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German Pages 442 Year 2017
Schriften zum Strafrechtsvergleich Band 3
Strafbarkeit religionsfeindlicher Äußerungen in Deutschland und Frankreich Ein Vergleich der strafrechtlichen Beschränkungen der Meinungs- und Kunstfreiheit unter besonderer Berücksichtigung religionsbeschimpfender Satire und Karikatur
Von
Lisa Stankewitz
Duncker & Humblot · Berlin
LISA STANKEWITZ
Strafbarkeit religionsfeindlicher Äußerungen in Deutschland und Frankreich
Schriften zum Strafrechtsvergleich Herausgegeben von Prof. Dr. Dr. Eric Hilgendorf, Würzburg und Prof. Dr. Brian Valerius, Bayreuth
Band 3
Strafbarkeit religionsfeindlicher Äußerungen in Deutschland und Frankreich Ein Vergleich der strafrechtlichen Beschränkungen der Meinungs- und Kunstfreiheit unter besonderer Berücksichtigung religionsbeschimpfender Satire und Karikatur
Von
Lisa Stankewitz
Duncker & Humblot · Berlin
Die Juristische Fakultät der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf hat diese Arbeit im Jahre 2015 als Dissertation angenommen.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
D61 Alle Rechte vorbehalten © 2017 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: Konrad Triltsch GmbH, Ochsenfurt Druck: buchbücher.de gmbh, Birkach Printed in Germany ISSN 2364-8155 ISBN 978-3-428-15242-1 (Print) ISBN 978-3-428-55242-9 (E-Book) ISBN 978-3-428-85242-0 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706
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Für meine Eltern
Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 2016 von der Heinrich-HeineUniversität Düsseldorf als Dissertation angenommen. Für den Druck ist die Literatur bis Mai 2017 berücksichtigt. Mein herzlicher Dank gilt in erster Linie Herrn Prof. Dr. Karsten Altenhain für seine hervorragende Betreuung. Danke für die große Freiheit bei der Wahl des Themas und der Herangehensweise, aber auch für das offene Ohr und die hilfreichen Antworten auf meine Fragen. Bedanken möchte ich mich auch bei meinem Zweitkorrektor Prof. Dr. Andreas Feuerborn, der durch die Einrichtung des deutsch-französischen Studienkurses eine solche rechtsvergleichende Arbeit für mich erst möglich gemacht hat. Danke auch an den Freundeskreis der Düsseldorfer Juristischen Fakultät e.V., der durch seinen Förderpreis die Veröffentlichung dieser Dissertation unterstützt hat. Ich danke auch meinen Kollegen vom Lehrstuhl für Strafrecht, Wirtschaftsstrafrecht und Medienrecht für die schöne Zeit dort; allen voran Gudrun Fink, die mir stets mit Rat und Tat zur Seite stand und mir während so mancher Durststrecke Mut gemacht hat, und Maria Bobrovskaya für ihre Hilfsbereitschaft. Besonderer Dank gebührt auch Alexander Arfert, Heidelinde Riedel und Sarina Vöge für ihre freundschaftliche und fachliche Unterstützung während der zahlreichen gemeinsamen Pausen. Herzlich danke ich auch Delphine Rondeleux und Clémence Fréchin für die schöne Zeit, die ich während meiner Forschungsaufenthalte bei ihnen in Paris verbracht habe. Besonders bedanken möchte ich mich bei meinen Freunden, die in dieser – manchmal schwierigen – Zeit für mich da waren. Bei dieser Veröffentlichung denke ich auch an meine Großeltern, die in ihrem Interesse für „das Buch“ nie nachgelassen und aus ihrem Stolz keinen Hehl gemacht haben. Mein größter Dank gilt meinen Eltern. Sie haben mich – nicht nur während der Promotion – mit einer nicht endenden Hilfsbereitschaft unterstützt und mir immer gezeigt, dass sie an mich glauben. Köln, im Juli 2017
Lisa Stankewitz
Inhaltsverzeichnis Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 I. Aktueller Anlass der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 II. Ziel der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 III. Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25
1. Kapitel Begriffsbestimmung und historische Entwicklung
28
A. Begriffsbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 I. Religionskritik, Blasphemie und religionsfeindliche Äußerungen . . . . . . . . . . . . . 28 II. Antisemitismus und religionsfeindliche Äußerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 III. Satire und Karikatur als Darstellungsform der Religionsfeindlichkeit . . . . . . . . . . 30 1. Literaturwissenschaftlicher Satirebegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 2. Juristischer Satirebegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 3. Karikaturen als Bildsatire . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 B. Historische Entwicklung der Bestrafung religionsfeindlicher Äußerungen . . . . . . . . . 37 I. Entwicklung der einschlägigen Vorschriften in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 1. „Religionsdelikte“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 2. Volksverhetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 3. Ehrverletzungsdelikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 II. Entwicklung der einschlägigen Vorschriften in Frankreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 1. Religionsdelikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 2. Aufreizung zum Hass . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 3. Ehrverletzungsdelikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 4. Sonderregeln für Alsace et Moselle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54
10
Inhaltsverzeichnis 2. Kapitel Verfassungsrechtliche Vorgaben
56
A. Betroffene Interessen auf der Seite der „Religionsbeschimpfenden“ . . . . . . . . . . . . . . 56 I. Meinungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 1. Religionskritik und -satire im Schutzbereich der Meinungsfreiheit . . . . . . . . . . 57 a) Der Schutzbereich der Meinungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 b) Satire im Schutzbereich der Meinungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 c) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 2. Beschränkungen der Meinungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 a) Die allgemeinen Gesetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 b) Der Schutz der Ehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 c) Wechselwirkungslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 d) Schmähkritik und Formalbeleidigung als Grenze der Meinungsfreiheit . . . . 64 e) Zensurverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 II. Kunstfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 1. Der Schutzbereich der Kunstfreiheit des Art. 5 Abs. 3 GG . . . . . . . . . . . . . . . . 67 2. Satire und Karikatur im Schutzbereich der Kunstfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 a) Gültigkeit der verfassungsgerichtlichen Satire-Formel nach dem literaturwissenschaftlichen und dem juristischen Satirebegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 b) Grenzen des Schutzbereichs der Kunstfreiheit bei Satiren und Karikaturen
73
3. Schranken der Kunstfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 4. Zum Verhältnis von Meinungs- und Kunstfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 III. Presse-, Rundfunk- und Filmfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 IV. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 B. Durch die Beschimpfung betroffene Interessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 I. Schutz religiöser Glaubensinhalte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 II. Schutz öffentlicher Interessen und Allgemeingüter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 1. Religion als gesellschaftliches Gut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 2. Schutz des öffentlichen Friedens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 a) Öffentlicher Friede als (objektive und subjektive) „Rechtssicherheit“ . . . . . 82 b) Schutz des „psychischen“ bzw. „toleranten Klimas“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 c) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 III. Rechte des einzelnen Gläubigen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 1. Menschenwürde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 2. Vorverlagerung des Schutzes von gefährdeten Individualrechtsgütern . . . . . . . 93 3. Religionsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 a) Verfassungsrechtliche Grundlagen der Religionsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . 97 b) Betroffenheit der Religionsfreiheit durch Religionsbeschimpfung . . . . . . . . 100 c) Schutz religiöser Gefühle als Unterfall der Religionsfreiheit . . . . . . . . . . . . 103
Inhaltsverzeichnis
11
4. Allgemeines Persönlichkeitsrecht des Gläubigen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 a) Ehre als Unterfall des allgemeinen Persönlichkeitsrechts . . . . . . . . . . . . . . . 108 b) Religiöse Identität als Teil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts . . . . . . . . 110 IV. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 C. Überblick über die Grundrechtslage in Frankreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 I. Grundsätze des französischen Grundrechtsschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 1. Verfassungsrechtliche und einfachrechtliche Freiheitsrechte . . . . . . . . . . . . . . . 116 2. Freiheitsbeschränkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 II. Besonderheiten im französischen Grundrechtsschutz in Bezug auf religionsfeindliche Äußerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 1. Meinungs-, Kunst- und Pressefreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 2. Religionsfreiheit und Laizität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 3. Dignité humaine und Persönlichkeitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 4. Ordre public . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 5. Egalité und droit à la non-discrimination . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 III. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132
3. Kapitel Strafbarkeit religionsfeindlicher Äußerungen in Deutschland
134
A. Allgemeine Grundsätze zur Strafbarkeit kritischer Äußerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 I. Auslegung strafrechtlich relevanter Äußerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 1. Auslegung im Sinne der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung . . . . . . . . . . 135 2. Auslegung von Satire, Ironie und Karikatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 II. Einfluss der Meinungsfreiheit auf die strafrechtliche Gesetzesauslegung . . . . . . . 144 B. Religionsfeindliche Äußerungen als strafbare Handlungen nach deutschem Recht . . . 145 I. Religionsfeindliche Äußerungen als Volksverhetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 1. Volksverhetzende Äußerungen nach § 130 Abs. 1 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 a) Schutzzweck der Norm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 b) Voraussetzungen des § 130 Abs. 1 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 aa) Tathandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 (1) Aufstacheln zum Hass und Auffordern zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 (2) Angriff auf die Menschenwürde anderer durch Beschimpfung, Verächtlichmachung oder Verleumdung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 bb) Angriffsgegner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 cc) Eignung zur Störung des öffentlichen Friedens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 dd) Subjektiver Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158
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Inhaltsverzeichnis 2. Verbreitung von Schriften und von Darbietungen durch Rundfunk, Medienoder Teledienste nach § 130 Abs. 2 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 a) Schutzzweck der Norm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 b) Voraussetzungen des § 130 Abs. 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 aa) Angriffsmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 bb) Tathandlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 cc) Angriffsobjekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 c) Sozialadäquanzklausel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 d) Verhältnis zwischen § 130 Abs. 1 und § 130 Abs. 2 StGB . . . . . . . . . . . . . . 163 3. Bestrafung religionsfeindlicher Äußerungen als Volksverhetzung . . . . . . . . . . . 164 a) Anwendung des § 130 Abs. 1 StGB auf religionskritische Äußerungen . . . . 164 b) Anwendung des § 130 Abs. 2 StGB auf religionskritische Äußerungen . . . . 167 II. Religionsfeindliche Äußerungen als Ehrverletzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 1. Schutzzweck der Ehrdelikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 2. Voraussetzungen der §§ 185 – 187 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 a) Kundgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 b) Ehrträger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 aa) Beleidigung von Personengemeinschaften: Religionsgemeinschaften als Ehrträger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 bb) Beleidigung unter Kollektivbezeichnungen: Die Gläubigen als Ehrträger 179 (1) Kontextmäßige Individualisierung und Verdachtsprinzip . . . . . . . . . 179 (2) Beleidigung sämtlicher Mitglieder des Kollektivs . . . . . . . . . . . . . . . 180 cc) Mittelbare Beleidigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 c) Ehrverletzungserfolg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 aa) Ehrverletzungserfolg bei übler Nachrede und Verleumdung . . . . . . . . . . 189 (1) Ehrverletzung durch Behauptung oder Verbreiten einer ehrenrührigen Tatsache gegenüber einem Dritten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 (a) Tatsachenbehauptungen und Werturteile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 (b) Ehrenrührigkeit der Tatsache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 (c) Tathandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 (2) Weitere Voraussetzungen der üblen Nachrede . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 (a) Die Nichterweislichkeit der Tatsache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 (b) Qualifikation: Öffentliche Äußerung oder Verbreitung von Schriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 (3) Weitere Voraussetzungen der Verleumdung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 bb) Beleidigung im engeren Sinne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 (1) Ehrverletzung durch Kundgabe von Missachtung . . . . . . . . . . . . . . . 202 (2) Die Kundgabe unverdienter Missachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 (3) Formalbeleidigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 (4) Die Kundgabe eigener Missachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 cc) Verhältnis der Tatbestände untereinander . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206
Inhaltsverzeichnis
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d) Rechtfertigung ehrverletzender Äußerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 aa) Die gesetzliche Ausgangslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 bb) Rechtfertigung ehrverletzender Äußerungen nach der bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 cc) Kritik der Literatur und eigene Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 e) Prozessuale Besonderheit der Ehrdelikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 3. Bestrafung religionsfeindlicher Äußerungen als Ehrverletzung . . . . . . . . . . . . . 214 III. Religionsfeindliche Äußerungen als Bekenntnisbeschimpfung . . . . . . . . . . . . . . . 219 1. Schutzzweck und verfassungsrechtliche Legitimation der Meinungsfreiheitsbeschränkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 2. Voraussetzungen des § 166 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 a) Bezugsobjekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 aa) Inhalt eines religiösen oder weltanschaulichen Bekenntnisses . . . . . . . . 223 bb) Kirchen und andere Religionsgesellschaften sowie deren Einrichtungen und Gebräuche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 b) Tathandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 aa) Beschimpfen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 bb) Öffentlich oder durch Verbreiten von Schriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 c) Eignung zur Störung des öffentlichen Friedens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 d) Subjektiver Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 e) Rechtfertigung bekenntnisbeschimpfender Äußerungen . . . . . . . . . . . . . . . . 238 3. Bestrafung religionsfeindlicher Äußerungen als Bekenntnisbeschimpfung . . . . 240 4. Reformtendenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 5. Verhältnis der Tatbestände bei religionsfeindlichen Äußerungen . . . . . . . . . . . . 245 C. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246
4. Kapitel Strafbarkeit religionsfeindlicher Äußerungen in Frankreich
248
A. Allgemeine Grundsätze zur Strafbarkeit kritischer Äußerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 I. Einführung in das französische Strafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 1. Die classification tripartite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 2. Deliktsaufbau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 II. Auslegung strafrechtlich relevanter Äußerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 1. Auslegung von Äußerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 2. Behandlung von Karikatur und Satire . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 III. Trennung zwischen Pressedelikten und allgemeinen Delikten . . . . . . . . . . . . . . . . 256
14
Inhaltsverzeichnis
B. Religionsfeindliche Äußerungen als strafbare Handlungen nach französischem Recht 258 I. Religionsfeindliche Äußerungen als provocation à la haine religieuse . . . . . . . . . 259 1. Schutzzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 2. Voraussetzungen der provocation à la haine religieuse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 a) Das élément matériel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 aa) Provocation à la discrimination, à la haine ou à la violence . . . . . . . . . 260 bb) Strafrechtlicher Verantwortlicher für die Äußerung . . . . . . . . . . . . . . . . 263 cc) Angriffsgegner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 dd) Öffentliche Begehungsweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 b) Das élément moral . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 aa) Die intention coupable . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 bb) Das mobile antireligieux . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 c) Faits justificatifs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270 3. Bestrafung religionsfeindlicher Äußerungen als provocation à la haine religieuse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 II. Religionsfeindliche Äußerungen als diffamation oder injure religieuse . . . . . . . . . 273 1. Schutzzweck der Normen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 2. Die Voraussetzungen der diffamation religieuse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 a) Das élément matériel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276 aa) Form des Vorwurfs: Allégation oder imputation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276 bb) Inhalt des Vorwurfs: Fait précis et déterminé qui porte atteinte à l’honneur ou à la considération . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 (1) Der fait précis et déterminé . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 (a) Abgrenzung zwischen diffamation und injure . . . . . . . . . . . . . . 277 (b) Mischäußerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 (2) Die atteinte à l’honneur ou à la considération . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281 cc) Der Betroffene des Vorwurfs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283 dd) Die publication . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285 b) Das élément moral . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285 aa) Die intention coupable . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286 bb) Das mobile antireligieux . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288 c) Faits justificatifs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289 aa) Die exceptio veritatis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289 bb) Die bonne foi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 3. Die Voraussetzungen der injure religieuse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296 a) Das élément matériel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296 aa) Die beleidigende Äußerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296 (1) Das Fehlen einer Tatsachenbehauptung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296 (2) Die Formen der injure . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296 bb) Der Betroffene des Vorwurfs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 298
Inhaltsverzeichnis
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cc) Die öffentliche Begehungsweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299 b) Das élément moral . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299 c) Die faits justificatifs und excuses der injure religieuse . . . . . . . . . . . . . . . . . 299 aa) Die Rechtfertigung wegen bonne foi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300 bb) Die Entschuldigung wegen provocation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300 4. Bestrafung religionsfeindlicher Äußerungen als diffamation oder injure religieuse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303 a) Entwicklung eines Religionsschutzes über den Minderheitenschutz hinaus 303 b) Grundsätze der Rechtsprechung zum strafrechtlichen Religionsschutz . . . . . 304 aa) Differenzierung zwischen injure und diffamation . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305 bb) Grad der Öffentlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306 cc) Bestimmung des Angriffsgegners . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306 dd) Die Betroffenheit sämtlicher Zugehörigen der Religion . . . . . . . . . . . . . 311 ee) Die offense gratuite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 312 ff) Die Behandlung von Karikaturen in der Rechtsprechung zur injure religieuse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 314 5. Verhältnis der Tatbestände bei religionsfeindlichen Äußerungen . . . . . . . . . . . . 316 III. Reformtendenzen zur Einführung eines Gotteslästerungsdelikts . . . . . . . . . . . . . . 317 C. Prozessuale Besonderheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319 I. Die Aufnahme der Strafverfolgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319 1. Strafantragsbedürfnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319 2. Einleitung des Strafverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 320 a) Sonderrechte der Interessenverbände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 320 b) Besondere Anforderungen des Presserechts an die citation directe . . . . . . . . 323 II. Verkürzte Verjährungsfristen im Presserecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 324 D. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 327
5. Kapitel Vergleichende Bewertung der deutschen und französischen Rechtslage
329
A. Gemeinsamkeiten des deutschen und französischen Rechts bei der Strafbarkeit religionsfeindlicher Äußerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329 I. Vergleichbare Vorgehensweise bei der Auslegung von Äußerungen . . . . . . . . . . . 329 II. Vergleichbare Strukturen der strafrechtlichen Tatbestände und Argumentationsstrukturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331 1. Keine Bestrafung der Gotteslästerung im engeren Sinn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331 2. Vergleichbare Voraussetzungen der Bestrafung von Volksverhetzungen . . . . . . 332 a) Schutzzweck der Norm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 332
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Inhaltsverzeichnis b) Vergleichbarkeit der tatbestandlichen Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 332 aa) Tatbestandliche Handlungsalternativen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 333 bb) Angriffsgegner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 334 cc) Eignung zur Störung des öffentlichen Friedens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335 dd) Subjektive Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335 ee) Verbreitung volksverhetzender Schriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 336 c) Praktische Anwendung auf religionsfeindliche Äußerungen . . . . . . . . . . . . . 336 d) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 337 3. Vergleichbare Grundstrukturen der Ehrverletzungsdelikte . . . . . . . . . . . . . . . . . 337 a) Schutzzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 337 b) Vergleichbare tatbestandliche Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 338 aa) Ehrenrührige Tatsachenbehauptungen und Werturteile als zentrales Element der Ehrverletzungstatbestände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 338 (1) Erfordernis der Ehrverletzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 338 (2) Systematik der Ehrverletzungsdelikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 339 (3) Abgrenzung zwischen Tatsachenbehauptung und Werturteil . . . . . . 340 bb) Beleidigungsfähigkeit von Personenmehrheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 342 cc) Straflosigkeit der Behauptung wahrer Tatsachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 344 dd) Rechtfertigung wegen Wahrung berechtigter Interessen und bonne foi
345
ee) Recht zum Gegenschlag und excuse de provocation . . . . . . . . . . . . . . . . 347 4. Vergleichbare Strafantragsregelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 348 III. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 348 B. Unterschiede zwischen deutschem und französischem Recht bei der Strafbarkeit religionsfeindlicher Äußerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 350 I. Zentraler Unterschied: Schutzrichtung religionsbezogener Tatbestände . . . . . . . . 350 1. Friedensschutz und Ehrschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 350 a) Bestrafung der friedensstörenden Bekenntnisbeschimpfung . . . . . . . . . . . . . 350 b) Qualifizierung der Ehrverletzungsdelikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 351 aa) Ausgestaltung des Qualifikationstatbestands . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 351 bb) Erweiterung der Ehrverletzung auf Personenmehrheiten . . . . . . . . . . . . 353 c) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 355 2. Praktische Folgen aus der unterschiedlichen Schutzrichtung . . . . . . . . . . . . . . . 355 3. Mögliche Ursachen der unterschiedlichen Schutzrichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . 356 a) Laizitätsprinzip als Ursache für den Verzicht auf Bekenntnisschutz . . . . . . . 356 b) Unzulässigkeit des délit d’opinion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 357 c) Recht auf Nichtdiskriminierung als Ursache der Qualifikationstatbestände
358
4. Übernahme des individuellen Schutzes ins deutsche Recht? . . . . . . . . . . . . . . . 360 a) Legitimation des Bekenntnisschutzes als Ehrdelikt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 360 b) Definition zulässiger Kollektivbezeichnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 361 aa) Legitimation der Ausweitung des Beleidigungsrechts auf Großkollektive 361
Inhaltsverzeichnis
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bb) Zweckmäßigkeit der Kodifizierung beleidigungsfähiger Personenkollektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 362 c) Strafschärfung bei Nachweis eines Religionsbezugs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 363 aa) Legitimation der Strafschärfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 363 bb) Zweckmäßigkeit der Strafschärfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 364 d) Anwendbarkeit der anerkannten Rechtfertigungs- und Entschuldigungsgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 365 e) Besondere Rolle antirassistischer Interessenverbände . . . . . . . . . . . . . . . . . . 366 f) Exkurs: Einführung eines individualschützenden Verbots der Bekenntnisbeschimpfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 368 II. Weitere Besonderheiten des französischen Systems und ihre Bewertung aus deutscher Sicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 369 1. Unterschiede der allgemeinen Grundsätze bei Äußerungsdelikten . . . . . . . . . . 370 a) Behandlung mehrdeutiger Aussagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 370 b) Behandlung von Satire und Karikaturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 370 2. Relevante Unterschiede bei den Tatbeständen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 373 a) Kein eigener Straftatbestand der Verleumdung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 374 b) Unterschiedliche Ausgestaltungen des Wahrheitsbeweises . . . . . . . . . . . . . . 374 3. Einbeziehung der Straftatbestände in das Presserecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 376 a) Differenzierung von öffentlichen und nicht öffentlichen Äußerungen . . . . . 376 b) Strafrechtliche Verantwortung im Presserecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 378 c) Prozessuale Garantien des Presserechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 379 aa) Keine Umdeutung zwischen injure und diffamation . . . . . . . . . . . . . . . . 379 bb) Verkürzte Verjährungsfristen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 381 4. Unterschiedliches Strafmaß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 382 III. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 383
6. Kapitel Ausblick auf die europäische Ebene
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A. 1. Phase: Weiter Ermessensspielraum der Mitgliedsstaaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 384 B. 2. Phase: Wachsende Kontrolle durch den Europäischen Gerichtshof . . . . . . . . . . . . . 388 C. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 391 Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 392 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 397 Sachwortregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 439
Abkürzungsverzeichnis Für die verwendeten Abkürzungen in deutscher Sprache wird verwiesen auf: Kirchner, Hildebert, Abkürzungsverzeichnis der Rechtssprache (7. Aufl., Berlin 2011). Für die Abkürzungen in französischer Sprache gilt das folgende Verzeichnis: AJDA AJ Pénal al. AP Art. ASSR Bull. civ. I
L’Actualité juridique: Droit administratif (Zeitschrift) Actualité Juridique: Pénal (Zeitschrift) Alinéa = Absatz Assemblée Plénière = Plenarversammlung Article = Artikel Archives de sciences sociales des religions (Zeitschrift) Bulletin des décisions de la 1ère chambre civile de la Cour de cassation (Offizielle Sammlung der Entscheidungen der 1. Zivilkammer des Kassationsgerichtshofs) Bull. civ. II Bulletin des décisions de la 2ème chambre civile de la Cour de cassation (Offizielle Sammlung der Entscheidungen der 2. Zivilkammer des Kassationsgerichtshofs) Bull. crim. Bulletin des décisions de la chambre criminelle de la Cour de cassation (Offizielle Sammlung der Entscheidungen der Strafkammer des Kassationsgerichtshofs) Bull. mixte Bulletin des décisions de la 1ère chambre mixte de la Cour de cassation (Offizielle Sammlung der Entscheidungen der gemischten Kammer des Kassationsgerichtshofs) CA Cour d’appel (Berufungsgerichtshof) Cass. 1ère civ. Cour de cassation, 1ère chambre civile (1. Zivilkammer des Kassationsgerichtshofs) Cass. 2e civ. Cour de cassation, 2e chambre civile (2. Zivilkammer des Kassationsgerichtshofs) Cass. AP Cour de cassation, Assemblée Plénière (Plenarversammlung des Kassationsgerichtshofs) Cass. crim. Cour de cassation, chambre criminelle (Strafkammer des Kassationsgerichtshofs) Cass. mixte Cour de cassation, chambre mixte (Gemischte Kammer des Kassationsgerichtshofs) CC Conseil Constitutionnel (Verfassungsrat) CE Conseil d’Etat (Oberstes Verwaltungsgericht) CHRHC Cahiers d’histoire. Revue d’histoire critique (Zeitschrift) Chron. Chronique = Kolumne, Aufsatz (Bereich der Zeitschrift Recueil Dalloz) Comm. Commentaire = Kommentar, Urteilsanmerkung Comm. com. électr. Communication Commerce électronique (Zeitschrift) CRDF Cahiers de la recherche sur les droits fondamentaux (Zeitschrift) D. Recueil Dalloz (Zeitschrift) sowie sämtliche Vorgänger
Abkürzungsverzeichnis DH Doctr. Dr. pén. Fasc. GP IR JCl. JCP JORF JP L. n8 PFRLR QPC R. RDH RDP Rec. Rép. Pén. RFDA RFDC RIDC RLDI RSC RTDC RTDH RUDH Somm. TGI
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Dalloz. Recueil hebdomadaire de jurisprudence en matière civile, commerciale, administrative et de droit public (Zeitschrift) Doctrine = Lehre (Bereich der Zeitschrift Gazette du Palais) Droit Pénal (Zeitschrift) Fascicule = Heft La Gazette du Palais (Zeitschrift) Informations rapides = Kurzinformationen (Bereich der Zeitschrift Recueil Dalloz) JurisClasseur (Juristische Enzyklopädie) La Semaine Juridique (Zeitschrift) Journal officiel de la République française (Französisches Gesetzblatt) Jurisprudence = Rechtsprechung Partie législative (Teil französischer Gesetzbücher, der formelle Gesetze enthält) Numéro = Nummer Principe fondamental reconnu par les lois de la République (Grundrechtskategorie in Frankreich, wörtlich: Grundlegendes, von den republikanischen Gesetzen anerkanntes Prizip) Question prioritaire de constitutionnalité (Vorfrage der Verfassungsmäßigkeit) Partie règlementaire (Teil französischer Gesetzbücher, der Rectsverordnungen enthält) Revue des droits de l’homme/Human Rights Journal (Zeitschrift) Revue du droit public et de la science politique en France et à l’étranger (Zeitschrift) Recueil Lebon (Sammlung der Entscheidungen des Conseil d’Etat) Répertoire de droit pénal et de procédure pénale, Dalloz (Juristische Enzyklopädie) Revue française de droit administratif (Zeitschrift) Revue française de droit constitutionnel (Zeitschrift) Revue internationale de droit comparé (Zeitschrift) Revue Lamy droit de l’immatériel (Zeitschrift) Revue de science criminelle et de droit pénal comparé (Zeitschrift) Revue trimestrielle de droit civil (Zeitschrift) Revue trimestrielle des droits de l’homme (Zeitschrift) Revue universelle des droits de l’homme (Zeitschrift) Sommaire = Zusammenfassung (Bereich einiger Zeitschriften) Tribunal de Grande Instance (Landgericht)
Einleitung „Das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung ist als unmittelbarster Ausdruck der menschlichen Persönlichkeit in der Gesellschaft eines der vornehmsten Menschenrechte überhaupt.“1 Vor diesem Hintergrund empfinden wir heute eine Bestrafung für Blasphemie und Gotteslästerung als längt überkommende Relikte früherer Zeiten. Doch die jüngere Vergangenheit zeigt, dass in einer globalisierten Gesellschaft, in der unterschiedliche Kulturen aufeinandertreffen und sich gleichzeitig Meinungsäußerungen in Lichtgeschwindigkeit verbreiten, religionskritische Äußerungen für Zündstoff sorgen. Hielt sich die Aufregung um die gegen Salman Rushdie für sein Werk „Die satanischen Verse“ ausgesprochene Fatwa2 hierzulande noch in Grenzen, sind Religionskonflikte spätestens mit der Veröffentlichung der sogenannten „Mohammed-Karikaturen“ in einer dänischen Zeitung und den darauf folgenden weltweiten Reaktionen wieder in der öffentlichen Diskussion in Deutschland angekommen. Auch in Frankreich, wo gerade Karikatur und Satire eine lange historische Tradition haben, führte die Verbreitung der Abbildungen zu zahlreichen Demonstrationen und Protesten von Muslimen, die sich durch die Darstellungen verletzt fühlten. Für weltweite Aufmerksamkeit sorgte dort der Anschlag auf die Redaktion des Satiremagazins „Charlie Hebdo“, das unter anderem durch die Veröffentlichung zahlreicher islam- und religionskritischer Satiren und Karikaturen berühmt geworden war. Islamistische Terroristen erschossen dort als „Rache des Propheten“ mehrere Journalisten und weitere Beteiligte.3 Die Brutalität des als Angriff auf die westliche Pressefreiheit verstandenen Attentats schockierte die Öffentlichkeit und brachte wiederum Millionen Demonstranten auf die Straße.4
I. Aktueller Anlass der Untersuchung Stein des Anstoßes war die Veröffentlichung von zwölf Karikaturen des Propheten Mohammeds in der dänischen Zeitung „Jyllands-Posten“ am 30. September 2005. Diese folgten auf einen Aufruf der Zeitung als Reaktion auf die Probleme eines Kinderbuchautors, einen Illustrator für seine Einführung in den Islam zu finden, und 1
BVerfGE 7, 198, 208 – Lüth. Vgl. hierzu Kippenberg, Kontroverse um Salman Rushdies Satanische Verse, in: Religionskonflikte im Verfassungsstaat, S. 259 ff. 3 Cazi/Follorou/Suc/Vincent, Le Monde v. 09. 01. 2015, S. 2 f. 4 FAZ.net, 11. 01. 2015, http://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/europa/anschlaege-infrankreich-millionen-franzosen-marschieren-gegen-den-terror-13364673.html (zuletzt abgerufen am 29. 05. 2017). 2
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sind somit als Antwort auf die Selbstzensur aus Angst vor Repressalien zu verstehen.5 Infolge der Veröffentlichung kam es – mit einigen Monaten Verzögerung – Anfang 2006 in der arabischen Welt aber auch in Europa zu heftigen Protesten mit zum Teil gewalttätigen und sogar tödlichen Ausschreitungen. Im Zentrum der Kritik stand dabei eine Darstellung Mohammeds mit einem Turban in Form einer Bombe mit gezündeter Lunte. In Frankreich wurden die Demonstrationen durch eine Veröffentlichung des Satiremagazins „Charlie Hebdo“ angeheizt, das in einer Sonderausgabe die dänischen Karikaturen gemeinsam mit eigenen satirischen Darstellungen Mohammeds und Repräsentanten anderer Religionen unter Berufung auf die Meinungs- und Pressefreiheit veröffentlichte.6 Der Aufruhr um diese Karikaturen ist kein Einzelfall geblieben. Seitdem erregten zahlreiche Fälle von Religionsbeschimpfung die Gemüter. Diese betrafen sowohl den Islam als auch andere Religionen und nahmen die unterschiedlichsten Formen an. Vergleichsweise wenig öffentliche Aufmerksamkeit wird religionsfeindlichen Äußerungen in Hassreden gewidmet. Weitaus mehr Aufsehen erregen im weitesten Sinne künstlerische Darstellungen. Hierzu zählen zum einen karikaturistische und satirische Darstellungen von Glaubensinhalten und Kultgegenständen. Bekannt wurden in Deutschland in diesem Zusammenhang nicht nur die Karikaturen der „Jyllands-Posten“, sondern etwa auch die Papst-Karikaturen des Satiremagazins „Titanic“, wie beispielsweise zuletzt im Sommer 2012, als Papst Benedikt XVI. mit befleckter Soutane unter der Überschrift „Halleluja im Vatikan – Die undichte Stelle ist gefunden!“ auf dem Titelblatt der Zeitschrift abgebildet war.7 Aber auch der Film hat sich als beliebtes Medium der Religionskritiker herauskristallisiert. In die öffentliche Kritik geraten ist hierbei etwa die Comedy-Zeichentrick-Serie „Popetown“, die 2006 im deutschen Fernsehen ausgestrahlt wurde und das Oberhaupt der katholischen Kirche als verrückt und infantil darstellt. Weitaus drastischer waren jedoch die Reaktionen auf den Film „Innocence of Muslims“, dessen Ausschnitte 2012 im Internet verbreitet wurden.8 Der als laienhaft beschriebene Low-Budget-Film stellt in verspottender Weise das Leben und Wirken des muslimischen Propheten Mohammeds dar. Bei gewalttätigen Protesten und Angriffen auf US-Botschaften wurden vor allem in den arabischen Ländern zahlreiche Menschen verletzt oder sogar getötet. In Frankreich stachelte „Charlie Hebdo“ den Konflikt mit der Veröffentlichung weiterer Mohammed-Karikaturen weiter an.9
5 Hierzu und zu den weiteren Hintergründen des „Karikaturenstreits“, Reuter, SdZ 2006/4, 239, 247 ff. 6 LeMonde.fr, 08. 02. 2006, http://www.lemonde.fr/europe/article/2006/02/08/charlie-heb do-s-engage-dans-la-polemique_738997_3214.html (zuletzt abgerufen am 29. 05. 2017). 7 Sueddeutsche.de, 12. 06. 2014, http://www.sueddeutsche.de/medien/katholische-kirche-ge gen-satire-magazin-papst-wehrt-sich-gegen-titanic-titelblatt-1.1407822 (zuletzt abgerufen am 29. 05. 2017). 8 Schipper, FAZ.net, 13. 09. 2012. 9 Woitier, LeFigaro.fr, 19. 09. 2012.
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Einen tragischen Höhepunkt erreichte der Konflikt zwischen Gläubigen und Satirikern am 7. Januar 2015 in Paris: Im Rahmen einer Serie mehrerer kurz aufeinanderfolgender Attentate10 stürmten zwei bewaffnete Männer die Redaktion der umstrittenen religionskritischen Satirezeitschrift „Charlie Hebdo“ und töteten dort elf Menschen, darunter mehrere Karikaturisten des Magazins. Als Motiv der Tat gilt die Rache fundamentalistischer Islamisten für die Veröffentlichung zahlreicher islamfeindlicher Karikaturen.11 Trauer- und Protestmärsche vor allem in Paris, aber auch in anderen französischen und europäischen Städten fanden Millionen Teilnehmer, zahlreiche Staats- und Regierungschefs beteiligten sich an der Gedenkveranstaltung in den Straßen der Hauptstadt. Unter dem Stichwort „Je suis Charlie“ sprachen sich die Teilnehmer nicht nur gegen Terrorismus und Fundamentalismus, sondern vor allem für eine umfassende Gewährleistung und Verwirklichung der Pressefreiheit aus. Die Veröffentlichung der ersten Ausgabe der Zeitschrift nach dem Attentat, die erneut eine Karikatur Mohameds auf dem Titelblatt zeigt, führt wiederum zu heftigen Protesten in der arabischen Welt, bei denen mehrere Menschen ums Leben kamen.12 Im Schatten dieser Ereignisse bleiben sowohl in Deutschland als auch in Frankreich zahlreiche kleinere und größere Proteste der letzten Jahre gegen religionsfeindliche Darstellungen in den Medien, etwa die judenfeindlichen Theateraufführungen des französischen Comedian Dieudonné13 sowie in Deutschland antichristliche14 bzw. anti-muslimische15 Comedy. Andererseits wurden in Deutschland Proteste gegen die Verhaftung der Mitglieder der russischen Punkrock-Band „Pussy Riot“ laut, die im Februar 2012 in einer Kathedrale in Moskau in einem „PunkGebet“ sowohl den russischen Staat als auch die russisch-orthodoxe Kirche beschimpft hatten.16 Nicht nur die Ausdrucksformen, sondern auch die Motivationen hinter der Veröffentlichung religionsfeindlicher Äußerungen variieren. Je drastischer die Äußerungen, desto mehr steht die Provokation im Vordergrund. Aber auch diese ist letztlich nur Mittel zum Zweck. Teilweise soll durch die Provokation Aufmerksamkeit erregt werden, um eine öffentliche Debatte über gesellschaftliche Themen 10 Zu einer Rekonstruktion der Ereignisse: Biermann/Faigle/Joeres/Meiborg/Polke-Majewski, ZEIT.ONLINE, 15. 01. 2015. 11 v. Altenbockum, FAZ.net, 07. 01. 2015. 12 FAZ.net, 16. 01. 2015, http://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/afrika/charlie-hebdoweltweite-proteste-gegen-karikatur-13375312.html (zuletzt abgerufen am 29. 05. 2017). 13 LeMonde.fr, 28. 12. 2013, http://www.lemonde.fr/politique/article/2013/12/28/manuelvalls-veut-interdire-les-spectacles-de-dieudonne_4340983_823448.html (zuletzt abgerufen am 29. 05. 2017). 14 SpiegelOnline, 05. 06. 2013, http://www.spiegel.de/kultur/tv/satire-carolin-kebekus-kriti siert-kirche-in-video-dunk-dem-herrn-a-903884.html (zuletzt abgerufen am 29. 05. 2017). 15 Sueddeutsche.de, 25. 10. 2014, http://www.sueddeutsche.de/medien/kabarettist-dieternuhr-wegen-islamwitzen-angezeigt-1.2191075 (zuletzt abgerufen am 29. 05. 2017). 16 Kuhn, Sueddeutsche.de, 23. 07. 2012.
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anzufachen. Davon ist beispielsweise auszugehen, wenn die Position der katholischen Kirche zu Verhütung und Abtreibung angeprangert wird oder drastische Kritik an der Stellung der Frau im Islam geäußert wird. Andererseits können hinter der Provokation und dem Wunsch nach Aufmerksamkeit auch individuelle, etwa wirtschaftliche Interessen stehen, etwa wenn in der Werbung religiöse Kultgegenstände oder Glaubensinhalte profaniert werden. Schließlich kann hinter der Provokation auch die Abneigung gegen die Religionsanhänger, die Andersgläubigen stehen. Dann dienen die Äußerungen allein dem Zweck, die Betroffenen zu diffamieren, zu Gewalttätigkeit zu provozieren und Gleichgesinnte zum Hass anzustacheln.
II. Ziel der Untersuchung Die Austragung des Konflikts im öffentlichen Raum zwingt den Staat zu einer Stellungnahme: Will er im Namen der Meinungsfreiheit sämtliche Äußerungen zulassen? Oder stellt er sich auf die Seite der Betroffenen, die sich und ihre Religion in unangemessener Weise verletzt sehen? Und wie sind die Belange der Allgemeinheit zu bewerten, wenn Religionsanhänger auf die Äußerungen mit gewalttätigen Protesten reagieren oder es zwischen den sich gegenüberstehenden Gruppen zu Ausschreitungen im öffentlichen Raum kommt? In Anbetracht dieser Fragen ist es Aufgabe des Gesetzgebers, einen angemessenen Ausgleich zu finden und sich dabei diesen und weiteren Schwierigkeiten zu stellen. Sofern er sich für eine Begrenzung der freien Meinungsäußerung entscheidet, muss er sich mit der Ausgestaltung eines Regelungssystems auseinandersetzen. Die zentrale Fragestellung wird darin liegen, an welcher Stelle die Grenze zwischen zulässigen und unzulässigen Äußerungen zu ziehen ist. Auf diese kann nur eine Antwort gefunden werden, wenn auch dazu Stellung bezogen wird, welche Interessen eigentlich geschützt werden sollen und wie diese im Verhältnis zueinander zu bewerten sind. Ziel dieser Untersuchung ist es, einen geeigneten Ausgleich zwischen den Beteiligten herauszuarbeiten, in dem jeder seine Freiheiten so weit wie möglich realisieren kann, ohne andere unzumutbar zu beeinträchtigen. Da das deutsche und das französische Recht unterschiedliche Antworten auf die aufgeworfenen Fragen bieten, soll untersucht werden, ob diese Lösungswege im Hinblick auf die Interessen der Beteiligten sowie der Allgemeinheit jeweils zu angemessenen Ergebnissen führen. Durch die Gegenüberstellung der beiden Rechtssysteme soll ermittelt werden, ob sie einander durch ihre Unterschiede zu bereichern vermögen. Das Hauptaugenmerk ist dabei aus deutscher Sicht darauf zu legen, ob das französische Recht Ideen, Gedankengänge oder Argumentationsstrukturen bereithält, die wir uns bei der Gestaltung unseres Systems zu Nutze machen können. Bei der Wahl der richtigen Mittel stehen dem Gesetzgeber unterschiedliche Maßnahmen zur Verfügung: Der Ausgleich der Interessen kann einerseits durch
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präventive Verhinderung etwa im Presse- oder Versammlungsrecht, andererseits durch strafrechtliche Sanktionierung erfolgen. Vorliegend soll die Untersuchung auf die strafrechtlichen Maßnahmen beschränkt werden. Dabei ist zum einen danach zu fragen, ob und unter welchen Voraussetzungen religionsfeindliche Äußerungen mit strafrechtlichen Sanktionen bedroht sind. Hierbei sollen die Vorschriften mit ihrer tatsächlichen Anwendung vor den Gerichten in Deutschland und Frankreich gegenübergestellt werden. Ein besonderes Augenmerk ist dabei aber auch auf die verfassungsrechtlichen Hintergründe zu legen, die Hinweise darauf bieten können, ob und unter welchen Umständen die Bestrafung religionsfeindlicher Äußerungen legitim und zweckmäßig ist.
III. Gang der Untersuchung In einem einleitenden ersten Kapitel sollen zunächst die Weichen für die folgende Untersuchung gestellt werden. Hierzu werden die Begrifflichkeiten bestimmt, die für das Thema von Bedeutung sind (1. Kapitel A.). Neben dem Verständnis von Blasphemie und Religionsbeschimpfung ist ein Schwerpunkt auf den Terminus der Satire zu legen, da im Rahmen religionsfeindlicher Äußerungen regelmäßig auf dieses künstlerische Stilmittel zurückgegriffen wird und dies den Gerichten zum Teil Schwierigkeiten bereitet. Um die jeweiligen Besonderheiten des deutschen und französischen Rechts später besser in den Gesamtzusammenhang einordnen zu können, ist zudem die historische Entwicklung der betroffenen Normen in beiden Rechtsordnungen darzulegen (1. Kapitel B.). Anschließend sollen in einem zweiten Kapitel die verfassungsrechtlichen Grundlagen der Bestrafung religionsfeindlicher Äußerungen dargestellt werden. Es sind also die grundlegenden Interessen herauszuarbeiten, die sich bei religionsfeindlichen Äußerungen gegenüberstehen. Der Schwerpunkt liegt dabei auf den Vorgaben des deutschen Grundgesetzes. In einem ersten Schritt soll hierfür untersucht werden, auf welche Grundrechte sich der Äußernde berufen kann (2. Kapitel A.), wobei im Wesentlichen auf die Meinungs- und die Kunstfreiheit einzugehen sein wird. Daraufhin ist die schwierigere Frage zu beantworten, welche Interessen auf der „gegnerischen Seite“ betroffen sind (2. Kapitel B.). In Betracht kommen sowohl Interessen der Allgemeinheit als auch der Religionsanhänger, die sich durch die Äußerungen beeinträchtigt fühlen. Es wird aber deutlich, dass nicht jeder der vorgebrachten Belange einen staatlichen Eingriff in die Grundrechte des Äußernden zu rechtfertigen vermag. Schließlich ist auch auf die geschützten Interessen nach dem französischen Recht einzugehen (2. Kapitel C.). Dies soll allerdings lediglich überblicksartig geschehen, weil das französische Verfassungsrecht bei der Frage, welche Art der Regelung in Deutschland zu befürworten ist, nicht zugrunde gelegt werden soll. Da die französischen Verfassungsgrundlagen aber selbstverständlich erhebliche Auswirkungen auf die einfachgesetzlichen Regelungen manifestieren, sollen zumindest die Elemente dargestellt werden, die für die vorliegende Frage-
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stellung von besonderer Bedeutung sind. Die herausgearbeiteten Anforderungen, die das jeweilige Verfassungsrecht an die strafrechtlichen Regelungen zur Bekämpfung von Religionsbeschimpfung stellt, sind bei der weiteren Untersuchung der Tatbestände zu berücksichtigen. Das dritte Kapitel ist dem deutschen Strafrecht gewidmet. Darzulegen sind zunächst die allgemeinen Prinzipien, die bei der strafrechtlichen Sanktionierung von Äußerungen zu beachten sind (3. Kapitel A.). Hierzu gehören insbesondere die Grundsätze zur richtigen Auslegung von Äußerungen, die insbesondere durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts herausgearbeitet wurden. Letzteres stellt zudem auch Anforderungen an die besondere Berücksichtigung der Grundrechte bei der Anwendung strafrechtlicher Tatbestände, die in diesem allgemeinen Teil erläutert werden sollen. Anschließend ist auf die einzelnen Tatbestände einzugehen, die durch religionsbeschimpfende Aussagen erfüllt werden können (3. Kapitel B.). Erörtert werden hierbei die Volksverhetzung, die Ehrdelikte und abschließend der Tatbestand der Bekenntnisbeschimpfung. Die Delikte sind dabei sowohl auf ihre Konformität mit den zuvor herausgearbeiteten verfassungsrechtlichen Grundlagen zu untersuchen als auch in den Einzelheiten ihrer Voraussetzungen kritisch zu beleuchten. Dabei soll im Hinblick auf die Rechtsprechung, aber auch auf die Vorschläge der Literatur analysiert werden, ob und unter welchen Umständen religionskritische und religionsfeindliche Äußerungen von den genannten Straftatbeständen erfasst werden. Parallel dazu werden im vierten Kapitel die Regelungen des französischen Strafrechts dargestellt. Auch hier sollen zunächst in einem allgemeinen Teil die Voraussetzungen der Strafbarkeit von Äußerungen aufgezeigt werden (4. Kapitel A.). Neben den Grundsätzen zur Auslegung von Äußerungen soll hier eine kurze Einführung in das französische Strafrecht erfolgen, um die folgenden Ausführungen verständlich werden zu lassen. Anschließend sind hier gleichfalls die Voraussetzungen der einschlägigen Tatbestände zu ermitteln und zu hinterfragen, ob sie auf religionsbeschimpfende Äußerungen Anwendung finden (4. Kapitel B.). Relevant sind neben der Anstiftung zum Hass auch nach französischem Recht die Ehrverletzungsdelikte, wobei diese die Besonderheit einer religionsbezogenen Qualifizierung aufweisen. Schließlich ist kurz auf die prozessualen Voraussetzungen der besprochenen Delikte einzugehen, da diese durch die Einordnung der Tatbestände in das Presserecht einige Besonderheiten aufweisen (4. Kapitel C.). Im Anschluss daran dient das fünfte Kapitel der Gegenüberstellung der für die jeweilige Rechtsordnung herausgearbeiteten Ergebnisse. Zunächst sollen die zahlreichen Übereinstimmungen zwischen deutschem und französischem Recht dargelegt werden (5. Kapitel A.). Schwerpunkt der Analyse sind aber die Unterschiede zwischen den Rechtsordnungen (5. Kapitel B.), die sich im Wesentlichen durch eine gegensätzliche Herangehensweise charakterisieren. Dabei sind die Vor- und Nachteile der jeweiligen Konzeptionen vor dem Hintergrund der Fragestellung zu beleuchten, ob die französischen Regelungen sich für das deutsche Recht als gangbare
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Alternative anbieten. Im Folgenden sollen weitere – kleinere – Differenzen zwischen den Systemen dargestellt und bewertet werden. Schließlich ist ein überblicksartiger Ausblick auf die europäische Ebene zu gewähren (6. Kapitel). Insbesondere der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte setzte sich in der jüngeren Vergangenheit ebenfalls mit der Frage der strafrechtlichen Sanktionierung religionsbeschimpfender Äußerungen auseinander. Seine Resultate sollen kurz auf ihre Vereinbarkeit mit den herausgearbeiteten Ergebnissen für das deutsche und französische Recht analysiert werden. Zum Abschluss wird ein Fazit aus den Ausarbeitungen gezogen, in dem thesenartig die wesentlichen Ergebnisse zusammengefasst und abschließend bewertet werden.
1. Kapitel
Begriffsbestimmung und historische Entwicklung Zunächst ist in einem einleitenden Kapitel auf die Grundlagen dieser Untersuchung einzugehen. Dabei sollen zuerst die im Folgenden verwendeten Begrifflichkeiten erläutert werden. Anschließend ist kurz die Genese der zu behandelnden strafrechtlichen Vorschriften sowohl in Frankreich als auch in Deutschland darzustellen, die später als Basis des Vergleichs herangezogen werden kann.
A. Begriffsbestimmung In einem ersten Schritt ist zwischen den verschiedenen Aspekten religionsfeindlicher Äußerungen zu differenzieren, wobei die diesbezüglich verwendeten Begrifflichkeiten erklärt werden und eine Abgrenzung zum rassischen Antisemitismus vorzunehmen ist. Im Anschluss sollen die Darstellungsformen der Satire und der Karikatur untersucht werden, auf die bei religionsfeindlichen Äußerungen vielfach zurückgegriffen wird und die bei ihrer strafrechtlichen Beurteilung immer wieder Schwierigkeiten aufwerfen.
I. Religionskritik, Blasphemie und religionsfeindliche Äußerungen Religionskritik ist im weitesten Sinne als kritische Hinterfragung herkömmlicher religiöser Vorstellungen zu verstehen.1 Unter diesem Oberbegriff lassen sich drei Tendenzen ausmachen: Die immanente Religionskritik, bei der sich ein Mitglied der Religionsgemeinschaft mit Teilaussagen oder historischen Gegebenheiten wie Gebräuchen oder Institutionen kritisch auseinandersetzt, die interreligiöse Kritik, bei der verschiedene Religionen in wechselseitiger Konkurrenz zueinander stehen, sowie die Religionskritik im engeren Sinne, die Glaubwürdigkeit und Berechtigung der Religion als ganzer bestreitet.2 Religionskritik kann in diesem Sinne als Teilaspekt theologischer oder philosophischer Wissenschaft interpretiert werden.
1
Schmied, „Du sollst des Namen Gottes nicht verunehren“ in: Gotteslästerung?, S. 8, 20. Vgl. zu den verschiedenen Formen und Intentionen auch Mückl, Anforderungen aus menschenrechtlicher Sicht, in: Meinungsfreiheit versus Religionsfreiheit, S. 81, 82 ff. 2 s. zu dieser Aufteilung Zirker, Religionskritik, S. 8 m.w.N.
A. Begriffsbestimmung
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Der Begriff der Blasphemie geht auf das altgriechische blasphêmía zurück, das zunächst ohne jeden Gottesbezug „Lästerung“ oder „böse Nachrede“ bedeutete.3 Blasphemie als „schlechte Rede“ steht in der Theorie der Häresie als „falsche Rede“ über Gott gegenüber; eine scharfe Trennung vermag jedoch im Einzelfall Schwierigkeiten zu bereiten.4 Heute bezeichnet der Begriff der Blasphemie in erster Linie die Beschimpfung Gottes, religiöser Lehren oder Handlungen sowie der Religionsgemeinschaften.5 Anders als die zum Teil synonyme Verwendung der Begriffe Blasphemie und Gotteslästerung im Alltag vermuten lässt, ist Angriffsgegner also nicht ausschließlich die Gottheit selbst. Dem engeren Begriff der Gotteslästerung ist hingegen „das ehrenrührige Verhöhnen, Beschimpfen, Verleumden, Verfluchen einer Gottheit“ zuzuschreiben.6 Als zentraler Begriff der vorliegenden Untersuchung ist die religionsfeindliche Äußerung zu verstehen. Darunter wird in einem weiten Sinne jede Äußerung in Ton, Schrift oder Bild gefasst, die sich gegen Gottheiten oder andere religiöse Glaubensinhalte, gegen die Religion als solche, gegen einzelne Religionsgemeinschaften oder auch gegen ihre Anhänger richtet. Anders als die Kritik ist die Feindschaft grundsätzlich von dem Wunsch beseelt, dem anderen zu schaden, ihn zu bekämpfen oder sogar zu vernichten.7 So kann der Äußernde einerseits von dem Ziel geleitet sein, die Macht einer bestimmten Religion oder der Religionen als solche in einem gewissen Bereich oder insgesamt in der Gesellschaft zurückzudrängen, um eigene Werte zu verteidigen, andererseits aber auch den Zweck verfolgen, die Gläubigen herabzusetzen oder zu demütigen.
II. Antisemitismus und religionsfeindliche Äußerungen Im weitesten Sinne fallen auch sämtliche antisemitische Äußerungen in die weit verstandene Kategorie der Religionsfeindlichkeit, insbesondere die sogenannte „Auschwitzlüge“ als Holocaustleugnung sowie jede andere Billigung, Leugnung oder Verharmlosung der unter den Tatbestand des Völkermords fallenden Handlungen des NS-Regimes. Ihre Strafwürdigkeit ist in Deutschland auch heute noch höchst umstritten.8 In der vorliegenden Arbeit soll allerdings auf die Untersuchung dieses Bereichs verzichtet werden. Denn im Vergleich zu einer „normalen“ Religionsbeschimpfung besteht ein erheblicher Unterschied: Zwar richtet sich der sich 3
Levy, Blasphemy, in: Encyclopedia of Religion, S. 238. Schwerhoff, Gott und die Welt herausfordern, S. 33 ff.; s. auch Wils, Gotteslästerung, S. 83 f., 96 ff. 5 Schmied, „Du sollst des Namen Gottes nicht verunehren“, in: Gotteslästerung?, S. 8, 28. 6 Beck, Gotteslästerung, in: RGG III, S. 1226; ebenso Rox, Schutz religiöser Gefühle, S. 15. 7 Duden „Feindschaft“, http://www.duden.de/node/682787/revisions/1134773/view (zuletzt abgerufen am 29. 05. 2017). 8 Vgl. dazu BVerfGE 124, 300 ff. – Wunsiedel; krit. etwa Bertram, NJW 2005, 1476; Weiler, Volksverhetzung, S. 63 ff. 4
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1. Kap.: Begriffsbestimmung und historische Entwicklung
antisemitisch Äußernde gegen Juden und somit gegen eine religiöse Gruppe. Die Grenze zwischen der Beschimpfung einer Rasse und der einer Religion ist hier aber schwer zu ziehen.9 So ist insbesondere der Antisemitismus, der zur Zeit des Nationalsozialismus wesentlich verbreitet war, als ein „Rassenantisemitismus“ zu beschreiben.10 Auch heute wird in antisemitischen Äußerungen üblicherweise nicht die jüdische Religion selbst oder ihre Glaubensinhalte beschimpft oder verächtlich gemacht. Die Religion dient nur als Zugehörigkeitskriterium zu der betroffenen Gruppe, der persönlich Glaube der Verletzten hat keinen Einfluss auf ihre Betroffenheit. Anders als über die Anhängerschaft einer Religion kann über die Zugehörigkeit zur „jüdischen Rasse“ nicht durch freien Willen entschieden werden. Antisemitische Äußerungen sind somit in eine Kategorie mit rassistischen, nicht mit religionsfeindlichen Äußerungen zu fassen, da es ihnen an einem konkreten Religionsbezug fehlt. Demgemäß sollen antisemitische Äußerungen, die sich nur auf das nationalsozialistische Regime und seine Taten beziehen und nicht auf konkrete Inhalte der jüdischen Religion bezogen sind, im Folgenden ausgeklammert werden.
III. Satire und Karikatur als Darstellungsform der Religionsfeindlichkeit Religionsfeindlichkeit äußert sich in unterschiedlichen Darstellungsweisen. Die offensichtlichste Form ist die der ausdrücklichen Feindseligkeit durch Rede oder aber in der Presse und sonstigen Medien. Diese kann sich sowohl in sachlicher Kritik als auch in undifferenzierten Beschimpfungen äußern. Historisch gesehen ist darüber hinaus insbesondere die Darstellungsform der Satire und der Karikatur von Bedeutung. Gerade in Frankreich haben Humor, Ironie und Dreistigkeit als respektlose Ausdrucksmittel der Kritik an den Mächtigen und damit auch an den Kirchen11 Tradition.12 Dass diese Darstellungsweise auch in der Gegenwart keineswegs an Bedeutung eingebüßt hat, zeigen insbesondere die Entwicklungen rund um die Veröffentlichung der Mohammed-Karikaturen in der dänischen Zeitung „JyllandsPosten“. Um Satiren und Karikaturen aber in die juristische Prüfung mit einbeziehen zu können, ist eine Definition dieser Ausdrucksformen erforderlich.
9
Messner/Prélot/Woehrling, Droit français des religions, Rn. 1455, Fn. 247. Vgl. dazu ausführlich und m.w.N. Emmerich/Würkner, NJW 1986, 1195, 1200, die darlegen, dass schon auf Grund der Unabänderlichkeit der Zugehörigkeit zur „jüdischen Rasse“ etwa durch Taufe oder Heirat nicht von einem religiösen Antijudaismus auszugehen ist. 11 Zu der historischen Entwicklung kirchenkritischer Karikaturen in Frankreich, s. Bœspflug, Théologiques, 2009, 85, 86 ff.; Doizy, ASSR n8 134 (2006), 63 ff. 12 De Lamy, Liberté d’opinion et droit pénal, Rn. 351. 10
A. Begriffsbestimmung
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1. Literaturwissenschaftlicher Satirebegriff Literaturwissenschaftlich betrachtet, kann der Begriff der Satire sowohl eine Gattung als auch eine Schreibart bezeichnen.13 Dabei baut die Gattungsbeschreibung aber auf der Schreibweise auf, indem sie ein Werk bezeichnet, das wesentlich von der satirischen Schreibweise geprägt ist.14 Dem heutigen Sprachgebrauch am ehesten entspricht allerdings die auch hier zugrunde gelegte Deutung als „gattungsübergreifende Darstellungsart“15, d. h. ein bestimmter Stil, der sich in jeder literarischen Gattung (also Lyrik, Epik und Dramatik) und damit auch in jeder Werksform (Drama, Roman, Gedicht) wiederfinden kann. Über die Literaturwissenschaft hinaus kann die Satire in diesem Sinne auch die bildenden Künste wie Gemälde, Zeichnungen und Plastiken und die darstellenden Künste wie Filme oder Theaterstücke prägen.16 Kennzeichnend für die satirische Schreibweise sind nach der inzwischen weitgehend unbestrittenen Theorie von Brummack drei konstitutive Merkmale: ein aggressives oder individuelles, ein soziales und ein ästhetisches Element.17 Das erste Element beschreibt einen Angriff, eine Aggression, eine Kritik; ein Ausdruck des Zorns, den der Satiriker empfindet und in dem die Satire wurzelt,18 in der aktuellen Auflage des Reallexikons spricht Brummack auch von „Negativität“19. Der Angriff ist aber nicht physisch zu verstehen; er erfolgt durch die Verwendung von Zeichen wie Sprache, Bilder oder ähnliches.20 Gerichtet ist der Angriff gegen ein erkennbares, reales Objekt,21 wobei aber mögliche Ziele des Angriffs breit gefächert sind. In Betracht kommen sowohl einzelne Personen und Personengruppen, als auch eine bestimmte Politik, Gesinnung oder gesellschaftliche Missstände.22 Dabei ist der Angriffspunkt auch bei persönlichen Satiren nicht die Person, sondern die Fehler und 13 Erhardt, Kunstfreiheit und Strafrecht, S. 133 f.; Gärtner, Was die Satire darf, S. 20; Kneip, Satirische Schreibweise, S. 2; Schwind, Satire, S. 20 f.; Wünsch, Parodie, S. 25. 14 Brummack, DVJS 45 (1971 Sonderheft), 275, 282; ders., Satire, in: Reallexikon III, S. 356; Erhardt, Kunstfreiheit und Strafrecht, S. 135; Gärtner, Was die Satire darf, S. 20; Wünsch, Parodie, S. 28 f. 15 Erhardt, Kunstfreiheit und Strafrecht, S. 133; Hodgart, Satire, S. 9; Kneip, Satirische Schreibweise, S. 2; ähnlich auch Schönert, Roman und Satire, S. 8 f. („literarische Darbietungsweise“). 16 Mit Beispielen dazu Gärtner, Was die Satire darf, S. 21. 17 Grundlegend: Brummack, DVJS 45 (1971 Sonderheft), 275, 282 sowie ders., Satire, in: Reallexikon III (2. Aufl.), S. 602; zust. Kneip, Satirische Schreibweise, S. 3; Schwind, Satire, S. 23; für die juristische Literatur: Erhardt, Kunstfreiheit und Strafrecht, S. 135 ff.; Gärtner, Was die Satire darf, S. 22; Kassing, Personalsatire, S. 24 ff.; Senn, Satire und Persönlichkeitsschutz, S. 23 f. m.w.N.; zu früheren Definitionsschwierigkeiten s. Brummack, DVJS 45 (1971 Sonderheft), 275, 332 f. m.w.N.; anders Wünsch, Parodie, S. 29. 18 Zum Zorn als wesentliche Motivation der Satire s. Hodgart, Satire, S. 10 f. 19 Brummack, Satire, in: Reallexikon III, S. 355. 20 Senn, Satire und Persönlichkeitsschutz, S. 25. 21 Brummack, Satire, in: Reallexikon III (2. Aufl.), S. 602; v. Becker, GRUR 2004, 908. 22 Erhardt, Kunstfreiheit und Strafrecht, S. 137.
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1. Kap.: Begriffsbestimmung und historische Entwicklung
Laster, für die sie steht.23 Für die vorliegende Arbeit interessant sind dabei vor allem die Satiren, die sich gegen Religionsgemeinschaften, ihre Würdenträger oder Glaubensinhalte richten. Zu denken ist dabei z. B. an satirische Angriffe gegen den Papst oder bestimmte Priester, andererseits gegen Gott selbst, gegen andere Glaubensinhalte (etwa Jesus, Mohammed, Maria etc.) oder gegen religiöse Symbole wie etwa das christliche Kreuz. Weiteres Element der Satire ist nach dieser Auffassung der soziale Aspekt. Schon allein aus der Dreieckskonstellation zwischen Satiriker, Angriffsziel und Adressat (denn letztere sind keinesfalls regelmäßig identisch) ergibt sich eine gewisse gesellschaftliche Perspektive. Darüber hinaus darf der Angriff nicht aus einer ausschließlich privaten Feindseligkeit resultieren, sondern muss (zumindest dem Anspruch nach) auch darauf gerichtet sein, eine Norm, ein Ideal, eine Utopie zu verteidigen.24 Der Satiriker misst das Objekt seines Angriffs an dieser Norm und stellt die Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit, zwischen Schein und Sein dar.25 Sein Ziel ist die Enthüllung, die Aufklärung der Adressaten und dadurch langfristig Behebung der Missstände, mehr noch als die Bestrafung des Angegriffenen.26 Anders als bloße Witze ist Satire daher zweckgebunden.27 Zur Erreichung dieses Zwecks muss der Satiriker seine Adressaten auf eine besondere Art ansprechen, er muss ihr Interesse wecken und die Diskrepanz der Wirklichkeit zum Ideal offen zu Tage treten lassen. Hierfür bedient sich der Satiriker nicht eines direkten Angriffs, sondern verwendet Stilmittel der Verfremdung und Verzerrung.28 Darin liegt das dritte, das ästhetische Element. Als mögliche Mittel der Indirektheit seien hier Ironie und Parodie, Über- und Untertreibung, Vertauschung, Verschiebung und Antithese genannt.29 Zu beachten ist, dass diese nicht von sich aus 23
Brummack, Satire, in: Reallexikon III (2. Aufl.), S. 604. Brummack, DVJS 45 (1971 Sonderheft), 275, 333; Brummack, Satire, in: Reallexikon III (2. Aufl.), S. 602 (ähnlich auch noch ders., Satire, in: Reallexikon III, S. 356); Erhardt, Kunstfreiheit und Strafrecht, S. 141 ff.; Gärtner, Was die Satire darf, S. 25 f.; und Schönert, Roman und Satire, S. 13. Die Terminologie ist hier teilweise unterschiedlich: An dem Begriff der Norm wird kritisiert, dass es bei der Satire gerade auch um die Relativierung oder Ablehnung gesellschaftlicher Prinzipien gehen kann. Insofern ist Norm nicht im engeren Sinne als moralische, gesellschaftliche Regel zu verstehen. Das wird schon dadurch deutlich, dass auch im Nationalsozialismus Satire eingesetzt wurde, dass also der Satiriker keinesfalls immer moralisch überlegen ist. Trotzdem ist mit den genannten Autoren der Begriff der Norm vorzuziehen, weil die Begriffe Ideal und Utopie durch ihre philosophische Vorbelastung als zu eng gelten müssen. Hempfer, Tendenz, S. 32, verwendet den Begriff der Tendenz. Allgemein krit. zum Kriterium des Normbezugs Wünsch, Parodie, S. 29 f. 25 Erhardt, Kunstfreiheit und Strafrecht, S. 141 f.; Schönert, Roman und Satire, S. 10 f. 26 Brummack, Satire, in: Reallexikon III (2. Aufl.), S. 603. 27 Vinck, AfP 1974, 552; Senn, Satire und Persönlichkeitsschutz, S. 28; Gärtner, Was die Satire darf, S. 25. 28 Brummack, Satire, in: Reallexikon III (2. Aufl.), S. 602; Erhardt, Kunstfreiheit und Strafrecht, S. 143; Gärtner, Was die Satire darf, S. 26; Schwind, Satire, S. 23. 29 Ähnlich Brummack, Satire, in: Reallexikon III (2. Aufl.), S. 602; für weitere Beispiele und Erklärungen zu den verschiedenen Stilmitteln s. Erhardt, Kunstfreiheit und Strafrecht, 24
A. Begriffsbestimmung
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satirisch sind, sondern es erst durch die Verbindung mit den anderen Elementen werden, indem sie also als Mittel für einen Angriff und zum Zweck der Wiederherstellung einer Norm dienen. Anders als der gewöhnliche Kritiker will der Satiriker nicht über den Widerspruch zwischen Norm und Wirklichkeit sprechen, er will ihn seinem Publikum offensichtlich machen, denn trotz der Indirektheit seines Angriffs vertraut er darauf, dass die Adressaten das eigentlich Gemeinte verstehen.30 Der Wert der Verfremdung geht aber noch darüber hinaus: Gerade der ungewohnte Blickwinkel, das Abrücken vom Selbstverständlichen soll dem Betrachter „die Schuppen von den Augen fallen“31 lassen. Die verfremdete Darstellung eines gewohnten Objekts erzeugt zumeist auch eine gewisse Komik, die von einigen Autoren als das wesentliche Element der Satire aufgefasst wird.32 Sie gibt den Gegenstand des Angriffs dem Lachen preis, um die Aufmerksamkeit des Adressaten zu sichern. Durch die Verfremdung gewinnt die Satire ihr ästhetisches Moment, das sie von einer bloßen Schmährede oder Kritik unterscheidet.33 Für die Literaturwissenschaft versteht sich die Satire also im hier zugrunde gelegten Sinne als eine nicht gattungsgebundene Darstellungsart, die sich durch einen Angriff durch Mittel der Verfremdung mit dem Ziel der Enthüllung einer Normwidrigkeit charakterisiert. 2. Juristischer Satirebegriff Aber nicht nur die Literatur-, sondern auch die Rechtswissenschaft befasst sich mit der Frage nach der Definition der Satire. Die Aggression, die in der Satire nach den bisherigen Erkenntnissen notwendigerweise enthalten ist, kann den Unmut des Angegriffenen bzw. eines Vertreters der angegriffenen Gesinnung auf sich ziehen und so zu juristischen Streitigkeiten führen. Dann können sich Besonderheiten bei der Auslegung der umstrittenen Äußerung sowie bzgl. möglicher Grundrechtsbetroffenheit ergeben, die eine Auseinandersetzung mit dem Begriff der Satire notwendig machen. Deutsche Gerichte und Rechtswissenschaftler befassen sich relativ häufig mit dem Begriff der Satire. Dabei weicht der juristische Satirebegriff zumindest zum Teil von der literaturwissenschaftlichen Sichtweise ab. Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner grundlegenden Entscheidung zur Satire unter Verweis auf das S. 144 ff. m.w.N.; Gärtner, Was die Satire darf, S. 26 f.; Kneip, Satirische Schreibweise, S. 21 ff.; Schwind, Satire, S. 98 ff.; Senn, Satire und Persönlichkeitsschutz, S. 18 ff. 30 Erhardt Kunstfreiheit und Strafrecht, S. 143; Preisendanz, Korrelation, in: Preisendanz/ Warnig, S. 411, 413 spricht in diesem Sinne von einer „transparenten Entstellung“. 31 Bloch, Ästhetik des Vor-Scheins II, S. 127 f. 32 So etwa Müller, Komik und Satire, S. 85; Wünsch, Parodie, S. 27 f.; weitergehend zur Komik in der Satire s. Schwind, Satire, S. 147 ff.; krit. Kassing, Personalsatire, S. 14 f. 33 Arntzen, Satire, S. 15; Erhardt, Kunstfreiheit und Strafrecht, S. 143; Gärtner, Was die Satire darf, S. 30.
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1. Kap.: Begriffsbestimmung und historische Entwicklung
Reichsgericht34 Satire und Karikatur als eine Kunstgattung beschrieben, der es „wesenseigen ist, mit Übertreibungen, Verzerrungen und Verfremdungen zu arbeiten“.35 Es knüpft also im Wesentlichen an das in der Literaturwissenschaft unter dem Begriff Indirektheit verbreitete ästhetische Moment der Satire an.36 Lediglich angedeutet wird bei der Einlassung auf den Vortrag des Beschwerdeführers, dass es sich um einen Angriff gegen ein bestimmtes Objekt handelt.37 Die von der Literaturwissenschaft betonte Verknüpfung der Elemente, dass nämlich die Indirektheit gerade dazu dienen soll, einen Missstand durch seine besondere Darstellung aufzudecken und damit das Ideal des Satirikers in die Realität umzusetzen, wird hingegen nicht deutlich. In seinem „Deutschlandlied“-Beschluss setzt sich das Bundesverfassungsgericht zwar mit der Absicht des Künstlers „hinsichtlich der Lebensverhältnisse in der Bundesrepublik Widersprüche zwischen Anspruch und Wirklichkeit aufzuzeigen“38 auseinander. Das soziale Element wird jedoch nicht als konstitutives Merkmal der Satire interpretiert, sondern dient dem Gericht ausschließlich dazu, im konkreten Fall eine Verfremdung (nämlich anhand des Unterschieds zwischen der tatsächlichen Aussage und der gemeinten) festzustellen, die wiederum eine Satire kennzeichnet. Dies wird besonders deutlich, wenn das Gericht die Anprangerung von Widersprüchen zwischen Anspruch und Wirklichkeit als „denkbaren Aussagekern“39 der Satire bezeichnen. In der Regel findet also eine Auseinandersetzung mit dem Kriterium einer gesellschaftlichen, politischen oder moralisch-ethischen Stoßrichtung der Satire nicht statt.40 Auffällig ist auch, dass die Rechtsprechung insgesamt häufig das Vorliegen einer Satire stillschweigend voraussetzt, ohne eine Prüfung anhand der literaturwissenschaftlichen Merkmale vorzunehmen, und erst im Rahmen der Feststellung des Aussagegehalts auf das Verfremdungsmerkmal als wesentliches Charakteristikum der Satire eingeht.41 Nur in den Entscheidungen einiger Instanzgerichte lassen sich 34
RGSt 62, 183 ff. BVerfGE 75, 369, 377 – Strauß/Hachfeld; daran anlehnend BVerfGE 86, 1, 9 – geb. Mörder; BVerfG NJW 1998, 1386, 1387 – Münzen-Erna. 36 Gärtner, Was die Satire darf, S. 32, 36; ähnlich auch Brauneck, ZUM 2004, 887, 888, für die gesamte Rechtsprechung und Wolf, Spötter vor Gericht, S. 31 f., jedoch ohne Bezug auf die literaturwissenschaftliche Terminologie. 37 BVerfGE 75, 369, 379 – Strauß/Hachfeld: „und Personen, die wie der Nebenkläger im öffentlichen Leben stehen, in verstärktem Maße Zielscheibe öffentlicher, auch satirischer Kritik sind“. 38 BVerfGE 81, 298, 307 – Deutschlandlied. 39 BVerfGE 81, 298, 307 – Deutschlandlied. 40 Wolf, Spötter vor Gericht, S. 32. 41 BVerfGE 81, 278, 294 – Bundesflagge; 81, 298, 306 – Deutschlandlied; BGHSt 25, 128, 130; BGHZ 84, 237, 244; VGH München, NJW 1984, 1136, 1137; OLG Köln, NJW 1982, 657, 658; OLG Frankfurt, NJW-RR 1993, 852, 853; LG Frankfurt, NJW 1982, 658, 659; LG Bochum, NJW 1989, 727, 728. 35
A. Begriffsbestimmung
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Anhaltspunkte für die Auseinandersetzung mit dem literaturwissenschaftlichen Satirebegriff entdecken. So definiert etwa das Oberlandesgericht Düsseldorf (unter Berufung auf Meyers Enzyklopädisches Lexikon, 1977) Satire als „eine Kunstform, in der sich der an einer Norm orientierte Spott über Erscheinungen der Wirklichkeit nicht direkt, sondern indirekt, durch die ästhetische Nachahmung eben dieser Wirklichkeit ausdrückt“,42 und geht somit ausdrücklich auf das soziale Element des Normbezugs ein. Ähnlich das Oberlandesgericht München, das (unter Bezugnahme auf Brockhaus-Enzyklopädie, 1970) feststellt, dass durch die politische Karikatur „vor allem Kritik an gesellschaftlichen Zuständen, Ereignissen und Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens geübt werden“43 soll. Im Folgenden gehen beide Gerichte jedoch ausschließlich auf die Verfremdung ein. Das Oberlandesgericht Düsseldorf etwa verneint das Vorliegen einer Satire mit der Begründung, dass sich das Werk auf eine Darstellung des angeblich Wirklichen beschränke und daher die Wirklichkeit nicht indirekt, sondern direkt und gezielt anspreche.44 Das Oberlandesgericht München hingegen unternimmt gar keinen Versuch der Subsumtion unter die genannte Definition, sondern setzt das Vorliegen einer Karikatur voraus.45 Das aggressive Element tritt andererseits in einer Entscheidung des Oberlandesgerichts Frankfurt zutage, jedoch wird auch hier das über die Verfremdung hinausgehende Element nur genannt, nicht jedoch in den folgenden Ausführungen auf den Sachverhalt angewandt.46 Daneben steht häufig, anders als nach der literaturwissenschaftlich herrschenden Auffassung, das Element der Komik im Vordergrund.47 Regelmäßig werden im Zusammenhang mit Satire Effekte des Spotts und des Verlachens betont. Anders als die Elemente des Angriffs und des Normbezugs, die regelmäßig erst bei der Rechtfertigung in Erscheinung treten, wird – insofern im Widerspruch zur herrschenden Ansicht in der Literaturwissenschaft – teilweise auf das Merkmal der Komik zurückgegriffen, um das Vorliegen einer Satire zu belegen. Trotz dieser Ausnahmen kann zusammengefasst werden, dass sich die Rechtsprechung im Wesentlichen auf das Merkmal der Verfremdung beschränkt, anstatt sich mit den drei Elementen des Literaturwissenschaftlichen Satirebegriffs auseinanderzusetzen. Die juristische Behandlung des Satirebegriffs ist also weniger tiefgehend als die literaturwissenschaftliche; die Gerichte stellen insgesamt geringere Anforderungen an das Vorliegen einer Satire. Dies wird teilweise stark kriti42 OLG Düsseldorf, NJW-RR 1990, 1116, 1117. Auf diese Definition verweist auch v. Becker, GRUR 2004, 908, für seine Definition des juristischen Satirebegriffs, ohne jedoch weitere vergleichbare Fundstellen zu nennen. 43 OLG München, NJW 1971, 844, 845. 44 OLG Düsseldorf, NJW-RR 1990, 1116, 1117. 45 OLG München, NJW 1971, 844, 845. 46 OLG Frankfurt, JR 1996, 250, 251. 47 BVerfGE 86, 1, 11 – geb. Mörder; BVerfG, NJW 1998, 1386, 1387 – Münzen-Erna; NJW 2002, 3767, 3768 – Bonnbons; BGHZ 156, 206, 213; OLG München, NJW 1971, 844, 845; LG Hamburg, NJW-RR 2000, 978.
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1. Kap.: Begriffsbestimmung und historische Entwicklung
siert.48 Allerdings ist zu beachten, dass der Begriff „Satire“ nicht als strenger Rechtsbegriff verstanden werden darf. Eine Einordnung unter diese Definition zieht folglich regelmäßig keine direkten juristischen Konsequenzen nach sich.49 Wenn die Rechtsprechung eine Darstellung als Satire qualifiziert, führt dies vor allem dazu, dass an die Deutung der Äußerung besonders hohe Anforderungen gestellt werden, die dem Merkmal der Verfremdung gerecht werden sollen.50 Eine besondere Sorgfalt bei der Ermittlung des Aussageinhalts ist letztlich nicht nur im Interesse des Äußernden, sondern auch des Betroffen und der Allgemeinheit, da sie eine differenzierte Betrachtung des Einzelfalls und damit eine angemessene Entscheidung erlaubt. 3. Karikaturen als Bildsatire Der Begriff der Karikatur leitet sich aus dem italienischen caricare (beladen, übertreiben) ab und meint in kunstwissenschaftlicher Hinsicht eine bildliche Darstellung von Personen oder Vorgängen, bei der durch sparsame zeichnerische Mittel typische Details deformierend hervorgehoben werden.51 Die Karikatur als „Zerrbild“52 gleicht also der Satire zumindest im Merkmal der Verfremdung. Dabei fällt aber eine absolute Begriffsbestimmung schwer.53 So wird es sich oft um eine aus nur wenigen Strichen bestehende Zeichnung, eine „Kritzelei“ handeln,54 zwingend ist dies aber nicht. Ein anderes regelmäßig wiederkehrendes Element ist die Komik, das Verlachen des Dargestellten.55 Häufig, wenn auch nicht notwendigerweise wird die Karikatur mit der Satire auch das Element des Angriffs teilen. Denn regelmäßig will sie durch die pointierte Darstellung eine Kritik äußern.56 Und auch der Normbezug wird sich nicht selten finden, da auch der Karikaturist den Angriff auf sein Objekt dazu nutzen will, die Diskrepanz zwischen Schein und Sein, zwischen Wirklichkeit und Ideal aufzudecken. Karikatur und Satire sind somit keine artverschiedenen Gattungen, die streng auseinander gehalten werden können.57 Stattdessen ist die Karikatur in den Fällen, in denen Angriff und Normbezug gegeben sind, sie sich 48
Kassing, Personalsatire, S. 14 ff. s. zur Frage, ob Satire stets dem Schutzbereich der Kunstfreiheit unterfällt, unten 2. Kapitel A II. 2. 50 s. zur Auslegung von Satire unten 3. Kapitel A. I. 2. 51 Rösch, in: Reallexikon II – Satire, S. 233 f. 52 Senn, Satire und Persönlichkeitsschutz, S. 33. 53 So unterscheidet beispielsweise Plum, Karikatur im Spannungsfeld, S. 27 zwischen der Auslegung als übertriebene, künstlerisch vereinfachte Porträtzeichnung und der aufwendigeren Bildsatire (wobei sie den Begriff der Bildsatire im Folgenden von der Karikatur abzugrenzen versucht). 54 Gärtner, Was die Satire darf, S. 29, 34; Plum, Karikatur im Spannungsfeld, S. 60. 55 Senn, Satire und Persönlichkeitsschutz, S. 33 56 Rösch, Satire, in: Reallexikon II, S. 234; krit. aber zu der verbreiteten Wertung, Karikatur stehe immer für Aufklärung und Fortschritt, Plum, Karikatur im Spannungsfeld, S. 15 ff. 57 Erhardt, Kunstfreiheit und Strafrecht, S. 147. 49
B. Historische Entwicklung der Bestrafung religionsfeindlicher Äußerungen
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somit nicht auf eine bloße Witzzeichnung reduziert, als eine Erscheinungsform der Satire, als eine sogenannte Bildsatire zu verstehen.58 Für das Bundesverfassungsgericht stellt die Karikatur ausschließlich einen Unterfall der Satire, nämlich eine „satirische Darstellung“ dar.59 In der juristischen Literatur wird eine inhaltliche Abgrenzung zwischen Satire und Karikatur zumeist nicht vorgenommen, beide Begriffe werden regelmäßig im selben Atemzug nebeneinander genannt.60 Unter Berücksichtigung des allgemeinen Sprachgebrauchs scheinen aber auch die Autoren nach der formalen Gestaltung zu unterscheiden; ob es sich also um einen Text oder ein Bild handelt. Eine Karikatur im juristischen Sinn ist demnach die bildliche Form der Satire. Ob es sich dabei um eine Zeichnung handelt, ist irrelevant; so können auch beispielsweise Fotocollagen als Karikatur eingeordnet werden.61 Im Ergebnis ist nach dieser Auslegung eine Karikatur also eine bildliche Darstellung, die sich Stilmitteln der Verfremdung bedient.
B. Historische Entwicklung der Bestrafung religionsfeindlicher Äußerungen Da zeitgeschichtliche Umstände einen immensen Einfluss auf die Formulierung und den Bestand gesetzlicher Regelungen ausüben, ist eine Herausarbeitung und kritische Beleuchtung ihrer Genese für das angemessene Verständnis einer Vorschrift unverzichtbar. Daher soll im Folgenden die Entwicklung der einschlägigen Tatbestände sowohl in Deutschland als auch in Frankreich dargestellt werden.
I. Entwicklung der einschlägigen Vorschriften in Deutschland Zunächst stellt sich die Frage, welche Tatbestände des deutschen StGB im Rahmen von Religionskritik und -beschimpfung überhaupt in Betracht kommen. Naheliegend sind hierbei in erster Linie die sogenannten Religionsdelikte. Darüber hinaus können aber sowohl die Volksverhetzung als auch Beleidigungsdelikte einschlägig sein, wenn deren besondere Voraussetzungen gegeben sind.
58 Gärtner, Was die Satire darf, S. 29; Kassing, Personalsatire, S. 31; Rösch, Satire, in: Reallexikon II, S. 234; ähnlich Erhardt, Kunstfreiheit und Strafrecht, S. 147. 59 BVerfGE 81, 278, 294 – Bundesflagge. 60 s. etwa schon die Titel der Aufsätze von Würtenberger, NJW 1982, 610; ders., NJW 1983, 1144; Gounalakis, NJW 1995, 809; die auch im Folgenden keine Abgrenzung vornehmen. 61 BVerfGE 81, 278, 294 – Bundesflagge; anders wohl BVerfG, GRUR 2005, 500, 502, wenn Fotomontagen als „satirische Darstellungen“ bezeichnet werden.
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1. Kap.: Begriffsbestimmung und historische Entwicklung
1. „Religionsdelikte“ Nach deutschem Strafrecht sind zunächst die in den §§ 166 ff. StGB behandelten „Straftaten, die sich auf Religion und Weltanschauung beziehen“62, zu betrachten. Die Vorschriften blicken auf eine wechselvolle Geschichte zurück. Zentraler Tatbestand war dabei stets ein Verbot der Gotteslästerung, also der Herabsetzung Gottes selbst durch beleidigende Rede. Die Idee einer strafbaren Blasphemie geht auf das Judentum zurück.63 Schon das spätrömische Recht, genauer die dem Codex Justinianeus im Jahr 538 beigefügte Novella 77, bestrafte die Blasphemie als eines der schwersten Verbrechen mit dem Tod.64 Diese Höchststrafe sollte dazu dienen, den durch die Schmähung beleidigten Gott zu besänftigen und zu verhindern, dass sich dieser gegen das Gemeinwesen richtet und Erdbeben, Hungersnot und Pest über die Erde bringt.65 Sie rechtfertigte sich durch einen a maiore ad minus-Schluss: Wenn schon die Beleidigung eines Menschen bestraft werden konnte, musste doch erst recht die Beleidigung Gottes strafbar sein.66 Ob derartige Religionsdelikte auch nach frühem germanischem Recht bestraft wurden, wird uneinheitlich beurteilt.67 Fest steht hingegen, dass ab dem 11. Jahrhundert durch den Einfluss der Kirche die Grundidee der Novella 77 in die mittelalterlichen deutschen Straf- und Polizeigesetze übernommen wurde.68 Schon ab der Karolingerzeit entwickelte sich der Staat zum „weltlichen Arm der Kirche“ und übernahm die Überwachung der Einhaltung ihrer Ge- und Verbote.69 62 Amtliche Überschrift des 11. Abschnittes des StGB, der die Normen §§ 166, 167, 167a und 168 umfasst. 63 Dippel, in: LK-StGB Vor § 166 StGB Rn. 18; Schmied, „Du sollst des Namen Gottes nicht verunehren“ in: Gotteslästerung?, S. 8, 20 f. 64 Ausführlich zu Inhalt, Motiven und Folgen dieser Novelle vgl. Schwerhoff, Gott und die Welt herausfordern, S. 266 ff. 65 Otto, Corpus Juris Civilis, S. 381 f.; vgl. auch Angenendt, Gottesfrevel, in: Religionsbeschimpfung, S. 9, 10; Pawlik, in: FS Küper, S. 411; ders., Strafrechtlicher Schutz, in: Religionsbeschimpfung, S. 31. 66 Kesel, Religionsdelikte, S. 6. 67 Zum Teil wird davon ausgegangen, dass eine Bestrafung von Religionsdelikten nicht stattfand, so z. B. Dippel, in: LK-StGB Vor § 166 StGB Rn. 18; wohingegen andererseits einzelne Tatbestände in einzelnen Stammesrechten erwähnt werden, so z. B. bei Kesel, Religionsdelikte, S. 6 f.; sodass wohl mit Schmitz, Straftaten gegen Religion und Weltanschauung, S. 4 ff., davon ausgegangen werden kann, dass Religionsdelikte zwar nicht allgemein verbreitet, aber doch teilweise geregelt waren; wobei jedoch auffällt, dass die Gotteslästerung selbst nicht zu den angegebenen Beispielen zählt. 68 s. hierzu Kesel, Religionsdelikte, S. 8 ff., der insbesondere den Sachsenspiegel (1220 – 1235), den Schwabenspiegel (1274/1275), den Wormser Reichsabschied von 1495, die Bambergensis (1507) und die Constitutio Criminalis Carolina (1532) nennt; Pawlik, in: FS Küper, 411 (Reichspolizeiordnungen des 16. Jahrhunderts sowie das Landrecht für das Königreich Preußen von 1721); ebenso und mit weiteren Beispielen Dippel, in: LK-StGB Vor §§ 166 ff. Rn. 18; Jauck, ZStW 24 (1904), 349, 354. 69 Kesel, Religionsdelikte, S. 7 f.
B. Historische Entwicklung der Bestrafung religionsfeindlicher Äußerungen
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War Angriffsobjekt in diesen Zeiten noch Gott selbst, wurde also eine Beleidigung der Majestät Gottes unter Strafe gestellt, so änderte sich die Schutzrichtung der Bestrafung von Gotteslästerung mit der Aufklärung. Eine bekannte Begründung hierfür findet sich bei Feuerbach: „Dass die Gottheit injuriert werde, ist unmöglich; dass sie wegen Ehrenbeleidigungen sich an Menschen räche, undenkbar; dass sie durch Strafe ihrer Beleidiger versöhnt werden müsse, Torheit.“70 Davon ausgehend änderte sich die Bestrafung von Gotteslästerung im Preußischen Allgemeinen Landrecht von 179471 grundlegend: Auf der einen Seite wurde die Höchststrafe auf 6 Monate Haft gesenkt, auf der anderen Seite wurde nicht länger die Beleidigung Gottes, sondern die Störung des öffentlichen Friedens zum Strafgrund.72 Das Bayerische Strafgesetzbuch von 1813, das wesentlich von Feuerbach inspiriert war,73 enthielt hingegen keinen Gotteslästerungsparagraphen mehr.74 Es verbreitete sich die Ansicht, dass ein staatlicher Schutz des Heiligen, wenn er denn überhaupt angestrebt wurde, nicht länger um Gottes, sondern um der Bürger willen zu geschehen hatte.75 In der Folge bildeten sich mehrere Begründungsstrategien heraus, die die Beibehaltung der Strafbarkeit von Gotteslästerung rechtfertigten. Auf der einen Seite wurde als Schutzgut der Bestand des Staats selbst herangezogen.76 Seine Stabilität sollte zum einen nicht durch konfessionelle Auseinandersetzungen aufs Spiel gesetzt werden, die zu öffentlichen Unruhen führen konnten. Zum anderen sollte die Gesellschaft gefestigt werden; von einer „Disziplin durch Religion“ erhoffte man sich eine größere Loyalität und Gesetzestreue der Bürger, die ebenfalls der Stabilität des Staats zugutekommen sollte. In eine ganz andere Richtung ging eine weitere Begründung, die wesentlich dem Drang der Aufklärer zu Subjektivität geschuldet war: Geschützt werden müsse nicht nur die Gesellschaft, sondern auch der einzelne Bürger in seinen religiösen Überzeugungen, da eine Schmähung oder Verspottung Gottes gleichzeitig einen Angriff auf die Ehre des Anhängers darstelle.77 Vor dem Hintergrund der Restauration gewannen Kirche und Religion Mitte des 19. Jahrhunderts wieder an Bedeutung. So sprach sich Savigny unter Berufung auf 70
Feuerbach, Lehrbuch des gemeinen in Deutschland gültigen peinlichen Rechts, S. 488 f. § 217 ALR: „Wer durch öffentlich ausgestoßene grobe Gotteslästerungen zu einem gemeinen Aergernisse Anlaß giebt, soll auf zwey bis sechs Monathe ins Gefängniß gebracht, und daselbst über seine Pflichten, und die Größe seines Verbrechens belehrt werden.“ 72 Müller, Religion und Strafrecht, S. 75; Pawlik, in: FS Küper, 411, 412; ders., Strafrechtlicher Schutz, in: Religionsbeschimpfung, S. 31, 32. 73 Cattaneo, JJZG 12 (2011), 119, 132; Duttge, in: MK-StGB § 15 Rn. 55. 74 Schmitz, Straftaten gegen Religion und Weltanschauung, S. 28; Pawlik, in: FS Küper, 411, 412; ders., Strafrechtlicher Schutz, in: Religionsbeschimpfung, S. 31 32. 75 Pawlik, in: FS Küper, 411, 412; ders., Strafrechtlicher Schutz, in: Religionsbeschimpfung, S. 31, 33. 76 Hepp, Neues Archiv des Criminalrechts 14 (1833/34), 332, 342; Wahlberg, Allgemeine Deutsche Strafrechtszeitung 1861, 273, 275; v. Preuschen, Archiv des Criminalrechts 1841, 292, 300; Wächter, Lehrbuch des Römisch-Teutschen Strafrechts, S. 541. 77 v. Pufendorf, Über die Pflicht des Menschen, S. 56 ff.; vgl. dazu Rox, Schutz religiöser Gefühle, S. 22. 71
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1. Kap.: Begriffsbestimmung und historische Entwicklung
die „schwere Verletzung des heiligen Gefühls“ für die Notwendigkeit einer harten Bestrafung aus.78 Diese Strömung mündete in einem eher konservativen79 preußischen Gotteslästerungstatbestand80 von 1851, der vor allem die religiösen Gefühle der Bürger schützen sollte. Die Vorschrift wurde schließlich 1871 auch in das Strafgesetzbuch des deutschen Reichs81 übernommen, wobei aber, entgegen einiger Stimmen,82 durchaus einige wesentliche Änderungen stattfanden: Eine öffentliche Gotteslästerung war nach dem neuen § 166 RStGB83 nur dann strafbar, wenn dadurch ein Ärgernis bereitet wurde, in Bezug auf die Religionsgemeinschaften wurde nicht jedes Verspotten, sondern nur das enger gefasste Beschimpfen bestraft.84 Andererseits wurden die „sehr dehnbaren“85 Begriffe der Einrichtungen und Gebräuche eingefügt. Begünstigt wurden durch die Norm insbesondere die christlichen Kirchen und die mit Kooptationsrechten ausgestatteten Religionsgesellschaften.86 Obwohl nach der Jahrhundertwende zahlreiche Reformversuche unternommen wurden,87 blieb die Vorschrift in dieser Form fast hundert Jahre bestehen. Hervorzuheben sind unter den Reformbestrebungen insbesondere der Entwurf eines Strafgesetzbuchs von 196288 sowie der Alternativentwurf von 1968.89 Ersterer spiegelte wie schon seine Vorgänger ein relativ konservatives Verständnis der Religionsdelikte wider, indem er in § 187 die Lästerung Gottes durch Beschimpfung unter Strafe stellte. Den Bezug zur Gesellschaft stellte lediglich das Erfordernis der Eignung, „das allgemeine re78
Verhandlungen des Vereinigten staendischen Ausschusses III, S. 322 f. Vgl. dazu Müller, Religion und Strafrecht, S. 75 ff.; zur sogenannten Gefühlsschutztheorie auch RGSt 16, 245, 248; Binding, Lehrbuch BT I, S. 176 f.; Jauck, ZStW 24 (1904), 349, 352. 80 § 135 PStGB: „Wer öffentlich in Worten, Schriften oder anderen Darstellungen Gott lästert, oder eine der christlichen Kirchen oder eine andere mit Korporationsrechten im Staate bestehende Religionsgesellschaft oder die Gegenstände ihrer Verehrung, ihre Lehren, Einrichtungen oder Gebräuche verspottet, oder in einer Weise darstellt, welche dieselben dem Hasse oder der Verachtung aussetzt, ingleichen wer in Kirchen oder anderen religiösen Versammlungsorten an Gegenständen, welche dem Gottesdienste gewidmet sind, beschimpfenden Unfug verübt, wird mit Gefängniß bis zu drei Jahren bestraft.“ 81 RGBl. 1871, Nr. 24, S. 127. 82 Etwa Müller, Religion und Strafrecht, S. 77. 83 „Wer dadurch, daß er öffentlich in beschimpfenden Aeußerungen Gott lästert, ein Aergerniß gibt, oder wer öffentlich eine der christlichen Kirchen oder eine andere mit Korporationsrechten innerhalb des Bundesgebietes bestehende Religionsgesellschaft oder ihre Einrichtungen oder Gebräuche beschimpft, ingleichen wer in einer Kirche oder in einem anderen zu religiösen Versammlungen bestimmten Orte beschimpfenden Unfug verübt, wird mit Gefängniß bis zu drei Jahren bestraft.“ 84 Schmitz, Straftaten gegen Religion und Weltanschauung, S. 35 f.; Kesel, Religionsdelikte, S. 15 f. 85 Maslowski, Von der Gotteslästerung zur Glaubenslästerung S. 11. 86 Hassemer, Religionsdelikte, in: Christentum und modernes Recht, S. 232, 234. 87 s. dazu ausführlich Schmitz, Straftaten gegen Religion und Weltanschauung, S. 38 ff. 88 E 1962, BT-Drucks. 4/650. 89 AE-StGB BT, Sexualdelikte. 79
B. Historische Entwicklung der Bestrafung religionsfeindlicher Äußerungen
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ligiöse Empfindung zu verletzen“, her. Zwar wurde hervorgehoben, dass der Straftatbestand allein den menschlichen Empfindungen, nicht aber dem Schutz Gottes selbst dienen sollte,90 jedoch zeigt sich auch in dieser Norm die Grundtendenz des gesamten Entwurfs, moralisierende Überzeugungen durch das Strafrecht zu verteidigen.91 Hervorzuheben ist allerdings, dass erstmals eine vollständige Gleichbehandlung zwischen allen Religionsgemeinschaften angestrebt wurde.92 Der Alternativentwurf der Strafrechtslehrer hingegen verschrieb sich der Idee einer säkularisierten, pluralistisch gefassten Gesellschaft und verzichtete gänzlich auf Religionsdelikte.93 Beide Entwürfe wurden jedoch nicht umgesetzt. Das Erste Gesetz zur Reform des Strafrechts vom 25. Juni 196994, dem die Religionsdelikte ihre bis heute gültige Formulierung verdanken, wählte stattdessen ein Mittelweg zwischen diesen beiden Vorschlägen. So steht die Vorschrift des § 166 StGB heute unter der Überschrift „Beschimpfung von Bekenntnissen, Religionsgesellschaften und Weltanschauungsvereinigungen“ und untergliedert sich in zwei Absätze. Beiden gemeinsam ist das Merkmal des Beschimpfens, das öffentlich oder durch die Verbreitung von Schriften erfolgen muss. Gegenstand der Beschimpfung muss dabei entweder ein religiöses oder weltanschauliches Bekenntnis (Absatz 1) oder eine Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft (Absatz 2) sein. Der Bezug auf die Weltanschauung führte zwar in der Theorie zu einer „Entkirchlichung“ der Vorschrift,95 spiegelt sich aber in der Rechtsprechungspraxis nicht wider.96 Aus dem früheren Merkmal des Ärgernisses hat sich heute die weitere Voraussetzung der Eignung zur Störung des öffentlichen Friedens herausgebildet. Zwar ist das Schutzgut der Norm heute noch umstritten, herrschend ist allerdings das auf die Gesetzesmaterialien gestützte Verständnis, das den Schutz des öffentlichen Friedens zugrunde legt.97 Unstreitig ist aber, dass anders als die Ursprungsnorm der Gotteslästerung der aktuelle § 166 StGB nicht mehr die Beleidigung des Heiligen unter Strafe stellt, sondern die Gedanken der Aufklärung übernimmt und ausschließlich dem Schutz menschlicher Rechtsgüter dient. § 167 StGB enthält ein weiteres Religionsdelikt. Mit Strafe bedroht ist hier zum einen das grobe Stören eines Gottesdienstes oder einer gottesdienstlichen Handlung einer Religionsgemeinschaft oder einer vergleichbaren Feier einer Weltanschauungsgemeinschaft (§ 167 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 StGB). Daneben verbietet die Vor90
BT-Drucks. 4/650, S. 343. Maihofer, Reform des BT, in: Programm für ein neues StGB, S. 116, 124; ders., Gotteslästerung, in: Die deutsche Strafrechtsreform, S. 171, 184 ff.; Hassemer, Religionsdelikte, in: Christentum und modernes Recht, S. 232, 235. 92 BT-Drucks. 4/650, S. 342. 93 Maihofer, Gotteslästerung, in: Die deutsche Strafrechtsreform, S. 171, 187 ff. 94 BGBl. 1969 I, S. 645. 95 Hassemer, Religionsdelikte, in: Christentum und modernes Recht, S. 232, 236. 96 Hörnle, Grob anstößiges Verhalten, S. 350, die es als schwer vorstellbar beschreibt, dass wegen einer Beschimpfung etwa des Marxismus ermittelt werde. 97 BT-Drucks. 5/4094, S. 28 f.; vgl. unten 3. Kapitel B. III. 1. m.w.N. 91
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1. Kap.: Begriffsbestimmung und historische Entwicklung
schrift „beschimpfenden Unfug“ an Orten, die dem Gottesdienst von Religionsgemeinschaften bzw. vergleichbarer Feiern von Weltanschauungsgemeinschaften gewidmet sind (§ 167 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 StGB). Vorliegend soll jedoch in erster Linie die Strafbarkeit religionsfeindlicher Äußerungen untersucht werden, sodass diese Norm, die auf störende Handlungen zugeschnitten ist, außer Betracht bleibt. 2. Volksverhetzung Daneben kann zur Sanktionierung religionsfeindlicher Äußerungen unter Umständen auf das Verbot der Volksverhetzung aus § 130 StGB zurückgegriffen werden. Die Ursprünge der Norm gehen zurück auf ein französisches Pressegesetz vom 25. März 1822, das unter anderem die Aufreizung zum Klassenkampf unter Strafe stellte.98 Durch eine Preußische Verordnung vom 30. Juni 1849 und schließlich durch § 100 des Preußischen StGB von 1851 fand eine vergleichbare Norm, die wegen der Voraussetzung des öffentlichen Anreizen der Staatsangehörigen zum Hass oder zur Verachtung gegeneinander als „Hass- und Verachtungsparagraph“ bezeichnet wurde, Eingang in das deutsche Recht.99 Ursache für die Einführung war insbesondere die Aufhebung der Vorzensur im Jahr 1848, die einen Umschwung weg von der Präventiv-, hin zur Repressivkontrolle bedeutete.100 Darauf aufbauend enthielt auch das StGB von 1871 einen vergleichbaren Straftatbestand: § 130 knüpfte, wie sein französisches Vorbild, wieder an die Anreizung zum Klassenkampf an und bestrafte das öffentliche Anreizen verschiedener Klassen der Bevölkerung zu gegenseitigen Gewalttätigkeiten. Trotz zahlreicher Reformbestrebungen hatte die Norm in ihrem Wortlaut bis 1960 Bestand.101 Erst durch das Sechste Strafrechtsänderungsgesetz vom 30. Juni 1960102 wurde § 130 StGB als Reaktion auf eine Welle antisemitischer und neonazistischer Ausschreitungen vollständig neu gefasst.103 Sollte die Norm ursprünglich vor allem politisch linke Gruppierungen treffen,104 ersetzte die Neufassung den Begriff der Klassen durch „Teile der Bevölkerung“, sodass insbesondere auch rechtsextreme Aktionen erfasst werden konnten. Um eine Ausuferung zu vermeiden, wurde ein Angriff auf die Menschenwürde des betroffenen Bevölke98 Art. 10 loi du 25 mars 1822 relative à la répression et à la poursuite des délits commis par la voie de la presse ou par tout autre moyen de publication (Gesetzes vom 25. 03. 1822 über die Bestrafung und die Verfolgung von auf dem Presseweg oder durch andere öffentliche Mittel begangenen Delikte); Rohrßen, Anreizung zum Klassenkampf, S. 15. 99 Ostendorf, in: NK-StGB § 130 Rn. 2; Rohrßen, Anreizung zum Klassenkampf, S. 13, 22 ff. 100 Rohrßen, Anreizung zum Klassenkampf, S. 14. 101 Ausführlich hierzu Rohrßen, Anreizung zum Klassenkampf, S. 59 ff., der eine Reihe von Reformen und Reformvorstößen beschreibt, die zwar zum Teil Auswirkungen auf die Norm zeigten, ihren Wortlaut allerdings unverändert ließen. 102 BGBl. 1960 I, S. 478. 103 Ostendorf, in: NK-StGB § 130 Rn. 3; Schäfer, in: MK-StGB § 130 Rn. 14. 104 Lömker, Gefährliche Abwertung, S. 7 f.; Ostendorf, in: NK-StGB § 130 Rn. 3, 7; Weiler, Volksverhetzung, S. 6.
B. Historische Entwicklung der Bestrafung religionsfeindlicher Äußerungen
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rungsteils verlangt und weiterhin auf das Merkmal der Störung des öffentlichen Friedens zurückgegriffen. Eine weitere grundlegende Veränderung der Vorschrift brachte das Verbrechensbekämpfungsgesetz vom 28. Oktober 1994105. Durch die Neufassung des ersten Absatzes und die Inkorporierung des Rassenhassverbots aus § 131 StGB in den zweiten Absatz wurde die Vorschrift zu einem „allgemeinen Antidiskriminierungstatbestand“.106 Darüber hinaus stellte der neu eingefügte Absatz 3 die sogenannte „einfache Auschwitzlüge“ unter Strafe, die nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs107 zuvor ausschließlich unter die Beleidigung nach § 185 StGB zu subsumieren war. In den folgenden Jahren wurde die Norm weiter verschärft, indem Absatz 2 auf Medien- und Teledienste erweitert wurde108 und in einem neuen Absatz 4 die Billigung, Verherrlichung oder Rechtsfertigung der nationalsozialistischen Willkür- und Gewaltherrschaft mit Strafe bedroht wurde109. Zur Umsetzung des europäischen Rahmenbeschlusses 2008/913/JI des Europäischen Rates wurde schließlich der Adressatenkreis des ersten Absatzes unter anderem auf Einzelne, die einer bestimmten Bevölkerungsgruppe angehören, erweitert,110 nicht aber eine besondere Strafbarkeit wegen Leugnung, Verharmlosung oder Billigung anderer völkerstrafrechtlicher Verbrechen als derer des NS-Regimes eingeführt.111 Die heutige Form des § 130 StGB umfasst also eine Mehrzahl verschiedener Tatbestände, von der für die Religionsbeschimpfung nur die ersten beiden Absätze Bedeutung haben. Im ersten Absatz wird zunächst das Aufstacheln zum Hass bzw. die Aufforderung zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen gegen eine nach bestimmten Kriterien, unter anderem durch ihre Religionszugehörigkeit, charakterisierte Bevölkerungsgruppe oder einzelne ihrer Mitglieder sowie gegen nicht weiter spezifizierte Teile der Bevölkerung unter Strafe gestellt, sofern es in einer Weise erfolgt, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören. Die zweite Alternative des Absatzes 105 Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuchs, der Strafprozessordnung und anderer Gesetze (Verbrechensbekämpfungsgesetz) v. 28. 10. 1994, BGBl. I, S. 3186. 106 Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder § 130 Rn. 1 f.; Ostendorf, in: NK-StGB § 130 Rn. 3; Rohrßen, Anreizung zum Klassenkampf, S. 192. 107 BGHSt 40, 97. 108 Art. 1 Abs. 5 des Gesetzes zur Änderung der Vorschriften über die Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung und zur Änderung anderer Vorschriften v. 23. 12. 2003, BGBl. I, S. 3001. 109 Art. 2 Abs. 1 des Gesetzes zur Änderung des Versammlungsgesetzes und des Strafgesetzbuches v. 24. 03. 2005, BGBl. I, S. 969 f. 110 Art. 1 des Gesetzes zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses 2008/913/JI des Rates v. 28. 11. 2008 zur strafrechtlichen Bekämpfung bestimmter Formen und Ausdrucksweisen von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit und zur Umsetzung des Zusatzprotokolls v. 28. 01. 2003 zum Übereinkommen des Europarats v. 23. 11. 2001 über Computerkriminalität betreffend die Kriminalisierung mittels Computersystemen begangener Handlungen rassistischer und fremdenfeindlicher Art v. 16. 03. 2011, BGBl. I, S. 418. 111 Krit. hierzu Bock, ZRP 2011, 46, 47 ff.; zust. aber Hellmann/Gärtner, NJW 2011, 961, 964 f.; Weiler, Volksverhetzung, S. 19.
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1. Kap.: Begriffsbestimmung und historische Entwicklung
bestraft einen Angriff auf die Menschenwürde des gleichen Angriffsgegners durch Beschimpfung, böswillige Verächtlichmachung oder Verleumdung, wobei auch hier die Eignung zur Störung des öffentlichen Friedens erforderlich ist. Absatz zwei betrifft das Verbreiten oder einen vergleichbaren Umgang mit Schriften eines solchen Inhalts. 3. Ehrverletzungsdelikte Betroffene von Religionskritik und Beschimpfung fühlen sich gegebenenfalls in ihrer Ehre gekränkt. Daher sind neben den spezifischeren Religions- und Volksverhetzungsdelikten auch die Beleidigungsdelikte des StGB zu betrachten. Bis in das 18. Jahrhundert hinein war die Ehre eng mit dem Recht verbunden; sie war kein Rechtsgut, das jedem Menschen auf Grund seiner Natur zustand, sondern konnte durch das Recht (beispielsweise durch Ehrstrafen) oder durch die Gesellschaft (z. B. bei Feigheit oder Treulosigkeit) genommen werden. In einer Gesellschaft, die sich durch ihre streng hierarchisch gegliederten Stände auszeichnete, bedeutete Ehre also die Möglichkeit der Teilhabe an rechtlichen und gesellschaftlichen Privilegien des jeweiligen Standes.112 So kannte auch das Preußische Allgemeine Landrecht von 1794 mehr als 150 verschiedene Ehrverletzungstatbestände, in denen sich auch die dadurch bedingten unterschiedlichen Ehrbegriffe widerspiegelten. Erst das Preußische Strafgesetzbuch von 1851 konnte mit seiner Aufteilung in „Öffentliche Beleidigung“, „Verleumdung“ und einfache „Beleidigung“ (als Übertretung) sowie einer Vielzahl heute noch die Ehrdelikte prägender Normen eine strukturierte Lösung vorweisen.113 Schließlich wurden im darauf beruhenden Reichsstrafgesetzbuch von 1871 die Unterschiede zwischen „Übler Nachrede“ und „Verleumdung“ herausgearbeitet. Die Delikte des Ehrschutzes sind heute in den §§ 185 ff. StGB geregelt. Zentrale Vorschriften sind dabei die Beleidigung (§ 185 StGB), die üble Nachrede (§ 186 StGB) und die Verleumdung (§ 187 StGB). Zwar besteht heute weitgehend Einigkeit darüber, dass Schutzgut dieser Delikte die Ehre ist.114 Dies täuscht jedoch kaum darüber hinweg, dass die Konturen des Schutzgutes immer noch höchst umstritten sind. Auf Grund dieser Differenzen wird im Folgenden115 darauf einzugehen sein, inwieweit die Ehre bei Religionskritik und Religionsbeschimpfung überhaupt beeinträchtigt sein kann und ob die §§ 185 ff. StGB ein so interpretiertes Ehrgefühl 112
Regge/Pegel, in: MK-StGB Vor §§ 185 ff. Rn. 2. Regge/Pegel, in: MK-StGB Vor §§ 185 ff. Rn. 5. 114 BGHSt 1, 288, 289; 11, 67, 70 f.; 16, 58, 62 f.; Hilgendorf, in: LK-StGB Vor §§ 185 ff. Rn. 1; Lackner/Kühl, Vor §§ 185 ff. Rn. 1; Lenckner/Eisele, in: Schönke/Schröder Vor §§ 185 ff. Rn. 1; Regge/Pegel, in: MK-StGB Vor §§ 185 ff. Rn. 7; Rogall, in: SK-StGB Vor § 185 Rn. 1; Zaczyk, in: NK-StGB Vor §§ 185 ff. Rn. 1; anders nur Jakobs, in: FS Jescheck, S. 627, 636 f. („Schutz auch des öffentlichen Interesses am Unterbleiben von unwahren Zurechnungen zu Lasten einer Person“). 115 s. unten 3. Kapitel B. II. 1. 113
B. Historische Entwicklung der Bestrafung religionsfeindlicher Äußerungen
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schützen. Von Bedeutung im Zusammenhang mit religionskritischen und -beschimpfenden Äußerungen ist weiterhin die Norm des § 193 StGB, über die das Bundesverfassungsgericht als Einfallstor für die Meinungs- und Pressefreiheit den Anwendungsbereich der Ehrverletzungsdelikte reduziert.116
II. Entwicklung der einschlägigen Vorschriften in Frankreich Wenn auch die Grundlagen des französischen Rechts ebenfalls im römischen Recht zu finden sind, so zeigt doch eine Analyse der Rechtsgeschichte sowie der heute anwendbaren Tatbestände, dass die Entwicklung in den beiden Nachbarstaaten nicht immer parallel verlaufen ist. 1. Religionsdelikte Auch im französischen Recht haben Religionsdelikte eine lange Tradition, deren Wurzel hier ebenfalls in der Novella 77 Justinians liegt.117 Der Höhepunkt der Bestrafung von Gotteslästerung lag aber im Mittelalter und begann um 1182 mit dem Erlass der lex novella des kapetingischen Herrschers Philippe Auguste.118 Auch die ihm nachfolgenden Könige erließen zahlreiche Verordnungen, mit der sie Gotteslästerung unter Strafe stellten; bis zum Jahre 1789 wurden fast achtzig solcher königlichen Verbote verabschiedet.119 Trotz – oder gerade wegen – der großen Anzahl an verschiedenen Gesetzestexten blieben die juristischen Kriterien der Blasphemie im Unklaren.120 Die Gründe für die Bestrafung unterschieden sich von denen Justinians; im Wesentlichen erstrebten die Könige, insbesondere in Krisenzeiten, das Gottgegebene ihrer Machtposition feierlich zu bekräftigen.121 So verschmolz die Beleidigung Gottes auch zum Teil mit der Beleidigung des Königs. Aber obwohl Gotteslästerung auch in der Bevölkerung weit verbreitet war, blieb eine tatsächliche
116
2815 f. 117
BVerfGE 12, 113, 125 – Schmid/Spiegel; 24, 278, 282 – Tonjäger; BVerfG, NJW 1992,
Marguet, Essai sur le blasphême, S. 82. Leveleux-Teixeira, Insulte à Dieu, in: Outrages, insultes, blasphèmes et injures, S. 31, 32; dies., CRMH 7 (2000), Rn. 24; Marguet, Essai sur le blasphême, S. 83. 119 Leveleux-Teixeira, Insulte à Dieu, in: Outrages, insultes, blasphèmes et injures, S. 31, 33; s. zu den einzelnen Verordnungen der verschiedenen Könige auch Marguet, Essai sur le blasphême, S. 83 ff. 120 Leveleux-Teixeira, CRMH 7 (2000), Rn. 7: „Omniprésent, le blasphème demeure mystérieux et insaisissable; diffus, il reste indéfini, flou et finalement innommé.“ (Obwohl allgegenwärtig blieb die Blasphemie mysteriös und nicht greifbar; sie war diffus, undefiniert und letztlich unbenannt.) Vgl. zu den Rechtsfragen dies., Insulte à Dieu, in: Outrages, insultes, blasphèmes et injures, S. 31, 34 ff. 121 Leveleux-Teixeira, Insulte à Dieu, in: Outrages, insultes, blasphèmes et injures, S. 31, 33, 43 f.; s. auch Hoareau-Dodinau, Atalaya n8 5, 1994, 193, 196. 118
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1. Kap.: Begriffsbestimmung und historische Entwicklung
Bestrafung selten und die verhängten Strafen waren mild.122 Mit der Aufklärung gewann das Verständnis überhand, dass strafrechtliche Regelungen nicht allein dem Schutz eines Gottes, sondern vorrangig den Menschen dienen müssen. Dass sich die Sanktionierung im 16. Jahrhundert verschärfte (anstatt Geldstrafen und spiritueller Strafen wie Fasten oder Almosen wurden nun vermehrt auch Freiheitsstrafen, körperliche Strafen oder gar die Todesstrafe verhängt), ist wohl darauf zurückzuführen, dass die Gotteslästerung mit Aufkommen des Protestantismus als soziale Bedrohung aufgefasst wurde.123 Die freiheitlichen Bestrebungen der französischen Revolution und die darauf folgende Verkündung der Déclaration des droits de l’homme et du citoyen de 1789 durch die Nationalversammlung führten schließlich zu einer Abschaffung religionsbezogener Delikte. So enthielt der neue Code pénal aus dem Jahr 1791 weder eine Strafbarkeit der Gotteslästerung, noch der Ketzerei oder des Sakrilegs.124 Der Triumph der Meinungsfreiheit war jedoch nicht von langer Dauer, da während der Restauration durch das Pressegesetz vom 17. Mai 1819 der Straftatbestand des „outrage à la morale publique et religieuse“, des Verstoßes gegen die öffentliche und religiöse Moral, eingeführt wurde.125 Unter diese Vorschrift fielen etwa Zeichnungen oder Aussagen, die die anerkannten Religionen ins Lächerliche zogen. Hinzu kam Art. 1 des Gesetzes vom 25. März 1822,126 der die Schmähung der staatlich anerkannten Dogmen und Riten unter Strafe stellte. Beide Gesetze fanden rege Anwendung, sodass die Meinungsfreiheit in jener Zeit erheblich eingeschränkt war.127 Betroffen waren unter anderem Schriftsteller des Realismus wie Flaubert128 oder Baudelaire129 und religionskritische Wissenschaftler. Hinzu kam, dass in wesentlichen Phasen des 19. Jahrhunderts130 die Veröffentlichung sämtlicher Zeichnungen und vergleichbarer Abbildungen einem Zensursystem unterworfen war, das eine der Veröffentlichung vorhergehende staatliche Erlaubnis voraussetzte. Ein weiterer wegweisender Erfolg für die freie Meinungsäußerung in der Presse wurde durch das Gesetz zur Pressefreiheit vom 29. Juli 1881131 erreicht, das sämtliche bis dahin geltenden Einzelgesetze zur Strafbarkeit von Äußerungen ab122
39 f. 123
Leveleux-Teixeira, Insulte à Dieu, in: Outrages, insultes, blasphèmes et injures, S. 31,
Leveleux-Teixeira, Insulte à Dieu, in: Outrages, insultes, blasphèmes et injures, S. 31, 41; 50; s. auch Hoareau-Dodinau, Atalaya n8 5, 1994, 193, 207 f. 124 Robert, Archives de philosophie du droit, n8 41 (1997), 191, 192. 125 Art. 8 loi sur la presse du 17 mai 1819. 126 Loi du 25 mars 1822 relative à la répression et à la poursuite des délits commis par la voie de la presse ou par tout autre moyen de publication. 127 Droin, Limitations à la liberté d’expression, Rn. 498. 128 Trib. corr. Paris, 07. 02. 1857, La Gazette des tribunaux, 08. 02. 1857, S. 145. 129 Trib. corr. Paris, 20. 08. 1857, La Gazette des tribunaux, 21. 08. 1857, S. 828 f. 130 Vgl. zu verschiedenen einschlägigen Gesetzen Mallet-Poujol, Légipresse n8 229 (2006), I, 37, 38. 131 Loi du 29 juillet 1881 sur la liberté de la presse; JORF v. 30. 07. 1881, S. 4201.
B. Historische Entwicklung der Bestrafung religionsfeindlicher Äußerungen
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schaffte.132 Zur besseren Gewährleistung der Meinungs- und Pressefreiheit sollte das sogenannte délit d’opinion aus dem französischen Strafrecht beseitigt werden.133 Als délit d’opinion, wörtlich Meinungsdelikt, wird im französischen Recht ein strafrechtlicher Tatbestand bezeichnet, der eine bestimmte Meinung abstrakt ihrem Inhalt nach und unabhängig von den durch die Äußerung konkret verletzten Interessen unter Strafe stellt.134 Die Zulässigkeit solcher délits d’opinions wird allgemein abgelehnt, denn indem sie kein der Meinungsfreiheit gleichwertiges Interesse schützen, verstoßen sie gegen dieses Grundrecht. Vor diesem Hintergrund sollten die inkriminierten Handlungen objektiviert werden, sodass die Strafbarkeit nicht mehr ausschließlich von verletzten Gefühlen und Empfindsamkeiten abhängt.135 In diesem Zuge wurden insbesondere auch die Vergehen der outrage à la morale publique et religieuse und der outrage à la religion abgeschafft.136 Vergleichbare Tatbestände, die eine Gotteslästerung verbieten, kennt das französische Strafrecht seitdem nicht mehr. 2. Aufreizung zum Hass Zur Unterdrückung der liberalen, oppositionellen Presse wurde im 19. Jahrhundert die Aufhetzung zum Klassenkampf und zum Hass vermehrt unter Strafe gestellt.137 Nach Art. 10 des Gesetzes vom 25. März 1822138 wurde bestraft, wer öffentlich oder mit Mitteln der Pressearbeit den öffentlichen Frieden zu beeinträchtigen sucht, indem er Verachtung oder Hass der Bürger gegen andere Per-
132
Mallet-Poujol, Légipresse n8 229 (2006), I, 37, 38. Dreyer, Droit de l’information, Rn. 99; Egéa, D. 2010, 2139, 2141; Garraud, ZStW 1 (1881), 530, 539; Hauriou, Précis de droit constitutionnel, S. 662; Mallet-Poujol, Légipresse n8 229 (2006), I, 37, 38. 134 Hochmann: Les Cahiers de Droit n8 53 (2012), 793, 798. 135 Leclerc, Légipresse n8 223 (2005), III, 145, 147; Mallet-Poujol, Légipresse n8 229 (2006), I, 37, 38; für einen umfassenderen Schutz des droit au respect des croyances hingegen Massis, Légipresse n8 197 (2002), II, 172 ff. 136 s. hierzu ausführlich Droin, Limitations à la liberté d’expression, Rn. 487 ff. 137 Hierzu und zum Folgenden Krone, Volksverhetzung als Verbrechen gegen die Menschlichkeit, S. 134. 138 Art. 10 loi du 25 mars 1822 relative à la répression et à la poursuite des délits commis par la voie de la presse ou par tout autre moyen de publication: „Quiconque, par l’un des moyens énoncés en l’article 1er de la loi du 17 mai 1819, aura cherché à troubler la paix publique en excitant le mépris ou la haine des citoyens contre une ou plusieurs classes de personnes, sera puni des peines portées en l’article précédent.“ Art. 10 des Gesetzes vom 25. 03. 1822 über die Bestrafung und die Verfolgung von auf dem Presseweg oder durch andere öffentliche Mittel begangenen Delikte: Wer durch ein in Art. 1 des Gesetzes vom 17. 05. 1819 genanntes Mittel den öffentlichen Frieden zu beeinträchtigen sucht, indem er bei den Bürger Verachtung oder Hass gegenüber einer oder mehreren Personenklassen hervorruft, wird mit den im vorigen Artikel genannten Sanktionen bestraft. 133
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1. Kap.: Begriffsbestimmung und historische Entwicklung
sonenklassen139 hervorruft. Die Vorschrift wurde durch Art. 8 des Gesetzes vom 9. September 1835140 zum Teil dahingehend modifiziert und ersetzt,141 dass von nun an das Hervorrufen von Hass zwischen den verschiedenen Klassen der Gesellschaft tatbestandlich war. Art. 7 des Dekrets vom 11. August 1848142 kehrte schließlich wieder zur Strafbarkeit des zum Zweck der Friedensstörung vorgenommenen Hervorrufens von Hass und Missachtung zurück, verzichtete dabei aber auf den Begriff der Personenklassen und bezieht sich ausdrücklich auf das Verhältnis der Bürger untereinander. Auch in dieser Frage ist mit Verabschiedung des Pressefreiheitsgesetzes eine Stärkung der Meinungsfreiheit (nicht nur in der Presse) zu verzeichnen. Mit der Beseitigung aller délits d’opinion wurde neben den Religionsdelikten auch die Aufhetzung zum Klassenkampf entkriminalisiert. Allerdings enthielt das Pressefreiheitsgesetz weiterhin ein Verbot der öffentlichen Anstiftung zu Straftaten,143 unabhängig davon, ob es zu einer solchen Straftat kam oder nicht, sowie aufrührerischer Ausrufe und Gesänge.144 Eine erneute Ausdehnung der Strafbarkeit erfolgte jedoch durch das décret-loi du 21 avril 1939145, genannt „loi Marchandeau“.146 Die erste Vorschrift im französi139 Wobei der Begriff der Klasse nicht nur im Sinne des Ranges interpretiert wird, sondern allgemein als Bevölkerungsgruppe, die sich etwa durch ihre Rasse, ihre Religion, ihren Beruf etc. definiert, s. de Grattier, Commentaire sur les lois de la presse II, S. 99. 140 Art. 8 de la loi du 9 septembre 1835 sur les crimes, délits et contraventions de la presse et des autres moyens de publication: „[…] toute provocation à la haine entre les diverses classes de la société, sera punie des peines portées par l’article 8 de la loi du 17 mai 1819.“ Art. 8 des Gesetzes über Verbrechen, Vergehen und Übertretungen der Presse und anderer Mittel der Veröffentlichung vom 09. 09. 1835: […] jedes Hervorrufen von Hass zwischen den verschiedenen Klassen der Gesellschaft wird mit den im vorigen Artikel genannten Sanktionen bestraft. 141 Zu dem Verhältnis der beiden Gesetze s. de Grattier, Commentaire sur les lois de la presse II, S. 98. 142 Art. 7 du décret du 11 août 1848 relatif à la sûreté de l’État: „Quiconque, par l’un des moyens énoncés en l’art. 1er de la loi du 17 mai 1819, aura cherché à troubler la paix publique en excitant le mépris ou la haine des citoyens les uns contre les autres, sera puni des peines portées en l’article précédent.“ Art. 7 des Dekrets über die Sicherheit des Staates vom 11. 08. 1848: Wer durch ein in Art. 1 des Gesetzes vom 17. 05. 1819 genanntes Mittel den öffentlichen Frieden zu beeinträchtigen sucht, indem er bei den Bürger Verachtung oder Hass gegeneinander hervorruft, wird mit den im vorigen Artikel genannten Sanktionen bestraft. 143 Provocation publique aux crimes et délits; Art. 23 al. 1 Pressefreiheitsgesetz stellt die öffentliche Anstiftung zu tatsächlich begangenen Verbrechen und Vergehen unter Strafe, Art. 23 al. 2 Pressefreiheitsgesetz die öffentliche Anstiftung zum Versuch solcher Taten und Art. 24 al. 1 Pressefreiheitsgesetz die versuchte öffentliche Anstiftung zu bestimmten Straftaten. 144 Art. 24 al. 4 Pressefreiheitsgesetz stellt die sogenannten cris ou chants séditieux unter Strafe. 145 Décret-loi du 21 avril 1939 modifiant les articles 32, 33 et 60 de la loi du 29 juillet 1881 sur la liberté de la presse; JORF v. 25. 04. 1939 S. 5295 – Verordnung mit Gesetzeskraft vom 21. 04. 1939 über die Änderung der Art. 32, 33 und 60 des Pressefreiheitsgesetzes vom 29. 07. 1881.
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schen Recht im Kampf gegen den Rassismus und Antisemitismus verschärfte die Bestrafung von Beleidigung und Diffamierung für den Fall, dass sie sich gegen eine durch ihre Herkunft, Rasse oder Religion bestimmte Gruppe richtete und mit dem Zweck erfolgte, Hass zwischen Bürgern zu erzeugen.147 Nach der mit dem Waffenstillstand vom 22. Juni 1940 anerkannten militärischen Niederlage gegen das Deutsche Reich und der Bildung des sogenannten Vichy-Regimes wurde die Norm durch ein Gesetz vom 27. August 1940 wieder abgeschafft.148 Zwar wurde der Verordnung von 1939 nach der Befreiung Frankreichs wieder Geltung verschafft,149 auf Grund ihrer hohen formellen und materiellen Voraussetzungen, insbesondere des Ziels der Anstiftung zum Hass zwischen den Bürgern, kam die auf den Antisemitismus des Nationalsozialismus zugeschnittene Norm allerdings in der Nachkriegszeit nur selten zur Anwendung.150 Obwohl eine Reihe von Gesetzesinitiativen151 die Bestrafung rassistischer Ehrverletzung erleichtern wollten, wurde erst 1972, ein Jahr nach der Ratifizierung der UN-Rassendiskriminierungskonvention,152 die loi n8 72-546 du 1er juillet 1972 relative à la lutte contre le racisme153, bekannt als „loi Pleven“, verabschiedet. Dieses umfassende Antirassismus-Gesetz enthielt als wesentliches Element die Einfügung eines neuen Tatbestands der provocation publique à la haine raciale ou religieuse sowie eine Qualifizierung der Ehrverletzungsdelikte, auf die sogleich einzugehen ist. Weiterhin wurden besondere Verfahrensregeln eingeführt, die die Verfolgung dieser Delikte vereinfachen.154 Darüber hinaus wurden in den Code pénal zahlreiche Diskriminierungsverbote aufgenommen, die auch nach der Reform noch weitgehend vergleichbar in den Art. L. 225-1 ff. Code pénal zu finden sind. Schließlich ist im Bereich des Minderheitenschutzes mit Art. L. 132-76 Code pénal ein allgemeiner
146 In Frankreich ist es üblich, Gesetze und Verordnungen nach Politikern zu benennen, die an ihrer Erarbeitung wesentlich beteiligt waren, insbesondere nach den zuständigen Ministern. Paul Marchandeau etwa war von November 1938 bis September 1939 französischer Justizminister und gilt als Initiator dieser Verordnung. 147 D. 1939, IV, 351. 148 Loi du 27 août 1940 portant abrogation du décret-loi du 21 avril 1939 modifiant la loi du 29 juillet 1881; D. 1940, IV, 264. 149 Art. 4 der ordonnance du 9 août 1944 relative au rétablissement de la légalité républicaine sur le territoire continental (Verordnung über die Wiederherstellung des Rechtsstaats in der Form einer Republik auf dem kontinentalen Gebiet v. 09. 08. 1944). 150 Krit. daher Pinto, La liberté d’opinion et d’information, Rn. 196; zu den Schwierigkeiten bei der Umsetzung dieser Vorschrift s. ausführlich Teillot; Religion et droit pénal, S. 65 ff. 151 Vgl. dazu Delannoy Religions au Parlement français, S. 90. 152 Internationales Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung vom 21. 12. 1965, von Frankreich ratifiziert am 28. 07. 1971. 153 Gesetz Nr. 72-546 über den Kampf gegen den Rassismus v. 01. 07. 1972, JORF v. 02. 07. 1972, S. 6803. 154 s. zu den verfahrensrechtlichen Voraussetzungen der Delikte unten 4. Kapitel C.
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1. Kap.: Begriffsbestimmung und historische Entwicklung
Qualifikationstatbestand hinzugekommen,155 der die angedrohte Strafe einer Tat erhöht, wenn sie aus rassistischen Motiven begangen wurde und der betreffende Tatbestand die Möglichkeit einer solchen Qualifizierung ausdrücklich vorsieht.156 Vor dem Hintergrund dieser Entwicklung ergibt sich heute folgendes Bild: Im Bereich der Aufhetzung zum Hass sind insbesondere die provocation publique à la haine (öffentliches Hervorrufen von Hass) aus Art. 24 al. 5 des französischen Pressefreiheitsgesetzes157 sowie die Übertretung der provocation non-publique à la haine (nicht öffentliches Hervorrufen von Hass) aus Art. R. 625-7 al. 1 Code pénal158 zu nennen. Ebenfalls zu erwähnen sind in diesem Zusammenhang weitere Tatbestände wie etwa die cris et chants séditieux159 (aufrührerische Ausrufe und Gesänge) oder die Provokation zum Hass im Rahmen von Sportveranstaltungen.160 Da diesen jedoch ein Religionsbezug fehlt, soll darauf hier nicht weiter eingegangen werden. Abzugrenzen sind die hier zu untersuchenden Normen als provocation indirecte weiterhin von der direkten Provokation. Diese ist in Art. 23 und 24 al. 1 bis 3 Pressefreiheitsgesetz geregelt und betrifft die Fälle, in denen öffentlich oder durch Presseerzeugnisse zur Begehung bestimmter Straftaten aufgerufen wird. Art. 24 al. 5 Pressefreiheitsgesetz lautet: Ceux qui par l’un des moyens énoncés à l’article 23, auront provoqué à la discrimination, à la haine ou à la violence à l’égard d’une personne ou d’un groupe de personnes à raison de leur raison de leur origine ou de leur appartenance ou de leur non-appartenance à une ethnie, une
155 Eingeführt wurde der Artikel durch Art. 1 der loi n8 2003-88 du 3 février visant à aggraver les peines punissant les infractions à caractère raciste, antisémite ou xénophobe (Gesetz zur Verschärfung der Strafe bei rassistischen, antisemitischen oder fremdenfeindlichen Straftaten v. 03. 02. 2003) genannt „loi Perben“, JORF v. 04. 02. 2003, S. 2104. 156 Das gilt für eine Vielzahl der Tatbestände des Kernstrafrechts; im Code pénal sind dies der Totschlag, Art. L. 221-4 Nr. 6, verschiedene Formen der Körperverletzung, Art. L. 222-3 Nr. 5bis, L. 222-8 Nr. 5bis, L. 222-10 Nr. 5bis, L. 222-12 Nr. 5bis und L. 222-13 Nr. 5bis, der Diebstahl, Art. L. 311-4 Nr. 9, die Sachbeschädigung, Art. L. 322-2 al. 2 und L. 322-8 Nr. 3, die Drohung und die Nötigung, Art. L. 222-18-1, die Erpressung, Art. L. 312-2 Nr. 3 sowie die Störung der Totenruhe, Art. L. 225-18. 157 Art. 24 al. 5 folgt aus Art. 1 der loi n8 72-546 du 1er juillet 1972 relative à la lutte contre le racisme, JORF vom 02. 07. 1972, S. 6803. Uneinheitlich beurteilt wird in der französischen Literatur, ob die Norm als al. 5 oder al. 7 zu bezeichnen ist, s. de Lamy, in: Traité de droit de la presse et des médias, Rn. 842, Fn. 18. In Anlehnung an die deutsche Zählung werden hier die beiden einzeln nummerierten Absätze nicht mitgezählt, sodass die provocation à la haine als al. 5 anzusehen ist. 158 Art. R. 625-7 folgt aus dem décret n8 93-726 vom 29. 03. 1993 zur Reform des Code pénal (Zweiter Teil: Dekrete unter Anhörung des Conseil d’Etat) und zur Berichtigung einiger Vorschriften des Straf- und Strafprozessrechts. 159 Art. 24 al. 4 des Pressefreiheitsgesetzes; die Norm wird jedoch in der Praxis nicht mehr angewandt, u. a. weil ihre weitere Fassung nur schwer mit dem principe de légalité criminelle (strafrechtliches Gesetzlichkeitsprinzip) zu vereinbaren ist, s. dazu Thierry, in: JCl. Lois pénales spéciales, V8 Presse et communication Fasc. 60, Rn. 4. 160 Art. L. 332-6 Code du sport.
B. Historische Entwicklung der Bestrafung religionsfeindlicher Äußerungen
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nation, une race ou une religion déterminée, seront punis d’un emprisonnement d’un an et d’une amende de 45.000 E ou de l’une de ces deux peines seulement.161
Die provocation publique à la haine religieuse erfordert das Hervorrufen von Diskriminierung, Hass oder Gewalt gegen eine Person oder eine Gruppe von Personen auf Grund ihrer Zugehörigkeit oder Nichtzugehörigkeit zu einer bestimmten Religion.162 Die notwenige Begehungsweise ergibt sich aus dem Verweis auf Art. 23 Pressefreiheitsgesetz, der eine Vielzahl mündlicher, schriftlicher oder bildlicher Verbreitungsformen im öffentlichen Raum aufzählt. In diesem Kriterium der öffentlichen Begehung unterscheidet sich hiervon die ansonsten identische provocation non publique à la haine des Art. R. 625-7 al. 1 Code pénal. Anders als bei der provocation publique à la haine handelt es sich hierbei aber nur um eine contravention, eine Übertretung.163 3. Ehrverletzungsdelikte In Bezug auf die Ehrdelikte galt seit 1810 der Code pénal, der Beleidigung und Diffamierung sanktionierte.164 Unter dem damals noch in der Rechtsprache gebräuchlichen Begriff der calomnie, Verleumdung, stellte Art. 367 Code pénal das öffentlich oder durch Verbreiten von Schriften erfolgte Unterstellen nicht nachweisbar wahrer ehrenrühriger Tatsachen unter Strafe. Die öffentliche Beleidigung durch negative Werturteile, die entweder öffentlich oder durch Schriften begangen wird, wurde gemäß Art. 375 Code pénal ebenfalls als Vergehen bestraft, wohingegen die nicht öffentliche Beleidigung gemäß Art. 376 i.V.m. 471 Nr. 11 Code pénal nur eine contravention darstellte. Die nicht öffentliche Behauptung schändlicher Tatsachen hingegen wurde nicht ausdrücklich erwähnt, aber von der Cour de cassation ebenfalls unter diese Norm gefasst.165 Daraus folgt, dass der Gegenbeweis der 161 Wer durch eine Handlung im Sinne des Art. 23 zu Diskriminierung, Hass oder Gewalt gegenüber einer Person oder einer Gruppe von Personen auf Grund ihrer Herkunft oder ihrer Zugehörigkeit oder Nichtzugehörigkeit zu einer bestimmten Ethnie, zu einem bestimmten Volk, zu einer bestimmten Rasse oder zu einer bestimmten Religion anstiftet, wird mit Freiheitsstrafe von einem Jahr und Geldstrafe in Höhe von 45.000 E oder nur einer der beiden Strafen bestraft. (In französischen Strafvorschriften wird stets ausschließlich die höchstmögliche Strafe als Folge der Tat angegeben. Dem Gericht steht es aber frei, eine mildere Strafe zu verhängen, s. Art. L. 132-18 bis 132-20 Code pénal). 162 Die Zugehörigkeit oder Nichtzugehörigkeit zu einer bestimmten Ethnie, zu einem bestimmten Volk oder zu einer bestimmten Rasse soll hier mangels Einschlägigkeit außer Acht gelassen werden. 163 Der Zweiteilung zwischen Verbrechen und Vergehen im deutschen Strafrecht entspricht im französischen Strafrecht eine Dreiteilung zwischen crime, délit und contravention (Art. L. 111-1 Code pénal). Zu näheren Informationen s. unten 4. Kapitel A. I. 1. 164 Zu den Entwicklungen vor 1810 s. Halpérin, Droit et Cultures n8 65 (2013), 145 ff. 165 Cass. crim., 23. 12. 1959, n8 59-95.344, Bull. crim. n8 577; Cass. crim., 24. 01. 1967, n8 66-90.086, Bull. crim. n8 36; Cass. crim., 27. 11. 1984, n8 82-94.089, Bull. crim. n8 371, Cass. crim., 25. 05. 1993, n8 92-84.230, Bull. crim. n8 190; Massis/Dupeux/Bourg, Injure, in: Rep. Pén., Rn. 5.
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1. Kap.: Begriffsbestimmung und historische Entwicklung
Wahrheit der Tatsachen nicht erfolgen konnte.166 Die Normen über die öffentliche Diffamierung und Beleidigung im Code pénal wurden aber schon durch das Pressegesetz von 1819167 wieder abgeschafft und sind seitdem im Medienrecht geregelt, auch wenn viele der Taten keinen direkten Bezug zum eigentlichen Presserecht mehr aufweisen.168 So enthält die loi sur la liberté de la presse trotz ihrer liberalen Grundhaltung die Tatbestände der injure publique und der diffamation publique,169 die auch heute noch Anwendung finden. Durch die eben erwähnte loi Pleven wurden zudem Qualifikationstatbestände der rassistisch motivierten Diffamierung170 bzw. Beleidigung hinzugefügt,171 die auch explizit auf das Merkmal der Religionszugehörigkeit abstellen. Wie bei der provocation à la haine wird auch in diesem Bereich zwischen der öffentlichen und nicht öffentlichen Begehung unterschieden. Die Strafbarkeit der öffentlich begangenen (als délit bestraften) Ehrverletzung richtet sich auch hier nach dem Pressefreiheitsgesetz, während die als contravention ausgestaltete nicht öffentliche Beleidigung oder Diffamierung im Verordnungsteil des Code pénal geregelt ist. Zu unterscheiden ist dabei zwischen der diffamation, Diffamierung, und der injure, Beleidigung, die – in ihrer Variante nach dem Pressefreiheitsgesetz – jeweils die öffentliche Begehungsweise des Art. 23 Pressefreiheitsgesetz erfordern. Die Ausgestaltung der Delikte ist ungewöhnlich: Zunächst wird die Tathandlung in einem eigenen Artikel definiert, die Bestimmung der Strafbarkeit folgt erst in den folgenden Artikeln. Dabei ergibt sich für die diffamation Folgendes: Art. 29 al. 1: Toute allégation ou imputation d’un fait qui porte atteinte à l’honneur ou à la considération de la personne ou du corps auquel le fait est imputé est une diffamation. La publication directe ou par voie de reproduction de cette allégation ou de cette imputation est punissable, même si elle est faite sous forme dubitative ou si elle vise une personne ou un corps non expressément nommés, mais dont l’identification est rendue possible par les termes des discours, cris, menaces, écrits ou imprimés, placards ou affiches incriminés.172 166
Cass. crim., 23. 12. 1959, n8 59-95.344, Bull. crim., n8 577; Cass. crim., 27. 11. 1984, n8 82-94.089, Bull. crim. n8 371; Massis/Dupeux/Bourg, Injure, in: Rep. Pén., Rn. 5. 167 Loi du 17 mai 1819 relative à la presse. 168 Krit. deshalb Rassat, Droit pénal spécial, Rn. 528. 169 Art. 28 bis 35 Pressefreiheitsgesetz. Die Vorschriften des Code pénal von 1810 über die öffentliche Ehrverletzung wurden durch dieses Gesetz ersetzt. 170 Hier soll anstatt deutscher Rechtsbegriffe der allgemeine Begriff der Diffamierung verwendet werden, um eine Verwechslung auszuschließen und zu verdeutlichen, dass das französische Recht die Unterscheidung zwischen Verleumdung und übler Nachrede nicht kennt. Auf die Übersetzung des Code pénal von Jung/Walther/Bauknecht/Lüdicke, Das französische Strafgesetzbuch/Code pénal, die die Diffamation als Verleumdung verstehen, wird daher hier nicht zurückgegriffen. 171 Art. 3 und 4 der loi n8 72-546 du 1er juillet 1972 relative à la lutte contre le racisme, JORF vom 02. 07. 1972, S. 6803. 172 Jede Behauptung oder Anschuldigung einer Tatsache, die der Ehre oder dem Ansehen der betroffenen Person oder der betroffenen Körperschaft schadet, ist eine Diffamierung. Die Veröffentlichung, direkt oder durch Reproduktion der Behauptung oder Beschuldigung ist auch
B. Historische Entwicklung der Bestrafung religionsfeindlicher Äußerungen
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Art. 32 al. 1, 2: La diffamation commise envers les particuliers par l’un des moyens énoncés en l’article 23 sera punie d’une amende de 12 000 euros. La diffamation commise par les mêmes moyens envers une personne ou un groupe de personnes à raison de leur origine ou de leur appartenance ou de leur non-appartenance à une ethnie, une nation, une race ou une religion déterminée sera punie d’un an d’emprisonnement et de 45 000 euros d’amende ou de l’une de ces deux peines seulement.173
Der Tatbestand der Diffamierung nach dem Pressefreiheitsgesetz erfordert also ein wörtliches, schriftliches oder bildliches Verbreiten der Behauptung einer ehrenrührigen Tatsache. Ist dabei eine Privatperson betroffen, wird die Tat mit Geldstrafe bedroht. Sie ist jedoch qualifiziert, wenn sie sich gegen eine Person oder Personenmehrheit auf Grund deren Zugehörigkeit zu einer besonders charakterisierten Bevölkerungsgruppe, hier insbesondere zu einer bestimmten Religion, richtet. Als Motiv eignet sich sowohl die Zugehörigkeit als auch Nichtzugehörigkeit zu dieser Religion und zwar die tatsächliche oder auch nur vermeintliche. Bei Verwirklichung dieses Qualifikationsmerkmals wird dann auch von einer diffamation religieuse gesprochen. Vergleichbar strukturiert ist auch der Tatbestand der injure im Pressefreiheitsgesetz: Art. 29 al. 2: Toute expression outrageante, termes de mépris ou invective qui ne renferme l’imputation d’aucun fait est une injure.174 Art. 33 al. 2, 3: L’injure commise de la même manière envers les particuliers, lorsqu’elle n’aura pas été précédée de provocations, sera punie d’une amende de 12 000 euros. Sera punie de six mois d’emprisonnement et de 22 500 euros d’amende l’injure commise, dans les conditions prévues à l’alinéa précédent, envers une personne ou un groupe de personnes à raison de leur origine ou de leur appartenance ou de leur non-appartenance à une ethnie, une nation, une race ou une religion déterminée.175 dann strafbar, wenn sie in einer zweifelnden Form vorgebracht wird oder eine Person oder Körperschaft betrifft, die zwar nicht eindeutig benannt ist, deren Identifizierung aber durch die Ausdrücke der Rede, des Ausrufes, der Drohung, der Schrift oder des Drucks, des Plakats oder Aushangs ermöglicht wird. 173 Die Diffamierung von Privatpersonen durch eine Handlung im Sinne des Art. 23 wird mit Geldstrafe von 12.000 E bestraft. Eine durch die gleiche Handlung erfolgte Diffamierung, die sich gegen eine Person oder einer Gruppe von Personen auf Grund ihrer Herkunft oder ihrer Zugehörigkeit oder Nichtzugehörigkeit zu einer bestimmten Ethnie, zu einem bestimmten Volk, zu einer bestimmten Rasse oder zu einer bestimmten Religion richtet, wird mit Freiheitsstrafe von einem Jahr und Geldstrafe in Höhe von 45.000 E oder nur einer der beiden Strafen bestraft. 174 Jede kränkende Äußerung, jeder Ausdruck von Geringschätzung und jede Beschimpfung, die keine Tatsachenbehauptung enthält, ist eine Beleidigung. 175 Die auf die gleiche Art (Begehungsweise des Art. 23) begangene Beleidigung gegenüber Privatpersonen, der keine Provokation vorhergeht, wird mit Geldstrafe von 12.000 E bestraft. Mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten und Geldstrafe in Höhe von 22.500 E wird eine Beleidigung in der vorgenannten Begehungsweise bestraft, die sich gegen eine Person oder eine Gruppe von Personen auf Grund ihrer Herkunft oder ihrer Zugehörigkeit oder Nichtzugehö-
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1. Kap.: Begriffsbestimmung und historische Entwicklung
Die Beleidigung nach französischem Presserecht kann also als eine öffentliche oder durch Verbreitung von Schriften oder Bildern begangene Äußerung kränkender Werturteile verstanden werden. Die hier zu untersuchende injure religieuse stellt eine Qualifikation dar, die die Tat schärfer bestraft, wenn sich das beleidigende Werturteil gegen eine Person oder Personenmehrheit auf Grund ihrer Religionszugehörigkeit richtet. Parallel dazu sind die nicht öffentliche diffamation und injure im Code pénal geregelt. Hier stellen Art. R. 621-1 al. 1 und 621-2 die einfache nicht öffentliche Diffamierung bzw. Beleidung unter Strafe, während die diffamation und die injure religieuse wiederum als Qualifikation in den Art. R. 624-3 al. 1 und 624-4 al. 1 behandelt werden. Außer der nicht öffentlichen Begehungsweise decken sich die Tatbestandsmerkmale mit denen der entsprechenden Normen des Pressefreiheitsgesetzes. Die nicht öffentlichen Ehrverletzungsdelikte stellen allerdings ausnahmslos Übertretungen dar. 4. Sonderregeln für Alsace et Moselle Eine Sonderrolle nehmen die Gerichtsbezirke der Cours d’appel von Colmar und Metz (Alsace-Moselle; départements Bas-Rhin, Haut-Rhin und Moselle) ein, die von 1871 bis 1919 Teil des Deutschen Kaiserreichs waren. Trotz ihres Wiederanschlusses an Frankreich wurden teilweise deutsche Normen beibehalten oder in der Zwischenzeit erlassene französische Gesetze nicht übernommen, sodass heute ein zum Teil abweichendes lokales Sonderrecht besteht. Dieses betrifft speziell das Verhältnis zwischen Staat und Religion, da in Alsace-Moselle noch das Konkordat von 1801 gilt, das Gesetz über die Trennung von Staat und Kirche von 1905 hingegen nicht anwendbar ist. Zu dem lokalen Sonderrecht gehört auch, dass die Religionsdelikte des Strafgesetzbuchs des deutschen Reichs von 1871 als Art. 166 und 167 Code pénal d’Alsace et Moselle176 bis heute fortbestehen.177 Eine tatsächliche Verurteilung rigkeit zu einer bestimmten Ethnie, zu einem bestimmten Volk, zu einer bestimmten Rasse oder zu einer bestimmten Religion richtet. 176 Art. 166 Code pénal d’Alsace et Moselle: „Celui qui aura causé un scandale en blasphémant publiquement Dieu par des propos outrageants ou aura publiquement outragé un des cultes chrétiens ou une communauté religieuse établie sur le territoire de la Confédération et reconnue comme corporation, ou les institutions ou cérémonies de ces cultes ou qui, dans une église ou un autre lieu consacré à des assemblées religieuses, aura commis des actes injurieux et scandaleux, sera puni d’un emprisonnement de trois ans au plus.“ Wer dadurch, dass er öffentlich in beschimpfenden Äußerungen Gott lästert, ein Ärgernis gibt, oder wer öffentlich eine der christlichen Kirchen oder eine andere mit Korporationsrechten innerhalb des Bundesgebietes bestehende und staatlich anerkannte Religionsgesellschaft oder ihre Einrichtungen oder Gebräuche beschimpft, desgleichen wer in einer Kirche oder in einem anderen zu religiösen Versammlungen bestimmten Orte beschimpfenden Unfug verübt, wird mit Gefängnis bis zu drei Jahren bestraft. Art. 167 Code pénal d’Alsace et Moselle: „Celui qui, par voie de fait ou menaces, aura empêché une personne d’exercer le culte d’une communauté religieuse établie dans l’État, ou,
B. Historische Entwicklung der Bestrafung religionsfeindlicher Äußerungen
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nach Art. 166 ist jedoch nicht verzeichnet.178 Dass aber beide Normen theoretisch sehr wohl noch anwendbar sind, zeigt eine Entscheidung der Cour de cassation aus dem Jahr 1999, die eine Verurteilung auf der Grundlage des Art. 167 Code pénal d’Alsace et Moselle bestätigte.179
qui, dans une église ou dans un autre lieu destiné à des assemblées religieuses, aura, par tapage ou désordre volontairement empêché ou troublé le culte ou certaines cérémonies du culte d’une communauté religieuse établie dans l’État, sera puni d’un emprisonnement de trois ans au plus.“ Wer tätlich oder durch Drohung einen anderen daran hindert, einen Kultus einer vom Staat anerkannten Religionsgesellschaft auszuüben, oder in einer Kirche oder einem anderen zu religiösen Versammlungen bestimmten Ort absichtlich den Gottesdienst oder andere religiöse Gebräuche einer anerkannten Religionsgesellschaft absichtlich durch beschimpfenden Unfug verhindert oder stört, wird mit Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren bestraft. 177 Das Fortbestehen dieser Vorschrift wurde durch Art. 3 de la loi du 17 octobre 1919 relative au régime transitoire de l’Alsace et de la Lorraine (Gesetz zu den Übergangsvorschriften in Elsass-Lothringen vom 17. 10. 1919) und Art. 1er n8 3 du décret du 25 novembre 1919 sur le maintien de dispositions pénales (Verordnung über die Beibehaltung der strafrechtlichen Vorschriften vom 25. 11. 1919) anerkannt. 178 Bericht der Venedig-Kommission über die Beziehung zwischen Meinungsfreiheit und Religionsfreiheit – Rechtslage und Verfolgung von Blasphemie, religiöse Beleidigung und Aufstachelung zu religiösem Hass, Anhang II S. 38. 179 Cass. crim., 30. 11. 1999; n8 98-84.916.
2. Kapitel
Verfassungsrechtliche Vorgaben Bevor die einzelnen Tatbestände des deutschen und französischen Strafrechts näher untersucht und verglichen werden, soll zunächst auf die Grundlagen der Situation eingegangen werden, in der sich der Religionskritiker und sein Gegenüber befinden. Naturgemäß stehen sich in einer Konfliktlage mehrere konträre Interessen gegenüber. Bei religionsbeschimpfenden oder -kritischen Äußerungen scheinen auf den ersten Blick insbesondere die Meinungsfreiheit des Äußernden und die Religionsfreiheit des Verletzten betroffen zu sein. Jedoch kommen bei näherer Betrachtung noch eine Vielzahl weitere Interessen an der Äußerung oder eben gegenläufig an ihrer Unterlassung in Frage. All diese Positionen hat der Gesetzgeber im Rahmen eines strafrechtlichen Verbots gegeneinander abzuwägen. Hier soll zunächst untersucht werden, welche der in Betracht kommenden Interessen durch ein Verbot oder eben das Unterlassen eines Verbots von Religionsbeschimpfung überhaupt tatsächlich betroffen sind. Daran schließt sich die Frage an, ob die betroffenen Interessen ausreichend schutzwürdig erscheinen, um ein strafrechtliches Verbot oder eben die Straflosigkeit religionsbeschimpfender Äußerungen zumindest abstrakt rechtfertigen zu können. Erst dann kann versucht werden, einen angemessenen Ausgleich zwischen den verschiedenen Interessen zu treffen.
A. Betroffene Interessen auf der Seite der „Religionsbeschimpfenden“ Wer Religionen oder Einzelheiten ihrer Inhalte radikal kritisiert, kann damit eine Vielzahl von Interessen verfolgen, die teilweise grundrechtlichen Schutz genießen. In erster Linie kommt dabei die Meinungsfreiheit in Betracht. Zahlreiche Beschimpfungen finden sich, nicht nur in den letzten Jahren, allerdings auch in der Kunst, sodass auch die Kunstfreiheit in die Betrachtung einfließen soll. Gleiches gilt für die Pressefreiheit, da die Verbreitung der umstrittenen Inhalte häufig über Zeitungen und vergleichbare Medien erfolgt. Diese grundrechtlich geschützten Positionen sollen vorliegend nach einer kurzen Erläuterung ihrer Funktion in der deutschen und französischen Rechtslage dahingehend untersucht werden, ob bei einem Verbot von religionsfeindlichen Aussagen ihr Schutzbereich überhaupt betroffen ist.
A. Betroffene Interessen auf der Seite der „Religionsbeschimpfenden“
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I. Meinungsfreiheit Sollen Äußerungen unter Strafe gestellt werden, liegt die Frage nahe, ob die beabsichtigten Vorschriften mit dem Grundrecht der Meinungsfreiheit in Einklang stehen. Die Meinungsfreiheit ist in Art. 5 Abs. 1 S. 1, 1. Var. GG verankert und durch das Bundesverfassungsgericht in zahlreichen Entscheidungen konkretisiert und veredelt worden. Das Grundrecht umfasst auf der einen Seite eine private Dimension, die durch das Bundesverfassungsgericht auch als „unmittelbarster Ausdruck der menschlichen Persönlichkeit“1 bezeichnet wird. Meinungsfreiheit bedeutet in dieser persönlichen Ausprägung, dass jedem Bürger die Möglichkeit zusteht, sich über jedes beliebige Thema zu äußern, unabhängig davon, ob er hierfür einen besonderen Grund hat.2 Wegen dieser Bedeutung für die Persönlichkeitsentfaltung darf auch nicht danach differenziert werden, ob eine geäußerte Meinung „richtig“ oder „falsch“, „wertvoll“ oder „wertlos“, „emotional“ oder „rational“ ist.3 Daneben steht die politische Dimension, die gerade durch das Bundesverfassungsgericht immer wieder hervorgehoben wird, wenn es feststellt, das Grundrecht der Meinungsfreiheit sei „für eine freiheitlich-demokratische Staatsordnung (…) schlechthin konstituierend, denn es ermöglicht erst die ständige geistige Auseinandersetzung, den Kampf der Meinungen, der ihr Lebenselement ist“.4 Jedoch darf diese zweite Komponente nicht dahingehend missverstanden werden, dass Meinungsäußerungen, die sich auf öffentliche Angelegenheiten beziehen, gegenüber den privaten privilegiert seien.5 Vielmehr müssen sich im Sinne einer Inhaltsneutralität grundrechtlichen Schutzes beide Dimensionen gegenseitig ergänzen, um einen lückenlosen Grundrechtsschutz zu gewährleisten.6 Vor diesem Hintergrund ist zu untersuchen, ob und wann bei religionsfeindlichen Äußerungen der Schutzbereich der Meinungsfreiheit eröffnet ist. Im Anschluss daran stellt sich die Frage, unter welchen Voraussetzungen auch bei Einschlägigkeit des Grundrechts eine strafrechtliche Beschränkung möglich erscheint. 1. Religionskritik und -satire im Schutzbereich der Meinungsfreiheit Maßgeblich für die Frage, ob sich Religionskritiker auf das Grundrecht der Meinungsfreiheit stützen können, ist die Bestimmung des Schutzbereichs der Norm. 1
BVerfGE 7, 198, 208 – Lüth. BVerfGE 42, 163, 171 – Echternach; 61, 1, 7 – NPD Europas; Jarass/Pieroth, Art. 5 Rn. 3. 3 BVerfGE 33, 1, 14 f. – Strafgefangene; 61, 1, 7 – NPD Europas. 4 Grundlegend BVerfGE 7, 198, 208 – Lüth; darauf verweisend z. B. BVerfGE 10, 118, 121 – Berufsverbot I; 12, 113, 125 – Schmid/Spiegel. 5 Eine solche Bevorzugung kritisieren Degenhart, in: FS Lukes, S. 287, 290 ff.; Vesting, AöR 122 (1997), 337, 350 ff.; krit. auch Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck Art. 5, Rn. 3. 6 Bethge, in: Sachs Art. 5 Rn. 23; Degenhart, in: BK-GG Art. 5 Abs. 1 und 2 Rn. 4; Schulze-Fielitz, in: Dreier Art. 5 I, II Rn. 45. 2
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2. Kap.: Verfassungsrechtliche Vorgaben
a) Der Schutzbereich der Meinungsfreiheit Der Begriff der Meinung ist grundsätzlich weit auszulegen.7 Unstreitig erfasst sind als Werturteile jegliche Äußerungen, die durch ein Element der Stellungnahme, des Dafürhaltens, der Beurteilung geprägt sind.8 Von entscheidender Bedeutung ist also die Subjektivität, das heißt die persönliche Beziehung zwischen dem Äußernden und dem Inhalt.9 Eine Kritik oder gar Beschimpfung einer religiösen Lehre, einer Religionsgemeinschaft oder einzelner Gläubige charakterisiert sich in aller Regel durch ebendiese subjektive Stellungnahme und ist daher als Werturteil vom Schutzbereich der Meinungsfreiheit umfasst. Dabei darf nicht unterschieden werden, ob diese Beurteilung von der Gesellschaft geteilt wird; ob sie „richtig“ oder „falsch“ oder gar wertlos ist. Auch grobe Beschimpfungen unterfallen damit auf Grund ihres wertenden Elements zunächst einmal grundsätzlich dem Schutzbereich der Meinungsfreiheit. Nicht ganz einheitlich beurteilt wird die Einbeziehung von Tatsachenbehauptungen in den Schutzbereich der Meinungsfreiheit. Als Tatsachenbehauptungen werden dabei von der herrschenden Meinung die Äußerungen bezeichnet, die sich durch ihre objektive Beziehung zur Wirklichkeit charakterisieren und grundsätzlich dem Beweis zugänglich sind.10 Im Rahmen von religionsfeindlichen Äußerungen stellt sich die Frage also beispielsweise bei Behauptungen über ein bestimmtes Verhalten der Anhänger einer Religion oder tatsächlichen Unterstellungen bezüglich eines Bekenntnisses. Nach der bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung sind Tatsachenbehauptungen dann vom Schutzbereich umfasst, „wenn und soweit sie Voraussetzung für die Bildung von Meinungen sind“.11 Demnach endet der Schutzbereich dort, wo Tatsachenbehauptungen nichts zu der verfassungsrechtlich vorausgesetzten Meinungsbildung beitragen können.12 Diese Begrenzung des Schutzbereiches wird in der Literatur teilweise mit der Begründung kritisiert, dass eine Trennung von Meinung und Tatsachenbehauptung schon objektiv unmöglich sei, da eine Meinung immer auf Tatsachen beruhe und andererseits eine Tatsachenbehauptung schon durch die Entscheidung ihrer Verbreitung eine subjektive
7 BVerfGE 61, 1, 9 – NPD Europas; Degenhart, in: BK-GG Art. 5 Abs. 1 und 2 Rn. 99; Jarass/Pieroth, Art. 5 Rn. 5; Schulze-Fielitz, in: Dreier Art. 5 I, II Rn. 62. 8 BVerfGE 61, 1, 9 – NPD Europas. 9 Degenhart, in: BK-GG Art. 5 Abs. 1 und 2 Rn. 99; Grimm, NJW 1995, 1697, 1698, Jestaedt, in: Hdb GrundR § 102 Rn. 34; Schulze-Fielitz, in: Dreier Art. 5 I, II Rn. 62; Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck Art. 5 Abs. 1, 2 Rn. 22. 10 BVerfGE 90, 241, 247 – Auschwitzlüge; 94, 1, 8 – Flugblatt; Jarass/Pieroth, Art. 5 Rn. 8; Hufen, Staatsrecht II § 25 Rn. 7. 11 BVerfGE 61, 1, 8 f. – NPD Europas; 94, 1, 7 – Flugblatt; zust. Bethge, in: Sachs Art. 5 Rn. 27 f.; Jarass/Pieroth, Art. 5 Rn. 6; Schulze-Fielitz, in: Dreier Art. 5 I, II Rn. 63. 12 BVerfGE 54, 208, 219 – Böll; 61, 1, 8 – NPD Europas; 90, 241, 247 – Auschwitzlüge; BVerfG, ZUM-RD 2000, 316, 317; BVerfG, NJW 2005, 3271, 3273.
