aque impediat, et de hoc nunc considerandum ...
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Scheidung hat Pierre nun nicht durch eigenes Nachdenken herausgefunden, sondern aus einer Vorlage abgeschrieben, und man muß wohl sagen: aus seiner Hauptvorlage für die Behandlung dieses Fragenkomplexes übernommen, ohne seinen geistigen Führer zu nennen: Es ist Roger Bacon (f um 1292)38, englischer Universalgelehrter aus verarmtem Adel, Minorit, Schöpfer der Enzyklopädie 'Opus Maius', außerordentlich sprachenkundig, aber nicht immer in der Gunst seiner Oberen, u.a. wegen seiner astrologischen Ambitionen in Verbindung mit Prognostik. Es war im Mittelalter bekanntlich nicht erforderlich, seine Autoritäten zu benennen. Ob Pierre der 'doctor mirabilis' als Autor nicht geläufig war, ob er das 'Opus Maius' als Schrift eines Anonymen benutzte, oder ob er sich scheute, Roger zu nennen, das bleibt unklar. Pierre schrieb nicht etwa einige Sätze, sondern große Passagen teilweise wörtlich aus und hat sein gesamtes Problembewußtsein hinsichtlich Occeani angustior latitudo von Bacon übernommen. Pierre erörtert39 die Besiedlung des Antökenkontinents, d.h. der Region auf der südlichen Halbkugel, die keine christliche Mission erreichte, weil sie den Äquator wegen Hitze nicht passieren konnte. Offen ist hier auch der Nachweis von Festland überhaupt, nachdem Augustin für die Rückseite der südlichen Erdkugel auf Wasser getippt hatte40, da er eine Nachkommenschaft Noes dort für ausgeschlossen hielt. Nun sollte Ptolemäus in seiner Schrift 'De dispositione sphaerae'41 geäußert haben, fünf Sechstel der Erdoberfläche seien von Wasser bedeckt, dem Festland komme nur ein Sechstel zu. Im 'Almagest' aber sei zu lesen42, unsere Ökumene nähme nur ein Viertel der Erde ein. Diese auf den ersten Blick widersprüchlichen Aussagen müssen sich nicht unbedingt entgegenstehen, denn mit dem Viertel ist primär die Vorderseite der nördlichen Halbkugel gemeint; von Wasser und Land auf derselben ist zunächst nicht die Rede, ebensowenig ist man auch in der Antike etwa über das Festland auf der Antökumene, PeriÖkumene und auf dem Antichthonenkontinent unterrichtet, weil man aus klimatischen Gründen dort nicht hingelangen kann. Die Antike geht deshalb generell davon aus, daß man nur über unsere Ökumene Kenntnis hat und diese daher als besiedelt denken mag. Weitere Einschränkungen durch Ozeane sind durchaus vorstellbar. Das Zitat aus dem 'Almagest' gibt mithin nur die allgemein verbreitete Meinung wieder. Sie wird aber nicht erst von Pierre d'Ailly hinterfragt; vielmehr kann er sich neben vielen anderen bereits auf Aristoteles berufen, der zu Ende seines zweiten Buches von 'De caelo et mundo'43 Zweifel daran geäußert hat, daß das Meer zwischen den Herkules-Säulen in Spanien bzw. Hispania Ulterior, d.i. Westafrika, und Indien im Osten gewaltigen und gar unüberwindlichen Ausmaßes sein soll. Gleiche Meinung äußerten Plinius44 und in seinem Gefolge Orosius und Isidor. Seneca45 gar spräche von einer Entfernung von nur wenigen Tagereisen bei günstigem Wind. Pierre favorisiert daher - alles natürlich nur im Gefolge 38 39 40 41 42 43 44 45
Roger Bacon, Opus Maius, ed. J. H. BRIDGES, I, London 1900, insbes. 290-311. Ymago c.7, ed. BURON (Anm. 2) I 198 ff. Vgl. oben Anm. 9. Ymago c.8, ed. BURON (Anm. 2) I 206 ff. Almagest II 6, hier zitiert nach der dt. Übersetzung von MANITIUS (Anm. 27) 69 ff. II 14; Aristote, Du ciel, ed. P. MORAUX [griechisch und französisch] Paris 1965, 101 f. Vgl. C. Plinius Secundus, Naturalis Historia, u.a. II 67, ed. C. MAYHOFFI, Leipzig 1906, 190 f. Vgl. L. Annaei Senecae Naturalium Quaestionum I, Prol., ed. A. GERCKE, Leipzig 1907, 5.
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von Roger Bacon - die im Mittelalter verbreitete Meinung des IV. Esra-Buches47, derzufolge sechs Teilen Festlandes als den vor Gott produktiven Teilen ein Siebentel Meer - analog dem Sabbat - entspricht, Interpretation einer jüdischen Apokryphe in Anlehnung an den Schöpfungsbericht. An Aristoteles weiß Pierre mit Roger zu rühmen, daß er durch Alexanders des Großen Erfahrung gut über die Enden der Erde informiert gewesen sei; und das Argument48, in Indien wie in Afrika finde man Elefanten, was für geringe Entfernung zwischen beiden spreche, hat seinen Niederschlag sogar im ersten Klima von Pierres Karte gefunden. Im übrigen äußert Pierre Bedenken gegen eine Vorstellung der Ökumene als exaktes Viertel, denn gemäß Zonenlehre sind im Norden wie im Süden wegen Kälte bzw. Hitze noch territoriale Abstriche zu machen. Pierre stellt sodann49 die Klima-Einteilung der Astronomen gemäß Ptolemäus vor, sowohl die Feineinteilung mit Viertelstundendifferenzen als auch die übliche der sieben Klimata50 entsprechend den sieben Planeten. Nach Mitteilungen51 über verschiedene Möglichkeiten, die Klimata in Maßangaben zu erfassen, sind die Überlegungen zu den Räumen außerhalb der Klimata, vor und hinter ihnen52, aufschlußreich. Wiederum in Abhängigkeit von Roger Bacon53 macht Pierre für die Bewohnung Zeugnisse bei Plinius und bei Ambrosius54 geltend, ferner greift er die Diskussion über die zweierlei Äthiopier - die einen am Wendekreis des Krebses und die anderen an dem des Steinbocks - bei Ptolemäus heraus55. Selbstverständlich sind Pierre Länder nördlich vom siebenten Klima56 wie England, Schottland, Dänemark, Norwegen und die Insel Tyle bekannt. Als unbewohnbar57 sind nur die Regionen anzusprechen, die von Wasser überflutet, total steril, unerträglich heiß bzw. kalt oder von Schlangen und Ungeheuern unbegehbar gehalten sind. Im Zusammenhang mit der Behandlung des Ozeans58 wird die Entfernung zwischen Indien und Spanien übers Meer erneut beleuchtet59, da die Maße der Erde nicht bekannt seien. Vom Roten Meer60, einem der vier Ozeanbusen der Vorso-
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Roger Bacon, ed. BRIDGES (Anm. 38) 291. IV 6, 42, ed. A. F. J. KLDN, Der lateinische Text der Apokalypse des Esra (Texte und Untersuchungen zur Gesch. der altchristl. Literatur 131) Berlin 1983, 41; dazu A. NORLIND, Das Problem des gegenseitigen Verhältnisses von Land und Wasser und seine Behandlung im Mittelalter (Lunds Universitets Arsskrift NF 14,1 Nr. 12) Lund-Leipzig 1918, 53 f. 48 Vgl. oben Anm. 43. 49 Ymago c.9, ed. BURON (Anm. 2) 1,216 ff. 50 Vgl. hierzu HONIGMANN (Anm. 24). 51 Ymago c.10, ed. BURON (Anm. 2) I 222 ff. 52 Ymago c . l l , ed. BURON (Anm. 2) I 230 ff. 53 Roger Bacon, ed. BRIDGES (Anm. 38) 305 ff. 54 Ambrosius, Hexaemeron IV, 5: MPL 14, 199. 55 Ymago c . l l , ed. BURON (Anm. 2) I 232; Pierre zitiert mit Roger (ed. BRIDGES [ANM. 38] 306) des Ptolemäus Schrift 'De dispositione sphaerae'. Dieselbe Stelle ist wegen der gleichen Aussage von Albertus Magnus angeführt in 'De natura loci' I 7, ed. P. HOßFELD, Opera V, 2, 1980, 13 f. Albertus charakterisiert die rätselhafte Vorlage dort qui est introductorius adAlmagesti. 56 Ymago c . l l , ed. BURON (Anm. 2) 1236. 57 Ebd. c.12,238 ff. 58 Ymago c.49, ed. BURON (Anm. 2) II 424 ff. 59 Vgl. Roger Bacon, ed. BRIDGES (Anm. 38 ) 291. 60 Ymago c.51, ed. BURON (Anm. 2) II 434 ff. 47
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kratiker, weiß Pierre, daß man sechs Monate für die Durchfahrt benötige61 - er vermerkt dies sogar auf seiner Klimatenkarte -, ein weiteres Jahr sei für die Reise bis Indien erforderlich, insgesamt also brauche man eineinhalb Jahre. Betrachte man in diesem Zusammenhang die Aussagen des Aristoteles und beziehe das apokryphe Esra-Buch ein, so dränge sich die Vermutung auf, daß das Meer häufig überschätzt werde. Im 'Epilogus Mappae Mundi' greift Pierre die entsprechende Argumentation zusammenfassend wieder auf und macht erneut geltend62, daß man die Maße des Meeres nicht kenne. Das 'Compendium Cosmographiae' bietet im 19. Kapitel nochmals die gleichen Gedanken im Zusammenhang mit Ptolemäus63: unde sequitur, quod non tarn magnum est mare, ut possit cooperire tres quartas terre, ut quidam estimant64; so verteidigt Pierre erneut die These eines größeren Festlandsanteils der Erdoberfläche. 5. Das Ausmaß des Ozeans in der Meinung der Autoritäten Während Altertum wie Mittelalter von der Klima-Lehre gewisse Vorstellungen hatten, machte die Frage der Verteilung von Wasser und Land auf der Erdoberfläche sehr viel mehr Schwierigkeiten, da man keine zuverlässigen Erfahrungswerte besaß. Insofern die Kartographie im christlichen Raum primär die Heilsgeschichte illustriert, ist sie festlandsorientierte Ökumene-Darstellung. Die Aussagen des apokryphen Esra-Buches kommen diesen Interessen sehr entgegen, zumal die Seefahrt erst im Spätmittelalter ein gewisses Gewicht erlangt und eine Seekartographie aufkommen läßt. Unsere heutigen Erkenntnisse bestimmen das Verhältnis exakt mit 29,2 % Festland gegenüber 70,8 % Wasser. Das Mittelalter geht von ca. 15 % Wasser aus, wenn man eine Umrechnung vornimmt; es sieht auch auf vielen Karten etwa noch die doppelte Menge vor65, wobei bei Betrachtung mittelalterlicher Weltkarten nicht vergessen werden darf, daß gewöhnlich nur die Vorderseite der Erde in Kreisform abgebildet wird. Lediglich die schematischen Karten setzen mehr Wasser an, etwa Macrobius- oder Isidor-Karten. Wenn Pierre d'Ailly als erster mittelalterlicher Kartograph die verbreitete Lehre von der Festland-Wasser-Verteilung auf seinem kleinen Kärtchen in Frage stellt, so ist das eine Neuerung, auch gegenüber Roger, denn von ihm ist kein Kartengemälde überliefert, obwohl er offenbar auf diesem Feld gearbeitet hat66. Daß die Auseinandersetzung mit den Schriften des Ptolemäus für Pierre eine Haupttriebkraft ist, daran kann gleichfalls kein Zweifel bestehen. Andererseits 61
Vgl. Roger Bacon, ed. BRIDGES (Anm. 38) 308 f. Als Quelle ist dort Hieronymus, 'Epistola ad Rusticum monachum', genannt, d.i. Epist. 125 c.3, ed. I. HLLBERG, Pars III (CSEL 56) Wien 1918, 121 f. 62
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E p i l o g u s c . 4 , e d . BURON ( A n m . 2 ) II 5 2 6 , u n d e b d . c . 5 , 5 3 2 f f .
Compendium c.19, ed. BURON (Anm. 2) III 658 ff. Ebd. 660. 65 Vgl. hierzu den Versuch, das Wasser-Festland-Verhältnis auf mittelalterlichen Weltkarten tabellenmäßig zu fassen, bei V. DEN BRINCKEN, Fines Terrae (Anm. 2) 187-189. 66 Hierzu zuletzt D. WOODWARD, Roger Bacon's Terrestrial Coordinate System, in: Annals of the Association of American Geographers 80/1 (1990) 109-122. 64
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muß man sich wohl nicht vorstellen, daß Pierre sich bereits voll bewußt war, welche Neuerungen von Ptolemäus ihren Ausgang nehmen sollten. Pierre steht mindestens ebensosehr im Banne des Roger Bacon. Sucht man nach chronologischen Fixpunkten, so gilt das Jahr 1406 als dasjenige, das die Geographie des Ptolemäus nach dem Westen kommen läßt. Die lateinische Übersetzung stand bald danach zumindest in Italien zur Verfugung. Pierre weilte 1407 vermutlich erstmals in Italien67. Die 'Ymago' ist auf 1410 zu datieren, der 'Epilogus' entsteht gleichzeitig, das 'Compendium' eher im Anschluß daran, auch wenn eine Ersterstellung 1409 nicht ganz auszuschließen ist68. Andererseits sind Entdeckungsaktivitäten zu Beginn des 15. Jahrhunderts noch gering, die große Zeit der Portugiesen setzt erst ein bis zwei Jahrzehnte später ein. Pierres Ansatz ist mithin noch ein rein theoretischer. Natürlich hat er sich von den mathematischen und astronomischen Ausfuhrungen seiner Vorlagen anregen lassen, etwa auch, um dem Ausmaß von Meer und Festland auf der Erde beikommen zu können. Bei Roger Bacon stieß er wohl auch auf den Missionsaspekt. Roger, der 150 Jahre vor Pierre für die Annahme von mehr als nur einem Viertel Ökumene plädierte, schreibt u.a. unter dem Einfluß seines Konfraters Wilhelm von Rubruck, der 1253 bei den Mongolen geweilt hatte69. Roger ließ es also nicht bei seiner scholastischen Schulung bewenden, sondern er reagierte auf die kurzfristige Erweiterung des mittelalterlichen Weltbildes in Verfolg der Mongolenherrschaft, die vorübergehend gestattete, die Chinesische Mauer zu passieren. Zu Pierres Zeit war Ostasien bereits wieder verschlossen. Pierre vermeidet ebenso wie Roger spekulative Erörterungen etwa der Erdrückseite im Sinne des Krates von Mallos mit Periöken und Antipoden in anderen Kontinenten. Die Mutmaßungen beider verharren in einem viel nähergelegenen Raum, gewissermaßen innerhalb der Ökumene, wenn es um die Entfernung zwischen Westafrika und Ostindien geht. Hier lassen sich eine Anzahl Autoritäten der heidnischen Antike, aber auch aus den Kirchenvätern beibringen70, die ihre Zweifel am Ausmaß des Ozeans angemeldet hatten, so Aristoteles71, Seneca72, Plinius73, und dann Ambrosius74 und Hieronymus75 sowie die von der Scholastik besonders geschätzten arabischen Kommentatoren der Alten wie al-Farghn76 u.a. 67
Vgl. Le recueil ¿pistolaire autographe de Pierre d'Ailly et les notes d'Italie de Jean de Montreuil. Introduction par G. OUY (Umbrae Codicum occidentalium 9) Amsterdam 1966, XVII. 68 Vgl. oben Anm. 17. 69 Roger Bacon, ed. BRIDGES (Anm. 38) 303-305. 70 Für die Rangordnung der Autoritäten war das apokryphe 'Decretum Gelasianum' verbindlich - ed. E. V. DOBSCHÜTZ (Texte und Untersuchungen zur Geschichte der altchristl. Literatur 38/4) Leipzig 1912 das ins Kirchenrecht Eingang fand und z.B. von Vincenz von Beauvais seiner Enzyklopädie 'Speculum Maius' in der einleitenden 'Apologia Actoris' c. 11-14 zugrunde gelegt wurde, ed. A.-D. V. DEN BRINCKEN, Geschichtsbetrachtung bei Vincenz von Beauvais. Die Apologia Actoris zum Speculum Maius, in: D A 34 (1978) 482-488. 71
Wie oben Anm. 43. Wie oben Anm. 45. 73 Wie oben Anm. 44. 74 Wie oben Anm. 54. 75 Wie oben Anm. 61 zu Hieronymus. 76 Al-Farghn, lat. Alfraganus - vgl. u.a. F. SEZGIN, Geschichte des arabischen Schrifttums VI, Astronomie bis ca. 430 H„ Leiden 1978, 149-151; nach HONIGMANN (Anm. 24) 136 -, verfaßte sein Hauptwerk-833-861 in enger Anlehnung an den 'Almagest'; zur lateinischen Version des Johannes 72
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Die Ptolemäus-Benutzung ist bei Pierre ambivalent. Ein umfassendes Eindringen in die 'Geographie' hat die Forschung gern herausgestellt, beweisen läßt sie sich nur eingeschränkt. Die meisten Ptolemäus-Zitate sind dem 'Almagest' entnommen, der zu Pierres Zeit seit mehr als 200 Jahren bekannt war und den Pierre zudem vorzugsweise aus Roger Bacon zitiert. Pierre nennt aber einen weiteren, Interesse erregenden Titel von Ptolemäus, nämlich die Schrift 'De dispositione sphaerae'. Vergleicht man nun die Aussagen von Pierre d'Ailly mit denen des Roger Bacon, so geht Pierre nirgends über den 'doctor mirabilis' hinaus. Man wird daher vermuten dürfen, daß er die ominöse Schrift selbst gar nicht in der Hand gehabt hat. Besagter Traktat ist sonst bei Albertus Magnus in 'De natura loci' bezeugt als 'introductorius' zum 'Almagest'77. Erwähnenswerte Aussagen von 'De dispositione sphaerae' sind neben Ausfuhrungen über die zweierlei Äthiopier78 - die man allenthalben in der antiken Literatur nachweisen kann - und der Mitteilung, daß der Äquator mit Hilfe des Herrschers von Ägypten durchschritten wurde79, insbesondere die Behauptung, fünf Sechstel der Erdoberfläche seien mit Wasser bedeckt80. Diese Aussage steht der Beweisführung von Roger wie von Pierre diametral entgegen. Man mag auch Zweifel haben, ob diese Aussage auf den gleichen Denker zurückgeht wie die diversen Mitteilungen zum gleichen Gegenstand im 'Almagest', etwa 11,6. Vorsichtshalber sei daher der Verfasser von 'De dispositione sphaerae' vielleicht einstweilen Pseudo-Ptolemäus genannt. Über die Frage, um was es bei genanntem Traktat geht, hat man sich in der Forschung schon im Zusammenhang mit Roger Bacon Gedanken gemacht81, verfiel aber auf Grund der Albertus-Notiz stets auf einen Annex zum 'Almagest'. Zu denken wäre natürlich auch an einen der arabischen Vermittler von Ptolemäus-Werken, etwa an al-Farghn82, als Verfasser. Wer immer sich hinter dem Autor von 'De dispositione sphaerae' verbirgt, er lehrt vieles, was sich andernorts auch findet, jedoch einen Satz, der sich bei den von Roger und Pierre zitierten Autoren so nicht nachweisen läßt und ihrer Festlandseinschätzung entgegensteht, nämlich die Reduzierung der Ökumene auf ein Sechstel der Erdoberfläche wegen der Masse des Wassers. Ob man die Aussage harmonisieren kann mit der verbreiteten Behauptung, die Ökumene nehme nur ein Viertel der Erdkugel ein, sei dahingestellt. Viel eher paßt die Annahme von einer überwiegend mit Wasser bedeckten Erde in die spekulativen Systeme frü-
Hispalensis vgl. R. CAMPANI, Il "Kitb al-Farghn" nel testo arabo e nelle versioni, in: Rivista degli Studi Orientali 3(1910) 205-252; in der Übersetzung Gerhards von Cremona erschien: Al Farghani, Differentie scientie astrorum, ed. F. J. CARMODY, Berkeley, California 1943 ("reproduced from typewritten copy", daher über Fernleihe nicht zugänglich; zitiert nach Sezgin); eine lateinische Version der hebräischen Fassung ed. J. CHRISTMANN, Frankfurt 1590. Die Rezeption arabischer Autoren, die über die Astronomie schrieben, ist erst in den Anfängen aufgearbeitet, wie P. KUNITZSCH, München, der Verf. dankenswerterweise mitteilt; z.B. könnte auch Thbit ibn Qurra (836-901)-zu ihm SEZGIN, 163-170 - als Ptolemäus-Benutzer in Betracht kommen. 77 Wie oben Anm. 55. 78 Roger Bacon, ed. BRIDGES (Anm. 38) 294 und 306; Ymago c.l 1, ed. BURON (Anm. 2) I 232. 79 Roger Bacon, ed. BRIDGES (Anm. 38) 296. 80 Roger Bacon, ed. BRIDGES (Anm. 38) 290; Ymago c.8, ed. BURON (Anm. 2) I 206. 81
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WOODWARD ( A n m . 6 6 ) 117.
Wie oben Anm. 76.
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her, vom Mythos geprägter Denker . Das Sechstel Festland ist weder klimatisch noch astronomisch überzeugend zu begründen. Pseudo-Ptolemäus könnte eher von der Vorstellung eines Urmeeres geprägt sein, aus dem Inselkontinente auftauchen und eine Ökumene ermöglichen. Hier stößt man gar nicht auf das Weltbild, das mit Ptolemäus in Verbindung gebracht wird, sondern viel eher auf das des Krates von Mallos. In dieselbe Richtung weisen auch Reminiszenzen bei Albertus Magnus84. Er erwähnt nämlich als Quelle für die zweierlei Äthiopier bei Pseudo-Ptolemäus quendam poetam, cuius nomen est Karites, qui Karites inducit Homerum ... Hinter diesem Karites verbirgt sich kein anderer als Krates von Mallos85, der ausgiebig über das erwähnte Äthiopier-Problem handelte86, wie das Werk 'Sphairopoiia' ausweist. Albertus erwähnt Karites als Homer-Exegeten ein weiteres Mal und bezieht sich nunmehr auf einen 'Liber de natura locorum habitabilium'87. 'Sphairopoiia' gilt der Forschung als das Schlagwort krateteischer Homer-Interpretation88. Der Sphairopoios sucht die Kugel und damit auch den sphäroiden Kosmos mit Geraden, Winkeln, Kreisen und Drehungen zu erfassen. Ein lateinischer Titel 'De dispositione sphaerae' scheint sich mit ganz entsprechenden Gegenständen befaßt zu haben. Pseudo-Ptolemäus wäre dann als Krates-Schüler zu charakterisieren. Roger Bacon wird gern als Vorläufer für Projektionstechnik angeführt, Pierre hat vergleichbare Ambitionen. Ihr Interesse für 'Sphairopoiia' ist also nicht überraschend. Für ihre Festlandstheorie allerdings fanden sie hier wohl nicht den geeigneten Kronzeugen. Pierres Karte ist anderer Art als die der Krates-Jünger. Als Zeugnis der Zuletztgenannten könnte man etwa die große Karte des Lambert von Saint-Omer verstehen, der nicht nur den Antökenkontinent, sondern auch die rückwärtigen Inselkontinente der Erdkugel ins Bild einzubeziehen trachtet89. Das tut Pierre nicht, er weitet vielmehr unsere Ökumene auf der Kugel auf Kosten des vermuteten Meeres aus. Er sucht nicht die Abstraktion antiker Naturwissenschaft, sondern das von der Menschheitsgeschichte bestimmte Weltbild, das dem Mittelalter vertraut war. Dieses trachtet er in seiner Karte wenigstens inventarmäßig vorzustellen, ohne daß er mit Maßen zu arbeiten wagt. 6. Das Bild der ptolemäischen Weltkarten im Abendland des 15. Jahrhunderts Die übrigens recht malerischen Ptolemäus-Karten des 15. Jahrhunderts - man denke an Pirrus de Noha90, das Faksimile des Urb. Lat. 27791 oder den Ulmer Ptolemäus-Druck von 1482 - bieten im Vergleich zu Pierre d'Ailly ein schmuckes 83
Vgl. F. LASSERRE, Geographie, in: Der Kleine Pauly 2 (1979) 749 f. Vgl. oben Anm. 55. Vgl. HoßFELD (Anm. 55) im Kommentar ebd. zu Zeile 55-57. 86 Vgl. H. J. METTE, Sphairopoiia. Untersuchungen zur Kosmologie des Krates von Pergamon, München 1936, 66-74. 87 Albertus, De natura loci I 12; ed. HOßFELD (Anm. 55) 20. 88 METTE (Anm. 86), Einleitung VIII und XX. 89 Vgl. zuletzt zusammenfassend v. DEN BRINCKEN (Anm. 2) 73-76 und Abb. 29. 90 Wie oben Anm. 20. 91 Wie oben Anm. 13. 84 85
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Bild. Sie beschränken sich nämlich schlicht auf die Ökumene, bilden die vermuteten 180 vorderen Längengrade ab, beginnen im Norden bei 64° nördlicher Breite und enden bei 16° südlicher Breite. Damit ist alles das ausgespart, wovon man noch keine Kenntnis hat. Praktisch fehlen drei Viertel der Erdkugel, just die, die unbewohnt gedacht sind. Mit der ausgeprägten Ökumene-Darstellung kann man sich auf das bekannte Festland beschränken. Meer ist im Norden und Westen als Rand zugelassen, der Indische Ozean ist zum Binnenmeer zusammengezogen. Wenn man die Karte betrachtet, glaubt man die ganze Welt erfaßt. Die Ränder erscheinen als Klimagrenzen, zumindest im Süden und im Norden. Diese Karten reihen sich im Grunde lückenlos den Portulankarten an, etwa dem Katalanischen Atlas von 137592, dessen Blätter, zusammengeleimt, auch als 'zona habitabilis' bzw. 'zona habitata' der nördlichen Halbkugel zu deuten sind. Die ptolemäischen Karten - es ist gar nicht gesagt, daß dies im Sinne des Ptolemäus war - beschränken sich auf die Ökumene, denn die darstellende Erdkunde behandelt textlich nur die bewohnte Welt, soweit sie bekannt ist. Hier liegt ein grundsätzlicher Unterschied zur Weltkarte des Pierre d'Ailly. Zusammenfassung Die kleine Klimatenkarte des Pierre d'Ailly ist auf den ersten Blick eine unscheinbare Skizze, bestimmt zur Erläuterung eines Buchtextes. Sie steht in dieser Hinsicht in der Tradition der Klimatenkarten, die ausgesprochenen Inventarcharakter haben und malerisch wenig ansprechen. Betrachtet man sie näher, so liegt ihre Besonderheit in dem Versuch, über unsere Ökumene und die bekannte Welt hinaus zu weiterer kartographischer Gestaltung herauszufordern. Kolumbus hat die Arbeiten des Pierre d'Ailly besonders geschätzt. Die Kartenskizze könnte ihn sehr wohl auf seinen Reisen begleitet haben, nicht in einem Pergamentband und auch nicht auf einem losen Blatt, sondern durch Einprägen ins Gedächtnis. An vier Stellen wird dem Betrachter "gepredigt", daß "authentische Geschichtswerke" bezeugen, die belebte Welt habe in dieser oder jener Richtung eine Fortsetzung und es sei nicht ein unermeßliches Meer, das sich hier anschließe. Ob dies neugieriger machen kann als das "herausgeschnittene" Ökumene-Bild der Ptolemäus-Karte, das gerade durch die Gradeinteilung als ausgesonderter Teil und gerahmt wirkt? Die Klimaskizze mag wenig gegenständlich erscheinen. Sie fordert durch ihren spekulativen Charakter stärker zum Weiterdenken, Weitersuchen auf. Gerade weil die Legenden, die zusätzliche 'terra habitabilis1 suggerieren, große Räume füllen - während sonst die Plazierung einzelner Namen sehr überlegt geschieht -, vermag die kleine Kartenskizze etwas von einer vermuteten, aber noch unbekannten Großräumigkeit auf der Erdkugel zu vermitteln.
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Vgl. u.a. Der Katalanische Atlas aus dem Jahre 1375, hg. von G. GROSJEAN, Dietikon-Zürich 1977; Der Katalanische Weltatlas vom Jahre 1375, hg. von H.-C. FREIESLEBEN, Stuttgart 1977.
OCCEANI ANGUSTIOR LATITUDO
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Nachtrag Nach Umbrechung des obigen Textes belehrte ein Sonderdruck von P. Gautier Dalché, L'œuvre géographique du cardinal Fillastre (f 1428). Représentation du monde et perception de la carte à l'aube des découvertes, in: Archives d'histoire doctrinale et littéraire du Moyen Age 59 (67) 1992, 319-383, die Verfasserin über die parallelen Fragestellungen, denen Fillastre vor dem 1. November 1417 auf dem Konstanzer Konzil seine 'Introductio' zur 'Chorographia' des Pomponius Mela widmete. Dieser von G. D. edierte Text ist nicht nur der älteste Mela-Kommentar, sondern vor allem ein Zeugnis der Ptolemäus-Rezeption. Nach Ptolemäus stelle sich die Ökumene viel weiträumiger dar, bzw. es gebe eigentlich keine unbewohnbaren Gegenden auf der Welt. Fillastre erörtert c.45/46 (S. 363), daß auch der Ozean allenthalben schiffbar sei. Das Verhältnis Wasser zu Festland hat er allerdings nicht behandelt. Vielmehr versteht G. D. die 'Introductio' als eine Auseinandersetzung mit dem konventionell doppelten mittelalterlichen Kartenbild, nämlich einerseits der Zonenkarte als Signum für die Kugelgestalt und andererseits der Scheibe des 'orbis terrarum' für die bewohnte Erde mit Benennung von 'terrae incognitae', nicht von 'terrae inhabitabiles' auf Fillastres Initialenkarte.
Der Traktat 'De emptione et venditione unius pro viginti' des Magisters Felix Hemmerlin VON HANS-JÖRG GILOMEN
Der Zürcher Chorherr Felix Hemmerlin (1388/89-ca. 1458/1461) hat schon seit langem Aufmerksamkeit nicht nur in der Schweizer Historiographie gefunden1. Seit 1412 Kanoniker am Zürcher Großmünster, erwarb Hemmerlin 1413 an der Universität Erfurt das Bakkalaureat des kanonischen Rechts, besuchte das Konstanzer Konzil, kumulierte 1421 sein Zürcher Amt mit der Stiftspropstei in Solothurn, später auch mit einem Kanonikat in Zofingen, promovierte 1424 in Bologna zum Dr. decretorum und nahm um 1432 bis 1435 am Basler Konzil teil. Unter seinen Werken hat vor allem der um 1444/51 entstandene 'Liber de nobilitate' mit scharf proösterreichischer und antieidgenössischer Tendenz Interesse geweckt2. 1454 wurde der den Eidgenossen verhaßte Hemmerlin wegen Ungehorsams gegen seinen Konstanzer Bischof zu lebenslanger Haft verurteilt. Im Gewahrsam der Luzerner Franziskaner hat er noch mehrere Schriften verfaßt, darunter auch den Traktat 'De emptione et venditione unius pro viginti', der bisher in der Literatur nur wenig Beachtung gefunden hat3. Hemmerlin hat darin die Frage der Zulässigkeit von ablösbaren Renten, die er schon in den beiden Traktaten 'Contra validos mendicantes'4 und 'De negocio monachorum'5 gestreift hatte, zum Thema gemacht. Er beginnt den Traktat mit dem Hinweis, bereits im Paradies habe mit Adam und Eva das Geschäft der Anklagen und Entschuldigungen vor dem Herrn seinen erbärmlichen Anfang genommen. Ebenso entschuldigten die beiden Schwestern Simonie und Wucher, Töchter der Undankbarkeit, ihre Schuld durch die Sünde ihrer Mutter. Denn Simonie werde folgendes genannt: Wenn ein Kleriker von zwei oder drei Benefizien, die er gemäß dem Kanon 'De multa'6 nebeneinander haben dürfe7, eines einem befreundeten armen Kleriker zuwende, so zeige doch die Erfahrung, daß derjenige, der den Räuber vom Kreuz loskauft, sich immer
1 Zu Werkverzeichnis, Ausgaben, Quellen und Literatur siehe K. COLBERG, in: Verf.Lex III (1981) 989-1001. Zu ergänzen durch U. MATTEJIET, Felix Hem(m)erli(n), in: LMA IV (1989) 2128 f. Zu einem zentralen Thema der Forschungen unseres Jubilars, nämlich zur Geschichte des Nicolaus Cusanus, gehört Hemmerlins 'Forma appellationis contra quondam cardinalem', in: Clarissimi viri Juriumque doctoris Felicis Hemmerlin cantoris quendam Thuricensis varie oblectationis opuscula et tractatus. Ex Basilea Jdibus Augusti M ccccxcvij [1497], fol. 13 lv-133r. 2 Siehe R. FELLER/ E. BONJOUR, Geschichtsschreibung in der Schweiz. Vom Spätmittelalter zur Neuzeit, Bd. 1, Basel-Stuttgart 1962,68-72. 3 De emptione et venditione vnius pro Viginti, in: Clarissimi viri (Anm. 1) fol. 153v-156r. 4 In: Clarissimi viri (Anm. 1) fol. 5r-13r. 5 Ebd., fol. 26r-42r, hier 31r. Fol. 30v wird auch die Frage der Zuläßigkeit von Leibrenten behandelt. 6 Gemeint ist X üb. 3, tit. 5, cap. 28. 7 Hemmerlin hat selbst Pfründen gehäuft und dies damit gerechtfertigt, daß Gelehrte mit mehreren Präbenden zu würdigen seien. Erst in seinen letzten Lebensjahren sind ihm Gewissensbisse gekommen. Siehe B. REBER, Felix Hemmerlin von Zürich, Zürich 1846, 83.
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einen Feind erkauft . Denn der erlöste Mensch erkenne seinen Erlöser niemals dankbar an, sondern wüte haßerfüllt gegen ihn. Deshalb habe jener, welcher mehrere Benefizien besaß, sich gedacht, er werde besser ein Benefizium verkaufen, dann werde die Frage der Undankbarkeit ihn nicht umtreiben. Hemmerlins scharfe Ablehnung der Simonie, die er für ein Vergehen hielt, gegenüber dem alle anderen Verbrechen für nichts zu halten seien, ist bekannt9. Ein Zusammenhang mit dem Thema des Traktats ist aber nur darin erkennbar, daß er diese Sünde hier - wie an vielen anderen Stellen in seinen Schriften - derjenigen des Wuchers zur Seite stellt. Hemmerlin geht denn auch unmittelbar anschließend zum Wucher über: Ebenso habe der Sohn des Wuchers gesprochen, er habe sein Geld einem Armen dargeliehen, der erbärmlich der notwendigsten Bedürfnisse entbehrte, damit er sich bei Gott empfehle nach dem Psalm 111: "Glücklich der Mann, der mild ist und leiht und seine Sachen ausrichtet nach dem Recht. Denn er wird nimmermehr wanken." Nach Gregor werde ja ein Werk der Barmherzigkeit hier und im Jenseits belohnt, und einzig die Barmherzigkeit sei Begleiter der Toten. Doch was bewirke die Gefolgschaft der Mutter Undankbarkeit? Es steht geschrieben: "Wenn du etwas weggibst, wirst du es kaum je zurückerhalten, und wenn, dann nicht in so gutem Zustand, wenn aber ebensogut, dann nicht so schnell, wenn aber so schnell, dann verlierst du einen Freund." Und im Psalm 36 spricht der Prophet: "Der Gottlose muß borgen und kann nicht bezahlen; der Gerechte kann schenken und geben." So habe auch der ältere Tobias sein dem Gabelus verliehenes Geld nur schwer wiederbekommen können10. Das Zitat des Buches Tobias in diesem Zusammenhang überrascht nicht: Es hat in der mittelalterlichen Wucherdiskussion eine wichtige Rolle gespielt, weil Ambrosius in seiner Schrift 'De Tobia' die Erlaubtheit des Wuchers gegenüber Feinden erwogen hatte". Hemmerlin fahrt fort: Aus diesen und anderen Beweggründen habe der Reiche sein Geld nicht den Armen zur Verfügung gestellt, denn seine Mutter, die Un8 Das Sprichwort Hostem Semper emit, quifitrem de cruce redemit legt Hemmerlin auch der Sapientia im 'Dyalogus de consolatione inique suppressorum' in den Mund: Clarissimi viri (Anm. 1) fol. 168v-183v, hier 170v. Er bezieht es dabei auf sich selbst, da er dem Matheus Nithard zur Zürcher Propststelle mit verholfen und sich damit einen Feind geschaffen habe. Zu Nithard siehe A. MEYER, Zürich und Rom. Ordentliche Kollatur und päpstliche Provisionen am Frau- und Großmünster 1316-1523 (BDHIR 64) Tübingen 1986, 437 f. Dasselbe Sprichwort enthält auch seine Invektive gegen seinen Mitchorherrn Pürlin 'Contra quendam superbum clericum': Clarissimi viri (Anm. 1) fol. 129v-131v, hier 130r. 9 REBER, Hemmerlin (Anm. 7) 80 f. und 309. Hier auch das Zitat... in comparatione simoniace pravitatis cetera crimina pro nihilo reputantur ..., aus 'De oblatis et solutis pecuniis pro prebenda seu beneficio in ecclesiis vel monasteriis percipiendo': Clarissimi viri (Anm. 1) fol. 74r-77r, hier 74r. Im 'Dyalogus de anno iubileo', ibid., fol. 77v-100v, sagt er, zur Zeit Martins V. sei der Verkauf von Pfründen so gewöhnlich gewesen wie derjenige von Schweinen auf dem Markt; zitiert bei REBER 331. 10 Tob 1,17 und 9,3. 11 Was in dem Satz gipfelte: "Wo das Kriegsrecht herrscht, da herrscht auch das Recht zu wuchern." MPL 14, 817: Ubi ius belli, ibi ins usurae. Der Widerlegung eines Wucherrechts gegenüber Feinden haben mehrere mittelalterliche Autoren einige Gedanken gewidmet: B. N. NELSON, The Idea of Usury, Princeton 1949, 3-20. Etliche haben sogar die Authentizität des Ambrosiuszitats angezweifelt. Ambrosius selbst hatte dieses Recht wohl schon durch das Neue Testament als überholt betrachtet, worauf seine Bemerkung deutet: ...et non consideras quid euangelium dicat, quod est plenius, sed hoc interim sequestremus ...; siehe dazu H.-J. GILOMEN, Wucher und Wirtschaft im Mittelalter, in: HZ 250 (1990) 265-301, bes. 276.
D E R T R A K T A T 'DE EMPTIONE ET VENDITIONE UNIUS PRO VIGINTI'
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dankbarkeit, habe ihm sofort ihre Regel der natürlichen Neigung zum Schlechten eröffnet, so daß er aus steriler Materie Frucht erzeuge, welche im Kasten verschlossen verwelken würde. Hier schließt sich Hemmerlin der geläufigen mittelalterlichen Lehre von der Unfruchtbarkeit des Geldes an, welche bereits durch die Kirchenväter aus antik-heidnischer Tradition übernommen worden war. In der Form eines Pseudo-Chrysostomos-Textes des 4./5. Jahrhunderts hat sie vor 1188 auch Eingang ins 'Decretum Gratiani' gefunden12. Bestätigt und verstärkt wurde diese Auffassung durch die Rezeption der Politik und der Nikomachischen Ethik des Aristoteles im 13. Jahrhundert. Die antik-naturrechtliche Ablehnung jeglicher Verzinsung von Natural- und Gelddarlehen als einer bloßen Vortäuschung, das unfruchtbare, nur zur Vermittlung des Tausches geschaffene Geld trage widernatürlich selbst Früchte, war ein Hauptargument der mittelalterlichen Wucherlehre. Das schon von den frühchristlichen Autoren daraus gefolgerte absolute Zinsverbot beim Darlehen faßte alles, was über die ursprünglich ausgeliehene Summe hinaus zurückbezahlt wurde, als Wucher auf 3 . Hingegen waren Zinse aus fruchttragenden Gütern, insbesondere Pacht-, Leihe- und Mietzinse für Immobilien, durchaus erlaubt. Die Voraussetzung, daß Renten an fruchttragenden Liegenschaften bestellt sein müßten, damit sie keinen wucherrechtlichen Bedenken unterliegen, hängt damit zusammen. Die hier von Hemmerlin außerdem angedeutete Verbindung zwischen unterlassener Hilfe an die Bedürftigen und wucherischer Nutzung des Geldes hatte er deutlicher schon in seinem Traktat 'De negocio monachorum' ausgeführt. Dort heißt es, auch bei an sich unbedenklichen Renten sei zumindest verborgener, d.h. mentaler Wucher dann gegeben, wenn reiche Kleriker oder Laien ihren Überfluß an Gold und Silber nicht zur Hilfe an die Armen verwendeten, sondern ihn im Wissen um dessen natürliche Unfruchtbarkeit durch Rentenverträge gleichsam wie Alchemisten fruchtbar machen wollten. Die Kirche urteile aber nicht über Verborgenes14. Hemmerlin schließt diesen Gedanken mit der Bemerkung ab, der Wucher habe sich durch unendliche Feinheiten und Machenschaften ausgebreitet, für welche die Gesetze und die Texte der heiligen Doktoren kaum hinreichend seien; eine Klage, die sich in der späten Wucherliteratur immer wieder findet15. Dann stellt er fest, es sei gewiß, daß Kauf und Verkauf nach beiden Testamenten erlaubt, gebräuchlich und notwendig gewesen seien. Damit nimmt er Stellung 12
D. 88, c . l l Palea 'Eüciens'. Wichtig wurde die Formulierung des Ambrosius:... quodcumque sorti accidit, usura est...; MPL 14, 778. Auch einfacher: Usura est plus accipere quam dare; MPL 16, 982. Das 5. Laterankonzil definierte dann 1515: Ea enim propria est usurarum interpretatio, quando videlicet ex usu res, quae non germinai, nullo labore, nullo sumptu nullove periculo lucrum foetusque conquiri studetur; COD 3 626. 14 De negocio monachorum: Clarissimi viri (Anm. 1) fol. 26r-42r, 3 Ir: Hi, ut hec sterilis massa auri vel argenti contra suam naturam, prout alchamiste laborent, fructificet, faciunt tales contractus ... 15 Vgl. z.B. die noch hundert Jahre spätere Formulierung bei Diego Lainez, Disputationes Tridentinae, ed. H. GRISAR, t. II, Innsbruck 1886, 228: Es sei schwierig, über Fragen der Wirtschaftsethik zu schreiben, weil man in der hl. Schrift und bei den Kirchenvätern nur wenig darüber finde. Subtilitas mercatorum, ducente eos cupiditate, ... tot technas invenit, ut vix facta nuda ipsa perspici possint, nedum dejudicari. Zitiert bei J. HÖFFNER, Statik und Dynamik in der scholastischen Wirtschaftsethik (Arbeitsgemeinschaft für Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen, Geisteswissenschaften 38) Köln-Opladen 1955,12. 13
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gegen die in vielen Texten des 'Decretum Gratiani' festgeschriebene grundsätzliche Verurteilung des Handelsgewinns als turpe lucrum16, die durch die Kanonisten von der Summe des Rufinus (1157-1159) an allmählich revidiert wurde17. Heinmerlin fahrt fort, die Gesetze erlaubten den Vertragspartnern sogar, sich gegenseitig zu täuschen, wenn auch nicht um mehr als um die Hälfte des gerechten Preises18. Diese Bemerkung zielt auf den Grundsatz der Vertragsfreiheit bei den klassischen römischen Juristen19. Die Digesten enthalten Ulpians Referat der Meinung des Pomponius, daß es den Parteien natürlich erlaubt sei, sich im Preis beim Kauf und Verkauf zu täuschen20, d.h. Güter zu einem zu hohen Preis anzubieten oder dafür einen zu geringen Kaufpreis vorzuschlagen. Der aus den Preisverhandlungen resultierende tatsächliche Preis war dann als Ausdruck des freien Willens beider Parteien und damit als legitimer Preis zu betrachten. Die Juristen des Mittelalters haben die Formel übernommen: licet contrahentibus invicem se naturaliter circumvenire (circumscribere). Indessen ist unter dem Verbum circumvenire schon im römischen Recht eine Täuschung zu verstehen, welche nicht gegen den guten Glauben (bona fides) verstößt und frei von Betrug {dolus) ist, wie schwer auch in der Praxis eine Abgrenzung fallen mochte21. Der zweite Teil des Satzes bei Hemmerlin bezieht sich auf den Text 'De rescindenda venditione' im Codex Justinianus22, der, obwohl ursprünglich nur von eingeschränkter Bedeutung23, von den hochmittelalterlichen Juristen zu dem generellen Prinzip der sogenannten Laesio enormis ausgebaut wurde. Danach ist ein Kaufgeschäft ungültig, wenn der bezahlte Preis um die Hälfte vom gerechten (iustum pretium) 16 Auch dies haben bereits die Kirchenväter vertreten. Es hat in dem erwähnten Pseudo-Chrysostomos-Text des 4./5. Jhs. vor 1188 als Palea 'Eiiciens' Eingang ins 'Decretum Gratiani' gefunden. Siehe allgemein J. W. BALDWIN, The Medieval Merchant before the Bar of Canon Law, in: Papers of the Michigan Academy of Science, Arts and Letters 44 (1959) 287-299. 17 Zum Folgenden J. W. BALDWIN, The Medieval Theories of the Just Price. Romanists, Canonists, and Theologians in the Twelfth and Thirteenth Centuries (Transactions of the American Philosophical Society, n.s. 49, part 4) Philadelphia 1959, 36-39, 47. Noch im 17. Jh. wurde ernsthaft untersucht, ob der Handel geduldet werden könne; vgl. W. ENDEMANN, Studien in der romanischkanonistischen Wirthschafts- und Rechtslehre bis gegen Ende des siebenzehnten Jahrhunderts, 2 Bde., Berlin 1874/83, hier 116. 18 De emptione (Anm. 3) fol. 153v: ... licuit contrahentibus se decipere, tarnen non ultra dimidium iustiprecii ... 19 BALDWIN, Just Price (Anm. 17) 17. 20 Corpus Iuris Civilis, vol. 1: Institutiones, recognovit P. KRUEGER; Digesta, recognovit T. MOMMSEN, Berlin l2 1927, 88: Dig. 4, 4, 16, par. 4: Idem Pomponius ait in pretio emptionis et venditionis naturaliter licere contrahentibus se circumvenire. Verdeutlicht wird der Sinn des Zitats in der Formulierung von Paulus, Dig. 19, 2, 22, par. 3: Quemadmodum in emertdo et vendendo naturaliter concessum est quod pluris sit minoris emere, quod minoris sit pluris vendere et ita invicem se circumscribere, ita in locationibus quoque et conductionibus iuris est. Das Corpus Iuris Civilis (Romani), ins Deutsche übersetzt, hg. von K. E. OTTO u.a., Bd. 2, Leipzig 1831 (ND 1984) 442, bietet folgende Übertragung: "Gleichwie es nach dem Naturrecht beim Kauf und Verkauf erlaubt ist, dasjenige, was mehr werth ist, zu einem geringeren Preise zu kaufen, und was weniger werth ist, theurer zu verkaufen, und sich dergestalt gegenseitig zu übervortheilen, so ist es auch Rechtens beim Verpacht und Pacht." 21 BALDWIN, Just Price (Anm. 17) 18 f. 22 Corpus Iuris Civilis (Anm. 20) vol. II: Codex Justinianus, recognovit P. KRUEGER, Berlin 2 1880, 179, C. 4, 44, 2: Rem maioris pretii si tu velpater tuus minoris pretii distraxit, humanuni est, ut vel pretium te restituente emptoribus fimdum venditum recipias auctoritate intercedente iudicis, vel, si emptor elegerit, quod deest iusto pretio recipies. Minus autem pretium esse videtur, si nec dimidia pars veri pretii soluta sit. 23 Es ging ausschließlich um den Verkauf von Immobilien.
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oder wahren Preis (verum pretiwri) der Güter abweicht. Die von den Glossatoren im 11. Jahrhundert wiederentdeckte Laesio enormis wurde im 12. Jahrhundert zu einer Einsprache bei allen Verkäufen weiterentwickelt, die seit dem 13. Jahrhundert auch dem Käufer zustand24. Bei der Feststellung dieses gerechten Preises hatte sich in justinianischer Zeit zunächst weniger die Frage nach dem wahren Wert der Güter, sondern vor allem nach dem bei freien und ungestörten Marktbedingungen üblichen Preis gestellt, der unter dem im Codex Justinianus häufigen Begriff des Pretium iustum zu verstehen ist25. Die letztlich kaum von der Werttheorie zu trennende Frage nach dem gerechten Preis ist für die gesamte mittelalterliche Wucherdiskussion und Gesetzgebung kapital geworden26. Hemmerlin beruft sich dabei aber nicht direkt auf das römische Recht und seine mittelalterlichen Kommentatoren, sondern auf die Beichtsummen, insbesondere jene des Johannes de Friburgo, wo das in dieser Frage strengere kirchliche Recht gegenüber dem weltlichen herausgestellt wird27. Hemmerlin folgt jedoch dem zweiten und übergeht auch die einschränkenden Rahmenbedingungen28. Anschließend weist er darauf hin, es sei seit den Zeiten Papst Silvesters und Kaiser Konstantins29 dem Klerus erlaubt, Früchte, Zinsen und Einkünfte aus Liegenschaften zur Gründung von Klöstern und Kirchen und zum Unterhalt zu erwerben und zwar als Lohn für den Gottesdienst und nicht etwa als Almosen, so 24
BALDWIN, Just Price (Anm. 17) 22 f. Ebd. 20. 26 Zum gerechten Preis nenne ich nur wenige, nach der grundlegenden Studie von BALDWIN, Just Price (Anm. 17), erschienene Arbeiten: R. DE ROOVER, The Concept of the Just Price. Theory and Economic Policy, in: The Journal of Economic History 18 (1958) 418-438; A. SPICCIANI, La mercatura e la formazione del prezzo nella riflessione teologica medioevale (Atti della Accademia naz. dei Lincei) Rom 1977; A. WACKE, Circumscribere. Gerechter Preis und die Arten der List, in: ZRG RA 94 (1977) 184-246; W. GOEZ, Das Ringen um den "gerechten Preis" in Spätmittelalter und Reformationszeit, in: Der "gerechte Preis". Beiträge zur Diskussion zum "pretium iustum" (Erlanger Forschungen A 29) Erlangen 1982, 21-32; L. MARAZZI, Das iustum pretium im Tractatus de emptionibus et venditionibus des Petrus Joannis Olivi (Zürcher Studien zur Rechtsgeschichte 20) Zürich 1990. 27 Johannes de Friburgo, Summa confessorum, Augsburg 1476 (Hain 7365). Die Anspielung betrifft Lib. 2, tit. 8, quaest. 9, fol. 128vb: Utrum liceat aliquid vendere plus quam valeat. Hier wird allerdings ausgeführt: Quod autem lex humana hanc inequalitatem totaliter non prohibet, huius causa est, quia non dafür solum virtuosis sed populo, in quo sunt multi deficientes a virtute. Unde prohibet tantum ea, que destruunt humanum convictum, alia autem permittit, id est, non punit. Unde tantum punit, cum est magnus excessus, puta si aliquis sit deceptus ultra dimidium iusti precii; tunc enim cogit ad restitutionem. Lex autem divina nihil reliquit, quod sit virtuti contrarium. Unde secundum divinam legem illicitum reputabatur, si in emptione et venditione non sit equalitas iusticie observata. ... licet lex dicat, quodcontrahentes sepossunt adinvicem fallere. 28 Siehe Summa Johannis [de Friburgo], von latein in deutsch gemacht durch prüder Berchtold prediger Ordens, Augsburg 1472, fol. 51r: Aber nach weltlichem geschriben rechten mag ein kauffman den andern überkauffen bey dem halben teyl über dz das ein ding wert ist... Und das straffend geystliche recht von des grossen ungeleychen wegen. Doch wenn die kaufflewt das tuond on boeß lyste und on betrügnuß und zuo dem kauffen und verkauffen keinen menschen tringen, besunder einfaeltig leutt, so sol man in raten, das sy sölich ungeleich kaeuff bessern, und woellen sy das nit thuon, so sind sy darumb nit verdampf, und ir beychtiger mag sy von den Sünden abloesen, von deßwegen, das das geschriben weltlich recht das verhengt, X, q. 2 hoc ius. Et leges dicunt quod ementes et vendentes possunt se mutuo decipere circa medietatem iusti precii. 29 Wohl nicht nur Anspielung auf die Anerkennung des Christentums als zugelassene Religion, sondern auch auf die Konstantinische Schenkung und auf die sogenannte Silvesterlegende. Zur Konstantinischen Schenkung äußert sich Hemmerlin im Traktat 'De negocio monachorum': Clarissimi viri (Anm. 1) fol. 29r. 25
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wie ja auch im Alten Testament Priester und Leviten von Zehnten und Erstlingsfrüchten lebten30. Hemmerlin streift hier die seit den hochmittelalterlichen Armutsbewegungen immer aktuelle Frage des kirchlichen Besitzes, über die auch am Basler Konzil mit den Hussiten scharf gestritten worden war31. Seine Unterscheidung von Lohn und Almosen ist nur verständlich auf dem Hintergrund der im 15. Jahrhundert heftig diskutierten Frage um die sogenannten "starken Bettler", zu der Hemmerlin mit seinem Traktat 'Contra validos mendicantes' von 1438 Stellung bezogen hat32. Eine verstärkte Landflucht aufgrund der spätmittelalterlichen Krisenerscheinungen hatte ein neuartiges Armutsproblem geschaffen, auf das die städtische Gesellschaft mit der Verurteilung und Marginalisierung der körperlich arbeitsfähigen Bettler reagierte33. Das Thema der starken Bettler hatte sich mit den Auseinandersetzungen von Weltklerus und alten Orden mit den Bettelorden34 ebenso verknüpft wie mit dem Streit um den semireligiosen Stand der Beginen und Begarden35. In einem fiktiven Dialog mit einem Begarden verteidigte Hemmerlin den reichen Besitz und den besonderen, von den Laien schroff geschiedenen Status des Klerus und bekämpfte die Behauptung, die dem Klerus gestifteten Einkünfte seien Almosen. Darin liegt die Haupttendenz dieser Schrift36. Dem Begarden wirft er neben Ketzerei vor allem vor, daß er als Laie Mönchsgewand trage und daß er, obwohl arbeitsfähig, vom Bettel lebe37. Die Entgegnung des Begarden, auch die Kleriker seien Almosenempfanger - einen 30
Anspielung insbesondere auf Num 18,21-29; Dtn 12,6-19, 14,27-29 und 26,12-13; Tob 1, 6-7. Im vierten Artikel bestritten die Hussiten weltlichen Besitz und Herrschaft der Kirche; F. BARTOS, Petri Payne Anglici pro Bohemis Positio, replica et propositio in concilio Basiliensi anno 1433 atque oratio ad Sigismundum regem anno 1429 Bratislaviae pronunciatae, Tabor 1949; vgl. E. F. JACOB, The Bohemians at the Council of Basel, 1433, in: Prague Essays, ed. R. W. SETONWATSON, Oxford 1949, 81-123, bes. 111-117. 32 Contra validos mendicantes: Clarissimi viri (Anm. 1) fol. 5r-13r. Zum Thema der starken Bettler allgemein siehe die hervorragende Einführung von P. CAMPORESI in: Il libro dei vagabondi (Nuova Universale Einaudi 145) Turin 1973, IX-CLXXXII; zu Hemmerlin speziell siehe J.-C. SCHMITT, Mort d'une hérésie. L'Eglise et les clercs face aux béguines et aux béghards du Rhin supérieur du XIVe au XV e siècle (Civilisations et sociétés 56) Paris 1978, 164-172 (aber mit vielen Irrtümern). 33 Generelle Einordnung dieses Vorgangs bei B. GEREMEK, L'Image de l'autre: Le marginal, in: Comité international des Sciences historiques. XVIe congrès international des Sciences historiques, Rapports I: Grands thèmes, méthodologie, section chronologique (I), Stuttgart 1985,67-81, 72 f. Geremek spricht hier von einer "crise des structures agraires" als Ursache und betrachtet S. 77 die Mitte des 14. Jhs. als Wende zur Neuzeit in der Sozialgeschichte: "... c'est alors que l'on observe une profonde crise sociale où le paupérisme apparaît comme phénomène." Eine andere Deutung der neuen Armut gibt I. BOG, Über Arme und Armenfürsorge in Oberdeutschland und in der Eidgenossenschaft im 15. und 16. Jahrhundert, in: Jahrbuch für fränkische Landesforschung 34/35 (1975) 983-1001. 34 M.-M. DuFEIL, Guillaume de Saint-Amour et la politique universitaire parisienne 1250-1259, Paris 1972, 175 und bes. 178 f. über Guillaumes Quaestio 'De valido mendicante'. 35 Dazu insbesondere SCHMITT (Anm. 32). 36 In seinem Traktat 'De negocio monachorum1: Clarissimi viri (Anm. 1) fol. 26r-42r, sagt Hemmerlin selbst, er habe in dieser Schrift die Behauptung entkräften wollen, daß die Einkünfte des Klerus Almosen seien, fol. 40v: Huius igitw occasione fructus et redditus et proventus omnium ecclesiarum et monasteriorum stipendia dicuntur, que etiam militantibus in ecclesia dari debentur. Nam proprium Stipendium dicitur tributum quod militibus datur. ... Et igitur huiusmodi fructus clericorum et monachorum elemosyne non dicuntur, contra quorundam expressam opinionem, qui vos monachos et clericos beneficiatos dixerunt elemosynarios et elemosynis uti, et hi errant corde. ...De quo nuperplurius scripsi in collatione quadam contra validos mendicantes. 37 Zur angeblichen Arbeitsscheu der Begarden noch schärfere Äußerungen in Hemmerlins 'Glosa bullarum per Beghardos impetratarum': Clarissimi viri (Anm. 1) fol. 19r-25v. 31
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Vorwurf, den zeitgenössisch die Bettelmönche erhoben -, weist Hemmerlin zurück: Die Einkünfte des Priesters seien vielmehr Lohn für seine Arbeit und Mühe38. Wer am Altar diene, der solle auch vom Altar leben39. Da indessen diese Arbeit nicht manuell sei, so erhalte er dafür auch nicht ein salarium, wie es einem Knecht gegeben werde, sondern ein Stipendium militare*0, denn er diene in der himmlischen Ritterschaft 41 . Hemmerlin rechtfertigt demnach das Einkommen des bepfründeten Klerikers keineswegs mit einer der Handarbeit vergleichbaren Mühe, sondern mit einem der Ritterschaft vergleichbaren Dienst 42 . Gleichzeitig beansprucht er damit für den Klerus rittermäßigen Rang, was sein unten noch zu erwähnendes Standesdenken auch in diesem Zusammenhang unterstreicht. Vor allem wehrt er sich dagegen, den Kleriker dem Almosenempfänger an die Seite zu stellen 43 . Hemmerlin meint, solche Renteneinkünfte seien früher viel billiger zu haben gewesen. Es stehe aber geschrieben, daß eine Sache soviel wert sei, um wieviel sie verkauft werden könne, wobei der Zeitpunkt zu beachten sei44. Hier geht es um die Werttheorie. Die Diskussion um die Kriterien der Wertbestimmung ist intensiv seit dem Beginn des 13. Jahrhunderts gefuhrt worden. Odofredus hat dem Wert den üblichen Verkaufspreis zugrundegelegt, wobei dieser Preis bei freiem Wettbewerb am Markt Zustandekommen oder durch die Obrigkeit festgelegt werden kann 45 . Während Nominalisten wie Heinrich von Langenstein obrigkeitliche Preisregelungen befürworteten 46 , hatte schon Thomas von Aquin solche Manipulationen ebenso wie kartellistische Verzerrungen abgelehnt 47 . Hemmer38 Contra validos mendicantes (Anm. 32) fol. 6v: Nam utique labor est celebrare et tanta legere ut predicitur per singulos dies, quia sacerdos non tenetur talia facere gratis .... Sunt enim stipendia et merces laborum et onerum .... Dann sy sint söld und löne der arbait und burdin Dar zuo die priester und münch durch macht und oberkait der kirchen werden erwellet und geben, übersetzt Niclas von Wyle: Translationen, hg. von A. VON KELLER (Bibliothek des Litterarischen Vereins in Stuttgart 57) Stuttgart 1861, 157-197, hier 168. 39 Contra validos mendicantes (Anm. 32) fol. 6v: Qui enim altario deserviunt, vivere debent de altari. Et qui ad onus eligitur, repelli non debet a mercede. Über dieses Argument hatte man auch am Basler Konzil mit den Hussiten gestritten. Peter Payne hatte mit ganz anderen Schlußfolgerungen formuliert: De talibus videtur dicere Apostolus: "Qui in sacrario operantur, que de sacrario sunt, edant, et qui altario deserviunt, cum altario participent." ... Ita et Dominus ordinavit hiis qui evangelium nunciant, de evangelio vivere. Zitiert bei JACOB, Bohemians (Anm. 31)113 Anm. 2. 40 Contra validos mendicantes (Anm. 32) fol. 7v: Nam non dicuntur salarium vel merces vel precium, quod servis datur, sed appellarti Stipendium militare et tributum ... Niclas von Wyle (Anm. 38) 172, übersetzt: Dann sy sprechent und nennet die nit löne oder dienstgelt, So man den knechten vnd dienern gibt, Oder armuosen das man den armen gibt, Sunder ritterlich sold und gälte. 41 Contra validos mendicantes (Anm. 32) fol. 7r: ... dicuntur militare in ecclesia dei ... dicuntur proprie milites militie celestis ... 42 Dies ist m.E. gegenüber der Interpretation von SCHMITT (Anm. 32) zu betonen. Siehe auch oben Anm. 35. 43 Contra validos mendicantes (Anm. 32) fol. 9r: Clerici beneficiati seculares et etiam religiosi ordinum non mendicantium cuiuscumque status fuerint nonpossunt dici elemosynarii... 44 De emptione (Anm. 3) fol. 154r: Tantum valet res quantum vendi potest, et distingue tempora et concordabis scripturas. Zur Preisdifferenzierung nach Zeit und Ort: BALDWIN, Just Price (Anm. 17) 20, hier 28 Anm. 75 Zitat aus Accursius, Glossa ordinaria: Res tantum valet quantum vendi potest, scilicet communiter. 45 Ebd. 28 nach Odofredus, Lectura, zu C. 4 , 4 4 , 2 . 46 R. DE ROOVER, Les doctrines économiques des scolastiques: à propos du traité sur l'usure d'Alexandre Lombard, in: RHE 59 (1964) 854-866. 47 GOEZ, Ringen (Anm. 26) 24; siehe auch E. SCHREIBER, Die volkswirtschaftlichen Anschauungen der Scholastik seit Thomas von Aquin (Beiträge zur Geschichte der Nationalökonomie 1) Jena 1913.
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lins Formulierung läßt in dieser Frage undifferenziert alles offen. Bezüglich der Rentenpreise berichtet er, es werde jetzt üblicherweise ein Gulden oder Dukaten Rente ohne Rückkaufsklausel um zwanzig Gulden oder Dukaten gekauft und verkauft; manchmal auch für weniger, nämlich für 15 oder etwas darüber oder darunter. Diese Kaufpreise entsprechen einer Verzinsung von 5% bzw. 6 2 h%, wie sie am Kreditmarkt im deutschen Südwesten im 15. Jahrhundert für private wiederkäufige Renten beobachtet werden kann, während in anderen Gebieten (z.B. in Österreich) ein wesentlich höheres Zinsniveau zu verzeichnen war48. Auf unterschiedlichem Niveau ist seit dem letzten Viertel des 14. Jahrhunderts längerfristig überall ein Rückgang des Rentsatzes zu beobachten, der in den ersten Jahrzehnten des 15. Jahrhunderts unvermindert anhielt. In Basel beispielsweise, dessen Kreditmarkt von überregionaler Bedeutung war, sank der Rentfuß für städtische Wiederkaufsrenten von 6 2 h% und mehr im 14. Jahrhundert auf bescheidene 5% im Rechnungsjahr 1411/12. Um 1430 ist in Basel diese Rückbildung abgeschlossen. Von Ausnahmen abgesehen pendelte der Rentfuß für Stadtrenten sich nun zwischen 4 und 5% ein49. Auch die etwas höher verzinslichen Renten privater Verkäufer haben den sinkenden Trend mitgemacht. Der zulässige Rentsatz (pretium legale sive taxatum) wurde auch von verschiedenen Juristen diskutiert. So trat z.B. Bartolus für 10% ein, Laurentius de Rudolfis für 6%, andere waren für nur 5%50. Obrigkeitliche Taxen lagen innnerhalb dieses Rahmens. Hemmerlin fährt fort: Die Menschen verschiedenen Standes wollen sich auf unterschiedliche Weise ernähren, der eine durch den Schweiß seiner Arbeit, ein anderer ohne Schweiß durch den Handel oder durch andere weltliche Geschäfte. Die Formulierung klingt hier so, als ob er sich mit Ausführungen des Heinrich von Langenstein in dessen 'Tractatus de contractibus' auseinandersetze, den er, wie wir wissen, gekannt hat51. Dieser Traktat, der im Zusammenhang mit einer Vorlesung über das 1. Buch Mose entstanden ist, kommentiert das Wort Genesis 3,19: "Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen"52. Heinrich hatte darin das Problem des arbeitsfreien Einkommens ausführlich behandelt. Dem Joch der Arbeit als einer wohlverdienten Strafe Gottes für den Sündenfall hätten sich viele Söhne Adams durch unterschiedliche Listen zu entziehen gesucht, um in Müßiggang reich zu sein. Unter diesen Listen nennt Heinrich wucherische Verträge, zu denen er auch die Wiederkaufsrenten zählt53. Weil der Rentenkauf arbeitsloses Einkommen ermögliche und dadurch den Müßiggang fördere, verur-
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H. KELLENBENZ, Deutsche Wirtschaftsgeschichte, Bd. 1, München 1977, 208. Siehe auch die Rentenfußtabelle bei M. NEUMANN, Geschichte des Wuchers in Deutschland bis zur Begründung der heutigen Zinsgesetze (1654), Halle 1865, 266-273, die allerdings durch zahlreiche Angaben aus neueren Arbeiten zu ergänzen wäre. 49 H.-J. GlLOMEN, Die städtische Schuld Berns und der Basler Rentenmarkt im 15. Jahrhundert, in: BZGA 82 (1982) 5-64, hier 11-16 und Grafik 1. 50 B. VON STEMPELL, Die ewigen Renten und ihre Ablösung, Borna-Leipzig 1910,45. 51 Henricus de Hassia, Tractatus de contractibus habens duas partes; gedruckt in: Opera Johannis Gersonis, t. IV, Köln [bei J. Koelhofl] 1484, fol. 185r-224r. Hemmerlin bezieht sich darauf in seinem Traktat 'Contra validos mendicantes' (Anm. 32) fol. 9v. 52 Henricus de Hassia (Anm. 51) fol. 185ra: Capitulum primum de iugo laboris originali. Jn sudore vultus tui vesceris pane tuo. Vgl. H.-J. GlLOMEN, Kirchliche Theorie und Wirtschaftspraxis. Der Streit um die Basler Wucherpredigt des Johannes Mulberg, in: Kirchengeschichte und allgemeine Geschichte in der Schweiz (Itinera 4) Basel 1985, 34-62, mit älterer Literatur. 53 Henricus de Hassia (Anm. 51) fol. 185rb.
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teilte ihn Heinrich und wollte ihn auf Alte und Invalide beschränkt wissen. Außerdem hielt er es für gerechtfertigt, daß die Gemeinschaft (communitas politica) den Unterhalt jener durch Renten bestreite, welche wichtige Aufgaben im Dienste des Gemeinwohls wahrzunehmen haben: Herren, Richter, militärische Anführer, Geistlichkeit und Doktoren. Insbesondere aber seien jene mit Renten auszustatten, welche den Gottesdienst besorgen55. Hingegen hat Heinrich den bloßen adligen Stand als Begründung für den Müßiggang abgelehnt56. Hemmerlin ist ihm darin ebensowenig gefolgt wie in der Beurteilung der Wiederkaufsrente als Wucher. Vielmehr stellt er ohne jede Kritik fest, die Adligen hätten ihre fruchttragenden Güter. Um ruhiger leben zu können, kauften einige ewige Renten oder Renten auf Lebenszeit, andere verkauften solche Renten von ihren Gütern, weil ihnen flüssiges Geld mehr nütze oder weil sie sich durch dasselbe von Wucherzinsen bei öffentlichen Wucherern entlasten müßten. Zu beachten ist, daß Hemmerlin als Motiv für solche Kreditaufnahmen auch die Konvertierung von Wucherschulden in Rentenkredite nennt. In der Höhe der Verzinsung waren Rentenkredite gegenüber Darlehen (oft zu 45% und mehr) konkurrenzlos günstig. Indessen stand eine Konvertierung nur demjenigen offen, der über Immobilien verfugte, auf die er eine Rente als Reallast radizieren konnte57. Hemmerlin fügt hier einen zeitkritischen Seufzer an: Man sehe auch, daß heutzutage mit Geld die großen Geschäfte gemacht würden; solch perverse Machenschaften aber habe Berthold von Regensburg als ein Zeichen der Endzeit prophezeit58. Nach dieser grundsätzlichen Einleitung geht Hemmerlin auf die Einzelheiten solcher Rentenverträge ein, durch die ein Käufer um 20 Gulden einen Gulden Rente auf ewig kauft, wobei er dem Verkäufer die Gnade gewährt, daß dieser die Rente um denselben Preis zurückkaufen darf, wenn er dereinst zu größerem Wohlstand kommt. Die Frage, ob der Käufer damit eine Sünde begehe, verneint Hemmerlin, sofern der genannte Preis üblich sei. Das Wiederkaufsrecht zum selben Preis sei löblich, denn damit erweise der Käufer dem Verkäufer eine Barmherzigkeit. Wenn er jedoch aufgrund dieser Bedingung des Wiederkaufs für die Rente weniger zahlen müsse, dann wäre dies Wucher59. Auch hier folgt Hemmer54
In seinem Traktat 'De contractibus' von 1420 hat Jean Gerson (1363-1429) in der Consideratio 13, 15, dieses Argument gegen Gläubiger und Schuldner gewendet: Der Mensch sei gehalten zu arbeiten. Es sei unnatürlich, müßig von Wuchergewinnen zu leben. Aber auch der Schuldner werde durch die Möglichkeit, Geld borgen zu können, zum Müßiggang verführt. Siehe J. T. NOONAN, The Scholastic Analysis of Usury, Cambridge 1957, 70. 55 Henricus de Hassia (Anm. 51) fol. 206vb: De his quos censibus vivere expediebat. Daß Propheten, Apostel und Lehrer, später Bischöfe, Priester und Kleriker berechtigt seien, da sie für alle anderen arbeiteten, auch von diesen unterhalten zu werden, hatten schon die Kirchenväter gelehrt. Man berief sich dabei auf Lk 10,7 und 1. Kor 9,13 f. Die einschlägigen Stellen sind zusammengestellt bei I. SEIPEL, Die wirtschaftsethischen Lehren der Kirchenväter (Theologische Studien der Leo-Gesellschaft 18) Wien 1907 (ND 1972) 133-145: Der Unterhalt der Geistlichen. 56 Henricus de Hassia (Anm. 51) fol. 207ra. 57 Zur Vertretbarkeit von Darlehens- und Rentenkredit siehe unten S. 595 f. 58 Über Bertholds prophetische Gabe berichtet Johannes von Winterthur; vgl. Berthold von Regensburg. Vollständige Ausgabe seiner Predigten, bearb. von F. PFEIFFER, hg. von K. RUH, Bd. 1 (Deutsche Neudrucke. Texte des Mittelalters) Berlin 1965, XXIII f. Nr. 17. Siehe auch Nr. 18,24. 59 Dies entspricht Hemmerlins Ausführungen im Traktat 'De negocio monachorum1: Clarissimi viri (Anm. 1) fol. 26r-42r, hier 31 r:... dixi talem contractum fore usurarium nisi emptor tantum exponeret in solutione principali pro quanto communi cursu talis census emeretur perpetuo; et si tunc
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lin nicht der Meinung des Heinrich von Langenstein, der das Wiederkaufsrecht grundsätzlich abgelehnt hatte60. Er schließt sich jedoch der geläufigen Position an, die sich z.B. auch bei dem gemäßigteren Heinrich von Oyta findet, daß das Wiederkaufsrecht jedenfalls nicht zu einem höheren Rentfuß fuhren dürfe61. Die Angebotslage am Kapitalmarkt war indessen im 15. Jahrhundert dergestalt, daß häufig für Ewigrenten ein doppelt so hoher Kaufpreis entrichtet wurde. Da die Rentenkäufer in der Regel langfristige Anlagen bevorzugten, die Verkäufer aber nur ungern auf die Möglichkeit eines späteren Wiederkaufs verzichteten, bestand ein Kapitalüberangebot für Ewigrenten. Dazu gibt es Belege aus Hemmerlins näherer Umgebung: Als sich 1425 der Stadt Winterthur die Gelegenheit bot, eine seit über hundert Jahren bestehende Rentenschuld an verschiedene Straßburger Gläubiger abzulösen, da riet der Basler Finanzmakler Konrad zem Haupt der mittellosen Stadt zu einer Konversion: Winterthur solle die Ablösungssumme durch den Verkauf von echten Ewigrenten aufbringen: Man fint an fll enden 40 gülden um 1 gülden ewig, da gienge üch der halb zins ab62. Winterthur ist auf den Vorschlag eingegangen. Es hat 1427 zwei Ewigrenten im Gesamtbetrag von 5150 Gulden zu 150 Gulden Zins, also zu nur 2,9%, verkauft. Mit dem aufgenommenen Geld löste man 5-6%ige Rentenschulden in Basel, Konstanz, Waldshut und Zürich ab; außerdem eine Schuld bei einer Jüdin in Konstanz. Es handelte sich hier also eindeutig um eine Schuldenkonversion zur Entlastung des Stadthaushalts63. Die höhere Verzinsung von Wiederkaufsrenten war so verbreitet, daß sie auch die kanonistische Diskussion um das Wiederkaufsrecht stark beschäftigte, wobei sich im 15. Jahrhundert eine Umkehr der Wertung vollzog: zunehmend gerieten die Ewigrenten unter Wucherverdacht64.
emptor venditori facit talem pietatem, ut quandocunque venerit adpinguiorem fortunam redimere se valeat ab huiusmodi solutione, hic meretur fratri suo facere talem gratiam; sed si minus solvent, videlicet X vel XX cum in veritate non sit moris illius terre pro tanto tales census comparare, mox presumitur dolus et usura ... 60 Mit der Bulle 'Regimini universalis' Martins V. von 1425 ist die wiederkaufsfeindliche kanonistische Position unhaltbar geworden; siehe Anm. 69. 61 Henricus de Hassia (Anm. 51) fol. 210ra-b; Heinricus de Oyta, Tractatus de contractibus, fol. 238vb. Siehe auch ENDEMANN, Studien (Anm. 17) II 139 f., der (spätere) kanonistische Überlegungen anführt, die den Preisunterschied rechtfertigen. 62 Winterthur, Stadtarchiv, Urkunde Nr. 639, 19. 63 Winterthur, Stadtarchiv, B 2, 1, Ratsprotokoll 1405-1460, 74v. Im allgemeinen haben die Städte den Verkauf von echten Ewigrenten vermieden, da Rentenanleihen in ihrem Haushalt bloß zur Antizipation von späteren Steuereinnahmen eingesetzt wurden. Siehe auch ebd. Urk. Nr. 642 (1427), 1121 (1465, Vorschlag zu Verhandlungen über eine evtl. Ablösung einer Ewigrente). Vor allem Klöster, aber auch andere Reflektanten waren später weiterhin bemüht, echte Ewigrenten von den Städten zu kaufen. Noch 1480/81 ließ sich die Stadt Zofingen - zweifellos wegen des niedrigen Zinssatzes (3,33%) - dazu bewegen, der Kartause Torberg eine Ewigrente von 34 Gulden um 1020 Gulden zu verkaufen; Stadtarchiv Zofingen 1, Stadtbuch, fol. 45v: ... ewigs zins sind nitt widerkoüfflg ... Die Datierung des Geschäfts ergibt sich daraus, daß mit der Kaufsumme am 24.2.1481 eine andere Rente abgelöst wurde: ebd. 45r. 64 Siehe ENDEMANN, Studien (Anm. 17) II 140, zur Datierung des Umschwungs. Vgl. auch P. OURLIAC, La théorie canonique des rentes au XV e siècle, in: Études historiques à la mémoire de Noël Didier, Paris 1960, 231-243; B. SCHNAPPER, Les rentes chez les théologiens et les canonistes du XIIIe au XVI e siècle, in: Etudes d'histoire de droit canonique dédiées à Gabriel Le Bras, t. II, Paris 1965, 965-990, 995; NOONAN, Scholastic Analysis (Anm. 54); T. P. McLAUGHLIN, The Teaching of the Canonists on Usury (XII"1, XIII"1 and XIV"1 Centuries), in: Mediaeval Studies 1 (1939) 81-147, und 2 (1940) 1-22.
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Hemmerlin fährt fort mit der Behauptung, das Wort Lk 6 Mutuum dantes et inde nihil sperantes sei als ein Rat (consilium), nicht als ein Gebot (praeceptum) zu verstehen, gleich wie das Wort Lk 18: Vade et vende omnia que habes et da pauperibus65. Das ungenau zitierte Herrenwort aus der Bergpredigt ... mutuum date nihil inde sperantes ist vor allem durch die Dekretale 'Consuluit nos' Papst Urbans III. von 1185/87 in der mittelalterlichen Wucherlehre zu einem immer wieder angeführten Beleg für die Unerlaubtheit der Darlehensverzinsung geworden66. Auf den Rentenkauf ist es aber gar nicht anwendbar, da dieses Geschäft kein Darlehen zum Inhalt hat, sondern den Kauf eines Rentenbezugsrechts67. Allerdings ist der zunächst spezifisch verstandene Satz auch auf Geschäfte übertragen worden, welche nicht wie das Darlehen secundum se als wucherisch galten, sondern nur durch spezifische Umstände68. Ohnehin hätte die Frage grundsätzlich als erledigt gelten können, da Papst Martin V. in der Bulle 'Regimini universalis' von 1425 die wucherrechtliche Unbedenklichkeit des Rentenkaufs unter Beachtung bestimmter Randbedingungen festgestellt hatte69. Dennoch wurde darüber weiter diskutiert. Hemmerlins Argumentation überrascht also nicht deshalb, sondern weil seine Deutung dieser Stelle als eines bloßen Rates sich nicht mit der Gewichtung in der genannten Dekretale vereinbaren läßt. Darin wird nämlich aus dem Zitat die Folgerung gezogen: huiusmodi homines pro intentione lucri, quam habent, cum omnis usura et superabundantia prohibeatur in lege, iudicandi sunt male agere, et ad ea, quae taliter sunt accepta, restituenda in animarum iudicio efficaciter inducendf0. Hemmerlin meint weiter, wenn einer einem Freund oder Nachbarn Waren oder Geld darleihe und auf einen Ertrag an Zuneigung (amor) oder eine ähnliche Vergeltung hoffe, so begehe er keine Sünde. Er beruft sich dabei auf den Fall eines Mannes in der Grafschaft Bologna, dem ein Darlehen an seine Nachbarn reichlich zurückerstattet und im Herbst durch Geschenke noch belohnt worden sei. Johannes Andreae, der den Fall in seinen 'Quaestiones Mercuriales' erörtere, komme mit anderen Doktoren zum Schluß, daß der Mann keinen Wucher begangen habe, da er ja über die Belohnung völlig im Ungewissen gewesen sei. Allerdings sagten einige, daß es sich dabei um mentalen Wucher gehandelt habe. Mit Johannes Andreae (f 1348) zitiert Hemmerlin jenen Juristen, den er wohl am höchsten geschätzt hat. An anderer Stelle nennt er ihn iuris monarcha gloriosus11. Die 'Quaestiones Mercuriales' enthalten Unterrichtstexte über die 'Regulae
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Auch dieses Zitat ist ungenau. Lk 18,22 lautet: Omnia quaecumque habes vende et da pauperibus et habebis thesaurum in caelo. 66 NOONAN, Scholastic Analysis (Anm. 54) 19 f. 67 W. TRUSEN, Spätmittelalterliche Jurisprudenz und Wirtschaftsethik dargestellt an Wiener Gutachten des 14. Jahrhunderts (VSWG Beiheft 43) Wiesbaden 1961, 118,124-126. 68 So hat z.B. Johannes Nider von diesem Satz aus das Kaufgeschäft analysiert; siehe ENDEMANN, Studien (Anm. 17) I 6. 69 Extravagantes communes, Hb. III, tit. 5, c.l: Auf Immobilien fundierte Renten zum üblichen Preis mit freiem Wiederkaufsrecht des Verkäufers seien nicht wucherisch. 70 H. DENZINGER/ A. SCHÖNMETZER, Enchiridion symbolorum, definitionum et declarationum de rebus fidei et morum, Barcelona 34 1967, 243 Nr. 764. 71 F. FlALA, Dr. Felix Hemmerlin als Propst des St. Ursenstiftes zu Solothurn, in: Urkundio. Beiträge zur vaterländischen Geschichtsforschung vornämlich aus der nordwestlichen Schweiz 1, Solothurn 1857, 281-760, 621. Allerdings nennt Hemmerlin auch Innozenz IV. monarcha iuris, z.B. in: Contra validos mendicantes (Anm. 32) fol. 8r.
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iuris' . Innerhalb der alphabetischen Anordnung nach den Anfangswörtern der 'Regulae' gibt Johannes unter dem Stichwort Peccatum einen kleinen Wuchertraktat. Darin wird auch abgehandelt, daß eine Zahlung des Schuldners über die geliehene Summe hinaus vom Gläubiger dann angenommen werden dürfe, wenn seitens des Schuldners dazu keinerlei formale Verpflichtung besteht, sondern die zusätzliche Leistung völlig freiwillig erfolgt73. Wenn allerdings ein Gläubiger einen Gewinn beabsichtige, so begehe er, auch wenn er formal nichts fordere, mentalen Wucher, sei aber nicht zur Restitution des Wuchergewinns verpflichtet74. Nach der hier referierten Meinung geht es also vor allem um die Frage der Restitutionspflicht, die nur bei einer formellen Forderung besteht75. Bezüglich des zur Frage stehenden Rentenvertrages meint Hemmerlin, die Kirche mildere die strenge Meinung, daß er wucherisch sei, bewußt ab und toleriere solche Verträge. Käufe und Verkäufe, wonach für zwanzig einer zu zahlen ist, seien für die Gemeinschaft und den allgemeinen Nutzen durch die Gelehrten scharfsinnig erforscht und als für beide Parteien günstig befunden worden. Auch könne keiner zu einem solchen Vertrag gezwungen werden, außer durch eigene Schuld, durch Mangel und Not wie Krieg, Feuer, Überschwemmung oder Fehlernten. Der große Nutzen dieser Verträge bewege die Kirche dazu, sie zu tolerieren. An den Konzilien von Konstanz und von Basel, wo von den Kundigsten der Welt die Natur dieses Vertrages geprüft worden sei, hätte ihn die Mehrheit der Doktoren beider Rechte und der Theologieprofessoren erlaubt, da er sehr milde sei und den öffentlichen Wucherern schädlich, welche ihre Schuldner bitterlich quälten. Die Behandlung des Themas am Konstanzer Konzil war aufgrund einer Anfrage des Priors der Kölner Kartause von 1416 erfolgt. Sie hatte nur zu einer Reihe von Stellungnahmen sachverständiger Doktoren, aber nicht zu einer Entscheidung gefuhrt76. Schon diese Experten hielten fast einstimmig die Wieder72
J. F. SCHULTE, Die Geschichte der Quellen und Literatur des Canonischen Rechts ..., 3 Bde, Stuttgart 1 8 7 5 - 1 8 8 0 (ND 1 9 5 6 ) , II 2 0 5 - 2 2 9 , hier 2 1 6 . Ich benütze die Ausgabe Aureum commentum Johannis Andreae super regulis iuris quod nunc nuncupatur mercuriales, eo quia ipse auctor die mercurii insudabat et vigilabat ad ipsum commentum explicandum, Venedig [bei Bernardinus de Tridino de Monteferrato] 1 4 9 0 (Hain 1 0 6 0 ) . 73 Ebd. (nicht foliiert! Siehe unter Buchstabe P - Peccatum): Formale vero in usura est ipsa exactio lucri ex pacta sive obligatio in pactum deducta, quia ubi nullum est pactum et nulla obligatio, ibi mutuans non potest aliquid ultra sortem petere et immo si ultra sortem aliquid offeratur sibi, potest illud recipere tamquam gratis oblatum, quia ilia oblatio vel donatio presumitur esse gratuita et libera, quam non praevenit petitio vel obligans pactio et per consequens illius oblati licita est receptio. 74 Ebd.: ... si quis lucrari intendit ex mutuo quod concedit, et tarnen a suo debitore nihil exigit nec ipsum per aliquod pactum compellit, sed gratis et liberaliter ab eo aliquid recepit, quamvis sit usurarius mente, non tarnen est censendus usurarius in opere, ita quod teneatur ad restitutionem. 75 Ebd.: Dicebat autem ipse quod duplex est usura, quarum una simpliciter est mentalis et solum vitians, sed non obligans ad restituendum ex eo, quod sine omni exactione et pacto explicito vel implicito. Alia vero est vitians et obligans ad restituendum ex eo quod fit exactione et pacto explicito vel implicite intellecto, propter quod subdividitur, quia si fiat cum exactione et pacto implicito, sie est usura mentis, si vero fiat cum exactione et pacto explicito, sie est usura vocalis. 76 ACC I V 7 0 8 - 7 1 0 . C. BAUER, Diskussionen um die Zins- und Wucherfrage auf dem Konstanzer Konzil, in: Das Konzil von Konstanz. Beiträge zu seiner Geschichte und Theologie. Festschrift für Hermann Schäufele, hg. von A. FRANZEN/ W. MÜLLER, Freiburg i.Bg. u.a. 1 9 6 4 , 1 7 4 - 1 8 6 ; E. STEFFENHAGEN, Ein mittelalterlicher Traktat über den Rentenkauf und das Kostnitzer Rechtsgutachten von 1416, in: Beiträge zur Bücherkunde und Philologie. August Wilmans zum 25. März 1903 gewidmet, Leipzig 1 9 0 3 , 3 5 5 - 3 7 0 .
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kaufsrente für erlaubt . Auch an das Basler Konzil wurden mehrere Anfragen zu diesem Thema gerichtet, ohne daß es in deren Behandlung je zu einer Konklusion der Generalkongregation gelangte78. Das Thema blieb auch in der Folgezeit für die Kanonisten von Interesse. Wenn Hemmerlin hier eine Konkurrenzierung von Wucherdarlehen durch Rentenkredite begrüßt, so nimmt er eine Vertretbarkeit dieser beiden Kreditformen an, die allerdings nur für ein bestimmtes Segment zutreffen kann. Da Renten als Reallast an Immobilien bestellt werden mußten, kam diese Kreditform nur für diejenigen in Frage, welche über Immobiliarbesitz verfugten. Der Rentenkauf kann deshalb nicht ohne weiteres anstelle jener Wucherdarlehen getreten sein, die durch bloßen Schuldschein oder gar durch Faustpfänder gesichert waren. Überwiegend handelte es sich dabei um vergleichsweise kleine Beträge und um kurze Lauffristen von wenigen Wochen bis zu ein oder zwei Jahren. Daß Hemmerlin aktiv den jüdischen Kredit gegen Faustpfänder bekämpft hat, geht aus dem 'Registrum querele' hervor. Er hatte sich in einem Prozeß zugunsten von Schuldnern dafür eingesetzt, daß diesen die Pfänder ohne Wucher herausgegeben werden sollten. Das war ein Anlaß zu seinem Zerwürfnis mit dem Bischof von Konstanz, dem er vorwarf, er habe sich von den Juden bestechen lassen79. Die im allgemeinen wesentlich größere Stückelung der Renten, ihre längeren Laufzeiten und die vielenorts erforderlichen komplizierteren Rechtsformen (Eintragspflicht in städtische Register) sprechen m.E. gegen eine solche Vertretbarkeit der völlig unterschiedlich strukturierten Kreditformen, die gelegentlich auch in der Literatur postuliert worden ist80. Der Rentenkauf konnte ebensowenig wie heute die Hypothek auf Immobilien die Funktionen des Kleinkredits übernehmen. Hingegen ist eine gewisse Vertretbarkeit bei größeren Anleihen durch den Adel und die Städte wohl anzunehmen. Zu beachten sind auch die angeführten Gründe, welche zur Aufnahme von Rentenkrediten zwingen konnten: Es waren oft Notsituationen, welche mittels Rentenverschuldung bewältigt wurden. Zweitens stellt Hemmerlin folgende Frage: Wenn ein vor Zeiten nach dem damals üblichen Preis ohne Wiederkaufsbedingung um zehn oder fünfzehn Gulden gekaufter Gulden Rente nun im Wert entsprechend gestiegen ist, muß sich dann der Besitzer, der die Rente von seinen Eltern oder im Falle eines Klosters 77
Einzig der Kardinal von Florenz war anderer Meinung. Die Anfrage und die Stellungnahmen sind gedruckt bei PETRUS BINSFELD, Commentarius theologicus et iuridicus in titulum iuris canonici de usuris per quaestiones et conclusiones, Trier 1593, 297-304: Octava confirmatio. Nur die Stellungnahmen in: ACC IV 708-710. Siehe auch FRANCISCUS ZECH, Dissertationes tres in quibus rigor moderatus doctrinae pontificiae circa usuras ..., Ingolstadt 1762, Dissertatio III, sect. 7, § 195. 78 Zwei Anfragen aus dem Reich, eine aus Frankreich; die Quellen gedruckt in CB VIII 58, 80-83, 101. In einer Anfrage wird daraufhingewiesen, daß die römischen Rotaauditoren und der Papst diesen Vertrag zuließen, ebd. 58:... cum iste contractus a doctoribus rote in curia Romana approbatus dicitur et per dominum apostolicum confirmatus ... Zwei der Anfragen lassen in der Argumentation deutlich die Tendenz auf eine Billigung des Rentenkaufs hin erkennen. Die dritte stellt dagegen den Antrag: Item videndum est de Ulis communibus contractibus de XX florenis unum, qui secundum doctores sunt usurarii, et nemo considerat pericula; ebd. 101. 79 REBER, Hemmerlin (Anm. 7) 296 f. Die Schrift - ein fiktiver Prozeß Hemmerlins vor dem himmlischen Gericht gegen den Bistumsvikar Gundelfmger - ist noch ungedruckt. 80 Insbesondere für Judendarlehen. Siehe z.B. S. JENKS, Judenverschuldung und Verfolgung von Juden im 14. Jahrhundert: Franken bis 1349, in: VSWG 65 (1978) 309-356; M. J. WENNINGER, Man bedarf keiner Juden mehr. Ursachen und Hintergründe ihrer Vertreibung aus den deutschen Reichsstädten im 15. Jahrhundert (Beih. zum AKG 14) Wien u.a. 1981, bes. 214-247.
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oder eines kirchlichen Benefiziums von einem Vorgänger erhalten hat, Gewissensskrupel darüber machen, weil die Rentenverkäufer oder ihre Erben, nach den jetzt gebräuchlichen Usancen gleichsam benachteiligt, die Rente zurückkaufen wollen? Darauf antwortet Hemmerlin, man könne die Rente ohne Skrupel behalten, da sie ja im Zeitpunkt des Kaufs nur so viel wert war. Als Argument fuhrt er den Vergleich mit einem ungünstig gelegenen Haus in einem Dorf an, das um einen günstigen Preis erworben wurde. Das Dorf entwickelt sich zur Stadt und wegen der dort abgehaltenen Märkte steigt der Preis des Hauses auf das Dreifache. Deswegen ist aber der Käufer dem Verkäufer zu nichts verpflichtet. Ebenso ist derjenige, der einst eine Rente zu einem günstigeren als dem heute üblichen Preis gekauft hat, niemandem wegen der bezogenen oder noch zu beziehenden Erträge jetzt oder später irgendwie verpflichtet. Wenn jemand um seines reinen Gewissens willen einen Gulden Rente um 30 Gulden kaufe, dann sei der Verkäufer wegen des über den allgemein üblichen Preis hinaus erhaltenen Geldes dem Käufer gegenüber auch zu nichts verpflichtet. Hemmerlin erwägt weiter, daß aus fragwürdigen Verträgen auch Gutes entstehen könne81. Wie Nimrod, der den Turm zu Babel entgegen Gottes Majestät zu errichten sich anmaßte82, so machten die über die Maßen Reichen, welche keinen Mangel an weltlichen Gütern leiden, solche Verträge fruchtbar. Kürzlich habe nämlich ein aus väterlichem Erbe wundersam reich gewordener Bauer, da er keine Kinder hatte, testamentarisch eine sehr freigiebige Vergabung gemacht; hätte er nur einen einzigen Sohn gehabt, so hätte er kaum einen Heller gegeben nach dem Beispiel jenes reichen und sehr geizigen Bauern, dem eine Kuh eingegangen sei: die Kuh, die er lebend den Armen nicht gönnen wollte, habe er tot den Wölfen und Hunden überlassen. Die Reichen könnten große Vergabungen machen. Hier dachte Hemmerlin vielleicht auch an sein andernorts vorgebrachtes Argument, aufgrund ihrer Vergabungen und Tugenden würden mehr Reiche gerettet, mehr Arme infolge ihrer Laster verdammt83. Das Argument, daß aus Schlechtem Gutes folgen könne, berührt in unserem Zusammenhang allerdings etwas merkwürdig, da damit implizit der Rentenkauf, den Hemmerlin ja grundsätzlich verteidigt, potentiell unter die fragwürdigen Verträge gerechnet wird. Hemmerlin weist dann darauf hin, daß der Preis sehr ungewiß sei. Wer könnte denn den wahren Wert eines Guldens ewiger Rente wissen, da doch der Kauf in einem bestimmten Augenblick erfolgt, während die Rentenzahlung ewig andauert. Es gebe gar keine Vergleichsmöglichkeit zwischen momentan und ewig. Deshalb schließt er sich dem kanonischen Recht an, gemäß dem eine Sache nicht nach der Wertschätzung (affectio) der einzelnen angesetzt werden könne, sondern soviel wert sei, um wieviel sie verkauft werden könne. Bereits oben hatte Hemmerlin sich recht vage auf den Marktpreis als Wertbestimmung bezogen. In der Scholastik wurden alle "modernen" Preiserklärungen erwogen, darunter auch das 81 Daß aus Bösem Gutes entstehen könne, ist Hauptthema im Traktat 'De boni et mali occasione': Clarissimi viri (Anm. 1) fol. 149r-153r. 82 Nach Josephus war Nimrod der Erbauer des Turms von Babel. Den mittelalterlichen Autoren war er der Prototyp des Tyrannen. Siehe W. S T Ü R N E R , Peccatum et Potestas. Der Sündenfall und die Entstehung der herrscherlichen Gewalt im mittelalterlichen Staatsdenken (Beiträge zur Geschichte und Quellenkunde des Mittelalters 11) Sigmaringen 1987, passim gemäß Registerposition "Nimrod'. Hemmerlin sah in Nimrod auch den ersten Adligen durch Herrschaftsanmaßung: Liber de nobilitate, Kapitel 8. 83 De credulitate demonibus exhibenda: Clarissimi viri (Anm. 1) fol. 112r-l 16v, hier 116r.
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Bedürfnis (indigentia, utilitas) im Anschluß an Aristoteles bei Albertus Magnus sowie die Unterscheidung zwischen allgemeinem Bedürfnis (indigentia communis) und Einzelbedürfnissen (indigentiae particulares) bei Johannes Buridanus (1300-1358)85. Auf dem Hintergrund dieser Debatte kann aus Hemmerlins Bemerkung gefolgert werden, daß er eine Preisbestimmung durch die indigentia particularis ablehnt. Schon Buridanus hatte darauf hingewiesen, daß der Marktpreis nicht auf das individuelle Bedürfnis zurückgeführt werden könne, da sonst für ein Glas Wasser vom Verdurstenden ein unerschwinglich hoher Preis gefordert würde86. Der Marktpreis ergebe sich aus der communis indigentia. Gerecht sei dieser Preis, wenn er aus freier Schätzung der beiden Kontrahenten zustandekomme87. Antonin von Florenz hat dann noch klarer hervorgehoben, daß nicht jeder erzielte Preis gerecht sei, sondern nur derjenige, welcher der communis aestimatio entspreche88. Hemmerlin fugt hier ein Argument bei, welches ganz vom Standpunkt des Rentenkäufers aus die aktuellen Preise als für den Rentenverkäufer eigentlich zu günstig einstuft: Wer vor hundert Jahren eine Rente in der Höhe eines Guldens gekauft habe, der und seine Nachfolger hätten bereits hundert Gulden erhalten; aber wer heute kaufe, der sei nicht sicher, wie lange er die Rente beziehen werde. Denn es könne kein Zweifel darüber walten, daß man jetzt dem Ende der Zeiten näher sei. Deshalb wäre es gerecht, wenn man jetzt Renten billiger kaufen könnte als früher, da die Ewigkeit nur bis zum Ende der Zeiten dauere und dieses näher sei, als es jemals den Sterblichen war. Jene, die vor hundert Jahren eine solche Rente kauften, hätten ein besseres Geschäft gemacht als diejenigen, welche heute kaufen. Hemmerlin hat sich in seinen letzten Jahren in Luzerner Klosterhaft oft Gedanken über das bevorstehende Weltende hingegeben. Im 1456 verfaßten 'Registrum querele' stellte er sogar die Berechnung an, daß von den insgesamt der Welt gegebenen 7000 Jahren nach Abzug von 5508 Jahren bis Christus und 1456 Jahren seit Christus nur noch 36 Jahre übrig seien89: für einen Rentenkäufer tatsächlich eine beunruhigende Aussicht! Es folgt eine Abschweifung über die Bedeutungsunterschiede der Wörter perpetuas, eternus, sempiternus und evum. Ewig (perpetuus) werde für alle Sterblichen und auch für verderbliche Dinge verwendet. Eine ewige Vikarie (vicaria perpetua) dauere nur auf Lebenszeit und ebenso der ewige Karzer (perpetui carceres), zu dem ein Kleriker verurteilt werde. Die anderen Termini aber (eternus, sempiternus, evum) würden allgemein auf das Mysterium der göttlichen Majestät bezogen. Es gebe Menschen, welche alles verkaufen und selbst ihren eigenen 84
R. KAULLA, Die Lehre vom gerechten Preis in der Scholastik, in: Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft 60 (1904) 579-602, bes. 584; SCHREIBER, Anschauungen (Anm. 47) bes. 66-75. 85 E. SALIN, Geschichte der Volkswirtschaftslehre, Bern 3 1944, 47; KAULLA, Lehre (Anm. 84) 597 f. Die indigentia Buridans nähert sich im Luxusbedarf der Reichen (indigentia excessus apud divites) dem Begriff der Nachfrage und erlaubt m.E. kaum eine Abgrenzung zu einem sog. Affektionspreis; siehe SCHREIBER, Anschauungen (Anm. 47) 181 sowie Registerposition 'Affectionspreis'. 86 KAULLA, Lehre (Anm. 84) 599. 87 SCHREIBER, Anschauungen (Anm. 47) 184, zitiert Buridanus: Indigentia istius hominis vel illius non mensurat valorem commutabilium, sed indigentia communis eorum, qui inter se commutare possunt. 88 Ebd. 218. 89 REBER, Hemmerlin (Anm. 7) 456 f. Eine andere Berechnung im 'Liber de nobilitate', Kapitel 21, war noch wesentlich optimistischer ausgefallen.
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Körper auf ewig (in perpetuo) der Armut und dem Dienst Gottes widmeten. Aber es gebe auch Menschen, insbesondere die wahren Adligen, die von ihren Vorfahren her seit urdenklichen Zeiten in Reichtum lebten und, sofern sie maßvoll blieben, auch so fortdauern würden. Es gebe zudem Plebejer, Handwerker und Bauern, Abkömmlinge aus Bauernhütten und Krämerbuden, die reicher als Adlige, ja als manche Grafen und Barone und dadurch aller Welt lieb geworden seien. Damit aber nicht zufrieden, schmückten sie sich einzig aufgrund ihres Reichtums und ohne andere Verdienste mit der Ritterwürde, welche früher nur ritterlich Geborenen und in der Schlacht durch tapfere Taten Verdienten erteilt worden sei. Ihre Söhne und Enkel fielen vielleicht wieder in Armut, wie die Alten sagten: Schlecht Erworbenes wird kaum je der dritte Erbe genießen90. An dieser Stelle kommt Hemmerlins ausgeprägtes Standesdenken zum Ausdruck. Die Vorzüge des echten Geburtsadels hat er besonders kraß in seinem berühmten 'Liber de nobilitate et rusticitate' herausgestellt91. Alle bloße Anmaßung hat er - nicht nur hier - scharf zurückgewiesen. In einem fiktiven Prozeß vor Gott zwischen Adel und Zürchern einerseits, Schweizern anderseits nennt er Rudolf Netstaler, den Anführer der Glarner bei St. Jakob an der Birs, als einen, der anmaßend nach der Ritterwürde strebte, aber von den Adligen niedergemacht wurde92. Angesichts des Alters und des alten Reichtums dieser Familie war dies indessen kein gutes Beispiel für einen Emporkömmling93. Auch seinem Gegner, dem Kustos des Großmünsters Werner Pürlin, hat er nicht nur seine uneheliche Geburt vorgehalten, sondern auch die Anmaßung des Namens Waldenburg nach einem Adelssitz anstelle von Pürlin94. Aus diesen allgemeinen Erwägungen zieht Hemmerlin für sein Thema die banale Folgerung, daß Reiche verarmen und Arme reich werden. Dies geschehe durch Fleiß, durch Geiz und durch Hilfe der Dämonen, denn der Teufel kenne die verborgenen Schätze und mache denjenigen reich, der ihm Körper und Seele mittels einer mit seinem Blut geschriebenen Urkunde übergebe. Dafür existierten aktuelle Beispiele, sei doch zu seiner Zeit ein armer und einfacher Mann (plebeus) derart reich geworden, daß er aus Darlehenspfandern eine Stadt und Burgen besessen habe. Als ihn auf dem Totenbett ein Priester zu frommen Stiftungen anhielt, habe er geantwortet, er gehe, wohin er gehen müsse, als ob er sagen wollte, er habe einen Pakt mit der Hölle geschlossen. Mit einem Mann von niedriger Herkunft, der zu Reichtum und Einfluß kam, aber in der Hölle endete, be90
Ständische Mobilität behandelt Hemmerlin ausfuhrlich im 'Liber de nobilitate' in den Kapiteln 17: De plebeis qui nobilitari videntur et nobilibus, qui sublimius nobilitatis gradibus elevantur; 18: De nobilibus factis et creatis ex antiquis divitiis\ 19: De his qui nobilitate re et nomine privantur. Daß die Erhöhung der vielen Unedlen und Bauern und deren Reichtum nicht andauern werde, meint Hemmerlin auch im 'Registrum querele' (vgl. REBER, Hemmerlin [Anm. 7] 453) und in 'De credulitate' (Anm. 83), hier 114r. 91 REBER, Hemmerlin (Anm. 7), nennt diese Schrift "eine Verherrlichung des Adels ohne Gleichen, und dagegen völlige Herabsetzung des Bürger- und Bauernstandes, besonders der Schweizerbauern". 92 R E B E R , Hemmerlin (Anm. 7) 276. 93 Die Familie Netstaler ist in Glarus seit der Mitte des 13. Jh. bezeugt. Ein Ulrich zählte sich schon 1289 zum Adel. Rudolfs Vater Mathias war nach Aegidius Tschudi der reichste Eidgenosse seiner Zeit und besaß u.a. die Burgen Liebenberg und Schüpfen. 94 Epistola contra quendam superbum clericum: Clarissimi viri (Anm. 1) fol. 129v-131v, hier 130v13lr. Die niedrige Herkunft betont er auch bei seinem Gegner Nikolaus Gundolfinger; R E B E R , Hemmerlin (Anm. 7) 420.
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schäftigte sich Hemmerlin auch in seinem Traktat 'De credulitate demonibus exhibenda'95. Die Vorstellung eines Paktes mit Dämonen findet sich schon in der römischen Antike96. Im christlichen Bereich ist dafür ein Text Augustins wichtig geworden. Die Form eines schriftlichen Vertrages mit dem Teufel verbreitete u.a. schon die ins 7./9. Jahrhundert zurückreichende Theophiluslegende97; Johannes XXII. hat in der Bulle 'Super illius specula' von 1326/27 die Vorstellung eines Höllenpaktes mit päpstlicher Autorität bekräftigt98. Der Gedanke, man könne sich mit Blut dem Teufel verschreiben, wird darauf zurückgeführt, daß man im Blut eine Verkörperung der ganzen Persönlichkeit sah99. Erst im Spätmittelalter wurde dem Teufel zugeschrieben, er verfuge über die verborgenen Schätze. Im eben genannten Dämonentraktat weist Hemmerlin auch darauf hin, daß Magier den Teufel beschwörten, um an verborgene Schätze heranzukommen100. Dieser Schatzglaube ist in einen Zusammenhang mit dem Mitgeben von Schätzen ins Grab von Verstorbenen gestellt worden, wobei die Toten dann selbst als deren Hüter auftreten. Schatzgräber händigten ihnen als Gegengabe ein Tier oder einen Menschen aus. Im Spätmittelalter trat der Teufel an die Stelle der dämonischen Toten. Er läßt jene Menschen, die ihm ihre Seele verschreiben, an den Schätzen teilhaben101. Nach diesem erneuten Abschweifen erinnert Hemmerlin daran, daß über die Erlaubtheit des Rentenvertrages lange Unsicherheit geherrscht habe. Das zeigten mehrere Konzilien, wie das Nicaenum, das erste Lateranense und das Viennense. Tatsächlich haben diese Kirchenversammlungen indessen nur allgemein gehaltene Wucherverbote erlassen, ohne auf den Rentenkauf Bezug zu nehmen102. Er vergleicht diese Unsicherheit mit den Zweifeln über die Empfängnis Mariae, über die man während mehr als tausend Jahren nicht hinweggekommen sei103. Die Ansicht des Thomas von Aquin, der doch unter den Theologen nicht weniger geschätzt werde als unter den Juristen Innozenz104, Hostiensis105, Bemardus Parmensis106, Alanus107, Johannes Teutonicus108 oder Johannes Andreae, habe sich 95
De credulitate (Anm. 83). Hier ist fol. 112v auch von pactum expressum cum demone die Rede. Siehe Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens (HDA), hg. von H. BÄCHTOLD-STAUBLI, 10 Bde., Berlin-Leipzig 1927-1942; Bd. 3, 1842 f., Artikel 'Hexe' E 1 a) Teufelspakt; vgl. auch 1878 sowie Bd. 1, 1448, Artikel 'Blutsbrüderschaft'. Siehe weiter N.COHN, Europe's Inner Demons, Frogmore 21976, 174-178; R. GÖTZ, Der Dämonenpakt bei Augustin, in: Teufelsglaube und Hexenprozesse, hg. von G. SCHWAIGER, München 1987, 57-84. 97 HDA, Bd. 8, 758 f., Artikel 'Theophilus'. 98 Magnum Bullarium Romanum a beato Leone magno usque ad Benedictum XIII, t. I, Luxemburg 1727, 204 f. 99 HDA, Bd. 1, 1435, Artikel 'Blut', und 1448, Artikel 'Blutsbrüderschaft'. Zum Gesamtzusammenhang siehe auch H. STRACK, Das Blut im Glauben und Aberglauben der Menschheit (Schriften des Institutum Judaicum in Berlin 14) München 1900,21-27. 100 De credulitate (Anm. 83) fol. 112v. 101 S. HIRSCHBERG, Schatzglaube und Totenglaube (Sprache und Kultur der germanischen Völker, B. 9) Breslau 1934,44 f.; siehe auch HDA, Bd. 7, 1014, Artikel 'Schatz'. 102 Nicaenum I (325) COD' 14 c.17; Lateranense I (1139), ebd. 200 c.13; Viennense (1311/12), ebd. 384 f. c.29. 96
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X . M . LE BACHELET, I m m a c u l é e C o n c e p t i o n , in: D T h C VII ( 1 9 2 2 ) 8 4 5 - 1 2 1 8 .
Innozenz IV. = Sinibaldus Fliscus; SCHULTE, Geschichte (Anm. 72) II 91-94. SCHULTE, Geschichte (Anm. 72) II 123-129. 106 Ebd. II 114-117. 107 Ebd. I 188. 108 Ebd. I 172-175. 105
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nicht durchgesetzt , sondern die gegenteilige Meinung habe sich durch Dekret des Papstes und des Basler Konzils gehalten. Er glaube indessen, daß keine Partei vor diesem Dekret durch ihre Meinung gesündigt habe. Hemmerlin gibt sich auch hier als eifriger Anhänger des Basler Konzils selbst über dessen Verlegung durch Papst Eugen IV. hinaus zu erkennen110. Das Konzil hatte die seit 1436 intensiv geführten Diskussionen in dieser Sache erst durch ein am 17. September 1439 publiziertes Dekret abgeschlossen, welches die Unbeflecktheit Mariae von der Erbsünde dogmatisierte111. Erst 1854 ist das Dogma der unbefleckten Empfängnis dann durch Pius IX. verbindlich proklamiert worden112. Für sein Thema folgert Hemmerlin, daß nach dem Kanon 'Juvenis de sponsalibus'113 in zweifelhaften Dingen die sicherere Meinung gewählt werden müsse, und das sei jene, die von der Mehrheit vertreten werde, die auch der Papst gelten lasse und die von allen Bischöfen und Prälaten Deutschlands (Germanie) nicht zurückgewiesen werde. Unendlich sei die Zahl der Menschen beiderlei Geschlechts, welche seit vielen Jahren aktiv und passiv ohne Skrupel solche Verträge abschlössen und erfüllten. Wenn es solche Verträge nicht gäbe, könnten sich viele nicht in ihrem Stand halten. Hier erhebt Hemmerlin also die Massenhafitigkeit und Nützlichkeit der Rentenverträge zu einem Kriterium für ihre Erlaubtheit. Welcher Doktor, Prälat, Pfarrer oder Priester würde so viele Seelen in die Gefahr ewigen Todes bringen, ohne die Entscheidung des Papstes und des Generalkonzils zu beachten, fragt Hemmerlin rhetorisch. Dagegen spreche auch nicht, wenn der höchste Poenitentiar an der römischen Kurie oder ein geringerer Poenitentiar seinen eigenen Entscheid dawidersetze, der vielleicht als Römer oder Lombarde aus Gegenden stamme, in denen der Rentenvertrag unbekannt sei, während im übrigen der Streit um den Wucher dort heftig und täglich ausgefochten werde. Oldradus114 sage in Übereinstimmung mit den Doktoren, daß über die Auslegung der Konklusion in einer jeden im Konsistorium unter Vorsitz des Papstes behandelten Sache aufgrund der unterschiedlichen Meinungen der Doktoren Zweifel auftreten. Ein Richter könne im Zweifel jener Meinung folgen, die ihm die sicherere zu sein scheine. Johannes Andreae führe die Ausgabe des 'Liber 109 LE BACHELET, Conception (Anm. 103) 1051 ff. Thomas verteidigte es als den einzigartigen Vorzug Christi, der Erlöser aller zu sein und unbefleckt von der Erbsünde selbst der Erlösung nicht zu bedürfen. 110 Hemmerlins Bewunderung für den Konzilspapst Felix V. schimmert in seinem Bericht über dessen Besuch in Solothurn durch. Ediert und übersetzt bei REBER, Hemmerlin (Anm. 7) 104-108. Entsprechend finden Eugen IV. und dessen Konzilslegat Giuliano Cesarini bei ihm keine Gnade. Von Eugen berichtet er voller Abscheu, daß er zeitweise als Begarde gelebt habe: Glösa bullarum per beghardos impetratarum: Clarissimi viri (Anm. 1) fol. 19r; SCHMITT (Anm. 32) 169, bezieht die Stelle irrig auf Gregor XII.! Cesarini nennt er gar mehrfach einen zweiten Julianus Apostata! Siehe Liber de nobilitate, Kap. 4, und De negocio monachorum: Clarissimi viri (Anm. 1) fol. 26r-42r; letzteres zitiert bei REBER 317; Dyalogus de consolatione inique suppressorum: Clarissimi viri (Anm. 1) fol. 168v-183v. Allerdings hat ihn auch Felix V. enttäuscht: ebd. und REBER (Anm. 7) 109 f., 367. 111
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LE BACHELET, C o n c e p t i o n ( A n m . 103) 1 1 0 8 - 1 1 1 5 .
Bulle 'Ineffabilis Deus' vom 8.12.1854: DENZINGER/ SCHÖNMETZER, Enchiridion (Anm. 70) 560 f. Nr. 2800-2804. Vgl. auch den Beitrag von R. BÄUMER in diesem Band. 113 Gemeint ist X, lib. 4, tit. 1, cap. 3: Quia igitur in his, quae dubia sunt, quod certius existimamus, tenere debemus. 114 Kanonist ( t 1335); SCHULTE, Geschichte (Anm. 72) II 232 f.
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Sextus' und der Clementinen darauf zurück, daß die älteren Doktoren und insbesondere Innozenz und Hostiensis in einigen Fällen sich gegenseitig widersprachen. Das sei auch nichts neues. Denn täglich seien sich Anwälte uneins. Darin seien sie nach Gregor schlimmer als die Dämonen, welche untereinander immer übereinstimmen115. Dagegen spreche auch nicht der irrige Einwand, den einige erheben: daß der Papst und die Kirche Bordelle und Prostituierte tolerieren und demnach die Hurerei keine Sünde wäre. Diese Induktion könne vor dem Recht nicht bestehen. In beiden Testamenten werde Hurerei für derart sündhaft gehalten, daß die Kirche gegen diese Frauen nicht einmal predigen mußte, weil niemand an ihrer Sünde zweifelte. Da nicht jeder wegen der Unzucht seine eigene Frau haben könne, habe die Kirche die Prostituierten im Interesse der Gemeinschaft und zur Vermeidung schwererer Vergehen geduldet, ebenso wie beißende Hunde gegen noch bissigere Wölfe gehalten würden. So habe der Kaiser den Prostituierten das Privileg erteilt, daß unter Todesstrafe niemand gewaltsam ihre Türen und Wohnungen aufbrechen dürfe116. Die hier angesprochene Ambivalenz der kirchlichen Lehre in bezug auf die Prostitution, in der sich moralische Verurteilung mit praktischer Duldung verband, hat schon Augustin in seinem Traktat 'De ordine' begründet117: Prostitution sei für die Erhaltung der Gesellschaft notwendig, denn wenn es keine Dirnen mehr gäbe, so würden die Männer dazu getrieben, ihre Lüste bei ehrbaren Frauen auszuleben118. Deshalb sollten die Zuständigen die Prostitution als das geringere Übel dulden. Aber unbeschadet dieser Duldung bleibe das Gewerbe der Dirnen und der Verkehr mit ihnen eine Sünde wider Gott. Aufsehen hatte diese Argumentation zugunsten einer Tolerierung der Prostitution zur Zeit Hemmerlins am Basler Konzil erregt, als sie von Gilles Carlier 1433 gegen die Ausfuhrungen des Nikolaus von Pelhrimov zum hussitischen Artikel über die Bestrafung öffentlicher Sünden ins Feld gefuhrt wurde119. Mit Blick auf den Wucher ist eine ähnliche Argumentation überliefert: daß dieser nämlich deshalb zu dulden sei, weil dadurch schlimmere Übel vermieden werden könnten. Wahrscheinlich dachte Hemmerlin auch an diese Argumentation, denn er kannte sie sicher aus den bereits oben von ihm erwähnten 'Quaestiones Mercuriales' des Johannes Andreae. Obwohl Johannes dem Grundsatz durchaus zustimmte, daß von zwei konkurrierenden Übeln das geringere gewählt werden müsse, lehnte er die Folgerung einer Duldung des Wuchers ab. Zwar sei es 115
Dieser Gedanke ist mit Belegen ausgeführt im Traktat 'De credulitate' (Anm. 83) fol. 112r-l 16v, hier 113v. 116 J. A. BRUNDAGE, Law, Sex, and Christian Society in Medieval Europe, Chicago-London 1987, weist gemäß Registerposition 'Prostitutes, protection of', kein solches kaiserliches Privileg nach. Nach Ulpian trug derjenige, welcher aus sexueller Gier eine Bordelltür einschlug, nicht einmal Verantwortung für dadurch ermöglichten Diebstahl; Dig. 47.2.39. 117 Lib. 2, C.4, n. 12: MPL 32, 1000; oft zitiert, auch bei Thomas von Aquin, STh IIa Ilae, q. 10, a. II, in c. ^ Aufer meretrices de rebus humanis, turbaveris omnia libidinibus. 119 F. BARTOS (ed.), Orationes, quibus Nicolaus de Pelhrimov, Taboritarum episcopus, et Ulricus de Znojmo, orphanorum sacerdos, artículos de peccatis publicis puniendis et liberiate verbi Dei in concilio Basiliensi anno 1433 ineunte defenderunt, Tabor 1935; JACOB, Bohemians (Anm. 31) 98101, bes. 100; P. DE VOOGHT, La confrontation des thèses hussites et romaines au concile de Bàie ( j a n v i e r - a v r i l 1 4 3 3 ) , i n : R T h A M 3 7 ( 1 9 7 0 ) 9 7 - 1 3 7 , 2 5 4 - 2 9 1 , h i e r 1 2 0 f., 1 2 6 f.
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richtig, daß der Arme besser ein Wucherdarlehen aufnehme als Hungers zu sterben; der Wucherer aber müsse nicht zwischen zwei Übeln wählen, denn er könne ja ein wucherfreies Darlehen gewähren120. Nachdem Hemmerlin die grundsätzliche Frage nach der Erlaubtheit des Rentenvertrages in dieser Form bejaht hat, betont er, es müsse aber darauf geachtet werden, daß im Einzelfall nicht Betrug und Hinterlist die Verträge vor dem Forum conscientie ungültig machten. Dies betreffe ja nicht nur Renten, sondern auch heiligste Verträge wie die geistliche und fleischliche Ehe, die Erteilung geistlicher Weihen und Benefizien, die geistliche Profeß. Das Recht stelle fest, daß ein Kauf- und Verkaufsvertrag kaum je ohne Sünde abgeschlossen werden könne121. Deshalb habe der heilige Franziskus bestimmt, daß seine Brüder Geld vermeiden und allein von ihrer Arbeit und von Almosen leben sollten. Diese positive Erwähnung des hl. Franziskus sollte nicht darüber hinwegtäuschen, daß Hemmerlin den Bettelorden gegenüber wenig Sympathie erkennen läßt122. Gegen eine Stiftung, welche es ermöglichen sollte, am Zürcher Großmünster den Tag des hl. Franziskus ebenso feierlich zu begehen wie denjenigen Johannes' des Täufers hatte er sich im 'Tractatus de novorum officiorum divinorum institutione' gewandt, unter anderem mit dem merkwürdigen Argument, Franziskus sei nur ein einfacher Bauer ohne geistliche Weihen gewesen123. Hemmerlin konstatiert anschließend, daß die heiligen Doktoren über alle Vertragsarten genügend Differenzierungen aufgestellt hätten. Daß sie dabei nicht immer übereinstimmten, sei nichts Neues, denn Gesetze, Canones und Dekretalen seien auch oft widersprüchlich. Als Beispiel führt er den Kanon 'Vestra de cohabitatione clericorum et mulierum' an124, aufgrund dessen einige Prediger nicht nur im Konkubinat lebende Priester, sondern auch diejenigen, welche deren Gottesdiensten beiwohnten, beunruhigten und sie als Todsünder erweisen wollten, wie Raymundus zum selben Titel in seiner Summa sage, wobei viele Doktoren damit übereinstimmten, viele andere aber widersprächen125. Das Basler Konzil 120 Johannes Andreae (Anm. 72): Quintum vero, cum dicebatur quod contractus usurarius deberet permitti, quia per ipsum multa mala vitantur, utpote damnum in rebus, periculum personis. Item quia per ipsum sequebantur bona scilicet pauperum sustentatio et mercantiarum salvatio ... Dicendum ergo ad hoc, quod ubi duo mala concurrerunt semper minus est eligendum ab ilio, qui necesse habet incidere in alterum de duobus, et ideo pauper potius debet eligere recipere mutuum ad usuram quam mori fame; ipse autem usurarius non incidit necessario in alterum illorum duorum malorum, quia potest mutuare sine usura. 121 Hemmerlin denkt hier an die Formulierung Leos des Großen quia difficile est, inter ementis vendentisque commercium non intervenire peccatum, Epistola 167: MPL 54, 1206; im Traktat 'De negotio monachorum' zitiert er fol. 27r denselben Text mit der richtigen Stellenangabe de pe. dist. V Qualitas = De poenitentia, Dist. 5, c.2 Qualitas (C 33, q 3, D 5, c.2). Siehe auch D 88, c . l l Palea 'Eiiciens': sic qui emit et vendit sine mendacio et periurio esse non potest. Siehe allgemein BALDWIN, Merchant (Anm. 16). 122 In 'De religiosis proprietariis preeepta domini predicantibus': Clarissimi viri (Anm. 1) fol. 50v57v, lobt er das Vorgehen des Basler Konzils gegen die Basler Conventualen zur Durchsetzung der Observanz. Siehe auch den Traktat 'De plebanis et religiosis mendicantibus', ebd. fol. 42v-50r. 123 In: Clarissimi viri (Anm. 1) fol. 61v-73v: ... simplex rusticus ... in sacris ordinibus nunquam constitutus. Einen jahrelangen Prozeß führte Hemmerlins Solothumer Stift gegen die dortigen Minoriten wegen eines Kapellenbaus seit 1436; FIALA, Hemmerlin (Anm. 71) 438-457. 124 Gemeint ist X, lib. 3, tit. 2, cap. 7, wo abgehandelt wird, daß die Gläubigen die Sakramente von einem bloß verdächtigten Priester nehmen sollen, solange die Kirche noch kein Urteil gefällt hat. 125 Siehe Raimund von Pefiafort, Summa, Pars 3, cap. 19: De scandalo et perplexitate et notorio in cohabitatione clericorum et mulierum. Im von mir benützten (übrigens sehr fehlerhaften) Exemplar
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habe es nicht vermocht, diesem Streit ein Ende zu setzen . Doch hätten der Kardinal von Cambrai und der Kanzler der Universität Paris diese Verdammung der Zuhörer mit hervorragenden Gründen zurückgewiesen. Die geistlichen Konkubinarier selbst hätten sie in den Stand der Verdammung gesetzt, auch wenn diese sich wegen ihres Alters oder wegen ihres Gelübdes mit den bei ihnen lebenden Frauen nicht mehr vereinigten. Ihnen nütze Beichte und Buße ebensowenig wie den Wucherern, die ihren Wucher bis zum Tode weiterführten, oder den in ihrer Sünde beharrenden Ehebrechern. Kürzlich habe zur Zeit des Basler Konzils ein entlaufener Mönch im Klerikergewand in der Diözese Brixen die Bauern derart gegen ihre im Konkubinat lebenden Pfarrer aufgereizt, daß diese sie ausgerottet hätten, wären nicht Adlige und der Bischof dazwischengetreten. Der genannte abtrünnige Mönch habe sich später in Zürich als Arzt ausgegeben, sei dann vom Basler Konzil nach seinem Verdienst behandelt und wieder in seinen Orden, nämlich der Wilhelmiten, eingewiesen worden127. Theologisch hatte die im Investiturstreit mit Schärfe diskutierte Frage der Gültigkeit von sakramentalen Handlungen unwürdiger Priester und - damit verbunden - der Teilnahme von Laien an solchen Handlungen durch die Opus operatum-Formel zu Beginn des 13. Jahrhundert eine Lösung gefunden128. Das Basler Konzil hatte im Rahmen seiner Reformarbeit das Klerikerkonkubinat 1435 scharf verurteilt129. Indessen wurde in Basel auch vorgeschlagen, den in der Praxis ohnehin mißachteten Zölibat auch in der Theorie fallenzulassen. Hemmerlin selbst war ein überzeugter Anhänger dieses Gedankens. In seinem Traktat 'De libertate ecclesiastica' berichtet er zustimmend von dem Antrag an die Reformdeputation, daß auch in der Westkirche den Geistlichen wie in der Ostkirche eigene Frauen erlaubt werden sollten, damit sie nicht mit fremden Mißbrauch trieben130. Dies des Johannes von Ragusa (Basel, Öffentl. Bibl. der Univ, B VIII 34) ist fol. 90rb am Rand ein Hinweis rubriziert: Utrum parrochiani debeant audire missam sacerdotis concubinarii. Die zum Vergleich beigezogene, wesentlich bessere Handschrift B IX 2, fol. 148rb, enthält diesen Hinweis nicht. Die Frage ist bei Raymundus viel differenzierter abgehandelt, als der knappe Satz von Hemmerlin vermuten ließe. In Übereinstimmung mit den Texten des 2. Titels im 3. Buch des 'Liber Extra' hält Raymundus dafür, daß Gläubige bloß unter Verdacht stehende Priester nicht meiden sollen, ehe die Kirche geurteilt hat: B IX 2 fol. 149r: ...et iste non debet evitari in sacramentis quamdiu ab ecclesia tolleratur. 126 Am Basler Konzil hatte der Hussit Nikiaus von Pelhrimov die Forderung aufgestellt, die Gläubigen müßten unwürdige Priester meiden: DE VOOGHT, Confrontation (Anm. 119) 123. 127 'De emptione' (Anm. 3) fol. 156r. Diese bisher in anderen Quellen nicht faßbare Episode ist eine weitere Illustration des latenten Antiklerikalismus des einfachen Volkes in dieser Zeit. 128 A. MICHEL, Opus operatum, Opus operantis, in: DThC XI (1931) 1084-1087. Das Tridentinum hat die Formel gebilligt. 129 'Deeretum de concubinariis' vom 22.1.1435, in: COD 3 485-487; M. BOELENS, Die Klerikerehe in der kirchlichen Gesetzgebung vom II. Laterankonzil bis zum Konzil von Basel, in: lus sacrum. Festschrift K.Mörsdorf, hg. von A. SCHEUERMANN/G. MAY, Paderborn-Wien 1969, 593-614; M. BOELENS, Die Klerikerehe in der kirchlichen Gesetzgebung zwischen den Konzilien von Basel und Trient, in: Archiv für katholisches Kirchenrecht 138 (1969) 62-81. 130 In: Clarissimi viri (Anm. 1) fol. 134v-148v: Ut occidentales clerici ad instar orientalium propriis gauderent uxoribus ne abuterentur alienis. Zu einem Antrag in dieser Richtung durch den Polen Jan de Ludzisko siehe BRUNDAGE, Law (Anm. 116) 79; nach N. GRÉVY-PONS, Célibat et nature: une controverse médiévale: à propos d'un traité du début du XV e siècle, Paris 1975, 52 f. Siehe auch Kapitel 32 im 'Liber de nobilitate', wo Hemmerlin den Adligen sagen läßt, was zuvor während tausend Jahren im Christentum erlaubt gewesen sei, sei dann nur durch menschliches Verbot zu einer Sünde gemacht worden: Et ex nunc tantum hominum prohibitione constrictum et redactum est in peccatum.
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HANS-JÖRG
GILOMEN
bedeutete aber natürlich nicht, daß er das Klerikerkonkubinat gebilligt hätte. Im Gegenteil hat sich am Kampf Hemmerlins gegen die Konkubinen seiner Mitchorherren ein erster, sich bis zu Gewalttaten steigernder Konflikt am Zürcher Großmünster entzündet131. Auch der für Hemmerlins Verurteilung zu Klosterhaft entscheidende Konflikt war mit dieser Frage verknüpft, denn er hatte sich mit Hartnäckigkeit für die Absetzung zweier Pfarrer wegen deren Konkubinats eingesetzt und war dabei mit dem Konstanzer Generalvikar Nikolaus Gundelfinger zusammengestoßen132. Für sein Thema leitet Hemmerlin folgendes ab: Wenn schon in so wichtigen, das Seelenheil so vieler Menschen betreffenden Dingen wie der Frage der Verdammung von Teilnehmern an Gottesdiensten der Konkubinarier die Kirche schweige, warum sollte da nicht auch ein einzelner Doktor oder Kleriker in seinen öffentlichen Predigten schweigen zu so häufigen Verträgen, welche die Bewohner von ganz Deutschland (Germania) betreffen; einzelne Verstöße, wie sie dabei oftmals vorkommen, könne er ja in seinem privaten Urteil bessern. Die Strenge des Gesetzes solle beachtet werden, damit die Gerechtigkeit nicht verletzt werde, aber auch Barmherzigkeit gehöre zur Gerechtigkeit. Hemmerlin schließt mit der Beteuerung, in allem und jedem unterwerfe er sich demütig der Korrektur jedes aufrichtig Gesinnten in Christo. Er bitte die Leser um Nachsicht, da er dieses Werk in Einsamkeit und ohne Hilfe von Büchern133, aber doch versehen mit der Gnade des Heilands geschrieben habe. Hemmerlins Rententraktat ist gewiß kein Meisterwerk. Er ragt weder aus seinen eigenen Schriften hervor, noch kann er sich mit anderen spätmittelalterlichen Abhandlungen zum Thema messen. Immerhin ist er eines der vielen Zeugnisse der auch nach der Entscheidung Martins V. zur Unbedenklichkeit des Rentenkaufs weiterschwelenden Diskussion um den wucherischen Charakter dieses Geschäfts, welches zumindest nördlich der Alpen zum bedeutendsten Kreditinstrument des Spätmittelalters geworden war. Wie man auch zu anderen Schriften dieses Autors bemerkt hat, verschanzt sich Hemmerlin gern hinter Autoritäten134, unter denen in dieser juristischen Frage der von ihm hochverehrte Johannes Andreae nicht fehlen durfte. Allerdings wirkt die Verwendung dieser auctoritates im vorliegenden Traktat außerordentlich unpräzis. Ständige Abschweifungen, zum Teil ins Anekdotische und in wenig genau verortete Exempla, erwecken den Eindruck einer gewissen Ziellosigkeit in der Argumentation, der noch dadurch verstärkt wird, daß sich Hemmerlin selbst immer wieder zur Ordnung ruft: Redeamus ad propositum. Bezeichnend ist es, in welche Richtungen seine Gedanken abschweifen: Es sind vor allem Themen des Basler Konzils, die ihn seit seiner Teilnahme als inkorporiertes Mitglied nie mehr losgelassen haben135. Unter den Argumenten im einzelnen fällt als originell jene heute eher als abstrus-materialistisch berührende Überlegung auf, daß derjenige, der schon früher eine Ewigrente gekauft habe, deshalb ein besseres Geschäft mache, weil seine Ewigkeit REBER, Hemmerlin (Anm. 7) 151-155. REBER, Hemmerlin (Anm. 7) 295-297 und 455 nach dem 'Registrum querele'. 1 3 3 Gemeint ist die Klosterhaft bei den Luzerner Franziskanern. 1 3 4 REBER, Hemmerlin (Anm. 7) 118. 1 3 5 Klar hat dies bezüglich des Gesamtwerks schon REBER, Hemmerlin (Anm. 7) 98-114, herausgearbeitet. 131
132
DER TRAKTAT 'DE EMPTIONE ET VENDITIONE UNIUS PRO VIGINTI'
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länger dauere. Der daraus folgende, bloß angetönte Gedanke, daß deshalb die sinkende Rentensatzentwicklung des Spätmittelalters ungerecht sei, kann nur vom Standpunkt eines Rentengläubigers her gefaßt werden, um so mehr, als Hemmerlin in Einklang mit der herrschenden Lehre durchaus den Marktpreis als den gerechten Preis anerkennt. Die Einseitigkeit dieser Sicht ist umso erstaunlicher, als er in anderem Zusammenhang durchaus die Problematik der Rentenverschuldung gerade auch gegenüber kirchlichen Gläubigern hervorgehoben hat. Im Traktat 'De novorum officiorum divinorum institutione' sieht er als Hauptursache für die Auflehnung der Hussiten die Überlastung des gesamten Grund und Bodens im böhmischen Königreich mit Abgaben an den Klerus136. Damit hat er jenes Problem angesprochen, das im Spätmittelalter überall zunehmend für vordringlich erachtet wurde: die sozialen, wirtschaftlichen und fiskalischen Folgen der um sich greifenden Verschuldung in einer voranschreitenden Kreditwirtschaft137. Er hat in diesem Zusammenhang unter Berufung auf das Basler Konzil auch dazu aufgerufen, das Geld statt für neue Stiftungen an den kirchlichen Aufwand besser zur Unterstützung der Armen zu verwenden138.
136 In: Clarissimi viri (Anm. 1) fol. 61v-73v, hier fol. 73r: Et hec indubitanter fiiit primordialer regni Bohemorum destructionis causa, quia multum impatienter videbatur laicis, immo terrarum partículas nimium gravatas per pensiones clero censuales. Nam vix fiiit pedis passus per omnes regni districtus ubi clerus non habuerit tributorum vel aliarum pensionum fructus. 137 Siehe H.-J. GILOMEN, Das Motiv der bäuerlichen Verschuldung in den Bauernunruhen an der Wende zur Neuzeit, in: Spannungen und Widersprüche. Gedenkschrift für FrantiSek Graus, hg. von S. BURGHARTZ u.a., Sigmaringen 1992, 173-189; H.-J. GILOMEN, Renten und Grundbesitz in der toten Hand. Realwirtschaftliche Probleme der Jenseitsökonomie (im Erscheinen). 138 De novorum officiorum divinorum institutione (Anm. 136).
Studien zum 15. Jahrhundert
Studien zum 15. Jahrhundert
Festschrift für Erich Meuthen Band 2 Herausgegeben von Johannes Helmrath und Heribert Müller in Zusammenarbeit mit Helmut Wolff
R.Oldenbourg Verlag München 1994
Die Drucklegung dieser Publikation wurde ermöglicht durch die finanzielle Unterstützung folgender Institutionen Bistum Aachen Bistum Mainz Bistum Trier Aachener Geschichtsverein Bankhaus Oppenheim Sal. jr. & Cie. Gesellschaft für Konziliengeschichtsforschung Landschaftsverband Rheinland Rudolf Siedersleben'sche Otto Wolff-Stiftung (Prof. Dr. G. Hartmann/ Dr. A. Woopen)
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Studien zum 15. Jahrhundert: Festschrift für Erich Meuthen / hrsg. von Johannes Helmrath und Heribert Müller in Zusammenarbeit mit Helmut Wolff. - München : Oldenbourg. ISBN 3-486-56078-6 NE: Helmrath, Johannes [Hrsg.]; Meuthen, Erich: Festschrift Bd. 2 (1994)
© 1994 R. Oldenbourg Verlag GmbH, München Das Werk einschließlich aller Abbildungen ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Bearbeitung in elektronischen Systemen. Foto: Erich Kramer, Köln Umschlaggestaltung: Dieter Vollendorf Gesamtherstellung: WB-Druck, Rieden Gedruckt auf alterungsbeständigem säurefreiem Papier ISBN 3-486-56078-6
Inhalt
Vorwort der Herausgeber HEIMPEL, HERMANN (f): Sitzordnung und Rangstreit auf dem Basler Konzil. Skizze eines Themas I.
XI
1
DIE KONZILIEN VON KONSTANZ UND BASEL UND IHR THEOLOGISCHES UMFELD
MIETHKE, JÜRGEN: Kirchenreform auf den Konzilien des 15. Jahrhunderts. Motive - Methoden - Wirkungen
13
LEPPER, HERBERT: Aquensia zum Konzil von Konstanz
43
WATANABE, MORIMICHI: Herny Beaufort, Cardinal of England, and Anglo-papal Relations
65
BLACK, ANTONY: Diplomacy, Doctrine and the Disintegration of an Idea into Politics
77
HELMRATH, JOHANNES: Capitula. Provinzialkapitel und Bullen des Basler Konzils für die Reform des Benediktinerordens im Reich . . . .
87
SIEBEN SJ, HERMANN JOSEF: Non solum papa definiebat nec solus ipse decretis et statutibus vigorem praestabat. Johannes von Ragusas Idee eines römischen Patriarchalkonzils
123
LAUDAGE, JOHANNES: Cerium est quod papa potest errare. Johannes von Ragusa und das Problem der Unfehlbarkeit
145
HORST OP, ULRICH: Nova Opinio und Novelli Doctores. Johannes de Montenigro, Johannes Torquemada und Raphael de Pornassio als Gegner der Immaculata Conceptio
169
BÄUMER, REMIGIUS: Die Entscheidung des Basier Konzils über die Unbefleckte Empfängnis Mariens und ihre Nachwirkungen in der Theologie des 15. und 16. Jahrhunderts
193
VI
INHALT
BRANDMÜLLER, WALTER: Siena und das Basler Konzil - die Legation des Battista Bellanti
207
MÜLLER, HERIBERT: Cum res ageretur inter tantos principes: Der Streit um das Bistum Tournai (1433-1438). Zu einem Kapitel französisch-burgundischer Beziehungen aus der Zeit des Konzils von Basel
231
PETERSOHN, JÜRGEN: Bischof, Konzil und Stiftsstadt. Die Bischöfe von Kammin und die Hansestadt Kolberg im Obedienzkampf zwischen Basel und Rom PATSCHOVSKY, ALEXANDER: Nikolaus von Buldesdorf. Zu einer Ketzerverbrennung auf dem Basler Konzil im Jahre 1446 II.
255 269
N I K O L A U S VON K U E S
HAUBST, RUDOLF (t): Nikolaus von Kues im Dialog
293
SENGER, HANS GERHARD: Metaphysischer Atomismus. Zur Transformation eines Denkmodells durch Nikolaus von Kues
311
BORMANN, KARL: Die Randnoten des Nikolaus von Kues zur lateinischen Übersetzung des platonischen 'Parmenides' in der Handschrift Volterra, Biblioteca Guarnacci, 6201
331
SCHIEFFER, RUDOLF: Nikolaus von Kues als Leser Hinkmars von Reims
341
VAN DIETEN, JAN-LOUIS: Nikolaus von Kues, Markos Eugenikos und die Nicht-Koinzidenz von Gegensätzen
355
HALLAUER, HERMANN JOSEF: Bruneck 1460. Nikolaus von Kues der Bischof scheitert an der weltlichen Macht III.
381
FRÖMMIGKEIT, BILDUNG UND KULTUR
SCHREINER, KLAUS: Von dem lieben herrn sant Jheronimo: wie er geschlagen ward von dem engel. Frömmigkeit und Bildung im Spiegel der Auslegungsgeschichte eines Exempels VAN DIJK O.CARM., RUDOLF TH. M.:
415
D i e W o c h e n p l ä n e in einer
unbekannten Handschrift von 'De spiritualibus ascensionibus' des Gerhard Zerbolt von Zutphen
445
INHALT
VII
NEDDERMEYER, UWE: Radix Studii et Speculum Vitae. Verbreitung und Rezeption der 'Imitatio Christi' in Handschriften und Drucken bis zur Reformation
457
WASSERMANN, DIRK: Wissenschaft und Bildung in der Erfurter Kartause im 15. Jahrhundert. Ein anonymer Kommentar aus dem Bibliothekskatalog von St. Salvatorberg
483
WERNER, MATTHIAS: Johannes Kapistran in Jena
505
MORAW, PETER: Die Hohe Schule in Krakau und das europäische Universitätssystem um 1400
521
SOTTILI, AGOSTINO: Die theologische Fakultät der Universität Pavia in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts. Die gescheiterte Berufung des Theologen Thomas Penketh und die Einrichtung der 'Lectura Thomae'
541
V. DEN BRINCKEN, ANNA-DOROTHEE: Occeani Angustior Latitudo. Die Ökumene auf der Klimatenkarte des Pierre d'Ailly
565
GLLOMEN, HANS-JÖRG: Der Traktat 'De emptione et venditione unius pro viginti' des Magisters Felix Hemmerlin
583
Band 2 IV.
RENAISSANCE UND HUMANISMUS
BUCK, AUGUST: Säkularisierende Grundtendenzen der italienischen Renaissance
609
SCHREINER, PETER: Giovanni Aurispa in Konstantinopel. Schicksale griechischer Handschriften im 15. Jahrhundert
623
SCHULD, THOMAS: Bienen und Ameisen. Zu einer Stelle in den 'Elegantiae' Lorenzo Vallas
635
BEIERWALTES, WERNER: Plotin und Ficino: Der Selbstbezug des Denkens
643
TEWES, GÖTZ-RÜDIGER: Frühhumanismus in Köln. Neue Beobachtungen zu dem thomistischen Theologen Johannes Tinctoris von Tournai
667
Vili
INHALT
WORSTBROCK, FRANZ JOSEF: Hartmann Schedels 'Index Librorum'. Wissenschaftssystem und Humanismus um 1500
697
OBERMAN, HEIKO A.: Gansfort, Reuchlin and the 'Obscure Men': First Fissures in the Foundations of Faith
717
V.
D A S R E I C H UND E U R O P A
ERKENS, FRANZ-REINER: ... Und wil ein grosse Reise do tun. Überlegungen zur Balkan- und Orientpolitik Sigismunds von Luxemburg .
739
ENGELS, ODILO: Albert von Siegburg oder Albert Stuten? Beobachtungen zu einer Weltchronik des 15. Jahrhunderts
763
REPGEN, KONRAD: Antimanifest und Kriegsmanifest. Die Benutzung der neuen Drucktechnik bei der Mainzer Stiftsfehde 1461/63 durch die Erzbischöfe Adolf von Nassau und Diether von Isenburg
781
WOLFF, HELMUT: Und er was frolich und wolgemut... halt Kaiser Friedrichs III. 1471 in Nürnberg
805
Zum Aufent-
LANZINNER, MAXIMILIAN: Reichssteuern in Bayern im 15. und 16. Jahrhundert
821
SCHWARZ, BRIGIDE: Statuta sacri causarum apostolici palacii auditorum et notariorum. Eine neue Quelle zur Geschichte der Rota Romana im späten Mittelalter
845
ESCH, ARNOLD: Im Heiligen Jahr am römischen Zoll. Importenach Rom um 1475
869
PARAVICINI, WERNER: Fürschriffien und Testimonia. Der Dokumentationskreislauf der spätmittelalterlichen Adelsreise am Beispiel des kastilischen Ritters Alfonso Mudarra 1411-1412
903
VONES, LUDWIG: Vom Pogrom zur Vertreibung. Die Entwicklung des jüdisch-christlichen Verhältnisses in den Kronen Kastilien und Aragon von 1391 bis 1492
927
VI.
STADTGESCHICHTE
-
KÖLN:
K I R C H E UND G E M E I N D E
BOOCKMANN, HARTMUT: Deutsche Städte um 1500 in den Augen von Zeitgenossen
957
GROTEN, MANFRED: Devotio Moderna in Köln
971
INHALT
IX
JANSSEN, WILHELM: Eine Vereinbarung über die Bischofswahl zwischen dem Kölner Domkapitel und den Landständen aus der Zeit des Erzbischofs Dietrich von Moers
989
NEUHAUSEN, CHRISTIANE: Köln und der Kirchenbau: Beispiele zur Instrumentalisierung des Ablaßwesens
1005
VAN ELTEN, JOSEF: Die Inkorporation der Pfarrei Widdersdorf in die Abtei Brauweiler
1017
STEHKÄMPER, HUGO: Gemeinde in Köln im Mittelalter
1025
Schriftenverzeichnis Erich Meuthen
1101
Abkürzungsverzeichnis
1109
Register
1113
I V . RENAISSANCE UND HUMANISMUS
Säkularisierende Grundtendenzen der italienischen Renaissance VON AUGUST BUCK Den folgenden Betrachtungen über die säkularisierenden Grundtendenzen der italienischen Renaissance sei eine kurze Erläuterung des Begriffs der Säkularisierung vorausgeschickt, wie er hier verstanden wird: Als wertneutraler wissenschaftlicher Begriff bezeichnet Säkularisierung den historischen Prozeß der Emanzipation der europäischen Kultur von religiösen Bindungen und transzendenten Einstellungen, unbeschadet des Fortbestehens der christlichen Religion; eine allmählich alle Lebensbereiche erfassende Verweltlichung, die in der Selbstentschließung des Menschen zum Diesseits wurzelt und wohl den wichtigsten epochemachenden Faktor für die Neuzeit darstellt. Mit dem Nachweis, daß dieser Prozeß im Italien des 14. Jahrhunderts einsetzt, wird auf der Grundlage des gegenwärtigen Forschungsstandes Jacob Burckhardts These von der italienischen Renaissance als der Wiege der Moderne erneut bestätigt. Anlaß für diese implizite Verteidigung Burckhardts ist die an ihm durch den englischen Historiker Peter Burke wiederholt geübte Kritik, zuletzt in einem 1990 in deutscher Übersetzung vorliegenden Essay über die Renaissance 1 . Angesichts der Erkenntnisfortschritte, welche die Erforschung der Sozialgeschichte der Renaissance Burke verdankt2, und im Hinblick auf das Ansehen, dessen er sich in der wissenschaftlichen Welt erfreut, erhält seine Kritik an Burckhardt besonderes Gewicht. Ansätze zu dieser Kritik finden sich bereits in seiner Studie "Tradition and Innovation in Renaissance Italy"3 aus dem Jahre 1974. Im Gegensatz zu Jacob Burckhardt hält Burke die Renaissance für nicht modern; mit anderen Worten: ihm erscheint die für Burckhardts "Kultur der Renaissance in Italien" grundlegende These obsolet. Die Begründung dafür findet sich im eingangs erwähnten Essay. Außer dem Versuch einer Wiederbelebung der Antike können "beinahe alle anderen Merkmale, mit denen die Renaissance gemeinhin gegen das Mittelalter abgegrenzt wird, schon im Mittelalter selbst gefunden werden" 4 . Mit dieser weitgehenden Aufhebung der Grenze zwischen Mittelalter und Renaissance büßt diese ihren Epochencharakter ein, so daß Burke es für fragwürdig ansieht, wenn manche Historiker "immer noch Renaissanceforschung" betreiben 5 . Deswegen 1
P. BURKE, Die Renaissance, Berlin 1990 (engl. Ausgabe 1987). P. BURKE, Renaissance Sense of the Past, London 1969; P. BURKE, Culture and Society in Renaissance Italy 1420-1540, London 1972; P. BURKE, Tradition and Innovation in Renaissance Italy. A Sociological Approach, New York-London 1974; deutsch: Die Renaissance in Italien. Sozialgeschichte einer Kultur zwischen Tradition und Erfindung, Berlin 1985; P. BURKE, The Historical Anthropology of Early Modern Italy, Cambridge 1987; deutsch: Städtische Kultur in Italien zwischen Hochrenaissance und Barock. Eine historische Anthropologie, Berlin 1986. 3 Vgl. Anm. 2. 4 Vgl. Anm. 1. 5 BURKE, Renaissance (Anm. 1) 102.
2
610
AUGUSTBUCK
zieht er es vor, die Geschichte vom Jahre 1000 bis zum Jahre 1800 als "eine Sequenz miteinander verknüpfter Veränderungen" zu verstehen6. Eine solche grundsätzliche Infragestellung der Renaissanceforschung dürfte der stärkste Angriff sein, der gegen sie seit Jahrzehnten gerichtet worden ist7. Burkes Beweisführung mittels der in der Renaissance fortlebenden mittelalterlichen Elemente ist nicht neu. Seit der mit dem sogenannten "Aufstand der Mediävisten"8 in den zwanziger Jahren einsetzenden intensiveren Beschäftigung mit dem Mittelalter glaubte man in der Epoche eine Reihe von Renaissancen entdecken zu können, die ohne deutliche Demarkationslinie in die Renaissance des 14. bis 16. Jahrhunderts übergingen. So wertvoll die Beiträge waren, welche der "Aufstand der Mediävisten" zu einer vertieften Kenntnis des Mittelalters geleistet hat, so verfehlt sind die Schlußfolgerungen in bezug auf die eigentliche Renaissance, der man schließlich jede Originalität absprach9. Was die von den Mediävisten als Argumente angeführten zahlreichen Übergänge zwischen Mittelalter und Renaissance anbelangt, so handelt es sich dabei um die allgemeine Kontinuität des Geschichtsprozesses, die auch jenseits der Epochenscheide andauert, da stets das Alte eine Zeitlang neben dem Neuen fortlebt. Davon unberührt tritt ein Epochenwandel dann ein, sobald das Neue gegenüber dem Alten die Oberhand gewinnt und eine veränderte Einstellung gegenüber dem Menschen und der Welt bewirkt. Aus dieser Veränderung entspringt das epochale Selbstverständnis, welches das Bewußtsein der Diskontinuität gegenüber der Vergangenheit mit dem Anspruch auf den Beginn einer neuen Epoche verbindet. Das neue Menschen- und Weltbild der Renaissance entstand zuerst in Italien, als dort der Mensch sich als geistiges Individuum erkennt und ein bis dahin unbekanntes Selbstbewußtsein entwickelt. Dieses offenbart sich, allgemein gesprochen, in einer Wendung zum Diesseits, im besonderen in einem Streben nach Selbstbehauptung, in einem auf Ruhm bedachten Geltungsbedürfnis und in einer ungezügelten Wißbegier, seinerzeit durch Augustin in den Lasterkatalog versetzt, nunmehr in erster Linie auf den Menschen in seinem irdischen Dasein gerichtet, auf seine Charaktereigenschaften, seine Verhaltensweisen und seine Lebensformen unter Vernachlässigung transzendenter Bindungen. Die Frage, woher der Mensch kommt und wohin er geht, tritt zurück gegenüber der Reflexion über das, was der Mensch ist und was er erlebt: seine subjektiven Erfahrungen, seine persönlichen Empfindungen und Beobachtungen. Zu den elementaren menschlichen Erfahrungen gehört der Tod. Mit dem Bewußtwerden der individuellen Eigenart gewinnt deren Auslöschung ein stärkeres Gewicht als zuvor. Der Tod wurde sozusagen individualisiert. So entstand ein der christlichen Tradition unbekanntes neues Todesbewußtsein, "die bezeichnendste 6
Ebd. 102. Im Jahre 1967 lehnte es Alberto Tenenti ab, danach zu fragen, ob die Renaissance existiert habe oder nicht, und vermied es, den Begriff zu gebrauchen; vgl. Die Grundlegung der modernen Welt. Spätmittelalter, Renaissance, Reformation, hg. und verfaßt von R. ROMANO/ A. TENENTI (Fischer Weltgeschichte 12) Frankfurt/M. 1967, 145. 8 W. K. FERGUSON, The Renaissance in Historical Thought. Five Centimes of Interpretation, Boston 1948. 9 A. BUCK, Zu Begriff und Problem der Renaissance. Eine Einleitung, in: A. BUCK (Hg.), Zu Begriff und Problem der Renaissance (WdF 204) Darmstadt 1969, 1-36. 7
SÄKULARISIERENDE GRUNDTENDENZEN DER ITALIENISCHEN RENAISSANCE
611
Note" für den Individualismus der Renaissance10. Als existentielles Ereignis wird der Tod aus den dogmatischen Bindungen gelöst und in das subjektive Erleben einbezogen, womit er seinen Strafcharakter verliert und als weder gut noch böse, vielmehr als ein ethisch neutrales Naturereignis erscheint. Indem der christliche, durch Paulus erhärtete Glaubenssatz vom Tod als der Sünde Lohn seine Gültigkeit verliert, wird der Begriff des Todes entchristianisiert, ein wichtiger Schritt im Prozeß der Säkularisierung". Wie den Menschen sah man auch die Welt, d.h. die Natur unter einer neuen Perspektive. Während im Mittelalter die Natur als die Schöpfung Gottes stets im Hinblick auf ihren Schöpfer gedeutet wurde, also ihren Sinn aufgrund einer sie transzendierenden Werteordnung erhielt, entdeckte man nunmehr wie die Wirklichkeit des menschlichen Lebens auch die der Natur und beurteilte sie nach ihr immanenten Maßstäben. Wiederum wie bei der Ausformung des Menschenbildes ist die Erfahrung auch die Grundlage für die Wissenschaft, die kraft ihrer praktischen Umsetzung in die Technik dem Menschen die Möglichkeit zur Beherrschung der Welt eröffnet und damit auf das neue Lebensgefühl zurückwirkt. Kennzeichnend für die neue Denkweise ist der Bedeutungswandel des von der Antike über das Mittelalter tradierten Begriffs der 'dignitas hominis', der Wesenswürde des Menschen. Man sah zwar weiter in ihr eine Gabe Gottes, aber nicht mehr eine Eigenschaft, sondern eine Potenz, die zu verwirklichen Aufgabe des Menschen ist, d.h. der Begriff erhielt einen dynamischen Charakter. Seine Würde erwirbt der Mensch in seiner moralisch-geistig autonomen Tätigkeit, deren eigenständigen Wertes er sich bewußt wird. In Konkurrenz mit der Natur schafft er das 'regnum hominis'. "Menschenwerk" - so verkündet Giannozzo Manetti in seinem Traktat 'De dignitate et excellentia hominis'12 - sind "alle Häuser, alle großen und kleinen Städte ... Unser sind die Bilder, unser die Skulpturen, unser sind die Künste, unser die Wissenschaften ... unser sind schließlich sämtliche Erfindungen" 13 . Von der mythischen Vorzeit bis in die Gegenwart reihen sich die schöpferischen Leistungen des Menschengeistes aneinander: In der Schiffahrt vom Bau der Argo, mit der sich die Griechen aufs Meer hinauswagten, bis zu den Reisen der Portugiesen im Zeitalter der Entdeckungen, in der Architektur von der Errichtung der Pyramiden durch die Ägypter bis zur Konstruktion der Kuppel des Florentiner Doms durch Filippo Brunelleschi, in der Malerei von Zeuxis und Apelles bis zu Giotto, in der Bildhauerkunst von den Werken des Praxiteles und Phidias bis zu Lorenzo Ghibertis Bronzetür des Baptisteriums in Florenz14. Hier spricht das kulturelle Selbstbewußtsein eines Zeitalters, das einen innovatorischen Anspruch erhebt und ihn erfüllt. Die Wurzeln der diesen Anspruch tragenden neuen Denkweise reichen weit zurück. Sie liegen in der Kaufmannsmentalität der italienischen Kommunen, namentlich in Florenz. Mit den Anfängen des Frühkapitalismus entstand der neue 10 A. TENENTI, Auf dem Weg zu einer neuen Kultur, in: Die Grundlegung der modernen Welt (Anm. 7) 120. 11 Life and Death in Fifteenth-Century Florence, ed. by M. TETEL/ R. G. W i r r / R. GAFFEN, Durham-London 1989. 12 Giannozzo Manetti, Über die Würde und Erhabenheit des Menschen. De dignitate et excellentia hominis. Übers, von H. LEPPIN, hg. und eingeleitet von A. BUCK, Hamburg 1990. 13 Manetti (Anm. 12) 77. 14 Manetti (Anm. 12)37-40.
612
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Typus des individualistischen Wirtschaftsmenschen, der sich im Vertrauen auf seine persönlichen Fähigkeiten in der freien Konkurrenz durchzusetzen suchte. Da sein Hauptinteresse der Wirklichkeit galt, verstand er das Wissen, von allen transzendenten Bindungen losgelöst, als zweckbedingtes Instrument der Daseinsbewältigung, das in erster Linie dazu helfen sollte, den geschäftlichen Erfolg zu sichern. Diesem Bedürfnis des Bürgertums entsprechend, entwickelte sich ein vorwiegend von Laien getragenes praxisbezogenes Schulwesen15, teils auf privater Basis, teils finanziert durch die Kommunen. Man lehrte das, was für künftige Kaufleute nützlich war, u.a. den Gebrauch des für die Berechnung der Preise unentbehrlichen Abakus, der Rechentafel. Das kaufmännische Gewinnstreben wurde nicht als ein Verstoß gegen die Gebote der christlichen Lehre angesehen. "Im Namen Gottes und des Geschäfts" lautete das Motto, das der schwerreiche Kaufmann Francesco Datini über seine Geschäftsbücher setzte16. In der Kaufmannsreligiosität wurde Gott als Geschäftspartner betrachtet und in die Verteilungsrechnung einbezogen. Einer solchen Einstellung kam die Praxis der Kirche entgegen, die sich nicht scheute, Geldgeschäfte zu betreiben. Das geschah nach den gleichen Methoden, derer sich der Kaufmann bediente: "Neben Florenz wird die Kurie die erste Pflegestätte der korrekten Kalkulation, des kaufmännischen Rechnens und der geordneten Buchführung"17. Die kalkulatorische Vernunft des Kaufmanns entdeckte den Wert der Zeit; eine Entdeckung, die zu den wesentlichen Charakteristika der neuen sich vom Mittelalter abhebenden Denkweise gehört. Im mittelalterlichen auf die Ewigkeit ausgerichteten Denken maß man der rasch vergänglichen Zeit nur geringe Bedeutung bei. Man dachte in den Kategorien der Stabilität, der Traditionsgebundenheit und der Wiederholbarkeit18. In Dantes "Göttlicher Komödie" scheint die Zeit stillzustehen: "Sie ist alles - sowohl Gegenwart als auch Vergangenheit und Zukunft - in der Gegenwart"19. Das frühkapitalistische Bürgertum aber lernte in seinen Handels- und Bankgeschäften die Zeit als ein kostbares Gut kennen, das man nicht vergeuden durfte, sondern mit dem man haushalten mußte20. Daher wurde die Zeit als eine berechenbare Größe in die Kalkulationen einbezogen, selbst wenn man sich damit dem Vorwurf der Kirche aussetzte, man verkaufe die Zeit, die allein Gott gehört21. Die für eine erfolgreiche Geschäftsführung wichtigen Zeitangaben konnten dank der Erfindung der mechanischen Uhren präziser bestimmt werden als vorher. Neben die herkömmliche kirchliche Tageseinteilung nach den täglichen Gebeten und kultischen Handlungen, wie sie die Kirchenglocken ankündigten, trat die Einteilung des Tages durch den Kaufmann in vierundzwanzig Stunden. So wurde die Rathausuhr "un instrument de domination économique, sociale et 15
P. F. GRENDLER, Schooling in Renaissance Italy. Literacy and Learning 1300-1600, BaltimoreLondon 1989; E. MEUTHEN, Humanismus und Geschichtsunterricht, in: Humanismus und Historiographie, hg. von A. BUCK (DFG Rundgespräche und Kolloquien) Weinheim 1991, 5-50. 16 I. ORIGO, The Merchant of Prato. Francesco Datini, London 1963; dt. Ausgabe: Im Namen Gottes und des Geschäfts, München 3 1993. 17 A. v. MARTIN, Soziologie der Renaissance, Frankfurt/M. 2 1949, 159. 18 A. J. GURJEWITSCH, Das Weltbild des mittelalterlichen Menschen, München 4 1990, 179. 19 GURJEWITSCH, Weltbild (Anm. 18) 166. 20 J. LE GOFF, Au moyen âge: Temps d'église et temps du marchand, in: AESC 15 (1960) 417-433. 21 LE GOFF, Au moyen âge (Anm. 20)417.
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politique des marchands qui régentent la commune"22. Zeit wird wie Geld behandelt. In einem Brief aus dem Jahre 1408 schreibt der Florentiner Kaufmann Jacopo Mazzei: "Wer die Zeit besser auszugeben versteht, ist dem anderen überlegen"2:». Die neue Auffassung der Zeit ist durch die Humanisten thematisiert worden. In Petrarca ist das Zeitgefühl besonders stark ausgeprägt24. Seine Werke enthalten zahlreiche präzise Zeitangaben. Obwohl er sich nach seinem Eingeständnis bemüht hat, keine Zeit zu verschwenden, hat er trotzdem nicht nur Tage, vielmehr ganze Jahre vertan. Allerdings war er sich dessen bewußt und rechtfertigt sich damit, daß ihm die Zeit nicht entglitten, sondern entrissen worden sei25. Zu spät hat er sich daran erinnert, daß die Zeit das einzige ist, was uns selbst gehört26, und eingesehen, daß sie von unschätzbarem Wert ist27. Daher kommt alles darauf an, über die eigene Zeit sinnvoll zu verfügen28. Auch Pier Paolo Vergerio, Verfasser eines der bekanntesten Traktate der humanistischen Pädagogik, war der Meinung, daß man sich der Unersetzbarkeit der Zeit stets bewußt sein sollte, und begrüßte deswegen das Vorhandensein einer Uhr in der Bibliothek. Sie erinnert an die Flüchtigkeit der Zeit und ermahnt dazu, sich keinen Überlegungen zu lange hinzugeben, mit anderen Worten das Studium richtig einzuteilen29. Wenn seit dem 16. Jahrhundert immer häufiger auf Porträts Uhren abgebildet wurden30, dürfte das darauf schließen lassen, daß den Zeitgenossen die Uhr zur Reglung ihres Tagesablaufs unentbehrlich geworden war. Schon in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts findet sich die Forderung nach der Aufstellung eines genauen Tagesplans bei dem aus einer Kaufmannsfamilie stammenden Leon Battista Alberti, in dessen 'Libri della Famiglia' die kaufmännische und die humanistische Zeitauffassung einander durchdringen. Albertis diesbezügliche Ausfuhrungen dürften der wichtigste humanistische Beitrag zur Bestimmung der Funktion der Zeit im menschlichen Leben sein, wobei Zeit ohne jeden metaphysischen Bezug verstanden wird. Wie seiner Seele und seines Körpers soll sich der Mensch seiner Zeit vernünftig bedienen. Denn "wer es versteht, keine Zeit zu verlieren, wird fast alles zu leisten verstehen, und wer die Zeit anzuwenden weiß, wird über alles, was er will, Herr sein"31. Um keine Zeit zu vergeuden, ist es nötig, sie zu rationalisieren, im vorhinein fur jeden Tag in einem Plan die Arbeit so zu verteilen, daß keine Stunde verloren geht. Am Abend soll man sich Rechenschaft darüber ablegen, ob der Zeitplan hat eingehalten werden können und, falls das nicht zutrifft, zusätzlich noch die erforderliche Zeit aufbringen, was wichtiger ist als Schlafen und Essen. Obwohl dieser 22
LEGOFF, Au moyen âge (Anm. 20)425. G. GUASTI, Ser Jacopo Mazzei. Lettere di un notaio a un mercante del secolo XV, t. II, Florenz 1880, 127. 24 R. J. QUINONES, The Renaissance Discovery of Time, Cambridge/Mass. 1972, 106-171. 25 Francesco Petrarca, Farn. XVI, 11. 26 Francesco Petrarca, De remediis utriusque fortune II, 15. 27 Francesco Petrarca, Fam. XVI, 11. 28 QUINONES, Renaissance (Anm. 24) 496. 29 Pier Paolo Vergerio, De ingenuis moribus et liberalibus adolescentiae studiis liber, ed. A. GNESOTTO, in: Atti e Memorie della R. Accademia di Scienze, Lettere ed Arti in Padova, N.S. 34 (1917/18) 132, Z. 15 ff. 23
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QUINONES, Renaissance ( A n m . 24) 197.
I Libri della Famiglia III, in: Leon Battista Alberti, Opere volgari, a cura di C. GRAYSON, 1.1, Bari 1960, 214; Übers.: Über das Hauswesen, übers, von W. KRAUS, Zürich-Stuttgart 1962,277.
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Zeitplan Teil von Albertis ökonomischem Programm und für einen Kaufmann bestimmt ist, dürfte er prinzipiell als Forderung an alle Menschen gerichtet sein, die im Diesseits sich in der 'vita activa' selbst verwirklichen wollen. Die wohl durchdachte Ausnützung der Zeit steht im Einklang mit der innerweltlichen Ethik: "Der Mensch" ist "ins Leben gesetzt..., um die Dinge zu gebrauchen, um tüchtig [d.h. tugendhaft] zu sein und glücklich zu werden"32. Für den Kaufmann war die Wertschätzung der Zeit eng mit seinem Gewinnstreben verbunden, das er für legitim und vereinbar mit der christlichen Lehre hielt. Dagegen trugen anfangs die Humanisten Bedenken gegen den Erwerb von Reichtum. Indem Petrarca und andere Humanisten bis ins 15. Jahrhundert mit den Stoikern im Reichtum eine Gefährdung der inneren Unabhängigkeit des Menschen erblickten, priesen sie die Tugend der 'paupertas', die man im franziskanischen Lebensideal wiederzufinden meinte. Boccaccio zitierte Seneca, dem zufolge das römische Imperium auf der Armut begründet gewesen ist33. Wenn vermutlich die soziale Lage mancher Humanisten, d.h. die mangelnde Sicherung ihrer materiellen Existenz, sie zu Aposteln der ehrenwerten 'paupertas' werden ließ, so mögen die hohen Einkünfte, derer sich Leonardo Bruni erfreuen konnte, nicht ohne Einfluß auf seine positive Einstellung zum Reichtum gewesen sein. Im Proömium zu seiner kommentierten Übersetzung der pseudo-aristotelischen Ökonomik erklärt er, daß der Zweck der Hauswirtschaft der Reichtum sei und dieser dem Besitzer zu äußerem Ansehen verhilft sowie ihm die Möglichkeit verschafft, seine Fähigkeiten zu betätigen. Allerdings erscheint der Reichtum nur dann zulässig, wenn er einem anderen nicht schadet und man einen vernünftigen Gebrauch davon macht34. Wenn Bruni "durch seine Interpretation der Ökonomik sozusagen zum Theoretiker der Florentiner Bourgeoisie des Quattrocento" wurde35, so hat Leon Battista Alberti auf dem Boden der ethischen Rechtfertigung der kapitalistischen Wirtschaftsauffassung den Begriff des ehrbaren Kaufmanns entwickelt36, nach Sombart "den vollendeten Typ des Bürgers während des Quattrocento"37. Obgleich das Waffenhandwerk und das gelehrte Studium würdigere Tätigkeiten sind, ist der auf Geldgewinn abgestellte Beruf des Kaufmanns keineswegs zu verachten. Die gute, d.h. die sparsame Wirtschaftsführung, die eine vernünftige Relation zwischen Einnahmen und Ausgaben herstellt, ist etwas Heiliges: 'sancta cosa la masserizia'. Eine neue Wirtschaftsethik setzte sich durch. Ohne die 'avaritia' zu bejahen, war sich Poggio Bracciolini dennoch bewußt, daß das Gewinnstreben ein dem 32
Alberti, I Libri della Famiglia II (Anm. 31) 134; Übers.:KRAUS (Anm. 31) 171. H. BARON, Franciscan Poverty and Civic Wealth in Humanistic Thought, in: Speculum 13 (1938) 16. 34 Praefatio in libros oeconomicorum (Pseudo-)Aristotelis, in: Leonardo Bruni Aretino, Humanistisch-philosophische Schriften, hg. und erläut. von H.BARON, Leipzig-Berlin 1928, 120 f.; H. GOLDBRUNNER, Leonardo Brunis Kommentar zu seiner Übersetzung der Pseudo-Aristotelischen Ökonomik, in: der kommentar in der renaissance, hg. von A. BUCK/ O. HERDING (kommission fur humanismusforschung. mitteilung 1) Boppard 1975,99-118. 35 GOLDBRUNNER, Brunis Kommentar (Anm. 34) 117. 36 Ökonomische Probleme in den "Libri della Famiglia" des L. B. Alberti, in: A. BUCK, Studia humanitatis. Gesammelte Aufsätze 1973-1980, hg. von B. GUTHMÜLLER/ K. KOHUT/ O. ROTH, Wiesbaden 1981,227-236. 37 W. SOMBART, Der Bourgeois, Leipzig 1923, 136. 33
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Menschen angeborener Trieb ist; ein Motor der wirtschaftlichen und damit zugleich der gesellschaftlichen wie der kulturellen Entwicklung: "Du kannst jede einzelne Tätigkeit erforschen, sei sie geistiger oder materieller Art, und du wirst keine finden, die frei von großer Gewinnsucht ist"38. Sie wurzelt im Selbsterhaltungstrieb des Menschen. Um das für seinen Lebensunterhalt Nötige zu erwerben, braucht der Mensch Geld. Es ist - wie Poggio mit Aristoteles meint - notwendigerweise erfunden worden. Neben der Wirtschaft, deren Säkularisierung durch die ethische Rechtfertigung der ökonomischen Tätigkeit besiegelt wurde, war es der Staat, der sich rasch von den Bindungen an die christliche Staatslehre befreite und einen rein weltlichen Charakter annahm. Ähnlich wie in der Wirtschaft folgte der Praxis die theoretische Reflexion. Mit dem Aufkommen der italienischen Kommunen, so verschieden auch ihre politischen Strukturen waren, entstanden staatsähnliche Gebilde, die ausschließlich profane Funktionen hatten. Ebenso laizistisch waren die aus den kommunalen Machtkämpfen hervorgegangenen Signorien, die von ihren Herrschern als persönlicher Besitz betrachtet und 'iuxta propria principia1 regiert wurden. Auf dem Hintergrund der vielfältigen Herrschaftsausübung im 14. und 15. Jahrhundert erfolgte die "Ablösung des kaiserlichen und päpstlichen Universalgedankens durch das erwachende Verständnis für die politische Funktion und die historische Rolle autonomer Staaten"39. Aus diesem neuen politischen Bewußtsein erwuchs die Theorie des weltlichen Staates. Sie begegnet zum erstenmal systematisch ausgearbeitet in Marsilio da Padovas 'Defensor pacis', in dem sich die Rezeption der aristotelischen Politik mit der historischen Erfahrung der italienischen Stadtrepubliken verbindet: "la sua (di Marsilio da Padova) analisi della struttura e dei problemi dello Stato, seppur costruita sul modello aristotelico, deve molto a quello offerto dalle repubbliche cittadine italiane"40. Obwohl Dolf Sternberger Marsilios Staatslehre in ihrer Gänze unmittelbar auf Aristoteles zurückfuhren möchte, räumt er doch ein, "daß dem Italiener bei diesem oder jenem Merkmal der 'civitas' ... auch die heimische zeitgeschichtliche Erfahrung in den Sinn gekommen sein mag"41. Während Thomas von Aquin in seinem Fürstenspiegel 'De regimine principum' zwar nicht mehr wie Augustin den Staat als eine Folge der Erbsünde, vielmehr als Naturnotwendigkeit begriff, jedoch letzten Endes als eine Stufe auf dem Wege zur Gemeinschaft mit Gott, sah Marsilio da Padova im Staat eine menschliche Schöpfung ohne metaphysische Zielsetzung: Convenerunt eriim homines ad civilem communicationem propter commodum et vitae sufficientiam consequen-
38 poggio Bracciolini, De avaritia, in: Prosatori latini del Quattrocento, a cura di E. GARIN, Mailand-Neapel 1952, 262. Vgl. W. OPPEL, Poggio, San Bernardino of Siena and the Dialogus "On Avarice", in: Renaissance Quarterly 30 (1977) 564-587; dazu: H. GOLDBRUNNER, Poggios Dialog über die Habsucht. Bemerkungen zu einer neuen Untersuchung, in: QFIAB 59 (1979) 436-452. 39
H. BARON, Die politische Entwicklung der italienischen Renaissance, in: HZ 174 (1952) 35. N. RUBINSTEIN, Le dottrine politiche nel Rinascimento, in: Il Rinascimento. Interpretazioni e problemi, ed. M. BOAS HALL etc., Rom-Bari 1979, 193. 41 D. STERNBERGER, Die Stadt und das Reich in der Verfassungslehre des Marsilius von Padova (SB der Wissenschaftl. Ges. an der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt/M. XVIII/3) Wiesbaden 1981, 122. 40
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dam et opposita declinandum . Folgerichtig verlegte Marsilio den Zweck des Staates, des Werks des 'legislator humanus', d.h. des Volkes, unter Berufung auf Aristoteles in die Garantie des "bene vivere" seiner Bürger und in die Gewährung der Freiheit für die Erfüllung von Aufgaben, die eines freien Mannes würdig sind. Die Herrschaftsgewalt liegt beim Volk, welches das Staatsoberhaupt, einen Monarchen, für eine bestimmte Dauer oder auf Lebenszeit wählt. Er ist an das Gesetz gebunden und seinen Wählern verantwortlich, die ihn absetzen können, falls es das Gemeinwohl verlangt. Das Volk ist der Gesetzgeber: legislatorem seu causam legis effectivam et propriam esse populum seu civium universitatem, aut eius valentiorem partem43. Unter dem "gewichtigsten Teil" der Bürger - ein Ausdruck, dessen Interpretation umstritten ist - verstehen wir mit Battaglia die in der italienischen Kommune etablierte Bürgerversammlung: "In sostanza il legislatore di Marsiglio e l'arengo del Commune italiano, in cui dawero in un primo tempo era la fönte del pubblico potere"44. Der stark demokratische Zug in Marsilios Staatslehre entspricht der Idealverfassung der Kommune, wie sie Leonardo Bruni in seiner 'Laudatio Florentinae Urbis' verherrlicht hat. Oberste Prinzipien sind Gerechtigkeit und Freiheit, 'iustitia' und 'libertas': Ad hec duo simul coniuncta, quasi ad quoddam Signum ac portum, omnia huius rei publice instituta provisaque contendunt*5. Die Gerechtigkeit garantiert die Gleichheit aller Bürger vor dem Gesetz, die Freiheit schützt sie vor Unterdrückung. Beide Prinzipien sind verankert in einer Verfassung, die jeden Mißbrauch der Macht durch deren Verteilung auf verschiedene Gremien verhindert. In einem wohl ausgewogenen Gleichgewicht sollen die einzelnen Ämter zum Wohl der Republik zusammenwirken und deren Stabilität gewährleisten. Sub his magistratibus ita diligens et preclara est huius urbis gubernatio ut nulla unquam domus sub frugipatre familias maiori disciplina fuerit instituta46. Mochte auch das von Bruni entworfene ideale Bild der Florentiner Republik nicht in allen Teilen mit der historischen Wirklichkeit übereinstimmen, so tat es dies jedenfalls darin, daß es sich beide Male um einen durch und durch weltlichen Staat handelte. Einen solchen hatte Bruni auch im Auge, als er in der Vorrede zu seiner lateinischen Übersetzung der aristotelischen Politik feststellte: nulla profecto convenientior disciplina homini esse potest, quam, quid sit civitas et quid res publica, intelligere et, per quae conservetur intereatque civilis societas, non ignorare47. Es ist das Programm einer auf der Erfahrung begründeten Wissenschaft vom Staat, die für den Menschen als 'Zoon politikon' wichtiger ist als alle anderen Wissenschaften. Der Begründer der von Bruni geforderten Wissenschaft vom Staat als dem eigentlichen Gegenstand der Politik ist Machiavelli. Für ihn war Politik Wirklich42
Marsilio da Padova, Defensor pacis I, 12; zit. nach F. BATTAGLIA, Marsilio da Padova e la filosofia politica del medio evo, Florenz 1928, 72. 43 Marsilio da Padova, Defensor pacis I, 12; zit. nach BATTAGLIA, Marsilio da Padova (Anm. 42) 81. 44 BATTAGLIA, Marsilio da Padova (Anm. 42) 88. 45 Leonardo Bruni, Panegirico della città di Firenze. Testo italiano a fronte di Frate Lazaro da Padova. Presentazione di G. DE TOFFOL, Florenz 1974, 84. 46 Bruni, Panegirico (Anm. 45) 92. 47 Praemissio quaedam ad evidentiam novae translationis Politicorum Aristotelis, in: Bruni, Humanistisch-philosophische Schriften (Anm. 34) 73.
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keitswissenschaft, zu der er sich in einer oft zitierten Passage aus dem 15. Kapitel des 'Principe' bekannt hat: sendo l'intento mio scrivere cosa utile a chi la intende, mi è parso più conveniente andare drieto alla verità effettuale della cosa, che alla immaginazione di essa. E molti si sono immaginati repubbliche e principati che non si sono visti né conosciuti essere in vero48. Solche von der Phantasie ersonnenen Staaten sind von der Wirklichkeit ebenso weit entfernt wie das SeinSollen vom Sosein, mit dem allein Machiavellis politisches Denken sich beschäftigt. Machiavelli nennt zwei Erkenntnisquellen seiner Wirklichkeitswissenschaft: una lunga esperienza delle cose moderne e una continua lezione delle antique49; einerseits die politische Erfahrung, die er als "Segretario" der "seconda Cancelleria" im Dienst der Republik Florenz sammelte, welche die Zeitgeschichte betrifft, andererseits die Kenntnis der Geschichte des Altertums, die er den antiken Historikern, in erster Linie den römischen, entnahm. Da er davon überzeugt war, daß sich die menschliche Natur nicht im Laufe der Zeit verändert, dienten ihm die historischen Vorgänge in der Gegenwart ebenso wie in der Vergangenheit dazu, jeweils aus den Ereignissen Lehren für das ratsame politische Verhalten zu ziehen. Bei der Auswertung der Geschichte in Gegenwart und Vergangenheit will Machiavelli herausfinden, was in der Politik wirklich geschieht. Dabei fragt er vorurteilsfrei nach dem "wie" und nicht nach dem "warum" unter Eliminierung aller metaphysischer, ontologischer und moralischer Implikationen. Es ist die gleiche Frage, die der Naturwissenschaftler stellt, und in der Tat ist Machiavelli schon am Ausgang des 18. Jahrhunderts mit Galileo Galilei verglichen worden50; ein Vergleich, der in der heutigen Forschung wiederkehrt. Was Machiavelli und Galilei interessiert, ist nicht das Sein, sondern das Geschehen; beide untersuchen die bewegenden Kräfte, die in der Politik bzw. in der Natur wirksam sind. Der Begründer der Wissenschaft von der Politik tritt neben den Begründer der modernen Naturwissenschaft. Allen politischen Reflexionen Machiavellis liegt ein realistisches Menschenbild zugrunde, das er aus der eigenen Erfahrung gewonnen hat und durch die Geschichte bestätigt fand. Der Mensch wird beherrscht durch seine Triebe: Ehrgeiz, Ruhmsucht, Verlangen nach Macht, Besitz, Gewinn. Unter dem Einfluß ihrer Triebe sind die Menschen grausam, hochmütig, undankbar und wankelmütig. Ein Politiker, der bei seinen Entscheidungen diese Triebe nicht in Rechnung stellt, muß notwendigerweise scheitern: è necessario a chi dispone una republica e ordina leggi in quella, presuppone tutti gli uomini rei51. Der menschlichen Schlechtigkeit muß der Fürst unter Umständen, falls es um die Sicherung der Existenz des Staates geht, mit eigener Schlechtigkeit entgegentreten. Der Fürst soll zwar immer den Schein der Tugend wahren, darf jedoch nicht vor den Lastern zurückschrecken, ohne die er schwerlich den Staat vor allen Gefahren retten 48
II Principe XV, in: Niccolò Machiavelli, II Principe e i Discorsi sopra la prima deca di Tito Livio, a cura di S. BERTELLI, Mailand 1983, 65. 49 II Principe, N. Maclavellus ad Lavrentium Medicem, in: Machiavelli, Il Principe (Arati. 48) 13. 50 Giovan Battista Baldelli stellte in einer am 7. August 1794 in der Florentiner Akademie gehaltenen 'Laudatio' auf Machiavelli diesen als den größten Politiker der Moderne deren größten Wissenschaftler Galilei gegenüber; vgl. S. BERTELLI/ P. INNOCENTI, Bibliografia Machiavelliana, Verona 1979, CXXIV. 51 Discorsi sopra la prima deca di Tito Livio 1,3, in: Machiavelli, Il Principe (Anm. 48) 153.
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kann. Tugenden und Laster sind wertneutrale Instrumente der Technik des politischen Handelns. Das gleiche gilt für die Religion. Sie muß nach dem Beispiel Roms als staatserhaltende Gesinnung gepflegt werden. Die aus der Historie abgeleiteten Regeln ftir eine erfolgreiche Politik sind kraft der Unveränderlichkeit der menschlichen Natur zeitlos gültig und dienen dem Erwerb und der Erhaltung der Macht unter Einsatz aller zweckdienlichen Mittel, unabhängig von deren moralischer Qualität. Die Verfassung spielt nur insofern eine Rolle, als sie die Gewähr für einen starken Staat bietet. Dieser wird zu einem höchsten Wert verabsolutiert, ohne Rücksicht auf Religion, Recht und Moral. Für diesen Grundsatz des staatlichen Handelns kam noch zu Machiavellis Lebzeiten der Begriff der Staatsräson auf, der fortan mehr als ein Jahrhundert lang im Mittelpunkt der politischen Diskussion in Europa stehen sollte52. Die Säkularisierung der Wirtschaft und des Staates setzte ein neues Geschichtsbewußtsein voraus. Als Leon Battista Alberti in seinen 'Libri della Famiglia' auf den wirtschaftlichen Ruin wohlhabender Florentiner Familien zu sprechen kommt, erklärt er, sie seien selbst an ihrem Schicksal schuld gewesen, denn: gli uomini le più volte aversi d'ogni suo bene cagione e d'ogni suo male52. Was für die Familiengeschichte gilt, trifft auch für die Geschichte der Völker zu. Ursache für den Untergang des Römischen Reiches ist der Verfall der römischen Tugenden gewesen. Wer Fortuna dafür verantwortlich macht, vergißt, daß der menschliche Wille ihr widerstehen kann: Tiene gioco la fortuna solo a chi se gli sottomette54. Der Mensch ist es also, der selbst seine Geschichte schafft. Obgleich Machiavelli nirgends eine wissenschaftstheoretische Begründung seiner Denkweise geliefert hat, ist die von ihm geforderte Nutzanwendung der Geschichte nur dann sinnvoll, wenn die als Paradigmen dienenden geschichtlichen Ereignisse von Menschen bewirkt worden sind. So begreift Machiavelli auch die Geschichte von Rom und von Florenz als ein Werk von Menschenhand, so z.B. bei der unterschiedlichen Beantwortung der existentiellen Frage nach der Funktion der inneren Zwietracht in der römischen und florentinischen Geschichte. Wenn Machiavelli einerseits die Hauptursache für die Vollkommenheit der römischen Republik im Zwist zwischen Plebs und Senat gefunden zu haben glaubt, verurteilt er andererseits in der Geschichte von Florenz die Parteiungen, die der Stadt schweren Schaden zugefügt haben; beide Male handelt es sich um einen politischen Konflikt, der je nach historischen Begleitumständen entgegengesetzte Folgen gehabt hat55. Das neue Geschichtsbewußtsein, das aus Alberti und Machiavelli spricht, löst die Geschichte aus dem metaphysischen Rahmen, in dem sie während des Mittelalters eingespannt war. Während im Mittelalter Weltgeschichte stets Heilsgeschichte war, d.h. alle geschichtlichen Ereignisse im Hinblick auf den göttlichen Heilsplan gedeutet wurden, bezieht man die Geschichte nunmehr auf den Men52
In Italien begegnet der Begriff als 'ragione di stato' zum erstenmal in einem zwischen 1521 und 1523 verfaßten Dialog Francesco Guicciardinis 'Del reggimento di Firenze'; vgl. R. DE MATTEI, II problema della "ragion di stato" nell'età della Controriforma, Mailand-Neapel 1979, 4; H. MÜNKLER, Im Neimen des Staates. Die Begründung der Staatsraison in der Frühen Neuzeit, Frankfurt/M. 1987. 53 Alberti, I Libri della Famiglia, Prologo (Anm. 3 1 ) 4 . 54 Alberti, I Libri della Famiglia, Prologo (Anm. 3 1 ) 6 . 55 G. BOCK, Civil discord in Machiavelli's "Istoria Fiorentine", in: Machiavelli and Republicanism, ed. by G. BOCK/Q. SKINNER/M. VIROLI, Cambridge 1990, 181-201.
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sehen, den eigentlichen Träger des historischen Geschehens. Nicht mehr Gott, sondern der Mensch ist das Subjekt der Geschichte, die somit aus ihrem eigenen durch den Menschen bestimmten Ablauf zu erklären ist: daher das Interesse Petrarcas an der Darstellung der Leistungen der berühmten Männer aller Länder und Zeiten, daher "die Handlungen der großen Männer" als das bevorzugte Studienobjekt Machiavellis56. Wenn nach mittelalterlichem Geschichtsverständnis - gleichviel ob man der Lehre von den sechs Weltzeitaltern oder der von den vier Weltreichen folgte - die Geschichte mit der Geburt Christi in ihre letzte Epoche eingetreten war und ohne Zäsuren bis zum Jüngsten Gericht fortdauerte, so führte das epochale Selbstverständnis der Renaissance eine neue Periodisierung ein. Mit der humanistischen Vorstellung der Wiedererweckung der antiken Kultur aus einem jahrhundertelangen Schlaf betrachtete man die Antike als eine in sich abgeschlossene Epoche und wurde sich der historischen Distanz zu ihr bewußt. Diese, die vom Niedergang des Römischen Reiches bis in seine Gegenwart reichte, war nach Petrarcas Meinung eine Zeit der Finsternis, in der Barbarei und Ignoranz herrschten57. Insofern diese Zeit die Mitte zwischen der Antike und ihrer Wiedererweckung bildete, wurde sie von den Humanisten nach Petrarca Mittelalter genannt, woraus die bekannte Dreiteilung der abendländischen Geschichte in Altertum, Mittelalter und Neuzeit erwachsen ist. Begreiflicherweise konzentrierte sich die Aufmerksamkeit des säkularisierten Geschichtsdenkens auf zwei zentrale Fragen: die Ursachen des Verfalls des Römischen Reiches einerseits und die Erklärung der Wiedererweckung der Antike andererseits. Die Antworten liefern Bausteine für das Fundament eines neuen Geschichtsbildes, das eine wichtige Etappe auf dem Wege zum Verständnis des Menschen als eines geschichtlichen Wesens darstellt und damit die moderne Historiographie einleitet58. Auf die beiden genannten Fragen fand Leonardo Bruni eine gemeinsame Antwort im Zeichen des Freiheitsbegriffs. Roms Verfall begann, als der freie Bürgersinn durch die Kaiser vernichtet wurde. Mit dem Verlust der Freiheit ging auch die Kultur zugrunde. Symptomatisch dafür war der Qualitätsverlust des Lateins nach Cicero. Verfall der Sprache bedeutet auch Verfall der Bildung: perduta la libertà del popolo romano per la signoria degl'imperadori, ... insieme col buono stato della città di Roma perì la buona disposizione degli studi e delle lettere59. Mit der Zerstörung des Imperiums durch die Germanen schien das Ende aller Kultur gekommen. Erst als Italien seine Freiheit zurückgewinnt, kann auf dem Boden der unabhängigen Stadtstaaten die Kultur erneut aufblühen: Francesco Petrarca fii il primo, il quale ebbe tanta grazia d'ingegno che riconobbe e rivocò in luce l'antica leggiadria dello stile perduto e spento60. Petrarca wies Italien den Weg in die Zukunft. Damit wurde zum erstenmal zwischen der Entwicklung der Kommunen im Hochmittelalter und den Anfangen der Renais56
Machiavelli, II Principe, N. Maclavellus (Anm. 49 bzw. 48) 13. T. E. MOMMSEN, Petrarch's Conception of the "Dark Ages", in: Speculum 17 (1942) 226-242. 58 Vgl. den in Anm. 15 zitierten Sammelband "Humanismus und Historiographie"; U. MUHLACK, Geschichtswissenschaft im Humanismus und in der Aufklärung. Die Vorgeschichte des Historismus, München 1991. 59 La vita di messer Francesco Petrarca, in: Bruni, Humanistisch-philosophische Schriften (Anm. 34) 64. 60 Ebd. 65. 57
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sance jener Zusammenhang hergestellt, auf den die moderne Forschung bei der Frage nach den sozioökonomischen Voraussetzungen der Renaissance rekurriert. Die Entfaltung ihrer Kultur fand ihren Widerhall in der Zeitgeschichte und zwar in den Biographien prominenter Persönlichkeiten. Die wohl ergiebigste Quelle ist Vespasiano da Bisticcis Sammlung der Lebensbeschreibungen berühmter Zeitgenossen, getragen von der Mentalität der Renaissance61. Schon Vespasiano erkannte die einzigartige Konzentration schöpferischer Kräfte in einer relativ kurzen Zeitspanne, die Bildung einer breit gefächerten kreativen Elite, in der auch der heutige Beobachter das wesentliche Merkmal der italienischen Renaissance sieht: A la presente età ha fiorito in ogni/acuità d'uomini singolarissimi61. Im Bewußtsein der hervorragenden Leistungen der Zeitgenossen bejaht man die Möglichkeit, über die antiken Vorbilder hinauszukommen. In einem 'De praestantia virorum sui aevi dialogus' stellte Benedetto Accolti63 fest, daß die Moderne den Vergleich mit der Antike nicht zu scheuen brauche, ihr sogar in manchen Betätigungsgebieten des menschlichen Geistes überlegen sei. In den Augen Leon Battista Albertis stehen Künstler wie Brunelleschi, Donatello, Ghiberti, Luca della Robbia und Masaccio den berühmtesten Künstlern des Altertums nicht nach, dem die Gegenwart überlegen ist, weil sie früher niemals gehörte oder gesehene Wissenschaften und Künste hervorgebracht hat64. So betrachtet, erscheint die Geschichte seit der Antike als ein geistiger Fortschritt. Das menschliche Wissen nimmt im Lauf der Geschichte ständig zu; Wahrheit, aufgefaßt als die Summe des jeweiligen Wissens, ist das Ergebnis eines historischen Vorgangs, den man mit einem den "Noctes Atticae' des Aulus Gellius entnommenen Dictum veranschaulicht: veritas filia temporis65. Die weite Verbreitung des Dictums in der italienischen Renaissance66 - es begegnet u.a. bei Leonardo da Vinci67, Machiavelli68 und Castiglione69 - spricht für die Stärke des Fortschrittsbewußtseins als des Resultats eines weltlich orientierten Geschichtsdenkens. Aus der Perspektive der mit der Geschichte fortschreitenden Wahrheitsfindung durch die menschliche Vernunft kehrt sich das Verhältnis zwischen den Modernen und den Alten um: Kraft ihres vermehrten Wissens und ihrer größeren Erfah61
A. BUCK, Das Geschichtsbild der Renaissance in Vespasiano da Bisticcis Lebensbeschreibungen, in: Geschichtsbewußtsein und Geschichtsschreibung in der Renaissance, hg. von A. BUCK/ T. KLANICZAY/ S. K. NÉMETH, Budapest 1989, 7-17. 62 Vespasiano da Bisticci, Le Vite, ed. critica con introduzione e commento di A. GRECO, 1.1, Florenz 1970, 32. 63 R. BLACK, Benedetto Accolti and the Fiorentine Renaissance, Cambridge 1985. 64 Leon Battista Alberti, 11 trattato della pittura, ed. G. PAPINI, Lanciano 1913,11 f. 65 Alius quidam veterum poetarum, cuius nomen mihi nunc memoriae non est, veritatem temporis filiam esse dixit (Aulus Gellius, Noctes Atticae XII, 11,7). Bei Aulus Gellius bedeutet das Dictum, daß die Zeit die Wahrheit enthüllt und damit die Möglichkeit bietet, zwischen dem Schuldigen und dem Unschuldigen zu unterscheiden und ein gerechtes Urteil zu fällen. Zur Verbreitung der 'Noctes Atticae' vgl. H. BARON, Aulus Gellius in the Renaissance and a Manuscript from the School of Guarino, in: Studies in Philology 43 (1951) 107-125. 66 F. SAXL, Veritas filia temporis, in: Philosophy and History. Essays presented to E. Cassirer, ed. R. KLIBANSKY/ H. J. PATON, Oxford 1936, 197-222. 67 Leonardo "omo sanza lettere", Scritti con introduzione e commento di G. FUMAGALLI, Florenz 1938, 324. 68 Machiavelli, Discorsi (Anm. 48) 185. 69 II Cortegiano, Lettera dedicatoria, in: Baldassare Castiglione, Opere, a cura di G. PREZZOLINI, Mailand-Rom 1937, 52.
SÄKULARISIERENDE GRUNDTENDENZEN DER ITALIENISCHEN RENAISSANCE
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rang verdienen es die Modernen, die Alten genannt zu werden, so Giordano Bruno70 am Ausgang der Renaissance. Damit nahm er bereits das entscheidende Argument vorweg, das später in der 'Querelle des Anciens et des Modernes' die Modernen zur Begründung ihrer Überlegenheit ins Feld führten. Die der Vermehrung des Wissens dienenden Instrumente sind die Wissenschaften. Aufgrund seiner geistig-moralischen Autonomie gelangte der Mensch in der Renaissance zu einem neuen Wissenschaftsverständnis. Die Wissenschaft löste sich von den metaphysischen Voraussetzungen, an die sie während des Mittelalters gebunden gewesen war, und strebte nach einer rational verifizierbaren Erkenntnis der Wirklichkeit, der die Prinzipien ihrer Erklärung immanent sind. Obwohl die intensive Erforschung des Wissenschaftsverständnisses der Renaissance erst seit circa drei Jahrzehnten eingesetzt hat, kann kein Zweifel daran bestehen, daß die Wiege der modernen Wissenschaft nicht - wie man lange geglaubt hatte - in der sogenannten "wissenschaftlichen Revolution" des 17. Jahrhunderts, sondern schon in der italienischen Renaissance zu suchen ist71. Die vorurteilslose Erforschung der Wirklichkeit ist der den im Schöße der italienischen Renaissance sich ausbildenden geistes- und naturwissenschaftlichen Disziplinen gemeinsame Ausgangspunkt. Die von den Humanisten entwickelte textkritische Methode bemüht sich um die Herstellung der Authentizität der historischen Wirklichkeit, sei es in der klassischen Philologie die antike literarische Tradition, seien es in der Jurisprudenz die Rechtsquellen, sei es in der Theologie der Bibeltext. Die Naturwissenschaften und die Medizin wollen die Phänomene der Natur, einschließlich der menschlichen Natur, als solche erhellen und möglichst in Gesetze fassen. Mit ihrem Streben nach Erkenntnis verbinden die Wissenschaften einen praktischen auf die menschliche Lebenswelt gerichteten Zweck. Die Einsichten, die in den Geisteswissenschaften aus der Lektüre der authentischen Quellen gewonnen werden, dienen, soweit es sich um antike Autoren handelt, in den 'studia humanitatis' einer innerweltlichen Bildung, in der Jurisprudenz der Reform der zeitgenössischen Rechtsordnung und in der Theologie der religiösen Erziehung. Die Antworten auf die an die Natur gerichteten Fragen eröffnen Möglichkeiten, die Naturkräfte in der Technik dem Menschen dienstbar zu machen bzw. in der Medizin Wege zur Heilung von Krankheiten zu finden. In der Ausbildung eines breiten Fächers von Wissenschaften, wobei oft die produktive Erinnerung an die Antike eine mäeutische Funktion übernahm72, gip70
La cena delle ceneri I, in: Le opere italiane di Giordano Bruno, ristampate da F. DE LAGARDE, t.I, Göttingen 1888, 130. Zur Interpretation vgl. 'Veritas filia temporis', in: G. GENTILE, Il pensiero italiano del Rinascimento, Firenze 1940, 333-353; dazu die einschränkenden Bemerkungen von E. GARIN, Medioevo e Rinascimento, Bari 1954, 195 ff. 71 F. KRAFFT, Renaissance der Naturwissenschaften - Naturwissenschaften der Renaissance. Ein Überblick, in: Humanismusforschung seit 1945. Ein Bericht aus interdisziplinärer Sicht (kommission für humanismusforschung. mitteilung 2) Boppard 1975, 111-183; M. BOAS HALL, Il Rinascimento scientifico, in: Il Rinascimento (Anm. 40) 323-398; Wissenschaftliche Methode und Wissenschaftsverständnis, in: Renaissance und frühe Neuzeit, hg. von S. OTTO (= Geschichte der Philosophie in Text und Darstellung 3), Stuttgart 1984, 382-436. 72 G. OESTREICH, Die antike Literatur als Vorbild der praktischen Wissenschaften im 16. und 17. Jahrhundert, in: Classical Influences on European Culture, A.D. 1500-1700, ed. by R. BOLGAR, Cambridge 1976, 315-324; ND in: G. OESTREICH, Strukturprobleme der frühen Neuzeit, hg. von B. OESTREICH, Berlin 1980, 358-366.
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fein die säkularisierenden Grundtendenzen der italienischen Renaissance. Es ist der Beginn einer Verwissenschaftlichung der menschlichen Existenz, die, in der Folgezeit sich verstärkend, bis zur Gegenwart andauert und weitgehend die Wesensart des modernen Europäers geprägt hat.
