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German Pages 290 [292] Year 1994
Strategisches Management Lehrbuch mit Fallstudien
Von
Professor Dr. Emil Brauchlin Hochschule St. Gallen und
Professor Dr. H. P. Wehrli Universität Zürich
Zweite Auflage
R. Oldenbourg Verlag München Wien
Die Deutsche Bibliothek — CIP-Einheitsaufnahme Brau chlin, Emil: Strategisches Management : Lehrbuch mit Fallstudien / von Emil Brauchlin und H. P. Wehrli. - 2. Aufl. - München ; Wien : Oldenbourg, 1994 ISBN 3 - 4 8 6 - 2 3 0 1 3 - 1 NE: Wehrli, Hans-Petcr:
© 1994 R. Oldenbourg Verlag GmbH, München Das Werk außerhalb lässig und filmungen
einschließlich aller Abbildungen ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzustrafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverund die Einspeicherung und Bearbeitung in elektronischen Systemen.
Druck: Grafik + Druck, München Bindung: R. Oldenbourg Graphische Betriebe GmbH, München
ISBN 3-486-23013-1
Inhaltsverzeichnis Vorwort
1
1. Kapitel : Strategisches Management
2
11 111 112 113 114 115
Inhalte des strategischen Management Bedeutung und Entwicklung der Thematik Begriffliche Abgrenzungen Ziele, Möglichkeiten und Grenzen des strategischen Management Unternehmungsstrategische Dokumente und ihre Adressaten Unternehmungsleitbilder
2 2 3 7 9 11
12 121 122 123
Crossair (a) DieSituation Die Gründung Anhang
14 14 16 19
13 131 132
Crossair (b) DieSituation Anhang
20 20 29
14 141 142 143 144 145
Lasarray Die Entwicklung Der Markt Das Konzept Die Organisation Anhang
38 38 42 43 45 46
2. Kapitel: Produkt-MarktStrategien
54
21 211 212
Strategie-Findung und Implementierung Bedeutung der prozessualen Betrachtung Inhaltliche Aspekte: Überblick
54 54 58
22 221 222 223 224
Rotag Die Unternehmung Gruppe «Antrieb» Gruppe «Messen» Anhang
68 68 68 72 74
23 231 232 233 234
Tissot(a) Die Geschichte Die Unternehmung Die Zukunft Anhang
83 83 86 93 95
VI
Inhaltsverzeichnis
24 241 242
Tissot (b) Die Situation Die Uhr
104 104 104
25
Tissot (c)
107
26 261 262 263 264 265
Balzers Dünnschichtmetallurgie Produkte Markt Forschung und Entwicklung Anhang
110 110 111 113 115 117
3. Kapitel: Diversifikation
123
31 311 312 313 314 315 316
Ausprägungen der Diversifikation Begriffsklärung Arten der Diversifikation Ziele und Ursachen der Diversifikation Erfolgschancen der Diversifikation Wege zur Diversifikation Vertikale Integration
123 123 124 125 129 131 134
32 321 322 323 324
Ciba-Geigy Entwicklung Der Markt Der Gesprächspartner Anhang
136 136 142 145 151
33 331 332 333 334 335 336 337
Sulzer Rüti Rüti Sulzer Die Übernahme Die Produkte Die Produktion Die Märkte Anhang
162 162 165 167 171 173 174 177
4. Kapitel: Turn-around
189
41 411 412 413 414 415 416
Phasen des Turn-around Übersicht Krise Crash-Programm Stabilisierung Strategische Neuorientierung Abschluß des Turn-around
189 189 191 195 197 198 200
42 421 422
Alusuisse Das Wachstum Die Ertragsprobleme
201 201 202
Inhaltsverzeichnis
423 424 425
Die Wechselbäder Die Wende Anhang
V11
203 205 208
5. Kapitel: Internationales Management
212
51 511 512
212 212
513
Gegenstand und Strategien des internationalen Management Begriff, Besonderheiten und Ursachen Bedeutung politischer Einflüsse und globaler wirtschaftlicher Ungleichgewichte Grundlagen des internationalen Management
213 215
52 521 522 523 524
UHAG (a) Die Entwicklung Der Welthandel Die Unternehmung Anhang
222 222 227 229 234
53 531 532
UHAG (b) Das neue Projekt Anhang
236 236 240
54 Mikron 541 Die Situation 542 Die Unternehmung 543 Der Kunststoffbereich 544 DerMarkt 545 Die Partner 546 Anhang
245 245 245 249 251 253 256
55 Schindler China 551 Die Unternehmung 552 Das Joint-venture 553 Die Entwicklung 554 Anhang
261 261 261 268 272
Literaturverzeichnis
280
Stichwortverzeichnis
284
Vorwort «Unternehmungs-Strategie» oder «Strategisches Management» gehört zu jenen Themenkreisen, welche in Theorie und Praxis eine immer grössere Aufmerksamkeit finden. Einschlägige Fachvereinigungen wurden dann auch in den letzten Jahren allenthalber ins Leben gerufen, besondere Periodika gegründet, und das Angebot an Publikationen aller Art ist sehr vielfältig. Es scheint jedoch, dass die Mehrzahl der verfügbaren Materialien eher theoretisch gehalten ist und wenig Möglichkeiten bietet, das Erlernte auch anzuwenden. Hier sollen mit dem vorliegenden Werk neue Impulse gesetzt werden. Die Fallmethodik erscheint als besonders gut geeignet Studenten und Praktikern einen Überblick über und eine Einführung in den Themenbereich des Strategischen M a n a g e m e n t s zu vermitteln. Diese aus den USA k o m m e n d e Vorgehensweise findet bei uns zwar auch immer mehr Verbreitung, beruht aber meist auf nordamerikanischen Fallstudien. Wir haben uns zum Ziel gesetzt, das Angebot an europäischen Fällen zu vergrössern. Diese Bemühungen haben sich erfolgreich in diesem Buch niedergeschlagen. Die Fallstudien zeigen beispielhaft Ansichten und Vorgehensweisen. Diese sollten j e d o c h nicht als Wertung guter oder schlechter Managementtätigkeit gesehen werden. Der A u f b a u des Buches hilft dem Leser seine «Werkzeugkiste» durch einen aktiven Lernprozess systematisch zu füllen. Dieses schrittweise Vorgehen verspricht eine fundierte Ausbildung der Fähigkeiten und einen hohen Grad der Zufriedenheit. Z u m Schluss noch einige Worte des Dankes: Gedankt sei in erster Linie den Unternehmungen f ü r die erwiesene Geduld und Mühe bei der Hilfe zur Erstellung der Fallstudien und dafür, dass die Studien überhaupt mit Namensangabe publiziert werden können. Sie leisten somit einen wesentlichen Beitrag zur betriebswirtschaftlichen Ausbildung. Unseren Mitarbeitern sei f ü r die wertvolle Unterstützung bei der Erarbeitung und Veröffentlichung des Buches gedankt. Emil Brauchlin
Hans Peter Wehrli
1
Strategisches Management
II
Inhalte des strategischen Management
III
Bedeutung und Entwicklung der Thematik
«Unternehmungs-Strategie» oder «Strategisches Management» gehört zu jenen Themenkreisen, welche in Theorie und Praxis eine immer grössere Aufmerksamkeit finden. So aktuell und zeitgemäss die Idee der strategischen Führung auch ist, so weit zurück lässt sie sich indessen verfolgen. Letztlich geht sie auf zwei Quellen zurück, die in ihr zusammenfliessen. Einesteils haben verschiedene Unternehmungen schon in den ersten Jahrzehnten unseres Jahrhunderts Unternehmungsgrundsätze entwickelt und publiziert, so z.B. die Firma Gebrüder Sulzer in Winterthur, aber auch eine Reihe amerikanischer Firmen. In den USA hat die Harvard Business School diese Entwicklung früh erkannt und die akademische Disziplin «Business Policy» (Unternehmungspolitik) geschaffen. Im deutschen Sprachbereich wird dies oft übersehen. An eben dieser Hochschule hat im Jahre 1962 der Wirtschaftshistoriker Chandler durch sein epochales Werk «Strategy and Structure» den Ausdruck «Strategie» in die Managementliteratur eingeführt. Von verschiedenen Autoren wird unter dem Einfluss von Ansoff (1979) auch darauf hingewiesen, wie der Gedanke der langfristigen Planung zum Konzept des «Strategischen Management» weiter entwickelt worden sei. Die Turbulenzen der 70er Jahre hätten nämlich die Schwächen einer rein extrapolativen Planung nur allzu deutlich werden lassen und eine geistige Neuorientierung gebieterisch gefordert.
/. Kapitel: Strategisches
3
Management
Substanz
A
Strategisches Management
UntemehmungsGrundsätze •>- Zeit 1900
1950
1990
Abb. 11: Quellen des Strategischen Managements
Ethymologisch geht der Begriff «Strategie» auf die griechischen Worte «stratos» (= Heer) und «agein» (= führen) zurück und bedeutet «Kunst der Heerführung, Feldherrenkunst» aber auch «geschickte Kampfplanung». In den 70er-Jahren wurde er immer mehr dem überkommenen Ausdruck «Business Policy» zur Seite gestellt, ja er begann, diesen teilweise zu verdrängen. In einem umfassenden Begriffsverständnis können Unternehmungspolitik und Strategie auch gleichgesetzt werden. Das ist wohl mehr als ein blosser Zufall, nämlich ein Ausdruck der schwierigen wirtschaftlichen Situation dieser Zeit und der damit verbundenen Intensivierung des Wettbewerbs in praktisch allen Märkten der Welt. Mehr und mehr sind die Betriebswirtschafter und Manager dazu übergegangen, ihre sprachlichen Vorbilder weniger im Bereich der Führung der Staatsgeschäfte und der Staatsverwaltung zu suchen als vielmehr in der Kriegskunst. Besonders extremer Vertreter dieser Denkrichtung ist beispielsweise James, ein englischer, in der Schweiz tätiger Manager, welcher das Buch «Business Wargames» (1984) verfasst hat. Aber auch die Amerikaner Quinn und Mintzberg (1988) lieben Kampfund Kriegsbilder, sprechen von Frontal- und Flanken-Angriffen und von Verteidigung.
112
Begriffliche Abgrenzungen
Die zwei Hauptkomponenten des Strategiebegriffes sind das Zeitelement und das Bezugsobjekt. Ihrer ethymologischen Herkunft entsprechend, sind die Ausdrücke Strategie und strategisch stark mit dem Begriffsinhalt «längerfristig» belegt.
4
1. Kapitel: Strategisches
Management
Strategie bildet den Gegensatz zu den täglichen Entwicklungen, zu den «operativen» M a s s n a h m e n und Vollzügen. Insoweit besteht weitgehendste Einhelligkeit. Im einzelnen wird der Begriff indessen durchaus unterschiedlich verwendet. Wir halten uns an das folgende begriffliche Schema.
Zeithorizont
Bezeichnung
lang
Strategische Führung - Leitbild - Konzept - Langfrist-Planung
mittel
- Mittelfrist-Planung
kurz
Operative Führung - Kurzfrist-Planung - Dispositives Handeln
Abb. 12: Stufen-Konzepte des Management
In Hinsicht auf das Bezugsobjekt, also die erfassten «Inhalte» des Strategiebegriffes, kann m a n den Begriff in bezug auf die von einer Unternehmung (bzw. einem ihrer Produktbereiche) angebotenen Produkte/ Dienstleistungen einer Unternehmung, die bedienten Märkte und die verwendeten Technologien verwenden. In diesem Sinn kann m a n den Begriff «Strategie» einem Produkt-Markt-Technologie-Konzept gleichsetzen. Ihm gegenüber stehen die Begriffe Struktur-Organisation, Kultur etc.. In einem umfassenderen Sinn kann man «strategisch» indessen mit längerfristiger Orientierung schlechthin gleichsetzen und auf jeden konkreten Inhalt beziehen. Diese letztere Auffassung haben wir uns zu eigen gemacht. Sie e r m ö g l i c h t eine D i f f e r e n z i e r u n g der S t r a t e g i e e l e m e n t e in f o r m a l e Aspekte (umfassender Charakter, Langfristigkeit) und inhaltliche Aspekte (fundamentale Erfolgsorientierung, inhaltliche Orientierung auf attraktive Tätigkeitsfelder und auf die Positionsstärke g e g e n ü b e r der K o n k u r r e n z ) und führt zu den in der folgenden Abbildung aufgeführten Bezügen.
1. Kapitel: Strategisches
Management
Bezugsobjekt Gesamtuntemehmung
Operationale Einheit/bzw. Geschäftsfeld
1. Managementsystem (Führung der Führung) -
Entscheidungs-«System»
- Organisation - Kultur - Administrative Hilfsmittel 2. Marktleistung - Produkte, Märkte, Technologien - «Kern-Funktionen» (F & E, Marketing, c o •ä 3
Leistungserstellung/ -erbringung 3. Betriebsmittel - Sachmittel - Energie - Finanzen - Informationen 4. Mitarbeiter 5. Weiteres Umfeld - Gesellschaft mit Anspruchsgruppen (stakeholders) - Ökosphäre
Abb. 13: Inhaltliche Bezugsbereiche von Strategien
Wie ersichtlich, unterscheiden wir konsequent zwischen der Gesamtunternehmung und einzelnen Geschäftsbereichen einerseits und zwischen den sich darin stellenden unterschiedlichen Aufgaben andererseits. Wir setzen uns damit be-
5
6
1. Kapitel: Strategisches
Management
wusst in Widerspruch zu den üblichen amerikanischen Darstellungen, welche unterscheiden zwischen: (1)
(2) (3)
corporate strategies (Strategien der Gesamtunternehmung, hauptsächlich auch: gesellschaftsbezogenen Strategien) single business unit strategies (Strategien für einen einzelnen Geschäftsbereich) functional strategies (Strategien für einzelne Funktionsbereiche).
Die von uns vorgenommene differenziertere Darstellung ist erforderlich, weil sämtliche Aufgaben grundsätzlich auf der Ebene sowohl der Gesamtunternehmung wie einzelner Geschäftsbereiche anfallen können. Auch bildet das durch die Boston Consulting-Gruppe so bekannt gewordene Portfolio-Management eine tragfähige Brücke zwischen einer zum Teil auf die Gesamtunternehmung, zum Teil aber auch auf die einzelnen strategischen Geschäftsfelder fokussierenden Betrachtung. Diese aufgabenbezogene Betrachtungsweise erlaubt die Einordnung einer ganzen Anzahl strategischer Problemfelder. Einige wesentliche Entwicklungen der vergangenen Jahre haben allerdings dazu geführt, dass viele strategische Probleme durch eine an den Aufgaben orientierten Systematik nicht oder nur unvollkommen erfasst werden können: Alle jene Fragen nämlich, welche gleichsam quer durch alle funktionalen Aufgaben hindurch eine Unternehmung beeinflussen. Zu erwähnen sind in diesem Zusammenhang: Diversifikationen, Akquisitionen, Verkauf von Unternehmungsteilen und Kooperationen Intemationalisierung und «Globalisierung» der Unternehmungstätigkeit Innovation in den verschiedensten Unternehmungsbereichen Bewältigung von Turn-around-Situationen, d.h. Erzielung einer raschen und nachhaltigen Verbesserung der Ertragskraft einer Unternehmung. Neben der aufgabenbezogenen Betrachtungsweise kann eine weitere Systematisierung möglicher Strategien auf der Grundlage einer inhaltlichen Charakterisierung erfolgen (Rühli 1989):
I. Kapitel:
Strategisches
Management
(1)
Aus der Sicht der Synergien Werkstofforientierte Strategien, Technologieorientierte Strategien, Marktorientierte Strategien.
(2)
Aus der Sicht des Wachstums Expansionsstrategie, Haltestrategie, Konsolidierungsstrategie, Kontraktionsstrategie.
(3)
Aus der Sicht der Integration Vorwärtsintegration, Rückwärtsintegration.
(4)
Aus der Sicht der Kooperation Unabhängigkeitsstrategie, Kooperationsstrategie, Beteiligungsstrategie, Akquisitionsstrategie.
(5)
Aus der Sicht der Breite Konzentrationsstrategie, Breitenstrategie.
(6)
Aus der Sicht des Verhaltens gegenüber der Konkurrenz Aggressionsstrategie, Defensivstrategie.
113
7
Ziele, Möglichkeiten und Grenzen des strategischen Management
Wer «strategisch» denkt und handelt, erhofft daraus für sich, resp. für das von ihm geführte Gebilde, längerfristige Vorteile. Diese Erwartung ruht im wesentlichen auf fünf Pfeilern: (1)
Die Auseinandersetzung mit der Zukunft führt zu durchdachterem, überlegterem Handeln nach dem Grundsatz: Der strategisch (besser) Denkende ist seinem Gegner überlegen.
(2)
Die geistige Befassung mit der Zukunft schützt vor Überraschungen (Effekt von «Sandkastenübungen» im militärischen Bereich) und schärft gleichzeitig den Blick für sich anbahnende Entwicklungen, was dazu führen kann, dass Überraschungen gar nicht erst eintreten.
(3)
Strategisches Denken gibt dem unternehmerischen Handeln auf den Märkten und im Umfeld eine «Richtung», und damit Konsequenz und Energie; es schützt vor Verzettelung und Zersplitterung der Kräfte.
8
(4)
1. Kapitel: Strategisches
Management
In einem mehrpersonalen Gebilde, wie es Unternehmungen sind, findet die eben genannte «Richtung» des (eigenen) Handelns ein Korrelat im Prinzip der «unité de doctrine», dem Gedanken: «Alle ziehen an demselben Strick».
(5)
Eine klare Strategie ist - schliesslich - Voraussetzung f ü r ein klares, eindeutiges externes Erscheinungsbild; sie bestimmt gleichsam Charakter und Persönlichkeit der Unternehmung.
Wie überzeugend diese Überlegungen auch erscheinen m ö g e n , so gilt es doch, auch die Nachteile - und damit rein pragmatisch gesetzte Grenzen - eines strategischen M a n a g e m e n t s zu erkennen. Diese lassen sich in vier Punkten zusammenfassen: (1)
Strategisches Denken setzt mindestens teilweise kalkulierbare Verhältnisse voraus.
(2)
Richtung, Konsequenz und Gradlinigkeit, aber auch die «unité de doctrine» k ö n n e n zu gänzlich unerwünschten Folgen führen. Starrheit, Inflexibilität, geistige Trägheit, mangelnde Anpassungsfähigkeit und fehlende Kreativität können mit fest verankerten Strategien durchaus einhergehen. Zukunftsweisende C h a n c e n werden in solchen Fällen, da nicht zur Strategie passend, nicht genutzt, neue Entwicklungen, weil mit der befolgten Strategie nicht im Einklang stehend, geistig verdrängt, die Vertreter abweichender Meinungen als störend abgekapselt oder ausgestossen.
(3)
Die prägnante Formulierung von Strategien fällt besonders in den diversifizierten Firmen schwer. Entsprechende Versuche enden leicht in äusserst abstrakten Leitsätzen, die deshalb auf sehr viele Firmen zutreffen, wie «Wir möchten technisch führend sein»; «wir verbinden eine hohe Kundenorientierung mit hoher technischer Effizienz».
(4)
Schliesslich sind die Implementierungs- d.h. Realisierungsmöglichkeiten von Strategien zu beachten: In überraschend vielen Fällen k o m m e n einmal in Form von Leitbildern und Konzepten entwickelte und formulierte Strategien k a u m zum Tragen. Ein Bruch entsteht schon beim Übergang von den Konzepten zur längerfristigen Planung mit ihren Budgets und Massnahmeplänen, und noch ausgeprägter beim Übergang zur Kurzfristplanung und zum täglichen dispositiven Handeln.
1. Kapitel: Strategisches
Management
9
Diese Einwände dürfen keinesfalls beiseite geschoben und ignoriert werden. Dennoch halten wir das Argument einer totalen Unberechenbarkeit sämtlicher Entwicklungen auch im Zeitalter von Diskontinuitäten (Drucker 1974) für weit übertrieben. In längerfristigen Überlegungen muss indessen wenigstens die Möglichkeit von Sprüngen berücksichtigt werden. Ebenso ist bei der Ausarbeitung von Strategien auch den übrigen Bedenken Rechnung zu tragen. In diesem Sinne halten wir es für unabdingbar, bereits in einem Unternehmungsleitbild die unternehmerische Flexibilität und Anpassungsfähigkeit (mit ihren Voraussetzungen bzw. Auswirkungen im organisatorischen und personellen Bereich) zu postulieren. Des weiteren müssen die Grenzen von Aussagemöglichkeiten in Dokumenten, die einem breiten Publikum zugänglich sind, klar gesehen werden.
114
Unternehmungsstrategische Dokumente und ihre Adressaten
In den Anfängen der modernen Wirtschaft war die Entwicklung und Realisierung dessen, was man heute als Unternehmungsstrategie bezeichnet, im wesentlichen Angelegenheit des Unternehmers. Er entwickelte seine Strategie und setzte sie durch; es genügte aus diesem Grunde vollständig, wenn er selbst wusste, was er wollte - und wenn er in der Folge konsequent handelte. In der heutigen, grösseren und komplexer gewordenen Unternehmung, mit einer völlig anderen Zusammensetzung der Mitarbeiterschaft, aber auch einer anders gearteten Umwelt als früher, liegen die Verhältnisse wesentlich anders. Der gesamte Prozess der Strategie-Entwicklung und -Realisierung ist anspruchsvoller und differenzierter geworden. Aus diesem Grunde wird er im Regelfall von ganzen Managerteams getragen. Auch die Bedeutung der Mitarbeiter als strategische Ressourcenkategorie wird heute erkannt. Ferner sind immer mehr Unternehmungen dazu übergegangen, ihre Strategien schriftlich niederzulegen und zu dokumentieren (Führungsinstrumente). Parallel dazu mussten sie sich naturgemäss auch Rechenschaft darüber geben, welches die Empfänger bestimmter strategischer Dokumente sein sollen. Eine entsprechende denkbare Systematik sei beispielhaft verdeutlicht:
10
1. Kapitel: Strategisches
Management
Adressaten
Dokument
1.
Zeitlich unbefristet, verbal
1.1 Grundstrategie - Leitbild für Gesamtunternehmung (Vision)
Führungskräfte Mitarbeiter
- Vertiefende Konzepte
Marktpartner
- Evtl. Basisdokument:
Betroffene Führungskräfte
«Hauptstossrichtungen» 1.2 Geschäftsbereichstrategien
Oberste Führungskräfte (obere) Bereichsführung
1.3 Funktionale Strategien - Mitarbeiterführung
Vorgesetzte aller Stufen
" alle übrigen Strategien
ober(st)e Führungskräfte/ Stabsmitarbeiter des Funktionsbereichs
1.4 Allgemeine Richtlinien für Einzelfragen
2.