A. Betroffene Interessen auf der Seite der „Religionsbeschimpfenden“
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Wertung enthalte.13 Zudem stehe eine enge Auslegung des Schutzbereichs im Widerspruch sowohl zu der sonstigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts als auch zu dem Verständnis der Meinungsfreiheit auf europäischer Ebene.14 Eine Tatsachenaussage, die weder ihrem Inhalt nach noch durch die Entscheidung ihrer Äußerung irgendeinen Bezug zur Meinungsbildung aufweist, ist wenn nicht schon allgemein, so doch zumindest im Bereich religionsfeindlicher Äußerungen (die ja immer die Kritik des Bekenntnisses, der Religionsgemeinschaft oder der Gläubigen im Blick haben) kaum vorstellbar. Einzig problematisch bleibt dann die Schutzbereichseröffnung für unwahre Tatsachenbehauptungen, da diese nie zur Verwirklichung der grundgesetzlich vorausgesetzten Meinungsbildung beitragen können und daher nach Auffassung des Bundesverfassungsgericht und der wohl herrschenden Lehre nicht vom Schutzbereich der Meinungsfreiheit umfasst werden.15 Eine Beschränkung des Tatbestands hinsichtlich der Behauptung aller objektiv unwahren Tatsachen würde allerdings der Schutzbereich unangemessen verkürzen, da das Risiko der Wahrheitsermittlung auf den Äußernden abgewälzt werde.16 Dies ließe auch nach der Ansicht des Bundesverfassungsgerichts eine erhebliche Beeinträchtigung des freien Kommunikationsprozesses befürchten, „weil risikofrei nur noch unumstößliche Wahrheiten geäußert werden könnten“.17 Daher unterliegen dem Schutzbereichsausschluss nur bewusste und schon zum Zeitpunkt der Äußerung evident unwahre Tatsachenbehauptungen.18 Keine Frage des Schutzbereichs ist hingegen die Frage des zu verlangenden Sorgfaltsmaßstabs bei unbewusst unwahren Tatsachenbehauptungen, sodass auch leichtfertige Falschbehauptungen erfasst sein können.19 Die objektive Erwiesenheit sollte dem Gutgläubigen die Berufung auf die Meinungsfreiheit nicht von vorneherein verwehren. Werden durch leichtfertig unwahre Behauptungen Rechte Dritter beeinträchtigt, wird die Meinungsfreiheit aber im Rahmen der verfassungsrechtlichen Abwägung regelmäßig zurückzutreten
13 Grabenwarter, in: Maunz/Dürig Art. 5 Abs. 1, 2 Rn. 50 ff.; Schulze-Fielitz, in: Dreier Art. 5 I, II Rn. 63, 65; Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck Art. 5 Abs. 1, 2 Rn. 26; Wendt, in: v. Münch/Kunig Art. 5 Rn. 9; krit. auch Jestaedt, in: Hdb GrundR, § 102 Rn. 36 f. 14 Grabenwarter, in: Maunz/Dürig Art. 5 Abs. 1, 2 Rn. 50. 15 BVerfGE 54, 208, 219 – Böll; 61, 1, 8 – NPD Europas; Degenhart, in: BK-GG Art. 5 Abs. 1 und 2 Rn. 103, 108 ff.; Hoffmann-Riem, in: Hdb VerfR § 7 Rn. 22; Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck Art. 5 Abs. 1, 2 Rn. 27; gegen eine Einschränkung des Schutzbereichs hingegen Schulze-Fielitz, in: Dreier, Art. 5 I, II Rn. 65. 16 Degenhart, in: BK-GG Art. 5 Abs. 1 und 2 Rn. 108; Grimm, NJW 1995, 1697, 1699. 17 BVerfGE 99, 185, 197 – Helnwein. 18 Degenhart, in: BK-GG Art. 5 Abs. 1 und 2 Rn. 108; Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck Art. 5 Abs. 1, 2 Rn. 27. 19 Degenhart, in: BK-GG Art. 5 Abs. 1 und 2 Rn. 111; Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck Art. 5 Abs. 1, 2 Rn. 27; anders aber BVerfGE 54, 208, 219 f. – Böll. In vielen Fällen werden leichtfertig unwahre Tatsachenaussagen aber unter die Kategorie der evident unwahren Behauptung zu fassen sein.
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2. Kap.: Verfassungsrechtliche Vorgaben
haben, wenn der Äußernde die nötigen Sorgfaltserfordernisse zur Wahrheitsermittlung nicht beachtet hat.20 Meinungen können nach Art. 5 Abs. 1 S. 1 in Wort, Schrift und Bild geäußert werden. Diese Modalitäten werden durch das Bundesverfassungsgericht weit ausgelegt, sodass hinsichtlich der Wahl der Ausdrucksmittel keinerlei Einschränkungen bestehen.21 Unerheblich für die Eröffnung des Schutzbereichs ist daher, ob die Religionskritik oder -beschimpfung mündlich, schriftlich, zeichnerisch oder durch andere bildliche Darstellungen erfolgt. b) Satire im Schutzbereich der Meinungsfreiheit Schwierigkeiten kann bereiten, dass in vielen Fällen Kritik nicht ausdrücklich geäußert wird, sondern sich hinter Satire oder Karikatur verbirgt. Jedoch sind gerade diese in der Regel durch ein Element der subjektiven Stellungnahme im Rahmen einer geistigen Auseinandersetzung geprägt, sodass eine Einordnung als Meinungsäußerung im Sinne der Norm „zwingend“ erscheint.22 So erklärt sich auch, dass in Rechtsprechung und Literatur die Eröffnung des Schutzbereichs der Meinungsfreiheit als „Minimalgewährleistung“23 häufig ohne weitere Untersuchung festgestellt wird.24 Dass eine Position hinter einer indirekten Sprache versteckt ist, kann dieses Urteil nicht in Frage stellen. Auch dass satirische Darstellungen mitunter die Grenzen des guten Geschmacks übersteigen, darf sie dem Schutz der Meinungsfreiheit nicht grundsätzlich entziehen: Zum einen schützt Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG nicht nur den Inhalt der Meinung, sondern auch die gewählte Form,25 zum anderen sind wie bereits oben26 gesehen, auch wertlose oder verletzende Aussagen zumindest vom Schutzbereich der Meinungsfreiheit umfasst. Die Satire lehnt sich ihrem Wesen nach regelmäßig an die empirische Wirklichkeit an, sodass sich die Frage nach der Behandlung unwahrer Tatsachenbehauptungen stellt,27 insbesondere bei der Behandlung von Zitaten. Für Satiren 20 Degenhart, in: BK-GG Art. 5 Abs. 1 und 2 Rn. 112; Grimm, NJW 1995, 1697, 1702. s. zu der Abwägung auch unten im 3. Kapitel B. II. 2. d) bb). 21 Degenhart, in: BK-GG Art. 5 Abs. 1 und 2 Rn. 142; Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck Art. 5 Abs. 1, 2 Rn. 28. 22 Brauneck, ZUM 2000, 137, 138; Gärtner, Was die Satire darf, S. 40; Gounalakis, NJW 1995, 809, 814. 23 Gärtner, Was die Satire darf, S. 40. 24 BVerfGE 86, 1, 9 – geb. Mörder; NJW 2001, 3613 – Bürgermeisterwahl; NJW 2002, 3767 – Bonnbons; Kriele, NJW 1994, 1897, 1904; v. Becker, GRUR 2004, 908, 911. 25 BVerfGE 54, 129, 138 f. – Kunstkritik; 60, 234, 241 – Kredithaie; 76, 171, 191 – Standesrichtlinien; Degenhart, in: BK-GG Art. 5 Abs. 1, 2 Rn. 140 f.; Grabenwarter, in: Maunz/Dürig Art. 5 Abs. 1, 2 Rn. 84; Schmitt Glaeser, NJW 1996, 873, 875; Schulze-Fielitz, in: Dreier Art. 5 I, II Rn. 67 ff.; Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck Art. 5 Abs. 1 und 2 Rn. 32. 26 s. in diesem Kapitel A. I. 1. a). 27 Ausführlich hierzu Gärtner, Was die Satire darf, S. 42 ff.
A. Betroffene Interessen auf der Seite der „Religionsbeschimpfenden“
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müssen dabei die gleichen Grundsätze wie für ausdrückliche Kritik gelten, sodass nach dem Bundesverfassungsgericht28 evident bzw. bewusst unwahre Tatsachenbehauptungen nicht vom Schutzbereich der Meinungsfreiheit umfasst werden dürften. Es darf dabei jedoch nicht übersehen werden, dass (möglicherweise aus dem Zusammenhang gerissene oder leicht veränderte) Zitate im Rahmen einer Satire in der Regel dazu dienen, ein verzerrtes Bild zu erschaffen, durch das ihr eigentlicher Aussagegehalt für den Leser erst verständlich wird.29 Dann aber ist das Zitat Teil der subjektiven Stellungnahme und darf deswegen nicht als reine Tatsachenbehauptung behandelt werden. Ein Ausschluss aus dem Schutzbereich der Meinungsfreiheit kommt somit auch in diesen Fällen nicht in Betracht. Allerdings kann bei satirischen Religionskritiken unter Umständen – vor allem bei Karikaturen und anderen bildlichen Darstellungen, aber auch bei literarischen Texten oder Theateraufführungen – neben der Meinungsfreiheit auch der Schutzbereich der Kunstfreiheit eröffnet sein. Wann dies der Fall ist und in welchem Verhältnis dann Meinungs- und Kunstfreiheit zueinander stehen, soll erst im Anschluss an die Darstellung der Kunstfreiheit erörtert werden.30 c) Zwischenergebnis Festzuhalten bleibt demnach zunächst, dass der Schutzbereich der Meinungsfreiheit vorbehaltlich möglicher speziellerer Grundrechte für religionskritische und -feindliche Aussagen eröffnet ist. Dies muss weder auf Grund von möglicherweise enthaltenen Tatsachenbehauptungen oder beleidigenden Elementen noch wegen einer satirischen Darstellungsform korrigiert werden. Einzig evident oder bewusst unwahre Tatsachenbehauptungen gewähren dem Äußernden keine Berufung auf das Grundrecht. Die Eröffnung des Schutzbereichs allein kann aber noch nichts darüber aussagen, ob ein strafrechtliches Verbot bestimmter Äußerungen grundrechtlich zulässig ist. Denn die Meinungsäußerungsfreiheit wird nach dem Grundgesetz nicht schrankenlos gewährleistet. 2. Beschränkungen der Meinungsfreiheit Ihre Schranken findet die Meinungsfreiheit gemäß Art. 5 Abs. 2 GG in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre. Der Schranke des Jugendschutzes kommt bei Religionskritik und Religionsfeindlichkeit üblicherweise keine Bedeutung zu und soll daher hier auch nicht weiter vertieft werden.
28 29 30
BVerfGE 54, 208, 219 – Böll; 61, 1, 8 – NPD Europas. Ähnlich Gärtner, Was die Satire darf, S. 46. s. hierzu in diesem Kapitel A. III. 1.
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2. Kap.: Verfassungsrechtliche Vorgaben
a) Die allgemeinen Gesetze Kontrovers diskutiert wird, welche Anforderungen an die Einschränkung der Meinungsfreiheit durch ein „allgemeines Gesetz“ zu stellen sind.31 Im Anschluss an die Auslegung der gleichlauten Formulierung in Art. 18 WRV versteht das Bundesverfassungsgericht darunter „alle Gesetze (…), die nicht eine Meinung als solche verbieten, die sich nicht gegen die Äußerung der Meinung als solche richten, die vielmehr dem Schutze eines schlechthin, ohne Rücksicht auf eine bestimmte Meinung, zu schützenden Rechtsguts dienen, dem Schutze eines Gemeinschaftswerts, der gegenüber der Betätigung der Meinungsfreiheit den Vorrang hat“.32 Diese Definition ist zwar weitgehend anerkannt,33 ihre tatsächliche Anwendung bereitet jedoch Probleme und wurde durch das Bundesverfassungsgericht im Wunsiedel-Beschluss im Jahr 2009 erneut konkretisiert und modifiziert.34 Demnach sind zunächst die Gesetze unproblematisch allgemein im Sinne der Norm, die nicht an den Meinungsinhalt anknüpfen.35 Strafnormen, die Religionskritik untersagen, erfüllen dieses Kriterium allerdings schon begriffsnotwendig nicht, da sie sich ja gerade auf die Religionsfeindlichkeit als Inhalt der Äußerung beziehen. In diesen Fällen ist nach dem Bundesverfassungsgericht zu prüfen, ob die Norm dem Schutz eines auch sonst in der Rechtsordnung geschützten Rechtsguts dient.36 Dies stelle ein „Indiz für die Wahrung rechtsstaatlicher Distanz und die Einhaltung des Gebots der Meinungsneutralität“37 dar; entscheidend ist, dass „die Norm im politischen Kräftefeld als gegenüber verschiedenen Gruppierungen offen erscheint und sich die pönalisierte oder verbotene Meinungsäußerung grundsätzlich aus verschiedenen politischen, religiösen oder weltanschaulichen Grundpositionen ergeben kann“.38 Es handelt sich für das Bundesverfassungsgericht bei dem Kriterium der Allgemeinheit um ein „Verbot der Standpunktdiskriminierung“39. Einzige Ausnahme, also verfassungsmäßig zulässiges meinungsfreiheitseinschränkendes Sonderrecht, seien „Vorschriften, die auf die Verhinderung einer propagandistischen Affirmation der na31 Bethge in: Sachs Art. 5 Rn. 142; Grabenwarter, in: Maunz/Dürig Art. 5 Abs. 1, 2 Rn. 121 m.w.N.; s. auch Lücke, Die „allgemeinen“ Gesetze, S. 2 m.w.N. 32 BVerfGE 7, 198, 209 f. – Lüth; inzwischen ständige Rechtsprechung: s. z. B. BVerfGE 28, 282, 292 – Kriegsdienstverweigerer; 71, 162, 175 f. – Frischzellentherapie; 93, 266, 291 – Soldaten sind Mörder; 97, 125, 146 – Caroline I; 124, 300, 321 f. – Wunsiedel. 33 Etwa bei Bethge, in: Sachs Art. 5 Rn. 143; Jarass/Pieroth, Art. 5 Rn. 67; Kingreen/ Poscher, Grundrechte Rn. 658; Schwark, Allgemeine Gesetze, S. 130 f.; Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 5I, II Rn. 194; Stein/Frank, Staatsrecht, § 38 IX 2; krit. Jestaedt, in: Hdb GrundR § 102 Rn. 56 („relative Bedeutungslosigkeit der Rechtfertigungshürde“). 34 BVerfGE 124, 300, 322 f. – Wunsiedel. 35 BVerfGE 124, 300, 322 – Wunsiedel. 36 BVerfGE 124, 300, 322 – Wunsiedel. 37 BVerfGE 124, 300, 323 – Wunsiedel. 38 BVerfGE 124, 300, 323 f. – Wunsiedel. 39 Grabenwarter, in: Maunz/Dürig Art. 5 Abs. 1, 2 Rn. 122, 126; Hong, DVBl 2010, 1267, 1269.
A. Betroffene Interessen auf der Seite der „Religionsbeschimpfenden“
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tionalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft zwischen den Jahren 1933 und 1945 zielen“, da jenes Regime für die verfassungsrechtliche Ordnung der Bundesrepublik eine „gegenbildlich identitätsprägende Bedeutung“40 habe, die durch allgemeine Gesetze nicht gesichert werden könne. Hierbei handelt es sich allerdings um eine geschichtlich begründete, nicht übertragbare Sonderkonstellation.41 Für Verbote religionskritischer Äußerungen folgt daraus, dass sie sich allein an dem zu schützenden Rechtsgut ausrichten dürfen,42 nicht aber inhaltlich auf die Bestrafung einer bestimmten religiösen oder nicht-religiösen Gesinnung hinwirken dürfen. Diese Vorgabe ist bei der Betrachtung der einzelnen Straftatbestände43 stets zu beachten. Die Ausnahme, die das Bundesverfassungsgericht für Verbote der Billigung nationalsozialistischer Gewaltherrschaft geschaffen hat (namentlich für § 130 Abs. 4 StGB), erlangt in diesem Rahmen keine Bedeutung. b) Der Schutz der Ehre Art. 5 Abs. 2 GG sieht die Möglichkeit zur Beschränkung der Meinungsfreiheit auch durch das Recht der persönlichen Ehre vor. Als inhaltliche Grenze des Rechts auf freie Meinungsäußerung stellt die Ehre zugleich eine der Rechtspositionen dar, auf die sich die Betroffenen der religionsfeindlichen Äußerungen möglicherweise berufen können. Ihre sachliche Bedeutung soll aus diesem Grunde erst im Zusammenhang mit den Interessen der Betroffenen erfolgen.44 Zu beachten ist, dass das Bundesverfassungsgericht die Anforderungen, die es an die allgemeinen Gesetze stellt, auf die Schranke des Ehrschutzes übertragen will.45 Dies lässt sich dem Wortlaut, der die Vorschriften der allgemeinen Gesetze und den Ehrschutz gleichberechtigt nebeneinanderstellt, nicht entnehmen und wird daher in der Literatur äußerst kritisch bewertet.46 c) Wechselwirkungslehre Im Rahmen meinungsfreiheitsbeschränkender Normen ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts47 neben dem Kriterium der Allge40
BVerfGE 124, 300, 328 – Wunsiedel. BVerfGE 124, 300, 329 – Wunsiedel. 42 Zu den schutzwürdigen betroffenen Positionen s. unten in diesem Kapitel B. 43 s. hierzu unten 3. Kapitel A. II. 44 s. unten in diesem Kapitel B. III. 4. a). 45 BVerfGE 124, 300, 326 f. – Wunsiedel. 46 Jestaedt, in: Hdb GrundR § 102 Rn. 57 ff.; Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck Art. 5 Abs. 1, 2 Rn. 191; anders Schulze-Fielitz, in: Dreier Art. 5 I, II Rn. 151, nachdem auch der Ehrschutz und der Jugendschutz kein Sonderrecht erlauben. . 47 Grundlegend BVerfGE 7, 198, 209 – Lüth; seitdem st. Rechtsprechung, s. BVerfGE 94, 1, 8 – Flugblatt; 107, 299, 331 f. – Telekommunikationsüberwachung II, s. zuletzt vor allem BVerfGE 124, 300, 332 – Wunsiedel; BVerfG, NJW 2012, 1273, 1274. 41
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2. Kap.: Verfassungsrechtliche Vorgaben
meinheit des Gesetzes auch die sogenannte „Wechselwirkungslehre“48 zu beachten. Diese verlangt, Schutzbereich und Schranken dergestalt in Beziehung zu setzen, „dass die Schranken zwar dem Wortlaut nach dem Grundrecht Grenzen setzen, ihrerseits aber aus der Erkenntnis der grundlegenden Bedeutung dieses Grundrechts im freiheitlich demokratischen Staat ausgelegt und so in ihrer das Grundrecht begrenzenden Wirkung selbst wieder eingeschränkt werden müssen“.49 Ursprünglich für die Schranke der allgemeinen Gesetze entwickelt, soll die Wechselwirkungslehre verhindern, dass sich das Grundrecht der Meinungsfreiheit in seinen einfachgesetzlichen Beschränkungen verliert.50 Stattdessen müssen die beschränkenden allgemeinen Gesetze die konstituierende Bedeutung der Meinungsfreiheit für den freiheitlichen, demokratischen Verfassungsstaat hinreichend beachten und sind deshalb in ihrer grundrechtsbeschränkenden Wirkung selbst wieder einzuschränken.51 Dies gilt sowohl für die einschränkenden Gesetze selbst als auch für deren Anwendung im konkreten Einzelfall. Das Bundesverfassungsgericht hat den Anwendungsbereich der Wechselwirkungslehre über die Schranke der allgemeinen Gesetze hinaus auch auf die übrigen Schranken der Meinungsfreiheit übertragen.52 Dies ist im Schrifttum auf erhebliche Kritik gestoßen. Da die Ehre als selbstständiges Verfassungsgut als eigenständige Schranke der Meinungsfreiheit etabliert werde, dürfe die Wechselwirkungslehre nicht auf sie angewandt werden.53 Für eine Anwendung der Wechselwirkungslehre spricht hingegen, dass auch der Ehrschutz die Meinungsfreiheit nicht unbegrenzt einschränken darf. Außerdem läuft das Kriterium der Wechselwirkung trotz der besonderen Bezeichnung im Ergebnis auf Altbekanntes hinaus: Es handelt sich um eine Kombination aus dem Erfordernis verfassungskonformer Auslegung einfachen Gesetzesrechts und einer vollumfänglichen Verhältnismäßigkeitsprüfung.54 d) Schmähkritik und Formalbeleidigung als Grenze der Meinungsfreiheit Ein Sonderfall bei der Beschränkung der Meinungsfreiheit gilt für die Konstellation der Schmähkritik und der Formalbeleidigung. Im Rahmen der hier vorge48 Grabenwarter, in: Maunz/Dürig Art. 5 Abs. 1, 2 Rn. 139; Jestaedt, in: Hdb GrundR § 102 Rn. 72; Kingreen/Poscher, Grundrechte, Rn. 661; Schulze-Fielitz, in: Dreier Art. 5 I, II Rn. 158; Wendt in: v. Münch/Kunig, Art. 5 Rn. 75; inzw. auch ausdrücklich BVerfGE 124, 300, 332 – Wunsiedel. 49 BVerfGE 7, 198, 208 f. – Lüth; 94, 1, 8 – Flugblatt; 107, 299, 331 f. – Telekommunikationsüberwachung II; 124, 300, 332 f. – Wunsiedel; BVerfG, NJW 2012, 1273, 1274. 50 Grabenwarter, in: Maunz/Dürig Art. 5 Abs. 1, 2 Rn. 140; Schmidt-Jortzig, in: Hdb StaatsR VII § 203 Rn. 52; s. auch Merten, in: Hdb GrundR, § 68 Rn. 77, 80. 51 BVerfGE 7, 198, 209 – Lüth. 52 BVerfGE 42, 143, 150 – Deutschland-Magazin; BVerfGE 42, 163, 169 – Echternach; BVerfGE 54, 129, 136 – Kunstkritik. 53 v. der Decken, NJW 1983, 1400, 1402 f.; Tröndle, in: FS Odersky, S. 259, 263; Starck, JZ 1996, 1032, 1036. 54 Jestaedt, in: Hdb GrundR § 102 Rn. 72; Schulze-Fielitz, in: Dreier Art. 5 I, II Rn. 159.
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nommenen Untersuchung erlangt diese Fragestellung insbesondere dann Bedeutung, wenn religionskritische Äußerungen nicht einer sachlichen Diskussion dienen sollen, sondern ausschließlich die Religionsanhänger herabsetzen, beleidigen oder provozieren wollen. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sind grundsätzlich selbst verletzende und abwertende Meinungsäußerungen55 sowie polemische und überspitzte Kritik56 vom Schutzbereich der Meinungsfreiheit erfasst. Andererseits sollen aber Äußerungen, deren vorrangiges Ziel die Diffamierung des Betroffenen ohne Auseinandersetzung in der Sache ist, als Schmähkritik unzulässig sein.57 Der Begriff ist zum Schutze der Meinungsfreiheit restriktiv zu verstehen.58 Inzwischen ist weitgehend anerkannt, dass es sich nicht bereits um eine Schutzbereichsbegrenzung,59 sondern um eine Kategorie der verfassungsmäßigen Rechtfertigung von Grundrechtseingriffen handelt.60 Sind die Voraussetzungen der Schmähkritik erfüllt, kommt es ausnahmsweise nicht mehr zu einer Abwägung der gegenüberstehenden Grundrechte; die Meinungsfreiheit muss in diesen Fällen stets hinter der Ehre des Betroffenen zurücktreten. Für eine Einordnung in der verfassungsmäßigen Rechtfertigung spricht, dass die Reduzierung des grundrechtlichen Schutzes sich in diesen Fällen nicht schon aus dem Begriff der Meinung, sondern erst aus dem Verhältnis zu anderen geschützten Rechtspositionen ergibt. Vergleichbar ist die Figur der Formalbeleidigung in ihrem verfassungsrechtlichen Sinn.61 Sie wird vom Bundesverfassungsgericht regelmäßig in einem Atemzug mit der Schmähkritik genannt,62 betrifft aber die Konstellation, in der sich die Ehrverletzung gerade aus der Form oder den äußeren Umständen der Äußerung ergibt.
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BVerfGE 33, 1, 15 – Strafgefangene; BVerfG, NJW 2004, 277, 278. BVerfGE 82, 272, 282 – Zwangsdemokrat; 93, 266, 289 – Soldaten sind Mörder. 57 BVerfGE 82, 272, 283 f. – Zwangsdemokrat; 85, 1, 16 – Bayer-Aktionäre; ausführlich zur Entwicklung der Rechtsprechung von BVerfG und BGH in Bezug auf den Begriff „Schmähkritik“ s. Mori, Der Staat 47 (2008), 258 ff. 58 BVerfGE 82, 272, 284 – Zwangsdemokrat; 93, 266, 294 – Soldaten sind Mörder; BVerfG, NJW 2003, 3760; Odendahl, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke Art. 5 Rn. 8; Steinbach, NVwZ 2013, 1405, 1406. 59 So aber Wittreck, JuS 2006, 729, 732. 60 BVerfGE 82, 43, 51 – Strauß-Transparent; 85, 1, 16 – Bayer-Aktionäre; Grabenwarter, in: Maunz/Dürig Art. 5 Abs. 1, 2 Rn. 61; Grimm, NJW 1995, 1697, 1702 f.; Odendahl, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke, Art. 5 Rn. 8; Rühl, Tatsachen – Interpretationen – Wertungen, S. 318; Schmitt Glaeser, NJW 1996, 873, 877; Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck Art. 5 Abs. 1, 2 Rn. 215. 61 Degenhart, in: BK-GG Art. 5 Abs. 1 und 2 Rn. 558; Schmitt Glaeser, NJW 1996, 873, 877 f.; vgl. auch Rühl, Tatsachen – Interpretationen – Wertungen, S. 321 ff.; anders Grabenwarter, in: Maunz/Dürig Art. 5 Abs. 1, 2 Rn. 62, der die Formalbeleidigung schon aus dem Schutzbereich der Meinungsfreiheit herausnehmen will; so wohl auch BVerfGE 82, 43, 51 – Strauß/Hachfeld. 62 BVerfGE 82, 272, 281 – Zwangsdemokrat; 85, 1, 14 – Bayer-Aktionäre; 90, 241, 248 – Auschwitzlüge; 93, 266, 294 – Soldaten sind Mörder; 114, 339, 350 – Stolpe. 56
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2. Kap.: Verfassungsrechtliche Vorgaben
Es stellt sich allerdings die Frage, ob der Figur der Schmähkritik bei religionsfeindlichen Äußerungen überhaupt eine eigene Bedeutung zukommt. Richtet sich die Äußerung gegen religiöse Würdenträger wie den Papst, einen Bischof oder vergleichbare Persönlichkeiten anderer Religionsgemeinschaften, gilt die Grenze der Schmähkritik wie bei allen Personen des öffentlichen Lebens. Gleiches gilt für den Fall, dass durch die Äußerung einzelne Mitglieder einer Religionsgemeinschaft diffamiert werden sollen, ohne dass sich der Äußernde in der Sache mit den Inhalten der Religion auseinandersetzt. Greifen die religionsfeindlichen Aussagen aber Glaubensinhalte der betroffenen Religion an, ist zu überlegen, ob die Schmähkritik als Rechtsfigur des Ehrschutzes überhaupt Anwendung findet. Die Ehre historischer Persönlichkeiten religiöser Verehrung wie Mohammed, Jesus oder Maria scheidet als strafrechtliches Schutzgut aus.63 Fraglich ist also, ob der Begriff der Schmähkritik auch bei der Beeinträchtigung anderer Rechtsgüter eine Rolle spielen kann. Das Bundesverfassungsgericht hat dies ausdrücklich offen gelassen.64 Zwar könnte argumentiert werden, dass auch bei einer Schmähung einer Religion der Zweck der öffentlichen Meinungsäußerung verfehlt würde, weil auf dieser Grundlage eine sachliche Diskussion nicht zu führen ist. Dagegen spricht allerdings, dass nach allgemeiner Ansicht auch wertlose Äußerungen grundsätzlich von der Meinungsfreiheit erfasst sind.65 Müsste eine religionsfeindliche Aussage allein deshalb unterbleiben, weil sie den öffentlichen Meinungsaustausch nicht weiterbringt, wäre diese Aussage sinnentleert. Zudem würde eine solche Auslegung auch den individuellen Gehalt der Meinungsäußerungsfreiheit verkennen.66 Das Zurücktreten der Meinungsfreiheit bei Schmähkritik kann also nur darauf beruhen, dass die persönliche Ehre des Betroffenen in ihrer Nähe zu seiner Menschenwürde geschützt werden soll.67 Auch das Bundesverfassungsgericht hat die Anwendung der verfassungsrechtlichen Figur der Schmähkritik bei die Öffentlichkeit berührenden Fragen weitestgehend ausgeschlossen.68 Eine religionskritische Meinungsäußerung, die nicht einen bestimmten Grundrechtsträger derart in seiner persönlichen Ehre kränkt, kann demnach nicht schon als Schmähkritik dem Schutz der Meinungsfreiheit entfallen. Darüber hinaus werden auch die anderen Voraussetzungen der eng auszulegenden Schmähkritik in der Regel problematisch sein: Religionskritik mag überspitzt oder provokant sein, im Vordergrund steht doch im größten Teil der Fälle zumindest auch die inhaltliche Auseinandersetzung mit der Religion und ihren Inhalten. 63
s. dazu auch unten in diesem Kapitel B. I. BVerfG, NJW 1999, 204, 206. 65 BVerfGE 33, 1, 15 – Strafgefangene; 61, 1, 7 – NPD Europas; 90, 241, 247 – Auschwitzlüge; Degenhart, in: BK-GG Art. 5 Abs. 1 und 2 Rn. 99; Grabenwarter, in: Maunz/Dürig Art. 5 Abs. 1, 2 Rn. 83. 66 So im Ergebnis auch Rox, Schutz religiöser Gefühle, S. 51. 67 Rox, Schutz religiöser Gefühle, S. 51 f. 68 BVerfG, NJW 1999, 204, 206 64
A. Betroffene Interessen auf der Seite der „Religionsbeschimpfenden“
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e) Zensurverbot Bei der Beschränkung der Meinungsfreiheit ist weiterhin das Zensurverbot des Art. 5 Abs. 1 S. 3 GG zu berücksichtigen, das als umfängliches Verbot jeglicher Vorzensur zu verstehen ist.69 Aus dieser engen Auslegung folgt, dass dem Zensurverbot im Rahmen der individuellen Kommunikation nur eine randständige Rolle zukommt.70 Vorliegend kommt hinzu, dass strafrechtliche Normen ohnehin nur nachträglich eine Meinungsäußerung bestrafen können, diese aber nicht in der Form einer Vorzensur verhindern können. Das Zensurverbot entfaltet also für den vorliegend zu untersuchenden Fall strafrechtlicher Verbote religionsfeindlicher Äußerungen keine Wirkungen.
II. Kunstfreiheit Ein Blick auf die umstrittensten Fälle religionskritischer Äußerungen in den letzten Jahren zeigt, dass diese zumeist nicht in einem sachlichen politischen Diskurs fallen, sondern häufig im Rahmen von im weitesten Sinne künstlerischen Darstellungen, das heißt, in Zeichnungen oder Collagen, in Filmen oder Serien, in Theaterstücken oder Aktionskunst. Um dieses Phänomen angemessen zu berücksichtigen, soll im Folgenden auf die Gewährleistung der Kunstfreiheit und ihre Reichweite eingegangen werden. Die Freiheit der Kunst ist im Grundgesetz durch Art. 5 Abs. 3 S. 1, 1. Var. gewährleistet. Anders als Meinungs- und Pressefreiheit unterliegt sie nach heute weitgehend anerkannter Ansicht nicht den Schranken des Art. 5 Abs. 2 GG.71 Besondere Schwierigkeiten bereitet aber seit jeher die Bestimmung des Schutzbereichs des Grundrechts. 1. Der Schutzbereich der Kunstfreiheit des Art. 5 Abs. 3 GG Eine Definition und damit sachliche Einschränkung widerspricht dem ureigenen Wesen der Kunst; die künstlerische Avantgarde versucht seit jeher gesellschaftlich vorgegebene Grenzen gerade zu überschreiten.72 Deshalb wurde in der juristischen Literatur zuweilen gar ein „Definitionsverbot“ gefordert.73 Dies scheint auf den 69 Ganz h. M.: BVerfGE 33, 52, 71 f.; 47, 198, 236; 83, 130, 155; 87, 209, 230; Bethge, in: Sachs Art. 5 Rn. 131 f.; Degenhart, in: BK-GG Art. 5 Abs. 1 und 2 Rn. 918; Jarass/Pieroth, Art. 5 Rn. 77; Jestaedt, in: Hdb GrundR § 102 Rn. 94; Schulze-Fielitz, in: Dreier Art. 5 I, II Rn. 171; Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck Art. 5 Rn. 170, 172; Wendt, in: v. Münch/Kunig Art. 5 Rn. 62; anders nur Hoffmann-Riem, in: Hdb VerfR § 7 Rn. 45; Rohde, Die Nachzensur in Art. 5 Abs. 1 S. 3 GG, S. 61 ff., 160 ff. (auch Nachzensur erfasst). 70 Jestaedt, in: Hdb GrundR § 102 Rn. 94. 71 s. zu den Schranken der Kunstfreiheit unten in diesem Kapitel A. II. 3. 72 BVerfGE 67, 213, 224 f. – Anachronistischer Zug; 75, 369, 377 – Strauß/Hachfeld. 73 Knies, Schranken der Kunstfreiheit, S. 217 ff.; ähnlich auch Hufen, Die Freiheit der Kunst in staatlichen Institutionen, S. 97 f.; Müller, Freiheit der Kunst, S. 37 ff.
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2. Kap.: Verfassungsrechtliche Vorgaben
ersten Blick zum größtmöglichen Schutz der Kunst zu verhelfen. Fraglich ist jedoch, wie etwas geschützt werden soll, das nicht einmal bestimmbar ist.74 Wenn alles Kunst ist, läuft ein besonderer Schutz der Kunstfreiheit leer. Gerade die Tatsache, dass die Kunstfreiheit durch das Grundgesetz gewährleistet wird, zwingt dazu, ihr einen zumindest in Ansätzen abgrenzbaren Bereich zuzuordnen.75 Ziel muss es daher sein, für die Rechtsanwendung Leitlinien zu entwickeln, anhand derer in einem konkreten Sachverhalt entschieden werden kann, ob der Schutzbereich der Kunstfreiheit eröffnet ist. Zur Annäherung an eine einheitliche Schutzbereichsbestimmung stützt sich die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung auf verschiedene Kunstbegriffe, die sich gegenseitig überschneiden und ergänzen. Im grundlegenden „Mephisto“-Beschluss wurde zunächst ein materialer Kunstbegriff entwickelt: „Das Wesentliche der künstlerischen Betätigung ist die freie schöpferische Gestaltung, in der Eindrücke, Erfahrungen, Erlebnisse des Künstlers durch das Medium einer bestimmten Formensprache zu unmittelbarer Anschauung gebracht werden. […] Beim künstlerischen Schaffen wirken Intuition, Phantasie und Kunstverstand zusammen; es ist primär nicht Mitteilung, sondern Ausdruck und zwar unmittelbarster Ausdruck der individuellen Persönlichkeit des Künstlers.“76 Diese Definition blieb nicht ohne Kritik aus der Literatur. Dem Bundesverfassungsgericht wurde vorgeworfen, ein solcher Kunstbegriff orientiere sich zu sehr am idealistischen Kunstverständnis der Ästhetik und sei daher nicht frei von qualitativen Wertungen.77 Eine „Niveaukontrolle“ zwischen „guter“ und „schlechter“ Kunst ist aber nach heute weitgehend unumstrittener Ansicht unzulässig,78 da sie auf eine Inhaltskontrolle eines Werkes hinausläuft, die durch Art. 5 Abs. 3 GG gerade verhindert werden soll. Wohl auch unter Berücksichtigung dieser Kritik erkannte das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung „Anachronistischer Zug“79 in Ergänzung zu seinem bisherigen Kunstverständnis einen formalen sowie einen sogenannten offenen Kunstbegriff an. Der formale Begriff erfasst sämtliche Werke, die den Gattungsanforderungen eines bestimmten Werktyps (z. B. Gemälde, Gedicht, Lied) entsprechen.80 Dies erleichtert die Anwendung der Kunstfreiheit in der Praxis erheblich, da beispielsweise nicht jeder Roman dahingehend untersucht werden muss, 74
v. Arnauld, in: Hdb StaatsR VII § 167 Rn. 7; Arndt, NJW 1966, 25, 28; Isensee, Wer definiert die Freiheitsrechte?, S. 35; Kassing, Personalsatire, S. 55. 75 So sprechen Scholz, in: Maunz/Düring Art. 5 Abs. 3 Rn. 25; Bethge, in: Sachs Art. 5 Rn. 183; Wittreck, in: Dreier Art. 5 III (Kunst) Rn. 36, sogar von einem „Definitionsgebot“; offen gelassen: Hufen, in: Hdb GrundR § 101 Rn. 29. 76 BVerfGE 30, 173, 188 f. – Mephisto. 77 Isensee, Wer definiert die Freiheitsrechte?, S. 27; Scholz, in: Maunz/Dürig Art. 5 Abs. 3 Rn. 28. 78 BVerfGE 75, 369, 377 – Strauß/Hachfeld; Scholz, in: Maunz/Dürig Art. 5 Abs. 3 Rn. 39. 79 BVerfGE 67, 213 – Anachronistischer Zug. 80 BVerfGE 67, 213, 226 f. – Anachronistischer Zug; unter Berufung auf Knies, Schranken der Kunstfreiheit, S. 219 ff.; Müller, Freiheit der Kunst, S. 41 f.
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ob er „unmittelbarster Ausdruck der individuellen Persönlichkeit des Künstlers“ ist. Zudem hat diese Herangehensweise den Vorteil, neutral und ohne eine qualitative Bewertung des Werks zu erfolgen. So sind sämtliche Zeichnungen nach dieser Auslegung vom Schutzbereich der Kunstfreiheit erfasst. Problematisch ist an diesem Kunstbegriff jedoch, dass eine ausschließlich formale Betrachtung dem Wesen der Kunst entgegenläuft: Wenn nur anerkannte Gattungsformen geschützt werden, wird automatisch die Erfassung neuer avantgardistischer Kunstformen unmöglich.81 Nach dem sogenannten offenen oder auch zeichentheoretischen Kunstbegriff fallen Werke in den Schutzbereich des Grundrechts, bei denen es „wegen der Mannigfaltigkeit ihres Aussagegehalts möglich ist, der Darstellung im Wege einer fortgesetzten Interpretation immer weiterreichende Bedeutungen zu entnehmen, sodass sich eine praktisch unerschöpfliche, vielstufige Informationsvermittlung ergibt“.82 Problematisch ist an diesem Ansatz jedoch, dass die Frage nach der Interpretierbarkeit eines Werkes stets subjektiv, da von der Person des Rezipienten abhängig, ist,83 und sich somit jeder objektiven Kategorisierung entzieht. Zudem führt der zeichentheoretische Kunstbegriff indirekt ein Qualitätskriterium ein, da triviale Unterhaltung84 bei strenger Betrachtung wenn überhaupt zumindest nicht unerschöpfliche Interpretationsmöglichkeiten eröffnet.85 Daher führt keiner der verfassungsgerichtlichen Kunstbegriffe allein zu einem gänzlich befriedigenden Ergebnis. Um im Einzelfall feststellen zu können, ob ein Werk vom Schutzbereich der Kunstfreiheit erfasst wird, bleibt also allein die Möglichkeit, die verschiedenen Definitionsverschläge nebeneinander zu betrachten und darüber hinaus auf weitere Indizien zurückzugreifen. Damit qualitative Kriterien nicht die Überhand gewinnen, kann zunächst darauf abgestellt werden, ob es sich in formaler Hinsicht ein Kunstwerk handelt, ein Werk also, das Anforderungen einer anerkannten Kunstgattung entspricht. Ist dies nicht der Fall, darf daraus aber nicht geschlossen werden, dass es sich nicht um Kunst im Sinne des Grundgesetzes handelt. Im Gegenteil kann dann auf weitere Kriterien abgestellt werden, insbesondere auf die Vielfältigkeit der Interpretationsmöglichkeiten und den Persönlichkeitsausdruck durch schöpferische Tätigkeit, aber auch auf das Selbstverständnis des Handelnden86 und gegebenenfalls eine Anerkennung durch qualifizierte Dritte.87 81
Henschel, NJW 1990, 1937, 1939; Wendt, in: v. Münch/Kunig Art. 5 Rn. 90. BVerfGE 67, 213, 227 – Anachronistischer Zug; mit Verweis auf v. Noorden, Freiheit der Kunst, S. 82 ff. 83 Beisel, Kunstfreiheitsgarantie, S. 82 f.; Erhardt, Kunstfreiheit und Strafrecht, S. 82; Kassing, Personalsatire, S. 65. 84 v. Noorden Freiheit der Kunst, S. 86 selbst nennt dabei den „durchschnittlichen Kriminalroman“. 85 Erhardt, Kunstfreiheit und Strafrecht, S. 82; Henschel, NJW 1990, 1937, 1939; Kassing, Personalsatire, S. 65; Zöbeley, NJW 1985, 254, 255 f. 86 Als wesentliches Kriterium wird diese subjektive Sicht bei Sachs, Verfassungsrecht II 17 Rn. 78; Ipsen, Staatsrecht II, Rn. 507 (letzterer in Kombination mit dem Urteil eines künstlerisch aufgeschlossenen Publikums) eingeordnet. Dagegen spricht jedoch, dass die Selbst82
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2. Kap.: Verfassungsrechtliche Vorgaben
Vor diesem Hintergrund ist festzustellen, dass diejenigen religionskritischen Äußerungen, die in den letzten Jahren in Deutschland und der Welt für Schlagzeilen gesorgt haben, von diesem weit verstandenen Schutzbereich der Kunstfreiheit umfasst sind. Dies ist schon darauf zurückzuführen, dass sie sich regelmäßig einer gattungstypischen Form bedienen; also entweder als Zeichnung, Film, Theateraufführung oder literarische Darstellung auftreten. Auffällig ist insoweit jedoch, dass der Angriff gegen die Religion oder ihre Inhalte häufig in verfremdeter Form erfolgt, sich also der Äußernde der Satire bedient, um seine Botschaft zu vermitteln. Auf die Satire im Schutzbereich der Kunstfreiheit ist daher im Folgenden noch einmal gesondert einzugehen. 2. Satire und Karikatur im Schutzbereich der Kunstfreiheit Ähnlich wie bei der Meinungsfreiheit wirft auch bei der Kunstfreiheit die Behandlung von Satire und Karikatur besondere Schwierigkeiten auf. Auf Grund der unterschiedlichen Schrankenregelung88 muss auch bei einer prima facie-Einschlägigkeit der Meinungsfreiheit sorgfältig untersucht werden, ob der Schutzbereich der Kunstfreiheit eröffnet ist. Grundlage der Abgrenzung zwischen Meinungs- und Kunstfreiheit ist für das Bundesverfassungsgericht die oft wiederholte Aussage: „Satire kann Kunst sein; nicht jede Satire ist jedoch Kunst“89, zum Teil mit dem Zusatz „das ihr wesentliche Merkmal, mit Verfremdung, Verzerrung und Übertreibung zu arbeiten, kann ohne Weiteres auch ein Mittel der einfachen Meinungsäußerung sein.“90 Erscheint die Formel auf den ersten Blick schlüssig, drängen sich bei genauerer Betrachtung zwei Fragestellungen auf: Zum einen muss eine Überprüfung der Formel anhand der zuvor herausgearbeiteten Satirebegriffe stattfinden, zum anderen müssen bei der Anwendung der Formel im Streitfall die Kriterien der Abgrenzung zwischen künstlerischer und nicht künstlerischer Satire festgestellt werden.
einschätzung des Künstlers unter Umständen zu weitreichend ist, sodass dem Selbstverständnis des Künstlers lediglich Indizienwirkung zugestanden werden sollte; s. Bethge, in: Sachs Art. 5 Rn. 184; Jarass/Pieroth, Art. 5 Rn. 119; Wendt, in: v. Münch/Kunig Art. 5 Rn. 91. 87 Auch dieses Kriterium wird teils als ausschließlich entscheidungserheblich eingestuft, s. VGH München, NJW 1981, 2428; Schick, JZ 1970, 645, 646. Gegen diese Deutung spricht jedoch, dass wiederum qualitative und persönliche Wertungen den Kunstbegriff wesentlich beeinflussen würden. Im Ergebnis wird deshalb auch hier nur von einer Indizienwirkung auszugehen sein, s. Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck Art. 5 Abs. 3 Rn. 305; Bethge, in: Sachs Art. 5 Rn. 184; Jarass/Pieroth, Art. 5 Rn. 119; Wittreck, in: Dreier Art. 5 III (Kunst) Rn. 43; Wendt, in: v. Münch/Kunig Art. 5 Rn. 92. 88 s. hierzu unten 2. Kapitel A. II. 3. 89 BVerfGE 86, 1, 9 – geb. Mörder; BVerfG, NJW 1998, 1386, 1387 – Münzen-Erna; 2002, 3767 – Bonnbons. 90 BVerfGE 86, 1, 9 – geb. Mörder; NJW 1998, 1386, 1387 – Münzen-Erna.
A. Betroffene Interessen auf der Seite der „Religionsbeschimpfenden“
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a) Gültigkeit der verfassungsgerichtlichen Satire-Formel nach dem literaturwissenschaftlichen und dem juristischen Satirebegriff Auf den ersten Blick erscheint die Formel des Bundesverfassungsgerichts durchaus schlüssig. Tatsächlich enthält schon die alltägliche Sprache häufig prägende Elemente der Satire, etwa Ironie, Übertreibung und bildhafte Ausdrücke.91 Soll aber ihre Richtigkeit an Hand der bisher herausgearbeiteten Kriterien überprüft werden, muss zwischen den verschiedenen Satirebegriffen differenziert werden. Dazu ist zunächst der literaturwissenschaftliche Satirebegriff zugrunde zu legen. Stellt man die Anforderung, dass ein Angriff indirekt durch die verfremdenden Elemente und im Hinblick auf eine bestimmte Norm ausgeführt wird, so ist die Satire selbst die Formensprache, die der materiale Kunstbegriff verlangt.92 Denn gerade durch die Verbindung der Elemente, das Verstecken des Angriffs hinter einer Indirektheit, die dessen Wirksamkeit jedoch noch verstärkt, entsteht eine „sinnlich-ästhetische Kommunikation“,93 die über die reine Wissens- oder Meinungsübermittlung hinausgeht. Das gestalterische Element behält also seinen Wert neben der intendierten Aussage. Eine solche ästhetische Kommunikation setzt aber immer auch eine schöpferische Gestaltung voraus, die daher der Satire (im literaturwissenschaftlichen Sinne) wesenseigen ist.94 Da sich nun auch in jeder Satire nach diesem Verständnis ein Ausdruck von Erfahrungen, mindestens aber von Eindrücken des Künstlers widerspiegelt, steht einer Einordnung in den Schutzbereich der Kunstfreiheit nach dem materialen Kunstbegriff nichts mehr im Weg. Dass literaturwissenschaftlich untersuchte Satiren im Regelfall in Werken erscheinen, die einer anerkannten Kunstgattung entsprechen, und damit auch im Hinblick auf einen formalen Kunstbegriff von einer Schutzbereichseröffnung auszugehen ist, kann dieses Ergebnis nur noch unterstützen. Schwieriger ist eine Subsumtion unter den zeichentheoretischen Kunstbegriff. Denn jede Satire hat etwas Offensichtliches;95 der Satiriker muss und will Deutungssignale setzen, damit der Adressat den Angriff und seinen Normbezug verstehen kann. Dann aber können dem Werk keine „unerschöpflichen Interpretationsmöglichkeiten“ mehr zugesprochen werden. Satire mit dieser Begründung eine Kunsteigenschaft im zeichentheoretischen Sinne abzusprechen,96 ginge aber zu weit. Zum einen lässt das Bundesverfassungsgericht zum Teil eine „eigenständige inter-
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Gärtner, Was die Satire darf, S. 76. Gärtner, Was die Satire darf, S. 71. 93 Mahrenholz, Hdb VerfR § 26, Rn. 39, 42; ebenso auch Gärtner, Was die Satire darf, S. 71 f.; Gounalakis, NJW 1995, 809, 812. 94 Brauneck, ZUM 2004, 887, 894; Senn, Satire und Persönlichkeitsschutz, S. 123 f. 95 Brummack, DVJS 45 (1971 Sonderheft), 275, 347. 96 So wohl Schmidt-De Caluwe, NVwZ 1992, 1162, 1168. 92
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2. Kap.: Verfassungsrechtliche Vorgaben
pretationsfähige und -bedürftige Aussage“ genügen,97 zum anderen wäre es, wie oben gesehen, zu eng, eine Satire ausschließlich auf einen „Aussagekern“ zu begrenzen. Wenn sie auch eine Zielrichtung erkennen lässt, ist diese doch keineswegs so eindeutig, dass sie sich jeder weitergehenden Interpretation entzieht. Ähnliches gilt für die Karikatur als Bildsatire. Auch sie enthält die Elemente der Satire, die diese als Kunst im materialen Sinne kennzeichnen, im Wesentlichen das Element der „sinnlich-ästhetischen Kommunikation“. Darüber hinaus schlägt sich der satirische Stil in einer grafischen Darstellung nieder. Diese grafische Darstellung, ob Zeichnung, Gemälde, Fotografie oder Collage, erfüllt aber schon für sich die gattungstypischen Anforderungen des formalen Kunstbegriffes. Ebenso wie die geschriebene oder gesprochene Satire im engeren Sinn ermöglicht auch sie wenn auch nicht unerschöpfliche, so doch vielfältige Interpretationsmöglichkeiten. Eine Satire im literaturwissenschaftlichen Sinne lässt sich somit nach den Kunstbegriffen des Bundesverfassungsgerichts regelmäßig unter den Schutzbereich des Art. 5 Abs. 3 GG fassen.98 Demnach wäre die Formel des Bundesverfassungsgerichts, nach der Satire Kunst sein kann, aber nicht jede Satire Kunst ist, abzulehnen. Wie bereits gesehen, vertritt die Rechtsprechung aber einen weitaus umfassenderen Satirebegriff als die Literaturwissenschaft. Als ausreichend erachtet sie in den meisten Fällen allein das Vorliegen einer Verfremdung.99 Eine solche Verfremdung, insbesondere in Form von Ironie, Übertreibung oder Bildhaftigkeit, kann aber auch Teil alltäglicher, nicht künstlerischer Sprache sein.100 Die Elemente des Angriffs und der Normbezogenheit, allem voran aber deren Verknüpfung mit der Verfremdung, die eine ästhetische Kommunikation ermöglicht, werden hingegen von der Rechtsprechung regelmäßig nicht erwartet. Daraus folgt, dass nach dem weiten Satirebegriff des Bundesverfassungsgerichts gerade die Komponente, die bei der Satire im literaturwissenschaftlichen Sinn die Einordnung als Kunst ermöglicht, nicht verlangt wird. Das juristische Satireverständnis ist derart weit, dass es über die Satiren, die tatsächlich eine ästhetische Kommunikation ermöglichen, hinausgeht. So weit darf aber die Definition von Kunst im Sinne des Art. 5 Abs. 3 GG nicht gehen. Anders als auf der Grundlage eines literaturwissenschaftlichen Satirebegriffs ist also auf der Basis des juristischen Satirebegriffs der Formel des Bundesverfassungsgerichts „Satire kann Kunst sein; nicht jede Satire ist jedoch Kunst“ durchaus zuzustimmen. Indem der Bereich der Satire weiter gefasst wird, muss ein Bereich entstehen, der zwar „Satire“ (im juristischen Sinn) ist, nicht aber Kunst im Sinne des Grundgesetzes.
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BVerfGE 81, 278, 291 – Bundesflagge. Ebenso Gärtner, Was die Satire darf, S. 75; Senn, Satire und Persönlichkeitsschutz, S. 123. 99 s. oben 1. Kapitel A. III. 2. 100 BVerfGE 86, 1, 9 – geb. Mörder; BVerfG NJW 1998, 1386, 1387 – Münzen-Erna. 98
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b) Grenzen des Schutzbereichs der Kunstfreiheit bei Satiren und Karikaturen Bei der Anwendung der Satire-Formel ergeben sich jedoch Probleme, da sie die Frage, ab wann Satire (im Folgenden im juristischen Sinn) eine über die bloße Meinungsäußerung hinausgehende künstlerische Komponente enthält, nicht beantwortet. Auffällig ist zunächst, dass das Bundesverfassungsgericht selbst die Abgrenzung scheut und die Einordnung offen lässt, wenn eine Verletzung von Grundrechten schon auf Grundlage des leichter einschränkbaren Art. 5 Abs. 1 GG bejaht werden kann.101 Kann eine Entscheidung nicht unterbleiben, bemüht sich das Gericht, bei der Abgrenzung nach den allgemeinen für die Kunstfreiheit herausgearbeiteten Kriterien vorzugehen. Maßgeblich sei auch in Fällen von Satire, ob sich das Werk als das „geformte Ergebnis einer freien schöpferischen Gestaltung“102 darstelle. Fraglos ist dieses Kriterium auch hier wieder dem Vorwurf einer qualitativen Bewertung der Kunst ausgesetzt, auch seine Anwendung im Einzelfall mag schwerfallen. Leichter fällt die Einordnung in den Schutzbereich der Kunstfreiheit dann, wenn sich die Satire im Sinne des formalen Kunstbegriffs in der Form einer kunsttypischen Gattung darstellt. Darüber hinaus ist nach der hier vertretenen Differenzierung zwischen juristischem und literaturwissenschaftlichem Satirebegriff das Abgrenzungskriterium offensichtlich: Erforderlich für eine Einordnung in den Schutzbereich der Kunstfreiheit muss sein, dass es sich auch nach dem literaturwissenschaftlichen Verständnis um eine Satire handelt, dass also die in diesem Sinne wesentliche Verbindung des Angriffs und seiner Indirektheit zu der einfachen Verfremdung hinzutreten muss.103 Anders ausgedrückt darf die Verfremdung nicht lediglich eine Dekoration der Sachaussage sein, die Darstellungsweise muss neben dem ausgedrückten Gedanken eine Eigenbedeutung besitzen.104 Erst dann kann von einer „schöpferischen Gestaltung“ ausgegangen werden, die Kunst (auch engagierte Kunst) von einer reinen Meinungsäußerung abgrenzt. Unter Zugrundelegung des bundesverfassungsgerichtlichen (weiten) Satirebegriffs ist also nicht jede Satire zugleich auch Kunst. Voraussetzung ist darüber hinaus, dass im Sinne einer ästhetischen Kommunikation der Verfremdung neben der sachlichen Aussage eine selbstständige Bedeutung zukommt. 101 So etwa BVerfGE 68, 226, 233 – Schwarzer Sheriff; 86, 1, 9 – geb. Mörder; BVerfG NJW 1998, 1386, 1387 – Münzen-Erna. Fragwürdig in dieser Hinsicht BVerfGE 35, 202, 244 – Lebach, die die Einschlägigkeit der Kunstfreiheit unter dem Hinweis offenlässt, dass das Persönlichkeitsrecht wie bei Abs. 1 auch bei Abs. 3 überwiegen müsse. Auf Grund der unterschiedlichen Schrankenregelung wäre an dieser Stelle jedoch eine eigenständige Prüfung wünschenswert gewesen. 102 BVerfGE 67, 213, 226 – Anachronistischer Zug; 75, 369, 377 – Strauß/Hachfeld; NJW 2002, 3767 – Bonnbons; daran anknüpfend LG Berlin, ZUM 2010, 538, 539; LG Köln, ZUM 2011, 84, 87. 103 Ebenso Gärtner, Was die Satire darf, S. 80. 104 Heß, Grundrechtskonkurrenzen, S. 191; ebenso Gounalakis, NJW 1995, 809, 812; Mahrenholz, Hdb VerfR § 26, Rn. 42.
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2. Kap.: Verfassungsrechtliche Vorgaben
3. Schranken der Kunstfreiheit Unter der Herrschaft der Weimarer Reichsverfassung wurde zunächst die Möglichkeit einer Beschränkung der Kunstfreiheit durch die polizeiliche Generalklausel angenommen,105 obwohl nur die Freiheit der Meinungsäußerung, nicht aber der Kunst unter einem ausdrücklichen Gesetzesvorbehalt gewährt wurde. Nach Inkrafttreten des Grundgesetzes entschied jedoch das Bundesverwaltungsgericht im Jahr 1954, dass dieses Vorgehen dem Wortlaut des Grundgesetzes widerspreche und die Kunstfreiheit daher nicht durch die Schranke der allgemeinen Gesetze begrenzt werden dürfe.106 Dem hat sich in seiner Grundsatzentscheidung zur Kunstfreiheit das Bundesverfassungsgericht angeschlossen;107 auch in der Literatur ist diese Auslegung überwiegend auf Zustimmung gestoßen.108 Dem ist schon auf Grund des Wortlauts, aber auch aus systematischen Erwägungen zuzustimmen. Die Schrankentrias des Art. 2 Abs. 1 GG ist ebenfalls nicht auf die Kunstfreiheit anzuwenden.109 In einer verfassungsstaatlichen Gesellschaft kann eine Freiheit jedoch schon begrifflich nie grenzenlos gewährleistet werden.110 Folglich unterliegt die Kunstfreiheit nach heutigem Verständnis verfassungsimmanenten Schranken, insbesondere den Grundrechten anderer.111 Werden solche durch die Verwirklichung der Kunstfreiheit verletzt, kann die Reichweite der Kunstfreiheit nur durch eine Abwägung der Positionen im Einzelfall bestimmt werden. Auf Grund der Auslegung, die der Begriff der allgemeinen Gesetze durch das Bundesverfassungsgericht erfahren hat,112 mögen in vielen Fällen keine Unterschiede zwischen den Schranken der Meinungs- und der Kunstfreiheit bestehen.113 Da jedoch durch allgemeine Gesetze auch solche Rechtsgüter abgesichert werden können, die eben keinen Verfassungsrang haben, kann sich ein Unterschied dann ergeben, wenn das einschränkende 105
Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reichs, Art. 142 Anm. 3. BVerwGE 1, 303, 305 ff. 107 BVerfGE 30, 173, 193 – Mephisto. 108 Erbel, Kunstfreiheitsgarantie, S. 117; Heckel, Staat – Kirche – Kunst, S. 88; Jarass/ Pieroth, Art. 5 Rn. 128; Müller, Freiheit der Kunst, S. 12 ff.; ders., JZ 1970, 87, 89; Ott, JuS 1968, 459, 461; Ridder, Freiheit der Kunst nach dem Grundgesetz, S. 12; Ropertz, Freiheit der Kunst, S. 93 f.; Scholz, in: Maunz/Dürig Art. 5 Abs. 3 Rn. 11, 54; Starck, in: v. Mangoldt/Klein/ Starck, Art. 5 Rn. 328; Stein, JZ 1959, 720, 721 f.; Wittreck, in: Dreier Art. 5 III (Kunst) Rn. 53; anders Bettermann, Grenzen der Grundrechte, 1968, S. 27; Geiger, in: FS Leibholz II, S. 187, 198 f.; Knies, Schranken der Kunstfreiheit, S. 230 ff.; Lerche, Werbung und Verfassung, S. 91. 109 BVerfGE 30, 173, 192 f. – Mephisto; BVerwGE 1, 303, 305 f.; v. Hartlieb, Freiheit der Kunst und das Sittengesetz, S. 40 ff.; Scholz, in: Maunz/Dürig Art. 5 Abs. 3 Rn. 56; Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck Art. 5 Abs. 3 Rn. 328 anders Schmidt, GA 1966, 97, 104 f.; vgl. auch Erbel, Kunstfreiheitsgarantie, S. 121; Ropertz, Freiheit der Kunst, S. 98 ff. 110 Ujica/Loef, ZUM 2010, 670. 111 BVerfGE 30, 173, 193 – Mephisto; 67, 213, 228 – Anachronistischer Zug; BVerwGE 1, 303, 307; BGH, NJW 2005, 2844, 2847; Odendahl, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke Art. 5 Rn. 44; Scholz, in: Maunz/Dürig Art. 5 Abs. 3 Rn. 57. 112 s. hierzu oben in diesem Kapitel A. I. 2. a). 113 Ujica/Loef, ZUM 2010, 670, 673. 106
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Gesetz einem solchen Rechtsgut dient, beispielsweise der öffentlichen Ordnung114. In diesen Fällen kann nämlich eine Einschränkung der Meinungsfreiheit möglich sein, nicht aber der Kunstfreiheit. Daraus folgt die Pflicht, zwischen der Anwendung der beiden Grundrechte zu differenzieren. 4. Zum Verhältnis von Meinungs- und Kunstfreiheit Äußert sich eine religionskritische oder eine religionsfeindliche Einstellung in Form eines Kunstwerks, ist auf den ersten Blick sowohl die Meinungsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 GG als auch die Kunstfreiheit aus Art. 5 Abs. 3 GG einschlägig. Dann stellt sich – wie regelmäßig, wenn einer Meinung durch künstlerische Mittel Ausdruck verliehen werden soll – die Frage, ob die Schranken des Art. 5 Abs. 2 GG oder allein verfassungsimmanente Schranken Anwendung finden. Bleibt die Äußerung auf der Ebene der realen Wirklichkeit und findet nur ihren Ausdruck in einem künstlerischen Werktyp, etwa bei einer Biographie oder Dokumentation, müssen dem Betroffenen die gleichen Rechte zustehen wie bei einer einfachen Meinungsäußerung.115 Schwieriger ist insofern die Behandlung der sogenannten „engagierten Kunst“, bei der die politische Meinungsäußerung mit der künstlerischen Gestaltung – insbesondere durch das Stilmittel der Verfremdung – verschmilzt. Teilweise ist vertreten worden, diese engagierte Kunst aus dem Schutzbereich der Kunstfreiheit herauszunehmen und sie, zumindest für ihren Wirkbereich, den Schranken der Meinungsfreiheit zu unterwerfen.116 Diesem Verständnis hat allerdings das Bundesverfassungsgericht eine Absage erteilt; auch die engagierte Kunst fällt unter den Schutzbereich der Kunstfreiheit.117 Der personale und soziale Wert der Kunstfreiheit darf nicht unterlaufen werden, indem die verfassungsrechtliche Gewährleistung von der Finalität der Grundrechtsausübung abhängig gemacht wird.118 Zumindest wenn das künstlerische Element nicht nur bloßes „Beiwerk“119 der Meinungsäußerung ist, darf die nur verfassungsimmanenten Schranken unterworfene Kunstfreiheit nicht unbeachtet bleiben. Art. 5 Abs. 3 GG ist insoweit lex specialis,120 sodass auch bei 114
Hierzu Scholz, in: Maunz/Dürig Art. 5 Abs. 3 Rn. 55, vgl. zur „Polizeifestigkeit“ der Kunstfreiheit auch Knies, Schranken der Kunstfreiheit, S. 72 ff.; Erbel, Kunstfreiheitsgarantie, S. 157 ff.; Müller, Freiheit der Kunst, S. 123 f.; anders Bettermann, Grenzen der Grundrechte, S. 20 („Kein Grundrecht berechtigt zur Störung oder Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung.“). 115 Degenhart, in: BK-GG Art. 5 Abs. 1 und 2 Rn. 128. 116 VGH München, NJW 1981, 2428, 2429; Ridder, Freiheit der Kunst nach dem Grundgesetz S. 18. 117 BVerfGE 30, 173, 190 f. – Mephisto; 67, 213, 227 f. – Anachronistischer Zug. 118 Berkemann, NVwZ 1982, 85, 86; in diesem Sinne auch Ott, NJW 1981, 2397, 2398. 119 Zu einer Ausnahme in diesen Fällen tendiert Henschel, NJW 1990, 1937, 1943; dagegen aber BVerfGE 81, 298, 305 f. – Deutschlandlied. 120 BVerfGE 30, 173, 200 – Mephisto; 75, 369, 377 – Strauß/Hachfeld; implizit auch in BVerfGE 67, 213, 224 ff. – Anachronistischer Zug; vgl. auch Hufen, in. Hdb GrundR § 101 Rn. 64 ff.; Schulze-Fielitz, in: Dreier, Art 5 I, II, Rn. 315.
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2. Kap.: Verfassungsrechtliche Vorgaben
engagierter Kunst nur die verfassungsimmanenten Schranken anzuwenden sind. Im Gegenzug gilt, dass in künstlerischer Form geäußerte Meinungen bei Anwendung des Art. 5 Abs. 3 GG keinen weiteren Beschränkungen unterliegen dürfen, als sie auch Art. 5 Abs. 2 GG zuließe.121
III. Presse-, Rundfunk- und Filmfreiheit Religionskritische Äußerungen können zwar auch im Privaten getätigt werden, ihre besondere Sprengkraft entfaltet sich aber in der Regel dann, wenn sie öffentlich erfolgen. Wesentliche Beispiele aus der Realität sind etwa die Verbreitung von Karikaturen durch Zeitungen und Zeitschriften oder auch eines Films über das Internet. Dann stellt sich die Frage, ob auf Seiten des Religionskritikers auch die Presse-, Rundfunk- oder Filmfreiheit eingreifen kann. Die sogenannten Medienfreiheiten122 sind in Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG verankert. Dabei umfasst die Pressefreiheit in einer weiten Auslegung alle zur Verbreitung geeigneten und bestimmten Druckerzeugnisse123 wie Bücher, Zeitungen oder Zeitschriften. Geschützt sind alle Tätigkeiten „von der Beschaffung der Information bis zur Verbreitung der Nachricht und Meinung“,124 das heißt, alle Handlungen, die wesensmäßig mit der Pressearbeit zusammenhängen.125 Eine Vielzahl der hier behandelten Religionsanfeindungen wurden über Druckwerke im Sinne der Pressefreiheit verbreitet, allen voran die Mohammed-Karikaturen in den Jahren 2005 und 2012. Bei einer isolierten Analyse des Schutzbereichs der Pressefreiheit scheint dieser also unproblematisch einschlägig zu sein. Parallel dazu schützt die Rundfunkfreiheit des Art. 5 Abs. 1 S. 2, 2. Alt. GG die Verbreitung von Darbietungen über elektrische Schwingungen an einen unbestimmten Personenkreis,126 also Hör- und Fernsehfunk.127 Die Filmfreiheit aus Art. 5 121
Degenhart, BK-GG Art. 5 Rn. 129; Gounalakis, NJW 1995, 809, 813 f.; Jestaedt, in: Hdb GrundR § 102 Rn. 105; Schulze-Fielitz, in: Dreier, Art 5 I, II Rn. 315. 122 Jarass/Pieroth, Art. 5 Rn. 1; Schulze-Fielitz, in: Dreier Art. 5 I, II Rn. 86 f.; Stern/Sachs/ Dietlein, Staatsrecht IV/2 § 114 V 1. 123 BVerfGE 80, 124, 128 – Postzeitungsdienst; 95, 28, 35 – Werkszeitungen; Jarass/Pieroth, Art. 5 Rn. 34; Schulze-Fielitz, in: Dreier Art. 5 I, II Rn. 89. 124 BVerfGE 10, 118, 121 – Berufsverbot I; 12, 205, 260 – Deutschland-Fernsehen; 20, 162, 176 – Spiegel; 91, 125, 134 – Fernsehaufnahmen im Gerichtssaal I; 103, 44, 59 – Fernsehaufnahmen im Gerichtssaal II; Degenhart, in: BK-GG Art. 5 Abs. 1 und 2 Rn. 380; Jarass/ Pieroth, Art. 5 Rn. 36; Schulze-Fielitz, in: Dreier Art. 5 I, II Rn. 95. 125 BVerfGE 7, 29, 40 – Pressedelikte; 36, 193, 203 ff. – Zeugnisverweigerungsrecht; 36, 314, 319 f. – Hamburgisches Pressegesetz; 48, 367, 373 – Hessisches Pressegesetz; KG, NJWRR 1997, 789; NJW-RR 2003, 37, 38; Partikel, CCZ 2009, 174, 177 126 Jarass/Pieroth, Art. 5 Rn. 47; ähnlich für den „historisch gewachsenen“ Rundfunkbegriff Clemens, in: Umbach/Clemens Art. 5 Rn. 98a. 127 BVerfGE 12, 205, 226 – Rundfunkentscheidung I; 31, 314, 325 – Rundfunkentscheidung II; Clemens, in: Umbach/Clemens Art. 5 Rn. 90; Odendahl, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/
A. Betroffene Interessen auf der Seite der „Religionsbeschimpfenden“
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Abs. 1 S. 2, 3. Alt. GG betrifft die Vorführung eines chemisch-optischen oder digitalen Bildträgers zumeist mit Tonspur vor der Öffentlichkeit.128 Insgesamt wird auch nicht angezweifelt, dass auch das Internet als Massenkommunikationsmittel in den Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG einzubeziehen ist, wenn auch die dogmatische Begründung unterschiedlich sein mag.129 Auch ohne vertieft auf die technischen Details eingehen zu müssen, kann festgestellt werden, dass im Fernsehen, Radio oder Internet übertragene Kritik und Beleidigung von Religionen (etwa der Film „Innocence of Muslims“ aus dem Jahr 2012 oder die Fernsehserie „Popetown“ 2006) prima facie von den angesprochenen Mediengrundrechten erfasst sind. Dieses Zwischenergebnis muss allerdings möglicherweise korrigiert werden, wenn die Beziehungen der Mediengrundrechte zu den anderen Grundrechten mit berücksichtigt werden. Bedeutsam ist vorliegend insbesondere das Verhältnis zur Meinungsfreiheit. Soll eine bestimmte Äußerung in den Medien unterbunden werden, kommt sowohl die jeweilige Medienfreiheit, insbesondere die Pressefreiheit,130 als auch die Meinungsfreiheit in Betracht. Einigkeit besteht zunächst dahingehend, dass die Medienfreiheiten nicht nur ein bloßer Unterfall der Meinungsfreiheit sein können.131 Zum Teil wird auf dieser Grundlage vertreten, dass die Pressefreiheit als Spezialvorschrift zur Meinungsfreiheit letzterer vorgehen müsste.132 Äußert sich somit ein Redakteur in einem Druckerzeugnis, ist nach dieser Ansicht die Pressefreiheit vorrangig einschlägig. Das Bundesverfassungsgericht hat sich jedoch gegen diese Auslegung ausgesprochen.133 Die Freiheiten der Massenkommunikationsmittel
Henneke, Art. 5 Rn. 26; Schulze-Fielitz, in: Dreier Art. 5 I, II Rn. 100; Stern/Sachs/Dietlein, Staatsrecht IV/1 Vor § 109 2. 128 Bethge, in: Sachs Art. 5 Rn. 118; Kühling, in: BeckOK-IMR Art. 5 Rn. 100. 129 Zum Teil wird das Hineinlesen einer „Internetfreiheit“ in Art. 5 Abs. 1 S. 2 befürwortet: Mecklenburg, ZUM 1997, 525; Holznagel, AfP 2011, 532, 534 f.; zum Teil eine Ausweitung des Begriffs der Rundfunkfreiheit auf neue Medien BVerfGE 83, 238, 302 – WDR; zum Teil eine Differenzierung zwischen Presse- und Rundfunkfreiheit, je nachdem, welches Medium durch das Internet ersetzt wird: Michel, ZUM 1998, 350, 353; teilweise wird auch eine einheitliche „Medienfreiheit“ mit differenzierten Ausprägungen gefordert: Jarass/Pieroth, Art. 5 Rn. 2; Hoffmann-Riem, in: Hdb VerfR § 7 Rn. 24; krit. hierzu Stern/Sachs/Dietlein, Staatsrecht IV/1 Vor § 109 2. 130 Das Problem der Konkurrenz zwischen Medienfreiheiten und Meinungsäußerungsfreiheit wird i. d. R. nur im Rahmen der Pressefreiheit diskutiert. Die gleiche Frage stellt sich allerdings auch bei anderen Massenmedien und damit auch in den anderen Varianten des Art. 5 Abs. 1 S. 2; s. dazu Degenhart, in: BK-GG Art. 5 Abs. 1 und 2 Rn. 30, 34 f.; Heselhaus, NVwZ 1992, 740, 741 f. 131 BVerfGE 10, 118, 121; 62, 230, 243; Bethge, in: Sachs Art. 5 Rn. 47, 89; Degenhart, in: BK-GG Art. 5 Abs. 1 und Abs. 2 Rn. 10; Schemmer, in: Epping/Hillgruber Art. 5 Rn. 56; Kingreen/Poscher, Grundrechte Rn. 637. 132 Bethge, in: Sachs Art. 5 Rn. 47; Hufen, Staatsrecht II § 27 Rn. 10. 133 BVerfGE 85, 1, 11 f. – Berufsverbot I; 86, 122, 128 – Schülerzeitung; 95, 28, 34 – Werkszeitungen; für die Meinungsäußerungen im Rundfunk ohne explizite Abgrenzung BVerfGE 54, 129, 136 ff. – Kunstkritik; 54, 208, 219 ff. – Böll.
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2. Kap.: Verfassungsrechtliche Vorgaben
seien kein Spezialfall der Meinungsfreiheit,134 sondern selbstständige Grundrechte, die gerade die massenkommunikative Vermittlungsleistung schützen.135 Der Pressefreiheit unterfallen demnach die Tätigkeiten, die notwendigen Voraussetzungen für die Erfüllung der Aufgaben der Presse im Kommunikationsprozess darstellen; darunter auch die grundsätzliche Möglichkeit einer freien Meinungsäußerung in der Presse, nicht aber die Zulässigkeit einer einzelnen, in der Presse geäußerten Meinung.136 Dafür spricht, dass Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG die Meinungsäußerung in Form des Drucks nur deshalb nicht enthält, weil nach Ansicht des Parlamentarischen Rats der Druck schon im Begriff der Schrift enthalten war.137 Außerdem erscheint es unangemessen, das einschlägige Grundrecht davon abhängig zu machen, in welchem Medium eine Meinungsäußerung getätigt wird. Ist die Meinungsäußerung im Rahmen eines Druckwerks also schon von Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG erfasst, tritt die Pressefreiheit dahinter zurück;138 die eigene Meinungsäußerung ist auch in Presse und Rundfunk als Element der Meinungsfreiheit zu begreifen. Wird in der Presse hingegen eine fremde Meinung wiedergegeben, kann sich der Herausgeber nur auf die Pressefreiheit berufen;139 das Bundesverfassungsgericht spricht in diesen Fällen von der in die Pressefreiheit eingebetteten Meinungsfreiheit.140 Für die weitere Untersuchung ist somit zugrunde zu legen, dass für den Autor einer religionskritischen Äußerung stets die Meinungsfreiheit einschlägig ist, unabhängig davon, durch welches Medium er seine Auffassung verbreitet. Für denjenigen, der die Äußerung als die eines Fremden in der Öffentlichkeit durch Massenmedien verbreitet, ist der Schutzbereich der jeweiligen Medienfreiheit eröffnet.
IV. Zwischenergebnis Aus den vorstehenden Ausführungen folgt, dass derjenige, der sich religionsfeindlich äußert, sich regelmäßig auf grundrechtliche Gewährleistungen berufen kann. Zunächst ist ihm der Schutzbereich der Meinungsfreiheit eröffnet, sofern sich seine Kritik oder Beschimpfung nicht in bewusst oder evident unwahren Tatsachenbehauptungen manifestiert. Bedient sich der Kritiker künstlerischer Ausdrucksformen, wie etwa Zeichnungen, Filmen, Theateraufführungen oder auch der Satire im literaturwissenschaftlichen Sinne, ist die (vorrangige) Kunstfreiheit einschlägig. Wer die Behauptungen und Aussagen eines Dritten publiziert, ohne sie sich 134 Hoffmann-Riem, Kommunikationsfreiheiten Rn. 142; Schemmer, in: Epping/Hillgruber Art. 5 Rn. 56. 135 BVerfGE 113, 63, 76 – Junge Freiheit; Schemmer, in: Epping/Hillgruber Art. 5 Rn. 56. 136 BVerfGE 85, 1, 11 ff. – Bayer-Aktionäre. 137 JöR 1 (1951), 80; BVerfGE 85, 1, 12 – Bayer-Aktionäre. 138 BVerfGE 86, 122, 127 f. – Schülerzeitung; Degenhart, in: BK-GG Art. 5 Abs. 1 und 2 Rn. 31 f.; Schemmer, in: Epping/Hillgruber Art. 5 Rn. 56. 139 Degenhart, in: BK-GG Art. 5 Abs. 1 und 2 Rn. 32. 140 BVerfGE 102, 347, 359 – Schockwerbung I.
B. Durch die Beschimpfung betroffene Interessen
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zu eigen zu machen, kann sich schließlich auf die (jeweils einschlägige Form der) Medienfreiheiten aus Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG berufen. In besonderen Konstellationen können zudem weitere Grundrechte betroffen sein. So kann sich etwa der Unternehmer auf die Berufsfreiheit aus Art. 12 GG berufen, wenn er bei provokanten Werbekampagnen möglicherweise religiöse Überzeugungen verächtlich macht oder durch den Schmutz zieht. Zudem kann bei religionskritischen Äußerungen in (insbesondere historischen) Veröffentlichungen die in Art. 5 Abs. 3 S. 1, 2. Alt. GG Wissenschaftsfreiheit einzubeziehen sein.
B. Durch die Beschimpfung betroffene Interessen Aber auch in Bezug auf die den Religionsbeschimpfungen entgegenstehenden Interessen bestehen verfassungsrechtliche Vorgaben. Zwar ist höchst umstritten, inwiefern die im Strafrecht herrschende Rechtsgutstheorie auch auf systemkritischer Ebene zur Legitimität eines Tatbestands den Schutz eines bestimmten Rechtsguts voraussetzt.141 Zu dieser komplexen und weitreichenden Fragestellung soll aber vorliegend nicht Stellung genommen werden. Denn aus dem Vorgehenden folgt, dass eine strafrechtliche Beschränkung der Zulässigkeit religionsfeindlicher Äußerungen regelmäßig einen Eingriff in grundrechtlich geschützte Positionen bedeutet. Zur verfassungsrechtlichen Legitimierung von Eingriffen in die Meinungs- und Kunstfreiheit ist – wie bereits herausgearbeitet wurde – erforderlich, dass sie einem hochrangigen Rechtsgut bzw. gar einem Gut von Verfassungsrang dienen. Daher ist unabhängig von der Frage nach der Erforderlichkeit eines systemkritischen Rechtsguts zu ermitteln, welche Interessen und Rechtsgüter demjenigen entgegenstehen, der sich feindselig gegenüber einer Religion, den Religionsanhängern oder den Glaubensinhalten äußert. Diese Interessen, die durch das strafrechtliche Verbot geschützt werden können, sind daraufhin zu untersuchen, ob sie den Anforderungen des Art. 5 Abs. 2 bzw. Abs. 3 GG genügen.
I. Schutz religiöser Glaubensinhalte Verbote religionskritischer Äußerungen wollen verhindern, dass die Lehren und Grundaussagen einer Religion „in den Dreck“ gezogen werden. Daraus könnte sich ableiten lassen, dass derartige Strafnormen dem Schutz der Inhalte des religiösen Bekenntnisses selbst dienen. Jedoch ist seit der Aufklärung anerkannt, dass der 141
Für einen systemtranszendenten Rechtsgutsbegriff s. Hassemer, Theorie und Soziologie des Verbrechens, S. 20 ff.; Hassemer/Neumann, in: NK-StGB Vor § 1 Rn. 110 ff.; Hefendehl, Kollektive Rechtsgüter, S. 24; Rudolphi, in: FS Honig, S. 151, 160 f.; für den systemimmanenten Rechtsgutsbegriff s. Eisele, in: Schönke/Schröder Vor §§ 13 ff. Rn. 9 ff.; Walter, in: LKStGB Vor §§ 13 ff. Rn. 9 ff.
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2. Kap.: Verfassungsrechtliche Vorgaben
Schutz einer Gottheit um seiner selbst willen nicht Ziel einer strafrechtlichen Norm sein kann.142 Das kann schon damit begründet werden, dass Gott eines menschlichen Schutzes nicht bedürfe.143 Vor allem aber ist ein strafrechtlicher Schutz eines metaphysischen Guts in einem säkularen Staat nicht denkbar.144 „Gott ist kein Grundrechtsträger und seine Ehre kein Rechtsgut.“145 Auch aus dem Neutralitätsgebot des Staates, das das Bundesverfassungsgericht aus Art. 4 Abs. 1, 3 Abs. 3 und 33 Abs. 3 GG sowie Art. 140 GG i.V. mit Art. 136 Abs. 1 und 4, 137 Abs. 1 WRV ableitet146, ergibt sich, dass ausschließlich weltliche Schutzgüter durch die Rechtsordnung geschützt werden dürfen.147
II. Schutz öffentlicher Interessen und Allgemeingüter 1. Religion als gesellschaftliches Gut Nachdem sich während der Aufklärung das Verständnis durchgesetzt hatte, dass religiöse Inhalte nicht um ihrer selbst willen schutzwürdig sind, erhielt die sogenannte Religionsschutztheorie immensen Zulauf. Diese verweist auf den Schutz der Religion im Hinblick auf ihre soziale Rolle in der Gesellschaft.148 Auch der säkulare Staat erkennt die Wirkung der Religion auf Gesellschaft und Gemeinwohl und fördert sie. Einen strafrechtlichen Schutz gegen Eingriffe von privater Seite rechtfertigt das jedoch nicht, da sich die Religion „im offenen Diskurs und im gesellschaftlichen Wettbewerb der Sinnangebote auf der Basis allgemeiner grundrechtlicher Freiheit selbst behaupten“149 muss. Zudem liegt der Religionsschutztheorie die Annahme zugrunde, dass Religion notwendigerweise eine positive Wirkung auf das zwischenmenschliche Zusam142
s. oben 1. Kapitel B. I. 1. Worms, Bekenntnisbeschimpfung, S. 112, s. schon Feuerbach, Lehrbuch des gemeinen in Deutschland gültigen peinlichen Rechts, S. 488. 144 Hassemer, Religionsdelikte, in: Christentum und modernes Recht, S. 232, 243; Hörnle, Grob anstößiges Verhalten, S. 340 f.; Mückl, Schutz staatlicher Ehre in Deutschland, in: Schutz staatlicher Ehre, S. 9, 27; Worms, Bekenntnisbeschimpfung, S. 113 f. 145 Isensee, Blasphemie, in: Religionsbeschimpfung, S. 105, 116; ders., AfP 2013, 189, 193; ebenso Rox, JZ 2013, 30. 146 BVerfGE 19, 206, 216 – Kirchensteuer; s. dazu im Folgenden in diesem Kapitel B. III. 3. a). 147 Unklar hier Hardwig, GA 1962, 257, 264 f., der das Heilige als vom Staat anerkannten Wert beschreibt, der als Schutzgut von Strafnormen in Betracht kommt. Der Verhinderung von Empörung in der Gesellschaft komme nur mittelbare Bedeutung zu. 148 So noch bis weit ins 19. Jahrhundert vertreten von Hepp, Neues Archiv des Criminalrechts 14 (1833/34), 332, 342; Wahlberg, Allgemeine Deutsche Strafrechtszeitung 1861, 273, 275; v. Preuschen, Archiv des Criminalrechts 1841, 292, 300; Wächter, Lehrbuch des RömischTeutschen Strafrechts, S. 541; zuletzt noch Hardwig, GA 1962, 257, 262 ff. 149 Isensee, AfP 2013, 189, 194; ders., Staatliche Verantwortung, in: Meinungsäußerungsfreiheit versus Religionsfreiheit, S. 37, 54. 143
B. Durch die Beschimpfung betroffene Interessen
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menleben in der Gesellschaft ausübt. Angesichts der Religionsgeschichte aber auch gegenwärtiger Entwicklungen dürfte diese differenzierungslose These allerdings auf einer „gewaltigen Simplifizierung der Religionsgeschichte und auf einer naiven Sicht der Rolle von Religionen in den Großkonflikten der Gegenwart“150 beruhen. Darüber hinaus impliziert eine solche Deutung, dass nichtreligiöse Weltanschauungen eine solche soziale Wirkung gerade nicht entfalten. Denn würde jedes Bekenntnis gleichermaßen hoch angesehen, wäre es kein Verlust für die Gesellschaft, wenn eines zu Lasten eines anderen geschwächt würde.151 Gerade eine solche Bevorzugung bestimmter Bekenntnisse widerspricht dem Gebot der Neutralität, das der Staat in religiösen und weltanschaulichen Fragen einzuhalten hat.152 Schließlich spricht gegen eine solche Sichtweise, dass ein Verbot der Religionsbeschimpfung nicht zu Stärkung der Religiosität führt, da sich gezeigt hat, dass der Glaube durch Beschimpfung eher bestärkt als geschwächt wird.153 Im deutschen Strafrecht lässt sich also auch ein Schutz der Religion in ihrer sozialen Funktion nicht rechtfertigen. So geht auch heute die allgemeine Ansicht davon aus, dass die „Religionsdelikte“ des deutschen Strafrechts weder die Religion selbst noch ihre speziellen Inhalte schützen.154 2. Schutz des öffentlichen Friedens Zur Rechtfertigung meinungsfreiheitsbeschränkender Straftatbestände wird häufig der öffentliche Friede als Schutzgut herangezogen. So verlangen sowohl § 130 Abs. 1 als auch § 166 Abs. 1 und 2 StGB, dass die Tathandlung „geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören“. Hierfür spricht auch die historische Auslegung. Denn es ist den Gesetzesmaterialien zu entnehmen, dass der Gesetzgeber zumindest im Sinne eines systemimmanenten Rechtsgutsbegriffs den öffentlichen Frieden als von beiden Normen geschütztes Rechtsgut ansieht.155 In der Kommentarliteratur wird dieser Ansatz größtenteils übernommen.156 In den letzten Jahren wurde der 150
Wils, Gotteslästerung, S. 195 f. Ähnlich Hüttemann, Gotteslästerung, S. 13; vgl. auch Eser, Schutz von Religionen, in: Hdb StaatskirchenR, S. 1019, 1026. 152 So auch BT-Drucks. 14/4558, S. 4; vgl. auch Cornils, AfP 2013, 199, 205. Zur Gleichbehandlung der Bekenntnisse als wesentliches Grundprinzip des säkularen Staats und des Neutralitätsgebots, s. unten in diesem Kapitel B. III. 3. a). 153 Glaser, ZStW 33 (1912), 825, 827 f.; Kohlrausch, Beschimpfung von Religionsgesellschaften, S. 92; Pawlik, in: FS Küper, S. 411, 416; ders., Strafrechtlicher Schutz, in: Religionsbeschimpfung, S. 31, 40. 154 s. etwa OLG Köln, NJW 1982, 657, 658; OLG Karlsruhe, NStZ 1986, 363, 364; Hörnle, Grob anstößiges Verhalten, S. 340 f. 155 Zu § 130 Abs. 1 StGB s. BT-Drucks. 3/1746 S. 4; zu § 166 StGB s. Erster Schriftlicher Bericht des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform, BT-Drucks. 5/4094, S. 29. 156 Zu § 166 StGB: Dippel, in: LK-StGB § 166 Rn. 6; Lackner/Kühl, § 166 Rn. 1; Lenckner/Bosch, in: Schönke/Schröder Vor §§ 166 ff. Rn. 2; Rudolphi/Rogall, in: SK-StGB Vor § 166 Rn. 2, 4; zu § 130 StGB (insb. zu Abs. 1): Krauß, in: LK-StGB § 130 Rn. 2; Lackner/Kühl, 151
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2. Kap.: Verfassungsrechtliche Vorgaben
öffentliche Friede als Schutzgut jedoch mehr und mehr in Frage gestellt.157 Das liegt nicht zuletzt an dem Definitionsproblem des Merkmals. Denn obwohl eine Reihe von Gerichten und Autoren ohne tiefgreifende Argumentation auf die Störung des öffentlichen Friedens zurückgreifen,158 ergibt sich kein einheitliches Bild dieses Schutzguts. Darüber hinaus ist problematisch, ob eine der Interpretationsmöglichkeiten geeignet erscheint, einen Eingriff in die Grundrechte des Handelnden, insbesondere in seine Meinungs- und Kunstfreiheit zu rechtfertigen. Der erste Versuch einer Definition erfolgte durch das Reichsgericht, das den öffentlichen Frieden mit einem „Zustande des beruhigenden Bewusstseins der Staatsangehörigen, in ihren durch die Rechtsordnung gewährleisteten berechtigten Interessen geschützt zu sein und zu bleiben“,159 gleichsetzte und hiermit zunächst einen subjektiven Friedensbegriff verfolgte. Nur wenig später ergänzte es diesen um eine objektive Komponente, nämlich das „befriedete Zusammenleben der Volksgenossen innerhalb derselben rechtlich geschützten staatlichen Ordnung“160. In Literatur und Rechtsprechung wird zum Teil auch an den Schutz des „psychischen Klimas“161 oder eines „toleranten Klimas“162 angeknüpft. Im Folgenden sollen verschiedene Definitionsansätze und ihre Legitimität als Motiv des Eingriffs in Meinungs- und Kunstfreiheit untersucht werden. a) Öffentlicher Friede als (objektive und subjektive) „Rechtssicherheit“ In Anlehnung an das Reichsgericht wird der öffentliche Friede häufig in Form eines dualistischen Friedensbegriffs als Zustand allgemeiner Rechtssicherheit sowie das durch das Vertrauen in diesen begründete Gefühl der Sicherheit in der Bevölkerung163 beschrieben. Schon die Anknüpfung an den Begriff der Rechtssicherheit ist § 130 Rn. 1; Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder § 130 Rn. 1a; Schäfer, in: MK-StGB § 130 Rn. 2. 157 Fischer, Öffentlicher Friede und Gedankenäußerung; ders., NStZ 1988, 159 ff.; ders., GA 1989, 445, 450 ff.; Hörnle, Grob anstößiges Verhalten, S. 90 ff.; Junge, Schutzgut des § 130 StGB, S. 26 ff.; 49 f.; Schroeder, Straftaten gegen das Strafrecht, S. 12; Stegbauer, Rechtsextremistische Propaganda, S. 167 ff.; Stratenwerth, in: FS Lenckner, S. 377, 386; Streng, in: FS Lackner, S. 501, 510. 158 Zur Rechtsprechung s. etwa OLG Braunschweig, NJW 1978, 2044, 2046 zu § 140 StGB: „Dass die Billigung der Ermordung Bubacks zu einer Friedensstörung in dem genannten Sinne geeignet ist, bedarf nach den in letzter Zeit mit Terroristen gemachten Erfahrungen keiner weiteren Begründung.“ 159 RGSt 15, 116, 117. 160 RGSt 18, 314, 316. 161 So z. B. BGHSt 34, 329, 331; BGH, NJW 1978, 58, 59; Krauß, in: LK-StGB § 130 Rn. 3; Rudolphi, ZRP 1979, 214, 220. 162 Z. B. Lenckner/Bosch, in: Schönke/Schröder Vor §§ 166 ff. Rn. 2; ähnlich auch Dippel, in: LK-StGB § 166 Rn. 8. 163 OLG Celle, NJW 1970, 2257; OLG Hamburg, NJW 1975, 1088; OLG Nürnberg, NStZRR 1999, 238, 240; Grimm, in: Juristische Studiengesellschaft Karlsruhe, Jahresband 2007,
B. Durch die Beschimpfung betroffene Interessen
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hier verfehlt. Unter Rechtssicherheit wird im Allgemeinen die Verlässlichkeit der staatlichen Rechtsordnung als Element des Rechtsstaatsprinzips verstanden.164 Es geht also um die Klarheit und Bestimmtheit des Rechts sowie um den Schutz des Vertrauens der Bürger in den Bestand staatlicher (administrativer, legislativer oder gerichtlicher) Entscheidungen.165 Ein solches Verständnis der Rechtssicherheit scheint der Definition des öffentlichen Friedens aber nicht zugrunde zu liegen. Gemeint ist eher ein Zustand der Einhaltung des Rechts durch die Bevölkerung, vergleichbar mit der öffentlichen Sicherheit im Polizeirecht.166 Hinzu kommt, dass zwischen den beiden Elementen der Definition zu unterscheiden ist; schon ihre Verbindung zu einem einheitlichen Schutzgut ruft Bedenken hervor.167 So ist zweifelhaft, ob ein Rechtsgut gleichzeitig einen Zustand und das subjektive Bewusstsein darüber beinhalten kann. Beide Aspekte sind weder identisch noch stehen sie sich spiegelbildlich gegenüber,168 sie müssen somit separat betrachtet werden. Der objektive Gesichtspunkt des öffentlichen Friedens als Zustand allgemeiner „Rechtssicherheit“ erscheint auf den ersten Blick als schutzwürdiges Interesse der Allgemeinheit. Hinter der wohlklingenden Formulierung steckt aber eine simple Aussage: Öffentlicher Friede herrscht, wenn keine Rechtsnormen gebrochen werden.169 Dann deckt sich aber der Inhalt des Schutzguts „öffentlicher Frieden“ mit der Summe aller vom Strafrecht geschützter Rechtsgüter.170 Die Rechtsordnung würde somit (mit den betroffenen Normen) allein sich selbst schützen. Wenn aber das Schutzgut einer Norm allein das Unterbleiben von Straftaten ist, hat sie keinen eiS. 21, 33; Krauß, in: LK-StGB § 126 Rn. 1; Lackner/Kühl, § 126 Rn. 1; Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder § 126 Rn. 1; Schäfer, in: MK-StGB § 126 Rn. 1. 164 BVerfGE 24, 75, 98; ähnlich auch BVerfGE 101, 239, 262 – Stichtagsregelung; 109, 133, 180 – Sicherungsverwahrung; Grzeszick, in: Maunz/Dürig Art. 20 VII Rn. 50. 165 Grzeszick, in: Maunz/Dürig Art. 20 VII Rn. 50 ff. 166 Die öffentliche Sicherheit wird vorliegend als die Unverletztlichkeit der objektiven Rechtsordnung, der subjektiven Rechte und Rechtsgüter des Einzelnen sowie der Einrichtungen und Veranstaltungen des Staates und sonstiger Träger der Hoheitsgewalt verstanden, s. Depenheuer, in: Maunz/Dürig Art. 8 Rn. 154. Beide Begriffe gleich setzen auch Fischer, NStZ 1988, 159, 163; Hörnle, Grob anstößiges Verhalten, S. 92; anders Binding, Normen und ihre Übertretung I, S. 352; ebenso trotz ähnlicher Definitionen Stein/Rudolphi, in: SK-StGB § 125 Rn. 12, § 130 Rn. 9; weiterführend zum Verhältnis zwischen öffentlichem Frieden und öffentlicher Sicherheit, s. Fischer, Öffentlicher Friede und Gedankenäußerung, S. 424 ff. 167 Binding, Normen und ihre Übertretung I, S. 352; Fischer, Öffentlicher Friede und Gedankenäußerung, S. 522 f., 529; ders. NStZ 1988, 159, 161; Hörnle, Grob anstößiges Verhalten, S. 92. 168 Fischer, NStZ 1988, 159, 161. 169 Fischer, Öffentlicher Friede und Gedankenäußerung, S. 529; ders., NStZ 1988, 159, 161; Hörnle, Grob anstößiges Verhalten, S. 93; Junge, Schutzgut des § 130 StGB, S. 35 ff. 170 Schroeder, Straftaten gegen das Strafrecht, S. 12; ebenso Fischer, Öffentlicher Friede und Gedankenäußerung, S. 530; Hörnle, Grob anstößiges Verhalten, S. 94; Junge, Schutzgut des § 130 StGB, S. 49, Renzikowski, in: GS Meurer, S. 179, 187.
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2. Kap.: Verfassungsrechtliche Vorgaben
genständigen Bedeutungsgehalt.171 Die Erhaltung des Rechtsfriedens in diesem Sinn ist – zumindest mittelbar – Zweck jeder strafrechtlichen Norm.172 Im Sinne eines fragmentarischen Strafrechts, das einen Rückgriff auf strafrechtliche Sanktionen nur als ultima ratio zulässt,173 kann allein die Wahrung der allgemeinen „Rechtssicherheit“ eine solche Norm nicht rechtfertigen.174 Zudem könnten Tatbestände, die eine Eignung zur Störung des öffentlichen Frieden voraussetzen, nur dann erfüllt sein, wenn das Verhalten bereits durch eine andere strafrechtliche Norm geahndet wird.175 Umgekehrt ausgedrückt erweist sich ein solches Schutzgut bei diesen Normen als zirkelschlüssig: „Der öffentliche Frieden soll nur durch eine Unrechtstat gestört werden können, die gerade deshalb unrecht sei, weil sie den Frieden öffentlich störe“.176 So läuft die objektive Komponente dieses Friedensbegriffes als Schutzgut von Straftatbeständen ins Leere. Die subjektive Komponente des öffentlichen Friedens wird von der herrschenden Meinung als das im Vertrauen der Bevölkerung in die Fortdauer des Zustands allgemeiner „Rechtssicherheit“ begründete Sicherheitsgefühl beschrieben.177 Der Vorteil dieser Interpretation liegt darin, dass sie im Gegensatz zur objektiven Komponente zumindest einen eigenen Bedeutungsgehalt hat: Das Entstehen von Bedrohungsgefühlen ist nämlich nicht deckungsgleich mit der tatsächlichen Störung der Rechtsordnung, insbesondere kann die Störung von Vertrauen schon im Vorfeld von eigentlichen Rechtsverletzungen liegen.178 Anders als der bloß objektive Rechtsfriede schützt dieser subjektive Aspekt also zumindest einen eigenen Wert. Allerdings birgt die subjektive Definition eigene Probleme. Zunächst stellt sich die Frage, welchen eigenen Inhalt ein solches „öffentliches Bewusstsein“ überhaupt haben kann. Es gibt gerade kein einheitliches Bewusstsein aller Bürger oder auch nur aller Religionsanhänger. Das Subjektive eines Gefühls, Bewusstseins oder einer Empfindung kann nicht überindividuell bestimmt werden; 171 Hörnle, Grob anstößiges Verhalten, S. 93; vgl. auch Hassemer, Theorie und Soziologie, S. 59; v. Hirsch, GA 2002, 2, 12; Renzikowski, in: GS Meurer, S. 179, 187; Schroeder, Straftaten gegen das Strafrecht, S. 12. 172 Junge, Schutzgut des § 130 StGB, S. 49; Ostendorf, in: NK-StGB § 130 Rn. 5; Würtenberger, in: FS Peters, S. 209, 214. 173 Zum fragmentarischen Charakter des Strafrechts s. Hefendehl, JA 2011, 401; Kertai, JuS 2011, 976, 980; Vormbaum, ZStW 123 (2011), 661; Zaczyk, ZStW 123 (2011), 691; dazu, dass der Gesetzgeber zur Verabschiedung eines strafrechtlichen Verbots nur als ultima ratio verpflichtet sein kann, s. BVerfGE 39, 1, 47 – Schwangerschaftsabbruch I. 174 Junge, Schutzgut des § 130 StGB, S. 49; Stegbauer, NStZ 2000, 281, 283. 175 Fischer, NStZ 1988, 159, 161 f. 176 Stübinger, in: NK-StGB § 166 Rn. 2; vgl. auch Stratenwerth, in: FS Lenckner, S. 377, 386, für den der öffentliche Friede ein rein sekundäres Phänomen darstellt, das die Frage, warum ein Verhalten friedensstörend und damit strafwürdig ist, gerade nicht beantworten kann. 177 BGHSt 34, 329, 331; 16, 49, 56; 29, 26, 27; Foerstner, Kollektivbeleidigung, S. 163; s. auch die Nachweise im 3. Kapitel Fn. 163. 178 Hörnle, Grob anstößiges Verhalten, S. 101 f.
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daher kann auch das öffentliche Vertrauen nicht mehr sein, als die Summe subjektiver Empfindungen einer Mehrzahl von Individuen.179 Der Schutz von subjektiven Befindlichkeiten eines Einzelnen wird allerdings allgemein abgelehnt180 und eine Erklärung dafür, dass die Gefühle mehrerer zusammen genommen als Schutzgut ausreichen sollen, ist nicht ersichtlich. Daneben bereitet eine rein subjektive Auslegung Probleme bei der praktischen Anwendung der betroffenen Tatbestände.181 Denn weder der Zustand noch die Störung des Vertrauens der Bevölkerung ist praktisch messbar.182 Wird die Eignung zur Störung allein aus dem Vorliegen einer Beschimpfung bzw. einer Aufstachelung zum Hass selbst geschlossen, läuft das Kriterium leer. Im Strafverfahren fehlen Zeit und Möglichkeiten, empirisch das Hervorrufen eines Bedrohungsgefühls in der Bevölkerung tatsächlich zu ermitteln.183 Zudem mangelt es an Grenzwerten, wann das Vertrauen so weit gesunken ist, dass eine Störung vorliegt.184 Die Schwierigkeit der Feststellung einer Friedensstörung wird auch nicht dadurch beseitigt, dass der Wortlaut lediglich eine Eignung verlangt, den öffentlichen Frieden zu stören, und keine tatsächliche Störung. Denn bevor die Eignung festgestellt wird, muss notwendigerweise definiert werden, wozu eine Handlung geeignet sein soll; anders ausgedrückt, wann eine Störung des öffentlichen Friedens vorliegt.185 Deshalb kann die Vertrauensstörung nur rein normativ verstanden werden.186 Es darf also bei der Prüfung des Merkmals der Eignung zur Störung des öffentlichen Friedens im Ergebnis nur erörtert werden, ob das Verhalten gegen das verstößt, „was alle wollen sollen“.187 Letztlich führt dieses Verständnis zur Integrierung von Strafwürdigkeits- und Zweckmäßigkeitselementen in den Tatbestand.188 Als Schutzgut eignet es sich deshalb nicht. Denn die Strafwürdigkeit eines Verhaltens 179 Fischer, GA 1989, 445, 451 f.; Hörnle, Schutz von Gefühlen, in: Rechtsgutstheorie, S. 268, 271; dagegen Wehinger, Kollektivbeleidigung, S. 81 ff., der auf ein objektiv zu verstehendes harmonisches Zusammenleben zwischen den Menschen abstellt. 180 s. dazu unten in diesem Kapitel B. III. 3. c). 181 Näher zur praktischen Anwendung s. 3. Kapitel B. I. 1. b) cc). 182 Hörnle, Grob anstößiges Verhalten, S. 102; dies., in: MK-StGB § 166 Rn. 23; Hoyer, Eignungsdelikte, S. 137; Streng, in: FS Lackner, S. 501, 515. 183 Geilen, NJW 1976, 279, 280; Streng, in: FS Lackner, S. 501, 514 f.; s. auch Rudolphi, ZRP 1979, 214, 221 zu § 140 StGB. 184 Hörnle, Grob anstößiges Verhalten, S. 102; Streng, in: FS Lackner, S. 501, 515. 185 Fischer, NStZ 1988, 159, 163; Hörnle, Grob anstößiges Verhalten, S. 103. 186 Fischer, Öffentlicher Friede und Gedankenäußerung, S. 527 ff.; ders., NStZ 1988, 159, 163; ders., GA 1989, 445, 451 f.; s. auch Hörnle, Grob anstößiges Verhalten, S. 106; Rudolphi/ Rogall, in: SK-StGB § 166 Rn. 9; Stegbauer, JR 2003, 74, 75; ders., Rechtsextremistische Propaganda, S. 171; vgl. auch Enders, KuR 2007, 40, 49; Rudolphi/Rogall, in: SK-StGB Vor § 166 Rn. 9. 187 Fischer, Öffentlicher Friede und Gedankenäußerung, S. 530; ders., NStZ 1988, 159, 163; ders., GA 1989, 445, 451; Stegbauer, Rechtsextremistische Propaganda, S. 171. 188 Fischer, Öffentlicher Friede und Gedankenäußerung, S. 631; ders., NStZ 1988, 159, 163; Hörnle, in: MK-StGB § 166 Rn. 23.
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rechtfertigt für sich allein genommen jedoch keinen Grundrechtseingriff durch ein strafrechtliches Verbot. Sie ist kein schutzwürdiges Gut, sondern vielmehr der Maßstab, an dem die zu schützenden und beeinträchtigen Interessen gemessen werden sollen.189 Wird also der öffentliche Friede allein als „Rechtssicherheit“ verstanden, eignet er sich weder in seiner objektiven noch in seiner subjektiven Komponente zur Rechtfertigung von Einschränkungen der Kunst- und Meinungsfreiheit. Es ist auch nicht ersichtlich, wie aus der Kombination zweier für sich genommen ungeeigneter Komponenten ein eigenständiges, schützenswertes Interesse entstehen könnte. b) Schutz des „psychischen“ bzw. „toleranten Klimas“ Teilweise wird im öffentlichen Frieden mehr gesehen als die bloße Abwesenheit von Rechtsbrüchen. Bei der Schaffung des § 166 StGB stützte der Gesetzgeber die Vorschrift beispielsweise auf das Schutzgut des öffentlichen Friedens „in der Ausprägung, den er durch den Toleranzgedanken erfahren hat.“190 Es solle „die Art und Weise der Auseinandersetzung vor grobem Missbrauch geschützt und die Fairness im gebotenen Umfange gewährleistet werden“191. Diese Interpretationsansätze wurden von der Literatur teilweise auf das Merkmal des öffentlichen Friedens allgemein übertragen,192 teilweise wird mit vergleichbaren Ergebnissen das Toleranzgebot ohne Rückgriff auf den Begriff des öffentlichen Friedens als Schutzgut der Bekenntnisbeschimpfung angenommen.193 189
Fischer, NStZ 1988, 159, 163. BT-Drucks. V/4094, S. 29. 191 BT-Drucks. V/4094, S. 29; zustimmend Dippel, in: LK-StGB, § 166 Rn. 8: „Sein Schutz gilt aber auch jenem Maß an Toleranz, das in einer freiheitlich, pluralistischen Gesellschaft es dem Einzelnen ermöglicht, seinem Glauben oder seiner Weltanschauung zu leben, ohne befürchten zu müssen, deshalb diffamiert und ins Abseits gestellt zu werden“; ähnlich Lenckner/ Bosch, in: Schönke/Schröder Vorbem. §§ 166 ff. Rn. 2 sowie auch BVerwG, NJW 1999, 304. Anders hingegen das OLG Köln, NJW 1982, 657, 658: „Es ist nicht die Verletzung der Toleranzpflicht oder von Fairness und Anstand, die die Strafbarkeit begründet, sondern allein die Gefährdung des öffentlichen Friedens“, wobei offen bleibt, was der öffentliche Friede stattdessen beinhalten soll. 192 s. z.B. Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder § 126 Rn. 1: „Zu ihm gehört vielmehr auch ein Mindestmaß an Toleranz und ein öffentliches Klima, das nicht durch Unruhe, Unfrieden oder Unsicherheit gekennzeichnet ist (vgl. E 62 S. 462) und in dem nicht einzelne Bevölkerungsgruppen zum geistigen Freiwild und zu Parias der Gesellschaft gemacht oder sonst ausgegrenzt werden“; ähnlich auch Krauß, in: LK-StGB § 126 Rn. 1; Ott, NStZ1986, 365, 366. 193 Renzikowski, in: GS Meurer, S. 179, 187 f.; Lüderssen, in: FS Trechsel, S. 631, 633; krit. zum Toleranzgebot als Schutzgut Enders, KuR 2007, 40, 51: „Was an Toleranz wechselseitig geboten ist, ergibt sich erst aus der Summe aller gesetzmäßigen Umgangsregeln und Duldungspflichten, mit denen der Staat (…) die geistige Freiheit zu gewährleisten sucht, die nach modernem Verständnis ein wesensbestimmendes Element ziviler Ordnung darstellt.“ So im Ergebnis auch BT-Drucks. 14/4558, S. 4. 190
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In eine ähnliche Richtung gehen auch die Stimmen, die den Schutz eines „psychischen Klimas“ bezwecken wollen; etwa als ein sozialer Zustand, der „nicht durch allgemeine Unruhe, Unsicherheit, Angst und Schrecken in der Bevölkerung sowie durch Ausgrenzung und Diffamierung von Bevölkerungsgruppen vergiftet ist“.194 Ein so verstandener öffentlicher Friede stellt also nicht auf Toleranz im engeren Sinne ab, sondern schützt das „harmonische und einträchtige Zusammenleben der Menschen“.195 Ein Zustand des öffentlichen Friedens ist danach die Idealvorstellung des menschlichen Miteinanders, das schon durch unterschwellige Feindseligkeiten beeinträchtigt werden kann, ohne dass es tatsächlich zu einer Rechtsgutverletzung gekommen ist. So verstanden, enthält der öffentliche Friede also durchaus einen Inhalt, der über den bloßen Schutz der Rechtsordnung hinausgeht. Dass Religionsbeschimpfungen einen so verstandenen öffentlichen Frieden beeinträchtigen können, liegt auf der Hand. Wenn Inhalte, die anderen heilig sind, durch den Schmutz gezogen und verächtlich gemacht werden, ist dies gerade das Gegenteil einer toleranten, harmonischen Atmosphäre. Gerade die Tatsache, dass diese Interpretation so eindeutig auf das Verhalten zugeschnitten ist, weckt die ersten Zweifel: Soll hier tatsächlich ein besonderer Wert geschützt werden oder wird der Wert erst formuliert, damit ein Verhalten wie gewünscht bestraft werden kann? Problematisch ist an diesen Ansichten außerdem, dass sie letztlich im Rahmen des öffentlichen Friedens an eine Definition anknüpfen, die ein noch weiteres Feld beschreibt als der öffentliche Friede im Sinne eines Rechtsfriedens. Wenn aber die Abwesenheit von Rechtsbrüchen keine strafrechtlichen Verbote rechtfertigen kann, ist zweifelhaft, ob ein noch weitgehenderer Schutz eines toleranten oder psychischen Klimas dazu in der Lage ist. Zu fragen ist also, was genau dieses tolerante oder psychische Klima schützenswert macht. Zunächst könnte auf die Schaffung eines Klimas in der Bevölkerung abgestellt werden, durch das Einzelne oder Mehrere zu Rechtsbrüchen aufgehetzt werden, etwa zu aggressiven Übergriffe zwischen den Beteiligten.196 Allerdings ist insofern nicht das Klima als solches bedenklich, sondern erst die daraus resultierenden Risiken. Es handelt sich letztlich lediglich um eine Vorverlagerung des strafrechtlichen Schutzes
194 Krauß, in: LK-StGB § 130 Rn. 3; vgl. auch Römer, NJW 1971, 1735: „Unter öffentlichem Frieden ist der Frieden innerhalb der Bevölkerung zu verstehen, einschließlich des allgemeinen Friedensgefühls, das gestört wird, wenn in der Bevölkerung Unruhe, Streit oder gegenseitige Feindseligkeiten hervorgerufen werden“. 195 Wehinger, Kollektivbeleidigung, S. 83; ähnlich auch Lömker, Gefährliche Abwertung, S. 189 f., v. Bubnoff, in: LK-StGB § 125 Rn. 41 (11. Aufl.). Auch das BVerfG stellt in BVerfGE 124, 300, 335 – Wunsiedel, auf die „Aufrechterhaltung des friedlichen Miteinanders“ ab. 196 So etwa BGHSt 34, 329, 331: „wenn potentielle Täter durch Schaffung eines ,psychischen Klimas‘, in dem Taten wie die angedrohten begangen werden könnten, aufgehetzt werden“; BGH, NJW 1978, 58, 59: „durch Aufhetzung weiterer potentieller Täter, durch Schaffung eines ,psychischen Klimas‘, in dem gleichartige Untaten gedeihen“; vgl. auch Giehring, StV 1985, 30, 35; Rudolphi, ZRP 1979, 214, 220; Wandres, Strafbarkeit des Auschwitz-Leugnens, S. 222.
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von anerkannten Individualgütern wie Leben, Gesundheit, Freiheit und Eigentum.197 Durch ein strafrechtliches Verbot von Religionsbeschimpfungen soll also eine Aufhetzung sowohl der Gleichgesinnten des Beschimpfenden als auch auf der anderen Seite der Mitglieder der betroffenen Religionsgemeinschaft deshalb verhindert werden soll, weil dies zu gegeneinander gerichteten Straftaten führen kann, aus denen Gefahren für ihre Individualrechtsgüter entstehen können. Wie beispielsweise die Straßenkämpfen zwischen „pro NRW“ und Salafisten im Mai 2012 in NordrheinWestfalen zeigen,198 ist eine Gefährdung von Leib und Leben in solchen Religionsgefechten auch hierzulande nicht ausgeschlossen. Dass es sich dabei um Rechtsgüter handelt, deren Schutz auch durch das Strafrecht geschehen darf und soll, steht ebenfalls außer Frage. Inwieweit eine derart erhebliche Vorverlagerung der Strafbarkeit grundsätzlich verfassungsrechtlich zulässig ist, soll später noch untersucht werden.199 Diese Voraussetzungen der Vorverlagerung dürfen allerdings nicht umgangen werden, indem auf ein kollektives Rechtsgut abgestellt wird, das nur die Vorstufe des Individualrechtsgutsschutzes darstellt.200 Die Frage, ob Angriffe (und damit Individualrechtsverletzungen), die durch Beschimpfungen, Hassreden und ähnliches ausgelöst wurden, demjenigen strafrechtlich zuzurechnen sind, der eine Religion oder ihre Mitglieder beschimpft, kann nicht dadurch umgangen werden, dass ihm das daraus entstehende „Klima“ zugerechnet wird. Die Schaffung eines Kollektivrechtsguts des friedlichen Klimas nimmt den rechtsdogmatischen und -politischen Diskussionen, inwieweit eine Vorverlagerung der Strafbarkeit zulässig und gewünscht ist, jeden Raum, indem sie global die Zurechnung bejaht.201 Die Vermeidung der Gefahr der Verletzung von Individualrechtsgütern ist kein kollektives Rechtsgut, auf das zurückgegriffen werden könnte, wenn das eigentlich geschützte Individualrechtsgut noch nicht in Gefahr geraten ist. Auch neutrales und akzeptiertes Verhalten kann andere zu Straftaten motivieren. Indem auf das aufgehetzte Klima abgestellt wird, geht man der Frage aus dem Weg, unter welchen Voraussetzungen an das Vorverhalten angeknüpft werden darf. Der öffentliche Friede kann also auch in einer Interpretation, die allein auf das psychische Klima als Vorstufe zu drohenden Rechtsbrüchen abstellt, die Einschränkung der Meinungsund Kunstfreiheit durch strafrechtliche Verbote nicht rechtfertigen. 197
So auch Streng, in: FS Lackner, S. 501, 510. s. z.B. FAZ.net, 01. 05. 2012, http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/demonstration-insolingen-salafisten-attackieren-polizisten-11736688.html, und 05. 05. 2012, http://www.faz.net/ aktuell/politik/polizisten-verletzt-wieder-ausschreitungen-bei-aktionen-von-salafisten-und-is lam-gegnern-11741375.html (jeweils zuletzt abgerufen am 29. 05. 2017). 199 s. hierzu in diesem Kapitel B. III. 2. 200 Hörnle, Grob anstößiges Verhalten, S. 95 f.; Jacobi, Ziel des Rechtsgüterschutzes bei der Volks-verhetzung, S. 234; anders Jakobs, ZStW 97 (1985), 751, 774 ff., der „die Illegitimität der Krimina-lisierung von Vorfeldverhalten durch den Schutz vorverlagerter Rechtsgüter neutralisier(en)“ will; Wandres, Strafbarkeit des Auschwitz-Leugnens, S. 212 f., der ein originäres Rechtsgut für § 130 StGB herausarbeiten will, um sich nicht bzgl. der Rechtsgüter aus dem Kernstrafrecht „an den dogmatischen Folgeproblemen die Zähne auszubeißen“. 201 Hörnle, Grob anstößiges Verhalten, S. 95 f. 198
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Andererseits kann für den öffentlichen Frieden als Klimaschutz auch auf den wohl noch weiteren Bereich des toleranten Klimas bzw. harmonischen Zusammenlebens abgestellt werden.202 Strafrechtlich schützenswert ist der öffentliche Friede in dieser Auslegung nur dann, wenn dem toleranten Zusammenleben in der Gesellschaft über die Vermeidung von Straftaten hinaus ein eigener, schutzwürdiger Wert zukommt.203 Dass ein friedliches, tolerantes Miteinander zwischen den Staatsbürgern wünschensund erstrebenswert ist, dürfte allgemein anerkannt sein. Wenn ein solcher Zustand jedoch mit strafrechtlichen Mitteln erreicht werden soll, führt dies dazu, dass jegliche Provokation strafbar sein müsste. Dies widerspricht zum einem dem Subsidiaritätsprinzip im Strafrecht, nach dem ein strafrechtliches Verbot nur dann verfassungsgemäß ist, „wenn ein bestimmtes Verhalten über sein Verbotensein hinaus in besonderer Weise sozialschädlich und für das geordnete Zusammenleben der Menschen unerträglich, seine Verhinderung daher besonders dringlich ist“204, sowie gegen den fragmentarischen Charakters des Strafrechts. Das Strafrecht soll eben nicht allgemeines Mittel zur Lösung sämtlicher Gesellschaftsprobleme sein.205 Das Fehlen von Unstimmigkeiten kann nicht als ein so bedeutendes Gut erachtet werden, dass seine Beeinträchtigung als „in besonderer Weise sozialschädlich“ zu bezeichnen ist. Außerdem können negative Klimaveränderungen in der Gesellschaft praktisch nicht ausgeschlossen werden206 – und letztlich sollen sie es auch gar nicht.207 Unstimmigkeiten und Provokationen folgen zwingend aus der Pluralität unserer Gesellschaft und dem Bekenntnis des Grundgesetzes zur Autonomie. Pluralität ist nicht Makel, sondern Ideal.208 Wo die Grenze zwischen erlaubter autonomer Lebensgestaltung und strafrechtlich verbotener Beeinträchtigung zu ziehen ist, lässt sich nicht an Hand einer Wunschvorstellung vom rundum harmonischen Miteinander klären. Das Leben in einer intoleranten Gesellschaft mag unangenehm sein, abgesehen von daraus resultierenden Straftaten ist das tolerante Miteinander aber nicht ausreichend fassbar, um durch strafrechtliche Verbote geschützt zu werden. Auch das Bundesverfassungsgericht kommt aus diesen Gründen mittlerweile zu dem Ergebnis, dass strafrechtliche Beschränkungen der Meinungsfreiheit nicht auf bloße „Klimaver202
So wohl z. B. Römer, NJW 1971, 1735; Wehinger, Kollektivbeleidigung, S. 81 ff. Hörnle, Grob anstößiges Verhalten, S. 96 ff. 204 BVerfGE 88, 203, 258 – Schwangerschaftsabbruch II; ebenso BVerfGE 96, 245, 248 – Besonders schwerer Nachteil. 205 Krit. zur Vorverlagerung der Strafbarkeit durch sog. „Klimadelikte“ auch Hefendehl, Kollektive Rechtsgüter, S. 299 („würde wiederum der Schutz eines Klimas propagiert und auf diese Weise die Aufgabe des Strafrechts weit überinterpretiert“) sowie Schünemann, in: FS Schmitt, S. 117, 128 („denn dieser ,Klimaschutz-Gedanke‘ ist […] geradezu ein Paradebeispiel für ein völlig entfesseltes, geradezu polizeistaatliches Strafrecht“). 206 s. hierzu Junge, Schutzgut des § 130 StGB, S. 71 f., die das Beispiel des NATOKampfeinsatzes im Kosovo im Frühjahr 1999 als eine die Gemüter erregende Klimaveränderung beschreibt; s.a. Kargl, Jura 2001, 176, 180. 207 Hörnle, Grob anstößiges Verhalten, S. 99; ähnlich auch Stegbauer, NStZ 2000, 281, 283, der einem so verstandenen öffentlichen Frieden die Qualität als Rechtsgut abspricht. 208 Hörnle, Grob anstößiges Verhalten, S. 99; vgl. auch Montag, DRiZ 2007, 72. 203
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giftungen“ gestützt werden dürfen.209 Hinzu kommt, dass Toleranz nicht erzwungen werden kann: Unter allen Mitteln, der Intoleranz zu begegnen und Toleranz zu fördern, ist das Strafrecht mit Sicherheit das ungeeignetste.210 c) Zwischenergebnis Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass keine der gängigen Interpretationsmöglichkeiten des öffentlichen Friedens, geeignet erscheint, eine strafrechtliche Beschränkung von Grundrechten zu rechtfertigen. Schon die höchst unterschiedlichen Deutungen des Begriffs weisen darauf hin, dass er letztlich als Fassade dient, um dogmatische Schwierigkeiten wie die Zurechenbarkeit hervorgerufener Rechtsbrüche oder verfassungsrechtliche Grenzen wie das Neutralitätsgebot zu umgehen. Daraus folgt, dass keins der in Betracht kommenden Allgemeinrechtsgüter die Strafbarkeit einer Bekenntnisbeschimpfung oder generell der Religionsfeindlichkeit zu erklären vermag. Die Existenzberechtigung eines solchen Tatbestands hängt somit davon ab, ob sich eine überzeugende Deutung als Delikt gegen die Person formulieren lässt.211
III. Rechte des einzelnen Gläubigen Scheidet ein Schutz von Allgemeinrechtsgütern aus, bleibt nur der Rückgriff auf persönliche Rechtspositionen des Religionsanhängers. Sofern dieser durch die religionsfeindlichen Äußerungen in eigenen Grundrechten verletzt ist, können diese die Beschränkung der Meinungs- und Kunstfreiheit des Äußernden rechtfertigen. Da unterschiedliche individualrechtliche Positionen des Gläubigen in Betracht kommen, liegt der Schwerpunkt im Folgenden auf der Untersuchung, welches Indivi209 BVerfGE 124, 300, 334 – Wunsiedel: „Nicht tragfähig für die Rechtfertigung von Eingriffen in die Meinungsfreiheit ist ein Verständnis des öffentlichen Friedens, das auf den Schutz vor subjektiver Beunruhigung der Bürger durch die Konfrontation mit provokanten Meinungen und Ideologien oder auf die Wahrung von als grundlegend angesehenen sozialen oder ethischen Anschauungen zielt. Eine Beunruhigung, die die geistige Auseinandersetzung im Meinungskampf mit sich bringt und allein aus dem Inhalt der Ideen und deren gedanklichen Konsequenzen folgt, ist notwendige Kehrseite der Meinungsfreiheit und kann für deren Einschränkung kein legitimer Zweck sein. Die mögliche Konfrontation mit beunruhigenden Meinungen, auch wenn sie in ihrer gedanklichen Konsequenz gefährlich und selbst wenn sie auf eine prinzipielle Umwälzung der geltenden Ordnung gerichtet sind, gehört zum freiheitlichen Staat. Der Schutz vor einer Beeinträchtigung des ,allgemeinen Friedensgefühls‘ oder der ,Vergiftung des geistigen Klimas‘ sind ebenso wenig ein Eingriffsgrund wie der Schutz der Bevölkerung vor einer Kränkung ihres Rechtsbewusstseins durch totalitäre Ideologien oder eine offenkundig falsche Interpretation der Geschichte.“ 210 So schon Römer, NJW 1971, 1735, 1736; ähnlich Sternberg-Lieben, in: Schönke/ Schröder § 126 Rn. 1, nach dem ein einträchtiges Miteinander zumindest nicht erzwingbar ist. 211 Pawlik, in: FS Küper, S. 411, 419.
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dualrechtsgut durch religionsbeschimpfende Äußerungen überhaupt verletzt werden kann. 1. Menschenwürde In der deutschen Vorschrift zur Volksverhetzung findet sich in § 130 Abs. 1 Nr. 2 die Voraussetzung, dass durch die Beschimpfung, Verleumdung oder Verächtlichmachung die Menschenwürde des oder der Betroffenen angegriffen wird. Dies führt zu der Frage, ob möglicherweise die Menschenwürde der Gläubigen als Schutzgut für derartige Tatbestände in Betracht kommt. In Art. 1 Abs. 1 S. 1 schützt das Grundgesetz die Menschenwürde als unantastbares Gut, als tragendes Konstitutionsprinzip und obersten Verfassungswert.212 Die Menschenwürdegarantie beinhaltet – neben der Wertentscheidung der Verfassung gegen die Missachtung des Individuums im Totalitarismus213 – das Grundrecht214 jedes Einzelnen auf Achtung seiner Person. Schon auf Grund ihrer herausragenden Bedeutung eignet sie sich grundsätzlich als Schutzgut für strafrechtliche Tatbestände. Dies ergibt sich auch aus Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG, der bestimmt, dass der Staat die Menschenwürde der Individuen nicht nur zu achten, sondern auch aktiv zu schützen hat. Der Staat ist demnach nicht nur berechtigt, sondern sogar verpflichtet, Angriffe auf die Menschenwürde auch zwischen Privaten insbesondere durch den Erlass von Vorschriften zu verhindern.215 Sollte also in der Religionsbeschimpfung ein Angriff auf die Menschenwürde der Gläubigen liegen, wäre ein in diese Richtung gehendes Verbot nicht nur gerechtfertigt, sondern notwendig.216 Es ist daher im 212
BVerfGE 109, 279, 311 – Großer Lauschangriff; ähnlich auch BVerfGE 96, 375, 398 – Kind als Schaden; 102, 370, 389 – Zeugen Jehovas; 117, 71, 89 – Strafrestaussetzung; zust. Jarass/Pieroth, Art. 1 Rn. 2; Kunig, in: v. Münch/Kunig Art. 1, Rn. 4; s. auch Herdegen, in: Maunz/Dürig Art. 1 Abs. 1 Rn. 4. 213 Dreier, in: Dreier Art. 1 Rn. 41; Kunig, in: v. Münch/Kunig Art. 1, Rn. 6. 214 Die Grundrechtsqualität der Menschenwürde ist nach wie vor umstritten. Dafür BVerfGE 1, 332, 343; 12, 113, 123; 15, 283, 286; 109, 133, 149 ff. – Sicherungsverwahrung; grundlegend: Nipperdey, Die Würde des Menschen, in: Die Grundrechte II, S. 1, 12 ff.; ebenso Benda, in: Hdb VerfR § 6 Rn. 6 ff.; Herdegen, in: Maunz/Dürig Art. 1 Abs. 1 Rn. 29; Jarass/ Pieroth, Art. 1 Rn. 3; Kunig, in: v. Münch/Kunig Art. 1, Rn. 3; Robbers, in: Umbach/Clemens Art. 1 Rn. 33; Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck Art. 1 Rn. 28 ff.; Stern/Sachs/Dietlein, Staatsrecht VI/1 § 97 III 1; Zippelius, in: BK-GG Art. 1 Abs. 1 u. 2 Rn. 24 ff.; dagegen Dreier, in: Dreier Art. 1 Rn. 121 ff. („Menschenwürde ist Grundsatz, nicht Grundrecht“); Enders, Menschenwürde in der Verfassungsordnung, S. 110, 117 f.; Geddert-Steinacher, Menschenwürde als Verfassungsbegriff, S. 164 ff. Für die vorliegende Untersuchung wirkt sich der Streit jedoch im Ergebnis nicht aus, da die Menschenwürde auch bei Verneinung des Grundrechtscharakters grundsätzlich als Schutzgut für Straftatbestände herangezogen werden kann. 215 Jarass/Pieroth, Art. 1 Rn. 14. 216 Ob an ein solches Verbot jedoch strafrechtliche Folgen geknüpft werden müssten, ist auf Grund des erheblichen Spielraums des Gesetzgebers (Jarass/Pieroth, Art. 1 Rn. 14) fraglich, kann aber hier offen bleiben, da nur untersucht werden soll, ob ein strafrechtliches Verbot überhaupt zulässig ist.
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2. Kap.: Verfassungsrechtliche Vorgaben
Folgenden zu untersuchen, ob und inwieweit die Menschenwürde durch Religionsfeindlichkeit betroffen sein kann. Der Begriff der Menschenwürde ist trotz vielfältiger Definitionsversuche auch heute noch nicht zufriedenstellend bestimmt.217 Weitgehende Einigkeit besteht wohl nur dahingehend, dass der geschützte Bereich restriktiv auszulegen ist,218 da eine Beeinträchtigung der Menschenwürde anders als Eingriffe in (selbst nach dem Wortlaut nicht einschränkbare) Grundrechte keiner verfassungsmäßigen Rechtfertigung zugänglich ist.219 Das Bundesverfassungsgericht deutet die Menschenwürde unter Heranziehung der vielfach vertretenen aber ebenso oft kritisierten Objektformel220 als den sozialen Wert- und Achtungsanspruch des Einzelnen, der es verbietet, den Menschen zum bloßen Objekt des Staates zu machen oder ihn einer Behandlung auszusetzen, die seine Subjektqualität prinzipiell in Frage stellt.221 Insofern wird die Menschenwürde regelmäßig negativ, also vom Verletzungsvorgang aus, bestimmt.222 Zwar stellt dies richtigerweise keine Definition im engeren Sinne dar und birgt zudem das Risiko, bei Grenzfällen auf die Intuition angewiesen zu sein,223 aber es ermöglicht zumindest in konsentierten Fällen eine zuverlässige Abgrenzung.224 Von einem solchen einstimmig bewerteten Fall kann man wohl bei der Religionsbeschimpfung ausgehen. Solange ein Religionskritiker sich ausschließlich gegen religiöse Inhalte wendet, ohne dabei einen oder mehrere Gläubige persönlich anzugreifen, kann bei einem solchen Menschenwürdeverständnis nie eine Verletzung des höchsten Verfassungswertes gegeben sein. Das gilt auch dann, wenn sich der Gläubige so sehr mit den Inhalten seines Glaubens identifiziert, dass er sich in seiner Person beeinträchtigt fühlt. Denn selbst wenn seine Überzeugungen als falsch, gefährlich oder gar lächerlich dargestellt werden, wird dem Gläubigen in einer solchen Konstellation nicht jeglicher Achtungsanspruch als Person abgesprochen. Auch direkte Angriffe gegen den Religionsanhänger beeinträchtigen seine Menschenwürde regelmäßig nicht; nicht jede Herabwürdigung ist auch ein Verstoß 217 Dreier, in: Dreier Art. 1 Rn. 52; Herdegen, in: Maunz/Dürig Art.1 Abs.1 Rn. 33; Hofmann, AöR 118 (1993), 353, 356; Isensee, in: Hdb GrundR § 87 Rn. 45 ff., 161; Kunig, in: v. Münch/Kunig Art. 1 Rn. 18; Nettesheim, AöR 130 (2005), 71, 78. 218 Dreier, in: Dreier Art. 5 Rn. 43; Trute, in: Hdb StaatsR IV § 88 Rn. 31. 219 Dafür spricht schon der Wortlaut, die Menschenwürde sei „unantastbar“. Krit. zur „Trivialisierung und Inflationierung“, Dreier, in: Dreier Art. 1 Rn. 49 f. 220 Grundlegend: Dürig, AöR 81 (1956), 117, 127; Wintrich, FS Laforet, S. 227, 235 f.; zust. Kunig, in: v. Münch/Kunig Art. 1 Rn. 22 ff.; krit. Badura, JZ 1964, 337, 339 ff.; Hofmann, AöR 118 (1993), 353, 360; Kersten, Klonen von Menschen, S. 425 ff. 221 BVerfGE 27, 1, 6 – Mikrozensus; 28, 386, 391 – Freiheitsstrafe; 45, 187, 228 – Lebenslange Freiheitsstrafe; 50, 166, 175 – Ausweisung I; 57, 250, 275 – V-Mann; 87, 209, 228 – Tanz der Teufel; 109, 133, 149 – Sicherungsverwahrung; 115, 118, 153 – Luftsicherheitsgesetz; 117, 71, 89 – Strafrestaussetzung. 222 Kunig, in: v. Münch/Kunig Art. 1 Rn. 22; 223 Dederer, JöR 57 (2009), 89, 105 f.; Geddert-Steinacher, Menschenwürde als Verfassungsbegriff, S. 28 f.; Dreier, in: Dreier Art. 1 Rn. 53 f. 224 Dies gestehen der Objektformel selbst ihre Kritiker zu, s. Dreier, in: Dreier Art. 1 Rn. 55.
B. Durch die Beschimpfung betroffene Interessen
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gegen Art. 1 Abs. 1 GG. Die eng auszulegende Menschenwürdegarantie ist lediglich dann betroffen, wenn der Gläubige auf Grund seines Bekenntnisses derart persönlich herabgewürdigt wird, dass er in seinem grundlegenden Lebensrecht als gleichwertige Persönlichkeit in der Gemeinschaft verletzt wird.225 Das ist nur der Fall, wenn die in Rede stehende Aussage zum einen nicht die Religion an sich kritisiert, beleidigt oder verächtlich machen will, sondern den einzelnen Gläubigen selbst, und dies zum anderen in einer so grundlegenden Weise, dass letzterer nicht als gleichwertige Persönlichkeit in der Gesellschaft dargestellt wird. In diesen wenigen Konstellationen ist also ein Eingreifen des Staats nicht nur wegen Art. 1 Abs. 1 GG verfassungsmäßig möglich, sondern auf Grund der Schutzpflicht des Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG sogar geboten. Für den Regelfall der Religionsbeschimpfung hingegen eignet sich die Menschenwürde als Schutzgut nicht. 2. Vorverlagerung des Schutzes von gefährdeten Individualrechtsgütern Die jüngere Vergangenheit hat gezeigt, dass gewalttätige Ausschreitungen als Reaktionen auf religionsfeindliche Äußerungen nicht nur im Ausland,226 sondern auch in Deutschland227 nicht ausgeschlossen werden können. Diese drohen, Individualrechtsgüter wie Leib, Leben und Eigentum der Provokateure wie auch unbeteiligter Dritter zu beeinträchtigen. Dass diese Individualrechtsgüter schon auf Grund ihrer Verankerung in Art. 2 Abs. 2 S. 1 und Art. 14 GG geeignete Schranken der Meinungs- und Kunstfreiheit darstellen, steht außer Frage. Problematisch ist allerdings, dass die möglichen Rechtsgutsbeeinträchtigungen nicht unmittelbar aus der Äußerung heraus entstehen, sondern erst durch Reaktionen Dritter. Zwar wird sich auch insofern eine (psychisch vermittelte228) Kausalität annehmen lassen. Wie oben gesehen, darf dieses Problem der mittelbaren Verursachung nicht dadurch umgangen werden, dass auf die Beeinträchtigung eines vorgeschobenen Allgemeinrechtsguts namens „öffentlicher Friede“ abgestellt wird.229 Der Schutz eines 225 So zur Menschenwürde als Tatbestandsmerkmal des § 130 Abs. 1 Nr. 2 StGB: Krauß, in: LK-StGB § 130 Rn. 54. 226 Schipper, FAZ.net, 13. 09. 2012. 227 FAZ.net, 01. 05. 2012, http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/demonstration-in-solin gen-salafisten-attackieren-polizisten-11736688.html, und 05. 05. 2012, http://www.faz.net/aktu ell/politik/polizisten-verletzt-wieder-ausschreitungen-bei-aktionen-von-salafisten-und-islamgegnern-11741375.html (jeweils zuletzt abgerufen am 29. 05. 2017). 228 Die Figur der psychisch vermittelten Kausalität ist höchst umstritten, krit. insbesondere Puppe, in: NK-StGB Vor §§ 13 ff. Rn. 125 ff. Mangels hinreichender wissenschaftlicher Erkenntnisse über die Entstehung von Willensentschlüssen scheint eine strikte Anwendung der Äquivalenztheorie insofern problematisch, s. schon BGHSt 13, 13, 14 f.; BGH, JurionRS 1957, 13231 Rn. 22. Es wird sich aber bei gewalttätigen Reaktionen auf provozierende Äußerungen in der Regel zumindest ein Motivationszusammenhang feststellen lassen, der auf Grund der fehlenden Naturgesetze als ausreichend erachtet werden muss, vgl. Lackner/Kühl, Vor §§ 13 ff. Rn. 10 m.w.N. 229 s. oben in diesem Kapitel B. II. 2. a).
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2. Kap.: Verfassungsrechtliche Vorgaben
besonderen Klimas kann nur Zwischenziel bei der Bestrebung des Schutzes von Individualrechtsgütern sein.230 Auch das Bundesverfassungsgericht erkennt an, dass ein Schutz vor Äußerungen bezweckt werden soll, „die ihrem Inhalt nach erkennbar auf rechtsgutgefährdende Handlungen hin angelegt sind, das heißt den Übergang zu Aggression oder Rechtsbruch markieren“, und stellt insoweit – wenn auch durch eine Instrumentalisierung des öffentlichen Friedens – auf einen vorverlagerten Rechtsgüterschutz ab.231 Teilweise wird eine Vorverlagerung des Rechtsgüterschutzes generell kritisiert.232 Dies vermag allerdings in dieser Pauschalisierung nicht zu überzeugen. Auch Vorfeldkriminalisierung kann legitim sein, solange ein hinreichender Zusammenhang zwischen der inkriminierten Handlung und dem gefährdeten Rechtsgut besteht.233 Auf die vorliegend untersuchte Konstellation angewandt muss demnach schon der religionsfeindlichen Äußerung eine hinreichende Gefährlichkeit für Leib, Leben und Eigentum innewohnen. Die Gefahr für diese Individualrechtsgüter muss dem Äußernden also zurechenbar sein.234 Dass grundsätzlich nicht vorherbar ist, zu welcher Art der Rechtsgutsverletzung gefährliche Handlungen oder Situationen führen können – also ob bei gewalttätigen Ausschreitungen Verletzungen, Sachbeschädigungen oder auch Freiheitsberaubungen drohen –, steht der Annahme eines hinreichenden Zurechnungszusammenhangs nicht im Wege, da auch die Gefährdung mehrerer Rechtsgüter ausreichend ist, wenn Gewalttätigkeiten drohen.235 Zwar wurde lange verneint, dass religionsfeindliche Äußerungen in Deutschland überhaupt gewalttätige Ausschreitungen hervorrufen können,236 sodass eine derartige Schutzrichtung kategorisch auszuschließen war. Die Erfahrungen der letzten Jahre – insbesondere die Ausschreitungen bei Demonstrationen, in denen Karikaturen des Propheten Mohammed gezeigt wurden, aber andererseits auch die terroristischen Anschläge in Paris als Reaktion auf die Veröffentlichung islamkritischer Karikaturen durch das angegriffene Satiremagazin – dürften uns allerdings eines Besseren belehrt haben. 230 Altenhain, in: Matt/Renzikowski § 130 Rn. 3; s. dazu auch Junge, Schutzgut des § 130 StGB, S. 72 f, die auch die fehlende Strafwürdigkeit von Klimavergiftungen veranschaulicht. 231 BVerfGE 124, 300, 335 – Wunsiedel. 232 Hassemer, NStZ 1989, 553, 558; ders., ZRP 1992, 378, 381; Herzog, Gesellschaftliche Unsicherheit; Kaufmann, JZ 1963, 425, 432 f.; Beck, Unrechtsbegründung und Vorfeldkriminalisierung, S. 87; Stächelin, Strafgesetzgebung im Verfassungsstaat, S. 94 ff. 233 Hörnle, Grob anstößiges Verhalten, S. 179; s. insbesondere zu der Vorverlagerung bei Umweltdelikten Stratenwerth, ZStW 105 (1993), 679, 687. 234 Hörnle, Grob anstößiges Verhalten, S. 297. 235 Hörnle, Grob anstößiges Verhalten, S. 95; anders Wandres, Strafbarkeit des AuschwitzLeugnens, S. 211. 236 So noch Worms, Bekenntnisbeschimpfung, S. 106 ff.; heute wohl nur noch einschränkend Lenckner/Bosch, in: Schönke/Schröder Vor § 166 Rn. 2 („da die Gefahr von Religionskriegen (zumindest vorläufig) keine messbare Größe mehr sein dürfte“) oder nur für die Beschimpfung der christlichen Bekenntnisse, Hörnle, Grob anstößiges Verhalten, S. 344 f.; dies., in: MK-StGB § 166 Rn. 1.
B. Durch die Beschimpfung betroffene Interessen
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Problematisch ist jedoch, dass die befürchteten Rechtsgutsverletzungen unmittelbar nur von den Randalierenden ausgehen – und zwar entweder von den Gläubigen, die sich durch die Äußerung beleidigt fühlen (Zwei-Personen-Verhältnis), oder von denjenigen, die sich durch sie in ihrem Hass auf die Religionsanhänger bestätigt fühlen und zu Taten gegen die Religionsanhänger aufgestachelt werden (Drei-Personen-Verhältnis). An die Zurechnung eines Verhaltens Dritter sind jedoch wegen deren Eigenverantwortlichkeit besonders hohe Anforderungen zu stellen. Ein hinreichender Zurechnungszusammenhang ist dann zu bejahen, wenn im DreiPersonen-Verhältnis die Äußerung nach ihrem objektiven Sinngehalt auf das Hervorrufen von Straftaten Dritter abzielt und damit ein funktionaler Bezug zwischen der Äußerung und der späteren Rechtsgutsbeeinträchtigung hergestellt wird.237 Mit den Worten des Bundesverfassungsgerichts ist erforderlich, dass die Äußerungen „ihrem Inhalt nach erkennbar auf rechtsgutgefährdende Handlungen hin angelegt sind, das heißt den Übergang zu Aggression oder Rechtsbruch markieren.“238 Ist schon bei aufstachelnden Äußerungen ein hinreichender Zurechnungszusammenhang auf Grund der Eigenverantwortlichkeit der Empfänger problematisch,239 kann es dem Äußernden abstrakt religionsfeindlicher Thesen ohne direkte Aufhetzung nicht zugemutet werden, für sämtliche späteren Taten seiner Zuhörer einstehen zu müssen. Maßgeblich ist insoweit, ob er auf das normgemäße Verhalten Dritter vertrauen konnte.240 Kriterien zur Herausarbeitung des notwendigen Zusammenhangs sind dann der suggestive Gehalt der Äußerung und ihre Nähe zu den fraglichen Straftaten, die Erkennbarkeit der späteren deliktischen Handlungen sowie auch der Grad der Eigenverantwortlichkeit der Empfänger und deren erkennbare Tatgeneigtheit.241 Bei „bloß“ religionsfeindlichen Äußerungen ist jedoch ein solcher Zurechnungszusammenhang regelmäßig zu verneinen.242
237 Hörnle, Grob anstößiges Verhalten, S. 186 f.; vgl. Frisch, Zurechnung des Erfolgs, S. 337 ff.; ders., Rechtsgut, Recht, Deliktsstruktur, in: Rechtsgutstheorie, S. 215, 229; v. Hirsch/Wohlers, Rechtsgutstheorien und Deliktsstruktur, in: Rechtsgutstheorie, S. 196, 205; s. auch Körber, Rechtsradikale Propaganda im Internet, S. 87 (zu weite Vorverlagerung bei der Volksverhetzung). Auf der Grundlage dieser Argumentation ist letztlich der Schutzzweck des § 130 Abs. 1 Nr. 1 StGB zu bestimmen, s. hierzu unten 3. Kapitel B I. 1 a). Zum Problem des ausreichenden Zurechnungszusammenhangs bei Klimadelikten, insbesondere bei der Belohnung und Billigung von Straftaten schon Jakobs, ZStW 97 (1985), 751, 780 f. 238 BVerfGE 124, 300, 335 – Wunsiedel. 239 Vgl. Steinke, KJ 2008, 451, 456. Eine eindeutige Ablehnung einer solchen Gewaltverhinderung im Zwei-Personen-Verhältnis auch bei Fischer, NStZ 1988, 159, 164; Grimm, in: Juristische Studiengesellschaft Karlsruhe, Jahresband 2007, S. 21, 34; Ott, NStZ 1986, 365 („gravierendes Missverständnis“). s. dazu auch v. Hirsch/Wohlers, Rechtsgutstheorien und Deliktsstruktur, in: Rechtsgutstheorie, S. 196, 206 f. 240 Hörnle, Grob anstößiges Verhalten, S. 188. 241 Hörnle, Grob anstößiges Verhalten, S. 188 f. 242 Cornils, AfP 2013, 199, 203; Fischer, NStZ 1988, 159, 164; Grimm, in: Juristische Studiengesellschaft Karlsruhe, Jahresband 2007, S. 21, 34; Ott, NStZ 1986, 365; Steinke, KJ 2008, 451, 456.
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2. Kap.: Verfassungsrechtliche Vorgaben
Im Zwei-Personen-Verhältnis bestehen grundsätzlich identische Zurechnungsprobleme. Hinzu kommt bei einer Bedrohung des oder der Äußernden, dass die strafrechtliche Norm dann letztlich gewalttätigen Aufrührern oder rachedurstigen Terroristen zugutekäme.243 Dass dies verfassungsrechtlich nicht haltbar ist, ergibt sich schon daraus, dass deren Handlungen ihrerseits strafrechtlich missbilligt sind, selbst wenn sie auf einer Provokation beruhen. Besonders deutlich wird dies, wenn man sich die Situation des Attentats auf die Redaktion des Satiremagazins „Charlie Hebdo“ im Januar 2015 in Paris vor Augen hält: Es liegt auf der Hand, dass eine strafrechtliche Ahndung religionsfeindlicher Karikaturen nicht das richtige Mittel ist, um terroristische Attentate gegen ihre Zeichner zu verhindern.244 Letztere strafrechtlich für Anschläge eigenverantwortlich handelnder Fundamentalisten verantwortlich zu machen, widerspricht jeglichen Zurechnungskriterien und würde letztlich eine Selbstgefährdung kriminalisieren. Ein solcher Schutz des Täters vor den Folgen seiner eigenen Äußerungen wird allerdings zu Recht als paternalistisch kritisiert und ist im Hinblick auf die Selbstverantwortlichkeit des Täters nicht zu begründen.245 Greifen die Gläubigen, die durch eine Äußerung aufgehetzt wurden, nicht den Täter, sondern Dritte an, bestehen die gleichen Zurechnungsprobleme wie in den zuvor genannten Drei-Personen-Verhältnissen. Diese sind jedoch umso gravierender als der Täter mit seiner Aussage in der Regel mit seiner Äußerung keine Gewalt gegen seine Gleichgesinnten bezwecken wollte und somit nicht einmal ein subjektiver Zusammenhang festgestellt werden kann. Ein Verbot religionsfeindlicher Äußerungen, das sich auf den vorverlagerten Individualrechtsgüterschutz stützte, müsste demnach im Hinblick auf diese Kriterien hinreichend eng gefasst sein, um einen Zurechnungszusammenhang zu gewährleisten. Ein allgemeines Verbot trägt dieses Schutzgut daher nicht. 3. Religionsfreiheit Der Schutz vor religionsfeindlichen Äußerungen steht naturgemäß in einem engen Zusammenhang mit dem Grundrecht der Religionsfreiheit.246 Fraglich ist aber, ob das Grundrecht auch eine dahingehende strafrechtliche Beschränkung der Meinungs- und Kunstfreiheit rechtfertigen kann. Hierfür sollen zunächst die Gewährleistungen des Grundrechts dargestellt und anschließend darauf überprüft werden, ob sie auch bei religionsfeindlichen Äußerungen zwischen Privaten Geltung beanspruchen können.
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Steinke, KJ 2008, 451, 456. Vgl. dazu auch Hörnle, JZ 2015, 293, 294: „Hätte man Ste´phane Charbonnier im Jahr 2013 deshalb bestrafen sollen, weil ihn in der Zukunft Islamisten umbringen könnten?“. 245 Hörnle, Grob anstößiges Verhalten, S. 347; Rox, JZ 2013, 30. 246 So auch das BVerfG für den Tatbestand des § 166 StGB, s. BVerfG, NJW 1999, 304 – Maria-Syndrom. 244
B. Durch die Beschimpfung betroffene Interessen
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a) Verfassungsrechtliche Grundlagen der Religionsfreiheit In Deutschland bilden die in Art. 4 Abs. 1 GG normierte Freiheit des Glaubens und des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses247 und das in Art. 4 Abs. 2 GG verankerte Recht der ungestörten Religionsausübung ein einheitliches Grundrecht der Glaubens- oder Religionsfreiheit.248 Diese ist Ausprägung der Menschenwürde249 und steht in enger Beziehung zum Persönlichkeitsrecht.250 Daher genießt sie einen hohen Rang unter den Grundrechten,251 was auch durch ihre schrankenlose Gewährleistung deutlich wird. Geschützt wird neben dem religiösen auch das weltanschauliche Bekenntnis. Eine Definition und Abgrenzung der Bekenntnisse fällt naturgemäß schwer. Ähnlich wie bei der Kunstfreiheit,252 droht auf der einen Seite eine zu enge Begriffsbestimmung den Grundrechtsschutz unangemessen zu beschränken, während auf der anderen Seite eine zu weite Definition den grundrechtlichen Schutz leerlaufen ließe, da im Ergebnis jede Meinung und jedes Verhalten unter den Begriff des Bekenntnisses und dessen Ausübung gefasst werden könnte.253 Unklar ist auch, ob die Weltanschauung im Verhältnis zur Religion als Gegen-254 oder als Überbegriff255 zu verstehen ist. Zwar legt der Wortlaut nahe, dass Religion eher einen transzendenten Ansatz verfolgt, während Weltanschauung einen innerweltlichen Bezug vermuten lässt;256 zu einer strikten Abgrenzung eignet sich
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Die sich ebenfalls aus Art. 4 Abs. 1 GG ergebende Gewissensfreiheit hat für die vorliegende Fragestellung keine Bedeutung und bleibt somit außer Betracht. 248 BVerfGE 24, 236, 245 f. – Aktion Rumpelkammer; 32, 98, 106 – Gesundbeter; 44, 37, 49 – Überlegungsfrist; 83, 341, 354 – Bahá’í; 108, 282, 297 – Kopftuch; 125, 39, 79 – Adventssonntage Berlin; v. Campenhausen, in: Hdb StaatsR VII § 157 Rn. 51; Heckel, in: FS 50 Jahre BVerfG II, S. 379, 395; Heinig, Öffentlich-rechtliche Religionsgesellschaften, S. 119 ff.; Heinig/Morlok, JZ 2003, 777, 779 f.; Jarass/Pieroth, Art. 4 Rn. 1; Jeand’Heur/Korioth, Grundzüge des Staatskirchenrechts, Rn. 74 ff.; Kokott, in: Sachs Art. 4 Rn. 12 ff.; Mikat, Hdb VerfR § 29, Rn. 7; Morlok, in: Dreier Art. 4 Rn. 58; Sodan, in: Sodan Art. 4 Rn. 1, 4; anders Muckel, in: Hdb GrundR, § 96 Rn. 62 ff.; Mückl, in: BK-GG Art. 4 Rn. 56. 249 Badura, Schutz der Religion, S. 32; Jarass/Pieroth, Art. 4 Rn. 4; Kokott, in: Sachs Art. 4 Rn. 3; Mikat, Hdb VerfR § 29, Rn. 7; das BVerfG spricht von einer „engen Beziehung“ zur Menschenwürde, BVerfGE 35, 366, 376 – Kreuz im Gerichtssaal. 250 Jarass/Pieroth, Art. 4 Rn. 4; Kokott, in: Sachs Art. 4 Rn. 3: Morlok, in: Dreier Art. 4 Rn. 43, 45; für die innere Religionsfreiheit auch Mückl, in: BK-GG Art. 4 Rn. 56. 251 Kokott, in: Sachs Art. 4 Rn. 3; Sodan, in: Sodan Art. 4 Rn. 1. 252 s. hierzu oben in diesem Kapitel A. II. 1. 253 Kokott, in: Sachs Art. 4 Rn. 16. 254 Borowski, Glaubens- und Gewissensfreiheit, S. 411 ff.; v. Campenhausen, in: Hdb StaatsR VII § 157 Rn. 59; Kloepfer, Verfassungsrecht II, § 60 Rn. 19; Mager, in: v. Münch/ Kunig Art. 4 Rn. 14; Mückl, in: BK-GG Art. 4 Rn. 77; Sachs, Verfassungsrecht II, B 4 Rn. 5; in diese Richtung auch BVerfGE 24, 236, 245 – Aktion Rumpelkammer; BVerwGE 61, 152, 154 f. 255 Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck Art. 4 Rn. 10. 256 BVerwGE 90, 112, 115; Kloepfer, Verfassungsrecht II, § 60 Rn. 19; Kokott, in: Sachs Art. 4 Rn. 19, 22; Mager, in: v. Münch/Kunig Art. 4 Rn. 14; Mückl, in: BK-GG Art. 4 Rn. 72, 77; Sachs, Verfassungsrecht II, 16 Rn. 5.
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2. Kap.: Verfassungsrechtliche Vorgaben
dieses Kriterium aber nicht.257 Jedoch sind religiöses und weltanschauliches Bekenntnis durch Art. 4 GG gleichrangig gewährleistet; einer Unterscheidung bedarf es folglich nicht.258 Für die Anwendung des Grundrechts wichtiger ist eine Abgrenzung zwischen religiösen und weltanschaulichen Bekenntnissen auf der einen und bloßen Meinungen auf der anderen Seite. So ist der Schutzbereich des Art. 4 Abs. 1, 2 GG nach herrschender Ansicht erst eröffnet, wenn ein „umfassendes metaphysisches oder auf die Welt als ganze bezogenes Gedankensystem“259 vorliegt. Das Selbstverständnis der Betroffenen kann zwar Anhaltspunkte bieten; zur Verhinderung einer Ausweitung des Schutzbereichs ins Unermessliche und eines Verlusts der staatlichen Hoheit über die Rechtsauslegung bedarf es aber darüber hinaus objektiver Voraussetzungen wie das äußere Erscheinungsbild und ein gewisser geistiger Gehalt.260 Trotz des teilweise fließenden Übergangs zwischen religiösen und weltanschaulichen Bekenntnissen sollen im Folgenden erstere im Vordergrund stehen. Denn die zeitgenössischen Beispiele zeigen, dass die Beschimpfung von Weltanschauungsgemeinschaften heute keine große Relevanz entfaltet. Die Religionsfreiheit gewährt jedem Einzelnen einen „von staatlichen Eingriffen freien Rechtsraum, in dem er sich die Lebensform zu geben vermag, die seiner Überzeugung entspricht. Insofern ist die Glaubensfreiheit mehr als religiöse Toleranz, d. h. bloße Duldung religiöser Bekenntnisse oder irreligiöser Überzeugungen (…). Sie umfasst daher nicht nur die (innere) Freiheit zu glauben oder nicht zu glauben, sondern auch die äußere Freiheit, den Glauben zu manifestieren, zu bekennen und zu verbreiten (…). Dazu gehört auch das Recht des Einzelnen, sein gesamtes Verhalten an den Lehren seines Glaubens auszurichten und seiner inneren Glaubensüberzeugung gemäß zu handeln.“261 Erfasst ist also sowohl das forum internum des Gläubigen als seine Gedankenfreiheit, einen Glauben zu bilden, zu haben, nicht zu haben oder zu verändern,262 als auch das forum externum als Bekenntnis-
257 Muckel, Religiöse Freiheit und staatliche Letztentscheidung, S. 135 ff.; ders., in: Hdb GrundR § 96 Rn. 61. 258 Offen gelassen Morlok, in: Dreier Art. 4 Rn. 73; Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck Art. 4 Rn. 10. 259 Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck Art. 4 Rn. 10; ähnlich auch Bock, AöR 123 (1998), 444, 461; Classen, Religionsfreiheit, S. 22; Herzog, in: Maunz/Dürig Art. 4 Rn. 67; Jarass/ Pieroth, Art. 4 Rn. 8; Mager, in: v. Münch/Kunig Art. 4 Rn. 12 ff.; Morlok, in: Dreier Art. 4 Rn. 72 f.; Ipsen, Staatsrecht II Rn. 380; Mückl, BK-GG Art. 4 Rn. 70 ff.; v. Campenhausen, in: Hdb StaatsR VII § 157 Rn. 59. 260 BVerfGE 83, 341, 353 – Bahá’í; zust. Mückl, in: BK-GG Art. 4 Rn. 89; gegen die Maßgeblichkeit des Selbstverständnisses auch Kokott, in: Sachs Art. 4 Rn. 16; Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck Art. 4 Rn. 10; anders noch BVerfGE 24, 236, 247 f. – Aktion Rumpelkammer, in der das BVerfG noch wesentlich auf das Selbstverständnis der Gemeinschaft abstellt. 261 BVerfGE 32, 98, 106 – Gesundbeter; in diesem Sinne auch BVerfGE 41, 29, 49 – Simultanschule; 44, 37, 49 – Überlegungsfrist. 262 Jarass/Pieroth, Art. 4 Rn. 10.