Giovanni Aurispa in Konstantinopel Schicksale griechischer Handschriften im 15. Jahrhundert VON PETER SCHREINER
Es ist bekannt, daß eine große Anzahl an griechischen Handschriften, die sich heute in westlichen Bibliotheken befinden, schon Jahrzehnte vor dem Fall Konstantinopels aus dem byzantinischen Reich weggebracht wurden. Da die Codices selbst nur selten Kaufvermerke tragen, bleibt es in vielen Fällen unbekannt, wie und durch wen sie in den Westen gelangten. Eine der wenigen Ausnahmen stellen jene Handschriften dar, die sich im Besitz des Humanisten und Professors der griechischen Sprache, Giovanni Aurispa (1376-1459), befanden, da dank einer gut erschlossenen, in der Forschung aber nicht immer hinreichend benutzten Korrespondenz viele Titel der Nachwelt bekannt blieben, wenngleich ihre Identifizierung in den heutigen Bibliotheken nur in wenigen Fällen gelingt1. I. Die Handschriftenerwerbungen des Giovanni Aurispa in Konstantinopel (1421-1423) Aurispa hatte schon vor seiner Reise nach Konstantinopel den Orient, wenngleich in seiner "westlichen" Variante, kennengelernt. In den Jahren 1413 und 1414 hielt er sich auf der seit 1346 in genuesischem Besitz befindlichen Insel Chios auf, ohne daß der Grund dieser Mission genau bekannt ist2. Vermutlich hat er sich dort auch mit der griechischen Umgangssprache vertraut gemacht, deren Kenntnis wir für seinen späteren Aufenthalt im Osten voraussetzen müssen3. Die Insel war überwiegend von Griechen bewohnt, und die lateinische Oberschicht war mit griechischen Familien verbunden4. Hier tritt uns erstmals auch dokumentarisch sein Interesse für griechische Handschriften entgegen: er erwarb eine Handschrift mit Tragödien des Euripides und Sophokles, vielleicht auch eine Iliashandschrift mit Aristarchs Erklärungen5 sowie eine Thukydideshandschrift6. 1 Umfassende Bibliographie bei E. BIGI in: DBI IV (1962) 593 ff. Eine wesentliche Ergänzung dazu stellt G. FRANCESCHINI, Giovanni Aurispa e la sua biblioteca, Padua 1976, dar, der indes im wesentlichen nur auf die letzten Lebensjahrzehnte des Humanisten eingeht und den Aufenthalt in Konstantinopel überhaupt nicht behandelt. Wichtig in der Arbeit von Franceschini bleibt die kommentierte Edition des unmittelbar nach dem Tod angelegten Besitzinventars. Für unseren Zeitraum, die Jahre zwischen 1410 und 1430, findet sich die dokumentarisch beste Erschließung immer noch bei R. SABBADINI (Ed.), Carteggio di Giovanni Aurispa, Rom 1931. 2 SABBADINI, Carteggio (Anm. 1) XII f., vermutet, er sei Erzieher im Hause des Gouverneurs (Gabriele Recanelli) gewesen; immerhin ist es auffallig, daß er nach seiner Rückkehr von Chios im Dienst genuesischer Familien steht. Zum genuesischen Chios zusammenfassend M. BALARD, La Romanie génoise, t. 1, Genua 1978, 382-386. 3 Aus den bisherigen Dokumenten ist nicht bekannt, bei wem er das (klassische) Griechisch erlernt hat. Für seine Dolmetscher- und Übersetzertätigkeit am Kaiserhof (siehe unten) mußte er aber in jedem Fall auch Kenntnisse des gesprochenen Griechisch haben. 4 P. SCHREINER, Eine Obituarnotiz über eine Frühgeburt, in: Jahrbuch der Österr. Byzantinistik 39 (1989)209-216. 5 Die erstgenannte Handschrift (mit einem Eintrag Aurispas vom 21.4.1413) findet sich heute unter der Signatur Conv. soppr. 71 in der Bibliotheca Laurenziana in Florenz (SABBADINI, Carteggio
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1421, und zwar in der ersten Hälfte7, unternahm er im Auftrag des Gianfrancesco Gonzaga eine Reise zu Kaiser Manuel II. Palaiologos nach Konstantinopel. Der politische Grund für diese Kontaktnahme seitens des Mantovaner Fürsten bleibt unbekannt und ist auch im Hinblick auf die hier behandelte Thematik nicht von Relevanz. Aurispa weilte in politisch bewegten Jahren in Konstantinopel: am 21. Mai 1421 war Sultan Mehmed I. gestorben und sein kriegerischen Unternehmungen wesentlich geneigterer Sohn Murad II. trat die Regierung an. Zwischen Juni und September 1422 wurde Konstantinopel von den Osmanen erstmals belagert und im Oktober desselben Jahres erlitt Kaiser Manuel einen Schlaganfall, der ihn regierungsunfähig machte. An seine Stelle trat, als Regent, der älteste Sohn, Johannes VIII. Mit ihm war, schon seit 1422, Aurispa in enger Verbindung und diente ihm als Sekretär8. Als Johannes VIII. im Auftrag seines erkrankten Vaters im November 1423 die Reise nach Italien antrat, um Hilfe gegen die Osmanen zu suchen, begleitete ihn Aurispa auch zu den oberitalienischen Fürstenhöfen. Seit dieser zweiten Orientreise hat Aurispa byzantinischen Boden nicht mehr betreten. Für die Zukunft weit bedeutender als seine politische Tätigkeit in Konstantinopel war der Erwerb von Handschriften. Es war die Verbindung mit dem Hof und besonders dem Mitkaiser Johannes VIII., welche ihm alle Möglichkeiten zum Kauf von Manuskripten erleichterte9. [Anm. 1] 3 f.; E. ROSTAGNO/ N. FESTA, Indice dei codici greci ..., in: Studi Italiani di Filologia Classica 2 [1894] 147); zur überlieferungsgeschichtlichen Bedeutung siehe A. TURYN, The Byzantine Manuscript Tradition of the Tragedies of Euripides, Urbana 1957, 98. Die zweite Handschrift ist in einem Brief des Aurispa an Ambrogio Traversari (vgl. Anm. 10) erwähnt in Zusammenhang mit einem (1421-1423) neuerworbenen Iliaskommentar {aliud commentum super Iliade cuius eundem auctorem esse puto et illius quod ex me Nicolaus noster (d.i. Niccolò Niccoli) habuit super Ulixiade). 6 SABBADINI, Carteggio (Anm. 1) 159. Dort ist auch vom Verkauf nicht näher bezeichneter griechischer Handschriften in Bologna die Rede, doch ist nicht sicher, ob sie aus dem Erwerb in Chios stammen. 7 Auf Grund der Fehlinterpretation einer Bücherliste (ediert bei SABBADINI, Carteggio [Anm. 1] 159), von der unten Anm. 11 die Rede ist, wird in der Literatur der Antritt der Reise in die zweite Hälfte des Jahres 1421 gesetzt. Aurispa war Ende 1420 mit Papst Martin V. nach Rom gekommen, hat sich dort aber sicher nicht lange aufgehalten. 8 Diese Funktion ist ausdrücklich genannt (ab Aurispa secretorio edita) in einem von Aurispa konzipierten Schreiben Johannes' VIII. (als Mitkaiser) aus dem Jahr 1422 (SABBADINI, Carteggio [Anm. 1] 5 f., mit einer m.E. unbeweisbaren Datierung auf die Monate November-Dezember, und wegen einer Anspielung eher während der türkischen Belagerung im Sommer abgefaßt). Johannes VIII. war durch seine Eheschließung mit Sophia von Montferrat (1421) und jene seines Bruders Theodoras mit Cleopa Malatesta mit oberitalienischen Fürstenhäusern verbunden (P. SCHREINER, Die byzantinischen Kleinchroniken, Bd. 2, Wien 1977, 410 f.). Die Rolle des Giovanni Aurispa ist in der byzantinischen Forschung (da diese von SABBADINI nicht Kenntnis nahm) unbekannt geblieben; er ist weder in der Monographie von J. W. BARKER, Manuel Palaeologus, 1391-1425. A Study in Late Byzantium Statemanship, New Brunswick 1969, noch (im Hinblick auf den genannten Kaiserbrief) in den "Regesten der Kaiserurkunden des Oströmischen Reiches" genannt. 9 Es geht aus den bekannten Dokumenten nicht hervor, wie er den Kauf der teuren Handschriften finanzierte (zu den Bücherpreisen vgl. P. SCHREINER, Kosten der Handschriftenherstellung in Byzanz, in: Buch und Bibliothekswissenschaft im Informationszeitalter. Festschrift fur Paul Kaegbein, hg. von E. PLASSMANN u.a., München u.a. 1990, 331-344, und V. KRAVARI, Note sur le prix des manuscrits (IXe-XVe siècles), in: Hommes et richesses dans 1' Empire byzantin, t. II, Paris 1991, 375384). Zu hoch können seine Einkünfte in Konstantinopel nicht gewesen sein, da er bei der Ankunft in Venedig (Nov./Dez. 1423) Schwierigkeiten hatte, die Transportgebühr für die Bücher zu bezahlen (SABBADINI, Carteggio [Anm. 1] 14, lin. 1-5). Vielleicht erhielt er am Kaiserhof auch Bücher (etwa aus der kaiserlichen Bibliothek?) statt Geld. Aus dem in der folgenden Anm. genannten Brief ergibt sich eine Zahl von 238 Codices, zusätzlich einer unbekannten Anzahl, die nach Messina geschickt
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Über zahlreiche Titel der aus Konstantinopel mitgebrachten Handschriften berichtet er in einem Brief vom August 1424 an Ambrogio Traversari10, während einer in der Forschung häufig zitierten kleineren Liste in einer Leidener Handschrift aus dem Jahr 1421 keine unmittelbare Bedeutung zukommt11. Aus dem Brief erfahren wir, daß er 238 Handschriften profaner Autoren selbst auf dem Schiff nach Venedig brachte, während er eine nicht genannte Zahl an theologischen Handschriften durch einen Kaufmann nach Messina hatte schicken lassen. Er macht in diesem Zusammenhang die für die Mentalität im Byzanz des 15. Jahrhunderts interessante Bemerkung, daß die Ausfuhr theologischer Handschriften in Kreisen, die dem byzantinischen Kaiser feindlich (malevoli) gesinnt waren, auf erhebliche Kritik stieß, während die Mitnahme "heidnischer" Autoren nicht als besonderes Vergehen betrachtet wurde (non tarn grande crimen videbatur). Im folgenden sollen die in Konstantinopel gekauften Handschriften, wie sie im Brief an Traversari aufgeführt sind, jedoch in alphabetischer Folge gereiht, kurz analysiert werden. Apollonius grammaticus: Apollonios Dyskolos, Grammatiker des 2. Jahrhunderts n.Chr. aus Alexandreia. Es sind nur Teile seines Werkes erhalten. Welche Titel die Handschrift enthielt, vermerkt Aurispa nicht. Aristoteles, opus rhetoricum ad Alexandrum [ein pseudo-aristotelisches Werk, das im allgemeinen Anaximenes von Lampsakos zugewiesen wird], aliud in Ethicis solemne, cuius titulus est EtiSrpia [die "HGIKOC EüSfineia], aliud de vaticinio in sommis [jiepi Evtmvicov Kai "üfjq m 0 ' imvov (j,avuKf|q, eine Schrift aus der Sammlung der Parva Naturalia], aliud de his quae in orbe mira dicuntur [jcepi GaDnaaicov ccKoa)CTH.dTcov] de machinis [|_ir|%cxviKCi] et plura alia eiusdem philosophi. wurden. Wenn mein, ganz hypothetisch (und sicher zu niedrig), 5 Hyperpyra pro Handschrift ansetzt, kommt man auf eine Summe von rund 1200 Hyperpyra, die trotz der Geldentwertung im 15. Jh. noch enorm hoch war. Zum Vergleich: 1363 kostete ein kleines einstöckiges Haus mit Garten 45 Hyperpyra (SCHREINER, Kosten 344), und eine augenscheinlich ganz reiche Mitgift beläuft sich 1387 auf 1700 Nomismata: P. SCHREINER, Zwei Urkunden aus der Feder des Theodoras Meliteniotes (1387/8), in: Collectanea Byzantina (Orientaba Christiana Analecta 204) Rom 1977, 186 ff. 10 SABBADINI, Carteggio (Anm. 1) 10-15. Zu Traversari siehe P. CASTELLI, Lux Italiae: Ambrogio Traversari, moñaco Camaldolense. Idee e immagini nel Quattrocento florentino, in: Atti e Memorie dell'Accademia Toscana di Scienze e Lettere La Colombaria, n.s. 33 (1982) 39-90. 11 Die Überschrift dieser Liste lautet: Hi libri apud x6v Aúpicnta|A.(!) èv xfjTOXEIsunt, ut scripsit pridie kalendas iulias 1421. Es folgen dann neun Titel, von denen nur drei (eine Briefsammlung ohne Nennung von Autoren; Diogenes Laertios; Iulius Pollux, De vocabulis rerum) nicht in dem oben Anm. 10 genannten Brief erwähnt sind. Die Liste edierte erstmals H. OMONT, Catalogue des manuscrits grecs des bibliothèques publiques des Pays-Bas, in: Centralblatt für Bibliothekswesen 4 (1887) 186 f., aus dem Leidensis, Bibliotheca Publica 48, fol. 233, und erneut SABBADINI, Carteggio (Anm. 1) 159 f. Omont und in der Folge Sabbadini bezogen èv xfj itóXei auf Rom und die genannten Bücher daher auf Erwerbungen aus Chios, die Aurispa 1421 in Rom noch besessen habe. Die jtôXiç ist aber mit Sicherheit Konstantinopel, zumal sich sechs Handschriften auch unter den im Brief an Traversari genannten Titeln befinden. Für die Chronologie der zweiten Orientreise ergibt sich demnach, daß Aurispa spätestens im Juni (1421) nach Konstantinopel gekommen war. Auf den Irrtum bei Omont machte erstmals aufmerksam A. BIEDL, Zur Textgeschichte des Diogenes Laertios. Das große Exzerpt O, Vatikanstadt 1955, 93. Die Liste findet sich am Ende einer Xenophonhandschrift des 15. Jhs., und K. A. DE MEYIER datiert das Blatt im Katalog der Bibliotheca Publica in Leiden auf ca. 1600: Codices bibliothecae publicae graeci (Bibl. Univ. Leidensis. Codices manuscripti 8) Leiden 1965, 66. Wie die Liste zustande kam, bleibt ungeklärt.
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Arrianus, Historia de Alexandro [die als "Anabasis" bekannte Geschichte des Feldzugs Alexander des Großen], Sie ist auch im Katalog des Jahres 1421 (siehe Anm. 11) genannt. (Naucratice cuiusdam) Atheniensis [sie] volumen ... De cenis [die AEUCVOCTO(piGtal des Athenaios von Naukratis in Ägypten aus der Zeit um 200 n.Chr.]. Athenaios Athenensis mathematicus cum picturis instrumentorum. id volumen est antiquum et picturae non sunt satis aptae, sed facile intellegi possunt [ein bis heute chronologisch nicht bestimmbarer Autor aus der Kaiserzeit mit einer Schrift itepi (j.t|xcxvri(j.cttcüv, über Belagerungsmaschinen]12. (Cassius) Dio in Romana historia. Aurispa führt die Pco^aiKfi iaiopla unter dem Namen Dio an. Der Titel ist auch im Katalog des Jahres 1421 (siehe Anm. 11) genannt. Diodorus Siculus [die BißA.io0T|KT| genannte Universalgeschichte]. Aurispa sagt, das Werk bestehe aus multi libri. Dionysius, Super significationibus dictionum. Die lateinische Übersetzung (oder Paraphrase) des Titels bereitet der Identifikation erhebliche Schwierigkeiten. Es handelt sich offensichtlich um eine Schrift zur Worterklärung. Der im 2. Jahrhundert n.Chr. in Alexandreia wirkende Dionysios Thrax kommt schwerlich in Betracht, da er kein Lexikon verfaßt hat. Eher ließe sich an den im 1. Jahrhundert n.Chr. lebenden Ailios Dionysios aus Halikarnassos denken, von dem eine fünf Bücher umfassende Erklärung seltener attischer Wörter (ÖVÖNOITA CCTTIKCC) stammt. Photios (cod. 152) kennt noch zwei verschiedene Ausgaben, das Werk ist heute jedoch verloren. Es ist nicht als ausgeschlossen zu betrachten, daß Aurispa noch ein vollständiges Exemplar gefunden hat13. Ka9ap(j.oi 'E^7IE8OKÄ,EOU7iepßT|a6ne8a xö Ä.etJt6|xevov 11 .
Ja, ganz nach dem Vorbilde der Bienen müßt ihr mit jenen Schriften umgehen. Diese fliegen ja nicht allen Blumen unterschiedslos zu, noch wollen sie die, die sie besuchen, ganz wegtragen, vielmehr nehmen sie nur soviel mit, als sie verarbeiten können, und lassen das Andere gern zurück. Wollen wir klug sein, dann eignen wir auch aus jenen Schriften nur das uns Passende und der Wahrheit Verwandte uns an, übergeben aber das andere12. Damit soll zweierlei aufgezeigt werden. Zum einen: nicht alle Blumen dürfen angeflogen werden, d.h. manche Werke sind gänzlich zu meiden; zum anderen: auch bei den passenden Blumen soll nicht alles verwendet werden, es gilt eine Auswahl zu treffen, d.h. nur das dem christlichen Gemäße ist aus ihnen zu entnehmen. Diese Mahnrede des kappadozischen Kirchenlehrers wurde in der nachfolgenden Zeit immer wieder als Zeuge angeführt, um bildungsfeindlichen Strömungen in der Kirche eine maßgebende Autorität entgegensetzen zu können. So nimmt es nicht wunder, daß im Zeitalter des Humanismus genau diese Schrift von Leonardo Bruni sehr früh ins Lateinische übersetzt wurde (1400/02), konnte man sich doch damit eines prominenten Helfers in der Diskussion um die studia humanitatis vergewissern 13 . So vermerkt denn der Florentiner Humanist im Prolog seiner Übersetzung: Atque ideo libentius idfecimus, quod auctoritate tanti viri ignaviam ac perversitatem eorum cupiebamus refringere, qui studia humanitatis vituperant atque ab his omnino abhorrendum censent14. Valla wird zweifellos diese Übersetzung seines Lehrers Bruni gekannt haben. Ohne daß der Name Basilius des Großen fallt, sind die Vallaschen Bienen dennoch ganz in diesem Zusammenhang zu sehen. Nun zu den Ameisen 15 . Auch sie erfreuen sich in Antike und Mittelalter außerordentlicher Wertschätzung. Sie gelten als Inbegriff des Fleißes und der Klugheit. Ihre Sozialität nötigt Bewunderung ab. In der Patristik wird der wahre Christ als Ameise Gottes bezeichnet, das Kloster etwa gilt als idealer Ameisenstaat usw. 11
Basilius, Sermo (Anm. 10) 569. Übersetzung von A. STEGMANN, in: Bibl. der Kirchenväter Reihe 2/47, München 1925,451. 13 Vgl. dazu: L. SCHUCAN, Das Nachleben von Basilius Magnus 'ad adolescentes'. Ein Beitrag zur Geschichte des christlichen Humanismus (Travaux d'Humanisme et Renaissance 133), Genf 1973; I. BACKUS, Lectures humanistes de Basile de Césarée. Traductions latines (1439-1618) (Collection des Études Augustiniennes. Série Antiquité 125) Paris 1990, behandelt 'ad iuvenes' nicht. 14 Prologus in Basilii Epistolam ad nepotes de utilitate studii in libres gentilium traductam per L. Aretinum, in: Leonardo Bruni Aretino, Humanistisch-philosophische Schriften, hg. und erläut. von H. BARON, Lepzig-Berlin 1928, 99 f. Vgl. als ein weiteres Beispiel: F. R. HAUSMANN, Enea Silvio Piccolomini 'poeta' und die Rezeption der heidnischen Antike, in: Bibliothèque d'humanisme et renaissance 35 (1973) 441-461, hier 446 und 451 zum Bienengleichnis. 15 Vgl. P. RECH, Ameise, in: RAC I (1950) 375-377. - Im 'Index Biblicus doctrinalis' meiner Vulgata-Ausgabe heißt es unter dem Stichwort formica: valde laudatur ob providam suam diligentiam atque sollertiam\ Biblia sacra, ed. A. COLUNGA/ L. TURRADO, Madrid 1982, 1211. 12
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Um so erstaunlicher ist es nun, daß in der Dichotomie Vallas die Ameisen so negativ gezeichnet sind. Wenn in der Tradition Bienen und Ameisen gleichzeitig genannt wurden, so gelten beide uneingeschränkt als vorbildliche Symbole. Hier sei als Beispiel eine Stelle aus den 'Stromata' des Clemens von Alexandrien genannt: Kpdg- xöv |ii>p|iT|Ka, & ÖKvripe, K a i YEVOU EKEIVOD acxpobxepoi;«;, ög~ 7toXXr\v K a i jiavxoSajtriv ev TCÜ OTJXFIXCÜ j i a p a x i G e x a i Jipoq* xr|v t o i ) Xei(xmvog" cmeiXtiv -ti|v xpoq>T|v, > f | itopeuOrixi rcpö^ xf|v n e X i a a a v K a i >VA0I
H.&0E d x ^ EPYÖMG* E O X U K a i a i ) x f i y ä p n c c v x a x ö v X e i ) x a > v a £7tiv£|j.0|a.£VT| l v K T | p i 0 V YEVVQt 16 .
Deshalb sagt auch die Schrift: "Gehe zur Ameise hin, du Fauler, und werde weiser als sie", die in der Erntezeit reichliche und mannigfache Speise für die drohende Winterszeit aufspeichert. "Oder gehe zur Biene und lerne, wie tätig sie ist!" Denn auch sie holt Honig von der ganzen Wiese und stellt eine einzige Wabe her17. Brauchte man ein negativ besetztes Insekt als Kontrast zur Biene, bot sich etwa die Wespe an. So heißt es z.B. bei Bonaventura in den 'Collationes in Hexaemeron': Item, contra consortantiam divinae laudis spiritus praesumtionis et curiositatis, ita quodpraesumtuosus Deum non magnificat, sed sese laudat; curiosus autem devotionem non habet. Unde multi sunt tales, qui vacui sunt laude et devotione, etsi habeant splendores scientiarum. Faciunt enim casas vesparum, quae non habent favum mellis, sicut apes, quae melliflcantu.
Was mag nun Valla veranlaßt haben, ausgerechnet die Ameise negativ von der Biene abzuheben? Hier können nur Vermutungen angestellt werden. Zum einen fehlt ihr deren Schönheit und Eleganz, was einem Humanisten geradezu ins Auge stechen mußte. Ebenso haftet ihr etwas Seelenloses, Anonymes, Funktionales an, scheint ihr das Individuelle abzugehen. Vor allem aber ist die Ameise in ihrem Tun rein rezeptiv, auf sich bezogen, in ihrer Tätigkeit zeigt sich kein neues, schöpferisches Element. Dies mag alles eine Rolle gespielt haben, um die bisher so verehrte Ameise in ein negatives Licht zu stellen, aus dem sie künftig - und bis heute - nur schwerlich entkommen konnte19. (2) In dem Kapitel "Die 'Alten' und die 'Neueren'" seines Werks "Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter" stellte Emst Robert Curtius fest: "Wenn 16 Clemens Alexandrinus, Stromata, Buch I-VI, hg. von O. STÄHLIN, Leipzig 1906, 22 (I, 33,5-6). Der Schriftbezug der Ameisenstelle ist Prov. 6,6-8: Vade ad formicam, o piger, et considera vias eius, et disce sapientiam. Quae cum non habeat ducem, nec praeceptorem, nec principem, parat in aestate cibum sibi, et congregat in messe quod comedat. Vgl. auch Prov. 30,25. 17 Übersetzung von O. STÄHLIN, in: Bibl. der Kirchenväter Reihe 2/17, München 1936, 37. 18 Bonaventura, Collationes in Hexaemeron, ed. W. NYSSEN, München 1964, 71 (1,8). Zum Gegensatzpaar Biene-Wespe vgl. auch: Athanasius In Ps. 117,12 (MPG 27,477). 19 Als modernes Beispiel sei genannt: E. PANOFSKY machte als Gegner des Humanismus "Deterministen", "Autoritaristen" und "Insektolatristen" aus, welche letztere "sich zur übergreifenden Bedeutung des Ameisenhaufens bekennen, sei dieser Ameisenhaufen nun Gruppe, Klasse, Nation oder Rasse geheißen": Kunstgeschichte als geisteswissenschaftliche Disziplin, in: E. PANOFSKY, Sinn und Deutung in der bildenden Kunst, Köln 1978, 7-35, hier 9.
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wir von den Alten sprechen, meinen wir damit die heidnischen Autoren. Heidentum und Christentum sind für unsere Vorstellung zwei getrennte Bezirke, für die es keinen gemeinsamen Nenner gibt. Das Mittelalter denkt anders. Veteres heißen die christlichen wie die heidnischen Autoren der Vorzeit"20. Auch Marie-Dominique Chenu wies bereits darauf hin, daß im Mittelalter die Kirchenväter als Autoren der altchristlichen Zeit mit dem Begriff antiqui, die Theologen des Mittelalters hingegen als moderni bezeichnet wurden21. Genau dieser Auffassung entspricht auch Vallas Verständnis; so schließt die Liste der antiken Autoren in der Vorrede seiner 'Dialektik' die Kirchenväter bis Boethius mit ein22. Vallas Lehrer Leonardo Bruni gab der Differenz zwischen alten und neuen Theologen in seinem 'De studiis et litteris liber' klaren Ausdruck: Eruditionem autem intelligo non vulgarem istam et perturbatam, quali utuntur ii, qui nunc theologiam profitentur, sed légitimant illam et ingenuam, quae litterarum peritiam cum rerum scientia coniungit; qualis in Lactantio Firmiano, qualis in Aurelio Augustino, qualis in Hieronymo fuit, summis profecto theologis ac perfectis in litteratura viris. Nunc vero, qui eam scientiam profitentur, pudendum est quam parum persciant litterarum23. Die Kirchenväter haben demnach den gegenwärtigen Theologen eine Bildung voraus, welche Wissenschaft und literarische Kenntnis zu vereinigen versteht. Noch deutlicher wird Bruni gegenüber seiner Adressatin, Baptista de Malatestis, an einer anderen Stelle: Sed veteres illarum amet scriptores, novos vero istos, si boni sunt viri, honoret illa quidem ac veneretur, ceterum eorum scripta non nimis attingat. Quid est enim, quod litterata mulier ab Augustino discere non possit, ab istis autem possit? praesertim cum ille afferat, cur legi mereantur24. Demnach kann im Grunde genommen die Patristik, für die hier stellvertretend Augustinus steht, von den Neuen gar nicht mehr übertroffen werden. Alles Wesentliche ist bereits gesagt und dies auch noch in schöner und wohlklingender Form, welche man bei den moderni vergeblich sucht. (3) Mit dem Superlativ proximus kann der 'Nächste' bezeichnet werden, es kann aber auch der nächste Verwandte gemeint sein. Wer aber kommt als solcher für die Theologie in Frage? Hier hilft nur ein anderes Werk Vallas weiter. In der Vorrede seines Dialogs über den freien Willen nennt er das Kind beim Namen. Die Philosophie maßt sich an, die Schwester, gar die Herrin der Theologie zu sein: Maxime vettern ... ac summopere optarem, ut cum ceteri Christiani homines, tum vero hi qui Theologi vocantur, non ita multum tribuerent philosophiae,
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E. R. CURTIUS, Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter, Bern-München «1978, 260. M. D. CHENU, Antiqui, Moderai, in: Revue des sciences philosophiques et théologiques 17 (1928) 82-94. 22 Laurentii Vallae Romani in libres suos dialecticos Praefatio, in: Valla, Opera (Anm. 1) I 644. 23 L. Bruni Aretino, De studiis et litteris liber, in: Bruni (Anm. 14) 5-19, hier 6. 24 Bruni, De studiis liber (Anm. 23 bzw. 14) 12. 21
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nec tantum in ea operae consumerent, et prope parem ac sororem, ne dicam patronam, theologiae facerent25. Dann unterscheidet Valla auch hier zwischen den Modernen, die meinen, der Philosophie für ihre Theologie bedürfen zu müssen, und den Alten, die diese entbehren zu können glaubten: Male enim sentire mihi videntur de nostra religione, quam putant philosophiae praesidio indigere: quod minime illi fecerunt quorum iam multis saeculis opera exstant, apostolorum imitatores, et vere in templo Dei columnae26. Den Gebrauch der Philosophie erachtet Valla deshalb als so verderblich, da durch diese die Häresien entstanden seien: Ac quidem, si probe animadvertamus, quidquid Ulis temporibus haeresum fiiit, quas non parum multas fuisse accepimus, id omne fere ex philosophicorum dogmatum fontibus nascebatur, ut non modo non prodesset philosophia sanctissimae religioni, sed etiam vehementissime obesset21. Im weiteren beschwört der Humanist die antiquitas piissima Neueren:
und befragt die
Quid igitur causae est cur in maiorum vestigiis nolitis insistere? Si minus ratio, certe auctoritas illorum effectusque inducere debuit, ut se imitaremini potius quam novam viam ingrederemini28. Die patristische Herkunft der Lehre vom Ursprung der Häresien in der Philosophie läßt sich genau bestimmen: Tertullian - der überhaupt Valla sehr nahesteht führt dies in seinem Werk 'De praescriptione haereticorum' aus: Ipsae denique haereses a philosophia subornantur. Inde aeones et formae nescio quae infinitae et trinitas hominis apud Valentinum: Platonicus fuerat. Inde Marcionis deus, melior de tranquillitate: a Stoicis uenerat. Et ut anima interire dicatur, et Epicurus obseruatur; et ut carnis restitutio negetur, de una omnium philosophorum schola sumitur; et ubi materia cum Deo aequatur, Zenonis disciplina est; et ubi aliquid de igneo deo adlegatur, Heraclitus interuenit. Eadem materia apud haereticos et philosophos uolutatur, idem retractatus implicantur: unde malum et quare? et unde homo et quomodo? et quod proxime Valentinus proposuit: unde deus? scilicet de Enthymesi et ectromate. Miserum Aristotelen! qui Ulis dialecticam instituit, artificem struendi et destruendi, uersipellem in sententiis, coactam in coniecturis, duram in argumentis, operariam contentionum, molestam etiam sibi ipsam, omnia retractantem ne quid omnino tractauerit. Hinc illae fabulae et genealogiae interminabiles et quaestiones infructuosae et sermones serpentes uelut cancer, a quibus nos apostolus refrenans nominatim philosophiam et inanem seductionem contestatur caueri oportere scribens ad Colossenses: Videte ne qui sit circumueniens uos per philosophiam et inanem seductionem, secundum tradi-
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Lorenzo Lorenzo Lorenzo Lorenzo
Valla, Valla, Valla, Valla,
De De De De
libero libero libero libero
arbitrio, ed. M. ANFOSSI, Florenz 1934, 7. arbitrio (Anm. 25) 7. arbitrio (Anm. 25) 8. arbitrio (Anm. 25) 8 f.
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tionem hominum, praeterprouidentiam Spiritus sancti. Fuerat Athenis et istam sapientiam humanam affectatricem et interpolatricem ueritatis de congressibus nouerat, ipsam quoque in suas haereses multipartitam uarietate sectarum inuicem repugnantium19. Nun ist es ein Kennzeichen der Scholastik, Theologie und Philosophie miteinander verbinden zu wollen. Hier aber sieht Valla ihr Verhängnis. In seinem 'Encomium S. Thomae' verwundert er sich über diejenigen, die Thomas den Kirchenvätern vorziehen: Cur autem eundem (Thomam) possint omnibus praeponere, hinc demonstrabant, quod dicerent, eum ad probationem theologiae adhibere logicam, metaphysicam atque omnem philosophiam, quam superiores doctores vix primis labiis degustassent. Lubricus hic mihi et anceps locus non modo propter dignitatem sancti, cuius de laudibus loquimur, sed etiam propter inolitam apudplerosque opinionem, neminem posse sine dialecticorum, metaphysicorum, caeterorum philosophorum praeceptis evadere theologum30. Als Philologe macht Valla den Unterschied zwischen Patristik und Scholastik vor allem an der Begrifflichkeit fest; Termini wie ens, entitas, quiditas, reale, essentiale usw., welche die gegenwärtige Theologie bestimmen, waren den sprachsensiblen Kirchenvätern fremd31. Der Sinn unseres Textes erscheint nun klarer: Von der sogenannten Schwester, der Philosophie, nehmen die neuen Theologen als Ameisen Körner, d.h. Lehrinhalte. Dies ist um so gefahrlicher, da - wie auch schon früher im Proömium ausgeführtde quo multi dixerunt, ostendentes philosophiam cum religione Christiana uix cohaerere omnesque haereses ex philosophiae fontibus profluxisse32. Auch der Begriff furto im Eingangszitat verdient noch Aufmerksamkeit. Hier scheint eine gewisse Ironie mitzuschwingen, denn in der Patristik wurde den heidnischen Philosophen gegenüber der Vorwurf erhoben, sie seien Diebe an der viel älteren jüdischen Tradition und hätten nur von daher ihre Weisheit und Wissenschaft erworben 33 . Wenn nun Valla der mittelalterlichen Theologie nachweist, sie stehle von den Philosophen, dann holt sie sich gleichsam etwas, was ihr ursprünglich schon gehörte. Ein doppelt unnützer und verwerflicher Vorgang! Prinzipiell wird man Vallas religiöse Einstellung - seine absolute Verwerfung der Philosophie macht dies nur zu deutlich - nicht anders denn als Fideismus bezeichnen können. Wie mit dieser Haltung seine vehemente Kirchen-, Kurien- und Mönchskritik vereinbar ist, erscheint nur auf den ersten Blick widersprüchlich, 29
De praescriptione haereticorum, in: Quinti Septimi Florentis Tertulliani Opera, t. 1 (CC I 1) Tumhout 1954, 192 f. (VII 3-8). 30 Lorenzo Valla, Encomium S. Thomae Aquinatis, in: Valla, Opera (Anm. 1) II 346-352, hier 349. Vgl. auch S. I. CAMPOREALE, Lorenzo Valla tra Medioevo e Rinascimento. Encomium Sancti Thomae 1457, in: Memorie Domenicane, n.s. 7 (1976) 3-194. 31 Valla, Encomium (Anm. 30) 349 f. 32 Valla, Elegantiae (Anm. 1) 119. 33 Loci classici dieser patristischen Diebestheorie sind: Clemens von Alexandrien, Stromata (Anm. 16) I 150, 1-3 und V 140,2.
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denn bei genauem Hinsehen müssen gerade dem 'Fideisten' die Mißstände der konkreten Kirche besonders übel ankommen, wohingegen der 'Harmonist' eher natürliche Realität und übernatürliche Norm zu synthetisieren versteht 34 . (4) Die Sentenz sed etiam sub rege apum militare, quam formicarum exercitum ducere ist - natürlich - eine Anspielung auf das Dictum Achills im Hades gegenüber Odysseus: 'jj.f| 8 t | n.oi öötvctTOv ye j t a p o u ) 8 a , cpai5i|i'
'O&vaaev.
ßouXoifj.r|v k ' ETiapoupog" ecbv 0riTeue)iev äXXcp, EV oüSevi eoxiv, äXX' EV avixfi . III. Dieser im 'Augengleichnis' von Piatons 'Großem Alkibiades' grundgelegte Gedanke, in Plotins Konzeption der Selbst-Erkenntnis produktiv aufgenommen, ent4
Gesamtausgabe: Plotini Opera, t. II, Enneades IV-V, ed. P. HENRY/ H.-R. SCHWYZER, BrüsselParis 1953, hier V 3, 4, 11; BEIERWALTES, Selbsterkenntnis (Anm. 3) 106 ff.; 167 f. - F. M. SCHROEDER, Form and Transformation. A Study in the Philosophy of Plotinus, Montreal-Kingston 1992. 5 VI 9, 9, 58: fleöv yevöjiEvov, naXXov 8fe övxa. 6 VI 9, 7, 33 f.: 6 8e naScbv eocotöv eiSfiaei Kai ÖJCÖBEV. 7 VI 9 , 1 1 , 31 f. Vgl. auch 2, 35 f.: et«; a i n ö v (seipsum) yap eTtiaxpecpcov eiq . Geradezu symbolhaft braute sich ein Unwetter zusammen, und statt des Zieles Berching kam die Reisegruppe kaum 15 Kilometer vor die Stadt: nachdem es vast regnet und vinster warde, wurde sein gen[&\d durch unser [Nürnbergs] zugeschickt soldener ... gen Wendelstein gewisen, doselbs auch sein majestet dieselben nacht verharrt undpleib91. Der weitere Rückweg nach Regensburg führte vermutlich über Kelheim98; am späten Abend (nachten) des 11. September traf Friedrich wieder in der Donaustadt ein, blieb dort einen Tag und nahm seine clained wider99. Am Freitag, dem 13. September 1471, brach er mit seinem Gefolge auf. Da das Gerücht umlief, der Eiczinger streife mit seinen Horden in dieser Gegend umher, wählte der Kaiser den Weg per Schiff statt über Land; gegen Mittag ritt er hoch zu Pferde aus Regensburg zum Mauttor hinaus und niden wider zum wasser. Über Straubing und Passau - in der Bischofsstadt urkundete er am 15. und 16. September - ge90
Zum Ganzen siehe RTA XXII/1 Abt. C (Weißenburger Krieg), bes. nr. 77 S. 241 ff. Siehe dazu unten Anm. 95. 92 RTA XXII/2 nr. 129 b (2 [5]). 93 So die Information des Nördlinger Ratsboten Christoph Glockengiesser: RTA XXII/2 nr. 129 c. 94 Bericht B (Anm. 8)466. 95 Ebd. 467 mit Anm. 2. 96 Berichte (Anm. 8)518. 97 Ebd. 519; Unterkunft fand er in der dortigen kleinen Dorfkirche. 98 Dorthin reisten jedenfalls ein Regensburger Bote, um nach dem Verbleib des Kaisers zu forschen: RTA XXII/2 nr. 128 a. 99 Dies und das Folgende nach RTA XXII/2 nr. 106 (wie Anm. 85). 91
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langte er bereits am 24. September 1471 nach Wien, drei Tage nach seinem 57. Geburtstag. V. Vierundzwanzig Tage im Leben Kaiser Friedrichs III., skizzenhaft erzählt, lassen ein zwiespältiges Bild dieses Monarchen erkennen. Vorausgegangen war die anstrengende Reichsversammlung zu Regensburg, die Friedrich oft müde und resignierend zeigte, mitunter aber auch reizbar und energisch. Denn die großen Anliegen des Tages - vor allem Türkenkrieg und Landfriede - wurden zum Mißvergnügen des Herrschers überschattet, ja verdrängt und blockiert durch die kleineren Händel, die zwar auch "Reichssachen" waren, auch auf die Tagesordnung gehörten, aber ein unverhältnismäßig großes Gewicht erhielten. Endlich, sich mit Mühe freimachend von all den Geschäften, zog der Kaiser mit freudiger Erwartung nach Nürnberg, einer Reichsstadt, deren lebensvolle Atmosphäre ihm in besonderer Erinnerung war. Der höchst freundliche Empfang und die Heiterkeit der kommenden Zeit erfüllte den Wunsch Friedrichs auf ein paar erholsame Tage: In gelöster Stimmung unternimmt er vielerlei, geht leutselig unters Volk, schaut interessiert bei den Handwerkern vorbei, wirkt sogar - etwa beim spielerischen Hurenfang - fast ausgelassen. Der Fünf-Tage-Ausflug nach Bamberg ebenso wie das Jagdvergnügen runden das freundliche Bild dieser drei Wochen ab, treffend gekennzeichnet von Nürnbergs Schreiber als eine Zeit mit kirchfarten und kurtzweyle. Die gelöste Atmosphäre mag in Friedrich auch die Erinnerung an eine frühe Liebe wieder belebt haben - als beim Geschlechtertanz im Rathaussaal eine junge Frau gleichen Vornamens ihm zum Tanz zugeführt wurde. Doch zum krönenden Abschluß, einem festlichen Turnier, kommt es nicht mehr. Jäh sind aktuelle, bedrückende Probleme wieder drängend da, und ebenso plötzlich voller Unrast und aus Ängstlichkeit gegenüber dem kriegerischen Pfalzgrafen verläßt der Kaiser vorzeitig, ja fluchtartig den Ort der frohen Tage. Und jählings ist auch aus dem so überraschend menschlich-gelösten Friedrich wieder jener "alte Friedrich" geworden, der lärmende Feste ebenso meidet wie fröhliche Gastmähler, nur Wasser trinkt und einen guten Wein verschmäht: der mißtrauische, vereinsamte Friedrich, konflikt- und menschenscheu (aber fried- und tierliebend), der Abwartende, Zögerliche, alles mühsam und lange Bedenkende. Auch am Tagungsort des Großen Christentages verharrt er nur kurz, treibt zur Abreise. Und er - dem die Fürsten und Großen des Reichs beim Regensburger Tag in bemerkenswerter Zahl Achtung bezeugt, dem der Papst durch einen Kardinallegaten viel Ehrendes erwiesen hatte - wählt sogar, aus Furcht vor einer Rebellenbande, ausweichend den Rückweg zu Schiff. Dieser Kaiser Friedrich, er stiehlt sich geradezu (vermutlich wieder in den schwarzen, siechten Reisekleidern) von der "Bühne" des Reiches, verschwindet schier unbemerkt - es gibt kaum Nachrichten von dieser Reise nach Wien - wieder in seinen östlichen Erblanden.... do belaib er lang, vermerkt ein Nürnberger Chronist100.
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Bericht B (Anm. 8) 467. - Nach Nürnberg kehrte Friedrich III. noch mehrfach zurück: 1474, 1485 und 1487.
Reichssteuern in Bayern im 15. und 16. Jahrhundert VON MAXIMILIAN LANZINNER
1. Steuern als Thema der Rechts- und Verfassungsgeschichte Das Thema Steuern im Spätmittelalter wurde bevorzugt unter der Perspektive des Rechts und der Verfassung behandelt. Der Rechtsgrund und der rechtliche Ursprung der Steuer standen im Mittelpunkt der Forschungen. Bestimmend für die ältere Auffassung wurde zunächst Georg von Below, der die Rechtsgrundlage, Steuern zu erheben, in der gräflichen Gewalt verankert sah. Indem die Landesherren die Grafengewalt und damit die hohe Gerichtsbarkeit übernahmen, besaßen sie die rechtliche Handhabe, um Territorialsteuern einzuziehen. Die Steuerbewilligung der Landstände interpretierte Below demzufolge als Mitwirkung bevorrechtigter Gruppen an Regierung und Verwaltung, mithin als Privileg, das sich aus der Territorialgewalt ableitete. Im Gegensatz zur Auffassung Belows stand das von Gierke entwickelte Modell der "organischen Staatslehre". Gierke begriff mittelalterliche politische Systeme als Genossenschaftsverbände, nicht als "Staaten", da eine eigene Rechtspersönlichkeit fehle und der "Staat" nie als Rechtssubjekt auftrete. Von daher konnte Gierke den Landesherrn und die Landstände als zwei selbständige Rechtssubjekte nebeneinander auffassen, das Steuerbewilligungsrecht war somit Teil der autochthonen Rechte der Stände1. Bei allen Unterschieden im Ergebnis verfuhren Below wie Gierke methodisch ähnlich. Sie bedienten sich aus dem Begriffsarsenal der deutschen Staatslehre und definierten mit systematisch-modernen Kategorien die mittelalterlichen Abgaben. Otto Brunner stützte sich hingegen bekanntlich auf die Quellenbegriffe selbst, er definierte die Territorialsteuern als außerordentliche Hilfe in der Not, die dem "Treueverhältnis zwischen Herrn und Untertan, Verband und Verbandsgenossen" entsprang2. Nach Brunner gab es ein Recht des Herrn auf Rat und Hilfe in der Not, jedoch keinen Rechtsgrund und keine juridische Ableitung von Steuerhoheit. Erst aus der regelmäßigen, im 15., 16. und 17. Jahrhundert zur Gewohnheit gewordenen Leistung sei ein Steuer-"Recht" geworden. Brunners Auffassung vom rechtlichen Ursprung der Steuer ist heute allgemein anerkannt, auch hinsichtlich der Herausbildung der bayerischen Territorialsteuern3. Die Konsequenz aus der Analyse Brunners freilich scheint noch kaum ge1 G. V. BELOW, Der deutsche Staat des Mittelalters. Ein Grundriß der deutschen Verfassungsgeschichte I: Die allgemeinen Fragen, Leipzig 21925 (ND 1975); G. V. BELOW, Die landständische Verfassung in Jülich und Berg, 3 Teile, Düsseldorf 1885-1891 (ND 1965); G. V. BELOW, Territorium und Stadt. Aufsätze zur deutschen Verfassungs-, Verwaltungs- und Wirtschaftsgeschichte (Historische Bibliothek 11) 2. veränd. Aufl. München-Leipzig 1923 (ND 1965). - O. GIERKE, Das deutsche Genossenschaftsrecht I: Rechtsgeschichte der deutschen Genossenschaft, Berlin 1868 (ND 1954); F. RACHFAHL, Der dualistische Ständestaat in Deutschland, in: Jahrbuch für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft 26 (1902) 1063-1117. 2 O. BRUNNER, Land und Herrschaft. Grundfragen der territorialen Verfassungsgeschichte Österreichs im Mittelalter, Wien51965 (ND 1984), 292 f. 3 P. FRIED, Zur Geschichte der Steuer in Bayern, in: ZBLG 27 (1964) 570-599, bes. 575-578; W. VOLKERT, Staat und Gesellschaft. Erster Teil: Bis 1500, in: M. SPINDLER (Begr.)/A. KRAUS
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zogen: Wenn sich die Steuer als Teil der territorialen Rechtsordnung erst herausbildete, dann bedurfte dies einer politischen Legitimation. Darüber wissen wir im einzelnen ebensowenig Sicheres wie über die Häufigkeit, Höhe und politische Bedeutung der Steuern. Um die Entstehung regelmäßiger Steuern im Reich und in den Territorien zu erklären, argumentiert die einschlägige Literatur vor allem mit dem Wandel des Wehrwesens und seinen Auswirkungen auf die Steuerentwicklung. Im 15. Jahrhundert vollzog sich dieser Wandel des Wehrwesens im Reich in drei Etappen: Zu Beginn erwiesen sich die Berittenenaufgebote auf der Grundlage des Lehnswesens als ungeeignet gegenüber der Massenwirkung der Fußknechte. Dann scheiterte der Versuch, Fußknechte kostengünstig aus Landesaufgeboten zu rekrutieren, weil diese geübten Söldnern nicht gewachsen waren. Es blieb schließlich nur die Anwerbung von Söldnern, die Kosten dafür jedoch sprengten die Dimension der üblichen fürstlichen Kammereinkünfte4. Diese strukturelle "Krise des Domänenstaats"5 bildete den dauerhaften Antrieb, Territorial- und Reichssteuern einzufordern. Steuern für Söldneraufgebote waren also legitimiert aus dem Schutz des Landes vor äußeren Feinden.
2. Die Frage nach der Ausbildung des frühmodernen Finanz- und Steuerstaats Die Erklärung der Steuerentwicklung allein aus der Kriegsfinanzierung6 indessen dürfte nicht ausreichen. Steuern waren ebenso legitimiert, weil der Fürst die in(Hg.), Handbuch der bayerischen Geschichte, 2. Bd.: Das Alte Bayern. Der Territorialstaat vom Ausgang des 12. Jahrhunderts bis zum Ausgang des 18. Jahrhunderts, München 1988, 535-624, hier 617. Die maßgebende ältere Meinung bei M. SPINDLER, Die Anfänge des bayerischen Landesfürstentums (Schriftenreihe zur bayer. Landesgeschichte 26) München 1937 (ND 1973); Spindler neigt der Belowschen Auffassung zu. 4 H. DELBRÜCK, Geschichte der Kriegskunst im Rahmen der politischen Geschichte III: Das Mittelalter, Berlin 1923 (ND 1964) 443-683; V. SCHMIDTCHEN, Kriegswesen im späten Mittelalter. Technik, Taktik, Theorie, Weinheim 1990; P. SCHMID, Der Gemeine Pfennig von 1495. Vorgeschichte und Entstehung, verfassungsgeschichtliche, politische und finanzielle Bedeutung (Schriftenreihe der Histor. Komm, bei der Bayer. Akad. der Wiss. 34) Göttingen 1989. 5 R. GOLDSCHEIDT/ J. A. SCHUMPETER, Die Finanzkrise des Steuerstaats. Beiträge zur politischen Ökonomie der Staatsfinanzen, hg. von R. HLCKEL, Frankfurt/M. 1976; J. A. SCHUMPETER, Die Krise der Domänenwirtschaft am Ausgang des Mittelalters, in: E. HINRICHS (Hg.), Absolutismus, Frankfurt/M. 1986, 181-195; T. MAYER, Geschichte der Finanzwirtschaft und Finanzwissenschaft vom Spätmittelalter bis zum Ende des 18. Jahrhunderts, in: W. GERLOFF/ F. NEUMARK (Hg.), Handbuch der Finanzwissenschaft I, Tübingen 21952, 210-244; E. KLEIN, Geschichte der öffentlichen Finanzen in Deutschland 1500-1870 (Wissenschaftliche Paperbacks 6) Wiesbaden 1974; G. DROEGE, Die finanziellen Grundlagen des Territorialstaats in West- und Ostdeutschland an der Wende vom Mittelalter zur Neuzeit, in: VSWG 53 (1966) 145-161; G. DROEGE, Spätmittelalterliche Staatsfinanzen in Westdeutschland, in: H. KELLENBENZ (Hg.), Öffentliche Finanzen und privates Kapital im späten Mittelalter und in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts (Forschungen zur Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 16) Stuttgart 1971, 5-13. 6 Vgl. für England G. L. HARRISS, King, Parliament and Public Finance in Medieval England to 1369, Oxford 1975; S. DOWELL, A History of Taxation and Taxes in England from the Earliest Times to the Present Day I: Taxation from the Earliest Times to the Civil War, London 2 1888 (repr. 1965). Für Frankreich G. DUPONT-FERRIER, Études sur les institutions financières de la France à la fin du moyen âge II: Les finances extraordinaires et leur mécanisme, Paris 1932; M. REY, Le domaine du Roi et les finances extraordinaires sous Charles, vol. VI (1388-1413), Paris 1965; J. B. HENNEMAN, Royal Taxation in Fourteenth Century. The Development of War Financing 1322-1356, Princeton (N.J.) 1971. - Diese Werke thematisieren explizit den Zusammenhang zwischen Kriegsfinanzierung, öffentlichen Aufgaben und der Entstehung eines Steuersystems. Wie für Bayern und
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nere Ordnung und Sicherheit des Territoriums garantierte. Ratsgremien, Gerichte, Kommissionen, Ämter und die Notwendigkeit zu ihrer Finanzierung nahmen in dem Maß zu, in dem die Fürsten die Rechtssprechung und innere Verwaltung ausbauten. Auf Bayern bezogen gibt es keine Untersuchung zu Häufigkeit und Umfang der Steuererhebungen vom 14. bis zum 16. Jahrhundert, ebensowenig zur Legitimierung der Steuern. Dem extensiv nachzugehen, ist im Rahmen einer kleinen Studie nicht zu leisten. Möglich ist aber, das Untersuchungsfeld Legitimation, politische Bedeutung, Quantitäten von Steuern mittels einer begrenzten Fragestellung zu erschließen. Die Frage der folgenden Untersuchung lautet: Welche Bedeutung hatten die Reichssteuern für die Territorial- und Finanzverfassung der Herzogtümer Bayerns im 15. und 16. Jahrhundert? Hierbei ist zunächst zu ermitteln, um welche Steuern es sich überhaupt handelte. Zu vergleichen sind Häufigkeit, Umfang und Legitimation von Reichs- und Territorialsteuern. Das territoriale Steuersystem ist allerdings in Umfang und Bedeutung kaum erforscht; exakte Vergleiche sind deshalb oft nicht möglich, wohl aber Vergleiche von Größenordnungen. Schließlich ist zu prüfen, inwieweit die Erhebung von Reichssteuern das territoriale Steuersystem befördert oder behindert hat. Die Steuern bestimmten die territorialen Machtverhältnisse in dem Maß, in dem Lehnsbeziehungen und Landesaufgebote von bürokratischer Verwaltung und Söldnerheeren verdrängt wurden. Art und Umfang der Steuern waren damit integraler Teil der Territorialverfassung. Die Untersuchung bezieht sich auf das 15. und 16. Jahrhundert, weil zu Beginn des 15. Jahrhunderts das Reich erstmals Steuern erhob und weil sich erst im Laufe des 16. Jahrhunderts die Dynamik von Reichs- und Territorialsteuern konsolidierte7.
3. Reichssteuern in Bayern im 15. Jahrhundert Erstmals mit Reichssteuern hatten es die bayerischen Teilherzogtümer in den 1420er Jahren zu tun. Die erste wurde bei der Nürnberger Reichsversammlung von 1422 beschlossen. Auf diesem Tag verdichteten sich die Debatten um eine allgemeine Kontribution, da die Truppenkontingente des vasallitischen Reichsaufgebots eklatant gegen die Hussitenheere versagten. Der Kampf gegen die Hussiten war ein Kampf gegen Ketzerei und Unglauben. Von daher leitete sich die außerordentliche Legitimation dieser Reichssteuer ab. Sie diente der Verteidigung des Glaubens. Auf die trew ere und gelubde die ir kristenglawben gemeinem nucz und auch uns und dem reiche pfflichtig seyt, wies König Sigmund die für andere große Territorien des Reichs war auch für Frankreich "das 14. Jahrhundert die Geburtsstunde der 'Steuer' (und der Steuerbegünstigung)": H. DUBOIS, Frankreich 1350-1500, in: H. KELLENBENZ (Hg.), Europäische Wirtschafte- und Sozialgeschichte vom ausgehenden Mittelalter bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts (Handbuch der europäischen Wirtschafts- und Sozialgeschichte III) Stuttgart 1986, 608-639, hier 635. 7 Dabei werden im wesentlichen gedruckte Quellen herangezogen, insbesondere die bisher erschienenen Reichstagsaktenbände und die von Krenner publizierten Landtagsakten des 15. und 16. Jahrhunderts: F. v. KRENNER, Baierische Landtags-Handlungen in den Jahren 1429 bis 1513, IXVIII, München 1803-1805 (im folgenden zit. KRENNER I-XVIII), und die wohl ebenfalls von Krenner herausgegebenen Quellenbände zu einzelnen Landtagen 1514-1516, 1542/43, 1557, 1568, 1605 und 1612.
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Reichsstände bereits in der Ausschreibung des Tags hin8. Der König schlug eine allgemeine Geldsteuer vor, die jedoch namentlich die Städteboten nicht akzeptierten. Schließlich wurden zwei Reichssteuern ausgeschrieben, allerdings in der Form von Heeresmatrikeln mit Gleven, Schützen und Reitern, welche die Steuereinheiten bildeten. Diese mit strenger Zweckbindung für den Hussitenkrieg ausgewiesene Steuer war die erste umfassende Matrikularumlage des Reichs überhaupt9. Ob und inwieweit die Steuer in Bayern eingezogen wurde, ist unsicher. Für die Teilherzogtümer München, Landshut und Ingolstadt liegen keine Informationen vor. Dagegen verhandelte im August 1422 ein Straubinger Landtag wegen einer allgemeinen Steuer zum Hussitenkrieg. Seine Beschlüsse sind nicht bekannt, jedoch berieten in der gleichen Sache noch mehrmals Straubinger Landtage, bis 1424 eine Besteuerung des 20. Pfennigs beschlossen wurde10. Genauer kennen wir die Umstände der zweiten allgemeinen Hussitensteuer von 1427. Die Frankfurter Reichsversammlung vom April/Mai 1427 beratschlagte eine Reichsheeresordnung, gemäß deren Festlegungen Herzog Heinrich von Niederbayern 5 Stein-, 12 Handbüchsen, 10 000 Pfeile, 200 Feuerpfeile, Steine, Pulver etc. zu liefern hatte11. Im Dezember einigten sich König und Stände in Frankfurt mit dem päpstlichen Legaten auf eine weitere allgemeine Reichskriegssteuer, allerdings unter Ratifikationsvorbehalten vor allem der Reichsstädte12. Der päpstliche Legat hatte die Reichsversammlung initiiert und auf die allgemeine Reichskriegssteuer hingearbeitet; die Eintreibung wurde unterstützt durch die Gewährung eines Ablasses und die Androhung von Kirchenstrafen für Steuerverweigerer. Wiederum war die Steuer also ganz aus dem Zweck des Abwehrkampfs gegen Ketzer und Ungläubige legitimiert, und nur mit einer solchen Legitimation war auch diese erste direkte Steuer im Reich überhaupt zu erreichen. Sie erfaßte mit einer Kopfsteuer in Höhe eines böhmischen Groschens alle Untertanen. Personen von Stand wurden mit einer Vermögens-, Einkommens- oder Personalsteuer belegt. Pfarrei- und Bistumsverwaltungen führten die Erhebung durch, für das gesamte Reich schließlich sollte eine gemischte Kommission von Kurfürsten- und Städtevertretern die Steuer einsammeln und verwalten13. Die sofort vollzogene Ausschreibung in Bayern war von Papst und König veranlaßt, nicht von den Herzögen oder Ständen. Die Steuermandate drohten Nichtzahlern mit dem Kirchenbann, obwohl dies der päpstliche Legat und die Stände in Frankfurt nicht vereinbart hatten14. Für das Herzogtum Bayern-München trie8
RTA VIII nr. 150 (S. 170). Vgl. H. HERRE, Das Reichskriegssteuergesetz vom Jahre 1422, in:
H i s t o r . V i e r t e l j a h r s s c h r i f t 19 ( 1 9 1 9 ) 1 3 - 5 2 . 9
RTA VIII nr. 153; E. ISENMANN, Reichsfinanzen und Reichssteuern im 15. Jahrhundert, in: ZHF 7(1980) 1-76, 129-218, hier 211. 10 M. v. FREYBERG, Geschichte der bayerischen Landstände und ihrer Verhandlungen, 2 Bde., Sulzbach 1828/29; hier 1298 f. 11 RTA IX nr. 31 12 Druck der Steuerordnung in RTA IX nr. 76 (S. 91-112, 2.12.1427); im einzelnen siehe A. WERMINGHOFF, Die deutschen Reichskriegssteuergesetze von 1422 und 1427 und die deutsche Kirche, in: ZRG KA 36 (1915) 1-111 (als selbständige erweiterte Fassung erschienen Weimar 1916). 13 München HStA, Altbaier. Landsch. Lit. 1236, fol. 65r-72v. 14 Vgl. eine entsprechende Beschwerde Hzg. Ludwigs von Bayern-Ingolstadt gegenüber dem Erzbischof von Salzburg vom 13.4.1428; RTA IX 119 Anm. 1.
R E I C H S S T E U E R N I N B A Y E R N I M 15. U N D 16. J A H R H U N D E R T
825
ben sechs im Hochstift Freising eingesetzte "Mannen" die Steuer ein. Die Herzöge Ernst und Wilhelm III. übernahmen jedoch 1429 das gesammelte Geld und die Haftung gegenüber Papst und König; denn der heilige Vatter habe das gemeine Bot gethan, heißt es in den Steuerakten. Ernst und Wilhelm III. verpflichteten sich außerdem, die Steuer nur für Söldner im Kampf gegen die Hussiten zu verwenden15. Die bayerischen Herzöge lieferten die Steuer später nicht, wie im Reichsschluß vorgesehen, in Frankfurt ab. Gleichermaßen verfuhren die meisten Fürsten und Städte, während die geistlichen Fürsten die Frankfurter Übereinkunft befolgten und ihre Steuer in der Reichsstadt hinterlegten16. Die Hussitensteuer von 1427 ist wohl nicht als "Fehlschlag" zu bewerten, wie dies die einschlägige Literatur tut17. Die Steuererhebung wurde in Bayern und in anderen Territorien vollzogen, selbst wenn im wesentlichen nur die Geistlichen ihren Beitrag bei der zentralen Kommission in Frankfurt ablieferten. Aber dies entsprach den Verhandlungen des Frankfurter Tags von 1427, bei dem es ja Ratifikationsvorbehalte gegeben hatte. Außerdem handelte es sich um die erste allgemeine und direkte Reichssteuer, die auf die Untertanen selbst durchgriff. Daß es gelang, sie zu überhaupt zu erheben und sie wie in Bayern prinzipiell zweckbestimmt gegen die Hussiten zu verwenden, ist eher als Erfolg zu werten. Ausschlaggebend waren die Unterstützung von Papst und Kirche sowie die Legitimation aus Christentum und Glaubenskampf. Eine neuerliche allgemeine und direkte Reichssteuer gegen die Hussiten stand auf der Traktandenliste der Basler Reichsversammlung von 1434. Sie wurde aber nicht beschlossen und erhoben, weil Städte- und Ständevertreter befürchteten, daß derartige Steuern zum Gewohnheitsrecht werden könnten. 1454 und 1467 verabschiedeten die Reichsstände dann Matrikularanschläge für einen Türkenzug. Für die bayerischen Teilherzogtümer liegen keine Hinweise vor, daß es zu tatsächlichen Steuerleistungen gekommen ist18. Dies war hingegen der Fall beim Matrikularanschlag der zehentusent Manne, den der Regensburger Reichstag 1471 verabschiedete. Wie bei Matrikularhilfen üblich, handelte es sich nach dem Verständnis des Beschlusses um keine Steuer, sondern um eine Truppenhilfe. Herzog Ludwig IX. von Niederbayern hatte 30 Reiter und 80 Knechte zu stellen, Albrecht IV. von Oberbayern 25 Reiter und 70 Knechte19. Der Abschied vermerkte freilich, daß jeder Reichsstand sein Kriegskontingent für drei Jahre mit Speisung oder Geld nottvrfftiglichen versehen müsse. Daß in Niederbayern eine Steuer unter Berufung auf den Regensburger Reichstag erhoben wurde, erfahren wir lediglich aus dem Antrag für eine Steuerbefreiung des Deutschen Ordens. Höhe und Verwendung der Steuer sind unbe-
15
KRENNER (Anm. 7) 123-25. Listen 1428-1430 in RTA IX 231, 267 und bei WERMJNGHOFF (Anm. 12) Anhang V. Zu vergleichen ist auch die Hussitenchronik des Andreas von Regensburg: [...] principes et commimitates collectam pecuniam apud se tenerunf, G. LEIDINGER (Hg.), Andreas von Regensburg, Sämtliche Werke, München 1903, 457. 17 So noch ISENMANN (Anm. 9) 160. 18 SCHMID (Anm. 4) 38 f.; ISENMANN (Anm. 9) 160 f., 198; RTA XI nr. 146; RTA XIX/1 nr. 35. 19 Neue und vollständigere Sammlung der Reichs-Abschiede, welche von den Zeiten Kayser Konrads II. bis jetzo, auf den Teutschen Reichs-Tägen abgefasset worden. Ersch. bei E. A. KOCH, 4 Teile, Frankfurt/M. 1747 (ND 1967), hier 1235,241 (im folgenden zit.: NEUE SAMMLUNG). 16
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MAXIMILIAN LANZINNER
20
kannt . Möglicherweise wurde auch Oberbayern besteuert. Jedenfalls stellte Albrecht IV. am 17. November 1471 in Straubing einen Freibrief aus21, Beleg dafür, daß die Stände eine ungewöhnliche Steuerleistung erbrachten. Ungewöhnlich war die mit Sicherheit in Niederbayern vollzogene Steuer von 1471, weil es zuvor noch keine Reichstürkensteuer in Bayern gegeben hatte22. Die Türkennot der Jahre um 1480 läßt dann erstmals in Umrissen erkennen, welche Haltung Herzöge und Landstände Bayerns in der Frage einer Hilfe für Kaiser und Reich grundsätzlich bezogen. Im Sommer 1478 stießen türkische Horden bis ins Salzburger Stiftsland vor. Kaiser Friedrich III. bat mehrfach vergeblich die Bayernherzöge um Hilfe. Diese verhandelten mit Salzburg und Erzherzog Sigismund von Tirol, ferner mit bayerischen Ausschußlandtagen und legten mit den Ständen zusammen fest, das bayerische Landesaufgebot zu beschreiben und zu mustern, das im äußersten Fall Salzburg helfen sollte. Ludwig der Reiche war aber nicht bereit, dem Kaiser auch nur 500 Mann nach Wien zu schicken23. Ebenso suchte er wie seine Landschaft einen Reichstag zur Türkenfrage zu vermeiden, um nicht noch größerem politischem Druck zur Hilfeleistung ausgesetzt zu sein24. 1480 und 1481 kam es freilich dennoch zu zwei Reichstagen in Nürnberg, die beide eine Matrikel zur Hilfe gegen Ungarn und die Türken verabschiedeten25. Gemäß der Matrikel von 1481 hatten Herzog Georg 200 Reiter und 200 Knechte, Herzog Albrecht 134 Reiter und 132 Knechte abzustellen. Wie seit 1478 nahmen die Bayernherzöge in der Frage der Hilfe fiir Kaiser und Reich eine gemeinsame Linie ein, wobei beide ihre Absagen durch Ständebeschlüsse untermauerten. Herzog Georg wie Albrecht IV. nannten als Hauptgrund, die Hilfe nicht zu leisten, daß ihre Räte in Nürnberg den Abschied nicht bewilligt hätten; Albrecht IV. führte zudem seine Verschuldung und einen möglichen Überfall aus Böhmen an26. Mit dem Frankfurter Reichstag 1486 setzte eine neue Phase der Reichssteuern ein. Sie war gekennzeichnet erstens durch eine ungewöhnlich rasche Folge von Matrikular- und Geldanschlägen bis 149527, die freilich nicht alle realisiert wurden; zweitens setzte sich jetzt das Bestreben durch, die vasallitische Matrikel 20
KRENNER (Anm. 7) VII 260-263. Schreiben des Deutschordensmeisters an Hzg. Ludwig vom
26.9.1471, Antwort v o m 10.10.1471. 21
G. V. LERCHENFELD, Die altbaierischen landständischen Freibriefe mit den Landesfreiheitserklärungen. Mit einer Einleitung von L. ROCKINGER, München 1853, 113 f. (im folgenden zit.: LERCHENFELD-ROCKINGER). Vgl. auch I. RUDHART, Die Geschichte der Landstände in Baiern, Bd. 1, München 1819,215. 22 Zu korrigieren K. BOSL, Die Geschichte der Repräsentation in Bayern. Landständische Bewegung, landständische Verfassung, Landesausschuß und altständische Gesellschaft (Repräsentation und Parlamentarismus in Bayern vom 13. bis zum 20. Jahrhundert I) München 1974, 102: "Erst 1500 wurde in Bayern eine Reichssteuer eingehoben". 23
KRENNER ( A n m . 7 ) VII 5 2 7 - 5 3 5 u n d VIII 2 8 9 - 2 9 2 , 3 0 4 - 3 1 3 ; FREYBERG ( A n m . 1 0 ) I 5 3 9 , 5 5 1 .
24
KRENNER (Anm. 7) VII 531.
25
NEUE SAMMLUNG ( A n m . 1 9 ) I 2 6 5 - 2 7 1 . Z u m R e i c h s t a g 1 4 8 0 : K. KÜFFNER, D e r R e i c h s t a g v o n
Nürnberg anno 1480, Diss. Heidelberg 1892. Zu den Verhandlungen um eine neuerliche allgemeine direkte Reichssteuer, die auf den heftigsten Widerstand der bayerischen Räte stieß, vgl. ISENMANN (Anm. 9) 182-185. 26
27
KRENNER ( A n m . 7 ) V I I I 3 5 3 - 3 7 7 ; FREYBERG ( A n m . 1 0 ) 1 5 5 2 f., 6 5 0 f.
Vgl. die Übersicht bei R. STAUBER, Herzog Georg der Reiche von Bayern-Landshut und seine Reichspolitik. Möglichkeiten und Grenzen reichsfürstlicher Politik im wittelsbachisch-habsburgischen Spannungsfeld zwischen 1470 und 1505, Kallmünz 1993, 839.
REICHSSTEUERN IN BAYERN IM 15. UND 16. JAHRHUNDERT
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durch eine Steuerveranlagung zu ersetzen; drittens war die Steuer für das Reich nun nicht mehr legitimiert aus dem Glaubenskampf gegen Hussiten oder Türken, vielmehr diente sie dem Krieg gegen äußere Feinde allgemein, gegen Ungarn, Frankreich und in den Niederlanden. Die Ungarnhilfen von 1486 und 148728 waren vom Reichstag nicht bewilligt bzw. von den Bayernherzögen nicht bezahlt worden29, für die Hilfen in die Niederlande 1488/1489, gegen Ungarn 1491 und gegen Frankreich 1492 zahlten beide Herzöge dagegen zum Teil mehr, als ihnen auferlegt war30. Auch die eilende Hilfe gegen Frankreich 1495 entrichteten die Bayernherzöge in der geforderten Höhe von 3908 fl. 20 kr. bzw. von 3136 fl. 40 kr.31. Dabei wurden die ober- und niederbayerischen Landstände offensichtlich nicht eingeschaltet; zumindest liegen hierfür keinerlei Quellen vor. Die Herzöge bezahlten ihren Beitrag, der sich im Fall Herzog Georgs für die Anschläge von 1489 und 1491 auf 14 500 fl. belief, indessen aus der Kammer. Die bayerischen Landstände traten jedoch wiederholt zusammen, um über die Einbringung und Bezahlung des Gemeinen Pfennigs von 1495 zu verhandeln32. Albrecht IV. berief erst für Juli 1496, ständig von König Maximilian I. wegen der Einbringung des Gemeinen Pfennigs bedrängt, einen Ausschußlandtag ein, der sich als nicht befugt erachtete. Vollandtage mußten entscheiden. Die weiteren Verhandlungen offenbarten den hartnäckigen Widerstand des Herzogs und der Stände gegen den Pfennig. Im August 1497 kamen beide Seiten überein, ihn in Oberbayern nicht zu erheben. Die Stände sicherten aber dem Herzog zu, hilff, beistannd vnd dinstperkait zu leisten, wenn er zu anderen Diensten und Hilfen zu behalltung des heiligen reichs erfordert werde33. Albrecht IV. hat dieses Nein gegenüber dem König abgefedert, indem er den Pfennig bei seinen eigenen Grundholden einzog, ohne ihn freilich abzuliefern; er hat die Absage aber nicht zurückgenommen. Georg der Reiche taktierte gegenüber König Maximilian beflissener, im Ergebnis gleichwohl nicht anders als Albrecht IV. Auch er lehnte den Gemeinen Pfennig ab, weil er seine landesherrlichen Rechte gefährdet sah, auch er erhielt dabei Rückendeckung von seinen Landständen, die ihrerseits eigene Privilegien der Steuerbewilligung und -Verwaltung mißachtet sahen. Sechs niederbayerische Landtage zum Gemeinen Pfennig 1495/97 sowie zahlreiche Mahnungen des Kö-
H. ANGERMEIER (Bearb. unter Mitarbeit v. R. SEYBOTH), Deutsche Reichstagsakten unter Maximilian I. Der Reichstag zu Frankfurt 1486 I-II (RTA Mittlere Reihe [im folgenden zit.: RTA MR] I)
28
Göttingen 1989, hier I Nr. 330 I); NEUE SAMMLUNG (Anm. 19) 1 2 7 8 f. 29
STAUBER ( A n m . 2 7 ) 5 8 .
E. BOCK (Bearb.), Deutsche Reichstagsakten unter Maximilian I. 1488-1490 (RTA MR III) Göttingen 1973, Nr. 296, 300a; STAUBER (Anm. 27) 621. Zur Möglichkeit, die Steuer von 1489 auf die Untertanen umzulegen, vgl. W. SCHULZE, Bäuerlicher Widerstand und feudale Herrschaft in der Frühen Neuzeit (Neuzeit im Aufbau 6) Stuttgart-Bad Cannstadt 1980, 67. 31 SCHMID (Anm. 4) 127. 32 Sehr genau behandelt bei SCHMID (Anm. 4) 379-392; P. SCHMID, Das Haus Wittelsbach und die Reichssteuer des Gemeinen Pfennigs von 1495. Zur wittelsbachischen Reichspolitik am Ende des 15. Jahrhunderts, in: ZBLG 51 (1988) 51-75; H. ANGERMEIER, Bayern und der Reichstag von 1495, in: HZ 224 (1977) 580-614; ND in: H. ANGERMEIER, Das alte Reich in der deutschen Geschichte. Studien über Kontinuitäten und Zäsuren, München 1991, 254-282. Danach das Folgende. 30
33
SCHMID ( A n m . 4 ) 3 8 3 .
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nigs und der Reichstage 1497/9834 führten lediglich zum Zugeständnis, die Steuer erst zu erlegen, wenn auch alle anderen Kurfürsten und Fürsten entsprechend handelten. Die niederbayerischen Stände begründeten im November 1496 die faktische Absage in einem Landtagsabschied mit dem "Unvermögen des Landes" und mit "der Sorge eines Einganges"35, d.h. mit der Befürchtung, eine dauerhafte Neuerung zu initiieren. Die Stände sahen zu Recht die Gefahr einer tiefgreifenden Schwächung ihres Rechts, die Steuern des Landes zu bewilligen, einzubringen und zu verwahren. Denn die Bewilligung, Einbringung und Verwahrung war den Landständen durch die Ordnung des Gemeinen Pfennigs entzogen. Ein abschließender Überblick über das 15. Jahrhundert läßt folgende markante Punkte erkennen: 1427 wurde in Bayern die erste Steuer auf der Grundlage eines Reichsbeschlusses eingezogen. Papst und Kaiser legitimierten die Steuer aus dem Glaubenskampf gegen die Hussiten. Die bayerischen Herzöge lieferten diese Steuer nicht an Reichsorgane ab, sondern verwendeten sie selbst für den Hussitenkrieg. 1471 wurde zumindest in Niederbayern die erste Reichstürkensteuer erhoben. Die Türkensteuerforderungen und -beschlüsse um 1480 stießen auf Widerstände bei den Herzögen und den Landständen, es kam zu keiner neuerlichen Erhebung. Reichssteuern seit 1489, die nicht mehr dem Glaubens-, sondern dem allgemeinen Krieg dienen sollten, wurden von den Herzögen ohne Steuerverhandlungen mit den Landständen bezahlt. Beim Gemeinen Pfennig von 1495 offenbarte sich erneut die Allianz von Herzögen und Landständen, die sich erfolgreich gegen eine Erhebung sperrten.
4. Analyse der Entwicklung im 15. Jahrhundert Versucht man diese Entwicklung zu erklären, ist zunächst ein Vergleich mit den Landsteuern nötig. Landsteuern gab es in Bayern seit Beginn des 14. Jahrhunderts36. Hundert Jahre später hatten sich bereits feste Formen der Besteuerung herausgebildet37. Bei der üblichen Form der sog. gemeinen Landsteuer gaben die
34
H. GOLLWITZER (Bearb.), Deutsche Reichstagsakten unter Maximilian I. Reichstage von Lindau, Worms und Freiburg 1496-1498 (RTA MR VI) Göttingen 1979,440,469,479, 609 f., 663, 669. 35 KRENNER (Anm. 7) XII413. 36 Dazu vor allem FRIED (Anm. 3); BOSL (Anm. 22) 61-63; G. GREINDL, Untersuchungen zur bayerischen Ständeversammlung im 16. Jahrhundert. Organisation, Aufgaben und die Rolle der adeligen Korporation (Miscellanea Bavarica Monacensia 121) München 1983, 102-126; G. GREINDL, Die landständische Steuerverwaltung im 16. Jahrhundert, in: ZBLG 54 (1991) 667-729, hier 667-672 (jeweils mit älterer Lit.; davon wichtig: O. GERBL, Die Kontrolle der Steuerverwendung durch die Landstände in Bayern, München 1911; W. HITZLBERGER, Das Steuerbewilligungsrecht der Landstände in Bayern bis zum Absolutismus, Jur. Diss. (Masch.schrift) Erlangen 1949). Die hier angegebenen Titel wie die Literatur im ganzen beschäftigen sich mit Steuerrecht und Steuerverwaltung, nicht jedoch mit den Steuererträgen. Deren Auflistung findet sich nur bei L. HOFFMANN, Geschichte der direkten Steuer in Baiern vom Ende des 13. bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts. Ein finanzgeschichtlicher Versuch (Staats- und Socialwissenschaftliche Forschungen 4,5) Leipzig 1883, 19 f., 25. 37 Vgl. etwa die oberbayerischen Steuerordnungen von 1396 und 1493; Druck bei HOFFMANN ( A n m . 3 6 ) 11-14 b z w . KRENNER ( A n m . 7) IX 2 4 7 - 2 5 4 ; z u 1493 a u c h J. E. v . SEYFRIED, Z u r G e -
schichte Bairischer Landschaft und Steuern bearbeitete Urkunden und Beilagen. Fortsetzung, Mün-
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Bauern (der "arme Mann") von fahrendem und aufliegendem Gut, Kleidern und Vieh eine in der Höhe wechselnde, bis zu fünfprozentige Vermögenssteuer, die Dorfhandwerker in etwa ebensoviel, Dienstboten von Bauern und Handwerkern 12,5 % des Lohns. Städte, Märkte, Klöster und Stifte bezahlten feste Sätze. Der Anteil an der Gesamtsteuersumme in Niederbayern verteilte sich folgendermaßen: "Klöster und Stifte" 21 %, "Städte und Märkte" 29 %, "Landgerichte und Herrschaften" (Bauern, Dorfhandwerker, Dienstboten) 50 %38. Welche Summen erbrachten diese Landsteuern? Walter Ziegler, der hierzu die Literatur und gedruckten Quellen systematisch auswertete, listet für Niederbayern im 15. Jahrhundert insgesamt sieben Landsteuern auf, deren Gesamtertrag er auf 490 000 fl. schätzt39. Ausgangspunkt für diese Schätzung sind die gesicherten Einkünfte von zwei Steuern der Jahre 1464 und 1474 mit 141 592 bzw. 69 817 fl. Bruttoertrag40. Ähnlich umfassende archivalische Recherchen, wie sie Ziegler zu den regulären Kammereinkünften durchführte, dürften für die Steuern noch zu höheren Schätzungen führen41. Am Ergebnis, daß die Landsteuern nur einen kleinen Teil des Haushalts der niederbayerischen Herzöge ausmachten (15 %, zweckgebundene Steuern mit eingerechnet), wird dies freilich kaum etwas ändern. Dieser Haushalt betrug im übrigen im jährlichen Durchschnitt 1451-1460 47 864 fl., im Schnitt 1491-1500 66 758 fl.42. Der Kammeretat von Oberbayern lag wesentlich niedriger, bei 15 822 fl. 1471/80 und bei 19 233 fl. 1491/150043. Die Landsteuern Oberbayerns sind ebenfalls nur auf der Basis gedruckter Quellen ermittelt. Ziegler listet im ganzen elf oberbayerische Steuern für das 15. Jahrhundert auf. Soweit wir die Erträge kennen (1468, 1473, 1476, 1493/94)44, liegen sie durchweg erheblich niedriger als in Niederbayern, in allen Fällen um 20 000 fl. Eine Hochrechnung auf dem bisherigen noch ungesicherten Stand ergäbe mit insgesamt etwa 240 000 fl. die Hälfte der Gesamtsteuersumme Niederbayerns im 15. Jahrhundert.
chen 1800, 336; ferner zu vergleichen die Abrechnung der Landsteuer in Niederbayern von 1474: München HStA, Altbaier. Landsch. Lit. 1508. 38 Zugrundegelegt ist dieser Berechnung der "Anschlag einer allgemeinen Steuer" (undatiert, wohl v o n 1 4 5 9 ) , g e d r u c k t b e i KRENNER ( A n m . 7 ) V I I 5 2 - 5 8 . 39
W. ZIEGLER, Studien zum Staatshaushalt Bayerns in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts. Die regulären Kammereinkünfte des Herzogtums Niederbayern 1450-1500, München 1981, 26,253. 40 Ebd. 253. Die Abrechnung gedruckt bei KRENNER (Anm. 7) VII 116-218; daraus geht hervor, daß es sich um eine fünfprozentige Vermögenssteuer handelte (mit dem für das 15. Jahrhundert außerordentlichen Satz von 12 Pfennigen vom Pfund Vermögen für den "armen Mann"). 41 Bislang nicht bekannt waren etwa Steuern der Jahre 1470, 1480 und 1483 (München HStA, Altbaier. Landsch. Lit. 1497, 1498, 1509, 1512). 42 ZIEGLER (Anm. 39) 263; A. KRAUS, Sammlung der Kräfte und Aufschwung, in: SPINDLER/ KRAUS ( A n m . 3 ) II 2 9 4 f. 43
44
ZIEGLER ( A n m . 3 9 ) 2 6 4 .
KRENNER (Anm. 7) V 349-369; VIII 127-148, 214-232, 318; IX 251 f., 255-279. Der "Catastralanschlag" im Oberland (ohne Städte und Märkte) betrug 1468 15 319 Pfund (17 365 fl.), dazu 4429 fl. aus dem Nordgau; KRENNER V 369. Die Landsteuer von 1476 (wohl 2 Pfennige vom Pfund Vermögen) ergab 10 806 Pfund (12 349 fl.) bei Verwaltungskosten von 814 Pfund; KRENNER VIII 214-232. Die Landsteuer von 1493 wurde veranschlagt mit 16 000 fl. für das Oberland, mit 5700 fl. für das Niederland und mit 2800 fl. für den Nordgau; KRENNER IX 251. Vgl. auch HOFFMANN (Anm. 36) 24-32 passim. Steuerabrechnungen für das 15. wie für das 16. Jahrhundert sind nur selten aufzufinden. Die Quellen lassen oft nur Vermutungen zu, welcher Steuersatz den jeweiligen Summen zugrundelag.
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Beziehen wir darauf die Quantitäten der Reichssteuern, so ist deren geringe Bedeutung evident. Die Hussitensteuer mit ihrem Satz von einem böhmischen Groschen pro Kopf der Bevölkerung dürfte in allen bayerischen Herzogtümern maximal rund 20 000 fl. erbracht haben45. Die Summen, die bayerische Herzöge um 1490 an Kaiser und Reich zahlten, waren vergleichsweise ebenso bescheiden wie die Beträge, die beim Gemeinen Pfennig 1495 zu erwarten waren, aber in Ober- und Niederbayern eben nicht eingesammelt wurden. In Sachsen und Württemberg etwa, in vergleichbar großen Herzogtümern also, belief sich der Gemeine Pfennig 1495 auf 6692 fl. bzw. 4976 fl.«. Auch die Matrikularanschläge des Reichs, die freilich oft nicht geleistet wurden, hielten sich in bescheidenem Rahmen. Am stärksten wurde Herzog Georg 1481, 1486 und 1488 mit 200 Reitern und 200 Knechten belastet. Die Anschläge von 1481 und 1486 befolgte er nicht, den Anschlag von 1488 löste er mit Geld ab. Die geringfügigen Truppenhilfen für das Reich hätten die militärischen Ressourcen Niederbayerns nicht angegriffen. Beim Landesaufgebot des Jahres 1461 während des Kriegs Ludwigs des Reichen gegen Brandenburg stellten allein die Städte und Märkte Niederbayerns 299 Reiter und 2743 Knechte zur Verfügung 47 . Nach dem Vergleich der Quantitäten bleibt vor allem noch die Frage zu beantworten, weshalb die bayerischen Herzöge seit 1471 manche Steuern erhoben und ablieferten, andere aber verweigerten. Die Steuern kamen dem Kaiser zugute, und damit war die Steuerzahlung Teil der Beziehungen zu Habsburg. Diese aber waren 1471 positiv nach der Versöhnung Herzog Ludwigs mit Kaiser Friedrich III. im Jahr 1468. Daran hatte sich auch um 1480 nichts geändert, doch hätten Hilfen zu dieser Zeit Friedrich III. mehr gegen die Ungarn gestärkt, die 1479 in der Steiermark und in Kärnten eingefallen waren, als gegen die Türken48. Weder Herzöge noch Landstände wollten jedoch dem Kaiser gegen die Ungarn beistehen. Um die Mitte der 1480er Jahre begann sich das Verhältnis der Herzöge zum Haus Habsburg wegen des Streits Albrechts IV. um Regensburg und wegen der Händel Georgs im schwäbischen Raum zu verschlechtern. Seit 1489 änderten sich die habsburgisch-wittelsbachischen Beziehungen erneut. Die Wittelsbacher vertauschten die Rolle der Opponenten mit der Rolle der Abhängigen: Georg der Reiche brauchte den Kaiser gegen den Schwäbischen Bund49, Albrecht IV. gegen den Löwlerbund. Dies mag eine Erklärung für die Steuerzahlungen zu Beginn der 1490er Jahre sein, nicht aber für das Verhalten beim Gemeinen Pfennig 1495. Die Herzöge lehnten ihn ab, weil sie seine Verwendung im Dienst der königlichen Politik befürchteten und weil die Steuer ihre Territorialhoheit schmälerte, so 45
Eine Bevölkerungsschätzung liegt nur für das Ende des 16. Jhs. mit 900 000 Einwohnern vor: D. ALBRECHT, Staat und Gesellschaft 1500-1745, in: SPINDLER/ KRAUS (ANM. 3) II 626. Da zu Beginn des 15. Jahrhunderts mit wesentlich niedrigeren Zahlen zu rechnen ist und der Kreis der Steuerpflichtigen nur Männer und Frauen über 15 Jahre umfaßte, ist mit höchstens 400 000 Besteuerten zu rechnen. 46 SCHMID (Anm. 4) 527, 529. 47 München HStA, Altbaier. Landsch. Lit. 1938, fol. 3-38. 48 A. BACHMANN, Deutsche Reichsgeschichte im Zeitalter Friedrich III. und Max I., Bd. 2, Leipzig 1894, 708-712. 49 R. STAUBER, Herzog Georg der Reiche von Niederbayern und Schwaben. Voraussetzungen und Formen landesherrlicher Expansionspolitik an der Wende vom Mittelalter zur Neuzeit, in: ZBLG 49 (1986)611-670.
REICHSSTEUERN IN BAYERN IM 15. U N D 16. JAHRHUNDERT
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50
lautet die herkömmliche Begründung . Warum aber lehnten ihn auch die Landstände ab? Wohl nicht aus Solidarität mit den Herzögen und nicht allein, weil sie Steuern grundsätzlich nur zögernd bewilligten. Entscheidend war, daß der Gemeine Pfennig in das bereits gefestigte bayerische Steuersystem nicht paßte. Den Ständen wurde die Steuerverwaltung aus den Händen genommen; die Besteuerung der Untertanen erfolgte auf andere Weise als bei den gemeinen Landsteuern üblich. Die Untertanen hatten beim Pfennig erheblich weniger zu zahlen, was künftige Landsteuern nur erschweren konnte; die Stände dagegen, namentlich der Adel, wurden unmittelbar besteuert. Der Gemeine Pfennig vertrug sich also nicht mit der Territorialverfassung Bayerns, und dies war ebenso ein wesentlicher Grund für die Ablehnung, der im 16. Jahrhundert stetig deutlicher wurde. 5. Reichssteuern und Territorialsteuern in Bayern 1500-1543 Wenden wir uns im weiteren der Entwicklung im 16. Jahrhundert zu. Mehrere Reichstage zwischen 1500 und 1518 verabschiedeten Matrikularhilfen, Steuern und Steuerprojekte, mit denen Kriege gegen Ungarn oder die Türken (1500, 1505, 1518)51, Italienzüge (1507, 1510)52 und die Wahrung des Reichsfriedens (1512)53 finanziert werden sollten. Inwieweit die Reichsstände diese Beschlüsse (1500-1512)54 und Projekte (1518) vollzogen, ist noch gänzlich ungeklärt55, jedoch steht zu vermuten, daß das meiste nicht realisiert wurde. Mit Ausnahme der Reichskriegshilfe des Augsburger Reichstags von 1500 hat auch offenbar keiner dieser Reichsschlüsse die bayerischen Stände näher beschäftigt56. Die von einem Augsburger Reichstag im Jahr 1500 beschlossene Reichskriegshilfe sollte sechs Jahre lang geleistet werden. Es handelte sich um eine 50
SCHMID (Anm. 4) 379-392. Ulm, Stadt-A., A 623 fol. 27r, 31v, 33r, 37r (Städteregistratur); NEUE SAMMLUNG (Anm. 19) II 103, 169 f. 52 NEUE SAMMLUNG (Anm. 19) I I I 04-111, 132 f. 53 Ebd. 137-141, 147. 54 Zur Steuer von 1500 siehe die folgende Darstellung. 1505 wurden bewilligt: 4 0 0 0 Knechte, 1000 Reiter fiir ein Jahr (statt eines Reiters ersatzweise 10 fl. pro Monat, es handelte sich also um eine Truppenhilfe, die auch in Geld geleistet werden konnte); in Geld umgerechnet entsprach die Bewilligung 3 1 2 0 0 0 fl. (Fußknecht zu 4 fl., Reiter zu 10 fl.). 1507 erklärten sich die Stände bereit, 120 0 0 0 fl. zu geben; eine Romzugmatrikel listete 3791 Reiter und 4 7 2 2 Fußknechte auf, w o v o n allenfalls 1000 Mann erschienen sein sollen. 1510 wurde wiederum eine Hilfe wie 1505 für ein Jahr gewährt (312 000 fl., falls die Steuer bezahlt wurde). 1512 bewilligten die Stände einen Gemeinen Pfennig für sechs Jahre und eine eilende Hilfe von drei Monaten nach dem Kölner Anschlag von 1505 (entspricht 78 000 fl.); der Gemeine Pfennig wurde mit Sicherheit nicht realisiert. Vgl. NEUE SAMMLUNG (Anm. 19) II 104-111; J. JANSSEN (Hg.), Frankfurts Reichscorrespondenz nebst anderen verwandten Aktenstücken von 1376-1519, II: A u s der Zeit Friedrichs III. bis zum Tode Kaiser Maximilians I. 1440-1519, Freiburg i.Bg. 1872, Nr. 1093; H. ULMANN, Kaiser Maximilian I. A u f urkundlicher Grundlage dargestellt, Bd. 2, Stuttgart 1891 ( N D 1967) 582-585; H. WlESFLECKER, Kaiser Maximilian I. Das Reich, Österreich und Europa an der Wende zur Neuzeit, IV: Gründung des habsburgischen Weltreiches. Lebensabend und Tod 1508-1519, München 1 9 8 1 , 4 f., 267, 271 f. 51
55 J. SffiBER, Zur Geschichte des Reichsmatrikelwesens im ausgehenden Mittelalter (1422-1521) (Leipziger Historische Abhandlungen 2 4 ) Leipzig 1910; P. SCHMID, Reichssteuern, Reichsfinanzen und Reichsgewalt in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts, in: H. ANGERMEIER (Hg.), Säkulare Aspekte der Reformationszeit (Schriften des Historischen Kollegs. Kolloquien 5) München-Wien 1983, 153-216. 56 HOFFMANN (Anm. 36) 31 f.
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Einkommens- und Kopfsteuer, die wie der Gemeine Pfennig von 1495 die Untertanen ebenso wie den Landesklerus, den Landesadel und die Reichsstände unmittelbar erfassen sollte57. Sofort nach dem Reichsabschied am 10. September 1500 schrieb Herzog Albrecht IV. einen Landtag aus58, der tatsächlich im November die Steuer genehmigte, allerdings mit bezeichnenden Änderungen gegenüber den Reichsbeschlüssen59: Die oberste Steuerverwaltung sollte in den Händen von vier Verordneten der Landstände und einem fürstlichen Rat liegen. Prälaten, Adel und Bürger konnten die Steuer in eigener Vollmacht von ihren Grundholden erheben, der Herzog sollte seine Kasten-, Urbars- und Gerichtsleute besteuern. Der Landschaftsbeschluß enthielt schließlich die Klausel, daß die Steuer im Land bleiben sollte, wenn sie im übrigen Reich nicht vollzogen werde60. Die Landstände hatten damit die dem Gemeinen Pfennig ähnliche Steuerordnung des Reichs von 1500 so umgeformt, daß sie in die Steuer- und Territorialverfassung Bayerns paßte. Die Erhebung der Steuer lag nicht allein bei fürstlichen Beauftragten, die Verwahrung und Verwaltung nicht bei Reichskommissaren und Reichsschatzmeistern, wie es die Ordnung des Gemeinen Pfennigs 1495 vorgesehen hatte61. Es war nach wie vor nicht auszuschließen, daß die Hilfe von 1500 das Fundament zu einer Regierungstätigkeit des Reichsregiments legen könnte wie schon 1495, obgleich die primäre Zweckbindung und Legitimation der Reichskriegshilfe von 1500 die Türkengefahr darstellte. Indessen lag die letzte Entscheidung über die Verwendung der Steuer in Bayern, denn das Geld sollten zunächst die Verordneten der bayerischen Landstände und des Herzogs verwahren. Auch das war ein wichtiger Unterschied zu 1495. Das Geld dürfte demgemäß in Bayern geblieben sein, denn die Gesamtheit der Reichsstände vollzog die Steuer von 1500 nicht62. Für die Zeit nach 1500 sind Beschlüsse bayerischer Landtage zu Reichssteuern nicht bekannt. Dies gilt ebenso für die Romzugmatrikel des Wormser Reichstags 1521, deren Teilbeträge ohnehin erst schrittweise bis 1530 bereitgestellt wurden63. Diese eigentlich für den Romzug vorgesehene Steuer wurde für den Türkenkrieg verwendet. Ihr Gesamtbetrag belief sich nominell auf ca. 720 000 fl.64. 57 Beschreibung der Verhandlungen und der Steuer von 1500 bei H. WIESFLECKER, Kaiser Maximilian I. Das Reich, Österreich und Europa ein der Wende zur Neuzeit, II: Reichsreform und Kaiserpolitik 1493-1500. Entmachtung des Königs im Reich und in Europa, München 1975, 371-373. 58 Zweifellos spielte dabei eine Rolle, daß der Herzog zum Kriegshauptmann der Ordnung von 1500 bestimmt worden war. 59
N E U E S A M M L U N G ( A N M . 1 9 ) II 6 0 - 6 2 .
60
KRENNER (Anm. 7) IX 475-480. "Protocoll" über die Verhandlungen des Landtags. Der Steuersatz für die Grundholden war dem Herzog und den einzelnen Landständen freigestellt. Zwar sollten 400 Personen zusammen 50 fl. (= Besoldung für einen Fußknecht für ein Jahr) geben, aber dabei sei der reiche mehr, der arme minder heranzuziehen, hieß es vage im Beschlußprotokoll der Landstände. 61 H. ANGERMEIER (Bearb.), Deutsche Reichstagsakten unter Maximilian I. Reichstag von Worms 1495 (RTA MR V) Göttingen 1981, Nr. 448. 62
63
WIESFLECKER II ( A n m . 5 7 ) 3 7 9 f .
A. WREDE (Bearb.), Deutsche Reichstagsakten unter Kaiser Karl V. Reichstage zu Nürnberg 1522/23 (RTA Jüngere Reihe [im folgenden zit.: RTA JR] III), Gotha 1901 (ND 1963), 27 f., 171 f; A. WREDE (Bearb.), Deutsche Reichstagsakten unter Kaiser Karl V. Reichstag zu Nürnberg 1524 (RTA JR IV) Gotha 1905 (ND 1963), 432 f., 606; J. KÜHN (Bearb.), Deutsche Reichstagsakten unter Kaiser Karl V. Aktenstücke von Januar 1527 bis April (Mai) 1529 (RTA JR VII/2) Stuttgart 1935 (ND 1963), 1310 f. 64 RTA JR III (Anm. 63) Nr. 18.
R E I C H S S T E U E R N I N B A Y E R N I M 15. U N D 16. J A H R H U N D E R T
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Das entsprach einer einzutreibenden Summe von etwa 400 000 fl. bis 500 000 fl., immerhin noch einem Mehrfachen des Gemeinen Pfennigs von 1495, der etwa 100 000 fl. eingebracht hatte. Bayern bezahlte gemäß seinem Matrikularanschlag 10 968 fl., wofür keine eigene Steuer im Land erhoben wurde. Sieben Reichstage zwischen 1522 und 1529 beschlossen keine neue Türkensteuer, lediglich die Freigabe des Matrikelertrags von 1521; dabei waren seit 1526 die habsburgischen Erblande und das Reich durch die Osmanen fundamental bedroht, mehr denn je und mehr auch als im weiteren Verlauf des 16. Jahrhunderts. Trotz der Zurückhaltung des Reichs hat die Türkengefahr der 1520er Jahre das System der bayerischen Landsteuern tiefgreifend verändert. Seit 1522 machten kaiserliche Mandate, von den Kanzeln verlesen, die Bevölkerung des Landes mit des turckens erschrockenlichem fiirnemen im Heiligen Reich bekannt, nach der Schlacht von Mohäcs 1526 riefen Mandate zu einem eyllenden hörzug auf 65 . Von den Reichstagen kamen seit 1522 zwar keine neuen Steuerbeschlüsse, aber doch Forderungen und ständige Impulse, Landtage einzuberufen und über die Türkendefension zu beraten. Diese endeten 1522/23 ohne greifbares Ergebnis, weil die Herzöge gemäß den Vorgaben der Reichstage Steuermodelle proponierten, die dem Gemeinen Pfennig glichen66, und weil die Bedrohung durch die Türken noch nicht akut war. Der Durchbruch bei den Landtagsverhandlungen kam erst nach der Schlacht bei Mohacs und nach der Aufforderung der Esslinger Reichsversammlung 1526, Österreich, Sachsen, Brandenburg und Bayern sollten sich wegen einer eilenden Hilfe gegen die Türken absprechen. Auf dem Ingolstädter Landtag vom September 1526 verlangten Wilhelm IV. und Ludwig X. die Finanzierung eines Kontingents von 20 000 Mann auf acht Monate, welche das Heer Erzherzog Ferdinands verstärken sollten. Die Stände erklärten sich in ihrer Replik nur zu 5000 Mann zu Fuß auf sechs Monate bereit. Es begann ein zähes Feilschen, in dessen Verlauf die fürstlichen Räte eine allgemeine dreiprozentige Vermögenssteuer unter Einschluß von Klerus, Adel und Bürgern verlangten67. Dies erklärten die Stände für völlig unmöglich, da sie dann ihre Vermögensverhältnisse offenlegen müßten. Immerhin aber bewirkte der Vorstoß der Herzöge, daß die Landstände grundsätzlich akzeptierten, sich selbst von der Steuer nicht auszuschließen. Resultat war ein für Bayern neues Steuermodell, bei dem die bisherige allgemeine Landsteuer auf den ungewöhnlichen Satz von 3,3 Prozent vom Vermögen (acht Pfennige vom Pfund Vermögen) angehoben und durch eine Standsteuer ergänzt wurde. Land- und Standsteuer zusammen nannten die Stände nicht steur, sondern hilfgeld oder turckengeld68, damit deren besondere 65
München HStA, Kurb. Geh. Landesarchiv 1254, fol. 35. Wilhelm IV. vom Reichstag zu Nürnberg an den Landhofmeister Christoph von Schwarzenberg, 11.4.1522; ebd. 1256, fol. 201 gedrucktes Mandat 1526. 66 FREYBERG (Anm. 10) II 200-203. Münchener Landtag im August 1522; Kanzler Augustin Lösch proponierte eine gemischte Einkommens- und Vermögenssteuer, die insbesondere den bäuerlichen Besitz mit dem enormen Satz von 15 % belegt hätte. 67 Die Verhandlungen führten Augustin Lösch, Augustin Köllner, Christoph von Schwarzenberg, Leonhard Eck, Kaspar Perndorfer. Es spiegelt die Dramatik der Verhandlungen, daß die fürstlichen Räte erstmals zu den Beratungen des Landschaftsausschusses zugelassen wurden: E. METZGER, Leonhard von Eck (1480-1550). Wegbereiter und Begründer des frühabsolutistischen Bayern, München-Wien 1980, 133 f.; Akten in München HStA, Kurb. Geh. Landesarchiv 1256-1258. 68 München HStA, Kurb. Geh. Landesarchiv 1256, fol. 72v.
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Legitimation auch im Namen dokumentiert wurde. 1526 beschlossen, um eine möglichst hohe Summe zum Türkenkrieg zu erhalten, sollte dieses Modell jedoch seit den 1540er Jahren rasch zur Regelsteuer im Herzogtum Bayern werden. Zur Standsteuer von insgesamt 100 000 fl. zahlten die Prälaten 50 000 fl., der Adel 10 000 fl., Städte und Märkte 40 000 fl. Was war neu an diesem Modell? Die Steuer von 1526 hatte erstens einen sehr hohen Erhebungssatz, sie erfaßte zweitens erstmals die Landstände selbst, und sie dehnte drittens auch den Kreis der Steuerpflichtigen aus. Die Räte und Amtleute am Hof und im Land mußten 10 % ihres Einkommens geben, alle Nichtbayern 33 % von ihren Einkünften im Land, und selbst der nicht landsässige Adel wurde besteuert. Pfarrer zahlten 1 % Vermögenssteuer, die Orden 5 % Einkommensteuer, geistliche Korporationen auswärtiger Stifte ein Sechstel (Kapitel, Stifte, Klöster aus den benachbarten Bistümern Freising, Regensburg, Passau usw.), sonstige auswärtige geistliche Korporationen ein Drittel Einkommensteuer, sofern sie aus bayerischen Besitzungen Einkünfte bezogen69. Diese Erweiterungen gegenüber der bisherigen Praxis wurden seit 1554 zur Regel bei allen bayerischen Landsteuern. 1554 änderte sich gegenüber den Bestimmungen von 1526 lediglich, daß die Dienstboten der Stände 30 oder 45 Pfennige vom Pfund Einkommen zu geben hatten; sie waren 1507/26 noch steuerfrei gewesen. Kapitel, Stifte, Klöster aus den benachbarten Hochstiften führten ein Viertel ihres Einkommens ab statt, wie bisher üblich, ein Sechstel. Für den Ertrag der Landsteuern von Bedeutung war ausschlaggebend nicht die Ausdehnung des besteuerten Personenkreises, sondern der Steuersatz für den Gemeinen Mann. Schrieb man bisher in der Regel Steuern von zwei, vier oder sechs Pfennigen pro Pfund Vermögen aus, so stieg der Satz nach 1527 auf sechs oder - wie 1526/27 auf acht Pfennige pro Pfund; in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts erhoben die Stände dann acht, zehn oder zwölf Pfennige. Eine Steuerabrechnung der 1527 eingezogenen Land- und Standsteuer70 verzeichnet für die Rentämter München und Burghausen 151 845 fl. (Ausstände noch 6660 fl.), für die Rentämter Straubing und Landshut 83 469 fl. (Ausstände noch 2381 fl.); für die Steuererhebung wurden 15 699 fl. ausgegeben, beim Ertrag waren noch nicht eingerechnet 9220 fl. aus den Hofmarken des Klerus71. Das Gesamtaufkommen von Stand- und Landsteuer zusammengerechnet betrug mit69
Für die Praxis bis 1526 siehe die Steuerordnung von 1507, gedruckt bei KRENNER (Anm. 7) XVI 243-258. Die Steuerordnung von 1526 referiert bei BOSL (Anm. 22) 110-112, Ordnung selbst (u.a.) in München HStA, Kurb. Geh. Landesarchiv 1270, fol. 42-45. 70 München HStA, Kurb. Geh. Landesarchiv 1255, fol. 200-205. Undatierte Abrechnung, ohne explizite Zuordnung zur Türkensteuer von 1526/27. Für die Zuordnung spricht: a) Die Steuer wird als hilfgeld bezeichnet, b) Die Steuer ist den 1520er Jahren zuzurechnen, in diesem Zeitraum hat nur der Landtag 1526 eine Steuer in einer solchen Höhe bewilligt, c) Es werden jeweils die Rentämter München und Burghausen sowie Landshut und Straubing zusammen verrechnet, wie dies die Instruktionen des Landtags von 1526 für die Endabrechnung vorsehen (München HStA, Kurb. Äuß. Archiv 2155). d) Es liegt eine gesonderte Teilrechnung des Rentamts Landshut vor, die nur den Beitrag der Städte und Märkte noch nicht enthält. Sie ist ausdrücklich als Abrechnung der Türkensteuer 1526/27 gekennzeichnet. Daraus ergibt sich für das Rentamt Landshut eine Summe von etwa 50 000 fl., die sich auch aus der Summe der verwendeten undatierten Gesamtabrechnung ableiten läßt (die Abrechnung für das Rentamt Landshut in München HStA, Kurb. Äuß. Archiv 2156, fol. 29v). 71 Bei BOSL (Anm. 22) 113, findet sich eine Steuerabrechnung für das Rentamt Landshut, die aber so nicht stimmen kann (der Beitrag der Städte ist z.B. viel zu gering).
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hin brutto 269 274 fl., eine in der Höhe völlig neue Dimension, gemessen an den Steuern des 15. und beginnenden 16. Jahrhunderts. Die erste große Landsteuer des vereinigten Herzogtums Bayern im Jahr 1507 hatte noch - Verwaltungskosten und Ausstände eingerechnet - die bis dahin beträchtliche (Brutto-) Summe von insgesamt rund 129 000 fl. eingebracht72. Die Steuereinkünfte 1507 pro Rentamt beliefen sich auf: München 34 555 fl., Landshut 23 053 fl.73, Burghausen 25 565 fl., Straubing 9495 fl. Hinzu kamen die Steuern der Städte und Märkte, die bei den Landsteuern einen eigenen Beitrag leisteten, mit 24 426 fl.; an Ausständen wurden noch erwartet 4646 fl. Ferner war noch nicht eingerechnet der Beitrag des "obern und untern Waldes" (Dietfurt, Mitterfels, Kötzting etc.) mit zu erwartenden rund 7000 fl. Vermutlich handelte es sich um einen Steuersatz von vier Pfennigen pro Pfund Vermögen. Nach dem Modell von 1507 wurden seit 1527 bis 1542 wieder alle Steuern erhoben, also ohne Beteiligung der Stände und mit einem verkleinerten Kreis der Steuerpflichtigen, aber mit einem höheren Satz von sechs oder acht Pfennigen pro Pfund Vermögen74. Die Türkensteuer von 1527 verblieb zunächst in den Kassen der Stände, die sich jedoch im Januar 1529 auf Drängen der Herzöge bereiterklärten, das Geld auch gegen andere Feinde als die Türken einzusetzen75. Es wurde noch im gleichen Jahr zumindest zum Teil ausgegeben für das bayerische Kontingent innerhalb des Reichsheers unter Pfalzgraf Friedrich, das aus 100 Reitern und 2000 Fußknechten bestand76. Mit der Steuer von 1527 wurde wohl auch die vom Reichstag 1530 festgelegte und 1532 freigegebene eilende Reichshilfe von 12 Römermonaten bestritten77. Bayern hatte nominell 60 Reiter und 277 Knechte ein Jahr lang zu unterhalten; dies entsprach einem Gegenwert in Geld von 21 936 fl. Mit Sicherheit haben die bayerischen Herzöge das Reichsheer von 80 000 Mann 1532 mit wesentlich stärkeren militärischen Kräften unterstützt. 1532 erhoben daher die Herzöge zum Unterhalt der Hilfsvölker beim Reichsheer eine eigene Vermögenssteuer innerhalb der einzelnen Hofmarken unter Berufung auf den Reichsabschied 1532, der die Musterung des 5., 10. und 15. Manns anordnete78. 72
KRENNER (Anm. 7) XVI 317-323 (Abrechnung); dazu auch H. RANKL, Staatshaushalt, Stände und "Gemeiner Nutzen" in Bayern 1500-1516 (Studien zur bayerischen Verfassungs- und Sozialgeschichte 7) München 1976, 48. Derartige Steuerabrechnungen sind außerordentlich selten in den Akten aufzufinden; bei der Steuer von 1507 ist - aufgrund des gedruckten Materials bei Krenner nicht sicher, wie hoch der Steuersatz in Pfennigen pro Pfund Vermögen war. 73 Die Abrechnung in Einzelposten für das Rentamt Landshut siehe in: München HStA, Altbaier. Landsch. Lit. 1530 (17.4.1508). 74 Die Nettoerträge der Landsteuer von 1538 (abzüglich der Verwaltungskosten und Ausstände) für die Rentämter Straubing und Landshut: 17 617 fl. bzw. 31 153 fl.; der Steuersatz betrug sechs Pfennige pro Pfiind Vermögen (München HStA, Altbaier. Landsch. Lit. 1960, 1961). 75 FREYBERG (Anm. 10) II 214-218. Abrechnung für das Rentamt Landshut durch den Rentmeister Ludwigs X., Konrad Zeller, von 1533 in München HStA, Altbaier. Landsch. Lit. 1517. 1535 wurde wieder eine der bisher üblichen Landsteuern nach dem Muster von 1507 erhoben (Instruktion in München HStA, Altbaier. Landsch. Lit. 1941, unfol.). 76 G. J. PANZER, Versuch über den Ursprung und Umfang der Landständischen Rechte in Baiern. Ein Beitrag zum Baierischen Staatsrechte, o.O. 1798,234. 77
NEUE SAMMLUNG ( A n m . 19) II 3 2 2 - 3 2 5 , 3 5 3 f.; A. WESTERMANN, D i e T ü r k e n h i l f e u n d die poli-
tisch-kirchlichen Parteien auf dem Reichstag zu Regensburg 1532 (Heidelberger Abh. zur mittleren und neueren Geschichte 25) Heidelberg 1910, 108-112. 78 FREYBERG (Anm. 10) II 228 f.; Mandat gedruckt bei SEYFRIED (Anm. 37) 316-319.
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Nach einer Phase der Beruhigung an der Türkenfront ab 1533 flammten seit dem Tod des Fürsten von Siebenbürgen, Johann Zapolya, 1540 bis zum Frieden von Adrianopel 1547 von neuem heftige Kämpfe auf. In drei Jahren, von 1541 bis 1544, stellte das Reich Karl V. und Ferdinand I. zur Türkenabwehr Steuern in einer Anzahl und Höhe zur Verfugung, wie es zuvor noch nie der Fall gewesen war: 1541 eineinhalb Römermonate, 1542 einen Gemeinen Pfennig, 1543 sechs Römermonate, 1544 erneut einen Gemeinen Pfennig79. Wie reagierten die bayerischen Herzöge und die bayerische Landschaft auf die Ansprüche des Reichs? Gemäß der bisherigen Praxis wurden die Matrikelsteuern nicht gesondert erhoben, sondern aus der allgemeinen Landsteuer, die ja weit mehr einbrachte, beglichen. Ein Münchener Landtag vom September 1541 bewilligte zwei Landsteuern zu acht Pfennigen vom Pfand Vermögen (3,3 %), die 1542/43 erhoben werden und von denen 300 000 fl. für die Türkenabwehr zur Verfügung stehen sollten80. Daraus wurden die 13 710 fl., die Bayern für die Römermonate 1541/43 aufbringen mußte, ans Reich abgezweigt. Zugleich bezahlten die Herzöge daraus Söldnertruppen, die sie 1542/43 zur Türkenabwehr bereithielten und auch nach Wien zur Unterstützung des Reichsheers schickten. Außerdem floß ein Großteil der beiden Steuern von 1542/43 in die ständische Schuldentilgungskasse81. Der Gemeine Pfennig des Speyerer Reichstags 1542 dagegen wurde in Bayern gesondert erhoben. Die Steuereinnehmer des bayerischen Kreises hatten bereits im Oktober 1542 nahezu die gesamte Summe gesammelt. Es handelte sich um ca. 110 000 fl. aus allen Territorien des Kreises, wobei nur noch geringe Ausstände aus Bayern und Salzburg fehlten82. Der Reichsabschied zu Nürnberg vom 20. August 1542 sah erneut einen Gemeinen Pfennig vor, der Reichstag zu Nürnberg im April 1543 bestätigte dies83. Wilhelm IV. verlangte dessen Einhebung auf einem Landshuter Landtag am 26. Juni 1543. Die Stände jedoch lehnten sofort ab und nannten dafür vier Gründe: 1. Alle Ausländer geistlicher und weltlicher Unterthan gäben beim Gemeinen Pfennig nichts. 2. Die Steuer werde bei vielen ring und schlecht geacht, so daß nur geringe Summen zu erzielen seien. 3. Adel und Stände würden wider ihre Freiheiten belegt, obwohl besonders der Adel gegen die Türken mit eigenen Rüstungen gewärtig sei. 4. Der eigentlich schon bewilligte Nürnberger Gemeine Pfennig werde bisher nirgendwo im Reich eingezogen84. 79
J. MOLLER, Veränderungen im Reichsmatrikelwesen um die Mitte des 16. Jahrhunderts, in: Zs. des Histor. Vereins für Schwaben und Neuburg 23 (1896) 115-176; J.MÜLLER, Das Steuer- und Finanzwesen des H. R. Reiches im XVI. Jahrhundert, in: Neue Jahrbücher für das klassische Altertum, Geschichte und deutsche Literatur 5 (1902) 652-678, hier 660 f.; NEUE SAMMLUNG (Anm. 19) II 441, 446, 484; P. HEIDRICH, Karl V. und die deutschen Protestanten am Vorabend des Schmalkaldischen Krieges I: Die Reichstage 1541-1543 (Frankfurter Histor. Forschungen 5) Frankfurt/M. 1911, 143 f. 80 LERCHENFELD-ROCKINGER (Anm. 21) 146 f., 55. Freibrief vom 30.1.1543. 81 Der Landtag im Herzogthum Baiern gehalten zu Landshut im Jahre 1543. Nebst dem AusschußTag vom nämlichen Jahre, o.O. 1807, 71-74 (im folgenden zit.: LANDTAG 1543): Fürstliche Triplik vom 3. Juli; die Herzöge bitten um einen Vorschuß von 26 000 fl. zur Besoldung von drei gemusterten Fahnen Knechte (ca. 1000 Mann). Ebd. 159-165 Instruktion zur Verwendung der Steuern. Nach der Rechnungslegung vom 10.12.1544 wurden 59 511 fl. wider den Türken ausgegeben (ebd. 237); die Steuer von 1543 wurde also im wesentlichen zur Schuldentilgung verwendet. 82 München HStA, Kurb. Äuß. Archiv 3576, fol. 216 ff. Abschied des Kreistags zu Straubing vom 19.10.1542. 83
84
NEUE SAMMLUNG ( A n m . 19) II 4 7 8 f.
LANDTAG 1543 (Anm. 81)62-69: Duplik der Landstände vom 1.7.1543.
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Diese Begründungen waren zutreffend, sie sind freilich noch zu ergänzen. Der Gemeine Pfennig umging fundamentale Rechte der Ständekorporation: die Bewilligung, Erhebung und Verwaltung der Steuer. Für Bayern jedenfalls läßt sich gegen die bisherige Auffassung sagen, daß nicht so sehr die Fürsten aus reichspolitischen, sondern die Landstände aus territorialpolitischen Gründen den Gemeinen Pfennig verhinderten, weil er die territoriale Finanz- und Herrschaftsordnung störte. Daher auch boten die Landstände auf dem Landtag von 1543 an, trotz der hohen Belastungen der Vergangenheit - seit 1537 waren fünf Landsteuern erhoben worden85 - erneut eine Steuer auszuschreiben. Die Herzöge akzeptierten, allerdings wie schon 1526 mit der Forderung, die Stände müßten angesichts der Türkengefahr und der hohen Belastung des Gemeinen Mannes beisteuern. Sie verwiesen dabei ausdrücklich auf den Reichsabschied von 1543, gemäß dessen Verfugungen auch die Obrigkeiten steuern sollten86. Wiederum wie 1526 war es der von Reich und Türkengefahr ausgehende Impuls, der die Stände nachgeben ließ. Ergebnis des bedeutenden Landshuter Tags von 1543 war die Wiederbelebung des Steuermodells von 1526/27. Die Stände belegten sich selbst und bewilligten eine Standsteuer von 100 000 fl., die sie mit einer Landsteuer zu acht Pfennigen pro Pfund Vermögen kombinierten87.
6. Reichssteuern und Territorialsteuern in Bayern ab 1545 Der Landtag von 1543 war eine grundlegende Weichenstellung, wie sich seit dem Münchener Landtag von 1545 zeigte. Die Schulden von 700 000 fl., die Herzog Ludwig X. hinterließ88, machten 1545 eine Steuer notwendig, die möglichst viel einbrachte. Die Stände griffen deshalb auf das Steuermodell von 1526/27 und 1543 zurück, wobei nun die Standsteuer nur noch 80 000 fl. betrug; die Landsteuer umfaßte den erweiterten Kreis von Steuerzahlern wie 1526/27 und 1543. 154789, 1552 und 1553 verabschiedeten Landtage wiederum Steuererhebungen nach diesem Modell der kombinierten Land- und Standsteuer90. Die oft zitierte Steuerinstruktion von 155491 fixierte die Regelungen schließlich nach dem Vorbild von 1526/27; sie wurde Grundlage aller späteren Instruktionen im 16. Jahrhundert, mutatis mutandis bis zum Ende des Ancien Régime. Wie hoch waren die Einkünfte nach diesem ertragsfähigeren Modell? Bei einem Satz von acht Pfennigen pro Pfund Vermögen verrechneten die ständischen 85
LERCHENFELD-ROCKINGER (Anm. 21) 143 f., 54. Freibrief, 1540. Die Herzöge hätten, um einem ein/all der Türken vorzubeugen, 1538 und 1539 Landsteuern zu 6 Pfennigen pro Pfund Vermögen einziehen lassen; dies sei bisherigen Handfesten und Freiheiten zuwider. Zur Steuer 1537 METZGER (Anm. 6 7 ) 1 5 1 . 86 NEUE SAMMLUNG (Anm. 19) II 487: Die Obrigkeiten sollen auch zu diesem Christlichen Werck sich gleicher massen/wie die Unterthanen selbst angreiffen/und Mitleiden tragen, dardurch der Gemeine Mann, und alle Unterthanen desto mehr zu solcher Anlag bewegt [...]. 87
LANDTAG 1 5 4 3 ( A n m . 8 1 ) 1 6 7 - 1 7 5 , 1 7 6 - 1 9 3 : Steuerinstruktionen.
88
S. RIEZLER, Geschichte Baierns IV (1508-1597) Gotha 1899 (ND 1964) 325. Instruktion in München HStA, Altbaier. Landsch. Lit. 1941, unfol. Der Steuer von 1550 lag noch einmal das vor 1526/27 übliche Modell von 1507 zugrunde (Instruktion ebd., unfol.). 89
90 91
FREYBERG ( A n m . 1 0 ) II 2 7 6 , 3 0 5 f., 3 1 7 . G e d r u c k t bei SEYFRIED ( A n m . 3 7 ) 4 2 8 - 4 4 9 .
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Kommissare für die einzelnen Landsteuern der Jahre 1552-1559 folgende Summen92: 167 183 fl. (1552), 147 123 fl. (1555), 143 392 fl. (1556), 148 267 fl. (1557) und 140 815 fl. (1559). Dies waren Nettobeträge ohne Steuerausstände und Verwaltungskosten. Entsprechend mehr ertrug eine Steuer nach dem Satz von zwölf Pfennigen pro Pfund Vermögen. Eine derartige Steuer fiel 1558 an, der Nettoertrag belief sich auf 221 480 fl. Zu den Landsteuern addierten sich zunächst gelegentlich, gegen Ende des 16. Jahrhunderts regelmäßig alle drei Jahre Standsteuern zu 50 000, 80 000 oder 100 000 fl. 1565 forderte Herzog Albrecht V. erstmals, falls die Stände den Aufschlag nicht erhöhten, eine Perpetuierung der Steuererhebung. Künftig sollten jeweils im Turnus von drei Jahren zwei Landsteuern und eine Standsteuer ausgeschrieben werden. Damit wäre die direkte Steuer eine feste periodische Einrichtung des Territorialstaats geworden. Die Stände konnten sich darauf naturgemäß nicht einlassen, wollten sie nicht ganz auf ihr Bewilligungsrecht verzichten. Seit den Landtagen 1588 und 1594 hingegen gewährten sie Steuern jeweils auf sechs bzw. zwölf Jahre im voraus, und zwar, wie es Albrecht V. gefordert hatte: alle drei Jahre zwei Landsteuern und eine Standsteuer93. Diesem Beispiel folgten die Landtage 1605 und 1612. Faktisch hatten die Fürsten damit eine regelmäßige Steuer durchgesetzt, de jure allerdings blieb das ständische Bewilligungsrecht erhalten. Auch die Reichssteuern paßten sich diesem Prozeß im 16. Jahrhundert an, in dessen Verlauf Fürsten und Landstände die Territorialsteuern perpetuierten und institutionalisierten. Grundsätzlich waren die Landstände der Auffassung, daß sie den Stenden des Heiligen Reichs khainen anschlag oder hilf on sondere freie bewilligung zegeben nit schuldig seien94. Jede Reichssteuer war also prinzipiell erst von Landtagen zu genehmigen. Dennoch wurde die Bewilligung oder - wie man sagen muß - die Bezahlung der Reichssteuern zum Routinevorgang wie die Ausschreibung von Land- und Standsteuern. Den 1544 vom Speyerer Reichstag beschlossenen Gemeinen Pfennig ließen die Stände nicht mehr gesondert erheben, statt dessen überwiesen sie die hierfür fallige Summe von 40 000 fl. aus dem Ertrag der Land- und Standsteuer von 155295. Die Bereitstellung von Reichssteuern in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts - ausnahmslos nicht Gemeine Pfennige, sondern Matrikularbeiträge - war gänzlich problemlos. Bereits die Türkensteuer von 1557 beglichen die 16 sog. "ständischen Verordneten über den Vorrat" außerhalb von Landtagsverhandlungen. Hierzu erschienen fürstliche Räte im Münchener Landschaftshaus, und nach nicht einmal schriftlich fixierten Verhandlungen erlegten die Verordneten die Steuer in Höhe von 29 248 fl. on weiterer ainer gesamten landtschafft Beschreibung
92
München HStA, Altbaier. Landsch. Lit. 1663, unfol. (Abrechnungen der Landschaftsverwaltung der 1550er Jahre). SEYFRIED (Anm. 37) 372-379. Die Standsteuer war auf 100 000 fl. angelegt. 94 München HStA, Kurb. Geh. Landesarchiv 1254, fol. 77-79: "Protestation" von 1522. 95 München HStA, Kurb. Äuß. Archiv 3577, fol. 238ar-238bv: Kg. Ferdinand an Hzg. Albrecht V. 26.9.1552. Ebd., fol. 238d f.: Der König quittiert, das wir den gemainen pfennig des fiirstenlhumbs Bayrn damit wol verglichen erachten khunden. 96 München HStA, Altbaier. Landsch. Lit. 1127, unfol.: Konzept der mündlichen Antwort der Verordneten von der Hand des Landschaftskanzlers Hieronymus Pronner vom 1.7.1557. 93
REICHSSTEUERN IN BAYERN IM 15. UND 16. JAHRHUNDERT
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Von den Reichssteuern im ganzen übernahmen die Landstände die Türkensteuern regelmäßig zur Bezahlung97, obwohl gerade sie stetig anstiegen. Bayern hatte in den fünfziger Jahren 41 748 fl. (16 Römermonate und 25-facher Reichskammergerichte-Anschlag) zu zahlen, in den sechziger Jahren 87 744 fl. (48 Römermonate)98, in den siebziger Jahren 131 616 fl. (72 Römermonate), in den achtziger Jahren 73 120 fl. (40 Römermonate), während des Türkenkriegs 15941606 sogar 413 128 fl. (226 Römermonate). Im Gegensatz zu anderen bedeutenden weltlichen Fürsten, etwa den Pfalzer Wittelsbachern, gehörten die bayerischen Herzöge, genauer: deren Landstände, zu den stets zuverlässigen Steuerzahlern des Reichs99. Auch die Steuern zur Sicherung des inneren Friedens im Reich übernahmen die Landstände, obschon nicht so bereitwillig wie die Türkensteuern. Derartige Steuern zur Friedenssicherung waren in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts jedoch ungleich seltener, in den Einzelsummen auch niedriger als die Türkensteuern100. In den fünfziger Jahren entfielen auf Bayern 10 968 fl. (6 Römermonate 1551)101, in den sechziger Jahren 21 936 fl. (12 Römermonate)102, danach wurden Steuern zur Friedenssicherung nicht mehr erhoben. Eine weitere Steuer, die bayerische Herzöge ans Reich abzuführen hatten, waren die Kammerzieler. Der bayerische Beitrag zum Unterhalt des Reichskammergerichts betrug nach der Wormser Matrikel 1521 jährlich 500 fl., er änderte sich um die Mitte des Jahrhunderts mehrfach und stieg zeitweilig auf 700 fl.103. Nur diese Steuer zweigten 97 Vgl. die Proposition beim Landtag 1568, in der Albrecht V. zur Türkensteuer von 1566 bemerkte, daß der Reichsabschied zulasset, die Steuer bey unser Landschaft Wiederumben zubekommen. Der Reichsabschied von 1566 erlaubte wie alle Reichsabschiede seit 1543 ausdrücklich, daß jeder Reichsstand seinen Matrikularbeitrag durch eine Steuer bei seinen Untertanen einbringen könne. Der bayerische Herzog verkürzte dies bezeichnenderweise auf die Formel, daß er die Steuer von der Landschaft bekomme. 1566 hatte Albrecht V. die Steuer (eilende Hilfe von 24 Monaten) kurzfristig vorgestreckt, weil Kaiser Maximilian II. rasch Bargeld zur Truppenrekrutierung gegen die Türken benötigte. Noch bevor ein bayerischer Landtag über die Reichssteuer verhandelte, erhielt der Herzog die Summe aus der Landschaftskasse zurück; Der Landtag im Herzogthum Baiern, gehalten zu München im Jahre 1568. Nebst zween Anhängen, o.O. 1807, 15. 98 Die bis dahin höchste Reichssteuer überhaupt, die Türkensteuer des Reichstags zu Augsburg 1566 von 48 Römermonaten, wurde dem Herzog von den Landschaftskommissaren vollständig außerhalb eines Landtags bereitgestellt. Vgl. die Quittung Hzg. Albrechts V. über den Empfang von 43 872 fl. vom 20.1.1568: München HStA, Altbaier. Landsch. Urk. 116. Diese Summe deckte die 24 Römermonate beharrliche Türkenhilfe des Jahres 1566. 99 W. SCHULZE, Die Erträge der Reichssteuern zwischen 1576 und 1606, in: Jahrbuch für die Geschichte Mittel- und Ostdeutschlands 27 (1978) 169-185; W. SCHULZE, Reich und Türkengefahr im späten 16. Jahrhundert. Studien zu den politischen und gesellschaftlichen Auswirkungen einer äußeren Bedrohung, München 1978, 360 f.; M. LANZINNER, Friedenssicherung und politische Einheit des Reiches unter Kaiser Maximilian II. (1564-1576) (Schriftenreihe der Histor. Komm, bei der Bayer. Akad. der Wiss. 45) Göttingen 1993, 464-468. 100 Vgl. ebd. 465 f. (Tabelle 5). 101 Die Hilfe von 6 Römermonaten 1554 wird nicht eingerechnet, da sie in der Regel von den Reichsständen nicht bezahlt wurde. 102 Ein Römermonat 1566 wurde nicht bezahlt. 103 Die Formulierungen der Reichsabschiede bezüglich der Veränderungen des Kammerzielers zwischen 1541 und 1570 sind nicht immer eindeutig. Vgl. NEUE SAMMLUNG (Anm. 19) II 435, 466, 533; III 34, 72, 173, 225; M. LANZINNER (Bearb.), Der Reichstag zu Speyer 1570 (Deutsche Reichstagsakten. Reichsversammlungen 1556-1662) Göttingen 1988, Nr. 567; R. SMEND, Das Reichskammergericht I: Geschichte und Verfassung, Weimar 1911 (ND 1965) 174, erwähnt nur die Tatsache von Veränderungen.
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die Herzöge jährlich unmittelbar aus ihrem Kammeretat ab, ohne daß die Landschaftskasse die geringen Beträge erstattete104.
7. Ergebnisse Welche Bedeutung hatten nun die Reichssteuern im ganzen für die Ausbildung des "Finanzstaats" (G. Oestreich) in den bayerischen Herzogtümern des 15. und 16. Jahrhunderts? Welche Auswirkungen hatten sie auf das System der Territorialsteuern, welche auf die Entwicklung der Territorialverfassung? Im 15. Jahrhundert waren Reichsabgaben in Geld selten. Erhoben wurden Hussitensteuern in den 1420er Jahren und Reichstürkensteuern 1471. Außerdem bezahlten die Herzöge um 1490 Matrikularbeiträge. Der Umfang war gering, die Größenordnung der Hussitensteuer dürfte, alle Teilherzogtümer zusammengenommen, bei 20 000 fl. gelegen haben. Die wenigen Beiträge der Herzöge um 1490 beliefen sich auf Summen unter 10 000 fl., bezogen auf einzelne Matrikularabgaben. Gemessen an den Erträgen der Landsteuern, deren Gesamtertrag allein in Niederbayern auf mindestens 490 000 fl. zu schätzen ist, fiel dies nicht ins Gewicht. Die Landsteuern wiederum machten mit 15 % nur einen kleinen Teil des niederbayerischen Etats aus, so daß zu konstatieren ist, daß die Reichssteuern fiskalisch kaum etwas bedeuteten. Dieses Ergebnis gilt auch für die Jahrzehnte von 1500 bis 1540. Ab 1541 wurden Reichssteuern zahlreicher, die Summen stiegen stetig an. Zwischen 1556 und 1606 führten die bayerischen Herzöge allein Reichstürkensteuern in Höhe von 747 356 fl. an die Reichspfennigmeister ab, im jährlichen Durchschnitt also rund 15 000 fl. Dabei ist bemerkenswert, daß diese Steuern seit 1572 in der Tendenz zu nahezu jährlichen Abgaben wurden, 1572-1575 von je drei, 1577-1582 von je zehn, 1583-1590 von je fünf Römermonaten (ein Römermonat = 1828 fl.). Bemerkenswert ist dies deshalb, weil etwa zur gleichen Zeit auch die Landsteuern zu fixen periodischen Abgaben wurden. Alle drei Jahre wurden je zwei Landsteuern und eine Standsteuer erhoben. Die Landsteuer von 1526 erbrachte (brutto) ca. 170 000 fl., mit der Standsteuer zusammen ca. 270 000 fl. Die Gesamtsummen für einzelne Landsteuern nach 1550 lagen (netto) bei 150 000 fl., wenn acht Pfennige pro Pfund Vermögen verlangt wurden, bei 220 000 fl., wenn der Satz zwölf Pfennige betrug. Die Standsteuer war in der Höhe von 50 000 fl., 80 000 fl. oder 100 000 fl. fixiert. Für die Jahre 1593 bis 1601 liegt eine Berechnung vor, die einen Jahresdurchschnitt der Einnahmen aus Land- und Standsteuern von 229 661 fl. ermittelt hat105. Daraus ist ein durchschnittlicher (Netto-)Ertrag einer Landsteuer von 294 491 fl. abzulei104
Gemäß den Einträgen in München HStA, Hofzahlamtsrechnungen 1-15. H. DOLLINGER, Studien zur Finanzreform Maximilians I. von Bayern in den Jahren 1598-1618. Ein Beitrag zur Geschichte des Frühabsolutismus (Schriftenreihe der Histor. Komm, bei der Bayer. Akad. der Wiss. 8) Göttingen 1968, 194, 483 f.; errechnet nach den Vorrats-Hauptquittungen der Landschaft. Vgl. auch die Übersicht bei M. v. FREYBERG, Pragmatische Geschichte der bayerischen Gesetzgebung und Staatsverwaltung seit den Zeiten Maximilian I., Bd. 1, Leipzig 1836, Anlage V. Trotz eindringlicher Archivrecherchen hat Dollinger offenbar Abrechnungen einzelner Landsteuern nicht gefunden. Die Vorrats-Hauptquittungen sind erst ab 1592 erhalten: München HStA, Altbaiern Urk. 144 ff. 105
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ten, da in dieser Periode alle drei Jahre eine Standsteuer zu 100 000 fl. eingezogen wurde. Diese direkten Steuern bildeten das Rückgrat im Gesamtsteuersystem des bayerischen Herzogtums. Hinzu kam als wichtigster Posten der indirekten Steuern der 1542/43 bewilligte Aufschlag, der gemäß einer Schätzung der Landstände zunächst jährlich mit 40 000 fl., nach seiner Duplierung 1565 mit 70 000 fl., nach der Quadruplierung 1572 mit 120 000 fl. anzusetzen ist106. Das Ungeld läßt sich nach Abzug der Verwaltungskosten mit einer Größenordnung von 20 000 bis 30 000 fl. veranschlagen. Das Steuervolumen am Ende des 16. Jahrhunderts hatte sich mithin gegenüber dem 15. Jahrhundert gewaltig ausgedehnt. Die Quantitäten belegen nachdrücklich, daß der "Finanzstaat" die Grundlage zur Ausformung des frühmodernen Staats bildete. Man müßte freilich, um genau zu sein, den Begriff Finanzstaat durch den Begriff "Steuerstaat" zumindest ergänzen - wenn nicht ersetzen107. Denn die Kammereinkünfte wuchsen längst nicht im gleichen Ausmaß wie die Steuern. Im Jahre 1514 berechneten bayerische Landschaftsverordnete aufgrund des Durchschnitts von drei Jahren eine "jährliche Hauptsumme des Einkommens" der Herzöge von 102 799 fl.108. Im jährlichen Durchschnitt von 1557-1565 betrugen die beim Hofzahlamt verrechneten Amtsgefalle des ganzen Landes nach Abzug der Verwaltungskosten 140 633 fl., im jährlichen Durchschnitt 1586-1597 die Einnahmen aus Amtsgefällen und Getreideverkauf 186 003 fl.109. Dies ist, zieht man die Geldentwertung in Rechnung, keine nennenswerte Steigerung. Es waren ohne Zweifel die wachsenden direkten und indirekten Steuern, ferner seit den 1590er Jahren die rasch anschwellenden Einnahmen aus dem landesherrlichen Salzproduktions- und Salzhandelsmonopol, mit deren Hilfe die zunehmenden Aufgaben des Territorialstaats in Bayern finanziert wurden110. Wie sind in diesem Zusammenhang die Reichssteuern zu sehen? Sie sprengten in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts geradezu die vorherigen Dimensionen, stellten aber allenfalls 1594-1606 eine Belastung des bayerischen Gesamtetats aus Steuern und Kammereinkünften dar. Mehr zu beachten als die quantitative ist die qualitative Bedeutung der Reichssteuern. Der Schwerpunkt ihrer Legitimation im 15. und 16. Jahrhundert lag eindeutig bei der Abwehr der Türkengefahr, dem 106 Die Zahlen nach Schätzungen der Landschaft 1557 und 1568; Der Landtag im Herzogthum Baiem im Jahre 1557, o.O. 1803, 56; FREYBERG (Anm. 10) II 387. Die Aufschläge insgesamt stiegen im Lauf des 16. Jhs. rasch an. DOLLINGER (Anm. 105) 194,4 gibt für das Rechnungsjahr 1611 /1612 bereits eine Bruttoeinnahme aller Aufschläge (Bier, Wein, Branntwein, Met) von 420 016 fl. (einschließlich Verwaltungskosten) an. Das Ungeld jedoch blieb in Bayern gegenüber den Aufschlägen eine "Nebeneinnahme" (DOLLINGER 210). DOLLINGER (203) nennt aber nur Einkünfte einzelner Ungeldämter, keine Gesamtsummen; H. SCHMELZLE, Der Staatshaushalt des Herzogtums Bayern im 18. Jahrhundert, Stuttgart 1900, 272, nimmt für das 18. Jahrhundert die Summe von 15 000-16 000 fl. jährliches Ungeld an. 107 Vgl. K. KRÜGER, Finanzstaat Hessen 1500-1567. Staatsbildung im Übergang vom Domänenstaat zum Steuerstaat (Veröffentl. der Histor. Komm, für Hessen 24/5) Marburg 1980; R. SCHLÖGL, Bauern, Krieg und Staat. Oberbayerische Bauernwirtschaft und frühmoderner Staat im 17. Jahrhundert (VMPIG 89) Göttingen 1988, 215. 108 RANKL (Anm. 72) 26 f.; Der Landtag im Herzogthum Baiern vom Jahre 1514. Erste, und zweyte Handlung, o.O. 1804, 309. 109 M. LANZINNER, Fürst, Räte und Landstände. Die Entstehung der Zentralbehörden in Bayern (VMPIG 61) Göttingen 1980, 42. 110 Zur Entwicklung im 17. Jahrhundert vgl. SCHLÖGL (Anm. 107), bes. die Übersicht 386 f.
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Kampf für die Christianitas, auch nach der Reformation. Türkensteuern wurden, soweit sie Matrikelsteuern waren, von den bayerischen Ständen im 16. Jahrhundert ohne weiteres zur Bezahlung übernommen. Die bayerischen Herzöge zählten nicht zuletzt deshalb nach 1555 neben Kursachsen, Kurmainz, Kurbrandenburg und Salzburg zu den zuverlässigen Kombattanten des Kaisers, wenn es galt, auf Reichstagen hohe Türkensteuern durchzusetzen. Ins Gewicht fielen ebenso die nunmehr konstant positiven Beziehungen zum Haus Habsburg und eine bayerische Reichspolitik, die ihre Verbündeten im kaisertreuen Lager suchte. In der Legitimation der Steuern und der Bereitschaft der bayerischen Landstände, sie zu übernehmen, zeichnen sich klare Konturen ab. Steuern für die innere Sicherheit des Reichs, etwa die Steuern zum Unterhalt einer Reichstruppe 1564/66 oder zur Gothaer Exekution 1567, stießen dagegen auf größere Widerstände. Auch der von den bayerischen Landständen abgelehnte Gemeine Pfennig von 1495 war der Handhabung Friedens und Rechts gewidmet. Ein weiteres Indiz: Bezeichnenderweise bezahlten die Stände von allen Reichskontributionen nur die Steuerbeiträge zum Reichskammergericht nicht, die einen Beitrag zur inneren Ordnung des Reichs darstellten. Die Legitimation von Reichssteuern auf der Territorialebene des bayerischen Herzogtums resultierte also im Kern aus dem Kampf der Christenheit gegen die Türken. Im Gegensatz dazu dienten die Landsteuern gewöhnlich den Aufgaben der inneren Regierung und Verwaltung des Landes; zu diesem Zweck wurden sie auch von den Herzögen gefordert und von den Ständen gebilligt. Die Landstände finanzierten mithin sehr wohl den inneren Landesausbau; dies war die hauptsächliche Legitimation der Landsteuern. Sie trugen dagegen nicht zur Finanzierung der inneren Reichsordnung bei. Zu ergänzen ist: Die Legitimation der Reichssteuern beruhte auf der Abwehr von Hussiten und Türken, nicht jedoch auf dem Kampf gegen äußere Feinde allgemein. Für die Kriege König Maximilians I. in den Niederlanden und Italien hatten die bayerischen Herzöge zwar Abgaben geleistet, eine Beteiligung der Landstände läßt sich indessen nicht nachweisen. Wichtig war den Landständen auch die Form der Reichssteuern. Sie legten Wert auf eine Matrikularumlage, da sie die Beibehaltung des bestehenden Steuersystems gewährleistete. Gemeine Pfennige nach dem Muster von 1495, 1542 und 1544111 lehnten sie ab, weil deren Verwaltungsordnungen in die landständischen Rechte eingriffen, Steuern zu bewilligen, einzuziehen und zu verwahren. Diese Haltung der Stände respektierten auch die Herzöge, die seit 1544 auf Reichsversammlungen dezidiert gegen den Gemeinen Pfennig votierten112. Hieran wird deutlich, daß die Bewilligung und Begleichung von Reichssteuern nicht im freien Ermessen des Fürsten und seiner Berater lag. Sie vollzog sich unter Rücksichtnahme auf das territoriale politische System. Auch die Landstände und die Politik gegenüber dem Gemeinen Mann beeinflußten auf diese Weise die Entscheidungen auf Reichsebene. 111 In der einschlägigen Literatur ist auch die Rede von Gemeinen Pfennigen 1545 und 1551 gemäß den jeweiligen Reichsabschieden; NEUE SAMMLUNG (Anm. 19) II 519 f., 626 f. Hierbei handelte es sich jedoch nur um Bestätigungen des Beschlusses von 1544. 112 E. ELTZ, Zwei Gutachten des Kurfürstenrates über die Wormser Matrikel und den Gemeinen Pfennig. Ein Beitrag zur Reichssteuerproblematik vom Reichstag in Speyer 1544, in: H.LUTZ/ A. KOHLER (Hg.), Aus der Arbeit an den Reichstagen unter Kaiser Karl V. Sieben Beiträge zu Fragen der Forschung und Edition (Schriftenreihe der Histor. Komm, bei der Bayer. Akad. der Wiss. 26) Göttingen 1986, 273-301.
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Umgekehrt wirkten das Reich und seine Forderungen tiefgreifender auf Territorialsteuern und -Verfassung ein, als die geringen Beiträge vermuten lassen. Es waren die Türkengefahr und die Aufforderung der Esslinger Reichsversammlung von 1526, die den entscheidenden Impuls zur größten Ausweitung der bayerischen Territorialsteuern und zu einem einschneidenden Wandel des Steuersystems gaben. 1526 beschlossen die Landstände erstmals, sich selbst zu belegen, 1526 auch wurde der Kreis der Steuerpflichtigen ausgeweitet, der Steuersatz sehr hoch angesetzt. Ergebnis war eine Verdopplung bis Verdreifachung des Ertrags gegenüber vorangegangenen Steuern. Die Erhebung 1527 blieb noch ein Einzelfall. Seit 1543 jedoch wurde das Steuermodell von 1526/27 zur Regel. Die Steuerinstruktion von 1554 fixierte das Modell der ausgeweiteten Land- und der Standsteuer endgültig für künftige Bewilligungen. Auch die bedeutende Weichenstellung von 1543 war veranlaßt durch die Türkengefahr und eine Steuerforderung des Reichs. Abschließend also wird man sagen können: Obwohl die Reichssteuern quantitativ für die Finanzen des Herzogtums Bayern kaum etwas bedeuteten, hatten die Forderungen des Reichs und deren Legitimationskraft tiefgreifende Auswirkungen auf die territoriale Finanzverfassung. Die vom Reich abgeleitete Legitimation bewirkte, daß die Landstände sich selbst belegten, und sie trug ebenso bei zu einer enormen Ausweitung des Steuervolumens, einem wesentlichen Fundament für den Aufbau des frühmodernen Territorialstaats.
Statuta sacri causarum apostolici palacii auditorum et notariorum Eine neue Quelle zur Geschichte der Rota Romana1 im späten Mittelalter VON BRIGIDE SCHWARZ
Diese Überschrift eines in der bisherigen Literatur zur Rota Romana nicht ausgewerteten Textes aus dem 15. Jahrhundert (München Clm 379) im Handschriftenkatalog der Bayerischen Staatsbibliothek erfüllte mich mit großer Erwartung, weil angesichts der Quellenlage ein neues Zeugnis zur Geschichte dieses außerordentlich wichtigen kurialen Gerichts im Spätmittelalter willkommen sein muß. Zwar ist in den letzten Jahrzehnten manches geschehen zur Erschließung von Quellenmaterial, aber es fehlen einfach für die Rota Kategorien von Quellen, die für andere kuriale Behörden zum Teil in großen Mengen in Rom vorhanden sind. Es fehlen Registerserien wie die aus Kanzlei und Kammer und offizielle Sammlungen von päpstlichen Verordnungen und Regeln über die Geschäftsführung wie die Konstitutionen, Eidesformulare, Reformgutachten etc., welche die 'libri cancellariae' bilden. Der Bestand 'Archiv der Rota' im Vatikanischen Archiv ist seiner Entstehung nach zunächst das Archiv des Rotarichterkollegs (unter Martin V.), also eine Art Zunftarchiv. Gemäß dieser Funktion wurde Material aufbewahrt oder auch nicht und zum Teil verändert. Das ist bei der Interpretation des Materials stets zu beachten. Für das ausgehende 15. Jahrhundert wichtig sind auch die im Vatikanischen Archiv liegenden 'manualia', das sind Protokollbücher, der Rotanotare (erst seit 1464)2. Das 'Archiv der Rota' hat dessen Custos Emmanuele Cerchiari3 für seine Darstellung mit umfangreicher Quellenedition zur Geschichte der Rota ausgewertet, freilich wissenschaftlich recht unzureichend. Dieses Archiv geordnet und für die Forschung erschlossen hat eigentlich erst der jüngst verstorbene Hermann 1 Lit.: G. DOLEZALEK, 'Audientia sacri palatii' bzw. 'Rota Romana', in: LMA I (1980) 1193 f. und in: HRG IV (1989) 1148-1152; die Artikel von G. DOLEZALEK und K. W. NÖRR in: H. COING (Hg.), Handbuch der Quellen und Literatur der neueren europäischen Privatrechtsgeschichte, Bd. 1, München 1973, 849-856, bzw. K. W. NÖRR, Ein Kapitel aus der Geschichte der Rechtsprechung: Die Rota Romana, in: Ius commune 5 (1975) 192-209; grundlegende Monographie bislang immer noch F. E. SCHNEIDER, Die Römische Rota nach geltendem Recht auf geschichtlicher Grundlage (Veröffentlichungen der Görresgesellschaft 22) Paderborn 1914. 2 Charakterisiert von H. HOBERG, Die Protokollbücher der Rotanotare von 1464-1517, in: ZRG KA 39 (1953) 177-227. Erstmals wurde der Bestand ausgewertet von N. HlLLING, Die Römische Rota und das Bistum Hildesheim am Ausgange des Mittelalters (1464-1513). Hildesheimische Prozeßakten aus dem Archiv der Rota zu Rom (Reformationsgeschichtl. Studien und Texte 6) Münster 1908. 3 E. CERCHIARI, Capellani papae et apostolicae sedis Auditores causarum sacri palatii apostolici seu Sacra Romana Rota ... Relatio historica-juridica, 4 Bde., Rom 1919-1921. Zu den Mängeln der dort veröffentlichten Quellen siehe HOBERG in verschiedenen, unten Anm. 5 aufgeführten Aufsätzen.
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Hoberg. Dabei entstanden grundlegende Studien zur Rekrutierung der Rotarichter4 oder über ihre bruderschaftliche Organisation5. Allerhand Material über die Rota Romana befindet sich außerhalb des Vatikanischen Archivs 'in partibus', wo sicher noch manches zu entdecken ist6. Drei Rotamanualia des Basler Konzils aus den Jahren 1433-39, die sich in der Universitätsbibliothek Basel erhalten haben, hat Erich Meuthen7 für die Forschung zugänglich gemacht; die Veröffentlichung dieser Manualien in einer neuen Regestenform, an deren Ausarbeitung der Jubilar mitgewirkt hat, durch Hans-Jörg Gilomen8 steht kurz bevor. Vor allem 'Decisiones Rotae' hat Gero Dolezalek9 gesammelt und interpretiert, die rechtsgeschichtlich bedeutsamen Aufzeichnungen von Rotarichtern über die 'consilia', die sie (vor allem) von den Kollegen zu ihren Fällen einzuholen hatten. Diese Sammlungen sind aufschlußreich für die Spruchpraxis, aber auch für die Organisation der Rota. Nützliche Quellen über die Rota sind ferner Prozeßtraktate, Formularien und 'in partibus' erhaltenes Material über Prozesse vor der Rota (am bekanntesten der zwischen Rat und Domkapitel von Hamburg in der avignonesischen Zeit10). 4
Eine Aufstellung der Arbeiten von H. HOBERG in: Römische Kurie. Kirchliche Finanzen. Vatikanisches Archiv. Studien zu Ehren von Hermann Hoberg, T. 2 (MHP 46) Rom 1979, 1003 f. 5 H. HOBERG, Die Amtsdaten der Rotarichter in den Protokollbüchern der Rotanotare von 14641566, in: RQ 48 (1953) 43-78; Die Rotarichter in den Eidregistern der Apostolischen Kammer von 1347-1494, in: QFIAB 34 (1954) 159-172; Die Diarien der Rotarichter, in: RQ 50 (1955) 44-68; Das älteste Inventar der liturgischen Geräte und Paramente des Rotakollegs (1430), in: QFIAB 35 (1955) 275-281; Die 'Admissiones' des Archivs der Rota, in: Archivalische Zeitschrift 50-51 (1955) 391-408; Die Register von Rotaprozessen des 14. Jhs. im Vatikanischen Archiv, in: RQ 51 (1956) 54-69; Die ältesten Informativprozesse über die Qualifikation neuernannter Rotarichter (1492-1547), in: E. ISERLOH/ K. REPGEN (Hg.), Reformata Reformanda. Festgabe fur Hubert Jedin, Bd. 1, Münster 1965, 129-141. 6 In meiner Edition: Regesten der in Niedersachsen und Bremen überlieferten Papsturkunden 1198-1503 (Veröffentl. der Histor. Komm, für Niedersachsen und Bremen 37 = Quellen und Untersuchungen zur Geschichte Niedersachsens im Mittelalter 15) Hannover 1993, habe ich alle 'in partibus' erhaltenen Produkte der Rota aufgenommen. Besondere Aufmerksamkeit verdiente ein Prozeß zwischen den alten Stiftern und dem Rat von Braunschweig 1416 ff., von dem umfängliche Akten erhalten sind; vgl. M. KINTZINGER, Das Bildungswesen in der Stadt Braunschweig im hohen und späten Mittelalter (Beihefte zum AKG 32) Köln-Wien 1990,245 ff. 7 E. MEUTHEN, Rota und Rotamanuale des Basier Konzils. Mit Notizen über den Rotanotar Johannes Wydenroyd aus Köln, in: Römische Kurie (Anm. 4) 473-518. 8 Repertorium concilii Basiliensis et Felicis V papae - Register des Basler Konzils, Papst Felix' V., des Kardinallegaten Amadeus, Teilbd. 1 : Die Rota-Manualia, bearb. von H.-J. GILOMEN, Druck angekündigt für 1994 (Tübingen). 9 Von den zahlreichen Arbeiten G. DOLEZALEKs zur Rota seien hier genannt: Bernardus de Bosqueto, seine Quaestiones motae in Rota (1360-1365) und ihr Anteil an den Decisiones Antiquae, in: ZRG KA 62 (1976) 106-172; Quaestiones motae in Rota. Richterliche Beratungsnotizen aus dem 14. Jh., in: Proceedings of the S"1 Internat. Congr. of Medieval Canon Law (Monumenta Iuris Canonici, Ser. C Subsidia 8) Città del Vaticano 1980, 99-114; Scriptura non est de substantia legis. A propos d'une décision de la Rote Romaine de l'an 1378 environ, in: Diritto comune e diritti locali nella storia dell'Europa. Atti del Convegno di Varenna (12-15 giugno 1979), Mailand 1980, 49-70; Reports of the 'Rota' (14 th -19 th centuries), in: J. H. BAKER (Ed.), Judicial Records, Law Reports, and the Growth of Case Law, Berlin 1989,69-99. 10 R. SALOMON/ J. REETZ (Hg.), Rat und Domkapitel von Hamburg um die Mitte des 14. Jhs., 3 Bde. (Veröffentl. des Staatsarchivs der Freien und Hansestadt Hamburg 9,1-3) Hamburg 19681980; T. SCHRÄDER (Hg.), Die Rechnungsbücher der hamburgischen Gesandten in Avignon 13381355, Hamburg-Leipzig 1907.
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Da nun insbesondere Quellen zur Organisation der Rota in der Zeit zwischen Avignon und dem Einsetzen der Manualia 1464 knapp sind, muß ein Text besonderes Interesse finden, der sich als 'Statuten' präsentiert, zumal wenn man - wie ich - etwas über die Entwicklung der korporativen Organisation der Rota, und da insbesondere der Rotanotare, erfahren möchte; für die Rotanotare interessiere ich mich seit langem in dem größeren Zusammenhang der Entstehung und Ausbreitung der Ämterkäuflichkeit an der päpstlichen Kurie11. Statuta sacri causarum apostolici palacii auditorum et notariorum - das können sein Satzungen oder auch obrigkeitliche Verfügungen des Papstes oder des Vizekanzlers, mit oder ohne päpstliche Sanktionierung. Von solchen 'Statuta' gibt es eine ganze Anzahl für die verschiedenen kurialen Behörden und Kollegien12 (siehe auch unten), und sie sind in der Regel sehr informativ für deren Organisation. Eine Analyse unserer Statuta erweist ihre Heterogenität. Passender wären sie überschrieben mit Constitutiones et statuta ac consuetudines wie die Sammlung Walters von Straßburg13. Sie erreichen aber längst nicht die Selbständigkeit oder systematische Ordnung dieser Sammlung. Untersucht man die Provenienz der Bestandteile des Münchener Textes, so erweist er sich als eine vielfach überarbeitete Version der großen Konstitution Ratio juris Johanns XXII. für die Rota von 1331 November 16, in die andere Textbestandteile inseriert sind, die insgesamt ca. ein Drittel des Textes ausmachen. Die anderen Bestandteile der Sammlung sind: (1) weitere päpstliche Konstitutionen und Anordnungen des Vizekanzlers, teils ebenfalls bearbeitet (Konstitution Quamvis a felicis Gregors XI. von 1375 März 114; Verordnung des Vizekanzlers vom selben Jahr), teils im Wortlaut übernommen (Konstitution Urbans VI. von 1380 Januar 7, unveröffentlicht15). Die Ergänzungen aus den Bestimmungen Gregors XI. und seines Vizekanzlers betreffen: die Zuständigkeit der Rotarichter bei der Bemessung der Honorare auch der Advokaten (§ 12); das Verfahren, wenn die Zuweisung eines Falles an mehrere Richter gleichzeitig erfolgt (§ 17, ergänzt durch § 18); Präzisierungen der Vor11 B.SCHWARZ, Ämterkäuflichkeit, eine Institution des Absolutismus und ihre mittelalterlichen Wurzeln, in: Staat und Gesellschaft in Mittelalter und Früher Neuzeit. Gedenkschrift für Joachim Leuschner, Göttingen 1983, 176-196; B. SCHWARZ, Ämterkäuflichkeit, in: LMA I (1980) 561 f. 12 Die großen Konstitutionen, mit denen sich kuriale Korporationen ihre Rechte zusichern lassen, sind eine wichtige Quellengruppe für die Erforschung der Organisation dieser Kollegien; vgl. B. SCHWARZ, Die römische Kurie im Zeitalter des Schismas und der Reformkonzilien, in: G. MELVILLE (Hg.), Institutionen und Geschichte. Theoretische Aspekte und mittelalterliche Befunde (Norm und Struktur. Studien zum sozialen Wandel in Mittelalter und früher Neuzeit 1) Köln u.a. 1992, 231-258. 13 Näheres siehe unten. Vgl. Constitutiones et statuta ac consuetudines officii scriptorum penitentiarie domini nostri pape, ediert in: B. SCHWARZ, Die Organisation kurialer Schreiberkollegien von ihrer Entstehung bis zur Mitte des 15. Jhs. (BDHIR 37) Tübingen 1972,218-242. 14 Diese Konstitution wird von Alexander V. in einer Kanzleiregel erneuert: Regulae cancellariae apostolicae. Die päpstlichen Kanzleiregeln von Johannes XXII. bis Nikolaus V., hg. von E. VON OTTENTHAL, Innsbruck 1888 (ND 1968) [künftig zitiert: RCA] § 7, 161. 15 Trier, Stadtbibl., ms. 980/919 4°, fol. 191v, mit der Datierung Hec ordinatio est facta tempore Urbani anno MCCCLXXX, VII die Januarii, pontificatiis [Urbani pape VI] anno II. Zur Handschrift vgl. G. DOLEZALEK, Die handschriftliche Verbreitung von Rechtsprechungssammlungen der Rota, in: ZRG KA 58 (1972) 1-106, hier: 77, mit falscher Datierung unserer 'ordinatio'.
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Schriften über die Wahrung des Dienstgeheimnisses seitens der Notare (§ 33); die Zulässigkeit von Appellationen (§§ 37 und 38). Die Bestimmungen, die aus der Konstitution Urbans VI. übernommen sind, betreffen das summarische Verfahren (§§ 40-42). (2) Sonstige Regelungen, die ihrem Charakter nach eher 'consuetudines' als päpstliche 'ordinationes' sind. Einige haben ein für 'consuetudines' typisches16 Incipit wie Sciendum est (§§20, 21) oder Consueverunt (§ 22). Für keine dieser Regelungen kenne ich bislang eine direkte Vorlage. Betreffend die Rotarichter sind neu: die Vorschriften §§7 und 19b, die die alte Verpflichtung der Rotarichter zum Vortrag ihres Falles in der Rota (sog. 'relatio', § 8, 2. Teil Ratio juris) modifizieren; § 18 mit weiteren Regelungen über die Frage der strittigen Zuweisung von Fällen (vgl. § 17); § 19a über das Verfahren 'in rota' bei divergierenden Voten. An diese Bestimmungen schließen sich drei 'consuetudines' an, in denen alter Rotabrauch festgehalten ist: über die Dienstzeiten (§ 20), die Gerichtsferien (§21) und die zeremoniellen Rechte der Rotarichter (§ 22). Die oben genannten Regelungen über die Appellationen (§§ 37 und 38) werden ergänzt in § 39 durch Vorschriften über die Vermeidung überflüssiger Beiziehung von Zeugen. Betreffend die Rotanotare regeln diese Ergänzungen Details zu Abgabefristen von Akten bei Appellationen (§ 34) und über die Sicherstellung der Bezahlung durch den Kunden (§§ 35, 36); auch die Taxordnung wird um einige Bestimmungen erweitert. Der Kompilator geht so vor, daß er die Konstitution Ratio juris, soweit er sie übernimmt, in ihrer Reihenfolge stehen läßt und Zusätze an den Haupt- und Nebenzäsuren des Textes anstückt, ohne Rücksicht auf dessen Systematik17. Bei der 'Aktualisierung' von Ratio juris verfährt er teilweise inkonsequent, so daß Neuerungen im Widerspruch zu nicht getilgten alten Vorschriften stehen. Die zahlreichen Kürzungen sollten wohl den Text von Ratio juris straffen, haben aber oft die Wirkung, ihn zu verflachen und nicht selten bis zur Unverständlichkeit zu entstellen. Bei seiner Bearbeitung der Konstitution ist der Kompilator ohne Verständnis für die juristischen und technischen Feinheiten von Ratio juris; oft verdunkelt und verfälscht er sie geradezu. Durchgängig eliminiert er den persönlichen, sehr stringenten und zum Teil gegenüber der laxen Dienstauffassung seiner Bediensteten sarkastischen Stil Johanns XXII. Er macht aus einer päpstlichen Verordnung, die entgegengesetzten Ansprüchen gerecht zu werden versucht nämlich solchen, die an eine effektive und gerechte Rechtsprechung zu stellen sind, und solchen der Bediensteten auf angemessene Entlohnung und standesgemäße Behandlung -, einseitig eine Sammlung von Regelungen für die Rota und von hergebrachten Rechten ihrer Mitglieder. Der unbekannte Kompilator, so läßt sich aus all dem wohl schließen, dürfte ein subalterner Bediensteter, vermutlich ein Notar der Rota, gewesen sein. 16 Vgl. die Sammlung Walters von Straßburg (Anm. 25), aber auch die Sammlungen der 'Decisiones Rotae' (darüber die Anm. 9 genannten Arbeiten DOLEZALEKs), die durchaus auch kurze Regeln und Angaben über den Rotabetrieb enthalten; vgl. des weiteren E. GÖLLER, Wilhelm Horborch und die Decisiones antiquae der Rota Romana, in: Archiv für Katholisches Kirchenrecht 91 (1911) 662680, hier: 673 ff. 17 Er geht dabei assoziativ vor (§§ 12, 17, 36). Eine einmal geschaffene Unterbrechung nutzt er gern, um noch weitere fremde Texte unterzubringen (§§ 18-22, 34-36, 39-42).
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Das führt uns zur Frage der Datierung: Terminus post quem ist ca. 1380. Der Text zeigt durchgängig einen Entwicklungsstand der Rota der spätavignonesischen Zeit bzw. der Zeit nach Avignon18, und der jüngste identifizierte Bestandteil ist die Konstitution Urbans VI. von 1380. Für die Bestimmung eines Terminus ante quem hilft leider die Fundstelle nicht viel. Unser Text ist überliefert in einem Miscellan-Codex, und zwar auf fol. 22 lr226r in einem Komplex von mehreren Lagen (fol. 191r-226v), die sich durch Binnenpaginierung und zugehörige Rubrizellen19 sowie durch das Dominieren einer Schreiberhand20 als Einheit zu erkennen geben. Die übrigen Stücke dieser Lagen sind datierbar zwischen den Pontifikaten Alexanders V., Martins V. und Eugens IV., das jüngste Stück ist von 143121. In den Formularen vorkommende Personen haben, soweit ich sie identifizieren konnte, den Kurien der Päpste bis zum Jahre 1431 angehört. Der paläographische Befund paßt dazu: Die Schrift stammt aus der Zeit vor der Mitte des 15. Jahrhunderts. Für eine nähere Bestimmung der Abfassungszeit der Statuta hilft das aber wenig, weil unser Text eindeutig eine Abschrift ist (typische Abschreibefehler wie Überspringen einer Zeile oder eines Paragraphen lassen sich nachweisen, so bei den §§24, 30 und Ratio juris § 7). Für eine Entstehung der Kompilation vor 1431 spricht, daß der Münchener Text die Reformkonstitutionen Martins V. von 1421 und 142322 nicht zu kennen scheint; sonst hätten einschlägige Vorschriften im Sinn dieser Konstitutionen verändert werden müssen. Ohne Erklärung bleibt, warum man unter Eugen IV. einen derartigen Text noch abschrieb, der doch durch die genannten Reformkonstitutionen hätte obsolet geworden sein müssen. Antiquarisches Interesse? Oder bestimmt für das Basler Konzil, auf dem eine Taxordnung beschlossen wurde, die Anklänge an die Taxordnung unserer Statuten zu haben scheint23? Die schlampige Art der Kompilation, mehr noch die mangelnde Kenntnis der juristischen und technischen Feinheiten der Rota könnten auf eine eilige Zusam18
Getilgt scheinen alle Bezüge auf Avignon und den Sitz der Rota im Papstpalast. Die Bezeichnung Rota, die in avignonesischer Zeit inoffiziell war (DOLEZALEK, Scriptura [Anm. 9] 54), während Dietrich von Nieheim sie ständig gebraucht, ist hier relativ selten (§§ 19, 34); wie in Ratio juris heißt es meist 'causarum apostolicarum palatium' (§ 55) bzw. kurz 'palatium' (§§ 15, 35, 40, 42), aber auch 'audientia' (§ 40). Die Unterscheidung zwischen Rotarichtern verschiedener Grade, die um 1340 außer Gebrauch kam, ist entfallen. Statt 'audientia publica' (§ 59) heißt es jetzt teils falsch 'audientia litterarum contradictarum' (§ 45); zu dieser nicht seltenen Verwechslung vgl. P. HERDE, Audientia litterarum contradictarum. Untersuchungen über die päpstlichen Justizbriefe und die päpstliche Delegationsgerichtsbarkeit vom 13. bis zum Beginn des 16. Jhs., 2 Bde. (BDHIR 31/32) Tübingen 1970, hier: I 22. - Dennoch scheinen nicht alle Vorschriften angepaßt, so nicht diejenige über die Währung (§ 54), die eigentlich schon in spätavignonesischer Zeit obsolet war, und erst recht nicht die Bestimmung über die Aufbewahrung der Register abwesender Notare durch einen ortsansässigen, stadtbekannten Notar (§31), die mir nur auf die spätavignonesische Zeit zu passen scheint. Waren hier die Veränderungen vielleicht zu rezent, als daß man eine Überarbeitung für notwendig erachtete? 19 Fol. 191r, die Blattangaben decken sich mit der Binnenfoliierung. Unsere Statuten heißen hier Statuta sacri apostolici palacii. 20 Sie schrieb auch die durchgängigen Marginalien. 21 Zwischen fol. 208v und 209r ist als jüngstes Stück eingeklebt eine Notiz über Wahl und Krönung Eugens IV. 1431. 22 M. TANGL (Hg.), Die päpstlichen Kanzleiordnungen von 1200-1500, Innsbruck 1894 (ND 1959) [künftig zitiert: KO], 23 MC II 729-731. Wichtiger aber ist für diese die Taxordnung Martins V. in KO (Anm. 22) 154 f. §22.
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menstellung durch einen subalternen Mitarbeiter der Rota deuten, und beides paßt zeitlich nicht schlecht in die Jahre, die wir als Terminus post quem erschlossen hatten. Damals nämlich sah sich Urban VI. "vor die grössten Schwierigkeiten gestellt, weil ihm überall ein geschultes Personal fehlte. Die Leiter der grossen Behörden traten sofort zum Gegenpapst über ..., ein grosser Teil der Beamtenschaft ... [fiel] von ihm ab ... In Kammer, Poenitentiarie und Kanzlei mussten die vielen homines novi von den wenigen treu gebliebenen, in der Geschäftspraxis wirklich erfahrenen Beamten ganz von neuem in den Stylus eingeweiht werden. Wie sehr es dabei an widerspruchsloser Einsicht in das geltende Recht und an praktischen Dienstanleitungen gebrach, zeigt die Tatsache, dass in allen drei Behörden um diese Zeit Sammlungen der älteren Verfugungen und, soweit diese nicht ausreichten, Aufzeichnungen des herrschenden Brauchs entstanden, zu eigner Orientierung der leitenden Beamten und zur übersichtlicheren Ordnung des Stoffs für die Untergebenen"24. Als derartige Sammlungen durch subalterne Bedienstete wären hier zu nennen: 1) die Kompilation Walters von Straßburg für die Pönitentiarie von 1388/ 138925, insbesondere die dort aufgenommenen Constitutiones et statuta ac consuetudines; 2)
die Kompilation Dietrichs von Nieheim in seinem 'Liber cancellariae' für die Kanzlei und die Rota mit den Bestandteilen a) 'Liber cancellariae' nur bis Decens et neccessarium (1340) Benedikts XII. für die Rota, aber ohne eine neuere Konstitution, b) Abschriften aus einem unter Urban VI. geführten Kanzleibuch, c) ein von Dietrich von Nieheim selbst verfaßter 'Stilus' für die Rota26;
3) eine Abschrift des 'Liber Censuum'27 und anderer Schriften für die Kammer.
24
W. VON HOFMANN, Forschungen zur Geschichte der kurialen Behörden vom Schisma bis zur Reformation, 2 Bde. (BPHIR 12-13) Rom 1914 (ND 1971); hier: 12 f. Zur Sammlung Walter von Straßburgs insgesamt siehe E. GÖLLER, Die päpstliche Pönitentiarie von ihrem Ursprung bis zu ihrer Umgestaltung unter Pius V., 2 Bde. in 4 Teilen (BPHIR 3-4) Rom 1907/1911, hier: Bd. 1/1, 38-46. Die Constitutiones et statuta ac consuetudines wurden von mir ediert (siehe Anm. 13); die Formelsammlung wurde von M. MEYER (OSB) neu herausgegeben: Die Pönitentiarie-Formelsammlung des Walter Murner von Straßburg. Beitrag zur Geschichte und Diplomatik der päpstlichen Pönitentiarie im 14. Jh. (Spicilegium Friburgense 25) Freiburg/Schweiz 1979. Die Constitutiones et statuta ac consuetudines hat Walter von Straßburg m.E. nur in seine Sammlung aufgenommen, nicht aber überarbeitet (ebd. 219 ff. mit Anm. 6), wie dies HOFMANN 1 116 Anm. 4, annimmt. Walter ist seit 1367 als Prokurator in der Pönitentiarie nachweisbar, Skriptor und Korrektor scheint er hingegen erst unter Urban VI. geworden zu sein. 26 G. ERLER (Hg.), Der Liber cancellariae apostolicae vom Jahre 1380 und der Stilus palatii abbreviatus Dietrichs von Nieheim, Leipzig 1888 (ND 1971). - Dietrich war seit ca. 1370 Notar in der Rota, seit 1378 auch Schreiber und Abbreviator in der Kanzlei Urbans VI., siehe K. COLBERG, in: LMA 111(1986) 1037 f. 27 1388 wurde auf Befehl des Thesaurars Urbans VI. der 'Liber censuum' abgeschrieben: ERLER, Der Liber cancellariae apostolicae (Anm. 26) IX; P. FABRE, Étude sur le Liber censuum de l'Église Romaine (BEFAR 62) Paris 1892, 184 f., 189 f. und 218 ff. Über den Übergang des gesamten höheren Kammerpersonals samt den Akten und dem Archiv zum Gegenpapst siehe J. FAVIER, Les finances pontificales à l'époque du Grand Schisme d'Occident 1378-1409 (BEFAR 211) Paris 1966, 137 f., 141 f. 25
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In gewisser Weise gehört hierher auch die Kompilation von 'Decisiones Rotae' Wilhelms von Horborch, der, wie Walter von Straßburg und Dietrich von Nieheim, zur Zeit der Abfassung und Veröffentlichung noch kaum Erfahrungen in einer höheren Position seiner 'Behörde' gesammelt hatte28.
Zu fragen wäre wie bei den anderen Kompilationen, welche Geltung die Statuta hatten. Wurden sie durch offizielle Bestätigung zu einem offiziösen Text, der bis zum Erlaß der genannten Reformkonstitutionen Martins V. in Geltung war? Dafür könnte sprechen, daß sie jährlich zu verkünden waren und daß die Mitglieder der Rota sie abzuschreiben und zu besitzen hatten (§ 59), sofern das nicht nur aus Gedankenlosigkeit übernommen worden ist und unser Text lediglich einen Entwurf darstellt. Daß nicht nur päpstliche Konstitutionen, sondern auch offiziöse Texte abgeschrieben werden mußten, zeigen die Constitutiones et statuta ac consuetudines Walters von Straßburg (§ 21)29. Wenn es so war, dann muß es mehr Abschriften gegeben haben als Clm 379, von denen hoffentlich die eine oder andere sich noch finden wird30 - und mit besserem Text! Welches Bild von der Stellung der Rotarichter und -notare ergibt sich nun aus unserer Kompilation? Auffallend ist die Fortlassung von Vorschriften der Konstitution Ratio juris zum Schutz von Rechtsuchenden (und damit zur Wahrung des Ansehens der Kurie). Dem gestiegenen Prestige der Rotarichter und ihres Kollegs an der Kurie wird Reverenz erwiesen. Deshalb fehlt alles aus Ratio juris, was die Rotarichter in ungünstigem Licht erscheinen lassen könnte (vor allem § 2). Verpflichtungen bzw. Verbote werden aufgeweicht (§§ 4, 7 und 8, 15) und Bestimmungen neu aufgenommen, die die herausgehobene Stellung der Rotarichter als Prälaten (ut prelati) im Hofleben bzw. Zeremoniell zeigen (§§ 20-22). Durch Lockerung der Beschränkungen in Ratio juris, als Prokurator tätig zu werden, gewinnen sie Möglichkeiten hinzu, Einfluß und Einkommen zu mehren (§ 15). Ähnlich fehlen in den Vorschriften über die Rotanotare alle Anspielungen der Konstitution auf die notorische Neigung der Notare, den Rechtsuchenden durch sachlich unnötige Arbeiten zusätzliche Gebühren aufzubürden und ihnen Bestechungsgelder abzupressen31. In der sehr umfangreichen Taxordnung bleibt scheinbar alles beim alten, bis auf die Hinzufugung der Taxen für einige weitere Dokumente. In Wirklichkeit ist die Bemessungsgrundlage geändert, wodurch die Einnahmen stark erhöht werden und sich die Möglichkeit eröffnet, für weitere Leistungen Gebühren einzuführen (§§ 30, 43, 44, 47, 49-52). Über die Stellung gegenüber den Rotarichtern, von denen die Notare in Ratio juris bei Anstellung und Entlassung sowie Arbeitszuteilung weitgehend abhängig waren, kann man nur so etwas wie eine Tendenz zur Verfestigung und zur Entpersonalisierung 28
Angelegt seit Januar 1376, da Horborch als "Dienstjüngster" mit der Anlage der Sammlung der Dezisionen beauftragt wurde, erstmals veröffentlicht "vermutlich 1379": DOLEZALEK, Quaestiones motae (Anm. 9) 107, 109; über den Zusammenhang zwischen der Situation an der Kurie Urbans VI. und der Veröffentlichung der Sammlung Walters von Straßburg ebd. 110. - Zu Horborch siehe DOLEZALEK, in: HRG II (1978) 237 f. 29 Daß die Sammlung Walters von Straßburg offiziös war, verrät ihre Überlieferung in offiziellen Handschriften der Kurie. 30 Unseren Text enthält nicht, wie ich nach der Formulierung bei DOLEZALEK, Die handschriftliche Verbreitung (Anm. 15) 50 f. bzw. 53 f., zunächst vermutet hatte, Mainz, Stadtbibl. II 152 und II 215 bzw. Clm 3063. 31 §§ 18, 21, 27, 28, 30, 32, 33, 37, 38, 39, 40, 42 Ratiojuris.
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herauslesen (§§ 11, 5 5 ). Doch wird sich Genaueres erst durch prosopographische Studien ermitteln lassen. Auf diese Abhängigkeit von den Rotarichtern ist es zurückzufuhren, daß die Entwicklung des Amtes der Rotanotare anders verlaufen ist als die anderer, vergleichbarer Ämter. Zwar wird um 1400 über dieses ebenso wie über die Ämter der Schreiber in Kanzlei und Pönitentiarie und die der Notare der Apostolischen Kammer und des Kammergerichts gesagt, daß es käuflich sei33. In unseren Statuta zeigen sich beim Amt der Rotanotare aber noch nicht die Strukturen, die bei den anderen genannten Ämtern in der Tat vorhanden waren, vor der öffentlichen Sanktionierung der Ämterkäuflichkeit (diese wurde bei den Rotanotaren erst eingeführt durch die Errichtung eines sog. Vakabilistenkollegs34 1477): Das waren (a) subjektive Perpetuität, d.h. lebenslängliche Anstellung; (b) objektive Perpetuität des Amtes, d.h. für die Rotanotare eine feste Zahl von Amtsstellen unter Zurückdrängung jeglicher persönlicher Abhängigkeiten von den Rotarichtern; ein 'certus numerus' konnte erst eingeführt werden durch Festsetzung der Zahl der Rotarichter, die im 14. Jahrhundert noch schwankend ist35; (c) Übergang des Ernennungsrechts (wenigstens der Form nach) auf den Papst, der allein durch Dispens (von der an sich darinliegenden 'simonia iuris') die Möglichkeit zum Weiterverkauf eröffnen konnte - eine wichtige Voraussetzung für die Erzielung hoher Preise beim Verkauf von Ämtern; (d) Bildung einer Korporation der Rotanotare nach Art eines Vakabilistenkollegs, wie etwa bei den Notaren am Gericht der Apostolischen Kammer seit ca. 1400 oder bei denen der Audientia litterarum contradictarum seit spätestens 1435. Die angeführte Behauptung über Käuflichkeit kann also im Falle der Rotanotare nur bedeuten, daß Erwerb dieser lukrativen Ämter durch Vorteilsgewährung36 vorkam oder Beauftragung von Substituten mit Amtspflichten (wie bei Kaufämtern später üblich). Das aber gehört nicht zur Ämterkäuflichkeit im technischen Sinn, sondern zum weiten Feld der Amtskorruption im Mittelalter.
Text Zur Handschrift Clm 379: - Sammelband: Formelsammlung u.ä. zum praktischen Gebrauch von Notaren, vor allem für die Gerichte der römischen Kurie 37 . - Papier, 469 Bll., 15. Jahrhundert, 148 x 220 mm. 32
Ausfall von §§ 20, 21,23 Ratio juris.
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HOFMANN ( A n m . 2 4 ) 1 162 f.
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N. HILLING, Die Errichtung des Notarekollegiums an der römischen Rota durch Sixtus IV. im Jahre 1477, in: Festgabe Heinrich Finke zum 7. August 1904 gewidmet, Münster 1904, 169-194. Die Ämter der Rotarichter wurden nie käuflich, weil Richterämter wie geistliche Ämter empfunden w u r d e n ; v g l . SCHWARZ, Ä m t e r k ä u f l i c h k e i t ( A n m . 11) 1 8 6 ; B . SCHIMMELPFENNIG, D e r Ä m t e r h a n d e l
an der römischen Kurie von Pius II. bis zum Sacco di Roma (1458-1527), in: Ämterhandel im Spätmittelalter und im 16. Jh., hg. von I. MIECK (Einzelveröffentl. der Histor. Komm, zu Berlin 45) Berlin 1984,3-41. 35 Endgültige Festlegung auf 12 durch Sixtus IV. 1472; HOFMANN (Anm. 24) 1131. 36 So schon Johann XXII. in Ratio juris, §§ 6, 11, 21. 37 Fol. lr: Merksprüche über die Behandlung von Zeugen etc. - Aus der Rota stammen, außer unseren Statuten, die Gerichtstermine fol. 3r ff.; von den Prokuratorien fol. 5v ff. betrifft jedoch nur die erste die Rota. Aus dem Bereich des Kammergerichts fol. lv aufgenommen eine concessio officii notariatus durch den stellvertretenden päpstlichen Kämmerer. Unter den mit Namen genannten Richtern tritt besonders Geminianus de Prato hervor, der erst am Kammergericht, dann an der Rota
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Durchgehende Paginierung Ende 15. Jh. - 36 Lagen. Nach Analyse der Lagen zerfallt der Band in drei Teile: fol. 1-190; fol. 191-226, in dem sich unsere Statuta befinden (Charakterisierung siehe oben S. 847 f.); fol. 227r ff. - Kein Vorsatzblatt, keine Rubrizellen zum gesamten Band. Provenienz: 1582 im Bestand der Bibliothek der Herzöge von Bayern nachzuweisen38. Die ältere Besitzgeschichte ist unklar39.
(221r) Statuta sacri causarum apostolici palacii auditorum et notariorum40 § 1 Statuimus igitur41 quod auditor sine Cappa et Rocceto in loco ubi Romana curia residebit in publico non incedat42. § 2 Item quod auditores predicti bona* hora diebus singulis juridicis ad palacium43 conveniant et statim post pulsationem tertiarum44 incipiant sedere ad causas audiendas et non recedant de sede*5, donec partes sue tenuerint terminos46. a Hs: una. § 3 Item quod auditores illa festa dumtaxat observent, que per audientiam contradictarum servarfi noscuntur; nec colant alia festa 47 . b Hs: servare.
litterarum
Richter war. Es wäre denkbar, daß ein ihm attachierter Notar das Material gesammelt hat. Das würde erklären, warum Stoff der beiden wichtigsten Kuriengerichte hier zusammengetragen ist. 38 O. HARTIG, Die Gründung der Münchener Hofbibliothek durch Albrecht V. und Johann Jakob Fugger (Abh. der Bayer. Akad. der Wiss., phil.-hist. Kl. 28, 3) München 1917, 138 und 362. 39 Ich möchte nur anmerken, daß ein beträchtlicher Teil der identifizierbaren Stücke den niederländischen Raum betrifft. 40 Aus der ausführlichen und kunstvollen Arenga von Ratio juris, in der der Papst seine Verfügungen begründet, die Gliederung vorgibt und den Rechtscharakter dieser 'ewigen' Konstitution charakterisiert, sind hier nur aus einem Satz: circa earundem causarum auditores ipsorumque notarios scribentes in causis huiusmodi... statuta et ordinamenta ... edimus et eaprecipimus ... observari einige Worte aufgenommen, die, so isoliert, aber einen ganz anderen Sinn erhalten: als ob es sich um Statuten handelte, die die Rota selbständig erlassen hätte. - Im folgenden Text steht in großen Steilschrifttypen selbständiger Text; durch große Schrägdrucktypen sind Anlehnungen an eine und durch kleine Steilschrifttypen wörtliche Übernahmen aus einer Vorlage kenntlich gemacht. 41 Eine offenbar vom Kompilator übersehene persönliche Formulierung Johanns XXII. 42 § 2 Ratio juris, in dem die Rotarichter zu gewissenhafterer Amtsführung angehalten werden, fehlt. 43 Dieses 'palacium' muß der Redaktor übersehen haben, denn der Papstpalast ist sonst nicht mehr als Lokal, in dem die Rota tagte, genannt (hier unbestimmt 'sedes'). Jedenfalls treffen sich die Rotarichter hier vor dem Palast, wohingegen nach Ratio juris die 'sessiones' im Papstpalast stattfanden. 44 In Ratio juris waren hier die Glocken der Kathedrale als maßgeblich genannt. 45 Zu den Dienstzeiten: 1340 waren üblich ante primam horam ipsius diei bis zur Terz, danach Arbeit als Einzelrichter: SALOMON/ REETZ, Rat (Anm. 10) II 122. 46 Ratio juris: donec partes satisfecerint vel per eas steterit suis terminis coram eis. 47 Hier wird Ratio juris wieder außerordentlich verkürzt und entschärft: Johann X X I I . hatte den Rotarichtern untersagt, selbstherrlich Festzeiten festzulegen (alia festa seu dies aliquos ex se ipsis vel alias statuere vel observare aliquatenus non presumant). Der aktuelle Anlaß für diese Vorschrift und für die anschließende strenge Vermahnung zu Wohlverhalten ist unbekannt. - Zu den Festen vgl. die Aufstellung bei H. SIMONSFELD, Neue Beiträge zum päpstlichen Urkundenwesen im Mittelalter und zur Geschichte des 14. Jhs. (Abh. der Bayer. Akad. der Wiss., phil.-hist. Kl., 21, 2) München 1898, 333-424, hier: 339 und 370 f.; die Handschriften auch besprochen bei HERDE, Audientia (Anm. 18) I 105 f. Eine Aufstellung enthält auch Clm 3063, fol. 18 f.
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§ 4 Item quod auditores palacii, qui dominorum cardinalium familiares existunt 48 , diebus juridicis non sequantur cardinales 49 . § 5 Item quod nullus auditorum, a partibus a quibus causam habet, et coram eis litigantibus et a notariis, qui in causis scribunt, vel ab aliis quovismodo nichil recipiant neque obligationem nec promissionem nec pro ipsorum sigillo50 vel alio quesito colore. Consiliaque habita a coaud(itoribus) secrete teneant usque post sententiam promulgatam 51 . § 6 Item 52 quod auditores contrarium facientes per unum mensem ab ingressu palacii suspendantur0; si vero ¡terato [in] eandem culpam inciderint, perpetuo a[!]53 dicto officio priventur 54 . c Hs: priventur.
§ 7 Item55 quod auditor non teneatur causam in relationibus ponere, nisi per partes veld procuratorem dentur probabilia dubia. d
Hs: earum, cass.
§ 8 a) 5 6 Item quod antiquior, videlicet qui primo auditor fuerit receptus, primitus relationes si voluerifi1 - habeat, et causas suas in consiliis primo ponat 58 ; et sie per ordinem primo qui primitus fuerint reeepti.
b) Nec in consiliis aliquas alias causas ponant, donec consilium habuerint super causis positis in relationibus59. 48
Zur Zugehörigkeit der Rotarichter in avignonesischer Zeit zu 'familiae' von Kardinälen und Päpsten siehe DOLEZALEK, Quaestiones motae (Anm. 9) 101. 49 Auch hier wieder eine Kürzung, die den Sinn der Bestimmung in Ratio juris stark verändert: Dort hatte der Papst eingeschärft, daß die Amtspflichten der Rotarichter Verpflichtungen aus der 'familiaritas' stets vorgingen, und zwar nicht nur dann, wenn Dienststunden seien (also nicht allein an den 'dies juridice', wie in den Statuta), sondern stets, wenn Dienstpflichten vorlägen. Ausnahmen könnten zwar durch Papst und Kardinäle gestattet werden, doch müßten diese dann ausdrücklich als solche gekennzeichnet sein. 50 In Ratio juris stand als solcher 'Vorwand' noch: Rubriken. 51 Vgl. KO (Anm. 22) 140 § 22; 363 ff. § 16; 379 § 23. 52 Dieser Paragraph war in Ratio juris Bestandteil des § 6; die Sanktionen galten also Verstößen gegen das Korruptionsverbot. Als selbständige Verfügung müßte er auch auf die voraufgehenden Paragraphen zutreffen, zu denen aber Sanktionen nicht passen. Ein Beleg für die Redaktionskünste unseres Kompilators! 53 Auffällige Barbarismen des Textes sind die Konstruktion von 'privare' mit Präposition 'a' und 'contentus' mit 'de'. 54 Der Ausfall des § 7 aus Ratio juris, der die Vereidigung der Rotarichter durch den Vizekanzler regelte und das Eidesformular enthielt, scheint mir nur als Flüchtigkeit der Abschrift erklärbar. 55 In Ratio juris beginnen mit diesem Paragraphen, der durch statuimus et ordinamus deutlich vom Vorhergehenden abgesetzt ist, die Regelungen über das Verfahren 'in rota' (§§ 8-10). Diese Zäsur bleibt in den Statuta unerkennbar. § 7 hat keine direkte Entsprechung in Ratio juris. Vorlage ist offenbar § 8 Ratio juris (Ende), wo bestimmt wird, daß nach Abhandlung eines jeden Falles 'in relationibus' die Parteien allegieren können, bevor der nächste Fall verhandelt wird. Aus der Verpflichtung zur 'positio' jedes Falles durch den Rotarichter, falls er mit der Bearbeitung schon soweit ist, wird ein Anrecht der Parteien darauf nur in solchen Fällen, in denen sie 'probabilia dubia' haben und diese glaubhaft machen können: eine deutliche Minderung der Rechte der Rechtsuchenden. 56 Entspricht in etwa dem ersten Satz von § 8 Ratio juris. Keine Entsprechungen in den Statuta haben die weiteren Vorschriften dieses Paragraphen, daß nach Abhandlung eines jeden Falles 'in relationibus' die Parteien allegieren können (vgl. Statuta § 7), daß die Rotarichter aber bestimmten Auswüchsen bei den Allegationen steuern dürfen. 57 Einfügung in die Statuta, welche die gesteigerte Selbstherrlichkeit der Rotarichter illustriert. 58 1 33 9 gab es feste Tage für jeden Auditor, an denen er seine Rechtsfragen vortragen durfte; siehe SALOMON/ REETZ, R a t ( A n m . 10) II 92.
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Item
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e
nullus auditor aliquam diffinitivam vel [etiam] interlocutoriam sententiam
aut causam devolutami vel articulos admittat, nec remissionem decernat extra curiam61, nec attemptataf aliqua revocet, nec super interlocutoria cum aliis audi-
toribus63 ter[?] app(...)tum pronunctiete absque relatione publica in Consilio auditorum
proférât seu procedat; super aliis non interlocutoriis judicialibus sine publica relatione cum tarnen Consilio coauditorum ad prolationem procedere possit prout hactenus est observatum. e f Hs: antequam. Hs: acceplala. s Hs: pronunctiat. Die ganze Stelle ab auditoribus ist schwer lesbar. § 10 Item quod auditores, qui relationes publicas habent, infra XII dies Consilia coauditorum requira[n]t diligenter; et consiliis habitis causas breviter tenentur expedire. § 11 Item 64 quod quilibet auditorum notarios diligentes, fideles et honestos habeat et de[!] quatuor notariis in numero sit contentas 65 . Qui notarii per se solum et non per alios coram auditoribus suis causas [scribant]; nec dicti auditores committant alicui alteri causas commissas no-
tariis eisdem; nec aliquis notariorum coram duobus auditoribus causas ad scribendum [accipere] sit ausus66.
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Keine direkte Entsprechung in Ratio juris. Dieser Paragraph ist ein besonders schlimmes Beispiel dafür, wie aus den luziden Vorschriften Johanns XXII. schwer Verständliches wird, ganz abgesehen von den Korruptelen des Textes. Dort war bestimmt worden, in welchem Stadium des Prozesses der Rotarichter den Rat seiner Kollegen (hier noch mit der Spezifizierung: seines Grades) einholen mußte, nämlich 1) vor jeder Definitivsentenz, 2) vor bestimmten 'sententie interlocutorie' (bei denen 6 Klassen unterschieden werden) und 3) vor jeder anderen 'interlocutoria', soweit gegen eine der Parteien finem negotio imponens. Andere 'interlocutorie' hingegen bedürfen keiner Anhörung. Unser Kompilator hat nicht verstanden, daß es sich bei den sechs angeführten Rechtsfiguren um Unterarten von 'sententie interlocutorie' handelt, und er konnte mit den zuletzt genannten 'interlocutorie' (die eine prozeßbestimmende Wirkung haben) sichtlich nichts anfangen. Er ordnet alle parallel: diffinitivam, interlocutoriam aut causam devolutam vel articulos admittat, nec remissionem decernat, attempta revocet, nec super interlocutoria ... 61 Vgl. DOLEZALEK, Bernardus de Bosqueto (Anm. 9) 129 mit Anm. 94, und Dietrich von Nieheim, Stilus palatii (Anm. 26) 219 f. 62 Dietrich von Nieheim, Stilus palatii (Anm. 26) 222: De remissione ad partes decreta. 63 Ratio juris spricht an dieser Stelle von coauditores sui gradus, § 9. Die Rotarichter-Grade gab es bis ca. 1340: DOLEZALEK, Quaestiones motae (Anm. 9) 101 f. 64 Hier beginnen in Ratio juris die Bestimmungen über die Rotarichter und ihre Notare (§§ 11-13). Diese Vorschriften werden in den Statuta unterbrochen durch Einschub von § 12 (betr. die Taxansätze für Advokaten), was den Zusammenhang empfindlich stört. Das verbindende Element scheint für den Kompilator gewesen zu sein, daß im folgenden Paragraphen (§ 13) von den Taxen für die Notare die Rede ist. 65 Vgl. KO (Anm. 22) 87 § 21; Dietrich von Nieheim, Stilus palatii (Anm. 26) 234; CB VI 70,2528. 66 Während in Ratio juris hier bestimmt worden war, daß ein Rotarichter keinen Notar beschäftigen durfte, der schon bei einem Kollegen mit Arbeit versorgt war, es also wesentlich um die Vermeidung von Konflikten zwischen Rotarichtern ging, ist in unseren Statuten die Perspektive anders, nämlich von unten her: kein Notar soll vor zwei Rotarichtern schreiben. Vermutlich war hier das Hauptanliegen das des Interessenausgleichs unter den Notaren. 60
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§ 12 Item quod nullus auditor juxta constitutionem68 teneatur taxare advocato sallarium69, nisi sibi constet per registrum de subscriptione advocati super libello, positionibus et articulis, etiam si pars juraverit vel eius procurator70 se in dicta causa habuisse advocatum; etiam predicti advocati libellum, positiones et artículos, defensiones et exceptiones videant et examinent, corrigant et emendent et super his de procuratore non confidant. § 13 Item quod prefati auditores diligenter provideant, q u o d e o r u m notarii pro e o r u m sallario nichil recipiant nisi sallarium taxatum et juxta taxam71. § 14 Item quod, si pauper litigans nequeat redimere acta a notario propter paupertatem, compellat auditor notarium ad reddendum acta72, si constiterit de notabili paupertate73. (222r) § 15 Item 7 4 q u o d nullus auditorum consilium 75 prebeat seu patrocinium recipiat h in aliqua causa, que de brevi speratur tractari in palacio aut tractaretur, nisi pro causa sua et amicorum suorum seu familiarium 76 existat; et tunc Consilia non intret, cum sciat causam ipsam poni in consiliis 77 . h Hs: seu. § 16 Item quod nullus auditor recipiat causam audiendam, in qua dederit consilium, sed ad cancellariam remittat78.
§ 17 Item19 quandocumque contingat principales litigantes vel eorum procuratores diversas obtinere commissiones separatim adplures auditores, auditor ille sit judex et habebit jurisdictionem, cui prima commissio fuerit presentata80. 67
Fehlt in Ratio juris. Vorlage ist ganz entfernt die Konstitution Gregors XI. von 1375: KO (Anm. 22) 128 § 2 und 130 § 9. 68 Offensichtlich Konstitution Decens et necessarium Benedikts XII.: KO (Anm. 22) 118-124. 69 Vgl. KO (Anm. 22) 121 § 25: existimatio laboris aävocatorum per auditorem fiat. § 15 regelt die Strafkompetenz der Auditoren bei unangebrachten Forderungen der Advokaten. 70 Vgl. KO (Anm. 22) 128 § 2, 130 § 9. 71 Es fehlt der nötige Hinweis aus Ratio juris § 12 auf die unten (§§ 43 ff.) folgende Taxordnung. 72 In Ratio juris § 13 steht hier: obgleich die Kopien nicht bezahlt sind. Ob auch hier die Kürzung eine Tendenz hat? 73 Zur Sache vgl. den Erlaß des Vizekanzlers von 1375 Dezember 26: GÖLLER, Wilhelm Horborch (Anm. 16) 6 8 0 § 21b. 74 In Ratio juris beginnt nun ein neues Thema: die Wahrung der richterlichen Unabhängigkeit (§§ 14-15). 75 Ratio juris § 14 fugt hier "direkt oder indirekt" hinzu; bloße Kürzung? 76 Ratio juris hatte den Kreis derjenigen, für die die Richter nicht tätig werden durften, erheblich weiter gezogen und dazu präzise bestimmt: Verwandte bis zum dritten Grad, Patrone einerseits und Famiiiaren andererseits sowie Kirchen, an denen der Rotarichter bepfründet war. Damit waren dem Rotarichter die Möglichkeiten genommen, sich für wirklich wichtige Förderer einzusetzen, von dem entgangenen Verdienst ganz zu schweigen. Die Statuta schreiben statt 'Verwandte' und 'Patrone' und offenbar auch statt der für den Rotarichter so wichtigen 'Pfründ-Kirchen' 'amici', ersetzen also mehrere präzise Termini durch einen schwammigen Begriff. Der verbleibende, genau definierte Kreis (die eigene Person, die 'familiares') ist nun viel kleiner. Bei der Auslegung des Begriffs 'amici' wird offenbar auf das Standesethos des Rotarichters vertraut. 77 In Ratio juris war der Akzent anders gewesen: ein Rotarichter, der persönlich betroffen ist, darf an Beratungen nicht teilnehmen; er hat diese Betroffenheit von sich aus zu offenbaren. In den Statuta wird auch hier mehr dem Standesethos des einzelnen Richters vertraut. 78 Ratio juris § 15, leicht verkürzt. 79 In Ratio juris folgen nun Regelungen von noch ausstehenden Problemen im Verhältnis der Rotarichter zu den Notaren (§§ 16-17, vgl. unten § 33). Die Statuta nutzen die Zäsur, um Vorschriften
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§ 18 Item, si duo vel plures ex dictis auditoribus in presentatione commissionis concurrant, per omnia in tempore antiquior auditor audiat causam, nisi junior antiquiorem preveniat in citando. § 19 a) Si Consilia dominorum auditorum sint contraria, auditor cause sequatur Consilia maioris partis81; sed si medietas pro una parte et alia medietas pro alia parte, auditor consulet aliquem extra Rotam et ordinet secundum Consilia maioris partis82; nisi essent licet esset contra conscientiam suam juxta capitulum 'Cum [in] cunctis'83, Extra', [tit.] 'de hiis, que fiunt a ma(iori) parte capitali', C(apitulum) 'Junia'84„et Host(iensem) 85 in c(apitalum) 'Cum omnes' in fine Extra, [tit. 'de] const(itutionibus)' 86 [ad verbum?]i 'Cum quaeritur'87. Si tarnen adeo scrupulosus, quod consilium minoris partis [ei] vide[a]tur sanctius et ne incurrat periurium et c(ontra) conscientiam judicis, remittat causam et partes ad cancellariam. b) Cause ponuntar in relationibus, si partes ambe petant vel unus auditor habeat dubia, qui primo debet ponere in Rota88; et si dominis coauditoribus videatur bo-
zur Regelung von Streitigkeiten über die Zuweisung von Fällen an die Rotarichter einzuschalten. Die Anknüpfung ist oberflächlich dadurch zu begründen, daß in § 16 auch die Rede ist von der Zuweisung bestimmter Fälle, nämlich solcher, die der Rotarichter nicht annehmen durfte. Daran hängt der Kompilator dann Ausführungen über das Vorgehen bei gespaltenen Voten der Richter, offenbar nach dem Motto "Was sonst noch unter dem Gegenstand 'Richter' abzuhandeln wäre". Ein besserer Platz wären dafür §§ 7-8 gewesen. Dann folgen noch Informationen zu den Sitzungszeiten der Rota, die stilistisch anders angelegt sind als die anderen (eingeleitet mit sciendum) und deren Einfügung an dieser Stelle nicht einmal durch Assoziationen zu rechtfertigen ist. Und da er schon einmal dabei ist, hängt er auch noch §§ 21-22 über den Usus der Rota an. 80 Vorlage: KO (Anm. 22) 140 § 21a, wo es aber viel komplizierter ist. Vgl. die Regelung des Vizekanzlers: GÖLLER, Wilhelm Horborch (Anm. 16) 680 § 21a. 81 Ebd. § 21c. DOLEZALEK, in: COING (Hg.), Handbuch (Anm. 1) 850, und DOLEZALEK, Quaestiones motae (Anm. 9) 109. An sich ist das um diese Zeit eine Selbstverständlichkeit angesichts der klaren Einstellung der Digesten in diesem Punkt: D. 8.8.18, 4.8.27,3 bzw. 50.1.19 und 50.17.160; Corpus Iuris Civilis, Bd. I, ed. P. KRÜGER/ TH. MOMMSEN, Berlin 121911 (ND 1968) 98 f., 894 und 925. Vgl. auch das Verfahren am Basler Konzil CB III 218,8-11; IV 182,7-9. 82 Die Konsultation von Kollegen außerhalb des engeren Kreises der Rota war ganz üblich; DOLEZALEK, Quaestiones motae (Anm. 9) 101. Neu ist hier die Institutionalisierung dieser Beiziehung Auswärtiger. 83 X.3.11.1, Corpus Iuris Canonici (künftig zitiert CIC), hg. von E. FRIEDBERG, Bd. II, Leipzig 1881 (ND 1955) 506, eine ganz gängige Stelle in diesem Zusammenhang bei den Kanonisten; vgl. O. VON GIERKE, Die Staats- und Korporationslehre des Altertums und des Mittelalters und ihre Aufnahme in Deutschland (Das deutsche Genossenschaftsrecht 3) Berlin 1881, 327 Anm. 254. In der Dekretale steht freilich nur, daß zugunsten der Einwendungen der pauciores et inferiores etwas rationabiliter obiectum et ostensum sein müsse. Ein geleisteter Eid oder Gewohnheiten einer Kirche reichten als Begründung der Einwendungen nicht aus. 84 Hermogenianus libro primo iuris epitomarum 'Lege Junia Petronia, si dissonantes pares iudicum existant sententiae, pro libertate pronuntiari iussum. Sed et si festes non dispari numero tarn pro ... quam contra ... dixerint, pro libertatepronuntiandum esse saepe constitutum est': D . 4 0 . 1 . 2 4 , Corpus Iuris Civilis I, ed. KRÜGER/ MOMMSEN (Anm. 81) 659. 85 Henrici de Segusio Card. Hostiensis Lectura in quinque libros Decretalium Commentaria [...] [Bd. 1], Venedig 1581 (ND 1965), fol. 8r-9r. 86 X.l.2.6, CIC (Anm. 83) II 8 f.: 'Cum omnes'. 87 Die Funktion des 'Cum similiter' bleibt unklar. Weder in der Dekretale 'Cum omnes' noch in dem Kommentar des Hostiensis dazu gibt es einen Satz mit einer solchen Einleitung. Für die Rota einschlägig wären an sich die Sätze 5 und 6 der Lectura (Anm. 85), ad verbum 'Cum quaeritur', fol. 8v, weshalb ich sie als Konjektur hier eingesetzt habe. 88 Zum Ausdruck, bezeugt ab 1340, siehe J. REETZ, Zur Bedeutung des Namens 'Rota', in: Österr. Archiv für Kirchenrecht 9 (1958) 50 f.