2.1
Unterschiedliche Empfängerkreise
Zeitlich befristet, verbal und quantitativ Lang- und mittelfristige
obere Führungsebene
Periodenpläne 2.2
Grössere Projektpläne
Abb. 14: Systematik strategischer Dokumente
Projektleitung und vorgesetzte Instanzen
1. Kapitel: Strategisches
Management
11
Die obige Abbildung weist deutlich auf die Vielfalt und die potentiell grosse Anzahl der möglichen Dokumente mit strategischem Charakter hin. Leider wird ihr in der Literatur häufig nicht genügend Rechnung getragen. Im besonderen beschränkt sich diese zu häufig auf die alleinige Darstellung von Unternehmungsleitbildern, zum Teil sicherlich aus dem einfachen Grund, weil diese am leichtesten greifbar sind. Dieser Problematik zum Trotz befasst sich der nächste Abschnitt noch etwas einlässlicher mit dem Unternehmungsleitbild.
115
Unternehmungsleitbilder
Das Management setzt sich vermehrt mit unternehmerischen Visionen auseinander. Diese beinhalten zugleich ein erahntes Verständnis der künftigen realen Lage und ein wegweisendes Selbstverständnis für das Unternehmen in dieser Lage (Rühli 1990). Das Leitbild, ein Idealbild auf realistischer Basis, ist die allgemeine Umschreibung der zukünftigen Unternehmung. Es kann Visionen miteinschliessen und sollte sich auf sämtliche Fragen beziehen, welche für die Unternehmung eine zentrale Bedeutung besitzen. Unternehmungsleitbilder werden zweckmässigerweise anhand einer Check-Liste erstellt. Eine solche Check-Liste zur Formulierung eines Unternehmungsleitbildes ist in der folgenden Abbildung wiedergegeben.
12
1. Kapitel: Strategisches
1.
Management
Leistungsbereich 1. 2.
Eigener Aufgabenbereich Zu bearbeitende Märkte (geographisch, Kundengruppe)
3. 4.
Anzustrebende Marktstellung Produktionsstandorte und produktionstechnische Grundüberlegungen (Automatisierung, Flexibilität usw.)
5.
Innovationstempo und -richtung (mit Bezug auf anzubietende Leistungen, zu benutzende Produktionsverfahren, das Marketing usw.)
6.
Verhalten auf dem Markt (Sortimentsbildung, Qualität, Preise, Absatzkanäle)
2.
Finanzbereich 1. 2.
Gewinnziele und -Verwendung Investitionsgrundsätze
3. 4.
Risikoiiberlegungen
5. 6. 3.
4.
Bilanzstruktur Zusammensetzung des Eigenkapitals Quellen des Fremdkapitals
Fiihrungs-, Organisations- und Personalbereich 1. 2.
Allgemeine Grundsätze der Unternehmungsführung Organisationsgrundsätze
3. 4.
Stellung der Mitarbeiter und Führungsprinzipien Weitere zentrale Fragen der Personalpolitik
Weitere Umwelt der Unternehmung 1. 2.
Beziehungen zu Gewerkschaften Beziehungen zum (zu den) Staat(en), evtl. unter besonderer Be-
3.
rücksichtigung der Länder der Dritten Welt Beziehungen zur und Berücksichtigung von Anliegen der allge-
4.
meinen Öffentlichkeit Berücksichtigung ökologischer Fragen
Abb. 16: Denkbare Inhalte eines Unternehmungsleitbildes
/. Kapitel:
Strategisches
Management
13
Eine immer wieder schwierig zu entscheidende Frage richtet sich auf den Konkretisierungsgrad der Beantwortung der Fragen in der Check-Liste. Je allgemeiner sie gefasst sind, desto länger halten die Aussagen vor, desto weniger geben sie aber auch Hinweise für das Angehen konkreter Problemsituationen. Im konkreten Fall können einer derartigen Systematik die meisten Faktoren entnommen werden, auf welche es in einer Unternehmung tatsächlich ankommt. Welche diese auch immer sind: nicht Vollständigkeit der denkbaren Faktoren muss angestrebt werden, sondern Vollständigkeit der relevanten Aussagen. Ein Firmenleitbild ist d e m z u f o l g e eher mit einem expressionistischen Gemälde und seinem Hervorheben b e s t i m m t e r Konturen zu vergleichen, als mit e i n e m viel nuancierteren impressionistischen Bild. Ein illustratives Beispiel eines sehr kurzen, aber prägnanten Leitbildes einer führenden deutschen Armaturenfabrik:
Charta Zweck unseres Unternehmens ist es, hochwertige Produkte für den sanitären Bereich herzustellen und zu verkaufen sowie Dienstleistungen zu erbringen. W i r wollen u n s e r e K r ä f t e durch Ausrichtung unseres Fabrikationsprog r a m m s darauf konzentrieren, dass wir unsere Produkte unter optimaler Nutzung der Serienfabrikation und zusammen mit unseren Dienstleistungen in bester Qualität auf den Markt bringen. Wir wollen durch unseren Vertrieb weltweit Absatzmärkte erschliessen und dabei genügend Erträge erzielen, um notwendige Investitionen tätigen zu können, alle Risiken zu decken und Gewinne zu erwirtschaften. Wir wollen durch Förderung der Entwicklung neuer und der Verbesserung v o r h a n d e n e r Produkte und Dienstleistungen im R a h m e n eines gesunden W a c h s t u m s unsere f ü h r e n d e Marktstellung ausbauen und darüber hinaus einen aktiven Beitrag an Technik und Wirtschaft leisten. W i r wollen unsere Mitarbeiter leistungsgerecht bezahlen und ihnen eine a n g e n e h m e und durch Aufgeschlossenheit gekennzeichnete Arbeitsatmosphäre s c h a f f e n , die sie ihre Fähigkeiten und Fertigkeiten voll entfalten lässt und ihnen im Eignungsfall die Möglichkeit zum Aufstieg gibt. W i r erachten die Loyalität zu unseren Mitarbeitern, Kunden, Lieferanten, aber auch zu G e m e i n d e n und Staat, als beste Grundlage, unserem Unternehmen einen dauerhaften Erfolg zu sichern.
Abb. 17: Beispiel eines kurz gefassten Leitbildes
14
1. Kapitel: Strategisches
12
Crossair (a)
121
Die Situation
Management
Es war Donnerstag, der 20. Oktober 1977. Der Eiffelturm gleisste in der Abendsonne. Die Douglas DC-9 Super der Swissair, Kurs SR 605, befand sich im Landeanflug. Ihr Captain, Moritz Suter, beschäftigte sich seit längerem mit den Entwicklungen des europäischen Luftverkehrs. Er hatte auch anschliessend Zeit, darüber nachzudenken. Das überdurchschnittliche Wachstum des Luftverkehrs, hier als verkaufte Passagierkilometer (weltweit), unterliegt aufgrund verschiedener Statistiken und Prognosen einer deutlichen Verlangsamung: Periode
1930 1950 1960 1970
-
jährliches Wachstum 49 59 69 79
28% 15% 14% 5-9%
So beurteilte das Eidgenössische Luftamt die Zukunft des Luftverkehrs 1977 wie folgt: Es gibt keine Anzeichen für einen fühlbaren Abbau des Protektionismus, dem im Luftverkehr die meisten Staaten huldigen. Im Gegenteil: Der Wettbewerb als Ordnungsfaktor dürfte noch weiter zurückgedrängt werden. Hauptinstrument der Marktordnungen werden auch in Zukunft die bilateralen Vereinbarungen bleiben (ergänzt durch kommerzielle Vereinbarungen der Unternehmen). Nach dem Rückschlag des Geschäftsjahres 1975 folgte auch für die Swissair eine erfreulichere Entwicklung. 1975 konnte wieder ein Gewinn erzielt werden, während die meisten europäischen Fluggesellschaften defizitär arbeiten. Die Swissair zu den Fragen des Wettbewerbs im März 1977: Die Swissair kann ihr Transportangebot nicht nach Belieben auf die ergiebigsten Verkehrsmärkte ausrichten. Sie muss sich in jenem Rahmen bewegen, der durch die bilateralen zwischenstaatlichen Abmachungen gesetzt ist. Diese gewähren den Liniengesell-
¡. Kapitel:
Strategisches
15
Management
Schäften der zwei beteiligten Länder grundsätzlich den gleichen Zugang zum Markt. Ist die Gesellschaft eines anderen Landes von ihrem Verkehrsanteil nicht befriedigt, so wächst oft der Widerstand gegen den Ausbau der Dienste der Swissair. W i r müssen dann mit unserem Angebot zurückhalten oder werden ausnahmsweise sogar zu einem Abbau gedrängt, obschon die Nachfrage nach unseren Diensten wächst. S o war beispielsweise die Ausdehnung des Liniennetzes der Swissair im Jahre 1976 bescheiden: Oran in Algerien, Dubai und Kuwait im Mittleren Osten. Bereits
1919
wurde die International
Air T r a f f i c
Association
IATA
1
(Vorkriegs-IATA) gegründet. Dieser privatwirtschaftliche Zusammenschluss hat die Entwicklung des Luftverkehrs massgeblich mitgestaltet. Im Jahre 1944 wurde an der Chicagoer Luftverkehrskonferenz die International Civil Aviation Organization I C A O gegründet. Konferenzergebnisse sind das Abkommen über die internationale Zivilluftfahrt (Chicagoer Abkommen), die Vereinbarung über den Durchflug im internationalen Luftlinienverkehr (Transitabkommen) sowie die Vereinbarung über die internationale Luftbeförderung (Transport-Abkommen). Im Konflikt zwischen luftfahrt- und wettbewerbspolitischen Zielen unterlagen letztere: In Artikel 1 wird die Lufthoheit jedes Staates garantiert, Artikel 6 schreibt die Genehmigungspflicht jeglichen Linienverkehrs im Luftraum eines Staates vor, während der Artikel 7 Nationalstaaten ermöglicht, ausländische Unternehmen vom inländischen Luftverkehr auszuschliessen. Der Grundstein vielfältiger Regulierungen im Linienverkehr wurde mit diesen Bestimmungen gelegt, grosse bürokratische Hindernisse für den internationalen Luftverkehr errichtet (Hammes). Anlässlich der Internationalen Zivilluftfahrtkonferenz in Chicago erwogen Vertreter der Luftverkehrsgesellschaften die Gründung eines neuen internationalen Unternehmerverbandes. Bereits am 16. April 1945 wurde in Havanna die Gründungsversammlung eröffnet und am 19. April die Artikel der IATA-Satzung verabschiedet. Primäres Ziel ist, die Förderung von sicherem, regelmässigem und wirtschaftlichem Luftverkehr zum Nutzen der V ö l k e r der W e l t . Die Mitgliedschaft ist offen für Liniengesellschaften aus den Staaten, die der I C A O angehören. Neben den Leistungen der Vereinheitlichung von Vertrags- und Beförderungsbedingungen, der Standardisierung von Beförderungsdokumenten, der Lösung der Versicherungsfragen, ist für Kunden einer Luftverkehrsunternehmung das weltweite Interline-System bedeutungsvoll, da seine Reiseflexibilität erhöht wird. Das sogenannte «Interlining» ist der Verkauf einer zusammengesetzten Strecke,
16
/. Kapitel: Strategisches
Management
die mit verschiedenen Fluggesellschaften abgeflogen wird. Aufgrund der gegenseitigen Anerkennung der Flugscheine kann eine Unternehmung A eine bestimmte Strecke f ü r die Unternehmung B verkaufen. Die Erträge der weltweit koordinierten Tarifstruktur der IATA-Mitglieder werden entsprechend der Teilstrecken auf die einzelne Gesellschaft aufgeteilt (Prorating) und über das IATA-Clearing-Haus verrechnet. Da mit diesem Interline-System die Preise (Tarife) der Verkehrsleistung auf einer bestimmten Strecke für alle Luftverkehrsgesellschaften gleich hoch sein müssen, ist die Preispolitik als Marketinginstrument nur sekundär ein Wettbewerbsinstrument. Die Preispolitik im Luftverkehr verfolgt «deshalb in erster Linie den Zweck, die Kosten zu decken und die Gesamtnachfrage gezielt zu steuern (z.B. mittels Spezialtarifen in verkehrsschwachen Zeiten). Der eigentliche Wettbewerb vollzieht sich hingegen über andere Instrumente, so z.B. über den Kundendienst, über die Abflugzeiten, die Pünktlichkeit, die Sicherheit, usw.» (Hunziker). Zwischen den einzelnen Fluggesellschaften bestehen zusätzlich verschiedene Verkehrspools, primär im Markt «Europa». Diese Pools regeln den Ticketaustausch, das Führen von Drittgesellschaften im eigenen Reservationssystem oder die Gestaltung optimaler Flugpläne. Dabei werden die Erträge der Leistungen der einzelnen Fluggesellschaften aufgerechnet, die Differenzen sind limitiert zu begleichen. In dieser Marktsituation entwickelten sich neue Fluggesellschaften als Zubringer, Ergänzungs- oder Regionalgesellschaften (regional/ commuter airline industry). Seit 1970 weist dieser Bereich der Luftfahrt in den USA ein enormes Wachstum auf und entwickelte sich zu einem integrierten Bestandteil des nationalen Verkehrssystems: «Commuter airlines are those carriers which provide regularly scheduled passenger or cargo Service with aircraft predominantly seating less than 60 passengers or cargo with 18'000 pounds payload or less» (Regional Airline Association). Eine typische Regionalfluggesellschaft operiert in den USA in Reisedistanzen von 100 bis 300 Meilen; nur 30% der Passagiere benützen die 22 grössten Flughäfen der USA; 30% aller Flüge, mehr als 2 Millionen jährlich, werden von diesen Regionalfluggesellschaften durchgeführt. In den USA bestehen rund 200 Regionalfluggesellschaften mit jährlichen Umsätzen von 10 bis 200 Millionen US-S, wobei infolge Unterkapitalisierung viele Gesellschaften eine relativ kurze Lebensdauer haben. 123
Die G r ü n d u n g
Moritz Suter erkannte diese amerikanische Entwicklung. Verschiedene Marktuntersuchungen zeigten, dass auch in Europa ein Bedarf an regionalen Fluglinien besteht. Dieser Regionalflugverkehr (inter- oder transregionaler Verkehr) wird jedoch von den nationalen Gesellschaften nur teilweise wahrgenommen, da sich
1. Kapitel: Strategisches
Management
17
diese in Europa bisher auf w e n i g e V e r b i n d u n g e n mit h o h e r Verkehrsdichte (Passagiere und Fracht) konzentrierten. Gegenüber den U S A tritt in Europa eine land- und seegebundene Konkurrenz auf, wobei die stark subventionierten Eisenbahnen G r o s s r ä u m e relativ schnell und häufig miteinander verbinden. Andererseits zeigten bereits 1971 Untersuchungen, dass für Distanzen um 600 k m etwa 8 0 % der G e s c h ä f t s r e i s e n d e n das F l u g z e u g b e n u t z e n w ü r d e n . Moritz Suter notierte zur Marktsituation: « O f t fallen regionale Flugverbindungen unter den Tisch, und zwar mit dem Segen der Regierungen. Marktanalysen hin oder her». D e m g e g e n ü b e r k ö n n t e der R e g i o n a l f l u g v e r k e h r als E r g ä n z u n g b e s t e h e n d e r europäischer Flugverbindungen betrieben werden. Die regionalen Marktnischen bringen einer nationalen Fluggesellschaft (national carrier) dank diesen Zubring e r f l ü g e n A n s c h l u s s v e r k e h r und ermöglichen den regionalen G e s e l l s c h a f t e n w i e d e r u m einen Mehrverkehr. Im Vordergrund steht so f ü r eine Regionalfluggesellschaft die Koordination mit einer bestehenden nationalen Gesellschaft. Bereits im Februar 1975 wurde von Moritz Suter die «Business Flyers Basel AG» mitbegründet. Hauptfinancier war ein mittelständischer aber begüteter Unternehmer, der das Basler Tram und den Luftverkehr liebte. So auch der N a m e der Gesellschaft: Business Flyers Basel BFB entspricht beinahe dem Logo der Basler Verkehrsbetriebe B V B . Das Gründungskapital betrug SFr. 115'000 und die Tätigkeit bestand in der Vermietung von kleineren Flugzeugen, Taxiflügen und der Pilotenschulung. In Kenntnis der amerikanischen Marktsituation und der Gründung von erfolgreichen Regionalfluggesellschaften wurde die Frage der A u f n a h m e des regionalen Flugverkehrs, verbunden mit einer Namensänderung, geprüft. Das E i d g e n ö s s i s c h e L u f t a m t forderte einen B e d ü r f n i s n a c h w e i s , der von der Business Flyers AG erbracht werden musste. Die Klärung der Marktsituation war nicht einfach, da Erfahrungswerte fehlten. Aufgrund der Verkehrsstromstatistik wusste man, dass beispielsweise 7'000 Passagiere jährlich von Zürich über Frankfurt nach Nürnberg flogen oder dass die durchschnittliche Sitzplatzbelegung von Zürich nach Innsbruck 30-35 Passagiere war. Es zeigten sich erste Liberalisierungstendenzen im europäischen Flugverkehr, die insbesondere f ü r Flugzeuge bis zu 50 Sitzplätzen einen leichteren Marktzugang ermöglichten. Diese Situation traf allerdings f ü r die Schweiz nicht im gleichen Masse zu (Protektionismus durch ausländische Bewilligungen, insbesondere Frankreich und Italien). Neben der Frage der Flugzeugwahl (Anforderungen: 20 Plätze und Druckkabine) und des Finanzierungskonzeptes (angestrebtes Finanzierungsverhältnis EK/ FK 1:1) ergaben sich noch rechtliche Aspekte einer A u f n a h m e des Linienflugverkehrs: das Bundesgesetz über die Zivilluftfahrt von 1948 bestimmt in Art. 103,
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1. Kapitel: Strategisches
Management
dass «Linienverbindungen, deren Führung vom Eidgenössischen Verkehrs- und Energiewirtschaftsdepartement als im allgemeinen Interesse liegend erklärt wird», von «einer gemischtwirtschaftlichen schweizerischen Luftverkehrsgesellschaft» betrieben werden, an welcher sich die Eidgenossenschaft finanziell beteiligt. Die Zielsetzung dieses Artikels war, eine Aufsplitterung des Luftverkehrspotentials und der schweizerischen luftverkehrspolitischen Interessen zu verhindern. Auch die Swissair hat verschiedentlich Marktstudien zum Regionalflugverkehr veranlasst. Die Zeit für eigene Aktivitäten schien bis 1977 nicht reif gewesen zu sein. Insbesondere zeigte sich, dass die Swissair auf all ihren Strecken relativ grosse Marktanteile besass und daher ihre Verhandlungsposition in bilateralen Abkommen relativ schwach war. Ebenso würde der Regionalflugverkehr für die Swissair eine Verschlechterung ihrer Poolresultate bedeuten, da rein schweizerische Verkehrsleistungen (Passagiere/ Fracht), beispielsweise die Linie Genf Zürich, in den Verkehrspool eingebracht werden müssten, die Erträge jedoch allein der Swissair zustehen. Obwohl die Swissair gegenüber ihren Tochtergesellschaften nicht dieselbe Unternehmungspolitik verfolgt, zeigten sich auch von der Produktionsseite mögliche Grenzen, beispielsweise aufgrund der Pilotensaläre (Kostenstruktur). Mit dieser Vielfalt von Informationen, einigen Ideenskizzen und den noch offenen Fragen der Finanzierung und Ausstattung einer schweizerischen Regionalfluggesellschaft betrat Moritz Suter im Frühling 1978 das helle Büro des Direktionspräsidenten der Swissair in Zürich/ Kloten.
1. Kapitel: Strategisches
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Management
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Anhang
(1) Verkehrsströme im europäischen Linienverkehr 1976/ 1977
Abfliegende Passagiere
Zürich 1976
Basel
Genève 1977
1976
1977
1976
1977
Belgien
51'086
55*688
59*960
66*962
6*586
7*029
Dänemark
39'463
40*802
15*934
19*175
3*295
3*239
97*293 104*941
19*621
20*403
3*762
1*424
1*249
168*259 175*065 301*369 322*321
76*440
77*609
Deutschland (BRD) Finnland Frankreich Griechenland Grossbritannien Holland Irland Italien Jugoslawien Norwegen Österreich
390'200 424*240 17*661 51*454
18*661
3*856
37*802
5*489
4*709
216*240 229*644 167*657 171*000
36*558
34*927
53*961
30*080
92*464
98*050
40*094
40*681
5*463
5*399
6*271
7*219
3*821
4*824
512
568
149*888 155*807
80*521
91*968
11*575
10*866
1*448
1*553
51*761
53*498
3*431
3*850
16*020
16*957
7*549
9*330
1*201
1*180 6*753
15*710
17*801
5*984
Polen
15*531
16*673
4*121
4*599
965
763
Portugal
27*419
34*228
16*676
19*316
2*278
2*652
Rumänien
12*046
12*147
1*058
1*217
257
278
Schweden
43*821
44*184
14*406
13*838
3*424
3*009
102*064 112*329 103*325 112*924
10*748
10*624
Spanien Tschechoslowakei
132*658 141*768
19*956
21*353
2*236
2*270
731
739
Türkei
55*501
63*274
18*983
21*118
3*511
2*931
Ungarn
24*999
27*421
2*775
2*977
797
1*126
UdSSR
14*099
13*232
4*319
4*789
282
339
4*680
9*158
2*765
3*119
402
620
Übrige Länder
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I. Kapitel: Strategisches
13
C r o s s a i r (b)
131
Die Situation
Management
Die Mitglieder des Verwaltungsrates und die Geschäftsleitung der Crossair, der Aktiengesellschaft für europäischen Regionalflugverkehr, trafen sich zur monatlichen Aussprache im Vorfrühling 1986 in Lugano-Agno. Der Delegierte des Verwaltungsrates und Direktor, Moritz Suter, orientierte die Anwesenden ausführlich über die derzeitige Situation der Crossair und ihre strategischen Probleme: «Erneut dürfen wir ein erfolgreiches Geschäftsjahr erwarten. Auch sind die Aussichten für das Jahr 1986 sehr günstig. Es scheint, dass wir die vielfältigen Turbulenzen überwunden haben. Sie erinnern sich: Im Dezember 1978 erfolgte die Namensänderung von zu und die Erhöhung des Aktienkapitals auf SFr. 1 Mio.. Die Gesellschaft hat ihren Sitz in Basel und eine Zweigniederlassung im Flughafen Zürich-Kloten. Der wesentliche Schritt unserer Geschichte fand am 2. Juli 1979 statt: der Schritt vom bisherigen Lufttaxibetrieb zur Linien-Fluggesellschaft. An diesem Tag erfolgte der erste Linienflug einer Crossair-Maschine: Zürich-Nürnberg. Das Eidgenössische Verkehrs- und Energiewirtschaftsdepartement E V E D erteilte uns eine provisorische Linienkonzession. Unsere bisherigen Aktivitäten erforderten ja nur eine Betriebskonzession. Das erste der am 18. Januar 1979 bestellten Kleinverkehrsflugzeuge Swearingen Metroliner II traf am 1. Juni in der Schweiz ein, das zweite am 19. Juli. Bereits am 9. Juli konnten wir mit der Swissair Zusammenarbeitsverträge abschliessen, die, unter Wahrung der gegenseitigen Unabhängigkeit, insbesondere die Integration unseres Angebotes in das weltweite Reservationssystem der Swissair und die Abfertigung unserer Flüge durch die Swissair beinhalten. Seit dem 1. August ist die Crossair Mitglied des der International Air Traffic Association IATA. Darunter versteht man den Verkauf einer zusammengesetzten Strecke, die mit verschiedenen Fluggesellschaften angeflogen wird. Eine Gesellschaft A kann eine bestimmte Strecke f ü r die Gesellschaft B verkaufen und wird damit zu deren Agent. Die Erträge werden entsprechend der Teilstrecken aufgeteilt und über das IATA-Clearing-Haus verrechnet. Anfang Dezember reichten wir beim Bundesamt für Zivilluftfahrt das Gesuch zur Erteilung neuer Linienkonzessionen ein, nämlich nach Basel, Bern, Lugano, Hannover, Düsseldorf, Paris, Lyon, Mailand, Turin und Venedig.