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freiheit, diesen Glauben (oder Nichtglauben) auch zu äußern.263 Hinzu kommt als Religionsausübungsfreiheit im weiteren Sinne nicht nur eine Kultusfreiheit als das Recht, Gottesdienste zu feiern und vergleichbare kultische Handlungen durchzuführen, sondern die Freiheit, sein gesamtes Leben nach den als bindend empfundenen Regeln der Religionsgemeinschaft auszurichten.264 Das Grundgesetz schützt die individuelle wie die kollektive Religionsfreiheit;265 Träger des Grundrechts sind also neben dem Einzelnen auch die Glaubensgemeinschaften selbst. In erster Linie ist die Religionsfreiheit als Abwehrrecht des Grundrechtsträgers gegen den Staat zu verstehen, durch das sich der Einzelne gegen staatliche Einmischung in den Gewährleistungsbereich zur Wehr setzen kann.266 Darüber hinaus verpflichtet sie den Staat in positiver Hinsicht, einen „Raum für die aktive Betätigung der Glaubensüberzeugung und die Verwirklichung der autonomen Persönlichkeit auf weltanschaulich-religiösem Gebiet zu sichern.“267 Dies gibt dem Einzelnen zwar kein Recht auf bestimmte staatliche Leistungen,268 allerdings gebietet es dem Staat, die Grundrechtsbetätigung seiner Bürger vor Beeinträchtigungen seitens anderer Bürger zu schützen.269 Des Weiteren ergibt sich aus einer Zusammenschau aus Art. 4 Abs. 1, 3 Abs. 3 und 33 Abs. 3 GG sowie Art. 140 GG i.V. mit Art. 136 Abs. 1 und 4, 137 Abs. 1 WRV das Gebot religiös-weltanschaulicher Neutralität des Staates.270 Dieses verbietet sowohl die Etablierung einer Staatskirche als auch eine Ungleichbehandlung der verschiedenen Bekenntnisse.271 Der Staat hat sich in religiösen oder weltanschau263 BVerfGE 24, 236, 245 – Aktion Rumpelkammer; 32, 98, 106 f. – Gesundbeter; zust. Jarass/Pieroth, Art. 4 Rn. 10; Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck Art. 4 Rn. 36. 264 BVerfGE 32, 98, 106 – Gesundbeter; 33, 23, 28 – Eidesverweigerung aus Glaubensgründen; 41, 29, 49 – Simultanschule; 108, 282, 297 – Kopftuch; zust. Jarass/Pieroth, Art. 4 Rn. 12; Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck Art. 4 Rn. 37. 265 BVerfGE 42, 312, 332 – Bremer Mandatsurteil; zust. Jarass/Pieroth, Art. 4 Rn. 18 f.; Sodan, in: Sodan Art. 4 Rn. 12 f. 266 Mückl, in: BK-GG Art. 4 Rn. 126; Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck Art. 4 Rn. 18. 267 BVerfGE 41, 29, 49 – Simultanschule; s.a. BVerfGE 125, 39, 78 – Adventssonntage Berlin. 268 Herzog, in: Maunz/Dürig, Art. 4 Rn. 108; Jarass/Pieroth, Art. 4 Rn. 43a; Kästner, in: Stern/Becker, Art. 4 Rn. 164; Kokott, in: Sachs Art. 4 Rn. 81; Starck, in: v. Mangoldt/Klein/ Starck Art. 4 Rn. 18. 269 Jarass/Pieroth, Art. 4 Rn. 26; Kästner, in: Stern/Becker, Art. 4 Rn. 168; Kokott, in: Sachs Art. 4 Rn. 85; Morlok, in: Dreier Art. 4 Rn. 168; Mückl, in: BK-GG Art. 4 Rn. 133; Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck Art. 4 Rn. 20; ablehnend Herzog, in: Maunz/Dürig, Art. 4 Rn. 108. Für die herrschende Meinung spricht aber, dass Art. 4 Abs. 2 GG ausdrücklich die ungestörte Religionsausübung schützt. 270 BVerfGE 19, 1, 8 – Neuapostolische Kirche; 19, 206, 216 – Kirchensteuer; 24, 236, 246 – Aktion Rumpelkammer; 33, 23, 28 – Eidesverweigerung aus Glaubensgründen; 93, 1, 16 f. – Kruzifix; 102, 370, 383 – Zeugen Jehovas; 105, 279, 294 – Osho; Morlok, in: Dreier Art. 4 Rn. 161; Mückl, in: BK-GG Art. 4 Rn. 151; Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck Art. 4 Rn. 22; krit. zum Begriff der Neutralität Holzke, NVwZ 2002, 903, 905 ff. 271 BVerfGE 19, 206, 216 – Kirchensteuer.
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2. Kap.: Verfassungsrechtliche Vorgaben
lichen Fragen neutral zu verhalten272 und darf sich mit keinem Bekenntnis identifizieren.273 Denn erst durch einen umfassenden Diskriminierungsschutz wird die Bekenntnisfreiheit für das Individuum tatsächlich gewährleistet.274 Andererseits folgt aus dem Neutralitätsgebot keine absolute Trennung von Staat und Religion.275 Zwar besteht Einigkeit darüber, dass eine institutionelle und organisatorische Verbindung von Staat und Kirche wegen Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 WRV gegen geltendes Verfassungsrecht verstößt,276 inwieweit aber eine absolute Zurückhaltung des Staats in religiösen Dingen zu verlangen ist, wird unterschiedlich beurteilt. Teilweise wird betont, dass ein Neutralitätsgebot gerade kein Indifferenzgebot beinhalte und religiöse Enthaltsamkeit des Staats als areligiös und damit als religionsfeindlich verstanden werden müsse.277 Letztere Interpretation ist aber durchaus fragwürdig. Denn auf Grund der Konkurrenz religiöser aber auch nichtreligiöser Strömungen wäre auch eine Förderung sämtlicher Religionsgemeinschaften mit dem Begriff der Neutralität unvereinbar.278 Unabhängig davon ist aber allgemein anerkannt, dass das Neutralitätsprinzip und die organisatorische Trennung keine „generelle thematische Ausklammerung des religiös-weltanschaulichen Bereichs aus der staatlichen Sphäre“ bedeutet.279 Stattdessen respektiert der Staat religiöse Bestrebungen der Bürger und gibt ihnen den zur Entfaltung notwendigen Raum. Diese verfassungsrechtlichen Grundlagen der Religionsfreiheit sind bei der Untersuchung der Frage zu berücksichtigen, ob die grundgesetzlich gewährleistete Religionsfreiheit ein strafrechtliches Verbot der Religionsbeschimpfung rechtfertigen kann. b) Betroffenheit der Religionsfreiheit durch Religionsbeschimpfung Zwar ist die Religionsfreiheit als Grundrecht grundsätzlich geeignet, Straftatbestände zu rechtfertigen. Voraussetzung ist allerdings, dass das verbotene Verhalten überhaupt in die Religionsfreiheit des Gegenüber eingreift. Insbesondere, aber nicht 272
BVerfGE 105, 279, 294 – Osho; zust. Jarass/Pieroth, Art. 4 Rn. 5. BVerfGE 108, 282, 300 – Kopftuch; zust. Jarass/Pieroth, Art. 4 Rn. 5; Morlok, in: Dreier Art. 4 Rn. 166. 274 Morlok, in: Dreier Art. 4 Rn. 161; Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck Art. 4 Rn. 22. 275 Kokott, in: Sachs Art. 4 Rn. 6; Czermak, NVwZ 2003, 949, 951. 276 Czermak/Hilgendorf, Religions- und Weltanschauungsrecht, Rn. 148; Jeand’Heur/ Korioth, Grundzüge des Staatskirchenrechts, Rn. 161. 277 Herzog, in: Maunz/Dürig, Art. 4 Rn. 21; Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck Art. 4 Rn. 22; krit. zum Begriff des Indifferenzverbots Mikat, in: Hdb VerfR § 29 Rn. 13; dagegen unter Berufung auf die wachsende Bedeutung des Islam in Deutschland Janz/Rademacher, NVwZ 1999, 706 ff. 278 Holzke, NVwZ 2002, 903, 906 f.; zust. Czermak, NVwZ 2003, 949, 950. 279 Czermak/Hilgendorf, Religions- und Weltanschauungsrecht, Rn. 152; Gromitsaris, AöR 1996, 359, 360 f.; Morlok, in: Dreier Art. 4 Rn. 137; noch weiter Kokott, in: Sachs Art. 4 Rn. 6, die sogar von einem „Kooperationsmodell“ ausgeht; ähnlich Janz/Rademacher, NVwZ 1999, 706, 707. 273
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ausschließlich in der verfassungsrechtlichen Literatur wird zum Teil ohne weitere Begründung das Grundrecht der Religionsfreiheit zur Rechtfertigung des Straftatbestands angeführt.280 Dabei wird stillschweigend vorausgesetzt, dass die Religionsfreiheit der Gläubigen beeinträchtigt wird, wenn Glaubensinhalte beschimpft werden und dass deshalb die oben beschriebene Schutzpflicht des Staates eingreift. Ob diese Prämisse zu überzeugen vermag, ist im Hinblick auf den Schutzbereich der Religionsfreiheit zu untersuchen. In Bezug auf das forum externum müssten die Gläubigen daran gehindert werden, ihren Glauben offen zu bekennen und danach zu handeln. Diese Freiheit wird aber durch religionsfeindliche Äußerungen in der Regel gerade nicht beeinträchtigt.281 Denn Beschimpfungen von Religionen und ihren Inhalten bewirken zumeist keine Hinderung der Gläubigen an der Äußerung ihres Bekenntnisses oder an einem religionsbestimmten Leben. Ein direkter Eingriff in das Grundrecht wäre nur bei der Ausübung von Zwang zur Verhinderung etwa eines religiösen Rituals zu bejahen.282 Allenfalls kann eine mittelbare Beeinträchtigung der Religionsausübungsfreiheit in Betracht kommen, wenn sich die Gläubigen aus Angst vor weiteren Beleidigungen nicht mehr trauen, ihren Glauben offen auszuleben.283 Eine solche Gefahr einer rein mittelbaren Beeinträchtigung kann aber nicht ausreichend sein, die Schutzpflicht des Staates zu begründen und schon gar nicht durch das scharfe Schwert des Strafrechts. Denn daraus würde letztlich ein subjektiv-rechtlicher Schutzanspruch der Gläubigen auf ein „gutes gesellschaftliches Klima für freie Religionsausübung“ resultieren, der als subjektiver Herstellungsanspruch jedenfalls zu weit ginge.284 280 BT-Drucks. 3/2150, S. 316; 4/650, S. 342; Erkens, BRJ 2008, 52, 55 f.; K. Fischer, Strafrechtliche Beurteilung, S. 139; Hofmann, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke Art. 4 Rn. 57; Mager, in: v. Münch/Kunig Art. 4 Rn. 19; Mückl, Freiheit des Glaubens, in: Freiheit der Religion, S. 97, 107; Stumpf, GA 2004, 104, 109 f.; Rudolphi/Rogall, in: SK-StGB Vor § 166 Rn. 1; Waldhoff, Gutachten D zum 68. DJT, S. 162 f.; in der sonstigen Kommentarliteratur wird meist undifferenziert darauf verwiesen, die Religionsausübungsfreiheit werde durch die §§ 166 ff. SGB gewährleistet, s. Kokott, in: Sachs Art. 4 Rn. 85; Morlok, in: Dreier Art. 4 Rn. 168; Mückl, in: BK-GG Art. 4 Rn. 133; Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck Art. 4 Rn. 20, 143. 281 So i.E. auch v. Arnauld, Grundrechtsfreiheit zur Gotteslästerung?, in: Religionsbeschimpfung, S. 63, 75; Beisel, Kunstfreiheitsgarantie, S. 358; Cornils, AfP 2013, 199, 206; Eser, Schutz von Religionen, in: Hdb StaatskirchenR, S. 1019, 1026; Hilgendorf, in: Satzger/ Schluckebier/Widmaier § 166 Rn. 4; Hillgruber, KuR 2013, 1, 3; Hüttemann, Gotteslästerung, S. 82 f.; Isensee, AfP 2013, 189, 195; Manck, Evangelisch-theologische Diskussion, S. 87 f.; Ott, NStZ 1986, 363, 366; Rox, Schutz religiöser Gefühle, S. 112 f.; dies., JZ 2013, 30, 31; dies., Religionsdelikte in: Staat und Religion, S. 177, 188; Worms, Bekenntnisbeschimpfung, S. 119; diff. Hufen, JuS 1999, 911, 912, der darauf abstellt, ob man den Kontakt mit der Beschimpfung vermeiden kann. 282 Beisel, Kunstfreiheitsgarantie, S. 358; Eser, Schutz von Religionen, in: Hdb StaatskirchenR, S. 1019, 1026; Küpper, Notwenigkeit und Umfang, in: Meinungsäußerungsfreiheit versus Religionsfreiheit, S. 14, 20; Ott, NStZ 1986, 363, 366. 283 So auch Rox, Schutz religiöser Gefühle, S. 112. 284 Rox, Schutz religiöser Gefühle, S. 113.
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2. Kap.: Verfassungsrechtliche Vorgaben
Fraglich ist, ob das forum internum durch die Religionsbeschimpfung beeinträchtigt wird. Neben der Freiheit einen Glauben zu haben ist, wie oben gesehen, auch die Freiheit einen Glauben zu bilden von Art. 4 GG erfasst. Dieser Aspekt der Glaubensfreiheit müsste nun so weit auszulegen sein, dass nicht nur die Entscheidung für eine Glaubensrichtung, sondern der vollständige Glaubensbildungsprozess davon umfasst ist. Dann könnte jede Religionsbeschimpfung einen Eingriff darstellen, indem sie den Einzelnen in seiner Entscheidungsfindung beeinflusst. Eine solche Auslegung geht allerdings zu weit. Eingriff in die Religionsfreiheit wäre dann nicht nur jede Beschimpfung, sondern auch jede wertende oder auch nur informierende Aussage über eine Religion. Gerade werbende Äußerungen sind aber ein wesentliches Element der Bekenntnisfreiheit.285 Zumindest von privater Seite hat der Bürger eine Beeinflussung in seiner religiösen Entscheidungsfindung hinzunehmen, ohne dass diese eine Schutzpflicht des Staats auslösen; es besteht in diesem Sinne kein umfassender Konfrontationsschutz.286 Die Grenze ist allerdings dann erreicht, wenn der Gläubige durch die Äußerung in seiner Entscheidung nicht nur beeinflusst ist, sondern ihm die Wahl zwischen den Alternativen rechtlich oder faktisch unmöglich gemacht wird.287 Denn in diesem Fall wird die Freiheit der Glaubensbildung in ihrem Kern getroffen und löst so eine Schutzpflicht des Staats aus.288 Bei einer religionsfeindlichen oder -kritischen Äußerung ist allerdings eine solche Wirkung nicht zu erwarten.289 Somit ist auch das forum internum der Religionsfreiheit aus Art. 4 GG durch Religionsbeschimpfung nicht betroffen. Selbst wenn das Grundrecht grundsätzlich eine Schutzpflicht des Staates zugunsten der Gläubigen auslöst, bewirkt diese weder eine Pflicht noch das Recht des Gesetzgebers, religionsbeschimpfende Aussagen strafrechtlich zu verbieten, da durch derartige Regelungen die Religionsfreiheit nicht geschützt werden kann.
285 BVerfGE 12, 1, 3 f. – Glaubensabwerbung; 24, 236, 245 – Aktion Rumpelkammer; 32, 98, 106 – Gesundbeter; v. Campenhausen, in: Hdb StaatsR VII § 157 Rn. 75; Hofmann, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke Art. 4 Rn. 5. 286 Möllers, VVDStRL 68 (2009), 47, 77; Morlok, in: Dreier Art. 4 Rn. 168; Mückl, in: BKGG Art. 4 Rn. 90; ähnlich BT-Drucks. 14/4558, S. 4; Muckel, in: Hdb GrundR § 97 Rn. 67. Der in BVerfGE 93, 1, 16 – Kruzifix, zugesprochene Konfrontationsschutz richtet sich insoweit ausschließlich gegen Beeinflussung von staatlicher Seite; s. auch Rox, Religionsdelikte in: Staat und Religion, S. 177, 189 f. zum Menschenbild des Grundgesetzes, das dem Einzelnen eine Freiheitsfähigkeit schon durch die Gewährleistung der Meinungsfreiheit zutraue und mit einer „diffuse Beeinflussungsfreiheit“ unvereinbar sei. 287 So Herdegen, Gewissensfreiheit, S. 274; speziell zur Religionsfreiheit s. auch Rox, Schutz religiöser Gefühle, S. 126; dies., JZ 2013, 30, 31. 288 Zur Schutzpflicht des Staates bei Verletzung der Religionsfreiheit in ihrem Menschenwürdekern, s. Pagels, Aspekte der Religionsfreiheit, S. 147. 289 Voßkuhle, EuGRZ 2010, 537, 542, nennt als Beispiel die Hetze der nationalsozialistischen Presse gegen die jüdische Bevölkerung der Weimarer Republik.
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c) Schutz religiöser Gefühle als Unterfall der Religionsfreiheit Die Beschimpfung oder Verächtlichmachung religiöser Inhalte und Einrichtungen könnte die religiösen Gefühle der Gläubigen verletzen. Wem religiöse Lehren heilig sind, der fühlt sich durch ihre Schmähung in seinem Glauben beeinträchtigt. Daher war lange Zeit die Ansicht vorherrschend, nach der die Religionsdelikte das religiöse Empfinden der Gläubigen schützen.290 Auch heute noch wird der Gefühlsschutz teilweise als wesentliches Ziel des § 166 StGB eingestuft.291 Zunächst ist zu beachten, dass diese Formulierung ungünstig gewählt ist: Kann ein Gefühl überhaupt verletzt werden? In Betracht käme etwa eine Beeinträchtigung der inneren Bindung des Gläubigen zu seiner Religion. Tatsächlich zeigt sich aber, dass diese durch eine Beschimpfung in der Regel nicht gefährdet, sondern im Gegenteil sogar gestärkt wird.292 Allerdings entstehen durch die Schmähung beim Gläubigen negative Gefühle wie etwa Traurigkeit, Erschütterung, Empörung, Wut, vor allem aber persönliche Kränkung.293 Letztlich können aber unter Berücksichtigung des allgemeinen Begriffsverständnisses bei wertender Betrachtung auch solche Reaktionen unter den Ausdruck „Gefühlsverletzung“ gefasst werden.294 Allerdings wird die Frage, ob der Schutz religiöser Gefühle einen Straftatbestand rechtfertigen kann, heute zu Recht weitgehend verneint.295 Zum einen lässt sich dem 290 BT-Drucks. 3/2150, S. 317; 4/650 S. 343; RGSt 16, 245, 248; 23, 103, 104; 28, 403, 407; Ahrens, Der strafrechtliche Schutz des religiösen Gefühls, S. 29 ff.; Binding, Lehrbuch BT I, S. 176 f.; Hüttemann, Gotteslästerung, S. 17 ff.; Jauck, ZStW 24 (1904), 349, 352; Kesel, Religionsdelikte, S. 24 ff; diff. Quentel, Religiöses Empfinden und Strafgesetz, S. 25 ff., der aber zumindest bzgl. der Gotteslästerung auf die Verletzung religiöser Gefühle abstellt; s.a. Henkel, ZStW 51 (1931), 916, 925 ff., der das religiöse Empfinden als einziges mögliches Schutzgut festlegt, die Zulässigkeit eines darauf gestützten Straftatbestands aber bezweifelt. 291 Hörnle, Schutz von Gefühlen, in: Rechtsgutstheorie, S. 268, 278, die die Norm aus diesem Grund für nicht tragbar hält; sowie Koch, Strafbare Beschimpfung von Bekenntnissen, der zwar zunächst den öffentlichen Frieden und das Toleranzgebot als Schutzgut des § 166 StGB bezeichnet (S. 39 ff.), aber später ohne Begründung einen Gefühlsschutz bejaht und wohl auch für zulässig hält (S. 62, 64). 292 Glaser, ZStW 33 (1912), 825, 827 f.; Hörnle, Grob anstößiges Verhalten, S. 354; s. auch Barton, StraFo 1993, 11, 16: „Dieser [,Bumerangeffekt‘] tritt immer dann auf, wenn Einstellungen durch Beeinflussungsversuche noch verfestigt oder sogar in beeinflussungskonträrer Richtung verändert werden, was speziell bei besonders veränderungsresistenten Einstellungen, bei stark emotional oder affektiv gefärbten Vorurteilen und Werten der Fall sein kann“. 293 Manck, Evangelisch-theologische Diskussion, S. 70; Worms, Bekenntnisbeschimpfung, S. 127. 294 Jauck, ZStW 24 (1904), 349, 352 f. spricht hier von einem negativen Zwang und der Bewahrung der freien Entfaltung des Seelenlebens vor unmotivierter Beeinträchtigung. 295 OLG Köln, NJW 1982, 657, 658; OLG Karlsruhe, NStZ 1986, 363, 364; OLG Nürnberg, NStZ-RR 1999, 238; Czermak/Hilgendorf, Religions- und Weltanschauungsrecht, Rn. 459; Dippel, in: LK-StGB Vor § 166 Rn. 26, 33; Enders, KuR 2007, 40, 50; Eser, Schutz von Religionen, in: Hdb StaatskirchenR, S. 1019, 1025; Fischer, § 166 Rn. 2; ders., GA 2004, 445, 461; Hörnle, in: MK-StGB § 166 Rn. 2; Morlok, in: Dreier Art. 4 Rn. 164; Stübinger, in: NKStGB § 166 Rn. 2; Stumpf, GA 2004, 104, 106 f.; Winter, KuR 2008, 58, 65; anders möglicherweise Scholz, in: Maunz/Dürig, Art. 5 Abs. 3 Rn. 69, der eine Kollision der Kunstfreiheit
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2. Kap.: Verfassungsrechtliche Vorgaben
Grundrecht auf Religionsfreiheit schon kein Recht auf Gefühlsschutz entnehmen. Zwar hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte sich dafür ausgesprochen, dass Art. 9 der EMRK neben der allgemeinen Religionsfreiheit auch ein Recht auf den Respekt religiöser Überzeugungen enthalte.296 In der Literatur ist dieser Lesart berechtigterweise mit zum Teil erheblicher Skepsis begegnet worden297 und auch abweichende Meinungen einzelner Richter distanzieren von dieser Sichtweise.298 Richtig ist, dass weder Art. 4 GG noch Art. 9 EMRK explizit einen Schutz religiöser Überzeugungen und Empfindungen garantieren. Es überspannt die Grenzen der Auslegung der Religionsfreiheit, ihr ein Recht auf den Gefühlsschutz zu entnehmen.299 Sie beinhaltet das Recht, einen Glauben zu bilden, zu haben und danach zu leben. Wie oben gesehen, werden diese Gewährleistungen aber allein durch kritische und auch feindliche Äußerungen nicht beeinträchtigt.300 Wenn der Europäische Gerichtshof dem Art. 9 EMRK darüber hinaus das Recht entnimmt, dass andere diese Überzeugungen zu respektieren haben, ist dies mit seinen eigenen Feststellungen, nach denen die Gläubigen, die ihren Glauben nach außen tragen, die Ablehnung dieser Überzeugungen durch Dritte und die Verbreitung gegenteiliger Ansichten hinnehmen und tolerieren müssen,301 nur schwer vereinbar.302 Auch das Recht, sich mit religiösen Fragen kritisch auseinanderzusetzen, das von der Religionsfreiheit ebenfalls umfasst ist, wird durch eine solche Auslegung erheblich eingeschränkt.303 mit Art. 4 Abs. 1 GG sieht, „wo eine künstlerische Schöpfung oder Darbietung die religiösen Bekenntnisse oder Gefühle Dritter beeinträchtigt.“ Das BVerfG hat die Frage, ob die Verletzung religiöser Gefühle das Verbot einer Demonstration rechtfertigt, ausdrücklich offen gelassen (NVwZ 2007, 574). 296 EGMR, Otto-Preminger-Institut ./. Österreich, 20. 09. 1994, Nr. 13470/87 Rn. 47 f.; Wingrove ./. Vereintes Königreich, 25. 11. 1996, Nr. 17419/90 Rn. 47; I.A. ./. Türkei, 13. 09. 2005, Nr. 42571/98, Rn. 24, 30. s. zu den weiteren Aspekten der Rechtsprechung des EGMR unten 6. Kapitel. 297 Haarscher, RTDH 1995, 417, 419 ff. („une leture pervertissante de la philosophie des droits de l’homme – et en particulier de l’article 9 de la Convention de sauvegarde“ – eine Lesart, die die Philosophie der Menschenrechte – vor allem des Art. 9 der EMRK – pervertiert); Larralde, RTDH 1997, 725, 726 f.; Rigaux, RTDH 1995, 401, 408 f.; Rolland, RFDA 2004, 1001, 1006; Wachsmann, RUDH 1994, 441, 442 ff. 298 Palmet/Pekkanen/Makarcyk, zu EGMR, Otto-Preminger-Institut ./. Österreich, Rn. 19. 299 v. Arnauld, Grundrechtsfreiheit zur Gotteslästerung?, in: Religionsbeschimpfung, S. 63, 76; vgl. auch schon BVerwGE 1, 303, 308 („Moralische, religiöse und weltanschauliche Auffassungen einzelner Bevölkerungskreise […] sind zwar innere Werte. Das GG hat sie aber nicht unter den besonderen Schutz der staatlichen Grundordnung gestellt.“); OVG Lüneburg, NJW 1953, 237, 239 f. 300 s. dieses Kapitel B. III. 3. b). 301 Otto-Preminger-Institut ./. Österreich, 20. 09. 1994, Nr. 13470/87 Rn. 47: „Ceux qui choisissent d’exercer la liberte´ de manifester leur religion, qu’ils appartiennent a` une majorite´ ou a` une minorite´ religieuse, ne peuvent raisonnablement s’attendre a` le faire a` l’abri de toute critique. Ils doivent tole´rer et accepter le rejet par autrui de leurs croyances religieuses et meˆme la propagation par autrui de doctrines hostiles a` leur foi.“ 302 So auch Larralde, RTDH 1997, 725, 727. 303 Larralde, RTDH 1997, 725, 727.
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Schließlich wird der Interpretation auf europäischer Ebene auch deshalb widersprochen, weil die Anerkennung eines solchen Rechts die Meinungsfreiheit, die unstreitig auch für Meinungen gilt, die verletzten, schockierten oder beunruhigten, wie es die Prinzipien des Pluralismus und der Toleranz verlangten, die in einer durch die Koexistenz zahlreicher Glaubensrichtungen und Konfessionen geprägten Epoche besonders geboten seien,304 in unzulässiger Weise beschränke.305 Im Ergebnis spricht also vieles dagegen, der Religionsfreiheit überhaupt ein Recht auf den Schutz religiöser Empfindungen zu entnehmen. In strafrechtlicher Hinsicht kommt hinzu, dass ein Schutz von Gefühlen (und insbesondere auch von religiösen Gefühlen) durch strafrechtliche Sanktionen im Hinblick auf seine Subjektivität abzulehnen ist.306 Nimmt man nämlich dieses Schutzgut ernst, muss man die Strafbarkeit nicht von der Handlung des Täters, sondern von der Betroffenheit seines Gegenübers abhängig machen.307 Dann ist auf der einen Seite der Unempfindliche nicht geschützt; auf der anderen Seite muss auf die Überempfindlichkeit Einzelner Rücksicht genommen werden.308 So können beispielsweise schon wissenschaftliche Erkenntnisse oder sachliche Diskussionen über die Existenz höherer Mächte das religiöse Empfinden streng Gläubiger beeinträchtigen,309 sodass eine sinnvolle geistige Auseinandersetzung auf der Grundlage eines strengen strafrechtlichen Gefühlsschutzes unmöglich gemacht würde.310 Dass eine solche Einschränkung in Anbetracht der Meinungsfreiheit unzulässig wäre, liegt auf der Hand.311 Zudem sind Gefühle in höchstem Maße subjektiv, individuell und zum Teil auch situationsabhängig, sodass eine klare Grenzziehung bei der Anwendung von Straftatbeständen auf dieser Grundlage unmöglich ist und einer ungleichen Rechtsanwendung Tür und Tor geöffnet werden.312 304 EGMR, Handyside ./. Vereintes Königreich, 07. 12. 1976, Nr. 5493/72 Rn. 49; OttoPreminger-Institut ./. Österreich, 20. 09. 1994, Nr. 13470/87 Rn. 49; I.A. ./. Türkei, 13. 09. 2005, Nr. 42571/98 Rn. 23; Albert-Engelmann-GmbH ./. Österreich, 19. 01. 2006, Nr. 46389/99, Rn. 25. 305 In diese Richtung geht vor allem Haarscher, RTDH 1995, 417, 420. 306 Fischer, § 166 Rn. 2; Henkel, ZStW 51 (1931), 916, 930; Isensee, Blasphemie, in: Religionsbeschimpfung, S. 105, 117 f.; ders., AfP 2013, 189, 193 f.; Pawlik, in: FS Küper, S. 411, 420; ders., Strafrechtlicher Schutz, in: Religionsbeschimpfung, S. 31, 47; Stumpf, GA 2004, 106 f.; Wils, Gotteslästerung, S. 193 f.; Worms, Bekenntnisbeschimpfung, S. 128. 307 v. Arnauld, Grundrechtsfreiheit zur Gotteslästerung?, in: Religionsbeschimpfung, S. 63, 76. 308 Pawlik, in: FS Küper, S. 411, 420; ders., Strafrechtlicher Schutz, in: Religionsbeschimpfung, S. 31, 47; Winter, KuR 2008, 58, 65. 309 Hüttemann, Gotteslästerung, S. 20; Pawlik, in: FS Küper, S. 411, 420; ders., Strafrechtlicher Schutz, in: Religionsbeschimpfung, S. 31, 47 f.; Worms, Bekenntnisbeschimpfung, S. 128 310 Manck, Evangelisch-theologische Diskussion, S. 71. 311 Voßkuhle, EuGRZ 2010, 537, 542. 312 Manck, Evangelisch-theologische Diskussion, S. 71; Worms, Bekenntnisbeschimpfung, S. 128; ähnlich auch schon Henkel, ZStW 51 (1931), 916, 929.
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2. Kap.: Verfassungsrechtliche Vorgaben
Hinreichend klare Ergebnisse ließen sich nur bei einer Objektivierung des Maßstabs erreichen.313 Dann aber stellt man nicht mehr auf das Gefühl, sondern auf das „berechtigte Gefühl“ ab.314 Eine solche Auslegung widerspricht schon dem Wesen des Gefühlsschutzes selbst. Emotionen sind individuell und können eben nicht auf eine Allgemeinheit bezogen werden. Deshalb kann das Abstellen auf ein „vernünftiges“315, „normales“316 oder „allgemeines“317 Gefühl nicht weiterhelfen: Eine Allgemeinheit hat kein gemeinsames Gefühl; ein kollektives Gefühl ist nicht mehr als die Summe aller individuellen Gefühle.318 Eine derartige Objektivierung führt zur Einführung von Strafwürdigkeits- und Zweckmäßigkeitserwägungen. Wie bereits oben gesehen319 soll aber gerade die Herleitung eines zu schützenden Interesses den Maßstab für die Strafwürdigkeit festlegen, nicht aber umgekehrt die Strafwürdigkeit Schutzgut sein. Zudem stellt eine Objektivierung religiöser Gefühle eine Einmischung des Staats in Religionssachen dar, die grundlegend gegen das eben herausgearbeitete Neutralitätsgebot verstößt.320 Auch wenn eine Religionsbeschimpfung durchaus zu einer (im umgangssprachlichen Sinn) Verletzung der religiösen Gefühle der Gläubigen führen kann, genügt dies also nicht den Anforderungen, die an die Rechtfertigung eines strafrechtlichen Eingriffs in die Meinungs- und Kunstfreiheit zu stellen sind. Unabhängig davon, ob auf eine Verletzung der individuellen Gefühle des einzelnen Gläubigen oder auf eine objektivierte Verletzung der „allgemeinen Gefühle“ abgestellt wird, eignet sich ein solches Schutzgut nicht zur Rechtfertigung strafrechtlicher Verbote. 4. Allgemeines Persönlichkeitsrecht des Gläubigen Als weiteres subjektives Interesse des Religionsanhängers an der Verhinderung religionsfeindlicher Äußerungen kommt sein allgemeines Persönlichkeitsrecht in Betracht. Dieses Verständnis lässt sich auf Rousseau zurückführen, der schon früh betonte, dass mit Religionsbeschimpfungen die Gläubigen „beschimpft und belei-
313
Schon das Reichsgericht versuchte in RGSt 64, 121, 126 eine solche Objektivierung, indem es auf das Gefühl derjenigen Mitglieder der christlichen Kirchen abstellte, die „sich ebenso von übergroßer Reizbarkeit wie von Gleichgültigkeit fernhalten“. 314 Pawlik, in: FS Küper, S. 411, 420; ders., Strafrechtlicher Schutz, in: Religionsbeschimpfung, S. 31, 47. 315 Jauck, ZStW 24 (1904), 349, 367. 316 Ahrens, Der strafrechtliche Schutz des religiösen Gefühls, S. 38. 317 Binding. Lehrbuch BT I, S. 176. 318 So bezeichnet Worms, Bekenntnisbeschimpfung, S. 128, den Begriff des „allgemeinen Gefühls“ auch als „inhaltsleere Fiktion“, die durch das Strafrecht keinen Schutz beanspruchen kann; s. auch Beisel, Kunstfreiheitsgarantie, S. 350; Fischer, GA 1989, 445, 461. 319 s. dazu auch schon oben in diesem Kapitel B. II. 2. a). 320 Voßkuhle, EuGRZ 2010, 537, 542.
B. Durch die Beschimpfung betroffene Interessen
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digt“ würden, dass man „eine sträfliche Verachtung gegen das, was sie hochschätzen, und folglich auch gegen sie selbst“ zeige.321 Das allgemeine Persönlichkeitsrecht, das zunächst durch die zivilrechtliche Rechtsprechung als Schutzgut des § 823 Abs. 1 BGB herausgearbeitet wurde,322 ist inzwischen auch als verfassungsmäßig geschütztes Freiheitsrecht anerkannt.323 Da es in seinem Schutzbereich auf der einen Seite über die absolut geschützte und daher restriktiv zu verstehende Menschenwürde hinausgeht, andererseits aber nicht so weit zu verstehen ist wie die gleichsam allumfassende, aber auch leicht einschränkbare allgemeine Handlungsfreiheit,324 findet dieses Freiheitsrecht seine verfassungsrechtliche Grundlage in einer Kombination aus der Menschenwürdegarantie des Art. 1 Abs. 1 GG und dem Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit aus Art. 2 Abs. 1 GG.325 Nach diesem Verständnis erfasst es als „unbenanntes Freiheitsrecht“ die „konstituierenden Elemente der Persönlichkeit“.326 Sein Schutzbereich wird durch Fallgruppen gekennzeichnet, aber nicht abschließend determiniert.327 Im Unterschied zur allgemeinen Handlungsfreiheit, die der Person erlaubt, sich nach ihrem Willen zu verhalten, betrifft es dabei die Integrität der Person, also das Sein in Abgrenzung zum Handeln.328 Kernelemente sind sowohl die Selbstentfaltung durch Abschirmung eines gewissen privaten Bereichs vor der Öffentlichkeit als auch die Selbstdarstellung im sozialen Umfeld.329 Das Bundesverfassungsgericht erkennt ein Recht auf Respektierung des geschützten Bereichs der freien Entfaltung der Persönlichkeit an.330 Dabei ist das Grundrecht durch seine Entwicklungsoffenheit geprägt, die es ermöglicht, auf neuartige Bedrohungen flexibel und angemessen zu reagieren.331 Es 321
Rousseau, Briefe vom Berge, in: Schriften II, S. 7, 135 f. BGHZ 13, 334, 337 ff.; 26, 349; 39, 124, 127; BGH, NJW 1965, 685, 686. 323 Grundlegend BVerfGE 27, 1, 6 f. – Mikrozensus. 324 Zum weiten Verständnis des Art. 2 Abs. 1 GG im Sinne einer allgemeinen Handlungsfreiheit s. grundlegend BVerfGE 6, 32, 36 ff. – Elfes, sowie die seither st. Rechtsprechung z. B. BVerfGE 54, 143, 144 – Taubenfütterungsverbot. 325 Zur Verankerung des einheitlichen Grundrechts in beiden Normen, s. die st. Rechtsprechung seit BVerfGE 35, 202, 219 – Lebach; z. B. BVerfGE 72, 155, 170 – Ererbtes Handelsgeschäft; 82, 236, 269 – Schubart; 90, 263, 270 – Anfechtung der Ehelichkeit; 120, 274, 302 – Online-Durchsuchung; 130, 1, 35 – Verwertungsverbot Wohnraumüberwachung. 326 BVerfGE 54, 148, 153 – Eppler. 327 Brandner, JZ 1983, 689, 690 f.; Degenhart, JuS 1992, 361, 363 ff.; Di Fabio, in: Maunz/ Dürig Art. 2 Rn. 148; Ehmann, JuS 1997, 193, 197 ff.; Jarass, NJW 1989, 857, 858 f.; Koppernock, Grundrecht auf bioethische Selbstbestimmung, S. 38 ff.; Murswiek, in: Sachs Art. 2, Rn. 68 ff. 328 Murswiek, in: Sachs, Art. 2 Rn. 59. 329 Dreier, in: Dreier, Art. 2 Rn. 70. 330 BVerfGE 54, 148, 153 – Eppler. 331 BVerfGE 120, 274, 303 – Online-Durchsuchung; ähnlich auch schon BVerfGE 54, 148, 153 – Eppler. 322
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2. Kap.: Verfassungsrechtliche Vorgaben
versteht sich insofern als eine Art Generalklausel,332 deren Ausprägungen durch das Bundesverfassungsgericht anhand des zu erkennenden Einzelfalls herausgearbeitet werden. Auf diesem Wege haben sich einzelne thematische Fallgruppen herauskristallisiert, wie etwa das Recht am eigenen Bild und am eigenen Wort,333 der Schutz der Intim- und Privatsphäre334 oder das Recht auf informationelle Selbstbestimmung.335 Für die vorliegende Untersuchung ist in diesem Rahmen zunächst die Fallgruppe des Ehrschutzes von Bedeutung. Da sich das Grundrecht aber durch seine Ergebnisoffenheit auszeichnet und die etablierten Fallgruppen insofern nicht als abschließend zu betrachten sind, stellt sich darüber hinaus die Frage, ob die religiöse Identität als weitere Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts Schutz genießt. a) Ehre als Unterfall des allgemeinen Persönlichkeitsrechts Die Ehre tritt nicht als selbstständiges Recht im Grundrechtskatalog in Erscheinung. Dass sie trotzdem Verfassungsrang einnimmt, wird aber kaum ernsthaft bestritten.336 Zunächst wird die Ehre in Art. 5 Abs. 2 GG als Schranke der Meinungsfreiheit festgeschrieben. Aber sie ist mehr als nur Beschränkung eines anderen Rechts; ihr verfassungsrechtlicher Schutz gründet in der Garantie der Menschenwürde.337 Nicht jede Ehrverletzung ist jedoch auch eine Menschenwürdeverletzung;338 nur die schwersten und unerträglichsten Beeinträchtigungen der persönlichen Ehre tangieren auch die Menschenwürde. Letztere schützt nur den Kernbereich des menschlichen Geltungsanspruchs339 – ihre Unantastbarkeit könnte bei einer Überfrachtung des Grundrechts nicht mehr gewährleistet und damit ihre überragende Bedeutung nicht gewahrt werden.340 Die Nähe der persönlichen Ehre zur Menschenwürde offenbart sich in ihrer Ableitung aus dem allgemeinen Persönlich-
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Hubmann, Persönlichkeitsrecht, S. 84; zust. Lorenz, in: BK-GG, Art. 2 Rn. 272. BVerfGE 35, 202, 220 – Lebach. 334 BVerfGE 54, 148, 153 – Eppler; vgl. auch schon BVerfGE 27, 1, 6 – Mikrozensus; 27, 344, 350 f. – Scheidungsakten;. 335 BVerfGE 65, 1, 41 ff. – Volkszählung. 336 Lorenz, in: BK-GG, Art. 2 Rn. 262; Stark, Ehrenschutz in Deutschland, S. 31 ff.; Tettinger, Ehre – ein ungeschütztes Verfassungsgut?, S. 11; Kriele, NJW 1994, 1897, 1898; Isensee, in: FS Kriele, S. 5, 17. 337 Isensee, in: FS Kriele, S. 5, 9. 338 Hörnle, Grob anstößiges Verhalten, S. 121. Zur Differenzierung zwischen Ehre und Menschenwürde s. auch BGHSt 40, 97, 100; 36, 83, 90 f.; OLG Frankfurt, NJW 1989, 1367, 1369; NJW 1995, 143, 144; Dau, NStZ 1989, 361, 363; Isensee, FS für Kriele, S. 5, 9; Schafheutle, JZ 1960, 470, 473; anders aber Zacharias, NJW 2001, 2950, 2951. 339 Das BVerfG spricht insoweit vom „durch Art. 1 Abs. 1 geschützten Kern menschlicher Ehre“, BVerfGE 75, 369, 380 – Strauß/Hachfeld, der keiner Abwägung mehr zugänglich ist. 340 Isensee, in: FS Kriele, S. 5, 10. 333
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keitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG.341 Sie wird neben den anderen Persönlichkeitsrechten als Teilbereich dieses Grundrechts aufgefasst. Für das Bundesverfassungsgericht bedeutet der Ehrschutz „Schutz vor Äußerungen, die geeignet sind, sich abträglich auf das Ansehen der Person, insbesondere ihr Bild in der Öffentlichkeit, auszuwirken“.342 Ihr enger Bezug zur Persönlichkeit äußert sich auch darin, dass das verfassungsrechtliche Recht der persönlichen Ehre343 nur die Person selbst vor Herabsetzung schützt, nicht aber ihr Werk – und somit auch „Berufsehre“ oder „Sozialprestige“ nicht am grundgesetzlichen Ehrschutz teilhaben.344 Schon aus Art. 5 Abs. 2 GG ergibt sich, dass die persönliche Ehre prinzipiell als Beschränkung der Meinungsfreiheit zu beachten ist. Als aus der Menschenwürde abgeleitetes Recht mit Verfassungsrang ist sie zudem grundsätzlich geeignet, als Schutzzweck strafrechtlicher Normen zu fungieren, die in andere Grundrechte – insbesondere in die nur durch Verfassungsgüter zu beschränkende Kunstfreiheit – eingreifen.345 Fraglich ist aber, ob die persönliche Ehre durch religionsfeindliche Äußerungen tangiert wird. Für sachliche Religionskritik ist dies regelmäßig zu verneinen, da sie eben nicht die Persönlichkeit der Gläubigen treffen soll, sondern sich ausschließlich mit den Religionsinhalten auseinandersetzt. Zudem wird durch solche Äußerungen der Geltungswert der Religionsanhänger nicht angezweifelt. Andere Anfeindungen hingegen beinhalten unproblematisch Angriffe auf die Ehre der Gläubigen. Hierunter sind Äußerungen zu verstehen, die direkt die Gläubigen in ihrer Persönlichkeit betreffen und – durch Werturteile oder tatsächliche Unterstellungen – ihren persönlichen Achtungsanspruch beeinträchtigen; etwa Aussagen wie „Alle Muslime sind Terroristen“, „Christen sind Kinderschänder“, „Alle Juden sollten vergast
341 BVerfGE 54, 148, 153 – Eppler; 54, 208, 217 – Böll; 65, 1, 41 – Volkszählung; 72, 155, 170 – Ererbtes Handelsgeschäft; 79, 256, 268 – Abstammung I; 97, 125, 147 – Caroline I; 114, 339, 346 – Stolpe; Degenhart, JuS 1992, 361 ff.; Kunig, in: v. Münch/Kunig, Art. 2 Rn. 30; Nipperdey, Die Würde des Menschen, in: Die Grundrechte II, S. 1, 40 ff.; Horn, in: Hdb StaatsR VII § 149 Rn. 28; Stark, Ehrenschutz in Deutschland, S. 34 ff. 342 BVerfGE 119, 1, 24 – Esra. 343 Die Ehre als Verfassungsgut wird in der verfassungsrechtlichen Literatur inhaltlich kaum positiv konturiert, sondern ausschließlich durch ihre Verletzung definiert. Im strafrechtlichen Schrifttum hingegen existiert eine umfassende Diskussion über die inhaltliche Definition der durch die §§ 185 ff. StGB geschützten Ehre. Eine Analyse und Stellungnahme zum strafrechtlichen Ehrbegriff soll aber erst bei der Untersuchung der Beleidigungsdelikte ihren Platz haben, s. unten 3. Kapitel A. II. 2. a). 344 So im Ergebnis auch Isensee, in: FS Kriele, S. 5, 20 ff. 345 Diese Feststellung beinhaltet keine Aussage über die Frage, ob ein strafrechtlicher Ehrschutz grundsätzlich zweckmäßig ist. Dies wird in neuerer Zeit zum Teil bestritten, s. Findeisen/Hoepner/Zünkler, ZRP 1991, 245 ff.; Kubiciel/Winter, ZStW 113 (2001), 305 ff.
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2. Kap.: Verfassungsrechtliche Vorgaben
werden“.346 Schwieriger ist hingegen die Behandlung der Verächtlichmachung religiöser Inhalte. Dass unter Gläubigen im Rahmen der bekannten Veröffentlichungen vielfach geäußert wurde, die Karikaturen, Satiren oder ähnliches verletzten sie in ihrer Ehre, reicht dafür nicht aus. Es kann nicht jeder Einzelne die Bestandteile seines Glaubens zur Sache seiner persönlichen Ehre machen, denn der soziale Geltungsanspruch muss der Verallgemeinerung zugänglich und rechtlich objektiviert sein.347 Der Auslegung der religionsfeindlichen Äußerung ist besonderes Gewicht beizumessen: Die Ehre des Betroffenen wird nur tangiert, wenn durch den Angriff gegen die religiöse Überzeugung der Achtungsanspruch der dahinterstehenden Person bestritten wird.348 Nicht ausreichend ist es, wenn der persönliche Angriff erst indirekt aus der tragenden Rolle des Bekenntnisses für das Selbstverständnis der Betroffenen resultiert.349 b) Religiöse Identität als Teil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts In Betracht kommt schließlich auch, die religiöse Identität, die persönliche Zugehörigkeit zu einer Glaubensrichtung, als weitere Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts zu begreifen. Dieses verbindet einen Schutz der individuellen Identität im Sinne der Bewahrung der Persönlichkeit und der Möglichkeit der Entfaltung mit einem Schutz persönlichen Integrität im Sinne der Unversehrtheit der Person im Verhältnis zu Dritten, also „dass sie zu respektieren ist, wie sie sich selbst begreift und sich ihrer selbst bewusst wird“.350 Das allgemeine Persönlichkeitsrecht gewährleistet dem Einzelnen nicht nur die Möglichkeit einer freien Entfaltung der Persönlichkeit innerhalb der engen Grenzen seiner Privatsphäre, sondern in einem weiteren Sinn auch in Beziehung zu anderen.351 Denn für den Menschen als soziales Wesen ist die Anerkennung, die er in der Gesellschaft erfährt, in höchstem Maße persönlichkeitsprägend. Anders als die Freiheit zum religiösen Bekenntnis und zur Religionsausübung des Art. 4 Abs. 1, 2 GG, die ausschließlich den Einzelnen in seinen Überzeugungen und seinen Handlungen zu schützen vermag, bietet eine 346 Ob unter der Kollektivbezeichnung jeder einzelne Gläubige nach strafrechtlichen Regeln beleidigt werden kann, ist keine Frage des verfassungsrechtlichen Ehrschutzes, sondern der Reichweite der Beleidigungsdelikte. s. dazu unten 3. Kapitel A. II. 2. b) bb). 347 Isensee, AfP 2013, 189, 196. 348 Enders, KuR 2007, 40, 51; s. auch v. Arnauld, Grundrechtsfreiheit zur Gotteslästerung?, in: Religionsbeschimpfung, S. 63, 77 f. (Teilkongruenz des Ehr- und des Bekenntnisschutzes). 349 Pawlik, Strafrechtlicher Schutz, in: Religionsbeschimpfung, S. 31, 52; ders., in: FS Küper, S. 411, 423. 350 Rox, Schutz religiöser Gefühle, S. 165; zum Recht auf Selbstentfaltung als Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts auch Ehmann, JuS 1997, 193, 201. 351 BVerfGE 99, 185, 193 – Helnwein; Lorenz, in: BK-GG Art. 2 Rn. 315 ff. Vgl. zum Allgemeinen Persönlichkeitsrecht in seiner Ausprägung als Schutz der Konstitutionsbelange der Persönlichkeit, Streibel, Rassendiskriminierung als Eingriff, S. 128 ff., die mit vergleichbarer Argumentation den Schutz vor rassischer Diskriminierung in den Schutzbereich einbezieht.
B. Durch die Beschimpfung betroffene Interessen
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Verankerung der religiösen Identität im Rahmen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts diese Möglichkeit einer sozialen Komponente im Sinne eines Sphärenschutzes – insofern vergleichbar mit dem Aspekt der persönlichen Ehre, die ebenfalls erst im zwischenmenschlichen Gefüge ihre volle Bedeutung entfaltet. In diesem sozialen Verhältnis soll der Einzelne seine Identität frei entfalten können. Als identitätsprägend sind insbesondere seine Sicht auf die Welt, seine Handlungsmaximen und Grundüberzeugungen zu bewerten. Denn diese Überzeugungen bilden die Grundlagen jeglicher seiner Handlungen und gestalten insofern als „höherstufige Persönlichkeitsprägungen“ auch wesentlich seinen Charakter.352 Sie werden für den Einzelnen zur grundlegenden Wahrheit, an der er sein Leben und sein Wesen ausrichtet. In diesem Rahmen ist Religion (oder Weltanschauung), die sich auf die letzte Wahrheit bezieht, auf den Sinn der Welt und der menschlichen Existenz, identifikationsstiftender als andere Überzeugungen.353 Dem wird zum Teil entgegengehalten, dass diese Formulierungen eine „schicksalhafte, unentrinnbare Bindung an ein Bekenntnis“ impliziere, die einer Begründung bedürfe.354 Selbstverständlich ist eine Bindung an ein religiöses oder weltanschauliches Bekenntnis nicht unabänderlich, sie prägt den Menschen aber häufig von klein auf und durchdringt dabei auf zum Teil unbewusste Weise das Denken und Handeln. Die Religion konstituiert die Persönlichkeit des Gläubigen, sodass sie sich von ihr nicht lösen lässt.355 Ein religiöses oder weltanschauliches Bekenntnis bezieht sich – anders als andere Anschauungen – nicht nur auf einen Teilbereich des Lebens, sondern bildet die Basis für grundlegende Überzeugungen, die sich auf sämtliche Lebensbereiche auswirken können. Die besonders identitätsprägende Wirkung von Religion beruht dabei auch darauf, dass solche Bekenntnisse in der Regel Anspruch auf alleinige Gültigkeit und Wahrheit erheben.356 Im Sinne einer gewährleisteten Integrität gebietet nun das allgemeine Persönlichkeitsrecht, dass Dritte solche tiefgreifenden Persönlichkeitsprägungen achten. Wird das sinn- und identifikationsstiftende Bekenntnis durch einen anderen herabgesetzt, tangiert dies nicht nur das Bekenntnis an sich, sondern auch den Bekennenden, der sich mit diesem identifiziert.357 Denn die Herabsetzung grundlegend 352 Pawlik, in: FS Küper, S. 411, 421; ders., Strafrechtlicher Schutz, in: Religionsbeschimpfung, S. 31, 49. 353 Isensee, Blasphemie, in: Religionsbeschimpfung, S. 105, 121; Muckel, in: Hdb GrundR § 96 Rn. 57; ders., tv diskurs 37 (2006), 78, 81; Worms, Bekenntnisbeschimpfung, S. 136. 354 So Hörnle, in: MK-StGB § 166 Rn. 2. 355 Isensee, AfP 2013, 189, 196; vgl. zu der besonderen Bindung des Glaubens und der Religion an die Persönlichkeit auch Hardwig, GA 1962, 257, 258. 356 Worms, Bekenntnisbeschimpfung, S. 137. 357 Krauss, in: GS Noll, S. 209, 220; Pawlik, in: FS Küper, S. 411, 421; ders., Strafrechtlicher Schutz, in: Religionsbeschimpfung, S. 31, 49; Seelmann, Was schützt der liberale Rechtsstaat, in: Von der religiösen zur säkularen Begründung staatlicher Normen, S. 171, 181; Waldhoff, Gutachten D zum 68. DJT, S. 163; Worms, Bekenntnisbeschimpfung, S. 138 f.; vgl. auch Hillgruber, FAZ v. 26. 01. 2015, S. 6; zurückhaltend Stübinger, in: NK-StGB § 166 Rn. 4;
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2. Kap.: Verfassungsrechtliche Vorgaben
prägender Werte vermag auch die Achtung desjenigen in Frage zu stellen, der sein Leben hiernach ausrichtet, und seinen Anspruch auf Selbstdarstellung in der Öffentlichkeit zu beeinträchtigen; die Missachtung des Glaubens kann sich quasi auf den Gläubigen durchschlagen. Indem der Äußernde grundlegenden identitätsstiftenden Überzeugungen die Achtung verweigert, wird daher auch der Achtungsanspruch des Überzeugten verletzt. Soweit eingewandt wird, dass von einer selbstreflektierten Person erwartet werden könne, zwischen Angriffen auf ihr Bekenntnis und Angriffen auf sich selbst zu differenzieren,358 ist darauf hinzuweisen, dass zahlreiche religionsfeindliche Äußerungen in der Praxis eben nicht auf eine sachliche Kritik des Bekenntnisses angelegt sind, sondern durch den Angriff indirekt die Gläubigen provozieren und verletzen wollen. Der Rechtszustand hängt aber prinzipiell von der interpersonalen Anerkennungsbeziehung in der Gesellschaft ab, da jeder Einzelne einer Anerkennung als Gleicher unter Gleichen bedarf.359 An dieser Anerkennung fehlt es, wenn das identitätsprägende Weltbild des anderen in einem Maße missachtet wird, dass sich dieser auch in seiner Person beeinträchtigt fühlt und fühlen soll. In der persönlichen Identität des Betroffenen findet schließlich auch das von der herrschenden Meinung unter dem Oberbegriff des öffentlichen Friedens gefasste Postulat des fairen Miteinanders eine sinnvolle Grundlage.360 In diese Richtung geht auch eine Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Münster, das bei einer Ausstrahlung von Ausschnitten eines religionskritischen Theaterstücks im Rahmen der Fernsehnachrichten die Verletzung eines „religiösen Achtungsanspruchs“ für möglich hält.361 Zwar stützt es diesen „als spezielle Ausprägung der Religionsfreiheit“ auf Art. 4 GG, es stellt jedoch gleichzeitig auf die freie Entfaltung der Persönlichkeit auf weltanschaulich-religiösem Gebiet also letztlich auf den Schutz der personalen Integrität ab. Tatsächlich ist aber ein solcher Anerkennungsanspruch nicht in der Religionsfreiheit zu verankern, die dem Einzelnen nur die der grundrechtlichen Verhaltensfreiheit vorgelagerten inneren Elemente der Willensentschließungsfa¨ higkeit und der Willensentschließungsfreiheit gewährleisten, sondern im allgemeinen Persönlichkeitsrecht, das im Sinne eines Sphärenschutzes zur äußeren Verhaltensfreiheit nur in rein mittelbarem Zusammenhang steht.362
ähnlich Grabenwarter, ZaöRV 1995, 128, 145 („religiöses Persönlichkeitsrecht“ aus Art. 9 EMRK). 358 So Hörnle, in: MK-StGB § 166 Rn. 2. 359 Stübinger, in: NK-StGB § 166 Rn. 4; krit. hierzu Cornils, AfP 2013, 199, 208. 360 Pawlik, in: FS Küper, S. 411, 421 f. 361 OVG Münster, NJW 1997, 1176, 1177. 362 Vgl. zu dieser Differenzierung ausführlich, Rox, Schutz religiöser Gefühle, S. 131 f., die auf dieser Grundlage ebenfalls zu dem Ergebnis kommt, dass die vom OVG Münster angesprochene Entfaltung der Persönlichkeit nur auf der Ebene des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts zu verorten ist.
B. Durch die Beschimpfung betroffene Interessen
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Diese Konzeption ist der Gefahr der Subjektivität nicht in gleichem Maße ausgesetzt wie die eines Schutzes religiöser Gefühle,363 denn sie ist – insofern vergleichbar mit dem Ehrschutz – auf eine normative Grundlage zu setzen. Zwar geht das Bundesverfassungsgericht davon aus, der „Inhalt des allgemeinen Persönlichkeitsrechts (werde) maßgeblich durch das Selbstverständnis seines Trägers geprägt“,364 es stellt aber gleichzeitig klar, dass der soziale Geltungsanspruch des Einzelnen nicht in dessen ausschließlicher Konkretisierungs- und Verfu¨ gungsmacht steht, sondern insbesondere von seinem konkreten Vorverhalten und dem in der Öffentlichkeit gezeigten Bild abhängt.365 Indem auf einen normativen Achtungsanspruch abgestellt wird, der grundsätzlich jedem zusteht – und zwar neben Gläubigen auch Agnostikern, Atheisten und Anhängern grundlegender Weltanschauungen – besteht das Risiko der Subjektivität nicht in einem mit dem Gefühlsschutz vergleichbaren Maße.366 Auch das häufig vorgebrachte Argument, dass ein Schutz der religiösen Identität aus Gleichheitserwägungen abzulehnen sei, weil andere zentrale (oder weniger zentrale) Persönlichkeitsaspekte nicht gewährleistet würden,367 ist zwar nicht grundlegend von der Hand zu weisen, ist aber auch nicht zwingend. Zum einen konnte soeben herausgearbeitet werden, dass religiöse und weltanschauliche Überzeugungen wegen ihrer Grundsätzlichkeit besonders identitätsstiftend sind und nur deshalb ihre Beeinträchtigung auf die Persönlichkeit des Einzelnen durchgreifen kann. Dass andere Aspekte der Persönlichkeit, wie etwa die Herkunft oder die „Rasse“, diese ebenfalls stark prägen und dementsprechend einen eigenständigen Schutz ermöglichen könnten,368 steht der grundsätzlichen Annahme eines Schutzgutes der religiösen Identität nicht entgegen. Die Gefahr, dass aber deswegen auch beispielsweise die Anhängerschaft zu einem Fußballverein geschützt werden müsse,369 besteht hingegen schon deshalb nicht, weil von einem normativen Standpunkt aus gesehen die Identifikation mit einem Verein, der notwendigerweise nur einen kleinen Teilbereich des Lebens ausmacht, nicht identisch sein kann mit einer weltanschaulichen oder religiösen Prägung der Persönlichkeit. Ein Vorteil der persönlichkeitsrechtsschützenden Konzeption liegt unfraglich in der Verankerung des Schutzguts auf verfassungsrechtlicher Ebene. Die Rückführung des Schutzguts auf Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 GG vermag eine Einschränkung von Grundrechten eher zu tragen als ein diffuses, nicht kodifiziertes 363
So jedoch Hörnle, JZ 2015, 293, 296. BVerfGE 54, 148, 156 – Eppler. 365 BVerfG, NJW 1989, 3269. 366 Vgl. Pawlik, in: FS Küper, S. 411, 421. 367 Vgl. etwa Hörnle, Grob anstößiges Verhalten, S. 350 f.; Rox, Schutz religiöser Gefühle, S. 186. 368 s. hierzu etwa v. Ungern-Sternberg, Öffentliche Auseinandersetzung, in: Freiheit – Sicherheit – Öffentlichkeit, S. 61, 80 f., die eine Identitätsprägung für die Kriterien der Diskriminierungsverbote aus Art. 3 Abs. 3 GG bejaht. 369 So aber Rox, Schutz religiöser Gefühle, S. 186. 364
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2. Kap.: Verfassungsrechtliche Vorgaben
Allgemeinrechtsgut. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf die schrankenlos gewährte Kunstfreiheit, aber auch – in Anbetracht der Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts an die Schranke der allgemeinen Gesetze – für die Meinungsfreiheit. Insbesondere überzeugt die personenbezogene Schutzrichtung. Ob daraus allerdings „dogmatische Klarheit“ folgt, weil Individualrechtsgüter „Kriterien für akzeptable und inakzeptable Formen der privaten Auseinandersetzung bereithalten“,370 ist angesichts der höchst umstrittenen Rechtsprechung zur Abwägung von Meinungsfreiheit und Persönlichkeitsrecht zu bezweifeln. Trotzdem erlaubt eine individualbezogene Konzeption eine gerechtere und verfassungsrechtlich unbedenklichere Abwägung zwischen den betroffenen Grundrechtspositionen. Gleichwohl vermag auch der Schutz der religiösen Identität über das allgemeine Persönlichkeitsrecht nicht jede strafrechtliche Regelung, die Religionsfeindlichkeit als solche verbietet, zu tragen. Erforderlich ist insoweit stets, dass Persönlichkeitsrechte des Betroffenen durch die Äußerung beeinträchtigt werden, dass also ein Bezug zur Persönlichkeit des anderen hergestellt wird. Auch darüber hinaus verbleiben gewisse Zweifel an einem strafrechtlichen Tatbestand zugunsten der religiösen Identität. Diese mag zwar ein geeignetes Schutzgut darstellen, das den verfassungsrechtlichen Anforderungen prinzipiell genügt. Ob ein strafrechtliches Verbot religionsfeindlicher Äußerungen selbst unter dieser Prämisse aber auch verhältnis- und zweckmäßig erscheint, bleibt angesichts der verbleibenden Kritikpunkte fragwürdig.371
IV. Zwischenergebnis Nachdem die rechtlich geschützten Interessen des Äußernden herausgearbeitet wurden, ist deutlich, dass auch auf der Seite seiner Gegner Positionen von Verfassungsrang betroffen sind. Der Schutz religiöser Inhalte oder der Religion selbst kann jedoch – nicht einmal im Hinblick auf ihre soziale Funktion – strafrechtliche Beschränkungen der Meinungs- und Kunstfreiheit nicht rechtfertigen. Andererseits ist ein strafrechtliches Verbot von Äußerungen, die die Menschenwürde der Betroffenen verletzen oder unmittelbar zu Gewalttaten aufrufen, unproblematisch zulässig, da insofern der Schutz der Menschenwürde bzw. der vorverlagerte Schutz der Individualrechtsgüter von Leben und körperlicher Unversehrtheit staatliche Grundrechtseingriffe legitimieren. Gleiches gilt für Äußerungen, die die Ehre der Religionsanhänger verletzen. Darüber hinaus kann – in engen Grenzen – auf das Recht der religiösen Identität als Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts der Religionsanhänger zurückgegriffen werden, sofern eine gegen die Religion ge370 So aber v. Ungern-Sternberg, Öffentliche Auseinandersetzung, in: Freiheit – Sicherheit – Öffentlichkeit, S. 61, 78. 371 Auf die mögliche Ausgestaltung einer persönlichkeitsschützenden Strafnorm sowie auf die Sinnhaftigkeit einer solchen Regelung ist im Folgenden noch einzugehen, s. 5. Kapitel B. I. 4.
C. Überblick über die Grundrechtslage in Frankreich
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richtete Äußerung auch einen Angriff gegen die Person der Gläubigen beinhaltet. Dieses Schutzgut zwingt jedoch zu einer individualbezogenen und restriktiven Ausgestaltung der Verbotstatbestände. Fehlt es an diesen Voraussetzungen, ist eine strafrechtliche Ahndung religionsfeindlicher Äußerungen jedoch verfassungsrechtlich nicht zu rechtfertigen. Der herrschenden Ansicht, die solche Straftatbestände über den Schutz des öffentlichen Friedens legitimieren will, ist insofern zu widersprechen, da keine der zahlreichen Interpretationsvarianten dieses unbestimmten Allgemeinguts überzeugt: Ein allgemeiner Schutz vor gewalttätigen Ausschreitungen scheitert beispielsweise daran, dass diese dem Äußernden nicht zurechenbar sind; ein friedliches Klima ist für sich genommen nicht schutzwürdig, da in einer pluralistischen Gesellschaft auch Meinungsdifferenzen hingenommen werden müssen. Unter engen Voraussetzungen scheinen strafrechtliche Verbote religionsbeschimpfender Aussagen somit zulässig. Ob sie allerdings auch verhältnismäßig und zweckmäßig sind, das heißt, ob es einer lebendigen und demokratischen Gesellschaft angemessen ist, für geistige Auseinandersetzungen Strafrecht und Strafrichter zu bemühen, ist damit aber noch nicht gesagt.
C. Überblick über die Grundrechtslage in Frankreich Nachdem die sich gegenüberstehenden Interessen nach deutschem (Verfassungs-) Recht untersucht wurden, soll nun auch die französische Seite kurz beleuchtet werde. Hierbei werden die Besonderheiten im Vordergrund stehen, die das französische System vom deutschen unterscheiden. Es sind insofern zwei wesentliche Aspekte darzustellen: Zunächst die formelle Seite des Grundrechtsschutzes, da die Quellen des Freiheitsschutzes in Frankreich weniger klar systematisiert sind als der eben gesehene Grundrechtskatalog des Grundgesetzes. Im Anschluss daran sind die inhaltlichen Freiheitsgarantien des französischen Rechts zu untersuchen, die im Bereich von Religionsfeindlichkeit zum Zuge kommen können und der Gesetzgebung zugrunde liegen.
I. Grundsätze des französischen Grundrechtsschutzes Auch wenn sich Frankreich gerne als patrie des droits de l’homme, als Vaterland der Menschenrechte bezeichnet, verfügt die französische Verfassung vom 4. Oktober 1958, die der V. Republik zugrunde liegt, nicht über einen dem Grundgesetz vergleichbaren Grundrechtskatalog. Klassischerweise werden die wesentlichen Freiheiten des Einzelnen nicht durch das Verfassungsrecht, sondern durch das Verwaltungsrecht geschützt. Ursache dafür ist das traditionelle – auf Jean-Jacques Rous-
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seau zurückgehende372 – Verständnis, dass das Gesetz stets Ausdruck der volonté générale, des allgemeinen Willens, und deshalb quasi unfehlbar ist. Dem Gesetzgeber wird nach dieser Konzeption ein ungleich größeres Vertrauen entgegengebracht als der Verfassung. Das äußert sich auch dahingehend, dass auf Grund des sogenannten écran législatif bzw. der théorie de la loi écran bei der Kontrolle eines Verwaltungsakts, der auf einem Gesetz beruht, stets nur die Vereinbarkeit mit dem Gesetz, nicht aber mit der Verfassung überprüft werden darf, da ersterem innerhalb der Normenhierarchie eine abschirmende Wirkung zukommt.373 Die gesetzlich kodifizierten Rechte und Freiheiten werden in diesem Sinne als libertés publiques,374 als öffentliche Freiheiten bezeichnet. Auch heute noch werden zum Teil essentielle Rechte wie beispielsweise die Pressefreiheit durch einfaches Gesetzesrecht statuiert und konkretisiert. Hierbei fällt auf, dass das französische Schrifttum die gesetzliche Konkretisierung häufig nicht als Einschränkung versteht, sondern als Ausgestaltung, ohne die die Bürger ihre Freiheiten nicht wahrnehmen könnten: „La liberté sera d’autant plus réelle, effective, si ces conditions d’exercice sont aménagées de façon adéquate.“ – Die Freiheit wird umso wirklicher, umso effektiver, desto angemessener die Bedingungen ihrer Ausübung ausgestaltet werden.375 Denn Facetten der Freiheit, die nicht im Gesetz verankert sind, sind leichter einschränkbar.376 1. Verfassungsrechtliche und einfachrechtliche Freiheitsrechte Trotzdem stellt auch das Verfassungsrecht im weiteren Sinne zumindest programmatische Freiheitsgewährleistungen auf: Die Präambel der Verfassung von 1958 proklamiert schon in ihrem ersten Satz die Menschenrechtsverbundenheit der Republik und verweist hierzu auf die Déclaration des droits de l’homme et du citoyen du 26 août 1789,377 die Präambel der Verfassung vom 27. Oktober 1946 sowie (später) auf die Rechte und Pflichten der Umweltcharta von 2004. Zunächst kam den 372 Rousseau, Du contrat social ou principes du droit politique, S. 31 ff. s. hierzu auch Art. 6 der Menschen- und Bürgerrechtserklärung. 373 So die st. Rechtsprechung des Conseil d’Etat , s. grundlegend CE, 06. 11. 1936, Rec., S. 966 – Arrighi; nachfolgend CE, 02. 10. 1996, AJDA 1996, 1022 – Commune de BourgCharente; 05. 01. 2005, Rec., S. 1 – Mlle Deprez et M. Baillard; 16. 12. 2005, AJDA 2006, 357 – Syndicat national des huissiers de justice; s. ausführlich zu diesem Prinzip auch Verpeaux, Contrôle de constitutionnalité des actes administratifs (28 – Actes) in: Rép. de contentieux administratif Rn. 111 ff. 374 So die Differenzierung insbesondere bei Favoreu et al., Droit constitutionnel, Rn. 1282; s. auch im Folgenden in diesem Kapitel Fn. 381. 375 Morange, La conception française de la liberté d’expression, in: La liberté d’expression aux Etats-Unis et en Europe, S. 157, 169. Daraus resultiert auch die Schwierigkeit, die Schutzbereiche der gewährleisteten Freiheiten abstrakt darzustellen, denn in der Literatur ist es üblich, eine Freiheit erst anhand ihrer konkreten gesetzlichen Ausgestaltung darzustellen. 376 Morange, La conception française de la liberté d’expression, in: La liberté d’expression aux Etats-Unis et en Europe, S. 157, 169. 377 Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte vom 26. 08. 1789.
C. Überblick über die Grundrechtslage in Frankreich
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so garantierten Rechten aber vor allem symbolische Bedeutung zu, da es an einem Verfahren zu ihrer Durchsetzung fehlte und sie erst durch ihre einfachgesetzliche Konkretisierung Wirkung entfalten konnten.378 Erst in der neueren Rechtsgeschichte entwickelt sich – inspiriert von anderen Rechtsordnungen wie etwa Deutschland und Spanien – in der juristischen Literatur das Bedürfnis nach verfassungsrechtlich gewährleisteten Grundfreiheiten und -rechten. Nachdem der juristische Wert der Präambel und ihrer Verweisungen zunächst umstritten war, entschied der Conseil constitutionnel, der Verfassungsrat, 1971,379 dass als Maßstab der Vereinbarkeitsprüfung einer Normenkontrolle nicht nur der Verfassungstext selbst, sondern auch seine Präambel und die von ihr aufgezählten Texte heranzuziehen sind. Damit war der Begriff des bloc de constitutionnalité, „Verfassungsblock“, geboren. Seither können im Rahmen einer Normenkontrolle, die bis vor kurzem ausschließlich vor Verabschiedung der Vorschrift stattfand,380 Gesetze auch im Hinblick auf ihre Vereinbarkeit mit den verfassungsrechtlich garantierten Freiheiten und nicht mehr ausschließlich mit Kompetenznormen und formellen Anforderungen überprüft werden. Mit dieser Entwicklung erlangte der verfassungsrechtliche Freiheitsschutz wachsende Bedeutung und auch der Begriff der droits fondamentaux (Grundrechte) verbreitete sich – in Anlehnung an die deutsche Konzeption – als Bezeichnung für materielle Freiheiten, die entweder verfassungsrechtlich oder durch internationales Recht garantiert werden.381 Besonderen Auftrieb bekam die verfassungsrechtlich orientierte Konzeption durch die Einführung der question prioritaire de constitutionnalité, die seit dem verfassungsändernden Gesetz vom 23. Juli 2008382 in Art. 61-1 der Verfassung vorgesehen ist. Diese seit dem 1. März 2010 mögliche383 sogenannte QPC ist ein Verfahren, mit dem die Verfassungsmäßigkeit bereits in Kraft getretener Normen im Rahmen eines laufenden Gerichtsverfahrens kontrolliert werden kann.384 Auf Antrag der Parteien entscheidet das jeweils oberste Gericht 378 Vgl. zu dieser Entwicklung Rivero, RIDC, n8 29 (1977), 9, 11 ff. und zur zurückhaltenden Anerkennung der Präambel von 1946 CE, 07. 07. 1950, Rec. S. 426. 379 CC, 16. 07. 1971, n8 71-44 DC – Liberté d’association. 380 Art. 61 al. 2 Verfassung von 1958. Zum neuen Verfahren der question prioritaire de constitutionnalité s. unten in diesem Abschnitt. 381 Favoreu et al., Droit constitutionnel, Rn. 1277 ff., die auch die wesentlichen Unterschiede zwischen dem auf einfachgesetzlichen Schutz vor der Exekutive ausgerichteten System der libertés publiques und dem auf verfassungsrechtlichen Schutz gegenüber sämtlichen Staatsgewalten bezogenen Prinzip der libertés fondamentales erläutern. Diese Differenzierung zwischen den Begriffen ist aber nicht unumstritten, s. zu den vertretenen Auffassungen etwa Mahnke, Grundrechte und libertés publiques, S. 20 ff. Vgl. zum Begriff der droits fondamentaux auch Champeil-Desplats, D. 1995, chron., 323 ff.; Picard, ADJA 1998, 6 ff. 382 Art. 29 der Loi constitutionnelle n8 2008-724 du 23 juillet 2008 de modernisation des institutions de la Ve République, JORF n80171 v. 24. 07. 2008, S. 11890. 383 Die verfassungsrechtliche Vorgabe bedurfte einer einfachgesetzlichen Konkretisierung, die durch die loi organique n8 2009-1523 du 10 décembre 2009 relative à l’application de l’article 61-1 de la Constitution, JORF n8 0287 v. 11. 12. 2009, S. 21379, erlassen wurde. 384 Ausführlich zu diesem Verfahren Drago, Contentieux constitutionnel français, Rn. 413 ff.
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2. Kap.: Verfassungsrechtliche Vorgaben
(Conseil d’Etat oder Cour de cassation) darüber, ob das konkrete Verfahren unterbrochen und die abstrakte Frage der Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes an den Conseil constitutionnel übergeben werden soll. So stehen inzwischen auch bereits in Kraft getretene Gesetze einer verfassungsrechtlichen Überprüfung offen. Als Quellen für diese droits fondamentaux kommen also neben der insoweit wenig ergiebigen Verfassung von 1958 die Bürger- und Menschenrechtserklärung von 1789 sowie die Präambel der Verfassung von 1946 in Betracht. Letztere garantiert neben einzeln aufgezählten principes politiques, économiques et sociaux particulièrement nécessaires à notre temps (politischen, wirtschaftlichen und sozialen Prinzipien, die in unserer Zeit besonders notwendig sind), die etwa das Streik- und Koalitionsrecht sowie eine soziale Sicherung und ein Recht auf Arbeit umfassen, auch die principes fondamentaux reconnus par les lois de la République (PFRLR), also die von den Gesetzen der Republik anerkannten, grundsätzlichen Prinzipien. Hierdurch sollen vor allem die übrigen Errungenschaften der III. Republik Verfassungsrang erhalten.385 Da diese nicht enumerativ aufgelistet werden, verfügt der Conseil constitutionnel über einen weiten Einschätzungsspielraum und etablierte seit der Grundentscheidung zur Vereinigungsfreiheit386 unter anderem die Lehr- und die Gewissensfreiheit,387 die persönliche Freiheit,388 und die Wissenschaftsfreiheit389 als geschützte Prinzipien. Zwar nicht von Verfassungsrang, aber trotzdem von grundlegender Bedeutung für den Schutz persönlicher Freiheiten in Frankreich sind internationale Vereinbarungen, allen voran die Europäische Menschenrechtskonvention. Während das deutsche Bundesverfassungsgericht letztere als Auslegungshilfe für die grundgesetzlichen Freiheiten heranzieht,390 bildet sie in Frankreich eine „regelmäßige Bezugsquelle für die Ableitung von libertés publiques“.391 Das besondere Gewicht internationaler Verträge für den Grundrechtsschutz äußert sich auch darin, dass die Gerichte – sowohl der ordentlichen als auch der Verwaltungsgerichtsbarkeit – Gesetze auf ihre Vereinbarkeit mit diesen Texten überprüfen können: die sogenannte contrôle de conventionnalité. Nachdem der Conseil constitutionnel seine Zuständigkeit in dieser Frage verneint und der Menschenrechtskonvention damit eine Teilhabe am bloc de constitutionnalité abgesprochen hat,392 übernahmen zunächst die Cour de cassation393 und schließlich auch der Conseil d’Etat394 die Überprüfung des von Art. 55 der 385 Wachsmann, Libertés publiques, S. 100 f.; Lebreton, Libertés publiques et droits de l’homme, S. 95 f., 100 f.; s. allgemein zu dieser Kategorie Genevois, RFDA 1998, 477 ff. 386 CC, 16. 07. 1971, n8 71-44 DC – Liberté d’association. 387 CC, 23. 11. 1977, n8 77-87 DC – Liberté d’enseignement. 388 CC, 12. 01. 1977, n8 76-75 DC – Fouille de véhicules. 389 CC, 20. 01. 1984, n8 83-165 DC – Libertés universitaires. 390 BVerfGE 111, 307, 315 ff. – Görgülü; 128, 326, 366 ff. – Sicherungsverwahrung. 391 Mahnke, Grundrechte und libertés publiques, S. 56. 392 CC, 15. 01. 1975, n8 74-54 DC – IVG. 393 Cass. mixte, 24. 05. 1975, n8 73-13.556 Bull. mixte n8 4 – Café Jacques Vabre.
C. Überblick über die Grundrechtslage in Frankreich
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Verfassung vorgeschriebenen Vorrangs internationaler Verträge vor nationalen Gesetzen. Wenn auch inzwischen eine Kontrolle der Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes durch Private angeregt werden kann, so hat doch die contrôle de conventionnalité durch ihr leichter zugängliches Verfahren und ihre längere Tradition immer noch eine erhebliche praktische Bedeutung. Sowohl die Normen der Menschenrechtskonvention als auch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte finden so Eingang in die französische Rechtskultur. Auf diese Ursachen ist es zurückzuführen, dass internationale Vereinbarungen über Menschenrechte und Grundfreiheiten einen erheblichen Einfluss auf die französische Grundrechtslehre entfalten und im Schrifttum regelmäßig als zentrale Grundlagen Beachtung finden.395 2. Freiheitsbeschränkungen Schon denklogisch können selbst verfassungsmäßig garantierte Freiheiten nie unbegrenzt sein, da sie untereinander in Konflikt geraten können. Auch nach französischem Verständnis sind die Grundrechte deshalb stets gewissen Schranken unterworfen. So sieht die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte von 1789 in Art. 4 und 5 Schranken der Freiheiten und deren Grenzen vor.396 Diese bestimmen, dass Beschränkungen der Freiheitsrechte grundsätzlich nur zum Schutz der Rechte anderer vorgenommen werden dürfen.397 Gemäß Art. 34 der Verfassung von 1958 fällt diese Aufgabe ausschließlich dem Gesetzgeber zu.398 Hier spiegelt sich das Verständnis wider, dass verfassungsrechtliche Freiheiten erst durch gesetzliche Aus394
CE, 20. 10. 1989, Rec. S. 190 – Nicolo. So z. B. Gonzales, Liberté de pensé, de conscience et de religion, in: Dictionnaire des droits de l’homme, S. 504, der den Inhalt der Religionsfreiheit nach französischem Recht wesentlich anhand der Rechtsprechung des EGMR charakterisiert. 396 Art. 4. La liberté consiste à pouvoir faire tout ce qui ne nuit pas à autrui: ainsi, l’exercice des droits naturels de chaque homme n’a de bornes que celles qui assurent aux autres Membres de la Société la jouissance de ces mêmes droits. Ces bornes ne peuvent être déterminées que par la Loi. – Die Freiheit besteht darin, alles tun zu können, was anderen nicht schadet: So hat die Ausübung der natürlichen Rechte jedes Menschen keine Grenzen außer denen, die sicherstellen, dass die anderen Mitgliedern der Gesellschaft dieselben Rechte genießen können. Diese Grenzen dürfen nur durch das Gesetz bestimmt werden. Art. 5. La Loi n’a le droit de défendre que les actions nuisibles à la Société. Tout ce qui n’est pas défendu par la Loi ne peut être empêché, et nul ne peut être contraint à faire ce qu’elle n’ordonne pas. – Das Gesetz darf nur Handlungen verbieten, die der Gesellschaft schaden. Alles, was nicht durch das Gesetz verboten ist, darf nicht verhindert werden und niemand darf zu etwas gezwungen werden, was nicht durch das Gesetz befohlen wird. 397 Für die liberté de conscience sieht Art. 10 der Erklärung allerdings ausdrücklich die Möglichkeit einer Einschränkung zugunsten des ordre public vor; s. hierzu unten in diesem Kapitel C. II. 4. 398 La loi fixe les règles concernant: les droits civiques et les garanties fondamentales accordées aux citoyens pour l’exercice des libertés publiques. – Das Gesetz bestimmt die Regeln bezüglich der Bürgerrechte und der grundsätzlichen Garantien, die den Bürgern zur Ausübung ihrer libertés publiques gewährt werden. 395
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2. Kap.: Verfassungsrechtliche Vorgaben
gestaltung ihre volle Wirksamkeit erreichen können.399 Dem Conseil constitutionnel verbleibt eine Kontrolle darüber, ob sich der Gesetzgeber im Rahmen der verfassungsrechtlichen Grenzen bewegt.400 Als Grenze der Gestaltungsfreiheit betont er, dass der Gesetzgeber eine bereits bestehende liberté fondamentale nur modifizieren darf, um ihre Ausübung noch wirksamer zu gestalten oder sie mit einem Prinzip von Verfassungsrang zu vereinbaren.401 Es muss unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles eine bestmögliche Vereinbarkeit der betroffenen Rechtspositionen herausgearbeitet werden,402 wobei sich der Kriterien bedient wird, die aus der deutschen Grundrechtsprüfung bekannt sind: Maßnahmen, die verfassungsrechtlich garantierte Freiheiten beschränken, müssen nécessaire, erforderlich, und proportionnel, verhältnismäßig, sein.403 Insgesamt zeigt sich, dass, im Gleichklang mit der zunehmenden Konstitutionalisierung der Grundfreiheiten, die Kontrolle der Verfassungsmäßigkeit von Grundrechtsbeschränkungen in den letzten Jahren strenger geworden ist404 und auch auf diese Weise die libertés fondamentales an Bedeutung gewinnen.
II. Besonderheiten im französischen Grundrechtsschutz in Bezug auf religionsfeindliche Äußerungen Für den vorliegenden Konflikt von großer Bedeutung sind die Grundfreiheiten der Menschen- und Bürgerrechtserklärung, vor allem Art. 10405 und 11.406 Ersterer bildet 399 Morange, La conception française de la liberté d’expression, in: La liberté d’expression aux Etats-Unis et en Europe, S. 157, 169. 400 CC, 11. 10. 1984, n8 84-181 DC – Entreprises de presse. s. zum Verhältnis der gesetzlichen und verfassungsrechtlichen Garantien in diesem Zusammenhang Mollion, RFDC n8 62 (2005), 257, 258 ff. 401 CC, 11. 10. 1984, n8 84-181 DC – Entreprises de presse: „S’agissant d’une liberté fondamentale, […] la loi ne peut en réglementer l’exercice qu’en vue de le rendre plus effectif ou de le concilier avec celui d’autres règles ou principes de valeur constitutionnelle.“ 402 s. hierzu Drago, D. 1991, chron., 265 ff. 403 CC, 28. 05. 2010, n8 2010-3 QPC – Union des familles en Europe; s. dazu auch De Lamy, Liberté d’opinion et droit pénal, Rn. 216; Drago, D. 1991, chron., 265, 266 f.; Droin, Limitations à la liberté d’expression, Rn. 160; Philippe, Le contrôle de proportionnalité, S. 114, 246, 421 ff., 497; Arnold, JöR 38 (1989), 197, 213 ff. Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt auch schon Genevois, La jurisprudence du Conseil constitutionnel, Rn. 342. 404 v. Ungern-Sternberg, Religionsfreiheit in Europa, S. 98 f.; Genevois, La jurisprudence du Conseil constitutionnel, Rn. 460 ff. So ging diesem strengen Prüfungsmaßstab eine nachgiebigere Phase des Conseil constitutionnel voraus, in der er lediglich feststellte, dass das Handeln des Gesetzgebers nicht offensichtlich unverhältnismäßig war, s. dazu Philippe, Le contrôle de proportionnalité, S. 148. 405 „Nul ne doit être inquiété pour ses opinions, même religieuses, pourvu que leur manifestation ne trouble pas l’ordre public établi par la Loi.“ – Niemand darf für seine Meinungen, auch die religiösen, belästigt werden, solange ihre Bekundung nicht die durch das Gesetz errichtete öffentliche Ordnung beeinträchtigt.
C. Überblick über die Grundrechtslage in Frankreich
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den Ursprung der Religionsfreiheit in Frankreich,407 auch wenn diese mittlerweile durch weitere Quellen wie etwa Abs. 1408 und Abs. 5409 der Präambel von 1946 oder nach der Rechtsprechung des Conseil constitutionnel410 auch als PFRLR garantiert wird. Art. 11 der Déclaration des droits de l’homme et du citoyen hingegen kodifiziert die Meinungs- und Pressefreiheit. Die Terminologie und Systematik ist dabei nicht ganz einheitlich: liberté d’expression (Meinungsäußerungsfreiheit), liberté d’opinion (Meinungsfreiheit), liberté de pensée (Gedankenfreiheit), liberté de l’information (Informationsfreiheit), liberté de presse (Pressefreiheit), liberté des médias (Medienfreiheit), liberté de la communication (Kommunikationsfreiheit) – all diese Begrifflichkeiten tauchen auf und werden in unterschiedlichem Verhältnis zueinander verstanden.411 1. Meinungs-, Kunst- und Pressefreiheit Die besondere Bedeutung der Meinungsfreiheit wird durch die französische Rechtsprechung und Literatur – ähnlich wie auch durch das Bundesverfassungsgericht und das deutsche juristische Schrifttum412 – regelmäßig herausgestellt. Schon die Déclaration des droits de l’homme et du citoyen stellt sie in Art. 11 ausdrücklich als eines der wertvollsten Menschenrechte dar. In diesem Sinne betont der Conseil constitutionnel den besonderen Wert dieses Rechts, auch als Grundlage sämtlicher anderer Rechte.413 Wie in Deutschland wird ein Bezug zwischen Meinungsfreiheit 406 „La libre communication des pensées et des opinions est un des droits les plus précieux de l’Homme: tout Citoyen peut donc parler, écrire, imprimer librement, sauf à répondre de l’abus de cette liberté dans les cas déterminés par la Loi.“ – Die freie Kommunikation der Gedanken und der Meinungen ist eins der wertvollsten Menschenrechte: Jeder Bürger darf also frei sprechen, schreiben und drucken, außer in den durch das Gesetz bestimmten Fällen des Missbrauchs dieser Freiheit. 407 Rambaud, in: JCl. Libertés Fasc. 880, Rn. 17. 408 „… le peuple français proclame à nouveau que tout être humain, sans distinction de race, de religion ni de croyance, possède des droits inaliénables et sacrés.“ – … proklamiert das französische Volk aufs Neue, dass jedem menschlichen Wesen, ohne Unterscheidung nach Rasse, Religion oder Glaube unveräußerliche und heilige Rechte besitzt. 409 „Nul ne peut être lésé, dans son travail ou son emploi, en raison de ses origines, de ses opinions ou de ses croyances.“ – Niemand darf bei seiner Arbeit oder seinem Beruf auf Grund seiner Herkunft, seiner Überzeugungen oder seines Glaubens beeinträchtigt werden. 410 CC, 23. 11. 1977, n8 77-87 DC – Liberté d’enseignement; 27. 06. 2001, n8 2001-446 DC – IVG II. 411 s. etwa Wachsmann, Liberté d’expression, in: Dictionnaire des droits de l’homme, S. 498; ders., in: JCl. Libertés Fasc. 800 Rn. 1; etwas anders beispielsweise Thierry, in: JCl. Lois pénales spéciales, V8 Presse et communication Fasc. 20, Rn. 7. 412 s. hierzu oben in diesem Kapitel A. I. 413 CC, 11. 10. 1984, n8 84-181 DC – Entreprises de presse: „s’agissant d’une liberté fondamentale, d’autant plus précieuse que son exercice est l’une des garanties essentielles du respect des autres droits et libertés et de la souveraineté nationale, la loi ne peut en réglementer l’exercice qu’en vue de le rendre plus effectif ou de le concilier avec celui d’autres règles ou
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und Demokratie hergestellt, der zu einem verstärkten Schutz von Äußerungen führt, die – wenn auch nicht direkt politisch – so doch mit Bezug auf das öffentliche Interesse getätigt werden.414 Durch diese doppelte Schutzrichtung – die individuelle Entfaltung und die Gewährleistung der Demokratie – gilt die Meinungsfreiheit als „Schlüssel“ der Grundrechte415 oder als notwendige Bedingung, ohne die die anderen Rechte nicht wirksam ausgeübt werden können.416 Die Freiheit der Meinung wird nach der Rechtsprechung des Conseil constitutionnel umfassend gewährleistet und beinhaltet in diesem Sinne den gesamten Kommunikationsprozess. Als liberté d’opinion garantiert sie zunächst, sich eine Meinung zu bilden und nicht auf Grund dieser benachteiligt zu werden. An dieser Stelle ergibt sich eine Schnittstelle mit der Religionsfreiheit, denn die liberté de conscience, Gewissens- oder Überzeugungsfreiheit, erstreckt sich sowohl auf religiöse als auch auf politische, philosophische oder moralische Überzeugungen.417 Diese umfassende Gewährleistung könnte auch erklären, warum der Conseil constitutionnel nicht auf Art. 10 der Menschen- und Bürgerrechtserklärung, sondern auf die PFRLR zurückgegriffen hat, um die liberté de conscience verfassungsrechtlich zu verankern. Neben der Freiheit, eine Meinung zu haben, umfasst die weit verstandene liberté d’expression auch das Recht, diese Meinung in jedweder Form – also auch in der Presse oder in anderen (Massen-)Medien – zu äußern.418 Dazu gehört nach der Rechtsprechung des Conseil constitutionnel auch ein „droit d’expression collective des idées et des opinions“,419 also das Recht, Ideen und Meinungen im Rahmen von Kollektiven, insbesondere in Demonstrationen und anderen Versammlungen, zu äußern. Darüber hinaus hat der Verfassungsrat den Schutzbereich auch auf die Empfänger der Meinungsäußerungen ausgeweitet: Unter dem Stichwort liberté d’information garantiert er den Adressaten der (Massen-)Kommunikation eine freie Auswahl an Informationen unterschiedlicher Tendenz.420 In diesem Sinne erklärte principes de valeur constitutionnelle.“ – Da es sich um eine grundlegende Freiheit handelt, umso wertvoller als ihre Ausübung eine der wesentlichen Garantien der anderen Rechte und Freiheiten sowie der nationalen Souveränität darstellt, kann das Gesetz die Ausübung nur in einer Weise regulieren, um ihre tatsächliche Wirksamkeit zu steigern oder um sie mit anderen Regeln oder Prinzipien von Verfassungsrang zu vereinbaren. So auch Mathieu, RDP 2007, 231, 235 f.; Wachsmann, Liberté d’expression in: Dictionnaire des droits de l’homme, S. 500. 414 Wachsmann, in: JCl. Libertés Fasc. 800, Rn. 2. 415 Bioy, Droits fondamentaux et libertés publiques, Rn. 1030. 416 Letteron, Libertés publiques, Rn. 537. 417 de Lamy, Liberté d’opinion et droit pénal, Rn. 204. 418 Zu diesem Element der Meinungsäußerungsfreiheit Wachsmann, Liberté d’expression in: Dictionnaire des droits de l’homme, S. 499. 419 CC, 18. 01. 1995, n8 94-352 DC – Vidéosurveillance. 420 CC, 11. 10. 1984, n8 84-181 – Entreprises de presse: „La libre communication des pensées et des opinions, garanties par l’article 11 de la Déclaration des droit de l’homme et du citoyen de 1789, ne serait pas effective si le public auquel s’adressent ces quotidiens n’était pas à même de disposer d’un nombre suffisant de publications de tendances et de caractères dif-
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der Conseil constitutionnel auch die Bewahrung des Pluralismus in den Medien zu einem Ziel mit Verfassungsrang.421 Im Hinblick auf diesen weiten Schutzumfang ist die liberté d’expression damit im Wesentlichen mit Art. 5 Abs. 1 GG vergleichbar.422 Der Begriff der Meinung ist weit zu verstehen: Die Terminologie reicht von opinion, Meinung, über pensées, Gedanken, und idées, Ideen, bis zu informations, ohne dass insofern eine inhaltliche Differenzierung erkennbar wird.423 Als Form der Äußerung kommen sämtliche Ausdrucksmittel in Betracht. Das Spektrum erstreckt sich über das geschriebene und gesprochene Wort, Bilder und Symbole, aber auch Musik, Film und Theater.424 Zwar ergibt sich weder aus dem Wortlaut des bloc de constitutionnalité noch aus der interpretierende Rechtsprechung des Conseil constitutionnel eine eigenständig geschützte Kunstfreiheit, die liberté d’expression artistique wird allerdings auf Grund dieser umfassenden Ausdrucksformen im Ergebnis von der liberté d’expression mit umfasst.425 Für diese Interpretation können sich die Rechtsprechung und Lehre auf die Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte stützen, der ebenfalls die Kunstfreiheit als Unterfall der Meinungsäußerungsfreiheit aus Art. 10 EMRK einstuft: Dieser gewähre das Recht, kulturelle, politische und soziale Informationen und Ideen jeder Art zu erhalten und zu kommunizieren, ohne dabei zwischen den Aus-
férents; qu’en définitive l’objectif à réaliser est que les lecteurs qui sont au nombre de destinataires essentiels de la liberté proclamée par l’article 11 de la Déclaration de 1789 soient à même d’exercer leur libre choix sans que ni les intérêts privés ni les pouvoirs publics puissent y substituer leurs propres décisions ni qu’on puisse en faire l’objet d’un marché.“ – Die freie Kommunikation von Gedanken und Ideen, wie sie von Art. 11 der Menschen- und Bürgerrechtserklärung von 1789 garantiert wird, hätte keine Wirkung, wenn die Öffentlichkeit, an die sich die Tageszeitungen richten, nicht über eine ausreichende Anzahl von Veröffentlichungen mit unterschiedlichen Tendenzen und Eigenschaften verfügen würde; schließlich gilt es als Ziel zu erreichen, dass die Leser, die die wesentlichen Adressaten der von Art. 11 der Erklärung von 1789 proklamierten Freiheit ausmachen, in der Lage sind, ihre freie Auswahl auszuüben, ohne dass private Interessen oder die öffentliche Gewalt ihre Entscheidungen ersetzen können oder sie zum Objekt eines Marktes werden. (Fast identisch die Formulierung für die audiovisuellen Medien in CC, 21. 01. 1994, n8 93-333 – Loi sur la liberté de communication). 421 Objectif à valeur constitutionnelle, s. CC, 27. 07. 1982, n8 82-141 DC – Loi sur la communication audiovisuelle. Diese Zielsetzungen sind keinem der verfassungsrechtlichen Texte direkt zu entnehmen, sondern eine freie Schöpfung des Verfassungsrats, der sie seit der Entscheidung CC, 19. und 20. 01. 1981, n8 80-127 DC – Securité et liberté, als Teil des bloc de constitutionnalité begreift. s. zu dieser Kategorie de Montalivet, Les objectifs de valeur constitutionnelle, 2006; Verpeaux, Contrôle de constitutionnalité des actes administratifs (38 – Normes de références) in: Rép. de contentieux administratif Rn. 231 ff. 422 Stegmann, Tatsachenbehauptung und Werturteil, S. 22, der darauf hinweist, dass sich das BVerfG im Lüth-Urteil (BVerfGE 7, 198, 208) auf Art. 11 der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte bezieht. 423 Wachsmann, Liberté d’expression in: Dictionnaire des droits de l’homme, S. 499. 424 Wachsmann, Liberté d’expression in: Dictionnaire des droits de l’homme, S. 499. 425 TGI Paris, 09. 05. 2007, zitiert von Lepage/Marino/Bigot, D. 2007, 2771, 2779; Bioy, Droits fondamentaux et libertés publiques, Rn. 1056.
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drucksformen zu differenzieren.426 Diese Auslegung unterstütze schließlich auch der Hinweis der Norm auf „Hörfunk-, Fernseh- oder Kinounternehmen“ sowie Art. 19 Abs. 2 des UN-Zivilpakts, der die Verbreitung von Gedankengut in Form von Kunstwerken ausdrücklich unter die Meinungsäußerungsfreiheit fasst.427 Zum Teil wird diese Integrierung der Kunstfreiheit in die Meinungsfreiheit aber auch kritisch bewertet: Die Assimilation der Kunst mit einer bestimmten Ausdrucksform der Meinungsfreiheit reduziere die Freiheit der Kunst, die doch viel mehr, aber auch viel weniger als eine Meinungsäußerung sein könne.428 Die Kunstfreiheit („liberté des arts“) sei eben nicht identisch mit einer künstlerischen Äußerungsfreiheit („liberté d’expression artistique“).429 Als ein anderer wesentlicher Aspekt der umfassend verstandenen liberté d’expression ergibt sich die liberté de la presse. Die Pressefreiheit okkupiert in der französischen Grundrechtstradition eine besonders bedeutende Position. Zum einen ist sie durch Art. 11 der Déclaration des droits de l’homme et du citoyen verfassungsrechtlich geschützt, zum anderen ordnet der Conseil constitutionnel sie als liberté fondamentale de premier rang, als Grundfreiheit ersten Ranges ein.430 Daneben hat sie aber auch einfachrechtlichen – vorkonstitutionellen – Ausdruck erhalten. Die loi sur la liberté de la presse vom 29. Juli 1881 betont in ihrem Art. 1: „L’imprimerie et la librairie sont libres.“431 Darüber hinaus trifft sie abschließende Regelungen über das Pressewesen in Frankreich, indem sie sowohl Garantien (etwa die grundlegende Unzulässigkeit von Vorzensur, das fehlende Erfordernis der Erlaubnis zur Herausgabe sowie die Geheimhaltung der journalistischen Quellen) als auch die einzig zulässigen Einschränkungen der Pressefreiheit (etwa die hier behandelten Straftaten der provocation à la haine, der diffamation und injure publiques) vorsieht. Das Gesetz betrifft dabei nicht nur die Pressefreiheit, sondern auch – durch die Sanktionierung öffentlicher Äußerungen außerhalb von Druckwerken432 – die allgemeine Meinungsäußerungsfreiheit. Die Freiheit audiovisueller Medien hingegen genießt keinen der Pressefreiheit vergleichbaren Schutz. Zwar ist auch sie in der verfassungsrechtlichen Garantie des Art. 11 der Menschen- und Bürgerrechtserklärung enthalten,433 nach Ansicht des Verfassungsrats handelt es sich aber um eine dieser „Freiheiten, die weder allgemein noch absolut sind“ und „die nur im Hinblick
426 EGMR, Müller et al. c. Suisse, 24. 05. 1988, 10737/84, Rn. 27; vgl. auch Dupuy, RDH VII (1974), 41. 427 EGMR, Müller et al. c. Suisse, 24. 05. 1988, 10737/84, Rn. 27. 428 Pontier, Liberté des arts, in: Dictionnaire des droits de l’homme, S. 506, 507. 429 Pontier, Liberté des arts, in: Dictionnaire des droits de l’homme, S. 506, 507. 430 Favoreu et al., Droit des libertés fondamentales, Rn. 325. 431 Das Druckwesen und der Buchhandel sind frei. 432 s. dazu unten 4. Kapitel A III. und B. I. 2. a) dd). 433 CC, 18. 09. 1986, n8 86-217 DC – Loi relative à la liberté de communication; Fraisse, in: JCl. Adm., Fasc. 270 Rn. 13.
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auf einen gesetzlichen Regulierungsrahmen bestehen können.“434 Insbesondere ist in diesem Bereich das System einer „autorisation préalable“, also dem Erfordernis einer vorhergehenden behördlichen Erlaubnis nicht grundsätzlich unzulässig.435 2. Religionsfreiheit und Laizität Auch für die Religionsfreiheit können unterschiedliche Rechtsgrundlagen hinzugezogen werden. Neben den eben schon zitierten Art. 10 und 11 der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte von 1789, ist insbesondere auch der Beginn des Art. 1 der Verfassung von 1958 zu nennen: „La France est une République indivisible, laïque, démocratique et sociale. Elle assure l’égalité devant la loi de tous les citoyens sans distinction d’origine, de race ou de religion. Elle respecte toutes les croyances.“436 Der Schwerpunkt der verfassungsrechtlichen Garantie liegt textlich gesehen auf der Bekenntnisfreiheit. Schon die Déclaration des droits de l’homme et du citoyen stellt im Wesentlichen auf die opinion religieuse, also die religiöse Überzeugung, das Bekenntnis, ab und auch die übrigen Normen des bloc de constitutionnalité beziehen sich vor allem darauf, dass dem Bürger durch ein bestimmtes religiöses Bekenntnis keine Nachteile entstehen dürfen. So betont wie Art. 1 der Verfassung von 1958 auch die Präambel von 1946 in ihren Art. 1 und 5, dass eine Differenzierung nach Religion oder Überzeugung stets unzulässig ist. Unbeschränkt ist also zunächst nur die Freiheit, eine Religion zu haben. Art. 1 der Verfassung von 1958 geht jedoch insofern darüber hinaus, dass der Republik die Verpflichtung auferlegt, die verschiedenen Überzeugungen zu respektieren. Unterschiedlich wird allerdings beurteilt, ob die Norm dem Staat lediglich verbietet, religiöse Überzeugungen durch eigene Maßnahmen zu beeinträchtigen437 oder ob sie ihn auch zum Schutz des religiösen Bekenntnisses gegenüber Privaten verpflichtet.438 Allerdings offenbaren die Texte auch eine gewisse Zurückhaltung des französischen Rechts in Bezug auf das forum externum. Ist die Bildung des Bekenntnisses noch keinen Einschränkungen unterworfen, steht schon dessen Manifestation nach außen gemäß der Menschenrechtserklärung unter dem Vorbehalt des ordre public. Keine ausdrückliche Erwähnung findet im Wortlaut die liberté de culte, Freiheit der 434 CC, 27. 07. 1982, n8 82-141 – Loi sur la communication audiovisuelle; in diesem Sinn auch CC, 18. 09. 1986, n8 86-217 – Loi relative à la liberté de communication. 435 Favoreu et al., Droit constitutionnel, Rn. 1369; Fraisse, in: JCl. Adm., Fasc. 270 Rn. 13. 436 Frankreich ist eine unteilbare, laizistische, demokratische und soziale Republik. Sie stellt die Gleichheit aller ihrer Bürger vor dem Gesetz ohne Unterscheidung nach Herkunft, Rasse oder Religion sicher. Sie respektiert alle Glaubensüberzeugungen. 437 So Leclerc, Légipresse n8 242 (2007), III, 125, 127; unklar Messner/Prélot/Woehrling, Droit français des religions, Rn. 1037, die ein subjektives Recht auf Respektierung der Überzeugungen verneinen. Andererseits betonen sie in Rn. 1045, dass das droit au respect des croyances mit der Kunstfreiheit abgewogen werden müsse. 438 So Massis, Légipresse n8 298 (2012), II, 531.
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Kultausübung.439 Diese ist ausschließlich auf einfachgesetzlicher Ebene in Art. 1 der loi du 9 décembre 1905 concernant la séparation des Eglises et de l’Etat verankert.440 Auch hier ist allerdings auf den ordre-public-Vorbehalt hinzuweisen, der eine Beschränkung des Rechts erleichtert. Der französische Verfassungsrat war zunächst in erster Linie mit der Freiheit der (religiösen) Gewissensentscheidung konfrontiert.441 Nach seiner Rechtsprechung verlangt die verfassungsrechtlich garantierte liberté de conscience, dass von Lehrern an (auch kirchlichen) Privatschulen nicht ohne Ausnahmeregelungen erwartet werden könne, den spezifischen Charakter ihres Arbeitgebers zu respektieren.442 Neben der Gewissens- und Religionsausübungsfreiheit in Art. 1 garantiert das Gesetz zur Trennung von Staat und Kirche aus dem Jahr 1905, das als bedeutende Quelle des französischen Religionsrechts heute noch anwendbar ist, das für den französischen Staat heute noch wesentliche Prinzip der laïcité, Laizität. Laïcité ist ein spezifisch französischer Begriff, geprägt durch das französische Verständnis für das Verhältnis zwischen Staat und Kirche, aber ohne gesetzliche oder auch nur einheitliche Definition, und gilt heute noch als Schlüsselbegriff.443 Dies zeigt sich vor allem in ihrer Verankerung in Art. 1 der Verfassung von 1958, der den Staat als „République laïque“, als laizistische Republik, charakterisiert. Nach einer klassischen Definition beinhaltet es im Wesentlichen die Neutralität des Staats in religiösen Dingen;444 heute ist aber ein weiteres Verständnis üblich. Demnach gewährleistet das facettenreiche und historisch variierende Laizitätsprinzip sowohl die Religionsfreiheit als auch die strikte finanzielle und organisatorische Trennung 439 Rambaud, in: JCl. Libertés Fasc. 880, Rn. 18. Streng zu trennen sind diese beiden Facetten auch nach Letteron, Libertés publiques, Rn. 629. 440 Gesetz vom 09. 12. 1905 über die Trennung von Staat und Kirchen, JORF vom 11. 12. 1905, S. 7205. La République assure la liberté de conscience. Elle garantit le libre exercice des cultes sous les seules restrictions édictées ci-après dans l’intérêt de l’ordre public. – Die Republik sichert die Gewissensfreiheit. Sie garantiert die freie Religionsausübung unter den einzigen, hier aufgeführten Einschränkungen im Interesse der öffentlichen Ordnung. Hierin zeigt sich erneut eine – eben bereits angesprochene – Besonderheit des Schutzes der libertés publiques: Er findet nicht nur über den bloc de constitutionnalité und völkerrechtliche Verträge, sondern auch durch das einfache Recht, insbesondere durch vorkonstitutionelle Gesetze, statt. 441 CC, 23. 11. 1977, n8 77-87 DC – Liberté d’enseignement I; 18. 01. 1985, n8 84-185 DC; 27. 06. 2001, n8 2001-446 DC – IVG II. 442 CC, 23. 11. 1977, n8 77-78 DC – Liberté d’enseignement I, Rn. 4 f. Der Conseil constitutionnel stützt sich hier neben Art. 10 der Menschen- und Bürgerrechtserklärung auf Art. 5 der Präambel von 1946 sowie auf ein in dieser Entscheidung etabliertes PFRLR, CC, 23. 11. 1977, n8 77-78 DC – Liberté d’enseignement I, Rn. 4 f. 443 Drago, Laïcité, in: Dictionnaire des droits fondamentaux, S. 519; Wick, Trennung von Staat und Kirche, S. 39 (auch zu der etymologischen Herkunft des Begriffs); s. auch Mückl, Europäisierung des Staatskirchenrechts, S. 150 f. 444 Rivero, D. 1949, 137. Zum Verhältnis des Laizitätsprinzips zum Verbot der Diskriminierung auf Grund von Religionszugehörigkeit, s. Redor-Fichot, CRDF 4 (2005), 87, 88 ff.
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zwischen Staat und Religionsgemeinschaften, die in Art. 2 des Gesetzes von 1905 festgeschrieben wurde.445 In diesem Sinne steht das französische „Trennungsmodell“ dem deutschen „Kooperationsmodell“446 gegenüber. In seinen historischen Ursprüngen der Revolution und des Schulstreits war das französische Konzept zunächst durchaus als antiklerikal zu verstehen.447 Aber zeitgenössische Entwicklungen offenbaren, dass es nicht schematisch zu verstehen ist448 und nicht (mehr) auf eine Verbannung von Religion und ihrer Ausübung aus dem öffentlichen Raum in die Privatsphäre ausgerichtet sein soll.449 In diesem Sinne wird das Laizitätsprinzip inzwischen häufig als Überbegriff für die Beziehungen des Staats zu den Religionen verstanden, der sowohl eine Neutralität des Staats als auch die Religionsfreiheit und den Respekt des Pluralismus beinhaltet.450 Aus ihm lässt sich die Gleichbehandlung aller Bürger unabhängig von ihrer Religion und damit eine absolute Objektivität des Staats herleiten, die eine religiöse Vielfältigkeit erlaubt.451 Dies kommt insbesondere der negativen Religionsfreiheit zugute452 und geht sogar in die Richtung eines Konfrontationsschutzes. Trotzdem steht das Laizitätsprinzip in einem ambivalenten Verhältnis zur Religionsfreiheit. Denn die Zurückdrängung der Religion und ihrer Symbole aus dem öffentlichen Raum bedeutet gleichzeitig mit der Verwirklichung der negativen Religionsfreiheit doch immer auch eine Beschränkung der positiven Religionsfreiheit. So setzt die laïcité der positiven Religionsfreiheit Grenzen, indem sie die Ausübung der Religion im öffentlichen Raum leichter beschränkbar macht und unter den Vorbehalt des ordre public stellt. Mit dem verfassungsrechtlichen Schutz der Religionsausübungsfreiheit befasst453 vermied der Conseil constitutionnel eine eindeutige Stellungnahme. Die Entscheidung betraf die Vereinbarkeit des Vertrags über eine Verfassung für die Europäische Union, insbesondere der EU-Grundrechtecharta, mit französischem Verfassungsrecht. Bei der Frage, ob die durch die Charta umfassend vorgesehene Religionsausübungsfreiheit mit den verfassungsrechtlichen 445
Mückl, Europäisierung des Staatskirchenrechts, S. 151, s. zu den verschiedenen Aspekten des mehrdeutigen Begriffs auch Messner/Prélot/Woehrling, Droit français des religions, Rn. 998. 446 Vgl. hierzu Kokott, Der Staat 44 (2005), 343 ff.; Muckel, in: Hdb GrundR § 87 Rn. 33 ff. 447 Wick, Trennung von Staat und Kirche, S. 39. Ausführlich zu der Entstehungsgeschichte des Gesetzes von 1905 Scot, CHRHC 100 (2007), 161 ff. 448 s. etwa Robert, CRDF 4 (2005), 99, 104: „On notera, enfin, que la laïcité semble devoir être conçue de plus en plus, aujourd’hui, comme une notion ouverte et positive, susceptible à ce titre de nombreuses dérogations.“ – Abschließend ist festzustellen, dass die Laizität heute mehr und mehr als ein offener und positiver Begriff begriffen werden sollte, der viel Raum für Ausnahmeregelungen vorsieht. 449 Kokott, Der Staat 44 (2005), 343, 347; s. auch Études du CE 2004: Un siècle de laïcité, S. 241, 263, sowie Boyer, ASSR n8 129 (2005), 37, Rn. 18. 450 Études du CE 2004: Un siècle de laïcité, S. 241, 272 ff.; Lasserre, D. 2012, 1072, 1073. 451 Études du CE 2004: Un siècle de laïcité, S. 241, 276. 452 Kokott, Der Staat 44 (2005), 343, 352. 453 CC, 19. 11. 2004, n8 2004-505 – Traité établissant une Constitution pour l’Europe.
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Vorgaben der Laizität in Einklang stehe, offenbarte er das Verständnis, dass beide Prinzipien durchaus miteinander in Konflikt stehen können.454 Die Entscheidung zeugt von einer gewissen Skepsis des französischen Rechts gegenüber der unbeschränkten Religionsausübung auch in der Öffentlichkeit. Die Vereinbarkeit nahm er schließlich nur unter der Bedingung an, dass sich die EU-rechtlich verankerte Religionsfreiheit nach Art. 9 EMRK richte und daher – unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte – den Mitgliedsstaaten einen erheblichen Beurteilungsspielraum eröffne.455 Zudem betont der Conseil constitutionnel, dass das Prinzip der Laizität es jedermann verbiete, sich auf seine religiösen Überzeugungen zu berufen, um den allgemeinen Regeln zur Beziehung zwischen staatlichen Einrichtungen und Privaten zu entgehen,456 und stellt somit das Laizitätsgebot als Schranke der Religionsfreiheit dar.
3. Dignité humaine und Persönlichkeitsrecht Während die Menschenwürdegarantie im deutschen Recht seit Inkrafttreten des Grundgesetzes einen zentralen Rang einnimmt, ist die Rechtsfigur der dignité humaine in Frankreich ein eher junges Phänomen. Erst 1994 erkannte der Conseil constitutionnel sie als Garantie von Verfassungsrang an und stützte sich hierzu auf die Präambel der Verfassung von 1946: „La sauvegarde de la dignité de la personne humaine contre toute forme d’asservissement et de dégradation est un principe à valeur constitutionnelle.“457 Daraufhin betonte auch der Conseil d’Etat ihre Bedeutung als Bestandteil des ordre public, was ihren Schutz durch verwaltungsrechtliche Maßnahmen – auch gegen den Willen der betroffenen Person – ermöglichte.458 Eine Definition der dignité ergibt sich jedoch weder aus diesen noch aus folgenden Entscheidungen.459 Zwar wird in der Literatur zum Teil betont, die Würde des 454 CC, 19. 11. 2004, n8 2004-505 – Traité établissant une Constitution pour l’Europe, Rn. 18. 455 CC, 19. 11. 2004, n8 2004-505 – Traité établissant une Constitution pour l’Europe, Rn. 18. 456 CC, 19. 11. 2004, n8 2004-505 – Traité établissant une Constitution pour l’Europe, Rn. 18: „que, dans ces conditions, sont respectées les dispositions de l’article 1er de la Constitution aux termes desquelles ,la France est une République laïque‘, qui interdisent à quiconque de se prévaloir de ses croyances religieuses pour s’affranchir des règles communes régissant les relations entre collectivités publiques et particuliers“. 457 CC, 27. 07. 1994, n8 94-343/344 DC – Bioéthique. Der Schutz der Würde des Menschen gegen jede Form der Unterwerfung oder Erniedrigung ist ein Prinzip von Verfassungswert. 458 CE, 27. 10. 1995, Rec. S. 372 – Commune de Morsang-sur-Orge. Gerade die verwaltungsrechtlichen Entscheidungen werden aber in der Literatur kritisiert, da sie den Verwaltungsträgern (insbesondere auf kommunaler Ebene) letztlich die Möglichkeit einer moralischen und sittlichen Kontrolle einräumten, Saint-James, D. 1997, chron., 61, 65 f.; ebenso Lebreton, D. 1996, 177, 180, der diese Kontrollmöglichkeit aber eher positiv bewertet. 459 Canedo-Paris, RFDA 2008, 979, 981.
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Menschen sei Grundlage jeden Grundrechtsschutzes;460 eine mit dem deutschen Recht vergleichbare absolute Unantastbarkeit resultiert daraus aber augenscheinlich nicht. Sie wird zwar als absoluter moralischer Imperativ verstanden, nicht aber als zwingendes rechtliches Prinzip.461 Mit diesem geringeren Schutzniveau korreliert eine weitere Ausdehnung des Schutzbereiches.462 Als Würdeverletzungen werden beispielsweise erhebliche körperliche Schädigung durch (auch private) Folter oder Vergewaltigung, Beeinträchtigung der sexuellen Selbstbestimmung durch Prostitution oder sexuelle Belästigung sowie die Ausnutzung wirtschaftlicher Not verstanden.463 Im Rahmen einer Kollision mit der liberté d’expression hielt es der Conseil d’Etat für möglich, dass durch das Tragen offensichtlicher Zeichen religiöser Zugehörigkeit durch einzelne Schüler die übrigen Anwesenden in der Schule in ihrer dignité verletzt werden.464 Auch die Assemblée Nationale stützte sich neben dem Prinzip der Gleichheit zwischen Mann und Frau auf die dignité humaine, als sie das Gesetz zum Verbot der Verschleierung des Gesichts im öffentlichen Raum465 verabschiedete.466 Das weite Verständnis der dignité spiegelt sich auch in den Regeln des Code pénal wider: Unter der Abschnittsüberschrift „Des atteintes à la dignité de la personne“467 werden hier breitgefächerte Handlungen von Diskriminierung, Menschenhandel und Zuhälterei, über Organisation von Bettelei und Straßenhandel bis hin zu menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen und Demütigung durch Initiationsriten in Schulen und Universitäten unter Strafe gestellt. Mag schon der Menschenwürdebegriff nach deutschem Recht umstritten sein und wegen seiner Unklarheit und Undefinierbarkeit in der Kritik stehen, muss das umso mehr für das Konzept der dignité de la personne humaine gelten. Nach diesem weiten Begriff umfasst die dignité im Wesentlichen sämtliche Beeinträchtigungen der Person, die sie ihrer persönlichen Entscheidungsfreiheit beraubt. Darüber hinaus werden gerade aber in den letzten Jahren auch Eingriffe erfasst, die – insofern eher vergleichbar mit dem Konzept der Menschenwürde nach dem deutschen Grundgesetz – darin be460 Dreyer, (Droits fondamentaux et) Dignité, in: Dictionnaire des droits fondamentaux, S. 249. 461 Mathieu, D. 1996, chron., 282, 284 f. 462 Z. B. durch den Conseil constitutionnel, der das Recht auf eine angemessene Wohnung als Bestandteil der dignité deklariert hat, CC, 19. 01. 1995, n8 94-359 DC – Loi relative à la diversité de l’habitat. Krit. zu dieser weiten Auslegung Mathieu, D. 1996, chron., 282, 286, der die dignité als „inkompressibles Minimum“ begreift; anders Edelman, D. 1997, chron., 185, 186. 463 Ausführlich zu strafrechtlich sanktionierten Würdeverletzungen Viriot-Barrial, Dignité de la personne humaine, in: Rép. Pén., Rn. 16 – 46. 464 CE, 02. 11. 1992, n8 130394, Rec. S. 389 – Kherouaa et autres. 465 Loi n8 2010-1192 du 11 octobre 2010 interdisant la dissimulation du visage dans l’espace public (1). 466 AN n8 2520, Projet de loi interdisant la dissimulation du visage dans l’espace public, 19. 05. 2010. 467 Kapitel 3: Beeinträchtigung der Personenwürde, Art. L. 225-1 bis Art. L. 225-25 Code pénal.
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stehen, dass Einzelnen der ihnen inhärente Wert einer jeden Person abgesprochen und so das Prinzip der Gleichheit zwischen den Menschen grundlegend in Frage gestellt wird.468 Auch in diesem Bereich fällt aber auf, dass die dignité humaine weiter zu verstehen ist als der enge Begriff der Menschenwürde. Denn unter diese Kategorie werden nicht nur gröbste Verletzungen im Sinne einer Volksverhetzung gefasst, sondern auch ehrverletzende Beleidigungen und Diffamierungen, insbesondere wenn diese auf rassistischen oder homophoben Motiven beruhen.469 Deshalb sind Verletzungen der Ehre, l’honneur, und des Ansehens, la considération, in einem engen Zusammenhang zur dignité humaine zu sehen. Beiden Elementen fehlt eine verfassungsmäßige Verankerung – nicht nur rein textlich, sondern auch durch verfassungsgerichtliche Entscheidungen. Neben einem Schutz durch internationale Mechanismen (insbesondere durch Art. 10 der UN-Menschenrechtscharta) werden beide Werte im französischen Recht durch das einfache Gesetz – und zwar wiederum durch die loi sur la liberté de la presse du 29 juillet 1881 – garantiert.470 Auch hier funktioniert der Schutz eines Rechtsguts also nicht über eine verfassungsrechtliche Garantie – etwa indem honneur und considération als Komponenten der verfassungsmäßig garantierten dignité eingeordnet werden –, sondern anhand einer einfachgesetzlichen Konkretisierung und Ausgestaltung. Dies zeigt erneut, dass das Schutzkonzept des französischen Rechts mit dem deutschen nicht identisch ist und die Bedeutung des Verfassungsrechts für die Grundfreiheiten trotz der wachsenden Kontrolldichte durch den Conseil constitutionnel derjenigen des Gesetzes nach wie vor untergeordnet zu sein scheint. In den Vordergrund gerückt wurde der Schutz der dignité humaine kürzlich auch im Rahmen einer verwaltungsrechtlichen Verfügung, die den Auftritt des französischen Komikers Dieudonné untersagte. In drei Verfahren im einstweiligen Rechtsschutz berief sich der Conseil d’Etat darauf, dass die „antisemitischen und zu Hass und Gewalt aufrufenden Äußerungen“ des Komikers die Würde der Betroffenen verletzten und dass ein Verbot trotz deren besonderer Bedeutung für die Demokratie und den Einzelnen im Ergebnis mit der Meinungsfreiheit vereinbar sei.471 Aus der Beeinträchtigung der dignité humaine durch die Vorstellung selbst (also nicht erst aus eventuellen Protesten oder Ausschreitungen) resultiere ein trouble à l’ordre public, der eine Untersagung durch die Verwaltung erlaube. Doch der Begriff des ordre public taucht als Einschränkung der Meinungsfreiheit nicht nur im Verwaltungsrecht, sondern auch bei strafrechtlichen Sanktionen auf.
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Viriot-Barrial, Dignité de la personne humaine, in: Rép. Pén., Rn. 16. Viriot-Barrial, Dignité de la personne humaine, in: Rép. Pén., Rn. 32 f. 470 Droin, Limitations de la liberté d’expression, Rn. 116. 471 CE réf., 09. 01. 2014, n8 374508; 10. 01. 2014, n8 374528; 11. 01. 2014, n8 374552, D. 2014. 86 (alle). s. hierzu Maus, D. 2014, 200; Piastra, D. 2014, 155; krit. Gohin, RFDA 2014, 87. 469
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4. Ordre public Ein objectif à valeur constitutionnelle, Ziel von Verfassungsrang, auf das häufig zurückgegriffen wird, um Eingriffe in verfassungsrechtlich garantierte Freiheiten zu rechtfertigen, ist der ordre public.472 Für Einschränkungen der Meinungsfreiheit erklärt sich dies schon aus Art. 10 der Menschen- und Bürgerrechtserklärung von 1789, in dem der liberté d’opinion die Grenze des ordre public, der durch das Gesetz konkretisiert wird, gesetzt wird. Auch wenn der Conseil constitutionnel in seinen Entscheidungen regelmäßig auf diese Schranke zurückgreift, lässt sich ihnen doch keine Definition dieses Grundprinzips entnehmen.473 In der Literatur wird er zum Teil verstanden als „eine Gesamtheit von Werten, deren Durchsetzung die Staatsgewalt zu einem bestimmten Zeitpunkt als notwendig erachtet.“474 Klassischerweise beinhaltet der ordre public die sécurité, salubrité und tranquillité publique, also die öffentliche Sicherheit, Gesundheit und Friedlichkeit.475 Nach Ansicht vieler Autoren ist der Begriff des ordre public deshalb in höchstem Maße unbestimmt und damit als strafrechtsbegründendes Prinzip ungeeignet.476 Zumindest polizeirechtlich ist diese Unsicherheit aber gewollt: Um seine Wirksamkeit als Rechtsgrundlage zu garantieren, dürfe er nicht im Versuch einer Definition, nicht mal einer schriftlichen Begriffsbestimmung versiegen.477 Ob die erhöhte Wirkungskraft, die aus dieser Anpassungsfähigkeit resultiert, aber auch ein Argument für die Zugrundelegung des ordre public als strafrechtliches Schutzgut darstellen kann,478 ist durchaus fragwürdig. Regelmäßig wird die Einschränkbarkeit der Meinungsfreiheit aus Gründen des ordre public aber gar nicht erst in Frage gestellt, sondern stillschweigend vorausgesetzt. Auch dies mag auf das traditionelle Vertrauen auf den Gesetzgeber zurückzuführen sein. Da dieser im Willen der Allgemeinheit entscheidet, bestehe keine Gefahr, dass Grundrechte wie die Meinungsfreiheit schon durch das Gesetz zu er472 Etwa CC, 27. 07. 1982, n8 82-141 DC – Loi sur la communication audiovisuelle. Der Begriff des ordre public kann in diesem Zusammenhang am besten als öffentliche Ordnung übersetzt werden. Um aber eine Verwechslungsgefahr mit der öffentlichen Ordnung im Sinne der deutschen Polizeigesetze (z. B. § 8 PolG NRW) zu vermeiden, soll hier die französische Formulierung beibehalten werden. 473 de Lamy, Liberté d’opinion et droit pénal, Rn. 214. 474 Wachsmann, Libertés publiques, Rn. 83; zust. Droin, Les limitations à la liberté d’expression, Rn. 160. 475 Hauriou, Précis de droit administratif et de droit public, S. 446. In diesem Sinn auch heute Art. L. 2212-2 des Code général des collectivités territoriales, nach dem es der ordre public zulässt, die gute Ordnung, die Zuverlässigkeit, die Sicherheit und die öffentliche Gesundheit zu bewahren. 476 de Lamy, Liberté d’opinion et droit pénal, Rn. 216 ff.; Poirmeur, Le Conseil constitutionnel protège-t-il véritablement les droits de l’homme?, in: La légitimité de la jurisprudence du Conseil constitutionnel, S. 295, 329; krit. auch Théron, in: Mélanges Lachaume, S. 1011, 1019 f. 477 Canedo-Paris, RFDA 2008, 979, 991; Picard, Introduction générale, in: L’ordre public, S. 17, 60 f. 478 So Droin, Limitations à la liberté d’expression, Rn. 160.
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heblich beschränkt werden könnten. Einzige Voraussetzung ist also, dass zwischen der Meinungsfreiheit und dem ordre public ein angemessener Ausgleich gefunden wird, der beide Interessen ausreichend berücksichtigt. 5. Egalité und droit à la non-discrimination Nach französischem Verständnis ist das Recht auf Gleichheit die Grundlage, auf der sämtlicher Grundrechtsschutz beruht.479 Gleichheitsrechte sind an vielen Stellen des bloc de constitutionnalité gewährleistet. So legt Art. 1 S. 2 der Verfassung von 1958 zugrunde, dass die Republik allen Bürgern ohne Unterschied der Herkunft, der Rasse oder der Religion die Gleichheit vor dem Gesetz garantiert. In diesem Sinne betont auch die Präambel der Verfassung von 1946: Nach dem Sieg der freien Völker über Regime, die versuchten, den Menschen zu versklaven und herabzuwürdigen, proklamiert das französische Volk, dass jedes menschliche Wesen, ohne Unterscheidung nach seiner Rasse, seiner Religion oder seinen Überzeugungen, unantastbare und heilige Rechte besitzt. Über das Gleichheitsrecht hinaus wird daraus ein droit à la non-discrimination, ein Recht auf Nichtdiskriminierung, hergeleitet, das als eigenständiges Grundrecht verstanden wird.480 Anders als das Diskriminierungsverbot in Art. 3 Abs. 3 GG beansprucht dieses auch Wirkung zwischen Privaten: In der französischen Literatur wird betont, das Recht auf Nichtdiskriminierung sei eng mit der dignité humaine verbunden, da eine Ungleichbehandlung immer auch eine dégradation, eine Erniedrigung, und damit eine Beeinträchtigung der Menschenwürde bedeute.481 Daher müsse es als droit-créance verstanden werden, also als eine Art Schutzpflicht des Staates; die Pflicht aktiv, und zwar präventiv und repressiv, Diskriminierungen zu verhindern. „Das Verbot der rassischen Diskriminierung unterliegt keiner Ausnahme; es ist absolut. Ob im sozialen Bereich oder im Bereich der bürgerlichen Rechte, es ist erga omnes wirksam. Das Menschenrecht auf diese Nichtdiskriminierung ist individuell, autonom und einklagbar.“482
III. Zwischenergebnis Schon diese überblicksartige Darstellung zeigt, dass sich die verfassungsrechtlichen Vorgaben in Frankreich zumindest in formaler Hinsicht von denen des 479
Dubout, in: JCl. Libertés, Fasc. 500, Rn. 1. Cohen-Jonathan, RTDH 2001, 665. 481 Cohen-Jonathan, RTDH 2001, 665, 669 f. 482 Cohen-Jonathan, RTDH 2001, 665, 670: „L’interdiction de la discrimination raciale ne souffre pas d’exception; elle est absolue. Que ce soit dans le domaine social ou des droits civils, elle est opposable erga omnes. Le droit de l’homme à cette non-discrimination est individuel, autonome et justiciable.“ 480
C. Überblick über die Grundrechtslage in Frankreich
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deutschen Grundgesetzes erheblich unterscheiden. Da die Verfassung von 1958 nicht über einen eigenen Grundrechtskatalog verfügt, wird insofern auf vorkonstitutionelle Deklarationen wie die Menschen- und Bürgerrechtserklärung von 1789, auf internationale Verträge wie die Europäische Menschenrechtskonvention sowie auf einfachgesetzliche Rechte zurückgegriffen. Letztere können schon von ihrer Natur her keine Bindungswirkung für den Gesetzgeber entfalten. Aber wegen des klassischen Verständnisses vom Gesetz als Ausdruck des allgemeinen Willens scheint sich auch die Idee der Verpflichtung des Gesetzgebers durch die hierarchisch übergeordneten Normen erst nach und nach durchzusetzen. Die verfassungsrechtlichen Vorgaben an den Gesetzgeber erscheinen also insofern weniger streng als die des Grundgesetzes. Bei den Interessen auf Seiten des Beschimpfenden ergeben sich nicht viele Unterschiede, da die Meinungsfreiheit in Frankreich wie in Deutschland als eines der kostbarsten Rechte verstanden wird. Besonderheiten für die Kunst bestehen soweit allerdings nicht, da diese als Aspekt der Meinungsäußerung aufgefasst wird. Auch in Frankreich wird betont, dass die Meinungsfreiheit nur zum Schutze eines hochwertigen Interesses eingeschränkt werden darf. Allerdings zeigt sich, dass diese Voraussetzung weniger streng gesehen wird als nach dem Grundgesetz. So kommen als beschränkende Werte bei religionsfeindlichen Äußerungen zahlreiche Interessen in Betracht: Das droit au respect des croyances als Aspekt der Religionsfreiheit, die dignité humaine in enger (aber undefinierter) Verbindung zu Ehre und Ansehen, das Recht auf Nichtdiskriminierung als Aspekt des Gleichheitsrechts sowie schließlich als allgemeines Ziel von Verfassungsrang auch der nicht weiter bestimmte ordre public. Als vergleichsweise strenge Vorgabe an den Gesetzgeber wird allerdings das principe de laïcité verstanden, sodass die Trennung von Staat und Kirche stets gewährleistet sein muss. Insgesamt zeigt sich, dass die Beschränkungen des französischen Gesetzgebers bei der Bestimmung der strafrechtlichen Grenzen der Meinungsfreiheit weniger eng erscheinen als nach dem deutschen Grundgesetz.
3. Kapitel
Strafbarkeit religionsfeindlicher Äußerungen in Deutschland Nachdem die verfassungsrechtlichen Grundlagen der Bestrafung von Religionsbeschimpfung erörtert wurden, soll nun erarbeitet werden, wie sich das aktuelle deutsche System der Bestrafung von Äußerungen in diese Struktur einfügen lässt. Zu untersuchen sind dabei sowohl die gesetzlichen Normen, die einer Strafe zugrunde liegen können, als auch die tatsächliche Anwendung, die sie durch die Rechtsprechung erfahren haben. Hierfür sollen zunächst in einem allgemeinen Teil die generellen Grundlagen der Strafbarkeit von Äußerungen determiniert werden, bevor in einem besonderen Teil die einzelnen in Frage kommenden Tatbestände des deutschen Strafrechts im Hinblick auf ihre Bedeutung für religionsfeindliche Äußerungen einer eingehenden Analyse zu unterziehen sind.
A. Allgemeine Grundsätze zur Strafbarkeit kritischer Äußerungen Im Rahmen der allgemeinen Regeln kommt nach der deutschen Konzeption schon der Interpretation der streitgegenständlichen Äußerung eine herausragende Bedeutung zu. In engem Zusammenhang mit dieser Problematik steht der Einfluss des Grundrechts auf freie Meinungsäußerung, den das Bundesverfassungsgericht in einer umfangreichen und nicht unumstrittenen Rechtsprechung gefestigt hat.
I. Auslegung strafrechtlich relevanter Äußerungen Die erste Schwierigkeit bei der Untersuchung der Strafbarkeit religionskritischer Äußerungen ist stets die Auslegung der Äußerung. Denn ob durch sie die Menschenwürde, das Persönlichkeitsrecht oder die Ehre eines oder mehrerer Gläubigen betroffen oder verletzt wird, kann erst festgestellt werden, wenn der eigentliche Inhalt der Äußerung herausgearbeitet wurde. Daher wurden in Rechtsprechung und Literatur Methoden entwickelt, um den Sinn einer Aussage korrekt zu erfassen. Da die strafrechtliche Ahndung einer Äußerung eine tiefgreifende Beschränkung der Meinungsfreiheit darstellt, hat sich in dieser Frage auch das Bundesverfassungsgericht zu Wort gemeldet. Es stellte fest, dass bei Äußerungsdelikten „schon die
A. Allgemeine Grundsätze zur Strafbarkeit kritischer Äußerungen
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tatsächlichen Feststellungen des erkennenden Gerichts eine solche Verletzung (des Art. 5 GG) enthalten (können), wenn der Inhalt einer schriftlichen Äußerung zu ermitteln ist und der Äußerung eine Deutung gegeben wird, die sich aus ihrem Wortlaut nicht oder nicht mit hinreichender Klarheit ergibt.“1 Fehle es bei einer Verurteilung wegen eines Äußerungsdelikts an der zutreffenden Erfassung des Sinns der Äußerung durch das erkennende Gericht, führe dies nicht nur zur Unterdrückung einer zulässigen Äußerung, sondern möglicherweise auch zu einer abnehmenden Bereitschaft sich zu äußern, weil „Äußerungswillige selbst wegen fernliegender oder unhaltbarer Deutungen ihrer Äußerungen Sanktionen riskieren“, und damit zu nachteiligen Auswirkungen auf die Ausübung der grundrechtlich gesicherten Freiheit.2 Daraus ergibt sich, dass in diesem Bereich eine Verletzung spezifischen Verfassungsrechts schon aus einer unrichtigen Auslegung von als strafbar erachteten Äußerungen durch die Fachgerichte ergeben kann, sodass das Bundesverfassungsgericht diesen Vorgang seither einer verfassungsrechtlichen Kontrolle unterzieht3 und dementsprechend eigene Auslegungsgrundsätze entwickelt hat. Da diese für die Fachgerichte zwingend bei der Untersuchung der Strafbarkeit von religionsfeindlichen Äußerungen zu beachten sind, sollen sie im Folgenden dargestellt und erörtert werden (1.). Anschließend ist auf die Besonderheiten bei der Interpretation von Satiren und Karikaturen einzugehen (2.). 1. Auslegung im Sinne der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung „Ziel der Deutung ist die Ermittlung des objektiven Sinns einer Äußerung. Maßgeblich ist daher weder die subjektive Absicht des sich Äußernden noch das subjektive Verständnis der von der Äußerung Betroffenen, sondern der Sinn, den sie nach dem Verständnis eines unvoreingenommenen und verständigen Publikums hat.“4 Fraglich ist zunächst, wie dieses unvoreingenommene und verständige Publikum zu verstehen ist; welcher Empfängerhorizont also der Auslegung zugrunde gelegt werden soll. Nach einer häufig durch die Rechtsprechung verwendeten Formel ist auf den „Durchschnittsempfänger“ abzustellen.5 Dies bedeutet aber gerade nicht, dass bei jeder Interpretation ein identischer Bevölkerungsdurchschnitt zugrunde 1
BVerfGE 43, 130, 136 f. – Flugblatt; 82, 43, 50 – Strauß-Transparent. BVerfGE 93, 266, 295 – Soldaten sind Mörder; 94, 1, 9 – Flugblatt; BVerfG, NJW 2008, 2907, 2908; vgl. in diesem Sinne auch schon die abweichende Meinung der Richterin Rupp-v. Brünneck zu BVerfGE 42, 143, 156 – Deutschland-Magazin; sowie BVerfGE 43, 130, 136 – Flugblatt; 86, 1, 10 – geb. Mörder. 3 Vgl. BVerfGE 43, 130, 136 f. – Flugblatt; 54, 129, 136 – Kunstkritik; 61, 1, 6, 9 f. – NPD Europas; 82, 43, 50 – Strauß-Transparent; 82, 272, 280 f. – Zwangsdemokrat; 85, 1, 13 f. – Bayer-Aktionäre; 94, 1, 9 – Flugblatt. 4 BVerfGE 93, 266, 295 – Soldaten sind Mörder; BGH, NJW 2006, 601, 602; in diesem Sinne auch BVerfG, NJW 2009, 3016, 3018; OLG Stuttgart, NJW-RR 2014, 423, 425 f. 5 BGH, GRUR 1977, 801, 802; NJW 1982, 1805; NJW 1982, 2246, 2247; NJW 1987, 1398, 1399; NJW 1987, 2225, 2226; OLG München, ZUM 1985, 632, 635. Zu den damit verbundenen Schwierigkeiten Herdegen, NJW 1994, 2933 f. 2
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3. Kap.: Strafbarkeit religionsfeindlicher Äußerungen in Deutschland
gelegt wird – im Gegenteil ist zu ermitteln, wer typischer Empfänger gerade der streitgegenständlichen Äußerung ist. Daher ist etwa bei einem vierseitigen, eng beschriebenen Flugblatt nicht auf einen „flüchtigen Leser“ abzustellen, sondern das Verständnis eines politisch interessierten und aufmerksamen Lesers als Maßstab heranzuziehen.6 Da eine Gestaltung ohne Schlagzeilen, fettgedruckte Elemente, Bilder oder ähnliches erkennbar nur auf Interessierte ausgerichtet ist, müssen diese als „Durchschnittsleser“ der Äußerung zu behandeln sein. Bei Artikeln einer Tageszeitung darf dementsprechend „weder der Eindruck des nur ,flüchtigen‘, den Inhalt nur oberflächlich erfassenden Lesers […] zugrunde gelegt werden, noch sein etwaiges subjektives Vorverständnis, das im Gesagten selbst keine Stütze findet“.7 Regelmäßig ist in diesem Sinne auf einen „unbefangenen“ Empfänger abzustellen.8 Andererseits darf im Rahmen einer Rede auf einer vom Landesverband einer rechtsextremen Partei zur Verhinderung eines Synagogenbaus organisierten Demonstration mit Blick auf den „mehrheitlich gleichgesinnten, dem rechtsextremen politischen Spektrum zuzurechnenden Zuhörerkreis“ eine – wenn auch versteckte – antisemitische Deutung einer Äußerung zugrunde gelegt werden.9 Nach Herausarbeitung des Empfängers ist zu eruieren, welchen objektiven Sinn dieser der Äußerung zuschreiben muss. Dabei gilt zunächst, dass der Äußerung kein Inhalt beigemessen werden darf, den sie nach ihrem Wortlaut objektiv nicht haben kann.10 Letzterer ist aber nicht das einzige Element, auf dessen Grundlage der Sinn der Äußerung zu ermitteln ist. Stattdessen ist im Wege einer Gesamtbetrachtung auch auf ihren sprachlichen Kontext sowie die weiteren Begleitumstände der Äußerung einzugehen, soweit diese für die Empfänger erkennbar sind.11 Daher dürfen zum Beispiel einzelne Passagen einer Äußerung nicht aus dem Zusammenhang gerissen und isoliert betrachtet werden.12 Bleibt eine Äußerung mehrdeutig, ist die Meinungsfreiheit nach der sogenannten „Variantenlehre“13 auch dann verletzt, wenn das erkennende Gericht ohne weitere Analyse derjenigen Auslegung folgt, die zu einer Strafbarkeit führt.14 Will es seiner Entscheidung eine Interpretationsmöglichkeit zugrunde legen, die eine Bestrafung nach sich zieht, hat es straflose Auslegungen mit nachvollziehbaren und tragfähigen
6
BVerfGE 43, 130, 139 f. – Flugblatt. BGH, NJW 1982, 1805. 8 BGHZ 95, 212, 215; BGH, NJW 1965, 29, 33; NJW 1982, 2246, 2247; NJW 1985, 2644, 2646; NJW 1987, 2225, 2226; NJW 1989, 1923, 1924; OLG München, ZUM 1985, 632, 635. 9 BGH, NStZ-RR 2006, 305, 305 f. 10 BVerfGE 94, 1, 9 – Flugblatt. 11 BVerfGE 93, 266, 295 – Soldaten sind Mörder; BVerfG, NJW 2008, 2907, 2908. 12 BVerfGE 93, 266, 295 – Soldaten sind Mörder; BVerfG, NJW 1999, 2262, 2263. 13 Seitz, NJW 1996, 1518, 1519; vgl. auch Ahrens, JZ 2004, 763, 770; Gärtner, Was die Satire darf, S. 145. 14 BVerfGE 93, 266, 296 – Soldaten sind Mörder. 7
A. Allgemeine Grundsätze zur Strafbarkeit kritischer Äußerungen
137
Gründen auszuschließen.15 Dabei sind die gesamten Umstände mit einzubeziehen, unter denen die Äußerung gefallen ist. Vorherige Bekundungen des Täters sind jedoch nur dann zu berücksichtigen, wenn er erkennbar darauf Bezug nimmt.16 Gleiches gilt für parallele Äußerungen Dritter, die nur dann in die Auslegung einbezogen werden dürfen, wenn sie von dem Äußernden erkennbar unterstützt werden.17 Zu einer Verurteilung auf Grund einer im Zusammenspiel der einzelnen Elemente versteckten Aussage darf es nur dann kommen, wenn sich diese dem angesprochenen Publikum „als unabweisbare Schlussfolgerung aufdrängt“.18 Dem sei aber nicht zu entnehmen, dass die Gerichte auch fernliegende und abwegige Deutungsmöglichkeiten in ihre Überlegungen einzubeziehen hätten, solange sich weder aus dem Wortlaut noch aus den Umständen Hinweise ergäben, die eine solche Interpretation nahelegten.19 Diese Grundsätze zur Auslegung von Äußerungen werden in der juristischen Literatur in weiten Teilen kritisch beurteilt.20 Nicht immer widerstandslos akzeptiert wird die weitreichende verfassungsgerichtliche Kontrolle ihrer Einhaltung.21 Außerdem führe die Rechtsprechung zu einem unzulässigen Übergewicht der Meinungsfreiheit gegenüber Ehre und Persönlichkeitsrecht.22 Denn mit übertriebenem Interpretationsaufwand der Variantenlehre könne quasi jeder Äußerung ein Gehalt entnommen werden, der den strafrechtlichen Tatbestände nicht mehr unterfällt.23 Schließlich wird zum Teil beanstandet, dass diese Auslegungstechnik das Bundesverfassungsgericht in Einzelfällen zu Deutungen leitet, die dem natürlichen Verständnis zuwiderliefen.24 Gerade letzterer Kritik ist zumindest teilweise zuzustim15
BVerfGE 85, 1, 13 f. – Bayer-Aktionäre; 93, 266, 295 f. – Soldaten sind Mörder; 94, 1, 9 – Flugblatt; 114, 339, 349 – Stolpe; in diesem Sinne auch schon BVerfGE 82, 43, 52 – StraußTransparent; 82, 272, 280 f. – Zwangsdemokrat. 16 BVerfGE 82, 43, 52 f. – Strauß-Transparent; BGH, 20. 09. 2011 – 4 StR 129/11 (juris) Rn. 24. 17 BVerfGE 82, 43, 53 – Strauß-Transparent. 18 BVerfG, NJW 2004, 1942; NJW 2008, 1654, 1655; 2010, 2193, 2194; begründet auf der zivilrechtlichen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs: BGH, GRUR 1980, 1105, 1106; NJW 2000, 656, 657. 19 BVerfGE 93, 266, 296 – Soldaten sind Mörder. 20 Im Sinne des BVerfG wohl nur Grimm, NJW 1995, 1697, 1700; Hoffmann-Riem, AöR 128 (2003), 173, 217; Schmidt-De Caluwe, NVwZ 1992, 1166, 1169; Soehring, NJW 1994, 2926, 2928; ähnlich auch Foerstner, Kollektivbeleidigung, S. 107 ff.; für die Variantenlehre Gas, AfP 2006, 428 ff.; zu den ablehnenden Ansichten s. die folgenden Nachweise. 21 Ossenbühl, JZ 1995, 633, 640; Otto, Jura 1997, 139, 142; Schmitt Glaeser, NJW 1996, 873, 874; Tettinger, Die Ehre – ein ungeschütztes Verfassungsgut?, S. 29; Zaczyk, JR 2003, 36, 37. 22 Kriele, NJW 1994, 1897, 1898 f.; Tettinger, Die Ehre – ein ungeschütztes Verfassungsgut?, S. 35. 23 Ossenbühl, JZ 1995, 633, 640. 24 Insbesondere zu dem Zitat „Soldaten sind Mörder“ und vergleichbaren Äußerungen, s. Gounalakis, NJW 1996, 481, 483; Herdegen, NJW 1994, 2933, 2934; Ossenbühl, JZ 1995, 633, 640; Zaczyk, JR 2003, 36, 37.
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3. Kap.: Strafbarkeit religionsfeindlicher Äußerungen in Deutschland
men. Für die Fachgerichte bereitet es zum Teil erhebliche Schwierigkeiten, zu erkennen, welche der – nicht immer offensichtlichen – Auslegungsmöglichkeiten noch in Betracht gezogen werden müssen, und sich schließlich für genau die Variante zu entscheiden, die auch das Bundesverfassungsgericht als angemessen erachtet. Es ist nicht unter allen möglichen Deutungsvarianten diejenige auszuwählen, die nicht zu einer Strafbarkeit führt, sondern unter allen plausiblen.25 Auch ist einzugestehen, dass nicht alle Deutungen des Bundesverfassungsgerichts zu überzeugen vermögen, da für ihre Herleitung zum Teil ein solcher Interpretationsaufwand betrieben wird, wie er von dem zugrunde zu legendenden Durchschnittsleser nicht erwartet werden könnte.26 Diese Kritik im Einzelfall stellt die Auslegungsmethode des Bundesverfassungsgerichts allerdings nicht in Frage. Zur umfassenden Gewährleistung der Meinungsfreiheit ist es erforderlich, dass dem Äußernden keine strafrechtlich relevante Deutungsmöglichkeit untergeschoben wird, die er so gar nicht beabsichtigt.27 Darüber hinaus lässt sich die Variantenlehre im strafrechtlichen Bereich auch über den in dubio pro reo-Grundsatz rechtfertigen.28 Denn auch dieser gebietet, dass bei tatsächlichen Zweifeln über die richtige Deutung nicht einer strafbarkeitsbegründenden Auslegungsvariante der Vorzug gegenüber einer zulässigen gegeben wird. Dabei darf aber nicht vergessen werden, dass nur Interpretationsmöglichkeiten in Betracht zu ziehen sind, die vor dem Empfängerhorizont eines unbefangenen Durchschnittslesers auch vertretbar aus der Aussage herausgelesen werden können. Einer Äußerung dürfen nicht im Sinne einer falsch verstandenen „Überprotektion“ der Meinungsfreiheit zu Lasten des Betroffenen völlig fernliegende Aussagegehalte unterstellt werden. Werden diese Grenzen eingehalten, verdienen die verfassungsrechtlichen Grundsätze zur Auslegung von Meinungsäußerungen im Ergebnis Zuspruch, damit auch in der strafrechtlichen Rechtsprechung eine Gewährleistung der Meinungsfreiheit gesichert werden kann. 2. Auslegung von Satire, Ironie und Karikatur Besondere Grundsätze bei der Deutung müssen gelten, wenn sich religionsfeindliche Äußerungen einer satirischen Darstellungsweise bedienen. Wie bereits erörtert,29 wirkt Satire wesenstypisch durch das Stilmittel der Verfremdung. Um zu einer angemessenen Interpretation zu gelangen, bedarf es demnach einer „Rück25
92.
v. Arnauld, Grundrechtsfreiheit zur Gotteslästerung?, in: Religionsbeschimpfung, S. 63,
26 Campbell, NStZ 1995, 328: „Gefahr, daß das BVerfG […] den für die Ermittlung des Sinngehalts maßgeblichen ,verständigen Leser‘ nur noch in den eigenen Reihen findet“. 27 Dieses Ergebnis kann darüber hinaus auch durch eine Parallele zum verfassungsrechtlich geschützten Recht am eigenen Wort unterstützt werden, s. Gärtner, Was die Satire darf, S. 150 f. 28 Gärtner, Was die Satire darf, S. 149; Rittig, Preis der Satire, in: Was kostet der Spaß? S. 62, 67; Hager, in: Staudinger, § 823 BGB, Rn. C 71; anders Helle, AfP 2006, 110, 112. 29 Vgl. zu dem Begriff der Satire oben 1. Kapitel A. III.
A. Allgemeine Grundsätze zur Strafbarkeit kritischer Äußerungen
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übersetzung“ der durch die Verfremdung verschlüsselten Aussagen.30 Mit der Interpretation satirischer Darstellungen beschäftigte sich schon das Reichsgericht, dessen Entscheidungen diesbezüglich heute noch Relevanz haben. Es stellte fest, dass „eine satirische Darstellung nicht nach ihrem Wortsinn genommen werden, sondern erst des in Wort und Bild gewählten satirischen Gewandes entkleidet werden muß, bevor beurteilt werden kann, ob das, was in dieser Form ausgesprochen und dargestellt ist, den Tatbestand einer strafbaren Handlung […] enthält.“31 Auch das Bundesverfassungsgericht hat sich diese Vorgehensweise zu eigen gemacht und will den so herausgearbeiteten „Aussagekern“ und seine satirische „Einkleidung“ gesondert auf die Erfüllung des jeweiligen Tatbestands überprüfen.32 Bei der Ermittlung des Aussagekerns sind – soweit der Schutzbereich der Kunstfreiheit eröffnet ist33 – „werkgerechte“ Maßstäbe anzulegen.34 Zugrunde zu legen ist dabei auch bei Satiren und Karikaturen das Verständnis eines unvoreingenommenen, vernünftigen Durchschnittsbetrachters;35 also weder ein künstlerisch völlig unterbewanderter noch ein mit dieser Kunstform besonders vertrauter Betrachter,36 es sei denn, das Werk ist nur an einen bestimmten Rezipientenkreis mit besonderen Eigenschaften gerichtet.37 Bei der Interpretation des Werks ist demnach der Modus der Veröffentlichung zu berücksichtigen. So muss etwa bei einer Publikation in einer periodisch erscheinenden Satiresendung das besondere Verständnis zwischen Autor und Rezipient in die Interpretation einbezogen werden. Zum einen besteht in einer solchen Konstellation von vorneherein Einvernehmen über den satirischen Grundton des Gesagten, zum anderen darf ein höheres Maß an Abstraktionsfähigkeit erwartet werden: Der Autor erwartet, dass seine Beiträge als „satirische Kritik, nicht aber als Kundgabe der Missachtung“ verstanden werden und daher eine Gegenüberstellung Minister – Esel nicht „nach der allgemein im Volksmund
30
Gärtner, Was die Satire darf, S. 111; Senn, Satire und Persön1ichkeitsschutz, S. 54. RGSt 62, 183 f. 32 BVerfGE 75, 369, 377 f. – Strauß/Hachfeld; 81, 278, 294 – Bundesflagge; 86, 1, 12 f. – geb. Mörder; BVerfG, NJW 2002, 3767 – Bonnbons. 33 s. hierzu oben 2. Kapitel A II. 2. 34 BVerfGE 30, 173, 195 – Mephisto; 67, 213, 230 – Anachronistischer Zug; 75, 369, 376 – Strauß/Hachfeld; BGH, NJW 1975, 1882, 1884; NJW 1983, 1194, 1195; Hilgendorf, in: LKStGB § 185 Rn. 22; Würtenberger, NJW 1982, 610, 611. 35 BGH, NJW 1975, 1882, 1883; VGH München, NJW 1984, 1136, 1137; Gärtner, Was die Satire darf, S. 139 ff.; Heinz, Kunst und Strafrecht, in: Grenzen politischer Kunst, S. 44, 60; Lenckner/Eisele, in: Schönke/Schröder § 185 Rn. 8a; Würtenberger, NJW 1982, 610, 615; ders., NJW 1983, 1144, 1146. 36 BVerfGE 67, 213, 229 f. – Anachronistischer Zug; Steffen, in: FS Simon, S. 359, 374; vgl. aber für die Beurteilung von Kunst durch einen Kunstkenner Würtenberger, in: FS Dreher, S. 79, 88. 37 OLG Hamburg, MDR 1967, 146, 147; Erhardt, Kunstfreiheit und Strafrecht, S. 205 ff.; Lenckner/Eisele, in: Schönke/Schröder § 185 Rn. 8a; anders K. Fischer, Strafrechtliche Beurteilung, S. 65. 31
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3. Kap.: Strafbarkeit religionsfeindlicher Äußerungen in Deutschland
herrschenden Anschauung“ auf die bloße Gleichsetzung reduziert, sondern als Metapher für eine störrische und uneinsichtige Persönlichkeit.38 Bei der Interpretation ist ebenso wie bei nichtsatirischen Äußerungen zu beachten, dass das Werk in seiner Gesamtheit zu deuten ist und einzelne Elemente nicht aus dem Zusammenhang gerissen werden dürfen.39 Zudem muss berücksichtigt werden, dass Satire – nach dem literaturwissenschaftlichen Begriff – einen gesellschaftlichen Missstand aufdecken will oder sich zumindest mit einer aktuellen – häufig für die Öffentlichkeit relevanten – Fragestellung auseinandersetzt. Sie ist deshalb stets in Bezug zum jeweils aktuellen Zeitgeist zu setzen und vor dem Hintergrund der gesellschaftlichen Situation zu verstehen.40 Ihr liegt ein Sachverhalt zugrunde, der zwar nur andeutungsweise dargestellt wird, aber für die Entschlüsselung der Aussage unerlässlich ist.41 Im Rahmen dieser Entschlüsselung kommt in erster Linie dem Gefühl der Befremdung eine bedeutende Rolle zu. An ihr erkennt der Rezipient einer Satire regelmäßig deren satirischen Charakter, indem ihm bewusst wird, dass die Darstellung eben nicht der realen Wirklichkeit entspricht, sondern erst mit seinem Erfahrungsschatz zu einer Aussage angereichert werden kann.42 Dieses Kontextwissen wiederum wird durch die Verwendung von Merkmalen der Wiedererkennung aktiviert, die sowohl ebenfalls aktuell und kontextbezogen oder aber im Gegenteil auch allgemeingültige Metaphern sein können.43 Vor diesem Hintergrund ist das Verfremdete zu deuten, das Befremdende mit dem Bekannten in Beziehung zu setzen, um die bezweckte Aussage des Autors zu verstehen. Verbleiben nach dieser Entschlüsselung mehrere Deutungsmöglichkeiten – und davon ist bei Kunstwerken, die sich ja gerade durch ihre Interpretationsoffenheit auszeichnen, in der Regel auszugehen – darf sich das Gericht nicht für eine strafrechtlich relevante Auslegung entscheiden, ohne die straflosen Alternativen mit tragfähigen Gründen ausgeschlossen zu haben.44 Diese für die Meinungsfreiheit herausgearbeiteten Grundsätze müssen auch für Äußerungen gelten, die sich einer künstlerischen Form bedienen, da politisch motivierte Kunst immer auch eine Meinungsäußerung im Sinne des Art. 5 Abs. 1 GG enthält.45 38
OLG Hamburg, MDR 1967, 146, 147. BVerfGE 67, 213, 228 f. – Anachronistischer Zug; BGH, NJW 2004, 596, 597; OLG Hamm, NJW 1982, 659, 660; Gounalakis, NJW 1995, 809, 813; Hilgendorf, in: LK-StGB § 185 Rn. 22; Otto, JR 1983, 1, 3; Würkner, NStZ 1988, 23. 40 Steffen, in: FS Simon, S. 359, 373; ebenso Simon, Persönlichkeitsschutz gegen herabsetzende Karikaturen, S. 41. Ausführlich hierzu auch Gärtner, Was die Satire darf, S. 111 ff. 41 Mahrenholz, Hdb VerfR, § 26 Rn. 84; zust. Gärtner, Was die Satire darf, S. 111. 42 Gärtner, Was die Satire darf, S. 116. 43 Gärtner, Was die Satire darf, S. 119. 44 Zur Kunstfreiheit: Hörnle, in: MK-StGB § 166 Rn. 16, Gounalakis, NJW 1995, 809, 813; v. Becker, GRUR 2004, 908, 911 f. 45 Gounalakis, NJW 1995, 809, 813 f. Vorzugsweise erscheint es dabei, bei der Anwendung der Kunstfreiheit die für die Meinungsfreiheit entwickelten Prinzipien heranzuziehen. 39
A. Allgemeine Grundsätze zur Strafbarkeit kritischer Äußerungen
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Ist der Aussagekern angemessen herausgearbeitet, ist dieser bei der Subsumtion unter die fraglichen Normen zugrunde zu legen. Sofern die strafrechtlichen Grenzen der Kommunikationsfreiheiten hiernach nicht überschritten sind, ist aber nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts auch die Einkleidung der satirischen Aussage zu untersuchen. Dabei müsse beachtet werden, dass „die Maßstäbe für die Beurteilung der Einkleidung (…) weniger streng sind, als die für die Bewertung des Aussagekerns; denn ihr ist die Verfremdung wesenseigen.“46 Groteske Übersteigerung und Verzerrung, die dem Betrachter ohne Weiteres als satirische Einkleidung einer Aussage erkennbar ist, dürfe nicht unreflektiert unter die strafrechtlichen Tatbestandsmerkmale subsumiert werden. Denn sie ist nur das strukturtypische Ausdrucksmittel, das die eigentliche Kernaussage dem Rezipienten zugänglich machen soll. Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass bei personenbezogenen Darstellungen zumindest dann eine Grenze erreicht ist, wenn die abgebildete Person durch die herabsetzende Darstellung selbst in ihrer Menschenwürde verletzt wird.47 Als auf diese Weise entwürdigend wird beispielsweise eine anstößige Verbindung mit Sexualität, Fäkalien oder Tieren empfunden.48 Die Aufteilung einer satirischen Darstellung in einen Aussagekern und seine Einkleidung werden in der Literatur zuweilen kritisiert.49 Betont wird zum einen, gerade im Hinblick auf moderne Comedy-Formate – im Bereich der religiösen Satire ist dabei vor allem die Comic-Serie „Popetown“ zu nennen – könnte die bisherige Rechtsprechung nicht durchgehalten werden, da ihnen regelmäßig kein Aussagegehalt zu entnehmen sei.50 Daran ist richtig, dass solche Formate häufig keine politisch motivierte Kernaussage enthalten, sondern ihr Ziel oft allein in der Unterhaltung des Publikums in der Absicht der wirtschaftlichen Vermarktung liegt. Das bedeutet aber nicht, dass überhaupt kein Aussagekern herausgearbeitet werden kann. Insofern sind der literaturwissenschaftliche und der juristische Satirebegriff zu unterscheiden. Zwar verlangt ersterer die Anprangerung eines gesellschaftlichen Missstandes.51 Nach der Rechtsprechung und der überwiegenden juristischen Literatur wird aber eine solche nicht vorausgesetzt. Dies erlaubt dem juristischen Begriff, auch weniger gesellschaftskritische Darstellungen einer satiretypischen Auslegung zu unterziehen. Da sich diese als Ziel gesetzt hat, die Darstellung werkgerecht zu 46 BVerfGE 75, 369, 378 – Strauß/Hachfeld; 81, 278, 294 – Bundesflagge; zust. BGH, NJW 2004, 596, 597; BayObLG, NJW 1999, 1982, 1984; OLG Hamburg, NJW 1985, 1654; Hilgendorf, in: LK-StGB § 185 Rn. 23 f.; Regge/Pegel, in: MK-StGB § 185 Rn. 18. 47 BVerfGE 75, 369, 380 – Strauß/Hachfeld. 48 Hörnle, in: MK-StGB § 166 StGB Rn. 18; v. Ungern-Sternberg, Öffentliche Auseinandersetzung, in: Freiheit – Sicherheit – Öffentlichkeit, S. 61, 79. 49 Brauneck, ZUM 2000, 137, 140 ff.; dies., ZUM 2004, 887 ff; v. Becker, GRUR 2004, 908 ff. 50 v. Becker, GRUR 2004, 908, 912; zust. Regge/Pegel, in: MK-StGB § 185 Rn. 19. Krit. insoweit auch Brauneck, GRUR 2004, 887, 889 f., die eine Einordnung als Satire in solchen Fällen ablehnt. Zur zivilrechtlichen Behandlung derartiger Comedy-Beiträge s. auch Ladeur, NJW 2000, 1977. 51 s. oben 1. Kapitel A III. 1.