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num esse, tunc ponatur in relationibus. Jurabunt tamen partes, que petunt vel pars que petit, quod faciat allegare per suum advocatum, et tunc auditor dabit dubia partibus que habet in causa per aliquos dies, antequam ponatur causa in relationibus. ' Hs folgt: iij Cle. et afe Extra.
> Hs folgt: 'Cum similiter' [?]
§ 20 Sciendum89 quod domini auditores sedent90 in causis diebus Lune, Mercurii et Veneris, diebus Martis et Sabbati // (222v) tenentur relationes91 aut Consilia die Jovis etc. § 21 Sciendum quod ferie introducuntur in Octavis Apostolorum Petri et Pauli, videlicet VI die Julii, nec extra tunc proceditur, nisi in causis, in quibus est conclusum; nisi mandetur per papam, quod procedatur non obstante feriis. Tamen commissio impetretur ante introitum vacationum, quia si post vel in introitu non concederetur; et si concederetur ex inadvertencia, stare non valeret, quia pars adversa habeat justam causam recedendi. Durant enim ferie huiusmodi usque in Crastinum Michaelis mensis Septembris92; et in istis feriis de mense Julii solum sedent die Veneris sicut etiam de mense Septembris. De mense vero Augusti numquam intrant93. § 22 Consueverunt94 domini11 auditores et capellani commensales 95 cum mantello et capuciis ut prelati cum domino papa [incedere] in istis festivitatibus96, videlicet 89
Eine für 'Decisiones rotae' nicht ungewöhnliche Einleitung, z.B. GÖLLER, Wilhelm Horborch (Anm. 16) 678 § 11, 679 § 17. 90 Gemeint ist hier die Arbeit der Rotarichter als Einzelrichter. - Zu den Dienstzeiten der Rota siehe DOLEZALEK, Quaestiones motae (Anm. 9) 111. 91 Um 1380 gab es nach DOLEZALEK, Scriptura (Anm. 9) 54, nur noch wenig Kollegialität in der Rechtsprechung der Rota. Damals versammelten sich die Rotarichter ein- bis zweimal pro Woche zur Diskussion von juristischen Problemen. Über diese Diskussionen führte der Amtsjüngste ein Journal, in das vor allem die rechtlichen Empfehlungen ('decisiones') der Mehrheit der Rotarichter eingetragen wurden. Von dieser Entwicklung enthält unser Text nichts. 92 Die Eröffnung der Rota erfolgte am ersten Oktober oder am ersten Gerichtstermin danach. Dann wurden die gültigen Konstitutionen verlesen (vgl. unten § 59) und die Advokaten und Prokuratoren vereidigt: KO (Anm. 22) 122 § 19. 93 Näheres ist über die Gerichtsferien in avignonesischer Zeit nicht bekannt. Ansprechende Vermutungen von J. REETZ, Kuriales Prozeßwesen um 1340. Nachrichten aus avignonesischen Akten in Hamburg, in: AfD 9/10 (1963/64) 395-414, hier: 400 f. 94 Auch dieses Incipit stammt wahrscheinlich aus 'Decisiones rotae'. 95 Die Rotarichter hörten unter Urban V. auf, in Wirklichkeit 'capellani commensales' zu sein und wurden 'capellani honoris': B. GUILLEMAIN, Les chapelains d'honneur des papes d'Avignon, in: Mélanges d'archéologie et d'histoire 64 (1952) 217-238. Zu den päpstlichen Kapellänen R. ELZE, Die päpstliche Kapelle, in: ZRG KA 36 (1950) 145-204, hier: 200 ff. Päpstliche Auslegungen ihres Status als 'capellani commensales pape' ließen sich die Rotarichter später mehrfach geben, vgl. CERCHIAR1, C a p e l l a n i ( A n m . 3 ) III 1 2 3 f f . 96
Über die päpstliche 'Kanzlei' gibt es eine Aufzeichnung aus der Zeit Gregors X., daß 'früher' ihre höhergestellten Mitglieder an Weihnachten und Ostern beim Papst speisten, der ihnen bei dieser Gelegenheit species (bei Tangl: speciales) grossas aromaticas propriis manibus habundanter austeilte, und daß sie an diesen Festtagen direkt nach den Kardinälen die Kommunion aus der Hand des Papstes empfingen: KO (Anm. 22) 65 § 8; vgl. 68 § 21 über Gründonnerstag und Krönungstag. Wie die Ausgabenbücher der Kammer aus avignonesischer Zeit zeigen, war das damals noch Brauch für päpstliche Kapläne (und zwar Ingwer, Pfeffer und Nelken): K.-H. SCHÄFER (Hg.), Die Ausgaben der apostolischen Kammer unter Johann XXII. nebst der Jahresbilanzen von 1316-1375 (Vatikanische Quellen zur Geschichte der päpstlichen Hof- und Finanzverwaltung 1316-1378, Bd. 2); Die Ausgaben der apostolischen Kammer unter Benedikt XII., Klemens VI. und InnocenzVI. (1335-1362)
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Nativitatis domini ([quando] datur eis de pipere per papam, cum duabus manibus, que ponantfur]1 in birretis [?]), Pasee, Penthecostis, Apostolorum Petri et Pauli, Assumptionis beate Marie virginis et Omnium Sanctorum, nisi per papam aliud ordinetur. k
domini über der Zeile.
1
Hs: ponant.
Statuta notariorum palacii97 § 23 Notarii auditorum, qui in causis scribunt, diligenter scribant et attenti existant in officio prelibatisi] et a partibus 98 nichil
reeipiant
nisi ut inferius
est
taxatum;
contrarium facientes duplum restituant § 24 In primis 100 quod nullus notarius scribat coram aliquo auditore, nisi prius fuerit per vicecancellarium aut deputatum ab eo de scriptura et littérature 101 ac super vita [et] conversat o n e informatione reeepta examinatus et in manibus vicecancellarii Juramentum prestiterit sub hac forma 1 0 2 : Ego etc. notarius [..] auditoris commissum michi officium sollicite et fideliter exercebo. A partibus causas habentibus // (223r) vel habituris in quibus sum vel fuero notarius deputatus vel ab eorum aliquo seu quocumque alio eorum nomine quovis quesito colore vel modo nichil recipiam ultra taxationem per felicis recordationis dominum Johannem papam XXII ordinatam. Nullam causam scribendam michi procurabo, ac adhibebo Iusticiam 103 aliquam in hac parte. Non ero promoter seu procurator in causis, que coram auditore meo agantur seu agitari contingent. In [causis]"1 predictis, in quibus sum vel fuero ut prefertur notarius deputatus, omnes actus judiciarios substantial iter in manuali seu memoria in auditoris mei presentia ac etiam partium si hoc expectare voluerint conscribam. Et postquam illos conscripsero, eos necnon instrumenta et omnia alia et singula in causis producta, ubi requisitus ab auditoribus vel partibus seu earum aliqua [fuero, in registrant fideliter redigam vel redigi faciam. Requisitus ab eisdem partibus vel ab earum aliqua]" in singulis terminis successive partibus ipsis copiam, cum per auditorem foret decreta, sine difficultate et fraude faciam salvo meo justo sallario per ipsum dominum 0 Johan
(Vatikanische Quellen zur Geschichte der päpstlichen Hof- und Finanzverwaltung, Bd. 3); Die Ausgaben der apostolischen Kammer unter den Päpsten Urban V. und Gregor XI. (1362-1378) (Vatikanische Quellen zur Geschichte der päpstlichen Hof- und Finanzverwaltung, Bd. 6) Paderborn 1914-1937, passim. Von den anderen Festen ist dort nicht die Rede. In den Zeremonienbüchern ist dazu nichts zu finden, vgl. B. SCHIMMELPFENNIG, Die Zeremonienbücher der römischen Kurie im Mittelalter (BDHIR 40) Rom 1973. 97 Ab hier liegt wieder Ratio juris §§ 18 ff. vor, in den Hss. O und P eingeleitet mit: Rubrica de notariis palacii. Daß Ratio juris zu seinem zweiten Hauptgegenstand - die Notare - gekommen ist, erkennt der Leser daran, daß Johann XXII. hier zu einer Art kleiner Arenga ausholt: Wieder werden eifrige Amtsausübung, treue und sorgfältige Aufzeichnung der Akten sowie Abweisung aller Formen von Bestechung und sorgfaltige Einhaltung der Taxordnung eingeschärft. Der mit § 18 beginnende Themenkomplex in Ratio juris könnte mit "Pflichten und Zuständigkeiten der Rotanotare" bezeichnet werden (§§ 18-22). 98 Aus Ratio juris fehlt: direkt oder indirekt; nur Kürzung? 99 Entspricht in etwa § 18 Ratio juris, Schlußteil. Vgl. Dietrich von Nieheim, Stilus palatii (Anm. 26) 234. 100 Das In primis läßt erkennen, daß § 23 ursprünglich eine Arengafunktion zukam; hier ist es sinnlos. 101 Es fehlt aus Ratio juris die Ausrichtung der Prüfung in 'litteratura' und 'scriptura' auf das zu übernehmende Amt. Nur Kürzung? 102 Bei TANGL, KO (Anm. 22) 46 Nr. XI, steht der Eid wie die anderen Eide vorne vor den Konstitutionen; eingeleitet wird er in den Hss. O und P von Ratio juris durch eine eigene Rubrik. 103 Ratio juris: instantiam.
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nem papam moderato?. Secreta cause secrete servabo et presertim secreta auditorum [et sententiam donee ipsa sententia sit prolata. Supradicta omnia etc.jl. m n 0 Hs: quibus. Ausfall einer Zeile, typisches Abschreibeversehen. Hs: auditor, cass. P Hs: moderate. i Fehlt in der Hs; Zeilenausfall. § 25 Item 104 quod nullus [notariorum] r ipsorum concubinam publice tenere présumât. Si quis eorum ad presens teneat, earn dimittere teneatur. Si vero post octo dies a publicatione presentis statuti ipsam non dimiserit (illam vel aliam minime resumpturus) et deinceps aliquam tenuerit, ab officio notariatus in dicto palacio exercendo perpetuo sit privatus 105 . r Hs: auditorum.
§ 26 Item106 quod nullus notarius scribat in [causis, in] quibus procuraverit[?] vel procurator fuit, sed statim reddat commissionem auditori, alioquins per annum privetur a[!] dicto officio101. s
Hs: alias.
§ 2 7 Item 108 quod notarius registrum 109 cuiuscumque cause cum manuali suo et produces' [auscultet], antequam auditori tradat velpartibus // (223v) copiarti110 expediat[\] auscultatami, sic quod ipsius culpa nichil substanciale omittatur 1 ". u * Hs: predictis. Ratio juris: productis originalibus. Hs folgt: et collationem faciat, dann folgt, durchgestrichen: velpartibus cum. § 2 8 Item 112 quod quilibet notarius omnes actus judiciarios clare, distincte et substantialiter in manuali in auditoris presentia et partium ut in juramento continetur conscribat.
104 Es fehlen die §§20 und 21 Ratio juris, die keine direkte Entsprechung in den Statuta haben. § 20 verbot, daß Notare sich um die Zuweisung bestimmter (wohl lukrativer?) Fälle bemühten und darauf drängten. § 21 schärfte den Notaren ein, 'modestia' und 'honestas' zu wahren; ein Notar darf nicht gleichzeitig, sondern nur sukzessive bei verschiedenen Rotarichtern im Amt sein. Diese Bestimmung hat eine gewisse Entsprechung in § 11 der Statuta, wo sie aber einen anderen Akzent besitzt: der Notar soll nicht Fälle bei einem anderen Richter übernehmen. War der Wechsel zu einem anderen Richter in der Zeit der Statuta nicht mehr üblich? § 25 entspricht dann wieder fast wörtlich Ratio juris § 22. 105 Mit § 23 beginnen in Ratio juris die Anweisungen zur Sicherung der Unabhängigkeit der Rotanotare (§§ 23-24). § 23 verbot den Notaren die Übernahme eines Falles als Prokurator oder Promotor in der Rota, mit dem 'ihr' Rotarichter befaßt war. Fehlt in den Statuta. 106 Entspricht § 24 Ratio juris, stark verkürzt und verflacht. Hier war bestimmt worden, daß ein Notar keinen Fall als Aktuar übernehmen durfte, in dem er irgendwie für eine der Parteien tätig gewesen war, auch wenn er dies nicht in der Rota getan hatte. Entscheidendes Kriterium war, daß er von der Partei Einkünfte hatte (als Prokurator, Promotor oder 'pensionarius'). 107 In Ratio juris folgen nun Vorschriften über die Anlage der Registra (§§ 25-29). 108 Gegenüber § 25 Ratio juris stark verkürzt, zum Teil bis zur Unverständlichkeit. 109 Erläuterungen zum Unterschied zwischen Registrum und Manuale bei HOBERG, Register (Anm. 5) 55. Zur Anlage der Akten an der Rota vgl. auch J. REETZ, Bistum und Stadt Lübeck um 1300. Die Streitigkeiten und Prozesse unter Burkhard von Serkem, Bischof 1276-1317 (Diss. Hamburg 1951), Lübeck 1955, 27 ff. 110 Ratio juris: Desgleichen sollen alle Kopien (einfache wie offizielle) erst mit den Registra verglichen werden, bevor sie den Parteien ausgehändigt werden. " 1 In Ratio juris wird die Auslassung als nur eine Möglichkeit der Schädigung der betroffenen Partei durch Nachlässigkeit der Notare behandelt. Die Statuta lassen eine solche Möglichkeit durch Verzögern der Redaktion der Akten weg - sicher absichtsvoll. 112 Aus § 26 Ratio juris, hier in anderer Anordnung und stark verändert; es fehlen die Anordnungen, ohne Verzug und Vorwände die Übertragung in das Register vorzunehmen und Kopien für die Kunden herzustellen, wiederum mit dem Hinweis auf die Taxordnung.
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§ 2 9 Item quilibet notariorum* in registro cuiuslibet cause sententias interlocutorias, intimationes, citationes, inhibitiones, compulsorias 1 1 4 et sententias diffinitivas conscribat de verbo ad verbum 115 . v Hs folgt: actus omnes, cass. § 30 Item 116 quod acta in partibus habita minime registrentur, nisi per partes requiratur. Sed designentur in Registro; et bene et fideliter custodiantur, nisi forte [...]; et ita ob-
servetur quod[!] talia acta in partibus habita sint per modum instrumenti vel Rotali, quia tunc per modum actorum rediguntur. Recipiat tamen notarius pro folio redactorum vel de copia processus non ut de registro. § 31 Item117 si quis notarius sit perpetuo recessurus, alicui fideli et noto notario, qui sit h i c mansurus, scripturas 1 1 8 dimittat. Si vero ad tempus sit recessurus, alicui notario sui auditoris et de consensu ipsius auditoris scripturas huiusmodi dimittere teneatur. Qui notarius recepturus scripturas suppléât abeuntis notarii vices 119 .
§ 32 Quicquid120 diffinit causam, censetur habere vim diffinitive sententie. § 33 Item 121 quod notarius secreta cause, specialiter ilia, de quibus habuerit collationem cum auditore, et alia w que debent ex officio secreta" tenere directe vel indirecte, non revelet, nec extra domum faciat copiari processus. Collationem faciat et videat, si copia concordat cum originali processu; et postquam avisamentum fuerit per auditorem ut moris est // (224r) in processu p o s i t u m , notarius diligenter Registrarli custodiat et secrete, ne etiam a suis clericis possint dicta avisamenta videri. Qui notarii per se testes, cum eis commissum fuerit, examinent et depositiones testium scribant, quas, ut dictum est de Registro viso per auditorem, secrete teneant,
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Entspricht Ratio juris § 27, gekürzt. Auffällig das Fehlen von 'appellationes', dafür neu 'citationes' und 'compulsorie'. 115 Es fehlt der Zusatz "sofern durch Parteien oder Rotarichter gewünscht". Offenbar war es zu einem Recht der Rotanotare geworden, diese Schriftsätze herzustellen, ob sie jemand nun brauchte oder nicht. 116 Entspricht § 28 Ratio juris, in anderer Anordnung und stark gekürzt: Der erste Satz, daß Akten, die die Parteien vorlegen, registriert werden sollen (sog. 'producta'), fehlt. Die Bestimmung von Ratio juris, daß 'ex partibus' übersandte Schriftstücke nur auf Wunsch registriert werden sollen, und zwar von der die Registrierung begehrenden Partei, wird in den Statuta dahingehend geändert, daß solche Stücke, falls sie in 'instrumenta' oder 'rotuli' verarbeitet wurden, nicht als 'registra' interpretiert werden durften, sondern als 'redacte' und daher einem niederen Taxsatz (vgl. § 44) unterlagen. Offenbar neigten die Notare dazu, alles und jedes ins Register zu übertragen wegen der Taxen. Dem wurde hier ein Riegel vorgeschoben. 117 Entspricht in etwa § 29 Ratio juris, wo jedoch die Regelungen anders lauten: Dort soll derjenige, dem die Akten eines auf Dauer ausscheidenden Notars übergeben werden, ein alter notarius idoneus, iuratus, examinatus et approbatus ut supra sein, also wohl ein anderer Rotanotar; in den Statuta scheint an einen ortsansässigen, stadtbekannten Notar gedacht zu sein. Wenn diese Interpretation stimmt, kann die Formulierung nur aus der spätavignonesischen Zeit stammen. 118 In Ratio juris wird genau geregelt, was deponiert werden muß: omnia regestra, acta et producta causarum. Nur Kürzung? 119 Nach den Vorschriften über die Registerführung folgt in Ratio juris die Taxordnung. Diese Zäsur wird in den Hss. durch Rubriken deutlich markiert. Die Statuta nutzen sie, um Einschöbe unterzubringen: über die Geheimhaltungspflichten der Notare (§ 33), über die Fristen der Ablieferung der Register bei Appellationen (§ 34), über die zwangsweise Beitreibung der Gebühren der Notare (§ 35) sowie über den Nachweis erfolgter Zahlungen an die Notare (§ 36). 120 Offenbar eine 'decisio rotae'. 121 Entspricht KO (Anm. 22) 129 § 5, 1. Teil. Der Sache nach ist diese Bestimmung eine Überarbeitung von Ratio juris §§ 16 und 17. 114
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donec fuerint publicate?; et si notarìi temeritate propria contra premissa venire presumpserint, officio notariatus per auditorem priventur. w x Hs: illa. Hs: secrele. > Hs: publicata.
§ 34 Itemz [quandocumque appelletur a diffinitiva vel a gravamine], quod predirti [notarii] citati semel et moniti canonice infra terminum octo dierum tradant Registrum completum auditori, cui causa appellationis a diffinitiva est commissa; et, ubi gravamen, infra triduum; alias per auditorem lapso termino possint licite excommunicari; et ubi per32 duos vel plures ex dictis dominis auditoribus essent citati ad presentandum registrum infra tempus predictum ad Rotam (dictis auditoribus existentibus in consiliis), [id statim] portare teneanturbb; alioquin priventur ut supra122. z Dann folgt ein weiterer, sehr verderbter Einschub. Vorlage bislang unbekannt. bb per, cass. Hs: rennuerint.
M
Hs: zweites
§ 35 Item123 [quod] procurator ducens causam possit compelli per auditorem cause ad satisfaciendum notario de sallario sibi debito per censuram ecclesiasticam et aliis remediis juris aptiscc etiam principali suo in Curia existente, protestationibus et allegationibus non obstantibus quibuscumque, nisi principalis ex aliqua causa justa valeat excusari; et idem sit intelligendum de substituto procuratoris causam ducente124. cc
Hs: aptum, mit Korrekturzeichen?
§ 36 Item non credatur parti seu eius procuratori vel sollicitatori super solutione sallarii notarii cause, nisi constet de solutione per confessionemdd in scriptura propria notarii vel per alia legitima documenta125. dd
Hs: perfitentisl,
cass.
§ 37 Item quandocumque126 contingit procuratorem ante diffinitivam sententiam appellare, si auditori, cui causa gravaminis est commissa, cum Consilio coauditorum suorum vel maioris partis eorundem [appellatio] appareat manifeste frivola, procurator puniatur secundum arbitrium auditoris predicti, ipsum suspendendo ab officio in perpetuum vel ad tempus vel pecuniam imponendo II (224v) et alias ipsum procuratorem et non principalem condempnando in expensis in illa instantia gravaminis facti, nisi in subsidium ipso procuratore existente non solvendo. § 38 Item127 quandocumque ante sententiam diffinitivam a gravamine appelletur«6 si causa gravaminis fiierit alicui auditori commissa, et si contingat quod au122
Vgl. KO (Anm. 22) 158 § 33. Auch für diesen wie für den folgenden Paragraphen kenne ich die Vorlage nicht. 124 vgl. G. MOLLAT, Contribution à l'histoire de l'administration judiciaire de l'Église Romaine au XI V< siècle, in: RHE 32 (1936) 877-928, hier: 910 § 4. 125 Die nun folgenden neuen Einschilbe (§§ 37-39) passen inhaltlich kaum hierher, es sei denn, man akzeptierte als Verknüpfung: Wer zahlt wann wieviel? An sich gehörten sie natürlich zu den Vorschriften über die Richter (§ 37: 'appellationes frivole' gehen zu Lasten des Prokurators; § 38: Appellationen müssen stets rechtlich begründet sein; § 39: keine überflüssige Beiziehung von Zeugen zur Vernehmung). 126 Die Vorlage ist wieder die Konstitution Gregors XI., und zwar KO (Anm. 22) 129 § 3, doch erheblich modifiziert; der letzte Satz entspricht KO (Anm. 22) 130 § 10b. 127 Die Vorlage ist in bestimmtem Umfang KO (Anm. 22) 130 § 8. Vgl. Dietrich von Nieheim, Stilus palatii (Anm. 26) 228. Materiell entspricht die Bestimmung der Kanzleiregel Martins V.: RCA (Anm. 14) § 130, S. 221. 123
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ditor, cui commissum est negotium principale, in negotio principali procedat et sententiam feratff; [et] quod commissio interposita& per aliquant partium in causa appellationis a diffinitiva, non faciens mentionem de articulis gravaminis [lite] adhuc indecisa pendente et de nomine auditoris, cui articulus gravaminis est commissus, sit surreptitia ipso facto. ee
Hs: appellator.
ff
Hs:
procedere et sententiam ferre.
8g Hs: interpretata[?]
§ 39 Item128 quod nullus de cetero citatus vel arrestatus de mandato alicuius auditoris ad respondendum certis interrogationibus, quibus alias de jure sit respondendum per aliquam partium (datum vel dandum negotium principale concernens), teneatur respondere, nisi dentur per modum articulorum in scriptis et per juramentum. § 40 Item129 nonnulli dubitantes de modo procedendi vigore commissionis facte et 'sola veritate facti inspecta' et 'terminis non servatis vel abbreviatis' procedatur 1 3 0 . Ad tollendum igitur omne dubium sic erit procedendum, videlicet in beneficialibus et aliis causis, in quibus alias de jure communi '[summarie] simpliciter et de piano' 131 etc. procedatur, ut predicta verba 'si ea omnia in commissione exprimuntur' aliquid operentur; et si partes in Curia sint presentes, omisso termino ad libellandum et recepto statim a partibus calumpnie juramento, quod tarnen si non tunc omittatur, potest recipi in quacumque parte litis ad dandum positiones et artículos ad concludendum terminum X dierum 1 3 2 ad dicendum contra artículos ad primam diem. Ad producendum omnia ad judicem. Ad dicendum vero contra // (225r) producta secundum multitudinem productorum arbitrarie in prima instantia assignetur. In secunda vero et tertia instantia ad ponendum et articulandum ad secundam diem, et alii termini ut supra in prima instantia observentur. Si vero una partium fìierit absens, ita quod in eius absentia per audientiam sit processum vel procedendum, si in predicta commissione de ipsius absentia fiat mentio, et concedatur 'quod sola facti veritate inspecta' etc. ut supra procedatur. Et servetur modus procedendi antedictus. Alioquin, si non fíat mentio de absentia partis, omnes termini palacii serventur ut est moris. Si unum ex duobus predictis in commissione conceditur, puta quod 'sola facti veritate inspecta' et 'terminis hh non servatis' procedatur, serventur omnes termini palacii, sed abbrevientur ad arbitrium auditoris. hh Hs: abbreviatis, cass.
128 Dieser Paragraph betrifft einen wichtigen, jedoch umstrittenen Termin der Hauptverhandlung, der nach mehreren anderen Terminen flir die Stellungnahme zu Beweismitteln sozusagen sicherheitshalber noch gewährt wurde ad respondendum singulariter singulis positionibus et articulis per iuramentum-, vgl. A. STEINS, Der ordentliche Zivilprozeß nach den Offizialatsstatuten. Ein Beitrag zur Geschichte des gelehrten Prozesses in Deutschland im Spätmittelalter, in: ZRG KA 59 (1973) 191-262, hier: 254 ff., und den 'Modus procedendi', den G. BARRACLOUGH veröffentlicht hat: Ordo iudiciarius qui in Romana curia consuevit communiter observari, in: Jus pontificium 17 (1937) 111130 und 209-217, hier: 125 f. 129 Der Text von §§ 40-42 ist weitestgehend identisch mit dem der Konstitution Urbans VI. von 1380 Januar 7. - Zum 'modus procedendi ordine iuris non servato' vgl. H. K. BRIEGLEB, Einleitung in die Theorie des summarischen Prozesses, Leipzig 1959; C. LEFEBVRE, Procédure, in: DDC VII (1965) 294. Siehe auch Dietrich von Nieheim, Stilus palatii (Anm. 26) 225 und KO (Anm. 22) 156 §29. 1 30 Nach Horborch soll dies eine Regelung Urbans V. sein; vgl. GÖLLER, Wilhelm Horborch (Anm. 16) 677 § 4; C. LEFEBVRE, Un texte inédit sur la procédure rotale au XIV e siècle, in: Revue de Droit Canonique 10 (1961) 174-191, hier: 176 Anm. 7 und 179 Anm. 17, macht daraus eine verschollene Konstitution Urbans V., was Horborch an dieser Stelle aber nicht meint. 131 Dekretale Dispendiosam, Clem. 2.1.2, CIC (Anm. 83) II 1143. Der volle Text heißt: simpliciter et de piano ac sine strepitu et figura judicii, vgl. Dekretale 'Saepe contingit', Clem. 5.11.2, ebd. 1200. 132 Vgl. Hs. fol. 3r.
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§ 41 In causis vero prophanis, si committatur causa, quod 'summarie simpliciter et de piano' etc. ac 'sola facti veritate inspecta' et 'terminis non servatis' procedatur, servetur modus procedendo ut in causis beneficialibus supradictis, servata semper distinctione de presentia vel absentia partium superius annotata. § 42 Si vero committatur causa prophana 'simpliciter et de piano' etc., sed quod 'sola facti veritate inspecta' procedatur, tunc proceditur 'summarie simpliciter et de piano' etc., omnfes]"
tarnen terminos [palacii] in summario processu servari consuetos servando et in nonnulloü abbreviando; si vero conceditur, quod 'terminis non servatis vel abbreviatis' procedatur, tunc omnes termini in causa prophana servari consueti observentur, sed abbrevientur ad arbitrium auditoris 133 . 11 Hs: bis abbreviando alle Formen im Akkusativ Plural, ü Hs: nullo.
De taxa scripturarum134 § 43 Ceterum quia laboranti est debitamkk exhibere mercedem ordinamus135: quod 1 3 6 notarii pro petia registri unum Turonensem argenti cum dimidio et non plus habeant; et" petia // (225v) XXVI lineas ex utraque parte et quelibet dictarum linearum XHII habeat dictiones 137 . Hs: debite. "Hs:pra.
§ 44 Itemni de uno folio copie simili registro unum recipiat argenti
Turonensem.
§ 4 5 Item 139 pro citatione in audientia litterarum contradictarum 1 4 0 ultra medium similem Turonensem recipere licitum non existât. § 46 Item 141 quod [pro] inhibitione mm , que in causis fieri solet™, si fiat instrumentum, sex recipiat Turonenses. 1,1,11 nn Hs: inhibitionem. Hs: soient. 133
Der Rest der Konstitution Urbans VI. fehlt. Diese dritte große Zäsur in Ratio juris wird wiederum durch eine eigene kleine Arenga markiert (§ 30; Hss. O und P: Rubrica de salario notariorum palacii apostolici). - Eine Taxordnung für die Jahre ca. 1392-98 kennt man für das Kammergericht; MOLLAT, Contribution (Anm. 124) 922-928. Eine richtige Taxordnung für Rotanotare nach Ratio juris gibt es erst wieder in der von MEUTHEN, Rota (Anm. 7) 514 f., besprochenen Taxordnung des Basler Konzils, die mit unserer einiges gemein hat; vgl. MC II 729 ff. 135 Von der Arenga in § 30 Ratio juris, in der Johann XXII. die berechtigten Ansprüche der Notare gegen die der Parteien abgewogen hatte, übernimmt der Kompilator nur die Ansprüche der Notare und die Charakterisierung der Taxordnung als 'statutum et ordinatio'; die Rechte der Parteien fehlen bezeichnenderweise. 136 Entspricht Ratio juris §31. 137 In Ratio juris folgt nun mit § 32 eine Vorschrift, wonach die (genau definierte) Seite des Registers ('petia registri1) die Berechnungsgrundlage für Schriftstücke sein soll, die als Notarsinstrument ausgestellt werden (und nicht der Arbeitsaufwand für das Notarsinstrument und der übliche Aufschlag für dieses). 138 § 33 Ratio juris, stark verändert: Unbeglaubigte Kopien aus Registra, gleichgültig in welcher Form, werden berechnet nach der Vorlage, nämlich nach der 'petia registri'; ihre Gebühr beträgt 2/3 des Satzes für die Seite (§§ 31 und 32). In den Statuta wird die Bestimmung nur auf registergleiche Kopien angewandt. 139 Entspricht § 45 Ratio juris. 140 Hier ist aus der Vorlage 'audientia publica' geworden 'audientia ... contradictarum', wie auch bei Dietrich von Nieheim, Stilus palatii (Anm. 26) 223 unten, wo es heißt citatio in eadam audientia contradictarum ad horam causarum. 141 Entspricht § 46 Ratio juris. 134
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Item
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de intimatione ad partes quatuor Turonenses recipiat.
§ 48 Item143 de inhibitione ad partes sex recipiat Turonenses. § 4 9 Item 144 si appellatio in publicam redigatur formam, pro quolibet folio duos recipiat Turonenses. § 50
Item 145 de attestationibus pro quolibet folio duos recipiat Turonenses 146 .
§ 51
Item de copia attestationum ut de aliis unum recipiat Turonensem.
§ 52 Item 147 de sententiis diffinitivis pro folio XII recipiat Turonenses. Si vero in publicam formam redigatur, pro folio alios XII Turonenses recipiat. § 53 Item 148 de Interlocutoriis habentibus vim diffinitive idem observetur. Si vero non habent vim diffinitive, duos pro folio recipiat Turonenses, nisi flat instrumentum publicum et tunc sex recipiat Turonenses. § 54 Item 149 alie scripture non taxate secundum modum predictarum taxentur; et semper Turonenses citra montes computentur, ultra vero montes Romanini pro Turonensibus recipiantur 150 .
142 Entspricht § 36 Ratio juris. Hier ist der Akzent jedoch anders: Die Gebühr darf nur eingefordert werden, wenn die 'intimatio' - wie im vorhergehenden Paragraphen - als Notariatsinstrument ergeht. 143 Keine Entsprechung in Ratio juris, wohl aber ein später Anklang in MC II 729 ff. § 1: l f l . Renen. bzw. 8 sol. 144 Entspricht in etwa § 37 Ratio juris, jedoch wiederum mit der charakteristischen Veränderung (vgl. oben zu § 44): Berechnungsgrundlage ist jetzt die Seite des ausgestellten Notarsinstruments, bei Johann XXII. die der Vorlage. 145 Die §§ 50 und 51 entsprechen in etwa § 38 Ratio juris, stark verkürzt und verunklart. Aus § 38a wird § 50, § 38b fehlt, aus § 38c wird § 51. In § 38 Ratio juris war bestimmt worden, daß Notare für Zeugenvernehmungen, die sie selbst vorgenommen hatten (diese Klärung fehlt in den Statuta), folgende Gebühren kassieren durften: a) Eintrag ins Register: 2 Turon.; b) Kopien aus dem Register, soweit als Instrument und auf Pergament: 1 '/i Turon.) c) alle anderen Kopien sollten nach dem Satz von § 33 berechnet werden (7 Turon.). 146 Nach der Gebühr müßte es sich um Registereinträge handeln. 147 Vorlage § 39 Ratio juris, das aber stark verkürzt und verändert wird. Ratio juris hatte bestimmt, daß einem Notar für die Extension eines Definitivurteils verschiedene Gebühren zustanden: a) für Eintrag ins Register pro Seite: 12 Turon.; b) bei Ausfertigung als Instrument pro Registerseite (vgl. oben § 44) der Vorlage: 12 Turon., aber nur, wenn derselbe Notar auch das Register hergestellt hatte, c) Wo hingegen technisch eine Kopie vorlag, galten die Regeln für Kopien (§ 33), auch wenn die Ausfertigung ein Notariatsinstrument war. Die Statuta lassen aus § 39b die nötige Spezifizierung und 39c ganz weg, zu Lasten des Kunden. 148 Vorlage § 40 Ratio juris. 149 Vorlage § 41 Ratio juris, aber stark gekürzt und teilweise entstellt: Johann XXII. hatte hier verfügt, daß alle anderen 'scripture judiciales', d.h. soweit sie noch nicht in den §§ 34a ff. aufgeführt worden waren, analog zu behandeln wären; alie scripture non taxate für sich ist unverständlich. 150 Hier ist die avignonesische Optik und die Währungsangabe der frühen Zeit, die in praxi längst obsolet war, beibehalten. In der Kammer wurde der Romaninus seit 1316 durch den Turnoser Groschen ersetzt. Zu den Münz- und Währungsverhältnissen in Avignon vgl. SCHÄFER, Ausgaben (Anm. 96) Bd. 2, 110* ff. Der Turnoser Groschen wurde seit 1373 zunehmend in geringerem Gewicht ausgebracht. Als Währung in der römischen Obedienz ist er sinnlos, es sei denn, man wollte sich bewußt in die avignonesische Tradition stellen. In der avignonesischen Observanz rechnete man am Kammergericht von 1392 an mit dem Kammergulden (MOLLAT, Contribution [Anm. 124] 919), den Martin V. 1418 dann generell als Währungseinheit verordnete: KO (Anm. 22) 145 § 39.
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§ 55 Item 1 5 1 quod notarius propter premissa v e l 0 0 a l i a l o n g i o r e s scripturas seu prolixas non ponat, sed necessarium solum ponatur; nec verbis superfluis utaturw nec différât proptere a i i scripturas partibus assignare; quod si contrarium fecerit et frequentaverit, a causarum apostolicarum[!] palacio expellatur. 00 Hs: folgt de premissa vel. PP Hs: utantur. Hs: propterea doppelt.
(226r)rT § 56152 Item de absolutione ad cautelam153 vel amotioness interdicti ut de sententia diffinitiva capiat. n
Lagenwechsel mit Reklamant.
ss
Hs: ammotione.
§ 57 Item de Sequestro, si fiat per auditorem, recipiat tamen quantum abbreviator et grossator154 recipient, si sub bulla fieret. § 58 Item155 notarii cardinalium, camerarii nostri156 et mareschalli nostri157 [eadem] observent; et tam cardinales, camerarius, mareschallus, auditores de notariorum muneribus", redditibusuu atque bonis caveant, et manus teneant mundas158. tt
Lesung unsicher.
uu
Hs: Rateramisl
151 Vorlage Ratio juris § 42, aber stark verkürzt und verschieft. Johann XXII. hatte versucht, der Gefahr vorzubeugen, daß die Notare nach Einfuhrung der Taxordnung auf andere Tricks verfielen, ihre Einkünfte aufzubessern: Arbeit zu erfinden, indem man Schriftsätze gewundener formulierte ('prolixior') und Überflüssiges einsetzte. Er schärfte daher den Notaren ein, das bisher Übliche einzuhalten (fehlt in den Statuta) und die Aushändigung der Akten an die Parteien nicht zu verzögern (und zu Erpressungen zu nutzen). Als Sanktionen bestimmte er das übliche 'Duplum' und bei Rückfall Ausstoßung aus dem Dienstverhältnis. Bezeichnenderweise fehlt in den Statuten die richtige Erklärung für das Verzögern der Auslieferung; sie wird stattdessen mit den überflüssigen Schreibarbeiten in Beziehung gebracht. Die Ausstoßung aus der Rota ist in ihrer Rechtswirkung wohl absichtlich unklar gehalten (Amtsverlust oder Suspension?); statt des ersten Rückfalls sind nun häufige Verstöße Voraussetzung für die Sanktion. 152 In Ratio juris gibt es hier wiederum eine Zäsur, die der Kompilator dazu nutzt, weitere Taxvorschriften, die eigentlich hinter § 52 gehörten, einzuschieben (§§ 56-57). Sie haben natürlich in Ratio juris keine Vorlage, wohl aber ein Echo in der Taxbestimmung des Basler Konzils: MC II 729 §§ 8 und 21. In Ratio juris folgen nun Vorschriften zur Geltung der Konstitution über die Rota hinaus (§§ 43,44) und zu ihrer Rechtskraft und Veröffentlichung (§ 45). 153 VI 5.11.7 § 2 . 154 Hier bekommt der Notar beide Taxen, weil er zugleich Abbreviator und Schreiber des Dokuments ist. - Daß die Taxe für die Schreiber und die Abbreviatoren gleich hoch ist, habe ich versucht nachzuweisen: B. SCHWARZ, "Abbreviature officium est assistere vicecancellario in expeditione litterarum apostolicarum". Zur Entwicklung des Abbreviatorenamtes vom Großen Schisma bis zur Gründung des Vakabilistenkollegs der Abbreviatoren durch Pius II., in: Römische Kurie (Anm. 4: HOBERG) 789-823, hier: 810 ff. 155 Gegenüber der Vorlage Ratio juris § § 4 3 und 44 starke Kürzungen und Verzerrungen. Johann XXII. hatte in § 43 bestimmt, daß auch an den anderen kurialen Gerichten (Kardinalsgerichte, Kammergericht, Marschallsgericht und kommissarische Gerichte fehlen in den Statuta) die in der Konstitution enthaltenen Eide von den Auditoren und Notaren geleistet bzw. abgenommen werden sollten. In § 43 wurde die Extension deijenigen Vorschriften angeordnet, die a) 'munera' (Annahme bzw. Erpressung) und b) die Taxansätze betrafen, und zwar sowohl diejenigen für die Auditoren als auch die für die Notare daselbst. Davon haben die Statuten in § 58a eine allgemeine, verwaschene Bestimmung allein für die Notare an diesen Gerichten gemacht. 156 Bei der redaktionellen Überarbeitung nostri nicht getilgt. 157 Dito. 158 Eine direkte Vorlage für diese Vorschrift finde ich nicht, denn § 44 Ratio juris kann man unmöglich dahingehend uminterpretieren, daß damit gemeint sei, nun sollten alle, von den Behördenchefs angefangen, ihre Finger von den sauer verdienten Einkünften der Notare lassen. Zu der Beteiligung der Auditoren an den Einkünften vgl. oben § 6 Ratio juris; KO (Anm. 22) 128 § 5; 141 § 22; HOFMANN (Anm. 24) II 166,227 f.
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§ 59 Ut
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igitur predictct™ memorie commendanti«-, Kalendis octobris in audientia pub-
lica litterarum singulis annis publice de verbo ad verbum recitentur*™, et quilibet auditor et notarius copiam penes se habeant predictorum 160 . A m e n . w Hs: predicte. ^ Hs: recitantur.
159 Vorlage Ratio juris § 45, hier stark verkürzt und dadurch verändert: Johann XXII. hatte nach einer kleinen Arenga bestimmt, daß seine Verordnung auf ewige Zeiten gültig und in ihrem Wortlaut unumstößlich sein sollte. Eine authentische Abschrift sollte sowohl in das Kanzleibuch als auch in das Register der Audientia publica eingetragen und jedes Jahr bei Eröffnung der Rota (meist am 1. Oktober) dort verlesen werden; jeder Rotarichter und jeder Notar mußte davon eine Abschrift besitzen. Daraus nehmen unsere Statuten verständlicherweise nur den Aspekt der 'labilitas memorie' auf und die jährliche Verlesung bzw. die Verpflichtung zum Besitz für jedes Rotamitglied. Leider hat sich der Kompilator hier wie auch sonst die Gelegenheit entgehen lassen, seine Kompilation zu charakterisieren. 160 Vgl. MEUTHEN, Rota (Anm. 7) 486.
Im Heiligen Jahr am römischen Zoll Importe nach Rom um 1475 v o n ARNOLD ESCH Daß im Wirtschaftsleben Roms auf Angebot und Nachfrage noch andere Faktoren wirkten als in gewöhnlichen Residenzstädten, liegt auf der Hand. Der Zustrom der Pilger zu den Apostelgräbern, die päpstliche Vergabe von Privilegien, Ämtern und Ablässen, die Drainage von Einkünften aus aller Welt und nicht allein aus dem eigenen Staat - all das fugte der Wirtschaft im Zentrum der Christenheit eine eigene Dimension hinzu, mit eigenen Leistungen, Konjunkturen, Gewinnerwartungen. Das war bereits dem Mittelalter bewußt, zumeist unter der Perspektive vorreformatorischer Kritik, und ist für den Bereich der Papstfinanz schon verschiedentlich untersucht worden. Nicht darum geht es hier, sondern nur um einen begrenzten Aspekt, der aber bloßen Mutmaßungen mehr Halt geben könnte: um die Frage nämlich, ob und inwieweit sich im Wirtschaftsleben der Stadt Rom das Gewicht der geistlichen Dimension erkennen oder gar messen lasse. Das fuhrt zunächst einmal zu der methodischen Frage, welche Versuchsanordnung denn aufgebaut werden müsse, um eine solche Messung überhaupt vornehmen zu können. Um sein wirtschaftliches Gewicht zu bestimmen, wäre beispielsweise denkbar, den Papst einmal aus Rom wegzunehmen und zu beobachten, wie die - in den römischen Zollregistern greifbaren - Wirtschaftsdaten dann ausschlagen. Längere Abwesenheiten des Papstes aus Rom, etwa die 38 (von insgesamt 71) außerhalb Roms verbrachten Monate im Pontifikat Pius' II., lassen tatsächlich das wirtschaftliche Gewicht erkennen, das die bloße Präsenz von Papst und Kurie hatte und den Einwohnern Roms dann schmerzlich bewußt wurde: Die verzollten Importe gehen in ihrem Volumen auf 60-70 % "normaler" Jahre zurück und werden in ihrer Zusammensetzung ganz provinziell, die großen Florentiner Hoflieferanten lassen sich nicht mehr blicken, die Zahl der in den Tiber einlaufenden Schiffe sinkt auf 60-70 % der üblichen Frequenz, die Mietzinse werden vertraglich um ein Drittel oder mehr herabgesetzt. Das Ergebnis ist also wünschenswert eindeutig: Rom ohne Papst ist, ökonomisch gesehen, kaum mehr als die Hälfte seiner selbst1. Neben dieser Messung wäre, zweitens, aber auch ein Verfahren denkbar, das, statt die Präsenz des Papstes zu vermindern, umgekehrt sein Gewicht vielmehr vergrößert, um wiederum zuzusehen, ob das die wirtschaftlichen Daten ausschlagen lasse, nun womöglich nach oben und nicht, wie absente curia, nach unten. Die seltene Gelegenheit einer solchen Situation bietet ein Heiliges Jahr. Solche 1 Vgl. die Berechnungen in meiner Untersuchung: Importe in das Rom der Frührenaissance. Ihr Volumen nach den römischen Zollregistern der Jahre 1452-62, in: Studi in memoria di Federigo Melis, t. III, Neapel 1978, 381-452, bes. 448 ff., sowie allgemein: Aspetti della vita economica e culturale a Roma nel Quattrocento, Rom 1981. - Über die Importe nach Rom im weiteren Rahmen der Jahre 1470-80 und unter stärkerer Berücksichtigung der methodischen Probleme demnächst A. ESCH in: QFIAB 74 (1994).
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Heiligen Jahre oder Jubeljahre , seit Pauls II. Bulle 'Ineffabilis Providentia' von 1470 auf eine Frequenz von 25 Jahren festgesetzt, haben für unsere Zwecke auch den Vorteil, durch ihre zwölfmonatige Erstreckung (anders als sonstige außerordentliche Anlässe wie etwa eine Papstkrönung) in ihren wirtschaftlichen Daten gut mit gewöhnlichen Jahren vergleichbar zu sein. Es sind sozusagen die beiden Extrembedingungen: einmal Rom ohne Papst dann Rom mit Papst in einem Augenblick besonderer Attraktivität. So könnte einmal durch Reduzierung, dann durch Potenzierung, die Wirkung des Faktors Papsttum auf das römische Wirtschaftsleben deutlicher sichtbar gemacht werden. Da das eine Meßverfahren bereits angewendet worden ist3, sei im folgenden einmal das zweite Verfahren versucht und festgestellt, inwieweit sich ein Heiliges Jahr wie das von 1475 in den römischen Zollregistern niederschlägt. Dabei wird es nicht nur um statistische Ergebnisse, sondern auch um die methodische Einsicht gehen, was Zollregister über Import in eine Residenzstadt überhaupt aussagen können. Daß sich die Römer jedenfalls etwas von einem Jubeljahr erwarteten, ersieht man schon daraus, daß sie die Ausschreibung eines außerordentlichen Jubeljahres für 1413 dem Pisaner Papst zur Bedingung für ihre Unterwerfung unter seine Obedienz machten4. Da mochte man sich viel Zulauf und viel Konsum erhoffen. Ökonomisch war diese seltsame Stadt ja ganz anders strukturiert als gewöhnliche Städte: Rom lebte nicht von der Produktion (im materiellen Sinne), wie schon sein kümmerlicher Export zeigt, sondern vom Konsum, dem Luxuskonsum des Hofes und dem Massenkonsum der Pilger; es hatte auch ohne Pilgerverkehr einen sehr hohen Anteil residierender Ausländer (der zentrale rione Parione dürfte um 1475 ein Drittel Nichtitaliener - davon zwei Drittel Deutsche - gezählt haben, von nichtrömischen Italienern ganz zu schweigen5). All das deutet auf eine besondere Marktsituation, mit besonderer Nachfrage, besonderen Anbietern, besonderem Wettbewerb - und das zumal unter den außergewöhnlichen Bedingungen eines Heiligen Jahres. Bei einem Ereignis von der Mächtigkeit eines Heiligen Jahres wäre (um für eine solche Untersuchung erst einmal die Instrumente zurechtzulegen) etwa zu fragen, ob das Volumen der verzollten Importe insgesamt spürbar zunimmt; ob sich im Sortiment der importierten Güter der spezifische, religiöse Anlaß abbildet (daß z.B. außergewöhnliche Mengen von Madonnenbildern, Gebetsschnüren und sonstigem Pilgerbedarf geliefert werden); ob sich bei Verbrauchsgütern die Zusammensetzung erkennbar in Richtung auf Massenkonsum verschiebt (daß z.B. der Import von Wein auch in billigen Qualitäten drastisch zunimmt); ob der kirchliche Festkalender das wirtschaftliche Geschehen in Rom stark bestimmt und womöglich anders akzentuiert als in gewöhnlichen Jahren (daß z.B. der 2
Statt vieler Titel: P. BREZZI, Storia degli Anni Santi, Mailand 1975; 1475: 79 f. Bei den Heiligen Jahren des 15. Jahrhunderts wird immer wieder übersehen, daß ein außerordentliches Jubeljahr auch für 1413 vorgesehen war, siehe unten Anm. 4. 3 Siehe oben Anm. 1. 4 A. ESCH, Das Papsttum unter der Herrschaft der Neapolitaner, in: Festschrift für Hermann Heimpel, Bd. II (VMPIG 36/11) Göttingen 1972, 771. 5 A. ESPOSITO, Osservazioni sulla popolazione rionale, in: Un pontificato ed una città, Sisto IV (1471-1484), a cura di M. MIGLIO et al., Città del Vaticano 1986, 651 ff. Export: ESCH (Anm. 1) 396 ff.
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Ostertermin Importspitzen bewirkt, die in diesem Monat sonst nicht üblich sind). Und andere Arbeitshypothesen mehr. Soweit das Instrumentarium der Fragestellung. Das Material, an das sie angelegt werden soll, ist - gemessen an der eher dürftigen archivalischen Überlieferung des mittelalterlichen Rom - relativ dicht. Die römischen Zollregister des Quattrocento sind zwar bei weitem nicht vollständig überliefert. Aber sie geben nach der Jahrhundertmitte doch so viel zu erkennen, daß Typisches sichtbar wird: die jahreszeitlichen Schwankungen des Importvolumens, die Frequenz der einlaufenden Schiffe, die Menge des insgesamt und des von der Kurie importierten Weins, der Kreis der Importeure und vieles andere, so daß es möglich wird, die Untersuchungsergebnisse für ein einzelnes Jahr danach einzuordnen, was an ihnen typisch und was atypisch ist. Für den hier gewählten Untersuchungsausschnitt, das Jahr 1475, sind von den damals geführten Zoll- und Verbrauchssteuer-Registern immerhin die Register des Landzolls und des Hafenzolls erhalten6. Zwar fehlen für dieses Jahr die Bände der libri generales gabellarum und einzelner Verbrauchssteuern, und auch die Einfuhr von Getreide läßt sich, anders als die von Wein, nicht berechnen7. Aber der erhaltene Bestand der Zollregister gibt doch einen substantiellen Kern von Information - und das macht 1475 zum ersten Heiligen Jahr, für das eine solche Untersuchung überhaupt möglich ist8: mit 6130 registrierten Lieferungen zu Lande und 1019 Schiffsfrachten allein für dieses Jahr steht ein recht dichtes Material zur Verfügung. Zum rechten Verständnis der im folgenden erarbeiteten Daten sei vorausgeschickt, daß der Landzoll alle Güter (außer Grundnahrungsmitteln wie Wein und Getreide) erfaßte, die Rom auf dem Landweg erreichten: sie wurden in der Hauptzollstelle bei Sant'Eustachio (unweit des Pantheon) zentral registriert und mit einer fünfprozentigen Abgabe vom Warenwert9 belegt. Die Landzollbücher registrierten aber nur den verzollten Import, während die zollfrei an Papst, Kuriale und andere Berechtigte gehenden Güter nicht verzeichnet wurden: das ist für unsere Fragestellung sehr wichtig und stets im Auge zu behalten! Der Hafenzoll der Ripa, der für die vom Meer über den Tiber heraufgeführten Güter zentral an der Ripa romea gegenüber dem Aventin erhoben wurde und sich als 6 Vi-prozentige Abgabe vom Warenwert verstand10, verzeichnet hingegen auch die zollfrei hereinkommenden Waren, so daß wir den zollfreien, sozusagen kurialen Anteil am Gesamtimport hier endlich einmal zu fassen kriegen. Um erkennen zu können, ob die Kurve der Importe in diesem außergewöhnlichen Jahr irgendwelche Besonderheiten aufweist, sei zunächst einmal diejenige 6
Sie liegen der folgenden Untersuchung vor allem zugrunde: Rom, Archivio di Stato, Camerale I, Csimera Urbis, reg. 52 und 53 (ex 33 und 34), Introitus et exitus dohane mercium urbis apud sanctum Eustachium 1474 Juni-1476 Mai. Hafenzollregister siehe unten Anm. 44. Zum Bestand der Zollregister vgl. ESCH (Anm. 1) 382 Anm. 2, und A u (siehe unten) 84. Die Zollregister nach 1485 fehlen schon im frühesten Inventar von 1553 (vgl. Il costo [Anm. 40] 425). - Über die Organisation der Camera Urbis (und somit des Zollbetriebs) und ihr Verhältnis zur Camera Apostolica M. L. LOMBARDO, La Camera Urbis, Roma 1970; I. AIT, La dogana di S. Eustachio nel X V secolo, in: Aspetti (Anm. 1) 83 ff.; PALERMO (Anm. 44 und 61). 7 Dazu unten 885 f. 8 Zu den wenigen Zolldaten von 1450: AIT (Anm. 6) 97. 9 Der mit dem aktuellen Marktwert nicht völlig identisch sein mußte: zu den Zolltarifen ESCH (Anm. 1) 434 ff. 10 Im einzelnen PALERMO (Anm. 44).
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gewöhnlicher Jahre vor Augen gestellt. In gewöhnlichen Jahren (deren Werte freilich manchmal durch Krieg, Papstkrönung usw. beeinflußt sein können) ist bei der Einfuhr zu Lande die Kurve stets gekennzeichnet durch eine Spitze im Frühjahr, ein tiefes Tal im Hochsommer, eine zweite Spitze im Herbst. Die Spitze im Frühjahr liegt weit überwiegend (nämlich in 15 von 20 überlieferten Frühjahrsdaten zwischen 1452 und 1484) im März oder im April11; das Tal im Hochsommer fast immer (18 von 21 Sommerdaten) im Juli oder im August. Die zweite Spitze im Herbst fällt überwiegend (nämlich bei 15 von 19 überlieferten Herbstdaten) in den Oktober oder in den November12, wobei sie häufig - nämlich in 9 von 16 vergleichbaren Jahren - über die Frühjahrsspitze sogar hinausgeht. Daß die Frühjahrsspitze unmittelbar mit dem Ostertermin zu tun habe, könnte man in einigen Jahren vermuten; doch stehen dem andere Jahre entgegen. Daß Zollsummen als solche noch nicht viel aussagen, wenn man nicht auch die Strukturierung des Imports analysiert, wird noch zu zeigen sein13. Immerhin geben sie ein erstes Bild. Bei einem Heiligen Jahr könnte man nun annehmen, daß die Importe, wegen der Erwartung höheren und kontinuierlicheren Absatzes, entweder in den sonst mageren Monaten weniger brüsk absinken als üblich, oder aber daß, umgekehrt, die Kurve des Imports im jahreszeitlichen Auf und Ab noch stärker akzentuiert sei.
Diagramm 1. Importe auf dem Landweg: vereinnahmte Zollsummen 1475 und nächstbenachbarte vollständig erhaltene Jahre
Ein Blick auf die Werte in Diagramm 114 zeigt - zunächst beim Landzoll -, daß die erste Annahme auszuschließen ist: mit ihrer markanten Frühjahrs- und Herbstspitze und dem tiefen Hochsommertal entspricht die Kurve von 1475 vielmehr dem üblichen Bild, ja akzentuiert es noch. Volumen und Wert der Importe erreichen auch in absoluten Zahlen recht hohe Summen. Doch bleibt das 11
Seltener im Mai; die Zahlen bei AlT (Anm. 6) 98 ff.; vgl. ESCH (Anm. 1) Tab. 2 und Graphik 5. Seltener in den Dezember. 13 Siehe unten 879. 14 Nach den Zollregistern von Sant'Eustachio: Summen bei AlT (Anm. 6) 118 ff.: die Monatssummen in den zeitgenössischen Registern (die auch frodi, passo - und häufig: Rechenfehler - enthalten) differieren davon teilweise erheblich. Zu den fragmentarisch überlieferten Jahrgängen 1474 und 1476 siehe nachstehende Anm. 16. 12
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immer noch unter dem, was man vielleicht erwartet hätte: schon den Zeitgenossen galt dieses Heilige Jahr unter wirtschaftlichem Aspekt nicht als besonders erfolgreich15. Ziehen wir für die Interpretation zum Vergleich auch die nächstbenachbarten Halbjahre heran, die allerdings den einen Nachteil haben, daß sie vom Jubeljahr, das sie einrahmen, ihrerseits beeinflußt sein dürften16; doch sind entferntere und somit "normalere" Jahrgänge nicht erhalten: die Landzollregister 1469 Oktober1474 Mai und 1476 Juni-1477 Mai fehlen. Daß die Kurve im Dezember 1474 nicht den üblichen Abwärtsknick macht, sondern steil in die Höhe schnellt, hat natürlich mit der feierlichen Eröffnung des Jubeljahres an Weihnachten zu tun. So erreicht der Import dieses Monats, bei 684 Einträgen (oder durchschnittlich 22 Lieferungen oder Zollfällen pro Tag) den enormen Warenwert von 19 100 duc., mit hohen Werten in der ersten und besonders in der zweiten Dezemberwoche, also mit deutlicher Steigerung auf Weihnachten zu - um dann im Januar, wie gewöhnlich, zu sinken, was interessanterweise, und zur Enttäuschung der Römer, auch im Heiligen Jahr nicht ganz ausblieb. Unter den gezahlten Zollsummen sind an zweistelligen Beträgen (die einen Warenwert von mehr als 200 duc. anzeigen und ein gewisser Indikator für das Interesse der größeren - meist Florentiner - Importeure sind) nur 9 Fälle (davon allein dreimal die Florentiner Pazzi), was allein schon die Stagnation dieser Jahreszeit erkennen läßt17. Das ändert sich jedoch mit dem Frühjahr: noch nicht so sehr mit dem Nahen des Ostertermins (der in diesem Jahr auf den 26. März fiel), sondern mit dem April (21 900 duc. Warenwert), ohne daß sich dafür (außer daß es für die Pilger eine bequemere Jahreszeit war) unmittelbar eine Erklärung anbieten würde. Jedenfalls sei noch einmal daran erinnert, daß wir in diesen Landzollregistern immer nur den verzollten Import vor uns haben, während die von Papst und Kurie bezogenen Güter nicht erscheinen: das ist also nur ein Ausschnitt, was bei unserer Fragestellung (und beim Vergleich mit den Flußzollregistern) bedacht werden muß. Der Pilgerzustrom ist nun wirklich in Gang gekommen, wie auch die Zeitgenossen bemerkten18. In den Zollbüchern schlägt sich das in einer Weise nieder, die erkennen läßt, daß nun endlich das Interesse auch der großen Importeure an großen Lieferungen erwachte. Denn nicht die Zahl der Zolleinträge, also der verzollten Lieferungen, ist da ein Indiz (solche hohen Zahlen, 634 Einträge im Januar gegen 518 im April, können zustande kommen, wenn Dutzende Bauern ihre Produkte in die Stadt bringen), sondern ihr Durchschnittswert; und gab es im Januar nur 9 Fälle mit zweistelligen Zollsummen, so sind es nun nicht weniger als 27 Fälle (mit Zollsummen bis zu 82 duc. = 1640 duc. Warenwert für eine einzige Lieferung!), die - mit insgesamt 557 duc. = 11 140 duc. Warenwert - bereits die Hälfte des gesamten Imports dieses Monats ausmachen. 15
Siehe unten 891 f. Monatssummen siehe AlT (Anm. 6) 129 f. 17 10 duc. Zollsumme repräsentieren, bei 5 %, 200 duc. Warenwert, 20 duc. 400 usw. Die Zahl der Einträge bzw. Lieferungen ist eine Mindestzahl, da - mit Verweisen auf die bastardelli - bisweilen mehrere Lieferungen (evt. auch aus dem Vormonat) zusammengezogen werden. 18 Siehe unten 891. 16
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Der übliche Abstieg in das Sommerloch beginnt später als sonst (noch die letzte Aprilwoche bringt hohe Zollsummen, ja gut ein Drittel des Monatsaufkommens; Pfingsten fiel auf Mitte Mai), der Import hält sich bis in den Juli auf relativ hohen Werten, erreicht dann aber im August einen Tiefstwert, der noch markanter ist als in normalen Jahren: die Gesamtsumme minimal, die Lieferungen von geringem Durchschnittswert (19 due.), nur drei Fälle mit mehr als 200 due. Warenwert, kaum ein Florentiner läßt sich blicken19. Die Wiederbelebung beginnt, wie üblich, im September, aber nicht einmal besonders markant: Die erste Monatshälfte ist noch ganz von kleinteiligem Lokalhandel bestimmt, der zahllose Bauern und Händler - Agostino, Fiora, Diamante und wie sie sonst noch heißen - aus der näheren nördlichen und nordwestlichen Umgebung mit ihren Produkten (ihrem sevo Talg, canape Hanf, lino Leinen, spago Garn) in ganzen Gruppen in die Stadt fuhrt: ländliche Szenen, wie man sie, je nach Saison, vor dem römischen Zoll in allen Jahren sieht20. (Umgekehrt sehen wir im September dieses Heiligen Jahres den bullator pannorum der römischen Kommune hinaus nach Farfa ziehen, um auf der ländlichen Messe dort bei der Abtei die Tuche zum Verkauf zu markieren21.) Die Zollsummen bleiben entsprechend gering. Fernhandel wird greifbarer erst in der zweiten Monatshälfte, vor allem mit oberitalienischen Tuchen; erst die Lieferungen dieser Monatshälfte (mit 14 der 18 zweistelligen Zollsummen dieses Monats) bringen den Durchschnittswert je Eintrag auf 30,4 due. Den entscheidenden Schub scheinen erst die großen Kirchenfeste des Spätherbstes gebracht zu haben: ad Ongni a Saniti ve ne onderanno assai più, kalkulierten Kaufleute schon im Jubeljahr 140022. September-Oktober-November steigt der Durchschnittswert der Lieferungen stetig, steigt stetig auch die Zahl der gewichtigeren Einfuhren (18:20:28 zweistellige Zollsummen), und auch der Dezember bleibt hoch; ja selbst die ersten Monate des kommenden Jahres bringen noch viel, obwohl Überschwemmung und Seuchenverdacht den Verkehr hemmten23. Die Werte sind relativ hoch, aber nicht spektakulär, hinter den Erwartungen der Römer damals (und der Historiker heute) bleiben sie zurück. Doch nun ein Blick auf die Zusammensetzung des Imports, auf das Sortiment der Waren. Es umfaßt im großen und ganzen natürlich das für Rom Übliche: Tuche aller Qualitäten (etwa Luxustuche wie das mit Kermes gefärbte Florentiner panno di grana, der - gleichfalls meist von Florentinern gelieferte - damaschino Damast, brocato d'oro Goldbrokat, raso Atlas, tafecta Taft 24 , oder seta colorata de Lucka, aber alles nicht in exzeptionellen Mengen), Tuche aller Provenienzen (panni mantovani, di Bruges, di Milano, tele di Lodi, tele todesche usw.). Metalle vom Rohmaterial über das Halbfabrikat bis zum Fertigprodukt (ferro, ferro lavorato, filo de ferro, stagno lavorato, rame lavorato, filo de rame, und Stahl, 19
Im Juli importierte auch noch el bancho de Pazi, also die Florentiner Firma Pazzi, und schon im September erscheinen sie wieder mit 6 Lieferungen (darunter 800 Pfund Pfeffer) im Wert von 2290 due., ähnlich im Oktober: dieses Übergewicht der Pazzi über die Medici ist für den Pontifikat Sixtus' IV. sehr kennzeichnend (siehe auch Anm. 27). 20 Vgl. ESCH (Anm. 1) 384 f. 21 Camera Urbis reg. 46, fol. 17r-20r. 22 F. MELIS, Movimento di popoli e motivi economici nel giubileo del 1400; jetzt in: F. MELIS, I trasporti e le comunicazioni nel medioevo (Opere sparse di Federigo Melis VI) Florenz 1984, 256. 23 Siehe 891 f. 24 Zu diesen Qualitäten siehe ESCH (Anm. 1) 409 ff. und 434 ff.
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acciaio; auch uno barile merze de Noribergo, "ein Faß Nürnberger Ware", dürften Metallfabrikate sein25, "Nürnberger" Ware auch dann, wenn der Zollbeamte unverständig uno barile nore bergo notiert). Und natürlich Waffen (spade Schwerter und lame de spade Schwertklingen häufiger durch oberitalienische, speroni Sporen häufiger durch deutsche Lieferanten). Rohstoffe, Mineralien (azuro de la Magnia, victriolo, salnitrio usw.), Gewürze, Brillen, Lautensaiten und alles Mögliche. An lokalen Produkten bringen wie immer Leute aus der näheren Umgebung, aus Castelnuovo, Ponzano, Sutri, Trevignano und besonders Anguillara (von dort allein acht an einem einzigen Dezembertag, aus Campagnano allein 16 in den ersten fünf Septembertagen), lino Flachs in die Stadt oder, je nach Jahreszeit, viel Feigen, viel Käse. Auch die namhaften Florentiner Firmen treten am Zoll auf, wenn auch nicht so häufig wie früher: lo bancho de Spinelli (sie importieren mehrmals Bücher, einmal auch 600 Hermeline26), lo bancho de Baroncelli, lo bancho de Cam[b]ini, regelmäßig und mit höheren Summen auch die Pazzi; seltener lo bancho de Medici (oder unter dem Namen des Firmenchefs Lorenzo de Medici), deren Position sich in Rom damals bereits sehr verschlechtert hatte, bis sie dann drei Jahre später durch die Pazzi-Verschwörung mit dem Papst aneinandergerieten und ihre Aktivität in Rom vorläufig überhaupt einstellen mußten27. Daß das, was diese Florentiner Firmen da an Import verzollen, nicht ihr ganzer Warenverkehr mit Rom gewesen sein kann, ist gar keine Frage. Natürlich hatten diese Hoflieferanten und Hofbankiers andere Dinge zu tun, als in Rom Mützen und Kerzen zu verkaufen (man sehe nur einmal, was die Cambini zu Schiff einführen). Aber sie erscheinen im Landzollregister auch deshalb nicht häufiger, weil sie oft zollfrei direkt die Kurie belieferten. Für unsere Fragestellung muß diese Feststellung genügen: Der Kreis der Importeure ist für die unmittelbar voraufgehende Zeit bereits untersucht worden28. Auch Deutsche erscheinen weiterhin, Lionardo todescho, Jacomo todescho, Isbrando todescho, Todeschino della Magna usw., die Tuche, Wachs, Felle, Wildleder, Metallwaren, vetri todeschi - und libri in forma, gedruckte Bücher, importieren29. Unter den Römern sind im Importgeschäft am meisten genannt, wie schon 20 Jahre zuvor, die Massimi30 (ihre Lieferungen stehen ausnahmsweise nicht verstreut unter den Daten, sondern sind regelmäßig zu einem Konto zusammengefaßt) und die Santa Croce.
25
Reg. 52, fol. 63r; nore bergo reg. 53, fol. 57r, 90r. Ein Jacomo de Norinbergo reg. 53, fol. 18v, 25v. 26 Buch-Import siehe unten 878; armellini für 83 due. 24 boi.: reg. 52, fol. 29r. 27 R. DE ROOVER, The Rise and Decline of the Medici Bank 1397-1494, New York 1966, 221. Wie die Medici in Rom nach der fatalen Unterbrechung durch die Pazzi-Verschwörung ihre Position unter dem folgenden Papst wiederaufzubauen suchten, zeigt M. BULLARD, Fortuna della banca medicea a Roma nel tardo Quattrocento, in: Roma capitale. Atti del IV Convegno del Centro di Studi sulla Civiltà del tardo medioevo, San Miniato 1992, a cura di S. GENSINI (im Druck). 28 ESCH (Anm. 1) 421 ff. Florentiner, 429 Deutsche, usw. 29 Bücher etwa mastro Pietro todescho (hinter dem sich Peter von Köln, Frühdrucker in Perugia, verbergen dürfte), Ermanno todescho, Alberto todescho, Vito todescho (vielleicht Veit Pucher) usw.: reg. 52 und 53 passim, im einzelnen siehe II Costo (Anm. 40) 415 ff. und 539 ff. (dort fehlt: Simone de Luccha: uno libro chiamato arcidiacono, reg. 53, fol. 14r); siehe auch Anm. 42. 30 ESCH (Anm. 1) 426 ff.
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Soweit die Importeure und das übliche Sortiment an Gütern, wie es Jahr um Jahr nach Rom hereinkam. Was aber könnte die spezifische Nachfrage eines Heiligen Jahres gewesen sein? Höheren Bedarf wird man bei Heiligenbildern, Gebetsschnüren, Pilgerabzeichen erwarten dürfen, ebenso bei Papier und Pergament für die Herstellung von Pilgerbedarf, gewiß auch bei Kerzenwachs und anderen für Stiftung oder Souvenir geeigneten Dingen (für die man freilich, neben Importware, auch viel traditionell römische Eigenproduktion vermuten muß). Stellen wir uns also an den Zoll. Da sehen wir im April einen Oberdeutschen eine kleine Schachtel "Bildchen" einführen, wahrscheinlich kolorierte Holzschnitte, die als damals noch relativ neues Reproduktionsverfahren gewiß gute Absatzchancen hatten: Juliano de Custanza bol. 15 per una scatolecta lavori de imaginette, Schätzwert also gut 4 duc. - was da an Spätgotischem über die Alpen kam, wird von deutschen Pilgern bald wieder über die Alpen zurückgetragen worden sein! Im gleichen Monat importiert ein Deutscher ein Kreuz aus vergoldetem Kupfer im Schätzwert von 20 duc. und ein "Tabernakel" aus Kupfer im Schätzwert von knapp 21 duc.: Johanni todescho duc. uno per una croce rame indorato; Johanni todescho duc. uno bol. 3 per uno tabernáculo de rame31. Ein Madonnenbild wird auf rund 2 duc. taxiert (bol. 7 per una imagine de nostra donná)\ doi imagine wohl aus Florenz auf 4 duc. 12 bol.; ein Bündel carte pente auf 7 duc. 56 bol.; eine Kiste Gips- oder Stuckfiguren im Schätzwert von 10 duc., una cassa de imagini de gesso, verzollt im Mai Girolamo Spanocchi. Oder da importiert im Oktober 1475 ein Deutscher doi teste, "zwei Köpfe", die mit gut 4 duc. pro Stück recht hoch taxiert sind32. Und, im Heiligen Jahr nicht zu vergessen, die Bondieuserien: Ein Mann aus L'Aquila bringt 300 volto sancti zu nur knapp 1/2 duc., ein anderer 41 dozine de agnus Dei (wohl die zu weihenden Lämmchen aus Wachsmasse), das Dutzend geschätzt auf 1/3 duc.33. Imagini und andere religiöse Kleinkunst erscheinen freilich auch sonst am römischen Zoll, das hier Verzeichnete ist kaum mehr als in anderen Jahren, und das bedarf noch einer Erklärung, denn das Pilgersouvenir hatte in Rom, und nicht erst heute, stets einen guten Absatzmarkt. Die Bildchenverkäufer, die imaginarii in porticu Basilice, die damals vom Kapitel von St. Peter eine licentia vendendi verónicas erworben hatten, waren übrigens überwiegend Deutsche: Gerardus teutonicus, Everardus teutonicus, Gisbertus teutonicus, Katerina flaminga oder teutónica, und die genaue Lokalisierung ihrer Verkaufsstände im Introitus des Kapitels 1474/75 (retro capellam S. Andree, post capellam S. Bonifatii, post capellam S. Vicislai, retro altare mortuorum et S. Antonii) zeigt, daß sie sich ausgezeichnet postiert hatten, nämlich beiderseits des Hauptportals34.
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Reg. 52, fol. 107v, l l l r , 1 l l v (April 1475). Im einzelnen A. ESCH, Nachrichten von kunsthistorischem Interesse in den römischen Zollregistern 1470-80 (im Druck). Vgl. die Preise der Kunstimporte nach Rom 1452-62 bei ESCH (Anm. 60) 217. 33 Reg. 52, fol. 70v bzw. 77v; vgl. cento novanta agnus dei zu Schiff 1471 reg. 142, fol. 294v. 34 Rom, Bibl. Vat., Archivio del Capitolo di S. Pietro, Censuali 11, fol. 2r und 3v; die Lokalisierungen entsprechen in Alt-St. Peter den Alpharanus-Nummern 47-50 (und 85?): T. ALPHARANI, De Basilicae Vaticanae antiquissima et nova structura, ed. M. CERRATI (Studi e testi 26) Città del Vaticano 1914, Plan. Mehrere Deutsche damals auch unter den merciarii qui vendere soient in porticu et scalis basilice, sowie ein Silvester teutonicus, qui vendit candelai in porticu: Censuali 11, fol. 7v, 32
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Gute Absatzchancen dürften unter Jubeljahr-Pilgern auch paternostri, Gebetsschnüre, gehabt haben. Und tatsächlich werden sie nun in großen Mengen eingeführt. Im Januar importiert ein (auch sonst durch ansehnliche Lieferungen hervortretender) Kaufmann allein paternostri im Wert von gut 500 duc. - das müssen mehrere Tausend gewesen sein! -, ein Venezianer 5 Fässer voll paternostri de vetro im Schätzwert von 50 duc.; im April kommen weitere 2 Kisten vetro e paternostri de vetro sowie 2 Faß paternostri gialli [de] vetro für 30 bzw. 20 duc. herein35, wiederum aus Venedig, und von dort erwartet man Glasarbeiten ja auch am ehesten. Auch weiterhin passieren paternostri faßweise den Zoll36, überwiegend aus Glas und nicht die geringere nordalpine Qualität aus Bein, de osso, selten de corallo. Doch wurden paternostri auch in gewöhnlichen Jahren massenweise nach Rom eingeführt, 18 000, 20 000, ja einmal 224 migliara de paternostri zollfrei in einer einzigen Sendung37- und natürlich auch von paternostrari in Rom selbst hergestellt. Einer der Importeure heißt regelrecht Rigo delli Paternostri. Aus den Verkaufslizenzen bzw. Standgebühren von Paternoster-Verkäufern erwartete sich das Kapitel von St. Peter damals noch mehr Einnahmen als von den Veronika-Verkäufern. Oder Wachs. Daß gerade Wachs jetzt in Rom große Nachfrage haben werde, wußten Kaufleute schon im Jubeljahr 1400, wenn sie darum für Rom insino a 5 mila libbre, bis zu 5000 Pfund auf einmal orderten38. Und so auch jetzt. Welche Mengen Wachs nach Rom hereinkamen, davon bekommen wir ein Stück zu fassen, wenn wir den römischen Großkaufmann Massimo dei Massimi importieren sehen: im Oktober 1474 schon 2353 Pfund, im Januar 2889 Pfund und 143 Pfund Kerzen, im April mindestens 4439 Pfund Wachs, im Juni 3315 Pfund, im November 3122 Pfund - in diesem Jahr also mindestens 13 915 Pfund Wachs im Werte von 1390 duc.!39 Doch kann das nicht alles gewesen sein. Natürlich ist vieles - Heiligenbildchen, Pilgerabzeichen, Wachsmedaillons - gewiß massenhaft auch in Rom selbst hergestellt worden. Aber sowohl bei den Heiligenbildern als auch bei den Gebetsschnüren wie beim Wachs ist davon auszugehen, daß die registrierten Lieferungen nur einen Teil der nach Rom importierten Mengen darstellen: eben nur den verzollten Anteil. Daß die genannten Quantitäten unter den an ein Jubeljahr zu stellenden Erwartungen bleiben, läßt sich am ehesten damit erklären, daß ein großer - gewiß der größere - Anteil zollfrei an Abnehmer ging, die als geistliche Institutionen, als Kuriale oder vielleicht auch durch speziell für dieses Jahr verliehene Lizenz dazu berechtigt waren. Und gerade bei diesen religiösen Objekten war die Beschaffung über geistliche Institutionen ja auch naheliegend. Auch daß im Heiligen Jahr Weihrauch nicht genannt ist, wird man sich so erklären dürfen. 20r. - Der Handel mit religiösen Souvenirs erreichte in Italien 1992 einen Umsatz von rund 420 Mill. DM oder rund 12 DM pro Tourist/Pilger: La Repubblica, 7.11.1992. 35 Reg. 52, fol. 76v, 83r, 102r, 102v, 112r, 115r. 36 Zum Beispiel reg. 52, fol. 102r, 102v, 125r; reg. 53, fol. 28r, 44r, 92r; paternostri kommen, oft zollfrei, auch zu Schiff: z.B. reg. 144, Nr. 424, 592, 681, 1241, 1359. 37 ESCH (Anm. 1) 433, ebd. zur damals überwiegenden Qualität de osso; reg. 132, fol. 19v (1452) massenhaft paternostri in einer Schiffsladung. St. Peter: Censuali 11 (Anm. 34) fol. 2r (1475), fol. Ir (1478). 38
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MELIS ( A n m . 2 2 ) 2 5 6 .
Reg. 52, fol. 43v, 76v, 87v, 109v, 116r; reg. 53, fol. 12v, 76v-77r (mindestens, weil oft einfach auf die bastardelli verwiesen wird).
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Erhöhten Bedarf im Heiligen Jahr wird man auch bei Pergament und Papier unterstellen dürfen: für die Herstellung der von den Pilgern begehrten VeronikaBildchen und anderer imaginette, für größeren Kanzleibedarf, für den Druck von Pilgerführern und Ablaßverzeichnissen, usw. Tatsächlich war laut Landzollregistern die Menge importierten Papiers und Pergaments 1475 und in dem voraufgehenden Halbjahr beträchtlich und jedenfalls weit höher als in den folgenden Jahren; für die voraufgehenden fünf Jahre stehen leider keine Vergleichszahlen zur Verfügung, doch war der Import auch schon in den 1460er Jahren nicht geringer als jetzt 40 . Der direkt von der Kurie bezogene Papier- und Pergamentbedarf (sie war gewiß der größte Verbraucher) ist im Zollregister natürlich nicht ausgewiesen, ebensowenig das, was Kirchen und Klöster für die Anfertigung von imaginette kauften. An Papierprodukten finden sich auch trionfi und carte da jocare, also Spielkarten, wie sie auch sonst nach Rom hereinkamen41. Da unter den Papier Importierenden viele Deutsche sind, läßt sich vermuten, daß das eingeführte Papier auch für den - großenteils noch von Deutschen betriebenen römischen Frühdruck bestimmt war, der große Mengen Papier verschlang. An Büchern selbst (von denen beim Import einige ausdrücklich als da stampa, Drucke, bezeichnet werden) wird man im Jubeljahr hingegen keine spezielle Nachfrage von außen erwarten. Denn die römischen Frühdrucker versorgten den römischen Markt schon weitgehend selbst (auch die Verkündungsbulle dieses Jubeljahres wurde im übrigen ja schon durch Druck verbreitet!), ja im Juli 1474 sozusagen rechtzeitig für den zu erwartenden erhöhten Druckbedarf - trafen zu Schiff, zwischen Wein und Schinken, zwei weitere Druckerpressen ein: 2 ströme nti che sse operano da fare libri de stampa).*1 In der gleichen Fracht 1 sacchetto de libri da stampa stimati in tutto duc. 4, kurz zuvor 1 libro fardellato in uno cannebaccio, doch wohl ein Beutelbuch. Auch für die Sparte Pilgerbedarf war in Rom bereits gesorgt: Pilgerführer wurden inzwischen in Rom selbst gedruckt (darauf hatte sich etwa der deutsche Frühdrucker Adam Rot spezialisiert), die gedruckten Ablaßverzeichnisse wurden regelmäßig auf den neuesten Stand gebracht. Soweit die 1475 verzollten Büchersendungen spezifiziert sind (Baldo De usibus feudorum, 20 regule de gramatica, libri 15 pandecte, usw.43), haben sie mit den Bedürfhissen eines Heiligen Jahres denn auch nichts zu tun. Nach dem Landzoll von Sant'Eustachio nun der Hafenzoll der Ripa, der den Import registrierte, der zu Schiff vom Meer den Tiber hinaufkam und an der Ripa romea gegenüber dem Aventin entladen wurde44. Diese Hafenzollregister geben 40
P . CHERUBINI/ A . ESPOSITO/ A . MODIGLIANI/ P . SCARCIA PIACENTINI, Il c o s t o del libro, in: Scrit-
tura, biblioteche e stampa a Roma nel Quattrocento (Littera Antiqua 3) Città del Vaticano 1983, 342 ff. und 425 ff. mit Tabellen 428 und 495 ff. Doch müßten auch die Importe zu Schiff einbezogen werden: carta bzw. papiro z.B. reg. 144, Nr. 109, 592, 871 (1 balla de papiro, sono risme 5 de reale, 3 due.), 1164, 1225, 1241 (20 balle]), 1316. 41 Reg. 52, fol. 47v, 73v, 123v; vgl. ESCH (Anm. 1) 433. 42 Der Import der Druckerpressen 1474 und von Büchern nach Rom 1475 zu Schiff bei A. ESCH, Deutsche Frühdrucker in Rom in den Registern Papst Pauls II., in: Gutenberg-Jahrbuch 1993, 46 (ebd., 50 f., neue Nachrichten zu Adam Rot); zu Land in: Il costo (Anm. 40) 539 f. 43 Reg. 52, fol. 82r, 83v, 98r usw.; vgl. Il costo (Anm. 40) 539 f. 44 Zugrunde liegen Camera Urbis reg. 141 (ex 64), 1469 September-1470 September; reg. 142 (ex 65), 1470 September-1471 August; reg. 143 (ex Camerale III, Ostia, b. 1585), 1472 September-1473 Mai; reg. 144 (ex 67), 1474 Juni-1475 Dezember; reg. 145 (ex 68), 1478 Januar-Dezember; reg. 146 (ex 69), 1479 März-1480 Januar; reg. 147 (ex 70), 1480 Juni-1481 Mai; reg. 148 (ex 71), 1482 Dezember-1483 Mai. - Über die Organisation des Hafenbetriebs, die Zollerhebung, den Warenver-
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natürlich nicht dasselbe Segment von Importgut wieder wie die Landzollregister, sondern die vorzugsweise zu Schiff transportierten Massenverbrauchsgüter. Unter diesen Konsumgütern, die über große Distanzen zu Land herbeizuschaffen zu kostspielig war (denn das lohnte sich mehr bei teuren Waren wie etwa Tuchen) und die darum vorzugsweise zu Schiff kamen, ist vor allem der Wein. Der besondere Wert der Hafenzollregister für unsere Fragestellung liegt darin, daß sie auch den Wein beziffern, der zollfrei an Papst, Kardinäle und andere Berechtigte ging, während sie das übrige Importgut (roba) zwar nicht beziffern, aber wenigstens benennen. Auch bei dieser Registergattung sei mit einem Blick auf das Gesamtbild begonnen, hier: auf die Zahl der in den Tiber einlaufenden Schiffe und ihre jahreszeitlich wechselnde Frequenz. Wie beim Import auf dem Landweg erkennt man auch bei der Kurve des Tiberzolls auf den ersten Blick die Atembewegungen des römischen Wirtschaftslebens. Aus einem Februar-Tief geht es steil hinauf zu Höchstwerten im Frühjahr, dann nicht ganz so steil hinab ins Sommerloch, bis die Werte zum Herbst wieder ansteigen, ohne die gleiche Höhe wie im Frühjahr zu erreichen. Ob die FrühjahrsSpitzenwerte nun im März (1463, 1465, 1475), im April (1452, 1457, 1475, 1478) oder im Mai (1473) liegen, die Sommer-Tiefstwerte im August (1465), im September (1452, 1474, 1475) oder gar erst im Oktober (1457, 1463): die Bewegung als solche ist wünschenswert eindeutig. In dieses Bild paßt sich nun auch die Kurve von 1475 ein (schon das ist ein wichtiges Ergebnis, ebenso wie beim Landzoll), aber auf einer absoluten Höhe, die viel aussagt und nur mit dem Heiligen Jahr zu erklären sein wird. Der April-Wert liegt fast doppelt so hoch wie die schon besonders hohen - Frühjahrsspitzen der Jahre 1465, 1473, 1478! Der Tiefstwert im September ist immer noch höher als alle sonst bekannten Sommertiefstwerte; der Anstieg beginnt aber erst zum Spätherbst. Natürlich ist die monatliche Zahl einlaufender Schiffe nur ein erstes ungefähres Indiz und muß durch die monatlichen Importwerte ergänzt werden, wie sie in Tabelle 1 (unten S. 897) zusammengestellt sind. Doch zeigen auch diese Werte, in Übereinstimmung mit den Schiffszahlen in Diagramm 245, die unerhörte Spitze im April, in der sich die Massennachfrage eines Heiligen Jahres auf seinem Höhepunkt abbildet46. Allein mit den Zollsummen zu operieren ist indes unbefriedigend: Nicht nur daß sie den unverzollten Import nicht erfassen, sie geben auch keinerlei Vorstellung von der Strukturierung des Imports. Hinter ein und derselben Zollsumme kann viel billiger Wein oder wenig teurer Wein stehen; teurer Zucker oder billikehr (auch mit außerrömischen Quellen: Archivio Datini) grundlegend L. PALERMO, II porto di Roma nel XIV e XV secolo, Rom 1979, und M. L. LOMBARDO, Camera Urbis. Dohana Ripe et Ripecte, Liber introitus 1428, Rom 1978. 45 1474 und 1478 als nächste überlieferte Jahre (reg. 144, 145); bei Dezember 1475 fehlt die zweite Monatshälfte; bei November 1478 scheint die zweite Monatshälfte unvollständig. - Von 1473 sind nur die ersten fünf (reg. 143), von 1474 nur die letzten sieben Monate (reg. 144) erhalten; vgl. Anm. 44. Reg. 144 zitiere ich nach der laufenden Nummer der Schiffe. Ob das Datum der Registrierung auch genau das Datum des Einlaufens ist oder nicht doch bisweilen mehrere Fälle sammelt, ist zweifelhaft: denn von den 80 Schiffen des Juni 1474 werden allein 34 am 1. Juni registriert, hingegen im ganzen April 1479 nur ein einziges Schiff! 46 Nach reg. 144. Den Monatssummen zugrunde liegen die Daten des Einlaufens der Schiffe, nicht die Daten der Zollzahlung, also die monatlichen Zollschulden (berechnet Schiff für Schiff), nicht die Zollquittungen (am Ende des Bandes fol. 372r), die erheblich voneinander differieren (z.B. 1475 März 2766 : 1656, April 4893 : 3325, Mai 3079 : 3599, Juni 1431 : 3560 duc., usw.).
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ger Fisch; viel billige Ware oder viel teure, aber weitgehend zollfrei importierte Ware! Aus den Zollsummen selbst läßt sich das nicht ersehen. Doch ist diese direkte Berechnung unter Umgehung der Zollsumme so aufwendig, daß sie hier und im folgenden nur für ausgewählte Monate vorgenommen werden konnte.
Diagramm 2. Zahl der vom Hafenzoll registrierten Schiffe nach Monaten der Jahre 1474, 1475, 1478 180 , Schiffe
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An Vergleichszahlen steht nur das unmittelbar voraufgehende Halbjahr Juni-Dezember 1474 zur Verfugung (die Zollbücher für 1473 Juni-1474 Mai und für 1476 Januar-1477 Dezember sind verloren), der nächste vollständige Jahrgang ist erst wieder 1478. Die aus den Zollsummen ersichtlichen hohen Importe im zweiten Halbjahr 1474 könnten sich daraus erklären, daß die Absatzerwartung des schon verkündeten, nun unmittelbar bevorstehenden Jubeljahres die Einfuhr bereits anheizte. 1478 sieht das Bild dann auch wieder beruhigter aus. Nahm der Landzoll einheitlich 5 % vom Warenwert, so betrug der Hafenzoll 6 Vi % vom Warenwert sämtlicher roba, nämlich aller Güter außer Wein, für den eine eigene Berechnung galt47. Das war der Zollsatz schon in den voraufgehenden Jahrzehnten. Man muß sich bei der Auswertung nur darüber klar sein, daß es sich beim zugrundegelegten Wert der Waren nicht unbedingt um Marktpreise handelt, sondern um von der Zollbehörde gesetzte Schätzwerte, die mit dem Marktpreis aber natürlich irgendwie zu tun (gehabt) hatten48. Die Zollbeamten, die bei der Verzeichnung des Importgutes unterschiedlich genau waren (auch daran - und nicht nur an der Einfuhr selbst - mag liegen, daß manche Zollregister für uns unergiebiger sind als andere), werden bei der Taxierung von Menge und Wert einigen Spielraum gehabt haben, und manchmal glaubt man den Wortwechsel mit dem Schiffsführer herauszuhören, etwa bei unvollständiger Ladung: von Korsaren beraubt, bei Sturm über Bord geworfen, das Faß ausgelaufen (non sa lo 47
Der Warenwert muß hier, anders als beim Landzoll, nicht aus der gezahlten Zollgebühr errechnet werden, denn der Wert der roba (allerdings nur der verzollten) ist immer schon als Schätzwert beziffert: summa tutta la roba stimata ducati 100, a doana ducati 6 bolognini 36. Zum damaligen Verfahren bei Wein ESCH (Anm. 1) Anm. 40. 48 Gegenüberstellung von offiziellem Schätzwert und aktuellem Marktpreis bei ESCH (Anm. 1) 434 ff.
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numero perchè è ne stato robato dalle galee de catalani; dicono non sapere la vera quantità perche ne hanno buttato in mare per fortuna, usw.). Die Herkunft der Schiffsführer ist oft genannt (die ganze Westküste zwischen Palermo und Ventimiglia); über die Herkunft der Waren gibt das natürlich nur bedingt Aufschluß. Die höchsten Frachtwerte findet man auf Schiffen vom Typ navilio oder saettia, eine galeona bleibt Ausnahme. Bei einem reinen Weinfrachter kam man mit Spitzenmengen von 100 botte (52 500 Liter) bei teurem vino greco auf 2500 fior. Frachtwert; wenn ausschließlich mit roba beladen, repräsentierte eine hohe Zollzahlung von 150 due. einen Frachtwert von 2300 due.49 nicht viel für eine venezianische Gewürzgaleere oder ein genuesisches Rundschiff, aber viel für ein Schiff, das an der Ripa romea anlegen konnte. Wir müssen uns im übrigen vorstellen, daß auf den gleichen Schiffen, die da weinbeladen den Tiber heraufkamen, auch Pilger saßen (wie im Jubeljahr 1400 ein Kaufmannsbrief ausdrücklich vermerkt: detta nave era charicha di pelegrini di Marsilio andavono a Roma, e avea botti 80 di vini. Überhaupt kamen viele Pilger zu Schiff und stiegen womöglich in Livorno oder Gaeta auf kleinere flußgängige Schiffe um). In keinem anderen Jahr wird dermaßen auf zollfreien Transport von Pilgergut angespielt wie 1475: roba de pellegrini, nichil; vettuaglie de pellegrini, nichil; certa roba per uso de pellegrini da bere e da magniare usw.50 Während die Landzollregister den Import, der zollfrei an Papst, Kardinäle und andere Berechtigte ging, gar nicht erst nennen, führen ihn die Hafenzollregister auf51 und versehen ihn mit dem Vermerk nichil oder einfach mit dem Namen des Kardinals oder sonstigen Berechtigten: per Ilo maestro de palazo; per Monsignor de Roano (Kardinal Estouteville); per Ilo convento de Sancto Pavolo; per Ilo vececancelliere oder castellano de castello (Engelsburg), nepote del papa, sorella di Nostro Signore usw., oder auch für Ehrengäste des Papstes wie die Königin von Bosnien oder per li ambassatori de Francia. Die zu Schiff nach Rom geführten Güter umfassen ein breites Sortiment, doch überwiegen die Verbrauchsgüter. War am Landzoll die wichtigste Ware das Tuch, so ist es hier der Wein. Tuche kommen seltener zu Schiff, und eher die gröberen Gewebe, aber auch von weit her (de Ingliterra, de Flandria, de Linguadocha)52. Unter den Nahrungsmitteln ist das teuerste der Zucker. Käse, in verschiedenen Qualitäten und Provenienzen (parmesano, calabrese, ceciliano usw.), wird in ziemlichen Mengen eingeführt, im April 1475 im Wert von 1210 due. (soweit verzollt), im September für 1203 due.: das ist fast das Zweieinhalbfache dessen, was im September des Vorjahres an Käse eingeführt worden war (488 due.) - doch reicht das nicht, um schon Massenkonsum von Pilgerscharen zu konstatieren. Thunfisch kommt viel herein, neben pesce salato, alici, sarde, bisweilen schon guasto, verdorben. Oder 48 miliara de anguille, von denen der künftige Innozenz VIII. 4000 nimmt. Häufig carne salata, oft Schinken (546 pre49
Doch sind das Ausnahmen (etwa reg. 144, Nr. 94: 274 duc., Nr. 150: 195 duc., Nr. 151: 172 duc. bei Weinfracht). Zollsummen über 130 duc. sind selten und erklären sich dann fast immer aus vino greco oder Zucker plus Thunfisch. 50 Reg. 144, Nr. 448, 910, 1004, 1005, 1020, 1044, 1075, 1229, 1254. Kaufmannsbrief 1400: MELIS (Anm. 22) 251; Umsteigen ebd. 250 ff. 51 Sie fugen den Schätzwert allerdings systematisch nur bei Wein, seltener bei roba hinzu. Zollfrei blieb im übrigen auch Gut für den Eigenverbrauch der Schiffer, per lo uso. 52 Reg. 143, fol. 52v; 144, Nr. 353, 354, 701; 145, fol. 71v usw.
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sutti auf einmal, oder 60 lingue de porcho). Manchmal Reis, auch Getreide nicht eben oft und überwiegend per IIa Camera. Bemerkenswert die Mengen von Zitrusfrüchten, aranci, lemoni, lemoncelli, cetrangoli, menagnoli, immer gleich zu 25, 30, 50 migliara (also 1000 Stück), bisweilen ausdrücklich unterschieden in bittere und süße, aranci (oder menagnoli, cetrangoli) acri, aranci dolci, jedoch stets mehr bittere als süße, und immer mal wieder schon in verdorbenem Zustand: 50 migliare de cetrangoli, sono guasti assai; 100 migliare de menagnoli, sono guasti assai, gleichwohl mußten sie Zoll zahlen, ebenso 2800 cedri, sonno picholi e tristi, "klein und schäbig". Granatäpfel kommen in geringen Mengen. Sogar die zugehörigen Pflanzen finden sich, 3 piante de cetrangoli, vielleicht für einen repräsentativen Garten, jedenfalls bleiben sie zollfrei: nichil53. Und auch Kardinal Rodrigo Borgia scheint damals seinen Garten bepflanzt zu haben: 21 piante de menagnoli a lo vececancelliero; 20 piante alo vececancelliero. Unter den Gebrauchsgütern viel Häute und Leder, auch Schuhe (30, 70, 80, 100, 200 Paar, 10 Paar jeweils zu 1 duc. berechnet). Majolica kommt häufiger, verpackt in giare Krügen, und scheint teuer: 11 giare de opera de majolicha im Wert von 45 duc., oder 21 giare für 120 duc., oder opera de Valenza. Neben Kerzen werden auch Wachs und Talg eingeführt, wohl um - ebenso wie die von Bauern der Campagna durch den Landzoll gebrachten Mengen Talg - in Rom selbst zu Kerzen verarbeitet zu werden (worauf auch der Import von Talg durch candelottoi Kerzenmacher und die Einfuhr von spago da candellotti Dochtfaden hinweisen): 50 Faß Talg auf einmal (3600 Pfund, Wert 48 duc.), oder im Laufe einer Juni-Woche 1500 Pfund Wachs zu 128 duc. und 4640 Pfund Talg zu 75 duc.; der Schätzwert für 100 Pfund liegt bei Wachs meist um 9 duc., bei Talg um 1,3-2 duc.; candele Kerzen gehen faß- und kistenweise auch zollfrei an Kardinäle. Metall wird in ziemlichen Mengen eingeführt, vor allem Eisen, selten mit Angabe der Herkunft {ferro de Petra Sancta, ferro del Elba). Und immer wieder Waffen: 32, 80, 98, 138, 148 Schwerter, oder 12 balle de lame de spade Schwertklingen, oder zollfrei, weil schon gebraucht, 3 casse d'armatura usa, oder gar certe arme vechie. Überhaupt Harnische in großen Mengen: 7 balle de coraze, sono coraze 73, Wert 90 duc.; 10 balle de coraze; 20 balle de coraze, sono coraze 240. Oder da bringt ein Schiff 216 Panzer das Stück zu 1 {h duc., 36 stählerne Armbrüste, das Stück zu knapp 1 duc., und Bögen. Oder Waffen zusammen mit 2 bandiere de seta, seidenen Fahnen, alles use, gebraucht. Waffen kommen für den Präfekten von Rom, aber auch für Kardinäle. Oder da wird, im Januar 1473, die Engelsburg nachgerüstet: per lo castellano de castello bringt ein Schiff aus Savona unter anderem balestre dicissepte con soe pertinencie, "17 Armbrüste mit ihrem Zubehör", una spingar da in tre pezi, "eine Kanone in 3 Teilen", una capsetta de sagepte, "ein Kistchen Pfeile". Gleichfalls per la provisione del castello kommen 16 capsette de verettoni Schußbolzen. An Schußwaf53
Beispielsweise reg. 144, Nr. 160, 874, 986, 1173, 1369. Borgia: Nr. 1348 und 1365 (Dezember 1475, gewiß von Süden: Schiffsfuhrer aus Gaeta). 3 piante de lemoncelli gehen allo prothonotario de Savelli Nr. 239; allein am 2. Mai 1478 kommen 220, 21, 30 piante: reg. 145, fol. 88v. Schätzwert der Früchte zu Jahresanfang 1 duc. pro Tausend, dann fallend. Cedro ist die dickschalige ZitronatZitrone, melangolo die Pomeranze oder Bitterorange.
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fen immer wieder ciarabottane Hakenbüchsen. Zu den Kanonen das Pulver und sein Rohstoff Salpeter: 8 barili tra polve [re] de bombarda e salnitro54. Eine kunsthistorisch interessante Sendung sind 3 teste de marmo lavorato im Februar 1475, offensichtlich auf Bestellung eines Kurialen, denn bezahlt wird nichil. Oder die 26 capitelli de marmo, die im Mai von einem Schiffsführer aus Portovenere gebracht werden. Oder die 25 pezi de legna lavorati de più sorte, die im Juli 1475 der Kardinal Giuliano della Rovere einfuhrt. 16 carrate de marmi kommen im August, 20 weitere Fuhren im Dezember; doch hätte man, wegen des Baubooms, etwas mehr Marmorblöcke erwartet, gebrochen in einem Steinbruch oder vielleicht auch nur aufgelesen im antiken Ostia. Häufiger wird Bauholz angeliefert: große Mengen von Tannenholzbrettern und -balken (also wohl für den Gerüstbau), vielfach in Verbindung mit chiodi, chiavascioni und sonstigen Baubeschlägen: 5454 tavole d'abeto, oder 2000 Bretter und 72 Balken usw.; von 1650 tavole Brettern nimmt Santo Spirito, damals im Bau, allein 1000. Bisweilen lassen sich Marmor- und Holzlieferungen mit den gleichzeitigen Bauvorhaben von Papst und Kardinälen verbinden55. Regelmäßig kommen Kisten mit Büchern, darunter auch Frühdrucke (de stampa), oft zollfrei weil usi "gebraucht" (z.B. für Giuliano Gallo, vielleicht den, in dessen Haus der junge Michelangelo verkehren wird) oder weil für einen Kardinal bestimmt. Oder eine Fracht für mehrere hochgestellte Persönlichkeiten zugleich, deklariert von Cambino dei Cambini, einer Florentiner Firma mit Vertretung in Rom: 405 pezi de ferro Stücke Eisen, 44 travi de abeto Tannenholzbalken a Monsignor de Ili Orsini, für den Kardinal Latino Orsini, 1 cassa usa 1 gebrauchte Truhe für die Spinelli-Bank; 2 renfreschatori, nichil (Kühlbehälter wie sie damals schon in kunstvollen Formen hergestellt wurden - so vielleicht auch hier weil kein verzolltes Handelsobjekt: nichil)-, 1 cassone novo a Monsignor de Malfetta, den Kardinal Giambattista Cybo (Papst Innozenz VIII.); 5 Faß Oliven für den Bischof von Osimo usw. - kein Wunder, daß bei solch spezieller Ladung zuletzt nur noch das Eisen zu verzollen blieb56. Auffallend ist jedenfalls - wie beim Landzoll - das Übergewicht der Konsumgüter, während die Einfuhr von Rohstoffen oder von Halbfabrikaten zu weiterer Verarbeitung vergleichsweise gering bleibt (und offensichtlich mehr von Norden kommt, wie die Lebensmittel mehr von Süden). Gewiß, es werden nicht nur fertige Tuche eingeführt, sondern auch Schurwolle lana tosa und Baumwolle cotone und cotone filato, bamace und bamace filata, oder gar oro filato, argento filato', nicht nur Leder corame oder gar corame lavorato, sondern auch pelli Häute; nicht nur Schuhe scarpe, sondern auch corame da scarpe-, nicht nur ferro lavorato, sondern Metall auch in Barren: verge de ferro, pani de piommo, stagno in verge, oder Altmetall, rame usato, rame vecchio-, nicht nur fertiges Glas, vetro, 54 Engelsburg: reg. 143, fol. 54v und 148v. Präfekt bzw. Kardinäle: reg. 143, fol. 139v; 144, Nr. 205 und 304; reg. 147, fol. 49v. Schiffe voller Waffen auch reg. 146, fol. 73v und 124v. Bombarde auch reg. 142, fol. 214v (Pulver fol. 175v); reg. 146, fol. 124v, doi spingarde et una cerabotana (Arkebuse) reg. 147, fol. 157v; ciarabottane jeweils 2 zollfrei: reg. 144, Nr. 332, 428, 923, bzw. im Schätzwert von 3 duc.: Nr. 458. 55 Marmorköpfe: reg. 144, Nr. 517; Kapitelle: 836; Rovere: 1011. Weitere Betreffe zusammengestellt bei ESCH, Nachrichten (Anm. 32); ebd. zu Bauholz, Marmor und gleichzeitigen Bauvorhaben von Papst und Kardinälen. Kupfer-Tabernakel, Stuckfiguren, Intarsien, Bilder, Brennöfen siehe Anm. 31-34 und 56. 56 Reg. 144, Nr. 1156, September 1475. Bücher siehe Anm. 42 (Giuliano Gallo: reg. 144, Nr. 923).
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vetro lavorato, sondern auch cenere da far vetro oder vietro rodo, vetro vechio; nicht nur bicchieri, Gläser, sondern auch cenere da far bechieri; nicht nur gedruckte Bücher, libri da stampa, sondern auch Druckerpressen; nicht nur fertiges Papier, sondern auch carta da straccio Altpapier. Auch Einfuhrgut wie etwa zolfo Schwefel, alume Alaun (jedoch relativ selten und immer ohne Wertangabe, denn das nahe Alaun von Tolfa war Staatsmonopol), argento vivo Quecksilber, indigo Indigo könnten für Produktionsverfahren bestimmt gewesen sein, und auch die Mengen sapone Seife waren vielleicht mehr zu Zwecken der Produktion als der Hygiene gedacht. Es wäre lohnend, die Importe einmal auf diesen Aspekt hin zu untersuchen, denn die Frage, wie weit der sekundäre Sektor in Rom überhaupt ausgebildet war, ist kontrovers und schwer zu beantworten. Aber um es noch einmal zu wiederholen: die Konsumgüter überwiegen bei weitem. Die "Produktivität" Roms lag eben auf einer ganz anderen Ebene: Rom produzierte Herrschaft, Herrschaft von geistlicher Dimension, produzierte päpstliche Privilegien, Ablässe, Pfründen. Eine Produktivität besonderer Art, gewiß - doch Produktivität in ökonomischem Sinn ist auch dies. In manche Container können wir nicht hineinsehen: unkontrollierte Kisten für den Kardinal Giuliano della Rovere oder 8 casse sugellate dell'arma de Monsignor de Roano, also versiegelt mit dem Wappen des Kardinals Guillaume d'Estouteville, oder sugellato coll'arma de la Chiesta; anderes geht direkt an den Papst: 2 libri, 1 cistola de cristallino a nostro Signore. Eine speziellere Sendung sind auch die zollfrei gelieferten 4 Papageien (von denen der Papst ja immer mindestens einen um sich hatte) und das Futter dazu: 1 sacchetto de seme de papagallo. Doch leistet sich nicht nur der Papst diesen teuren Vogel, der, weil meist zollfrei an Personen von Rang geliefert, seinen Preis selten kundtut: jetzt besorgt sich auch der Kardinal Stefano Nardini einen Papagei, und die Florentiner Pazzi-Bank in Rom zollfrei einen neuen Papageienkäfig: 1 cabia da papagallo nova allo bancho de Pazi, nichil. Ungewöhnlich auch die 2 marzapani de confetti lavorati, oder die 7 fiaschi de acqua rosata für einen Kardinal, die cassa piena de inpolle [Ampullen] de acqua artificiale, oder in einer Sendung zusammen 1 fiascho con acqua d'erbe, 1 cassetta de sapone moschato, 1 cassetta de certi odori57. Recht exotisch geht es auf der caravella eines Johannes Darnes zu, die im Januar 1475 - vielleicht im Hinblick auf den Besuch König Ferrantes - zwischen Fisch und Zucker auch 98 Papageien im Wert von insgesamt 100 due., 3 gatti mamoni Meerkatzen, und 1 schiavo negro, nichil, zollfrei einen Negersklaven an Land setzt58. Auch sonst werden bisweilen schwarze Negersklaven genannt, vielleicht von den Sklavenjagden der Portugiesen an der afrikanischen Westküste - jedenfalls waren die Ränder der Welt näher gerückt, hatte ein Deutscher schon 1462 "15 Weltkarten in 50 Blatt" durch den römischen Zoll gebracht! Jetzt, 1471, 57
Reg. 144, Nr. 35, 99, 256, 346, 547, 616, 732, 783, 1226, 1347. Vgl. H. DIENER, Die "Camera Papagalli" im Palast des Papstes. Papageien als Hausgenossen der Päpste, Könige und Fürsten des Mittelalters und der Renaissance, in: AKG 49 (1967) 43 ff. (seme in den spese minute di palazzo: ebd., 6 4 f.). 58 Reg. 144, Nr. 424 (von den 3 Meerkatzen gehen 2 an den Kardinal Francesco Gonzaga, die andere wird auf 2 due. geschätzt; 1 gatto mamone, nichil, auch Nr. 256, 423, 609; 1 seimia et 1 gatto mamone Nr. 98). An schwarzen Sklaven werden genannt auch 2 schiavi negri (reg. 144, Nr. 1377; 1 schiava franchal Nr. 509); una schiavetta negra reg. 145, fol. 13v, 1478; doi schiave negre reg. 143, fol. 2v, 1472).
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ist es ein Genuese, Bartolomeo Mariani da Genoa, der una mappamondo nach Rom einführt. Diese Weltkarte könnte also aus Genua kommen, aber auch von noch weiter westlich, denn das Schiff hat auch tonina de Spagna, Thunfisch aus Spanien geladen. Es hätte nur noch gefehlt, in den römischen Hafenzollregistern auch noch Columbus' Lieblingsschiff "Niña" zu finden: denn die "Niña" war zwischen der zweiten und der dritten Amerika-Fahrt, also wohl 1497, gegen Columbus' Willen von ihrem Eigner zu einer Fahrt nach Rom eingesetzt worden, die mindestens bis Sardinien führte, wie wir aus den Pleitos de Colón, den gegen seine Erben geführten Prozessen, wissen. Oder dem Schiffsführer der "Pinta" zu begegnen, Martín Alonso Pinzón, der von sich behauptete, schon vor der ersten Fahrt, also vor 1492, in Rom ein Manuskript über die Westfahrt der Königin von Saba gesehen zu haben. Jedenfalls müßten die ersten aus Amerika eintreffenden Waren in den römischen Zollregistern registriert worden sein. Doch die Hafenzollregister der 1490er Jahre sind bis auf einen Band vollständig verloren59. Exotisch auch die pelle de liopardo oder die Haut der Seekuh, cora de bove marina, von der hin und wieder Stücke eingeführt werden. Daneben das ganz Alltägliche: cinque sedie da sedere Stühle, sei conche de terra da fare bugata Waschbottiche, 200, 300, 500 para de zoccholi Holzschuhe, 230 barrette de ogni colore picchole e granne Mützen, tre dozine de lanterne Laternen, und immer wieder schope Besen zu 2000, 5000, 7000 Stück. Daneben viel Kram: ventoli da mosche Fliegenwedel; zwischen Apfelsinen una capsetta da donna con camise, pannicelli, moctechini und altre cosette ad uso de donna; eine (nach ihrem Schätzwert von 1 duc. gewiß prächtige) sedia da barbieri nova, ein neuer Barbierstuhl. Und geradezu Genrehaftes: uno cardellino in cabia, ein Distelfink im Käfig. Manchmal werden auch Musikinstrumente genannt, von der viola über das manaccordo bis zum organo. Aber es findet sich ausnahmsweise auch das ganz Exzeptionelle: daß die Grabplatte Martins V. entgegen den Angaben Vasaris nicht in Rom gearbeitet, sondern nach Rom importiert wurde, ergibt sich allein aus ihrer Erwähnung in einem früheren Band dieser Hafenzollregister!60 Fragen wir, wie beim Landzoll, auch beim Hafenzoll: gibt die Palette der importierten Güter irgendeine spezifische Nachfrage eines Heiligen Jahres zu erkennen? Was Art und Auswahl der Güter angeht: wohl nicht. Aber diese Ripa-Register enthalten einen Mengenfaktor, der für unsere Fragestellung sehr wichtig ist: denn sie registrieren das Massenverbrauchsgut Wein, das bei einem Massenereignis, wie es ein Heiliges Jahr darstellt, deutliche Hinweise auf erhöhten Bedarf geben könnte. Das ist umso wichtiger, als sich die Einfuhr des anderen Hauptkonsumguts, des Getreides, in diesen Jahren nicht genau verfolgen läßt: zwar enthält ein quaternacio Daten zu 1475, doch können sie nicht vollständig sein, da die genannten Getreidemengen um ein Mehrfaches unter denen von 1472 und 59 Weltkarte 1471: reg. 142, fol. 113v; 1462: ESCH, Grabplatte (Aran. 60) 217. Niña, Pleitos, Pinzón: S. E. MORISON, Admiral des Weltmeeres ..., Bremen 1948, 134 ff. Hafenzollregister 1492/93: reg. 129. 60 Musikinstrumente: demnächst D. ESCH, Musikinstrumente in römischen Zollregistern 1470-83, in: Analecta Musicologica 1994; vgl. D. ESCH, Die früheste Erwähnung des Clavicymbalum in italienischer Sprache, in: Analecta Musicologica 19 (1980) 378 f. (aus den römischen Zollregistern). Grabplatte: A. und D. ESCH, Die Grabplatte Martins V. und andere Importstücke in den römischen Zollregistem der FrUhrenaissance, in: Römisches Jb. für Kunstgeschichte 17 (1978) 211-217.
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1476 liegen . Auch beim Vieh fehlen hinreichende und kontinuierliche Daten. Stellen wir unsere Frage nach dem Mehrbedarf eines Heiligen Jahres darum gerade auch für den Wein. Einfach die monatlichen Zollsummen zu vergleichen, genügt für unser Vorhaben nicht. Die erforderlichen Werte aus den Tausenden von Einträgen einzeln zu errechnen, ist allerdings sehr aufwendig. Darum wurden hier zwei Monate herausgegriffen, die im Jahreslauf der römischen Wirtschaft erfahrungsgemäß besonders kennzeichnende Werte bringen: der April bezeichnet, unabhängig vom Ostertermin, die kräftigste Belebung im Frühjahr, der September (wie auch heute noch) das Wiedererwachen aus dem Sommerschlaf. Die hier vorgeführten Weinmengen und Weinpreise sind also nicht aus den Zollsummen erschlossen (was auch schwerlich möglich wäre)62, sondern direkt aus den Angaben über Menge, Qualität und Wert berechnet. Damit konnte auch der zollfrei importierte Wein erfaßt werden. Der Zollbeamte notierte nämlich die Qualität und den aktuellen Preis nicht nur des verzollten, sondern allen eingeführten Weins und rechnete die höchst unterschiedlichen Faßformen und Faßgrößen, die er da auf den Schiffen zu Gesicht bekam, in römische botti zu 9 barili (ä 58,34 Liter, 1 botte also 525 Liter) um63 - zu unserem Glück, denn der Rauminhalt all dieser caratelli, quartaroli, cannoni, cannotelli, barili, barilotti usw. war nur für ihn überschaubar. Wein-Einfuhr hat naturgemäß ihre starken jahreszeitlichen Schwankungen. Nach Rom kam der meiste Wein, laut Hafenzollregistern, jeweils zwischen März und Mai (vor allem der vino latino), der wenigste im Herbst64. Vor diesem Hintergrund muß man die Werte jeweils sehen, wenn man die Wein-Einfuhr nach Rom mit ihren wichtigsten Qualitäten vino latino, vino corso, vino greco65 beobachtet und das Auf und Ab von Menge, Zusammensetzung, Preisentwicklung, Absatz bei hochrangigen Käufern usw. verfolgt (Tabellen 2-5, unten S. 898 ff.). Was sogleich ins Auge fallt, ist die unerhörte Spitze im April 1475, als der Wein-Import mit 4010 botte oder 2,1 Mill. Liter im Wert von rund 65 000 fior./duc. di camera einen absoluten Höchststand erreicht. Das liegt, wie aus Tabelle 2 hervorgeht (unten S. 898; sie nennt die Menge; in Warenwert April 1473/1475/1478: 7780/65 000/17 220 fior.), um ein Mehrfaches über den nächstüberlieferten Vergleichswerten und dürfte sich am ehesten aus dem Massenbedarf eines Heiligen Jahres erklären. Die Schiffsführer und Weintransporteure (darunter einer mit dem geschäftsschädigenden Namen Francesco Guastavino66), die da mit ihren saettie, navigli, barche aus Gaeta, Sperlonga, Pozzuoli, Korsika, 61
Rom, Archivio di Stato, Camerale II, Annona 90, reg. 3, fol. 20rv und 29rv. Hingegen ist ein - allerdings isoliertes - Register für das Jubeljahr 1450 erhalten (Annona 89 Nr. 2). Über die Getreideversorgung Roms im 15. Jahrhundert ist eine Arbeit von Luciano Palermo zu erwarten. Für das 14. Jahrhundert L. PALERMO, Mercati del grano a Roma tra Medioevo e Rinascimento, 1.1, Rom 1990. - Vieh: ein Band Libri inventionum reicht nur bis in den März 1475 (Camera Urbis reg. 63). Von der Dogana dei pascoli fehlt (zwischen reg. 159 und 160) 1475. 62 Zur damaligen Berechnung ESCH (Anm. 1) 392 Anm. 40. 63 Maße: A. MARTINI, Manuale di metrologia ossia misure, pesi e monete in uso attualmente e anticamente presso tutti i popoli, Turin 1883, 598. Preise in ducati di camera oder (gleichwertigen) fiorini di camera, beide zu 72 bolognini, siehe ESCH (Anm 1) 441 Anm. 167. 64 ESCH (Anm. 1) Graphik 446. 65 Keine Herkunfts-, sondern Sorten- bzw. Qualitätsbezeichnung vgl. F. MELIS, I vini italiani nel medioevo (Opere sparse di Federigo Melis VII) Florenz 1984, ad indicem. 66 Reg. 144, Nr. 759.
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der Riviera usw. den Tiber hinaufkamen, hatten sichtlich Hochbetrieb. Und noch im September liegt der Import mit 637 botti im Wert von 9750 fior. weit über dem Durchschnitt. Die Angaben der Hafenzollregister erlauben auch, den Wein-Preis und seine Schwankungen zu ermitteln, weil der Zollzahlung nicht (wie vor allem beim Landzoll) ein relativ stabiler Zolltarifwert, sondern ein aktueller, rasch sich ändernder Marktpreis zugrundegelegt wird. Von den drei meistgenannten Weinqualitäten lag im April 1475 der Preis des vino latino zwischen 10 und 20 fiorini pro botte, mit leicht fallender Tendenz, im Durchschnitt der 95 registrierten Fälle 13,4 fior.; der vino greco zwischen 18 und 24, im Durchschnitt der 14 Fälle 20,6 fior.; der vino corso zwischen 14 und 26 fior., mit fallender Tendenz, im Durchschnitt der 29 Nennungen 19,2 fior. je botte. Ein Vergleich mit den nächstüberlieferten Werten (siehe Tab. 3) ergibt, daß der Weinpreis im April 1475 deutlich höher lag als im April 1473 und im April 1478. Das kann an einer schlechten Ernte liegen; viel wahrscheinlicher aber ist, daß sich der hohe Preis jetzt, auf dem Höhepunkt des Pilgerzustroms, aus dem hohen Bedarf erklärt - und eben das ist ja die regelmäßige Klage der Römer, daß ein solches Massenereignis auch ihnen die Preise in die Höhe treibe! Andererseits liegen die Wein-Preise im September (wo sie in der Regel etwas höher sind als im April) unter denen des April 1475, ja (und das ist noch auffallender) deutlich unter den Preisen im September des Vorjahres: vielleicht ein Indiz dafür, daß noch genug Wein in der Stadt war bzw. daß man keinen so großen Absatz mehr erwartete wie im Herbst 1474 kurz vor Eröffnung des Jubeljahres. Für die Frage, wie der Bedarf eines Heiligen Jahres sich in den Importziffern niederschlage und welches wirtschaftliche Gewicht dabei diese Residenz besonderer Art - der päpstliche Hof - darstelle, ist nun jener Anteil am Import besonders aussagekräftig, der zollfrei an Papst, Kardinäle und sonstige Berechtigte ging. Er konnte beträchtlich sein, bisweilen blieb von der Weinfracht eines Schiffes gar nichts mehr für den freien Markt: resta lo greco: nichil; resta lo latino: nichil61. Schon in den 1450er und 1460er Jahren lag beim Wein-Import auf dem Tiber dieser zollfreie Anteil im Jahresmittel um die 20 % (1452, 1457, 1465), konnte ausnahmsweise auf fast ein Drittel steigen (1463), bei längerer Abwesenheit des Papstes aber auch auf 12,5 % fallen (1459, Pius II. in Mantua). Dabei war, das durchschnittliche Käuferverhalten noch akzentuierend, der kuriale Anteil im April (wenn der Wein in großen Mengen hereinkam) immer überdurchschnittlich hoch gewesen, im September (wenn die Wein-Einfuhr stark zurückging) unterdurchschnittlich niedrig68. Für 1475 ergaben sich, wie oben für die Monate April und September gezeigt, in absoluten Zahlen ungewöhnlich hohe Importziffern, die zweifellos mit dem hohen Bedarf des Jubeljahrs zu tun haben. Was nun den relativen Anteil zollfreier Einfuhr angeht, so läßt Tabelle 2 erkennen, daß die Kurie jedenfalls mitzuhalten wußte: ihr Anteil liegt im April mit 26,5 % im Prinzip zwar nicht wesentlich höher als für diesen Monat üblich - aber bei 4000 Faß ist ein Viertel doch eben 1000 Faß oder mehr als eine halbe Million Liter in einem einzigen Monat 67 68
Reg. 144, Nr. 1161. Vgl. ESCH (Anm. 1) Tabelle 448 bzw. Graphik 446.
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(Wert 17 500 fior. von 65 000 fior. insgesamt)! Selbst wenn man in Rechnung stellt, daß Kardinäle in solchem Jahr gewiß auch höhere Gastgeberverpflichtungen hatten, so ist doch schwer vorstellbar, daß das alles für den Eigenbedarf von familia und Klientel bestimmt gewesen sein sollte und nicht auch für den Ausschank an Dritte, zumal dies ja nur der von auswärts importierte Wein ist, während der auf Karren angelieferte Wein der Umgebung, etwa der Castelli Romani, noch hinzukommt! Noch bemerkenswerter ist der relative Anteil im September: Statt der früher üblichen 3-6 % (siehe Tab. 4) erreicht er nun nicht weniger als 35,3 %!69 Daß die Wein-Einfuhr insgesamt und der Bedarf der Kurie im nächsten überlieferten Jahr, 1478, wieder weit niedriger liegt, spricht entschieden dafür, daß der Bedarf 1475 außergewöhnlich war und somit dem Heiligen Jahr zuzuschreiben ist. Sollte sich ein langsames Ansteigen der Gesamtwerte feststellen lassen (wie vielleicht die Werte von 1478 ankündigen), so könnte das in dieser Zeit bereits demographische Gründe haben. Doch sollte man Verhalten am Markt nicht nur pauschal mit Prozentzahlen abtun. Bedarf und Konsumverhalten der einzelnen Kardinalshaushalte sind sehr unterschiedlich: das zeigt sich bereits für frühere Jahre (Kardinäle vom Rang eines Estouteville oder eines Barbo führten eben ein anderes Haus als ein Nikolaus von Kues70), das zeigt sich auch im Heiligen Jahr 1475. Was die Kardinalshaushalte an Wein bezogen, läßt sich nicht nur in der Quantität, sondern auch in Qualität und Preisklasse auf das genaueste feststellen (siehe Tab. 5). Monsignor de Sancto Pietro Vinchole, der Kardinal Giuliano della Rovere (und nachmalige Papst Julius II.), nimmt im April 39 botti im Wert von insgesamt 624 fior., mehr besseren vino corso als billigen vino latino. Noch deutlicher werden seine Ansprüche im September: da bezieht er, in wenigen großen Partien, die auch unter seinesgleichen erstaunliche Menge von 118 botti, und zwar ausschließlich die teuerste Qualität, den vino greco, im Wert von 2360 fior.! Zwar konnten KardimXsfamiliae recht groß sein (damals überwiegend zwischen 40 und 70 geistliche Famiiiaren; nur wenige Kardinalshaushalte - wie Francesco Piccolomini, Bessarion, Guillaume d'Estouteville - erreichten 80 bis 90, noch mehr hatte Rodrigo Borgia, aber er war eben der Vizekanzler)71. Aber selbst wenn die familia groß und ein guter Teil des gekauften Weins für die Einkellerung und nicht für den sofortigen Konsum bestimmt war, bleiben 62 000 Liter Wein (und zwar: allein der von auswärts bezogene Wein, ohne den einheimischen) für einen einzigen Kardinalshaushalt in einem einzigen Monat eine erhebliche Quantität, die schwerlich nur für den Eigenbedarf gedacht sein konnte! Im ganzen Jahr 1475 wird della Rovere es auf 387 botti oder 203 000 Liter, Rodrigo Borgia auf 222 botti bringen, immer mit einem hohen Anteil teurer Sorten. 69
Siehe unten Tab. 4; vielleicht in Fortsetzung eines schon begonnenen Trends. Weinkonsum der Kardinalshaushalte in früheren Pontifikaten siehe ESCH (Anm. 1) 447. 71 Die Zahlen gehen aus den Expektativen-Rotuli zu Beginn des Pontifikats von Sixtus IV. hervor (Reg. Suppl. 670), die die Zahl der Famiiiaren vermutlich vollständig (oder doch fast vollständig) aufführen: so nennt der Rotul von Oliviero Carafa 35, Latino Orsini 54, Marco Barbo 72, Estouteville 91, Borgia 139 (geistliche) Famiiiaren; Rovere und Gonzaga fehlen; Papstfamiiiaren 396; U. SCHWARZ, dem ich diesen Hinweis verdanke, veröffentlichte diese Liste: Die Papstfamiliaren der ersten Stunde. Zwei Expektativenrotuli für Sixtus IV. (1. Januar 1472), in: QFIAB 73 (1993) 303386, dort 360-380. B. GUILLEMAIN, La cour pontificale d'Avignon 1309-1376. Étude d'une société, Paris 21966, 273, rechnet mit durchschnittlich 25 geistlichen und 17 weltlichen Famiiiaren pro Kardinalshaushalt. 70
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Ganz anders der römische Kardinal Latino Orsini. Sein Haushalt bezieht, in vielen kleinen Partien, im April 52 botti 7 barili, und zwar viel mehr billigen vino latino als teuren greco oder corso, nimmt aber innerhalb dieser billigeren Kategorie die obere Preislage (nämlich 14,6 fior. pro Faß, während der Durchschnittspreis damals bei 13,4 fior. für das Faß latino lag). Kardinal Francesco Gonzaga bzw. sein Verwalter, deren Haushaltssorgen wir aus der dichten Korrespondenz mit den Eltern in Mantua gut kennen, halten sich, in dieser Momentaufnahme, an den oberen Rand der mittleren Preisklasse72. Den mengenmäßig größten Bedarf hatte natürlich der Apostolische Palast: der maestro de palazo orderte in diesem Monat weit überwiegend Gebrauchswein (der von ihm bestellte latino liegt genau im damaligen Durchschnittspreis von 13,4 fior. pro botte), gar keinen greco, dafür den nicht weniger teuren vino corso und eine kleinere Partie schwerer teurer Weine73. Um zu der gewöhnlichen, verzollten Einfuhr zurückzukehren: Der für den Markt bestimmmte Wein, sei er nun zu Lande oder zu Wasser gekommen, läßt sich auf seinem Wege bis zum Konsumenten noch weiter beobachten, und es ist äußerst reizvoll, ihn bis in die römischen Tavernen hinein zu verfolgen. Denn die Steuer auf den Detailverkauf auswärtigen Weines, die gabella vini forensis ad minutum (oder gabella studii, weil zur Besoldung der Professoren des Studium Urbis verwendet), verzeichnet für das Jahr 1475 unter dem Tagesdatum nicht nur den Namen des Abnehmers sowie Menge, Qualität und Preis des abgenommenen Weines, sondern gibt auch eine Lokalisierung: in campo de fiori, mehrmals auch a S. Maria de grotte pente (also beim Pompeius-Theater); ale boteghe ischure (Botteghe oscure), in piaza judea, a la Minerva; a Sancto Celso, a torre de Nona, beides an der Engelsbrücke; a ponte Sisto - denn so hieß diese nagelneue Brücke offiziell schon im Jahre ihrer Fertigstellung, usw.74 (so wie sich, wenn die Annona-Register einmal erhalten sind, auch das Getreide bis zu den römischen Bäckern und in ihre Mikro-Toponymie verfolgen läßt: Guaspare di Basilea panactiere in Campo di fiore\ oder ad lo pede [wohl: di marmo], ad la zecha vechia, ad quactro capore, Ponte Quattro Capi, ad la immagine [wohl: di Ponte], ad l'archo delli Cienci usw.75). Für eine solche römische Osteria, in Trastevere gleich beim Hafen gelegen, läßt sich durch die Kombination von drei römischen Quellengattungen (Notarsimbreviaturen, Zollregister, Verbrauchssteuer) der Weg des Weins zum Konsumenten einmal genau verfolgen76. Eine societas ad exercitium taberne et hospitii fiendi vom Sommer 1474 zwischen einem süditalienischen Schiffsführer und seinem Landsmann, einem Gastwirt am römischen Tiberhafen, war in seinem Kern ein Liefervertrag, der, wie die Vertragsdauer (bis Ende 1475) zeigt, das Heilige Jahr im Auge hatte. Tatsächlich lieferte der Schiffsführer in dieser Zeit sechsmal Wein nach Rom, von dem auch mehrere Kardinalshaushalte kauften. Und hier greifen die Quellengattungen ineinander: kaum hatte er am 3. Mai im Tiberhafen 72
Siehe jeweils unten Tabelle 5 (S. 901) bzw. 3 (S. 899). Im September werden nur 2 botti 6 Vi barili latino und 10 botti greco bezogen. Camera Urbis, reg. 98. 75 Camera Urbis, Camerale II, Annona 89, reg. 3 (1461), Vermarktung durch die Apostolische Kammer. 76 Zum folgenden Fall des Näheren I. Arr und A. ESCH, Aspettando l'Anno Santo. Fornitura di vino e gestione di taverne nella Roma del 1475, in: QFIAB 73 (1993) 387-417. 73
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seine 23 625 Liter Wein verzollt, als auch schon am gleichen Tage sein Landsmann und Kompagnon, der römische Wirt, für 4358 Liter abgenommenen Weines zur gabella veranlagt wird! Das Innere solcher Osterien unweit der Ripa romea zeigen noch die bekannten Bilder des 19. Jahrhunderts mit Thorvaldsen oder mit Ludwig I. von Bayern. Giovanni Rucellai schätzte im Jubeljahr 1450 die Zahl allein der offiziell gekennzeichneten römischen Osterien auf 1022: erano in Roma questo anno del giubileo hosterie milleventidue, che tengono insegna di fuori. Et sanza insegna anche uno grande numero. Und gerade die Pilger werden die Fälle von Kundenbetrug zu spüren bekommen haben, von denen die Strafregister auch im Heiligen Jahr 1475 zu berichten wissen: die Köchin Elena in einem Gasthaus im Borgo spart am Brot {ab Elena cocha in burgo in taberna Ludovici aromatarii pro pane iniusto), der Wirt des Gasthauses "Zum großen Paradies" (denn es gab dort, bei der heutigen Piazza Pollarola, auch ein "kleines") spart am Wein (a Johanne tabernario ad paradisum magnum pro mala mensura vini). Gastwirte, Bäcker, Metzger sind unter den Straffälligen denn auch die meistgenannten Gewerbe. Und auch im Heiligen Jahr wurde Gott gelästert (Strafen pro blasfemia), wurde gestritten {per excessum commissum, darunter mancher Deutsche als Täter wie als Opfer, und auch untereinander), wurde gespielt (bestraft weil repertus ad ludum, trovato al zoco) - und neben dem Gnadenhunger auch Fleischeslust befriedigt: drei Tage nach Pfingsten wurden - sie alle aus den Niederlanden und aus Deutschland - drei lenones Kuppler bestraft, weil jeder vorschriftswidrig eius feminam in postribulo, seine Frau (was immer hier "seine" bedeuten mag) im Bordell hielt77. Daß im Heiligen Jahr der Weinkonsum deutlich höher lag als in gewöhnlichen Jahren, zeigt im übrigen auch eben diese Weinsteuer. Im Vergleich zu 1472 (als dem nächstvoraufgehenden überlieferten Jahr) liegt der Steuerertrag 1475 mehr als doppelt so hoch (22 993 : 48 318 libre). Aussagekräftig ist auch der Vergleich der Monate, wobei hier noch das nächstüberlieferte Jahr 1479 hinzugenommen sei. In allen drei Jahren wächst der Getränkekonsum deutlich mit der warmen Jahreszeit. Umso auffallender die Konsumspitzen 1475 in den pilgerreichen Frühlingsmonaten, die für gewöhnlich noch mäßigen Weinverbrauch haben: der März 1475 hat weit mehr als das Doppelte des März 1472, der April das Dreieinhalbfache, der Mai gut das Dreieinhalbfache, der Juni das Zweieinhalbfache, der Juli fast das Doppelte. In den hohen schwarzen Säulen von Diagramm 378 drückt sich also, wirtschaftswissenschaftlich gesprochen, eine Konjunktur aus (Heiliges Jahr), in den allgemein höheren Werten von 1479 gegenüber 1472 hingegen ein Trend, der vielleicht demographisch bedingt ist.
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Introitus maleficiorum im Introitus Camere Urbis 1474/75, Camera Urbis reg. 286 und 289; Köchin/Wirt: 286, fol. lOv und 8v; die 3 Kuppler (leno: theothonicus, de Brugis, de Frandria) jeweils 2 1/2 due. pro eo quod retinuit eius feminam (oder mulierem) in postribulo contra formam bannimentorum 286, fol. 136v, 17. Mai 1475. Giovanni Rucellai: Zibaldone: ed. A. PEROSA, London I960, 77; zur Topographie des römischen Gastgewerbes M. ROMANI, Pellegrini e viaggiatori nell'economia di Roma dal XIV al XVII secolo, Mailand 1948, 58 ff. 78 Camera Urbis reg. 97 (1472), 98, 101 (1475), 99 (1479); in libre {solidi gerundet auf libre). In der hohen Monats-Säule Mai könnten auch Zahlungen für April-Lieferungen enthalten sein.
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D i a g r a m m 3 . W e i n k o n s u m a u ß e r h a l b der Kurie: S t e u e r e r t r a g der
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"gabella
vini f o r e n s i s a d m i n u t u m " Vergleich der Monate April bis Juti der überlieferten Jahre 7 0 0 0 , libre D 1472
6000 i 5000
UM
=i •I
April
• 1479
•
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J n Mai
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r-m11 • Juni
•
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Juli
Fragen wir uns zuletzt, wie das aus den Zollregistern gewonnene Bild mit den sonstigen Nachrichten zusammengehe, und was sich über Ablauf und Pilgerfrequenzen dieses Jubeljahres - und überhaupt der Jubeljahre des 15. Jahrhunderts aus anderen Quellen wissen lasse. Das Jubeljahr 1475 ist in den erzählenden Quellen weit weniger dokumentiert als das voraufgehende von 1450, und es galt auch als weit weniger besucht: per le discordie e guere fu pocho fraquetato [frequentato] et andd puocha zente a Roma19. Dabei war dieses Jubeljahr, ganz anders als etwa das von 1400, frühzeitig verkündet und - wie schon die Zeitgenossen rühmten - sorgfältig vorbereitet worden: Kirchen und Spitäler wiederhergestellt, Straßen gepflastert; ja eine neue Tiberbrücke wurde gebaut, der Ponte Sisto, dessen Bauinschrift ausdrücklich auf den Nutzen des römischen Volkes peregrinaeque multitudinis ad iubileum venturae Bezug nimmt80. Was den Pilgerzustrom betrifft, so wird er zu Ostern, das in diesem Jahr auf den 26. März fiel, beträchtlich gewesen sein; die Zahl derer, die am Himmelfahrtstag Anfang Mai dem päpstlichen Segen beiwohnten, schätzte der Gonzaga-Agent Gianpietro Arrivabene auf 200 000 Personen81, was vermutlich zu hoch gegriffen ist. Der Florentiner Luca Landucci brach überhaupt erst kurz nach Himmelfahrt zur Jubeljahrwallfahrt nach Rom auf, wie er in seinem Tagebuch berichtet82. Die Aussagen der stadtrömischen Chronisten bleiben zu 1475, ganz im Unterschied zum Jubeljahr von 1450, merkwürdig spärlich und blaß. Infessura etwa geht vom Besuch König Ferrantes im Januar eigentlich gleich zur gewaltigen Tiberüberschwemmung im Spätherbst über83, die die Zugänglichkeit stark behinderte und die akute Gefahr von Epidemien mit sich brachte. Aus dieser Behinde79
Cronaca di Bologna, Continuazione, in: MURATORI, Rerum italicarum scriptores, nuova ed. XVIII parte I, vol. 4, Bologna 1939, 443 f. 80 Zum Bau des Ponte Sisto und seiner Finanzierung zuletzt U. SCHWARZ, Sixtus IV. und die deutschen Kurialen in Rom. Eine Episode um den Ponte Sisto (1473), in: QFIAB 71 (1991) 340-395. Weitere Maßnahmen siehe L. V. PASTOR, Geschichte der Päpste seit dem Ausgang des Mittelalters, Bd. II, Freiburg » »1925, 509 ff. 81 PASTOR II (Anm. 80) 515; deutsche Pilger im Bruderschaftsbuch der Anima: ebd. 82 Florentinisches Tagebuch 1450-1516 (Das Zeitalter der Renaissance, Bd. 1/5) [Neuausgabe] Düsseldorf-Köln 1978,27. 83 Diario della città di Roma di Stefano Infessura scribasenato, a cura di O. TOMMASINI (Fonti per la storia d'Italia 5) Rom 1890, 80.
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rung und Gefährdung mag sich erklären, daß ein kräftiger Anstieg der Importkurve vor Weihnachten diesmal zu Lande wie zu Wasser ausblieb. Pestgefahr spricht sich rasch herum. Auch im Jubeljahr 1400 hatte der Ausbruch der Pest zur Folge, daß sich ökonomisch nichts mehr tat: la moria fa qui gran dano ... Danari sono in larghezza e per durare; e non si fa nulla14. Ähnlich im Jubeljahr 1450, als der Papst im Frühsommer wegen einer Epidemie die Stadt verließ. Sixtus IV. seinerseits zog endlich die Konsequenz, indem er den Jubeljahrablaß für die Osterzeit des Jahres 1476 nach Bologna übertrug85. Zwar erbrachten diese Monate ökonomisch immer noch etwas, aber hinter den Erwartungen der Römer blieb das gewiß zurück. Wie ein Heiliges Jahr in der Regel abläuft, und wo die Spitzen- und Tiefstwerte des Pilgerzustroms liegen, muß man fiir die rechte Interpretation der aus den Zollregistern gewonnenen Wirtschaftsstatistik vor Augen haben. Der gewöhnliche Ablauf läßt sich, auch wenn für 1475 Nachrichten weitgehend fehlen, für das späte Mittelalter doch einigermaßen zuverlässig rekonstruieren. Natürlich ist auch ein solches Jahr - und gerade ein solches Jahr - durch den liturgischen Kalender mit seinen hohen Kirchenfesten geprägt. Konstanten dieser Art nennt bereits Matteo Villani für das Jubeljahr 1350 (wenn auch seine absoluten Zahlen wenig glaubwürdig sind): erster Höhepunkt Weihnachten mit der feierlichen Eröffnung, dann vor allem die Fastenzeit und Ostern; Himmelfahrt und Pfingsten zwar weniger, aber immer noch auf hohem Stand; im Sommer dann kaum noch Zulauf "wegen der Erntearbeit und der schrecklichen Hitze"86. Daß der Ostertermin immer den stärksten Pilgerverkehr bringt, gilt grundsätzlich; auch in dem offiziell gar nicht verkündeten, von den Gläubigen aber postulierten Jubeljahr 1400 registrierte man schon zu Mittfasten gente assai, e ongni dì ci se n'atende più87. Die nach Ostern zwar abflachende, aber mindestens bis Pfingsten noch starke Präsenz ist verschiedentlich belegt, ebenso das ausgeprägte Sommer-Tief und das Wiedereinsetzen des Pilgerstroms in September oder Oktober zu einem zweiten Höhepunkt um Weihnachten. Auch die Höhe der Spenden im Opferstock von St. Peter im Jubeljahr 1390 gibt diese Kurve, und spätere genaue Zahlen, wie die Pilgerbeherbergungen durch die Arciconfraternità della SS. Trinità im Jubeljahr 1575, sagen dasselbe88. Den weitaus lebensvollsten und präzisesten Einblick in den römischen Alltag eines Heiligen Jahres aber liefert ein bescheidener römischer Chronist, Paolo 84
Brief des Medici-Vertreters aus Rom bei MELIS (Anm. 22) 255. PASTOR II (Anm. 80) 517. Daß reichliche Vergabe des Jubeljahrablasses nach auswärts auch Grund für den geringeren Zustrom nach Rom gewesen sein könnte (ROMANI [Anm. 77] 45 Anm. 158), bliebe zu untersuchen, ist für das Jubeljahr selbst aber eher unwahrscheinlich, zumal Sixtus IV. für die Dauer dieses Jahres alle anderen vollkommenen Ablässe aufgehoben hatte (PASTOR II [Anm. 80] 509). - Rom, Archivio di Stato, Camerale I, Collettorie, reg. 1145 enthält einen Band mit den (meist burgundischen) Erträgen der indulgentia anni Iubilaei 1476-80 (vgl. H. FINKE, in: Zeitschrift für Geschichte Westfalens 45 [1887] 113 f.), überwiegend durch Tommaso Portinari aus Brügge per Wechsel an die Apostolische Kammer überwiesen (fol. 118r). 86 Matteo Villani, Istorie, in: MURATORI, Rerum italicarum scriptores, t. XIV, Mailand 1729, 57: ma venendo la state [l'estate], cominciò a mancarle la gente per le occupazioni delle ricotte, e per lo disordinato caldo-, nennt Preise, jedoch ohne Vergleichszahlen. 87 MELIS (Anm. 22) 254; vgl. Aufbruch spanischer Pilger ebd. 248 f. Zum Jubeljahr von 1400 siehe A. ESCH, Bonifaz IX. und der Kirchenstaat (BDHIR 29) Tübingen 1969, 336 ff. 88 1390 siehe Anm. 94, 1575 ROMANI (Anm. 77) 323 ff. 85
IM HEILIGEN JAHR AM RÖMISCHEN ZOLL
893
89
dello Mastro, in seinem Memoriale, zum Jahre 1450 . Erster Höhepunkt ist wieder das Weihnachtsfest als Beginn des Heiligen Jahres; mit solchem Zulauf, daß le mole e liforni non poteano supplire a tanta gente, daß Mühlen und Backöfen für die Versorgung so vieler Menschen nicht hinreichten. Maßnahmen wie erleichterter Zugang zu den Heiltümem, vermehrte Spendung des päpstlichen Segens, Herabsetzung der Mindestverweildauer auf 3 Tage versuchten, dem Massenandrang zu steuern. Das geht so von Weihnachten bis Ende Januar. Dann das Unerwartete: non ce ne veniva quasi persona, "es kam kaum noch jemand, so daß die Gewerbetreibenden alle unzufrieden waren und sich jeder ruiniert glaubte (tale che Ii nustrianti [industrianti] tutti stavano malcontenti e parea a ciascuno esser desfattö), und das blieb so bis zur Mitte der Fastenzeit; dann ging es wieder los", - und zwar so, daß die Pilger draußen in den Weinbergen schliefen, und in der Osterwoche die Brückenwache und ein Hilfsdienst, zu dem auch unser Autor gehörte, gefährliches Gedränge auf der Engelsbrücke noch nachts mit Stockhieben regulieren mußten. Das sei so bis Himmelfahrt gegangen (damals der 14. Mai), dann sei der Zustrom ausgeblieben wegen der Pest, die auch den Papst die Stadt meiden ließ. Mit der Rückkehr des Papstes (25. Oktober 1450) setzte der Zustrom wieder ein, et ogni casa era albergo e non bastava. Als die Versorgung abermals zusammenbrach, setzte der Papst die Mindestverweildauer nun sogar auf einen einzigen Tag herab: e questo faceva per che la gente abunnava tanto che affamava Roma. Daß die Fluktuation der Pilger tatsächlich sehr stark war, zeigt die erstaunte Feststellung unseres Beobachters, daß Rom sich jeden Sonntag jeweils entleerte, um am nächsten Samstag wieder ebenso voll von Neuankömmlingen zu sein90: ogni domenica se voitava Roma della gente che se ne annava, e llo sabato seguente era pieno ogni cosa che non ze ce capea; se tu annavi a Santo Pietro, tu non potevi gire per le strade per la molta gente, e cosi a Santo Pavolo tutto pieno, a Santo Ianni pieno, a Madonna pieno, also Santa Maria Maggiore usw., und bei der Spendung des päpstlichen Segens alles voll Menschen dort bis in die Weinberge hinein. Und das ging so bis Weihnachten: das schreckliche (vom Autor als Augenzeugen beschriebene) Unglück auf der Engelsbrücke, 172 Tote im Stau der nach St. Peter drängenden Massen, geschah erst Mitte Dezember. Hinter solch unerhörtem Andrang wird das nächste Heilige Jahr 1475, wie gesagt, weit zurückbleiben. Aber nicht darum geht es hier, sondern um die Konstanten, um Gemeinsamkeiten im jahreszeitlichen Auf und Ab des Pilgerverkehrs. Wenn Beobachter für die von ihnen erlebten Jubeljahre oft mit Erstaunen und Enttäuschung das zeitweilige Ausbleiben des erwarteten Pilgerstroms feststellten, so verkannten sie dabei wohl unbewußt, daß der Zustrom nach Weihnachten immer gering ist, daß er nach Ostern bzw. Pfingsten immer stark zurückgeht, und daß vor dem Herbst nie eine Besserung zu erwarten ist. Diese Kurve muß man vor Augen haben, um die Zolldaten eines Heiligen Jahres richtig zu verstehen. Was an dieser Jahreskurve des Pilgerzustroms auffällt, ist, daß sie weitgehend mit der Kurve übereinstimmt, die sich aus den verfugbaren römischen Wirtschaftsdaten mit ihren Spitzen in Frühjahr und Herbst und ihrem Tiefpunkt im 89 II 'Memoriale' di Paolo di Benedetto di Cola dello Mastro, in: MURATORI (Anm. 79) XXIV/2, Città di Castello 1912, 93-95. 90 Jeden Samstag wurden die Häupter der Apostelfiirsten, jeden Sonntag wurde das Veronika-Bild gezeigt und der päpstliche Segen gespendet.
894
ARNOLD ESCH
Sommer ergab: die Atembewegung des römischen Wirtschaftslebens und die Pilgerbewegungen stimmen in ihrem jahreszeitlichen Auf und Ab weitgehend überein. Das mag manchen nicht überraschen. Aber um direkte Abhängigkeit voneinander kann es sich nicht durchweg handeln. Zwar lebte Rom wirtschaftlich zu einem guten Teil von seiner Attraktion als Zentrum der Christenheit, lebte bis zu einem gewissen Grade also auch wirtschaftlich im Rhythmus des liturgischen Festkalenders. Aber die Wasserführung des Tibers hat mit dem Ostertermin nun einmal nichts zu tun, und der Zyklus der Weinproduktion nichts mit der Fastenzeit. Ob Pilger aus nördlichen Klimazonen eine Vorstellung von italienischer Hitze und römischem Sommerschlaf hatten und ihre Reisen danach einrichteten, bleibe dahingestellt. Der Gnadenhunger nordeuropäischer Pilger hat zwar mit Ostern zu tun, aber ihre nachlassende Aufbruchsstimmung im Frühsommer hat sicherlich nicht mit dem Festkalender, sondern mit ihrer Unabkömmlichkeit aus der agrarischen Produktion zu tun. Was sich hier im Jahreslauf der römischen Wirtschaft darbietet, ist vielmehr die Überlagerung zweier Zyklen - liturgisches Jahr und bäuerliches Jahr -, bei der aber offensichtlich auch die akzentuierenden Bedingungen eines Heiligen Jahres keine großen Phasenverschiebungen zwischen den hier berechneten Kurven bewirkten. Das fuhrt noch einmal auf die Frage zurück, die im Mittelpunkt dieser Untersuchung stand: inwieweit sich Heilige Jahre mit ihrer spezifischen Nachfrage in wirtschaftsgeschichtlichen Quellen niederschlagen. Oder einmal anders gefragt: wer waren denn nun in Rom die Hauptverdiener an einem Heiligen Jahr? Eine direkte und lebhafte Antwort gibt jener kleine römische Chronist in seiner so persönlichen Schilderung des Jubeljahres von 1450: L'arti che fero assai denari fuoro questi, cioè la prima di banchieri e Ili spetiali e pentori di Volto Sancto, questi ferno gran tesoro; appresso osterie e taverne - "die Gewerbe, die ziemliches Geld machten, waren erstens Bankiers und Händler und Maler von Heiligenbildchen, die machten viel Gewinn; dann Gast- und Schankhäuser, vor allem an den Straßen draußen oder auf dem Petersplatz und am Lateran"91. Bei den banchieri hat man nicht nur an die großen Bankiers, sondern auch an die vielen kleinen Wechsler zu denken, die an ihren Wechseltischen etwa vor St. Peter die Vielfalt fremder Währungen durch ihre Hände rinnen ließen: daß der Papst im Jahre darauf Maßnahmen zur Verminderung des Umlaufs fremder Münzen ergriff 92 , hat vermutlich auch mit dem Zustrom fremder Münzen im Heiligen Jahr zu tun. Aber natürlich waren, auf ganz anderer Ebene, auch die Florentiner Bankfirmen bei solchen Anlässen im Geschäft, beispielsweise indem sie die Offerten der Gläubigen pauschal aus den Opferstöcken der großen Basiliken übernahmen: in Florentiner Kreisen erzählte man sich noch 1450, der Altar von S. Paolo habe, bei sonst 1500 due. jährlich, im Jubeljahr 1400 an offerte 60 000 due. erbracht; und für das Jubeljahr 1450 glaubte man zu wissen, daß den Medici als offiziellen Jubeljahr-Thesauraren mehr als 100 000 fiorini durch die Hände gegangen seien93. Unter kompetenten Florentinern wird man wohl einige Informationen gehabt haben - ansonsten aber war gerade die Höhe solcher Spenden anfällig für übertreibende Gerüchte, und das ging dann bruchlos über in die Un91
Paolo dello Mastro (Anm. 89) 95. Zu den Tavernen siehe die wichtige Quelle oben Anm. 74. A. THEINER, Codex diplomaticus dominii temporalis S. Sedis, t. III, Rom 1862, Nr. 412. 93 Vespasiano da Bisticci, Le vite, ed. A. GRECO, 1.1, Florenz 1970, 56 f.; 1400: Rucellai (Anm. 77) 77 f. 92
IM HEILIGEN JAHR AM RÖMISCHEN ZOLL
895
terstellung (bei Zeitgenossen damals und unter Historikern später), der finanzielle Ertrag sei überhaupt das vorherrschende Motiv bei der Verkündung von Jubeljahren gewesen. Die genaueste Berechnung erlauben die vom Kämmerer des Kapitels von St. Peter protokollierten divisiones oblationum maioris altaris in den Censnali des Kapitelsarchivs94. Doch ist dieser Aspekt hier nicht unser Thema. Mit den speziali des römischen Textes sind nicht Gewürzhändler gemeint, sondern Kaufleute und Krämer allgemein, die in ihren Kramläden en détail Gewürze und sonst alles Mögliche verkauften, gewiß auch Wachsbildchen für die Pilger. Auch das Geschäft der Massimi, deren breites Sortiment (vom Zucker bis zum Zimt, vom Wachs bis zum Weihrauch, vom Papier bis zum Blattgold und zu Paternosterschnüren95) wir aus ihren Importen kennen, war ein solcher Kramladen, nur eben ein großer: die Florentiner in Rom heben sich mit ihrem spezialisierten, teuren Warenangebot deutlich davon ab. Daß diese Kaufleute in Erwartung eines Heiligen Jahres auf größeren Absatz spekulierten, ist naheliegend und im übrigen auch überliefert, nicht nur als Polemik gegen empfundene Profitgier, sondern auch direkt als Äußerung in Kaufmannsbriefen (etwa den Datini-Briefen zum Jubeljahr 1400, das eigentlich gar nicht verkündigt worden war und die Kaufleute darum vor besonderes Kalkulationsrisiko stellte): man mußte auf mehr Wechselbriefe gefaßt sein (per lo perdono di Roma ci schade alle volte fare canbi per là), man mußte überlegen, was man auf den Pilgerrouten vor allem beschaffen solle, konservierte Lebensmittel unter Salz oder Fisch oder Wachs usw.: Per lo fatto del jubileo, o ben del perdono da Roma, sono di quelli che ànno l'occhio alla salatura e vini di questa terra per navichare...96. Daß sich die Kaufleute auch für das Heilige Jahr 1475 rechtzeitig eindeckten, ließ die relative Höhe des Imports im zweiten Halbjahr 1474 vermuten97. Daß die aus den Zollregistern gewonnenen Daten nicht ganz den Erwartungen des Historikers an ein Heiliges Jahr entsprechen, ist nicht schade, sondern methodisch lehrreich, weil es gewisse Arbeitshypothesen korrigiert. Wir müssen uns deutlicher darüber klar sein, was wir (zumal in einem Jubeljahr, das als schlecht besucht galt) von dieser Quelle erwarten dürfen: wo Dunkelziffern zu vermuten sind (zollfreie Einfuhr!), wie sich Konsumentenverhalten überhaupt niederschlagen kann (fürstlicher Besuch einerseits, Massenzustrom andererseits), und anderes mehr. Ein Fürstenbesuch zum Jubeljahr mit großem Gefolge wie der des Königs Ferrante von Neapel Ende Januar 1475 wird sich in den Importziffern deshalb wenig abbilden, weil König und Gefolge als Gäste des Papstes über den zollfreien Import versorgt wurden. Für den Besuch der Königin von Bosnien und der Carlotta von Lusignan findet sich in den Zollregistern ausnahmsweise sogar der ausdrückliche Hinweis: per IIa regina de Bossnia; per IIa regina de Cipri (ja für sie kommt am 20. Mai 1475 ein ganzes Schiff voll Umzugsgut, casse, casset94
Für das Jubeljahr 1390 sind die Opfergaben in ihren kennzeichnenden Schwankungen (Osterzeit wöchentlich ca. 300 fior., Mai-August wöchentlich ca. 80 fior.) errechnet bei A. ESCH, Florentiner in Rom um 1400, in: QFIAB 52 (1972) 477 Anm. 2. Zur finanziellen Seite Heiliger Jahre und zur römischen Münzprägung siehe auch ROMANI (Anm. 77) 241 ff. 95 ESCH (Anm. 1)427. 96 MELIS (Anm. 22) 241 f. und 248; Wachs: siehe oben Anm. 38; zum Jubeljahr von 1400 unter ökonomischem Aspekt siehe auch L. PALERMO, L'Anno Santo dei mercanti: dibattito storiografico e documenti economici sul cosiddetto giubileo del 1400, in: Cultura e società nell'Italia medievale. Studi per P. Brezzi, Rom 1988, 605 ff. 97 Siehe oben 873.
896
ARNOLD ESCH
te, balle, ballette, bis zu ihren costumi de Alisandria - tutta la roba alla regina de CipryV*). Beim Massenzustrom der Pilger hingegen muß man die recht geringe Verweildauer in Rechnung stellen, die vom Papst zur Bewältigung des Andrangs bisweilen für oltramontani vorsorglich auf fünf, drei Tage, ja auf einen Tag verkürzt wurde". Damit aber war ihr Reiseziel dann auch schon erreicht - schließlich hatten diese Pilger keine wochenlange Besichtigung antiker Ruinen im Sinn100. Daher jener rasche Wechsel, der Paolo dello Mastro so erstaunte: jeden Sonntag leerte sich die Stadt, und jeden Samstag (nämlich zu Ausstellung der Hauptreliquien und päpstlichem Segen) war sie wieder voll! Die Tausende von Pilgern, die in den römischen Weinbergen und auf den Straßen schliefen, werden ökonomisch nicht mehr zu Buche geschlagen haben als die heutigen Rucksacktouristen: für römische Schankwirte lohnend, für Florentiner Importfirmen uninteressant. Was sichtbar steigen muß, ist der Import von Massenkonsumgut wie etwa Wein (denn Wein steht damals auch für Bier, Coca-Cola, Kaffee), und er steigt tatsächlich drastisch. Wenn in den Zolleinnahmen dieses Heiligen Jahres sonst keine außergewöhnliche Erhöhung gegenüber anderen, gewöhnlichen Jahren erkennbar wird, wohl aber bei Massenkonsumgütern wie dem Wein; und wenn - hier einmal faßbar die zollfreie Belieferung der Kurie damals bei Wein nachweislich sehr hohe Werte erreichte, so liegt eben die Vermutung nahe, daß der Mehrbedarf teilweise zollfrei hereinkam und aus diesem Grunde nicht dokumentiert ist, kurz: daß uns höhere Einfuhr auch deswegen in den Landzollregistern entgeht, weil kuriale Kreise oder römische Konvente ihr Zollprivileg (und sicherlich nicht nur in einem Heiligen Jahr!) dazu nutzten, zollfrei eingeführte Ware zu vermarkten. Das war gewiß nichts Unerlaubtes, denn der vom modernen Staat eingeschärfte Begriff "Eigenverbrauch" war noch keine so feste Kategorie wie heute. Jedenfalls kann die Kurie die halbe Million Liter Wein, die sie allein im April bezog, unmöglich allein ausgetrunken haben. Auch ohne diese zollfreie Einfuhr galt für das Wirtschaftsleben der Stadt (und die Römer waren sich dessen bewußt), daß der päpstliche Hof mehr Güter nach Rom zog, als er selbst verbrauchte. In einem Heiligen Jahr galt das erst recht.
98
Reg. 144, Nr. 892 (Schiff). Nachrichten über ihren Besuch bei PASTOR II (Anm. 80) 516. Siehe oben 893 (1450); vgl. ROMANI (Anm. 77) 44 f. und 236 ff. 100 w i e der humanistisch interessierte Giovanni Rucellai, der im Jubeljahr 1450 vom 10. Februar bis 8. März neben den Stationskirchen ausfuhrlich auch die Altertümer Roms aufsuchte und beschrieb: Zibaldone (Anm. 77) 67 ff.
99
IM HEILIGEN JAHR AM RÖMISCHEN ZOLL
897
TABELLE 1
Zollsummen des Imports auf dem Wasserweg und Zahl der Schiffe, Juni 1474 - Dezember 1475 (in duc. di camera und bolognini). Die zweite Dezemberhälfte 1475 fehlt.
1474
duc.
bol. Schiffe
1475
duc.
bol.
Schiffe
Januar
2324
26
71
Februar
1506
60
52
März
2765
63
87
April
4893
5
173
Mai
3079
49
125
Juni
2484
28
80
Juni
1431
10
68
Juli
2069
0
54
Juli
1885
12
77
August
1697
31
51
August
2028
61
79
September
1281
54
26
September
955
29
46
Oktober
2039
12
77
Oktober
929
51
50
November
1981
30
68
November
1957
69
93
Dezember
1225
16
48
Dezember
1909
67
98
898
ARNOLD ESCH
TABELLE 2
Wein-Import auf dem Tiber (April und September 1475): Menge, Qualität, Anteil zollfreier Einfuhr September 1475
April 1475 Qualität latino corso greco andereb
Menge (in Faß)»
davon zollfrei
Menge (in Faß)
davon zollfrei
2728
691
255
36
678
193
74
1
198
65
273
187
406
113
35
1
1062
637
4010
(26,5%)
April 1473C Qualität latino corso greco andereb
Menge (in Faß)
September 1474 davon zollfrei
Menge (in Faß)
davon zollfrei 13
310
76
71
250
140
-
-
69
26
359
123
53
3
-
-
245
430
682
(35,9%)
April 1478 Qualität latino corso greco andere6
a b c d
225 (35,3%)
136 (31,6%)
September 1478
Menge (in Faß)
davon zollfrei
988
305
51
6
439
216
123
23
338
115
35
9
48
16
1510
546 (36,2%)
Menge (in Faß)
davon zollfrei
74 D 586
2 146 (24,9%)
Botti romane zu 9 barili à 58,34 Liter = 525 Liter; die barili auf botti gerundet. Moschatello, calabrese, sanseverino, razese, vernaccia u.a. Als Vergleich mit den nächstüberlieferten Monaten. Sämtlich flano, hier mit dem greco gleichgesetzt (reg. 145, fol. 156v, 161v).
899
IM HEILIGEN JAHR AM RÖMISCHEN ZOLL TABELLE 3
Wein-Preise: Marge und Durchschnitt (in fior. di camera je botte) April 1475
September 1475
April 1473
latino
10-20: 13,4
7-15: 10,2
8-14: 9,8
corso
14-26: 19,2
13-15: 14,2
9-14: 12,2
greco
18-24: 20,6
20: 20,0
15: 15,0
September 1474
April 1478
September 1478
latino
15-18: 17,0
8-13: 10,0
8-12: 9,6
corso
-
11-15: 12,6
12-16: 13,0
greco
20-25: 24,1
13-14: 13,5 .
12-16: 13,8
900
ARNOLD ESCH
TABELLE 4
Wein-Import auf dem Tiber (April und September) mit zollfreiem Anteil der Kurie
April
1452
1457
1459
1463
1465
1473
1475
1478
Faß insgesamt:
1354
1219
740
585
1762
682
4010
1510
davon zollfrei:
334
308
172
138
351
245
1062
546
= Prozent:
24,7
25,3
23,2
23,6
19,9
35,9
26,5
36,2
September
1452
1457
1459
1463
1465
1474
1475
1478
Faß insgesamt:
262
697
358
180
348
430
637
586
davon zollfrei:
8
33
12
11
68
136
225
146
3,1
4,7
3,4
6,1
19,5
31,6
35,3
24,9
= Prozent:
901
IM HEILIGEN JAHR AM RÖMISCHEN ZOLL
TABELLE 5
Zollfreie Wein-Lieferungen an Papst, Kardinäle und Nepoten im April 1475
Giuliano della Rovere Latino Orsini
Guillaume d'Estouteville Francesco Gonzaga
Rodrigo Borgia Rovere-Nepoten Girolamo Riario Apostolischer Palast
botti»
Qualität
Wertb
18
latino
202
21
corso
422
41
latino
580
10
corso
204
2
greco
40
5
latino
57
21
corso
425
2
latino
24
36
Calabria
576
2
corso
46
6
latino
2
razese
56
6
latino
64
8
corso
184
10
latino
109
4
corso
88
237
latino
3258
48
corso
20 a
84
c
980
andere
i
473
Zu 9 barili; gerundet auf botti. In fiorini di camera zu 72 bolognini, gerundet auf fior. c Wein aus den Cinque Terre; vgl. P. SELLA, Glossario latino italiano, in: Studi e testi 109 (1944) 687. d Moschatello, barnacci (Vernaccia), razese zu 24-30 fior, je botte. b
Fürschrifften und Testimonia Der Dokumentationskreislauf der spätmittelalterlichen Adelsreise am Beispiel des kastilischen Ritters Alfonso Mudarra 1411-1412 v o n WERNER PARAVICINI
Der zu neuen Abenteuern irrende Ritter ist eine Grundfigur abendländischer Literatur1. Aber es hat ihn nicht gegeben. Der wirkliche Edelmann wußte, wohin die Reise ging, und hatte sich ausgerüstet: mit Dienerschaft, Pferd und Waffen, Kleidung, Geld und Proviant - vor allem aber mit Schriftstücken, die er für den guten Verlauf seiner Fahrt unbedingt brauchte. Selten sind diese Dokumente erhalten, und noch seltener sind es diejenigen Schreiben, die aus ihnen folgten. Ich kenne bislang nur vier Fälle dichter Überlieferung: die Reisedokumente des Konrad von Scharnachtal, des Georg von Ehingen, des Leo von Rozmital, auf die alle zurückzukommen sein wird, und eben jene kleine und nahezu unbekannte2 Gruppe von Schriftstücken um den kastilischen Ritter Alfonso Mudarra, die der Gegenstand und Ausgangspunkt der gegenwärtigen Studie sind - einer Studie, von der ich hoffe, daß sie das Interesse Erich Meuthens finden kann, auch wenn sie nicht der kirchlich-gelehrten Welt des 15. Jahrhunderts gilt, in der er sich mit Vorliebe bewegt.
1. Alfonso Mudarra Auf das im folgenden veröffentlichte Dossier bin ich bei der Lektüre des Aufsatzes von Jeanne Vielliard über Spanienpilger am Ende des Mittelalters gestoßen, wo es auf zwei Seiten kurz erwähnt wird3. Ob es vollständig ist, läßt sich schwer beurteilen, doch weist es, wie sich zeigen wird, erstaunliche Lücken auf, so daß vielleicht Verluste anzunehmen sind. Über den Reisenden Alfonso Mudarra, der 1 Die schöne, wenngleich vorkritische und unbelegte Studie von J. FALKE, Die irrende Ritterschaft, in: Historisches Taschenbuch, ed. F. V. RAUMER IV 4 (1863) 141-232, hat in Deutschland keinen Nachfolger gefunden. Fundamental sind (nach J. HUIZINGAS 'Herbst des Mittelalters' von 1919) die in Deutschland wenig bekannten Studien des Katalanen M. DE RJQUER (vgl. unten Anm. 47). Ziemlich kraus dagegen: M. STANESCO, Jeux d'errance du chevalier médiéval. Aspects ludiques de la fonction guerrière dans la littérature du moyen âge flamboyant, Leiden 1988. Über Huizinga und das Rittertum (nach M. KEEN, Chivalry, New Häven-London 1984) zuletzt M. VALE, Later médiéval chivalry: recent reconsiderations and the legacy of Huizinga, in: De nalatenschap van Huizinga, internat. Koll. Leiden 1991 (im Druck). 2 Siehe die folgende Anm. 3 J. VIELLIARD, Pèlerins d'Espagne à la fin du Moyen Age. Ce que nous apprennent les sauf-conduits délivrés aux pèlerins par la chancellerie des rois d'Aragon entre 1379 et 1422, in: Analecta sacra Tarraconensia 12 = Festschrift für A. Rubià i Lluch, Bd. 2, Barcelona 1936, 265-300, hier 279 f. Allein H. POLACZEK, O podröinikach sreniowiecznych z Polski i do Polski (Zu den Reisenden im Mittelalter aus Polen und nach Polen), in: Miesieçznik Heraldyczny (Heraldische Monatsschrift), Jg. 16 Nr. 5 (1937) 70, hat hiernach Nr. 7 und 8 erwähnt, ohne bis zu den Originalen vorzudringen (frdl. Hinweis von Z. H. Nowak, Thorn).
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WERNER PARAVICINI
wohl aus Valladolid in Kastilien stammt, wo die Familie bekannt ist4, war auch mit Hilfe einer Anfrage an das Archivo General de Simancas5 und der freundlichen Auskunft bester Sachkenner wie M.-Cl. Gerbet, M. A. Ladero Quesada, A. Rucquoi6 und L. Vones nicht mehr in Erfahrung zu bringen, als die Briefe selbst aussagen: Er ist Ritter7, Ritter des ihn empfehlenden Infanten Ferdinand von Kastilien8, gehört als domesticus und familiaris dem Hause des (minderjährigen) Königs von Kastilien an9, ist ein alumpnus der Königinwitwe10, was entweder bedeutet, daß er in ihrem Hause aufgewachsen ist oder einfach auch ihrem Hause angehört, oder beides zugleich. Das ist erstaunlich wenig; so wenig, daß fast der Verdacht aufkommt, es könne sich bei diesem Namen um ein Pseudonym handeln. Bis lokalhistorische Studien mehr Licht in dieses Dunkel gebracht haben, müssen wir uns mit diesen wenigen Nachrichten bescheiden - können es allerdings auch, weil wir weniger nach Mudarra selbst als nach der Schriftlichkeit der spätmittelalterlichen Adelsreise fragen. 2. Die erhaltenen Dokumente Das Dossier besteht aus neun originalen Stücken, die heute im Kronarchiv zu Barcelona aufbewahrt werden11 - nicht etwa in einem Privatarchiv, als Teil eines Reiseberichts oder als Registerkopie im Archiv des Ausstellers. Für Nr. 1 ist das Kronarchiv Ausstellerarchiv, für Nr. 2-9 ist es dagegen Empfangerarchiv. Es handelt sich um einen Rücklauf, an dem kein Stück irregulär ist, bis auf jene Nr. 1. Nr. 1, gerichtet von Ferdinand 'Infant von Kastilien'12 an den Hochmeister des Deutschen Ordens in Preußen, ist eine 'litera de statu' und eine 'litera recommendatoria' zugleich. Sie ist auch nicht zusammen mit den übrigen Stücken unter den Königsbriefen seiner Herrschaftszeit überliefert, sondern unter denjenigen seines 1410 gestorbenen Vorgängers, Martins I. von Aragon. Zudem ist sie wohl hinsichtlich des Siegels und der Unterschrift(en) ausgefertigt, nicht aber hinsichtlich des Ortes und des Datums: Beide fehlen. Es könnte sich also um eine weitgehend 4
Eine ritterschaftliche Familie dieses Namens gehört zum regierenden Patriziat der Stadt, vgl. A. RUCQUOI, Noblesse urbaine en Castille (XIIIe-XVe siècles), in: Actes du 106« Congrès national des Sociétés Savantes (Perpignan 1981), Paris 1984, 35-47; A. RUCQUOI, Valladolid en la edad media, 2 Bde., Valladolid 1987. 5 Frau M. G. Teja (Brief vom 24. Juni 1992). Vom Archivo de la Corona de Aragón war keine Antwort zu erhalten, siehe die Vorbemerkung zu den Texten. 6 Mme Rucquoi (Madrid/Paris) hat vergeblich die einschlägigen Chroniken durchgesehen (u.a. Pero López de Ayala, Fernán Pedro de Guzmán, Alvar García de Santamaría) und mich durch eine Fülle von Hinweisen zu besonderem Dank verpflichtet. 7 So in allen mir bekannten Quellen. 8 miles vester nennt ihn Nr. 2. 9 Auffällig ist die Formulierung des Anschreibens (Nr. 1): dicti domini regis, cui benivolus est et accept[us], die sich so in den Antworten nicht wiederfindet. Dort heißt er serenissimi domini regis domesticus (Nr. 4); prefati regis familiaris (Nr. 5); prefati fratris nostri carissimi familiaris domesticus (Nr. 6). Die unten anzuführende savoyische Rechnung nennt ihn gleichfalls familiaris domesticus serenissimi principis regis Castillie. 10 serenissimi domini regis domesticus ac alumpnus serenissime domine regine genitricis prefati domini regis (Nr. 4). - Zu den Personen siehe den Kommentar zu Nr. 1. 11 Siehe die Texte Nr. 1 und 2-9. 12 Siehe Text 1 mit Anm. 79.
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ausgefertigte, schließlich aber verworfene Reinschrift handeln, die im Ausstellerarchiv deponiert wurde, ohne je auf die weite Reise gegangen zu sein; doch ergibt die Einreihung in das Archiv des schon zwei Jahre zuvor verstorbenen Vorgängers keinen Sinn. Vielmehr ist auch vorstellbar, daß es sich um eine (wenngleich unvollkommene) Ausfertigung handelt, die dem Hochmeister nicht ausgehändigt wurde und deshalb den Weg zurück ins Ausstellerarchiv fand, dort aus unbekannten Gründen von den anderen Stücken getrennt wurde und deshalb einzeln überliefert ist. Ein Antwortbrief des Hochmeisters ist weder in seinen Registranten13 noch im Empfängerarchiv erhalten14. Bei den anderen Stücken handelt es sich um acht Antwortschreiben an den Infanten Ferdinand. Absender sind: Nr. 2: Amadeus VIII., Graf von Savoyen. Das mitgebrachte Schreiben, eine (Register-)Kopie der Antwort oder weitere Geleitschreiben sind in den savoyischen Archiven zu Chambery15 und Turin nicht überliefert. In den savoyischen Schatzmeisterrechnungen des Jahres 1410-1411 fand sich jedoch die einzige Bestätigung von Mudarras Durchreise in einer lokalen Quelle überhaupt16: Allocantur sibi [Jacques de Fitillieux d'Yenne, Generalschatzmeister von Savoyen] quos pro domino et de eius proprio mandato tradidit realiter et liberavit [Amadeus VIII.] domino Alfonso Mudara militi et familiari domestico serenissimi principis regis Castillie dono per dominum eidem Alfonso generöse facto, ut per litteram domini de testimonio premissorum cum mandato sine difficultate qualiter allocando in primo computo dicti thesaurarii, datam Ambroniati die vicesimo mensis octobris anno domini millesimo cccc° undecimo, quam reddit sigillo domini sigillatam et manu Johannis Bonbat eins secretarii17 signatam Ixiiijflor. ij d. grossorum pro precio. Mudarra erhielt also auf Befehl des Grafen ein stattliches Geschenk von 64 Florenen 2 d. (ausgezahlt sicherlich in anderer, glatter Münze); der vom Grafen selbst besiegelte Zeugnisbrief vom 20. Oktober 1411, der dem Schatzmeister die Abrechnung erlaubte, wurde einen Tag nach dem Datum des gräflichen Antwortschreibens an den Infanten zu Ambronay ausgefertigt. Nr. 3: Theodor II. Palaiologos, Markgraf von Montferrat. Im Turiner Archiv der Markgrafen von Montferrat war keine Erwähnung der Sache zu finden18. 13 Berlin, Geh. Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, Hauptabt. XX (ehem. Staatsarchiv Königsberg), OF 3 und 5, letzterer verloren, das Inv. veröffentlicht durch M. PELECH, Der verlorene Ordensfoliant 5 [...], in: Quellen und Studien zur Geschichte des Deutschen Ordens, Bd. 36, Marburg 1986, 123-180. Soweit bekannt, siehe die Vorbemerkung zu den Texten. 15 Archives départementales de Savoie, freundliche Auskunft des Direktors P. Paillard vom 11.2. 1992. 16 Turin, Archivio di Stato [künftig: ASt], Camerale Savoia, Tesoreria Generale, 24. Juni 1410 10. Nov. 1411 (inventario 16, reg. 56), fol. 20Ir. Freundliche Mitteilung des Archivars M. Caratti, der auf meine Bitten im 'Archivio di Corte' gründlich nachgeschaut hat, und zusätzliche Informationen der Direktorin I. Massabò Ricci. - Die savoyischen Hofrechnungen sind für den fraglichen Zeitraum verloren, siehe R.-H. BAUTIER/ J. SORNAY, Les sources de l'histoire économique et sociale du moyen âge, Provence - Comtat Venaissin, Dauphiné, Etats de la Maison de Savoie, t. 1, Paris 1968,318. 17 Jean Bombât ist als Sekretär Amadeus' VIII. 1390-1430 bezeugt. Seine Protokollbücher sind erhalten: Turin ASt, Corte, Materie politiche per rapporto all'interno, Protocolli ducali, vol. 67-70. 18 Turin ASt, Monferrato, Camera dei Conti. Freundliche Mitteilung des Archivars M. Caratti.
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Nr. 4: Giovanni Maria Visconti, Herzog von Mailand. Mailänder Staatsarchivarinnen haben freundlicherweise im nur unvollständig erhaltenen 'Archivio Ducale Visconteo-Sforzesco' nach Spuren der Durchreise Mudarras gesucht, und zwar im 'Carteggio interao e atti extra Dominium', in den 'Registri Ducali', den 'Registri dell'Ufficio degli Statuti' und in der 'contabilitä'. Die Suche blieb vergeblich: "ne originale, ne copie, ne minute, ne salvocondotti, ne lascia-passare, ne accenni [Hinweise]" lautete der Bescheid19. Nr. 5: Sigmund, römischer König und König von Ungarn. Das königlich-ungarische Archiv wurde nach der Schlacht von Mohäcs im Jahre 1526 von den Türken erobert und in Richtung Konstantinopel verschleppt; seitdem ist es verschollen. Es gibt keine ungarische Parallelüberlieferung gleich welcher Art20. Nr. 6: Wenzel, (römischer König und) König von Böhmen. Bestätigende Dokumente aus der Überlieferung des Prager Hofs sind nicht erhalten; Nachrichten über Beziehungen nach Katalonien fehlen überhaupt21. Nr. 7: Krystian von Oströw, Kastellan und Kapitän von Krakau, und Zbigniew von Brzezia, Marschall des Königreichs Polen, in Abwesenheit König Wtadystaw Jagielfos. Parallelüberlieferung aus Polen fehlt gänzlich22. Nr. 8: Großfürst Alexander alias Witold von Litauen. In der großen Quellensammlung des Codex epistolaris Vitoldi23 fehlt der Brief, und es steht dort auch sonst nichts zur Sache. Die ohnehin dünne litauische Überlieferung enthält kein paralleles Material24. Daß der litauische Hof aber durchaus darauf eingestellt war, fremde Gäste aus dem Westen zu empfangen, zeigt deutlich der wenig spätere Reisebericht des burgundischen Edelmanns Guilbert de Lannoy aus wallonisch Flandern von 1413/141425. Nr. 9: Alexander Woiwode von Moldavien. Der Brief ist, wie die ganze Durchreise Mudarras, nicht nur nicht in den (durch die Ottomanen vernichteten) rumänischen Archiven nachzuweisen, sondern war auch der rumänischen Forschung bislang unbekannt geblieben26. Daß die verlorenen Anschreiben, auf die diese acht Briefe antworten, in Umrissen dem Formular folgten, wie es im Brief an den Hochmeister Nr. 1 erhalten ist, zeigen die spiegelbildlichen Formulierungen, die die Antwortschreiben aus ihrer Vorlage mehr oder minder ausfuhrlich und z.T. wörtlich übernommen haben. Mit Ausnahme der letzten sind alle Antworten zweigeteilt in 'littera de statu' und Nachrichten über Mudarras Besuch und Weiterreise und enden mit einem Diensterbieten. Doch gibt es auch bedeutungsvolle Abweichungen: Gerade die Bezeichnung Mudarras als benivolus [...] et accept[us] des Königs von Kastilien 19 Briefe vom 2.4.1992 und 16.6.1992, dott.ssaG. Cagliari Poli und dott.ssa B. Cereghini. 20 Freundliche Mitteilung von E. Fügedi (Budapest). Auch die städtischen Archive von Buda, Pest und Obuda gingen damals verloren; siehe A. KUBINYI, in: Budapest im Mittelalter, ed. G. BIEGEL, Braunschweig 1991,20. 21 Freundliche Mitteilung von I. Hlaväöek (Prag). 22 Freundliche Auskunft von Z. H. Nowak (Thorn). 23 Codex epistolaris Vitoldi magni ducis Lithuaniae 1376-1430, ed. A. PROCHÂSKA, Krakau 1892. 24 Freundlich bestätigt durch Z. H. Nowak (Thorn). 25 Œuvres de Ghillebert de Lannoy, ed. C. POTVIN, Brüssel 1878, 38-43. Vgl. W. PARAVICINI, Die Preußenreisen des europäischen Adels, Bd. 1, Sigmaringen 1989, 40 f., 206 f.; künftig Bd. 3, Nr. 20. 26 Brief von A. Pippidi, Bukarest, vom 20.3.1992, der eine Sonderveröffentlichung in einer rumänischen historischen Zeitschrift plant.
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begegnet nirgendwo sonst; vielmehr heißt er, wie erwähnt, domesticus und familiaris des Königs und einmal auch alumpnus der Königin. Der Name dieser Königin (Katharina) wird in Nr. 1 nicht genannt, wohl aber in Nr. 6. Dies deutet auf abweichende Vorlagen hin - oder auf mündliche Mitteilungen Mudarras. Unterschiede gibt es auch im Bildungsgrad, Kulturniveau, handwerklichen Können. Das äußere Format der Briefe ist im Grunde nahezu identisch, auch wenn die Fläche um ein Drittel größer oder kleiner sein kann. Offensichtlich mußte ein Schreiben dieser Art eine gewisse repräsentative Größe haben, auch in Litauen und in der Moldau27. Auffalligerweise ist das Empfehlungsschreiben des Infanten sogar das kleinste (doch das einzige mit recto aufgedrücktem Siegel): Aussteller Nr. 5 Nr. 2 Nr. 9 Nr. 7 Nr. 4 Nr. 6 Nr. 8 Nr. 3 Nr. 1
(Kg. Sigmund): (Savoyen): (Moldau): (Polen): (Mailand): (Kg. Wenzel): (Litauen): (Montferrat): (Infant):
Format H. H. H. H. H. H. H. H. H.
> > >
>
230 mm, B. 321 mm 246 mm, B. 296-298 mm 250 mm, B. 289-295 mm 219-226 mm, B. 298-300 mm 220-224 mm, B. 294 mm 210 mm, B. 304-306 mm 208 mm, B. 294-295 mm 200 mm, B. 290 mm 185-189 mm, B. 295 mm
Fläche (ca.) =
>
=
>
=
>
= = = = = =
>
73830 mm 73062 mm 73000 mm 66677 mm 65268 mm 64050 mm 61152 mm 58000 mm 55165 mm
Die Länge der Schreiben ist dagegen recht verschieden: Sie reicht von 18 Zeilen im Schreiben König Wenzels bis zu jenen mageren sechs Zeilen, die dem Fürsten der Moldau genügten28. Der literarische Anspruch des Diktats variiert ebenso beträchtlich wie die Qualität und der Charakter der Schrift. Beim savoyischen, litauischen und vor allem beim moldavischen Stück kann von Kalligraphie nicht die Rede sein, wohl aber bei den Erzeugnissen der kastilisch/aragonesischen, mailändischen und vor allem der böhmischen Kanzlei. In Montferrat und in Mailand herrscht schon die Humanistenminuskel, die damals weder in Spanien noch im Reich Eingang gefunden hatte. Das Latein als Sprache der internationalen Diplomatie wird für alle Schreiben verwandt, nur ist es von sehr unterschiedlicher Qualität. Die litauische (lateinische) Kanzlei29 brauchte darin den Vergleich mit Westeuropa durchaus nicht zu scheuen, obwohl man sich dort der weiten geographischen Entfernung wohl bewußt war: Sane audivimus libentissime de tarn longi[n]quis mundi partibus (Nr. 8). Das moldavische Schreiben bestätigt dagegen in seiner Kürze, Unbeholfenheit und minderen Schriftqualität (nicht aber im Papierformat) die periphere Lage des Fürstentums30. 27 Leider kenne ich die Wasserzeichen der Stücke nicht und kann deshalb nicht sagen, woher das benutzte Papier stammt. 28 Nr. 6 (Kg. Wenzel): 18. Nr. 4 (Mailand): 17. Nr. 7 (Polen): 16. Nr. 5 (Kg. Sigmund): 14. Nr. 8 (Litauen): 11. Nr. 1 (Infant): 10. Nr. 2 (Savoyen): 9. Nr. 3 (Montferrat): 8. Nr. 9 (Moldau): 6. 29 Vgl. zur Kanzlei Witolds, die Schreiber deutscher, russischer und eben auch lateinischer Sprache beschäftigte, M. KOSMAN, Kancelaria wielkiego ksiçcia Witolda, in: Studia ¿rödtoznawcze 14 (1969)91-117. 30 Daß der rumänische Fürst lateinische Schreiber beschäftigte, ist auch erwähnt bei M. DOGARU, Chancellerie de la Valachie et de la Moldavie aux XIV ème - XVI ème siècles, in: Landesherrliche
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3. Mudarras Reise Die neun Dokumente erlauben es, die Reiseroute Mudarras ungefähr zu rekonstruieren, der im übrigen als Edelmann nicht alleine reiste: Mitsamt seiner Begleitung (comitiva, familia) erhält er Geleit (Nr. 5, 6). Im Herbst 1411, vor dem 19. Oktober, dem Datum des ersten erhaltenen Antwortbriefes, ist er vom Hof des Infanten in Aragon oder Kastilien aufgebrochen. Der Nordküste des Mittelmeers entlang mag er bis zur Rhonemündung gezogen sein (oder zu Schiff nach Marseille gefahren). Dann ritt er nordwärts, denn am 19. (und 20.) Oktober ist er nordöstlich von Lyon zu Ambronay am Fuß der Alpen in der Landschaft Bugey beim Grafen von Savoyen bezeugt (Nr. 2 und der savoyische Rechnungseintrag). Vermutlich den St. Bernhard-Paß benutzend überquert er die Alpen und sucht den Grafen von Montferrat in Casale am Po zwischen Turin und Pavia auf, wo er am 2. November sein Schreiben erhält (Nr. 3). In Mailand, flußabwärts, ist er am 6. November (Nr. 4). Dann folgt ein großer Sprung, oder eine große Überlieferungslücke: Als nächste Station ist erst Buda(pest) an der Donau genau zwei Monate später bezeugt (Nr. 5). Auf dem möglichen Wege liegen Mantua und Ferrara, Venedig, Aquileja, Görz und die Länder der Herzöge von Österreich, doch ist kein Antwortschreiben eines der Herren überliefert. Dies liegt vermutlich daran, daß Mudarra es von vorneherein vermied, durch den Veneto und durch Friaul zu ziehen: Dort herrschte seit September 1411 Krieg zwischen König Sigmund und den Venezianern. Am 7. Dezember wurde Udine eingenommen. Wenige Tage vor Mudarra, am 5. Januar 1412, waren in Ofen die ersten venezianischen Beutefahnen eingetroffen31. Mudarra muß über die Situation in diesem Raum vor seiner Abreise unterrichtet gewesen sein, denn sonst hätte er sich wohl weitere Empfehlungsschreiben ausstellen lassen, die, wenn ich richtig schließe, ebenso wie das Schreiben an den preußischen Hochmeister den Weg zurück ins Ausstellerarchiv hätten finden müssen. Von Buda wäre der nächste Weg ins Hl. Land die Fahrt die Donau abwärts gewesen. Aber Mudarra wendet sich nach Norden - was noch einmal anzeigt, daß er um Friaul absichtlich einen weiten Bogen gemacht hat. Am 1. März 1412 ist er bei König Wenzel von Böhmen in Prag bezeugt (Nr. 6), am 8. April in Krakau, wo er König Wiadysfaw von Polen nicht antrifft - der war mittlerweile dahin geritten, wo Mudarra gerade herkam: nach Ungarn. Wenigstens läßt Mudarra sich den Besuch durch zwei hohe Würdenträger des polnischen Hofes bescheinigen (Nr. 7). Dann zieht er weiter: Am 1. Mai 1412 urkundet der Großfürst Witold von Litauen in Kaunas (Kowno) an der Memel für ihn (Nr. 8). Von dort hätte er unschwer die Memel abwärts in Ordensland reisen können. Doch waren damals, nach der Schlacht bei Tannenberg vom 15. Juli 1410 bzw. dem Frieden von Thorn vom 1. Februar 1411 während des Revancheversuchs des Hochmeisters Heinrich von Plauen, die Spannungen zwischen Polen/Litauen und dem Deutschen Orden groß32. Vorsichtig oder daran gehindert hat er wahrscheinlich das Kanzleien im Spätmittelalter ... , Bd. 2 (Münchener Beiträge zur Mediävistik und Renaissanceforschung 35/11), München 1984, 753-765. 31 J. ASCHBACH, Geschichte Kaiser Sigmunds, Bd. 1, Hamburg 1838 (ND 1964), 337 f.; M. WAKOUNIG, Dalmatien und Friaul. Die Auseinandersetzungen zwischen Sigismund von Luxemburg und der Republik Venedig um die Vorherrschaft im adriatischen Raum (Dissertationen der Univ. Wien 212) Wien 1990, 81 f. 32 Vgl. PARAVICINI, Preußenreisen (Anm. 25) Bd. 1, 39-41.
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Ordensland nicht aufgesucht und deshalb sein Empfehlungsschreiben wieder heimgebracht. Von Litauen nahm Mudarra endgültig Kurs auf das Hl. Land. Nach einem weiten Weg quer durch Osteuropa, der ihn vermutlich über Lemberg an den Dnjestr gefuhrt hat und den auch andere Jerusalemfahrer vor und nach ihm gegangen sind33, erhält er am 29. Mai 1412 in Suceava vom Fürsten der Moldau in dessen Hauptstadt das nächste Antwortschreiben (Nr. 9). Es ist auch das letzte des Dossiers. An der Grenze der Christenheit, beim Übergang in den osmanischen Machtbereich, bricht die Serie der Antwortschreiben ab. Dies ist nicht anders zu erwarten, denn die osmanischen Herrscher gehörten nicht dem christlichen Kultur- und Kommunikationskreis an. Auffälliger ist schon, daß von der Rückreise nichts verlautet. Schiffte Mudarra sich ein und kehrte direkt über Meer zurück? Gingen doch Briefe verloren? Oder ist er gar nicht nach Jerusalem gekommen?
4. Reisemotive Weshalb reiste Mudarra in so entlegene Gegenden? Wir können es nur den Briefen selbst entnehmen. Der Infant schreibt: peregre ad sepulcrum sacrum Jherosolimitanum gressus suos dirigit eciamque ad mundi partes diversas super certis negociis nostram honestatem tangentibus [et] suis expediendis (Nr. 1). Aus den Antworten klingt es zurück: ad sanctum sepulcrum et ceteras regiones ultramarinas tarn peregre quam causa honoris acquirendi accedens (Nr. 2); peregrinans ad sanctum Yerosolomitanum sepulcrum (Nr. 3); litteris vestris ad sepulcrum Christiproficiscentem pro sue salutis remedio et causa rei militaris didicimus recom[vd\issum (Nr. 8). Die Texte der Briefe zeigen also die typische, immer wieder bezeugte Mischung: Pilgerfahrt zum Hl. Grab für das Seelenheil und zugleich Reise um der Ritterschaft und der Ehre wegen. Beides war untrennbar miteinander verbunden34. Doch ist auch von einem Auftrag des Infanten die Rede - nur in Text Nr. 1, von dem sicher ist, daß er den Empfänger nicht erreichte; nicht aber in den Antwortschreiben. Es ist schwer zu sagen, worin dieser Auftrag bestanden haben mag, der die "Ehrenhaftigkeit" des Infanten betraf. Zu bedenken ist, daß Ferdinand während Mudarras Abwesenheit gegen andere Kandidaten zum ersten König von Aragón aus dem Hause Trastámara gewählt wurde. Die Darlegung seiner honestas könnte damit eine Darlegung seiner besonderen Eignung für diesen Thron gewesen sein. Nr. 8 lehrt, daß Mudarra auch mündlich über den Infanten und seine Verwandten berichtete35; Nr. 9 bezeugt, daß er dabei tatsächlich die Ehre des Infanten (und damit seine eigene) mehrte36. Der letzte König von Aragón aus dem Hause Bar33 Vgl. PARAVICINI, Preußenreisen (Anm. 25) Bd. 1,206 f. 34 Vgl. W. PARAVICINI, Von der Heidenfahrt zur Kavalierstour. Über Motive und Formen adligen Reisens im späten Mittelalter, in: Wissensliteratur im Mittelalter, Bd. 13, hg. von H. BRUNNER/ N. R. WOLF, Stuttgart 1993,90-128. 35 nobis de vestri et vestrorum sanitate et prosperis successibus retulit, prout et idipsum vestris in litteris vidimus contineri. 36 Nr. 7: multa et grata veneracione digna [...] nuncciavit, laudem et honorem nominis vestri magna invalescencia referendo [...] honoris et laudis vestre fervidum comperimus zelatorem.
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celona, Martin I., war am 31. Mai 1410 ohne direkte Nachkommen gestorben. Die Nachfolgekrise wurde, nachdem Ständeparlamente im August und September getagt hatten, am 28. Juni 1412 durch einen Ausschuß von neun Juristen im sog. Kompromiß von Caspe zugunsten von Ferdinand beendet37. Mudarra brach also zu einer Zeit auf, als die Entscheidung noch nicht gefallen war, es also noch sinnvoll erscheinen mochte, auswärtige Unterstützung zu gewinnen. Denkbar ist auch eine Erkundungsaktion in den Nahen Osten zur Vorbereitung eines Kreuzzugs, verbunden mit dem Besuch bei potentiellen Kreuzfahrern. Als Kreuzfahrer, gegen die Mauren, hatte Ferdinand unlängst seinen Beinamen "von Antequera" erhalten. Heinrich III. von Kastilien, der ältere Bruder Ferdinands, hatte nach der Niederlage des abendländischen Kreuzheers bei Nikopolis (1396) und infolge der den Osmanen durch die Mongolen zugefugten Niederlage von Ankara (1402) großes Interesse am Osten bekundet: "Er trug großes Verlangen, die unbekannten Dinge der fernen Länder zu erfahren und sandte Ritter seiner Hofhaltung nicht nur zu den christlichen Königen und zum Priester Johannes, Herrn der Indien, sondern auch an den Großen Sultan von Babylon und an Tamerlan und an Murat und an andere große musulmanische Herren, um Nachrichten über ihre Länder, Staaten und Gewohnheiten zu erhalten, wofür er große Ausgaben machte"38. Ausdrücklich auf den Glaubenskampf bezieht sich das Antwortschreiben des Großfürsten von Litauen39. Wenig später gingen burgundische Emissäre auf derartige Reisen: Guilbert de Lannoy 1421-142240, Bertrandon de la Brocquiere 1432-143341. Die Suche nach derart handfesten und zugleich geheimen Motiven42 geht jedoch in der Regel ins Leere. Die Beweggründe waren meist anderer Art43: Alfonso Mudarra hat eine Ritter- und Hofesreise44 und zugleich Pilgerfahrt durchgeführt und dabei auch die Interessen seines Herrn wahrgenommen. Die Tatsache, daß er sich in Krakau den vergeblichen Versuch, König Wladyslaw Jagieifo zu treffen, zwar bescheinigen ließ, diesem aber nicht nachreiste, erweist geradezu die Hofesreise in eigenem Interesse und nicht die diplomatische Mission. Daß ein nicht allzu bedeutendes Mitglied des Stadtadels von Valladolid sich dem internationalen Rittertum auf der Jagd nach Ehre anschloß45, ist nicht ohne Beispiel: auch bekanntere Edelleute wie Pero Nifio und Rodrigo de Villandrando stammen 37 J. LALINDE ABADÍA, in: LMA II (1985) 1549. 38 Übersetzt aus einer spanischen Chronik von ca. 1493, Paris BN, ms. espagnol 110, fol. 23v, mitgeteilt von A. Rucquoi, Paris, der ich auch die Kenntnis des folgenden, die größeren Zusammenhänge behandelnden Artikels verdanke: L.V. DIAZ MARTIN, Los inicios de la política internacional de Castilla (1360-1410), in: Realidad e Imágenes del poder. España a fines de la Edad Media, ed. A. RUCQUOI, Valladolid 1988, 57-83. 39 Altissimus igitur personam vestram conservare dignetur propellendo hostem sánete fldei parcium illarum incurssu hostiali atque fero (Nr. 8). 40 Vgl. Anm. 25, und künftig PARAVICINI, Preußenreisen, Bd. 3, Dok. 21. 41 Le Voyage d'Outremer de Bertrandon de la Broquière, ed. C. SCHEFER, Paris 1892. Vgl. id., trad. G. R. KLINE (American. Univ. Studies, Ser. II: Romance Languages and Literature 83) New York u.a. 1988. 42 Vgl. VIELLIARD, Pèlerins d'Espagne (Anm. 3) 279 f.: "Il y a tout lieu de croire que Ferdinand l'avait chargé de quelque mission secrète". 43 Vgl. PARAVICINI, Von der Heidenfahrt zur Kavalierstour (Anm. 34). 44 curiam [...] domini Wladislai regís Polonie [...] in civitate Cracoviensi presencia personali visitons (Nr. 7). 45 honoriflee pertransivit (Nr. 9).
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aus Valladolid46. Kastilische Reisende und Turnierkämpfer haben sich auch sonst im Europa des 15. Jahrhunderts einen Namen gemacht, es sei nur an Pero Tafur (1435-1439), Diego de Valera (1437-1438, 1442) und ihren Zeitgenossen Juan de Merlo erinnert47. Ferdinand von Antequera, der schon im Jahre 1403 den (später) aragonesischen Orden der 'Jarra & Grifo' gegründet hatte, teilte den Enthusiasmus vieler Herrscher der Zeit um 1400 für die Lebensform des Rittertums48.
5. Die verlorenen Dokumente Jene neun Briefe sind nicht alle Schreiben, die Mudarras Reise hervorgerufen hat. Andere sind verlorengegangen oder bislang nicht aufgefunden worden. Aufgrund des Dossiers lassen sich folgende Typen von Schreiben unterscheiden, die diese spätmittelalterliche Hofesreise begleiteten49: (a)
Das Empfehlungsschreiben des Herrn des Reisenden für den Überbringer
Exhibitor presencium heißt Mudarra in Nr. 1: er sollte das Schreiben an den Hochmeister übergeben. Die verlorenen Entsprechungen zu Nr. 1 hat er tatsächlich überbracht. Die Antwortschreiben erwähnten es: quem michi vestre littere recomendant (Nr. 3); recepimus literas de manu spectabilis viri Alfonsi Modarre (Nr. 4); vestre dileccionis litteras [...] per nobilem Alfonsum Modorra [...] suscepimus (Nr. 6); cum litteris serenitatis vestre ist er nach Krakau gekommen (Nr. 7); litteris vestris hat der Großfürst von Litauen das Ziel und den Zweck der Reise erfahren (Nr. 8). (b)
Die Antwort des Empfängers an den Herrn des Überbringers
Wiederum heißt Mudarra lator presencium oder presencium exhibitor (Nr. 5, 7, 8), diesmal des Antwortschreibens, wiederum auch mit mündlichen Nachrichten 4
6 A. RUCQUOI, Français et Castillans: une 'Internationale' chevaleresque, in: La "France anglaise" au Moyen Age (Actes du I I I e Congrès nat. des Sociétés Savantes. Sect, d'histoire médiévale et de philologie 1) Paris 1988,401-419. 47 Hierzu RUCQUOI (Anm. 46) und alle Arbeiten von M. DE RIQUER, insbes. 'Cavalleria fra realtà e letteratura nel Quattrocento', Bari 1970, und 'Lettres de batalla. Cartells de deseiximents i capitals de passos d'armes', 3 Bde., Barcelona 1963-1968. Der Gegenstand bedarf neuer Behandlung in gesamteuropäischer Perspektive. 48 V g l . d e n in A n m . 4 6 e r w ä h n t e n A u f s a t z v o n A . RUCQUOI u n d siehe J. TORRES FONTES, D o n Fer-
nando de Antequera y la romántica caballeresca, in: Miscelánea Medieval Murciana 5 (1980) 83120, sowie D'A. J. D. BOULTON, The Knights of the Crown. The Monarchical Orders of Knighthood in Later Medieval Europe 1325-1520, Woodbridge 1987, 330-338; zur 'Stola & Jarra' auch T. BRITTEN, Some Fifteenth-Century Spanish Orders, in: The Coat of Arms IX Nr. 158 (1992) 253255, wozu W. T. COLLINS, La Jarra de la Salutación, ibid. 159 (1992) 324, und emeut BRITTEN, ibid. 160 (1992) 352, Stellung nehmen. Für das Reich: W. PARAVICINI, Rois et Princes chevaliers (Allemagne, XIIe - XVI e siècles), in: Les princes et le pouvoir au moyen âge. 23e Congrès de la Société des historiens médiévistes de l'enseignement supérieur public, Brest 1992 (im Druck). 49 Den Blick auf diese Schriftlichkeit hat erstmals gelenkt P. CONTAMINE, L'hospitalité dans l'Europe du milieu du XV e siècle: aspects juridiques, matériels et sociaux d'après quelques récits de voyage, in: La conscience européenne au XV e et au XVIe siècle. Actes du Colloque internat, org. à l'École Normale Supérieure de Jeunes Filles 30 IX - 3 X 1980, Paris 1982, 75-87, hier 78-80 und bes. Anm. 29, wo auf entsprechende Modelle in einem Formular der Kanzlei Kg. Ludwigs XI. v. Frankreich hingewiesen wird. Formelbücher sind eine wichtige Quelle für die Typologie der hier besprochenen Schriftstücke.