1. Kapitel: Strategisches
Management
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In der relativ kurzen Zeit erreichten wir eine Auslastung von 57.4% bei der Linie nach Nürnberg, 53.9% nach Klagenfurt; leider nur 28.7% nach Innsbruck. Die Auslastung von 31.2% nach Luxemburg entsprach ebenfalls nicht unseren Erwartungen. Bis Ende Jahr flogen mehr als lö'OOO Passagiere mit uns, bei einem Umsatz von SFr. 4.6 Mio, einem Verlust von rund SFr. 300'000 und 28 Mitarbeitern. Am 12. Februar 1980 unterzeichneten wir Verträge z u m Kauf des neuen Flugzeugtypes S w e a r i n g e n Metroliner III, der sich insbesondere durch stärkere, leisere und wirtschaftlichere Triebwerke, einer erhöhten Reichweite und Nutzlast auszeichnet. Im Mai 1980 erhöhten wir das Aktienkapital von inzwischen SFr. 4 Mio. auf SFr. 8 Mio.. Es erfolgte die Ablieferung des dritten Metroliner II und am 1. November n a h m e n wir den regelmässigen Linienverkehr zwischen Lugano und Zürich sowie Lugano und Genf auf. Ein Jahr später hatten wir bereits 25'000 Passagiere, für das Jahr 1985 erwarten wir mehr als 125'000, von und nach Lugano. Von den täglich mehr als 600 Passagieren sind 70-80% Geschäftsreisende, abgesehen von den Flügen von und nach Venedig, wo rund 50% der Passagiere Touristen sind. Leider können wir die Industriemetropole Turin immer noch nicht anfliegen, da die Alitalia befürchtet, wir würden ein zu starker Zubringer f ü r die SwissairFlüge ab Zürich-Kloten. Die Marktposition in Lugano wurde seither ausgebaut: Das Mitte September 1985 eröffnete Verkaufsbüro im Grand Hotel Villa d'Este in Cernobbio (Como), in einem international sehr bekannten Luxushotel, erweitert unsere Möglichkeiten. Wir versprechen uns eine weitere Z u n a h m e der Anschlussflüge, denn wir fliegen täglich von Lugano nach Zürich (8 Flüge), Genf (5 Flüge), Basel (1 Flug), Bern (2 Flüge), Paris (2 Flüge, noch verlustbringend), Nizza (1 Flug) und Venedig (2 Flüge). Wir erwarten bei diesen Strecken für 1985 ein Frachtvolumen von mehr als 100 t (1984: 96 t). Ein Vorteil des regionalen Ergänzungsflugverkehrs zeigt sich im Vergleich der Reisezeit zwischen Lugano und Genf: Flug etwa 50 Minuten, Bahn ca. 8 Stunden und Auto ca. 4 Stunden. Die Vorteile f ü r Geschäftsreisende sind offensichtlich. Diese Verkehrsleistungen führen zum heutigen Einsatz der bekannten Metroliner III und neuerdings des neuen Saab-Fairchild 340 Cityliner. Diese Entwicklung ist u m s o erfreulicher, als die Schweizerischen Bundesbahnen wegen des Verkehrs Basel-Lugano immer noch grosse Bedenken haben. Ebenso entsprechen die Verhältnisse im provisorischen Abfertigungsgebäude Lugano-Agno nicht den Anforderungen heutiger Flugpassagiere. Trotz dieser beachtlichen Erfolge streben wir eine höhere Abgeltung unserer Leistungen bei Anschlussflügen an: Bei einem Flugbillett Lugano - Zürich - New York erhalten wir f ü r unsere Verkehrsleistung a u f g r u n d der derzeitigen vertraglichen R e g e l u n g e n 88% des N o r m a l t a r i f e s L u g a n o - Zürich und nicht den sonst üblichen Anteil am Gesamttarif Lugano -
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1. Kapitel: Strategisches
Management
New York. Eine Z u n a h m e der Passagiere mit Anschlussflügen erhöht einerseits unsere Auslastung der angebotenen Sitzplätze, bewirkt andererseits aber ertragsmässige Einbussen, die unsere Linienerfolgsrechnung verschlechtern. Die Gewinnorientierung bleibt aber primär. W a r das Jahr 1981 v o n einer weiteren Kapitalerhöhung auf SFr. 16 Mio. und einer sehr starken U m s a t z z u n a h m e (+86%) geprägt, begann das Jahr 1982 konfliktgeladener: A m 7. Januar teilte uns die Swissair mit, dass sie . Sie beabsichtige, diese beiden Linien in Zusammenarbeit mit der Deutschen Lufthansa v o m 29. März an zu betreiben. Es war die Lufthansa, welche die Linien übernehmen wollte und der Swissair hier eine Zusammenarbeit vorschlug. Wie man diese W o c h e der Neuen Zürcher Zeitung entnehmen konnte, will die Lufthansa vermehrt am Regionalluftverkehr teilhaben und fördert ihre Tochter DLT, an deren Stammkapital sie mit 40% beteiligt ist; die Aktiengesellschaft für Industrie und Verkehrswesen A G I V hält die restlichen 6 0 % . Im Rahmen ihrer Flottenerneuerung legte sich die D L T auf zwei Grössen fest: ein fünfzigplätziges Flugzeug (Fokker F-50) und ein dreissigplätziges, die Embraer 120 Brasilia. Dieses Flugzeug gehört zu den schnellsten seiner Klasse und soll auch im kommenden S o m m e r 86 nach britischen Reisezielen und nach Sardinien eingesetzt werden. Die Fokker F-50 ist ein noch unerprobter Turboprop-Hochdecker. Er fliegt billiger als ein Jet und kostet mit rund 145'000 US-$ pro Sitzplatz (einschliesslich der Ersatzteile) vergleichsweise wenig. Mit einer Marschgeschwindigkeit von 532 km/h wird der Tempoabstand zum kleinsten Lufthansa-Jet Boeing 737, der 856 km/h erreicht, geringer und die Zeitdifferenz reduziert sich im Regionalverkehr mit der Fokker F-50 auf ein Minimum. Von beiden Flugzeugtypen hat die DLT, sie beförderte 1984 mehr als 340'000 Passagiere und hatte einen Umsatz von D M 62 Mio., j e sechs Stück bestellt. Nach Aussagen von Lufthansa-Vorstand Reinhardt Abraham sieht die Lufthansa in den unterschiedlichen Marktsegmenten bis zum Jahr 2 0 0 0 ein W a c h s t u m zwischen zwei und sechs Prozenten. Dies mit der Begründung, dass die Wachstumsraten im Luftverkehr immer über dem Durchschnitt liegen: der Welthandel und damit die Geschäftsreisen n e h m e n zu, und auch in Zeiten der Rezession wächst der Tourism u s kräftig. Auch die zweitgrösste deutsche Regionalfluggesellschaft, der Nürnberger Flugdienst N F D , scheint im Aufwind: wurden 1980 noch lO'OOO Passagiere befördert, waren es 1985 mehr als 1 lO'OOO. Ein kleines Detail: die Lufthansa nahm den NFD nicht in ihr weltweites Reservierungssystem auf, die niederländische K L M zeigte
l. Kapitel: Strategisches
Management
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sich hier entgegenkommender. Untersuchungen dieser Gesellschaft zeigen, dass die meisten Geschäftsreisenden 300 bis 650 km zurücklegen, Touristen hingegen mindestens 1'200 km. Auch dieser Regionalfluggesellschaft bereiten die Flughafengebühren besondere Sorgen, nicht nur die Lande- und Abstellgebühren, sondern auch die Abfertigungsgebühren und der Zwang zur Inanspruchnahme von Abfertigungsagenten und -geraten, die auf die Bedürfnisse der grossen Gesellschaften zugeschnitten sind. Nach diesem Exkurs in die Gegenwart, die Situation 1982: In der Neuen Zürcher Zeitung vom 8. Januar 1982 war zu lesen, dass der Verlust der beiden Linien nach Hannover und Nürnberg als Rückgrat der Crossair schwerwiegende wirtschaftliche Konsequenzen hätte. Es ist nicht zu verneinen, dass in dieser David-GoliathSituation die Swissair einem hohen öffentlichen Druck ausgesetzt war, wir die beiden Linien zwar verloren, aber mit der Swissair die Ihnen bekannte Vereinbarung ausgearbeitet haben. Diese wurde am 12. Februar 1982 unterzeichnet und wir erreichten damit neben einer finanziellen Abgeltung eine Regelung der Marktleistungen: die Crossair beschränkt sich auf den Einsatz von Flugzeugen bis zu maximal 40 Sitzplätzen; die Swissair überlässt den Betrieb der möglichen Strecken, welche durch das EVED konzessioniert sind, der Crossair und stellt ihr das weltweite Reservationssystem gegen finanzielle Abgeltung zur Verfügung. Wir sind uns bewusst, dass ein solches Reservationssystem kombiniert mit dem Abfertigungssystem, ein tragendes Element im Marketing einer Fluggesellschaft ist, insbesondere für die langfristige Marktdurchdringung. Im selben Jahr schütteten wir erstmals eine Bardividende von 4% aus, obwohl wir seit 1980 einen Gewinn ausweisen. Die eher konservative Abschreibungspolitik, durchschnittlich sieben Jahre für ein Flugzeug wie Metroliner III, behalten wir bei. Im November 1982 erfolgte eine weitere Kapitalerhöhung auf SFr. 25 Mio.. Mittels einem Prospekt traten wir erstmals ans Publikum. Jedoch in eigenem Risiko, da die neuen Aktien von keinem Bankenkonsortium übernommen wurden. Im November 1983 führten wir wiederum eine Kapitalerhöhung durch; diese wurde erstmals von den führenden Schweizer Banken vollständig übernommen. Rund 3/4 unserer Mitarbeiter sind Aktionäre. Bereits am 3. Oktober erteilte uns das EVED eine definitive Konzession für die Dauer von sechs Jahren und für Flugzeuge mit höchstens 40 Plätzen. Unser Linienverkehr, der bis dahin rechtlich gesehen Versuchscharakter hatte, wurde so Teil der schweizerischen Verkehrspolitik. Unsere betrieblichen Anstrengungen bewirkten eine Reduktion der Gesamtkosten pro transportiertem Passagier von SFr. 254 im Jahre 1979 auf SFr. 180 im Jahre 1983. Die Erträge pro Linienpassagier bewegten sich im selben Zeitraum in den
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1. Kapitel: Strategisches
Management
Bereichen zwischen SFr. 201 und SFr. 235. W i r konnten die durchschnittliche Sitzplatzbelegung auf 57% erhöhen, mussten aber die Bedienung von Klagenfurt aufgrund einer von der Austrian Airlines A U A bei den österreichischen Behörden erwirkten V e r f ü g u n g auf ein Kurspaar pro Tag reduzieren. Ebenso haben wir uns aus d e m Bereich Taxiflug zurückgezogen, dies entsprechend unserer l a n g f r i s t i g e n Z i e l s e t z u n g e n . Der C h a r t e r v e r k e h r ist e r t r a g s m ä s s i g um 8 0 % zurückgegangen: von SFr. 1.7 Mio. auf SFr. 0.33 Mio.. Die Ursache waren ungenügende freie Kapazitäten unserer Flotte, von der wir den letzten Metroliner II verkauften. Eine in diesem S o m m e r durchgeführte Passagierbefragung zeigt, dass 73% unserer Passagiere g e s c h ä f t l i c h u n t e r w e g s sind, 4 5 % jährlich 3 - 2 0 mal mit der Crossair fliegen, 30% studiert haben und 45% zwischen 41 und 60 Jahre alt sind. Diese Daten zeigen relativ deutlich das Crossair-Marktsegment der Geschäftsreisenden. Im gleichen Jahr vergaben wir Aufträge im Gesamtwert von rund SFr. 16 Mio. an 750 Firmen in der Schweiz und im Ausland, dies ohne neue Flugzeuge, Abfertigung und Treibstoff. Für den Verkauf unserer Tickets bezahlten wir den Reisebüros und den anderen Fluggesellschaften Kommissionen im Betrag von SFr. 3.5 Mio., d.h. 9.3% der damaligen Gesamtkosten vor Abschreibungen von SFr. 38.2 Mio.. Der Höhepunkt dieses Jahres war sicher die von der amerikanischen Fachzeitschrift verliehene Auszeichnung . Die Crossair ist die erste nicht-amerikanische Regionalfluggesellschaft, die diese Auszeichnung erhält. Im Jahr 1984 konnten wir unsere Position weiter stärken, das Streckennetz hatte eine Länge von 4'836 k m und es wurden 15 Städte bedient. Wie aus der Presse zu e n t n e h m e n war, w u r d e 1984 trotzdem das härteste Jahr unserer noch j u n g e n Geschichte. Von den zehn bestellten Saab-Fairchild SF 340 Cityliner, die gesamten Anschaffungskosten beliefen sich auf US-$ 45 Mio., traf das erste Flugzeug nicht wie vorgesehen Mitte April, sondern erst am 6. Juni ein und wurde am 15. Juni erstmals im Linienverkehr eingesetzt. Diese verzögerte Auslieferung erforderte das Einmieten von Flugzeugen anderer Gesellschaften. Zusätzlich traten Störungen an Triebwerken des Saab-Fairchild auf, die technische Modifikationen und ein weiteres Zumieten von Flugzeugen bedingte. Ende November waren die notwendigen Massnahmen abgeschlossen und die Flugzeuge verkehren sehr zufriedenstellend. Die gesamten Mietkosten betrugen SFr. 3.8 Mio.. Diese Kinderkrankheiten sind sozusagen der Preis, den wir als Erstkunde eines neuen Flugzeuges zu bezahlen haben, der Ausgleich f ü r die zahlreichen finanziellen Vorteile. So wurden bis Ende 1984 nur drei, statt der geplanten fünf Einheiten des neuen Flugzeuges abgeliefert.
1. Kapitel: Strategisches
Management
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Die neuen Cityliner waren von Basel aus im Einsatz nach Paris (im Auftrag der Swissair), Düsseldorf (im Auftrag von Swissair und Lufthansa), München, Frankfurt, Brüssel, Genf, Zürich und auf Charterflügen. Im selben Sommer traten wir als erste Regionalflugverkehrsgesellschaft dem Internationalen Verband der Luftverkehrsgesellschaften IATA als Vollmitglied bei. Wir glauben, dass wir, neben der Mitgliedschaft bei der ERA (Organisation Europäischer Regional-Luftverkehrsgesellschaften), mit den IATA-Aktivitäten die Interessen einer vermehrten Integration der Regionalfluggesellschaften ins gesamte Luftverkehrssystem besser wahrnehmen können. Die Crossair hat über die IATA mit mehr als 70 Fluggesellschaften der Welt sogenannte InterlineAbkommen abgeschlossen. Infolge eines tragischen Bauunfalles wurde das neue Wartungszentrum in BaselMulhouse verspätet eingeweiht. Der eigene Wartungsbetrieb, der Umbau einer alten Halle am Flughafen Basel-Mulhouse wurde vom Kanton Basel-Stadt und vom Flughafen Basel-Mulhouse finanziert, umfasst Räume für Werkstätten, Büros und den Borddienst (Catering) sowie die Regionalverkaufsdirektion Basel der Crossair. Die bisher von einer Dritt-Unternehmung wahrgenommenen Wartungen werden wie das Catering in eigener Regie durchgeführt. Unsere Leistungen werden wir zukünftig auch Dritten anbieten, betragen doch die Investitionen in den Wartungsbetrieb rund SFr. 14 Mio.. Zwecks Finanzierung der restlichen fünf Cityliner-Flugzeuge führten wir im letzten Jahr eine weitere Kapitalerhöhung durch, die vom Kapitalmarkt gut aufgenommen wurde. Zu den rund 3'000 Aktionären zählen sechs Kantone (BL, BE, GE, JU, TI und ZH), die Städte Zürich und Luzem sowie die Schweizerischen Bundesbahnen SBB und weitere öffentlich-rechtliche Körperschaften mit zusammen rund 10% des Aktienkapitals von SFr. 80 Mio.. Ein weiterer Finanzbedarf entstand durch die Absicht, 5-6 Metroliner zu behalten, und nicht, wie ursprünglich vorgesehen, alle 9 Metroliner III zu verkaufen. Das ausgewogene Verhältnis zwischen Eigen- und Fremdkapital wollen wir beibehalten. Infolge der Triebwerkprobleme beim Saab SF 340 Cityliner wurden wir 1985 von zwei kürzeren Flugverboten für diese Maschinen, verfügt vom schweizerischen Bundesamt für Zivilluftfahrt (BAZL), betroffen. Am Donnerstag 20. März 1986 übernahm die Crossair in Linköping (Schweden) die zehnte und letzte Saab-Fairchild SF 340 Cityliner, die Einheit 49. Wir hatten uns weltweit als erste Gesellschaft für diesen Flugzeugtyp entschieden. Die skizzierten Hauptprobleme sind gelöst, einzig das Triebwerk des US-Herstellers General Electric gilt es noch zu optimieren. Zu diesem Zeitpunkt lagen der Saab über 90 Bestellungen für diesen Flugzeugtyp vor, dies trotz der anfänglichen
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1. Kapitel: Strategisches
Management
Unsicherheit durch das Aussteigen des Joint-Venture-Partners Fairchild USA und der Verlegung der Tragwerkproduktion nach Schweden. Die Crossair fliegt derzeit nach 17 Destinationen in acht Ländern, eine Ausweitung ist nicht geplant. Eine Ausnahme ist Tirana (Albanien), das im Auftrag der Swissair ab Mai zweimal in der Woche angeflogen wird. Ausser osteuropäischen Gesellschaften fliegen bis jetzt nur die griechische Olympic Airways nach Tirana. Es scheint aber, dass die albanische Botschaft vorerst nur Gruppenvisa ausstellen wird. Der Swissair-Direktionspräsident Robert Staubli in einem Interview im TagesAnzeiger am 16. Dezember 1985: c oo r— m >o es 3s" t— óoo^o i m vi vo F 1— 1 Ôs T—1öCS
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2. Kapitel: Produkt-Markt
Strategien
Die Tissot bewegte sich bisher in einem Preissegment von durchschnittlich SFr. 500. W a r e n die Billiguhren, meist LCD-Uhren (Liquid crystal diodes) von Elektronikunternehmungen wie Texas Instruments, Inc., keine primäre Konkurrenz m e h r f ü r Tissot, so konnte diese gleichzeitig durch die Idee der «integrierten U h r » W e t t b e w e r b s v o r t e i l e erzielen. W ä h r e n d die j a p a n i s c h e n Hersteller das Uhrwerk und das Gehäuse noch separat produzierten und anschliessend montierten, wurden mit der schweizerischen Technologie Werk und Gehäuse als Einheit entwickelt und produziert. Dieser schweizerische Wettbewerbsvorteil sollte sich langfristig in den traditionellen C- und B-Segmenten auszeichnen. Stellte die ETA SA 1970 mit mehr als 12'000 Mitarbeitern etwa dreissig Millionen Schablonen her, die dann von den Uhrenfabriken zu fertigen Uhrwerken zusammengestellt wurden, so produzierte sie 1986 rund acht Millionen Schablonen, davon die Hälfte f ü r m e c h a n i s c h e W e r k e , rund s i e b e n u n d z w a n z i g Millionen fertige W e r k e und mehr als zwölf Millionen Swatchs. Dabei wird unter Schablone die Gesamtheit der nicht montierten Teile eines Uhrwerks verstanden (ohne Zifferblatt und Zeiger). O b w o h l sich der Durchschnittspreis eines nach Hongkong exportierten japanischen Quarzwerkes von SFr. 11.00 (Mai 1985) auf SFr. 8.00 (September 1986) reduzierte, erzielte die ETA im Geschäftsjahr 1986 mit ihren Uhrwerkstypen, von der Exoline (3.25 m m hoch, Preis unter SFr. 8.00), der Flatline (ab 1.8 m m , Preis zwischen 45 und 50 Franken) und den Luxusmodellen (superflach 0.98 m m ) G e w i n n e . Die Uhrwerke entwickelten sich zur reinen Massenware, wo Citizen, Seiko und die ETA den Weltmarkt beherrschten. Noch bedeutungsvoller als die Konkurrenz zwischen den Herstellern, die japanischen U n t e r n e h m u n g e n produzierten jährlich rund l'OOO neue Modelle, war jedoch der Zugang zum Distributionskanal. In den Hauptmärkten von Tissot, d.h. in der Bundesrepublik Deutschland, in Frankreich, Italien, Spanien, England und der Schweiz, wurden traditionell 50% der Uhren über den Fachhandel abgesetzt: Image/ Technologie A Fachhandel
Warenhaus
Kioske/ Tankstellen 1 150
1 400
^
Preis in SFr.