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3. Kap.: Strafbarkeit religionsfeindlicher Äußerungen in Deutschland
interpretieren, kann sich dies im Ergebnis sowohl zum Vor- als auch zum Nachteil der Beteiligten auswirken. So verbirgt sich bei bloß unterhaltenden Comedy-Formaten hinter der Einkleidung regelmäßig eine Verspottung des Satireobjekts. Diese kann aber genauso unter die fraglichen Tatbestände subsumiert werden wie andere Kernaussagen. Im Bereich des Persönlichkeitsschutzes wird die Meinungs- (und Kunst-)freiheit auf jeden Fall dann zurückzutreten haben, wenn die Voraussetzungen der Schmähkritik52 erfüllt sind, was in solchen Konstellationen nicht selten der Fall sein wird. Eines Ausschlusses nicht gesellschaftskritischer Comedy-Formate aus dem juristischen Satirebegriff oder einer besonderen Auslegungsmethode hierfür bedarf es also nicht. Zum anderen steht auch die Trennung zwischen Aussagekern und ästhetischem Gewand als solche in der Kritik. Der Aussagegehalt einer Satire ließe sich nicht abstrakt und von der Darstellungsweise losgelöst beschreiben; die Gerichte übersähen, dass der von ihnen als Aussagekern herausgearbeitete Vorwurf sich gerade aus der gestalterischen Eigendynamik der Satire ergebe.53 Eine solche Kritik verkennt die Vorgehensweise der Gerichte. Denn indem diese zur Herausarbeitung des Aussagekerns auf „werkgerechte Maßstäbe“ zurückgreifen, müssen sie gerade die Besonderheiten des jeweiligen Typs – also vor allem auch die Verfremdung, aber ebenso die „gestalterische Eigendynamik“ der Satire – in ihre Überlegungen mit einbeziehen. Es ist ja gerade Ziel dieser Interpretation, auch die Andeutungen zu erkennen und zu untersuchen, wie ein unbedarfter, aber aufmerksamer Betrachter diese versteht. Die Trennungsmethode dient dazu, neben dem herausgearbeiteten Aussagekern auch die formale Einkleidung einer Prüfung zu unterziehen. Inwiefern eine „ganzheitliche Betrachtung“54 ohne Trennung in Aussagekern und Einkleidung hilfreich sein und wie hierfür überhaupt vorgegangen werden soll, erschließt sich nicht. Dass es einer Trennung und damit einer mühevollen Interpretation im Einzelfall nicht mehr zwingend bedarf, wenn schon die Einkleidung offensichtlich fremde Rechtsgüter verletzt,55 ist unschädlich. Schließlich wird die Teilungsmethode des Bundesverfassungsgerichts auch dahingehend kritisiert, dass allein der Aussagekern, nicht aber das ästhetische Gewand der Satire einer rechtlichen Beurteilung unterzogen werden dürfe.56 Die satirische Einkleidung als solche könne nicht getrennt von der inhaltlichen Aussage bewertet werden, ohne dass diese Untersuchung auf eine bloße Geschmackskontrolle hinauslaufe. Es sei nicht möglich, einen Katalog grundsätzlich verbotener Darstellungen zu etablieren, an dem die satirische Einkleidung unabhängig vom Aussagekern
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s. hierzu oben 2. Kapitel A I. 2. d). Brauneck, ZUM 2004, 887, 891. 54 Eine solche empfiehlt Brauneck, ZUM 2000, 137, 141. 55 Insofern ist Brauneck, ZUM 2000, 137, 141 zuzustimmen. 56 Gärtner, Was die Satire darf, S. 125 ff.; Bismarck, AfP 1981, 472, 473; für Senn, Satire und Persönlichkeitsschutz, S. 92, muss die Satire „als Ganzes“ der Prüfung unterzogen werden. 53
A. Allgemeine Grundsätze zur Strafbarkeit kritischer Äußerungen
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gemessen werden könnte.57 Diese Kritik ist nicht von der Hand zu weisen. Zwar darf die eigene Wirkung der Form auf den Betrachter nicht unterschätzt werden, denn diese bleibt ihm in der Regel in Erinnerung und entfaltet daher eine Langzeitwirkung.58 Die ästhetische Wirkungsweise der Satire ist für ihre Wirkung zum Teil ebenso bestimmend wie die vermittelte Aussage.59 Tatsächlich droht aber eine rein formale Betrachtung (und sei es auch nur in zweiter Linie) das Wesen der Satire zu verkennen. Das Postulat des Bundesverfassungsgerichts, an die formale Einkleidung weniger strenge Anforderungen zu stellen als an den Aussagekern,60 geht zwar in die richtige Richtung, hält aber keine tragfähigen Abgrenzungskriterien bereit.61 Auch weite Teile der Rechtsprechung tendieren dazu, die satirische Einkleidung nicht einzeln zu prüfen, und setzen sich regelmäßig, bis auf einige Ausnahmen,62 ausschließlich mit dem Aussagekern der Satire auseinander.63 Selbst das Bundesverfassungsgericht scheint in seiner neueren Rechtsprechung die Überprüfung des satirischen Gewands zu vernachlässigen, indem es betont: „Es ist widersprüchlich, eine Äußerung als ironisch zu charakterisieren, ihr sodann aber einen Bedeutungsgehalt zuzumessen, der ihr nur zukommen würde, wenn sie als ernst gemeint beim Wort zu nehmen wäre.“64 Der Kritik ist also insofern zuzustimmen, dass es unzulässig ist, bei der Überprüfung der äußerlichen Einkleidung ihren satirischen Charakter zu vernachlässigen. Auch versteht sich von selbst, dass es keinen Katalog von Darstellungen geben kann, die prinzipiell verboten sind. Zudem darf die Betrachtung des satirischen Gewands nicht auf eine Geschmackskontrolle oder eine Prüfung der Verhältnismäßigkeit des Ausdrucks65 hinauslaufen. Trotzdem kann im Ausnahmefall die satirische Darstellung unabhängig vom Aussagegehalt der Satire den Betroffenen in seinem Persönlichkeitsrecht verletzen, etwa wenn hierzu echte Nacktfotos66 verwendet werden, die in den Intimbereich eingreifen, oder wenn eine Kritik an einer 57
Gärtner, Was die Satire darf, S. 126. Simon, Persönlichkeitsschutz gegen herabsetzende Karikaturen, S. 44. 59 Brauneck, ZUM 2004, 887, 891, vgl. auch Senn, Satire und Persönlichkeitsschutz, S. 47. Für Steffen, in: FS Simon, S. 359, 372, sind „Form und Inhalt sich wechselseitig bedingende Elemente einer nicht spaltbaren Einheit“. 60 BVerfGE 75, 369, 378 – Strauß/Hachfeld; 81, 278, 294 – Bundesflagge. 61 Gärtner, Was die Satire darf, S. 137 f. 62 BGH, NJW 2004, 596, 597; LG Hamburg, AfP 1994, 64, 67; LG Hamburg, NJW-RR 2000, 978, 980. 63 Vgl. hierzu Gärtner, Was die Satire darf, S. 135 mit zahlreichen Beispielen. 64 BVerfG, NJW 2001, 3613, 3614. 65 An eine Verhältnismäßigkeitsprüfung erinnert BayObLG, UFITA 48, 356, 362 f. („ohne sachlichen Anlaß derart verschärft ist“). Dies kann aber schon deshalb nicht zulässig sein, weil die Erforderlichkeit bei der durch Übertreibung geprägten Satire als Kriterium unbrauchbar ist, s. Gärtner, Was die Satire darf, S. 137 f. 66 Zur Verwendung von Zeichnungen, die die betroffene Person nackt darstellen, aber offensichtlich nicht realistisch sind, s. KG, NJW 1990, 1996; ebenso LG Saarbrücken, NJW 1963, 1071, 1072; OLG Hamburg, AfP 1987, 701, 703; anders dagegen bei LG Berlin, AfP 2002, 249, 250. 58
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3. Kap.: Strafbarkeit religionsfeindlicher Äußerungen in Deutschland
Person etwa über ihre Behinderung67 dargestellt wird. Der Fall ist mit der Konstellation der Formalbeleidigung zu vergleichen. Eigene Rechtsverletzungen durch die satirische Form sind aber höchst selten und dürfen nicht auf Grund bloßer Geschmacklosigkeit angenommen werden. Da die Grenze aber nur in offensichtlichen Ausnahmefällen überschritten wird, ist es vertretbar, wenn Gerichte die äußere Form nur dann einer Kontrolle unterziehen, wenn besondere Anzeichen für eine Rechtsverletzung zu erkennen sind. Im Ergebnis ist also dem Bundesverfassungsgericht trotz der Berechtigung der Kritik zuzustimmen. Eine eigene Analyse der satirischen Einkleidung darf allerdings nur mit der Maßgabe erfolgen, dass nur offensichtliche Verletzung des grundrechtlichen Kernbereichs gerügt werden dürfen.
II. Einfluss der Meinungsfreiheit auf die strafrechtliche Gesetzesauslegung Wie gerade gesehen, muss nach der bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung das Grundrecht der Meinungsäußerungsfreiheit schon bei der Auslegung der umstrittenen Äußerung Beachtung finden. Darüber hinaus postulierte das Gericht eine weitere Pflicht zur besonderen Berücksichtigung des Grundrechts auf der Tatbestandsebene strafrechtlicher Sanktionierung: Schon im Lüth-Urteil verlangte es im Sinne der sog. Wechselwirkungslehre, „dass die Schranken zwar dem Wortlaut nach dem Grundrecht Grenzen setzen, ihrerseits aber aus der Erkenntnis der grundlegenden Bedeutung dieses Grundrechts im freiheitlich demokratischen Staat ausgelegt und so in ihrer das Grundrecht begrenzenden Wirkung selbst wieder eingeschränkt werden müssen“.68 Um eine unzulässige Beschränkung der Meinungsfreiheit zu verhindern, ist die beschränkende Norm demnach immer im Lichte des beschränkten Grundrechts zu betrachten. Dies wirkt sich zunächst auf der Ebene der Normauslegung aus. Die Tatbestandsmerkmale der strafrechtlichen Norm müssen also in einer Weise verstanden werden, dass sie die Kommunikationsgrundrechte – allen voran die Meinungsfreiheit – nicht über Gebühr einschränken. Schon auf Tatbestandsebene ist demnach eine Abwägung zwischen der Bedeutung der Meinungsfreiheit einerseits und des Rechtsguts, in dessen Interesse sie eingeschränkt wird, andererseits vorzunehmen.69 Dies führt dazu, dass bei Beiträgen zum geistigen Meinungskampf eine Gesetzesauslegung, die überhöhte Anforderungen an die Zulässigkeit öffentlicher Kritik stellt, einen Verstoß gegen Art. 5 GG begründet.70 Das Grundrecht verbietet darüber 67 s. etwa zur Strafbarkeit wegen Beleidigung durch die Bezeichnung als „Krüppel“ auch in einem Satire-Magazin, BVerfGE 86, 1, 13 f. – geb. Mörder. 68 BVerfGE 7, 198, 208 f. – Lüth; ebenso BVerfGE 94, 1, 8 – Flugblatt; 107, 299, 331 f. – Telekommunikationsüberwachung II, st. Rechtsprechung, s. zuletzt vor allem BVerfGE 124, 300, 332 – Wunsiedel; BVerfG, NJW 2012, 1273, 1274. 69 BVerfGE 93, 266, 292 – Soldaten sind Mörder; BVerfG, NJW 1999, 2262, 2263. 70 BVerfGE 42, 163, 170 – Echternach.
B. Religionsfeindliche Äußerungen als strafbare Handlungen
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hinaus eine Auslegung der Norm, auf Grund derer für eine Berücksichtigung der Kommunikationsfreiheit kein Raum mehr besteht oder von der ein abschreckender Effekt in dem Sinne ausgeht, dass aus Angst vor Sanktionen auch zulässige Kritik unterbleibt71 (sog. chilling effect). So darf auch die Straflosigkeit wertender Äußerungen nicht davon abhängen, dass den Adressaten zugleich ausreichende Informationen mitgeteilt werden, um diesen eine kritische Würdigung des Werturteils zu ermöglichen.72 Neben der Auslegung der meinungsfreiheitsbeschränkenden Tatbestände selbst ist von diesen Grundsätzen vor allem die Rechtfertigungsnorm des § 193 StGB betroffen. Die als Ausprägung des Art. 5 Abs. 1 GG verstandene Norm muss so interpretiert werden, dass sie eine Güterabwägung zwischen Meinungsfreiheit und Ehrschutz ermöglicht.73 Da der Gesetzgeber die relevanten Tatbestände – als allgemeine Gesetze wohl notwendigerweise – weitgehend offen formuliert hat und dadurch dem Rechtsanwender einen Wertungs- und Abwägungsspielraum belässt, zeigt sich ein weitaus bedeutsamerer Einfluss der Meinungsfreiheit auf der Ebene der Normanwendung,74 auf der eine Abwägung der betroffenen Rechte und Interessen im Einzelfall stattzufinden hat. Häufig werden diese Grundsätze in der einfachgerichtlichen Rechtsprechung ohne konkreten Bezug zu den einschlägigen strafrechtlichen Normen angewandt, was im strafrechtlichen Schrifttum höchst kritisch bewertet wird.75 Um diese dogmatische Ungenauigkeit nicht zu vertiefen, soll eine tiefergehende Auseinandersetzung mit dem besonderen Einfluss der Meinungsfreiheit bei der Normanwendung erst im Rahmen des jeweiligen Tatbestandsmerkmals erörtert werden.
B. Religionsfeindliche Äußerungen als strafbare Handlungen nach deutschem Recht Vor diesem Hintergrund der allgemeinen Grundsätze gilt es nun zu untersuchen, nach welchen geltenden deutschen Strafgesetzen derjenige, der sich religionsfeindlich äußert, verfolgt werden kann. Hierzu bietet sich eine tiefergehende Analyse dreier Normkomplexe an: Als das schwerste Delikt soll zunächst auf die Volksverhetzung eingegangen werden, anschließend sind die Ehrverletzungsdelikte dar71
BVerfGE 43, 130, 136 – Flugblatt; so auch schon die abweichende Meinung der Richterin Rupp-v. Brünneck zu BVerfGE 42, 143, 156 – Deutschland-Magazin. 72 BVerfGE 42, 163, 170 f. – Echternach. 73 BVerfGE 12, 113, 125 f. – Schmid/Spiegel; s. hierzu unten in diesem Kapitel B. II. 2. d) bb). 74 Degenhart, in: BK-GG, Art. 5 Abs. 1 und 2 Rn. 74; Grabenwarter, in: Maunz/Dürig, Art. 5 Abs. 1, 2 Rn. 146; Grimm, NJW 1995, 1697, 1701. Die Pflicht zur Berücksichtigung der Meinungsfreiheit auf Normanwendungsebene ergibt sich aus der st. Rechtsprechung seit BVerfGE 12, 113, 125 ff. – Schmid/Spiegel. 75 Zaczyk, JR 2003, 36.
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3. Kap.: Strafbarkeit religionsfeindlicher Äußerungen in Deutschland
zustellen. Schließlich soll der hier wohl relevantesten, aber auch umstrittensten Frage der „Religionsdelikte“ im deutschen Strafrecht Aufmerksamkeit gewidmet werden.
I. Religionsfeindliche Äußerungen als Volksverhetzung § 130 StGB enthält mehrere, weitgehend selbstständige76 Tatbestände. Im Rahmen von religionsbeschimpfenden Aussagen und Schriften kommen nach deutschem Recht nur die ersten beiden Absätze der Volksverhetzung in Betracht, da sich die übrigen Varianten ausschließlich auf Verleugnung, Verharmlosung oder Billigung von unter der Herrschaft des Nationalsozialismus begangenen Gewalttaten beziehen und deshalb hier außer Betracht bleiben sollen. Zu untersuchen sind also der Äußerungstatbestand des § 130 Abs. 1 StGB sowie der Verbreitungstatbestand des § 130 Abs. 2 StGB. 1. Volksverhetzende Äußerungen nach § 130 Abs. 1 StGB Nach § 130 Abs. 1 StGB wird die Hetze gegen bestimmte Bevölkerungsgruppen durch Auffordern zu Gewalt oder Hass oder durch Angriffe auf die Menschenwürde mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft. a) Schutzzweck der Norm Lebhaft umstritten ist, was durch die Vorschrift geschützt werden soll. Das Bundesverfassungsgericht äußerte sich zwar zur Neufassung dahingehend, dass zumindest in § 130 Abs. 1 Nr. 1 StGB eine Abwägung des geschützten Guts mit der Meinungsfreiheit erforderlich ist, ließ aber offen um welches Gut es sich eigentlich handelt.77 Nach überwiegender Auffassung ist vorrangiger Schutzzweck der öffentliche Friede.78 Dass dieser jedoch nach der hier vertretenen Ansicht einen Eingriff in Meinungs- und Kunstfreiheit durch strafrechtliche Verbote nicht rechtfertigen kann, da er entweder allgemein den Zweck jeglicher strafrechtlicher Norm oder aber nur eine Umgehung der Voraussetzungen des vorgelagerten Rechtsgüterschutz
76 Schäfer, in: MK-StGB § 130 Rn. 1; vgl. zu den Schwierigkeiten bei der Auslegung der Norm Hassemer, KJ 1990, 359, 362 f. 77 BVerfG, NJW 2003, 660, 662; NJW 2008, 2907, 2909; krit. Stegbauer, JR 2004, 281. 78 OLG München, NJW 1985, 2430, 2431; OLG Karlsruhe, NJW 1986, 1276, 1277; OLG Celle, NStZ 1997, 495, 496; Krauß, in: LK-StGB § 130 Rn. 2; Lackner/Kühl, § 130 Rn. 1; Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder § 130 Rn. 1a; Lohse, NJW 1985, 1677, 1678; ders., in: Satzger/Schluckebier/Widmaier § 130 Rn. 2; Maurach/Schroeder/Maiwald, BT II, § 60 Rn. 7, 57; Römer, NJW 1971, 1735; Stein/Rudolphi, in: SK-StGB § 130 Rn. 1 f.; Schäfer, in: MKStGB § 130 Rn. 2.
B. Religionsfeindliche Äußerungen als strafbare Handlungen
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darstellt, wurde bereits erörtert.79 Es stellt sich also die Frage, ob der Norm ein anderes Rechtsgut zugrunde gelegt werden kann. Indem § 130 Abs. 1 Nr. 1 StGB ein Aufstacheln zum Hass oder ein Auffordern zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen verlangt, dient er im Wesentlichen dazu, Angriffe auf Individualrechtsgüter wie Leben, Gesundheit, Eigentum, Willens- und Fortbewegungsfreiheit der Betroffenen zu verhindern.80 Ein vorverlagerter Individualrechtsgüterschutz rechtfertigt sich hier aus den eng umrissenen Tathandlungen, die eine Gefährdung derartiger Interessen nicht nur möglich erscheinen lassen, sondern sie gezielt bezwecken.81 Dass durch den Schutz der Individualrechtsgüter ein „öffentlicher Friede“ in Form von einer allgemeinen Friedlichkeit mit bewirkt wird, steht der generellen Ungeeignetheit dieses Merkmals zur Rechtfertigung von Straftatbeständen nicht entgegen.82 § 130 Abs. 1 Nr. 2 StGB verlangt einen Angriff auf die Menschenwürde durch Beschimpfung, Verächtlichmachung oder Verleumdung. Das Kriterium der Menschenwürde sollte zwar zunächst nur den Tatbestand auf die gravierendsten Fälle begrenzen, indem politische, wirtschaftliche und soziale Konflikte ausgenommen wurden.83 Dies hatte aber auch Auswirkungen auf das Schutzgut der Vorschrift; die wohl herrschende Meinung nimmt an, die Menschenwürde trete zumindest als zweites Schutzgut neben den öffentlichen Frieden.84 Teilweise wird sie sogar als vorrangiger Schutzzweck angesehen.85 Hierfür spricht, dass die Zugehörigkeit zu 79
s. oben 2. Kapitel B. II. 2. So auch Altenhain, in: Matt/Renzikowski § 130 Rn. 3 („Zwischenziel für das Unterbleiben von Angriffen auf Leib, Leben und Freiheit der Diskriminierten“); Hörnle, Grob anstößiges Verhalten, S. 297 ff.; Junge, Schutzgut des § 130 StGB, S. 72 ff.; vgl. auch Fischer, § 130 Rn. 2, der zwar in erster Linie das Allgemeininteresse an einem friedlichen Zusammenleben im Staat geschützt sieht, dieses aber wiederum mit dem Individualrechtsgüterschutz erklärt. 81 Ähnlich Hörnle, Grob anstößiges Verhalten, S. 299. 82 Ähnlich auch Ostendorf, in: NK-StGB § 130 Rn. 5. 83 BT-Drucks. 3/1746, S. 3; Junge, Schutzgut des § 130 StGB, S. 64; Schafheutle, JZ 1960, 470, 472 f.; Streng, FS Lackner, S. 501, 504. 84 AG Linz, NStZ-RR 1996, 358, 359; Foerstner, Kollektivbeleidigung, S. 169 ff.; Lackner/ Kühl, § 130 Rn. 1; Kindhäuser, § 130 StGB Rn. 1; Krauß, in: LK-StGB § 130 Rn. 2, 8; Maurach/Schroeder/Maiwald, BT II, § 60 Rn. 7, 57 f.; Römer, NJW 1971, 1735 Fn. 8; Schäfer, in: MK-StGB § 130 Rn. 2; weiter Stein/Rudolphi, in: SK-StGB § 130 Rn. 1b, 1c, 1e („Persönlichkeitsrechte“, „Angriff auf Individualrechtsgüter in einem die Menschenwürde berührenden Ausmaß“); offen gelassen OLG Karlsruhe, NJW 1986, 1276, 1277, das aber trotzdem eine Verletzteneigenschaft des Betroffenen i.S.d. § 172 StPO bejaht; anders OLG München, NJW 1985, 2430, 2431; Beisel, Kunstfreiheitsgarantie, S. 341; v. Dewitz, NS-Gedankengut und Strafrecht, S. 175; Wehinger, Kollektivbeleidigung – Volksverhetzung, S. 88 ff. (jeweils nur öffentlicher Frieden); vgl. auch Mitsch, Das deutsche Strafrecht, in: Rassische Diskriminierung, S. 147, 167 ff. (Menschenwürdeverletzung als „Reflex der Verletzung des Primärrechtsguts“ öffentlicher Friede); ähnlich OLG Stuttgart, 10. 04. 1992 – 1 Ws 44/92 (juris) Rn. 7. 85 So auch K. Fischer, Strafrechtliche Beurteilung, S. 107 ff.; Hörnle, Grob anstößiges Verhalten, S. 285 ff.; Stegbauer, Rechtsextremistische Propaganda, S. 167, 172, 246; Streng, FS 80
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3. Kap.: Strafbarkeit religionsfeindlicher Äußerungen in Deutschland
einer bestimmten Gruppe einschließlich der daran geknüpften Zuschreibungen ein wesentliches Persönlichkeitsmerkmal darstellt, weshalb Hetze gegen spezielle Gruppen Einzelne in der Entfaltung ihrer Individualität behindern kann.86 Deshalb betrifft die Volksverhetzung in dieser Alternative die Menschenwürde auch nicht als objektives Wertprinzip,87 sondern als Achtungsanspruch der Betroffenen.88 Jedoch ist das Verbot Menschenwürdeverletzung im Rahmen des § 130 Abs. 1 Nr. 2 StGB kein Selbstzweck. Im Gegenteil sollen Menschenwürdeverletzungen gerade deswegen verhindert werden, weil die Herabwürdigung von Personengruppen typischerweise gegen diese gerichtete Straftaten hervorzurufen vermag. Die Menschenwürdeverletzung ist also in diesem Sinne Tatmittel, nicht aber selbstständiger Schutzzweck.89 Dieser ist – wie auch schon bei Nr. 1 – die Verhinderung von individualrechtsgutsverletzenden Straftaten. b) Voraussetzungen des § 130 Abs. 1 StGB aa) Tathandlung Das inkriminierte Verhalten in § 130 Abs. 1 StGB umfasst einen qualifizierten, von Feindseligkeit geprägten Angriff, der auf Reaktionen gegen den Persönlichkeitsbereich der Betroffenen gerichtet ist, sowie besonders schwerwiegende Formen der Missachtung.90 Eine besondere Form der Tathandlung ist in diesem Absatz nicht erforderlich, sie kann sowohl mündlich als auch schriftlich erfolgen.91 Die Tat nach § 130 Abs. 1 StGB stellt ein Äußerungsdelikt dar.92 Das Verbreiten fremder Erklärungen erfüllt also nur dann den Tatbestand, wenn der Täter sich den Inhalt erkennbar
Lackner, S. 501, 506 ff., 511; ähnlich auch die Ansichten, die die Volksverhetzung als Verbrechen gegen die Menschlichkeit bezeichnen, etwa BVerfG NJW 2009, 3503, 3504, Ostendorf, in: NK-StGB § 130 Rn. 4. 86 Streng, in: FS Lackner, S. 501, 507. 87 So aber wohl Foerstner, Kollektivbeleidigung, S. 170. 88 Maurach/Schroeder/Maiwald, BT II, § 60 Rn. 57 f.; Ostendorf, in: NK-StGB § 130 Rn. 4; ähnlich Stein/Rudolphi, in: SK-StGB § 130 Rn. 1e, die jedoch den Schutz nicht auf die Menschenwürde beschränken, sondern ihn auf sonstige Persönlichkeitsrechte ausweiten wollen. 89 Im Ergebnis ebenso Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder § 130 Rn. 1a; vgl. hierzu auch Stein/Rudolphi, in: SK-StGB § 130 Rn. 1e. 90 Schäfer, in: MK-StGB § 130 Rn. 21; ebenso zu der bis zum 21. 03. 2011 gültigen Gesetzesfassung: Krauß, in: LK-StGB § 130 Rn. 34. 91 Ostendorf, in: NK-StGB § 130 Rn. 9; Schäfer, in: MK-StGB § 130 Rn. 20; ebenso: Krauß, in: LK-StGB § 130 Rn. 36; Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder § 130 Rn. 2. 92 BGHSt 46, 212, 216 f.; Fischer, § 130 Rn. 11; Geilen, NJW 1976, 279, 281; Krauß, in: LK-StGB § 130 Rn. 37; Junge, Schutzgut des § 130 StGB, S. 156; Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder § 130 Rn. 5; Schäfer, in: MK-StGB § 130 Rn. 9; Wandres, Strafbarkeit des Auschwitz-Leugnens, S. 135.
B. Religionsfeindliche Äußerungen als strafbare Handlungen
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zu eigen macht.93 Hierfür reicht etwa das Abspielen eines Liedes mit zum Hass aufreizendem Inhalt nicht aus.94 (1) Aufstacheln zum Hass und Auffordern zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen Der Tatbestand des § 130 Abs. 1 Nr. 1 StGB enthält zwei Handlungsalternativen. Aufstacheln zum Hass ist ein Verhalten, das auf die Gefühle (oder den Intellekt95) eines anderen einwirkt und objektiv geeignet sowie subjektiv bestimmt96 ist, eine emotional gesteigerte, über bloße Verachtung und Ablehnung hinausgehende feindselige Haltung gegen Betroffenen zu erzeugen oder zu verstärken.97 Für diese Alternative ist nicht erforderlich, dass der Täter unmittelbare Aktionen bestimmter Art gegen die Betroffenen bezwecken will, die von ihm beabsichtigte feindselige Stimmung soll aber als emotionale Grundlage und Nährboden für Exzesse gegen die Angegriffenen bilden können.98 Nicht notwendig ist darüber hinaus, dass sich die beabsichtigte Feindseligkeit tatsächlich einstellt.99 Davon zu unterscheiden ist das Auffordern zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen. Dieses setzt ein über bloßes Befürworten hinausgehendes, ausdrückliches oder konkludentes Einwirken auf andere mit dem Ziel, in ihnen den Entschluss zu diesen Handlungen hervorzurufen, voraus.100 Der Begriff der Gewaltmaßnahmen umfasst neben den (rechtswidrigen101) Gewalttätigkeiten im Sinne des § 125 StGB als aggressive, gegen die körperliche Unversehrtheit von Menschen oder fremde Sachen 93 AG Rathenow, NStZ-RR 2007, 341; Krauß, in: LK-StGB § 130 Rn. 37; SternbergLieben, in: Schönke/Schröder § 130 Rn. 5; Schäfer, in: MK-StGB § 130 Rn. 41; sehr weitgehend OLG Koblenz, StV 1985, 15, 16, nach dem eine Lehrerin, die eine volksverhetzende Collage eines Schülers ausstellt, sich deren Aussage zu eigen macht. 94 AG Rathenow, NStZ-RR 2007, 341, 341 f. 95 Geilen, Volksverhetzung, in: LdR (StrR/StrVerfR), S. 1168, 1171; Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder § 130 Rn. 5a; Schäfer, in: MK-StGB § 130 Rn. 40. 96 s. zu den subjektiven Aspekten des Merkmals Römer, NJW 1971, 1735. 97 BGHSt 21, 371, 372; 40, 97, 102; 46, 212, 217; BGH, NStZ 1981, 258; OLG Köln, NJW 1981, 1280; BayObLG, NJW 1990, 2479, 2480; KG, JR 1998, 213, 215; OLG Brandenburg, NJW 2002, 1440, 1441; vgl. auch BVerfG, NJW 2003, 660, 662; Altenhain, in: Matt/Renzikowski § 130 Rn. 6; Fischer, § 130 Rn. 8; Krauß, in: LK-StGB § 130 Rn. 38; Lackner/Kühl, § 130 Rn. 4; Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder § 130 Rn. 5a; Stein/Rudolphi, in: SKStGB § 130 Rn. 4a; Schäfer, in: MK-StGB § 130 Rn. 40; krit. zu dieser „Scheindefinition“ und zu der Legitimität dieser Handlungsalternative angesichts der wohl weitreichenden praktischen Überschneidung mit § 130 Abs. 2 Nr. 2 StGB, Hörnle, Grob anstößiges Verhalten, S. 300 ff. 98 OLG Brandenburg, NJW 2002, 1440, 1441; Krauß, in: LK-StGB § 130 Rn. 38; Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder § 130 Rn. 5a; Schäfer, in: MK-StGB § 130 Rn. 41; v. d. Horst, ZUM 1993, 508, 511. 99 Kargl, Jura 2001, 176, 177; Schäfer, in: MK-StGB § 130 Rn. 41. 100 BGHSt 32, 310, 311 ff. (zu § 111 StGB); BGH, HRRS 2008 Nr. 458 Rn. 16; OLG Brandenburg, NJW 2002, 1440, 1441; Bloy, JR 1985, 206 (zu § 111 StGB); Fischer, § 130 StGB Rn. 10; Krauß, in: LK-StGB § 130 Rn. 43; Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder § 130 Rn. 5b; Schäfer, in: MK-StGB § 130 Rn. 46. 101 Altenhain, in: Matt/Renzikowski § 130 Rn. 7.
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gerichtete aktive Handlungen von einiger Erheblichkeit unter Einsatz physischer Kraft102 auch gewaltsame Vertreibungen, Pogrome oder bedrohliche Hetzjagden.103 Darüber hinaus erfasst das Merkmal der Willkürmaßnahmen sonstige Behandlungen, die im Widerspruch zu elementaren Geboten der Menschlichkeit stehen.104 Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts erfordert das Grundrecht der Meinungsfreiheit – wie oben in den allgemeinen Grundsätzen herausgearbeitet105 – bei der Anwendung strafrechtlicher Äußerungsverbote eine Abwägung der betroffenen Interessen unter besonderer Berücksichtigung der konstitutiven Bedeutung der Meinungsfreiheit. Fraglich ist, welche Auswirkungen dies im Rahmen des § 130 Abs. 1 Nr. 1 StGB nach sich zieht. Prinzipiell gilt, dass die Anwendung des Gesetzes stets noch eine Abwägung der betroffenen Interessen voraussetzt. Dabei ist aber bei dieser Alternative des Volksverhetzungstatbestandes zunächst zu untersuchen, ob der Schutzbereich der Meinungsfreiheit überhaupt eröffnet ist. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist dies zu verneinen, wenn es sich um bewusst oder evident unwahre Tatsachenbehauptungen handelt, da diese nicht zur Grundlage verfassungsrechtlich geschützter Meinungsbildung dienen können.106 Einer Abwägung ist die Äußerung zudem dann entzogen, wenn sie in die Menschenwürde des Betroffenen eingreift.107 Deshalb war vor der Änderung des Tatbestands durch das Verbrechensbekämpfungsgesetz vom 28. Oktober 1994,108 als sämtliche Tatbestandsvarianten noch das Merkmal der Menschenwürdeverletzung enthielten, eine umfassende Einzelfallabwägung nach allgemeiner Ansicht stets ausgeschlossen.109 Seit allerdings ein solches Erfordernis im Gesetz nicht mehr enthalten ist, verlangt das Bundesverfassungsgericht auch bei der Anwendung des § 130 Abs. 1 Nr. 1 eine Abwägung im Einzelfall.110 Dies wird im Schrifttum zum Teil kritisch bewertet. Der Verzicht auf das Merkmal der Menschenwürdeverletzung sei redaktioneller Natur und diene im Wesentlichen dazu, der zu engen Auslegung durch die Fachgerichte entgegenzuwirken.111 Auch wenn eine 102 BGHSt 20, 305, 308 (zu § 122 Abs. 3 StGB); OLG Düsseldorf, NJW 1993, 869: OLG Hamburg, NJW 1983, 2273; OLG Karlsruhe, NJW 1979, 2415, 2416; OLG Köln, NStZ-RR 1997, 234; Geerds, JR 1990, 384; Lackner/Kühl, § 125 Rn. 4; Rudolphi, JR 1983, 252; Schäfer, in: MK-StGB § 125 Rn. 20; Wolter, NStZ 1985, 245, 251; vgl. auch Kostaras, Zur strafrechtlichen Problematik der Demonstrationsdelikte, S. 78 f. 103 Krauß, in: LK-StGB § 130 Rn. 44; Schäfer, in: MK-StGB § 130 Rn. 47. 104 Krauß, in: LK-StGB § 130 Rn. 44; Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder § 130 Rn. 5b. 105 s. dazu oben in diesem Kapitel A. II. 106 s. zum Schutzbereich der Meinungsfreiheit oben 2. Kapitel A. I. 1. a). 107 BVerfGE 93, 266, 293 – Soldaten sind Mörder; 107, 275, 284 – Benetton II; BVerfG, NJW 2001, 61, 63 – Referentenwahl; BVerfG, NJW 2008, 2907, 2909 – Heimatvertriebenenlied; BVerwGE 131, 216, 221 f. 108 BGBl. 1994 I, S. 3186 ff. 109 BVerfG, NJW 2001, 61 – Referentenwahl. 110 BVerfG, NJW 2003, 660, 662; NJW 2008, 2907, 2909. 111 Stegbauer, NStZ 2005, 677, 680.
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Beeinträchtigung der Menschenwürde nun nicht mehr explizit verlangt werde, so sei sie doch bei der Erfüllung der Tatbestandsmerkmale des Aufstachelns zum Hass oder des Aufforderns zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen regelmäßig gegeben.112 Diese Auffassung verdient keine Zustimmung. Selbst wenn bei Angriffen im Sinne des § 130 Abs. 1 Nr. 1 StGB häufig auch die Menschenwürde des Opfers tangiert sein mag, ist dieses Ergebnis doch nicht zwingend.113 Auch die Kritiker der bundesverfassungsgerichtlichen Entscheidung gestehen ein, dass im konkreten Fall ein Angriff auf die Menschenwürde eher zweifelhaft war.114 Dass in solchen Fällen eine Abwägung mit der Meinungsfreiheit stattfinden soll, ist in Anbetracht der sonstigen Rechtsprechung (etwa zu § 166 oder den §§ 185 ff. StGB) nur konsequent. Dem steht nicht entgegen, dass ein Überwiegen der Meinungsfreiheit trotz Erfüllung sämtlicher Tatbestandsmerkmale nur in Ausnahmefällen festzustellen sein wird. (2) Angriff auf die Menschenwürde anderer durch Beschimpfung, Verächtlichmachung oder Verleumdung Von § 130 Abs. 1 Nr. 2 StGB unter Strafe gestellt wird das Beschimpfen, Verächtlichmachen oder Verleumden, durch das die Menschenwürde der Betroffenen angegriffen wird. Beschimpfen ist eine durch Form oder Inhalt besonders verletzende Äußerung der Missachtung.115 Verächtlichmanchen ist eine Äußerung tatsächlichen oder wertenden Inhalts, durch die der Betroffene in den Augen seiner Mitmenschen als deren Achtung nicht würdig herabgestuft wird.116 Damit diese Tatbestandsvariante nicht ausufert, verlangt die Norm jedoch auf der subjektiven Seite Böswilligkeit. Diese ist bei einem Handeln aus niederträchtiger, bewusst feindseliger Gesinnung gegeben, wenn also dem Handeln verwerfliche Beweggründe zugrunde liegen.117 Demgegenüber verlangt die Verleumdung, ähnlich wie im Rahmen des § 187 StGB, eine Behauptung bewusst unwahrer Tatsachen gegenüber Dritten, wobei diese geeignet sein müssen, die Betroffenen in ihrer Geltung und in ihrem Ansehen herabzuwürdigen.118
112 So BT-Drucks. 12/6853, S. 24; ähnlich auch Krauß, in: LK-StGB § 130 Rn. 33. Die Gesetzesbegründung erscheint jedoch insofern widersprüchlich, als nur zwei Absätze zuvor das eng gefasste Merkmal der Menschenwürdeverletzung als Problem bei der Anwendung der Norm genannt wird; krit. zu der gesetzgeberischen Argumentation Neumann, StV 1994, 273, 274. 113 So auch Neumann, StV 1994, 273, 274. 114 Stegbauer, NStZ 2005, 677, 680. 115 RGSt 61, 308; BGHSt 7, 110; 46, 212, 216; OLG Hamburg, NJW 1975, 1088; Krauß, in: LK-StGB § 130 Rn. 47; Schäfer, in: MK-StGB § 130 Rn. 51. 116 BGHSt 3, 346, 348; BayObLG NJW 1995, 145; Fischer, § 130 Rn. 11; Stein/Rudolphi, in: SK-StGB, § 130 Rn. 6. 117 Krauß, in: LK-StGB § 130 Rn. 128; Schäfer, in: MK-StGB § 130 Rn. 101. 118 BGH, HRRS 2008 Nr. 458 Rn. 17; Stein/Rudolphi, in: SK-StGB § 130 Rn. 6; SternbergLieben, in: Schönke/Schröder § 130 Rn. 5d.
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Durch die Anknüpfung an die Menschenwürde wird jedoch deutlich, dass es nicht lediglich um einen mit den §§ 185 ff. StGB vergleichbaren Schutz der Ehre geht. Der Unrechtsgehalt muss den der §§ 185 ff. StGB übersteigen, weshalb der Begriff der Menschenwürde im Rahmen der Vorschrift restriktiv auszulegen ist.119 Dies folgt daraus, dass die Menschenwürde einer Abwägung selbst mit dem Grundrecht der Meinungsfreiheit nicht zugänglich ist.120 Daher erfordern die Varianten des § 130 Abs. 1 Nr. 2 StGB eine besonders qualifizierte Form der Beeinträchtigung in Form einer Verletzung der Betroffenen in ihren grundlegenden Lebensrechten als gleichwertige Persönlichkeiten in der Gemeinschaft durch massive Angriffe, sodass sie in ihrem unverzichtbaren Bereich des Persönlichkeitskerns eine soziale Abwertung erfahren121. Diese Voraussetzung kann die Grenzziehung in Einzelfällen schwierig gestalten. Entscheidend ist, ob im Sinne einer Gesamtbetrachtung aller Umstände des Einzelfalls122 der Kernbereich der Menschenwürde als Anspruch auf ein Lebensrecht als gleichwertige Persönlichkeit verletzt wird. Aus dem Merkmal des Angriffs auf die Menschenwürde ergibt sich, dass in dieser Tatbestandsvariante eine besondere Berücksichtigung der Meinungsfreiheit im Sinne einer Abwägung im Einzelfall nicht mehr erfolgen darf. Das Bundesverfassungsgericht hat an dieser – für die alte Form der Norm bestehende123 – Rechtsprechung auch nach der Reform (anders als bei § 130 Abs. 1 Nr. 1 StGB) ausdrücklich festgehalten.124 bb) Angriffsgegner Das Kriterium des Handlungsadressaten wurde durch das Gesetz vom 16. März 2011125 modifiziert und an die europäischen Anforderungen angepasst. Seitdem kommt neben den schon bisher erfassten Teilen der Bevölkerung auch eine nationale, rassische, religiöse oder durch ihre ethnische Herkunft bestimmte Gruppe oder ein 119
Ostendorf, in: NK-StGB § 130 Rn. 14. Auch das Bundesverfassungsgericht betont, das Grundrecht der Meinungsfreiheit stehe einer weiten Auslegung des Tatbestandsmerkmals entgegen, BVerfG, NJW 2001, 61 – Referentenwahl. 120 Krauß, in: LK-StGB § 130 Rn. 54. 121 BT-Drucks. 3/1746, S. 3; BGHSt 36, 83, 90; BGH, HRRS 2008, Nr. 458 Rn. 17; Altenhain, in: Matt/Renzikowski § 130 Rn. 8; Krauß, in: LK-StGB § 130 Rn. 46; Schäfer, in: MK-StGB § 130 Rn. 50. 122 BGHSt 40, 97, 101; BGH, NStZ-RR 2006, 305; NStZ 1984, 310; Krauß, in: LK-StGB § 130 Rn. 54. 123 BVerfG, NJW 2001, 61, 62 – Referentenwahl. 124 BVerfG, NJW 2009, 3503. 125 Gesetz zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses 2008/913/JI des Rates vom 28. 11. 2008 zur strafrechtlichen Bekämpfung bestimmter Formen und Ausdrucksweisen von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit und zur Umsetzung des Zusatzprotokolls vom 28. 01. 2003 zum Übereinkommen des Europarats vom 23. 11. 2001 über Computerkriminalität betreffend die Kriminalisierung mittels Computersystemen begangener Handlungen rassistischer und fremdenfeindlicher Art v. 16. 03. 2011, BGBl. I, S. 418.
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Einzelner wegen seiner Zugehörigkeit zu einer vorbezeichneten Gruppe oder zu einem Teil der Bevölkerung in Betracht. Unter einer Gruppe ist dabei eine Mehrzahl von Personen zu verstehen, die sich von der Bevölkerung durch bestimmte gemeinsame Merkmale abhebt.126 Angeknüpft werden darf dabei ausschließlich an die aufgezählten Merkmale. Nicht erforderlich ist ein räumlicher oder organisatorischer Zusammenhang innerhalb der Personenmehrheit.127 Auch wird hier nicht verlangt, dass sich die Gruppe oder einige ihrer Mitglieder im Inland aufhalten; ein Inlandsbezug ergibt sich allerdings aus dem Merkmal der Eignung zur Störung des öffentlichen (inländischen) Friedens.128 Vorliegend allein von Bedeutung ist das Anknüpfungsmerkmal der Religion. Anders als beispielsweise in § 166 Abs. 1 StGB sind hier ausschließlich Religions-, nicht aber Weltanschauungsgemeinschaften erfasst. In Anlehnung an deren Definition im Rahmen des § 6 Abs. 1 VStGB129 ist der Begriff der religiösen Gruppe nicht zu weit auszulegen, damit eine Parallelität zu übrigen geschützten Gruppen besteht. Erforderlich ist insbesondere eine hinreichende Bindekraft, die religiöse von politischen Gruppierungen abhebt.130 Der im Vergleich dazu weitere Begriff der „Teile der Bevölkerung“ umfasst alle von der übrigen Bevölkerung auf Grund gemeinsamer äußerer oder innerer Merkmale politischer, nationaler, ethnischer, rassischer, religiöser, weltanschaulicher, sozialer, wirtschaftlicher, beruflicher oder sonstiger Art unterscheidbare Gruppen, die zahlenmäßig von einiger Erheblichkeit und somit individuell nicht mehr überschaubar sind.131 In der Praxis kann die Definition des Merkmals erhebliche Probleme bereiten. Da in den hier interessierenden Fällen aber regelmäßig schon das Merkmal der religiösen Gruppe erfüllt ist, kann auf eine detailliertere Erläuterung verzichtet werden. Bei beiden Merkmalen ist zu beachten, dass es zwischen der Personenmehrheit und einer gegebenenfalls dahinterstehenden Institution zu unterscheiden gilt. Wird die Institution als solche angegriffen und nicht ihre Mitglieder, fehlt es an einem 126 Schäfer, in: MK-StGB § 130 Rn. 28; Stein/Rudolphi, in: SK-StGB § 130 Rn. 2a; ebenso Krauß, in: LK-StGB § 130 Rn. 75 (zu § 130 Abs. 2 StGB). 127 Schäfer, in: MK-StGB § 130 Rn. 28. 128 BT-Drucks. 17/3124, S. 10 f. 129 Hierzu Kreß, in: MK-StGB § 6 VStGB Rn. 42 ff.; auf die Norm nimmt auch der Gesetzgeber Bezug, s. BT-Drucks. 17/3124, S. 10. 130 Kreß, in: MK-StGB § 6 VStGB Rn. 44. 131 BGH, GA 1979, 391; BGH, HRRS 2008 Nr. 458 Rn. 7; OLG Hamm, MDR 1981, 336; OLG Frankfurt, NJW 1989, 1367, 1369; BayObLG, NJW 1994, 952, 953; Beisel, NJW 1995, 997, 998; Geilen, NJW 1976, 279; Giehring, StV 1985, 30, 32; Kargl, Jura 2001, 176; Otto, JR 1994, 473; Schäfer, in: MK-StGB § 130 Rn. 30 m.w.N.; Schafheutle JZ 1960, 470, 472; Stein/ Rudolphi, in: SK-StGB § 130 Rn. 3; v. d. Horst, ZUM 1993, 508, 510 f.; anders bzgl. der zahlenmäßigen Erheblichkeit Foerstner, Kollektivbeleidigung, S. 173 f.; Ostendorf, in: NKStGB § 130 Rn. 19 (wobei bei sehr kleinen Gruppen wohl eine Eignung zur Friedensgefährdung ohnehin fehlt).
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3. Kap.: Strafbarkeit religionsfeindlicher Äußerungen in Deutschland
tauglichen Angriffsobjekt.132 Dies ist im Rahmen von Religionsfeindlichkeit besonders zu beachten: Zielgruppe dürfen nur die Gläubigen selbst sein, nicht aber die Religionsgemeinschaft selbst. Indes ist eine Unterscheidung mitunter kaum zu treffen, viel hängt von der Auslegung der Äußerung durch den Richter ab.133 Eine weitere Neuerung seit 2011 ist die Einbeziehung von Einzelpersonen, die auf Grund ihrer Zugehörigkeit zu einer oben bezeichneten Gruppe oder einem Teil der Bevölkerung Ziel der Angriffe werden. Die Änderung dient ebenfalls der Umsetzung des Rahmenbeschlusses und des Zusatzprotokolls,134 in Anbetracht der vorherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs135 liegt aber nur eine Konkretisierung der Norm vor. Denn dieser hatte eine Bestrafung wegen Volksverhetzung auch dann nicht beanstandet, wenn die Diffamierung auf den ersten Blick allein auf ein Gruppenmitglied gerichtet ist, sofern sie eben auf der Gruppenzugehörigkeit beruhte, weil dadurch gleichzeitig der ganzen Bevölkerungsgruppe das gleichwertige Lebensrecht aberkannt werde.136 Dieser Umweg ist seit der Reform nun nicht mehr erforderlich: Auch Einzelpersonen können nun Ziel der Äußerung sein, solange sich eine hinreichende Gruppenbezogenheit daraus ergibt, dass der Einzelne gerade wegen seiner Gruppenzugehörigkeit angegriffen wird. cc) Eignung zur Störung des öffentlichen Friedens Weiterhin erfordert § 130 Abs. 1 StGB, dass die Handlung geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören. Dieser kann, wie oben gesehen,137 entweder nach dem dualistischen Begriff als Zustand der „Rechtssicherheit“ und des Vertrauens der Bevölkerung auf den Bestand dieses Zustands138 interpretiert werden oder weitergehend als ein gesellschaftlicher Frieden verstanden werden, also als psychischen Klima, das nicht durch Unruhe, Unsicherheit, Angst und Schrecken in der Bevölkerung sowie durch Ausgrenzung und Diffamierung von Bevölkerungsgruppen vergiftet ist.139 Dabei ist jedoch zu beachten, dass nach dem Bundesverfassungs132 BGHSt 36, 83, 91; OLG Stuttgart, NJW 2002, 2893, 2894; Giehring, StV 1985, 30, 32 f.; Foerstner, Kollektivbeleidigung, S. 174 f.; Krauß, in: LK-StGB § 130 Rn. 30; Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder § 130 Rn. 3; Ostendorf, in: NK-StGB § 130 Rn. 18. 133 Foerstner, Kollektivbeleidigung, S. 175. 134 BT-Drucks. 17/3124, S. 10. 135 BGHSt 21, 371, 372. 136 BGHSt 21, 371, 372; ebenso OLG Stuttgart, NStZ 2010, 453, 454. 137 s. oben 2. Kapitel B. II. 2. 138 Binding, Normen und ihre Übertretung I, S. 352; Giehring, StV 1985, 30, 35; Hoyer, Eignungsdelikte, S. 134; Wehinger, Kollektivbeleidigung – Volksverhetzung, S. 74 ff. 139 Krauß, in: LK-StGB § 130 Rn. 63; vgl. auch BGHSt 47, 278, 280; Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder § 130 Rn. 10; Schäfer, in: MK-StGB § 130 Rn. 16; krit. Kargl, Jura 2001 176, 182, der den öffentlichen Frieden in einem engeren Sinn als Normdurchsetzung bezeichnet, die nur dann gestört sei, „wenn die Strafverfolgungsorgane ihre Tätigkeit gar nicht, schleppend oder nur sporadisch aufnehmen“.
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gericht eine extensive Auslegung des Tatbestandsmerkmals, die bereits rein geistige Wirkungen der Tathandlung, etwa eine Vergiftung des politischen Klimas, eine Beunruhigung der Bürger durch Konfrontation mit provokanten Meinungen und Ideologien oder die Beeinträchtigung von als grundlegend angesehenen sozialen oder ethischen Anschauungen einbezieht, unzulässig ist.140 Abgestellt werden kann diesbezüglich entweder auf die angegriffene Bevölkerungsgruppe selbst, deren Vertrauen in die öffentliche Rechtssicherheit erschüttert wird, oder auf die „angereizte“ Gruppe der Bevölkerung, bei der die Neigung zur Beschimpfung und böswilligen Verächtlichmachung geweckt wird.141 Schon aus dem Wortlaut ergibt sich, dass eine tatsächliche Störung des öffentlichen Friedens nicht erforderlich ist. Was jedoch unter dem Begriff der Eignung zu verstehen ist, ist im Einzelnen umstritten.142 Nach der ganz überwiegenden Ansicht ist eine konkrete Gefährdung des öffentlichen Friedens nicht erforderlich.143 Die Eignung selbst muss aber anhand des konkreten Einzelfalls (wohl aber auf Grund einer generalisierenden Betrachtungsweise), nicht nur abstrakt bestimmt werden.144 Notwendig ist eine umfassende Würdigung aller relevanten Umstände, zu berücksichtigen sind also etwa die Intensität des Angriffs, das eventuelle Bestehen offener und latenter Gewaltpotentiale, eine möglicherweise besondere Gefährdungslage der angegriffenen Personenmehrheit, die Zusammensetzung der direkten Empfänger sowie die allgemeine Empfänglichkeit der Öffentlichkeit für derartige Beschimpfungen.145 Die Tatgerichte bejahen das Merkmal häufig ohne besondere Auseinandersetzung mit den tatsächlichen oder drohenden Konsequenzen der Äußerung.146 Dies ist insbesondere auch darauf zurückzuführen, dass eine solche Prognoseentscheidung 140
BVerfGE 124, 300, 334 – Wunsiedel; Altenhain, in: Matt/Renzikowski § 130 Rn. 2. BGHSt 16, 49, 56; OLG Celle, NJW 1970, 2257; OLG Hamburg, NJW 1975, 1088. 142 Insbesondere geht es dabei auch um die Frage, ob die sog. Eignungsdelikte abstrakte oder konkrete Gefährdungsdelikte oder gar als „potentielle“ Gefährdungsdelikte eine eigene Kategorie darstellen. Da die Voraussetzungen an das Merkmal der Friedensstörungseignung jedoch auch bei unterschiedlicher Einordnung weitgehend einheitlich interpretiert wird, soll dieser rein dogmatische Streit hier offen gelassen werden. 143 BGHSt 46, 212, 218; OLG Hamburg, MDR 1981, 71; OLG Köln, NJW 1982, 657; OLG Düsseldorf, NJW 1986, 2518, 2519; Beisel, NJW 1995, 997, 999; Fischer, § 130 Rn. 13; Giehring, StV 1985, 30, 35; Krauß, in: LK-StGB § 130 Rn. 15, 64; Kudlich, StV 2001, 397, 399; Ostendorf, in: NK-StGB § 130 Rn. 16; Schäfer, in: MK-StGB § 130 Rn. 23; anders Gallas, in: FS Heinitz, S. 171, 182 („konkretes Gefährdungsdelikt“). 144 BGHSt 46, 212, 218; BGH, NStZ 2007, 216, 217; Altenhain, in: Matt/Renzikowski § 130 Rn. 13; Krauß, in: LK-StGB § 130 Rn. 15, 64; Lohse, in: Satzger/Schluckebier/Widmaier § 130 Rn. 9; Rackow, in: BeckOK-StGB § 130 Rn. 22; Schäfer, in: MK-StGB § 130 Rn. 23; Stree, NJW 1976, 1177, 1180. 145 Krauß, in: LK-StGB § 130 Rn. 66; Schäfer, in: MK-StGB § 130 Rn. 24. 146 s. etwa OLG Düsseldorf, NJW 1986, 2518, 2519, vgl. auch OLG Stuttgart, NStZ 2010, 453, 455: „Einem Werturteil, welches – wie hier – einen Angriff auf die Menschenwürde darstellt, kommt in der Regel die Eignung zu einer Friedensstörung zu.“ 141
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3. Kap.: Strafbarkeit religionsfeindlicher Äußerungen in Deutschland
im Rahmen eines Strafverfahrens kaum realisierbar erscheint.147 Dass der öffentliche Friede als Tatbestandsmerkmal nicht allein als objektive Gesichertheit des Rechts ausgelegt werden kann, da es sich dann als Zirkelschluss erweist, wurde bereits festgestellt.148 Soll stattdessen auf das Vertrauen in der Bevölkerung oder auf ein noch weiter verstandenes harmonisches Zusammenleben in der Gesellschaft abgestellt werden, stellt sich das Problem der Beweisbarkeit im Prozess.149 Erforderlich wäre eine empirische Feststellung, welche Handlungen geeignet sind, das Vertrauen der Bevölkerung in die „Rechtssicherheit“ oder das gemeinschaftliche Zusammenleben zu stören. An solchen Feststellungen fehlt es in der Rechtsprechung aber regelmäßig.150 Im Gegenteil wird häufig darauf abgestellt, dass die Menschenwürdeverletzung der Äußerung auch die Eignung zur Störung des öffentlichen Friedens impliziere.151 Letztlich hat dieses Merkmal daher die Funktion, dem Richter nach der Feststellung der übrigen Tatbestandsmerkmale noch die Wertung zu ermöglichen, ob die Äußerung die Grenze der Strafwürdigkeit tatsächlich überschreitet.152 Insoweit kann auch von einer „Mindestintensität (…) der Tathandlung“153 gesprochen werden. Auch das Bundesverfassungsgericht interpretiert das Merkmal der Friedensstörung bei § 130 Abs. 4 StGB inzwischen als Korrektiv, durch das grundrechtlichen Wertungen im Einzelfall Geltung verschafft werden kann.154 Durch die Verwirklichung der übrigen Tatbestandsmerkmale werde die Störung des öffentlichen Friedens (und damit auch erst recht die Eignung hierzu) widerlegbar vermutet, sodass letztere nicht als strafbegründendes Tatbestandsmerkmal, sondern als „Wertungsformel zur Ausscheidung nicht strafwürdig erscheinender Fälle“ wirke.155 Das Bundesverfassungsgericht billigt somit die tatsächliche Auslegung durch die fachgerichtliche 147
Streng, in: FS Lackner, S. 501, 515; zu den Schwierigkeiten einer Eignungsdiagnose und -prognose vgl. auch Rudolphi, ZRP 1979, 214, 220. 148 s. oben 2. Kapitel B. II. 2. a). 149 Auch hierzu s. bereits oben 2. Kapitel B. II. 2. a). 150 s. etwa BGHSt 16, 49, 56 f.: „Dass dies bei einer zur Verbreitung bestimmten antisemitischen Hetzschrift zutrifft, bedarf nach den geschichtlichen Erfahrungen keiner weiteren Begründung.“ 151 Vgl. etwa BGH, NStZ-RR 2006, 305, 306; OLG Stuttgart, NStZ 2010, 453, 455. 152 s. zum öffentlichen Frieden als Strafwürdigkeitskriterium auch schon oben 2. Kapitel B. II. 2. a) sowie Fischer, in: FS Puppe, S. 1119, 1138 ff. 153 Streng, JZ 2001, 205, 206; ähnlich auch Pawlik, in: FS Küper, S. 411, 417 f.; ders., Strafrechtlicher Schutz, in: Religionsbeschimpfung, S. 31, 41 jeweils zu § 166 StGB; zust. Krauß, in: LK-StGB § 130 Rn. 72. 154 BVerfGE 124, 300, 341 – Wunsiedel. 155 BVerfGE 124, 300, 340 f. – Wunsiedel mit dem Verweis auf Fischer, 56. Aufl., § 130 Rn. 14b. Damit stellt sich BVerfG allerdings, wie Fischer, § 130 Rn. 14c feststellt, in Widerspruch zu seiner früheren Rechtsprechung aus BVerfG, NJW 2005, 3202, 3203 ebenfalls zu § 130 Abs. 4 StGB, nach der „derartige strafbegründende Vermutungsregelungen, die ein objektiv nicht festgestelltes Merkmal des gesetzlichen Tatbestands aus einem anderen gesetzlich festgeschriebenen Umstand ableiten und dem Angekl. die Beweislast überbürden, dass die zu seinen Lasten angenommene Tatsache nicht vorgelegen habe, (…) mit dem aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG folgenden strafrechtlichen Schuldgrundsatz nicht vereinbar“ seien.
B. Religionsfeindliche Äußerungen als strafbare Handlungen
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Rechtsprechung, nach der die Eignung zur Friedensstiftung nicht empirisch festgestellt werden muss. Ob die Deutung als bloßes Korrektiv einer Vermutung mit dem Grundgesetz vereinbar ist, ist fraglich.156 Stattdessen sollte eher eine positiv wirkende Erheblichkeitsschwelle im Sinne einer Mindestintensität der Tathandlung angenommen werden,157 durch die gewährleistet wird, dass eine Äußerung nur dann unter Strafe gestellt wird, wenn der Angriff eine solche Intensität entfaltet, dass er eine gewisse gesellschaftliche Relevanz aufweist. Daneben erfüllt das Kriterium der Eignung zur Friedensstörung in § 130 Abs. 1 StGB noch eine weitere Funktion. Anders als ähnliche Tatbestände (beispielsweise § 130 Abs. 3 und 4 sowie § 166 Abs. 1 StGB) setzt die Norm die Öffentlichkeit der Äußerung nicht voraus.158 Jedoch verringert sich sowohl die Gefahr der drohenden Gewalt als auch die der Menschenwürdebeeinträchtigung, wenn die kritische Äußerung etwa im privaten Rahmen unter vertrauten Personen erfolgt. Dem kann über das Merkmal des öffentlichen Friedens Rechnung getragen werden. Denn damit eine Beeinträchtigung des öffentlichen Friedens überhaupt in Betracht kommt, muss nach den konkreten Umständen damit zu rechnen sein, dass der Angriff einer breiteren Öffentlichkeit bekannt wird159 (wenn auch nur mittelbar als Gegenstand öffentlicher Auseinandersetzungen). Die Friedensstörungseignung hängt demnach – auch mangels anderer Faktoren – eng mit dem Verbreitungsgrad der Äußerung zusammen.160 In der Praxis begnügen sich die Gerichte zum Teil damit, eine solche Öffentlichkeitsfähigkeit der Äußerung festzustellen, um die Eignung zur Störung des öffentlichen Friedens zu begründen.161 Soweit aber daraus geschlossen wird, das Merkmal der Eignung zur Störung des öffentlichen Friedens sei ausschließlich hierauf zu reduzieren,162 oder ihm jegliche tatsächliche Relevanz abgesprochen wird, ist insoweit auf die oben erläuterte Erheblichkeitsschwelle zu verweisen.
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Altenhain, in: Matt/Renzikowski § 130 Rn. 14. Krit. aber zu der Vereinbarkeit einer „Strafwürdigkeitskontrolle“ mit dem GG: Fischer, NStZ 1988, 159, 164. 158 BGHSt 29, 26, 27; 34, 329, 332; OLG Celle, NJW 1970, 2257; OLG Hamburg, MDR 1981, 71; Fischer, § 130 Rn. 13a; Krauß, in: LK-StGB § 130 Rn. 68; Schäfer, in: MK-StGB § 130 Rn. 25. 159 BGH, NJW 1987, 1898 (zu § 126 StGB); OLG Celle, NStZ 1998, 88, 89; KG, JR 1998, 213, 216; Krauß, in: LK-StGB § 130 Rn. 68; Lackner/Kühl, § 126 Rn. 4; Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder § 130 Rn. 11; Schmidt, MDR 1981, 972, 974; Stree, NJW 1976, 1177, 1180. 160 Altenhain, in: Matt/Renzikowski § 130 Rn. 13. 161 BGHSt 46, 36, 42 f.; 46, 212, 219; OLG Hamm, 11. 02. 2010 – 2 Ws 323/09 (juris) Rn. 58; krit. angesichts der „inflationären Einstellung fast jeder Nachricht in das Internet“ BGH, NStZ 2007, 216, 217. 162 Grundlegend Streng, in: FS Lackner, S. 501, 516, der allerdings diese Position später dahingehend relativiert, dass dem Merkmal daneben auch das einer Mindestintensität der Tathandlung entnommen werden könne, ders., JZ 2001, 205, 206; darauf zurückgreifend aber Stegbauer, NStZ 2000, 281, 285 f.; ders., JR 2003, 74, 75 (jeweils zu § 130 Abs. 3 StGB). 157
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3. Kap.: Strafbarkeit religionsfeindlicher Äußerungen in Deutschland
Zuletzt stellt das Merkmal auch einen gewissen Inlandsbezug her. Seitdem nicht nur (inländische163) Teile der Bevölkerung, sondern auch nationale, rassische, religiöse oder durch ihre ethnische Herkunft bestimmte Gruppen vom Tatbestand erfasst sind, lässt sich dieser Inlandsbezug nicht mehr aus dem Angriffsobjekt herleiten. Der Gesetzgeber geht allerdings davon aus, dass ein hinreichender Inlandsbezug durch das Merkmal des öffentlichen Friedens gewahrt sei,164 da darunter nur der inländische öffentliche Friede zu verstehen sei.165 dd) Subjektiver Tatbestand Bei § 130 Abs. 1 StGB handelt es sich um ein Vorsatzdelikt, wobei grundsätzlich bedingter Vorsatz ausreichend ist.166 Allerdings setzten das Anstacheln zum Hass und das Auffordern zu Gewalt- und Willkürmaßnahmen schon begriffsnotwendig voraus, dass der Täter gerade diese Wirkung bezweckt.167 Erforderlich ist deshalb ein zielgerichtetes, also absichtliches Handeln (dolus directus 1. Grads).168 2. Verbreitung von Schriften und von Darbietungen durch Rundfunk, Medien- oder Teledienste nach § 130 Abs. 2 StGB Die als allgemeiner Antidiskriminierungstatbestand169 bezeichnete Norm betrifft die Verbreitung von medialen Darbietungen, deren Inhalt im Wesentlichen die Voraussetzungen des Abs. 1 erfüllen muss. Die Strafdrohung ist mit Freiheitsstrafe
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Geilen, Volksverhetzung, in: LdR (StrR/StrVerfR), S. 1168, 1169; Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder § 130 Rn. 3. 164 RegE, BT-Drucks. 17/3124, S. 11; zust. Hellmann/Gärtner, NJW 2011, 961, 964; Ostendorf, in: NK-StGB § 130 Rn. 18. 165 BT-Drucks. 12/6853, S. 24; Altenhain, in: Matt/Renzikowski § 130 Rn. 9; SternbergLieben, in: Schönke/Schröder § 130 Rn. 3; Ostendorf, in: NK-StGB § 130 Rn. 16. 166 OLG Celle, NJW 1970, 2257, 2258; OLG Hamburg, NJW 1970, 1649, 1650; Schäfer, in: MK-StGB § 130 Rn. 100; vgl. auch BGH, HRRS 2008 Nr. 458 Rn. 28 ff. 167 s. schon zur Definition des Merkmals oben in diesem Kapitel B. I. 1. b) aa) (1) „subjektiv dazu bestimmt“ sowie Fn. 96 f. 168 BGHSt 40, 97, 102 f.; OLG Köln, NJW 1981, 1280; BayObLG, NJW 1990, 2479, 2480 (alle zum Merkmal des Aufstachelns); OLG Brandenburg, NJW 2002, 1440, 1441; Krauß, in: LK-StGB § 130 Rn. 128; Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder § 130 Rn. 5a, 5b, 24; Schäfer, in: MK-StGB § 130 Rn. 101; Ostendorf, in: NK-StGB § 130 Rn. 37; Stein/Rudolphi, in: SK-StGB § 130 Rn. 12 (zum Merkmal des Aufstachelns, krit. hingegen in Bezug auf das Auffordern); anders v. Bubnoff, in: LK-StGB (11. Aufl.), § 130 Rn. 29; Kargl, Jura 2001 176, 177 (objektive Eignung und diesbezüglicher Eventualvorsatz genügen). 169 König/Seitz, NStZ 1995, 1, 3; Lohse, in: Satzger/Schluckebier/Widmaier § 130 Rn. 22; Schäfer, in: MK-StGB § 130 Rn. 62; krit. Hörnle, Grob anstößiges Verhalten, S. 311, die darauf hinweist, dass dies nur im Hinblick auf die Vorgängernorm des § 131 StGB a.F. zu verstehen ist, die noch ausschließlich auf „Rassenhass“ abstellte und damit anders definierte Bevölkerungsgruppen ausschloss.
B. Religionsfeindliche Äußerungen als strafbare Handlungen
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bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe deutlich geringer als die des Äußerungstatbestandes. a) Schutzzweck der Norm Das fehlende Merkmal der Friedensstörungseignung in § 130 Abs. 2 StGB stellt die herrschende Meinung zum Teil vor Probleme. So wird etwa kritisiert, dass bei einem derart „abgehobenen“ Antidiskriminierungstatbestand mit weltweiter Schutzrichtung als Rechtsgut nichts anderes als das allgemeine Prinzip der Toleranz und Menschlichkeit und der Gedanke der Völkerverständigung bliebe.170 Ein solcher Schutzzweck kann jedoch, wie sich aus der Gegenüberstellung der betroffenen Interessen ergibt, eine strafrechtliche Einschränkung von Meinungs- und Kunstfreiheit nicht rechtfertigen.171 Allerdings ist ein derartiger Umweg nach der hier vertretenen Ansicht auch gar nicht erforderlich, da das jeweilige Schutzgut mit dem des §130 Abs. 1 StGB korrespondiert: Sofern die Äußernden zu Gewalt- und Willkürhandlungen auffordern, gefährden sie die Individualrechtsgüter der Betroffenen, sofern durch Beschimpfung und Verleumdung die Menschenwürde angegriffen wird, ist diese vorrangig vor einem vorverlagerten Individualrechtsgüterschutz. Wenn durch das Verbot derartiger Schriften auch eine gesellschaftliche Friedlichkeit erreicht wird, ist das auch hier als Zwischenziel der Norm zu verstehen. b) Voraussetzungen des § 130 Abs. 2 Der allgemeiner Antidiskriminierungstatbestand des § 130 Abs. 2 StGB stellt die Verbreitung volksverhetzender Schriften unter Strafe. aa) Angriffsmittel Bezüglich der Form des Angriffs unterscheidet § 130 Abs. 2 StGB zwischen Schriften (Nr. 1) und Darbietungen im Rundfunk, Medien- oder Telediensten (Nr. 2). Durch den Verweis auf § 11 Abs. 3 StGB sind im Rahmen der Schriften auch Tonund Bildträger, Datenspeicher, Abbildungen und andere Darstellungen erfasst. Ebenfalls unter den Tatbestand fallen im Internet veröffentlichte Texte.172 170 Lenckner/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder (28. Aufl.), § 130 Rn. 1a; krit. auch Geilen, Volksverhetzung, in: LdR (StrR/StrVerfR), S. 1168, 1174: „diffuses“ Rechtsgut; undeutlich Maurach/Schroeder/Maiwald, BT II, § 89 Rn. 13, die die betroffenen Gruppen und Einzelne selbst als Schutzgut sehen. Zum Teil wird aber freilich (mangels Differenzierung zwischen den verschiedenen Tatbestandsalternativen oder unter Berufung auf die abstrakte Gefährlichkeit der Schriften) auch für § 130 Abs. 2 StGB auf den öffentlichen Frieden verwiesen, s. hierzu Krauß, in: LK-StGB § 130 Rn. 9; Lackner/Kühl, § 130 Rn. 1; Stein/Rudolphi, in: SK-StGB § 130 Rn. 1f (als abstraktes Gefährdungsdelikt); Schäfer, in: MK-StGB § 130 Rn. 4. 171 s. hierzu insb. zum Schutz von Toleranz 2. Kapitel B II. 2. b). 172 BGH, NStZ 2007, 216, 217; Lohse, in: Satzger/Schluckebier/Widmaier § 130 Rn. 23; Schäfer, in: MK-StGB § 130 Rn. 68.
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3. Kap.: Strafbarkeit religionsfeindlicher Äußerungen in Deutschland
Die inhaltlichen Anforderungen an die Schriften oder Darbietungen stimmen nach der Angleichung173 mit denen des ersten Absatzes überein. Einziger Unterschied ist, dass im Rahmen der Verbreitung von volksverhetzenden Medien eine Eignung zur Störung des öffentlichen Friedens nicht verlangt wird. Bezüglich der Öffentlichkeitsfähigkeit des Angriffs ergeben sich hieraus angesichts der Tathandlungen (verbreiten etc.), die alle zumindest eine teilweise Veröffentlichung enthalten, keine wesentlichen Unterschiede. Außerdem erleichtert die dauerhafte Verbindung von Botschaft und Medium bei Schriften die Verbreitung an einen unkontrollierbaren Personenkreis.174 Allerdings fehlt es insoweit an einem Korrektiv, durch das ungefährliche Schriften ausgeschlossen werden können.175 Auch kann dem Tatbestand aus diesem Grund ein Inlandsbezug nicht entnommen werden, sodass unter anderem auch ein Angriff gegen Gruppen, die ausschließlich im Ausland leben und denen der Angriff gegebenenfalls nicht bekannt wird, von der Norm erfasst ist.176 Dies ist im Hinblick auf den Schutzzweck der Norm aus verfassungsrechtlichen Gründen fragwürdig.177 Der volksverhetzende Inhalt muss sich aus der Schrift oder dem Medium selbst ergeben, wobei aber auch der Zusammenhang und gegebenenfalls bildliche Ergänzungen zu berücksichtigen sind.178 Sonstige Umstände, die hierin – wenn auch nur zwischen den Zeilen – keinen Niederschlag gefunden haben, bleiben außer Betracht.179 Soweit die aus dem ersten Absatz übernommenen Merkmale besondere subjektive Zielrichtungen – wie etwa die Absicht beim Aufstacheln zum Hass –
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Die Angleichung der Tatobjekte erfolgte durch das Gesetz zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses 2008/913/JI des Rates vom 28. November 2008 zur strafrechtlichen Bekämpfung bestimmter Formen und Ausdrucksweisen von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit und zur Umsetzung des Zusatzprotokolls vom 28. Januar 2003 zum Übereinkommen des Europarats vom 23. November 2001 über Computerkriminalität betreffend die Kriminalisierung mittels Computersystemen begangener Handlungen rassistischer und fremdenfeindlicher Art vom 16. 03. 2011, BGBl. I, S. 418. 174 Hörnle, Grob anstößiges Verhalten, S. 313. 175 Popp, JR 1998, 80, 82, kritisiert insoweit, dass aus einer anderen Zeit stammende, heute offensichtlich nicht mehr gefährliche Schriften, wie etwa Tolstojs „Krieg und Frieden“, vom Tatbestand umfasst sind. 176 Maurach/Schroeder/Maiwald, BT II, § 89 Rn. 11; krit. zu diesem Verständnis Fischer, § 130 Rn. 16. 177 Aus diesem Grund an der Verfassungsmäßigkeit der Norm zweifelnd, Lenckner/ Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder (28. Aufl.) § 130 Rn. 1a; s. auch Junge, Schutzgut des § 130 StGB, S. 126, die unter Zugrundelegung eines Individualrechtsgüterschutzes eine Verfassungswidrigkeit annimmt, da volksverhetzende Schriften in Deutschland für die Rechtsgüter einer ausschließlich im Ausland lebenden Gruppe keine Gefahr beinhalten. 178 Krauß, in: LK-StGB § 130 Rn. 83; Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder § 130 Rn. 14; Schäfer, in: MK-StGB § 130 Rn. 69. 179 BGH, HRRS 2008 Nr. 458 Rn. 8; Krauß, in: LK-StGB § 130 Rn. 83; Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder § 130 Rn. 14; Schäfer, in: MK-StGB § 130 Rn. 69.
B. Religionsfeindliche Äußerungen als strafbare Handlungen
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verlangen, müssen diese in der Schrift als objektive Tendenz zum Ausdruck kommen.180 bb) Tathandlungen Strafbar ist nach § 130 Abs. 2 Nr. 1, Nr. 2 StGB das Verbreiten solcher Schriften oder Darbietungen. Verbreiten ist Wiedergabe oder Ausstrahlung an einen größeren Personenkreis von unkontrollierbarer Größe,181 es handelt sich also insoweit um einen „Verleger- und Redakteurstatbestand“.182 Im Unterschied zu § 130 Abs. 1 StGB ist nicht erforderlich, dass sich der Täter die in der verbreiteten Schrift vertretenen Ansichten zu eigen macht.183 Über das Verbreiten hinaus erfasst § 130 Abs. 2 StGB für volksverhetzende Schriften in Nr. 1 das Zugänglichmachen der Öffentlichkeit oder einer Person unter achtzehn Jahren zugänglich macht, in Nr. 3 das Herstellen, Liefern, Vorrätighalten, Anbieten, Ankündigen, Anpreisen und das Unternehmen der Ein- oder Ausführung. Da es sich bei letzteren um reine Vorbereitungshandlungen zur Verbreitung handelt, muss darüber hinaus auch die Absicht nachgewiesen werden, die Schriften zu verbreiten oder eine Verbreitung durch einen anderen zu ermöglichen.184 Das Einstellen volksverhetzender Texte oder Lieder ins Internet erfüllt das Merkmal des öffentlich Zugänglichmachens.185 cc) Angriffsobjekte Seit der Modifizierung des Abs. 1 und den damit eingehenden Formulierungsanpassungen des Abs. 2 durch das Gesetz vom 16. März 2011 sind die Angriffsobjekte der beiden Absätze identisch. Auch hier muss sich die Tat gegen eine nationale, rassische, religiöse oder durch ihre ethnische Herkunft bestimmte Gruppe, gegen Teile der Bevölkerung oder gegen einen Einzelnen wegen seiner Zugehörigkeit zu einer vorbezeichneten Gruppe oder zu einem Teil der Bevölkerung richten. Für die Auslegung der Merkmale kann daher nach oben186 verwiesen werden. Der einzige sich zeigende Unterschied ist, dass durch das Fehlen des Merkmals der
180 Krauß, in: LK-StGB § 130 Rn. 83; Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder § 130 Rn. 14; Schäfer, in: MK-StGB § 130 Rn. 70. 181 BGHSt 13, 257, 258; 19, 63, 70 f.; Krauß, in: LK-StGB § 130 Rn. 87; Ostendorf, in: NKStGB § 130 Rn. 23. 182 Ostendorf, in: NK-StGB § 130 Rn. 23. 183 BT-Drucks. 10/1286, S. 9; Beisel, NJW 1995, 997, 999; Krauß, in: LK-StGB § 130 Rn. 86; Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder § 130 Rn. 15; Schäfer, in: MK-StGB § 130 Rn. 74. 184 Ostendorf, in: NK-StGB § 130 Rn. 23. 185 BGH, NStZ 2007, 216, 217. 186 s. oben in diesem Kapitel B. I. 1. b) bb).
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3. Kap.: Strafbarkeit religionsfeindlicher Äußerungen in Deutschland
Eignung zur Störung des öffentlichen Friedens keine Begrenzung auf inländische Gruppen angenommen werden kann.187 c) Sozialadäquanzklausel § 130 Abs. 7 StGB verweist für die Absätze zwei bis fünf auf die als Tatbestandsausschluss gestaltete188 Sozialadäquanzklausel des § 86 Abs. 3 StGB. Hiernach wird das Verbreiten einer Schrift, eine Darbietung oder eine Handlung, die etwa gegen § 130 Abs. 2 StGB verstößt, dann nicht bestraft, wenn es der staatsbürgerlichen Aufklärung, der Abwehr verfassungswidriger Bestrebungen, der Kunst oder der Wissenschaft, der Forschung oder der Lehre, der Berichterstattung über Vorgänge des Zeitgeschehens oder der Geschichte oder ähnlichen Zwecken dient. Soweit sich § 86 Abs. 3 StGB darauf bezieht, dass die Schriften oder Darbietungen selbst einem sozialadäquaten Zweck dienen, wird der Tatbestandsausschluss freilich leer laufen, da ein Werk nicht gleichzeitig menschenverachtend im Sinne des § 130 Abs. 2 StGB sein und doch seinem Inhalt selbst nach sozial anerkannte Zwecke verfolgen kann.189 Andererseits kann die inkriminierte Handlung (also das Verbreiten, Zugänglichmachen etc.) durchaus Zwecken der Aufklärung (z. B. das Verteilen von rechtsradikalen Schriften im Unterricht zu Ausbildungszwecken190 oder im Rahmen von sonstigen Informationsveranstaltungen) oder der Wissenschaft dienen (etwa das Zugänglichmachen in einer Universitätsbibliothek191). Erforderlich ist, dass sich der Verbreitende eindeutig vom Inhalt der Schriften distanziert.192 Noch seltener wird der tatbestandliche Ausschluss durch Verfolgung künstlerischer Zwecke greifen. Letztlich handelt es sich ausschließlich um einen einfachgesetzlichen Verweis auf die notwendige Beachtung der Grundrechte bei der Anwendung von Straftatbeständen.193 § 130 StGB ist aber eine wirksame Schranke der Kunstfreiheit, sodass auch die Eröffnung des Schutzbereichs des Art. 5 Abs. 3 GG eine Bestrafung nach dieser Norm nicht ausschließt, sondern eine Abwägung er187
s. oben in diesem Kapitel B. I. 1. b) cc); ebenso Altenhain, in: Matt/Renzikowski § 130 Rn. 15. 188 BGHSt 46, 36, 41, 43; 46, 212, 217 f.; Altenhain, in: Matt/Renzikowski § 130 Rn. 36; Beisel, NJW 1995, 997, 999; Bottke, JR 1982, 77, 78; Krauß, in: LK-StGB § 130 Rn. 131; Kubiciel, NStZ 2003, 57; Lackner/Kühl, § 130 Rn. 11; Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder § 130 Rn. 25; Schäfer, in: MK-StGB § 130 Rn. 105; anders noch Greiser, NJW 1969, 1155, 1156 (Rechtfertigungsgrund). 189 Krauß, in: LK-StGB § 130 Rn. 132; Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder § 130 Rn. 25; Schäfer, in: MK-StGB § 130 Rn. 106. 190 Altenhain, in: Matt/Renzikowski § 130 Rn. 36; Krauß, in: LK-StGB § 130 Rn. 132; Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder § 130 Rn. 25; Schäfer, in: MK-StGB § 130 Rn. 107. 191 Krauß, in: LK-StGB § 130 Rn. 132. 192 Krauß, in: LK-StGB § 130 Rn. 132; Schäfer, in: MK-StGB § 130 Rn. 107. 193 Beisel, Kunstfreiheitsgarantie, S. 374; ders., NJW 1995, 997, 999, s. zur Auswirkung der Grundrechte auf strafrechtliche Tatbestände oben in diesem Kapitel A. II.
B. Religionsfeindliche Äußerungen als strafbare Handlungen
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forderlich ist.194 Daraus folgt, dass die Kunstfreiheit nur in Einzelfällen bei der Verbreitung einer volksverhetzenden Schrift der Bejahung des Tatbestands entgegenstehen kann; insbesondere ist die Vorschrift dann nicht ausgeschlossen, wenn unter dem Deckmantel der Kunst Propaganda betrieben wird195 (z. B. bei einer Beschimpfung von Asylanten in Reimform196). d) Verhältnis zwischen § 130 Abs. 1 und § 130 Abs. 2 StGB Sowohl im Hinblick auf den Tatbestandsausschluss, der für § 130 Abs. 2 StGB nicht aber für § 130 Abs. 1 StGB gilt, als auch auf das deutlich unterschiedliche Strafmaß der beiden Tatbestände stellt sich die Frage, in welchem Verhältnis beide zueinander stehen. Nicht überzeugend ist die Unterscheidung danach, ob die Volksverhetzung mündlich oder schriftlich erfolgt.197 Denn mag auch ein rhetorisch begabter Redner möglicherweise eine fanatischere Stimmung erzeugen als etwa ein Flugblatt, so kann letzteres doch einen breiteren Personenkreis erreichen und über einen längeren Zeitraum wirken.198 Die frühere Unterscheidung, dass § 130 Abs. 1 StGB bei inländischen Betroffenen vorrangig sei,199 lässt sich heute nicht mehr auf die unterschiedlich formulierten Angriffsgegner, sondern nur noch auf das Merkmal der Eignung zur Störung des (inländischen) öffentlichen Friedens stützen.200 Aber dafür, dass § 130 Abs. 2 StGB ausschließlich nicht in Deutschland lebende betroffene Gruppen oder Bevölkerungsteile schützen soll, finden sich im Wortlaut der Norm keinerlei Anhaltspunkte.201 Überzeugend erscheint stattdessen eine Unterscheidung danach, ob der Täter eine eigene oder eine fremde Ansicht äußert oder verbreitet.202 Liegt eine eigene Äußerung des Täters vor (etwa ein selbst verfasstes Schild, Flugblatt oder ähnliches), ist 194
So auch zu §§ 86, 86a StGB: BVerfGE 77, 240, 253 ff. – Herrnburger Bericht. BVerfG, NJW 1988, 325, 327 – Herrnburger Bericht; Kubiciel, NStZ 2003, 57, 59; Schäfer, in: MK-StGB § 130 Rn. 108. 196 Vgl. zur Rechtfertigung bei § 130 Abs. 1 StGB: BayObLG, NJW 1995, 145, 146; KG JR 1998, 213, 215; Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder § 130 Rn. 26. Speziell zu Karikatur und Satire vgl. Gounalakis, NJW 1995, 809; s. auch Sendler, ZRP 1994, 343, 344. 197 So scheint aber das AG Linz a. Rh., NStZ-RR 1996, 358 zu unterscheiden, das den Urheber mit volksverhetzende Parolen versehender Schilder ohne Auseinandersetzung mit § 130 Abs. 1 StGB ausschließlich nach § 130 Abs. 2 StGB bestrafte. 198 Hörnle, NStZ 2002,113, 116. 199 BGHSt 46, 212, 217; ebenso Lenckner/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder § 130 Rn. 27. Im konkreten Fall scheint diese Begründung jedoch nicht recht zu passen, da der Angeklagte ausdrücklich die „organisierten Juden Australiens“ angegriffen hatte (a.a.O., 214), sodass bei Anwendung dieser Regel von Tateinheit zwischen § 130 Abs. 1 und Abs. 2 StGB auszugehen wäre. 200 s. oben in diesem Kapitel B. I. 1. b) cc). 201 So auch Hörnle, NStZ 2002,113, 116. 202 Hörnle, NStZ 2002,113, 116; dies., Grob anstößiges Verhalten, S. 314; Junge, Schutzgut des § 130 StGB, S. 155 f. 195
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3. Kap.: Strafbarkeit religionsfeindlicher Äußerungen in Deutschland
regelmäßig § 130 Abs. 1 StGB anwendbar. Gibt der Täter fremde Inhalte wieder, ist danach zu differenzieren, ob er sich die Inhalte erkennbar zu eigen macht.203 Hierzu reicht es aber nicht aus, dass er die volksverhetzende Schrift einem unbekannten Personenkreis zugänglich macht, ohne sich davon zu distanzieren,204 denn die Weitergabe an die Öffentlichkeit ist ja gerade Merkmal des § 130 Abs. 2 StGB.205 Zumindest bei Personen, bei denen die Weitergabe im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit erfolgt, sollten weitere Anhaltspunkte dafür verlangt werden, dass sie sich mit der verbreiteten Aussage identifizieren.206 Liegen die Voraussetzungen des ersten Absatzes vor, ist dieser als lex specialis vorrangig.207 Erfüllt eine Handlung beide Tatbestände, so kann dem Täter nicht zugutekommen, dass der Tatbestandsausschluss des § 130 Abs. 6 i.V.m. § 86 Abs. 3 StGB greift, da dieser auf § 130 Abs. 1 StGB nicht anwendbar ist. 3. Bestrafung religionsfeindlicher Äußerungen als Volksverhetzung Zu untersuchen ist, inwiefern die hier behandelten religionskritischen und -feindlichen Äußerungen unter die Voraussetzungen der Tatbestände subsumiert werden können. a) Anwendung des § 130 Abs. 1 StGB auf religionskritische Äußerungen Zunächst fällt auf, dass in der deutschen Rechtspraxis nur sehr wenige Verurteilungen von Religionskritikern auf der Grundlage des § 130 Abs. 1 StGB erfolgen.208 Der weitaus größte Teil der Entscheidungen zur Volksverhetzung hat entweder ausländerfeindlichen oder antisemitischen Hintergrund. In letzteren Fällen fehlt es jedoch regelmäßig an einem direkten Religionsbezug, das heißt, der Angriff richtet sich zwar gegen Juden und somit gegen eine religiöse Gruppe im Sinne der Vorschrift, ohne dabei jedoch an bestimmte Religionsinhalte anzuknüpfen. Stattdessen werden die Juden als Volk angegriffen, nicht auf Grund ihrer Religionszu203 Bemmann, Meinungsfreiheit und Strafrecht, S. 14; Giehring, StV 1985, 30, 34; Geilen, NJW 1976, 279, 281; Junge, Schutzgut des § 130 StGB, S. 155 f.; Krauß, in: LK-StGB § 130 Rn. 37; Lenckner/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder § 130 Rn. 5; Stein/Rudolphi, in: SKStGB § 130 Rn. 4; Wandres, Strafbarkeit des Auschwitz-Leugnens, S. 136, 261. 204 So aber wohl OLG Koblenz, StV 1985, 15, 16. 205 Hörnle, NStZ 2002, 113, 116. 206 Hörnle, NStZ 2002, 113, 116; dies., Grob anstößiges Verhalten, S. 314; diff. zwischen Privatleuten und Medienvertretern auch Lenckner/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder § 130 Rn. 5. 207 Hörnle, NStZ 2002,113, 116; Wandres, Strafbarkeit des Auschwitz-Leugnens, S. 136 Fn. 198, S. 260 f.; Geilen, Volksverhetzung, in: LdR (StrR/StrVerfR), S. 1168, 1175. 208 Zu nennen sind an dieser Stelle lediglich BGH, NStZ-RR 2006, 305, sowie mit Einschränkungen LG Potsdam, BeckRS 2009, 08129 (hier wird § 130 Abs. 1 StGB zwar als Rechtsgrundlage genannt, subsumiert wird aber ausschließlich unter § 130 Abs. 2 StGB).
B. Religionsfeindliche Äußerungen als strafbare Handlungen
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gehörigkeit und erst recht nicht auf Grund bestimmter religiöser Inhalte der jüdischen Religion. Fraglich ist, unter welchen Umständen sich die hier behandelten religionsfeindlichen Äußerungen unter die Voraussetzungen subsumieren lassen. Unproblematisch erscheint auf den ersten Blick das Angriffsobjekt, da die Norm ja explizit auf eine religiöse Gruppe bzw. auf einen Einzelnen auf Grund seiner Zugehörigkeit zu einer religiösen Gruppe als Adressat der Beschimpfung abstellt. In Bezug auf die Eignung zur Störung des öffentlichen Friedens ist in Bezug auf § 166 StGB zum Teil vertreten worden, dass religionsfeindliche Äußerungen in der heutigen Zeit den öffentlichen Frieden nicht mehr zu beeinträchtigen vermögen.209 Da dieses Merkmal hier jedoch auf die Öffentlichkeitsfähigkeit und einen gewissen Erheblichkeitsgrad der Äußerung reduziert wird, bestehen diesbezüglich keine Bedenken. Außerdem haben die heftigen Proteste in Bezug auf religionsfeindliche Äußerungen gerade in den letzten Jahren210 gezeigt, dass die Möglichkeit von Rechtsbrüchen wie auch von einem feindlich gesinnten Klima auch bei Religionsbeschimpfungen in Deutschland möglich ist. Problematischer ist aber insoweit das Vorliegen der erforderlichen Tathandlung: Im Rahmen des § 130 Abs. 1 Nr. 1 StGB müssten die religionsfeindlichen Äußerungen eine Anstachelung zum Hass oder ein Aufforderung zu Gewalt- und Willkürmaßnahmen enthalten. Eine Aussage, die die Lehre einer religiösen Gruppe inhaltlich kritisiert, selbst wenn dies mit sehr deutlichen und harten Worten geschieht, ist schon auf Grund dieses Merkmals kaum als Volksverhetzung einzustufen. Denn es wird verlangt, dass der Täter das Auslösen von Hass bzw. von Gewaltmaßnahmen gerade bezweckt.211 Bei einer sachlichen Auseinandersetzung mit Religionsinhalten geht es ihm jedoch in der Regel nur um eine Diskussion über Vor- und Nachteile, über mögliche Verbesserung oder gegebenenfalls noch um die simple Abgabe eines Werturteils. In solchen Fällen steht gerade nicht das Hervorrufen oder Steigern eines religionsfeindlichen Klimas im Vordergrund. Aber auch wenn es dem Äußernden nicht um eine sachliche Auseinandersetzung mit der Religion geht, sondern er den Weg der Profanisierung von Religionssymbolen wählt, um die Gläubigen zu provozieren, fehlt es häufig an einer derartigen Aufstachelung. Dieses Motiv der Provokation liegt häufig religionsfeindlichen Karikaturen zugrunde. Doch selbst bei Zeichnungen, die ein ans Kreuz genageltes Schwein212 oder Mohamed mit einer Bombe unter dem Turban213 zeigen, mögen sich 209
Worms, Bekenntnisbeschimpfung, S. 106 ff. FAZ.net, 01. 05. 2012, http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/demonstration-in-solin gen-salafisten-attackieren-polizisten-11736688.html, und 05. 05. 2012, http://www.faz.net/aktu ell/politik/polizisten-verletzt-wieder-ausschreitungen-bei-aktionen-von-salafisten-und-islamgegnern-11741375.html (jeweils zuletzt abgerufen am 29. 05. 2017). 211 s. oben in diesem Kapitel B. I. 1. b) dd). 212 So bei OLG Nürnberg, NStZ-RR 1999, 238. 213 So bei OVG Berlin-Brandenburg, NJW 2012, 3116. 210
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3. Kap.: Strafbarkeit religionsfeindlicher Äußerungen in Deutschland
die Gläubigen zwar provoziert oder beleidigt fühlen, ein Wille zum Aufreizen von Hass oder Gewalt wird sich nur in absoluten Ausnahmefällen aus der Abbildung selbst ergeben. Die Schwelle der Strafbarkeit wird erst dann überschritten, wenn ein direkter Zusammenhang zwischen der Äußerung und den dadurch bezweckten Feindseligkeiten und Gewaltmaßnahmen etabliert werden kann. Wird beispielsweise zur gewalttätigen Vertreibung in Deutschland lebender Muslime aufgerufen, kann dies die Merkmale des § 130 Abs. 1 Nr. 1 StGB erfüllen. Entscheidend ist vor allem, dass sich die Äußerung direkt oder zumindest erkennbar gegen die Gläubigen selbst richtet. Ähnliches gilt für § 130 Abs. 1 Nr. 2 StGB: Durch Äußerungen, die sich gegen die Religion an sich, ihre Lehren oder Inhalte richten, kann noch kein Angriff auf die Menschenwürde erfolgen. Denn selbst wenn der Kern der Religionszugehörigkeit noch zur Persönlichkeit des Gläubigen gehört,214 beeinträchtigt selbst das niederträchtigste Verächtlichmachen eines Glaubensinhalts nicht die Würde der Gläubigen, da es ihnen ihre Existenz- und Gleichberechtigung in der Gesellschaft nicht grundsätzlich abspricht. Letztlich erweist es sich als problematisch, dass religionsbeschimpfende Äußerungen zwar zum Teil das Ziel haben, die Gläubigen zu provozieren und zu beleidigen, es aber insoweit an den entscheidenden Merkmalen der Aufstachelung zu Hass oder Gewalttaten bzw. der Menschenwürdebeeinträchtigung fehlt. Häufig fehlt es zudem auch schon an einem eindeutigen Bezug auf die Person der Religionsanhänger. So wird sich ein solcher etwa aus Karikaturen über wichtige Werte der Religion oder Satiren, in denen sich über religiöse Inhalte lustig gemacht wird, kaum nachweisen lassen. Die Betrachtung des einzigen vom Bundesgerichtshof dazu entschiedenen Fall, in dem die nach § 130 Abs. 1 StGB bestrafte Tathandlung tatsächlich Bezug auf religiöse Inhalte nimmt, unterstützt dieses Ergebnis. In diesem Fall hatte der Täter ein Zitat aus dem Talmud in der Form in seine Rede integriert, dass er damit implizierte, in der jüdischen Religion werde der Missbrauch minderjähriger Mädchen unterstützt und Juden deshalb des Baus eines Gotteshauses nicht würdig seien.215 Damit griff der Täter zwar direkt Glaubensinhalte des Judentums an, seine Intention war jedoch nach Ansicht des Gerichtshofs keineswegs eine tiefgreifende Auseinandersetzung mit Glaubenslehren oder Wertvorstellungen, sondern ausschließlich die Diffamierung der Juden und damit der Befürwortung nationalsozialistischen Gedankenguts.216 Eine inhaltliche Frage der Religion wurde hier zum Aufhänger dafür genommen, die Gläubigen selbst nicht nur verächtlich zu machen, sondern in ihrer Menschenwürde anzugreifen. Diese Konstellation erweist sich als die einzige, in der Volksverhetzung und Religionskritik zusammentreffen können.
214 215 216
s. oben 2. Kapitel B. III. 4. b). BGH, NStZ-RR 2006, 305. BGH, NStZ-RR 2006, 305, 306.
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b) Anwendung des § 130 Abs. 2 StGB auf religionskritische Äußerungen Auf Grund der erheblichen Ähnlichkeit zwischen den beiden Tatbestandsvarianten gilt auch für § 130 Abs. 2 StGB das für den ersten Absatz Gesagte: Klassische religionsfeindliche Äußerungen werden in der Regel den Tatbestand nicht erfüllen. Denn auch bezüglich des zweiten Absatzes gilt, dass eine Karikatur oder Satire, die sich nicht direkt gegen die Gläubigen richtet, den Tatbestandsvoraussetzungen nicht entspricht. Unterschiedlich sind die beiden Absätze im Wesentlichen dahingehend, dass im Rahmen des § 130 Abs. 2 StGB auch das Weitergeben einer fremden Meinungsäußerung (die zumindest in dauerhafter Form mit dem Medium verbunden wurde) tatbestandlich erfasst wird, nicht aber im Hinblick auf den notwendigen Inhalt der Schriften. Die subjektive Beziehung des Täters zur Äußerung wird bei Religionsbeschimpfungen aber kaum je fehlen. Enthält die religionsfeindliche Äußerung demnach erkennbar einen Angriff auf die Gläubigen und zwar nicht nur im Sinne einer Ehrverletzung, sondern als Aufstacheln zu Hass oder Gewalt oder als Menschenwürdeverletzung, ist in der Regel § 130 Abs. 1 StGB schon vorrangig einschlägig.
II. Religionsfeindliche Äußerungen als Ehrverletzung Nachdem herausgearbeitet werden konnte, dass religionsfeindliche Äußerungen unter Umständen das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Gläubigen beeinträchtigen können,217 liegt die Fragestellung nahe, ob solche Aussagen die Voraussetzungen der Ehrverletzungstatbestände des deutschen Strafrechts erfüllen. Diese sind in den §§ 185 bis 200 StGB normiert. 1. Schutzzweck der Ehrdelikte Allgemein anerkannt ist, dass die Delikte des 14. Abschnitts des besonderen Teils bis auf einzelne Ausnahmen einheitlich dem Schutz der Ehre dienen.218 An diesem 217
s. oben 2. Kapitel B. III. 4. b). BVerfGE 90, 241, 251 – Auschwitzlüge; Hilgendorf, in: LK-StGB Vor §§ 185 ff. Rn. 1; Lenckner/Eisele, in: Schönke/Schröder Vor §§ 185 ff. Rn. 1; Regge/Pegel, in: MK-StGB Vor §§ 185 ff. Rn. 7; Zaczyk, in: NK-StGB Vor §§ 185 ff. Rn. 1. Anderes gilt für die Kreditgefährdung des § 187, 3. Var. StGB, die nach ganz herrschender Meinung finanziellen Interessen des Betroffenen dient, s. Fischer, § 187 StGB Rn. 1; Gössel/Dölling, BT I § 31 Rn. 44; Hilgendorf, in: LK-StGB § 187 Rn. 1, 3; Maurach/Schroeder/Maiwald, BT I, § 25 Rn. 35; Lenckner/Eisele, in: Schönke/Schröder § 187 Rn. 1; Rogall, in: SK-StGB § 187 Rn. 10; Zaczyk, in: NK-StGB § 187 Rn. 4: Otto, Grundkurs II § 32 Rn. 26 („besonders gefährliche Art der Verletzung des sozialen Geltungsanspruchs“); näher dazu Lampe, in: FS Oehler, S. 275, 283 ff. Umstritten ist, welchem Rechtsgut § 189 StGB dient, der die Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener unter Strafe stellt (vgl. zum Meinungsstand Regge/Pegel, in: MK-StGB § 189 Rn. 1 ff.). Ebenso wie die üble Nachrede und Verleumdung gegen Personen des politischen Lebens des § 188 218
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3. Kap.: Strafbarkeit religionsfeindlicher Äußerungen in Deutschland
Punkt endet jedoch die Einigkeit der strafrechtlichen Literatur. Es kursiert eine Vielzahl verschiedener Ehrbegriffe, die sich teilweise in Einzelheiten, teilweise in zentralen Aspekten unterscheiden.219 Die dogmatische Diskussion sollte zwar für die Anwendung der Tatbestände nicht überbewertet werden;220 für ein besseres Verständnis der unterschiedlichen Problematiken im Rahmen der Beleidigungsdelikte ist aber zumindest eine überblicksartige Darstellung der verschiedenen Konzeptionen des strafrechtlichen Ehrschutzes erforderlich. Bei der Inhaltsbestimmung des Begriffs der Ehre stehen sich im Wesentlichen zwei Strömungen gegenüber – ein normativer und ein faktischer Ehrbegriff.221 Vertreter des normativen Ehrbegriffs verstehen die Ehre als einen aus der Personenwürde222 abgeleiteten verdienten Geltungswert einer Person,223 während nach dem – inzwischen nur noch vereinzelt in seiner reinen Form vertretene – faktischen Ehrbegriff die Ehre mit dem tatsächlichen Selbstgefühl bzw. dem tatsächlichen guten Ruf identifiziert wird.224 Daraus resultierte der dualistische Ehrbegriff der früheren Rechtsprechung. Hierunter zu verstehen ist eine Kombination aus der inneren Ehre als dem subjektiven Ehrgefühl, die durch § 185 StGB geschützt wird, und der äußeren Ehre als der gute Ruf, die von §§ 186, 187 StGB erfasst ist (sog. Aliudtheorie).225 Inzwischen scheint sie sich von dieser Interpretation aber zugunsten des jetzt Abs. 1 und 2 StGB sollen diese aber in der vorliegenden Untersuchung mangels Relevanz für die Strafbarkeit religionsfeindlicher Äußerungen außer Betracht bleiben. 219 Tenckhoff, Bedeutung des Ehrbegriffs, S. 35 ff., zählte schon in den 1980er Jahren nicht weniger als über 60 Ehrbegriffe. Die Zahl dürfte seitdem eher noch gewachsen als zurückgegangen sein. 220 So auch Gärtner, Was die Satire darf, S. 198; Nolte, Beleidigungsschutz, S. 41; Rahmlow, Auslegung von Äußerungen, S. 46. 221 Dass auch der normative Begriff faktische Elemente enthält und der faktische Begriff nicht frei von normativen Einflüssen ist, kann heute als anerkannt beurteilt werden, Engisch, in: FS Lange, S. 401, 417; Hirsch, in: FS Wolff, S. 125, 130; Küpper, JA 1985, 453, 454. Die unterschiedliche Prägung beider Definitionen erlaubt allerdings trotzdem eine Differenzierung unter diesen Bezeichnungen. 222 Der Begriff der Personenwürde wird vor allem zur Beschreibung des Begriffs der Ehre hinzugezogen, s. etwa BGHSt 11, 67, 70 f.; 36, 145, 148, Lenckner/Eisele, in: Schönke/ Schröder Vor §§ 185 ff. Rn. 1, Regge/Pegel, in: MK-StGB Vor §§ 185 ff. Rn. 8, eine engere Auseinandersetzung mit der Begrifflichkeit erfolgt jedoch regelmäßig nicht. Insbesondere wird nicht deutlich, inwiefern sich die Personenwürde von der Menschenwürde unterscheidet, sodass beide Begriffe gleichzusetzen sind. 223 Zum normativen Ehrbegriff vor allem Hirsch, Ehre und Beleidigung, S. 29 ff., 90; ders., ZStW 90 (1978), 978 ff., ders., in: FS Wolff, S. 125, 127; s. auch Eisele, BT I Rn. 560; Herdegen, in: LK-StGB (10. Aufl.) Vor §§ 185 ff. Rn. 4 ff.; Kaufmann, ZStW 72 (1960), 418, 430; Küper/Zopfs, BT Rn. 182; Tenckhoff, Bedeutung des Ehrbegriffs, S. 181 f.; ähnlich auch Gössel, in: GS Schlüchter, S. 295, 299 f.; Hilgendorf, in: LK-StGB §§ 185 ff. Rn. 20 ff. 224 Engelhard, Ehre als Rechtsgut, S. 30; Liepmann, Einfache Beleidigung, in: VDB IV, S. 217, 228; s. hierzu die ausführlichen Literaturnachweise bei Hirsch, Ehre und Beleidigung, S. 1 Fn. 2 ff.; Elemente dieses Begriffs später auch bei Knittel, Ansehen und Geltungsbewußtsein, S. 15 ff. 225 BGHSt 11, 67, 70 f.; ebenso Otto, NJW 2006, 575.
B. Religionsfeindliche Äußerungen als strafbare Handlungen
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wohl herrschenden normativen Ehrbegriffs distanziert zu haben.226 Gegen die ursprüngliche Ansicht ist dann auch einzuwenden, dass sie nicht das Wesen der Ehre selbst beschreibt, sondern nur ihre Wahrnehmungs- und Wirkungsfelder.227 Zudem sind sowohl der gute Ruf als auch das subjektive Ehrgefühl lediglich „unsichere und sogar trügerische Reflexe des wahren, ehrrelevanten Persönlichkeitsbildes“.228 Der normative Ehrbegriff hat sich zumindest insoweit durchgesetzt, dass allgemein nicht mehr auf das tatsächlich bestehende Ansehen in der Gesellschaft, sondern auf den verdienten Achtungsanspruch abgestellt wird.229 Das ergibt sich auch schon daraus, dass weder nach § 186 noch nach § 187 StGB die Äußerung wahrer ehrenrühriger Tatsachen strafbar ist. Unterschiedliche Argumentationsstrukturen finden sich aber weiterhin zu der Frage, ob der verdiente Geltungsanspruch nach sozialen Kriterien zu bemessen ist und demnach mit besonderen Leistungen oder Verdiensten gesteigert werden kann (sozialer Ehrbegriff)230 oder als Ausfluss der jedem Menschen zustehenden Personenwürde jedem Einzelnen zumindest solange in vollem Umfang zusteht, wie dieser ihn nicht selbst durch vorwerfbare Pflichtverletzungen gemindert hat (personaler Ehrbegriff).231 Gegen die Einbeziehung sozialer Verdienste in den rechtlich geschützten Achtungsanspruch bestehen allerdings Bedenken. Wenn jemandem besondere Leistungen und Verdienste abgesprochen werden, ist er nicht in seiner Ehre verletzt.232 Auch wenn ihm die Fähigkeit zur Erfüllung seiner sozialen Aufgabe (etwa dem Beruf) nicht zugestanden wird, ergibt sich die relevante Ehrbeeinträchtigung erst aus dem sittlichen Vorwurf, sich die Erfüllung der Aufgabe trotz der Ungeeignetheit anzumaßen.233 Deshalb wird in den meisten praktischen Fällen auch auf Grundlage eines personalen Ehrbegriffs im 226 So Zaczyk, in: NK-StGB Vor §§ 185 ff. Rn. 7 unter Verweis auf BGHSt 35, 76 f.; 36, 145, 148; sowie weiter OLG Düsseldorf, NJW 1989, 3030; NJW 1992, 1335; LG Kaiserslautern, NJW 1989, 1369; ebenso Hörnle, Grob anstößiges Verhalten, S. 137; Küper/Zopfs, BT Rn. 182. 227 Fischer, Vor § 185 Rn. 2. 228 Rogall, in: SK-StGB Vor § 185 Rn. 20; vgl. auch Hilgendorf, in: LK-StGB Vor §§ 185 Rn. 6; Tenckhoff, JuS 1988, 199, 203; Welzel, Das deutsche Strafrecht, S. 304; ähnlich, aber im Wesentlichen auf den möglichen Widerspruch mit der Wirklichkeit abstellend Lenckner/Eisele, in: Schönke/Schröder Vor §§ 185 ff. Rn. 1; Zaczyk, in: NK-StGB Vor §§ 185 Rn. 4. 229 Fischer, Vor § 185 Rn. 3; Maurach/Schroeder/Maiwald, BT I, § 24 Rn. 3. 230 Hilgendorf, in: AWHH, § 7 Rn. 2; Geppert, Jura 1983, 530, 532; Kindhäuser, BT I § 22 Rn. 5; Lackner/Kühl, Vor §§ 185 ff. Rn. 1; Lenckner/Eisele, in: Schönke/Schröder Vor §§ 185 ff. Rn. 1; Maurach/Schroeder/Maiwald, BT I, § 24 Rn. 5; Otto, Grundkurs II, § 31 Rn. 5 f.; ders. in: FS Schwinge, S. 71, 81 f; ders., NJW 2006, 575; Regge/Pegel, in: MK-StGB Vor §§ 185 ff. Rn. 25 ff.; Tenckhoff, Bedeutung des Ehrbegriffs, S. 49 f.; vgl. auch BGHSt 35, 76, 77; LG Freiburg, NJW 2002, 3645, 3646. 231 Brackert, JA 1991, 189, 191 ff.; Gössel/Dölling, BT I § 29 Rn. 7, 9; Gössel, in: GS Schlüchter, S. 295, 300; Hirsch, Ehre und Beleidigung, S. 77 ff.; ders., in: FS Wolff, S. 125, 138 ff; Kaufmann, ZStW 72 (1960), 418, 430 f; Rogall, in: SK-StGB Vor § 185 Rn. 16; Schendzielorz, Umfang und Grenzen der straffreien Beleidigungssphäre, S. 16; Welzel, Das deutsche Strafrecht, S. 303; vgl. auch Ignor, Der Tatbestand der Beleidigung, S. 43 f. 232 Hirsch, Ehre und Beleidigung, S. 78 ff.; Rogall, in: SK-StGB Vor § 185 Rn. 16. 233 Hirsch, Ehre und Beleidigung, S. 78 ff.; Rogall, in: SK-StGB Vor § 185 Rn. 16.
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3. Kap.: Strafbarkeit religionsfeindlicher Äußerungen in Deutschland
Ergebnis von einer Ehrverletzung auszugehen sein – allerdings nur mit der Begründung, dass die unterstellte Anmaßung der sozialen Verdienste tatsächlich die Unterstellung einer ethischen Pflichtverletzung beinhaltet. Parallel hierzu wurden in neuerer Zeit ein interpersonaler234 sowie ein funktionaler235 Ehrbegriff entwickelt. Nach ersterem ist Ehre „das von der Würde des Menschen geforderte und seine Selbstständigkeit als Person begründende Anerkennungsverhältnis mit anderen Personen“;236 letzterer versteht sie als „die Bereitschaft oder zumindest die Fähigkeit eines Menschen, den normativen Erwartungen gerecht zu werden, denen er gerecht werden muss, um als Partner von ebenbürtigen Kommunikationen akzeptiert zu werden“.237 Diesen Konzeptionen ist zuzugestehen, dass sie die Ehre an das moderne Gesellschaftsverständnis anpassen und eine Schutzwürdigkeit auch innerhalb einer pluralistischen und freiheitlichen Demokratie zu begründen vermögen.238 Im Ergebnis erscheinen auf Grund der engen Anlehnung an die Menschenwürde sowie der Anknüpfung an normativ und nicht faktisch verstandene Beziehungen der Individuen untereinander die effektiven Differenzen zumindest des interpersonalen zum personal-normativen Ehrbegriff weniger gravierend als zunächst vermutet.239 2. Voraussetzungen der §§ 185 – 187 StGB a) Kundgabe Die Ehrverletzungsdelikte sind Äußerungsdelikte.240 Erforderlich ist also ein Verhalten, in dem sich ein entsprechender Erklärungswert manifestiert (Kundgabehandlung).241 Der Inhalt dieses Erklärungswerts ergibt sich durch Auslegung, die nach den oben herausgearbeiteten Kriterien242 zu erfolgen hat. In welcher Form die Äußerung erfolgt, ist unbeachtlich. In Betracht kommen mündliche, schriftliche oder bildliche Äußerungen, aber auch schlüssige Gesten und
234
Rn. 1. 235
Grundlegend Wolff, ZStW 81 (1969), 886, 899; zust. Zaczyk, in: NK-StGB Vor §§ 185 ff.
Amelung, Ehre als Kommunikationsvoraussetzung, S. 18 ff.; ders., in: FS Rudolphi, S. 373, 375. 236 Zaczyk, in: NK-StGB Vor §§ 185 ff. Rn. 1. 237 Amelung, in: FS Rudolphi, S. 373, 375. 238 Gaede, in: Matt/Renzikowski, Vor §§ 185 ff. Rn. 7. 239 So auch Lenckner/Eisele, in: Schönke/Schröder Vor §§ 185 ff. Rn. 1. 240 Hilgendorf, in: LK-StGB § 185 Rn. 10; Kern, Äußerungsdelikte, S. 9 ff.; Zaczyk, in: NK-StGB Vor §§ 185 ff. Rn. 18. 241 Hilgendorf, in: LK-StGB § 185 Rn. 10; Lenckner/Eisele, in: Schönke/Schröder § 185 Rn. 8; Regge/Pegel, in: MK-StGB § 185 Rn. 8. 242 s. oben in diesem Kapitel A. I.
B. Religionsfeindliche Äußerungen als strafbare Handlungen
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Handlungen.243 Es muss sich aber um einen „objektiven Beginn eines Kommunikationsprozesses“ handeln, allein an sich selbst gerichtete Äußerungen wie Selbstgespräche oder Tagebucheinträge genügen nicht.244 Darüber hinaus ist erforderlich, dass ein anderer von der Äußerung Kenntnis erlangt (Kundgabeerfolg)245 wobei es nicht von Bedeutung ist, ob gerade dieser Empfänger vom Äußernden als Adressat vorgesehen war.246 Es ist aber erforderlich, dass der Empfänger den ehrenrührigen Sinn der Äußerung versteht.247 Im Ergebnis inzwischen weitgehend einheitlich wird dem Äußernden eine „beleidigungsfreie Sphäre“ zugestanden, wenn die Äußerung (über einen Dritten) in besonders engen Lebenskreisen erfolgt, Ausdruck des zwischen den Beteiligten bestehenden Vertrauens ist und die Nichtweitergabe an Dritte als sicher gilt.248 Über die dogmatische Einordnung und daraus resultierend auch über den Umfang dieser Ausnahme besteht hingegen Uneinigkeit. Überwiegend wird bereits der Tatbestand verneint. Nach zum Teil vertretener Ansicht fehlt es in solchen Fällen an einem Erfolg der Kundgabe von Missachtung,249 teilweise wird mit zum Teil unterschiedlichen Begründungen eine teleologische Reduktion des objektiven Tatbestands in diesem Sinne befürwortet.250 Einige Autoren hingegen gehen von einer Rechtfertigung aus.251 Gegen die Verneinung einer Kundgabe spricht, dass die 243 Fischer, § 185 Rn. 5; Lenckner/Eisele, in: Schönke/Schröder § 185 Rn. 8; Maurach/ Schroeder/Maiwald, BT I, § 25 Rn 12; Regge/Pegel, in: MK-StGB § 185 Rn. 8; vgl. LG Kiel, SchlHA 1967, 57. 244 Zaczyk, in: NK-StGB Vor §§ 185 ff. Rn. 19; anders Hilgendorf, in: LK-StGB § 185 Rn. 10; im Ergebnis scheitert eine Strafbarkeit in solchen Fällen jedoch spätestens am Vorsatz. 245 Hilgendorf, in: LK-StGB § 185 Rn. 10. 246 Lenckner/Eisele, in: Schönke/Schröder § 185 Rn. 11; Rogall, in: SK-StGB § 185 Rn. 18; Tenckhoff, JuS 1988, 787, 788; umstritten beim Diktat eines Briefes, das anders als bei den oben Genannten zum Teil als „Internum“ behandelt wird, sodass ein Kundgabeerfolg zu verneinen sei, OLG Koblenz, OLGSt § 185 StGB Nr. 2; ebenso Zaczyk, in: NK-StGB Vor §§ 185 ff. Rn. 19. 247 BGHSt 9, 17, 19; Fischer, § 185 Rn. 6; Geppert, NStZ 2013, 553, 556; Lackner/Kühl, § 185 Rn. 7; Joecks, § 185 StGB Rn. 22; Regge/Pegel, in: MK-StGB § 185 Rn. 28; Rogall, in: SK-StGB § 185 Rn. 18; Wessels/Hettinger, BT I, Rn. 487; anders Schramm, in: FS Lenckner, S. 539, 560 ff. 248 s. hierzu insbesondere BVerfGE 90, 255, 261 – Briefüberwachung; BVerfG, NJW 1995, 1477, 1478 – Reichsparteitags-OLG; anders noch RGSt 71, 159, 160 f. 249 OLG Oldenburg, GA 1954, 284; Gössel/Dölling, BT, § 30 Rn. 43 f.; Engisch, GA 1957, 326, 331; Hansen, JuS 1974, 104, 106; Hellmer, GA 1963, 129, 135 ff.; Kindhäuser, Vor §§ 185 ff. StGB Rn. 11; Krey/Hellmann/Heinrich, BT I, Rn. 502. 250 Fischer, § 185 Rn. 12b; Gillen, Verhältnis von Ehren- und Privatsphärenschutz, S. 75 ff.; Hillenkamp, in: FS Hirsch, S.555, 568 ff.; Lackner/Kühl, § 185 Rn. 9; Maurach/Schroeder/ Maiwald, BT I, § 24 Rn. 31 f.; Rogall, in: SK-StGB Vor § 185 Rn. 47; Roxin, Strafrecht AT I, § 10 Rn. 40 f; Schößler, Anerkennung und Beleidigung, S. 244; Wolff-Reske, Jura 1996, 184, 186 f.; jetzt auch Lencker/Eisele, in: Schönke/Schröder Vor §§ 185 ff. Rn. 9a, die in der Vorauflage noch einen Strafausschließungsgrund befürwortet hatten. 251 Hilgendorf, in: LK-StGB § 185 Rn. 14; Otto, in: FS Schwinge, S. 71, 87 f.; Schendzielorz, Umfang und Grenzen der straffreien Beleidigungssphäre, S. 214 ff.
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3. Kap.: Strafbarkeit religionsfeindlicher Äußerungen in Deutschland
Äußerung unbestreitbar von den Familienmitgliedern wahrgenommen wird und ein darüber hinausgehendes Bekanntwerden in der Allgemeinheit auch sonst nicht verlangt wird.252 Auch lässt sich eine teleologische Reduktion nicht damit begründen, dass der Achtungsanspruch des Betroffenen durch eine Kommunikation im engsten Familienkreis nicht beeinträchtigt würde, was insbesondere am Beispiel eines beleidigten Nachbarn deutlich wird.253 Grund für die Zulässigkeit von ehrverletzenden Äußerungen im engsten Familien- oder Vertrauensbereich ist allein das Persönlichkeitsrecht des Äußernden, das ihm ein letztes Refugium gestattet, in dem er befreit von rechtlich untermauerten Sozialpflichten seine Gefühle ohne Furcht vor staatlichen Sanktionen nach außen tragen darf.254 Dieses Recht darf ihm auch nicht nur im Wege einer „ausnahmsweisen Gestattung des verbotswidrigen Verhaltens“ in Form eines Rechtfertigungsgrundes zugestanden werden,255 sondern abwägungsunabhängig als Reduktion des Tatbestands im Wege verfassungskonformer Auslegung der §§ 185, 186 StGB.256 Diese ist nicht auf ein einzelnes Tatbestandsmerkmal zu stützen, dessen Voraussetzungen nicht erfüllt seien, sondern auf eine Beschränkung „von außen“ im Hinblick auf das verfassungsrechtlich geschützte allgemeine Persönlichkeitsrecht.257 Aus dieser dogmatischen Begründung folgt, dass die Privilegierung in sehr engen vertraulichen Beziehungen wie zwischen Ehepartnern, Eltern und Kindern, Lebenspartnern, aber auch engen Freunden258 anzuwenden ist, wobei das tatsächliche Vertrauensverhältnis im Einzelfall und nicht das objektive Verwandtschaftsverhältnis entscheidend ist. Einer Differenzierung zwischen mündlichen oder schriftlichen Äußerungen bedarf es nicht.259 Kein Anlass besteht allerdings zur Privile252 Lencker/Eisele, in: Schönke/Schröder Vor §§ 185 ff. Rn. 9a; Rogall, in: SK-StGB Vor § 185 Rn. 47. 253 Hilgendorf, in: LK-StGB § 185 Rn. 14; Lencker/Eisele, in: Schönke/Schröder Vor §§ 185 ff. Rn. 9a. 254 BVerfGE 90, 255, 260 f. – Briefüberwachung; BVerfG, NJW 1995, 1477 – Reichsparteitags-OLG; StV 2010, 142; zust. Hilgendorf, in: LK-StGB § 185 Rn. 14; Lencker/Eisele, in: Schönke/Schröder Vor §§ 185 ff. Rn. 9a; Rogall, in: SK-StGB Vor § 185 Rn. 47. 255 Hillenkamp, in: FS Hirsch, S. 555, 568. Das Bundesverfassungsgericht hingegen hat offen gelassen, ob die Einschränkung der Strafbarkeit auf Ebene des Tatbestands oder der Rechtsfertigung erfolgt, BVerfGE 90, 255, 261 – Briefüberwachung; BVerfG, NJW 1995, 1477, 1478 – Reichsparteitags-OLG. 256 Der § 187 StGB ist nach weitgehend einhelliger Auffassung von der Privilegierung nicht erfasst, s. Engisch, GA 1957, 326, 332 f.; Hellmer, GA 1963, 129, 138; Küpper, BT I, § 4 Rn. 10; Krey/Hellmann/Heinrich, BT I, Rn. 503; Regge/Pegel, in: MK-StGB Vor §§ 185 ff. Rn. 60; Rengier, BT II, § 28 Rn. 23; Rogall, in: SK-StGB Vor § 185 Rn. 50; Wessels/Hettinger, BT I, Rn. 482; anders Hillenkamp, in: FS Hirsch, S. 555, 572 f. 257 Hillenkamp, in: FS Hirsch, S. 555, 571. 258 Zu letzteren s. auch BVerfG, NJW 2007, 1194; BVerfG, StV 2010, 142; Wasmuth, NStZ 1995, 100, 101; anders noch BayObLG, MDR 1976, 1036, 1037. 259 BVerfGE 90, 255, 261 – Briefüberwachung; OLG Frankfurt, StV 1994, 442; Geppert, Jura 1983, 530, 535; Hilgendorf, in: LK-StGB § 185 Rn. 15; Hillenkamp, in: FS Hirsch, S.555, 573; Schendzielorz, Umfang und Grenzen der straffreien Beleidigungssphäre, S. 186; Zaczyk,
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gierung von Äußerungen in Vertrauensbeziehungen, die sich gegen die Beteiligten untereinander richten.260 b) Ehrträger Jeder lebende Mensch ist Ehrträger und somit beleidigungsfähig; erfasst sind sowohl Kinder als auch Geisteskranke.261 Das ergibt sich schon daraus, dass auch ihnen Ehre im Sinne eines personalen Geltungswerts als ein Aspekt der Personenwürde des Menschen zukommt.262 Insofern ist die Beleidigung von Einzelpersonen unproblematisch. Bei religionsfeindlichen Äußerungen ist jedoch zu beachten, dass sie häufig keinen direkten Bezug zu einer einzelnen natürlichen Person entfalten, sondern gegen Religionsgemeinschaften als solche oder gegen ihre Mitglieder als Personengesamtheit gerichtet sind. In beiden Fällen ist die Beleidigungsfähigkeit umstritten. Auf Grund der dogmatischen Unterschiede soll im Folgenden zwischen beiden Konstellationen differenziert werden. aa) Beleidigung von Personengemeinschaften: Religionsgemeinschaften als Ehrträger Zunächst soll die Frage beantwortet werden, ob auch Institutionen und Personengemeinschaften strafrechtlichen Ehrschutz genießen. Dies ist für die vorliegende Untersuchung von Bedeutung, um festzustellen, ob auch Religionsgesellschaften beleidigungsfähig sind. Nachdem das Reichsgericht Personenmehrheiten eine Beleidigungsfähigkeit zunächst mit der Begründung abgesprochen hatte, dass „die Ehre ein Attribut der menschlichen Persönlichkeit und daher eine Ehrenkränkung nur in Bezug auf Personen denkbar“ sei,263 bejahte es ab 1936 die Möglichkeit einer Beleidigung öffentlicher Stellen.264 Dies war wohl zumindest zum Teil der nationalsozialistischen Gesinnung geschuldet,265 die die Gemeinschafts- oder Volksehre in den Vordergrund stellte und ihr sogar einen Vorrang vor in: NK-StGB Vor §§ 185 ff. Rn. 41; anders Hellmer, GA 1963, 129, 139, der nur bei besonderer Spontaneität der Äußerung eine Ausnahme zulassen will. 260 Regge/Pegel, in: MK-StGB Vor §§ 185 ff. Rn. 60; Rengier, BT II, § 28 Rn. 25. 261 BGHSt 1, 288 ff.; 7, 129, 132; 23, 1, 3 f.; Fischer, Vor § 185 Rn. 8; Hilgendorf, in: LKStGB Vor §§ 185 ff. Rn. 24; Lenckner/Eisele, in: Schönke/Schröder Vor §§ 185 ff. Rn. 2; Rogall, in: SK-StGB Vor § 185 Rn. 33; diff. Zaczyk, in: NK-StGB Vor §§ 185 ff. Rn. 89 ff. 262 Hilgendorf, in: LK-StGB Vor §§ 185 ff. Rn. 24. 263 RGSt 3, 246, 247. In diesem Sinne auch RGSt 4, 75; 9, 1, 2; 68, 120, 123. In diesem Sinne äußerte sich auch Binding, Lehrbuch BT I, S. 140, der die Anerkennung einer Kollektivehre von Familien, Stände, Versammlungen, juristischen Personen, Firmen, Behörden als „Unding“ bezeichnet. 264 RGSt 70, 140, 141; ebenso RGSt 74, 268, 269. 265 s. hierzu ausführlich Brackert, JA 1991, 189, 190 f.; Kaufmann, ZStW 72 (1960), 418, 419 f.; anders ausdrücklich BGHSt 6, 186, 189.
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der Individualehre zuschrieb.266 Der Bundesgerichtshof lehnte die Beleidigungsfähigkeit von Personengemeinschaften in der Folgezeit zunächst ab,267 erkannte sie später aber an und weitete sie noch erheblich aus, indem er ihnen einen strafrechtlichen Ehrschutz zusprach, „soweit sie eine rechtlich anerkannte soziale Funktion erfüllen, und einen einheitlichen Willen bilden können“.268 Auf die Rechtsform der Personengemeinschaft kommt es demnach nicht an.269 Dem folgen inzwischen sowohl die untergerichtliche Rechtsprechung270 als auch die herrschende Lehre.271 Zugesprochen wurde eine solche „Kollektivehre“ beispielsweise einem katholischen Erzbistum als juristischer Person des öffentlichen Rechts,272 aber auch privatrechtlich organisierten Personengemeinschaften.273 Als wesentliches Argument wird regelmäßig § 194 Abs. 3 und 4 StGB herangezogen, der eine Beleidigungsfähigkeit zumindest von Behörden voraussetze.274 Wenn aber die Beleidigung von Behörden möglich sei, ließe sich aus dem Ehrbegriff alleine nicht erklären, warum dies nicht auch auf Verbände des Privatrechts übertragen werden könne. Denn der Schutz nur öffentlich-rechtlicher Einheiten sei – unter anderem im Hinblick auf die wachsende Privatisierung – nicht mehr zeitgemäß.275 Auch ihr Wirken sei in der Gesellschaft nur dann möglich, wenn ihnen ein Schutz vor Diskreditierung zugebilligt werde.276 Die Ablehnung einer Beleidigungsfähigkeit von Personengemeinschaften vernachlässige den kommunikativen sowie den sozialen Aspekt der Ehre, denn auch zu juristischen Personen könne eine persönliche
266
Vgl. hierzu ausführlich Brackert, JZ 1990, 189, 191 m.w.N. BGH, JZ 1951, 520, 521. 268 BGHSt 6, 186, 191; darauf Bezug nehmend BGHSt 36, 83, 88; BGH, NJW 1971, 1655. 269 BGHSt 6, 186, 191; Schneider, in: Dölling/Duttge/König/Rössner § 185 StGB Rn. 10; Sinn, in: Satzger/Schluckebier/Widmaier Vor §§ 185 ff. Rn. 13; Wagner, JuS 1978, 674, 675. 270 Z. B. BayObLG, StV 1982, 576 f.; OLG Düsseldorf, MDR 1979, 692; OLG Frankfurt, NJW 1989, 1367. 271 Flatten, Strafrechtlicher Ehrenschutz, S. 10 ff., 29 ff.; Geppert , Jura 1983, 530, 536 f.; ders., Jura 2005, 244, 245; Ignor, Der Straftatbestand der Beleidigung, S. 190 ff.; Kindhäuser, BT I, § 22 Rn. 8; Krey/Hellmann/Heinrich, BT I, Rn. 497; Küpper, JA 1985, 453, 455; Lackner/ Kühl, Vor § 185 Rn. 5; Lenckner/Eisele, in: Schönke/Schröder Vor §§ 185 Rn. 3; Maurach/ Schroeder/Maiwald, BT I, § 24 Rn. 17; Rengier, BT II, § 28 Rn. 10; Schmidhäuser, BT Rn. 5/5; Tenckhoff, JuS 1988, 457, 458; diff. Amelung, Ehre als Kommunikationsvoraussetzung, S. 53 ff.; vgl. auch schon Hammeley, Kollektivbeleidigung, S. 44 ff.; Hurwicz, ZStW 31 (1911), 873; Liepmann, Einfache Beleidigung, in: VDB IV, S. 217, 350 ff. 272 BGH, NJW 2006, 601, 602. 273 BGHSt 6, 186, 191; BGH, NJW 1971, 1655; OLG Köln, NJW 1979, 1723. 274 Lenckner/Eisele, in: Schönke/Schröder Vor §§ 185 ff. Rn. 3; Regge/Pegel, in: MK-StGB Vor §§ 185 ff. Rn. 46 ff.; Rengier, BT II, § 28 Rn. 9 f.; anders aber Hilgendorf, in: LK-StGB Vor §§ 185 ff. Rn. 25: „Infolgedessen geht es um eine (in § 194 Abs. 3 und Abs. 4 nicht gelöste, nicht einmal aufgeworfene) Frage nach dem Ob und dem Inwieweit einer Gleichstellung.“ 275 Lenckner/Eisele, in: Schönke/Schröder Vor §§ 185 ff. Rn. 3. 276 Lenckner/Eisele, in: Schönke/Schröder Vor §§ 185 ff. Rn. 3. 267
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Beziehung im Sinne einer Solidarisierung oder Distanzierung entstehen, ohne in eine individuell-personale Ebene vorzudringen.277 Diese weite Auslegung ist allerdings einer kritischen Betrachtung zu unterziehen, denn schon das Wesen des Schutzguts Ehre spricht gegen eine Übertragung auf Personengemeinschaften. In diesem Sinne entschied das Bundesverfassungsgericht, staatliche Einrichtungen hätten weder eine persönliche Ehre noch seien sie Träger des allgemeinen Persönlichkeitsrechts.278 Es spricht viel dafür, dieses Verständnis auf sämtliche Personengemeinschaften zu übertragen. Auf der Grundlage eines sozialen Ehrbegriffs, der in der Ehre allein einen sozialen Geltungswert sieht, erscheint eine Einbeziehung juristischer Personen zwar möglich, denn auch sie treten als „Handelnde“ auf, werden in der Gesellschaft als selbstständig wahrgenommen und auf Grund des Verhaltens ihrer Organe bewertet. Die Einzelheiten sind hingegen auch nach diesem Verständnis nicht unumstritten.279 Nach der hier vertretenen Auffassung der Ehre als Ausprägung der Personenwürde kann sie allerdings nur natürlichen Personen zukommen.280 Der spezifisch menschliche Wert, der jeder Person durch das Menschsein als Teil der Gesellschaft zukommt, kann nicht auf Kollektivgebilde ausgedehnt werden. Im Wesentlichen beschränkt sich der soziale Geltungswert von Verbänden darauf, ihnen eine Durchsetzung ihrer wirtschaftlichen Interessen zu ermöglichen. Ehrschutz ist aber mit dem Schutz vermögenswerter Interessen nicht gleichzusetzen. Ein strafrechtlicher Schutz vermögenswerter Interessen vor schädigenden Äußerungen findet ausschließlich durch § 187, 3. Var. StGB statt. Diese Handlungsalternative stellt nach der zutreffenden herrschenden Ansicht kein Ehr-, sondern ein Vermögensdelikt dar.281 Sind dessen Voraussetzungen nicht erfüllt, erscheint es angemessener, dem Schutz wirtschaftlicher Interessen vor beeinträchtigenden Äußerungen allein über das Zivilrecht nachzukommen.282 Dieses schützt das Persönlichkeitsrecht auch von Personengemeinschaften in einem umfassenden Sinn;283 eines darüber hinausgehenden strafrechtlichen Schutzes bedarf es daher
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Sinn, in: Satzger/Schluckebier/Widmaier, Vor §§ 185 Rn. 14; in diesem Sinn auch Tenckhoff, JuS 1988, 457, 458. 278 BVerfGE 93, 266, 291 – Soldaten sind Mörder. 279 Hilgendorf, in: LK-StGB Vor §§ 185 ff. Rn. 26. 280 So auch Fischer, JZ 1990, 68, 70; Gaede, in: Matt/Renzikowski Vor §§ 185 ff. Rn. 20; Gössel/Dölling, BT I, § 29 Rn. 23; Krug, Ehre und Beleidigungsfähigkeit von Verbänden, S. 209 ff.; von verfassungsrechtlicher Seite, Isensee, in: FS Kriele, S. 5, 11, der jedoch einen strafrechtlichen Schutz nicht ausschließt; anders Hirsch, Ehre und Beleidigung, S. 113 Fn. 51; Volk, JR 1980, 291, 293. 281 Fischer, § 187 Rn. 1; s. auch oben in diesem Kapitel B. II. 1. sowie Fn. 218 m.w.N. 282 Gaede, in: Matt/Renzikowski Vor §§ 185 ff. Rn. 20; Kett-Straub, ZStW 120 (2008), 759, 777 f.; vergleichbar auch Rogall, in: SK-StGB Vor § 185 Rn. 36. 283 Für juristische Personen BVerfG, NJW 2006, 3769, 3771 – Babycaust; BGH, NJW 2006, 601; für nichtrechtsfähige Vereine BGH, NJW 1971, 1655; für Personengesellschaften BGHZ 78, 24. Zum Teil krit. hierzu Rixecker, in: MK-BGB Anhang zu § 12 Rn. 31 ff.
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nicht.284 Der rein soziale Geltungswert ist der persönlichen Ehre als Schutzgut der §§ 185 ff. StGB nicht gleichzusetzen.285 Aber auch eine Anknüpfung an die Verbindung des Anerkennungsanspruchs der Mitglieder der Personengemeinschaft kann keine „Kollektivehre“ begründen. Denn deckt sich diese mit der Verbindung aus dem Achtungsanspruch der einzelnen Mitglieder, lässt sich nicht begründen, wieso der „Ehre“ der Personengemeinschaft ein eigener Wert zukommen soll, der über den Schutz der Einzelnen hinausgeht. Im Ergebnis liegt dann keine Beleidigung der Personengemeinschaft als solcher vor, sondern höchstens eine Beleidigung sämtlicher Mitglieder.286 Diese kann – unter später zu erörternden Voraussetzungen287 – als Beleidigung unter einer Kollektivbezeichnung bestraft werden. Insofern sind keine ernstlichen Strafbarkeitslücken zu erwarten.288 Treten solche doch auf, sind sie auf der Ebene der dort vorausgesetzten Erfordernisse zu verhindern, nicht aber durch die Anerkennung einer fiktiven Verbandsehre. Gegen die herrschende Meinung spricht darüber hinaus, dass die gewählten Kriterien zur Bestimmung beleidigungsfähiger Einheiten wenig geeignet sind, den Tatbestand in einer dem Bestimmtheitsgebot angemessenen Weise zu begrenzen: Die Fähigkeit der einheitlichen Willensbildung auf der einen Seite verlangt nicht mehr als eine gewisse Organisationsstruktur der Personengemeinschaft.289 Letztlich ist sie daher auf die eine oder andere Art wohl jeder Personenmehrheit zuzusprechen.290 Außerdem bleibt offen, wieso gerade eine strukturierte Organisation die Ehre einer Personengemeinschaft begründen soll, sodass dieses Kriterium insofern als sachfremd und damit inadäquat zu bewerten ist.291 Auch die notwendige Verfolgung eines rechtlich anerkannten Zwecks auf der anderen Seite erscheint nicht als geeignetes Kriterium zur Abgrenzung von beleidigungs- zu nicht beleidigungsfähigen Personengemeinschaften. Es wird zumeist weit ausgelegt und vermag damit nichts weiter, als evident sozialschädliche Vereinigungen vom Schutzbereich der 284
So auch Kett-Straub, ZStW 120 (2008), 759, 777; anders Rengier, BT II, § 28 Rn. 12. Wolff, ZStW 81 (1969), 886, 905; ähnlich auch Hirsch, Ehre und Beleidigung, S. 97 ff., 113 ff., der Personengemeinschaften zwar einen der natürlichen Person vergleichbaren Geltungswert zugesteht, diesen aber nicht den §§ 185 ff. StGB unterfallen lässt. 286 So auch Gaede, in: Matt/Renzikowski Vor §§ 185 ff. Rn. 20; Rogall, in: SK-StGB Vor § 185 Rn. 36. 287 s. zu der Problematik einer Beleidigung mehrerer unter einer Kollektivbezeichnung unten in diesem Kapitel B. II. 2. b) bb). 288 Fischer, Vor § 185 StGB Rn. 15; Gössel/Dölling, BT I, § 29 Rn. 28; Kett-Straub, ZStW 120 (2008), 759, 778. Vgl. auch Kaufmann, ZStW 72 (1960), 418, 444: „Gewiß, es bleiben ein paar Lücken, aber diese sind so geringfügig und unbedeutend, daß sich daraus die Preisgabe der Rechtssicherheit, die die strafrechtliche Anerkennung der Gemeinschaftsehre mit sich bringt, niemals rechtfertigen läßt.“ 289 Kaufmann, ZStW 72 (1960), 418, 424; Tenckhoff, JuS 1988, 457, 458. 290 Hilgendorf, in: LK-StGB Vor §§ 185 ff. Rn. 25; Wagner, JuS 1978, 674, 676. Anders aber Tenckhoff, JuS 1988, 457, 458. 291 Kaufmann, ZStW 72 (1960), 418, 424; Wagner, JuS 1978, 674, 675 f. 285
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Strafnorm auszuschließen.292 Ein engeres Verständnis im Sinne eines „sozialen Zwecks“293 vermag zwar die Gruppe der beleidigungsfähigen Personengemeinschaften einzuschränken. Auch dieses Kriterium unterliegt aber einem gewissen Begründungsproblem. Denn es erklärt sich nicht, warum gerade die Verfolgung eines besonderen gesellschaftlichen Zwecks ehrfähige von nichtehrfähigen Personengemeinschaften abgrenzen könnte.294 Ebenso wie die Frage der einheitlichen Willensbildung vermag auch dieses Merkmal nicht zu entschlüsseln, worin gerade die besondere Ehre des Kollektivs in Abgrenzung zur Ehre seiner Mitglieder bestehen soll. Damit bleibt sowohl unklar, welches Ausmaß die gewählten Kriterien annehmen sollen, als auch in welcher direkten Beziehung sie zum Schutzgut der §§ 185 ff. StGB stehen.295 Für die herrschende Ansicht wird regelmäßig die Vorschrift des § 194 Abs. 3 S. 2, Abs. 4 StGB vorgebracht, der die Antragsbefugnis bei Beleidigungen regelt, die „gegen eine Behörde oder eine sonstige Stelle, die Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrnimmt“, gerichtet sind. Dieser Norm, die sich ausschließlich mit der Antragsbefugnis in einzelnen Fällen befasst, kann aber nicht der Beweis entnommen werden, dass das deutsche Recht eben doch eine Verbandsehre anerkenne. Auch das Bundesverfassungsgericht bleibt diesbezüglich zögerlich.296 Ihm zufolge lässt sich der Norm zwar entnehmen, dass § 185 StGB nicht nur auf natürliche Personen, sondern auch auf Behörden und Stellen der öffentlichen Verwaltung zu beziehen ist. Da insoweit allerdings die Betroffenheit des Rechtsguts der persönlichen Ehre verneint werden müsse, sei auf den Zweck des Schutzes staatlicher Einrichtungen abzustellen. Auch in der Literatur wird vielfach vertreten, dass die Norm wenn auch nicht eine Ehre, so doch eine Beleidigungsfähigkeit von Behörden kodifiziere.297 Daraus folgt für die vorliegende Untersuchung, dass gemäß § 194 Abs. 3 S. 3 StGB auch die Behörden der öffentlich-rechtlich organisierten Religionsgesellschaften als beleidigungsfähig angesehen werden. Dieses Verständnis des § 194 Abs. 3 S. 2 StGB wird teilweise angezweifelt. Zwar scheine die Norm die Voraussetzungen des Strafantrags bei einer Beleidigung gegen eine Behörde aufzustellen. Sie könne allerdings – eine leichte Ungenauigkeit des Gesetzgebers unterstellt – auch in dem Sinne verstanden werden, dass sie lediglich die Zuständigkeit für Strafanträge bei Beleidigung der Behördenmitglieder unter 292
Hilgendorf, in: LK-StGB Vor §§ 185 ff. Rn. 25; Hirsch, Ehre und Beleidigung, S. 104 ff.; Rogall, in: SK-StGB Vor § 185 Rn. 35. 293 So etwa Geppert, Jura 1983, 530, 537; ders., Jura 2005, 244, 245, für den durch das Kriterium auch „solche [Personengemeinschaften] mit zwar legalen, doch nicht besonders gemeinschaftsnützlichen Tätigkeiten (Stammtischrunden, Skatverein u. ä.)“ ausgeschlossen werden. Ein ähnliches Verständnis liegt auch bei Kaufmann, ZStW 72 (1960), 418, 423 f., zugrunde. 294 Kaufmann, ZStW 72 (1960), 418, 424. 295 Wagner, JuS 1978, 674, 676 spricht in diesem Sinne von „Leerformeln“. 296 BVerfGE 93, 266, 291 – Soldaten sind Mörder. 297 Gössel/Dölling, BT I, § 29 Rn. 24 („Quasi-Achtungs- und Geltungsanspruch“).
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einer Kollektivbezeichnung regelt.298 Dieses Verständnis wird durch die Systematik des Gesetzes gestützt. Es erschließt sich nicht, warum ein Delikt zum Schutze staatlicher Interessen im Rahmen einer Strafantragsregelung der Ehrschutzdelikte normiert sein sollte, während die Staatsschutzdelikte vor allem in den §§ 90, 90a, 90b StGB, entfernter auch in den §§ 86, 86a StGB, für den Sonderfall der Streitkräfte in § 109d StGB festgelegt sind.299 Allerdings ist diese Auslegung der Norm mit dem Wortlaut, der klar davon spricht, dass sich die Tat gegen eine Behörde richtet, nicht vereinbar.300 Trotz aller systematischen Argumente ist der Wortlaut als eindeutig zu bewerten, sodass die Beleidigungsfähigkeit von Behörden auf der Grundlage des geltenden Rechts wohl bejaht werden muss.301 Demnach kann auch eine Beleidigungsfähigkeit von Behörden der öffentlich-rechtlich organisierten Religionsgemeinschaften, wie etwa eines Bistums, de lege lata nicht abgelehnt werden. Diese Lösung ist jedoch höchst kritisch zu bewerten. Sie ist zum einen dogmatisch zweifelhaft, da aus einer Strafantragsregelung auf den Regelungsgehalt einer Strafnorm geschlossen wird. Zum anderen weitet sie die Ehrschutzdelikte über Gebühr auf einen – insoweit auf Grund der anderen Staatsschutzdelikte nicht erforderlichen – Staatsschutz aus und steht nicht im Einklang mit dem sonst einheitlichen Schutzgut des Abschnitts. Für den Fall der Kirchenbehörden führt sie schließlich faktisch zu einer Ungleichbehandlung der verschiedenen Religionen, da nicht alle Religionsgemeinschaften in Deutschland öffentlich-rechtlich organisiert sind. De lege ferenda sollte also auf eine derartige Vorschrift verzichtet werden. Aber selbst wenn man aus § 194 Abs. 3 S. 2, Abs. 4 StGB mit der herrschenden Meinung die Beleidigungsfähigkeit von Behörden herausliest, erscheint eine Übertragung auf Personengemeinschaften im Allgemeinen insoweit nicht zwingend. § 194 Abs. 3 S. 2, Abs. 4 StGB weist den Charakter einer Spezialnorm auf, die nicht ohne weiteres auf andere rechtliche Gebilde übertragen werden darf.302 So darf aus der Vorschrift nicht geschlossen werden, Personengemeinschaften seien generell beleidigungsfähig. Die strafrechtliche Gleichsetzung des sozialen Geltungswerts mit dem aus der Personenwürde fließenden Anerkennungsanspruch des Individuums bedarf einer gesetzlichen Regelung,303 an der es vorliegend fehlt. Anderen als den in § 194 Abs. 3 und 4 StGB genannten Personengemeinschaften kommt also weder eine 298 Fischer, JZ 1990, 68, 73 vgl. auch schon Bruhns, GS 27, 481, 492 ff.; an der h.M. zweifelnd Brackert, JA 1991, 189, 193. 299 Fischer, JZ 1990, 68, 71 ff. Grünwald, KJ 1979, 292, 297 bezeichnet die Regelung deshalb auch als „sachwidrig“ und fordert ihre Streichung. 300 Krit. deshalb Kett-Straub, ZStW 120 (2008), 759, 777; Regge/Pegel, in: MK-StGB, Vor §§ 185 ff. Rn. 48. 301 So auch Hirsch, in: FS Wolff, S. 125, 141; Kett-Straub, ZStW 120 (2008), 759, 777; Rogall, in: SK-StGB Vor § 185 Rn. 35; Zazcyk, in: NK-StGB Vor §§ 185 ff. Rn. 16. 302 Zaczyk, in: NK-StGB Vor §§ 185 Rn. 16. 303 Herdegen, in: LK-StGB (10. Aufl.) Vor §§ 185 ff. Rn. 19; ihm zust. Gössel, in: GS Schlüchter, S. 295, 304; Gössel/Dölling, BT I, § 29 Rn. 27; ähnlich auch Wagner, JuS 1978, 674, 676.
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Ehrfähigkeit noch eine gesetzlich begründete Beleidigungsfähigkeit zu. Anders als nach der ständigen Rechtsprechung sollte eine Anwendung der §§ 185 – 187 StGB also nach der hier vertretenen Ansicht ausscheiden. bb) Beleidigung unter Kollektivbezeichnungen: Die Gläubigen als Ehrträger Eine weitere Möglichkeit der Beleidigung religiöser Einheiten ist die Zusammenfassung mehrerer Gläubigen unter einer Sammelbezeichnung. Im Unterschied zu der vorherigen Kategorie soll hierbei nicht die Beleidigung einer Personengemeinschaft in ihrer „Kollektivehre“, sondern mehrerer Einzelpersonen in ihrer jeweiligen Individualehre unter Strafe gestellt werden. (1) Kontextmäßige Individualisierung und Verdachtsprinzip Unproblematisch ist eine Strafbarkeit dann zu bejahen, wenn eine Aussage trotz Verwendung einer Kollektivbezeichnung erkennbar auf eine oder mehrere eindeutig bestimmbare Einzelpersonen bezogen ist.304 Dann ist die Sammelbezeichnung nachrangig und nur wegen Beleidigung der konkret bestimmbaren Personen zu bestrafen. Eine weitere Möglichkeit ist die Ehrverletzung einer oder mehrerer anonymer Einzelpersonen, die nur durch ihre Gruppenzugehörigkeit individualisiert werden. Dann trifft die Aussage nicht nur den oder die Gemeinten, sondern sämtliche Gruppenangehörigen, weil durch die fehlende Konkretisierung jeder von ihnen unter den Verdacht gerät.305 Um aber die tatsächliche Betroffenheit jedes Gruppenmitglieds annehmen zu können, ist notwendig, dass es sich um eine zahlenmäßig überschaubare Gruppe handelt,306 da „sich andernfalls die ehrenkränkende Verdächtigung in der Vielzahl der in Betracht kommenden Personen verliert“.307 Nicht ausreichend konkretisiert wären daher etwa die Aussagen „Einige Muslimen sind Terroristen“ oder „Einige Katholiken sind Kinderschänder“, da der Kreis der in Betracht kommenden Personen derart umfangreich ist, dass die einzelnen Mitglieder der jeweiligen Religionsgemeinschaft nicht mehr ausreichend betroffen sind. Anders wäre es beispielsweise bei der Verdächtigung eines einzelnen Priesters aus einer bestimmten, kleineren Gemeinde. Richtet sich die Aussage jedoch gegen Religionsinhalte, fehlt es an einem Bezug zu einer oder mehreren individuell bezeichneten
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Lenckner/Eisele, in: Schönke/Schröder Vor §§ 185 Rn. 5. RGSt 23, 246, 248; BGHSt 14, 48, 49; 19; 235, 236; Hilgendorf, in: LK-StGB Vor §§ 185 ff. Rn. 29; Lenckner/Eisele, in: Schönke/Schröder Vor §§ 185 ff. Rn. 6; Rogall, in: SKStGB Vor § 185 Rn. 39; Zaczyk, in: NK-StGB Vor §§ 185 ff. Rn. 29. 306 BGHSt 19, 235, 238. 307 Rogall, in: SK-StGB Vor § 185 Rn. 39; zust. auch Hilgendorf, in: LK-StGB Vor §§ 185 ff. Rn. 29; Lenckner/Eisele, in: Schönke/Schröder Vor §§ 185 ff. Rn. 6. 305
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Personen, sodass eine Beleidigung durch Kollektivbezeichnung nicht in Betracht kommt. (2) Beleidigung sämtlicher Mitglieder des Kollektivs Eine andere Variante der Beleidigung durch Verwendung einer Sammelbezeichnung ist erfüllt, wenn der Täter nicht einzelne, sondern sämtliche Mitglieder eines Kollektivs angreift. Auch in dieser Konstellation können diese selbst in ihrer Individualehre betroffen sein. Die Rechtsprechung verlangt in diesem Fall, dass diese Personenmehrheit so deutlich aus der Allgemeinheit hervortritt, dass der Kreis der Einzelpersonen scharf umgrenzt und die Zuordnung des Einzelnen deshalb zweifelsfrei ist.308 Die konkreten Anforderungen an diese Voraussetzung bleiben aber im Dunklen und die Kasuistik der Rechtsprechung demgemäß uneinheitlich und schwer absehbar. So wurde etwa die Beleidigung der deutschen Ärzte,309 aller Patentanwälte310 sowie der Soldaten der Bundeswehr311 bejaht, wohingegen eine Ehrverletzung der Frauen,312 der Akademiker,313 aller „an der Entnazifizierung beteiligten Personen“314 und aller „Soldaten der Welt“315 nicht durch eine Kollektivbezeichnung erfolgen könne. Gleiches gilt auch für die Polizei als solche,316 es sei denn es wird erkennbar, dass nur alle an einem bestimmten Einsatz beteiligten Polizisten angesprochen sein sollen.317 Im Bereich der Religionsgemeinschaften wurde eine Beleidigung unter den Kollektivbezeichnungen „die Protestanten“, „die Katholiken“318 oder „die Christen“319 verneint, während „alle Geistlichen christlicher Religion“,320 „die als Juden vom Nationalsozialismus verfolgten Menschen, die heute noch in
308 RGSt 68, 120, 124; BGHSt 2, 38, 39; 11 207, 208; 36, 83, 84; BayObLG, JR 1989, 72, 73; NJW 1990, 921, 922; KG, JR 1978, 422, 423; AG Pforzheim, NStZ-RR 2003, 203. 309 RG, JW 1932, 3113. 310 BayObLG, NJW 1953, 554. 311 BGHSt 36, 83, 87; BayObLG, NJW 1991, 1493, 1494; OLG Frankfurt, NJW 1989, 1367; s. auch KG, NJW 2003, 685, 686; vgl. auch BVerfGE 93, 266, 298 – Soldaten sind Mörder; BVerfG, NJW 1994, 2943, 2944. 312 LG Hamburg, NJW 1980, 56. 313 BGHSt 11, 207, 209. 314 BGHSt 2, 38, 39. 315 BVerfGE 93, 266, 302 – Soldaten sind Mörder; zust. Mager, Jura 1996, 405, 409. 316 BVerfG, BeckRS 2015, 45651; BayObLG, NJW 1990, 1742; OLG Düsseldorf, NJW 1981, 1522; anders aber OLG Düsseldorf, MDR 1981, 868; vgl. auch BGH, StV 1982, 222. 317 RGSt 45, 138, 139; BayObLG, JR 1989, 72 f.; NJW 1990, 921, 922; NJW 1990, 1742; OLG Frankfurt, NJW 1977, 1353, wobei beim letzterem nicht ganz deutlich wird, ob die Mannheimer Polizisten unter der Kollektivbezeichnung Polizei oder aber die Mannheimer Polizei als Personengemeinschaft betroffen sein soll; krit. Volk, JR 1989, 74. 318 Beides BGHSt 11, 207, 209. 319 LG Köln, MDR 1982, 771. 320 RG, GA 48 (1901), 121.
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Deutschland leben“,321 sowie „die heute in Deutschland lebenden Juden“322 als hinreichend konkretisiertes Kollektiv anerkannt wurden. Die verschiedenen Entscheidungen weisen hierbei unterschiedliche Begründungsstrukturen auf: Während teilweise auf die klare Abgrenzbarkeit der Gruppe323 abgestellt wird, soll teilweise die Homogenität der Gruppenmitglieder,324 zum Teil aber auch die Größe und damit Unüberschaubarkeit des Kollektivs325 entscheidend sein. Zu beachten ist auch, dass es die Rechtsprechung in den meisten Fällen als ausreichend erachtet, dass zumindest der „unzweifelhafte Kern“ des betroffenen Kollektivs unproblematisch bestimmbar ist. Auf eine eindeutige Festlegung des Randbereichs wird dann häufig verzichtet.326 Zwar wurde das grundlegende Kriterium der „scharfen Umgrenzung“ in der Literatur überwiegend positiv aufgenommen,327 die Abgrenzung im Einzelfall aber wird häufig als ungenau und zu weitgehend kritisiert.328 Tatsächlich erschließt sich nicht, wieso beispielsweise die Personengruppe der Frauen in der Gesellschaft nicht klar abgrenzbar sein soll.329 Dogmatisch besonders beanstandet wurden die Entscheidungen der Rechtsprechung zur Beleidigungsfähigkeit der von den Nationalsozialisten verfolgten Juden330 und der Soldaten (der Bundeswehr).331 Da letztere Diskussion aber für die vorliegende Fragestellung nicht von Bedeutung ist, soll im Folgenden vor allem auf die Beleidigung der Juden und andere Religionsgemeinschaften als Großkollektive eingegangen werden. Im Allgemeinen lehnt die Rechtsprechung eine Beleidigung des einzelnen Mitglieds von Großkollektiven mit der Begründung ab, diese seien nicht ausreichend
321
BGHSt 2, 38, 39 f.; 11, 207, 208; 40, 97, 103. BVerfGE 90, 241, 251 f. – Auschwitzlüge; BVerfG, NJW 1993, 916, 917; NJW 2009, 3089 – Der Holocaust auf Ihrem Teller; vgl. insbesondere auch BGHZ 75, 160. 323 LG Köln MDR 1982, 771. 324 LG Hamburg, NJW 1980, 56, 57. 325 BayObLG NJW 1990, 1742; krit. jedoch zum Kriterium der zahlenmäßigen Überschaubarkeit, BGHSt 36, 83, 86 f.; BayObLG, NJW 1991, 1493, 1494. 326 RGSt 31, 185, 188 f.; OLG Hamm, DB 1980, 1215; ausdrücklich nun auch BGHSt 36, 83, 86. s. hierzu ausführlich Wehinger, Kollektivbeleidigung – Volksverhetzung, S. 43 ff. 327 Fischer, Vor § 185 Rn. 9; Geppert, Jura 1983, 530, 538; Lenckner/Eisele, in: Schönke/ Schröder Vor §§ 185 ff. Rn. 7; Maurach/Schroeder/Maiwald, BT I, § 24 Rn. 15; Rogall, in: SKStGB Vor § 185 Rn. 40; krit. zu dem Kriterium aber Otto, Grundkurs II, § 31 Rn. 11, da es nicht erkläre, warum nicht zumindest der unstreitig erfasste Kernbereich einer schwer abgrenzbaren Gruppe durch die Beleidigung erfasst wäre. 328 Arzt, JuS 1982, 717, 719; Dencker, in: FS Bemmann, S. 291, 294 ff.; Foerstner, Kollektivbeleidigung, S. 55 ff.; Hilgendorf, in: LK-StGB Vor §§ 185 Rn. 30; Lenckner/Eisele, in: Schönke/Schröder Vor §§ 185 ff. Rn. 8. 329 So aber LG Hamburg, NJW 1980, 56. 330 Wild, GRUR 1980, 69 („,Ausnahmerecht‘ für Menschen jüdischer Abstammung“). 331 Hierzu s. BVerfGE 93, 266 – Soldaten sind Mörder; BVerfG, NJW 1994, 2943; BVerfG, 13. 12. 2001 – 1 BvR 1656/96, 1 BvR 643/97 (juris); BGHSt 36, 83. 322
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konkretisier- und abgrenzbar.332 Dass beispielsweise eine Kirchenzugehörigkeit zumindest im Kernbereich unproblematisch festgestellt werden kann, wird dabei häufig nicht thematisiert. Richet sich eine Kollektivbeleidigung gegen Juden, umgehen die Gerichte diese Problematik, indem sie nicht die Juden als Gesamtheit, sondern „die als Juden vom Nationalsozialismus verfolgten Menschen, die heute noch in Deutschland leben“,333 oder „die heute in Deutschland lebenden Juden“334 als beleidigungsfähige Kollektive anerkennen. Diese Gruppen mögen begrenzter sein als „die Christen“ oder „die Muslime“, zahlenmäßig überschaubar sind sie für den Täter jedoch nicht.335 Zwar argumentiert der Bundesgerichtshof, auf Grund der Nürnberger Gesetze seien die Verfolgten besonders gut zu identifizieren und das ihnen auferlegte Schicksal verbinde sie zu einer Einheit.336 Dennoch drängt sich der Schluss auf, die Rechtsprechung wollte den Juden auf Grund der auf der nationalsozialistischen Willkürherrschaft beruhenden Verantwortung Deutschlands einen erhöhten Schutz zukommen lassen. Die Rechtsprechung der Kollektivbeleidigung von Juden ist auch vor dem Hintergrund zu betrachten, dass es bei ihrer Entwicklung die Vorschrift des § 130 Abs. 3 StGB noch nicht existierte und damit die sogenannte „einfache Auschwitzlüge“ nur über das Beleidigungsrecht geahndet werden konnte. In diesem Sinne wurde auch von vielen Seiten kritisiert, ein strafrechtlicher Schutz vor antisemitischen Äußerungen über die Beleidigungsdelikte sei zwar „menschlich, politisch und historisch befriedigend und somit ein gutes Stück weit verständlich“,337 überschreite aber die tatbestandlichen Grenzen strafbarer Kollektivbeleidigung.338 In der Tat ist eine Bestrafung über das Beleidigungsrecht moralisch wünschenswert, aber dogmatisch unsauber. Die politische Entscheidung, Juden auf Grund der deutschen Verantwortung stärker vor Beeinträchtigungen zu schützen, sollte durch den Gesetzgeber getroffen werden, wie es auch durch die Einführung der Absätze drei und vier des § 130 StGB geschehen ist. Eine richterrechtliche Ausnahme bei den Anforderungen an die Kollektivbeleidigung erscheint jedoch nicht als überzeugende Antwort. Selbst wenn die Juden durch ihr Schicksal im Nationalsozialismus zu einer Einheit verbunden werden, wie es der Bundesgerichtshof vertritt, erklärt sich nicht, warum gerade deshalb jeder einzelne Jude durch die Kollektivbezeichnung beeinträchtigt wird. 332 BVerfG, BeckRS 2015, 45651; BGHSt 11, 207, 209; LG Hamburg, NJW 1980, 56; anders aber BGHSt 36, 83, 86. 333 BGHSt 2, 38, 39 f.; 11, 207, 208; 40, 97, 103. 334 BVerfGE 90, 241, 251 f. – Auschwitzlüge; BVerfG, NJW 1993, 916; NJW 2009, 3089 – Der Holocaust auf Ihrem Teller; BGHZ 75, 160. 335 Arzt, JuS 1982, 717, 719; Wehinger, Kollektivbeleidigung – Volksverhetzung, S. 61. 336 BGHZ 75, 160, 163; vgl. auch BGHSt 11, 207, 209. 337 Wehinger, Kollektivbeleidigung – Volksverhetzung, S. 62; ebenso Arzt, JuS 1982, 717, 727; Deutsch, NJW 1980, 1100. 338 Arzt, JuS 82, 719, 727; Herdegen, in: LK-StGB (10.Aufl.), § 194 Rn. 1; Geppert, Jura 1983, 530, 538 f.; Schößler, Anerkennung und Beleidigung, S. 268 ff.; Stegbauer, Rechtsextremistische Propaganda, S. 138 f.; Wandres, Strafbarkeit des Auschwitz-Leugnens, S. 204 ff.; Wehinger, Kollektivbeleidigung – Volksverhetzung, S. 62.