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versehen: de nobis lator presencium in vive vocis expressione satisfacere poterit plenius votis vestris (Nr. 5). Er wird zurück an den Herrn empfohlen: Prefatum eciam Alfonsum [...] vobis recommendamus atiente (Nr. 6); dominacioni vestre supplicamus humiliter et sincere, quatenus nostri contemplacione servicij eundem nobilem et strennuum militem dignemini habere generosins recommissum (Nr. 7). Nur Nr. 9 könnte glauben machen, daß Mudarra nicht der Überbringer sei: Quibus per actis diebus sano nostro cum conductu honor ifice pertransivit; aber der Überlieferungsort stellt die Sache richtig. (c)
Die Geleitbitte und Empfehlung der Empfänger an die Gleichrangigen
(d)
Der Geleitbefehl der Empfänger an die Untergebenen
Die im Schreiben des Infanten ausgesprochene Empfehlungsbitte50 wird bestätigend aufgenommen: Er habe Mudarra seine allgemeinen Paßbriefe ausgestellt und ihm "die übrigen Begünstigungen" gewährt, schreibt der Graf von Savoyen51. Genauer ist die mailändische Kanzlei: Prefatum vero Alfonsum cordialiter acceptavimus in recommendatione nostra eique fecimus liberi transitus literas per territorio nostra ac stricte recommendationis ad amicos nostros per quorum est territoria transiturus (Nr. 4); die Geleitbitte an Gleichrangige ist von der Anweisung an Untergebene zu unterscheiden, auch wenn sie in ein und demselben Schreiben zusammengefaßt werden kann. Nur vom Geleit im eigenen Herrschaftsbereich ist in Nr. 5, 6 und wahrscheinlich auch Nr. 9 die Rede52, selbst wenn überall eine Weiterempfehlung angenommen werden darf. 6. Vergleiche Das, was zu Beginn des 15. Jahrhunderts durch das Dossier des Alfonso Mudarra bezeugt wird, ist nun keineswegs ein Sonderfall, sondern vielmehr die Regel. Vergleichbare Einzelstücke gibt es überall53. Auch Serien lassen sich rekonstruieren, aus den aragonesischen, englischen, päpstlichen Registern, oder aus denjenigen des Deutschen Ordens in Preußen54. Einige Reiseberichte aus dem Reich55 und die eingangs erwähnten Fälle machen dies deutlich. 50 ipsum velitis habere commendatum (Nr. 1). 51 militi vestro domino Alfonso Mudarra [...] letteras meas passus generales et ceteros favores vestri contemplacione concessi (Nr. 2). 52 eidem Alfonso militi et sue comitive de securo providimus c[o]ndu[c]tu (Nr. 5); prefatum eciam Alfonsum, quem cum familia sua ob specialis vestre dileccionis reverenciam per regna nostra ad presens paciflce et quiete transiturum securavimus (Nr. 6); sano nostro cum conductu honoriflce pertransivit (Nr. 9). 53 Vgl. den Fall Merode in: W. PARAVICDMI, Die ritterlich-höfische Kultur des Mittelalters (Enzyklopädie Deutscher Geschichte) München 1994, Teil II, Kap. 7. 54 P A R A V I C I N I , Von der Heidenfahrt zur Kavalierstour (Anm. 34) 104, Anm. 7 7 , vor allem die Arbeiten von H. F I N K E , J. V I N C K E , J. V I E L L I A R D . - Nicht nur Edelleute erhielten ganze Serien von Empfehlungsschreiben, auch Musiker, so Vinque Vertinborch vom König von Aragón im Jahre 1386, gerichtet an 17 genannte Fürsten und Herrn im Reich, in England und Frankreich, siehe H. D O M S T A , Geschichte der Fürsten von Merode im Mittelalter, Bd. 2, Düren 1981, 596 Nr. VIII. Herolde brachten Schreiben von ihrer Weltreise mit, so 'Carlisle' 1338 Kg. Eduard III. v. England, siehe A. R. W A G N E R , Heraids and Heraldry in the Middle Ages, Oxford 3 1956, 34 f. (nach Froissart). 55 Im Druck ist W. P A R A V I C I N I (ed.), Bibliographie spätmittelalterlicher Reiseberichte, Bd. 1: Deutschland, bearb. von C . H A L M u.a. (Reihe 'Kieler Werkstücke'), Frankfurt/M. 1 9 9 4 . Entsprechende Bände über Frankreich und die Niederlande sind in Arbeit.
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Im Jahre 1446 reiste der Augsburger Patrizier Sebastian Ilsung nach Santiago. Sein (nicht vollständig überlieferter) Bericht56 zählt die erhaltenen Briefe sorgfältig auf, doch sind keine Texte erhalten: Aussteller waren der Präzeptor des Antoniterordens zu Memmingen (Kap. II), der Abt von Saint-Antoine-en-Viennois und Oberhaupt desselben Ordens (VI), die Königin von Aragon (IX, XIII: ain fi\r]der brieff durch ihr land [= c] und einen Brief an ihren Bruder, den König von Kastilien [= d]), der Bischof von Burgos (XII), der König von Kastilien (XIII: fider brieff durch sein kingrich [= c]), der Erzbischof von Santiago de Compostela (XV, XVI). Ilsung erwähnt nicht, daß die Aufnahme in mehrere Orden und Gesellschaften (VI, IX, XIII)57 und in die Dienerschaft des Herzogs von Savoyen (XIX) Anlaß zu Schreiben gegeben hätte, doch gab es dergleichen, wie wir aus dem folgenden, wenig späteren Dossier wissen. Der Schwabe Georg von Ehingen erwähnt solche Urkunden in seinem Reisebericht aus der Mitte des 15. Jahrhunderts und schildert, wie er sie erwirkt hatte. Auf seiner ersten Reise erhält er 1454 virdernuß des Großmeisters des Johanniterordens zu Rhodos. Seine zweite Reise von 1457-1458 bereitet er sorgfältig vor, indem er seinen Herrn, Herzog Albrecht VI. von Österreich, um fiirdernuß an Könige und Fürsten angeht, ob es sich begebe, das nitt sunder handlung und geschafft by den benannten hängen sin wirden, daß mier dan och zuo andern hängen und fürsten ziehen mochten. Hier wird ganz deutlich, daß eventuelle "Geschäfte" des Herrn mitbesorgt werden sollten, in diesen aber nicht der Anlaß der Reise bestand. Herzog Albrecht sagte zu, übernahm aber noch einen weiteren Wunsch Georgs von Ehingen und seines Begleiters Georg von Ramsiden: Und nach dem sin gnaden och ain sunder lob und ruom darinn haben wollt, die weyll mir von siner gnaden hoff und den hochloblichen Hauß Österrych kamen - also auch Ehrgewinn für ihn herausschaute, da seine Leute (wie Mudarra) sein Lob verkünden würden, schickte er an Kaiser Friedrich III. und an König Ladislaus von Ungarn unß umb virschrifft und virdernuß. Vom Herzog erhielten sie dann Briefe an den König von Frankreich, den König von Portugal, den König von Kastilien und an den König von England sowie sunst ain gemeine virdernuß an all cristenlich häng und fürsten in ainer gemain - also Briefe unseres Typs (a) und (c). Weitere Geleitbriefe unterwegs und Antwortschreiben erwähnt Ehingen nicht, nur diejenigen des Königs von Navarra sind angedeutet58. Aber außerhalb des Reiseberichts ist eine Reihe von Texten in Abschrift, in zwei Fällen sogar im Original erhalten. Es handelt sich um ein Zeugnis für Georg von Ehingen und um einige Schreiben, die er nicht ausgehändigt hat59. Antworten an König Ladislaus 56 V. HONEMANN, Sebastian Ilsung als Spanienreisender und Santiagopilger (mit Textedition), in: Deutsche Jakobspilger und ihre Berichte, ed. K. HERBERS,Tübingen 1988, 61-95. 57 V g l . HONEMANN ( A n m . 5 6 ) A n m . 1, 12, 1 6 , 2 0 , 2 2 .
58 Georg von Ehingen, Reisen nach der Ritterschaft, ed. G. EHRMANN, 2 Bde., Göppingen 1979, erwähnt Bd. 1 (Text), 3 2 , 4 0 f., 45 (gehäß, daß inn sinemm kiingrych unß alle eer geschehen sollt). 59 Kg. Heinrich IV. v. Kastilien beurkundet die Verleihung seiner Devise der Banda und seiner Kollane der Squama, Jaén 1457 Sept. 5 (Or.). Die anderen Stücke gehören unserem Typ (b) an: Kg. Alfons V. v. Portugal an Papst Calixt III., an den Kardinal-Ebf. v. Saragossa, an Isabella von Portugal Hz.in von Burgund (Or.), an Karl v. Burgund Gfh. v. Charolais, an Antoine de Croy, alle Leiria, 1458 März 15; und Johann I. v. Aragón Kg. v. Navarra, an Artur III. Hz. v. Bretagne, Calatani 1458 März 17. Die Orr. in Kilchberg, Schloßarchiv; die Kopien in Sigmaringen, Fürstl. Hohenzoll. Hofbibliothek, Hs. 67 (N. FRISCHLIN, Geschichte des Hauses Ehingen), fol. 154r-160v. Ich hoffe, diese Stücke demnächst zum Druck zu bringen.
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von Ungarn, Kaiser Friedrich III. und Herzog Albrecht VI. von Österreich sind nicht überliefert, doch hat es sie unzweifelhaft gegeben. Einer der Begleiter des 1465-1466 reisenden böhmischen Barons Leo von Rozmital, der tschechische Edelknecht Schasek, nahm die erteilten Geleitbriefe sogar in seinen Reisebericht auf, so daß uns eine Sammlung von nicht weniger als 22 Texten erhalten ist. Es handelt sich dabei um unseren Typ (c) und (d), allgemeine und spezielle Geleitbriefe (und deren Kombination), gerichtet an Gleichrangige und an Untergebene60. Empfehlung und Geleit, allgemein und speziell, als Bitte und Befehl, sind die unentbehrlichen, aber nicht die einzigen Schriftstücke, zu denen eine Adelsreise Anlaß gab. Wie das Dossier des Georg von Ehingen zeigt, sind auch Aufnahmen in Orden und Gesellschaften und die ehrenvolle Führung beurkundet worden61. Diplome über in der Fremde erworbene Wappenbesserungen und Wappenverleihungen gehören ebenfalls hierher62, wobei eine einzige Urkunde mehrere Funktionen zugleich erfüllen kann63. Während die Geleitbriefe auf der Reise Ausweis des Standes waren, Zollfreiheit und Sicherheit gewährten oder gewähren sollten, resultierte der bleibende Ehrgewinn aus denjenigen Schriftstücken, die der Reisende mit nach Hause nehmen konnte, sei es, um sie den Adressaten, seinen Herren öffentlich auszuhändigen, oder sei es, um sie vorzuzeigen und in seinem Archiv aufzuheben. Eine solche private Sammlung ist überliefert: Im selben Jahre 1446, in dem Sebastian Ilsung nach Santiago reiste, ließ sich der Berner Patrizier Konrad von Scharnachtal durch einige Standesgenossen seine Jerusalemreise beurkunden. Scharnachtal sammelte solche Reisezertifikate. Im Jahre 1450 legte er sie ge60 Commentarius [...] itineris atque peregrinationis [...] susceptae ab [...] Leone, libero barone de Rosmital et Blatna, ed. K. HRDINA, Prag 1951; vorher schon in J. A. SCHMELLER (ed.), Des böhmischen Herrn Leo's von Rozmital Ritter-, Hof- und Pilgerreise durch die Abendlande 1465-1467, Stuttgart 1844; und vgl. die engl. Ubers, mit Komm, von M. LETTS, Cambridge 1957, hier 175-178, App. III-IV. Sie fehlen im Bericht des Nürnberger Patriziers Georg Tetzel. Vgl. CONTAMINE (Anm. 4 9 ) 78-80 und 85; M. STOLZ, Die Reise des L. v. R „ in: Jakobspilger, ed. K. HERBERS (Anm. 56) 97-121. - Die Geleitbriefe wurden ausgestellt von: Ks. Friedrich III. (1465 Sept. 7), Johanna Kg.in von Böhmen, Albrecht Achilles Mgf. v. Brandenburg, Friedrich Pfalzgf. b. Rhein, Ruprecht Erzbf. v. Köln, Philipp Hz. v. Burgund (zwei Briefe: speziell und allg.), Karl (der Kühne) v. Burgund Gf. von Charolais, Eduard IV. Kg. v. England (zwei Briefe: speziell und allg.), Franz II. Hz. v. Bretagne, René d'Anjou Kg. v. Sizilien, Ludwig XI. Kg. v. Frankreich, Charles d'Anjou Hz. von Maine, Heinrich IV. Kg. v. Kastilien, Ferdinand ältester Sohn des Hz.s von Braganza, Alfons V . Kg. v. Portugal, Ferdinand Hz. von Viseu, Johann II. Kg. v. Aragón, die Deputation der Generalstände von Katalonien (der einzige volkssprachige Text), Wilhelm Mgf. v. Montferrat, Cristoforo Moro, Doge von Venedig (Venedig, 1466 Dez. 16). Siehe oben Anm. 59 und unten Anm. 62. Weitere Urkunden für Aufnahme in Orden und Gesellschaften nennt W. PARAVICINI in seiner Einleitung zu H. KRUSE/ W. PARAVICINI/ A. RANFT, Ritterorden und Adelsgesellschaften im spätmittelalterlichen Deutschland. Ein systematisches Verzeichnis ('Kieler Werkstücke', Reihe D, Bd. 1) Frankfurt/M. u.a. 1991, auf 18 Anm. 48 (und vgl. 36 f.). 62 Beispiele bei G. A. SEYLER, Geschichte der Heraldik, Nürnberg 1890, 819 Nr. 33 (Kg. v. Zypern, Genua, 12.2.1384, für Johann Rieter); 837, Nr. 80 (Kg. v. Portugal, Lissabon, 1503 Febr. 8, für Wolfgang Holzschuher). K. SCHLAWE, Zwei ausländische Wappenverleihungen an Schlesier, in: Der Herold 35 ( 1 9 0 4 ) H. 11, 196-198 (an zwei Breslauer Bürger: Lukas Eisenreich [sowie Petrus Krebel, Nikolaus und Andreas von Popplau] durch Papst Paul II., Rom, 17. Mai 1469, und Johann Rindfleisch durch die Kg.in v. Zypern, Nikosia, 25.8.1481, zugleich spezieller und allg. Geleitbrief und Ordensverleihung). Weiteres bei PARAVICINI, Preußenreisen (Anm. 2 5 ) Bd. 1, 154 Anm. 45 (ebenfalls Stadtadlige, 1347 und 1368). 63 Siehe die vorangehende Anm. (Urk. von 1481). 61
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schlössen seinem Herrn vor, dem Herzog von Savoyen, und ließ sich seine Reisen von ihm insgesamt bestätigen. Sein Dossier von derzeit 16 Stück aus den Jahren 1446-1458, nur ein Teil dessen, was sich erschließen läßt, zeigt zur Genüge, daß nicht nur Geleitbriefe ausgestellt wurden, sondern auch Besuchsbestätigungen, sowohl für geistliche Ziele (Santa Maria de Finisterra, Wilsnack, Kirchenschatz des Doms zu Merseburg) als auch für weltliche (Sehenswürdigkeiten in Schottland, Stadt Erfurt, Stadt Frankfurt a.d. Oder). Auch ein Dienerbrief (zum écuyer d'écurie des Herzogs von Burgund) ist darunter*4. Der Verlust solcher Briefschaften unterwegs, etwa durch Konfiskation, wie im Falle des 1484-1486 reisenden Breslauer Patriziers und Ritters Nikolaus von Popplau geschehen, drohte den Reisenden um ein wesentliches Stück seines angestrebten Erfolges zu bringen, den Ehrgewinn durch Reisen zu mindern. Dementsprechend bemühte sich Popplau wiederholt bei König Karl VIII. von Frankreich (bzw. bei den Räten des minderjährigen Königs) um die Rückgabe seiner im Poitou beschlagnahmten Fürdernis Briefe, die mir Könige und Fürsten gegeben hatten. Da sie nicht mehr aufzutreiben waren, u.a. zwei Antwortschreiben des Königs Johanns II. von Portugal an Kaiser Friedrich III. und an König Matthias Corvinus von Ungarn, erwirkte er schließlich die Ausstellung einer Urkunde über den von ihm nicht verschuldeten Verlust65.
7. Der Dokumentationskreislauf Das Dossier des Alfonso Mudarra ließ vier Typen von Schreiben erkennen, die mit dem adligen Reisen verbunden waren: (a) das Empfehlungsschreiben des Herrn des Reisenden für den Überbringer, oft verbunden mit einer (dem diplomatischen Schriftverkehr angehörenden) 'litera de statu', die aber auch getrennt existiert (dem Reisenden mitgegeben, verbleibt im Archiv des Adressaten) = 'littera recommandatoria', 'littera protectionis', 'promotionale', zu deutsch 'Fürschrift', 'Fürdernis', 'Fürdernisbrief oder ähnlich66; (b) die Antwort des Empfängers an den Herrn des Reisenden (dem Reisenden mitgegeben, verbleibt im Archiv des Empfängers) = wie (a); 64 Überliefert in Bern, Staatsarchiv, Archiv Spiez, Bestand Oberhofen. Vgl. K. L. v. SINNER, Versuch einer diplomatischen Geschichte der Edlen von Scharnachthal (Der Schweizer Geschichtsforscher 3) Bern 1820. Ich hoffe, das Dossier demnächst vorzulegen. Es war bereits Gegenstand einer Kieler Magisterarbeit: S. HOFMANN, Reisen um des Reisens willen. Der Berner Patrizier Konrad von Scharnachthal, Ms. Kiel 1990. «5 S. 120, 124, 125, 130, 136 und 137 f. der Hs. Breslau (Wrociaw), Stadtbibliothek, Hs. Rfehdinger] 319 (Abschrift des 18. Jhs.), deren Edition A. und W. Paravicini vorbereiten. 66 Zum Wort vgl. M. LEXER, Mittelhochdt. Handwörterbuch, Bd. 3, Leipzig 1878, 594 ('vürderbrief), 596 f. ('vürdern' und Derivate), 608 ('vür-schrift'); Grimm, Dt. Wörterbuch, Bd. IV 1, Leipzig 1878, 368 ('Fuderbrief), 720 ('Fürdernis' und Derivate), 721 ('Fürderung', 'Fürdernisbrief); E.V. KÜNSSBERG, in: Dt. Rechtswörterbuch, Bd. 3, Weimar 1933-1938, 535, 616, 625, 629 (Förder-, Fordernis-, Förderungsbrief, -schreiben, -schrift). Zur Sache U. MÜLLER (siehe Anm. 70) und PARAVICINI, Von der Heidenfahrt zur Kavalierstour (Anm. 34) 104. - Vom Bischof von Bamberg erhielt Albrecht Dürer 1520 ein Zoll- und drei Fürderbrief [= Typ d und a?] für seine Reise in die Niederlande: Albrecht Dürer, Schriften und Briefe, ed. E. ULLMANN, Leipzig 1989, 55. Die Bezeichnung "Fürdernisbrief' begegnet wenig früher in selbstverständlichem Gebrauch auch im Fortunatusroman, siehe H. KÄSTNER, Fortunatas - Peregrinator mundi, Freiburg i.Bg. 1990, 32.
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(c) Geleitbitte und Empfehlung an Gleichrangige durch den Empfänger von (a) (verbleibt beim Reisenden) = wie (a); (d) Geleitbefehl desselben an Untergebene (verbleibt beim Reisenden) = '(salvus) conductus', 'Zollbrief 67 . Zu erahnen, aber einstweilen nicht zu belegen ist auch die (e) Rückantwort des Empfängers von (c) an den jeweiligen Absender, so daß die Zahl der Schriftstücke sich noch einmal vervielfacht. Die anderen Dossiers zeigen, daß diese Vier- oder Fünfzahl durch weitere (kombinierbare) Typen vermehrt werden muß, die sämtlich beim Reisenden, d.h. dem Begünstigten verbleiben: (g) Zeugnisbriefe über Besuche, Taten, Ritterschlag ('Testimonia1 im engeren Sinne)68; (h) Dienerbriefe, (i) Ordens- und Gesellschaftsbriefe und (j) Wappenbriefe ('Testimonia' im weiteren Sinne)69. Für England kommen (k) die königliche und für Pilgerfahrten ins Hl. Land die (1) päpstliche (Aus-)Reisegenehmigung hinzu = 'licentia', 'licence'. Sicherlich wird eine Studie auf breiterer Materialgrundlage, zu der hier aufgerufen wird, noch weitere Typen erkennen und unterscheiden können. Notwendig sind Textsammlungen von Geleitbriefen70, Pässen71, 'Fördernisbriefen', 'Testimonia' und überhaupt von den verschiedenen Arten des diplomatischen Schriftverkehrs72. Hierauf müssen Forschungen zu Form und Gehalt aufbauen. Gerade die 61 Vgl. die vorangehende Anm. (Albrecht Dürer). 68 Außer den Scharnachtal-Dokumenten z.B. das Zeugnis des Wappenkönigs Kastilien über Ritterschlag und Tapferkeit gegen die Heiden für Jean de Rebreuviette (im Artois), Sevilla, 10. Juli 1456, e r w . bei KEEN ( A n m . 1) 167 mit A n m . 20 auf S. 270. 69
Zu den englischen 'licenses' siehe M. J. BARBER, The Englishman abroad in the fifteenth Century, in: Medievalia et Humanística 11 (1957) 69-77; außerdem: E. PERROY, The Diplomatie Correspondence of Richard II (Camden III, 48) London 1933, IX Anm. 1, und F. TRAUTZ, Die Könige von England und das Reich 1272-1377, Heidelberg 1961, 14 f. 70 u . MÜLLER, Das Geleit im Deutschordensland Preußen, Köln u.a. 1991, ist rein rechtshistorisch ausgerichtet und trägt zu den hier interessierenden Zusammenhängen wenig bei. Doch enthält die Arbeit (außer umfassenden bibliogr. Angaben zum Geleit) 148-173 eine Untersuchung des preußischen Geleitbriefformulars und 204-213 Ausfuhrungen über Schutzbrief, Paßbrief, Ein- und Durchreiseerlaubnis und Förderungsschreiben ('Wegebriefe') im Ordensland; dazu im Anhang 36 Texte aus den Jahren 1399-1520, doch keinen, der mit der Adelsreise zusammenhinge; solche siehe künftig bei PARAVICINI, Preußenreisen (Anm. 25) Bd. 3, Dok. 92. - Daß ein echter, für eine Gesandtschaft erteilter Geleitbrief (Kg. Sigmunds, Paris, 1. April 1416) durch den Empfänger (Oswald von Wolkenstein) für eine andere Reise verfälscht werden konnte (auf Preßburg, 1. April 1419), zeigt A. SCHWÖB, Die Edition der Lebenszeugnisse Oswalds von Wolkensteins und neue Funde zum realen Erlebnishintergrund seiner Lieder, in: Ex ipsis rerum documentis. Festschrift für H. Zimmermann, hg. v o n K . HERBERS u.a., Sigmaringen 1991, 158-172, hier 168. ' I Sehr knapp N. CONRADS, Politische und staatsrechtliche Probleme der Kavalierstour, in: Reiseberichte als Quelle europäischer Kulturgeschichte. Aufgaben und Möglichkeiten der historischen Reiseforschung, ed. A. MACZAK/H. J. TEUTEBERG, Wolfenbüttel 1982, 45-64, hier 50-53; und D. NORDMAN, Sauf-conduits et passeports, en France, Á la Renaissance, in: J. CÉARD/ J.-C. MARGOLIN (éd.), Voyager á la Renaissance. Actes du colloque de Tours 1983, Paris 1987, 145-158. 72 Zum Beispiel das Eingehen künstlicher Verwandtschaft auf und unterhalb der Fürstenebene. Siehe einen derartigen Text bei W. PARAVICINI, Guy de Brimeu. Der burgundische Staat und seine adlige Führungsschicht unter Karl dem Kühnen (Pariser Histor. Studien 12) Bonn 1975, 470 f.
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Arengen erlauben ungeahnte Einblicke in Selbstverständlichkeiten und Motive adliger Mobilität73. Das Dossier der heimgebrachten Briefe des Alfonso Mudarra hat sich somit als ein überaus seltenes und zugleich typisches Zeugnis für die Schriftlichkeit herausgestellt, die die Adelsreise des 14. und 15. Jahrhunderts begleitete. Die gesamte abendländische Ritterschaft hatte teil an diesem Phänomen geographischer Mobilität, das als Heidenfahrt und Pilgerfahrt begann und als Hofesreise und Kavalierstour endete74. Voraussetzung hierfür waren ein Erkennungssystem und ein System wechselseitiger Beziehungen von Höfen, das durch die Praxis ständig gestärkt und ausgebaut wurde. Fürschriffien und Testimonia, wie der schwäbische Humanist und Adelskenner Nikodemus Frischlin 1579 diese Arten von Dokumenten nannte75, spielten dabei eine bedeutende Rolle, die einen für unterwegs, die anderen zum bleibenden Andenken zu Hause. Sowohl die Fürsten untereinander, die deshalb in fiktiver Verwandtschaft stereotype Nachrichten über die engere und weitere Familie austauschten und durch freigebige Behandlung der Reisenden sich Ansehen an anderen Höfen sicherten, als auch der einzelne Edelmann waren durch den Dokumentationskreislauf eingebunden in einen Kreislauf der Ehre, der bis in den fernsten Winkel des lateinischen Europas reichte.
Texte Vorbemerkung: Trotz wiederholter Anschreiben war es nicht möglich, vom Archiv der Krone Aragöns zu Barcelona in Ergänzung einer mehr als zwölf Jahre zurückliegenden Sendung auch die Ablichtung der Rückseiten und einzelner fehlender Partien der unten mitgeteilten Briefe, ja überhaupt eine Antwort zu erhalten. Ich kann deshalb die Adressen und Dorsualvermerke nicht mitteilen, mit Ausnahme der Teile, die, da umgefaltet, auf der recto-Kopie sichtbar waren.
Anm. 79. G. MATTINGLY, Renaissance Diplomacy, London 1955, beschränkt sich ganz auf das Studium des Gesandtschaftswesens. 73 Das Schreiben des Markgrafen von Montferrat erinnert an das Vorbild Odysseus; dasjenige des Dogen von Venedig zitiert Theophrast (Anm. 60). Vom Humanismus unberührte Beispiele siehe bei PARAVICIN1, Von der Heidenfahrt zur Kavalierstour (Anm. 34), bei Anm. 81-82. 74 V g l . PARAVICINT, V o n d e r H e i d e n f a h r t z u r K a v a l i e r s t o u r ( A n m . 34), u n d J . VAN HERWAARDEN,
Pilgrimage and Social Prestige. Some Reflections, in: Wallfahrt und Alltag in Mittelalter und Früher Neuzeit (Veröffentl. des Instituts für Realienkunde des Mittelalters und der Frühen Neuzeit 14 = SB der Österr. Akad. der Wiss. phil.-hist. Kl. 592) Wien 1992, 27-79. 75 Es ist die Überschrift zu seiner Kopie der Ehingen-Dokumente, siehe oben Anm. 59.
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[vor dem 19. Oktober 1411]76 [Ort nicht genannt] Ferdinand, Infant von Kastilien, an den Hochmeister des Deutschen Ordens [Heinrich von Plauen]. Or. eh. lit. ci., Spuren recto eines größeren aufgedruckten und verso eines kleineren Verschlußsiegels: Barcelona, Archivo de la Corona de Aragon, Cartas Reales, D. Marti, caixa 9 Nr. 113. H. 185-189 mm, B. 295 mm. - Erwähnt: VIELLIARD, Pèlerins d'Espagne (oben Anm. 3) 280.- Geringe Textverluste durch Wurmgänge. Ort und Datum fehlen. Das Stück wurde dem Adressaten nicht ausgehändigt77. Honorabilissimo [et]78 potenti magno Pruscie magistro amico nostro carissimo dompnus Fernandus infans Castelle et dominus de Lara, dux Penefidelis, comes de Alburquerque et de Mayorga ac dominus de Castro et de Haro79, salutem et sincere dilectionis affectum. Felicem continenciam status nostri amicicie vestre ad gaudium presentibus intimamus, scientes animum vestrum exinde ad leticiam renovari. Itaque noveritis quod, agente ilio qui est actor salutis, dominus rex Castelle consobrinus noster80 cum illustrissima sua genitrice regina81 nosque cum infantissis predicti regis sororibus82, cum eciam infantissa consorte nostra carissima83 cum liberis nostris84 grata perfruimur sospitate, rogantes ut statum vestrum prosperum, quem dominus conservet incolumen, nobis sepius intimare curetis. Ceterum, cum dilectus miles Alfonsus Modarra, exhibitor presencium, peregre ad sepulcrum sacrum Jherosolimitanum gressus suos dirigit eciamque ad mundi partes diversas super certis negociis nostrani honestatem tangentibus [et]85 suis expediendis, qui, si per vestre dominacionis terram transire contigerit, ob dicti domini regis, cui benivolus est et accept[us], amorem atque in[tu]itum86 nostre contemplacionis ipsum velitis habere commendatum, prout vestris fieri desideratis in nostris territoriis, si casus fortuitus se offerret, sc[i]li[cet]87 si quid in partibus istis placuerit, scribatis nobis, quem libenter adimplebimus. Datum88 (S.) yo El infante89 (S. in der unteren rechten Ecke:) P[etrus?] Fer[dinan]di90 76
Datum des ersten Antwortbriefs, unten Nr. 2. Vgl. oben bei Anm. 12/14. 78 Loch im Papier. 79 Lara, Pefiafiel, Alburquerque, Mayorga, Castrogeriz, Haro. Ferdinand "von Antequera" (benannt nach der von ihm im September 1410 eroberten Stadt im maurischen Kgr. Granada), geb. 28.11. 1380, seit dem 25.12.1406 Mitregent von Aragón, wurde am 24.6.1412 (Kompromiß v. Caspe, siehe oben Anm. 37) bzw. August 1412 (Erhebung, Krönung am 10.2.1414) als Ferdinand I. König dieses Reiches, blieb aber Regent von Kastilien. Er starb am 2.4.1416. Siehe L. VONES, in: LMA IV (1989) 356-358. 80 Sein minderjähriger Neffe Johann II. (1404-1454), Kg. v. Kastilien, Sohn des am 25.12.1405 gestorbenen Königs Heinrichs III. von Kastilien, für den er zusammen mit dessen Mutter (siehe die nächste Anm.) die Regentschaft ausübte. 81 Katharina von Lancaster ( t 1418), seit dem 25.12.1406 Witwe Kg. Heinrichs III. von Kastilien und mit Ferdinand Regent des Königreichs. 82 Die älteren Schwestern Katharina und Maria. 83 Leonor v. Alburquerque (1374-1435), die er 1393 geheiratet hatte. 84 Maria, 1420 Frau Kg. Johanns II. v. Kastilien; Alfons (V.), geb. 1394, 1416-1458 Kg. v. Aragón; Johann (II.), geb. 1397, 1458-1479 dessen Nachfolger; Leonor, 1428 Frau Kg. Eduards von Portugal; Sancho, Heinrich, Peter. 85 Loch im Papier. 86 Loch im Papier. 87 Loch im Papier. 88 Fehlt. 89 Eigenhändige Unterschrift des Infanten. 77
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2 1411 Oktober 19, Ambronay91 [Amadeus VIII.,] Graf von Savoyen, an Ferdinand, Infant von Kastilien. Or. eh. lit. ci., Verschlußspuren: Barcelona, Archivo de la Corona de Aragón, Cartas Reales, D. Ferran I, caixa 1 Nr. 15. H. > 246 mm, B. 296-298 mm. - Erwähnt: 92 VIELLIARD, Pèlerins d'Espagne (oben Anm. 3) 279 f. - [in dorso:] conde de Savoya al inf[ante] de Aragon (75. Jh.) Illustris princeps et consanguinee carissime. Litteras magnifficencie vestre gratanter recepi, quibus vestii93 gratia michi nunciastis continenciam status vestri sublimi, quem deus prosperum conservet feliciter atque diu, celsitudinem vestram rogans, ut de ipso pervenientes me sepe litteris vestris placeat certiorare pro mei cordis exultacione felici. Et de meo statu, illustris princeps, unde scribitis libenter informali, deo prestante gaudeo corporea sospitate. Ceterum militi vestro domino Alfonso Mudarra ad sanetum sepulcrum et ceteras regiones ultramarinas tarn peregre quam causa honoris acquirendi accedenti litteras meas passus generales et ceteros favores vestri contemplacione concessi, me offerens ad queque magnitudini vestre grata, quam dirigat altissimus exaudibiliter ad optata. Scriptum Ambroniaci die xix ottobris94. M CCCC xj°. Comes Sabaudie95, princeps, dux Chablaisij96 et Auguste,97 in Ytallia marchio98 et comes Gebennensis" etc. [hier vermutlich eine unter dem Umbug verdeckte Gegenzeichnung]100
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1411 November 2, Casale (Monferrato)101 Theodor [II. Palaiologos], Markgraf von Montferrat, an Ferdinand, Infant von Kastilien. Or. ch. lit. cl., rückwärtige Siegelspuren: Barcelona, Archivo de la Corona de Aragon, Cartas Reales, D. Ferran I, caixa 1 Nr. 12. H. 200 mm, B. 290 mm. - Erwähnt: VIELLIARD, Pèlerins d'Espagne (oben Anm. 3 ) 2 7 9 f. Illustrissime prineeps et excellentissime domine. Cum devote recommendationis affectu litteras vestras gratanter accepi, que de excellentie vestre etc. jocundo statu michi optatam fecere noticiam, ex quo eidem excellentie summas reddo grates, cum dignata fuerit 90
Schreiber oder Kanzler. D i p . Ain, ar. Belley, c. Ambirieu-en-Bugey. 92 Siehe die Vorbemerkung. 93 Sic. 94 Sic. 95 A m a d e u s VIII., 1391-1416 Graf, 1416-1439 Herzog von Savoyen, 1439-1449 als Felix V. Basler Konzils-Papst, gest. 1451. 96 Hzt. Chablais, am Südufer des Genfer Sees. 97 des Aostatals. 98 Mgf. in Italien, als Herr von Ivrea; die Mgft. Turin war im Besitz der Seitenlinie SavoyenAchaia. 99 Gft. G e n f (Genevois), nach dem Erlöschen des Grafenhauses 1394 ab 1401 zurückgekauft. 100 Siehe die Vorbemerkung. 101 p r o v _ Alessandria, Hauptresidenz der Markgrafen von Montferrat. 91
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tarn jocunda scribere nova, que animum meum ingenti leticia recrearunt. SignifFicans itaque vobis me et illustres consortem meam marchionissam102, natum103 et natam104 meos cum tota mea curia jocunda sospitate potiri. Preterea strenuum militem dominum Alfonsum, quem michi vestre littere recomendant, libentissimo animo vidi, omnes itaque pro parte memorate vestre excellentie ad has partes venientes gratum michi foret videre et illos semper haberem singulis favoribus recommissos. Datum Casalis die secondo105 novembris M cccc xj°. Excellentie vestre devotus Theodoras marchio Montisf(errati)106 ac Janue capitaneus107 etc. 4 1411 November 6, Mailand Giovanni Maria [Visconti], Herzog von Mailand, an Ferdinand, Infant von Kastilien. Or. eh. lit. ci., rückwärtige Siegelspuren: Barcelona, Archivo de la Corona de Aragon, Cartas Reales, D. Ferran I, caixa 1 Nr. 14. H. 220-224 mm, B. 294 mm. - Erwähnt: VIELLIARD, Pèlerins d'Espagne (oben Anm. 3) 279 f. Illustris et precordialissime consanguinee noster. Gratiosas vestre consanguinitatis reeepimus literas de manu spectabilis viri Alfonsi Modarre, serenissimi domini regis domestici ac alumpni serenissime domine regine genitricis prefati domini regis peregrinantis ad sanctum Yerosolomitanum sepulcrum. Quibus eadem consanguinitas gemino fungens offitio indicavit nobis, prefatorum dominorum regis et regine, vestri necnon preclarissime domine infantisse consorti vestre108 statum esse salubrem. Exquisivitque de nostro, de quo certifficari petiit sua curialitate pro ingenti sue mentis aplausu. Ad quas respondentes sic dicimus, quod immense letamur pretactorum dominorum regis, regine, vestrum et omnium vestrorum successus esse felices. Quos dirrigat et ad vota conservet ille sum[m]us principimi princeps, cuius arbitrio totius seculi movimenta decurrunt. Eandem consanguinitatem ex intimis deprecantes, quatenus per omnes nuntios venientes ad has partes, nos sepe et sepius de predictorum dominorum regalium statu, vestro, dominarum, consortis et consororum vestrarum per vestras literas non tedeat recreare. Si enim de nostro uti non ambigimus sentire delectat, noscat eadem consanguinitas predilecta109, quod una110 cum illustre domina ducissa consorte nostra111 altitonantis grada grata corporum sospitate vigemus, itidem de regalibus antedictis vobisque vestrorumque omnium sentire jugiter affectantes. Prefatum vero Alfonsum cordialiter acceptavimus in recommendatione nostra eique fecimus liberi transitus literas 102
Margarete von Savoyen-Achaia, die er 1403 in dritter Ehe geheiratet hatte. Giangiacomo (Johann Jakob), geb. 1395, von seiner 2. Frau Johanna von Bar, reg. 1418-1445. 104 Sophia, gest. 1431. 105 Sic. 106 Theodor II. aus dem Hause der Palaiologen, reg. 1381-1418. 107 Der Mgf. von Montferrat führte 1409-1413 den Titel eines Kapitäns als faktischer Signore von Genua. 108 Siehe den Kommentar zu Nr. 1. 109 predilectam Ms. 110 unaa Ms. 111 Seit 1408 Antonia Malatesta von Rimini. 103
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per territoria nostra ac stricte recommendationis ad amicos nostros per quorum est territoria transiturus, parati in his et in ceteris nobis possibilibus vestris requisitionibus atque nutibus compiacere. Datum Mediolani die sexto novembris M cccc xj°. Johannes Maria Anglus dux Mediolani etc.112 (S. von anderer Hand:) Theodorus113. 5 1412 Januar 8, Buda Sigmund, römischer König und König von Ungarn, an Ferdinand, Infant von Kastilien. Or. eh. lit. ci., rückwärtige Siegelspuren: Barcelona, Archivo de la Corona de Aragon, Cartas Reales, D. Ferran I, caixa 1 Nr. 11. H. > 230 mm, B. 321 mm. Geringe Textverluste durch Wurmgänge. - Erwähnt: VIELLIARD, Pèlerins d'Espagne (oben Anm. 3) 279 f. Nicht in den Regesta Imperii, Bd. XI: Die Urkunden Kaiser Sigmunds (14101437), hg. von W. ALTMANN, Innsbruck 1896-1900 (ND 1968). Sigismundus dei grada Romanorum rex semper augustus ac Hungarie etc. rex114. Illustrissimo principi dompno Fernando Infanti Castelle et domino de Lara, duci Pennefidelis, corniti de Alburquerque et de Mayorga ac domino de Castro et de Haro lls , consanguineo nostro carissimo, salutem et sincere caritatis continue incrementum. Dum exspectaremus ardenti desiderio de serenissimo principe Johanne rege Castelle consanguineo nostro carissimo et suo consobrino ac illustrissima eius genetrice regina neenon de vobis ac infantissis vestris et consobrinis116 prosperos audire sospitatum et incolumitatum rumores, tandem sublatis longe tarditatis dispendiis apparuit strennuus117 miles Alfonsus Modarra, prefati regis familiaris, lator presencium, qui118 vota nostra iocunda relacione preveniens litteris, quas misistis, votiva iocunditate nos certioravit. Superinde eidem Alfonso militi et sue comitive de securo providimus c[o]ndu[c]tu119, indubitata tenentes fiducia, quod vestrum delectat auditum, quotiens de felici status nostri continencia vobis prospera nu[nt]iantu[r]120. Scituri itaque, quod divina largiente clemencia a qua bona cuncta procedunt, nos simul cum serenissima coniuge regina121 et prole122 112 Giovanni Maria Anglo Visconti (reg. seit 1402), ein halbes Jahr später, am 16. Mai 1412, ermordet. Der gemeinhin nicht geführte Vorname "Anglo" ist ein dynastischer Ursprungsname: Als Grafen von Angera am Lago Maggiore gaben sich die Visconti seit dem frühen 14. Jh. den Trojaner Aeneas zum Spitzenahn, dessen Sohn Anglus als der mythische Gründer Angeras galt: F. COGNASSO, in: Storia di Milano, vol. 5, Mailand 1955, 101 f. (frdl. Hinweis von dott.ssa G. Cagliari Poli und dott.ssa B. Cereghini). 113 Teodoro de Salis, Kanzler der Herzogin 1402-1419, auch im Dienst des Herzogs. M. F. BARONI, I cancellieri di Giovanni Maria e di Filippo Maria Visconti, in: Nuova Rivista Storica 50 (1966) 367428, hier 421 f. 114 Sigmund von Luxemburg 1368-1437, seit 1387 König von Ungarn, seit 1410 römisch-deutscher König, 1433 Kaiser. 115 Siehe den Kommentar zu Nr. 1. 116 Die Personen sind in Nr. 1 identifiziert. 117 Sic.
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*que Ms.
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Löcher im Papier. Für freundlich gewährte Lesehilfe hier und an anderen Stellen danke ich E. FUgedi (Budapest). 120 Löcher im Papier. 121 Barbara, Tochter des Grafen Hermann II. von Cilli, 1392-1451, seit 1403 (1404) die zweite Frau Sigmunds.
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nostris piena corporis sospitate in presenciarum vigere, quod utinam iugiter de prefatis rege et consobrino, regina ac de vobis et infantissis vestris et consobrinis placidis Semper relatibus audiamus. Rogantes vos auffectione 123 iocunda, ut de prefatorum regis et regine vestrarumque et domorum omnium vestrum124 felici continencia litteris vestris, si placet, crebro nos reddere certiores. Et insuper de nobis lator presencium in vive vocis expressione satisfacere poterit plenius votis vestris. Datum Bude octavo die mensis januarij anno domini millesimo quadringentesimo duodecimo 125 , regnorum nostrorum Hungarie etc. vicesimo quinto, Romanorum vero secundo. (von anderer Hand:) per dominum Johannem archiepiscopum 126 Joannem prepositum sancti Stephani127 6 1412 März l,Prag Wenzel, (römischer König und) König von Böhmen, an Ferdinand, Infant von Kastilien. Or. eh. lit. ci., rückwärtige Siegelspuren: Barcelona, Archivo de la Corona de Aragon, Cartas Reales, D. Ferran I, caixa 2 Nr. 136. H. 210 mm, B. 304-306 mm. - Erwähnt: VIELLIARD, Pèlerins d'Espagne (oben Anm. 3) 279 f. (irrtümlich zum 1. Mai). Wenceslaus dei grada Romanorum rex Semper augustus et Boemie rex 128 . Illustri et magnifico Fernando infanti Castelle, duci Penefidelis 129 etc., principi nobis sincere dilecto, salutem et mutue dileccionis continuum incrementum. Illustris et magnifice princeps, vestre dileccionis litteras, serenissimi prineipis domini Castelle, Legionis etc. regis illustris fratris nostri, carissimi neptis vestri, serenissimeque inclite domine Katherine regine genitricis sue consequenterque vestrum et vestrorum 130 prosperum statum continentes, maiestati nostre per nobilem Alfonsum Modorra, prefati fratris nostri carissimi familiarem domesticum, oblatas gratanter suseepimus, benigne audivimus et ipsarum tenorem impressimus plenarie menti nostre. Et ad hoc ut eciam deleccio vestra de statu 122 Elisabeth, Tochter Sigmunds und der Barbara von Cilli, ca. 1409-1442, ab 1421 Frau des späteren Kgs. Albrecht II. von Habsburg. 23 ' Sic. 124 Sic, evtl. zu lesen vestrarumque domorum et omnium vestrorum? 125 Sigmund ist am selben Tage in Ofen (auf der anderen Donauseite) bezeugt, siehe Reg. Imp. XI Nr. 158. 126 Johannes von Kanizsai, 1387-f 1418 Erzbf. von Gran (Esztergom), 1411-1417 Reichskanzler. Vgl. Reg. Imp. XI Nr. 58 f. (1411 Juli 3 und 9), 199 (1412 März 15) u.ö. (siehe den Index unter 'Gran'); F.-R. ERKENS, Über Kanzlei und Kanzler König Sigismunds, in: AfD 33 (1987) 429-458, hier 435 f. mit Anm. 34. 127 Beide Namen wurden kursiv von einer Hand geschrieben. Johann von Novacivitate (Gran-Neustadt), einmal auch als de Strigonio (Gran) = Esztergomi (Ujvärosi) bezeugt, u.a. Propst der kleinen Propstei von St. Stephan zu Gran, war seit 1411 Vizekanzler Kg. Sigmunds; er starb 1417. Vgl. Reg. Imp. XI Nr. 140 (1411 Dez. 10), 185 (1412 Jan. o.T.), 199 (1412 März 15) u.ö. (siehe den Index unter 'Gran'); E. MALYUSZ, Kaiser Sigismund in Ungarn 1387-1437, Budapest 1990, 78, 291, 295, 339; ERKENS (Anm. 126) 436 mit Anm. 36. Für freundliche Auskünfte danke ich E. Fügedi, Budapest. 128 Wenzel (IV.) von Luxemburg, 1376 zum römisch-deutschen König geweiht, folgte 1378 seinem Vater Karl IV. nach, wurde 1400 abgesetzt, blieb aber Kg. von Böhmen und führte den Titel des römischen Königs weiter. Er starb 1419. 129 Vgl. oben Nr. 1 Anm. 79. 130 Siehe den Kommentar zu Nr. 1.
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nostro regali gaudium percipere possit et valeat speciale, eandem dileccionem vestram cupimus non latere, nos auspice domino una cum serenissima domina Sophia regina Boemie, consorte nostra carissima131, necnon ceteris serenissimis et illustribus principibus fratribus et patruis nostris carissimis132 corporea sospitate perirai et gaudere et in successibus iuxta vota prosperare. Placeat igitur dileccioni vestre de vestro necnon vestrorum ut prescribitur statu felici maiestatem nostram tam litteris quam nunciis vestris informari crebrius pro leticia singulari ex eo signanter, quod id ipsum de vobis et vestris non minus quam nobismetipsis audire plurimum affectamus. Prefatum eciam Alfonsum, quem cum familia sua ob specialis vestre dileccionis reverenciam per regna nostra ad presens pacifice et quiete transiturum securavimus, vobis recommendamus attente, desiderantes ex animo, quatenus eundem Alfonsum vobis nostre contemplacionis intuitu propensius recommendatum suscipientes ipsum velitis respicere, prout de dileccione vestra piene confidimus, favore speciali. Faciet enim in hoc dileccio vestra maiestati nostre complacenciam gratam valde plurimum et acceptam. Datum Präge die prima marcij regnorum nostrorum anno Boemie xlviiij0, Romanorum vero xxxvi°133. Ad mandatum domini regi Johannes de Bamberg134. 7 1412 April 8, Krakau Krystyn von Ostrów, Kastellan und Starost von Krakau, und Zbigniew von Brzezia, Marschall des Königreichs Polen, in Abwesenheit König Wfadysfaw Jagiellos, an Ferdinand, Infant von Kastilien. Or. eh. lit. ci., Siegelspuren eines größeren und eines kleineren Verschlußsiegels: Barcelona, Archivo de la Corona de Aragon, Cartas Reales, D. Ferran I, caixa 1 Nr. 13. H. 219-226 mm, B. 298-300 mm. - Erwähnt: VIELLIARD, Pèlerins d'Espagne (oben Anm. 3) 279 f., danach POLACZEK (oben Anm. 3) 70. Nicht im Codex epistolaris saeculi decimi quinti, t. II, ed. A. LEWICKI, Krakau 1891 (ND 1965). - [in dorso:] [...] Pollen (? 1. Hand) ... al rrey de Aragon (2. Hand) (15. Jh.). Illustrissimo principi ac domino, domino Fernando infanti Castelle et domino de Lara, duci Pennefidelis, corniti de Alburquerque et de Mayorga ac domino de Castro et de Haro135, Cristinus de Ostrow, castellarne et capitaneus Cracoviensis136, et Sbigneus de 131
Wenzels zweite Frau Sophie von Bayern-München (1376-1425). Von den Brüdern lebte nur noch der Halbbruder Sigmund (von Ungarn, de facto römisch-deutscher König, siehe oben Nr. 5), von den Onkeln keiner mehr: Jobst v. Mähren war am 18.1.1411 gestorben. 133 Kg. Wenzel ist tatsächlich zu dieser Zeit in Prag bezeugt, siehe sein Itinerar bei I. HLAVÄÖEK, Das Urkunden- und Kanzleiwesen des böhmischen und römischen Königs Wenzel (IV.) 1376-1419 (Schriften der MGH 23) Stuttgart 1970,429. 134 Der Protonotar Johannes von Bamberg war einer der zwei fuhrenden Kanzleibeamten Kg. Wenzels in der letzten Dekade seiner Regierung, vgl. die Notiz bei HLAVAÖEK (Anm. 133) 211-213 Nr. 13 und 316 f. Nr. 16. Ich danke dem Prager Kollegen für seine freundlichen Auskünfte. 135 Siehe den Kommentar zu Nr. 1. 136 Krystyn z Ostrowa (Christian von Ostrau) oder Krystyn Ostrowski (Wappen Rawa), 1352-1430. Er war zunächst Hofmeister der Königin Hedwig, dann Kastellan und Woiwode von Sandomir, wurde 1410 Mai 17/29 Kastellan von Krakau und bekleidete 1411-1418 das Amt des Starosten (capitaneus) von Krakau, das oberste Amt der polnischen Krone unterhalb der Zentralämter bei Hofe: eine der bedeutendsten politischen Figuren der Regierungszeit Kg. Wtadysläw Jagielfos. Siehe die biographische Notiz von J. WYROZUMSKI, in: Polski Sfownik Biograficzny 24 (1974) 564-566. Für ausfuhrliche Hinweise zur Kommentierung dieser Nr. danke ich Z. H. Nowak (Thorn). 132
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Brzeszie, marschalkus regni Polonie137, recommendacionem obsequendi humilem et sinceram. Illustrissime princeps, domine noster generosissime, coram serenitate vestra humili et certa relacione deferimus, quomodo strennuus138 et nobilis miles Alfonsus Mudarra, lator presencinm, cum litteris serenitatis vestre curiam serenissimi principis ac domini, domini Wladislai regis Polonie Lytwanieque139 principis supremi et regni Russie domini etc., fratris vestii carissimi, domini nostri generosissimi, in civitate Cracoviensi presencia personali visitans, multa et grata veneracione digna de felici status continencia serenissimi principis domini regis ac consobrini vestii et illustrissime genitricis sue domine regine ac [de] infantissis consobrinis vestris, prefati domini regis sororibus, necnon carissima consorte ac liberis vestris140 ac de sospitate eorum sana perfruicione magnifice nuncciavit141, laudem et honorem nominis vestii magna invalescencia referendo, serenissimo principe domino nostro rege predicto, domino nostro generosissimo, protunc cum invictissimo principe ac domino, domino Sigismundo rege Romanorum et Semper augusto ac Ungarie rege etc., fratte suo carissimo, in partibus regni Ungarie post sanctam confederacionem et fraterne unionis concordiam inter ipsos factam et amicabiliter compositam moram trahente142. Et quia, illustrissime domine, prescriptum dominum militem strennuum143 Alfonsum Mudarra honoris et laudis vestre fervidum comperimus zelatorem, dominacioni vestre supplicamus humiliter et sincere, quatenus nostri contemplacione servicij eundem nobilem et strennuum144 militem dignemini habere generosius recommissum, nobis in eo, domine illustrissime, specialem gratiam faciende. Datum Cracovie anno domni millesimo cccc xij mo octavo die mensis aprilis. [Gegenzeichnung ?]
137 Zbigniew Lanckoronski (Wappen Zadora), ca. 1360-1425, trug seit 1399 ständig den Titel eines Marschalls des Königreichs. Auch er war eine bedeutende Persönlichkeit im politischen Leben der Zeit. Vgl. die biographische Notiz von A. STRZELECKA, in: Polski Stownik Biograficzny 16 (1971) 4 5 7 f. 138 Sic. 139 Litauen. 140 Siehe den Kommentar zu Nr. 1. 141 Sic. 142 Angesichts einer drohenden Verbindung zwischen Venedig (vgl. oben bei Anm. 31) und Polen hatte sich Sigmund dem polnischen Kg. angenähert, sich mit ihm (der am 10. März von Sandecz aufgebrochen war) in der Zips getroffen und am 15.3.1412 den Frieden von Lubowla (Lublau) geschlossen (Reg. Imp. XI Nr. 199), den Ostrowski und Lanckoronski vorbereitet hatten; die Könige zogen gemeinsam über Kaschau (wo Sigmund an eben demselben 8. April bezeugt ist wie der ihn suchende Mudarra in Krakau; Reg. Imp. XI Nr. 210-212) nach Ofen und blieben weiterziehend bei Festen und Jagden bis Ende Juli beisammen: ASCHBACH, Geschichte I (Anm. 31) 317-328; J. CARO, Geschichte Polens, Bd. 3, Gotha 1869, 380 ff.; Z. H. NOWAK, Internationale Schiedsprozesse als ein Werkzeug der Politik König Sigismunds in Ostmittel- und Nordeuropa, 1411-1425, in: BDLG 111 (1975) 172-188, hier 177 f.; vgl. Z. H. NOWAK, Mi^dzynarodowe procesy polübowne jako narz^dzie polityki Zygmunta Luksemburskiego w pölnocnej i srodkowowschodniej Europie (1412-1424) [Internationale Schiedsprozesse als Werkzeug der Politik Sigismund von Luxemburgs in Nord- und Ostmitteleuropa] Thorn 1981, bes. Kap. II, hier 27-30; und Z. H. NOWAK, Kaiser Siegmund und die polnische Monarchie, in: ZHF 15 (1988) 423-436, hier 429; siehe auch MÄLYUSZ (Anm. 127) 106 f. 143 Sic. 144 Sic.
FÜRSCHRIFFTEN UND TESTIMONIA
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8 1412 Mai 1, Burg Kaunas145 Großfürst Alexander alias Witold von Litauen an Ferdinand, Infant von Kastilien. Or. eh. lit. ci., Verschlußspuren: Barcelona, Archivo de la Corona de Aragón, Cartas Reales, D. Ferran I, caixa 1 Nr. 10. H. > 208 mm, B. 294-295 mm. - Erwähnt: VIELLIARD, Pèlerins d'Espagne (oben Anm. 3) 279 f., danach POLACZEK (oben Anm. 3) 70. Nicht im Codex epistolaris Vitoldi (oben Anm. 23). Preclaro principi domino Fernando infanti Castelle et domino de Lara, duci Penefidelis etc., amico in Christo nobis carissimo. Allexander alias Witowdus dei grada prineeps maior Lithwanie et Russie etc.146 Salutem et perfectam in Christi nomine caritatem. Veniens ad nostrum conspectum nobilis ac strenuus vir miles Alfonsus, presencium exhibitor, quem litteris vestris ad sepulcrum Christi proficiscentem pro sue salutis remedio et causa rei militaris didieimus recom[m]issum, nobis de vestii et vestrorum sanitate et prosperis successibus retulit, prout et idipsum vestris in litteris vidimus contineri. Sane audivimus libentissime de tarn longi[n]quis mundi partibus vos nobis in cantate Jhesu Christi coniunctos et quod fortuitis felicitatis eventibus ab altissimo fruemini. Nam et nos ipsi deo nostro agentes gratias in fidei sanete augmento debita fungimur corporea sospitate. Altissimus igitur personam vestram conservare dignetur propellendo hostem sanete fidei parcium illarum ineurssu hostiali atque fero. Datum in castro nostro Cowno prima die mensis may anno domini millesimo cccc° xij° 147 .
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1412 Mai 29, Suceava149 Alexander Woiwode von Moldavien an Ferdinand, Infant von Kastilien. Or. ch. lit. cl., Verschlußspuren: Barcelona, Archivo de la Corona de Aragon, Cartas R e a l e s , D . F e r r a n I, c a i x a 1 N r . 9. H . > 2 5 0 m m , B . 2 8 9 - 2 9 5 m m . - E r w ä h n t : VIELLIARD,
Pèlerins d'Espagne (oben Anm. 3) 279 f. Domino Fernando in fanti 150 Casstelle151, domino de Lara, duci Penne fidelis 152 , comiti de Alkurkeke 153 et domino de Castro et de Hara154, Allexander woy(wo)da Moldavien145 Kowno (poln.), Kauen (dt.), Kaunas (lit.) an der Memel (dem Njemen), neben Wilna, Grodno und Troki die bedeutendste litauische Residenz. Die Identifikation der spanischen Namen siehe im Kommentar zu Nr. 1. 146 Witold (poln.), Witowt (dt.), Vytautas (lit.) alias Alexander (orthodoxer Taufname), geb. 1350, Großfürst von Litauen 1392-1430, Vetter des polnischen Königs Jagietto alias Wladysiaw. Vgl. zu Witold in dt. Sprache immer noch J. PFITZNER, Großfürst Witold als Staatsmann, Brünn 1930. 147 Witold urkundete 1412 April 15 und Mai 31 in Troki, siehe Codex epistolaris (Anm. 23)228-231 Nr. XCII; Vitoldiana. Codex privilegiorum Vitoldi magni ducis Lithuaniae 1396-1430, ed. J. OCHMANSKI, Warschau-Posen 1986, 31 f. Nr. 24. 148 Sekretärsunterschrift(?) nicht lesbar, siehe die Vorbemerkung. 149 Hauptstadt des Fürstentums Moldau von ca. 1388 bis 1566; frdl. Hinweis von A. Pippidi, Bukarest. '50 Sic. 151 Sic. 152 Sic.
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sis tocius amicitie continuum in crementum156 cum salute. Vestre enodamus regie magestati proponentes, quod nobilis vir dominus Alfoncius Mudarra milesque strennuus157 ad nostram perveniens presenciam aliquibus nobiscum diebus commorans158. Quibus peractis diebus sano nostro cum conductu honorifice pertransivit. Datum in Socgitervia in die sancte Trinitatis anno domini millesimo quadringentesimo duodecimo. [Gegenzeichnung ?]
'»Sic. 154 Sic. Siehe die Namen und ihre Identifikation im Kommentar zu Nr. 1. 155 Alexander I., der Gute, Woiwode (Fürst) der Moldau 1400-1432. Vgl. S. PAPCOSTEA, in: LMA I (1980) 369. 15«Sic. 157 Sic. 158 Unvollständige Konstruktion des Satzes.
Vom Pogrom zur Vertreibung Die Entwicklung des jüdisch-christlichen Verhältnisses in den Kronen Kastilien und Aragon von 1391 bis 1492 VON LUDWIG VONES Als in den ersten Junitagen des Jahres 1391 ein fanatisierter Mob, dessen Gros sich aus dem pueblo menndo, der Unterschicht, rekrutierte, in der Hoffnung auf reiche Beute das Judenviertel von Sevilla stürmte und - will man den sicherlich übertriebenen Zahlen der Chronistik Glauben schenken - 4000 Sephardim tötete1, sollte dies kein Ereignis von begrenztem lokalem Ausmaß bleiben, sondern in kürzester Frist grenzüberschreitend die beiden mächtigsten Reiche auf der Iberischen Halbinsel erfassen. Die in Andalusien ausgelösten, tragischen Vorgänge bedeuteten nicht nur den letztendlichen Erfolg einer langjährigen, aus religiösem Fanatismus gespeisten antijüdischen Propaganda des Archidiakons von Ecija und Verwalters der Sevillaner Diözese, Ferrand Martinez, sondern von den direkten Folgen und der zuerst nicht absehbaren Fernwirkung her auch einen so tiefen und nachhaltigen Bruch im christlich-jüdischen Verhältnis, daß eine Rückkehr zu den vorherigen Zuständen - sie werden gern mit der durch Americo Castro propagierten Vorstellung von der Convivencia, dem friedlichen, kulturellem Austausch offenen Zusammenleben der drei großen Religionen, in Verbindung gebracht2 fraglos nicht mehr möglich war. 1
Pero López de Ayala, Crónicas, ed. J.-L. MARTÍN, Barcelona 1991,713. Zur Conv/venc/'a-Diskussion und ihren Konsequenzen für die Sicht der spanischen Geschichte vgl. spezieller R. HLGHFTELD, Christians, Jews and Muslims in the same Society: The Fall of Convivencia in Medieval Spain, in: Religious Motivation: Biographical and Sociological Problems for the church historian, ed. by D. BAKER (Studies in Church History 15) Oxford 1978, 121-146 (mit einigen Fehlem behaftet), sowie L. VONES, Reconquista und Convivencia. Die Könige von KastilienLeón und die mozarabischen Organisationsstrukturen in den südlichen Grenzzonen im Umkreis der Eroberungen von Coïmbra (1064) und Toledo (1085), in: Die Begegnung des Westens mit dem Osten, hg. von O. ENGELS/ P. SCHREINER (Kongreßakten des 4. Symposions des Mediaevistenverbandes in Köln aus Anlaß des 1000. Todesjahres der Kaiserin Theophanu) Sigmaringen 1993, 221242, und L. VONES, Geschichte der Iberischen Halbinsel im Mittelalter (711-1480). Reiche - Kronen - Regionen, Sigmaringen 1993, wo die weitere umfangreiche Literatur z.T. aufgeführt oder zumindest zu erschließen ist, so daß auf ihre minutiöse Auflistung hier verzichtet werden kann. - Allgemein zur Geschichte des Judentums auf der Iberischen Halbinsel sei zudem verwiesen auf die einschlägigen, nachgerade 'klassischen' Darstellungen von J. AMADOR DE LOS RÍOS, Historia social, política y religiosa de los Judíos de España y Portugal, 3 vol., Madrid 1875 (ND 1960); A. A. NEUMANN, The Jews in Spain. Their social, political and cultural life during the Middle Ages, 2 vols., Philadelphia 1942, und Y. BAER, A History of the Jews in Christian Spain, 2 vols., Philadelphia 1961 (span. Übers. Madrid 1981), neuerdings auf die zusammenfassende Übersicht von J. L. LACA VE/ M. ARMENGOLZ F. ONTAÑÓN, Sefarad, Sefarad. La España judía, Madrid 1987, sowie für weitere Literatur auf R. SLNGERMAN, The Jews in Spain and Portugal. A Bibliography, New YorkLondon 1975; E. CANTERA MONTENEGRO, Los judíos en la Edad Media hispana, Madrid 1986, und C. CARRETE PARRONDO, Les juifs dans l'Espagne médiévale. État bibliographique (1965-1991), in: Minorités religieuses dans l'Espagne médiévale = Revue du Monde Musulman et de la Méditerranée 63-64 (1992) 103-113. Nicht zugänglich waren mir bei Abfassung dieses Beitrages: J. PEREZ, Historia de una tragia. La expulsión de los judíos de España, Barcelona 1993. 2
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LUDWIG VONES
I.
In einer beispielhaften, wenn auch kurzen Untersuchung, der eine weite, zum Teil zwiespältige Resonanz beschieden war, hat seinerzeit Philippe Wolff als Vertreter der französischen Sozialgeschichtsforschung die Frage nach einer sozialen Krise als möglichem Hintergrund gestellt und deutlich zu machen versucht, in welchem Ausmaß der Pogrom von 1391, über die unterschwelligen religiösen Beweggründe hinaus, in seinem Kern durch die Unzufriedenheit breiter Schichten der Gesellschaft mit ihrem Los, also durch soziale Spannungen bedingt war3, und wie das vom kastilischen Hofchronisten Pero López de Ayala angeführte Motiv der cobdicia de robar los judíos, des Raubes aus reiner Habgier4, zu bewerten ist. Ayala stellte zudem lapidar fest, daß durch den Aufruhr die juderías bzw. aljamas, die Judenviertel, von Sevilla, Córdoba, Burgos, Toledo, Logroño und vieler anderer Städte im kastilischen Reich, in den Ländern der Krone
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P. WOLFF, The 1391 Pogrom in Spain. Social Crisis or not?, in: Past & Present 50 (1971) 4-18, sowie allgemein P. WOLFF, Reflexions sur les troubles sociaux dans les pays de la Couronne d'Aragon au XIV e siècle, in: VIII Congreso de Historia de la Corona de Aragón, vol. II/l, Valencia 1969, 95-102. Zu den kontroversen, in mancher Hinsicht extremen Standpunkten siehe J. M. MONSALVO ANTÓN, Teoría y evolución de un conflicto social. El antisemitismo en la Corona de Castilla en la Baja Edad Media, Madrid 1985, und L. SUÁREZ FERNÁNDEZ, Judíos españoles en la Edad Media, Madrid 1980, bzw. L. SUÁREZ FERNÁNDEZ, La expulsión de los judíos de España, Madrid 1991. Mit Blick auf die Geschehnisse in Mallorca folgerte pointiert J. C. LÓPEZ BONET, La révolta de 1391: efectivament, crisi social, in: XIII Congrès d'Histôria de la Corona d'Aragón. Comunicacions I: El regne privatiu de Mallorca i la Mediterrània (Primera part), Palma de Mallorca 1989, 111-123. Neuestens geht C. CARRETE PARRONDO, El judaismo español y la Inquisición, Madrid 1992, 19 f., sogar soweit, die Bezeichnung 'Pogrom' für die Vorgänge des Jahres 1391 abzulehnen: "A estas revueltas, persecuciones, saqueos y algunas muertes no pueden, de ninguna manera, designarse como »pogroms« porque ciertamente no tuvieron ninguna semejanza con las persecuciones y matanzas de los judíos establecidos en la Rusia zarista". - Zum äußeren Verlauf des Pogroms, der immer noch einer umfassenden Klärung unter regionalem Aspekt bedarf, vgl. außer den Ausführungen bei AMADOR DE LOS RÍOS, Historia social (Anm. 2) II 358 ff., noch speziell zu Sevilla, den dortigen Vorausetzungen und Folgen: I. MONTES ROMERO-CAMACHO, Antisemitismo sevillano en la Baja Edad Media. El pogrom de 1391 y sus consecuencias, in: III Colóquio de Historia Medieval Andaluza, Jaén 1982, 57-75; I. MONTES ROMERO-CAMACHO, La minoría hebrea sevillana a fines de la Edad Media, in: Andalucía entre Oriente y Occidente (1236-1492). Actas del V Colóquio Internacional de Historia Medieval de Andalucía, Córdoba 1988, 551-568; J. VALDEÓN BARUQUE, Un pleito cristiano-judío en la Sevilla del siglo XIV, in: Historia. Instituciones. Documentos 1 (1974) 221-238; A. COLLANTES DE TERÁN-SÁNCHEZ, Un pleito sobre bienes de conversos sevillanos en 1396, in: Historia. Instituciones. Documentos 3 (1976) 167-186. Zu anderen Städten und Regionen: E. MITRE FERNÁNDEZ, Los judíos y la Corona de Castilla en el tránsito al siglo XV, in: Cuadernos de Historia 3 (1969) 345-368; R. RAMÍREZ DE ARELLANO, Matanza de judíos en Córdoba en 1391, in: Boletín de la Real Academia de la Historia 38 (1901) 294-331; J. RIERA SANS, Los tumultos contre las juderías de la Corona de Aragón en 1391, in: Cuadernos de Historia 8 (1977) 213-225. Eine Karte zur Ausbreitung des Pogroms findet sich bei A. MACKAY, Spain in the Middle Ages. From Frontier to Empire, 1000-1500, London 1977, XVII, Map 5. Die Diskussion um die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Schwierigkeiten in den Ländern der Krone Aragón um 1400 ist ausführlich wiedergegeben bei L. VONES, Zur Diskussion um die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Auswirkungen der sog. "Krise des Spätmittelalters" in den Ländern der Krone Aragón, in: Europa 1400. Die Krise des Spätmittelalters, hg. von F. SEIBT/ W. EBERHARD, Stuttgart 1984, 267283 (span. Übers.: 'Sobre el debate de las repercusiones económicas y sociales de la llamada »crisis de la Baja Edad Media« en los territorios de la Corona de Aragón', in: Europa 1400. La crisis de la baja Edad Media, Barcelona 1993, 225-245). 4
Ayala, Crónicas (Anm. 1) 713.
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Aragon die entsprechenden Calls von Barcelona, Valencia und zahlreicher weiterer Orte gewissermaßen 'zugrundegegangen' seien - eine Feststellung6, durch die das ganze räumliche Ausmaß der Verfolgung, die schließlich bis Leon, Palencia, Zaragoza, Huesca und Perpignan reichte, deutlich hervortritt. Ergänzt wird dieses Bild durch den Hinweis, die Überlebenden seien nur sehr arm entkommen, da sie ihren Schutzherren große Geldzahlungen hätten leisten müssen, um vor einer solch gewaltigen Heimsuchung bewahrt zu werden7. Der Ausbruch der ersten Feindseligkeiten war in Sevilla durch das zufällige Zusammentreffen einiger unvorhersehbarer Ereignisse begünstigt worden: Erzbischof Pedro Gömez Barroso, der als Gegner des Ferrand Martinez diesen gezügelt, mit Predigtverbot belegt und ihn sogar selbst wegen unvorsichtiger Äußerungen in seinen Hetzpredigten der Häresie verdächtigt hatte, war 1390 gestorben; der vakante Bischofsstuhl wurde der Verwaltung des Archidiakons unterstellt. König Johann I. von Kastilien war wenige Monate später durch einen Sturz vom Pferd umgekommen und hatte mit Heinrich III. einen unmündigen Sohn hinterlassen, für den ein untereinander zerfallener Regentschaftsrat die Herrschaft ausübte und durch seine uneinheitlichen Entscheidungen eher ein Machtvakuum erzeugte8; das Land war darüber hinaus durch die Epoche der Bürgerkriege, seine Verwicklung in den Hundertjährigen Krieg und den darin eingebetteten portugiesischen Erbfolgekrieg wirtschaftlich und finanziell so erschöpft, daß sich jede Destabilisierung des inneren Gleichgewichts sofort in gesellschaftlichen Unruhen niederschlug. Solche Unruhen konnte der königliche Alguacil von Sevilla im Verein mit dem Grafen von Niebla in der ersten Jahreshälfte 1391 durch die Bestrafung eines ome, que facia mal a los jitdios, eines Übeltäters gegen die Juden,
5
Zu den unterschiedlichen Bezeichnungen für die Judenviertel auf der Iberischen Halbinsel - es finden sich noch cuyraça (in Lérida) bzw. jueria oder juheria (im Kgr. Valencia), carrario (in Mallorca) sowie als Ausnahmefälle in Aragón ebraysmo (1348) und judaismo (1290), darüber hinaus in Portugal im Normalfall judiaría, manchmal auch judaria oder juyaria - vgl. D. ROMANO, Aljama frente a judería, call y sus sinónimos, in: Sefarad 39 (1979) 347-354 (ND in: D. ROMANO, De Historia Judía Hispánica, Barcelona 1991, 275-282); D. ROMANO, Eis jueus en temps de Pere el Cerimoniós (1336-1387), in: Pere el Cerimoniós i la seva época, Barcelona 1989, 113-131, bes. 120122; D. ROMANO, Habitats urbains des juifs hispaniques, in: Les sociétés urbaines en France Méridionale et en Péninsule Ibérique au Moyen Age (Actes du colloque de Pau 21-23 sept. 1988 = Collection de la Maison des pays ibériques 45) Paris 1991, 421-434; A. BLASCO MARTÍNEZ, Ebreismo, sinónimo de judería, in: Sefarad 41 (1981) 111-113; M. J. PIMENTA FERRO, Os judeus em Portugal no século XIV, Lisboa 1970, 21-27 und passim, sowie J. R. MAGDALENA NOM DE DEU, Etimología no semítica de "call", in: Calls 2, Tàrrega 1987, 7-16, die die Bezeichnung call nicht wie Romano aus dem Katalanischen (als katalanisierte Form des hebräischen Begriffs für 'Versammlung', 'Zusammenkunft'), sondern aus dem Lateinischen (callis) herleiten möchte. 6 Zu solchen auch durch die Konversion gewissermaßen 'verschwundenen' Juderias vgl. z.B. F. FLTA, La judería de Madrid en 1391, in: Boletín de la Real Academia de la Historia 8 (1886) 239444; L. DELGADO MERCHÁN, El fonsario o cementerio de los judíos de Ciudad Real, ebd. 40 (1902) 169-175. Einen allgemeinen Bestandsüberblick gibt neuestens J. L. LACA VE, Juderías y sinagogas españolas, Madrid 1992, ohne jedoch das Werk von F. CANTERA BURGOS, Sinagogas españolas, Madrid 1955 (ND Madrid 1984), ersetzen zu wollen. 7 Ayala, Crónicas (Anm. 1)713: e los que escaparon quedaron muy pobres, dando muy grandes dávidas a los señores por ser guardados de tan grand tribulación. 8
MITRE FERNÁNDEZ, LOS j u d í o s y la C o r o n a d e C a s t i l l a ( A n m . 3); L. SuÁREZ FERNÁNDEZ, E s t u -
dios sobre el régimen monárquico de Enrique III de Castilla, Madrid 1954; L. SuÁREZ FERNÁNDEZ, Nobleza y Monarquía, Valladolid 21975, 57 ff.; L. SuÁREZ FERNÁNDEZ, Historia del reinado de Juan I de Castilla, 1.1, Madrid 1977, 358 ff.
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gerade noch meistern . Als verhängnisvoll erwies sich in dieser Situation dann die Entscheidung des Regentschaftsrates, diesen Alguacil auf Druck des aufgestachelten Pöbels durch einen anderen Amtsträger zu ersetzen und damit dem Stadtregiment eine Periode des Übergangs zu verordnen. Sofort nutzte Ferrand Martínez diese Phase der inneren Schwäche aus und entfachte den Pogrom, den er in die Nähe eines Kreuzzugs rückte. Der Flächenbrand griff, immer neu angefacht von ausgesandten Agitatoren, matadores de los judíos (Judentötern), rasch um sich, wütete in der Erzdiözese, breitete sich schließlich nach Norden aus und überschritt die Reichsgrenze, um seit dem 9. Juli in Valencia und seit dem 5. August in Barcelona, nicht zuletzt angefacht durch die fremden Sendlinge, castellans i altres veniuts de Castella, sowie XL o L minyons und ihre Mitläufer, molts dels dits acordats per lo passatge de Sicilia e altres vagabunts e strangers e gent de poca e pobra conditio10, eine besondere Intensität zu erreichen - allerdings mit der Einschränkung, daß für den Valencianer Bereich der religiöse Hintergrund zumindest eine gleiche Gewichtung beanspruchen kann. Obwohl man in beiden Städten aufgrund der beunruhigenden Nachrichten spezielle Sicherheitsvorkehrungen getroffen hatte, in Valencia mit dem Infanten Martin sogar ein Vertreter der Königsgewalt anwesend war und für die aragonesischen Kronländer natürlich die kastilischen Voraussetzungen nicht oder, denkt man an den Zustand der Kriegserschöpfung, nur bedingt galten, zeigten sich die gleichen Tendenzen und erwiesen sich letztlich als übermächtig11. Die sozialen Hintergründe begannen - ohne hier zu sehr verallgemeinern zu wollen - , in den katalanisch dominierten Orten und Gebieten sogar wesentlich klarer zutage zu treten, die Aufrührer rekrutierten sich häufig aus den Unterschichten, zogen aber einzelne Mitglieder anderer Gesellschaftsschichten an und zeigten die Neigung, neben den Morerías12 auch die Besitzungen von christlichen Vertretern des städtischen Patriziats anzugreifen, eine Tendenz, die bald in Palma de Mallorca deutlicher die Oberhand gewinnen und sich zu einem regelrechten Konflikt StadtLand ausweiten sollte. In Barcelona mündete die Bewegung in einen Aufruhr ge9
Ayala, Crónicas (Anm. 1) 713. Zur politischen und gesellschaftlichen Situation dieser Zeit siehe J. VALDEÓN BARUQUE, LOS conflictos sociales en el reino de Castilla en los siglos XIV y XV, Madrid 31979, bes. 125 ff., und seine Einzelstudien: Aspectos de la crisis castellana en la primera mitad del siglo XIV, in: Hispania 29 (1969) 5-24; La crisis del siglo XIV en Castilla: revisión del problema, in: Revista de la Universidad de Madrid 79 (1971) 161-184; neuerdings: M. DEL CARMEN CARLÉ/ M . E . GONZÁLEZ DE FAUVE/ N . B . RAMOS/ P. d e FORTEZA, Las m u t a c i o n e s d e los siglos
XIV y XV en Castilla. Reflexiones sobre el tema, in: Cuadernos de Historia de España 70 (1988) 89-152. 10 Vgl. J. RIERA I SANS, Estrangers participants als avalots contra les jueries de la Corona de Aragón, in: Anuario de Estudios Medievales 10 (1980) 577-583. Die Zitate nach CHABÁS, Los judíos valencianos (siehe folgende Anm.) 112-116. 11 Zu den Wirren in Valencia siehe F. DANVILA, El robo de la judería de Valencia en 1391. Apuntes históricos, in: Boletín de la Real Academia de la Historia 8 (1886) 358-397; R. CHABÁS, Los judíos valencianos. El robo de la judería el 9 de julio de 1391, in: El Archivo 5 (1891) 37-51, 111121, 184-204, 235-240, J. HlNOJOSA MONTALVO, The Jews of the Kingdom of Valencia. From persecution to expulsión, 1391-1492, Jerusalem 1993, sowie allgemein zum dortigen Judentum J. HlNOJOSA MONTALVO, En torno a los judíos valencianos: la recuperación de una minoría olvidada, in: Hispania 50 (1990) 921-940. 12 Nachdem in Valencia am 10. Juli auch das Maurenviertel angegriffen worden war, ließ der Infant Martin einen Mann bestrafen, qui era castellò und der comengava a robar e havia ja robat en la juheria (RIERA I SANS, Estrangers [Anm. 10] 579 nach Barcelona, Archivo de la Corona de Aragón, Cancillería, Reg. 2093, fol. 116r-l 16v).
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gen das Stadtregiment, das seit längerem reformbedürftig war . In Girona führten die Unruhen zu einem Zusammengehen von Stadtbewohnern, an der Spitze den kleinen Gewerbetreibenden, und Bauern, deren Interessen sich in Forderungen nach Steuerermäßigungen und Anpassung der Steuersätze an die realen Gegebenheiten trafen14. Letztere, deren sozialer Niedergang mit der seinerzeit den Juden angelasteten Pest von 1348 begonnen hatte und deren Los sich durch die rasante Stadtentwicklung im katalanischen Raum noch verschlechtert hatte15, wandten sich zudem vorwiegend gegen die malos usos, die 'schlechten' Gewohnheitsrechte der Grundherren16. In Barcelona waren die Ereignisse sogar in einen Aufruhr des pöble menut gegen das reiche Patriziat, die grossos, umgeschlagen und erst durch einen Vertreter des Bürgertums auf die Juden gelenkt worden17. Obwohl die Oberschicht, die ciutadans honrats und die cavallers, eine Bürgerwehr gebildet und die an Land gehenden andalusischen Judenverfolger gefangengesetzt hatte, konnte der gärende Volkszorn, der durch die Kunde von den auswärtigen Ereignissen angeheizt und von Fischern, Hafenarbeitern, kastilischen Seeleuten sowie dem Abschaum der Kneipen getragen wurde18, nur durch die 13 Zu den Verhältnissen in Barcelona siehe C. BATLLE, Barcelona entre 1380 y 1462, in: Anuario de Estudios Medievales 5 (1968) 743-751; C. BATLLE, La crisis social y económica de Barcelona a mediados del siglo XV, 2 vol., Barcelona 1973,1 63 ff., 80 ff., 101 ff. 14 Zu Girona, seiner jüdischen Gemeinde und den Vorgängen von 1391 siehe S. SOBREQUÉS I VIDAL, Societat i estructura política de la Girona medieval, Barcelona 1975, bes. 137 ff. und nun vor allem D. ROMANO (ed.), Per a una història de la Girona jueva, 2 vol., Girona 1988: Sammelbände, in denen fast alle wichtigen Einzelpublikationen nochmals abgedruckt sind. Das dokumentarische Material, aus dem deutlich hervorgeht, daß die vorsorglich getroffenen Maßnahmen wenig wirksam waren, findet sich jetzt verzeichnet bei G. ESCRIBÀIBONASTRE/ M. P. FRAGO I PÉREZ, Documents deis jueus de Girona (1124-1595) Girona 1992, 195-201, Nr. 689-716 zu 1391 Juli-Dezember. Vgl. auch insbes. J. RIERA I SANS, Eis avalots del 1391 a Girona, in: Jornades d'Història deis jueus a Catalunya (Girona, 23-25 abril, 1987) Girona 1990, 95-159. 15 Vgl. dazu C. GUILLERÉ, Ville et féodalité dans la Catalogne du bas moyen-âge, in: La formació i expansió del feudalisme català, ed. J. PORTELLA I COMAS, Girona 1985-86, 447-466, der das Fazit zieht: "Ce n'est donc pas un hasard si les grands pogroms que connaît Gérone en 1391 partent de la campagne, et si, dans le va-et-vient des juridictions royales, les paysans remenees prennent conscience de leur situation et de leur force" (466). Zu den wirtschaftlichen Verhältnissen in Girona zu dieser Zeit siehe auch C. GUILLERÉ, Diner, poder i societat a la Girona del segle XIV, Girona 1984. 16 Zur Lage der Remençes allgemein siehe J. VLCENS VIVES, Historia de los Remensas (en el siglo XV), Barcelona 21978, und M. GOLOBARDES VLLA, Eis remençes dins el quadre de la pagesia catalana fins el segle XV, 2 vols., Peralada 1970-1973; J. SOBREQUÉS I CALLICÓ, La crisi social agrària de la Baixa Edat Mitjana: eis remençes, in: Cuadernos de Historia Económica de Cataluña 19 (1978) 47-56: J. SOBREQUÉS I CALLICÓ, En torno al problema remensa, in: Hispania 40 (1980) 427-435; zur Haltung der Grundherren gegenüber den Bauern vgl. allgemein P. FREEDMAN, Assaig d'història de la pagesia catalana (segles XI-XV) Barcelona 1988; P. FREEDMAN, The Origins of Peasant Servitude in Medieval Catatonia, Cambridge 1991; J. M. SALRACH, La pesta negra i eis orígens del problema remença, in: Pere el Cerimoniós i la seva època, Barcelona 1989, 13-34; A. JORDÀ FERNÁNDEZ, Los Remensas: Evolución de un conflicto jurídico y social del campesinado catalán en la Edad Media, in: Boletín de la Real Academia de la Historia 187 (1990) 217-297 und G. FELIU I MONTFORT, El pes econòmic de la remença i deis mais usos, in: Anuario de Estudios Medievales 22 (1992) 145-160. 17 Zu den Ereignissen in Barcelona, wo es erste, erfolglose Versuche zum Sturm auf den Call schon um den 12. Juli gegeben hatte, siehe außer WOLFF, The 1391 Pogrom (Anm. 3), vor allem BATLLE, La crisis social (Anm. 13) I 104 ff., 111 ff.; L. MARCO I DACHS, Los Judíos en Cataluña, Barcelona 1985, 172 ff. 18 In einem zeitgenössischen Bericht heißt es: causam et prineipium dantes gentes marittime, ínter quos fiierunt diversi castellani, numero quinquaginta vel circa, qui vénérant cum duabus navibus castellanis de civitate Valencie in quorum una venerat nobilis Bernardus de Cabraria (F. FITA,
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Erstürmung des Call, des Judenviertels, und schließlich, als er sich nun im Verein mit den in die Stadt strömenden Bauern auch gegen die Besitzenden zu richten begann, durch die Einnahme der Zitadelle als letzter Fluchtburg für die jüdische Bevölkerung gelöscht werden. Hier wie in vielen anderen Städten, weit mehr als Ayala aufzählt, ergab sich als letzte Konsequenz des blutigen Terrors die Entvölkerung und dauernde Verödung der jüdischen Gemeinde. Drakonische Strafen wurden zumeist nur gegen die Fremdlinge verhängt19. II. Die hier angeführten Tendenzen zur untrennbaren Verquickung von religiösen und sozialen Motivationen als auslösende Momente für eine zunehmend fanatischere Judenverfolgung, wobei vorläufig offen bleiben soll, welche Motivation in welcher Gesellschaftsschicht größeren Anklang fand, waren das Ergebnis einer seit dem 13. Jahrhundert zu beobachtenden Zuspitzung des christlich-jüdischen Verhältnisses. Die vereinheitlichende Juden- und Ketzergesetzgebung des IV. Laterankonzils mit ihrer verstärkten Einschärfung früher eher lasch gehandhabter Bestimmungen hatte unter Rückgriff auf die westgotische Gesetzgebung des III. Konzils von Toledo (589) und unter modifizierender Abänderung der Judenschutzkonstitution Licet perfidia Iudeorum Papst Innozenz' III. von 1199, die unter Aufnahme früherer, bereits seit Calixt II. nachweisbarer und auf ein Schreiben Gregors des Großen zurückverweisender Bestimmungen den päpstlichen Judenschutz mit der Duldung ihrer religiösen Handlungen sowie mit dem Verbot der Zwangsbekehrung und der Anwendung irgendwelcher Repressalien verbunden hatte20, für die Juden in den spanischen Reichen deutliche Einschränkungen nach
Estrago de las juderías catalanas en 1391. Relación contemporánea, ¡n: Boletín de la Real Academia de la Historia 16 [1890] 432-445). Vgl. auch das Schreiben der Königin an Bernat de Cabrera vom 8.8.1391 bei BATLLE, La crisis social (Anm. 13) II 397 f. Nr. 11. 19 In dem bereits erwähnten Bericht zu den Barceloneser Ereignissen heißt es: ... quod consilium, nemine discrepante, [censuit] quod castellani, presertim X>n qui primitus interfiierunt in expugnacione aljamarum judeorum civitatum Sibilie et Valencie, in satisfactione justicie et tocius rey publice civitati Barchinone, laqueo suspenderentur (FITA, Estrago [Anm. 18] 432-445). Zur Unterdrückung des Aufruhrs und seiner Folgen siehe BATLLE, La crisis social (Anm. 13) I 122 ff. 20 Zur Konstitution Innozenz' III., deren Schutzbestimmungen auch schon nur Gültigkeit für diejenigen haben sollten, qui nichil machinan presumpserint in subversionem fldei Christiane (ed. O. HAGENEDER/ W. MALECZEK/ A. A. STRNAD, Die Register Innocenz' III., Bd. 2, Rom-Wien 1979, 535 f. Nr. 276 [302] - das Zitat hier auf S. 536 -, und S. SIMONSOHN, The Apostolic See and the Jews. Documents: 492-1404, Toronto 1988 [fortan SIMONSOHN, Documents I], 74 f. Nr. 71 zu 1199 September 15), siehe S. GRAYZEL, The Papal Bull Sicut Judaeis, in: Studies and Essays in Honor of Abraham A. Neuman, Leiden 1962, 243-280; S. GRAYZEL, Popes, Jews, and the Inquisition from 'Sicut1 to 'Turbato', in: Essays on the Occasion of the Seventieth Anniversary of Dropsie University, Philadelphia 1979, 151-188, sowie in einem größeren Rahmen G. DAHAN, Les intellectuels chrétiens et les juifs au moyen âge, Paris 1990, 137 ff., und S. SIMONSOHN, The Apostolic See and the Jews. History, Toronto 1991 [fortan SIMONSOHN, History], bes. 39-93; zu Lateran IV siehe A. GARCÍA Y GARCÍA (ed.), Constitutions Concilii quarti Lateranensis una cum commentariis glossatorum (Monumenta Iuris Canonici. Series A: Corpus Glossatorum, Voi. 2) Città del Vaticano 1981, 106-109 (c.67-70), 114 f. (c.71); die Bestimmungen von Toletanum III finden sich gedruckt bei J . VIVES/ T . MARÍN MARTÍNEZ/ G . MARTÍNEZ DÍEZ ( e d . ) , C o n c i l i o s V i s i g ó t i c o s e
Hispano-Ro-
manos, Barcelona-Madrid 1963, 129 § XIV. Von den fflcwí-Juáe/'i-Konstitutionen vor Innozenz III. blieben nur die Texte der Urkunden Alexanders III. und Clemens' III. erhalten, während die Verfügungen Calixts II., Eugens III. und Coelestins III. nur aus ihrer summarischen Erwähnung in den
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sich gezogen: ein Beschäftigungsverbot als Dienstboten, Ammen, Kinderfrauen oder Ärzte; ihre Unterwerfung unter das christliche Wucherverbot; ihre Separierung in Ghettos; das Verbot, öffentliche Ämter zu bekleiden. Darüber hinaus war festgelegt worden, daß sie besondere Erkennungszeichen, einen typisch breitgeformten Hut und ein rundes rotes oder gelbes Zeichen, tragen sollten21. Während in der Krone Aragon für die Ketzerbekämpfung im christlichen Bereich eine von den Dominikanern unter Aufsicht der Bischöfe getragene kirchliche Inquisition eingerichtet worden war, hatte man gegenüber den Juden, die natürlich nicht den kirchlichen Institutionen unterlagen, verstärkt auf Überzeugungsmission gesetzt, sie aber gleichzeitig in die Nähe von Ketzern gerückt22. Dementsprechend hatte man die Gelegenheit wahrgenommen, in den innerjüdischen Streit um die Schriften des Maimonides einzugreifen, schließlich den Talmud als häretisch verurteilt und öffentlich verbrannt23. Damit war der Unterdrückung der jüdischen Religion in den christlichen Reichen der Weg bereitet, der 1492 enden sollte; ein Weg, der von der erzwungenen Beteiligung an christlichen Predigten hin zur Zwangsbekehrung unter Lebensbedrohung und der Aussicht auf Besitzverlust führte. Erster Höhepunkt dieser Bestrebungen war die noch im Geiste der persuasio durch das Königtum angeordnete Disputation von Barcelona 1263 gewesen, die zwar einen vorherbestimmten Sieg der christlichen Argumentation sah, jedoch einen eher bescheidenen Bekehrungseffekt zur Folge hatte24. Dafür sollte
späteren Erneuerungen bekannt sind (cfr. SIMONSOHN, Documents I 44 Nr. 44, 47 Nr. 46, 51 f. Nr. 49, 66 f. Nr. 63, 68 Nr. 64). Das Schreiben Gregors des Großen, dem das Incipit Sicut Judeis entnommen wurde (Epist. VIII, 25), findet sich in: Gregorii I papae Registrum epistolarum. Libri VIII-XIV, ed. P. EWALD/ L. M. HARTMANN, Bd. 2 (MGH Epist. 2) Berlin 1892 (ND 1978), 27. Vgl. außer den bereits zitierten Untersuchungen noch W. HOLTZMANN, Zur päpstlichen Gesetzgebung über die Juden im 12. Jahrhundert, in: Festschrift für Guido Kisch. Rechtshistorische Forschungen, Stuttgart 1955, 220 ff., und S. GRAYZEL, Pope Alexander III and the Jews, in: Salo Wittmayer Baron Jubilee Volume, vol. 2, Jerusalem 1974, 555-572. 21 SuÁREZ FERNÁNDEZ, Judíos españoles (Anm. 3) 108 ff.; S. GRAYZEL, The Church and the Jews in the XIII«h Century, New York 1966, 60-70; A. CUTLER, Innocent III and the Distinctive Clothing of Jews and Muslims, in: Studies in Medieval Culture 3 (1970) 92-116; CARPENTER, Alfonso X and the Jews (wie unten Anm. 26) 99-101; D. ROMANO, Marco jurídico de la minoría judía en la Corona de Castilla de 1214 a 1350 (Síntesis y propuestas de trabajo), in: ROMANO, De Historia Judía (Anm. 5) 341-371; H. BEINART, Los judíos en España, Madrid 2 1993, 104, 239-243. BEINART veröffentlichte zudem einen speziellen Aufsatz zum Judenzeichen in Spanien auf Hebräisch in der Festschrift für S. Ettinger, Jerusalem 1986, 29-41. Zur Gestalt des Zeichens für den Bereich Mallorcas siehe zusätzlich A. PONS, Los judíos del reino de Mallorca durante los siglos XIII y XIV, in: Hispania 16 (1956) 594 Nr. 69 zu 1393 November 22. Allgemein: G. KISCH, The Yellow Badge in History, in: Hispania Judaica 4 (1942) 95-144; SIMONSOHN, History (Anm. 20) 135-138. 22 Vgl. A. FUNKENSTEIN, Basic Types of Christian Anti-Jewish Polemics in the Later Middle Ages, in: Viator 2 (1971) 373-382; J. COHEN, The Friars and the Jews. The Evolution of Medieval AntiJudaism, Ithaca-London 21983, 58 ff., 68 ff, 121 ff., 147 ff., 235 ff; DAHAN, Les intellectuels chrétiens (Anm. 20) 362 ff. 23 Zur Maimonides-Kontroverse, zur Verurteilung des Talmud und zur Haltung des Papsttums in diesen Fragen siehe S. GRAYZEL, The Talmud and the Medieval Papacy, in: Essays in Honor of Solomon B. Freehof, Pittsburgh 1964, 220-245; D. J. SILVER, Maimonidean Criticism and the Maimonidean Controversy, 1180-1240, Leiden 1965; C. MERCHAVIA, The Church versus Talmudic and Midrashic Literature (500-1248), Jerusalem 1970 (auf Hebräisch); COHEN, The Friars and the Jews (Anm. 22) bes. 52 ff., 60 ff., 78 ff., 91 ff.; SIMONSOHN, History (Anm. 20) 287 ff.; DAHAN, Les intellectuels chrétiens (Anm. 20) passim. 24 Zur Disputation von Barcelona siehe C. ROTH, The Disputation of Barcelona (1263), in: Harvard Theological Review 43 (1950) 117-144; H. GROSSINGER, Die Disputation des Nachmanides mit Fra
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1283/84 durch königliche Erlasse verbindlich verfugt werden, daß kein jüdischer Amtsträger mehr als baile in der Hof- und Reichsverwaltung beschäftigt werden und kein Jude mehr jurisdiktioneile Rechte gegenüber Christen haben durfte; Bestimmungen, die für das Königreich Aragon im Privilegio General, für das Königreich Valencia durch die Fürs und Costumes sowie für Barcelona in der Konstitution Recognoverunt proceres festgelegt wurden und im Verein mit weiteren Maßnahmen bis 1286 griffen, später allerdings unterlaufen wurden, da einzelne jüdische Finanziers und Bevollmächtigte dann quasi halboffiziell als persönliche Vertreter des Monarchen auftraten25. In Kastilien, wo die kirchliche Inquisition nicht Fuß fassen konnte, sollte die Regelung der jüdischen Lebensumstände Eingang finden in das umfassende Gesetzgebungswerk der Siete Partidas, das auf die Initiative König Alfons X. des Weisen zurückging und in der VII. Partida unter dem Titulo XXIV außer einer Präambel elf Leyes zur Duldung sowie zur rechtlichen Behandlung der Juden enthielt26. Es sollte mehrere Redaktionen erfahren und in Einklang mit den kirchlichen Vorschriften gebracht werden,
P a b l o C h r i s t i a n i , B a r c e l o n a 1 2 6 3 , in: K a i r o s N . S . 19 ( 1 9 7 7 ) 2 5 7 - 2 8 5 , 2 0 ( 1 9 7 8 ) 1 - 1 5 ,
161-181;
R. CHAZAN, The Barcelona 'Disputation' of 1263: Christian Missionizing and Jewish Response, in: S p e c u l u m 5 2 ( 1 9 7 7 ) 8 2 4 - 8 4 2 ; H . G. VON MUTIUS, D i e c h r i s t l i c h - j ü d i s c h e Z w a n g s d i s p u t a t i o n z u
Barcelona nach dem hebräischen Protokoll des Moses Nachmanides (Judentum und Umwelt 5) Frankfurt/ M.-Bern 1982; COHEN, The Friars and the Jews (Anm. 22) 108 ff.; R. CHAZAN, Daggers of Faith, Berkeley-Los Angeles-London 1989, 71 ff.; SIMONSOHN, History (Anm. 20) 307 ff.; DAHAN, Les intellectuels chrétiens (Anm. 20) 356 ff.; R. CHAZAN, Barcelona and beyond. The Disputation of 1263 and Its Aftermath, Berkeley 1992. Zur Judenpolitik des zu dieser Zeit regierenden aragonesischen Königs Jakob I. siehe A. DE BOFARULL I SANS, Los judíos en el territorio de Barcelona (siglos X al XIII), reinado de Jaime I, 1213-1276, Barcelona 1910, und - mit Schwergewicht auf den Verhältnissen in Valencia - R. I. BURNS, Jaume Primer i els Jueus, in: R. I. BURNS, Jaume I i els Valencians del segle XIII, València 1981, 149-236; R. I. BURNS, Muslims, Christians, and Jews in the crusader kingdom of Valencia. Societies in symbiosis, Cambridge 1984. Die Gesamtpolitik Jakobs I. in allen Kronländern bedarf allerdings noch weiterer Klärung. 25 Vgl. D. ROMANO, Judíos al servicio de Pedro el Grande de Aragón (1276-1285), Barcelona 1983, 175-178; D. ROMANO, Les juifs de la Couronne d'Aragon avant 1391, in: ROMANO, De Historia Judía (Anm. 5) 283-296; D. ROMANO, Cortesanos judíos en la Corona de Aragon, ebd. 401-413, bes. 409 f.; ROMANO, Els jueus en temps de Pere el Cerimoniós (Anm. 5) 117 f.; für Zaragoza A. BLASCO MARTÍNEZ, Actividad laboral de una comunidad urbana del siglo XIV: la Aljama de judíos de Zaragoza, in: Les sociétés urbaines en France Méridionale et en Péninsule Ibérique au Moyen Âge, Paris 1991, 435-457, bes. 456 (mit Verweis auf ihre bisher unveröffentlichte 'Tesis doctoral': »Los judíos de Zaragoza en el siglo XIV« im Umfang von 10 Bänden[!], die sie am 25. 6.1987 an der Universität Zaragoza 'gelesen' hat; vgl. auch A. BLASCO MARTINEZ, LOS judíos de Zaragoza. Un modelo para investigación, in: Jornades d'Histôria dels Jueus a Catalunya [Anm. 14] 177-215). 26
Vgl. dazu D. E. CARPENTER, Alfonso X and the Jews. An Edition of and Commentary on 'Siete Partidas' 7.24 "De los judíos", Berkeley 1986; M. A. ORTÍ BELMONTE, Glosas a la legislación sobre los judíos en las Partidas, in: Boletín de la Real Academia de Córdoba 26 (1955) 41-66; M. RATCLIFFE, Judíos y Musulmanes en las Siete Partidas de Alfonso X, in: Alfonso X el Sabio, vida, obra y época, vol. I, Madrid 1989, 237-249. Allgemein zum Verhältnis Alfons' X. zu den Juden, wie es auch aus anderen Zeugnissen herauszufiltern ist, siehe D. ROMANO, Le opere scientifice di Alfonso X e l'intervento degli ebrei, in: ROMANO, De Historia Judía (Anm. 5) 147-181; D. ROMANO, Alfonso X y los judíos. Problemática y propuestas del trabajo, ebd. 373-399; A. I. BAGBY Jr., Alfonso el Sabio compara moros y judíos, in: Romanische Forschungen 82 (1970) 578-583; A. I. BAGBY Jr., T h e J e w in t h e C á n t i g a s o f A l f o n s o X el S a b i o , in: S p e c u l u m 4 6 ( 1 9 7 1 )
670-688;
V. HATTON/ A. MACKAY, Antisemitism in the Cantigas de Santa Maria, in: Bulletin of Hispanic Studies 61 (1983) 189-199. Zusammenfassend nun D. ROMANO, La ciencia hispanojudía, Madrid 1 9 9 2 , bes. 1 2 8 ff.
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allerdings lange Zeit mehr theoretisches Programm als reale Rechtsvorschrift sein, während die Rechtswirklichkeit wirksamer durch die in einzelnen Punkten identischen, manchmal jedoch abweichenden Bestimmungen des 1255 abgeschlossenen Fuero Real geprägt wurde, der z.B. die besonderen Kennzeichnungen auf den Kleidern nicht erwähnte, dafür wiederum Vorschriften zum Wucher enthielt27. Connubium, geschlechtlicher Verkehr zwischen Christen und Juden waren verboten, überhaupt wurden der gegenseitige Kontakt, vor allem bei liturgischen Handlungen, auf das äußerste Minimum beschränkt, der Talmud verteufelt, der Wucher durch Begrenzung des Zinsfußes nach Möglichkeit zurückgedrängt und jene Juden, die dem Hof als Steuereintreiber dienten, durch rigorose Maßnahmen in den Ruin getrieben, schließlich wurde ein Ämterverbot beschlossen, aber nie streng gehandhabt. Die Aufhebung des Privilegs, Rechtsstreitigkeiten durch einen eigenen Alcalden entscheiden zu lassen, durch die Cortes von Palencia fügte sich nahtlos in diesen Abbau der durch königlichen Schutz garantierten jüdischen Rechtsstellung ein, doch blieb die friedliche Bekehrung der Juden ohne Anwendung körperlichen Zwangs der oberste Grundsatz. Trotz aller Repressalien waren es vorwiegend die wirtschaftspolitischen Schläge, von denen sich das kastilische Judentum nur zögernd erholen sollte, da das Reich im 14. Jahrhundert in eine lange Phase der inneren Auseinandersetzungen und schließlich des offenen Bürgerkriegs mit allen ihren begleitenden krisenhaften Symptomen eintreten sollte. Selbst die Übernahme der verschärften Bestimmungen des Konzils von Vienne, die, unter dem Eindruck der französischen Vertreibungsdekrete von 1306 gefaßt, die religiösen Entfaltungsmöglichkeiten weiter einschränkten und die Juden wegen ihrer Haltung gegenüber Christus als rechtlos erklärten28, sowie die Umsetzung der antijüdischen Beschlüsse mit ihren Verboten des Wuchers, der Ausübung öffentlicher Ämter, der Aufrechterhaltung engeren Kontakts sowie der Eidesleistung bei christlich-jüdischen Gerichtsverfahren durch das Konzil von Zamora im Jahr 131329 konnten indes an der Tatsache nichts ändern, daß man bis 1350 von einer "hostilidad sin violencias" auszugehen hat30. 27
Leyes de Alfonso X. Vol. II: Fuero Real, ed. G. MARTÍNEZ DIEZ, Ávila 1988,406-409 (Libro IV, Tit. 2: De los iudios). Vgl. ROMANO, Alfonso X y los judíos (Anm. 26) 377-380. 28 Cfr. Clem. II.8.1 (= FRIEDBERG II 1147). Vgl. E. MÜLLER, Das Konzil von Vienne 1311-1312. Seine Quellen und Geschichte, Münster 1934, 640-642; F. FITA, Los judíos mallorquines y el Concilio de Vienne, in: Boletín de la Real Academia de la Historia 26 (1900) 232-258; SUÁREZ FERNÁNDEZ, La expulsión (Arum. 3) 129 ff.; S. DE MOXÓ, Los judíos castellanos en la primera mitad del siglo XIV, in: Simposio Toledo judaico, 1.1, Toledo 1973, 79-85. Zur Prägung des Verhältnisses der drei Religionen zueinander, wie es durch ihr Bild von Jesus bestimmt wird, vgl. M. DE EPALZA, Jésus otage. Juifs, chrétiens et musulmans en Espagne (VI e -XVII e s.) Paris 1987. Die Einstellung der Inquisition zu den französischen Maßnahmen und ihren Folgen betrachtete Y. H. YERUSHALMI, The Inquisition and the Jews of France in the Time of Bernard Gui, in: Harvard Theological Review 63 (1970)317-376. 29 AMADOR DE LOS Ríos, Historia social (Anm. 2) II 561 f.; F. BAER, Die Juden im christlichen Spanien, 1. Teil, vol. I-II, Berlin 1929/1936 (ND 1970), hier II 118-120 Nr. 133 zu 1313 Januar 11. V g l . SUÁREZ FERNÁNDEZ, J u d í o s e s p a ñ o l e s ( A n m . 3 ) 1 5 5 ff.; SUÁREZ FERNÁNDEZ, L a e x p u l s i ó n
(Anm. 3) 131 ff. Zum Judeneid F. BUJANDA/ F. CANTERA, De cómo han de jurar los judíos, in: Sefarad 7 (1947) 145-147; B. MALER, À propos de quelques formulaires médiévaux du 'sacramentum more judaico', in: Studier i Modem Spràkvetenskap. Utgivna i samverkan med nyfilologiska sällskapet i Stockholm n.s., vol. 5, Stockholm 1975, 117-156, und W. J. PAKTER, Did the Canonists Prescribe a Jewry-Oath?, in: Bulletin of Medieval Canon Law N.S. 6 (1976) 81-87. 30 So MONSALVO ANTÓN, Teoría y evolución (Anm. 3) 207 ff.
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Nach der Mitte des Jahrhunderts verschlechterte sich dann die Lage des Judentums in beiden Reichen in bisher ungekannter Weise. In den Ländern der Krone Aragon, primär in den küstennahen Bereichen Kataloniens und Valencias, führten die Auswirkungen der 'Schwarzen Pest' von 1348 und die nachfolgenden Pestzüge zu ersten schweren Pogromen, obwohl die Königsgewalt gerade zu dieser Zeit aus finanziellen Interessen die Selbstverwaltung der jüdischen Gemeinden gestärkt31 und Papst Clemens VI. den kirchlichen Judenschutz angesichts der Ereignisse über die übliche Erneuerung von Sicut Judeis hinaus intensiviert hatte32. Ohne zu beachten, daß die Bewohner der Aljamas selbst durch Pestopfer dezimiert worden waren, brachte die bekannte Verleumdung der Brunnenvergiftung in einzelnen Städten Volksansammlungen angesichts der schlechten allgemeinen wirtschaftlichen und sozialen Lage dazu, unkontrollierbare Gewalttaten zu verüben, doch geschah dies spontan und vereinzelt, ohne die Intensität der späteren Verfolgungswelle zu erreichen33. Die unverkennbare Eskalation der Gewalt führte aber zu einer speziellen Schutznahme durch Papst Innozenz VI., der gegenüber König Peter IV. beklagte, que a los judios morantes en los ditos regnos et tierras, sin razon alguna los fieren, plagan, apedrehan (sie) et encara los matan, diziendo los ditos christianos que por los peccados de los judios vierten mortaldades, faltas de fruytos, et fendo los ditos malos a los ditos judios que cessan las ditas pestilencias ,..34. Allerdings wurden die verordneten Einschränkungen des jüdischen Lebenswandels nun streng kontrolliert und ebenso wie der Verdacht des Amtsmißbrauchs empfindlich bestraft, wie das Rechnungsbuch des königlichen Batlle von Barcelona minutiös belegt35. In Kastilien wiederum, wo die Entfernung jüdischer Amtsinhaber im Verwaltungs- und Finanzbereich nicht durchgeführt worden war, sollte sich gerade diese Verschonung als Zündstoff erweisen. Da jüdische Steuereintreiber und Finanzleute verstärkt durch Peter I. den Grausamen herangezogen worden waren, konnten sie im Bürgerkrieg, der die neue Dynastie der Trastämara an die Regierung bringen sollte, während der wechselhaften Kämpfe als bevorzugte Zielscheibe für die propagandistischen Attacken dieser Partei dienen. Die keineswegs 31
A. LÓPEZ DE MENESES, Documentos acerca de la peste negra en los dominios de la Corona de Aragón, in: Estudios de Edad Media de la Corona de Aragón 6 (1956) 291-448; A. LÓPEZ DE MENESES, Una consecuencia de la peste negra en Cataluña: el pogrom de 1348, in: Sefarad 19 (1959) 92-131,321-364. 32 SIMONSOHN, Documents I (Anm. 20) 397-399, Nr. 373-374 zu 1348 September 26 bzw. Oktober 1. Die Erneuerung von Sicut Judeis ebd., 396 Nr. 372 zu 1348 Juli 5. 33 Zu den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Hintergründen in dieser Zeit vgl. VONES, Zur Diskussion (Anm. 3), passim. 34 SIMONSOHN, Documents I (Anm. 20) 405, Nr. 378 zu 1356 Januar 21 (dort auch zur schwierigen Überlieferungslage des Schreibens). 35 Vgl. J. M. CASAS KÖMS, Llibre del Batlle Reial de Barcelona Berenguer Morey (1375-1378), Barcelona 1976, 15-17, zum Verbot für Juden, ohne Erlaubnis das Haus eines Christen zu betreten, und zur Anklage gegen Juden, per mal usar de son ofici, die sich wahrscheinlich auf die Ämter des mestre de llibres und der corredors bezieht (siehe ebd. 37). Zu 1376 März 14 und 15 finden sich die Eintragungen: Hem recebi lo dit jorn d'en Bonjuha Gracia, secretan de ¡'Aljama de Barchna., los quals me donò per composició feta entre mi hi eli e ago per rahó com totes les corredores de joies eren caygudes en ban per fo com eren entrades en ¡es cases deis crestians: CLXV ss. ... und: Hem reebí lo prop dit jorn d'en Jacme Riera, que.m donò per ban d'alscuns juheus que havien jugat en casa sua, los quals juheus eren cayguts en ban: XXXII ss. ... (ebd. 59 f.); sowie zu 1376 Mai 16: Item reebi lo dit jorn d'en Lussas, los quals me donò per alscuns juheus qui havien jugat eri casa sua, per qué eren cayguts en ban: XXIIss. ... (ebd. 64).
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zimperlichen Angriffe, die in der Verdächtigung gipfelten, der die Juden schützende König selbst sei ein jüdischer Wechselbalg 36 , ruinierten das Ansehen der Sephardim vollends und bereiteten aus politischen Erwägungen heraus den Boden für die böse Saat37. Sie begann aufzugehen, als 1375 der Converso Juan de Valladolid - gestärkt durch das Papsttum, das vor allem, wie aus einem Schreiben Gregors XI. an Johann I. von Kastilien zur Wirksamkeit des quídam Iohannes, olim Iudeus, ínter omnes lúdeos tuorum regnorum in scripturis peritior, hervorgeht, die Umsetzung der Konzilsforderungen nach Separation verlangte 38 - polemische Streitgespräche zu fuhren suchte, um die unter Gewaltanwendung erzwungene Konversion der Juden als Allheilmittel durchzusetzen 39 . In seinem Gefolge tauchte aber Ferrand Martínez auf. Der Nährboden für die spätere Eskalation der Gewalttätigkeit wurde bereitet; es bedurfte nur noch der religiösen, politischen und wirtschaftlichen Krisenhaftigkeit einer in einem radikalen Neuaufbau befindlichen Gesellschaft - und dies war das Kastilien unter den ersten Trastámara mit seiner Verstrickung in die Wirren des Großen Abendländischen Schismas, seiner engen Berührung mit den Vorgängen des Hundertjährigen Krieges und vor allem seiner neuformierten Adelsgesellschaft, seiner die nobleza vieja, den alteingesessenen Adel, ablösenden, durch königliche Gunsterweise geforderten nobleza nueva40 -; es bedurfte also der günstigen Gelegenheit, der Konjunktionen, des Zusammenspiels verschiedenster Faktoren, um die Explosion von 1391 zu verursachen. Solche Konjunktionen können in evidenter Form allerdings nur bei den Reichen der Krone Kastilien gefunden werden, wo auch eindeutig am Anfang der Verfolgungsbewegung die religiöse Motivation dominierte, während in den aragonesischen Kronländern die Volksstimmung erst durch aus Andalusien angereiste Agitatoren angeheizt werden mußte. Dafür verband sich dort die anfangs auf der religiösen Ebene geweckte Bereitschaft zum Pogrom rasch mit sozialen 36
J. AMADOR DE LOS Ríos, Cómo y porqué se llamó a don Pedro el Cruel, Pero Gil, in: Boletín de la Real Academia de la Historia 36 (1900) 58-65. 37 Vgl. J. VALDEÓN BARUQUE, Enrique II de Castilla: la guerra civil y la consolidación del régimen (1366-1371), Valladolid 1966, bes. 96 ff.; J. VALDEÓN BARUQUE, LOS judíos de Castilla y la revolución Trastámara, Valladolid 1968; J. VALDEÓN BARUQUE, La judería toledana en la guerra civil de Pedro I y Enrique II, in: Simposio Toledo judaico, 1.1, Madrid 1973, 107-131. 38 SIMONSOHN, Documents I (Anm. 20) 460, Nr. 434 zu 1375 Oktober 28. Ein markantes Beispiel für eine entsprechende Haltung im kastilischen Klerus arbeitete J. I. RUIZ DE LA PEÑA, La política antijudaica del obispo don Gutierre de Toledo (1377-1389), in: Archivos Leoneses 38 (1974) 263289, heraus, als er die repressive Politik gegen die Juden durch einen Trastämara-Anhänger untersuchte, dessen Haltung wahrscheinlich auf persönliche Gründe zurückgeführt werden muß, der aber bei seinen Maßnahmen durchaus in Einklang mit der kirchlichen Lehre und Rechtstradition stand. Vgl. aber auch F. J. FERNÁNDEZ CONDE, Gutierre de Toledo, obispo de Oviedo (1377-1389). Reforma eclesiástica en la Asturias bajomedieval, Oviedo 1978, bes. 79 ff., der zu einem milderen Urteil über die Aktivitäten des Bischofs gelangt und die Synodalakten ediert. 39 Zur Wirksamkeit des Juan de Valladolid siehe SuÁREZ FERNÁNDEZ, Judíos españoles (Anm. 3) 201 ff., sowie zur Phase zwischen 1375 und 1391 allgemein MONSALVO ANTÓN, Teoría y evolución (Anm. 3) 245 ff. 40 Zur Entstehung und zum Aufstieg der nobleza nueva und des Stadtadels seit dem 14. Jh. siehe S. DE Moxó, De la Nobleza Vieja a la Nobleza Nueva. La transformación nobiliaria castellana en la baja Edad Media, in: Cuadernos de Historia 3 (1969) 1-210; S. DE Moxó, El auge de la nobleza urbana de Castilla y su proyección en el ámbito administrativo y rural a comienzos de la Baja Edad Media (1270-1370), in: Boletín de la Real Academia de la Historia 178 (1981) 407-518; S. DE Moxó, La sociedad política castellana en la época de Alfonso XI, in: Cuadernos de Historia 6 (1975) 187-326.
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Motiven, wie der eingangs erwähnte Sozialgeschichtsforscher Wolff richtig beobachtet hat, bezog als Zielgruppen vereinzelt die Besitzenden ein und richtete sich stellenweise auch gegen die Mudéjares, Muslime, die seit der Reconquista unter christlicher Herrschaft lebten und ebenso wie die Juden in eigenen Vierteln wohnten. Man muß jedoch zu diesem Zeitpunkt differenzierter davon ausgehen, daß die kastilische Bevölkerung infolge der noch immer lebendigen Bürgerkriegspropaganda für Argumente auf religiöser Grundlage empfänglicher war, hingegen die Bevölkerung der aragonesischen Kronländer, die nach den großen Bankenkrächen der 80er Jahre in einer wirtschaftlichen Talfahrt steckten, mehr auf Argumente ansprach, die den Sozialneid weckten, aber eben nicht spezifisch antijüdisch waren, sondern sich auch gegen andere gesellschaftliche Gruppen richten konnten. Da zudem in der Krone Aragón die kirchliche Inquisition, der zum Teil durch päpstliches Privileg mittlerweile auch die Juden unterworfen worden waren41, als Instrument zur Sicherung des Glaubens nach wie vor intakt und erneuerungsfahig war, wie aus dem Wirken des Dominikanerinquisitors Nikolaus Eymerich sowie dem von ihm entworfenen 'Directorium inquisitorum' zu ersehen ist42, und das Königtum nach Überwindung der Ohnmacht von 1391 als Schutzmacht für die Juden - anders als in Kastilien, wo selbst kräftige Geldbußen für die betroffenen Concejos ihren Strafcharakter schnell verloren43 -, vorerst wirksam blieb, erwies sich der Schnitt hier als weniger radikal. Es ist kein Zufall, daß mit der Disputation von Tortosa der letzte, obgleich gescheiterte und in seiner Durchführung nur als Propagandafeldzug angelegte Versuch einer Überzeugungsmission im aragonesischen Machtbereich stattfand und im Grunde wieder durch gezielten Druck Massenkonversionen bewirkt werden mußten44. III. Kehren wir zum Pogrom von 1391 und seinen unmittelbaren Auswirkungen zurück, so ist festzustellen: diese Folgen bestanden nicht nur in der dramatischen Entvölkerung und Verödung der jüdischen Gemeinden durch Totschlag, Flucht und die massenweise vollzogenen Zwangskonversionen unter Lebensbedrohung, sondern auch in einer daraus resultierenden, nicht vorhergesehenen Verschie41
Vgl. zum zunehmenden Einfluß der Inquisition, der von der Haltung des Landesherrn abhing, GRAYZEL, Popes, Jews, and the Inquisition (Anm. 20) 180 ff. Die Entwicklung der Inquisition zu dieser Zeit untersuchte J. VINCKE, Zur Vorgeschichte der Spanischen Inquisition. Die Inquisition in Aragón, Katalonien, Mallorca und Valencia während des 13. und 14. Jahrhunderts, Bonn 1941. Zur Stellung der Juden nach dem Kirchenrecht siehe nun W. PAKTER, Medieval Canon Law and the Jews, Ebelsbach 1988. 42 Vgl. F. BAER, Studien zur Geschichte der Juden im Königreich Aragonien während des 13. und 14. Jahrhunderts, Berlin 1913 (ND 1965) 63 f. 43
V g l . MONTES ROMERO-CAMACHO, A n t i s e m i t i s m o s e v i l l a n o ( A n m . 3 ) 6 4 - 6 7 ; MONTES ROMERO-
CAMACHO, La minoría hebrea (Anm. 3) 552, die gerade am Beispiel Sevilla zeigt, wie wenig die von Heinrich III. verhängte Geldstrafe von 135 500 Golddublonen im Zusammenhang mit der neuen Judengesetzgebung des beginnenden 15. Jhs. fruchtete. 44 Zur Disputation von Tortosa siehe A. PACIOS LÓPEZ, La Disputa de Tortosa, 2 vol., Madrid 1957; J. RIERA I SANS, La Crònica en Hebreu de la Disputa de Tortosa, Barcelona 1974; SlMONSOHN, History (Anm. 20) 317 ff. Ein großer Teil der Polemik richtete sich bei dieser Gelegenheit wieder gegen den Talmud: M. ORFALI, Jerónimo de Santa Fe y la polémica cristiana contra el Talmud, in: Annuario di Studi Ebraici 10 (1980-1984) 157-178; M. ORFALI, El tratado 'De iudaicis erroribus ex Talmut' de Jerónimo de Santa Fe, Madrid 1987.
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bung, ja empfindlichen Störung des gesellschaftlichen Gleichgewichts. Waren die Zwangstaufen unter religiösen Gesichtspunkten noch ein durchaus erwünschtes Ergebnis des Pogroms gewesen, so bedeuteten sie für die Gesellschaft eine Belastung, denn die konvertierten Juden wurden nun kirchenrechtlich zu vollgültigen Christen. Hinfort standen ihnen als Conversos wie allen anderen Getauften dieselben Möglichkeiten des gesellschaftlichen Aufstiegs offen 45 . Dazu gehörten die Fähigkeit, sich außerhalb der vielerorts verfallenden Ghettos unangefochten unter Christen niederzulassen; die Möglichkeit, nach Wegfall des Konnubiumverbots in andere Schichten einzuheiraten und auf diese Weise Familienbeziehungen selbst zu Vertretern der Oberschicht zu knüpfen; die Erlaubnis, bisher verbotene Ämter zu bekleiden und so früher verschlossene Laufbahnen einzuschlagen; ja sogar der ungehinderte Zugang zu geistlichen Ämtern und die damit verbundene Aussicht, innerhalb der kirchlichen Hierarchie bis zu den Spitzenpositionen aufzusteigen. Da viele, wahrscheinlich die Mehrzahl, dieser durch die Anwendung gewaltsamen äußeren Zwanges bekehrten Konvertiten, die von den standhaften Juden als anusim, 'Gezwungene', betrachtet und in der zeitgenössischen rabbinischen Responsenliteratur wirklichen Juden oder zumindest jüdischen Apostaten gleichgestellt wurden46, weder ihre früheren Beziehungen zu den verbliebenen jüdischen Bevölkerungsresten aufgeben bzw. überhaupt ihre traditionellen, über Generationen gewachsenen Verbindungen abbrechen konnten noch durch die Art der Bekehrung zu einer Verinnerlichung des christlichen Glaubens gebracht worden waren, sondern, verborgen vor der Öffentlichkeit, nach wie vor ihren althergebrachten Riten anhingen oder zumindest in diesem Verdacht standen, gewann das Sephardim-Probltm, nun zum Converso-Problem erweitert, eine neue Qualität. Und diese Feststellung gilt nicht nur für das christlich-jüdische Verhältnis, sondern ebenso für die innere Verbundenheit der Konvertiten untereinander. Denn seit den Massenkonversionen von 1391, die vornehmlich judaisierende anusim hervorgebracht hatten, war auch das ConversoLager in sich gespalten47. Einerseits betrachteten sich Juden und 'erzwungene' 45
Zum Konvertiten-Problem in Spanien vgl. vor allem E. BENITO RUANO, Los orígenes del problema converso, Barcelona 1976, und H. BEINART, Conversos on Trial. The Inquisition in Ciudad Real, Jerusalem 1981 (ursprgl. auf Hebräisch: 'Anussim be'Din ha-Inquivisitzia', Jerusalem 1965), dessen Werk ungeachtet des einschränkenden Untertitels eine große allgemeine Bedeutung zukommt, sowie neuerdings H. BEINART, The Conversos and Their Fate, in: E. KEDOURIE (ed.), Spain and the Jews, London 1992, 92-122, und A. M. GLNIO, Self-Perception and Images of the Judeoconversos in Fifteenth-Century Spain and Portugal, in: Tel Aviver Jahrbuch für Deutsche Geschichte 22 (1993) 127-152. Ihren gesellschaftlichen Aufstieg und die sich daraus ergebenden Konsequenzen betonte ftlr eine spätere Epoche S. HALICZER, The Castilian Urban Patriciate and the Jewish Expulsions of 1480-92, in: AHR 78 (1973) 35-62. 46 Die Vorschriften des Talmud (Sanhédrin 44a; Nedarim 27a) besagen, daß selbst Juden im Stand der Sünde nicht von der Gemeinschaft ausgeschlossen werden sollen. Siehe H. J. ZIMMELS, Die Marranen in der rabbinischen Literatur. Forschungen und Quellen zur Geschichte und Kulturgeschichte der Anussim, Berlin 1932, bes. 12 ff., 21 ff., 42 ff.; M. ORFALI LEVI, Los conversos en la literatura rabínica. Problemas jurídicos y opiniones legales durante los siglos XIII-XVI, Salamanca 1982; N. BEN-AVRAHAM, Eis Anussim. El problema deis xuetons segons la Legislació Rabinica, Palma de Mallorca 1992, und GLNIO, Self-Perception (Anm. 45) 134 ff. Zum Forschungsstand vgl. auch Y. KAPLAN, The problem of the Anusim and the New Christians. The State of Actual Research [auf Hebräisch], in: J. SALMON/ M. STERN/ M. ZIMMERMANN (ed.), Iyunim be-Historiografía [Studien zur Geschichtsschreibung], Jerusalem 1988, 117-144. 47 Zu den verschiedenen 'Arten' von Konvertiten vgl. J. FAUR, Four Classes of conversos: a typological study, in: Revue des Études Juives 149 (1990) 113-124 und M. a DEL PILAR RÁBADE OBRADÓ,
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Konvertiten nach wie vor als 'einem' Volk zugehörig, so daß alle jene, die sich wieder vom Christentum abwandten und zum Väterglauben zurückkehrten, mit offenen Armen aufgenommen wurden, und dies um so mehr, wenn sie deshalb Prüfungen auf sich nehmen mußten48. Für jene Conversos hingegen, die in der Zeit vor 1391, zumeist im Bündnis mit den neuen, von den Trastämara geförderten städtischen Oligarchien49, und in manchen Fällen auch nach diesem Termin aus innerer Überzeugung Christen geworden waren, und die den dem Väterglauben treu gebliebenen Juden und Rabbinern als Abtrünnige, genauer als wirkliche Nichtjuden, Judenverfolger und Denunzierer, ja als ärger als Nichtjuden galten50 eine polemische Schrift des 15. Jahrhunderts sollte sie als meshumad oder mumar kennzeichnen, als Juden im Zustand der Sünde, die zu meiden waren51 - , die aber den gesellschaftlichen Aufstieg innerhalb der kirchlichen Hierarchie und der städtischen Oligarchien bereits geschafft hatten, mußten die Neubekehrten eine potentielle Bedrohung bilden, sobald die neue Situation ins Bewußtsein gedrungen war. Ein markantes Beispiel für einen solchermaßen emporgekommenen Co«ve/\yo-Familienverband bildete die berühmte Cartagena-Maluenda-Santamaria-Sippe, die aus dem Judentum von Burgos hervorgegangen war52. Das erste bedeutende Mitglied dieser Sippe war Salomon ha-Levi, Oberrabbiner von Bur-
Expresiones de la religiosidad cristiana en los procesos contra los judaizantes del tribunal de Ciudad Real/ Toledo, 1483-1507, in: En la España Medieval 13 (1990) 303-330. 48 Zu den Barceloneser Verhältnissen vor und nach 1391 vgl. in dieser Hinsicht außer F. CARRERAS CANDI, Evolució histórica de juheus y juheissants barcelonins, in: Estudis Universitaris Catalans 3 (1909) 404-428, 498-522; 4 (1910) 45-65, 359-373, noch J. PERARNAU, El procés inquisitorial contra eis jueus Janto Almuli, la seva muller Jamila i Jucef de Quatorze (1341-1342), in: Revista Catalana de Teología 4 (1979) 309-353, sowie J. HERNANDO I ANGELS IBAÑEZ, El procés contra el convers Nicolau Sanxo, ciutadá de Barcelona, acusat d'haver circumcidat el seu fill (1437-1438). Processus inquisitionis facte contra Sanxo, conversum, civem Barchinone, A.D.B., Processos n. 762, in: Acta Mediaevalia histórica et archaeologica 13 (1992) 75-100. 49 Zum Beispiel Sevilla vgl. I. MONTES ROMERO-CAMACHO, Notas para el estudio de la judería sevillana en la Baja Edad Media (1248-1391), in: Historia. Instituciones. Documentos 10 (1983) 251277. Für die Zeit vorher siehe S. de MOXÓ, Los judíos castellanos en el reinado de Alfonso XI, in: Sefarad 35 (1975) 131-150, 36 (1976) 39-120; zu den Verhältnissen des 15. Jhs. außer HALICZER, The Castilian Urban Patriciate (Anm. 45), noch M. MÁRQUEZ VLLLANUEVA, Conversos y cargos concejiles en el siglo XV, in: Revista de Archivos, Bibliotecas y Museos 63 (1957) 503-540, und M. I. FALCÓN PÉREZ, El patriciado urbano de Zaragoza y la actuación reformista de Fernando II en el gobierno municipal, in: Aragón en la Edad Media. Estudios de Economía y Sociedad II (1979) 245-298. 50 ZIMMELS, Die Marranen (Anm. 46) 42 ff., der auch darlegt, wie sich die Einstellung der orthodoxen Juden gegenüber den anusim im Laufe der folgenden Jahrzehnte und Jahrhunderte weiter verschlechterte, aber leider dazu neigt, unter Mißachtung der historischen Dimension die Zeugnisse miteinander zu vermischen. 51 Es handelt sich um den Libro llamado el Alboraique, den N. LÓPEZ MARTÍNEZ, Los judaizantes castellanos y la Inquisición en tiempos de Isabel la Católica, Burgos 1954, 391-404 Apénd. IV, und auszugsweise I. LOEB, Polémistes chrétiens et juifs en France et en Espagne, in: Revue des Etudes Juives 18 (1889) 238-242 Nr. 10, edierten. Vgl. dazu L. VONES, Die Vertreibung der spanischen Juden 1492. Politische, religiöse und soziale Hintergründe, in: H. H. HENRIX (Hg.), 1492-1992: 500 Jahre Vertreibung der Juden Spaniens, Aachen 1992, 13-64, bes. 50 ff., und D. M. GITLITZ, Hybrid Conversos in the "Libro llamado el Alboraique", in: Hispanic Review 60 (1992) 1-17. 52 Grundlegend L. SERRANO, Los conversos Don Pablo de Santamaría y Don Alfonso de Cartagena. Obispos de Burgos, gobernantes, diplomáticos y escritores, Madrid 1942; F. CANTERA BURGOS, Alvar García de Santamaría. Historia de la judería de Burgos y de sus conversos más egregios, Madrid 1952.
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gos und in seiner Zeit einer der führenden Interpreten des Talmud, der nach seiner Konversion durch den berühmten Prediger Vicent Ferrer unter seinem christlichen Namen Pablo de Santamaría Bischof von Cartagena und Burgos sowie päpstlicher Legat a latere wurde53. Sein ältester Sohn Gonzalo erhielt die Bischofswürde von Astorga, Plasencia und Sigüenza; sein Sohn Alonso de Cartagena, der berühmte Humanist, folgte ihm auf dem Bischofsstuhl von Burgos nach54; über seinen Sohn Pedro und dessen Nachkommenschaft wurden verwandtschaftliche Verbindungen zur mächtigen Adelsfamilie der Mendoza und zu den Franco de Toledo geknüpft; eine Tochter heiratete in den Toledaner Stadtadel ein. Eine Schwester Pablos band die mächtige, über ausgedehnten Einfluß verfugende Familie der Maluenda, die mit Juan Ortega de Maluenda den Bischof von Coria, mit Alfonso Rodríguez de Maluenda den Bischofselekten von Salamanca stellte - beides Neffen Pablos -, an die Santamaría-Cartagena. Ein weiterer Neffe Pablos, Juan Díaz de Coca, erscheint als Bischof von Oviedo und Calahorra; ein Bruder, der bekannte Hofchronist Alvar García de Santamaría, brachte zusätzliche Heiratsverbindungen ein. Pablo bekleidete außerdem das Amt eines königlichen Chanciller Mayor, Alonso de Cartagena gehörte dem königlichen Rat an; Alvar García de Santamaría war Regidor von Burgos, Mitglied des königlichen Rats und hatte zudem verschiedene wichtige Hofämter inne. Ein weiterer Bruder, Pedro Suárez de Santamaría, kann als oberster Stadtschreiber von Burgos nachgewiesen werden; andere Söhne Pablos versahen die Ämter eines Guarda del Rey, eines Regidors und des königlichen Corregidors in Toledo. Außerdem bekleideten Mitglieder der angeheirateten Familien in ihrem Wirkungskreis eine Vielzahl wichtiger städtischer Ämter und Funktionen am kastilischen Hof. Nicht genug damit, ein weiterer Familienzweig sollte sich bald in Zaragoza niederlassen, dort ebenfalls in der oligarchischen Oberschicht Fuß fassen und so das verwandtschaftliche Beziehungsgeflecht nach Aragón ausweiten55. Die Mitglieder der Cartagena-Maluenda-Santamaria-Sippe sowie die ihnen verbundenen Geschlechter, allen voran die Mendoza und die Álvarez de Toledo, gehörten aber zur staatstragenden Schicht in der Krone Kastilien. Aus einem Zweig der Alvarez de Toledo sollten dann die Grafen und späteren Herzöge von Alba hervorgehen, während ein anderer die Herren von Oropesa hervorbrachte; zu den Oropesa sollte indes der Converso und Hieronymitengeneral Alonso de Oropesa ebenso gehören wie der berühmte Converso, Beichtvater Isabellas der Katholischen und erste Erzbischof von Granada Hernando de Talavera, der 1466 ebenfalls dem Hieronymitenorden beigetreten war56. Die hier angeführten Bezie-
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Zu ihm SERRANO, LOS conversos (Anm. 52) passim. Zu Alonso de Cartagena vgl. außer SERRANO, Los conversos (Anm. 52), auch O. Dl CAMILLO, El Humanismo Castellano del Siglo XV, Valencia 1976, bes. 135 ff., und neuestens G. VERDFN-DÍAZ, Alonso de Cartagena y el Defensorium Unitatis Christianae (Introducción histórica, traducción y notas), Oviedo 1992. 55 Vgl. dazu R. B. TÄTE, Gonzalo García de Santa María, bibliófilo, jurista, historiador, in: R. B. TATE, Ensayos sobre la historiografía peninsular del siglo XV, Madrid 1970, 212-227. 56 Zu diesen Beziehungen, die noch weiterer Erhärtung bedürfen, vgl. vorerst HIGHFIELD, Christians, Jews and Muslims (Anm. 2) 135-138; zurückhaltender zum Converso-Einfluß, ohne auf HIGHFIELD einzugehen: ROTH, Anti-Converso Riots (Anm. 74) 373 ff. Zu den Cowverso-freundlichen Strömungen innerhalb des Hieronymitenordens in dieser Epoche siehe nun S. COUSSEMACKER, Convertis et judaïsants dans l'ordre de Saint-Jérôme. Un état de la question, in: Mélanges de la Casa Velázquez 27/2 (1991) 5-27, die den Forschungsstand diskutiert. 54
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hungsgeflechte zwischen Converso- und Adelsgeschlechtern waren eben nur ein Beispiel, das um Familien wie die Arias de Ávila, die González de Toledo und alle obersten königlichen Finanzverwalter bis zur Regierung Heinrichs IV. vermehrt werden könnte. Solche Beispiele verweisen außer auf die kirchliche Hierarchie auf eine aufsteigende Verwaltungselite, die als an den Universitäten und ihren Colegios ausgebildete Letrados57 neben den aus altchristlichen Familien hervorgegangenen Rechtsgelehrten in vielen Bereichen dieser neuen Gesellschaft das Rückgrat der königlichen Administration bildeten. Dem Streben dieser Gruppen nach gesellschaftlicher Anerkennung und nicht minder gesellschaftlicher Integration standen aber die Folgeerscheinungen des Pogroms von 1391 entgegen. Die bemerkenswerte Vermehrung der KonvertitenSchicht durch die Zwangstaufen - realistische, vielleicht doch noch überzogene Schätzungen belaufen sich auf etwa insgesamt 50 000 Taufakte bis 142058 - und das vielerorts offensichtliche, zumindest formelle Beharren der neuen Christen auf den Formen ihres alten Glaubens rückte die Conversos, für die schon längst neben der Bezeichnung tornadizos der herabwürdigende Schimpfname Marranos - 'Schweine' - existierte59, als Judaizantes in die Nähe der verbliebenen Juden, ja ließ sie in den Augen vieler mit diesen verschmelzen. Man unterschied im allgemeinen Bewußtsein nicht zwischen Konvertiten, die durch die Überzeugungsmission bekehrt worden waren, und jenen anusim, bei denen sich durch die Taufe nur das äußerliche Gebaren geändert hatte, die aber angeblich oder in Einzelfällen wirklich ihre Kinder weiterhin beschneiden und im jüdischen Glauben unterrichten ließen, im Geheimen an den althergebrachten Riten teilnahmen, sich von den orthodoxen Juden in den Zeremonien und in den Vorschriften des mosaischen Gesetzes unterweisen ließen und nach wie vor die traditionellen Speisevorschriften beachteten. Diese sich abzeichnende Gleichsetzung aller Conversos mit Judaizantes und in letzter, absehbarer Konsequenz mit Juden, die vor allem auf die unteren Schichten mit ihrem Sozialneid Eindruck machen mußte, rief nicht nur die im christlichen Glauben festen Konvertiten auf den Plan, die die Bedrohung ihrer gesellschaftlichen Stellung schon früh erkennen mußten, sondern ließ auch die betroffenen kirchlichen Kreise und das interessierte Königtum nach einer Lösung suchen; einer Lösung, die in der spanischen Forschung wiederholt als solución final bzw., um sie vom Holocaust zu unterscheiden, als solución total
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Zur Entstehung der Schicht der Letrados siehe S. de MOXÓ, La promoción política y social de los 'letrados' en la Corte de Alfonso XI, in: Hispania 35 (1975) 5-29; J. A. MARAVALL, Los »hombres de saber« o letrados y la formación de su conciencia estamental, in: J. A. MARAVALL, Estudios de historia del pensamiento español, 1.1, Madrid 31983, 331-362. 58 Ein Versuch, die Gesamtzahl der Conversos und ihr Anwachsen nach 1391 abzuschätzen, findet sich in dem nicht unumstrittenen Werk von B. NETANYAHU, The Marranos of Spain from the late XIV"1 to the early XVI"1 Century, according to contemporary Hebrew sources, New York 1966, erw. Neuausg. New York 2 1972 (ND 1973) 238 ff., 255 ff. 59 Zum Begriff, seiner Herkunft und seiner Wirkungsgeschichte siehe D. GONZALO MAESO, Sobre la etimología de la voz "marrano" (criptojudío), in: Sefarad 15 (1955) 373-385; A. FARINELLI, Marrano (Storia di un vituperio) Genf 1925, bes. 29 ff., 39 ff., und VONES, Die Vertreibung der spanischen Juden 1492 (Anm. 51) 51 f. Anm. 99 und 62 f. mit Anm. 131, wo sich auch eine ablehnende Stellungnahme der Cortes von Soria 1380 gegen den Gebrauch dieser Schimpfnamen gegen Conversos abgedruckt findet (Cortes de los antiguos reinos de León y Castilla, vol. II [Madrid 1863] 309).
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bezeichnet worden ist . Oder besser: man befand sich nun, wie es Eloy Benito Ruano griffig ausdrückte61, auf dem Weg vom problema judío zum problema converso. Selbst führende Vertreter des Konvertitenlagers wie Pablo de Santamaría (Salomon ha-Levi) und sein Schüler Jerónimo de Santa Fé (Jehoshua ha-Lorqui) stimmten darin überein, daß die Quelle des Irrtums für die Juden im Fortbestehen des mosaischen Glaubens lag und für die Bekehrten in den Möglichkeiten, mit demselben in engeren Kontakt zu kommen62. Solche Argumente deckten sich in gewisser Hinsicht mit den Anschauungen des Dominikanerpredigers Vicent Ferrer, der allerdings noch einen Schritt weiterzugehen beabsichtigte und durch eine Verschärfung der Gesetzgebung die Lebensbedingungen der verbliebenen orthodoxen Juden derart erschweren wollte, daß den Betroffenen die völlige Konversion als der einzig gangbare Ausweg erscheinen mußte63. Obwohl sein eigentliches Betätigungsfeld in den Ländern der Krone Aragón lag, konnte er mit solchen radikalen religiösen Ansichten, was nun nicht mehr überrascht, zuerst in Kastilien Fuß fassen. Dort war nach dem vorzeitigen Tod König Heinrichs III., der selbst 1405 auf den Cortes von Valladolid in eigener Regie eine Reihe antijüdischer Bestimmungen erlassen hatte64, seit 1407 wieder eine Regentschaft für einen minderjährigen Thronfolger angebrochen, hatte der Kampf zweier sich befehdender Parteien um die Macht noch unsicherere Verhältnisse geschaffen. Die Führer beider Parteien, die Königinmutter Katharina von Lancaster und den Onkel des Königs, Ferdinand von Antequera, verstand der wortgewaltige Prediger für seine restriktive Judenpolitik zu gewinnen. Hatte bereits 1408 die Königin Katharina im Namen ihres minderjährigen Sohnes Johann (II.) unter Berufimg auf die Bestimmungen der Siete Partidas ein Verbot verkünden lassen, durch das den Juden sowohl die Eintreibung von Zinseinkünften als auch die Ausübung öffentlicher Ämter mit der spürbaren Absicht untersagt wurde, das Zusammenleben zwischen Juden und Christen radikal zu unterbinden, damit letztere nicht durch die Gemeinsamkeiten und den Umgang mit den Ungläubigen dem Irrtum verfie60
Zu diesen Bezeichnungen vgl. MONSALVO ANTÓN, Teoría y evolución (Anm. 3) 255 ff., 265 f f , der sich auch mit Recht gegen den von SuÁREZ FERNÁNDEZ, Judíos españoles (Anm. 3) 201, anstelle der zuvor propagierten Konspirationsthese eingeführten Begriff eines antijüdischen 'Programms' - "... las matanzas de judíos ... forman parte de un programa que venía gestándose desde las primeras décadas del siglo XIV ..." - wehrt (255). 61 So BENITO RUANO, Los orígenes (Aran. 45) 13 FF. 62
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SUÂREZ FERNÁNDEZ, J u d í o s e s p a ñ o l e s ( A n m . 3) 2 1 8 f.
Zur Haltung des Vicent Ferrer vgl. S. BRETTLE, San Vicente Ferrer und sein literarischer Nachlaß, Münster 1924, sowie J. M. MILLÁS VALLICROSA, San Vicente Ferrer y el antisemitismo, in: Sefarad 10 (1950) 182-184; J. M. MILLÁS VALLICROSA, En torno a la predicación judaica de San Vicente Ferrer, in: Boletín de la Real Academia de la Historia 142 (1958) 191-198; F. VENDRELL GALLOSTRA, La actividad proselitista de San Vicente Ferrer durante el reinado de Fernando I de Aragón, in: Sefarad 13 (1953) 87-104; J. E. MARTÍNEZ FERRANDO, San Vicente Ferrer y la casa real de Aragón, in: Analecta Sacra Tarraconensia 26 (1953) 1-143; V. BELTRÁN DE HEREDIA, San Vicente Ferrer, predicador de sinagogas, in: Salmanticensis 2 (1955) 669-676, und vor allem J. TORRES FONTES, Moros, judíos y conversos bajo la regencia de don Fernando de Antequera, in: Cuadernos de Historia de España 31 (1960) 60-97. 64 Cortes de los antiguos Reinos de León y de Castilla, t. III, Madrid 1863, 544-554. Zur Haltung der Cortes gegenüber ethnischen Minderheiten vgl. J. M. MONSALVO ANTÓN, Cortes de Castilla y León y minorías, in: Las Cortes de Castilla y León en la Edad Media. Actas de la Primera Etapa del Congreso Científico sobre la Historia de las Cortes de Castilla y León, vol. II, Valladolid 1988, 143191.
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len , so wurden 1412, gutgeheißen durch das Papsttum, die Gesetze von Ayllón, der weit umfassendere, alle Lebensbereiche berührende sog. Ordenamiento de Valladolid, ausgearbeitet66, die sofort im Machtbereich der Königin, darunter Sevilla, Córdoba und Jaén, umgesetzt wurden67. Da Ferrer zudem ein entscheidendes Wort dabei mitredete, als im gleichen Jahr Ferdinand von Antequera durch den Kompromiß von Caspe zum neuen König von Aragón gewählt wurde68, geschah es, daß die Gesetzgebung gemäß den Absprachen von Ayllón, wenn auch in der abgemildeteren Form von Cifuentes, auf die aragonesischen Kronländer übertragen wurde69. Darüber hinaus vollzog sich der Einstellungswandel noch auf einer anderen Ebene, als die Concejos dazu übergingen, in den Stadtrechten die Juden mit den Prostituierten gleichzustellen, ihnen unter anderem das Berühren von Lebensmitteln auf den Märkten zu verbieten, jüdische Speisen als unrein zu brandmarken und so die Sephardim als 'Unberührbare' zu diskriminieren70. Andererseits wirkte die Wiederbegründung der strengen Separation für die Conversos wie eine Inschutznahme gegenüber den Vorwürfen, rückfällig werden zu können. Zwar erlebten die jüdischen Gemeinden in den folgenden Jahrzehnten eine Phase der trügerischen Ruhe und noch 1432 konnten sie auf einer großen Zusammenkunft in Valladolid mit den takkanot-Gesetzen eine gemeinsame Grundlage für das geordnete Zusammenleben in den Aljamas verabschieden71, doch zahlten sie ungewollt einen hohen Preis. Mit Alvaro de Luna72, dem mächtigen Günstling des Königs und Condestable von Kastilien, hatten sie einen Beschützer, der ihre fähigsten Köpfe zur Reichs- und speziell zur Finanzverwaltung heranzog, sie durch die Ausübung dieser Funktionen aber wieder dem Haß der pecheros menudos, der steuerzahlenden Bevölkerung, aussetzte. Zusätzlich wurden sie in die Gegensätze zwischen Luna und dem hohen kastilischen Adel hineingezogen, da sie eine Gruppe bildeten, die als Helfer des verhaßten königlichen Günstlings mit dessen Parteigängern in eins gesetzt wurde - als unmittelbare Folge dieser unglücklichen Konstellation kam auch im Adel eine antijüdische Stimmung zum Tragen, die nicht zwischen Juden und Conversos 65
P. LEÓN TELLO, Judíos de Toledo, 1.1, Madrid 1979, 443-446 Nr. 48 zu 1408 Oktober 25; vgl. ebd. II, 210, Nr. 703 mit Bezug auf Part. VII, 24,3. Siehe auch oben Anm. 26. 66
BAER, D i e J u d e n i m c h r i s t l i c h e n S p a n i e n ( A n m . 2 9 ) II 2 6 3 - 2 7 2 N r . 2 7 5 ; LEÓN TELLO, J u d í o s d e
Toledo I (Anm. 65) 446-449, Nr. 49 zu 1412 Januar 2. 67
V g l . MONTES ROMERO-CAMACHO, L a m i n o r í a h e b r e a ( A n m . 3 ) 5 5 2 .
68
Zur Rolle des Vicent Ferrer und seines Bruders Bonifaz beim Kompromiß von Caspe siehe LI. DOMÉNECHI MONTANER, La iniquitat de Casp i la fi del comtat d'Urgell, Barcelona 1930; J. B. MANYA, Saint Vicents Ferrer a Casp i a Perpinyà, Tarragona 1962; E. SARASA SÁNCHEZ, Aragón y el Compromiso de Caspe, Zaragoza 1981, 127 ff. 69 J. VLLLANUEVA, Viage literario por las Iglesias de España, vol. XXII, Madrid 1852, 258 f. zu 1413 März 20. Vgl. BAER, Die Juden im christlichen Spanien (Anm. 29) I 790 f. Nr. 485; T. MLNGÜELLA Y ARNEDO, H i s t o r i a d e la d i ó c e s i s d e S i g ü e n z a , v o l . II, M a d r i d 1 9 1 2 , 6 2 0 f.. 70
Vgl. M. KRIEGEL, Un trait de psychologie sociale dans les pays méditerranéens du bas moyen âge: le juif comme intouchable, in: AESC 31 (1976) 326-330. 71 Zu den takkanot von Valladolid siehe die kritische Edition der Verordnungen durch Y. MORENO KOCH, T h e t a k k a n o t o f V a l l a d o l i d o f 1 4 3 2 , in: T h e A m e r i c a n S e p h a r d i 9 ( 1 9 7 8 ) 5 8 - 1 4 5 , u n d d e n
hebräischen Text bei BAER, Die Juden im christlichen Spanien (Anm. 29) II 280-298 Nr. 287 zu 1432 April 22 - Mai 2. Als abschließende Edition nun: Y. MORENO KOCH, Fontes Iudaeorum Regni Castellae. V: De iure hispano-hebraico. Las Taqqanot de Valladolid de 1432. Un estatuto comunal renovador, Salamanca 1987. 72 Zu ihm siehe N. G. ROUND, The greatest man uncrowned. A study of the fall of Alvaro de Luna, London 1986.
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unterschied, sondern gleichermaßen getaufte und ungetaufte Juden als Gegner der aristokratischen Politik denunzierte. Ihren nachhaltigsten Widerhall fand diese Zuspitzung der öffentlich geführten Diskussion in Pamphleten, die in ihrer allgemeinen Judenfeindlichkeit bei Vertretern aller gesellschaftlichen Schichten auf Zustimmung trafen73. Zu allem Überfluß stand spätestens seit der im Sinne einer Verschärfung vereinheitlichten Gesetzgebung von 1412 fest, daß sowohl die weltliche als auch die geistliche Gewalt den Endpunkt der Entwicklung im Aufgehen des Judentums in einer rein christlichen Gesellschaft sahen: Die Konversion aller Juden zum christlichen Glauben, sei es auch durch die Anwendung äußeren Drucks, begann sich auf lange Sicht als eigentliche Zielvorstellung herauszukristallisieren. Was fehlte, war der letzte Anstoß, der zündende Funke, die Möglichkeit, über Reichsgrenzen hinweg zentral vorzugehen; aber auch die letzte Notwendigkeit, die ins Auge gefaßte Lösung durchzusetzen. IV. Die soeben erwähnte Phase der trügerischen Ruhe für die jüdischen Gemeinden sowie für die zwischen christlicher Gesellschaft und sephardischer Tradition stehenden Konvertiten ging in Kastilien 1449 zu Ende, als sich im Königreich durch den Ausbruch innerer Spannungen jene Epoche permanenter bürgerkriegsartiger Auseinandersetzungen ankündigte, die ihren Höhepunkt nach 1463 erreichte und sich mit kurzen Unterbrechungen bis zum Regierungsantritt der Katholischen Könige hinziehen sollte. Nach der bisher beschriebenen Entwicklung kann es nicht überraschen, wenn sich jener Aufruhr, der im Jahr 1449 in Toledo ausbrach, gegen die Conversos richtete, die den Großteil der herrschenden Schicht in der Stadt stellten. Unter Führung des königlichen Repostero Mayor Pero Sarmiento wurde er von jenen Mittelschichten getragen, die in direkter Konkurrenz zu den neuchristlichen Amtswaltern sowie Kaufleuten standen und gerade zu dieser Zeit bedeutende finanzielle Beiträge zum Kampf Lunas gegen seine adligen Gegner leisten sollten. Die Forderungen der Aufständischen gipfelten darin, den Conversos zukünftig die Wahrnehmung öffentlicher Ämter zu untersagen. Sie verlangten praktisch die Übertragung des für Juden geltenden Amtsverbots auf die Konvertiten und nahmen nun erstmals in einem Sentencia-Estatuto zu der Behauptung Zuflucht, das reine Blut der Altchristen werde durch das jüdische Volk befleckt, weshalb der Ausschluß der Conversos von der Bekleidung öffentlicher Ämter notwendig sei, da ein Jude unabhängig von der Taufe ein Jude bleibe74. Damit war das ethnisch begründete, deshalb um so gefährlichere Argument der limpieza de sangre, der Reinheit des Blutes, in die Diskussion eingeführt und sollte im Laufe der kommenden Auseinandersetzungen einen immer höheren Stellenwert 73
Vgl. dazu A. MACKAY, The Hispanic-Converso Predicament, in: TRHS S"1 ser. 35 (1985) 159179, bes. 163 ff., der ebd. 175 von einem "pamphlet-war" spricht und damit die späteren Angriffe des Co«verso-Historiographen Fernando de Pulgar gegen die Praktiken der Inquisition meint. Siehe auch F. CANTERA BURGOS, Fernando de Pulgar y los conversos, in: Sefarad 4 (1944) 295-348, und ROTH, Anti-Converso Riots (Anm. 74) 386 ff. 74 E. BENITO RUANO, Toledo en el siglo XV. Vida política, Madrid 1961, 34-81; E.BENITO RUANO, Los orígenes (Anm. 45) 39-92; E. BENITO RUANO, Don Pero Sarmiento, Repostero Mayor de Juan II de Castilla, in: Hispania 17 (1957) 483-504; N. G. ROUND, La rebelión toledana de 1449, in: Archivum 16 (1966) 385-446; N. ROTH, Anti-Converso Riots of the Fifteenth Century, Pulgar, and the Inquisition, in: En la España Medieval 15 (1992) 367-394.
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erhalten . Zwar wurden die Toledaner Aufrührer durch eine päpstliche Bulle verurteilt und ihre Argumentation, die im Kern den Wert der Taufe in Frage stellte, von kirchlicher Seite entschieden zurückgewiesen76; zwar fanden sich sogleich Verteidiger der Rechtgläubigkeit der Konvertiten, die selbst zum Teil als Abkömmlinge von Conversos und Inhaber hoher kirchlicher Ämter unmittelbar betroffen waren, die die durch den Taufakt geschaffene Einheit der christlichen Gemeinschaft betonten und keine Einschränkung gelten lassen wollten; doch konnten auch sie nicht umhin zuzugestehen, daß die Juden und der Umgang mit ihnen für alle Christen gleich welcher Herkunft eine stete Glaubensgefahr darstellten, ja sie imstande waren, ein Abgleiten in die Häresie zu bewirken77. Da an dieser Stelle nicht auf die reiche Streitschriftenliteratur der nächsten Jahrzehnte eingegangen werden kann, mag die Feststellung genügen, in welchem Punkt sich die Polemik für und gegen die Juden traf, wie sie in der Hauptsache von Seiten der Conversos und den Vertretern der Mendikantenorden vorgebracht wurde78: Eine seltsame Einigkeit herrschte zuletzt in allen Lagern darüber, daß die strenge Separation, gepaart mit einer Inquisition und gegebenenfalls mit Maßnahmen zur Zwangsbekehrung, das beste Mittel zum Schutz der Christen und natürlich der Conversos sei - gewiß keine grundsätzlich neuen Ansichten, aber nun getragen von einem langsam deutlicher werdenden Konsens der maßgeblichen Gruppen über die gesellschaftlichen Schranken hinweg. Auf der einen Seite tobte sich der extreme Fanatismus des Franziskaners Alonso de Espina aus, der in seiner Streitschrift 'Fortalitium fidei' die Gleichsetzung von Conversos und Juden vertrat, beiden Gruppen die Ausübung gleichartiger Verbrechen und Böswilligkeit gegenüber den 'echten' Christen vorwarf, in den Konvertiten nichts anderes sah als Juden, die ihren Kult weiterhin im Verborgenen ausübten, und der durch die mögliche Verhinderung jeglichen Kontakts und die Einrichtung einer Inquisition die Reihen der Conversos von judaisierenden Häretikern säubern wollte79. Auf der anderen Seite fand sich mit dem Hieronymitengeneral Alonso de Oropesa, selbst einer Converso-Vami\ic angehörend, ein Mann, dessen mäßigende Haltung sich in seiner Verteidigungsschrift 'Lumen ad revelationem gentium' niederschlug, der sich aber gegenüber den polemischen Angriffen nur zu verteidigen wußte, indem er die Schuld am schlechten Ruf der Konvertiten auf die Berührung mit den Juden schob, die bischöfliche Inquisition zur Kontrolle der Glaubensnormen akzeptierte und sowohl in der strengen Isolation als auch in der Zwangsbekehrung der Sephardim einen heilsamen Ausweg aus der bedrohlichen
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Grundlegend: A. A. SLCROFF, Les controverses des statuts de "pureté de sang" en Espagne du XV e au XVII e siècle, Paris 1960 (span. Übers.: 'Los estatutos de limpieza de sangre. Controversias entre los siglos XV y XVI', Madrid 1985). Vgl. auch GINIO, Self-Perception and Images (Anm. 45) 130 ff. 76 V. BELTRÁN DE HEREDIA, Las bulas de Nicolás V acerca de los conversos de Castilla, in: Sefarad 21 (1961) 22-47; BENITO RUANO, Toledo en el siglo XV (Anm. 74) 198-205 Nr. 18-20 zu 1449 September 24; SIMONSOHN, Documents II (Anm. 20) 935-937, Nr. 775. 77 Vgl. VONES, Die Vertreibung der spanischen Juden 1492 (Anm. 51) 31 ff. 78 Vgl. VONES, Die Vertreibung der spanischen Juden 1492 (Anm. 51) 26 ff. 79 Vgl. VONES, Die Vertreibung der spanischen Juden 1492 (Anm. 51) 30 ff.; BEINART, Conversos on Trial (Anm. 45) 6 ff. Zur Deutung des Fortalitium fidei ist in Kürze zu erwarten: A. M. GINIO, La Forteresse de la Foi: La vision du monde d'Alonso de Espina, moine espagnol (? - 1466) [Paris].
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Situation sah . Kurz zuvor hatte bereits ein anderer Converso, der königliche Relator Fernán Díaz de Toledo, der selbst einer der Hauptbetroffenen der Ereignisse von 1449 gewesen war, dem an der Kurie einflußreichen Kardinal Juan de Carvajal vorgeschlagen, den Schutz der 'echten, wahren' Konvertiten mit der Reinigung ihrer Reihen von den unerwünschten, judaisierenden Elementen zu verbinden81. Zwischen diesen Extremen standen Königtum und Adel mit ihrem Bedürfnis, aus diesen Spannungen den größten politischen Nutzen zu ziehen. So sollte das ursprünglich in Toledo nicht durchsetzbare Ämterverbot wenige Jahre später aus politischen Rücksichten doch Gültigkeit erlangen82, so sollte 1473 ein weiterer massiver Aufstand in Córdoba die Cowverjo-Schicht empfindlich treffen, auch dort ein Ämterverbot in die Wege leiten83 und zu ihrer vorübergehenden Ansiedlung in Gibraltar fuhren, bis sie dort 1476 vom Herzog von MedinaSidonia vertrieben wurden84. Als besonders bedrohliche Hypothek erwiesen sich jedoch die Forderungen des Hochadels, die während des Bürgerkriegs bei den Ausgleichsverhandlungen von Cabezón-Cigales und Medina del Campo 1464/65 vorgebracht wurden: König Heinrich IV. wurde bei dieser Gelegenheit neben Zugeständnissen rein machtpolitischer Art in der Sentencia de Medina del Campo die Auflage gemacht, alle Muslime und Juden aus königlichen Diensten zu entfernen und aus dem Reich zu vertreiben, ihre Güter einzuziehen und sodann gegen jene häretischen Christen vorzugehen, die der Ketzerei verdächtig seien, womit nur die Conversos gemeint sein konnten. Gegen diese sollten die Bischöfe, die kirchliche Gerichtsbarkeit und Ketzerinquisitoren tätig werden85. Das bedeutete nichts anderes, als daß der aufständische Adel, der zu dieser Zeit die Sache Alfons' XII. und seiner Schwester Isabella, beide Halbgeschwister des Königs, vertrat, bereits damals eine radikale Problemlösung vorzog, eine Rückkehr zur restriktiven Gesetzgebung gegen Juden und Mauren - zum "espíritu de 1412"86 propagierte und sich darüber hinaus die Forderung nach Einrichtung einer Inquisition traditionellen Zuschnitts zu eigen machte. Diese Forderung hatte Heinrich IV. bereits Jahre zuvor gestellt; sie war jedoch vorerst beim Papsttum noch
80 Zu Alonso de Oropesa siehe L. A. DfAZ Y DÍAZ, Alonso de Oropesa y su obra, in: Studia Hieronymiana II, Madrid 1973, 229-273, und L. A. DÍAZ Y DÍAZ, Alonso de Oropesa, Luz para conocimiento de los gentiles, Madrid 1979. 81 Dieser Vorschlag findet sich in einem Schreiben des Fernán Díaz de Toledo an Juan de Carvajal (ed. P. SAÍNZ DE BARANDA, in: Colección de Documentos Inéditos para la Historia de España, vol. XIII [Madrid 1848] 32 Nr. 39). Vgl. HIGHFIELD, Christians, Jews and Muslims (Anm. 2) 126 f. 82
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BENITO RUANO, LOS o r í g e n e s ( A n m . 4 5 ) 133 ff.
M. NIETO CUMPLIDO, La revuelta contra los conversos de Córdoba en 1473, in: Homenaje a Antón de Montoro en el V centenario de su muerte, Montoro 1977, 29-49; J. EDWARDS, Christian Córdoba. The city and its region in the late Middle Ages, Cambridge 1982, 183 f.; J. EDWARDS, Religious belief and social conformity: the converso problem in late medieval Córdoba, in: TRHS 5 t h ser. 31 (1981) 115-128; J.EDWARDS, Politics and ideology in Late Medieval Córdoba, in: En la España Medieval IV/1 (1984) 277-303. 84 Vgl. nun D. LAMELAS, The sale of Gibraltar in 1474 to the New Christians of Cordova, Gibraltar 1992. 85 Ed. in: Memorias de Don Enrique IV de Castilla. Vol. II: Colección diplomática, Madrid 1913, 355-479. Zu den Verhandlungen von Medina del Campo siehe W. D. PHILLIPS, JR., Enrique IV and the Crisis of Fifteenth-Century Castile 1425-1480, Cambridge/ Mass. 1978, 76 ff. und M. a D.-C. MORALES MUÑIZ, Alfonso de Ávila, rey de Castilla, Ávila 1988, 64 ff. 86 So MORALES MUÑIZ, Alfonso de Ávila (Anm. 85) 68.
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nicht durchzusetzen gewesen, da der König die Kontrolle über die Inquisition für die Krone beansprucht hatte87. V. Allerdings sollte es nur noch eine Frage der Zeit sein, bis das Verhältnis von Christen, Juden und Konvertiten zueinander durch eine gewandelte Inquisition als staatliches Überwachungsorgan bestimmt wurde. Dieser Zeitpunkt war gekommen, als der absehbare Regierungsantritt der Katholischen Könige einerseits breite Zustimmung ebenfalls in den Kreisen der Juden und Conversos gefunden hatte, andererseits die Niederschlagung der Ausschreitungen von 1473 in Andalusien hatte deutlich werden lassen, daß Ferdinand und Isabella gewillt waren, die protektionistische Politik ihrer Vorgänger gegenüber diesen Gruppen fortzusetzen, wenn ihre Bedeutung fur die Reichsverwaltung und die wirtschaftliche Prosperität das erforderte88. Unter diesen Gesichtspunkten kam der Einrichtung einer auf das Königtum bezogenen Inquisition, wie sie Papst Sixtus IV. 1478 sanktionierte89, nicht allein die Funktion zu, die religiöse Konformität innerhalb der christlichen Gesellschaft zu garantieren, sondern sie konnte auch dazu dienen, Angriffen auf gefährdete Glieder eben dieser Gesellschaft durch eine unanfechtbare Reinigung den Boden zu entziehen, da sie gewissermaßen die Verfolgung abweichender religiöser, ritueller und sozialer Verhaltensweisen aus dem unkontrollierbaren, zur Spontaneität neigenden privaten Bereich herauslöste und zu einer öffentlich geregelten Sache unter zumindest formeller Oberaufsicht des Königtums machte90. Es darf in diesem Zusammenhang nicht übersehen werden, daß während der gut vier Jahre dauernden Aufbauphase des inquisitorialen Apparates 1480 die Cortes von Toledo abgehalten wurden, die für die zukünftige Verfassung Kastiliens von überragender Bedeutung sein sollten91. Auf dieser Versammlung wurden die verschärfenden Züge der Judengesetzgebung erneut bekräftigt und vor allem Wert darauf gelegt, die oftmals verkündete strenge Ghettoisierung dieser 'minoría inasimilable' nun auch wirklich durchzuführen92, wobei Monsalvo Antón bei den Katholischen Königen eine lógica antiherética más que antijudía
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HIGHFIELD, Christians, Jews and Muslims (Anm. 2) 127. Zu den Verhältnissen in Andalusien im Vorfeld von 1492 siehe nun M. A. LADERO QUESADA, Andalucía en torno a 1492. Estructuras. Valores. Sucesos, Madrid 1992, und allgemeiner J. PÉREZ, Ferdinand et Isabelle, Rois Catholiques d'Espagne, Paris 1988 (dt. Übers.: München 1989). 89 B. LLORCA, Bulario pontificio de la Inquisición española en su período constitucional (14781525), Rom 1949, 48-59 Nr. 3; J. A. SESMA MUÑOZ, El establecimiento de la Inquisición en Aragón (1484-1486). Documentos para su estudio, Zaragoza 1987, 27 f. Nr. 1; S. SIMONSOHN, The Apostolic See and the Jews. Documents: 1464-1521 Toronto 1990 [fortan SIMONSOHN, Documents III) 1247-1249 Nr. 1000 zu 1478 November 1. Zu den Anfängen der Inquisition siehe zusammenfassend J. PÉREZ VILLANUEVA/ B. ESCANDELL BONET (Dir.), Historia de la Inquisición en España y América. I: El conocimiento científico y el proceso histórico de la Institución (1478-1834), Madrid 2 1984; VONES, Die Vertreibung der spanischen Juden 1492 (Anm. 51) 43 ff.; BEINART, Conversos on Trial (Anm. 45) 20 ff., sowie A. RAMOS CASCALES, La Inquisición en Andalucía. Resistencia de los conversos a su implantación, Sevilla 1986. 90 MACKAY, The Hispanic-Converjo Predicament (Anm. 73) 169. 91 J. M. CARRETERO ZAMORA, Cortes, monarquía, ciudades. Las Cortes de Castilla a comienzos de la época moderna (1476-1515), Madrid 1988. 92 CARRETERO ZAMORA, Cortes, monarquía, ciudades (Anm. 91) 187-189, das Zitat auf S. 187. Vgl. auch MONSALVO ANTÓN, Cortes de Castilla y León y minorías (Anm. 64) bes. 182 f., 190 f. 88
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feststellen möchte . Zweifellos geschah dies mit dem Ziel, jene Vermischung der Religionsgruppen bereits an der Wurzel auszuschließen, die das antijüdische ebenso wie das gegen die Judaizantes gerichtete Ressentiment speiste und der Inquisition in erster Linie eine Handhabe bei ihrem Vorgehen gegen die Conversos bieten konnte. Wären diese Maßnahmen, wie berechnet, durchführbar gewesen, hätten unter Vermeidung der völligen Vertreibung die wichtigsten Forderungen, die den judenfeindlichen Kreisen und den um ihre gesellschaftliche Stellung bangenden Conversos gemeinsam waren, erfüllt werden können94. Die Realität sah im nächsten Jahrzehnt anders aus: Die überzogene Ausführung der Separationsbestimmungen durch die Städte mündete in Andalusien in ersten völligen Vertreibungen der übriggebliebenen sephardischen Bevölkerung, ja bewirkte sogar in Aragon partielle Vertreibungen95. Nachdem die Inquisition des weiteren 1482/83 ihre Arbeit aufgenommen und ihre ersten Autos de fe veranstaltet hatte96, dehnte sie durch geschickte Praktiken ihr Tätigkeitsfeld immer mehr aus und entwickelte ab einem bestimmten Punkt eine Eigengesetzlichkeit, so daß sie der monarchischen Kontrolle in ihrer Ohnmacht gegenüber religiösen Argumenten zunehmend entglitt, auf der anderen Seite der Einfluß des Großinquisitors eine politische Dimension gewann und selbst gegenüber dem Episkopat ein Eigengewicht erhielt. Darüber hinaus vermehrten die Aktivitäten der Inquisition mit ihren neuartigen Verhörpraktiken in ungeahntem Maße die Vorwürfe gegen Juden und wirklich oder vermeintlich judaisierende Konvertiten, schufen ein geistiges Klima, durch das Emotionen angeheizt und Anklagen hervorgebracht oder wiederbelebt wurden, die wie die der Hostienschändung und des Kindermordes aus dem Bereich der Legende stammten97. Als schließlich gegenüber vornehmen Conversos gezielte Anklagen auftauchten, und man selbst vor Bischöfen wie dem Segovianer Prälaten Juan Anas Dävila nicht halt machte98, als zusätzlich vom frei er93
MONSALVO ANTÓN, Cortes de Castilla y León y minorías (Anm. 64) 191. VONES, Die Vertreibung der spanischen Juden 1492 (Anm. 51) 43 ff., 48 ff.; MONSALVO ANTÓN, Cortes de Castilla y León y minorías (Anm. 64) 191, zieht die Schlußfolgerung:"... se trata de evitar el contagio, no de oprimir a éstos [los judíos]. Todavía en esas Cortes [de 1480] se quiere salvar la existencia de los judíos en Castilla, en la línea de siempre". Auch Y. H. YERUSHALMI, Assimilation and Racial Anti-Semitism: The Iberian and the German Models, in: Leo Baeck Memorial Lectures 26 (1982) 3-38, stellt fest, daß manche Konvertiten die Einführung einer Inquisition ursprünglich begrüßt hatten, da sie der Ansicht gewesen waren, nach der Entfernung der Judaizantes würde ihre Glaubenstreue nicht mehr in Zweifel gezogen. 95 H. BEINART, La Inquisición española y la expulsión de los judíos de Andalucía, in: Jews and Conversos. Studies in Society and the Inquisition, ed. by Y. KAPLAN, Jerusalem 1985, 103-123; M.A A. BEL BRAVO, Los Reyes Católicos y los Judíos Andaluces (1474-1492), Granada 1989, 159 FF, sowie das monumentale Werk von M. A. MOTIS DOLADER, La expulsión de los judíos del reino de Aragón, 2 vol., Zaragoza 1990. 96 Zur Entwicklung des Auto de fe vgl. nun C. MAQUEDA ABREU, El auto de fe, Madrid 1992. 97 Vgl. dazu J. DELUMEAU, Angst im Abendland. Die Geschichte kollektiver Ängste im Europa des 14. bis 18. Jahrhunderts, Bd. 2, Reinbek bei Hamburg 1985, 412-455, und CARRETE PARRONDO, El judaismo español (Anm. 3) 77 ff. Die Bekämpfung eines 'Antiklerikalismus' durch die Inquisition spielte in diesem Zusammenhang keine Rolle, so daß man beim Versuch, hier Zusammenhänge zu sehen, höchstens von einer question mal posée sprechen könnte, wie zu Recht W. MONTER, Anticlericalism and the Early Spanish Inquisition, in: P. A. DYKEMA/ H. A. OBERMAN (ed.), Anticlericalism in Late Medieval and Early Modern Europe, Leiden-New York-Köln 1993,237-242, moniert. 98 Vgl. dazu außer der Edition der Prozeßakten durch C. CARRETE PARRONDO, Fontes Iudaeorum Regni Castellae III. Proceso inquisitorial contra los Arias Dävila segovianos: un enfrentamiento social entre judíos y conversos, Salamanca 1986, vor allem J. BLÁZQUEZ MIGUEL, Inquisición y Criptojudaísmo, Madrid 1988, 195 ff, und neuerdings J. EDWARDS, Bishop Juan Arias Dávila of 94
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fundenen, aber um so eifriger geglaubten Vorwurf des Ritualmords am sog. Santo Niño de la Guardia, dem heiligen Kind von Guardia, gleichermaßen Juden und Konvertiten betroffen waren und der Hinrichtung nicht entgehen konnten", trieb die gesamte Entwicklung einer Klimax zu, die mit der Einnahme von Granada 1492, der damit vollendeten Reconquista sowie dem daraus entstehenden religiösen Hochgefühl erreicht war und offensichtlich wieder in eine unkontrollierbare Verfolgungswelle umzukippen drohte. In dieser Situation entschlossen sich die Katholischen Könige, auf Rat des Hofes und des Consejo Real hin unter Verwendung einer Vorlage aus den Kreisen der Inquisition die letztmögliche Maßnahme zur Entschärfung und zur Vermeidung des sich ankündigenden Ausbruchs anzuwenden: die völlige Vertreibung der Juden als äußerste Form der Separation, wie sie von den radikalsten Adelskreisen seit mindestens 30 Jahren gefordert wurde. Das Expulsionsdekret vom 31. März 1492, dem bereits am 20. März ein Entwurf des Großinquisitors Tomás de Torquemada vorausgegangen war, nahm ausdrücklich Bezug auf das Scheitern der Separationsmaßnahmen von Toledo und wertete die Vertreibung als wirksamere Fortsetzung der damaligen Bemühungen100. Aus weiteren Dokumenten geht indes klar hervor, daß die Konversion der Juden Vorrang haben und das Verbleiben in den betroffenen Reichen ermöglichen, die durch die Aussicht auf Vertreibung und Besitzverlust erzwungene Konversion also das primäre Ziel der reichsweiten Aktion von 1492 sein sollte. Dieser Zielsetzung wurde durch das Verbot, Geld und andere Vermögenswerte mitzunehmen, sowie in der Krone Aragón durch die Gleichstellung derjenigen, die Juden Unterschlupf gewährten, mit den Begünstigern von Ketzern, der nötige Nachdruck verliehen101. Folgt man der Argumentation, die den
Segovia: 'Judaizer' or 'Reformer'?, in: Cultures in Contact in Medieval Spain: Historical and Literary Essays Presented to L. P. Harvey, ed. by D. HOOK/ B. TAYLOR, London 1990, 71-86; J. EDWARDS, Hommes et femmes dans la vie des judéoconvers à Ségovie à la fin du XVe siècle. Le procès des Arias Dávila, in: Les sociétés urbaines en France Méridionale et en Péninsule Ibérique au Moyen Âge, Paris 1991 (Anm. 5) 539-544. 99 F. FITA, La verdad sobre el martirio del Santo Niño de la Guardia, ó sea el proceso y quema (16 Noviembre 1491) del judío Juçé Franco en Ávila, in: Boletín de la Real Academia de la Historia 11 (1887) 7-160; I. LOEB, Le Saint Enfant de La Guardia, in: Revue des Études Juives 15 (1887) 203232; H. C. LEA, El Santo Nifio de la Guardia, in: H. C. LEA, Chapters from the Religious History of Spain, Philadelphia 1890 (ND 1967) 437-468; CARRETE PARRONDO, El judaismo español (Anm. 3) 77 ff. 100 Ed. L. SUÁREZ FERNÁNDEZ, Documentos acerca de la expulsión de los judíos, Valladolid 1964, 391-395 Nr. 177, und jetzt mit weiteren Schriftstücken zu den Hintergründen der Vertreibung das im Text abweichende Dekret Ferdinands II. für die Länder der Krone Aragón bei R. CONDE Y DELGADO DE MOLINA, La Expulsión de los Judíos de la Corona de Aragón, Zaragoza 1991, 41-44 Nr. 1 sowie ebd. 44-63 Nr. 2-9 vom gleichen Datum; zur Überlieferung des Dekrets ebd. 10 mit Anm. 9. Noch am 20. März hatte Torquemada allerdings nur die Vertreibung der Juden aus der Stadt und dem Bistum Girona angeordnet; eine Maßnahme, die überflüssig gewesen wäre, hätte bereits zu diesem Zeitpunkt die reichsweite Expulsion festgestanden. Vgl. CONDE Y DELGADO DE MOLINA, La Expulsión de los Judíos, 197-199 Nr. 1. Das allgemeine königliche Vertreibungsdekret wurde den Jurats von Girona dann am 30. April präsentiert. Vgl. ESCRIBÀIBONASTRE/ FRAGOI PÉREZ, Documents (Anm. 14) 295 Nr. 1190. 101 Ed. SUÁREZ FERNÁNDEZ (Anm. 100) 394: E asi mismo damos liçençia e facultad a los dichos judíos e judias que puedan sacar fuera de todos los dichos nuestros reinos e señoríos sus bienes e hazienda por mar e por tierra con tanto que no saquen oro ni plata ni moneda amonedada ni las cosas vedadas por las leys de nuestros reynos, salvo en mercaderías que non sean cosas vedadas o en canbios. - Ed. CONDE (Anm. 100) 43: Esta misma pena [se. de muerte y de perdición de bienes]
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Vertreibungsinstrumenten und anderen Maßnahmen in Umkreis der Ereignisse von 1492 inhärent ist, so konnte der getaufte Converso, der zwar unter die Aufsicht der Inquisition fiel, jedoch nun nicht mehr dem Vorwurf der permanenten Ansteckung durch seine früheren Glaubensbrüder ausgesetzt war, aus der Sicht des Königtums unter Bewahrung seines Besitzes weiterhin unbehelligt ein Leben führen, dessen Ertrag unter dem Strich dem Staatsaufbau zugute kommen mußte. Es liegt nahe, in der Erhaltung der Conversos als staatstragender Schicht, auf die man vorläufig vor allem in der Reichsverwaltung noch nicht verzichten konnte, sowie in der endgültigen Entfernung eines Reibungspunktes zwischen Hochadel und Monarchie die eigentlichen Beweggründe für die Vertreibung von 1492 zu suchen102. Die oft als Motiv vorgebrachte Herstellung der religiösen Einheit kann demgegenüber nur als verspäteter Nebeneffekt gewertet werden, da die Expulsion vorerst die Muslime verschonte, die seit einem Jahrhundert bei der Gesetzgebung - dies sei hervorgehoben - immer in einem Atemzug mit den Juden genannt worden waren103 und auf die nach einer Konversion das gefahrliche Argument der limpieza de sangre ebenfalls Anwendung finden konnte. Im Gegenteil, die soeben unterzeichneten Kapitulationsbedingungen für Granada beließen den dort ansässigen Muslimen als zukünftigen Mudejares unter christlicher Herrschaft ihre althergebrachte islamische Rechtsordnung, die nicht von ihrer Religion zu trennen war104. Stattdessen setzte man gegenüber dieser bisher sozial unbedeutenden Religionsgruppe, deren Bestand sich nun sprunghaft vermehrte, offensichtlich auf den Erfolg einer bald einzuleitenden Überzeugungsmission - das Ergebnis, die nach einem Jahrzehnt einsetzende, von Aufständen gegen die soziale Ungleichheit begleitete Zwangsbekehrung mit der abschließenden Vertreibung, kann als bekannt vorausgesetzt werden105. Unter dem Strich erwies sich hingegen die Vertreibung der Juden, so hart dies in heutigen Ohren klingen mag, für das Königtum als gesellschaftspolitischer Erfolg. Da die Wirtschaftskraft der jüdischen Gemeinden auf der Iberischen Halbinsel entgegen früheren Ansichten,
incurran qualesquiere personas de qualesquiere preheminencia o dignidat y de qualquier stado o condicion sean que despues del dicho tiempo judio o judia de qualesquiere edat acogera, terna o receptara en los dichos reynos y señoríos nuestros o en parte alguna dellos, pues por ello los que tal cosa fizieren, cometerán crimen de receptadores y fautores de hereges. 102 Vgl. VONES, Die Vertreibung der spanischen Juden 1492 (Anm. 51) 48 ff.; außerdem zusammenfassend: H. PffiTSCHMANN, Die Vertreibung der Juden aus Spanien im Jahre 1492, in: Aus Politik und Zeitgeschichte. Beilage zur Wochenzeitung 'Das Parlament', B 37/92 (4. September 1992), 33-45, und B. LEROY, L'expulsion des juifs d'Espagne, Paris 1990. Zum Einfluß der jüdischen Konvertiten am Königshof ist nun vor allem M. P. RÁBADE OBRADÓ, Una élite de poder en la Corte de los Reyes Católicos. Los judeoconversos, Madrid 1993, zu beachten. 103 Auch das erwähnte Schreiben Gregors XI. von 1375 Oktober 25 (SIMONSOHN, Documents I [Anm. 20] 460 Nr. 434) hatte darauf gedrungen, daß die Muslime genauso wie die Juden durch ein Zeichen von den Christen unterschieden werden sollten. 104 M. GARRIDO ATIENZA, Las Capitulaciones para la entrega de Granada, Granada 1910; J. MORENO CASADO, Las capitulaciones de Granada en su aspecto jurídico, Granada 1949. Grundlegend zur Haltung der Eroberer gegenüber den Mudéjares M. A. LADERO QUESADA, Los mudéjares de Castilla en tiempos de Isabel I, Valladolid 1969; M. A. LADERO QUESADA, Granada después de la conquista. Repobladores y mudéjares, Granada 1988; M. A. LADERO QUESADA, Los Mudéjares de Castilla y otros estudios de historia medieval andaluza, Granada 1989. 105
M . A . LADERO QUESADA, Granada, historia de un país islámico (1232-1571), M a d r i d
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282 ff., 293 ff. Zur Entwicklung der seit 1492 einsetzenden polemischen Auseinandersetzung siehe L. CARDAILLAC, Morisques et chrétiens. Un affrontement polémique (1492-1640), Paris 1977.
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denen noch Claudio Sánchez-Albornoz stärksten Ausdruck verliehen hatte106, kaum mehr von größerer Bedeutung für das gesamte Steueraufkommen war, selbst jüdische Amtsträger als Funktionäre der königlichen Reichsverwaltung und Handwerker als Produzenten für den Handel keine unersetzliche Rolle spielten, litt die ökonomische Situation nur unmerklich107. Darüber hinaus muß berücksichtigt werden, daß entgegen den alten, weit überzogenen Schätzungen die Gesamtzahl der vertriebenen Juden wohl nicht mehr als 50 000 Seelen betrug, da sich erstens die Aljamas seit dem Aderlaß von 1391 nur zögernd, wenn überhaupt, erholt hatten, zweitens viele Sephardim, vor allem die Besitzenden, angesichts der Alternative Taufe oder Vertreibung mit Besitzverlust die Konversion vorzogen. Ja, blickt man zusätzlich noch auf die Remigrationsquoten derer, die ursprünglich gegangen waren, in anderen Reichen keine Aufnahme gefunden hatten und mangels eines anderen Auswegs unter Annahme des Christentums wieder zurückkehrten, so reduziert sich gemäß neueren, nicht zu gewagten Vermutungen die Zahl der wirklich auf Dauer Vertriebenen wohl auf rund 35 000108. Ohne hier die an und fiir sich für den Historiker objektiv nicht zu beantwortende Frage nach Recht und Unrecht aufwerfen zu wollen, kommen wir also nicht umhin, das Phänomen der Vertreibung von 1492 jenseits aller nachträglichen Mythenbildung nüchterner zu betrachten. VI. Überschaut man die Entwicklung des christlich-jüdischen Verhältnisses auf der Iberischen Halbinsel für die hundert Jahre vom Pogrom von 1391 bis zu den Ereignissen von 1492, dann war die vollständige Vertreibung der Juden aus Kastilien und Aragón weder ein Blitz aus heiterem Himmel noch das Ergebnis eines unüberlegten Entschlusses, sondern die letzte Konsequenz einer gesellschaftspolitischen Entwicklung. Die infolge der Massenkonversionen seit 1391 zu beobachtende enge Verknüpfung zwischen der Akzeptanz der Conversos als neuer christlicher Gesellschaftsschicht und der Verschärfung der Judengesetzgebung als Instrument der Trennung ließ angesichts des Versagens solcher Maßnahmen die Vertreibung der Juden aus den Reichen als endgültige Problemlösung immer 106
C. SÁNCHEZ-ALBORNOZ, España, un enigma histórico, vol. II, Barcelona »1983, 295. Entgegen der traditionellen Ansicht bei H. KELLENBENZ, Die wirtschaftliche Bedeutung und soziale Stellung der sephardischen Juden im spätmittelalterlichen Spanien, in: Judentum im Mittelalter. Beiträge zum christlich-jüdischen Gespräch, hg. von P. WLLPERT (Miscellanea Mediaevalia 4) Berlin 1966, 99-127, vgl. nun M. A. LADERO QUESADA, Las juderías de Castilla según algunos 'servicios' fiscales del siglo XV, in: Sefarad 31 (1971) 249-264; M. A. LADERO QUESADA, Un empréstito de los judíos de Segovia y Avila para la guerra de Granada en el año 1483, in: Sefarad 35 (1975) 151-157; M. A. LADERO QUESADA, Los judíos castellanos del siglo XV en el arrendamiento de impuestos reales, in: Cuadernos de Historia 6 (1975) 417-439 (auch in: M. A. LADERO QUESADA, El siglo XV en Castilla. Fuentes de renta y política fiscal, Barcelona 1982, 143-167), und S. HALICZER, The Expulsión of the Jews and the Economic Development of Castile, in: Hispania Judaica I, Barcelona 1980, 37-47. 108 VONES, Die Vertreibung der spanischen Juden 1492 (Anm. 51) 35 ff., 55 ff., und ergänzend dazu MOTIS DOLADER, La expulsión de los judíos (Anm. 95) II 304 ff., der fiir das Königreich Aragón zwischen 4391 und 6363 real vertriebene Juden annimmt (315). Berücksichtigt man die allerdings schwer verifizierbaren Zahlen der Schiffstransportlisten, kann diese Zahl für die Krone Aragón höchstens um einige Tausend schwanken. Zu den Verhältnissen in der Krone Aragón vgl. in dieser Hinsicht weiterhin J. HLNOJOSA MONTALVO, Solidaridad judía ante la expulsión: contratos de embarque (Valencia, 1492), in: Saitabi 33 (1983) 105-124. 107
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annehmbarer erscheinen. Da das Judenproblem auf derselben Ebene wie das Problem der muslimischen Präsenz behandelt und fast regelmäßig mit der Ketzerbekämpfiing verbunden wurde, sollte man mit dem Vorwurf des Antisemitismus vorsichtig umgehen109. Antisemitische Strömungen gröberer Erscheinungsform sind, soweit überhaupt aus den Quellen herauszufiltern, nur vereinzelt bei den Krawallen der unteren Schichten und ihren Einpeitschern zu erahnen. Das Königshaus, wohl ebenso wie viele Familien der seit der Mitte des 14. Jahrhunderts aufgestiegenen nobleza nueva und des Stadtadels, bei seiner Abstammung intensiv mit Converso-Familien in Berührung gekommen110, schwankte zwischen der Aufrechterhaltung des traditionellen Judenschutzes und der Abwehr von Angriffen auf eine Gesellschaftsschicht, deren Dienste es zur Verwirklichung seiner Ziele bedurfte. Als die Entscheidung zugunsten der Konvertiten gefallen war, mußte die Vertreibung - konnte ihre Androhung keine Konversion bewirken - unvermeidlich sein. Da diese Entscheidung jedoch nicht durch irrationalen religiösen Fanatismus, sondern durch die Veränderungen der inneren Strukturen einer multikulturellen Gesellschaft bedingt war, in ihrem Kern vom Streben des Königtums nach Machterhaltung geprägt wurde, stellt sie sich als Konsequenz gesellschaftspolitischer Prozesse dar, die ab einem bestimmten Punkt - alles deutet auf die verhängnisvollen Begleiterscheinungen des Pogroms von 1391 und der Disputation von Tortosa hin111 - irreversibel waren. Somit ist die Vertreibung von 1492 mit ihrem verzweifelten, allerdings untauglichen Versuch, der Gesellschaft ihr verlorenes inneres Gleichgewicht wiederzugeben, als Spätfolge der Ereignisse um die Jahrhundertwende zu betrachten.
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Anders MONSALVO ANTÓN, Teoría y evolución (Anm. 3) passim. Zur möglichen Converso-Abstammung der Königsfamilie siehe VONES, Die Vertreibung der spanischen Juden 1492 (Anm. 51) 29 f., und ROTH, Anti-Converso Riots (Anm. 74) 375 f. Zum Stadtadel und seinen Converso-Beziehungen siehe außer den Arbeiten von MOXÓ (siehe oben Anm. 40) die am Beispiel Toledo erarbeiteten Untersuchungen von F. CANTERA BURGOS/ P. LEÓN TELLO, Los judaizantes del arzobispado de Toledo, Madrid 1919, und J.-P. MOLÉNAT, La noblesse tolédane du XV e siècle et ses origines, in: Les sociétés urbaines (Anm. 5) 203-218. 111 Vgl. in diesem Sinne schon H. H. BEN-SASSON (Hg.), Geschichte des jüdischen Volkes. Von den Anfängen bis zur Gegenwart, München 1992 [ursprünglich auf Hebräisch, Tel Aviv 1969], 695 ff. 110
VI. STADTGESCHICHTEKÖLN: KIRCHE UND GEMEINDE
Deutsche Städte um 1500 in den Augen von Zeitgenossen1 VON HARTMUT BOOCKMANN Die spätmittelalterlichen deutschen Städte stellen im Gemütshaushalt der Deutschen einen ansehnlichen Posten dar. Man hat sie um 1800 entdeckt, obwohl man sich gerade damals entschieden von ihnen trennte. Noch waren diese Städte Lebenswirklichkeit. Was dem jungen Goethe, nachdem er das moderne Leipzig kennengelernt hatte, am heimischen Frankfurt altfränkisch erschien, war - etwas vereinfacht gesagt - Mittelalter, und im Mittelalter lebten - wiederum etwas zuspitzend gesprochen - all jene Handwerker, die in ihrer Produktion und in ihrer Lebensweise an die Normen von Zünften gebunden waren; und das galt um 1800 für die meisten, für all jene, die nicht außerhalb der Städte lebten oder von Territorialfursten privilegiert waren, zum Beispiel weil sie neue Arbeitsverfahren praktizierten oder als Hofhandwerker gebraucht wurden. Um 1800 standen sich in den Städten zwei große Sozialgruppen auf uns verwirrende Weise gegenüber: die Bürger und die Bürgerlichen. Die Bürger lebten in den Traditionen und vielfach in den Normen des spätmittelalterlichen Stadtbürgertums. In den Augen der Bürgerlichen, nämlich der wachsenden Zahl von Fabrikanten, akademisch Gebildeten, Geistlichen und auch Offizieren, waren die Bürger eine altmodische, den Fortschritt hemmende Sozialschicht, und die Bürgerlichen versuchten, wie zum Beispiel der Kampf gegen die Zünfte und für die Gewerbefreiheit zeigt, die Normen des Bürgertums zu überwinden 2 . Zur selben Zeit aber entdeckten die Bürgerlichen die unmittelbaren Vorfahren der von ihnen bekämpften Bürger, nämlich das mittelalterliche Stadtbürgertum und die mittelalterlichen Städte. Die bürgerlichen Intellektuellen des neunzehnten Jahrhunderts haben sich die Geschichte des mittelalterlichen Bürgertums erarbeitet, und sie haben sich diese zur Legitimierung ihrer eigenen Ziele anzuverwandeln versucht 3 . 1 Der folgende Beitrag knüpft an einen Vortrag an, den ich im Deutschen Historischen Institut in Rom gehalten habe. Für Hilfe bei der Durchsicht der deutschen Städtechroniken danke ich Peter Müller. 2 TH. NIPPERDEY, Deutsche Geschichte 1800-1866. Bürgerwelt und starker Staat, München 1983, 255 ff. Siehe hierzu auch die Beiträge von H.-U. WEHLER/ V.L. LIDKE/ J. KUCZINSKY/ TH. NIPPERDEY, in: Arbeiter und Bürger im 19. Jahrhundert. Varianten ihres Verhältnisses im europäischen Vergleich, hg. von J. KOCKA unter Mitarbeit von E. MOLLER-LUCKNER (Schriften des Histor. Kollegs, Kolloquien 7) München 1986, 1 ff. 3 K. KROESCHELL, Stadtrecht und Stadtrechtsgeschichte, in: Studium generale 16 (1963) 481-488; G. DLLCHER, Rechtshistorische Aspekte des Stadtbegriffs, in: Vor- und Frühformen der europäischen Stadt im Mittelalter, Teil 1, hg. von H. JANKUHN u.a., Göttingen 2 1975, 12-32; K. SCHREINER, "Kommunebewegung" und "Zunftrevolution". Zur Gegenwart der mittelalterlichen Stadt im historisch-politischen Denken des 19. Jahrhunderts, in: Stadtverfassung, Verfassungsstaat, Pressepolitik. Festschrift für Eberhard Naujoks, hg. von F. QUARTHAL/ W. SETZLER, Sigmaringen 1980, 139-168; K. SCHREINER, Die Stadt des Mittelalters als Faktor bürgerlicher Identitätsbildung - Zur Gegenwärtigkeit des mittelalterlichen Stadtbürgertums im historisch-politischen Bewußtsein des 18., 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts, in: Stadt im Wandel, Kunst und Kultur in Norddeutschland 1150-1650, Ausstellungskatalog 4, hg. von C. MECKSEPER, Stuttgart 1985, 517-542.
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Zwar ließ sich die anfängliche Meinung, die Bürgerfreiheit sei ein ganz unmittelbar fortwirkendes Erbe aus römischer Zeit gewesen4, nur für kurze Zeit aufrechterhalten. Die wachsende Hinwendung zu den Quellen des Mittelalters kam, obwohl sie doch vor allem auf die "deutsche Kaiserzeit" und damit auf gewissermaßen vorstädtische Perioden zielte, auch der Geschichte der spätmittelalterlichen Städte und des Bürgertums dieser Zeit zugute. Die bürgerlichen Historiker des neunzehnten Jahrhunderts erarbeiteten jene Kenntnisse, die noch die unseren sind. Doch taten sie das nicht in jener nüchternen Weise, die man einem Zeitalter des Historismus so gern zutrauen möchte. Hier wurde nicht nur darüber nachgedacht, wie es denn wirklich gewesen war. Die mittelalterliche Stadt, welche die Historiker jetzt zu entdecken meinten, kann vielmehr als eine Art Phantom, als ein Traum der neuzeitlichen Bürger-Historiker und Geschichtsfreunde erscheinen: Der abgeschlossene Lebensbezirk und Handlungsraum des wagenden Kaufmanns und des fleißigen Handwerkers, die Bühne, auf welcher sich alsbald die Meistersinger Richard Wagners einrichten sollten, die Romanwelt eines Gustav Freytag oder auch - um nicht nur von Komponisten und Schriftstellern zu reden - jene Welt, in welcher die städtegründenden Kaufleute tätig wurden, die der Historiker Fritz Rörig zu Beginn unseres Jahrhunderts in den Quellen zu finden meinte und bis zu einem gewissen Grade, wie man zwei Generationen später wohl sagen muß, erfand. Ein scheinbar festes Fundament erhielten diese von bürgerlichen Gelehrten erträumten mittelalterlichen Bürgerstädte von universalgeschichtlichen Deutungsschemata her. Die Abfolge von großen geschichtlichen Formationen, die Ablösung eines feudalen Zeitalters durch ein bürgerliches war ja keineswegs nur eine Eigentümlichkeit der marxistischen Geschichtsdeutung, sondern das Resultat vieler auf ein tieferes Verständnis des Ablaufs der Weltgeschichte gerichteter Erkenntnisbemühungen des neunzehnten Jahrhunderts. So waren es keineswegs marxistische Autoren, die nun im Hinblick auf das spätere Mittelalter von bürgerlichem Geist und bürgerlicher Kultur und überhaupt von einem Zeitalter des Bürgertums schrieben. Das alles ist in den letzten Jahrzehnten und Jahren brüchig geworden. Der Enthusiasmus, mit dem die bürgerlichen Historiker des neunzehnten Jahrhunderts in den spätmittelalterlichen Stadtbürgern die eigenen Vorfahren und in deren Lebenswelt eine Legitimation ihrer eigenen Wünsche zu entdecken meinten, kann unsere Sache nicht sein - weil wir Bürgerliche im Sinne des neunzehnten Jahrhunderts wohl nicht mehr sein können, aber vor allem doch hoffentlich deshalb, weil wir heute, was unsere Kenntnis der mittelalterlichen Geschichte angeht, etwas weiter sind. Jedenfalls fallen uns Antworten auf scheinbar einfache Fragen schwerer, und das gilt zumal für solche Fragen, die so elementar sind, daß sie den enthusiastischen bürgerlichen Stadthistorikern früherer Generationen gar keine Fragen waren. Zu diesen ebenso einfachen wie schwer zu beantwortenden Fragen gehört das Thema dieses Aufsatzes. Was waren die spätmittelalterlichen Städte in den Augen ihrer Bewohner, ihrer Bürger und anderer Zeitgenossen? Als was galten sie 4
F. EICHHORN, Ueber den Ursprung der städtischen Verfassung in Deutschland, in: Zeitschrift für geschichtliche Rechtswissenschaft 1 (1815) 147-247; 2 (1816) 165-237.
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ihnen? Inwieweit wurden Städte damals als spezifische Siedlungen, als ein besonderes Stück Lebenswelt erfahren, und in welchem Maße erhielt diese Erfahrung Gestalt - in Worten (danach soll hier gefragt werden) oder auch in Bildern? Eine solche Frage könnte müßig erscheinen, wenn man sich an Akten und Chroniken erinnert, wenn man an Formeln denkt, die von Landen und Städten oder von Rittern und Städten reden. Auf Reichstagen und Landtagen erschienen am Ende des Mittelalters auch Bürger, und die Festigkeit, mit der sie ihre Städte vertraten und als deren Vertreter betrachtet wurden, könnte die Frage nach dem, was die Städte ihnen waren, als überflüssig erscheinen lassen. Die Chroniken, die damals von städtischen Autoren und für die städtischen Regierungen geschrieben worden sind, scheinen nicht weniger deutlich zu sein. Spricht aus ihnen nicht jenes selbstbewußte Bürgertum zu uns, das die spätmittelalterliche Blütezeit der Städte, von der wir zu wissen glauben, erwarten läßt; jenes Bürgertum, das nicht nur wirtschaftlich stark war, sondern auch politisch und sozial selbstbewußt? Sieht man näher hin, so bieten die Chroniken jedoch nicht das, was man erwarten möchte. Wo wir städtische Geschichtsschreibung kennen, ist diese auf vielfaltige Weise mit der außerstädtischen Welt verknüpft. Stadtgeschichte und Weltgeschichte fließen in der Perspektive dieser Historiographie immer wieder zusammen - als hätte es nicht die Stadtmauer gegeben, welche die Welt der Bürger von der übrigen Welt trennte, von der Welt des Adels, der Fürsten und der Bauern5. Doch stehen die Chroniken damit nicht allein. Wo wir heute noch sehen können, wie die Bürger ihre Rathäuser schmückten, welche Aussagen sie hier durch Glasgemälde, Wandbilder und geschnitzte oder steinerne Figuren machen ließen, begegnen wir einer scheinbar wenig städtischen Welt: dem Kaiser und den Kurfürsten und den neun guten Helden zum Beispiel, also den dreimal drei berühmten Figuren aus dem Alten Testament, aus der griechisch-römischen Antike und aus der nachantiken Zeit mit Gottfried von Bouillon als dem jüngsten unter diesen so wenig städtischen Männern. Oder wir finden Tristan und Isold, auch sie nicht eben städtisch, und am Ende reitet die schöne Kurtisane Phyllis auf dem Rücken des berühmten Philosophen Aristoteles durch den Ratssaal, um ein warnendes Beispiel für die verhängnisvolle Macht des weiblichen Geschlechts über die Männer zu geben6. Was hatte das mit den Städten, mit dem Bürgertum oder gar mit dem bürgerlichen Geist zu tun? Die traditionelle Antwort auf diese Frage spricht von gesunkenem Kulturgut oder von Figuren einer höfischen Welt, die gewissermaßen irrtümlich ins städtische Milieu geraten und in aller Regel dort auch noch mißverstanden worden seien. Solche Antworten verlangten den spätmittelalterlichen Bürgern indirekt oder auch direkt ein bürgerliches Bewußtsein und eine bürgerliche Kultur ab. Der schon erwähnte Fritz Rörig schrieb 1932 ausdrücklich, daß das deutsche Bürgertum des späten Mittelalters kein eigenes Kulturideal entwickelt habe und darin 5 Das hat namentlich H. SCHMIDT herausgearbeitet: Die deutschen Städtechroniken als Spiegel des bürgerlichen Selbstverständnisses im Spätmittelalter (Schriftenreihe der Histor. Kommission bei der Bayer. Akad. der Wiss. 3) Göttingen 1958. 6 H. BOOCKMANN, Die Stadt im späten Mittelalter, München 2 1987, 131 ff., 141 f. und 145 f.; H. BOOCKMANN, Kulturdenkmale als Geschichtsurkunden, in: Deutsche Kunst und Denkmalpflege 45 (1987) 163-172.