2. Kapitel: Produkt-Markt
Strategien
93
Die europäischen wie amerikanischen Warenhäuser waren vermehrt an der Marke «Tissot» interessiert. Eine verstärkte Positionierung von Tissot in diesem Kanal war noch o f f e n . Marktforschungen zeigten jedoch, dass 7 0 - 8 0 % der Uhrenkäufer, Trend-Uhren wie Swatch ausgenommen, ohne vorherige Markenvorstellung eine Uhr kauften. In einer globalen Betrachtung orientierten sich die Europäer an den Marken, ebenso die Asiaten, sofern es ihnen kaufkraftmässig möglich war, und in den USA überwiegten die Käufer von Kopien. All diese Aspekte verstärkten die Konkurrenz am Verkaufspunkt. Dieser Situation begegneten viele Hersteller mit verbesserten Konditionen für den Handel, was bei vielen Händlern zu einem «Sammeln» von Uhrenmarken führte und die Positionierung einer Marke am Verkaufspunkt erschwerte.
233
Die Zukunft
Im November 1985 sah Francois Milliet, Verwaltungsratspräsident der S M H , folgende Herausforderungen für die SMH: die Mikroelektronik als strategische Unabhängigkeit der Uhrenindustrie die Senkung der Herstellkosten, da die Marktstellung bei Endverkaufspreisen von SFr. 80 bis 250 noch eine Hauptschwäche ist Vergrösserung des Marktanteils und Verbesserung der Rentabilität in der oberen Preisklasse Sicherung der hohen Produktions- und Absatzmengen in der unteren Preisklasse. Pierre Arnold, Delegierter des Verwaltungsrates der SMH, ergänzend: «Die notwendige geistige Flexibilität und die notwendigen Mittel sind vorhanden, um neue Probleme rasch zu erkennen und die notwendigen Massnahmen einzuleiten. Mit Zuversicht kann in die Zukunft geblickt werden. Die Zeichen stehen günstig, so günstig wie schon lange nicht mehr: Nutzen wir sie!» Doch Ernst Thomke bezeichnete die Situation der schweizerischen Uhrenexporte im ersten Halbjahr 1986 als «sehr gedämpft». Der wertmässige Export von Schweizer Fertiguhren erreichte SFr. 1.59 Mrd., was gegenüber dem ersten Halbjahr 1985 ein Rückgang von 2.4% bedeutete; dieser Exportwert entsprach einer Menge von 13.6 Mio. Uhren bzw. einem Zuwachs von 19.4%. In einer Zeitungsnotiz: «Sicher scheint bloss, dass der Zuwachs der Arbeitsplätze in der Uhrenindustrie bereits wieder gestoppt werden dürfte. Die währungsbedingten Absatzprobleme gehen nämlich mit einer weiteren, immer deutlicher spürbaren Rationalisierung der Produktion einher». Und der SMH-Konzern beschloss Ende August 1986, die jährliche Europäische Uhren- und Schmuckmesse in Basel nicht mehr
94
2. Kapitel: Produkt-Markt
Strategien
zu beschicken; die eingesparten finanziellen Mittel von mehr als drei Millionen Franken sollten für ein umfassendes Händler-Marketing eingesetzt werden. Im gleichen Jahr verdeutlichte der japanische Uhrenkonzern Citizen, neben Seiko der grösste Uhrenhersteller der Welt, seine Diversifikationsstrategie, da im Uhrenbereich die erwarteten Zuwachsraten nur drei bis fünf Prozent betragen. Erreichte 1985 der Anteil der Uhrenproduktion am Gesamtumsatz von 1.8 Milliarden Dollar noch rund 70%, so soll bereits 1988 der Uhrenanteil auf 50% reduziert und die Bereiche der industriellen Automation und Büroautomation auf je 25% ausgebaut werden, dies bei einem angestrebten Jahresumsatz von 3 Milliarden Dollar. Bei der SMH erzielte der in der Technocorp zusammengefasste Nichtuhrenbereich bei einem Konzernumsatz von SFr. 1.8 Mrd. (1985) einen Aussenumsatz von rund SFr. 300 Mio. und einen Beitrag zum operativen Konzerngewinn von etwa 15%. Dieser Beitrag dürfte mehrheitlich von der seit Jahren erfolgreichen Renata AG (Herstellung von Miniaturbatterien) stammen. Die weiteren Unternehmungen dieses Konzernbereichs befassten sich mit Lasersystemen, Frequenzgeneratoren für ultrapräzise Atomuhren, Kleinroboter für Montage-Operationen u.ä..
2. Kapitel: Produkt-Mark!
234 (1)
Anhang Organisation der ASUAG-SSIH 1984
Swiss Timing
Strategien
95
96
2. Kapitel: Produkt-Markt
Strategien
(2)
Organisation der SMH 1985
Elektronische Komponenten und Systeme
2. Kapitel: Produkt-Markt Strategien
(3)
97
Organigramm Tissot 1986
Osten/ Asien (4) 1837
Entwicklungen der schweizerischen Uhrenindustrie Erfindung des Bügelaufzuges mittels Krone
1844
Verbesserung des Bügelaufzuges
1868
Auszeichnung der Roskopfuhr an der Weltausstellung in Paris
1924
erste Stossicherungen für Armbanduhren
1926
erste wasserdichte Serienarmbanduhr
1931
erste Serienarmbanduhr mit Automatikaufzug
1952
erste elektrische Uhr
1960
erste elektronische Uhr
1967
erste Quarz- Armbanduhr der Welt
1970
Prototyp einer Hochfrequenz-Quarzuhr
1972
erste «solide State» Uhr mit LCD-Anzeige ( L C D = Liquid Crystal Display)
1973
Prototyp einer Uhr mit Anzeige durch Elektrochemie Prototyp einer Uhr mit Digital-Regulierung
1975
Produktion einer Hochfrequenz-Uhr mit Digital-Regulierung
1978
Produktion der flachsten Armbanduhr der W e l t (Delirium, Höhe 0.98mm)
1980
Prototyp einer thermisch aufladbaren Uhr
1982
Swatch
1983
Prototyp einer auf die Sprache reagierenden Uhr
98
(5)
2. Kapitel:
Produkt-Markt
Strategien
Daten SMH
Uhrenabsatz in Mio. Stück Veränderung in % in Mio. SFr. Veränderung in % Uhrenwerkabsatz in Mio. Stück Veränderung in % in Mio. SFr. Veränderung in % Uhrenbereich Bruttoumsatz in Mio. SFr. Veränderung in % Nettoumsatz SMH in Mio. SFr. Veränderung in % Cash flow Konzerngewinn Investitionen Mitarbeiter davon Schweiz Mitarbeiter Schweiz Uhrenbereich Bereich Spitzentechnologie Umsatz pro Kopf
1983
1984
1985
3.7
6.2
10.8 +73 719 +13
-
29.5
+67 637
-
31.4 +6 376
35.1 +12 411 +9
-
1113
1'274 +15
1 '454
-9.4 -173 -
12'570 -
-
1 '582
1798
+9
+14
87 27 53
121 60 78
11'293 8'982
11'526 9'173
6'455 2'225
6'527 2'572
115700 140'100 156'000
2. Kapitel: Produkt-Markt
Strategien
99
Uhrenbereich: Omega, Longines, Rado, Tissot, Certina, Mido, Swatch, ETA konsolidiert mit Endura; d.h. die kumulierten Verkäufe der schweizerischen SMH- Gesellschaften. Da die SMH-Gruppe 1983 aus der Fusion der ASUAG mit der SSIH hervorging, sind die Zahlen vor 1983 nicht vergleichbar. Alle Geldwerte in Mio. SFr.
(6)
Verkäufe
Uhren und vollständig oder teilweise zusammengebaute Uhrwerke schweizerischer SMH-Gesellschaften (1985 im Vergleich zu 1984) in den Weltmärkten:
Europa Afrika Mittlerer Osten Femer Osten Amerika davon USA Ozeanien Total
(7)
Stück
1985/84
Bruttoumsatz
1985/84
23'196'207 559'631
10.7% 611.5
670.020 Mio. 11.683
414'646 in41'198 10'114772 5'196'442
-3.5 -6.4 148.5 209.6
135.114 194.725 238.496 163.597
0.8 -11.8 95.3 129.4
498'613 45'924'567
172.3 22.1
23.552 1773.590
96.1 14.5
9.4% 2.5
Weltproduktion Uhren 1960 Menge in Mio. Stück Anteile in Prozent Schweiz Japan Hongkong USA Frankreich BRD
98
1970
1975
1980
1983
174
220
330
370
43.0 7.2
42.0 13.7
32.0 14.0
5.6 8.0
9.7 6.3 4.7
11.5 7.6 4.3
18.4 22.5 18.5 12.5 3.3 2.2
9.3 26.1 35.0 4.0 2.2 1.1
100
(8)
2. Kapitel: Produkt-Markt
Strategien
Weltproduktion Armbanduhren 1974
1984
Mechanische Uhren Elektronische Uhren davon Quarz numerisch Quarz analogisch
225 Mio. Stück 5 Mio. Stück
Durchschnittspreis Detailhandel
100 SFr. pro Stück
205 Mio. Stück 135 Mio. Stück
Anteile Weltmarkt Schweiz
75 SFr. pro Stück
10% 45% 35% 35% 50% 14%
Japan Hongkong/ Asien
m.m. w.m.
(9)
110 Mio. Stück 340 Mio. Stück
m.m. w.m. m.m. w.m. m.m. w.m.
mengenmässig wertmässig
Betriebe und Beschäftigte
1970 1975 1980 1985
Anzahl Betriebe
Beschäftigte
davon Heimarbeiter
1'620 600
89'450 62'560 47'000 32'000
13'400 6*610 2'820 800
2. Kapitel: Produkt-Markt
Strategien
(10) Märkte Schweizerische Uhrenindustrie 1985 Gesamtexporte Mio. SFr. USA Hongkong BRD Italien Frankreich Saudiarabien Japan GB Singapur Vereinigte arabische Emirate Spanien
Anteil in Prozent
Veränderung 1984/85 + 19.9 +13.9 +14.6 +3.2 +11.2 -13.9 +0.2 +20.9 -10.9 + 11.8
790.3 500.6 359.7 342.0 277.8 203.2 197.2 195.2 139.7 93.6
18.3 11.6 8.4
2.0 26.1
+24.6
andere
85.6 1'126.5
Total
4'311.4
100.0
+11.2
7.9 6.5 4.7 4.6 4.5 3.2 2.2
(11) Exportanteile
mechanische Uhren davon Roskopfuhren elektronische Uhren
1975
1985
99% >50% 1%
20% J
SS
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4. Kapitel:
413
Turn-around
195
Crash-Programm
Vordringlichste Aufgabe des Crash-Programms ist es, das Überleben der Unternehmung zu sichern. Dies kann nur durch radikale Eingriffe in die Strukturen und Prozesse der Unternehmung geschehen.
4131 Führungs-/ Personalbereich Die Erfahrung zeigt, dass ein Turn-around kaum je vom selben Management realisiert werden konnte, welches die Unternehmung in die Krise hineingeführt hat. M i n d e s t e n s die Position des S p i t z e n m a n a g e r s m u s s durch eine n e u e , «unverbrauchte» Persönlichkeit besetzt werden. Diese kann neu von aussen zur Unternehmung stossen, oder aber aus der Unternehmung selbst rekrutiert werden. An den neuen Turn-around Manager werden hohe Anforderungen gestellt: Er muss Überzeugungskraft und eine charismatische Ausstrahlung mit Entschlusskraft und der sicheren Beherrschung der unterschiedlichen Instrumente des Managements verbinden. Zu empfehlen ist zumeist eine gleichzeitige Neubestellung des Verwaltungsrates. Weit weniger eindeutige Empfehlungen lassen sich demgegenüber mit Bezug auf die Besetzung weiterer leitender Positionen abgeben: Persönliche Fähigkeitsprofile sind im Einzelfall zu überprüfen, aber auch weitere Überlegungen z.B. über die Grundhaltung des neuen Spitzenmanagers sind anzustellen. Immerhin werden vielfach auch die Inhaber anderer leitender Positionen «ausgewechselt», wie der nicht eben schöne Ausdruck lautet. Aufgrund des Zeitmangels und der Notwendigkeit, neue Normen zu setzen, ist ein autoritärer Führungsstil unvermeidlich. Das führt zu einer Zentralisation der Macht in einer Hand. Die Beziehungen zu Kapitalgebern, wichtigen Kunden und Lieferanten müssen konsolidiert oder auf eine neue Basis gestellt werden. Eine Vielzahl von Projektgruppen muss ferner in den verschiedensten Bereichen des Unternehmens (Personal, Organisation, Administration, Finanzen und Produkt-/ Marktbereich) tätig werden, Sofoit-Massnahmen planen und für deren Realisierung besorgt sein. Im Personalbereich müssen zunächst durch den Abbau von Personal Kosten eingespart werden. Die verbleibenden Mitarbeiter dürfen nicht weiter verunsichert, sondern müssen motiviert und noch besser ausgebildet werden, um in der Zukunft wirkungsvoller zu arbeiten. Zur Unterstützung des neuen Unternehmungführers sollten ferner tüchtige Kadermitarbeiter neu eingestellt werden. Oftmals haben viele fähige Mitarbeiter die Unternehmung vor und/ oder während der Krise
196
4. Kapitel:
Turn-aroitnd
verlassen und der Turn-around Manager ist mit einem relativ spärlich besetzten oberen und mittleren Management konfrontiert (Hambrick 1985).
4132 Finanzbereich D e m Finanzbereich k o m m t im Rahmen des Crash-Programms besondere Bedeutung zu, gilt es doch, eine Illiquidität zu vermeiden und der Überschuldung Herr zu werden. Die ersten Massnahmen stehen denn auch unter der Devise «Stop the b l e e d i n g » . A u s g e h e n d e Z a h l u n g s s t r ö m e werden peinlich genau
überwacht.
Gleichzeitig muss im Interesse der Liquiditätssicherung versucht werden, die Lager a b z u b a u e n , die Debitorenbestände zu reduzieren und nicht betriebswirtschaftlich notwendige Vermögensteile zu veräussern. Parallel dazu müssen die Beziehungen zu den wesentlichen Gläubigergruppen (Banken, Lieferanten) konsolidiert und abgesichert werden. Die Kündigung von Kreditlinien muss unbedingt verhindert werden. Häufig ist die B e s c h a f f u n g von Überbrückungskrediten notwendig. Die angespannte Finanzlage bedingt ferner notwendigerweise einen grundsätzlichen Investitionsstop. Investitionen können nur noch bei sehr kurzen Pay-BackPerioden erfolgen. Grösste A u f m e r k s a m k e i t ist einer wirksamen Geld- und Finanzplanung und anschliessend den entsprechenden Kontrollen zu schenken. Allfällige negative SollIst-Abweichungen müssen analysiert, Massnahmen unverzüglich eingeleitet werden.
4133 Produkt-/ Markt-/ Technologiebereich Die Konzentration auf erfolgreiche Produktlinien steht bei Sofortmassnahmen im Produkt-/ Markt-/ Technologiebereich im Vordergrund. Sämtliche Unternehmungsaktivitäten müssen auf dieser Stufe in erster Linie nach Rentabilitätsgesichtspunkten betrachtet werden; denn langfristige Investitionen in Produkte und Märkte, die mittelfristig noch zu Verlusten führen, kann sich die Unternehmung zu diesem Zeitpunkt kaum leisten. Aus diesem Grunde müssen verlustbringende Aktivitäten (Produktlinien, Unternehmensteile, Sparten oder Tochtergesellschaften) so schnell wie möglich sistiert werden. Z u m Teil kann dies in Form eines Verkaufs der entsprechenden Unter-
4. Kapitel:
Turn-around
197
nehmungsteile oder durch Einbringen in eine Kooperation erfolgen. Sind diese Wege nicht gangbar, ist eine Einstellung dieser Tätigkeiten unvermeidlich, d.h. Produktionsstillegungen und Verkauf der Produktionsmittel. Damit verbunden sind allerdings auch soziale Härten wie Entlassungen und finanzielle Belastungen z.B. Sozialpläne und Buchverluste bei der Verwertung von Anlagen und Lagern.
414
Stabilisierung
Dank der Massnahmen des Crash-Programms sollte es der Unternehmung gelingen, im Verlauf von ein bis zwei Jahren die akute Krise zu überwinden. Auf der Stufe der Stabilisierung im Turn-around-Prozess treten die Aktivitäten im finanziellen Bereich eher etwas in den Hintergrund. Neue Schwerpunkte sind dagegen im Produkt-/ Markt-/ Technologie- und im Führungsbereich zu setzen.
4141 Führungs-/ Personalbereich Nach den Massnahmen des Crash-Programms ist eine Reorganisation der Unternehmung meist unerlässlich. Sie soll sicherstellen, dass die gestraffte Unternehmung eine effizientere Führungs- und Organisationsstruktur erhält, die zudem Raum lässt für die zukünftigen Anforderungen neuer Unternehmensaktivitäten. Als neue Grundstruktur bieten sich bei grösseren Unternehmungen divisionalisierte Modelle (z.B. nach Kundengruppen, nach Regionen oder Produkten) an, die eine grössere Kundennähe gewährleisten. Sie können durch eine Profit-Center-Organisation ergänzt werden, bei welcher die neu gebildeten (strategischen) Geschäftsbereiche/-einheiten unter Gewinnverantwortung gestellt werden. Des weiteren erweist sich beinahe im Regelfall eine drastische Reduktion der Stabsstellen als möglich und zweckmässig. Weitere Personaleinsparungen sind in der Stabilisierungsphase meist unumgänglich, gleichzeitig sollten jedoch auch weiterhin tüchtige Kadermitarbeiter und andere Fachkräfte neu rekrutiert werden, deren Kompetenzen die Zukunft der Unternehmung sichern helfen. Die Unternehmungsleitung muss sich ferner um eine neue Unternehmungskultur bemühen.
4142 Finanzbereich Weil viele der in eine Krisensituation geratenen Unternehmungen eine mangelnde Planung aufweisen, ist die Verbesserung des operativen Planungs- und
198
4. Kapitel:
Tum-around
Kontrollsystems schon im Rahmen des Crash-Programms unabdingbar; in der Stabilisierung muss es durch ein langfristiges Planungs- und Kontrollsystem erweitert werden. Nach dem sofortigen Kostenabbau des Crash-Programms können in der Phase der Stabilisierung auch zeitlich aufwendigere Instrumente der Kostenreduktion eingesetzt werden. An dieser Stelle ist insbesondere die Gemeinkostenwertanalyse zu nennen. Weiterhin ist das durch die Krise erhöhte Kostenbewusstsein der Mitarbeiter zu stabilisieren.
4143 Produkt-/ Markt-/ Technologiebereich Aufgrund der Veräusserung oder Auflösung der problematischen Geschäftsbereiche erfolgt in der Phase der Konsolidierung eine Konzentration auf die verbliebenen erfolgreicheren Tätigkeitsbereiche der Unternehmung. Diese müssen gestärkt werden, um ein neues Wachstum und eine gegenüber früher drastisch erhöhte Ertragskraft zu gewährleisten. Dazu sind häufig verstärkte Anstrengungen in allen Kernfunktionen, also der Forschung und Entwicklung, der Produktion (z.B. durch die Erhöhung des Automationsgrades und durch Errichtung von Produktionsstätten im In- und Ausland) und dem Absatz, erforderlich.
415
Strategische Neuorientierung
Die beiden vorangegangenen Glieder des Turn-around bilden die unerlässliche Voraussetzung, um eine zumeist notwendige strategische Neuorientierung weiter voranzutreiben und zu realisieren.
4151 Führungs-/ Personalbereich Erforderlich ist zumeist die Ausarbeitung eines neuen Unternehmungsleitbildes, welches der Unternehmung eine gegenüber früher veränderte strategische Vision vermittelt. Während in der Stabilisierungsphase eher die «harten» Bereiche, wie z.B. die Organisationsstruktur im Vordergrund standen, ist der Führungsbereich schon während und spätestens nach der Erarbeitung des neuen Leitbildes hauptsächlich von «weichen» Einflussfaktoren geprägt. Dabei stehen die Festigung der neuen Unternehmenskultur und die Führung der Mitarbeiter im Vordergrund.
4. Kapitel:
Turn-around
199
Eine erhebliche Problematik stellt die traditionelle, übernommene Unternehmenskultur auch noch in dieser Phase des Turn-around dar: in den ersten beiden Phasen über Bord geworfene Wertvorstellungen und normative Ausrichtungen dürfen nach der ökonomischen Gesundung der Unternehmung nicht erneut zum Vorschein treten, z.B. in Form eines Rückfalls in aufwendige bürokratische Routinen oder eines Abrückens von höchsten Leistungsstandards usw.. Des weiteren müssen die zentralistischen Strukturen, die durch die Konzentration von Kompetenzen in der Hand des «Turn-around-Managers» geprägt waren, in der letzten Phase der Neuorientierung sowohl aus Motivationsgründen wie auch aus sachlichen Gründen in einen kooperativen Führungsstil übergeleitet werden. Es gilt ja, in den verschiedensten Bereichen der Unternehmung neue Chancen wahrzunehmen. Dazu stellt aber die kreative Mitarbeit einer Vielzahl von Personen eine unverzichtbare Voraussetzung dar.
4152 Finanzbereich Nach der erfolgreich abgeschlossenen Stabilisierung verfolgt die Unternehmung in der Regel einen neuen, wiederum expansiven und damit wachstumsorientierten Kurs. Die sich daraus ergebenden Umsatzsteigerungen sowie der erhöhte Investitionsbedarf bedingen eine Zunahme des kurz- und langfristigen Mittelbedarfs. Er wirkt sich umso drückender aus, als der Unternehmung häufig zu wenig Eigenkapital zur Verfügung steht. Denn die Verkäufe von nicht (mehr) betriebsnotwendigen Vermögensteilen mussten im Regelfall zur Deckung von Verlusten herangezogen werden. Je erfolgreicher der Turn-around gewesen ist, desto leichter fällt es naturgemäss, der Unternehmung nicht nur neues Fremdkapital, sondern auch neues Eigenkapital zuzuführen. Leider verlieren nur allzu viele Unternehmungen dabei ihre Eigenschaft als rechtlich und finanziell selbständige wirtschaftliche Einheit, weil sie von einem Grosskonzern oder einer starken Finanzgruppe aufgekauft werden.