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Dies bedeutet aber nicht notwendigerweise, dass eine Beleidigung der Juden durch eine Kollektivbezeichnung ausscheiden muss. Im Gegenteil ist zu untersuchen, ob nicht auch die Mitglieder von (allen) Großkollektiven – insbesondere von Religionsgemeinschaften – unter bestimmten Voraussetzungen in den Anwendungsbereich der Ehrverletzungsdelikte einzubeziehen sind. Das Kriterium der Rechtsprechung, die Betroffenen müssten klar abgrenzbar sein, spricht zunächst einmal nicht dagegen. Zumindest in ihrem Kernbereich lassen sich Mitglieder von Religionsgemeinschaften häufig unproblematisch erfassen. In der Literatur und inzwischen auch in der Rechtsprechung ist aber anerkannt, dass die klare Abgrenzbarkeit als einziges Kriterium nicht hinreichend ist: So betont der Bundesgerichtshof, dass „der eigentliche Grund, warum große Gruppen wie Katholiken und Protestanten […] nicht kollektiv beleidigungsfähig sind, nicht allein die mangelnde Abgrenzbarkeit des Kreises der Betroffenen“339 sein könne. Stattdessen sei eine Beleidigung unter Sammelbezeichnungen dann zu bejahen, wenn das „Unwerturteil […] ein äußeres Verhalten und ein objektives Eingebundensein in das angefochtene Kollektiv beschreibt.“340 Weitere Hinweise hierzu gibt das Gericht aber nicht, sondern beschränkt sich auf eine Evidenzkontrolle.341 Im Schrifttum werden zum Teil weitere Kriterien vorgeschlagen, die die Abgrenzung zwischen pauschalisierten Behauptungen und ausreichend individualisierten Einzelbeleidigungen unter Verwendung von Sammelbegriffen konkretisieren sollen. So wird zum Teil verlangt, ähnlich wie im Rahmen der ersten Fallgruppe die Sammelbeleidigung auf zahlenmäßig überschaubare Kollektive zu beschränken.342 Dann sind Mitglieder von Großkollektiven nie unter dieser Bezeichnung beleidigungsfähig. In eine ähnliche Richtung geht der Vorschlag, dass die betroffenen Individuen für den Täter selbst überschaubar sein müssten.343 Könne der Täter selbst die Betroffenen nicht mehr individualisieren, wolle er nicht seine Missachtung ihnen gegenüber kundtun, sondern sich zu einem gesellschaftlichen Phänomen äußern.344 Er beziehe sich meist nicht auf individuelle Merkmale der Mitglieder, sondern auf „den aus der Sicht des Sprechers bestehenden Unwert des Kollektivs und seiner sozialen Funktion sowie der damit verbundenen Verhaltensanforderungen an die Mitglieder“.345 Zum Teil wird außerdem vorgebracht, dass pauschalisierte Behauptungen gegenüber Großkollektiven stets so zu verstehen seien, dass sie not339
BGHSt 36, 83, 86. BGHSt 36, 83, 87. 341 Foerstner, Kollektivbeleidigung, S. 56. 342 Arzt, JuS 1982, 717, 719; ders., JZ 1989, 647, 648; Giehring, StV 1992, 194, 198 f.; Maiwald, JR 1989, 485; Lenckner/Eisele, in: Schönke/Schröder Vor §§ 185 ff. Rn. 7b; Volk, JR 1989, 74; dagegen schon Brunschvig, Kollektiv-Ehrverletzung, S. 31. 343 Androulakis Sammelbeleidigung, S. 79 ff.; Gaede, in: Matt/Renzikowski Vor §§ 185 ff. Rn. 14; Herdegen, NJW 1994, 2933, 2934; Wehinger, Kollektivbeleidigung – Volksverhetzung, S. 57. 344 Arzt, JZ 1989, 647. 345 BVerfG, BeckRS 2015, 45651. 340
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wendigerweise auch Ausnahmen zuließen.346 Wenn aber auch Ausnahmen bedacht seien, dann sei unklar, auf welche Individuen des Großkollektivs die Behauptung bezogen ist. Nach einer solchen Interpretation wäre also bei einer ausreichend großen Bezugsgruppe durch die Notwendigkeit von Ausnahmen niemand mehr persönlich beleidigt.347 Zudem müsse bedacht werden, dass eine ehrenrührige Behauptung, die eine Vielzahl von Personen trifft, im Ergebnis wie eine für eine Person tödliche Giftmenge in einem Brunnen verwässert wird und demnach nicht ausreichen kann, jeden Betroffenen in gleichem Maße zu beeinträchtigen, als würde nur ein Einzelner angegriffen.348 Diese Argumente vermögen allerdings nicht restlos zu überzeugen. Gegen eine rein zahlenmäßige Abgrenzung spricht nicht nur, wie auch der Bundesgerichtshof anerkennt,349 dass es nicht möglich erscheint, eine verlässliche Personenzahl zu definieren, ab der eine Menge nicht mehr „überschaubar“ ist. Solche Ungenauigkeiten werden zwar auch sonst ohne weitere Bedenken hingenommen. Wichtiger ist aber, dass die Anzahl der Betroffenen nicht als das sachgerechte Kriterium erscheint, eine Ehrverletzung anzunehmen oder abzulehnen. Dem ist ebenso wie der sogenannten „Brunnentheorie“ zu widersprechen. Ein Angriff gegen die Ehre einer Person wird nicht dadurch relativiert, dass er auch andere trifft.350 Das Beispiel des vergifteten Brunnens passt nur in der soeben behandelten Fallgruppe des Verdachtsprinzips. Denn der Angriff auf die einzelne Ehre verliert sich tatsächlich, wenn ein Verdacht nur über eine einzige Person aus einer unüberschaubar großen Gruppe geäußert wird.351 Betrifft die Äußerung allerdings sämtliche oder zumindest einen großen Teil des fraglichen Kollektivs, ist es für die Verletzung der individuellen Ehre ohne Bedeutung, welchen Umfang dieses Kollektiv hat. Etwas anderes könnte höchstens unter Anerkennung eines faktisch-sozialen Ehrbegriffs bejaht werden, da der tatsächlich bestehende „gute Ruf“ durch allgemein gehaltene Aussagen tatsächlich weniger beeinträchtigt wird, als durch solche, die sich nur auf Einzelne beziehen.352 Für einen personalen Ehrbegriff und den verdienten Achtungsanspruch kann dies aber nicht übernommen werden. Aber auch diejenigen, die in Pauschalurteilen stets nur eine straflose Meinungsäußerung über gesellschaftliche Phänomene erkennen wollen, überzeugen 346
Bockelmann, NJW 1953, 554, 555; Hilgendorf, in: LK-StGB Vor §§ 185 Rn. 30. BayObLG, NJW 1953, 554, 555; BayObLGSt 1958, 34, 35; Hilgendorf, in: LK-StGB Vor §§ 185 ff. Rn. 30; Liepmann, Einfache Beleidigung, in: VDB IV, S. 217, 349; Wagner, JuS 1978, 674, 678; Welzel, Das deutsche Strafrecht, S. 308. 348 Vgl. hierzu Foerstner, Kollektivbeleidigung, S. 53. 349 BGHSt 36, 83, 86 f. 350 Wehinger, Kollektivbeleidigung – Volksverhetzung, S. 31 f. 351 Wehinger, Kollektivbeleidigung – Volksverhetzung, S. 31 f. Deshalb ist im Rahmen des Verdachtsprinzips auch anerkannt, dass die betroffene Personenmenge zahlenmäßig überschaubar sein muss, s. o. in diesem Kapitel B. II. 2. b) bb) (1). 352 Androulakis, Sammelbeleidigung, S. 65; Wehinger, Kollektivbeleidigung – Volksverhetzung, S. 31. 347
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nicht gänzlich. Zwar mag in manchen Fällen eine Beleidigung eines Großkollektivs nicht gegen jede einzelne Person gerichtet sein, die sich grundsätzlich unter den Sammelbegriff fassen lässt. Das ist vor allem häufig bei Tatsachenbehauptungen über ein konkretes in der Vergangenheit liegendes Verhalten der Fall, wenn offensichtlich ist, dass dieses nicht allen Kollektivmitgliedern zurechenbar ist.353 Auch Pauschalurteile über bestimmte Personengruppen sind zum Teil so konzipiert, dass sie nicht die Ehre der einzelnen Personen betreffen, sondern gesellschaftliche Standards anprangern wollen und deshalb notwendigerweise Ausnahmen zulassen. Insgesamt betrachtet greift die These zumeist dann ein, wenn es sich um Angriffe handelt, in denen die inhaltliche Beleidigung mit der Gruppenbezeichnung nicht in einem inneren Zusammenhang steht. Andererseits aber kann nicht allgemein von einer „abstrakten kommunikativen Makroebene“ ausgegangen werden, „auf der eine Äußerung den Einzelnen nicht mehr erreicht“, da dies dem Äußernden eine Aussage unterstellt, die dieser möglicherweise gar nicht tätigen will.354 Gerade mit beispielsweise rassistischen Äußerungen soll nicht bezweckt werden, Ausnahmen von der selbst gesetzten Norm schon im Gesamturteil zu umfassen, auch wenn diese „vernünftigerweise“ vorliegen müssen. Die Unterstellung einer „vernünftigen“ Aussage, die vom Äußernden gar nicht gewollt wurde, verletzt sowohl die Grundsätze der Auslegung von strafrechtlich relevanten Aussagen als auch die ratio legis der Beleidigungstatbestände.355 Letztlich entscheidend kann nur sein, inwieweit jedes Mitglied des Kollektivs individuell betroffen ist. Die Aussage muss so zu verstehen sein, dass der über jedes Mitglied des Kollektivs ein individuelles Urteil abgibt.356 Um einen solchen Individualbezug feststellen zu können, ist zuerst eine eingehende Auslegung der fraglichen Äußerung in ihrem Gesamtzusammenhang erforderlich.357 Es gilt zu untersuchen, ob die Äußerung so zu verstehen ist, dass der Täter – gerade auch in einer weltanschaulichen Diskussion – einen direkten Bezug zu den jeweiligen Personen herstellen will oder sich nur zu einem gesellschaftlichen Phänomen äußern will. Der Größe der durch den Sammelbegriff bezeichneten Personenmehrheit kann dabei eine Indizfunktion zukommen.358 Denn je größer ein Kollektiv, desto schwieriger ist es, über jeden Einzelnen daraus ein individuelles Urteil fällen zu wollen. Das heißt aber nicht, dass dies etwa in Großkollektiven unmöglich wäre. Deshalb führt auch der Begriff der individuellen Überschaubarkeit leicht in die Irre. Denn schreibt etwa der 353 Androulakis, Sammelbeleidigung, S. 41, nennt etwa das Beispiel: „Die Kommunisten haben Kennedy ermordet.“ Es bedarf keiner weiteren Erörterung, dass nicht sämtliche Anhänger des Kommunismus persönlich für den Tod Kennedys verantwortlich sein können. 354 Foerstner, Kollektivbeleidigung, S. 60. 355 So auch Foerstner, Kollektivbeleidigung, S. 60. 356 Androulakis, Sammelbeleidigung, S. 79 f.; Hammeley, Kollektivbeleidigung, S. 63; Wehinger, Kollektivbeleidigung – Volksverhetzung, S. 53. 357 Wehinger, Kollektivbeleidigung – Volksverhetzung, S. 54. 358 Wehinger, Kollektivbeleidigung – Volksverhetzung, S. 54; ähnlich auch Rogall, in: SKStGB Vor § 185 Rn. 40; Wagner, JuS 1978, 674, 678.
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Täter mit einer pseudo-wissenschaftlichen Begründung jedem einzelnen Mitglied einer bestimmten Bevölkerungsgruppe bestimmte Eigenschaften zu,359 erlaubt er sich ein individuelles Urteil über jedes dieser Mitglieder und vermag deshalb jedes in seiner Individualität zu treffen.360 In eine solche Richtung geht auch der Bundesgerichtshof, wenn er die Beleidigung von Soldaten der Bundeswehr mit der Begründung bejaht, der Angeklagte habe „sein Unwerturteil mit einem Kriterium verbunden, das eindeutig allen Soldaten zuzuordnen ist, weil es ein äußeres Verhalten und ein objektives Eingebundensein in das angefochtene Kollektiv beschreibt“.361 Je enger der beleidigende Inhalt mit dem Abgrenzungskriterium des Kollektivs verbunden ist, desto leichter kann ein ausreichender Individualbezug für jeden Einzelnen angenommen werden. Ein hoher Individualbezug ist also beispielsweise dann anzunehmen, wenn bei Religionsgemeinschaften etwa das Unwerturteil über die Betroffenen direkt aus den Ursprüngen der religiösen Lehre oder aus bestimmten Gebräuchen oder Traditionen abgeleitet wird. Ein solcher Fall liegt etwa vor, wenn etwa allen Muslimen vorgeworfen wird, Terroristen zu sein, weil bereits im Koran derartige Tendenzen angelegt seien, oder behauptet wird, alle Juden billigten ungeachtet strafrechtlicher Verbote wegen anderer für sie vorrangiger Lehren im Talmud den sexuellen Missbrauch von Kindern.362 Das liegt schon darin begründet, dass diese Verbindung ein Gesamturteil realistischer erscheinen lässt363 und ein Zugeständnis möglicher Ausnahmen umso mehr ausschließt. Je stärker also „das herabsetzende Merkmal mit der Kollektivzugehörigkeit strukturell verknüpft ist, (desto mehr) steigen auch das Schutzbedürfnis oder zumindest das Schutzverlangen der Mitglieder des angegriffenen Kollektivs.“364 In die Betrachtung miteinzubeziehen ist auch die Bedeutung der Kollektivzugehörigkeit für die Persönlichkeit der Kollektivmitglieder.365 Zwar ist der Kritik zuzustimmen, dass eine Abgrenzung über allein dieses Merkmal im Einzelfall auf Grund vieler Unsicherheiten und einer erheblichen Abhängigkeit von unterschiedlichen individuellen Befindlichkeiten der Opfer nicht zu tragbaren Ergebnissen führt.366 Es ist aber vor allem im Hinblick auf 359
Etwa der Vorwurf eines jüdischen Blutserums, durch das deutsche Mädchen erkrankten, s. RG, GA 75 (1931), 295. 360 So trotz des Kriteriums der „individuellen Überschaubarkeit“, Androulakis, Sammelbeleidigung, S. 80 f.; vgl. hierzu auch Wandres, Strafbarkeit des Auschwitz-Leugnens, S. 204 ff. 361 BGHSt 36, 83, 87. 362 Vgl. hierzu BGH, NStZ-RR 2006, 305. 363 s. auch zum Kriterium der Überzeugungskraft Abel, Straf- und zivilrechtlicher Schutz, S. 138 ff. 364 Foerstner, Kollektivbeleidigung, S. 59. 365 Brunschvig, Kollektiv-Ehrverletzung, S. 31. Vgl. auch Abel, Straf- und zivilrechtlicher Schutz, S. 141, der zwischen homogenen und willkürlich gewählten Personengruppen unterscheidet. 366 So auch Androulakis, Sammelbeleidigung, S. 76; Wehinger, Kollektivbeleidigung – Volksverhetzung, S. 51. Nicht zuzustimmen ist allerdings dem Argument des ersteren, dass so die Beleidigung aller Studenten mit einer Körpergröße von 1,85 m möglich sei. Denn mag die
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den herausgearbeiteten Persönlichkeitsbezug des Bekenntnisses nicht von der Hand zu weisen, dass eine Beleidigung eines durch religiöse oder „rassische“ Kriterien definierten Kollektivs den Einzelnen eher verletzt als etwa die Abgabe eines negativen Urteils über alle Linkshänder oder alle Bewohner einer bestimmten Großstadt. Denn erstere Kriterien sind für die Identität und die Persönlichkeit des Einzelnen prägender als letztere, sodass eine diesbezügliche Diffamierung schwerwiegender wirkt und auch bei größeren Kollektiven sich eher auf den Einzelnen durchzuschlagen vermag. Im Ergebnis bleibt festzuhalten, dass die Beleidigung der Mitglieder auch von Großkollektiven grundsätzlich möglich sein sollte. Allerdings sind an eine solche hohe Anforderungen zu stellen, um sie von der pauschalen Beurteilung gesellschaftlicher Gegebenheiten abzugrenzen. Erforderlich ist, das die Mitglieder des Kollektivs individuell betroffen sein. Hierfür sind insbesondere Inhalt und Kontext der Äußerung, die Größe des Kollektivs und der Persönlichkeitsbezug des das Kollektiv bestimmenden Merkmals sowie die Stärke der Verknüpfung zwischen herabsetzender Behauptung und der Kollektivitätszugehörigkeit zu berücksichtigen. Eine solche Auslegung steht – anders als die Ablehnung einer Beleidigung von Mitgliedern von Großkollektiven – auch im Einklang mit § 194 Abs. 1 S. 2 StGB, der einen Strafantrag entbehrlich macht, wenn (bei einer öffentlichen Tat) „der Verletzte als Angehöriger einer Gruppe unter der nationalsozialistischen oder einer anderen Gewalt- und Willkürherrschaft verfolgt wurde, diese Gruppe Teil der Bevölkerung ist und die Beleidigung mit dieser Verfolgung zusammenhängt.“ cc) Mittelbare Beleidigung Die Möglichkeit einer mittelbaren oder indirekten Beleidigung in dem Sinne, dass die Verletzung der Ehre einer Person dadurch eine andere trifft, dass sie wegen einer zwischen ihnen bestehenden Beziehung auf sie übertragen werden kann (iniuria mediata), wird heute allgemein abgelehnt.367 Diese Rechtsfigur wurde früher hinzugezogen, um bei einer sexuellen Belästigung einer verheirateten Frau eine Beleidigung des Ehemanns begründen zu können.368 Eine solche Auslegung ist aber mit dem heutigen Ehrverständnis nicht zu vereinbaren,369 da dem Ehemann weder persönliche Defizite unterstellt werden, noch sein persönlicher Geltungswert herabgesetzt wird.
Körpergröße auch individuell sein und dem Einzelnen über weite Strecken seines Lebens anhaften, so ist ein ausreichender Persönlichkeitsbezug in diesem Kriterium gerade nicht zu erblicken. 367 Hilgendorf, in: LK-StGB Vor §§ 185 ff. Rn. 34 ff.; Zaczyk, in: NK-StGB Vor §§ 185 ff. Rn. 26. 368 BayObLGSt 1962, 41. 369 Arzt, JuS 1982, 717, 725; Lenckner/Eisele, in: Schönke/Schröder § 185 Rn. 10; Zaczyk, in: NK-StGB Vor §§ 185 ff. Rn. 26.
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3. Kap.: Strafbarkeit religionsfeindlicher Äußerungen in Deutschland
Davon zu unterscheiden ist die Konstellation, in der eine gegen eine Person gerichtete Äußerung auch eine andere in ihrer Ehre betrifft.370 Voraussetzung einer Strafbarkeit ist in diesen Fällen aber immer, dass die Auslegung der Äußerung nicht nur einen mittelbaren, sondern einen direkten Angriff auf die Ehre sämtlicher Betroffener ergibt.371 Die Bezeichnung als mittelbare Beleidigung ist daher in solchen Konstellationen irreführend. Das gilt auch bei der Frage, ob durch die Beleidigung eines Religionsführers „mittelbar“ auch die Gläubigen betroffen sind. Hier ist stets die Aussage dahingehend zu beleuchten, ob ihr eine direkte Herabsetzung des Geltungswerts der Gläubigen entnommen werden kann. Eine solche darf nicht unter Berufung auf eine „mittelbare Beleidigung“ unreflektiert bejaht werden. c) Ehrverletzungserfolg Wird den §§ 185 ff. StGB die Ehre als einheitliches Rechtsgut zugrunde gelegt,372 ist damit noch nichts darüber gesagt, auf welche Weise sie überhaupt verletzt werden kann. Der teilweise geäußerten Kritik, eine aus der Menschenwürde entspringende, zumindest zum Teil normativ verstandene Ehre könne durch menschliches Handeln gar nicht verletzt werden,373 ist entgegenzuhalten, dass ein aus der Menschenwürde fließender Achtungs- und Anerkennungsanspruch dem Einzelnen zwar nicht entzogen, er durch tatsächliche Eingriffe aber sehr wohl beeinträchtigt werden kann.374 Eine Verletzung des Rechtsguts der Ehre ist dabei auf verschiedene Weise möglich. So betreffen die §§ 185 ff. StGB zwar dasselbe Rechtsgut, schützen es jedoch gegen unterschiedliche Angriffsweisen375 und sind deshalb im Hinblick auf ihren Verletzungserfolg zu unterscheiden. Während die üble Nachrede nach § 186 StGB und mit ihr die Verleumdung gem. § 187, 1. Alt. StGB als Qualifikation speziell die herabsetzende Einwirkung auf das Vorstellungsbild Dritter durch die Äußerung ehrenrühriger Tatsachen berührt, ist die Beleidigung im engeren Sinne nach § 185 StGB als Auffangtatbestand376 zu verstehen. Sie erfasst damit sowohl die Äußerung herabsetzender Werturteile gegenüber dem Betroffenen oder einem Dritten als auch
370 Das Paradebeispiel hierfür ist die Bezeichnung als „Hurensohn“, die nicht nur den Betroffenen selbst, sondern auch dessen Mutter in ihrem Geltungswert verletzt, s. Wessels/ Hettinger, BT I, Rn. 477. 371 In diesem Sinne auch Hilgendorf, in: LK-StGB Vor §§ 185 ff. Rn. 34; Lenckner/Eisele, in: Schönke/Schröder § 185 Rn. 10; anders Wessels/Hettinger, BT I, Rn. 476 f. 372 s. oben in diesem Kapitel B. II. 1. 373 Amelung, in: FS Rudolphi, S. 373; Gössel/Dölling, BT I, § 29 Rn. 13; Wolff, ZStW 81 (1969), 886, 889 f.; Zaczyk, in: NK-StGB Vor §§ 185 Rn. 5. 374 Hilgendorf, in: LK-StGB Vor §§ 185 Rn. 22; Rogall, in: SK-StGB Vor § 185 Rn. 24 ff.; vgl. auch BVerfGE 87, 209, 228 – Tanz der Teufel. 375 Rogall, in: SK-StGB Vor § 185 Rn. 52. 376 Geppert, Jura 2002, 820, 823; Hilgendorf, in: LK-StGB Vor §§ 185 Rn. 43; Rengier, BT II, § 28 Rn. 4; Rogall, in: SK-StGB Vor § 185 Rn. 52.
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die Behauptung ehrenrühriger Tatsachen gegenüber dem Betroffenen selbst.377 Im Folgenden sollen daher die unterschiedlichen Verletzungshandlungen und -erfolge gesondert behandelt werden. Die Abgrenzung von Werturteilen und Tatsachenbehauptungen ist hierbei von grundlegender Bedeutung für die Anwendung der Tatbestände. aa) Ehrverletzungserfolg bei übler Nachrede und Verleumdung Sowohl § 186 StGB als auch § 187 StGB in seiner – hier allein behandelten – ersten Alternative betreffen die Mitteilung ehrenrühriger Tatsachen an einen anderen als den Betroffenen. Letzterer ist dabei als Qualifikation der üblen Nachrede zu bewerten,378 da er sowohl subjektiv als auch objektiv zum Teil höhere Anforderungen stellt.379 Bevor aber auf diese besonderen Voraussetzungen eingegangen wird, sollen zunächst die gemeinsamen Tatbestandsmerkmale herausgearbeitet werden. (1) Ehrverletzung durch Behauptung oder Verbreiten einer ehrenrührigen Tatsache gegenüber einem Dritten Beide Normen schützen den Ehrträger vor der Ermöglichung fremder Missachtung.380 Es soll verhindert werden, dass durch die Behauptung ehrenrühriger Tatsachen die Wahrnehmung seiner Person in der Öffentlichkeit verfälscht und ihm deshalb die ihm zustehende Anerkennung verweigert wird.381 So werden mittelbar die Selbstverwirklichungschancen des Betroffenen gewahrt, da die zwischenmenschliche Achtung notwendige Voraussetzung jeglicher Persönlichkeitsentfaltung in der Gesellschaft ist.382 Zwar kann eine solche Wirkung auch durch die Kundgabe von Werturteilen gegenüber Dritten erzielt werden. Jedoch wirken diese nicht in vergleichbarer Weise auf das Vorstellungsbild des Adressaten ein.383 Sie bleiben immer mit dem Makel behaftet, bloße Wertung eines anderen zu sein, und vermögen somit in geringerem Maße eine Grundlage für eigene Missachtung zu bilden. Tatsachenbehauptungen hingegen nehmen für sich Objektivität und Verifizierbarkeit in Anspruch.384 Hinzu kommt, dass bei Tatsachenbehauptungen eine im 377 Hilgendorf, in: LK-StGB Vor §§ 185 Rn. 42; Lackner/Kühl, § 185 Rn. 2; Lenckner/ Eisele, in: Schönke/Schröder § 185 Rn. 1; Regge/Pegel, in: MK-StGB § 185 Rn. 3; Rengier, BT II, § 28 Rn. 4; Zaczyk, in: NK-StGB § 185 Rn. 1. 378 Hilgendorf, in: LK-StGB Vor §§ 185 ff. Rn. 42; Rogall, in: SK-StGB § 187 Rn. 2. 379 Hilgendorf, in: LK-StGB § 187 Rn. 1. 380 BayObLG, NJW 1959, 57; BerlVGH, NJW-RR 2006, 1704, 1707; Lackner/Kühl, § 186 Rn. 2; Lenckner/Eisele, in: Schönke/Schröder § 186 Rn. 1; Rogall, in: SK-StGB § 186 Rn. 2; Zaczyk, in: NK-StGB § 186 Rn. 1. 381 Gaede, in: Matt/Renzikowski § 186 Rn. 1. 382 Gaede, in: Matt/Renzikowski § 186 Rn. 1. 383 Lenckner/Eisele, in: Schönke/Schröder § 186 Rn. 1; ebenso Fischer, § 186 Rn. 1. 384 Hilgendorf, in: LK-StGB § 185 Rn. 2.
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3. Kap.: Strafbarkeit religionsfeindlicher Äußerungen in Deutschland
Vergleich zu bloßen Werturteilen erhöhte Breitenwirkung zu erwarten ist.385 Letztlich ist auch zu berücksichtigen, dass Tatsachenbehauptungen, wie oben herausgearbeitet,386 nur in geringerem Maße vom Grundrecht der Meinungsfreiheit geschützt werden. Der gesteigerten Gefährlichkeit und geringeren Schutzwürdigkeit wird dadurch Rechnung getragen, dass § 186 StGB erleichterte Anforderungen an den Nachweis der Unwahrheit der behaupteten Tatsache stellt, während § 187 StGB eine erhöhte Strafandrohung vorsieht. Vor diesem Hintergrund ist also zunächst die Abgrenzung zwischen Tatsachenbehauptungen und Werturteilen von erheblicher Bedeutung. (a) Tatsachenbehauptungen und Werturteile Tatsachenbehauptungen sind Äußerungen, die eine oder mehrere Tatsachen zum Erklärungsgegenstand haben. Wann sich der Erklärungsinhalt als Tatsache darstellt, ist im Einzelfall nicht immer leicht zu erkennen. Nach weitgehend unbestrittener Ansicht sind Tatsachenbehauptungen Aussagen über alle konkreten wahrnehmbaren Geschehnisse der Vergangenheit oder der Gegenwart, die dem Beweis zugänglich sind.387 Zu den Tatsachen gehören auch innere Vorgänge, wie Absichten, Ziele oder Beweggründe, „aber nur dann, wenn sie in erkennbare Beziehung gesetzt werden zu bestimmten äußeren Vorgängen, durch die sie in das Gebiet der wahrnehmbaren Außenwelt getreten sind“.388 Davon zu unterscheiden sind als Werturteile oder Meinungsäußerungen389 Akte der subjektiven Stellungnahme oder evaluative Be-
385
Lenckner/Eisele, in: Schönke/Schröder § 186 Rn. 1. s. oben 2. Kapitel A. I. 1. a). Zum einerseits weiten Verständnis der Meinungsfreiheit im Verfassungsrecht und dem andererseits weiten Bereich der Tatsachenaussage im Strafrecht, s. Rühl, Tatsachen – Interpretationen – Wertungen, S. 236 f. 387 RGSt 41, 193; 55, 129, 131; BVerfGE 94, 1, 8 – Flugblatt; BGH, JR 1977, 28, 29; NJW 1994, 2614, 2615; 1998, 3047, 3048 – Stolpe; Fischer, § 186 Rn. 2; Gaede, in: Matt/Renzikowski § 186 Rn. 2; Hilgendorf, in: LK-StGB § 185 Rn. 4; Lenckner/Eisele, in: Schönke/ Schröder § 186 Rn. 3; Rogall, in: SK-StGB § 186 Rn. 6; Zaczyk, in: NK-StGB § 186 Rn. 2. 388 RGSt 41, 193, 194; in diesem Sinne auch RGSt 55, 129, 131; Gaede, in: Matt/Renzikowski § 186 Rn. 2; Lackner/Kühl, § 186 Rn. 3; Lenckner/Eisele, in: Schönke/Schröder § 185 StGB Rn. 3; Zaczyk, in: NK-StGB § 186 Rn. 2; vgl. auch BGHSt 12, 287, 291: „Bei der Beurteilung einer Äußerung als Behauptung einer inneren Tatsache oder eines bloßen Werturteils kommt es, sofern es sich wie hier um eine konkrete, dem Beweise zugängliche Tatsache handelt, grundsätzlich nicht darauf an, wie der Äußernde zu seiner Meinung oder Überzeugung gelangt ist, sondern darauf, ob seine Äußerung die innere Tatsache so deutlich umschreibt, dass auch ein nicht unterrichteter Dritter die Schlussfolgerung mit vollziehen und die einer etwaigen Wertung zugrundeliegende Tatsache erkennen kann, oder ob die Äußerung die Mitteilung solcher tatsächlicher Anhaltspunkte vermissen lässt und nicht erkennbar macht, auf welcher Tatsachengrundlage ein ausgesprochenes Werturteil beruht.“ 389 Die Begriffe Werturteil und Meinungsäußerung werden im Zusammenhang mit den Ehrverletzungsdelikten in der Regel synonym verwendet. Schon aus dem allgemeinen Sprachgebrauch ergibt sich aber, dass zwischen beiden Begriffen kleinere Unterschiede bestehen; s. hierzu ausführlich Hilgendorf, Tatsachenaussagen und Werturteile, S. 185 ff. Da Meinungsäußerungen nach allgemeinem Verständnis auch Vermutungen über Tatsachen be386
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wertungen.390 Da jedoch die positive Feststellung, ob eine Aussage eine subjektive Ansicht ausdrückt, zum Teil schwierig ist, wird kritisiert, dass die Rechtsprechung im Ergebnis häufig auf die negative Definition zurückgreift, in deren Sinne das Werturteil eben keine Tatsachenbehauptung und deswegen nicht beweisbar ist.391 Trotz der in der Theorie klar erscheinenden Definitionen kann die Abgrenzung im Einzelfall problematisch sein. Im Unterschied zur verfassungsrechtlichen Diskussion392 darf in Zweifelsfällen nicht einseitig – im Sinne eines möglichst umfassenden Grundrechtsschutzes – gegen eine Einordnung als Tatsachenbehauptung entschieden werden. Es muss stattdessen stets die Norm (also entweder §§ 186, 187 oder § 185 StGB) angewandt werden, die dem Unrecht der Äußerung entspricht. Deshalb ist bei der Abgrenzung im Rahmen der Ehrverletzungsdelikte auch immer die Systematik der Tatbestände im Blick zu halten. Eine Tatsachenbehauptung ist also dann gegeben, wenn die Äußerung dem Adressaten ein Geschehnis oder einen Zustand so darstellt, dass dieser sich auf dieser Grundlage ein eigenes Urteil über den Betroffenen zu bilden vermag.393 Das Werturteil hingegen erlaubt dem Empfänger nur die Kenntnisnahme einer fremden Stellungnahme; ihm fehlt es an einer unabhängigen Aussagekraft.394 Die besondere Schwierigkeit der Abgrenzung liegt auch darin begründet, dass die Behauptung ehrenrühriger Tatsachen zumeist eine (negative) Wertung beinhaltet, während herabsetzende Werturteile oft auf einem verifizierbaren Tatsachenkern beruhen.395 Sogenannte Mischäußerung enthalten sowohl tatsächliche als auch wertende Elemente. In einem solchen Fall ist zunächst zu untersuchen, ob beide Elemente der Äußerung trennbar sind. Eine Trennbarkeit kann jedoch nur angenommen werden, wenn Tatsachenbehauptung und Werturteil eine eigenständige Bedeutung zukommt; beispielsweise weil sie isoliert nebeneinanderstehen, die Wertung nicht aus den genannten Tatsachen abgeleitet werden kann oder weil im Fall eines „Wertungsexzesses“ der Äußernde aus den Tatsachen eine andere oder weiterführende Wertung zieht als eine allgemein anerkannte und nachvollziehbare.396 Dann können sowohl § 185 als auch §§ 186, 187 StGB erfüllt sein.397 Stehen die tatsächlichen und die wertenden Elemente einer Aussage hingegen in einem inneren inhalten, soll hier zumindest für den strafrechtlichen Bereich an dem Begriff des Werturteils festgehalten werden. 390 Hilgendorf, in: LK-StGB § 185 Rn. 3. 391 Stegmann, Tatsachenbehauptung und Werturteil, S. 223. 392 s. hierzu oben 2. Kapitel A. I. 1. a). 393 Grimm, NJW 1995, 1697, 1702; Zaczyk, in: NK-StGB § 186 Rn. 2. Vgl. auch Hilgendorf, Tatsachenaussagen und Werturteile, S. 111, der zur Abgrenzung im Wesentlichen auf die Gefährlichkeit der Äußerung für das geschützte Rechtsgut abstellen will. 394 Grimm, NJW 1995, 1697, 1702; Zaczyk, in: NK-StGB § 186 Rn. 2. 395 Hilgendorf, in: LK-StGB § 185 Rn. 6. 396 Lenckner/Eisele, in: Schönke/Schröder § 186 Rn. 4; Regge/Pegel, in: MK-StGB § 186 Rn. 13. 397 Zu den Konkurrenzen in einem solchen Fall s. unten in diesem Kapitel B. II. 2. c) cc).
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Zusammenhang, ist mit der Rechtsprechung im Wege einer Gesamtbetrachtung die Äußerung in ihrem Kontext zu beleuchten und zu untersuchen, welches der Elemente schwerpunktmäßig betroffen ist.398 Dabei müssen vor allem die Systematik der Ehrverletzungsdelikte und die daraus resultierenden unterschiedlichen Schutzrichtungen der einzelnen Normen zu berücksichtigen.399 Von Bedeutung für den Schwerpunkt einer Aussage ist insbesondere die Substantiiertheit der tatsächlichen Bestandteile.400 Daraus ergibt sich, dass auch ein Pauschalurteil (wie etwa Dieb, Lügner etc.) zwar in der Regel ein Werturteil darstellt, es sei denn, es wird erkennbar in Beziehung zu einer hinreichend substantiierten tatsächlichen Basis gesetzt.401 Sofern eine Äußerung einen ausreichend bestimmten Tatsachenkern enthält, wird eine Zuordnung zu §§ 186, 187 StGB auch nicht dadurch verhindert, dass sie gleichzeitig eine daraus resultierende Bewertung des Geschehens enthält.402 Von einem Werturteil ist hingegen auszugehen, wenn der tatsächliche Gehalt der Aussage so substanzarm ist, dass dieser Tatsachenkern von den ebenfalls enthaltenen subjektiven Wertungen völlig in den Hintergrund gedrängt wird.403 Führen diese Interpretationshilfen nicht zu einer eindeutigen Zuordnung, ist im Zweifel von einem – für den Täter regelmäßig vorteilhafteren – Werturteil auszugehen.404
398 BVerfGE 61, 1, 9 – NPD Europas; 85, 1, 15 f. – Bayer-Aktionäre; 90, 241, 248 – Auschwitzlüge; BGHSt 6, 159, 162 f.; BGH, NJW 1955, 311; NJW 1971, 1655, 1656; OLG München, NJW 1996, 2515; Fischer, § 186 Rn. 3; Lenckner/Eisele, in: Schönke/Schröder § 186 Rn. 4; Otto, JR 1983, 1, 5; Regge/Pegel, in: MK-StGB § 186 Rn. 10; Tiedemann, ZIP 2004, 294, 297; krit. Hilgendorf, Tatsachenaussagen und Werturteile, S. 184. 399 Hilgendorf, Tatsachenaussagen und Werturteile, S. 111; Schneider, in: Dölling/Duttge/ König/Rössner § 186 StGB Rn. 4; Zaczyk, in: NK-StGB § 186 Rn. 2. 400 BVerfGE 61, 1, 9 – NPD Europas; 66, 116, 149 f. – Springer/Wallraff; BGHZ 45, 296, 304 – Höllenfeuer; BGH, NJW 1987, 2225, 2226; Stegmann, Tatsachenbehauptung und Werturteil, S. 248. 401 RGSt 68, 120, 121 f.; BGHSt 12, 287, 291; BayObLGSt 63, 174, 177; BayObLG, NJW 1995, 2501, 2502; OLG Karlsruhe, NJW-RR 2003, 688, 690; Hilgendorf, in: LK-StGB § 185 Rn. 4; Hirsch, Ehre und Beleidigung, S. 212; Maurach/Schroeder/Maiwald, BT I, § 25 Rn. 25; Lenckner/Eisele, in: Schönke/Schröder § 186 Rn. 4; Otto, JR 1983, 1, 5; Rogall, in: SK-StGB § 186 Rn. 8; Tenckhoff, JuS 1988, 618, 619; Zaczyk, in: NK-StGB § 186 Rn. 3. 402 BGHSt 12, 287, 291; BGHZ 139, 95, 99; OLG Brandenburg, NJW-RR 2012, 1191, 1192; OLG Celle, NJW 1988, 353, 354; OLG Karlsruhe, NJW-RR 1995, 477, 478; Lenckner/ Eisele, in: Schönke/Schröder § 186 Rn. 4; Rogall, in: SK-StGB § 186 Rn. 9. 403 BVerfGE 61, 1, 9 – NPD Europas; BVerfG, NJW 1984, 1741, 1745; BGH, ZUM 1992, 542, 544 f.; OLG Hamburg, NJW 1992, 2035; KG, NStZ-RR 2013, 8; LG Saarbrücken, NJWRR 1993, 730; Lenckner/Eisele, in: Schönke/Schröder § 186 Rn. 4; Regge/Pegel, in: MK-StGB § 186 Rn. 12. 404 AG Pforzheim, NStZ-RR 2003, 202, 203; Fischer, § 186 Rn. 3a; Gaede, in: Matt/ Renzikowski § 186 Rn. 4; Sinn, in: Satzger/Schluckebier/Widmaier § 186 Rn. 8; anders noch BGHZ 3, 270, 273. Dabei ist zu beachten, dass eine Einordnung als Werturteil für den Täter nachteilig sein kann, wenn auf Grund des fehlenden Tatsachenbezugs leichter eine den Grundrechtsschutz mindernde Schmähkritik angenommen werden kann, s. BayObLG, NStZRR 2002, 210, 211; Regge/Pegel, in: MK-StGB § 186 Rn. 8.
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Grundsätzlich ist die Einordnung als Tatsachenbehauptung oder Werturteil eine Tatfrage, die dem Tatrichter überlassen ist.405 Sie ist aber auch voll revisionsrechtlich überprüfbar.406 Auf Grund der Grundrechtserheblichkeit behält sich das Bundesverfassungsgericht darüber hinaus ein Überprüfungsrecht sowohl über die Deutung der Äußerung407 als auch über die Einordnung als Tatsachenbehauptung oder Werturteil408 vor. Denn auch eine falsche Einordnung kann unter Umständen das Recht auf freie Meinungsäußerung des Täters verletzen, wenn ihm deshalb etwa der Wahrheitsbeweis abgeschnitten wird oder ihm das Grundrecht durch eine Einordnung als Tatsachenbehauptung nicht oder nur eingeschränkt gewährleistet wird. (b) Ehrenrührigkeit der Tatsache Die behauptete oder verbreitete Tatsache muss geeignet sein, den Betroffenen verächtlich zu machen oder in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen. Zwischen den beiden Alternativen besteht kein sachlicher Unterschied;409 beide betreffen Tatsachen, die auf die Ehre des Betroffenen negativ einwirken, also ehrenrührig sein. Wie auch die Formulierung „in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen“ andeutet, ist bei der Bewertung der Ehrenrührigkeit nicht auf einzelne besondere Kreise oder gar die Einschätzung des Betroffenen selbst, sondern auf die Anschauungen eines größeren Teils der Bevölkerung abzustellen.410 Bestehen keine gefestigten gesellschaftlichen Anschauungen oder verstoßen sie gegen die Bewertungen der allgemeinen Rechtsordnung, so sind letztere bei der Beurteilung heranzuziehen.411 Denn die Rechtsordnung darf nicht gesellschaftliche – unberechtigte – Ressentiments bestätigen, indem sie eine neutrale Tatsache als ehrverletzend aner405 BGH, JR 1977, 28; OLG Frankfurt, NJW 2003, 77; Hilgendorf, Tatsachenaussagen und Werturteile, S. 183; Lackner/Kühl, § 186 Rn. 3; Regge/Pegel, in: MK-StGB § 186 Rn. 7. 406 BGHSt 6, 357, 359; Hilgendorf, in: LK-StGB § 185 Rn. 9; Regge/Pegel, in: MK-StGB § 186 Rn. 8. 407 BVerfGE 43, 130, 136 f. – Flugblatt; 54, 129, 136 ff. – Kunstkritik; 61, 1, 6, 9 f. – NPD Europas; 82, 43, 50, 52 – Strauß-Transparent; 82, 272, 280 f. – Zwangsdemokrat; 85, 1, 13 f. – Bayer-Aktionäre; 93, 266, 296 – Soldaten sind Mörder; s. hierzu auch oben in diesem Kapitel A. I. 1. 408 BVerfGE 60, 234, 242 – Kredithaie; 61, 1, 9 f. – NPD Europas; 82, 43, 51 – StraußTransparent; 82, 272, 281 – Zwangsdemokrat; 85, 1, 14 – Bayer-Aktionäre; vgl. auch BVerfGE 94, 1, 8 f. – Flugblatt: „Die Einstufung einer Äußerung als Werturteil oder Tatsachenbehauptung durch die Fachgerichte wird wegen ihrer Bedeutung für den Schutzumfang des Grundrechts sowie für die Abwägung mit kollidierenden Rechtsgütern vom BVerfG nachgeprüft.“ 409 Fischer, § 186 Rn. 4; Zaczyk, in: NK-StGB § 186 Rn. 5. Lenckner/Eisele, in: Schönke/ Schröder § 186 Rn. 5; Regge/Pegel, in: MK-StGB § 186 Rn. 14, sehen zwar eine inhaltliche Differenzierung, die sich jedoch im Ergebnis nicht auswirkt. 410 BVerfGE 114, 339, 348 – Stolpe; Lenckner/Eisele, in: Schönke/Schröder § 186 Rn. 5; Regge/Pegel, in: MK-StGB § 186 Rn. 14; Rogall, in: SK-StGB § 186 Rn. 11. 411 BGHSt 8, 325, 326; 11, 329, 331; Lenckner/Eisele, in: Schönke/Schröder § 186 Rn. 5; Rogall, in: SK-StGB § 186 Rn. 11; vgl. auch OLG Karlsruhe, NJW 2005, 612, 614.
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3. Kap.: Strafbarkeit religionsfeindlicher Äußerungen in Deutschland
kennt.412 So darf etwa eine Bezeichnung als Jude nicht als ehrenrührige Tatsache behandelt werden.413 Enthält die Äußerung aber eine eigene negative Bewertung des Äußernden, muss immer an eine mögliche Begehung von § 185 StGB gedacht werden.414 Indem die Normen allein auf die Eignung zur Ehrverletzung abstellen, ist ein tatsächlicher Ehrverletzungserfolg nicht zu verlangen. Zum Teil werden die Normen deshalb als abstrakte Gefährdungsdelikte eingestuft.415 Es spricht allerdings unter Berücksichtigung ihrer Schutzrichtung einiges dafür, auch eine konkrete Eignung zu verlangen.416 Daran mangelt es, wenn sich aus den Umständen des Einzelfalls ergibt, dass die Äußerung ausnahmsweise nicht geeignet ist, die Ehre des Betroffenen zu beeinträchtigen. (c) Tathandlung Die ehrenrührige Tatsache muss gegenüber einem Dritten behauptet oder verbreitet werden. Wer etwas behauptet, der stellt es – ausdrücklich oder konkludent – als nach seiner Überzeugung richtig dar.417 Nicht von Bedeutung ist, ob es als Ergebnis eigener oder fremder Wahrnehmung oder Schlussfolgerung beschrieben wird.418 Wird allerdings lediglich eine fremde Wahrnehmung oder Mitteilung weitergegeben, ist erforderlich, dass der Täter sich die Aussage erkennbar zu eigen macht, indem es an einer Distanzierung fehlt.419 Nicht ausreichend ist, dass die fragliche Tatsache lediglich als möglich beschrieben wird;420 einschränkende For412
Fischer, § 186 Rn. 6; Gaede, in: Matt/Renzikowski, § 186 Rn. 8. BGHSt 8, 325, 326. 414 BGHSt 8, 325, 326; Fischer, § 186 Rn. 6; Gaede, in: Matt/Renzikowski, § 186 Rn. 8. 415 Gössel/Dölling, BT I, § 31 Rn. 8; Hilgendorf, in: LK-StGB § 186 Rn. 10; Kaspar, JuS 2005, 526, 527; Kindhäuser, § 186 Rn. 1; Lenckner/Eisele, in: Schönke/Schröder § 186 Rn. 5; Regge/Pegel, in: MK-StGB § 186 Rn. 15; Rengier, BT II, § 29 Rn. 11; Tenckhoff, JuS 1988, 618, 622. 416 Fischer, § 186 Rn. 5; Gaede, in: Matt/Renzikowski, § 186 Rn. 6; Rogall, in: SK-StGB § 186 Rn. 11; Zaczyk, in: NK-StGB § 186 Rn. 6; Zieschang, Gefährdungsdelikte, S. 301 f.; zu § 187 StGB auch Arzt, JuS 1982, 717, 720; weiter Hoyer, Eignungsdelikte, S. 142. Dabei wird zum Teil noch zwischen den Bezeichnungen abstrakt-konkretes Gefährdungsdelikt, konkretes Gefährlichkeitsdelikt bzw. potentielles Gefährdungsdelikt differenziert. 417 Fischer, § 186 Rn. 8; Hilgendorf, in: LK-StGB § 186 Rn. 7; Lackner/Kühl, § 186 Rn. 5; Lenckner/Eisele, in: Schönke/Schröder § 186 Rn. 7; Regge/Pegel, in: MK-StGB § 186 Rn. 17; Rogall, in: SK-StGB § 186 Rn. 13; Zaczyk, in: NK-StGB § 186 Rn. 8. 418 BGHSt 14, 48, 49; BGHZ 132, 13, 18 f.; Hilgendorf, in: LK-StGB § 186 Rn. 7; Lenckner/Eisele, in: Schönke/Schröder § 186 Rn. 7; Rogall, in: SK-StGB § 186 Rn. 13; Regge/ Pegel, in: MK-StGB § 186 Rn. 17; Zaczyk, in: NK-StGB § 186 Rn. 8; anders Maurach/ Schröder/Maiwald, BT I, § 25 Rn. 28. 419 BGHZ 132, 13, 18 f.; BGH, NJW 1997, 1148, 1149; Lenckner/Eisele, in: Schönke/ Schröder § 186 Rn. 7. 420 Lenckner/Eisele, in: Schönke/Schröder § 186 Rn. 7; Regge/Pegel, in: MK-StGB § 186 Rn. 17. 413
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mulierungen wie „ich glaube“, „meines Erachtens“ oder „wahrscheinlich“ oder auch als rhetorische Fragen hindern die Annahme einer Behauptung hingegen nicht.421 Dem Verbreiten als zweiter Alternative fehlt hingegen das Element der persönlichen Stellungnahme des Äußernden; es handelt sich um die bloße Übermittelung einer Tatsache als Gegenstand fremden Wissens oder Behauptens.422 Es genügt auch die Weitergabe eines als solches bezeichneten Gerüchts,423 es sei denn, der Äußernde tritt ihm ernsthaft und begründet entgegen. Dann ist der Schutzzweck des § 186 StGB nicht betroffen, sodass nach richtiger Ansicht schon der Tatbestand verneint werden sollte.424 Aus der systematischen Beziehung zu §§ 186 a.E., 187 a.E. StGB ergibt sich, dass für den jeweiligen Grundtatbestand die Verbreitung an nur eine weitere Person ausreichend ist.425 Das Behaupten oder Verbreiten einer ehrenrührigen Tatsache muss nach dem Wortlaut der Vorschriften in Bezug auf einen Dritten erfolgen. Kundgabeempfänger und Betroffener dürfen demnach nicht personenidentisch sein;426 die Behauptung ehrenrühriger Tatsachen ausschließlich gegenüber dem Betroffenen wird nach ganz herrschender Meinung nur von § 185 StGB erfasst. Das Opfer der üblen Nachrede 421 BVerfGE 85, 23, 27 – Rhetorische Fragen; RGSt 60, 373, 374 f.; 67, 268, 270; OLG Braunschweig, NJW 1956, 194; OLG Köln, NJW 1962, 1121, 1122; NJW 1963, 1634; OLG Hamm, NJW 1971, 853; OLG München, NJW 1993, 2998, 2999; Fischer, § 186 Rn. 8; Gössel/ Dölling, BT I, § 31 Rn. 17; Regge/Pegel, in: MK-StGB § 186 Rn. 17; Rogall, in: SK-StGB § 186 Rn. 13; Zaczyk, in: NK-StGB § 186 Rn. 8. 422 RGSt 38, 368 f.; Fischer, § 186 Rn. 9; Hansen, JR 1974, 406 ff., Hilgendorf, in: LKStGB § 186 Rn. 8; Lenckner/Eisele, in: Schönke/Schröder § 186 Rn. 8; Regge/Pegel, in: MKStGB § 186 Rn. 18; Rogall, in: SK-StGB § 186 Rn. 15; Zaczyk, in: NK-StGB § 186 Rn. 9; nach a.A. soll ein „in einen weiteren Umkreis gelangen lassen“ genügen, Streng, GA 1985, 214, 222. 423 RGSt 22, 221, 223; 38, 368, 369; BGHSt 18, 182, 183; OLG Hamm, NJW 1953, 596; Fischer, § 186 Rn. 9; Hilgendorf, in: LK-StGB § 186 Rn. 8; Lackner/Kühl, § 186 Rn. 5; Lenckner/Eisele, in: Schönke/Schröder § 186 Rn. 8; Regge/Pegel, in: MK-StGB § 186 Rn. 18; Rogall, in: SK-StGB § 186 Rn. 15; Zaczyk, in: NK-StGB § 186 Rn. 10. 424 So auch BGHZ 132, 13, 19; LG Hamburg, NJW 1998, 3650, 3651; Gaede, in: Matt/ Renzikowski, § 186 Rn. 10; Regge/Pegel, in: MK-StGB § 186 Rn. 18; Rogall, in: SK-StGB § 186 Rn. 15; Zaczyk, in: NK-StGB § 186 Rn. 10. Die überwiegende Rechtsprechung hingegen lässt in diesen Fällen regelmäßig erst den subjektiven Tatbestand entfallen, in der Literatur wird wohl zumeist eine Rechtfertigung über § 193 StGB (Hilgendorf, in: LK-StGB § 186 Rn. 8; Hansen, JR 1974, 406, 409; wohl auch Fischer, § 186 Rn. 9) bzw. über eine (mutmaßliche) Einwilligung (Lackner/Kühl, § 186 Rn. 5; Lenckner/Eisele, in: Schönke/Schröder § 186 Rn. 8) befürwortet. 425 RGSt 30, 224, 225 f.; Fischer, § 186 Rn. 9; Lackner/Kühl, § 186 Rn. 5; Hilgendorf, in: LK-StGB § 186 Rn. 9; Lenckner/Eisele, in: Schönke/Schröder § 186 Rn. 8; Regge/Pegel, in: MK-StGB § 186 Rn. 18; Rogall, in: SK-StGB § 186 Rn. 15; Zaczyk, in: NK-StGB § 186 Rn. 10. 426 RGSt 29, 40, 41; 41, 61, 62; BayObLG, NJW 1959, 57; OLG Köln, NJW 1964, 2121, 2122; Fischer, § 186 Rn. 10; Hilgendorf, in: LK-StGB § 186 Rn. 5; Lackner/Kühl, § 186 Rn. 6; Lenckner/Eisele, in: Schönke/Schröder § 186 Rn. 9. Ist der Betroffene nur einer mehrerer Adressaten, ändert das nichts an der grundsätzlichen Einschlägigkeit von §§ 186, 187 StGB. Zum Verhältnis zu § 185 StGB in dieser Konstellation, s. unten in diesem Kapitel B. II. 2. c).
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3. Kap.: Strafbarkeit religionsfeindlicher Äußerungen in Deutschland
muss nicht namentlich genannt werden, es muss für den Adressaten aber identifizierbar sein.427 (2) Weitere Voraussetzungen der üblen Nachrede § 186 StGB stellt die Behauptung oder Verbreitung ehrenrühriger Tatsachen unter Strafe, sofern diese Tatsachen nicht erweislich wahr sind. Die genannten Tatbestandsmerkmale müssen somit sowohl objektiv als auch subjektiv vorliegen. Erforderlich ist also mindestens dolus eventualis bezüglich der Ehrenrührigkeit der Tatsache und der Kenntnisnahme durch einen Dritten. Eine besondere Beleidigungsabsicht ist nicht zu verlangen.428 (a) Die Nichterweislichkeit der Tatsache Darüber hinaus verlangt der Tatbestand nur noch, dass die behauptete Tatsache nicht erweislich wahr ist. Einigkeit besteht darüber, dass bei gelungenem Wahrheitsbeweis eine Strafbarkeit des Äußernden nicht in Betracht kommt.429 Anhand dieser Voraussetzung des Gesetzgebers wird deutlich, dass im Ergebnis nur ein verdienter Achtungsanspruch strafrechtlich geschützt ist.430 Indem die Behauptung erweislich wahrer ehrenrühriger Tatsachen straflos bleibt, entbehrt ein rein faktischer Ehrbegriff, der ausschließlich auf den tatsächlichen Geltungswert einer Person in der Gesellschaft umfasst, einer gesetzlichen Verankerung. Umstritten ist allerdings die Einordnung der Erweislichkeit der Tatsache. Klassischerweise wird die Nichterweislichkeit als objektive Bedingung der Strafbarkeit behandelt.431 Dass auf diese Weise die Behauptung einer ehrenrührigen Tatsache allein als strafrechtliches Unrecht bewertet wird, unabhängig davon, ob sie der Wahrheit entspricht oder nicht und ob der Äußernde sie für wahr hält oder nicht, rief allerdings schon früh Kritik hervor.432 Aber weder der Vorschlag, die Nichterweislichkeit als Tatbestandsmerkmal einzuordnen,433 noch derjenige, ein zusätzliches 427 BGHSt 14, 48, 49 f.: Gaede; in: Matt/Renzikowski, § 186 Rn. 11; Lenckner/Eisele, in: Schönke/Schröder § 186 Rn. 9; Rogall, in: SK-StGB § 186 Rn. 16; Regge/Pegel, in: MK-StGB § 186 Rn. 20; Zaczyk, in: NK-StGB § 186 Rn. 13. 428 Regge/Pegel, in: MK-StGB § 186 Rn. 23. 429 Fischer, § 186 Rn. 11; Gaede, in: Matt/Renzikowski § 186 Rn. 13; Lackner/Kühl, § 186 Rn. 7a; Lenckner/Eisele, in: Schönke/Schröder § 186 Rn. 10; Regge/Pegel, in: MK-StGB § 186 Rn. 25; Rogall, in: SK-StGB § 186 Rn. 18; Zaczyk, in: NK-StGB § 186 Rn. 23. 430 Hirsch, in: FS Wolff, S. 125, 145. 431 BGHSt 11, 273, 274; Arzt, JuS 1982, 717, 721; Geppert, Jura 2002, 820, 822; Gössel/ Dölling, BT I, § 31 Rn 30 ff.; Helle, NJW 1964, 841, 842; Kaspar, JuS 2005, 526, 527; Lackner/ Kühl, § 186 Rn. 7 f.; Lenckner/Eisele, in: Schönke/Schröder § 186 Rn. 10; Rengier, BT II, § 29 Rn. 9; Satzger, Jura 2006, 108, 109; Schneider, in: Dölling/Duttge/König/Rössner § 186 StGB Rn. 13; Tenckhoff, JuS 1988, 618, 620. 432 Hirsch, Ehre und Beleidigung, S. 154; Welzel, Das deutsche Strafrecht, S. 313 f.; Wolff, ZStW 81 (1969), 886, 906. 433 Binding, Lehrbuch BT I, S. 158 f.
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Tatbestandsmerkmal der Unwahrheit der Tatsache hinzuzufügen,434 konnten sich durchsetzen. Nach der herrschenden Meinung ist also für eine Strafbarkeit nach § 186 StGB ausschließlich die objektive Nichterweislichkeit der behaupteten Tatsache erforderlich. Ob der Täter von der Wahrheit oder sogar von der Erweislichkeit der Tatsache ausging und ob er alle zumutbaren Maßnahmen getroffen hat, um die Wahrheit zu ermitteln, ist unerheblich. Dies wird von einer vordringenden Meinung im Schrifttum heftig kritisiert. Das Sprechen über wahre ehrenrührige Tatsachen sei Teil des Alltagslebens und dürfe nicht kriminalisiert werden.435 Indem die Strafbarkeit nur von der Erweislichkeit der Tatsache abhinge, werde der Tatbestand unrechtsindifferent und erhielte sein eigentliches Unrecht erst durch die objektive Bedingung der Strafbarkeit.436 Er sei daher mit dem verfassungsrechtlich verankerten Schuldprinzip unvereinbar.437 Diese Ansicht verlangt daher eine Einschränkung des Tatbestands dahingehend, dass sich der Täter in Bezug auf die Möglichkeit der Unwahrheit sorgfaltswidrig verhalten hat.438 Danach entspräche das Behaupten von Tatsachen, die der Äußernde mit verkehrsüblicher und zumutbarer Sorgfalt auf ihre Richtigkeit hin überprüft hat, schon nicht mehr dem Tatbestand der üblen Nachrede. Dieser Ansicht ist jedoch im Ergebnis nicht zuzustimmen. Zunächst ist festzustellen, dass der Gesetzgeber genau diese Konstruktion mit einer objektiven Bedingung der Strafbarkeit gewollt und bezweckt hat.439 Zwar ist der Gegenansicht zuzugestehen, dass die bloße Behauptung ehrenrühriger Tatsachen ohne Berücksichtigung der Wahrheit oder Unwahrheit für sich genommen noch kein strafwürdiges Unrecht enthält. Dem wird allerdings durch die objektive Bedingung der Strafbarkeit Rechnung getragen, die verhindert, dass die Behauptung wahrer Tatsachen strafrechtlich sanktioniert wird. Nicht zuzustimmen ist der Auffassung zudem in der Annahme, dass es in diesen Konstellationen am erforderlichen Unrechtsgehalt fehle, weil die Verletzung des verdienten Achtungs434
Beling, Üble Nachrede, S. 8; Bemmann, MDR 1956, 387 ff.; Sax, JZ 1976, 429, 434 ff. Hilgendorf, in: LK-StGB § 186 Rn. 12; Hirsch, Ehre und Beleidigung, S. 153 ff.; ders., ZStW 90 (1978), 978, 982; ders., in: FS Wolff, S. 125, 146; s. auch schon Stratenwerth, ZStW 71 (1959), 565, 577. 436 Küpper, JA 1985, 453, 459; Welzel, Das deutsche Strafrecht, S. 314. 437 Binding, Lehrbuch BT I, S. 158 f.; Beling, Üble Nachrede, S. 10 ff.; Kaufmann, ZStW 72 (1960), 418, 437; Stratenwerth, ZStW 71 (1959), 565, 577; Welzel, Das deutsche Strafrecht, S. 313 f.; vgl. auch Gallas, in: Niederschriften IX, S. 25; Jescheck, ebenda, S. 33; krit. zu einem Verstoß gegen das Schuldprinzip Rudolphi/Rogall, in: SK-StGB § 186 Rn. 23. 438 Grundlegend Hirsch, Ehre und Beleidigung, S. 168 ff.; ders., ZStW 90 (1978), 978, 980 ff., ders., in: FS Wolff, S. 125, 143 ff.; zust. Fischer, § 186 Rn. 13a; Gaede, in: Matt/ Renzikowski § 186 Rn. 13; Geisler, Vereinbarkeit objektiver Strafbarkeitsbedingungen, S. 437 ff.; Hilgendorf, in: LK-StGB § 186 Rn. 4, 11; Jakobs, AT, § 10 Rn. 2; Karpf, Begrenzung des strafrechtlichen Schutzes der Ehre, S. 68 ff.; Kindhäuser, Gefährdung als Straftat, S. 305 ff.; Küpper, JA 1985, 453, 459; Regge/Pegel, in: MK-StGB § 186 Rn. 30; Streng, GA 1985, 214, 226; Wessels/Hettinger, BT I, Rn. 501; Wolff, ZStW 81 (1969), 886, 907; Zaczyk, in: NK-StGB § 186 Rn. 19; ebenso Rogall, in: SK-StGB § 186 Rn. 20 ff., der diese Auslegung allerdings mit dem geltenden Recht für unvereinbar hält. 439 RGSt 8, 171; Rogall, in: SK-StGB § 186 Rn. 24; v. Schwarze, GS 32 (1880), 561, 564. 435
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3. Kap.: Strafbarkeit religionsfeindlicher Äußerungen in Deutschland
anspruchs ausgeschlossen sei, wenn der Äußernde zuvor hinreichende Maßnahmen getroffen hat, um den Wahrheitsgehalt der Aussage zu ermitteln. Denn das geschützte Rechtsgut, das Recht der persönlichen Ehre, wird durch eine pflichtgemäße unwahre Tatsachenbehauptung ebenso tangiert wie durch eine pflichtwidrige. Solange der Äußernde sich nicht versichern konnte, dass seine Aussage tatsächlich der Wahrheit entspricht, ist ihm dieses Unrecht auch vorzuwerfen. Daher kann auch das vorgebrachte Argument, dass Fragen, die schon das betroffene Rechtsgut selbst anbelangen, nicht erst der Rechtfertigung, sondern schon dem Tatbestand zuzuordnen seien,440 vorliegend nicht greifen. Zwar sollen die Ehrverletzungsdelikte unberechtigte Beeinträchtigungen der Ehre unter Strafe stellen, nicht aber verhindern, dass ehrrelevante Tatsachen Gegenstand gesellschaftlicher Kommunikation werden.441 Dieses Ziel kann jedoch ebenso gut über den Weg einer Rechtfertigung erreicht werden.442 Es dreht sich eben nicht um die Frage, ob eine in gutem Glauben geäußerte ehrenrührige Aussage das Recht der persönlichen Ehre des Betroffenen nicht beeinträchtigt, denn das würde die tatbestandliche Handlung mit dem abstrakt zu bestimmenden Rechtsgut vermischen. Stattdessen soll eine gutgläubige Äußerung deswegen und nur dann straflos sein, weil an ihr ein besonderes Interesse besteht, etwa die Information der Öffentlichkeit oder – beispielweise bei der Äußerung eines Verdachts bzgl. einer Straftat – das öffentliche Strafverfolgungsinteresse. Eine solche Interessenabwägung ist jedoch keine Frage des Tatbestands, sondern erst der Rechtfertigung. Dabei ist jedoch das entgegenstehende – grundrechtlich geschützte – Interesse (insbesondere auch der Meinungsfreiheit) im Rahmen des Rechtfertigungsgrunds umfassend zu berücksichtigen.443 Fehlt es hingegen an einem schutzwürdigen Interesse, ist dem Täter zuzumuten, die Risiken des Beweisverfahrens zu tragen.444 Die böswillige Verbreitung einer nicht erwiesenen ehrenrührigen Tatsache, ohne dass damit ein schützenswertes Interesse verfolgt wird, erscheint selbst bei Gutgläubigkeit des Äußernden bezüglich des Wahrheitsgehalts nicht schutzwürdig. Der Wahrheit der behaupteten Tatsachen kommt demnach nur im Rahmen der objektiven Bedingung der Strafbarkeit Bedeutung zu. Um den Angeklagten zu entlasten, muss also positiv festgestellt werden, dass die behaupteten Tatsachen der Realität entsprechen. Nicht erforderlich ist ein Beweis der Wahrheit aller Einzelheiten,445 es genügt die Feststellung eines Wahrheitskerns. Dabei obliegt dem An440 441 442
583 f.
Hirsch, in: FS Wolff, S. 125, 147. Hirsch, in: FS Wolff, S. 125, 146 f. Amelung, Ehre als Kommunikationsvoraussetzung, S. 63; Geppert, Jura 1983, 580,
443 Auf diesem verhältnismäßig strengen Verständnis des Tatbestands des § 186 StGB folgt schließlich eine weite Auslegung des Rechtfertigungsgrundes, s. dazu unten in diesem Kapitel B. II. 2. d) bb). 444 So auch schon v. Lilienthal, Üble Nachrede und Verleumdung, in: VDB IV, S. 375, 456. 445 RGSt 55, 129, 132; 62, 83, 95; BGHSt 18, 182, 183; Lenckner/Eisele, in: Schönke/ Schröder § 186 Rn. 15; Zaczyk, in: NK-StGB § 186 Rn. 24.
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geklagten auf Grund des geltenden Amtsermittlungsgrundsatzes (§§ 155 Abs. 2, 244 Abs. 2 StPO) zwar nicht die Beweislast, er trägt aber das volle Beweisrisiko.446 Zu beachten ist, dass auch bei gelungenem Wahrheitsbeweis die Möglichkeit einer Bestrafung wegen Formalbeleidigung nach § 192 StGB auf Grund der besonders beleidigenden Form oder Umstände besteht. (b) Qualifikation: Öffentliche Äußerung oder Verbreitung von Schriften Als Qualifikation sieht § 186 a.E. StGB eine Verschärfung der Strafe vor, wenn die Tat öffentlich oder durch die Verbreitung von Schriften erfolgt. Dahinter steht die Überlegung, dass die Gefahr fremder Missachtung bei diesen Begehungsweisen ein unkontrollierbares Ausmaß erreicht.447 Öffentlich erfolgt eine üble Nachrede, wenn sie von einem größeren, nach Zahl und Individualität unbestimmten oder nicht durch nähere Beziehung verbundenen Personenkreis unmittelbar wahrgenommen werden kann.448 Eine tatsächliche Kenntnisnahme der Personenmehrheit ist dabei nach allgemeiner Meinung nicht erforderlich, wohl aber ihre konkrete Möglichkeit.449 Daher muss ein entsprechender Personenkreis mindestens anwesend sein.450 Ebenso ist deshalb die Öffentlichkeit oder Nichtöffentlichkeit des Tatortes für sich allein genommen nicht ausschlaggebend.451 Nicht erfasst sind Äußerungen in einer geschlossenen Versammlung „innerlich verbundener“ Mitglieder, da dann dieses Kollektiv den einzigen Empfänger darstellt.452 Voraussetzung ist aber, dass keine unbeteiligten Dritten anwesend sind.453 Entscheidend ist, dass die Anforderungen an die Öffentlichkeit schon im Moment der Äußerung erfüllt sind; ein nachträgliches Bekanntwerden genügt nicht.454 Schriftliche Äußerungen sind öffentlich, wenn der Täter einer unbestimmten Anzahl Dritter die naheliegende Möglichkeit zur Kennt-
446 Arzt, JuS 1982, 717, 721; Fischer, § 186 Rn. 11; Hilgendorf, in: LK-StGB § 186 Rn. 12; Lackner/Kühl, § 186 Rn. 7a; Regge/Pegel, in: MK-StGB § 186 Rn. 31; Zaczyk, in: NK-StGB § 186 Rn. 23. 447 Regge/Pegel, in: MK-StGB § 186 Rn. 34; Zaczyk, in: NK-StGB § 186 Rn. 26. 448 RGSt 38, 207, 208; 42, 112, 113; 63, 431, 432; KG, JR 1984, 249; Fischer, § 186 Rn. 16; Franke, GA 1984, 452, 458 f.; Hilgendorf, in: LK-StGB § 186 Rn. 13; Lenckner/Eisele, in: Schönke/Schröder § 186 Rn. 19; Zaczyk, in: NK-StGB § 186 Rn. 27. 449 Gaede, in: Matt/Renzikowski § 186 Rn. 15; Regge/Pegel, in: MK-StGB § 186 Rn. 34; Zaczyk, in: NK-StGB § 186 Rn. 26. Letzterer betont, dass hierin eine Modifikation des Grundtatbestandes liegt. 450 Hilgendorf, in: LK-StGB § 186 Rn. 13. 451 RGSt 3, 361, 362; 38, 207, 208; 57, 343, 344; Fischer, § 186 Rn. 16; Hilgendorf, in: LKStGB § 186 Rn. 13; Lenckner/Eisele, in: Schönke/Schröder § 186 Rn. 19; Zaczyk, in: NK-StGB § 186 Rn. 29. 452 Regge/Pegel, in: MK-StGB § 186 Rn. 35; Zaczyk, in: NK-StGB § 186 Rn. 28. 453 RGSt 10, 296, 297. 454 Hilgendorf, in: LK-StGB § 186 Rn. 13; Regge/Pegel, in: MK-StGB § 186 Rn. 35; Zaczyk, in: NK-StGB § 186 Rn. 30.
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nisnahme eröffnet.455 In diesem Sinne liegt eine öffentliche Äußerung auch dann vor, wenn der Täter sie auf einer allgemein zugänglichen Internetseite veröffentlicht.456 Im Unterschied zur Tathandlung des Grundtatbestands ist das Verbreiten von Schriften und den ihnen nach § 11 Abs. 3 StGB gleichgestellten gegenständlich fixierten Äußerungen in einem presserechtlichen Sinne zu verstehen und verlangt daher, dass die Darstellung einem größeren Personenkreis – sei er auch individuell bestimmt und in sich abgeschlossen – der Substanz und nicht nur seinem Inhalt nach zugänglich gemacht wird.457 (3) Weitere Voraussetzungen der Verleumdung Auch § 187, 1. Alt. StGB als Verleumdung im engeren Sinne verlangt die Behauptung oder Verbreitung einer ehrenrührigen Tatsache gegenüber Dritten. Der Tatbestand geht jedoch insoweit über die üble Nachrede hinaus, als objektiv die Unwahrheit der behaupteten oder verbreiteten Tatsache erforderlich ist und der Täter subjektiv diesbezüglich wider besseres Wissen gehandelt haben muss. Deshalb muss die Unwahrheit der Tatsache im Prozess nach allgemeinen Regeln bewiesen werden, wobei insbesondere der Grundsatz in dubio pro reo zu beachten ist.458 Dabei kommt es auf den wesentlichen Kern der Sache an; einzelne unbedeutende Ungenauigkeiten sind unschädlich.459 Zu beachten ist, dass die weit überwiegende Ansicht Ausnahmen von § 187, 1. Alt. StGB auch bei Äußerungen im engsten Familienkreis nicht zulässt.460 Auf der subjektiven Seite verlangt die Norm, dass der Täter die Unwahrheit sicher erkannt hat; dolus eventualis reicht bezüglich dieses Merkmals nicht aus.461 In Bezug auf die übrigen Tatbestandsmerkmale ist eine besondere Vorsatzform nicht erforderlich; hier genügt Eventualvorsatz.462 Wie § 186 StGB sieht auch § 187 StGB am Ende eine Qualifikation für die öffentliche Begehung und die Begehung durch Verbreitung von Schriften vor. Für die 455 RGSt 37, 289, 290 f.; Gaede, in: Matt/Renzikowski § 186 Rn. 15; s. zur Abgrenzung zum Verbreiten: OLG Hamburg, NStZ 1983, 127 f. 456 Fischer, § 186 Rn. 19; Lenckner/Eisele, in: Schönke/Schröder § 186 Rn. 19. 457 Hilgendorf, in: LK-StGB § 186 Rn. 14; Lenckner/Eisele, in: Schönke/Schröder § 186 Rn. 19; Regge/Pegel, in: MK-StGB § 186 Rn. 39. 458 Hilgendorf, in: LK-StGB § 187 Rn. 2; Regge/Pegel, in: MK-StGB § 187 Rn. 8; Zaczyk, in: NK-StGB § 187 Rn. 2. 459 BGHSt 18, 182, 183; Geppert, Jura 1983, 580, 581; ders., Jura 2002, 820, 823; Hilgendorf, in: LK-StGB § 187 Rn. 2; Lackner/Kühl, § 187 Rn. 1; Rogall, in: SK-StGB § 187 Rn. 3; Zaczyk, in: NK-StGB § 187 Rn. 2. 460 s. dazu die Angaben in diesem Kapitel Fn. 256; anders Hillenkamp, in: FS Hirsch, S. 555, 572 f. 461 RGSt 32, 302, 303; Hilgendorf, in: AWHH § 7 Rn. 17; Geppert, Jura 2002, 820, 823; Rogall, in: SK-StGB § 187 Rn. 5; Tiedemann, in: FS Kohlmann, S. 307, 316 f.; Zaczyk, in: NKStGB § 187 Rn. 3. 462 Hilgendorf, in: LK-StGB § 187 Rn. 4; Lenckner/Eisele, in: Schönke/Schröder § 187 Rn. 5; Rogall, in: SK-StGB § 187 Rn. 5; Zaczyk, in: NK-StGB § 187 Rn. 3.
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Voraussetzungen ist dabei nach oben zu verweisen.463 Im Unterschied zur üblen Nachrede ist bei der Verleumdung allerdings auch die Behauptung in einer Versammlung erfasst. Auf die besonderen Voraussetzungen der Öffentlichkeit kommt es insoweit nicht an, sodass auch Äußerungen in geschlossenen Veranstaltungen tatbestandlich sein können.464 bb) Beleidigung im engeren Sinne § 185 StGB setzt als einziges Tatbestandsmerkmal die Beleidigung voraus. Eine Definition der Tathandlung oder des Taterfolgs enthält die Norm nicht; im Gegenteil vermischt sie beide Elemente in einer wertenden Zusammenfassung.465 Zweifel an der ausreichenden Bestimmtheit des Tatbestandes466 hat das Bundesverfassungsgericht allerdings mit der letztlich überzeugenden Begründung zurückgewiesen, dass „der Begriff der Beleidigung jedenfalls durch die über hundertjährige und im wesentlichen einhellige Rechtsprechung einen hinreichend klaren Inhalt erlangt [hat], der den Gerichten ausreichende Vorgaben für die Anwendung an die Hand gibt und den Normadressaten deutlich macht, wann sie mit einer Bestrafung wegen Beleidigung zu rechnen haben.“467 In diesem Sinne wird die Beleidigung von der ganz überwiegenden Meinung als Angriff auf die Ehre des Betroffenen durch eine vorsätzliche Kundgebung von Missachtung, Geringschätzung oder Nichtachtung definiert.468 Bei der Auslegung des Tatbestandes ist das Grundrecht der Meinungsfreiheit zu berücksichtigen. Damit ist nach der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung „eine Interpretation von § 185 StGB unvereinbar, die den Begriff der Beleidigung so weit ausdehnt, daß er die Erfordernisse des Ehren- oder Institutionenschutzes überschreitet oder für die Berücksichtigung der Meinungsfreiheit keinen Raum mehr läßt“.469 Auf der Ebene der Normanwendung verlangt das Bundesverfassungsgericht „eine Gewichtung der Beeinträchtigung, die der persönlichen Ehre auf der einen und 463
s. oben in diesem Kapitel B. II. 2. c) aa) (2) (b). Lenckner/Eisele, in: Schönke/Schröder § 187 Rn. 7; Zaczyk, in: NK-StGB § 187 Rn. 8. Eine triftige Begründung für diese Unterscheidung lässt sich nicht ausmachen; Lackner/Kühl, § 187 Rn. 3 ziehen daher ein Redaktionsversehen in Betracht. 465 Fischer, § 185 Rn. 2. 466 Schubarth, JuS 1981, 726, 728; Husmann, MDR 1988, 727; Findeisen/Hoepner/Zünkler, ZRP 1991, 245, 246. Krit. auch Kargl, in: FS Wolff, S. 189, 223; Wessels/Hettinger, BT I, Rn. 507; Ignor, Der Straftatbestand der Beleidigung, S. 149 ff.; Ritze, JZ 1980, 91, 92. 467 BVerfGE 93, 266, 292 – Soldaten sind Mörder; vgl. zum Bestimmtheitsverbot auch BVerfGE 71, 108, 114 ff. – „Atomkraft? Nein, danke!“. 468 RGSt 71, 159, 160; BGHSt 1, 288, 289; 16, 58, 63; 36, 145, 148; BayObLG, NJW 1980, 1969; NJW 2005, 1291; OLG Düsseldorf, NJW 1992, 1335; NJW 1998, 3214, 3215; KG, NJW 2005, 2872; OLG Hamm, NStZ 2008, 631; Fischer, § 185 Rn. 4; Gaede, in: Matt/Renzikowski, § 185 Rn. 3; Hilgendorf, in: LK-StGB § 185 Rn. 1; Lenckner/Eisele, in: Schönke/Schröder § 185 Rn. 1; Regge/Pegel, in: MK-StGB § 185 Rn. 3; Rogall, in: SK-StGB § 185 Rn. 1; Zaczyk, in: NK-StGB § 185 Rn. 2. 469 BVerfGE 93, 266, 292 – Soldaten sind Mörder; BVerfG, NJW 1999, 2262, 2263. 464
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der Meinungsfreiheit auf der anderen Seite droht, bei der alle wesentlichen Umstände des Falls zu berücksichtigen sind.“470 Missachtung kann sowohl durch die Unterstellung negativer Handlungen oder Eigenschaften als auch durch eine negative Bewertung einer anderen Person geäußert werden. Auch kann die Äußerung grundsätzlich gegenüber dem Betroffenen selbst oder Dritten erfolgen. Da aber die oben besprochenen §§ 186, 187 StGB die Behauptung ehrenrühriger Tatsachen gegenüber Dritten abschließend behandeln, fällt diese Möglichkeit der Kundgabe von Missachtung nicht mehr unter § 185 StGB.471 Erfasst ist also die Äußerung ehrverletzender Werturteile gegenüber dem Betroffenen sowie gegenüber Dritten und die Behauptung ehrenrühriger Tatsachen gegenüber dem Betroffenen selbst. Der Qualifikationstatbestand der tätlichen Beleidigung aus § 185, 2. Alt. StGB soll hier mangels Relevanz für die Untersuchung außer Betracht bleiben. (1) Ehrverletzung durch Kundgabe von Missachtung Kern der Untersuchung des Beleidigungstatbestands ist demnach die Frage, ob in einer Äußerung eine hinreichende Kundgabe von Nicht- oder Missachtung enthalten ist. Von grundlegender Bedeutung ist in dieser Hinsicht zunächst die Auslegung der getätigten Äußerung. Hierbei sind insbesondere die durch das Bundesverfassungsgericht herausgearbeiteten Grundsätze zur Auslegung von Äußerungen unter hinreichender Berücksichtigung der Meinungsfreiheit zugrunde zu legen.472 Bei satirischen oder karikaturistischen Äußerungen sind die in diesem Sinne herausgearbeiteten Anforderungen zu berücksichtigen.473 Auf diesem Wege zu ermitteln ist der „ihr objektiv innewohnende Sinngehalt“ einer Äußerung, der für ihre Einordnung als beleidigend ausschlaggebend ist.474 Der so ermittelte Aussagegehalt einer Äußerung muss ehrverletzend in einem Sinne sein, dass er dem Opfer dem diesem zukommenden Geltungswert ganz oder teilweise abspricht.475 Ob einer Äußerung ein solcher Sinngehalt beizumessen ist, muss nach den konkreten Umständen des Einzelfalls und unter Berücksichtigung der Anschauung der beteiligten Verkehrskreise bewertet werden.476 Nicht jede negativ konnotierte Äußerung ist strafrechtlich relevant. Problematisch ist jedoch die Frage, wann ein Angriff auf die Ehre die Schwelle der Strafbarkeit überschreitet. Weitgehend anerkannt ist in dieser Hinsicht, dass eine strafwürdige Verletzung nicht schon durch bloße Taktlosigkeiten oder 470
BVerfG, NJW 1999, 2262, 2263. Rogall, in: SK-StGB Vor § 185 Rn. 52. 472 s. hierzu oben in diesem Kapitel A. I. 1. 473 s. hierzu oben in diesem Kapitel A. I. 2. 474 BayObLG, JZ 1980, 580; Maurach/Schröder/Maiwald, BT I, § 25 Rn. 5 f.; Gössel/ Dölling, BT I, § 30 Rn. 5; Lenckner/Eisele, in: Schönke/Schröder § 185 Rn. 8; Rogall, in: SKStGB § 185 Rn. 6. 475 BayObLG, JZ 1980, 580; Rogall, in: SK-StGB § 185 Rn. 9. 476 Rogall, in: SK-StGB § 185 Rn. 9. 471
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Unhöflichkeiten verwirklicht werden kann.477 Ebenfalls nicht als Kundgabe von Missachtung einzuordnen sind Belästigungen.478 Dem Opfer muss ein Mangel an Ehre vorgeworfen werden.479 Dieser kann etwa im Vorwurf geistiger Mängel480 oder moralischer und sittlicher Unzulänglichkeiten481 liegen – unter letzteres ist dabei die Unterstellung von Straftaten zu fassen. Darüber hinaus kann eine Missachtung auch dadurch kundgetan werden, dass dem Opfer die Fähigkeit (oder der Willen) abgesprochen wird, eine von ihm übernommene soziale Aufgabe oder Beruf angemessen zu erfüllen.482 Fraglich ist, wie die Behauptung eines nach der Rechtsordnung wertneutralen Vorwurfs zu beurteilen ist. Die Rechtsprechung hat bei der Bezeichnung als „Jude“ zwar eine üble Nachrede aus oben beschriebenen Gründen abgelehnt,483 aber eine Strafbarkeit wegen Beleidigung im engeren Sinne angenommen.484 Zwar spricht dagegen, dass das subjektive, der Rechtsordnung widersprechende Verständnis des Äußernden nicht allein für die Einordnung als Herabsetzung ausschlaggebend sein darf. Zuzustimmen ist dieser Rechtsprechung aber dann, wenn sich die Kundgabe der Missachtung nicht allein aus der Bezeichnung, sondern aus den Gesamtumständen ergibt, aus denen deutlich wird, dass der Äußernde den der bezeichneten Personengruppe angehörenden Menschen (und damit dem Betroffenen) den ihnen zustehenden Achtungsanspruch abspricht. Dazu reicht allein die Bezeichnung als „Jude“, „Moslem“, „Katholik“ oder „Atheist“ noch nicht aus; wohl aber eine Äu477 Fischer, § 185 Rn. 10; Gaede, in: Matt/Renzikowski Vor §§ 185 ff. Rn. 9; Zaczyk, in: NK-StGB Vor §§ 185 ff. Rn. 23. Zu beachten ist aber, dass diese Einschränkung nicht zu eng ausgelegt werden darf. Klassische Lehrbuchbeispiele wie das an die Stirn Tippen oder Duzen enthalten nach realitätsnaher Auslegung noch keinen ausreichenden Unrechtsgehalt und sollten deshalb nicht von dem Tatbestand der Beleidigung erfasst sein, s. dazu Schößler, Anerkennung und Beleidigung, S. 229 ff.; 240 f. 478 BayObLG, JR 1963, 468; Maurach/Schroeder/Maiwald, BT I, § 25 Rn. 12; Rogall, in: SK-StGB § 185 Rn. 14. Zur wechselvollen Geschichte des Beleidigungsrechts als „kleine Sexualdelikte“ und der heute zu Recht restriktiven Rechtsprechung und Literatur s. Hilgendorf, in: LK-StGB § 185 Rn. 28 ff. 479 Hilgendorf, in: LK-StGB § 185 Rn. 33; Rogall, in: SK-StGB § 185 Rn. 12. 480 Hierunter fallen insbesondere gängige Schimpfworte wie Idiot, Dummkopf, Trottel etc. Zu einer Verletzung des personalen Geltungswerts bei derartigen Äußerungen, s. Hilgendorf, in: LK-StGB Vor §§ 185 ff. Rn. 17. 481 Wie etwa bei der Bezeichnung als Dieb, Betrüger, Lügner, aber auch allgemein als Schuft, Schwein oder Lump, s. hierzu auch Rogall, in: SK-StGB § 185 Rn. 15. 482 Rogall, in: SK-StGB § 185 Rn. 16. 483 s. oben in diesem Kapitel B. II. 2. c) aa) (1) (b). 484 BGHSt 8, 325, 326; OLG, Celle NStZ-RR 2004, 107; krit. Fischer, § 185 Rn. 8c; Tenckhoff, Bedeutung des Ehrbegriffs , S. 46; Amelung, Ehre als Kommunikationsvoraussetzung, S 47. Nicht zu kritisieren ist hingegen die Einordnung der Bezeichnung als „Zigeunerjude“, da diese zum einen den schon an sich für die Volksgruppe der Sinti und Roma als abwertend empfundenen Begriff des Zigeuners mit der an sich neutralen Bezeichnung als Jude verknüpft und zum anderen durch diese Verbindung einen Rückgriff auf die Rassenideologie des Nationalsozialismus darstellt, BVerfG, ZUM-RD 2006, 127; BayObLGSt 2002, 24.
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ßerung, die dem Betroffenen auf Grund seiner (Religions-)Zugehörigkeit ehrrelevante Unzulänglichkeiten zuspricht. (2) Die Kundgabe unverdienter Missachtung Zwar kommt einer Differenzierung zwischen Tatsagenaussagen und Werturteilen innerhalb des § 185 StGB als Auffangtatbestand eine geringere Bedeutung zu als bei der Abgrenzung zu §§ 186, 187 StGB; sie kann allerdings dann eigenes Gewicht erlangen, wenn der Aussage ein Wahrheitskern zu entnehmen ist. Denn weil Schutzgut der Norm nur der verdiente Achtungsanspruch des Betroffenen ist,485 kann sie nur bei Äußerung einer unverdienten Missachtung einschlägig sein.486 Anerkannt ist daher, dass die Äußerung wahrer – wenngleich ehrenrühriger – Tatsachen dem Betroffenen gegenüber dessen verdienten Geltungsanspruch nicht beeinträchtigt. Uneinheitlich beurteilt wird aber die Einordnung des Wahrheitsbeweises im Rahmen des § 185 StGB. Zum Teil wird vertreten, dass die Nichtnachweisbarkeitsklausel des § 186 StGB auf § 185 StGB zu übertragen sei,487 sodass eine Strafbarkeit für Tatsachenaussagen dann entfiele, wenn deren Wahrheit erwiesen ist, und damit das Beweisrisiko beim Täter läge. Dagegen spricht jedoch zum einen, dass eine derartige Ausnahme vom Grundsatz in dubio pro reo nicht ohne gesetzliche Grundlage angenommen werden sollte.488 Zum anderen besteht auch bei Tatsachenbehauptungen gegenüber dem Betroffenen – und allein diese sind von § 185 StGB erfasst – kein sachlicher Grund für die Annahme einer solchen Ausnahmeregelung. Denn der Betroffene kann der nicht erweislichen Behauptung in der Situation sofort und unter vier Augen entgegentreten, sodass das Risiko der Verbreitung nicht besteht.489 Da insofern für das Opfer eine geringere Gefährlichkeit besteht, ist die Verkürzung des Schutzes zugunsten des zweifelnden Täters hinzunehmen.490 Mit der herrschenden Meinung ist die Unwahrheit der Tatsachenbehauptung demnach im Rahmen des § 185 StGB als objektives Tatbestandsmerkmal einzustufen, auf das sich der Vorsatz des Täters beziehen muss.491 485
s. hierzu oben in diesem Kapitel B. II. 1. Lenckner/Eisele, in: Schönke/Schröder § 185 Rn. 5. 487 So RGSt 64, 10, 11; OLG Frankfurt, MDR 1980, 495; Amelung, Ehre als Kommunikationsvoraussetzung, S. 64; Gössel/Dölling, BT I, § 30 Rn. 27; Hartung, NJW 1965, 1743 ff.; Hirsch, Ehre und Beleidigung, S. 204 ff.; Maurach/Schroeder/Maiwald, BT I, § 26 Rn. 10; Otto, in: FS Schwinge, S. 71, 83 f.; Tenckhoff, JuS 1989, 35, 36 f.; Welzel, Das deutsche Strafrecht, S. 310. 488 Hilgendorf, in: LK-StGB § 185 Rn. 35. 489 Zaczyk, in: NK-StGB § 185 Rn. 11. 490 Regge/Pegel, in: MK-StGB § 185 Rn. 21; ähnlich Lenckner/Eisele, in: Schönke/ Schröder § 185 Rn. 6. 491 BayObLG, NJW 1959, 57; OLG Köln, NJW 1964, 2121; OLG Koblenz, MDR 1977, 864; Fischer, § 186 Rn. 11; Gaede, in: Matt/Renzikowski § 185 Rn. 4; Geppert, Jura 1983, 580, 587; Hilgendorf, in: LK-StGB § 185 Rn. 35; Kaufmann, ZStW 72 (1960), 418, 433 ff.; Lenckner/Eisele, in: Schönke/Schröder § 185 Rn. 6; Regge/Pegel, in: MK-StGB § 185 Rn. 21; 486
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Aber auch auf Werturteile kann der Wahrheitsgehalt – zumindest indirekt – eine Wirkung entfalten. Zwar kann eine subjektive Bewertung oder Stellungnahme schon denklogisch nicht im Hinblick auf ihre objektive Wahrheit überprüft werden.492 Wird ein Werturteil allerdings durch eine wahre Tatsachenbehauptung getragen, d. h. enthält es ihr gegenüber keine „überschießende Abneigung“,493 sondern erscheint als wertende Zusammenfassung des Geschehens, darf es nicht als Ausdruck unverdienter Missachtung gewertet werden.494 Das ist aber dann nicht der Fall, wenn das Werturteil einen eigenen Unrechtsgehalt aufweist – entweder wegen einer abwegigen Beurteilung des Sachverhalts, die daher eine eigene Behandlung beansprucht, oder weil die Behauptung auf Grund ihrer beleidigenden Umstände oder ihrer beleidigenden Form die Anforderungen an eine Formalbeleidigung nach § 192 StGB erfüllt. (3) Formalbeleidigung Eine Beleidigung im Sinne des § 185 StGB kann nach § 192 StGB auch dann bejaht werden, wenn sich im Rahmen einer wahren Tatsachenbehauptung eine eigene Ehrverletzung aus der Form oder aus den Umständen der Äußerung ergibt. Aus der Form einer Äußerung kann eine Beleidigung etwa bei einer Begleitung durch Schimpfworte, bei gehässiger Einkleidung oder durch besondere Lautstärke resultieren.495 Nicht ausreichend ist aber, wenn eine wahre Tatsachenbehauptung gemeinsam mit einer daran anknüpfenden ausdrücklichen oder konkludenten, adäquaten Bewertung verknüpft wird.496 Eine Beleidigung aus den Umständen wird etwa bei der Verbreitung einer Tatsache an einem bestimmten Ort, zu einer bestimmten Zeit (Reaktualisierung) oder in einem bestimmten Medium (Publikationsexzess) bejaht.497 Die vom Reichsgericht498 verlangte subjektive Beleidigungsabsicht ist nach heute herrschender Ansicht nicht mehr erforderlich.499 Rogall, in: SK-StGB § 185 Rn. 25; Schendzielorz, Umfang und Grenzen der straffreien Beleidigungssphäre, S. 25; Zaczyk, in: NK-StGB § 185 Rn. 11. 492 s. hierzu auch EGMR NJW 1992, 613, 616; NJW 2006, 1645, 1648 f. 493 Lenckner/Eisele, in: Schönke/Schröder § 185 Rn. 7. 494 BGHSt 12, 287, 291 f.; BayObLGSt 1963, 174, 177; OLG Frankfurt, JR 1972, 515; Hilgendorf, in: LK-StGB § 185 Rn. 5 ff.; Rogall, in: SK-StGB § 185 Rn. 27; Zaczyk, in: NKStGB § 185 Rn. 11. 495 Lackner/Kühl, § 192 Rn. 2; Regge/Pegel, in: MK-StGB § 192 Rn. 4; Zaczyk, in: NKStGB § 192 Rn. 3. 496 Hilgendorf, in: LK-StGB § 192 Rn. 3. 497 Lackner/Kühl, § 192 Rn. 2; Regge/Pegel, in: MK-StGB § 192 Rn. 5 ff.; Zaczyk, in: NKStGB § 192 Rn. 4 m.w.N.; krit. zum Publikationsexzess Lenckner/Eisele, in: Schönke/Schröder § 192 Rn. 1. 498 RGSt 1, 317; 20, 100, 101; 23, 40, 42; 34, 80; 41, 254, 255; 59, 414, 415. 499 Hilgendorf, in: LK-StGB § 192 Rn. 3 ff.; Maurach/Schroeder/Maiwald, BT I, § 26 Rn. 21; Oppe, MDR 1962, 947, 948; Regge/Pegel, in: MK-StGB § 192 Rn. 10; Zaczyk, in: NKStGB § 192 Rn. 6.
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(4) Die Kundgabe eigener Missachtung Anders als die Verleumdung oder die üble Nachrede, die auch dann erfüllt sind, wenn der Täter die ehrenrührige Tatsache bloß verbreitet, ohne seine eigene Meinung über die These zu erkennen zu geben, verlangt die Beleidigung nach herrschender Ansicht die Kundgabe eigener Missachtung.500 Erforderlich ist also, dass sich der Täter die Aussage erkennbar zu eigen macht.501 cc) Verhältnis der Tatbestände untereinander Das Konkurrenzverhältnis zwischen den einzelnen Ehrverletzungstatbeständen ist äußerst umstritten. Anerkannt ist lediglich, dass bei Vorliegen seiner Voraussetzungen § 187 StGB stets § 186 StGB im Wege der Spezialität verdrängt502 und dass bei untrennbaren Mischäußerungen gegenüber Dritten nach dem Schwerpunkt der Äußerung jeweils nur § 185 oder §§ 186, 187 StGB in Betracht kommt.503 Umstritten ist jedoch, ob § 185 StGB hinter § 186 bzw. § 187 StGB zurücktritt, wenn eine Aussage gegenüber Dritten sowohl eine Tatsachenbehauptung als auch ein selbstständiges Werturteil enthält und wenn eine Tatsachenbehauptung sowohl von dem Betroffenen als auch von einem Dritten zur Kenntnis genommen wird. Die Rechtsprechung und Teile der Literatur nehmen in solchen Fällen – auf der Grundlage eines dualistischen Ehrbegriffes – eine Idealkonkurrenz an.504 Vorzugswürdig erscheint hingegen eine im Schrifttum verbreitete Ansicht, die auch in derartigen Konstellationen einen Fall der Gesetzeskonkurrenz erblickt.505 § 185 StGB tritt dann hinter § 186 bzw. § 187 StGB zurück, ein erhöhter Unrechtsgehalt kann ggf. in der Strafzumessung berücksichtigt werden.506 Hierfür spricht, dass die hier behandelten 500 OLG Köln, NJW 1993, 1486, 1487; Lenckner/Eisele, in: Schönke-Schröder, § 185 Rn. 1, 17; Hilgendorf, in: LK-StGB § 185 Rn. 40; Zaczyk, in: NK-StGB § 185 Rn. 2, 19; anders aber Tenckhoff, JuS 1988, 787, 791; vgl. auch RGSt 46, 356, 357 f. (zu § 166 StGB). 501 OLG Köln, NJW 1993, 1486, 1487; Bemmann, Meinungsfreiheit und Strafrecht, S. 14; Kindhäuser, § 185 StGB Rn. 10; Rengier, BT II, § 29 Rn. 21; Rogall, in: SK-StGB § 185 Rn. 4; s. dazu auch BVerfGE 82, 43, 52 ff. – Strauß-Transparent. 502 Anderes gilt natürlich, wenn sich eine Tatsachenbehauptung auf mehrere Personen bezieht und nicht bei allen die qualifizierten Voraussetzungen des § 187 StGB vorliegen. Dann kommt Idealkonkurrenz in Betracht. s. dazu Hilgendorf, in: LK-StGB § 187 Rn. 6. 503 s. dazu oben in diesem Kapitel B. II. 2. c) aa) (1) (a). 504 RGSt 41, 61, 65 f.; 59, 414, 417; 65, 358, 359; BGHSt 6, 159, 161; 12, 287, 292; BayObLG, NJW 1962, 1120; Fischer, § 185 Rn. 20; Lenckner/Eisele, in: Schönke-Schröder, § 186 Rn. 21; Zaczyk, in: NK-StGB Vor §§ 185 ff. Rn. 45; vgl. aber OLG Celle, GA 1960, 247, das eine Idealkonkurrenz dann verneint, wenn eine Tatsachen gegenüber einem Dritten in dem Bewusstsein geäußert wurde, dass sie voraussichtlich an den Betroffenen weitergegeben werde. 505 Gössel/Dölling, BT I, § 6 Rn. 42; Herdegen, in: LK-StGB (10. Aufl.) Vor §§ 185 ff. Rn. 30; Hirsch, Ehre und Beleidigung, S. 145 f., 238, Fn. 74; Rogall, in: SK-StGB Vor § 185 Rn. 53; Tenckhoff, JuS 1988, 787, 792. Für die zweite Konstellation ebenso Hilgendorf, in: LKStGB Vor §§ 185 Rn. 42, der jedoch bei einer Aussage gegenüber Dritten, die neben der Tatsachenbehauptung ein selbstständiges Werturteil enthält, von Idealkonkurrenz ausgeht. 506 Rogall, in: SK-StGB Vor § 185 Rn. 53; Tenckhoff, JuS 1988, 787, 792.
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Ehrschutzdelikte – wie oben gesehen507 – ein einheitliches Rechtsgut der Ehre schützen. Werden durch eine Handlung mehrere Angriffe auf das Rechtsgut getätigt, hat für den Urteilstenor im Ergebnis nur der schwerste Angriff Relevanz, also die Tatsachenbehauptung gegenüber Dritten. Die Äußerung von Werturteilen gegenüber Dritten bzw. die Äußerung der Tatsachenbehauptung gegenüber dem Betroffenen enthält darüber hinaus keinen eigenen, andersartigen Angriff auf die Ehre; die sogenannte Aliudtheorie ist abzulehnen. Eine Idealkonkurrenz ist nur anzunehmen, wenn der Täter mit seiner Aussage mehrere Rechtsgutsträger zugleich angreift.508 d) Rechtfertigung ehrverletzender Äußerungen Auch wenn ein Ehrverletzungsdelikt tatbestandlich verwirklicht ist, steht einer Strafbarkeit möglicherweise eine Rechtfertigung entgegen. aa) Die gesetzliche Ausgangslage § 193 StGB sieht spezielle Rechtfertigungsgründe509 für die Ehrverletzungsdelikte vor, die unter der Überschrift der Wahrnehmung berechtigter Interessen zusammengefasst werden. Da im Rahmen von religionsfeindlichen Äußerungen aber letztlich nur die (generalklauselartige510) Wahrung berechtigter Interessen im engeren Sinne in Betracht kommt, soll eine Erörterung der übrigen Fallgruppen im Folgenden unterbleiben. Hinter dem Rechtfertigungsgrund der Wahrung berechtigter Interessen steht der Gedanke der Interessenabwägung.511 Als berechtigtes Interesse kommt dabei jedes 507
s. oben in diesem Kapitel B. II. 1. Rogall, in: SK-StGB Vor § 185 Rn. 53; Tenckhoff, JuS 1988, 787, 792. 509 Die Einordnung als Rechtfertigungsgrund entspricht inzwischen der herrschenden Meinung, s. BVerfGE 12, 113, 125 – Tonjäger; RGSt 59, 414, 415; 65, 422, 427; BGHSt 12, 287, 293; 18, 182, 184; BayObLGSt 1962, 93; OLG Hamm, NJW 1987, 1034, 1035; Eser, Wahrnehmung berechtigter Interessen, S. 18 ff.; Fischer, § 193 Rn. 1; Joecks, in: MK-StGB § 193 Rn. 1; Lackner/Kühl, § 193 Rn. 1; Lenckner/Eisele, in: Schönke/Schröder § 193 Rn. 1; Maurach/Schroeder/Maiwald, BT I, § 26 Rn. 28; Rogall, in: SK-StGB § 193 Rn. 1; Welzel, Das deutsche Strafrecht, S. 320; Zaczyk, in: NK-StGB § 193 Rn. 1; diff. Hilgendorf, in: LK-StGB § 193 Rn. 1 ff.; für einen „Strafunrechtsausschließungsgrund“ Günther, Strafrechtswidrigkeit und Strafunrechtsausschluß, S. 309 ff., für einen Schuldausschließungsgrund RGSt 6, 405, 409; 64, 23 f.; Erdsiek, JZ 1969, 311, 315 f.; Roeder, in: FS Heinitz, S. 229, 238 ff; für eine Konkretisierung des Sorgfaltsmaßstabs Schmidt, JZ 1970, 8 ff.; für einen Tatbestandsausschluss bei anwaltlichen Äußerungen, Ignor, in: GS Schlüchter, S. 317, 320. 510 Lenckner/Eisele, in: Schönke/Schröder § 193 Rn. 1. 511 So die h.M.: BVerfGE 12, 113, 125 – Schmid/Spiegel; 24, 278, 282 – Tonjäger; RGSt 65, 422, 427; 66, 1, 2; BGHSt 18, 182, 184; 36, 83, 89; BayObLGSt 1961, 46, 48; OLG Hamm, NJW 1987, 1034, 1035; LG Kaiserslautern, NJW 1989, 1369, 1371; Geppert, Jura 1985, 25, 26; Gössel/Dölling, BT I, § 34 Rn. 2; Helle, NJW 1961, 1896; Hilgendorf, in: LK-StGB § 193 Rn. 2; ders., in: AWHH § 7 Rn. 21; Rogall, in: SK-StGB § 193 Rn. 2, 11; Otto, Grundkurs II, § 32 Rn. 36; Schmidhäuser, BT Rn. 5/10; Schneider, in: Dölling/Duttge/König/Rössner § 193 508
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von der Rechtsordnung als schutzwürdig anerkannte (also nicht rechts- oder sittenwidrige512) eigene – unter bestimmten Voraussetzungen auch fremde513 – Individual- oder Allgemeininteresse514 in Betracht. Dabei muss das verteidigte Interesse die Ehre des Betroffenen nicht schon abstrakt überwiegen, sondern erst unter Berücksichtigung der konkreten Umstände und der Betroffenheit der unterschiedlichen Interessen ein Überwiegen festzustellen sein. In die Abwägung einzubeziehen sind dabei insbesondere der Grad der Betroffenheit, also die Schwere des Vorwurfs, der Verbreitungsgrads der Äußerung sowie der Grad der Bedrohung des geschützten Interesses.515 Die Tat muss zudem zur Wahrung des Interesses geeignet, erforderlich und angemessen sein,516 und zuletzt darf die Äußerung nach dem Wortlaut des § 193 StGB keine Formalbeleidigung enthalten. Zu beobachten ist allerdings, dass es an einer derart schulmäßigen Prüfung der Norm regelmäßig fehlt,517 da die Auslegung und Anwendung des § 193 StGB wesentlich durch die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung geprägt sind. StGB Rn. 2; anders Fischer, § 193 Rn. 1; Maiwald, in: FS Jescheck, S. 405, 409; Zaczyk, in: NK-StGB § 193 Rn. 3 (erlaubtes Risiko); diff. Lenckner/Eisele, in: Schönke/Schröder § 193 Rn. 1, 8 und zust. Lackner/Kühl, § 193 Rn. 1 (erlaubtes Risiko ergänzend für § 186 StGB); bevorzugt auf Abgrenzung statt Abwägung abstellend Stark, in: FS Kriele, S. 235, 244; krit. Merz, Strafrechtlicher Ehrenschutz und Meinungsfreiheit, S. 93 f. 512 Fischer, § 193 Rn. 10; Rogall, in: SK-StGB § 193 Rn. 13; Zaczyk, in: NK-StGB § 193 Rn. 18. 513 Insbesondere bei Handeln kraft Stellung oder Auftrags, wie etwa bei Anwälten, OLG Köln, NJW 1979, 1723; oder Gemeinderatsmitgliedern, BayObLG, NJW 1956, 354; sowie bei nahestehenden Personen, BayObLG, NJW 1965, 58. 514 Die Berechtigung zur Wahrung von Allgemeininteressen steht nach mittlerweile überwiegender Ansicht jedermann zu. Nachdem das Reichsgericht zunächst verlangt hatte, dass das Allgemeininteresse den Täter aus besonderen Gründen näher angehen müsse, RGSt 41, 285; 56, 383; 62, 93, wird eine solche Voraussetzung inzwischen in ausdrücklicher Abkehr von der bisherigen Rechtsprechung abgelehnt: BVerfGE 12, 113, 125 f. – Schmid/Spiegel; s. auch Lenckner/Eisele, in: Schönke/Schröder § 193 Rn. 13; Meurer, in: FS Hirsch, S. 651, 657. Als Allgemeininteresse kommt dabei insbesondere ein Informationsinteresse der Öffentlichkeit in Betracht, das zwar regelmäßig, aber nicht ausschließlich durch die Presse und übrige Medien verfolgt wird, s. Hubmann Persönlichkeitsrecht, S. 160 f.; Rogall, in: SK-StGB § 193 Rn. 18. 515 Hilgendorf, in: LK-StGB § 193 Rn. 17; Lenckner/Eisele, in: Schönke/Schröder § 193 Rn. 12; zur Notwendigkeit des überwiegenden Interesses s. auch: BayObLG, NJW 1995 2501, 2503; OLG Hamm, NJW 1987 1034, 1935; Fischer, § 193 Rn. 9; Lenckner, in: GS Noll, S. 243, 248 f; anders BGHSt 18, 182, 184 f. („nicht geringer“); OLG Frankfurt, NJW 1991 2032, 2034 („höher oder zumindest ebenso hoch“). 516 Joecks, in: MK-StGB § 193 Rn. 28 f.; Lenckner/Eisele, in: Schönke/Schröder § 193 Rn. 10; Rogall, in: SK-StGB § 193 Rn. 21 ff. Dabei ist jedoch zu beachten, dass als milderes Mittel im Rahmen der Erforderlichkeit eine mögliche vorsichtigere Formulierung des Vorwurfs nicht zu berücksichtigen ist, da der § 193 StGB sonst auf Werturteile kaum je Anwendung finden würde, Zaczyk, in: NK-StGB § 193 Rn. 21, s. auch Merz, Strafrechtlicher Ehrenschutz und Meinungsfreiheit, S. 124 ff. 517 s. z.B. OLG Düsseldorf, OLGSt § 185 StGB Nr. 32: Anstatt die Voraussetzungen des Rechtfertigungsgrundes zu nennen und zu prüfen, stellt das Gericht allein auf die Grundsätze des BVerfG zur Abwägung zwischen Ehrschutz und Meinungsfreiheit ab.
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bb) Rechtfertigung ehrverletzender Äußerungen nach der bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung Nach dem Bundesverfassungsgericht ist die Norm besondere Ausprägung des Grundrechts auf Meinungsfreiheit.518 In ständiger Rechtsprechung betont es, dass, sobald der Schutzbereich der Meinungsfreiheit eröffnet ist, im Sinne der Wechselwirkungslehre stets eine umfassende Interessen- und Güterabwägung im Einzelfall zu erfolgen habe.519 Dabei ist zu beachten, dass das Bundesverfassungsgericht in seiner weiten Auslegung der Meinungsfreiheit letztlich nur die Behauptung bewusst oder offensichtlich unwahrer Tatsachen ihrem Schutzbereich entzieht.520 Kommt es zu einer solchen Güterabwägung, sei diese zwar grundsätzlich ergebnisoffen und bestimme sich nach den Umständen des Einzelfalls.521 Das erkennende Gericht hat sich aber nach den durch das Bundesverfassungsgericht aufgestellten Grundsätzen zu richten. Bei Äußerungen, die eine wertende Stellungnahme enthalten, kommt es demnach bei Angriffen auf die Menschenwürde522 sowie bei Schmähkritik und Formalbeleidigungen523 regelmäßig zu einem Abwägungsergebnis zugunsten des Ehrschutzes. Ein Angriff auf die Menschenwürde ist anzunehmen, „wenn er gegen den unverzichtbaren und unableitbaren Persönlichkeitskern des anderen, gegen dessen Menschsein als solches gerichtet ist und ihm den Wert abspricht.“524 Der Begriff der Menschenwürde ist dabei restriktiv auszulegen, damit nicht durch die Berufung auf das höchste Verfassungsgut die notwendige – aber mühsame – Abwägung umgangen wird.525 Gleiches gilt für die Schmähkritik, unter der eine Äußerung zu verstehen ist, der jeder Sachbezug fehlt und deren Zweck ausschließlich in der Diffamierung einer Person liegt.526 Auch diese Kategorie ist 518
BVerfGE 42, 143, 152 – Deutschland-Magazin. BVerfGE 12, 113, 124 f. – Schmid/Spiegel; 93, 266, 293 – Soldaten sind Mörder; vgl. auch schon BVerfGE 7, 198, 209 – Lüth. 520 s. hierzu oben 2. Kapitel A. I. 1. a). Die Behauptung bewusst oder evident unwahrer Tatsachen kann deshalb auch weder über Art. 5 Abs. 1 GG noch über § 193 StGB gerechtfertigt werden. 521 BVerfG, NJW 1999, 2262, 2263; krit. dazu Zaczyk, JR 2003, 36: „Damit ergibt sich gleichsam von selbst ein Übergewicht der Meinungsfreiheit im Verhältnis zum Recht der Ehre“. 522 BVerfGE 93, 266, 293 – Soldaten sind Mörder; 107, 275, 281 – Benetton II; BVerfG, NJW 2001, 61, 63 – Referentenwahl; Grimm, NJW 1995, 1697, 1703; Lackner/Kühl, § 193 Rn. 15. Das gleiche gilt für die Kunstfreiheit: BVerfGE 75, 369, 380 – Strauß/Hachfeld; 119, 1, 34 – Esra; Beisel, Kunstfreiheitsgarantie, S. 151 ff.; Kulczak, Bildende Kunst, S. 172 f. 523 BVerfGE 82; 43, 51 – Strauß-Transparent; 82, 272, 283 f. – Zwangsdemokrat; 85, 1, 16 – Bayer-Aktionäre; 93, 266, 294 – Soldaten sind Mörder; BVerfG, NJW 2001, 3613, 3614 – Bürgermeisterwahl; Grimm, NJW 1995, 1697, 1703; Gounalakis, NJW 1995, S. 809, 815 f. 524 BGH, NStZ 1982, 258. 525 Gärtner, Was die Satire darf, S. 209; Gounalakis, NJW 1995, 809, 815; vgl. auch Mahrenholz, Hdb. VerfR § 26, Rn. 89. 526 BVerfGE 82, 272 – Zwangsdemokrat; BVerfG, NJW 1991, 1475, 1477; NJW 1993, 1462; Grimm, NJW 1995, 1697, 1702. 519
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3. Kap.: Strafbarkeit religionsfeindlicher Äußerungen in Deutschland
jedoch als absolute Schranke der Meinungsfreiheit nur in engen Grenzen anzuwenden.527 Jenseits dieser grundsätzlichen Grenzen hat eine Abwägung im Einzelfall zu erfolgen, die jedoch ebenfalls verfassungsrechtlich geprägt ist. Zum einen geht das Bundesverfassungsgericht bei die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Fragen von einer „Vermutung der freien Rede“ aus, die der Meinungsfreiheit in der Regel Vorrang gegenüber dem Ehrschutz einräumt.528 Da diesem Bereich der öffentlichen Meinungsbildung sowohl kulturelle und wirtschaftliche als auch politische und gesellschaftliche Themen unterfallen, hat die Vermutungsformel einen weiten Anwendungsbereich.529 Religionskritische Äußerungen dürften diesem nicht selten zuzuordnen sein, da sie sich doch „typischerweise mit den zentralen Fragen des Seins und des Sollens (befassen), die im freiheitlich-demokratischen Gemeinwesen im Wege des öffentlichen Diskurses verhandelt werden.“530 Ein weiteres Element der Abwägung ist das sogenannte „Recht auf Gegenschlag“.531 Dieses führt dazu, dass Angriffe eher hinzunehmen sind und die Abwägung daher eher zugunsten des Äußernden ausgehen wird, wenn sich der Betroffene aus eigenem Entschluss in den öffentlichen Meinungskampf begeben hat. Teilweise wird schließlich noch auf den Aspekt der Reizüberflutung hingewiesen. Da es Zweck einer jeden Äußerung im Bereich der öffentlichen Meinungsbildung sei, Aufmerksamkeit zu erregen, müssten unter Berücksichtigung der heute bestehenden Reizüberflutung auch starke Formulierungen hingenommen werden.532 Auch für den Bereich der Tatsachenbehauptungen stellt das Bundesverfassungsgericht besondere Anforderungen an die strafrechtliche Verurteilung, sobald der Schutzbereich der Meinungsfreiheit eröffnet ist, sofern also keine bewusst oder evident unwahre Behauptung vorliegt. Für eine Verleumdung, bei der der Täter notwendigerweise die Unwahrheit der Behauptung kannte, kommt demnach eine Rechtfertigung nicht in Betracht.533 Für von § 186 StGB erfasste Äußerungen, deren Unwahrheit im Prozess aber nicht erwiesen werden konnte, muss hingegen nach dem Bundesverfassungsgericht ebenso eine Abwägung stattfinden.534 Es würde die Freiheit der Kommunikation erheblich einschränken und damit dem Grundrecht auf 527
Grimm, NJW 1995, 1697, 1703; s. dazu auch oben 2. Kapitel A. I. 2. d). St. Rechtsprechung seit BVerfGE 7, 198, 208 – Lüth; s. etwa BVerfGE 54, 129, 139 – Kunstkritik; 60, 234, 241 – Kredithaie; 61, 1, 11 – NPD Europas; 66, 116, 150 – Springer/ Wallraff; 85, 1, 16 – Bayer-Aktionäre; 93, 266, 294 – Soldaten sind Mörder. 529 Gärtner, Was die Satire darf, S. 212; krit. Ossenbühl, ZUM 1999, 505, 509. 530 Voßkuhle, EuGRZ 2010, 537, 543. 531 BVerfGE 12, 113, 126 ff. – Schmid/Spiegel; 24, 278, 286 – Tonjäger; 54, 129, 138 – Kunstkritik. 532 BVerfGE 24, 278, 286 – Tonjäger. 533 So auch Gärtner, Was die Satire darf, S. 224. 534 BVerfGE 99, 185, 198 – Helnwein; BVerfG, NJW 2004, 589 – Haarfarbe des Bundeskanzlers. 528
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freie Meinungsäußerung widersprechen, wenn ausschließlich Behauptungen getätigt werden dürften, deren Wahrheitsgehalt bereits unumstößlich bewiesen ist. Andererseits muss es unzulässig sein, ohne besonderen Grund ehrenrührige Tatsachen über einen anderen zu äußern, ohne sich über deren Wahrheitsgehalt zu informieren. Dieser Gedankengang, der, wie oben gesehen,535 in der Literatur zum Teil gar als tatbestandliche Begrenzung eingeordnet wird, findet nun auf Rechtfertigungsebene Beachtung und erlaubt in diesem Rahmen die Berücksichtigung der Sorgfalt, die der Äußernde zur Wahrheitsermittlung aufgewandt hat. Dabei sei aber zu beachten, dass die Wahrheitspflicht nicht überspannt und der von Art. 5 Abs. 1 GG geschützte freie Kommunikationsprozess nicht eingeschnürt wird.536 Der Sorgfaltsmaßstab ist insofern fließend – je schwerer der Eingriff in die Persönlichkeitsrechte, desto höher die Anforderungen an die sorgfältige Recherche.537 Zu berücksichtigen sind auf der einen Seite die Intensität der Ehrverletzung und der Grad ihrer Verbreitung, auf der anderen Seite die Aufklärungsmöglichkeiten des Äußernden und der Zweck der Äußerung. Daraus resultiert, dass für Massenmedien, deren Verbreitung einen verstärkten Eingriff in die Ehre bewirken und denen zudem erhöhte Aufklärungsmöglichkeiten zukommen, grundsätzlich ein strengerer Sorgfaltsmaßstab anzulegen ist als in der privaten Kommunikation.538 Wird der nötige Sorgfaltsmaßstab nicht eingehalten, hat die Meinungsfreiheit im konkreten Fall grundsätzlich hinter dem Ehrschutzinteresse des Betroffenen zurückzutreten; in den übrigen Fällen kann nach der Abwägung im Einzelfall eine Rechtfertigung in Betracht kommen.539 cc) Kritik der Literatur und eigene Stellungnahme Diese Rechtsprechung, der sich die Instanzgerichte mehr oder weniger widerwillig540 angeschlossen haben,541 ist in der Literatur auf erhebliche Kritik gestoßen.542 535
s. oben in diesem Kapitel B. II. 2. c) aa) (2) (a). BVerfGE 54, 208, 219 f. – Böll; 99, 185, 198 – Helnwein; BVerfG, NJW 2004, 589 – Haarfarbe des Bundeskanzlers. 537 Gärtner, Was die Satire darf, S. 225. 538 BVerfG, NJW 2004, 589 – Haarfarbe des Bundeskanzlers. 539 s. dazu die Grafik bei Grimm, NJW 1995, 1697, 1705. 540 s. hierzu insb. BayObLGSt 1994, 121, 124; BayObLG, NJW 2005, 1291: „Zwar vermag der Senat die massive Kritik, die in der Literatur an dieser Rechtsprechung geübt wurde, zumindest in Teilen nachzuvollziehen, sieht sich aber gehalten, die Auffassung des BVerfG zu respektieren und auch im vorliegenden Fall zu Grunde zu legen.“ 541 s. z.B. BayObLG, JR 2003, 33, das seine Entscheidung ausschließlich an der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung ausrichtet und dabei die strafrechtlichen Normen nur am Rande behandelt. 542 Arzt, JuS 1982, 717, 722 f.; Buscher, NVwZ 1997, 1057, 1059; v. der Decken, NJW 1983, 1400; Forkel, JZ 1994, 637, 640 ff.; Foth, JR 1996, 252, 254; Gössel, in: GS Schlüchter, S. 295, 311 f.; Herdegen, NJW 1994, 2933; Kiesel, NVwZ 1992, 1129 f.; Krey, JR 1995, 221, 225 f.; Kriele, NJW 1994, 1897, 1898; Mackeprang, Ehrenschutz im Verfassungsstaat, S. 119 ff., Merz, Strafrechtlicher Ehrenschutz und Meinungsfreiheit, S. 59 ff., 180 ff.; Ossenbühl, JZ 1995, 633, 640, Otto, JR 1983, 513; ders., NJW 2006, 575, 576; Schmitt Glaeser, JZ 536
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3. Kap.: Strafbarkeit religionsfeindlicher Äußerungen in Deutschland
Zum einen greife das Bundesverfassungsgericht zu tief in die Kompetenz der Fachgerichte ein,543 zum anderen missachte es Art. 5 Abs. 2 GG, indem es der Ehre keine ausreichende Wirkung als Schranke der Meinungsfreiheit zugestehe.544 Schließlich werde der an dogmatischen Kriterien orientierte Rechtfertigungsgrund des § 193 StGB zugunsten eines alles umfassenden Abwägungsprozesses aufgelöst.545 Dieser Kritik ist allerdings nicht zuzustimmen. Aus der herausragenden Bedeutung der Meinungsfreiheit sowohl für die Persönlichkeitsentfaltung des Einzelnen als auch für die Realisierung einer demokratischen Gesellschaftsstruktur muss im Sinne der bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung folgen, dass eine Einschränkung nur zum Schutz eines bedeutsamen Rechtsguts und dann auch nur nach einer Interessenabwägung im Einzelfall zulässig sein kann. Im Rahmen der Normanwendung ist das Aufeinandertreffen des Rechts auf persönliche Ehre des einen mit der Meinungsfreiheit eines anderen als Grundrechtskollision zu verstehen, die allein durch Herstellung einer praktischen Konkordanz vertretbar aufgelöst werden kann.546 Ob dies im Rahmen einer verfassungskonformen Auslegung des § 193 StGB547 oder über Art. 5 GG als eigenen Rechtfertigungsgrund548 erfolgt, soll hier auf Grund der vergleichbaren Vorgehensweise offen bleiben. In jedem Fall sind beide Rechtspositionen dergestalt in Ausgleich zu bringen, dass jede bestmöglich verwirklicht wird. Dies kann im Einzelfall – namentlich wenn wie hier die Wahrung des Grundrechts des einen automatisch die Beeinträchtigung des Grundrechts des 1983, 95, 97 ff.; ders., NJW 1996, 873; Sendler, NJW 1993, 2157; Stürner, JZ 1994, 865, 867 f.; Tettinger, Die Ehre – ein ungeschütztes Verfassungsgut?, S. 12, 17, 25, 28 ff.; ders., JZ 1983, 317, 325; ders., JuS 1997, 769, 771; Tröndle, in: FS Odersky, S. 259, 266 ff.; Zaczyk, in: NKStGB § 193 Rn. 33 ff.; im Wesentlichen i.S. des BVerfG aber z. B.: Foerstner, Kollektivbeleidigung, S. 135 ff., Grimm, NJW 1995, 1697; Hoffmann-Riem, AöR 128 (2003), 173 ff.; Ignor, Der Tatbestand der Beleidigung, S. 96 ff.; Kübler, NJW 1999, 1281; Kutscha, JuS 1998, 673, 676 ff.; Meurer, in: FS Hirsch, S. 651, 660 ff.; Müller, AfP 1997, 499 ff.; Schößler, Anerkennung und Beleidigung, S. 293 ff.; Soehring, NJW 1994, 2926 ff. 543 Sondervotum der Richterin Haas, in: BVerfGE 93, 266, 314 – Soldaten sind Mörder; Starck, JZ 1996, 1033 ff., 1037; Stark, JuS 1995, 689, 691; Tröndle, in: FS Odersky, S. 259, 269; diff. Dencker, in: FS Bemmann, S. 291, 293. 544 Zaczyk, JR 2003, 36; so auch v. der Decken, NJW 1983, 1400, 1403; Mackeprang, Ehrenschutz im Verfassungsstaat, S. 119 ff.; Otto, Jura 1997, 139, 140 f. 545 Zaczyk, in: FS Hirsch, S. 819, 820. 546 BVerfGE 42, 143, 152 – Deutschland-Magazin; Hilgendorf, in: LK-StGB Rn. 6; Lackner/Kühl, § 193 Rn. 14; anders Zaczyk, in: FS Hirsch, S. 819, 824. 547 So BVerfGE 12, 113, 125 – Schmid/Spiegel; 42, 143, 152 – Deutschland-Magazin; 93, 266, 290 f. – Soldaten sind Mörder; BGHSt 12, 287, 293; BVerwG, NJW 1982, 1008; BayObLG, StV 1982, 576, 577; OLG Düsseldorf, NJW 1982 1656, 1658; OLG Köln, NJW 1977, 398; Geppert, JR 1985, 430; Lackner/Kühl, § 193 Rn. 1; Meurer, in: FS Hirsch, S. 651, 655; Otto, NJW 2006, 575. 548 So Lenckner, in: GS Noll, S. 243, 254; Lenckner/Eisele, in: Schönke/Schröder § 193 Rn. 1; in diesem Sinne auch K. Fischer, Strafrechtliche Beurteilung, S. 69 ff., für den jedoch beide Normen als Rechtfertigungsgründe nebeneinanderstehen; während für die übrigen § 193 StGB seine Bedeutung vollständig an die verfassungsrechtliche Norm abgegeben hat. Krit. zu Art. 5 GG als Rechtfertigungsgrund Zaczyk, in: NK-StGB § 193 Rn. 40.
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anderen bedeutet – auch dazu führen, dass einer Rechtsposition in der konkreten Kollision Vorrang einzuräumen ist. Abzuwägen ist insbesondere nach dem jeweiligen Grad der Betroffenheit des Rechtsguts sowie nach weiteren Umständen des Einzelfalls: Motive und Zwecke, die hinter einer Äußerung stehen, der Grad des Informationsinteresses der Öffentlichkeit, die Wortwahl, das Vorverhalten des Angegriffenen.549 Wird diese Abwägung ernstgenommen, bewirkt sie eben keine einseitige Bevorzugung der Meinungsfreiheit, sondern ermöglicht einen schonenden Ausgleich beider Rechtspositionen. Eine „Vermutung zugunsten der freien Rede“ darf dabei nicht so verstanden werden, dass Angriffe, die weder Schmähkritik noch Formalbeleidigung noch Menschenwürdebeeinträchtigungen darstellen, unbesehen als zulässig bewertet werden.550 Vergleichbares muss für die Kunstfreiheit gelten. Auch sie kann als „berechtigtes Interesse“ im Sinne des § 193 StGB ihre Wirkung entfalten.551 Zwar sieht Art. 5 Abs. 3 GG keine ausdrücklichen Schranken vor und nach ganz herrschender Meinung dürfen auch die Schrankenbestimmungen des Art. 5 Abs. 2 GG nicht auf die Kunstfreiheit übertragen werden.552 Trotzdem ist auch die Kunst nicht völlig frei von jeglicher rechtlicher Beschränkung, sondern unterliegt verfassungsimmanenten Schranken. Insbesondere das Persönlichkeitsrecht Dritter kann daher der Freiheit der Kunst Grenzen setzen. Im Rahmen des § 193 StGB sind deshalb, wie auch für die Meinungsfreiheit, die kollidierenden Grundrechte im Sinne einer praktischen Konkordanz zu einem möglichst schonenden Ausgleich zu bringen.553 Dabei dürfen für die vorbehaltlos gewährleistete Kunstfreiheit keinesfalls strengere Maßstäbe angelegt werden als für die grundsätzlich beschränkbare Meinungsfreiheit.554 Zwar verläuft die Abwägung methodisch wie die im Rahmen des Art. 5 Abs. 1 GG, es kann sich aber aus den Umständen des Einzelfalls ergeben, dass eine Aussage, die unter dem Aspekt der Meinungsfreiheit nicht zu rechtfertigen gewesen wäre, durch das Ausmaß künstlerischer Verfremdung zulässig wird.555 Auch hier gilt aber, dass eine
549 Hilgendorf, in: LK-StGB § 193 Rn. 6; Lenckner/Eisele, in: Schönke/Schröder § 193 Rn. 16. 550 s. dazu auch Grimm, NJW 1995, 1697, 1704. 551 Joecks, in: MK-StGB § 193 Rn. 56. Ihm ist auch darin zuzustimmen, dass eine Differenzierung, ob die Rechtfertigung dann über § 193 StGB oder direkt über Art. 5 Abs. 3 GG erfolgt, mangels praktischer Auswirkungen unterbleiben kann. 552 BVerfGE 30, 173, 193 – Mephisto; s. zur Beschränkbarkeit der Kunstfreiheit auch die Ausführungen und Quellenangaben oben 2. Kapitel A. II. 3. 553 Lackner/Kühl, § 193 Rn. 14; Lenckner/Eisele, in: Schönke/Schröder § 193 Rn. 19. 554 Gärtner, Was die Satire darf, S. 212. 555 Kulczak, Bildende Kunst, S. 172; Lenckner/Eisele, in: Schönke/Schröder § 193 Rn. 19; Otto, JR 1983, 1, 10; ders., JR 1983, 511, 513; ders., NJW 1986, 1206, 1210; s. zu den Ursachen und Wirkungen der Privilegierung der Kunst gegenüber der Meinung auch Zechlin, KJ 1982, 248, 255 ff.
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3. Kap.: Strafbarkeit religionsfeindlicher Äußerungen in Deutschland
Verletzung der Menschenwürde selbst unter Berücksichtigung der Kunstfreiheit nie einer Rechtfertigung zugänglich ist.556 e) Prozessuale Besonderheit der Ehrdelikte Beleidigungsdelikte werden gemäß § 194 StGB nur auf Antrag verfolgt. Außerdem sind sie nach § 374 Abs. 1 Nr. 2 StPO Privatklagedelikte, sodass eine öffentliche Klage gemäß § 376 StPO nur bei Vorliegen eines öffentlichen Interesses erhoben wird. Auf Grund des hohen Kostenrisikos sowie des ebenso bedeutenden Risikos der Einstellung wegen Geringfügigkeit ist ihre Bedeutung in der strafrechtlichen Praxis äußerst gering.557 3. Bestrafung religionsfeindlicher Äußerungen als Ehrverletzung Nachdem die Voraussetzungen herausgearbeitet sind, stellt sich die Frage, ob die untersuchungsrelevanten Religionsbeschimpfungen als Ehrverletzungsdelikte strafrechtlich ahndbar sind. Zunächst fällt auf, dass sich bislang weder die Rechtsprechung558 noch das Schrifttum vertieft mit dieser Frage auseinandergesetzt hat. Daher ist zu untersuchen, ob sich religionsfeindliche Äußerungen unter die in der vorhergehenden Analyse herausgearbeiteten Voraussetzungen der Ehrverletzungsdelikte subsumieren lassen. Dies erscheint durchaus fragwürdig. Eine Anwendung der §§ 186, 187 StGB wird schon deshalb in den meisten Fällen nicht gelingen, weil religionsfeindliche – anders als bloß religionskritische – Äußerungen selten hinreichend substantiierte Tatsachenbehauptungen enthalten. In Betracht kommen allenfalls Unterstellungen über ein bestimmtes Verhalten, das die Anhänger einer Religion angeblich an den Tag legen. Äußerungen, die aber nicht 556 BVerfGE 75, 369, 380; OLG Karlsruhe, NJW 1994, 1963, 1964; BayObLG, NJW 1994, 952, 953; NJW 1995, 145, 146; K. Fischer, Strafrechtliche Beurteilung, S. 93 f.; Hufen, JuS 1989, 136, 139; Ignor, Straftatbestand der Beleidigung, S. 195; Würkner, NStZ 1988, 23; ders., JA 1988, 183, 191; anders Otto, JR 1994, 473, 474; krit. Enders, Menschenwürde in der Verfassungsordnung, S 485. 557 Zu leisten sind etwa eine Sicherheitsleistung, § 379 StPO, ein Gebührenvorschuss, § 379a StPO, ein Kostenvorschuss für das Sühneverfahren, § 380 StPO, sowie üblicherweise das Honorar eines Rechtsanwalts, ohne den die Klageverfassung kaum möglich sein wird. Die Möglichkeit der Einstellung wegen geringer Schuld des Täters ergibt sich aus § 383 Abs. 2 StPO. s. zu diesen und weiteren (gesellschaftlichen) Nachteilen, Bemmann, in: FS Wolff, S. 33, 34; Fischer, Vor § 185, Rn. 6. 558 Für § 185 StGB soweit ersichtlich nur LG Köln, MDR 1982, 771, das eine Strafbarkeit nach dieser Norm jedoch mit knapper Begründung ablehnt. Im Bereich der §§ 186, 187 StGB verbleiben OLG München, ZUM 1985, 632, über kritische Äußerungen über die ScientologyBewegung in einer Programmzeitschrift; OLG Düsseldorf, NVwZ 2001, 1449, zu Äußerungen eines evangelischen Pfarrers über einen bestimmten Sektenführer, die allerdings als im Kern wahrheitsgetreu bewertet werden, sowie OLG Hamburg, NJW-RR 1993, 1056, das Äußerungen über die Finanzierung der Scientology Church durch „Grundstückdeals“ ebenfalls als wahre Tatsachenbehauptungen einstuft.
B. Religionsfeindliche Äußerungen als strafbare Handlungen
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unmittelbar gegen die Religionsanhänger gerichtet sind, sondern Religionsinhalte zum Gegenstand haben, sind aber in der Regel als Werturteile einzuordnen. Das ist darauf zurückzuführen, dass das ihr Motiv regelmäßig nicht die sachliche Auseinandersetzung mit Tatsachen, sondern Provokation oder bloß Ausdruck der eigenen Abneigung ist. Folglich wird in den meisten Fällen eine Beleidigung im engeren Sinne nach § 185 StGB die näherliegende Alternative darstellen. Unabhängig von der Einordnung als Tatsachenbehauptung oder Werturteil stellt sich das Problem des Ehrbezugs. Indem die §§ 186, 187 StGB die Behauptung einer ehrenrührigen Tatsache verlangen, schließen sie alle Äußerungen aus, die keinen hinreichenden Bezug zur Person des Betroffenen aufweisen. Soweit den Religionsanhängern selbst ein bestimmtes – negatives – Verhalten nachgesagt wird („Du kinderschändender Christ!“, „Du terroristischer Muslim!“), lässt sich dieser Zusammenhang noch unproblematisch herstellen. Wenn aber etwa Mohammed unterstellt wird, ein Terrorist gewesen zu sein, oder Jesus beschuldigt wird, zum Missbrauch von Kindern aufgerufen zu haben,559 ist dies zwar eine ehrenrührige Behauptungen in Bezug auf die historischen Religionsstifter, diese vermag aber die Ehre der Gläubigen – zumindest im rechtlichen Sinn – nicht zu tangieren. Denn ihnen wird gerade nicht unterstellt, selbst Verbrechen zu begehen. Selbst wenn man in engen Grenzen die religiöse Identität als Teilbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts empfindet und bei einer Ehrverletzung von religiösen Bezugspersonen eine Persönlichkeitsrechtsverletzung annehmen will, fehlt es doch an einer unmittelbaren Beeinträchtigung der Ehre im strafrechtlichen Sinne, wie sie die §§ 186, 187 StGB voraussetzen.560 Ähnliches gilt für eine Strafbarkeit wegen Beleidigung im engeren Sinne. Indem § 185 StGB die Kundgabe von Missachtung verlangt, bedarf es wie bei der üblen Nachrede und Verleumdung einer Beeinträchtigung der Ehre. Diese kann bei Äußerungen festgestellt werden, die sich nicht auf Religionsinhalte, sondern auf die Gläubigen als Personen beziehen. Wird also ein Gläubiger vor dem Hintergrund seiner Religion beschimpft, ist schon unabhängig von jeglichem Religionsbezug eine Beleidigung anzunehmen. Gleiches gilt auch dann, wenn sich der Wortlaut der beleidigenden Äußerung zwar auf sämtliche Anhänger einer Religion bezieht, es sich aber aus den Umständen eindeutig ergibt, dass vor allem eine bestimmte Person – in der Regel der Gesprächspartner – gemeint ist („Ihr Katholiken seid doch alle …!“). In diesem Sinne wurde für die Äußerung „Protestantische Scheiße raus!“ gegenüber einer protestantischen Nachbarin eine Strafbarkeit nach § 185 StGB bejaht.561 An einem Bezug auf die Ehre fehlt es aber regelmäßig dann, wenn die Inhalte einer Religion verächtlich gemacht oder beschimpft werden. Denn wenn sich die 559
b) ff.
Zu diesem Fall aus der französischen Rechtsprechung s. auch unten 4. Kapitel B. II. 4.
560 Zum religiösen Identitätsschutz s. oben 2. Kapitel B. III. 4. b); vgl. hierzu auch die Ausführungen zur mittelbaren Ehrverletzung in diesem Kapitel B. II. 2. c) cc). 561 OLG Koblenz, NJW 1993, 1808, 1809.
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3. Kap.: Strafbarkeit religionsfeindlicher Äußerungen in Deutschland
Gläubigen auch in ihrer religiösen Identität beeinträchtigt fühlen, so resultiert daraus doch eben keine Verletzung ihres Geltungswerts als Person. Auch nach der Rechtsprechung genügt es für die Annahme einer kundgegebenen Missachtung gerade nicht, dass eine Beschimpfung eines Bekenntnisses vorliegt; darüber hinaus müssen die Umstände des Einzelfalls eine besondere Ehrverletzung begründen.562 Dies könnte lediglich dann zu bejahen sein, wenn einer Aussage neben der inhaltlichen Auseinandersetzung mit der Religion auch die Behauptung zu entnehmen ist, den Gläubigen stehe auf Grund ihrer Zugehörigkeit zu dieser Glaubensrichtung nur ein verminderter Geltungswert zu. Dafür reicht es nicht aus, dass sich der Gläubige unverstanden fühlt oder glaubt, für einfältig gehalten zu werden („Das ist doch Quatsch!“). Zum einen muss sich dieser Aussagehalt auch auf der Grundlage einer objektiven Auslegung ergeben. Zum anderen birgt eine solche Interpretation das Risiko, dass letztlich über dem Umweg des „Für-Dumm-Haltens“ sämtliche religionskritische Äußerungen unter Strafe gestellt würden. Denn jede harte Auseinandersetzung mit einem religiösen Inhalt enthält auch Unverständnis gegenüber den Menschen, die an den betreffenden Lehren ihr Leben ausrichten. Dies kann aber für eine strafrechtsrelevante Ehrverletzung nicht ausreichend sein. Aber auch sonst ist Äußerungen, die sich ausschließlich auf religiöse Inhalte beziehen, nur selten ein Bezug zur Ehre der Religionsanhänger zu entnehmen, zumal herausgearbeitet werden konnte, dass eine allein mittelbare Beziehung nicht ausreichend ist.563 Zum Teil wird ein unmittelbarer Ehrbezug dann unproblematisch angenommen, wenn Gläubige direkt mit einer beschimpfenden Handlung konfrontiert werden.564 Ob der Äußerung oder Handlung ein solcher Inhalt allerdings tatsächlich zuzuschreiben ist, muss jedoch im Wege einer umfassenden Deutung unter Berücksichtigung der Gesamtumstände und der grundgesetzlichen Vorgaben erst ermittelt werden. In der Regel ist ein hinreichender Bezug zu dem Geltungswert der Religionsanhänger daher abzulehnen. Denn selbst wenn ein Kruzifix beschmutzt oder ein Koran die Toilette heruntergespült wird, mag dem nicht die eindeutige Aussage zu entnehmen sein, dass dies symbolisch für die Religionsanhänger steht. Stattdessen liegt in solchem Verhalten zwar eine unzweifelhafte Provokation, es fehlt aber an einer unmittelbaren Herabwürdigung einer Person, die sich lediglich aus begleitenden Äußerungen ergeben könnte. Es scheint, als verberge sich hinter der einhelligen, aber wenig begründeten Einordnung als Beleidigung ein grundsätzliches Bedürfnis, „einen schlechthin für unerträglich gehaltenen Kern böswilliger Religionsbeschimpfung in die Reichweite staatlicher Verbotsnormen einzubeziehen“.565 Dieses Bedürfnis darf aber nicht durch die Umgehung der tatbestandlichen Vor562
LG Köln, MDR 1982, 771, 771 f. s. oben in diesem Kapitel B. II. 2. c) cc). 564 So Isensee, Blasphemie, in: Religionsbeschimpfung, S. 105, 123; Rox, Schutz religiöser Gefühle, S. 182 f., zum Werfen des Korans in die Toilette in Anwesenheit gläubiger Muslime oder dem Werfen von Hostien aus dem Fenster aus Anlass des Papst-Besuchs vor den Augen gläubiger Christen. 565 Cornils, AfP 2013, 199, 201. 563
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aussetzungen – insbesondere der direkten Herabwürdigung des Geltungswert des Betroffenen – befriedigt werden, während gleichzeitig ein Konfrontationsschutz in religiösen Belangen abgelehnt wird. Bei Äußerungen, die sich direkt auf die Religionsangehörigen beziehen, ohne jedoch auf einen oder mehreren bestimmten Betroffenen konkretisiert zu sein („Alle Christen sind …!“), besteht hingegen regelmäßig ein Problem im Rahmen der Beleidigungsfähigkeit bei Kollektivbezeichnungen. Wie oben gesehen566 ist in der ständigen Rechtsprechung bei größeren Personengemeinschaften (wie es insbesondere „die Muslimen“, „die Katholiken“ und „die Protestanten“ sind) eine Betroffenheit jedes Einzelnen Gläubigen zu verneinen. „Die Juden“ als solche können zwar im Widerspruch zu dieser Rechtsprechung als Personenmehrheit das Opfer eines Ehrverletzungsdelikts werden. Die so entschiedenen Fälle zeichnen sich jedoch dadurch aus, dass den Äußerungen kein Religionsbezug zu entnehmen ist, sondern die Juden auf Grund von rassenantisemitischer Gesinnung als Volksgruppe beeinträchtigt werden. Zwar ist nach der hier vertretenen Auffassung eine Beleidigung unter einer Sammelbezeichnung unter besonderen Voraussetzungen auch bei Großkollektiven grundsätzlich nicht ausgeschlossen. Erforderlich ist dann aber, dass die Äußerung sich tatsächlich gegen sämtliche Mitglieder der Religionsgemeinschaft richtet, sie persönlich treffen will und eben nicht als bloße Pauschalbehauptung über ein gesellschaftliches Phänomen zu verstehen ist. Hierzu reicht es nicht aus, wenn etwa nur ein Symbol einer Religionsgemeinschaft ins Lächerliche gezogen wird.567 Zu bejahen wäre eine Ehrverletzung aber beispielsweise dann, wenn sämtlichen Anhängern einer Religion ein bestimmtes Verhalten nachgesagt, dass in engem Zusammenhang mit der religiösen Lehre steht. Hier ist beispielsweise auf die schon erwähnte Äußerung, alle Juden billigten wegen anderer für sie vorrangiger Lehren im Talmud ungeachtet strafrechtlicher Verbote den sexuellen Missbrauch von Kindern.568 In derartigen Konstellationen ist davon auszugehen, dass der Äußernde eben nicht eine bloße Pauschalbehauptung abgibt, die notwendigerweise Ausnahmen zulässt, sondern sich in einer pseudowissenschaftlichen Position anmaßt, ein herabwürdigendes Urteil über sämtliche Mitglieder der Religionsgemeinschaft bilden zu können. Umgekehrt hält die ständige Rechtsprechung entgegen der hier vertretenen Auffassung Personengemeinschaften als solche für beleidigungsfähig.569 Demnach sei nicht die Individualehre der Gläubigen betroffen, wohl aber eine „Kollektivehre“ der juristischen Person. Auf dieser Grundlage müsste beispielsweise die Beleidigung der Kirche möglich sein.570 Da zwischen der Religionsgemeinschaft als solcher und 566 567 568 569 570
s. oben in diesem Kapitel B. II. 2. b) bb) (2). So auch OLG Köln, 04. 07. 1995, SS 219-220/95 – 75-76. Vgl. hierzu BGH, NStZ-RR 2006, 305. s. oben in diesem Kapitel B. II. 2. b) aa). So auch OLG München, ZUM 1985, 632, 635 zur Scientology-Kirche.
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3. Kap.: Strafbarkeit religionsfeindlicher Äußerungen in Deutschland
den religiösen Symbolen ein weitaus engerer Bezug besteht als zwischen letzteren und den einzelnen Gläubigen, könnte konsequenterweise eine Ehrverletzung der Organisation auch in den eben abgelehnten Fällen zu bejahen sein. So könnte unter dieser Prämisse bei verständiger Auslegung einer Schändung von Hostien oder der eines Kruzifixes durchaus eine Herabwürdigung der katholischen Kirche angenommen werden, da diese durch diese Gegenstände symbolisiert werden könnte. Tatsächlich aber ist eine Verurteilung wegen Beleidigung einer Religionsgemeinschaft in einer solchen Konstellation bislang nicht vorgekommen. Dies bestätigt letztlich, dass die Konstruktion einer Kollektivehre höchst problematisch ist. Im religionsbezogenen Bereich könnte sie schließlich über Umwege zu einer Bestrafung des Verächtlichmachens religiöser Symbole führen, die in diesem Ausmaß nicht gewollt ist. Die Betroffenheit einer juristischen Person wird in solchen Fällen schon intuitiv nicht als Grund der Strafwürdigkeit wahrgenommen, als schutzwürdig erscheinen ausschließlich die Personen, die eine solche Schändung mitansehen müssen.571 Deshalb und auf Grund der oben vorgebrachten Argumente ist daher die Beleidigungsfähigkeit von Religionsgemeinschaften als solche zu verneinen. Zuletzt kann einer Bestrafung noch eine Rechtfertigung nach § 193 StGB entgegenstehen. Die weite Auslegung der Rechtsprechung ermöglicht durch dieses Einfalltor die Berücksichtigung der Meinungs- und der Kunstfreiheit, sodass an dieser Stelle noch eine Abwägung zwischen diesen Grundrechten des Äußernden und der beeinträchtigten Rechtsstellung des Betroffenen zu erfolgen hat.572 Diese Norm ist von erheblicher Relevanz für die vorliegende Untersuchung, da religionsfeindliche Äußerungen zumindest teilweise – tatsächlich oder wenigstens im Prozess dargelegt – der Motivation entspringen, auf Missstände in den Religionsgemeinschaften aufmerksam zu machen. Eine derartige Zielsetzung liegt durchaus im Allgemeininteresse der öffentlichen Meinungsbildung, sodass nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts573 die Vermutungsregel der freien Rede zu gelten hat. So wurde etwa eine Strafbarkeit nach § 185 StGB mit der Begründung verneint, der Angriff gegen die Ehre der katholischen Geistlichen sei durch seinen ausdrücklichen Bezug auf einmalige historische Vorgänge seinem Inhalt nach (noch) der zulässigen Kritik zuzurechnen und könne wegen seines sachlichen Bezugs nicht unter die Oberbegriffe des „polemischen Ausfalls“, der „gehässigen und böswilligen Schmähkritik“ oder des „Wertungsexzesses“ subsumiert werden.574 Vergleichbar wurde auch eine satirische Darstellung des Papstes mit homosexuellen Attributen im Rahmen einer Christopher-Street-Day-Parade beurteilt: Sie enthalte im Wesentlichen eine Kritik an der Einstellung der katholischen Kirche zur Homosexualität und sei damit ausschließlich eine kritische Meinungsäußerung und keine Schmähung des 571
Vgl. etwa Isensee, Blasphemie, in: Religionsbeschimpfung, S. 105, 123; Rox, Schutz religiöser Gefühle, S. 182 f. 572 s. hierzu oben in diesem Kapitel B. II. 2. d). 573 St. Rechtsprechung seit BVerfGE 7, 198, 208 – Lüth, s. oben in diesem Kapitel Fn. 528 m.w.N. 574 LG Bochum, NJW 1989, 727, 728.
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Papstes.575 Im Hinblick auf religionskritische Äußerungen ist dieses Verständnis uneingeschränkt zu begrüßen. Sofern hinter – auch drastischen – Äußerungen die Bestrebung steckt, Missstände aufzudecken und zu beseitigen, sollte diese Zielrichtung positiv berücksichtigt werden und eine Strafbarkeit ausscheiden. Denn die politische Motivation lässt die Äußerung im Kampf der Meinungen als besonders schützenswert erscheinen; eine Bestrafung schränkt die Meinungsfreiheit unverhältnismäßig ein und bringt die freie Diskussion zum Stillstand. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die Anforderungen an eine Ahndung religionsbeschimpfender Äußerungen nach den §§ 185 – 187 StGB in der Praxis zu Recht hoch angesetzt sind und nur in wenigen Fällen erfüllt sind. So fehlt es bei religionsfeindlichen Äußerungen häufig schon an einer Behauptung, die einen direkten Bezug zu einem oder mehreren Betroffenen herstellt und dessen bzw. deren persönlichen Geltungswert direkt betrifft. Darüber hinaus ist notwendig, dass die Interessen des Betroffenen in einer Abwägung mit der Kunst- und Meinungsfreiheit des Äußernden überwiegen. Dies ist im Rahmen der öffentlichen Meinungsbildung dann der Fall, wenn ein Angriff auf die Menschenwürde oder ein Fall der Schmähkritik vorliegt.
III. Religionsfeindliche Äußerungen als Bekenntnisbeschimpfung Die tragende Rolle zum Schutz gegen Religionsfeindlichkeit im deutschen Strafrecht kommt allerdings den Straftaten des 11. Abschnitts des Strafgesetzbuchs zu. Für Äußerungen ist insofern § 166 StGB zu untersuchen. 1. Schutzzweck und verfassungsrechtliche Legitimation der Meinungsfreiheitsbeschränkung Dass aus verfassungsrechtlichen Gründen ein Schutz der Religionsinhalte und der Religionen selbst ausscheiden muss, liegt auf der Hand.576 Fraglich ist, ob der Norm eine andere Schutzrichtung zu entnehmen ist, die den Anforderungen der Meinungsfreiheit, also insbesondere der Allgemeinheit der Gesetzes und damit des Schutzes eines erheblichen Rechtsguts,577 genügt. Seit der Neufassung durch das Erste Gesetz zur Reform des Strafrechts vom 25. Juni 1969578 wird weitgehend vertreten, § 166 StGB schütze in seiner Gesamtheit ausschließlich den öffentlichen Frieden in der Ausprägung, die er durch den Tole575 VGH München, NJW 2011, 793, 794 f.; anders noch VG München, 12. 03. 2008 – M 7 K 08.1146 (juris) und M 7 K 06.3459 (juris). 576 s. oben 2. Kapitel B. I. und II. 1. 577 Vgl. hierzu oben 2. Kapitel A. I. 2. 578 BGBl. 1969 I, S. 645.
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3. Kap.: Strafbarkeit religionsfeindlicher Äußerungen in Deutschland
ranzgedanken erfahren habe.579 Allerdings fehlt es bei einer rein säkularen, auf das friedliche Zusammenleben zwischen den Bürgern bezogenen Schutzrichtung schon an einer sinnvollen Begründung für die Sonderstellung von Auseinandersetzungen im religiösen und weltanschaulichen gegenüber denen aus dem gesellschaftspolitischen, sozialen, wirtschaftlichen oder ökologischen Bereich, die doch ähnlich geeignet sind, Spannungen und Uneinigkeit hervorzurufen.580 Diese Privilegierung lässt sich allein damit erklären, dass religiöse und weltanschauliche Bekenntnisse einen weit engeren Bezug zum Kernbereich der menschlichen Persönlichkeit aufweisen. In der Tat wirkt es, als sei der öffentliche Friede als Schutzgut der Norm nur vorgeschoben. Im Vergleich zu den frühen Theorien zum Schutz der Religion und Gottes um ihrer selbst willen und den Gefühlsschutztheorien der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts581 erscheint er als strafrechtliches Schutzgut „zeitgemäßer und weniger angreifbar“.582 Es entsteht der Eindruck, für ein bereits bestehendes und als erhaltenswert empfundenes Verbot sei ein neues Schutzgut hinzugezogen worden, um die Legitimationsprobleme religionsbezogener Straftatbestände im säkularen Staatssystem zu umgehen. Nähme man den Gedanken eines weltanschaulich-neutralen Friedensschutzes ernst, ginge § 166 StGB vollständig in dem Verbot der Volksverhetzung auf.583 Hinzu kommt, wie oben584 bereits festgestellt, dass der öffentliche Friede in seinem Verständnis als Klimaschutz (auch nach bundesverfassungsgerichtlicher Rechtsprechung585) eine meinungs- und kunstfreiheitsbeschränkende Strafvorschrift nicht rechtfertigen kann. Der herrschenden Auffassung, die den Schutzzweck der „Religionsdelikte“ im öffentlichen Frieden sieht, kann demnach nicht zugestimmt werden. Das Bundesverfassungsgericht interpretiert den öffentlichen Frieden als Gewährleistung der Friedlichkeit und damit letztlich als Schutz vor Gewalttätigkeiten 579
BT-Drucks. 5/4094. S. 28 f.; OLG Köln, NJW 1982, 657, 658; OLG Celle, NJW 1986, 1275, 1276; Dippel, in: LK-StGB § 166 Rn. 7 ff.; Enders, KuR 2007, 40, 49; Eser, Schutz von Religionen, in: Hdb. StaatskirchenR, S. 1019, 1027; Hilgendorf, in: Satzger/Schluckebier/ Widmaier § 166 Rn. 4; Katholnigg, NStZ 1986, 555; Lackner/Kühl, § 166 Rn. 1; Lenckner/ Bosch, in: Schönke/Schröder Vor § 166 Rn. 2; Maurach/Schroeder/Maiwald, BT II, § 61 Rn. 2; Ott, NStZ 1986, 365; Rudolphi/Rogall, in: SK-StGB Vor § 166 Rn. 4; Steinbach, JR 2006, 495, 496; Zipf, NJW 1969, 1944. 580 Worms, Bekenntnisbeschimpfung, S. 110. 581 s. zu der Entwicklung des Schutzzwecks auch oben 1. Kapitel B. I. 1. 582 Schilling, Gotteslästerung strafbar?, S. 118; vgl. auch Hassemer, Religionsdelikte, in: Christentum und modernes Recht, S. 232, 236: „ein Kompromiß, der in seinem Bemühen, es allen recht zu machen, die Ambivalenz zwischen dem Übersinnlichen und dem sinnlich Greifbaren deutlich zum Ausdruck bringt“; ähnlich Mückl, Freiheit des Glaubens, in: Freiheit der Religion, S. 97, 103; Cornils, AfP 2013, 199, 204. 583 Enders, KuR 2007, 40, 49 f.; Fischer, GA 1989, 445, 464; Manck, Evangelisch-theologische Diskussion, S. 82 f.; Pawlik, in: FS Küper, S. 411, 419; ders., Strafrechtlicher Schutz, in: Religionsbeschimpfung, S. 31, 45 f.; ebenso Schmitz, Straftaten gegen Religion und Weltanschauung, S. 75; Worms, Bekenntnisbeschimpfung, S. 110. 584 s. oben 2. Kapitel B. II. 2. b). 585 BVerfGE 124, 300, 335 – Wunsiedel.