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eine Tragik liege . Das war eine offensichtlich anachronistische Klage, geboren einerseits aus jener schon erwähnten genetischen Geschichtssicht, welche bereits im Mittelalter die Grenze zwischen einer adligen und einer bürgerlichen Periode zu erkennen meinte, und genährt andererseits aus den Hoffnungen des neuzeitlichen Bürgertums, der Bürgerlichen, die damit rechneten, daß die Konturen ihrer eigenen Welt schon "im Schöße" eines ansonsten - vermeintlich - feudalen Mittelalters entstanden seien. Doch könnte man auch weit unterhalb so allgemeiner Probleme erwägen, ob die Frage danach, wie die Städter um 1500 ihre Städte gesehen haben, nicht überflüssig sei. Was anderes sollen sie denn getan haben, als sich am Schmuck der Rathäuser und an der Pracht der städtischen Kirchen zu erfreuen? Versteht es sich nicht von selbst, daß die Städte und die Bürger eins waren und die Bürger sich im Bild ihrer Städte gleichsam wiedererkannten? Dergleichen ist angenommen worden, aber ohne hinreichenden Grund. Daß sich ein Mensch mit einer Stadt identifiziert und daß diese Identifikation ästhetisch vermittelt wird, versteht sich nicht von selbst, und so darf man das nicht stillschweigend voraussetzen. Es kann allerdings aus Dokumenten ersichtlich werden, daß es so war, und so soll nun danach gefragt werden, ob es denn Zeugnisse dafür gibt, wie um 1500 deutsche Städte gesehen wurden. Solche Zeugnisse gibt es in der Tat. Die Stadtbeschreibungen, die wir aus dieser Zeit haben, geben gewiß eine Antwort auf unsere Frage, aber die Antwort ist weniger deutlich, als man angesichts des Detailreichtums dieser Beschreibungen meinen möchte. Diese Texte stehen in literarischen Traditionen, und zwar in weit höherem Maße, als das im Mittelalter bei Literatur ohnehin der Fall zu sein pflegt. Das Stadtlob ist ein aus der Antike übernommener Literatur-Typus, der dem Mittelalter niemals ganz verlorengegangen ist8. So haben wir es bei einem Autor, der um 1500 die Lage einer Stadt in einer fruchtbaren Landschaft lobt, der von der guten Luft spricht, welche diese Stadt durchwehe, von ihren weiten Plätzen und prächtigen Gebäuden sowie den vortrefflichen Sitten ihrer Bewohner, im Zweifelsfall weniger mit einem aufmerksamen Beobachter zu tun als vielmehr mit einem gelehrten Kenner früherer Stadtbeschreibungen. Wie überall, wo wir es mit topisch geprägten Texten zu tun haben, müssen wir versuchen, die geschickte von einer bloß mechanischen Verwendung literarischer Vorbilder zu unterscheiden. Leider ist das jedoch nicht überall so eindeutig möglich wie zum Beispiel bei der Beschreibung der Stadt Erfurt in jener päpstlichen 7 F. RÖRIG, Die europäische Stadt und die Kultur des Bürgertums im Mittelalter, Göttingen o.J. [etwa 1960] 85. Der Beitrag erschien zuerst Berlin 1932 als Teil von Band 4 der Neuen PropyläenWeltgeschichte (272-392). 8 C. J. CLASSEN, Die Stadt im Spiegel der Descriptiones und Laudes urbium in der antiken und mittelalterlichen Literatur bis zum Ende des 12. Jahrhunderts (Beitr. zur Altertumswiss. 2) Hildesheim-New York 1980; P. G. SCHMIDT, Mittelalterliches und humanistisches Städtelob, in: Die Rezeption der Antike, hg. von A. BUCK (Wolfenbütteler Abh. zur Renaissanceforschung 1) Hamburg 1981, 119-127; H. KUGLER, Die Vorstellung der Stadt in der Literatur des deutschen Mittelalters (MTU 88) München 1986. Dazu H. BOOCKMANN, in: Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur 111 (1989) 111 ff., und dagegen der Verfasser ebd. 112 (1990) 158 ff. Zuletzt hat sich H.-D. HEIMANN zum Thema geäußert: Stadtideal und Stadtpatriotismus in der "Alten Stadt" am Beispiel der 'Laudationes Coloniae' des Mittelalters und der frühen Neuzeit, in: HJb 111 (1991) 327.
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Urkunde, welche die Errichtung der dortigen Universität genehmigte und unter den Vorzügen des tief im Binnenlande gelegenen neuen Universitätsortes auch dessen Lage an der Meeresküste rühmte, was selbstverständlich nicht einen damals anderen Küstenverlauf als heute bezeugt und sich auch nicht einfach aus mangelnder Landeskenntnis des Verfassers jener Urkunde, sondern vielmehr aus einer allzu mechanischen Benutzung des entsprechenden Universitätsprivilegs für Perpignan erklärt9. Das jedoch war nicht erst in unseren Augen anstößig, sondern wurde schon im ausgehenden vierzehnten Jahrhundert als Mangel empfunden. So wurde in einer zehn Jahre später ausgestellten zweiten Gründungsurkunde für Erfurt der Passus über die Erstreckung der Stadt per loca maritima fortgelassen10. Angesichts einer solchen Korrektur möchte man etwas zuversichtlicher sein, wenn man bei Enea Silvio de Piccolominibus, bei Antonius Bonfinis, der 1486 zu dem ungarischen König Matthias Corvinus nach Wien reiste, sowie schließlich auch bei Antonio de Beatis, der 1517 und 1518 einen Kardinal durch Deutschland begleitete, liest, daß die deutschen Stadtbürger auffällig oft Vögel in Käfigen hielten11, zumal es Maler gibt, die den Raum, in welchem Maria die Botschaft des Engels empfängt, nicht nur - wie üblich - mit Büchern und anderen gelehrten Utensilien, nicht nur mit einem allegorisch zu verstehenden Lilienstrauß und einem typologische Bezüge eröffnenden Apfel ausstatten, sondern eben auch mit einem Vogelbauer12. Gewiß lassen sich auch die gemalten Vogelkäfige einem Topos-Verdacht unterwerfen, aber sie dürften jedenfalls nicht von Enea Silvio und seinen Nachfolgern abhängig sein, und so lassen sie den Schluß zu, daß den italienischen Beobachtern hier tatsächlich etwas in deutschen Städten aufgefallen ist, was sie zu Hause nicht in demselben Maße vorfanden und was die Mentalität der deutschen Bürger und ihre Art, sich in den Städten einzurichten, zu einem bescheidenen Teil charakterisieren mag. In anderen Fällen betonten die italienischen Reisenden den Kontrast zwischen den heimischen und den deutschen Städten ausdrücklich. Antonio de Beatis konfrontierte die Aufmerksamkeit und die Reichtümer, welche in Deutschland den Kirchen und den kirchlichen Bauten zugewendet wurden, polemisch mit dem Verfall so vieler Kirchen in Italien - und das im Italien immerhin der Hochrenaissance!13-, und Paolo Santonini, der Notar des Patriarchen von Aquileia, äußerte sich ganz ähnlich. 1485 bis 1487 durch Kärnten, die Steiermark und Krain reisend, tadelte er angesichts der hingebungsvollen Frömmigkeit und Kirchlichkeit, die er zum Beispiel in Villach beobachtet haben will, die Leichtfertigkeit auf diesem Felde bei sich zu Hause. Die Italiener sollten sich schämen, so ruft er aus14, 9 H. GOLDBRUNNER, Laudatio Urbis. Zu neueren Untersuchungen über das humanistische Städtelob, in: QFIAB 63 (1983) 313-328, ebd. 326 f. 10 Ebd. 327. 11 G. WACHA, Tiere und Tierhaltung in der Stadt..., in: Das Leben in der Stadt des Spätmittelalters (Veröffentlichungen des Instituts für mittelalterl. Realienkunde Österreichs = SB der Österr. Akad. der Wiss., phil.-hist. Kl. 325) Wien 21980, 251; Die Reise des Kardinals Luigi d'Aragona. Beschrieben von Antonio de Beatis, hg. von L. PASTOR (Erläuterungen und Ergänzungen zu Janssens Geschichte des deutschen Volkes 4 , 4 ) Freiburg i.Bg. 1905,108. 12 WACHA (Anm. 11) Abb. 137 ff. '3 Antonio de Beatis (Anm. 11) 106. K. VOIGT, Italienische Berichte aus dem spätmittelalterlichen Deutschland. Von Francesco Petrarca zu Andrea de' Franceschi (Kieler Histor. Studien 17) Stuttgart 1973, 199.
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und so fragt man sich, ob ein solcher Bericht nicht ganz überwiegend so gelesen werden muß wie zum Beispiel auch die Germania des Tacitus - die man freilich so in aller Regel nicht liest -, nämlich als ein Appell an die heimatlichen Leser und allenfalls erst danach als eine Beschreibung dessen, was der Text zu schildern vorgibt. Bei diesen Beschreibungen kommt die weitere Frage hinzu, ob nicht die berufsspezifische Perspektive des Klerikers dem Kirchenwesen ein Gewicht zukommen läßt, das es angesichts der einstigen Realität gar nicht hatte. Man möchte diese Frage namentlich an Marinus de Fregeno richten, der ebenfalls die Frömmigkeit der Deutschen lobt und in dessen 'Descriptio provinciarum Alamanorum' von 1479 ganz offensichtlich die spezifischen Beobachtungen des päpstlichen Nuntius und vor allem des päpstlichen Ablaß-Kollektors zutage treten15. Es scheint jedoch, daß die besonderen Interessen dieser durch Deutschland reisenden Kleriker zu einer genaueren Beobachtung und einem näher an der Beobachtung orientierten Text gefuhrt haben als eine bloß rhetorischen Traditionen verpflichtete Schreibweise. Der eben zitierte päpstliche Kollektor unterscheidet sich in dieser Hinsicht vorteilhaft von einem Conrad Celtis oder Johannes Cochlaeus, und für den eben schon zitierten Antonio de Beatis gilt das erst recht. Dieser Autor lobt nicht nur die Kirchlichkeit der Deutschen, sondern er belegt sein Urteil auch - zum Beispiel mit der Beobachtung, daß die Familien hier eigene Kirchenstühle hätten. Er lobt nicht nur die Konzentration der Gottesdienstbesucher auf die Messe, sondern beobachtet auch, daß alle beim Gebet niederknien, und wenn er eine sozusagen vorstädtische Sakralzone beschreibt, die durch eine große Zahl von Andachtsbildern an Wegen und Straßen gekennzeichnet sei, so präzisiert er das durch die Bemerkung, man könne diese Bilder sehen, sobald man von Trient nach Norden reise16. Und es kommt hinzu, daß der Autor auch in diesem Punkt durch gleichzeitige Tafelbilder bestätigt wird17. Wenn man nach der Lebenswelt deutscher Stadtbürger um 1500 fragt, so scheinen derartige Texte jedoch eine allenfalls indirekte Antwort zu erlauben. Sie bieten eine externe Sicht, aber sie lassen nicht erkennen, wie die Bewohner diese Städte selbst aufgefaßt haben. Dennoch sind diese italienischen Reiseberichte ganz unentbehrlich. So detailreiche Beschreibungen, wie wir sie aus der Feder des Enea Silvio und seiner Nachfolger haben, besitzen wir von anderen Zeitgenossen nicht, und dort, wo sich deutsche Autoren wie die schon erwähnten Conrad Celtis und Johannes Cochlaeus auf Landes- und Stadtbeschreibungen einließen, sind auch sie von der für Deutschland durch Enea Silvio begründeten literarischen Tradition abhängig. Doch unterscheiden sich die beiden deutschen Humanisten von den eben zitierten Kirchenbeamten und von Enea Silvio dadurch, daß sie den Kirchen und dem kirchlichen Leben nur einen nachgeordneten Platz in ihren Beschreibungen einräumen. Steht hier eine laikale gegen eine klerikale Sicht? Das könnte man vermuten, wenn es nicht andere Texte von heimischen Autoren gäbe, die an den städtischen Kirchen nicht weniger interessiert waren als jene klerikalen Reisenden. Die Schriften von Celtis und Cochlaeus sind nicht so sehr durch eine laikale als vielmehr durch eine etwas angestrengte humanistische Perspektive geprägt. 15 Ebd. 186 ff. 16 WACHA (Anm. 11)251; Antonio de Beatis (Anm. 11) 107. 17 BOOCKMANN, Die Stadt (Anm. 6) Abb. 6.
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Bei jenen anderen deutschen Texten handelt es sich - mit Ausnahme von den später noch zu nennenden Beschreibungen Breslaus und Ulms, deren Verfasser Geistliche waren - nicht um Stadtbeschreibungen im engeren Sinne, sondern um vereinzelte Partien in städtischen Chroniken. Hier finden sich nicht selten Bemerkungen über das Stadtbild, und hier ist immer wieder auch von den Kirchen die Rede - bei Gelegenheit von Bauschäden zum Beispiel oder anläßlich von Neubauten. Jene vollkommene Einbindung der Stadtkirchen in das Leben der Bürger, welche die geläufige Redeweise vom Verhältnis zwischen Stadt und Kirche18 als so fragwürdig erscheinen läßt, spiegelt sich nicht nur in der städtischen Chronistik insgesamt, sondern auch in den beschreibenden Partien dieser Werke. Die Vogelkäfige, die den italienischen Beobachtern aufgefallen sind, haben in diesen Texten jedoch keinen Platz gefunden. Soweit die Chronisten vom Stadtbild Notiz nehmen, knüpfen sie an kirchliche wie weltliche Neuerungen und Ereignisse an. So berichtet Burkhard Zink, berühmt durch seine Autobiographie, von der Anlage eines Röhrenbrunnensystems in Augsburg: mit Interesse für die technische Anlage und Desinteresse im Hinblick auf die Gestalt dieser Brunnen19. Ganz ähnlich verfahrt Celtis im Falle von Nürnberg und hier vor allem bei dem berühmten Schönen Brunnen20. Immerhin hebt er dessen anspruchsvolle Architektur hervor. Aber für die nicht weniger anspruchsvolle Ikonographie, die den modernen Historiker so interessiert und von der dieser annehmen möchte, daß sie den Zeitgenossen wichtig gewesen sei, hat der humanistische Autor kein Wort übrig. Ihm sind die Brunnen ausschließlich ein Teil der - so möchte man sagen städtischen Infrastruktur, und das um so mehr, als solche Fragen ja durchaus in den Umkreis dessen gehörten, was in den rhetorisch geformten 'laudes urbium' unter dem Stichwort Gesundheit damals abgehandelt zu werden pflegte. Der Kaufmann und mittlere städtische Bedienstete Burkhard Zink bleibt ebenfalls bei der Infrastruktur. Er spricht im Anschluß an die Brunnen vom Straßenpflaster und dann noch einmal von den Brunnen21, weil deren erste Anlage sich als eine grandiose, heutigen kommunalpolitischen Leistungen auf diesem Felde durchaus ebenbürtige Fehlinvestition erwiesen hatte oder, wie man vielleicht auch sagen könnte, als ein Beispiel für verfrühten technischen Fortschritt. Die Augsburger hatten es nämlich mit geschmiedeten Rohrleitungen versucht. Da diese viel zu eng waren, verwendeten sie beim zweiten Mal jene Holzröhren, die in vielen Städten noch bis weit ins neunzehnte Jahrhundert ihren Dienst tun sollten. Burkhard Zink spricht sodann vom Neubau der Ulrichskirche. Daß der Bau der Kirche dieses Reichsklosters in städtischer Regie vor sich ging, ist dem Autor keine grundsätzliche Bemerkung etwa von der Art wert, wie sie sich bei Celtis über die Nürnberger Klöster findet. Der Humanist schreibt, diese Häuser würden 18 Die eindrucksvollste Monographie zum Thema schrieb R. KIEßLING, Bürgerliche Gesellschaft und Kirche in Augsburg im Spätmittelalter. Ein Beitrag zur Strukturanalyse der oberdeutschen Reichsstädte (Abh. zur Geschichte der Stadt Augsburg 19) Augsburg 1971. Siehe auch: Bürgerschaft und Kirche, hg. von J. SYDOW (Stadt in der Geschichte 7) Sigmaringen 1980. 19 Die Chroniken der deutschen Städte 5: Augsburg 2, bearb. von F. FRENSDORFF, Leipzig 1866 (ND 1 9 6 5 ) 1 4 4 . 20 A. WERMINGHOFF, Conrad Celtis und sein Buch über Nürnberg, Freiburg i.Bg. 1921, 140. 21 Chr. dt. Städte 5 (Anm. 19) 146 f. und 154.
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nicht durch ihr eigenes Gesetz und Urteil, sondern durch das des städtischen Rates regiert22. Für Zink verstand sich das für die Augsburger Klöster gewiß von selbst, und so vermerkt er nur die Namen der für den Kirchenbau verantwortlichen Ratsdeputierten - ebenso wie er die Namen städtischer Amtsträger auch sonst registriert23. Sehr detailliert schildert Zink sodann den schwierigen Abriß des alten Kirchturms, und er erwähnt auch den Beginn der Bauarbeiten am neuen Turm. Doch interessiert ihn nur die Arbeitsleistung24. Hat man die alte, aus dem elften und zwölften Jahrhundert stammende Kirche, die damals niedergelegt wurde, als altmodisch empfunden? Auf eine solche Frage gibt der Chronist keine Antwort. Und auch die anderen Autoren sagen nichts darüber, daß sie es mit einer städtischen Welt höchst unterschiedlichen Alters zu tun hatten. Haben sie zwischen alt und neu unterschieden? Burkhard Zink vermerkt, daß man beim Aushub der Baugrube für die Ulrichskirche einen gequaderten Stein mit einer Inschrift gefunden habe, und er versucht sogar, die Inschrift dieses römischen Grabsteins wiederzugeben, doch das gelingt ihm ebensowenig, wie diese Inschrift etwa die Wiederverwendung des Steins verhindert hat25. Was wir hier zu vermissen geneigt sind, geschah erst dreißig Jahre später, nämlich 1492 in Sterzing. Hier hat man eine beim Neubau der Kirche gefundene römische Inschrift nicht nur aufbewahrt, sondern den Fund auch mit einer eigenen neuen Inschrift dokumentiert26. Die eigentümliche Vergangenheitslosigkeit, welche das Augsburg Burkhard Zinks zu kennzeichnen scheint, findet sich bei anderen Autoren gleichfalls. Die Städte sind in ihrer Sicht ein für allemal gegründet, und sie haben sich nicht entwickelt27. Man könnte Zink freilich den zwei Generationen vor ihm schreibenden Chronisten Jakob Twinger von Königshofen gegenüberstellen, der eine Stadterweiterung erwähnt und dabei zu einer Art Archäologie Straßburgs ansetzt und die ursprüngliche Ummauerung von jüngeren Fortifikationen unterscheidet. Die erste Stadtmauer, so schreibt er zum Beispiel, sei an der Stelle des späteren Dominikanerklosters und bestimmter, von ihm genau benannter Häuser verlaufen. Reste der damaligen Mauern und Gräben fand der Chronist im Stadtbild seiner Zeit noch vor, und so muß er wohl, ganz ähnlich, wie wir das heute tun würden, versucht haben, die auf diese Weise überlieferten Punkte zu einer Linie zusammenzuziehen28. So hat man in diesem Straßburger Chronisten einen Zeugen dafür, daß die zeitliche Tiefe einer Stadtgestalt gesehen und beschrieben werden konnte, und zwar nicht nur mit Hilfe jener sozusagen einstufigen Vergangenheitsvorstellung, welche vor der Gegenwart nur eine weit zurückliegende Gründungszeit kannte. Das Straßburg Jakob Twingers hatte sich, wie auch in unseren Augen, über meh22 23 24 25
WERMINGHOFF (Anm. 20) 165. Chr. dt. Städte 5 (Anm. 19) 314. Ebd. 315. Ebd. 319. Corpus inscriptionum latinarum 5, hg. von TH. MOMMSEN, Berlin 1872, Nr. 5084. 27 SCHMIDT (Anm. 5) 111 ff. 28 Die Chroniken der deutschen Städte 9: Straßburg 2, bearb. von K . HEGEL, Leipzig 1871 ( N D 1961) 716 f.
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rere Stufen entwickelt, und die Spuren dieses Prozesses nahm der Chronist im Stadtbild wahr. Dennoch würde das Wort Archäologie sein Interesse schwerlich richtig kennzeichnen. Wenn Twinger außer über den Verlauf der einstigen Stadtmauer auch über den früheren Standort des Straßburger Galgens nachdenkt, dann tut er das keineswegs als ein Vorläufer moderner Rechtsarchäologen, sondern er betätigt sich als Hagiograph. Der Platz des Galgens interessiert ihn als der legendäre Begräbnisort des Straßburger heiligen Bischofs Arbogast; die ausführlichen Erörterungen über die Stadtmauer gehören in den Kontext noch ausführlicherer Darlegungen zur Geschichte der Straßburger Kirchen. Doch könnte man vielleicht als Zeugen für ein eindeutiges modernes Interesse an städtischer Vergangenheit Conrad Celtis nennen, der sich Gedanken über die beiden - auch heute nicht sicher gedeuteten - stauferzeitlichen Figuren an der östlichen Außenseite des Nürnberger Pfalzkapellen-Turms macht. Die Bildwerke erscheinen ihm altertümlich, aber im Grunde verfährt er mittelalterlich, wenn er, wie vor ihm schon Siegmund Meisterlin, die Figuren sogleich in die ganz tiefe Vergangenheit versetzt. Sie sind ihm Götzenbilder, und wenn er skeptischer ist als Meisterlin29, dann doch nur insofern, als er die Identifizierung des ganzen Bauwerks mit einem einstigen Dianatempel zurückweist, zumal die Schwierigkeit der Frage dem Freund der Antike Gelegenheit zu einer antibarbarischen Attitüde gibt. Solche Ungewißheiten gebe es, so schreibt er30, in Deutschland viele, und darüber nachzudenken lohne sich nicht, so scheint er zu meinen. Cochlaeus wird der Diana-Interpretation dann wieder nähertreten und die Frage ein wenig, wie man fast sagen möchte, in die Perspektive eines modernen Fremdenverkehrsfuhrers rücken. Im nächsten Satz beschreibt er nämlich die unermeßliche Tiefe des Burgbrunnens31. Doch geht auch die vermeintliche Fremdenführer-Perspektive auf die um 1500 entstandenen Stadtbeschreibungen und auf die älteren Vorbilder dieser Texte zurück. Ungewöhnliche Bauwerke und technisch anspruchsvolle Gegenstände werden sowohl in rhetorisch geformten als auch in anspruchslosen Texten genannt. Mit einem technisch-kennerischen Akzent versehen finden sich solche Beobachtungen namentlich bei Dürer, wenn der Maler zum Beispiel in den Aufzeichnungen über seine niederländische Reise die in die Aachener Pfalzkapelle als Spolien eingebauten antiken Säulen notiert und anmerkt, daß sie den Vorschriften Vitruvs entsprächen32. Im Brüsseler Rathaus besichtigt Dürer vier Gerechtigkeitsbilder Rogers van der Weyden - leider ohne sie zu beschreiben -, und er erwähnt gleich darauf einen Brunnen, ein Labyrinth und einen Tiergarten im Brüsseler Schloß. Fremdenführer-Perspektive? Eine solche Klassifizierung würde Dürers Text mißverstehen. Brunnen, Labyrinth und Tiergarten lagen ja nicht weniger im Bereich dessen, was ihn professionell interessierte, als die vier gemalten materien, die der groß meister Rudier gemacht hat33. 29 D. 30 31 32 33
Die Chroniken der deutschen Städte 3: Nürnberg 3; Sigmund Meisterlins Chronik ..., bearb. von KERLER/ M. LEXER, Leipzig 1864 (ND 1961) 54 f. WERMINGHOFF (Anm. 20) 140. Johannes Cochlaeus, Brevis Germaniae descriptio, hg. von K. LANGOSCH, Darmstadt 1960, 78. Dürer: Schriftlicher Nachlaß, hg. von H. RUPPRICH, Bd. 1, Berlin 1956, 159. Ebd. 155.
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In Antwerpen ließ man Dürer auf den Turm - gegen einen Stüber Eintritt oder doch wohl besser Trinkgeld. So konnte der Meister die Stadt auff allen orten überblicken. Das do fast lustig ist - Auf anregende Weise interessant: So muß man dieses "lustig" wohl übersetzen34. Auch in Gent hat Dürer einen Kirchturm bestiegen. 'Da überblickte ich die große, wunderbare Stadt, in der ich sofort als groß angesehen wurde', so schreibt er35. Die unter ihm liegende Stadt scheint ihm nur ein Spiegel des eigenen Ruhms - und kein Anlaß zum Zeichnen. Das mag mit der eigentümlich aus Produktivität und Naivität gemischten Stimmung zu verstehen sein, die Panofsky in Dürers Reisenotizen zu erkennen glaubte36. Für das hier verfolgte Thema geht aus Dürers Bericht vielleicht hervor, daß die Stadt in den Augen der um 1500 Lebenden offensichtlich nicht aus der Vogelperspektive gesehen wurde. Es ist keine Zeichnung aus dieser Perspektive bekannt, und das fällt um so mehr auf, als ja doch nicht nur die Türme von Antwerpen und Gent die Gelegenheit zu einer solchen Zeichnung geboten hätten. Auch ein so präziser Beobachter wie der schon erwähnte Antonius Bonfinis benutzt die Besteigung des großen Stephansdom-Turmes in Wien nicht zu einer Vergewisserung über das nun in ganz anderer Weise als aus der üblichen Perspektive sichtbare Stadtbild. Man könnte einen großen Teil von Österreich überblicken, so schreibt er anläßlich der Turmbesteigung. Dann aber skizziert er die Gestalt des Turms - und derentwegen hätte er den Turm nicht zu besteigen brauchen37. In den italienischen Berichten wird nicht selten gerühmt, die Helme deutscher Kirchtürme seien kunstvoll durchbrochen gewesen38. Die Bewunderung des technischen Kunststücks und ein ästhetisches Wohlgefallen fließen offensichtlich ineinander. In deutschen Texten wird mit dem Prädikat "schön" recht freigiebig umgegangen. Doch hat dieses Wort nicht nur die heutige Bedeutung. Wenn Zink die für den Neubau von St. Ulrich gegossene Glocke als die schönste rühmt, so schwingen noch weitere Bedeutungen mit. Er schreibt, die Glocke sei so herrlich geraten und schön, als hätte man sie geschliffen39. Er lobt also die glatte Oberfläche, und er rühmt bei der Inschrift die Schärfe der Buchstaben. Diese seien so gut gelungen gewesen, als habe sie ein Goldschmied graviert. Schönheit ist also das Resultat von perfektem Handwerk - und zwar nicht nur in der Perspektive des professionellen Betrachters, also zum Beispiel eines Albrecht Dürer, sondern auch in der eines Kaufmanns. Schön heißt wohl auch: der Sache angemessen. Heil und Ehre liegen nicht weit von diesem Wort. Das ändert sich dann allerdings, und zwar in derselben Geschwindigkeit, mit der im sechzehnten Jahrhundert aus dem Handwerker ein Künstler wird. Wenn der Dominikaner Felix Fabri in seiner Beschreibung Ulms die Schönheit des Münsters rühmt, wenn er dessen Glanz preist, so möchte man meinen, hier sei noch jener Glanz gemeint, der ein Abbild des Himmels ist und den schon frühere Kirchenbeschreibungen gerühmt hatten. An einer Stelle wird aber auch an 34 35 36 37 38 39
Ebd. 167. Ebd. 168. E. PANOFSKY, Das Leben und die Kunst Albrecht Dürers, München 1977, 274 ff. VOIGT (Anm. 14)215. Zum Beispiel ebd. 222. Chr. dt. Städte 5 (Anm. 19) 320.
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diesem Text eine besondere Beobachtung sichtbar. Fabri schreibt, es existiere keine Kirche, die bis in alle Winkel so hell sei wie die in Ulm. Dunkle Ecken und verborgene Kapellen, wie große Kirchen sie sonst zu haben pflegten, gebe es hier nicht40. Man könnte überlegen, ob man hier nicht ein zeitgenössisches Zeugnis für jene - ein modernes Raumgefühl unbesehen ins vierzehnte und fünfzehnte Jahrhundert zurückprojizierende - Interpretation des Bautypus Hallenkirche vor sich habe, die von kunsthistorischer, aber auch von historischer Seite so oft vorgetragen worden ist und der zufolge dieser Bautypus genuin städtisch gewesen sein soll41. Doch war das ursprünglich als Hallenkirche geplante Ulmer Münster, das Fabri hier vor sich sah, gerade keine Hallenkirche, sondern es folgte dem basilikalen Typus. Dennoch war es in seinen Augen ein einheitlicher heller Raum. Im übrigen fügt sich der Preis der Ulmer Helligkeit von Seiten Fabris in eine lange Reihe von superlativischen Lobpreisungen ein. Das Ulmer Münster erscheint ihm größer als alle Pfarrkirchen, ferner, wie schon gesagt, heller. Es hat mehr Altäre, mehr Geistliche, mehr Einnahmen als die anderen Kirchen, und am Ende rühmt der Dominikaner auch, daß auf dem Ulmer Friedhof mehr Tote als überall sonst begraben würden mit einem entsprechend gefüllten Ossuarium als notwendiger Folge. Der Ulmer Karner wirke, so schreibt Fabri, als habe man hier die Gebeine aus ganz Schwaben zusammengetragen42. Wenn man sich vorstellt, daß demzufolge am Jüngsten Tage in Ulm mehr Tote auferstehen würden - und hoffentlich auch in den Himmel aufgenommen werden - als anderswo, so verliert dieses Städtelob seine scheinbare Absurdität. Doch als einen Beobachter ästhetischer Stadtqualitäten erweist es seinen Autor nicht. Als ein solcher tritt indes der im Winter 1512 auf 1513 schreibende Geistliche Bartholomäus Stein auf. Auch er achtet auf Quantitäten, und er zählt nicht nur Kirche um Kirche, sondern auch Altar um Altar auf. Doch macht er das in tabellarischer Form43, und so ist sein Text, wie man beinahe sagen möchte, von statistischem Ballast frei. Wenn Stein von Bildern in den Kirchen spricht, braucht er keine Zahlen zu nennen. Aber er nennt auch keine Heiligen. Man erfährt nicht, was auf den Altären und an den Wänden zu sehen ist, sondern man liest nur, die Gemälde seien schön. Stein spricht ausdrücklich von einem mehr als handwerksmäßigen Kunstwerk, und er rühmt auch die Helligkeit eines Kirchenraums44. Und dieses Lob ist eindeutig. Das Licht bringt, wie es heißt, die Wandmalerei besser zur Geltung. Über die Gegenstände der so ins Licht gerückten Malerei sagt der Autor leider nichts, und so erfahren wir auch nicht, ob er nur an Darstellungen aus der Bibel und aus den Legenden der Heiligen denkt oder vielleicht auch Stadtdarstellungen einbezieht, die damals gelegentlich den Hintergrund solcher Malereien bildeten. 40 Bruder Felix Fabris Abhandlung von der Stadt Ulm. Verdeutscht von K. D. HAßLER, in: Ulm, Oberschwaben. Mitt. des Vereins ftir Kunst und Altertum 13-15 (1908 f.) 27. 41 H. BECHTEL, Wirtschaftsstil des deutschen Spätmittelalters. Der Ausdruck der Lebensform in Wirtschaft, Gesellschaftsaufbau und Kunst von 1350 bis um 1500, München-Leipzig 1930, 65 ff. Dazu H. BOOCKMANN, Dreimal Kulturgeschichte, Alltagsgeschichte, Geschichte der materiellen Kultur, in: ZHF 12 (1986) 212 f. Anm. 17. 42 Fabris Abhandlung (Anm. 40) 28. 43 Bartholomeus Stein, Descriptio tocius Silesie et civitatis regie Vratislaviensis, hg. von H. MARKGRAF (Scriptores rerum Silesiacarum 17) Breslau 1902,70 ff. 44 Ebd. 50 f.
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An die Stelle der wiederum auf antike Wurzeln zurückgehenden typisierenden Stadtdarstellungen, wie sie sich schon seit Jahrhunderten auf den Siegeln der Städte fanden45 und seit einiger Zeit auch als Hintergründe auf Altartafeln und Epitaphien verwendet wurden, traten seit dem frühen fünfzehnten Jahrhundert Darstellungen, die eine sehr viel größere Zahl von Details bieten und sich manchmal sogar identifizieren lassen. Dieser Umstand hat die kunsthistorische Forschung, wie es scheint, ebensowenig interessiert wie die historische, wenn man von Erörterungen über die Anfänge der Vedute46 absieht sowie von Bemühungen um die Stadtdarstellungen in der Weltchronik Hartmann Schedels47. Doch finden sich schon Jahrzehnte vor der Chronik Schedels auf Tafelbildern Darstellungen bestimmter Städte wie auch von nicht zu identifizierenden Städten, die so voller Details sind, daß man sie in einem weitergehenden Sinne als die alten Siegelbilder für so etwas wie eine Art von mit bildlichen Mitteln gegebene Stadtformel betrachten kann48. Und nicht selten scheinen die Bilder das mitzuteilen, was auch denen wichtig war, die sich damals mit Worten über Städte äußerten. Das gilt für die offensichtliche Prädominanz der kirchlichen Bauten bei der Darstellung der Stadtsilhouette, die zwar von den tatsächlichen Gegebenheiten nahegelegt war, sich jedoch nicht schon daraus erklärt. Vielleicht darf man auch das gelegentliche Herausheben von neu errichteten kirchlichen Gebäuden so verstehen, und womöglich geht auch die zuweilen sichtbare Hervorhebung technischer Details auf den Tafelbildern auf die gleiche Wurzel zurück wie die entsprechenden Partien in Stadtbeschreibungen. Wenn Wert auf die Pflasterung von Straßen49 gelegt wird, wenn auf dem Rhein vor Köln Mühlen und Fischfang50 gezeigt werden, so darf man darin vielleicht ein fernes Fortwirken jenes alten Topos sehen, der von den gesunden Lebensverhältnissen und insbesondere auch vom Wasser sprach, an dem die Städte lagen. Doch scheint es, die bildlichen Darstellungen deutscher Städte seien ergiebiger als die Beschreibungen. Eine so ausführliche Darbietung wesentlicher Elemente des Siedlungstypus Stadt, wie sie in der Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts in einem heute in Basel aufbewahrten Bild gegeben ist51, hat in den gleichzeitigen Stadtbeschreibungen - jedenfalls in denen deutscher Autoren - offensichtlich kein Gegenstück. Was machte die Stadt in den Augen der Autoren und der Maler beziehungsweise ihrer Auftraggeber aus? Zunächst die Mauer und manches andere, was zu 45 G. BANDMANN, Architektur als Bedeutungsträger, Berlin ' 1 9 7 9 , 9 0 ff. 46 M. SCHMITT, Vorbild, Abbild, Kopie: Zur Entwicklung von Sehweisen und Darstellungsarten in druckgraphischen Stadtabbildungen des 15. bis 18. Jahrhunderts am Beispiel Aachen, in: Civitatum communitas. Studien zum europäischen Städtewesen, Festschrift Heinrich Stoob, hg. von H. JÄGER u.a., Bd. 1 (Städteforschung A 21) Köln-Wien 1984, 322-354. 47 E. RÜCKER, Die schedeische Weltchronik. Das größte Buchunternehmen der Dürer-Zeit..., München 1973. 48 H. BOOCKMANN, Eine spätmittelalterliche Stadt. Vorschläge für die Verwendung eines Bildes im Geschichtsunterricht, in: GWU 36 (1985) 271-276. 49 Siehe das im Anm. 48 zitierten Aufsatz untersuchte Bild. Dieses auch bei BOOCKMANN, Die Stadt (Anm. 6) Abb. 23. so Siehe die älteste Darstellung des Ursula-Martyriums mit der Kölner Silhouette ebd. Abb. 37. Hierzu F. G. ZEHNDER, Katalog der Altkölner Malerei (Kataloge des Wallraf-Richartz-Museums 11) Köln 1990, 340 ff. 51 Siehe Anm. 49.
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beobachten die rhetorischen Vorbilder lehrten: komfortable, typisch städtische Häuser zum Beispiel; Häuser, in denen am Ende auch Vogelkäfige standen. In unseren Augen wäre damit ein primäres Merkmal städtischer Wirklichkeit nicht gegeben. Wir würden eher an die Welt der Handwerker und der Kaufleute denken. Findet sie sich auch in den Berichten und in den Bildern? Die einheimischen Autoren haben immerhin Sinn für Technik und Arbeit und für deren Kosten. Die Maler interessierten sich dafür aber nur am Rande. Wichtiger waren den Autoren die kirchlichen Gebäude und deren Ausstattung, und in diesem Zusammenhang werden auch rudimentäre ästhetische Urteile sichtbar. Doch galt die ästhetische Wertschätzung mehr dem Ort der Heiligen und nicht so sehr den Kirchen. Und wenn bei der bildlichen Darstellung der Heiligenlegende Lüneburg52 oder Bamberg53 topographisch genau wiedergegeben werden, so darf nicht übersehen werden, daß der primäre Bildgegenstand die Legende des Heiligen ist und die Genauigkeit doch wohl auch als so etwas wie eine Beglaubigung der Legende verstanden werden muß. Das aus laizistischen Traditionen des neunzehnten Jahrhunderts kommende Deutungsmuster, demzufolge spätmittelalterliche Autoren ihre weltlichen Absichten im kirchlichen Gewände verbergen mußten, würde hier so wenig weiterführen wie sonst. Die Darstellung der Stadt war einstweilen kein eigener Bildgegenstand. Insofern stellen die Holzschnitte in der Weltchronik Hartmann Schedels tatsächlich etwas Neues dar, und für Dürers Aquarelle gilt das erst recht. Doch wie wollte Dürer, wenn er topographisch genaue Skizzen machte54 zwar nicht von einem Kirchturm aus, aber doch immerhin aus der Perspektive des Fußgängers -, diese Skizzen eigentlich verwenden? Als Bildhintergrund? Mit einem autonomen Stadtportrait - als Analogon zum autonomen Personenportrait55 dieser Jahrzehnte - hat Dürer offensichtlich niemand beauftragt. Und als er selbst aufgrund wohl eigener Themenwahl für das Nürnberger Rathaus große Gemälde begann, stellte er nicht Nürnberg dar, sondern die vier Apostel. Hätte er andere Absichten gehabt, so hätte er denken können, vestigia terrent. Dürer hatte die Enttäuschung derer erlebt, die Hartmann Schedels Weltchronik mit den vielen Städtebildern finanziert hatten56. Und auch als die Reformation den Malern die Sujets und die Kunden wegnahm, schlug die Stunde der Stadtbilder nicht. Dennoch begannen die, die um 1500 lebten, ihre Städte tatsächlich zu sehen, und sie haben sich darüber auch gelegentlich Rechenschaft gegeben - in Worten und in Bildern. Es fragt sich, ob sich daraus eine allgemeinere Einsicht ableiten läßt - etwa in dem Sinne, daß die politisch selbstbewußten Stadtbürger Wert dar52
Siehe den Heiligenthaler-Altar und den Lamberti-Altar des Hans Bornemann, wobei der erste zwei Stadtsilhouetten aufweist, die sich dadurch unterscheiden, daß die zweite einen im Vergleich zur ersten fortgeschrittenen Bau einer Kapelle zeigt. H. G. GMELIN, Spätgotische Tafelmalerei in Niedersachsen und Bremen, München-Berlin 1974, 84 ff. 53 BOOCKMANN, Die Stadt (Anm. 6) Abb. 41. 54 W. L. STRAUSS, The Complete Drawings of Albrecht Dürer 1, New York 1979, 200 ff., 216 ff., 322 ff., 346 ff. usw.; F. ANZELEWSKY, Dürer zwischen Symbolik und Naturwissenschaft, in: Lebenslehren und Weltentwürfe im Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit. Politik - Bildung - Naturkunde - Theologie, hg. von H. BOOCKMANN u.a. (Abh. der Akad. der Wiss. Göttingen, phil.-hist. Klasse III Nr. 179) Göttingen 1989, 270 ff. 55 E. BUCHNER, Das deutsche Bildnis der Spätgotik, Berlin 1953. 56 RÜCKER (Anm. 47) 82.
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auf legten, ihre besondere Welt in Worten und mit bildlichen Mitteln dargeboten 201 erhalten. In diesem Falle wären die Stadtbeschreibungen und die Stadtbilder zu spät gekommen. Die politisch große Zeit der Städte war seit der Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts vorbei. Nicht nur in diesem Falle lassen sich politische, Verfassungs-, Literatur- und Kunstgeschichte nicht so ohne weiteres synchronisieren.
Devotio Moderna in Köln VON MANFRED GROTEN
Robert Haaß hat 1960 in seinem Aufsatz "Devotio moderna in der Stadt Köln im 15. und 16. Jahrhundert"1 vier geistliche Gemeinschaften behandelt, deren Spiritualität von der Frömmigkeitsbewegung der Devotio moderna entweder ausschließlich geprägt oder doch zumindest stark beeinflußt war. Zunächst sind natürlich die Kölner Häuser der beiden Zweige der Devotenbewegung im engeren Sinne, der Brüder vom gemeinsamen Leben und der Windesheimer Kanoniker, zu nennen. Das Brüderhaus Weidenbach wurde 1416/17 von Münster aus ins Leben gerufen2. Erzbischöfliche und päpstliche Bestätigungen sicherten den Fortbestand der zunächst Anfeindungen ausgesetzten Gründung. Keimzelle des Stiftes Herrenleichnam war eine 1331 am Ort eines Hostienwunders gestiftete Kapelle, bei der sich 1404 sechs im Geiste der Devotio moderna lebende Priester ansiedelten3. Wie lange diese Gemeinschaft bestanden hat, ist nicht bekannt. Die Initiative zur Gründung eines Augustinerchorherrnstifts ging jedenfalls um 1430 vom Neusser Oberkloster aus, dem Erzbischof Dietrich von Moers 1433 die Kapelle Herrenleichnam inkorporierte4. 1451 wurde das Stift einer Reform unterzogen, die zur Lösung der Bindung an das Oberkloster und damit zur Neubestimmung der Stellung Herrenleichnams im Windesheimer Verband führte5. Von der Devotio moderna beeinflußt war seit seiner Reformierung um 1420 das 1307 gegründete Kölner Kreuzbrüderkloster6. Weiterhin hat Haaß Beziehungen der Kölner Kartause St. Barbara zur Devotenbewegung zumindest seit dem späten 15. Jahrhundert aufgezeigt7. Die Frage, welcher Stellenwert den devoten Traditionen im Spektrum des geistigen Lebens der Kölner Kartäuser beizumessen ist, läßt sich allerdings kaum beantworten. Auch in anderen Kölner Klöstern, so 1
In: Im Schatten von St. Gereon (Veröffentl. des Köln. Geschichtsvereins 25) Köln 1960, 133154. Vgl. auch noch M. DLTSCHE, Die devotio moderna und ihr Einfluß auf die religiöse Erneuerung im 15. und 16. Jahrhundert in der Erzdiözese Köln, in: Almanach für das Erzbistum Köln. Jahrbuch 1974 und 1975, Köln 1976, 109-122. Als Einführung in das Thema empfiehlt sich neben dem Standardwerk von R. R. P O S T , The Modern Devotion (SMRT 3) Leiden 1968, der Aufsatz von K. E L M , Die Bruderschaft vom gemeinsamen Leben. Eine geistliche Lebensform zwischen Kloster und Welt, Mittelalter und Neuzeit, in: Ons geestelijk erf 59 (1985) 470-496; ND in: K. ELM, Mittelalterliches Ordensleben in Westfalen und am Niederrhein, Paderborn 1989, 214-230. Die Zeitschrift "Ons geestelijk e r f ' informiert fortlaufend über einschlägige Neuerscheinungen. 2 Monasticon Fratrum Vitae Communis, hg. von W. L E E S C H u.a., T. II: Deutschland (Archives et bibliothèques de Belgique, n° spéc. 1 9 ) Brüssel 1 9 7 9 , 1 0 7 - 1 2 0 (A.-D. V . D E N B R I N C K E N ) . 3 Monasticon Windeshemense, hg. von W. K O H L u.a., T. II: Deutsches Sprachgebiet (Archives et bibliothèques de Belgique, n° spéc. 1 6 ) Brüssel 1 9 7 7 , 2 6 1 - 2 6 7 (A.-D. V . D E N B R I N C K E N ) . 4 HAStK, Geistliche Abteilung 107, fol. 90r-92v. 5 HAStK, Geistliche Abteilung 107, fol. 92v-93v. 6 Vgl. dazu K. ELM, Entstehung und Reform des belgisch-niederländischen Kreuzherrenordens. Ein Literaturbericht, in: ZKG 82 (1971) 292-313; ND in: K. ELM, Mittelalterliches Ordensleben (Anm. 1) 236-256; R. HAAß, Die Kreuzherren in den Rheinlanden (Rhein. Archiv 23) Bonn 1932. 7 C. S C H N E I D E R , Die Kölner Kartause von ihrer Gründung bis zum Ausgang des Mittelalters, Bonn 1932; Die Kölner Kartause um 1500. Aufsatzband, hg. von W. S C H Ä F K E , Köln 1991, darin vor allem G. A C H T E N , Die Kartäuser und die mittelalterlichen Frömmigkeitsbewegungen, 138-145.
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etwa in der Benediktinerabtei Groß St. Martin, las man programmatische Schriften der Devotio moderna8. Es dürfte kaum möglich sein, in methodisch befriedigender Weise das Umfeld der eigentlichen Devotenbewegung in seinen verschiedenen Abstufungen sicher abzugrenzen. Die Umschau macht allerdings bewußt, daß man die Devotio moderna nicht zu stark aus dem Kontext des vielgestaltigen religiösen Lebens der Zeit herauspräparieren und ihre Symbiose mit verwandten und auch andersartigen Frömmigkeitsformen aus dem Blick verlieren darf. Ganz außer acht gelassen hat Haaß den weiblichen Zweig der Devotenbewegung. Mit den Schwestern vom gemeinsamen Leben hat sich jedoch Gerhard Rehm eingehend beschäftigt9. Zwei Schwesternhäuser hat er in Köln nachweisen können. Im Jahre 1417 wurde der als Beginenhaus Ende des 13. Jahrhunderts gegründete Schelenkonvent auf der Gereonstraße zum Schwesternhaus umorganisiert10. Ein weiteres Beginenhaus, der Konvent Mommersloch in der Stolkgasse, nahm, nachdem schon 1456 eine Reform erfolgt war, 1476 die Augustinerregel an. 1478 übernahm das Brüderhaus Weidenbach die seelsorgliche Betreuung der Schwestern von Mommersloch11. Ebenso wie bei den männlichen Devoten lassen sich auch bei den Frauen weitere Gemeinschaften ausfindig machen, die Offenheit für die Bewegung der Devotio moderna zeigten. Rehm nennt die Reinoldsklause auf dem Marsilstein, die von Beichtvätern aus Weidenbach betreut wurde12. Die Klause St. Nikolaus auf der Hohe Straße, die Rehm zufolge "keine Verbindungen zu den institutionalisierten Gruppen der Devotio moderna" hatte, dürfte dennoch ebenfalls diesem Milieu zuzuordnen sein13. Im Jahre 1452 war ein Priester des Hauses Weidenbach Visitator des Beginenkonvents zum Deynant14, der Rektor des Brüderhauses Nikolaus Dens fungierte im selben Jahr als Beichtvater des Grevenkonvents15. Auch die Windesheimer Chorherren hatten Einfluß auf Kölner Konvente. Die Stifte Bödingen und Herrenleichnam galten 1452 als Obere des Hauses zum Hol8
Hier wären etwa die im HAStK aufbewahrten Sammelhandschriften mit Überlieferungen der 'Imitatio Christi' aus Groß St. Martin zu nennen: GB 4° 173 (Die theologischen Handschriften des Stadtarchivs Köln 2, bearb. von J. VENNEBUSCH [Köln-Wien 1980] 187 ff.), GB 8° 116 (Die theologischen Handschriften ... 3, bearb. von J. VENNEBUSCH [Köln 1983] 110 ff.), GB 8° 188 (ebd. 162 ff.). 9 Die Schwestern vom gemeinsamen Leben im nordwestlichen Deutschland (Berliner Histor. Studien 11 = Ordensstudien V) Berlin 1985. 10 H. KEUSSEN, Topographie der Stadt Köln im Mittelalter, 2 Bde., Bonn 1910, hier 2, 253aq; J. ASEN, Die Beginen in Köln, 3 Teile, in: AHVN 111 (1927) 81-180 [Reprint der Einleitung (81116) jetzt in: 'Zahlreich wie die Sterne des Himmels'. Beginen am Niederrhein zwischen Mythos und Wirklichkeit (Bensberger Protokolle 70) Bergisch-Gladbach 1992, 133-170, mit Einführung von C. RUHRBERG (123-132)]; 112 (1928) 71-148; 113 (1929) 13-96; hier AHVN 112, 124 ff.; REHM (ANM. 9) 72. 11 KEUSSEN (Anm. 10) 2, 151a2; ASEN (Anm. 10) AHVN 113, 27 ff.; REHM (Anm. 9) 73. 12 KEUSSEN (Anm. 10) 1,421al; REHM (Anm. 9) 55; J. ASEN, Die Klausen in Köln, in: AHVN 110 (1927) 185 ff. 13
REHM ( A n m . 9 ) 5 5 ; KEUSSEN ( A n m . 10) 1, 1 6 3 b l ; ASEN ( A n m . 12) 193 ff.; D i e K u n s t d e n k m ä l e r
der Stadt Köln, hg. von P. CLEMEN, Ergänzungsbd., bearb. von L. ARNTZ u.a. (Die Kunstdenkmäler der Rheinprovinz 7, III) Düsseldorf 1937 (ND 1980), 244 ff. Vgl. auch unten bei Anm. 121. 14 J. GREVING, Protokoll über die Revision der Konvente der Beginen und Begarden zu Köln im Jahre 1452, in: AHVN 73 (1902) 41; KEUSSEN (Anm. 10) 2, 272 f. bw; ASEN (Anm. 10) AHVN 113,91 ff. 15
GREVING ( A n m . 14) 5 0 ; KEUSSEN ( A n m . 10) 1, 2 6 9 a 3 ; ASEN ( A n m . 10) A H V N 1 1 3 , 8 5 ff.
HAStK, Weiße Frauen Urk. 2/168 (1452). 1453 wurde der Konvent in das Weißfrauenkloster verlegt (HAStK, HUA 1/12495).
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lenter . Die Michaelsklause auf der Cäcilienstraße unterstand der Aufsicht des Neusser Oberklosters17. Der Reuerinnen-Konvent der Weißen Frauen am Blaubach wurde 1451 von dem Windesheimer Frauenstift Engelthal in Bonn aus reformiert18. Aufs Ganze gesehen war die Rezeption der Devotio moderna in den geistlichen Einrichtungen Kölns weit intensiver, als noch Haaß angenommen hat. Umso größere Berechtigung müßte man deshalb seinem Resümee zuerkennen19: "Abschließend läßt sich sagen, daß die Devotio moderna in der Stadt Köln starken Anklang gefunden hat. Diese Haltung, von den hier behandelten Konventen (vielleicht auch noch von anderen) ausgehend, hat nachweisbar auf die führenden Schichten der Stadt sehr stark eingewirkt, und so erklärt es sich ungezwungen, daß der Rat der Stadt Köln, anders als in den meisten Reichsstädten, zäh am alten Glauben festhielt." Haaß hat es allerdings unterlassen, die Resonanz auszuloten, die die Devotio moderna in der Kölner Bürgerschaft außerhalb der Konvente gefunden hat. Sein pauschales Urteil steht deshalb auf schwachen Füßen, und es wird sich im folgenden erweisen, daß es bei näherer Betrachtung gar nicht haltbar ist. Die bloße Tatsache der Ansiedlung von Brüdern und Schwestern vom gemeinsamen Leben und von Windesheimer Kanonikern in Köln sagt noch nichts aus über deren Verhältnis zur Bürgerschaft der Stadt. Es sei daran erinnert, daß die Anstöße zu den Gründungen von Weidenbach und Herrenleichnam jeweils von außen kamen. Für eine Niederlassung der Brüder vom gemeinsamen Leben in Köln sprachen, von allem anderen abgesehen, ganz handfeste wirtschaftliche Gründe. Die Brüder wollten ja ihren Lebensunterhalt durch Handarbeit bestreiten, vor allem durch das Kopieren und Binden von Büchern. Für eine solche Tätigkeit bot die Stadt Köln mit ihren zahlreichen geistlichen Einrichtungen und der Universität einen idealen Standort20. Während Brüderhäuser nur dort gedeihen konnten, wo es ausreichende Arbeitsmöglichkeiten für die Devoten gab, war die Aufgeschlossenheit weiter Kreise der örtlichen Bevölkerung für die geistlichen Anliegen der Brüder von eher sekundärer Bedeutung. Das Rekrutierungsgebiet des Hauses mußte sich nicht unbedingt mit seinem Standort decken, wie es im Falle von Weidenbach im 15. Jahrhundert auch tatsächlich zu beobachten ist. Die Mehrzahl der in Köln lebenden Brüder stammte vom Niederrhein, aus den Niederlanden und Westfalen21. Zur Beantwortung der Frage, welche Personen oder Gruppen innerhalb der Kölner Bürgerschaft sich als empfänglich für die Spiritualität der Devotio moderna erwiesen, stehen Schenkungs- und Stiftungsurkunden, Testamente und Gedächtnisbücher zur Verfügung. Unzweifelhaft setzt diese Quellenlage unseren Erkenntnismöglichkeiten bestimmte Grenzen. Beziehungen zwischen Bürgern und Devoten werden nur sichtbar, wenn sie sich in materiellen Zuwendungen von 16 17
GREVING ( A n m . 14) 54; KEUSSEN ( A n m . 10) 1 , 3 6 5 a 3 ; ASEN ( A n m . 10) A H V N 112, 9 5 ff. REHM ( A n m . 9 ) 123; KEUSSEN ( A n m . 10) 1 , 2 3 5 a l ; ASEN ( A n m . 12)192 f.
18 HAStK, Weiße Frauen Urk. 2/167. Angeregt wurde die Reform durch den Rektor von Weidenbach, Nikolaus Dens, durchgeführt von Fritza von Tüschenbroich. 19
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HAAß ( A n m . 1) 153.
K. LÖFFLER, Das Fraterhaus Weidenbach, in: AHVN 102 (1918) 99-128, zur Buchproduktion 116 f f ; Monasticon (Anm. 2) 113 f. 21 Vgl. die Herkunftsnamen der Brüder in der Berliner Handschrift Staatsbibl., Ms. Boruss. 4° 249 (Fotokopie HAStK, Geistliche Abteilung 224e) fol. 4 f.
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nicht alltäglicher Größenordnung niedergeschlagen haben. Eine Verbuchung der Scherflein der Witwe darf man nicht erwarten. Man muß sich auch darüber im klaren sein, daß persönliche Religiosität ein Phänomen ist, das sich weitgehend den Blicken der Außenstehenden entzieht, sowohl denen der Zeitgenossen als auch - und erst recht - denen des rückschauenden Historikers. Trotz dieser Einschränkungen läßt sich aus den verfugbaren Quellen aber ein einigermaßen deutliches Bild von der Wirkung der Devotio moderna auf die Kölner Bürgerschaft gewinnen. Nicht alle Quellen bieten in dieser Hinsicht jedoch die gleiche Trennschärfe. Zunächst zeigt es sich, daß die Schwesternhäuser im städtischen Gefuge einen ganz anderen Stellenwert hatten als das Fraterhaus Weidenbach und das Stift Herrenleichnam. Der Schelenkonvent und der Konvent Mommersloch wurden von der Mehrzahl der Kölner als reformierte Beginenhäuser eingestuft. So fand bei der vom Rat in Auftrag gegebenen Bestandsaufnahme der Konvente vom Jahre 1452 auch der Schelenkonvent Berücksichtigung: sunt 56 [persone] ... prior Nussiensis visitat et magister Bernhardus de Reyda regit, et vivunt sub regula S. Augustini sine professione22. Der spezifische Charakter des Schwesternhauses wurde anscheinend kaum wahrgenommen. Die Umwandlung der Beginen- in Schwesternhäuser erfolgte auf Initiative der jeweiligen Patrone, d.h. der Familien Butscho bzw. Hardefust/Mommersloch. Die Schwestern kamen überwiegend aus Köln, gelegentlich auch aus Familien, die Ratsherren stellten23. Vom Rat und den Zünften erfuhren die Schwesternhäuser die gleiche Behandlung wie die Beginenhäuser. Das Pendel schlug im Laufe des 15. Jahrhunderts von wohlwollender Förderung zu rigoroser Beschneidung der ökonomischen Basis der Beginen und Schwestern um. 1421 bewilligte das Leinenamt dem Schelenkonvent sechs Webstühle; 1434 erlaubte auch der Rat den Betrieb von sechs Leinenund fünf anderen Webstühlen24. Schon 1437 wurde aber die Zahl der genehmigten Webstühle auf drei reduziert25. 1470 verbot der Rat den Schwestern auch noch das Wappensticken26. Berücksichtigt man den Kontext, in den die Schwesternhäuser in Köln eingebunden waren, kann man ihre Wohltäter nicht generell mit gutem Gewissen als entschiedene Anhänger der Devotio moderna in Köln in Anspruch nehmen. Manche Stifter mögen in erster Linie die Versorgung von
22
23
GREVING ( A n m . 1 4 ) 4 5 .
Beispiele: Beelgen, Tochter von Lambert Pennynck, Ratsherr der Goldschmiede 1460-1478 (HAStK, Groß Nazareth, Rep. und Hs. 1, fol. lOr, 1477, Urk. 1/11); Grietgin, Schwester von Heinrich von Wedich, Ratsherr der Goldschmiede 1488-1498 (Rep. und Hs. 1, fol. 28v, 1489). Zu den Ratsherren vgl. die (allerdings im einzelnen mit erheblichen Mängeln behaftete) Zusammenstellung von H. M. SCHLEICHER, Ratsherrenverzeichnis von Köln zu reichsstädtischer Zeit von 13961796 (Veröff. der Westdt. Ges. für Familienkunde NF 19) Köln 1982, Nr. 3760, 246. 24 HAStK, Groß Nazareth, Rep. und Hs. 1, fol. 21v-24v (1421, bestätigt 1422) = H. VON LOESCH, Die Kölner Zunfturkunden nebst anderen Kölner Gewerbeurkunden bis zum Jahre 1500, Bd. 2 (PGRhGK 22/11) Bonn 1907 (ND 1984), 324 ff. Nr. 555; Beschlüsse des Rates der Stadt Köln 13201550, 5 Bde., hier Bd. 1, bearb. von M. HU1SKES (PGRhGK 65/1) Düsseldorf 1990, Nr. 1434, 16. 25 Beschlüsse 1 (Anm. 24) Nr. 1437, 19 = 1452, 45. Der erste Beschluß wurde offensichtlich mißachtet. Vgl. auch den Vertrag mit dem Leinenamt HAStK, Groß Nazareth, Rep. und Hs. 2, fol. 29v. 26 Beschlüsse 1 (Anm. 24) Nr. 1470, 14. Streit mit den Wappenstickern Nr. 1469, 45 und 60. Hermann von Hessen, der spätere Erzbischof, und weitere Personen versuchten vergeblich, die Herstellung von kirchlichen Gewändern und Paramenten ausnehmen zu lassen (Nr. 1470, 85, bestätigt 1482, 72).
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Töchtern im Sinne gehabt haben, während ihnen die geistige Ausrichtung der Häuser eher gleichgültig war27. Auch die Männerklöster, die nicht der Devotenbewegung im engeren Sinne zuzuordnen sind, eignen sich nur bedingt für die hier beabsichtigte Untersuchung. So ist es nicht möglich, unter den Wohltätern der Kartäuser solche ausfindig zu machen, die in besonderem Maße der Devotio moderna zuneigten. Gleiches gilt für die Kreuzbrüder, die - wie viele Testamente erkennen lassen - in Köln häufig dem Spektrum der Bettelorden zugerechnet und demnach oft gemeinsam mit den "klassischen" Mendikanten gefördert wurden. So muß sich die Aufmerksamkeit auf die beiden Häuser Herrenleichnam und Weidenbach konzentrieren. Die Quellenlage läßt es geraten erscheinen, das Brüderhaus Weidenbach in den Mittelpunkt der Untersuchung zu stellen. Die Analyse des Gedächtnisbuches von Weidenbach28 fuhrt am sichersten zum Kern der Devotenbewegung innerhalb der Kölner Bürgerschaft. Vorab sind einige Bemerkungen über die Grenzen der Aussagekraft des Gedächtnisbuches angebracht. Es spiegelt selbstverständlich lediglich den Gesichtskreis des Fraterhauses wider. Das spätmittelalterliche Stifterverhalten neigte jedoch zu einer breiten Streuung der Zuwendungen. Aus der Masse der Kölner Testamente läßt sich ein bestimmtes Stiftungsbündel als gesellschaftlich akzeptierter Standard herausfiltern. Es umfaßte Legate für den Erzbischof (manchmal auch den Papst), für den Dombau, die Bettelorden (oft einschließlich der Kreuzbrüder), für die jeweilige Pfarrkirche sowie für Hospitäler und Armenspenden. Höchstens die Relation der einzelnen Stiftungssummen läßt dabei individuelle Akzente erahnen. Erst wenn andere Empfanger hinzutreten oder wenn eine Grablege außerhalb der Pfarrkirche gewählt wird, kann man die spezifische Ausrichtung der persönlichen Frömmigkeit erkennen. Oft stellen die Zuweisungen an bestimmte, üblicherweise nicht bedachte Empfanger nur einen kleinen Bruchteil des gesamten Stiftungsvolumens dar. Sie mögen daher im Gesamtkontext der Stiftung zweitrangig und deshalb kaum als Ausdruck einer dominanten religiösen Ausrichtung erscheinen. Aber dieser Eindruck kann täuschen. Zum einen nötigen gewiß gesellschaftliche Konformitätszwänge gerade wohlhabende Stifter zum Aussetzen der als obligatorisch eingeschätzten Legate; zum anderen ist auch zu berücksichtigen, daß eine bestimmte Summe im Haushalt der Fraterherren einen ganz anderen Stellenwert hatte als etwa in dem der Dominikaner oder der Kartäuser. So gewinnt doch wieder die Einschätzung der Stiftung aus der Sicht der einzelnen Empfanger an Bedeutung. Ein Beispiel mag diese Überlegungen verdeutlichen. Im Gedächtnisbuch von Weidenbach heißt es über den Kölner Bürger Heinrich Haich29: magnus amicus et fautor domus nostrae, qui instituit missam cantandam ad sanctum Martinum pro domo nostra et pro redditibus exposuit XJIf florenos superiores pro curte in terra Kempensi et legavit ultra illos trecentos florenos domui nostrae, quos reti27
Vgl. neben den Belegen in Anm. 23 noch HAStK, Groß Nazareth, Rep. und Hs. 1, fol. 16r (Stieftochter des Ratsherrn der Schneider von 1428-1439 Reinhard von Luntz, 1469: SCHLEICHER [Anm. 23] Nr. 2548; vgl. Testament 3/L 439), fol. lv (Tochter Heinrich Geilenkirchens, 1485); Rep. und Hs. 2, fol. 52r (Tochter Godert Hacks, 1468), fol. 50r (Tochter Heinrich Louffstats, 1487). 28 Herausgegeben von K. LÖFFLER, Das Gedächtnisbuch des Kölner Fraterhauses Weidenbach, in: AHVN 103 (1919) 1-47, nach der in Anm. 21 zitierten Handschrift. 29
LÖFFLER ( A n m . 2 8 ) 17 zu 1454.
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nuit nepos eins, sed semiducentos de Ulis dedit ad structuram capellae et sedilium in eadem. In seinem Testament30 bestimmte Heinrich für Dombau, Erzbischof, Pfarrkirche und Bettelorden nur einmalige Zahlungen von insgesamt gut 150 Gulden. 50 Gulden Rente sollten jährlich an zehn Hospitäler verteilt werden. Der Löwenanteil des Vermögens fiel aber zwei außergewöhnlichen karitativen Stiftungen zu: Zur Finanzierung von Verheiratung oder Klostereintritt armer Mädchen wurden in Köln jährlich 600 Gulden, in Büderich jährlich 200 Gulden den städtischen Obrigkeiten zur Verfügung gestellt. Gegenüber diesen Summen verblaßt das Legat an Weidenbach. Von der Rentenschuld des Hauses, 25 Gulden jährlich, sollten die Brüder zehn Gulden behalten dürfen, die restlichen 15 wurden den Kartäusern zugesprochen. Dennoch gibt es Anzeichen dafür, daß Haichs persönliche Beziehung zu Weidenbach enger war, als die rein arithmetische Betrachtungsweise nahelegen würde. Neben zwei Bürgermeistern bestellte er immerhin den Leiter des Fraterhauses Johann Berlin zu seinem Testamentsvollstrecker. Damit kommt wieder die Einschätzung Haichs aus der Sicht der Weidenbacher zu ihrem Recht. Der Perspektivwechsel macht im übrigen erneut die Einbettung der Devotio moderna in das breitere Spektrum spätmittelalterlicher Frömmigkeit deutlich. Wenden wir uns nun den Stiftern für Weidenbach im einzelnen zu. Zunächst ist festzustellen, daß der Kreis der Wohltäter keineswegs auf die Stadt Köln beschränkt war. Vom gesellschaftlichen Rang her gesehen ist die Schwester Erzbischof Dietrichs von Moers, Walburga, an die Spitze der Stifter zu rücken31. Unter den Kölner Wohltätern ragen Weltgeistliche verschiedener Stellung hervor. Es sind vor allem Inhaber bescheidener Pfründen, die häufig Seelsorgeaufgaben wahrnahmen: Gerlach von Wipperfurth, Benefiziat der Notburgiskapelle32; Arnold Kleppinck aus Dortmund, Benefiziat an St. Maria im Kapitol33; Wilhelm Loen aus Münster, Vikar ebenda34; Johann Langlar aus Aachen, Altarist in Mariengarten35; zwei Rektoren der Nikolauskapelle namens Nikolaus36; Johann de Hammone, Vikar zu St. Gereon37; Gerhard, Kaplan an Klein St. Martin38; Gottfried Sonntag, Pfarrer an St. Aposteln39, und weitere Geistliche, die sich keiner bestimmten Kirche zuordnen lassen. Seltener findet man Stiftskanoniker oder gar Prälaten. Immerhin sind verzeichnet Peter von Merode (St. Severin)40, Johann Immenrode (Kustos von St. Andreas)41, Johann Stommel und Konrad (Dekane
30
HAStK.HUA 3/12425 (4.7.1452). LÖFFLER (Anm. 28) 16 zu 1453. 32 LÖFFLER (Anm. 28) 13 zu 1438; Die Matrikel der Universität Köln 1389 bis 1559, 1-3, bearb. von H. KEUSSEN (PGRhGK 8/I-III) Bonn 1928-31 (ND 1979) Nr. 27, 4. 33 LÖFFLER (Anm. 28) 20 zu 1462 (Bücherstiftung); Matrikel (Anm. 32) Nr. 105, 23. 31
34
35
LÖFFLER ( A n m . 28) 23 zu 1471; Matrikel ( A n m . 32) Nr. 258, 41.
LÖFFLER (Anm. 28) 22 zu 1469 (Brevier). LÖFFLER (Anm. 28) 22 (1469) und 28 (1492, N. von Kalkar). 37 LÖFFLER (Anm. 28) 29 zu 1495. 38 LÖFFLER (Anm. 28) 26 zu 1482 (Brevier). 39 LÖFFLER (Anm. 28) 27 zu 1485 (Missale); Matrikel (Anm. 32) Nr. 326,45? 40 LÖFFLER (Anm. 28) 15 zu 1451. Vgl. H. J. DOMSTA, Geschichte der Fürsten von Merode, Bd. 1, Düren 1974, 234 f. Peter errichtete auch eine Stiftung für den 1423 gestorbenen Herzog Reinald von Geldern (15 mit falschem Tagesdatum). 36
41
LÖFFLER ( A n m . 28) 20 zu 1461; Matrikel ( A n m . 32) Nr. 61, 7.
DEVOTIO MODERNA IN KÖLN 42
977 43
von St. Aposteln) , Tilmann Joel von Linz (Dekan von St. Andreas) und Christian von Erpel (Propst von Mariengraden)44. Die beiden letzten waren zugleich Gelehrte von Format und schlagen damit die Brücke zur Kölner Universität. Ihre Beziehungen zu Weidenbach widerlegen die Behauptung Posts45, unter den Wohltätern der Brüder fände sich "no one calling himself a professor of the university of Cologne. Such a contact was evidently not in the Brother's line. They did not study at the university". Nur der letzte Satz dieses Zitats ist einigermaßen haltbar. Die überwiegende Mehrzahl der Brüder hatte tatsächlich keine Kölner Universitätserfahrungen aufzuweisen46. Das Kölner Haus hatte es sich ja auch nicht zur Aufgabe gemacht, Kölner Studenten zu betreuen, was übrigens nicht bedeutet, daß Studenten im Umfeld von Weidenbach völlig fehlen47. Es bestanden aber keine institutionalisierten Beziehungen zur Universität. Die Stiftungen von Professoren an Weidenbach entsprangen persönlichen Motiven. Zu den Wohltätern des Fraterhauses zählten so profilierte Gelehrte wie der Legist Georg Gladbach48, der reformbegeisterte Theologe Bernhard de Reyda49 und der Kanonist Heinrich de Stipite (Stock)50. Der Dekan von St. Aposteln Johann Stommel nahm in anderer Hinsicht eine Zwischenstellung ein. Er war von 1417 bis 1442 Protonotar (Kanzler), dann geschworener Rat des Rates der Stadt Köln51. In dieser Stellung setzte er sich energisch für die Weidenbacher ein: semper fuit promotor et protector noster apud consulatum52. Schon diese Charakterisierung im Gedächtnisbuch deutet darauf hin, daß die Brüder durchaus solcher guten Dienste gegenüber dem Kölner Rat bedurften. Ahnlich wie bei den Beginen und Schwestern verhielt sich der Rat tatsächlich zunehmend restriktiv gegenüber den Fraterherren. So verbot er 1460 das Hostienbacken über den Eigenbedarf hinaus53. Wenden wir uns nun den Kölner Bürgern unter den Stiftern für Weidenbach zu. Über viele von ihnen lassen sich in den städtischen Quellen keine weiteren 42
LÖFFLER (Anm. 28) 17 zu 1455 und 25 zu 1477. Zu Johann Stommel vgl. unten Anm. 51. LÖFFLER (Anm. 28) 20 zu 1461; Matrikel (Anm. 32) Nr. 86, 16; W. PODLECH, Tilman Joel, in: N D B X (1974) 458. 44 LÖFFLER (Anm. 28) 15 zu 1449; Matrikel (Anm. 32) Nr. 12, 3. 43
45
POST (Anm. 1 ) 4 2 5 .
46
Von den Brüdern, die das Gedächtnisbuch verzeichnet, kommen folgende als Besucher der Kölner Universität in Frage: Heinrich von Ahaus (Gründer von Weidenbach, Matrikel [Anm. 32] Nr. 121, 10, 1419, Theologie), Heinrich Schonswane (de Novomagio) (Nr. 107, 10, 1415), Petrus (Kiver) de Nussia (Nr. 179, 14, 1433, Rektor von Weidenbach 1481-1483), Heinrich Rees (Nr. 219, 19, 1443, kanonisches Recht), Heinrich von Udem (Nr. 267, 12, 1455), Gottfried (Luce) de Osnabrugis (Nr. 281, 39, 1459), Bruno (Husen) de Broyll (Nr. 297, 114, 1463, Rektor von Weidenbach 1477-1481). 47 Mehrfach belegt ist Peter Mandelkern von Kaub (ob mit dem in Matrikel [Anm. 32] Nr. 301, 53 von 1464 Genannten identisch?): HAStK, HUA 1/13861 (1484); H. KEUSSEN, Regesten und Auszüge zur Geschichte der Universität Köln 1388-1559, in: Mitt. aus dem Stadtarchiv von Köln 36/37 (1918) 242 Nr. 1804 (1485); Testament 3/B 805 (1487). 48 LÖFFLER (Anm. 28) 20 zu 1461(1); Matrikel (Anm. 32) Nr. 210, 3 (Exequien 1474!). 49 LÖFFLER (Anm. 28) 22 zu 1466: in reformatione monasteriorum et defensione iusticiae zelator praecipuus; vgl. GREVING (Anm. 14) 45, 48, 51; Matrikel (Anm. 32) Nr. 115, 7. 50 LÖFFLER (Anm. 28) 23 zu 1472; Matrikel (Anm. 32) Nr. 257, 61. 51 W. STEIN, Akten zur Geschichte der Verfassung und Verwaltung der Stadt Köln im 14. und 15. Jahrhundert, Bd. 1 (PGRhGK 10/1) Bonn 1893, CXXXIX ff. 52
LÖFFLER (Anm. 2 8 ) 17.
53
Beschlüsse 1 (Anm. 24) Nr. 1460,4.
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Angaben finden, ja man kann im Einzelfall nicht einmal sicher sein, daß man es tatsächlich mit Einwohnern der Stadt Köln zu tun hat. Dieser Umstand deutet zusammen mit der Feststellung, daß in den meisten Fällen die Stiftungssummen eher bescheiden sind, darauf hin, daß diese Männer und Frauen aus mäßig begüterten Mittelschichten stammten. Dieser Eindruck wird bestätigt durch Einzelfälle, die sich näher untersuchen lassen: Zum Jahre 1432 ist ein Jakob van Dyck im Weidenbacher Gedächtnisbuch verzeichnet, der 25 Mark zum Erwerb einer Erbrente von einer Mark für seine Memorie stiftete54. Es dürfte sich bei ihm um den Mann handeln, der am 20. Juli 1430 mit den Provisoren des Allerheiligenhospitals auf dem Eigelstein vertraglich vereinbarte, daß er gegen Zahlung von 300 Mark ein Haus hinter dem Hospital bewohnen und sein Leben lang die Verpflegung der Hospitalinsassen get bas off die helfte me erhalten sollte55. Offenbar hatte Jakob die durch den Vertrag ausbedungene bescheidene Lebensführung bewußt gewählt. Immerhin stand ihm ein Bote zur Verfügung, der die Verpflegung im Hospital in Empfang nehmen sollte. Auch führte er ein Siegel mit einer Hausmarke, was auf kaufmännischen Hintergrund verweisen könnte. Dem Gedächtnisbuch zufolge ist Jakob am 20. Mai 1432 im Meer ertrunken. Deutlicher als bei Jakob van Dyck tritt die bewußte Wahl einer religiös motivierten Lebensgestaltung bei Johann (von) Braubach hervor56. Johann hatte es sich zur Aufgabe gemacht, sich um die Außenbeziehungen des seit 1451 streng regulierten Weißfrauenklosters zu kümmern. Er wird in den Quellen unterschiedlich angesprochen: gottesfürchtig, unsen mytynwoenre uns cloisters, proevender und diener, coster ind eyn geprouynd broeder57. Sein Testament vom 15. Februar 1487 ist sehr aufschlußreich für das Umfeld eines Devoten in Köln58. Johann wählte seine Grablege bei den Weißen Frauen, denen er auch den Löwenanteil seines Vermögens vermachte (50 Gulden, ein Haus, Renten)59. An zweiter Stelle erscheint das Haus Weidenbach mit 20 oberländischen Gulden und vier Meßstiftungen bei den Weißen Frauen60. Weiterhin bedachte Johann die Pfarrkirche St. Mauritius (2 Mark), die Dominikaner, Karmeliter, Augustiner und Kreuzbrüder (1 Gulden), die Klausen St. Nikolaus (8 Gulden) und St. Reinold (1 Gulden), das Schwesternhaus Mommersloch (1 Gulden), die Liebfrauenbruderschaft zu St. Pantaleon (1 Gulden), die 1402 von den Weißgerbern gegründete Maria-Magdalenenbruderschaft zu den Weißfrauen (1 Gulden)61 sowie Hospitäler. Ein Neffe Johanns lebte in Braubach. Das deutet darauf hin, daß Johann selbst ein Zuwanderer in Köln war, wo er wohl nie förmlich das Bürgerrecht erwarb. Als er 1450 mit einer Stiftung von 2 Gulden an Weidenbach in den Kölner Quellen auftaucht, heißt es von ihm: zertzijt woenafftich bynnen Colne62. Johann war keineswegs
54 55 56 57 58 59 60 61 62
LÖFFLER (Anm. 28) 13. HAStK, HUA 1/10714; zur Lage vgl. KEUSSEN (Anm. 10) 2, 143a59. LÖFFLER (Anm. 28) 29 zu 1495: ad albas dominas familiaris. HAStK, Weiße Frauen Urk. 1/211 (1482), 2/213 (1484), HUA 1/13743. HAStK, Testament 3/B 805, ein früheres Testament Weiße Frauen Urk. 2/213 (14.7.1484). Vgl. HAStK, Weiße Frauen Urk. 1/212 (16.10.1482). Vgl. HAStK, HUA 1/13743, Weiße Frauen Urk. 1/222 (13.7.1491). Vgl. das Bruderschaftsbuch HAStK, Geistliche Abteilung 233. HAStK, HUA 1/12242.
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mittellos, was mehrere Rentenkäufe bezeugen63. Wie er sein Geld verdiente, weiß man allerdings nicht. Von anderen Stiftern sind die Berufe bekannt. Heinrich Mülheim (f 1432) war Goldschmied64. In seinem Testament werden zwar die Weidenbacher nicht bedacht, wohl aber die Windesheimer Stifte Bödingen und Engelthal65. Arnold Geilenkirchen (f 1458) war Bäcker66, ein Meister Derich (f 1478) Zimmermann67. Albert Waepensticker (t 1498) übte vermutlich den namengebenden Beruf aus68. Bei all diesen Männern handelt es sich um gutsituierte Handwerker. Bemerkenswert ist die Zahl der Frauen unter den Stiftern für Weidenbach: Hasa von Rome (t 1430)69, Elisabeth super Portam Grecorum (f 1439)70, die Witwe Katharina (f 1439)71, Bela de Caminata (f 1450)72, Alheydis de Hovenich ( t 1450)73, Elisabeth Ranswessgersse (f 1458)74, die in das Benediktinerinnenkloster zu den Machabäern eintrat, und die Witwe Hadwich von der Linden ( t 1479)". Die bisher behandelten Personen stehen gewiß für andere aus ähnlichen Verhältnissen, die keine Spuren hinterlassen haben. Es waren durchweg bescheidene Leute, die weder einzeln noch als Gruppe (soweit man sie als solche überhaupt auffassen darf) genügend Gewicht hatten, um in irgendeiner Weise Einfluß auf die städtische Politik nehmen zu können. Man darf sie als wohl unauffällige kleine Minderheit mit eigenem Profil einstufen. Menschen wie die soeben vorgestellten prägten das Erscheinungsbild der Devotenbewegung in Köln. In ganz andere gesellschaftliche Bereiche verweisen weitere Stifternamen aus dem Gedächtnisbuch von Weidenbach. Es handelt sich um Vertreter der 1396 aus dem Ratsregiment verdrängten Kölner Geschlechter. Die Rolle, die diese Geschlechter nach der Zerschlagung ihres Machtmonopols im politischen, wirtschaftlichen, religiösen und kulturellen Leben Kölns gespielt haben, ist noch wenig erforscht76. Beziehungen zu Weidenbach knüpften vor allem die Hardefust, die in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts noch vier Ratsherren, darunter zwei Bürgermeister, stellen konnten77. Die Wohltäter von Weidenbach kamen allerdings aus an-
63
HAStK, HUA 1/13743 (1482), 2/13652 (1481), 1/13827 (1485). LöFFLER(Anm. 28) 13. 65 HAStK, Testament 2/M 560 (16.10.1432). 66 LÖFFLER (Anm. 28) 18. Er war verheiratet mit Elsa de Duesburch ( t 1459: ebd. 18 f.). 67 LÖFFLER (Anm. 28)25. 68 LÖFFLER (Anm. 2 8 ) 3 0 . 69 LÖFFLER (Anm. 28) 13. Vgl. B. KUSKE, Quellen zur Geschichte des Kölner Handels und Verkehrs im Mittelalter, 4 Bde., hier Bd. 3 (PGRhGK 33/111) Bonn 1923 (ND 1978) 325. 70 LÖFFLER (Anm. 28) 14. 71 LÖFFLER (Anm. 28)14. 72 LÖFFLER (Anm. 28) 15. 73 LÖFFLER (Anm. 28)15. 74 LÖFFLER (Anm. 28) 17. 75 LÖFFLER (Anm. 28) 25. 76 Zu den Ereignissen von 1396 vgl. K. MILITZER, Ursachen und Folgen der innerstädtischen Auseinandersetzungen in Köln in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts (Veröffentl. des Köln. Geschichtsvereins 36) Köln 1980, 223 ff.; W. HERBORN, Die politische Führungsschicht der Stadt Köln im Spätmittelalter (Rhein. Archiv 100) Bonn 1977, 301 ff. Die Arbeit reicht bis 1450, behandelt aber den hier angesprochenen Themenkomplex kaum. 77 SCHLEICHER (Anm. 23) Nr. 1581-1584; HERBORN (Anm. 76) 548. 64
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deren Zweigen des Geschlechts. Genannt werden Franko Hardefust (f 1439)78, Everhard Hardefust (t 1441) - Mönch in St. Matthias in Trier79 Anna Hardefust (t 1441)80, Heinrich Hardefust (f 1453)81, sein Sohn Gumpert (t 1478)82 und Gertrudis Hardefust (f 1498)83. Der Schöffe Heinrich Hardefust trat der Stadt 1441 ein Beginenhaus im Tausch gegen Baugrund für eine Erweiterung des Fraterhauses ab84. Sein Sohn Gumpert, ebenfalls Schöffe und letzter männlicher Vertreter seines Geschlechts, wird 1453 als Kölner Bürger und blivende inwoenre von Weidenbach bezeichnet, wo er als Bruder sein Leben beendete85. Verwandt mit den Hardefust war Johann Mommersloch (f 1477)86. Zu den ersten Wohltätern der Weidenbacher zählte Gerhard vom Kusin (f 1460)87, der im Jahre 1436 vier Mark Erbrente für sein Gebetsgedenken stiftete88. Drei weitere Freunde der Fraterherren aus den Kreisen der Geschlechter waren Constantin Lyskirchen (f 1475)89 u n ( j Heinrich und Johann Jude ( | 1492)90. Die Eintragungen im Gedächtnisbuch von Weidenbach bezeugen eine bemerkenswerte Offenheit der alten städtischen Führungsschicht für die Devotio moderna. Bei den Hardefust ging sie einher mit engen Bindungen an die Kartäuser91. Die Offenheit für religiöse Strömungen außerhalb der etablierten Orden hatte bei den Geschlechtern insofern Tradition, als sie als Patrone verschiedener Beginenhäuser mit solchen Bestrebungen über Generationen in Beziehung standen. Die Erhebung von 1452 weist gerade die Hardefust, Jude und Lyskirchen neben den Quattermart, Scherfgin und vom Hirtz als "Obere" von Beginenhäusern nach92. Die Empfänglichkeit für die Devotenbewegung könnte bei den Nachfahren der Geschlechter allerdings auch allgemeiner in einer elitären kulturellen und religiösen Einstellung wurzeln, die sie von der neuen politischen Führungsschicht mit ihrer stärker kommerziellen und utilitaristischen Ausrichtung unterschied93.
78
LÖFFLER ( A n m . 2 8 ) 13.
(Anm. 28)14.
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LÖFFLER
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LÖFFLER ( A n m . 2 8 ) 14.
(Anm. 28) 16: domesticus noster, HERBORN (Anm. 76) 638 (Schöffe). (Anm. 28) 25; HERBORN (Anm. 76) 638 (Schöffe). 83 LÖFFLER (Anm. 28) 30. 84 HAStK,HUA 2/11513. 85 HAStK, HUA 1/12505. 86 LÖFFLER (Anm. 2 8 ) 2 5 ; vgl. auch die Angaben bei Anm. 11. Ein anderer Johann Mommersloch stimmte dem in Anm. 84 nachgewiesenen Tausch von 1441 zu. 81
82
87
88 89
LÖFFLER LÖFFLER
LÖFFLER ( A n m . 2 8 ) 19.
HAStK, HUA 2/11193. LÖFFLER ( A n m . 2 8 ) 2 4 . LÖFFLER (Anm. 28) 28.
Zu dem domicellus Johannes Jude senior vgl. AHVN 83 (1907) 139 (1456, Junker), 182 (1481, der Alte), 185 (1487, Verzicht auf Mannlehen aus Altersgriinden zugunsten seines Sohnes Daniel). 91 Die Kölner Kartause um 1500 (Anm. 7) 80 f. 90
92
GREVING ( A n m . 1 4 ) 4 4 N r . 2 0 ; 4 5 N r . 2 3 ; 4 6 N r . 3 3 ; 4 7 N r . 3 6 ; 4 8 N r . 4 0 ; 4 9 N r . 4 5 , 4 7 ; 5 0 N r .
53, 54; 52 Nr. 65; 53 Nr. 70; 54 Nr. 80; 56 Nr. 90, 93; 57 Nr. 96. 93 Von den Geschlechtern auch noch im 15. Jh. dominiert wurde die Marienbruderschaft von St. Maria im Kapital (gegründet um 1350), der vermutlich die bei Anm. 78, 81, 82, 87, 89 und 90 genannten Männer Eingehörten. Zu der Bedeutung dieser Bruderschaft vgl. demnächst M. GROTEN, Gesellschaftlicher Wandel und Verfassungsentwicklung in der Stadt Köln im 13. Jahrhundert (Habilitationsschrift Köln 1990), Kap. 4.3; sonst A. KULENKAMPFF, Die Marienbruderschaft von St. Maria im Kapital und ihre Bedeutung für das kirchliche Leben in vortridentinischer Zeit (ca. 13501634), in: JbKGV 60 (1989) 1-30.
D E V O T I O M O D E R N A IN K Ö L N
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Einige wenige Vertreter dieses neuen Stadtregiments finden sich allerdings auch im Gedächtnisbuch von Weidenbach. Mit ihnen wollen wir uns nun etwas eingehender befassen. Der älteste nachweisbare Ratsherr ist Gottschalk Hogheboren (f 1449)94, der Weidenbach 200 Mark stiftete. Gottschalk wurde lediglich einmal Weihnachten 1434 von der rangniedrigsten Gaffel der Leineweber in den Rat gewählt95. Er kann damit nur bedingt der politisch aktiven Schicht der Stadt zugerechnet werden. Als nächster Ratsherr ist Johann Rinck (t 1464) von der Gaffel Windeck zu nennen, der zwischen Weihnachten 1439 und Weihnachten 1460 in regelmäßigem Dreijahresturnus dem Rat angehörte, allerdings nie in wichtigere Ratsämter gewählt wurde96. Johann stammte aus Korbach und erwarb erst 1432 das Kölner Bürgerrecht97. Seine Familie, die noch lange Verbindungen zu ihrer Herkunftsstadt unterhielt, gelangte vor allem durch Englandhandel zu großem Reichtum98. Sie stellte bis zum Ende des 16. Jahrhunderts zehn Ratsherren, darunter zwei Bürgermeister99. Von den Nachkommen Johanns hat nur noch Dr. Peter Rinck Beziehungen zu den Fraterherren gepflegt100. Johann Rinck begünstigte allerdings keineswegs nur die Weidenbacher. 1462 finanzierte er den Bau von sechs Kammern zur Unterbringung von Geisteskranken im Hospital St. Revilien101. Seine Grablege wählte er bei den Kartäusern. In seinem stark beschädigt überlieferten Testament bedachte er eine große Zahl von Kirchen und Hospitälern innerhalb und außerhalb Kölns102. Es verdient besondere Beachtung, daß Johann Rinck ein Neubürger war, der sich sicher noch nicht völlig den Gepflogenheiten der guten Kölner Gesellschaft angepaßt hatte. Charakteristisch für Neubürger ist etwa die geringe Bindung an die jeweilige Pfarrkirche. Auch Johann von Kerpen, der einmal zum Johannisfest (24. Juni) 1452 von der Bäckergaffel in den Rat gewählt wurde, könnte Neubürger gewesen sein103. Wie eng seine Beziehungen zu den Weidenbachern waren, ist schwer zu sagen, weil die Initiative zu seiner Eintragung in das Gedächtnisbuch von seiner Frau
94
LÖFFLER(Anm. 2 8 ) 15.
95
SCHLEICHER (Anm. 23) Nr. 1791. Zum Modus der Ratswahl vgl. Beschlüsse 1 (Anm. 24) XV ff. und Beschlüsse (Anm. 24), Bd. 2, bearb. von M. GROTEN (PGRhGK 65/11) Düsseldorf 1989, VI ff. 96 LÖFFLER (Anm. 28) 21; SCHLEICHER (Anm. 23) Nr. 3101, sein Bruder Hermann Nr. 3099 (Bürgermeister 1480-1489). Quelle für die Ratsämter ist das Verzeichnis HAStK, Verfassung und Verwaltung C 5. Aus Platzgründen soll hier auf Folienangaben verzichtet werden. Johann war u.a. Fischmarktmeister (Weihnachten [= W] 1452, 1455), Kontrolleur für Ärzte und Barbiere (W 1454), Briefmeister (W 1457). Zu den einzelnen Ratsämtem vgl. Beschlüsse 1 (Anm. 24) XXI ff.; 2 (Anm. 95) XI ff. 97 Kölner Neubürger 1356-1798, Bd. 1, bearb. von H. STEHKÄMPER (Mitt. aus dem Stadtarchiv von Köln 61) Köln 1975, Nr. 1432, 6. 98 Vgl. F. IRSIGLER, Hansekaufleute - Die Lübecker Veckinchusen und die Kölner Rinck, in: Hanse in Europa. Brücke zwischen den Märkten [Ausstellungskatalog], Köln 1973, 301-327. H. KNAUS, Zum Kölner gotischen Bucheinband: Die Meister des Johann Rinck und des Peter Rinck, in: Studien zur Handschriftenkunde. Gesammelte Aufsätze, hg. von G. ACHTEN u.a., München u.a. 1992, 235245 (Erstveröffentlichung: Börsenblatt für den Dt. Buchhandel, Frankfurter Ausgabe, Nr. 23 [1970] 665-672). 99
100
SCHLEICHER ( A n m . 2 3 ) N r . 3 0 9 6 - 3 1 0 5 .
LÖFFLER (Anm. 28) 37; F. IRSIGLER, Peter Rinck, in: Rhein. Lebensbilder VI (1975) 55-69. Beschlüsse 1 (Anm. 24) Nr. 1462, 12. HAStK, Testament 3/R 263 (21.12.1463); vgl. KUSKE 3 (Anm. 69) 300 f. 103 SCHLEICHER (Anm. 23) Nr. 2067; Neubürger (Anm. 97) Nr. 1449, 13. 101
102
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MANFRED GROTEN
104
Bela ausging . Die Bäckerei des Ehepaars lag bei der Griechenpforte in unmittelbarer Nähe des Fraterhauses105. Noch ein dritter Ratsherr, der im Gedächtnisbuch erscheint, Heinrich Haich (f 1454), wie Johann Rinck Kaufmann und Mitglied der Gaffel Windeck, war Neubürger106. Er stammte aus Büderich. Von Heinrichs außergewöhnlichem sozialen Engagement, wie es in seinem Testament beredten Ausdruck gefunden hat, war schon oben die Rede107. In den Rat gelangte Heinrich nicht durch die Wahl seiner Gaffel, sondern zu Johannis 1450 und 1453 durch Zuwahl in das sogenannte Gebrech108. Dieses Wahlverfahren zeigt, daß die Mehrheit der aus den Gaffeln gewählten Ratsherren Wert auf seine Teilhabe am Stadtregiment legte. Heinrichs früher Tod verhinderte seinen Aufstieg im städtischen Cursus honorum. Angesichts der Tatsache, daß dem Kölner Rat im Laufe von drei Jahren 147 Personen angehörten, erscheint die Zahl von drei Ratsherren, die in den vierziger und fünfziger Jahren Beziehungen zu Weidenbach knüpften, verschwindend gering, zumal keiner dieser Männer in politische Schlüsselpositionen aufgestiegen ist. Nach 1460 ging die Zahl der Ratsherren, deren man sich als Wohltäter von Weidenbach erinnerte, zunächst sogar noch zurück. Für die Gaffel Himmelreich saß von Johannis 1459 bis Johannis 1471 in regelmäßigem Turnus der Neubürger Reinhard von Eger im Rat109. Auch ihm blieben die höchsten Ratsämter verschlossen, er wurde allerdings dreimal zum Rheinmeister gewählt110. Reinhard hat mehrere Testamente hinterlassen. 1472 bedachte er die Kanoniker von Herrenleichnam, die Bettelorden und Hospitäler111. Im folgenden Jahr vermachte er unter anderem den Dominikanern 100 Gulden, den Kreuzbrüdern und den Stiften Herrenleichnam und Bödingen je 50 Gulden und dem Haus Weidenbach und der Reinoldsklause je 25 Gulden112. Sein letztes Testament von 1487 wiederholt diese Legate113. Reinhard gehörte nach 1471 nicht mehr dem Rat an. Mit Blick auf die Daten seiner Testamente könnten gesundheitliche Probleme für den Abbruch seiner politischen Karriere verantwortlich gemacht werden. Reinhards Bruder Wetzel (f 1504), in Köln eingebürgert seit 1463, trat ebenfalls als Wohltäter von Weidenbach hervor114. Er half den Neubau der Kapelle des Hauses und ihre Ausstattung mit Fenstern finanzieren. Wetzel hatte geschäftliche Verbindungen mit dem gleichnamigen Neffen Heinrich Haichs115. In seinem Testament bedachte er auch das Stift Herrenleichnam116. 104 LÖFFLER (Anm. 28) 17 zu 1458: Bela pistrix circa Portam Graecorum. Das Todesjahr Johanns ist nicht angegeben. 105 KEUSSEN (Anm. 10) 2, 205a6. 106 SCHLEICHER (Anm. 23) Nr. 1527; Neubürger (Anm. 97) Nr. 1439, 18. 107 Vgl. oben bei Anm. 29 und 30. 108 Zum Gebrech vgl. Beschlüsse 1 (Anm. 24) XVII; 2 (Anm. 95) IX. 109 SCHLEICHER (Anm. 23) Nr. 948; Neubürger (Anm. 97) Nr. 1435, 16. Reinhard fehlt im Gedächtnisbuch von Weidenbach. 110 H A S t K , Verfassung und Verwaltung C 5 zu Johannis (= J) 1466, 1469 und 1472. 111 HAStK, Testament 3/E 59; vgl. KUSKE 3 (Anm. 69) 239. 112 HAStK, Testament 3/E 60. 113 HAStK, HUA 2/14129. 114
LÖFFLER ( A n m . 2 8 ) 31 f.; N e u b ü r g e r ( A n m . 97) Nr. 1463, 14.
115
KUSKE 3 (Anm. 69) 239 f. HAStK, Testament 3/E 61 (7.3.1499).
116
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Der von Johannis 1473 bis Weihnachten 1488/89 als Ratsherr für das Wollenamt bezeugte Johann Krup van Vrechen ( t 1498) war - wie fast alle seine bisher behandelten Kollegen - Neubürger in Köln117. Er wurde lediglich mit untergeordneten Ratsämtern betraut118. Nur zweimal erscheint er im Verzeichnis der Ratsfreunde, also der Männer, die der Rat nach eigenem Gutdünken an seinen Verhandlungen beteiligen konnte119. Auffallig ist zudem, daß der regelmäßige Turnus der Wiederwahl in Johanns Fall nach dem Johannistermin 1485 unterbrochen wurde. Nur noch einmal, zu Weihnachten 1488, gelangte er in den Rat. Man muß für diese Unregelmäßigkeiten allerdings nicht unbedingt politische Hintergründe suchen; Johann machte immerhin am 28. September 1490 ein Testament120. Er bedachte darin den Papst, den Erzbischof, den Dombau, die Bettelorden und seine Pfarrkirche St. Peter mit kleinen Summen. Aus dem Testament geht hervor, daß eine Tochter Johanns in der Nikolausklause lebte121. Johanns gleichnamiger Sohn ist 1486 in Weidenbach eingetreten122. Im selben Zeitraum wie Johann von Frechen gehörte Konrad von Kerpen (t 1498) von der Faßbindergaffel dem Rat an123. Zunächst wurde er zu Weihnachten 1476 und 1479 gewählt, dann kam es zu einer Unterbrechung des Turnus, der sich erst mit Wahlen in das Gebrech von Johannis 1483 bis 1495 fortsetzte. Neben kleineren Ämtern bekleidete Konrad 1487/88 und 1490/91 das des Rheinmeisters124. Nur selten wurde er in den Kreis der Ratsfreunde gewählt125. Ihren größten Umfang erreichte die Gruppe der Förderer von Weidenbach im Rat am Ende der achtziger Jahre, als zu Johann von Frechen und Konrad von Kerpen noch Johann (von) Dinslachen, Heinrich Haich d.J. und Johann (von) Merl hinzutraten. Anlaß zu größerem Stiftungseifer bot seit etwa 1490/91 der Neubau der Kapelle des Fraterhauses126. Johann Dinslachen (f 1504) könnte mit dem 1488 eingebürgerten Mann dieses Namens identisch sein127. Jedenfalls taucht er als erster seiner Familie als Kaufmann mit Handelsinteressen sowohl in den Niederlanden als auch in Frankfurt 117
LöFFLER(Anm. 28)30; SCHLEICHER (Anm. 23) Nr. 1229; Neubürger (Anm. 97) Nr. 1468, 12. HAStK, Verfassung und Verwaltung C 5: ab J 1473 Biermeister, Wuchermeister, Brandmeister, Klagmeister, Überwachung von Sartuch, böser Farbe und Wollküche. 119 Z u den Ratsfreunden vgl. STEIN 1 (Anm. 51) 358 f. zu 1450 (alle halbe Jahre von den wijsten ind eirbersten höchstens 25 Personen zu wählen, in trefflichen Sachen eyme raide zertzijt zo hulperi). Johann im Verzeichnis der Freunde: HAStK, Verfassung und Verwaltung C 17 zu J 1484 und 1487 (vom Ende des Bandes her rückläufige Zählung, fol. 13r, 16r). 120 HAStK, Testament 3/K 896. 121 Vgl. zur Nikolausklause oben bei Anm. 13. 122 Protokoll der Profeß HAStK, HUA 1/14063. 123 LÖFFLER (Anm. 28) 30; SCHLEICHER (Anm. 23) Nr. 2071; Neubürger (Anm. 97) 1450,2 oder 1454,21? 124 HAStK, Verfassung und Verwaltung C 5: Brandmeister,. Urteilmeister, Wuchermeister, Biermeister, Amtleutegericht, Überwachung von Wollküche, Pagament, Luxusvorschriften bei Hochzeiten. 125 HAStK, Verfassung und Verwaltung C 17 zu W 1478 (fol. 6v), W 1482 (fol. 1 lv), J 1490 (fol. 19r). Als Interessenvertreter der Gemeinde gegenüber dem Rat (Vierundvierziger) ist Konrad nachzuweisen in Beschlüsse 1 (Anm. 24) Nr. 1482, 7, 38, 70; 1485, 10; 1488, 5, 6, 26, 31, 35; 1491, 2, 13; 1494, 3. Zu den Vierundvierzigem vgl. Beschlüsse 1 (Anm. 24) XIX; 2 (Anm. 95) XI. 126 Die Kunstdenkmäler der Stadt Köln, Ergänzungsbd. (Anm. 13) 156. 127 LÖFFLER (Anm. 28) 32; SCHLEICHER (Anm. 23) Nr. 773; Neubürger (Anm. 97) Nr. 1488, 18. Johann wird allerdings schon 1485 beiläufig als Bürger bezeichnet: KUSKE, Quellen (Anm. 69) Bd. 2 (PGRhGK 33/11) Bonn 1917 (ND 1979), 500. 118
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und Venedig in den Kölner Quellen auf 2 8 . Vom Rat wurde er von Johannis 1489 bis 1495 dreimal turnusmäßig in das Gebrech gewählt. Mit dieser gewöhnlich als besonders ehrenvoll eingestuften Wahl kontrastiert die Feststellung, daß Johann nur bescheidene Ratsämter bekleidete, ja mehrere Male sogar gar keine129. Ob man ihm angesehenere Ämter verweigerte oder ob er sich ihnen entzog, ist natürlich nicht zu entscheiden. Zu Johannis 1498 wurde Johann nicht gewählt, wohl aber - ein letztes Mal - Johannis 1499. Von ganz anderem Zuschnitt waren die beiden letzten Ratsherren, die hier noch zu berücksichtigen sind. Heinrich Haich d. J. (f 1505) trat in die Fußstapfen seines weiter oben vorgestellten gleichnamigen Oheims. So tat er sich auch als Förderer von Weidenbach hervor130. Seine Ratskarriere verlief keineswegs gradlinig131. Zuerst wurde er zu Weihnachten 1465 in das Gebrech gewählt, dann folgten Wahlen zu Weihnachten 1470 (Gebrech) und 1482 (Gebrech). Nach dem letzten Amtsjahr schied Heinrich aus dem Rat aus und trat für einige Jahre in erzbischöfliche Dienste132. Erst zu Johannis 1488 stand er der Gaffel Windeck wieder zur Verfügung. 1491 und 1494 wählte ihn der Rat dann zum Bürgermeister. Heinrich war damit der erste Wohltäter von Weidenbach, dem es gelang, in die engste politische Führungsgruppe Kölns vorzustoßen. Zu dieser Gruppe gehörte auch der letzte der hier zu behandelnden Stifter, Johann von Merl (f 1505), Bürgermeister der Jahre 1492/93 und 1498/99133. Johann war der Sohn eines gleichnamigen Mannes, der 1440 Bürger von Köln geworden war134. Die von Merl waren als Kaufleute vor allem in den Niederlanden aktiv135. Der jüngere Johann, der sich übrigens 1460 an der Kölner Universität immatrikulierte136, war der erste seiner Familie, der in den Kölner Rat gewählt wurde. Von Johannis 1480 bis 1499 erstreckten sich seine Amtszeiten entweder als Vertreter der Gaffel Himmelreich oder als Gebrechherr. Johanns beide Ehefrauen kamen aus den Ratsfamilien Kannengießer und Hardenrath. Wiederholt nahm Johann an städtischen Gesandtschaften teil137. Am 20. Juni 1501 wurde er zum Rat Philipps des Schönen ernannt und schied damit aus der kölnischen Politik aus138. Mit den beiden Bürgermeistern der neunziger Jahre erreichte der Einfluß der Devotio moderna auf die städtische Führungsschicht ihren Höhepunkt, dem ein jähes Ende beschieden war, denn zu Beginn des 16. Jahrhunderts rissen die Ver-
128
KUSKE 2 (Anm. 127) 500, 534 ff. HAStK, Verfassung und Verwaltung C 5: Aufsicht über Kannengießer (J 1489), Goldschläger (J 1492, J 1499) und Seidmacherinnen (J 1492, J 1499), Hallrichter (J 1490), Wachmeister (J 1492). Keine Ämter J 1493, 1495, 1496, 1500. 130 LÖFFLER (Anm. 28) 32: saepe obsequiosus nobis fuit apud consulatum. In seinem Testament HAStK, Testament 3/H 6 (5.2.1505), wird Weidenbach nicht erwähnt. 131 SCHLEICHER (Anm. 23) Nr. 1562 mit falschen Eckdaten. Die richtigen Daten sind dem offiziellen Ratsverzeichnis (Anm. 96) entnommen. 132 HAStK, Verfassung und Verwaltung C 5 zu W 1482: familiaris veslitutus(\) domini Coloniensis. Auswärtiger Herrendienst schloß von der Mitgliedschaft im Kölner Rat aus. 133 LÖFFLER (Anm. 28) 32; SCHLEICHER (Anm. 23) Nr. 2684. 134 Neubürger (Anm. 97) Nr. 1440,9. 135 Beschlüsse 1 (Anm. 24) Nr. 1472, 42 und 58; KUSKE, Quellen (Anm. 69) Bd. 4 (PGRhGK 33/IV) Bonn 1934, 324 (Personenregister s.v. 'Merl'). 136 Matrikel (Anm. 32) Nr. 284, 19. 137 Beschlüsse 1 (Anm. 24) Nr. 1489, 10, 28; 1490,9, 18; 1491,27; 1493,3; 1496, 16, 24,26. 138 HAStK, Bestand 1061A (Slg. von der Ketten), Bd. 6, 331 f. (Abschrift). 129
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bindungen des Hauses Weidenbach mit Vertretern der Kölner Ratsfamilien fast völlig ab. Zusammenfassend läßt sich sagen, daß die Ratsherren, die als Stifter für Weidenbach in den Quellen auftauchen, eine verschwindend kleine Minderheit darstellten. Sie kamen fast alle aus Familien, die zuvor noch nicht im Stadtregiment vertreten waren. Die meisten von ihnen spielten im Rat eine untergeordnete Rolle. Ihr Einfluß auf die Gestaltung der städtischen Politik dürfte angesichts ihrer geringen Autorität kaum wahrnehmbar gewesen sein. Auffallig ist, daß viele dieser Ratsherren Neubürger in Köln waren. Gerade diese Personengruppe scheint in der Phase der Neuordnung ihrer Lebensverhältnisse empfanglich für die Bewegung der Devotio moderna gewesen zu sein. Mit zunehmender Etablierung paßte sich in den meisten Fällen auch das religiöse Leben an die in Köln vorherrschenden Normen an. Nur selten läßt sich das Engagement für Institutionen der Devotio moderna über zwei Generationen verfolgen wie etwa bei den Haich und Rinck. Alteingesessene Familien aus den Kreisen, die im 15. Jahrhundert den Kölner Rat trugen, sucht man unter den Wohltätern von Weidenbach vergeblich. Eine Untersuchung des städtischen Freundeskreises des Stiftes Herrenleichnam bestätigt die für Weidenbach erzielten Ergebnisse. Auch die Stifter für Herrenleichnam entstammten in der Mehrzahl den städtischen Mittelschichten. Zu dieser Gruppe zählte etwa der Schmied Hermann de Kuckel, der 1445 Herrenleichnam 50 Gulden und fünf Morgen Ackerland in Brauweiler vermachte139. 1483/84 treten als Zeugen für das Stift der Zimmermann Anton Wyntha(g)en und der Kürschner Gerhard, Sohn Gerhards de Traiecto, in Erscheinung140. Unter den weiblichen Stiftern wäre Bele Houlschenmechers zu nennen141. Die Beziehungen von Vertretern der Kölner Geschlechter zu Herrenleichnam können nicht sehr intensiv gewesen sein. 1448 begegnen Gerhard von Kusin und Constantin Lyskirchen als Zeugen für das Stift142. Beide Namen tauchen auch in der Weidenbacher Überlieferung auf 4 3 . Die Suche nach Ratsherren unter den Wohltätern von Herrenleichnam führt zu einem ähnlichen Ergebnis wie bei Weidenbach. Der Ratsherr Reinhard von Eger wurde schon als Stifter für das Fraterhaus erwähnt144. Er bedachte Herrenleichnam 1473 mit 50 Gulden. Als ältester unter den Ratsherren ist der Goldschmied Hermann von Oldendorp nachzuweisen145, möglicherweise ein Neubürger146, der zunächst zu Weihnachten 1421 in den Rat gewählt wurde. Weitere Wahlen folgten in unregelmäßigen Abständen bis Weihnachten 1437, dann - nach längerer Pause - zu Weihnachten
139
HAStK, Geistliche Abteilung 107, fol. 26v ff. Ebd., fol. 117v, 108v. Vgl. Johann Winthagen von Gummersbach: Pfarrarchiv von St. Peter. A: Urkunden, in: AHVN 71 (1901) 196 nr. 61 ( t 1504). 141 HAStK, Herrenleichnam (Depositum) Urk. 2/2 zu 1447. 142 HAStK, Geistliche Abteilung 107, fol. 29v. Vgl. für Kusin fol. 169r (1474). 143 Vgl. oben bei Anm. 87-89. 144 Siehe oben bei Anm. 109. 145 HAStK, Geistliche Abteilung 107, fol. lOv ff. (1440); SCHLEICHER (Anm. 23) Nr. 2967a und 2967! Fol. 22r ist zu 1437 Johann Snorre belegt, dessen Name, allerdings gestrichen, einmal im Jahre 1400 in der Ratsliste für die Gaffel Himmelreich steht. 146 Neubürger (Anm. 97) Nr. 1416,2. 140
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1460 und 1463 sowie zu Johannis 1467. 1461 und 1464 übernahm Hermann das Amt des Gewaltrichters147. Im Testament des Gürtelmachers Johann Ipermann wurde Herrenleichnam mit 50 Mark reichlich bedacht148. Die gleiche Summe ging an das Hl.-Geist-Hospital, 20 Mark kamen der Pfarrkirche St. Brigiden zu, wo Johann seine Grablege wählte; kleinere Zuwendungen erhielten die Bettelorden, das Kloster Groß St. Martin und Hospitäler. Der Prior von Herrenleichnam wurde neben Laien zum Testamentsvollstrecker eingesetzt. Bei der Inventarisierung von Johanns Hinterlassenschaft kurz nach seinem Tod im Jahre 1476 werden zwar ein Marienbild und ein Weihkesselchen, aber keine Bücher erwähnt. Johann Ipermann wurde von Weihnachten 1437 bis 1473 von seiner Gaffel in den Rat gewählt149. Er bekleidete keine fuhrenden Ämter150. Nach seinem letzten Ratsgang wurde er allerdings dreimal zum Ratsfreund ernannt151. Etwas jünger als Johann Ipermann war der Bäcker Johann von Geyen, der Neubürger gewesen sein könnte152. Seine Ratskarriere von Johannis 1455 bis 1477 wirkt recht sprunghaft153. Immerhin bekleidete er die Ämter des Gewaltrichters und des Rheinmeisters154. Mehrfach erscheint er als Ratsfreund155. Johann und seine Frau Drytgen machten 1463 eine Stiftung für Baumaßnahmen und zum Unterhalt eines Priesters für den Sakramentsaltar in Herrenleichnam, der für das Ehepaar und seine Angehörigen, vor allem auch für Drytgens ersten Mann Johann von Frankfurt, beten sollte156. Vor dem Sakramentsaltar wählten die Eheleute ihre Grablege. Die Kanoniker wurden verpflichtet, ihrer nach Ordensbrauch zu gedenken. Im Jahre 1464 änderte Drytgen ihr Testament von 1458, indem sie an die Stelle des Dr. decr. Hermann Warberg157 den Prior von Herrenleichnam als Treuhänder einsetzte158. Der zweite Treuhänder war der schon oben genannte Hermann von Oldendorp. Die Änderung des Testaments deutet an, daß die Annäherung der von Geyen an Herrenleichnam erst in fortgeschrittenem Alter zustande kam.
147 HAStK, Verfassung und Verwaltung C 5, ansonsten Wachmeister (W 1463), Brandmeister (W 1460, W 1463), Kontrolleur der Goldschläger (W 1463, J 1467), Memorialmeister (J 1467). 148 HAStK, Testament 3/1 95 (14.3.1472) = Herrenleichnam Urk. 3/20; vgl. Geistliche Abteilung 107, fol. 220r, und Herrenleichnam (Depositum) Urk. 1/6 (1481). Inventar Herrenleichnam Urk. 3/22 (27.10.1476). Beschlüsse 1 (Anm. 24) Nr. 1477, 14. 149
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150
HAStK, Verfassung und Verwaltung C 5: Wuchermeister, Turmmeister, Fischmarktmeister, Fleischmarktmeister, Pagamentsmeister, Holzmeister. 151 HAStK, Verfassung und Verwaltung C 17 (vgl. Anm. 119) zu W 1474, J 1475, W 1475 (fol. 2r, 3r, 3v). 152 SCHLEICHER (Anm. 23) Nr. 1301 (irrtümlich als Brauer bezeichnet); Neubürger (Anm. 97) Nr. 1451,8. 153 J 1455 (Bäcker), W 1459 (B.), J 1463 (Gebrech), J 1466 (B.), J 1470 (B.), J 1473 (B.), J 1477 (G.). 154 HAStK, Verfassung und Verwaltung C 5: Gewaltrichter (J 1464, J 1470), Rheinmeister (W 1460, J 1471), ansonsten kleinere Ämter. 155 Beschlüsse 1 (Anm. 24) Nr. 1474, 63; HAStK, Verfassung und Verwaltung C 17 (vgl. Anm. 119) zu J 1475, W 1475, W 1476 (fol. 3r, 3v, 4v). 156 HAStK, Geistliche Abteilung 107, fol. 187v (400 Gulden). 157 Vgl. zu ihm Matrikel (Anm. 32) Nr. 173, 57. 158 HAStK, Geistliche Abteilung 107, fol. 192r, Testament 3/G 66.
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Zuletzt ist noch auf ein Legat des städtischen Protonotars Emund von Eisich hinzuweisen, der zu Weihnachten 1460 einmal in das Gebrech gewählt wurde159. Emund war mit seinem zweiten Vorgänger im Amt, Johann Stommel, befreundet, wie aus dessen Testament hervorgeht160. Nach den siebziger Jahren tauchen in der allerdings lückenhaften Überlieferung von Herrenleichnam keine Ratsherren mehr auf. Unter den Professen von Herrenleichnam befand sich 1488 jedoch Godert Sudermann, der Sohn des Kölner Bürgermeisters Heinrich Sudermann161. Sein Großvater Heinrich war von Dortmund nach Köln übergesiedelt und hatte sich dort 1411 eingebürgert162. Goderts Ordenswahl lag keineswegs in der Linie der Sudermannschen Familientradition; die Kölner Sudermann hatten ihr Erbbegräbnis in der Minoritenkirche 1 «. Führt die Analyse des Stifterkreises bei Weidenbach und Herrenleichnam zu ähnlichen Ergebnissen, so ließen sich diese Befunde noch anhand von Untersuchungen anderer Institutionen, etwa des Schelenkonvents, erhärten, worauf hier aber aus Raumgründen verzichtet wird. Aufs Ganze gesehen widerlegen die Kölner Quellen des 15. Jahrhunderts schlagend die Haaß'sche These vom bestimmenden Einfluß der Devotio moderna auf die persönliche Religiosität der Kölner Ratsherren und damit auf die Haltung des Rates zur reformatorischen Bewegung im 16. Jahrhundert. Die Suche nach Einflüssen von kirchlicher Seite könnte sich möglicherweise mit besserem Erfolg auf die Bettelorden, vor allem die Dominikaner, konzentrieren.
159 HAStK, Geistliche Abteilung 107, fol. 81r. Zu seiner Tätigkeit als Protonotar (seit 1448) vgl. STEIN 1 (Anm. 51) CXLIX ff. ( t 15.12.1463) Testament 3/E 125 (10.12.1463). SCHLEICHER (Anm. 23) Nr. 988. 160 HAStK, Testament 3/S 1133. Vgl. oben bei Anm. 51. 161 HAStK, Geistliche Abteilung 107, fol. 120r. Zu Heinrich Sudermann (Ratsherr zwischen 1444 und 1487, Bürgermeister zwischen 1457 und 1486) siehe SCHLEICHER (Anm. 23) Nr. 3458. Goderts Brüder Johann (Nr. 3465, 1472-1506) und Everhard (Nr. 3456, 1502-1517) waren ebenfalls Ratsherren. Vgl. zur Familie B. MEYER, Die Sudermanns von Dortmund, Marburg 1930,77 und Tafel VI. 162 Neubürger (Anm. 97) Nr. 1411, 22; Ratsherr 1415-1418 bei SCHLEICHER (Anm. 23) Nr. 3457. 163 Vgl. das Testament seines Vaters 3/S 1227 (1487) und das seines Stiefbruders Johann 3/S 1238 (1518).
Eine Vereinbarung über die Bischofswahl zwischen dem Kölner Domkapitel und den Landständen aus der Zeit des Erzbischofs Dietrich von Moers VON WILHELM JANSSEN Im kurkölnischen Archiv hat sich aus der Zeit des Erzbischofs Dietrich von Moers 1 der Entwurf einer Vereinbarung erhalten, die das Domkapitel und die weltlichen Landstände über die Wahl des nächsten Erzbischofs miteinander eingehen wollten oder sollten2. An dieser Vereinbarung war auch Dietrich von Moers beteiligt; es ist sogar nicht auszuschließen, daß der Entwurf in seiner Kanzlei und Umgebung entstanden ist. Das eigentliche Ziel der Übereinkunft sollte es sein, fiir die nächstfolgenden Vakanzen eine eyndrechtliche Wahl sicherzustellen. Deren Notwendigkeit wird im kritischen Rückblick auf die letzte zwiespältige Wahl in Köln 14143 wie in anderen Bistümern gemeint ist offenbar der Trierer Bistumsstreit 1430-1434/3 84 - und deren verderbliche Folgen für die jeweiligen Kirchen mit wortreichem Nachdruck immer wieder betont, alles vor dem Hintergrund der leujfe, boisheyt ind ungetruwicheyt der werelt im allgemeinen und überhaupt. Diese Einmütigkeit dient - so der Text - nicht nur dem Frieden und kommt somit dem gemeyne(n) beste(n), urber ind nutz des gestijchtz ind gemeynen landz zugute, sie verhindert auch päpstliche Eingriffe, die durch strittige oder sich ergebnislos hinziehende Wahlen herausgefordert werden. Der Entwurf beruft sich dabei ausdrücklich auf das "jüngsthin" erlassene Dekret 'De electionibus' des Konzils zu Basel5, aus dem große Passagen in die Vereinbarung übernommen sind. Die Abwehr gegen befürchtete Machenschaften von päpstlicher Seite kommt schließlich noch einmal im Schlußabschnitt dieses Dokuments zum Ausdruck, der die Selbstverpflichtung der Vertragsschließenden enthält, an einem einmütig erwählten Bischof auch dann festzuhalten, wenn der Papst ihm die Konfirmation verweigern sollte6. Es ist dieser betont antikuriale Affekt, der auf eine mehr oder minder tatkräftige Beteiligung des Erzbischofs Dietrich II. an der Formulierung dieses Vertragsentwurfs schließen läßt, stand er doch 1
G. DROEGE, Verfassung und Wirtschaft in Kurköln unter Dietrich von Moers (Rhein. Archiv 50) Bonn 1957; G. DROEGE, Dietrich von Moers, Erzbischof und Kurfürst von Köln (etwa 1385-1463), in: Rhein. Lebensbilder I (1961) 49-65. 2 Nordrhein-Westfälisches Hauptstaatsarchiv, Kurköln II 5136 fol. 47v-51 r. 3 Gobelinus Person, Cosmidromius, ed. M. JANSEN (Veröffentl. der Histor. Kommission Westfalens) Münster 1900, 201-210; Cronica presulum et archiepiscoporum Coloniensis ecclesie, ed. G. ECKERTZ, in: Fontes adhuc inediti rerum Rhenanarum I, Köln 1864, 55 f.; Jacobi de Susato Chronicon episcoporum Coloniensium, ed. J. S. SEIBERTZ, Quellen d. westfälischen Geschichte 1, Arnsberg 1857, 213 f.; Die Chroniken der deutschen Städte 12: Cöln 1, bearb. von H. CARDAUNS, Leipzig 1875 (ND 1968) 349-359; Chroniken ... 13: Cöln 2, bearb. von H. CARDAUNS, Leipzig 1876 (ND 1968) 51, 98 f.; J. HANSEN, Zur Vorgeschichte der Soester Fehde (Westdeutsche Zeitschrift für Geschichte und Kunst, Erg. H. 3) Trier 1886,19 f. 4 E. MEUTHEN, Das Trierer Schisma von 1430 auf dem Basier Konzil (Buchreihe der Cusanus-Gesellschaft 1) Münster 1964; I. MILLER, Jakob von Sierck 1398/99-1456 (QAMRhKG 45) Mainz 1983, bes. 1926, 34-38. 5 COD 469-472, 504 f.; dazu J. HELMRATH, Das Basler Konzil 1431-1449. Forschungsstand und Probleme (KHA 32) Köln/ Wien 1987,332 f. 6 Vgl. unten S. 1004.
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von allen Kurfürsten seiner Zeit konziliaren Positionen am nächsten7 und verfocht einen betont episkopalistischen Standpunkt, der vor allem in der Aufwertung der Metropolitanrechte eine zwar unausgesprochene, aber deutliche antipapalistische Tendenz zeigte8. Allerdings waren Bestrebungen dieser Art in Deutschland verbreitet, und Dietrich dürfte keine Schwierigkeiten gehabt haben, solche Gedanken und Beweggründe seinem Domkapitel nahezubringen. Die Selbstverpflichtung der Vertragspartner, für die päpstliche Wahlbestätigung keinesfalls mehr als die herkömmliche fixe Taxe (d.h. im Falle Kölns: 10 000 Kammergulden)9 zu bezahlen und sich zu keinem weiteren Zuschlag erpressen zu lassen, beweist, daß man gleichwohl realistisch dachte und die Rigorismen des Dekrets vermied, das allenfalls für eine Übergangszeit die Bezahlung der halben Taxe zugestand10. Insofern stellt dieses Dokument ein Zeugnis für die Rezeption und praxisbezogene Auslegung des Basler Konzilsdekrets 'De electionibus' im Rahmen einer bedeutenden deutschen Ortskirche dar. Es legt die genaue Terminierung der Bischofserhebung nach dem Tode des letzten Amtsinhabers fest, um eine van vertreckungen sulcher kur provozierte päpstliche Provision auszuschließen; es beschreibt die Prozeduren der eigentlichen Wahl mit den Worten des Dekrets in deutscher Übersetzung, wobei auch die dort vorgesehene Möglichkeit, per procuratorem zu wählen, Berücksichtigung findet, obwohl dies, soweit wir wissen, in Köln nicht üblich war; es erläutert zudem, über das Dekret hinausgehend, die drei nach dem kanonischen Recht zulässigen Formen der Wahl: die via spiritus sancti {per inspirationern), die via compromissi und die via scrutinii. Das alles ist nicht uninteressant, aber es ist nicht eigentlich aufregend. Das Besondere dieses Vertragsentwurfs liegt woanders. Es wird nämlich statuiert, in der Zeit zwischen der Festlegung des Wahltags und diesem selbst einen Landtag nach Köln einzuberufen, um die kölnischen Stände zu befragen, zo woem sy geneygt sijn ind yn nutzlich duncke zo dem gestijchte van Colne in geystlichen ind werentlichen sacken zo regierenu. Man wird wohl nicht fehlgehen, in diesem Artikel den Kern des geplanten Vertrags zu sehen, um dessentwillen er überhaupt zu Papier gebracht worden ist und verbrieft werden sollte. Demnach kann er uns als Zeugnis für das Erstarken der landständischen Bewegung in Kurköln dienen. Das hier angesprochene Problem läßt sich allerdings noch in einen größeren kirchengeschichtlichen Zusammenhang stellen, wie es vor mehr als 30 Jahren Erich Meuthen in einer Abhandlung über "Nikolaus von Kues und
7
W. JANSSEN, Der Bischof, Reichsfurst und Landesherr (14. und 15. Jahrhundert), in: Der Bischof in seiner Zeit. Bischofstypus und Bischofsideal im Spiegel der Kölner Kirche, Festgabe für Joseph Kardinal Höffner, hg. von P. BERGLAR/ O. ENGELS, Köln 1986,207. 8 JANSSEN (Anm. 7) 223. - Bemerkenswert in unserem Zusammenhang ist, daß sich Erzbischof Dietrich bei seinem Vorgehen - es ging konkret um die Bestätigung seines in etwas dubioser Weise zum Bischof von Utrecht postulierten Bruders Walram von Moers - ausdrücklich auf das Konzilsdekret 'De electionibus' berief: ... asserens eciam, quomodo tamquam metropolitanus conflrmavit dictum Walramum fratrem suum episcopum Traiectensem, qui eciam iuxta decretum Concilii a capitulo et clero postulatus erat, licet alter [nämlich Rudolf von Diepholz] habuerit apapa... (CB V 120). 9 Die Regesten der Erzbischöfe von Köln im Mittelalter (PGRhGK 21) (künftig: REK) VI: 1349-1362 (Wilhelm v. Gennep), bearb. von W. JANSSEN, Köln-Bonn 1977, Nr. 11; W. PÜCKERT, Die kurfürstliche Neutralität während des Basler Concils, Leipzig 1858,318. 10 COD 472: ... ecclesiae ..., quae usque nunc ex novi praelati assumptione certam taxam solverint, deinceps medietatem huiusmodi... solvere... teneantur. 11 Vgl. unten S. 1002.
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der Laie in der Kirche" getan hat , als er die in der 'Concordantia catholica' niedergelegten theoretischen Überzeugungen des Cusaners an seiner auf den lebenswirklich konkreten Fall bezogenen Argumentation im Trierer Bistumsstreit (1431-1436) überprüfte, in den er als Kanzler des schließlich unterlegenen Kandidaten Ulrich von Manderscheid involviert war - jenes Streites, auf den auch unser Dokument Bezug nimmt. Dieses dürfte im übrigen in den gleichen Jahren entstanden sein wie die 'Concordantia' des Nikolaus von Kues und seine dem Basler Konzil eingereichten Prozeßschriften für den Trierer Elekten Ulrich. Als Terminus post quem steht der Erlaß des Dekrets 'De electionibus' in der 12. Konzilssession (13. Juli 1433) fest; der Terminus ante quem ist nicht so leicht zu bestimmen. Wenn gesagt wird, das fragliche Konzilsdekret sei nu nuwelich ... gesät worden, so darf man selbst mit Rücksicht auf ein großzügig messendes mittelalterliches Zeitempfinden daraus folgern, daß der Zeitpunkt damals noch nicht allzu weit zurückgelegen hat. Bestärkt wird ein solcher Schluß durch die Beobachtung, daß die groissen, swairen kriege und die daraus resultierenden immensen Schuldenlasten des Erzstifts Köln, von denen in diesem Papier die Rede ist, alle noch auf die zwiespältige Wahl von 1414 zurückgeführt werden, was allenfalls noch bei den Konflikten der 30er Jahre möglich ist, die Soester Fehde und die darauf folgenden Auseinandersetzungen jedoch ausschließt. Außerdem fällt auf, daß jeder Hinweis auf die Mainzer Akzeptation von 1439, die Übernahme der Basler Reformdekrete von Reichs wegen13, fehlt. Die Betonung der ständischen Beteiligung an der künftigen Bischofswahl, die dem Konzipienten des Vertragsentwurfs so wichtig war, daß er sie zweimal in seinen Text aufnahm und sie deshalb an einer Stelle wieder streichen mußte14, deutet ebenso wie die nachdrückliche Erwähnung der groissen schulden des Erzstifts darauf hin, daß wir es offensichtlich mit einem Dokument zu tun haben, das im Zusammenhang mit Steuerverhandlungen zwischen Landesherrn und Landständen entstanden ist. Dafür bieten sich die Jahre 1435 und 1437 an, als Erzbischof Dietrich II. von seinen Ständen eine außerordentliche Steuer verlangte, die 1435 von den Ständen des rheinischen Erzstifts bewilligt, von denen des Herzogtums Westfalen 1437 aber verweigert worden ist15. Wir dürfen ohne Zweifel davon ausgehen, daß die rheinischen Landstände ihre Zustimmung zu der Besteuerung nicht bedingungslos gegeben haben; und mit einiger Wahrscheinlichkeit läßt sich vermuten, daß die förmliche Beteiligung der weltlichen Stände an der Nominierung des Bischofs eine der Konzessionen war, die der Erzbischof zu gewähren sich gezwungen sah. Damit berührte er die Interessen des Domkapitels. Es liegt deshalb nahe, im Konflikt zwischen dem ausschließlichen Wahlrecht des Domkapitels16 und den Mitwir12 13
E. MEUTHEN, Nikolaus von Kues und der Laie in der Kirche, in: HJb 81 (1962) 101-122. RTA XIV Nr. 56; H. HORTEN, Die Mainzer Akzeptation, in: Archiv für mittelrhein. Kirchengeschichte
11 ( 1 9 5 9 ) 4 2 - 7 5 ; HELMRATH, B a s i e r K o n z i l ( A n m . 5 ) 3 3 3 . 14
Vgl. unten S. 1002 f. Kölner Jahrbücher Rez. D, in: Die Chroniken der deutschen Städte 13 (Anm. 3) 171; Koelhoffsche Chronik, in: Chroniken ... 14: Cöln 3, bearb von H. CARDAUNS, Leipzig 1877 (ND 1968), 774 f.; Bartholomäus van der Lake, Kriegstagebuch der Soester Fehde 1414-1447, in: Chroniken ... 21: Soest, bearb. von J. HANSEN, Leipzig 1889 (ND 1969), 13; DROEGE, Verfassung und Wirtschaft (Anm. 1) 91. 16 G. V. BELOW, Die Entstehung des ausschließlichen Wahlrechts der Domkapitel, Leipzig 1883; F. GESCHER, Die erzbischöfliche Kurie in Köln von ihren ersten Anfängen bis in die Gegenwart, in: AHVN 118 (1931) 16 f.; E. WISPLINGHOFF, Das Priorenkollegium in Köln und die Bischofswahlen des 12. und 13. Jahrhunderts, in: AHVN 159 (1957) 30-47; K. GANZER, Zur Beschränkung der Bischofswahl auf die Domkapitel in Theorie und Praxis des 12. und 13. Jahrhunderts, in: ZRG KA 57 (1971) 22-82 und 58(1972) 166-197. 15
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kungsansprüchen der "Landschaft" einen der Gründe dafür zu sehen, daß diese Vereinbarung Entwurf geblieben ist und keine vollzogene Vertragsform angenommen hat. Daß es bei der Frage, wer denn außer dem Domkapitel als dem eigentlichen Wahlkörper offiziell noch seine Meinung über den geeignetsten Kandidaten für das Bischofsamt kundtun solle und dürfe, zu Unstimmigkeiten gekommen sein muß, belegt der Unterschied zwischen den beiden Textversionen, die über die ständische Beteiligung handeln. Einmal müssen alle edelmanne, prelaten, priore, herren, ritterschaff ind stede des gestijchtz van Colne an beyden sijden Rijntz befragt werden17; das andere Mal - so die gestrichene Passage - soll das Domkapitel zu sich entbieten edelmanne, ritterschaff ind stede des gestijchtz van Colne, yren rait zo hoeren, umb den nutzlichsten ind besten zo kesen, ind ouch des gestijchtz nutz ind urber zo bedenckenli. Es spricht alles dafür, daß diese zweite Version der Forderung entspricht, die dem Erzbischof von den beiden weltlichen Ständen des Erzstifts (der Adel in die zwei Gruppen der Edelleute und der Ritterbürtigen geteilt) präsentiert worden ist; sie ist dann durch die erste Version 'klerikalisiert' und somit verwässert worden. In dieser Form war die vorgesehene Beteiligung an der Bischofswahl für das Domkapitel aufgrund der historischen Entwicklung und seines Selbstverständnisses in der Tat kaum annehmbar. Um das zu erläutern, müssen wir etwas weiter ausholen: Die Kölner Bischofswahl von 1205 ist die letzte gewesen, von der gesagt wird, sie sei von clerus und populus einmütig vorgenommen worden19. Danach verschwindet diese kanonisch sanktionierte Formel aus den Wahlberichten und macht Platz für genauere Beschreibungen dessen, was sich hinter den nebulosen Allgemeinbegriffen von clerus und populus konkret verbirgt. Schon 1205 waren es, wie bei den letzten Wahlen zuvor auch, die Prioren, ein mehr oder minder festes Gremium hoher stadtkölnischer Prälaten, angereichert durch einige außerkölnische Äbte und Stiftspröpste20, gewesen, die den clerus darstellten; bei den nächstfolgenden drei Wahlen (1208, 1216, 1225) erscheinen sie denn auch unter dieser Bezeichnung21, 1225 als erstes Glied der additiv klingenden, aber wohl identifizierend gemeinten Zwillingsformel priores et clerus. Vielleicht schon seit 123822, sicher aber seit 1261 sind die Prioren als Bischofswähler dann vom Domkapitel verdrängt worden, nachdem ein 1274 unternommener letzter Versuch der Prioren, an der Bischofswahl mitzuwirken23, vom Kapitel abgewiesen worden war. Dieser Entstehungsprozeß des alleinigen Wahlrechts des Domkapitels ist für das Erzbistum Köln schon mehrfach und erschöpfend dargestellt worden24. Spätestens seit 1261 wurde also der clerus der einschlägigen kanonischen Rechtssätze in Köln durch das Domkapitel repräsentiert. Es ist demnach wenig wahrscheinlich, daß man in den dreißiger Jahren des 15. Jahrhunderts irgendeine Wahlbeteiligung
17 18 19
Vgl. unten S. 1002. Vgl. unten S. 1003. R E K ( A n m . 9 ) III: 1 2 0 5 - 1 2 6 1 , b e a r b . v o n R . KNIPPING, B o n n 1 9 0 9 , N r . 1; GANZER, B i s c h o f s w a h l
(Anm. 1 6 ) 1 8 7 f. 20 H. H. HARZEM, Die "Prioren" im mittelalterlichen Köln, Diss. (Masch.schrift) Köln 1949; M. GROTEN, Priorenkolleg und Domkapitel von Köln im Hohen Mittelalter (Rhein. Archiv 109) Bonn 1980. 21
R E K III ( A n m . 9 b z w . 1 9 ) N r . 5 3 , 1 3 8 , 5 7 0 ; GANZER, B i s c h o f s w a h l ( A n m . 1 6 ) 1 8 8 - 1 9 0 ; GROTEN,
Priorenkolleg (Anm. 20) 118-122. 22
GANZER, B i s c h o f s w a h l ( A n m . 1 6 ) 1 9 0 ; GROTEN, P r i o r e n k o l l e g ( A n m . 2 0 ) 1 2 0 .
23
REK III (Anm. 19) Nr. 2591. Vgl. die in Anm. 16 genannten Arbeiten.
24
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von prelaten und priore unter landständischem Deckmantel zugelassen hätte. Denn das Kapitel war mit Erfolg darauf bedacht, der einzige ständische Repräsentant des kölnischen Klerus zu sein und zu bleiben; es war auch weiterhin bestrebt, die außerhalb des Domkapitels übriggebliebenen Prioren von allem politischen Einfluß fernzuhalten26. Die Wahlvereinbarung in der vorliegenden Form konnte deshalb kaum seine Billigung finden. Ob die 'Einschleusung' der Prioren in den Vertragstext auf erzbischöflichen Wunsch zurückgeht, ist eine Frage, die sich mit Sicherheit nicht beantworten läßt. Da 1435 auch die Geistlichkeit besteuert worden ist27, könnte es eine Konzession in diese Richtung gewesen sein, obwohl die Steuerleistung des Klerus in Köln seit der Mitte des 13. Jahrhunderts üblicherweise anders, nämlich durch die Bestätigung oder Erweiterung der sogen. Klerusprivilegien, honoriert wurde28. Außerdem war das Verhältnis des Erzbischofs zu seinem Domkapitel meistenteils so gespannt29, daß er daran gedacht haben könnte, durch eine Wiederbelebung der Wahlbeteiligung (wenn schon nicht des Wahlrechts) der Prioren ein Gegengewicht gegen das Domkapitel zu schaffen und dem Begriff des clerus eine etwas breitere reale Grundlage zu geben. Davon abgesehen scheinen im Erzstift Köln des 15. Jahrhunderts überhaupt Vorstellungen von einer ständischen Mitwirkung des 'Sekundarklerus' wie auch der Stadt Köln virulent gewesen zu sein, die u.a. in der Bestellung Hermanns von Hessen zum Stiftsadministrator durch Kaiser Friedrich III. 1475 ihren Niederschlag gefunden haben30; einem Dokument, das sich hinsichtlich der Frage nach der ständischen Repräsentation in Kurköln mit unserer Wahlvereinbarung in manchem berührt. Was immer es damals aber an Bestrebungen gegeben haben mag: Die Position des Domkapitels als des alleinigen Wählergremiums des Bischofs, als senatus episcopi, an dessen Konsens dieser bei vielen Regierungshandlungen gebunden war31, und als Vertreters des Klerus in den Landständen blieb unerschüttert. Einbußen an seinem Wahlrecht hatte es seit dem Ende des 13. Jahrhunderts, also von dem Zeitpunkt an, als es sich endgültig gegen die Prioren durchgesetzt hatte, nicht 25
Vgl. unten S. 1002. Noch in der "Erblandesvereinigung" von 1463 wird bei der Forderung nach der Einrichtung eines ständigen landesherrlichen Rates betont: Item dat eyn zokomende herre eynen stanthafftigen rait machen sali van geistlichen und werentlichen personen, also doch dat der geistlicher personen geynre in eyncher kirchen dechen sy, uyssgescheiden den dechen und capittel des doymps, want die alsament als eyn lytmait zo des herren rait gehoerent ... (J. L A C O M B L E T , Urkundenbuch für die Geschichte des Niederrheins IV, Düsseldorf 1858 [ND 1966] Nr. 325). - Die Dekane der stadtkölnischen Stifte bildeten das personelle Rückgrat der priores et prelati außerhalb des Domkapitels, seitdem durch päpstliche Bulle von 1409 die Propsteien der zwölf alten Stifte in der Erzdiözese - wenigstens theoretisch - Domkanonikern vorbehalten waren (H. V. SAUERLAND, Urkunden und Regesten zur Gesch. der Rheinlande aus dem Vatikan. Archiv [PGRhGK 23] VII, Bonn 1913, Nr. 798). 27 Kölner Jahrbücher (Anm. 15) 171: ...drankder busschof van Coellen alle sin volkdarzo, paffen ind leien .... om ein onmeislich gelt ... 28 W. JANSSEN, Mitwirkungsrechte und -anspräche des Kölner Domkapitels an der Regierung des Erzbistums während des späteren Mittelalters, in: Bonner Geschichtsblätter 42 (= Festschrift für D. Höroldt) (1992) 85 Anm. 72. 29 Ebd. 79. 26
30
31
LACOMBLET, U r k u n d e n b u c h I V ( A n m . 26) Nr. 381.
H.- J. BECKER, Senatus episcopi. Die rechtliche Stellung der Domkapitel in Geschichte und Gegenwart, in: Jahres- und Tagungsbericht d. Görres-Gesellschaft 1989, 1990, 33-54; GROTEN, Priorenkolleg (Anm. 20) 166 f.; S. PICOT, Kurkölnische Territorialpolitik am Rhein unter Friedrich von Saarwerden (Rhein. Archiv 99) Bonn 1977, 309 ff.; H. STEHKÄMPER, Die Kölner Erzbischöfe und das Domkapitel zwischen Grundsteinlegung und Chorweihe des gotischen Domes (1248-1322), in: Kölner Domblatt 44/45 (1979/80) 21-25.
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durch Konkurrenz im Innern der Diözese, sondern durch die päpstliche Reservationsund Provisionspraxis hinnehmen müssen. Beeinträchtigungen von dieser Seite künftig abzuwehren, sollte einer der wesentlichen Zwecke der ins Auge gefaßten Wahlvereinbarung sein. Hier lag das spezifische Interesse, das das Kapitel an diesem Vertrag haben konnte. Während die Interpretation des Klerus-Begriffs im Zusammenhang mit der Bischofswahl sich durch die Entwicklung des Kirchenrechts und den realen Gang der Ereignisse eindeutig auf die Domkapitel verengte, sind die Schicksale, die das Wahlvolk, der populus, durchmachte, weniger klar zu verfolgen. Durchgängig war lediglich die seit dem ausgehenden 11. Jahrhundert wirksame Tendenz, die Laien überhaupt von der Wahl geistlicher Würdenträger auszuschließen. Das wirkte zweifellos bewußtseinsprägend. Als 1414 die Herzöge von Jülich-Geldern und Berg mit ihren Anhängern die Stadt Köln drängten, sich für die Wahl des Elekten von Paderborn, Wilhelm von Berg, einzusetzen, lehnte diese mit der Bemerkung ab: sie enhetten gheinen kuer, die kuer were geistlich32. Daß nicht alle Laien so dachten, beweisen schon die Machenschaften jener Fürsten, denen sich die Stadt glaubte entziehen zu müssen. Und deren Aktivitäten - vom Konzilsdekret 'De electionibus' als [laycorum] impressiones verdammt33 - hatten eine sehr lange, wenn auch nicht ehrwürdige Tradition. Denn die Antwort der Stadt Köln, mit der sie sich jederart von Parteinahme entziehen wollte, mag formaliter richtig gewesen sein, materialiter war sie es nicht. Die Wahl eines Erzbischofs von Köln war eben nicht nur "geistlich". Das wußte auch der Verfasser des Wahlvereinbarungsentwurfs. Während das Basler Konzil 1433 dekretierte, daß die Bischöfe ad regimen animarum assumuntur, und dementsprechend die Wahlkörperschaften aufforderte, ut tales eligant, qui tanto officio valeant satisfacere34, sollten die Kölner Wähler gehalten sein, demjenigen die Stimme zu geben, der in der Lage sei, das gestijchte van Colne in geystlichen ind werendichen sacken zo regieren35. Ein Reichsbischof hatte noch vieles mehr und anderes zu tun als "Seelen zu lenken", und das in einem solchen Maß, daß mancher von ihnen darüber das regimen animarum ganz vergaß. Über den an der Wahl von 1205 beteiligten populus gibt die Wendung clerus et populus cum aliis nobilibus viris eine erste Auskunft36, die dann erläutert und vertieft wird durch den "Dialog eines Klerikers mit einem Laien" des Cäsarius von Heisterbach, der diese Wahl des Erzbischofs Bruno von Sayn anstelle des vom Papst abgesetzten Adolf von Altena zum Gegenstand hat. Dort behauptet der Laie, die Wahl Brunos sei irregulär gewesen; denn sie könne nur vorgenommen werden presentibus nobilibus terre, beneficiatis hominibus s. Petri et summis officialibus episcopi, quorum est electionem approbare; quod minime observatum est. Der Kleriker gibt zu, daß, wenn die Kirche auf die "übliche Weise" vakant würde, die nobiles terre zum Wahltermin geladen werden müßten. Diesmal aber sei in ungewöhnlicher Weise eine Neuwahl erforderlich gewesen, die unter besonderen Bedingungen stand. Gleichwohl habe die Wahl keineswegs ganz sine nobilibus terre stattgefunden; vielmehr sei der Graf
32
Bericht über Wahl und Einritt des Erzbischofs Dietrich von Moers, in: Chroniken ... 12 (Anm. 3) 539. COD (Anm. 5)471. Ebd. 469 f. 35 Vgl. unten S. 1002. 36 Chronica regia Coloniensis, ed. G. WAITZ (MGH SS rer. Germ, in usum scholarum sep. editi [18]) Hannover 1880 (ND 1978) 221.
33
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von Sayn zugegen gewesen, dem als Domvogt prima vox est in assensu prestando. Auch der Herzog von Limburg ... etpopulus multus nimis waren dabei37. Aus diesen Ausführungen geht zweierlei hervor: Den wesentlichen, unverzichtbaren Kern des an der Wahl teilnehmenden populus bildeten damals die nobiles terrae, die hochadligen, über eigene Herrschaften gebietenden Lehnsträger des Erzbischofs, die in der terra Coloniensis, dem - mit der Diözese nahezu identischen - Einflußgebiet und Geltungsbereich seiner Herzogsgewalt, ansässig und begütert waren38 und als deren Pfarr- und Sendkirche der Kölner Dom galt39. Sie bildeten - wie die Austauschbarkeit der Begriffe nobilis und Uber in den rheinischen Quellen des 12. Jahrhunderts erweist den Stand der ursprünglich Altfreien40. Deren Zustimmung zur Wahl des Bischofs durch den Klerus wurde in einem förmlichen und geregelten Verfahren erteilt und war von konstitutiver Bedeutung für den Akt der Bischofserhebung als ganzen. Ob man zwischen einer approbatio, von der der Laie spricht, und einem assensus, welchen Begriff der Kleriker braucht, einen großen Unterschied herauslesen darf, sei dahingestellt. Als 1208 Dietrich von Heimbach prioribus non concordantibus auf Empfehlung König Ottos IV. gewählt wurde, a cunctis nobilibus terrae ipsa electio approbatur41. Eine solche approbatio ist zweifellos mehr als die bloße Hinnahme einer vorgängigen Fremdentscheidung gewesen; sie setzte vielmehr formlose Absprachen vor der eigentlichen Wahl voraus. Rechtserheblich aber ist der förmliche Approbationsakt gewesen. Nach 1208 hören wir dann über 200 Jahre lang nichts mehr von einer geregelten Mitwirkung der Laien an der Kölner Bischofswahl. Wenn sie sich jetzt noch in die Wahl einmischen - und sie haben damit natürlich nicht aufgehört -, so tun sie es in jener irregulären Weise, die von den Quellen als unzulässige impressio42, factio43 oder importunitas44 gescholten wird. Gegen diese Art laikaler Einmischung in geistliche Wahlen zur Beförderung von Familieninteressen und politischen Zielen wenden sich 37
Dialogus clerici et laici, ed. G. WAITZ: Chronica regia Coloniensis (Anm. 36) 318 f. G. DROEGE, Landrecht und Lehnrecht im hohen Mittelalter (Veröffentl. des Instituts für geschichtl. Landeskunde der Rheinlande an der Univ. Bonn) Bonn 1969, 145-165; O. ENGELS, Die Stauferzeit, in: Rheinische Geschichte, hg. von F. PETRY/G. DROEGE, Bd. I 3, Düsseldorf 1983, 226 f.; M. GROTEN, Zur Entwicklung des Kölner Lehnshofes und der kölnischen Ministerialität, in: BDLG 124 (1988) bes. 1-9. 39 Dialogus clerici et laici (Anm. 37) 320; F. GESCHER, Der Kölner Dom des Mittelalters als Pfarr- und Sendkirche des hohen Adels, in: E. KUPHAL (Hg.), Der Dom zu Köln. Festschrift zur Feier der 50. Wiederkehr des Tages seiner Vollendung am 15. Okt. 1880, Köln 1930, 215-234. 40 H. AUBIN, Die Entstehung der Landeshoheit nach niederrheinischen Quellen ..., Bonn 1920 (ND 1961) 102 ff.; DROEGE, Landrecht und Lehnrecht (Anm. 38) 107-111; GROTEN, Lehnshof (Anm. 38) 6; W. JANSSEN, Worringen 1288 - Geschichtlicher Markstein oder Wendepunkt, in: RhVjBll 53 (1989) 18. Zur "Wahlbeteiligung" des Dynastenadels siehe auch H. STEHKÄMPER, Der Reichsbischof und Territorialfürst(12.und 13. Jahrhundert), in: Der Bischof in seiner Zeit (Anm. 7) 111. 41 Chronica regia (Anm. 36) 227. 42 Reformanträge der deutschen Nation vom 28. Februar 1433; CB I 195:... quia hodie, malicia temporum urgente, raro auf nunquam electiones libere fieri possunt sine impressione laycorum ...; Wahldekret vom 13. Juli 1433 (Anm. 5) 471:... multoque minus comminationes, impressiones aut aliudfaciant ... 43 Cronica presulum et archiepiscoporum Coloniensis ecclesiae (Anm. 3) 35: Hic [Wickboldus ... de natione nobilium de Holte 1297] plus /actione nobilium quam electione canonicorum gradum episcopalem ascendens in Nussia fuit electus; Levold von Northof, Chronik der Grafen von der Mark, ed. F. ZSCHAECK (MGH SS rer. Germ. NS 6) Hannover 1929 (ND 1984) 53. 44 1368 verwandte sich Kaiser Karl IV. mit importuna instancia für die Translation des Straßburger Bischofs Johann von Luxemburg auf den Kölner Erzstuhl (REK VII Nr. 849), und 1414 erfolgte die rasche päpstliche Konfirmation für Dietrich von Moers presertim ad importunam instanciam Sigismundi regis Romanorum (Gobelinus Person, Cosmidromius [Anm. 3] 204). 38
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die kirchenkritische Stimmung der Zeit45 ebenso wie die Bestimmungen des Basler Wahldekrets46. Es ist ihnen dabei wohl kaum bewußt gewesen, wie sehr die Kirche solche Mißbräuche dadurch begünstigt hat, daß sie die Laien aus der ordentlichen Bischofswahl verdrängte und ihnen somit nur noch die Hintertür der Intrigen und Pressionen offenließ. Als zum Jahre 1414 wiederum zum ersten Mal von einer Beteiligung des populus an der Kölner Bischofswahl in einem positiven Sinn berichtet wird, und zwar in der Chronik des Jakob von Soest, der vermerkt, daß Dietrich von Moers cum favore militum et militarium et totius populi communis gewählt worden sei47, da hat sich der Charakter dieses populus grundlegend geändert. Und die Veränderung hängt damit zusammen, daß die ecclesia Coloniensis der Zeit um 1400 in Wirklichkeit und Selbstverständnis eine ganz andere war als diejenige um 1200. Damals bedeutete ecclesia Coloniensis den Inbegriff der in der Hand des Erzbischofs vereinigten geistlichen wie weltlichen Machtfülle, innerhalb deren man - wenn dazu das Bedürfnis oder die Notwendigkeit bestand - den episcopatus als Sammelbegriff für die geistlichen Rechte und die damit unlöslich verbundenen Temporalien vom ducatus als Bezeichnung für eine herausgehobene weltliche Herrschaftsposition unterscheiden konnte48. Episcopatus wie ducatus (in doppelter Form) bezogen sich auf das Gebiet der Erzdiözese, also auf den geistlichen Amtssprengel des Erzbischofs, der unter dem Aspekt der lehnsherrlichen und herzoglichen Stellung und Funktion des Erzbischofs als terra Coloniensis in Erscheinung trat. Insofern verschwammen im 12. Jahrhundert, was den regionalen Umriß anging, ecclesia, episcopatus und terra Coloniensis ineinander; die damit assoziierte Raumvorstellung war jedenfalls die der diocesis Coloniensis49. Im Verlaufe des Territorialisierungsprozesses im 13. und 14. Jahrhundert verengte sich dann der Begriff der ecclesia Coloniensis auf den des gestichts van Colne, meinte schließlich also nur noch jenes Gebiet, in dem der Erzbischof die Landesherrschaft ausübteso und das erheblich kleiner war als die diocesis Coloniensis, der bischöfliche Amtssprengel. Von der Einwohnerzahl her gesehen dürften am Ende des Mittelalters 45
Vgl. Anm. 42; Nikolaus von Kues: Quantum haecprovisio ... hodie etiam necessaria sit, scimus omnes
(zit. MEUTHEN [ A n m . 12] 105). 46
COD 471. Jacobi de Susato Chronicon (Anm. 3) 213. 48 JANSSEN, Bischof (Anm. 7) 192 f.; JANSSEN, Worringen 1288 (Anm. 40) 4 ff. - Für die Entgegensetzung von episcopatus und ducatus nur zwei Beispiele: (1188) ... quia intra nostri episcopatus terminos iure synodali et nostre potestatis ducatus iure forensi consederat (J. LACOMBLET, Urkundenbuch [Anm. 26] I, Düsseldorf 1840 [ND 1966] Nr. 511); (1206) ... ducatus ad episcopatum est translatus, non episcopatus ad ducatum (Dialogus clerici et laici [Anm. 37] 320); (13. Jh.) ... ein overste richter ... weltlichs gereichtis in deme herzogeriche und geistlichis gerichtis in deme buschdome (dt. Ubersetzung des Kölner Dienstrechts: Mitt. aus dem Stadtarchiv von Köln 2 [1883] 43). 49 Einige eindrucksvolle Beispiele: Chronica regia (Anm. 36) 53 f., 136, 167, 174 f., 223; J. LACOMBLET, Urkundenbuch (Anm. 26) II, Düsseldorf 1846 (ND 1966) Nr. 9 und IV (Anm. 26) Nr. 631; Dialogus (Anm. 37): ... quia vos intra parrochiam vestram, id est episcoparum, moramini; tota siquidem Coloniensis ecclesie diocesis vestra estparrochia. 50 JANSSEN, Bischof (Anm. 7) 234 Anm. 47 und 48. - Besonders bemerkenswert in dieser Beziehung die Antwort, die die Stadt Köln 1463 den burgundischen Gesandten gab: die stat enhave geine gemeinschaft mit den capittel noch dem gesticht, want die stat si eine van den vier vrien richssteden ... Mer ein erzbuschof have die geistliche jurisdictie (Chroniken ... 12 [Anm. 3] 386). Hier meint gesticht eindeutig das erzbischöfliche Territorium. Wenn die Stadt 1419 dagegen ausfuhrt, daß die kirche vamme doyme ... unser stat ind des gantzen gestichtz heufft kirche is (HAStK, Actus et processus 9, 126), so setzt sie Stift und Diözese gleich. Gerade diese terminologischen Unscharfen sind verräterisch und bezeichnend zugleich. 47
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nicht mehr als ein Drittel der Diözesanen erzbischöfliche Untertanen gewesen sein51. Innerhalb der Diözese bildeten sich eigenständige Lande (terrae) heraus, die genau so fundiert und strukturiert waren wie das Erzstift Köln und deren Landesherren zugleich territorialpolitische Rivalen wie "geistliche Söhne" der Kölner Erzbischöfe waren. Diese domini terrae waren aus den früh- und hochmittelalterlichen nobiles terrae hervorgegangen, die einstmals bei der Bischofswahl den populus dargestellt und ausgemacht hatten. Wenn sie auch weiterhin Einfluß auf die Kölner Bischofswahl zu nehmen suchten, so hatte das jetzt immer mehr den Anschein einer Einmischung von außen; denn zur Wahl stand je länger je weniger der "geistliche Vater" und Bischof als der Landesherr des kurkölnischen Territoriums. Die Krise, in die die - im Rahmen der zunehmenden Klerikalisierung der Kirche ohnehin unerwünschte - ordentliche Mitwirkung der Laien bei der Bischofswahl in Köln dadurch geriet, daß man darüber verunsichert war, wer denn nun eigentlich der populus ecclesie Coloniensis und wer seine Repräsentanten waren, ist länger als hundert Jahre durch die päpstliche Provisionspraxis verdeckt worden, die nicht nur dem kölnischen "Volk", sondern auch dem kölnischen Klerus, sprich: dem Domkapitel, die Entscheidung über die Besetzung des Bischofsstuhls verwehrte. Dazu kam, daß zwischen 1363 und 1463 nur dreimal eine Neubesetzung anstand und es somit wenig Gelegenheit gab, neue Modi für die Wahl oder Postulation eines Bischofs zu entwickeln. Als man dann gemäß den Basler Konzilsdekreten und den Bestimmungen des Wiener Konkordats von 144852 das Wahlrecht wiederum unbeeinträchtigt ausüben konnte, zeigte es sich, daß die Kölner Bischofswahl inzwischen eine andere Bedeutung angenommen hatte als noch im 13. Jahrhundert. Gewählt wurde der kurkölnische Landesherr, mit welcher Stellung - überspitzt formuliert - traditionsgemäß das Kölner Bischofsamt verbunden war. Wenn in dem schon zitierten 'Dialogus inter clericum et laicum' der Kleriker argumentiert, die Herzogsgewalt der Kölner Erzbischöfe hänge dem Bischofsamt unlöslich an und nicht umgekehrt53, so ist man für die Zeit von zweihundert Jahren danach geneigt, die Relation zu vertauschen. Wenn also nicht mehr die Kölner Diözesanen, sondern die Kölner Stiftsuntersassen das Kirchenvolk in diesem Sinne abgaben, so konnte dieses Volk nicht länger durch die nobiles terrae, die nun als weltliche Fürsten und Herren innerhalb des Kölner Diözesansprengels den Erzbischöfen das Leben schwer machten, sondern nur noch durch die Vertreter eben dieser kölnischen Stiftsuntertanen, die Landstände, repräsentiert werden. Der Bericht des Jakob von Soest über die Wahl, mag er zutreffend oder nachträglich in diesem Sinne stilisiert worden sein, macht diese Wandlung, die zugleich einen Gegensatz beinhaltet, unmißverständlich deutlich. Von den Zudringlichkeiten der principes wird der favor der stiftischen Ritterschaft und des populus communis, worunter wohl in erster Linie die Stadtbürger zu verstehen sind, abgehoben; illegitime Beeinflussung steht gegen legitime Willensbekundung. Diesem Willen der weltlichen Stände die Möglichkeit zu geben, sich zu bilden und innerhalb des Wahlvorgangs mit der Aussicht auf einige Wirksamkeit zu artikulieren, sollte der Sinn der konzipierten Wahlvereinbarung sein. 51 Kurköln. Land unter dem Krummstab, Kevelaer 1985, 37, sowie Land im Mittelpunkt der Mächte. Die Herzogtümer Jülich-Kleve-Berg, Kleve'1985, 18. 52 K. ZEUMER, Quellensammlung zur Geschichte der Deutschen Reichsverfassung, Tübingen 1907, Nr. 146; dazu HELMRATH, Basler Konzil (Anm. 5) 314 f. 53 Dialogus clerici et laici (Anm. 37) 320: ... hii duo prìncipatus inseparabiliter ad invicem sibi sunt connexi et simul ad imam eandemque transire solentpersonam ...
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Mit Rücksicht darauf, daß so zwei Drittel aller Diözesanen einschließlich der sie regierenden Fürsten von der Beteiligung an der Bischofswahl ausgeschlossen waren, wird man dieses Dokument eher als Zeugnis für den Fortschritt der landständischen Bewegung in Kurköln zu Erzbischof Dietrichs Zeiten denn als Beleg für erweiterte Mitwirkungsrechte der Laien bei der Bischofswahl werten, wenngleich nicht verkannt werden soll, daß die Bereitschaft und die Selbstverpflichtung des Domkapitels, die Meinung der Laien überhaupt zu hören und zu Herzen zu nehmen, einen Fortschritt in dieser Richtung darstellt. Man wird andererseits verstehen, daß bei den principes das Bestreben wach wurde, für ihre Länder weitgehend selbst die Rolle des Bischofs zu übernehmen, wenn nicht papae so doch episcopi in territoriis suis zu werden. Die Ausbildung des landesherrlichen Kirchenregiments, dessen deutliche Spuren schon in den niederrheinisch-westfälischen Territorien des 15. Jahrhunderts zu beobachten sind54, hängt sicher auch damit zusammen, daß den Landesherren jegliche geregelte Einwirkung auf die Auswahl des für sie zuständigen Bischofs versagt war. Wenn diese Wahlvereinbarung über das Entwurfsstadium nicht hinausgekommen ist, kann das verschiedene Ursachen haben. Vielleicht gereuten den Erzbischof die Konzessionen an die Landstände; vielleicht waren dieser oder jener Seite die antikurialen Akzente zu scharf gesetzt; vielleicht stieß sich das Domkapitel an der Einbeziehung von Prioren und Prälaten; vielleicht wehrte sich die Stadt Köln gegen eine Vereinnahmung, die sie in die Nähe der stiftischen Landstädte rücken mußte. Diese und manche Gründe sind denkbar. An der mangelnden Bereitwilligkeit des Domkapitels, die weltlichen Landstände in angemessener Weise, ohne seinem exklusiven Wahlrecht etwas zu vergeben, an der Wahl des Landesherrn und Bischofs partizipieren zu lassen, oder an der unzulänglichen Grundkonstruktion dieser Vereinbarung kann es jedenfalls nicht gelegen haben. Denn nach dem Tode Dietrichs von Moers am 13. Februar 1463 wurde im Prinzip genauso verfahren, wie man es 30 Jahre zuvor ins Auge gefaßt hatte55. Nur mit der Terminierung ließ man sich, wohl aus praktischen Gründen, etwas mehr Zeit, arrangierte die Abfolge der einzelnen Schritte auch anders. Als erstes, schon drei Tage nach des alten Erzbischofs Ableben, suchte man bei der Stadt Köln um Schutz und Sicherheit für den kommenden Wahlakt nach56; die Stadt gab entsprechende Garantien und leitete die dafür nötigen Maßnahmen ein57. Dann beschied man amptlude und undersaissen bzw. - wie es an anderer Stelle heißt - die ritterschaft und die siede des gestichtz auf den 13. März zu einem Landtag nach Köln, so wie es die nicht vollzogene Wahlvereinbarung vorgesehen hatte; erklärtes Ziel war es, etliche ordinancie zo machen vur ein regiment des nuwen hern5i. Als offizielles Ergebnis der Verhandlungen liegt ein entsprechender Vertrag zwischen Domkapitel und Stiftsstädten vom 16. März vor59, dem 10 Tage später, am 26. März, auch Edelmannen und Ritterschaft beitraten und ihm damit den Charakter einer kölnischen "Erblandes54 W. JANSSEN, Landesherrschaft und Kirche am Niederrhein im späten Mittelalter, in: Der Niederrhein zwischen Mittelalter und Neuzeit, hg. von J. F. G. GOETERS/ J. PRIEUR (Studien und Quellen zur Geschichte von Wesel 8) Wesel 1986, 9-42. 55 Vgl. den Bericht über die Wahl von 1463 aus stadtkölnischer Sicht: Chroniken... 12 (Anm. 3) 373-387. 56 Ebd. 374. 57 Ebd. 376; Beschlüsse des Rates der Stadt Köln 1320-1550, Bd. 1, bearb. von M. HUISKES (PGRhGK 65/1) Düsseldorf 1990, 312. 58 Wahlverhandlungen von 1463 (Anm. 55) 377 f. 59 G. ROTTHOFF (Bearb.), Urkundenbuch der Stadt und des Amtes Uerdingen, Krefeld 1968, Nr. 452.
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Vereinigung" gaben. Das entsprach dem seinerzeit ausdrücklich festgelegten Recht und der Pflicht der Stände, im Zusammenhang mit der Bischofswahl des gestijchtz nutz ind urber zo bedencken61. In der Erblandesvereinigung wurde im übrigen der Leitgedanke der "Einmütigkeit" noch einmal eigens thematisiert, insofern edelmann, ritterschafi, stede und gemeyn landschafft sich verpflichteten, dem also - d.h. vom Kapitel einhellig oder mit Mehrheit - erweiten heren gehoirsamkeit [zo] doin, damit alle zweydrachten und uneyndrechticheyt ausgeschlossen seien62. Es ist zwar nirgendwo ausdrücklich erwähnt, versteht sich aber von selbst, daß bei diesen Verhandlungen auch über Personen gesprochen worden ist. Noch während des Landtags und vor Abschluß der Erblandesvereinigung traten am 18. März die Domkapitulare zu einer Kapitelssitzung zusammen, auf der sie sich gegenseitig feierlich gelobten und verbrieften, bei der Wahl einhellig den Kandidaten der maior pars anzuerkennen und das Kapitelshaus nicht eher zu verlassen, bis sie gemeinsam einen neuen Bischof gewählt oder postuliert hätten63. Am Tage darauf, dem 19. März, wurde der 30. März als Wahltag bestimmt64. Das alles deutet darauf hin, daß man sich in der dritten Märzwoche zwischen den Beteiligten und Interessenten darüber einig geworden sein muß, wer ihnen als der nutzlichste ind beste schien, um das Erzstift in geystlichen ind werentlichen sachen zo regieren. Dementsprechend erfolgte die Wahl selbst am 30. März unanimiter65, und die Wahlkapitulation, die man dem Elekten tags darauf präsentierte66, dürfte man zu jenen üblichen und legitimen Selbstbindungen des neuen Erzbischofs gerechnet haben, die ihm abzuverlangen nach der Wahlvereinbarung erlaubt war, und nicht zu jenen Versprechungen, die das Konzilsdekret als simonistisch oder quasi-simonistisch verboten hatte. Der neue Erzbischof, Ruprecht von der Pfalz, ist offenbar aus dem Kapitel selbst heraus als geeigneter Kandidat ins Gespräch gebracht worden; jedenfalls hatte man dort rechtzeitig vorgesorgt, daß er die formale Voraussetzung für eine Wahl erfüllte, indem man ihn am 28. Februar, 14 Tage nach dem Tod des Erzbischofs Dietrich, zum Kapitel zugelassen67 und damit vom Domkanoniker zum - nach kölnischem Gewohnheitsrecht episkopablen - Domkapitular 'befördert' hatte. Einflußnahme und Pressionen von Seiten der mächtigen Verwandtschaft, voran des Pfalzgrafen Friedrich des Siegreichen, scheint es dabei nicht gegeben zu haben. Jedenfalls hat der Pfalzgraf solche später, als sich die Wahl Ruprechts immer deutlicher als Mißgriff herausstellte, entschieden - und durchaus glaubhaft - abgestritten68. Gleichwohl hat es an den im Konzilsdekret verpönten Einwirkungsversuchen weltlicher principes auf die Wahl nicht gefehlt. Durch Gesandte, die mit impressiones und comminationes nicht sparten, hatte der Burgunderherzog Philipp der Gute sich darum 60
LACOMBLET, Urkundenbuch IV (Anm. 26) Nr. 325; F. WALTER, Das alte Erzstift und die Reichsstadt Cöln, Bonn 1866, 387-394. 61 Vgl. unten S. 1003. 62 WALTER, Erzstift (Anm. 60) 390. 63 HAStK, Domstift, Akten 141, fol. 27r. 64 Ebd. fol. 27v. 65 AHVN 24 (1872) 233. 66 Archiv für die Statistik des Vaterlands I, Bonn 1785,91-100. 67 HAStK, Domstift, Akten 141, fol. 25v. 68 Cronica presulum (Anm. 3) 58: Fredericus ... comes palatinus ... vir perspicacis ingenii, magnus triumphator in armis ... causis tandem intellectis indignans canonicis et aliis optimatibus dixit, quod quem ad modum sine ipsius sollicitacione fratrem suum elegissent, ita etiam vellent nollent in presulatu eundem optinerent.
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bemüht, einen seiner bourbonischen Neffen, den Erzbischof von Lyon oder den Bischof von Lüttich, auf den Kölner Erzstuhl erheben zu lassen69. Dabei war auch die im Wiener Konkordat von 1448 vorgesehene Möglichkeit, eine dem Herzog mißliebige Wahl durch den Papst uis noittorftigen schinberlichen Sachen (ex causa rationabili et evidenti) kassieren zu lassen, drohend zur Sprache gebracht worden. Herzog Johann I. von Kleve, dieses Mal mit seinem burgundischen Protektor nicht am gleichen Strang ziehend, war vehement für seinen Verwandten Heinrich von Schwarzburg eingetreten70, der im Gegensatz zu den beiden Günstlingen Philipps des Guten immerhin Kölner Domkanoniker, wenngleich nicht -kapitular war. Die Wähler und ihr ständisches Umfeld haben sich durch diese diplomatischen Aktivitäten nicht beeindrucken lassen. Das Domkapitel wählte in Abstimmung mit Ritterschaft und Städten tatsächlich vri und ungedrongen71. Daß das Ergebnis einer solchen freien und kanonischen Wahl, bei der die Meinung der Laien in Gestalt der Landstände ihre gebührende Berücksichtigung gefunden hat, nicht in jedem Fall besser sein mußte als das Ergebnis einer päpstlichen Provision, dafür sollte der neue Elekt schon bald die Beweise liefern. Allerdings versagte er nur als Landesherr; seine bischöflichen Pflichten erfüllte er im zeitüblichen Rahmen ohne Tadel. Das allerdings fiel bei seinen Wählern, die sich später gegen ihn kehrten und seine Absetzung oder Resignation zu erzwingen suchten, so wenig ins Gewicht, wie es seinerzeit bei seiner Wahl eine Rolle gespielt hatte. Diese Auffassung hat nicht zuletzt in der Wahlvereinbarung von - vermutlich 1435/37 ihren Niederschlag gefunden, die unter verschiedenen Gesichtspunkten eine Veröffentlichung lohnt: - als Beleg für die Rezeption und den realen Gegebenheiten angepaßte Interpretation eines Basler Reformdekrets; - als Zeugnis für die Durchsetzungskraft der landständischen Bewegung und die damit einhergehende Neuregelung einer laikalen Beteiligung an der Bischofswahl unter geänderten Voraussetzungen; - vor allem aber als Dokument für die fatale Verengung der ecclesia Coloniensis auf das Gebiet des Erzstifts, das kurkölnische Territorium, die dazu verleitete, im Erzbischof vornehmlich den Landesherrn und Territorialfursten zu sehen, bei dessen Wahl und Erhebung dem populus nur noch in Gestalt der durch die Landstände repräsentierten Stiftsuntersassen ein legitimes Mitwirkungsrecht zugestanden war. Nur auf sie wurde der in der "politischen Theorie" der Zeit häufig zitierte Satz Quod omnes tangit, ab omnibus approbetur bezogen; die Herzöge von Kleve-Mark, Jülich-Berg und Geldern und ihre Untertanen galten von der Wahl ihres Ortsbischofs offenbar ebensowenig 'berührt' wie die kleineren eigenständigen Dynasten in der Kölner Diözese.
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Wahlverhandlungen von 1463 (Anm. 55) 379-387; Koelhoffsche Chronik (Anm. 15) 806. Koelhoffsche Chronik (Anm. 15)806. Wahlverhandlungen von 1463 (Anm. 55) 374.
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Anhang Entwurf einer im Einvernehmen mit Erzbischof Dietrich von Moers getroffenen Vereinbarung der kurkölnischen Landstände über den Modus der künftigen Bischofswahl aus den dreißiger Jahren des 15. Jahrhunderts. (Düsseldorf, Nordrhein-Westfälisches Hauptstaatsarchiv, Kurköln II 5136, fol. 47v-51r) Begründung Wir han in dem besten betracht, dat id eyne besonder noturft is na gelegenheit der lande ytzunt ind wilde leufFe dairynne geschiet sijnt ind degelijchs gescheint, eyne ordenunge zo machen, damit eyndrechticheyt wurde ind bleve tusschen unsem capittel ind capittels broederen, prelaten, edelmannen, ritterschaff, Steden ind allen inwoneren unss gestijchtz van Colne. Want of die ordenunge so nyt gemacht noch gehalden wurde, ist zo versorgen3, dat unse gestijcht, capittel ind undersaissen herna groys inval, verderflicheyt, schade ind nederval gewynnen moechten, angesien die leuffe, boisheyt ind ungetruwicheyt der werelt, die vur gehandelt sijnt ind na gehandelt mochten werden. Ind so wan unse capittel, unse kirche ind inwoenre unss gestijchtz reicht mit truwen besorgen willent ind yre kur so vestigen: wen sy dan koren, der bleve ertzebusschoff; ind ain schetzinge des payss ind keysers zo gienge ind geschige ind machde freden, ind bleve ouch eyndrachticheyt in unserm gestijchte under den geistlichen ind werentlichen, ind darumb were die ordenunge als uns bedunckt gut gemacht ind gehalden. Ind is dit die ordenunge als die hirna geschreven volgt: b
Avisamentum super modis et formis servandis in electione futuri archiepiscopi Coloniensis etc. b
In Goitz namen amen! Wir dechen ind capittel der kirchen vamme doeme zo Colne, edelmanne, ritterschafft, burgermeystere, reede, gemeynden ind inwonere der stede des gestijchtz van Colne an beiden sijden Rijntz begeren kunt zo sijn allen luden, die desen brieff sullen sien off hoeren lesen: Want id leyder in der wairheyt offenbair is, wie groisse besweirnisse ind schaden in unsen ind ouch in vurleden tzijden vijl kijrchen ind gestijchte, den van verhencknisse des Almechtigen Goitz yre prelaten ind schyrmere van dodes wegen avegegangen waren, van vertreckungen sulcher kur, as den capittelen zo doin geburden, off van uneyndrechtlicher kuyr off ouch van unnutzlichen ind unbequeemlichen personen, den lijcht davan ersienc wart van deme stoile van Rome, unverwyntlichen schaden geleden hant ind noch degelichs lijdent in yren heirlicheyden, slossen, landen, luden ind guden, die darumb van den kijrchen entwant, entfyrnt ind in vreymde hende komen sijnt, ind sunderlingen mit verpendyngen slosser, lande ind lüde mit yren renten der kirchen zogehoerende, die geschiet sijnt umb der groisser ind swairre kryege willen, die van sulchen uneyndreichtigen koeren entstanden sijnt; ind als dan ouch noch dat gestijcht van Colne in groissen schulden ind besweirnisse steyt umb groisser swairer kriege willen, die der eirwerdige in Goide vader, unse lieve gnedige herre her Diederich ertzebusschoff zo Colne etc. ind dat gestijcht van Colne gehat ind geleden hant van groissen meichtigen herren verre ind na gesessen dem gestijchte van Colne, die alle komen sijnt van der undreichtigerd kur, die in sijnre kur van wenich personen uneyndreichtlich geschach; ind als dan die hillige vedere ind andere geleerde lüde, die der hilliger kijrchen hoiffdere ind vurgeweyst sijnt, sulchen mystant, partijen, ungehoirsamcheit ind vijl andere schedelicher Sachen, die van sulchen koeren komen sijnt, zo verhoeden ind zo vurkomen, gesetze ind reicht gemaicht ind geboiden hant, die zo halden under penen darup gesät, ind ouch dat hillige cona
so statt besorgen. " von anderer gleichzeitiger Hand. c so statt versien. d so statt uneyndreichtiger. b b
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cilium zo Basel nu nuwelich mit raide, byweesen ind zodoin vijl geleirder ind versoechter lüde, die den hilligen vaderen na gefoilgt ind ouch gesät ind geboiden hant, wie die kuyr in den kijrchen ind wirdicheyden, as des noit geburde, nu vortan geschien sullen under penen darup gesät, dat also zo halden ind zo blijven, as dat decretum ind gesetz des conciliums dat uysswijset, dat wir ouch in unser kuyr in sijnre macht ind punten halden sullen ind willen und uns ouch darzo overmitz desen brieff gentzlich ind vestlich verbynden, wilche decreet van worde zo worde her na geschreven steyt. Sulchs alles hait der vurscr. unse gnedige herre mit uns ind wir mit yme gruntlichen betrachtet ind besonder, wie verhoet moege werden, dat na doede des vurscr. unss gnedigen herren, den Got noch lange gesparen wille, dat asdan den myslichen leuffen der uneyndreichtigen kuyr, die geschien moichte, dem schaden ind verderfnis der kijrchen van Colne widderstanden ind dat dat gestijcht by eyn ander behalden werden moichte. Ind van raide unss gnedigen herren vurscr., sunderlingen ouch van raide ind guytduncken der eirbere herren der priore, prelaten ind gemeynre paffschaff ind unser gemeynlichen umb eyn gemeyne beste, urber ind nutz des gestijchtz ind gemeynen landz, als die unverdeylt ind unversplyssen by eyn ander zo behalden, sijn wir mit dem vurscr. unsen gnedigen herren samen eynre eyndreichticheyt ind ordenunge overkomen van eyndreichtiger kuyr, na des egenanten unss gnedigen herren dode unvertzogentlich zo doin, as ducke des noit geburt in alle der wijse als her na geschreven steyt: Tzom yrsten want van sulchen vurgeroirten uneyndreichtigen off® vertzoegen kuren off van unbequeemer provisien geschiet van dem stoile van Rome vijl mystandz, partijen in dem lande, ungehoirsamcheyt widder die hoeffdere in der crystenheit ind den kirchen unverwyntlich schade komen is, sulchs zo verhoeden so sullen ind willen wir dechen ind capittel des doems zo Colne vurscr., als der kur noit is ind uns kunt gedain wyrt ind ware, dat unse gnedige herre vurscr. avegegangen is, ind ouch darna, as ducke des noit geburt, bynnen den neisten dryn dagen, na dem als uns dat kundich worden is, zosamen komen zo Colne in unse capittelhuyss ind alda zo raide werden eyns dages, eyn gemeyn capittel zo bescheyden, unse electie ind kuyr zo doin des viertzienden dages darna neistvolgende; ind darzo sullen wir heysschen ind verboiden alle unse mitcanoniche, die bynnen der provincie van Colne sijnt off na darby, die na reichte ind gewoinden unss capittels der kuyr zo doin hant, dat sy up den nemelichen dagh in dem capittelhuysse sijn, die kuyr helpen zo doin, off yre procuratoir ind vurmunder senden in der maissen, als dat reicht dat zoleist ind erkennet, mit macht. Doch so sullen wir dechen ind capittel des doems vurscr. eicht dage vur dem nemelichen dage, dat wir die kur zo doin as vurscr. is vergaderen sullen, alle edelmanne, prelaten, priore, herren, ritterschaff ind stede des gestijchtz van Colne an beyden sijden Rijntz up eynen nemlichen dagh vergaderen ind desen brieff vur yn allen doin lesen ind sy dan raitfragen ind yre meynonge verhoeren, zo woem sy geneygt sijn ind yn nutzlich duncke so dem gestijchte van Colne in geystlichen ind werentlichen Sachen zo regieren. Sulche meynonge wir dechen ind capittel van yn zo synne nemen ind halden sullen, uns des de bass ind darna in der kur zo rijchten; ind dan sullen wir yn ouch verkundigen den dagh unser kur ind zo wat uren die geschien sulle ind van yn begeren, unse kur ind capittelshuyss up den dagh zo hoeden ind zo schirmen, dat uns geyne gewalt off bedrencknisse over der kur geschee. Ind als dan der nemelich dagh, die kur zo doin, komen is, so sullen ind willen wir dechen ind capittel in unser kijrchen zosamen komen, mit groisser oitmoedicheyt ind andacht zo doin ind zo hoeren eyne mysse van deme hilligen geyste, den mit flyss biddende, dat he uns ingeven wille zo keesen, zo postulieren off zo nominieren eynen wyrdigen ind nutzligen zokomenden herren ind ertzebusschoff. Ind umb dat wir die balder ind lijchtlicher gnaide des hilligen geystes erwerven, so sullen wir dechen ind capittel vurscr., wannen wir zo der kuyr gaen, gebyget sijn ind dat hillige sacrament entfangen. Wir sullen ouch, ee wir die kuyr doin, sweren in des hende, der dan deme capittel vur were, ind der, der dem capittel vur ist, in hant der yme alreneist voilgt, in der formen, as dat vurscr. concilium dat gesät hait alsus: Ich N. sweren e
verbessert aus ind.
EINE VEREINBARUNG ÜBER DIE BISCHOFSWAHL
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ind geloyven dem Almechtigen Goide ind sent Peter unsem patrone den zo kesen, den ich meynen in zokomenden tzijden der der kijrchen in geystlicheyt ind in werentlicheyt alrenutzste sy, ind deme myne stimme ind kuyr nyt geven, der umb gyfft eynchs vergencklichen gudz darumb gegeven off geloefft off umb bede durch sich selver off yman anders gedaen hait off anders in eyncherwijs die kur vur sich so werven. Den selven eyt, byget ind sacrament nemen sal doin, der eynen procuratoir ind vurmunder machet, zo kesen eyne sijcher persone; ind desgelichen sal doin der procuratoir, der yntgemeyn gemacht wyrt, zo kesen in den stucken, as dat gemeyn reicht dat erleuft ind zoleist. f Wir sullen ouch bynnen der tzijt ind dem dage, den wir zo der kur gesät hetten, verboiden ind bidden zo uns zo komen edelmanne, ritterschaff ind stede des gestijchtz van Colne, yren rait zo hoeren, umb den nutzlichsten ind besten zo kesen ind ouch des gestijchtz nutz ind urber zo bedenckenf. Vort so sullen, als wir also zo kesen, as vurscr. steyt, komen sijn, vur uns nemen in der kur zo doin dry wege, die in deme reichten beschreven sijnt72: Zorn yrsten den wegh des hilligen geystes genant in dem reichten via spiritus sancti; ind off wir in dem wege nyt eyndreichtich enwurden, so sullen wir vur uns nemen den anderen wegh, der genoempt is in dem reichten via compromissi, ind kesen under uns dry van uns, ind wen die dry off tzwene van yn kesent, noement off postulierent, da by sal id blijven, ind wir anderen sullen ind willen des eyndreichtlichen voilgen ind den vur unsen electen, postuleirden off genoemden halden. Gevele id ouch, dat wir des weges nyt eyns enwurden, so sullen wir vur uns nemen den derden wegh, die heysscht via scrutinii ind machen dry van uns, die sijn sullen unse scrutatores ind versoeker unser stymmen ind kur, die yre vota ind kuyr vur ansagen sullen vur dem notarie ind getzuge darzo geheysschen ind darna unss ygliges votum ind kuyr versoeken ind hoeren vur denselven notarien ind getzugen, die juristen sijn sullen; ind as ygliger van uns sijne kuyr gedain hait, so sullen die scrutatores mit den getzugen juristen ind dem notario die vota ind kuyr offenbaren ind kunt doin allen dengheenen, die da entgheenwerdich sijnt, off die kur eyndreghtig ist. Ind wer et, dat unse kur asdan nyt eyndreichtich vunden wurde, dar Got vur sy, also dat tzwene off dry off me gekoiren weren, so sal der, der die meyste vota ind kur hette, elect off postuliert blijven, ind zo dem sullen wir anderen vallen ind zotreden, ee dat wir uyss dem capittelhuysse gaen, ind up die tzweydrechtige kur gentzlich vertzyhen ind davan vallen. Queme id ouch, dat tzwey, dry off me gelijch part weren under uns, so dat wir tzwene off dri off me mit gelijchen partijen gekoiren hetten, so sullen wir anderwerff kesen ind nyt uyss dem capittelhuysse scheyden bis so lange, dat wir eyndreichtich off dat meyste deyl van uns eynen gekoiren, postuliert off nomineirt haven, dem die anderen zovallen sullen, als vur geschreven steyt. Wir ensullen noch enwillen ouch unsen electen off postulierden nyt drijngen zo eynchem geloffnisse off eyde, die van yme zo nemen off zo nemen laissen heymelich off offenbair van uns off van unsen wegen off in unsen off in yemans anders urber, umb yn zo eligeren off zo kesen. Geschege des ouch yet, des Got nyt enwille, dan äff ensal der elect nyt verbunden sijn vurder, harder off vestlicher, dan eyme electen ind ertzebusschove van alders gewoinlich is geweyst ind he dat pleget ind schuldich is zo doin sunder argelist. Vort umb dat dese vurscr. punte vestlicher gehalden werden ind umb zo verhoeden, dat geyn upbroch in dem capittel geschee umb eyncher uneyndreichtiger kur willen, dat wir doemdechen ind capittel unsen willen zo gegeven han, dat vier man dat capittelhuyss van buy72
Vgl. die einschlägige Bestimmung im 24. Kanon des Vierten Laterankonzils: COD 246 f. = c.42 X 1.6 (Friedberg II 88 f.); dazu W. MALECZEK, Abstimmungsarten. Wie kommt man zu einem vernünftigen Wahlergebnis?, in: R. SCHNEIDER/ H. ZIMMERMANN (Hg.), Wahlen und Wählen im Mittelalter (VuF 37) Sigmaringen 1990, bes. 85 ff., 108 ff., 114 f f , und B. SCHIMMELPFENNIG, Papst- und Bischofswahlen seit d e m 12. J a h r h u n d e r t , in: e b d . 1 7 3 - 1 9 5 f f
" durchgestrichen, g doppelt.
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WILHELM JANSSEN
ssen beslossen sullen halden ind nyemann up doin van buyssen noch van bynnen, yn ensy zovorentz kunt gedain overmitz den notarien ind getzuge, dat wir der kuyr eyns sijn in massen as vurscr. steyt. Ind deser vierre manne vurscr. sal eyn van den edelmannen, eyn van der rytterschaff, eyn van der stat Colne ind eyn van den anderen Steden des gestijchtz vurscr. sijn. Ouch so han wir ertzebusschoff ind wir doemdechen ind capittel die stat van Colne gebeden, die kuyr also zo verwaren ind zo beschyrmen, dat geyne gewalt, bedrencknisse off eynche ander besweirniss, dat der kuyr hijndemyss brengen moichte, da engeschee. Dat wir burgermeystere ind rait der stat Colne ouch also doin willen, ind han des zo urkonde desen brieff mitbesiegelt. Ind weret, dat Got vur sy, dat wir des yrsten dages der kuyr nyt eyns wurden, so sal man uns besorgen mit essen ind dryncken, as tzemelich is. Ouch sal eyn yglich canonich, der nu capittulair is ind van nu vortan zo capittel komet ind van uns entfangen wirdet, dese selve punte van der electien ind kuyr, in desem brieve begryffen, geloeven ind sweren, als he entfangen ind capittulair wirt, ind sal des sijnen besiegelden brieff geven; die brieve sal eyn dechen off der dem capittel vur is, zo sich nemen ind behalden ind, wanne eyne kuyr geschien sal, vurbrengen; ind wilcher canonich des eydz nyt gedain enhette, der ensal nyt zo der kuyr gelaissen werden, [er]h en have zijrst van deser ordinancien van der kuyr sijnen eyt gedain ind sijnen brieff gegeven, als dijss brieff dat uysswijst ind begrijfit. Ind van deme eyde sal sich geynre capittelair off canonich absolvieren laissen off eynche absolutie darup impetreren laissen off behalden; ind off eynche absolucie vur uns, dat capittel off eynche sunderlinge persone des capittels, impetreirt off behalden wurde, der ensullen wir nyt annemen noch gebruychen, mer wir sullen in desen eyden vestlich verbunden blijven, as vur is begryffen, ind sullen unser yglicher sich des in dem brieve vurg. verschrijven. Asbalde wir unse kuyr off postuleronge gedain han ind eynen ertzebusschoff gekoiren, geheysscht, postuleirt off genant han, as vurscr. is, ind der die kur off postulacio annemet, levet, entfenget und stede heldet ind uns verbrievet, verwisset ind sycherheyt doet, by uns vestlichen ind by der electien zo blijven ind uns ind dat gestichte anzonemen, zo verantwerden ind truwelich zo beschyrmen: dem sullen ind willen wir alle des gestichtz slosse, stede, zolle, lande ind lüde ind alle des gestichtz van Colne rente, guide in guyt zostunt ain langer vertzogh ingeven ind hulden laissen ind enbeden mit tzwen unss capittels gesellen, yme die inzogeven. Ind die amptlude geystlich ind werentlich, tolnere, kelnere ind andere, den des gestijchtz rente bevoilen is, sullen gehoirsam sijn deme electen off postuleirden, as vurscr. is, ind ime die ingeven ind leveren off weeme he die rente zo nemen dat bevelet; dar sy yre brieve dem capittel upgeven sullen, dat also zo doin ind zo halden; beheltniss denselven amptluden, off der egenante unse gnedige herre van Colne der eynchen eynich gelt schuldich were, des he sijne besiegelde brieve hedde, dat die amptlude, die wijle die unbetzalt weren, solen an den ampten blijven sitzen unentsat, bis dat sy betzalt sijnt na uysswijsonge yrre brieve. Ind wannen de elect off der postulait die also ynnehait, so sullen wir vanstunt werven ind unse eirbere boitschaff senden an unsen hilligen vader den payss, de confirmacie zo behalden. Ind woilde unse hillige vader der pays den electen nyt confirmeren, off dat he eyme anderen provideirde off den umb eyne merre somme dryngen woilde zo geven dan die kirche van Colne taxeirt is - der ensal man nyt geven noch darenboven doin as die kirche van Colne taxiert -, so sullen wir unsem electen doch gehoirsam sijn mit lijve ind mit gude ind by yme blijven ind nyeman anders vur unsen herren halden ind nummer widder yn gevallen. Ind der elect sal ouch by uns blijven ind uns verantwerden ind beschyrmen mit slossen, landen ind luden alletzijt ind als lange uns des noit geburt; dat he uns ouch weder sal geloeven ind sweren zo halden, ee wir yme die slosse ingeven laissen.
h
fehlt.
Köln und der Kirchenbau: Beispiele zur Instrumentalisierung des Ablaßwesens VON CHRISTIANE NEUHAUSEN
Es ist eine bekannte Tatsache, daß Ablässe nicht unwesentlich zur Finanzierung des Kirchen- und Klosterbaus im Mittelalter beigetragen haben1. Eine neue Dimension erhielt dieses Phänomen mit dem Pontifikat Bonifaz' IX. (1389-1404), denn "auf ihn gehen zwei überaus wirkungsreiche Neuerungen zurück, die dann bis zur Reformation die Ablaßgeschichte maßgeblich bestimmt haben, die Überführung des römischen Jubiläums an andere Orte Europas und die ungeheure Popularisierung der sog. Ad-instar-Ablässe. Beide Neuerungen lagen auf der selben Linie: Die herausgehobenen Orte der Christenheit verloren ihre Exklusivität, jedenfalls waren deren Ablässe an vielen Orten erhältlich"2. Mit Bonifaz IX. also setzte die finanzielle Instrumentalisierung des Ablaßwesens erst ein. Seine Ablaßpolitik diente dabei im wesentlichen zwei Zielen: Zum einen konnte er auf diese Weise die leeren Kassen der apostolischen Kammer auffüllen und zum anderen den seelsorgerischen Bedürfnissen der Gläubigen nachkommen3. Die im Ablaß liegenden finanziellen Möglichkeiten wurden jedoch auch von Seiten der Empfänger erkannt - wie das Beispiel Köln demonstrieren mag. Tatsächlich zeigte sich die Stadt im Hinblick auf die Fruktifizierung des Ablaßwesens durchaus innovativ. Köln war neben Mailand die erste Stadt, die das Jubiläum von 1390 aus rein pekuniären Motiven zur Nachfeier erwarb4: Mit dem Erlös aus der lokalen Nachfeier 1394 gedachte die Stadt den Wiederaufbau der während des Schöffenkriegs zerstörten Deutzer Kloster- und Pfarrkirche zu bezahlen. Aber das Beispiel von 1394 steht nicht allein da. Gut hundert Jahre später griff der Rat der Stadt Köln erneut auf diese lukrative Möglichkeit zurück. Obwohl die Umstände etwas anders lagen, blieb eine Grundtatsache gleich: Da die Stadt nicht über ausreichende Geldmittel für den Wiederaufbau kirchlicher Einrichtungen verfügte, suchte sie für sich Abhilfe über einen Ablaß zu verschaffen. 1 Zur Geschichte des Ablaßwesens ist bis heute das monumentale, wenn auch apologetische Werk von N. PAULUS, Geschichte des Ablasses im Mittelalter, 3 Bde., Paderborn 1922-23, grundlegend. Ergänzend sollte jedoch G. A. BENRATH, Ablaß, in: TRE 1 (1977) 347-364, herangezogen werden; er gibt einen historischen Abriß bis in die heutige Zeit und bietet reichhaltige Literaturhinweise. Im Laufe des Jahres 1994 wird in der Reihe: 'Kölner Schriften zu Geschichte und Kultur' als Bd. 21 meine Dissertation: 'Das Ablaßwesen in der Stadt Köln vom 13. bis zum 16. Jahrhundert' erscheinen, die einen Forschungsüberblick und die neuere Literatur zum Thema 'Ablaß' enthält. 2 B. MOELLER, Die letzten Ablaßkampagnen. Der Widerspruch Luthers gegen den Ablaß in seinem geschichtlichen Zusammenhang, in: Lebenslehren und Weltentwürfe im Übergang vom Mit-
telalter z u r N e u z e i t , hg. v o n H . BOOCKMANN/ B . MOELLER/ K . STACKMANN ( A b h . d e r A k a d . d e r
Wiss. in Göttingen, phil.-hist. Kl., 3. Folge, Nr. 179) Göttingen 1989, 539-567, 544. 3 A. ESCH, Bonifaz IX. und der Kirchenstaat (BDHIR 29) Tübingen 1969, 58, stellt fest, daß man "diesem Papst kaum Unrecht tun [wird], wenn man vermutet, ihn habe bei der treffenden Wendung 'zum Schaden ihrer Seele und der apostolischen Kammer' vor allem das Zweite geschmerzt". 4 K. FRANKL, Papstschisma und Frömmigkeit. Die "Ad instar-Ablässe", in: RQ 72 (1977) 57-124, 184-247, hier 85: "Auf die finanziellen Möglichkeiten, die sich durch den neuen römischen Brauch, das Jubiläum nach auswärts zu gewähren, ergaben, wurde man in Mailand bald aufmerksam ... Die Feier des römischen Jubeljahres war für den Dombau ein finanzieller Erfolg."
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CHRISTIANE NEUHAUSEN
In beiden Fällen sind die Kölner Bemühungen, an der Kurie eine Indulgenz zu erwerben, gut dokumentiert. Die Briefe des Kölner Gesandten, Dr. Johann von Neuenstein, sind ebenso wie die Abrechnung, die er nach seiner Rückkehr dem Rat präsentierte, überliefert5; außerdem liegt die Abschrift der verbesserten Indulgenz von 1480 zusammen mit der Rechnung für die Ausfertigung der Urkunde in Form eines Briefes vor6. Die beiden Rechnungen, im übrigen die einzigen über den Erwerb von Indulgenzen, die in Köln erhalten sind, sollen nun näher betrachtet werden.
Köln und das Jubiläum von 1390 Werfen wir zunächst einen Blick auf die Vorgeschichte: Die Stadt Köln befand sich - wieder einmal - im Kampf mit dem Erzbischof um die Vormachtstellung in der Stadt. Während des sog. Schöffenkriegs7 ließ sie die Pfarr- und Klosterkirche St. Heribert in Deutz zerstören. Das hatte zur Folge, daß die Stadt sowohl in die Reichsacht als auch unter das Interdikt fiel. Wollte sie sich nicht politisch isolieren, mußte sie dem Abt Schadensersatz leisten, die zerstörte Kirche wiederaufbauen und die Lösung aus Reichsacht und Interdikt betreiben. Das alles kostete viel Geld. Gleichzeitig war die finanzielle Situation der Stadt durch den Schöffenkrieg enorm angespannt. Da Papst Bonifaz IX. das Jubeljahr von 1390 zur lokalen Nachfeier vergab (von März bis Juli 1392 fand das Jubiläum in Bayern statt)8, erhofften die Kölner neben der Absolution von den Kirchenstrafen ebenfalls dieses Privileg zu erhalten. Schließlich würde die Nutzbarmachung des Erlöses für den Wiederaufbau der Deutzer Kirche eine gewisse Entlastung des städtischen Haushalts bedeuten. Im Sommer 1393 reisten der städtische Protonotar Hermann Rose von Warendorf und der Geistliche Peter von Hattrop in dieser Angelegenheit nach Rom, je5
Der Archivar H. KEUSSEN edierte das Material mit einer kurzen Einleitung in seinem Aufsatz: Zwei Kölner Gesandtschaften nach Rom im 14. Jahrhundert, in: Mitt. aus dem Stadtarchiv von Köln 12 (1887) 67-88. Anscheinend hatte er sich über Leonhard Ennen geärgert, der es ebenfalls für seine Quellensammlung benutzt, aber streckenweise falsch datiert und auseinander gerissen hatte, weil ihm der Zusammenhang der Stücke nicht klar gewesen war; siehe dazu KEUSSEN (wie oben) 69. M. JANSEN, Papst Bonifazius IX. (1389-1404) und seine Beziehungen zur deutschen Kirche (Studien und Darstellungen aus dem Gebiete der Geschichte III 3-4) Freiburg i.Bg. 1904, benutzte die Keussensche Edition. Darauf wiederum basieren die einschlägigen Abschnitte bei FRANKL (Anm. 4). Dennoch hat weder einer der Genannten die Briefe und die Abrechnung einer gründlichen Auswertung unterzogen noch rezipierte sie M. TANGL, Das Taxwesen der päpstlichen Kanzlei vom 13. bis zur Mitte des 15. Jahrhundert, in: MIÖG 13 (1892) 1-106, hier 64-67, in nennenswerter Weise. Er griff lediglich das von Keussen aufbereitete Material auf und setzte etwas andere Schwerpunkte, die hier nicht auszuführen sind. 6 HAStK, HUA 2/13549. Das ist die Signatur der verbesserten Indulgenz, denn der Brief befindet sich in einer zweiten Lasche hinter der Urkunde und ist mit ihr an einem Bügel befestigt. Daher hat der Brief weder eine eigene Signatur noch wurde er gesondert verzeichnet. So erklärt es sich, daß diese Archivalie bislang völlig unbeachtet blieb. 7 Zum Schöffenkrieg siehe K. BOGUMIL, Die Stadt Köln, Erzbischof Friedrich von Saarwerden und die päpstliche Kurie während des Schöffenkrieges und der ersten Jahre des großen abendländischen Schismas (1375-1385), in: Köln, das Reich und Europa (Mitt. aus dem Stadtarchiv von Köln 60) Köln 1971, 279-303, sowie W. HERBORN, Die politische Führungsschicht der Stadt Köln im Spätmittelalter (Rheinisches Archiv 100) Bonn 1977, 111-123. 8
JANSEN ( A n m . 5 ) 145-149.