4153 Produkt-/ Markt-/ Technologiebereich Die Konzentration auf bis dahin erfolgreiche Geschäftsbereiche weicht in der letzten Phase des Turn-around einem Denken, das die Frage stellt, ob die angestammten Bereiche die Zukunft der Unternehmung sichern würden, oder ob neue Bereiche zu erschliessen seien.
200
4. Kapitel:
Turn-around
In diesem Z u s a m m e n h a n g mag es notwendig werden, die Unternehmungs-Aktivitäten neu zu definieren. Unter Umständen mag es sich dabei als erforderlich erweisen, einen guten Teil der noch verbleibenden Unternehmungsteile in eine grössere Gruppierung einzubringen. Andererseits ist es aber auch denkbar, den angestammten Tätigkeitsbereich durch Akquisitionen auszuweiten oder ihn durch eine Verlagerung in andere Tätigkeitsbereiche zu ergänzen.
416
Abschluss des Turn-around
Im Verlauf des Turn-around ist die Unternehmung zunächst durch das Stahlbad des Crash-Programms gegangen. In der Folge konnte sie stabilisiert und danach strategisch neu orientiert werden. Je nach Grösse der Unternehmung, Branche und der besonderen Situation der U n t e r n e h m u n g dauert der Prozess zwischen einem und drei Jahren (Bibeault 1982). Nach Ablauf dieser Zeit liegt wieder ein intaktes Unternehmen vor, vergleichbar mit jedem anderen, das keinen Turn-around zu bewältigen hatte. Zu berücksichtigen ist allerdings, dass eine erneute Krisensituation unendlich viel schwieriger zu bewältigen ist als die erste. U m s o wichtiger ist es, auch nach einem erfolgreichen Turn-around die Vitalität und weitere Anpassungsfähigkeit der Unternehmung zu erhalten. Das Beispiel der Alusuisse und anderer spektakulärer Turn-arounds, wie derjenige der Sprecher und Schuh AG oder der AEG mögen den Eindruck entstehen lassen, dass dieses Konzept auf grosse Unternehmungen beschränkt sei. Zahlreiche andere, öffentlich jedoch nicht bekannte Beispiele zeigen, dass Turn-arounds bei Familiengesellschaften nach dem gleichen Prinzip verlaufen.
4. Kapitel:
42
Turn-around
201
Alusuisse
Der Verwaltungsratsdelegierte Dr. H.K. Jucker gab in einem Interview Ende 1988 bekannt: «Die Aufräumarbeiten sind jetzt abgeschlossen, aber jetzt kommt der schwierige Teil, die Ausrichtung des Unternehmens auf marktorientiertes Denken, die Umgestaltung von Low- zu Medium-Technologie, bei Lonza zu High-Tech».
421
Das W a c h s t u m
Am 12. November 1888 wurde in Zürich die Aluminium-Industrie-Aktien-Gesellschaft AIAG gegründet und in Neuhausen am Rheinfall der erste europäische Betrieb der Aluminiumelektrolyse aufgebaut. Aluminium, damals noch ein seltenes Metall, entwickelte sich in der Folge zu einem erfolgreichen Produkt. Nach der Eröffnung von Werken in Badisch-Rheinfelden (1898) und im österreichischen Lend (1899) schuf man mit dem Erwerb von Bauxitgruben in Südfrankreich wie mit dem Bau einer Tonerdenfabrik in Marseille eine tragende Rohstoffbasis. Diese diente ab 1908 der Versorgung der neuen Aluminiumhütte in Chipps (Kanton Wallis). Bis zum Ersten Weltkrieg entwickelte sich die AIAG zu einem integrierten Aluminiumproduzenten (eigene Gruben, Kraftwerke, Hütten und Verarbeitungsbetriebe). Die Zeit zwischen den Weltkriegen war durch die schrittweise Konsolidierung geprägt: Tonerdenfabrik bei Köln und Porto Marhera (Venedig), Walz- und Presswerk in Siders, Folienwerk in Wolverhampton (England), Forschungsinstitut in Neuhausen. Die Folgen des Zweiten Weltkrieges führten für AIAG zum Verlust der osteuropäischen Bauxitreserven und zu einer konsequenten Ausrichtung auf verschiedene Wirtschaftsräume: Brasilien, Guinea, Nigeria, Sierra Leone und USA. Wurden im ersten Geschäftsjahr 3.6 Tonnen Rohaluminium produziert, so überschritt die Jahresproduktion im Jahre 1956 die Hunderttausendtonnengrenze, acht Jahre später die Zweihunderttausendtonnengrenze und im Jahre 1966 betrug die Rohaluminiumkapazität von AIAG 300'000 t. Im Jahre 1963 erfolgte die Umbenennung der AIAG in die Alusuisse (Schweizerische Aluminium AG). Der Präsident R. Naville sagte anlässlich der 75. Generalversammlung im Mai 1964: «Im Kunststoffsektorsollen bestehende Positionen konsolidiert, neue erobert und mit der Zeit ein vollwertiges Korrelat zur traditionellen Tätigkeit auf dem Gebiet des Leichtmetalls geschaffen werden». Im Jahre 1968, sechzig Jahre nach der Eröffnung musste die französische Tonerdenfabrik geschlossen werden. Andere kapitalintensive Projekte machten jedoch Fortschritte: der Bau der ersten Aluminiumhütte in Island (Anfangskapazität
202
4. Kapitel:
Turn-around
30'000 t pro Jahr), ein Industriekombinat am Golf von Mexiko (thermisches Kraftwerk, Aluminium-Elektrolysewerk von 35'000 t, Transport- und Hafenanlagen f ü r Hochseeschiffe), der Bau der ersten Aluminium-Hütte in Südafrika (Anteil Alusuisse 30%) und Abschluss der Verträge für die Lagerstätte Gove in Australien (Anteil Alusuisse 70%). Alusuisse sah vermehrt die Welt als Basis ihrer Aktivitäten, was nicht nur erhöhte Chancen, sondern auch verstärkte Risiken bedeutete. Das Unternehmen produzierte im Jahre 1969 m e h r als 400'000 t Rohaluminium, sämtliche Produktionsstätten waren voll ausgelastet, und man sah eine weitere Verbesserung der unternehmerischen Situation aus drei Gründen: «steigende Preise für Hüttenaluminium, (Halb- wie Fertigfabrikate) Erträge aus den jüngsten Investitionen und Erfolge der weitergeführten Rationalisierungsmassnahmen».
422
Die
Ertragsprobleine
Ungenügende Kapazitätsauslastungen führten in den 70er Jahren zu anhaltenden Ertragsproblemen der Alusuisse. So wurde auch das Jahr 1972 ein «schweres und ungünstiges Jahr». Die nach E.R. Meyer, Präsident des Verwaltungsrates, «freudlosen Verhältnisse» hielten an: Überkapazitäten im Rohmetallsektor, schwache Auslastung der Produktionskapazitäten, ungenügende wie hochzyklische Preise und inflationsbedingtes Kostenwachstum; zusätzlich führten Veränderungen der Währungsrelationen für die überseeische Konkurrenz (Kanada, USA) zu Wettbewerbsvorteilen. Die Alusuisse ergänzte ihr «Konzern-ABC» im Jahre 1974 mit der Übernahme der Basler Chemiefirma Lonza und einer Beteiligung am Dienstleistungsunternehmen Motor Columbus: (1)
Die Lonza, 1897 in Gampel (Kanton Wallis) gegründet, produzierte anfänglich Calciumcarbid und daraus Acetylen für Beleuchtungszwecke. Später wurde Carbid zu Kalkstickstoff, einem ersten Dünger, verarbeitet. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Produktion höherwertiger Produkte (Feinchemikalien, Wirkstoffe) gefördert. Im Jahre 1973 erzielte die Gruppe «Lonza» mit ihren 5'400 Mitarbeitern einen Umsatz von rund 600 Mio. SFr. in den Bereichen anorganische Chemie (Umsatzanteil 20%), Agrochemie (10%), organische Chemie (44%) und Kunststoffe (26%). Die Lonza wurde weltweit für den Chemiebereich der Alusuisse zuständig. Die Integration der früheren Alusuisse-Chemieunternehmen führte zu einem deutlichen Umsatzwachstum bei der Lonza.
4. Kapitel:
(2)
Turn-around
203
Motor-Columbus war als Ingenieurunternehmung auch in den Bereichen «Immobilien» und «Generalunternehmung», insbesondere über die Mehrheitsbeteiligung am Generalunternehmen «Mobag», verankert. Ebenso hielt die Motor-Columbus Beteiligungen an schweizerischen wie ausländischen Elektrizitätsunternehmen. Neben der Koordination der Ingenieurunternehmungen (Alesa Alusuisse Engineering AG; M C Ingenieurunternehmung AG) wurde mit dieser finanziellen Beteiligung ein umfassendes AlusuisseEnergiemanagement angestrebt.
Trotz dieser Diversifikationen, die Lonza trug ein Jahr nach ihrer Übernahme bereits ein Fünftel zum Umsatz und beinahe ein Viertel zum Cash flow bei, verlor das einst dominierende Leichtmetallgeschäft in Europa zunehmend an Bedeutung. Schlechtere Kapazitätsauslastungen wie Preissenkungen prägten die Jahre 1975/76; nach der Krise 1971/72 bahnte sich eine neue an, da die E x p a n s i o n s politik nur mit einer umfassenden Verschuldung des Konzerns möglich war. So überstiegen im Jahre 1975 die konsolidierten Zinsen von SFr. 285 Mio. die erarbeiteten Mittel (Cash flow) von SFr. 259 Mio.. Die Bereiche «Lonza» und «Motor-Columbus» trugen im Jahr 1976 bei 23% Umsatzanteil 40% zum Cash flow bei. Die Alusuisse wies im Branchenvergleich die schlechteste Ertragskraft aus und sah sich gezwungen, dosierte Desinvestitionen zu tätigen. Die erhöhte Nachfrage nach veredelten Aluminium-Produkten führte zu verstärkten unternehmerischen Hoffnungen.
423
Die
Wechselbäder
In der westlichen Welt sank im Jahre 1975 der Verbrauch von Aluminium um rund 22% auf 8.7 Mio. Tonnen. Alusuisse erlitt eine Absatzeinbusse für ihr Hüttenaluminium von über 20% und musste das schlechteste Jahresergebnis seit Jahrzehnten bekanntgeben. Im Vergleich zu den anderen Herstellern blieb die Liquidität (current ratio) angespannt: Alusuisse 183%, Alcan 241%, Alcoa 271%, Kaiser 185%, Reynolds 290%. Günstigere Marktverhältnisse sowie gezielte betriebliche Massnahmen führten im Jahre 1976 zu einer gesamthaft besseren Situation für die Alusuisse. Hauptsorgen blieben die seit 1974 defizitären Walliser Aluminiumwerke (Chippis, Siders, Steg): teure Rohstoffe, Preisdruck europäischer Konkurrenz, Zollabbau, Wechselkurs, Umweltschutz (Fluoremissionen). Der Verwaltungsratspräsident E.R. Meyer stellte im Frühling 1977 fest: «Wenn es so weitergeht, wie es heute im Konzern aussieht, und das ist bei der Schnellebigkeit und Unsicherheit unserer Zeiten eine wichtige Einschränkung, dann könnte uns das laufende Jahr ein ordentliches Ergebnis bescheren».
204
4. Kapitel:
Tum-arowid
Das G e s c h ä f t s j a h r 1977 wurde «akzeptabel», j e d o c h die Probleme (Strompreiserhöhungen B R D , Iran-Engagement Mobag) und die strategischen Stossrichtungen blieben: Ausbau der Nicht-Aluminiumbereiche wie der Position in Amerika. Parallel zu den Fortschritten in den schweizerischen Werken verstärkte sich das S c h u l d e n p r o b l e m , insbesondere durch ein u m f a s s e n d e s M o d e m i s i e r u n g s - und Restrukturierungsprogramm bei der amerikanischen Aluminiumtochter Conalco. Gleichzeitig fiel der Freimarktpreis f ü r H ü t t e n a l u m i n i u m von 92 Cents/lb. (Februar 1980) auf 52 Cents/lb. (Oktober 1981), der weltweite Lagerbestand stieg gleichzeitig von 1.5 Mio. T o n n e n (Ende 1979) auf ü b e r 3 Mio. T o n n e n (Ende 1981). Für Alusuisse bedeutete dies, dass sie f ü r ein Kilo Rohaluminium etwa SFr. 2.00 löste, dies bei Herstellkosten von etwa SFr. 3.00. Ausser der Dosen- und Folienherstellung waren im Jahre 1981 alle Produktionsbetriebe und -stufen unterbeschäftigt. In der Folge wurden Massnahmen wie Prod u k t i o n s k ü r z u n g e n via Kurzarbeit und Personalabbau, k o n z e r n w e i t e Bewirtschaftung des Umlaufvermögens, umfangreiche Umschuldungsoperationen (von Dollar in Franken) und Verzögerung von Investitionsvorhaben eingeleitet. Im selben Jahr erwirtschaftete die französische Pecniney auf vergleichbarer Kapazitätsbasis den achtfachen, die italienische Alluminio Italia den zwanzigfachen Verlust der Alusuisse. Doch beide Unternehmungen waren Staatsbetriebe: von der in Europa installierten Produktionskapazität von 4.1 Mio. Tonnen befanden sich damals 68% unter staatlicher Kontrolle. Der Präsident des Verwaltungsrates E.R. Meyer proklamiert im gleichen Jahr seine «Fifty-fifty-Strategie»: Bis 1988 sollte nur noch die Hälfte des Konzernumsatzes auf das Aluminiumgeschäft entfallen. Das Jahr 1982 führte zu einer massiven Verschlechterung der Ertragslage: die gesamte Aluminiumindustrie befand sich seit zwei Jahren in einem Absatztief; im gleichen Zeitraum halbierten sich die Rohmetallpreise, doch die überdurchschnittlich hohen Fixkosten der Verhüttung wie die Erfüllung der Abnahmeverträge für elektrische Energie blieben. Neben Huttenproblemen (Conalco-Werke U S A ) war die Alusuisse aufgrund ihrer wachsenden Verschuldung ungleich stärker als die K o n k u r r e n z mit Zinskosten belastet. Das Jahr 1982 wurde «das schlimmste in der Geschichte der Aluminiumindustrie». Bei der Alusuisse entfielen nach wie vor 5 9 % des gesamten Konzern-Umsatzes auf den Bereich «Aluminium». Der Verwaltungsratspräsident E.R. Meyer trat auf der Generalversammlung im Frühling 1983 von seinem Amt als Delegierter des Verwaltungsrates zurück. Im Krisenjahr 1982 war die amerikanische Tochtergesellschaft Consolated Alum i n i u m Corp. (Conalco) die grösste Verlustquelle des Konzerns: Nach einer ersten Investitionsphase in den Jahren 1950 bis 1970 erwarb die amerikanische Tochter 1971 die «Aluminium Division» der amerikanischen Phelps Doge. Von
4. Kapitel:
Turn-around
205
einst sechzehn Phelps-Werken mussten deren vierzehn in den kommenden Jahren infolge technischer Überalterung geschlossen oder abgestossen werden. Bereits 1974 wurde zusätzlich die Aluminium-Gruppe der Olin Corporation für etwa SFr. 400 Mio. erworben. So verfügte die Conalco Mitte der siebziger Jahre in den USA über drei Rohmetallhütten (Jahreskapazität 350'000 t) und über mehr als dreissig Produktionsstätten. Die von der Conalco entwickelte Giessbandtechnologie (Caster II) konnte aufgrund der Konzernfinanzlage nicht realisiert werden (Investitionsvolumen $ 900 Mio.). 424
Die W e n d e
Im Jahre 1983 gelang es dem Alusuisse-Konzern einen deutlichen Verlustabbau aus betrieblichen Aktivitäten zu realisieren. Zusätzlich wurde jedoch eine weitere Auflösung von stillen Reserven beschlossen. Auch der Aluminium-Markt belebte sich im gleichen Jahr deutlich und die Preise stiegen in einem Jahr von 46.6 Cents/lb auf 75.2 Cents/lb. Die amerikanische Tochter Conalco erlitt weitere massive Verluste, die Lonza blieb «die tragende Säule», während die im Automobilzubehör- und -ersatzteilgeschäft tätige Maremont Corp. auch unter Überkapazität und Preisrückgängen litt. Ein weiteres Jahr später begannen erste Restrukturierungsmassnahmen zu greifen. Es wurde wieder ein Gewinn ausgewiesen. Doch ein Jahr später musste man feststellen, dass die Alusuisse gegen geringste Konjunkturschwächen nicht resistent war: «Die buchhalterischen Tricks der letzten Jahre sind ausgeschöpft. Die Aufräumarbeiten verursachen einen Verlust von SFr. 692 Mio.». Das Jahr 1985 wurde zum schlimmsten in der bisherigen Geschichte der Alusuisse: Ursachen waren erneute Verschlechterungen der Ertragssituation (Werke Wallis, Maremont Corp., Conalco) wie ein «zum Vorschein gekommener» zusätzlicher Abschreibungsbedarf: die Aktiva in der Alusuisse-Bilanz waren derart überbewertet, dass ein ausserordentlicher Abschreibungsbedarf in der Grössenordnung von rund SFr. 250 Mio. resultierte. Im Januar 1986 stellte Emanuel R. Meyer sein Amt als Präsident und als Mitglied des Verwaltungsrates der Aluminium AG (Alusuisse) «im Interesse einer Neubestellung der Führungsspitze» vorzeitig zur Verfügung. Mit dem Vorsitz der Generaldirektion wurde der bisherige Delegierte des Verwaltungsrates der Lonza, Dr. H. Jucker, er gehörte der Generaldirektion der Alusuisse seit 1973 an, mit sofortiger Wirkung beauftragt. Jucker begann seine berufliche Laufbahn 1955 bei der Basler Chemiefirma Ciba, wechselte zwei Jahre später zum Elektronikunternehmen Elesta, stiess 1961 zur Präzisionswaagenfirma Mettler in Greifensee und trat acht Jahre später in die Alusuisse ein. Dr. Hans Jucker in einem ersten Interview: «Eine Prognose für 1987 erachte ich als witzlos, weil sich ein um wenige Rappen veränderter Alu-Preis millionenfach auf unsere Einnahmen auswirkt. Es
206
4. Kapitel:
Turn-around
gibt drei Möglichkeiten: entweder wir liegen jetzt gerade richtig oder aber wir brauchen mehr Zeit oder drittens, noch mehr Geld». Mehr Geld erhielt die Alusuisse, auch um im Interesse der vielen Publikumsaktionäre einen Kapitalschnitt zu verhindern, durch ein Engagement der Grossbanken ( S B G , S B V , S K A , S V B , Z K B ) : Das Grundkapital wurde durch übernommene neue Inhaberaktien zu SFr. 5 0 0 nom., mit einem Aufpreis von S F r . 3 7 5 ( 7 5 % ) , sowie zum gleichen Preis liberierte Inhaberaktien im Besitze der Gesellschaft um nominell SFr. 2 0 8 . 6 Mio. auf S F r . 1'048.6 Mio. erhöht. Die Alusuisse erhielt so eine Eigenkapitalspritze von SFr. 4 1 4 . 4 Mio.. Am Herbstpressegespräch 1 9 8 6 verdeutlichte J u c k e r die strategische Ausrichtung: «Tragende Elemente werden inskünftig die Aluminiumverarbeitung und die Chemie sein. Auf artfremde Diversifikationen wird verzichtet». Der Verkauf der Autozubehörfirma Maremont (über 5 ' 0 0 0 Mitarbeiter) ergab einen B u c h gewinn von $ 7 5 Mio.. Der Delegierte des Verwaltungsrates Dr. H. Jucker: « B e i der Maremont sahen wir grössere Investitionen für den Ausbau der Distributionskanäle und für die Modernisierung auf uns zukommen. In Anbetracht der begrenzten uns zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel entschieden wir uns für den Verkauf. Wir wollten uns auf die attraktiven Gebiete in den Bereichen Aluminium und Chemie beschränken. Heute wissen wir, dass man sich eine weitere Diversifikation nur leisten kann, wenn genügend Mittel bereitstehen, um schnell Marktführer zu werden». Gleichzeitig wurde der Rückzug aus der Produktion von Primäraluminium eingeleitet: Reduktion Hüttenkapazität Wallis von 2 4 ' 0 0 0 auf 12'000 Jahrestonnen; V e r k a u f der amerikanischen Hütte Ormet (1 ' 7 0 0 Mitarbeiter).
Investitions-
schwerpunkte wurden demgegenüber auf die Bereiche der Verbundwerkstoffe, keramischen Filter und den Sektor der Chemie (Schaumstoffe) gesetzt. Trotz operativen Verbesserungen führte das Jahr 1 9 8 6 wegen der anhaltend tiefen Rohmetallpreise und des enormen Restrukturierungsaufwandes zu einer Unterbilanz. Die Beurteilung durch den Konzernchef J u c k e r a m 13. März 1987, einem Freitag, lautete: « W i r wollen den Rückzug aus der Rohstoffproduktion fortsetzen, wir wollen höherwertige Produkte herstellen und uns vor allem als Anbieter von Spezialitäten und Problemlösungen profilieren. Zur Durchsetzung dieser Konzernstrategien brauchen wir eine bereinigte finanzielle Ausgangslage. Verwaltungsrat und Generaldirektion beantragen daher, die für den Aktionär schmerzliche Operation eines Kapitalschnitts durchzuführen». Dies bedeutete, dass die gesetzlichen Reserven von SFr. 157 Mio. aufgelöst und der Nominalwert des Aktien- wie PS-Kapitals von SFr. 1" 130 Mio. auf 5 6 5 Mio. reduziert wurde, ohne eine entsprechende Wiederaufstockung vorzunehmen. Dieses Vorgehen wurde durch die Generalversammlung im April 1987 genehmigt, doch ein Unbehagen blieb.
4. Kapitel:
Turn-around
207
Die eingeleiteten Restrukturierungsmassnahmen zeigten im Jahre 1987 erste Erfolge; der Rückgang des Umsatzes beruhte primär auf Desinvestitionen und tieferen Umrechnungskursen. Gleichzeitig erhöhte sich weltweit die Nachfrage nach A l u m i n i u m , die Preise stiegen stetig. Trotzdem wurde auf die W i e d e r a u f n a h m e der Dividendenzahlungen verzichtet. Diese Situation war Ausdruck der eingeleiteten Strategien: (1)
Elimination von Verlustquellen und Einstellung nichtrelevanter Tätigkeiten.