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und weiteren Rechtsbrüchen.586 In diesem Sinne, aber ohne dieses diffuse Allgemeinrechtsgut vorzuschieben, soll untersucht werden, ob ein vorgelagerter Rechtsgüterschutz die Norm verfassungsrechtlich legitimieren kann. Hieran bestehen jedoch erhebliche Zweifel. Zum einen ist fraglich, ob religionsfeindlichen Äußerungen überhaupt ein hinreichendes Gefährdungspotential zukommt. Zwar sind in der Vergangenheit bei gewalttätigen Ausschreitungen als Reaktion auf religionsfeindliche Äußerungen vereinzelt Rechtsgüter beeinträchtigt worden.587 Ob daraus aber geschlossen werden kann, dass bekenntnisbeschimpfende Äußerungen, die nicht die Schwelle des § 130 StGB überschreiten, generell Gewalt nach sich ziehen, muss bezweifelt werden. Zum anderen müssen die gegebenenfalls hervorgerufenen Ausschreitungen dem Äußernden überhaupt zuzurechnen sein. Denn allein dass die Bestrafung des Äußernden das Risiko von Rechtsgutsverletzungen effektiv eindämmen kann, vermag seine Strafbarkeit nicht zu begründen, wenn die eigentlichen Rechtsgutsverletzungen von anderen ausgehen.588 Wie oben gesehen589 ist bei „bloß“ religionsfeindlichen Äußerungen anders als bei denen, die die Schwelle des § 130 Abs. 1 Nr. 1 StGB überschreiten, in der Regel kein hinreichender Zusammenhang zwischen der Äußerung und den gewalttätigen Reaktionen Dritter anzunehmen, der eine Zurechnung rechtfertigt. Insbesondere in der verfassungsrechtlichen Literatur,590 aber zum Teil auch in der strafrechtlichen Rechtsprechung591 wird häufig auf die Religionsfreiheit als Schutzzweck des § 166 StGB verwiesen. Zwar ist ein enger Zusammenhang zwischen den beiden Normen nicht von der Hand zu weisen. Allerdings konnte he586
BVerfGE 124, 300, 335 – Wunsiedel. Etwa die Ausschreitungen gewaltbereiter Salafisten auf Grund islamfeindlicher Aktionen der Partei PRO NRW in Solingen und Bonn im Mai 2012, bei denen mehrere Personen verletzt wurden, s. FAZ.net, 01. 05. 2012, http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/demonstrati on-in-solingen-salafisten-attackieren-polizisten-11736688.html, und 05. 05. 2012, http://www. faz.net/aktuell/politik/polizisten-verletzt-wieder-ausschreitungen-bei-aktionen-von-salafistenund-islam-gegnern-11741375.html (jeweils zuletzt abgerufen am 29. 05. 2017). Dass gewalttätige Ausschreitungen inzwischen regelmäßig Folge von Religionsbeschimpfungen sind, lässt sich aber nicht feststellen. 588 Vgl. hierzu Hörnle, Strafe als Reaktion, in: Straftheorie und Strafgerechtigkeit, S. 215, 220. 589 Vgl. 2. Kapitel B. III. 2. 590 Hofmann, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke Art. 4 Rn. 57; vgl. auch Bamberger, GewA 1997, 359; in der sonstigen Kommentarliteratur wird meist undifferenziert darauf verwiesen, die Religionsausübungsfreiheit werde durch die §§ 166 ff. StGB gewährleistet, s. Kokott, in: Sachs Art. 4 Rn. 85; Mückl, in: BK-GG Art. 4 Rn. 133; Starck, in: v. Mangoldt/ Klein/Starck Art. 4 Rn. 20, 143. Auch diese Tendenz weist darauf hin, dass zumindest aus verfassungsrechtlicher Sicht ein bloßer Schutz des öffentlichen Friedens nicht als ausreichendes Schutzgut erachtet wird. 591 BGH, GA 1961, 240; AG Köln, KJ 1982, 202: „Die Vorschrift des § 166 StGB schützt nicht lediglich, möglicherweise nachrangigen, öffentlichen Frieden, sondern ausweislich der Überschrift […] in erster Linie die freie Religionsausübung, deren Störung allerdings erst dann strafrechtlich relevant wird, wenn sie geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören.“ 587
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3. Kap.: Strafbarkeit religionsfeindlicher Äußerungen in Deutschland
rausgearbeitet werden, dass die Religionsfreiheit keinen Konfrontationsschutz zwischen Privaten bietet.592 Sie ist nur dann betroffen, wenn die Grundrechtsträger tatsächlich an der Ausübung ihrer Religion gehindert werden, was bei bloßen Beschimpfungen regelmäßig nicht der Fall ist. Vergleichbares gilt für die Menschenwürde. Mag es auch im Einzelfall bei einer Bekenntnisbeschimpfung im Sinne des § 166 StGB zu Menschenwürdeverletzungen kommen, ist dies doch nicht der Regelfall. Kann eine Menschenwürdeverletzung bejaht werden,593 besteht zwar grundsätzliche eine Schutzpflicht des Staats. Dieser ist der Gesetzgeber aber in § 130 Abs. 1, 2 StGB nachgekommen,594 der sämtliche Angriffe auf die Menschenwürde durch Beschimpfung, Verleumdung oder Verächtlichmachung bestraft, wenn sie auf eine religiöse Gruppe oder ein einzelnes Mitglied einer solchen Gruppe abzielen. Darüber hinaus bietet die Menschenwürde aber keine Rechtfertigung für ein strafrechtliches Verbot der Religionsbeschimpfung, da ihr Schutzgehalt nicht betroffen ist. Folglich bleibt von den nach hier vertretener Ansicht zulässigen Schutzgütern im Bereich der Religionsbeschimpfung allein das allgemeine Persönlichkeitsrecht als mögliche Legitimation dieser meinungsfreiheitsbeschränkenden Vorschrift. Problematisch ist jedoch, dass die Ausgestaltung des Tatbestands keinerlei Individualbezug aufweist. Jener setzt weder die Verletzung einer Person in ihrer religiösen Identität noch auch nur eine in diese Richtung gehende konkrete Gefährdung oder Gefährdungseignung voraus, sondern stellt im Wesentlichen auf eine Beeinträchtigung des öffentlichen Friedens ab. Hier offenbart sich erneut die Motivation des Gesetzgebers, der ausschließlich den öffentlichen Frieden als Schutzgut der Norm zu etablieren suchte595 und daher konsequent auf individualbezogene Elemente verzichtete. Für § 166 Abs. 2 StGB bliebe als Schutzgut bei Ausschluss des öffentlichen Friedens die Ehre der Religionsgesellschaften. Allerdings konnte bereits herausgearbeitet werden,596 dass nach der hier vertretenen Ansicht ein Ehrschutz für juristische Personen und andere Kollektivpersonen abzulehnen ist. Die Ehre ist personal als Ausfluss der Menschenwürde und des menschlichen Personseins zu verstehen und kann somit nur natürlichen Personen zugestanden werden. Nach der hier vertretenen Ansicht ist ein so formulierter Tatbestand aus verfassungsrechtlicher Perspektive nicht haltbar. Die herrschende Literatur und vor allem die Rechtsprechung teilen diese Kritik jedoch nicht, sodass die Norm – wenn auch 592
s. oben 2. Kapitel B. III. 3. b). s. zu diesen Konstellationen oben 2. Kapitel B. III. 1. 594 Ähnlich auch Hörnle, Grob anstößiges Verhalten, S. 350; Ott, NStZ 1986, 365, die eine Anwendbarkeit des § 130 StGB in „gravierenden Fällen“ bejahen; Fischer, GA 1989, 445, 467 hingegen scheint sämtliche Religionsbeschimpfungen unter die Norm subsumieren zu wollen. 595 BT-Drucks. 5/4094. S. 28 f. 596 s. dazu oben in diesem Kapitel B. II. 2. b) aa). 593
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selten597 – tatsächliche Anwendung findet. Daher sind im Folgenden die Voraussetzungen der Vorschrift zu erörtern. 2. Voraussetzungen des § 166 StGB In § 166 StGB wird das Beschimpfen eines Bekenntnisses (Abs. 1) bzw. einer Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft oder ihrer Einrichtungen oder Gebräuche (Abs. 2), das zur Störung des öffentlichen Friedens geeignet ist, mit Freiheitsstrafe von bis zu 3 Jahren oder mit Geldstrafe bedroht. a) Bezugsobjekt Das Objekt der Beschimpfung differiert zwischen den beiden Absätzen der Strafnorm. Während sich Absatz 1 auf den Inhalt eines religiösen oder weltanschaulichen Bekenntnisses bezieht, muss sich die Beschimpfung bei Absatz 2 gegen eine im Inland bestehende Kirche oder andere Religionsgesellschaft oder Weltanschauungsvereinigung, ihre Einrichtungen oder Gebräuche richten. aa) Inhalt eines religiösen oder weltanschaulichen Bekenntnisses Nach § 166 Abs. 1 StGB muss die Äußerung gegen den Inhalt des religiösen oder weltanschaulichen Bekenntnisses anderer gerichtet sein. In Bezug auf den Begriff des weltanschaulichen Bekenntnisses besteht eine Vielzahl von Unklarheiten.598 Da er aber für den hier interessierenden Bereich der religionsfeindlichen Äußerungen keine Bedeutung hat, soll hier auf Einzelheiten verzichtet werden. Unter einem Bekenntnis versteht man das sich auch nach außen manifestierende Durchdrungensein von übergeordneten Vorstellungen, denen sich der Bekennende verpflichtet fühlt und dass sich von Überzeugungen oder Meinungen politischer oder wissenschaftlicher Art dadurch unterscheidet, dass es von dem Bekennenden als konstituierend für den nicht weiter ableitbaren Wert der eigenen Person erlebt wird.599 Das religiöse Bekenntnis wird dabei durch seinen transzendentalen Bezug charakterisiert.600 Ob es sich um das Bekenntnis einer Kirche, einer kleineren Glaubensgemeinschaft oder auch nur eines Einzelnen handelt, ist irrelevant.601 Dies 597
s. dazu unten in diesem Kapitel B. III. 3. Vgl. zu der zum Teil „inflationären Ausdehnung“ Stübinger, in: MK-StGB § 166 Rn. 9, der auch deswegen die Strafwürdigkeit des inkriminierten Verhaltens in Frage stellt. 599 Fischer, § 166 Rn. 4 unter Verweis auf BVerfGE 12, 45, 55 – Kriegsdienstverweigerung I; vgl. auch Dippel, in: LK-StGB § 166 Rn. 15. 600 s. oben 2. Kapitel B. III. 3. a). 601 Eser, Schutz von Religionen, in: Hdb StaatskirchenR, S. 1019, 1028; Hilgendorf, in: Satzger/Schluckebier/Widmaier § 166 Rn. 7; Hörnle, in: MK-StGB § 166 Rn. 7; Maurach/ Schroeder/Maiwald, BT II, § 61 Rn. 10; Lenckner/Bosch, in: Schönke/Schröder § 166 Rn. 4; 598
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scheint mit dem von der herrschenden Meinung angenommenen Schutzzweck des öffentlichen Friedens schwer vereinbar zu sein. Praktische Schwierigkeiten folgen daraus allerdings schon deshalb nicht, weil Beschimpfungen des Bekenntnisses eines Einzelnen in der Regel nicht geeignet sein werden, den öffentlichen Frieden zu stören.602 Zwar verlangt der Wortlaut, dass die Beschimpfung gegen den Inhalt eines Bekenntnisses anderer gerichtet ist. Dies bedeutet aber nicht, dass der Täter selbst dem beschimpften Bekenntnis nicht angehören kann, sofern sich nur außer ihm auch noch andere zu ihm bekennen.603 Umstritten ist, ob auch eine Beschimpfung des Bekenntnisses selbst ausreichend ist,604 da sich der Wortlaut der Norm ausdrücklich und ausschließlich auf den Inhalt eines Bekenntnisses bezieht. Daher ist weder die pauschale Verknüpfung eines Bekenntnisses mit einem Schimpfwort noch die Beschimpfung einer Person wegen ihrer Zugehörigkeit zu einem Bekenntnis tatbestandlich.605 Dies spricht aber nicht dagegen, auch die Gesamtheit aller Wertvorstellungen eines Bekenntnisses als dessen Inhalt zu verstehen.606 Daneben sind aber auch einzelne Teilaussagen des Bekenntnisses erfasst.607 Ob die Aussage für einen bestimmten Glauben objektiv
Schmitz, Straftaten gegen Religion und Weltanschauung, S. 49 f.; Zipf, NJW 1969, 1944; zweifelnd bzgl. des Einzelnen Fischer, § 166 Rn. 4a. 602 Dippel, in: LK-StGB § 166 Rn. 16; Eser, Schutz von Religionen, in: Hdb StaatskirchenR, S. 1019, 1028. 603 Dippel, in: LK-StGB § 166 Rn. 25; Lenckner/Bosch, in: Schönke/Schröder § 166 Rn. 7; Rudolphi/Rogall, in: SK-StGB § 166 Rn. 4. 604 Dafür: Lenckner/Bosch, in: Schönke/Schröder § 166 Rn. 4; dagegen Lackner/Kühl, § 166 Rn. 2; Rudolphi/Rogall, in: SK-StGB § 166 Rn. 3; vgl. auch Dippel, in: LK-StGB § 166 Rn. 16, der einerseits betont, nicht das Bekenntnis als solches sei geschützt, andererseits aber bei einem „das Bekenntnis als Ganzes treffenden Angriff“ nicht für erforderlich hält, dass der Inhalt näher konkretisiert wird; unklar auch OLG Koblenz, NJW 1993, 1808, 1809, das bei der Beschimpfung „Protestantische Scheiße raus“ zwar den objektiven Tatbestand des § 166 StGB unproblematisch als gegeben ansieht, das Problem aber im Vorsatz aufgreift und diesen als nicht erfüllt ansieht, da nicht nachgewiesen sei, dass „die Angeklagte überhaupt das religiöse Bekenntnis der Zeugin herabwürdigen wollte“, und sich aus dem Wortlaut nichts anderes ergebe, da er „nicht protestantische Glaubenssätze in einen herabsetzenden Zusammenhang stellt, sondern nur einzelne, dem Protestantismus anhängende Personen beschimpft.“ 605 Stübinger, in: NK-StGB § 166 Rn. 8; vgl. auch Rudolphi/Rogall, in: SK-StGB § 166 Rn. 3. 606 KG, 15. 03. 2000 – (5) 1 Ss 33/98 (19/98) (juris) Rn. 37 (Bezeichnung der jüdischen Religionstraditionen als „faschistisch“); Dippel, in: LK-StGB § 166 Rn. 16; Eser, Schutz von Religionen, in: Hdb StaatskirchenR, S. 1019, 1028; anders Lackner/Kühl, § 166 Rn. 2 (nur einzelne Bestandteile des Bekenntnisses). 607 Erfasst ist somit auch die Beschimpfung des verehrten Gottes oder der verehrten Gottheiten (BT-Drs. 5/4094 S. 28 f.), für die christlichen Kirchen z. B. die Christusverehrung (LG Köln, MDR 1982, 771), für die katholische Kirche auch die Marienverehrung (LG Düsseldorf, NStZ 1982, 290) sowie auch die lokale Verehrung einzelner Heiliger; s. zu den Beispielen Dippel, in: LK-StGB § 166 Rn. 17; Lenckner/Bosch, in: Schönke/Schröder § 166 Rn. 4.
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wesentlich oder prägend ist,608 kann dabei schon deshalb nicht entscheidend sein, weil eine objektive Bestimmung der wesentlichen Glaubenssätze den individuellen Glaubensschutz aushöhlen würde.609 Zumindest eine gewisse Bedeutung muss dem angegriffenen Glaubenssatz aber zukommen, da sonst nicht der Inhalt des Bekenntnisses selbst betroffen ist.610 Aus der verfassungsrechtlich garantierten Religionsfreiheit ergibt sich, dass weder offensichtliche Irrationalität noch Verwerflichkeit der Inhalte dem Bekenntnischarakter entgegenstehen dürfen.611 bb) Kirchen und andere Religionsgesellschaften sowie deren Einrichtungen und Gebräuche Nach § 166 Abs. 2 StGB kommen als Bezugsobjekte der Beschimpfung auch im Inland bestehende Kirchen, Religionsgesellschaften und Weltanschauungsvereinigungen sowie deren Einrichtungen und Gebräuche in Betracht. Dabei sind Kirchen nach dem Wortlaut als Unterfall der Religionsgesellschaften zu verstehen. Eine Religionsgesellschaft ist ein Zusammenschluss von Bekenntnisträgern zur Erfüllung der einem gemeinsamen religiösen Bekenntnis dienenden Aufgaben.612 Auf die Rechtsform („Gesellschaften“) kommt es dabei nicht an.613 Problematisch und nicht nur im Rahmen des § 166 StGB hoch umstritten614 ist die Frage der Zuordnung totalitär organisierter und zumindest zweifelhafte Anschauungen vertretender Gruppierungen wie insbesondere der „Scientology-Organisation“ unter den Begriff der Religionsgesellschaft. Zwar darf auf der einen Seite der Schutz einer Gesellschaft
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So aber Lackner/Kühl, § 166 Rn. 2; Zipf, NJW 1969, 1944 f.; ebenso auch noch Herzog, in: NK-StGB (3. Aufl.) § 166 Rn. 6. 609 Eser, Schutz von Religionen, in: Hdb StaatskirchenR, S. 1019, 1028; Schmitz, Straftaten gegen Religion und Weltanschauung, S. 50 ff.; zust. Dippel, in: LK-StGB § 166 Rn. 18; Rudolphi/Rogall, in: SK-StGB § 166 Rn. 5. 610 Dippel, in: LK-StGB § 166 Rn. 17; ähnlich auch Eser, Schutz von Religionen, in: Hdb StaatskirchenR, S. 1019, 1028. 611 Hilgendorf, in: Satzger/Schluckebier/Widmaier § 166 Rn. 8; Hörnle, in: MK-StGB § 166 Rn. 9. 612 Dippel, in: LK-StGB § 166 Rn. 69; Eser, Schutz von Religionen, in: Hdb StaatskirchenR, S. 1019, 1033; Hörnle, in: MK-StGB § 166 Rn. 10; Kuhli, in: Matt/Renzikowski § 166 Rn. 17; Lackner/Kühl, § 166 Rn. 3; Lenckner/Bosch, in: Schönke/Schröder § 166 Rn. 15; Rudolphi/Rogall, in: SK-StGB § 166 Rn. 6; Schmitz, Straftaten gegen Religion und Weltanschauung, S. 54; Stübinger, in: NK-StGB § 166 Rn. 10; vgl. auch; OVG Berlin, NVwZ 1999, 786; Müller-Volbehr, JZ 1981, 41, 42. 613 Lenckner/Bosch, in: Schönke/Schröder § 166 Rn. 15; Rudolphi/Rogall, in: SK-StGB § 166 Rn. 6. 614 Vgl. etwa zur Scientology-Bewegung dafür: BGHZ 78, 274, 278; OLG Hamburg, NVwZ 1995, 498; dagegen BAG, NZA 1995, 823; Fischer, § 166 StGB Rn. 7; zusammenfassend Schöch, in: FS Müller-Dietz, S. 803, 808 ff.
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nicht von einer „Inhaltskontrolle“ abhängig gemacht werden.615 Andererseits sind die Voraussetzungen der Definition dann nicht erfüllt, wenn der religiöse Zweck ausschließlich als Fassade vorgeschoben wird, um andere (zumeist wirtschaftliche616) Interessen zu verdecken.617 Die Religionsgesellschaft muss im Inland bestehen. Daran werden aber allgemein keine hohen Anforderungen geknüpft, es genügt insofern, wenn sich die Mitglieder einer ausländischen Religionsgesellschaft im Inland in einer Gemeinde vereinigt haben.618 Neben den Gesellschaften selbst umfasst § 166 Abs. 2 StGB ihre Einrichtungen und Gebräuche. Dabei sind unter Einrichtungen die von befugter Stelle für die innere und äußere Verfassung und die Ausübung der Religion bzw. Weltanschauung geschaffenen Ordnungen zu verstehen.619 Im Wesentlichen geht es also um den Schutz von institutionalisierten Riten, Zeremonien und Strukturen der jeweiligen Religionsgemeinschaft,620 nicht aber von stofflich-materiellen Gegenständen oder von räumlichen Organisationen.621 In der Rechtsprechung wurden als Einrichtungen etwa für das Christentum Sakramente wie Taufe,622 Eucharistie bzw. Abendmahl623 und Beichte,624 das Vaterunser,625 die Predigt,626 das katholische Priester- und Papsttum627 615 Dem steht das aus Art. 4 Abs. 1, 3 Abs. 3 und 33 Abs. 3 GG sowie Art. 140 GG i.V. mit Art. 136 Abs. 1 und 4, 137 Abs. 1 WRV folgende Gebot religiös-weltanschaulicher Neutralität des Staates entgegen, s. hierzu 2. Kapitel B III. 3. a). 616 Wobei aber allein die Verfolgung wirtschaftlicher Interessen eine Einordnung unter den Begriff der Religions- oder Weltanschauungsgesellschaft nicht ausschließt: BVerfGE 105, 279, 293 – Osho; Hörnle, in: MK-StGB § 166 Rn. 9. 617 BVerfGE 105, 279, 293 – Osho; BVerwGE 90, 112; 118; Hörnle, in: MK-StGB § 166 Rn. 9; Lenckner/Bosch, in: Schönke/Schröder § 166 Rn. 15; Pieroth/Görisch, JuS 2002, 937; 939; Schöch, in: FS Müller-Dietz, S. 803, 807 f.; so auch Kuhli, in: Matt/Renzikowski § 166 Rn. 6, der dies aber für Scientology nicht annimmt, da für die Feststellung des vorgeschobenen Zwecks auf die einfachen Mitglieder, nicht auf die Führungsriege abzustellen sei. 618 Dippel, in: LK-StGB § 166 Rn. 100; Fischer, § 166 Rn. 5; Kuhli, in: Matt/Renzikowski § 166 Rn. 16; Lenckner/Bosch, in: Schönke/Schröder § 166 Rn. 20. 619 RGSt 26, 435, 436; BayObLGSt 1954, 144, 145; Dippel, in: LK-StGB § 166 Rn. 26; Eser, Schutz von Religionen, in: Hdb StaatskirchenR, S. 1019, 1034; Fischer, § 166 Rn. 8; Rudolphi/Rogall, in: SK-StGB § 166 Rn. 8. 620 Kuhli, in: Matt/Renzikowski § 166 Rn. 19; Stübinger, in: NK-StGB § 166 Rn. 11. 621 Dippel, in: LK-StGB § 166 Rn. 93; Hörnle, in: MK-StGB § 166 Rn. 12; Kuhli, in: Matt/ Renzikowski § 166 Rn. 19; etwa der Hochaltar, die Kanzel und die Monstranz, sofern die Gegenstände nicht als Synonym für die entsprechende Einrichtung betroffen sind (alle bei BayObLGSt 1954, 144, 145). 622 RGSt 67, 373, 375; weitere Beispiele christlicher Einrichtungen bei Dippel, in: LKStGB § 166 Rn. 95. 623 OLG Karlsruhe, NStZ 1986, 363, 364. 624 RGSt 33, 221, 222. 625 OLG Hamburg, GA 1962, 345, 347. 626 RGSt 9, 158, 160; BayObLGSt 1954, 144, 145; OLG Düsseldorf, NJW 1983, 1211. 627 RGSt 27, 284, 285; BayObLGSt 1954, 144, 146; OLG Düsseldorf, NJW 1983, 1211.
B. Religionsfeindliche Äußerungen als strafbare Handlungen
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gebilligt. Parallel dazu sind etwa für den Islam die rituellen Gebete, die Pilgerfahrt nach Mekka oder das Fasten während des Monats Ramadan und für das Judentum Beschneidung und die Einhaltung des Sabbats als geschützte Einrichtungen anerkannt.628 Im Hinblick auf Absatz 1 ist es hingegen nicht erforderlich, auch in der Verehrung bestimmter Bekenntnisinhalte (wie die Verehrung Jesu, Marias oder Mohammeds) eine Einrichtung zu sehen.629 Gebräuche sind die in der jeweiligen Auffassung der Vereinigung begründeten und von ihr allgemein praktizierten tatsächlichen Übungen.630 Die Beschimpfung muss sich gegen den Gebrauch als solchen richten; wird nur eine einzelne, einer allgemeinen Übung entsprechende Handlung beschimpft, so genügt dies nur, wenn damit zugleich der Gebrauch als solcher getroffen werden soll.631 Erfasst ist nach der Rechtsprechung für die christlichen Religionen zum Beispiel das Bekreuzigen,632 die Reliquienverehrung633 und der Gebrauch von Weihwasser;634 vergleichbar ist etwa das Tragen der jüdischen Kippa bzw. des muslimischen Kopftuchs.635 Im Einzelnen kann die Abgrenzung zwischen Gebräuchen und Einrichtungen unklar sein.636 Bei beiden Merkmalen können auch mit dem Inhalt des Bekenntnisses selbst Überschneidungen entstehen, wobei dann aber nur eine einheitliche Tat vorliegt.637 Die Weite der Tatbestandsmerkmale ist häufig kritisiert worden.638 Diese Kritik ist kriminalpolitisch auch verständlich; wünschenswert wäre wohl eine Eingrenzung auf wesentliche Einrichtungen und Gebräuche der jeweiligen Religions-
628
Hörnle, in: MK-StGB § 166 Rn. 12; Kuhli, in: Matt/Renzikowski § 166 Rn. 20. Fischer, § 166 Rn. 10; Hilgendorf, in: Satzger/Schluckebier/Widmaier § 166 Rn. 12; Hörnle, in: MK-StGB § 166 Rn. 12; Kuhli, in: Matt/Renzikowski § 166 Rn. 20; anders RGSt 2, 428, 429; BayObLGSt 1954, 144, 146; OLG Nürnberg, NStZ-RR 1999, 238, 239 („Leiden Christi“); LG Düsseldorf, NStZ 1982, 290; LG Köln, MDR 1982, 771; Lackner/Kühl, § 166 Rn. 3; Steinbach, JR 2006, 495, 497. 630 Dippel, in: LK-StGB § 166 Rn. 97; Eser, Schutz von Religionen, in: Hdb StaatskirchenR, S. 1019, 1034; Fischer, § 166 Rn. 11; Hörnle, in: MK-StGB § 166 Rn. 13; Kuhli, in: Matt/Renzikowski § 166 Rn. 21; Lenckner/Bosch, in: Schönke/Schröder § 166 Rn. 19; Rudolphi/Rogall, in: SK-StGB § 166 Rn. 9. 631 RGSt 45, 11, 12; Dippel, in: LK-StGB § 166 Rn. 97; Kuhli, in: Matt/Renzikowski § 166 Rn. 21; Lenckner/Bosch, in: Schönke/Schröder § 166 Rn. 19. 632 RGSt 33, 221, 222; LG Frankfurt, NJW 1982, 658, 658 f. 633 RGSt 22, 238, 239. 634 RG, GA 48 (1901), 130, 131. 635 Kuhli, in: Matt/Renzikowski § 166 Rn. 21. 636 Fischer, § 166 Rn. 11; Stübinger, in: NK-StGB § 166 Rn. 12; zur mangelnden Unterscheidbarkeit s. auch schon Meves, GS 27 (1875), 321, 348; unterschiedlich eingeordnet werden in der Literatur beispielsweise die Beschneidung in Judentum und Islam sowie der Ruf des Muezzin. 637 Lenckner/Bosch, in: Schönke/Schröder § 166 Rn. 17/18. 638 Krit. etwa Dippel, in: LK-StGB § 166 Rn. 92; zur Kritik der einseitigen Beschränkung der Rechtsprechung auf christliche Einrichtungen und Gebräuche s. Fischer, § 166 Rn. 10. 629
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3. Kap.: Strafbarkeit religionsfeindlicher Äußerungen in Deutschland
gesellschaft.639 Eine derartige Beschränkung erscheint jedoch schon aus den oben genannten Gründen nicht realisierbar: Auf Grund von verfassungsrechtlich garantierter Religionsfreiheit und dem Neutralitätsgebot kann sich der Strafrichter nicht anmaßen, ein objektives Urteil über die Wesentlichkeit, die politische Korrektheit oder die Vernünftigkeit einer Einrichtung oder eines Gebrauchs zu fällen.640 Im Ergebnis wird also nichts anderes übrig bleiben, als eine Einschränkung erst über das Merkmal der Eignung zur Störung des öffentlichen Friedens vorzunehmen.641 b) Tathandlung Der Inhalt des Bekenntnisses, die Religionsgesellschaft oder deren Einrichtungen oder Gebräuche müssen öffentlich oder durch das Verbreiten von Schriften beschimpft worden sein. aa) Beschimpfen Sowohl in § 166 Abs. 1 als auch in § 166 Abs. 2 StGB wird ein Beschimpfen verlangt. Die ständige Rechtsprechung642 und herrschende Lehre643 versteht darunter (nicht nur bei § 166 StGB) eine „durch ihre Form oder durch ihren Inhalt besonders verletzende, rohe Äußerung der Missachtung“. Da ein Beschimpfen wie jeder kommunikative Akt kontextabhängig zu bewerten ist, muss eine generalisierende Umschreibung zwangsläufig vage bleiben644 und führt deshalb auch nicht zu voraussehbaren Ergebnissen. Ein Beschimpfen kann mündlich oder schriftlich erfolgen, ebenso durch Bilder oder Gesten wie durch Worte.645 Erfasst sind Werturteile sowie Tatsachenbehauptungen;646 nicht tatbestandlich ist hingegen bloße Kritik, mag 639
Vgl. Stübinger, in: NK-StGB § 166 Rn. 13. So auch Stübinger, in: NK-StGB § 166 Rn. 13; vgl. zu praktischen Einwendungen auch Dippel, in: LK-StGB § 166 Rn. 92. 641 Burghard, Religionsdelikte der §§ 166, 167 StGB, S. 50; Dippel, in: LK-StGB § 166 Rn. 92; Eser, Schutz von Religionen, in: Hdb StaatskirchenR, S. 1019, 1035; umgekehrt entnehmen Lenckner/Bosch, in: Schönke/Schröder § 166 Rn. 17/18, dem Merkmal der Friedensstörungseignung direkt eine Beschränkung auf wesentliche Einrichtungen und Gebräuche. 642 So schon RGSt 57, 209, 211; 61, 308 (zu § 8 Nr. 2 RepSchutzG); ähnlich auch BGHSt 7, 110 (zu § 96 Abs. 1 Nr. 1 StGB a. F.); BGH, NStZ 2000, 643, 644; BayObLGSt 1954, 144, 146; BayObLG, NJW 1998, 2542, 2544; OLG Nürnberg, NStZ-RR 1999, 238, 239; LG Frankfurt, NJW 1982, 658, 659. 643 Dippel, in: LK-StGB § 166 Rn. 26; Eser, Schutz von Religionen, in: Hdb StaatskirchenR, S. 1019, 1030; Hörnle, in: MK-StGB § 166 Rn. 15; Kuhli, in: Matt/Renzikowski § 166 Rn. 8; Rudolphi/Rogall, in: SK-StGB § 166 Rn. 11; Steinmetz, in: MK-StGB § 90a Rn. 11; Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder § 90a Rn. 5; Zipf, NJW 1969, 1944. 644 Stübinger, in: NK-StGB § 166 Rn. 5. 645 Stübinger, in: NK-StGB § 166 Rn. 6; vgl. zum früheren Streitstand RGSt 64, 121 ff. 646 OLG Nürnberg, NStZ-RR 1999, 238, 239; Kuhli, in: Matt/Renzikowski § 166 Rn. 8; Lenckner/Bosch, in: Schönke/Schröder § 166 Rn. 9; Rudolphi/Rogall, in: SK-StGB § 166 640
B. Religionsfeindliche Äußerungen als strafbare Handlungen
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sie auch scharf, bissig, provozierend, ironisch oder albern sein,647 sowie die Ablehnung oder Leugnung von Glaubensinhalten.648 Dies ergibt sich auch daraus, dass die verfassungsrechtliche Garantie der Meinungsfreiheit das Erfordernis einer restriktiven Auslegung des Tatbestandsmerkmals begründet.649 Die Abgrenzung einer Beschimpfung von einer bloßen abwertenden Bemerkung gestaltet sich in vielen Fällen schwierig, zumal in manchen Bemerkungen, die zwar einen beschimpfenden Charakter aufweisen, ein kritisches Moment überwiegt.650 Die Grenze zur Strafbarkeit soll dann überschritten sein, wenn keine Kritik geübt wird, sondern verletzende und abfällige Beschimpfungen schwerster Art gegen ein Bekenntnis gerichtet werden.651 Das entscheidende Element kann äußerlich in der besonderen Rohheit des Ausdrucks oder inhaltlich im Vorwurf eines besonders schimpflichen Verhaltens liegen.652 Die Rohheit des Ausdrucks ergibt sich aus besonders drastischen Formulierungen. Dabei ist aber zu beachten, dass bei sachlicher Kritik durch wahre Tatsachenbehauptungen auch eine heftige Ausdrucksweise mitunter hingenommen werden muss.653 Bei Bildern und symbolhaften Handlungen Rn. 11; zu der Möglichkeit des Beschimpfens durch Tatsachenbehauptung s. BGH, GA 1956, 316. 647 BVerfG NVwZ 1994, 159; OLG Karlsruhe, NStZ 1986, 363, 365; OLG Celle, NJW 1986, 1275, 1276; KG, 15. 03. 2000 – (5) 1 Ss 33/98 (19/98) (juris) Rn. 40; LG Düsseldorf NStZ 1982, 290, 291; LG Bochum NJW 1989, 727, 728; Dippel, in: LK-StGB § 166 Rn. 27; Eser, Schutz von Religionen, in: Hdb StaatskirchenR, S. 1019, 1030; Fischer, § 166 Rn. 12; Hörnle, in: MK-StGB § 166 Rn. 15; Isensee, Blasphemie, in: Religionsbeschimpfung, S. 105, 124 f.; Kuhli, in: Matt/Renzikowski § 166 Rn. 9; Lenckner/Bosch, in: Schönke/Schröder § 166 Rn. 9; Rudolphi/Rogall, in: SK-StGB § 166 Rn. 11; Stübinger, in: NK-StGB § 166 Rn. 5; Zipf, NJW 1969, 1944. 648 OLG Köln, NJW 1982, 657, 658; Dippel, in: LK-StGB § 166 Rn. 27; Fischer, § 166 Rn. 12; Hardwig, GA 1962, 257, 270; Hörnle, in: MK-StGB § 166 Rn. 15; Lenckner/Bosch, in: Schönke/Schröder § 166 Rn. 9; Pawlik, in: FS Küper, S. 411, 422; ders., Strafrechtlicher Schutz, in: Religionsbeschimpfung, S. 31, 51; Steinbach, JR 2006, 495, 497; Stübinger, in: NKStGB § 166 Rn. 6. 649 OLG Karlsruhe, NStZ 1986, 363, 364 f.; Dippel, in: LK-StGB § 166 Rn. 29; Eser, Schutz von Religionen, in: Hdb StaatskirchenR, S. 1019, 1030; Hörnle, in: MK-StGB § 166 Rn. 15; Steinbach, JR 2006, 495, 497. 650 Stübinger, in: NK-StGB § 166 Rn. 5; vgl. zu den Abgrenzungsschwierigkeiten Kohlrausch, Beschimpfung von Religionsgesellschaften, S. 53 f.; Manck, Evangelisch-theologische Diskussion, S. 94 ff. 651 KG, 15. 03. 2000 – (5) 1 Ss 33/98 (19/98) (juris) Rn. 40; vgl. auch OLG Celle, NJW 1986, 1275, 1276 Stübinger, in: NK-StGB § 166 Rn. 5. 652 RGSt 57, 185; BGHSt 7, 110; BGH, NStZ 2000, 643; OLG Köln, NJW 1982, 657 f.; OLG Karlsruhe, NStZ 1986, 363, 364; OLG Nürnberg, NStZ-RR 1999, 238, 239; LG Frankfurt, NJW 1982, 658, 659; LG Bochum, NJW 1989, 727, 728; Dippel, in: LK-StGB § 166 Rn. 26; Kuhli, in: Matt/Renzikowski § 166 Rn. 8; Liesching, ZUM 2006, 578, 579; Rudolphi/Rogall, in: SK-StGB § 166 Rn. 11. 653 Hörnle, in: MK-StGB § 166 Rn. 18, die auf die Bezeichnung als Kinderschänder im Rahmen eines Vorwurfs zum sexuellen Missbrauch von Kindern verweist. Selbst vor diesem Hintergrund wird aber in der Bezeichnung als „Kinderficker-Sekte“ ein Beschimpfen zu sehen sein, vgl. AG Tiergarten, StraFo 2012, 110, das jedoch die Erfüllung des Merkmals mangels
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3. Kap.: Strafbarkeit religionsfeindlicher Äußerungen in Deutschland
kann sich die Rohheit der Form aus der Verbindung des Bekenntnisses mit Objekten oder Vorgängen, die für extreme Herabwürdigung stehen, ergeben.654 Eine besondere Rohheit des Inhalts durch Unterstellung besonders verachtenswerten Verhaltens kann beispielsweise angenommen werden, wenn eine Religionsgemeinschaft als Verbrecherorganisation655 oder (gerade in Bezug auf die jüdische Religion) als faschistisch656 bezeichnet wird. Weitgehend wird vertreten, dass sich die besondere Rohheit im Rahmen des § 166 StGB nicht nur aus der beleidigenden Form oder der Unterstellung eines besonders schimpflichen Verhaltens ergeben kann, sondern darüber hinaus auch daraus, dass „die geistigen Inhalte des Bekenntnisses in den Schmutz gezogen“ werden.657 Dem ist aber nicht zu folgen, da diese Formel nicht ausreichend bestimmt und somit nicht geeignet ist, einheitlichen Ergebnisse garantieren.658 Zudem werden so die hohen Voraussetzungen, die im Übrigen an den Begriff des Beschimpfens gestellten Anforderungen ausgehöhlt. Stattdessen versteckt sich hinter solchen Aussagen (etwa „Maria, hättest du abgetrieben, der Papst wäre uns erspart geblieben“,659 „Lieber eine befleckte Verhütung als eine unbefleckte Empfängnis“,660 oder die satirische Darstellung eines fiktiven Gesprächs zwischen Maria und Josef über eine mögliche Abtreibung nach Feststellung der Schwangerschaft661) häufig auch eine sachliche Kritik (etwa an der Position der katholischen Kirche zum Schwangerschaftsabbruch), sodass ein Beschimpfen zu verneinen ist.662 Bei der Bewertung der Äußerung ist der objektive Aussagegehalt zugrunde zu legen.663 Maßgeblich ist also nicht, wie der Täter die Aussage gemeint hat oder der Friedensstörungseignung offenlässt; für ein Einordnen als Beschimpfen Stübinger, in: NKStGB § 166 Rn. 6. 654 Hörnle, in: MK-StGB § 166 Rn. 18, die als Bespiele etwa die Ersetzung Jesu durch ein Schwein in der Darstellung einer Kreuzigungsszene (s. hierzu OLG Nürnberg, NStZ-RR 1999, 238), das Beschmieren der „heiligen Schrift“ mit Fäkalien oder das Eintauchen eines Kultgegenstands in die Toilette nennt. 655 So auch OLG Celle, NJW 1986, 1275, 1276. 656 So auch KG, 15. 03. 2000 – (5) 1 Ss 33/98 (19/98) (juris) Rn. 40. 657 OLG Nürnberg, NStZ-RR 1999, 238, 240; vgl. auch LG Düsseldorf, NStZ 1982, 290; LG Göttingen, NJW 1985, 1652; im Ergebnis wohl auch OLG Düsseldorf, NJW 1983, 1211, OLG Köln, NJW 1982, 657; ebenso Dippel, in: LK-StGB § 166 Rn. 26; Lackner/Kühl, § 166 Rn. 4; Lenckner/Bosch, in: Schönke/Schröder Rn. 9; Steinbach, JR 2006, 495, 497. 658 Hörnle, in: MK-StGB § 166 Rn. 19; krit. allgemein zum Begriff des Beschimpfens auch Renzikowski, in: GS Meurer, S. 179, 184. 659 LG Düsseldorf, NStZ 1982, 290. 660 LG Göttingen, NJW 1985, 1652. 661 OLG Köln, NJW 1982, 657. 662 Ebenso Hörnle, in: MK-StGB § 166 Rn. 19, Stübinger, in: NK-StGB § 166 Rn. 6; anders zu den genannten Beispielen Lenckner/Bosch, in: Schönke/Schröder § 166 Rn. 9, obwohl im Folgenden die Zulässigkeit auch scharfer Kritik bejaht wird. 663 BVerfG, 04. 04. 1989 – 1 BvR 1415/86 (juris) Rn. 6; OLG Nürnberg, NStZ-RR 1999, 238, 239; Dippel, in: LK-StGB § 166 Rn. 30.
B. Religionsfeindliche Äußerungen als strafbare Handlungen
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Empfänger sie verstanden hat, sondern wie sie objektiv bei vernünftiger Würdigung der Sachlage vom unbefangenen Hörer verstanden werden musste. Im Sinne der bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung ist bei den Äußerungsdelikten – wie oben herausgearbeitet664 – das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung auch in der Normanwendung zu berücksichtigen. Daraus folgt für § 166 StGB, dass im Rahmen der auslegungsbedürftigen Tatbestandsmerkmale, insbesondere also bei der Feststellung eines „Beschimpfens“ die verfassungsrechtlichen Grundsätze der Meinungsfreiheit beachtet werden müssen.665 Hieraus resultiert das Erfordernis einer einzelfallbezogenen Abwägung der Meinungsfreiheit mit den durch die Äußerung beeinträchtigten Rechtspositionen.666 Teilweise wird zudem verlangt, den Begriff des Beschimpfens unter Berücksichtigung der Kunstfreiheit aus Art. 5 Abs. 3 GG auszulegen,667 während andererseits auf die Kunstfreiheit als Rechtfertigungsgrund zurückgegriffen wird.668 Das Bundesverfassungsgericht verlangt, dass bei Eröffnung des Schutzbereichs der Kunstfreiheit sowohl zu überprüfen ist, ob das Gericht das Werk anhand der der Kunst eigenen Strukturmerkmale beurteilt, also „werkgerechte“ Maßstäbe angelegt hat, als auch, ob auf dieser Grundlage die der Kunst gesetzten Schranken im Einzelnen zutreffend gezogen wurden.669 Eine klare Aussage, wo diese Berücksichtigung zu erfolgen hat, lässt sich dem allerdings nicht entnehmen. Im Ergebnis muss sich der Kunstfreiheit sowohl auf Tatbestands- als auch auf Rechtfertigungsebene angenommen werden. Das erste Problem liegt schon in der Frage, wann ein Künstler überhaupt beschimpft.670 Denn die künstlerische Handlung ist auf die Selbstwerdung des Künstlers, nicht auf die Beschimpfung gerichtet.671 Daraus folgt für die Anwendung des § 166 StGB auf Kunstwerke zunächst, dass bei der Auslegung der künstlerischen Aussage auf den „Eindruck, den ein künstlerisch aufgeschlossener oder zumindest um Verständnis bemühter, wenn auch literarisch nicht besonders vorgebildeter Mensch von dem Kunstwerk hat“, abzustellen ist.672 Insbesondere bei Karikaturen und Satiren ist nach den oben herausgearbeiteten Kriterien der wahre 664
s. oben in diesem Kapitel A. I. 1. BVerfG, 04. 04. 1989 – 1 BvR 1415/86 (juris) Rn. 9. 666 BVerfG, 04. 04. 1989 – 1 BvR 1415/86 (juris) Rn. 8. 667 BGH, GA 1961, 240, 241; OLG Karlsruhe, NStZ 1986, 363, 364; OLG Köln, NJW 1982, 657, 658; OVG Koblenz, NJW 1997, 1174, 1175; Hilgendorf, in: Satzger/Schluckebier/Widmaier § 166 Rn. 16; Hörnle, in: MK-StGB § 166 Rn. 20; Kuhli, in: Matt/Renzikowski § 166 Rn. 24. 668 Dippel, in: LK-StGB § 166 Rn. 33 ff., 107; K. Fischer, Strafrechtliche Beurteilung, S. 141 ff.; Fischer § 166 Rn. 16; Noll, ZStW 77 (1965), 1, 32 ff.; Würtemberger, NJW 1982, 610, 613. 669 So ausdrücklich BVerfGE 81, 278, 289 – Bundesflagge, unter Verweis auf BVerfGE 30, 173, 188 – Mephisto; 75, 369, 376 – Strauß/Hachfeld. 670 Krauss, in: GS Noll, S. 209, 217. 671 Krauss, in: GS Noll, S. 209, 217. 672 BGH, GA 1961, 240, 241; vgl. auch OLG Köln, NJW 1982, 657, 658; OVG Koblenz, NJW 1997, 1174, 1175. 665
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3. Kap.: Strafbarkeit religionsfeindlicher Äußerungen in Deutschland
Aussagegehalt zu bestimmen.673 Nicht außer Betracht zu lassen ist darüber hinaus die Intention des Künstlers selbst.674 Deshalb mag es so wirken, als ob bei Kunstwerken höhere Anforderungen an das Vorliegen einer Beschimpfung zu stellen sein sollen.675 Tatsächlich erfordert aber eine Subsumierung eines Kunstwerks unter den Begriff des Beschimpfens, dass die vielfältigen Deutungsmöglichkeiten dahingehend untersucht werden, ob auch diese die Kriterien des Begriffs Beschimpfens erfüllen. Auf eine Interessenabwägung im Rahmen des Tatbestandsmerkmals des Beschimpfens sollte aber aus dogmatischen Gründen verzichtet werden. Die Frage des Ausgleichs verfassungsrechtlich geschützter Interessen sollte – genau wie bei den Beleidigungsdelikten676 – erst im Rahmen der Rechtfertigung zu behandeln sein. bb) Öffentlich oder durch Verbreiten von Schriften Anders als etwa § 130 Abs. 1 StGB enthält § 166 StGB in beiden Absätzen das Erfordernis, dass die Tat öffentlich oder durch das Verbreiten von Schriften im Sinne des § 11 Abs. 3 StGB geschieht. Der Tatbestand stimmt damit schon in seiner Grundform mit der Begehungsweise der Qualifikationen aus §§ 186 a. E, 187 a. E. StGB überein. Die nötige Öffentlichkeit der Beschimpfung liegt schon dann vor, wenn die Aussage von einem größeren, nicht durch persönliche Beziehungen verbundenen Personenkreis wahrgenommen werden kann.677 Entscheidend sind also die (möglichen)678 Adressaten, nicht die Öffentlichkeit des Ortes. Dem liegt der Gedanke zugrunde, dass herabsetzende Äußerungen vor einem nicht überschaubaren und nicht abgrenzbaren Zuhörerkreis besonders gefährlich sind.679 Jedoch werden im öffentlichen Raum (etwa in einer Fußgängerzone) geringere Anforderungen an den Empfängerkreis zu stellen sein als bei weniger leicht zugänglichen Orten.680 Umstritten ist, ob auch geschlossene Versammlungen unter den Begriff der Öffent-
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s. oben in diesem Kapitel A. I. 2. Krauss, in: GS Noll, S. 209, 216. 675 So BayObLG, NJW 1964 1149, 1150; OLG Karlsruhe, NStZ 1986, 363, 364; OLG Köln, NJW 1982, 657, 658. 676 s. dazu oben in diesem Kapitel B. II. 2. d). 677 So schon die st. Rechtsprechung des Reichsgerichts: RGSt 38, 207, 208; 42, 112, 113; 63, 431, 432; auch später noch BayObLGSt 1956, 187, 188; KG, JR 1984 249; Dippel, in: LKStGB § 166 Rn. 42; Eser, Schutz von Religionen, in: Hdb StaatskirchenR, S. 1019, 1031; Franke, GA 1984, 452, 458; Holstein, Religionsvergehen im Strafgesetzbuch, S. 155 f; Kuhli, in: Matt/Renzikowski § 166 Rn. 11; Rudolphi/Rogall, in: SK-StGB § 166 Rn. 14; Schroeder, GA 1964, 225, 233;Stübinger, in: NK-StGB § 166 Rn. 14; Zipf, NJW 1969, 1944. 678 Eine tatsächliche Kenntnisnahme ist nicht erforderlich, Kuhli, in: Matt/Renzikowski § 166 Rn. 11. 679 Beisel, Kunstfreiheitsgarantie, S. 347; Dippel, in: LK-StGB § 166 Rn. 43; Rudolphi/ Rogall, in: SK-StGB § 166 Rn. 14; Schroeder, GA 1964, 225, 233. 680 Hörnle, in: MK-StGB § 166 Rn. 21. 674
B. Religionsfeindliche Äußerungen als strafbare Handlungen
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lichkeit fallen können, wenn ein besonders großer Zuhörerkreis vorliegt.681 Dagegen dürfte aber sprechen, dass § 166 StGB anders als etwa §§ 80a, 86a, 90, 90a und 90b StGB die Begehungsweise „in einer Versammlung“ gerade nicht aufführt.682 Anders verhält es sich bei einer Zuhörerschaft, die zwar in der konkreten Situation begrenzt ist, bei der es aber an einer inneren Verbindung durch soziale Beziehungen fehlt.683 Die Begehungsweise der Verbreitung von Schriften entspricht den Voraussetzungen der § 130 Abs. 2 Nr. 1 a, 2 StGB. Da aber auch insoweit ein Beschimpfen verlangt wird, genügt das bloße Verbreiten einer fremden Schrift nicht; vielmehr muss sich der Verbreitende auch den beschimpfenden Inhalt zu eigen machen.684 Auch übernimmt § 166 StGB nicht die weiteren Handlungsalternativen des § 130 Abs. 2 StGB wie etwa die Vorbereitungshandlungen mit Verbreitungsabsicht oder das Verbreiten einer (Live-)Darbietung durch Rundfunk, Medien- oder Teledienste. Die Beschimpfung durch das Einstellen von Texten in das Internet soll nach der Rechtsprechung sowohl die Variante des öffentlichen Beschimpfens als auch die des Beschimpfens durch Verbreiten von Schriften erfüllen.685 c) Eignung zur Störung des öffentlichen Friedens Wie auch § 130 Abs. 1 StGB enthält § 166 StGB in beiden Absätzen die Voraussetzung der Eignung zur Störung des öffentlichen Friedens, in der sich maßgeblich der Wunsch nach einer primär friedensschützenden Norm niederschlägt.686 Auch hier besteht Einigkeit, dass dieses Merkmal keine konkrete Friedensstörung verlangt,687 umstritten sind jedoch die Anforderungen an die Gefahr der Friedensstörung. Zum Teil wird eine konkrete Gefahr für den öffentlichen Frieden für erforderlich gehalten,688 nach überwiegender Ansicht reicht eine abstrakte Gefahr in Form einer „konkreten Eignung“ aus.689 681
Dafür: Hörnle, in: MK-StGB § 166 Rn. 21; dagegen: BT-Drucks. 5/4094, S. 29; Dippel, in: LK-StGB § 166 Rn. 44; Rudolphi/Rogall, in: SK-StGB § 166 Rn. 14. 682 Dippel, in: LK-StGB § 166 Rn. 44. 683 Wie z. B. in einem Eisenbahnabteil, RGSt 58, 53; 65, 114; Rudolphi/Rogall, in: SKStGB § 166 Rn. 14. 684 Lenckner/Bosch, in: Schönke/Schröder Rn. 11; Stübinger, in: NK-StGB § 166 Rn. 14; vgl. aber OLG Düsseldorf, NJW 1983, 1211, das schon das Verbreiten fremder Texte als presserechtlich Verantwortlicher eines Magazins ausreichen lässt. 685 OLG Nürnberg, NStZ-RR 1999, 238, 240. 686 BT-Drucks. 5/4094, S. 29; OLG Celle, NJW 1986, 1275 1276; Eser, in: Hdb StaatskirchenR, S. 1019, 1027; Zipf, NJW 1969, 1944. 687 Fischer, § 166 Rn. 14; Laufhütte, MDR 1976, 441, 442; Lenckner/Bosch, in: Schönke/ Schröder Rn. 12; Stübinger, in: NK-StGB § 166 Rn. 16. 688 Dippel, in: LK-StGB § 166 Rn. 62; Eser, Schutz von Religionen, in: Hdb StaatskirchenR, S. 1019, 1032; Ott, NStZ 1986, 365, 366. 689 OLG Köln, NJW 1982, 657; Fischer, § 166 Rn. 14. Auf die Unstimmigkeiten, ob § 166 StGB deshalb als abstraktes, konkretes oder gar potentielles Gefährdungsdelikt oder auch als
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3. Kap.: Strafbarkeit religionsfeindlicher Äußerungen in Deutschland
Seit seiner Schaffung war das Merkmal immer wieder Kritik ausgesetzt; gleich mehrere Gesetzesinitiativen verlangten seine Streichung,690 eine weitere strebte eine „gesetzliche Auslegungshilfe“ an.691 Vorwurf war jedes Mal, die Klausel der Eignung zur Friedensstörung schränke den Tatbestand zu sehr ein692 und fordere insofern (tatsächlich oder scheinbar) die Betroffenen zum Faustrecht auf.693 Auch in Reaktion auf die Anschläge in Paris vom Januar 2015 wurde erneut die Forderung nach einer Verschärfung des Tatbestandes durch Abschaffung des Friedensstörungsmerkmals laut.694 Tatsächlich ist die Anwendung des Merkmals der Friedensstörungseignung bei § 166 StGB höchst problematisch. Fraglich ist zunächst, ob die Eignung zur Friedenstörung tatsächlich die Wahrscheinlichkeit von gewalttätigen Ausschreitungen verlangt, wie es die Gesetzesinitiativen nahelegen. In der Tat ist dieser Ansatz695 vereinzelt sowohl in der Rechtsprechung696 als auch in der Literatur697 zu finden. Aus der Ablehnung von Klimaschutztatbeständen durch das Bundesverfassungsgericht hat etwa der Bayerische Verwaltungsgerichtshof die Konsequenz gezogen, für eine Strafbarkeit sei erforderlich, dass die Äußerung „ihrem Inhalt nach erkennbar auf rechtsgutgefährdende Handlungen hin angelegt ist, d. h. den Übergang zu Aggression
Eignungsdelikt einzuordnen ist, soll mangels Relevanz für die Untersuchung auch hier nicht eingegangen werden. 690 BR-Drucks. 367/86; BR-Drucks. 460/98; BT-Drucks. 13/10666; BT-Drucks. 14/4558. 691 BR-Drucks. 683/07. 692 So insbesondere BT-Drucks. 13/10666, S. 4 sowie BT-Drucks. 14/4558, S. 3: „Die Klausel hat sich zum Instrument für die Beseitigung des Tatbestandes entwickelt: Die Rechtsprechung lehnt die Friedensgefährdung bei kleinen Religionen wegen der geringen Zahl der Betroffenen, bei großen Religionen wegen ihrer unerschütterbaren Stellung im öffentlichen Leben, bei Selbstbeherrschung der Betroffenen wegen fehlender Störung des öffentlichen Friedens, bei Erregung der Betroffenen wegen deren Unangemessenheit und der fehlenden objektiven Eignung zur Friedensstörung ab.“ 693 So ausdrücklich BR-Drucks. 683/07, S. 2; ähnlich auch BR-Drucks. 367/86, S. 4 und insoweit mit identischem Wortlaut BR-Drucks. 460/98, S. 2: „Zu Recht weisen sie darauf hin, dass es ihnen nicht zugemutet werden kann, zu friedensstörenden Mitteln zu greifen, um Schutz vor gröbsten Verletzungen ihrer religiösen Gefühle zu genießen.“ In diesem Sinn auch Muckel, tv diskurs 37 (2006), 78, 80 f.; Müller-Neuhof, AnwBl 2012, 907. 694 Bingener/Bubrowski, FAZ.net v. 15. 01. 2015; Hillgruber, FAZ v. 26. 01. 2015. 695 Rox, Schutz religiöser Gefühle, S. 230, spricht von der „gewaltorientierten Interpretation“. 696 Etwa OLG Köln, NJW 1982, 657 („Unerheblich ist, ob die tatsächliche Störung des öffentlichen Friedens erst durch die Reaktion der Angegriffenen, hier also durch die Reaktion der CDU-Ratsfraktion und der katholischen Geistlichen verursacht worden ist; denn der Schutzzweck des § 166 StGB ist es ja gerade, solche Reaktionen zu verhindern.“), ebenso OLG München, ZUM 1984, 595. 697 s. Ratzinger, Christliche Orientierung?, in: Das europäische Erbe, S. 20, 25, vgl. auch Maurach/Schroeder/Maiwald, BT II, § 61 Rn. 15; Steinke, KJ 2008. 451, 455 f. Ähnliches wird dem deutschen Recht auch von philosophischer Seite vorgeworfen, s. Spaemann, FAZ v. 25. 07. 2012, S. 33.
B. Religionsfeindliche Äußerungen als strafbare Handlungen
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oder Rechtsbruch markiert.“698 Eine solche Interpretation des Merkmals führt allerdings im Ergebnis dazu, dass § 166 StGB vollständig in § 130 StGB aufgeht,699 da nur noch Äußerungen erfasst werden, die wie die in § 130 Abs. 1 Nr. 1 StGB direkt auf das Hervorrufen fremder Gewalttaten gerichtet sind. Dann verfügt § 166 StGB über keinen eigenen Anwendungsbereich mehr und wäre zudem nur in den seltensten Fällen erfüllt. Sofern aber allein darauf abgestellt wird, dass auf eine Äußerung tatsächlich gewalttätige Ausschreitungen gefolgt sind, birgt eine solche gewaltbezogene Interpretation gerade die Zurechnungsprobleme, die bereits im Rahmen der Diskussion über die Vorverlagerung des Schutzes von Individualrechtsgütern erörtert wurden:700 Es fehlt bereits regelmäßig an einem hinreichenden Zusammenhang zwischen Äußerung und Gewalttat; liegt er ausnahmsweise vor, ist § 130 Abs. 1 Nr. 1 StGB einschlägig. In Zwei-Personen-Verhältnissen stellt sich zusätzlich das Problem der Kriminalisierung von Selbstgefährdungen. Darüber hinaus besteht aus strafrechtlicher Sicht das Problem, dass die Strafbarkeit nicht von der Empfindlichkeit und Gewaltbereitschaft der Anhänger des Bekenntnisses abhängen darf. Dies würde zum einen die Vorhersehbarkeit der Strafnorm unterlaufen, zum anderen tatsächlich zu einem Faustrecht der Gläubigen aufrufen, die durch gewalttätige Reaktionen die Bestrafung eines Kritikers bewirken könnten. An dieser Problematik ändert sich auch dann nichts, wenn keine tatsächlichen Reaktionen, sondern nur eine diesbezügliche Eignung vorausgesetzt wird. Auf Grund dieser Nachteile einer gewaltorientierten Interpretation wird in der Praxis häufig eine toleranzorientierte Deutung angenommen, die auf das beeinträchtigte Sicherheitsgefühl der Betroffenen bzw. die drohende Intoleranz Dritter abstellt,. So wird regelmäßig eine Eignung zur Friedensstörung bejaht, wenn konkrete Umstände die Befürchtung rechtfertigen, dass das Vertrauen der Betroffenen in den Respekt ihrer religiösen Überzeugungen beeinträchtigt oder bei Dritten die Intoleranz gegenüber Anhängern des beschimpften Bekenntnisses gefördert wird.701 Der Schwerpunkt liegt hier also auf der Toleranz zwischen den Bürgern sowie dem Vertrauen darauf.702 Im Hinblick auf diese Rechtsprechung erscheint die – politisch 698
VGH München, NJW 2011, 793, 795. So auch Beisel, Kunstfreiheitsgarantie, S. 355, 360; Fischer, GA 1989, 445, 463 f.; Hörnle, Schutz von Gefühlen, in: Rechtsgutstheorie, S. 268, 273 f.; Hüttemann, Gotteslästerung, S. 85; Rox, Schutz religiöser Gefühle, S. 233 ff. 700 s. hierzu oben im 2. Kapitel B. III. 2. 701 OLG Celle, NJW 1986, 1275 1276; OLG Karlsruhe, NStZ 1986, 363, 365; OLG Köln, NJW 1982, 657; OLG München, ZUM 1984, 595; OLG Nürnberg, NStZ-RR 1999, 238, 240; OVG Koblenz, NJW 1997, 1174, 1176; LG Bochum, NJW 1989, 727, 728; LG Frankfurt, NJW 1982, 658, 659; Eser, Schutz von Religionen, in: Hdb StaatskirchenR, S. 1019, 1032; Lenckner/ Bosch, in: Schönke/Schröder § 166 Rn. 12; Ott, NStZ 1986, 365; Rudolphi/Rogall, in: SKStGB § 166 Rn. 16 ff.; Maurach/Schroeder/Maiwald, BT II, § 61 Rn. 14. 702 Insofern spricht Rox, Schutz religiöser Gefühle, S. 230, von der „toleranzorientierten Interpretation“. 699
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3. Kap.: Strafbarkeit religionsfeindlicher Äußerungen in Deutschland
ohnehin fragwürdige – Kritik, die Voraussetzung der Friedensstörungseignung schränke den Tatbestand zu sehr ein,703 nicht berechtigt.704 Aber auch dieser Auslegung stehen wesentliche Kritikpunkte entgegen. Zunächst lässt sich eine tatsächliche Beeinträchtigung des Vertrauens der Betroffenen in den Respekt ihrer religiösen Überzeugungen und die Förderung der Intoleranz gegenüber Anhängern des beschimpften Bekenntnisses bei Dritten ohne aufwändige empirische und psychologische Untersuchungen durch das Gericht nicht tatsächlich feststellen.705 Darüber lässt sich auch nicht hinwegtäuschen, indem lediglich eine diesbezügliche Eignung verlangt wird. Indem deswegen nicht auf tatsächlich erregte Gemüter, sondern nur auf „berechtigte“ Befürchtungen eines „vernünftigen, auf Toleranz bedachten Bürgers“706 abgestellt wird, verliert das Tatbestandsmerkmal seine Wirkung. Zudem dürfte ihr die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, das einen strafrechtlichen Klimaschutz als unzulässig betrachtet,707 entgegenstehen. In Betracht käme schließlich auch hier ein Verständnis des Merkmals als normative Erheblichkeitsschwelle im Sinne einer Mindestintensität der Tathandlung. Schon auf Grund der Formulierung („in einer Weise beschimpft, die geeignet ist“) kommt als Anknüpfungspunkt für die Friedensstörungseignung letztlich nicht die Auswirkungen der Tathandlung, sondern nur die Tathandlung selbst in Betracht. Denn die Störungseignung beschreibt keinen abstrakten Erfolg, sondern nur eine Eigenschaft der Tathandlung an sich.708 Dann aber handelt es sich nicht um ein eigenständiges, handlungsexternes Merkmal, sondern um ein Element der Tathandlung selbst. Aus tatsächlichen Reaktionen Dritter darf aber nicht nach dem Motto „Wo Rauch ist, muss auch Feuer sein“ auf die Qualität der Handlung geschlossen werden.709 Es bliebe also nur zu fragen, ob der Inhalt und die äußeren Umstände der 703
s. in diesem Kapitel Fn. 692. Häufig wird die Friedensstörungseignung im Gegenteil sogar formelhaft bejaht, s. OLG Celle, NJW 1986, 1275, 1276; OLG Nürnberg, NStZ-RR 1999, 238, 240, oder schon das Beschimpfen verneint, s. OLG Karlsruhe, NStZ 1986, 363, 365; OVG Berlin-Brandenburg, NJW 2012, 3116, 3117; LG Frankfurt, NJW 1982, 658, 659. Lediglich LG Bochum, NJW 1989, 727, 728, lässt den Tatbestand an der fehlenden Friedensstörungseignung scheitern, während OLG München, ZUM 1984, 595, das Vorliegen einer Beschimpfung offenlässt, um direkt eine Friedensstörungseignung zu verneinen. 705 Geilen, NJW 1976, 279, 280; Streng, in: FS Lackner, S. 501, 514 f. 706 Rudolphi/Rogall, in: SK-StGB § 166 Rn. 18. 707 BVerfGE 124, 300, 335 – Wunsiedel. 708 Fischer, § 166 Rn. 14a; Pawlik, in: FS Küper, S. 415, 418 f.; ders., Strafrechtlicher Schutz, in: Religionsbeschimpfung, S. 31, 44; Rox, Schutz religiöser Gefühle, S. 225; Stübinger, in: MK-StGB § 166 Rn. 16; Winter, KuR 2008, 58, 67; so i.E. auch LG Frankfurt, NJW 1982, 658: „Der Maßstab dafür, ob eine herabsetzende Äußerung den für die Annahme eines Beschimpfens erforderlichen Schweregrad erreicht, […] ist allein die Frage, ob die herabsetzende Äußerung nach dem objektiven Urteil eines auf Wahrung der religiösen und weltanschaulichen Toleranz bedachten Beurteilers eine so schwerwiegende Verletzung des Toleranzgebotes darstellt, daß sie geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören“; ebenso die Argumentation des AG Lüdinghausen, BeckRS 2006, 03249. 709 Stübinger, in: NK-StGB § 166 Rn. 15. 704
B. Religionsfeindliche Äußerungen als strafbare Handlungen
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Beschimpfung selbst eine Bestrafung rechtfertigen. Zu untersuchen wäre, ob sie überhaupt in einer Situation geäußert wurde, in der sie genügend Aufmerksamkeit zu erregen vermag, ob sie gravierend genug für eine Verurteilung ist und ob sie sich auf ein Bekenntnis mit nicht ganz unerheblicher gesellschaftlicher Relevanz beziehen. Aber auch diese Auslegung ist wesentlichen Kritikpunkten ausgesetzt. Zum einen weisen die teilweise zugrunde gelegten Kriterien Schwächen auf: Nicht relevant ist beispielsweise, ob die Zuhörerschaft bereits kritisch eingestellt ist,710 da Intoleranz gesteigert werden kann, und ob das angegriffene Bekenntnis eine solche Machtposition innehat, dass sie nicht durch Beschimpfungen beeinträchtigt werde könne,711 weil insofern eine verfassungsrechtlich gebotene Gleichbehandlung der Religionsgemeinschaften nicht gewahrt werden könnte. Aber auch inhaltlich läuft eine solche Deutung fehl: So birgt sie das Risiko einer subjektiven Strafwürdigkeitskontrolle des Gerichts,712 das letztlich gezwungen wäre, Mutmaßungen über die Möglichkeit der Förderung von Intoleranz in der Zuhörerschaft anzustellen. Zudem bliebe die tatsächliche Filterwirkung bei einer angemessenen Auslegung des Beschimpfens gering; zu Recht wird dem Merkmal vorgeworfen, es handele sich um eine „scheinrationale Fassade“.713 Schließlich scheint auch sie mit dem Verständnis, das das Bundesverfassungsverfassungsgericht vom Rechtsgut öffentlicher Friede angenommen hat und das eine Bestrafung von bloßen Klimabeeinträchtigungen ausschließt,714 nicht vereinbar. Letztlich lässt sich keine Auslegung erblicken, die sich nach der hier vertretenen Ansicht sowohl aus strafrechtsdogmatischer als auch verfassungsrechtlicher Sicht in den Tatbestand des § 166 StGB einfügt. Dies ist darauf zurückzuführen, dass eine angemessene Fassung eines Verbots der Bekenntnisbeschimpfung im Ergebnis nur auf eine subjektive Schutzrichtung stützen lässt, in der das Merkmal der Friedensstörung nicht auftaucht.
710 So aber OLG München, ZUM 1984, 595 f.; OLG Karlsruhe, NStZ 1986, 363, 365; LG Bochum, NJW 1989, 727, 728; wie hier Hörnle, in: MK-StGB § 166 Rn. 23. 711 So aber OLG München, ZUM 1984, 595; offen gelassen LG Bochum, NJW 1989, 727, 728. 712 s. oben 2. Kapitel B. II. 2. a); für § 166 StGB: Hörnle, in: MK-StGB § 166 Rn. 23; Stübinger, in: NK-StGB § 166 Rn. 16; vgl. auch Pawlik, Strafrechtlicher Schutz, in: Religionsbeschimpfung, S. 31, 44. 713 Hörnle, Schutz von Gefühlen, in: Rechtsgutstheorie, S. 268, 271; zust. Cornils, AfP 2013, 199, 204; Pawlik, in: FS Küper, S. 415, 418; ders., Strafrechtlicher Schutz, in: Religionsbeschimpfung, S. 31, 44. 714 BVerfGE 124, 300, 335 – Wunsiedel.
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3. Kap.: Strafbarkeit religionsfeindlicher Äußerungen in Deutschland
d) Subjektiver Tatbestand Subjektiv ist Vorsatz erforderlich, wobei dolus eventualis genügt.715 Auch das Merkmal des Beschimpfens verlangt dabei aus sich heraus kein absichtliches Handeln.716 Erforderlich ist hingegen, dass der Täter den beschimpfenden Charakter der Äußerung erkennt.717 Ohne Bedeutung ist es, ob der Täter seine Meinung für richtig hält718 oder sie als „gerechten Zorn“ einstuft.719 Nach der Rechtsprechung soll es am subjektiven Tatbestand fehlen, wenn der Täter nur eine bestimmte Person beleidigen will und sich dabei der Wirkung für das gesamte Bekenntnis nicht bewusst ist720 oder wenn die Äußerung in ähnlicher Form schon zuvor ohne Beanstandung verbreitet wurde.721 Letzteres kann aber wohl nur dahingehend gedeutet werden, dass der Täter bei schon verbreiteten Aussagen davon ausgehen könnte, dass diese nicht geeignet sind, den öffentlichen Frieden zu stören. e) Rechtfertigung bekenntnisbeschimpfender Äußerungen Auch im Rahmen der Rechtswidrigkeit stellen sich bei § 166 StGB bedeutende Fragen. Zu untersuchen ist zum einen, ob – neben den allgemeinen Rechtfertigungsgründen – eine Rechtfertigung wegen der Wahrnehmung berechtigter Interessen nach § 193 StGB analog anzunehmen ist. Mit einer friedensschützenden Konzeption ist eine solche Analogie indes schwer vereinbar. Dafür spricht, dass § 193 StGB auf das Verhältnis von Ehrschutz zu anderen (zumeist grundrechtlichen) Interessen zugeschnitten und deshalb nicht auf friedensschützende Tatbestände übertragbar ist.722 § 193 StGB soll nicht als allgemeiner Interessenabwägungsvor-
715 OLG Koblenz, NJW 1993, 1808, 1809; OLG Köln, NJW 1982, 657, 658; 22. 05. 1984 – 1 Ss 182 – 184/84, 1 Ss 182/84, 1 Ss 183/84, 1 Ss 184/84 (juris); Dippel, in: LK-StGB § 166 Rn. 108; Eser, Schutz von Religionen, in: Hdb StaatskirchenR, S. 1019, 1033; Fischer, § 166 Rn. 15; Hilgendorf, in: Satzger/Schluckebier/Widmaier § 166 Rn. 20; Hörnle, in: MK-StGB § 166 Rn. 25; Lackner/Kühl, § 166 Rn. 7; Kuhli, in: Matt/Renzikowski § 166 Rn. 15; Lenckner/ Bosch, in: Schönke/Schröder Rn. 22; Rudolphi/Rogall, in: SK-StGB § 166 Rn. 19; Stübinger, in: NK-StGB § 166 Rn. 17. 716 RGSt 9, 158, 159; 30, 194, 195; Eser, Schutz von Religionen, in: Hdb StaatskirchenR, S. 1019, 1033; Hörnle, in: MK-StGB § 166 Rn. 25; Lenckner/Bosch, in: Schönke/Schröder Rn. 22; Rudolphi/Rogall, in: SK-StGB § 166 Rn. 19; Stübinger, in: NK-StGB § 166 Rn. 17. 717 Eser, Schutz von Religionen, in: Hdb StaatskirchenR, S. 1019, 1033; Hörnle, in: MKStGB § 166 Rn. 25; Stübinger, in: NK-StGB § 166 Rn. 17. 718 Dippel, in: LK-StGB § 166 Rn. 108; Fischer, § 166 Rn. 15; Hörnle, in: MK-StGB § 166 Rn. 25. 719 Hörnle, in: MK-StGB § 166 Rn. 25; anders Dippel, in: LK-StGB § 166 Rn. 108. 720 OLG Koblenz, NJW 1993, 1808, 1809. 721 OLG Köln, NJW 1982, 657, 658. 722 OLG Stuttgart, NStZ 1987, 121; K. Fischer, Strafrechtliche Beurteilung, S. 70; Hilgendorf, in: AWHH § 44 Rn. 53; Joecks, in: MK-StGB § 193 Rn. 8; Lenckner/SternbergLieben, in: Schönke/Schröder Vor §§ 32 ff. Rn. 79/80; Rogall, in: SK-StGB § 193 Rn. 4;
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behalt für sämtliche Äußerungstatbestände des StGB verstanden werden, da ein solcher die Vorhersehbarkeit der Anwendung strafrechtlicher Normen aushebeln würde. Auf der Grundlage einer individualschützenden Konzeption hingegen wird eine Rechtfertigung wegen Wahrnehmung berechtigter Interessen – wenn auch zögerlich – de lege lata723 oder zumindest de lege ferenda724 befürwortet. Für eine Anwendung des § 193 StGB im Rahmen des § 166 StGB spricht nach der hier vertretenen individualbezogenen Ansicht725 die Vergleichbarkeit des § 166 StGB mit den Ehrschutzdelikten. Kommt bei überlegenen Interessen eine Rechtfertigung von Beleidigungen oder Diffamierungen in Betracht, muss das gleiche auch dann gelten, wenn nicht die Ehre, sondern die religiöse Identität des Betroffenen beeinträchtigt ist. Dies kann auch hier entweder durch die Berücksichtigung der Meinungs- und Kunstfreiheit im Rahmen des § 193 StGB oder aber durch Art. 5 GG als eigenen Rechtfertigungsgrund erfolgen. Auf Grund der besonderen Nähe zu den Beleidigungsdelikten würde eine Anwendung des § 193 StGB diesen auch nicht zu einem allgemeinen Abwägungsvorbehalt für sämtliche Äußerungstatbestände des StGB ausweiten. Eine Rechtfertigung über Art. 5 GG erscheint schließlich auch auf Grundlage der herrschenden friedenschützenden Konzeption als gangbarer Weg.726 Allerdings bleibt bei einer angemessenen Auslegung der Tatbestandsmerkmale im Ergebnis nur wenig Raum für eine Rechtfertigung. Denn Beschimpfungen, die sich in der Form einer Schmähkritik darstellen, können nicht durch Berufung auf die Meinungsfreiheit gerechtfertigt werden.727 Wissenschaftliche Äußerungen hingegen, die über Art. 5 Abs. 3 GG gerechtfertigt sein könnten, werden in der Regel schon das tatbestandliche Erfordernis der Beschimpfung nicht erfüllen.728 Und auch zur Wahrung der Kunstfreiheit werden im Ergebnis nur die wenigsten Beschimpfungen gerechtfertigt sein: Wird das Kunstwerk im Rahmen des Tatbestands werkgerecht interpretiert und gedeutet, wird häufig ebenfalls schon nicht von einem Beschimpfen auszugehen sein.729 Ist andererseits die künstlerische Darstellung so verletzend, dass selbst bei einer werkgerechten Interpretation eine Beschimpfung anzunehmen ist, ist zwar eine Rechtfertigung prinzipiell möglich. Dabei ist aber zu berücksichtigen, dass zumindest im Fall einer Schmähung einer Person oder bei Beeinträchtigung der Menschenwürde auch die Kunstfreiheit zurückzutreten hat. In Betracht kommt eine Zaczyk, in: NK-StGB § 193 Rn. 12; vgl. auch Noll, ZStW 77 (1965), 1, 13; diff. Eser, Wahrnehmung berechtigter Interessen, S. 46 ff.; anders aber Dippel, in: LK-StGB § 166 Rn. 107. 723 Hörnle, in: MK-StGB § 166 Rn. 27; Stübinger, in: NK-StGB § 166 Rn. 18. 724 Hüttemann, Gotteslästerung, S. 42 ff.; Pawlik, in: FS Küper, S. 411, 427; ders., Strafrechtlicher Schutz, in: Religionsbeschimpfung, S. 31, 59 ff. 725 Vgl. hierzu oben 2. Kapitel B. III. 4. Diese Schutzkonzeption findet sich jedoch im geltenden § 166 StGB nicht wieder, vgl. 3. Kapitel B. III. 1. 726 In diesem Sinne auch Lenckner, in: GS Noll, S. 243, 253. 727 s. dazu oben 2. Kapitel A. I. 2. d) sowie in diesem Kapitel B. II. 2. d). 728 Fischer, § 166 Rn. 16. 729 s. oben in diesem Kapitel A. I. 1. und 2.
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3. Kap.: Strafbarkeit religionsfeindlicher Äußerungen in Deutschland
analoge Anwendung des § 193 StGB somit höchstens bei der Kundgabe eines Werturteils, das in zwar roher, aber nicht gänzlich unzulässiger Form vorgetragen wird und das einem legitimen Aufklärungsinteresse dient (etwa die Bezeichnung einer Religionsgesellschaft, der die Ausbeutung ihrer Mitglieder vorgeworfen wird, als „verbrecherisch“).730 3. Bestrafung religionsfeindlicher Äußerungen als Bekenntnisbeschimpfung Wenn § 166 StGB auch nach der herrschenden Auffassung den öffentlichen Frieden schützen soll, zielt die Norm doch auf Grund ihrer tatbestandlichen Voraussetzungen geradezu auf die Sanktionierung der hier behandelten religionsfeindlichen Äußerungen. Trotzdem sind im Vergleich zu der Vielzahl an medialen Aufregungen jährlich mit einer gewissen Konstanz nur einzelne Verurteilungen zu verzeichnen. So wurden etwa 2012 vierzehn Verfahren wegen §§ 166, 167 StGB geführt, von denen sieben mit einer Verurteilung endeten (alle zu § 166 StGB); im Jahr davor waren es zehn Verfahren, von denen sechs zu einer Verurteilung führten. 2010 sind sechzehn Verurteilungen in neunzehn Verfahren verzeichnet; 2009 zwölf Verurteilungen in siebzehn Strafverfahren.731 Von einer hohen praktischen Bedeutung kann also keine Rede sein. Ältere Entscheidungen zu § 166 StGB betreffen sämtlich die christlichen Religionen; in den meisten Fällen geht es um satirische, häufig karikaturistische Auseinandersetzungen mit den Positionen der Kirche oder mit Inhalten der christlichen Lehre. Dabei zeigten sich die Gerichte noch bis zum Anfang der 1980er Jahre relativ streng. So verurteilte 1982 das Amtsgericht Köln die Beteiligten an einem Hörspiel, das einen erfundenen, mit sexuellen Elementen gespickten Dialog zwischen Maria und Josef darstellte.732 Das Gericht ordnete den Marienkult als Einrichtung einer Religionsgemeinschaft ein, der durch die Darstellung sexueller Lust der Marienfigur beschimpft werde, wobei die obszöne Sprache nur zusätzlich als weiteres Argument herangezogen wurde.733 Im gleichen Sinn kam auch das Landgericht Düsseldorf zu dem Ergebnis, dass der Ausspruch „Maria, hättest du abgetrieben, der Papst wäre uns erspart geblieben!“ die Voraussetzungen des Tatbestands erfüllt.734 Das gelte auch für die Überschrift eines in einer Zeitschrift einer Jugendorganisation abgedruckten Artikels, der sich mit der unter diesem Motto stattfindenden Kundgebung zur Einrichtung einer Schwangerschaftskonfliktberatungsstelle befasste. Diese Entscheidungen erscheinen aus heutigem Blickwinkel als zu streng. Wo in den beiden Fällen ein Beschimpfen im Sinne einer durch ihre Form oder durch ihren Inhalt besonders verletzenden, rohen Äußerung der Missachtung vorliegen soll, ist nicht zu erkennen. 730 731 732 733 734
Hörnle, in: MK-StGB § 166 Rn. 27; zust. Stübinger, in: NK-StGB § 166 Rn. 18. Statistisches Bundesamt, Fachserie 10, Reihe 3, 2009; 2010; 2011; 2012, jeweils S. 28 f. AG Köln, KJ 1982, 198. AG Köln, KJ 1982, 198, 202 f. LG Düsseldorf, NStZ 1982, 290.
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Gerade im zweiten Fall sollte darüber hinaus die politische Intention der gesellschaftlichen Auseinandersetzung über Abtreibung und Schwangerenkonfliktberatung gewürdigt werden. In eine ganz andere Richtung geht hingegen das Oberlandesgericht München. Dieses ließ das Vorliegen einer Beschimpfung eines Bekenntnisses durch einen Spielfilm über den wiedergekehrten Christus in der heutigen Welt unter dem Verweis darauf offen, dass ein Film, der gleichermaßen Einrichtungen beider verbreiteter christlichen Konfessionen betraf und zudem nur in kleineren Kinos und deshalb ausschließlich vor interessierten Cineasten aufgeführt wurde, nicht geeignet sei, den öffentlichen Frieden zu beeinträchtigen. „Daß sich aber in unserer aufgeklärten Zeit Anhänger eines christlichen Bekenntnisses durch das als Provokation gedachte und auch nach dem Willen seines Urhebers zum Widerspruch herausfordernde Werk eines Außenseiters dazu hinreißen lassen könnten, für ihren Glauben gleichsam auf die Barrikaden zu gehen und friedensgefährdende Protest- und Gewaltaktionen durchzuführen sowie gegebenenfalls Repressalien zu verüben, erscheint – zumal wenn man sich den relativ kleinen Personenkreis vor Augen hält, dem der Film nach der Vorstellung des Produzenten wie des Verleihers zugänglich werden sollte – schlechterdings unvorstellbar.“735 Diese restriktive Tendenz spiegelt sich auch in einer wenig später ergangenen Entscheidung des Oberlandesgerichts Karlsruhe wider, das die Strafbarkeit eines Artikels zu untersuchen hatte, der in satirischer Weise eine Erstkommunion darstellte. Zum einen sei das Merkmal des Beschimpfens restriktiv auszulegen, sodass es vorliegend schon auf Grund der enthaltenen sachlichen Kritik, die sich hinter der satirischen Verfremdung verberge, zu verneinen sei.736 Zum anderen werde durch Kritik an christlichen Einrichtungen gegenüber einer schon ablehnend eingestellten Leserschaft der öffentliche Friede nicht beeinträchtigt.737 Insbesondere das erstgenannte Argument übernimmt auch das Landgericht Bochum in seiner Entscheidung zu der Veröffentlichung kirchenkritischer Karikaturen in einem Flugblatt mehrerer studentischer Verbände: Sobald der Äußerung auch sachliche Kritik zu entnehmen sei, könne sie in der Regel nicht mehr als Beschimpfung eingeordnet werden.738 Zudem wird auf Grund der geringen Verbreitung und durch die Betroffenheit sämtlicher christlicher Kirchen die Eignung zur Friedensstörung verneint.739 Das zunehmend restriktive Verständnis des Beschimpfens manifestiert sich in den 1990er Jahren auch in einer Entscheidung des Oberlandesgerichts Köln zu einer Darstellung einer Nonne in frivoler Beziehung zu einem Kruzifix.740 Diese einschränkende Sichtweise ist vor allem im Hinblick auf die Legitimationsschwierigkeiten des Tatbestands zu begrüßen. 735 736 737 738 739 740
OLG München, ZUM 1984, 595, 596. OLG Karlsruhe, NStZ 1986, 363, 364 f. OLG Karlsruhe, NStZ 1986, 363, 365. LG Bochum, NJW 1989, 727, 728. LG Bochum, NJW 1989, 727, 728. OLG Köln, 04. 07. 1995, SS 219-220/95 – 75-76.
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3. Kap.: Strafbarkeit religionsfeindlicher Äußerungen in Deutschland
Eine Ausnahme in dieser Hinsicht bildet jedoch das Oberlandesgericht Nürnberg, das auch das „durch den Schmutz Ziehen“ von Glaubensinhalten unter den Begriff des Beschimpfens fasst und deshalb eine Abbildung gekreuzigter Schweine als Verstoß gegen § 166 StGB einordnet.741 In diese Richtung tendiert auch die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, in der es die auf § 166 StGB gestützte Untersagung der Aufführung des sogenannten Rock-Comicals „Das Maria-Syndrom“ bestätigt.742 Eine Auslegung des Begriffs der Beschimpfung, die weder inhaltlich noch formal durch eine besondere Rohheit voraussetzt, ist jedoch – wie oben gesehen743 – problematisch. Verneint wurde demgegenüber die Strafbarkeit einer Darstellung einer Tierkreuzigungsszene in der Nähe des Ulmer Münsters.744 Dies mag, wenn auch durch das Verwaltungsgericht nicht ausdrücklich bestätigt, darauf zurückzuführen sein, dass die Aufführung einem sachlichen Zweck, nämlich der Kritik an der Massentierhaltung und gegebenenfalls auch der Haltung der katholischen Kirche zu dieser Frage, dienen sollte. Anders als bei der Entscheidung des Oberlandesgerichts Nürnberg haftete den Tieren zudem eine positive Konnotation an, sodass trotz der Idee der Tierkreuzigung eine unterschiedliche Behandlung gerechtfertigt ist. Das Argument der sachlichen Kritik findet sich auch in der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs München zur Rechtmäßigkeit des polizeilichen Verbots eines kirchenkritischen Paradewagens im Rahmen des Christopher-Street-Days.745 Die Darstellung des Papstes mit Kondomen und erkennbar homosexuellen Attributen sei als Kritik und nicht als Verächtlichmachen zu verstehen; indem die Darstellung „den bunten, fröhlichen Charakter des Christopher Street Days widerspiegelt, aber kein Kennzeichen von Aggression trägt“746 fehle es zudem an der Eignung zur Störung des öffentlichen Friedens. Die restriktive Tendenz bei der satirischen oder karikaturistischen Darstellung christlicher Glaubensinhalte bestätigt sich schließlich auch in einer Entscheidung des Landgerichts München.747 Dort wurde eine auf § 1004 BGB i.V.m. § 166 StGB gestützte Unterlassungsklage gegen die Ausstrahlung der PapstComedy „Popetown“ mangels Eignung zur Friedensstörung (ohne Behandlung der Frage, ob überhaupt ein Beschimpfen gegeben ist748) abgewiesen. Insgesamt ist also in der Rechtsprechung bei satirischen Darstellungen religiöser Inhalte und Figuren religiöser Verehrung eine steigende Zurückhaltung festzustellen. Die Gerichte neigen überwiegend zu einer sehr restriktiven Auslegung der Tatbestandsmerkmale des 741 OLG Nürnberg, NStZ-RR 1999, 238. So auch zum Verbot eines Theaterstücks, dessen Handlung sich an das Leben Marias anlehnt und dieses ins Lächerliche zieht, OVG Koblenz, NJW 1997, 1174. 742 BVerwG, NJW 1999, 304. 743 s. oben 3. Kapitel B. III. 2. b) aa). 744 VG Sigmaringen, 19. 01. 2011 – 1 K 1561/10 (juris). 745 VGH München, NJW 2011, 793. 746 VGH München, NJW 2011, 793, 795. 747 LG München, ZUM 2006, 578. 748 Zweifelnd hierzu Liesching, ZUM 2006, 578 f.
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Beschimpfens und der Eignung zur Friedensstörung. Positiv fällt zudem auf, dass insbesondere Darstellungen, die einen Ansatz sachlicher Kritik enthalten (etwa die Position der Kirche zu Abtreibung, Verhütung und Homosexualität), regelmäßig als straflos eingestuft werden. Hierzu passt, dass eine der wenigen Verurteilungen der letzten Jahre die Versendung von Toilettenpapierblättern bedruckt mit der Aufschrift „Koran, der heilige Qu’ran“ betrifft,749 die eben nur eine Schmähung der Religion ohne jede sachliche Kritik und darüber hinaus mit einem durch den Bezug auf Fäkalien besondere Rohheit des Ausdrucks beinhaltete. Strenger zeigt sich die Rechtsprechung auch bei nichtsatirischen Äußerungen, die direkte Angriffe gegen Religionen oder Religionsgemeinschaften beinhalten. So erfolgt eine Verurteilung sowohl für die Bezeichnung der christlichen Kirche als „eine der größten Verbrecherorganisationen der Welt“750 oder der jüdischen Religionstradition als „faschistisch“.751 Ob die Aussage, die katholische Kirche sei eine „Kinderficker-Sekte“, eine Beschimpfung einer Religionsgemeinschaft darstellt, wurde offen gelassen, da es insofern zumindest an einer Eignung zur Störung des öffentlichen Friedens fehle.752 Auch diese Entscheidung ist darauf zurückzuführen, dass der Äußerung der tatsächlich existierende Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche zugrunde liegt. Der Äußernde verfolgt insofern ein rechtmäßiges und schutzwürdiges Interesse, das auch bei der Auslegung des Straftatbestands berücksichtigt werden soll. Dass diesem aber gerade beim Merkmal der Friedensstörungseignung Rechnung getragen wird, überzeugt – auch angesichts der vorgenannten Entscheidungen – nicht. Stellt man sich die Frage, ob die dänischen Karikaturen des Propheten Mohammeds, die in den Jahren 2005 und 2006 für Aufregung sorgten, den Tatbestand der Bekenntnisbeschimpfung erfüllen, fällt zunächst auf, dass es in Deutschland – anders als in Frankreich753 – nicht zu einer Auseinandersetzung der Strafgerichte mit der Veröffentlichung der Karikaturen kam. Deshalb ist für die Frage nach der rechtlichen Bewertung der Karikaturen in Deutschland auf die später ergangenen Entscheidungen der Verwaltungsgerichte zur Zulässigkeit der Verbreitung der Karikaturen in Versammlungen sowie auf die juristische Literatur zurückzugreifen. Einheit besteht darüber, dass in der Missachtung des muslimischen Bilderverbots allein noch kein Beschimpfen liegen kann, da auch das Toleranzgebot nicht die Nichtangehörigen einer Religion zur Einhaltung deren Gebote verpflichten kann.754 Ob aber insbesondere die karikaturistische Darstellung Mohammeds mit einem als Bombe dargestellten Turban, die im Rahmen der Veröffentlichung durch die „Jyllands-Posten“ die größte Empörung hervorrief, eine Beschimpfung eines Bekennt749 750 751 752 753 754
AG Lüdinghausen, BeckRS 2006, 03249. OLG Celle, NJW 1986, 1275; LG Göttingen, NJW 1985, 1652. KG, 15. 03. 2000 – (5) 1 Ss 33/98 (19/98) (juris). AG Tiergarten, StraFo 2012, 110. TGI Paris, 22. 03. 2007, Légipresse n8 242 (2007), III, 123, s. unten 4. Kapitel B. II. 4. Steinbach, JR 2006, 495, 496 f.; zust. Hörnle, in: MK-StGB § 166 Rn. 15.
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3. Kap.: Strafbarkeit religionsfeindlicher Äußerungen in Deutschland
nisses enthält, wird unterschiedlich beurteilt. Zum Teil wird die Erfüllung dieses Tatbestandsmerkmals mit der Überlegung bejaht, im Rahmen einer angemessenen Auslegung sei dieser Karikatur allein die Aussage zu entnehmen, schon der Prophet als Stellvertreter des Islam befürworte und unterstütze terroristische Anschläge, Terrorismus sei dem Islam also immanent.755 Dagegen spricht, dass im Hinblick auf die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung, nach der bei der Auslegung von Kunstwerken und Meinungsäußerungen eine strafbare Interpretationsmöglichkeit nur dann zugrunde gelegt werden darf, wenn andere Varianten mit tragfähigen Argumenten ausgeschlossen wurden, die Karikatur unter Berücksichtigung des gesellschaftlichen Kontextes auch als bloße Kritik an durch ihren muslimischen Glauben motivierten Terroristen verstanden werden kann.756 Außerdem fehlt es wohl (unabhängig davon, welche Auslegung zugrunde gelegt wird) an der besonderen Grobheit und Rohheit des Ausdrucks,757 die § 166 StGB nach herrschender Ansicht voraussetzt.758 Gegen eine Strafbarkeit spricht auch, dass der Sachbezug, der der Abbildung unzweifelhaft zu entnehmen ist, sei er auch inhaltlich zustimmungswürdig oder nicht, eine Strafbarkeit ähnlich wie bei den Ehrverletzungsdelikten mangels „Schmähkritik“ ausschließt.759 Eine hinreichende Wahrscheinlichkeit der Strafbarkeit wegen Bekenntnisbeschimpfung verneinten auch die Verwaltungsgerichte, die das Zeigen der Mohammed-Karikaturen bei Demonstrationen untersagende versammlungsrechtliche Auflagen sämtlich aufhoben.760 Insgesamt scheint die Rechtsprechung die Legitimationsprobleme des § 166 StGB auf ihre Weise gelöst zu haben: Sie tendiert dazu, die Tatbestandsmerkmale derart restriktiv auszulegen, dass die Religionsdelikte faktisch nahezu entkriminalisiert werden.761 Dies ist im Hinblick auf die gravierenden verfassungsrechtlichen Schwierigkeiten des Tatbestands nur zu begrüßen. Auch aus strafrechtlicher Hinsicht spricht viel für die vorgenommene restriktive Auslegung des Merkmals der Beschimpfung. Problematisch ist allein, dass die wenigen noch sanktionierten Fälle zum Teil nur schwer vorhersehbar sind,762 sodass auch unter diesem praktischen Gesichtspunkt eine Beibehaltung der Vorschrift kritisch zu bewerten ist.
755
In diesem Sinne Heller/Goldbeck, ZUM 2007, 628, 634; Steinbach, JR 2006, 495, 497. So auch Dippel, in: LK-StGB § 166 Rn. 42; Hörnle, in: MK-StGB § 166 Rn. 15; i.E. ebenso Waldhoff, Gutachten D zum 68. DJT, S. 165. 757 Isensee, Blasphemie, in: Religionsbeschimpfung, S. 105, 127 f. 758 s. oben in diesem Kapitel B. III. 2. b) aa). 759 So Dippel, in: LK-StGB § 166 Rn. 42; ähnlich auch Enders, KuR 2007, 40, 49, Fn. 34. 760 OVG Berlin-Brandenburg, NJW 2012, 3116; OVG NRW, 30. 04. 2012 – 5 B 546/12 (juris); VG Köln, 30. 04. 2012 – 20 L 560/12 (juris); VG Minden, 07. 05. 2012 – 11 L 302/12 (juris); VG Aachen, 08. 05. 2012 – 6 L 220/12 (juris); VG Berlin, 16. 08. 201 – 1 L 217/12 (juris); zust. Muckel, JA 2013, 157. 761 Pawlik, in: FS Küper, S. 411, 415; ders., Strafrechtlicher Schutz, in: Religionsbeschimpfung, S. 31, 38 f.; s. auch Isensee, Blasphemie, in: Religionsbeschimpfung, S. 105, 138. 762 Cornils, AfP 2013, 199, 202. 756
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4. Reformtendenzen Die Vorschrift des § 166 StGB ist höchst umstritten. Neben den eben schon erwähnten Initiativen, die eine Verschärfung der Norm durch Abschaffung des Merkmals der Friedensstörungseignung fordern,763 werden auch immer wieder Stimmen laut, die ihre Abschaffung verlangen.764 In Reaktion auf das Attentat von Paris meldeten sich erneut Vertreter beider Auffassungen zu Wort.765 Auf der einen Seite heißt es, zu liberale Strafgesetze hemmten die Integration und trügen in letzter Konsequenz zu fundamentalistisch motivierten Attentaten bei. Die andere Seite will dem die Pressefreiheit bedrohenden Terrorismus mit weiteren Freiheitsgewährungen begegnen. Ob Verschärfungen des § 166 StGB als Reaktion auf schockierende Ereignisse sinnvoll sind, ist sowohl verfassungsmäßig als auch rechtspolitisch fragwürdig. Die Bundesregierung sprach sich jedenfalls gegen eine zeitnahe Modifikation des Tatbestandes aus.766 5. Verhältnis der Tatbestände bei religionsfeindlichen Äußerungen Auf Grund der unterschiedlichen Schutzgüter und der weitgehend differierenden Tatbestandsmerkmale stehen die hier behandelten Normkomplexe (§ 130 Abs. 1 und 2, § 166 Abs. 1 und 2, §§ 185 – 187 StGB) jeweils nicht in einem Verhältnis der Gesetzeskonkurrenz zueinander. Im Einzelfall kann demnach Idealkonkurrenz zwischen den jeweils erfüllten Delikten bestehen. Auf Grund der restriktiven Auslegung der Beleidigungsdelikte bei Personenmehrheiten wird eine Idealkonkurrenz zu § 130 StGB im Ergebnis zumeist nur bei einem Angriff eines Einzelnen unter einer Kollektivbezeichnung in Betracht kommen.767 Eine Idealkonkurrenz zwischen § 166 StGB und § 130 StGB ist anzunehmen, wenn zum Hass gegen die Mitglieder einer Religionsgemeinschaft aufgerufen und gleichzeitig ihr Bekenntnis beschimpft wird.768 Der Ansicht, dass auf Grund der Identität des geschützten Rechtsguts § 166 StGB zurücktritt, wenn beide Erfolge in der gleichen Aussage liegen,769 ist nach der 763
BR-Drucks. 367/86; BR-Drucks. 460/98; BR-Drucks. 683/07; BT-Drucks. 13/10666; BT-Drucks. 14/4558. 764 BT-Drucks. 13/2087. 765 Vgl. Bingener/Bubrowski, FAZ.net, 15. 01. 2015. 766 Regierungspressekonferenz v. 14. 01. 2015, http://www.bundesregierung.de/Content/ DE/Mitschrift/Pressekonferenzen/2015/01/2015-01-14-regpk.html (zuletzt abgerufen am 29. 05. 2017). 767 Schäfer, in: MK-StGB § 130 Rn. 118; zur (nach der Rechtsprechung möglichen) Beleidigung der Juden in Tateinheit mit Volksverhetzung s. OLG Hamburg, NJW 1970, 1649, 1650. 768 Fischer, § 166 Rn. 17; Hörnle, in: MK-StGB § 166 Rn. 28; Schäfer, in: MK-StGB § 130 Rn. 118. In GA 1989, 445, 464 geht Fischer sogar davon aus, dass § 166 Abs. 2 StGB vollständig in § 130 StGB aufgeht. 769 Lenckner/Bosch, in: Schönke/Schröder § 166 Rn. 23; diff. Dippel, in: LK-StGB § 166 Rn. 110.
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3. Kap.: Strafbarkeit religionsfeindlicher Äußerungen in Deutschland
hier vertretenen individualschützenden Konzeption nicht zu folgen, wird de lege lata aber zuzustimmen sein. Idealkonkurrenz ist schließlich auch unstreitig zwischen den Ehrverletzungsdelikten und § 166 StGB anzunehmen.770
C. Fazit Zusammenfassend gesehen hält das deutsche Strafrecht im StGB drei Normkomplexe bereit, die bei religionsfeindlichen Äußerungen zur Anwendung kommen können. Die verschiedenen Tatbestände der Volksverhetzung stellen dabei die wohl höchsten Voraussetzungen an die Tathandlung. Religionsfeindliche Äußerungen werden nach dieser Norm nur dann unter Strafe gestellt, wenn sie entweder zum Hass gegen die Mitglieder der betroffenen Religion aufrufen oder diese in ihrer Menschenwürde beeinträchtigen. Ihre verfassungsrechtliche Legitimation ziehen sie aus der Vorverlagerung des Schutzes von Individualrechtsgütern wie Leib, Leben, Eigentum oder Freiheit. Daraus folgt, dass eine Strafbarkeit für religionsbeschimpfende Äußerungen nur in den Einzelfällen in Betracht kommt, in denen die Äußerung ausdrückliche Gewaltaufrufe gegenüber den Religionsanhängern oder eine Verletzung von deren Menschenwürde beinhaltet. Auch die Beleidigungsdelikte, die sich auf das einheitliche Schutzgut der persönlichen Ehre stützen, treten nur in seltenen Fällen als Sanktionierung religionsfeindlicher Äußerungen in Erscheinung. Zum einen erfüllen Äußerungen, die sich gegen Glaubensinhalte richten, nur selten die Voraussetzung der Herabsetzung einer Person. Zum anderen – und vorrangig – ist die Unanwendbarkeit auf die restriktive Rechtsprechung zur Beleidigung unter Kollektivbezeichnungen zurückzuführen, die in den Fällen der Beleidigung aller Anhänger einer Religion eine direkte Beeinträchtigung des Einzelnen mangels Individualisierung verneint. Die §§ 185 – 187 StGB manifestieren hingegen dann ihre Bedeutung, wenn eine oder mehrere Einzelpersonen direkt auf Grund ihrer Religion angegriffen werden und die Äußerung darauf gerichtet ist, diese in der Wertschätzung anderer herabzusetzen. Nach eingehender Analyse der Voraussetzungen erweist sich § 166 StGB als höchst problematische Norm mit erheblichem Potential für Streitigkeiten im Schrifttum. Schon die verfassungsmäßige Rechtfertigung der meinungsfreiheitsbeschränkenden Vorschrift wirft deutliche Begründungsschwierigkeiten auf. Der von der herrschenden Anschauung vertretene friedensschützende Ansatz ist verfassungsrechtlich nicht haltbar, da der öffentliche Frieden nicht hinreichend konkret zu bestimmen ist und letztlich als mittelbares Ziel hinter sämtlichen Strafnormen steht. Der nach hier vertretener Auffassung einzig zulässige Schutzzweck der religiösen Identität der Gläubigen als Element des allgemeinen Persönlichkeitsrechts aus Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 GG spiegelt sich allerdings in den aus770 Dippel, in: LK-StGB § 166 Rn. 110; Fischer, § 166 Rn. 17; Lenckner/Bosch, in: Schönke/Schröder § 166 Rn. 23; Rudolphi/Rogall, in: SK-StGB § 166 Rn. 20.
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schließlich auf den Friedensschutz ausgerichteten Tatbestandsmerkmalen der Norm nicht wider. Denn § 166 StGB verlangt in keiner seiner Varianten einen direkten Bezug der Äußerung zu der Person der Gläubigen, sodass tatbestandliche Äußerungen die religiöse Identität des Betroffenen nicht notwendigerweise beeinträchtigt. In ihrer konkreten Ausgestaltung eignet sich die Norm also nicht zum Schutz dieses Verfassungswerts. Insgesamt ist § 166 StGB also in seiner aktuellen Formulierung verfassungsmäßig nicht haltbar.771 In keinem Verhältnis zu den zahlreichen Diskussionen über die Norm steht ihre tatsächliche Anwendung durch die Rechtsprechung. Ihre Merkmale werden von den Gerichten höchst restriktiv ausgelegt, sodass ihre tatsächliche Wirkungskraft nur marginal ist. Insgesamt ergibt sich also, dass religionsfeindliche Äußerungen aktuell in Deutschland nur in den seltensten Fällen strafrechtlich geahndet werden.
771 Zu dem Ergebnis einer Abschaffung des § 166 StGB kommen auch Hörnle, Gutachten C zum 70. DJT, S. 42; Renzikowski, NJW 2014, 2539, 2540; Steinke, KJ 2008, 451; vgl. auch Hassemer, Religionsdelikte, in: Christentum und modernes Recht, S. 232, 248 sowie Fischer, GA 1989, 445, 467.
4. Kapitel
Strafbarkeit religionsfeindlicher Äußerungen in Frankreich Nachdem festgestellt wurde, dass das deutsche Recht in seiner Gesamtkonzeption zur Bestrafung von Religionsbeschimpfungen nicht zufriedenstellen kann, gilt es zu untersuchen, ob das französische Recht insofern in Ausrichtung und Ergebnis überzeugender ist. Herauszuarbeiten ist also, welche strafrechtlichen Regelungen das französische Recht für die Ahndung religionsfeindlicher Äußerungen bereithält. Hierfür soll zunächst in einem einleitenden Kapitel eine Einführung in das französische Strafrecht erfolgen. Der Schwerpunkt liegt dabei auf den Grundregeln, die sich auf die Bestrafung von Meinungsäußerungen beziehen. Anschließend findet eine eingehende Analyse der Tatbestände statt, die für religionsfeindliche Äußerungen relevant sind. Zum Schluss soll kurz auf einzelne strafprozessuale Eigenheiten der betreffenden Straftaten eingegangen werden, die für das Gesamtbild Bedeutung beanspruchen.
A. Allgemeine Grundsätze zur Strafbarkeit kritischer Äußerungen Nach einer Einführung in die Grundlagen des französischen Strafrechts, die das Verständnis der nachfolgenden Erläuterungen erleichtern soll, werden die Regelungen herausgearbeitet, die für eine Strafbarkeit von Meinungsäußerungen bedeutsam sind. Zum einen soll untersucht werden, auf welche Weise in der französischen Strafrechtswissenschaft beanstandete Äußerungen ausgelegt werden. Zum anderen ist kurz zu erläutern, wie sich die in Rede stehenden Straftatbestände in das Gesamtbild des französischen Strafrechts integrieren. Dabei ist der Schwerpunkt auf eine Besonderheit des französischen Rechts zu legen, nach der öffentliche Äußerungen sämtlich unter das Presserecht fallen.
I. Einführung in das französische Strafrecht Um die nachfolgende Analyse der einzelnen Tatbestände nachvollziehbarer zu gestalten, ist hier kurz auf zwei Elemente des allgemeinen französischen Strafrechts einzugehen. Zunächst wird die klassische Aufteilung der Delikte in drei Kategorien
A. Allgemeine Grundsätze zur Strafbarkeit kritischer Äußerungen
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behandelt; anschließend der Aufbau einer Deliktsprüfung nach französischer Lehre dargestellt. 1. Die classification tripartite Art. L. 111-1 Code pénal legt eine Teilung der Straftaten (infractions) in die drei Kategorien crime, délit und contravention fest, die sich nach der Schwere der Tat bestimmt.1 Die contraventions, Übertretungen, unterscheiden sich von den anderen beiden Kategorien dadurch, dass sie nicht durch ein formelles Gesetz, sondern durch Verordnung der Regierung erlassen werden (Art. L. 111-2 Code pénal). Sie werden je nach ihrer Schwere in fünf Klassen kategorisiert, denen jeweils eine unterschiedlich hohe Geldstrafe zugeordnet ist. Crimes, Verbrechen, und délits, Vergehen, werden anhand ihrer Strafandrohung unterschieden. Anders als im deutschen Recht2 ergibt sich die Unterscheidung schon aus der Formulierung des Tatbestandes: Wird eine réclusion criminelle angedroht, handelt es sich um ein crime (bei denen eine Höchststrafe von mindestens zehn Jahren Freiheitsentzug angedroht wird), während die Strafandrohung bei délits regelmäßig ein emprisonnement (von höchstens 10 Jahren) und eine amende, Geldstrafe, vorgesehen ist.3 Der Code pénal enthält in seinem 1. Teil (Partie législative) die durch förmliches Gesetz entstandenen Artikel – also allgemeine Regelungen sowie die Tatbestände der crimes und délits, gekennzeichnet durch den Buchstaben L. – und in seinem 2. Teil (Partie règlementaire) Vorschriften, die auf Verordnungen beruhen – also die Tatbestände der contraventions, gekennzeichnet durch den Buchstaben R. Darüber hinaus können sich Straftatbestände auch als Nebenvorschriften zu anderen Gesetzen – wie hier aus dem Pressefreiheitsgesetz – ergeben. 2. Deliktsaufbau Die französische Strafrechtslehre unterteilt die Straftat im Wesentlichen in zwei Elemente,4 das élément matériel und das élément moral. Auch das französische Strafrecht stellt nicht allein den bösen Willen unter Strafe und verlangt daher im
1 s. zum Kriterium der Schwere der Tat Desportes/Le Gunehec, Droit pénal général, Rn. 118 ff. sowie zu den Gründen und Vorteilen dieser Dreiteilung, ebd. Rn. 111 ff. 2 § 12 StGB unterscheidet zwischen Vergehen und Verbrechen ausschließlich anhand der in den jeweiligen Normen vorgesehenen Mindeststrafe. 3 s. hierzu die Art. L. 131-1 ff. Code pénal. 4 Klassischerweise wurde als drittes élément constitutif das élément légal genannt. Dieses beinhaltet allerdings nur, dass die Tat durch eine Norm unter Strafe gestellt sein muss. Es handelt sich deshalb um eine notwendige Voraussetzung der Strafbarkeit und nicht um ein Element der Straftat, sodass es heute im Deliktsaufbau nicht mehr auftaucht, Porteron, Infraction, in: Rép. Pén., Rn. 61 f.
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4. Kap.: Strafbarkeit religionsfeindlicher Äußerungen in Frankreich
élément matériel, dass die kriminelle Absicht nach außen tritt.5 Daher beschreibt dieses ein Verhalten des Täters, das unter die Voraussetzungen eines Straftatbestandes fällt, und weist somit Ähnlichkeiten mit dem objektiven Tatbestand im deutschen Recht auf. Das Verhalten kann in einem Tun (commission) oder einem Unterlassen (omission),6 in einer einzelnen oder mehreren Handlungen bestehen.7 Regelmäßig wird betont, dass das Eintreten eines dommage, eines Schadens, nicht erforderlich ist.8 Dies stellt aber bei näherer Betrachtung keinen wesentlichen Unterschied zum deutschen Recht dar: Es soll lediglich darauf hingewiesen werden, dass auch der Versuch (tentative) sowie Tätigkeitsdelikte (infractions formelles) durch das élément matériel beschrieben werden können.9 Somit wird bei vollendeten Erfolgsdelikten (infractions matérielles consommées) das Vorliegen eines résultat, vergleichbar mit dem deutschen Taterfolg, trotzdem im Rahmen des élément matériel geprüft.10 In der Deliktsprüfung ist das élément matériel somit mit dem objektiven Tatbestand vergleichbar. Das zweite zentrale Element der Straftat ist das élément moral, das auch als élément psychologique bezeichnet wird und die innere Tatseite betrifft. Allen Tatbeständen gemeinsam ist dabei das Erfordernis, dass die Handlung vom Willen des Täters getragen ist.11 Dies ist dann der Fall, wenn der Täter keine force majeure, höhere Gewalt, darlegen kann.12 Für eine Bestrafung als contravention stellt dies den gesamten Inhalt des élément moral dar. Délits und crimes erfordern darüber hinaus gemäß Art. 121-3 Code pénal eine intention coupable, wenn es nicht ausdrücklich anders bestimmt ist. Diese intention coupable, auch als dol bezeichnet, wurde klassischerweise als das Bewusstsein interpretiert, eine Handlung zu vollbringen, die gegen das Recht verstößt.13 Dabei wird aber die Kenntnis des Rechts üblicherweise unwiderleglich vermutet.14 Dann besteht die intention aus der Kenntnis und dem
5 Cuche, Précis de droit criminel, Rn. 62; Dreyer, Droit pénal général, Rn. 875; Porteron, Infraction, in: Rép. Pén., Rn. 64. 6 Bouloc, Droit pénal général, Rn. 226 ff.; Dreyer, Droit pénal général, Rn. 668 ff.; Mayaud, Droit pénal général, Rn. 165 ff.; Porteron, Infraction, in: Rép. Pén., Rn. 65 f. 7 Bouloc, Droit pénal général, Rn. 235 ff.; Dreyer, Droit pénal général, Rn. 673 ff.; Mayaud, Droit pénal général, Rn. 172 ff.; Porteron, Infraction, in: Rép. Pén., Rn. 67 ff. 8 Mayaud, Droit pénal général, Rn. 190; Porteron, Infraction, in: Rép. Pén., Rn. 64. 9 Bouloc, Droit pénal général, Rn. 243 ff.; Porteron, Infraction, in: Rép. Pén., Rn. 72 ff. 10 Keyman, RSC 1968, 781, 785; Porteron, Infraction, in: Rép. Pén., Rn. 72 ff. 11 Porteron, Infraction, in: Rép. Pén., Rn. 84. Anders als in Deutschland wird dies also als subjektives Merkmal eingeordnet. 12 Für die contravention bestimmt das Art. L. 121-3 al. 5 Code pénal. 13 Garçon, Code pénal annoté, Art. I, n8 77; in der zeitgenössischen Lehre ebenso Bouloc, Droit pénal général, Rn. 271; Leroy, Droit pénal général, Rn. 387; Pradel, Droit pénal général, Rn. 554. 14 „Nemo censetur ignorare legem – Nul n’est censé ignorer la loi“ – Wörtlich: Niemand hat das Gesetz nicht zu kennen; sinngemäß etwa: Unwissenheit schützt vor Strafe nicht.
A. Allgemeine Grundsätze zur Strafbarkeit kritischer Äußerungen
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Willen bezüglich der Tathandlung und bezüglich des Taterfolgs.15 Darüber hinaus verlangt die intention coupable auch die Fähigkeit des Täters, überhaupt ein rechtserhebliches Bewusstsein bilden zu können.16 Setzt der Tatbestand eines délit hingegen ausdrücklich keine intention coupable voraus, wird im Rahmen des élément moral untersucht, ob dem Täter eine faute pénale vorzuwerfen ist, er also unvorsichtig oder nachlässig gehandelt, eine gesetzlich bestimmte Sicherheitsvorschrift missachtet oder einen anderen bewusst in Gefahr gebracht hat.17 Unabhängig von der Vorsätzlichkeit oder Fahrlässigkeit entfällt das élément moral auch dann, wenn eine cause de non-imputabilité (Grund der Nichtzurechenbarkeit) vorliegt. Hierunter fallen geistige Störungen, die contrainte als schuldausschließender Zwang, der Verbotsirrtum und die Minderjährigkeit.18 Sie sind mit der Schuldunfähigkeit und den Entschuldigungsgründen im deutschen Strafrecht zu vergleichen. Insgesamt umfasst das élément matériel also sowohl den deutschen Vorsatz als auch Teile der Schuld. Zwar wurde vereinzelt vorgeschlagen, dieser Aufteilung das élément injuste als weiteres Element, das das Fehlen von Rechtfertigungsgründen beschreibt und damit dem deutschen Merkmal der Rechtswidrigkeit entspricht, hinzuzufügen.19 Tatsächlich kennt das französische Strafrecht faits justificatifs, die den deutschen Rechtfertigungsgründen ähneln. Mit der Begründung, das Fehlen dieser Rechtfertigungsgründe sei keines der Elemente, die die Staatsanwaltschaft beweisen müsse, weil ihr Vorliegen durch den Beschuldigten darzulegen sei, wird das élément injuste aber in der Literatur weit überwiegend abgelehnt.20
II. Auslegung strafrechtlich relevanter Äußerungen Bevor die Strafbarkeit einer Äußerung untersucht werden kann, muss zunächst ihr tatsächlicher Aussagegehalt ermittelt werden. Dies kann sich im Einzelfall durchaus schwierig gestalten. Während schon die Deutung mehrdeutiger Aussagen manchmal eines gewissen Aufwands bedarf, gelten besondere Herausforderungen bei der In15 Der Wille zur Verwirklichung des Taterfolgs wird häufig als dol spécial bezeichnet. Aus deutscher Sicht ist jedoch der Kritik in der Literatur zuzustimmen, dass es einer solchen künstlichen Trennung nicht bedarf und unter den Begriff lediglich subjektive Elemente fallen sollten, die keine Entsprechung im élément matériel finden, Mayaud, Droit pénal général, Rn. 230 Fn. 1. 16 Bouloc, Droit pénal général, Rn. 271. 17 Diese verschiedenen Formen der Fahrlässigkeit bestimmt Art. L. 121-3 al. 2, 3 Code pénal. 18 s. hierzu Pereira, Responsabilité pénale, in: Rép. Pén., Rn. 59 ff. 19 Grundlegend in der französischen Literatur Garraud, Précis de droit criminel, Rn. 108 ff., der sich dafür auf das deutsche Recht beruft. Heute noch in diesem Sinne, Larguier/Conte/ Maistre du Chambon, Droit pénal général, S. 58. 20 Dreyer, Droit pénal général, Rn. 1186 ff.; Jeandidier, Droit pénal général, Rn. 210; Porteron, Infraction, in: Rép. Pén., Rn. 63.
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4. Kap.: Strafbarkeit religionsfeindlicher Äußerungen in Frankreich
terpretation von Satiren oder Karikaturen, die per definitionem ihren wahren Aussagekern verfremden. 1. Auslegung von Äußerungen Auch in der französischen Rechtsprechung gilt der Grundsatz, dass zuerst der Inhalt einer Äußerung bestimmt werden muss, bevor diese rechtlich eingeordnet werden kann.21 Allerdings lässt sich den meisten gerichtlichen Entscheidungen nur wenig über den eigentlichen Interpretationsvorgang entnehmen.22 Die Gerichte stellen nicht verschiedene Auslegungsmöglichkeiten dar und entscheiden sich begründet für eine dieser Alternativen, sondern legen ohne Argumentation fest, welcher Inhalt einer Äußerung jeweils zu entnehmen ist.23 Erster Anhaltspunkt zur Ermittlung des Inhalts ist stets der Wortlaut, der in offensichtlichen Fällen schon zur Annahme einer Straftat ausreicht.24 Ergibt sich aus der Aussage als solcher noch keine aufhetzender, beleidigender oder diffamierender Inhalt, muss auf den Kontext der Äußerung zurückgegriffen werden.25 Hinweise auf das richtige Verständnis der Äußerung können sich dabei sowohl aus den éléments intrinsèques als auch aus den éléments extrinsèques, also aus den inneren und den äußeren Umständen, ergeben.26 Das bedeutet, dass zum einen der gesamte Inhalt der Äußerung zur Interpretation eines einzelnen Begriffs hinzugezogen werden muss; eine isolierte Analyse eines Teils der Äußerung wäre nicht zulässig.27 Zum anderen müssen auch sämtliche 21
Cass. crim., 15. 10. 1985, n8 84-91.598, Bull. crim. n8 314. Bei der Darstellung der französischen Rechtsprechung ist zu beachten, dass französische Urteile wesentlich weniger ausführlich sind als deutsche. Der französische Richter argumentiert nicht, er entscheidet. Die Literatur ist daher auf ihr (subjektives) Verständnis der Entscheidungen angewiesen und das Herauslesen allgemeiner Grundsätze ist mitunter schwierig. s. hierzu Stegmann, Tatsachenbehauptung und Werturteil, S. 259; Touffait/Tunc, RTDC 1974, 487, 489. Nur ein Teil der Urteile französischer Gerichte sind im Volltext teilweise auf der offiziellen Internetseite www.legifrance.gouv.fr, teilweise im Bulletin de la Cour de cassation, der offiziellen Rechtsprechungssammlung des höchsten Gerichts veröffentlicht. In Zeitschriften finden sich häufig nur Zusammenfassungen, sogenannte sommaires, die häufig von Anmerkungen (observations, notes oder commentaires) aus der Lehre begleitet werden. Soweit letztere im Einzelfall Elemente des Urteils enthalten, die sich aus der Zusammenfassung in der Fundstelle sonst nicht ergeben, werden sie hier im Unterschied zum deutschen Recht mit angegeben. 23 So wurde beispielsweise in Cass. crim., 08. 12. 1966, JCP 1967 II, 15008 ohne weitere Argumentation davon ausgegangen, dass die Aussage „Korsen sind keine Franzosen“ keine weitere Bedeutungsebene als eben die Nationalität der Bewohner Korsikas beinhalte. 24 So wurden etwa die Aussagen „tristes cons“ (traurige Idioten) und „dangereux salauds“ (gefährliche Drecksäcke), Cass. crim., 10. 05. 2006, n8 05-82.971, D. 2006, 2220; sowie „voyous“ (Gauner), „arrivistes“ (Streber), „opportunistes“ (Opportunisten), Cass. crim., 25. 10. 2005, n8 04-87.336, Bull. crim. n8 267 schon für sich genommen als beleidigend gewertet. 25 Auby/Ducos-Ader, Droit de l’information, Rn. 159; Levasseur, RSC 1984, 318, 319. 26 Dreyer, in: JCl. Lois pénales spéciales, Presse et communication Fasc. 80, Rn. 21. 27 Cass. crim., 21. 02. 1984, n8 , Bull. crim. 1984, n8 65; Le Poittevin, D. 1909 I, 463; Merle/ Vitu, Traité du droit criminel: Droit pénal spécial II, Rn. 1949. 22
A. Allgemeine Grundsätze zur Strafbarkeit kritischer Äußerungen
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Umstände, die nicht in der Äußerung selbst enthalten sind, berücksichtigt werden.28 Diese éléments extrinsèques können höchst unterschiedlicher Natur sein; in Betracht kommen etwa frühere Äußerungen und bekannte Einstellungen, aber auch der politische oder historische Hintergrund.29 Während sich die Cour de cassation die letzte Entscheidung zur Auslegung der Äußerung vorbehält,30 obliegt die Feststellung der äußeren Umstände allein den juges du fond, den Gerichten der Tatsacheninstanzen.31 In den Urteilen spiegeln sich auch keine Gedanken dazu wider, ob einer Äußerung unterschiedliche Aussagen entnommen werden können und auf welche der Auslegungsmöglichkeiten in einem solchen Fall abzustellen wäre. Insofern ergeben sich in der französischen Rechtsprechung keine Hinweise auf eine besondere Berücksichtigung der Meinungsfreiheit bei der Interpretation von Äußerungen etwa in dem Sinne, dass von mehreren möglichen Auslegungen diejenige angenommen wird, die den weitgehendsten Schutz der Meinungsfreiheit ermöglicht. Im Gegenteil wird das Vorgehen der Gerichte in der Literatur zum Teil sogar in dem Sinne interpretiert, dass Zweifel bei der Auslegung zulasten des Äußernden gehen: Weil auch mehrdeutige Äußerungen für den Betroffenen schon verletzend sein könnten, verbiete das Gesetz dem Äußernden nicht nur eindeutig diffamierende Aussagen, sondern solche, bei denen nur einzelne von mehreren Deutungsvarianten Ehrverletzungen darstellten.32 Welchen Empfängerhorizont die Rechtsprechung bei der Auslegung der Äußerung zugrunde legt, wird nicht immer deutlich. Zwar soll die Äußerung aus Sicht der Personen ausgelegt werden, an die die Äußerung gerichtet ist.33 Manchmal fällt in diesem Zusammenhang auch der Begriff des lecteur moyen,34 Durchschnittsleser, jedoch ohne darauf einzugehen, über welche Kenntnisse und Fähigkeiten ein solcher verfügt. Es wird lediglich festgestellt, was ein Durchschnittsleser im konkreten Einzelfall unter einer bestimmten Äußerung versteht. Jedoch scheint bei schriftlichen Veröffentlichungen eine Unterscheidung nach der Art des Mediums vorgenommen zu werden: Während bei einem Sportbericht in einer Tageszeitung ein 28
Cass. crim., 06. 04. 1895, D. 1899, I, 577, 581; Cass. crim., 06. 11. 1973, D. 1973 IR, 237; Levasseur, RSC 1984, 318, 319; Stegmann, Tatsachenbehautpung und Werturteil, S. 261. 29 Bilger/Prévost, Droit de la presse, S. 55; Dreyer, in: JCl. Lois pénales spéciales, Presse et communication Fasc. 80, Rn. 21. 30 Dreyer, in: JCl. Lois pénales spéciales, Presse et communication Fasc. 80, Rn. 21; Guerder, GP 1995 II, Doctr., 589, 593. 31 Cass. crim., 06. 11. 1973, D. 1973 IR, 237; Cass. crim., 16. 10. 2012, n8 11-82.866, Bull. crim. n8 217. 32 Ader, Légipresse n8 297 (2012), 467, 468; in diesem Sinne auch Dreyer, Légipresse n8 199 (2003), II, 19, 23: „En la matière, l’ambigüité est déjà un délit. Elle est trop souvent le refuge d’un racisme perfide qui se nourrit de bons sentiments.“ – In diesem Bereich ist schon die Doppeldeutigkeit eine Straftat. Sie ist zu oft Zuflucht eines perfiden Rassismus, der sich von guten Gefühlen ernährt. 33 Chavanne, in: Droit de la presse, Fasc. 140, Rn. 32; Stegmann, Tatsachenbehauptung und Werturteil, S. 257. 34 So z. B. bei Cass. crim., 08. 12. 1998, n8 97-82.736; Cass. crim., 29. 03. 2011, n81085.887, Bull. crim. n8 61.
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4. Kap.: Strafbarkeit religionsfeindlicher Äußerungen in Frankreich
lecteur non initié, ein nicht eingeweihter Leser zugrunde gelegt wurde,35 soll bei einer Satirezeitung auf einen Leser abgestellt werden, der die Ironie und die Übertreibung dieses Genres erkennt.36 Auf Grund der besonderen Schwierigkeiten bei der Auslegung von Karikaturen und Satiren soll auf deren Behandlung in der französischen Rechtsprechung im Folgenden noch näher eingegangen werden. 2. Behandlung von Karikatur und Satire Karikaturen und satirische Darstellungen und Äußerungen sind ein nicht hinwegzudenkender Teil der französischen Medienlandschaft. So weisen auch Rechtsprechung und Literatur regelmäßig auf ihre besondere Bedeutung und Funktion für die Gesellschaft hin; zum Teil ist gar von einer „liberté de caricature“, Karikaturfreiheit, als Element der Meinungsfreiheit die Rede.37 Unter dem Stichwort des droit à l’humour, einem Recht auf Humor, machen die Gerichte den Satirikern und Karikaturisten oft weitgehende Zugeständnisse.38 Auf die Frage, wie satirische Äußerungen auszulegen sind, gehen Urteile allerdings zumeist nicht ein. Insbesondere die Cour de cassation stellt in ihrer gewohnt kurzen Form in den meisten Fällen nach einer knappen Beschreibung der in Rede stehenden Karikatur nur kurz fest, ob diese beleidigend ist oder nicht.39 Bei einer genaueren Betrachtung fällt aber auf, dass französischen Gerichten die Auseinandersetzung mit der tatsächlichen Aussage der Karikatur nicht vollkommen fremd ist. Sie erkennen an, dass es der Satire wesenseigen ist, die Dinge zu überzeichnen, manchmal über die Grenzen des guten Geschmacks hinaus.40 Implizit kann dem entnommen werden, dass ihnen sehr wohl bewusst ist, dass satirische Aussagen nicht wörtlich zu nehmen sind. Einzelne Entscheidungen der juges du fond weisen zudem darauf hin, dass zumindest teilweise doch tiefergehende Erwägungen über die tatsächliche Aussage von Satiren und Karikaturen hinter den kurzen Urteilstexten stehen. Sie betonen, es müsse die der Satire immanente Übertreibung und Subjektivität bei der Deutung des wahren Inhalts berücksichtigt werden.41 Wie auch bei der Auslegung nicht satirischer Äußerungen ziehen die Gerichte neben dem Inhalt der Darstellung zudem auch die éléments extrinsèques hinzu;42 insbesondere nehmen sie eine Einordnung der Äußerung in den gesellschaftspolitischen Zusammenhang vor.43 35
Cass. crim., 05. 02. 1958, D. 1958, somm., 110. CA Versailles, 28. 09. 2006, n8 05/04741; TGI Paris, 16. 02. 1993, D. 1994, 195. 37 Capitani/Moritz, RLDI 2006/14, n8 426, 75, 77. 38 s. dazu unten in diesem Kapitel B. II. 2. c) bb). 39 s. etwa Cass. crim., 14. 02. 2006, n8 05-81932, Bull. crim. n8 42 – La nuit de la Sainte Capote; Cass. crim., 02. 05. 2007, n8 06-84710, Bull. crim. n8 115 – Christ en gloire. 40 TGI Paris, 22. 03. 2007, Légipresse n8 242 (2007), III, 123, 124. 41 TGI Paris, 22. 03. 2007, Légipresse n8 242 (2007), III, 123, 124: „il doit être tenu compte de l’exagération et de la subjectivité inhérentes à ce mode d’expression pour analyser le sens et la portée des dessins litigieux.“ 42 Cass. crim., 16. 10. 2012, n8 11-82.866, Bull. crim. n8 217. 36
A. Allgemeine Grundsätze zur Strafbarkeit kritischer Äußerungen
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Ein weiterer Hinweis auf die Sensibilität der Gerichte für die Darstellungsweise von Karikaturen und Satire ergibt sich bei Satire-Magazinen aus den regelmäßigen Hinweisen auf die Leserschaft, die an die Darstellungsweise gewöhnt und deshalb in der Lage sei, die für das Genre typische Ironie und Übertreibung zu erkennen.44 Auch in der Literatur wird angenommen, dass eine Karikatur eben nicht für bare Münze genommen werden dürfe und für den Karikaturisten oder Satiriker somit gewissermaßen andere Voraussetzungen gelten als für den Normalbürger.45 Auffällig ist allerdings, dass dieses Sonderrecht in den meisten Fällen nur Veröffentlichungen in Satire-Magazinen zugutekommt, während etwa bei satirischen Flugblättern nicht weiter auf die Bedeutung des Stilmittels eingegangen wird.46 So lehnte die Cour de cassation etwa auch die Anwendung der herausgearbeiteten Grundsätze auf einen Humoristen ab, der nicht in einer Satiresendung, sondern in einer seriösen Nachrichtensendung auftrat, obwohl der satirische Charakter des Beitrags offensichtlich war.47 Auch ein im Fernsehen übertragenes, vom reinen Wortlaut her volksverhetzendes Lied wurde trotz erkennbarer Parodie nicht auf seine Aussagekraft „au second degré“, also auf den zweiten Blick, untersucht, sondern wörtlich genommen.48 Die übrigen Elemente der Sendung wiesen keinen satirischen Charakter auf und es fehle eine deutliche Distanzierung vom Inhalt des Liedes, die dem Zuschauer die wahre Aussage verstehen ließe. Diese Rechtsprechung ist durchaus fragwürdig. Die einzig mögliche Erklärung, dass den Lesern eines Satire-Magazins die Notwendigkeit einer tiefergehenden Interpretation schon durch seine Kenntnis der Zeitschrift bewusst sei, lässt außer Acht, dass auch in anderen Medien veröffentlichte Satiren und Karikaturen offensichtlich nicht wörtlich genommen werden. So schließen sich etwa der Wille, zum Lachen zu bringen, und der Wille, zu informieren oder politische Diskussionen hervorzurufen, nicht gegenseitig aus.49 Trotzdem bleibt die Untersuchung der Karikaturen durch die Gerichte in weiten Teilen lückenhaft. Insbesondere eine Differenzierung zwischen der äußerlichen Darstellung und dem Aussagekern findet nicht explizit statt. Einige Entscheidungen lassen allerdings erkennen, dass neben dem herausgearbeiteten Aussagekern auch die Art der Darstellung für sich genommen den Tatbestand zu verwirklichen vermag. So wurde etwa eine Darstellung eines Politikers als Nazi auch unabhängig von ihrem Aussagekern50 und die Aussage eines Fernsehmoderators gegenüber einem anderen, dieser zappelte so auf seinem Stuhl herum, dass es schien, er hätte ein Sexspielzeug 43
Simon, Persönlichkeitsschutz gegen herabsetzende Karikaturen, S. 220 f. CA Versailles, 28. 09. 2006, n8 05/04741; TGI Paris, 26. 11. 1977, JCP 1978, II, 18924; TGI Paris, 16. 02. 1993, D. 1994, 195. 45 Chavanne, JCP 1967 II, 15067. 46 Cass. crim., 14. 02. 2006, n8 05-81932, Bull. crim. n8 42 – La nuit de la Sainte Capote; Cass. crim., 02. 05. 2007, n8 06-84710, Bull. crim. n8 115 – Christ en gloire. 47 Cass. crim., 29. 11. 1994, n8 92-85.281, Bull. crim. n8 382. 48 Cass. crim., 04. 11. 1997, n8 96-84.338, JurisData n8 1997-005768. 49 Bigot, D. 1997, somm., 74, 75. 50 TGI Paris, 17. 09. 1984, D. 1985, IR, 16. 44
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4. Kap.: Strafbarkeit religionsfeindlicher Äußerungen in Frankreich
darauf geklebt,51 als strafbare Ehrverletzung eingeordnet. Letzteres resultiert wohl allein aus dem sexuellen Bezug der Äußerung, da das Gericht andererseits betont, dass die Äußerung schon auf Grund der Art der Formulierung („es scheint als“) und ihres satirischen Charakters nicht wörtlich genommen werden dürfe. Eine diesbezügliche Feststellung, dass satirische Einkleidung und Aussagekern jeweils einer gesonderten strafrechtlichen Analyse unterzogen werden müssten, folgt daraus aber nicht. Auch gehen die Gerichte regelmäßig nicht darauf ein, dass den Darstellungen zum Teil mehrere unterschiedliche Aussagen entnommen werden können.52 Die Richter haben erkennbar eine Auslegungsweise vor Augen, die sie ihrer Entscheidung zugrunde legen, ohne sie zu begründen und von anderen Möglichkeiten abzugrenzen. Letzteres wäre schon deshalb wünschenswert, weil die vielfältige Interpretationsmöglichkeit einen wesentlichen Charakterzug der Satire ausmacht.53 Es ist also festzustellen, dass hinter den oft knappen Ausführungen französischer Gerichte sehr wohl Überlegungen zur Auslegung einer Satire oder Karikatur stecken.54 Auch wenn diese nur in den seltensten Fällen in der Entscheidung selbst aufgegriffen werden, ergeben sich ausreichende Hinweise darauf, dass den Gerichten die Interpretationsbedürftigkeit von Karikaturen und Satiren bewusst ist. Lücken bleiben allerdings bei der Berücksichtigung alternativer Interpretationsmöglichkeiten und der Differenzierung zwischen äußerer Darstellung und innerem Aussagekern. Mangels ausdrücklicher Auseinandersetzung mit dem Thema insbesondere in der höchstrichterlichen Rechtsprechung fehlt es auch an gefestigten Grundsätzen, an denen sich die Tatgerichte orientieren könnten.
III. Trennung zwischen Pressedelikten und allgemeinen Delikten Das französische Strafrecht kennt im Bereich der Ehrschutz- und Volksverhetzungsdelikte eine Trennung zwischen Pressedelikten und nichtöffentlichen Delikten. Die Pressedelikte sind nicht im Code pénal, sondern im Pressefreiheitsgesetz vom 29. Juli 1881 geregelt. Auf Grund ihres weiten Anwendungsbereichs – die Pressedelikte erfassen nicht nur Handlungen durch die Presse, sondern auch sämtliche andere öffentliche Verhaltensweisen – sind die (vorrangigen) Regeln des Presserechts in diesem Bereich von weit höherer praktischer Bedeutung als die Normen des 51
TGI Paris, 14. 02. 2003, Légipresse n8 200 (2003), I, 45. s. etwa CA Paris, 15. 01. 1986, GP 1986 II, JP, 701, in der bei einer Karikatur Le Pens ohne weitere Begründung eine Unterstellung angenommen wird, der Politiker hätte in Algerien Folterungen durchgeführt, obwohl etwa die Auslegung, er wolle Satire-Zeitschriften „mundtot“ machen, ebenfalls denkbar gewesen wäre, s. Wolf, Spötter vor Gericht, S. 121 f. 53 s. hierzu oben 1. Kapitel A. III. 1. 54 Anders wohl Wolf, Spötter vor Gericht, S. 120 ff. 52
A. Allgemeine Grundsätze zur Strafbarkeit kritischer Äußerungen
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Kernstrafrechts. Eine Gesetzesinitiative,55 die ihre Überführung in den Code pénal anstrebte, wurde jedoch nicht umgesetzt. Die Unterscheidung zwischen den Pressedelikten und den Delikten des droit commun erfolgt über die Begehungsweise der Verletzungshandlung. Art. 23 al. 1 Pressefreiheitsgesetz,56 auf den sowohl Art. 24 al. 5 als auch Art. 32 al. 2, 33 al. 3 durch den Zusatz „durch diese Mittel“ verweisen, legt die Voraussetzungen dieser öffentlichen Begehungsweise fest. Er verlangt, dass die Provokation, Diffamierung oder Beleidigung durch an öffentlichen Orten oder in öffentlichen Versammlungen geäußerte Reden, Ausrufe oder Drohungen, durch Schriften, Drucke, Zeichnungen, Grafiken, Gemälde, Embleme, Bilder oder andere Träger von Schriften, Worten oder Bildern, die verkauft oder verbreitet, zum Kauf angeboten oder an öffentlichen Orten oder in öffentlichen Versammlungen ausgestellt, durch dem Blick der Öffentlichkeit ausgesetzte Plakate und Aushänge oder durch öffentliche elektronische Kommunikationsmittel erfolgen muss. Anders als der Titel und der Zweck des Gesetzes vermuten lassen, sind somit nicht nur Presseveröffentlichungen im engeren Sinn erfasst, sondern sämtliche öffentliche Begehungsweisen. Diese können direkt oder mit der Unterstützung von Kommunikationsmitteln erfolgen. Allgemeingültige Definitionen der verschiedenen Mittel gibt es weder in der Rechtsprechung noch in der Literatur, einige Grundsätze können aber herausgearbeitet werden. So ist die Tatsache, dass eine Äußerung im öffentlichen Raum getätigt wurde, für sich genommen noch nicht ausschlaggebend.57 Wesentliches Merkmal bei der Abgrenzung von privaten zu öffentlichen Äußerungen ist, ob zwischen den Empfängern eine communauté d’intérêts, eine Interessengemeinschaft, besteht.58 Denn nur wenn die Äußerung einem Personenkreis zugänglich wird, dessen Mitglieder nicht unterein55
Der avant-projet de loi „relatif à la lutte contre la diffusion d’idées racistes ou xénophobes“ – Vorentwurf für ein Gesetz zum Kampf gegen die Verbreitung rassistischer oder fremdenfeindlicher Ideen – wurde 1994 entwickelt, jedoch nie verabschiedet. s. zu diesem Entwurf Cammilieri-Subrenat, RIDC 2002, 513, 523 f.; Derieux, Légipresse, n8 135 (1996), II, 121 f.; Foyer, La Revue administrative, n8 294 (1996), 628 ff.; de Gouttes, in: Mélanges Pettiti, S. 251, 263; Korman, RTDH n8 46 (2001), 385, 394 f. Zu weiteren Inhalten des Vorentwurfs s. auch unten in diesem Kapitel B. III. 56 In der Form, die er durch Art. 2 Loi n8 2004-575 v. 21. 06. 2004 erhalten hat, JORF v. 22. 06. 2004: „Seront punis comme complices d’une action qualifiée crime ou délit ceux qui, soit par des discours, cris ou menaces proférés dans des lieux ou réunions publics, soit par des écrits, imprimés, dessins, gravures, peintures, emblèmes, images ou tout autre support de l’écrit, de la parole ou de l’image vendus ou distribués, mis en vente ou exposés dans des lieux ou réunions publics, soit par des placards ou des affiches exposés au regard du public, soit par tout moyen de communication au public par voie électronique, auront directement provoqué l’auteur ou les auteurs à commettre ladite action, si la provocation a été suivie d’effet.“ 57 So kann im Einzelfall sowohl eine im öffentlichen Raum geäußerte Bemerkung privat sein, Cass crim. 27. 11. 2012, n8 11-86982, Dalloz actualité, 14. 12. 2012, Anm. Lavric (wobei der Hinweis auf den fehlenden Vorsatz der Öffentlichkeit überflüssig erscheint) als auch eine im privaten Raum geäußerte öffentlich, CA Chambéry, 27. 10. 1897, D. 1899, II, 253, 255. 58 Dreyer, in: JCl. Lois pénales spéciales, Presse et communication Fasc. 80, Rn. 2; Massis/ Dupeux/Bourg, Injure, in: Rép. Pén., Rn. 101; Véron, Droit pénal spécial, Rn. 239.
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ander verbunden sind, liegt eine erhöhte Gefährdungslage für den Betroffenen der Äußerung vor.59 Dieser Gedanke spiegelt sich auch im unterschiedlichen Strafmaß wider. Während die öffentlichen Ehrverletzungs- und Hassstiftungsdelikte als délit bestraft werden, stellen die nicht öffentlichen Varianten bloße contraventions dar. Ob die Tat öffentlich begangen wurde, ist also von wesentlichem Belang für die Strafandrohung.60 Darüber hinaus wirkt sich die Differenzierung zwischen Pressefreiheitsgesetz und Code pénal kaum aus. Zwar wurden in der loi sur la liberté de la presse vom 29. Juli 1881 zur Sicherung der Pressefreiheit für die Zukunft sowohl die Garantien als auch sämtliche freiheitsbeschränkenden Vorschriften kodifiziert.61 Neben den materiellen Regelungen wurde deshalb auch ein spezielles Verfahrensrecht integriert, das im Vergleich zum droit commun für die Beschuldigten zahlreiche Vorteile beinhaltete. Die Cour de cassation hat allerdings entschieden, dass die nicht öffentliche Beleidigung, obwohl im Code pénal geregelt, nur unter den Voraussetzungen des Pressefreiheitsgesetzes verfolgt werden darf.62 In der Literatur wird davon ausgegangen, dass diese Rechtsprechung auch auf diffamation und provocation à la haine übertragen werden kann.63 Die Differenzierung zwischen öffentlicher und nicht öffentlicher Begehung ist also fast ausschließlich für das Strafmaß von Bedeutung; ob die Vorschrift im Pressefreiheitsgesetz oder im Code pénal geregelt ist, führt hingegen nicht zu praktischen Unterschieden.
B. Religionsfeindliche Äußerungen als strafbare Handlungen nach französischem Recht Im Folgenden soll herausgearbeitet werden, unter welchen Umständen das französische Strafrecht religionsfeindliche Äußerungen sanktioniert. Hierfür werden die Voraussetzungen der einschlägigen Tatbestände analysiert. Dabei handelt es sich um die provocation à la haine religieuse, die Anstiftung zum religiösen Hass, sowie 59
Eine communauté d’intérêts wurde etwa angenommen für Mitglieder einer politischen Partei, Cass. crim. 27. 05. 1999, n8 98-82.461, Bull. crim. n8 112, oder des Betriebsrates, Cass. crim. 09. 07. 1982, n8 80-93.643, Bull. crim. n8 186, nicht aber bei an mehrere Presseorgane versandte Pressemitteilungen, selbst wenn diese nicht in der Presse veröffentlicht wurden, Cass. crim. 08. 06. 1999, n8 98-81.624. Krit. zu der Anwendung des Kriteriums der Communauté d’intérêts durch die Cour de cassation im Einzelfall, Véron, Dr. pén. 2000, comm. 1. 60 Zu den weiteren Unterschieden zwischen délits und contraventions s. oben in diesem Kapitel A. I. 1. 61 Korman, RTDH 2001, 385. 62 Cass. crim., 22. 05. 1974, n8 73-90.263, Bull. crim. n8 196; Cass. crim., 11. 03. 2003, n8 02.86.902, Bull. crim. n8 62. 63 Lassalle, Provocation, in: Rep. Pén., Rn. 25.
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die diffamation und die injure pour appartenance à une religion, die Diffamierung oder Beleidigung auf Grund der Zugehörigkeit zu einer Religion.
I. Religionsfeindliche Äußerungen als provocation à la haine religieuse Zunächst soll auf die schwerste der betreffenden Straftaten, die Anstiftung zum religiösen Hass eingegangen werden, die in Art. 24 al. 5 Pressefreiheitsgesetz kodifiziert ist. 1. Schutzzweck Die Diskussion über den Schutzzweck oder das geschützte Rechtsgut einer strafrechtlichen Norm wird in Frankreich nicht in der gleichen Tiefe geführt wie in der deutschen Strafrechtswissenschaft.64 Regelmäßig wird das Schutzgut – wenn überhaupt – nur kurz festgestellt, zu einer verfassungsrechtlichen Abwägung äußern sich nur wenige Autoren. Geschützt seien durch das Verbot der provocation à la haine sowohl das Recht des Einzelnen auf Gleichheit und Nichtdiskriminierung65 als auch für die Allgemeinheit die Wahrung des ordre public.66 In der Variante der Anstiftung zu religiösem Hass wird zudem auf den Schutz des religiösen Gefühls als subjektiver Glaube wie auch als Zugehörigkeitsgefühl zu einer Gruppe als Schutzzweck genannt.67 Ob sich Gefühle als Schutzgut strafrechtlicher Normen im Hinblick auf die Meinungsfreiheit überhaupt eignen, wird hingegen nicht problematisiert. 2. Voraussetzungen der provocation à la haine religieuse Die Anstiftung zum religiösen Hass ist im französischen Presserecht in engem Zusammenhang mit der öffentlichen Anstiftung zu (begangenen oder versuchten) Straftaten, Art. 23 al. 1 und 2 Pressefreiheitsgesetz, der versuchten öffentlichen Anstiftung, Art. 24 al. 1 und 2 und der Verbrechensverherrlichung, Art. 24 al. 3, geregelt. Anders als die anderen Formen der Anstiftung verlangt sie aber eine weniger enge Beziehung zwischen der Äußerung und der Tat und wird daher auch als provocation indirecte bezeichnet.68
64 s. zur Rechtsgutstheorie aus französischer Sicht, Lacaze, Réflexions sur le concept de bien juridique protégé par le droit pénal. 65 s. hierzu oben 2. Kapitel C. II. 5. 66 Für diese beiden Schutzgüter: Droin, Limitations à la liberté d’expression, Rn. 168. 67 Teillot, Religion et droit pénal, S. 23 ff., 58. 68 Thierry, in: JCl. Lois pénales spéciales, Presse et communication Fasc. 60, Rn. 24.
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a) Das élément matériel Art. 24 al. 5 Pressefreiheitsgesetz verlangt eine Anstiftung zur Diskriminierung, zum Hass oder zur Gewalt gegen eine Person oder eine Personengruppe auf Grund ihrer Herkunft oder ihrer Zugehörigkeit oder Nichtzugehörigkeit zu einer bestimmten Ethnie, Nationalität, Rasse oder Religion. aa) Provocation à la discrimination, à la haine ou à la violence Der Täter muss zu Diskriminierung, Hass oder Gewalt anstiften. Bei der Beurteilung dieser Voraussetzung bereitet schon der Begriff der provocation Schwierigkeiten, denn dieser bezeichnet auch die mit der Anstiftung vergleichbare Beteiligungsform aus dem allgemeinen Strafrecht69 sowie die direkte öffentliche Anstiftung zu Straftaten aus den Art. 23, 24 al. 1 Pressefreiheitsgesetz. Anders als letztere enthält Art. 24 al. 5 Pressefreiheitsgesetz aber nicht die Voraussetzung, dass die Anstiftung directe sein muss. Trotzdem verneinte ein erstinstanzliches Gericht kurz nach Inkrafttreten der Vorschrift die Erfüllung des Tatbestandsmerkmals mangels „incitation précise à commettre un acte déterminé de discrimination“70, also mangels konkreter Anreizung zur Begehung einer bestimmten Tat. In der nächsten Instanz wurde die Entscheidung aber aufgehoben und das Kriterium der konkreten Anstiftung zu einer bestimmten Tat – auch nachfolgend durch die Cour de cassation – abgelehnt.71 Seitdem ist weitgehend anerkannt, dass sowohl eine direkte, als auch eine indirekte Anstiftung zu Diskriminierung, Hass oder Gewalt den Tatbestand erfüllen kann.72 Auch die Anforderungen an eine solche indirekte Anstiftung sind aber nicht unproblematisch, da sie weder durch die Konkretheit einer Anweisung noch durch eine daraufhin erfolgte Tat konkretisiert werden können. Andererseits muss zum Schutz der Meinungsfreiheit eine verlässliche Abgrenzung zur straflosen Meinungsäußerung gezogen werden.73 Die indirekte Anstiftung erfasst damit „les propos insidieux, ambigus, qui ne constituent pas un appel explicite au passage à l’acte, mais qui contribuent à créer une ambiance, un contexte, favorisant ce passage à 69 Art. L. 121-7 al. 2 Code pénal: „Est également complice la personne qui par don, promesse, menace, ordre, abus d’autorité ou de pouvoir aura provoqué à une infraction ou donné des instructions pour la commettre.“– Teilnehmer ist auch, wer durch Geschenke, Versprechen, Drohung, Anordnung, Missbrauch seiner Autorität oder Macht zu einer Straftat anstiftet oder Anweisungen für ihre Begehung gibt. 70 TGI Paris, 23. 02. 1974, GP 1974 I, 411, 413. 71 CA Paris, 17. 06. 1974, D. 1975, JP, 468, 469; Cass. crim., 12. 04. 1976, n8 74-92.515, Bull. crim. n8 112; zust. Foulon-Piganiol, D. 1975, JP, 470, 471. 72 Debbasch et al., Droit des médias, Rn. 2662 f.; Droin, Limitations à la liberté d’expression, Rn. 197; Merle/Vitu, Traité de droit criminel: Droit pénal spécial II, Rn. 1971; de Lamy, Liberté d’opinion et droit pénal, Rn. 510; Lassalle, Provocation, in: Rép. Pén., Rn. 88; anders wohl Cammilieri-Subrenat, RIDC 2002, 513, 520. 73 de Lamy, in: Traité de droit de la presse et des médias, Rn. 844.
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l’acte“,74 also hinterlistige, mehrdeutige Äußerungen, die keinen eindeutigen Aufruf zur Umsetzung einer Tat enthalten, aber zu einer Stimmung, einer Atmosphäre führen, die der Umsetzung von Taten Vorschub leisten. Die Abgrenzung zwischen bloß verletzenden, missachtenden Aussagen und solchen, die zum Hass anstiften, scheint allerdings zu verschwimmen. Aus diesem Grund wurde die Vereinbarkeit der Norm mit dem Bestimmtheitsgebot aus Art. 7 EMRK in seiner Interpretation durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte bezweifelt.75 Die Cour de cassation hat die Norm allerdings unter dem Hinweis, der Wortlaut sei „clair et précis“, also klar und deutlich, als ausreichend bestimmt angesehen.76 In der Literatur wird dem zwar nicht widersprochen, eine Vereinbarkeit mit der französischen Verfassung, insbesondere mit dem principe de légalité criminelle, dem strafrechtlichen Gesetzlichkeitsprinzip, das aus Art. 7 der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte von 1789 folgt, wird aber in Frage gestellt.77 Das Tribunal de Grande Instance in Paris hat in diesem Sinne auch kürzlich eine question prioritaire de constitutionnalité78 zugelassen,79 die von der Cour de cassation aber mit der Begründung abgelehnt wurde, die Frage sei einerseits nicht neu andererseits nicht von grundlegender Bedeutung.80 Die Tathandlungen, die der Gesetzgeber nicht erschöpfend präzisieren könne, seien ausreichend bestimmt, um durch den Strafrichter ohne ein Risiko der Willkür interpretiert werden zu können, und die Beschränkung der Meinungsfreiheit sei in dieser Konstellation im Kampf gegen den Rassismus und zur Sicherung des ordre public notwendig. Abgrenzungsschwierigkeiten ergeben sich auch aus der unterschiedlichen Qualität der hervorgerufenen Erfolge. Diskriminierung und Gewalt stellen objektive Erfolge in Form von tatsächlichen Handlungen dar. Zudem werden sie durch die Tatbestände der Körperverletzung81 und der Diskriminierungsverbote82 unter Strafe gestellt. In Rechtsprechung und Literatur bestand weitgehend Einigkeit darüber, dass die Merkmale durch diese Tatbestände vollständig erfasst sind und deshalb das angestrebte Verhalten stets strafrechtlich sanktioniert sein muss.83 Der Begriff der 74 de Lamy, in: Traité de droit de la presse et des médias, Rn. 844; zust. Thierry, in: JCl. Lois pénales spéciales, Presse et communication Fasc. 60, Rn. 28. 75 So das Argument der Verteidigung in Cass. crim., 13. 06. 1995, n8 93-82144, Bull. crim. n8 217. 76 Cass. crim., 13. 06. 1995, n8 93-82144, Bull. crim. n8 217. 77 Delmas Saint Hilaire, RSC, 1997, 650, 651; Droin, Limitations à la liberté d’expression, Rn. 196. 78 s. zu diesem Verfahren oben 2. Kapitel C I. 1. 79 TGI Paris, 28. 02. 2013, zit. in Cass. crim., 16. 04. 2013, n8 13-90.008. 80 Cass. crim., 16. 04. 2013, n8 13-90.008. 81 Art. L. 222-7 ff. und R. 624-1, 625-1 Code pénal. 82 Art. L. 225-2 und 432-7 Code pénal. 83 Cass. crim., 12. 04. 1976, n8 74-92.515, Bull. crim. n8 112; Cass. crim., 22. 05. 1989, n8 86-95.845, JCP, G, 1989, IV, 296; Droin, Limitations à la liberté d’expression, Rn. 196; de Lamy, in: Traité de droit de la presse et des médias, Rn. 843; Teillot, Religion et droit pénal,
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Gewalt wird also mit dem der Körperverletzung gleichgesetzt, was allerdings auch durch den in beiden Fällen verwendeten Begriff der violence indiziert ist. Für Diskriminierungen gilt diese Einschränkung jedoch aus systematischen Überlegungen nicht mehr: Der nachträglich eingeführte Art. 24 al. 6 Pressefreiheitsgesetz,84 der die Anstiftung zur Diskriminierung von Personen auf Grund ihres Geschlechts, ihrer sexuellen Orientierung oder ihrer Behinderung unter Strafe stellt, enthält anders als die hier untersuchte Vorschrift einen direkten Verweis auf die Diskriminierungsverbote des Code pénal.85 Auf Grund dieser systematischen Überlegung ist daher davon auszugehen, dass sich Art. 24 al. 5 auf sämtliche Diskriminierungen – und nicht nur die des Code pénal – bezieht. Ob dies auch auf die violence zu übertragen ist, wird in der Literatur bislang nicht diskutiert. Anders als diese beiden objektiv erkennbaren Verhaltensweisen beschreibt der Begriff des Hasses ein rein interne, subjektive Gefühlsregung,86 die nicht in Verbindung mit einem Straftatbestand steht. Indem nun in dieser Variante neben dem Mittel (provocation) auch das Ziel (haine) unkonkret bleibt, sind ernste Zweifel an der ausreichenden Bestimmtheit gerechtfertigt. Hinzu kommt, dass die Gerichte den Erfolg der Anstiftung regelmäßig nicht genau bestimmen. Das bewahrt zwar vor der schwierigen Unterscheidung, wann zu einem Verhalten und wann zu einer inneren Feindseligkeit aufgerufen wird. Aber durch die undifferenzierte Verbindung mit dem rein subjektiven Begriff des Hasses läuft die Bestimmtheit der anderen beiden ins Leere. Die Rechtsprechung im Bereich der provocation à la haine ist insgesamt sehr uneinheitlich.87 In den meisten Fällen ist aber festzustellen, dass sie – möglicherweise auch auf Grund der Zweifel an der ausreichenden Bestimmtheit der Norm – eine eher meinungsfreiheitsschützende Auslegung der Merkmale etabliert hat. Regelmäßig wird die Formel wiederholt, dass der Tatbestand wie alle Pressedelikte als Einschränkung der Pressefreiheit restriktiv auszulegen sei.88 So ist nicht ausreichend, dass die Äußerung in der Bevölkerung ein Gefühl der Angst vor den Betroffenen weckt89 oder für die Betroffenen verletzend ist.90 Auch die Diffamierung einer beS. 96. Dass dabei Überschneidungen zwischen der direkten Anstiftung zur Körperverletzung aus Art. 24 al. 1 n8 1 Pressefreiheitsgesetz entstehen, wird allgemein hingenommen. Anders aber Ducomte, GP 1988 I, Doctr., 303, der gerade de lege lata die Verwirklichung einer Straftat verlangt. 84 Eingefügt durch Art. 20 Loi n8 2004-1486 du 30. 12. 2004 portant création de la haute autorité de lutte contre les discriminations et pour l’égalité (Gesetz zur Schaffung der Hohen Behörde zum Kampf gegen Diskriminierung und für die Gleichheit), JORF n8 0304 v. 31. 12. 2004, S. 22567. 85 Thierry, in: JCl. Lois pénales spéciales, Presse et communication Fasc. 60, Rn. 27. 86 Droin, Limitations à la liberté d’expression, Rn. 196; de Lamy, Liberté d’opinion et droit pénal, Rn. 512. 87 Delmas Saint Hilaire, RSC, 1997, 650, 651. 88 TGI Paris, 23. 02. 1974, GP 1974 I, JP, 411, 413; zust. Delmas Saint-Hilaire, RSC 1986, 363 f.; Lassalle, Provocation, in: Rép. Pén., Rn. 88. 89 Cass. crim., 28. 01. 1992, n8 91-81.778, Dr. pén. 1992, comm. 223. 90 Cass. crim., 07. 12. 1993, n8 92-81.091, Bull. crim. n8 374.
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stimmten Personengruppe91 oder bösartiger Spott, der sie oder ihre Symbole ins Lächerliche ziehen soll,92 stellt für sich gesehen keine Anstiftung zum Hass dar, weil es an der Erweckung feindseliger Gefühle fehlt. Gleiches gilt für Meinungsäußerungen, die zwar aggressiv und unangenehm sind, sich aber noch im Rahmen einer zulässigen politischen oder weltanschaulichen Auseinandersetzung bewegen.93 Der Begriff der provocation indirecte soll nicht so verstanden werden, dass nur ein loser Zusammenhang zwischen der Äußerung und dem Erfolg zu bestehen hat. Nur auf die Konkretisierung der erzeugten Hassgefühle und diskriminierenden und gewalttätigen Handlungen wird verzichtet.94 Die Äußerung muss aber eine so eindeutige Aufhetzung beinhalten, dass sie in dem Empfänger ohne notwendige Interpretation den Hass aufkeimen lässt95 und diese muss auch den wesentlichen Inhalt der Äußerung darstellen.96 Bei Veröffentlichungen in politischen oder satirischen Zeitschriften ist die Rechtsprechung noch nachsichtiger.97 Die Grenze zur Strafbarkeit wird aber überschritten, wenn die Äußerung geeignet ist, durch ihre eindeutig rassistische Wortwahl bei den Adressaten eine feindselige Gesinnung oder grundsätzliche Ablehnung („un sentiment d’hostilité ou de rejet“98) hervorzurufen. Ob aber diese Voraussetzung gegeben ist, beruht im Wesentlichen auf der Auslegung der Äußerung durch das erkennende Gericht. Daraus ergibt sich, dass das Vorliegen des Merkmals in höchstem Maße abhängig von den persönlichen politischen, moralischen und religiösen Empfindungen der Richter ist.99 bb) Strafrechtlicher Verantwortlicher für die Äußerung Für mündliche Aussagen ist strafrechtlich derjenige verantwortlich, der sie tätigt. Handelt es sich bei der in Rede stehenden Äußerung allerdings um ein Druckerzeugnis oder um eine Darstellung in einem anderen Medium, sind an dessen Veröffentlichung in der Regel mehrere Personen beteiligt. Das Pressefreiheitsgesetz 91
TGI Paris, 06. 12. 1984, GP 1985 II, JP, 706. Cass. crim., 07. 12. 1993, n8 92-84.439, Bull. crim. n8 374; TGI Paris, 07. 04. 1999, JurisData n8 1999-041219; s. zur zivilrechtlichen Lage Cass. 1ère civ., 21. 07. 1987, GP 1987 II, JP 577; weiter aber Cass. crim., 21. 10. 1997, n8 96-80.391, Dr. pén. 1998, comm. 33, in der das Gericht die Profanierung von Objekten der Religionsausübung als provocation à la haine beurteilt. 93 TGI Paris, 06. 12. 1984, GP 1985 II, JP, 706. 94 De Lamy, Liberté d’opinion et droit pénal, Rn. 512; ders., in: Traité de droit de la presse et des médias, Rn. 845. 95 P.B., GP 1985 II, JP, 708; de Lamy, Liberté d’opinion et droit pénal, Rn. 512. 96 Delmas Saint Hilaire, RSC 1986, 363, 366; de Lamy, Liberté d’opinion et droit pénal, Rn. 512.. 97 Lassalle, Provocation, in: Rép. Pén., Rn. 89. 98 Cass. crim., 14. 05. 2002, n8 01-85482, Dr. pén. 2002, comm. 107; mit krit. Anmerkung Véron. 99 Agostinelli, Légicom n8 28, 2002/3, 47, 56; vgl. auch Delmas Saint Hilaire, RSC 1997, 650, 651; Doucet, GP 1984 I, JP 280. 92
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sieht daher in Art. 42100 für sämtliche Straftatbestände des Gesetzes vor, wer für eine strafbare Presseveröffentlichung verantwortlich zu machen ist. Die Vorschrift legt eine Reihenfolge fest, nach der die Beteiligten strafrechtlich verantwortlich sind, die in der Literatur als „responsabilité en cascade“,101 eine kaskadenartige Verantwortlichkeit, bezeichnet wird. Vorrangig verantwortlich ist demnach der directeur de la publication oder der éditeur. Directeur de la publication (verantwortlicher Redakteur für periodische Druckwerke) bzw. éditeur (Verleger für nichtperiodische Druckwerke)102 ist, wer für die Inhalte der Veröffentlichung auf ganzer Linie verantwortlich ist.103 Gemäß Art. 6 Pressefreiheitsgesetz ist der directeur de la publication der Inhaber eines Presseunternehmens bzw. bei juristischen Personen ihr gesetzlicher Vertreter. Seine Verantwortlichkeit ergibt sich aus seiner Pflicht zur Überwachung und Überprüfung des Presseerzeugnisses.104 Kann bezüglich der streitigen Äußerung ein solcher directeur de la publication ausgemacht werden, ist dieser strafrechtlich als Haupttäter, als auteur principal, anzusehen. Dies gilt unabhängig davon, ob er den Artikel geschrieben oder auch nur gelesen hat oder ob er sogar ohne sein Wissen eingefügt wurde.105 Nur wenn ein directeur de la publication nicht ermittelt werden kann, muss auf zweiter Stufe der Autor der Äußerung als auteur principal haften. Ist auch dieser nicht identifizierbar, geht die strafrechtliche Verantwortlichkeit zunächst auf den imprimeur, den Druckereibesitzer, dann auf denjenigen über, der das Presseerzeugnis verbreitet, verkauft oder als Plakat aufhängt. Diese Regelung zur Bestimmung des Haupttäters ist abschließend106 und zwingend.107
100 „Seront passibles, comme auteurs principaux des peines qui constituent la répression des crimes et délits commis par la voie de la presse, dans l’ordre ci-après, savoir: 18 Les directeurs de publications ou éditeurs, quelles que soient leurs professions ou leurs dénominations, et, dans les cas prévus au deuxième alinéa de l’article 6, de les codirecteurs de la publication; 28 A leur défaut, les auteurs; 38 A défaut des auteurs, les imprimeurs; 48 A défaut des imprimeurs, les vendeurs, les distributeurs et afficheurs. Dans les cas prévus au deuxième alinéa de l’article 6, la responsabilité subsidiaire des personnes visées aux paragraphes 28, 38 et 48 du présent article joue comme s’il n’y avait pas de directeur de la publication, lorsque, contrairement aux dispositions de la présente loi, un codirecteur de la publication n’a pas été désigné.“. 101 Derieux, Légicom n8 35, 2006/1, 3, 5; Thierry, in: JCl. Lois pénales spéciales, Presse et communication Fasc. 60, Rn. 39. 102 Guerder, Presse (Procédure), in: Rép. Pén., Rn. 211. 103 Guerder, Presse (Procédure), in: Rép. Pén., Rn. 220. s. zu der Figur des directeur de la publication aus deutscher Sicht Hiller, Das französische Presserecht, S. 63 ff. 104 Guerder, Presse (Procédure), in: Rép. Pén., Rn. 220. 105 Cass. crim. 09. 02. 1950, D. 1950, JP 230; Cass. crim., 16. 07. 1992, n8 91-86.156, Bull. crim. n8 273. 106 Cass. crim., 23. 06. 1949, Bull. crim. n8 221; CA Paris, 10. 02. 1908, D. 1908 II, 360. 107 Guerder, Presse (Procédure), in: Rép. Pén., Rn. 215.