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doch kehrten sie ohne greifbares Ergebnis zurück . Deswegen schickte die Stadt im Februar des folgenden Jahres Johann von Neuenstein zur Kurie10. Nach 41tägiger Reise kam der Gesandte endlich in der Ewigen Stadt an und begab sich sogleich ans Werk11. Zuerst beriet er sich mit den ihm anempfohlenen Freunden der Stadt Köln in Rom. Sie teilten ihm mit, der Papst verlange allein für die Absolution und Aufhebung des Interdikts zwischen 8000 und 30 000 Dukaten12. Neuenstein ließ sich indes von den Forderungen keineswegs beeindrucken. Es ist nicht bekannt, ob er gewisse Vorgaben seitens der Stadt mit auf den Weg bekommen hatte, aber die Summe war für Kölner Verhältnisse sicherlich zu hoch. Aufgrund seines Verhandlungsgeschickes und der Hilfe eines Kurialen13 konnte Neuenstein schließlich die Absolution und das Jubiläum für die Summe von 1000 Dukaten erwerben, also weit unter dem ihm zuerst genannten Preis14. Als BonifazIX. davon erfuhr, erhob er sofort einen Aufschlag: Neuenstein sollte noch einmal 1000 Dukaten zahlen15. Tatsächlich schaffte es der Gesandte, ein zweites Mal die Forderung herunter zu handeln und ein weiteres Privileg zusätzlich zu erhalten. Am Ende bezahlte er 1130 Dukaten16. Dafür erhielten die Kölner die Absolution vom Interdikt, ein Vidimierungsprivileg und das Recht, ein ganzes Jahr in der Kirchenprovinz Köln ein Jubiläum zu feiern17. Die eine Hälfte des Erlöses aus dem Jubiläum sollte an den Papst fallen, die andere Hälfte konnte der Rat für den Wiederaufbau der Deutzer Kirche verwenden18. Als der Rat bei Neuenstein in Rom anfragen ließ19, ob nicht der ganze Gewinn für Deutz bestimmt werden könne, gab dieser zu bedenken, er befürchte den Widerruf des Jubiläums, falls er solches Ansinnen der Stadt weiter verfolge. Schließlich sei man ihm schon jetzt an der Kurie übel gesonnen. Der Rat gab sich daraufhin zufrieden. Des weiteren wollte er von seinem Gesandten wissen, ob denn diejenigen, die den Ablaß während des Jubeljahres in Rom erlangt hatten, ihn auch ein zweites Mal, nun aber in Köln, gewinnen könnten. Dahinter verbarg sich eine berechtigte Sorge von Bürgermeistern, Schöffen und Rat: 9
KEUSSEN (Anm. 5) 67-71. Die beiden Gesandten wurden kurz vor Rom überfallen und verletzt. Da die Verletzungen von Peter von Hattrop sehr schwer waren, mußte er in Rom bleiben, bis er wieder reisefähig war, während Hermann Rose von Warendorf nach Erledigung der Geschäfte zurück nach Köln reiste. 10 KEUSSEN (Anm. 5) 67 f. 11 Neuenstein hielt in seinen Briefen die Stadt auf dem laufenden, daher sind wir so gut über den Erwerb der Privilegien und den damit verbundenen Schwierigkeiten informiert. Zum Folgenden siehe KEUSSEN (Anm. 5) 75-83. Er schrieb am 15. April (ebd. 75-77), am 25. April (ebd. 77-79), am 12. Mai (ebd. 79 f.), am 8. Juli (ebd. 80 f.) und am 11. Juli (ebd. 81-83) nach Köln. . 12
13
KEUSSEN ( A n m . 5) 7 6 .
Neuenstein nannte keine Namen, er sprach nur von eynen van des paus wegherr, KEUSSEN (Anm. 5) 76. 14 Ebd. 15 KEUSSEN (Anm. 5) 77. In seinem Brief vom 12. Mai ging Neuenstein nochmals darauf ein: Er teilte der Stadt mit, daß der Papst sehr zornig sei, weil ihm wenigstens die Absolution 8000 Dukaten hätte einbringen sollen (ebd. 79). 16 In seinem Brief vom 25. April nennt Neuenstein die Gesamtsumme von 1130 Dukaten (ebd. 77); sie listet er auch in der Abrechnung auf (ebd. 73). 17 HAStK, HUA 3/5224a und b (Absolution), HUA 2/5225a und b (Vidimierungsprivileg) sowie HUA 3/5226a und b (Jubiläum). 18 Siehe die Jubiläumsbulle im HAStK, HUA 3/5226a und b. Druck der Bulle: Quellen zur Geschichte der Stadt Köln, hg. von L. ENNEN/ G. ECKERTZ, Bd. 6, Köln 1879, Nr. 141. 19 Erschlossen aus dem Antwortbrief Neuensteins vom 8. Juli, in dem er den Rat auffordert, sich mit dem Erreichten zufrieden zu geben; siehe KEUSSEN (Anm. 5) 80 f.
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Sie hatten nämlich im Jahre 1390 die persönliche Vergünstigung erlangt, die Indulgenz des römischen Jubeljahres zuhause gewinnen zu dürfen20. Neuenstein wies den Rat auf den entsprechenden Passus in der Jubiläumsbulle hin, daß auch die betreffenden Personen nicht der Gnaden verlustig gingen. Neuenstein blieb danach noch weitere Zeit in Rom. In diesen Monaten holte er noch mehrfach Privilegien für die Stadt, die Universität und Kölner Kirchen ein21. Sie sind hier jedoch von untergeordnetem Interesse. Nach seiner Rückkehr aus der Ewigen Stadt legte Neuenstein dem Rat eine detaillierte Abrechnung vor22. Sie enthält im wesentlichen vier Hauptposten: 1. die Kosten für die Privilegien, 2. die Kosten für Geschenke und Repräsentation sowie Begleichung ausstehender Gehälter, 3. die Unterhaltskosten und 4. die Reisekosten. 1. Kosten für die Privilegien Die Türsteher des Papstes erhielten insgesamt 15 Dukaten23; eine Ausgabe, die man wohl mit dem Begriff 'Schmiergeld' am besten trifft. Die Erstellung der drei Suppliken (Absolution, Jubiläum und Vidimierungsprivileg) kostete zusammen 6 Dukaten, der Minuten 12 Dukaten, das Schreiben der Bullen und ihrer Duplikate nochmals 6 Dukaten. Für die Expedition der Bullen und der Duplikate fielen hingegen 1130 Dukaten an. Die Registration machte 20 Dukaten aus. Weil das Jubiläum bereits am 1. September beginnen sollte, mußten die Privilegien umgehend nach Köln gesandt werden. Deswegen schickte Neuenstein den Knecht Melies am 25. April mit einer Aufwandsentschädigung von 9 Dukaten auf die Reise24. Der Neuenstein anvertraute Rotulus für die Universität verursachte ähnliche Kosten in der Ausfertigung25. Das Konzipieren und Korrigieren kostete 20 Dukaten, das zweimalige Schreiben 2 Dukaten, das Abfassen der Minuten hingegen 45 Dukaten. Einigen in der Korrektur und Emendation des Rotulus Erfahrenen zahlte der Kölner 20 Dukaten. Die Expedition kostete schließlich 1050 Dukaten. Mithin kann man festhalten, daß die Ausfertigung der Privilegien im Gegensatz zur Expedition nicht teuer war26. Was nun diese betrifft, so waren Wichtigkeit und Bedeutung des jeweiligen Privilegs ausschlaggebend. Zwar bestanden definitive Vorgaben, die der Papst eingehalten sehen wollte, doch waren die Kosten letztlich Verhandlungssache. Im übrigen gedachte der Papst an jeder Jubiläumsbulle doppelt zu profitieren, einmal an der Expedition und später an dem Erlös, denn davon behielt er sich die Hälfte vor. Sicher rechnen konnte er jedoch
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Obwohl die Nachfeier des römischen Jubiläums viel Aufmerksamkeit in der Forschung erfahren hat, ist diese Bulle (HAStK, HUA 2/4280) bislang nicht zur Kenntnis genommen worden. Die Kölner Obrigkeit muß gut über die Vorgänge an der Kurie informiert gewesen sein, weil sie sich direkt diese neue Vergünstigung zunutze machte. 21 Neuenstein stellte selbst ein Verzeichnis aller von ihm eingeholten Privilegien zusammen; siehe KEUSSEN (Anm. 5) 84-86. 22 KEUSSEN (Anm. 5) 72-75. 23 Vgl. KEUSSEN (Anm. 5) 73 f. zu den Kosten für die Privilegien. 24 KEUSSEN (Anm. 5) 72 Anm. 6. 25 KEUSSEN (Anm. 5) 74. 26 Zum Geschäftsgang bei der Ausfertigung einer Urkunde siehe als Überblick TH. FRENZ, Papsturkunden des Mittelalters und der Neuzeit (Historische Grundwissenschaften in Einzeldarstellungen 2) Stuttgart 1986, 62-80.
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nur auf die Expeditionskosten, wie ihn die Mißgeschicke bei der Einsammlung des Gewinns lehren sollten; doch davon wird später die Rede sein. 2. Kosten für Geschenke und Repräsentation sowie die Begleichung ausstehender Gehälter Um die Interessen der Stadt angemessen und mit Erfolg zu vertreten, mußte Neuenstein repräsentativ auftreten und Geschenke verteilen27. So ließ er für sich und zwei Famiiiaren Kleidungsstücke aus Seide und Musselin für insgesamt 137 Dukaten anfertigen. Dem Patriarchen von Grado, Petrus Amely, einem Gönner der Stadt Köln28, überreichte Neuenstein auf Anweisung des Rates ein Präsent von 20 Dukaten. Weil der Papst die Angelegenheiten der Stadt dem Bischof Johannes Guterius (Gutiérrez) von Dax übertragen hatte29, schenkte Neuenstein ihm eine Börse und einen Gürtel im Werte von 30 Dukaten. Die familia erhielt 5 Dukaten, der Sekretär des Bischofs 12 Dukaten, schließlich assistierte er Neuenstein in den Angelegenheiten der Stadt30. Der Bischof von Dax bekam ein weiteres Geschenk von 23 Dukaten anläßlich seiner Konsekration. Als ihm der Rotulus der Universität anvertraut wurde, überreichte ihm Neuenstein erneut ein Kleinod im Werte von 57 Dukaten; die familia bedachte der Gesandte mit 5 Dukaten. Insgesamt wandte Neuenstein 152 Dukaten für Geschenke in der Hoffnung auf, daß das Wohlwollen der Empfänger ihm den Aufenthalt an der Kurie erleichtern würde. Wie hoch er den Einfluß des Patriarchen und des Bischofs einschätzte, kann man am Wert der Geschenke erkennen. Denn der Anwalt sowie der Prokurator der Stadt erhielten ein vergleichsweise bescheidenes Salär31: Ersterer bekam sein ausstehendes Gehalt von 20 Dukaten ersetzt sowie für zukünftige Aufgaben einen Vorschuß von 10 Dukaten. Dem Prokurator, Mag. Friedrich Rothardi32, erstattete Neuenstein sein Gehalt von 12 Dukaten. Ein Sekretär verfaßte für Neuenstein eine littera passus33 und weitere Empfehlungsschreiben eines Kardinals, dafür bezahlte der Gesandte ihm 3 Dukaten. 3. Kosten für das Leben in Rom Neuenstein kehrte nach seiner Ankunft für drei Tage in einer Herberge ein34. Dann mietete er für die nächsten neun Monate ein Haus an, das ihn 21 Dukaten Miete kostete. Das tägliche Leben in Rom war teuer: Neuenstein mußte schließlich sich selbst, vier Famiiiaren und drei Pferde unterhalten. Dafür fielen insgesamt 486 Dukaten an, für weitere notwendige Dinge35 21 Dukaten. Der Diener 27 28 29 30
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KEUSSEN (Anm. 5) 73 f. KEUSSEN (Anm. 5) 70 Anm. 2 und ebd. 73. KEUSSEN (Anm. 5) 73 und ebd. Anm. 5. KEUSSEN ( A n m . 5) 7 4 .
Die Gehälter sind die ersten Posten auf der Abrechnung; siehe KEUSSEN (Anm. 5) 73. KEUSSEN (Anm. 5) 71 und ebd. 73 Anm. 2. Der Papst stellte in seiner Funktion als weltlicher Landesherr Pässe aus; siehe dazu, allerdings für das späte 15. Jahrhundert: TH. FRENZ, Die Kanzlei der Päpste der Hochrenaissance (1471-1527) (BDHIR 63) Tübingen 1986, 78. 34 KEUSSEN (Anm. 5) 73. 35 Neuenstein führt hier auf pro utensilibus diversis necessariis, ohne näher zu spezifizieren, was er damit meint; siehe KEUSSEN (Anm. 5) 74.
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des Gesandten wurde mit 6 Dukaten, der Küchendiener mit 2 Dukaten entschädigt. Mensale Dienstleistungen waren in Rom billig zu bekommen. Da Neuenstein und seine familia aus unbekannten Gründen der ärztlichen Behandlung bedurften, mußte er 8 Dukaten für den Arzt und 15 Dukaten für die Medikamente bezahlen. Die medizinische Versorgung Peters von Hattrop36 kostete Neuenstein 23 Dukaten. Insgesamt gab er in einem Zeitraum von neun Monaten für das tägliche Leben in Rom 559 Dukaten aus. Es ist daher wichtig festzuhalten, daß die Expedition der drei Privilegien (Jubiläum, Absolution und Vidimus) sowie des Rotulus für die Universität jeweils mehr als doppelt so teuer war wie das neunmonatige Leben in Rom. 4. Reisekosten Für die Hinreise benötigte Neuenstein drei Pferde, denn er war wohl in Begleitung zweier Diener37. Die Pferde erhielten neue Hufeisen, doch damit war es noch nicht getan; weiterhin fielen Sattel, Zaumzeug, Decken und Futter für die Tiere an. Für seine eigene Person kaufte Neuenstein Reitkleidung und Ausrüstungsstücke für die Reise. Alles in allem fielen für den Rat 71 Mark und 4 albus an. Neuenstein benötigte für die Reise nach Rom 41 Tage, also knapp sechs Wochen38. Die Stadt gab ihm 42 ungarische Florenen und 88 Dukaten mit auf den Weg. Das Geld brauchte der Gesandte für die Unkosten und Geleitbriefe auf. Als dann die Rückreise anstand, besorgte der Kölner erst einmal Geleitbriefe im Werte von 5 Dukaten39. Sodann war die Ausrüstung zu besorgen: Die Reit- und Reisebekleidung der Famiiiaren belief sich auf 7 Dukaten, seine eigene Reitkleidung ließ sich der Gesandte hingegen fast das Dreifache kosten, nämlich 20 Dukaten. Ähnliche Unterschiede machte er auch bei dem Kauf der Pferde. Das seinige war mit 32 Dukaten fast ein Drittel teurer als das für Peter von Hattrop. Die Rückreise nach Köln (Anfang Dezember bis Mitte Februar) kostete Neuenstein 225 Dukaten. Der Gesandte wird dabei auch repräsentativ aufgetreten sein, anders läßt sich die Summe von 225 Dukaten jedenfalls nicht erklären. Denn der Knecht Melies erhielt lediglich 9 Dukaten, um die Privilegien vorab nach Köln zu bringen, und von ihm dürfte Neuenstein nicht erwartet haben können, etwaige Ausgaben vorzulegen. Die Reise des Kölner Gesandten an die Kurie war ebenso zeitaufwendig wie teuer: Sie dauerte ein ganzes Jahr, und die Gesamtkosten beliefen sich auf 3796 Dukaten plus 204 Dukaten als Gratifikation für Neuenstein40. Ca. 60 % der 3796 Dukaten fielen allein für die Privilegien und die Geschenke an. Dabei sollte man keineswegs vergessen, daß Neuenstein nur unter Aufbietung seines ganzen Verhandlungsgeschicks die Privilegien zu einem außerordentlich niedrigen Preis erwerben konnte. Die Kosten, obwohl hoch, waren wohlangelegt, weil der Gesandte der Stadt eben die benötigten Privilegien und weitere Urkunden mitbrachte. 36 37 38 39 40
Vgl. Anm. 9. Zur Rechnung für die Hinreise siehe KEUSSEN (Anm. 5) 72. Ein knapper Bericht über Hinreise und Kosten siehe KEUSSEN (Anm. 5) 72 f. KEUSSEN (Anm. 5) 72 (Kosten für die Hinreise) und ebd. 75 (Kosten für die Rückreise). KEUSSEN (wie Anm. 5) 75.
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Das Jubiläum in Köln Das Jubiläum dauerte ein Jahr vom 1. September 1394 bis zum 31. August des folgenden Jahres41. Es war für die ganze Kirchenprovinz Köln ausgeschrieben, umfaßte also auch die Suffraganbistümer, und konnte ausschließlich in der Stadt Köln gewonnen werden. Wie hoch der Erlös war, ist nicht ganz klar42. Denn bei der Einsammlung des Geldes passierten einige Mißgeschicke, weil der Kollektor Bernhard von Bern aus Angst vor Rechnungslegung zur avignonesischen Obedienz wechselte und das ihm anvertraute Geld gleich mitnahm. Außerdem wurde der lucchesische Bankier Michele de' Pagani überfallen und der Kollekte beraubt43. Doch das dürfte hauptsächlich den päpstlichen Anteil betroffen haben. Am 16. Dezember 1395 jedenfalls quittierte Abt Benedikt von San Precipiano den städtischen Kollektoren immerhin 46101/2 Gulden, die für den Papst bestimmt waren; sicherlich blieb eine mindestens gleich große Summe auch für die Stadt übrig44. Tatsächlich scheinen die Kölner die Indulgenz als Erfolg gewertet zu haben. Denn schließlich besannen sie sich hundert Jahre später erneut auf die Möglichkeit, mittels eines Ablasses den Kirchenbau zu finanzieren. Der Plenarablaß von 1478/1480 Wieder führte die Stadt Köln Krieg gegen ihren Erzbischof, dieses Mal jedoch auf der Seite des Domkapitels und der Landstände. Die Rede ist von der Kölner Stiftsfehde, die dann im Neusser Krieg 1474/75 eskalierte45. Im Sommer 1474 ordnete der Rat der Stadt Köln die Zerstörung der Klöster Weiher und Mechtern, des Dorfes Riehl, des Siechenhauses Melaten und des Judenfriedhofs vor dem Severinstor an46, weil man eine Belagerung durch den burgundischen Herzog Karl den Kühnen fürchtete. Ihm wollte man keine Schwachstellen im Weichbild der Stadt zum Vorteil gereichen lassen. Letztlich ging die unmittelbare Bedrohung an Köln vorbei; der Burgunder belagerte - wie hinlänglich bekannt ist stattdessen Neuss. Der Krieg zerrüttete die städtischen Finanzen nachhaltig47. Hier ist der Frage nachzugehen, wie der Rat den Wiederaufbau der zerstörten Klöster betrieb. Die Nonnen von Weiher wurden nach Abbruch des Gebäudes in dem Stift St. Caeci41
Zur Jubiläumsbulle vgl. Anm. 18. Eine ausfuhrlichere Darstellung sowohl des römischen Jubiläums als auch der Kölner Nachfeier erfolgt in meiner Arbeit (Anm. 1). 42 A. ESCH, Bankiers der Kirche im großen Schisma, in: QFIAB 46 (1966) 277-398, geht auf die Einsammlung des Erlöses aus den Nachfeiern ein (345-347) und berücksichtigt dabei auch Köln. 43 ESCH, Bankiers (Anm. 42) 346. 44 HAStK, HUA 3/5636. Druck: ENNEN/ ECKERTZ, Quellen VI (Anm. 18) Nr. 235. 45 Die neueste Darstellung der Kölner Stiftsfehde und der Belagerung von Neuss stammt von B. M. WÜBBEKE, Die Stadt Köln und der Neusser Krieg 1474/75, in: GiK 24 (1988) 35-64; siehe auch B. M. WÜBBEKE, Das Militärwesen der Stadt Köln im 15. Jahrhundert (VSWG Beiheft 91) Stuttgart 1991, 227-230 und 267-272. 46 Beschlüsse des Rates der Stadt Köln 1320-1550, Bd. 1: Die Ratsmemoriale und ergänzende Überlieferung 1320-1543, bearb. von M. HUISKES (PGRhGK 65/1) Düsseldorf 1990, darin 1474, 70. 47 Zur wirtschaftlichen Situation Kölns siehe C. VON LOOZ-CORSWAREM, Unruhen und Stadtverfassung in Köln an der Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert, in: Städtische Führungsgruppen und Gemeinde in der werdenden Neuzeit, hg. von W. EHBRECHT (Städteforschung A 9) Köln-Wien 1980, 53-97, hier bes. 57 ff. zu den Folgen des Krieges gegen Karl von Burgund. Er spricht in diesem Zusammenhang von einem versteckten Bankrott der städtischen Finanzen (ebd. 58).
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lien untergebracht, die Zisterzienserinnen von Mechtern in der St. Apernklause48. Nach Beendigung der kriegerischen Auseinandersetzungen beschloß der Rat, die Klostergebäude nicht wieder aufzubauen, sondern die Nonnen in ihrer jeweiligen Unterbringung zu belassen49. Sicherlich war dies eine Möglichkeit, die städtischen Finanzen weitestmöglich zu schonen; nichtsdestoweniger fielen einige bauliche Maßnahmen an, um das Provisorium für die betroffenen Personen zu einer dauerhaften Einrichtung zu machen. Da in der St. Apernklause bereits Franziskanertertiarinnen lebten, war nach Aufnahme der Zisterzienserinnen das Gebäude auf Dauer viel zu klein. Deshalb erhielten die Franziskanerinnen 1477 ein Haus neben der St. Bonifatiuskapelle auf der Severinstraße50. Die Zisterzienserinnen verblieben in der Klause, sie mußte aber erweitert werden. Die Nonnen des ehemaligen Klosters Weiher lebten nach der Umsiedlung in dem baufälligen Stift St. Caecilien. Dort konnten sie ihr klösterliches Leben gemäß der Augustinusregel fuhren, obwohl sich ihnen die ehemalige Äbtissin des verwaisten Stiftes - letztlich aber ohne Erfolg - widersetzte51. In Anbetracht der gespannten Finanzlage griff der Rat der Stadt auf die Lösung zurück, die schon einmal hilfreich war: Er ließ in Rom eine Plenarindulgenz einholen. Papst Sixtus IV. gewährte folglich auch allen Gläubigen einen vollständigen Nachlaß der Sündenstrafen, wenn sie am zweiten Freitag nach Ostern die Ratskapelle St. Maria in Jerusalem besuchten und Spenden für die Klöster gäben52. Der Ablaß war auf drei Jahre gültig. Der Papst verzichtete entgegen seiner sonstigen Gewohnheit auf seinen Anteil am Erlös53. 1479, als der Ablaß erstmals verkündigt werden sollte, gab der Rat brieflich Städten im Bergischen Land, in Westfalen und im Sauerland Mitteilung von den päpstlichen Gnaden, die künftig zu erwerben wären54, und mußte dann feststellen, daß ein Fehler unterlaufen war: An dem Ablaßtag fand ebenfalls die alljährliche Sakramentsprozession statt55, und sie schien die Gläubigen wohl vom Ablaß abzulenken. Damit fortan der Indulgenz die uneingeschränkte Beachtung sicher war (und sich für die Stadt als profitabel erwies), wurde der Papst um Änderung gebeten. 48
Zur Geschichte des Klosters siehe I. GOCKEL, Das Kloster Maria zum Weiher von Köln (11981474) und sein Fortleben in St. Cäcilien bis zur Säkularisation (Kölner Schriften zu Geschichte und Kultur 19) Köln 1993, bes. 53-73 mit Blick auf die Zerstörung der Abtei, die Überführung der Nonnen und die Umwandlung des Cäcilienstifts in ein Augustinerkloster. Zur Unterbringung der Nonnen auch L. ENNEN, Geschichte der Stadt Köln, Bd. 3, Köln-Neuß 1869, 554-560, sowie jetzt H.-J. HÜSGEN, Zisterzienserinnen in Köln. Die Klöster Mariengarten, Seyne und St. Mechtern/ St. Apern (Bonner Beiträge zur Kirchengeschichte 19) Köln-Weimar-Wien 1993; diese Dissertation war der Verfasserin zum Zeitpunkt der Abfassung dieses Aufsatzes jedoch noch nicht zugänglich. 49 Ratsmemoriale (Anm. 46) 1476, 19: Der Rat beschließt noch einmal, die Nonnen in der St. Apernklause zu lassen. 50 Ratsmemoriale (Anm. 46) 1477, 54. 51 GÜCKEL (Anm. 48) 58-73. ENNEN, Geschichte III (Anm. 48) 785, erwähnt die Indulgenz, drückt sich aber mißverständlich aus, so als ob ein Ablaß von drei Jahren anstelle einer auf drei Jahre gültigen Plenarindulgenz gemeint sei. 52 HAStK,HUA 3/13447. 53 Normalerweise verlangte der Papst ein Drittel des Erlöses; siehe dazu E. GÖLLER, Deutsche Kirchenablässe unter Papst Sixtus IV., in: RQ 31 (1923) 55-70, hier bes. 60-68 mit zahlreichen Beispielen. 54 HAStK, HUA 1/13479a. 55 So die Erklärung in der korrigierten Bulle (HAStK, HUA 2/13549).
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Wen der Rat diesmal an die Kurie schickte, ist nicht bekannt56. Denn die Kopie der Bulle mitsamt der Rechnung, vom Gesandten an die Stadt geschickt, weist durch das Öffnen Schriftverluste auf. Erkennbar ist jedoch, daß die Adressaten Dr. Wolter van Bilsen, gelehrter Rat57, und Mag. Reyner van Dalen, städtischer Protonotar58, mit der Angelegenheit betraut waren. Die Kopie der Bulle wie auch die Urkunde selbst sind gegenüber der vorherigen nur in einem Punkt geändert: Der Ablaßtag wurde von dem zweiten Freitag nach Ostern auf den darauffolgenden Samstag verlegt. Die Bulle ist das Endprodukt eines langen Arbeitsganges59. Anhand der Rechnung und der Kanzleivermerke60 kann man genau die einzelnen Stationen der Ausfertigung verfolgen: Die Supplik und das Konzept verfaßte Nikolaus Manni de Castello61, er reichte sie dann jeweils zum Abschreiben an seinen Kopisten Nikolaus weiter. Dafür zahlte der Kölner Petent insgesamt 13 päpstliche Groschen, fünf für die Supplik, nochmals fünf für das Konzept und drei für das Abschreiben. Bernardinus de Capitaneis62 schrieb anschließend gegen einen Betrag von sieben päpstlichen Groschen die Urkunde. Der Reskribendar Antonius de Mucciarellis63 erhielt fünf goldene Kammerdukaten als erste Taxe. Die Höhe des Betrages erklärt sich aus der Nennung Petrus' von Altissen, dessen Name sich bei den Kanzleivermerken direkt unter dem des Reskribendars findet. Denn Petrus von Altissen war für seine Taxfestsetzungen geradezu berüchtigt, man sprach in diesem Zusammenhang gar von der lex Altissinana Von da an übernahm Dominicus de Lovatis65 die weitere Beförderung der Urkunde: Er expedierte sie per cameram66. Der Kölner Gesandte bezahlte ihm an fünf Gelegenheiten insgesamt 20 goldene Kammerdukaten, 11 päpstliche Groschen und 5 päpstliche Groschen in Silber. Wofür? Der Vermerk unter der Abschrift der Urkunde, daß Johannes Horn67 das Summarium erstellt habe68, hilft 56
Die Ratsmemoriale (Anm. 46) sind zu dieser Zeit noch nicht so ausführlich wie im 16. Jahrhundert. 57 Wolter van Bilsen war von 1466 bis 1482 gelehrter Rat der Stadt, siehe Ratsmemoriale (Anm. 46) XXX. 58 Reyner van Dalen war von 1467 bis 1481 Protonotar/Kanzler der Stadt; siehe ebd. 59 Zur Expedition der Urkunden in dieser Zeit siehe FRENZ, Kanzlei (Anm. 33) 79-163. 60 Als der Petent die Urkunde in Abschrift mit der Rechnung nach Köln schickte, führte er unter der Abschrift die Kanzleivermerke auf und gab zu jedem Namen auch das Amt bzw. die Funktion an. Auf der Urkunde selber findet man natürlich an den entsprechenden Stellen ebenso die üblichen Kanzleivermerke. 61 Siehe die Kurzbiographie bei FRENZ, Kanzlei (Anm. 33) 412. 62 Siehe die Kurzbiographie bei FRENZ, Kanzlei (Anm. 33) 293. Frenz war der Vorname nicht bekannt. 63 Siehe die Kurzbiographie bei FRENZ, Kanzlei (Anm. 33) 287. Seinen Namen gab der Kölner unter der Abschrift der Urkunde mit Amt an. 64 Siehe FRENZ, Kanzlei (Anm. 33) 115 und ebd. Anm. 60, sowie die Kurzbiographie ebd. 424. 65 Ihn zu identifizieren oder einem Amt zuzuordnen war mir nicht möglich. Wahrscheinlich handelt es sich bei ihm um einen hauptberuflichen Prokurator. Ich lese den Namen als Dominicus de Lovatis, als zweite Lesart ist auch Lonatis möglich. 66 Warum der Kölner Gesandte die Urkunde per cameram statt per cancellariam expedieren ließ, ist nicht klar. Schließlich galt dieser Expeditionsweg als deutlich teurer (FRENZ, Kanzlei [Anm. 33] 80) und dauerte geringfügig länger als der andere (ebd. 114). 67 Siehe die Kurzbiographie bei FRENZ, Kanzlei (Anm. 33) 376, sowie U. SCHWARZ, Sixtus IV. und die deutschen Kurialen in Rom. Eine Episode um den Ponte Sisto (1473), in: QFIAB 71 (1991) 340395. Schwarz interpretiert eine Liste mit 81 Petenten, auf der sich an vierter Stelle der Name von Johannes Horn findet (ebd. 380, 384), und geht in diesem Zusammenhang immer wieder auf den
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hier weiter. Wenn man recht in der Annahme geht, daß Dominicus de Lovatis als Prokurator agierte, dann wird er mit der Urkunde Johannes Horn aufgesucht haben, der dann die Angelegenheit in die Hand nahm. Horn müßte anschließend das Summarium eingetragen haben und mit der Urkunde zum Papst gegangen sein. Wenn dieser seine Zustimmung erteilte, konnte die Bulle in die Bullarie geschickt und besiegelt werden. Jetzt fielen die nächsten Taxen an: die Bullen- und Registertaxe sowie die taxa quinta. Leonardus Grifus 69 übernahm abschließend die Registration70. Man geht sicherlich nicht fehl in der Annahme, daß auch das ein oder andere Trinkgeld in den genannten fünf Posten enthalten war. Denn ohne ging es nicht71. Nachdem er eine offizielle Summe von 28 goldenen Kammerdukaten und 3 päpstlichen Groschen zusammengerechnet hatte, führte der Kölner Petent in kaum lesbarer Schrift - ihm ging der Platz auf dem Blatt aus - einige inoffizielle Geldforderungen auf. Der exhibitor verlangte Entlohnung für seine Anwesenheit, seine Arbeit und das Tragen der Bulle. Anschließend bestellte der Kölner Gesandte am 10. März in Rom einen Boten, der versprach, für einen Betrag von 45 rheinischen Florinen in Gold die Bulle innerhalb der nächsten 20 Tage nach Köln zu bringen. Die Rechnung läßt gut erkennen, wie sich für den Petenten der Weg einer Urkunde durch die Kanzlei bzw. Kammer darstellte. Die offiziellen Personen, mit denen er direkt in Kontakt trat, führte er - mit Ausnahme des Reskribendars namentlich auf. Sobald Dominicus de Lovatis in Zusammenarbeit mit Johannes Horn die Expedition übernahm, konnte sich der Petent auf das Zahlen der weiterhin erforderlichen Kosten beschränken. Die Vermerke auf der Urkunde hingegen sind das typische Ergebnis des normalen Ausfertigungsweges. Vergleicht man die Kosten der beiden Bullen von 1394 und 148072, ist eines auffallig: 1394 bestand eine enorme Differenz zwischen den Kosten für die Ausfertigung der Urkunde und ihrer Expedition. Das war 1480 nicht der Fall. Dafür eine Erklärung zu finden, ist schwierig. Man könnte einen Zusammenhang mit der Ablaßpraxis vermuten: Köln war 1394 schließlich neben Mailand die erste Stadt überhaupt, die das Jubiläum für sich gewinnbringend nutzen wollte, trat also mit einer damals noch außergewöhnlichen Bitte an den Papst heran. Seine Zustimmung ließ sich dieser teuer bezahlen. Hundert Jahre später waren große
Kurialen ein. Horn hat eine "regelrechte Ämterkarriere im Sinne einer Stufenleiter" (ebd. 367) durchlaufen und war Familiar der Päpste Pius II. und Sixtus IV. (ebd. 372 Anm. 142). 68 Zu den Aufgaben des Summators bei der expeditio per cameram siehe FRENZ, Kanzlei (Anm. 33) 69
135-137.
Siehe die Kurzbiographie bei FRENZ, Kanzlei (Anm. 33) 397. Er galt bis zu seinem Tod 1485 als der allmächtige Geheimsekretär, siehe ebd. 118; E. LEE, Sixtus IV and Men of Letters (Temi e Testi 2 6 ) Rom 1 9 7 8 , 6 2 - 6 6 sowie 2 2 5 - 2 3 0 (Pfründenliste), beschreibt Stellung und Karriere des Mailänders. 70 In den Jahren bis zum Tod von Leonardus Grifus findet man laut F R E N Z , Kanzlei (Anm. 33) 118, anstelle des normalen Taxvermerks der Abbreviatoren bei den per cameram expedierten Urkunden "an derselben Stelle nur ein[en] Vermerk eines Abbreviators aus dem parcus minor, und zwar zunächst seit der Kolleggründung des Johannes Horn" (Kursivierung von Frenz). Das ist auch bei dieser Urkunde der Fall. 71 In den Handbüchern für Kurienneulinge wurden ausdrücklich die notwendigen Trinkgelder vermerkt; siehe dazu F R E N Z , Kanzlei (Anm. 3 3 ) 4 7 , 1 0 1 , vgl. aber auch ebd. 1 1 5 , 1 5 6 . 72 Da hier viele verschiedene Währungen aufgeführt wurden, die zu verschiedenen Zeiten kursierten, kann keine Umrechnung erfolgen.
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Ablässe für den Kirchenbau nichts besonderes mehr. Vielleicht entfiel deswegen der Zuschlag bei den Expeditionskosten. Der Ablaß in Köln Wie hoch der Erlös der Indulgenz dann vor Ort war, ist nicht überliefert. Nachdem der Rat immer wieder versucht hatte, die Kosten für die Arbeiten an den Klöstern so niedrig wie möglich zu halten, gar einen Stop der Arbeiten angeordnet hatte, finden sich nach der Verkündigung des zweiten Ablasses keine ähnlichen Eingriffe mehr73. Offensichtlich flössen die erforderlichen Geldmittel jetzt in hinreichendem Maße. Zweimal bemühte sich die Stadt Köln um eine Plenarindulgenz, um mit dem Erlös den Wiederaufbau kirchlicher Einrichtungen zu finanzieren. Als sie im Jahre 1394 den Jubiläumsablaß erwarb, beschritt sie damit neue Wege. 100 Jahre später griffen die Kölner erneut auf die erprobte Methode zurück. Jetzt zeigten sie sich nicht innovativ, sondern schwammen im Strom der Zeit mit. Denn zu diesem Zeitpunkt war die finanzielle Instrumentalisierung des Ablaßwesens sowohl auf seiten der Päpste als auch der Empfänger bereits weit fortgeschritten. Die Rechnungen der beiden Indulgenzen zeigen deutlich, wie mühsam und teuer es war, an der Kurie eine solche Vergünstigung zu erhalten. Die Stadt Köln zog es vor, nicht ihren Prokurator zu bemühen, sondern schickte eigens Gesandte, die über ein gutes Verhandlungsgeschick verfügten. Ein standesgemäßes Auftreten, Geschenke und, je nachdem, Bestechungsgelder taten ein übriges. In der Tat war diese Vorgehensweise empfehlenswert, denn ein Gesandter, der die Ausfertigung der Urkunden sowie deren Expedition beaufsichtigte, konnte wohl allein durch seine Anwesenheit wie auch durch gut plazierte Trinkgelder pro labore an den einschlägigen Stellen Verzögerungen vermeiden74. Insgesamt war der hohe finanzielle und personale Aufwand letztlich unerheblich: Die Stadt sah in den Ablässen eine gewinnbringende Investition. Und damit stand sie nicht allein75.
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Ratsmemoriale (Anm. 46) 1478,63. FRENZ, Kanzlei (Anm. 33) 38 sowie ebd. bes. Anm. 4 und 5 mit einschlägigen Beispielen. GÖLLER (Anm. 53) passim mit zahlreichen Beispielen.
Die Inkorporation der Pfarrei Widdersdorf in die Abtei Brauweiler VON JOSEF VAN ELTEN Am 20. März 1494 ließ Papst Alexander VI. (1492-1503) auf bestem Pergament in der damaligen Kurialschrift eine Urkunde veröffentlichen, in der zur ewigen Erinnerung unter anderem folgendes zu lesen stand: Pastoralis officii debitum, quo sumus universis ecclesiis et monasteriis obligati, nos impellit, ut votis ... libenter annuamus et... favorabiliter impendamus. Dudum siquidem omnia beneficia ecclesiastica cum cura et sine cura apud sedem apostolicam tunc vacantia et inantea vacatura collationi et dispositioni nostre reservavimus, ... cum itaque postmodum parrochialis ecclesia in Wederstorp Coloniensis diocesis per liberam resignationem dilectifilii Leonardi de Güsten nuper ipsius ecclesiae rectoris de illa quam tunc obtinebat in manibus sponte factam et per nos admissam apud sedem predictam vacaverit et vacet adpresens nullusque de illa preter nos hac vice disponere potuerit sive possit reservacione et decreto obsistentibus supradictis, et sicut exhibita nobis nuper pro parte dilectorum filiorum abbatis et conventus monasterii in Bruwilre ordinis sancti Benedicti dicte diocesis petitio continebat, si dicta ecclesia eidem monasterio perpetuo uniretur annecteretur et incorporaretur, ... ecclesiam predictam ... tenorepresentium unimus annectimus et incorporamus ...1. Mit den vielen, ofterprobten und doch immer wieder neu überraschenden Formeln der Urkunde, die hier nicht einzeln untersucht werden sollen, ist das Rechtsgeschäft eindeutig umschrieben: Eine vakant gewordene Pfarrstelle wird vom Papst durch einen konstitutiven Akt - der seine Begründung in verschiedenen zitierten älteren päpstlichen Dekretalen erfahrt - inkorporiert. Der Vorgang selbst ist nicht ungewöhnlich, wenn auch die hohe Zeit der Inkorporation von Pfarrkirchen im Erzbistum Köln damals schon vorbei war2. Ungewöhnlicher an diesem Fall ist, daß wir über Vorgeschichte und Hintergründe durch eine Vielzahl von Urkunden recht gut informiert sind, so daß die gesamten Vorgänge, die hinter den kurialen Formeln stehenden Tatsachen und Schicksale, eingehender als sonst untersucht werden können3. 1 Köln, Historisches Archiv des Erzbistums (künftig: AEK), Erzbistum Köln, U 169. Diese Urkunde liegt in einer Ausfertigung mit Bleibulle, einer unbeglaubigten Abschrift auf Pergament und einer Abschrift auf Papier vor, letztere erstellt durch den Notar Nicolaus de Vochen. Bis auf geringe orthographische Feinheiten sind die Texte identisch. 2 F. W. OEDIGER, Das Bistum Köln von den Anfängen bis zum Ende des 12. Jahrhunderts, (Geschichte des Erzbistums Köln, hg. von E. HEGEL, Bd. 1) Köln 21972, 228 f. Daß die meisten Patronate vergeben und viele Pfarreien bereits irgendeinem geistlichen Institut inkorporiert waren, zeigt schon eine kursorische Durchsicht der Einträge bei W. FABRITIUS, Erläuterungen zum geschichtlichen Atlas der Rheinprovinz, Bd. 5: Die beiden Karten der kirchlichen Organisation, 1450 und 1610, 1. Hälfte: Die kölnische Kirchenprovinz, (PGRhGK 12/V) Bonn 1909. 3 Insgesamt liegen in dem Mischbestand 'Erzbistum Köln' des Historischen Archivs des Erzbistums Köln 23 Urkunden zu Widdersdorf, davon 20 zur hier besprochenen Inkorporationsfrage. Diese Urkunden gehörten noch 1899 dem Pfarramt zu Widdersdorf: A. TILLE, Übersicht über den Inhalt der kleineren Archive der Rheinprovinz, Bd. 1 (AHVN, Erg.bd. 1) Köln 1899, 17 f. Wie diese Urkunden an das AEK kamen, ist aufgrund der Zerstörung der älteren Dienstregistratur des Archivs in der zweiten Hälfte des Ersten Weltkrieges nicht mehr zu rekonstruieren. Die Urkunden dieses
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Widdersdorf selbst war früher ein kleines Dörfchen weit vor den Toren der Großstadt Köln und ist heute Kölner Stadtteil. Die früheste Erwähnung des Ortes datiert von 1080, eine Kirche ist erstmals für das Jahr 1106 belegt4. Rings um Widdersdorf lagen die alten Pfarrkirchen von Sinthern, Geyen, Pulheim, Lövenich und Bocklemünd, und rund 2,5 Kilometer westlich erhob sich mächtig die im Jahre 1024 gegründete Benediktinerabtei St. Nikolaus in Brauweiler5. Über das Widdersdorfer Dorfleben ist durch die Jahrhunderte nur wenig bekannt. Die Geschichte der benachbarten Abtei Brauweiler war, soweit dies die Quellen ausweisen, wohl im Gegensatz zu der von Widdersdorf immer sehr bewegt. Sie war geprägt von einem Auf und Ab innerabteilicher Auseinandersetzungen und Konsolidationen, von wirtschaftlichen Hochphasen und krassen Rezessionserscheinungen. Um 1450 herum waren wirtschaftliche Lage und innere Verfassung auf einem Tiefpunkt angekommen. Mönche aus dem Kölner Kloster Groß St. Martin führten in Brauweiler die Bursfelder Reform ein, verschafften der benediktinischen Observanz neue Beachtung und führten das Kloster wieder zu einer bis zur Säkularisation anhaltenden Blüte. Danach wurde die Abteikirche zur Pfarrkirche von Brauweiler; in den diversen Klostergebäuden sind heute Kulturdienststellen des Landschaftsverbandes Rheinland untergebracht. Zeit ihres Bestehens lebte die Abtei von der Arbeit ihrer Mönche und von dem umfangreichen Streubesitz an Höfen, von Renten, Zehnten, Spenden und sonstigen Abgaben. Dazu gehörte auch der Besitz von Pfarrkirchen6. In Widdersdorf nun besaß das Kloster Brauweiler seit 1080 einzelne Güter und wahrscheinlich auch das Patronatsrecht über die Pfarrkirche. Denn am 5. Januar 1211 nahm Erzbischof Dietrich I. von Köln genau darauf Bezug, als er die Zehntrechte, die Mischbestandes wurden in den fünfziger Jahren in zwei voneinander unabhängigen Serien abgelegt; daneben sind eigene Kartons für rund zwanzig Provenienzen angelegt, aber nicht konsequent gefüllt worden. Die Widdersdorfer Urkunden sollten dem Karton 13 zugehören, doch sind nur spätere Urkunden des 17. und 18. Jhs. darin abgelegt worden. Unter den deponierten Pfarrarchiven bewahrt das AEK auch einige Amtsbücher der pfarrlichen Vermögensverwaltung von Widdersdorf aus dem 18. Jh., in denen indes von dem hier geschilderten Vorgang keine Erwähnung zu finden ist. - Die hier behandelten Urkunden sind, wiewohl bekannt, noch nicht Gegenstand einer eigenen Darstellung gewesen. In den neuesten Untersuchungen zum Klosterarchiv von Brauweiler, nämlich bei E. WLSPLINGHOFF, Die Benediktinerabtei Brauweiler (Germania Sacra, NF 29: Die Bistümer der Kirchenprovinz Köln. Das Erzbistum Köln, Bd. 5) Berlin-New York 1992, 27-29, und bei J. DAHLHAUS, 'Volumen literis privilegiorum atque redituum nostri monasterii descriptum'. Zur Geschichte des Archivs der Abtei Brauweiler, in: Köln. Stadt und Bistum in Kirche und Reich des Mittelalters. Festschrift für Odilo Engels zum 65. Geburtstag, hg. von H. VOLLRATH/S. WEINFURTER (KHA 39) Köln-Weimar-Wien 1993, 189-222, sind die Urkunden aus Widdersdorf nicht genannt. - Offenbleiben muß hier, wie diese Urkunden nach Widdersdorf gekommen sind. Es liegt nahe, daß einer der durch die Abtei Brauweiler ernannten Pfarrer sie nach dem endgültigen Entscheid über die Inkorporation dorthin mitgenommen hat, wie etwa auch am 22. Januar 1659 ein von der Äbtissin des Kölner Stiftes Maria im Kapitol ernannter Hofrichter zu Hanselaer bei Kleve eine ganze Reihe von Amtsbüchern, Urkunden und Akten über seinen Hof aus dem Stiftsarchiv empfing und mit ins Rheinland nahm: AEK, Maria im Kapitol A II 178i, fol. 59v. 4 Handbuch des Erzbistums Köln, 26. Ausgabe, Bd. 1: Geschichtlicher Teil, Köln 1966,275 (unter Rückgriff auf Angaben der jeweiligen Pfarrstelle ohne Prüfung auf Richtigkeit). 5 Zur Geschichte im Überblick: P. SCHREINER, Benediktiner in Brauweiler. Geschichte der Benediktinerabtei St. Nikolaus 1024-1802 (Pulheimer Beiträge zur Geschichte und Heimatkunde, 4. Sonderveröffentlichung) Pulheim 1988; grundlegend WlSPLINGHOFF, Brauweiler (Anm. 3). 6 Brauweiler besaß die Pfarren Kierdorf-Sinthern, Auenheim (1280 an die Kölner Kommende des Deutschen Ordens verkauft) und Bürgel-Zons (seit 1368). Die Einkünfte aus den Pfarr- und Zehntbezirken waren recht hoch: WlSPLINGHOFF, Brauweiler (Anm. 3) 166; SCHREINER, Benediktiner (Anm. 5) 106.
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bisher der jeweilige Pastor zu genießen pflegte, mit allem Zubehör ebenso wie im Fall der Pfarrkirche von Kierdorf dem Kloster überwies7. Der Autor der Brauweilerer Klosterchronik faßte diesen Vorgang bereits als förmliche Inkorporation auf, bemerkte an späterer Stelle für Kierdorf dann doch einen gewissen Widerspruch. Denn im Abschnitt über den Abt Arnold III. (14281457) schrieb er, daß dieser zwar für Kierdorf die Inkorporation erbat, wo doch festzustellen sei, daß die Kirche bereits unter Abt Godismann (1196-1226) inkorporiert worden war und sich derselbe Vorgang nun eben lediglich "weitgehender" (plenius) als zuvor vollzog, nämlich durch erzbischöfliche wie durch päpstliche Entscheidung8. Die Frage ist, was der Begriff der 'Inkorporation' hier aussagen soll, ob er "ein Eigentumsrecht kirchlicher Anstalten an Pfarreien" ausdrückt oder nur "Nutzungsrechte ..., ohne daß die Eigentumsgrundlage eine Veränderung erfuhr" 9 . Den Hof, den die Abtei in Widdersdorf besaß, verlor sie im Verlaufe der Zeiten durch schlechte Klosterwirtschaft wieder und konnte ihn erst in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts neu erwerben10. Über die Widdersdorfer Pfarrstelle ist weiter wenig auszumachen. Nach dem 'Liber valoris' von etwa 1300 verfügte die Stelle über ein mittleres Einkommen"; größere erwähnenswerte Vorfälle scheint es nicht gegeben zu haben. Von den älteren Pfarrern von Widdersdorf ist jedenfalls nichts bekannt. Weder kennen wir die Namen, noch wissen wir, kraft welchen Rechts sie an ihre Stelle gekommen sind, wer sie investierte und wie ihre Rechtslage durch die Zeiten angesehen wurde. Erstmals 1472 liegt ein Beleg für eine umstrittene Rechtssituation vor, der auch die Frage nach der Inkorporation neu aufwarf. Der Abt von Brauweiler hatte die Pfarrstelle von Widdersdorf an den Priester Rutger Themme aus der Erzdiözese Köln übertragen und damit gegen Sander Eyckpasch von Kempen entschieden, der sich selbst Hoffhungen auf die Amtsnachfolge gemacht, aber einen entsprechenden Prozeß an der römischen Kurie verloren hatte12. 7 R. KNIPPING, Ungedruckte Urkunden der Erzbischöfe von Köln aus dem 12. und 13. Jahrhundert, Teil II: 1114-1225, in: AHVN 74 (1902) 179-194, hier 190-192 (Nr. 9). Interessanterweise spricht KNIPPING sieben Jahre später in dem von ihm bearbeiteten Band 3 der Regesten der Erzbischöfe von Köln im Mittelalter, Bonn 1909 (ND 1964) 16 f. (Nr. 86), ebenso wie später WISPLINGHOFF, Brauweiler (Anm. 3) 182, von einer "Inkorporation" beider Kirchen in die Abtei, die er "aus eigener Machtvollkommenheit habe vornehmen können". Erzbischof Dietrich sicherte sich dennoch durch zustimmende und mitsiegelnde Zeugen vornehmen Standes gegen eventuelle spätere Vorwürfe ab. Festzuhalten ist aber, daß der Begriff der Inkorporation damals nicht verwendet wurde. 8 Chronicon Brunwylrense, hg. von G. ECKERTZ, in: AHVN 17 (1866) 119-191, hier 158: (Abt Godismann) sollicitavit etiam incorporationem et confirmationem ecclesiarum nostrarum in Kyrdorff et Wederstorff de decimis eorundem a gratioso domino Theoderico Coloniensi archiepiscopo-, die spätere Stelle: AHVN 18 (1867) 95-159, hier 136. WISPLINGHOFF, Brauweiler (Anm. 3) 166, erwähnt die Tatsache der doppelten Inkorporation von 1211 und 1431, ohne näher darauf einzugehen. Auch die Widdersdorfer Inkorporation wird nur summarisch durch "unter vielen unnötigen Mühen, wie die Chronik zu berichten weiß" kommentiert. Die der vorliegenden Untersuchung zugrundeliegenden Urkunden nennt Wisplinghoff nicht. 9 H. ZAPP, Inkorporation, in: LMA V (1991) 427 f. Die Inkorporation plenissimo iure hatte erhebliche Konsequenzen, weil nicht nur die Einkünfte der inkorporierten Pfarrei dem neuen Pfarrherm zufielen, sondern bisweilen auch die Jurisdiktion über die Pfarrstelle dem zuständigen Bischof entzogen war. 10 SCHREINER, Benediktiner (Anm. 5) 107; WISPLINGHOFF, Brauweiler (Anm. 3) 182. 11 F. W. OEDIGER, Die Erzdiözese Köln um 1300. Erstes Heft: Der Liber Valoris (PGRhGK 12/IX) Bonn 1967, 59 12 AEK, Erzbistum Köln, U 124 vom 20. März 1472. Nach einer früheren Zählung trug diese Urkunde die laufende Nummer 5; die AEK-inteme Zuweisung der fünfziger Jahre lautet XIII, 1.
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Sechzehn Jahre später, am 16. September 1488, resignierte in der Amtsstube des Notars Jacobus Jocinck de Lippia in Köln ein gewisser Peter Ruggenbecker, Priester und Kanoniker an St. Kunibert in Köln, in die Hände des Papstes auf die ihm kraft apostolischer Vollmacht nach dem Tod des letzten Stelleninhabers Henricus Barduyn verliehene Pfarrstelle in Widdersdorf. Selbstverständlich erfolgte diese Resignation dem Urkundentext zufolge freiwillig, und Peter Ruggenbecker erwähnte auch "wichtige Gründe" für seinen Schritt, die er dann aber nicht weiter ausführte. Zwei benannte Prokuratoren sollten diese Resignation dem Papst vortragen13. Doch wirft diese Urkunde mehr Fragen auf als sie beantwortet. So muß etwa die päpstliche Provision für den Kanoniker vorher ja erbeten worden sein. Auch wird von dem erwähnten Rutger Themme, der 1472 kraft der oben erwähnten Brauweilerer Ernennung Pfarrer geworden war, nichts weiter gesagt. Dabei war er, wie sich in einer anderen Urkunde zeigt, 1488 noch im Amt. Denn am 1. Oktober 1490 fand sich Themme in der Wohnung des Gerardus van de(r?) Erve de Bocholdia, Klerikers der Diözese Münster und kaiserlich bestellten Notars in Köln, vor den berufenen Zeugen Petrus Wasmer(?) von Waerff(?) und Johannes de Berntzfeld, Priestern aus den Diözesen Köln und Münster, ein. Dort bekundete er, daß er seinerzeit [1472] die Pfarrstelle in Widdersdorf nach der Resignation eines gewissen Leonardus de Güsten erhalten und die an der römischen Kurie als seine Prokuratoren wirkenden Geistlichen Vitus Meier und Johannes Porken hinsichtlich dieser Pfarrstelle gebeten habe, nunmehr seine eigene Resignation in die Hand des Papstes mitzuteilen und für die ewige Inkorporation von Widdersdorf in die Abtei Brauweiler Sorge zu tragen. Wegen dieser Dienste sollten die Prokuratoren entlohnt werden, wobei Rutger für die Bezahlung der nicht spezifizierbaren Kosten sein Vermögen zum Unterpfand setzte14. Leonhard van Güsten taucht in dieser Urkunde erstmals auf; bei der Resignation von Peter Ruggenbecker 1488 war ja die Rede vom Tod des vormaligen Pfarrers Henricus Barduyn gewesen. Sollte man aufgrund dieses Befundes vermuten, daß es für die Pfarrstelle Widdersdorf seit mindestens 1472 zwei rivalisierende Pfarrer gab, die ihre Rechte zumindest auf dem Pergament behaupteten? Vier Monate nach seiner ersten Prokuratorenbeauftragung, am 24. März 1491, benannte Rutger Themme seine Vertreter in Rom ein zweites Mal, wiederum durch ein Notariatsinstrument, das aber nicht in einer Kölner Amtsstube aufgenommen wurde, sondern in der Abtei Brauweiler15. Der Auftrag, die Inkorporation seiner Pfarrstelle zu betreiben, wurde um die Forderung erweitert, die Abtei zu einer Rente von 10 Gulden Kölner Währung für seinen ferneren Lebensunterhalt anzuhalten. Die von Themme beauftragten Prokuratoren wurden auch durch die Abtei Brauweiler benannt. In einer besiegelten Urkunde bekundeten Abt Adam de Pacientia, Walter praesidens, Castor de Cloteno, Hermannus Spiess, Henricus Broel, Jacobus de Colonia, Johannes Greven, Johannes Werda, Johannes Lünen, Gotfridus de Venloe, Albertus de Colonia, Johannes de Colonia, Nikolaus de Kerpena, Martinus de Nussia und Vitus de Gladbach, alle Brüder 13 AEK, Erzbistum Köln, U 147 vom 16. September 1488. Nach zeitgenössischer Zählung handelt es sich um die Urkunde Nr. 3 des Gesamtvorgangs. 14 AEK, Erzbistum Köln, U 154 vom 1. Oktober 1490. 15 AEK, Erzbistum Köln, U 157c. Der Umschlag, in dem diese und die beiden nachfolgend behandelten Stücke liegen, verweist irrtümlich auf U 157a.
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und Konventualen des Benediktinerklosters St. Nikolaus in Brauweiler, daß sie zuvor für diesen Zweck eine eigene Kapitelsitzung abgehalten hatten. Wie in den Bestellungsurkunden des Rutger Themme wurde der eigentliche Auftrag nur kurz mitgeteilt, wohingegen die formalen Bedingungen recht großen Raum beanspruchten. So setzte man die beiden Geistlichen als sindicos et procuratores actores factores ein mit der Maßgabe, daß einer den anderen vertreten und für diesen sowie für sich die notwendigen Erklärungen und Handlungen vollziehen könne. Die Abtei werde dazu die notwendigen Weisungen erteilen, denen die Prokuratoren zu folgen hätten. Ziel sei es, die Sache des Klosters vor dem Papst selbst und der apostolischen Kanzlei und ihren Dienststellen zu vertreten sowie ein Indult bzw. eine öffentliche Urkunde (gratiam vel instrumentum) des Inhalts zu erhalten, daß die Pfarrkirche in Widdersdorf mit allen Rechten und allem Zubehör auf ewig der Abtei St. Nikolaus in Brauweiler inkorporiert werde. In dieser Urkunde setzte das Kloster auch die gewünschten jährlichen Renten von 15 rheinischen Goldgulden kurfürstlicher Währung für Leonard van Güsten sowie von 10 Goldgulden Kölner Währung zu 24 Albus pro Gulden für Rutger Themme aus Mitteln des Klosters Brauweiler fest und sagte zu, daß diese Renten in der päpstlichen Kanzlei niedergelegt und den beiden Herren dort ausgezahlt werden sollten16. Eine dritte Urkunde dieses Tages bekundet die Zusicherung Themmes an Leonard van Güsten, sich mit diesem wegen dessen Lebensunterhalt zu vergleichen. Beiläufig und ohne nähere Ausführung wurde dabei erwähnt, daß Themme vorher dazu förmlich verurteilt worden war (sententialiter condemnatus)11. Offensichtlich hatte Rutger sich einige kirchliche Zensuren zugezogen: Exkommunikation, Suspension und andere Strafen. Davon wurde er am 9. Mai 1491 durch den Papst befreit. Abt Adam II. von Münchrath von Brauweiler hatte sich zuvor bei der Kurie für ihn verwendet und es erreicht, daß dem Papst eine förmliche Supplik vorgetragen wurde und dessen Billigung erfuhr. Der Grund, vor allem die Frage, welcher konkrete Anlaß für diese Kirchenstrafen vorlag, ist nicht genannt18. Allenfalls aus dem Zusammenhang läßt sich schließen, daß jemand gegen Rutgers Ernennung zum Pfarrer in Widdersdorf durch den Abt von Brauweiler Einspruch erhoben hatte und dieser Vorwurf zunächst zu einer Verurteilung führte, - dies unbeschadet der Tatsache, wie die tatsächliche Rechtslage um die Pfarrei aussah. Es lag (und liegt nach wie vor) in der Natur amtlicher Schreiben, die einen finiten Rechtsinhalt haben, daß salvatorische Klauseln das Vorhandensein eventuell entgegenstehender Regelungen erwähnen, ohne diese zunächst genau zu kennen, und daß sie somit nicht vollständige Rechtssicherheit herstellen können. Die genannten ersten Urkunden deuten an, wie verzwickt die Auseinandersetzungen um Widdersdorf zu diesem Zeitpunkt waren. Die drei Parteien repräsentierten zwei entgegenstehende Lager: auf der einen Seite die Abtei Brauweiler und der von ihr eingesetzte Pfarrer Rutger Themme, der seine Pfarrstelle im Interesse der Pfarrei dem Kloster auch rechtlich, eben durch eine förmliche Inkorporierung, zukommen lassen will; auf der anderen Seite Leonard van Güsten, sein Kontrahent von 1490 (oder früher), der sich offensichtlich Hoffnun16 17 18
AEK, Erzbistum Köln, U 157a. AEK, Erzbistum Köln, U 157b. AEK, Erzbistum Köln, U 158 vom 9. Mai 1491.
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gen auf die Stelle gemacht, diese vielleicht auch schon besessen hatte und nun, sei es mit sanfter Gewalt, sei es ohne sie, auf sie hatte verzichten müssen. Damit war in der Hauptsache nichts weiter entschieden. Weitere eineinhalb Jahre scheint kein weiterer Schriftsatz verfaßt worden zu sein; zumindest setzt erst im November 1492 die Überlieferung wieder ein. Die Abtei Brauweiler ernannte am 26. November mit Abt Hermann von Weissenburg, Andreas von Venraidt, Johannes Volquin sowie Johannes Porken vier neue Prokuratoren in Rom19. Gleichzeitig verzichtete Rutger Themme wie schon zwei Jahre zuvor auf seine Pfarrstelle zugunsten des Klosters Brauweiler gegen Zahlung einer Rente von 10 Gulden. Doch leistete jetzt auch ein gewisser Johannes de Theveren de Assindia auf diese Stelle Verzicht, und zwar gegen die Zusage einer Jahresrente von 24 Gulden20; offenbar ein Mann, der sich zu dieser Zeit - als neuer Konkurrent? - mit Rutger um die Pfarrstelle stritt. Die Bevollmächtigten der Abtei erhielten einen Tag später den Auftrag, die ausgesetzte Rente in Rom zu deponieren, damit sich Stephanus Rüve, Kanoniker von St. Kunibert in Köln, ihrer bedienen könnte. Für den Fall, daß nicht rechtzeitig gezahlt würde, sollte Stephanus sich am ganzen Besitz der Abtei schadlos halten21. Dieser war in der ganzen Sache bislang nicht in Erscheinung getreten. Es ist denkbar, daß er die Sache für sein Stift vertrat, nachdem 1488 mit Peter Ruggenbecker, wie wir sahen, ja ein Mitglied dieses Stiftes in den Pfarrstellenstreit verwickelt war. Rutger Themme, der tags zuvor zugunsten der Abtei auf seine Ansprüche an der Pfarrei verzichtet hatte, bestellte gleichzeitig die Vertreter des Klosters, um die Resignation seiner Stelle in die Hände des Papstes zu betreiben22. Abt Adam und sein Konvent vergaben neuerlich den Auftrag nach Rom, die förmliche Inkorporation vorzubereiten23. Wie es den Anschein hat, war Rutger Themme (und wohl auch das hinter ihm stehende Kloster) mit dem weiteren Geschäftsgang in Rom nicht zufrieden. Denn am 27. Dezember 1492 teilte er den Prokuratoren seine Ablehnung des bisher mit der Sache betrauten Auditors Hieronymus de Porthariis mit und drängte auf dessen Ablösung24. Dieses Ziel scheint er auch erreicht zu haben, denn die nächste Nachricht aus Rom erhielt er von einem anderen Auditor: Felinus de Sandeis, sacri palatii causarum auditor, richtete nämlich im Frühjahr 1493 ein Schreiben an den Abt von Brauweiler, er möge in der Streitsache zwischen Rutger Themme und Leonard van Güsten vermitteln und einen friedlichen Vergleich herbeiführen25. Offensichtlich drehte sich dieser Streit nicht mehr um die Sache, daß nämlich Brauweiler die Inkorporation erreichen sollte, sondern nur noch um die Höhe der Abfindung. Dies wiederum läßt darauf schließen, daß die Pfarreinkünfte von Widdersdorf der eigentliche Beweggrund der Abtei waren, den Prozeß überhaupt zu fuhren und dafür einen recht großen und wahrscheinlich auch kostpieligen Apparat an Verbindungsleuten zu finanzieren. Über einen tatsächlich vorgenommenen Vergleich aber schweigen die Urkunden. Unter fast kuriosen Umständen ging im Mai 1493 der Streit in seine nächste Phase. Mit Wendungen, die aus früheren, inhaltlich ähnlichen Stücken bekannt 19 20 21 22 23 24 25
AEK, AEK, AEK, AEK, AEK, AEK, AEK,
Erzbistum Erzbistum Erzbistum Erzbistum Erzbistum Erzbistum Erzbistum
Köln, Köln, Köln, Köln, Köln, Köln, Köln,
U U U U U U U
161a. 161b und c. 162a. 162b. 162c. 164. 165 vom 11. März 1493.
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sind, ernannte Rutger Themme am 18. Mai 1493 gleich sieben Bevollmächtigte, um seinen Verzicht auf die Pfarrstelle dem Papst anzutragen, und verband dies jetzt mit der ausdrücklichen Bedingung der fälligen Inkorporation26. Längst konnte der Pastor zu diesem Zeitpunkt die Kosten für seinen Aufwand kaum mehr aus eigener Tasche getragen haben, sondern er scheint voll und ganz als eine das Kloster vertretende Person aufgetreten zu sein und den Rechtsstreit nicht mehr aus eigener Verantwortung, sondern in dessen Auftrag durchgeführt zu haben. Einige Monate später sicherte Brauweiler Leonard van Güsten erneut die früher bereits zugesagte Rente von 24 Gulden zu. Selbst die Sicherheiten wurden genau beschrieben, aber auch die Bedingungen: Er müsse nur förmlich auf die Pfarrstelle verzichten - selbstverständlich sponte sua, also ohne Druck und Zwang27. Liest man die eingangs zitierten Wendungen der feierlichen Inkorporationsurkunde nochmals nach und befragt insbesondere die der libera resignatio auf ihren Gehalt, kommen gewisse Zweifel, inwieweit der einfache Landpastor von Widdersdorf überhaupt "frei" entscheiden konnte. Jedoch selbst anhand der vorliegenden Quellen können die genauen Hintergründe nicht zweifelsfrei geklärt werden. Ein merkwürdiges Bild hinterlassen die Urkunden in jedem Fall: Zwei Pastöre, der eine vom Kloster eingesetzt und durch dieses im Prozeß ge- oder mißbraucht, der andere kraft päpstlicher Provision in die Stelle gelangt, fochten einen Streit aus, der sie selbst gar nicht mehr betraf, da ihre soziale Sicherung auf jede Weise gewährleistet schien. Nach der schließlich und endlich vollzogenen "freiwilligen Resignation" des vormaligen Stelleninhabers hatte die Abtei ihr Ziel, die Inkorporation von Widdersdorf, erreicht. Welche Folgen der beschriebene Wirrwarr für die Pfarrgenossen von Widdersdorf hatte, beschreiben unsere Quellen nicht. Bis zur Aufhebung des Klosters im Jahre 1802 verwalteten jedenfalls Benediktinermönche die Pfarrei, in der sich eine ganz normale und wohl durchschnittliche Vermögensverwaltung etablierte.
26 27
AEK, Erzbistum Köln, U 166 vom 18. Mai 1493. AEK, Erzbistum Köln, U 168 vom 13. September 1493.
Gemeinde in Köln im Mittelalter VON H U G O STEHKÄMPER "Die Stadt ist s o w o h l begrifflich w i e historisch zuerst Gemeinde" 1 . Treffender läßt sich der Urheber, Träger und Gestalter j e n e s neuen Gebildes, das im frühen Hochmittelalter als Stadt entstand, kaum namhaft machen. Anders als in den damals v o r w i e g e n d herrenständischen Ordnungen des Verfassungslebens setzte sich in den Städten als G e m e i n d e ein genossenschaftlich gefugter Willens- und Rechtsträger durch 2 . Universi cives 3 , gemeinliche de bürgere4 schufen und bildeten die Stadt, standen mit Leben und Habe für sie ein. Ohne A n s e h e n v o n Herkunft, Besitz und Beruf verbanden sie sich dazu gleichgeordnet und gleichberechtigt in freiem Zusammenschluß durch Schwur z u einer Gemeinschaftsperson, eben zur Willens-, Handlungs- und Rechtseinheit "Gemeinde". Sie war der Ursprung und blieb die Verkörperung der mittelalterlichen Stadt. W a s aber ist die G e m e i n d e ? W i e läßt sie sich beschreiben? W a s ist ihr W e s e n ? A u f A n h i e b erscheint e i n e Antwort einfach: alle Bürger, die den Verbund zur Stadt b e s c h w o r e n hatten. Eine s o l c h e Antwort deckt j e d o c h die Kölner Überlieferung nicht 5 . Sie nötigt z u einer unterscheidenden Auskunft. Erich Meuthen, der seine weitgespannten Forschungen auch auf die mittelalterliche Stadt ausgedehnt hat, stellte sich vor mehr als drei Jahrzehnten, als ihn "Der gesellschaftliche Hintergrund der Aachener Verfassungskämpfe an der W e n d e v o m Mittelalter zur Neuzeit" beschäftigte, das Problem in verwandter Weise 6 . Vielleicht ist ihm auf 1
G. VON. BELOW, Die Entstehung der deutschen Stadtgemeinde, Düsseldorf 1882, 3. E. ENNEN, Die europäische Stadt des Mittelalters, Göttingen 4 1987, 110 f.; E. PITZ, Europäisches Städtewesen und Bürgertum. Von der Spätantike zum hohen Mittelalter, Darmstadt 1991, 358 f., 363-366, 369. 3 Dies ist die Formel, in der gewöhnlich nach Aufzählung der Regierungsorgane die Gemeinde in den von der Stadt ausgegangenen Urkunden als Aussteller sowie als (Mit-)Träger des Stadtwillens bezeichnet wird. Diese Formel erscheint erstmals nach 1180 und dann [1198-1203]; vgl. W. PETERS, Zum Alter der Kölner Richerzeche. Methodische Anmerkungen zu einigen neueren Studien zur Kölner Stadtgeschichte des 12. Jahrhunderts, in: JbKGV 59 (1988) 6 f. Nr. 9 und Nr. 13; auch R. KOEBNER, Die Anfänge des Gemeinwesens der Stadt Köln. Zur Entstehung und ältesten Geschichte des deutschen Städtewesens, Bonn 1922, 457, 474 f. Deutlicher stellen frühere Bekundungen in noch nicht zu fester Formel erstarrten Wendungen heraus, daß die Kölner in der Gemeindeversammlung die sie als Stadt und Stadtgemeinde bindenden Beschlüsse verabschiedeten: 1149: Privileg für die Bettlakenweber bei H. VON LOESCH (Bearb.), Die Kölner Zunfturkunden nebst anderen Kölner Gewerbeurkunden bis zum Jahre 1500 (PGRhGK 22) Bonn 1907, Bd. I, 25 Nr. 10: ... fraternitatem textorum ... ab advocato Ricolfo, a comité Hermanno, a senatoribus, a melioribus, tocius civitatis vulgi etiam favore applaudente, conflrmatam suscepisse. - 1159: Beschluß über den auf zehn Jahre ausgesetzten Ämterwechsel in den Parochialgemeinden bei L. ENNEN/ G. ECKERTZ (Bearb.), Quellen zur Geschichte der Stadt Köln [künftig: Qu.], Bd. I, Köln 1860, 550 Nr. 73: Rectorum, iudicum ac tocius populi sancte Colonie pari voto ac unanimi consensu immutabile decretum ... Acta sunt hec omnium votis in id ipsum consentientibus. 2
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Qu. II (1863) 376 Nr. 381 bietet dies 1258 als deutsche Übersetzung von universi cives. Der Forschungsstand über die für 1112 berichtete Kölner 'coniuratio' ist nachgewiesen bei H. STEHKÄMPER, Die Stadt Köln in der Salierzeit, in: ST. WEINFURTER (Hg.), Die Salier und das Reich, Bd. III: Gesellschaftlicher und ideengeschichtlicher Wandel im Reich der Salier, Sigmaringen 1991, 128 Anm. 226. 6 Seine besonders auch für die Stadtforschung bedeutendste und sicherlich dauerhafteste Leistung ist: E. MEUTHEN (Bearb.), Aachener Urkunden 1101-1250 (PGRhGK 58) Bonn 1972; ferner: E. MEUTHEN, Karl der Große - Barbarossa - Aachen. Zur Interpretation des Karlsprivilegs für Aachen, in: W. BRAUNFELS u.a. (Hg.), Karl der Große. Lebenswerk und Nachleben, Bd. IV, Düsseldorf 1967, 54-76; E. MEUTHEN, Barbarossa und Aachen, in: RhVJbll 39 (1975) 28-59; E. MEUTHEN, 5
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seinem Gabentisch ein Dank willkommen, der dieser Frage aus der Geschichte seiner Kölner Wohn- und Wirkungsstätte nachgeht. Der dauerhafte Verbund der Stadtbewohner zur Gemeinde scheint in Köln nicht in einem einzigen Akt entstanden zu sein. Er dürfte sich - nicht zuletzt unter dem Einfluß politischer Ereignisse - nach und nach in einer zeitlich gestreckten Entwicklung herausgebildet haben. In den beiden ersten Jahrzehnten des 12. Jahrhunderts, als Einheit und Einigkeit genossenschaftlichen Handelns in anhaltenden Kämpfen erstmals auf die Probe gestellt und zu behaupten waren, mögen gegen den Widerstand der Herrschaftsseite wiederholt beschlossene Schwur-Einungen in der Weise sich zur Selbstfindung der Gemeinde verdichtet haben, daß sich die Bürger nicht mehr nur - wie wohl zunächst für einzelne Zielsetzungen vereinbarten, sondern sich - schließlich - zu einem stetigen, bleibenden Verbund, eben zur Stadtgemeinde, verschworen7. Das Bewußtsein, daß sie wegen aller Angelegenheiten, die sie insgesamt angingen, die Stadtgemeinde durch beschworene Einung(en) hatten entstehen lassen und über ihre sie betreffenden Geschicke in lebendiger, immer wieder zu beschwörender Gemeinschaft auch fernerhin entscheiden wollten, daß also die Gemeinde sowohl als Schöpfer die Stadt hervorgebracht wie auch als Träger für immer zu gestalten hatte, ging in Köln den Bürgern offenkundig niemals verloren. Oftmals freilich sah es so aus, als wäre es vergessen, sogar über sehr lange Zeiträume hinweg. Doch in gegebenen Augenblicken erwachte in der Gemeinde oder in einem Teil der Stadtbevölkerung, der sich dann als Gemeinde verstand, die Erinnerung daran, daß sie selbst rechtens "Geltungsgrund und Gestaltungsprinzip" (Wilhelm Ebel) der Stadt war. War die durch Schwur-Einung(en) aller Bürger entstandene Gemeinde der Ursprung der Stadt, so stellte die Gemeindeversammlung ihr ursprünglichstes Organ zur Willensäußerung und Beschlußfassung dar. Als mit der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts in Köln die gesamtstädtische Überlieferung einsetzt, erscheint darin sogleich die Gemeindeversammlung. Grundsätzlich dürfte gelten, daß Einfluß und Lebendigkeit einer Gemeinde unter anderem an der Tagungshäufigkeit und am Rang der Beschlüsse ihrer Gemeindeversammlungen abzulesen sind. Doch mit der nachlassenden Kraft der ursprünglichen Gemeinde vollzog sich schließlich das Schicksal der Gemeindeversammlungen. 1. Letzte Zeugnisse aus der Spätzeit der älteren Gemeinde (12. Jahrhundert) Die Gemeinde und ihre Versammlungen drängen sich in den Quellen nicht in den Vordergrund. Carl Hegel, Friedrich Lau und Hermann Keussen, die als erste die frühe Kölner Stadtverfassung methodisch erforschten, haben die Versammlungen übersehen8. Um so nachdrücklicher machten danach Richard Koebner und Heinrich von Loesch auf sie aufmerksam9. Von den zehn frühesten Zeugnissen, die Koebner aus der städtischen Überlieferung für die zweite Hälfte des 12. Jahrhunderts herausgriff, um daran den für Neuere sozialgeschichtliche Aspekte der spätmittelalterlichen Stadt, in: GiK 3 (1978) 53-68. - Die angeführte Untersuchung in: ZAGV 74/75 (1962/63) 209-392, hier besonders: 370 ff. 7 STEHKÄMPER (Anm. 5) 119-133. 8 C. HEGEL, Geschichte und Verfassung der Stadt, in: Chroniken der deutschen Städte [künftig: Chr.], Bd. XII, Leipzig 1875 (ND 1968), I-LIII, sowie Bd. XIV, Leipzig 1877 (ND 1968), ICCXVII; F. LAU, Entwicklung der kommunalen Verfassung und Verwaltung der Stadt Köln bis zum Jahre 1396 (Preis-Schriften der Mevissen-Stiftung I) Bonn 1898 (ND 1969); H. KEUSSEN, Untersuchungen zur älteren Topographie und Verfassungsgeschichte von Köln, in: Westdeutsche Zeitschrift für Geschichte und Kunst 20 (1901) 14; H. KEUSSEN, Die Entwicklung der älteren Kölner Verfassung und ihre topographische Grundlage, in: ebd. 28 (1909) 465-520. 9 KOEBNER (Anm. 3) 28 f., 455-469; H. VON LOESCH, Die Grundlagen der ältesten Kölner Gemeindeverfassung, in: ZRG GA 53 (1933) 89-207, dort 151-160.
GEMEINDE IN KÖLN
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das Kölner Gemeinwesen auftretenden Willens- und Handlungsträger festzustellen, wollte er nur drei - nämlich die befristete Verfassungsänderung für die Parochialbehörden von 1159, die Annahmezustimmung für den erzbischöflichen Schiedsspruch von 1178 sowie die Entscheidung über die Parteinahme im deutschen Thronstreit von 1198 als in Gemeindeversammlungen gefaßte Beschlüsse der Bürgergemeinde gelten lassen 10 . Überzeugend wies aber von Loesch nach, daß 1149 über die Bestätigung der Ziechenweberzunft, 1155/58 über die Schenkung eines städtischen Grundstücks und am Ende des Jahrhunderts über die Teilung von Einnahmen abwerfendem Grundbesitz zwischen Gesamtstadt und weltlichen Parochialgemeinden ebenfalls durch Gemeindebeschlüsse entschieden worden war 11 . Darüber hinaus ist zu ergänzen, daß Gemeindeversammlungen am 18. November 1149 das Abkommen mit den Bürgern Triers über die Abschaffung des Zweikampfes 12 sowie 1155(?) die Übernahme der Währschaft für die in Köln der Abtei Kornelimünster zustehenden Zollvorrechte 13 in Kraft setzten. Dies sind für die 10 KOEBNER (Anm. 3) 456 f. - Die Urkunde von 1159 (Qu. I Nr. 73) wirft bereits hinsichtlich der Aussteller Probleme auf. Wie LOESCH, Grundlagen (Anm. 9) 158-160 und 201, mit Berufung auf KOEBNER (Anm. 3) 298 f. Anm. 1 ausführt, handelt es sich bei rectores um die Ober-, bei iudices um die Unterrichter, mithin um ein echtes Ding, das, weil es eine befristete Verfassungsänderung der Parochialgemeinden beschloß, zugleich als außergerichtliche Gemeindeversammlung entweder durch- oder fortgeführt wurde. Die Ausdrücke pari voto und imanimi consensu am Anfang und im Eschatokoll omnium votis in id consentientibus, die Höchststrafe von 10 Mark für die Übertretung einer städtischen Willkür (LOESCH [Anm. 9] 207) und die - nicht angekündigte - Beglaubigung mit dem Stadtsiegel lassen unbedingt auf eine mit dem echten Ding verbundene oder ihm angeschlossene Gemeindeversammlung schließen. Das anathem bedeutet hier Ausschluß aus der Bürgerschaft; die feierliche Wortwahl in dieser Urkunde nähert sich auch sonst der geistlichen Sprechweise. Nicht anschließen kann ich mich der Deutung von H. JAKOBS, Bruderschaft und Gemeinde: Köln im 12. Jahrhundert, in: B. SCHWINEKÖPER (Hg.), Gilden und Zünfte. Kaufmännische und gewerbliche Genossenschaften im frühen und hohen Mittelalter (VuF 39) Sigmaringen 1985, 293-296. Meine eigene Deutung in: Imitatio urbis. Altrömische Ämterbezeichnungen im Hochmittalter in deutschen Städten, besonders in Köln, in: Wallraf-Richartz-Jb. 47 (1986) 211, rectores = Unterrichter halte ich nicht mehr für zutreffend. 11 LOESCH, Grundlagen (Anm. 9) 151 f. Er konnte infolgedessen die beschlußfassenden Gemeindeversammlungen auf sechs erhöhen, während KOEBNER nur drei als solche anerkennen wollte. - Zur Bestimmung der in der Urkunde von 1149 aufgeführten Gewerbe vgl. KOEBNER (Anm. 3) 363 Anm. 1. Zur Vereinbarung zwischen Gesamtstadt und Parochien vgl. J. HANSEN, Das Rheinufer bei Köln und seine Bedeutung für die Entwicklung der Stadt bis zum Schlüsse der reichsstädtischen Zeit, in: [J. STÜBBEN (Hg.),] Neue Werft- und Hafenanlagen in Köln. Festschrift zum 14. Mai 1898, Köln 1898, 22 f. 12 Das Städteabkommen Köln-Trier von 1149 Nov. 18, vereinbart nach einem im echten Ding gefundenen Zollweistum: F. RUDOLPH (Bearb.), Quellen zur Rechts- und Wirtschaftsgeschichte der rheinischen Städte. Kurtrierische Städte, I:Trier (PGRhGK 29) Bonn 1922, 274,27 f.: Data sententia iudicis ... nos Colonienses et Treverenses convenimus; 274,31: communi placuit convenire consilio; 274,32: communiter convenimus; 274,36: communi consilio interdicimus; vgl. H. STEHKÄMPER, ... ut unus essemus populus. Das älteste deutsche Städteabkommen zwischen Köln und Trier von 1149, in: Jahrbuch für westdeutsche Landesgeschichte 19 (= Festschrift für Franz-Josef Heyen, hg. von H.G. BORCK/ H.-W. HERRMANN) (1993) 105-136, hier 129 f. 13 L. KORTH (Bearb.), Urkunden aus dem Stadtarchiv von Köln, in: AHVN 41 (1884) 101 f.; LOESCH, Grundlagen (Anm. 9) 159 f. - Die Versammlung leitete zunächst Erzbischof Arnold II.; dabei kann es sich nur um eine Gerichtsversammlung gehandelt haben. Vom Erzbischof erhielt der Abt jedoch keine schriftliche und beglaubigte Bestätigung über die ihm durch Kölner Schöffenspruch bekräftigte Zollfreiheit. Wegen der Währschaft wandte sich der Abt an die Kölner Bürger; vgl. AHVN 41 (1884) 102: unde predictus abbas Coloniensibus tarn pauperibus quam divitibus, sed precipue senatoribus suam exhibuit presentiam et ut hoc, quod iudicis sententia est adiudicatum, perpetua firmitudine haberetur roboratum secundum institutionem civilis iuris et eorum consuetudinem eis omnibus sui iuris persolvit testimonium. - Über den vom Abt von Kornelimünster verfertigten Bericht, der mit dem Kölner Stadtsiegel beglaubigt und in Köln hinterlegt worden ist, vgl. STEHKÄMPER (Anm. 12) 124 Anm. 84; über die Zeugnisgebühr vgl. LOESCH (Anm. 9) 203.
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zweite Hälfte des 12. Jahrhunderts insgesamt acht durch Quellen belegte Vorgänge, die beweisen, daß neben und über den in diesen Zeugnissen immer zuerst angeführten Machtwaltern "eine gebietende Versammlung steht, zu der jeder Bürger als mitwirkendes Glied Zutritt hat"14. Gleichwohl schwanden, wie von Loesch feststellt, Einfluß und Gewicht der Gemeinde und ihrer Versammlungen: "Die größte Bedeutung als beschließendes Organ wird die Gemeindeversammlung hier vor dem Einsetzen der Urkunden gehabt haben, welche uns schon zu Anfang ein Patrizierregiment erkennen lassen"15. In der Tat beurkundeten zu etwa derselben Zeit, ohne daß die Gemeinde oder ihre Versammlungen erwähnt werden, allein die Unterrichter, Schöffen und Schöffenbrüder sowie "Bessere" inhaltlich verwandte Vorgänge: Währschaften für die Kölner Zollvorrechte der Bürger von Verdun (ca. 1150-1161 und 1178) und Dinant (1171)16 sowie der Damenstifte Andenne und Nivelles (um 1200)17, Vereinbarungen über das Rechtsverfahren in Schuldsachen und über den Zweikampf mit Verdun (1178) und den Flandrern (1197)18, die Beilegung des Mauerbau-Streits mit dem Stadtherrn (1180)19, die Bestätigung der Drechsler-Zunft (1183/84-1185/86)20, den Friedensvertrag mit der Stadt Utrecht (1196-97)21. Ab etwa 1180 führten die städtischen Urkunden nach den Leitungsgremien unter den Ausstellern universi cives mit an22. Als handelnd und entscheidend - gleich den Führungsgremien wurde damit die Bürgergesamtheit nicht herausgestellt; sie bleibt zwar eingebunden in alle Verbindlichkeiten der Stadt, aber lediglich als Mit-Träger von Verantwortung und Haftung. Bestimmte Termine oder Anlässe für die Einberufung und feste Regeln für den Zusammentritt und Ablauf einer Gemeindeversammlung gab es im 12. Jahrhundert und gewiß auch vorher offensichtlich nicht. Die Zweikampf-Vereinbarung mit den Trierern kam 1149 nach einer vornehm besuchten Sitzung des Kölner Hohen Gerichts zustande. Ob der Erzbischof, der Bischof von Münster, der Kölner Domdekan, der Abt von Siegburg und der Graf von Virneburg noch dabei waren, "als nach erteiltem Richterspruch dies [das Köln-Trierer Städteabkommen] vollzogen worden ist", läßt sich anhand des Urkundentextes nicht sagen23. Auch 1155 (?) war es eine Gerichtssitzung - der Erzbischof leitete sie selbst -, nach welcher "der Abt [von Kornelimünster] den Kölnern, den armen wie den reichen [das ist die Gemeinde], aber besonders den Schöffen seine Aufwartung machte, und er zahlte ihnen allen, damit das, was durch Richterspruch geurteilt worden war, bekräftigt mit immerwährender Festigkeit, auch eingehalten würde, seine Rechtszeugnisgebühr gemäß einer Vorschrift des [Kölner] Stadtrechts und ihres Gewohnheitsrechts"24. An eines der drei jährlichen Dinge - die adligen Oberrichter, rectores, nämlich Burggraf und Edelvogt25, waren anwesend - schloß sich die Gemeindeversammlung an, die 1159 den Ämterwechsel in den weltlichen Parochialgemeinden auf
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LOESCH, Grundlagen (Anm. 9) 155 f. 16 R. HOENIGER (Bearb.), Kölner Schreinsurkunden des 12. Jahrhunderts, Bd. II 1 (PGRhGK 1) Bonn 1893, 293, Scab. 1 I 3; Qu. I 577 f. Nr. 90 sowie 563 f. Nr. 80. 17 Qu. 1613 f. Nr. 114. 18 Qu. I 577 f.; K. HÖHLBAUM (Bearb.), Hans. UB, Bd. I, Halle 1876, 25 Nr. 46. 19 Qu. I 582-585 Nr. 94. 20 LOESCH, Zunfturkunden I (Anm. 3) 34 f. Nr. 13; zur Datierung vgl. M. GROTEN, Die Kölner Riherzeche im 12. Jahrhundert, in: RhVJbll 48 (1984) 41 f. 21 K. HEERINGA (Bearb.), Oorkondenboek van het sticht Utrecht, Bd. II, 's-Gravenhage 1940, 5 Nr. 541 mit der Datierung 1198-1203. 22 PETERS, Richerzeche (Anm. 3) 6 Nr. 9 (1180), 7 Nr. 13 (1196-97), 8 Nr. 16 (1216). 23 Vgl. den in Anm. 12 angeführten Text. 24 Vgl. den in Anm. 13 angeführten Text. 25 Vgl. oben Anm. 10.
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zehn Jahre anhielt . Darüber erging kein Urteil, sententia, vielmehr ein Beschluß, decretum. Dieser Sprachgebrauch paßt nur zu einer Gemeindeversammlung. Zwingend deutet überdies darauf der Umstand hin, daß der Beschluß die Einmütigkeit der Kölner Bevölkerung betont, dreimal gesteigert das Gemeinwohl27 hervorhebt, von "wir setzen g e m e i n s c h a f t l i c h fest" spricht, die Zehn-Mark-Buße, üblich für eine Übertretung einer städtischen Verwillkürung28, androht und schließlich fünftens die Wendung "Reicher oder Armer" für den ohne Ansehen der Person dem Stadtrecht unterstehenden Bürger29 benutzt. Aus diesen Verfahrensweisen von 1149, 1155(?) und 1159 dürfte zu folgern sein, daß die Gerichts- von den Gemeindeversammlungen zwar eindeutig unterschieden, jedoch in der Praxis wohl öfter in der Weise miteinander verknüpft worden sind, daß diese im Anschluß an jene stattfanden. Das hatte für die Gemeindeversammlung Folgen. Denn ihre Ladung, Leitung und Durchführung besorgten und behielten diejenigen Männer in Händen, die auch in den Gerichtsversammlungen hervortraten: die Unterrichter und Schöffen. Das dem Stadtherm gehörende Hohe Gericht tagte auf dem Domhof, auf erzbischöflichem Grund und Boden. Der seit 1149 mehrfach bezeugte Tagungsort der Gemeindeversammlung war der auf städtischem Gebiet liegende Platz vor dem Bürgerhaus30. Dieses war das Versammlungslokal der Richerzeche31. Dort trafen sich die ihr in der Mehrzahl auch als Mitglieder angehörenden und am Hohen Gericht als Urteilsweiser tätigen Schöffen sowie die Unterrichter, die für den Gerichtsherm und die Oberrichter die Urteile verkündeten und vollstrecken ließen. Das Bürgerhaus war bereits im 12. Jahrhundert das städtische Verwaltungszentrum. Kamen die Gemeindeversammlungen auf dem davorliegenden Platz zusammen, so läßt das darauf schließen, daß die im Hause bestimmenden Führungsschichten auch vor der Haustür den Ton angaben. Als Gerichtsgemeinde billigten oder verwarfen die Bürger durch Zuruf den Urteilsvorschlag der Schöffen. Genauso - nur zu natürlich - verfuhr die Gemeindeversammlung. Die Führenden legten vorberatene Beschlußvorschläge vor, die Gemeinde befand darüber durch Beifall oder Mißfallen32. Freilich gab es einen wesentlichen Unterschied. In der Gerichtsversammlung hatte mit der Urteilsverkündung der Gerichtsherr das letzte Wort und die oberste Gewalt; in ihrer Versammlung entschied dagegen die Gemeinde abschließend und letztgültig. Gleichwohl war sie, seitdem sie seit der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts in den Quellen zu fassen ist, in Wort und Gewalt höchst unselbständig: - sie befand nicht aus eigenem Willen über Zeit und Ort ihrer Zusammenkünfte, - sie besaß kein(e) Leitungsorgan(e) aus eigener Mitte und durch eigene Bestimmung, 26
Qu. I 550 f. Nr. 73 Zum bonum commune bieten die mittelalterlichen, vor allem spätmittelalterlichen Quellen Kölns zahlreiche Belege. Eine Untersuchung, in welchen Zusammenhängen es angefiihrt wird, wäre m.E. lohnend. Vgl. auch PITZ (Anm. 2) 272 f., 277 f.; E. PITZ, Untertanenverband, Bürgerrecht und Staatsbürgerschaft in Mittelalter und Neuzeit, in: BDLG 126 (1990) 272,277,281 f. 28 LOESCH, Grundlagen (Anm. 9) 207; W. EBEL, Der Bürgereid als Geltungsgrund und Gestaltungsprinzip des deutschen mittelalterlichen Stadtrechts, Weimar 1958,64. 29 Diese Wendung auch in der Kornelimünster-Urkunde von 1155(?) für "alle Einwohner"; vgl. oben Anm. 13 sowie KOEBNER (Anm. 3) 26. 30 H. KEUSSEN, Topographie der Stadt Köln im Mittelalter, 2 Bde. (Preis-Schriften der MevissenStiftung II) Bonn 1910 (ND 1986) I 143. 31 Ebd. 143 f. und 135*; LAU (Anm. 8) 310-312; LOESCH, Grundlagen (Anm. 9) 149 f.; T. DIEDERICH, Bürgermeister und Rat der Stadt Köln vom 12. bis zum 20. Jahrhundert, in: P. FUCHS (Hg.), Das Rathaus zu Köln, Köln 1973,42 f. 32 "Klänge", nicht Worte waren das Ausdrucksmittel; vgl. Chronicon rhythmicum Coloniense, ed. G. WAITZ (MGH SS. rer. Germ, in us. schol. 18) Hannover 1880 (ND 1978), 313 Fragm. V 15, sowie KOEBNER (Anm. 3) 466. 27
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- sie bestimmte nicht die Verhandlungsgegenstände und konnte sie auch nicht erörtern, - sie konnte ihre Beschlüsse nicht ausführen bzw. deren Ausfuhrung nicht überwachen. Ihre anfangs anscheinend umfassende Tätigkeit, die dichte Belege noch für die fünfziger Jahre des 12. Jahrhunderts nahelegen, verlor sich alsbald33. Die Führungsgremien beschlossen meistens ohne die Gemeinde für die Gemeinde: "Beim Volke liegt die letzte Entscheidung; aber im Volke besteht ein Kreis gewiesener Führer. Der Wille dieser Führer gilt als maßgebend für den Volksentscheid und kann unter Umständen, ohne daß ein Volksentscheid eingeholt wird, mit bindender Kraft als Wille des Gemeinwesens ausgesprochen werden"34. Allerdings in Augenblicken ernstester Entscheidungen - etwa 1198 und in den Jahren 1259 bis 1268 - überantworteten die Führenden das Schicksal der Stadt von sich aus der Gemeinde. Auch der König nahm für ein letztgültiges städtisches Wort die Gemeinde in die Pflicht: 2000 und mehr Menschen hatten 1206 die Friedensabsprache mit Philipp von Schwaben beschworen342. Übrigens ist diese Zahl in der mittelalterlichen Quellenüberlieferung Kölns die einzige ziemlich glaubwürdige Angabe über die Bürgerbeteiligung an einer Gemeindeversammlung. Als freilich das 13. Jahrhundert begann, gab es in Köln von einer Gemeinde, verstanden als institutionalisierte "Organisation der gesamten Bürgerschaft zu einem einzigen politischen Körper"35, allenfalls noch Schatten. In den zurückliegenden Jahrzehnten der wirtschaftlichen Hochblüte hatten die Bürger vielleicht eine regelmäßige Beteiligung an den Stadtangelegenheiten vernachlässigt und sich zu sehr ihren Geschäften und ihrer Arbeit gewidmet. Darin haben die Führungskreise sie wohl nicht allzu oft gestört, so die eigene Gebotsgewalt gekräftigt und diese durch lange und unbehelligte Übung als gleichsam verfassungsgemäß gehandhabt. Auf Dauer aber, so erwiesen die folgenden Jahrhunderte, mußten die Bürger auf politischer Mitsprache bestehen, wollten sie nicht zu Untertanen der nach Obrigkeit strebenden Führungsgremien herabgedrückt werden. Diese konnte nur tätiger Anteil der Bürger an der Stadtregierung daran hindern, sich für mehr denn als Organe der Stadtgemeinde zu halten. 2. Ein vergeblicher Organisationsversuch der Gemeinde (1216)? Zur Organisation, die der Gemeinde abhanden gekommen war, fehlte ihr vorderhand auch eine Basis. Den Versuch, eine solche zu gewinnen, bringt Manfred Groten mit der für 1216 in drei Quellen kurz erwähnten Bildung eines Rates zusammen36. Er geht von der Vermutung aus, daß der staufische Erzbischof Engelbert I. von Berg bald nach seinem Regierungsantritt am 29. Februar 1216 eine Abkehr der Bürger von Kaiser Otto IV. erzwungen haben soll. Ferner meint er, daß dadurch die nach seiner Ansicht immer noch überwiegend weifisch gesinnten Bürger Kölns ihren politischen Rückhalt verloren hätten. Diese hätten zur Gegenwehr über die fraternitates, die Caesarius von Heisterbach 33
Die Gemeindeversammlungen lebten wohl in den Morgensprachen fort; vgl. LOESCH, Grundlagen (Anm. 9) 156-158. 34 KOEBNER (Anm. 3) 458, 462-464; freilich ist die dort postulierte "Untertanengemeinschaft" abzulehnen. 34a Qu. II Nr. 23: Item cives Colonienses inducias habent de fldelitate facienda domino regi usque ad dominicam 'Invocavit me\ et statim illo termino elapso facient eifidelitatem tamquam domino et regi suo; et quod istud tunc fiat, iuratum est Colonia a duobus milibus hominum et amplius. 35 W. STEIN, Zur Vorgeschichte des Kölner Verbundbriefes vom 14. September 1396, in: Westdeutsche Zeitschrift für Geschichte und Kunst 12 (1893) 163. 36 M. GROTEN, Gesellschaftlicher Wandel und Verfassungsentwicklung in der Stadt Köln im 13. Jahrhundert (ungedruckte Habil.-Schrift Köln 1990) 78-89.
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erwähnt, den Rat eingerichtet. Die widersetzlichen und alsbald von Erzbischof Engelbert bestraften fraternitates, die Groten als die Urheber jenes kurzlebigen Rates ansieht, sollen jedoch nicht die Zünfte gewesen sein - ihnen spricht er, vielleicht mit Recht, für 1216 die politische Reife ab -, sondern die Amtleutekollegien der weltlichen Parochialgemeinden: "Die Kölner Gemeinde hatte ... in den Amtleutekollegien eine Basis, von der aus sie politisch handeln konnte"37. Mit Hilfe des Königs und offenbar zur Genugtuung der Geschlechter, die freilich nicht ganz ungeschoren davonkamen, beseitigte Engelbert diese ohne Billigung des Stadtherrn allein von den Bürgern geschaffene neue Einrichtung der Stadtverfassung. Sollte die künftige Forschung Grotens Vermutungen erhärten - die von ihm angenommenen Voraussetzungen wären besonders zu prüfen -, dann hätte 1216 die Kölner Gemeinde einen ersten, aber zugleich auch den letzten Versuch gemacht, die Amtleutekollegien der Parochialgemeinden als Grundlage ihrer Formierung zu nutzen. 3. Die Gemeinde während der Unabhängigkeits- und Bürgerkämpfe (1257-1268) In jenen erregten Jahren spielte die Gemeinde - in höchst unterschiedlichen Lagen - eine bedeutsame, bisweilen entscheidende Rolle. Gottfried Hagen, der Chronist jener aufgewühlten Zeit, preist jedoch vor allem die Geschlechter. Die Gemeinde interessiert ihn kaum; ihr Wollen lehnt er ab, ihr Auftreten verspottet er nur zu gern38. a) Erste Auseinandersetzungen Die eigensinnige "Holzfahrt" 1257 nach Deutz39 tadelt Hagen als vermessen unde stulz. Die wohl 50 Gefallenen schiebt er abfallig beiseite: dat waren bloisse lüde. Gleichwohl rächten die aufgebrachten, weil vorher nicht befragten Geschlechter - hier stat genannt40 - die selbstverschuldete Niederlage der Gemeinde. Diese handelte auf jeden Fall unabhängig von der Stadtführung, jedoch offenbar wenig organisiert und planlos. Allerdings holten die Geschlechter die Toten heim und bestatteten diese as it weren landsheren41. Tiefer konnten sie sich vor der Gemeinde nicht verbeugen. Diese Huldigung der Geschlechter vor der Gemeinde ist - angesichts der vorangegangenen Meinungsverschiedenheiten - doch sehr auffallig. Hagen berichtet sie nur, erklärt sie aber nicht; seine gespaltene Zunge drängt sich indessen jedem seiner Leser geradezu auf. Spannungen, freilich auch Hochachtung bestimmten offenbar am Vorabend großer Umwälzungen das Verhältnis der Geschlechter zur Gemeinde. Die rasche Neigimg der gemeinde alzemale zur Gewalttätigkeit, sogar zu gesetzloser Selbstjustiz beklagt Hagen, weil sie an einem Festtag des Jahres 1259 oder 126042 das Haus von Bruno Hardefust zerstörte43. Diesmal mißt er mit zweierlei Maß. Denn immerhin hatte dieser Patrizier bei einem Wortwechsel über die Vorzüge und Nachteile des neuen Stadtregiments in der Klosterkirche der Weißen Frauen einen Fleischer nie37
Ebd. 86. H. CARDAUNS, Einleitung zu Chr. XII 3-16; J. B. MENKE, Geschichtsschreibung und Politik in deutschen Städten des Spätmittelalters, in: JbKGV 33 (1958) 52-54; GROTEN, Gesellschaftlicher Wandel (Anm. 36) 311-324. - Hagens Spottverse auf die Gemeinde oder ihre Repräsentanten: Chr. XII 57, 1253-1257; 59, 1305-1311; 61, 1398-1403; 85,2194; 118, 3348 f.; 124,3566-3570.
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KOEBNER ( A n m . 3) 31 A n m . 1; GROTEN, G e s e l l s c h a f t l i c h e r W a n d e l ( A n m . 3 6 ) 2 3 0 , m i t d e m
wohl zutreffenden Einwand, daß es sich nicht um das Volksfest am Donnerstag nach Pfingsten gehandelt haben kann. 40
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KOEBNER ( A n m . 3) 31.
Chr. XII 54 f., 1138-1171. Zur Datierung: L. ENNEN, Geschichte der Stadt Köln, Bd. 2, Köln-Neuß 1865, 150 Anm. 3. Chr. XII 59, 1317-1321; 1328-1349.
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dergestochen 4 4 . Das erwähnt Hagen zwar nebenher, aber des längeren verbreitet er sich darüber, daß der Totschlag gerichtlich und nicht eigenmächtig hätte gesühnt werden müssen 4 5 . Geschickt lenkt er v o m schlimmeren und auslösenden Vorfall ab und verschiebt so unmerklich die Gewichte. Dies ist übrigens in der langen Reimchronik die einzige Stelle, die eine Verbindung zwischen einem den Zunftbrüderschaften zuzurechnenden Handwerker und der Gemeinde erkennen läßt. Personen, die Zunftbrüderschaften und Gemeinde verklammern könnten, sind sonst bei Hagen nicht auszumachen. Jener Sturmlauf der Gemeinde gegen einen Angehörigen der Geschlechter fiel bereits in die Zeit, als diese schon entmachtet waren. Erzbischof Konrad von Hochstaden hatte sie im März/ April 1259 durch eine "Revolution von oben" aus ihren, w i e sie meinten, angestammten Führungsstellen verdrängt und dabei die dem Stadtherrn lange entzogene Besetzung wichtiger Gremien zurückgewonnen 4 6 . Bislang ausschließlich Geschlechterangehörigen vorbehaltene Ämter übertrug er unter anderem auch Männern aus der Gemeinde 4 7 . Vorher schon hatte er in seinen Klageartikeln zum Großen Schied v o m 28. Juni 1258 sich ihretwegen eingesetzt: gegen willkürliche Steuern der verarmenden "Zunftbrüderschaften und anderen Volksleute, die Gemeinde heißen" 48 . A u f diese gestützt und auf Bitte von "Ratmannen, Zunftbrüderschaften, Volk der Gemeinde und allgemein der ganzen Gesamtheit der Bürger" entzog er am 17. April 1259 in einer auch v o n der hohen Geistlichkeit, dem hohen Adel und führenden Kölner Ministerialen
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Chr. XII 59, 1312-1316. Chr. XII 59, 1322-1327. H. STEHKÄMPER, Konrad von Hochstaden, Erzbischof von Köln (1238-1261), in: JbKGV 36/37 (1962) 108 f.; H. STEHKÄMPER, Über die rechtliche Absicherung der Stadt Köln gegen eine erzbischöfliche Landesherrschaft, in: W. BESCH u.a. (Hg.), Die Stadt in der europäischen Geschichte. Festschrift für Edith Ennen, Bonn 1972, 364-367. 47 GROTEN, Gesellschaftlicher Wandel (Anm. 36) 259-275, über jeden einzelnen der neuen Schöffen hinsichtlich Herkunft, Beruf, Vermögen, gesellschaftlicher Stellung usw. 48 Qu. II 382 Nr. 384, Art. 22: Item quod quociens placet maioribus Civitatis, ipsifaciunt..., nova exactionum statuta, quarum exactionum onus portant fraternitates et alii populares, qui communitas appellantur, et sie depauperantur. Die Schiedsleute bestätigten daraufhin, daß das "Kölner Volk" über die Habsucht allerdings nur der Bürgermeister vielfach klagte und die "Gemeinde" deswegen in große Unordnung geriet: Quia vero de mala amministratione magistrorum civium populus Coloniensis multipliciter est conquestus, et magne confiisioni propter eos actenus subiaeuit communitas (ebd. 391: ad 1 et 2). Unter communitas verstanden die - allesamt geistlichen - Schiedsleute offenkundig die Gesamtheit der Einwohner. Sie ordneten nämlich einen Ausschuß zur Rechnungsprüfung an, der von Vertrauensleuten jeweils der Schöffen, der Zünfte und der anderen Bürger zu beschicken und von der "Gemeinde" zu wählen sei: dieimus, a communitate debere eligi de honestioribus et fidedignioribus aliquot de scabinis et aliquot de fraternitatibus et aliquot de aliis civibus (ebd. 393: ad 23). Ebenso benannten sie die "Gemeinde" - gemeint ist augenscheinlich die gesamte Bürgerschaft -, der die Ratsmitglieder zu entnehmen sind: de communitate civium quidam probi et prudentes assumi possunt ad consilium civitatis (ebd. 395: ad 43). - Nach KOEBNER (Anm. 3) 542 Anm. 1 hatten die Schiedsrichter bei den Rechtschaffenen und Klugen de communitate civium "nicht die soziale Struktur des Rates" im Auge, "sondern (wollten) nur der Auflassung widersprechen, daß die Schöffen ein Vorrecht auf die Ratsstellen hätten". Diese vorsichtigere Deutung ist m.E. der von LAU (Anm. 8) 99 und der von GROTEN, Gesellschaftlicher Wandel (Anm. 36) 81, vorzuziehen, wonach "die Ratmannen aus der Gemeinde im Gegensatz zum Meliorat kamen und deren Interessen vertraten". Den Begriff populares, den Erzbischof Konrad benutzte, nahmen die Schiedsleute nur einmal auf (ebd. 393: ad 22). Sie sprachen aber dreimal alles andere als eindeutig von aliis personis (ebd. 392: ad 1 et 2) oder aliis civibus (ebd. 393: ad 23); zweifellos hatten sie dabei jene Gruppe der Bürger im Auge, die Konrad von Hochstaden communitas nannte, wie diese selbst es ein Jahr später tat. Die Unbestimmtheit, mit der die Schiedsrichter jene aufmuckenden, gleichwohl als eigene Schicht respektierten Bürger bezeichneten, ist auffallig. Daß sie sie in ihren Entscheidungen nicht schon communitas nannten, ist möglicherweise auf Albertus Magnus zurückzuführen, der auf reinliche Scheidung der Begriffe achtete und communitas der Bürgergesamtheit und Stadtgemeinde vorbehielt. 45
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zahlreich besuchten Sitzung des Hohen Gerichts den Geschlechter-Schöffen - bis auf einen - ihr Amt49. Die Gemeinde wirkte also am Verfassungsumsturz des Hochstadeners mit. Während sie sein Vorvorgänger Engelbert I. anscheinend nicht als regierungsfähig erachtete, eröffnete ihr Konrad erstmalig eine Regierungsbeteiligung. An ihm fand sie auch ebenso starken wie klugen Rückhalt. Denn ganz nach seinen Wünschen richteten die neuen städtischen Leitungsorgane und Führungskreise ihr Streben und Widerstreben50. b) Über Begriff und Wesen der Gemeinde, besonders bei Gottfried Hagen In den eben angeführten Äußerungen unterschied Erzbischof Konrad die Gemeinde einerseits von den Zunftbrüderschaften, die er stets zuerst nannte, und andererseits von der Gesamtheit aller Kölner. Die Gemeinde, so wie sie dem Hochstadener vor Augen stand, war mithin nur ein Teil der gesamten Stadtbevölkerung. Populäres qui communitas appellantur oder populus communitatis, die als Teil unter Teilen aufgezählt werden, waren keine Gesamtheit. Ebenfalls kann Erzbischof Engelbert II. kaum die Einwohnergesamtheit, auch nicht die Einwohnergesamtheit außer Zunftmitgliedern im Sinn gehabt haben, als er vor dem 14. Juni 1264, um wieder einen Aufstand gegen die zurückgekehrten Geschlechter anzufachen, seinem Gesandten Anselm von Justingen einen Brief mitgab, in dem er die Empfanger grüßend anredete: der buschof grote de broiderschaf gemeine / und de gemeinde grois und cleine51. Gottfried Hagen wechselt in der Wahl der Worte; eindeutige Begrifflichkeit ist nicht unbedingt sein Anliegen. Öfter als von Gemeinde52 spricht er von "Armen und Reichen" oder adverbial von "arm und reich"53. Das ist nicht eigentümlich stadtkölnisch und war seit langem für "alle Welt" oder "Menschen aller Art" zur festen Formel erstarrt54. Sie dürfte Psalm 49,3 entlehnt sein, der mit dieser Wendung alle Völker und jedweden Erdenbewohner anruft. Als Zuruf an alle Mitkölner legt Hagen sie auch dem Eberhard vom Buttermarkt in den Mund5S. In anderen Zusammenhängen zielt sie ebenfalls auf die Kölner insgesamt, eindeutig besonders dann, wenn es stat arm inde riche56 oder van 49
Qu. II 410 Nr. 394: ... petebant instanter consules, fraternitates, populus communitatis et generaliter tota universitas civium predictorum ... 50 Zum Beispiel Chr. XII 57, 1266-1273; 60, 1356-1367. 51 Chr. XII 116, 3289 f. 52 Chr. XII 63 f., 1460, 1483 (1260 Mai 1); 70, 1690 (1261, nach Nov.); 82, 2096 (1262); 89, 2315 (1262, vor Juni 8); 142, 4197 (1268); 145, 4313 (1268); 149 f.,'4461, 4496 (1268); 151, 4538, 4543 (1268); 155, 4671 (1268); 157, 4746, 4751 (1268); 161, 4908 (1268); 164, 4998 (1268); 173, 5324, 5331 f., 5336 (1268); 176, 5444 (1268); 181 f., 5623, 5632 (1268); 183 ff, 5705, 5714, 5726, 5737 f., 5767. - KOEBNER (Anm. 3) 38 f. 53 Chr. XII 41, 697 (1252); 45, 816 (1252); 54, 1135 (1257); 57, 1263 (1259, nach April); 66, 1408 und 1418 (1260); 64, 1486 (1260); 69, 1655 und 1690 (1261, nach Nov.); 82 f., 2083, 2136, 2140 (1267); 85 f., 2197, 2220 (1262); 90 f., 2364, 2383, 2387, 2418 (1262 Juni 8); 92-99, 2435, 2451, 2597,2630, 2648, 2680 (1262 Juni 8); 104, 2853 (1262, vor Juni 16); 110, 3081 (1264, vor Juni 14); 148 f., 4442, 4449, 4461 (1268); 151, 4553 (1268); 153, 4598 (1268); 171, 5238 (1268); 191, 5957 (1268). - KOEBNER (Anm. 3) 26 f.; GROTEN, Gesellschaftlicher Wandel (Anm. 36) 320-324. 54 Wörterbuch der mittelhochdeutschen Urkundensprache auf der Grundlage des Corpus der altdeutschen Originalurkunden bis zum Jahre 1300, 2. Lfg., Berlin 1987, 129; J. und W. GRIMM, Deutsches Wörterbuch, 8. Bd., bearb. von M. HEYNE, Leipzig 1893 (ND 1984) 580 f. - In Ulm erstattete der Oberbürgermeister alljährlich vom Altan des Schwörhauses vor der Bürgerschaft seinen Rechenschaftsbericht, der mit der mittelalterlichen Eidesformel schloß, "Reichen und Armen ein gemeiner Mann zu sein"; vgl. H. E. SPECKER, Ulm a.d. Donau (Große Kunstführer 119) München-Zürich 1985, 17. 55 Chr. XII90 f., 2381-2384. 56 Chr. XII 45, 816 (1252); 82, 2032 f. (1260); 148, 4442 (1268). Über die unterschiedlichen Bedeutungsinhalte von stat vgl. KOEBNER (Anm. 3) 25 ff.
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Colne arm und riche heißt. Hier sind die Angehörigen der Geschlechter einbegriffen. Den Sieg über Erzbischof Engelbert II. am 8. Juni 1262 zum Beispiel hält Hagen - übrigens hier unvoreingenommen und redlich - allen Einwohnern zugute: so wale voichten si alle geliche / beide armen unde riche, / dat neiman enhedde alleine, /si hedden in alle gemeine51. Überhaupt beschwört Hagen, wenn es ihm um die Eintracht in der Stadt geht, die Geschlechter nicht minder eindringlich als die übrigen Stadtbewohner; so etwa bei der Würdigung des Sieges 1257 über die Erzbischöflichen bei Frechen: wa sich stedevolk getruweliche / helt zo samen, da wirf eren riche, / unde wa it van ein sich loist scheiden, / it ruwet sich na arm und riche an beiden59. Zweifellos nicht mitgemeint sind die Geschlechter, wenn es heißt gemeinde arm unde riche60. Auf gemeinde bezogen, schränkte sich die Bedeutung "alle Welt" und "jedermann" für arm unde riche also ein. Aber diesen Stellen, die der Gemeinde auch Reiche zuzählen, ist andererseits zu entnehmen, daß für Hagen die Gemeinde nicht nur aus Mittellosen, bloisse lüde, bestand61. Der Chronist mag, um die Einwohnergesamtheit oder einen größeren Teil dieser Gesamtheit zu bezeichnen, auf arm unde riche auch grois unde deine61, vereinzelt junc unde all62 - vielleicht nicht nur ausgewichen sein, um den Ausdruck zu wechseln, sondern auch deswegen, weil dem Wort gemeinde bereits ein herabsetzender Nebensinn anhaftete64. Für gewöhnlich schließt Hagen, wenn er von der Gemeinde spricht, die Geschlechter nicht ein. Weil aus Köln vertrieben, konnten sie nicht dabei sein, als im November 1261 der Fischer Hermann in seiner Begrüßungsrede an den neuen Erzbischof Engelbert II. von Falkenburg an die Hilfe erinnerte, welche die gemeinde arm und rieh seinem Vorgänger bei deren Entmachtung geleistet hatte65. Weil sich vor dem 8. Juni 1262 Geschlechter und Gemeinde an verschiedenen Orten aufhielten, da die erzbischöflichen Gesandten Hermann von Vitinghofen und Peter von dem Kranen mit ihnen verhandelten, kann Hagen in ihnen nur voneinander getrennte Personenkreise gesehen haben66. Dies gilt aber wohl kaum von gemeinde arm und riche, die bald nach dem 8. Juni 1262 Graf Otto III. von Geldern so grüßte, als er sie zusammen mit seinem Bruder, dem Bischof Heinrich von Lüttich, aufsuchte, um einen Frieden zu vermitteln. Zuvor hatte er rait und scheffen angesprochen67. Hier kann Hagen nur eine Stadtgemeinde einschließlich der nicht dem Rat und dem Schöffenkolleg angehörenden Geschlechter-Mitglieder gemeint haben. Dagegen hatte er eine Gemeinde ohne diese vor Augen, welcher der 57
Chr. XII 97, 2630 (1262, um Juni 8); 99, 2679 f. (1262, nach Juni 8); 108, 3013 f. (1262 Dez./ 1263 Jan.); 110, 3080 f. (1264, vor Juni 14); 130, 3996 (1268); 171, 5238 (1268); 191, 5957 (1268). 58 Chr. XII98, 2647-2650. 59 Chr. XII 54, 1132-1135. An diese Eintracht appellierte Costin Crop am 15.10.1268, als der Herzog von Limburg bereits durch das Loch unter der Stadtmauer in die Stadt eingedrungen war: Chr. XII 184, 5714-5716. 60 Chr. XII 69, 1690 (1261, nach Nov.); 149, 4461 (1268); 151, 4553 (1268). Vgl. KOEBNER (Anm. 3) 26. 61 Chr. XII 54, 1155 (1257). KOEBNER (Anm. 3) 455, 468, 549 Anm., will darunter vor allem die in den Parochien mehr oder minder tonangebenden Grundbesitzer verstehen - "niemals die wirklich mittellosen"; vgl. auch GROTEN, Gesellschaftlicher Wandel (Anm. 36) 324. 62 Chr. XII 89 f., 2323, 2366, 2382 (1262 Juni 8); 92, 2435, 2460, 2503 (1262 Juni 8); 108, 3014 (1262 Dez./1263 Jan.); 111, 3096 (1264, vor Juni 14); 116, 3290 (1264, nach Juni 16); 121, 3478 (1264 oder 1265); 136,3996 (1268); 149,4462 (1268); 169, 5178 (1268). 63 Chr. XII 93, 2460 (1262); 64 CARDAUNS (Anm. 38) 12; KOEBNER (Anm. 3) 39. - Die Anrede edel gemeinde, die Chr. XII 63, 1466, dem Fischer Hermann in den Mund gelegt wird, meint Hagen natürlich spöttisch. Dagegen ist Chr. XII 184, 5714, ohne Zweifel positiv zu verstehen. 65 Chr. XII 70, 1689 f. 66 Chr. XII 88, 2305-2308; 88 f., 2311-2316. 67 Chr. XII 104, 2850-2854.
G E M E I N D E IN K Ö L N
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Erzbischof nach dem Sühnevorschlag des Grafen Wilhelm von Jülich mitteilen mußte, daß die Geschlechter wieder in die früheren Ämter und Ehren einzusetzen wären68. In der Klage des Falkenburgers Anfang 1263 vor Papst Urban IV., daß die Kölner ihn aus der Stadt vertrieben hätten, waren sie hingegen wieder einbegriffen69. Der Papst seinerseits hielt - gewiß nach Engelberts Angaben - die einzelnen Bevölkerungskreise in seiner Bulle vom 13. Januar 1263 sorgfaltig auseinander70. Mag es vordergründig dem Sprachgebrauch Gottfried Hagens sowohl bei "arm und reich" wie bei "Gemeinde" auch an Eindeutigkeit fehlen, aus dem inhaltlichen Zusammenhang ergibt sich doch in der Regel, ob er dabei die Geschlechter- Angehörigen einbezieht oder nicht. Infolgedessen besteht im allgemeinen trotz schwankender Begriffe Klarheit darüber, wen oder was der Chronist genau meint. Er hebt sie überdies klar von den Zunftbrüderschaften ab. Diese Unterscheidung trafen gleichfalls, wie dargelegt, die Erzbischöfe Konrad und Engelbert II. sowie Papst Urban IV.71. Trotzdem richteten sie ihre Botschaften gleichermaßen stets an Zunftbrüderschaften und Gemeinde - immer in dieser Reihenfolge. Die Zünfte besaßen also um die Mitte des 13. Jahrhunderts einen Vorrang vor der Gemeinde. Allerdings unterstellten ihnen offenbar die beiden Erzbischöfe eine politische Gesinnungsgemeinschaft. Hagens Berichte bestätigen dies jedoch nicht. Sie rechnen die erbitterten Kämpfe am 8. Juni 1262 sowie diejenigen von 1268 mit den Weisen und an der Ulrepforte allein der Gemeinde zu72. Dagegen erwähnen sie die Gemeinde mit keinem Wort im Zusammenhang mit dem Weberaufstand von 1264 oder 126573. Auf jeden Fall decken sich die Inhalte, die Gottfried Hagen den Begriffen unterlegt, mit den übrigen Überlieferungen dahin, daß unter Zunftbrüderschaften und unter Gemeinde zwei sorgfaltig auseinanderzuhaltende Bevölkerungskreise zu verstehen sind74. Sie wurden zwar oft gemeinsam angesprochen, aber gemeinsam gehandelt haben sie, jedenfalls nach Gottfried Hagen, in jenem ereignisschweren Jahrzehnt von 1257 bis 1268 nicht. Festzuhalten ist daher, daß die Quellen aus der Zeit der Unabhängigkeits- und Bürgerkämpfe des 13. Jahrhunderts unter Gemeinde zwar gelegentlich die Gesamtheit der Bürger bzw. der Einwohner verstehen, in der Regel damit aber einen vielleicht zahlreichen, jedenfalls politisch wachen und zudem wehrhaften Teil der Bevölkerung meinen. Es gab also in Köln neben der Stadtgemeinde insgesamt und neben den Gemeinden der geistlichen wie weltlichen Parochien auch eine solche, die Mitglieder aus allen Parochien ohne Rücksicht auf den Beruf, vor allem anscheinend ohne Ansehen von Besitz und Einkünften hatte. c) Über Politik und Einfluß der Gemeinde In den Kämpfen jener wilden Zeiten erwies sich die Gemeinde bei politischen wie militärischen Entscheidungen als oft ausschlaggebende Kraft. Weder die Erzbischöfe noch die vertriebenen oder in Parteiungen gespaltenen Geschlechter vermochten ohne den Beistand der Gemeinde in Köln Vormacht zu erlangen oder zu behaupten. Als die Ge68
Chr. XII 107 f., 2981-2988. Chr. XII 108, 3010-3015. 70 R. KNIPPING (Bearb.), Die Regesten der Erzbischöfe von Köln im Mittelalter, Bd. 3 (PGRHGK 21) (künftig: REK III) Bonn 1913 (ND 1964) Nr. 2240,2242. 71 Vgl. oben bei Anm. 48,49, 51,70. 72 Chr. XII 90 f., 2381-2388, 2415-2418; 92, 2434 f.; 92 f., 2450 f. - Chr. XII 142, 4197; 143, 4227 f.; 145, 4313; 149, 4460 f.; 150, 4494 f.; 151, 4538 f. und 4542 f.; 157, 4745 f. und 4750 f.; 161, 4908 f.; 164, 4998 f.; 173, 5323 f., 5330-5332, 5335 f.; 176, 5444; 181 f., 5623, 5632; 183, 5704 f.; 184, 5714, 5226, 5736-5739. 69
73
C h r . XII 115-128, 3 2 5 4 - 3 7 2 9 ; R E K III N r . 2 3 0 3 . - Z u m Z e i t p u n k t vgl. GROTEN, G e s e l l s c h a f t l i -
cher Wandel (Anm. 36) 344. 74 So auch KOEBNER (Anm. 3) 467 Anm. 3.
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schlechter am 1. Mai 1260 Rechtsbrüche der neuen Schöffen bei Erzbischof Konrad einklagten, rief der Fischer Hermann, der lauteste der erzbischöflichen Mietlinge, die Gemeinde an, erinnerte sie an ihren mit den neuen Schöffen geschlossenen Verbund und vermochte sie in der Tat zu einem Bekenntnis zum Erzbischof und seinen städtischen Handlangern zu bewegen75. Am 8. Juni 1262, als Hermann von Vitinghofen die entehrenden Forderungen Engelberts vorgetragen und Eberhard vom Buttermarkt zum Aufstand aufgerufen hatte, ging die Einladung an die im Weiherkloster versammelten Geschlechterangehörigen zwar nicht von der Gemeinde, sondern von der usverdrevener vrunt aus76: offenbar hielten sich Kölner mit dieser Einstellung nicht an die Gemeinde. Die Geschlechter schworen hingegen hochfeierlich: wir sullen hude mit den viegen (= Todgeweihten) / beide mit riehen und armen sterven11. Freilich erkannte der Stadtadel sogleich und gewiß mit Freuden ebenfalls die Gelegenheit, die durch des Hochstadeners "Revolution von oben" geschaffenen neuen Verhältnisse zu beseitigen und die herkömmliche Geschlechterherrschaft wiederherzustellen. Die aufständischen, gerade die Stadttore stürmenden Bürger indessen nahmen die gebotene Hilfe ohne weiteres an, und sie nützte ihnen auch bei der Eroberung der vom Erzbischof in Airsbach gebauten Burg78. Doch mit der erneuerten Vormacht der Geschlechter mochten wohl viele sich vorerst nicht abfinden. Die Weber empörten sich 1264 oder 1265, und zwar auf die Einflüsterungen des Erzbischofs hin79. Dem gelang es auch, Zwietracht innerhalb der Geschlechter für sich zu nutzen und das besonders vornehme Weisen-Geschlecht auf seine Seite zu ziehen. Er versuchte daher, diesem die Gemeinde zuzuführen. Engelbert II. wußte, daß die Weisen erst dann, wenn sie der Gemeinde sicher waren, losschlagen konnten80. Den "Verbund" mit der Gemeinde erwirkten diese durch das Versprechen künftiger Steuerfreiheit81. Als der zur Streitschlichtung herbeigeeilte Graf Wilhelm IV. von Jülich mit den befehdeten Overstolzen tafelte, schlug ein vom mitschmausenden Edelvogt Rutger eingefädelter verräterischer Überfall der Weisen und der Gemeinde fehl82. Danach lenkte der Edelvogt die Gemeinde zum Sturm auf das Haus des Hermann Overstolz in der Rheingasse, um dort große Schätze zu rauben83. Vor den aufgebotenen zwölf Armbrustschützen floh jedoch die Gemeinde84. Demnach kann die Zahl ihrer kämpfenden Angehörigen eigentlich nicht allzu groß gewesen sein. Auch in den folgenden Kämpfen bei der Hohen Pforte läßt Hagen die Gemeinde rasch den Rücken kehren85. Half sie - wie etwa am 8. Juni 1262 - der ihm genehmen Partei, dann ist der Chronist über ihre Tapferkeit des Lobes voll. Die auf die Niederlage hin nach Bonn ausgewichenen Weisen sannen sogleich auf eine Rückkehr nach Köln. Wieder wandten sie sich wegen gemeinsamer Sache, hinter welcher abermals der Erzbischof stand, an die Gemeinde. Deren Wortführer, der ge75
Chr. XII 63 f., 1459-1473, 1480 f. An den Verbund der Gemeinde mit Erzbischof Konrad erinnerte der Fischer Hermann in seiner Grußansprache an Erzbischof Engelbert II. [etwa] 1261 Nov.: Chr. XII 70, 1689 f. Als die Geschlechter mit des Erzbischofs Bruder Dietrich von Falkenburg 1262 Kontakte anknüpften, betonte dieser, daß die Gemeinde dem Stadtherrn beistünde; vgl. Chr. XII 82, 2095 f. 76 Chr. XII 92,2429-2433. 77 Chr. XII92 f., 2450 f. 78 Chr. XII 93-96,2473-2476,2518-2527,2555-2572. 79 Chr. XII 115 f., 3254-3306; 129, 3762-3766. 80 Chr. XII 145, 4313 f. 81 Chr. XII 149,4456-4465. 82 Chr. XII 151,4542-4547. 83 Chr. XII 152 f., 4580-4599. 84 Chr. XII 157, 4743-4751; 161, 4908 f. 85 Chr. XII 164,4998 f.
GEMEINDE IN KÖLN
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meinde maicht - die Namen werden nicht genannt -, versprachen Beistand, wenn die Weisen 500 Ritter, also ein für die damalige Zeit stattliches Aufgebot an Berittenen, in die Stadt hineinschleusten86. Auf des Fischers Hermann Rat warben dafür die Weisen den Herzog von Limburg und andere Edelherren des Rheinlands. Deren Einritt sollte ebenfalls auf des Fischers Rat - ein unter der Stadtmauer nahe der Ulrepforte gegrabenes Loch ermöglichen. Am 15. Oktober 1268, in der Mohrennacht, gelangten so der Limburger und seine Mitstreiter in die Stadt und warteten enbinnen muren im Gemüsegarten des Mathias Overstolz auf die Gemeinde87. Die vorzeitig alarmierten Overstolzen hatten sich bereits den weitaus überlegenen Eindringlingen entgegengeworfen, auch trug man schon Mathias Overstolz und Peter Jude mit Todeswunden vom Kampfplatz, als Costin Crop die Gefahr, die den Geschlechtern von der unschlagbaren Übermacht der Feinde drohte, richtig einschätzte, sein Pferd wendete und der anrückenden Gemeinde die Schmach vor Augen stellte, demnächst vom Limburger Herzog und denen vanme lande beherrscht zu werden88. Diese Aussicht schreckte ähnlich wie 1262 die Herrschaftsforderungen Engelberts II. Die Gemeinde kümmerte sich nicht mehr um ihren "Verbund" mit den Weisen und wechselte auf der Stelle über zur Overstolzen-Partei89. Der sterbende Mathias Overstolz konnte sie noch anfeuern90. Danach zog sie in den Streit und schlug man und ros darneder91. Wenn die Gemeinde auf der richtigen Seite focht, dann hatte Hagen, wie gesagt, an ihrem Kampfesmut nichts auszusetzen. Für die Auseinandersetzungen der Geschlechter mit den Zünften 1264 oder 1265 legt Hagen - wahrscheinlich weitgehend willkürliche - Angaben über das beiderseitige Aufgebot an Kämpfenden vor92. Zahlen derer, die die Gemeinde jeweils oder in einzelnen Fällen den Gegnern entgegenstellte, bietet er nur für 1268, und sie dürften ebenfalls meist unglaubwürdig sein93. Nicht unterdrücken mag ich deswegen die Vermutung, daß das, WEIS als Gemeinde jeweils auftrat, der Zahl nach nicht recht zu schätzen war, daß also Hagen als Gemeinde die Bürger und Einwohner Kölns verstand, die sich wegen einer bestimmten Sache öffentlichen Interesses zu einem bestimmten Zeitpunkt bewaffneten und bereit waren, mit Gewalt ihr Anliegen durchzusetzen94.
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Chr. XII 173, 5320-5337; 177, 5464 f. Chr. XII 181 f., 5618-5627, 5632 f. 88 Chr. XII 183, 5703-5706; 184, 5714-5721. 89 Chr. XII 184, 5726-5729, 5736-5739. 90 Chr. XII 185 f., 5772-5780. 91 Chr. XII 186, 5782; auch 184, 5735. 92 Chr. XII 117, 3336: 100 Zünftler gegen 1 von den Geschlechtem; 120, 3451-3454; 127, 3708: 150 von den Geschlechtern gegen 5000 von den Zünften; 121, 3467: 200 von den Geschlechtern gegen 5000 von den Zünften; 121, 3484: 1000 und mehr von der Gemeinde allein aus Airsbach; 122 f., 3506-3508, 3511, 3532: 15 von den Geschlechtern gegen 200 mehr oder minder von den Zünften; 123 f., 3550, 3553, 3600, 3623: 1000 von den Zünften; 127, 3702: 5 gegen 1 von den Geschlechtern; 127, 3709 f.: 200 gegen 30 von den Geschlechtern; 128, 3712 f.: 1000 von den Zünften gegen 300 von den Geschlechtern. 93 Chr. XII 157, 4758: 300 von der Overstolzenpartei; 158, 4802 f.: 10 000 und mehr von der Gemeinde gegen 16 von der Overstolzenpartei; 159, 4810: auf einen Schlag der Overstolzen sollen 100 von der Gemeinde fallen; 160, 4878: 10 000 und mehr von der Gemeinde; 167 f., 5102-5104 und 5148-5150: Overstolzen mit weniger als 62 gegen 10 000 und mehr von der Gemeinde; 176, 5423: wohl 5000 Mann können durch das Loch unter der Stadtmauer ziehen; 177, 5450-5453: die Weisen rechnen mit nicht einmal 200 Overstolzen, die Widerstand leisten werden; 183, 5678, 5680, 5688: 40 Overstolzen gegen 300 Limburger und Weise; 186, 5790: 300 Mann brachen mit dem Limburger ein. - Mathias Overstolz sagt 1268, Sieg hänge nicht ab von vielem Volk; vgl. Chr. XII 156, 4734. 94 Ähnlich KOEBNER (Anm. 3) 467. 87
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d) Die Führung in der Gemeinde Die Gemeinde besaß eigene Vertreter, die für sie autoritativ sprachen. Man kannte sie offenbar allgemein. Im März 1259 sandte Konrad von Hochstaden nach de richsten de hei bekante / van den weveren und den gemeinden9S. Engelbert II. schickte 1264 oder 1265 seinen Gesandten Anselm von Justingen zu den Zunftmeistern sowie van der gemeinen alle de besten, / da man eniche maicht ane Wiste96. Mit der gemeinden maicht verhandelten 1268 die in Köln verbliebenen Freunde der Weisen, um einen neuen Angriff gegen die Overstolzen einzufädeln97. Das Ergebnis der Verhandlungen - unsicher, ob auch von der Gemeinde - wurde sogar schriftlich den Weisen mitgeteilt98. Die Wortführer der Gemeinde hatten augenscheinlich keinen eigenen Titel; Hagen behalf sich mit unbestimmten Ausdrücken wie "Macht". Einmal nannte er diese Führenden sogar verkürzt "Gemeinde", nämlich 1268, als die Weisen sie heimlich - was eine Vielzahl von Mitwissern, also die ganze Gemeinde, ausschloß - zu gewinnen suchten99. Deshalb ist Koebner zuzustimmen, der in den "besten" oder "reichsten" der Gemeinde "keine besondere soziale Schicht" sieht, vielmehr "diejenigen, bei denen der 'Rat' und die 'Macht' innerhalb der Gemeinde lag, diejenigen, die das höchste p e r s ö n l i c h e Ansehen genießen"100. Wie diese Ratgeber und Machtwalter zu ihrer Autorität gelangten, sie auch möglicherweise wieder verloren, wie sie sich das Vertrauen der Gemeinde bewahrten, mit wievielen solcher Persönlichkeiten im allgemeinen zu rechnen ist, diese und andere Fragen bleiben offen; die Quellen melden darüber nichts. Hagen und die übrige Überlieferung bieten keine bestimmten Namen. Der oftmals geschmähte Fischer Hermann, der ja 1260 nicht namens der Gemeinde, sondern zu ihr sprach, dürfte wegen seines Berufes eher den Zunftbrüderschaften zuzuzählen sein. Hagens Spottname "Kehlstecher" legt nahe, daß er dieses Gewerbe auch ausübte und "Fischer" hier kein Zuname ist101. Aber Fäden zur Gemeinde hielt er in der Hand; aus der Bonner Verbannung heraus nutzte er sie 1268 für die Weisen102. Gewiß nicht zu den Wortführern und Machtwaltern der Gemeinde im engeren Sinn darf man den Edelvogt Rutger rechnen, doch muß er dort einen mitreißenden Einfluß ausgeübt haben103. Die Drahtzieher des Overstolzen-Weisen-Zwistes, der Deutschordensbruder Wolfhart und der Pfarrer Heinrich von St. Kolumba, läßt der Chronist zu den bereits für den Erzbischof gewonnenen Weisen sagen, daß diese für ihre Partei unbedingt den Edelvogt Rutger werben müßten: spricht hei zo der gemeinden ein wort, / so geit hei alle ure wille vort, / haint si zo eime houftman, / si weinent alle segen danm. Oder an späterer Stelle gleichsinnig: sleit her Rutger an minen heren, / de gemeinde sal gerne an uch keren105. Eberhard vom Buttermarkt, der am 8. Juni 1262 die Gemeinde zum Aufstand gegen Engelbert II. mitriß, stellt sich eher als einmaliger, spontaner Wortführer denn als etablierter Machtwalter der Gemeinde dar106. Eine gezielte militärische Führung des Volkes
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Chr. XII 56, 1207 f. Chr. XII 115, 3266 f. 97 Chr. XII 173,5332. 98 Chr. XII 173, 5329-5333; 176, 5444 f. 99 Chr. XII 149, 4448 f. 100 KOEBNER (Anm. 3) 39-41, auch 459-468. 101 CARDAUNS, in: Chr. XII 233; GROTEN, Gesellschaftlicher Wandel (Anm. 36) 265 f. 102 Chr. XII 174, 5344-5370; 175, 5393 f., 5402; 176 f., 5432. 103 Vgl. oben bei Anm. 81 und 82. 104 Chr. XII 142,4197-4200. los Chr. XII 143,4237 f. 106 Chr. XII 90 f., 2380, 2419 f. 96
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übernahmen damals alsbald Angehörige der wieder in die Stadt eingelassenen Geschlechter107. Die Gemeinde der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts selbst war eine lockere, nicht nach sicheren Kriterien zu umschreibende Gegebenheit, und ihre Führenden gelangten ebenfalls nicht nach einem festgelegten Verfahren in ihre Stellung. Alles hing offenbar davon ab, ob Persönlichkeiten mit Überzeugungskraft und Durchsetzungsvermögen für die Gemeinde ein Anliegen formulierten, dafür einen mehr oder minder beachtlichen Teil der Bevölkerung hinter sich brachten und diesen für ihr Ziel alsdann - unter Umständen gegen die bestehende Ordnung - öffentlich und möglicherweise mit Gewalt aufbieten konnten. e) Gemeindeversammlungen Im 'Chronicon rhythmicum', wo sie concio heißen, ist von zwei Gemeindeversammlungen die Rede. Die erste fallt noch ins 12. oder ins eben begonnene 13. Jahrhundert: 1198 oder 1204/1205 legten Geschlechter-Angehörige ihre Beschluß-Vorschläge vor; Richolf Parfuse für eine staufische, Gerhard Saphir für eine weifische Parteinahme108. Die zweite, die viel später, freilich an einem unbekannten Datum stattfand, wahrte anscheinend gleichfalls noch den aus dem 12. Jahrhundert überkommenen Sprechervorrang des Stadtadels: Dietrich der Weise aus dem Mühlengassengeschlecht beantragte, innere Unruhen durch einen geordneten Rechtsgang beizulegen109. Durch Erzbischof Konrads "Revolution von oben" zerbrach dann aber augenscheinlich ebenfalls der herkömmliche Anspruch der Geschlechter, auch in der Gemeindeversammlung das Wort zu führen. Ein Jahr nach dem "Staatsstreich, nämlich am 1. Mai 1260, klagten Angehörige der Geschlechter, wie schon erwähnt, vor Konrad von Hochstaden - es war also eine Gerichtsversammlung - über rechtswidriges Verhalten von vier der neuen Schöffen110 und verlangten deren Entfernung. Augenblicklich verwandelte sich, falls die Sache sich so zugetragen und Gottfried Hagen sie nicht dramatisiert hat, die Gerichts- in eine Gemeindeversammlung. Der Fischer Hermann, zweifellos damals im neuen Regiment einer der Wortführer, legte ihr, an den von Bruno Hardefust totgeschlagenen Fleischer erinnernd, eine Frage über ihre Parteinahme vor: sait, wilt ir den 107 108
Chr. XII 94 f., 2518-2527; 95 f., 2555-2568. C h r o n i c o n rhythmicum Coloniense (Anm. 32) 303 f.; KOEBNER ( A n m . 3) 43-46, 456-466. -
GROTEN, Gesellschaftlicher Wandel (Anm. 36) 16 f., berichtigt - wie übrigens vor ihm KOEBNER (Anm. 3) 44 - den in der Ausgabe von Waitz als Causiffus verlesenen Namen des Welfenbefurworters wohl zutreffend in G. Saphirus. Auch GROTENs Datierung des berichteten Ereignisses auf JuliOktober 1198 hat vielleicht einiges mehr für sich als die von mir zusammen mit KOEBNER (Anm. 3) 506 f. und der älteren Literatur auf 1204/1205 vorgeschlagene. GROTENs Einspruch gegen meine "Wahlmacher"-These steht dagegen auf schwachen Füßen. Er argumentiert gegen die ausdrückliche Aussage einer Quelle (Caesarius von Heisterbach!); er verkennt, daß Innozenz III. und Johann von England die Stadt zu den Königsmachern (nicht Königswählern) zählten, nicht weil sie gewählt, sondern - eine Ausnahmeerscheinung - die Wahl eingefädelt und besonders gefördert hat; er bestreitet den Autoren dieser drei Quellen Ereignisnähe, obwohl sie das Ereignis als bestens unterrichtete Zeitgenossen miterlebten. Daß in der Bürgerschaft Kölns über die Parteinahme unterschiedliche Ansichten bestanden, ist vorauszusetzen. Es kam darauf an, welche Meinung sich als Gemeinwille in der Gemeindeversammlung durchsetzte. Darüber gibt das 'Chronicon rhythmicum' mit dem Bedauern der unterlegenen Partei und mit Herabsetzung der Mehrheitspartei Auskunft. Im übrigen schätzt Groten die Weifenantriebe in der Kölner Bürgerschaft für 1198 als schwach, für 1216 - als Otto IV. schon seit Jahren ausmanövriert auf der Harzburg saß - jedoch als noch so stark ein, daß durch sie ein neues Verfassungsorgan, der Rat, geschaffen werden konnte. Ich hoffe, mich bei Gelegenheit eingehender mit Grotens angreifbarer Beweisführung auseinandersetzen zu können. 109 Chronicon rhythmicum Coloniense (Anm. 32) 309 f.; KOEBNER (Anm. 3) 45. 110 GROTEN, Gesellschaftlicher Wandel (Anm. 36) 264: 8) Gerlacus; 265: 12) Hermannus Sapiens-, 270: 20) Albertus Hoyr; 21) Everardus de Burnheim.
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zo Staden stain, / de uch en paischdage wolden erslain? / of wilt ir dem buschof stain hude bi? / sait snel wat des ure wille si111. Umgehend erging der Beschluß: sie reifen mit groissen schalle, / dem buschove wolden si helpen alle112. Vor Jahresfrist hatte der erzbischöfliche Stadtherr die Gemeinde eindringlich und ausführlich nach ihrem Einverständnis mit der in seinem Gericht durchgeführten Verfassungsänderung gefragt 113 . Jetzt bestätigte die Gemeinde jenes Urteil durch einen aus ihrer Mitte beantragten Beschluß. Die nächste Gemeindeversammlung, die ebenfalls nicht ausdrücklich belegt, aber mit großer Gewißheit zu erschließen ist, ergab sich 1262 durch den Aufstand breiter Bevölkerungskreise gegen Engelbert II. In noch gereizterer Spannung als 1260 entschied auch diese Versammlung über Krieg oder Frieden. Der Falkenburger forderte eine in freier Willensbildung beschlossene Unterwerfung der Kölner Bevölkerung unter seine Landesherrschaft. Dazu hatten die aus Köln vertriebenen und im Weiherkloster vor der Stadt versammelten Geschlechter-Angehörigen offenbar Verhandlungsbereitschaft, vielleicht sogar schon Entgegenkommen signalisiert. Der erzbischöfliche Unterhändler Hermann von Vitinghofen suchte sie nämlich als erste auf. Unverblümt machte er ihnen aber klar, daß infolge ihres Machtverlustes sie die politische Meinungsfuhrerschaft für die Stadt nicht mehr besaßen, daß es auf den Willen der Gemeinde ankäme 114 . Die Gemeinde indessen, die am 8. Juni 1262 sicherlich nicht zu einem feststehenden Termin, sondern vermutlich auf einen eigens ergangenen Ruf hin sich versammelt hatte, blieb gefaßt, als Hermann von Vitinghofen die vielen einschneidenden Forderungen des Erzbischofs vortrug115. Sie murmelte, als er danach innehielt, und hörte sich auch still sein Ersuchen an, sich freiwillig zu unterwerfen116. Das Schweigen der Gemeinde ermutigte offensichtlich Eberhard vom Buttermarkt, ihr einen entgegenstehenden Beschluß vorzuschlagen. Darin verwarf er die Zumutungen Engelberts II. und rief dazu auf, die erzbischöfliche Besatzung aus der Stadt zu vertreiben117. Diesem Aufruf zum Aufstand stimmte die Gemeindeversammlung dadurch zu, daß die Teilnehmer wahrscheinlich mit Beifallsrufen sofort auseinanderliefen, um sich für den beschlossenen Kampf zu wappnen 118 . Des Falkenburgers Amtsvorgänger Konrad von Hochstaden hatte im Großen Schied vom 28. Juni 1258 die unmittelbare Stadtherrschaft aufgrund seines Herrschaftsrechtes beansprucht. Diese praktizierte er bei der Schöffenabsetzung am 17. April 1259 als höchster Richter durch Richterspruch. Auf diese Weise bekundete und wahrte er sein Herrschaftsrecht und nahm den Geschlechtern das bis dahin ausgeübte Eigenrecht an führenden Stadtstellungen. Tatsächlich kamen durch die neuen Schöffen auch breitere Bevölkerungskreise bei der Teilhabe am Stadtregiment gegen den ausschließlichen Geschlechteranspruch zum Zuge119. Eine ihnen vom Erzbischof verliehene Gewalt störte die neuen Machtwalter wohl deswegen nicht, weil sie glaubten - und Konrad von Hochstaden ihnen diesen Glauben auch gestattete -, die Stadt unabhängig zu regieren. Mit solcher Schein-Selbständigkeit wollte Engelbert II. augenscheinlich aufräumen. In111
Chr. XII 63, 1474-1477. Chr. XII64, 1480 f. Qu. II 411 Nr. 394 von 1259 April 17: In quorum omnium multitudine et audientia interrogari in palam fecimus et inquiri, si omnes in hanc sententiam consentirent, vel si aliqui dissentirent, ipsos, dummodo racionabile quid in contrarium proponerent, audire veilemus, et omnes una vociferatione apertissima responderunt, quod ipsam sententiam approbarent, et nullus affuit nec comparuit contradictor. 114 Chr. XII 88 f., 2299-2317. 115 Chr. XII 89 f., 2323-2364. 116 Chr. XII90, 2365-2378. 117 Chr. X I I 9 0 f., 2379-2414. 118 Chr. X I I 9 1 , 2415-2418; KOEBNER (Anm. 3) 27 f. 1 1 9 GROTEN, Gesellschaftlicher Wandel (Anm. 36) 273-275. 112 113
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dem er militärisch, über die Steuern und die Spitzen"beamten" der Stadt unmittelbar zu verfugen verlangte, verweigerte er der Stadtgemeinde die wesentlichsten Elemente einer Selbstbestimmung120. Überdies sollten die Kölner darauf von sich aus freiwillig verzichten. Das hätte Untertaneneid und -Unterwerfung bedeutet. Vor dieser Forderung verstummte die Bevölkerung zunächst in der Gemeindeversammlung. Der Aufruf zum Aufstand wirkte danach wie ein Befreiungsschlag. Das Herrschaftsrecht des Erzbischofs, dies erweisen die Auseinandersetzungen von 1259 bis 1262, bestritten weder die Geschlechter noch die Bürger. Ausüben wollten beide jedoch die Herrschaft durch ihre Beauftragten ohne den Erzbischof: die Geschlechter allein und aufgrund von Eigenrecht, die Bürger hingegen beteiligt und ohne Bedenken gegen eine vom Stadtherrn erteilte Vollmacht. Der Sieg über Engelbert und die eingeleitete Rückkehr der Geschlechter in ihre alten Vorrechte verdrängten eine Entscheidung über diese innerstädtischen Auffassungsunterschiede. Zu rasch eilten auch Bischof Heinrich von Lüttich und sein Bruder Graf Otto III. von Geldern herbei - zudem mit Engelberts Zustimmung -, um eine auszuhandelnde Sühne anzunehmen121. Eine Gemeindeversammlung, an der Spitze die Regierungsorgane, empfing die Friedensvermittler: der rait und scheffen alle geliche / unde de gemeinde arm unde riche /gruten van Lütge den buschoß22. Hagen läßt nicht erkennen, wer für die Stadt den Gruß ausgesprochen, danach die städtischen Klagen gegen Engelbert II. vorgebracht und schließlich von der Versammlung die Einwilligung eingeholt hat, durch die die Bürger sich verpflichteten, die Bestimmungen des künftigen Schiedes zu befolgen123. Wie am 8. Juni über den Krieg, so befand vor dem 16. Juni 1262 - dieses Datum trägt die Sühne124 - die Gemeindeversammlung letztentscheidend über den Frieden. f) Der Versammlungsort Ahnlich vollzog sich wohl auch das Verfahren vor der Schlacht bei Worringen. Das Bündnis, das die Stadt am 27. oder 28. Mai 1288 mit dem Herzog von Brabant und den Grafen von Berg, Jülich und von der Mark schloß und das der Sache nach eine Kriegserklärung an Erzbischof Siegfried von Westerburg war, beschwor eine nach vielen Tausenden zählende Menge. Obwohl die Quellen nicht aufs Wort von einer Versammlung der Gemeinde sprechen, legt ihre Ausdrucksweise jedoch nahe, daß es sich dabei um eine solche gehandelt hat125. Gleichwohl fallt sie aus dem Rahmen. Sie fand auf dem Gelände des Mariengradenklosters, also auf kirchlichem Immunitätsgebiet, statt126. Ob dies ein Übergriff war oder die Stiftsgeistlichkeit dem zugestimmt hatte, steht dahin. Die dem Erzbischof Siegfried anhängenden Kläger, die am 4. und 5. Juli 1290 alle möglichen Vorwürfe gegen die Bürger erhoben, beanstandeten jedenfalls nicht jenen Versammlungsort. Der Umstand, daß 1288 sich die Bevölkerung wegen des ungewöhnlich starken Besuchs beim geräumigen Mariengradenkloster zusammenfand, stützt Koebners und von Loeschs Vermutung, daß - mindestens die frühen - Gemeindeversammlungen, für die noch Teilnahmepflicht vorauszusetzen ist, auf größeren Plätzen stattfanden, die Raum für alle Bürger boten127. Darüber hinaus ist Koebners Schlußfolgerung zu bekräftigen, 120
STEHKÄMPER, Rechtliche Absicherung (Anm. 46) 364, 367. Chr. XII 100-102, 2723-2794; REK III Nr. 2208. 122 Chr. XII 104, 2852-2854; KOEBNER (Anm. 3) 26. 123 Chr. XII104 f., 2855-2896. 124 REK III Nr. 2210. 125 H. STEHKÄMPER, Die Stadt Köln und die Schlacht bei Worringen, in: BDLG 124 (1988) 365 f. Anm. 225. 126 Ebd. 365 Anm. 224. 121
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KOEBNER ( A n m . 3 ) 4 6 7 ; LOESCH, G r u n d l a g e n ( A n m . 9 ) 1 5 5 .
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daß nämlich, seitdem die Gemeindeversammlung vor dem seit 1149 belegten Bürgerhaus tagte, diese unmöglich die gesamte Stadtbevölkerung vereinigte, mithin in Köln kein Zwang mehr zum Versammlungsbesuch bestanden haben kann. Doch nicht allein die Raummenge vor dem Bürgerhaus, auch die Eindrücke von der durch Gottfried Hagen geschilderten Art des Auftretens und Handelns der Gemeinde laufen darauf hinaus, wie Koebner festzuhalten: "So konnte immer nur eine sehr begrenzte Zahl von Volksgenossen wirklich zur Bürgerversammlung zusammentreten und die Gesamtheit der Bürger, den coetus maiorum atque minorum, die gemeinde arm und riche darstellen. Um die Mitte des 13. Jahrhunderts, und gewiß schon früher, kehrt ein typisch bestimmter engerer Personenkreis regelmäßig wieder. In Gottfried Hagens Erzählungen tritt unter dem Namen gemeinde wiederholt eine Gruppe von Gegnern des Patriziats auf. Sie hat eine starke Masse hinter sich, und manchmal heißt diese Masse selbst gemeinde"l28. g) Gemeinde und "Verbund" Die Gemeinde der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts ist nicht mehr wie noch gut ein Jahrhundert zuvor die Bürgergesamtheit. Diese nannte Konrad von Hochstaden in den Urkunden vom 17. April 1259 universitas civium, die Gemeinde indessen communitas populi oder ähnlich129. Gottfried Hagen unterschied im Deutschen zwar nicht ganz so sorgfaltig, doch bezeugt gerade er den körperschaftlichen Charakter der Gemeinde. War sie auch nicht wie die Zunftbrüderschaften, fraternitates, eine verfaßte Institution, so doch eine institutionelle Gegebenheit, die Bündnisse vereinbarte und sich zu Verpflichtungen verband. Konrad von Hochstaden bewirkte im März/April 1259 gegen die Geschlechter einen Zusammenschluß von Weberzunft und Gemeinde, wobei er beiden einen Herreneid abforderte: hei geschoif dat si sich vereinden / unde eme sworen und huldenno. Die von jenem Erzbischof eingesetzten neuen Schöffen, dies geht aus der Rede des Fischers Hermann vom 1. Mai 1260 hervor, hatten sich ebenfalls mit der Gemeinde verbunden131. Dieser Verbund bestand noch im Juni 1262132. Die "Vereinung" mit den Webern 1259 und der 1260 bezeugte "Verbund" der Gemeinde mit den neuen Schöffen lassen sich nicht anders als auf gleicher Ebene und zu gleichem Recht denken. Sie wurden unter ständisch gleichen Partnern abgeschlossen. Die Bündnisse der Gemeinde übersprangen bisweilen jedoch die ständischen Grenzen. Wenn 1264 oder 1265 Erzbischof Engelbert II. die Zünfte und die Gemeinde mit dem Angebot umwarb, gemeinsam unterzugehen oder zu siegen133, dann deutete er damit für diese Verbindung Gleichberechtigung an. Er verbarg also - anders als 1262 und anders als 1259 Konrad von Hochstaden - sein angestrebtes Herrenrecht auf die Folgepflicht von Untertanen. Nur partnerschaftlich und gleichberechtigt konnte es 1268 mit einer der ältesten und vornehmsten Geschlechterfamilien zugegangen sein: samt sich verbant dus al geliche / de gemeinde arme und riche / mit den Weisen ...,34. Die Anstöße zu Absprachen oder gar Bündnissen wurden im allgemeinen an die Gemeinde herangetragen; sie gingen, soweit ersichtlich, in jenen Jahren niemals von ihr aus. Nicht einmal am 8. Juni 1262, als sie die seit 1259 bestehende und ihre Teilhabe an der Stadtregierung begründende und stützende Bindung an den Erzbischof preiszugeben beschloß, schaute sie sich nach Bundesgenossen um135. Die sich überstürzenden Ereignisse erklären freilich diese Enthaltsamkeit. Sie dürfte auch auf die zufällige Zusam128
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Vgl. oben Anm. 48 und 49. Chr. XII 56, 1209 f. Chr. XII 63, 1470. 132 Chr. XII 82, 2096; REK III Nr. 2202. 133 Chr. XII 116, 3280 f. 134 Chr. XII 149, 4460-4462; auch 150, 4494 f. 135 Oben bei Anm. 76 bis 78. 130 131
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mensetzung und fehlende Organisation der Versammlung sowie auf das wohl unvorhersehbare Hervortreten einer Führungspersönlichkeit wie Eberhards vom Buttermarkt zurückzuführen sein. Spontan wie 1262 gab sie auch 1268 den Verbund mit den Weisen auf, als sie hörte, daß der Herzog von Limburg bereits innerhalb der Mauern auf ihre Hilfe wartete, sie aber - augenscheinlich wie vom Blitz erleuchtet - erkannte, daß sie im Begriff war, jenem untertänig zu werden. Solch abermals drohende Unterwerfung unter einen Landesfürsten spielte Costin Crop, der von der Overstolzenpartei um ihren Beistand nachsuchte, mit Nachdruck bei seiner Werbung aus136. Die Gemeinde entsetzte sich. Diese Aussicht bewegte 1268 offenbar die Gefühle um vieles tiefer als 1262 die Unterwerfungsforderungen Engelberts II. So gab es ihr nicht wie 1262 ein Mensch, sondern Gott selbst ein, den Verbund mit den Weisen aufzulösen und sich mit den Overstolzen zu vereinen: dis entsaich sich de gemeinde, / de got selve so vereinde, / dat se geliche allesamen / den bürgeren zo helpen quamenI37. Abermals scheiterte 1268 ein Verbund der Gemeinde gegen die regierenden Geschlechter. Abermals mußte sie 1268 wie 1262 einsehen, daß die Entfernung der Geschlechter sie zwangsläufig in eine landesfürstliche Herrschaft hineinführte. Diese aber schreckte sie noch mehr als die Vormacht der Geschlechter. Die Gemeinde - das erwiesen die Begebenheiten von 1259 bis 1268 und das wußte anscheinend Konrad von Hochstaden, dem nach außen selbständiges, tatsächlich aber von ihm geführtes Stadtregiment zuspielte - war auf sich selbst gestellt weder fähig noch stark genug, die Stadt Köln zu regieren. Nicht zum wenigsten lehrt dies die Art und Weise, wie sie mit welchen Partnern einen "Verbund" schloß und wie sie später einen solchen "Verbund" wieder verwarf. 4. Die unbeteiligte Gemeinde (etwa 1268 bis um 1396) a) Eine lange Ruhezeit (etwa 1268 bis um 1360) Nach Gottfried Hagen verschwindet die Gemeinde für über ein Jahrhundert fast ganz aus der Überlieferung. Beim Verwaltungsschrifttum verwundert dies weniger. Darin drängen sich die Regierungsorgane naturgemäß in den Vordergrund. Doch auch die Geschichtsschreibung schweigt für den in Rede stehenden Zeitraum weitgehend über die Gemeinde und vollständig über deren Versammlungen. Das Verstummen verlangt nach einer Erklärung. Die Wechselfalle der Unabhängigkeits- und Geschlechterkämpfe hatten wohl die überwiegende Mehrheit der Bürger davon überzeugt, daß sie, um ihre Selbstbestimmung sicherzustellen, sich allein auf sich selbst verlassen mußten. Unabdingbar war dazu eine vom Stadtherrn unabhängige Stadtführung. Diese aber konnte, wie erlebt, nicht die Gemeinde garantieren, sondern nur die Geschlechter vermochten sie zu gewährleisten138. Sie aber verlagerten, namentlich seitdem ab 1279 die auf den Erzbischof vereidigten Schöffen nun auch von diesem in ihre Ämter eingewiesen wurden139, die Beratungen und Entscheidungen über städtische Angelegenheiten weitgehend in den Rat140. Er erwies sich künftig in der Tat als festester Schutzwall gegen Angriffe des Stadtherrn. Die Erzbischöfe - seit Engelberts II. Entlassung aus der mehr als dreijährigen Gefangenschaft 1271 und Siegfrieds Niederlage bei Worringen 1288 geschwächt - vermochten nicht gegenzusteuem. An Eingriffen hinderte sie wohl auch eine nach der Vertreibung 136
Chr. XII 184, 5717-5721; auch 177, 5461 f. Chr. XII 184, 5726-5729. 138 W. HERBORN, Die politische Führungsschicht der Stadt Köln im Spätmittelalter (Rheinisches Archiv 100) Bonn 1977, 73. 139 LAU, Entwicklung (Anm. 8) 13 f. 137
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HERBORN ( A n m . 1 3 8 ) 7 4 - 7 6 .
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der Weisen "politisch homogen geformte Führungsschicht" im Rat wie im Schöffenkolleg und in der mit diesem eng verbundenen Richerzeche141. Die verhältnismäßig große Eintracht innerhalb der Geschlechter seit 1268 bewirkte offenbar einen weitgehenden Einklang mit der übrigen Stadtbevölkerung142. Die Erfahrungen, die die Kölner mit den machtstrebenden Erzbischöfen von Konrad von Hochstaden bis Siegfried von Westerburg einerseits, andererseits von 1259 bis 1268 mit der eigenen Zwietracht, aber auch mit ihrer Einigkeit 1288 bei Worringen gemacht hatten, mußten sie auf den Zusammenhalt und das Einvernehmen aller Schichten und Kreise verweisen. Läßt sich also vielleicht behaupten: wenn in der Führungsschicht keine allzu großen politischen und gesellschaftlichen Spannungenexistierten, dann formierte sich in der Bevölkerung auch keine Gemeinde? In den innerstädtisch ruhigen drei letzten Jahrzehnten des 13. Jahrhunderts und der ebenfalls innerhalb der Mauern friedlichen ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts stieg der Enge Rat zum maßgebenden Regierungsorgan auf. Er leitete das Kölner Gemeinwesen als ausführende Gewalt wie auch durch Handhabung der Verfassung, indem er seit 1321 die Eidbücher - das sind die amtlichen und authentischen Sammlungen der wichtigsten und feierlich beschworenen städtischen Satzungen - auflegte und fortschrieb143. Diese Befugnisse schlössen zum Beispiel das Recht ein, den Kölnern Versammlungen zu verbieten und sie als Zusammenrottungen zu bestrafen. Er berührte damit ein Grundrecht der Bürger; doch lehnte sich eine Gemeinde nicht dagegen auf144. Der Rat verstand - formal zweifelsohne richtig, tatsächlich aber anfechtbar - die nicht allzu vielen Zuhörer seiner Morgensprachen als Gemeinde. Am 11. Mai 1347 ließ er im Schöffenschrein hinterlegen, daß "eine Gemeinde des versammelten Volkes öffentlich durch Zuruf erklärte, daß sie zustimmte, daß die Herren vom Rat über jene Güter [sc. die diese den Dominikanern entzogen] zum Nutzen der Stadt verfugen könnten"145. Den Schöffen beschnitt er um 1350 eine alteingeführte Gewohnheit, für sich um Wohlwollen in der Bevölkerung zu werben; er untersagte den Schöffenmeistern, nicht mehr wie früher Wein und Kuchen in die gemeynde der stat tzu senden umbe wedergaveu6. Wer hier näherhin mit gemeynde der stat gemeint ist, läßt sich vorerst nicht sagen. Eine große Volksmenge werden die Schöffen kaum kostspielig bewirtet haben. Gingen die Gaumenfreuden vielleicht an Personen, die Gottfried Hagen etliche Jahrzehnte früher als richste, beste oder maicht der Gemeinde bezeichnet hatte? Gottfried Hagen hatte seinerzeit den Geschlechtern zwar ein Vorzugsrecht auf die Besetzung der Stellen in den Leitungsorganen der Stadt zugeschrieben, sie aber niemals als die Rechtsquelle und Rechtsträger der von ihnen ausgeübten Gewalt angesprochen. 141
Ebd. 73, 76. Die - oft fehlende - Eintracht beschwor Gottfried Hagen an vielen Stellen: Chr. XII 44, 795-799; 45, 831-833; 54, 1132-1135; 60 f., 1372-1375; 98, 2663-2666; 117, 3320 f.; 118, 3364-3366; 147, 4393-4396; 171, 5238 f.; 171, 5252-5261; 187, 5820-5833. 143 Zuletzt: HERBORN (Anm. 138)67-69, 74-81. 144 T. J. LACOMBLET, Urkundenbuch zur Geschichte des Niederrheins, Bd. 3 (künftig: Lac. III) Düsseldorf 1853 (ND 1966), 152 f. Nr. 182; W. STEIN, Akten zur Geschichte von Verfassung und Verwaltung der Stadt Köln im 14. und 15. Jahrhundert, 2 Bde. (PGRhGK 10) Bonn 1893/95 (künftig: St. I oder II); hier: St. I 60-65 Nr. 16. - HERBORN (Anm. 138) 77. 145 Qu. IV 305 Nr. 292:... et quodpremissa super domum civium aprudentioribus et circumspectis viris dominis consulibus Coloniensibus per edictum eorum, quod morgensprache dicitur, sunt sollempniterpublicata... eo quodcommunitaspopuli congregatipublice adclamavit, quod consentirent, quod domini consules de istis bonis disponerent ad usus civitatis et prout eis videretur ad dis ponendum. 146 St. I 52 Art. 29; W. HERBORN, Verfassungsideal und Verfassungswirklichkeit in Köln während der ersten zwei Jahrhunderte nach Inkrafttreten des Verbundbriefes von 1396, dargestellt am Beispiel des Bürgermeisteramtes, in: W. EHBRECHT (Hg.), Städtische Führungsgruppen und Gemeinde in der werdenden Neuzeit (Städteforschung A 9) Köln-Wien 1980,27 Anm. 10. 142
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Auch der später anscheinend allbefugte Enge Rat waltete nicht auf der Grundlage eines unabhängigen Eigenrechts. Seine Mitglieder blieben Bürger wie alle anderen. "Unsere Mitbürger, die in diesem Jahre in unserem Rat der Stadt saßen", heißt es in einer Urkunde der Stadt vom 5. März 1305147. Ratsmitglieder amtierten danach mit befristetem Auftrag in einem wenigstens der Idee nach von Bürgern bestellten Rat. Der Rat insgesamt besaß zwar Ge- und Verbotsgewalt, aber die rechtliche Grundlage war der Wille der Gemeinde, die ihm diese Gewalt über sich zugeteilt und ihm ihre Unterstellung zugesagt hatte. Wann und wie sie es unter welchen Umständen getan hatte, ist für Köln nicht auszumachen. Auf jeden Fall verhielten sich die Stadtbewohner so, daß dies vorauszusetzen ist. Der Rat war seinem Rechtsgrund nach ein Rat von der Gemeinde, durch und für die Gemeinde. Behielt er diesen Ursprung vor Augen, dann beeinträchtigte seine Zusammensetzung allein aus Geschlechterangehörigen nicht unbedingt das Gemeinwohl. Seine Alleingewalt übte der Enge Rat überdies nicht immer allein aus. Zu wichtigen Angelegenheiten zog er die vor- und nachgesessenen Räte hinzu. Aber auch diese breitere Mitbestimmung genügte ihm bisweilen nicht. Die Geschlechter, die als einzige die Engen Räte bestückten, hielten sich zwar für alleinberechtigt, das Kölner Gemeinwesen zu leiten, doch betrachteten sie sich nicht als alleinberechtigte Willens- und Handlungsträger. Gerade für den Ausbau der Verfassung zogen sie eine Vielzahl von Bürgern heran. Der seit 1318 nachweisbare Weite Rat von 82 Mitgliedern wurde nach dem ältesten Eidbuch von 1321 "in hervorragender Weise an der Gesetzgebung beteiligt"148. Seine Mitglieder wählten nach dem Eidbuch von 1341 die Parochien. Die Bürgergesamtheit dachte man sich 1341 - wie hundert Jahre zuvor - als in den Parochien organisiert. Diese dienten also als Organisationseinheiten für den Weiten Rat. Durch vor- und nachgesessene Räte auch beim Weiten Rat erweiterte sich der Kreis der Personen erheblich, die städtische Entscheidungen mittrugen. Gleichwohl läßt sich kein Bemühen der Geschlechter erkennen, allen oder fast allen Volksschichten einen angemessenen Einfluß auf das Handeln der Stadt einzuräumen. Dies belegt die Zusammensetzung des Weiten Rates. Über seine Mitglieder erlauben zwei um 1350 sowie zwischen 1358 und 1360 entstandene Listen nähere Aufschlüsse. Etwa 40 % stammten aus Geschlechterfamilien, die auch den Engen Rat bedienten. Die übrigen 60 % gehörten Familien an, die großenteils dem Stadtadel durch Handels- und Finanzbeziehungen verbunden waren. Nur drei Personen - 1350 ein Goldschmied und 1358-1360 zwei Apotheker - lassen sich unter den übrigen 147 als Gewerbetreibende einstufen149. Demnach eröffnete der Weite Rat nicht den zahlreichen Handwerkern und kleineren Kaufleuten, sondern nur weiteren Mitgliedern der Geschlechterfamilien und Angehörigen einer eher begrenzten Anzahl begüterter Familien eine überdies begrenzte Mitsprache im Stadtregiment. Die Parochien und die dort führenden Personen erwiesen sich ihnen dabei offenbar als die geeignetsten Werkzeuge zu dieser Auslese, die ungelegene Kreise fernhalten sollten. Mit dem Anspruch, als Gemeinde zu gelten, trat der Weite Rat samt vor- und nachgesessenen Räten, soweit ersichtlich, niemals auf. Auch von außen ist ihm dieser Rang niemals zugesprochen worden. Wenn neben den Engen und Weiten Räten darüber hinaus in einzelnen Fällen "gute Leute" mitbeschlossen150, erklärte sich eine solche verbreiterte Zahl von Entscheidungsträgern gleichwohl nie als Vertretung der Gemeinde. Die Geschlechter andererseits beanspruchten zwar für den Engen Rat ein alleiniges Beset147
Qu. III 504 Nr. 528:... concives nostri, qui in hoc anno in consilio civitatis nostro consederunt... STEIN, Vorgeschichte (Anm. 35) 166; LAU, Entwicklung (Anm. 8) 115 f.; HERBORN (Anm. 138) 81-84. 148
149
STEIN, V o r g e s c h i c h t e ( A n m . 35)
(Anm. 150
171 f.; LAU, E n t w i c k l u n g ( A n m . 8)
138)84.
STEIN, Vorgeschichte (Anm. 35) 175.
118 f.; HERBORN
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zungsrecht, niemals aber, so sehr sie es praktizierten, ein Recht auf unabhängige Obrigkeit oder gar Herrschaft. Unverkennbar ist auch ihr Bestreben, dem Leitungsorgan für gewisse Entscheidungen durch viele Mitwisser und Mitbeschließende mindestens unter den vermögenden Bürgern eine breite Zustimmung zu sichern, selbst wenn sie andererseits die Beteiligung des Weiten an den Entscheidungen des Engen Rates in keiner Weise regelten und alles dem Belieben des Engen Rates anheimgaben151. Solange die Geschlechter in dieser Art ihr Regiment kraftvoll und vor allem unanstößig handhabten - es war die Zeit von 1268 bis um 1360 -, trat eine Gemeinde, in welcher Gestalt immer, nicht hervor. Das änderte sich, als der Stadtadel Schwächen zeigte. b) Zurückhaltung während der sogenannten152 Weberherrschaft (1370-1371) Die Zünfte, die in den letzten Regierungsjahren Konrads von Hochstaden und in den ersten seines Nachfolgers Engelbert II. von Falkenburg in den städtischen Urkunden kurzzeitig im Ausstellerformular nach den Leitungsorganen eigens aufgeführt wurden153 und die sich danach in den Bürgerkämpfen zeitweilig sogar als Machtkörper erwiesen154, verlangten nach der Schlacht an der Ulrepforte für ein volles Jahrhundert nicht nach politischer Mitsprache. Erst zu Beginn der sechziger Jahre des 14. Jahrhunderts meldeten einige sich wieder zu Wort. Sie tadelten die Finanzwirtschaft der Geschlechter155. Ein mit Kaiser Karls IV. Erlaubnis und Einnahmebeteiligung am Bayenturm eingerichteter Zoll ließ die Kaufleute der Gaffel Eisenmarkt aufbegehren. Ihnen sprangen das Wollenamt und andere ungenannte, offenbar ebenfalls exportierende und durch den neuen Zoll zusätzlich belastete Zünfte bei. Für die daraufhin von der Stadt betriebene Ablösung des Zolls verlangte 1364 der Kaiser 14 000 Gulden156. Dieser teure Mißgriff der Stadtoberen löste in der Bevölkerung, von der die Stadtkasse sich letztlich das Geld holte, naturgemäß Unmut aus. Zu Beginn des Jahres 1367 deckte man Unterschlagungen des Rentkammer-Beisitzers Rutger Hirzelin vanme Grin auf. Vor allem die Weber, dann auch die Buntwörter und die Gaffel Eisenmarkt, allesamt Ausfuhrgewerbe, erzwangen vom Rat eine Untersuchungskommission und nach Abschluß des Falles Grin eine ständige Rentkammer-Kontrollkommission157. Erstmals nach hundert Jahren mußten sich die Geschlechter dem Willen einer ihrem Einfluß entzogenen, zahlreichen Bevölkerungsschicht beugen und erstmals - zumindest in ihrem Finanzgebaren - von deren Vertretern eine geregelte Überprüfung gefallen lassen. 'Dat nuwe boich' spricht von has und nit... tusschen den rait und de gemeinde wegen der Zollsache, und es vermerkt nach der Enthauptung Rutger Grins nederhant alwege has und nit up de gemeinde von dessen Freunden und Verwandten158. Der nach dem Umbruch von 1396 abgefaßte Bericht158*1 begreift "Gemeinde" aus dem neuen Verständnis jener Zeit; in den sechziger Jahren handelten zwei Zünfte und eine Gaffel, die auf die Ausfuhr angewiesen waren; ob sie sich als Gemeinde verstanden, steht dahin. Die finanziellen Belastungen, welche
151 152
153 154
LAU, Entwicklung (ANM. 8) 117. So überzeugend HERBORN ( A n m . 138) 99.
Qu. II 428 f. Nr. 411; 452 f. Nr. 433. Vgl. oben bei Anm. 73.
155
HERBORN ( A n m . 1 3 8 ) 8 5 .
156
HERBORN ( A n m . 1 3 8 ) 8 6 f.
157
HERBORN (Anm. 138) 87-89; H. KEUSSEN, Der Verfasser des Verbundbriefes und des "Neuen Buches'. Zur Geschichte der Kölner Revolution 1396 (Mitteilungen aus dem Stadtarchiv von Köln 15) Köln 1888, 50-52. 158 Chr. XII 274,27 - 275,1; 273,19. 158a Zur Abfassungszeit vgl. CARDAUNS, in: Chr. XII 268; KEUSSEN, Verfasser (Anm. 157) 17 f.
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die dem Handel und dem Gewerbeleben entfremdeten159, wohl hauptsächlich von Kapitalerträgen lebenden Geschlechter durch Mißwirtschaft sowie infolge Untreue und ihrer mangelhaften Aufsicht auf der städtischen Rentkammer der produzierenden und im Vertrieb tätigen Bevölkerung zumuteten, lösten also die neue Regsamkeit der bis dahin vom politischen Einfluß ferngehaltenen Schichten aus. Nicht soziale, sondern wirtschaftlich-fiskalische Spannungen veranlaßten diese, ihre bisherige Teilnahmslosigkeit an den öffentlichen Angelegenheiten aufzugeben und sich ihrer stadtbürgerlichen Rechte und Pflichten zu erinnern. Die Weber spielten sich in diesen unruhigen sechziger Jahren immer gewaltsamer in den Vordergrund. Ihren ersten bewaffneten, aus unbekannten Gründen ausgelösten Aufstand vom Mai 1364160 unterstützte keine der übrigen Gaffeln und Zünfte. Diese waren auch nicht zur Stelle, als die Weber Mitte Mai 1369 unter Androhung von Gewalt beim Rat die Auslieferung eines von den Schöffen - vielleicht aufgrund bewußter Verschleppung des Verfahrens161 - noch nicht rechtskräftig verurteilten Straßenräubers durchsetzten und diesen von sich aus auf dem Heumarkt enthaupten ließen162. Abermals überrannten sie den Rat nach der Aachener Abstimmungsniederlage der drei Kölner Landfriedensgeschworenen im Frühjahr 1370 wegen der Fehde des aus Köln entwichenen Patriziers Edmund Birkelin gegen seine Vaterstadt163. Es ging bereits nicht mehr um wirtschaftliche Ziele, sondern schon um die Macht in der Stadt. Nach der 'weverslaicht', einer ebenfalls den Geschlechtern zugetanen Reimchronik, hatten die Weber sich untereinander zu einem Verbund allgemein zusammengeschlossen, um einen Verfassungsumsturz herbeizufuhren: Herna over etzlichen daich / hadden die wever ein verdraich / under en gemeinliche / beide arm ind riche, / wie si dat anquemen, / dat si den guden luden benemen / ire heirlicheit ind ir gewalt164. Ihr Auflauf schüchterte den Rat so ein, daß er die drei ihm als Mitglieder angehörenden Landfriedensgeschworenen gefangensetzte. Am folgenden Tag bestanden die Weber darauf, daß nicht weniger als acht weitere Ratsherren sich in Haft begaben. Von fünfzehn Ratsmitgliedern waren elf, allesamt Schöffen und/ oder Verdiente Amtleute der Richerzeche, ausgeschaltet165. Das war allerdings ein "Staatsstreich, zudem ausgeführt von Kreisen, die einen beachtlichen Bevölkerungsanteil hinter sich hatten. Heißt es doch, andere - freilich ungenannte - Zünfte hätten die Weber unterstützt. Gleichwohl gelangte die Gemeinde nicht an die Schalthebel der Macht. Wolfgang Herborn hat meines Erachtens überzeugend gegen die ältere Literatur die 'nova ordinatio1 vom 2. Juli 1370, die neue Verfassung, als einen Kompromiß zwischen Geschlechtern und Webern gedeutet166. Die Schöffen wurden vom Engen Rat ausgeschlossen und auf ihr Richteramt beschränkt; so konnte der Enge Rat frei von bislang ihm zugunsten der erzbischöflichen Rechte abgenötigten Schöffen-Vorbehalten entscheiden. Die Richerzeche wurde ganz aufgelöst; damit waren die Zünfte von deren Bevormundung befreit. In der geschlechterhörigen 'weverslaicht' heißt es, die Weber hedden gerne sich gezogen bi den rait161. Falls diese Nachricht zuträfe - die anfängliche Lahmlegung des Engen Rates spricht dafür -, dann hätten sie sich mit dieser Absicht nicht durchsetzen 159 K. MILITZER, Führungsschicht und Gemeinde in Köln im 14. Jahrhundert, in: W. EHBRECHT (Hg.), Städtische Führungsgruppen und Gemeinde in der werdenden Neuzeit (Städteforschung A 9) Köln-Wien 1980, 18. 160 161 162 163
HERBORN MILITZER HERBORN HERBORN
(Anm. (Anm. (Anm. (Anm.
138) 159) 138) 138)
87. 21. 89. 9 0 f.
164
Chr. XII 245,83-89. Zuletzt über diese Quelle MENKE (Anm. 38) 12-22.
165
HERBORN ( A n m . 138) 9 2 .
166
HERBORN (Anm. 138)94-100. Chr. XII 249,226 f.
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können. Denn es blieb beim fünfzehnköpfigen Engen Rat ausschließlich aus Angehörigen der Geschlechter. Eine Gemeinde, die die Weber zu einem weitergehenden sozialen Umsturz wohl nötig gehabt hätten, erschien nicht auf dem Plan. Daher wohl hatte es bei der allerdings gründlichen Umgestaltung des Weiten Rates sein Bewenden. Er wurde nicht nur von 82 auf 50 Mitglieder vermindert, sondern darüber hinaus nun den Zünften, nicht mehr den Parochien entnommen. Hier begegnen erstmalig die Zünfte als Organisationen zur Erfassung der gesamten Kölner Bevölkerung und als Einheiten in deren Aufbaugefuge; gleichfalls erscheint hier erstmalig ein Bestreben, einem Großteil der Einwohnerschaft unterhalb der sehr Vermögenden zu einer politischen Vertretung zu verhelfen. Beides sollte 1396 eine bedeutende Zukunft bekommen. Die Weber sicherten sich in diesem Weiten Rat die Mehrheit. Sonst gab es der ampt vil: Pelzer, Schmiede, Gürtelmacher, Sarwörter, Maler, Krämer, Kannengießer, Riemenschneider, Lohgerber und Goldschmiede. Über die Mandatsverteilung ist nur überliefert, daß die Krämer zwei und die Kannengießer einen Vertreter entsandten168. Unbekannt ist auch, ob und gegebenenfalls wann und wie andere Zünfte an den ungewöhnlich zeitraubenden, offenbar unter zähem Ringen verlaufenen elfwöchigen Verhandlungen über die 'nova ordinatio' teilgenommen haben. Die Gaffeln und andere unzünftige Bruderschaften blieben anscheinend ganz außen vor. In diesen Kreisen muß alsbald große Unzufriedenheit über die Weber aufgekommen sein. Vollständiger Ausschluß vom oder unzureichende Vertretung im Weiten Rat waren vermutlich die Gründe aller Gaffeln und vieler Zünfte hierfür169. Der Aufstand und die Verfassung der Weber hätten eine allgemeine Vertretung aller oder wenigstens der meisten Ebenen der Kölner Einwohnerschaft im Weiten Rat erbringen können. Dies scheiterte. Zunächst um die Mißwirtschaft der Geschlechter in den Stadtfinanzen zu zügeln, dann für Mitsprache und Mitregierung hatten sich die emporstrebenden Weber gegen die herkömmlichen Führungskreise als bis dahin von aller Gewalt-Teilhabe ferngehaltene Bevölkerungsgruppe überraschend schnell, leicht und in unblutig errungenem Erfolg durchgesetzt. Als sie jedoch ihre eigenen Forderungen erfüllt sahen, schotteten sie ihren erreichten Vorrang vor allem wohl gegen die wirtschaftlich und finanziell ebenbürtigen und gleichfalls nach politischem Aufstieg strebenden Gaffeln durch neue Grenzlinien im Verfassungssystem ab. Eine Formierung der Kölner Bevölkerung zu einer in Gefuge und Rechten politisch mündigen Gemeinde war damals weder ein Anliegen der Geschlechter noch eines der führenden und reichsten Zunft. c) Niedergedrückt durch das wiederhergestellte Geschlechterregiment (1372-1391) Mit Hilfe einiger Gaffeln und Zünfte, auch von Söldnern konnten die Geschlechter am 20. November 1371 die Weber stürzen170. Noch vermochten sie also Gegensätze zwischen den bemittelten Bevölkerungsschichten für sich zu nutzen. Eine Gemeinde, die vorweg Vorurteile, Mißtrauen, Spannungen und Gegensätze unter ihren einzelnen Gliedern ausglich und auf deren abgestimmte, gemeinsame und einheitliche Haltung drängte, gab es jetzt so wenig wie hundert Jahre zuvor während der Bürgerkämpfe. Die Weber-Verfassung wurde aufgehoben. Die neue ist die des Eidbuchs von 1372. Die siegreichen Geschlechter, die sie prägten, hatten aus den Ereignissen der letzten Jahre allerdings gelernt. "Die Verfassung des Eidbuchs von 1372", schreibt Walther Stein, "ist nicht mehr blos oder vorwiegend die Verfassung des engen Rats oder der engen Räte, sondern die Verfassung des engen und weiten Rats. Befugnisse und Organisation des engen und weiten Rats kommen im Eidbuch gleichmäßig und nebeneinander zum Aus-
168
Chr. XII 2 5 0 , 2 5 6 - 2 7 5 .
169
HERBORN ( A N M . 1 3 8 ) 1 0 0 .
170
HERBORN ( A n m . 1 3 8 ) 1 0 4 - 1 0 6 .
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171
druck" . Abermals verkleinerte man den Weiten Rat, diesmal auf 31 Mitglieder. Deren Bestellung durch die Parochialgemeinden wurde nicht wiederbelebt. Diese Organisationsgrundlage, die seit den Anfangen des Kölner Gemeinwesens den Behörden zur Erfassung der Einwohnerschaft diente, wurde damit als mögliche politische Gliederungseinheit der Gemeinde für immer aufgegeben. Die Parochien galten in der breiten Bevölkerung offenbar als Stützen der Geschlechtervormacht. Doch auch die von den Webern im Voijahr für den Weiten Rat als Wahlkörper vorgesehenen Zünfte wurden entmachtet. Nach dem Vorbild des Engen Rates benannten die ausscheidenden Mitglieder des Weiten Rates ihre Nachfolger, die der ausgehende Rat dann wählte172. Nur sehr bemittelte Männer konnten sich eine Bewerbung leisten; denn sie mußten ftir die Zwecke der Stadt ein Streitroß unterhalten173. Soweit bislang Ratsherren des Weiten Rates aus der Zeit von 1372 bis 1396 ermittelt worden sind, waren es zumeist Kaufleute oder Goldschmiede der gehobenen Ebene174. Die nichtpatrizischen Reichen, die hinter den Geschlechtern nur durch den fehlenden Adel, kaum an Vermögen und Verbindungen zurückstanden, sicherten sich also den Weiten Rat: zweifellos eine Reaktion auf den vorherigen Ausschluß durch die Weber. Vermehrte Befugnisse eröffneten ihnen überdies eine wirkungsvollere Teilhabe am Stadtregiment. Gleich den Webern 1370 setzte nach deren Niederlage mithin ebenso die Kaufleuteschaft 1372 auf blanken Eigennutz. Keine der einzelnen Bevölkerungsgruppen war anscheinend bereit, eine politische Vertretung anzustreben, die in etwa das gesellschaftliche Gefüge der Kölner Bevölkerung widerspiegelte. In maßgebenden Teilen der Einwohnerschaft gab es damals augenscheinlich wenig Gemeindesinn. Dies nutzten die Geschlechter. Nicht nur die Weber wurden nach der Weberschlacht hart bestraft. Ihnen unterhöhlten die auferlegten wirtschaftlichen Einschränkungen ihre bis dahin unbestrittene Vormacht unter den Zünften175. Darüber hinaus entzog der neue Enge Rat allen Zünften die Privilegien. Ferner hob er ihr freies Versammlungsrecht auf, setzte aus seiner Mitte gewählte Obermeister an ihre Spitze, übertrug diesen die bisher von den selbstgewählten Zunftmeistern ausgeübte Zunftgerichtsbarkeit samt den meisten Bußgeldern176, erkannte den Webern, Schmieden und Gürtelmachern die Wehrfähigkeit ab, indem er ihre Harnische einforderte177, und ließ sich und dem Weiten Rat fortan jährlich von allen Zünften einen Treueid leisten178. Die Geschlechter drückten nicht nur, sie beargwöhnten zudem die Gemeinde, soweit sie der Handwerkerschaft angehörte. Die Kaufleute, die sich vor allem in den Gaffeln zusammengeschlossen hatten, wurden dagegen bevorzugt. So hatte der wieder allmächtige Geschlechterrat die gespaltene Stadtbevölkerung gegeneinander auszuspielen verstanden, wobei er die zahlreichste, wehrhafteste, aber auch erregbarste Schicht besonders niederhielt. Die fast ehrenrührigen Auflagen, die er den Zünften aufnötigte, hinterließen eine bleibende Verbitterung. Ob es in dieser Lage die Zünfte tröstete, daß sie nicht mehr der Oberaufsicht und Strafgerichtsbarkeit der wiederhergestellten Richerzeche unterstanden, steht dahin. Niemals vorher hatte ein Enger Rat, der sich doch als Organ der Stadtgemeinde verstand179, freilich hinter einem aufgewerteten Weiten Rat geschickt zu tarnen wußte, sich so weit als Obrigkeit hervorgewagt. Einer breiten Handwerkerschicht hatte er altherge171
STEIN, Vorgeschichte (Anm. 35) 179.
172
HERBORN ( A n m . 1 3 8 ) 1 1 0 .
173
St. I 107-109, Nr. 30. STEIN, Vorgeschichte (Anm. 35) 202 Anm. 199 f.; HERBORN (Anm. 138) 110 sowie 471 mit Liste. 175 HERBORN (Anm. 138) 106 f. 174
176 177
178 179
HERBORN ( A n m . 1 3 8 ) 1 0 8 f. HERBORN ( A n m . 1 3 8 ) 1 0 8 .
St. I 125 Nr. 38 Art. 24; STEIN, Vorgeschichte (Anm. 35) 195 Anm. 161. Qu. V 227 Nr. 179; 297 Nr. 230.
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brachte, bis dahin niemals beschnittene Rechte so zurückgenommen, daß sie sich eher als Untertanen des Rats denn als freie Glieder einer selbstmächtigen Stadtgemeinde fühlen mußten. Den 1375 ausgebrochenen Schöffenkrieg180 überstand der Geschlechterrat gleichwohl vor allem dank der Hilfe der von ihm schwer bedrückten Zünfte. Schon 1370 hatten sich die Weber nicht gegen die Geschlechter als solche gewandt. Behielten sie doch den funfzehnköpfigen Rat aus den Geschlechtern bei, und beließen sie ihm doch die entscheidenden Zuständigkeiten. Aber den Einfluß der Schöffen stutzten sie, und die diesen eng verbundene und den Webern wegen der Oberaufsicht verhaßte Richerzeche verboten sie sogar. Die Verfassungsschöpfer von 1372 bestätigten die Rechte von Schöffen und Richerzeche zwar äußerlich, wußten sie aber geschickt vom Entscheidungszentrum des Rates entweder ganz fern oder in einflußloser Minderheit zu halten. Bereits 1370 und 1372 offenbarte sich also eine Spaltung innerhalb der Geschlechter: eine Richtung hielt es mit den Schöffen, eine andere mehr mit dem Rat181. Daher ist es nicht verwunderlich, daß die 1375 aus der Stadt nach Bonn zu Erzbischof Friedrich III. geflohenen Schöffen ihre und der Richerzeche Rechte, die 1370 von den Webern weitgehend aufgehoben worden waren und die 1372 der Enge Rat nicht zu ihrer Zufriedenheit wiederhergestellt hatte, vollständig zurückforderten, ja darüber noch hinausgingen. So wollten sie u.a. auch den Weiten Rat, der, wie eben dargelegt, eher das begüterte nichtpatrizische Bürgertum vertrat, wieder aus den Parochialgemeinden bestellt wissen182. Das läßt darauf schließen, daß in den Parochialgemeinden schöffennahe Geschlechterangehörige den Ton angaben. Diese Stützpunkte wünschten sie ebenfalls in der früheren Stärke zurückzuhaben. Vermutlich wollten sie auch nicht wahrhaben, daß inzwischen die gewerblichen und die durch den Beruf zustandegekommenen verwandtschaftlichen Bindungen die Masse der erwerbstätigen Einwohnerschaft organisierten und daß die Zünfte dieses nun einmal gegebene Sozialgefüge bildeten und repräsentierten. "In richtiger Erkenntnis der Lage traten die Zünfte auf die Seite des Rates"183, stellt Walther Stein fest. Die ausgewichenen Schöffen und der ihretwegen von Erzbischof Friedrich III. gegen die Stadt Köln geführte Schöffenkrieg scheiterten. Nach Ablauf der im 14. Jahrhundert offenbar zur Regelfrist gewordenen zehnjährigen Laufzeit wurde 1382 die im Eidbuch von 1372 erstellte Verfassung überprüft184. Auch dieses neue Eidbuch wurde von beiden Räten unterschiedslos beeidet und daher vom Weiten Rat mit derselben Vollmacht wie vom Engen Rat in Kraft gesetzt. Der Weite Rat war demnach dem Engen eher neben- als nachgeordnet. Dazu stimmt, daß die Mitglieder beider Räte erstmals Präsenzgelder in gleicher Höhe erhielten und der Ausschluß naher Verwandter nicht mehr nur auf jeweils einen, sondern auf beide Räte insgesamt bezogen wurde. Ein Zusammenwachsen der beiden Räte deutete sich an, so könnte man zu vermuten geneigt sein. Doch teilten die Geschlechter wohl nur ein allzu bescheidenes Stück Regierungsmacht mit Vertretern der nicht-patrizischen Bevölkerungsschichten. Ein Mandat der Gesamtbevölkerung besaßen jene Vertreter überdies nicht. Vor allem behielt sich der Enge Rat als oberstes, mächtigeres und allein selbständiges Regierungsorgan die ausfuhrende Gewalt unverkürzt vor. Walther Stein faßt zusammen, daß "von 1372 bis Mitte 1395 ... der weite Rat seine größte Machtfulle gewonnen hat"185; er schränkt jedoch ein: die "Mitwirkung und Zustimmung des weiten Rates ist in den meisten wichtigen Fragen unbedingt erforderlich, aber ein Recht auf
180
HERBORN (Anm. 138) 111-123.
181
HERBORN ( A n m . 1 3 8 ) 9 7 f., 1 1 0 .
182
HERBORN ( A n m . 1 3 8 ) 1 1 3 f .
183
STEIN, Vorgeschichte (Anm. 35) 195. STEIN, Vorgeschichte (Anm. 35) 195-199.
184 185
STEIN, Vorgeschichte (Anm. 35) 200.
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GEMEINDE IN KÖLN 186
selbständiges Vorgehen besitzt der weite Rat noch immer nicht" . Seine Entscheidungsbefugnisse hatten jedenfalls die der Gemeinde und ihrer Versammlungen des 12. Jahrhunderts noch nicht erreicht. Wo war überhaupt bis dahin im 14. Jahrhundert die Gemeinde? Da es nicht angängig erscheint, ihr das Aufbegehren der Weber während der sechziger und zu Beginn der siebziger Jahre gutzuschreiben, gab es sie anscheinend gar nicht. Doch die Geschlechter hatten sie seit 1372 - beinahe ängstlich, wie ihre Bedrückung der Zünfte zeigt - im Blick. Aber weiterhin verharrte sie im Wartestand. d) Kein Eingreifen in den Geschlechterkampf (1391-1396) Nach dem Schöffenkrieg bewahrten die Geschlechter zunächst wenigstens äußerlich ihre Einigkeit. Sie zerbrach in der Mitte des Jahres 1391. Die den Schöffen zugewandten "Freunde" stritten gegen die "Greifen"187. Es war ein Kampf nur unter den Geschlechtem. Die Gemeinde trat dabei nicht in Erscheinung. Es ging aber um die Verfassung und um die darin zu gewährleistende Beteiligung breiterer Einwohnerkreise an der Stadtregierung. Die Greifen verfolgten die fortschrittlicheren Ziele. Unter der Führung des altadligen, politisch hochbegabten, aber bedenken- und rücksichtslosen Hilger Quattermart von der Stessen schalteten sie - wie 1370 die Weber - jetzt die Schöffen wieder vollständig aus den Regierungsorganen aus und verwiesen sie streng auf die gerichtlichen Aufgaben. Gleich den Webern lösten sie auch die Richerzeche auf und wählten am 9. August 1391 - wie schon 1370 und 1371 - die beiden Bürgermeister aus dem Schöße des Rates188. Diese Abfuhr von Schöffen und Richerzeche sicherte Hilger zunächst eine große Volkstümlichkeit189. Das Eidbuch vom 8. März 1395 beseitigte auch die letzten städtischen Vorzugsrechte der Schöffen; die ihnen bis dahin wegen ihrer eidlichen Bindung an den Erzbischof zugestandenen Vorbehaltsrechte wurden aufgehoben190. Erzbischof Friedrich III. wagte diesmal ihretwegen keinen Krieg191. Um vieles kühner erstrebte Hilger ein zweites Ziel. Die Geschlechter insgesamt sollten überkommene Vorrechte aufgeben. Nachträge noch aus dem Jahre 1395 im besagten Eidbuch verfugten umwälzende Veränderungen: Fortan wählten Enger und Weiter Rat gemeinsam die bis dahin allein vom Engen Rat erkorenen Bürgermeister, Rentmeister, Ratsrichter und die übrigen Amtsträger des Rates. Bewerben durften sich freilich nur Mitglieder des Engen Rates, auch besaß dieser ein Vorschlagsrecht. Da jedoch der Weite Rat mit seiner mehr als doppelten Mitgliederzahl den Engen Rat immer überstimmen konnte, war für den Ausgang der Wahlen sein Wille maßgeblich. Diese und andere Änderungen verschafften dem Weiten Rat ein Übergewicht im Stadtregiment. Den Geschlechtern blieben beinahe nur noch Ehrenrechte192. Ihre Vormacht war gebrochen. Freilich war der Weite Rat weit davon entfernt, die Bürger aller Schichten und Verhältnisse angemessen zu vertreten. Breite Bevölkerungskreise aber ließen sich
186
STEIN, Vorgeschichte (Anm. 35) 199. STEIN, Vorgeschichte (Anm. 35) 268-302; LAU, Entwicklung (Anm. 8) 148-160; R. BARTH, Argumentation und Selbstverständnis der Bürgeropposition in städtischen Auseinandersetzungen des Spätmittelalters (Kollektive Einstellungen und sozialer Wandel 8) Köln-Wien 1974, 233-242; HERBORN (Anm. 138) 124-131 mit Angaben über einzelne Mitglieder der Parteien. 188 LAU, Entwicklung (Anm. 8) 148 ff.; STEIN, Vorgeschichte (Anm. 35) 269 ff.; HERBORN (Anm. 138) 127 f. 189 Die Limburger Chronik, hg. von A. WYSS (MGH Dt. Chroniken 4,1) Hannover 1883 ( N D 1980), 187
90,26 f.: Der ritter was also getan, daz in di ganze gemeine von Colne lip hatten. 190 191 192
HERBORN (Anm. 138) 127 f. LAU, Entwicklung (Anm. 8) 150 f. STEIN, Vorgeschichte (Anm. 35) 280 f.; LAU, Entwicklung (Anm. 8) 153 f.