(2)
Kostenreduktionen, insbesondere durch Rohmetall-Nettoeinkäufe: Die Alusuisse baute 1987 2.5 Mio. t Bauxit ab, stellte daraus 750'000 t Tonerde her und verkaufte davon 300'000 t an Dritte. Aus der firmenintern eingesetzten Menge von 400'000 t entstanden 370'000 t Rohmetall, denen ein interner Bedarf von 500'000 t für Gusslegierungen, Walzzeug, Folien usw. gegenüberstand. Die Alusuisse konnte so 130'000 t Rohmetall auf dem freien Markt einkaufen.
(3)
Verbesserung des Produktsortiments durch «added value»: Schwergewicht dieses Investitionsprogrammes von SFr. 1 Mrd. lag auf den Bereichen Verp a c k u n g e n (Alufolien, P a c k s t o f f e , K o m b i d o s e n ( A l u m i n i u m / Karton)), W e r k s t o f f e (Kunststoffe) und Feinchemikalien (pharmazeutische Rohstoffe).
Hans Jucker im Dezember 1988: «Unsere Schwäche ist immer noch und wird es wohl zum Teil immer sein, dass wir auch in Bereichen tätig sind, die stark zyklisch sind. Dies gilt nicht nur für die Aluminiumherstellung, sondern auch bei weniger veredelten Produkten wie Walzblech, billigen Profilen f ü r die Baubranche, Kunststoffen und Basischemikalien. Rund die Hälfte des Konzernumsatzes ist auch heute noch erheblich konjunkturabhängig. Allerdings sind wir heute weniger abhängig vom Privatzyklus, vom Aluminium als Börsenmetall, dessen Preis auch in konjunkturell guten Zeiten starken S c h w a n k u n g e n unterliegt. Dadurch, dass wir heute einen Viertel unseres Rohaluminiumbedarfs zukaufen, können wir auch von Preisbaissen profitieren. Eine Krise, wie wir sie jetzt hinter uns haben, setzt ja auch immer gewaltige Arbeitskräfte frei. Man gewöhnt sich daran, direkter miteinander u m z u g e h e n , vielleicht auch mehr h e r u m z u k o m m a n d i e r e n . Danach besteht die Gefahr, sich zurückzulehnen, zu erstarren. In dieser Phase befindet sich die Alusuisse jetzt, und wir arbeiten daran, unsere Flexibilität zu erhalten. Mein Ziel ist es jedoch, nie eine definitive Organisation zu haben, weil diese Innovationen verhindern würde. Aber bis zu m e i n e m Rücktritt sollte ein erster Schritt zu einer modernen, flexiblen Organisation vollzogen sein».
208
425 (1)
4. Kapitel:
Turn-around
Anhang Kennzahlen Konzern 1987
1986
1984
1985
1983
Bilanz Konzern Anlagevermögen Umlaufvermögen Vorräte Total Aktiva
2'869 2*488
2'955 2'869
3'935 3'718
4*281 4'125
4*517 3*912
1 '177 5'357
1'312 5'824
1*814 7'653
2*072 8*406
1*717 8'429
895 51
1'150
1*815 103
1*801
4'878 2'960
6*417 3'928 2'489
6*488 3*922
6*518 3'972
2*566
7'653
8*406
2'546 8'429
Eigenkapital Minderheitsanteile
r 127
Fremdkapital langfristig
4' 192 2763 1 '429
kurzfristig Total Passiva
38
86
110
5'357
1*918 5'824
174
150
149
161
154
21
15
15
22
21
2'067
2'558
3'847
3*769
3'929
426 615
323 323
-
-
2
587
332
5'071 284
8*003 256
8'344
7*222
611
Ausserordentl. Ertrag Ausserordentl. Aufwand
244 94
5*649 198 106 698
0 472
Nettoergebnis
259
-688
-756
47 187 68
256 46 164
Liquidität 3. Grades in % Eigenkapital Bilanzsumme in % Netto-Finanzverbindlichkeiten Cash-flow Betrieblicher Konzern
-
Erfolgsrechnung Konzern Nettoumsatz Betriebsergebnis
-217
4. Kapitel:
1987
1986
1985
Turn-around
1984
209
1983
Börsenkurse Namensaktie höchst
335
253
335
310
307
tiefst
148
160
210
235
170
höchst
959
765
920
935
900
tiefst
405
475
640
660
500
5'050 1709
5'422 1 '533
4'813 1 '329
Inhaberaktie
Umsätze Aluminium Chemie Dienstleistungen Maremont
3'490 1 '560
4'002 1 '631
21
16
102
238
157
0
0
1143
1 '152
922
857
823
744
Umsätze Schweiz
822
761
EG
2'531
2'748
2'914
3' 195
2'689
Europa total
3'583
3'815
4'146
4'421
3'856
Nordamerika
1'159
1 '509
3'245
3'291
2'619
329
325
612
632
747
Übrige
Bruttoinvestitionen Sachanlagen Aluminium Chemie
160
149
155
124
124
152
133
113
136
101
Maremont Übrige
0 24
0
37
22
32
18
13
10
30
210
4. Kapitel:
Turn-around
1987
1986
1985
1984
1983
16'443
17'082
21-188
22'097
20'245
6'906
6'664
6'265
5'966 417
Personal Aluminium Chemie
0
0
5'623
6'146 6'459
39
53
318
347
207
208
237
262
23'595
24'007
33'631
35'311
32'943
7'262
7'337
7'491
7'711
7'689
H'345
11'167
11'425
11*591
12'254
3'214
3'163
10'870
12'004
10748
Maremont Dienstleistungen Verwaltung, -Holding Total
6315
Personal Schweiz EG Nordamerika
(2)
Preisentwicklung Virgin Aluminium 99.5%, London Metal Exchange L M E Preise
Devisenkurse
Pounds Sterling
Pounds
US-$
1984
802.50
- l'I07.50
3.14
2.26
1985
646.50
- l'018.00
3.30
2.61
735.00
-
835.00
2.78
1.82
1987
799.00
- 1'200.00
2.48
1.47
1988
1'075.00
- 1'575.00
2.69
1.40
1986
1 Pound Sterling = x SFr., 1 US-$ = x SFr. Kurse per 15. Juni des jeweiligen Jahres
4. Kapitel:
(3)
211
Turn-around
Produktion Aluminium Primärproduktion 1978
1979
1980 1981
1982 1983 1984 1985
1986
1987
USA
4 ' 3 5 8 4'557 4 ' 6 5 4 4 ' 4 8 9 3'275 4 ' 0 9 9 3'353 3 ' 5 0 0 3'037 3'347
Canada
1*049
864 1'068 1 116 1 '070 1 091 1'222 1'282 1'356 1'546
Norwegen
657
674
662
636
645
715
761
724
729
798
BRD
740
742
731
729
723
743
777
745
764
738
Spanien
212
260
387
397
367
358
381
370
355
341
Schweiz
80
83
86
82
75
76
79
73
81
73
1982 1983 1984
1985
alle W e r t e i n l'OOO t.
Sekundärproduktion 1978 1979 1980 1981
1986 1987
Nippon
636
747
789
815
761
802
819
861
872
894
USA
982
749
686
790
405
376
749 426
804
413
701 406
800
BRD
930 424
442
457
483
873 502
Italia
222 161
245
250
278 170
283 174
170
301 178
335
170
242 154
282
166
266 170
18
19
20
20
19
21
23
26
26
26
France Schweiz
alle Werte in 1 '000 t.
195
5
Internationales Management
51
Gegenstand und Strategien des internationalen Management
511
Begriff, Besonderheiten und Ursachen
Die Begriffe «Internationales Management», «Multinationale Unternehmung» oder «Transnationale Unternehmung» sind jüngeren Datums. Die mit ihnen bezeichneten Tätigkeiten, Gebilde und die mit ihnen verbundenen geistigen Grundhaltungen indessen besitzen eine ehrwürdige Tradition. Das Altertum kannte den grossräumigen internationalen Handel; ab dem 9. Jahrhundert wurden Materialien und Sklavinnen gegen Luxusartikel des Ostens getauscht; es folgten die Hanse-Staaten, die Banken in Italien, die Fugger, die grossen englischen, holländischen und französischen Handelsgesellschaften des 17. und 18. Jahrhunderts und die Ausbreitung der Industrie-Unternehmungen, Banken und Versicherungsgesellschaften im 19. und 20. Jahrhundert. Unterbrochen wurde diese Entwicklung durch die zwei Weltkriege und die zwischen ihnen liegende Wirtschaftskrise. Umso kräftiger war der darauf folgende Aufschwung der Weltwirtschaft. In dieser Periode wurden - unter US-amerikanischem Einfluss - auch die eingangs erwähnten Begriffe geprägt (Hertner/ Jones 1986). Eben diese termini technici werden allerdings unterschiedlich definiert. Häufig wird unter einer multinationalen (transnationalen) Unternehmung eine Firma bzw. eine Firmengruppe verstanden, welche in mindestens zwei Ländern Produktionsstätten besitzt und kontrolliert. Diesen Begriffen setzen wir den weiteren der «internationalen Unternehmung» gegenüber, worunter wir Unternehmungen verstehen, die irgendwelche grenzüberschreitenden Transaktionen ausüben. Internationale Unternehmungen handeln in einem komplexeren Umfeld als die nationalen, denn sie haben sich mit unterschiedlichen rechtlichen Normen und verschiedenartigen politischen, kulturellen und ökonomischen Rahmenbedingungen auseinanderzusetzen. Zudem sind sie mit dem Wandel nicht nur in einzelnen Staaten, sondern auch mit den zwischen diesen Staaten bestehenden Beziehungen und Austausch-Relationen, z.B. der Währungen, konfrontiert (Lück/ Trommsdorff 1982). Diese vielschichtigen Erschwernisse und Komplizierungen nehmen die Unternehmungen in Kauf, weil dadurch ihre Gewinne erhöht, ja ihr Überleben im Wettbewerbskampf erst ermöglicht wird. Hinter diesem finanzwirtschaftlichen Formalziel steht allerdings eine grössere Anzahl unterschiedlicher spezifischer Gründe. Zu nennen sind insbesondere:
5. Kapitel: Internationales
(1)
Management
213
Unternehmungsexterne Gründe Länderbezogene Ursachen: Klima, natürliche Ressourcen und andere natürliche Gegebenheiten; Verfügbarkeiten von (billigen bzw. höchstqualifizierten) Arbeitskräften, von Kapital und Infrastruktur; politischkulturelle Randbedingungen; Importschranken (Dülfer, 1988). Marktbezogene Ursachen: Identität oder Angleichung der Nachfrage in verschiedenen Ländern, was zur Möglichkeit eines globalen Absatzes derselben Produkte führt.
(2)
Unternehmungsinterne Gründe Ausnützung von Erfahrungskurven- und Skalen-Effekten überall dort, wo die Nachfrage globalisiert ist. Ausnützung unternehmungsspezifischer Kenntnisse und Erfahrungen im internationalen Massstab, so von technischem W i s s e n und von Management-Fähigkeiten (Marketing; Qualitätskontrolle; Information; hochqualifizierte Mitarbeiter; überlegene M a n a g e m e n t - S y s t e m e wie Planung, Mitarbeiterführung, usw.). Ausnutzung der Vorteile der Interiorisierung von Know-how.
Diesen positiven Anreizen stehen, neben der bereits erwähnten grösseren Komplexität, verschiedene weitere Intemationalisierungs-Hemmnisse entgegen, insbesondere: (1)
Unternehmungsexterne Hemmnisse Länderbezogene Hemmnisse: Autarkie-Bestrebungen, z.B. der Staatshandelsländer, interne Unsicherheit. Marktbezogene Hemmnisse: lokale Märkte mit Nachfrage nach spezifischen Produkten; sehr hohe Transportkosten.
(2)
Untemehmungsinterne Hemmnisse Fehlen spezifischer Kenntnisse über andere Länder und deren Vorzüge. Fehlen von Ressourcen zur Finanzierung des «going international».
512
Bedeutung politischer Einflüsse und globaler wirtschaftlicher Ungleichgewichte
In den westlichen Industriestaaten sind gemischt-wirtschaftliche Wirtschaftssysteme mit einem z.T. erheblichen, aber doch beschränkten Staatseinfluss die Regel. Zwar bestehen Pendelbewegungen zwischen Regulierung und Deregulie-
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S. Kapitel: Internationales
Management
rung - fundamentale Gewichtsverschiebungen sind aber in den vergangenen Jahrzehnten doch nicht aufgetreten. D e m g e g e n ü b e r hat das Ringen um eine tragbare, und - wenn möglich - stabile Weltwirtschaftsordnung weit dramatischere Formen a n g e n o m m e n , und zwar in folgender Hinsicht: (1)
Es besteht eine tiefe Kluft zwischen den Industriestaaten und der Grosszahl der Entwicklungsländer. In immer wieder neuen Anläufen wurde versucht, gerade auch die armen und ärmsten Länder wirtschaftlich zu fördern. Eine neue Weltwirtschaftsordnung wurde gefordert, und besonders in den 60er und den beginnenden 70er Jahren wurde den grossen «transnationalen Unt e r n e h m u n g e n » v o r g e w o r f e n , wider den wahren Interessen der Entwicklungsländer zu handeln. Es wurden dann auch eine ganze Reihe von Codices geschaffen, um ihr Verhalten zu regeln, so insbesondere die OECD-Erklärung über internationale Investitionen und multinationale Unternehmungen von 1976. Heute tönen die entsprechenden Klagen weniger laut. Denn viele einstige V o r w ü r f e sind heute weitestgehend entkräftet. Indessen befindet sich die gesamte Diskussion über die Entwicklung gerade der ärmsten Länder in einer Sackgasse, weil man den weitgehenden Misserfolg vergangener Anstrengungen und theoretischer Konzepte sieht, aber zu keinen fundamental neuen Lösungsansätzen gelangt ist. Die wirtschaftlichen Erfolge von Schwellenländern wie Südkorea, Taiwan, Singapur und Hongkong bilden die A u s n a h m e , die Schuldenprobleme vieler südamerikanischer und afrikanischer Staaten noch immer die Regel.
(2)
Unter den Industrienationen hat die frühere Dominanz der Vereinigten Staaten von Amerika zu einem grossen Teil der «Triade» USA, Japan (mit dem pazifischen Raum) und den immer näher zusammenrückenden Westeuropäischen Staaten Platz gemacht (Ohmae 1985). Der 1987 eingetretene Wertverlust des Dollars und der an einem einzigen Tag über alle Börsen der Welt sich ausbreitende Börsenkrach vom 19. Oktober des gleichen Jahres sind Ausdruck der engen wirtschaftlichen Vernetzung der privatwirtschaftlich organisierten Industriestaaten und eines global orientierten wirtschaftlichen Denkens und Verhaltens. «Globales Management» ist aus diesem Grunde zu einem bedeutenden - wenn auch nicht unumstrittenen - Stichwort in Theorie und Praxis geworden.
(3)
Zur Zeit b e w i r k e n die Bestrebungen zur V o l l e n d u n g des g e m e i n s a m e n Europäischen Marktes eine erhebliche Veränderung wesentlicher Rahmenbedingungen sowohl für die innerhalb der Europäischen Wirtschaftsgemein-
5. Kapitel: Internationales
Management
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Schaft beheimateten Unternehmungen wie für die Unternehmungen anderer Staaten. Sie dürfte zu Unternehmungs-Zusammenschlüssen und -Kooperationen und zu gewissen Verschiebungen von Produktionsstätten führen. Die Beziehungen zu Osteuropa, nicht zuletzt auch die wirtschaftlichen, dürften sich aufgrund der neuesten Entwicklungen in diesem Raum besonders rasch und nachhaltig verändern.
513
Grundlagen des internationalen Management
Die internationale Unternehmungsführung erfasst grundsätzlich alle Bereiche einer Unternehmung, d.h.: die der Grundstrategie entsprechenden funktionalen Strategien und, selbstredend, die tägliche Abwicklung der «Operationen».
5131 Grundstrategien Die Verschiedenartigkeit der zur Internationalisierung führenden Beweggründe führt zwangsläufig zu unterschiedlichen Mustern der Internationalisierung. Idealtypisch kann man diese wie folgt charakterisieren (Brauchlin 1988): (1)
(2)
Marginale Internationalisierung Das Schwergewicht der unternehmerischen Tätigkeit liegt im Heimatstaat. Der Absatz (bzw. die eigene Produktion) im Ausland besitzt nur eine beschränkte Bedeutung. Diesem Typus sind viele kleinste und kleinere Unternehmungen zuzuordnen, so Industrieunternehmungen mit gelegentlicher Belieferung ausländischer Abnehmer und gewisse Beratungsuntemehmungen. Reine Exportorientierung Auch in diese Kategorie fällt eine beträchtliche Zahl kleinerer und mittlerer Industrieunternehmungen. Diese produzieren zur Gänze im Inland, exportieren aber den grössten Teil der von ihnen gefertigten Produkte. Beispiele hierfür lassen sich in so unterschiedlichen Industriezweigen wie Textilien, Maschinen und Apparate, Chemie, Elektrotechnik und Elektronik finden.
(3)
Reine Produktions- und/ oder Entwicklungsorientierung Diese Formen sind unbedeutend. Denn selten sind die Unternehmungen, welche ihre Produkte schwergewichtig im Ausland herstellen, diese aber nur im Inland absetzen. Häufiger sind Fälle einer auftragsbezogenen Produktion durch Hilfe im Ausland. Man spricht in diesem Zusammenhang von passiver (Lohn-)Veredelung.
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(4)
J. Kapitel: Internationales
Management
«Vollinternationalisierung» Dabei werden alle unternehmerischen Kernfunktionen (Absatz, Produktion sowie i m m e r häufiger Forschung und Entwicklung) internationalisiert. In dieser Gruppe sind erneut zwei Typen zu unterscheiden: Integrierte Voll-Internationalisierung Dabei werden für einen «globalen» Markt identische oder doch weitgehend ähnliche Produkte im Prinzip weltweit im Verbundsystem entwickelt, gefertigt und vertrieben. Beispiele h i e r f ü r sind C o c a - C o l a , I B M , Teile der A u t o m o b i l i n d u s t r i e und, i m m e r ausgeprägter, die p h a r m a z e u t i s c h e Industrie. Der A m e r i k a n e r Levitt (1983) ist der Hauptvertreter dieser Denkhaltung. Er argumentiert, dass sich die Welt aufgrund der Technologie zu einem globalen Markt für standardisierte Verbrauchsgüter entwickelt. Unternehmungen, die sich dieser neuen Realität bewusst sind, werden nach Levitt von Skalenerträgen in den Bereichen Produktion, Vertrieb, Marketing und Management profitieren. Diese Skalenerträge schlagen sich letztendlich im Preis nieder, so dass die globale Unternehmung über den Faktor Preis konkurriert. Lokal-orientierte Voll-Internationalisierung Dieser Unternehmungstyp versteht sich gleichsam als Föderation nationaler oder allenfalls regionaler Firmen, welche versuchen, länder- bzw. regionsspezifische Produkte zu erstellen. Eine derartige Strategie kann z.T. durch die Marktbedürfnisse begründet sein (national differenzierte Anforderungen an das Produkt, den Service, den Vertrieb). In diesem Sinne sind aufgrund der Marktkräfte Zementhersteller aber auch noch viele Automobilhersteller regional geprägt (europäisch, bzw. italienisch, französisch, deutsch etc.). Zum Teil liegen die Ursachen d a f ü r aber auch in staatlichen Vorschriften, also tarifären und nicht-tarifären H a n d e l s h e m m n i s s e n . Die Forderung nach «local content» oder Jointventures, besondere nationale Normen, Restriktionen bei der Finanzierung und die staatliche Beschaffungspolitik sind entsprechende Tatbestände. Aufgrund staatlicher Einflüsse sind z.B. Teile der Elektro- und der T e l e k o m m u n i k a t i o n s - I n d u s t r i e beispielsweise bei ITT und B B C nach wie vor stark nationalstaatlich ausgerichtet (Doz 1986). A n z u m e r k e n ist ferner, dass auch voll-internationalisierte Unternehmungen aufgrund ihrer historischen Entwicklung und z.T. unterschiedlich hoher Markteintrittsbarrieren stark auf ihr Ursprungsland oder - im Falle schweizerischer Unternehmungen - auf ihre Ursprungs-Region
.5. Kapitel: Internationales
Management
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hin ausgerichtet sind. Durch eine Fülle von Akquisitionen und Kooperationen versuchen derzeit viele von ihnen, derartige Schwergewichte bzw. Einseitigkeiten, abzubauen. Die verfolgte Grundstrategie schlägt naturgemäss auf die Unternehmung, ihre Produkt-Markt-Strategie, ihre Organisation und ihre Finanz-Instrumente zurück. Die Unterschiede zwischen globaler und lokaler Orientierung von voll-integrierten Unternehmungen lassen sich wie folgt darstellen (Henzel 1986):
Unternehmung Merkmal
global orientiert
lokal orientiert
Marktorientierung
Weltmarkt
Nationale Märkte (Heimat-Markt)
Präsenz
Starke Präsenz auf allen wichtigen Märkten
Konzentration auf einzelne Länder
Produkteinführung
Weltweit
Gestaffelt nach Regionen
Eigene Produktion
Schlüsselkomponenten des Produkts
Möglichst viele Komponenten des Produkts
Organisation
Integration des globalen Geschäftssystems
Dezentralisierung der operationalen Verantwortung
Abb. 51: Merkmale global orientierter und lokal orientierter Unternehmungen
5132 Funktionale Strategien Die «funktionalen Strategien» spezifizieren die im Rahmen einer Grundstrategie zu verfolgenden funktionalen Ziele und Verhaltensweisen. Wegen der Weite des Feldes ist es an dieser Stelle nicht möglich, sie im einzelnen auch nur grobflächig darzustellen. Wir müssen es deshalb mit einer Übersicht bewenden lassen und uns mit der stichwortartigen Darstellung von drei Sonderfragen begnügen. Die in der folgenden Abbildung wiedergegebene Aufstellung vermittelt eine Synopse über die im wesentlichen unternehmungs-/ und geschäftsbereichsspezifischen Fragestellungen:
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5. Kapitel: Internationales
Management
Forschung und Entwicklung - Standorte eigener Forschungs-Labors? - Ausmass/ Standorte lokal orientierter Entwicklungen? -
Lizenz-Politik?