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Damit aber der eigentliche Autor der Schrift durch diese Stufenregelung nicht straffrei ausgeht, enthält Art. 43 al. 1 Pressefreiheitsgesetz108 eine Sonderregelung zur Teilnahme. Demnach ist der Verfasser bei Identifizierbarkeit des directeur de la publication als dessen Teilnehmer zu bestrafen. Einer Prüfung der allgemeinen Teilnahmevoraussetzungen bedarf es in diesem Fall nicht, denn es handelt sich um eine gesetzliche Teilnahme.109 Möglich ist aber der Nachweis, dass die Veröffentlichung ohne sein Wissen oder gegen seinen Willen erfolgt ist,110 erforderlich ist also vorsätzliches Handeln. Daneben gelten gemäß Art. 43 al. 2 Pressefreiheitsgesetz111 für weitere Beteiligte – mit Ausnahme des Druckereibesitzers – die allgemeinen Teilnahmeregeln. Nach ständiger Rechtsprechung ist die strafrechtliche Verfolgung wegen Teilnahme auch dann möglich, wenn gegen den Haupttäter gar nicht ermittelt wird.112 cc) Angriffsgegner Durch die Äußerung muss zu Hass, Diskriminierung oder Gewalt gegen eine Person oder eine Personengruppe auf Grund ihrer Herkunft oder ihrer Zugehörigkeit oder Nichtzugehörigkeit zu einer bestimmten Ethnie, Nationalität, Rasse oder Religion angestiftet werden. Die Begriffe der Herkunft, Ethnie, Nationalität und Rasse überschneiden sich dabei in hohem Maße und werden daher als Synonyme verwendet,113 was den Gerichten eine Auseinandersetzung sowohl mit der genauen Zielrichtung der Äußerung als auch mit dem umstrittenen Begriff der Rasse erspart.114 Die angegriffene Gruppe muss sich allerdings unzweideutig aus der Äußerung ergeben.115 Trotzdem soll eine präzise Identifikation der betroffenen Gruppe nicht im gleichen Maß wie bei der diffamation oder injure religieuse erforderlich sein.116 108 „Lorsque les directeurs ou codirecteurs de la publication ou les éditeurs seront en cause, les auteurs seront poursuivis comme complices.“ 109 Cass. Crim. 16. 08. 1900, D. 1904, I, 351, 352; Cass. crim., 30. 05. 1953, Bull. crim. n8 184; Cass. crim., 24. 10. 1967, D. 1968, somm., 11, 12. 110 Cass. crim., 07. 12. 1934, DH 1935 JP, 70; Cass. crim., 30. 05. 1953, Bull. crim. n8 184; Cass. crim., 19. 06. 2001, n8 98-83.953, JurisData n8 2001-010497; Cass. crim., 19. 06. 2001, n8 98-83.954, Bull. crim. n8 148. 111 „Pourront l’être, au même titre et dans tous les cas, les personnes auxquelles l’article 121-7 du code pénal pourrait s’appliquer. Ledit article ne pourra s’appliquer aux imprimeurs pour faits d’impression, sauf dans le cas et les conditions prévus par l’article 431-6 du code pénal sur les attroupements ou, à défaut de codirecteur de la publication, dans le cas prévu au deuxième alinéa de l’article 6.“ 112 Cass. crim., 26. 01. 1894, D. 1894, I, 457; Cass. crim., 21. 12. 1950, D. 1951, JP 113. 113 Dreyer, in: JCl. Lois pénales spéciales, Presse et communication Fasc. 100, Rn. 79. 114 Lochak, Les références à la ,race‘, in: Le droit face au racisme, S. 27, 35. 115 Cass. crim., 12. 04. 1976, n8 74-92.515, Bull. crim. n8 112; Cass. crim., 06. 05. 1986, n8 84-90.788, Bull. crim. n8 153. 116 Robert, in: JCl. Comm. Fasc. 3170, Rn. 22. s. hierzu unten in diesem Kapitel B. II. 2. a) cc).
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4. Kap.: Strafbarkeit religionsfeindlicher Äußerungen in Frankreich
Der Begriff der Religion, auf den im Folgenden ein besonderes Augenmerk gelegt werden soll, ist im französischen Strafrecht bislang nicht einheitlich definiert worden,117 wird aber in der Rechtsprechung vorausgesetzt. Im Vergleich zu den anderen Merkmalen des Art. 24 al. 5 Pressefreiheitsgesetz offenbart sich seine eigene Dimension. Das Gesetz, das zur Einfügung der Vorschrift führte, zielte auf die Bekämpfung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit ab und sollte dem Minderheitenschutz dienen.118 Das Merkmal der Zugehörigkeit oder Nichtzugehörigkeit zu einer Religion sollte den Diskriminierungsschutz vervollständigen; die provocation à la haine religieuse hat sich jedoch mittlerweile in eine eigene Richtung entwickelt.119 Kritisiert wird in diesem Zusammenhang der Wortlaut der Norm, der die Zugehörigkeit zu einer Rasse, Ethnie oder Nationalität mit der zu einer Religion gleichsetzt: Anders als die ethnische Herkunft beruht die Religionszugehörigkeit nicht auf einer biologischen Tatsache, sondern auf der freien spirituellen und intellektuellen Entscheidung des Gläubigen.120 Trotzdem wird in der Rechtsprechung zum Teil nicht zwischen rassistischen und antireligiösen Äußerungen differenziert.121 Der Kritik in der Literatur ist jedoch zuzustimmen. Weil die religiöse Zugehörigkeit auf einer eigenen Entscheidung des Einzelnen beruht, der Einzelne also selbst für sie verantwortlich ist und nach seinem Willen beliebig über sie verfügen kann, darf eine Kritik nicht im selben Maße unzulässig sein wie etwa Herkunft oder Hautfarbe, die durch den Betroffenen selbst nicht beeinflusst werden können. Im Folgenden sollen daher die Besonderheiten der diffamation raciale stets auch vor diesem Hintergrund beleuchtet werden. In Betracht kommen Einzelpersonen, Personengruppen und juristische Personen122 wie die Religionsgemeinschaften selbst. Darüber hinaus kann auch ein Teil einer Religionsgemeinschaft unter dem Begriff der Personengruppe Ziel der Anstiftung sein.123 Dies gilt aber nur dann, wenn der Angriff die Religionsgemeinschaft als solche viktimisiert und nicht nur eine als fundamentalistisch eingeordnete Einheit.124 Die Feststellung der Zugehörigkeit oder Nichtzugehörigkeit der Betroffenen 117 Dreyer, in: JCl. Lois pénales spéciales, Presse et communication Fasc. 100, Rn. 79; Pradel, Crimen 2010, 18, 19. 118 So der offizielle Titel der loi Pleven: Loi n8 72-546 du 1 juillet 1972 relative à la lutte contre le racisme. 119 Massis, D. 1992, chron., 113, 115. s. hierzu auch unten in diesem Kapitel B. II. 4. a). 120 Le Pourhiet, La liberté et la démocratie menacées, in: La liberté de critique, S. 109, 113; zust. Dreyer, in: JCl. Lois pénales spéciales, Presse et communication Fasc. 100, Rn. 79. 121 s. z.B. Cass. crim., 16. 10. 2012, n8 11-82.866, Bull. crim. n8 217. 122 Cass. crim., 12. 06. 1956, n8 3947/55, Bull. crim. n8 461; Cass. crim., 12. 10. 1976, n8 7590.239, Bull. crim. n8 287; Cass. crim., 07. 12. 1993, n8 92-81.094, Bull. crim. n8 373. 123 Cass. crim., 07. 12. 1993, n8 92-81.094, Bull. crim. n8 373; Teillot, Religion et droit pénal, S. 77 f. 124 CA Paris, 01. 06. 1995, Dr. pén. 1995, comm. 253; vgl. auch TGI Paris, 22. 03. 2007, Légipresse n8 242 (2007) III, 123, 124. Zur fehlenden Betroffenheit der Katholiken bei einem
B. Religionsfeindliche Äußerungen als strafbare Handlungen
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zu einer Rasse, Ethnie oder Religion ist allerdings nicht ausreichend; diese muss gerade der Grund für die Tat sein.125 Die Kritik, die Norm verstoße wegen ihres ausschließlichen Schutzes einzelner Gruppen gegen das Diskriminierungsverbot des Art. 14 EMRK, hat die Cour de cassation mit der Begründung verworfen, die Vorschrift schütze alle, die Opfer von Diskriminierung werden, und sei im Übrigen auf sämtliche Täter anwendbar.126 dd) Öffentliche Begehungsweise Die provocation à la haine muss in einer öffentlichen Handlung im Sinne des Art. 23 al. 1 Pressefreiheitsgesetz, also etwa durch Aussagen an öffentlichen Orten oder durch öffentlich verbreitete Schriften erfolgen.127 Fehlt es an dem Merkmal der öffentlichen Begehung, kommt nur eine Bestrafung wegen provocation non publique à la haine aus Art. R. 625-7 al. 1 Code pénal in Betracht. Diese stimmt in ihren Voraussetzungen mit Ausnahme der öffentlichen Begehung mit der provocation publique à la haine überein, stellt aber lediglich eine contravention, eine Übertretung, dar. Die nicht öffentliche provocation à la haine spielt in der Rechtsprechungspraxis nur eine untergeordnete Rolle.128 Die „Nichtöffentlichkeit“ hat keine eigenen Voraussetzungen, sondern liegt vor, wenn die Voraussetzungen der öffentlichen Begehungsweise aus Art. 23 al. 1 Pressefreiheitsgesetz gerade nicht erfüllt sind.129 In den Voraussetzungen besteht allerdings ein auf den ersten Blick wesentlicher Unterschied zur öffentlichen Anstiftung: Da es sich bei der provocation non publique um eine bloße Übertretung handelt, ist wie bei allen Straftaten dieser Kategorie die Feststellung eines subjektiven Elements entbehrlich.130 Die öffentliche Anstiftung zum Hass verlangt hingegen die Darlegung einer solchen intention coupable.
persönlichen Angriff gegen den Papst, s. Cass. crim., 10. 02. 1998, n8 96-84.890, GP 1998 II, Chr. crim 98; krit. Teillot, Religion et droit pénal, S. 79. 125 de Lamy, in: Traité de droit de la presse et des médias, Rn. 852; ders., Liberté d’opinion et droit pénal, Rn. 509; Teillot, Religion et droit pénal, S. 80. s. zu diesem subjektiven Zusammenhang unten in diesem Kapitel B. I. 2. b) bb). 126 Cass. crim., 13. 06. 1995, n8 93-82144, Bull. crim. n8 217. 127 s. oben in diesem Kapitel A. III. 128 Lassalle, Provocation, in: Rép. Pén., Rn. 25. 129 Lassalle, Provocation, in: Rép. Pén., Rn. 28. 130 Dies ergibt sich aus Art. 121-3 al. 1 Code pénal: „Il n’y a point de crime ou de délit sans intention de le commettre.“ – Es gibt kein Verbrechen oder Vergehen ohne den Vorsatz, es zu begehen. Eine dementsprechende Regelung gibt es für contraventions nicht. Ein großer tatsächlicher Unterschied ergibt sich daraus jedoch nicht, da die Anforderungen der Rechtsprechung an den Vorsatz allgemein gering sind, s. hierzu das folgende Unterkapitel sowie unten in diesem Kapitel B. II. 2. b).
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4. Kap.: Strafbarkeit religionsfeindlicher Äußerungen in Frankreich
b) Das élément moral Die subjektive Tatseite wird im französischen Strafrecht durch das élément moral bestimmt. Neben dem allgemeinen Vorsatz, der intention coupable, ist bei der provocation à la haine, violence ou discrimination religieuse ein weiteres Element erforderlich, nämlich ein spezielles mobile antireligieuse. aa) Die intention coupable Die Äußerung muss gerade auf die Erzeugung von Hassgefühlen bzw. auf das Hervorrufen von Diskriminierung und Gewalt gerichtet sein. Diese subjektive volonté délibérée, die etwa als Absicht übersetzt werden kann, muss durch das Gericht positiv festgestellt werden.131 Allerdings wird sie in den meisten Fällen aus den tatbestandlichen Äußerungen herausgelesen,132 sodass keine hohen Anforderungen an die Feststellung des subjektiven Elements auszumachen sind. An der mauvaise foi kann es aber fehlen, wenn der sich Äußernde keine Kenntnis von der Veröffentlichung seiner Aussage hat.133 Umstritten ist die Frage, ob das élément moral auch dann zu bejahen ist, wenn zum Hass aufreizende Inhalte zur Information oder gar als Parodie verbreitet werden, ohne dass der Verantwortliche seine entgegenstehende Ansicht explizit deutlich macht. So hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in seiner Entscheidung „Jersild ./. Dänemark“ vom 23. September 1994 in der Verurteilung eines Journalisten, der ohne eigene Wertung rassistische und zum Hass aufstachelnde Äußerungen wiedergegeben hat, einen Verstoß gegen die Meinungsfreiheit des Art. 10 EMRK gesehen.134 Die Cour d’appel in Paris hat diese Ansicht übernommen und einen Journalisten freigesprochen, der volksverhetzende Äußerungen Dritter zur Information der Öffentlichkeit über derartige Ansichten verbreitet hat. Ob sich die Cour de cassation dieser Auffassung anschließen wird, scheint allerdings noch unklar: Noch nach der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte bestätigte sie die Verurteilung des Präsidenten eines Fernsehsenders für 131
TGI Paris, 06. 12. 1984, GP 1985 II, JP 706; Delmas Saint Hilaire, RSC 1986, 363, 365; Teillot, Religion et droit pénal, S. 100. Dazu dass diese für das deutsche Recht selbstverständliche Voraussetzung im französischen Strafrecht nicht immer gilt, s. unten in diesem Kapitel B. II. 2. b) aa). 132 So z. B. in Cass. crim., 07. 09. 1999, n8 98-85.177: „Toutefois, l’élément intentionnel du délit est indépendant des mobiles qui ont animé les prévenus et qu’il est caractérisé, dès lors que les intéressés, respectivement professeur et directeur de l’établissement, ne pouvaient, compte tenu de leur niveau culturel, ignorer que les propos publiés provoquaient à la haine“ – Allerdings ist der Vorsatz der Tat unabhängig von den Motiven, die die Beschuldigten angetrieben haben, sodass er hier festgestellt werden kann, da die Betroffenen, als Lehrer bzw. Schuldirektor, auf Grund ihres kulturellen Niveaus nicht verkennen konnten, dass die Äußerungen Hass provozieren. 133 Cass. crim., 19. 06. 2001, n8 98-83.953, JurisData n8 2001-010497. 134 EGMR, Jersild ./. Dänemark, 23. 09. 1994, Nr. 15890/89, Rn. 37.
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die Verbreitung eines hassaufreizenden Liedes, obwohl dieses dazu dienen sollte, durch Parodie der Worte eines Politikers dessen rassistische Ansichten bloßzustellen.135 Er könne sich auf seine Gutgläubigkeit nicht berufen, da sich aus dem Inhalt des Lieds zwingend ergebe, dass er sich der aufhetzenden Wirkung bewusst gewesen sei. Sollte diese Argumentation auf die neutrale Verbreitung durch Journalisten übertragen werden, würde dies der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs widersprechen. Auch unter den europäischen Richtern und in der französischen Literatur wird zum Teil eine Bestrafung wegen provocation à la haine befürwortet, solange keine eindeutige Distanzierung von den rassistischen (bzw. antireligiösen) Äußerungen erfolgt.136 Auf der anderen Seite spricht gegen die Annahme des élément moral, dass ein Journalist, der über die schockierenden Ansichten, die in einer Gesellschaft bestehen, berichten will, ja gerade nicht in der Absicht handelt, Hass gegen deren Opfer zu erzeugen, sondern auf sie aufmerksam zu machen, um die Betroffenen zu schützen. Das gleiche sollte aber eigentlich für denjenigen gelten, der in einer Fernsehsendung rassistische Lieder mit dem Ziel parodiert, ihre Sinnlosigkeit darzustellen. bb) Das mobile antireligieux Neben dem allgemeinen Vorsatz ist bei allen Delikten im Bereich von rassistischen Äußerungen ein dol spécial in Form eines rassistischen Motivs erforderlich. Die Vorschrift des Art. 24 al. 5 Pressefreiheitsgesetz verlangt, dass die Diffamierung der Person oder Personengruppe „auf Grund ihrer […] Zugehörigkeit oder Nichtzugehörigkeit zu […] einer bestimmten Religion“ erfolgt. Erforderlich ist ein „intellektueller Kausalzusammenhang“ zwischen der Religion des Betroffenen und der provozierenden Äußerung.137 Nicht notwendig ist also, dass der Täter das Motiv seiner Tat namentlich zum Ausdruck bringt,138 dies würde zu sehr zu einer Umgehung der Vorschriften einladen. Weder die französische Rechtsprechung noch die Literatur setzt sich allerdings in der gebotenen Tiefe mit der Frage auseinander, wann eine Äußerung tatsächlich auf Grund der Zugehörigkeit oder Nichtzugehörigkeit zu einer Religion stattfindet.139 Sobald sich eine Anstiftung zum Hass auf eine durch Religionszughörigkeit bestimmte Gruppe bezieht, wird die Äußerung häufig nicht mehr dahingehend analysiert, ob tatsächlich der geforderte innere Kausalzusammenhang besteht. Dies zeigt sich etwa in der Entscheidung, in der die Parodie eines zum Hass 135
Cass. crim., 04. 11. 1997, n8 96-84338, JurisData n8 1997-005768. So die abweichenden Meinungen der Richter Ryssdal, Bernhardt, Spielmann und Loizou sowie von Gölüklü, Russo und Valticos zu EGMR, Jersild ./. Dänemark, 23. 09. 1994, Nr. 15890/89; in der französischen Literatur: Lambert, in: Mélanges Ryssdal, S. 735, 741. 137 Teillot, Religion et droit pénal, S. 81; zur diffamation religieuse: Dreyer, in: JCl. Lois pénales spéciales, Presse et communication Fasc. 100, Rn. 83. 138 Dreyer, in: JCl. Lois pénales spéciales, Presse et communication Fasc. 100, Rn. 83; Laszlo-Fenouillet, La conscience, Rn. 763. 139 Véron, Dr. pén. 2003, comm. 43. 136
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4. Kap.: Strafbarkeit religionsfeindlicher Äußerungen in Frankreich
aufreizenden Lieds strafrechtlich sanktioniert wird, da sich das élément moral schon aus dem Text selbst ergebe.140 Unklar ist ebenfalls, wie das Erfordernis eines mobile raciste oder antireligieux mit der eben behandelten Frage der Strafbarkeit von Journalisten wegen der bloßen Darstellung zum Hass aufreizender Inhalte zu vereinbaren ist. Nimmt man das Merkmal ernst, wird in derartigen Fällen eine Strafbarkeit nie zu bejahen sein. Dem steht allerdings bislang die Rechtsprechung der Cour de cassation entgegen. Im religiösen Bereich wurde bislang in einem Fall die Strafbarkeit auf Grund des fehlenden mobile antireligieux verneint. Die Cour de cassation argumentierte im Rahmen einer Darstellung der Zeugen Jehovas als kriminelle Organisation, dass die Äußerungen sich nicht gegen den Glauben der Mitglieder, sondern allein gegen die Organisationsstruktur der Religionsgemeinschaft richte.141 Fraglich ist jedoch, ob dieses Argument auf die traditionellen Religionen übertragen werden kann, oder ob es dem Gerichtshof als Vorwand zu einem eingeschränkten Schutz der „neuen Religionen“ dient.142 c) Faits justificatifs Im Rahmen der provocation à la haine religieuse kommen keine Rechtfertigungsgründe in Betracht;143 die Vorstellung eines „bon raciste“,144 eines guten Rassisten, der aus ehrenwerten Motiven rassenideologische Feindseligkeit säht, ist nicht denkbar.145 Auch ist (anders als für die injure146) kein Strafausschluss im Falle einer Provokation durch den Angegriffenen möglich.147 Dies ist zum einen im Wortlaut nicht vorgesehen, ergibt sich zum anderen aber auch daraus, dass der Täter im Allgemeinen zum Hass gegen eine Personenmehrheit aufruft, von der eine gemeinsame Provokation gar nicht vorstellbar ist.
140
Cass. crim., 04. 11. 1997, n8 96-84.338, JurisData n8 1997-005768. Cass. crim., 14. 12. 1999, n8 98-87.529, Bull. crim. n8 305. 142 In diesem Sinne wohl Teillot, Religion et droit pénal, S. 83. 143 Zur bonne foi: Cass. crim., 16. 07. 1992, n8 91-86.156, Bull. crim. n8 273; Cass. crim., 04. 11. 1997, n8 96-84.338, Dr. pén. 1998, comm. 33; insgesamt: Droin, Limitations à la liberté d’expression, Rn. 201; de Lamy, Liberté d’opinion et droit pénal, Rn. 518. 144 Goulesque, RSC 1978, 445 prägte den Begriff des bon diffamateur, der aus ehrenwerten Motiven ehrenrührige Tatsachen verbreitet (s. dazu unten in diesem Kapitel B. II. 2. c) bb)). 145 de Lamy, Liberté d’opinion et droit pénal, Rn. 335, 518; zust. Droin, Limitations à la liberté d’expression, Rn. 201. 146 s. unten in diesem Kapitel B. II. 3. c) bb). 147 Droin, Limitations à la liberté d’expression, Rn. 201. 141
B. Religionsfeindliche Äußerungen als strafbare Handlungen
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3. Bestrafung religionsfeindlicher Äußerungen als provocation à la haine religieuse Fraglich ist, ob die untersuchte Norm auch religionsfeindliche Äußerungen unter Strafe stellt. Ursprünglich sollte sie – wie auch die folgenden – dem Kampf gegen Rassismus und dem Minderheitenschutz dienen. Mit dem Merkmal der Religion wollte der Gesetzgeber lediglich die religiösen Gruppierungen als geschützte Minderheiten einstufen, nicht aber einen Schutz religiöser Gefühle bezwecken. Das Merkmal hat sich jedoch in eine eigene, von den anderen Kriterien unabhängige Richtung entwickelt. So kommt es, dass auch Verantwortliche religionsfeindlicher Äußerungen mit Verfahren rechnen müssen. Zu einer Verurteilung wegen provocation à la haine religieuse kommt es in diesen Konstellationen trotzdem selten. Sofern sich die Äußerungen auf Inhalte der Religionen selbst beziehen, betonen die Gerichte regelmäßig, dass zwar die Entrüstung der Gläubigen geweckt und ihre Überzeugungen ins Lächerliche gezogen werden, eine Aufreizung zum Hass gegen die Anhänger dieser Religionsrichtung darin aber nicht gesehen werden könnte.148 Auch die Profanierung religiöser Kultsymbole stellt an sich noch keine provocation à la haine dar.149 Als nicht erfüllt sahen die Richter die Voraussetzungen etwa bei einer Papst-Spezialausgabe des Satiremagazins Charlie Hebdo, in der unter anderem Jesus Pädophilie unterstellt wurde,150 sowie bei einer Karikatur in einer anderen Satirezeitschrift, die einen gekreuzigten Jesus als aufblasbares Weihnachtsgeschenk zeigt.151 Gleiches gilt für eine Satire, die angebliche Beichten von Priestern wiedergibt,152 sowie die Verbindung von Jesus mit sexuellen Handlungen durch Karikaturen und Wortspiele.153 Die Grenze scheint erst dann überschritten, wenn sich die Darstellung durch besondere Aggressivität und Gewalt auszeichnet, wie etwa bei der Karikatur einer brutalen Hinrichtung des Papstes.154 Dabei bleibt allerdings unklar, warum gerade 148 Cass. crim., 07. 12. 1993, n8 92-81.091 – Le bouc est mis, sœur! und n8 92-84.439 – Confessions en direct, Bull. crim. n8 374; Cass. crim., 15. 03. 2011, n8 10-82.809 – Chrétiens à bouffer aux lions!; Cass. 2e civ., 22. 03. 1996, n8 93-12.119; Cass. 2e civ., 08. 03. 2001, n8 9817.574, Bull. civ. II n8 47 – Je suce était son nom; CAVersailles, 18. 03. 1998, n8 1996-2195, D. 1998, somm., 203; CA Paris, 13. 09. 2001, D. 2002, somm., 44. 149 Cass. crim., 08. 06. 1999, n8 98-83.461 – Faisons comme eux dans les églises!; anders noch Cass. crim., 21. 10. 1997, n8 96-80.391. 150 Cass. crim., 15. 03. 2011, n8 10-82.809 – Chrétiens à bouffer aux lions!. 151 Cass. crim., 07. 12. 1993, n8 92-81.091, Bull. crim. n8 374 – Le bouc est mis, sœur!. 152 Cass. crim., 07. 12. 1993, n8 92-84.439, Bull. crim. n8 374 – Confessions en direct. 153 Cass. 2e civ., 08. 03. 2001, n8 98-17.574, Bull. civ. II n8 47 – Je suce était son nom; CA Versailles, 18. 03. 1998, n8 1996-2195, D. 1998, somm., 203. 154 CA Paris, 13. 11. 1997, D. 1998, somm., 21; vgl. auch Cass. 2e civ., 28. 01. 1999, n8 9616.992, Bull. civ. II n8 20 – Loi Falloux – Vive la calotte! sowie weiterhin Cass. 2e civ., 28. 02. 1996, n8 93-20.663, die aber im weiteren Verfahren durch Cass. 2e civ., 08. 03. 2001, n8 9817.574, Bull. civ. II n8 47 – Je suce était son nom, revidiert wurde; sowie Cass. crim., 21. 10. 1997, n8 96-80.391, die aber ebenfalls im folgenden Verfahren aufgehoben wurde, s. Cass. crim., 08. 06. 1999, n8 98-83.461 – Faisons comme eux dans les églises!.
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4. Kap.: Strafbarkeit religionsfeindlicher Äußerungen in Frankreich
eine besondere Aggressivität gegen das Religionsoberhaupt die Schwelle zum Aufreizen zum Hass gegenüber den Religionsanhängern überschreiten soll. Darüber hinaus lassen die Gerichte in der Regel einen weiten Raum für Äußerungen mit politischen Zielen: Häufig wird eine Strafbarkeit verneint, wenn hinter der Äußerung ein solcher Zweck ausgemacht wird,155 wie etwa die Integration ausländischer Einwanderer muslimischer Religionszugehörigkeit156 oder der Kampf um das Recht auf Abtreibung gegen die katholische Kirche.157 Gleiches gilt für satirische Beiträge.158 Unklar ist in diesen Fällen häufig die dogmatische Begründung des Freispruchs; die Gerichte stellen lediglich fest, dass eine provocation à la haine religieuse im Ergebnis nicht vorliegt. Der restriktiven Rechtsprechung ist im Ergebnis zuzustimmen.159 Der Tatbestand des Art. 24 al. 5 Pressefreiheitsgesetz passt nur in Einzelfällen mit besonderer Gewaltintensität auf religionsfeindliche Äußerungen. Denn üblicherweise ist Zweck religionskritischer Äußerungen entweder eine Provokation, die die sachliche Auseinandersetzung mit Religionsinhalten bewirken will, oder auch – im negativen Fall – das Verspotten einer Religionsgemeinschaft und ihrer Anhänger. Wenn letzterer Zweck auch als verwerflich anzusehen sein mag, so lässt er sich aber doch nicht mit der Anstiftung zu Hass, Gewalt oder Diskriminierung gleichsetzen. Dogmatisch sinnvoll erscheint es, die Verneinung des Tatbestands bei politischer Motivation im élément moral zu verorten. Die besondere Absicht der Aufstachelung zum Hass, die über das bloße Bewusstsein hinausgeht, ist in diesen Konstellationen nämlich gerade nicht erfüllt.
155 Cass. crim., 28. 01. 1992, n8 91-81.778 – Non à l’islamisation de Saint-Nazaire!; Cass. crim., 30. 05. 2007, n8 06-84.328, Bull. crim. n8 140 – Pas de cathédrale à la Mecque, pas de mosquée à Strasbourg!; krit. in Bezug auf diese weite Auslegung der politischen Meinungsfreiheit Darsonville, D. 2007, 2039. 156 Cass. crim., 17. 05. 1994, n8 91-82.129. 157 Cass. crim., 21. 10. 1997, n8 96-80.391 – Faisons comme eux dans les églises; Cass. crim., 08. 06. 1999, n8 98-83.461 – Commando anti-avortement. 158 Cass. crim., 15. 03. 2011, n8 10-82809 – Chrétiens à bouffer aux lions!. 159 So auch Bertin, GP 1987 II, 625: „La provocation à la discrimination à raison de la religion consiste de toute évidence en des incitations dangereuses pour la sécurité morale ou physique des intéressés et non en un simple manque de respect pour les convictions ne même en un comportement outrageant envers l’objet de leur culte.“ – Das Aufreizen zur religiösen Diskriminierung besteht offensichtlich in Aufstachelungen, die für die psychische oder physische Sicherheit der Betroffenen gefährlich sind, und nicht in einer bloßen Respektlosigkeit ihren Überzeugungen gegenüber oder gar einer Schmähung ihres Kults. In diesem Sinne auch Capitani/Moritz, RLDI 2006/14, n8 426, 75, 81.
B. Religionsfeindliche Äußerungen als strafbare Handlungen
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II. Religionsfeindliche Äußerungen als diffamation oder injure religieuse Neben der provocation à la haine religieuse kommen als Grundlage einer Bestrafung religionsfeindlicher Äußerungen auch die Ehrverletzungsdelikte in Betracht. Unterschieden wird dabei zwischen der diffamation, Diffamierung, und der injure, Beleidigung. Für beide ist ein Qualifikationstatbestand vorgesehen, der die Strafe schärft, wenn die Äußerung gegen eine Person oder eine Personengruppe auf Grund ihrer Zugehörigkeit unter anderem zu einer Religion gerichtet ist. Die strafrechtliche Verantwortlichkeit richtet sich auch für diese Tatbestände nach Art. 42, 43 Pressefreiheitsgesetz. Insofern kann nach oben verwiesen werden.160 1. Schutzzweck der Normen Auch im Rahmen von diffamation und injure findet keine umfassende Rechtsgutsdiskussion statt. Beide Delikte sind im Pressefreiheitsgesetz unter der Überschrift „Délits contre les personnes“ (Vergehen gegen Personen) zu finden. Das Delikt der diffamation nennt als Tatbestandsvoraussetzung die Verletzung des honneur (Ehre) oder der considération (Ansehen). Sofern überhaupt nach dem Schutzzweck der Norm gefragt wird, schließen die Autoren aus dieser Formulierung des Tatbestandes meist unkritisch, dass die Ehre und das Ansehen die geschützten Rechtsgüter darstellen.161 Die französische Literatur zeigt sich im Hinblick auf den Begriff jedoch teilweise skeptisch und kritisiert ihn als „flou“, verschwommen, und „polysémique“, mehrdeutig.162 Wird ein Versuch der Definition unternommen, ergibt sich für den Begriff des honneur der subjektive Zustand von Rechtschaffenheit und dem Bewusstsein moralisch korrekten Verhaltens.163 Dieser Zustand ist unabhängig von der Einschätzung Dritter.164 Die considération hingegen besteht in der Einschätzung, die Dritte sich von dem Betroffenen bilden und in der sie sein privates, berufliches und öffentliches Leben bewerten.165 Es handelt sich also gewissermaßen 160
s. oben in diesem Kapitel B. I. 2. a) bb). Dreyer, in: JCl. Lois pénales spéciales, Presse et communication Fasc. 80, Rn. 23; Merle/Vitu, Traité de droit criminel: Droit pénal spécial II, Rn. 1950. 162 Beignier, L’honneur et le droit, S. 39; Canedo-Paris, RFDA 2008, 979, 981; Droin, Limitations à la liberté d’expression, Rn. 111; Viriot-Barrial, A la découverte de la notion d’injure et de diffamation, in: Liberté de la presse et droit pénal, S. 35, 38 ff. 163 TGI Versailles, 17. 01. 1985, GP 1985 II, JP 710, 714; Dreyer, in: JCl. Lois pénales spéciales, Presse et communication Fasc. 80, Rn. 26; Merle/Vitu, Traité de droit criminel: Droit pénal spécial II, Rn. 1950; Simon, Persönlichkeitsschutz gegen herabsetzende Karikaturen, S. 166; zum Begriff der Ehrverletzung in diesem Sinne auch Rassat, Droit pénal special, Rn. 532; Toulemon, Code de la presse, Art. 29 Rn. 7. 164 Chavanne, in: Droit de la presse, Fasc. 140 Rn. 41; Dreyer, in: JCl. Lois pénales spéciales, Presse et communication Fasc. 80, Rn. 26; Simon, Persönlichkeitsschutz gegen herabsetzende Karikaturen, S. 167. 165 Merle/Vitu, Traité de droit criminel: Droit pénal spécial II, Rn. 1950. 161
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4. Kap.: Strafbarkeit religionsfeindlicher Äußerungen in Frankreich
um zwei Seiten der gleichen Medaille; um zwei unterschiedliche Herangehensweisen an das „sentiment de dignité“, das Gefühl der Würde, das jede Person empfindet.166 Tatsächlich können beide Elemente aber kaum voneinander getrennt werden.167 Da mangels Unterschieden in der Rechtsfolge eine Abgrenzung auch nicht notwendig ist,168 wird sie von den Gerichten regelmäßig unterlassen.169 Fraglich ist, ob sich diese Schutzgüter auch auf das Delikt der injure übertragen lassen kann. So wird teilweise darauf eingegangen, dass die Norm des Art. 29 al. 2 Pressefreiheitsgesetz die „honorabilité“ (Ehrbarkeit) und „dignité“ (Würde) schütze.170 Es fehlt allerdings an einer klaren inhaltlichen Differenzierung zwischen diesen neuen Begriffen. Eine Analyse der übrigen Literatur stützt die Annahme unterschiedlicher Rechtsgüter demgemäß nicht: Die meisten Autoren behandeln diffamation und injure hinsichtlich ihres Schutzzwecks gleich.171 Darüber hinaus wird betont, dass der entscheidende Unterschied zwischen beiden Delikten nur in der Frage liegt, ob die Aussage die Unterstellung eines fait précis et déterminé enthalte.172 Demnach kann davon ausgegangen werden, dass sowohl diffamation als auch injure die Ehre und das Ansehen schützen. Über den Schutzzweck der diffamation bzw. injure raciale et religieuse finden sich in der Rechtsprechung keine, im Schrifttum nur wenige Angaben. Wie auch bei der provocation à la haine wird das Recht auf Gleichheit und auf die Abwesenheit jeglicher Diskriminierung betont.173 Diese Interpretation geht auf das Gesamtziel der loi Perben zurück, nämlich den Kampf gegen Rassismus. Eine durch bestimmte Eigenschaften charakterisierte Personengruppe solle nicht auf Grund dieser Zugehörigkeit nachteilig behandelt werden. Jedoch hat die diffamation bzw. injure religieuse im Vergleich zu diesem Schutz von Diskriminierung eine gewisse Autonomie entwickelt.174 Statt nur auf die Vermeidung von Ehrverletzungen einer Personengruppe einzugehen, wird häufig auch der Schutz des repos du sentiment religieux,175 166
Dreyer, in: JCl. Lois pénales spéciales, Presse et communication Fasc. 80, Rn. 25. Dreyer, in: JCl. Lois pénales spéciales, Presse et communication Fasc. 80, Rn. 28. 168 Bormann, Praxis des Persönlichkeitsschutzes, S. 21; Simon, Persönlichkeitsschutz gegen herabsetzende Karikaturen, S. 167. 169 s. etwa Cass. 2e civ., 17. 03. 1993, n8 91-17.875, Bull. civ. II n8 108; TGI Paris, 14. 03. 1982, GP 1982, JP, 168. 170 Merle/Vitu, Traité de droit criminel: Droit pénal spécial II, Rn. 1956; Pradel/DantiJuan, Droit pénal spécial, Rn. 475. 171 Dechenaud, in: JCl. Lois pénales spéciales, Presse et communication Fasc. 90, Rn. 8; Derieux, Droit de la communication, S. 410; Solal/Gatineau, Communication – Presse écrite et audiovisuelle, S. 158; zu diesem Ergebnis kommt auch Stegmann, Tatsachenbehauptung und Werturteil, S. 100. 172 s. dazu unten in diesem Kapitel B. II. 2. a) bb) (1) (a). 173 Dreyer, in: JCl. Lois pénales spéciales, Presse et communication Fasc. 100, Rn. 74. 174 Droin, Limitations de la liberté d’expression, Rn. 586. 175 Teillot, Religion et droit pénal, S. 59; ähnlich Droin, Limitations à la liberté d’expression, Rn. 586. 167
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zu verstehen als die Ungestörtheit des religiösen Gefühls, als Schutzgut der Norm vorgeschlagen. Damit vergleichbar taucht im Zusammenhang mit religionsfeindlichen Äußerungen zudem häufig der Begriff des droit au respect des croyances auf, also des Rechts auf Respektierung des Glaubens oder der religiösen Überzeugungen, das sich aus Art. 1 al. 1 der Verfassung von 1958176 ergibt. Das Verständnis dieses Rechts divergiert jedoch in der Literatur. Einige Autoren verstehen es umfassend in dem Sinne, dass der Staat verpflichtet ist, religiöse Überzeugungen aktiv auch gegen Äußerungen Privater zu schützen, sodass es bei religionskritischen Äußerungen im Widerspruch zur Meinungsfreiheit steht.177 Zum Teil wird es ausschließlich als ein Verbot des Staats interpretiert, religiöse Überzeugungen selbst zu beeinträchtigen.178 Dann kann es nicht als Grundlage zur Bestrafung von Bürgern hinzugezogen werden. Aber auch bei einer weiten Auslegung ist das droit au respect des croyances als Schutzgut fragwürdig. Zwar wird regelmäßig betont, dass die Normen nicht die Religion, sondern den Menschen schützen sollen.179 Trotzdem wird selten darauf eingegangen, dass die Tathandlung der Ehrverletzung auf Grund der Zugehörigkeit zu einer Religion an sich viel mehr verlangt als eine bloße Verletzung von Gefühlen. Geschützt wird daher der Mensch in seiner Persönlichkeit, nicht jedoch der Mensch in seinem religiösen Gefühl. Wenn dies übersehen wird, kann es zu einer extensiven Auslegung des Tatbestands kommen, die mit seiner Grundidee nicht mehr übereinstimmt.180 2. Die Voraussetzungen der diffamation religieuse Die Voraussetzungen der diffamation sind in der Legaldefinition des Art. 29 al. 1 Pressefreiheitsgesetz kodifiziert. Hieraus ergibt sich aber nicht schon die Strafbarkeit einer Diffamierung. Diese resultiert für die einfache Diffamierung gegenüber einer Privatperson erst aus der Hinzuziehung des Art. 32 al. 1 Pressefreiheitsgesetz. In Kombination mit Art. 32 al. 2 Pressefreiheitsgesetz wird eine diffamation auf Grund der Zugehörigkeit oder Nichtzugehörigkeit (unter anderem) zu einer Religion unter Strafe gestellt. Diese Variante der Qualifikationsnorm soll auf Grund ihrer Bedeutung für religionsfeindliche Äußerungen hier besonders im Vordergrund stehen.
176
s. dazu oben 2. Kapitel C. II. 2. Massis, Légipresse n8 298 (2012), II, 531. Allerdings sieht er insofern keinen strafrechtlichen Schutz als notwendig, sondern stellt allein auf die zivilrechtliche Komponente ab, s. ders., Légipresse n8 197 (2002) II, 172, 173. 178 Leclerc, Légipresse n8 242 (2007), III, 125, 127. 179 Droin, Limitations à la liberté d’expression, Rn. 587; Monfort, Legipresse n8 300 (2012), II, 686, 688. 180 s. zu der Problematik unten in diesem Kapitel B. II. 4. b) cc). 177
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4. Kap.: Strafbarkeit religionsfeindlicher Äußerungen in Frankreich
a) Das élément matériel Wann eine Äußerung diffamierend ist, wird in Art. 29 al. 1 Pressefreiheitsgesetz definiert. Dieser verlangt die Behauptung einer Tatsache, die Ehre oder Ansehen der betroffenen Person oder der betroffenen Körperschaft verletzt. aa) Form des Vorwurfs: Allégation oder imputation Die Norm unterscheidet zwischen der Form der allégation, Behauptung, und der imputation, Beschuldigung. Einer klassischen Definition zufolge bedeutet allégation eine Aussage, die sich auf fremde Informationen stützt und mit Zweifeln behaftet ist, während eine imputation eine Aussage ist, die mit mehr Sicherheit getätigt wird.181 Letztere beinhaltet also eine eigene Behauptung und persönliche Anschuldigung,182 während bei der ersteren nicht die Verantwortung für die Richtigkeit der Aussage übernommen werden soll.183 Die Klarheit dieser Unterscheidung wird durch Art. 29 al. 1 S. 2 Pressefreiheitsgesetz getrübt, der unter den Begriff der Diffamierung die Veröffentlichung oder das Verbreiten einer solchen Aussage fasst, auch wenn dies in einer zweifelnden Form geschieht. So unterscheidet auch die Cour de cassation in ihrer häufig benutzten Formel184 nicht zwischen den beiden Begriffen und lässt jede Äußerung ausreichen, wenn sie auch von Zweifeln geprägt ist, versteckt oder nur angedeutet wird. Mangels unterschiedlicher Rechtsfolgen kann auf eine strikte Abgrenzung verzichtet werden.185 Eine Äußerung kann grundsätzlich auch in Zeichnungen oder anderen bildlichen Darstellungen liegen.186 Da diese aber den Vorwurf einer präzise bestimmten Tatsache beinhalten muss, sind dieser Handlungsalternative schon durch ihre Vagheit enge Grenzen gesetzt.187 Anders gestaltet es sich, wenn die Aussage aus der Ver181 Griolet/Vergé, Supplément au répertoire, Band 13, Rn. 851; Dreyer, in: JCl. Lois pénales spéciales, Presse et communication Fasc. 80, Rn. 10. 182 Goyet et al., Droit pénal spécial, Rn. 875. 183 Debbasch et al., Droit des médias, Rn. 2605. 184 „Selon l’article 29 de la loi du 29 juillet 1881, toute expression qui contient l’imputation d’un fait précis et déterminé, de nature à porter atteinte à l’honneur ou à la considération de la personne visée, constitue une diffamation, même si elle est présentée sous une forme déguisée ou dubitative ou par voie d’insinuation“ – Gemäß Art. 29 Pressefreiheitsgesetz ist eine Diffamierung jede Äußerung, die eine Behauptung einer präzisen und bestimmten Tatsache enthält und geeignet ist, die Ehre oder das Ansehen der betroffenen Person zu verletzen, auch wenn sie in einer versteckten oder zweifelnden Form oder nur durch Andeutung erfolgt; z. B. Cass. crim., 03. 07. 1996, n8 94-82.647, Bull. crim. n8 283; Cass. crim., 29. 01. 1998, n8 94-85.844; Cass. crim., 20. 01. 2009, n8 07-88.122; Cass. crim., 05. 01. 2010, n8 09-84.328; Comm. com. électr. 2010, comm. 40. 185 Teillot, Religion et droit pénal, S. 88. 186 s. hierzu z. B. Cass. crim., 23. 02. 1950, D. 1951, JP 217; Cass. crim., 16. 12. 1986, n8 8596.064, Bull. crim. n8 374; CA Paris, 26. 01. 1984, GP 1984 I, somm. 200. 187 Dreyer, in: JCl. Lois pénales spéciales, Presse et communication Fasc. 80, Rn. 14.
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bindung der bildlichen Darstellung mit einem Text resultiert. Dann reicht für eine Strafbarkeit des Zeichners auch aus, dass sich die ehrenrührige Tatsache allein aus dem Text ergibt.188 bb) Inhalt des Vorwurfs: Fait précis et déterminé qui porte atteinte à l’honneur ou à la considération Inhalt der diffamierenden Aussage muss eine konkrete und genau bestimmte Tatsache sein, die die Ehre oder das Ansehen des Betroffenen verletzt. Auf die Wahrheit oder Unwahrheit der unterstellten Tatsache kommt es für die Feststellung des élément matériel nicht an. Es existiert also keine rechtliche Unterscheidung zwischen calomnie als Behauptung unwahrer und der médisance als Behauptung wahrer Tatsachen.189 (1) Der fait précis et déterminé Art. 29 al. 1 Pressefreiheitsgesetz verlangt, dass die Äußerung die Behauptung eines fait, einer Tatsache, beinhaltet. Die Bedeutung dieses Merkmals liegt darin, dass es eine Abgrenzung zwischen injure und diffamation ermöglicht. Indem die injure gerade die Äußerung einer Meinung ohne Tatsachenbehauptung verlangt, kann eine einzelne Äußerung nicht zugleich diffamation und injure sein.190 Nicht ausgeschlossen ist aber, dass ein Artikel oder eine Rede sowohl diffamierende als auch beleidigende Äußerungen enthält.191 (a) Abgrenzung zwischen diffamation und injure Unterscheidungskriterium zwischen injure und diffamation ist nach Auffassung der Rechtsprechung, ob der Beweis der Behauptung möglich ist und ob sie Gegenstand einer objektiven, kontradiktorischen Debatte sein kann.192 Die Literatur konkretisiert dies zum Teil dahingehend, dass sie für eine diffamation eine ausdrückliche Bezugnahme auf eine tatsächliche Handlung, ein Unterlassen oder eine 188
Cass. crim., 10. 03. 1955, JCP 1955, II, 8845 mit zust. Anm. von Chavanne. De Lamy, Liberté d’opinion et droit pénal, Rn. 303; Mallet-Poujol, D. 1998, 432, 434. Zu der Möglichkeit der Rechtfertigung durch den Beweis der Wahrheit der behaupteten Tatsache s. unten in diesem Kapitel B. II. 2. c) aa). 190 Mallet-Pujol, in: Traité de droit de la presse et des médias, Rn. 723; Merle/Vitu, Traité du droit criminel: Droit pénal spécial II, Rn. 1949: 1956; s. zur injure unten in diesem Kapitel B. II. 3. 191 So etwa in Cass. crim., 09. 03. 1912, D. 1913, I, 75; Cass. crim., 22. 02. 1966, n8 6590.518, Bull. crim. n8 62. 192 Cass. AP, 25. 06. 2010, n8 08-86.891, Bull. crim. n8 1; Cass. crim., 08. 12. 1966, JCP 1967, II, 15008; Cass. crim., 16. 03. 2004, n8 03-82.828, Bull. crim. n8 67; Cass. crim., 17. 06. 2008, n8 07-80.767, Bull. crim. n8 151; Cass. 1ère civ., 04. 04. 2006, n8 05-14.404, Bull. civ. I, n8 193; Cass. 1ère civ., 03. 05. 2007, n8 05-19.897, Bull. civ. I, n8 167. Im Schrifttum wird diese Unterscheidung meist übernommen, s. Dreyer, in: JCl. Lois pénales spéciales, Presse et communication Fasc. 80, Rn. 19. 189
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4. Kap.: Strafbarkeit religionsfeindlicher Äußerungen in Frankreich
Aussage verlangt, deren Existenz oder Nichtexistenz festgestellt werden kann.193 Hinzu kommt, dass die Tatsache im Rahmen der diffamation auch précis und déterminé194 sein muss, also konkret und bestimmt. Eine allgemein gehaltene Tatsachenäußerung reicht also zur Feststellung einer diffamation nicht aus. Erforderlich ist, dass der fait „susceptible d’être daté et circonstancié“195 ist, das heißt mit einem Datum versehen und detailliert, mit seinen äußeren Umständen beschrieben werden könnte. Diese Konkretisierung muss sich aber nicht aus der Äußerung selbst ergeben, sondern kann auch aus den äußeren Umständen, den éléments extrinsèques, folgen.196 So genügen etwa generelle (wenn auch sachliche) Vorwürfe, wie beispielweise die Unterstellung „brutaler Methoden […], die sich im Wesentlichen […] gegen Farbige und Araber richten“,197 nach der Rechtsprechung der Cour de cassation nicht den Anforderungen an eine konkrete Tatsachenbehauptung. Gleiches gilt für die Bezeichnung als „rassistisch“, „antisemitisch“, „antimuslimisch“ und „faschistisch“ ohne Bezug auf ein bestimmtes Ereignis.198 Scheint diese restriktive Auslegung der diffamation als dem schwereren der beiden Delikte199 auf den ersten Blick als vorteilhaft für den Täter, so muss auch beachtet werden, dass sie für ihn von erheblichem Nachteil sein kann. Denn nur bei der diffamation, nicht aber bei der injure ist eine Rechtfertigung durch Wahrheitsbeweis der Tatsache möglich. Allgemein gehaltene Aussagen dürfen also, obwohl doch teilweise dem Beweis zugänglich, im Prozess nicht bewiesen werden.200 In der Literatur wird daher vorgeschlagen, auch allgemeine Tatsachenbehauptungen in den Bereich der diffamation zu fassen.201 Andererseits betont die Cour de cassation, „la précision du fait imputé peut être déguisée
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Merle/Vitu, Traité de droit criminel: droit pénal spécial II, Rn. 1949; ähnlich auch Auvret, Les journalistes, S. 145; Chavanne, in: Droit de la presse, Fasc. 140, Rn. 28. 194 Cass. crim., 03. 05. 1895, D. 1897, I, 337, 346; Auby/Ducos-Ader, Droit de l’information, Rn. 158; Dreyer, in: JCl. Lois pénales spéciales, Presse et communication Fasc. 80, Rn. 16; Merle/Vitu, Traité de droit criminel: droit pénal spécial II, Rn. 1949. 195 Rassat, Droit pénal special, Rn. 531. 196 Cass. crim., 23. 11. 1965, n8 93.124/64, Bull. crim. n8 248. s. zur Berücksichtigung externer Umstände auch oben in diesem Kapitel A. II. 1. 197 Cass. crim., 07. 12. 2010, n8 10-81.984, Bull. crim. n8 197. 198 Cass. crim., 26. 02. 1985, GP 1985 II, somm. 224. 199 Art. 32 al. 1, 2 Pressefreiheitsgesetz sieht eine Geldstrafe von bis zu 12.000 E bzw. eine Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr und/oder Geldstrafe von bis zu 45.000 E vor, während Art. 33 al. 2, 3 Pressefreiheitsgesetz eine Geldstrafe von bis zu 12.000 E bzw. eine Freiheitsstrafe von bis zu 6 Monaten und/oder eine Geldstrafe von bis zu 22.500 E androht. 200 Krit. deshalb Dreyer, in: JCl. Lois pénales spéciales, Presse et communication Fasc. 80, Rn. 19 ff. 201 Dreyer, in: JCl. Lois pénales spéciales, Presse et communication Fasc. 80, Rn. 19; mit Verweis auf Cass. crim., 12. 06. 1956, n8 1031/55, Bull. crim. n8 458. In diese Richtung gehen auch schon Cass. crim., 21. 12. 1900, D. 1902, I, 62, 64 sowie Cass. crim., 16. 12. 1986, n8 8596.064, Bull. crim., n8 374, die eine diffmation annehmen, wenn das Vermögen einer Religionsgemeinschaft als Produkt von Betrügereien bezeichnet wird bzw. einer Person in einer Karikatur unterstellt wird, nationalsozialistischen Ideen anzuhängen.
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sous les simples expressions outrageantes“202 – die notwendige Präzisierung der Tatsachenbehauptung könne unter beleidigenden Ausdrücken versteckt sein. Wenn sich also aus den Umständen der Äußerung ergibt, dass diese sich auf konkrete Tatsachen bezieht, kann eine diffamation angenommen werden. Auf der anderen Seite ergeben sich Schwierigkeiten daraus, dass Äußerungen zum Teil vorschnell als Tatsachenbehauptungen qualifiziert werden. So haben französische Gerichte etwa die Aussagen, ein mit der Restaurierung eines Denkmals betrauter Architekt habe weder Geschmack noch Talent203 und Korsen seien keine Franzosen204 als Tatsachenäußerung gewertet. Jedoch ist eine Aussage über Geschmack und Talent so subjektiv, wie sie nur eben sein kann, und damit, wenn sie auch noch so objektiv und professionell erscheinen will, nicht dem Beweis zugänglich.205 In dem anderen Fall hingegen manifestiert sich das Problem, dass in der französischen Rechtsprechung dem Schritt der Auslegung der streitgegenständlichen Äußerung zum Teil nicht genügend Bedeutung beigemessen wird.206 Denn hinter dem umstrittenen Ausdruck steht mit Sicherheit keine rechtliche oder geografische These über Zugehörigkeit Korsikas zu Frankreich, sondern ein herabwertendes Urteil über dessen Bewohner.207 Durch diese Einordnung von Werturteilen als Tatsachenbehauptung entstehen wiederum Nachteile für den Handelnden: Der Wahrheitsbeweis des Art. 35 Pressefreiheitsgesetz steht ihm zwar grundsätzlich offen, er ist jedoch praktisch bei Werturteilen unmöglich. Er kann sich nicht auf die für die injure vorgesehene excuse de provocation berufen;208 zudem ist der Schutz der Meinungsfreiheit bei solchen „unwahren Tatsachenbehauptungen“ eingeschränkt. Ebenfalls Ungenauigkeiten bei der Auslegung geschuldet ist die Diskussion, ob fiktive Tatsachen unter den Tatbestand der diffamation fallen.209 Die Rechtsprechung hat dies angenommen,210 während nach der Literatur eine bildliche Darstellung einer für den Durchschnittsleser offensichtlich fiktiv und metaphorisch zu verstehenden Handlung höchstens unter den Tatbestand der injure fallen könne.211 Vorzugswürdig erscheint es jedoch, auch dieses Problem schon vorgelagert bei der Frage der Auslegung der Äußerung zu verorten; denn wenn eine Aussage offensichtlich meta202
Cass. crim., 14. 04. 1992, n8 87-80.411, Bull. crim. n8 162; ähnlich auch Cass. crim., 23. 11. 1993, n8 92-85.771, Bull. crim. n8 350. 203 CA Aix 28. 07. 1947, JCP 1948 II, 4031. 204 Cass. crim., 08. 12. 1966, JCP 1967 II, 15008. 205 Colombini, JCP 1948 II, 4031; de Lamy, Liberté d’opinion et droit pénal, Rn. 316. 206 s. oben in diesem Kapitel A. II. 1. 207 Chavanne, JCP 1984, II, 20145; de Lamy, Liberté d’opinion et droit pénal, Rn. 316. 208 s. dazu unten in diesem Kapitel B. II. 3. c) bb). 209 Vgl. de Lamy, Liberté d’opinion et droit pénal, Rn. 312, der auch weitere Beispiele aus der Rechtsprechung nennt und bei deren Untersuchung zu dem Ergebnis kommt, dass „eindeutig fiktive Tatsachen“ nicht als Tatsachen im Sinne einer diffamation zu bewerten sind. 210 Cass. crim., 22. 05. 1990, 87-81.387, Bull. crim. 1990 n8 211 S. 530. 211 de Lamy, Liberté d’opinion et droit pénal, Rn. 312.
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4. Kap.: Strafbarkeit religionsfeindlicher Äußerungen in Frankreich
phorisch gemeint ist, unterscheidet sich der tatsächliche Aussageinhalt von der oberflächlichen Darstellung und muss unabhängig von ihr beurteilt werden. Zumindest teilweise sind die Schwierigkeiten bei der Zuordnung einer in die Kritik geratenen212 prozessualen Vorschrift geschuldet, die besagt, dass schon in dem das Verfahren eröffnenden Antrag verbindlich festgelegt werden muss, ob eine diffamation oder eine injure geprüft werden soll. In Verbindung mit den kurzen Verjährungsfristen des Presserechts kann dies zur Folge haben, dass eine Bestrafung des Täters aus dem passenden Tatbestand nicht mehr möglich ist.213 Um ein solches Resultat zu verhindern, neigen die Gerichte zum Teil dazu, die jeweilige Einordnung als diffamation oder injure aus dem bisherigen Verfahren zu übernehmen und auf diese Weise ein unrichtig angestrengtes Verfahren zu „retten“.214 Zur Sicherung einer einheitlichen Abgrenzung zwischen diffamation und injure erscheint es also sinnvoll, dem Gericht eine eigenständige Einordnung zuzubilligen.215 Insgesamt ergibt sich in der Rechtsprechung des obersten Gerichtshofs also ein zum Teil uneinheitliches Bild. Während in der Theorie die Abgrenzung zwischen diffamation und injure klar ist, lässt sich in der Praxis bei den Grenzfällen keine klare Linie ausmachen. Das geht so weit, dass im Schrifttum vereinzelt ein einheitliches Delikt der Ehrverletzung vorgeschlagen wird.216 Dagegen wird allerdings vorgebracht, dass die diffamation durch die stärkere Wirkungskraft von Tatsachen auf die öffentliche Reputation einen höheren Unrechtsgehalt habe und eine Trennung der Delikte daher zu befürworten sei.217 (b) Mischäußerungen Schwierigkeiten ergeben sich insbesondere daraus, dass Schriftstücke, Bilder oder Aussagen häufig sowohl die Behauptung ehrenrühriger Tatsachen als auch beleidigende Werturteile enthalten. Denn negative Meinungen beruhen oft auf ehrenrührigen Tatsachen und umgekehrt schwingt in der Behauptung einer Tatsache regelmäßig eine Wertung mit.218 Die Rechtsprechung differenziert in diesem Fall danach, ob die Äußerung teilbar ist.219 Davon ist insbesondere dann auszugehen, wenn das Werturteil nicht auf der Tatsachenbehauptung basiert, sondern unabhängig 212 Krit. z. B. Dreyer, in: JCl. Lois pénales spéciales, Presse et communication Fasc. 80, Rn. 21. 213 s. zu den verfahrensrechtlichen Anforderungen unten in diesem Kapitel C. I. 214 Dreyer, in: JCl. Lois pénales spéciales, Presse et communication Fasc. 80, Rn. 21. 215 Dreyer, in: JCl. Lois pénales spéciales, Presse et communication Fasc. 80, Rn. 21. 216 Derieux/Granchet-Valentin, Droit des médias, Rn. 1636; Viriot-Barrial, À la découverte de la notion d’injure et de diffamation, in: La liberté de la presse et le droit pénal, S. 35, 44 ff. 217 Dechenaud, in: JCl. Lois pénales spéciales, Presse et communication Fasc. 90, Rn. 8, der mit dieser Begründung die einheitliche Strafandrohung von diffamation und injure kritisiert. 218 Pinto, La liberté d’opinion et d’information, Rn. 178. 219 Merle/Vitu, Traité du droit criminel: Droit pénal spécial II, Rn. 1956 Fn. 1; Stegmann, Tatsachenbehauptung und Werturteil, S. 276 ff.
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ist.220 Ist dies der Fall, können beide Tatbestände nebeneinander zur Anwendung kommen.221 Beruht das Werturteil jedoch auf der Tatsache, absorbiert die diffamation die injure und eine Verfolgung ist nur auf der Grundlage der ersteren möglich.222 Das soll dem Verantwortlichen der Äußerung zugutekommen. Denn gelingt in dieser Konstellation der Wahrheitsbeweis der umstrittenen Tatsachenbehauptung, kommt eine strafrechtliche Verurteilung bezüglich der Wertung nicht mehr in Betracht.223 Fraglich ist die Einordnung, wenn die Bedeutung des Werturteils die der Tatsachenbehauptung überwiegt und letztere in den Hintergrund treten lässt. Wann den beleidigenden Aussagen neben der Tatsachenbehauptung eine eigene Bedeutung zukommt, wird in der Rechtsprechung regelmäßig an den Umständen des Einzelfalls festgemacht,224 sodass sich eine klare Linie bei der Abgrenzung nicht entdecken lässt.225 (2) Die atteinte à l’honneur ou à la considération Die behauptete Tatsache muss den honneur, die Ehre, oder die considération, das Ansehen, eines anderen betreffen. Wie oben gesehen226 soll der Begriff der Ehre auf das Selbstbild einer Person und das Ansehen auf ihre Geltung in der Gesellschaft bezogen sein. Die Differenzierung nach der objektiven und subjektiven Sichtweise ist jedoch zu relativieren. Denn weil die Verletzung der Ehre und die des Ansehens jeweils identische Rechtsfolgen auslösen,227 wird eine Differenzierung zwischen den beiden Begriffen von den Gerichten regelmäßig unterlassen.228 Zwar ist nach dem Wortlaut des Gesetzes eine tatsächliche Verletzung der Ehre erforderlich. Ohne eine Erklärung oder Begründung setzen allerdings Rechtsprechung229 und Literatur230 lediglich voraus, dass die Äußerung geeignet sein muss („de 220
CA Aix, 25. 02. 1954, JCP 1955 II, 8611. Cass. crim., 09. 03. 1912, D. 1913, I, 75; Cass. crim., 22. 02. 1966, Bull. crim. n8 62. 222 Cass. crim., 27. 10. 1893, D. 1897, I, 337, 342; Cass. crim., 28. 01. 1916, D. 1920 I, 95, 96; Cass. crim., 03. 05. 1956, JCP 1956 II, 9351; Cass. crim., 23. 06. 2009, n8 08-88.016, Bull. crim. n8 133; Cass. crim., 02. 10. 2012, n8 12-84.932, Bull. crim. n8 203; CA Aix, 25. 02. 1954, JCP 1955 II, 8611. 223 Cass. crim., 03. 05. 1956, JCP 1956 II, 9351; krit. zu dieser Argumentation: Stegmann, Tatsachenbehauptung und Werturteil, S. 279. 224 Stegmann, Tatsachenbehauptung und Werturteil, S. 290. 225 Pinto, La liberté d’opinion et d’information, Rn. 178; Viriot-Barrial, À la découverte de la notion d’injure et de diffamation, in: La liberté de la presse et le droit pénal, S. 35, 46. 226 Zu den Definitionen beider Begriffe s. oben in diesem Kapitel B. II. 1. und B. II. 2. a) bb) (2). 227 Bormann, Praxis des Persönlichkeitsschutzes, S. 21; Simon, Persönlichkeitsschutz gegen herabsetzende Karikaturen, S. 167. 228 So etwa Cass. 2ème civ., 17. 03. 1993, n8 91-17.875, Bull. civ. II n8 108; TGI Paris, 14. 03. 1982, GP 1982, JP 168; s. auch de Bellescize/Franceschini, Droit de la communication, S. 374. 229 Cass. crim., 18. 01. 1950, D. 1950, JP 281; Cass. crim., 28. 01. 1986, n8 84-95.573, Bull. crim. n8 36; TGI Paris, 14. 03. 1982, GP 1982, JP 168. 221
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nature à“), den Betroffenen in seiner Ehre oder seinem Ansehen zu beeinträchtigen. Dies rechtfertigt sich dadurch, dass eine tatsächliche Verletzung höchst subjektiv und damit unvorhersehbar ist und zudem von den Gerichten nicht überprüft werden kann. Irrelevant sind somit die Vorstellungen des Opfers von Ehre und Ansehen,231 seine eigene Bewertung der ihm vorgeworfenen Tatsachen232 sowie die bestehende öffentliche Meinung über das Opfer.233 Die Frage nach der Ehrverletzung kann demnach ausschließlich abstrakt und unabhängig von der Person des Betroffenen erfolgen;234 es wird im Wesentlichen auf die Beeinträchtigung einer „Modellperson“ abgestellt.235 Indem auch die Verletzung der Ehre – in der Theorie doch als rein subjektives Empfinden definiert – abstrakt festgestellt wird, nähert sie sich dem Begriff des Ansehens an.236 Eine Differenzierung zwischen beiden Merkmalen erscheint somit noch komplizierter und artifizieller. Eine atteinte à l’honneur et à la considération wird regelmäßig bei der Unterstellung einer Straftat anerkannt.237 Daneben kann aber auch der Vorwurf jedes Verhaltens, das mit moralischen Grundsätzen unvereinbar ist, eine Verletzung von Ehre und Ansehen bedeuten,238 wobei eine gewisse Erheblichkeitsschwelle überschritten werden muss.239
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Debbasch et al., Droit des médias, Rn. 2606; Dumas, Le droit de l’information, S. 388. s. auch Larguier/Conte/Fournier, Droit pénal spécial, S. 137, die betonen, dass ein Schaden („préjudice“) nicht erforderlich ist. 231 Cass. crim., 02. 07. 1975, GP 1975 II, JP 666; Cass. crim., 07. 11. 1989, n8 86-90.811, Bull. crim. n8 403. 232 Cass. crim., 28. 01. 1986, n8 84-95.573, Bull. crim. n8 36. 233 Cass. crim., 07. 11. 1989, n8 86-90.811, Bull. crim. n8 403. 234 Cass. crim., 18. 01. 1950, D. 1950, JP 281; Cass. crim., 02. 07. 1975, GP 1975 II, JP 666; Cass. crim., 28. 01. 1986, n8 84-95.573, Bull. crim. n8 36; Cass. crim., 07. 11. 1989, n8 8690.811, Bull. crim. n8 403; Dreyer, in: JCl. Lois pénales spéciales, Presse et communication Fasc. 80, Rn. 29. 235 Stegmann, Tatsachenbehauptung und Werturteil, S. 102 f. 236 Dreyer, in: JCl. Lois pénales spéciales, Presse et communication Fasc. 80, Rn. 29. 237 So z. B. für Diebstahl: Cass. 2ème civ., 19. 06. 1996, n8 94-20.515, Bull. civ. II, n8 153; Mord: CA Paris, 07. 06. 2001, Comm. com. électr. 2002, comm. 51; Korruption: CA Grenoble, 05. 07. 2001, JCP 2002, IV, 1559. Dieses Beispiel wird so häufig gebraucht, dass in der Literatur regelmäßig erwähnt wird, dass weder die Einordnung unter einen strafrechtlichen Tatbestand noch gar die Einleitung von Ermittlungen erforderlich ist (z. B. Dreyer, in: JCl. Lois pénales spéciales, Presse et communication Fasc. 80, Rn. 31). 238 Teillot, Religion et droit pénal, S. 94; Toulemon, Code de la presse, Art. 29 Rn. 7. 239 Dreyer, in: JCl. Lois pénales spéciales, Presse et communication Fasc. 80, Rn. 31.
B. Religionsfeindliche Äußerungen als strafbare Handlungen
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cc) Der Betroffene des Vorwurfs Die diffamierende Äußerung muss sich gem. Art. 29 al. 1 Pressefreiheitsgesetz gegen die Ehre oder das Ansehen der Person oder des corps240 richten, der oder dem die Tatsache vorgeworfen wird. Hintergrund dieses Kriteriums ist der Schutz der Meinungsfreiheit, die nur eingeschränkt werden darf, wenn dadurch wesentliche Werte geschützt werden.241 „Chacun doit pouvoir s’exprimer librement dès lors qu’il n’en découle aucune agression pour autrui“242 – Jeder darf sich frei äußern, solange sich daraus keine Aggression gegen einen anderen ergibt.Daraus resultiert, dass die Missbilligung von Ideen, Ideologien und auch Produkten und Leistungen grundsätzlich nicht unter Strafe gestellt wird.243 Schon früh betonte die Cour de cassation, dass selbst heftige Kritik an philosophischen, gesellschaftlichen oder religiösen Anschauungen unter dem Schutz des freien Rechts auf Diskussion steht und den Tatbestand der diffamation zumindest solange nicht erfüllen kann, wie sie nicht gegen bestimmte Personen gerichtet ist.244 Auch im Rahmen der diffamation religieuse darf nicht vergessen werden, dass dieses Merkmal stets erfüllt sein muss.245 Diese in der Theorie klare Trennung kann jedoch in der Praxis zu erheblichen Abgrenzungsschwierigkeiten führen, da es teilweise schwierig ist, eine Idee oder Überzeugung von den Personen zu trennen, die sie vertreten.246 Hier etwa unterscheidet sich die diffamation religieuse von der diffamation raciale. Während eine Kritik einer Person im Hinblick auf ihre Herkunft immer unzulässig erscheint, muss bei antireligiösen Äußerungen immer genau differenziert werden, ob es sich um eine strafbare Kritik der Personen oder um eine straflose Kritik der Religion handelt. Hierin äußert sich das spezifische Risiko dieses Tatbestandes, unter dem Deckmantel eines legitimen Verbots die Bestrafung von Ideen und Meinungen zu erlauben, die doch eigentlich durch das Pressefreiheitsgesetz verhindert werden sollte. Bei der Subsumtion unter die Voraussetzungen der Norm ist daher streng auf den eigentli240
Der Begriff corps in diesem Sinne lässt sich nicht eindeutig und ohne Missverständnisse übersetzen. Er ist für die diffamation religieuse aber auch ohne Bedeutung, da er sich ausschließlich auf die Beleidigung staatlicher Einrichtungen und Institutionen nach Art. 30 und 31 Pressefreiheitsgesetz bezieht. 241 s. dazu oben 2. Kapitel C. II. 1. 242 Dreyer, in: JCl. Lois pénales spéciales, Presse et communication Fasc. 80, Rn. 38. 243 de Lamy, Liberté d’opinion et droit pénal, Rn. 304 f.; ähnlich Teillot, Religion et droit pénal, S. 90. 244 Cass. crim., 16. 02. 1893, Bull. crim. n8 40; Merle/Vitu, Traité de droit criminel: Droit pénal spécial II, Rn. 1972. 245 Dreyer, in: JCl. Lois pénales spéciales, Presse et communication Fasc. 80, Rn. 38; ders., in: JCl. Lois pénales spéciales, Presse et communication Fasc. 100, Rn. 78; Monfort, Legipresse n8 300 (2012), II, 686, 689. 246 de Lamy, Liberté d’opinion et droit pénal, Rn. 305 f. Noch schwieriger ist die Abgrenzung der Kritik eines Produkt oder einer Leistung von der Kritik des Leistenden. Da dieses Problem sich aber bei Religionsbeschimpfung nicht stellen wird, soll darauf hier nicht eingegangen werden.
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4. Kap.: Strafbarkeit religionsfeindlicher Äußerungen in Frankreich
chen Betroffenen der Aussage zu achten. Während die Definition der diffamation in Art. 29 al. 1 Pressefreiheitsgesetz von einer personne oder einem corps spricht, bezieht sich die Strafbarkeitsbestimmung des Art. 32 al. 1 Pressefreiheitsgesetz auf einen particulier, also einen Einzelnen, eine Privatperson. Hierbei ist zu beachten, dass seit einem Grundsatzurteil der Cour de cassation247 auch eine juristische Person stets Person im Sinne der Ehrdelikte des Pressefreiheitsgesetzes sein kann. Eine Rechtspersönlichkeit in diesem Sinne wird dabei sämtlichen Kapital- und Personengesellschaften zugeschrieben.248 Diese Einbeziehung wird zwar in der Literatur zum Teil deshalb kritisiert, weil die „Ehre“ nur natürlichen Personen zustehe und bei juristischen Personen mit dem wirtschaftlichen Ansehen verwechselt werde.249 Diese Kritik ist jedoch vereinzelt geblieben. Auch wenn eingestanden wird, dass die Ehre von natürlichen und juristischen Personen nicht identisch ist, sei doch eine Verletzung auch bei letzteren möglich.250 Schwieriger ist die Frage der Diffamierungsfähigkeit nicht rechtsfähiger Personenmehrheiten. Nach der Rechtsprechung können diese als Ganze nicht diffamiert oder beleidigt werden, wohingegen bei kleineren Gruppen mit eindeutig identifizierbaren Mitgliedern eine Diffamierung sämtlicher Einzelpersonen möglich ist.251 Bei der diffamation raciale ou religieuse stellt sich dieses Problem allerdings nicht, da die Vorschrift ausdrücklich eine Diffamierung einer personne oder eines groupement de personnes vorsieht. Erfasst ist also auch eine Personenmehrheit unabhängig von ihrer Größe, solange sich ihre Zusammengehörigkeit aus den genannten Kriterien ergibt, hier insbesondere aus der Zugehörigkeit oder Nichtzugehörigkeit zu einer bestimmten Religion. Eine mehr oder weniger feste Organisationsstruktur innerhalb dieser Gruppe ist nicht erforderlich. Demnach ist die diffamation religieuse insofern weiter gefasst als der Grundtatbestand der diffamation gegen eine Person.252 Allerdings verlangt die Cour de cassation in ihrer neueren (und restriktiveren) Rechtsprechung, dass sich durch die Äußerung objektiv sämtliche Zugehörige der Gruppe in ihrer Ehre beeinträchtigt fühlen müssen; eine Betroffenheit nur einiger Mitglieder genügt nicht.253 247
Cass. crim., 12. 06. 1956, n8 55-3947, Bull. crim. n8 461; ebenso beispielsweise Cass. crim., 22. 03. 1966, JCP 1967 II, 15067. 248 Für die Personengesellschaften s. Art. 1842 Code civil, für Handelsgesellschaften, zu denen alle gängigen Kapitalgesellschaften gehören, s. Art. L. 210-6 Code du commerce. 249 Lucas-Schloetter, Droit moral et droits de la personnalité, Rn. 298; Tricot-Chamard, Contribution à l’étude des droits de la personnalité, Rn. 139 f. 250 Pradel/Danti-Juan, Droit pénal spécial, Rn. 490. 251 Vgl. hierzu Cass. crim., 16. 01. 1969, n8 67-93.841, Bull. crim. n8 35; Cass. crim., 06. 12. 1994, n8 92-86.239, JurisData n8 1994-002869; s. für eine Beleidigung einzelner Mitglieder eines Stadtrats Cass. crim., 28. 05. 1891, D. 1891, I, 399. 252 Dechenaud, in: JCl. Lois pénales spéciales, Presse et communication Fasc. 90, Rn. 39; Dreyer, Droit de l’information, Rn. 384; anders wohl Pinto, La liberté d’opinion et d’information, Rn. 200, der die Personengruppe als Unterfall des corps ansieht. 253 Cass. crim., 14. 02. 2006, n8 05-81932, Bull. crim. n8 42; deutlicher bei Capitani/Moritz, RLDI 2007/28, n8 920, 46, 49; Véron, Dr. pén. 2006, comm. 67.
B. Religionsfeindliche Äußerungen als strafbare Handlungen
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Betrifft die Äußerung eine Einzelperson, so muss diese nicht ausdrücklich mit Namen bestimmt sein; es reicht aus, wenn ihre Identität erkennbar ist.254 Für die Erkennbarkeit können neben der umstrittenen Äußerung selbst auch die Umstände der Veröffentlichung herangezogen werden.255 Zum Teil wurde sogar als ausreichend erachtet, dass die Identifikation zumindest dem näheren Bekanntenkreis des Opfers möglich ist.256 Im Bereich der diffamation religieuse ist allerdings eine Diffamierung einer Einzelperson höchst selten, in der Praxis beziehen sich solche Diffamierungen regelmäßig auf eine Mehrzahl von Gläubigen.257 dd) Die publication Die diffamation nach Art. 29 al. 1, 32 al. 2 Pressefreiheitsgesetz muss in der Begehungsweise des Art. 23 erfolgen, also vor allem öffentlich oder durch verbreitete Pressewerke. Zu den Details kann hier nach oben verwiesen werden.258 Die nicht öffentliche diffamation religieuse ist als contravention der 4. Kategorie in Art. R. 621-1 al. 1 Code pénal geregelt. Bis auf ihre nicht öffentliche Begehungsweise unterscheidet sie sich in ihren Voraussetzungen aber nicht von der diffamation publique des Pressefreiheitsgesetzes. Allerdings verlangt die Rechtsprechung unter Berufung auf die Meinungsfreiheit, dass die Äußerung in einem Kontext erfolgt, der jeglichen vertraulichen Charakter ausschließt („dans des conditions exclusives de tout caractère confidentiel“).259 Nicht tatbestandlich sind also etwa verschlossene Briefe an einzelne Personen. b) Das élément moral Auch hier ist sowohl ein allgemeiner Vorsatz als auch ein besonderes Motiv erforderlich.
254
Griolet/Vergé, Supplément au répertoire, Band 13, Rn. 872. Cass. crim., 16. 01. 1969, n8 93.841/67, Bull. crim. n8 35; Cass. crim., 30. 05. 2007, n8 06-84.713, Dr. pén. 2007, comm. 124. 256 Cass. 2e civ., 03. 02. 2000, n8 97-22.552, Bull. civ. II n8 23; Cass. crim., 30. 05. 2007, n8 06-84.713, Dr. pén. 2007, comm. 124. 257 Dreyer, in: JCl. Lois pénales spéciales, Presse et communication Fasc. 100, Rn. 80; ders., Responsabilités civile et pénales des médias, Rn. 694; s. dazu auch die im Folgenden untersuchte Rechtsprechung in diesem Kapitel B. II. 4. 258 s. oben in diesem Kapitel A. III. 259 Cass. crim., 30. 05. 2007, n8 06-86326, Bull. crim. n8 144; Cass. crim., 27. 10. 2009, n8 09-80722, JurisData n8 2009-050471; Cass. crim., 14. 05. 2013, n8 12-84042, Bull. crim. n8 105; zust. Véron, Droit pénal spécial, Rn. 250. 255
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4. Kap.: Strafbarkeit religionsfeindlicher Äußerungen in Frankreich
aa) Die intention coupable Erforderlich ist, dass dem Äußernden bewusst ist, dass seine Aussage geeignet ist, den oder die Betroffenen in seiner oder ihrer Ehre oder Ansehen zu verletzen.260 Was darüber hinaus verlangt wird, ist unklar. Die Cour de cassation wiederholt regelmäßig die Formel „les imputations diffamatoires sont réputées de droit faites avec l’intention de nuire“ – bei diffamierenden Beschuldigungen wird de jure eine Schädigungsabsicht vermutet.261 Diese Formel ist jedoch in mehrfacher Hinsicht missverständlich und mit dem geltenden Recht nicht zu vereinbaren. Zum einen scheint die Rechtsprechung eine über den Vorsatz hinausgehende intention de nuire, eine Schädigungsabsicht zu verlangen. Dabei ist aber zu beachten, dass dieses Vokabular wohl noch historisch geprägt ist, während die intention de nuire heute in einem engeren Sinn verstanden wird.262 Für die Cour de cassation ist aber ausreichend, dass im Sinne des früheren Verständnisses die diffamation nicht im Interesse des Betroffenen erfolgt, wovon in aller Regel auszugehen ist.263 Trotz der teilweise verwirrenden Formulierungen ist also im Ergebnis keine besondere Schädigungsabsicht zu verlangen.264 Aber auch die mauvaise foi wird von der Cour de cassation vermutet. Das scheint auf Art. 35bis Pressefreiheitsgesetz265 zurückzugehen. Allerdings betrifft dieser dem Wortlaut nach ausschließlich die wiederholte Verbreitung bereits veröffentlichter Diffamierungen und ist als Vermutungsregel zulasten des Angeklagten eng auszulegen.266 Zudem wandte die Rechtsprechung die Vermutungsregel schon vor Inkrafttreten der Norm an.267 Tatsächlicher Ursprung dieser Vermutung ist die in Rechtsprechung und Literatur weit verbreitete Annahme, dass die Verwirklichung der äußeren Merkmale der diffamation ohne Vorsatz nicht denkbar sei.268 „On ne dit 260 Dreyer, in: JCl. Lois pénales spéciales, Presse et communication Fasc. 80, Rn. 50; Rassat, Droit pénal spécial, Rn. 534. 261 Cass. crim., 12. 06. 1987, n8 86-90.410, Bull. crim. n8 247; Cass. crim., 07. 11. 1989, n8 86-90.811, Bull. crim. n8 403; ähnlich auch Cass. crim., 16. 03. 1993, n8 91-81.819, Bull. crim. n8 115. 262 Dreyer, in: JCl. Lois pénales spéciales, Presse et communication Fasc. 80, Rn. 50; zu den noch vagen Interpretationen im 19. Jahrhundert s. Pageaud, JCP 1950 I, 876. 263 Cass. crim., 12. 06. 1956, n8 2295/55, Bull. crim. n8 460. 264 So auch Dreyer, in: JCl. Lois pénales spéciales, Presse et communication Fasc. 80, Rn. 50; Rassat, Droit pénal spécial, Rn. 534. 265 „Toute reproduction d’une imputation qui a été jugée diffamatoire sera réputée faite de mauvaise foi, sauf preuve contraire par son auteur.“ – Für jede Weiterverbreitung einer gerichtlich als diffamierend beurteilten Äußerung wird der Vorsatz des Handelnden vermutet, es sei denn, er beweist das Gegenteil. 266 de Lamy, Liberté d’opinion et droit pénal, Rn. 327; Dreyer, in: JCl. Lois pénales spéciales, Presse et communication Fasc. 80, Rn. 51. 267 Cass. crim, 26. 02. 1875, D. 1877, I, 186. 268 Chavanne, in: Droit de la presse, Fasc. 142 Rn. 99; Debbasch et al., Droit des médias, Rn. 2602; Dumas, Le droit de l’information, S. 365 f.; Bouloc, Droit pénal général, Rn. 271
B. Religionsfeindliche Äußerungen als strafbare Handlungen
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pas du mal de quelqu’un sans raison et la raison habituelle est qu’on lui veut du mal“269 – Man sagt nicht ohne Grund etwas Schlechtes über einen anderen und der übliche Grund ist, dass man ihm schaden will. Die einzige vorstellbare Ausnahme sei, dass der Täter auf Grund geistiger Defizite die Ehrverletzung nicht zu erkennen vermöge.270 Mangels rechtlicher Grundlage wird die Anwendung der Vermutungsregel von Teilen der Literatur zu Recht kritisiert.271 Die Cour de cassation hat sich dieser Kritik allerdings bislang nicht gebeugt und ihre Auslegung als mit der Unschuldsvermutung aus Art. 6 Abs. 2 der Europäischen Menschenrechtskonvention vereinbar angesehen.272 Mit der Begründung, problematisch sei hier nicht die Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes, sondern dessen Auslegung, lehnt sie auch mehrfach eine question prioritaire de constitutionnalité273 ab,274 sodass sich der Conseil constitutionnel nicht mit der Verfassungsmäßigkeit der Vorsatzvermutung befassen konnte. Die Zulässigkeit der Vermutung stützt sie auch darauf, dass es dem Beschuldigten freistehe, die Vermutung im Prozess zu widerlegen.275 Nicht ausreichend ist hierfür allerdings, bloße Zweifel an der mauvaise foi des Täters276 oder seinen Glauben an die Richtigkeit der vorgeworfenen Tatsachen277 darzulegen. Stattdessen muss der positive Gegenbeweis erfolgen, dass der Täter mit bonne foi gehandelt hat. Die dogmatische Einordnung dieses Gegenbeweises ist zweifelhaft.278 Im allgemeinen Fn. 4; ähnlich auch Auvret, in: Droit de la presse, Fasc. 121, Rn. 38 ff. Toulemon, JCP 1970, I, 2310, begründet dies damit, dass es sich bei der diffamation in erster Linie um ein „intellektuelles, moralisches“ Delikt handele, bei der Vorsatz und Motiv anders als bei den übrigen Delikten kaum zu trennen seien. Krit. zu dieser Vermutungsregel Goulesque, RSC 1978, 445, 450; Rassat, Droit pénal spécial, Rn. 534 f. 269 Goulesque, RSC 1978, 445, 450. 270 Conte, in: Mélanges Chavanne, S. 49, 55; Merle/Vitu, Traité du droit criminel: Droit pénal spécial II, Rn. 1553. 271 Dreyer, in: JCl. Lois pénales spéciales, Presse et communication Fasc. 80, Rn. 52; Rassat, Droit pénal spécial, Rn. 534 f. 272 Cass. crim., 25. 11. 2003, n8 03-83.219, JurisData n8 2003-021734. 273 s. hierzu oben 2. Kapitel C. I. 1. 274 Cass crim., 31. 05. 2010, n8 09-87.578, D. 2010, 1486; Cass. crim., 21. 06. 2011, n8 1190.046 QCP, GP 2011, 3026; Cass. crim., 13. 03. 2012, n8 11-90.123, bei Dreyer, D. 2013, 457, 463 f. 275 Cass. crim., 25. 11. 2003, n8 03-83.219, JurisData n8 2003-021734; Cass. crim., 21. 06. 2011, n8 11-90.046 QCP, GP 2011, 3026. 276 Cass. crim., 16. 05. 1973, n8 72-92685, Bull. crim. n8 225; Bouloc, Droit pénal général, Rn. 271 Fn. 4; Rassat, Droit pénal spécial, Rn. 534. 277 Cass. crim., 24. 11. 1960, n8 92.720/59, Bull. crim. n8 551; Cass. crim., 13. 01. 1987, n8 85-93.987, Bull. crim. n8 16; Cass. crim., 04. 01. 1996, n8 94-83.585, D. 1998, somm., 84, mit Anm. Bigot. 278 Unklar sind etwa die Äußerungen der Cour de cassation in Cass. crim., 16. 05. 1973, n8 72-92685, Bull. crim. n8 225: „Attendu que les imputations diffamatoires sont réputées de droit faites avec intention coupable et que cette iprésomption ne peut disparaître qu’en présence de faits justificatifs suffisants pour faire admettre la bonne foi“ – In Anbetracht dessen, dass bei
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4. Kap.: Strafbarkeit religionsfeindlicher Äußerungen in Frankreich
Strafrecht bedeutet bonne foi „qu’on n’avait pas l’intention coupable, c’est soutenir que l’acte ne traduit pas le désir vrai, qu’il y a eu erreur ou imprévu“ – dass man keinen Vorsatz hatte, dass der Erfolg nicht den wahren Willen widerspiegelt, dass ein Irrtum vorliegt oder etwas Unvorhergesehenes geschehen ist.279 Wird folglich dargelegt, dass der Täter inconscient, unbewusst gehandelt hat, er also auf Grund geistiger Mängel nicht erkannt hat, dass er die Ehre und das Ansehen des Betroffenen verunglimpft, ist dies Teil des élément moral.280 Gleiches gilt auch, wenn der Täter sich der Öffentlichkeit seiner Äußerung nicht bewusst ist.281 Ein solches, restriktives Verständnis der bonne foi würde allerdings ihrer Bedeutung bei den Pressedelikten nicht gerecht. Sie ist in diesem Rahmen nicht als bloßer Gegenbegriff zur mauvaise foi zu verstehen.282 Neben der Widerlegung der Vorsatzvermutung beinhaltet der Beweis der bonne foi bei Pressedelikten auch den großen Bereich der Wahrnehmung legitimer Interessen. Dieser Aspekt wird jedoch von der überwiegenden Literatur nicht dem élément moral, sondern den faits justificatifs, vergleichbar mit deutschen Rechtfertigungsgründen, zugeordnet.283 Dafür spricht, dass es sich um eine Konstellation handelt, in der ein üblicherweise strafbares Verhalten ausnahmsweise rechtmäßig ist, weil der Täter mit seiner Handlung einem Zweck dient, dessen Schutz in der konkreten Situation dem von der übertretenen Norm geschützten Gut vorgehen soll.284 Die bonne foi soll deshalb auch hier in diesem Zusammenhang erörtert werden.285 Ob bei einem solche Verständnis der bonne foi jedoch das Argument, dass die Vermutungsregel auf Grund ihrer Widerlegbarkeit die das Prinzip der Unschuldsvermutung nicht tangiere, noch durchschlagen kann, ist zweifelhaft. bb) Das mobile antireligieux Wie bei der provocation à la haine religieuse ist auch bei der diffamation religieuse neben dem allgemeinen Vorsatz ein dol spécial in Form eines rassistischen diffamierenden Behauptungen die vorsätzliche Begehung vermutet wird und diese Vermutung nur durch Rechtfertigungsgründe widerlegt werden kann, die ausreichend sind, die Gutgläubigkeit anzuerkennen; ähnlich auch CA Paris, 14. 12. 1993 und 10. 05. 1994, D. 1995, somm., 272, mit Anm. Bigot. 279 Pageaud, JCP 1950 I, 876. 280 Conte, in: Mélanges Chavanne, S. 49, 52 ff.; vgl. hierzu auch die deutsche Sicht auf die Unklarheit der Einordnung bei Stegmann, Tatsachenbehauptung und Werturteil, S. 340. 281 CA Paris, 17. 10. 1956, GP 1956 II, JP 368; s. dazu auch Massis/Dupeux/Bourg, Injure, in: Rép. Pén., Rn. 107 ff. 282 Goulesque, RSC 1978, 445, 454; s.a. Conte, in: Mélanges Chavanne, S. 49, 52. 283 Chavanne, JCP 1954, II 8247; Conte, in: Mélanges Chavanne, S. 49, 55 f. Teillot, Religion et droit pénal, S. 122, sieht dies als Ausnahme der Pressedelikte im Vergleich zum droit commun. 284 Diese Definition der faits justificatifs beruht auf Robert, Droit pénal général, S. 251. 285 s. zu den Voraussetzungen des Rechtfertigungsgrundes unten in diesem Kapitel B. II. 2. c) bb).
B. Religionsfeindliche Äußerungen als strafbare Handlungen
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Motivs erforderlich. Die Formulierung „auf Grund ihrer […] Zugehörigkeit oder Nichtzugehörigkeit zu […] einer bestimmten Religion“ macht einen „intellektuellen Kausalzusammenhang“ zwischen der Religion des Betroffenen und der diffamierenden Äußerung erforderlich.286 Auch bei der Diffamierung wird dieses Merkmal in Rechtsprechung und Literatur nur oberflächlich behandelt. Teilweise erfolgen unter dieser Überschrift Ausführungen zur sinnvollen Grenzziehung zwischen Meinungsund Religionsfreiheit.287 Dies ist allerdings nicht im Rahmen des rassistischen Motivs zu beantworten. Denn die Abwägung der betroffenen Rechte kommt bei der diffamation erst bei den faits justificatifs zum Tragen: Solange eine sorgfältige Prüfung ergibt, dass die ehrverletzende Tatsachenbehauptung öffentlich geäußert wurde, ist der Tatbestand der diffamation schon durch die Ehrverletzung des Betroffenen erfüllt. c) Faits justificatifs Bei der diffamation gelten allgemein drei Rechtfertigungsgründe: Die Immunität von Parlamentariern und Beteiligten eines gerichtlichen Verfahrens, der Beweis der Wahrheit der vorgeworfenen ehrenrührigen Tatsache sowie die bonne foi, der gute Glauben an die Rechtmäßigkeit des Handelns. Die Immunitätsregeln folgen aus Art. 41 Pressefreiheitsgesetz, sollen hier aber mangels praktischer Relevanz für die Untersuchung nicht weiter erörtert werden. Es bleiben also der Wahrheitsbeweis und die bonne foi, die im Rahmen der diffamation religieuse sehr unterschiedliche Auswirkungen haben. aa) Die exceptio veritatis Gemäß Art. 35 al. 3288 Pressefreiheitsgesetz kann der Täter stets die Wahrheit seiner Aussage beweisen. Durch diesen Beweis ist sein Handeln gerechtfertigt,289 da 286
Dreyer, in: JCl. Lois pénales spéciales, Presse et communication Fasc. 100, Rn. 83. Dreyer, in: JCl. Lois pénales spéciales, Presse et communication Fasc. 100, Rn. 84, der aber im folgenden Abschnitt diese Ungenauigkeit behebt. 288 „La vérité des faits diffamatoires peut toujours être prouvée, sauf: a) Lorsque l’imputation concerne la vie privée de la personne.“ – Die Wahrheit der diffamierenden Tatsachen kann stets bewiesen werden, es sei denn a) die Tatsache betrifft das Privatleben der Person. Die Ausnahmen b) und c), die sich auf Tatsachen bezogen, die bereits seit 10 Jahren vergangen sind bzw. auf Straftaten, die verjährt sind oder derentwegen Amnestie gewährt wurde, wurden durch zwei Entscheidungen des Conseil constitutionnel als verfassungswidrig erachtet und abgeschafft (CC, 20. 05. 2011, n8 2011-131 QPC; CC, 07. 06. 2013, n8 2013-319 QPC). 289 So die wohl herrschende Auffassung, s. Cass. crim., 02. 03. 1954, n8 91.523/63, Bull. crim. n8 94; Cass. crim., 03. 07. 1996, n8 94-82.647, Bull. crim. n8 283. Teilweise wird die exceptio veritatis auch als „cause d’immunité“ (Immunitätsgrund) oder „excuse absolutoire“ (freisprechende Entschuldigung) eingeordnet (Cass. crim., 21. 10. 1964, Bull. crim. n8 273 bzw. Cass. crim., 19. 06. 1969, n8 90.361/69, Bull. crim. n8 208; Auvret, in: JCl. Comm. Fasc. 3130, Rn. 297). Da sie aber das Recht auf die Äußerung wahrer Tatsachen, das von der Meinungs287
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jeder Mensch wahre Äußerungen über sein Verhalten hinnehmen muss. Bei wahren Aussagen überwiegen Meinungsfreiheit und Informationsrecht der Bürger über das Recht des Betroffenen, seine Taten zu verheimlichen.290 In der Literatur wird daraus zum Teil das Fazit gezogen, dass das französische Strafrecht ausschließlich die calomnie, die Verleumdung, nicht aber die médisance, die üble Nachrede, unter Strafe stellt.291 Die Cour de cassation stellt hohe Anforderungen an den Wahrheitsbeweis;292 eine Rechtfertigung ist strengen prozeduralen und inhaltlichen Regelungen unterworfen. Zum einen bestimmt Art. 55 Pressefreiheitsgesetz, dass der Äußernde innerhalb von zehn Tagen nach seiner Ladung nicht nur angeben muss, den Wahrheitsgehalt welcher Äußerungen er genau beweisen will, sondern auch seine Beweismittel sowie die von ihm hinzuzuziehenden Zeugen zu benennen hat. Demnach besteht hier eine Ausnahme vom Amtsermittlungsgrundsatz: Das Gericht ist nicht verpflichtet, die Wahrheit der behaupteten Tatsachen zu ermitteln, die Beweisführungslast liegt allein beim Beschuldigten.293 Zum anderen muss der Beweis der fraglichen Tatsache „non partielle, mais complète et absolue“, vollständig und unbedingt, sein.294 Dies beinhaltet, dass die ehrenrührigen Äußerungen in allen ihren Elementen und in ihrem gesamten Aussagegehalt bewiesen werden müssen. Auch Art. 35 stellt eigene Voraussetzungen an den Wahrheitsbeweis. So ist nach Art. 35 al. 3 a) Pressefreiheitsgesetz der Beweis der Wahrheit dann nicht zulässig, wenn sich die genannten Tatsachen auf das Privatleben der betroffenen Person beziehen. Auf diese Weise soll der Schutz der Privatsphäre des Opfers gewährleistet werden. Vorliegend ist jedoch eine von der Rechtsprechung geschaffene Ausnahme von größerer Bedeutung: In inzwischen ständiger Rechtsprechung betonen sowohl die Instanzgerichte als auch die Cour de cassation, dass der Beweis der Wahrheit der vorgeworfenen Tatsachen im Rahmen der diffamation raciale et religieuse nicht zulässig ist.295 Die Rechtsprechung erklärt die Ausnahme damit, dass dies dem
freiheit umfasst ist, garantiert und die Äußerung wahrer Tatsachen sozial angemessen ist, enthält sie die wesentlichen Merkmale eines fait justificatif. 290 Dreyer, in: JCl. Lois pénales spéciales, Presse et communication Fasc. 80, Rn. 60. 291 Bouloc, D. 2009. 1373, 1374; Dreyer, in: JCl. Lois pénales spéciales, Presse et communication Fasc. 80, Rn. 62; Rassat, Droit pénal spécial, Rn. 543; anders de Lamy, Liberté d’opinion et droit pénal, Rn. 303; Mallet-Poujol, D. 1998, 432, 434. 292 Massis, D. 1994, somm.,194, 195. 293 Auvret, in: JCl. Comm. Fasc. 3130, Rn. 320. 294 Cass. crim., 16. 03. 1948, Bull. crim. n8 98; Cass. crim., 07. 12. 1950, Bull. crim. n8 280. 295 Grundlegend TGI Paris, 04. 07. 1994, Légipresse n8 114 (1994), I, 97 und CA Paris, 28. 09. 1995, Légipresse n8 129 (1996), III, 19; krit. zu der Argumentationsstruktur Véron, Dr. pén. 2004, comm. 102. Die Cour de cassation hat sich dieser Rechtsprechung erst implizit, dann ausdrücklich angeschlossen: Cass. crim., 16. 03. 2004, n8 03-82.828, Bull. crim. n8 67; Cass. crim., 28. 03. 2006, n8 05-80.634, Bull. crim. n8 90, allerdings ohne dies zu begründen, Véron,
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Schutzzweck der Verbotsnorm zuwiderlaufe.296 Denn es würde ja dazu führen, dass gerade der Hass gegen durch ihre Herkunft bestimmte Personengruppen geschürt werde, wenn der Beweis versucht wird, dass ihnen insgesamt bestimmte Tatsachen vorzuwerfen sind. Eine gesetzliche Grundlage zu diesem Ausschluss gibt es nicht. Einen Hinweis darauf kann allerdings ein Vergleich mit der diffamation non publique geben: Dort ist für die einfache Diffamierung in Art. R. 621-1 Code pénal die exceptio veritatis ausdrücklich vorgesehen, während sie bei der diffamation raciale et religieuse keine Erwähnung findet. In der Literatur wird die Unzulässigkeit des Wahrheitsbeweises teilweise mangels gesetzlicher Grundlage kritisiert.297 Andererseits betonen einige Autoren, dass der Beweis der Wahrheit bei der diffamation raciale et religieuse wenn auch nicht unzulässig, so doch unmöglich zu erbringen sei,298 da es regelmäßig an dem Kausalzusammenhang zwischen der Herkunft einer Person und dem ihr vorgeworfenen Verhalten fehle. Dem ist für die diffamation raciale im engeren Sinne auch zuzustimmen, für die diffamation religieuse gilt es allerdings nicht uneingeschränkt. Die Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft ist anders als die Herkunft von einer freien Entscheidung des Betroffenen geprägt und beruht auf übereinstimmenden Überzeugungen und Werten. Wenn die Mitglieder nun auf Grund dieser Überzeugungen ein bestimmtes Verhalten an den Tag legen, ist ihnen dies als Gesamtheit vorzuwerfen und auch der notwenige Zusammenhang zwischen Gruppenzugehörigkeit und Verhalten kann aufgestellt werden. Der Beweis der Wahrheit ist dann weder unmöglich noch verstößt er gegen den ordre public.299 Wenn betont wird, dass dies nicht für den Fall gelte, dass dem Glauben selbst eine ehrenrührige Tatsache unterstellt wird,300 ist dies überflüssig, da dann schon der Tatbestand der diffamation nicht erfüllt ist. Trotzdem ist zu beachten, dass ein Wahrheitsbeweis zwar denkbar ist, aber nur selten gelingen wird. bb) Die bonne foi Der Rechtfertigungsgrund der bonne foi ist gesetzlich nicht geregelt, sondern von der Rechtsprechung301 zum Schutz des „bon diffamateur“302 zu einer Zeit entwickelt Dr. pén. 2006, comm. 83. s. zur Rechtslage vor 1982 schon Cass. crim., 11. 07. 1972, n8 7093.211, Bull. crim. n8 236. 296 TGI Paris, 04. 07. 1994, Légipresse n8 114 (1994), I, 97. 297 Véron, Droit pénal spécial, Rn. 247. 298 Dreyer, in: JCl. Lois pénales spéciales, Presse et communication Fasc. 80, Rn. 68; ders., in: JCl. Lois pénales spéciales, Presse et communication Fasc. 100, Rn. 87. 299 So auch Teillot, Religion et droit pénal, S. 131. 300 Teillot, Religion et droit pénal, S. 131 f. 301 Cass. crim, 27. 10. 1938, D. 1939 I, S. 77. 302 Der Begriff des „guten Diffamierers“ geht auf Goulesque, RSC 1978, 445, zurück; s. aber auch schon Mimin, D. 1939 I, 77, 79.
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worden, bevor eine Rechtfertigung durch die exceptio veritatis möglich war.303 Gemeint ist damit jemand, der ehrenrührige Tatsachen über einen Dritten aus einer anerkannten Motivation heraus, also mit „bonne foi“, verbreitet. Diese Ausnahme dient sowohl der Sicherung der Informationsfreiheit als auch der Meinungsfreiheit.304 Auf den ersten Blick scheint der Begriff bonne foi allein als Gegenbegriff zur mauvaise foi die fehlende Vorsätzlichkeit einer Handlung zu beschreiben. Trotz dieser missverständlichen Bezeichnung ergibt sich im Fall der diffamation ein größerer Anwendungsbereich für die bonne foi als lediglich die Widerlegung der Vorsatzvermutung.305 Die Voraussetzungen der bonne foi müssen in der Person des Verfassers des diffamierenden Textes vorliegen.306 Können sie bei ihm nachgewiesen werden, gilt die Rechtfertigung nicht nur für ihn, sondern auch für den nach dem Presserecht als Haupttäter verfolgten directeur de la publication.307 Die Voraussetzung der Rechtfertigung wegen bonne foi wurden schon früh von der Literatur herausgearbeitet.308 Zunächst wird die sincérité, die Aufrichtigkeit des Äußernden verlangt,309 das heißt, dass dieser nicht aus persönlicher Feindseligkeit handelt und die Tatsachen, von denen er Kenntnis erlangt hat, für wahr hält und ohne Verfälschung objektiv weitergibt. Dass der Beweis der Wahrheit tatsächlich erbracht werden kann, ist aber nicht erforderlich.310 Im Unterschied zur Rechtfertigung durch die exceptio veritatis ist also nicht die objektive Wahrheit oder Unwahrheit der vorgeworfenen Tatsache, sondern die Vorstellung des Handelnden von Bedeutung. Als zweite Voraussetzung wird verlangt, dass die Veröffentlichung aus einem legitimen Motiv heraus erfolgt.311 Sie muss also einem Zweck dienen, der im konkreten Fall höher zu bewerten ist als Ehre und Ansehen der Betroffenen. Diese Bedingung
303 Diese wurde erst durch Art. 6 der ordonnance du 6 mai 1944 relative à la répression des délits de presse auf die Diffamierung von Privatpersonen ausgeweitet. 304 de Lamy, Liberté d’opinion et droit pénal, Rn. 326. 305 s. oben in diesem Kapitel B. II. 2. b) aa). De Lamy, Liberté d’opinion et droit pénal, Rn. 327; ders., D. 1998, 499, bezeichnet die bonne foi im Bereich der diffamation deshalb auch als faux ami, falscher Freund. 306 Guerder, Presse (Procédure), in: Rép. Pén., Rn. 274. 307 Cass crim., 11. 09. 2007, n8 05-87.628, Bull. crim. 2007, n8 198. Dies gilt aber nicht für die Teilnehmer nach dem allgemeinen Strafrecht, CA Riom, 03. 09. 2003, n8 03/00182. 308 Die von Mimin, D. 1939 I, 77, aus dem Urteil herausgelesenen Voraussetzungen werden heute noch regelmäßig zitiert, s. z. B. de Lamy, Liberté d’opinion et droit pénal, Rn. 328 ff.; Teillot, Religion et droit pénal, S. 124 f. s. hierzu auch die ausführliche Erklärung der Bedingungen in deutscher Sprache bei Stegmann, Tatsachenbehauptung und Werturteil, S. 341 ff. Die einzelnen Kriterien finden sich in den Urteilen der Cour de cassation wieder, ohne dass jedoch eine übergreifende Darstellung sämtlicher Voraussetzungen erfolgt. 309 Cass. crim., 09. 07. 1980, n8 79-91.618, Bull. crim. n8 219; Cass. crim., 06. 07. 1993, n8 91-83.246, Bull. crim. n8 242. 310 Cass. crim., 17. 06. 2008, n8 07-80.767, Bull. crim. n8 151. 311 Dreyer, in: JCl. Lois pénales spéciales, Presse et communication Fasc. 80, Rn. 123; Merle/Vitu, Traité du droit criminel: Droit pénal spécial I, Rn. 1953; Mimin, D. 1939 I, 77, 79.
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erklärt auch die Einordnung als Rechtfertigungsgrund.312 In Betracht kommt insbesondere die berechtigte Information der Öffentlichkeit, nicht aber die bloße Befriedigung ihrer Neugier.313 Die Veröffentlichung muss das Ziel haben, „salutaire“, heilsam, und „utile“, nützlich, für das gesellschaftliche Zusammenleben zu sein.314 Ausnahmsweise werden also im Rahmen der bonne foi innere Motive und Fernziele des Täters berücksichtigt, die für den Vorsatz nach allgemeiner Ansicht außer Betracht bleiben.315 Die dritte Voraussetzung ist die (für Rechtfertigungsgründe typische) Verhältnismäßigkeit zwischen der diffamierenden Äußerung und dem verfolgten Ziel: „L’imputation diffamatoire doit être proportionnée au but légitime“.316 In diesem Erfordernis zeigt sich, dass es bei der Rechtfertigung schließlich stets zur Abwägung der beiden vertretenen Interessen kommen muss. In der Praxis hat das Kriterium allerdings nur geringe Bedeutung.317 Es steht aber in engem Zusammenhang mit der prudence, Umsicht, des Täters bei der Veröffentlichung der Äußerung als vierter Voraussetzung.318 Die prudence erfasst insbesondere die Pflicht zu einer maßvollen Formulierung, 319 zur Vermeidung von Übertreibungen oder Entgleisungen in der Wortwahl320 sowie zu einer vollständigen Recherche zur Aufklärung der Wahrheit der Tatsachen.321 In Bezug auf die ausreichende Recherche zeigt sich die Cour de cassation äußerst streng und verlangt die Bemühungen zur Wahrheitsaufklärung auch dann, wenn nur in Form eines Interviews Äußerungen eines Dritten wiedergegeben werden.322 Diese vier Kriterien werden zwar in der Literatur weitgehend einheitlich anerkannt, in der Rechtsprechung zeigt sich allerdings ein eher uneinheitliches Bild. Die Anwendung der Voraussetzungen variiert nach den Umständen des Einzelfalls; es 312
de Lamy, Liberté d’opinion et droit pénal, Rn. 330. Mimin, D. 1939 I, 77, 79. 314 Mimin, D. 1939 I, 77, 79; zust. de Lamy, Liberté d’opinion et droit pénal, Rn. 330; Stegmann, Tatsachenbehauptung und Werturteil, S. 345. 315 Mimin, D. 1939 I, 77, 79. 316 Mimin, D. 1939 I, 77, 79; zust. Dumas, Le droit de l’information, S. 425 f.; de Lamy, Liberté d’opinion et droit pénal, Rn. 331. 317 Stegmann, Tatsachenbehauptung und Werturteil, S. 347, der darauf verweist, dass die Voraussetzung deshalb bei Bilger/Prévost, Droit de la presse, S. 61, und Solal/Gatineau, Communication – Presse écrite et audiovisuelle, S. 90, überhaupt nicht angeführt wird. Diese Voraussetzung ganz ablehnend Dreyer, in: JCl. Lois pénales spéciales, Presse et communication Fasc. 80, Rn. 123. 318 Grundlegend Mimin, D. 1939 I, 77, 80; ebenso Cass. crim. 16. 05. 1995, n8 93-83.690, Bull. crim. n8 175; zust. de Lamy, Liberté d’opinion et droit pénal, Rn. 331 f. 319 Cass. 2e civ., 03. 07. 2003, n8 00-15.468; Bull. civ. II n8 228; TGI Paris, 14. 09. 2005, Légipresse n8 233 (2006), III, 144. 320 Stegmann, Tatsachenbehauptung und Werturteil, S. 351. 321 Cass. crim., 16. 03. 2004, n8 03-82.453, Bull. crim. n8 66. 322 Cass. crim., 08. 04. 2008, n8 07-82.972, bei Dupeux/Massis, D. 2009, 1779, 1783; anders TGI Paris, 16. 02. 1999, D. 2000. somm., 404, mit Anm. Dupeux; CA Riom, 03. 09. 2003, n8 03/ 00182. 313
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wurden mehrere Fallgruppen entwickelt, in denen eine andere Bewertung erforderlich sein soll. So können etwa die Anforderungen an die prudence gesenkt werden, wenn das Thema des Berichts ein für die Gesellschaft besonders wichtiges darstellt.323 Weitere Besonderheiten können im Bereich der Politik324 oder der Wissenschaft325 auftreten. Schließlich zeigen sich Abweichungen ebenfalls für satirische oder humoristische Darstellungen, die auch unter dem Stichwort droit à l’humour, einem Recht auf Humor verortet werden.326 Zwar wird dem Äußernden auch in diesem Bereich keine Immunität zugestanden,327 ein humoristischer Angriff gegen eine Person erscheint aber für Ehre und Ansehen weniger schädlich als ein ernster.328 Daher werden die Anforderungen an die bonne foi „an das jeweilige Genre angepasst“,329 sodass bei Karikaturen und Satiren einige Voraussetzungen erleichtert werden. Zum einen genüge als but légitime der Wille, andere zum Lachen zu bringen, weil sich die soziale Funktion des Humoristen notwendigerweise durch Exzess gegenüber den Mächtigen offenbare.330 Auch die sonst notwendige prudence könne schon auf Grund 323 So etwa für Vorwürfe gegen einen Arzt im Falle HIV-verseuchter Blutkonserven: CA Paris, 14. 12. 1993, D. 1995, somm., 272, mit Anm. Bigot. Noch weiter ging die Cour de cassation zugunsten eines Journalisten, der einen Staatsanwalt der Rechtsbeugung verdächtigte, Cass. crim., 12. 05. 2009, n8 08-85.732, Bull. crim. n8 88, krit. hierzu Agostini, D. 2009, 2316. 324 Zwar besteht auch im Bereich der politischen Auseinandersetzung – nicht einmal im Wahlkampf – eine Immunität der Beteiligten, Cass. crim., 11. 01. 1883, D. 1884, I, 372. Trotzdem werden Politikern im Rahmen der „politischen Polemik” weitere Handlungsspielräume zugebilligt, Cass. crim., 29. 07. 1899, D. 1902, I, 118; Cass. crim., 23. 03. 1978, n8 7790.339, Bull. crim. n8 115 mit der Begründung: „les citoyens ont le droit d’être renseignés sur de telles opinions ou doctrines et […] dans le domaine de la polémique politique touchant à des sujets de cette nature, le fait justicatif de la bonne foi, propre à la diffamation, n’est pas nécessairement subordonné à la prudence dans l’expression de la pensée“ – Die Bürger haben das Recht, über derartige Meinungen oder Lehren informiert zu werden und im Bereich der politischen Auseinandersetzung, die sich mit derartigen Inhalten beschäftigt, unterliegt der Rechtfertigungsgrund der bonne foi, der der diffamation eigen ist, nicht notwendigerweise der Umsicht im Ausdruck der Gedanken; ebenso Cass. crim., 09. 07. 1980, n8 79-91.618, Bull. crim. n8 219. 325 Für Historiker gelten im Allgemeinen relativ hohe Anforderungen an die Feststellung einer bonne foi, die Rechtsprechung zeigt sich nicht bereit, im Namen der Wissenschaft ihre Kriterien zu verändern: Cass. crim. 16. 05. 1995, n8 93-83690, Bull. crim. n8 175; TGI Paris, 24. 11. 1969, JCP 1970 II, 16217. Krit. insb. zu der Strenge im Bereich der prudence bei historischen Texten Carbonnier, D. 1951, Chron. 119, 121; Mallet-Poujol, D. 2000, 226, 230, die ein „konformistisches“ Geschichtsbild befürchten. 326 de Lamy, Liberté d’opinion et droit pénal Rn. 351 ff. 327 TGI Paris, 09. 01. 1992, D. 1994, somm., 195, mit Anm. Bigot. 328 De Lamy, Liberté d’opinion et droit pénal Rn. 351. 329 TGI Paris, 09. 01. 1992, D. 1994, somm., 195, mit Anm. Bigot. 330 TGI Paris, 09. 01. 1992 und 16. 02. 1993, D. 1994, somm., 195, mit Anm. Bigot. Die Cour de cassation setzt dieser Rechtsprechung allerdings Grenzen, indem sie sie nicht auf humoristische Beiträge im Rahmen von Informationssendungen bezieht, Cass. crim., 29. 11. 1994, n8 92-85.281, Bull. crim. n8 382; krit. hierzu Bigot, D. 1997, somm., 74, 75.
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der speziellen Ausdrucksweise des Humoristen nicht erwartet werden,331 denn Übertreibung, Exzess und Subjektivität machten gerade das Wesen der Darstellungsform aus. Damit wird sichergestellt, dass Karikaturen und Satiren prinzipiell ein weiterer Spielraum zusteht als ernstzunehmenden Äußerungen. Diese unterschiedliche Gewichtung der Voraussetzungen, auch als „souplesse“, Geschmeidigkeit der bonne foi bezeichnet,332 weist darauf hin, dass die Gerichte ihre Entscheidungshoheit bewahren wollen, um in jedem Einzelfall eine konkrete Abwägung treffen zu können.333 Fraglich ist, ob der Rechtfertigungsgrund der bonne foi auf die diffamation raciale et religieuse anzuwenden ist. Parallel zum Ausschluss der exceptio veritatis wird dies zum Teil unter Berufung auf den Schutzzweck des Verbots verneint: „La malveillance est inhérent aux propos ou aux écrits inspirés d’un esprit d’hostilité envers des groupes ethniques, raciaux ou religieux“334 – In Äußerungen oder Schriften, die ihren Ursprung in einer Feindseligkeit gegen ethnische, rassische oder religiöse Gruppen haben, ist die bösartige Absicht notwendigerweise enthalten. Mag dies für eine rassistische Diffamierung zutreffend sein, gilt es jedoch nicht zwingend auch für eine diffamation religieuse. Denn während über die Mitglieder einer Religionsgemeinschaft auf Grund der Freiwilligkeit der Zugehörigkeit335 eher allgemeingültige Aussagen getroffen werden können, gilt dies nicht für eine durch die Herkunft bestimmte Personengruppe. Außerdem ist die Kritik an einer Religion ein wesentlicher Bestandteil der Demokratie; sie kann anders als die Kritik an Personen einer bestimmten Herkunft durchaus ein legitimes Interesse verfolgen.336 Allerdings sind der bonne foi auch in diesem Bereich enge Grenzen gesetzt. Denn die Unterstellung einer nicht erweislich wahren Tatsache gegenüber den Mitgliedern der Religionsgemeinschaft kann nur in Ausnahmefällen ein geeignetes Mittel zur freien Diskussion über Glaubensinhalte sein. Zu beachten ist darüber hinaus, dass wie in allen Fällen der bonne foi eine angemessene Ausdrucksweise gewahrt wird. Eine Anwendung des Rechtfertigungsgrunds wäre beispielsweise denkbar, wenn in vorsichtigen Formulierungen mit dem Ziel der öffentlichen Information den Mitgliedern einer „neuen
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Bigot, D. 1994, somm., 195, 196. Beignier, L’honneur et le droit, S. 161. 333 Bigot, D. 1995, somm., 273, 274; Bilger/Prévost, Droit de la presse, S. 63; Stegmann, Tatsachenbehauptung und Werturteil, S. 358. 334 Merle/Vitu, Traité de droit criminel: Droit pénal spécial II, Rn. 1972; ähnlich auch de Lamy, Liberté d’opinion et droit pénal, Rn. 335. s. auch Dreyer, Responsabilités civile et pénale des médias, Rn. 513: „reprocher à autrui un fait attentatoire à son honneur ou à sa considération compte tenu de sa race ou de sa religion ne peut trouver aucune justification“ – Jemandem eine ehrenrührige Tatsache vorzuwerfen, die auf seiner Rasse oder Religion beruht, kann nicht gerechtfertigt sein. 335 s. dazu auch oben in diesem Kapitel B. II. 2. c) aa). 336 So auch Lavau, Liberté d’expression contre liberté de religion, Rn. 545; Teillot, Religion et droit pénal, S. 125 f. 332
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Religionsgemeinschaft“ vorgeworfen wird, durch ihr Verhalten die Gesellschaft zu gefährden.337 3. Die Voraussetzungen der injure religieuse Die injure wird durch Art. 29 al. 2 Pressefreiheitsgesetz als eine kränkende Äußerung, ein Ausdruck von Geringschätzung oder eine Beschimpfung, die keine Tatsachenbehauptung enthält, definiert. Unter Strafe gestellt wird die injure publique simple durch Art. 33 al. 2, die injure publique raciale et religieuse durch Art. 33 al. 3 Pressefreiheitsgesetz. a) Das élément matériel Art. 29 al. 2 Pressefreiheitsgesetz definiert die injure als expression outrageante, termes de mépris ou invective qui ne renferme l’imputation d’aucun fait. Verlangt wird also eine Ehrverletzung, die nicht aus einer Tatsachenbehauptung resultiert. aa) Die beleidigende Äußerung (1) Das Fehlen einer Tatsachenbehauptung Im Unterschied zur diffamation darf die injure per definitionem keine Behauptung einer konkreten und bestimmten Tatsache beinhalten; sie wird also im Wesentlichen negativ definiert. Eine ehrenrührige Tatsachenaussage kann also nicht als injure bestraft werden. Umgekehrt ist aber nicht jede Äußerung, die keinen fait précis et déterminé enthält, unter den Tatbestand der injure zu fassen.338 So wird etwa bei einem Mangel an Bestimmtheit der vorgeworfenen Tatsache nicht automatisch eine injure angenommen, sondern die Äußerung als opinion oder als von der Meinungsfreiheit geschützt angesehen.339 Neben der Bestrafung als injure oder diffamation bleibt also ein straffreier Raum für Kritik.340 (2) Die Formen der injure Art. 29 al. 2 Pressefreiheitsgesetz sieht drei Formen der injure vor. Dabei ist unter einer expression outrageante eine kränkende, den Betroffenen in seinem Stolz 337 Ein ähnliches Beispiel findet Teillot, Religion et droit pénal, S. 126, die auf das Geschehen zurückgreift, das der Entscheidung Cass. crim., 14. 12. 1999, n8 98-87.529, Bull. crim. n8 305 zugrunde lag. 338 Dreyer, in: JCl. Lois pénales spéciales, Presse et communication Fasc. 80, Rn. 22. 339 Auvret, in: JCl. Comm. Fasc. 3130, Rn. 137; Mallet-Poujol, Légipresse n8 218 (2005), II, 1, 2. 340 Cass. 1ère civ., 14. 05. 2009, n8 08-15.903, Bull. civ. I n8 93.
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verletzende Äußerung zu verstehen,341 während die termes de méprise als Ausdruck der Geringschätzung eine Aussage darstellen, die den Gegenüber in seiner Würde nicht respektiert und ihn vor der Öffentlichkeit erniedrigt.342 Die invective, Schmähung, geht darüber hinaus, indem sie nicht nur ehrverletzend, sondern von besonderer Grobheit geprägt ist.343 In der Rechtsprechung findet allerdings keine Unterscheidung der verschiedenen Arten statt; die Aufzählung will vor allem signalisieren, dass viele Formen der injure denkbar sind.344 Insgesamt gilt als Beleidigung also eine abwertende Äußerung, die durch ihre negative Bewertung die Ehre oder das Ansehen des Betroffenen verletzt.345 Vielmehr lässt sich zwischen einer formellen und einer inhaltlichen Beleidigung unterscheiden.346 Bei der ersteren ergibt sich die Ehrverletzung schon aus dem Gebrauch eines Schimpfwortes oder eines vergleichbaren groben oder vulgären Ausdrucks, während sich bei der letzteren die negative Bewertung aus dem Inhalt des Vorwurfs, nicht aber aus einer besonderen Wortwahl ergibt.347 Die zentrale Frage stellt sich in der Abgrenzung zwischen zulässiger Meinungsäußerung und unzulässiger Beleidigung. Bei formellen Beleidigungen ist diese noch relativ leicht zu beantworten: Wer seinen Gegenüber mit vulgären Schimpfworten versieht, macht sich nach Art. 29 al. 2 in Verbindung mit Art. 33 al. 2 oder 3 Pressefreiheitsgesetz strafbar. Dabei wandelt sich die Rechtsprechung mit den Ansichten in der Gesellschaft: Manche Ausdrücke, die früher als grob und damit unangemessen empfunden wurden, werden heute nicht mehr als injure bestraft.348 Schwieriger ist die Abgrenzung bei abwertenden Meinungen, die sich keiner vulgären Ausdrucksweise bedienen.349 Hier muss eine Abwägung zwischen der Ehre des Betroffenen und der Meinungsfreiheit des Äußernden getroffen werden, damit die Strafbarkeit der injure nicht eine fruchtbare und nützliche Debatte verhindert. Häufig wiederholt wird dabei, dass Kritik, auch scharfe und beißende, erlaubt sein muss, 341 Dechenaud, in: JCl. Lois pénales spéciales, Presse et communication Fasc. 90, Rn. 22; ähnlich auch de Lamy, Liberté d’opinion et droit pénal, Rn. 368. 342 Merle/Vitu, Traité de droit criminel: Droit pénal spécial II, Rn. 1956; zust. de Lamy, Liberté d’opinion et droit pénal, Rn. 368. 343 Le Poittevin, Traité de la presse II, Rn. 754; ähnlich auch Bilger/Prévost, Droit de la presse, S. 65; Stegmann, Tatsachenbehauptung und Werturteil, S. 95. 344 Bilger/Prévost, Droit de la presse, S. 65; Stegmann, Tatsachenbehauptung und Werturteil, S. 96. 345 Dechenaud, in: JCl. Lois pénales spéciales, Presse et communication Fasc. 90, Rn. 22; Mallet-Poujol, in: Traité de droit de la presse et des médias, Rn. 803; Stegmann, Tatsachenbehauptung und Werturteil, S. 96. 346 Diese Unterscheidung geht zurück auf de Geuser, L’immunité judiciaire, S. 41 f. 347 de Lamy, Liberté d’opinion et droit pénal, Rn. 368 ff. 348 Dechenaud, in: JCl. Lois pénales spéciales, Presse et communication Fasc. 90, Rn. 29; Mallet-Poujol, in: Traité de droit de la presse et des médias, Rn. 804. 349 s. hierzu auch de Lamy, Liberté d’opinion et droit pénal, Rn. 377, der ausschließlich die Beleidigung durch vulgäre Sprache verbieten lassen will und alle inhaltlichen Beleidigungen straflos lassen will.
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solange sie sich auf das Werk oder die Leistung einer Person beziehen; unzulässig sei jedoch die Aggression gegen die Person selbst.350 Eine abstrakte Abgrenzung zwischen legitimer Kritik und unzulässiger Herabwertung ist in der französischen Rechtsprechung insgesamt nicht auszumachen; regelmäßig stützen sich die Gerichte auf die Eigenheiten des Einzelfalls. So dürfen und müssen insbesondere auch die éléments extrinsèques, die äußeren Umstände, für die Bewertung der Äußerung hinzugezogen werden.351 Hierzu gehören insbesondere die Elemente, die bei der diffamation im Rahmen des Rechtfertigungsgrundes der bonne foi aufgegriffen werden.352 Ein weiterer Spielraum wird dem Äußernden also etwa dann zugestanden, wenn das abwertende Werturteil im Rahmen einer satirischen oder humoristischen Darstellung getätigt wird: Dann kann der Täter unter Berücksichtigung des droit à l’humour, des Rechts auf Humor, privilegiert werden.353 Dabei ist jedoch zu beachten, dass der Freiheit der Meinungsäußerung auch im satirischen Bereich Grenzen gesetzt sind. Diese werden insbesondere dann überschritten, wenn dem Täter eine intention de nuire (Schädigungsabsicht) nachgewiesen werden kann oder wenn er die Würde des Betroffenen durch persönliche Attacken verletzt.354 Gleiches gilt für Äußerungen im parteipolitischen Bereich, insbesondere im Wahlkampf. Wenn auch kein uneingeschränktes Recht auf persönliche Angriffe eröffnet wird, so ist doch zu beobachten, dass sich die Grenze der Zulässigkeit zwischen Meinungsfreiheit des Äußernden und Ehre des Betroffenen zugunsten des ersteren verschiebt.355 bb) Der Betroffene des Vorwurfs In Bezug auf den Betroffenen der Äußerung gleichen sich diffamation und injure. Auch Beleidigungen müssen sich in der Grundform gegen eine Person oder einen corps richten, während im Rahmen der Qualifikation der injure religieuse das Opfer entweder eine Person oder eine Personengruppe auf Grund ihrer Zugehörigkeit oder Nichtzugehörigkeit zu einer bestimmten Religion sein muss. Zwar ergibt sich das 350 Cass. 2e civ., 17. 02. 1993, n8 91-16.723, Bull. civ. II, n8 67; Cass. 2e civ., 23. 01. 2003, n8 01-12.848, Bull. civ. II n8 15; Cass. 1ère civ., 30. 05. 2006, n8 05-16.437, Bull. civ. I n8 274. 351 „Il appartient aux tribunaux de relever toutes les circonstances de fait extrinsèques qui donnent une portée injurieuse ou diffamatoire à des écrits ou imprimés ne présentant pas par eux-mêmes ce caractère, et qui sont de nature à révéler au public leur véritable sens“ – Es obliegt den Gerichten, alle tatsächlichen äußeren Umstände herauszuarbeiten, die Schriften oder Drucken, die aus sich heraus noch keine beleidigende oder diffamierende Bedeutung haben, eine solche zu verleihen vermögen und die der Öffentlichkeit deren tatsächlichen Aussagekern offenbaren (Cass. crim., 23. 11. 1907, Bull. crim. n8 476; für die diffamation: Cass. crim., 06. 11. 1973, n8 92.825/72, Bull. crim. n8 402; Cass. crim., 15. 03. 1983, JCP 1984, II, 20145). 352 Zur Unanwendbarkeit der bonne foi auf die injure, s. u. in diesem Kapitel B. II. 3. c) aa). 353 Cass. crim. 13. 02. 2001, n8 00-85.853. 354 TGI Paris, 14. 02. 2003, Légipresse n8 200 (2003), I, 45. 355 de Lamy, Liberté d’opinion et droit pénal, Rn. 375 ff.
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Erfordernis eines bestimmbaren Betroffenen bei der injure nicht unmittelbar aus dem Gesetz, diese Voraussetzung ist jedoch allgemein anerkannt.356 cc) Die öffentliche Begehungsweise Wie schon die provocation à la haine und die diffamation, so muss auch die injure öffentlich, also durch die Pressemittel des Art. 23 Pressefreiheitsgesetz erfolgen.357 Fehlt es an diesem Erfordernis, liegt nur eine Übertretung nach Art. R. 621-2 bzw. 624-4 al. 1 Code pénal vor. b) Das élément moral Schließlich stimmt auch die subjektive Tatseite der injure religieuse weitgehend mit der diffamation religieuse überein. Der allgemeine Vorsatz, die mauvaise foi oder intention coupable, wird widerlegbar vermutet,358 während das darüber hinausgehende mobile antireligieux von der Anklage dargelegt werden muss.359 Für die injure non publique hat die Rechtsprechung entschieden, dass ebenfalls eine Vorsatzvermutung gilt.360 Das ist insofern ungewöhnlich, als dass der Beweis des fehlenden Vorsatzes möglich ist, obwohl üblicherweise bei contraventions gar kein subjektives Element verlangt wird.361 c) Die faits justificatifs und excuses der injure religieuse Auch bei der injure kann unter Umständen trotz Bestehen des élément matériel die Strafbarkeit entfallen. Nicht in Betracht kommt hier allerdings die exceptio veritatis. Dies ergibt sich zum einen aus Art. 35 al. 3 Pressefreiheitsgesetz, der sich ausdrücklich nur auf die diffamation bezieht (missverständlich ist hingegen Art. 35 al. 2), zum anderen aber auch aus der Definition der injure, die eben voraussetzt, dass der Äußerung keine konkrete Tatsachenbehauptung entnommen werden kann. Die Äußerung ist somit dem Beweis nicht zugänglich, sodass die exceptio veritatis schon aus logischen Gründen unanwendbar ist. Uneinheitlich beantwortet wird hingegen die Frage, ob eine Rechtfertigung wegen bonne foi in Betracht kommt. Eigens für die injure eingefügt hat der Gesetzgeber demgegenüber die excuse de provocation, den Entschuldigungsgrund der Provokation. 356 Merle/Vitu, Traité de droit criminel: Droit pénal spécial II, Rn. 1956; Dechenaud, in: JCl. Lois pénales spéciales, Presse et communication Fasc. 90, Rn. 37. s. zu den Voraussetzungen oben in diesem Kapitel B. II. 2. a) cc). 357 s. hierzu oben in diesem Kapitel A. III. 358 s. hierzu oben in diesem Kapitel B. II. 2. b) aa). Für die Anwendung der Vermutungsregel bei der injure s. CA Paris, 02. 03. 1995, Dr. pén. 1995, comm. 121. 359 s. hierzu oben in diesem Kapitel B. II. 2. b) bb). 360 Cass. crim., 16. 03. 1973, n8 69-91840, Bull. crim. n8 91. 361 Véron, Droit pénal spécial, Rn. 254.
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aa) Die Rechtfertigung wegen bonne foi Unklar ist, ob dieser für die diffamation entwickelte Rechtfertigungsgrund auch auf die injure anwendbar ist. Ausdrücklich wurde eine Rechtfertigung von der höchstrichterlichen Rechtsprechung bislang nicht angenommen. Einzelne untergerichtliche Entscheidungen bejahen allerdings eine Rechtfertigung wegen bonne foi mit dem Hinweis auf ihr Erscheinen in Satirezeitschriften oder im Rahmen von politischer Polemik.362 Es spricht allerdings mehr dafür, diese Abwägung schon im élément matériel der injure zu verorten. Da für die Beurteilung, ob eine Äußerung beleidigend ist, schon auf sämtliche äußeren Umstände zurückgegriffen wird, verbleibt für eine darüber hinausgehende Rechtfertigung kein eigener Raum. Zudem passen die klassischen Voraussetzungen der bonne foi als Rechtfertigungsgrund nicht auf die injure. So kann eine Beleidigung niemals ein geeignetes Mittel sein, um die Öffentlichkeit zu informieren, da sie weder Stütze noch Ersatz einer Argumentation sein kann.363 Enthält sie einen (für die diffamation aber nicht ausreichend präzisen) Tatsachenkern, hat der Autor zumindest nicht ausführlich genug recherchiert, um dem Betroffenen eine konkrete Handlung vorzuwerfen.364 Zu dieser Auslegung passt auch, dass die Rechtsprechung betont, dass allein die Entschuldigung wegen Provokation geeignet ist, der Beleidigung die Strafbarkeit zu nehmen.365 Wenn im Einzelfall eine bonne foi angenommen wird, so ist dies im Rahmen der injure ausschließlich als Vorsatzausschluss zu verstehen.366 bb) Die Entschuldigung wegen provocation Als einzig denkbarer Strafbarkeitsausschluss bleibt damit die provocation. Diese wird durch das Gesetz in Art. 33 al. 2 Pressefreiheitsgesetz angesprochen;367 die Herausarbeitung der Voraussetzungen obliegt aber der Rechtsprechung. Die Rechtsnatur der provocation ist umstritten.368 Da aber Einigkeit darüber besteht, dass 362 CA Versailles, 23. 02. 1999, Legipresse n8 160 (1999), I, 37 f.; TGI Paris, 10. 04. 1992, Legipresse n8 94 (1992), III, 93. 363 CA Montpellier, 08. 02. 1984, GP 1984 II, somm. 342. 364 de Lamy, Liberté d’opinion et droit pénal, Rn. 380. 365 Cass. crim., 10. 05. 2006 n8 05-82.971, Dr. pén. 2006, comm. 135. 366 de Lamy, Liberté d’opinion et droit pénal, Rn. 381; Stegmann, Tatsachenbehauptung und Werturteil, S. 401 f. 367 „[…] lorsqu’elle n’aura pas été précédée de provocations […]“ – es sei denn, ihr gehen Provokationen voraus. 368 Während die Rechtsprechung sich mit dem Begriff excuse begnügt, s. z. B. Cass. crim., 13. 04. 1999, n8 98-81.625, Bull. crim. n8 77; Cass. crim., 15. 03. 2005, n8 04-84.831, Bull. crim. n8 89; Cass. 1ère civ., 25. 02. 2010, n8 09-12.961, Bull. civ. I n8 48; bezeichnet die herrschende Lehre die provocation als excuse absolutoire, heute auch cause légale d’exemption de la peine, Strafausschließungsgrund: Chavanne, JCP 1954, II 8247; de Lamy, Liberté d’opinion et droit pénal, Rn. 384; Lassalle, Provocation, in: Rép. Pén., Rn. 3; Mallet-Poujol, in: Traité de droit de la presse et des médias, Rn. 818. Teilweise wurde auch ein fait justificatif
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im Falle einer provocation jede Form der Bestrafung ausgeschlossen ist, soll hier auf eine Auseinandersetzung mit der abstrakten Differenzierung zwischen Entschuldigungs- und Schuldausschließungsgründen im französischen Recht, die im Übrigen auch dort mangels Relevanz zum Teil gescheut369 wird, unterbleiben und sich den Voraussetzungen der provocation zugewandt werden. Nach der Rechtsprechung der Cour de cassation kann die Provokation nur in beleidigenden Äußerungen oder Schriften sowie in sonstigen Handlungen liegen, die geeignet sind, den Täter der Beleidigung in seiner Ehre oder seinem Ansehen oder auch in seinen finanziellen oder moralischen Interessen zu verletzen.370 Die Provokationshandlung muss rechtlich missbilligt sein, aber nicht notwendigerweise die Voraussetzungen eines Straftatbestandes erfüllen.371 Sie kann außer gegen den Beleidigenden auch gegen eine ihm nahestehende Person gewendet sein,372 andererseits muss sich die darauf folgende Beleidigung gegen denjenigen selbst richten, von dem die Provokation ausgeht.373 Sie muss weiterhin auch in einem direkten inhaltlichen Zusammenhang zu der Provokation stehen374 und verhältnismäßig sein.375 Weiterhin muss sie als Reaktion auf die Provokation in einem délai raisonnable, in einer angemessenen Frist, erfolgen. Einen festen Zeitrahmen hierfür nennt die Rechtsprechung nicht: Erforderlich, aber auch ausreichend ist, dass vernünftigerweise anzunehmen ist, dass der Beleidigende sich noch unter dem Einfluss der Gefühlsregung befindet, die die Provokation bei ihm ausgelöst hat.376 Insgesamt stellt die Cour de cassation inzwischen relativ hohe Anforderungen an das Vorliegen einer provocation.377 Fraglich ist, ob die provocation auch bei diskriminierenden Beleidigungen anwendbar ist. Der Wortlaut des Gesetzes spricht zunächst nicht dagegen: Obwohl die provocation ausdrücklich nur in Art. 33 al. 2 Pressefreiheitsgesetz vorgesehen ist, kann doch durch den Zusatz „commise dans les mêmes conditions“, unter den angenommen, Le Poittevin, Traité de la presse II, Rn. 820; für eine solche Einordnung de lege ferenda heute noch Pradel/Danti-Juan, Droit pénal spécial, Rn. 532. 369 Dechenaud, in: JCl. Lois pénales spéciales, Presse et communication Fasc. 90, Rn. 68. 370 Cass. crim., 10. 05. 2006 n8 05-82.971, Dr. pén. 2006, comm. 135: „Attendu que la provocation en matière d’injure ne peut résulter que de propos, d’écrits injurieux, et de tous autres actes de nature à atteindre l’auteur de l’infraction, soit dans son honneur ou sa considération, soit dans ses intérêts pécuniaires ou moraux“. 371 Cass. crim. 16. 04. 1985, n8 83-94.866, Bull. crim. no 140; Chavanne, in: Droit de la presse, Fasc. 151, Rn. 80; de Lamy, Liberté d’opinion et droit pénal, Rn. 383. 372 Cass. crim. 15. 04. 1959, n8 91.747/58, Bull. crim. n8 226. 373 Cass. crim., 13. 04. 1967, n8 93.467/65, Bull. crim. n8 121; Cass. crim. 21. 03. 1972, n8 90.853/70, Bull. crim. n8 116; Cass. crim. 04. 12. 1973, n8 90.513/73, Bull. crim. n8 448. 374 Cass. crim., 17. 02. 1981, n8 79-92.748, Bull. crim. n8 64. 375 Stegmann, Tatsachenbehauptung und Werturteil, S. 406. 376 Cass. crim., 13. 01. 1966, JCP 1966, IV 26, zust. de Lamy, Liberté d’opinion et droit pénal, Rn. 383. 377 Mallet-Poujol, in: Traité de droit de la presse et des médias, Rn. 818.
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gleichen Voraussetzungen begangen, ein Verweis des Art. 33 al. 3 Pressefreiheitsgesetz auch auf die provocation angenommen werden. In diesem Sinne hat die Rechtsprechung auch im Fall einer injure raciale die Voraussetzungen zumindest geprüft.378 Allerdings lehnte die Cour de cassation einen Ausschluss der Strafe wegen Provokation unter anderem mit der Begründung ab, im Hinblick auf den Gehalt und den rassistischen Charakter der Beleidigung bestehe keine Verhältnismäßigkeit zwischen der Provokation und der Reaktion darauf.379 Nimmt man dieses Argument ernst, geht man also davon aus, dass eine rassistisch motivierte Beleidigung niemals in einem angemessenen Verhältnis zur Provokation stehen kann, kann die provocation nie zum Ausschluss einer Strafbarkeit wegen injure raciale führen.380 Eine Provokation erfolgt regelmäßig durch einen Einzelnen, es ist somit gar nicht möglich, einen legitimen Zusammenhang seines Angriffs zu seiner Herkunft herzustellen. Anders als bei den faits justificatifs der diffamation besteht hier auch kein Unterschied zu einer Beleidigung, die sich auf die Zugehörigkeit zu einer Religion bezieht.381 Denn wenn ein Einzelner provokative Äußerungen macht, besteht keine legitime Veranlassung, darauf im Hinblick auf seine Religion oder seine religiösen Anschauungen zu reagieren. Hierfür spricht auch, dass im Rahmen der nicht öffentlichen Beleidigungen eine excuse de provocation nur für die Beleidigung einzelner in Art. R. 621-2, nicht aber für die diskriminierende Beleidigung in Art. R. 624-4 al. 1 Code pénal vorgesehen ist. Geht der religionsbezogenen Beleidigung hingegen eine ebenfalls religionsbezogene beleidigende Äußerung voraus, wird man im Ergebnis eine Entschuldigung zulassen müssen. Zwar ergibt sich diese insoweit nicht aus dem Wortlaut der betreffenden Normen. Sofern man allerdings hinnimmt, dass jemand, der beleidigt wurde, auch seinerseits beleidigt, kommt man nicht umhin, einem religiös oder rassistisch Diffamierten auch eine ebensolche Äußerung zu erlauben. Anders als in der zuvor geschilderten Konstellation besteht dann eine hinreichende Verhältnismäßigkeit zwischen der Äußerung und der Reaktion.
378 Im Fall der in Frankreich zu einer Bekanntheit gekommenen Beschimpfung eines französischen Politikers mit afrikanischen Wurzeln durch Jean-Maire Le Pen als „gros zébu fou“ (fettes, verrücktes Buckelrind): Cass. crim., 13. 04. 1999, n8 98-81.625, Bull. crim. n8 77. Eine vergleichbare Anwendung auf die injure religieuse ist bislang nicht erfolgt. 379 „Qu’eu égard à la teneur et au caractère racial de l’injure incriminée, il n’y a pas de proportionnalité entre l’attaque et la riposte“; Cass. crim., 13. 04. 1999, n8 98-81625, Bull. crim. n8 77. 380 So de Lamy, Liberté d’opinion et droit pénal, Rn. 385, der deswegen zum Ergebnis kommt, dass die excuse de provocation nicht auf die injure discriminatoire anzuwenden ist. 381 So auch Teillot, Religion et droit pénal, S. 134 f.
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4. Bestrafung religionsfeindlicher Äußerungen als diffamation oder injure religieuse Nachdem die Tatbestände der diffamation und injure religieuses abstrakt dargestellt wurden, soll nun ihre Anwendung auf religionsfeindliche Äußerungen untersucht werden. Zunächst fällt auf, dass hierzu wesentlich mehr Entscheidungen ergangen sind als zur provocation à la haine religieuse. Der größte Teil der Prozesse betrifft die christlichen Religionen, Entscheidungen mit Bezug auf den Islam mehren sich erst in den letzten Jahren.382 Bei einer Analyse der Rechtsprechungsgeschichte wird offenbar, dass sich die religionsbezogenen Alternativen, die ursprünglich ebenfalls dem Minderheitenschutz und dem Kampf gegen Rassismus dienen sollten, von den übrigen Qualifikationsmerkmalen emanzipiert haben. a) Entwicklung eines Religionsschutzes über den Minderheitenschutz hinaus In den ersten Jahren nach der Einführung der Qualifikationstatbestände wurden sie zunächst ausschließlich auf rassistisch motivierte Äußerungen angewandt, Verfahren im religiösen Bereich gab es nicht. Mitte der 1980er Jahre begannen zunächst die Zivilrichter im einstweiligen Rechtsschutz, Filmplakate auf Grund der Profanierung religiöser Symbole zu verbieten, da diese einen „trouble mainfestement illicite aux sentiments religieux des croyants“ darstellten.383 Wenig späteren Anträgen, die sich auf blasphemische Filme bezogen, wurde hingegen nicht stattgegeben.384 Einige Jahre später wurden auch Strafprozesse über religionskritische Äußerungen eingeleitet. Diese Entwicklung begann mit der Verurteilung eines Schriftstellers, der sich in einem Interview in einer französischen Wochenzeitschrift negativ über das Karmel von Auschwitz geäußert und dieses mit einem Drogenkartell verglichen hatte. Die Unterstellung krimineller Vorgehensweisen gegenüber einer Glaubenskongregation verletze nicht nur die Ehre deren Mitglieder, sondern auch sämtlicher Gläubigen, die sich ihr zugehörig fühlen.385 Nur wenig später folgte eine weitere Verurteilung; diesmal eines Schriftstellers und eines Verlegers, nachdem sich ersterer in einem Interview mit der Tageszeitung Le Figaro dahingehend geäußert hatte, dass die katholischen Kirchen des Ostens häufig rassistisch und antisemitisch ge-
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So nennt Boulègue, Le blasphème au procès, S. 75, den Fall Houellebecq aus dem Jahr 2001, TGI Paris, 22. 10. 2002, unveröffentlicht, s. Le Monde, v. 24. 10. 2002, S. 12, als erste Initiative der muslimischen Religionsschützer. Von besonderer Bedeutung sind daneben die Entscheidungen zu den Mohammed-Karikaturen: CA Paris, 12. 03. 2008, n8 07/02873, Légipresse n8 252 (2008), III, 107; TGI Paris, 22. 03. 2007, Légipresse n8 242 (2007), III, 123. 383 CA Paris, 23. 10. 1984, II, JP, 728 – Ave Maria; TGI Paris, 26. 10. 1984, GP 1984 II, JP, 727; krit. Bertin, GP 1984 II, doctr., 534 f. 384 CA Dijon, 22. 03. 1988, D. 1988, IR, 141; CA Paris, 27. 09. 1988, D. 1988, IR, 258; TGI Paris, 28. 01. 1985, D. 1985, JP, 129. 385 Cass. crim., 16. 04. 1991, 90-87.509, Bull. crim. n8 182; Cass. crim., 07. 12. 1993, n8 9281.094, Bull. crim. n8 373; Cass. crim., 30. 01. 1996, 94-83.980 – Carmel d’Auschwitz.
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prägt seien.386 Durch diese Entscheidungen konnte die diffamation religieuse unabhängig von Minderheitenschutz und Antirassismus ihre selbstständige Schutzrichtung etablieren, die auch in der Literatur anerkannt wurde.387 Nach der Festigung dieser Emanzipation wurde die Rechtsprechung, allen voran die Cour de cassation jedoch diesbezüglich zurückhaltender. So entwickelte sie nach und nach besondere Anforderungen und Kriterien, die für eine Verurteilung wegen diffamation oder injure religieuse vorliegen müssen. b) Grundsätze der Rechtsprechung zum strafrechtlichen Religionsschutz Als Grundlage der Darstellung der aktuellen Rechtsprechung bietet sich die Entscheidung des Tribunal de Grande Instance von Paris388 zur Strafbarkeit der Veröffentlichung der dänischen Mohammed-Karikaturen durch eine französische Satirezeitschrift an. Anders als der regelmäßig ohne tiefgreifende Begründungen entscheidende oberste Gerichtshof setzt sich das Tribunal de Grande Instance in seinem Urteil zunächst mit den Hintergründen der Strafbarkeit von Religionsfeindlichkeit, also mit den sich gegenüberstehenden Rechten der Betroffenen auseinander. Auf der einen Seite nennt das Gericht die Meinungsfreiheit in ihrer Ausprägung, die sie durch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte erhalten hat. Sie gelte nicht nur für Informationen oder Ideen, die in der Gesellschaft gerne gehört oder die als harmlos oder gleichgültig angesehen werden, sondern auch für diejenigen, die verletzten, schockierten oder beunruhigten, wie es die Prinzipien des Pluralismus und der Toleranz verlangten, die in einer durch die Koexistenz zahlreicher Glaubensrichtungen und Konfessionen geprägten Epoche besonders geboten seien.389 Auf der anderen Seite stehe vor allem ein droit à une jouissance paisible de la liberté de religion, ein Recht auf einen friedlichen Gebrauch der Religionsfreiheit, das aber weder durch das Gericht noch durch die hierzu erschienene Literatur weiter konkretisiert wird. Aus dem Zusammenspiel dieser Grundprinzipien stellt das Gericht eine Formel auf, die die Frage nach der Strafbarkeit religionsfeindlicher Äußerungen zusammenfasst: „Attendu qu’en France, société laïque et pluraliste, le respect de toutes les croyances va de pair avec la liberté de critiquer les religions quelle qu’elles soient et avec celle de représenter des sujets ou objets de vénération religieuse; que le blasphème, qui outrage la divinité ou la religion, n’y est pas réprimé, à la différence de l’injure, dès lors qu’elle constitue 386
Cass. crim., 02. 03. 1993, n8 91-84.653; Bull. crim. n8 94; Cass. crim., 03. 10. 1995, n8 94-80.064 – Eglises de l’est. 387 Massis, D. 1992, chron., 113, 115; Teillot, Religion et droit pénal, S. 70 ff. 388 TGI Paris, 22. 03. 2007, Légipresse n8 242 (2007), III, 123. 389 TGI Paris, 22. 03. 2007, Légipresse n8 242 (2007), III, 123, ohne Verweis auf den Ursprung dieser Worte in EGMR, Handyside ./. Vereintes Königreich, 07. 12. 1976, Nr. 5493/72 Rn. 49; Otto-Preminger-Institut ./. Österreich, 20. 09. 1994, Nr. 13470/87 Rn. 49; I.A. ./. Türkei, 13. 09. 2005, Nr. 42571/98 Rn. 23; Albert-Engelmann-GmbH ./. Österreich, 19. 01. 2006, Nr. 46389/99, Rn. 25.
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une attaque personnelle et directe dirigée contre une personne ou un groupe de personnes en raison de leur appartenance religieuse.“390 Ausgangspunkt ist also die Freiheit jedes Einzelnen, Kritik an der Religion zu üben. Auch steht jedem prinzipiell das Recht zu, religiöse Symbole bildlich darzustellen. Die Grenzen werden erst bei unzumutbaren persönlichen Angriffen gegen die Gläubigen überschritten. Aus dieser Formel lassen sich bereits einige der Kriterien für die Strafbarkeit herauslesen. Andere ergeben sich aus einer Analyse der folgenden Passagen des Urteils sowie der weiteren Rechtsprechung. Dabei ist neben strafrechtlichen Verfahren auch die Rechtsprechung der Zivilgerichte zu beachten. Denn weil eine Verurteilung zu Schadensersatzzahlungen zumindest dann in Betracht kommt, wenn die strafrechtlichen Grenzen der Meinungsfreiheit überschritten sind,391 hat auch die zivilrechtliche Rechtsprechung ihren Anteil an der Konkretisierung der fraglichen Tatbestände. Darüber hinaus setzen sich selbst Entscheidungen, die Veröffentlichungsverbote etwa für Filme oder Plakate aussprechen, teilweise mit den Voraussetzungen einer diffamation oder injure auseinander.392 Aus der Zusammenschau der Entscheidungen lassen sich einige gemeinsame Grundsätze herausarbeiten. aa) Differenzierung zwischen injure und diffamation In der Regel beschäftigen sich die Gerichte bei religionsfeindlichen Äußerungen nicht oder nur sehr oberflächlich mit den eben herausgearbeiteten Tatbestandsmerkmalen von injure und diffamation. Insbesondere zu einer sorgfältigen Differenzierung zwischen den beiden Tatbeständen kommt es meist nicht, indem die Cour de cassation ohne Begründung die Zuordnung der juges du fond übernimmt.393 Dies 390 TGI Paris, 22. 03. 2007, Légipresse n8 242 (2007), III, 123: In der laizistischen und pluralistischen Gesellschaft Frankreichs geht der Respekt der Glaubensrichtungen Hand in Hand mit der Freiheit, die Religionen in ihrem Wesen zu kritisieren und ihre Subjekte und Objekte der religiösen Verehrung darzustellen. Blasphemie, die die Heiligkeit oder die Religion beleidigt, ist nicht strafbar; anders als die Beleidigung, wenn diese einen persönlichen und direkten Angriff gegen eine Person oder einer Personengruppe auf Grund ihrer religiösen Zugehörigkeit darstellt. Zust. Leclerc, Légipresse n8 242 (2007), III, 125, 127. 391 Stegmann, Tatsachenbehauptung und Werturteil, S. 168. Zu der umstrittenen Frage, ob ein Anspruch auf zivilrechtlichen Schadensersatz bei Ehrverletzungen auch dann bestehen kann, wenn die Voraussetzungen der Straftatbestände des Pressefreiheitsgesetzes nicht erfüllt sind, s. ebenda S. 170 ff. 392 So z. B. Cass. 1ère civ., 14. 11. 2006, n8 05-15822 und 05-16001, Bull. civ. I, 485 – Girbaud, in der der Antrag auf das Verbot des Werbeplakats einer Modefirma, auf dem ein leicht bekleideter Mann umgeben von zwölf Frauen in großer Ähnlichkeit zu Leonardo Da Vincis Gemälde vom Letzten Abendmahl an einem Tisch sitzt, mit der Begründung abgelehnt wurde, es fehle an den Voraussetzungen der injure religieuse. 393 s. hierzu etwa die die auf der nächsten Seite folgenden Beispiele, Cass. crim., 14. 12. 1999, n8 98-87.529, Bull. crim. n8 305 und TGI Paris, 22. 10. 2002, unveröffentlicht, s. Le Monde, v. 24. 10. 2002, S. 12, in denen ähnliche Äußerungen ohne Argumentation im ersten Fall als diffamation, im zweiten als injure eingeordnet werden.
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mag darauf zurückzuführen sein, dass eine eigene rechtliche Einordnung durch die Cour de cassation nicht zulässig ist.394 Kernpunkt der Urteile ist regelmäßig allein die Frage, ob die Grenze zur Strafbarkeit überschritten ist oder sich die Äußerung noch im Rahmen der Meinungsfreiheit bewegt. Der Schwerpunkt ist aber wohl bei Verfahren wegen injure auszumachen.395 bb) Grad der Öffentlichkeit Zum einen befasst sich die Rechtsprechung mit der Frage, in welchem Maße die Äußerung der Öffentlichkeit zugänglich ist. So wurde etwa ein im öffentlichen Raum ausgestelltes, religionsfeindliches Filmplakat verboten,396 während die zahlreichen Anträge auf das Verbot von religionsfeindlichen oder provokativen Kinofilmen sämtlich abgelehnt wurden.397 Dahinter steht der Gedanke, dass öffentlich aufgehängte Plakate von jedem wahrgenommen werden, wohingegen der möglicherweise beleidigende Inhalt eines Kinofilms nur denjenigen zugänglich wird, die sich bewusst und freiwillig dafür entscheiden.398 Vor diesem Hintergrund wurde auch die TV-Ausstrahlung eines Films mit dem Hinweis darauf zugelassen, dass die spätabendliche Ausstrahlung und die informierende Berichterstattung über die schockierenden Inhalte Gläubige vor der Verletzung ihrer religiösen Gefühle bewahrt.399 Aber nicht nur bei Veröffentlichungsverboten, sondern auch bei strafrechtlichen Verurteilungen geht die Rechtsprechung auf den Grad der Öffentlichkeit und der Zugänglichkeit der Äußerung ein. So betont etwa das Tribunal de Grande Instance von Paris in seiner Entscheidung über die Strafbarkeit der Veröffentlichung der dänischen Mohammed-Karikaturen, dass diese in einer Satirezeitschrift erfolge, die niemand zu kaufen oder zu lesen gezwungen werde.400 cc) Bestimmung des Angriffsgegners Ein weiterer wesentlicher Aspekt bei der Prüfung der Strafbarkeit ist die exakte Ermittlung des Betroffenen. Da die Tatbestände die persönliche Ehre und das per394
Vgl. zu den engen prozessualen Regeln unten in diesem Kapitel C. I. 2. b). s. hierzu die im Folgenden untersuchten Entscheidungen, z. B. Cass. crim., 14. 02. 2006, n8 05-81932, Bull. crim. n8 42 – La nuit de la Sainte Capote; Cass. crim., 02. 05. 2007, n8 0684710, Bull. crim. n8 115 – Christ en gloire; TGI Paris, 22. 03. 2007, Légipresse n8 242 (2007), III, 123. 396 CA Paris, 26. 10. 1984, GP 1984 II, JP, 728 – Ave Maria; TGI Paris, 23. 10. 1984, GP 1984 II, JP, 727. 397 Cass. 1ère civ., 10. 01. 1990, n8 88-14.235, Bull. civ. I, n8 11 – Je vous salue Marie; Cass. ère 1 civ., 29. 10. 1990, n8 88-19.366, Bull. civ. I, n8 226 – La dernière tentation du Christ. 398 Hassler/Lapp, D. 1998, 132. 399 So der TGI Paris, 07. 05. 1997, D. 1998, somm., 133, zur Fernsehausstrahlung des schon im Kino umstrittenen Films „Je vous salue Marie“. 400 TGI Paris, 22. 03. 2007, Légipresse n8 242 (2007), III, 123. 395
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sönliche Ansehen der Betroffenen schützen, muss streng differenziert werden, ob durch eine Äußerung die Gläubigen, die Religionsgemeinschaft als Organisation, die religiösen Inhalte oder die leitenden Persönlichkeiten der Religionsgemeinschaft betroffen wird. Die juges du fond zeigten zunächst wenig Sensibilität bei diesem Kriterium und nahmen eine injure religieuse sowohl im Fall eines das Abendmahl parodierenden Werbeplakats401 als auch eines Flugblattes an, das christliche Symbole mit Verhütungsmitteln in Verbindung brachte.402 Dafür stellten sie zwar keinen direkten und persönlichen Angriff gegen die Gläubigen fest, sondern stützten sich auf die Verletzung ihrer religiösen Überzeugungen403 oder ließen eine Beleidigung der Religion ausreichen.404 Hieran wurde in der Literatur kritisiert, die Rechtsprechung untergrabe durch ihre Entscheidungen das Kriterium der Personengruppe als Angriffsgegner.405 Wer religiöse Symbolik ins Lächerliche ziehe, richte sich ausschließlich gegen die Religion an sich, nicht aber gegen deren Anhänger.406 Als mögliche Grundlage für eine derartige Interpretation könnte höchstens die Rechtsprechung der Cour de cassation zur indirekten diffamation in Betracht kommen.407 Darunter ist die Diffamierung eines Dritten zu verstehen, der durch eine Äußerung, die gegen einen anderen gerichtet ist, mittelbar diffamiert wird. Auf diesem Weg könnte es denkbar sein, dass etwa eine Beleidigung oder Diffamierung einer Führungsperson der Religionsgemeinschaft oder auch der Religion selbst als injure oder diffamation ihrer Anhänger anzusehen wäre. Allerdings stellt die Cour de
401 CA Paris, 08. 04. 2005, n8 05/06086 und TGI Paris, 10. 03. 2005, beide D. 2005, 1326 – Girbaud. 402 CA Toulouse, 12. 01. 2005, Légipresse n8 222 (2005), I, 87. 403 TGI Paris, 10. 03. 2005, D. 2005, 1326: „un acte d’intrusion agressive et gratuite dans les tréfonds intimes des croyances“ – ein Akt des aggressiven und grundlosen Eingriffs in den innersten und intimsten Kern ihres Glaubens. 404 CA Paris, 08. 04. 2005, n8 05/06086, D. 2005, 1326: „la séparation des Eglises et de l’Etat n’empêche nullement l’application de la loi lorsque c’est la religion qui est, comme en l’espèce, outragée“ – Die Trennung von Kirche und Staat verhindert keinesfalls die Anwendung des Gesetzes [über das Verbot der Beleidigung], wenn es wie hier die Religion ist, die beleidigt wird. Krit. hierzu Leclerc, Légipresse n8 223 (2005), III, 145, 146 f. 405 Dechenaud, in: JCl. Lois pénales spéciales, Presse et communication Fasc. 90, Rn. 40, anders wohl Dreyer, in: JCl. Lois pénales spéciales, Presse et communication Fasc. 100, Rn. 81, der den Gerichten eine sinnvolle Abgrenzung zwischen Angriffen auf Personengruppen und Angriffen auf religiöse Inhalte bescheinigt. 406 Zu den beiden verschiedenen möglichen Antworten auf diese Frage, Boulègue, Le blasphème au procès, S. 42 ff., der ebenfalls die „liberale“ der „konfessionellen“ Interpretation vorzieht und somit eine injure der Gläubigen verneint, da sich die andere Sichtweise zu sehr vom Wortlaut des Gesetzes entferne. 407 Cass. crim., 24. 10. 1967, n8 66-93.296, Bull. crim. n8 264; Cass. crim., 08. 11. 1983, n8 82-93.992, Bull. crim. n8 294.