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zweifellos durch die Rücknahme der 1372 verordneten Einschränkungen über Weinhandel und Weinzapf gewinnen193. Wann und wie diese wirklich umstürzenden Reformbeschlüsse zustande kamen, ob sie vor allem in den Räten mit der vom Eidbuch vom 8. März 1395 vorgeschriebenen 90 %-Mehrheit verabschiedet worden waren, lassen die Quellen nicht erkennen. Aber Hilgers Gegner, die alle Maßnahmen nach seinem Sturz sogleich tilgten, bewerteten diese, als sie später ebenfalls gescheitert waren und gefangensaßen, mit wenigen Ausnahmen dahin, daß sie vur eyn gemeyne beste werenm. Freilich hatte man sie danach gefragt, und in der Lage, in der sie selbst und die politischen Verhältnisse Kölns sich damals befanden, mußten sie sich wohl hüten, anders zu antworten. Doch auch Hilger betrieb seine Reformen nicht nur, um dem Gemeinwohl zu dienen. Sie sollten seinem Oheim Heinrich vom Stave zur Rückkehr aus der Verbannung verhelfen195. Dagegen hatten frühere Räte alle irgend möglichen Beschlüsse ersonnen und verabschiedet. Diese hoffte Hilger allein mit dem Weiten Rat aus der Welt zu schaffen196. Ohne Wissen und Willen des Engen Rates trat jener am 4. Januar 1396 zusammen: "Es geschah zum ersten Mal, daß der weite Rat als selbständige, von dem engen unabhängige Behörde auftrat"197. Nicht Hilgers offensichtlich durchgepeitschte Verfassungsreformen, auch nicht seine verfassungswidrig herbeigeführte Tilgung der Verbannungsbeschlüsse gegen Heinrich vom Stave lösten den Gegenschlag der Schöffenpartei aus, vielmehr tat dies erst die Selbstbefreiung des Weiten Rats aus der Abhängigkeit vom geschlechtergebundenen Engen Rat. Durch seinen eigenmächtigen Zusammentritt so faßten es die "Freunde" wohl auf - gab der Weite Rat zu erkennen, daß er fortan über seine Einberufung und Verhandlungsgegenstände unabhängig verfugen, mithin seine Politik von den Vorgaben der Geschlechter lösen wollte. Letztendlich wäre damit einem Stadtregiment ohne den durch die Verfassung gesicherten Geschlechtervorzug, also einem Stadtregiment, das grundsätzlich vielleicht allen Bürgern unterschiedslos offen stand, der Weg freigemacht worden. Die Schöffenpartei stürmte aufs Rathaus, jagte den eben zusammengekommenen Weiten Rat auseinander, setzte Hilgers Anhänger gefangen und ließ zwei sogar enthaupten; Hilger selbst konnte fliehen. Die Adelspartei, die begonnen hatte, der Einwohnerschaft einen vorwiegenden Einfluß auf die Stadtregierung zu überlassen, war vernichtet. Bald aber stellte sich heraus, daß damit die Kraft der Geschlechter insgesamt gebrochen war und die Bürger nicht unter Anleitung aufgeschlossener Geschlechterangehöriger, wie es offenbar Hilger vorschwebte, den Weg zur Selbstregierung gehen sollten, sondern ihn selber zu finden und zu bereiten hatten198. Nach ihrem Gewaltstreich vom 4. Januar 1396 beseitigten die siegreichen "Freunde" durch geradezu brutalen Rechtsbruch - sie rissen die fraglichen Seiten aus dem Eidbuch einfach heraus - die seit 1391 ergangenen Verfassungsänderungen. Den Weiten Rat nahmen sie sich besonders vor. Sie beließen es nicht bei der Aberkennung aller ihm er193
STEIN, Vorgeschichte (Anm. 35) 281. Qu. VI Nr. 265: Johan Kovelshoven (398), Johan vanme Hirtze, Gerart vanme Cuesyne (399), Johan van Lyntlair, Heinrich Juede, Costin reintmeyster (400), Werner van der Aducht (402), Franko Mummersloch (402), Werner Quattermart (402), Mathys greve (403), Godart Hardevust (403), Rembolt Scherffgin (404), Lodewich Juede (405), Stoiltzgin (406), Johan van Troyen (406), Heinrich Hardevust by sent Merien, Herman Scherffgin, Heinrich vanme Cuesyne de aide (407), Heinrich van Rodenburg, Johan Mirwylre (408), Mathys van Reide, Heinrich Hardevust, ritter (409), Heinrich vanme Cuesine (410), Gerart Gryn (411). Everart Herdevust, ritter. abgesehen von den Maßnahmen gegen die Schöffen (400); Franko vanme Hörne: nyet eyn gemeyne beste (401). Johan Jude: unschlüssig (403), Richoilff Overstoiltz: keine Aussage (408), Gerart vanme Krantze, Heinrich Hardevust der iunge, Hilger Hardevust (410): keine Aussagen. 195 LAU, Entwicklung (Anm. 8) 154, gegen STEIN, Vorgeschichte (Anm. 35) 287 f. 196 STEIN, Vorgeschichte (Anm. 35) 284. 197 Die folgenden Ausführungen nach STEIN, Vorgeschichte (Anm. 35) 284-286. 198 STEIN, Vorgeschichte (Anm. 35) 287. 194
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teilten Befugnisse, sie senkten darüber hinaus seine Mitgliederzahl auf 21. Auch die vor- und nachgesessenen Weiten Räte wurden ohne Rücksicht auf vorangegangene Wahlen auf diese Zahl verkleinert. Er konnte danach nicht mehr so ungehemmt den Engen Rat überstimmen. Ausdrücklich wurde ihm - überhaupt zum ersten Mal - eine eigenmächtige Zusammenkunft untersagt. Er behielt auch nicht seine den Bürgern so wertvolle Aufsicht über die Weinschule199. 5. Die Gemeinde als Urheber und Rechtsgrundlage der neuen Verfassung (1396) a) Täuschung der erst umworbenen Gemeinde durch die siegreiche Partei der "Freunde" (4. Januar -18. Juni 1396) Bis zum 4. Januar 1396 hatten sich die Kaufmannsgaffeln und Zünfte oder - wenn man will - hatte sich die Gemeinde aus dem Streit der Geschlechterparteien herausgehalten. Sie hatten wohl Grund, weder den "Greifen" noch den "Freunden" zu trauen. Die wahrscheinlich mit "Greifen"-Mehrheiten amtierenden Räte hoben 1390 oder 1391 die Bruderschaft der Beutelmacher auf, verordneten 1391 den Harnischmachern und 1392 den Färbern neue Satzungen und ließen seit 1392 die Zünfte wieder jährlich dem Rat Gehorsam schwören200. Danach müssen Hilger und seine "Greifen" mehr auf die wenigen reichen Nichtpatrizier der Weiten Räte als auf die in den Zünften organisierte Bevölkerung gesetzt haben. Dafür spricht auch, daß der Rat seinen Mitgliedern, die 1391 gegen sein Vorgehen gegen die Schöffen gestimmt hatten, untersagte, dies außerhalb des Rates zu kritisieren oder zu bedauern201. Vor allem um die Gunst des Volkes ging es den "Greifen" damals augenscheinlich nicht. Dennoch gab es über die Spaltung innerhalb der Geschlechter, wie 'Dat nuwe boich' berichtet, morgens und abends Beratungen auf den Gaffeln und Gesellschaften sowie große Gerüchte und Mären in der Gemeinde202. Diese begann rege zu werden, und zwar in den beruflich-geselligen Vereinigungen. Den Zünften gestattete das Eidbuch vom 8. März 1395 wieder einen einmaligen Treueid für zehn Jahre im voraus. Gewiß hatten sie gegen Hilgers Verfassungsreformen zugunsten des Weiten Rates keine Einwände. Aber Beziehungen bestanden wohl, wenn überhaupt, nur als unverbindliche203. Es war die Schöffenpartei der "Freunde", die sich auf die Gemeinde besann. Als sie sich am 4. Januar 1396 auf dem Geburhaus von Airsbach in einem Verbund zum Sturm auf den Weiten Rat verschwor, nahm sie den Engen Rat und die Gemeinde aus204. Das berichtende 'nuwe boich' versetzt den eigentlich erst nach dem 18. Juni 1396 gültigen Gemeinde-Begriff unbedenklich auch in die vorangegangene Zeit; in Wirklichkeit wird es sich um einzelne Zünfte und Kaufmannsgesellschaften gehandelt haben. Später behauptete die Schöffenpartei, daß der größte Teil des Weiten Rates und die Gemeinde sie gegen Hilger unterstützt hätte205. Doch die vertrauenswürdigeren Rezensionen C und D der Kölner Jahrbücher stellen die Auseinandersetzung als Kampf ausschließlich der Geschlechter dar206. Auch 'Dat nuwe boich' weiß nichts von einem Eingreifen der Gemeinde. Belegt ist wohl, daß die Schöffen-"Freunde" die Gaffel Windeck der Kaufleute auf dem Altermarkt auf ihre Seite zwangen und die 199
200
STEIN, V o r g e s c h i c h t e ( A n m . 3 5 ) 2 8 8 - 2 9 1 ; LAU, E n t w i c k l u n g ( A n m . 8) 1 5 5 - 1 5 8 .
STEIN, Vorgeschichte (Anm. 35) 293. 201 Qu. VI 45 Nr. 26. 202 Chr. XII 285,11-13. 203 STEIN, Vorgeschichte (Anm. 35) 293-296. 204 Chr. XII 300,17-23. 205 Qu. VI 509 (unten) Nr. 354; Chr. XIII 48,1-3; Limburger Chronik (Anm. 189) 90,19 f.; Chr. XIV 731,18-28, vollkommen unzutreffend. 206 Chr. XIII 83,1-4; 137,29-31. Zur Bewertung: MENKE (Anm. 38) 42-52.
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Gemeinde ebenfalls darum baten207. Diese Unterscheidung zwischen Gaffel und Gemeinde läßt darauf schließen, daß die Quellen unter Gemeinde für Januar 1396 vornehmlich wohl die Zünfte verstehen. Es waren also die Sieger vom 4. Januar 1396, die sich um die so lange stillhaltende Gemeinde bemühten. Der Rat berichtete der Gemeinde etwa Mitte Januar über das Vorgehen gegen den Weiten Rat in einer Morgensprache. Nachdem diese verlesen war, do sprach her Costin upme Heumart vurs. ind dankte der guder gemeinden truwelichen, dat si sich as wal bewist hadde ind sachte in da zo ..., dat in der rait vorbas gunstich sin weulde si zo laissen und in zo helpen zo iren guden alden vriheiden und gewoinheit, der alle bürgere van alders alwege gehat hadden, ind in also zo doin, dat in die gemeinde danken seulde. ind dergliche worde was as vil, dat die gemeinde zo den ziden vro und gevolgich wairen208. Diesen Worten folgten allerdings keine Taten; und der Dank war wohl mehr Werbung als Anerkennung. 'Dat nuwe boich' berichtet, daß Schöffen und Rat sich nur um ihre Angelegenheiten kümmerten: ind hadden doch kleine achte zo der gemeinden. Als die Gemeinde dies bemerkte, do giengen si mit allen erberen bürgeren und koufluden ducke und vil bi einanderen in ire geselschaf und hadden mange reden davan209. Feste politische Zusammenschlüsse bahnten sich anscheinend damals in jenen geselschaffen an; deren Häuser waren für Zusammenkünfte zu bestimmten wie unbestimmten Zeiten wie geschaffen und erleichterten die Abstimmung zwecks gemeinsamer Meinungsbildung. Öfter schickte die Gemeinde Freunde aufs Rathaus irre zo gedenken in den zogesachten Sachen110. Vor allem mahnte sie, die 1372 ergangenen Beschlüsse über das Weinzapfrecht aufzuheben. Hermann Cardauns folgert aus diesem Umstand: "Die Gleichstellung auf dem Boden der Verfassung war der Gemeinde schwerlich viel mehr als ein Mittel zur Beseitigung der commerciellen Beschränkungen, die dem Stadtadel zu gute kamen und den gemeinen Mann drückten"211. Auch verkürzten die neuen Herren in ihrem neu aufgelegten, aber mit falschem Datum versehenen Eidbuch212 den Zünften die Gültigkeit des geleisteten Treueides kurzerhand auf fünf Jahre213. In der Gefangenschaft bekannte später Johan Stoiltzgin, daß die Sieger vom 4. Januar 1396 auch nicht vorhatten, die der Gemeinde gegebenen Zusagen zu erfüllen214. So spitzte sich wohl allmählich die Frage zu, wem von beiden, Gemeinde oder Rat, das letztentscheidende Wort zukäme. Alsverre dat die erbere bürgere und gemeinde as vil up dat huis giengen und schickden und si ermainden, trat ihnen Costin von Lyskirchen vom Heumarkt entgegen: Die Ratsherren hielten die viele Lauferei der Gemeinde nicht für gut, sie hätten anderes zu denken und zu schaffen, und über ihre Beschlüsse ensolen si uch [die Gemeinde] niet... fragen215. Dieser Hochmut erzürnte die Bürger und namen des ouch niet vor gut, ind vergaderden sich ducke in iren geselschaffen und gaffelen, und giengen duck bi ein umb deser vurs. Sachen wille, ind dachten up alle vurs. loufe und geschichte, wie die stat und gude gemeinde umb irs grosen haß, nitz, zwist und zweiungen wille in grosen verderflichen schaden coste und vetschaf komen weren und dach bi dage quemen, ind ouch dat manch burger und koufinan sine have und gut durch ire zweiungen und kriechs wille verloren 207
STEIN, Vorgeschichte (Anm. 35) 295; LAU, Entwicklung (Anm. 8) 155; HERBORN ( A n m . 138)
129; HERBORN, Verfassungsideal (Anm. 146) 33. 208 Chr. XII 306,19-307,8. 209 Chr. XII 307,10-14. 210 Chr. XII 307,14-16. 211 Chr. XII 307 Anm. 1; BARTH (Anm. 187) 238 stimmt zu. 212 LAU, Entwicklung (Anm. 8) 156 f. 213 St. I 182 Nr. 50 Art. II § 23. 214 Qu. VI 405 Nr. 265:... ind dat man der gemeynde nyet enhielt, dat her Costin opme heumarte in der morgenspraiche zo Airsburg der gemeynde zogesacht hatte. 215 Chr. XII 307,19-25
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216
hedde . Rasch vertiefte sich also das Mißtrauen zwischen Bevölkerung und den auftrumpfenden Geschlechtern. Als diese nicht mehr verkennen konnten, dat die ampte und gaffelen vaste bestoinden bi ein zo gain und zo vergaderen und ouch mechtich wurden, wollten sie sie verbieten217. Die Richterboten zeigten sich auf den Straßen in Waffen, und Gerüchte liefen um, die herrschenden Geschlechter versammelten sich bewaffnet im Geburhaus Airsbach am Mühlenbach218. Aber auch auf den Gaffelhäusern rüstete man sich. In dieser aufgeladenen Atmosphäre sprach der verhaßte Costin hoch zu Roß bei den Gaffelhäusern vor und fragte die Versammelten, ob sie nicht schlafen gehen wollten. Si seulden wail slaifen gain, wanne si dat zidich sin duchte, war die Antwort. Alsbald - es war der 18. Juni 1396 - wurde Costin vom Pferd geworfen und gefangengesetzt. Gleichzeitig holten gemeinde und bürgere aus seinem Hause das dort verwahrte Stadtbanner. Sie verfugten nun über das höchste städtische Herrschaftszeichen, zogen damit vor das Geburhaus Airsbach, nahmen die dort versammelten Geschlechterangehörigen - anscheinend ohne Kampf - fest, setzten sich auch in den Besitz der Schlüssel zu den Stadttoren219 und - so die Ree. D der Kölner Jahrbücher knapp und kernig - namen de stat in ere hant ind hielten de stat in ereri220. Die Gemeinde - wohl vornehmlich die, die sich zuvor oft bei ihren Gaffeln und Gesellschaften getroffen und besprochen hatten - war seit 1391 beim Treiben der Geschlechterparteien offenbar nur Zuschauer gewesen, ohne selbst Stellung zu beziehen oder gar in deren Streit einzugreifen. Zu diesem klugen Abwarten müssen fähige politische Köpfe sie bewegt haben. Ihre Namen gibt 'Dat nuwe boich' nicht preis. Ihre Einschätzung der Kräfte und der Entwicklung war zutreffend, so daß die Gemeinde "im richtigen Moment ihre Zeit für gekommen erachtete und das in sich selbst und durch sich selbst geschwächte Geschlechterregiment mühelos niederwarf' 221 . Schließlich ist die militärische Schlagkraft der Gemeinde zu beachten; augenblicklich gingen davor die Geschlechter - unrühmlich genug - in die Knie, und ebenso rasch verfügte sie strategisch über die Stadt. b) Gemeinde bei Gerlach vanme Hauwe in 'Dat nuwe boich' Einblick nicht nur in den erzählten Hergang der Ereignisse, sondern auch in das Selbstverständnis und damit ein wenig in die Vorstellungswelt der Gemeinde vermittelt 'Dat nuwe boich'. Mit dem Umsturz und dem Verbundbrief teilt es als Entstehungszeit das Jahr 1396, mit dem Verbundbrief darüber hinaus den Verfasser Gerlach vanme Hauwe222. Erstmals fand an ihm die Gemeinde einen schreibgewandten Sachwalter. Gerlach rechtfertigte sie und ihre Revolution im Auftrag ihrer Vertreter und mit deren ihm auferlegten parteilichen Vorgaben. "Das ganze Büchlein", so der Herausgeber Hermann Cardauns, "ist systematisch auf den Beweis angelegt, daß bei der Corruption und Zwietracht der Geschlechter eine vernünftige, wohlthätige Regierung unmöglich war, und daß die 'gude gemeinde' das Heft in die Hand nehmen mußte, um das städtische Wesen vor gänzlicher Zerrüttung zu bewahren"223. Diese Zwecksetzung bestimmte naturgemäß Gerlachs Verständnis von Gemeinde. Eigens definiert hat er sie nicht; nur aus dem inhaltlichen Zusammenhang läßt sich sein 216
Chr. XII 307,28-308,5. Chr. XII 308,9-13 Chr. XII 308,17-22. - Zum Geburhaus Airsbach vgl. KEUSSEN, Topographie (Anm. 30) II 33 a, 2. 219 Chr. XII 308,22-309,11. 220 Chr. XIII 138,6 f. 221 LAU, Entwicklung (Anm. 8) 148. 222 KEUSSEN, Verfasser (Anm. 157) gelang der Identitätsnachweis. Die ausführlichste Behandlung 217
218
z u l e t z t b e i MENKE ( A n m . 3 8 ) 2 2 - 4 2 . 223
Chr. XII 269; KEUSSEN, Verfasser (Anm. 157) 14, kennzeichnet das Werk als "demokratische Legende der Revolution von 1396".
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Gemeindebegriff erschließen. Außerdem könnte er fremdbestimmt sein. Denn seine Berichte über die Unterschlagungen des Rutger Grin und über den mißglückten BayenZoll übernahm er fast wörtlich von einem unbekannten Verfasser, der ihm über diese beiden Vorgänge eine Vorlage lieferte224. Danach veranlaßten auf das Munkeln über Rutger under der gemeinden ... die van deme wullenampt, Iserenmart und die buntwörter mit iren vrunden den Rat, eine Kontrollkommission zu berufen225. Von der Gemeinde angestoßen, betätigten sich 1367 also eine Gaffel und zwei Zünfte. Nach Rutgers Hinrichtung indessen ergingen sich seine Freunde und Verwandten in has und nit up die gemeinde116. Es sieht bei Gerlachs Gewährsmann so aus, als wenn einzelne Kreise, bei denen unbestimmt ist, ob sie den Gaffeln oder Zünften angehörten, gleichermaßen als "Gemeinde" verstanden werden können wie benannte Gaffeln und Zünfte. Wegen des Bayen-Zolls, dat doch der stede noch der gemeinden beste niet enwas121, gingen, als die Gemeinde davon erfuhr, die von der Gaffel Eisenmarkt zu den Webern, beide zogen ungenannte große Zünfte hinzu; alle - nach fast hundert Jahren also erstmals wieder eine Einung - verbanden sich unter Gelöbnissen miteinander, um den Rat gütlich zur Abschaffung des Zolls zu bewegen, andernfalls ihm ernstlichen zu bedeuten, die gemeinde weulde den toi af haven21i. Den zögernden Rat mahnten späterhin die, die zuvor vorgesprochen hatten229. Als der Rat vernahm, dat sich die gemeinde under ein anderen verbanden hedde - das wurde wenige Zeilen vorher nur von der Gaffel Eisenmarkt, den Webern und ungenannten großen Zünften gesagt -, hob er den Zoll auf und klagte dem Kaiser, die gemeinde hedde den toi mit gewalt afgedain230. Karl IV. habe daraufhin den Rat getadelt, weil dieser den toi also geworven hadde boissen wist der gemeinden23 Hier könnte man zweierlei Verständnis von Gemeinde unterscheiden: Die Gemeinde, der - wie der Stadt - der Zoll schadete und die nach dem Kaiser seine Errichtung hätte genehmigen müssen, kann nur die gesamte Einwohnerschaft meinen; die Gemeinde im engeren Sinne indessen, die sich verschwor, beschwerte, drohte, mahnte, schließlich mit ihrem Anliegen durchdrang und später deswegen den Haß und Neid des Rates auf sich zog232, das können nur die genannten und ungenannten Zünfte sowie die EisenmarktGaffel gewesen sein. Mir will jedoch scheinen, daß dem Verfasser dieser Gerlach-Vorlage ein solcher Unterschied nicht vor Augen stand, daß er sich um genaue Begrifflichkeit in dieser Sache nicht sonderlich sorgte, daß ihm beides Gemeinde war. Als gedankliche Fast-Identität - einmal waren es bestimmte Gaffeln und Zünfte, ein andermal alle Einwohner, mithin sowohl das Ganze als auch nur ein Teil - erscheint Gemeinde auch bei Gerlach vanme Hauwe. Es waren allerdings immer die, die nicht den Geschlechtern angehörten und denen Rat und Schöffenkolleg verschlossen war; aber sie waren und bildeten die Stadt233. Gerlach benutzte, so hat Barth ausgezählt, im 'nuwen boich' das Wort Gemeinde insgesamt 29mal, davon 15mal in der Verbindung stede und gemeinde und fünfmal als bürgere und gemeinde234. In diesen Formeln sind gemeinde, stede und bürgere geradezu identische Begriffe; sie meinen alle Stadtbewohner. Waren also für Gerlach einzelne Gaffeln und mächtige Zünfte - voran die Weber -, wenn sie sich gleichsam wie institutionalisierte Führungsautoritäten dem Engen Rat in 224 225 226 227 228 229 230 231 232
KEUSSEN, Verfasser (Anm. 157) 48-50; MENKE (Anm. 38) 36 f. Chr. XII 273,6-10. Chr. XII 273,19. Chr. XII 274,1 f. Chr. XII 274,3-14. Chr. XII 274,17-19. Chr. XII 274,19-23. Chr. XII 274,23-25; 273,24 f. Chr. XII 2 7 4 , 2 7 - 2 7 5 , 1 .
233
M E N K E ( A n m . 3 8 ) 3 7 f.
234
BARTH (Anm. 187)284.
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Angelegenheiten, die alle Bürger betrafen, gegenüberstellten, Gemeinde , so bezeichnete er für gewöhnlich mit diesem Wort die gesamte Einwohnerschaft Kölns. 'Dat nuwe boich' hatte Gerlach nicht zur Veröffentlichung für ein allgemeines Publikum verfaßt, sondern für den am 24. Juni 1396 angetretenen vorläufigen Rat als verwaltungsinterne Denkschrift 236 . Er begründet darin, warum die Geschlechter ihr durch Gewohnheit und Verfassung überkommenes, für den Bestand der Stadt als wesentlich notwendig angesehenes und daher, wie sie es sahen, unaufgebbares Führungsrecht verwirkt hatten237. Er legt keine Anklageschrift vor, vielmehr zählt er die Ärgernisse und Übergriffe auf, wodurch die Geschlechter das Gemeinwohl mißachtet und Gemeinde und Stadt geschädigt hatten: Unterschlagungen, Verschleuderung städtischer Gelder, Betrug, Bestechung, Steuerdruck, selbstsüchtige Monopolisierung wirtschaftlicher Rechte, Aufhebung der Vereinigungsfreiheit, Rechts- und Verfassungsbruch, moralisches Fehlverhalten usw. 238 . Es sind die ghene, die die gesiechte hiessen ..., danaf de stat van Coelne und die gemeinde grosen unverwinlichen schaden, krut und vetschaf gehat und geleden haint239. Nicht oft und nachdrücklich genug, so scheint es, kann Gerlach betonen, daß die ganze Mißwirtschaft und der Geschlechterstreit zu Lasten von Stadt und Gemeinde gingen. Als Leidtragende beklagt er 20mal die stede, davon 15mal in der Verknüpfung stede und gemeinde. Allein stellt er die Gemeinde neunmal als geschädigt hin, fünfmal als bürgere und gemeinde. Dabei spricht Gerlach 26mal von schaden, zehnmal von coste und 16mal von krut240. Hinzukommen die gerügten Verkürzungen der bürgerlichen Freiheits- und Vorzugsrechte. Die Absichten der Geschlechter gegen die Gemeinde zielten aber nach Gerlach noch viel weiter. Den Weinzapf beschränkten sie 1372 nicht nur, damit die winbroderschaf alleine an si queme, sondern um die gemeinde under sich zo verdrucken; denn manch armer man und burger binnen Coelne pflegte die win zo zappen; sie benamen mit sulgen upsetzen den bürgeren und guder gemeinden ire narunge und vriheit zo irme verderflichen schaden ..., da wenich Vreden af kamen w241. Der arme man und burger dürfte demnach wohl der Gemeinde die meisten Mitglieder zugebracht haben. Auch die Vernichtung der Weber - want id zo der zit ein houft was der gantzer gemeinden ind dat wullenampt ouch allwege sas vur die gemeinde in bescheidenhet zo verantwerden richtete sich 1371 in Wahrheit gegen die Gemeinde. Meinten doch die Geschlechter, so wanne si dat wullenampt gediliet hedden, dat si asdan vort alle andere ampte und gemeinde dilien und drucken mochten, as si ouch bisher gedain haent, dat kondich isU2. Verstand Gerlach, um noch einmal auf den Bedeutungsgehalt zurückzukommen, den er dem Wort "Gemeinde" gibt, in der ersten seiner beiden zuletzt herangezogenen Ausfuhrungen offensichtlich alle Bürger - und mit ihnen alle Einwohner - in Köln, so stellt er in der zweiten Zünfte heraus, die er - mit den Webern als Wortführern - besonders als Gemeinde begreift. Daß die Geschlechter der Gemeinde Unrecht zugefugt hatten, anerkannte im übrigen der von den Schöffen-"Freunden" beherrschte Rat vom 4. Januar 1396, versprach er doch, die alten Freiheiten und Gewohnheiten wieder in Kraft zu setzen243. Aber der Rat dachte nicht daran, sein Versprechen einzulösen; er überhörte die wiederholten Mahnungen der Gemeinde, speiste sie mit gutlichen reden ab und ließ es auf ihr unablässi235 236 237
Chr. XII 275,2-7. MENKE (Anm. 38) 24-26,29, 39-41.
CARDAUNS, in: Chr. XII 2 6 9 ; MENKE ( A n m . 3 8 ) 38.
238
BARTH (Anm. 187) 268-272. Chr. XII 272,11-15. 240 BARTH (Anm. 187) 284, 278. 241 Chr. XII 283,8 - 284,5. 242 Chr. XII 275,3-7. 243 Vgl. oben bei Anm. 208. 239
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ges, ihm lästiges Drängen zu , daß der hochfahrende Costin von Lyskirchen sie herausforderte: so wurden si in in selver zornich und namen des ouch niet vur gut2*s. Langsam begann nun endlich die geschädigte, gedemütigte und verletzte, seit Jahrzehnten duldende und leidende Gemeinde sich zu regen. Oftmals versammelte sie sich in ihren Gesellschaften und Gaffeln. Sie besaß also, wie sich vorweg gelegentlich andeutete, so etwas wie eine Versammlungsorganisation und eingefahrene Abspracheverfahren unter den einzelnen Vereinigungen. Oftmals erörterte sie die Angelegenheiten, erinnerte sich der früheren Vorgänge und dachte Tag und Nacht daran, dat si ire narunge und der stede vriheit erkrigen und behalden mochten, umb sich us deme grosen verderflichen coste, krode und schaden zu erloesen, dies am liebsten aber friedlich246. Es gab also über die möglichen eigenen politischen Ziele wiederholte, alles andere als hitzköpfige Beratungen. Das läßt auf überlegende und überlegene Wortführer schließen. Doch die Geschlechter zeigten kein Entgegenkommen; es bleifallet also stain, sonder eingerlei gnade, naronge of troist der gemeinden und bürgeren zo doin247. Die Gemeinde hatte von den Geschlechtern nichts zu erhoffen. Unblutig konnte sie durch entschlossenes Handeln und systematisches Vorgehen in einem glücklichen Augenblick - was doch wohl bedeutende Führer voraussetzt - die im übrigen wenig wehrhaften Geschlechter entmachten. Alles in allem erzwingen Gerlachs Darlegungen geradezu die Überzeugung, daß die Geschlechter und ihr Regiment Stadt und Gemeinde dreißig und mehr Jahre lang schwer geschädigt und die Gemeinde unterdrückt hatten und weiter unterdrücken wollten: alles zu eigensüchtigem wirtschaftlichen Vorteil und im Interesse ihrer Vormacht. Aufgabe einer guten Regierung, so läßt Gerlach immer wieder durchblicken, aber ist die Förderung von Gemeinwohl und Freiheit der Bürger und Gemeinde. Mit diesem Maßstab mißt er Tun und Lassen der Geschlechter. Sein Befund ist vernichtend: Die Geschlechter hätten ihr Führungsrecht verwirkt. Die Bürger, auf sich selbst angewiesen, so Gerlachs knapp zusammengefaßtes Ergebnis ihrer Tatkraft: bestalten do vort iren rait und gemeinde248. c) Gemeinde und Verbundbrief vom 14. September 1396 Mit dem Sieg der Gemeinde war die hergebrachte Stadtverfassung, die auf die Geschlechter zugeschnitten war, abgetan. In den bis 1396 entstandenen Eidbüchern kommt die Gemeinde nicht vor249. Im Verbundbrief, der neuen Verfassung, bildet sie die Grundlage, von der alles seinen Ausgang nimmt und auf der alles aufbaut250. Schon die Intitulatio läßt dies ahnen. Sie ist zweigeteilt in eine allgemeine und eine besondere, sehr ausfuhrliche Intitulatio. Eine solche - übrigens unterschiedliche - Doppelung der Aussteller-Nennung ist ungewöhnlich. Sie hat natürlich ihren politischen Grund und ihre rechtliche Bedeutung. Bereits die allgemeine Intitulatio vermittelt den Eindruck, daß den Verbundbrief zwei Aussteller ausgefertigt haben, die sich voneinander absetzen wollten. Als erste stellen sich vor: Wir burgemeystere und rait der stat van Coelne, danach als zweite Aussteller durch ind vort von den ersten abgehoben und durch erneutes wir ihnen gleichwertig angereiht: ind vort wir die gemeynde alle gemeynlichen, arm und rijch, van allen ind 244
Vgl. oben bei Anm. 209,210 und 214. Chr. XII 307,14-18. 246 Chr. XII 307,28 - 308,7. 247 Chr. XII 308,8 f. 248 Chr. XII 308,11 f. 249 Das bei Anm. 146 angeführte Eidbuch-Zitat richtet sich gegen die Schöffenmeister; es geht nicht um die Gemeinde. 2 5 0 HERBORN, Verfassungsideal (Anm. 146) 27. 245
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yeclichen ampten und gaffelgeselschaffen, gesessen und wonaftich enbynnen Coelne25 Festzuhalten ist bereits jetzt, daß Bürgermeister und Rat nur an dieser Stelle in der allgemeinen Intitulatio und außerdem - was noch zur Sprache kommt - in der Corroboratio genannt werden. In der besonderen Intitulatio und in den 14 Vorschriften des Verbundbriefs handeln und äußern sich Willensträger, die, wie sogleich darzulegen ist, nicht Regierungsorgan sind. Schlüssig erscheint, daß Bürgermeister und Rat nicht die eigentlichen und bestimmenden Aussteller gewesen sind. In der allgemeinen Intitulatio erinnert die gemeynde alle gemeynlichen im Ausdruck an die burger alle gemeynliche in der seit 1258 gebräuchlichen deutschen Ausstellerformel der stadtkölnischen Urkunden252, inhaltlich meint sie über die qualifizierten Bürger hinaus ohne Zweifel alle Einwohner Kölns. Dies verdeutlicht der Verfasser zudem durch zwei nähere Bestimmungen. Die seit Mitte des 12. Jahrhunderts nachweisbare253, danach oftmals, besonders auch von Gottfried Hagen254 und alsdann immer wieder benutzte Formel arm und rijch bezeichnet fast regelmäßig alle Einwohner jeder Art und jeden Standes. Dies bekräftigt die zweite nähere Bestimmung van allen ind yeclichen ampten und gaffelgeselschaffen. Die Zünfte und Gaffeln insgesamt oder einzelne von ihnen wurden, wie ausgeführt, immer wieder einmal als ganze Gemeinde begriffen. Im übrigen schreibt der Verbundbrief, wie ebenfalls noch auszuführen ist, vor, daß sich jeder Einwohner auf einer der Zünfte oder Gaffeln einzuschreiben und dort der Gemeinde und Stadt zu schwören hat. Daher ist diese zweite nähere Bestimmung ebenfalls auf die ganze Bevölkerung zu beziehen, soweit sie, wie die anschließende Partizipialkonstruktion festlegt, in Köln ansässig ist und wohnt. Nachdrücklicher als Bürgermeister und Rat erklärt sich offenbar schon in der allgemeinen Intitulatio die Gemeinde allgemein, ob arm oder reich, die der Zünfte und Gaffeln, mithin ausnahms- und unterschiedslos die gesamte Einwohnerschaft als Urheber des Verbundbriefs. Hat indes der Verbundbrief durch sein Verständnis von Gemeinde jene Bedeutung, die nur einen bestimmten Teil der Bevölkerung meinte, überholt? Gibt der Verbundbrief dem Begriff "Gemeinde" endlich einen eindeutigen Inhalt? Die besondere Intitulatio, um vieles ausführlicher als die allgemeine, fuhrt Bürgermeister und Rat nicht mehr an; sie benennt als Willens- und Handlungsträger des Verbundbriefs vielmehr nacheinander 22 Zünfte und Gaffeln und weitere 29 mit diesen verbundene Zünfte einzeln beim Namen. Diese 22 Zünfte und Gaffeln zusammen mit den 29 ihnen zugehörigen Zünften stellen sich als die eigentlichen Aussteller des Verbundbriefs und - im folgenden Text freilich nicht allein - als die wirklichen Urheber seiner sämtlichen Bestimmungen vor255. Sie sind es, die ihre Beweggründe, Absichten und Zielsetzungen in der Arenga erläutern256. Sie meinen sich mit dem wir, womit sich in den 14 Artikeln im allgemeinen, aber genauer im 1. und 6. bis 13. Artikel die Urheber der Vorschriften nennen257. Im 3. Artikel erklären sich noch einmal der Reihe nach die einzeln aufgezählten 22 Zünfte und Gaffeln samt ihren angeschlossenen, ebenfalls genau angegebenen 29 Zünften, indem sie das Regierungsorgan in seiner Zusammensetzung bestellen, als diejenigen, die den Inhalt des Verbundbriefs enthält, veranlaßt haben und verantworten wollen258. Indes nennen sich in den kurzen Aussteller-Bezeichnungen der erwähnten Artikel die Zünfte und Gaffeln nicht allein. Sie fügen im 1. und 8. Artikel
251
St. 1187,7-10. Vgl. oben Anm. 4. 253 vgl. oben Anm. 13 und bei Anm. 29. 254 Vgl. oben bei Anm. 53 bis 64. 255 St. 1 187,12- 189,2. 256 St. I 189,3-5. 257 St. I 189,33 f.; 193,10 f., 21 f., 32 f., 35 f.; 194,13 f., 19 f., 27-29; 195,16-18,31-37; 196,18 f. 258 St. I 190,32- 191,30. 252
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eyne myt der gantzer gemeynden bynnen Coelne259 sowie in den übrigen noch kürzer und gemeynde hinzu260. Die eigentlichen Aussteller des Verbundbriefs, dies stellen die besondere Intitulatio sowie die Aussteller-Bezeichnungen im Text zweifelsfrei klar, sind also die 22 Zünfte und Gaffeln samt Anhang "und die Gemeinde". Wer ist diese Gemeinde? Die Antwort erteilt meines Erachtens der Artikel 13. Er schreibt vor, daß sich alle Einwohner - nicht etwa nur die Bürger - einer Zunft oder Gaffel ihrer Wahl unter Eid für dauernd zu verbinden haben261. Die Zünfte und Gaffeln erfassen und formieren also die gesamte Bevölkerung Kölns, sie sind die Gliedverbände der Gemeinde: eyne myt der gantzer gemeynden bynnen Coelne162. Die Zünfte und Gaffeln als Organisationsglieder der alle Einwohner umfassenden Gemeinde verstehen sich darüber hinaus vor allem als Rechtskörper. Als solche treffen sie Vereinbarungen und schließen sich zu einem "Verbund" zusammen. Einzelne Bevölkerungsgruppen waren bereits früher zu einem "Verbund" übereingekommen: 1259 Zünfte und Gemeinde unter dem Druck Konrads von Hochstaden und 1260 neue Schöffen und Gemeinde gegen Geschlechter, 1262 ausgewiesene Geschlechter und Gemeinde gegen Erzbischof Engelbert II., 1268 Geschlecht der Weisen und Gemeinde gegen die von den Overstolzen angeführten Geschlechter, 1364 und 1367 Weber mit Gaffel Eisenmarkt und anderen Zünften gegen den Rat wegen Bayen-Zolls und Grin-Unterschlagungen263. Ein "Verbund", um - unter Umständen mit Gewalt - Änderungen zu erzwingen oder umgekehrt zu verhindern, war in Köln mithin nichts Neues. Viele dutzendemal heißt es auch im Verbundbrief verbinden, verdraigen, overdraigen und ähnlich. Ebenfalls ist dabei oft die Rede von Treue, Eiden, Gelöbnissen, die geschworen wurden. Insofern dürfte in der Form dieser im Verfassungsdokument festgehaltene Verbund von den vorherigen, wohl nur mündlich verabredeten Zusammenschlüssen nicht abweichen. Die sich Vereinbarenden verpflichten sich in strenger Selbstbindung, nach Maßgabe ihrer in einem "Verbund" festgelegten und im Verbundbrief fixierten Übereinkünfte die Stadt zu handhaben264. Dieser "Verbund" von 1396 ist insofern nichts anderes als eine Schwur-Einung der Gemeinde, wie man sie seit dem ausgehenden 11. Jahrhundert kennt265. Andererseits unterscheidet sich der "Verbund" des Verbundbriefs wesentlich von allen Vorgängern: In ihm verpflichten sich nicht nur einzelne Bevölkerungsgruppen, er umschließt vielmehr Kölns gesamte Bevölkerung; er bindet über die geschworenen Bürger hinaus alle Einwohner. Daraus erschließt sich, daß nicht nur die Bürger, sondern alle Einwohner zur Stadtgemeinde zählen und die Stadtgemeinde bilden266. Im Verbundbrief gelang also ein weiter Sprung nach vorn zur - freilich längst nicht erreichten bürgerlichen Gleichheit267. Vorrechte für bestimmte Bevölkerungsschichten und besondere Führungsgremien oder -personen sind nicht vorgesehen. Rechtlich ist insofern die Gleichordnung und Gleichberechtigung eines jeden Gemeindegenossen gegeben. Zweitens wird die Gemeinde aus ihrer vorherigen zufälligen, unpräzisen und lockeren Form 259
St. I 189,33 f.; 193,32 f. St. I 192,7, 19 f.; 193,11,22; 194,5 f., 20, 28 f.; 195,17, 26; 196,19. 261 St. I 196,3-23; LAU, Entwicklung (Anm. 8) 159: "So kam endlich der Verbundbrief zustande, der als ein völliger Bruch mit den Traditionen der Vergangenheit erscheint. Indem er mit einem Schlage alle Klassenunterschiede beseitigte, schuf er eine grosse Gemeinde von Bürgern". Vgl. W. HOLBECK, Freiheitsrechte in Köln von 1396 bis 1513, in: JbKGV 41 (1967) 31-95, ebd. 81-87. 260
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HOLBECK ( A n m . 2 6 1 ) 3 6 f.
Vgl. oben bei Anm. 129 bis 137, 156 und 157 sowie 164. Vgl. oben Anm. 220 und 248. H. STEHKÄMPER, Über das Kölner Bürgerrecht, in: H. STEHKÄMPER u.a. (Bearb.), Kölner Neubürger 1356-1798, 1. Teil (Mitteilungen aus dem Stadtarchiv von Köln 61) Köln 1975, XXXII. 266 Insofern ist die oben Anm. 261 Eingeführte Ansicht von LAU zu ergänzen. 267 HERBORN, Verfassungsideal (Anm. 146) 29. Zurückhaltend schon: C. HEGEL, in: Chr. XIV, CLX.
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heraus-, in die festgefügte Ordnung der Zünfte und Gaffeln hinein-, und endlich durch einen "Verbund" der Zünfte und Gaffeln zur Stadt zusammengeführt. Auf dieser alle Einwohner in die Pflicht nehmenden Grundlage findet die Stadt, die durch die Geschlechter in ihrem Bestand erschüttert worden war - dies schildert im einzelnen Gerlach vanme Hauwe im 'nuwen boich' - auf breiterer Grundlage erneute Begründung und Festigung auf Dauer. Dat dyt untgaynwordige verbunt... unvergencklich blyven zo ewigen daghen, dürfen sich daraus und von dem darin ihnen zugewiesenen Platz die Zünfte und Gaffeln überhaupt nicht268 und einzelne Gemeindemitglieder nur dadurch entbinden, daß sie ihre Wohnung aufgeben und Köln verlassen269. Gemeinderechtlichen Rückhalt gewährleisteten, alles in allem, nach dem Verbundbrief dem einzelnen Einwohner Kölns die Zünfte und Gaffeln. Gleichzeitig wachten sie darüber - und lösten in dieser Beziehung weitgehend die Parochialgemeinden ab -, daß jeder Einwohner seinen Pflichten gegenüber Stadt und Gemeinde nachkam. Das war eine allerdings stark berufsbezogene Erneuerung genossenschaftlicher Grundgedanken. Sie konnten jedoch viele überkommene, fest eingefahrene Denkweisen und Zustände im öffentlichen Leben Kölns nicht ohne weiteres überwinden. Der Verbundbrief selbst räumte ihnen Geltung ein. Die Gemeinde, welche die Zünfte und Gaffeln erfassen, organisieren und gliedern, geht also keineswegs in diesen Körperschaften ganz und gar auf. So sehr sie mit ihnen verbunden und vereint ist, bleibt sie doch eine eigene Gegebenheit. Der Verbundbrief betont oftmals eine besondere Existenz der Gemeinde. Zu Beginn des ersten Artikels, der den Rat konstituiert, erscheint mit den Zünften und Gaffeln die Gemeinde als eigener Willens- und Handlungsträger: wir alle ampte und gaffelgeselschaffen eyne myt der gantzer gemeynden270 (eyne entweder im Sinne von "eins, einig geworden" oder von "vereint"). Die ihm vorgegebenen Zuständigkeitsgrenzen darf der Rat überschreiten nur mit wist, willen ind verdraghe der gantzer gemeynden211. Für diesen besonderen Fall, dem Rat Zuständigkeitsüberschreitungen zu genehmigen, schafft der Verbundbrief aus dem Schöße der Zünfte und Gaffeln eine Gemeinde eigener Art: es sind die sogenannten Vierundvierziger, jeweils zwei Vertreter aus jeder der 22 Zünfte und Gaffeln272. Ob sie fallweise oder für einen bestimmten Zeitabschnitt gewählt wurden, ist bislang nicht untersucht worden. Die allgemeine Stadtgemeinde, gegliedert in Zünften und Gaffeln, bestimmt also aus ihrer Mitte Vertreter, schließt diese verhältnismäßig kleine Personengruppe als Körperschaft zusammen und nennt sie von sich aus "Gemeinde". Der Teil, der für das Ganze spricht und handelt, gibt sich den Namen des Ganzen hier nicht selbstmächtig, erhält ihn vielmehr vom Ganzen. Das ist der Unterschied zu allen bisherigen Bevölkerungsgruppierungen, die sich selbst den Namen "Gemeinde" gaben. Doch diese Vierundvierziger sind es allerdings nicht allein, die der Verbundbrief als Gemeinde vor Augen hat. Kaum können nur sie gemeint sein, wenn er zum Beispiel neben den Zünften und Gaffeln auch die Gemeinde benennt, denen die Ratmannen, das Gebrech, die jeweils nach einem halben Jahr neu eintretenden Ratsmitglieder oder ein Ersatzmann zu entnehmen sind, wenn eine Zunft nicht wählen will oder kann273. Auch für den Ersatz von verhinderten oder ausgeschlossenen Ratsmitgliedem wurde ohne Zweifel nicht nur auf die Vierundvierziger zurückgegriffen274. Gemeinde in diesen Zusammenhängen kann nur die Einwohnergesamtheit meinen. Die Vorschrift über die erst nach zwei Jahren mögliche Wiederwahl der Ratsmitglieder erwähnt die Gemeinde 268 269 270 271 272 273 274
St. St. St. St. St. St. St.
1 195,31 - 196,2. 1 196,18-23. 1 189,33 f. I 189,41 - 190,1. I 190,10-18. I 191,31, 38; 192,38 f., 19-21. I 193,10 f., 22.
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nicht; der Ratmann kann sich wählen lassen van synen vrunden, ampten off gaffelen275. Versteckt sich hier die Gemeinde vielleicht hinter den vrunden? Für die Glieder der Gemeinde jedenfalls reklamiert der Verbundbrief, daß sie, wenn sie zuvor das Bürgerrecht erworben haben, Mitglieder des Rates werden können276, ohne Bedingungen etwa der Abkunft, des Ranges oder Standes vorzuschreiben, abgesehen von Krankheit, Unehelichkeit, Kirchenbann oder Bestechung277. Die Gemeinde wählt in den Zünften und Gaffeln die Mitglieder des Rates und entsendet sie mit ihrer für die Ratsmitgliedschaft maßgeblichen Vollmacht aufs Rathaus, dort den Rat der Stadt zu bilden278. Ein Hauptanliegen des "Verbundes" der 22 Gaffeln und ihres Verbundbriefs war, das Regierungsorgan, den Rat, einzurichten und seine Zusammensetzung zu regeln. Die Gemeinde, einig oder vereint mit den Zünften und Gaffeln, errichtet den Rat279, und zwar als dauernde Einrichtung der Stadtverfassung. Sie will ihn als einheitliche, nicht in Engen und Weiten Rat unterteilte Behörde280. Sie stellt ihm - sehr allgemein - seine Aufgaben281, erteilt282 und begrenzt283 ihm seine Vollmachten. Vorab sichert sie ihm Beistand, Treue und Gewogenheit zu284; sie unterstellt sich also dem von ihr selbst berufenen Regiment, ohne ihm Untertan sein zu wollen. Sie will den Rat auch schützen, namentlich gegen Bedrohungen aus den eigenen Reihen. Wenn einige der Zünfte und Gaffeln off ouch yeman ander, yd were van der gemeynden in Coelne off hee were, wye hee were, den Rat mit Gewalt angreift285, wenn sie oder er weder den rait ind gemeynde einen Aufstand anzettelt286, wenn yeman van uns ampten, gaffelen ind der gemeynden vurs., hee were, wye hee were den Verbundbrief - also die vorliegende Verfassung von Stadt und Gemeinde - gewaltsam abschaffen will287, wenn Mitglieder von Zünften, Gaffeln und Gemeinde vom Rat abzuurteilende Streitfalle zum Anlaß nehmen, mit anderen im Harnisch und in Waffen einen Aufstand zu erregen, also politische Auseinandersetzungen zu verschärfen288, wenn sie Bündnisse gegen die Stadt schließen289, dann geloben die übrigen Zünfte und Gaffeln, sich zusammenzuschließen, den Rat zu verteidigen und zur Bestrafung der Übeltäter beizutragen. Die Gemeinde also schafft, beschickt, bevollmächtigt und beschützt den Rat; sie unterstellt sich ihm, soweit und solange er für das Gemeinwohl und die Stadtfreiheit wirkt290, im Rahmen der ihm von ihr übertragenen Vollmachten. Gemeinde und Rat, erst recht Gemeinde und Stadt werden in diesem Sinne oft als Einheit aufgefaßt. Immer wieder werden in diesen Wendungen die Mitglieder von Zünften und Gaffeln von den Angehörigen der Gemeinde abgesetzt und gesondert genannt291. Doch deutet 275
St. I 193,6. St. I 193,12; HOLBECK (Anm. 261) 87-91. St. I 193,24-26. 278 St. I 191,30- 192,3. 279 St. I 189,38: ... ind yn ... laissen blijven ind sitzen ... - Den Verblindbrief deuten - irrig - VON LOOZ-CORSWAREM, Unruhen und Stadtverfassung (Anm. 377) 60 f., 70, sowie E. ISENMANN, Die deutsche Stadt im Spätmittelalter, 1250-1500, Stuttgart 1988, 192, als Vertrag zwischen Bürgermeister und Rat einerseits und Gemeinde andererseits. 280 St. I 190,23-26. 281 St. I 190,19-22. 282 St. I 189,38 f. ...yn mogich undmechtich laissen ... alre Sachen. 283 St. I 189,39- 190,9. 284 St. I 189,37 f. 285 St. I 193,32- 194,12. 286 St. I 194,13-25. 287 St. I 194,26-35. 288 St. I 194,36- 195,15. 289 St. I 195,16-30. 290 St. 1 189,19 f.; 190,21 f.; 192,31 ff. 291 St. I 193,35 - 194,1; 195,5-7; 195,17-19. 276 277
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dies nicht auf eine neben den Zünften und Gaffeln außerdem in verfaßter Form existierende Gemeinde. Vielmehr dürfte solche Ausdrucksweise - trotz des nebenordnenden ind - dahin zu verstehen sein, daß es immer die Gemeinde ist, die, weil sie in den Zünften und Gaffeln und dort vor allem existiert, übereinkommt, gelobt und sich zu dem vereinbarten und beschworenen Beschluß verbindet. Die Vierundvierziger erklärt der Verbundbrief von sich aus zur Gemeinde. Er geht aber auch davon aus, daß einzelne Zünfte, Gaffeln und Gemeinde(gruppen) gegen ihn sich selbstmächtig zur Gemeinde erklären. So sehr er ein derartiges Verhalten mißbilligt und Gegenmaßnahmen anordnet, so wenig verbietet er solchen Aufsässigen, sich als Gemeinde zu bezeichnen. Die Schöpfer des Verbundbriefes kennen und achten - wenigstens durch unterlassenen Widerspruch - offenbar ein Recht des Gemeinde-Genossen auf Widerstand gegen die Gemeinde. Die Corroboratio, die ausfuhrlich und gehäuft mit sinnverwandten Begriffen die Beschwörung 292 und alsdann die Besiegelung des Verbundbriefs beschreibt, wiederholt zunächst - leicht verändert - die allgemeine Intitulatio: wir burgermeystere, rait der stat van Coelne, und wir ampte, gaffelen eyne mit der gantzer gemeynden in Coelne vurs.293. Nur kurz kündigen Bürgermeister und Rat zo eynre erfflicher bestedongen alre vurs. Sachen unser stede meyste segel an294. Es hat den Anschein, daß die allgemeine Intitulatio am Anfang und hier am Schluß die Corroboratio Bürgermeister und Rat nur deswegen auffuhren, weil diese das für die Beglaubigung des Verbundbriefs unabweisbar notwendige Stadtsiegel hüteten und als dessen rechtmäßige Führer galten. Komplizierter gestaltete sich die Siegelankündigung der eigentlichen Aussteller, nicht zum wenigsten wegen der Gemeinde. Zunächst heißt es: Wir alle ander ampte, gaffelen ind gemeynde vurs. hain vort zo meere steetgiet ind gantzer volcomenre maicht ind sicherhiet dis verbuntz gesiegelt295. Dann erläutern sie, daß sie dies auch auf Bitten der andere ampte ind gemeynden vurg., dye gheyne segele en haint ind zo uns vereit und verbunden synt und wir mit yn, getan haben296. Die Gemeinde besitzt also - anders als die als politische Körperschaften auftretenden Zünfte und Gaffeln, aber gleich den diesen angeschlossenen ärmeren Zünften - kein Siegel. So sieht es jedenfalls auf den ersten Blick aus. Sie schlüpft wie diese bei den tonangebenden Zünften und Gaffeln unter und bestätigt dies auch ausdrücklich297. Aber sie und ebenso die Zünfte ohne Siegel begeben sich nicht ganz in deren Hände. Sie beglaubigen den Verbundbrief eyne nicht nur mit jenen Körperschaften, mit denen sie verbunden sind und von denen sie sich nicht lösen dürfen, sondern überdies eyne mit Bürgermeister und Rat298. Während die großen Zünfte und Gaffeln für die Beglaubigung des Verbundbriefs nur ihre eigenen Siegel ankündigen und das von Bürgermeister und Rat geführte Stadtsiegel nicht für sich in Anspruch nehmen, begnügen sich die zugeordneten Zünfte und die Gemeinde nicht allein mit den Siegeln der übergeordneten Zünfte und Gaffeln, sondern gebrauchen für ihre Beglaubigung darüber hinaus darumb des raitz ind der stede meyste segelts299. Die verfassungsrechtliche Verschiedenheit zwischen den 22 vollmächtigen Zünften und Gaffeln einerseits und andererseits den 29 zugeordneten Zünften und der Gemeinde belegt also besonders augenfällig die unterschiedliche Besiegelung des Verbundbriefs. Die Gemeinde ist den kleineren Zünften nahe, und beide, kleinere Zünfte und Gemeinde, betonen - neben den großen Körperschaften - durch den Gebrauch des Stadtsiegels ihre Eigenstän292 293 294 295 296 297 298 299
St. St. St. St. St. St. St. St.
1197,6-21. I 197,7-9. I 197,26-28. I 197,28-31. I 197,33-35. I 198,1-12. I I 98,5 f. I 198,7 f.
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digkeit innerhalb des durch die 22 Gaffeln errichteten Gemeindeverbundes. Dabei suchen sie - ihre rechtskörperschaftliche Schwäche ließ keine andere Wahl - die Nähe zum Regiment. Darin äußern sich doch sowohl ein Anlehnungsbedürfnis als auch ein Selbständigkeitsgefühl. Beide bestimmten bislang die Entwicklung der Gemeinde; sie werden ihr Dasein auch künftig prägen. Durch den Verbundbrief erhielt die Gemeinde keine neue Qualität. "Geltungsgrund und Gestaltungsprinzip" (Wilhelm Ebel) der Stadt war sie auch vor ihm. Freilich hatten die Geschlechter um ihrer Vormacht willen darüber geschwiegen. Die Verfassung jedoch erhielt eine neue Qualität nach dem Sturz der Geschlechter insofern, als die Gemeinde in feierlicher Bekundung als Willens- und Handlungsträger diese schuf und trug. Sie vollzog dies, nachdem sie sich selber in den 22 Gaffeln organisiert und formiert, freilich über diese auch als eigene Gegebenheit erklärt hatte. Dabei verzichtete sie auf die offenbar überlebte topografische Gliederung der Bevölkerung in den weltlichen Parochialgemeinden zugunsten einer mehr berufsgeprägten. So wurde Gesellschaftsund Mentalitäts-Veränderungen innerhalb der Kölner Einwohnerschaft Rechnung getragen, die sie schon seit den Tagen Konrads von Hochstaden und Engelberts II. von Falkenburg teilten. Hielten in jenen Tagen Zünfte und Gemeinde - von sich aus - nur wenig zusammen, hatten sie sich vor gut drei Jahrzehnten, als die Weber gegen die Geschlechter vorpreschten, noch nicht gefunden, so begründeten sie nach dem 18. Juni 1396 eine besonders innige Gemeinschaft. Die große Befriedungs-Leistung, die hinter diesem offenbar in allerkürzester Zeit bewirkten innerstädtischen Ausgleich steckt, ist bislang kaum gewürdigt worden. Gelöst waren damit die Fragen, wie und wo sich die Gemeinde versammeln und beraten konnte. Ihr standen von nun an jederzeit die Zunft- und Gaffelhäuser offen. Dort waren unter selbstgewählten Leitungspersönlichkeiten selbstbestimmte Verfahrensweisen vorgegeben und die Verhandlungsgegenstände nicht irgendwelchen Einschränkungen unterworfen. Auch gab es anscheinend Regeln, wie sich Zünfte untereinander ins Benehmen setzten und zu gemeinsamen Beschlüssen gelangten. Die Gemeinde ordnete nicht nur die Verfassung, sondern zugleich sich selbst, um die Verfassung auf Dauer auch handhaben zu können. Die Namen der Männer, die zwischen dem 18. Juni und Weihnachten 1396 das Kölner Gemeinwesen so verständig, gründlich, furchtlos, um- und weitsichtig, anscheinend auch verhältnismäßig reibungslos ordneten, sind nicht bekannt. Das begrifflich schwer zu fassende Phänomen der Gemeinde haben sie allerdings nicht definiert. Das Maß formaljuristischen Denkens, das dafür vorauszusetzen ist, bestand wohl damals noch nicht. Die Gemeinde ist im Verbundbrief ein schillerndes Wesen und sie blieb es auch danach. 6. Auswirkungen des Verbundbriefs Die Gemeinde hatte sich 1396 gegenüber den Geschlechtern in dreifacher Hinsicht als überlegen erwiesen: durch ihre Geschlossenheit, indem sie sich selbst in den 22 Gaffeln eine feste Gestalt gegeben; angesichts des drohenden Zerfalls von Verfassung und Regiment, indem sie die Stadt durch den "Verbund" dieser Gaffeln erneut konstituiert; sowie politisch, indem sie sich durch den Verbundbrief überzeugend als künftige Gestalterin des Gemeinwesens empfohlen hatte. Im Gegensatz zu 1259,1262 und 1268 besaß sie nun genug eigene Kraftquellen, um die Stadt unabhängig, berechenbar und stetig zu regieren. Wenn sie dabei gelegentlich auf Geschlechter-Angehörige, die sich natürlich mit den neuen Verhältnissen abgefunden haben mußten, zurückgriff, so ändert dies nichts an der Tatsache, daß die Stadt verfassungsrechtlich und in der politischen Praxis nach 1396 entschiedener als Stadtgemeinde begriffen und gehandhabt wurde. Ein gan-
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zes Jahrhundert einer gleichsam nicht vorhandenen Gemeinde wie nach 1268 war seit 1396 undenkbar. Es liegt daher nicht nur an der Überlieferung, die an Umfang und Dichte gewachsen ist, daß im 15. Jahrhundert sich die Gemeinde allenthalben in den Vordergrund drängte. Ihre zentrale Stellung in der Verfassung sicherte ihr eine zentrale Bedeutung und Beachtung auch im politischen Alltag. Nicht von ungefähr ergibt sich deswegen die Notwendigkeit, in den nun folgenden Darlegungen noch mehr als bisher den Quellen selbst das Wort zu erteilen. In ihrer Sprache lassen sich am überzeugendsten das Verhältnis und die Atmosphäre zwischen Regierenden und Gemeinde verdeutlichen. a) Die als "alle Einwohner" begriffene "Gemeinde" Immer wieder suchte der Rat, möglichst allen Kölnern nahezubringen, daß er sich um ihr Recht und Auskommen sorge. Vormals, nämlich 1372, hatten sich die Geschlechter auf der Weinschule zo groyssem verderfligem schaden ... yrre bürgere ind gemeynden geradezu Monopolrechte gesichert. Weil dies nu antrift eyne gantze gemeynde, arm ind rijch - also alle Einwohner -, gab der Rat den dort bislang allein bestimmenden Rheinmeistern nach dem 24. Juni 1400 acht sachkundige Bürger bei; diese sollten vierzehntägig oder bei Bedarf alle Vorschriften regieren300. Daß für den Weinzapf unnütze Kosten gefordert wurden, wodurch eyne gemeynde sere mit beschediget würde, rügte der Rat 1446301. Den von breiten Volksschichten gern betriebenen Weinhandel überantwortete er einer von der Gemeinde zu wählenden Kontrolle, sie schloß auch die Aufsicht über die vom Rat bestellten Kontrolleure ein; der Abgaben-Wildwuchs wurde gleichfalls beschnitten. Durch entgegenkommende, von ihr mitbestimmte wirtschaftliche Förderung vermochte der Rat die Gemeinde eher dafür zu gewinnen, auch andere seiner Maßnahmen und Ziele mitzutragen. Ihr Vertrauen konnte er sich ferner durch strenge Aufsicht über die städtischen Bediensteten sichern. Die Müller und Mühlenknechte, die durch unordentliches Verhalten der gemeynden achterdeil ind schaden an deme malen zovoegen, bedrohte er 1434 und 1469 für ihre Versäumnisse mit Strafen302. Zo behoijf der gemeynden hatten die Bezirksmeister, die in den Kirchspielen unter anderem für den Brandschutz verantwortlich waren, Eimer, Haken und Leitern vorzuhalten303. Unterkäufer, die zo mirklichen schaden der gemeynden Schiefersteine verkauft hatten, wurden 1474 abgesetzt304. Gegen unredliche Mudder, dardurch die gemeynde myrcklichen geschediget wirt, schritten 1478 die Bürgermeister ein305. Unsen heren v. r. [Abk. für vanme rade] ind ouch der gantzer gemeynden (erwassen) mircklich achterdeill, schade ind schände, weil, wie es 1482 heißt, die beiden städtischen Schreiber nicht immer zu den festgesetzten Zeiten auf der Kanzlei zu finden waren306. Ebenfalls nicht einwandfrei verhielten sich Gerichte und Richter. Damit die gemeyne ind vort eyn yeder man damyt boven reidlicheit neyt vorder besweirt en werde, untersagte der Rat 1445 den Gerichten, über die vorgeschriebenen Gebühren hinaus etwas zu fordern307. Außerdem verbot er den Richtern, zum eigenen Vorteil und zum Nachteil der Gemeinde beschlagnahmte Güter höher als zum Marktwert einzuschätzen308. Recht und Würde der Gemeinde - das heißt hier wohl die eines jeden Kölner Einwohners - konnte der Rat kaum wirkungsvoller achten als dadurch, daß 300 301 302 303 304 305 306 307 308
St. II St. II St. II St. II St. II St. II St. II St. II St. II
127,11-22. 336 Anm. a). 270 f. Nr. 165; 449 Nr. 286. 349 Nr. 214 Art. 10 b. 506 f. Nr. 339. 558 f. Nr. 404. 573 f. Nr. 427. 682,17-37. 684 Nr. 505 Art. 6.
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er seine mit Amtsgewalt auftretenden Bediensteten bei Übergriffen in die Schranken wies. Übervorteilung durch von der Obrigkeit ausgehende oder gedeckte Unredlichkeiten ärgerten auch damals den gemeinen Mann. Darauf richtete der Rat gleichfalls seine Aufmerksamkeit, nicht zuletzt um sich das Einvernehmen mit der Gemeinde zu erhalten. Da die gemeynde groissen schaden van lijdt, warnte er sie 1447 und später vor minderwertigen Mörchen und Weißpfennigen 309 . Zo behoeff der gemeynden wurde 1474 von denjenigen Bürgern Korn beschlagnahmt, die ablehnten, es zu dem festgesetzten Preis zu verkaufen 310 . Weil die bürgere ind gantze gemeynde sere besneden ind geschediget werden, und weil, wenn nicht eingeschritten wurde, dies zo groissem mircklichem schaden ind achterdeyle der gantzer gemeynden führte, durften die, die gesalzene Fische feil hielten, den bürgeren ind gantzer gemeynden diese, wie 1482 verordnet wurde, nicht so teuer wie möglich verkaufen, sondern, um keinen ungebührlichen Gewinn dabei einzuheimsen, nur nach Gewicht und zu den festgelegten Preisen311. An Daseinsvorsorge für die Gemeinde lag dem Rat anscheinend ganz besonders. Damit alleweige wijns genoich vur eyne gemeynde hie in der stat zo dryncken bleve, ordnete er 1439 die Weinkaufmannschaft 312 . Jederzeit sollten, so 1469, auf dem Markt Kohlen vorrätig sein, damit von eyme yederen van der gemeynden, der begerte oder gesonte, ein, zwei oder mehr Säcke gekauft und diese ihm vom Markt nach Hause gefahren werden konnten 313 . Zur Ernährungssicherung während des Krieges gehörte 1474 zweifellos der Einkauf von Käse, Butter, Speck und Öl für 300 bis 400 Gulden in urber ind nutz der stat ind gemeynden314. Für Hunger- und Kriegsjahre bevorratete der Rat Brotgetreide. Den Komherren schärfte er 1452 ein, daß er das Kom vur yre gemeynde gekauft habe und es nur zo yrre gemeynden behoeff verkauft werden dürfe 315 . Den Bäkkern trug die Mißachtung des gemeinnützigen Zwecks 1491 eine schwere Auseinandersetzung ein. Während der letzten starken Teuerung, so ließ der Rat verlauten, habe er der eirber gemeynden irre Steide zo gude ind wailfart seine Kornvorräte geöffnet und den Bäckern zo behoiff irre gemeynden einige tausend Malter zu feilem Kauf überlassen, damit sie der gemeynden gut, uprecht, bestendich broit backten. Die Bäcker lieferten jedoch ein Brot, das nicht durchgebacken, nicht eßbar war und überdies Krankheiten befürchten ließ. Ermahnungen fruchteten nicht. Weil die Bäcker der gemeynden sulchen Unwillen ind schaden zogefiigt ind gedaen hetten, dat sy dan ouch der gemeynden darvur wederomme zeemliche keer ind wandel doin, sollten sie 1000 Gulden für ein neues Kornwaage-Gebäude geben. Falls von dem Geld nach Fertigstellung des Hauses noch etwas übrigbliebe und sich die Bäcker zudem up die gemeynde so zemlich ind uprichtich halden, dat sich die gemeynde mit gheynen reden hette zo beclagen, dann wollte der Rat den Bäckern den Überschuß vielleicht zurückgeben316. Ein Jahr später, 1492, hatte der Rat wegen der anhaltenden Korn-Teuerung yre gemeynde daeinne na geleigenheit noittorfftencklich zo versorgen, aber wieder gegen Unterschlagungen der geschworenen Mudder in achterdeil irre gantzer gemeynden einzuschreiten317.
309
St. II 341 Nr. 208 Art. 1; 356 Nr. 214 Art. 31; 358 Nr. 214 Art. 34. St. II 510 Nr. 347. 311 St. II 574 Nr. 428. 312 St. II 292 Nr. 175. 313 St. II 454 Nr. 292 Art. 10. 314 St. II 508 Nr. 342. 315 St. II 369 f. Nr. 220. Vgl. F. IRSIGLER, Getreidepreise, Getreidehandel und städtische Versorgungspolitik in Köln vornehmlich im 15. und 16. Jahrhundert, in: Festschrift Ennen (Anm. 46: 310
STEHKÄMPER) 5 7 7 f. 316 317
St. II 640 f. Nr. 477. St. II 642 f. Nr. 478.
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Die vielen geistlichen Gemeinschaften in Köln suchten immer wieder, ihre Vorrechte - unter anderem akzisefreie Einfuhr von Lebensmitteln für den Eigenbedarf - auszudehnen. Das ging zu Lasten der Gemeinde, sowohl der im Gewerbe tätigen Gemeindemitglieder wie der Gemeindekasse. Onder die gemeynde verkouffen durften seit 1467 die geistlichen Anstalten das für eigene Zwecke nicht benötigte Brot, wenn sie den Bürgermeistern eine Mark entrichteten318. Während des Neusser Krieges opferten die Geistlichen ihre Akzisefreiheit. Aber später drückten die Kriegsschulden beinahe schwerer als der Krieg selbst; so lange dat nuwe beswernisse, der gemeynden umb des vurledenen kriechs wille upgelacht, stayn blyven, sollten, so beschloß am 22. Dezember 1477 der Rat, auch die Bäcker der Geistlichkeit von jedem halben Malter Korn, das sie zu den Mühlen fuhren, 4 Schilling zugunsten der Stadt abfuhren 319 . - Manche der geistlichen Häuser bestritten ihren Unterhalt mit gewerblichen Arbeiten, dardurch die eirbere gemeynde an yrre naronge bynnen kurtzen yaren sere geswecht ind vergencklich worden is ind degelichs wirt. Diese weltliche Einnahmequelle wollte der Rat ihnen 1482 abnehmen und der Gemeinde zuteilen, wobei die erbere gemeynde unser heren v. r. guden willen ind flyslichen ernst in den dyngen sien ind myrcken moegen320. Der Rat scheute also nicht vor aufdringlichem Selbstlob zurück, um sich der Gemeinde zu empfehlen. Von ihrer Hände Arbeit lebten fast ausschließlich die Beginen. Ihre als geistlich geltenden Häuser entzogen der Stadt nicht nur Steuern, sondern es fielen auch Wacht- und Ordnungsdienste weg. Wegen des groissen verderfflichen schaden, nyet alleyne yn ind dem gemeynen gude, sonder ouch irre eirbere gemeynden, welcher durch die in den zurückliegenden Jahren zahlreich entstandenen und täglich noch zahlreich entstehenden Beginenhäuser erwuchs, dardurch dem gemeynen gude ind der gantzer gemeynden yrre Steide an narongen, nutze ind waelfart affgezogen ind mircklich grois schade ind achterdeill zogefoegt wirt, und da überdies zu befurchten war, daß, wenn nicht beizeiten gegengesteuert würde, yre stat mit yrre gemeynden einen unabwendbaren Verderben entgegenginge, verbot der Rat 1487 die Anlage neuer und den Ausbau vorhandener Beginenhäuser. Er beauftragte ferner eine Kommission, Vorschläge zu machen, wie man die Beginen an drei oder vier Orten konzentrieren ind die andere bagynhuysere asdan wederumb zo werlicheit ind nutze gantzer gemeynden brengen moechte321. Die Kommission unterbreitete schließlich zwei Konzepte: Nach dem ersten verblieben den über 300 Beginen etwa 24 Häuser und quemen 25 huysere wederumb zo der gemeynden, und nach dem zweiten behielten die Beginen 17 und bleven der gemeynden noch 48 huysere. Außerdem sollte der künftige Unterhalt der Beginen geordnet werden, dardurch der gemeynden nyet zo vijll affgetzogen wurde222. - Es gab indessen geistliche Gemeinschaften, die sich allgemeinen Wohlwollens erfreuten. Der Rat rühmte 1428 die Lungenbrüder hinter dem Neumarkt, die nacht ind dach yrre gantzer gemeynden, beyde rieh ind arm, in leven ind in sterven willige bleichte ind dienere sijnfi23. In allen angeführten Zusammenhängen dürfte unter "Gemeinde" so gut wie immer die gesamte Bevölkerung Kölns verstanden worden sein. Alle Einwohner hatten gesetzlichen Anspruch auf Rechtsschutz, Schutz vor Übergriffen städtischer Bediensteter, Absicherung gegen Übervorteilung und endlich auf Daseinsvorsorge namentlich im Hinblick auf die Sicherung der Existenzgrundlagen. Der Rat kümmerte sich nach 1396 darum in einem Umfang und einer Eindringlichkeit, wie sie während der Zeit des Geschlechterrats nicht bekannt geworden sind. Nur durch die - vielleicht ermüdende, aber 318
St. II 430 Nr. 280. St. II 558 Nr. 403. 320 St. 1518,40 f.; 519,6 f. 321 St. II 624 Nr. 463. 322 St. II 691 Nr. 507 Art. 27 und 29; 693 Nr. 507 Art. 14 und 17. Vgl. J. ASEN, Die Beginen in Köln, in: AHVN 111 (1927) 110, 116. 323 St. II 256 Nr. 146. 319
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längst nicht vollständige - Vielzahl der eben zitierten Nachweise ließ sich dies belegen. Eine um vieles stärkere innere Zuwendung der Regierenden zur Gemeinde, überdies eine von der der Geschlechter im Kern verschiedene Amtsauffassung lassen sich daraus vielleicht erschließen. Gewiß hat sie mit dem Bewußtsein vieler - wenn auch sicher nicht aller - nach 1396 Regierenden zu tun, daß sie durch den Willen der Gemeinde auf einer von der Gemeinde geschaffenen Verfassungsgrundlage in ihre zur Sorge für die Gemeinde eingerichteten Ämter berufen worden waren. Ihre bis zum Überdruß der Gemeinde immer wieder eingehämmerten Beteuerungen, für ihr Recht, zu ihrem Schutz und zu ihrer Wohlfahrt im kleinen und im großen tätig zu sein, diente wahrscheinlich auch der Selbstbestätigung, mit der Gemeinde in Fühlung zu sein. Ob diese auch so dachte, ist eine andere Sache. b) Gemeinde als körperschaftliche Stadtgemeinde Die Gemeinde bildeten nicht nur alle innerhalb der Kölner Mauern wohnenden Menschen, soweit sie nicht geistlich oder Gäste waren; Gemeinde war auch ein Rechtswesen, die Gemeinschaftsperson aller Bürger und Eingesessenen, die Stadtgemeinde. Diese dürfte vor allem angesprochen gewesen sein, wenn in den Quellen die Verbindung "Stadt und Gemeinde" erscheint. Vur dye stat ind gemeynde truweligen in raide zo sitzen, schrieb den Ratsmitgliedern das auf der Grundlage des Verbundbriefs entworfene Eidbuch vom 26. Dezember 1396 vor324. Nach den Statuten vom 15. Juni 1437 waren Bürgermeister und Rat zo regiment ind versorgonge unser stat ind gemeynden zo Coelne gesät ind gekoiren325. Zweifellos hatte man den Regierenden damit sowohl die Körperschaft wie deren einzelne Glieder nahegelegt. Eher an das Gemeinwesen als an die Gesamteinwohnerschaft ist zu denken, wenn in diesen Statuten bemängelt wird, daß die früheren jeweiligen heilsamen Gesetze und Verordnungen nicht gesammelt worden sind, des unse stat ind gemeynde vaste viell kruedtz, schadens ind verdries genoymen ind gelieden haint326. Eyne gantze gemeynde unser stat, sollte sie gleich Rat, Schöffen, Greve oder überhaupt einem Kölner dieser Statuten wegen beklagt oder belangt werden, war dann auf städtische Kosten zu verteidigen327. Die stat, bürgere ind gemeynde sementlich off besonder328, also die Stadtgemeinde als Körperschaft und jeder, der ihr angehörte, waren durch Päpste, Kaiser und Könige bevorrechtet, nicht vor Gerichte außerhalb Kölns geladen zu werden. Und wenn ein Auswärtiger vorgab, daß Kölner Gerichte ihm sein nicht eingefordertes Recht verweigerten, dann gewährte ihm die Stadtgemeinde, die allein dazu berechtigt und imstande war, weder Schutz noch Geleit329. Stadt und Gemeinde zusammen beschämten und schädigten die Schöffen nicht nur im Ansehen, wenn sie, wie 1446, die Rechtspflege am Hohen Gericht einfach einstellten330. Der gemeynden sere schedelich - doch mehr der Rechtskörperschaft, weniger allen Einwohnern - war die Liederlichkeit der Boten der Ratsgerichte; diese wurden derentwegen gemieden und um 1448/49 andere, wohl geistliche Gerichte angerufen331. Der stat ind der gemeynden (moechte) groiss verdriess kamen - nämlich am sittlichen Ruf -, wenn man 1456 nicht rechtzeitig verhinderte, daß in Häusern, wo es sündhaft zuging, weiterhin Bier ausgeschenkt wurde332. Nur auf das Gemeinwesen der Stadtgemeinde konnte Bezug genommen sein, wenn Bürger und Ein324
St. 1199,17. St. 1631,16-18. 326 St. I 632,2-4. 327 St. I 633,15. So auch im Transfixbrief von 1513: Chr. XIV, CC. 32 * St. I 689,27 und 30 f. 329 St. 1690,10-21. 330 St. 1319 Nr. 152. 331 St. 1322 Nr. 156. 332 St. II 374 f. Nr. 231. 325
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gesessene an ihre Gemeinschaftspflichten erinnert wurden: einen Feind, der off ouch die stat, bürgere off gemeynde geschedicht hedde, nicht zu beherbergen333; dem Brand- oder Waffenruf - außer bei Krankheit oder Abwesenheit - zu folgen 334 ; ferner zo behoeffyrre stat ind gemeynden in redelicheit, wenn sie Land vor dem Severins-, Ehren- oder Eigelsteintor besaßen, je nach Umfang ihres Besitzes, acht Tage lang mit Pferd und Wagen auf eigene Kosten die Steinwege ausbessern zu helfen335. c) Gemeinde für "Gemeindegut" Die Stadtgemeinde besaß das Gemeindevermögen. Auch dieses hieß bisweilen verkürzt "Gemeinde". Es bestand, wie die eben erwähnten Steinwege vor den Stadttoren, unter anderem aus den öffentlichen Plätzen, Straßen und Wegen. Für deren Unterhaltung wurden, wie ausgeführt, nutzende Gemeindeglieder herangezogen. Zo den putzen up der gemeynden [= Gemeindegrund] staende durften zur Reparatur, so 1472, die Nachbarn kein städtisches Material oder Gerät anfordern, mußten es vielmehr auf eigene Kosten besorgen 336 . Überbauungen oever die gemeynde, so schrieben die Eidbücher von 1413/14, 1450 und 1471 vor 337 , sollten die Rentmeister abstellen; das Königseigentum an öffentlichen Straßen und Plätzen, das früher der Burggraf schützte und das noch 1375 in dessen Nachfolge dem Erzbischof zugesprochen wurde338, verwaltete nun die Stadt wie ihr Gemeindeeigentum. Die öffentlichen Liegenschaften warfen unter Umständen Einnahmen ab. Mit dem eingenommenen Wegegeld sollten, so 1402 und 1407, die Wegemeister die straissen ind weyge up der gemeynden buwich halden339. Diejenigen, die auf dem Altermarkt, Heumarkt oder anderswo up der gemeynde staende etwas zum Verkauf anbieten, haben, so 1469, das alle Jahre festgesetzte und allgemein bekanntgemachte Entgelt dafür zu entrichten340. Weit öfter als von den Gemeindeliegenschaften ist in den Quellen von der Gemeindekasse die Rede. Was ihr abging oder zugute kam, schadete oder nutzte allemal dem Gemeindegut. Der stat ind der gemeynde van Coelne zum Nachteil, nämlich durch Hinterziehung der Fleischakzise, brachten - so die Statutensammlung von [1407] - einige Bürger den Fleischern lebendiges Vieh zum Fleischmarkt341. Weil ebenfalls durch Akzisehinterziehung die gemeynde dabij zo groissen schaden koempt, durften die Fischhändlerinnen und ihr Gesinde etwa 1454 keine gesalzenen Fische einkaufen, bevor sie auf den Markt gebracht worden waren342. Die Wuchermeister, so 1471, haben eingeforderte Bußen und die Bürgermeister, so 1481, die Siegelgebühren in behoeff der gemeynten abzuführen 343 . Verbotene Münzen, die beschlagnahmt worden waren, sollten, so 1476, up der Steide rentkameren in nutze der gemeynden abgeliefert werden 344 . Größte Aufregung riefen, wie 1427, Fremde hervor, die besonders ergiebige Einnahmequellen der Stadtgemeinde anzapften: umb groyss verderfitysse yrre Steide ind der rentkameren ind der gantzer gemeynden wiesen Kölner Bürger und Eingesessene fremden 333
St. II 351 Nr. 214 Art. 19. St. II 426,34-39 [1467]. St. II 450 f. Nr. 289 [1469], 336 St. II 498 Nr. 329. 337 St. 1269 Art. I 13; 335 Art. II 13; 427 Art. III 13. 338 Qu. I 555 und 557 Nr. 76. Dazu zuletzt: M. GROTEN, Zu den Fälschungen des Kölner Burggrafenschiedes und der Urkunde über die Erbverleihung der Stadtvogtei von angeblich 1169, in: RhVJbll 46 (1982) 63. Ferner Lac. III 668 Nr. 768. 339 St. II 138 Nr. 93 Art. 1; 177,1 f. 340 St. II 452 Nr. 291. 341 St. II 174 Art. XXII 18. 342 St. II 372 Nr. 226. 343 St. 1425,25-30; 424,1-3. 344 St. II 547,3-9. 334 335
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Kaufleuten Mittel und Wege, oberhalb Kölns Wein einzukaufen, da der steyde ind der gantzer gemeynden van Coelne groiss verderflich schade äff komptMi. Der stede rentkameren, aller bürgere ind gantzer gemeynden zum Vorteil gereichte es indessen ebenso 1427, wenn Nicht-Berechtigten, vor allem Nicht-Kölnern, der unerlaubte, aber geduldete Weinzapf entzogen wurde346. Über alles Gemeindevermögen befand zwar nicht uneingeschränkt, jedoch ziemlich unabhängig der Rat. Er wollte 1485 ungeleigenre erven oder unnutzer erffschaft unser heren v. r. ind der gemeynden zogehoerende verkaufen, um mit dem Erlös eine neue Kanzlei zu bauen347. Gemeinde war also ein sprachliches Kürzel. Das Wort mußte auch für "Gemeindegrund", "Gemeindeeigentum", "Gemeindegut", "Gemeindegeld" herhalten. Hinter diesen Vermögensmassen stand natürlich die Stadtgemeinde; ihr gehörten sie auf Gedeih und Verderb. Insofern lag es nahe, Geld und Gut der Gemeinde einfach und kurz "Gemeinde" zu nennen. d) Gemeinde als Inhaber der städtischen Hoheit Die Hoheit, das hatte das Jahr 1396 erwiesen, über die Verfassung, die Regierungsorgane und eine Reihe von Gerichten - ausgenommen das Hohe Weltliche Gericht - besaß in Köln die Gemeinde, zweifellos die über die Gaffeln verfaßte Gemeinde. Sie hatte durch den Verbundbrief den Rat mit der Wahrnehmung der städtischen Hoheit bevollmächtigt. Gelegentlich erhielt indessen auch sie Hoheitsbezeugungen. Die angeworbenen Söldner schworen 1405, dat sy dem raide zertzijt ind der gemeynden in Coelne hult, getruwe ind bijstendich sijn soilen3W, und 1445 unsen heren v. r. indyre stat ind gemeynden hoult ind getruwe zo sijn249. Ebenso wurden um 1407 die Nachtwächter auf unsen heren v. r. tzertzijt, yrre stat ind gemeynden eingeschworen350. Gottschalk Schoeler, der gegen Rat, Stadt ind gemeynde ind wieder yre gesetze ind verbuntbrief groesligen vergessen ind misdain hatte, schwor ihr 1422 Urfehde wegen der deshalb erlittenen Haft und Strafen351. Schwer läßt sich in diesen Fällen entscheiden, ob die Eide der Körperschaft "Stadtgemeinde" oder ihren in den Gaffeln erfaßten einzelnen Gliedern galten, wohl beiden gleichermaßen. Beide waren Hoheitsträger. Beide - einmal mehr die Einwohnerschaft, einmal mehr die Körperschaft - dürften wohl gemeint sein, wenn der Rat bei Beschlüssen, die die bürgerlichen Grundrechte betrafen, sich auf die Gemeinde stützte. Das ansonsten uneingeschränkte Aufenthaltsrecht auf den Straßen der Stadt wurde, so um 1400, 1435 und um die Mitte des 15. Jahrhunderts, ab 11 Uhr für die Nacht aufgehoben, und nur die von unser heren ind der gemeynden weigen befugt waren, blieben davon ausgenommen352. Wenn eynme raide off eynre gantzer gemeynden belanck daran lege, durfte, so in "Stadtrecht und Bürgerfreiheit" aus der Mitte des 15. Jahrhunderts, gewaltsam in eines Eingesessenen und Bürgers Haus eingedrungen werden, falls dieser sich einem Gerichtsurteil widersetzte und Richter und Ratsmitglieder dem Akt beiwohnten353. Weil eynre stat ind yrre gemeynden groisse verlangkt dairan leigt, diejenigen kennenzulernen, die zweydracht tusschen den bürgeren ind ouch tusschen deme rait ind der gemeynden machen, ließ der Rat sich 1468 Mittel bewilligen, um - eine heikle Sache für 345 346 347 348 349 350 351 352 353
St. St. St. St. St. St. St. St. St.
II 169 Nr. 114 Art. XIX 5; 240 Nr. 148 Art. 58. II 241 Nr. 148 Art. 59. II 589 f. Nr. 450. I 234, Nr. 83 Art. 2. 1317 Nr. 149. II 191 Nr. 114 Art. XXXIV 1. II 225 in Anm. 2 von 224. II 98 Nr. 80 Art. 1; 282 Nr. 170 Art. 1; 345 Nr. 214 Art. 1; vgl. HOLBECK (Anm. 261) 53 f. I 720 Nr. 335 Art. 9; HOLBECK (Anm. 261) 66-73.
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Stadtrecht und Bürgerfreiheit - gegen Aufwiegler spionieren zu können . Be- oder Verlang der Gemeinde bedeutete also Notzustand, und die Gemeinde bewilligte dem Rat zur Bewältigung ein Notstandsrecht. Die Nöte, die der Neusser Krieg mit sich brachte, zwangen das Regierungsorgan, mit Vollmacht der Gemeinde einschneidende Forderungen an die Bürger abzusichern: van weigert eyns raitz in der gemeynden mußten 1474 sechs Ratsmitglieder durch Besuch der einzelnen Gaffeln die Erhebung des zwanzigsten Pfennigs erläutern und rechtfertigen355; der Rat rief also die Finanzhoheit der Gemeinde an. Die Aufenthalts- und Reisefreiheit der Bürger mochte der Rat ebenfalls nur im Einvernehmen mit der Gemeinde einschränken; am 31. August 1475 rief er mit allen Räten und den Vierundvierzigern, - also der in dieser Zeit noch ganz selten auftretenden Gemeindevertretung - in einer Morgensprache dazu auf, daß alle Bürger und Eingesessenen ind die lieve gantze gemeynde bedenken sollten, welcher Nutzen und Vorteil dem Gemeinwohl, der Stadt und den Umlanden erwüchsen durch fruntlicher verstentenyss ind eyndracht des raitz mytyren frunden, bürgeren, insgesessenen ind der gemeynden. Jeder hat daher beim Rat ind der gemeynden zo bliven, darf Leib und Gut nicht wegfuhren und anderswohin ziehen; wer aber die Stadt schon verlassen hatte und bis zum 11. November zurückkehrte, um lieff ind leyt zo lyden mit der stat ind gemeynden, der behielt sein Bürgerrecht356. Das Bürgerrecht, Ausfluß aller genossenschaftsrechtlichen Hoheit der Stadtgemeinde, gewährleistete die Grundrechte; diese ihrerseits setzten unbedingte Treue, ob in Glück oder Unglück, zur Gemeinde voraus. Wenn es dem Rat gerade paßte, dann anerkannte er die Gemeinde sogar als den einzigen und eigentlichen Hoheitsträger. Dem Edelheirn Jakob von Horn, der wegen byssenkruyt ind Serpentinen angefragt hatte, antworteten Bürgermeister und Rat im November 1482, dat tusschen uns ind unser eirberre gemeynden eyn alt verdrach gemacht is ind geslossen is, geynichem heren odir sust yemantz anders eynich geschutz odir attelerye uys unser stat zo lienen, so en steit dat nae der geleigenheit in unser macht nyet. Sich geradezu als fast ohnmächtiges Vollzugsorgan eines allmächtigen Vollmachtgebers bekundend, fuhren die Stadtoberen fort: Off wir sulchs an unse eirberre gemeynde brechten ind yn dese Sachen zo kennen geven, were zo besorgen, dat an yn nyet zo erlangen stoende3S6a. Der alleinige Hoheitsträger, so gab der die Gemeinde vorschützende Rat zu verstehen, lasse sich von diesem in Hoheitssachen - hier Waffenverleih - kaum beeinflussen, die Gemeinde sei ausgesprochen eigenwillig. e) Die Vierundvierziger als Gemeinde Den Ausschuß der Vierundvierziger, der aus den 22 Gaffeln dem Rat beigegeben wurde, bezeichnete, wie ausgeführt, der Verbundbrief ebenfalls als "Gemeinde". Dies wiederholte sich im Verlaufe des 15. Jahrhunderts. Zwölf Geschickte, die der Rat beauftragt hatte, die gefangenen "Greifen" zu verhören, hatten offenbar den Verdacht auf sich gezogen, ihre Zuständigkeiten überschritten zu haben. Sie beeideten 1398, daß sie den Gefangenen von Rats of gemeynde wegen nichts zugesagt, beider Entscheidungen nicht vorgegriffen hätten und gerne das tun wollten, was der Rat myt der gemeynden dan vort hiesschen doeri351. Eine mit dem Rat zusammen entscheidende Regierungsgewalt, die "Gemeinde" hieß und mit Ge- und Verbot in Einzelfragen, vielleicht auch bei einigen der eben besprochenen Grundrechtseinschränkungen mitwirkte, läßt auf die Vierundvierziger schließen. Die allgemeinen Anordnungen und Gesetze des Rates traten mit den 354
St. 1 4 1 0 f. Nr. 216; HOLBECK (Anm. 261) 70 f. über "Belang"-Vorbehalt. St. II 521,44 f. 356 St. II 535-537 Nr. 374 Art. 1 f. 356a HAStK, Briefbuch 33, fol. 193v. Der Eintrag ist undatiert; das vorausgehende Schreiben stammt vom 7., die beiden unmittelbar folgenden sind vom 19. November 1482; danach allerdings finden sich drei v o m 9. November datierte Schreiben eingetragen. 357 St. 1 2 0 7 Anm. 1 von 206. 355
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amtlichen Verkündungen, den Morgensprachen, in Kraft. Als Gesetzgeber erscheinen dabei bisweilen auch die Vierundvierziger. Betont wurde dabei ihre von der Gemeinde sich herleitende Vollmacht: unse heren v. r. myt yren vrunden, den 44 van der gemeynden, synt eyns worden ind haint... oeverdragen, begann zum Beispiel die am 1. Februar 1399 verkündete Morgensprache über eine neue Akzise358. Dies verkürzte die Statutensammlung von etwa 1407 zu: as unse heren v. r. myt der gemeynden dat ouch vur gemorgenspraicht haent359. Auch in diesem Fall können mit "Gemeinde" nur die Vierundvierziger gemeint gewesen sein. Ebenfalls ist an diese zu denken, als 1408 unse heren, dye gemeynte ind alleman sich über die doch miteinander verwandten Geschlechterangehörigen wunderten, ihnen die doitveden, in denen sie sich noch immer als "Greifen" und "Freunde" bekämpften, verübelten und ihnen deswegen Ausgehverbote auferlegten360. Für eine solche Einzelmaßnahme dürfte kaum die gesamte Gemeinde in den 22 Gaffeln bemüht worden sein. f) Die Gemeinde in den 22 Gaffeln In den 22 Gaffeln hatte sich 1396 die Gemeinde ein festes Gefuge gegeben. Diese 22 Gaffeln verkörperten seitdem - jedenfalls für den Rat und die Amtsträger dieser Gaffeln - die Gemeinde. Wenn es um die Willensmeinung oder ein Handeln der Gemeinde ging, dann wurden die 22 Gaffeln angesprochen. Umb der stede ind gemeynden beste willen, nämlich um sie nicht um eigensüchtiger wirtschaftlicher Interessen willen vom Gemeinwohl abzulenken, war es nur folgerichtig, ihnen gleich 1398 zu verbieten, selbst Akzisen anzupachten oder sich an der Anpachtung zu beteiligen361. Um die Gemeinde, nicht die Zünfte und Gaffeln, zu unterrichten und um ihre Zustimmung zu werben, entsandte der Rat 1399 zur Auflage einer neuen Akzise, 1474 wegen Erhebung des zwanzigsten Pfennigs und 1477, wie noch zur Sprache kommt, zur Abwehr von Unruhestiftern jeweils eigene Mitglieder - niemals Bedienstete - in die Gaffelhäuser: der Rat achtete und ehrte die Hoheit und Würde der Gemeinde362. Up dat mallich wissen möge, ließ der Rat neben einer Morgensprache auch durch ausgesandte Mitglieder in allen ampten und gaffelen ... offenbeirligen doin leisen, welche Gründe ihn 1405 zum Kriege gegen Herzog Adolf von Berg bewogen haben363. In den Fragen von Krieg und Frieden kam es - laut Verbundbrief - auf die Zustimmung der Gemeinde an; der Rat war sich nicht nur nicht zu schade, er war vielmehr gehalten, sich dafür auf den einzelnen Gaffeln zu rechtfertigen. Um dabei nichts falsch zu machen, überlegte er bisweilen, wie am zweckmäßigsten vorzugehen wäre. Als er zum Beispiel 1488 das Kriegswesen neu ordnen wollte und den Zünften die Zahl der zu stellenden Mannschaften aufzugeben war, hieß es in einem vorbereitenden Papier: 6. Item ouch up die gaffele zo schicken ind der gemeynden dit gutlichen vurzogheven. 7. Zo gedencken, wie ind in wat manyeren man diese Sachen der gemeynde up den gaffelen vurgeven sulle364. Die zu den 22 Gaffeln gestaltete Gemeinde war der Dreh- und Angelpunkt für die Auf- und Annahme der Politik des Rates durch die Bevölkerung. Auf diese Akzeptanz war der Rat unbedingt angewiesen, wollte er, besonders mit seinen Geldforderungen, durchdringen. Gelegentlich sahen Feinde der Stadt darin einen möglichen Ansatz, einen Keil zwischen Rat und Gemeinde zu treiben. Erzbischof Friedrich von Saarwerden klopfte bei den Kaufleuten und Gaffelgesellen der Gaffel zu Niederich, das heißt der Bäckerzunft, an und bezichtigte den Rat, neuerdings allerlei Abgaben für Brot, Wein, 358 359 360 361 362 363 364
St. II 92 Nr. 78. St. II 157 Nr. 114 Art. XVI 1. St. 1257 Nr. 94. St. II 90 Nr. 76. Vgl. Anm. 358 und 370 bis 375; St. I 455,18 f.; Chr. XIV 937,14 f. Chr. XII 346,9-14. St. II 633 Nr. 468 Art. 6 f.
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Bier, Fleisch und viele Waren eingeführt zu haben; damit bedrücke er die Bürger und Eingesessenen und bringe sie in Sklaverei "wider Gott, wider Recht und Freiheit und wider alle diejenigen, die sich gerne ernähren möchten mit Gott und in Ehren". Mit dem Hinweis auf die Bürgerfreiheiten, besonders der Hoheit in Steuersachen, sowie im Blick auf die Ärmeren wollte der Stadtherr die Gemeinde aufregen, wies jedoch entsprechende Verdächtigungen der Stadtoberen von vornherein zurück: "Wir wissen wohl, daß sie der guten Gemeinde zu Köln vieles vorgesprochen haben von allerlei Forderungen, die wir zu Unrecht an die Stadt sollen gestellt haben, vieles vorgesprochen und vorgelogen haben, um die gute Gemeinde gegen uns aufzuhetzen"364». Erzbischof Dietrich von Moers hatte in seiner 1417 begonnenen Auseinandersetzung mit der Stadt wiederholt angesetzte Friedensgespräche oftmals verschoben; den für den 8. Mai 1418 fest verabredeten Termin sagte indessen der Rat ab, weil der Erzbischof dazu zwei Vertreter aus jeder Gaffel, nicht Ratsmitglieder, wünschte365. 1419 erhob Dietrich umfassende Hoheitsansprüche und verlangte unter anderem, daß der Rat seinen unmittelbaren Verkehr mit den Gaffelgesellschaften nicht beanstande und daß er diesen seine Briefe unerbrochen zukommen lasse. Der Rat wies die Forderung zurück; die Gaffeln hätten ihm alle Briefe ungeöffnet zu übergeben, und er selbst sei verpflichtet, daraus nur soviel bekanntzugeben, als das Wohl von Stadt und Gemeinde zuließe. So beschieden den Erzbischof ebenfalls die Gaffeln366. Überdies suchte Dietrich geschickt, die Masse der ärmeren Mitglieder in den Gaffeln für sich zu beeinflussen; auch er kannte den Neid als bewährtes Spaltungsmittel: der Rat begünstige in Handelsgeschäften allein die großen Genossenschaften, verwehre sie aber dem einzelnen kleinen Mann. Das zielte auf eine Erschütterung des Gaffelgefüges von innen her. Dagegen machte der Rat den Schutz des fremden Kaufmanns geltend; dieser sei zu leicht Verlusten ausgesetzt, wenn jedem armen und kleinen Mann der Handel freistände367. Die gesuchte Verbindung des Erzbischofs zu den vielen Gaffel- und damit Gemeindegenossen wußte der Rat zu unterbinden, übrigens wieder mit Einwilligung der Gaffeln selbst. Umb ... unwille ind zweydracht zo maechen tuyschen yn ind erer ghemeynden, verbot der Rat 1457 allgemein den Gaffelmeistern und -gesellen Briefe, ob offen und geschlossen, anzunehmen; sie hätten die Boten an den Rat oder die Bürgermeister zu verweisen. Wenn die Boten die Briefe aber einfach liegen ließen, dann sollten sie sie ungeöffnet und ungelesen an sich nehmen und zum nächsten Sitzungstag beim Rat abliefern368. Eindeutig unterschieden mithin, soviel ist diesen Beispielen wohl zu entnehmen, Rat und Gemeinde zwischen der grundlegenden verfassunggebenden und der ausfuhrenden Gewalt; ebenso klar grenzten sie infolgedessen ihre Zuständigkeiten ab. Gegenüber dem 13. gelang im 15. Jahrhundert in dieser Frage eine angemessene Klärung. Der Verbundbrief hatte dem Gemeindeleben gut acht Jahrzehnte Ruhe beschert. Weite Kreise der Einwohnerschaft sahen anscheinend ihr Ziel erreicht, daß nunmehr grundsätzlich jeder Bürger im Rat Aufnahme finden konnte; daß jedem, wenn er wollte, politische Mitsprache erlaubt war. Auch viele Angehörige der Geschlechter, die vom Regiment ja nicht ausgeschlossen waren, versöhnten sich mit der neuen Ordnung. Einige hatten sie sogar herbeizuführen geholfen, und mancher beteiligte sich im 15. Jahrhundert wieder an der Ratsarbeit. Nicht zum wenigsten dürfte die eben geschilderte, sorgsame Beachtung der Bedürfnisse der Gemeinde, gipfelnd in der Ernährungsvorsorge, die 364a
L . ENNEN, Geschichte der Stadt Köln, Bd. 3, Köln-Neuss 1869, 153. F. RITTER, Erzbischof Dietrich von Moers und die Stadt Köln in den Jahren 1414-1424, in: AHVN 56(1893) 40. 366 W. HOLTSCHMIDT, Die Kölner Ratsverfassung vom Sturz der Geschlechterherrschaft bis zum Ausgang des Mittelalters 1396-1513, in: Beiträge zur Geschichte des Niederrheins 21 (1906/07) 16, 51. 365
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RITTER ( A n m . 3 6 5 ) 57, 61.
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Bevölkerung besonders befriedigt haben. Während 1438 Städte in ganz Westeuropa nach einer katastrophalen Mißernte große Not litten, konnte der Kölner Rat seiner Gemeinde die gefüllten Kornspeicher anbieten: Dat was, as einre schrift, die groste vursichticheit ind wisheit, die in vil jairen ie geschach, lobt die Koelhoffsche Chronik369. 7. Die Gemeinde gegen und für den Rat während des Aufstandes von 1481/82 a) Die Abdrängung der Gemeinde vom städtischen Regiment Den Neusser Krieg überstanden die Kölner in Eintracht. Über die Folgen zerstritten sie sich. In einer auf allen Gaffeln verlesenen Verlautbarung vom 18. Mai 1477 gegen die Erregung von Unfrieden konnte der Rat das Einvernehmen von 1474/75 nicht hoch genug rühmen370, mußte aber nun betrübt hören, dat etliche syn soelen, die onderstaen achtersprache, bedrach, murmuracie ind gerückte zo machen ind vurzoneymen under der eirberre gemeynden ..., daruyss groisse onwille in der eirberre gemeynden entstaen moechte311. Den Wühlern schrieb er ins Stammbuch, dat der rait myt der eirberre gemeynden ind die eirbaere gemeynde myt dem raide, der van der gemeynden gekoiren ind gesät wirt ind also die heilige stat presentiert312, der Ruhe, des Friedens und der Eintracht halber bei ihren Vollmachten zu belassen wären. Er verbürgte sich, dat dieghene, van wegen des raitz ind der gemeynden eynich beveill haint, besonders bei Münze, Zoll und Akzisen, sich redlich und verantwortlich verhalten hätten373. Er verurteilte alle üble Nachrede gegen Rat und Ratsmitglieder, dairvan eynich hass, nijt, onwille off uplouff tuschen dem raide in der eirbaeren gemeynden oder sust entstaen moechte-m. Schließlich beschwor er die Gaffeln: laist uns getruwe bürgere ind broedere under eynanderen blijven37S. Der Rat und seine Mitglieder als Brüder der Gaffeln und der Gemeindeglieder, das war ein neuer Ton der Regierenden; ergebener konnten sie sich als Organ der Gemeinde nicht bekennen. Aber mit schönen Worten war nicht mehr viel zu gewinnen. Die Verfassungswirklichkeit stand mit dem Verfassungsrecht zu sehr im Widerspruch. Die Masse der Gaffelmitglieder, allesamt ja Gemeindeglieder, sahen sich in den Möglichkeiten freier Wahlen erheblich eingeschränkt, geradezu ausgeschaltet. Unzufriedenheit äußerte sich darüber seit 1464 unter den Gürtelmachern376. Von ihrer Gaffel ging 1481 auch jener Anstoß aus, der in der Kölner Gemeinde starke Kräfte anregte, immer eigenmächtiger die etablierten Kreise aus dem Stadtregiment zu verdrängen und selbst in die Führungsstellungen einzurücken377. Die unversunnen gemeinde sali ich euch doin bekant, dichtete der ratsfreundliche Verfasser der Reimchronik über die Unruhen 1481/82378. Der Verbundbrief, der die Mitbestimmung der Einwohnerschaft auf eine breitere Grundlage hatte stellen wollen, hatte dieses Ziel verfehlt. Er gestattete, daß gewesene Ratsmitglieder nach zwei Jahren wieder in dieses Amt gewählt werden konnten; aus dieser Kann-Bestimmung wurde indessen eine Regel. Aus den drei Räten entwickelte sich ein nach außen fast abgeschlossenes Rekrutierungssystem. Die Dreijahres-Regel galt beinahe eisern für das Bürgermeister-Amt. Die Amts- und gewe369 370 371 372 373 374 375 376
Chr. XIV 779,6 f. St. 1453,25-35. St. 1455,5-13. St. 1455,14-18. St. I 455,23-30. St. I 455,42-44. St. 1456,17 f. S t . I 4 0 3 N r . 2 0 6 ; HOLTSCHM1DT ( A n m . 3 6 6 ) 4 1 ; HOLBECK ( A n m . 2 6 1 ) 8 4 .
377
HOLTSCHMIDT (Anm. 366) 56; C. VON LOOZ-CORSWAREM, Unruhen und Stadtverfassung in Köln an der Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert, in: EHBRECHT (Hg.), Städtische Führungsgruppen
( A n m . 159) 63-66. 378
Chr. XIV 926,24.
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senen Amtsinhaber bildeten innerhalb der drei Räte einen streng abgehobenen Machtkreis, der sich einen entscheidenden Einfluß auf die Stadtverwaltung auch gegen die Mehrheit der Ratsmitglieder vorbehielt. Auf dem breiten Untergrund der im Verbundbrief vorgeschriebenen Gaffelwahlen hielt sich gleichwohl an der Spitze ein enger aristokratisch-oligarchischer Zirkel. Dort dachte man nur an Machterhaltung, fühlte sich sogar zeitweilig trotz der fehlenden Fühlung zur Gemeinde sicher, gab jedoch weiten Kreisen der Gemeinde je länger desto mehr Anlaß, über Gleichgültigkeit gegenüber der zurückgesetzten Einwohnerschaft zu klagen. b) Einung und Vorstoß der Gemeinde am 28. und 29. September 1481 Die Gürtelmachergaffel gewann für eine entschlossene Vorsprache beim Rat die Schuhmachergaffel, und binnen weniger Tage waren sich darüber fast alle Gaffeln einig 379 . Sie versammelten sich am 28. September auf der Schuhmachergaffel: Aldair verdroegen alle ampter und gaffelen etlicher puncten und articulen, ... [die] unseren herrn vom rath etliche vorzubrengen, die auch ihn Schriften zu setzen und unseren herrn uberzulieberen38°. Das war eine Einung der Gemeinde, vielleicht keine beschworene, aber doch wohl eine von ähnlicher Kraft und Geltung. Das Gaffeigefuge von 1396 verlieh der Gemeinde eine rasche Schlagkraft: sie kam dadurch schnell zusammen und im Wollen und Handeln auch schnell überein. Dabei traten überdies Führungskräfte hervor. Am anderen Morgen, dem Michaelstage, zogen in einer großer procession sechs bis acht Vertreter jeder Gaffel zum Rathaus, ließen dort die Türen hinter sich schließen und dem erschrockenen Rat ausrichten, sei wehren daer und begerten mit ihn zu sprechen38'. Am Vorabend hatten sie vier Männer gewählt, der gemeinde wort zu thuin, sowie - nach dem Vorbild der Geschäftsordnung des Rates - weitere zwei zu Versammlungsleitern, maister zer bank, von der gemeinden daer gesalzt3*2. Nicht nur der abgestimmte Inhalt, sondern auch die vorbereitete Art und Weise des Vorgehens dürfte auf ein durch die Gaffelverfassung der Gemeinde nahegebrachtes formelles Verfahren zurückzufuhren sein. Im übrigen schalteten und walteten die Gemeinde-Abgeordneten im Rathaus wie Hausherren. Das Verhandlungsverfahren bestimmten sie vollkommen nach ihrem Willen. Der Rat indessen beanstandete weder sogleich noch später die Rechtmäßigkeit dieses Auftretens. Nicht nur Angst und Schrecken, offenbar auch das gute Recht der Gemeinde hielten ihn zurück. Von einem der gewählten Gemeinde-Sprecher, Johan van Cuerten, bekamen die vom Rat entsandten vier Mitglieder alsdann zu hören: Die gantze erbar gemeinde von allen ampten und gaffeln heften ihr freund zu unseren herren vom rath geschickt, die sei daer siegen, und hetten einen brief laßen begreifen, daerihn etzliche gebrech begriffen stunden, die eine erbar gemeind hette zu unseren herren vom rath, die auch die erbar gemeind begerten guetlich abzustellen383. In diesem Brief klagte die Gemeinde, daß wegen des Neusser Krieges aufgelegte unguedliche und beschwerliche Akzisen, die nach drei Jahren wieder abgeschafft werden sollten, nach inzwischen sieben Jahren immer noch erhoben würden, dadurch wir alle nahrlos und verderblich worden seint und deglichs vorder werden, so das leider uns große armuth und ahnstehende noth darzu dringet, die Abschaffung zu verlangen384. Entfallen sollten ferner alle nicht von alters her gewöhnlichen Akzisen, die auf allen enden und Straßen gelagt und bestalt sein auf arme luide zu bezallenits. Eine größere Zahl von Mitgliedern besonders in den Handwerkergaffeln war unter anderem vielleicht in379
Chr. Chr. 381 Chr. 382 Chr. 383 Chr. 384 Chr. 385 Chr. 380
XIV XIV XIV XIV XIV XIV XIV
928,5-15. 928,19-22. 928,19-36. Auch St. 1468,11-15. 929,3-8. 929,9-13. 929,17-30. Auch St. 1468,16-18. 929,30-32. Auch St. 1468,18-469,2.
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folge der drückenden öffentlichen Abgaben zur Armut herabgesunken; dies legte den meisten Gaffeln wohl nahe, als Gemeinde deswegen vorzustoßen. Der Rat war dagegen anscheinend mit wenig Rücksicht auf die Masse der Bevölkerung darauf bedacht, den durch den Krieg entstandenen ungeheuren Schuldenberg der Stadt abzutragen. Mit der Armut vieler Kölner hatten außerdem nachgeschobene politische Forderungen freilich weniger zu tun, nämlich sulche heimliche rathsspreiche und schickunge, die in der zeit her baussen wißen des gemeinen raths halten..., auch abzustellen, daer wie uns bedunkt vil unraths enstehet386, sowie den Bürgermeisterschreiber Johan Panhauißen zu entlassen, want er... vil schwarheit und Unwillens gegen uns arme gemeinde vurgebracht und geschafft hat und zu besorgen ist varder thuinde und ahnstellen wird3*1. Hier galt es wohl, ein besonders fähiges Werkzeug der wenigen Machtwalter auszuschalten; dort diejenigen Ratsmitglieder, die aus den Handwerkergaffeln, der armen gemeinde, kamen und von den eigentlich Regierenden oft übergangen wurden, in die Ratspolitik wieder stärker einzuschalten. Es ging also auch um Machtfragen. Neben den gebieterisch ausgesprochenen Forderungen enthielt der Brief auch unterwürfige Wendungen und die Bitte um Verständnis388. Er schloß: Euer Gnaden willige burger, ingeseßen, gantze gemeinde und geselschaft von allen ampten und gaffelen binnen Cölln sementlich und besonder369. Mündlich trug nach der Verlesung des Briefes ein zweiter Sprecher der Gemeinde, Johan von der Ehren, weitere Bitten, unter anderem hinsichtlich Einsparungen und zur Rechtssicherheit, vor390. Für die wirtschaftlich-finanziellen Forderungen der Gemeinde hatte der Rat durchaus ein Ohr391. Zu jener Zeit noch nicht erkennbar, aber letztlich kam es den Drahtziehern und Antreibern des Vorstoßes auf die Macht in der Stadt an. Vor diesen Karren ließ sich die Gemeinde jedoch nicht spannen. Währenddessen hatte sich vor dem Rathaus eine große Volksmenge versammelt392. Johan van Cuerten nannte sie gemeinde393, ebenso der ratstreue Verfasser der Prosarelation und - mittelbar - auch der Rat in seiner Antwort auf deren Vorbringen394. Gemeinde war also außer derjenigen, welche die Gaffeln erfaßte und deren gewählte Vertreter sich im Rathaus befanden und gerade für sie gesprochen hatten, immer noch das spontan vor dem Rathaus zusammengetretene und in der Zusammensetzung unüberschaubare Volk, das Gemeinde zu sein beanspruchte. Die groisse mennicheit und vergaderung des volks setzte den Rat natürlich unter Druck395. Damit drohte ihm auch Johan van Cuerten: want die gantze gemeinde stunde auf dem platze und wollten auch von dannen niet scheiden, sei hetten dan des ein abdragt und antwort, ja oder nein, man mußte ihn einen sauren apfel beißen396. Die - auch um Leben und Gut - besorgten Ratsherren verstanden sich umgehend und einmütig zu der Antwort: Was die erbar gemeinde begert hette, darihn wollten unser herrn ihrer begerten geniegt sein, doch das man ... besehe, wie man dießer statt, die merklichen zu achters wehre, wiederumb auis dem last hülfe, auf das wir all bei ehren und wolfart bleiben moechten391. Der Rat fugte sich also der drängenden, alsbald wohl auch drohenden Gemeinde, drinnen deijenigen der Gaffeln, draußen der des Volkes. 386
Chr. XIV 929,33-36. Auch St. I 469,2-7. Chr. XIV 929,39 - 930,3. Auch St. I 469,7-10. 388 Chr. XIV 929,26 und 36 f.; 930,4-9. 389 Chr. XIV 930,10-12. 390 Chr. XIV 930,25 -931,3. 391 St. 1469,16-21. 392 Chr. XIV 930,20-22; 931,11-14; 931,26-28. 393 Chr. XIV 930,20. 394 Chr. XIV 931,27; aber 931,26: gemein volk. Chr. XIV 931,15 f. und 32. 395 Chr. XIV 931,9-19. 396 Chr. XIV 930,20-23; 931,8 f. Die Reimchronik verdeutlicht die angedrohte Gewalt entschiedener und zitiert auch den "sauren Apfel": 949,189 - 196; 950,228. 397 Chr. XIV 931,15-19. 387
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Keiner von beiden sprach er - nicht einmal in Andeutungen - das Recht ab, Forderungen zu erheben; auch verlangte er nicht, diese in bestimmten Formen vorzubringen. Er setzte der Gemeinde keine eigene, von der Gemeinde unabhängige Vollmacht oder Zuständigkeit entgegen, rief auch nicht etwa nach dem im Verbundbrief gewährleisteten Beistand der Gaffeln gegen den Auflauf draußen, nahm vielmehr alle Anliegen der Gemeinde als die seinen auf, band aber sogleich die Gemeinde in die Verantwortung für die Folgen ein, die sich aus deren Erfüllung ergaben. Das alles eröffnete der Rat auch dem versammelten Volk in der Bekanntmachung, die er auisrufen [ließ] auf der lehnen, daer man die morgensprach pflegt auiszurufen398. Zunächst habden etliche von der gemeinden darahn keine bewegung\ doch auf einen Wink des Johan Hemmersbach, principal anheber und zudreiber, verließen die Massen den Rathausplatz399. c) Die Wahl von Gemeindevon "geschickten" und die spätere Abkehr der Gemeinde von ihren gewählten Vertretern Die im Rathaus verbleibenden, aus den Gaffeln gewählten Vertreter der Gemeinde aber wählten ihrerseits aus jeder Gaffel zwei Männer, also ein viel kleineres, arbeitsfähigeres Gremium, das zusammen mit den am Vortage gewählten vier Sprechern über die Durchführung der bewilligten Forderungen wachen sollte400. Es verstand sich alsbald als eine Art Neben- und Gegenrat. Dieses Gremium, das übrigens meist auf der Vierundvierziger-Kammer tagte401, hieß "Kleine Schickung", die Versammlung der sechs bis acht Vertreter je Gaffel "Große Schickung"402. Die Gemeinde oder wer immer mit ihrer Rückendeckung auftrat, legte sich mithin die Vollmacht und das Recht bei, jederzeit, ohne vorweg jemanden sonst zu hören oder gar auf dessen Genehmigung angewiesen zu sein, neben dem Rat und den Vierundvierzigern zusätzliche Verfassungseinrichtungen zu schaffen und ihnen Zuständigkeiten zu übertragen. Und der Rat arbeitete - gewiß unter Druck - mit diesen neuen Gremien zusammen, ohne gegen sie oder auch nur zu eigener Absicherung einen Kompetenz- oder Rechtsvorbehalt geltend zu machen. Aber was dießer heiliger werdiger statt Cölln auis den zwen Schickungen schadens kam, wart man darnach scheinbeirlich gewahr binnen einem halben jähr: wohl über die funftzig thausent oberlensche gülden, die die rentkamer boven alle andere schulden zu achter kam403. Up verbesseronge der eirberre gemeynden - so ließen sie sich oft vernehmen 404 schlugen die Schickungen unter anderem eine Verminderung der Herings- und Salzabgaben, Zollverschärfungen für Wein- und Karrendurchfuhren sowie eine strengere Aufsicht und Rechenschaftsablage vor 405 , damit der gemeynde goit, so surlichen ind swierlichen up die rentkamer braicht wirt, nyet so lichtlich verdient ind uysgegeven werde, als bisher geschiet is, und um damit den last der gemeynden zo lichten*06. Von den vielen übrigen Anregungen, die die Schickungen in den 81 Artikeln ihrer Eingabe zur Senkung der städtischen Ausgaben unterbreiteten - man weiß allerdings nicht, ob sie alle seriös waren -, konnte, falls sie sich auch nur zu einem Bruchteil verwirklichen ließen, die Kölner Bevölkerung in der Tat Erleichterungen erwarten. Doch zeichneten sich die 398
Chr. XIV 931,23; 950,232. Die Bekanntmachung: 931,32 - 932,3. Chr. XIV 931,26-30. Die Prosarelation nennt Hemmersbach 928,7: wißlich ahnhever, beleufer und zudreiver, 935,28-30: krischer undfurgenger, ...es kam nit alles auis ihm wiewol er der geckste und kühnste wahr. 400 Chr. XIV 932,4-8. Auch St. 1469,32-36. 401 Chr. XIV 932,22 f.; 933,27. 402 Chr. XIV 932,8-14. 403 Chr. XIV 932,14-18. 404 In den Reformvorschlägen St. I Nr. 261: 470,8; 470,35; 471,4; 471,33 f. 405 St. 1470,9-15, 34-45; 470,46 - 471,15, 33-38; 476,3-9, 16-21. 406 St. 1475,35-37; 476,21. 399
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beiden Schickungen selbst bei der Bestellung von Hilfskräften nicht gerade durch Sparsamkeit aus407. Vor allem mußte die Gemeinde für weit über finanzielle Entlastungen hinausgehende politische Forderungen ihrer auftrumpfenden Vertreter herhalten. Von wegen gantzer gemeynden - das war ihr Rechtsgrund408 - begannen besonders die Kleine, aber auch die Große Schickung, nach und nach den Rat zu entmachten und das Stadtregiment allmählich an sich zu ziehen: am 1. Oktober Ankündigung einer Rechnungsprüfung über die letzten 30 Jahre, Amtsenthebung zweier Stadtbediensteter aus der Familie von Ercklentz und Schließung des Ratskellers409; am 3. und 4. Oktober Beginn der Rechnungsprüfung in der Ratskammer mit allen Unzuträglichkeiten für die laufenden Ratsarbeiten410; am 4. Oktober Mitbewachung der Stadttore durch je vier Mann der Gemeinde411, Überlassung der Schlüssel für die Rentkammern, Zugang zu den Unterlagen über die Zolleinkünfte und zum Archiv sowie - vom Rat verweigert Auskunft über den Verbleib des Stadtbanners412. Am 18. Oktober erhielten die Gaffeln mit bisher einem Ratssitz fortan zwei Sitze; das war ein tiefgehender Eingriff in den Verbundbrief, worauf der Rat - vergeblich - hinwies413. Am 7. November verlangten die gewählten Gemeindevertreter, offenbar im tiefsten bereits verunsichert, vor künftiger Bestrafung sichergestellt zu werden414; außerdem drängten sie dem Rat einen Bürgermeisterschreiber ihrer Wahl auf 415 . Mit der wirtschaftlichen Notlage der Kölner Bevölkerung hatte diese Herrschsucht der gewählten Vertreter ihrer Gemeinde nicht mehr viel zu tun. Der von ihnen ausgelöste Stillstand der Verwaltung löste Unordnung in der ganzen Stadt aus. Der unfred zwischen dem rath und der gemeinden führte dazu, daß alle man thede was er wolt, niemans gab hierbinnen der rentkameren das gehne, das sei schuldig wahret6. In dieser zugespitzten Lage zwischen der Stadt Cölln und der gemeinden417 (stadt Cölln gleich Rat, gemeinde gleich Gemeindevertreter) begab sich Erzbischof Hermann von Hessen höchstselbst - eine Einmaligkeit in der ganzen Geschichte der Reichsstadt aufs Rathaus, um mit der Stadt und der gemeinden freunden zu sprechen, darzu der rath und die gemeinde ihre freund zu beiden Seiten gaben. Doch nicht am Rat scheiterte die Vermittlung des Erzbischofs418, wie danach die weiteren des Herzogs von Jülich und Berg, der Städte Straßburg, Speyer, Frankfurt und Worms, sowie die der Kölner Geistlichkeit und der Universität scheiterten419. Die Reimchronik schmiedete dazu die Verse: die gemeinde schloich it alles af / und gaven darumb niet ein kaf*20. Auch der Rat selbst, der schon so viele Verletzungen seiner Hoheit und Zuständigkeiten hingenommen hatte, bemühte sich, umb ein beikomen zu thuin ... und einen gemeinen freden zu finden421.
407
Chr. XIV 933,31-34. Chr. XIV 932,25; 934,5,35; 935,6, 13 f.; 936,10; 937,30; 938,2. Chr. XIV 932,24-32; 938,4-8. 410 Chr. XIV 932,33 - 934,21; 951,275-289. Über die sachliche Ergebnislosigkeit der Rechnungsprüfung vgl. St. 1486-489 Nr. 266; 504 Anm. 2. 411 Chr. XIV 950,255-264. 412 Chr. XIV 934,3-32. 413 Chr. XIV 934,33-935,10. 414 Chr. XIV 935,33 - 936,32; St. 1479 - 482 Nr. 263. 415 Chr. XIV 935,13-21; 937,26 - 938,4. 416 Chr. XIV 935,22-26. 417 Chr. XIV 938,14 und 19. 418 Chr. XIV 938,13-22; 952,369 - 953,384. 419 Chr. XIV 938,24-32; 953,385-403. Über ein besonderes Ansinnen an die Kölner Geistlichkeit: 953,435-954,481. 420 Chr. XIV 953,389 f. 421 Chr. XIV 939,1-6; St. 1484,13; 485,12 f. 408 409
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Ein erster vom städtischen Protonotar Emund Frunt entworfener Friedensvorschlag422 regte an, daß der Rat insgesamt und seine Mitglieder einzeln sowie umgekehrt die Gemeinde, also die Vertreter der Gemeinde in den beiden Schickungen insgesamt und deren Mitglieder einzeln, luterlich ind purlich uys guedem hertzen eyn yeder deme anderen vertzie ind vergeve ... ind ouch eyn yeder den anderen nae geburlicheit erkenne, as die eirbere gemeynde eynen eirsamen raidt ind der eirsame rait herweder die eirbere gemeynde mallich nae syme gebur423. So gleichwertig und gleichrangig Rat und Gemeinde, das heißt die Gemeinde-Vertreter, hier auch eingestuft wurden, forderte Frunt doch ausdrücklich die Wiederherstellung der Vollmacht des Rates und die Abschaffung der Schickungen424. War dieser Vorschlag vermutlich nur den beiden Schickungen vorgelegt worden, so befragte - zeitlich und sachlich im Zusammenhang - der Rat über die künftige Verfassung auch die Gemeinde in den Zünften und Gaffeln425. Darin anerkannte er zunächst die Berechtigung ihrer Michaelis-Bitten und ihren aufopfernden Beistand und Einsatz seit dem Neusser Krieg426. Er betonte aber auch das eigene Entgegenkommen gegenüber den Gemeindewünschen427 und klagte bewegt und ausführlich über den verlorenen, nicht wiederzugewinnenden Frieden428 und daß, wenn dieser nicht bald in die Stadt zurückkehre, die bürgere ind ingesessenen zo Coelne gantz narloiss ind verderfflich werden moissen429. Er erinnerte dann an die im Verbundbrief grundgelegte und seitdem von allen Kölnern beschworene Verfassungsübereinkunft, dat unse vurfaren ind wir ons fruntlichen ind liefflichen mit hulden ind eyden broiderlicherwyse zosamen gedayn ind verbunden hayn, sowie ir ouch unsen heren v. r. ... allzomaill uyss urre eirberer gemeynden dar gesalzt ind ordinyert hait430. Wieder klingt hier die bereits 1477 ausgesprochene Brüderlichkeit zwischen Rats- und Gemeindemitgliedern an; wiederholt wurde auch der damals schon bekräftigte Satz, der Rat sei ein Geschöpf und ein Organ der Gemeinde. Man beschwor also die Eidverbrüderung. Sie gewährleistete den Bürgern ihre Rechte, gebot ihnen aber auch, untereinander Frieden zu halten und sich der selbstgesetzten Leitungsgewalt zu unterstellen. Da ein Frieden trotz seines weiterhin bestehenden guten Willens offenbar nicht zu finden wäre, richtete der Rat über die Gaffeln an die Gemeinde die Frage, ob sie ihm nach Vorschrift des Verbundbriefs zu Hilfe käme, wenn man seine Vollmacht einschränke oder gar mit Gewalt gegen ihn vorginge431. Erst etwa ein Vierteljahr nach dem Michaelstag ermannte sich also der Rat, der Gemeinde seine verfassungsmäßigen Rechte darzulegen. In seinen Verständigungsangeboten freilich machte er weitere Zugeständnisse. Aber die Große wie die Kleine Schickung schoben Verhandlungen immer wieder auf: zuerst, wie es hieß, bis die Rechnungsprüfung abgeschlossen wäre; dann, als diese keine Anhalte für Anklagen erbracht hatte, bis die ungenaue Buchführung bereinigt wäre432. Stadtkundig freilich war: Man wollet fünf oder sechs von den obersten von dem regiment haben [= hinrichten]433. Indessen die man gern von dem regiment gehabt hett, boten an, sich vor der gantzer gemeinde auf gaffelen und anderswahe öffentlich zu verantworten434. Der Rat ließ darüber hinaus die Gemeinde wissen, daß er denjenigen, den man ihm wegen Unregelmäßigkei422 423 424 425 426 427 428 429 430 431 432 433 434
St. 1482 f. Nr. 264. St. 1483,10-30. St. 1483,12-14; 30-34. St. 1484-486 Nr. 265. St. 1484,3-9. St. 1484,9-13. St. 1484,13-485,34. St. I 485,34 f. St. 1486,5-10. St. I 486,10-26. Chr. XIV 939,9-19; 951,279-290; St. 1486-489 Nr. 266. Chr. XIV 938,34 f. Chr. XIV 939,20-26.
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ten melde und Überfuhre, gebührend strafen werde: mar nein, dieß wahr noch niet die braut, darumb das man dantzte435. Innerhalb der Gemeinde erhoben sich inzwischen gegensätzliche Strömungen. Zugleich mit der Frage, ob er mit ihrem Beistand rechnen dürfte, teilte der Rat den Gaffeln Klagen und Schreiben der Kölner Kaufleute mit. Darin drohten sie, die Stadt zu verlassen, wenn nicht die Belastungen des Handels wieder rückgängig gemacht würden und alsbald die Stadt zu geordneten Verhältnissen zurückfände 436 . Das machten viel rumoers under dem gemeinen volk, die sich ahn den kaufleuthen ernerten*31. Weitere Zerwürfnisse spalteten die Gemeinde. Unter den 81 erwähnten Reformvorschlägen hatten die Schickungen bestimmt, daß am Rathaus auf einer Tafel die amtlichen Brotpreise angeschlagen und überdies an sechs bis acht Stellen in der Stadt öffentlich Waagen aufgestellt werden sollten, damit jedermann das Gewicht der Brote nachprüfen konnte 438 . Dem mit den Verhandlungen beauftragten Rat, eyne mit den geschickten heren indfrunden van allen ampten ind gaffelen - wie er mehr als oft in einer Morgensprache wiederholte und damit auf die Anfuhrer hinwies439 -, kündigten jedoch die Bäcker an, ihr Handwerk aufzugeben 440 . Einer Stadt ohne Brot drohte mit aller Wahrscheinlichkeit ein Aufstand. Rat und Geschickte ließen wissen, so sy [die Bäcker] dan alle der Steide Coelne bürgere ind ingesesessene, ouch under unsen heren v. r. schuyr ind schirm denselven unsen heren ind der gantzer gemeynden zo lieve ind zo leyde gelych anderen bürgeren gesessen syn, ... dieselve beckere etzlicher gewalt ind oeverfals der eirberre gemeynden yrre weygerungen halven besorgen; daß gleichwohl keine Gewalt gegen sie ergriffen werden darf 441 . Doch nicht nur der von den Geschickten heraufbeschworene Bäckerstreit ließ im Rathaus Befürchtungen aufkommen, sondern auch vast alreley heymeliche ind offenbare vergaderungen up gaffelen ind ouch up anderen geistlichen ind werentlichen enden ind Steden442. Rat und Geschickte untersagten derartige Treffen, boten aber zugleich an, daß jedermann zusammen mit vier oder sechs Gaffelfreunden jederzeit allgemeine Anliegen - die 81 Reformvorschläge ausgenommen - beim Rat anbringen könnte 443 . Als öffentliche Beschwerdestelle sollte also der Rat, den die Geschickten immer wieder ins Feuer schickten, die Spannungen innerhalb der Gemeinde auffangen. Diese Rechnung der beiden Schickungen ging jedoch nicht auf. Mit ihrer Unnachgiebigkeit entfernten sie sich augenscheinlich mehr und mehr von den Meinungen und Stimmungen auf den Gaffeln. Das Inkrafttreten seines Beschlusses, der die Gemeinde-Geschickten vor künftiger Bestrafung schützen sollte, hatte der Rat von der Zustimmung aller Gaffeln abhängig gemacht444. Am 6. Dezember 1481 wollen die gaffelen ihnsgemein den zedel ihn keiner weis zulassen445. Mit dem, was ihre Vertreter für sich selber wünschten, war die Gemeinde, und zwar die Gemeinde ihnsgemein, nicht einverstanden. Mit dem verlangten uneingeschränkten Vertrauen hielt sie sich zurück. Am 22. Januar 1482 entzog sie sich ihren "Geschickten" noch weiter. Als die Gaffeln einsahen, daß jene den aufsatz niet ahngehaben, das man fred oder der gemeinden nutz und
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Chr. XIV 939,26-31. St. 1485,39-43; Chr. XIV 937,17-21; 955,522-529. Chr. XIV 937,21 f. 438 St. 1472,1-10. 439 St. 1490,5 f., 26 f., 35; 491,25 f., 41 f. 440 St. 1490,20. 441 St. 1491,16-32. 442 St. 1491,35-37. 443 St. 1491,40-492,13. 444 Chr. XIV 937,7-13. 445 Chr. XIV 937,15 f.; 955,500-521. 436
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wolfarth suechen oder fursetzen wollen , daß vor allem die Kleine Schickung sich an die Stelle des Rates setzen wollte, entsandte die eirberre gemeynde uysz allen ampten ind gaffelen bij unse heren ind die frunde je einen Vertreter, umb mit unsen heren v. r. ind den frunden sich zo besprechen ind zo raide zo helpen der irrongen ind Unwillens halven tuschen unsen heren ind der gemeynden ... up eynen gemeynen Vreden ind eyndreichtigeit ... zo ordinyeren*47. Die in den Gaffeln institutionalisierte Gemeinde bestellte also aus ihrer Mitte abermals ein Gremium, welches - übrigens erfolglos - den Riß zwischen den gleichfalls von ihr bevollmächtigten Gremien, nämlich Rat und Geschickten, die sie ebenfalls "Gemeinde" nannte, kitten sollte448. Mit Selbstverständlichkeit und ohne daß jemand Zweifel über ihre Befugnis äußerte, stellte sich die Gemeinde der 22 Gaffeln über die Organe, denen sie schon Vollmachten und Rechte erteilt hatte, die aber nicht nach ihrem Willen handelten. d) Die Gemeinde gegen eine Umsturz-Gemeinde, 18. und 19. Februar 1482 Seitdem ihr Bericht etwa beim 6. Dezember 1481 angelangt ist, nennt die ratsfreundliche Prosarelation die Unnachgiebigen in den beiden Schickungen boeße gesellschaft449 und bezeichnet ihr Vorhaben als boes und schnoed 45°. Keines Menschen Rat erreichte sie, want der boes geist die hertzen der boeßen so gahr beseßen und verbündt hatt, das kein fred noch eindracht darihn zu brengen wahr451. Schließlich hat der teufel von der hellen die hertzer der boeser schnoeder leut beseßen ..., ihrer ahngehaben schnoeden Sachen entschaft zu machen*51. Am 16. Februar 1482 verabredeten sie auf dem Rathausplatz, das sei des mohntags negst darnach ... etzliche von den obersten von ihrem regiment setzen wolten und etzliche enthaubden453. Am verabredeten Fastnachtsmontag, dem 18. Februar, versammelte sich auf der Buntwörtergaffel ein merklich gezall boeser schnoeder boesen ... und seint mit einer mirklicher großer procession komen auf das rathhauis mit einem großen ungebeir und geruicht454. Die procession war offensichtlich derjenigen vom 29. September 1481 nachgeahmt, jedoch konnten sich die Teilnehmer nicht wie damals auf einen in geordnetem Verfahren herbeigeführten Auftrag der Gemeinde aller 22 Gaffeln berufen. Gleichfalls wird die Menge, die sich zu etwa 3000 bis 4000 455 - erstmalig wird eine geschätzte Zahl genannt - auf dem Rathausplatz einfand, nicht wie die jenes Michaelstages mit "Gemeinde" bezeichnet. Überhaupt meiden der Bericht wie auch die übrige Überlieferung der Verhandlungen, die jene Anfuhrer begannen und die mit der Gefangensetzung von 31 Personen endeten, das Wort "Gemeinde" 456 , obwohl diejenigen, die das Stadtregiment an sich zu reißen trachteten, meist Mitglieder der Schickungen waren. Die Prosarelation nennt sie schnoede boefen, eine schnoede sort, boeswichter451. Was jene da anstellten, geschah nicht im Auftrag der Gemeinde, und nach ihrem Sinn war es augenschaulich auch nicht. Sie selbst dürften
446
Chr. XIV 938,32 f. St. I 492 Nr. 268. 448 St. 1500,1-4. 449 Chr. XIV 937,20; 938,8; 941,22. 450 Chr. XIV 938,11. 451 Chr. XIV 939,33-35. 452 Chr. XIV 940,7-9. 453 Chr. XIV 940,14-16. 454 Chr. XIV 940,18-22; St. I 501,23-26. 455 Chr. XIV 940,23. 456 Der Rat sprach am 26.2.1482 von groisse vergaderonge des volks und eyn deyl des voulks: St. I 501,24 f. 457 Chr. XIV 941,21,24,25; 942,23. Die Reimchronik (ebd. 951,322) spricht vom boven J. Hemmersbach. 447
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sich hingegen wohl wie die am Michaelstage 1481 auf dem Rathausplatz versammelte Menge als Gemeinde betrachtet und bezeichnet haben. Wegen des Gewaltstreichs bestund nuhn ein große rumoir binnen der Stadt Cölln ..., und so feugte es sich, das die gantze erbar gemeinde, die noch der treuen und hulden, darmit sei dem rath von Cölln verwant wahrn, niet vergessen hatt, wiewol sei doch etzlicher maßen kurtz darfur auf den rath unbillig wahrn, den nachmittag und die nacht durch fleißige arbeit, die sei von einer gajfelen zu der anderen theden, dazu gebracht wurde, diesen von ihr nicht gewollten Umsturz ihrer Führer umzustürzen458. Abermals erwies sich das Gaffelgefüge der Gemeinde für schnelle Abreden und rasches Handeln als höchst zweckmäßig und wirkungsvoll. Am Fastnachtsdienstag hatten sich die gemeind von allen ampten und gajfelen jeder auf sein gaffel vergadert, dort beraten, wie die Gefangenen zu befreien wären, dann mit allen Gaffeln sich auf dem Heumarkt geharnischt versammelt und aldaer ein eindrechtig schloß geschlossen - also eine Gemeindeversammlung alten Stils mit Beschluß -, ihre Herren und Freunde mit Gewalt aus den Stadttürmen herauszuholen459. Auis der gantzer gemeinden beauftragten sie sieben oder acht Bewaffnete, angetan mit den Zeichen eigener vollmächtiger Wehrhaftigkeit, dem tagenden Rat von der gantzer gemeinden den gefaßten Beschluß mitzuteilen und ihn zur Mitwirkung aufzufordern, die eingesperrten Ratsmitglieder zu befreien; andernfalls wollten sie, was der Rat nicht für ungut halten möge, jene trotzdem in Freiheit setzen. Gern und sofort ging der Rat auf das Angebot ein; er hatte es eilig, sich mit einer ihm wieder zugetanen Gemeinde ins Einvernehmen zu setzen460. Aber nicht zu übersehen ist die Ehrerbietung, mit der diese, die doch soeben die ausübende Gewalt an sich gezogen hatte, an ihn herantrat. Um nichts kümmerte sich nach dem fehlgeschlagenen Aufruhr der Rat jedoch vordringlicher, als sich von der Gemeinde seine verfassungsmäßige Stellung als alleinige Regierungsgewalt bestätigen zu lassen. Aus jeder Gaffel, abgesehen von deijenigen der Schuhmacher, traten nacheinander jeweils zehn oder zrwölf Mitglieder abermals in Waffen - also als Freie und Wehrhafte, nicht als Untertanen - vor ihm auf. Sie erklärten, daß der groß unwill vom Vortage ihnen von hertzen leid wäre461. Daraufhin richtete der Rat an jede einzelne der Gaffeln zwei Fragen: erstens of das were mit in oder under in geschloßen, das man also mit in [das heißt den Ratsmitgliedern] umb solte gain, und zweitens ob sie den Verbundbrief einhalten wollten462. Die erste Frage zielte darauf, ob die in den 22 Gaffeln gegliederte Gemeinde, also die Gemeinde der Verfassung, in einer Einung, also auf der Gemeinde gemäßen Rechtsgrundlagen die Entmachtung des Rates beschlossen hatte, indem sie Ratsmitglieder ausschaltete. Der Rat vergewisserte sich mithin bei der Gemeinde, ob sie ihn in der bestehenden Zusammensetzung weiterhin amtieren lassen wollte. Die zweite Frage sollte klären, ob die Gemeinde noch auf dem Boden der hergebrachten Verfassung stünde, kurz: ob sich der Rat einer weitergehenden Revolution gegenübersähe oder nicht. Beide Fragen des Rates weisen die Gemeinde als bestimmende Gewalt über Regiment und auch Verfassung aus; die Gemeinde hatte die Vollmacht, beides zu ändern oder zu belassen. Do antwortten die gajfelen der meiste theil: das enwere also niet geschlossen und sei enweulten auch niet meineidig werden, sonder sei wulten den verbuntbrief halten463. Die Gemeinde bestätigte also dem Rat, daß sie ihn, so wie er bestand, niemals angefochten hatte und künftig nicht anfechten wollte. Sie entzog damit faktisch den Schickungen die Rechtsgrundlage.
458 459 460 461 462 463
Chr. Chr. Chr. Chr. Chr. Chr.
XIV XIV XIV XIV XIV XIV
942,15-24. 942,30-35. 942,35-943,11. 943,18-25; St. I 501,34 - 502,9. 943,26-29. 943,29-31.
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Daraufhin setzte der Rat das vom Verbundbrief vorgeschriebene Verfahren gegen Aufrührer in Gang464. Deren sechs wurden noch am Nachmittag des Fastnachtsdienstag auf dem Heumarkt enthauptet, vorweg der Gürtelmacher Johan Hemmersbach, welcher plach gemeinlich das wort zu fiteren von der gemeinden vor dem rat465. Nachträglich also anerkannte die Prosarelation Hemmersbachs Sprecherrolle als eine ihm von der Gemeinde aufgetragene. Sie läßt freilich offen, welche Art von Gemeinde ihn darin stützte. Es gab wie am Michaelstage des Vorjahres in jenen Tagen also immer noch die lockere Gemeinde in zufalliger Zusammensetzung. Die Zuschauer, die sich am 21. Februar 1482 auf dem Heumarkt an der Hinrichtung des Burkhardt Falkenstein ergötzten, waren gantze gemeynde. Alda vur der gantzer gemeynden466 hatte der Delinquent die Niederschrift bestätigt, die über seine Antworten auf die Verhör-Fragen angefertigt worden war und ihmvor der Enthauptung vorgelesen wurde. e) Die Umsturz-Gemeinde Innerhalb der in den 22 Gaffeln verfaßten Gemeinde gab es während jener unruhigen Monate auch eine andere, deren Zusammensetzung nicht leicht zu fassen ist. Ihre Mitglieder gehörten augenscheinlich den Gaffeln an, konnten also ungehindert dort auftreten. Sie versuchten, ständig Unruhe unter ihren Gaffelgenossen wachzuhalten und diese schließlich in den Aufstand zu treiben467. Eine Vorstellung davon, wie diese lockere Gemeinde von einem der führenden Köpfe der Erhebung, dem aus altem Geschlechteradel stammenden Werner von Lyskirchen468, gesehen und behandelt wurde, vermittelt das Verhör, das vom 4. bis 7. März 1482 mit ihm durchgeführt worden ist469. Lyskirchen war seit dem 25. Dezember 1481 auch Mitglied des amtierenden Rates. Dort glänzte er offenbar durch ständigen Widerspruch, vielleicht sogar starre Widersetzlichkeit. Auf den Gaffeln überließ er das Aufwiegeln weitgehend dem redegewandten Johan Hemmersbach. Doch stand er mit diesem in sehr vertrauter Verbindung und wußte ihn wohl auch zu lenken470. Allerdings empfahl er sich, sobald sich eine Gelegenheit bot, selbst der unruhigen Gemeinde. In ihren Reformvorschlägen hatte sie anfangs - wie ausgeführt - gefordert, jedermann jederzeit eine Kontrolle des Brotpreises und Brotgewichtes zu ermöglichen. Werner bekannte, daß er von Rats wegen mit einer entsprechenden Bekanntmachung nicht auf die Gaffeln geschickt werden wollte, weil er wußte, dat der gemeynde die zedule nyet wale behagen seulde, ind so he dan der gemeynde allezyt yre •wort gedaen hedde. Für den Rat wollte er sich nicht tgen die gemeynde stellen; diese könnte ihm einen Parteiwechsel unterstellen, ind den undanck en weulde he nyet verdienen an der gemeynden4'11. In diesem Zusammenhang kann man wohl kaum Klarheit gewinnen, ob Werner mehr die institutionalisierte Gemeinde der Gaffeln oder mehr die der Wühler im Sinn hatte. Über seinen nächsten Auftritt läßt sich allerdings eindeutig entscheiden: Als sich am 18. Februar 1482 die gegen den Rat opponierenden Schickungen und deren Anhang ins Rathaus drängten und Abgesandte des Rates zu sprechen wünschten, wollte Werner nicht auf Befehl des Rates hinausgehen, wohl aber dan, -wanne die gemeynde na yem schickden472; es war die aufrührerische Gemeinde. Wenn Werner als Ratsmitglied den Rat und seine Mitglieder immer wieder schmähte, dürfte er bei diesen Unzufriedenen Eindruck hinterlassen haben. Zum Münzmeister hatte er ein464
Chr. XIV 943,31-35; HOLBECK (Anm. 261) 60. Chr. XIV 944,5 f. 466 St. I 500,44 f. 467 Chr. XIV 928,5-19.
465
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LOOZ-CORSWAREM ( A n m . 3 7 7 ) 84.
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St. St. St. St.
470 471 472
1507-512, Nr. 273. 1498,6-9; 508,22-26, 31-39; 510,8-10, 39-41. 1510,29-36. 1509,18-29.
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mal geäußert, daß die Gemeinde durch den - wohl von ihm vorausgesagten - Aufruhr nicht belastet würde; doch krege die gemeynde des eynichen last, deckten sij unsen heren an yren lyven ind gueden affizonemen473; diese gemeynde, die sich auch an Leben und Habe der Herrschenden schadlos halten wollte, konnte nur eine ganz kleine Zahl von Angehörigen haben. Auch sollten nach Werner die damals Regierenden nicht bei ihren Ehren (= Ämtern) bleiben; denn wenn die noch im Gang befindliche Rechnungsprüfung der Gemeinde - hier wohl den beiden Schickungen - vorgelegt würde, dann wolle er die Regierenden bezichtigen, öffentliches Gut großzügig verschenkt zu haben ind dardurch die gemeynde dartzo reytzen, dat sij der heren bij geyme regimente laissen seulde474. Die beiden Schickungen, die dem Rat ohnehin zusetzten, nannte Werner kurz Gemeinde; er wollte sie mit bloßen Behauptungen zur Beseitigung des Rates anstacheln. Dies stützt eine weitere Aussage Werners über jene Rechnungsprüfung. Im Ergebnis belastete sie, wie dargelegt, die bis dahin maßgeblich Regierenden nicht, sondern eher diejenigen, die die Prüfung verlangt und durchgeführt hatten. Up dat die gemeynde in der schände nyet bleve, wollte Werner den Münzerherren ans Zeug flicken475. Die gemeynde, die mit Hilfe der Rechnungsprüfung die Regierenden stürzen wollte, saß besonders in der Kleinen Schickung. Selbstverständlich handelt es sich in diesem Verhör um Fragen und dementsprechend Aussagen, die den Regierenden zustatten kamen; auch die Niederschrift verrät ihren Einfluß. Doch an der Tatsache ist wohl kaum zu rütteln, daß die aufsässige Gemeinde, die sich hartnäckig einem Frieden verweigerte und sich an die Stelle des Rates setzen wollte, vor allem aus verantwortungslosen Hetzern und Aufwieglern bestand. Diese saßen in den Schickungen und galten wohl deswegen als Gemeinde, weil sie sich auf ihre Wahl durch die Gemeinde der 22 Gaffeln berufen konnten. Hinzu kam offenbar persönlicher Haß unter einigen Männern an der Spitze476. Diesen, vor allem soweit sie den alten Geschlechtern angehörten, ging es zudem gar nicht um die Gemeinde. Ihnen waren radikale Elemente wie Hemmersbach nur nützliche Spießgesellen. Bekannte doch Werner, daß, wenn das Vorhaben geglückt und die regierenden Herren abgesetzt worden wären, sij [die Aufständischen] yn dan zo eyme oeversten ind yrsten kiesen seulden471. Tatsächlich führte er am Fastnachtsmontag, als sich an der Spitze der Festgenommenen einer der beiden Bürgermeister befand, bereits den Bürgermeisterstab in Händen, freilich nicht aufgrund einer Wahl478. Letztlich aber sei es ihm darum gegangen, die heren, yetzont regieren, zo brengen van dem regimente ind die van den gesiechten dairan zo brengen479. Der reaktionäre Hintersinn der eigentlichen Drahtzieher des geplanten Umsturzes blieb auf den Gaffeln dem größeren, ruhigeren Teil der Gemeinde vielleicht nicht ganz verborgen. f) Einigung der Gemeinde nach dem Aufstand durch den Rat Die Folgen des Aufstandes ließen sich nur gemeinsam und im Einverständnis mit der Gemeinde überwinden. Daß dort über die Mittel und Wege die Ansichten alsbald auseinander gingen, verwundert weiter nicht. Fehlte doch zum Beispiel am 19. Februar, als die Gaffeln dem Rat feierlich ihre Loyalität bekundeten, die Schuhmachergaffel; antworteten von den Gaffeln doch nicht alle, sondern nur der meiste theilm\ und hatten vorher an dem Überfall am Fastnachtsmontag im Rathaus doch immerhin sechs oder 473 474 475 476 477 478 479 480
St. I 509,39-43. St. 1 5 1 0 , 2 0 - 2 8 . St. 1 5 0 8 , 8 - 1 3 . St. I 510,14-19, 37-39; 511,4 f. St. 1 5 1 0 , 4 2 - 5 1 1 , 3 . LOOZ-CORSWAREM (Anm. 377) 85. St. 1 5 1 1 , 5 f. Chr. XIV 943,20 f., 29.
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sieben Gaffeln teilgenommen . In einer Morgensprache vom 26. Februar 1482 versuchte der Rat die anscheinend gewachsene Erregung in und zwischen den Gaffeln zu dämpfen482. Darin lobte er zunächst das Verhalten der Gemeinde am 18. und 19. Februar in den höchsten Tönen, dankte für ihre Hilfe aus der Not, versprach seinerseits, die Unterstützung yre eirbere gemeynde altzyt guetlich zo verschulden483, und unterließ nicht, weiteres Einvernehmen insofern einzuwerben, als die dem Rat ind der gantzer gemeynden ouch angebrachten] Übeltaten an den Aufrührern bestraft werden sollten, und zwar von unse heren v. r. mit yren frunden ind den heren ind frunden van allen ampten ind gafflen yrre gantzer gemeynden darzo sunderlingen geschickt ind ordinyert484. Der Rat wollte nicht nur, er konnte wohl auch nicht angesichts der Verstrickungen der meisten Gaffeln allein die Abrechnung mit den Schuldigen durchführen. Außerdem gärte es heftig in der Bevölkerung. In derselben Morgensprache stellte der Rat fest, dat vyllichte etzlige moitwillige, kreytzende, verwyssende reden ind spraichen under der eirbere gemeynden van mannen ind vrauwen ind ouch eyne gaffelgeselschaffi tgaen die andere wegen der jüngsten Vorgänge geführt würden485. Er gebot streng Mäßigung486, so sich doch die eirbere gemeynde sementlichen unsen heren v. r. so truwelich indfruntlich bewyst haint in yren noeden, wozu sie, wie er nachschiebt, durch Verbundbrief und Eide auch verpflichtet war487. Der Rat riet also, das Verhalten einzelner Gaffeln nicht allzu eingehend zu besprechen und zu bewerten. Er selbst rückte von sich aus das loyale und im übrigen verfassungsgemäße Verhalten der gemeynde sementlichen in den Vordergrund: wohlgemerkt nicht der gemeynde besonder, denn einzelne Gaffeln hatten es an Ratstreue fehlen lassen. Es ging also darum, die Gemeinde wieder zu befrieden und zu einigen. Der Rat bemühte sich, früheres Fehlverhalten der einen oder anderen Gaffel möglichst herunterzuspielen; er beschwor dagegen die Bewährung der Gemeinde insgesamt in der Stunde der Not. Nicht mehr die Gemeinde versuchte, wie noch am Anfang der Unruhen, den Rat zu lenken; am Ende der Unruhen mühte sich der Rat, die Gemeinde zusammenzuhalten. Es zeigte sich nämlich nur allzu bald, daß die Aufschläge besonders beim Zoll, damit die eirbere gemeynde [Ende September 1481] sich beduncken lyess beswiert zo sy«488, nun doch erhoben werden mußten, weil, wie der Rat versicherte, daemit ouch die eirbere gemeynde myn dan mit anderen weigen ... beswiert werden mach489. Wegen steuerlicher und Abgabenentlastungen hatte die Gemeinde am Michaelstag 1481 dem Rat eigene Gremien neben- und übergeordnet; diese Gremien aber vergaßen ihren Auftrag und ließen sich zu Aufstand und Umsturz verleiten. Die Gemeinde hatte aus ihrer Mitte keine Persönlichkeiten hervorgebracht, die für ihr Wohl, so wurde es ihr nun dargestellt, besser als der Rat sorgten. Es blieb ihr nach dem 18. Februar 1482 nichts anderes mehr übrig, als den Rat gelten zu lassen, mochte er sich gegenüber der Gemeinde durch noch so bedenkliche oligarchische Tendenzen abschließen. 8. Die Gemeinde für Stadtrecht und Bürgerfreiheit 1512/13 Aus den Unruhen von 1481/82 ging die Gemeinde zwar nicht geschwächt, der Rat aber durchaus gestärkt hervor. Diesem Ausgang der Dinge vermochte er offenbar nicht die 481 482 483 484 485 486 487 488 489
St. St. St. St. St. St. St. St. St.
I 509,7, 12, 24. 1501-504 Nr. 271. I 502,14-18. 1502,21-27. I 503,23-26. 1503,30-40. 1503,40-43. 1505,1-9. 1506,21.
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Mahnung zu entnehmen, gegen die öffentliche Schuldenlast anzugehen und dabei die Gemeinde nicht zu überfordern; das war schließlich der Grund gewesen, der sie im September 1481 hatte aufbegehren lassen. Er überhäufte sie im Gegenteil mit erheblichen weiteren Lasten. Den Wildwuchs in den Ausgaben bekämpfte er dagegen nicht, und auf eine ihn entlastende Rechnungsprüfung achtete er erst recht nicht490. Zu Beginn des Jahres 1512 habe der Rat, so heißt es, wegen der zurückgegangenen Akzise-Einnahmen die Einwohner mit einer direkten Steuer belegen wollen. Die gemein bürger van allen gajfelen, so berichtet ein Duisburger Chronist, verbanden sich daraufhin, tosamen levendich ende doit byein to bliven. Diese Schwur-Einung soll gefordert haben, die Rechnungsbücher der letzten 30 Jahre zu prüfen491. Was daraus und überhaupt aus diesem Auftritt der Gaffeln geworden ist, darüber schweigt die Überlieferung. Bei aller Unbestimmtheit deutet sie doch wohl immerhin an, daß es gegen den Rat in der Bevölkerung offenbar brodelte. a) Die Gemeinde gegen Rechtsbrüche des Rates Doch nicht die undurchsichtige Finanzwirtschaft und erhöhter Steuerdruck lösten dann am Jahresende 1512 den Aufstand aus, sondern zwei gewalttätige Rechtsbrüche, die der Rat zu verantworten hatte. Es steht dahin, ob er sich je zuvor so offen Ahnliches hatte zuschulden kommen lassen. Auf der Steinmetzgaffel war es am 21. Dezember 1512 bei der Wahl eines neuen Amtsmeisters hoch hergegangen492. Der gegen die Schläger zu Hilfe gerufene Rat ließ in der Nacht des 26. Dezember einige Beteiligte in ihren Häusern verhaften und auf Stadttürme abführen. Das war der erste Rechtsbruch. Auf die mit Windeseile sich verbreitende Nachricht über diese Maßnahme flüchteten andere, ebenfalls beteiligte Steinmetzen in die Immunität von St. Maria im Kapitol. Dort drangen grob rechtswidrig493 - die beiden Gewaltrichter mit ihren Dienern ein, konnten aber der Flüchtigen nicht habhaft werden. Die fünf ergriffenen Steinmetzen wollte der Rat danach hinrichten lassen, ihre Gaffel verlangte dagegen die Freilassung. Der Rat bat die übrigen Gaffeln um Rückhalt, erhielt aber eine Absage. Die sonst ratstreuen Wollenweber antworteten ihm, das wäre keine [Bürger-jFre/Tieii, das man einen aus seinem Hause in der Nacht oder von der Freiheit [einer Kirche] zum Turm führe; auch sollte er den ungewöhnlichen Zins absetzen und ihnen Rechenschaft tun*94. Die Wollenweber beriefen zum 4. Januar 1513 sämtliche Gaffeln auf die Immunität von St. Maria im Kapitol. Die Wahl dieses Versammlungsortes läßt aufmerken: Zunächst enthielt sie eine den Rat herausfordernde Anspielung auf den kürzlichen Übergriff, und ferner entzog sich dieser Ort dem polizeilichen Zugriff des Rates. Dort verbündeten sie [die Gaffeln] sich, beieinander zu leben und zu sterben. Danach ging ein jeder auf seine Zunft, brachten mit sich ihre Harnisch und Gewehr, und nahmen alle Türme und Pforten ein49S. Die Gaffeln als Gemeinde verschworen sich also in der durch die Jahrhunderte hindurch überlieferten Weise zu einer Einung. Immer war dies noch die Rechtsgrundlage, auf der alles weitere Vorgehen der Gemeinde fußte. Ihr Ziel war offenkundig die Übernahme aller Gewalt in der Stadt. Dafür spricht, daß sie zuerst militärisch zugriff. Am nächsten Tag nahm sie auch politisch das Heft in die Hand. Jede Gaffel wählte sechs bis zehn, alle Gaffeln insgesamt wählten 178 Vertreter. Diese 490
LOOZ-CORSWAREM (Anm. 377) 71 f. Chr. XXIV 235 f.; LOOZ-CORSWAREM (Anm. 377) 72. 492 Die folgenden Ausführungen nach G. ECKERTZ, Die Revolution in der Stadt Köln im Jahre 1513, in: AHVN 26 (1874) 197-267; P. P. TRIPPEN (Bearb.), Die Kölner Revolution vom Jahre 1513, in: Stadtkölnischer Hauptkalender 1932 (Alt-Köln-Kalender 19) Köln 1933, 75-83. 491
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HOLBECK ( A n m . 2 6 1 ) 52. ECKERTZ ( A n m . 4 9 2 ) 199 f.; TRIPPEN ( A n m . 4 9 2 ) 76.
TRIPPEN (Anm. 492) 77.
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schworen, bei der Gemeinde zu leben und zu sterben* . Allein die Gemeinde, nicht mehr der Rat oder eine Einrichtung sonst hatte jetzt Anspruch auf Treue und Gehorsam der Einwohnerschaft. Eine Voraussetzung oder Bedingung brauchte dafür die Gemeinde nicht zu erfüllen. Sie übte eine ihr ganz selbstverständlich zukommende, nie bestrittene Macht und Vollmacht aus. Davon leiteten ihre Vertreter die ihre ab, indem sie die der Gemeinde durch ihren Schwur anerkannten. Auch weiterhin betätigte sich die Gemeinde als unbeschränkte Herrin über die Gestaltung sowohl eines vorübergehenden Notstands- als auch eines für die Dauer gedachten Stadtregiments. Sie wählte am 7. Januar 1513 eine Kleine Schickung aus 23 Bürgern - aus jeder Gaffel einen, von den Wollenwebern zwei - wie auch einen neuen Rat: die Schickung zur Kontrolle über die Durchführung ihrer politischen Vorgaben; den Rat in belassener Verfassung, aber in neuer persönlicher Zusammensetzung, weil bisherige Mitglieder durch die beiden Rechtsbrüche untragbar geworden waren497. Zu außerordentlichen Maßnahmen in außerordentlichem Verfahren an außerordentlichen Terminen war allein die Gemeinde imstande, ohne das Recht oder die Verfassung zu verletzen. Die Große Schickung übernahm es, darüber zu beschließen, wer - besonders aus dem abgesetzten Rat - dem Hohen Weltlichen Gericht zur Aburteilung überstellt werden sollte498. Die Vertretung der Gemeinde handelte erkennbarer als in den Jahren nach 1396 in fast hochgerichtlicher Hoheit vor allem über Ratsmitglieder. Vom 8. bis 15. Januar wurden insgesamt zehn Personen, darunter die beiden amtierenden Bürgermeister und ein Rentmeister, der vorher fünfmal Bürgermeister war, auf dem Heumarkt hingerichtet sowie weitere 15 Personen, darunter viele abgesetzte Ratsmitglieder, mit hohen Geldstrafen oder Verbannung bestraft499. Die Verurteilten hätte die Gemeinde vor der Hinrichtung noch begnadigen können. Anders wäre der Besuch, den - flehentlich, aber vergeblich - die Ehefrauen der beiden Bürgermeister von Gaffel zu Gaffel machten, doch sinnlos gewesen500. Als Inhaberin des Begnadigungsrechts aber war die Gemeinde überhaupt Inhaberin oberster Gerichtsgewalt. Anhand der von der Großen Schickung eingereichten Beschwerden und Vorschläge erging in den folgenden Monaten eine Fülle von ordnenden Beschlüssen. In einem gedruckten Erlaß vom 19. Juni 1513 erklärte der Rat den Aufruhr für beendet, weil allen berechtigten Forderungen, die eyn eirber gemeynde von allen ampten und gaffelen luyde eyns brieffs ... begert hait, entsprochen worden wäre501. Nicht auf Grund vorangegangener Wühlereien Einzelner oder kleiner Gruppen wie 1481/82, sondern vielmehr wie 1396 hatte auch 1512/13 die Gemeinde sich gegen ein Regiment erhoben, das in hochfahrender Selbstherrlichkeit das Recht in der Stadt aufs Spiel setzte. Die Gemeinde und ihre gewählten Vertreter hatten 1512/13 keine revolutionären Umwälzungen und nicht einmal - wie kurzfristig 1481/82 - Verfassungsänderungen im Sinn. Ihr ging es allein um Rechtssicherheit für Kölns Einwohner, ein verfassungstreues Regiment und eine geordnete und unbestechliche Verwaltung. b) Gemeinde und Gemeindeglieder im Transfixbrief vom 15. Dezember 1513 Dies sollte für alle Zukunft ein feierliches Verfassungsdokument, der Transfixbrief vom 15. Dezember 1513, sichern. Das "geheiligte Ansehen des Verbundbriefes"502 sollte er 496
TRIPPEN ( A n m . 4 9 2 ) 77; M . GROTEN (Bearb.), B e s c h l ü s s e d e s R a t e s d e r Stadt K ö l n 1 3 2 0 - 1 5 5 0 , B d . 2: 1 5 1 3 - 1 5 2 0 ( P G R h G K 65) D ü s s e l d o r f 1989, 1 N r . 1. 497 LOOZ-CORSWAREM ( A n m . 3 7 7 ) 74; GROTEN, B e s c h l ü s s e ( A n m . 4 9 6 ) 1 f. N r . 4. 498 TRIPPEN ( A n m . 4 9 2 ) 78, 80; ECKERTZ ( A n m . 4 9 2 ) 2 0 7 ; HOLBECK ( A n m . 2 6 1 ) 60. 499 HOLTSCHMIDT ( A n m . 3 6 6 ) 69; LOOZ-CORSWAREM ( A n m . 3 7 7 ) 75; GROTEN, B e s c h l ü s s e ( A n m . 4 9 6 ) 3 N r . 9 - 1 1 , 13. 500 TRIPPEN ( A n m . 4 9 2 ) 79; ECKERTZ ( A n m . 4 9 2 ) 2 4 5 , 257. 501 LOOZ-CORSWAREM ( A n m . 3 7 7 ) 76. 502 HOLTSCHMIDT ( A n m . 3 6 6 ) 59.
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nicht schmälern, im Gegenteil dessen Wirkung durch Erläuterung und Ergänzung stärken503. Veranlaßt, so heißt es darin, sei er unter anderem durch die boese missbruichonge etlicher oversten, die in regument dieser hilliger unser frier stat Coelne gewesen sin; diese haben es fertig gebracht, eiligen uss einer erberen gemeinde mit gewa.lt wider zo besweren ind zo overfallen, dairumb ein gantze gemeinde ind alle gaffelen doin vergaderen. Den Frevel hat eine eirber gemeinde inn irre vergaderonghenn wider betracht; damit er künftig nicht mehr vorkäme, hat eine eirber gemeinde durch ingeben und verhenckenisse des almechtigen gotz in irre vergaderonge es gutgeheißen, daß die Schuldigen nach Kaiserrecht mit Schöffenurteil bestraft würden504. Die Gemeinde also fühlte sich durch das eigene Regierungsorgan verletzt und erklärte sich zur treibenden Kraft, derartige Rechtsverletzungen künftig zu verhindern. Um so erstaunlicher ist es, daß sich als Aussteller des Transfixbriefes melden wir burgermeister, rait, vort die gansse eirber fromme gemeinde van allen ampten und gaffelen505. Die Regierungsorgane - diese sogar zuerst - und die Gemeinde werden hier unterschiedslos aneinandergereiht. Daran ändert sich auch nichts im folgenden langen Text noch in der Corroboratio und Siegelankündigung am Schluß. Das handhabte, wie erinnerlich, der Verbundbrief anders. Die gegenüber dem Verbundbrief erhöhte Bedeutung der Regierungsorgane im Transfixbrief belegen zudem die Rechtsgrundlagen, auf die hier die Aussteller ihre Vollmachten stützten: crafft des gemeinen rechten, paisslicher und Roimscher keiserlicher und kuniglicher friheiten uns ind unser stat verlehent, und [man beachte!] ouch uiss overicheit unser stat ind unsers regumentz mit wist, willen ind believonge aller ampten, gaffelen und einer eirberre fromer gemeinde506. Die Stadt- und Regierungsoberen beanspruchten also ein eigenständiges Recht zur Verfassungsgebung und begründeten dies mit ihrer Obrigkeit und ihrem Regiment, das heißt der ausfuhrenden Regierungsgewalt. Das Wort "Obrigkeit" fallt meines Wissens in einem Kölner Verfassungsdokument hier zum ersten Mal. Der Gemeinde verblieben wist, willen und believonge. Das klingt nach bloßem, wenn auch notwendigem Zustimmungsrecht. Doch die Einzelbestimmungen des Transfixbriefes erlauben nicht, seine Intitulatio und Ausfuhrungen in der Arenga so auszulegen. Auf wissen ind willen aller ampter, gaffelen und einer gansser gemeine, also deren zustimmenden Beschluß, blieb das Regiment angewiesen, wenn auf der Rentkammer die Präsenzgelder wieder gezahlt, das üppige Essen am Freitag nach Weißen Sonntag wieder gestattet507, Akzisen erhöht, gesenkt oder verpachtet508, das große Stadtsiegel für Leib- und Erbrenten gebraucht509, Edelbürger-, Erb-, Leib- und Manngeld-Verschreibungen ausgestellt und wenn mit dem Erlös erledigter Erbrenten wieder Erb- oder Leibrenten gekauft werden sollten510. Die Gemeinde sicherte sich eine verstärkte Aufsicht über die Regierenden durch das Verbot von Ratscliquen, Vorgesprächen511 und jener "Ratsfreunde", die Ratsmitglieder gegen die Verfassung in die Ratskammer bestellten512, durch die Wiederbelebung der Vierundvierziger, die nicht Ratsmitglieder sein durften513, durch die Bestellung von ebenfalls dem Rat nicht angehörenden Gaffelabgeordnete zur vierteljährlichen Rechnungsprüfung
503
Chr. Chr. 505 Chr. 506 Chr. 507 Chr. 508 Chr. 509 Chr. 510 Chr. 511 Chr. 512 Chr. 513 Chr. 504
XIV, XIV, XIV, XIV, XIV, XIV, XIV, XIV, XIV, XIV, XIV,
CCXXXII. CCXXXIII. CCXXXIII. CCXXXIII. CCXXXIV. CCXXXVI. CCXXXVIII. CCXXXVIII f. CCXXXIII. CCXXXIV. CCXXXIV.
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der Rentkammem mit der Pflicht, Einnahmerückgänge den Gaffeln zu melden , sowie durch Gaffelabgeordnete, die den Gebrauch des großen Stadtsiegels überwachten515. Die Vierundvierziger hatten vorher zu billigen, ob von Päpsten, Kaisern, Königen oder sonst Privilegien eingeworben werden sollten516. Am meisten fällt unter den Kontrollrechten, die der Gemeinde, d.h. den Gaffeln, über den Rat gewährleistet wurden, dasjenige auf, das vermutlich besonders den Gaffeln selbst zugute kam, die nur ein Mitglied in den Rat entsandten, aber doch insgesamt die Mehrzahl der Bevölkerung hinter sich wußten: Ratsmitgliedern, die trotz ihres Einspruchs einen niet manierlich noch formlich, sonder parthilich zustandegekommenen Ratsbeschluß hinnehmen mußten, der die Mitglieder ihrer Gaffel besonders belastete, wurde gestattet, dies ihrer Gaffel zu berichten, ohne gegen die Geheimhaltungsvorschriften über Ratsverhandlungen zu verstoßen; auch konnte die Gaffel selbst deswegen ungestraft das veranlassen, was ihr nötig erschien517. Erstmals trug ein feierliches Grundgesetz wie der Transfixbrief - in Einzelvorschriften und Statutensammlungen war das längst geschehen - der Tatsache Rechnung, daß die Stadtgemeinde nicht nur aus den 22 Gaffeln bestand, sondern vor allem in den einzelnen Gemeindemitgliedern lebte. Die Satzungen der Stadt sollten gedruckt werden, so dat ein ieder ... wissenheit haven moige, wie hei sinen mitburger ind burgersse verdadingen ind bi burgerfriheit hanthafften und halden moege518. Noch weiter geht eine im Blick auf den Anlaß des Aufstandes ergangene Vorschrift; sie sichert jedem Einwohner die körperliche Unverletzlichkeit: up niemantz ciaigte noch anbrengen geinen burger, burgersse noch ingesessen binnen daige oder nacht uiss sinen burchfreden mit der gewalt niet hoelen noch up der straissen antasten noch angriffen doin, es sei denn bei handhafter Tat. Mit Gewalt darf, abgesehen von besonderen Fällen, kein Einwohner gefangengesetzt werden; es sei denn, er weigere sich nach dreimaliger Aufforderung, sich freiwillig zum Turm zu begeben. Gefangene Einwohner müssen spätestens am folgenden Ratssitzungstag verhört werden519. Die habeas-corpus-Bestimmungen, die in England 1679 ergingen, nahm in Köln der Transfixbrief bereits 1513 vorweg520. Im Rat beurteilte wohl immer wieder einmal das eine oder andere Mitglied einen Mitbürger oder Einwohner allzu enthemmt. Der Transfixbrief hob für ehrabschneidende Äußerungen, die das Ratsmitglied nicht beweisen oder rechtfertigen konnte, die Geheimhaltungsvorschrift über die Ratsverhandlungen auf, ermöglichte so dem Beschuldigten sich zu wehren und schloß den Verleumder für immer von allen öffentlichen Ämtern aus521. Nicht minder bedeutsam als das Grundrecht über die körperliche und die Unantastbarkeit der persönlichen Ehre war der jedem Einwohner durch ein geordnetes Berufungsverfahren gewährleistete Rechtsschutz: Wenn ein Einwohner glaubt, daß ihm sein Recht vorenthalten, er darin behindert, bedroht oder sonst eingeschränkt würde, kann er dies schriftlich dem Rat klagen. Hilft dieser nicht, mag er sich deswegen an seine Gaffel wenden. Damit richtet er seine Klage faktisch an die Gemeinde. Abermals erschließt sich daraus die Gemeinde als Gebieter des Rates. Wenn auf Einschreiten dieser einen Gaffel sich der Rat weiterhin sperrt, kann sie das den übrigen mitteilen und diese asdan dairin handelen und doin, wes si sementlichen in irre vergaderonghen sliessen und zo sulchen
514
Chr. XIV, CCXXXVII. Chr. XIV, CCXXXVIII. Chr. XIV, CCXXXV. 517 Chr. XIV, CCXXXV. 518 Chr. XIV, CCXXXVI. 519 Chr. XIV, CCXXXVII f.; über den Sonderfrieden von Haus und Wohnung vgl. HOLBECK (Anm. 261) 66 ff.; den "Burgfrieden" des Transfixbriefes: ebd. 73; über das Festnahmerecht: ebd. 40-54, besonders 49 f. 515
516
520
HEGEL, in: C h r . X I V , C C X I I I ; HOLBECK ( A n m . 2 6 1 ) 32.
521
Chr. XIV, CCXXXVIII; HOLBECK (Anm. 261) 77 f.
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handeil die noitturffi erheischen wurde522. Der Transfixbrief drohte also für einen solchen Fall eine Gemeindeversammlung und deren durch Schwureinung sich ergebenden Beschluß an. Das ohnehin der Gemeinde zukommende Widerstandsrecht gegen den Rat fand Eingang in die Verfassung. Es war die notwendige Ergänzung zur Beistandspflicht, die der Verbundbrief der Gemeinde aufgab. Insgesamt sicherte der Transfixbrief der Gemeinde durch deren eigene Vertreter bedeutsame Aufsichtsrechte über den Rat, sein Handeln und seine Mitglieder. Darüber hinaus gewährleistete er jedem Gemeindeglied elementare Grundrechte. Nicht zuletzt deretwegen konnte die Gemeinde der Gaffeln gegen eine rechtsweigernde oder rechtsvergessene Regierung einschreiten. Organisierte sich 1396 die Gemeinde selbst in den 22 Gaffeln, so organisierte sie 1513 die Gaffeln für das einzelne Gemeindeglied. Was von einer Versammlung aller Gaffeln, ihren Beschlüssen und den davon ausgehenden Handlungen der Gemeinde zu erwarten war, hatten die Ereignisse von 1396, 1481/82 und 1512/13 gelehrt. Sie lehrten vor allem, daß, wenn das von ihr eingerichtete Regiment versagte, die Gemeinde dies nicht länger trug, dabei die Volksmassen aufbot, wehrhaft auftrat und mit unbestrittener Vollmacht sowohl für eine Ausnahme- wie eine Dauerregierung sorgte. Die Gemeinde war mithin nicht nur ein Rechtskörper, sie lebte vor allem in ihren einzelnen Gliedern, die sie um ihrer Selbsterhaltung willen zu fördern und zu schützen bemüht war. 9. Zusammenfassung Die Gemeinde in Köln bildeten nach mittelalterlichem Verständnis alle Bürger - ob auch alle Stadtbewohner, steht bis zum Jahre 1396 dahin; ob überhaupt jemals die Masse der Tagelöhner, Knechte, Mägde, Gelegenheitsarbeiter und Unbeschäftigten als Gemeindeangehörige angesehen wurde, ist erst recht offen. Die Bürger, vielleicht auch alle Einwohner, gestalteten die Stadt. Für Herrschaftsfreiheit, Selbstbestimmung und eigene Gewalt in einem gewissen Rahmen hatten sie die Gemeinde ins Leben gerufen. Die Rolle und Bedeutung des Stadtherrn, der davon betroffen war und bei der Handhabung der Stadt mitwirkte, blieb in den vorangegangenen Ausführungen weitgehend außer Betracht. Es ging darum, das Wesen der Gemeinde in Köln sowie ihren Rang in der Stadtverfassung zu bestimmen. Politische, gesellschaftliche, wirtschaftliche und andere Antriebe, welche die Veränderungen auslösten, die Entwicklung beeinflußten und die mentalen Verhältnisse, aus denen heraus die Aussagen der Quellen entstanden, wurden allenfalls angedeutet, sind oft nicht einmal erwähnt worden. Dazu gibt aber im übrigen die bisherige Forschung gute Auskunft. Es galt vielmehr, einen Überblick über die Geschichte von Begriff und Sache zu gewinnen. Denn es geht doch nicht an, die Gemeinde als Begründer und Träger der Stadt hervorzuheben und sich alsdann in der städtischen Verfassungsgeschichte fast nur mit den Regierungsorganen zu beschäftigen. Das Recht, die Stadt zu begründen, betrachteten diejenigen, die sich dazu als Gemeinde zusammengeschlossen hatten, offensichtlich als eines, das ihnen von Natur aus zustand. Selbstverständlich bestritten sie ihrem Herrn nicht das Herrnrecht. Doch das Stadt-Gründungsrecht nahmen sie augenscheinlich existentiell für sich in Anspruch. Niemand hatte es ihnen verliehen. Es war deswegen auch kein verleihbares Recht. Seinem Ursprung nach besaßen es die Eigner selbstmächtig. Diese Beschaffenheit des Rechts ihrer Urheber prägte fortan auch das Recht der Gemeinde. Sie besaß und behielt das nicht verliehene und nicht verleihbare Recht, das ihren Begründern und deren Nachfahren eignete und diese ihrer Schöpfung für immer mitgaben. Es beruhte mithin nicht auf einer Satzung oder Verfassung. Die Gemeinde stand über der Verfassung. Daher erließ sie die Verfassung und bestimmte unter anderem auch über 522
Chr. XIV, CCXXXIX.
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deren Änderung. Ihre Vollmacht und ihr Recht fußten in der Selbstmächtigkeit ihrer Mitglieder. Trotz ihrer oft schwankenden, zeitweise fast erloschenen Kraft gilt, daß die Gemeinde allein über sich verfugte und nur mit ihrer eigenen Zustimmung über sich verfügen ließ. a) In einer für den weiteren Verlauf der Stadtgeschichte entscheidenden Weisebekräfitigte sie dies erstmals durch ihren Verbund von 1396 und bekundete es durch den feierlichen Verbundbrief. "Verbund" war in Köln der volkssprachliche Begriff für Schwur-Einung. Wort und Sache kannte man lange vor 1396. Einen Verbund brachte im März/April 1259 Konrad von Hochstaden zwischen der Weberzunft und der Gemeinde zustande, hatten mit dieser die 1259 eingesetzten Schöffen geschlossen, bot 1264 oder 1265 Erzbischof Engelbert II. den Zünften und der Gemeinde an, während ihn 1268 die Gemeinde zuerst mit dem Weisen-Geschlecht und dann überstürzt mit deren Gegnern vereinbarte. Die Weber wurden 1364 von der Gaffel Eisenmarkt für einen Verbund geworben523, gingen ihn 1367 mit dieser und den Buntwörtern ein524 und beeideten ihn 1370 unter sich525. Ebenfalls innerhalb der eigenen Partei schlössen am 4. Januar 1396 die "Freunde" einen Verbund526. Soweit ersichtlich, gab es in Köln vor 1396 - außer 1264/65 - einen Verbund nur mit oder zwischen einzelnen Bevölkerungsgruppen. Die Eidesformel lautete wohl meist, daß man, um das Einungs-Ziel zu erreichen, miteinander leben oder sterben wolle. So überliefern es wenigstens für 1262 und 1264 oder 1265 Gottfried Hagen527, für 1512 ein Chronist und für 1513 der Revolutionsbericht528. 1396 hieß es, man wolle Leben und Gut daran setzen529; und im Verbund der aus Köln geflohenen Schöffen mit Erzbischof Friedrich III. gegen die Stadt vom 14. Juli 1375 gelobten die Partner, in gantzen truwen... by eyn ander zu bliven ind ons nyet van eyn ander zu scheiden530. Als Bindekraft wurde gelegentlich auch Brüderlichkeit eingefordert. Dafür warb unter den Stadtbewohnern schon Gottfried Hagen531. Der Rat beschwor sie 1477 und 1482532. Es handelt sich womöglich um einen Gefühls- und Gemütsausdruck, der aus der frühen Stadtgemeinde stammte und - mindestens der Idee nach - lebendig blieb. Der Eid, den die Bürger und Stadtbewohner bei unterschiedlichen Anlässen schworen oder erneuerten, bedeutete für sie Bindung und Halt am sowie Haftung für den geschlossenen Verbund. Dem Verbund indessen verbürgte er den Bestand. Ein Austritt zog Ausschluß aus der Bürgerschaft und Stadtverweisung nach sich, eine Absage bedeutete Fehde gegen Stadt und Gemeinde, die meist das Haus des Abtrünnigen zerstörte. Keineswegs verwischten gemeinsamer Eid oder Brüderlichkeit unter den Mitgliedern des Verbundes die gesellschaftlichen und/oder wirtschaftlichen Unterschiede. Die durch den Eid beschworene Eingliederung in den Verbund hob die Vorzüge von Geburt und Wohlstand nicht auf 533 ; sie verschaffte den Gliedern von niedriger Herkunft, in absteigenden Familien, unehrlichen Berufen oder Armut keinen besseren Rang oder größere Geltung. Gleichrangig und gleichberechtigt waren allerdings alle Stadtbewohner vor dem Recht, das sie in dem Verbund für sich und ihre Gemeinde vereinbarten, in Kraft 523 524 525 526 527 528 529 530 531 532 533
MlLITZER, Führungsschicht (Anm. 159) 19 f. Ebd. 20 mit Anm. 139. Ebd. 21. Chr. X I V 300,16-24. Chr. X I I 9 2 f.,2450 f. und 116,3280 f. TR1PPEN (Anm. 492) 77 und oben Anm. 491. Chr. XII 300,21 f. Lac. III 6 7 0 f. Nr. 770. Chr. XII 171,5238 f. St. 1 4 5 6 , 1 7 f. und 486,5-8. HEGEL, in: Chr. XIV, CLX; KOEBNER (Anm. 3) 453.
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setzten und durch selbstgesetzte Organe anwendeten. Und dies bedeutete im Mittelalter, als die allermeisten Menschen einer Herrschaft unterworfen waren, sehr viel. Ein Verbund war also vor 1396 in Köln nichts Neues. Und doch war der Verbund, der nach dem 18. Juni und vor dem 14. September jenes Jahres zustande kam, etwas Besonderes: er um- und erfaßte erstmals - abgesehen vielleicht von den vermuteten Einungen der städtischen Frühzeit - die gesamte Stadtbevölkerung, und er organisierte ferner erstmals die bis dahin ungeformte Gemeinde. In herkömmlicher Weise verbanden sich alle Einwohner Kölns durch Gelöbnis und Eid, und zwar ausnahms- und unterschiedslos auf den Zünften und Gaffeln, aber in neuer Form konstituierte sich die Gemeinde in diesen aus Zunftbrüderschaften und Kaufleutegesellschaften gebildeten und zu Verfassungskörperschaften erhobenen 22 Gaffeln. Sie errichteten ihrerseits durch einen Verbund die Stadtgemeinde. Die 22 Gaffeln besetzten fortan weitgehend - nicht ausschließlich - den Gemeindebegriff für sich. Verabredeten sie, wie am 28./29. September 1481, 19. Februar 1482 oder am 3. Januar 1513, einen Verbund, dann erhob sich diese so verfaßte Stadtgemeinde als oberster Willens- und Handlungsträger über alle übrigen Organe. Waren die Verbund-Vereinbarungen vor 1396 stets Einungen zwischen einzelnen Gruppen, Vereinigungen oder Personen, so galt "Verbund" danach fast immer als Einung der in den 22 Gaffeln sich gliedernden Gemeinde. b) Neben und in der Gemeinde spielten die Zunftbrüderschaften immer schon - sichtbar bereits 1149 - eine bedeutsame Rolle. Der Große Schied sonderte sie als eigene Bevölkerungsgruppe, unter anderem von der Gemeinde, ab. Gottfried Hagen begriff sie vereinzelt als Bestandteil der Gemeinde. Doch auch er unterschied wie Konrad von Hochstaden und Engelbert II. von Falkenburg für gewöhnlich klar die Gemeinde von den Zunftbrüderschaften. Ersterer hatte, wie ausgeführt, einen Verbund zwischen beiden stiften können, letzterer dies vergeblich versucht. Die politischen Belange beider Bevölkerungsgruppen lagen offenbar noch weit auseinander, die gesellschaftlichen Gräben zwischen ihnen waren vielleicht ebenfalls tief. Wenn sich während der Unabhängigkeits- und Bürgerkämpfe eine der beiden Gruppen erhob, dann stand die andere beiseite. In den sechziger Jahren des 14. Jahrhunderts begehrten die Weber zweimal mit der Kaufmannsgesellschaft Eisenmarkt und ganz wenigen Zünften auf. An der Weberherrschaft von 1370/71 war eine Gemeinde, wie immer beschaffen, weder beteiligt noch von den folgenden Straf- und Unterdrückungsmaßnahmen des Rates betroffen. Die Gehorsamseide hatten ihm seit 1372 allein die Zunftmitglieder zu schwören. Mit "Greifen"Mehrheiten amtierende Räte gingen zwischen 1390 und 1392 gegen die Beutelmacher, Harnischmacher und Färber vor. Forderungen nach Mitsprache in Stadtangelegenheiten und Teilhabe an politischen Entscheidungen befürchteten die damals bestimmenden Geschlechter anscheinend nur von den Zünften, nicht von einer Gemeinde. Wenn 'Dat nuwe boich' Gerlachs vanme Hauwe die Weber-Auflehnungen bisweilen der Gemeinde zuschreibt, so waren das "Sprachregelungen" aus der Zeit nach dem 18. Juni 1396, die die wirklichen Tatbestände einer längst vergangenen Zeit in ein anderes, nun erwünschtes Licht rücken sollten534. Weder ließen die Weber 1370 noch nach 1372 die Kaufleutegesellschaften in den jeweils von ihnen (mißgestalteten Verfassungen im Weiten Rat eine Gemeinde zum Zuge kommen; schon gar keine, die in etwa als Vertretung der gesamten Einwohnerschaft anzusehen wäre. Eine beharrliche Abschottung der Zunftbrüderschaften hemmte in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts anscheinend einen früheren Zusammenschluß der Kölner Bevölkerung zur umfassenden Gemeinde und ermöglichte den Geschlechtern eine längere Herrschaft. Diese verstanden es wiederum, die Bevölkerungsgruppen auseinanderzuhalten, indem sie die einen bevorzugten und andere, vor allem die Zünfte, niederhielten. 534
MILITZER, Führungsschicht (Anm. 159) 19 mit Anm. 128 und 129.
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Und doch wurden die über 50 Zunftbrüderschaften und Kaufleutegesellschaften durch ihren "Verbund" von 1396 die Formen, in denen, zu 22 Gaffeln verdichtet, sich die Gemeinde eine feste Gestalt gab. Vorbereitet und aufgebaut hatte sich dieser "Verbund" durch das häufige Mit- und Beieinander der Zünfte und Gaffeln auf ihren Häusern vor dem 18. Juni 1396. Sie hatten damals ständig Anlaß zu beraten, wie sie dem Rat, den seit dem 4. Januar 1396 die "Freunde" stellten und der sie fortwährend vor den Kopf stieß, begegnen konnten. Die Zunft- und Gaffelhäuser wurden die Begegnungsstätten der Gemeinde. Sie übernahmen in etwa Funktionen der früheren Gemeindeversammlungen. Das Ergebnis ihres häufigen Mit- und Beieinanders waren der feste Verbund von Zünften und Kaufleutevereinigungen sowie der durch sie am 18. Juni 1396 bewirkte Umsturz von Regiment und Verfassung. Die neue Gemeinsamkeit legten beide danach auf Dauer an, indem sie jene 22 Gaffeln, denen alle Bürger und Einwohner beitreten mußten, als politische und Verfassungskörperschaften einrichteten, die insgesamt die Gemeinde formierten. Ohne Zweifel muß es auch in den Zünften damals starke Persönlichkeiten gegeben haben, deren Wille und Kraft die Genossen aus dem engeren Berufskreis heraus- und in die umfassendere Gemeindeverantwortung hineinführten. Von den Zünften empfing die Gemeinde künftig die kräftigsten Anstöße. Der Verbundbrief, der Köln fast sieben Jahrzehnte innerstädtischen Friedens bescherte, schien jedem, wenn er wollte, die politische Mitsprache zu gewährleisten. Dem war jedoch alsbald nicht mehr so. Erstmals beklagten sich 1464 die Gürtelmacher, daß auf ihrer Gaffel nicht frei gewählt würde. Ausgehend von dieser Gaffel über die Schuhmachergaffel kam am 28. September 1481 der Verbund aller Gaffeln gegen den Rat zustande. Das Gaffeigefuge der Gemeinde hielt, solange in und zwischen den Gaffeln der ursprüngliche Verbund und die dabei gesteckten Ziele verbindlich blieben. Verwerfungen in diesem Gefüge gingen von immer schon unruhigen Zünften aus: Johann Hemmersbach, der eindrucksvollste Aufrührer, gehörte der Gürtelmacherzunft an535; diese ."goß" am 28. September 1481 ihr "Gift" in die Schuhmachergaffel und dann in viele andere Gaffeln536. Die Aufständischen versammelten sich am 18. Februar 1482 auf der Buntwörtergaffel537, am 19. Februar entschuldigten sich beim Rat nicht die Schuhmacher, und das Treuegelöbnis erneuerten ihm nur die gaffelen der meiste theil538. Das unterschiedliche politische Gewicht der Zünfte und voneinander abweichende, auch im Verbund nicht ausgeglichene Interessen schwächten gelegentlich den Zusammenhalt der Gemeinde. Auch 1512/13 waren es Zünfte, die die Gemeinde zum Aufstand antrieben. Die Steinmetzen und Leyendecker lieferten den Grund, die allgemein ratstreuen Wollenweber und Goldschmiede lösten ihn aus, die Wollenweber und Faßbinder waren es, die den Verbund aller Gaffeln erwirkten. Ihre Einigkeit während des Aufstandes und danach sicherte ihrer Mitsprache Geltung bei der Ausgestaltung der Verfassung durch den Transfixbrief. Unübersehbar sind Einfluß und Einsatz der Zünfte für die Gemeinde. Gewiß bildeten sie ein Kernstück. Ihre feste Organisation übernahm die Gemeinde 1396 für die eigene Gestaltung. Doch ihr Wesen und ihren Begriff konnten die Zünfte nur teilweise, nicht zur Gänze für sich vereinnahmen. c) Wie aber stellte sich die Gemeinde selbst dar? Eine Urkunde von 1149 spricht von vulgus539, eine andere aus demselben Jahr und eine weitere von 1159 von populus540. 535
Chr. XIV 928,5 f. Chr. XIV 928,11-15. 537 Chr. XIV 940,21 f. 538 Chr. XIV 943,21 und 29 f. 539 vgl. oben Anm. 3. 540 Qu. 1550 f. Nr. 73. 536
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Unter vulgus und populus dürften ebensogut der Gerichtsumstand wie die versammelte Gemeinde zu verstehen sein540". In der Mitte des 12. Jahrhunderts tat man sich in Köln offenbar noch schwer, "Gemeinde" auf einen passenden lateinischen Begriff zu bringen. Nach hundert Jahren indes war er gefunden. Er hieß communitas. Doch populus war nicht überholt. Konrad von Hochstaden sprach im Großen Schied von 1258 von populäres qui communitas appellantur541 und 1259 von populus communitatis542. Das konnte nur eine bestimmte - wie immer zahlreiche - Gruppe innerhalb der Bevölkerung sein. Denn im selben Atemzug nannte er die Bürgergesamtheit universitas civium543. Daß die Gemeinde nur ein Teil der Kölner Einwohnerschaft war, bestätigte der etwa zehn Jahre später dichtende Gottfried Hagen. Sein Sprachgebrauch ist allerdings alles andere als eindeutig. Genau so ungeschieden wie mit gemeinde geht er mit dem sinnverwandten arm und reich um. Es erscheint ebenfalls um die Mitte des 12. Jahrhunderts in der Kölner Überlieferung und steht für "Volk des Gerichtsumstandes" oder "Volk der Gemeinde". Hagen benutzte diese Wendung wohl nicht nur, um den Ausdruck zu wechseln, sondern weil gemeinde bereits ein verächtlicher Nebensinn anhaftete. Im übrigen bezog er sowohl bei gemeinde wie bei arm und reich bisweilen die Geschlechter und auch die Zunftbrüderschaften ein - offenbar ein altüberkommenes Verständnis. Freilich meinte er meist einen gewissen Bevölkerungskreis, der politisch wach, leicht erregbar und - wie 1257 - zu unüberlegten Schritten bereit war. Von der urrversunnen gemeinde spricht auch wieder die etwa 1483 entstandene Reimchronik über die Unruhen 1481-82544. Ihre wehrhaften, durchaus zu Gewalttaten, sogar - wie 1259 oder 1260 gegen Bruno Hardefust - zur Selbstjustiz neigenden Mitglieder traten als gemeinde auf. Auch die Gegner nannten sie so. "Gemeinde" bekam infolgedessen - bemerkbar seit 1259 - einen Sinn, der "Protestierenden zur Rechtfertigung ihres Handelns dienen sollte"545. Die allgemeine Teilhabe an den Entscheidungen über Stadtangelegenheiten hatten den geschworenen Stadtbewohnern die Gemeindeversammlungen ermöglicht. Nach der um die Mitte des 12. Jahrhunderts einsetzenden städtischen Überlieferung Kölns beschloß darin die Gemeinde über vielerlei Fragen. Doch um vieles häufiger geschah dies zur selben Zeit durch einige mit hohen stadtherrlichen Ämtern betraute sowie andere führende Persönlichkeiten. In weitesten Kreisen der Gemeinde, so läßt sich bereits für die zweite Hälfte des 12. Jahrhunderts vermuten, bestand kaum noch viel Verlangen und vor allem wohl keine Abkömmlichkeit für eine stetige, allseitige Teilnahme an der Regelung städtischer Angelegenheiten. Die älteren Gemeindeversammlungen wandelten sich zu den seit 1269 belegten Morgensprachen, die der Rat fur seine amtlichen Bekanntmachungen nutzte. Seit dem beginnenden 13. Jahrhundert traten Gemeindeversammlungen anscheinend nur zu äußerst bedeutsamen Beschlüssen zusammen, namentlich wenn es um Krieg oder Frieden ging. Von kaum einer anderen Entscheidung war denn auch die Gemeinde mehr betroffen, zu kaum einem anderen Unternehmen ihr Einsatz nachhaltiger gefordert. Eng verflochten waren damit Stellungnahmen zu Bündnis540a KOEBNER (Anm. 3) 444 Anm. 1 befindet beide Wörter "in der gleichen Funktion, in der die Formalsprache später die 'cives' eintreten läßt", vgl. oben Anm. 10. 541
Qu. II 382 Nr. 384 § 22. Qu. II 410 Nr. 394. 543 P. MICHAUD-QUANTIN, Universitas. Expressions du mouvement communautaire dans le moyen âge latin, Paris 1970. 544 Chr. XIV 946,24. 5 4 5 MLLITZER, Führungsschicht (Anm. 159) 19; G. GLEBA, Gemeinde als alternatives Ordnungsmodell. Zur sozialen und politischen Differenzierung des Gemeindebegriffs in den innerstädtischen Auseinandersetzungen des 14. und 15. Jahrhunderts. Mainz, Magdeburg, München, Lübeck (Dissertationen zur mittelalterlichen Geschichte 7) Köln-Wien 1989, 246, formuliert: "weniger ein fest umrissener Personenverband als die politische Konzeption kollektiven Handelns in Opposition zum vorherrschenden hierarchischen Ordnungsmodell". Im übrigen deckt der Kölner Befünd das allgemeine Ergebnis jener Arbeit nicht. 542
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sen mit auswärtigen Mächten, so zum Beispiel 1198 oder 1204/1205 und 1288. Auch innerstädtische Auseinandersetzungen und Eingriffe des Stadtherrn für oder gegen bestimmte Bevölkerungsgruppen stellten die Gemeinde vor die Frage, wem sie sich anschließen sollte. Die Unabhängigkeits- und Bürgerkämpfe zwischen 1259 und 1268 überforderten dabei oftmals ihre Einsicht und Kraft. Seit dieser Zeit bezogen sich die zu entscheidenden Fragen fast regelmäßig auf die Wehrhaftigkeit der Gemeindemitglieder: beispielsweise vor der Schlacht bei Worringen am 27. oder 28. Mai 1288 auf der Mariengraden-Immunität546, vor der Niederwerfung der Aufständischen aus den eigenen Reihen am 19. Februar 1482 auf dem Heumarkt und am 3. Januar 1513 gegen den Rat auf der Immunität von St. Maria im Kapital547. Seit sich die Gemeinde die Gaffelgliederung zu eigen gemacht hatte, ersetzte die bequeme Möglichkeit zu Absprachen von Haus zu Haus unter den Gaffeln weitgehend die Gemeindeversammlung. Damit ist vielleicht zu erklären, daß in den wichtigen Wochen zwischen dem 18. Juni und 14. September 1396 keine Gemeindeversammlung belegt ist, als sich die 22 Gaffeln aus dem halben Hundert der Zünfte und Kaufleutegesellschaften zusammenschlössen und Gaffeln ihren Verbund zu Gemeinde und Stadt vereinbarten sowie der Verbundbrief ausgearbeitet und beschlossen wurde. Gemeindeversammlungen standen ferner immer unter Entscheidungszwang. Ein beantragter Beschluß wurde, soweit erkennbar, niemals aufgeschoben. Er wurde zuvor auch nicht diskutiert. Die Führungsorgane bzw. die Wortführer erwarteten für ihren unterbreiteten Vorschlag entweder Beifall oder Ablehnung. Traten sie wie 1198 oder 1204/1205 sowie am 1. Juni 1260 oder am 8. Juni 1262 mit gegensätzlichen Vorlagen auf, dann entschied die Gemeinde entweder für den ein oder andere. Abstimmungen nach Mehrheit oder Minderheit gab es nicht. Die Gemeinde beschloß einmütig. Eine gespaltene Gemeindeversammlung hätte die Auflösung der Eidverbrüderung, damit den Zerfall von Gemeinde und Stadt bedeutet und wahrscheinlich einen Bürgerkrieg ausgelöst. "Gemeinde" wurde das zündende Wort des Umbruch-Jahres 1396. Bis dahin war die Gemeinde ungeformt. Wenn Kölner mehr oder minder zahlreich sich zusammenschlössen, ein politisches Programm meist gegen das bestehende Regierungsorgan und die es tragende Führungsschicht verfochten und sich dabei zur Gemeinde erklärten, dann gab es sie. Aus diesem zufalligen und lockeren Miteinander entstand 1396 die festgefugte Ordnung der 22 Gaffeln als der Gliedverbände des Kölner Gemeinwesens. Im Verbundbrief beschrieb und verfaßte sich die Gemeinde in dieser Form. Darüber hinaus stellte sie sich als Urheber der Verfassung und Vollmachtgeber des Regierungsorgans dar. Zwar unterstellte sie sich dem Rat, doch unmißverständlich brachte sie ebenfalls zum Ausdruck, daß sie es war, die ihm die Befugnisse zuwies; sie grenzte diese auch ein und führte aus, wie sie den Rat gegen Widersacher verteidigen wollte. Ihre Macht und Gewalt über den Rat übte die Gemeinde namentlich dann aus, wenn sie das Regierungsorgan nicht mehr als ihren Willens- und Handlungsträger anerkannte. Wegen übermäßig drückender Steuern und Abgaben vereinbarte sich die Gemeinde am 28. September 1481 und wegen Rechtsbrüche des Rates am 3. Januar 1513 über die 22 Gaffeln zu einem Verbund. Neben dem auf Dauer angelegten Verbund, der die Gemeinde und Stadt begründete und erhielt, gab es den besonderen Verbund, zu dem die 22 Gaffeln die Gemeinde dann zusammenschlössen, wenn sie ihr die Übernahme der ausübenden Gewalt zum Ziel setzten: am 28./29. September 1481 zuerst die politische und dann am 4. Oktober die militärische; 1513 brachte sie umgekehrt zuerst die Stadttore und -türme in ihre Gewalt und wandte sich danach den politischen Maßnahmen zu. In beiden Fällen bemächtigte sie sich zu allererst des Rathauses. Die Übernahme der politi546
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sehen Gewalt vollzog sie in der Weise, daß sie außerhalb der Verfassung und unter Einschränkung der Befugnisse des Rates ein der Zahl nach größeres Vertretungsorgan bestellte - 1481 waren es sechs bis acht "Geschickte" aus jeder der 22 Gaffeln und 1513 waren es insgesamt 178 "Geschickte". Diese vielen "Geschickten" nannten sich "Große Schickung". 1481 wählten sie aus ihrer Mitte eine "Kleine Schickung", aus jeder Gaffel zwei Vertreter, und 1513 wählte die Gemeinde selbst eine "Kleine Schickung" mit nur 23 Mitgliedern. Gegenüber den Großen hatten die Kleinen Schickungen bei der Beaufsichtigung des Rates den Vorteil, beweglicher zu sein und schneller zu Entschlüssen zu finden. Der von den Schickungen mit Beschlußvorgaben versehene und in seiner Tätigkeit kontrollierte Rat blieb bestehen: 1481/82 in unveränderter persönlicher Zusammensetzung, 1513 aber mit vollständig neuen Mitgliedern. Ohne vorher oder nachher nach Voraussetzungen, Bedingungen, Rechtsgrundlagen zu fragen und gefragt zu werden, übte - wie 1396 - die Gemeinde eine ihr von Natur aus zukommende Macht und Vollmacht aus, indem sie alle ausübende Gewalt übernahm und sowohl ein vorübergehendes Notstandsregiment als auch eine Verfassungs-Regierung bestellte. Sie arbeiteten in der Weise, daß Rat und "Geschickte" gemeinsam die Beschlüsse faßten, die "Geschickten" indessen den Rat bei deren Durchfuhrung überwachten. Im übrigen verlieh die Gaffelorganisation von 1396 der Gemeinde sowohl 1481 wie 1513 eine fast augenblickliche Schlagkraft, begünstigte ein rational geplantes Vorgehen und die Auswahl von Führungspersönlichkeiten. Dies zeigte sich besonders 1481, als die Gemeinde neben den "Geschickten" noch vier Sprecher und als Versammlungsleiter zwei "meister zer bank" wählte. Freilich verdrängt hatte die geformte Gemeinde der 22 Gaffeln die vorherige ungeformte keineswegs. Das zeigte sich am Michaelstag 1481: Während die "Geschickten" feierlich ins Rathaus einzogen, versammelte sich auf dem Platz eine große Volksmenge. Sie war - mehr oder minder - spontan zusammengekommen und in ihrer Zusammensetzung nicht gegliedert. Doch der Rat, die "Geschickten" und sie selbst sagten dazu "Gemeinde". Das Bewußtsein, daß in Stadtangelegenheiten versammelte Stadtbewohner, wie immer sie auftraten, die Stadtgemeinde bilden konnten, war also nicht erloschen. Die Gemeinde war für ihre Existenz nicht unbedingt auf die 22 Gaffeln angewiesen. Das erweist auch der übrige Sprachgebrauch. Der Verbundbrief hatte bereits den Gemeinde-Ausschuß der Vierundvierziger als Gemeinde bezeichnet. Ebenfalls nannte man so 1481/82 bisweilen die "Geschickten". Überhaupt diente das Wort als Kürzel für Gemeindegrund und -boden, Gemeindeeigentum, Gemeindegut, Gemeindegeld, Gemeindekasse usw. Im Jahre 1513 blieb die Gemeinde in den 22 Gaffeln einig. 1481/82 hatte sie sich dagegen gespalten und ihre überwiegende Mehrheit sich allmählich von denen gelöst, die ihre Erhebung angeführt hatten. Diesen, so stellte sich nach und nach heraus, lag weniger an den Forderungen, die die Gemeinde durchdrücken wollte; sie gingen vielmehr immer offensichtlicher darauf aus, den Rat zu entmachten und sich selbst an dessen Stelle zu setzen. Das entsprach nicht dem Willen der Gemeinde. Am 6. Dezember 1481 lehnten es die Gaffeln ab, den Mitgliedern der beiden Schickungen für ihre Maßnahmen auf alle Zukunft die geforderte Straflosigkeit zu gewähren. Am 22. Januar 1482 bestellten sie jeweils einen Vertreter für ein Gremium, das zwischen den "Geschickten" und dem Rat Frieden stiften sollte. Am Fastnachtsmontag, 18. Februar 1482, gelang den Verschwörer-"Geschickten", die dafür auch Anhänger in einigen Gaffeln gewannen, der Umsturz durch die Verhaftung von 31 Personen, darunter ein Bürgermeister, mehrere Ratsmitglieder und einige Mitglieder der Friedenskommission vom 22. Januar. Dafür konnten sich die Aufsässigen weder auf einen Gemeindebeschluß der 22 Gaffeln stützen, noch wurde die auf dem Rathausplatz zusammenströmende begeisterte Volks-
GEMEINDE IN KÖLN
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menge - etwa 3000 bis 4000 Menschen - als Gemeinde anerkannt. Die formierte Gemeinde ließ eine ungeformte nicht zum Zuge kommen. Die geformte Gemeinde fühlte sich durch jenen Gewaltstreich vielmehr selbst getroffen. Den von ihr nicht gewollten Umsturz ihrer ehemaligen Führer stieß sie am folgenden Tage wieder um, indem sie - durch kurzfristige Übernahme der ausübenden Gewalt - die Gefangenen befreite und den Rat in der vorhandenen personellen Zusammensetzung und in seinen verfassungsmäßigen Zuständigkeiten bestätigte. Dies geschah gaffelweise durch abgeordnete Vertreter in Waffen. Obwohl die Gemeinde dabei den Rat mit großer Ehrerbietung behandelte, vermied sie alles, was nach einer Huldigung aussah. Der Rat aber gab sich danach die größte Mühe, in und zwischen den Gaffeln, die ihm nicht alle ihre Treue gelobt hatten, die aufgetretenen Spaltungen zu überwinden und Einigkeit und Einheit wiederherzustellen. Um einen Ausgleich in Auseinandersetzungen mit gesellschaftlichem Hintergrund ging es dabei offensichtlich nicht. Wesen und Begriff der Gemeinde, das belegen Überlieferung und Ereignisse der Erhebung von 1481/82, erschöpften sich nach 1396 durchaus nicht in der formierten Gemeinde der 22 Gaffeln; es gab weiterhin die spontane, lockere Gemeinde und die der von der Gemeinde bestellten Vertreter, die ihrerseits bisweilen "Gemeinde" hießen. In ihrer Vollmacht freilich hingen letztere jedoch von der verfaßten Gemeinde ab; es kam darauf an, ob diese deren Maßnahmen guthieß. Niemals erging von einer spontanen oder beauftragten Gemeinde eine Verfassung. Als Verfassunggeber bewährte sich 1396 und 1513 nur die in den 22 Gaffeln institutionalisierte Gemeinde. Allein sie konnte 1513 der Einseitigkeit des Verbundbriefs abhelfen. Er beschäftigte sich fast ausschließlich mit dem Regierungsorgan und dessen Befugnissen. Ungewollt vermittelte er dem Rat eine Bedeutung, die seine Urheber ihm gewiß nicht zugedacht hatten. Zusammen mit dem Aufkommen jener im Dreijahresrhythmus wiederkehrenden geschlossenen Politikerkaste erdrückte der Rat durch sein in der Verfassung nicht vorgesehenes Übergewicht die Gemeinde. Die Verfassung bedurfte dringend einer Ergänzung, durch die der Rat in seine Grenzen zurückverwiesen und die Rechte der Gemeinde und ihrer Angehörigen sichergestellt wurden. Imstande war dazu nur die Gemeinde selbst. Sie behielt sich die fallweise Bestimmung über Ratsessen, Präsenzgelder, Steuer- und Abgabenhöhe, Leib- und Erbrenten, Edelbürger- und Manngeldverschreibungen vor, untersagte den Ratsherren Vorgespräche, Cliquen und bestellte "Ratsfreunde", ordnete Gaffelausschüsse zur Rechnungsprüfung und für den Gebrauch des großen Stadtsiegels an und erneuerte schließlich die Einrichtung der Vierundvierziger, von deren Zustimmung sie die Einwerbung von Privilegien abhängig machte. Vor allem verpflichtete sie den Rat auf die Achtung der bürgerlichen Grundrechte: die körperliche Unantastbarkeit eines jeden Bürgers, jeder Bürgerin und jeden Einwohners; die Unverletzlichkeit seiner Wohnung; Rechtsschutz gegen ungerechtfertigte Beschuldigungen durch Ratsmitglieder und besonders gegen einen rechtsweigernden Rat durch Einrichtung eines Berufungsverfahrens. In den beiden letzten Fällen benannte sich die Gemeinde selbst als letzte Instanz: auf diese Weise erbot sie sich jedem Gemeindemitglied als Gewährträger seiner Rechte und Vorrechte. Darin zeigte sich gleichfalls ihre Vollmacht und Hoheit. So trat sie auch am 25. Januar 1513 vor den Herrgott hin: Nachdem die blutigen Hinrichtungsschauspiele auf dem Heumarkt beendet waren, "ließ die Gemeinde zu Collen Prozession und Bittmesse halten; damit ihr Gott Weisheit und Eintracht gebe"548. d) Eigens zur würdigen ist das Verhältnis der Gemeinde zur Stadtführung. Das Regiment in Gemeinde und Stadt behielt sich - gewiß von Anfang an - ein enger Kreis erlesener Persönlichkeiten vor. Sie entstammten - seit dem 13. Jahrhundert ausschließlich 548
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bestimmten Familien, den Geschlechtern. Wenn sie sich auch als Herren betrachteten und anreden ließen, so leiteten sie aus ihrem Führungs- und Geltungsanspruch niemals ein Herrn- oder Herrschaftsrecht ab. Dieses kam ohnehin dem erzbischöflichen Stadtherrn zu, den man freilich auf alle Weise hinderte, es auszuüben. Zudem konzentrierte sich die städtische Führung nicht auf eine einzige Einrichtung. Schöffen, Richerzeche, Rat teilten sich vom 12. bis 14. Jahrhundert die oberste richtende und ausübende Gewalt; die drei Organe blockierten einander hinsichtlich einer Allein-Herrschaft. Der seit der Mitte des 13. Jahrhunderts nach und nach machtvoller auftretende Rat bezeichnete neben Richtern und Schöffen - selbst 1305 seine 15 Mitglieder als "unsere Mitbürger, die in diesem Jahre in unserem Rat der Stadt saßen"549. "Mitbürger" aber mußten, wenn nicht ständisch, so doch rechtlich den übrigen Bürgern gleichgestellt sein. Am 21. Mai 1377 erschienen vor Notaren in einer Vergleichssache vollzählig der Enge Rat und zahlreiche Mitglieder des Weiten Rates "namens der Gesamtheit [das heißt aller Stadtbewohner] sowie die Gesamtheit, den Rat, die Oberen und die Gemeinde vertretend und an ihrer Stelle handelnd"550. Und am 13. August 1379 verfügten sich abermals zu Notaren mit einem Bürgermeister an der Spitze 42 amtierende Mitglieder des Engen und Weiten Rates, "die in diesem Jahre das Regiment und die Regierung der Stadt innehatten"; sie handelten "im eigenen und im Namen der Stadt und für die Gemeinde"551. Die wohlgemerkt geschlechterbewußten - Ratsmitglieder, die dieses bekundeten, faßten ihr Amt also als Auftrag und diesen als befristet, seinen Inhalt als "Regiment und Regierung", nicht als "Obrigkeit" oder gar "Herrschaft" auf. Als ihren Auftraggeber benannten sie unter anderem Kölns "Gesamtheit" und "Gemeinde". Diese vertraten und für diese handelten sie. Sie waren also keine selbstmächtigen Willens- und Handlungsträger, erst recht keine Rechtsquelle und keine Rechtseigner. So offenkundig vor 1396 der Rat die Gemeinde als Rechtsgrund seiner Existenz und seiner Befugnisse ansah, so beharrlich schwieg er für gewöhnlich darüber; die angeführten Aussagen sind seltene Ausnahmen. Erst recht suchten seine adelsstolzen Mitglieder zur Gemeinde keine Verbindung, geschweige denn, daß sie ihr Einfluß auf ihre Entscheidungen einräumten. Herausfordernd gab ihr dies der vom 4. Januar bis 18. Juni 1396 bestehende Rat der "Freunde" zu verstehen. Solch hartnäckiger Hochmut verbot sich danach. "Für die Stadt und Gemeinde getreu im Rate zu sitzen", gab das Eidbuch vom 26. Dezember 1396 den Ratsmitgliedern auf 552 . Nach den Statuten vom 15. Juni 1437 waren Bürgermeister und Rat "zu Regiment und Versorgung unserer Stadt und Gemeinde erwählt und bestellt"553. Der Rat war also für die Gemeinde da. Die engere Verbindung der Gemeinde zum Rat drückte sich nach 1396 umgekehrt darin aus, daß sich ihre Anfälligkeit für Spaltungsversuche der Erzbischöfe verlor. Als Dietrich von Moers 1418 die Gemeinde gegen den Rat ausspielen wollte, erwiderten ihm die angeschriebenen Gaffeln, er möge sich an die Mitglieder des Rates wenden, want sij van uns ind eyner gantzen gemeynden der vurs. stat wegen as unse heuft zo eyme raide gekoyren sint, den wir moegich ind meichtich geloift ind geschwoyren hain zo laissen554. Die Kölner Jahrbücher gaben jene Antwort in bezeichnender Abwandlung wieder: want si [die Gaffeln] koeren den raet alz jars also, dat de
549
Qu. III 504 Nr. 528: concives nostri qui in hoc anno in consilio civitatis nostro consederunt... Qu. V 227 Nr. 179: ... nomine universitatis ac universitatem, consilium, maiores et communitatem representantibus et eorum vices agentibus ... Vgl. Anm. 543. 551 Qu. V 297 Nr. 230: ... consules et cives civitatis Coloniensis pro hoc anno regimen et gubernationem civitatis predicte obtinentes ... suo et civitatis eorum nomine et pro ipsa communitate ... fecerunt... 552 Vgl. oben Anm. 324. 553 Vgl. oben Anm. 325. 554 HAStK, Briefbuch 7, Bl. 27 Rs. von 1418 Sept. 18. 550
G E M E I N D E IN K Ö L N
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gemeinde were ein raet ind der rat were de gemeinde . Der Rat kümmerte sich um ihr Wohl und Recht nach 1396 in einem Umfang und mit einem Einsatz, wie sie aus der Zeit des Geschlechterrats nicht überliefert sind. Ihre Hoheit und Würde anerkannte er, indem er, wenn für außerordentliche Maßnahmen - etwa 1477 wegen Steuererhöhungen, 1481 wegen öffentlicher Brotpreis und -gewichtsprüfung oder 1513 zu Vermittlungsgesprächen - ihre Zustimmung benötigt wurde, stets Ratsmitglieder, niemals Ratsbedienstete, einzeln auf die Gaffeln schickte. Meistens war das für die Herren ein Spießrutenlaufen; sie waren 1513 "froh, daß sie lebendig von der Faßbinderzunft kamen"556. Doch war dies nicht die ganze Wirklichkeit. Der Rat sollte nach 1396 zwar Vertreter und Handlungsbeauftragter der Gemeinde sein, nach ihrem Geist und Willen regieren und grundsätzlich keinem wählbaren Einwohner Kölns verschlossen sein; doch die altherkömmlichen Überlieferungen waren stärker als die Neuansätze. Gewesene Ratsmitglieder kehrten im Dreijahres-Abstand fast regelmäßig in ihr Amt zurück. Das erlaubte zwar der Verbundbrief, indes als Regel wollte er es nicht. Innerhalb der Räte bildeten die amtierenden und die gewesenen, aber wiederkehrenden Bürgermeister einen eigenen, abgehobenen Kreis. Dieser dachte nur an Machterhaltung und verlor dabei die Fühlung zur Gemeinde. Doch als der Rat etwa 1477 in der Bevölkerung Widerspruch und Ablehnung verspürte, empfahl er sich, da Geschöpf der Gemeinde, als mit ihr eins, einig und wie ein und dasselbe557. Zu Beginn der Unruhen unterwarf er sich 1481 ihren Forderungen so gut wie widerstandslos. Die gemeinde sint die heren wie wir/und wir sint die gemeinde als ir, läßt die Reimchronik den Rat antworten, als die "Geschickten" für die Gemeinde die Mitaufsicht über die Stadttore und -türme forderten558. Erst als sich zwischen einer Mehrheit in der Gemeinde und ihren Anfuhrern Risse zeigten, ermannte sich der Rat, seine verfassungsmäßige Stellung allmählich wieder zur Geltung zu bringen. Seine gefangenen Mitglieder befreite er auf Anregung und mit Hilfe der Gemeinde, die für dieses Unternehmen die ausübende Gewalt an sich zog. Nach dem Erfolg bangte er um seine Existenz; er fragte sie, ob sie am Vortage über seine personelle Zusammensetzung etwas beschlossen hätte und wie sie über sein weiteres Amtieren denke. Damit anerkannte er sie als Gebieter über sich im ganzen und über jedes seiner Mitglieder. Das mit erbötiger Ehrerweisung abgelegte Treuegelöbnis vollzogen die für die Gemeinde handelnden Vertreter der Gaffeln gleichwohl als freie Männer in Waffen. Der alsdann anhebende Zwist in und zwischen den Gaffeln gab dem Rat, der bei seinen Bemühungen um ihre Eintracht geschickt mäßigende Autorität ins Spiel brachte, eine gewisse Überlegenheit über die Gemeinde zurück. Dieser Ausgang der Erhebung von 1481/82 nötigte mithin den Rat nicht, seine gemeindeferne Cliquenwirtschaft zu beenden. Mit seiner Selbstherrlichkeit wuchs seine Gleichgültigkeit, ja Rücksichtslosigkeit gegenüber der Gemeinde. Er vergaß, daß er ihr Beauftragter, nicht ihr Gebieter war. Als er sich zu Rechtsbrüchen hatte hinreißen lassen, die bürgerliche Grundrechte verletzten, war es um ihn geschehen. Die Gemeinde bestellte wieder einmal eine Große und eine Kleine Schickung als außerordentliche Vertretungskörperschaften, setzte am 7. Januar 1513 die alten Ratsmitglieder ab und ernannte neue, unbelastete Männer. An der Verfassung des Rates änderte sie - anders als kurzfristig 1481 - nichts. Dennoch bewährte sie sich auch in dieser Erhebung als ein fortschrittlicher Verfassungsgeber. Nach den vorangegangenen Ereignissen lag es nahe, ihr Verhältnis zum Rat zu überdenken. Der Verbundbrief von 1396 hatte dem Rat ein so nicht beabsichtigtes Schwergewicht verschafft. Dies beseitigte der aus dem Aufstand hervorgegangene 555
Chr. XIII, 118,25-28.