Produktion - Im Ausland produzierte Teile des Sortiments bzw. Komponenten? - Wie lassen sich Transport-Zeiten und -Kosten tief halten? - Eigenfertigung/ Fremdbezug? Marketing - zu bearbeitende, spezifische Marktsegmente? - Ausmass an Standardisierung/ Differenzierung zwischen den Märkten mit Bezug auf die Produkte und die einzelnen Marketing-Instrumente? - Nationale/ globale Preis und Distributions-Strategien? Finanzen - Ausstattung mit Eigen-/ Fremdkapital der Tochtergesellschaften? - Quellen von Eigen-/ Fremdkapital im In- und Ausland? - Absicherung gegen Währungsrisiken und Enteignungen? Führung - Organisatorische Grundstrukturen? - Führungs- und Kontrollsystem? - Personalpolitik (Besetzung der obersten Positionen mit Angehörigen des Stammsitzlandes, des Gastlandes, einer international zusammengesetzten Gruppe von Managern)? Ausbildungspolitik? - Entwicklung und Durchsetzung einer einheitlichen UnternehmungsKultur?
Abb. 52: Funktionsbezogene Fragen internationaler Strategien
.5. Kapitel:
Internationales
Management
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Im Bereich des Marketing verdient die Frage nach der Standardisierung/ Differenzierung die grösste A u f m e r k s a m k e i t . A b g e s e h e n von diesem Aspekt sind keine neuen Prinzipien zu nennen, die nicht auch im Zusammenhang mit inländischem Marketing diskutiert werden müssen (Kotler 1982). Die Standardisierungs-/ Differenzierungsfrage muss firmen- und produktspezifisch beantwortet werden. Darüber hinaus ist auch nach den verschiedensten Aspekten des Marketing-Mix zu unterscheiden. Dazu vermittelt die folgende Abbildung einen Überblick (Kotler 1986).
Produktgestaltung Marken-SortimentsAusrichtung
Standardisierung
Werbung
Distribution Differenzierung Preispolitik
Abb. 53: Standardisierung und Differenzierung im Marketing-Mix
Preispolitische Entscheidungen stützen sich auf die entstehenden Kosten und das A b s a t z - V o l u m e n (Mason 1987). Je nach der verfolgten Preisstrategie können Entscheidungsträger diese Variablen unterschiedlich bewerten. Es ist j e d o c h wichtig, auch die Nachfrageseite angemessen zu berücksichtigen. In Ländern mit wenig Konkurrenz kann der Preis höher sein, als auf stark umkämpften Märkten. Das Preisniveau hängt aber auch von anderen Faktoren, wie z.B. Einkommensniveau, G e s c h m a c k und dem Zugang zu Vertriebswegen ab. In vielen Ländern mit niedrigem Einkommensniveau wird z.B. ein kostendeckender Preis u.U. nicht viele K o n s u m e n t e n anziehen, weil sie nicht über genügend finanzielle Mittel v e r f ü g e n . Aber auch die Kultur ist ein Faktor, der Konsumenten zum Konsumverzicht bringen kann. Ein Preis, der in einein Land als vorteilhaft angesehen wird, kann in einem anderen Land als exorbitant hoch betrachtet werden. Der nationalen/ regionalen Preisdifferenzierung sind insbesondere zwei Grenzen gesetzt. Ein vom Produzenten nicht immer kontrollierbarer Handel kann das Produkt in d e m einen Land zu einem niedrigen Preis einkaufen, um es dann mit be-
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5. Kapitel: Internationales
Management
trächtlichem Gewinn, aber unter dem Anbieterpreis, in einém anderen Land wieder zu verkaufen. Z u d e m darf der Einfluss der Gastregierungen auf die Preisgestaltung ebenfalls nicht unterschätzt werden. In einigen Ländern verfügt die Regierung über Instrumente der Preiskontrolle, die den Verkaufspreis ziemlich genau festlegen und nach oben oder unten nur wenig Spielraum lassen. Im Bereich der K o m m u n i k a t i o n ist es wichtig, auf kulturelle Unterschiede einzugehen und nicht vorauszusetzen, dass eine Werbebotschaft universell verwendet werden kann. Die Brauerei Heineken z.B. versucht ihren Marktanteil in bereits bearbeiteten Ländern zu erhöhen und sich in neuen Ländern zu etablieren. Anstelle einer universellen Werbestrategie, passt Heineken seine Werbung gezielt an die Erfordernisse der einzelnen Länder an. In Ländern, in denen traditionell Wein getrunken wird, wie zum Beispiel Italien und Frankreich, wird versucht, die Konsumenten zu Biertrinkern zu bekehren. Im italienischen Werbespot wird Bier als Getränk für alle Gelegenheiten propagiert. Einer der französischen Werbespots zeigt demgegenüber einen gepflegten Schauspieler mittleren Alters, der ein Glas Heineken gegen das Licht hält, als wäre es ein Glas edlen Weines. In Japan positioniert sich Heineken als das Getränk mit dem europäischen Flair f ü r erfolgreiche Aufsteiger. Der Werbespot zeigt Herren im Smoking und elegante Damen an Bord des legendären Orient Express beim Genuss von Heineken. In den USA wiederum versteht sich Heineken als ein Statussymbol gleich dem Rolls Royce unter den Bieren (The Wall Street Journal 1984). Im Bereich Produktion stellt sich bei Z u k a u f t e i l e n zunächst die Frage des Inlands- oder des Auslandsbezuges. Einige Faktoren für den Auslandsbezug sind z.B. tiefere Preise bei gleicher oder besserer Qualität und Spezialitäten, die im Inland nicht geboten werden. Für den Inlandsbezug können Faktoren wie eine allgemeine Inlandsorientierung, kleinere Distanzen und damit kürzere Transportw e g e , weniger umständliche Kommunikation, W e c h s e l k u r s s c h w a n k u n g e n und Streiks, sowie grössere Vertrautheit sprechen. Der Betrieb von Produktionsstätten im Ausland - was zum Definitionsmerkmal multinationaler Unternehmungen gehört - ist bei grösseren Industrie-Unternehmungen die Regel, bei kleineren die Ausnahme. So stammen ca. 97% des Weltumsatzes der Nestlé AG aus ausländischer Produktion, und die Firma Ciba-Geigy unterhält alleine im europäischen Raum über 40 Tochterunternehmen im Bereich der Produktion. Die G r ü n d e für die Auslandsverlagerung der Produktion sind vielfältig und variieren je nach Unternehmungsgrösse und Branche. Für die typische multinationale Unternehmung dürfte jedoch die nachfolgende Auflistung kennzeichnend sein:
5. Kapitel: Internationales
Management
221
Grössere Marktnähe, geringere Lohnkosten, geringere Transportkosten, protektionistische Z w ä n g e , bessere Exportmöglichkeiten in Drittländer, WährungsGriinde. Immer häufiger versuchen die Grossuntemehmungen internationale Produktionsverbunde spezialisierter Produktionsstätten aufzubauen. Diese Netze werden ergänzt durch eine meist ansteigende Zahl von Kooperationen. Entsprechende Beispiele finden sich u.a. in der chemischen Industrie, der Automobilindustrie und der (Tele-) Kommunikationsindustrie. W i e die Bearbeitung ausländischer Märkte und die Produktionsverlagerung ins Ausland besitzt auch das Lizenz-Geschäft eine lange Tradition. Dabei sind die folgenden Unterscheidungen zu treffen (Heuss 1986): (1)
Inhalt einerLizenz: Produkt-Wissen; Verfahrens-Know-how;Markenzeichen.
(2)
Vertraglicher Kontext: Lizenz als Selbstzweck oder Lizenz als Teil einer umfassenderen Beziehung (z.B. im Rahmen eines «Joint-ventures» oder im Rahmen einer Konzernbeziehung).
Aus der Sicht des Lizenz-Gebers sind von einem auf das Know-how bezogenen Lizenz-Vertrag mit einer von ihm wirtschaftlich unabhängigen Firma die folgenden Vorteile zu erwarten: (1)
Beitrag an ohnehin zu tätigende Forschungs- und Entwicklungsaufwendun-
(2)
Geringe Einstiegsrisiken in ausländische Märkte in Kombination mit einem
gen. raschen Marktzugang. (3)
Kein Erfordernis von Investitionen.
Ihnen stehen jedoch auch einige nennenswerte Nachteile gegenüber: (1)
G e f a h r des Wissens-Abflusses in einer nur beschränkt vorhersagbaren und k a u m kontrollierbaren Art.
(2)
Einschränkung in der Wahl anderer Formen der Markterschliessung.
(3)
z.T. hohe Kosten für den Vertragsabschluss und die mit der Lizenz verknüpfte technische Hilfe im Verhältnis zu den Lizenz-Erträgen.
Im Hinblick auf diese Nachteile stellen Lizenzverträge zumeist nicht das «grosse G e s c h ä f t » dar, doch ist im Z u s a m m e n h a n g mit der i m m e r häufiger werdenden internationalen «kompetitiven Kooperation» eine gewisse Z u n a h m e ihrer Bedeutung festzustellen.
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5. Kapitel: Internationales
Management
U H A G (a)
«Was nützt es, w e n n m a n trotzig aufrecht steht und dann bricht? Viel besser ist es, biegsam zu sein und seine Stärke für die Zeit nach dem Sturm zu bewahren. Das ist die Bambusweisheit. Sie hat viele Aspekte». Julius Müller lernte als Mitarbeiter des schweizerischen Handelsunternehmens Volkart den Fernen Osten k e n n e n . Er erkannte Marktchancen f ü r europäische Investitionsgüter in Japan, konnte jedoch seine Ideen bei seinem Arbeitgeber nicht realisieren. So gründete er 1927 gleichzeitig die Uebersee Handel AG ( U H A G ) in Zürich und Kaigai T s u s h o K.K. in Tokyo. Es war die Zeit des W i e d e r a u f b a u s nach dem grossen Erdbeben vom 1. September 1923: in den Städten Tokyo und Yokohama wurden schätzungsweise eine halbe Millionen Häuser und 140'000 Menschen eingeäschert. Die Idee von Julius Müller war einfach und erfolgreich: ein Produkt (Werkzeugmaschinen) und ein Markt (Japan). Aufgrund des Erfolges wurden im selben Jahr Geschäftsbeziehungen mit China a u f g e n o m m e n und ein Jahr später, vom industriellen W a c h s t u m Japans profitierend, die erste Zweigstelle (Office) in Osaka eröffnet. Es folgten bis zum Ende des zweiten Weltkrieges weitere Gründungen in USA (1940), Brasilien (1942) und Spanien (1944): eigene Niederlassungen unter dem internationalen Namen C O S A (Commerce d'outre-mer SA).
521
Die Entwicklung
Im Frühmittelalter vernichteten Einlalle der Araber den Orienthandel, die Geldwirtschaft brach z u s a m m e n , das Gebiet zwischen Rhein und Loire entwickelte sich zum Handelszentrum. Der im 8. und 9. Jh. von den Juden/ Syrern (Mittelmeer, Orient) und Friesen (England, Skandinavien) beherrschte Handel wurde durch die Aktivitäten der Wikinger abgelöst. Aber bereits um 1050 übernahmen die Slaven den Ostseehandel und anstelle des arabischen Silbers traten die Erze der Harzer Bergwerke. Seit dem 11. Jh. bestanden genossenschaftliche Z u s a m m e n s c h l ü s s e deutscher K a u f l e u t e , die den A u f b a u eines W i r t s c h a f t s r a u m e s der Ostseeländer (11501250) bewirkten. Im Bund «van der düdeschen hanse» erfolgte ein allgemeiner Z u s a m m e n s c h l u s s (1358), um die Vorteile im Handel weiter zu sichern, beispielsweise durch die Verhansung (Warenboykott eines Hafens oder Landes). Das Erstarken der nordischen Nationalstaaten führte im 15./ 16. Jh. zu einem allgemeinen Niedergang der Hanse. V e n e d i g und G e n u a gewannen im 11. Jh. an Reichtum durch die Transport-, Bank- und Kreditgeschäfte. Auch ihre Bedeutung sank mit der Verlagerung des Handels von den europäischen Binnenmeeren zum Atlantik: Lissabon, Sevilla
5. Kapitel:
internationales
Management
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und Rotterdam lösten diese bisher führenden Seestädte ab. Die Einfuhr neuer Produkte (Kartoffeln, Mais, Tabak) wie der Aufbau der Plantagenwirtschaft zeigten sich in einer deutlichen Steigerung des Welthandels. Erste deutsche Handelsgesellschaften, beispielsweise die Ravensburger Handelsgesellschaft (1380-1530), wurden gegründet; finanzielle Beteiligungen am W a rentransport (Schiffsbau) und an Kontoren (Faktoreien) erfolgten. Im 16. Jh. entstanden in England, Holland und Frankreich Handelskompanien, die unterschiedlich in die staatliche Kolonialpolitik integriert waren, beispielsweise die Ostindische K o m p a n i e (1600-1858) als Träger englischer Kolonialpolitik. Ausgehend vom Import der Produkte aus den Kolonien (unilateraler Handel) entwickelte sich durch die Industrialisierung zu Beginn des 19. Jahrhunderts der bilaterale Handel: Grossbritannien wurde eine Weltmacht und blieb auch bis zum Ende des 19. Jh. industriell führend. Noch vor dem Opiumkrieg (1840-42) erfolgte im Kontext des staatlich kontrollierten Aussenhandels über Hong-Kaufleute in Kanton (China) die Gründung des ersten internationalen Handelshauses (1832): Jardine, Matheson & Co. Ltd, eine Gesellschaft, die sich zu einer der grössten und bekanntesten in Hongkong, wohin sie ihren Sitz schon 1842 verlegte, entwickelte. Die britischen Verbote des Sklavenhandels (1807), der Sklaverei (1833) und der Sklavenausfuhr (1841) bewirkten einen Rückgang des Handels mit Afrika; dänische und niederländische Faktoreien wurden aufgegeben. Eine wichtige Folge des Ersten Weltkrieges war die Unterbindung des internationalen Warenaustausches durch nationale Schutzzölle, die Entstehung neuer europäischer Zollgrenzen und des staatlichen Aussenhandelsmonopols der Sowjetunion. Nach der Weltwirtschaftskrise dominierten bilaterale Handelsabkommen. Seit d e m Ende des Zweiten Wellkrieges finden wir verschiedene Ansätze der Liberalisierung, aber auch T e n d e n z e n des Protektionismus, die zur heutigen multilateralen Handelssituation, im Rahmen verschiedener internationaler Regelungen wie dem G A T T , führten. In der Schweiz dominierte zunächst der Binnenhandel, da insbesondere exportfähige Produkte fehlten. Eine Ausnahme bildete seit dem 13. Jahrhundert der Handel mit Seide. Die Rohseide wurde aus Italien bezogen, im Raum Zürich verarbeitet und dann exportiert. So waren 1880 im Kanton Zürich 30'000 Seidenhandwebstühle in Betrieb. Aufgrund der Bedeutung dieser Industrie befand sich ein Konsulat der Vereinigten Staaten von Amerika in den Jahren 1870-80 in Horgen. E b e n s o finden wir einen internationalen Handel mit Leinen aus St. Gallen und Seidenbändern aus Basel. So gründete Johann Fürstenberger 1719 als K o m m a n ditgesellschaft eine Handelsgesellschaft, die sich durch Einheirat zur heutigen Unternehmung Simonius, Vischer & Co. entwickelte. Seit der Gründung war der
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5. Kapitel: Internationales
Management
Wollhandel eine tragende Handelsaktivität, die im Frühling 1982 aufgrund von W ä h r u n g s p r o b l e m e n aufgegeben wurde, da bei G e w i n n s p a n n e n von höchstens 3% und jährlichen W ä h r u n g s s c h w a n k u n g e n bis zu 4 0 % das unternehmerische Risiko zu gross erschien ( N Z Z vom 17. März 1982). Die heutigen schweizerischen Welthandelshäuser entstanden erst Mitte des 19. Jahrhunderts. Meist war mit der G r ü n d u n g in der Schweiz eine G r ü n d u n g im Ausland verbunden. Im Gegensatz zu den englischen und holländischen Welthandelshäusern, «the trade follows the flag» war während Jahrhunderten ein tragender Grundsatz, waren die schweizerischen Handelsfirmen «die ersten, die ihre Fernhandelsgeschäfte völlig und wirklich international oder weltweit betrieben» (Vontobel 1974): (1)
Andre & Cie S.A.
Das 1877 aus einem Detailhandelsgeschäft hervorgegangene Handelshaus ist primär im internationalen Handel mit Getreide, Kaffee, Tee und ähnlichen Produkten tätig. Beinahe 10% des heutigen Welthandels von Weizen, Mais und S o j a b o h n e n werden von dieser Familienfirma gehandelt, die in C h i c a g o und Moskau Vertretungen hat und weiter in der Hochseeschiffahrt, im Finanzierungsund Kompensationsgeschäft tätig ist. (2)
Sibner Hegner Holding AG
Geschäftsaktivitäten mit Japan wurden von der heutigen Sibner Hegner Holding A G bereits im Jahre 1865 a u f g e n o m m e n : «Als die schweizerische Regierung, wenige Jahre nach der 1848 erfolgten Gründung des helvetischen Bundesstaates, zufolge einer Anregung der Union Horlogere eine Handelsdelegation ins japanische Kaiserreich entsandte, war ein junger Kaufmann namens Caspar Brennwald als Sekretär der Delegation mit von der Partie. Er war es, der wenig später zusammen mit dem Seidenfachmann Hermann Sibner die Firma Sibner & Brennwald in Y o k o h a m a gründete und sich im fernöstlichen Rohseidenhandel rasch einen klingenden N a m e n machte« (Vontobel 1974). Gleichzeitig wurde in Japan der Verkauf schweizerischer Uhren über dieses Handelshaus a u f g e n o m m e n . Es war die Zeit nach einer Isolation von zweihundert Jahren: Japan war im beginnenden 17. Jahrhundert eine blühende Wirtschaftsmacht. Nach langer innerer Zerrissenheit und Kriegen war Ruhe eingekehrt. Es entwickelte sich ein enormer Import- und Exportboom, auch nach Europa, beispielsweise von Edelmetallen und Silber. Diese Entwicklung wurde durch die Politik der Isolation jäh unterbrochen. Die Shogunats-Regierung entschloss sich in den dreissiger Jahren des 17. Jahrhunderts zu diesem Schritt: «Aus Sorge, dass das mächtige spanische Kolonialreich, das sich inzwischen bis auf die Philippinen ausgebreitet hatte, Japan angreifen werde, verordnete der Shogun die Schliessung sämtlicher Häfen,
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verbot allen Japanern bei Todesstrafe das Land zu verlassen, und beschleunigte den Ausbau der Küstenbefestigungen. Der Gang in die Isolation war angetreten» (Matsubara). Die Sibner Hegner Gruppe, mit über 40 Konzern- und Beteiligungsgesellschaften und mehr als 1 '400 Mitarbeitern, handelt heute mit industriellen Rohstoffen, wie Seiden, Fasern, Stahl oder Erzen, technischen Maschinen, beispielsweise Werkzeugmaschinen, industriellen Anlagen, und Konsumgütern: Uhren, Perlen, Kosmetika, und Textilien. (3)
Union Trading Company Ltd.
Diese Handelsgesellschaft hat ihre Wurzeln in einer pietistischen «Erweckungsb e w e g u n g » von 1780: der Basier Mission. A u f g r u n d der Missions-Kontakte schlug Ulrich Zellweger, ein Auslandschweizer, durch Einheirat Mitglied des Komitees der Basler Mission geworden, die Gründung einer Handelsgesellschaft vor. 1859 wurde die «Missions H a n d l u n g s - G e s e l l s c h a f t A G » ( M H G ) gegründet: «This company raised sufficient capital to establish beneficient industries in India and on the West Coast of Africa, and thereby gave work to the converts of the Basel Mission in those countries, and utilised the profit of such concerns for the general Mission work above Society, retaining only a small part of the profit, which is to be paid as a dividend to the shareholders» ( H o f m a n n 1913). So wurden mit Indien und W e s t a f r i k a Handel betrieben, der Anbau von Kakao und Baumwolle gefördert und Industrieunternehmungen aufgebaut. Die Handelstätigkeit wurde «... wirksame Gehülfin, um dem Christentum die Bahn zu ebnen ...». Zellweger zog eine « f ü r die Basler Mission unannehmbare Schlussfolgerung: man könne Handelsstätten aus kommerziellen Gründen ohne gleichzeitige Missionierung errichten» (Vontobel 1974). Seit 1917 untersteht die Gesellschaft nicht mehr der Mission, sie entwickelte sich zu einem Handels-, Dienstleistungs- und Industriekonzern mit mehr als 30 Tochtergesellschaften und lO'OOO Mitarbeitern; beispielsweise durch eine Mehrheitsbeteiligung am JelmoliKonzern. (4)
Volkart Brothers Holding Ltd.
Am 1. Februar 1851 gründeten Salomon und Johann Georg Volkart gleichzeitig in Bombay und Winterthur die Kollektivgesellschaft «Gebrüder Volkart». Diese Gründung wurde durch die Aufhebung der britischen Navigationsakte (1849), die britischen Schiffen das Transportmonopol von und zu den Kolonien garantierte, wesentlich erleichtert, da die Brüder Volkart sich auf den Handel mit indischen und pakistanischen Rohstoffen, primär Baumwolle, und europäischen Fertig- und Halbfertigprodukten spezialisierten. Seit der Heirat von T h e o d o r Reinhart mit
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Salomon Volkarts Tochter ist die Familie Reinhart Besitzerin des Handelshauses. Die Familie wurde durch die «Sammlung» und «Stiftung Oskar Reinhart» nicht nur in Kunstkreisen bekannt. Seit 1985 steht die vierte Generation dieses Winterthurer Geschlechtes an der Spitze des Handelshauses. Die geographische Ausrichtung auf Indien, dem heutigen Pakistan, Sri Lanka und Bangladesh wurde durch die heutige weltweite Konzentration auf den Handel mit Baumwolle (Marktanteil am internationalen Handel 1985: 5%), Kaffee (7%) und Kakao (8%) teilweise abgelöst. Andererseits wurde bereits 1954 mit T A T A Sons, einem führenden indischen Industriekonzern, die Voltas Limited, Bombay, gegründet, die sich zur grössten indischen Veitriebsorganisation entwickelte (9'000 Mitarbeiter). Sie importiert europäische und amerikanische Güter und vertreibt einheimische Industrieprodukte. Mit 450 Mitarbeitern, davon rund 100 in Winterthur, erzielte die Volkart im Geschäftsjahr 1984/85 einen Umsatz von rund SFr. 2.5 Mrd.. Über 50% des Umsatzes entfallen auf das Kaffee-Geschäft, wo Volkart weltweit die N u m m e r zwei im Handel mit Rohkaffee ist. (5)
Ausländische Welthandelshäuser
Von diesen Welthandelshäusem, beispielsweise der Det Ostasiatiske Kompagni (Kopenhagen), der Société Commerciale de l'Ouest Africain ( S C O A / Paris), der Internatio-Müller N.V. (Rotterdam), oder der Mitsui & Co. Ltd. (Tokyo), sei die Entwicklung der Swire-Gruppe skizziert: Die Familie Swire begann 1816 in Liverpool mit dem Textilhandel, der jedoch durch den amerikanischen Bürgerkrieg starke Einschränkungen erlitt. So eröffnete der Firmengründer John Samuel Swire 1866 in Shanghai, 1867 in Japan und 1870 in H o n g k o n g Niederlassungen. Zunächst versuchte sich Swire im Textilhandel. Er musste jedoch feststellen, dass mit Schiffsfracht höhere G e w i n n e zu erzielen waren. Er gründete Schiffahrtslinien und versuchte, die vor- oder nachgelagerten Produktionsstufen oder Geschäfte zu integrieren. Nach den Verlusten durch den zweiten Weltkrieg wurde die Gruppe von Hongkong aus neu aufgebaut. Die Swire G r u p p e stand lange im Schatten der Jardine Matheson & Co. Noch 1973 erzielte diese einen Jahresgewinn von 137 Mio. Hongkong-$, die Swire G r u p p e nur 32 Mio. H o n g k o n g - $ (1 H o n g k o n g - $ gleich SFr. 0.25). Der U m schwung im K o n k u r r e n z k a m p f bahnte sich 1982 an, als Jardine nach dem Zusammenbruch des Immobilienmarktes in Hongkong umfangreiche Wertberichtigungen vornehmen musste. 1984 erarbeitete John Swire & Sons einen Gewinn von 1.05 Mrd. H o n g k o n g - $ , Jardine noch 700 Mio. H o n g k o n g - $ . Die SwireG r u p p e , wegen ihrer diskreten, aber erfolgreichen Unternehmungspolitik die «eiserne Reisschale» genannt, ist heute im Immobiliengeschäft, beispielsweise
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Einkaufszentren und Hotels in den USA, im Transportwesen (Schiffahrt, Fluglinie, Spediteure, Kühlhäuser), in der Produktion, beispielsweise von Coca-Cola und anderen Softdrinks in Hongkong und den USA, inkl. der Softdrink-Dosen, und Dienstleistungen (Versicherungen, Reiseagenturen) tätig. Der geographische Schwerpunkt der Aktivitäten liegt auch heute im Fernen Osten.
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Der Welthandel
Der Welthandel lässt sich in den Überseehandel (Export nach nicht auf dem L a n d w e g erreichbaren Ländern in Kenntnis der lokalen Situation) und den Transithandel (Warenvermittlung zwischen zwei Ländern aus einem Drittland) gliedern. Der Transithandel entspricht daher nicht der Durchfuhr, dem Reexport oder dem Veredlungsverkehr. In dieser Handelsstruktur können wir heute zwei Grundtypen von Handelshäusern unterscheiden, wobei Mischformen überwiegen: Commodity Trader: Rohstoffhandel General Trader: Nichtrohstoffhandel Der Commodity Trader nutzt die Angebots-/ Nachfrage-Disparitäten und nimmt zwischen den meist grossvolumig angebotenen und nachgefragten Mengen und resultierenden Preisen dauernde Ausgleiche, sog. Arbitragen, vor. Entsprechend dem Volumencharakter sind die Handelsmargen äusserst gering, die Risiken jedoch sehr hoch. Die gehandelte Ware wird meist physisch nicht bewegt, d.h. sie verbleibt am Ort und wechselt nur den Besitzer (Buch-Geschäft). Die Charakteristiken dieser Form sind daher: warenspezifischer Handel substituierbare Produkte international standardisierte Produkte wenige, feste Börsenplätze Handel nach internationalen Regeln Der General Trader handelt mit Investitions- und Konsumgütern (dauerhafte und nicht-dauerhafte) oder führt Spezialabwicklungen durch, beispielsweise Tauschgeschäfte oder Kompensationen als Grundformen vielfältigster, sich dauernd wandelnder Handelsformen. Diese Veränderungen führten zu einer Vielzahl von unpräzisen Begriffen. Ein wesentliches Kriterium der Begriffsdifferenzierung ist die Frage, inwieweit der Kaufpreis eines Gutes gegen andere Güter abgegolten wird:
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(1)
5. Kapitel: Internationales
Management
Tauschgeschäft
Das reine Tauschgeschäft (klassischer Barter) ist ein Realtausch zwischen Lieferant und A b n e h m e r ohne die V e r w e n d u n g von Geld und ohne die Einschaltung eines Dritten, z.B. Milchpulver aus den USA gegen Bauxit aus Jamaica. Der zeitliche Ablauf des Gegengeschäftes erfolgt grundsätzlich simultan, ohne Fakturierung und Bezahlung. Die relativ geringe Verbreitung dieses Geschäftes beruht auf der Schwierigkeit, f ü r die gelieferten Produkte benötigte und wert- und qualitätsgleiche Produkte zu erhalten. Gesetzliche Regelungen behindern zusätzlich diese Handelsform. Der Begriff des Tauschgeschäftes (barter) wird häufig zum Begriff des Verbundg e s c h ä f t e s (countertrade) synonym verwendet. Dieser ist auch ein möglicher O b e r b e g r i f f : «In its broadest sense, the term covers all international trade in which goods are swapped for goods - a kind of Concorde-class barter» (Dizard). So haben beispielsweise verschiedene Staaten Verträge mit der Korea Trade Promotion Corporation ( K O T R A ) abgeschlossen (Korea Trade & Business): (1) Mexiko möchte in Korea produzierte Reifen, gewebte Textilwaren und elektronische Teile im T a u s c h gegen Bergbauprodukte importieren. (2) Ecuador unterz e i c h n e t e einen Barter-Vertrag zur L i e f e r u n g von M e e r e s p r o d u k t e n
gegen
koreanische Webstühle. (3) Äthiopien versucht, einige tausend T o n n e n Salz gegen koreanische Plastiktaschen und Kühlschränke zu tauschen. (2)
Kompensation
Bei der Kompensation verpflichtet sich der Verkäufer, im G e g e n z u g für die von ihm gelieferten Waren anstelle einer Bezahlung mit Geld, bestimmte Warenmengen v o m K ä u f e r zu übernehmen. Entspricht die Kompensationsmenge dem gesamten Lieferwert, so liegt eine Vollkompensation und damit ein reines Tauschgeschäft (klassischer Barter) vor; ansonsten eine Teilkompensation. Lieferung und G e g e n l i e f e r u n g werden in einem Vertrag geregelt, bei d e m Dritte eingeschaltet werden können. Bei einem Kompensationsgeschäft entstehen f ü r den Verkäufer Zusatzkosten von schätzungsweise 7 - 9 % gegenüber einem Vertrag auf Kassabasis. Bei der Teilkompensation ist nur der Verkaufspreis, der in Devisen vereinbart ist, für den Exporteur innerhalb der vereinbarten Zahlungsfristen verfügbar. Der restliche Verkaufserlös ist erst dann verfügbar, wenn die Kompensationsprodukte verkauft und bezahlt werden. Kompensationsgeschäfte finden auch zwischen drei Vertragspartnern statt: Dreieckskompensation (Switch-Geschäft mit den Formen des Finanz- oder WarenSwitch). So verkaufte beispielsweise Daimler-Benz 30 Lastwagen nach Rumänien gegen 150 rumänische Jeeps. Die Jeeps wurden von einer Handelsfirma ge-
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Internationales
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gen Bananen nach Ecuador verkauft, das Bananen an eine deutsche SupermarktKette lieferte, die dann Daimler-Benz bezahlte. Voll- oder Teilkompensation sind auch beim Parallelgeschäft (Gegengeschäft/ counter budget) möglich: Bei dieser Form verpflichtet sich der Verkäufer, im Gegenzug der gelieferten Ware eine gleichwertige Warenmenge vom Käufer zurückzukaufen. Beide Vorgänge werden mit getrennten Verträgen geregelt, meist mit einem Rahmenvertrag miteinander verbunden, und mit Geld beglichen. Eine weitere bedeutende Variante ist das Rückkaufgeschäft (buy back/ buy back agreement/ back barter). Hier verpflichtet sich der Verkäufer von meist schlüsselfertigen Anlagen, zum Rückkauf der Produkte, die mit diesen Anlagen hergestellt werden. Die Höhe der Rückkaufverpflichtung kann den Lieferwert überschreiten, da oft auch die Finanzierungskosten kompensiert werden müssen. Das Rückkaufgeschäft ermöglicht es somit dem Kunden, beispielsweise einem Ostblockland, die Lücke zwischen erforderlichen Investitionen und den verfügbaren finanziellen Mitteln zu schliessen. Es ist daher nicht erstaunlich, dass zum Beispiel die Brown, Boveri & Cie. AG (BBC) als Kraftwerkhersteller mit Erdöl, Tomaten, Essbestecken oder Pflaumen handelt. Eine spezifische Form finden wir im Zusammenhang mit Rüstungsgütern und gewissen zivilen Produkten, beispielsweise Flugzeugen. Die Dimension einer Kompensation erhalten diese Geschäfte nur, wenn auch tatsächlich Gegenlieferungen erfolgen. In der Schweiz ist die Kompensation als mögliche Form der Beteiligung der Schweizer Industrie bei Auslandbeschaffungen fester Bestandteil der Richtlinien des Bundesrates zur Gestaltung der nationalen Rüstungspolitik. Die Ursachen der weltweiten Zunahme dieser Handelsformen: «The basic of countertrade with the East was bureaucratic inefficiency. The basic for the new countertrade with the Third World is the cutting off of bank credit» (Dizard). Das Importmotiv dieser Handelspartner ist die Situation, in der die devisenbringenden Exporteinnahmen hinter den Einfuhrverpflichtungen zurückbleiben und damit umfassende Zahlungsbilanzprobleme entstehen. Demgegenüber liegt ein mögliches Exportmotiv in der Förderung der eigenen Exporte mittels Kompensationsverpflichtungen.
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Die Unternehmung
Umfangreiche Aktivitäten lösten nach dem zweiten Weltkrieg die enge Orientierung der U H A G am Export von Werkzeugmaschinen ab. Neben Joint-ventures mit dem schweizerischen Handelshaus Liebermann Waelchli & Co SA (general trader) zwecks Export von asiatischen Konsumgütern in die Schweiz und nach Europa oder der Führung lokaler Handelsunternehmen wie der COSA-Lieber-
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5. Kapitel: Internationales
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m a n n T a i w a n Ltd. mit 300 Mitarbeitern, die unter anderem die Interessen von Brown Boveri & Cie und Sulzer wahrt, wurden verschiedene Produktions- und Engineering-Unternehmungen aufgebaut. Beispiele sind: 1980
C O S A Manufacturing Ltd., Hongkong Kaigai Engineering K.K., Tokyo
1981
Kaigai-Hell Graphic Center K.K., Tokyo
1982
C O S A Liebermann (Phils.) Inc., Manila
Trotz weiterer Diversifikationen (Kühlhaus Korea, Stärkefabrikation T a i w a n , W e r k z e u g b a u Singapore, Reisebüro Schweiz) ist die U H A G von intensiven Zyklen in den Investitionsgütermärkten stark betroffen. So variiert beispielsweise der jährliche Umsatz bei Maschinen bis zu 50% pro Produktgruppe oder Land. Zusätzlich wandeln sich diese G e s c h ä f t e vom E i n z e l m a s c h i n e n g e s c h ä f t z u m Systemgeschäft, wo Produkte verschiedener Hersteller kombiniert werden. Projekte, mit denen keine bedeutende Marktstellung je Land und Produkt erreicht werden kann, werden langfristig nicht weiter verfolgt (Konzentration der Kräfte). Trotzdem war die Rentabilität der bisherigen Geschäftsaktivitäten nicht zufriedenstellend. Die formulierten Ziele, insbesondere der «profit after tax» von 2-3% des Umsatzes und eine Verzinsung des Eigenkapitals von mindestens 2 0 % , konnten in den letzten 5 Jahren im Durchschnitt nie erreicht werden. Die U H A G / C O S A - G r u p p e ist im Jahre 1985 in 17 Märkten, primär Asien, und 10 Produktgruppen tätig: Japan (250 Mitarbeiter), Südkorea (250), Taiwan (300) und Hongkong sind die bedeutendsten Niederlassungen. W e r k z e u g m a s c h i n e n , Textilmaschinen und graphische Maschinen, meist schweizerischer oder bundesdeutscher Herkunft, sind, neben Joint-ventures, die grössten Umsatzbereiche. Weltweit sind 1'500, in Zürich 130 Angestellte beschäftigt. Dies bei einem Gruppenumsatz von mehr als SFr. 1 Mrd.. Die Hauptaktivitäten der U H A G / COSA-Gruppe als Handelshaus sind: (1)
U H A G / C O S A als Selbstkäufer Die U H A G kauft ein Produkt und verkauft es an die C O S A , die es an einen ihrer Kunden weiterverkauft.
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U H A G / C O S A sind verantwortlich für den V e r k a u f und den S e r v i c e (techn i s c h e V e r a n t w o r t u n g ) und tragen die G e s c h ä f t s r i s i k e n w i e D e l k r e d e r e und W ä h r u n g . A u f g r u n d des g e s a m t e n R i s i k o s b e t r a g e n die M a r g e n für die U H A G / C O S A - G r u p p e 1 5 - 2 5 % des Endverkaufspreises. (2)
U H A G / C O S A als V e r m i t t l e r ( K o m m i s s i o n s g e s c h ä f t ) D e r K u n d e kauft direkt b e i m Produzenten, die U H A G / C O S A tritt als V e r mittler a u f und erhält e i n e K o m m i s s i o n v o m Produzenten. D i e geringeren R i s i k e n führen zu kleineren M a r g e n ( 2 - 1 0 % ) .
D i e W a h l der G e s c h ä f t s a r t wird von den R i s i k e n (finanzielles, t e c h n i s c h e s ) , der Preissituation, d e m erwarteten U m s a t z v o l u m e n und der vorhandenen Infrastruktur der U H A G / C O S A für die M a r k e t i n g l e i s t u n g e n , insbesondere Dienstleistungen, beeinflusst. D i e Z u s a m m e n a r b e i t der U H A G / C O S A mit dem e i n z e l n e n H e r s t e l l e r beruht m e i s t a u f e i n e m e x k l u s i v e n Vertretungsvertrag für einen Markt mit e i n e r Kündigungsfrist von rund sechs M o n a t e n ; mit wichtigen Herstellern werden m e h r j ä h rige V e r t r ä g e a b g e s c h l o s s e n . Ein Handelshaus bringt e i n e m Hersteller von Investitionsgütern, j e nach Produkt und Markt ( M a r k t s e g m e n t ) m ö g l i c h e V o r t e i l e für den Markteintritt und die Markterhaltung: (1)
Maklerfunktion M a r k t e r s c h l i e s s u n g und - p f l e g e aufgrund der M a r k t k e n n t n i s s e , V e r h a n d lungserfahrung (Personal, B e h ö r d e n ) und s o z i o - d e m o g r a p h i s c h e Kenntnisse. Interessenwahrung des Lieferanten und K u n d e n : herstellereigene V e r k a u f s und S e r v i c e o r g a n i s a t i o n e n benötigen ein j ä h r l i c h e s U m s a t z v o l u m e n von j e S F r . 1 0 - 2 0 M i o . pro Land ( G e m e i n k o s t e n / R i s i k o v e r t e i l u n g ) . S i e sind hins i c h t l i c h m ö g l i c h e r S y n e r g i e e f f e k t e , wie der Ü b e r n a h m e von Vertretungen Dritter, relativ unflexibel.
(2)
Überbrückungsfunktion N e b e n den F u n k t i o n e n des r ä u m l i c h e n , zeitlichen ( L a g e r - und Kreditfunktion), pretialen ( P r e i s u n t e r s c h i e d e , finanzielle und w ä h r u n g s m ä s s i g e Ü b e r b r i i c k u n g ) und quantitativen/ qualitativen A u s g l e i c h s ( S o r t i m e n t s - und M a n i p u l a t i o n s f u n k t i o n ) ist die i n f o r m a t o r i s c h e e i n e p r i m ä r e Funktion von int e r n a t i o n a l e n H a n d e l s h ä u s e r n ( K e n n t n i s s e von M a r k t , R e c h t , M e n t a l i t ä t , u.ä.).
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Management
D a s F ü h r u n g s k o n z e p t d e r U H A G / C O S A - G r u p p e orientiert sich an der M a n a g e m e n t b y O b j e c t i v e s - I d e e . Die A u f g a b e n und V e r a n t w o r t u n g e n in ihren G r u n d z ü gen: (1)
U H A G Top Management Oberste Verantwortung für das Profit-Center «Land», die Produktbereiche ( A r e a of C o n c e n t r a t i o n
( A O C ) ) weltweit, die g e s a m t e n
Wachstums-/
D i v e r s i f i k a t i o n s s t r a t e g i e n und das G e s a m t k o n z e r n - R e s u l t a t . (2)
U H A G Produkt-/ Abteilungsleiter V e r a n t w o r t l i c h f ü r den G e w i n n des b e t r e u t e n P r o d u k t e s , w e l t w e i t u n d p r o Land.
(3)
C O S A Aussenstellenleiter Die A u s s e n s t e l l e n l e i t e r h a b e n keine ü b e r r e g i o n a l e V e r a n t w o r t u n g , sie sind f ü r ihr L a n d , b e i s p i e l s w e i s e J a p a n , mit d e n G e w i n n z i e l e n v o n 2 - 3 % S a l e s net n e t ( v o m U m s a t z n a c h allen S t e u e r n und allen G e w i n n e n a u s Beteilig u n g e n ) u n d e i n e m R e t u r n on Equity v o n 15% bei e i n e m U m s a t z v o n S F r . 2 0 0 M i o . , direkt d e r s c h w e i z e r i s c h e n Z e n t r a l e f ü r ihr P r o f i t - C e n t e r « L a n d » (konsolidiert) verantwortlich.
(4)
C O S A Abteilungsleiter V e r a n t w o r t l i c h f ü r das P r o f i t - C e n t e r « P r o d u k t » im j e w e i l i g e n Land.
(5)
C O S A Verkäufer V e r a n t w o r t l i c h f ü r sein U m s a t z v o l u m e n / B r u t t o e r t r a g g e g e n ü b e r d e n f o r mulierten Zielen.
D i e A u s s e n s t e l l e n l e i t e r h a b e n w e i t g e h e n d e K o m p e t e n z e n und
Möglichkeiten.
W i c h t i g e S t e u e r g r ö s s e n sind d a b e i die M a r k t a n t e i l e ( U H A G als P a r t n e r d e r M a r k t b e a r b e i t u n g , n i c h t H a n d e l s f i r m a ) , die G e w i n n e r z i e l u n g und - V e r w e n d u n g ( s t a a t l i c h e R a h m e n b e d i n g u n g e n ) und die M ö g l i c h k e i t e n d e s E x p o r t e s v o n d e n A u s s e n s t e l l e n n a c h E u r o p a und den U S A . Ein E r f o l g s p o t e n t i a l ist es, lokales Pers o n a l , b e i s p i e l s w e i s e f ü r die V o r f ü h r u n g d e r P r o d u k t e , d i e K u n d e n a u s b i l d u n g und d e n S e r v i c e , zu f i n d e n u n d l a n g f r i s t i g an die A u s s e n s t e l l e zu b i n d e n , um so a u c h e i n u m f a s s e n d e s l ä n d e r s p e z i f i s c h e s M a r k t - und T e c h n o l o g i e - K n o w - h o w aufzubauen. D i e U H A G f o r m u l i e r t e 1981 e r s t m a l s ein Leitbild und legte ihre G e s c h ä f t s p o l i t i k s c h r i f t l i c h f e s t . Die G r u n d a u s r i c h t u n g der letzten f ü n f J a h r e w a r die A b l ö s u n g des r e i n e n « M a s c h i n e n - H a n d e l » d u r c h eine K o n z e n t r a t i o n auf die w i c h t i g e n Pro-
Kapitel: Internationales
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duktgruppen und die partnerschaftliche Zusammenarbeit, auch in der Form von Joint-ventures, mit einigen bedeutenden Herstellern. In dieser Situation traf sich die Geschäftsleitung der U H A G mit ihren Aussensteilenleitern z u m traditionellen Frühjahrs-Meeting in Zürich. Das Generalthema 1986 war die Ü b e r p r ü f u n g der bisherigen Aktivitäten, die Formulierung eines neuen Leitbildes und m ö g l i c h e r Strategien im Kontext der g e o g r a p h i s c h e n S c h w e r p u n k t e des wirtschaftlichen Kräftefeldes Asien, U S A und Europa, der P r ü f u n g eines neuen Bereiches «Countertrade» und der Konsequenzen f ü r das Führungskonzept der U H A G - G r u p p e . Die Meinungen waren geteilt.
j. Kapitel: Internationales
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524 (1)
Management
Anhang U H A G Gruppe
R . G . Müller
Controlling
P . H . Müller
Dr. Th. Navratil
K. Hess
weltweit
weltweit Japan
WerkzeugMaschinen
Hongkong
Graphische Maschinen
Rechnungswesen/EDV
Korea
TextilMaschinen
V.R.China
Elektroindustrie
Shipping
Taiwan
Motoren u. -entwickl.
Thailand
IndustrieAnlagen^
Europa
Verpack.Maschinen
Malaysien
Steine und Erden
Singapore
PlastikMaschinen
- Indonesien
Philippinen
USA/ Kanada
Cosanum
Cosa Travel
Admin. u. Personal
Brasilien
Exportfinanzierung
5. Kapitel: Internationales
(2)
Management
Kommerzielle Abwicklung Kommissionsgeschäft
Selbstkäufergeschäft Fabrikant
< —
UHAG/ COSA