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Vgl. oben Anm. 372. Chr. XIV, 950,267 f.
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Transfixbrief vom 15. Dezember 1513, der ausdrücklich den Verbundbrief nicht aufheben, sondern ergänzen und erläutern wollte. Er ergänzte ihn im Blick auf die Gemeinde und vor allem ihretwegen. Nachdrücklicher als der Verbundbrief kehrte der Transfixbrief in der Ausstellerformel zwar Bürgermeister und Rat heraus und sprach ihnen überdies eine in overicheit und regument bestehende eigene Vollmacht und Rechtsgrundlage zu. Doch stellte er damit den Rat keineswegs über oder neben die Gemeinde und schränkte auch deren unaufgebbares und unaufhebbares Recht und ihren überlegenen Willen nicht ein. Keine der Einzelbestimmungen des Transfixbriefes erweiterte die bisherigen Befugnisse des Rates. Sie beschrieben und betonten dagegen die bürgerlichen Grundrechte, zogen dem Rat genauere Grenzen in seinen Zuständigkeiten, unterwarfen ihn zusätzlichen Kontrollen und bestellten zur Überwachung allein von der Gemeinde gewählte Vertreter. Niemals - weder vor noch nach 1396 oder 1513 - konnte sich der Rat für seine Existenz und Kompetenz auf ein unabhängiges, eigenes Recht berufen. Wie vorher für regimen et gubernatio oder regiment ind vorsorgonge bevollmächtigte ihn ab 1513 auch für overicheit die Gemeinde. Die Kölner Gemeinde des Mittelalters war ein verschieden- und vielartiges Gebilde. Die gesellschaftlichen Auseinandersetzungen, in die sie verwickelt war, ließen sich in diesen verfassungsgeschichtlichen Ausführungen nur streifen. Immerhin behauptet das Jahr 1396 hinsichtlich Aufhebung gesellschaftlicher Ungleichheit einen hervorragenden Platz. Ein solcher kommt dem Jahr 1513 in der Geschichte der Menschen- und Bürgerrechte zu559. Es sind leuchtende Errungenschaften der Kölner Gemeinde. Vornehmlich aber verstand sie sich als eine politisch und militärisch handlungsfähige Gemeinschaft, die den Bestand und die Freiheit der Stadt sowie das Recht und Wohl ihrer Bewohner zu hüten und gegebenenfalls zu erstreiten hatte. Sie war in Aufbau und Gefüge offen und blieb es auch, nachdem sie sich 1396 in den 22 Gaffeln verfaßt hatte. Diese ihre Offenheit läßt sich nicht auf einen rechtlichen Begriff bringen. Ihr Wesen, das sich vor allem bei Zerwürfnissen und Spannungen in der Stadt offenbarte, bestand in ihrer Vollmacht über Regiment, Verfassung und den Ausnahmezustand sowie in der nicht benötigten Rechtsbeglaubigung für diese Vollmacht. Sie erwies sich mithin - gegenüber allen von ihr bestellten und kontrollierten regierenden und führenden Organen - als das Herz- und Kernstück der Stadt.
559
P. MORAW, Zur Verfassungsposition der Freien Städte zwischen König und Reich, besonders im 15. Jahrhundert, in: Res publica. Bürgerschaft in Stadt und Staat (Beiheft zu Der Staat 8) Berlin 1988, 39 und 61, befand HOLBECKS Arbeit (Anm. 261) als "ebenso ehrenwert wie verfehlt". Dem widersprach mit überzeugender Begründung PITZ, Untertanenverband (Anm. 27) 278 ff.
Schriftenverzeichnis von Erich Meuthen* I.
Bücher
1) Die letzten Jahre des Nikolaus von Kues. Biographische Untersuchungen nach neuen Quellen (Wissenschaftliche Abhandlungen der Arbeitsgemeinschaft für Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen 3) Köln-Opladen 1958 (345 S.). 2) Kirche und Heilsgeschichte bei Gerhoh von Reichersberg (Studien und Texte zur Geistesgeschichte des Mittelalters VI) Leiden-Köln 1959 (181 S.). 3) Das Trierer Schisma von 1430 auf dem Basler Konzil. Zur Lebensgeschichte des Nikolaus von Kues (Buchreihe der Cusanus-Gesellschaft I) Münster 1964 (294 S.). 4) Nikolaus von Kues 1401-1464. Skizze einer Biographie, Münster 1964 (138 S.); 21967; 31976; 41979; '1982; '1985;71992 ¡japanische Übersetzung: Kyoto 1973. 5) Aachener Urkunden 1101-1250 (PGRhGK LVIII) Bonn 1972 (692 S.). 6) Acta Cusana. Quellen zur Lebensgeschichte des Nikolaus von Kues (Im Auftrag der Heidelberger Akademie der Wissenschaften). Band 1/ Lieferung 1: 1401-1437 Mai 17, Hamburg 1976 (XVI, S.l-199). 7) Cusanus-Texte II. Traktate 2: De maioritate auctoritatis sacrorum conciliorum supra auctoritatem papae (Abh. der Heidelberger Akad. der Wiss. Phil.hist. Kl., Jg. 1977) Heidelberg 1977 (87 S.). 8) Das 15. Jahrhundert (Oldenbourg Grundriß der Geschichte 9) MünchenWien 1980 (248 S.); München 21984 (264 S.). 9) Acta Cusana. Quellen zur Lebensgeschichte des Nikolaus von Kues (Im Auftrag der Heidelberger Akademie der Wissenschaften). Band 1/Lieferung 2: 1437 Mai 17 - 1450 Dezember 31, Hamburg 1983 (S. 201-667). 10) Das Basler Konzil als Forschungsproblem der europäischen Geschichte (Rheinisch-Westfälische Akademie der Wissenschaften. Geisteswissenschaften. Vorträge G 274) Opladen 1985 (47 S.). 11) Kölner Universitätsgeschichte. Band I: Die alte Universität, Köln-Wien 1988 (XVII, 619 S.). II. Aufsätze, kleinere monographische Veröffentlichungen, längere Lexikonartikel 1) I primi commendatari dell'Abbazia dei SS.Severo e Martirio in Orvieto, in: Bollettino dell'Istituto Storico Artistico Orvietano 10 (1954) 37-40. 2) Der ethische Charakter der civitates bei Augustinus und ihre platonische Fehldeutung, in: Aus Mittelalter und Neuzeit. Gerhard Kallen zum 70. * Verzeichnis gemäß Angaben von E. Meuthen.
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ERICH MEUTHEN
Geburtstag dargebracht von Kollegen, Freunden und Schülern, hg. von J. Engel und H. M. Klinkenberg, Bonn 1957, 43-62. 3) Die universalpolitischen Ideen des Nikolaus von Kues in seiner Erfahrung der politischen Wirklichkeit, in: QFIAB 37 (1957) 192-221. 4) Zum Itinerar der deutschen Legation Bessarions (1460-61), in: QFIAB 37 (1957) 328-333. 5) Nordrhein-Westfalen I. Geschichte. IV: Politische Verhältnisse, in: Staatslexikon, hg. von der Görres-Gesellschaft, Bd. V, Freiburg i.Bg. 61960, 10891092, 1097-1101. 6)
Obödienz- und Absolutionslisten aus dem Trierer Bistumsstreit (1430-1435), in: QFIAB 40 (1960) 43-64.
7) Der Geschichtssymbolismus Gerhohs von Reichersberg, in: Geschichtsdenken und Geschichtsbild im Mittelalter. Ausgewählte Aufsätze und Arbeiten aus den Jahren 1933 bis 1959, hg. von W. Lammers (WdF 21) Darmstadt 1961, 200-246; ND 1965 und 1984. 8) Nikolaus von Kues in Aachen, in: ZAGV 73 (1961) 5-23. 9) Nikolaus von Kues und der Laie in der Kirche. Biographische Ausgangspunkte, in: HJb Jahrbuch 81 (1962) 101-122. 10) Die Pfründen des Cusanus, in: MFCG 2 (1962) 15-66. 11) Nikolaus von Kues. Freiheit und Schicksal des Christenmenschen damals und heute (Schriftenreihe der Katholischen Erwachsenenbildung im Bistum Trier 5) Trier 1962 (21 S.). 12) Der gesellschaftliche Hintergrund der Aachener Verfassungskämpfe an der Wende vom Mittelalter zur Neuzeit, in: ZAGV 74/75 (1962/63) 299-392. 13) Die Mörder des Bürgermeisters Jakob Colyn, in: ZAGV 74/75 (1962/63) 438 f. 14) Geißelbrüder in Burtscheid (1400), in: ZAGV 74/75 (1962/63) 440-444. 15) Nachträge zu "Nikolaus von Kues in Aachen", in: ZAGV 74/75 (1962/63) 445-449. 16) Biographisches zu Hans von Reutlingen, in: Aachener Kunstblätter 29 (1964) 89-104. 17) Nikolaus von Kues und das Konzil von Basel, in: Schweizer Rundschau 63 (1964) 377-386. 18) Pius II. und Nikolaus von Kues, in: Schweizer Rundschau 63 (1964) 433443. 19) Nikolaus von Kues und die Einheit, in: Neue Zürcher Zeitung 9. August 1964. 20) Briefe des Aleriensis an die Sforza, in: RQ 59 (1964) 88-99. 21) Urkunden der Trierer Jesuiten im Stadtarchiv Aachen, in: Neues Trierisches Jahrbuch 1964, 19-26.
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22) Neue Schlaglichter auf das Leben des Nikolaus von Kues, in: MFCG 4 (1964) 37-53. 23) Nikolaus von Kues erwirbt Zeltingen und Rachtig, in: Archiv für Kultur und Geschichte des Landkreises Bernkastel 2 (1964-65) 62-74. 24) Karl der Große. Werk und Wirkung. Urkundenausstellung im Stadtarchiv, Aachen 1965. 25) Aachen in der Geschichtsschreibung (bis 1800), in: Speculum Historiale. Geschichte im Spiegel von Geschichtsschreibung und Geschichtsdeutung, hg. von C. Bauer, L. Boehm, M. Müller. Johannes Spörl aus Anlaß des 60. Geburtstag dargebracht. München 1966, 375-392. 26) Zu Datierung und Bedeutung des ältesten Aachener Karlssiegels, in: ZAGV 77 (1966) 5-16. 27) Das Schirmgeld der Stadt Aachen für die Lande von Overmaas und der Partage-Traktat, in: Heem 10 (1966) 37-39. 28) Ein unbekanntes Siegel Heinrichs von Limburg, Grafen von Berg, in: Düsseldorfer Jahrbuch 52 (1966) 128 f. 29) Karl der Große - Barbarossa - Aachen. Zur Interpretation des Karlsprivilegs für Aachen, in: Karl der Große. Lebenswerk und Nachleben IV: Das Nachleben, hg. von W. Braunfels, P. E. Schramm u.a., Düsseldorf 1967, 5476. 30) Die Aachener Pröpste bis zum Ende der Stauferzeit, in: ZAGV 78 (1967) 595. 31) Nikolaus von Kues (1401-1464), in: Rheinische Lebensbilder III, Düsseldorf 1968, 33-56; Düsseldorf 2 1971; Köln 31991. 32) Aachen, in: Handbuch der Historischen Stätten III: Nordrhein-Westfalen, Stuttgart 21970, 1-7; ebendort: Alsdorf, 16; Bardenberg, 52 f.; Brand, 114; Broichweiden, 122; Eilendorf, 196; Eschweiler, 211 f.; Gressenich, 264; Haaren, 277; Herzogenrath, 321 f.; Hoengen, 329; Kinzweiler, 393; Kohlscheid, 403; Kornelimünster, 426 f.; Laurensberg, 446 f.; Merkstein, 509 f.; Nothberg, 571 f.; Richterich, 642 f.; Stolberg, 707; Walheim, 749; Wilhelmstein, 786; Würselen, 801 f. 33) Nikolaus von Kues: Dialogus concludens Amedistarum errorem ex gestis et doctrina concilii Basiliensis, in: MFCG 8 (1971) 11-114. 34) Nikolaus von Kues in der Entscheidung zwischen Konzil und Papst, in: MFCG 9 (1971) 19-33. 35) Kanonistik und Geschichtsverständnis. Über ein neuentdecktes Werk des Nikolaus von Kues: De maioritate auctoritatis sacrorum conciliorum supra auctoritatem papae, in: Von Konstanz nach Trient. Festgabe für August Franzen, hg. von R. Bäumer, München-Paderborn-Wien 1972, 147-170. 36) Nikolaus von Kues auf dem Regensburger Reichstag 1454, in: Festschrift für Hermann Heimpel, hg. von den Mitarbeitern des Max-Planck-Instituts für Geschichte, Bd. II (VMPIG 36/11) Göttingen 1972,482-499.
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ERICH MEUTHEN
37) Ruperts von Deutz 'De victoria verbi Dei' nach clm 14055, in: DA 28 (1972) 542-557. 38) Pius II. und die Besetzung des Thurgaus, in: Festschrift Nikolaus Grass. Zum 60. Geburtstag dargebracht von Fachgenossen, Freunden, Schülern, hg. von L. Carlen und F. Steinegger, Bd. I, Innsbruck-München 1974, 67-90. 39) Barbarossa und Aachen, in: RhVjBll 39 (1975) 28-59. 40) Der Methodenstand bei der Veröffentlichung mittelalterlichen Geschäftsschriftgutes, in: Der Archivar 28 (1975) 255-274. 41) Juan González, Bischof von Cádiz, auf dem Basler Konzil, in: AHC 8 (= Festgabe für Hubert Jedin) (1976) 250-293. 42) Nikolaus von Kues und die Geschichte, in: MFCG 13 (1978) 234-252. 43) Peter von Erkelenz (ca. 1430-1494), in: ZAGV 84/85 (1977/78) 701-744. 44) Neuere sozialgeschichtliche Aspekte der spätmittelalterlichen Stadt, in: Geschichte in Köln 3 (1978) 53-68. 45) Leben in der Zeit, in: Nikolaus von Kues. Einführung in sein philosophisches Denken (Alber Kolleg Philosophie) Freiburg i.Bg. -München 1979, 7-26. 46) Rota und Rotamanuale des Basler Konzils. Mit Notizen über den Rotanotar Johannes Wydenroyd aus Köln, in: Römische Kurie. Kirchliche Finanzen. Vatikanisches Archiv. Studien zu Ehren von Hermann Hoberg, hg. von E. Gatz, T. II. (MHP 46) Rom 1979,473-518. 47) Aachen, in: LMAI (1980) [Fasz. 1, 1977] 1-3. 48) Basel, Konzil v„ in: LMA I (1980) [Fasz. 8, 1980] 1517-1521. 49) Der angeblich älteste deutsche Papierbrief von "1302", in: Archivalische Zeitschrift 74 (1978) 103 f. 50) Nikolaus von Kues auf dem Konzil von Trient, in: Reformatio Ecclesiae. Festgabe für Erwin Iserloh, hg. von R. Bäumer, Paderborn u.a. 1980, 699711. 51) Ein unerkanntes Cusanus-Autograph im Staatsarchiv Würzburg. Die Summa dictorum 'Dampnatis Amedistis' vom Frankfurter Reichstag 1442 (Mainzer Urkunden, Geistlicher Schrank, Lade 18 Nr. 4 Libell V) und die handschriftliche Verbreitung des Werkes, in: Würzburger Diözesangeschichtsblätter 42 (1980) 175-186. 52) Urkundliche Ergänzungen zur Ausgrabung des 'Gasthauses Am Hof (Blasiusspital), in: AQVAE GRANNI. Beiträge zur Archäologie von Aachen, Köln 1982,111-113. 53) Ein neues frühes Quellenzeugnis (zu Oktober 1454?) für den ältesten Bibeldruck. Enea Silvio Piccolomini am 12. März 1455 aus Wiener Neustadt an Kardinal Juan der Carvajal, in: Gutenberg Jahrbuch 57 (1982) 108-118. 54) Das Basler Konzil in römisch-katholischer Sicht, in: Theologische Zeitschrift, hg. von der Theologischen Fakultät der Universität Basel 38 (1982) 274-308.
SCHRIFTENVERZEICHNIS
1105
55) Eine bisher unerkannte Stellungnahme Cesarinis (Anfang November 1436) zur Papstgewalt, in: QFIAB 62 (1982) 143-179. 56) Burtscheid, in: LMAII (1983) [Fasz. 5, 1982] l l l l f . 57) Capranica, Angelo; Capranica, Domenico, in: LMA II (1983) [Fasz. 7, 1983] 1488. 58) Carvajal, Juan de, in: LMA II (1983) [Fasz. 7, 1983] 1536. 59) Cesarini, Giuliano, in: LMA II (1983) [Fasz. 8, 1983] 1639 f. 60) Konsens bei Nikolaus von Kues und im Kirchenverständnis des 15. Jahrhunderts, in: Politik und Konfession. Festschrift für Konrad Repgen zum 60. Geburtstag, hg. von D. Albrecht, H. G. Hockerts u.a., Berlin 1983, 11-29. 61) Nikolaus von Kues und die Wittelsbacher, in: Festschrift für Andreas Kraus zum 60. Geburtstag, hg. von P. Fried und W. Ziegler (Münchener Historische Studien. Abteilung Bayerische Geschichte X) Kallmünz 1982, 95-113. 62) Der Fall von Konstantinopel und der lateinische Westen, in: HZ 237 (1983) 1-35 = in: MFCG 16 (1984) 35-60 [erweiterte Fassung]. 63) Charakter und Tendenzen des deutschen Humanismus, in: Säkulare Aspekte der Reformationszeit, hg. von H. Angermeier unter Mitarbeit von R. Seyboth (Schriften des Historischen Kollegs. Kolloquien 5) München-Wien 1983, 217-266. 64) Fürst und Kirche am Vorabend der Reformation, in: Thomas-Morus-Gesellschaft. Jahrbuch 1982, Düsseldorf 1983, 33-42. 65) Antonio Rosellis Gutachten für Heinrich Schlick im Freisinger Bistumsstreit (1444), in: Aus Kirche und Reich. Studien zu Theologie, Politik und Recht im Mittelalter. Festschrift für Friedrich Kempf zu seinem 75. Geburtstag, hg. von H. Mordek, Sigmaringen 1983, 461-472. 66) Gerhoh von Reichersberg, in: TRE XII (1984) 457-459. 67) Stift und Stadt als Forschungsproblem der deutschen Geschichte, in: Stift und Stadt am Niederrhein, hg von E. Meuthen (Klever Archiv 5) Kleve 1984, 9-26. 68) Johannes Grünwalders Rede für den Frankfurter Reichstag 1442, in: Land und Reich - Stamm und Nation. Probleme und Perspektiven bayerischer Geschichte. Festgabe für Max Spindler zum 90. Geburtstag, hg. von A. Kraus (Schriftenreihe zur bayerischen Landesgeschichte 78-80) München 1984,1415-427. 69) Zur Protokollführung auf dem Basler Konzil (mit besonderer Berücksichtigung der Handschrift Ny kgl. S. 1842 fol. in Kopenhagen aus dem Nachlaß des Johann von Segovia), in: AHC 16 (1984) 348-368. 70) Zwei neue Handschriften des 'Dialogus concludens Amedistarum errorem ex gestis et doctrina concilii Basiliensis' (mit einem gleichzeitigen Traktat des Louis Aleman), in: MFCG 17 (1986) 142-152.
1106
ERICH MEUTHEN
71) Nikolaus von Kues, in: Vor-Zeiten. Geschichte in Rheinland-Pfalz, Bd. II, Mainz 1986, 97-112 = Nicolaus Cusanus, in: Lindenthaler Gespräche 19851987, Köln 1989,45-55. 72) Der Freisinger Bischof und Kardinal Johannes Grünwalder (f 1452), in: Christenleben im Wandel der Zeit, hg. von G. Schwaiger, Bd. I: Lebensbilder aus der Geschichte des Bistums Freising, München 1987, 92-102. 73) Köln und die humanistisch-rhetorische Dialektik, in: Geschichte in Köln 23 (1988) 103-117. 74) Kölner Universitätsgeschichte. Band III: Die neue Universität. Daten und Fakten, Köln-Wien 1988 (Konzeption und Herausgeberschaft, Einleitungen V, 87-91 und 279). 75) Chronik, in: Kölner Universitätsgeschichte. Band III: Die neue Universität. Daten und Fakten, Köln-Wien 1988, 1-74. 76) Nikolaus von Kues, in: Staatslexikon, hg. von der Görres-Gesellschaft, Bd. IV, Freiburg i.Bg.-Basel-Wien '1988, 35-37. 77) Nordrhein-Westfalen I. Geschichte, in: Staatslexikon, hg. von der GörresGesellschaft (wie Nr. 76), 42 f. und 56. 78) The 600"1 Anniversary of Cologne University, in: German Comments. Review of Politics and Culture 12,1988, 66-73. 79) Gerho(c)h v. Reichersberg, in: LMAIV (1989) [Fasz. 6, 1988] 1320-1322. 80) Die 'Epistolae obscurorum virorum', in: Ecclesia militans. Studien zur Konzilien- und Reformationsgeschichte Remigius Bäumer zum 70. Geburtstag gewidmet, hg. von W. Brandmüller u.a., Bd. II, Paderborn u.a. 1988, 53-80. 81) Die Artesfakultät der alten Kölner Universität, in: Die Kölner Universität im Mittelalter. Geistige Wurzeln und soziale Wirklichkeit, hg. von A. Zimmermann (Miscellanea Mediaevalia 20) Berlin-New York 1989, 366-393 = Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde. Vorträge Nr. 25, Düsseldorf 1989. 82) Die deutsche Legationsreise des Nikolaus von Kues 1451/1452, in: Lebenslehren und Weltentwürfe im Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit. PolitikNaturkunde-Theologie, hg. von H. Boockmann, B. Moeller und K. Stackmann (Abh. der Akad. der Wiss. in Göttingen. Philol.-Hist. Klasse. Dritte Folge Nr. 179) Göttingen 1989, 421-499. 83) Die mittelalterliche Universität, in: 600 Jahre Kölner Universität 1388/1988. Reden und Berichte zur Geschichte, Gegenwart und Zukunft der Universität, Köln 1989, 29-46. 84) Gab es ein spätes Mittelalter?, in: Spätzeit. Studien zu den Problemen eines historischen Epochenbegriffs, hg. von J. Klinisch (Historische Forschungen 42) Berlin 1990,91-135. 85) Die "Acta Cusana. Quellen zur Lebensgeschichte des Nikolaus von Kues", in: American Cusanus Society Newsletter 8 (1991) 45-50.
SCHRIFTENVERZEICHNIS
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86) Einführung, in: Erich Meuthen (Hg.), Reichstage und Kirche. Kolloquium der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften 1990 (Schriftenreihe der Histor. Komm, bei der Bayer. Akad. der Wiss. 42) Göttingen 1991, 7-14. 87) Humanismus und Geschichtsunterricht, in: Deutsche Forschungsgemeinschaft. Humanismus und Historiographie, hg. von A. Buck, Weinheim 1991, 5-50. 88) Auskünfte des Repertorium Germanicum zur Struktur des deutschen Klerus im 15. Jahrhundert, in: QFIAB 71 (1991) 280-309. 89) Eugen IV., Ferrara-Florenz und der lateinische Westen, in: AHC 22 (1990) 219-233. 90) Die Synode im Kirchenverständnis des Nikolaus von Kues, in: Staat, Kultur, Politik. Beiträge zur Geschichte Bayerns und des Katholizismus. Festschrift zum 65. Geburtstag von Dieter Albrecht, hg. von W. Becker und W. Chrobak, Kallmünz 1992, 11-25. 91) Modi electionis. Entwürfe des Cusanus zu Wahlverfahren, in: Staat und Parteien. Festschrift für Rudolf Morsey zum 65. Geburtstag, hg. von K.-D. Bracher u.a., Berlin 1992, 3-11. 92) Theodor Schieffer. 11.VII.1910 - 9.IV.1992, in: HZ 256 (1993) 241-248 = (in etwas veränderter Form) Nachruf auf Theodor Schieffer, in: RheinischWestfälische Akademie der Wissenschaften. Jahrbuch 1992, Opladen 1993, 45-49. 93) Universitas. Anfange, Grundideen und Selbstverständnis einer europäischen Institution, in: im Gespräch 1993 1/2, 7-10. 94) Thomas von Aquin auf den Provinzialkonzilien zu Mainz und Köln 1451 und 1452, in: Köln. Stadt und Bistum in Kirche und Reich des Mittelalters. Festschrift für Odilo Engels zum 65. Geburtstag, hg. von St. Weinfurter und H. Vollrath (KHA 39) Köln-Weimar-Wien 1993, 641-658. 95) Cusanus in Deventer, in: Concordia discors. Studi su Niccolö Cusano e l'umanesimo europeo offerti a Giovanni Santinello (Medievo e Umanesimo 84) Padua 1993, 39-54. 96) Nikolaus von Kues und Dionysius der Kartäuser, in: EN KAI IIAH0OE Einheit und Vielheit. Festschrift für Karl Bormann zum 65. Geburtstag, hg. von L. Hagemann und R. Glei (Religionswissenschaftliche Studien 30) Würzburg-Altenberge 1993, 100-120. 97) Nikolaus von Kues und die deutsche Kirche am Vorabend der Reformation, in: MFCG21 (1994)39-77. 98) Bursen und Artesfakultät der alten Kölner Universität, in: Education and Society in the Middle Ages and Renaissance, Leiden 1994 [im Druck],
Abkürzungsverzeichnis AASS
Acta Sanctorum
AC
Acta Cusana. Quellen zur Lebensgeschichte des Nikolaus von Kues. Im Auftrag der Heidelberger Akademie der Wissenschaften hg. von E. Meuthen und H. Hallauer, Bd. I, Lfg. 1-2 (1401 bis 1450 Dezember 31), Hamburg 1976-1983.
ACC
Acta Concilii Constanciensis
ADB
Allgemeine Deutsche Biographie
AESC
Annales. Économies - Sociétés - Civilisations
AfD
Archiv für Diplomatik
AFH
Archivum Franciscanum Historicum
AFP
Archivum Fratrum Praedicatorum
AHC
Annuarium Historiae Conciliorum
AHP
Archivum Historiae Pontificiae
AHR
American Historical Review
AHVN
Annalen des Historischen Vereins für den Niederrhein
AKG
Archiv für Kulturgeschichte
AN
Archives Nationales (Paris)
AÖG
Archiv für Österreichische Geschichte
ARG
Archiv für Reformationsgeschichte
ASt
Archivio di Stato
AUF
Archiv für Urkundenforschung
BDHIR
Bibliothek des Deutschen Historischen Instituts in Rom
BDLG
Blätter für deutsche Landesgeschichte
BECh
Bibliothèque de l'École des Chartes
BEFAR
Bibliothèque des Écoles Françaises d'Athènes et de Rome
BHR
Bibliothèque d'Humanisme et Renaissance
BN
Bibliothèque Nationale (Paris)
BPHIR
Bibliothek des Kgl. Preußischen Historischen Instituts in Rom
BZGA
Basler Zeitschrift für Geschichte und Altertumskunde
CB
Concilium Basiiiense. Studien und Quellen zur Geschichte des Concils von Basel, hg. mit Unterstützung der Historischen und Antiquarischen Gesellschaft von Basel, Bd. I-VIII, Basel 1896-1936 (ND 1976). Corpus Christianorum. Series Latina Concilium Florentinum. Documenta et Scriptores. Editum consilio et impensis Pontificii Instituti Orientalium Studiorum, Series A: I-XI; Series B: I-IX, Rom 1940-1977.
CC CF1
1110
ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS
ChH
Church History
CIC
Corpus Iuris Canonici, ed. Lipsiensis secunda instruxit A. E. Friedberg, Leipzig 2 1879-1881 (ND 1955).
COD
Conciliorum Oecumenicorum Décréta. Edidit Istituto per le Scienze Religiöse, Bologna 3 1973.
CSEL
Corpus Scriptorum Ecclesiasticorum Latinorum
DA
Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters
DBF
Dictionnaire de Biographie Française
DBI
Dizionario Biografico degli Italiani
DDC
Dictionnaire du Droit Canonique
DHGE
Dictionnaire d'histoire et de géographie ecclésiastiques
DSp
Dictionnaire de Spiritualité
DThC
Dictionnaire de Théologie Catholique
DW
Dahlmann-Waitz
EHR
English Historical Review
FKRGK
Forschungen zur Kirchlichen Rechtsgeschichte und zum Kirchenrecht
FRA
Fontes Rerum Austriacarum
GGA
Göttingische Gelehrte Anzeigen
GiK
Geschichte in Köln
GW
Gesamtkatalog der Wiegendrucke, Bd. 1 ff., Leipzig 1925 ff.
GWU
Geschichte in Wissenschaft und Unterricht
Hain
L. Hain, Repertorium bibliographicum, 4 Bde., StuttgartParis 1826-1838 (ND 1963).
HAStK
Historisches Archiv der Stadt Köln
HJb
Historisches Jahrbuch der Görres-Gesellschaft
HRG
Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte
HStA
Hauptstaatsarchiv
HUA
Haupturkundenarchiv im Historischen Archiv der Stadt Köln
HZ
Historische Zeitschrift
JbKGV JE/JK/JL
Jahrbuch des Kölnischen Geschichtsvereins Ph. Jaffé, Regesta Pontificum Romanorum (2. Aufl. von P. Ewald/ F. Kaltenbrunner/ S. Löwenfeld) Journal of Ecclesiastical History Journal of Médiéval History Kölner Historische Abhandlungen Lexikon des Mittelalters Lexikon für Theologie und Kirche (2. Aufl.) Le Moyen Age. Revue d'histoire et de philologie
JEH JMH KHA LMA LThK MA
ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS
1111
MANSI
Joannes Dominicus Mansi, Sacrorum conciliorum nova et amplissima collectio, I-XXXI, Florenz-Venedig 1759-1798; 2. Aufl. und Fortsetzung ab Bd. XXXVIA hg. von J. B. Martin und L. Petit, Paris-Leipzig 1901-1927 (ND 1960/61).
MC
Monumenta Conciliorum Generalium seculi decimi quinti, ed. Caesareae Academiae Scientiarum socii delegati, I-II, Wien 1857-1873; Tomus ... a sodalitate Basiliensi quae vocatur Historische und Antiquarische Gesellschaft confectus III, Wien-Basel 1886-1932; IV Basel 1935. Mélanges de l'École Française de Rome. Moyen Âge/ Temps Modernes
MEFR. MA/ TM MFCG MGH
Mitteilungen und Forschungsbeiträge der Cusanus-Gesellschaft Monumenta Germaniae Histórica
MHP
Miscellanea Historiae Pontificiae
MIÖG MPG
Mitteilungen des Instituts fur Österreichische Geschichtsforschung J. P. Migne, Patrologiae cursus completus, Series Graeca
MPL
J. P. Migne, Patrologiae cursus completus, Series Latina
NA
Neues Archiv der Gesellschaft für ältere deutsche Geschichtskunde
ND
Nachdruck
NDB
Neue Deutsche Biographie
NF
Neue Folge
n.s. PGRhGK
nouvelle série/ nova series Publikationen der Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde
QAMRhKG
Quellen und Abhandlungen zur mittelrheinischen Kirchengeschichte
QFIAB RAC
Quellen und Forschungen aus italienischen Archiven und Bibliotheken Reallexikon für Antike und Christentum
RBén
Revue Bénédictine
RE
Paulys Real-Encyclopädie der classischen Altertumswissenschaften, hg. von G. Wissowa Revue d'histoire ecclésiastique Römische Historische Mitteilungen Rheinische Vierteljahrsblätter Regesta Imperii
RHE RHM RhVjBll RI RQ
Römische Quartalschrift für christliche Altertumskunde und Kirchengeschichte
1112
ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS
RTA
Deutsche Reichstagsakten. Ältere Reihe, hg. durch die Historische Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, I ff. (1376-1486), München-Stuttgart usw. 1867 ff. (ND 1956-57).
RThAM
Recherches de théologie ancienne et médiévale
SB
Sitzungsberichte
SHCT
Studies in the History of Christian Thought
SM
Studi Medievali
SMBO
Studien und Mitteilungen zur Geschichte des Benediktinerordens und seiner Zweige
SMRT
Studies in Médiéval and Reformation Thought
StA
Staatsarchiv
StB
Staatsbibliothek
STh
Thomas von Aquin, Summa Theologiae
TRE
Theologische Realenzyklopädie
TRHS
Transactions of the Royal Historical Society
UB Verf.Lex
Urkundenbuch Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon (2. Aufl.)
VIEG
Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte
VIÖG
Veröffentlichungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung
VMPIG
Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte
VSWG VuF
Vierteljahrsschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte Vorträge und Forschungen, hg. vom Konstanzer Arbeitskreis für mittelalterliche Geschichte
WdF
Wege der Forschung
ZAGV
Zeitschrift des Aachener Geschichtsvereins
ZBLG
Zeitschrift für Bayerische Landesgeschichte
ZGO
Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins
ZHF
Zeitschrift für Historische Forschung
ZKG ZRG GA
Zeitschrift für Kirchengeschichte Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Germanistische Abteilung Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Kanonistische Abteilung
ZRG KA
Register Das Register erfaßt Orte und Personen, nicht aber moderne Autoren. Von Fall zu Fall sind die Lemmata durch Sachbetreffe wie Bistum, Konzil, Reichstag, Universität weiter spezifiziert. Die Stichworte Basel, Köln, Rom sowie Nikolaus v. Kues (Opera) verlangten angesichts der Themenschwerpunkte der Festschrift eine detailliertere Auffacherung. Personen sind unter ihren Vornamen eingeordnet, soweit ihr Lebensschwerpunkt deutlich ins 15. Jahrhundert fallt. Gängige Vornamen werden in latinisierter Form gebracht, die volkssprachlichen Varianten jeweils darunter subsumiert; Beispiel: Antonius (Antoine, Anton, Antonio). Speziellere Vornamen, insbesondere italienische und stadtkölnische, blieben dagegen unverändert. Querverweise erleichtern gegebenenfalls die Zuordnung. Personen sind nur mit denjenigen Ämtern und Dignitäten aufgenommen, die auch im Text genannt werden. Folgende Abkürzungen werden benutzt: atl. = alttestamtlich, b. = bei, Bf. = Bischof, Bgf. = Burggraf, Bm. = Bistum, Ebf. = Erzbischof, Ebm. = Erzbistum, d.Ä. = der Ältere, d J . = der Jüngere, Fak. = Fakultät, Fm. = Fürstentum, Gf. = Graf, Gft. = Grafschaft, Hl. = Heilige(r), Hz.(in) = Herzog(in), Hzm. = Herzogtum, Ehz. = Erzherzog, Kand. = Kandidat, Kard. = Kardinal, Kath. = Kathedral-, Kf. = Kurfürst, Kfm. = Kurfürstentum, Kg.(in) = König(in), Kgr. = Königreich, Kl(l). = Kloster (Klöster), Klause(n), Ks. = Kaiser, Mgf. = Markgraf, Mgft. = Markgrafschaft, OCarm = Ordo (Fratrum Beatae Mariae Virginis de Monte) Carmelo, OCart = Ordo Cartusiensis, OCist = Ordo Cisterciensis, OESA = Ordo (Fratrum) Eremitarum Sancti Augustini, OFM = Ordo Fratrum Minorum, OP = Ordo (Fratrum) Praedicatorum, OPraem = Ordo Praemonstratensis, OSA = Ordo Sancti Augustini, OSB = Ordo Sancti Benedicti, OSB Cam = (Congregatio Monachorum Eremitarum) Camaldulensium, OSM = Ordo Servorum Mariae, Pfgf. = Pfalzgraf, Pfgft. = Pfalzgrafschaft, u. = und, Univ. = Universität, v. = von (van, vom), Prov. = Provinz.
Aachen 43-64, 68,464, 769,1047 — St. Adalbert, Stift 49 f., 60 — St. Marien, Stift 48 ff., 54, 965 Abaelard 423 f. Abbeville 685 Abtei (b. Brixen) 407 Accolti -» Benedictus Adam — de Bopardia 676 — Carthusianus 491 — I. v. Hertzenradt, Abt v. Brauweiler 1019, 1021 — Mayer, Abt v. Groß St. Martin, Köln 120 — II. v. Münchrath, Abt v. Brauweiler 1021 f. — de Pacientia 1020 — Rot 878 — Wod(e)ham (Woodham) 723 Adolphus (Adolf) — v. Nassau, dt. Kg. 755
— I. v. Altena, Ebf. v. Köln 994 — II. v. Nassau, Ebf. v. Mainz 781-800, 807, 809,813,819 — I., Hz. v. Berg 48, 994, 1072 — V., Gf. v. Berg 1041 — v. Essen (OCart) 439 — v. Oberweinper 394 Adrianopel (Edirne) 746 — (Frieden 1547) 836 Aegidius (Gilles) — Carlier 149, 601 — Romanus 31, 169, 723 Ägypten 415, 422 f , 425, 490, 572, 578 Äthiopien 571, 575, 578 f. Afflighem/ Brabant, Kl. OSB 464 Afrika 131, 140, 571 f., 575, 577 Agazzari -> Bartolomeo di Misser Tommaso della Gazaia A. Agincourt (Schlacht 1415) 71 Agnes Pfinzing 814
1114
REGISTER
Agnese del Maino 544 Agostino -» Augustinus Agricola, Rudolf -* Rudolf Ailly -> Petras Aischines 629, 631 Aischylos 629 ff. Alanus ab Insulis (Alain de Lille) 490, 599 Alba, Gf.en/Hz.e v. 941 Albeins (b. Brixen) 407 Alberigo da Barbiano 222 Alberti Leon Battista Albertus (Albert) — Blar713 — de Colonia 1020 — Grippes 255 — Hoyrl039 — Magnus 32, 161,314,319, 325, 487, 496, 575, 578 f., 597, 672, 677 f., 713, 723,1032 — di Novara 553 — v. Sachsen 723 — v. Siegburg 763-779 — Stuten v. Unna 763-768 — Waepensticker 979 Albi, Bm. 249, 689 Albrecht — II., dt. Kg. 89,124, 745, 767 — IV., Hz. v. Bayern-München 308, 825 ff., 830, 832 — V.,Hz. v. Bayern 838 f. — V , Hz. v. Österreich -» Albrecht II. — VI, Hz. v. Österreich 272, 913 — v. Eyb, Domherr in Eichstätt, Bamberg und Würzburg 431, 706 — Achilles, Mgf. v. Brandenburg u. Kf. 385, 807-814, 817 ff., 914 Alexander — II., Papst 768 — III., Papst 771, 932 — V., Papst 22 f., 847, 849 — VI, Papst 1017,1022 f. — d. Große 575, 625 f. — v. Litauen Witold v. L. — I. d. Gute, Woiwode v. Moldavien 906 f , 909, 925 f. — Aldea, Woiwode d. Walachei 748 — Amidanus 545 — v. Haies 487, 496, 711, 723
— — — — —
Hegius 732 v. Roes 37 Abtv. Vézelay 91 f , 113 de Villa Dei 674, 699, 703, 705 de Vitalibus (A. Vitali di Pavia) (OESA) 552, 559 Alexandria 572, 626, 753 — Patriarchat 2 f , 141, 352 Alexius Haller 814, 817 Alfeld (b. Hildesheim) 198 Alheydis de Hovenich 979 Almelo (Prov. Overijssel) 445 — St. Katharina (Terziarinnenkl.) 445 f f , 454 Alonso -> Alphonsus Aloysius Cernusculus 564 Alphonsus (Alfons[us], Alfonso, Alonso) — V , Kg. v. Aragón(-Neapel) 193 f , 918 — X. d. Weise, Kg. v. Kastilien 934 — XII, Kg. v. Kastilien 947 — V , Kg. v. Portugal 913 f. — de Carrillo (d.Ä.), Kard. 79 — Garcia de Santa Maria (de Cartagena), Bf. v. Burgos 5, 941 — de Espina (OFM) 946 — Mudarra 903-926 — de Oropesa, Hieronymitengeneral 941, 947 — Rodriguez de Maluenda 941 Altenberg, Kl. OCist 767, 777 Altkirch 276 Alvarez de Toledo, Familie 941 Alvarus (Alvar[o]) — Garda de Santamaria 904, 941 — de Luna, Condestable v. Kastilien 944 f. Amadeus (Amédée) — VI, Hz. v. Savoyen 753 — VIII, Hz. v. Savoyen -> Felix V , (Gegen-)Papst — de Talaru, Ebf. v. Lyon 4, 81, 83,194, 235,248 Arnberg 704 — Kl. OFM 519 Ambrogio -> Ambrosius Ambronay (b. Lyon) 908 Ambrosius (Ambrogio) — HI. 116,166, 422,429,489,496, 575, 577, 584 f.
REGISTER
(Ambrosius) — Bozulus 543 — Inviciati (A. de Inviciatis) (Humiliate) 552 f., 555 f. — Pusteria (OESA) 552, 557 — Traversali, OSB Cam-General 81, 210, 313 f., 322, 624 f., 629-632 Amédée -> Amadeus Amiens — Bm. 235, 239 ff., 250 f. — Domkapitel 274 Ampezzino 407 Amselfeld (Kosovo Polje; Schlacht 1389) 748 f., 779 Anagni 286 Anaximander 322 Anaximenes v. Lampsakos 625 Ancona 215 — Mark 202 Andalusien 927, 937, 948 f. Andenne (b. Namur), Kanonissenstift 1028
Andraz -> Buchenstein Andreas (Andre, Andrea) — Borkow 255-260, 267 — de Ghirighellis 551 — Grecus 741 — Gruber 389 — Mack411 — Maletta da Mortara (OFM) 558 — da Marca Anconitana (OESA) 556 — da Milano (Medulagi de Mediolano) (OESA) 559 — de'Pazzi 220 — Pochuletus 545 — v. Popplau 914 — v. Regensburg 825 — Suardi (Humiliate) 556 — v. Venraidt 1022 Angelus (Angelo, Angelotto) — Conti, Kard. 209 — Foschi, Kard. 209 — Corbinelli 435 — Poliziano 430 — Spinola 545 — Rizzardini (A. Rizardini da Savigliano) (OP) 552, 559 Angera, Gf.en v. 921 Angermünde, Kl. OFM 506
1115
Angers, Univ. 4 Anguillara (b. Rom) 875 Anicetus, Papst 771 Anjou 68 — Haus 235, 747 Ankara (Schlacht 1402) 748 f., 910 Anna — v. Österreich, Gemahlin Lgf. Wilhelms III. v. Thüringen 518 — v. Sachsen, Gemahlin Mgf. Albrechts Achilles v. Brandenburg 811, 817 ff. — Hardefust 980 — Kopf 815 Anras (b. Brixen) 396 Anselm — v. Canterbury 457, 459,471, 711, 728 f. — v. Havelberg 38 — v. Justingen 1033, 1038 Antiochia 418 — Patriarchat/Patriarchalkonzil 2 f., 141, 352 — Konzilien 343, 346, 350 Antiphon, Halbbruder d. Piaton 334 Antonia Malatesta v. Rimini 920 Antoninus Pierozzi, Ebf. v. Florenz, Hl. 597, 709 Antonius (Antoine, Anton, Antonio) — Casini, Kard. 209,212, 221 — Cor(r)arius (Correr), Kard. 56, 63 — Hz. v. Brabant-Limburg 48 — da Batignano 209,215 f. — deBeatis 961 f. — Biglia de Sancta Agata (OESA) 558 — Bonfinis 961,966 — Bugiarinus 549 — de Butrio 35 — deCroy 913 — Galicus 545 — di Giachoppo Petrucci 229 — Guayne 544 — Mancinellus 674 — de Mediolano (OCarm) 548, 550 f., 560 f. — Millanta Genovese (OCarm) 556 — de Mucciarellis 1013 — de Romagnano 805 — Sorg 416 f. — Tucher 808, 813
1116
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(Antonius) — de Vaudrey 691 — Wyntha(g)en 985 Antwerpen 669, 718, 966 Apelles 611 Apollonios 490 f. Apollonios Dyskolos 625 Apuleius 320 Aquileja 908 — Patriarch/Patriarchat 3, 961 — Bm. 560 — Kl. 419 Arabien 571 Aragón, Kgr./ Krone/ Kg. 2, 55, 57, 63, 81, 83, 770, 907 f., 912 f., 927-930, 933 f., 936 ff., 941, 943 f., 949 f , 952 Arbogast, Hl., Bf. v. Straßburg 965 Arias de Avila, Familie 942 Aristarch v. Samothrake 623, 627 Aristides 633 Aristoteles 5, 82, 307, 314 f f , 325, 327, 333, 338, 371, 425, 427,433 f., 491, 498, 574-577, 585, 597, 615 f , 625, 640, 672, 677 f., 682, 694, 700, 702 f., 706, 725, 729 f., 959 Arles 132, 777 Armagnac — Gft. 55, 57, 62 — frz. Hof- und Fürstenpartei 231 f. Armenien 572 Arnaldus (Arnold, Arnoldus) — II. v. Wied, Ebf. v. Köln 1027 — Bostius (OCarm) 198 — Geilenkirchen 979 — Kleppinck 976 — de Obendorp 50 — Pannartz 320 — III. Quad, Abt v. Brauweiler 1019 — de Spina 668 — Zagemeister 255 — Zeuwelgin 766 Arnheim 464 Arnstadt 506, 508 — Kl. OFM 506 Arnold(us) Arnaldus Arras (Stadt/ Bm. bzw. Kongreß/ Vertrag v. 1435) 69, 72, 231 f., 236 f f , 241, 243 f , 249 f , 692 Arrianus, Flavius 626
Arthur (Artur) — III., Hz. v. Bretagne 913 — de Richemont, Connétable v. Frankreich 236 Artois, Gft. 232 Arym 569, 571 Aschaffenburg 802 Asconius (Q. A. Pedianus) 706 Asien 572, 577 Assuan (Syene) 571 Assyrien 572 Asti 553 Athanasius v. Alexandrien 341, 638 Athen 334, 641 Athenaios — v. Athen 626 — v. Naukratis 626 Atto, Bf. v. Vercelli 421 f. Auenheim (Pfarrei) 1018 Augsburg 416,472, 963 f. — St. Ulrich u. Afra 89,101, 119 f., 963 f., 966 — Reichstag (1500) 831 — Reichstag (1566) 839 Augustinus (Agostino) — Hl. 116, 153,157, 166, 188, 285, 320 f f , 351, 353 f , 369 f„ 415, 423, 425, 428-431, 435 f , 457, 459, 469, 471, 476, 489 f f , 495 f f , 499 f , 502, 566, 574, 599, 601, 610, 615, 639, 643 f„ 649-658, 662,665, 672, 683, 689, 700, 711,732 f. — Dati 703, 705 — Favaroni (OESA) 273,284, 288 — de Marliano (Marliani) (OESA) 556, 561 — de Papia (Campeggi) (OSM) 552, 557 — Patrizi 805, 813, 819 Augustus, röm. Ks. 689 Auvergne 690 Auxerre, Bm. 239 Averroes 700, 702 Avicenna 672 Avignon 20, 80 f , 244 f , 247, 296, 775 — Papst/ Papsttum 20, 62, 67, 81, 774, 849, 854 — Kurie 527, 774, 846 f , 849, 865 f. — Bf. v. 196 — Provinzialsynode (1457) 196
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(Avignon) — Univ. 4, 274 Ayllón 944 Azincourt -> Agincourt Baanes 134 f., 152 Babylon 572 Baden, Mgf./ Mgft. 784, 793, 797 f. Baiersdorf (b. Forchheim) 813 Baktrien 572 Baldassarre Cossa -» Johannes XXIII., (Gegen-)Papst Baldeiii, Giovan Battista 617 Balduin v. Wenden, Ebf. v. Bremen-Hamburg 113 Balkan 739-761 Ballersdorf (b. Altkirch/ Elsaß) 276 Balthasar — Mentelberger 394 — v. Welsberg 388 f., 393 — Abt v. Zinna, Kl. OCist 271 Bamberg 802, 811 f f , 819 f , 969 — Bf./Bm. 73, 103, 276, 799, 915 — Domkapitel 431 — Teuerstadt, St. Gangolf, Stiftsschule 434 Bafiez, Domingo (OP) 204 Baptista de Malatestis 639 Barbara — v. Cilli, Gemahlin Ks. Sigismunds 749, 921 — Gonzaga 386 — Löffelholz 816 — Schöndorffer, Äbtissin v. -> Sonnenburg 382,403 Barbo -+ Marco Barbo Barcelona 929-934, 936, 940 Barhebraeus 569 Barlaam 369 Barnim — d.Ä. (VII.), Hz. v. Pommern 258 — d.J. (VIII.), Hz. v. Pommern 258 Baroncelli, Firma 875 Bartholom(a)eus (Bartolomeo, Bertelmees, Tholomeus) — de Aquis (OESA) 556 — Calco 547 — de Fazardis (OESA) 561 — de Genoa (OSM) 559
— — — — — — — — —
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I Jsbrandtssohn 670 v. Jaslo 531 Lapacci (OP)514 v. Liechtenstein 385,407 v. Lucca 38 Mariani da Genoa 885 Ritius 545 Sacchi da Platina 709 di Misser Tommaso della Gazaia (Agazzari) 211,217, 220 — de Valencia 212 Bartolus de Saxoferrato 590 Basel 3, 6, 38, 59, 80 ff., 90-93,95,115, 125, 195 f , 201,204, 259, 272, 276, 432, 465, 590, 592 — Konzil 1-8, 13, 18, 28 f , 36-41, 77-85, 87-121,123 f f , 127, 130,137 f , 140 f , 145 f , 148 f f , 158-161, 166 f , 169-191,193-206, 207-229, 231, 233 f f , 239 f f , 244-251, 253,255268, 269-290,295 f , 299 f , 333, 344, 355 f , 376 f , 387, 466 f , 506, 512 f , 520, 583, 588 f , 594 f , 600-604, 668 f , 691, 693, 741 f , 751, 756, 769, 775 ff„ 779, 846, 849, 857, 864, 866, 989, 991, 994, 1002 -> Lausanne, Konzil — Münster 1-8, 83, 273 — (Kleinbasel), Kl. OCart 90,198, 467, 477, 486 — Klosterkirche OFM 194 — (Kleinbasel), Kl. OP 90, 271,477 — St. Leonard, Chorherrenstift 477 — Prov.kapitel OSB (1435) 90-92, 100 f. — Prov.kapitel OSB (1436) 92-96, 99 f , 104,107,109,118 — Reichstag (1434) 825 — Univ. 198, 704 f. Basileios d. Gr. 429, 636 f , 680 ff. Bassignana (Prov. Alessandria) 553 Batignano, Familie 207 Battista di Ser Giovanni Bellanti 207-216, 218, 221-229 Baudeloo (b. Gent), Kl. OCist 464 Bayern 101, 465,468, 480, 505, 669, 1006 — Hz(m). 390, 821-843 Ingolstadt, Teilhzm. 824 Landshut, Teilhzm. 824
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(Bayern) München, Teilhzm. 824 Bayeux, Domkapitel 271 Bayezid I., osman. Sultan 748, 754 Beaufort, Burg (Anjou) 68 Beaumont (Ardennen) 238 Beaune 242 Beda de Craveriis (B. Craveri, B. di Asti) (OCarm) 552, 559 Beda Venerabiiis 352,421, 476 Beelgen Pennynck 974 Bela de Caminata 979 Bele Houlschenmechers 985 Belgrad 376, 750 Beiisar, byz.. Heerführer 628 Bellanti, Familie 207 Bellarmin, Robert (SJ) 205 f. Belley, Bm. 3 Bencivenni (Ser) 212,225 f., 228 Benedictus (Benedetto, Benedikt) — XII., Papst 20 f., 87,484, 850, 856 — XIII., (Gegen-)Papst 36, 55-58, 60, 62 ff., 770 — Accolti 620 — Barruti de Rupella (OP) 548, 556 — Fulco 752 — v. Nursia 279,421, 771 f. — de Pileo (de Piglio) 37 — v. San Precipiano 1011 Benzi, Familie 211 Berching 819 Berg, Hzm. 48; Jülich-Berg, Hzm. Bergisches Land 1012 Berlin, Propst v. 263 Bern(h)ardinus (Bernardino) — de Augusto 546 — de Bossiis 551 — de Busti 543 — v. Busti (OFM) 200 — de Capitaneis 1013 — de Rubeis (Rossi) de Mediolano (OFM) 547, 557 — v. Siena (OFM) 199, 273, 294 Bern(h)ardus (Bernard, Bernardo, Bernat, Bernhard) — v. Cles, Bf. v. Trient u. Brixen 410 — de La Planche, Bf. v. Dax 274 — de La Roche-Fontanille, Bf. v.
Montauban u. Dax 194 v. Bern, päpstl. Kollektor 1011 v. Breidenbach 709 de Cabrera 931 f. v. Clairvaux 177, 180, 184, 297,425, 457,465, 469,471 f., 490, 496,499, 711,730, 732, 771 — v. Geist 708 — de Granellis (da Genoa) (OP) 559 — v. Kraiburg 306 — Parmensis 599 — de Reyda 974, 977 — Ricordi Lodigiano (OESA) 557 — Vrigdach271,290 Bernkastel -» Kues Bernold v. Konstanz 350 Berenice 571 Bertelmees -> Bartholomaeus Bertoldus (Berthold) — v. Bückelsburg, Bf. v. Brixen 408 — v. Regensburg 591 — v. Steenwick 118 Bertoldi da Serravalle -> Johannes Bertrandon de la Brocquière 910 Besançon 242 — Bm. 683,689 Bessarion, Kard. 29, 331, 386 f., 784, 888 Bethlehem (b. Löwen), Chorherrenstift 464, 467 Bianca Maria Visconti 544 Bingen, Kurflirstentag (1424) 741 Blaubeuren — Kl. OSB 89 — Prov.kapitel OSB (1482) 88,102 Blois 250 Blomevenna, Petrus (Blommeveen, Peter) 721 Blotius, Hugo 669 Boccaccio -» Johannes (Giovanni) Bocklemünd -> Köln Böddeken (b. Paderborn), Chorherrenstift 471 Bödingen, Stift 972, 979, 982 Böhmen 53, 62, 70, 72, 75, 273, 275, 506, 510 f , 536, 605, 750, 755, 757, 761, 768, 826, 907; -> Hussiten Boëthius — (Anicius Manlius Severinus B.) 425, 440,493, 639 — — — —
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(Boëthius) — v. Dacien 34 Bogislaw IX., Hz. v. Pommern 258,260, 262 Bologna 209, 211 f., 215 f., 218, 221 f., 624, 892 — Gft. 593 — OFM-Generalkapitel (1433) 512 — Univ. 35 f., 422, 523 f., 526, 529, 531, 583 Theolog. Fak. 562 Bona v. Savoyen, Hz.in v. Mailand 548 Bonaventura 181, 185,424 f., 453,471, 638, 677, 723, 732 Bonifatius — I., Papst 347 f., 354 — VIII., Papst 17 — IX., Papst 49,1005-1009, 1011, 1014 — Ferrer 944 Boniforto Vachini (OSM) 556 Bonn 1036,1038,1050 — Engelthal (Stift d. Windesheimer Kongregation) 973, 979 Bono di Candia (OCarm) 559 Boppard 799 Borgia -> Rodrigo; -> Alexander VI. Bosnien 746-750, 752 — Kg.in v. 895 Bourges 247 — Klerusversammlung (1432) 235 — Klerusversammlung/ Pragmatische Sanktion (1438) 28, 76, 253, 776 Bozen 406,410 Brabant 462 — Hzm. 48, 232 Brankoviò, Familie 750 Branda da Castiglione, Kard. 108, 209, 222 Brandenburg 263 — Kf(m)./ Mgf(t). 258 f., 830, 833, 842 — Mgf. -> Fridericus I. -> Fridericus II. — Kl. OFM 506 Brant, Sebastian 201, 475 Braubach (b. Koblenz) 978 Braunau, Kl. OSB 465 Braunschweig 846 — St. Ägidien 91 Brauweiler, St. Nikolaus, Kl. OSB 985, 1017-1023
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Bremen-Hamburg — Ebf./Ebm. 94,113 f., 258 — Domkapitel 846 Bremen/ Magdeburg, Provinz OSB 87 f., 94,102,113 Brescia 472 Breslau 963 — Univ. 529 Bretagne, Hzm. 4 f. Brigitta v. Schweden 273 Britannien 572 Brixen 305 f., 385, 387, 394,402, 406 — Bm. 303, 381 f., 384-387, 390, 400,402,404,408-411,603 — Domkapitel 382, 384-408,411 Brügge 233,464 Brünn 765 — Archidiakonat 768 Bruneck 381-412 Brunelleschi -> Philippus Bruni -> Leonardus Bruno — IV. v. Sayn, Ebf. v. Köln 994 — Hardefust 1031, 1039, 1094 — (Husen) de Broyll 977 — v.Köln (OCart) 771 Bruno, Giordano 312, 328 f., 621 Brüssel 248,464, 965 Brutus 721 Bublitz (Pommern) 257 Buchenstein/ Andraz, Burg 306, 386-389, 393, 399 f., 407,411 Buda -> Ofen Bürgel (b. Jena) 509 Bürgel-Zons (b. Köln), Pfarrei 1018 Bugey 908 Bulgarien 746, 748, 750 Buonsignore d'Andrea Benzi 210 f., 217 f., 220 Burghausen, Rentamt 834 f. Burglechner, Matthias 409 Burgos 928, 940 f. — Bf. v. 913 Burgund — Hzm. 1,4 f., 7,39,48,91,231-253, 273, 669, 689, 754 — Freigft. 241 f., 683 Buridan -> Johannes
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Burkhard(t) — Falkenstein 1083 — Zink 963 f , 966 Bursfeld(e), Kl. OSB 88, 113, 465 Burzenland 744 Busaeus, Johannes 112 Bussi -> Johannes (Giovanni Andrea) Butrio Antonius de Buxheim, Kl. OCart 464 Byzanz, Byzant. Reich 80, 124, 126, 138 f., 142 f , 182, 207 f., 210, 214, 218, 223, 244, 296, 356, 358, 361, 376 f., 571, 623 ff., 632, 742, 746, 759 f.; -> Konstantinopel Cabezón-Cigales 947 Cádiz (Gades) 571 Cadolzburg 817 Caecilian v. Karthago 341 Caesar (Gaius Julius C.) 678, 688 f., 714 Caesarius — Bf. v.Arles 420 — v. Heisterbach 769 f., 994, 1030, 1039 Caesarius, Johannes 718 Cajetan, Konstantin (OSB) 471 Cajetan de Vio, Thomas (OP), Kard. 203 Calais 73 Calcidius, Neuplatoniker 322 Calixtus — II., Papst 932 — III., Papst 913 Calvin, Johannes 202 Cambino dei Cambini, Firma 875, 883 Cambrai 233, 242, 245 — Bm. 252, 567 Cambridge, Peterhouse College 68 . Campagnano (b. Rom) 875 Cano, Melchior 204 Canterbury, Archidiakonat 70 Capistran -> Johannes Caracciolo, Roberto 199 Carlisle (Parliament 1307) 66 Carlotta v. Lusignan, Kg.in v. Zypern 895 f. Carolus (Carollus, Charles, Karl) — d.Gr.,Ks. 683,811 f. — d. Kahle, westfränk. Kg. u. Ks. 342 — IV., Ks. 545, 810, 995, 1046,1056 — V., Ks. 202, 836
— VI., Kg. v. Frankreich 758 f. — VII., Kg. v. Frankreich 4, 6, 75, 81, 233-238,240 f., 244-250, 272, 776 — VIII., Kg. v. Frankreich 803, 915 — III., Kg. v. Navarra 55, 57, 62 f. — II. v. Durazzo, Kg. v. Neapel u. Ungarn 747 — Hz. v. Bourbon 250 — d. Kühne, Hz. v. Burgund 250 f., 913 f., 1011 — I. v. Anjou, Hz. v. Maine 914 — de Bourbon, Ebf. v. Lyon 1000 — I , Mgf. v. Baden 383, 797 — Vicecomes 545 Carpia, Bote 222, 225 Cartagena-Maluenda-Santamaria, Familie 940 f. Casale (Monferrato) 908 Casini, Familie 207 Caspar (Gasparo, G[u]asparre, Kaspar) — Aindorffer, Abt v. -> Tegernsee 305 — Barzizza 210 — di Basilea 889 — Biondo 391 — de'Bonizi da Perugia 210-213,217221,223 f f , 227,229 — Schlick 744 Caspe 944 Cassel, Propst v. 249 Cassiodor 126 Cassius Dio 626 Castelnuovo (b. Rom) 875 Castiglione, Baldassarre 620 Castor de Cloteno 1020 Castro -> Paulus de Catharina (Catherine, Katharina) — v. Lancaster, Kg.in v. Kastilien 904, 907, 918, 921 f., 924, 943 f. — v. Kastilien, Hz.in v. Villena 918 — Haller-Pfinzing 814, 817 — Pfinzing-Kopf 814-817 — Swynford 68 — Tochter Kg. Karls VII. v. Frankreich 250 f. Catharinus, Ambrosius (OP) 203 f. Catherine -> Catharina Cato d.Ä, Marcus Porcius 493 Cato d.J, Marcus Porcius 687 f. Cecco d'Ascoli (Cicchus Esculanus) 326
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Celtis, Conrad -> Conradus Cesarini -> Julianus Chablis (b. Auxerre) 244 Chalkedon, Konzil (451) 126, 343, 345 f., 348, 350, 353 Champagne 240 Charles -» Carolus Charlieu (b. Mâcon) 244 Chartres 690 Chilly (Bm. Besançon) 242 Chios, Insel 623 ff. Christianus (Krystyn) — v.Erpel 977 — v. Freiberg 394, 397 f. — v. Ostrau 906, 923 f. Christopherus (Christoph, Christophe, Cristoforo) — Moro, Doge v. Venedig 914, 917 — Columbus 565 f., 580, 885 — Glockengiesser 819 — d'Harcourt 238,247 — v. Schwarzenberg 833 — v. Varese 505-509,519 — Wach 393 Cibo -> Giambattista Cicero (Marcus Tullius C.) 82, 333, 340, 415,418-428,430 f., 433 f., 436, 440, 443,476, 489, 619, 669-674, 679 f., 682-689, 693 ff., 698, 703, 706 f f , 713,721,732 Cifuentes 944 Cismar, Kl. OSB 94,107, 113,464 Clairvaux, Kl. OCist 467, 771 Ciarice Orsini 430 Clemens — III, Papst 932 — V , Papst 18,20, 755, 773 — V I , Papst 936 — VII, (Gegen-)Papst 234, 850 — v. Alexandrien 638, 641 Cleopa Malatesta 624 Cluny, Kl. 440 Coburg 506 Cochlaeus, Johannes 719 Coelestinus — I , Papst 348 — III, Papst 932 — IV, Papst 770 Coimbra, Univ. 199
1121
Collioure (b. Perpignan) 56 Colucci, Angelo 626 Coluccio Salutati 320, 435, 678, 680 f , 686, 707 Columbus -> Christopherus Compiègne 567 Conradus (Konrad) — III. v. Dhaun, Ebf. v. Mainz 798 — v. Hochstaden, Ebf. v. Köln 10321046, 1060, 1064,1091 f , 1094 — Bossinger 396 — Celtis 674, 705, 712-715, 962 f , 965 — v. d. Eichhorn -> Kuno — v. Freystadt 509 — v. Gelnhausen 32 — Glotz 386 — zem Haupt 592 — Humery 785, 794, 798 — v. Kerpen 983 — Säldner 682 — Dekan v. St. Aposteln (Köln) 976 — v. Scharnachtal 903, 915 — Sweynheim 320 — Vischer 752 — v. Wartberg 301 f. Haller, C. Constantin (Costin) — Crop 1034,1037, 1043 — Lyskirchen 980, 985 — v. Lyskirchen vom Heumarkt (Costin upme Heumart) 1054 f , 1058 — Reintmeyster 1052 Cördoba, Stadt 928, 944, 947 Cornelius (Cornelis) — Papst 771 — Gerard 432, 675 — Hoen723 — Zantfliet 93 Corrado Marcellini 560 Cosimo de'Medici 220, 313, 320, 643 Costin -> Constantin Cristoforo -» Christopherus Croy, Herren v. 685 Cusanus -> Nikolaus v. Kues Cuspinian, Johannes 765 Cyprian v. Karthago 166, 425, 431, 476, 711 Cyriacus, Papst 768 f , 774 f. Cyrillus v. Alexandrien 133
1122
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Dänemark 258, 575 Dalmatien 746 f., 749 f. Damaskios, griech. Philosoph 643 Damasus I., Papst 136, 341, 347, 351, 427,431,768 Dan II., Woiwode d. Walachei 748 Daniel — (Prophet) 422 — Jude 980 Dante Alighieri 37, 612 Danzig 535 Datini, Familie 895; -> Franciscus (Francesco di Marco) David v. Burgund, Bf. v. Utrecht 252 'Defensor v. Liguge1 462 Delft 668 Demetrios — Chalkondylas 704 — Kydones 361 — Poliorketes 331 f. Demmin, Archidiakonat (i.d. Kirche v. Kaminin) 259 Demokrit 313, 315 f., 327 Demosthenes 434, 674 Derich, Kölner Zimmermann 979 Desiderius — (Priester) 432 — Erasmus Erasmus v. Rotterdam Detmar v. Lübeck 260 Deusdedit, Kard. 152, 166 Deutscher Orden 17, 57, 62, 259, 416, 744, 773, 825 f., 908, 912, 916 Deutschland -> Reich, dt. Deutz -> Köln Deventer 441, 452 — Meester-Florenshuis (Brüder vom gemeinsamen Leben) 446,451 f., 732 Diego de Valera 911 Diepenveen (b. Deventer) 464 Dietfurt 835 Dietrich -> Theodericus Dijon, St-Benigne, Abt 79 Dikninge (b. Zwolle) 452 Dinant 1028 Diodorus (Siculus) 626, 710 Diogenes Laertios 313 f., 322, 327, 332, 625, 629, 632 Diomedes 706 Dion Chrysostomos 632
Dionysius (Denis, Dionysios) — Du Moulin, Ebf. v. Toulouse 194 — Areopagita 305, 307;—>• Ps.-Dionysius — v. Halikarnassos 331 f., 626 — d. Kartäuser 190,197, 503 — Thrax 626 Dioscurides 476, 629 Dire v. Herxen, Rektor d. Sint-Gregoriushuis in Zwolle 452 Döle (Freigft. Burgund) 690 Domenicus (Domenico) — Capranica, Kard. 29, 209 — Bianchetti (OP) 547 — di Genova (OP) 556 — deLovatis 1013 f. — da Tortona (OP) 555 Domitian, röm. Ks. 689 Donatello 620 Donatus (Donato) — (Tiberius Claudius D.) 685 — Acciaiuoli 331 f. Dordrecht 668 Dornburg (b. Jena) 509 Dortmund 987 Douai (Frz.-Flandern) 245 Douzy (Synode 871) 341 Drontheim, Ebf./Ebm. 114 Drytgen, Gemahlin des Johann v. Frankfurt 986 Du Clercq -> Jacobus Dundrennan, Kl. OCist 290,271 Dunkeid, Bm. 271, 290 Durandus -> Guillelmus Dürer, Albrecht 697, 915 f., 965 f., 969 Ebendorfer -> Thomas Eberhard — v. Béthune 700 — v. Buttermarkt 1033,1036,1038, 1040,1043 Eberhardsklausen (Bm. Trier), Chorherrenstift 464 f. Eck (Mair), Johannes 719, 722 Eck, Leonhard 833 Eckhart, Meister 656 Edirne -> Adrianopel Edmundus (Edmond, Edmund, Emund) — Birkelin 1047 — de Dynter 239
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(Edmundus) — v. Eisich 987 — Frunt 1079 Eduardus (Duarte, Eduard, Edward) — I.,Kg. v. Portugal 918 — IV., Kg. v.England 914 — Prince of Wales ("Schwarzer Prinz") 72 Eemstein (b. Dordrecht), Chorherrenstift 464,467,469 Ehrenberg (Pustertal b. Brixen) 396 Eichstätt — Bf./Bm. 799 — Domkapitel 431 Eiczinger -> Eyzinger Eigil v. Sassen 47 Einhard 709 Eisenach 517 — Kl. OFM 506,515 Eisenberg (i. Thüringen) 509 Eisengrein, Wilhelm 763, 779 Ekbert v. Schönau 768 f. Elba 882 Elbing (Preußen) 531 Elchingen, Kl. OSB 89 Eleonora (Leonor[a]) — v. Aragon, Gemahlin Kg. Eduards I. v. Portugal 918, 921 — v. Kastilien, Kg.in v. Aragon 918, 921 — v. Portugal, Gemahlin Ks. Friedrichs III. 811,816 Elisabeth — (Mutter Johannes d.T.) 301 — v. Luxemburg, Gemahlin Kg. Albrechts II. 922 — Ranswessgersse 979 — v. Schönau 768 f. — v. Sonnleiten 816 — super Portam Grecorum (Griechenpforte/Köln) 979 Ellwangen, Kl. OSB 420 Elsa de Duesburch 979 Elsaß 276, 478 Eltville (b. Mainz) 800 Embrun, Ebm. 240 Emmeram, Hl. 274, 276, 284 Empedokles 322, 434, 626, 682 Emund Edmundus Endres Tucher 810
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Enea Silvio Piccolomini -> Pius II. Engelbert — I. v. Berg, Ebf. v. Köln 769 f., 1030 f., 1033 — II. v. Falkenburg, Ebf. v. Köln 10331038,1040-1043, 1046, 1060, 1064, 1091 f. — Schut v. Leiden 667-677, 679, 682, 686, 688,694 f., 732 Engelthal -* Bonn England 2-7, 22,27, 57, 62 f., 65-76, 81 f., 108, 231,236 f., 242, 408, 460 f , 466 f., 472,474 f., 477,480, 527, 575, 675, 728, 742, 753 f , 758 f., 782, 822, 912 f., 916, 1089 Enguerran de Monstrelet 239 f. Enneberg (b. Bruneck) 388,403, 407 Ephesos (Synode 449) 300 Epikur 313-316, 327,640 Epirus 140 Erardus de Oelpe 112 f. Erasmus — Rockhil 559 ff. — v. Rotterdam 17,415 f., 431 ff., 440 ff., 476, 674 f., 681, 693, 718 f., 722, 725 f., 730, 734 f. — Schürstab 808 Erfurt 487, 505-511, 513 ff., 518 ff., 525, 803, 915, 960 f. — Kl. OFM 507, 512, 514 — Kl. OSA 200 — St. Peter, Kl. OSB 101,121 — St. Salvatorberg, Kl. OCart 464,467, 471,483 f., 486-489,495 ff., 502, 514 — Prov.kapitel OSB (1444) 101,103 — Artistenschule 524 — Generalstudium OFM 507, 512 — Univ. 33, 200, 484, 487, 497, 502, 507, 512 ff., 519 f., 521, 525, 532 f., 535 f., 558, 583, 961 Erhard — Kugler816 — Windsberger 705 Erich v. Pommern, nord. Unionskg. 258 Ermenrich v. Ellwangen 420 f. Ernst — Hz. v. Bayern-München 825 — Hz. v. Österreich 744 — Hz. (Kf.) v. Sachsen 807, 809, 812 f.
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Esslingen, Reichstag (1526) 833, 843 Estouteville -> Guillelmus Etampes Johannes Eugen — III., Papst 771,932 — IV., Papst 7, 28, 77-85, 124, 135,138, 145, 148, 158,182, 187, 189 f , 195 f , 199, 201, 203 f., 208-218, 221, 223, 231, 234 f., 240-249,256, 259-268, 273, 275, 296, 299, 333, 355, 357, 377, 600, 691, 756, 769, 776, 849 Euklid 317, 326, 703 Eurípides 623 Europa 32, 71, 74 f., 77,131, 140, 485, 521-539, 572 Eusebius (Eusebios) — v. Caesarea 126, 709 — Scholastikos 626 Eustochium, Hl. (Julia) 418, 433 Evasius de Brixia 564 Ever(h)ardus (Everart, Everhard) — deBurnheim 1039 — Hardefust 980 — Herdevust, Ritter 1052 — I.,Gf.v. d. Mark 1041 — Sudermann 987 Eyzinger 819 Faber Stapulensis -> Lefévre d'Etaples Faber, Johannes, Bf. v. Wien 765 Färäbi, al- 700, 706 Farfa, Kl. OSB 874 Farghn, al- 577 f. Federigo -> Fridericus Felinus de Sandeis 1022 Felix — V., (Gegen-)Papst 3, 48, 124, 256, 258 f., 262 f., 265 f., 271 f., 275, 290, 299, 512, 600, 769, 776, 905, 907 f., 912,919 — Fabri (OP) 966 f. — Hemmerlin 583-605 Ferdinandus (Ferdinand, Fernán, Fernando, Ferrand, Ferrante) — I.,Ks. 669, 836, 838 — I. (v. Antequera), Kg. v. Aragón 51, 55 f., 61 ff., 904 f , 907, 909-912, 918923, 925, 943 f. — II., Kg. v. Aragón 945, 948, 950
— I. v. Aragon, Kg. v. Neapel 884, 891, 895 — I., Ehz. v. Österreich 833 — Hz. v. Braganza 914 — v. Portugal, Hz. v. Viseu 914 — Diaz de Toledo 947 — Martinez 927, 929 f., 937 — de Pulgar 945 — Pedro de Guzmân 904 Ferrand, Ferrante -> Ferdinand Ferrara 80, 908 Florenz, Konzil 80, 83, 139, 187, 189 f., 196, 204,214, 245 f., 256, 258, 267, 300, 355 ff., 362 Ferry de Clugny, Bf. v. Tournai 252 Ficino -> Marsilius Filelfo -> Franciscus Filippo -> Philippus Flaccus -> Horaz Flandern 232 f., 241, 244, 249 f , 464, 1028 Flavius Josephus 596, 709 Florens Radewijns 446,449,451-454 Florenz 17, 56, 63, 80, 82 f., 208 ff., 215 f., 223 f., 261, 611 f., 614, 616 ff., 803, 876 — Konzil -> Ferrara-Florenz, Konzil — Generalkapitel OES A (1287) 31 — Univ. 35 f. Theolog. Fak. 562 Foix, Gft. 55, 57, 62 Forchheim (b. Bamberg) 813 Fossanova, Kl. OCist 770 Fracastoro, Girolamo (Hieronymus Fracastorius) 316 Francesco -> Franciscus Franchino Castiglioni 222 Franciscus (Francesco, François, Franz) — v. Assisi, Hl. 278 f., 519, 602 — Condulmer, Kard. 209, 212, 216, 221, 243 — Gonzaga, Kard. 884, 888 f., 901 — Piccolomini-Todeschini, Kard. 805, 807 ff., 813, 888 — Zabarella, Kard. 24, 595, 668 f. — II., Hz. v. Bretagne 914 — Pizzolpasso, Ebf. v. Mailand 296 — Bonizi 210
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(Franciscus) — Bordi Alessandrino (F. da Alessandria?) (OESA) 555 — da Busti (Lodigiano) (OFM) 552, 558 — v. Dachau 52 — Filelfo208, 629, 632, 705 — Guastavino 886 — de Mangano (Mangani) (OFM) 548 f., 554, 561 — di Marco Datini 612 — Martinengo Lodigiano (OFM) 558 — conte de Meda (OFM) 558 — v. Meyronnes 175 — da Milano (de Mediolano) (OCarm) 556, 560 — de Montaleo Genovese (OFM) 555 — Ortholph814 — Petrarca 427 f , 613 f., 619, 668, 681, 686 f., 708,711 — Piccinino 209,222 — Sansoni, General-OFM 547, 549, 562 — Sforza, Gf. 222 — de Voghera (OFM) 557 Franco de Toledo, Familie 941 Franken 73, 505 f., 508,519 Frankfurt/Main 43, 47, 525, 785 f., 792 f., 799, 802,818, 825, 957, 983, 1078 — St. Bartholomäus, Stift 113 — Reichstag (April/Mai 1427) 824 — Reichstag (Nov./Dez. 1427) 73 f., 824 f. — Reichstag (1440) 124,150 — Reichstag (1442) 300 — Reichstag (1446) 274 f. — Reichstag (1454) 772 — Reichstag (1486) 826 — Städtetag (1471) 818 Frankfurt/Oder 915 Franko — Hardefust 980 — vanme Home 1052 — Mummersloch 1052 Frankreich 3 f., 6 f., 15, 22 f., 25, 27 f., 30, 35, 39, 53, 55, 57, 62 f., 68 f., 73, 75 f., 78, 81 ff., 85, 107,142,206, 208, 231-253, 274, 284, 408, 460 f., 465,467, 470,472-476,480 f., 524, 527, 538, 572, 595, 683, 685, 690,
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742, 753 f., 755, 758 f., 776, 822 f., 827, 913 Fraustadt 539 Frechen (b. Köln) 1034 Freiburg i.Bg., Univ. 704 f. Freising, Bm./ Hochstift 825, 834 Frenswegen, Chorherrenstift 467,469 Friaul 908 Fridericus (Federigo, Friedrich) — III., Ks. 261, 272, 390, 505, 764, 767, 769-776, 779, 783, 787, 790 ff., 798, 805-820, 826, 830, 913 ff., 993 — II. (d. Sanftmütige), Mgf. v. Meißen u. Hz. (Kf.) v. Sachsen 259, 516, 817, — III. d. Weise, Hz. (Kf.) v. Sachsen 720 — III. v. Beichlingen, Ebf. v. Magdeburg 508 — III. v. Saarwerden, Ebf. v. Köln 48, 1006, 1050 f., 1072, 1091 — v. Erdingen, Bf. v. Brixen 408 — I., Mgf. v. Brandenburg u. Kf. (Friedrich VI. v. Hohenzollern, Bgf. v. Nürnberg) 52, 61, 73 — II., Mgf. v. Brandenburg u. Kf. 263, 799 — Kölner 469 — Latta da Parma 213 — v. Niderthorn 815, 817 — I. (d. Siegreiche), Pfgf. bei Rhein u. Kf. v. d. Pfalz 712, 792, 799, 811, 819 f., 914, 999 — II., Pfgf. bei Rhein u. Kf. v. d. Pfalz 835 — Rothardi 1009 — IV., Graf v. Saarwerden 58 f., 64 — Abt v. St. Ägidien/ Nürnberg 120 f. — (d. Friedfertige), Lgf. v. Thüringen 515,518 Frischlin, Nikodemus 917 Fritza v. Tüschenbroich 973 Fünfkirchen (Pees), Univ. 531 Füssen, St. Mang, Kl. OSB 101,119 Fust -> Johannes Gabbrino Frondu 220 Gabriel (Gabrielis) — v. Eyb, Bf. v. Eichstätt 555 — Biel 199 ff. — Gamondi 545
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(Gabriel) — Prack 399 f., 402 —- Recanelli 623 — de Rizolis 564 — Vismara Milanese (de Vicemalis) (OP) 556, 561 Gaeta 881 f , 886 Gaetulier (Getuli) 571 Gais 396, 407 Galambóc (Festung a. d. Donau) 750 Galeazzo Maria Sforza, Hz. v. Mailand 805 Galilei, Galileo 326, 617 Galizien 750 Galla Placidia 346 Gallipoli 746, 753 Gandersheim 464 Garnstein 384, 391 ff., 403 Gasparre -> Caspar Gebesee (Thüringen) 509 Gebhard v. Bulach 382 Geert Grote -» Gerhardus Geertrui Reyners 727 Geiler v. Kaysersberg 201 Geizkofler — Hans (III.) 816 — Zacharias 815 f. Gelasius — I., Papst 135, 344, 348, 351, 353 — II, Papst 771 Geldenhouer, Gerard 725 Geldern, Hzm. 1000 Gellius (Aulus) 620 Geminianus de Prato 852 Gent 198, 233, 248, 469, 966 Genua 216, 553,885 Georgien 572 Georgius (Georg, Georges, Georgios, Jörg, Jorgen) — v. Podiebrad, Kg. v. Böhmen 510 f , 519, 768 — Brankoviò, Kg. v. Serbien 750 — d. Reiche, Hz. v. Bayern-Landshut 712,814, 826 f., 830 — Golser, Bf. v. Brixen 382,408 — Hack, Bf. v. Trient 382, 385 f, 388, 390, 393,406,408 ff. — v. Ornos, Bf. v. Vieh 757 — de Canibus 560
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Chastellain 237 Chrysokokkes 629, 632 v.Ehingen 903, 913 f. Elsess, Herold Hz. Sigmunds v. Tirol 807 — Gladbach 977 — Liebenknecht, Abt v. Steyr 118 — Mair (zu Wartberg) 396 — Peuerbach 713 — Pürnpeck(h) 397,407 — v. Ramsiden 913 — Abt v. St. Ägidien/Nürnberg 103,120 — v. Stubai 384 — Tetzel 914 — v. Trapezunt 331 f., 339 f. — Antonius Romanus 703 Ger(h)ardus (Geert, Gerardo, Gerart, Gerhard) — v. Bologna 169 — di Borgo San Donnino 277, 279, 286 — v. Cremona 569, 578 — vanme Cuesyne 1052 — Delfi v. Naaldwijk 453 — v. d. Erve de Bocholdia 1020 — Grote 446, 448 f., 452,457, 484,488 — Gryn 1052 — vanme Krantze 1052 — v. Kusin 980, 985 — de Monte 673, 690 f. — Kaplan an Klein St. Martin (Köln) 976 — Saphir 1039 — Gf. v. Sayn 777 — de Traiecto 985 — de Venlo 676 — Zerbolt v. Zutphen 445 ff., 451 ff. Gerlach — vanme Hauwe 1055-1058,1061, 1092 — Abt. v. St. Heribert/ Deutz 768 — v. Wipperfurth 976 Germania 572 Gerson -> Johannes Gertrudis Hardefust 980 Geyen (b. Köln), Pfarrkirche 1018 Ghiberti -> Laurentius Ghino Bellanti 210, 229 Giacomino Inviciati (OP) 555 Giacomo -> Jacobus Giambattista Cybo, Kard. 883; -> Innozenz VIII.
REGISTER
Gianfrancesco II. Gonzaga, Mgf. v. Mantua 208, 624 Gian Galeazzo II. Maria Sforza, Hz. v. Mailand 545, 547 f., 550, 562 f. Giannantonio -> Johannes Antonius Giannozzo Manetti 320, 611 Gibraltar 947 Gilles -> Aegidius Giordano -> Jordanus Giotto (Giotto di Bondone) 611 Giovanni -> Johannes Girolamo -> Hieronymus Girona 931, 950 — Bm. 950 Giuliano -> Julianus Glane, Marienflucht (Terziarinnenkl.) 445 Glarus 598 Glastonbury (Somerset), Kl. OSB 5 Gleiwitz (Schlesien) 531 Gnadenthal (b. Neuß), Kl. OCist 777 Gobelinus Person 774 f. Godart/ Godert — Hack 975 — Hardevust 1052 — Sudermann 987 Godismann, Abt v. Brauweiler 1019 Görz, Gft. 390, 392, 400,406, 908 Göttweig, Kl. OSB 465, 467, 471 Gollnow (Pommern) 256 Gometius Ulixobonensis (Gomes v. Lissabon) (OFM) 545, 547, 549, 553 f., 562 González de Toledo, Familie 942 Gonzalo de Santamaría, Bf. v. Astorga, Plasencia und Sigüenza 941 Goswin(us) — v. Halen 726 — Kempgyn de Nussia 701 Gotfridus (Godefroy, Gottfried) — v. Bouillon, Hz. v. Niederlothringen 683, 959 — Hagen 1031-1039, 1041-1044,1059, 1091 f., 1094 — (Luce) de Osnabrugis 977 — Sonntag 976 — v. Venlo 1020 — v. Viterbo 709 Gotha 517 Gottlieben (b. Konstanz) 52
1127
Gottschalk — Hogheboren 981 — Hollen 197 f. — Schoeler 1070 Grafschaft (Sauerland), Kl. OSB 768 Gran (Esztergom), Domkirche 922 Granada 950 f. Grandmont, Orden v. 771 Gratiadio Crotti (Cremonese) (OP) 557 Gratian/ Decretum Gratiani 32,126, 129, 141, 157, 160,162,166, 189,195, 347 f , 422, 585 f. Gratius, Ortwin 719 Graz 805 Gregorius (Gregor, Gregorios) — I. (d. Gr.), Papst 116, 166, 188, 351 f., 354,469,499, 601, 711, 932 f. — VII., Papst 18,151,771 — X., Papst 18, 755, 858 — XI., Papst 764, 772 f f , 847, 856, 862, 937, 951 — XII., Papst 24, 36,45, 50, 54 f , 600, 756, 767 — Akindynos 361 — Heimburg 7, 277, 382 f , 389, 392, 395, 400,404 — v. Nazianz 496, 627, 633 — v. Nyssa 496, 664 — Palamas 360 f , 369 — v. Rimini 169, 723 — v. Tours 421 Greifswald, Univ. 533 Griechen -> Byzanz, Byzant. Reich Griechenland 417, 572 Grietgin v. Wedich 974 Grodno (Litauen) 925 Groenendaal (b. Brüssel), Kl. OSA 464, 477 Gröning, Martin 720 Grote Geert Gualterius Confalonerius de Candia 543 Guarino Guarini Veronese 632, 703, 708 Guccio di Galgano Bichi 210 Guicciardini, Francesco 618 Guido — de Columnis (Colonna) 709 — Terreni 169 Guigo I. Carthusiensis (v. Kastell) 491 Guilbert de Lannoy 906, 910
1128
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Guillelmus (Guillaume, Wilhelm, William) — d'Estouteville, Kard. 881, 884, 888 f., 901 — Fillastre d.Ä, Kard. 44, 567 f , 581 — III., Hz. v. Bayern-München 7, 825 — IV., Hz. v. Bayern-München 833, 836 — IV., Hz. v. Jülich-Berg 1078 — III., Hz. v. Sachsen u. Lgf. v. Thüringen 505-511, 514-520, 786 f., 790, 799 — v. Berg, Bf.(Kand.) v. Paderborn 48, 994 — Durandus d.Ä., Bf. v. Mende 700, 784 — Durandus d.J., Bf. v. Mende 19 f., 37 — Fillastre d.J., Bf. v. Verdun, Toul u. Tournai 252 — v. Reichenau, Bf. v. Eichstätt 807 — v. Wykeham, Bf. v. Winchester 68 — v. Auvergne 496 — v. Conches 312 — v. Hagen 49 — d'Harcourt 238 — v. Horborch (Harburg) 528, 851, 863 — Josseaume (OFM) 273 — IV., Gf. v. Jülich 1035 f. — v. Köln, Weihbf. 768 — Loen 976 — Maurel 40 — v. Moerbeke 331 — Mommersloch 713 — X., Mgf. v. Montferrat 914, 917 — Ockham32, 156,711,723 — v. Rubruck 577 — de St-Amour 588 — de St-Thierry 490, 496 — (Staenyans) de Mechlinia 670 — Theodorici de Leidis 676 — (Andree) de Scotia 670 Gumpert Hardefust 980 Gutenberg Johannes Gutierre de Toledo, Bf. v. Oviedo 937 Habsburg, Haus 830, 842 Hadrian II., Papst 342, 352 Hadwich v. der Linden 979 Hagenau 199 Halberstadt, Bm. 91, 95 Hall (i. Tirol) 393 Halle 508, 514
— Kl. OFM 512 Haller, Conrad 815 Hamburg-Bremen, Ebm. BremenHamburg Hannsen, 'ritter', 'halbnarr1 d. Bfs. v. Eichstätt 807 Hans -> Johannes Hanselaer (b. Kleve) 1018 Happe Hack 397 Harcourt, Haus 236-239,247 Hardenberg, Albert 725 Harlebeke (b. Gent) 242 Hartlevus de Marca 33 Hartmann Schedel 697-715, 968 f. Härtung — Kammermeister 507-510, 513 f. — Abt v. St. Peter/ Erfurt 103 Hartzheim, Joseph (SJ) 763 Harzburg 1039 Hasa v. Rome 979 Hayden (Cortina d'Ampezzo) 407 Hedwig (Jadwiga), Kg.in v. Polen, Tochter Kg. Ludwigs I. v. Ungarn u. Polen 531,747, 923 Heidelberg 13, 53, 74 — Dominikanerkonvent 734 — Univ. 14, 32 f., 35, 201, 521, 525, 532535, 676, 681 f., 693 Heilbronn, Hofitag (1414) 47 Heiliges Land -> Palästina, -> Jerusalem He(i)nricus (Enrique, Heinrich, Henri, Henrich, Henry) — II., Ks. 274, 276 f., 284, 813 — VII. v. Luxemburg, Ks. 755 — IV., Kg. v. England 68, 758 f. — V., Kg. v. England 68-72, 75 f., 232, 237, 757 — VI., Kg. v. England 6, 69, 72, 76 — VIII., Kg. v.England 76 — III., Kg. v. Kastilien 910, 918, 929, 938, 943 — IV., Kg. v. Kastilien 913 f., 942, 947 — IV., Hz. v. Bayern-Landshut 824 — v. Aragón, Hz. v. Villena 918 — Beaufort, Kard. 65-76, 88 — Chichele, Ebf. v. Canterbury 71 f. — v. Geldern, Bf. v. Lüttich 1034, 1041 — v. Ahaus 977
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(He[i]nricus) — Abt v. Amorbach 103 — Arnoldi v. Alfeld (OCart) 198 — Astronomus 273 — Balveren 449,452 — Barduyn 1020 — Broel 1020 — Brunswigk 507 — de Constantia (OFM) 553 — vanme Cuesine 1052 — vanme Cuesyne de aide 1052 — de Curte (H. Corte Papiensis) (OFM) 548 f., 551, 557 — Deichsler 807, 812 — Dobermann 264 — Erlbach 811 — Geilenkirchen 975 — Gerung 120 — v. Gorkum 672 — Grenfeld 70 — Haich(d.Ä.) 975 f., 982 — Haich(d.J.) 982 ff. — v. Harclay 319 — Hardefust 980 — Hardevust 'by sent Merien11052 — Hardevust 'der iunge' 1052 — Hardevust, 'ritter' 1052 — de Hassia H. v. Langenstein — Jouffroy691 — Jude 980 — Juede 1052 — v.Kalkar 471 — Kalteisen (OP) 156 — v. Langenstein 16,484, 490,492 f., 496, 500, 589-592 — Louffstat975 — Mühlheim 979 — v. Plauen, Hochmeister d. Deutschen Ordens 904 ff., 908,911,918 — Rees 977 — van Rodenburg 1052 — Ryman 752 — Pfarrer v. St. Kolumba (Köln) 1038 — Schonswane 977 — v. Schwarzburg 1000 — de Segusio 599, 601, 857 — Seuse 457, 459, 462 — v. Stave 1052 — Stock (de Stipite) 977
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— Sudermann (d.Ä.) 987 — Sudermann (d.J.) 987 — Totting v. Oyta 484,496, 592 — v. Udem 977 — Walpod 396 —-v. Wedich 974 Heisterbach, Kl. OCist/Abt 767,769, 772, 774, 777, 779 Heiding, Michael 204 Heliodorus Oldrandus Cremonensis (Elidoro o Eduardo) (OCarm) 558 Helwig v. Boppard 125, 299 Hemau (b. Regensburg) 806 Hennegau 232 Henning — Iwen, Bf. v. Kammin 262 ff., 267 f. — Sele (OFM) 506 Henricus He(i)nricus Henry -> He(i)nricus Hephaistion 627 Heraklit 378, 640 Herbsleben 509 Hermannus (Hermann, Hermanno) — IV. v. Hessen, Ebf. v. Köln 974, 993, 1078 — V. v. Wied, Ebf. v. Köln 721 — Boister 255, 265 — II., Gf. v. Cilli 749 — (Fischer) 1034, 1036-1039,1042 — Jena di Sassonia Alemano (OP) 553, 558 — de Kuckel 985 — v. Oldendorp 985 f. — Overstolz 1036 — Rinck981 — Rose v. Warendorf 1006 f. — Sapiens 1039 — Schedel407, 703 f. — Scherffgin 1052 — v. Schildesche (OP) 169, 462 — Spiess 1020 — Steven alias Strowange 49 — v. Vitinghofen 1034, 1036, 1040 — Warberg 986 — Abt v. Weissenburg 1022 Joseph v. Steinfeld (OPraem), Hl. 768 Hermes Trismegistos 320, 323
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REGISTER
Hernando de Talavera, Ebf. v. Granada 941 Herodian 627 Herodot 710 Hersfeld, Kl. OSB 465, 469 Herstal (b. Lüttich) 54 Hervaeus Natalis 170 Herwich v. Amsterdam 676, 693 Hesiod 333, 674 Hesperiden 571 Heymericus de Campo 672, 691 Hieronymus/ Ieronimus (Girolamo, Jerónimo) — Hl. 106, 116 f , 164 ff., 415-437, 440, 442 f., 469, 489 ff., 496,499, 576 f., 635,639, 642,711,768 — Baracani Papiensis (H. de Papia?) (OSM) 556 — Bossi 552, 554 — Münzer 710 — Pegnis 545 — de Porthariis 1022 — v. Prag 52 f., 60 ff. — Riario 901 — Ricardo (OP) 559 — de Santa Fé (Jehoshua ha-Lorqui) 943 — Sauerwein 399 — Spanocchi 876 — da Verona (OESA) 552 f., 556 — Vicecomitibus 547 Hieronymusberg (b. Zwolle), Kl. d. Brüder vom Gemeinsamen Leben 467 Hilarius — Hl., Bf. v.Arles 429 — Bf. v. Narbonne 348 Hildesheim 342 — Bm. 95, 113,257 Hilger — Hardevust 1052 — Quattermart v. d. Stessen 1051 ff. Himmerod, Kl. OCist 767, 769, 777 Hinkmar — Bf. v. Laon 341, 343, 345, 347, 349 — Ebf. v. Reims 341-350, 352, 354 Holland 59, 675 Holzschuher, Wolfgang 914 Homburg, Kl. OSB (b. Langensalza) 510, 515 Homer 579, 627, 642, 682
Honorius — I., Papst 770 — III., Papst 769 Hoogstraten, Jacob v. (OP) 719 f. Horaz (Q. Horatius Flaccus) 415, 418, 420, 669, 673 f., 695 Hormisda, Papst 348, 352 Hornbach, Kl. OSB 99 Hostiensis -> He(i)nricus de Segusio Hrabanus Maurus 312,415 Huesca 929 Hugo (Hugues) — d'Orges, Ebf. v. Rouen 242 — (OCart), Bf. v. Lincoln 491 — v. Fleury 126 — Lamy 250 — Ripelin 460 — v. St-Victor 462,469, 483,491-499, 700, 711 — v. Trimberg 434 Huguccio v. Pisa 423 Hugues -> Hugo Humbert — v. Silva Candida, Kard. 166 — II, Gf. v. Vienne 753 Humphrey, Hz. v. Gloucester 65, 69, 72, 236 Hus Johannes Hussiten 182, 588 f , 605, 742 f., 745, 755 f f , 823, 825, 827 f , 842 Hutten, Ulrich v. 719 ff. Huy, St. Maria 55 Hyperboräer (Yperborei) 572 Hyrcanien (Yrcania) 572 Iamblichus 627 Iberische Halbinsel 927,929,951 f. Ibn Qurra Thbit Ibn Qurra Ibykos 338 Illyrien 140 Imre Perényi 752 Indersdorf, Stift OSA 465, 478 Indien 566, 572-577 Ingenuin Moesei, Abt v. Wilten 390 Ingolstadt — Landtag (1526) 833 — Univ. 201, 704 f f , 708 f , 711 f , 714 Innichen (b. Brixen), Stift 407
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Innozenz — I., Papst 344, 346, 348 — II., Papst 770 — III., Papst 18,459, 770, 932,1039 — IV., Papst 593, 599, 601 — VI., Papst 936 — VII., Papst 54, 764, 775 — VIII., Papst 680, 881, 883,1020 f. Innsbruck 387 f., 390, 393, 397,404,406 Ionien 334 Irland 71, 258 Isabella (Isabeau) — I. d. Kath., Kg.in v. Kastilien 941, 945, 947 f., 950 — v. Portugal, Hz.in v. Burgund 241, 913 — de Vaudrey 691 Iselin, Jakob Christoph 146,148 Isenburg, Gf. 769 Isidor v. Sevilla 312, 354,424,496,499, 574, 576, 768 Island (Tyle) 572, 575 Isokrates 629 Istrien (Hystria) 572 Italien 33, 45, 66, 80 ff., 85, 107,130, 207 ff., 215 f., 222, 224, 235, 333, 357, 408, 460 f., 465 f., 470,472-476, 480 f., 505, 524, 527 ff., 538, 548, 563 f., 577, 609-622, 624, 628, 632, 685, 690, 703 f., 712, 747, 754, 766, 831,842, 961 Iulius Pollux 625, 629 Ivo v. Chartres 422 Jacobus (Giacomo, Jacob, Jacopo, Jacques, Jakob, James) — (Apostel) 5 — I., Kg. v. Aragon 934 — I., Kg. v. Schottland 72 — Ammanati (-Piccolomini), Kard. 805 — v. Sierck, Ebf. v. Trier 261, 264 — Almain 200 — Andreucci 210 — Angeli da Scarperia 567 — I., Mgf.v. Baden 798 — Campeggi (OSM) 559 — de Colonia 1020 — Corte (OESA) 558 — Daret 233 — Du Clercq 240
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— v. Dyck 978 — Faber Stapulensis (Lefövre d'Etaples) 295, 722, 734 f. — de Fitillieux d'Yenne 905 — Frieshaimer 38 — d'Harcourt 237,239 — Haugen 752 — Hilpoldi de Constancia (de Alemania) (OP) 552, 554, 559 — Hoeck v. Leiden 675 f., 722 f., 727 f , 732, 734 — v.Horn 1071 — Hüglin 77, 83 — de Inviciatis 555 — Jocinck de Lippia 1020 — Lotter 397 — Mazzei 613 — v. Paradies (v. Jüterbog) (OCart) 487, 513 f. — de Puteo Bonello (OCarm) 560 f. — v. Soest 996 f. — v. Stavel 53,61 — Steze 255 — de Straelen 679 — Trapp 398 f. — Twinger v. Königshofen 964 f. — Volradi (OCart) 487 f. — de Vorágine 416,459, 473 — de Zierikzee 669 Jaén 944 Jagiellonen 747 Jan -> Johannes Janko v. Wirsberg 277 Jean, Jeanne -> Johannes, Johanna Jena 505-511, 513 f., 517-520 — Univ. 520 Jerusalem 418, 754 f., 758, 909, 915, 920 — Patriarchat 2, 141, 163 -> Palästina Joachim — Hz. v. Pommern-Stettin 258 — v. Fiore 277-281, 286 Job Vener 13, 25, 29, 38,41 Jobst — v. Hornstein 400 — Mgf. v. Mähren 923 — Tetzel 808, 813 Jörg -» Georg
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Johanna (Jeanne) — II. v. Anjou-Durazzo, Kg.in v. Neapel 56, 63 — d'Arc4, 6, 75 f., 234, 236 — v. Bar, Gemahlin Mgf. Theodors II. Palaiologos v. Montferrat 920 — v. Rozmital, Gemahlin Kg. Georg Podiebrads v. Böhmen 914 Johannes (Giovanni, Hans, Jan, Jean, Johan[n], John, Juan) — d. Evangelist 305 f. — d. Täufer 297, 602 — XII., Papst 126,136 — XXII, Papst 20, 599, 755, 847 f , 852 f , 855, 859, 864, 866 f. — XXIII, (Gegen-)Papst 23 f„ 35, 45 f„ 49-52, 54 f , 60 f„ 135, 567, 870 — VIII. Palaiologos, byz. Ks. 126, 138, 223,296, 333, 624 — Priester(Kg.) v. (Äthiopien-)Indien 910 — I. v. Aragon, Kg. v. Navarra 913 — II, Kg. v. Aragon 914, 918 — I , Kg. v. England 1039 — I , Kg. v. Kastilien 929, 937 — II, Kg. v. Kastilien 904-907, 918, 921 f , 924, 943 f. — I I , Kg. v. Portugal 915 — de Carvajal, Kard. 947 — Cervantes, Kard. 208, 213, 215 — Jouffroy, Kard, Bf. v. Albi u. Arras (OSB) 684-692 —• Le Jeune, Kard, Bf. v. Amiens 239 ff. — Mauroux, Patriarch v. Antiochien 39 — de Rochetaillee, Kard, Bf. v. Paris und Ebf. v. Rouen 93, 209, 242 — de Torquemada (OP), Kard. 29, 79, 82, 161, 169-191, 194 f , 203,213 — Vitelleschi, Kard. 209 — Hz. v. Bedford 72 f , 75 f. — I , Hz. v. Brabant 1041 — Ohnefurcht, Hz. v. Burgund 231, 237 — of Gaunt (v. Gent), Hz. v. Lancaster 68 — I , H z . v. Kleve 1000 — Zapolya, Fürst v. Siebenbürgen 836 — Maria Visconti, Hz. v. Mailand 906 f , 920 f. — II. v. Baden, Ebf. v. Trier 797 — d'Harcourt, Bf. v. Amiens u. Tournai (Kand.), Ebf. v. Narbonne 234-243,
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v. Jenzenstein, Ebf. v. Prag 528 v. Kanizsai, Ebf. v. Gran 922 v. Wallenrode, Ebf. v. Riga 57, 62 f. Arias Dávila, Bf. v. Segovia 949 v. Bayern, Bf.(Kand.) v. Lüttich 59, 64 v. Burgund, Bf. v. Cambrai 252 Chevrot, Bf. v. Tournai 234 f , 240252 Díaz de Coca, Bf. v. Oviedo u. Calahorra 941 III. v. Eych (Eich), Bf. v. Eichstätt 383, 396,398, 405,411,516,518 v. Fleckenstein, Bf. v. Basel 272 Grünwalder, Bf. v. Freising 274 Guterius (Gutiérrez), Bf. v. Dax 1009 245-251 v. Heinsberg, Bf. v. Lüttich 100, 252, 691,769 v. Lenzburg, Bf. v. Brixen 408 v. Luxemburg, Bf. v. Straßburg 995 Ortega de Maluenda, Bf. v. Coria 941 Röttel, Bf. v. Brixen 384, 403,408 Scheie, Bf. v. Lübeck 6 f , 84, 248 de Thoisy, Bf. v. Tournai 233 f f , 239 f. Antonio Campano, Bf. v. Teramo 805, 807 Andreae 593 f , 599-602, 604 Anizius 560 Aurispa 623-632, 703 Baconthorpe 169,180 Baibus 312 v. Bamberg 923 v. Bayern, Pfgf. bei Rhein zu Neumarkt 53, 61 f. Berlin 976 de Berntzfeld 1020 Bertoldi da Serravalle 37 Bichi 210 Boccaccio 614, 718 Bombat 905 Bornemann 969 de Bramstede 255 v. Braubach 978 Brinckerinck 452 Bühel 814 Buridan 33, 597, 723 Busch (OFM) 508, 513 f. Busch (OSA) 446,449,452 f.
REGISTER
(Johannes) — le Camus 113 — de Canali 545 — Capistran -* Johannes Kapistran — de Carena de Monteferrato 543 — Cassian(us) 494 ff„ 499, 709 — Chortasmenos 633 — Chousat 242 — Chrysostomos 341, 429, 732 — Cochlaeus 962, 965 — de Colonia 1021 — Compagni 211 — v. Cuerten 1075 f. — de Curte (da Corte) (OP) 549 f., 563 — Custodis (de Attendorn) 672 f., 694 — v. Dambach 700 — Darnes 884 — Despauterius 674 — (v.) Dinslachen 983 f. — Dominici 170 — Dorp 723 — Duns Scotus (OFM) 172,194, 563, 677,711,723,734 — v. d. Ehren 1076 — Eilerborn d.Ä. 50 — Eilerborn d.J. 48-51, 57 f , 60 f., 64 — Gf. v. Etampes 246 — v. Frankfurt 986 — v. Freiburg (de Friburgo) 587 — Froben 432 — Fust 784 ff., 788 f., 800, 802 — di Galgano Biechi 210 — Garbusius 543 — Gerardi (de Leydis?) 676 — Gersen (Abt v. Vercelli?) 471 f. — Gerson 28 ff., 39, 81, 126,425, 467, 470-473, 476,484, 495,497, 591, 711, 758 — v. Geyen 986 — v. Gran-Neustadt 922 — Greven 1020 — v. d. Gronde 452 — Gutenberg 458 f., 473, 782, 800 ff. — Hagen (OCart) 197, 487, 503, 513 f. — de Hammone 976 — VII d'Harcourt 238 — VIII d'Harcourt 238 — Hazencop 255 — Hemmersbach 1077, 1081,1083 f.,
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1093 Hilbinck445 vanme Hirze 1052 Hispalensis 577 f. Horn 1013 f. Hus 39, 51 f f , 60 f f , 147, 159,275 f , 287,289 — Immenrode 976 — Ipermann 986 — Jude(I) 980 — Jude (II) 1052 — Kapistran (OFM) 505-520 — v.Kerpen 981 f. — Kessel 452 — Kovelshoven 1052 — v. Kronmetz 406 — Krup v. Vrechen (Frechen) (d.Ä.) 983 — Krup v. Vrechen (Frechen) (d.J.) 983 — Kyparissiotes 361 — Langlar 976 — v. Lieser (Lysura) 30 — de Liglio (G. de Lodovisi da Bologna) 216 — de Ludzisko 603 — Lünen 1020 — v. Lyntlair 1052 — deMailly 239 — Mair 396 — da Massa 212,224 f f , 228 — de Mechlinia 687, 692 — de'Medici -> Leo X , Papst — de Mediolano 560 — v. Merl (d.Ä.) 984 — v. Merl (d.J.) 983 f. — de Merlo 911 — v. Mirecourt 723 — Mirwylre 1052 — Mombaer 732 — Mommersloch (I) 980 — Mommersloch (II) 980 — de Montenigro/ di Montenero (OP) 79, 169-191,194, 355, 357, 362, 373 — de Montesono 170 — de Montreuil 30 — v. Mosbach, Sohn Pfgf. Ottos I. v. Mosbach 308 — Gf. v. Nassau 807 Saarbrücken 798 — v. Neapel 170 — — — — —
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(Johannes) — v. Neuenstein 1006-1010 —Nider(OP)41,593 — Niedermair 389 — deObizzi 70 — Palavicinus 551, 564 — de Palomar 120,145, 193 — v. Paltz 195, 200 — Panhauißen 1076 — Petit 39 — Pico della Mirandola 655 f. — Pirckheimer 816 — Plümel705, 708 f., 711 — de Polliaco 170,189 — Porken 1020 ff. — v. Ragusa (OP) 27 f., 38,123-143, 145-167,194, 603,741 f., 756 — de Rebreuviette 916 — Regiomontanus 713 — Riedner 705 — Rieter 914 — Rinck981 f. — Rindfleisch 914 — Rode, Abt v. St. Matthias/ Trier (OSB) 91 ff., 99, 104 ff., 109,118 — v. Rokycana 146 ff., 153, 156 f , 159 f., 163 — de Roquetaillade 277 f., 280 — Rotlös de Neuwenburg (OCart) 487 — de Rouvroy (OFM)171 f., 174 f , 193 f. — Rucellai 890 — de Sacrobosco 700, 703 — v. Salisbury 426 — da San Miniato (OSB Cam) 435 — Scherpseil 48 ff., 60 f. — Schlief260 f. — Scotus Eriugena 665 — Scutken 453 — v. Segovia 30, 40, 77 ff., 81, 83, 93, 140 f., 143,149,172 f., 182-185, 194 ff., 212, 241, 258, 269 f., 274, 276,278, 281 — Snorre 985 — Stoiltzgin, Kölner Bürger 1054 — Stommel 976 f., 987 — Suchywilk 527 — Sudermann 987 — Talbot, Earl v. Shrewsbury 69, 75
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Tegliacci 220 Teutonicus 599 de Theveren de Assindia 1022 de Thoisy, Archidiakon v. Tournai 233 Tinctoris v. Tournai 247, 667-694 Tortelli 629, 706 Trithemius -» Trithemius Tröster 709 van Troyen 1052 Tucher 709 deValladolid 937 de Vaudrey 691 Vest, Domherr zu Konstanz 554, 559ff. Vinck ([Gerardi] Vynck de Leydis?) 676 Vischer 752 Vivien234, 246 Volquin 1022 Vos v. Heusden 452 f. Vredewolt 546, 551, 553, 555 v. Wallingford 569, 572 ten Water 448 Wenck 303, 359, 377 Werdal020 v.Wesel 477, 734 Wessel Gansfort v. Groningen 675 f., 717, 722-735 Westfal 255 ff. de Westfalia565 v. Winterthur 591 Winthagen v. Gummersbach 985 Witten 91 Würzburger 388 Wyclif(fe) 33, 39, 70,147 Zuchtelen 478 Amadeus Thanandus 545 Andrea Bussi 306 ff., 320, 387, 389, 391, 394, 398 f., 401, 403,406,408 Andreas Horabonus 545 Antonio Scaravazzi (OP) 558 Francesco Poggio Bracciolini 69, 82, 295, 316, 614 f., 667, 686, 708 Giacomo Palaiologos, Mgf. v. Montferrat 920 Iacobus de Campisiis (Campeggi) (OESA) 552, 556, 561 Petrus Arrivabene 891 Petrus Caccia 543
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(Johannes) — Simon Fronolandi da Borgofranco (OCarm) 559 • Kugler, H. John -> Johannes Jordanus (Giordano, Jourdain) — Orsini, Kard. 209 — Morin(i), Gesandter Kg. Karls VII. v. Frankreich 4 Jorgen -> Georgius Josa Turcus 752 Josef (Joseph) — v. Arimathaea 5 — II., Ks. 765 — II., Patriarch v. Konstantinopel 139 — de Leodio 543 Juan -> Johannes Juden 279 f., 285 ff., 294, 378,417, 434, 438, 490, 927-953 Jülich-Berg, Hz(m). 50, 777,1000 Jülich-Geldern, Hz. v. 994; -> Reinald Julianus (Giuliano) — Apostata, röm. Ks. 600, 772 — Cesarini, Kard. 6 f., 28,40, 72, 7880, 82 f., 91 ff., 108,145, 182, 208, 213,218 f., 223-229, 270, 296, 357, 600 — dellaRovere, Kard. 883 f., 888, 901 — de Custanza 876 — Gallo 883 — Pomerius 420 Julius II., Papst 17,203, 888 Justinian I., byz. Ks. 628 Kärnten 388,410, 830, 961 Kahla 509 Kairo 754 Kallimachos 627 Kammin 259, 262 — Bm. 113, 255-268 — Domkapitel 256 f., 259, 262 ff. — Propst v. 265 Kamp, Kl. OCist 767, 777 f. Kanarische Inseln 5 Karl Carolus Karlstadt, Andreas 721 Karthago 571 — Konzilien 347, 349, 426 Kaschau 924
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Kasimir — III. d. Gr., Kg. v. Polen 526 ff., 530 f. — IV., Kg. v. Polen 773 Kaspar -> Caspar Kastilien, Kg(r). 2-6, 55, 57, 62 f., 83, 908, 913, 918, 927 f., 930, 934-938, 941, 943 ff., 947 ff., 952 Kastl, Kl. OSB 53, 88, 103 Katalonien 58, 64, 906, 914, 936 Katharina -> Catharina Katzenelnbogen, Gft. 787, 792, 800 Kaunas (Kowno, Kauen) 908, 925 Kazimierz (b. Krakau) 531 Kelheim 819 Kempen 975 Kierdorf-Sinthern, Pfarrei (b. Köln) 1018 f. Kilikien (Cilicia) 572 Kindelbrück (i. Thüringen) 509 Kiptschak, Khanat 751 Klaarwater (b. Zwolle), Kl. OSB 727 Klausen (b. Brixen) 402 Klazomenai 334 Kleve 1018 Mark, Hz(m). 777, 1000 Klosterneuburg, Kl. OSB 103 Klosterrath (Regul. Chorherrenstift) 769 Koblenz 295, 799 — St. Florin, Stift 294 Köllner, Augustin 833 Köln 416,464, 525, 670, 673, 685, 695, 765, 767 ff., 799, 968, 971-987, 990, 993 f., 996, 998, 1002, 1004, 10051015, 1018,1020,1025-1100 — Ebm. 102, 774, 776, 781, 989 f., 992997,1000 f f , 1007,1011,1017, 1019 f. — Erzstift 989-1004 Landstände 991, 993, 998,1001 Landtag (1463) 998 f. — Ebf. 94, 114, 275, 766, 768,1028 — Domkapitel 989-994, 997-1004, 1011, 1028 — Domkirche 774, 995 f , 1002 Köln, Geistliche Gemeinschaften (Kirchen, Klöster, Stifte, Kapellen, Klausen) — Augustiner 978 — Augustinereremiten 766
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(Köln, Geistliche Gemeinschaften) — Beginen/Beginenhäuser (allgemein) 1067 — Zum Deynant (Beginen) 972 — Dominikaner/Hl. Kreuz 734, 975,978, 982, 987, 1044 — Franziskaner -» Minoriten — Grevenkonvent (Sternengasse) 972 — Herrenleichnam, Stift 777, 971-975, 982, 985 ff. — Jesuitenkolleg 478 — 'Klein Landskron' (Beginen) 766 — Kreuzbrüder-Kl. (Kreuzherren) 469, 478, 971,975, 978, 982 — Lungenbrüder (Alexianer) 1067 — Zu den HU. Machabäern, Kl. OSB 979 — Mariengarten, Kl. OCist 976 — Mechtern, Kl. OCist 1011 f. — Minoritenkonvent(-kirche) 987 — 'Zum Mommersloch' (Beginen) 972, 974, 978 — St. Andreas, Stift 976 f. — St. Apern, Klause (OFM Terz./ OCist) 1012 — St. Aposteln, Stift 976 f. — St. Barbara, Kl. OCart 486, 594, 764, 971,975, 980 f. — St. Bonifatius (Kapelle) 1012 — St. Brigida, Pfarrkiche (f. Groß St. Martin) 765, 986 — St. Caecilien, Stift/ Kl. OSA 1011 f. — St. Georg, Stift 768 — St. Gereon, Stift 976 — St. Katharina, Kommende des Deutschen Ordens 1018 — St. Kunibert, Stift 1020, 1022 — St. Maria (in der Severinstraße), Kl. OCarm 978 — St. Maria ad Gradus (Mariengraden), Stift 768, 977, 1041, 1095 — St. Maria in Jerusalem (Ratskapelle) 1012 — St. Maria im Kapital, Stift 976, 980, 1018, 1086, 1095 — St. Maria Magdalena (Weiße Frauen), Kl. OSA 972 f., 978, 1031 — Groß St. Martin, Kl. OSB/ Abt 99, 101, 118, 120, 765, 777, 972, 986, 1018
— Klein St. Martin (Pfarrkirche) 976 — St. Mauritius (Pfarrkirche f. St. Pantaleon) 978 — St. Michael, Klause (Cäcilienstraße) 973 — St. Nikolaus auf dem Burghof, Kl. OCist (Hohe Straße) 766, 972, 978, 983 — St. Notburgis, Kapelle 976 — St. Pantaleon, Kl. OSB/ Abt 99, 777, 978 — St. Peter (Pfarrkirche f. St. Cäcilia)983 — St. Reinold, Klause (auf dem Marsilstein) 972, 978, 982 — St. Severin, Stift 976 — St. Ursula, Propst v. 777 — Schelenkonvent (Beginen/ Schwestern v. gemeinsamen Leben) 972, 974, 987 — Seyne, Kl. OCist 777 — Weidenbach (Brüder vom gemeinsamen Leben) 469, 971-987 — Weiher (Maria ad piscium), Kl. OSA 1011 f , 1036,1040 Köln, Hospitäler — Allerheiligen (Grunewald) (Eigelstein) 978 — Hl. Geist 986 — Melaten 1011 — St. Ursula (Revilien) 981 Köln, Synoden, Provinzialkapitel — Provinzialsynode (1440) 691 — Provinzialsynode (1452) 778 — Groß St. Martin Prov.kapitel OSB (1445) 100 — Prov.kapitel OSB (1448) 106 — St. Pantaleon Prov.kapitel OSB (1437) 99 f., 107 Köln, Rat/ städtische Institutionen — Rat 1004-1015 — Richerzeche 1029,1044,1047, 1049, 1050 f., 1098 — Schöffen 1007 Köln, Familien/Geschlechter/'Parteien' — Butscho 974 — v. Ercklentz, Familie 1078 — "Freunde" (Geschlechterpartei) 1051 ff., 1072,1091,1093 — v. Geyen 986 — "Greifen" (Geschlechterpartei) 1051,
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(Köln, Familien u. Geschlechter) 1053, 1071 f., 1092 — Haich 985; -> Heinrich H. (d.Ä.) — Hardefust/ Mommersloch 974, 979 f. ; -> Anna H., Everhard H., Franko H., Gertrudis H., Heinrich H., Johann M. — Hardenrath 984 — vom Hirtz 980 — Jude 980; Daniel J., Heinrich J„ Johann J. — Kannengießer 984 — Lyskirchen 980; -> Constantin L. — v. Merl 984 — Overstolzen 1036 ff., 1043, 1060; -> Hermann O., Matthias O. — Quattermart 980 — Rinck 985; -> Hermann R., Johann R., Peter R. — Scherfgin 980 — Sudermann 987; -> Everhard S., Franko S., Godert S„ Heinrich S. (d.Ä.), Heinrich S. (d.J.), Johann S. — Weisen 1035-1038, 1042 ff., 1060, 1091 Köln, Ämter, Gaffeln, Zünfte — Beutelmacher 1053, 1092 — Buntwörter 1046, 1056, 1081, 1091 — Drechsler 1028 — Eisenmarkt 1046,1056,1060,1091 f. — Färber 1053, 1092 — Faßbinder 983, 1093 — Goldschmiede 1048, 1093 — Gürtelmacher 1048 f , 1074 f., 1093 — Hamischmacher 1053,1092 — Himmelreich 982, 984 f. — Kannengießer 1048 — Krämer 1048 — Leinenamt 974 — Leineweber 981 — Leyendecker 1093 — Lohgerber 1048 — Maler 1048 — Pelzer 1048 — Riemenschneider 1048 — Sarwörter 1048 — Schmiede 1048 f. — Schuhmacher 1075,1093 — Steinmetzen 1086, 1093 — Weber (Zunft bzw. polit. Partei)
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1035 f., 1042,1046-1051,1056 f., 1060, 1091 f. — Weinbruderschaft 1057 — Weinkaufmannschaft 1066 — Weißgerber 978 — Windeck 981 f., 984, 1053 — Wollenamt 983, 1046,1056 — Wollenweber 1086 f., 1093 — Ziechenweber 1027 Köln, Häuser, Höfe, Plätze, Stadtteile, Tore — Airsburg (Airsbach) 766, 1036 f., 1053 ff. — Altermarkt 765, 1053,1069 — Bayenturm 1046 — Büderich 976, 982 — Bürgerhaus 1029,1042,1044 — Burggrafenhof 766 — Domhof 1029 — Ehrentor 1069 — Eigelsteintor 1069 — Heumarkt 1047, 1069,1082 f., 1087, 1095,1097 — Hohe Pforte 1036 — Niederich 767,1072 — Rathaus 1052, 1075-1078, 1080, 1083 f., 1095 f. — Severinstor 1069 — Stadthöfe der OCist-Kll. Altenberg, Heisterbach, Himmerod, Kamp, Marienstatt 767 — Ulrepforte 1035,1037,1046 Köln, Univ. 33, 35, 43,49, 170, 521, 525, 529, 532 f., 535, 667, 669 f., 672 f., 676, 680, 682, 685, 690-693, 695, 713, 717-722, 727, 734, 758, 973, 977, 984, 1008 ff., 1078 — Artist. Fak. 668, 679, 684, 690, 692 — Jurist. Fak. 525 — Theolog. Fak. 201, 669, 691, 719 f. — Corneliana-Burse 668, 672 f., 676, 693 — Laurentiana-Burse 668, 672, 676, 679, 692 — Montana-Burse 668, 672 f. Köln, Vororte — Bocklemünd (Pfarrkirche) 1018 — Deutz 1031 St. Heribert, Kl. OSB 1005 ff.
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(Köln, Vororte) — Lövenich (Pfarrkirche) 1018 — Riehl 1011 — Widdersdorf 1017-1023 Köln/ Trier, Provinz OSB 87 ff., 91 ff., 95 f , 99, 102, 106 f., 115,118 Königsberg i. Ostpreußen 535 Königsberg/Neumark 256 Körbecke (b. Soest) 197 Köslin 263 Kötzting 835 Kolberg 255, 257, 259-266 — Kollegiatkapitel 260-262, 264 f., 267 — Marienkirche 262,266 f. Könitz 773 Konrad -> Conradus Konstantin I. d. Gr., röm. Ks. 6, 587, 772 f. Konstantinopel 80, 124 f., 138 f., 145, 223, 296, 304, 357, 376 f , 623 f f , 627, 629-632, 741 f , 756, 758, 777 ff., 906 — III. Konzil (680/681) 125 — IV. Konzil (869/870) 125, 131, 134, 136,139,155,161 f , 164, 166 — Patriarch(at)/ Patriarchalkonzil 2, 135, 139, 141,223,296, 348 > Byzanz Konstanz 23,48 f , 52 f , 57 f , 61, 64, 80, 592 — Bm./ Bf. 52, 61, 583, 595, 803 — Domkirche 63 — Franziskanerkonvent 52 — Dominikanerkonvent 39 — Konzil 2, 6, 8, 15 ff., 20, 23-27, 29, 36 f , 39 f f , 43-64, 66, 68-71, 73, 8791, 126, 130, 137,149, 151, 159,193, 196, 248, 273, 275, 287, 300, 316, 356, 376, 387,425, 524, 567, 581, 583, 594, 740 f , 751, 757 f., 760, 770 — Reichstag (Feb./März 1415) 46 f , 742 Kopenhagen, Univ. 533 Korbach (Nordhessen) 981 Kornelimünster, St. Stephan, Kl. OSB 54, 1027, 1028 (Abt), 1029 Korsika 273, 886 Kosovo Polje -> Amselfeld Krain 961
Krakau 526, 529 f , 532 f., 535, 713, 908, 910, 923 f. — Bm./Bf.255, 527, 537 — Collegium Maius 532 — Marienkirche 530 f. — Marienschule 531 — Univ. 35, 514, 519, 521-539 Artistenfak. 530, 536 ff. Theolog. Fak. 527, 532 Krates v. Mallos 566, 569, 577, 579 Kremsmünster, Kl. OSB 96,101, 118, 120 Kroatien 746 f , 749 f., 752 Krystyn-» Christian Kues 341 Kugler — Barbara 816 — Hans 816 Kulm, Univ. 531 Kumanenland (Cumania) 572, 750 Kuno v. d. Eichhorn 50-53, 57 f , 61 f , 64 Kydones -> Prochoros L'Aquila 876 La Guardia 950 Lactanz (L. Caecilius Firmianus Lactantius) 320,429,431,491, 639, 711 Ladislaus — I. v. Anjou-Durazzo, Kg. v. Neapel u. Ungarn 747, 749 — Postumus, Kg. v. Böhmen u. Ungarn 773, 913 f. Lambach, Kl. OSB 118 Lambert — Pennynck 974 — v. St-Omer 579 Lampus Biragus 331 f. Lancaster, Haus 71 f f , 75 f , 237 Landshut — Landtag (1543) 836 f. — Rentamt 834 f. Langensalza 510 — Kl. OFM 510, 516, 519 Laon 242, 352 — Bm. 771 Latino Orsini, Kard. 883, 889, 901 Laurentius (Lorenzo) — de Biffis (OESA) 561
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(Laurentius) — Blumenau 396, 406 f. — v. Brìndisi 206 — Ghiberti611,620 — de'Medici 220 — I. (il Magnifico) de'Medici 430, 875 — de Rudolfìs 590 — Valla 7,428 ff„ 635-642, 674, 678, 685 ff., 690 — Johannis de Delfi; 669 Lausanne 3, 124 — Konzil 271, 274, 775, 777; -> Basel, Konzil Lausitz 535 Lazarus (Lazaro) — Simonetta Genovese (OESA)556 — Wenczel v. Köstlan 386 Lazius, Wolfgang 669 Le Crotoy (an d. Somme) 237 ff. Legipont, Oliverus 120 Lehenmann, Christoph 802 Lehnin, Abt v. 263 Leiden 464, 668, 721 — Stadt(schule) 670, 676 Leipzig 506 f., 510, 813, 957 — Univ. 33, 514, 519, 532 f , 535, 538, 682, 701-704 Lemberg 909 Leo (Leon) — I., Papst 166, 344 f., 347-354, 602 — III, Papst 136, 341 — IX., Papst 162,166 — X., Papst 203, 430, 626 — I , röm. Ks. 162 — Battista Alberti 320, 613 f , 618, 620 — v. Rozmital 903, 914 Leon 929 Leonardus (Leonardo, Lienhard, Lienhart) — Bruni 5, 82, 332, 614, 616, 619, 637, 639, 642, 678, 680 f , 706 f. — Giustiniano 632 — Grifus 1014 — v. Güsten 1017,1020-1023 — der Maler (Leonhard Scherhauff?) 386 — Reczer397 — Reinstein Erbipolensis (OP) 551 f f , 558 — Scherhauff -» L. der Maler — Stroschawp (v. Niedervintel) 389
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— da Vinci 316, 620 — Weinecker 399, 405 ff. — Wiesmayer 408 Leonora -> Eleonora Le Puy, Bf./ Bm. 171,194, 567 Lérida 929 Leuchtenburg 509 Leukipp 313, 315 Levico 406 Libyen (Libia, Libya) 571 Liebenberg, Burg (Schweiz) 598 Lienhard/t -> Leonardus Lieser (Lysura) -> Johannes Ligurien 572 Lille 233, 685 Limburg, Hz. v. 995 Lincoln, Bm. 68 Litauen 754, 907 f. Livin v. Wirsberg 277 Livius (Titus L.)709 Livorno 881 Lobdeburg, Herren v. 517 Lodi 553 Lodomerien 750 Lodovico -> Ludovicus Lösch, Augustin 833 Lövenich -> Köln Löwen 464 — Univ. 295, 529, 675, 720, 722, 726 f„ 734 Logroño 928 Lombardei 228 — Provinz OP 171,547 London 71, 475 Lonigo (b. Vicenza) 406 Lorenz(o) -> Laurentius Louis -> Ludovicus Lubau/ Lubowla (Frieden 1412) 924 Lubertus ten Busch 452 Lucas (Luca) — Barbieri (Barberi da Ceva) (OFM) 552, 557 — Landucci 891 — della Robbia 620 — da Siena 213 Lucan (M. Annaeus Lucanus) 37,421 Luchinus de Curte 543 Lucius III, Papst 768 Lucka (Thüringen) 531
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Luckau (Brandenburg) 531 Ludolphus (Ludolf) — v. Sachsen 453, 471, 700, 711 — v.Veen 734 Ludovicus (Lodewich, Lodovico, Louis, Ludovico, Ludwig, Luigi) — d. Bayer, Ks. 21,755 — IX. d. Heilige, Kg. v. Frankreich 426, 683, 755 — XI., Kg. v. Frankreich 684 f , 689 f , 911,914 — XIV., Kg. v. Frankreich 782 — XV., Kg. v. Frankreich 146 — I., Kg. v. Ungarn u. Polen 746 f. — Aleman, Kard. 81-84, 88, 91, 194, 219, 273, 769, 777 — v. Aragon, Kard. 961 — v. Teck, Patriarch v. Aquileja 81, 91 — VII., Hz. v. Bayern-Ingolstadt 824 — IX. d. Reiche, Hz. v. Bayern-Landshut 712, 814, 825 f., 830 — X., Hz. v. Bayern-Landshut 833, 837 — II., Hz. v. Bourbon 753 — I., Hz. v.Orléans 39, 231 — I. d. Schwarze, Hz. v. Veldenz, Pfalzgf. v. Pfalz-Zweibrücken 797 f., 819 — d'Harcourt, Ebf. v. Narbonne 238, 251 — d'Harcourt, Ebf. v. Rouen 237 — de Bourbon, Bf. v. Lüttich 252, 1000 — de Lapalud, Bf. v. Lausanne 91, 93 — de La Tremolile, Bf. v. Tournai 233 — Barbo, Abt v. Sta Giustina 108 — Brandelli de Mediolano (OFM) 557 — Coda de Voragine (OFM) 557 — della Croce (Aluigi Croce) (OSM) 552, 557 — II., Landgraf v. Hessen-Kassel 797 — Juede 1052 — XII., Gf. v. Öttingen 58, 64 — Pisanus 549 — III., Pfalzgraf bei Rhein u. Kf. 52 f., 61 f. — Pontano 2, 39 — da Regio (OCarm) 558 Lübeck 260 — Bf. v. 265 Lüneburg 969 — St. Michael, Kl. OSB 94,101,107, 112 f , 266 f. (Abt)
Lüttich 59, 107, 232,462 — Bm. 59, 252 — St. Jakob, Kl. OSB 93, 99 f. 105 Prov.kapitel OSB (1440?) 100,120 — St. Laurentius, Kl. OSB 118 — St. Martin, Stift 54, 62 f. Lugo (b. Bologna) 222 Lukas Eisenreich 914 Lukian v. Samosata 627, 633, 703 Lukill(os) 630 f. Lukrez (Titus Lucretius Clarus) 312, 316 Lund, Ebf. 94, 114 Lupoid v. Bebenburg 37 Lusignan —> Carlotta Luther, Martin 39,199, 201-204, 721, 726, 730, 732, 734, 801 Luxemburg, Jesuitenkonvent 119 Luxeuil, Kl. OSB 684 Luzern, Kl. OFM 583, 597, 604 Lyon 274, 778 — Ebf. 93 — Konzil (1274) 18, 142 Lyon/ Tarentaise/ Besançon, Provinz OSB 92 Maastricht 54 Machiavelli, Niccolò 616-620 Mâcon, Bm. 241 Macrobius 566, 569, 571, 576 Mähren 505, 768 Magdeburg 508 — Ebf./Ebm. 94 f., 113 f. Magnus v. Sachsen-Lauenburg, Bf. v. Kammin u. Hildesheim 257 Mahdiya, el- (b. Tunis) 753 Mailand 31, 208,210, 213, 216,225, 541, 544, 551,553,908,1005, 1014 — Hz(m). 23 f , 80-83, 547 f., 551, 561, 563 f., 907 — Kl. OCart. 467 Mainz 204, 298, 464, 782, 786, 789, 792, 799 f., 802 f. — Ebf./ Ebm. 94, 97, 114, 776, 781-803 — Kfm./ Erzstift 842 — Domkapitel 784, 786 ff., 790, 792, 796 — Domkirche 301 — Michelsberg, Kl. OCart. 467 f., 486 — Prov.kapitel OSB (1448) 119 — Reichstag (1439) 28,124, 991
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(Mainz) — Reichstag (1441) 299, 303 — Stiftsfehde (1461-63) 781-803 Mainz/ Bamberg, Provinz OSB 87 f., 90 f., 95,100 ff., 107,119 f. Mair Martin; -> Eck (Mair) Major, John 200 f. Makedonien 140 Maldanado, Juan de (SJ) 205 Malfetta, Monsignor de 883 Mallorca 928 f., 933 Maluenda, Familie 941 Manetti -> Giannozzo M. Mantua 208, 215, 382 ff., 386, 887, 889, 908 — Kongreß (1459/60) 382 f f , 411 — Konzil (827)389 Manuel II. Palaiologos, byz. Ks. 624,742, 758, 760 Marcellinus, Papst 136 Marcianus, röm. Ks. 162 Marcus (Marco) — Barbo, Kard. 888 — Antonius, Triumvir 332, 671, 694 — Polo 709 — de Reclusi (OCarm) 557 — de Vaudrey 679 ff., 684 ff., 690 f. Margaret(h)a (Margarete, Marguerite) — v. Burgund, Gemahlin Arthurs de Richemont 236 — v. Maele, Erbtochter d. Grafen v. Flandern u. Hz.in v. Burgund 232 — v. Savoyen-Achaia, Gemahlin Mgf. Theodors II. Palaiologos v. Montferrat 920 — Schwester Ks. Friedrichs III. 817 — Gemahlin Kg. Ludwigs IX. v. Frankreich 426 Maria — Hl. 193-206, 301 f , 305 f., 416, 961 — v. Aragon, Kg.in v. Kastilien 918 — v. Kastilien, Kg.in v. Aragon 918 — Tochter Kg. Ludwigs I. v. Ungarn u. Polen 747 Marienburg (Preußen) 773 Marienflucht, Kl. Glane, Marienflucht Marienstatt, Kl. OCist 767, 777 Marino Sanudo 759
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Marinus de Fregeno, Bf. v. Kammin 266, 962 Markion 640 Markos Eugenikos 355 f f , 360 f f , 368 ff. Marseille 881,908 Marsilius (Marsilio) — Ficino 320, 643 f„ 654-660, 662-666, 705, 707 — v. Inghen 32 f , 723 — v. Padua 165, 615 f. Martial Formier, Bf. v. Evreux 242 Martianus Capella 682 Martin(us) (Martin, Martino, Marti) — V , Papst 25, 27 f„ 54 f , 57, 66, 68-76, 88,148 f , 238 f„ 257,294 f , 584, 592 f„ 604, 624, 764, 771, 775, 824 f„ 828, 845, 849, 851, 862, 866, 885 — I , Kg. v. Aragon 904, 910, 930 — Halthoff 396 — Mair 811 — deNussia 1021 — Prenninger 705 f. — v. Senging 93, 98 f , 110 — v. Troppau 462, 774 — de Vailate (da Velate) (OESA) 555 — Alonso Pinzón 885 Masaccio (Tommaso di Ser Giovanni Casai) 620 Massalombarda (b. Bologna) 222 Massimo dei Massimi, Kaufmann/ Firma 875, 877, 895 Masso di Domenico Venturini 210 Mathys -» Matthias Matthaeus (Matheus, Mathieu, Matteo) — Alamanus 545 — di Candia (OCarm) 556 — Corte (OFM) 552, 557 — d'Harcourt 238 — v.Krakau 13-16, 32 f. — de Mathessilanis 35 — Nithard584 — Paltonieri 555 — Paris (Parisiensis) 569 — Richilus 549 — Villani 892 Matthias (Mathys) — Corvinus, Kg. v. Ungarn 806,961, 915 — Bloemert405 — Caster54,62,64
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(Matthias) — Döring, General-OFM 512 f., 515 f., 519 — Greve 1052 — Netstaler 598 — Overstolz 1037 — v. Reide 1052 Maulbronn, Kl. OCist 777 Mauren 571, 759 Maximilian — I., Ks. 714, 761,803, 827, 842 — II., Ks. 669, 839 Maximos Planudes 628 Meaux 242 Medici, Familie 874, 894; -> Cosimo de; -> Lorenzo de; -» Piero de Medina del Campo 947 Medina-Sidonia, Hz. v. 947 Meer, Kl. OPraem 776 Meersburg 57 f., 64 Meerssen, Propst v. 91 Mehmed — I., osman. Sultan 624 — II., osman. Sultan 376 Meisenheim (a. Glan) 798 Meister Eckhart -» Eckhart Meister Peter -> Petrus Meisterlin -> Sigismund Meißen, Mgft. 516 Melanchthon, Philipp 202, 732 Melchior v. Meckau, Bf. v. Brixen 408 Melies, Knecht 1008,1010 Melk, Kl. OSB 88, 91, 93 ff., 98,101, 105,107,465,467 Memmingen 913 Mendoza, Familie 941 Mentone 202 Meroe (am Nil) 571 Merseburg 508, 915 Mesopotamien (Zweistromland) 751 Messina 624 f., 627 Metz 464 Michael (Michel, Michele, Mihail) — Woiwode d. Walachei 748 — Baudoin 274 — daComo(OSM) 556 — Galten (Gautier) 270 ff., 281,290 — Geizkofler 815
— Hickler 103 — Maggi Astigiano (OP) 556 — de Napoli (OFM) 556 — v. Natz 397,406 — de'Pagani 1011 — Pauli de Pelagallo 126,141 ff., 165 — Mathie de Schiltowff 255 Michaelbeuem, Kl. OSB 96 Michelangelo Buonarotti 883 Micheli, Familie 207 Miliano da Novara (OCarm) 555 Milon v. Kroton 678 Mircea d. Alte, Woiwode d. Walachei 748 Mitterfels 835 Modena 213 Mohàcs (Schlacht 1526) 833, 906 Moldau/ Moldavien, Fm. 746, 748,907, 925 Mongolen 577, 910 Monninkhuizen, Kl. OCart. 488 Montferrat, Mgft. 907 Montoliveto 306 Mortara (Prov. Pavia) 553 Moses 13 f., 422 Moses Maimonides 933 Mouzon (Ardennen) 238 München — Landtag (1522) 833 — Landtag (1541) 836 — Landtag (1545) 837 — Rentamt 834 f. Münster 721, 971 — Bf./Bm. 781, 1020,1028 Murad — I., osman. Sultan 910 — II., osman. Sultan 624 Murner, Thomas 201 Naaldwijk, St. Adriaan (Kirche) 676 Namur 232,464 Nanni Chele 213,227 f. Narbonne 24, 53, 55 f., 240 — Ebm. 243, 245, 248,250 f. Nassau-Saarbrücken, Gft. 784, 793,797 Naumburg 508 Nausea, Friedrich, Bf. v. Wien 204 Navarra, Kg. 55, 57, 62 f. Nazareth (b. Bredevoort), Kl. d. Brüder vom gemeinsamen Leben 464
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Neapel 747, 803 — Univ. 549, 563 »Johanna II. v. Anjou-Durazzo Nebukadnezar, Kg. v. Assyrien 7 Netstaler, Familie 598 Neukloster (Wiener Neustadt), Kl. OCist 770 Neumark 263 Neunburg (Oberpfalz), St. Georg 53 Neuss 995, 1011,1067, 1071,1074 f., 1079 — Windesheimer Chorherren/ Brüderhaus 53, 478, 971, 973 f. Nevers, (Stadt/ Konferenz 1435) 236, 241,244 — Bf. 4 Newton, Isaak 326 Nicaia, I. Konzil (325) 6, 129, 142,156, 343, 346, 348-353, 368, 371, 599 Niccolò -> Nicolaus Nicodemus Tranchedinus 207 Nicolaus (Nic[c]olò, Nicolas) — I., Papst 135,162, 164, 342, 346, 350 ff. — V., Papst 259,263-268, 274, 331 f., 505, 515, 518, 670, 685, 688, 776, 778, 893 — Albergati, Kard. 69, 81,208, 215 — Tudeschi (Panormitanus), Ebf. v. Palermo 2, 83 f. — Böddeker, Bf. v. Schwerin 258 — Albergati (Mönch) 306 — Benzi 211 — v. Buldesdorf 269-290 — de Clamanges 30 — Clenger (N. C. Alemano) (OP) 552 f., 559 — de Cremona 543 — Dens 972 f. — Eymerich (OP) 938 — v. Fara 511, 513, 518 — Gereci (Sarazenus, Szerecsen) 752 — Gross 813 — Gundelfmger (Gundolfinger) 595, 598, 604 — di Iacopo da Foligno 629 — Kempf (OCart) 503 — de Kerpena 1021 — v. Kues-> unten
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— Lakmann (OP) 512 —Lamy250 — v. d. Linden 752 — v. Lyra 459, 700 — Manni de Castello 1013 — Marquitz de Magdeburg (OP) 553 —Niccoli 69, 624,630, 667 — (I) Rektor der Nikolauskapelle (Köln) 976 — (II) (Nikolaus v. Kalkar), Rektor der Nikolauskapelle (Köln) 976 — Palmieri 685 — v. Pelhrimov 601, 603 — Perotti 706 — Piccinino 209 — v. Popplau 914 f. — Rolin 236, 242 f., 252 — Abt v. St. Blasien 91, 103 — Tinctoris (N. Alemani) 551, 553 ff., 558 — de Vochen 1017 — Volratll3 — v. Wyle589 Nikolaus v. Kues 28, 30, 37 f., 79 f., 82, 88 f., 102,108,125, 139 ff., 143, 147, 156, 161-167,293-412,487,497, 513, 515, 518, 583, 643,655, 658,660, 662, 664 f., 691, 776 ff., 888, 991, 996 — De aequalitate 303, 306 — De apice theoriae 308 f., 360, 362, 369 f., 373, 375 — Apologia doctae ignorantiae 303 f., 358 ff., 368, 370 f., 376 ff. — De auctoritate praesidendi in generali concilio 79, 377 — De beryllo 303, 323, 371 — Compendium 303, 315, 322, 325, 362, 367, 370, 373 f. — Complementum theologicum 304 — De concordantia catholica 28,79,125, 128,132,139 f., 147,155,161-164, 166 f., 295 f., 299 f., 345-350, 377, 991 — De coniecturis 323 f., 660 — De Deo abscondito 301 f. — Dialogus concludens Amedistarum errorem ex gestis et doctrina concilii Basiliensis 299 f.
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(Nicolaus v. Kues) — Directio speculantis sive De non aliud 307 f„ 322, 362 f., 369 f. — De docta ignorantia 293,296 ff., 301, 303 f„ 306, 313 f., 316 f., 320, 322 ff., 326, 358 f f , 362 f , 369 f , 373 f f , 660, 662, 665 — De filiatione Dei 301, 305 — De genesi 302 f„ 305 — Idiota de mente 304, 313, 317, 319, 358, 660 — Idiota de sapientia 304 — Idiota de staticis experimentis 304 — De ludo globi 308, 311-329 — De maioritate auctoritatis sacrorum conciliorum supra auctoritatem papae 296, 299, 344-349 — De pace fidei 304 — De principio 303, 306 — De quaerendo Deum 301, 305 — Sermo 1293 f , 297, 320 — SermoII 294, 297 — Sermo V 297 f. — Sermo VII 298 — Sermo XI298 — Sermo XIII 306 — Sermo XVI 298 — Sermo XVII 298 — Sermo XVIII 298 — Sermo XX 298 — Sermo XXII 298 — Sermo XLI 306 — Sermo XLII 298 — Sermo XLIII 298, 301 — Sermo XLIV 299 — Sermo XLV 299 — Sermo XLVI 299 — Sermo LXVIII 301 — Sermo CC 306 — Sermo CCLXXVII 306 — Sermo CCLXXVIII 305 — Sermo CCXCIII 306 — Summa dictorum 300 — Tractatus de auctoritate conciliorum 163 — Trialogus de possest 306 f , 309, 362373, 389 — Tu quis es (de principio) 359, 368 f , 373
— De usu communionis. Opusculum contra Bohemorum errorem 295 — De venatione sapientiae 307, 314 f f , 320, 325, 362, 368 ff. — De visione Dei 304 f , 664 f. Nicolö Alemani -> Nicolaus Tinctoris Niebla, Gf. v. 929 Niedbruck, Kaspar 669 Niederlande 232, 236, 252,446,457 f , 461 f , 466 f , 470,472,474 f f , 480 f , 827, 842, 853, 890, 973, 983 f. Nijmegen 464 Nikephoros Gregoras 361 Nikopolis (Schlacht 1396) 741, 743, 748, 752 f , 756, 759 f f , 779, 910 Nimes, Bf./ Kath.kapitel 40 Nimwegen -> Nijmegen Nisch 748 Nivelles (Brabant), Kanonissenstift 1028 Nizäa -> Nicaia Nizza 53, 61 Nördlingen 273, 704,818 Nonius Marcellus 706 Norbert v. Xanten 771 Normandie 75,237 f. Northeim, Kl. OSB 464 Norwegen 575 Novara 553 Nubien 571 Numidien (Numidia) 571 Nürnberg 73, 90,404, 505 f f , 509, 511, 516, 551, 704, 764, 772, 799, 805-820, 963, 969 — Dominikanerkonvent 812 — Klarissenkonvent 396 — Pfalzkapelle 965 — St. Ägidien 89, 101, 808 f. (Abt), 812 — St. Lorenz 812 — St. Sebald 809 ff. — Prov.kapitel OSB (1439) 100-103, 107,121 — Prov.kapitel OSB (1441) 101 — Prov.kapitel OSB (1521) 120 — Rat(haus) 807, 969 — Reichstag (1422) 823 — Reichstag (1431) 751 — Reichstag (1438) 124 — Reichstag (1444) 805, 810, 815
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(Nürnberg) — Reichstag (1480) 826 — Reichstag (1481) 826 — Reichstag (1542) 836 — Reichstag (1543) 836 — 'herrnpreuhaus' 812 — 'Seumark' 812 — 'new Spital' 812 Oberwesel 799 Obuda (Alt-Ofen) 906 Ochsenhausen, Kl. OSB 467 Ockham Guillelmus Oddo Colonna -> Martin V., Papst Odofredus 589 Oecolampadius, Johannes 721 Österreich 101, 461, 465, 468,480, 505, 590, 669, 833, 908, 966 Ofen (Buda) 80, 531, 742, 906, 908, 924 Oldradus (de Ponte) 600 Oliva, Abt v. 260 Oliviero Carafa 888 Onulf 422 Oppenheim 802 Oppianos 627 Origenes 425, 490, 644 Orléans 236 — Bm. 251 — Univ. 527 Oropesa, Herren v. 941 Orosius 574, 683, 689, 709 Orsini -> Clarice O., Latino O. Osimo, Bf. 883 Osmanen/ Osmanisches Reich 244, 355, 376, 624, 687 f., 739-761,779, 825 ff., 830-835, 837, 839, 841 ff., 906, 909 f. Osnabrück 198 — Brüderhaus 467 Osterhausen 531 Osterland 511,517 Ostia 883 Oswald v. Wolkenstein 400, 407, 916 Otloh v. St. Emmeram 421, 440 Otto — I., Ks. 126 — III., Ks. 49 — IV., Ks. 995,1030,1039
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— v. Ziegenhain, Ebf. v. Trier 74, 294 f. — v. Hachberg, Bf. v. Konstanz 196 — III., Gf. v. Geldern 1034, 1041 — I. v. Mosbach, Pfgf. bei Rhein 392 — II. v. Mosbach, Pfgf. bei Rhein 806 Oudenaarde 464 Oudin, Remy Casimir 763 Ovid (Publius Ovidius Naso) 322, 669, 695, 704 Oxford, Univ./ Colleges 32, 68, 528 Paderborn, Bm. 95 Pado Morosini 405 Padua 294 — Univ. 35, 294, 526, 701, 704 Theolog. Fak. 562 Palästina/ Hl. Land 739, 745, 753-761, 908 f., 916; -> Jerusalem Palencia, Stadt/Cortes 929, 935 Palermo 881 Pallas Spangel 693 Palma de Mallorca 930 Paltz (b. Trier) 200 Pannartz -> Arnold Paolo -» Paulus Pappos 628 Pappus, Petrus 726 Paris 39, 75, 164, 757 — Franziskanerkirche (Ste-Madelaine) 425 — St-Viktor, Stift 498 — Univ. 32 f , 35,150, 164, 170,190, 200, 203, 205, 242, 250, 274, 279 f., 425,484, 497, 523 f., 527 ff., 531, 566 f., 603, 672,676, 700, 720, 723, 726-731,734 Artistenfak. 770 — Theol. Fak. 35, 201 f., 205 Collège d'Harcourt 237 Collège de Navarre 567 — Parlament 239, 247 Parma 213, 225 f. Parmenides 332-338, 358, 378,491, 682 Parthien 572 Parzival v. Annenberg 391 ff. Paschalis II., Papst 771 Passau 819 — Bm. 834 Patay 69, 75
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Patrizi, Familie 207 Paulinus, Bf. v. Trier 341 f. Paulus (Pablo, Paolo, Paul, Pawel) — (Apostel) 5, 279,284, 286, 307, 358, 418,425,430,433,441,490, 611, 640, 659 — II., Papst 407, 870,914 — de Santamaria (Salomon ha-Levi), Bf. v. Cartagena u. Burgos 940 f., 943 — de Castro 35 — de Folpertis 560 — Lescher 705 — dello Mastro 892 ff., 896 — (Giustiniani) de Monilia (P. Monelia Genovese)(OP) 547 f , 550, 557 — dal Pozzo Toscanelli 294, 632 — da San Genesio 550, 564 — Santonini 961 — Wladimiri (Pawel Wlodkowicz) 537 Pavia 213, 541, 546, 553, 560, 685 — Bf. 544, 560 — Kl. OESA 550, 564 — San Tommaso, Kl. OP 545, 547, 549, 560 f. — Univ. 541-564, 681, 685,690 Jurist. Fak. 542, 544 f., 561 Mediz.-Artist. Fak. 545, 550, 564 Theol. Fak. 541 f., 545-548, 551, 553, 555, 559-563 Pavia-Siena, Konzil (1423/24) 27 f., 40, 69, 80, 126, 145 f., 150 f., 741 Pazzi, Familie/Firma 873 f., 884 Pécs -» Fünfkirchen Pe(d)ro -> Petrus Pelagius 352 Penne, Bf. v. 265 Pefiiscola (b. Valencia) 56 Perndorfer, Kaspar 833 Perpignan 53, 55 f., 62, 929 — Univ. 961 Persien 754 Persius 462, 669, 671, 673, 695 Perugia 875 — Generalstudium d. Augustiner 198 Pest 906 Peter -> Petrus Petershausen (b. Konstanz) — Prov.kapitel OSB (1417) 87 f., 95, 97, 104 f , 107-110
— Prov.kapitel OSB (1447) 101 Petrarca -> Franciscus Petrucci, Familie 207,211 Petrus (Pedro, Pero, Peter, Pier[o], Pierre, Pietro) — (Apostel) 133,135, 138, 142, 165, 351 f., 433 — IV., Kg. v. Aragon 936 — I. d. Grausame, Kg. v. Kastilien 936 — v. Portugal, Regent 756 — I., Kg. v. Zypern 753 — d'Ailly, Kard. 23, 28 f., 36, 39, 565581,603, 723 — Amely (Ameilh), Patriarch v. Grado 1009 — Damiani, Kard. 166 — de Foix (d.Ä.), Kard. 777 — Gómez Barroso, Ebf. v. Sevilla 929 — Bohier (OSB), Bf. v. Orvieto 141 ff. — de Versailles, Bf. v. Digne 93 — Abaelard -> Abaelard — Alfonsi (Moses Sefardi) 569 — v. Altissen 1013 — de Ancarano 35 — v. Aragon, Sohn Kg. Ferdinands I. v. Aragón 918 — Aureoli 32 — Balbo 307 — Brunet 77 — de Cayrate (P. de Cairate) (OP) 555, 560 — Comestor 709 — Dubois 753, 759 — v. Erkelenz 308 f., 385, 388 — Giovannetti (de Giovanetti de Bologna) 216 — des Gros (OFM) 232 — Gruber 386, 399 — v.Hattrop 1006 f., 1010 — Hispanus 702 — Impens 452 — de Inviciatis (OP) 545, 547, 558 — Jude 1037 — (Kiver) de Nussia 977 — Knorr(e)263 — v.Köln 875 — v. d. Kranen 1034 — Krebel914 — Lombardus 32,188,489, 711
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(Petrus) — López de Ayala 904, 927 f., 932 — Luder 681, 682, 704 — Mandelkern v. Kaub 977 — de'Medici 331 f. — Meister 742 — v. Merode 976 — de Micheli 210 — Mombretto 544 — da Monte 82, 85 — Nifio910 — de Noceto 268 — Payne 589 — Porcher (OP) 171 f., 194 — Pot Johansen 58 — v. Pulkau 43 — Richardi 210 — Rinck 981 — Ruggenbecker 1020, 1022 — de Sancta Agatha (P. da Vercelli) (OESA) 552, 557 — de Santamaria 941 — Sarmiento 945 — Schöffer 784 ff, 788 f , 800, 802 f. — Schwarz (OP) 705 — Suàrez de Santamaria 941 — Tafur911 — Varilia de Sicilia (OCarm) 558 — de Vaudrey 691 — Wasmer(?) v. Waerff(?) 1020 — Johannes Olivi 277 f , 280,286 — Paolo Vergerio 613 Pfalzgrafschaft bei Rhein/ Kfm. 264, 787, 792, 798, 800 Pfefferkorn, Johannes 717, 719 f. Pfinzing, Nürnberger Patrizierfamilie 814 f. — Georg d.Ä. 816 > Agnes; -> Catharina Pforte (Thüringen) 509 Phidias 611 Philibert de Montjeu, Bf. v. Amiens u. Coutances 239, 242 Philippus (Filippo, Philipp, Philippe) — (Apostel) 5 — v. Schwaben, dt. Kg. 1030 — II. Augustus, Kg. v. Frankreich 232 — IV. d. Schöne, Kg. v. Frankreich 232, 984
1147
— I , Hz. v. Brabant 240 — d. Gute, Hz. v. Burgund 2,4, 6 f., 232253, 685, 687, 689, 691 f., 745, 752, 914 f., 999 f. — d. Kühne, Hz. v. Burgund 232 — Maria Visconti, Hz. v. Mailand 3,208, 212, 222, 224 — Amely (Ameilh), Patriarch v. Grado 1009 — de Coetquis, Ebf. v. Tours 81, 84, 234 f. — Brunelleschi 611,620 — da Castelnuovo (OSM) 555 — de Mézières 745, 753, 759 — de Muzano (Muzzana, F. da Lodi) (OESA) 552, 554, 559 — V , K f . v . d. Pfalz 712 — Maria Crivelli (Milanese) (OP) 557 Philo 378 Phocylides 628 Photios 626, 630 Piccolomini Pius II.; -> Francesco P. Pico della Mirandola, -> Johannes Pier(o), Pierre, Pietro -> Petrus Pikolein 386 Pileo de Marini, Ebf. v. Genua 17,22 Pindar 628 Pirckheimer, Willibald 722 Pirrus de Noha 568, 571, 573, 579 Pisa 201, 215 — Konzil (1409) 22 f , 35 f , 39,45 f., 50, 258 f., 567 — Konzil (1511) 200,203 Pius — II. (Enea Silvio Piccolomini), Papst 71 f , 77, 80-83, 208 f , 211 ff, 223, 240,265 f , 382 f , 385, 388, 396,400, 404,408, 668, 681, 685, 689, 691, 706, 709 f , 783 f , 786 ff, 790-795, 798, 869, 887, 961 f , 1014 — IX, Papst 206, 600 Platina -> Bartolomeo Sacchi da P. Piaton 296, 307 f , 322, 331-334, 337, 339, 359, 378, 425,434, 490 f., 499, 628, 643, 648,654, 683, 707 Plautus (Titus Maccius P.) 418 Plinius d.Ä. (C. P. Secundus) 574 f , 577, 709 f. Plotin 378, 628, 643-655, 657 f , 663 f.
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Plutarch — v. Athen 338 — v. Chaironeia 331 f., 628 Pöblet, Kl. OCist 770 Poggio Bracciolini -> Johannes (Giovanni Francesco) Poitiers (Schlacht 1356) 72 Poitou 915 Polen 57, 62 f., 259, 480, 505, 529, 534539, 740, 747, 779, 906 ff., 924 Poliziano -> Angelus Polsdorf (b. Hilpoltstein) 276 Pommern 256 ff. — Hz.e v. 264 Pomponius —• (röm. Jurist) 586 — Mela 567, 571, 581, 709 f. Ponzano (b. Rom) 875 Porphyrios 650, 652 f. Portovenere 883 Portugal 83, 199, 577, 759, 914, 929 Posen 535, 539 Possevino, Antonio 763 Pozzuoli 886 Prag 212, 272, 530, 908, 923 — Ebm. 767 — Univ. 13,33,49,484, 521,523-537, 700/Juristenuniv. 529, 533, 536 f. Artistenfak. 530, 537 Theol. Fak. 537 Praxiteles 611 Preußen 62 f., 535, 754, 756 > Deutscher Orden Prierias, Sylvester 720 ff. Primus Seil 386 Priscian 702 Prochoros Kydones 361 Proklos 307 f., 331 f., 338 f., 378, 628, 643, 655, 659, 664, 672 Prokopios v. Kaisereia 628 Pronner, Hieronymus 838 Prospero Colonna, Kard. 70 Prüfening (b. Regensburg), Kl. OSB 276 Prutz 407 Ps.-Anaklet 344, 351 Ps.-Anselm v. Canterbury 459 Ps.-Augustinus 457, 459, 471,473 Ps.-Bernhard v. Clairvaux 459,471,473 Ps.-Boethius 708
Ps.-Chrysostomos 489, 585f. Ps.-Clemens 344, 346 Ps.-Dionysius Areopagita 351, 378,492, 495, 643 Ps.-Isidor 126, 343, 345, 349 Ps.-Pelagius II. 352 Ps.-Stephan I. 351 Ps.-Thomas v. Kempen 471 Ptolemaios — (Klaudios P.) 566-571, 573-581, 709 f. — II. Philadelphos, hellenist. Herrscher 417 Pülsdorf (b. Staffelstein) 276 Pulheim (b. Köln), Pfarrkirche 1018 Pustertal 396, 404,406 Pythagoras 490,499, 656, 687 Pythodoros 334 Quara Yuluq -> Uthman Quintilian (Marcus Fabius Q.) 674, 682, 685, 708 Rabanus v. Helmstedt, Bf. v. Speyer 295 f., 299 Ragusa (Dubrovnik) 145 Raigern (Rajhrad), Kl. OCist 765 Raimondino di Ceva (OFM) 559 Rama 750 Raphael (Rafael) — (de Grillis) Grilli Papiensis (OSM) 555, 561 — de Pornassio (OP) 169,187-190, 196 Ratzeburg, Bm. 271,290 Raymundus (Ramon) — de Penafort 602 f. — Lullus322, 753 Rebdorf, Chorherrenstift 464 Reekhem, Kl. OFM 450 Regensburg 43, 805, 818 f., 830 — Bm. 276, 834 — St. Emmeram, Kl. OSB 101,121,276, 421,465 — Reichstag (1454) 376,772, 779 — Reichstag (1471) 805 f., 811, 820, 825 Regnault de Chartres, frz. Kanzler u. Ebf. v. Reims 236, 240 Reich, dt. 4, 6 f., 22, 25, 27f., 30, 33, 37, 45 f., 60 f., 72, 74, 78, 81-90, 108,
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(Reich, dt.) 112, 204, 206, 208, 228, 258,261, 264, 274 f., 277, 284, 288, 296, 385, 408, 438, 442, 460,466-476,479 ff., 486, 506 f., 512 f., 515 f., 518, 524 f., 528, 534, 538 f., 595, 604, 679, 681 f., 692, 697, 705, 707, 712 ff., 726, 740, 766, 778, 784, 790, 795, 799, 822 ff., 826 f., 830, 832 f., 836-839, 842 f., 890, 907, 957-970, 990 Reichenau, Kl. OSB 104, 108 f., 467 Reims 6, 251,342, 567 — Ebm. 240 f. Rein (Steiermark) Kl. OCist 440 Reinald IV., Hz. v. Geldern 48, 976 Reinhard/ Reyner — v. Dalen 1013 — v. Eger 982, 985 — v. Luntz 975 Reinhausen, Kl. OSB 464 Rembolt Scherffgin 1052 Remigius, Ebf. v. Reims 348 René d'Anjou, Kg.(Kand.) v. NeapelSizilien 245, 914 Reuchlin, Johannes 717-725, 733 ff. Reyner -> Reinhard Rhodos 572 — Johanniterorden 913 Richard v. St-Viktor 483,495 f., 660 Ricoldus (Richoilff, Ric[h]olf) — Overstoiltz 1052 — Parfuse 1039 — v. d. Smitten 54-57, 62 f. Riga, Ebf. 94,114 Rimini 215 Robbia -> Lucas Robertus (Robert) — Auclou 251 — Campin (Meister v. Flémalle) 233 — Grosseteste 319 — Le Jeune 239 f. Rodeneck (Burg) 388, 407 Rodrigo — Borgia, Kard. 882, 888 f., 901; -> Alexander VI. — de Villandrando 910 Roermond 197, 503 Roger/ Rogier — (Mönch, OCist) 768
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— Bacon (OFM) 574-579 — v. d. Weyden 233, 965 Rolandus de Rovascala (de Roscala) (OFM) 548 ff., 556 Rom 6, 38, 56, 63, 68, 70 ff., 76, 131, 139-142,153 ff., 158, 162,179,215, 294, 307, 320, 377, 382, 393, 418, 572, 618 f. (auch: Rom. Republik), 624 f., 689, 714 (Rom. Reich), 764, 769, 771, 775, 777, 869-901,10071010,1014 — Papst, Papsttum 22, 26 f., 67, 70, 75 f., 123 f., 126 f , 129-141, 143,145-167, 180 f., 185 f , 195 f , 198, 200 ff., 296, 343,512,518, 755, 795 — Kurie 13,26 f., 34, 55, 66, 70 ff.,76 , 78, 80, 145-167, 185 ff., 195 f., 198, 200 ff., 211, 231,234 f., 244 f., 249, 251, 253, 255, 260-263, 265,268, 288, 355 f., 369, 376 f., 405 f., 411 f , 512, 518, 563, 595, 600, 612, 688, 720, 734, 775-778, 845-867, 869-901, 947, 1001 f., 1006-1015, 1017,10191022 — Patriarch/ Patriarchat/ Patriarchalkonzil 123,127-143,152, 155, 158, 163, 352 — Bf./ Bm./ Diözesansynode 130,133, 299 f., — Engelsburg 881 ff. — Karmeliterkloster 180 — S. Anastasio (Trefontane ad Aquas Salvias), Kl. OCist 770 f. — Sta Maria Maggiore 893 — S. Pancrazio 770 — S. Paolo (St. Paul) 881 — S. Pietro (St. Peter) 876 f., 892, 895 — S. Sebastiano (in Catacumbas), Kl. OCist 771 — II. Laterankonzil (1139) 599 — IV. Laterankonzil (1215) 18, 92, 120, 142, 932, 1003 — V. Laterankonzil (1512-1517) 585 — Konzil (1412) 23 Roo(de)kloster (b. Brüssel), Chorherrenstift 467 Rostock 260 Rouen, Ebm. 237 f., 242
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Rovere, Familie 888; -> Julianus; -> Sixtus IV. Rubeanus, Crotus 719 ff. Ruch, Gregor, Bf. v. Wien 765 Rudolf — v. Habsburg, dt. Kg. 755 — Agricola 681,726, 732 — v. Biberach 298 — v. Diepholz 990 — Dier v. Müden 446, 451 —Netstaler 598 — v. Rüdesheim 788 Rufinus — (Freund des Hl. Hieronymus) 419 f., 428, 432 f., 709 — v. Bologna 422 f., 586 Ruprecht — v. d. Pfalz, dt. Kg. 13, 16 — v. d. Pfalz, Ebf. v. Köln 777, 914, 999 f., 1011 — Haller 813 Rusticus, Bf. v. Narbonne 348 Rutgerus (Rutger) — de Bloemendael, Abt v. St. Jakob/ Lüttich 93 — Edelvogt 1036, 1038 — Abt v. Heisterbach 767, 769, 773 — Hirzelin vanme Grin 1046,1056, 1060 — Themme 1019-1023 Ruthenien/ Rußland (Ruthenia) 572 Saalen (b. Brixen) 386 Saalfeld (Thüringen) 509 — Kl. OSB 768 Saar (Z'dar), Kl. OCist 764 f., 767 ff. Saba, Königin v. 885 Sachsen 505, 508, 514 f. — Hzm./Kf(m). 264, 830, 833, 842 — Provinz OFM 445, 506 f., 510, 512, 515,519 Sachsenburg (i. Thüringen) 509 Säben (b. Brixen) 386 Saint -> St-, St. Salamanca, Univ. 5, 199,202, 270 Salem, Kl. OSB 101,120 Sallust (Gaius Sallustius Crispus) 440, 473, 669 f., 673,688 f., 695 Salomon, atl. Kg. 440, 671, 694 Saloniki 748
Salutati -> Coluccio Salzburg — Ebf./ Ebm. 4, 38, 94,114, 392, 824, 826, 836, 842 — Domkapitel 38 —Nonnberg, Kl. OSB 382 — St. Peter, Kl. OSB 98,465,468 — Provinz OSB 87 f., 91, 99, 102 Samuel Karoch 705 Sancho v. Aragon, Sohn Kg. Ferdinands I. v. Aragon 918 Sandecz 924 Sander Eyckpasch v. Kempen 1019 Sandomir 923 Sankt/ Santa -> St., Sta Sant'Eustachio (b. Rom) 878 Santa Croce, Firma 875 Santiago de Compostela 913, 915 Saragossa, Kard.-Ebf. v. 913 Sarazenen 378 Sardica, Konzil 348, 353 Savigliano, Stadt (Prov. Cuneo) 553 Savona 882 Savoyen 4, 80 f., 213 — Hz. v. 81,913,915 Sayn, Gf. v. 995; -> Ger(h)ardus Schedel -» Hartmann; -> Hermann Scheyern, Kl. OSB 478 Schlesien 505, 535 Schöffer -> Petrus (Peter) Scholastica, Hl. 772 Schottland 55, 200, 290, 523, 575, 915 Schüpfen 598 Schwaben 73,420, 438, 830, 967 Schweden 258 Schweiz 81, 465, 472, 583, 598, 669 Schwerin, Bf. v. 265 Sebastian Ilsung 913, 915 Seckenheim (b. Heidelberg) 786 Seclin (b. Lille) 233 Sedulius 440 Segebodo Bemmer 766 Seneca d.J. (L. Annaeus S.) 37, 425, 431, 434,440, 489 f., 493 f., 497, 499 f., 574, 577,614, 636, 669, 670 f., 674, 684, 694 f. Seragiola, Familie 207 Serbien 746, 748, 750 Servatius Göswein 704
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Sevilla, 927 ff., 932, 938, 940, 944 — Ebm. 927, 929 f. Shakespeare, William 65 Sheen, Kl. OCart 470 Sicard v. Cremona 768 Siegburg, St. Michael, Kl. OSB 763, 768, 779, 1028 (Abt) Siegfried — v. Westerburg, Ebf. v. Köln 1041, 1043 f. — II. v. Buch, Bf. v. Kammin 256 f., 259262 — Wanner 273 Siegmund -> Sigismund Siena 207-229,405, 408 — Univ. 207,210,216 Sigismundus (Sigismund, Si[e]gmund) — v. Luxemburg, Ks. 6 f., 23 f f , 40, 44-64, 78 f , 89, 210, 212, 219, 224, 226, 739-762, 767, 823 f , 828, 906 ff., 916, 921 f., 924, 995 — Hz. v. Österreich, Gf. v. Tirol 382-412, 807, 826 — Cremonensis 545 — Meisterlin 965 — Pfinzing 815 — Stromer 816 Silvester — I., Papst 141, 587 — Syropoulos 139,143 Simon (Simone) — Charles 234 — de Luccha 875 — Marmion 233 — de Teramo 70 — v. Wehlen 386 f , 400,405,407 — Weinhart 119 Simplikios 626 Sint St. Sinthern -> Kierdorf-S. Sims de Astulphis (Siro Astolphi) (OFM) 556, 561 Sixtus — III, Papst 136, 341,771 — IV, Papst 88,120, 182, 197,199 f , 202, 205, 852, 874, 884, 888, 892, 895, 901,948,1012, 1014 Sizilien 569, 930 Skandinavien 523, 532 f , 536, 572
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Slawonien 749 Slowakei 535 Smyma 753 Soest(er) Fehde 991 Sofia 748 Sokrates 332-338, 358, 378, 434,499 f„ 629 Solothurn 600 — Kl. OFM 602 — Stift 583, 602 Sonnenburg (b. Brixen), Kl. OSB 382, 388, 403 f , 409 ff. Sophia (Sophie) — v. Bayern-München, Gemahlin Kg. Wenzels v. Böhmen 923 — v. Montferrat 624, 920 Sophokles 623, 630 f. Sorg - • Antonius (Anton) Sona, Cortes (1380) 942 Spanien 5, 24 f„ 27, 58, 64, 81,107, 194, 199,274, 284,408,460,472,474 f , 572, 574 f , 759, 903, 9 0 7 ; A r a g ó n , Kastilien, Navarra, Valencia Sperlonga 886 Speyer 467, 785, 793, 799, 801, 803, 1078 — Bf. v. 264, 799 — Hoftag (1414) 47, 50 f. — Reichstag (1542) 836 — Reichstag (1544) 838 Spinelli, Bank 883 St. Andrews, Univ. 533 St-Antoine-en-Viennois, Mutterkl. OAnt 913 St. Catharina (vor Nijmegen), Chorherrenstift 467 SS. Fermo e Rustico, Abtei 406 St. Gallen, Kl. OSB 92,465,469 St. Genoveva (b. Leiden), Kl. OSB 467 St. Georgen (Pustertal) 396 Sta Giustina (Padua), Kl. OSB 108 St. Jakob an der Birs 598 St-Jean-de-Salins 242 St-Malo, Bm. 249 St-Marcel (b. Paris) 242 Sta Maria de Finisterra 915 St. Martin a. Thum (b. Brixen) 389 St-Omer/St-Bertin 251 St. Paul (Lavanttal), Kl. OSB 101,107 St-Phal, Kl. OSB (Clun.) 680
1152
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St. Raphaelsburg -> Buchenstein/ Andraz St. Truiden 464 St. Wendelstein 819 Stade, Prov.kapitel OSB (1437) 94,113 Stanislaus v. Znaim 52 Steiermark 830, 961 Stein, Bartholomäus 967 Stephanus (Étienne, Stefan[o], Stephen) — Dabisa, Kg. v. Bosnien 749 — Lazar, Kg. v. Serbien 749 — Lazarevié, Despot v. Serbien 749 f. —Nardini, Kard. 884 — de Bourett, Bf. v. Paris 190 — Plouvier, Bf.(Kand.) v. Marseille 261, 267 — Bicskele v. Zelnavâr 752 — da Castelnuovo (OSM) 558 — de Genova (OSM) 555 — Harding, Abt v. Cîteaux 771 — Infessura 891 — Lochner 233 — Notti (Humiliate) 556 — Pâlec 52 — Rüve1022 — Stainhorn 382 — Surigonus 675 — Tornielli (OFM) 552, 556 — daVercelli (OP) 559 — Vivien 246 Sterkrade, Kl. OCist 777 Sterzing 394, 964 Stettin — Kl. OCart 464 — St. Marien 257, 265 Steyn (b. Gouda), Chorherrenstift 432 Steyr 118 Stilfes (b. Bozen) 389 Stoiltzgin, Kölner Bürger 1052; -> Johannes St.? Strabon 628, 632, 709 f. Stralsund 260 Straßburg 43, 57, 63, 757, 964 f., 1078 — Bf. v. 264 — Dominikanerkonvent 964 Straubing 819 — Kreistag (1542) 836 — Landtag (1422) 824 — Rentamt 834 f. Stribro 74
Suärez, Francisco (SJ) 205 Subiaco, Kl. OSB 98, 105,467 Suceava (Fm. Moldavien) 909 Sueton 689 Sutri 875 Sweynheim -> Conradus Symmachus, Papst 135 f. Syrien 754 Tabor (Böhmen) 511 Tachov (Tachau) 69, 73 f. Tacitus (Publius Cornelius T.) 673, 962 Taisten 389 Tannenberg (Schlacht 1410) 908 Tarquinius Superbus, röm. Kg. 332, 689 Tarra (Kreta) 630 f. Taufers (b. Brixen) 396 f., 400, 401 Tegernsee, Kl. OSB 101,105,121,465, 478 Telesforus v. Cosenza 278, 288 Tennstedt (i. Thüringen) 509 Terenz (Publius Terentius Afer) 669, 695 Tertullian (Q. Septimius Florens T.) 418, 640 Tette Havermann 53 Thadeus de Zardinis 545 Thbit ibn Qurra 578 Themistokles 499 Theodericus (Dietrich)/ Theodoras — I. v. Erbach, Ebf. v. Mainz 798 — I. v. Heimbach, Ebf. v. Köln 995, 1018 f. — II. v. Isenburg, Ebf. v. Mainz 392,410, 781-803 — II. v. Moers, Ebf. v. Köln 48, 261,264, 766, 769, 776 f., 792, 799, 971, 976, 989-996, 998 f , 1001 f , 1004,1073, 1098 — de Dordraco (v. Dordrecht) 676 — v. Falkenburg 1036 — de Lucca 531 — v. Nieheim (Niem) 23, 28 f., 741, 759 f., 849 f f , 859, 862 f. — Palaiologos, byz. Despot 624 — II. Palaiologos, Mgf. v. Montferrat 905, 907 f , 919 f. — de Salis 921 Theodosius — II., röm. Ks. 346
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(Theodosius) — v. Bithynien 326 Theodoulos (Thomas Magistros) 708 Theon 630 f. Theophrast 628, 706, 917 Thierhaupten, Kl. OSB 101, 121 Thierry v. Chartres 320, 322 Tholomeus v. Lucca 38 Thomas (Tomàs, Tomasso, Tommaso) — Livingston, Bf. v. Dunkeid 271,274, 290 — v. Aquin 153, 164, 169, 171, 173, 176 f., 180 f., 190, 202, 205,424, 487, 489, 492,496 f., 563, 589, 599, 615, 641, 655, 665, 672, 677 ff., 711, 713, 723, 729 f., 734, 770 — Bradwardine 326 — Canneti (de Caneto da Bassignana) (OCarm) 547, 552, 557 — de Cornucervino de Stetin 255 — v. Courcelles 194, 272, 274 — Docci 210 — Ebendorfer 30 — Ferandus 316 — Frank 69 — Gallus Vercellensis 492 — della Gazaia 211 — v. Kempen 446, 449,452, 457,468, 471-478 — conte di Langosco (OP) 553 — Penketh (OESA) 541, 550 f., 563 f. — di Nanni de Pecci 229 — Scales, Lord 75 — v. Straßburg 169 — de Torquemada 950 Thorn 535 — (Frieden 1411)908 Thüring v. Hallwil 397 Thüringen 505-520 — OFM-Kustodie 506, 510, 516 Thukydides 623 Tilmann Joel v. Linz 977 Timur Lenk (Tamerlan), Tatarenkhan 748, 910 Tirol 386, 411 — Gf./ Gfit. 388,400 f., 406,408, 410 Tisens (Pfarrei; b. Brixen) 397 Titus, röm. Ks. 689
1153
Toledo 928, 941,945 ff., 950, 953 — (III.) Konzil (589) 932 — Cortes (1480) 948 Tolfa 884 Tomás, Tomasso, Tommaso -> Thomas Tongeren, Arnold v. 719 Torberg, OCart-Kl. 592 Torquemada -> Johannes de -> Thomas de Tortosa 938, 953 Totis (Tata; Vertrag 1426) 750 Toulouse 190, 770 — Univ. 35 Tournai 232 ff., 236, 240 f., 244-252, 670, 673, 683 ff., 695 — Bm. 231-253, 685, 690, 692 — Domkapitel 246, 249 f. Tournus, Kl. OSB 91 Tours 251 Trastámara, Haus 936 f., 940 Traversari Ambrosius (Ambrogio) Trevignano (b. Rom) 875 Treviso 320 Trient 383 f., 962 — Bm. 400, 408-411 — Konzil (1545-1563) 199, 202, 204 f., 603 Trier 74, 93,464, 1027 f. — Ebm./Ebf. 74, 94,102, 114,261, 275, 294 f., 299, 769, 776, 781, 784, 793, 989, 991 — St. Alban, Kl. OCart 465 — St. Maria ad Martyres, Kl. OSB 465 — St. Matthias (Eucharius), Kl. OSB 118, 341, 465, 468, 980; Johannes Rode — St. Maximin Prov.kapitel OSB (1442) 100, 102 Prov.kapitel OSB (1448) 100 — Prov.kapitel (1422) 108 f. Tripolis 571 Trithemius, Johannes (OSB) 88 f., 97, 101, 108,112,119,121, 201,472 f. Troki (Litauen) 925 Troyes (Vertrag 1420) 237, 239 Tschudi, Aegidius 598 Tübingen 472 — Univ. 704 Türken -> Osmanisches Reich
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Turin 905 — (Vertrag 1381)747 Tvrtko — I., Kg. v. Bosnien 747 — II., Kg. v. Bosnien 749 Ubertino di Casale 297 Uckermark 263 Ulrich — v. Manderscheid, Bf.(Kand.) v. Trier 295 f., 299, 991 — Putsch, Bf. v. Brixen 408 — Ehinger 818 — v. Halbsleben 404 — Meiger (v. Wasseneck) 43, 757 —Netstaler 598 — Reicholf408 — Stoeckel 91 — Gf. v. Württemberg 797 Ulm, 71, 963, 966 f., 1033 — Münster 966 f. Ulpian 586, 601 Ulrich v. Hutten -> Hutten Ungarn 72, 505, 533, 535, 740-752, 754, 756 f., 761, 767, 778, 826 f., 830 f. Uppsala, Ebf. 94,114 Urban — II., Papst 38 — III., Papst 593 — IV., Papst 1035 — V., Papst 190, 526 f., 770, 774 f., 858, 863 — VI., Papst 21, 668, 847-851, 863 f. Ursula, Hl. 768, 968 Uthman (Qara Yuluq), Fürst v. 'Weißen Hammel' 751 f. Utrecht 1028 — Bm. 252 — Liebfrauenstift 55 — Kapitel d. Terziaren 445 Val Parola 387, 399 Valencia — Kgr. 929, 934, 936 — Bm. 258 — Stadt 929-932 Valenciennes 245 Valentin de Melsholt 255
Valentinian, röm. Ks. 162 Valentinos 640 Valerius Maximus 459,462,473 Valesius Portugallensis 210 Valla -> Laurentius (Lorenzo) Valladolid 904, 910 f., 944 — Cortes (1405) 943 Valois, Haus 232,237 Varrò 674 Vaudrey, Familie 691 Vega, Andreas de (OFM) 202 Veit Pucher 875 Venedig 56,63, 80, 82,208,210,216, 224, 258, 387,390, 392,407,427, 624 f.,742, 747, 749, 752, 758, 807, 809, 813, 877, 908, 924, 984 Veneto 908 Ventimiglia 881 Vercelli 465, 553 — Bf. 256 Verden, Bf./Bm. 95,266 f. Verdun 1028 — St. Vanne, Kl. OSB 96,107,119 Vergerio -> Pier Paolo Vergil (Publius V. Maro) 415,418,420 f., 440, 636, 669, 673, 674, 685, 695, 704, 732 Verneuil (Schlacht 1424) 238 Verona 211 Vespasian, röm. Ks. 689 Vespasiano da Bisticci 620 Vexin 239,242 f. Vienne (Konzil 1311/12) 18 ff., 599,773, 935 Vierzehnheiligen (b. Bamberg) 811 ff., 819 Viktring, Kl. OCist 770 Villach 961 Villnöss (b. Brixen) 407 Vincennes 72 Vincentius (Vicent, Vincent, Vincenz[o]) — v. Aggsbach (OCart) 305 — Bandeiii (OP) 196 ff. — v. Beauvais (OP) 426 f., 577, 700, 709 — de Comite (Conte) (OFM) 552, 556 — Ferrer (OP) 941, 943 f. Vinque Vertinborch 912 Violante v. Bar, Kg.in v. Aragón 932 Virneburg, Gf. 1028
REGISTER
Vitoria, Franz v. (Francisco de) (OP) 202, 204 Vitruv 965 Vitus — v. Gladbach 1021 — Meier 1020 f. Vlad Dracul, Woiwode d. Walachei 749 Volterra, Bf. v. 266 f. Volz, Paul, Abt v. Hugshofen 440 f. Vytautas -» Witold Walachei 746, 748, 750 Walberberg, Kl. OCist 777 Walburga v. Moers 976 Waldshut 592 Wales 71 Walram — IV., Hz. v. Limburg 1034, 1037, 1043 — v. Moers, Bf.(Kand.) v. Utrecht 691, 990 — Gf. v. Jülich 1041 Walter — Chatton 319 — v. Straßburg 847-851 Walvesey, Burg 69 Wartislaw IX., Hz. v. Pommern 258 Wassenberg, St. Georg, Stift 49 Weimar 508, 510 f., 517 ff. — Franziskanerkonvent 510, 516, 519 Weinheim 792 Weißensee (i. Thüringen) 509 — Johanniterkommende 515 Weißer Hammel, turkmen. Stammesverband 751 Wenck -> Johannes Wenns (b. Brixen) 407 Wenzel, dt. u. böhm. Kg. 761, 906 ff., 922 f. Werner — v. d. Aducht 1052 — de Juliaco, Notar 99 — v. Lyskirchen 1083 f. — Pürlin (v. Waldenburg) 584, 598 — Quattermart 1052 — Rolevinck (OCart) 709 Wessel Gansfort v. Groningen Johannes Westafrika (Hispania Ulterior) 574
1155
Westfalen 973 — Hzm. 991, 1012 Westfränkisches Reich 341 Wettin, Haus 511, 517 f. Wetzel v. Eger 982 Wiclif -» Johannes (John) Widdersdorf -> Köln Wien 80, 82,124, 516, 518, 805, 820, 826, 961 — Bm. 204 — Domkirche 966 —Nicolai stift 765 — Schottenkloster 98 — Konkordat (1448) 28,997,1000 — Reichstag (geplant 1424) 742 — Reichstag (1460) 784 — Univ. 33, 35,170, 484, 514, 519, 521, 524 f., 531 ff., 535,704, 714 Wiener Neustadt 770 Wikbold v. Holte, Ebf. v. Köln 995 Wilhelm, William -» Guillelmus Wilna (Litauen) 925 Wilsnack 915 Wimpfeling, Jakob 674, 693, 734 Winchester, Bm. 68 Windberg (b. Jena) 509 Windesheim — Chorherrenstift 452 f. — Kapitel 448,452 Winterthur 592 Wismar 260 Witold (Witowt, Vytautas), Großfürst v. Litauen 906 ff., 910 f., 925 Wittelsbach, Haus 830, 839 (pfälz. Linie) Wittenberg 723, 725 Wittlich 295 Wladyslaw Jagiello, Kg. v. Polen 528, 740, 747 f , 906, 908, 910,923 ff. Wöltingerode, Kl. OCist 464 Wolfgang Neidlinger 388, 390, 394, 397 f. Wolfhart, Deutschordensbruder 1038 Wolter — v. Bilsen 1013 — Volmer 50 Worms 799,1078 — Bm. 16 — Reichstag (1521) 832, 839
1156
REGISTER
Worringen (Schlacht 1288) 768,1041, 1043 f., 1095 Württemberg, Hzm. 830 Würzburg 342 — Bf./ Bm. 73,799 — Univ. 534 Wurstisen (Wursteysen), Christian 273, 275 Wyclif(fe) -> Johannes Xenophon 331, 625, 628 Ximenes de Cisneros, Francisco, Kard. 475 Yvan v. Cortenbach, Landkomtur v. Altenbiesen 59, 64 Z'dar, Kl OCist Saar Zabarella -» Franciscus Zamora, Konzil (1313) 935 Zara (Zarda) 747 Zaragoza 929, 934, 941
Zbigniew v. Brzezia (LanckoroAski) 906, 923 f. Zeller, Konrad 835 Zenon — v. Elea 334 — v. Kittion 640 Zeuxis 611 Zierikzee 668 Zinna, Kl. OCist 271 Zips 924 Zofingen 583, 592 Zosimus, Papst 347, 349, 353 Zürich 592, 598,603, 723 — Großmünster 583 f., 602,604 Zweibrücken-Veldenz, Pfgft. 784, 793 Zwiefalten, Kl. OSB 121 Zwingli, Ulrich 202, 721 Zwischenwasser (b. Brixen) 386 Zwolle 441, 464, 732, 735 — Bethlehem (Brüder vom gemeinsamen Leben) 53 Zypern 914