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cassation bei solchen indirekten Ehrverletzungen hohe Anforderungen an die eigene Betroffenheit des Dritten, die hier wohl nicht erfüllt wären.408 In Konsequenz dieser restriktiven Haltung lehnte die Cour de cassation eine diffamation wegen Veröffentlichung von Papst-Karikaturen in einer Satirezeitschrift mit der Begründung ab, diese enthielten keinen direkten Angriff gegen die Katholiken.409 Auch in der Revisionsentscheidung in der Rechtssache Girbaud zeigte die Cour de cassation ein verstärktes Bewusstsein für das Kriterium des Angriffsgegners: Die bloße Parodie eines christlichen Symbols stelle mangels eines persönlichen und direkten Angriffs gegen eine Personengruppe auf Grund ihrer religiösen Zugehörigkeit keine injure im Sinne des Pressefreiheitsgesetzes dar.410 Diese restriktive und eng am Wortlaut des Gesetzes gehaltene Auslegung hat zu Recht in der Literatur Zustimmung gefunden.411 Wie schwer die Abgrenzung der französischen Rechtsprechung trotzdem fällt, zeigt der Fall Giniewski. Ein Historiker und Soziologe wurde durch das Tribunal de Grande Instance von Paris412 wegen diffamation religieuse zur Veröffentlichung einer Mitteilung in einer landesweiten Zeitung und zu Schadensersatz (allerdings nur in Höhe eines symbolischen Franc) verurteilt. Zugrunde lag dem Fall ein Zeitungsartikel über eine Enzyklika Papst Johannes Pauls II., in dem der Autor der katholischen Lehre eine gewisse Mitschuld am Holocaust auferlegte. Im weiteren Verfahren wurde die Verurteilung zunächst durch die Cour d’appel von Paris aufgehoben,413 nach einer erfolgreichen Revision vor der Cour de cassation414 und parallelen Entscheidungen der Cour d’appel von Orléans415 sowie erneut der Cour de cassation416 kam es allerdings zu einer rechtskräftigen Verurteilung. Die Richter beriefen sich darauf, dass der katholischen Glaubensgemeinschaft vorgeworfen werde, zum Antisemitismus angestiftet zu haben und damit eine Mitverantwortung
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Dreyer, Droit de l’information, Rn. 105; Lavau, Liberté d’expression contre liberté de religion, Rn. 527. 409 Cass. 2e civ., 26. 04. 2001, n8 99-10.490 – Bienvenu au Pape de merde. 410 „La seule parodie de la forme donnée à la représentation de la Cène […] ne constitue pas l’injure, attaque personnelle et directe dirigée contre un groupe de personnes en raison de leur appartenance religieuse“, Cass. 1ère civ., 14. 11. 2006, n8 05-15822 und 05-16001, Bull. civ. I, 485 – Girbaud. 411 Droin, Limitations à la liberté d’expression, Rn. 548 ff.; Leroy, RTDH 2007, 875, 881 ff.; in diesem Sinne auch Lavric, AJ Pénal 2007, 383. 412 TGI Paris, 08. 03. 1995, zit. durch EGMR, Giniewski ./. Frankreich, 31. 01. 2006, Nr. 64016/00, Rn. 15 f. 413 CA Paris, 09. 11. 1995; zit. durch EGMR, Giniewski ./. Frankreich, 31. 01. 2006, Nr. 64016/00 Rn. 17. 414 Cass. crim., 28. 04. 1998, n8 95-85.958, Dr. pén. 1998, comm. 131. 415 CA Orléans, 14. 12. 1998 zit. durch EGMR, Giniewski ./. Frankreich, 31. 01. 2006, Nr. 64016/00 Rn. 19 f. 416 Cass. civ., 14. 06. 2000, n8 99-80.043.
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für die Todeslager von Auschwitz zu tragen.417 Eine Rechtfertigung wegen bonne foi scheide auf Grund der Virulenz des Artikels aus.418 Einzig die Cour d’appel von Paris kam zu dem Schluss, dass der Autor in seiner Rezension der katholische Lehre vorwerfe, in ihr könnte eine gewisse Tendenz zum Antisemitismus wurzeln, und dass es sich damit um eine rein inhaltliche Auseinandersetzung handele, die die Voraussetzungen der diffamation religieuse nicht erfülle.419 Der Autor des Artikels wandte sich schließlich an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, der eine Verletzung der Meinungsfreiheit aus Art. 10 der Menschenrechtskonvention feststellte.420 Letzterer übernahm in seiner Entscheidung die Argumentation des Cour d’appel von Paris und verneint einen Angriff auf die Katholiken in ihrer Gesamtheit.421 Im Wesentlichen stützt sich der Gerichtshof allerdings auf das Argument, der Kläger habe mit seinem Artikel zu einer bereits laufenden öffentlichen Debatte von besonderer Bedeutung beigetragen, ohne dass ihm eine grundlose Polemik unterstellt werden könne.422 Weitere Unsicherheiten werden durch drei Entscheidungen mit vergleichbaren Sachverhalten aufgezeigt. In der ersten Konstellation äußerte sich ein Abgeordneter im Radio über die Zeugen Jehovas als „une secte, l’une des plus dangereuses, qui a, à son bilan, un grand nombre de suicides“.423 In der zweiten ging es um die Äußerung des französischen Schriftstellers Michel Houellebecq, „la religion la plus con, c’est quand même l’islam. Quand on lit le Coran, on est effondré!“424 Die dritte streitige Äußerung ist die des französischen Humoristen Dieudonné: „Les juifs, c’est une secte, c’est une escroquerie“.425 Im ersten Fall hat die Cour de cassation eine diffamation mit der Begründung verneint, die Äußerung sei nicht gegen den gemeinsamen Glauben der Mitglieder, sondern gegen die Funktionsweise der Gemeinschaft gerichtet.426 Im zweiten Fall lehnte das Tribunal de Grande Instance von Paris eine Strafbarkeit, diesmal wegen injure religieuse, ab, weil die Texte nicht eine Perso417
Cass. crim., 28. 04. 1998, n8 95-85.958, Dr. pén. 1998, comm. 131. Cass. civ., 14. 06. 2000, n8 99-80.043. 419 CA Paris, 09. 11. 1995; zit. durch EGMR, Giniewski ./. Frankreich, 31. 01. 2006, Nr. 64016/00 Rn. 17. 420 EGMR, Giniewski ./. Frankreich, 31. 01. 2006, Nr. 64016/00 Rn. 56. 421 EGMR, Giniewski ./. Frankreich, 31. 01. 2006, Nr. 64016/00 Rn. 45 ff. 422 EGMR, Giniewski ./. Frankreich, 31. 01. 2006, Nr. 64016/00 Rn. 50 ff. Zu dem Kriterium der grundlosen Kränkung, auf die der EGMR hier zurückgreift, s. auch unten in diesem Kapitel B. II. 4. b) ee). 423 Eine Sekte und zwar eine der gefährlichsten, die eine große Anzahl an Suiziden zu verantworten hat, Cass. crim., 14. 12. 1999, n8 98-87.529, Bull. crim. n8 305. 424 Die dämlichste Religion ist immer noch der Islam. Wenn man den Koran liest, bricht man zusammen!, TGI Paris, 22. 10. 2002, unveröffentlicht, s. Le Monde, v. 24. 10. 2002, S. 12. 425 Die Juden, das ist eine Sekte, das ist ein Betrug, Cass. AP, 16. 02. 2007, n8 06-81.785, Bull. crim. n8 1. 426 „Les propos incriminés visaient non la croyance commune unissant les membres de l’association en cause mais le mode de fonctionnement du groupe dont ces individus font partie“, Cass. crim., 14. 12. 1999, n8 98-87.529, Bull. crim. n8 305. 418
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nengruppe wegen ihrer Religion beleidige: Im ersten Teil der Aussage würden alle Religionen – nicht nur der Islam – angegriffen, der zweite Teil sei durch seinen Bezug auf historische Texte zumindest nicht gegen Muslime der heutigen Zeit gerichtet.427 Nur im letzten der drei Sachverhalte sah die Assemblée Plénière der Cour de cassation eine diffamation als erfüllt an. Die Äußerung sei nicht als Teil einer in der öffentlichen Debatte zulässige Religionskritik zu verstehen, sondern beleidige eine Personengruppe auf Grund ihrer Herkunft, sodass ein Verbot als in einer demokratischen Gesellschaft notwendige Einschränkung der Meinungsäußerungsfreiheit zu sehen sei.428 Es erscheint schwierig, die unterschiedliche Behandlung in diesen doch sehr ähnlichen Fällen fundiert zu begründen. Alle beziehen sich auf eine Religionsgemeinschaft und stellen diese als gesellschaftsschädlich dar. Der Äußerung über die Zeugen Jehovas einen Bezug zu ihrer Organisation zu entnehmen, ist zumindest nicht offensichtlich, sodass die Annahme nicht ganz fernliegt, dass die Cour de cassation den Mitgliedern der „neuen Religionen“ den strafrechtlichen Schutz versagen will.429 In Bezug auf den letzten Sachverhalt ist allerdings zu beachten, dass die Assemblée Plénière die Juden nicht als eine durch ihre Religion, sondern durch ihre Herkunft bestimmte Personengruppe einordnet.430 Dieser Interpretation dürfte zugrunde liegen, dass der Antisemitismus regelmäßig nicht nur gegen Menschen mit jüdischem Glauben gerichtet ist, sondern gegen die durch ihre Abstammung verbundene Gruppe der Juden unabhängig von persönlichen Überzeugungen.431 Unter dieser Prämisse wird die strengere Bewertung der Cour de cassation im Vergleich zu den anderen beiden Fällen verständlich:432 Denn während die Zugehörigkeit bei einer durch die Religion bestimmte Gruppe der freien Entscheidung der Mitglieder unterworfen ist, kann seine Herkunft von einem Menschen nicht beeinflusst werden und stellt dadurch ein nicht vertretbares Unterscheidungskriterium dar. Anders als die Religion ist die Herkunft eben kein Thema, das bei Debatten von öffentlichem Interesse sinnvoll erörtert werden kann. Ob allerdings einer Bezeichnung als Sekte eine Differenzierung nach der Abstammung und nicht nach religiösen Überzeugungen zugrunde liegt, ist durchaus zu bezweifeln. In die gleiche Richtung geht auch die Verurteilung desselben Humoristen wegen injure raciale auf Grund eines Auftritts, 427
TGI Paris, 22. 10. 2002, unveröffentlicht, s. Le Monde, v. 24. 10. 2002, S. 12. „Qu’en statuant ainsi, alors que l’affirmation ,les juifs, c’est une secte, une escroquerie. C’est une des plus graves parce que c’est la première‘, ne relève pas de la libre critique du fait religieux, participant d’un débat d’intérêt général mais constitue une injure visant un groupe de personnes en raison de son origine, dont la répression est une restriction nécessaire à la liberté d’expression dans une société démocratique, la cour d’appel a méconnu le sens et la portée des propos incriminés et les textes susvisés“, Cass. AP, 16. 02. 2007, n8 06-81.785, Bull. crim. n8 1. 429 Teillot, Religion et droit pénal, S. 82 ff. 430 Cass. AP, 16. 02. 2007, n8 06-81.785, Bull. crim. n8 1. 431 s. dazu auch oben 1. Kapitel A. II. 432 So im Ergebnis auch Capitani/Moritz, RLDI 2007/28, n8 920, 46, 50, wenn auch mit etwas anderer Begründung, die die unterschiedliche Behandlung von Herkunft und Religion insbesondere darauf stützt, dass Religionsinhalte auch von ihren Anhängern nicht einheitlich interpretiert werden. 428
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bei dem er einen als im zweiten Weltkrieg deportierten Juden mit Davidstern Verkleideten auftreten ließ, der mit einem mit Äpfeln bestückten Kerzenleuchter einem berühmten Holocaustleugner einen Preis überreichte.433 Hier stellte die Cour de cassation auf eine durch ihre Herkunft und ihre Konfession bestimmte Personengruppe ab und kommt wohl unter anderem deshalb zum Ergebnis einer Strafbarkeit.434 dd) Die Betroffenheit sämtlicher Zugehörigen der Religion Ein weiteres Kriterium, das bei Urteilen über religionsfeindliche Äußerungen regelmäßig zur Sprache kommt, ist das Betroffensein sämtlicher Mitglieder einer Religionsgemeinschaft. Häufig wird eine Strafbarkeit verneint, weil sich eine Äußerung nur auf einen Teil der Gläubigen beziehe, beispielsweise auf Fundamentalisten, nicht aber auf die Religionsanhänger in ihrer Gesamtheit.435 So soll insbesondere eine Strafbarkeit bei der Veröffentlichung der dänischen Mohammed-Karikaturen schon deshalb nicht bestehen, weil sie sich ausschließlich und offensichtlich nur gegen die muslimischen Fundamentalisten richten, die ihren Glauben in terroristischen Anschlägen manifestieren wollen.436 Auch eine Beleidigung der Christen durch Bilder, die christliche Symbole und Glaubensinhalte mit von der Kirche abgelehnten Verhütungsmitteln in Verbindung bringen, wurde durch die Cour de cassation unter anderem mit dem Argument verneint, dass nur ein Teil der Christen oder nur ein Teil der Katholiken durch derartige Darstellungen geschockt oder empört werde.437 Die Durchschlagskraft dieses Kriteriums ist allerdings durchaus zweifelhaft. Zum einen fehlt es hierfür schon an einer gesetzlichen Grundlage. Aus den betreffenden Normen ergibt sich kein Hinweis darauf, dass Minderheiten innerhalb größerer Religionsgemeinschaften keinen eigenen Schutz genießen sollen.438 Darüber hinaus obliegt es nicht dem Richter die Grenzen religiöser Ideologien zu definieren.439 Eine 433
Cass. crim., 16. 10. 2012, n8 11-82.866, Bull. crim. n8 217. Die von Dreyer, D. 2013, 457, 461, geäußerte Kritik, mangels einer Äußerung sei nicht von einer injure, sondern von einer incitation à la haine religieuse auszugehen, greift hingegen nicht durch. Zum einen gilt Art. 23 Pressefreiheitsgesetz, der eine Rede, eine Schrift, ein Bild oder ein vergleichbares Mittel der Veröffentlichung voraussetzt, für beide Tatbestände gleichermaßen. Zum anderen ergibt sich nicht, warum eine Anstiftung zum Hass, nicht aber ein Ausdruck der Geringschätzung vorliegt, wie ihn Art. 29 al. 2 Pressefreiheitsgesetz verlangt. 435 Cass. crim., 14. 02. 2006, n8 05-81932, Bull. crim. n8 42 – La nuit de la Sainte Capote; Cass. crim., 03. 04. 2007, n8 05-85.885 – Dieudonné; Cass. crim., 02. 05. 2007, n8 06-84710, Bull. crim. n8 115 – Christ en gloire. 436 TGI Paris, 22. 03. 2007, Légipresse n8 242 (2007), III, 123, 124; bestätigt durch CA Paris, 12. 03. 2008, n8 07/02873, Légipresse n8 252 (2008), III, 107. 437 Cass. crim., 14. 02. 2006, n8 05-81932, Bull. crim. n8 42 – Nuit de la Sainte Capote; Cass. crim., 02. 05. 2007, n8 06-84710, Bull. crim. n8 115 – Christ en gloire. 438 Pendu, RDLI 2007/29, n8 957, 44, 45. 439 Pendu, RDLI 2007/29, n8 957, 44, 45. 434
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Strafbarkeit darf nicht von der Einschätzung des Richters über Vertretbarkeit verschiedener Ideologien einer Religion abhängen. Schließlich ergibt sich auch aus dem Strafgrund der Norm keine stichhaltige Begründung für eine solche Einschränkung. Denn das erhöhte Unrecht, das aus der Verbindung der Beleidigung oder Diffamierung mit der Zugehörigkeit zu einer Religion resultiert, liegt unabhängig davon vor, ob sich die Gesamtheit der Gläubigen beleidigt fühlt oder nur eine untergeordnete Glaubensrichtung.440 Überzeugender wäre gewesen, das Vorliegen einer injure mit dem Argument zu verneinen, dass in den Darstellungen keine direkten und persönlichen Angriffe gegen die Gläubigen enthalten waren.441 Denn zum einen wird nicht erkennbar, warum die Beleidigung der Mitglieder einer bestimmten Strömung innerhalb einer Religion weniger strafwürdig ist, zum anderen wurde versäumt, das Merkmal der Unterscheidung zwischen Angriffen gegen die Religion und Angriffen gegen die Gläubigen zu stärken. ee) Die offense gratuite Letztes und wohl bedeutendstes Merkmal der Abgrenzung zwischen straffreier Religionskritik und strafbarer diffamation oder injure religieuse ist das Kriterium der offense gratuite, der grundlosen Kränkung, das auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zurückgeht, der unter dieser Voraussetzung strafrechtliche Beschränkungen der Meinungsfreiheit zulässt.442 Zunächst wurde dieses Kriterium weit ausgelegt und drohte, die Meinungsfreiheit sogar noch einzuschränken, indem das Tribunal de Grande Instance und die Cour d’appel von Paris das Vorliegen einer injure religieuse im Fall eines provokativen Werbeplakats bejahten.443 Die Entscheidungen betonen, dass der Veröffentlichung rein wirtschaftliche Interessen zugrunde lagen, die eine Teilhabe an der öffentlichen Diskussion ausschließen müssten.444 Allein letztere ermögliche aber, einer Kritik ihre Grundlosigkeit und Willkür zu nehmen und somit eine Strafbarkeit auszuschließen.445 In einer derartigen Auslegung führt das Kriterium der offense gratuite gerade 440
Pendu, RDLI 2007/29, n8 957, 44, 45. So auch Lepage, Dr. pén. 2007, comm. 66. 442 EGMR, Otto-Preminger-Institut ./. Österreich, n8 13470/87, Urt. v. 20. 09. 1994, Rn. 49 („des expressions qui sont gratuitement offensantes pour autrui et constituent donc une atteinte à ses droits et qui, dès lors, ne contribuent à aucune forme de débat public capable de favoriser le progrès dans les affaires du genre humain“ – Ausdrücke, die einen anderen grundlos beleidigen und deshalb seine Rechte verletzen und die somit in keiner Weise einen Beitrag zu einer öffentlichen Debatte leisten können, die den Fortschritt der Menschheit fördern soll); ebenso EGMR, Wingrove ./. Vereintes Königreich, 25. 11. 1996, Nr. 17419/90, Rn. 52; Gündüz ./. Türkei, 04. 12. 2003, Nr. 35071/97, Rn. 37; Giniewski ./. Frankreich, 31. 01. 2006, Nr. 64016/00 Rn. 43. 443 CA Paris, 08. 04. 2005, n8 05/06086 und TGI Paris, 10. 03. 2005, beide D. 2005, 1326. 444 CA Paris, 08. 04. 2005, n8 05/06086 und TGI Paris, 10. 03. 2005, beide D. 2005, 1326; zust. Rolland, D. 2005, 1326, 1330. 445 TGI Paris, 10. 03. 2005, D. 2005, 1326. 441
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nicht zu einem meinungsfreiheitsorientierten Verständnis der Tatbestände. Vielmehr ermöglicht es den Gerichten die Annahme einer Strafbarkeit auch ohne Prüfung der weiteren Voraussetzungen allein unter dem Deckmantel, dass keine gesellschaftlich nützlichen Ziele erstrebt sind. Zu Recht wird daher zum Teil kritisiert, dass ein so verstandenes Merkmal der gratuité im Extremfall zu einer Strafbarkeit von Blasphemie führen kann.446 Die Cour de cassation ist diesem Verständnis entgegengetreten.447 In einer nur als restriktiv zu beschreibenden Interpretation übernimmt sie – und mit ihr die neuere Rechtsprechung – der erstinstanzlichen Gerichte448 zwar das Merkmal der gratuité, stellt allerdings insgesamt höhere Anforderungen. Dass die Äußerung nicht in einem politischen Zusammenhang von öffentlichem Interesse erfolgt, ist für sie notwendige, nicht aber hinreichende Voraussetzung der injure. An dieser kann es auch dann fehlen, wenn etwa die Parodie religiöser Symbole zwar ausschließlich kommerzielle Absichten verfolgt, nicht aber die Gläubigen verletzen will.449 So verhindert die Cour de cassation, dass das Kriterium der offense gratuite zum Selbstläufer wird und die weiteren Voraussetzungen der Tatbestände übersehen werden. Sie entwickelt eine weitere subjektive Voraussetzung im Sinne eines dolus specialis:450 Eine Strafbarkeit kommt demnach nur dann in Betracht, wenn der Zweck der Äußerung ausschließlich in der grundlosen Kränkung der Gläubigen liegt, ohne dass dieser eine politische Intention von öffentlichem Interesse zugrunde liegt. Die besondere Bedeutung dieses Merkmals liegt darin, dass es eine Differenzierung nach dem Zweck der Äußerung erlaubt. Dies kommt besonders in zwei Verfahren zum Ausdruck, die eine mögliche Strafbarkeit wegen injure religieuse wegen der Veröffentlichung von Abbildungen, in denen christliche oder katholische Symbolik in einen Bezug zu von der Kirche abgelehnten Verhütungsmitteln gebracht werden, betreffen.451 Die Cour de cassation hat in beiden Fällen eine Strafbarkeit verneint: Die Darstellung, möge sie auch die Sensibilität mancher Christen verletzen, diene der notwendigen Debatte zum Thema AIDS-Vorsorge und überschreite daher
446 So Boulègue, Le blasphème au procès, S. 51; anders Rolland, D. 2005, 1326, 1330, der unter Berufung auf die weitere Voraussetzung der Öffentlichkeit und auf das Toleranzgebot zu dem Ergebnis kommt, dass es trotz des Kriteriums eben nicht zu einer Strafbarkeit der Gotteslästerung kommt. 447 Cass. 1ère civ., 14. 11. 2006, n8 05-15822 und 05-16001, Bull. civ. I n8 485 – Girbaud. 448 So z. B. TGI Paris, 22. 03. 2007, Légipresse n8 242 (2007), III, 123, 125: „[…] exclusifs de toute volonté délibérée d’offenser directement et gratuitement l’ensemble des musulmans“ – ohne jegliche Absicht, die Gesamtheit der Muslime direkt und grundlos zu beleidigen. 449 Cass. 1ère civ., 14. 11. 2006, n8 05-15822 und 05-16001, Bull. civ. I n8 485 – Girbaud. 450 Leclerc, Légipresse n8 242 (2007), III, 125, 128; zust. Droin, Limitations de la liberté d’expression, Rn. 557. 451 Cass. crim., 14. 02. 2006, n8 05-81932, Bull. crim. n8 42 – Nuit de la Sainte Capote; Cass. crim., 02. 05. 2007, n8 06-84.710, Bull. crim. n8 115 – Christ en gloire.
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nicht die Grenzen der Meinungsfreiheit.452 In diesem Sinne urteilte auch das Tribunal de Grande Instance von Paris, als es sich mit der Strafbarkeit wegen injure auf Grund der Veröffentlichung der Mohammed-Karikaturen in der Satire-Zeitschrift „Charlie Hebdo“ zu befassen hatte. Der Zeichnung, die den Propheten mit einer Bombe in Form eines Turbans zeigt, ließe sich zwar nach der Aussage des Gerichts die These entnehmen, terroristische Gewalt sei dem Islam immanent.453 Jedoch sei die Karikatur als Teil einer Serie zu einem Thema von öffentlichem Interesse zu verstehen. Inhalt seien sowohl die Kritik an Fundamentalisten, die den Islam für ihre terroristischen Anschläge instrumentalisieren sowie die Anregung zu einer Diskussion über die Reichweite der Meinungsfreiheit in diesem Bereich. Die Veröffentlichung diene also einem Zweck von öffentlichem Interesse, sodass es an einer Absicht fehle, die Muslime in ihrer Gesamtheit grundlos zu beleidigen – es mangelt an einer offense gratuite.454 Die Veröffentlichung der Karikatur überschreite daher nicht die strafrechtlichen Grenzen des Rechts auf freie Meinungsäußerung.455 Damit stimmt die erstinstanzliche Rechtsprechung mit der Argumentation der Cour de cassation in vergleichbaren Fällen überein: Äußerungen, die sich in eine öffentliche Debatte zu einem Thema von öffentlichem Interesse integrieren, stellen keine injure religieuse dar. Eine der Ursachen für diese Entwicklung könnte die Verurteilung Frankreichs durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in der Sache „Giniewski ./. Frankreich“ sein,456 die nur kurz vor der ersten in dieser Richtung ergangenen nationalen Entscheidung erfolgte. Der Gerichtshof begründete seine Entscheidung unter anderem mit dem Argument, die Aussage des Klägers sei nicht „gratuitement offensante“, grundlos beleidigend, und seine Verurteilung entspreche keinem „besoin social impérieux“, keiner unausweichlichen sozialen Notwendigkeit.457 ff) Die Behandlung von Karikaturen in der Rechtsprechung zur injure religieuse Bei einer Analyse der Rechtsprechung in den letzten Jahren fällt auf, dass insbesondere Karikaturen und vergleichbare Darstellungen von Objekten religiöser
452 Cass. crim., 02. 05. 2007, n8 06-84.710, Bull. crim. n8 115 – Christ en gloire; im Ergebnis ebenso, aber ohne ausführliche Argumentation Cass. crim., 14. 02. 2006, n8 05-81932, Bull. crim. n8 42 – Nuit de la Sainte Capote. 453 TGI Paris, 22. 03. 2007, Légipresse n8 242 (2007), III, 123, 124. Allerdings ist auch diese Deutung nicht über alle Zweifel erhaben. Denn selbst wenn man die Zeichnung auf den Islam als Ganzes und nicht wie die Cour d’appel ausschließlich auf fundamentalistische Terroristen bezieht, stellt sich die Frage, ob ein direkter und persönlicher Angriff vorliegt (krit. Boulègue, Le blasphème au procès, S. 186 ff.). 454 TGI Paris, 22. 03. 2007, Légipresse n8 242 (2007), III, 123, 125. 455 TGI Paris, 22. 03. 2007, Légipresse n8 242 (2007), III, 123, 125. 456 EGMR, Giniewski ./. Frankreich, 31. 01. 2006, Nr. 64016/00; s. zu der Entwicklung der Rechtsprechung des EGMR in diesem Bereich unten 6. Kapitel. 457 EGMR, Giniewski ./. Frankreich, 31. 01. 2006, Nr. 64016/00 Rn. 52 f.
B. Religionsfeindliche Äußerungen als strafbare Handlungen
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Verehrung nicht mehr unter den Begriff der injure religieuse gefasst werden.458 Allerdings enthält einzig die Entscheidung des Tribunal de Grande Instance zu den Mohammed-Karikaturen Ausführungen zu dieser Frage. Das Gericht betont, dass Karikaturen die Grenzen des guten Geschmacks überschreiten, um durch Ironie als Instrument der Kritik die öffentliche Debatte zu entfachen.459 Karikaturen seien absichtlich provokativ, ihr Inhalt gewollt respektlos, sodass bei der Analyse ihrer Aussage die ihr immanenten Übertreibungen und Subjektivität berücksichtigt werden müssten.460 In diese Richtung geht auch eine neuere Entscheidung des Tribunal de Grande Instance von Paris,461 die sich mit einer in einem Satiremagazin veröffentlichten Scherzfrage befasste, die durch das Bibel-Zitat „Und sie brachten Kinder zu ihm, damit er sie anrühre“ (Markus 10, 13) Jesus und die Christen mit Pädophilie und Kinder-Pornographie in Verbindung zu bringen suchte. Das Gericht entschied, dass ein solcher Scherz wohl kaum geeignet sei, Jesus pädophiles Verhalten ernsthaft zu unterstellen, und daher auch keine Stigmatisierung der Christen enthalte, sodass die Voraussetzung einer diffamation religieuse nicht vorlägen.462 Zum Teil erscheint es aber so, als sei es für die Rechtsprechung von besonderer Bedeutung, dass eine Karikatur auch in einem Satire-Magazin erschienen ist. Denn während die Cour de cassation beispielsweise in einem solchen Fall betont, dass die Heftigkeit einer Karikatur nur unter Berücksichtigung des offen kirchenfeindlichen und satirischen Charakters der veröffentlichenden Zeitschrift bewertet werden dürfe,463 geht sie bei einer Veröffentlichung einer Karikatur auf Flugblättern in keiner Weise auf eine besondere Berücksichtigung der satirischen Ausdrucksweise ein.464 Somit zeigt sich, dass das droit à l’humour, das sonst seine Entfaltung in den Voraussetzungen der bonne foi findet, sich auch auf die Tatbestände auswirkt, in denen dieser fait justificatif eigentlich keine Anwendung findet.465 Dogmatisch ist 458 So wurde eine Strafbarkeit für die Veröffentlichung (und sogar Veröffentlichungsverbote oder Schadensersatz auf dieser Grundlage) von solchen Darstellungen in den letzten Jahren regelmäßig verneint, Cass. crim., 14. 02. 2006, n8 05-81932, Bull. crim. n8 42 – Nuit de la Sainte Capote; Cass. crim., 02. 05. 2007, n8 06-84.710, Bull. crim. n8 115 – Christ en gloire; Cass. 1ère civ., 14. 11. 2006, n8 05-15822 und 05-16001, Bull. civ. I n8 485 – Girbaud; Cass. 2e civ., 26. 04. 2001, n8 99-10.490 – Bienvenu au Pape de merde; CA Paris, 12. 03. 2008, n8 07/02873, Légipresse n8 252 (2008), III, 107; TGI Paris, 22. 03. 2007, Légipresse n8 242 (2007), III, 123; während in einer nicht satirischen Aussage über das Judentum eine Diffamierung gesehen wurde, Cass. AP, 16. 02. 2007, n8 06-81.785, Bull. crim. n8 1. 459 TGI Paris, 22. 03. 2007, Légipresse n8 242 (2007), III, 123, 124. 460 TGI Paris, 22. 03. 2007, Légipresse n8 242 (2007), III, 123, 124. 461 TGI Paris, 02. 06. 2009, Légipresse, n8 263 (2009), I, 105. 462 TGI Paris, 02. 06. 2009, Légipresse, n8 263 (2009), I, 105. Warum Droin, Limitations à la liberté d’expression, Rn. 630, dies als eine Ausprägung der bonne foi deutet, ist nicht ersichtlich. 463 Cass. 2e civ., 26. 04. 2001, n8 99-10.490 – Bienvenue au Pape de merde. 464 Cass. crim., 02. 05. 2007, n8 06-84.710, Bull. crim. n8 115 – Christ en gloire. 465 Also bei der injure im Allgemeinen, aber auch bei der diffamation raciale et religieuse, s. dazu oben in diesem Kapitel B. II. 2. c) bb) und 3. c).
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4. Kap.: Strafbarkeit religionsfeindlicher Äußerungen in Frankreich
das droit à l’humour damit sowohl im Bereich der Auslegung von Karikaturen und Satiren zu verorten als auch bei der Frage, ob aus einer negativen Äußerung eine Herabsetzung bzw. eine Ehrverletzung herauszulesen ist. 5. Verhältnis der Tatbestände bei religionsfeindlichen Äußerungen Wenn mehrere Strafbarkeiten für eine bestimmte Äußerung in Betracht kommen, ist das Verhältnis der Normen zu untersuchen. Die Frage der Konkurrenzen ist im französischen Strafrecht nicht leicht zu beantworten, da sich das Gesetz nur sehr lückenhaft äußert und im Schrifttum keine einheitliche Terminologie gebräuchlich ist.466 Unproblematisch ist zunächst die Konstellation, in der mehrere Elemente einer teilbaren Äußerung unter die gleiche oder auch unterschiedliche Normen fallen, etwa bei einem längeren Text, der unterschiedliche Aussagen enthält. Dann können injure, diffamation und provocation à la haine nebeneinanderstehen.467 Schwieriger ist es hingegen, wenn mehrere Elemente untrennbar miteinander verknüpft sind oder gar ein Element mehrere Tatbestände erfüllt. Dann ist zwischen den verschiedenen Konstellationen zu unterscheiden: Diffamation und injure können nicht durch ein einzelnes Element verwirklicht werden. Die Tatbestände schließen sich per definitionem gegenseitig aus; sie stehen in einem Exklusivverhältnis.468 Das ergibt sich schon darauf, dass die diffamation die Behauptung einer präzisen Tatsache voraussetzt, während die Definition der injure das Vorliegen einer solchen gerade ausschließt.469 Bei unteilbaren Mischäußerungen absorbiert die diffamation die injure;470 diese ist dann schon tatbestandlich ausgeschlossen. Weniger deutlich ist das Verhältnis der Ehrverletzungsdelikte zur provocation à la haine. Zunächst hatte die Cour de cassation die Entscheidung eines Berufungsgerichts bestätigt, das eine Bestrafung wegen diffamation raciale und provocation à la haine raciale durch eine einzige Aussage ausschloss.471 Es könne kein cumul idéal des infractions (Idealkonkurrenz) zwischen den beiden Tatbeständen vorliegen, da sie „de nature et de gravité différentes“, also unterschiedlicher Natur und Schwere 466
Bonfils/Gallardo, Concours d’infraction, in: Rép. pén. Rn. 3. Für diffamation und injure etwa Cass. crim., 09. 03. 1912, D. 1913, I, 75; Cass. crim., 22. 02. 1966, n8 65-90.518, Bull. crim. n8 62. Für ein Plakat, das alle drei Tatbestände erfüllt, s. Cass. crim., 14. 02. 2012, n8 11-81.954, Bull. crim. n8 44. 468 Pinto, La liberté d’opinion et d’information, Rn. 117. 469 s. dazu oben in diesem Kapitel B. II. 2. a) bb) (1) (a). 470 Cass. crim., 27. 10. 1893, D. 1897, I, 337, 342; Cass. crim., 28. 01. 1916, D. 1920 I, 95, 96; Cass. crim., 03. 05. 1956, JCP 1956 II, 9351; Cass. crim., 23. 06. 2009, n8 08-88.016, Bull. crim. n8 133; Cass. crim., 02. 10. 2012, n8 12-84.932, Bull. crim. n8 203; CA Aix, 25. 02. 1954, JCP 1955 II, 8611; s. dazu auch oben in diesem Kapitel B. II. 2. a) bb) (1) (b). 471 Cass. crim., 28. 06. 1983, n8 82-92.904, Bull. crim. n8 202; ebenso auch schon Cass. crim., 18. 11. 1980, n8 80-93.309, Bull. crim. n8 305, die die Nichtigkeit einer Prozesseröffnung unter der gemeinsamen Benennung von provocation à la haine raciale und diffamation raciale bestätigt. 467
B. Religionsfeindliche Äußerungen als strafbare Handlungen
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seien. Eine Bestrafung sei demnach nur nach dem schwereren Delikt, der provocation à la haine, möglich. Dies passt zur grundsätzlichen Prämisse im Presserecht, dass einer Handlung keine doppelte Qualifikation zugeordnet werden darf, damit der Beschuldigte nicht verunsichert wird.472 In ihrer neueren Rechtsprechung zeigt die Cour de cassation jedoch eine entgegengesetzte Tendenz und lässt die Verurteilung sowohl wegen diffamation als auch wegen provocation à la haine für die gleiche Handlung zu.473 Trotz der Besonderheiten des Presserechts könne eine einzelne Handlung mehrere Tatbestände erfüllen, sofern diese nicht inkompatibel miteinander seien und unterschiedliche Werte schützten. Diese Voraussetzungen seien für die diffamation raciale und die provocation à la haine raciale erfüllt, sodass beide Normen nebeneinander zur Anwendung kommen könnten. Gleiches dürfte für das Verhältnis zwischen injure und provocation à la haine gelten.474 Es ist also wohl von einer Idealkonkurrenz auszugehen, nur das schwerste Delikt wird zur Grundlage des Strafurteils.475 Betont wird allerdings, dass allein das Vorliegen einer diffamation noch nicht die Voraussetzungen einer provocation à la haine erfüllt.476 Dies sollte allerdings angesichts der unterschiedlichen Tatbestandsmerkmale selbstverständlich sein.
III. Reformtendenzen zur Einführung eines Gotteslästerungsdelikts Im Laufe der Zeit wurde dieses seit 1972 bestehende System der Straftatbestände mehrfach in Zweifel gezogen und Vorschläge zu einer Reform wurden laut. Zunächst wurde 1994 durch den derzeitigen Justizminister Toubon ein Vorentwurf eines Gesetzes zum Kampf gegen die Verbreitung rassistischer und fremdenfeindlicher Ideen477 eingebracht. Dieser sah neben der oben schon angesprochenen Überführung der Tatbestände in das Kernstrafrecht (und damit der Entziehung des besonderen presserechtlichen Verfahrens) insbesondere eine Verbindung von provocation à la haine raciale, diffamation raciale und injure raciale in einem einheitlichen Tatbestand der Ehrverletzung von Personen oder Personengruppen aus rassistischen Motiven vor.478 Durch einen Verzicht auf die wesentlichen Merkmale der bestehenden Tatbestände, vor allem auf einen direkten und persönlichen Angriff gegen die 472
Cass. crim., 26. 04. 2000, n8 98-87.633, Bull. crim. n8 167. s. zu den formellen Anforderungen der Prozesseröffnung auch unten in diesem Kapitel C. I. 473 Cass. crim., 29. 01. 1998, n8 96-84.851; Cass. crim., 30. 10. 2012, n8 11-88.562. 474 Auvret, in: JCl. Comm. Fasc. 3140, Rn. 21. 475 Auvret, in: JCl. Comm. Fasc. 3150, Rn. 118; Tillement, Légipresse n8 237 (2006), III, 223, 228. 476 TGI Paris, 06. 12. 1984, GP 1985 II, JP, 706; Auvret, in: JCl. Comm. Fasc. 3150, Rn. 115. 477 s. hierzu oben in diesem Kapitel Fn. 55. 478 Boulègue, Le blasphème au procès, S. 72; Cammilieri-Subrenat, RIDC 2002, 513, 520, 523; Korman, RTDH n8 46 (2001), 385, 394.
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4. Kap.: Strafbarkeit religionsfeindlicher Äußerungen in Frankreich
Betroffenen, sollte die Strafbarkeit erheblich ausgeweitet werden.479 Dies und die drohenden Verschärfungen des Verfahrens riefen allerdings die Presseorgane und die Ligue des droits de l’homme auf den Plan, sodass es schließlich in der Assemblée Nationale nicht zur Verabschiedung des Gesetzes kam.480 Einige Jahre später kam es, ausgelöst durch die öffentlichen Diskussionen um die dänischen Mohammed-Karikaturen, deren Veröffentlichung im französischen Satire-Magazin „Charlie Hebdo“ und den gewalttätigen Ausschreitungen, die auf beides folgten, zu weiteren Reformvorschlägen. Zum einen verfolgten diese Gesetzesvorschläge das Ziel, den Tatbestand der injure durch das Tatmittel des dessin,481 Zeichnung, und der caricature,482 Karikatur, zu ergänzen. Hier war bereits der Nutzen einer solchen Änderung höchst fragwürdig, verweist doch Art. 33 Pressefreiheitsgesetz auf dessen Art. 23, der schon das Tatmittel des dessin vorsieht und damit auch die caricature umfasst.483 Wesentlicher Inhalt des ersten Gesetzesvorschlags war allerdings die Einfügung eines weiteren Absatzes in Art. 29 Pressefreiheitsgesetz, der beschimpfende Äußerungen, die absichtlich die Grundlagen einer Religion zu Schaden kommen lassen, als injure definierte.484 Der Vorschlag sollte also dazu dienen, die restriktive Auslegung der Cour de cassation in Bezug auf den direkten und persönlichen Angriff gegen die Gläubigen zu umgehen.485 Während auch er schon aus dogmatischer Sicht zweifelhaft ist,486 wurde er vor allem inhaltlich abgelehnt, da er das délit d’opinion wieder einführe, die Meinungsfreiheit verletze und der Respekt religiöser Überzeugungen nicht durch das Strafrecht erzwungen werden solle.487 Außerdem verstoße er gegen das Prinzip der laïcité, da nur religiöse, nicht aber areligiöse Überzeugungen geschützt seien.488 Dem ist unter Berücksich479
Boulègue, Le blasphème au procès, S. 73. Korman, RTDH n8 46 (2001), 385, 395. 481 Art. 1 al. 2 der proposition de loi AN, n8 2895 visant à interdire les propos et les actes injurieux contre toutes les religions (Gesetzesvorschlag zum Verbot der beleidigenden Aussagen oder Handlungen gegen sämtliche Religionen) eingereicht in der Assemblée Nationale durch Jean-Marc Roubaud mit Wirkung zum 28. 02. 2006. 482 Art. 1 der proposition de loi AN, n8 2993 visant à interdire la banalisation du blasphème religieux par voie de caricature, (Gesetzesvorschlag zum Verbot der Banalisierung der religiösen Blasphemie durch das Mittel der Karikatur) eingereicht in der Assemblée Nationale durch Eric Raoult mit Wirkung zum 29. 03. 2006. 483 de Bellescize, D. 2006, 1476. 484 Art. 1 al. 2 der proposition de loi AN, n8 2895: „Tout discours, cri, menace, écrit, imprimé, dessin ou affiche outrageant, portant atteinte volontairement aux fondements des religions, est une injure.“ 485 Desmons, Blasphème, in: Outrages, insultes, blasphèmes et injures, S. 53, 55 f. 486 Der Vorschlag fügt nur eine weitere Definition der injure hinzu, nicht aber eine Strafbarkeitsregelung, die nur aus den Art. 32 ff Pressefreiheitsgesetz folgt. Konsequenterweise müssten also diese Normen auch auf die neue Definition angewandt werden, sodass trotzdem immer die injure eines Einzelnen oder einer Personengruppe auf Grund ihrer Religion erforderlich wäre. 487 de Bellescize, D. 2006, 1476; ähnlich Francillon, RSC 2006, 625, 631. 488 Desmons, Blasphème, in: Outrages, insultes, blasphèmes et injures, S. 53, 59. 480
C. Prozessuale Besonderheiten
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tigung der Tatsache, dass anders als im deutschen Recht ein Schutz von weltanschaulichen Überzeugungen nicht in Betracht gezogen wird, zuzustimmen. Auch diese Gesetzesinitiativen wurden aber von der Assemblée Nationale nicht aufgegriffen, sodass eine spezielle Regelung zu religionsfeindlichen Äußerungen im französischen Strafrecht weiterhin nicht besteht. Auf das Attentat gegen Charlie Hebdo am 7. Januar 2015 folgten bislang – anders als in Deutschland489 – keine Reformvorstöße in Richtung einer verschärften oder gelockerten Sanktionierung von Religionskritik. Die Justizministerin wandte sich jedoch in einem circulaire vom 12. Januar 2015 an die Staatsanwaltschaften des Landes, in dem sie diese anwies, Taten mit antireligiösem, antisemitischem oder rassistischem Hintergrund besonders streng zu verfolgen.
C. Prozessuale Besonderheiten Die Straftatbestände im Bereich des Presserechts unterliegen besonderen prozessualen Voraussetzungen, die sich aus den Vorschriften im letzten Abschnitt des Pressefreiheitsgesetzes ergeben. Die Rechtsprechung hat die Anwendung dieses Verfahrensrechts von den Pressedelikten im engeren Sinne auch auf die nicht öffentlich begangenen diffamation, injure und provocation à la haine des Code pénal ausgedehnt.490 Dies wird damit begründet, dass diese erst 1972 durch das loi Pleven aus dem Pressefreiheitsgesetz herausgenommen wurden, ohne dass ausdrücklich eine Änderung des Verfahrens vorgesehen wurde.491
I. Die Aufnahme der Strafverfolgung 1. Strafantragsbedürfnis Art. 47 Pressefreiheitsgesetz492 stellt das Prinzip auf, dass eine plainte, also ein Antrag des Betroffenen, für die Aufnahme eines Verfahrens bei Pressedelikten 489
s. hierzu oben 3. Kapitel B. III. 4. s. für die Anwendung der Verfahrensregeln des Presserechts auf die injure raciale non publique Cass. crim. 22. 05. 1974, n8 73-90.263, Bull. crim. n8 196; für die Anwendung der Verjährungsregeln s. Cass. crim., 11. 03. 2003, n8 02-86.902, Bull. crim. no 62. Es kann davon ausgegangen werden, dass dies auch für die diffamation sowie für die provocation à la haine gilt, s. Lassalle, Provocation, in: Rep. Pén., Rn. 25. 491 Cass. crim. 22. 05. 1974, n8 73-90.263, Bull. crim. n8 196. 492 „La poursuite des délits et contraventions de police commis par la voie de la presse ou par tout autre moyen de publication aura lieu d’office et à la requête du ministère public […].“ – Die Verfolgung der Vergehen und Übertretungen, die durch Presseerzeugnisse oder andere Veröffentlichungsmittel begangen werden, erfolgt von Amts wegen und auf Antrag der Staatsanwaltschaft […]. 490
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4. Kap.: Strafbarkeit religionsfeindlicher Äußerungen in Frankreich
grundsätzlich nicht erforderlich ist. Dies entspricht auch den Regeln des allgemeinen französischen Strafprozessrechts.493 Während Art. 48 Nr. 6 S. 1 Pressefreiheitsgesetz494 für die einfache injure und diffamation einen Antrag des Betroffenen voraussetzt, wird diese Bedingung für die injure und diffamation raciale et religieuse im zweiten Satz wieder aufgehoben. 2. Einleitung des Strafverfahrens Auch bezüglich der Einleitung des öffentlichen Strafverfahrens, der action publique, trifft das Pressefreiheitsgesetz Sonderregelungen. In der Regel obliegt sie dem ministère public, der Staatsanwaltschaft.495 Sie kann jedoch, sofern die Voraussetzungen erfüllt sind, auch auf Veranlassung des direkten Opfers oder eines die Opfer vertretenden Interessenverbands erfolgen. An das Verfahren einleitende Maßnahmen stellt das Presserecht dabei besondere Anforderungen. a) Sonderrechte der Interessenverbände Die Staatsanwaltschaft verfolgt bei der Einleitung von Verfahren das Opportunitätsprinzip.496 Entscheidet sie sich gegen eine Anklage – dies ist selbst bei Vorliegen einer plainte des Opfers möglich497 –, kann die Strafverfolgung auch durch einen Antrag der verletzten Partei in Gang gesetzt werden. Für injure und diffamation 493 Art. 1 al. 1 Code de procédure pénale: „L’action publique pour l’application des peines est mise en mouvement et exercée par les magistrats ou par les fonctionnaires auxquels elle est confiée par la loi.“ – Die öffentliche Anklage zur Anwendung der Strafen wird durch die Beamten in Gang gesetzt und ausgeführt, die das Gesetz dazu bestimmt. Dieser ist in Verbindung mit Art. 31 Code de procédure pénale zu lesen: „Le ministère public exerce l’action publique et requiert l’application de la loi, dans le respect du principe d’impartialité auquel il est tenu.“ – Die Staatsanwaltschaft führt die öffentliche Anklage aus und verlangt die Anwendung des Gesetzes unter Einhaltung des Prinzips der Unparteilichkeit, zu der sie verpflichtet ist. 494 „68 Dans le cas de diffamation envers les particuliers prévu par l’article 32 et dans le cas d’injure prévu par l’article 33, paragraphe 2, la poursuite n’aura lieu que sur la plainte de la personne diffamée ou injuriée. Toutefois, la poursuite, pourra être exercée d’office par le ministère public lorsque la diffamation ou l’injure aura été commise envers une personne ou un groupe de personnes à raison de leur origine ou de leur appartenance ou de leur non-appartenance à une ethnie, une nation, une race ou une religion déterminée.“ – Im Fall der Diffamierung von Privatpersonen gemäß Art. 32 und im Fall der Beleidigung gem. Art. 33 Abs. 2 findet eine Verfolgung nur auf Antrag der diffamierten oder beleidigten Person statt. Allerdings kann die Verfolgung auch von Amts wegen durch die Staatsanwaltschaft in Gang gesetzt werden, wenn die Diffamierung oder Beleidigung gegen eine Person oder eine Personengruppe auf Grund ihrer Herkunft oder ihrer Zugehörigkeit oder Nichtzugehörigkeit zu einer bestimmten Ethnie, Nationalität, Rasse oder Religion begangen wurde. 495 Molins, Action publique, in: Rép. Pén. Rn. 17 ff. 496 Molins, Action publique, in: Rép. Pén. Rn. 67. 497 Pfefferkorn, Einführung in das französische Strafverfahren, S. 99.
C. Prozessuale Besonderheiten
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religieuse ergibt sich dies aus Art. 48 a.E. Pressefreiheitsgesetz,498 für die provocation à la haine religieuse schon aus dem allgemeinen Strafprozessrecht.499 In diesem Zusammenhang trifft Art. 48-1 Pressefreiheitsgesetz500 eine für die Praxis bedeutungsvolle Sonderregelung, indem er für die injure oder diffamation raciale bzw. provocation à la haine raciale bestimmten Interessenverbänden die Befugnis einräumt, die Rechte der Verletzten wahrzunehmen. Bestimmte Vereinigungen können also, auch wenn sie keinen eigenen direkten und persönlichen Schaden geltend machen können, die action publique gegen den vermutlichen Täter auslösen. Voraussetzung ist, dass der Interessenverband seit mindestens fünf Jahren ordnungsgemäß registriert ist und sein Zweck entweder im Kampf gegen Rassismus oder im Beistand für Opfer von Diskriminierungen besteht. Die Cour de cassation verlangt darüber hinaus, dass sich auch dieses Ziel schon seit mindestens fünf Jahren aus den Statuten des Vereins ergibt.501 Erfasst werden sollten von der Norm vor allem Interessenverbände, die sich dem Minderheitenschutz verschrieben haben, da es diesen regelmäßig schwer fällt, ihre Interessen allein durchzusetzen. Nicht erst seit 498 „En outre, dans les cas prévus par les 28, 38, 48, 58, 68, 78 et 88 ci-dessus, ainsi que dans les cas prévus aux articles 13 et 39 quinquies de la présent loi, la poursuite pourra être exercée à la requête de la partie lésée.“ – Im Übrigen kann in den Fällen der Nr. 2, 3, 4, 5, 6, 7 und 8 sowie in den in den Art. 13 und 39 quinquies dieses Gesetztes vorgesehenen Fällen die Verfolgung auf Antrag der verletzten Partei ausgeführt werden. (In seiner Entscheidung CC, 25. 10. 2013, n8 2013-350 QPC, hat der Conseil constitutionnel allerdings den Ausschluss der n8 1 für verfassungswidrig erklärt, sodass jetzt sämtliche Fälle des Art. 48 n8 1-8 erfasst sind). 499 Art. 1 al. 2 Code de procédure pénale: „Cette action peut aussi être mise en mouvement par la partie lésée, dans les conditions déterminées par le présent code.“ – Diese Anklage kann auch durch die verletzte Partei in Gang gesetzt werden, wenn die Voraussetzungen dieses Gesetzes erfüllt sind. 500 „Toute association régulièrement déclarée depuis au moins cinq ans à la date des faits, se proposant, par ses statuts, de défendre la mémoire des esclaves et l’honneur de leurs descendants, de combattre le racisme ou d’assister les victimes de discrimination fondée sur leur origine nationale, ethnique, raciale ou religieuse, peut exercer les droits reconnus à la partie civile en ce qui concerne les infractions prévues par les articles 24 (alinéa 8), 32 (alinéa 2) et 33 (alinéa 3), de la présente loi, ainsi que les délits de provocation prévus par le 18 de l’article 24, lorsque la provocation concerne des crimes ou délits commis avec la circonstance aggravante prévue par l’article 132-76 du code pénal. Toutefois, quand l’infraction aura été commise envers des personnes considérées individuellement, l’association ne sera recevable dans son action que si elle justifie avoir reçu l’accord de ces personnes.“ Jeder Verband, der zum Zeitpunkt der Tat seit mindestens fünf Jahren ordnungsgemäß besteht und dessen Ziel das Andenken an die Sklaven oder die Ehrung deren Nachfahren, die Bekämpfung des Rassismus oder die Unterstützung der Opfer von Diskriminierung auf Grund ihrer nationalen, ethnischen, rassischen oder religiösen Herkunft ist, kann die Rechte des Verletzten geltend machen, die für die Straftaten nach Art. 24 al. 7, 32 al. 2 und 33 al. 3 dieses Gesetzes sowie für die Anstiftung nach Art. 24 al. 1 n8 1 zu Verbrechen oder Vergehen mit dem Qualifikationsmerkmal des Art. 132-76 Code pénal bestehen. Wenn jedoch die Tat gegen eine oder mehrere individuell bezeichnete Personen gerichtet ist, ist der Antrag des Verbands nur zulässig, wenn sie darlegen kann, dass sie das Einverständnis dieser Person oder Personen eingeholt hat. 501 Cass. crim., 26. 10. 1986, n8 85-95.307, Bull. crim. n8 302.
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4. Kap.: Strafbarkeit religionsfeindlicher Äußerungen in Frankreich
der Erweiterung des Anwendungsbereichs 1990 nehmen aber auch religiöse Gruppierungen die Rechte der Verletzten wahr, wie etwa die AGRIF (Alliance générale contre le racisme et pour le respect de l’identité française et chrétienne) zum Schutz christlicher, die LICRA (Ligue nationale contre le racisme et l’antisémitisme) zum Schutz ausländischer und jüdischer oder die Union des organisations islamiques de France zum Schutz muslimischer Werte. Richtet sich die Straftat gegen eine individuell bestimmte Person, benötigt der Interessenverband nach Art. 48-1 al. 2 Pressefreiheitsgesetz die Zustimmung dieser Person für die Wahrnehmung ihrer Rechte. Auffällig ist insofern, dass ein erheblicher Teil der religionsbezogenen Verfahren durch gerade solche Organisationen initiiert sind.502 Im Hinblick auf den Minderheitenschutz ist dieses Ergebnis durchaus wünschenswert. Ob es jedoch auch den Vorstellungen des Gesetzgebers entspricht, dass religiös motivierte Interessengemeinschaften auf diese Weise ihre Werte durchzusetzen versuchen, ist zweifelhaft. Vor diesem Hintergrund ist etwa das Beispiel der AGRIF zu betrachten: Der Verein, der zum Teil der rechtsextremistische Szene zugeordnet wird,503 aber jedenfalls höchst konservative Werte vertritt, änderte in den 1980er Jahren seine Bezeichnung, indem der Kampf gegen Rassismus als weiteres Ziel hinzugefügt wurde, um den Voraussetzungen des Art. 48-1 Pressefreiheitsgesetz zu entsprechen. Die Statuten jedoch sehen weiterhin die „Erhaltung bedrohter Werte unserer Zivilisation“, den „Kampf gegen subversive Ideen“ und neuerdings auch gegen „antifranzösischen und antichristlichen Rassismus“ vor.504 Auffällig ist, dass christlich orientierte Interessenverbände die ersten waren, die die ursprünglich auf Minderheitenschutz ausgerichteten Normen überhaupt auf religionsfeindliche Äußerungen anwandten,505 später folgten auch muslimisch geprägte.506 Auch diese Entwicklung dürfte so vom Gesetzgeber nicht bezweckt gewesen sein.
502 So wurden sämtliche Verfahren, die oben unter B. II. 3. untersucht wurden, von derartigen Interessenverbänden initiiert. 503 Lecœur, Dictionnaire de l’extrême droite, S. 50 ff.; Venner, Extrême France, S. 36. 504 Massis, D. 1992, chron., 113, 116, Fn. 32. Nachdem der AGRIF das Antragsrecht zunächst aus formellen Gründen verweigert worden war, Cass. crim., 26. 10. 1986, n8 85-95.307, Bull. crim. n8 302, wurde es ihr (nach Ablauf von fünf Jahren seit ihrer Namensänderung) schließlich anerkannt, Cass. crim. 16. 04. 1991, n8 90-87.508 und n8 90.8709, Bull. crim. n8 182. Sehr krit. zur Anerkennung der AGRIF als Interessenverband i.S.d. Art. 48-1 Pressefreiheitsgesetz Korman, RTDH 2001, 385, 398 f. 505 Sowohl für die provocation à la haine religieuse Cass. crim., 07. 12. 1993, n8 92-81.091 – Le bouc est mis, sœur! und n8 92-84.439 – Confessions en direct, Bull. crim. n8 374, als auch für injure und diffamation religieuse, Cass. crim., 16. 04. 1991, 90-87.509, Bull. crim. n8 182; Cass. crim., 07. 12. 1993, n8 92-81.094, Bull. crim. n8 373; Cass. crim., 30. 01. 1996, 94-83.980 – Carmel d’Auschwitz; Cass. crim., 02. 03. 1993, n8 91-84.653; Bull. crim. n8 94; Cass. crim., 03. 10. 1995, n8 94-80.064 – Eglises de l’est. 506 TGI Paris, 22. 03. 2007, Légipresse n8 242 (2007), III, 123.
C. Prozessuale Besonderheiten
323
b) Besondere Anforderungen des Presserechts an die citation directe Die Einleitung des gerichtlichen Verfahrens erfolgt entweder durch einen réquisitoire introductif, einen Ermittlungsantrag nach Art. 50, oder eine citation directe, eine unmittelbare Vorladung nach Art. 53 Pressefreiheitsgesetz.507 Bei ersterem handelt es sich um die Inanspruchnahme des juge d’instruction, des Ermittlungsrichters, durch den ministère public; letztere stellt ein verkürztes Verfahren dar, mit dem entweder durch den ministère public oder auch die partie civile direkt – das heißt ohne Ermittlungsphase vor dem juge d’instruction – der Beschuldigte am zuständigen Gericht vorgeladen werden kann. Für beide trifft das Pressefreiheitsgesetz einschränkende Sonderregelungen, die teilweise als zu pressefreundlich eingeschätzt werden.508 Die Anforderungen offenbaren einen auffallenden Formalismus: Sowohl die Staatsanwaltschaft als auch die Zivilpartei ist verpflichtet, in ihrem Antrag nicht nur die tatsächliche Begebenheit der als strafbar eingeschätzten Handlung darzulegen; anders als im allgemeinen Strafprozess509 ist darüber hinaus eine exakte rechtliche Qualifizierung der Handlungen sowie eine Nennung der die Strafbarkeit begründenden Normen erforderlich.510 Problematisch ist hier, dass injure und diffamation sich gegenseitig ausschließen511 und dass in einem solchen Verhältnis zueinander stehende Tatbestände nicht gemeinsam in der Schrift genannt werden dürfen.512 Alternative Qualifizierungen513 oder zwei nebeneinander einge507 Derieux/Granchet-Valentin, Droit des médias, Rn. 1554 f.; Guerder, Presse (Procédure), in: Rép. Pén., Rn. 412; Tavieaux-Moro, in: Traité de droit de la presse et des médias, Rn. 1026. Die Verfahren der convocation par procès verbal und der comparution immédiate sind auf Pressedelikte gem. Art. 397-6 Code de procédure pénale nicht anwendbar. 508 Derieux/Granchet-Valentin, Droit des médias, Rn. 1552; Kiejman, Légicom n8 35, 2006/1, 39, 40. Burgelin, D. 1992, JP, 442 spricht davon, dass der Gesetzgeber des Pressefreiheitsgesetzes nicht einen angemessenen Ausgleich zwischen Diffamierendem und Diffamiertem finden wollten, sondern insbesondere durch die Verfahrensregeln ersteren willentlich wesentlich bevorzuge. 509 Die Besonderheit ergibt sich daraus, dass im allgemeinen Strafrecht das Strafverfahren nicht ausschließlich durch die genannten Verfahren ausgelöst werden kann, s. dazu Cass. crim., 20. 10. 1992, n8 91-86.924, Bull. crim. n8 330. 510 Art. 50 Pressefreiheitsgesetz: „Si le ministère public requiert une information, il sera tenu, dans son réquisitoire, d’articuler et de qualifier les provocations, outrages, diffamations et injures à raison desquels la poursuite est intentée, avec indication des textes dont l’application est demandée, à peine de nullité du réquisitoire de ladite poursuite.“ – Wenn die Staatsanwaltschaft weitere Untersuchungen verlangen will, hat sie in ihrem Antrag an den Ermittlungsrichter die Anstiftungen, Kränkungen, Diffamierungen und Beleidigungen, auf Grund derer das Verfahren angestrengt werden soll, darzustellen und rechtlich zu qualifizieren sowie die Normen anzugeben, deren Anwendung beantragt wird; bei Verletzung dieser Regelung ist die Verfügung nichtig. Art. 53 al. 1 Pressefreiheitsgesetz: „La citation précisera et qualifiera le fait incriminé, elle indiquera le texte de loi applicable à la poursuite.“ – Die Vorladung präzisiert die vorgeworfenen Handlungen und nimmt eine rechtliche Einordnung vor, sie nennt auch die im Verfahren anzuwendende Vorschrift. 511 Merle/Vitu, Traité de droit criminel: Droit pénal spécial II, Rn. 1956. 512 Dreyer, Droit de l’information, Rn. 498.
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4. Kap.: Strafbarkeit religionsfeindlicher Äußerungen in Frankreich
legte Verfügungen514 sind ebenfalls nicht zulässig. Wird gegen diese Auflagen verstoßen, sind der réquisitoire introductif bzw. die citation directe und das gesamte bis dahin ergangene Verfahren nach Art. 50 bzw. Art. 53 al. 3 Pressefreiheitsgesetz nichtig.515 Ihre besondere Wirkung entfalten diese hohen Anforderungen im Zusammenspiel mit der eingeschränkten Gestaltungskompetenz des Richters: Ist die rechtliche Einordnung nach seiner Ansicht nicht korrekt, kann er keine eigene Qualifizierung vornehmen.516 Diese strengen Vorschriften werden allgemein als exzessiv und zu nachteilig für den Verletzten angesehen.517 Denn wenn auch kein Strafklageverbrauch vorliegt, kann die Nichtigkeit des Verfahrens doch die Bestrafung des Beschuldigten verhindern, da die Tat in solchen Fällen regelmäßig schon verjährt ist. Dies beruht insbesondere auf den auffallend kurzen Verjährungsfristen des Presserechts, die durch eine nichtige Verfahrenseröffnung auch nicht unterbrochen werden.
II. Verkürzte Verjährungsfristen im Presserecht Die kurze Verjährungsfrist ist eins der auffälligsten Merkmale des Presserechts und wird als dessen pierre angulaire, Eckpfeiler, bezeichnet.518 Art. 65 Pressefreiheitsgesetz sieht schon in seiner ursprünglichen Form von 1881 vor, dass sämtliche Pressedelikte nach drei Monaten verjährt sind. Das stellt die kürzeste Verjährungsfrist dar, die das französische Strafrecht – mit seiner Regelverjährung von drei Jahren für Vergehen, Art. 8 al. 1 Code de procédure pénale – kennt.519 Als Begründung für 513
Cass. crim., 12. 06. 1987, n8 86-90.897, Bull. crim. n8 244. Cass. crim., 07. 04. 1992, n8 87-81.208, Bull. crim. n8 149. 515 Dabei gelten zum Teil unterschiedliche Regelungen je nachdem, ob es sich um ein réquisitoire introductif oder eine citation directe handelt und ob letztere vom ministère public oder der Zivilpartei ausgeht; s. dazu ausführlich Guerder, Presse (Procédure), in: Rép. Pén., Rn. 575 ff. Für Francillon, RSC 2013, 104, 105 ist die Nichtigkeit die zwingende Folge aus der fehlenden Kompetenz des Richters zur Korrektur der rechtlichen Qualifizierung. Vgl. hierzu auch Korman, RTDH n8 46 (2001), 385, 390 ff. 516 Cass. crim., 12. 01. 1956, n8 3208, Bull. crim. n8 53; Cass. crim., 12. 06. 1956, n8 1031/ 55, Bull. crim. n8 458; Cass. crim., 10. 10. 1963, n8 92.756/62, Bull. crim. n8 279; Cass. crim., 13. 11. 1978, n8 76-91.548, Bull. crim. n8 314; Cass. crim., 14. 05. 1979, n8 78-93.118, Bull. crim. n8 172. Eine Ausnahme gilt für das Verhältnis zwischen öffentlichen und nicht öffentlichen provocations, diffamations und injures: Fehlt es an der Öffentlichkeit, darf der Richter die Qualifizierung in die jeweilige nicht öffentliche Übertretung modifizieren, Cass. crim., 21. 02. 1995, n8 92-86.617, Bull. crim. n8 76; Cass. crim., 08. 04. 2008, n8 07-87.226, Bull. crim. n8 94. 517 Beignier, L’honneur et le droit, S. 182; Derieux/Granchet-Valentin, Droit des médias, Rn. 1555; Dreyer, Droit de l’information, Rn. 507. Die Cour de cassation hat allerdings die Verfassungsmäßigkeit des Art. 50 Pressefreiheitsgesetz bejaht, Cass. crim., 19. 02. 2013, n8 1284.302 QPC, JurisData n8 2013-003144. 518 Guerder, Presse (Procédure), in: Rép. Pén., Rn. 864. 519 Dreyer, Droit de l’information, Rn. 468. 514
C. Prozessuale Besonderheiten
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die außergewöhnlich kurze Frist wird die Schnelllebigkeit der Medien angeführt, in denen Schlagzeilen immer aktuell sein müssen und das Vergessen mit besonderer Geschwindigkeit um sich greift.520 Außerdem soll sie Meinungs- und Pressefreiheit garantieren.521 Für die öffentliche522 provocation à la haine raciale, die öffentliche diffamation raciale und die öffentliche injure raciale trifft Art. 65-3 Pressefreiheitsgesetz allerdings seit 2004523 eine Sonderregelung: Diese verjähren seitdem erst nach Ablauf eines Jahres. In einem Verfahren über eine question prioritaire de constitutionnalité hat der Conseil constitutionnel die Verfassungsmäßigkeit dieser modifizierten Verjährungsfrist mit der Begründung bejaht, diese Delikte unterschieden sich in ihrer Natur von den anderen Delikten des Presserechts, sodass eine verlängerte Verjährungsfrist die Meinungsfreiheit nicht unverhältnismäßig einschränke und auch das Prinzip der Gleichheit im Strafprozess nicht tangiert werde.524 In der Literatur wird daneben auf das Prinzip der Menschenwürde hingewiesen, das die besondere Behandlung rechtfertige,525 und auf die besondere Schwere von Taten mit rassistischer Motivation.526 Zum Teil wird sogar betont, dass auf Grund der Bedeutung des Kampfs gegen Rassismus auch die verlängerte Frist noch deutlich zu kurz ist und auf die dreijährige Regelverjährung zurückgegriffen werden sollte.527 Die Frist beginnt ab der Veröffentlichung der Äußerung zu laufen,528 es handelt sich um eine infraction instantanée, also ein Zustandsdelikt, das bereits mit der Veröffentlichung beendet ist.529 Jede erneute Veröffentlichung stellt allerdings eine 520 Guerder, Presse (Procédure), in: Rép. Pén., Rn. 862; Barbier, Code expliqué de la presse, Rn. 1008; Toulemon, Code de la presse, Art. 65 Rn. 3. 521 Cass. 2e civ., 14. 12. 2000, n8 98-22.427, Bull. civ. II, n8 173; Cass. crim., 02. 10. 2001, n8 01-81.951, Comm. com. électr. 2002, comm. 66. Mit dieser Begründung hat die Cour de cassation auch den Antrag auf eine QPC abgelehnt; Cass. 1ère civ., 05. 04. 2012, n8 11-25.290, Bull. civ. I n8 87. In einem anderen Verfahren hat der Conseil constitutionnel diese Argumentation in seine Entscheidung aufgenommen, CC, 12. 04. 2013, n8 2013-302 QPC, JORF v. 14. 04. 2013, S. 6186. 522 Obwohl die Verjährungsfristen des Presserechts auch auf die nicht öffentlichen Varianten der Tatbestände anwendbar sind, gilt dies nicht für Verlängerung der Verjährung nach Art. 65-3 Pressefreiheitsgesetz, Cass. crim., 23. 05. 2006, n8 06-80.820, Bull. crim. n8 144; Cass. crim., 07. 06. 2006, n8 05-83.812, Bull. crim. n8 162. 523 Art. 65-3 wurde durch die loi n82004-204 du 9 mars 2004 portant adaptation de la justice aux évolutions de la criminalité (1), (Gesetz vom 09. 03. 2004 zur Anpassung des Gerichtswesens an die Entwicklungen der Kriminalität (1)), Art. 45, JORF v. 10. 03. 2004 eingefügt. 524 CC, 12. 04. 2013, n8 2013-302 QPC, JORF v. 14. 04. 2013, S. 6186. 525 De Lamy, RSC 2013, 910, 912. 526 Dreyer, D. 2013, 1526, 1529. 527 Dreyer, Légicom n8 35, 2006/1, 107, 114 f. 528 s. schon Cass. crim. 11. 07. 1889, Bull. crim. n8 252; Cass. crim., 20. 03. 1890, Bull. crim. n8 74; Cass. crim., 26. 04. 1890, Bull. crim. n8 93; Cass. crim., 13. 10. 1987, n8 86-96.686, Bull. crim. n8 349. 529 Derieux/Granchet-Valentin, Droit des médias, Rn. 1520; Dreyer, Droit de l’information, Rn. 315 f.; Guerder, Presse (Procédure), in: Rép. Pén., Rn. 898 f.
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4. Kap.: Strafbarkeit religionsfeindlicher Äußerungen in Frankreich
neue Tat mit eigener Verjährung dar.530 Die Veröffentlichung als Fristbeginn gilt grundsätzlich für Bücher, Zeitungen und Zeitschriften ebenso wie für Plakate, Flugblätter oder mündliche Äußerungen. Umstritten ist der Beginn der Verjährung bei einer Veröffentlichung im Internet. Die juges du fond waren zunächst überwiegend davon ausgegangen, dass die technischen Besonderheiten des Internets eine neue Interpretation der Norm rechtfertigten und im Sinne eines Dauerdelikts die dauernde Veröffentlichung auf einer Internetseite als regelmäßig erneuerter Wille zur Beibehaltung der Verletzung zu werten sei, sodass die Frist erst ab Beendigung der Veröffentlichung zu laufen beginne.531 Dem ist die Cour de cassation entgegengetreten. Sie entschied erst lediglich implizit,532 dann aber auch ausdrücklich,533 dass auch bei einer Veröffentlichung im Internet der Startpunkt der Verjährung der Moment sein muss, an dem die Äußerung erstmals ihren Adressaten zugänglich gemacht wurde. Sie hat damit die Einordnung der Pressedelikte als Zustandsdelikte bestätigt und unter Absehung von den technischen Begebenheiten die einheitliche Behandlung aller Pressedelikte garantiert.534 Unterbrochen wird der Lauf der Verjährung erst durch einen ordnungsgemäßen acte de poursuite, also einen Strafverfolgungsakt, in Form eines réquisitoire introductif; einer citation directe oder einer plainte avec constitution de partie civile (Antrag auf Eröffnung eines Verfahrens mit Bestellung als Zivilpartei), die den Anforderungen der Art. 50 und 53 Pressefreiheitsgesetz entsprechen.535 Gerade dieses letzte Kriterium, die Rechtmäßigkeit des Antrags, ist problematisch: Wurde zunächst eine falsche Qualifikation angegeben (meist auf Grund der schwierigen Unterscheidung zwischen diffamation und injure), sind alle Verfahrenshandlungen nichtig,536 sodass die Verjährung weiterläuft und nicht durch den Antrag unterbrochen wird. Scheitert dann das Verfahren an der Nichtigkeit des Antrags, kommt eine Wiederholung mit Bezug auf einen anderen Tatbestand nicht mehr in Betracht, weil die Tat verjährt ist. Daher stellt die Verlängerung der Verjährungsfristen für die rassistisch motivierten Pressedelikte in diesem Bereich eine Verbesserung dar. Im Laufe des Verfahrens unterbrechen auch bestimmte Prozesshandlungen der Parteien sowie Entscheidungen des Gerichts537 den Lauf der Verjährung. In diesen Fällen der 530
Cass. crim., 02.10. 2012, n8 12-80.419, Bull. crim. n8 204. CA Paris, 15. 12. 1999, D. 2000, 403; TGI Paris, 06. 12. 2000, D. 2001, 180. 532 Cass. crim., 30. 01. 2001, n8 99-87.024, Bull. crim. n8 27; krit. hierzu Blanchetier, D. 2001, 2056 ff. 533 Cass. crim., 16. 10. 2001, n8 00-85.728, Bull. crim. n8 211; ebenso Cass. crim., 27. 11. 2001, n8 01-80.134 und 01-80.135, Bull. crim. n8 246; Cass. crim., 19. 09. 2006, no 05-87.230, Comm. com. électr. 2006, comm. 162. 534 Guerder, Presse (Procédure), in: Rép. Pén., Rn. 922. 535 Cass. crim., 31. 03. 1960, n8 92.017/59, Bull. crim. n8 194; Cass. crim., 24. 02. 1966, n8 90.487/65, Bull. crim. n8 73; Cass. crim., 25. 06. 1970, n8 69-93.357, Bull. crim. n8 218. 536 s. hierzu Korman, RTDH 2001, 385, 390. 537 s. zu den Einzelheiten der unterbrechenden und nicht unterbrechenden Prozesshandlungen Guerder, Presse (Procédure), in: Rép. Pén., Rn. 940 ff. 531
D. Fazit
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interruption de la prescription beginnt die Frist nach dem betreffenden Ereignis neu zu laufen.
D. Fazit Zur Sanktionierung religionsfeindlicher Aussagen bietet das französische Strafrecht die Tatbestände der provocation à la haine religieuse, die injure religieuse sowie die diffamation religieuse, die sämtlich durch ein Antirassismus-Gesetz eingeführt wurden und somit in erster Linie dem Minderheitenschutz dienen sollten. Im Laufe der Zeit etablierten die religionsbezogenen Tatbestandsalternativen aber eine eigene Schutzrichtung. Dies ist insbesondere auf die zunächst sehr extensive untergerichtliche Rechtsprechung zurückzuführen, die religionskritische Aussagen und Darstellungen zum Teil von diesen Normen erfasst sah. Insgesamt zeigt die Auswertung der Rechtsprechung in diesem Bereich aber eine wachsende Zurückhaltung der französischen Gerichte bei der strafrechtlichen Sanktionierung von Religionsfeindlichkeit. Diese scheint zumindest zum Teil auf eine Verurteilung Frankreichs durch den Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zurückzugehen. So wird in den auf diese Verurteilung folgenden Entscheidungen regelmäßig betont, strafrechtliche Beschränkungen der Meinungsfreiheit seien restriktiv auszulegen.538 Das restriktive Verständnis manifestiert sich insbesondere in einem besonderen Augenmerk auf die Feststellung des tatsächlichen Betroffenen der Äußerung: Vorliegen muss ein direkter und persönlicher Angriff gegen eine oder mehrere Personen; eine Attacke gegen Religionsinhalte genügt nicht. Des Weiteren wird in Anlehnung an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte der Zweck der Äußerung in die Beurteilung miteinbezogen, indem eine Strafbarkeit nur im Falle einer offense gratuite angenommen wird. An dieser fehlt es regelmäßig im Rahmen einer öffentlichen Debatte zu einem gesellschaftlich relevanten Thema. Für eine Straffreiheit spricht nach dieser Rechtsprechung zudem, dass eine Äußerung nur denjenigen zugänglich wird, die sich bewusst dafür entscheiden. Die Großzügigkeit manifestiert sich vor allem bei religionsbezogenen Karikaturen oder Abbildungen, die Objekte der religiösen Verehrung darstellen und dadurch die Gemüter der Gläubigen erhitzen. Andererseits findet sie dort ihre Grenzen, wo die Personengruppe nicht ausschließlich durch die freiwillige Zugehörigkeit zu einer Religion, sondern durch das gewissermaßen zwingende und unabänderliche Kriterium der Herkunft definiert wird. Letztlich müssen die Kriterien nicht nur für sich allein, sondern in einem Proportionalitätszusammenhang gesehen werden: Je gewaltorientierter und je kränkender der Angriff ist, desto mehr entfernt man sich von einer sachlichen und ge538 Cass. crim., 14. 02. 2006, n8 05-81932, Bull. crim. n8 42 – Nuit de la Sainte Capote; Cass. crim., 02. 05. 2007, n8 06-84.710, Bull. crim. n8 115 – Christ en gloire; CA Paris, 12. 03. 2008, n8 07/02873, Légipresse n8 252 (2008), III, 107.
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4. Kap.: Strafbarkeit religionsfeindlicher Äußerungen in Frankreich
sellschaftlich nützlichen Debatte über öffentliche Interessen und desto persönlicher ist damit der Angriff.539 Als zum Teil problematisch sind jedoch prozessualen Vorschriften zu bewerten. Das weitreichende Antragsrecht von – teilweise zweifelhaften – Interessenverbänden führt zu zahlreichen Verfahren und könnte einen chilling-effect in dem Sinne bewirken, dass Religionskritiker sich aus Furcht vor Verfahren selbst zensieren. Die hohen Anforderungen an die Präzisierung der Anträge in Verbindung mit dem Umqualifizierungsverbot und den kurzen Verjährungsfristen bewirken keinen Schutz der Meinungs- und Pressefreiheit, sondern verhindern eine klare Abgrenzung zwischen den verschiedenen Tatbeständen. Die Cour de cassation zweifelt, um die Verfahren zu „retten“, nur selten an der rechtlichen Einordnung durch die Instanzgerichte, sodass die gesetzlich vorgegebene Abgrenzung zu verschwimmen droht. Der wesentliche Vorteil der französischen Konzeption ist aber darin zu sehen, dass sämtliche Tatbestände konsequent an einem Individualschutz ausgerichtet sind. Auch wenn weder in der Rechtsprechung noch in der Literatur detaillierte Ausführungen über mögliche Schutzzwecke zu erblicken sind, wird an der Auslegung durch die Gerichte deutlich, dass für eine Sanktionierung stets eine Beeinträchtigung einer oder mehrerer Einzelpersonen erforderlich ist.
539 Francillon, RSC 2006, 625, 630; zust. Droin, Limitations à la liberté d’expression, Rn. 547.
5. Kapitel
Vergleichende Bewertung der deutschen und französischen Rechtslage Im Folgenden sind die herausgearbeiteten Ergebnisse des deutschen und des französischen Rechts zur Bestrafung von religionsfeindlichen Äußerungen vergleichend gegenüberzustellen. Nachdem diagnostiziert wurde, dass das deutsche Recht zu dieser Frage keine zufriedenstellenden Antworten bereithält, wird dabei insbesondere untersucht, ob die französische Konzeption eine gangbare Alternative darstellt. Bevor aber die Vor- und Nachteile der jeweiligen Strukturen herausgestellt werden, ist darauf einzugehen, was beide Rechtssysteme verbindet. Die zahlreichen Übereinstimmungen sollen in einem ersten Teil herausgearbeitet und dargestellt werden. Denn nur wenn der gemeinsame Hintergrund angemessen erfasst wird, kann es gelingen, die Dimension und die Auswirkungen der Unterschiede zu analysieren. Diese Untersuchung soll in einem zweiten Teil folgen. Neben einer Darstellung der Abweichungen werden die jeweiligen Vorgehensweisen kritisch beleuchtet sowie der Versuch unternommen, die Ursachen der Unterschiede zu ergründen.
A. Gemeinsamkeiten des deutschen und französischen Rechts bei der Strafbarkeit religionsfeindlicher Äußerungen Die vorhergehenden Darstellungen des deutschen und französischen Rechts offenbaren, dass beide Rechtsordnungen in vielen Aspekten ähnliche Züge aufweisen. Diese manifestieren sich sowohl in den allgemeinen Regeln als auch in den Tatbeständen der Volksverhetzung und der Ehrdelikte.
I. Vergleichbare Vorgehensweise bei der Auslegung von Äußerungen In beiden Rechtssystemen haben Rechtsprechung und Literatur erkannt, dass die Deutung einer Äußerung eine wesentliche Grundvoraussetzung einer Strafbarkeitsprüfung ist. In Deutschland entschied das Bundesverfassungsgericht, dass schon die falsche Interpretation einer Äußerung eine Grundrechtsverletzung darstellen
330
5. Kap.: Bewertung der deutschen und französischen Rechtslage
kann, wenn sie zu einer Strafbarkeit führt.1 Es hat daher den Auslegungsprozess in zahlreichen Entscheidungen konkretisiert und hohe Anforderungen für gerichtliche Entscheidungen geschaffen. Literatur und Rechtsprechung zu dieser Frage sind deshalb in Deutschland wesentlich umfangreicher als in Frankreich. Während sich die deutschen Gerichte in ihren Entscheidungen dementsprechend zum Teil ausführlich mit verschiedenen Interpretationsmöglichkeiten einer Äußerung auseinandersetzen und erst nach erheblichem Begründungsaufwand ihrer Entscheidung eine dieser Alternativen zugrunde legen, lässt zumindest die Cour de cassation ihre Auslegungsvorgänge im Dunkeln2 und scheint sich zum Teil willkürlich für eine Deutungsmöglichkeit zu entscheiden. Bei näherer Betrachtung wird aber deutlich, dass auch ihrer Auslegung wiederkehrende Prinzipien zugrunde liegen. Zunächst stellt sich die Frage, auf welche Sichtweise bei der Interpretation von Äußerungen abzustellen ist. Das Bundesverfassungsgericht stellt klar, dass nicht allein die subjektive Vorstellung des Äußernden ausschlaggebend sein kann,3 sodass insofern stets ein objektives Verständnis zugrunde zu legen ist. Eine vergleichbare Feststellung fehlt in der französischen Rechtsprechung. Die Literatur betont aber, dass die Äußerung aus der Sicht der Personen zu verstehen ist, an die sie gerichtet ist. Sowohl in Deutschland als auch in Frankreich knüpfen die gerichtlichen Entscheidungen regelmäßig an die Sichtweise des Durchschnittslesers bzw. des lecteur moyen an. Das Verständnis dieses Durchschnittslesers variiert in beiden Rechtsordnungen nach der Art des Mediums: Während zum Beispiel bei Tageszeitungen und anderen leicht zugänglichen Medien ein unbefangener Leser bzw. ein lecteur non initié zugrunde gelegt wird, soll bei einem Satiremagazin oder einem eng beschrieben mehrseitigen Flugblatt auf einen aufmerksamen interessierten Leser abgestellt werden. Wurde der Empfängerhorizont herausgearbeitet, ist zu untersuchen, wie die Äußerung vor diesem Hintergrund verstanden wird. Hier stimmen französische und deutsche Gerichte und Autoren darin überein, dass der Wortlaut zwar die ersten Anhaltspunkte gibt, aber insoweit noch nicht ausschlaggebend ist. Zunächst besteht Einigkeit darüber, dass der gesamte Inhalt einer Äußerung berücksichtigt werden muss; eine isolierte Betrachtung einzelner Textpassagen ist nicht zulässig. Aber darüber hinaus müssen auch die äußeren Umstände der Äußerung hinzugezogen werden, in Frankreich als éléments extrinsèques bezeichnet. Berücksichtigt werden insoweit etwa der gesamtpolitische oder historische Zusammenhang sowie vorherige bekannte Äußerungen oder Einstellungen des Äußernden, wobei das deutsche Recht einen Rückgriff auf letztere nur erlaubt, wenn der Äußernde ausdrücklich darauf Bezug nimmt. 1
BVerfGE 43, 130, 136 f. – Flugblatt; 82, 43, 50 – Strauß-Transparent, vgl. hierzu und zum Folgenden oben 3. Kapitel A. I. 1. 2 Vgl. hierzu und zum Folgenden oben 4. Kapitel A. II. 1. Ein gutes Gegenbeispiel ist allerdings das Urteil des TGI Paris, 22. 03. 2007, Légipresse n8 242 (2007), III, 123, 124. 3 BVerfGE 93, 266, 295 – Soldaten sind Mörder.
A. Gemeinsamkeiten des deutschen und französischen Rechts
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Das unterschiedliche Gewicht, das der Frage nach der Interpretation von Äußerungen in der deutschen und der französischen Rechtsprechung beigemessen wird, wirkt sich somit im Ergebnis nicht wesentlich aus. So wird in beiden Ländern bei der Auslegung ein das Verständnis eines Durchschnittsempfängers der betreffenden Mediums zugrunde gelegt und neben der Aussage selbst auch sämtliche erkennbaren äußeren Umstände herangezogen. Dass einzelne Interpretationen von Gerichten in beiden Staaten zum Teil nicht zu überzeugen vermögen,4 stellt diese Grundsätze nicht in Frage. Auf einzelne Unterschiede bei der Auslegung von Äußerungen, insbesondere bei Satire, soll im Folgenden noch eingegangen werden.5 Vorher jedoch sind die Übereinstimmungen der beiden Rechtsordnungen im Bereich der einzelnen betroffenen Tatbestände zu erörtern.
II. Vergleichbare Strukturen der strafrechtlichen Tatbestände und Argumentationsstrukturen Auch bei der Analyse der relevanten Tatbestände kristallisieren sich zahlreiche Übereinstimmungen zwischen den beiden Rechtsordnungen heraus. 1. Keine Bestrafung der Gotteslästerung im engeren Sinn Zunächst ist festzuhalten, dass eine Gotteslästerung im engeren Sinne in beiden Staaten nicht unter Strafe gestellt wird. Sowohl in Deutschland als auch in Frankreich würde ein solcher Tatbestand als unzulässige Begrenzung der Meinungsfreiheit empfunden werden, da eventuelle metaphysische Interessen einen Eingriff in das Grundrecht nicht rechtfertigen können. Nach deutschem Recht könnte schon kein allgemeines Gesetz vorliegen, dass die Meinungsfreiheit nach Art. 5 Abs. 2 GG zulässigerweise beschränken würde, da es eine Meinung als solche verbietet und nicht dem Schutz eines schlechthin, ohne Rücksicht auf eine bestimmte Meinung, zu schützenden Rechtsguts dient.6 Darüber hinaus wäre ein solches Verbot mit dem Neutralitätsgebot schwerlich zu vereinbaren. Nach französischem Recht verstieße ein solcher Straftatbestand zum einen gegen das Verbot des délit d’opinion, das ebenfalls eine Bestrafung bestimmter Meinungen untersagt. Zum anderen ließe sich ein Gesetz mit einem direkten metaphysischen Bezug nicht mit dem Laizitätsprinzip in Einklang bringen, das die strikte Trennung zwischen Staat und Kirche und ebenfalls eine staatliche Neutralität propagiert.
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So etwa in BVerfG 86, 1, 12 – geb. Mörder bzw. Cass. crim., 08. 12. 1966, JCP 1967 II, 15008 („Korsen sind keine Franzosen“). 5 s. unten in diesem Kapitel B. II. 1. 6 Zu den Anforderungen an allgemeine Gesetze i.S.d. Art. 5 Abs. 2 GG s. oben 2. Kapitel A. I. 2. a).
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5. Kap.: Bewertung der deutschen und französischen Rechtslage
2. Vergleichbare Voraussetzungen der Bestrafung von Volksverhetzungen Schon historisch gesehen gehen der französische Art. 24 al. 5 Pressefreiheitsgesetz und der deutsche § 130 Abs. 1 StGB auf denselben Ursprung zurück, nämlich auf das Verbot der Aufreizung zum Klassenkampf gemäß Art. 10 der loi du 25 mars 1822 relative à la répression des délits de presse.7 Die Tatbestandsmerkmale entwickelten sich zwar seither in teilweise verschiedene Richtungen, in ihren Grundstrukturen und ihrem Anwendungsbereich stimmen beide Delikte jedoch noch weitgehend überein. a) Schutzzweck der Norm Die Schutzzweckdebatte wird in beiden Ländern in sehr unterschiedlicher Intensität, dafür aber nur mit wenig unterschiedlichen Ergebnissen geführt. Während im deutschen Schrifttum die Zulässigkeit der diversen möglichen Schutzgüter wie der öffentliche Frieden, die Menschenwürde und der vorverlagerte Schutz von Individualrechtsgütern wie Leib und Leben höchst kontrovers erörtert wird, beschränkt sich die französische Literatur auf die kurze Feststellung, die Norm schütze das Recht auf Nichtdiskriminierung sowie den ordre public. Hier manifestiert sich das obige Resultat,8 dass in Frankreich geringere Anforderungen an den grundrechtsbeschränkenden Gesetzgeber gestellt werden. Auf der Grundlage des Grundgesetzes überzeugt für die direkte Aufhetzung zu Straftaten ein vorverlagerter Individualrechtsgüterschutz. Der Straftatbestand zeichnet sich durch die besondere Nähe zu den drohenden Verletzungen aus, sodass die Vorverlagerung legitim erscheint. Sofern – wie nach dem aktuellen deutschen Recht – auch eine Variante besteht, die an die Verletzung der Menschenwürde der Betroffenen anknüpft, ist diese selbst geeignetes Schutzgut des Tatbestands. Ein Recht auf Nichtdiskriminierung nicht nur gegenüber dem Staat, sondern auch zwischen Privaten kennt das deutsche Recht – anders als das französische – nicht. b) Vergleichbarkeit der tatbestandlichen Voraussetzungen Bei der Untersuchung der Anforderungen ergibt sich, dass die Tatbestände der provocation à la haine und die Volksverhetzung im Wesentlichen, bis auf einige hier nicht weiter relevante Unterschiede, übereinstimmen.
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s. hierzu oben 1. Kapitel B. I. 2. sowie B. II. 2. s. oben 2. Kapitel C.
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aa) Tatbestandliche Handlungsalternativen In Bezug auf die einzelnen Tatbestandsmerkmale bestehen zunächst gewisse Überschneidungen zwischen den beiden Vorschriften. Vergleichbar geblieben ist der Teil der jeweiligen Norm, der das Aufreizen zum Hass und das Aufstacheln zu Gewaltmaßnahmen bzw. die provocation à la haine ou à la violence gegenüber einer Person oder einer Personengruppe auf Grund ihrer nationalen, rassischen, religiösen oder ethnischen Herkunft unter Strafe stellt. Strafbewährtes Verhalten ist jeweils das direkte Hervorrufen von Gewalt oder – subtiler – einer Feindseligkeit gegen die Angehörigen einer bestimmten Bevölkerungsgruppe. Nach beiden Rechtsordnungen muss das Verhalten objektiv zu dieser Wirkung geeignet und subjektiv darauf gerichtet sein.9 Der Begriff der „violence“ einerseits und der „Gewaltmaßnahmen“ andererseits sind zwar nicht als identisch zu verstehen. Erstere beinhaltet stets die Verwirklichung des Straftatbestandes der Körperverletzung, während letztere nach der überwiegenden Ansicht aggressive, gegen die körperliche Unversehrtheit von Menschen oder fremden Sachen gerichtete aktive Handlungen von einiger Erheblichkeit unter Einsatz physischer Kraft voraussetzen. Damit ist die französische Vorschrift auf der einen Seite enger, da sie nur Angriffe gegen Personen, nicht gegen Sachen betrifft, auf der anderen Seite aber weiter, da keine besondere Intensität des Angriffs verlangt wird. Im Ergebnis wirken sich diese geringfügigen Unterscheidungen jedoch nicht aus, da beide Normen einen tatsächlichen Erfolg im Sinne des Vorliegens einer solchen Reaktion Dritter objektiv nicht voraussetzen. Welche Reaktionen eine Handlung hypothetisch hervorrufen kann bzw. subjektiv hervorrufen soll, lässt sich praktisch gar nicht so genau differenzieren, dass sich hinsichtlich der Intensität der tatbestandlichen Handlungen Unterschiede ergeben könnten. Leicht unterschiedliche Anforderungen sind wohl an die Voraussetzung des Hervorrufens von discrimination einerseits und Willkürmaßnahmen anderseits zu stellen, da letztere über eine bloß ungerechtfertigte unterschiedliche Behandlung hinaus einen Widerspruch zu elementaren Geboten der Menschlichkeit verlangen. Die diesbezüglich geringeren Anforderungen des französischen Rechts dürften darauf zurückzuführen sein, dass dessen gesamte Rechtsordnung wesentlich intensiver auf die Herstellung von Gleichheit ausgerichtet ist und das subjektive Recht auf Nichtdiskriminierung auch gegenüber Privaten wirkt. Dies manifestiert sich auch darin, dass private Diskriminierungen nach bestimmten Kriterien unter Strafe gestellt werden (Art. L. 225-1 bis 225-4 Code pénal). Im deutschen Rechtssystem hingegen sollen ungerechtfertigte Differenzierungen zwar ebenfalls unterbunden werden; eine strafrechtliche Sanktion droht allerdings nicht. Trotzdem gilt auch hier, dass sich die praktischen Auswirkungen auf die Tatbestände in Grenzen halten, da die mit der inkriminierten Äußerung bezweckten Handlungen zur Erfüllung des Tatbestands nicht tatsächlich eintreten müssen.
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Vgl. hierzu oben 3. Kapitel B. I. 1. b) sowie 4. Kapitel B. I. 2.
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5. Kap.: Bewertung der deutschen und französischen Rechtslage
Das deutsche Strafrecht enthält über die hier untersuchten Tatbestandsvarianten des Aufstachelns zu Hass, Gewalt- oder Willkürmaßnahmen hinaus noch weitere Alternativen. So stellt § 130 Abs. 1 Nr. 2 StGB den Angriff auf die Menschenwürde anderer durch Beschimpfung, Verächtlichmachung oder Verleumdung unter Strafe. Diese Alternative findet in der französischen Norm keine Entsprechung. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass der Begriff der Menschenwürdeverletzung nach der herrschenden Ansicht in Literatur und Rechtsprechung eng auszulegen ist. Der Angriff muss über eine Beeinträchtigung der Ehre hinausgehen und dem Betroffenen das Recht absprechen, als gleichwertige Person Teil der Gesellschaft zu sein. Daher kommt dieser Handlungsalternative ohnehin ein geringer Anwendungsbereich zu. Teilweise werden Äußerungen, die die Menschenwürde der Betroffenen angreifen, darüber hinaus auch die Anforderungen des Aufreizens zu Diskriminierung erfüllen, sodass das französische Recht eine strafbare provocation à la haine anerkennt. In den wenigen anderen Fällen ergibt sich schließlich, dass eine Äußerung nach deutschem Recht wegen Volksverhetzung, nach französischem Recht aber nur wegen Beleidigung oder Diffamierung strafbar ist. bb) Angriffsgegner Auch hinsichtlich der Betroffenen der unter Strafe gestellten Äußerung stimmen die Vorschriften im Wesentlichen überein. Beide enthalten sowohl das Merkmal der Einzelperson als auch der Personengruppe. Für das deutsche Recht erklärt sich diese Formulierung insbesondere hinsichtlich der zuvor nicht erfassten Einzelpersonen durch einen Blick in den europäischen Rahmenbeschluss vom 28. November 2008,10 der von den Mitgliedsstaaten das Bestehen einer strafrechtlichen Sanktionierung von Aufstachelung zu Hass oder Gewalt auch gegen anhand bestimmter Merkmale determinierte Einzelpersonen vorsieht. In Frankreich bestand eine entsprechende Regelung schon vor Erlass des Rahmenbeschlusses. Die Person oder Personengruppe muss nach beiden Vorschriften durch eine Nation, Rasse, Ethnie, Religion oder durch ihre Herkunft determiniert sein. Geringfügige Unterschiede in der Formulierung zwischen den beiden Tatbeständen sowie im Verhältnis zu den Voraussetzungen des Rahmenbeschlusses haben auf Grund der bestehenden Überschneidungen zwischen den verschiedenen Kriterien keine Auswirkungen. Der deutsche Gesetzgeber hat aber darüber hinaus die vorherige Bezeichnung „Teile der Bevölkerung“ als tauglichen Angriffsgegner beibehalten. Dieser muss, anders als die Personengruppe, nicht nach den genannten Kriterien bestimmt sein, sodass unter Umständen auch andere Zugehörigkeitsmerkmale in Betracht kommen. Dann kann der von § 130 StGB umfasste Personenkreis über den des Art. 24 al. 5 Pressefreiheitsgesetz hinausgehen. Für die hier interessanten religiösen Gruppie10 Rahmenbeschluss 2008/913/JI des Rates vom 28. 11. 2008 zur strafrechtlichen Bekämpfung bestimmter Formen und Ausdrucksweisen von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit, ABl. L. 328, S. 56.
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rungen, die jeweils schon durch die Personengruppe erfasst sind, ergeben sich aber diesbezüglich keine Unterschiede. cc) Eignung zur Störung des öffentlichen Friedens Einschränkend enthält § 130 Abs. 1 StGB anders als Art. 24 al. 5 Pressefreiheitsgesetz das Erfordernis der Eignung zur Störung des öffentlichen Friedens. Wie oben herausgearbeitet,11 dient dieses Merkmal im Ergebnis vorrangig einer Erheblichkeitskontrolle und überlässt dem Richter die Entscheidung, ob ein als tatbestandlich eingestuftes Verhalten auch tatsächlich die Grenze der Strafwürdigkeit überschreitet. Da aber auch dies selten zu einem Tatbestandsausschluss führt, ist diesbezüglich nicht von signifikanten Unterschieden zwischen deutschem und französischem Recht auszugehen. Schließlich stellt das Merkmal der Friedensstörungseignung einen gewissen Inlandsbezug her und ermöglicht es, nicht öffentlich geäußerte Behauptungen aus dem Tatbestand auszuklammern. Letzteres folgt im französischen Recht schon aus den Voraussetzungen an die Begehungsweise aus dem Verweis auf Art. 23 al. 1 Pressefreiheitsgesetz, sodass sich insoweit keine unterschiedlichen Ergebnisse ergeben. Nicht öffentliche Äußerungen können allerdings nach französischem Recht als contravention nach Art. R. 625-7 al. 1 Code pénal geahndet werden. dd) Subjektive Voraussetzungen Subjektiv verlangen beide hier untersuchten Normen zunächst Vorsatz. Im Rahmen des § 130 Abs. 1 Nr. 1 StGB setzen sowohl das Aufstacheln zum Hass als auch das Anreizen zu Gewalt- und Willkürmaßnahmen außerdem voraus, dass der Äußernde diesbezüglich einen zielgerichteten Willen aufweist. Zwar gilt Vergleichbares auch für die provocation à la haine, die darüber hinaus noch eine subjektive Kausalitätsbeziehung zwischen der Äußerung und der Zugehörigkeit des oder der Betroffenen zu einer bestimmten Gruppe verlangt. Französische Gerichte neigen jedoch dazu, diese Erfordernisse aus dem Inhalt der inkriminierten Äußerung herauszulesen. Besondere Anforderungen an die subjektive Beziehung des Äußernden zu der Aussage stellen sie nicht. Während nach deutschem Recht die Einstufung als Äußerungsdelikt schon objektiv voraussetzt, dass sich der Äußernde die Aussage erkennbar zu eigen macht, ist dieses Merkmal in der französischen Rechtsprechung umstritten. Die Cour d’appel von Paris verneinte die Strafbarkeit eines Journalisten, der zum Hass aufreizende Inhalte neutral wiedergab, mangels Vorliegen des élément moral, wohingegen die Cour de cassation den Direktor eines Fernsehsenders für die parodierende Wiedergabe eines ähnlichen Inhaltes wegen provocation à la haine sanktionierte. Insoweit erscheint die Position der Cour d’appel, die auch der der deutschen Rechtsprechung sowie der des Europäischen Gerichtshofs für Men11
s. oben 3. Kapitel B. I. 1. b) cc).
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5. Kap.: Bewertung der deutschen und französischen Rechtslage
schenrechte entspricht, überzeugender. Aus dem Wortlaut sowohl der deutschen als auch der französischen Norm ergibt sich zwingend, dass die Äußerung zur Aufreizung zu Hass und Gewalt getätigt werden muss. Eine bloße Wiedergabe zu Zwecken der Information oder gar, um diese Position lächerlich zu machen, genügt diesen Anforderungen nicht. ee) Verbreitung volksverhetzender Schriften Keine direkte Entsprechung im französischen Recht findet hingegen § 130 Abs. 2 StGB, der die Verbreitung volksverhetzender Schriften unter Strafe stellt. Da auch § 130 Abs. 1 StGB in schriftlicher Form verwirklicht werden kann, ergibt sich sein Anwendungsbereich in Abgrenzung zu letzterem vor allem daraus, dass er keine Eignung zur Störung des öffentlichen Friedens und keine subjektive Beziehung des Verbreitenden zu den volksverhetzenden Inhalten verlangt. Da eine Friedensstörungseignung im französischen Recht ohnehin nicht vorausgesetzt wird, folgen hieraus insoweit keine Unterschiede. Nach der hier – und durch die Cour d’appel von Paris und den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte für eine vergleichbare Norm – vertretenen Ansicht ist die französische Vorschrift in Bezug auf die subjektive Beziehung des Äußernden jedoch enger zu verstehen als der deutschen Verbreitungstatbestand § 130 Abs. 2 StGB. Aus europäischer Sicht ist dieses Ergebnis nicht zu beanstanden, da Art. 1 Abs. 1 b) des Rahmenbeschlusses insoweit nur die Bestrafung der strafbaren Aufreizung zu Hass oder Gewalt durch die Verbreitung von Schriften voraussetzt, nicht aber die bloße Verbreitung volksverhetzender Inhalte. c) Praktische Anwendung auf religionsfeindliche Äußerungen Schließlich stimmen beide Normen auch hinsichtlich ihrer Anwendung durch die Gerichte auf religionsfeindliche Äußerungen im Wesentlichen überein. Eine Strafbarkeit kommt nach beiden Rechtsordnungen nur in Betracht, wenn sich die Äußerung gegen die religiös definierte Gruppe selbst richtet und eine feindselige Einstellung der Bevölkerung oder gar aktive Gewaltmaßnahmen gegen sie bezwecken will. Weder der deutsche § 130 Abs. 1, 2 StGB noch seine französische Entsprechung in Art. 24 al. 5 Pressefreiheitsgesetz werden jedoch häufig zur Ahndung von Äußerungen hinzugezogen, die sich inhaltlich gegen eine Religion und ihre Inhalte richten. Nach deutschem Recht fehlt es diesen Äußerungen in der Regel an dem erforderlichen direkten Bezug auf die Gläubigen und ihre Sicherheit. Auch die französische Rechtsprechung kommt in den meisten Fällen zu dem Ergebnis, dass die Voraussetzungen des Tatbestands der provocation à la haine religieuse nicht erfüllt sind, jedoch häufig, ohne dies näher zu begründen.12 12
s. oben 4. Kapitel B. I. 3.
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Leichte Differenzen ergeben sich jedoch daraus, dass die französische Rechtsprechung (insbesondere die Cours d’appel) die gesetzlichen Vorgaben zum Teil extensiv auslegt und trotz mangelnden Personenbezugs in engen Grenzen Angriffe gegen Glaubensinhalte oder religiös verehrte Persönlichkeiten genügen lässt. Bedingung hierfür ist zunächst, dass sich die Äußerung schon in ihrer Form durch eine besondere Aggressivität und Gewalttätigkeit charakterisiert. Darüber hinaus darf der Aussage kein politisches Motiv zu entnehmen sein, da ihr in solchen Fällen regelmäßig ein weitergehender straffreier Raum zugestanden wird. Trotz dieser – sinnvollen – Einschränkungen sind die Tendenzen der Rechtsprechung im Ergebnis weder in Bezug auf den Gesetzestext noch auf den Schutz der Meinungs- und Kunstfreiheit zu befürworten; sie sind glücklicherweise auch vereinzelt geblieben. Festzuhalten bleibt demnach, dass die grundsätzlich zurückhaltende Anwendung der Volksverhetzungstatbestände auf religionsfeindliche Äußerungen, wenn sie nicht gerade einen Zweck zu Feindseligkeit oder Gewalt gegenüber den Gläubigen selbst aufweisen, in beiden Rechtssystemen übereinstimmt. d) Zusammenfassung Die Normen zur Volksverhetzung bzw. provocation à la haine sind im Wesentlichen als kongruent zu betrachten. Zwar können in Einzelheiten Unterschiede zwischen den Voraussetzungen auftreten; diese führen allerdings nur in den seltensten Fällen zu unterschiedlichen Ergebnissen. Die Ähnlichkeit ist zum einen auf die vergleichbaren historischen Ursprünge zurückzuführen, zum anderen ist sie als Resultat eines europäischen Harmonisierungsprozesses zu betrachten. So sieht der EU-Rahmenbeschluss zur strafrechtlichen Bekämpfung bestimmter Formen und Ausdrucksweisen von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit Mindestgrenzen für strafrechtliche Verbote in diesem Bereich vor, die von beiden Staaten eingehalten werden. Die zunehmend restriktive Auslegung durch die jeweiligen Gerichte bei religionsfeindlichen Äußerungen führt dazu, dass eine Sanktionierung durch diese Vorschriften nur im Ausnahmefall stattfindet. 3. Vergleichbare Grundstrukturen der Ehrverletzungsdelikte Sowohl das deutsche als auch das französische Strafrecht sehen Straftatbestände zugunsten des Rechts der persönlichen Ehre vor, die sich in ihren Grundzügen in vielen Aspekten gleichen. a) Schutzzweck Beide Rechtsordnungen legen den Beleidigungsdelikten den Schutzweck der persönlichen Ehre zugrunde. Während die deutsche Strafrechtswissenschaft der Definition dieses Rechtsguts umfangreiche Diskussionen widmet, in der sich heute noch zahlreiche Ehrbegriffe gegenüberstehen, wird in der französischen Straf-
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5. Kap.: Bewertung der deutschen und französischen Rechtslage
rechtsliteratur die Bedeutung der Ehre häufig stillschweigend vorausgesetzt.13 Trotzdem lässt sich sowohl innerhalb des deutschen Schrifttums als auch grenzüberschreitend ein grundlegender Konsens ausmachen:14 Geschützt wird der verdiente Achtungsanspruch einer Person in der Gesellschaft. Diese Erkenntnis soll nicht von Differenzen im Detail (etwa über die Anerkennung von eigenen Leistungen oder den Bezug zur Menschenwürde) überschattet werden. b) Vergleichbare tatbestandliche Voraussetzungen Darüber hinaus weisen die Ehrdelikte in beiden Rechtsordnungen durchaus ähnliche Elemente auf, die im Folgenden herausgearbeitet werden sollen. aa) Ehrenrührige Tatsachenbehauptungen und Werturteile als zentrales Element der Ehrverletzungstatbestände Ehrschützende Tatbestände finden sich in Deutschland in den §§ 185 ff. StGB, in Frankreich in den Art. 29 ff. des Pressefreiheitsgesetzes vom 29. Juli 1881. Auf den ersten Blick weisen die relevanten Normen zwar Unterschiede auf, insgesamt ergibt sich hinsichtlich des strafrechtlichen Ehrschutzes jedoch eine vergleichbare Struktur. (1) Erfordernis der Ehrverletzung In Anlehnung an den Schutzzweck der Normen verlangen sowohl das deutsche als auch das französische Recht eine Verletzung der Ehre des Betroffenen.15 Der verdiente Achtungs- und Anerkennungsanspruch des Opfers muss durch die Äußerung beeinträchtigt sein. Beide Rechtsordnungen stimmen insoweit überein, dass eine Herabwürdigung von gewisser Intensität erforderlich ist; bloße Taktlosigkeiten oder Unhöflichkeiten sind daher nicht tatbestandlich. Als Ehrverletzungen kommen insbesondere Vorwürfe geistiger oder moralischer Mängel in Betracht. Auch wenn sowohl der Begriff der Ehre als auch des honneur eine gewisse subjektive Komponente aufweisen, ist bei der Frage nach der strafrechtlich relevanten Verletzung ein objektiver Maßstab anzulegen. Entscheidend ist also nicht, was der Betroffene als Kränkung empfindet, sondern was in der Gesellschaft als solche wahrgenommen wird. Dies äußert sich in der französischen Rechtsprechung und Literatur darin, dass zumeist nur eine Äußerung verlangt wird, die geeignet ist, die Ehre des Betroffenen zu verletzen („de nature à“).
13 14 15
Vgl. hierzu oben 3. Kapitel B. II. 1. bzw. 4. Kapitel B. II. 1. So auch Stegmann, Tatsachenbehauptung und Werturteil, S. 519. s. hierzu und zum folgenden oben 3. Kapitel B. II. 2. c) und 4. Kapitel B. II. 2. a) bb) (2).
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(2) Systematik der Ehrverletzungsdelikte Eine Verletzung des Achtungs- und Anerkennungsanspruches kann auf unterschiedliche Weise erfolgen. Zum einen kann danach differenziert werden, ob die Äußerung nur dem Betroffenen gegenüber erfolgt oder ob Dritte von ihr Kenntnis erlangen. Darüber hinaus kann der Achtungsanspruch sowohl durch das Behaupten ehrenrühriger Tatsachen als auch durch die Kundgabe von Missachtung in Form von negativen Werturteilen beeinträchtigt werden. Ursache für die Differenzierung zwischen Tatsachenbehauptungen und Werturteilen ist ihre unterschiedliche Wirkung: Während letztere dem Adressaten ausschließlich die Überzeugung des Äußernden kundtun und ihm die Bildung seiner eigenen Meinung grundsätzlich selbst überlassen, nehmen Tatsachenbehauptungen selbst Einfluss auf die Meinungsbildung des Empfängers, indem sie ihr eine tatsächliche Fundierung zu geben scheinen. Sie werden darum in beiden Rechtsordnungen als gravierender für den Betroffenen eingeordnet. Nach deutschem Recht kommt hinzu, dass das Bundesverfassungsgericht Tatsachenbehauptungen grundrechtlichen Schutz nur teilweise zugesteht, indem es bewusst und evident unwahre Behauptungen aus dem Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG ausklammert. Die Einordnung als Tatsachenbehauptung oder Werturteil ist in beiden Rechtsordnungen die entscheidende Weichenstellung für die Wahl des einschlägigen Tatbestands. Nach deutschem Recht sind drei Tatbestände von Relevanz für die hier zu untersuchende Fragestellung. Dabei betreffen sowohl die üble Nachrede nach § 186 StGB als auch die Verleumdung nach § 187, 1. Alt. StGB die Behauptung einer ehrenrührigen Tatsache gegenüber einem anderen als dem Betroffenen. Der Auffangtatbestand der Beleidigung im engeren Sinn gemäß § 185 StGB umfasst sowohl die Behauptung von ehrenrührigen Tatsachen gegenüber dem Betroffenen als auch die Äußerung von Werturteilen dem Betroffenen oder Dritten gegenüber. In Frankreich wird allein danach differenziert, ob die Äußerung einen fait précis et déterminé enthält, also eine Tatsachenbehauptung darstellt, oder nicht. Ist ersteres der Fall, kommt nur eine diffamation nach Art. 29 Pressefreiheitsgesetz in Betracht, in der zweiten Konstellation eine injure im Sinne des Art. 30 Pressefreiheitsgesetz. Ob die Äußerung an den Betroffenen oder einen Dritten gerichtet ist, hat insofern keine Auswirkungen. Auf den ersten Blick scheint sich die Systematik der Beleidigungsdelikte also in dem Aspekt zu unterscheiden, dass in Frankreich ausschließlich nach dem Vorliegen einer Tatsachenaussage oder eines Werturteils zwischen den beiden relevanten Tatbeständen unterschieden wird, während nach deutschem Recht von der üblen Nachrede und der Verleumdung nur Tatsachenbehauptungen gegenüber Dritten erfasst sind und alle anderen Alternativen, also auch die Tatsachenbehauptung gegenüber dem Betroffenen, allein als Beleidigung bestraft werden können. Hinter der deutschen Regelung steht der Gedanke, dass die Behauptung einer ehrenrührigen Tatsache gegenüber einem Dritten besonders gefährlich ist, da sich dieser auf der Grundlage dieser Tatsache eine eigene negative Meinung über den Betroffenen
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5. Kap.: Bewertung der deutschen und französischen Rechtslage
bildet. Diese Wertung lässt sich schon denklogisch nicht auf Tatsachenbehauptungen übertragen, die ausschließlich dem Betroffenen gegenüber geäußert werden. Bei genauerer Betrachtung fällt jedoch auf, dass auch nach dem französischen Recht eine bei einer Tatsachenbehauptung allein dem Betroffenen gegenüber nicht als diffamation im Sinne des Art. 29 al. 1 Pressefreiheitsgesetz bestraft werden kann. Dies resultiert aus dem Öffentlichkeitserfordernis, dass sich aus dem Verweis auf Art. 23 al. 1 Pressefreiheitsgesetz ergibt. Da eine diffamation im Sinne des Pressefreiheitsgesetzes stets öffentlich erfolgen muss, was immer voraussetzt, dass die Äußerung an eine Mehrzahl von Personen gerichtet ist, die auch nicht durch eine Interessengemeinschaft verbunden sind, kann eine Tatsachenbehauptung ausschließlich gegenüber dem Betroffenen lediglich die Voraussetzungen der contravention der nicht öffentlichen diffamation erfüllen.16 Auch das französische Recht kennt also die Wertung, dass Tatsachenbehauptungen gegenüber dem Betroffenen als weniger gefährlich einzuordnen sind als solche gegenüber Dritten. Dass es hingegen zwischen gegenüber dem Betroffenen geäußerten Tatsachenbehauptungen und Werturteilen differenziert, geht erst auf eine Verordnung von 199317 zurück. Diese ist wohl – neben einer so hergestellten Parallelität zu den Vorschriften betreffend der öffentlichen Ehrverletzungen – damit zu erklären, dass die nicht öffentlichen Tatvarianten neben der Äußerung gegenüber dem Betroffenen immer auch die Äußerung gegenüber einzelnen oder durch eine communauté d’intérêt verbundenen Dritten erfassen, bei der eine Differenzierung angebracht erscheint. Zwar bestehen demnach gewisse kleinere Unterschiede in der Systematik der Ehrverletzungstatbestände zwischen Deutschland und Frankreich. Die wesentlichen Wertungen, dass Tatsachenbehauptungen und Werturteile zu trennen sind und dass die Gefährlichkeit davon abhängt, ob auch Dritte von der Äußerung Kenntnis erlangen, durchziehen aber beide Rechtsordnungen. (3) Abgrenzung zwischen Tatsachenbehauptung und Werturteil Eine zentrale Rolle bei der Struktur der Ehrverletzungstatbestände kommt demnach in beiden Rechtssystemen der Unterscheidung zwischen Tatsachenbehauptungen und Werturteilen zu. Dies spiegelt sich insbesondere in der deutschen Rechtsliteratur wider, in der die Diskussion über Abgrenzungsmethoden und Sonderfälle regelmäßig sehr viel Raum einnimmt, während solchen theoretischen Überlegungen in Frankreich üblicherweise weniger Bedeutung beigemessen wird.18 16 Zu der Voraussetzung der Öffentlichkeit der Äußerung bei Pressedelikten s. oben 4. Kapitel A. III. 17 Décret n8 93-726 du 29 mars 1993. Diese Verordnung geht mit der Einführung des Nouveau Code pénal einher. Die nicht öffentliche Beleidigung war zuvor in Art. R. 26 Nr. 11 Code pénal geregelt, der nach der Rechtsprechung auch Tatsachenbehauptungen erfasste, s. oben 1. Kapitel B. II. 3. 18 s. etwa die Frage, ob „innere Vorgänge“ Tatsachen sein können, die in der deutschen Literatur umfassend behandelt wird, im französischen Schrifttum jedoch kaum auftaucht. s. oben 3. Kapitel B. II. 2. c) aa) (1) (a).
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Eine dem deutschen Begriff des Werturteils entsprechende Kategorie besteht in Frankreich zwar nicht, aber es wird insofern vergleichbar entweder direkt zwischen den jeweiligen Straftatbeständen oder eben zwischen Vorliegen und Nichtvorliegen eines fait précis et déterminé differenziert.19 Einigkeit besteht insoweit nach der herrschenden Ansicht sowohl in Deutschland als auch in Frankreich, dass sich Tatsachenbehauptungen dadurch auszeichnen, dass ihr Inhalt dem Wahrheitsbeweis zugänglich ist, wohingegen Werturteile im Wesentlichen durch subjektive Stellungnahme charakterisiert sind und daher keinen nachweisbaren Wahrheitsgehalt aufweisen. Das Abgrenzungskriterium verhilft jedoch nicht bei jeder Äußerung zu einer eindeutigen Lösung. So kommen beispielweise beide Rechtsordnungen zu dem Ergebnis, dass sehr vage und unpräzise gehaltene Äußerungen, auch wenn sie tatsächliche Geschehnisse betreffen können und dann auch beweisbar wären, nicht als Tatsachenbehauptungen zu qualifizieren sind. Ein problematischer Fall sind etwa sogenannte Mischäußerungen, also Aussagen, die sowohl ein Werturteil als auch eine Tatsachenbehauptung enthalten. Hier muss nach deutschem Recht differenziert werden:20 Ist die Äußerung in voneinander unabhängige Teile zu trennen, weil das berichtende und das wertende Element nicht in einer Relation zueinander stehen, werden diese auch getrennt voneinander beurteilt. Ist die Aussage aber nicht in diesem Sinne teilbar, muss ihr Schwerpunkt herausgearbeitet werden. Dabei ist zu berücksichtigen, ob durch die Aussage die eigene Stellungnahme mitgeteilt oder ob dem Empfänger die Grundlage für eine eigene Beurteilung geliefert werden soll. Von Bedeutung ist insofern auch die Substantiiertheit des Tatsachenelements. Im Zweifel wird nach deutschem Recht eher auf das als für den Täter vorteilhafter bewertete Werturteil abgestellt. Zu beachten ist aber, dass im Falle einer Einordnung als Tatsache auch bei gelungenem Wahrheitsbeweis eine Strafbarkeit aus § 192 i.V.m. § 185 StGB ergeben kann, wenn aus der Form oder den Umständen der Äußerung, etwa aus der gehässigen Einkleidung oder begleitenden Schimpfworten eine eigene Ehrverletzung resultiert. Auch im französischen Recht wird bei Mischäußerungen nach ebendiesen Kriterien zunächst unterschieden, ob die Aussage trennbar ist.21 Teilbare Äußerungen werden wie im deutschen Recht unabhängig voneinander betrachtet. Bei nicht teilbaren Äußerungen, bei denen die Tatsachenbehauptung ausdrücklich oder konkludent bewertet wird, geht die französische Rechtsprechung davon aus, dass die diffamation die injure absorbiert. Kann dies nicht eindeutig festgestellt werden, findet auch hier eine Beurteilung im Einzelfall statt. Kriterien werden hierfür zwar keine genannt, es liegt aber nahe, dass ebenfalls auf den Schwerpunkt der Äußerung abgestellt wird. Eine Vorschrift wie § 192 StGB kennt das französische Recht zwar nicht. Enthält eine Aussage aber eine überschießende Wertung oder eine Ehrverletzung aus der Form der Äußerung, liegt nach den herausgearbeiteten Grundsätzen 19 20 21
Stegmann, Tatsachenbehauptung und Werturteil, S. 286. s. hierzu oben 3. Kapitel B. II. 2. c) aa) (1) (a). s. hierzu oben 4. Kapitel B. II. 2. a) bb) (1) (b).
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5. Kap.: Bewertung der deutschen und französischen Rechtslage
eine Einordnung als injure nahe. Auch bei der Behandlung von Mischäußerungen sind also keine wesentlichen Unterschiede zwischen den Rechtsordnungen erkennbar. bb) Beleidigungsfähigkeit von Personenmehrheiten Sowohl die deutsche als auch die französische Judikatur sprechen juristischen Personen grundsätzlich eine Beleidigungsfähigkeit zu. In Deutschland war dies zunächst durch das Reichsgericht verneint worden. Der Bundesgerichtshof entschied jedoch, dass Personengemeinschaften dann Opfer der Ehrverletzungsdelikte werden können, wenn sie eine rechtlich anerkannte Funktion erfüllen und einen einheitlichen Willen bilden können.22 Diese Rechtsprechung wird von den Fachgerichten und der Literatur überwiegend übernommen. Besonders hohe Anforderungen werden an die Voraussetzungen allerdings nicht gestellt, sodass im Ergebnis ein wesentlicher Teil der (zumindest in Grundzügen) organisierten Personengemeinschaften von den Ehrschutzdelikten erfasst sind. In Frankreich besteht weitgehend Einigkeit, dass juristische Personen genauso Betroffene der Ehrverletzungsdelikte sein können wie natürliche Personen.23 Nach der Rechtsprechung werden jedoch nicht rechtlich zusammengefasste Personenmehrheiten24 von den Grundtatbeständen der injure und der diffamation nicht erfasst. Juristische Personen sind demnach in der Regel beleidigungsfähig. Dass es im deutschen Recht anders als im französischen auf die Rechtsform der Personengemeinschaft nicht ankommt, wirkt sich nur einzelnen Fällen aus, da in Frankreich Gesellschaften jeglicher Rechtsform (also auch Personengesellschaften) über den Status der juristischen Person verfügen. Trotz der weitgehenden Einigkeit beider Rechtsordnungen ist dieses Verständnis kritisch zu betrachten. Sowohl das deutsche als auch das französische Recht schützen in den Beleidigungstatbeständen die Ehre der Betroffenen. Personengemeinschaften kann allerdings nach der hier vertretenen Ansicht keine Ehre zugesprochen werden,25 da der Begriff der Ehre zu eng mit der Personenwürde verbunden ist, die eben nur natürlichen, nicht aber juristischen Personen zukommen kann. Während sich in Frankreich wenig mit dieser Problematik auseinandergesetzt wird, spricht sich in Deutschland eine durchaus beachtliche Minderheit gegen die Anerkennung einer Kollektivehre aus. Sie steht vor dem Hindernis, dass § 194 Abs. 3 S. 2 StGB ausdrücklich ein besonderes Antragsrecht für die Beleidigung von Behörden vorsieht. Allerdings ist diese Vorschrift als dogmatisch unsauber und in dieser Formulierung als rechtspolitisch verfehlt zu bewerten, sodass aus ihr keinesfalls der Schluss gezogen werden sollte, sämtliche Personen22
s. dazu oben 3. Kapitel B. II. 2. b) aa). s. dazu oben 4. Kapitel B. II. 2. a) cc). 24 In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass nach französischem Recht auch Personengesellschaften den Status einer juristischen Person zugeschrieben wird, s. Art. 1842 Code civil. 25 s. hierzu und zum Folgenden oben 3. Kapitel B. II. 2. b) aa). 23
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gemeinschaften seien nach deutschem Recht beleidigungsfähig. De lege lata scheint allerdings eine Beleidigungsfähigkeit von Behörden und nach § 194 Abs. 3 Satz 3 von Behörden der Kirchen und anderen Religionsgesellschaften des öffentlichen Rechts kaum zu umgehen sein. Trotz aller Kritik bleibt festzuhalten, dass die Beleidigung von organisierten Personengemeinschaften nach der herrschenden Meinung sowohl im deutschem als auch im französischen Recht anerkannt ist. Daneben kann die Beleidigung von Personenmehrheiten nach deutschem Recht auch über eine Ehrverletzung mehrerer Personen erfolgen, die durch eine Kollektivbezeichnung zusammengefasst werden. Allerdings ist dies nach der herrschenden Ansicht nur dann möglich, wenn der Kreis der Einzelpersonen scharf umgrenzt und die Zuordnung des Einzelnen deshalb zweifelsfrei möglich ist. Umfasst die Sammelbezeichnung eine größere Anzahl von Personen, etwa alle Gläubigen einer Religionsgemeinschaft, wird eine Ehrverletzung aller Betroffenen entgegen der hier vertretenen Ansicht regelmäßig verneint, da sich der Vorwurf in der Masse der Betroffenen verliere. Richtiger wäre eine Differenzierung danach, ob die Äußerung im Einzelfall einen individuellen Angriff gegen die Ehre jedes Einzelnen der Gemeinten entfaltet. In Frankreich wird nur betont, dass eine Beleidigung nicht rechtsfähiger Personengemeinschaften nicht möglich ist; als einzige Ausnahme kann bei kleinen Personenmehrheiten eine Ehrverletzung jedes Einzelnen angenommen werden. Anders als in Deutschland findet eine Differenzierung zwischen der Bezeichnung mehrerer Personen unter einer Kollektivbezeichnung und der Beleidigung von nicht rechtsfähigen Personengemeinschaften nicht statt. Aus den Argumentationsstrukturen wird aber deutlich, dass die Beleidigung der nicht rechtsfähigen Personengemeinschaft eher mit der deutschen Beleidigung unter einer Kollektivbezeichnung vergleichbar ist, da auf eine Ehrverletzung der betroffenen Einzelpersonen und nicht einer irgendwie gearteten Kollektivehre abgestellt wird. Auf der Ebene der einfachen Beleidigung oder Diffamierung ist der Kreis der möglichen Betroffenen nach deutschem und französischem Recht also durchaus vergleichbar. Bei der Ehrverletzung mehrerer Einzelpersonen unter einer Kollektivbezeichnung stimmen in beiden Rechtsordnungen Rechtsprechung und herrschende Lehre darin überein, dass letztlich nur bei überschaubaren Gruppengrößen eine Beleidigung angenommen wird. Nur die Ausnahme des deutschen Rechts, nach der auch „alle in Deutschland lebenden Juden“ ein solches beleidigungsfähiges Kollektiv darstellen, kennt das französische Recht aus naheliegenden historischen Gründen nicht. Allerdings weist es bei dieser Frage eine eigene Besonderheit auf: Im Rahmen der qualifizierten Ehrverletzungstatbestände können ausnahmsweise auch Personengruppen beleidigungsfähig sein, wenn sie durch ihre Herkunft oder ihre Zugehörigkeit oder Nichtzugehörigkeit zu einer Rasse, Nation, Ethnie oder Religion definiert sind. Auf diese entscheidende Ausnahme soll aber erst im Folgenden eingegangen werden.26 26
s. unten in diesem Kapitel B. I. 1. b) bb).
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cc) Straflosigkeit der Behauptung wahrer Tatsachen Indem beide Rechtssysteme letztlich einen „verdienten Achtungsanspruch“ schützen, ist Einigkeit dahingehend festzustellen, dass die Behauptung wahrer Tatsachen – seien sie auch ehrenrührig und ihre Verbreitung daher vom Betroffenen unerwünscht – regelmäßig hingenommen werden muss. Dieses Ergebnis wird auf dogmatisch unterschiedlichen Wegen erreicht. Nach deutschem Recht setzt § 186 StGB als objektive Bedingung der Strafbarkeit voraus, dass die behauptete Tatsache nicht erweislich wahr ist,27 während § 187, 1. Alt. StGB sogar die Unwahrheit der Behauptung als Tatbestandsmerkmal verlangt.28 Wird also die Wahrheit der Aussage im Prozess bewiesen, kommt eine Strafbarkeit nach keinem der Tatbestände in Betracht. Nach französischem Recht stellt der gelungene Wahrheitsbeweis als exceptio veritatis gemäß Art. 35 al. 3 Pressefreiheitsgesetz nach der überwiegenden Ansicht einen Rechtfertigungsgrund dar. Dabei sind die inhaltlichen und prozessualen Anforderungen an den Wahrheitsbeweis als streng einzustufen.29 Sowohl nach deutschem als auch nach französischem Recht obliegt das Beweisrisiko im Ergebnis dem Angeklagten. Kann das Gericht weder die Wahrheit noch die Unwahrheit der behaupteten Tatsache feststellen, wirkt sich dies also in beiden Rechtsordnungen zulasten des Täters aus: Nach deutschem Recht ist die objektive Bedingung der Strafbarkeit und damit die Voraussetzungen der üblen Nachrede30 erfüllt; nach französischem Recht ist die Rechtfertigung nach Art. 35 al. 3 Pressefreiheitsgesetz ausgeschlossen, sodass eine Bestrafung wegen diffamation möglich ist. Deshalb genügt es auch nach beiden Rechtsordnungen nicht für eine Straflosigkeit, wenn der Täter darlegt, in gutem Glauben hinsichtlich des Wahrheitsgehalts seiner Tatsachenbehauptung gehandelt zu haben. Denn als objektive Bedingung der Strafbarkeit bedarf es nach deutschem Recht für die Nichterweislichkeit keines Vorsatzes, während nach französischem Recht eine Rechtfertigung wegen exceptio veritatis nur dann in Betracht kommt, wenn die Wahrheit der Behauptung sowohl subjektiv als auch objektiv dargelegt ist. Dabei ist aber zu beachten, dass in Frankreich dem Beschuldigten nicht nur das Beweisrisiko, sondern in Ausnahme zum Amtsermittlungsgrundsatz auch die Beweislast obliegt. Zwar ist anerkannt, dass Werturteile bzw. Aussagen, die keinen fait précis et déterminé enthalten, keinem Wahrheitsbeweis zugänglich sind. Wird aber die subjektive Stellungnahme wesentlich von der ehrenrührigen Tatsachenbehauptung getragen, dass sie also kein eigenes Unwerturteil, sondern eine bloße Bewertung der Tatsachenbehauptung ohne eigenen inhaltlichen Gehalt darstellt, ist der Wahrheitsgehalt des Tatsachenaspekts von Bedeutung. Nach deutschem Recht wird in 27
s. oben 3. Kapitel B. II. 2. c) aa) (2) (a). s. oben 3. Kapitel B. II. 2. c) aa) (3). 29 s. zu den Anforderungen an den Wahrheitsbeweis und deren kritischer Würdigung unten in diesem Kapitel A. II. 3. b) cc). 30 Anderes gilt für die Verleumdung, die nach französischem Recht keinen eigenständigen Straftatbestand darstellt und daher später zu behandeln ist, s. unten in diesem Kapitel B. II. 2. a). 28
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dieser Konstellation eine Strafbarkeit nach § 185 StGB verneint, da die Äußerung keinen Ausdruck unverdienter Missachtung enthält.31 Das französische Recht kommt auf einem anderen Weg zum gleichen Ergebnis: Da die Äußerung insoweit als Mischäußerung verstanden wird, deren subjektiver Gehalt in der Tatsachenbehauptung aufgeht, absorbiert die diffamation die injure.32 Letztere ist wiederum dem Wahrheitsbeweis zugänglich, sodass eine Strafbarkeit ausscheidet. Nach beiden Rechtsordnungen ist demnach auch eine Äußerung, die sich auf eine bloße subjektive Stellungnahme über eine wahre Tatsachenbehauptung beschränkt, straflos. dd) Rechtfertigung wegen Wahrung berechtigter Interessen und bonne foi Darüber hinaus kennen beide Rechtsordnungen jeweils einen weiteren Grund, unter dessen Voraussetzungen eine tatbestandliche Ehrverletzung gerechtfertigt sein kann. Diese unterscheiden sich zwar im Ausgangspunkt wesentlich voneinander. Während der deutsche § 193 StGB in erster Linie denjenigen vor Strafe bewahren soll, der aus berechtigten Interessen handelt, schützt der von der französischen Rechtsprechung entwickelte Rechtfertigungsgrund der bonne foi insbesondere den guten Glauben des Äußernden an die Wahrheit seiner Aussage.33 Durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, das § 193 StGB als Einfallstor für Art. 5 GG betrachtet, wurde dieser Rechtfertigungsgrund so umfassend modifiziert, dass für ihn im Ergebnis eine Abwägung zwischen der Meinungsbzw. Kunstfreiheit und dem Recht auf persönliche Ehre des Betroffenen nach den besonderen verfassungsrechtlichen Maßgaben verbleibt. Zu vergleichbaren Ergebnissen kommt die in der Literatur vertretene Rechtfertigung direkt aus der verfassungsrechtlich geschützten Meinungs- oder Kunstfreiheit. Werturteile sind nach diesen Vorgaben grundsätzlich dann unzulässig, wenn sie einen Angriff auf die Menschenwürde, Schmähkritik oder eine Formalbeleidigung enthalten. Jenseits dieser Grenzen kommt es auf eine Abwägung im Einzelfall an, wobei jedoch Stellungnahmen, die der öffentlichen Meinungsbildung dienen, nach der „Vermutung der freien Rede“ grundsätzlich zulässig sind. Bei Tatsachenbehauptungen gilt, soweit sie nicht bewusst oder evident unwahr sind und damit dem Schutzbereich der Meinungsfreiheit entfallen, dass ihre Zulässigkeit von der Einhaltung eines – den Umständen nach variablen – Sorgfaltsmaßstabs bei der Wahrheitsermittlung abhängig ist. Der französische Rechtfertigungsgrund der bonne foi hat seinen Ursprung zu einem Zeitpunkt, in dem ein Wahrheitsbeweis bei der Diffamierung Einzelner noch keine rechtfertigende Wirkung hatte. Auf Grund der engen Voraussetzungen der exceptio veritatis hat er seine praktische Bedeutung aber auch heute nicht verloren. Eine Rechtfertigung wegen bonne foi setzt zunächst die sincérité des Äußernden 31 32 33
s. dazu oben 3. Kapitel B. II. 2. c) bb) (2). s. dazu oben 4. Kapitel B. II. 2. a) bb) (1) (b). s. hierzu und zum Folgenden oben 3. Kapitel B. II. 2. d) bzw. 4. Kapitel B. II. 2. c) bb).
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5. Kap.: Bewertung der deutschen und französischen Rechtslage
voraus; dieser muss also in gutem Glauben und nicht aus persönlicher Feindseligkeit heraus agieren. Darüber hinaus muss die Äußerung einem but légitime, einem legitimen Zweck, dienen, zu diesem Zweck in einem angemessenen Verhältnis stehen und außerdem maßvoll formuliert sein. Von ihrer ursprünglichen Idee liegen diese Rechtsfertigungsgründe also zunächst weit auseinander: Während die deutsche Rechtsordnung den Akzent auf das berechtigte Interesse setzt, liegt der Schwerpunkt nach französischem Recht auf der Gutgläubigkeit des Äußernden. Bei näherer Betrachtung offenbart sich jedoch ihre Ähnlichkeit, da im Ergebnis regelmäßig vergleichbare Überlegungen angestellt werden. Das gilt in erster Linie für die Behauptung nicht erwiesen wahrer, ehrenrühriger Tatsachen: So ist etwa die Gutgläubigkeit des Äußernden auch im deutschen Recht von weichenstellender Bedeutung. Denn kennt er die Unwahrheit der behaupteten Tatsache, ist ihm nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts die Berufung auf die Meinungsfreiheit und damit auch eine mögliche Rechtfertigung verwehrt. Auf der anderen Seite ist auch das Motiv der Äußerung in beiden Rechtsordnungen relevant. Es findet sich nach französischem Recht in der Voraussetzung der Verfolgung eines but légitime bei der bonne foi, im deutschen Recht zunächst allgemein in der Berücksichtigung der Meinungs- und Kunstfreiheit und später spezieller bei den Interessen des Äußernden wieder, die bei der Abwägung zugrunde zu legen sind. Insbesondere die öffentliche Meinungsbildung zu einem gesellschaftlich relevanten Thema ist insofern in beiden Rechtsordnungen ein wichtiges Argument für eine Rechtfertigung. In der Abwägung des § 193 StGB spiegelt sich darüber hinaus auch das französische Kriterium der proportionnalité, der Verhältnismäßigkeit, wider. Schließlich verlangen beide Rechtsordnungen, dass die Behauptung von Tatsachen nur dann erfolgen darf, wenn bei der Wahrheitsermittlung der notwendige Sorgfaltsmaßstab eingehalten wurde. Dies ergibt sich im französischen Recht aus dem Merkmal der prudence, während das Bundesverfassungsgericht in Deutschland davon ausgeht, dass eine Abwägung der Interessen im Einzelfall bei nicht erweislich wahren Tatsachenbehauptungen nur stattfinden kann, wenn die erforderliche Sorgfalt an den Tag gelegt wurde. Im Ergebnis zeigt sich, dass eine Rechtfertigung durch eine verfassungskonforme Auslegung des § 193 StGB im Rahmen der Behauptung nicht erweislich wahrer Tatsachen letztlich vergleichbare Anforderungen an den Äußernden stellt wie eine Rechtfertigung nach der durch die französische einfachgerichtliche Rechtsprechung geprägten bonne foi. In Bezug auf Werturteile lässt sich dieser Bezug weniger leicht herstellen, da nach der überwiegenden Auffassung in Frankreich der Rechtfertigungsgrund der bonne foi nicht auf den Tatbestand der injure anwendbar ist.34 Dies ergibt sich auch daraus, dass er wesentlich durch den guten Glauben des Äußernden an die Wahrheit seiner Be34
s. oben 4. Kapitel B. II. 3. c) aa).
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hauptung geprägt ist, einem beleidigenden Werturteil aber gar kein Wahrheits- oder Unwahrheitsgehalt zugeschrieben werden kann. Jedoch sind die Kriterien, die bei der diffamation erst in der Rechtswidrigkeit zur Sprache kommen, bei der injure schon im Tatbestand von Bedeutung. Nicht jedes negative Werturteil stellt schon eine strafbare Beleidigung dar; daneben verbleibt der straflose Bereich der opinion, der bloßen Meinung.35 Bei der Abgrenzung werden Elemente berücksichtigt, die auch durch das Bundesverfassungsgericht bei der Rechtfertigung von beleidigenden Werturteilen hinzugezogen werden. Zum Beispiel nimmt die französische Rechtsprechung eine Beleidigung in den Fällen einer injure formelle an, wenn also die besonders beleidigende Wirkung schon aus der Form der Äußerung resultiert, etwa bei dem Gebrauch vulgärer Schimpfworte. Hierzu passt, dass auch § 193 StGB eine Rechtfertigung dann ausschließt, wenn eine Formalbeleidigung im Sinne des § 192 StGB vorliegt. Wird keine injure formelle festgestellt, richtet sich die Tatbestandsmäßigkeit der Aussage regelmäßig nach einer Abwägung der sich gegenüberstehenden Interessen, wobei wie bei der Abwägung nach § 193 StGB die Umstände des Einzelfalls von Bedeutung sind. Elemente in der Abwägung sind dabei etwa das droit à l’humour sowie das Vorliegen einer intention de nuire, Schädigungsabsicht. Hinzu kommt – insofern vergleichbar mit der Vermutung der freien Rede – eine Privilegierung von Äußerungen zu (partei-)politischen Zwecken. An die bundesverfassungsgerichtliche Kategorie der Schmähkritik erinnert die häufig in diesem Zusammenhang zitierte Formel, dass auch scharfe und beißende Kritik in der Sache erlaubt ist, solange keine Aggression gegen die Person selbst geäußert wird. Grenzen setzen die französische wie die deutsche Rechtsprechung schließlich bei Würdeverletzungen. Auch im Rahmen von ehrverletzenden Werturteilen ergibt sich demnach eine vergleichbare Argumentation in beiden Staaten. Dass diese im Einzelfall nicht notwendigerweise zu identischen Ergebnissen führt, liegt auf der Hand, da Abwägungen im Einzelfall der Natur der Sache nach keine eindeutigen Regeln erlauben. Dessen ungeachtet bleibt festzustellen, dass trotz einer dogmatisch unterschiedlichen Konstruktion die Interessen des Äußernden in beiden Rechtssystemen mit vergleichbaren Argumentationsstrukturen und Abwägungskriterien gewahrt werden. ee) Recht zum Gegenschlag und excuse de provocation Wesentlicher Entschuldigungsgrund im Rahmen der injure ist die provocation, die Art. 33 al. 2 Pressefreiheitsgesetz voraussetzt, ohne ihre Merkmale zu nennen. Aus den Konkretisierungen durch Rechtsprechung und Literatur ergibt sich, dass als Provokationshandlung eine rechtlich missbilligte Handlung verstanden wird, die den später Beleidigenden oder eine ihm nahestehende Person in seinen Rechten oder geschützten Interessen verletzt.36 Verlangt werden darüber hinaus ein enger zeitlicher Bezug sowie die Verhältnismäßigkeit der folgenden Beleidigung. 35 36
s. oben 4. Kapitel B. II. 3. a) aa) (1). s. oben 4. Kapitel B. II. 3. c) bb).
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5. Kap.: Bewertung der deutschen und französischen Rechtslage
Das StGB kennt einen solchen Entschuldigungsgrund nicht. Trotzdem ist auch der deutschen Rechtsordnung der Gedanke, dass eine Beleidigung, die auf ein vorhergehendes – möglicherweise gar rechtlich missbilligtes – Verhalten reagiert, nicht gleichermaßen strafwürdig ist, nicht fremd. Das zeigt sich zum einen in der Vorschrift des § 199 StGB, nach der bei wechselseitig begangenen Beleidigungen beide Beteiligten freigesprochen werden können. Zum anderen wird dieser Gedanke vom Bundesverfassungsgericht hinzugezogen, wenn es in seiner Abwägung im Rahmen der Rechtfertigung das Recht zum Gegenschlag ausspricht.37 Danach muss derjenige, „der im öffentlichen Meinungskampf zu einem herabsetzenden Urteil Anlaß gegeben hat, eine scharfe Reaktion grundsätzlich auch dann hinnehmen, wenn sie sein Ansehen mindert.“38 Daraus ergibt sich, dass eine Äußerung, die auf einen Angriff des Betroffenen reagiert, nach der bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung häufig gerechtfertigt sein wird. Sind auch die Voraussetzungen dieser Rechtfertigung nach deutschem Recht nicht derart konkretisiert herausgearbeitet wie für den Entschuldigungsgrund nach französischem Recht und im Ergebnis wohl auch weniger streng,39 manifestiert sich auch hier wieder die Vergleichbarkeit der Argumentationsstrukturen. 4. Vergleichbare Strafantragsregelungen Sowohl die Grundtatbestände von injure und diffamation als auch die deutschen Ehrschutznormen sind als Antragsdelikte ausgestaltet,40 anderes gilt für die Volksverhetzung und die provocation à la haine raciale et religieuse. Während also bei der Ehrverletzung einzelner Personen den Betroffenen das Recht zugestanden wird, die Einleitung des staatlichen Strafverfahrens zu verhindern, ist bei der Volksverhetzung auf Grund ihrer Auswirkungen auf die Gesellschaft auch unabhängig von den Opfern eine Strafverfolgung möglich.
III. Zwischenergebnis Rückblickend betrachtet lässt sich zunächst feststellen, dass das deutsche und das französische Recht in ihren Grundstrukturen eine Vielzahl von Ähnlichkeiten aufweisen. Diese manifestieren sich zum einen in den allgemeinen Regelungen bei Äußerungsdelikten, die eine vergleichbar gestaltete Interpretation der Aussage 37 BVerfGE 12, 113, 126 ff. – Schmid/Spiegel; 24, 278, 286 – Tonjäger; 54, 129, 138 – Kunstkritik. 38 BVerfGE 66, 116, 150 – Springer/Wallraff. 39 Zu einem detaillierten Vergleich s. Stegmann, Tatsachenbehauptung und Werturteil, S. 416 f. Da weder das Recht zum Gegenschlag noch die excuse de provocation bei religionsfeindlichen Äußerungen von erheblicher Bedeutung sind, soll auf eine detaillierte Analyse verzichtet werden. 40 s. dazu oben 3. Kapitel B. II. 2. e) und 4. Kapitel C. 1.
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vorsehen. Darüber hinaus gilt in beiden Rechtsordnungen heute kein direktes Blasphemieverbot in dem Sinne, dass religiöse Inhalte abstrakt strafrechtlich geschützt sind. Auch die strafrechtliche Sanktionierung der Volksverhetzung bzw. der provocation à la haine, à la discrimination et à la violence stimmt in vielen Gesichtspunkten überein. Schon die Vorschriften weisen eine auffällige Ähnlichkeit auf, die sowohl auf ihren gemeinsamen Ursprung als auch auf den europäischen Rahmenbeschluss zur Harmonisierung der strafrechtlichen Bestimmungen in diesem Bereich zurückzuführen sind. Zwar lassen sich in den Einzelheiten kleinere Unterschiede ausmachen, im Wesentlichen sind die Voraussetzungen der Bestrafung aber kongruent. Im Rahmen der Strafbarkeit von religionsfeindlichen Äußerungen nach diesen Vorschriften ergeben sich kleine Unterschiede nur im Hinblick darauf, dass die französische Rechtsprechung in einzelnen Fällen ihre eigenen Grundsätze vernachlässigt und eine provocation à la haine auch dann annimmt, wenn es zwar an einem direkten Bezug zu den betroffenen Personen fehlt, die Äußerung aber durch eine auffallende Aggressivität geprägt ist. Bis auf diese Ausnahmen stimmen jedoch beide Rechtsordnungen dahingehend überein, dass religionsbeschimpfende Äußerungen nur dann die Voraussetzungen dieser Delikte erfüllen, wenn sie einen direkten Bezug zu den betroffenen Personen aufweisen und deshalb die Gefahr von Rechtsgutsverletzungen mit sich bringen. Das Beleidigungsrecht offenbart in Deutschland und Frankreich ebenfalls vergleichbare Grundstrukturen. Beide Rechtssysteme sind geprägt durch das Erfordernis einer Ehrverletzung und die Differenzierung zwischen Tatsachenaussagen und Werturteilen. Auch bei der Frage, wann eine ehrverletzende Äußerung ausnahmsweise zulässig sein kann, weisen beide Rechtsordnungen verwandte Argumentationsstrukturen auf. Wenn auch ihre dogmatische Einordnung regelmäßig differiert, tauchen häufig dieselben Elemente auf: Hierzu gehört zum einen bei Tatsachenbehauptungen der Wahrheitsgehalt der Aussage und die diesbezügliche Gutgläubigkeit des Äußernden sowie das Informationsinteresse der Öffentlichkeit und die bei der Wahrheitsermittlung aufgewandte Sorgfalt. Bei Werturteilen stützen sich beide Rechtssysteme im Rahmen einer Abwägung in der Regel darauf, ob die Äußerung Formalbeleidigungen oder Menschenwürdeverletzungen enthält, ob sie einen sachlichen Bezug aufweist oder allein der Herabsetzung des Gegenübers dienen soll und ob der Äußerung eine Vorgeschichte im Sinne einer Provokation vorausgeht. Trotz der dogmatischen Unterschiede sind beide Systeme der Ehrverletzungsdelikte wesentlich durch eine Abwägung geprägt, bei der ähnliche Argumentationsstrukturen zu Tage treten.
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5. Kap.: Bewertung der deutschen und französischen Rechtslage
B. Unterschiede zwischen deutschem und französischem Recht bei der Strafbarkeit religionsfeindlicher Äußerungen Die zahlreichen Übereinstimmungen, die bei der Gegenüberstellung der nicht direkt religionsbezogenen Regelungen auftreten, werden jedoch durch die eklatanten Unterschiede bei den religionsbezogenen Vorschriften überschattet. Zwar verfügen beide Rechtssysteme über strafrechtliche Vorschriften, die die Meinungsfreiheit bei religionsbezogenen Themen einschränken, die Konzeptionen unterscheiden sich allerdings schon in ihrem grundlegenden Ansatz. Darüber hinaus treten bei näherer Betrachtung weitere Unterschiede auf, die eine genauere Untersuchung erfordern.
I. Zentraler Unterschied: Schutzrichtung religionsbezogener Tatbestände Die wesentliche Abweichung zwischen der deutschen und der französischen Konzeption springt schon bei oberflächlicher Betrachtung der relevanten Tatbestände ins Auge. Beide Rechtssysteme knüpfen zwar im weitesten Sinn an die Religion an; doch erfolgt dies auf eine völlig unterschiedliche Weise. Die relevanten Straftatbestände unterscheiden sich im Wesentlichen durch ihre unterschiedliche Schutzrichtung. 1. Friedensschutz und Ehrschutz Während das deutsche Recht das religiöse Bekenntnis als Bezugspunkt der Beschimpfung wählt und nach der ganz herrschenden Meinung einen Schutz des öffentlichen Friedens bezwecken, verfolgen die französischen Normen eine individualbezogene Schutzrichtung und knüpfen vorrangig an die Rechte der Religionsanhänger an. a) Bestrafung der friedensstörenden Bekenntnisbeschimpfung Die deutsche Vorschrift der Bekenntnisbeschimpfung nach § 166 StGB erhebt das religiöse Bekenntnis bzw. im zweiten Absatz die Religionsgemeinschaften zum Bezugspunkt der herabsetzenden Äußerung. Gleichzeitig besteht Einigkeit, dass in einer säkularen Gesellschaft der strafrechtliche Schutz religiöser Bekenntnisse nicht zulässig sein kann, da das Bekenntnis an sich keinen hinreichenden Zweck zur Einschränkung von Grundrechten darstellt.41 Um diese Prämisse zu umgehen, stellt die herrschende Meinung zur Legitimation des Tatbestands auf einen Schutz des
41
s. oben 2. Kapitel B. I. und II. 1.
B. Unterschiede zwischen deutschem und französischem Recht
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öffentlichen Friedens ab.42 Auch der Gesetzgeber orientierte sich bei der Ausgestaltung des Tatbestands an diesem Schutzzweck, indem er die Eignung zur Störung des öffentlichen Friedens als Tatbestandsmerkmal definierte. Eine einheitliche Begriffsbestimmung des öffentlichen Friedens konnte allerdings bislang nicht erreicht werden. Die Definitionen oszillieren zwischen einem Verständnis als objektive und/ oder subjektive Rechtssicherheit und als „psychischem“ bzw. „tolerantem Klima“. Aus verfassungsrechtlicher Sicht erweisen sich jedoch sämtliche Begründungsansätze als unzureichend, da keiner mit einem Schutzgut aufwarten kann, das eine strafrechtliche Beschränkung der Meinungs- und Kunstfreiheit zu rechtfertigen vermag.43 Der § 166 StGB ist deshalb nach der hier vertretenen Auffassung in seiner aktuellen Form verfassungsrechtlich nicht haltbar. Auch die Gerichte lassen eine gewisse Unsicherheit oder Unzufriedenheit mit dem Straftatbestand erkennen und legen die Merkmale zunehmend restriktiv aus, sodass die Bekenntnisbeschimpfung nahezu entkriminalisiert wird. In diesem Sinne sieht das französische Strafrecht keinen vergleichbaren Tatbestand vor, der das Beschimpfen eines Bekenntnisses unter Strafe stellen würde. Nur noch ein auf dem deutschen Recht basierende Sonderregelung besteht ohne nennenswerte praktische Anwendung im grenznahen Alsace-Moselle.44 Nach dem allgemeinen französischen Strafrecht wurden alle vergleichbaren Tatbestände (allen voran der „outrage à la morale publique et religieuse“ des Pressegesetzes von 1819) durch das Pressefreiheitsgesetz vom 29. Juli 1881 abgeschafft. Parallel hierzu betonen heute die Autoren im Rahmen der Ehrdelikte, dass eine Beschimpfung oder eine Tatsachenbehauptung stets gegen die Person des Opfers gerichtet sein muss, nicht gegen ein Produkt, eine Leistung oder eben auch eine Überzeugung.45 b) Qualifizierung der Ehrverletzungsdelikte Indem das französische Recht in Art. 32 al. 2 und Art. 33 al. 3 Pressefreiheitsgesetz einen Qualifikationstatbestand der Ehrdelikte für den Fall vorsieht, dass die Äußerung gegen eine Person oder eine Personengruppe auf Grund eines bestimmten Merkmals gerichtet ist, erteilt es sowohl dem Bekenntnis- als auch dem Friedensschutz eine Absage und stellt die betroffene Person ins Zentrum des Straftatbestands. aa) Ausgestaltung des Qualifikationstatbestands Aus der Anknüpfung an die Grundtatbestände der injure und der diffamation folgt, dass stets vorrangig eine Ehrverletzung und damit ein direkter Bezug auf die betroffene Person bzw. die betroffenen Personen erforderlich ist. Abstrakte Äuße42 43 44 45
3. Kapitel B. III. 1. s. dazu oben 2. Kapitel B. II. 2. s. dazu oben 1. Kapitel B. II. 4. s. dazu oben 4. Kapitel B. II. 2. a) cc).
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rungen, die sich ausschließlich auf ein Bekenntnis, eine religiöse Lehre oder einen Gegenstand religiöser Verehrung beziehen, fallen somit nicht unter diese Norm. Die Qualifikationen sind nur erfüllt, wenn die Ehrverletzung auf Grund der Herkunft oder der Zugehörigkeit oder Nichtzugehörigkeit zu einer Ethnie, Nation, Rasse oder Religion erfolgt. Obwohl die Vorschriften ihren Schwerpunkt auf den Merkmalen der Herkunft und der Zugehörigkeit oder Nichtzugehörigkeit zu einer Rasse, Ethnie oder Nation haben, betreffen sie über diese rassischen Kriterien hinaus auch Personen oder Personengruppen auf Grund ihrer Zugehörigkeit oder Nichtzugehörigkeit zu einer Religion. Schon bald manifestierte sich eine Autonomie der religionsbezogenen Variante,46 die die darauf spezialisierte Literatur heute als Norm zum Schutz religiöser Gefühle eingeordnet.47 Dies ist darauf zurückzuführen, dass zunächst französische Fachgerichte die Norm aufgriffen, um religionskritische, -feindliche und -beschimpfende Äußerungen zu sanktionieren. Die Entwicklung begann in den 1980er Jahren, in denen die Richter im einstweiligen Rechtsschutz zunächst ohne Bezug auf die strafrechtlichen Normen die Verbreitung von Filmplakaten untersagten, die religiöse – vor allem christliche – Symbole profanierten.48 Schließlich begannen die Tatrichter, auch die Vorschriften der injure und diffamation religieuse auf derartige Darstellungen anzuwenden. Die streng individual- und ehrbezogene Konzeption des Gesetzes fand sich somit in der Praxis nicht wieder. Die Cour de cassation jedoch reagierte – unterstützt durch die herrschende Literatur – ablehnend auf diese Ausweitung der Straftatbestände und verneinte in ihren Revisionsentscheidungen die Einschlägigkeit der Ehrverletzungsdelikte. Anderes gilt jedoch für Äußerungen, die sich, statt religiöse Symbole in bildhafter Darstellung lächerlich machen zu wollen, inhaltlich mit der Religion und ihren Anhängern auseinandersetzen. Die Argumentation der Rechtsprechung zur Abgrenzung strafloser Meinungsäußerungen von strafbaren Ehrverletzungen verläuft dabei bei den relevanten Urteilen in konstanten Strukturen.49 Als ein wiederkehrendes Kriterium ist zum einen der Grad der Öffentlichkeit und Zugänglichkeit der Äußerung auszumachen. Während ein Artikel innerhalb einer (Satire-)Zeitschrift nur dessen Gefühle verletzen kann, der sich bewusst für den Kauf dieser Zeitschrift entscheidet, ist ein Filmplakat weithin sichtbar und die Gläubigen können sich seiner Wirkung nicht entziehen. Regelmäßig betont wird auch, dass durch die Äußerung sämtliche Anhänger der Religion betroffen sein müssen, nicht etwa nur eine als fundamentalistisch oder radikal verstandene Teilgruppe. Als wesentliches Kriterium hat sich bei der Frage nach der Zulässigkeit religionsfeindlicher Aussagen das Merkmal der offense gratuite etabliert. Unterschieden wird also danach, ob hinter der Äußerung ein öffentliches Interesse steht oder ob sie ausschließlich in der Absicht getätigt wurden, 46 47 48 49
Droin, Limitations à la liberté d’expression, Rn. 586; Massis, D. 1992, chron., 113, 115. Massis, D. 1992, chron., 113, 114 ff.; Teillot, Religion et droit pénal, S. 60 ff. Vgl. zu der Entwicklung in der Rechtsprechung oben 4. Kapitel B. II. 4. a). s. zu diesen Argumentationsstrukturen oben 4. Kapitel B. II. 4. b).
B. Unterschiede zwischen deutschem und französischem Recht
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Religionsanhänger zu schädigen oder zu provozieren. Diese inzwischen restriktive Rechtsprechung der französischen Gerichte ist zu begrüßen, da nur so garantiert werden kann, dass die Meinungsfreiheit hinreichend gewahrt wird und nur die Angriffe unter Strafe gestellt werden, die zum Schutz der Religionsanhänger nicht mehr hinnehmbar sind. Bei der Rechtsprechungsanalyse wird jedoch auch deutlich, dass gerade das Kriterium, das das französische vom deutschen System abhebt, von den Gerichten nicht immer im angemessenen Umfang berücksichtigt wird. Insbesondere die Tatgerichte differenzieren zum Teil nicht hinreichend danach, ob ein ausreichender Bezug zu der Person des Betroffenen hergestellt und daher eine Ehrverletzung anzunehmen ist, und bejahen das Vorliegen einer injure oder diffamation religieuse mit der Begründung, dass religiöse Überzeugungen verletzt oder die Religion beschimpft worden seien.50 Diese Rechtsprechung, die in zu befürwortender Weise von der Cour de cassation sanktioniert wurde, konterkariert die Vorteile der französischen individualschützenden gegenüber der deutschen bekenntnisschützenden Konzeption. Die Schwierigkeiten der französischen Gerichte bei der Frage nach dem Vorliegen eines ausreichenden Individualbezugs offenbaren einen weiteren zentralen Unterschied zwischen dem deutschen und dem französischen Beleidigungsrecht, der die Anwendung der französischen Ehrschutzdelikte auf religionsbeschimpfende Behauptungen erst ermöglicht. bb) Erweiterung der Ehrverletzung auf Personenmehrheiten Wenn eine diffamation oder injure religieuse stets eine tatbestandliche Ehrverletzung voraussetzt, scheint sie auf den ersten Blick den Bereich der strafbaren Äußerungen im Vergleich zum deutschen Beleidigungsrecht nicht auszuweiten, sondern ihm lediglich eine Qualifizierung an die Seite zu stellen. Dass dieser Schein trügt, manifestiert sich, wenn die möglichen Opfer der Ehrverletzung einer genaueren Betrachtung unterzogen werden. Nach herrschender Auffassung kommen die §§ 185 – 187 StGB bei Kollektivbezeichnungen nur unter bestimmten Voraussetzungen in Betracht.51 Diese sind zum einen dann erfüllt, wenn einzelne Betroffene letztlich nicht ausschließlich durch die Sammelbezeichnung, sondern im Wesentlichen durch den Kontext, insbesondere durch eine explizite Adressierung individualisiert werden. Darüber hinaus kann bei zahlenmäßig leicht überschaubaren Gruppen auch nach dem „Verdachtsprinzip“ eine Betroffenheit sämtlicher Gruppenmitglieder vorliegen, wenn einzelne, nicht weiter individualisierte Gruppenmitglieder gekränkt werden und insofern jedes Gruppenmitglied unter Verdacht gerät. Aber auch wenn sämtliche Personen, die unter die Sammelbezeichnung fallen, gemeint sind, kommt eine Beleidigung gegenüber 50 CA Toulouse, 12. 01. 2005, Légipresse n8 222 (2005), I, 87; TGI Paris, 10. 03. 2005, D. 2005, 1326 – Girbaud. 51 s. oben 3. Kapitel B. II. 2. b) bb) (2).
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5. Kap.: Bewertung der deutschen und französischen Rechtslage
jedem Einzelnen nach der überwiegenden Ansicht in Rechtsprechung und Schrifttum nur dann in Betracht, wenn der Kreis der betroffenen Einzelpersonen scharf umgrenzt und die Zuordnung deshalb zweifelsfrei möglich ist. Davon sei bei Großkollektiven, wie etwa den Anhängern einer bestimmten Religion (mit Ausnahme der „heute noch in Deutschland lebenden Juden“), nicht auszugehen. Allerdings ist diese Ansicht dogmatisch nicht einwandfrei und auch teleologisch nicht zu begründen. Überzeugender erscheint eine Abgrenzung danach, ob eine Äußerung es vermag, jeden einzelnen Kollektivangehörigen durch die Beleidigung unter einer Sammelbezeichnung individuell zu treffen. Diese Feststellung ist jedoch schwierig zu treffen und sollte nicht nur von der Größe des Kollektivs, sondern auch von der persönlichen Bedeutung des die Kollektivmitgliedschaft begründenden Merkmals sowie der Stärke der Verknüpfung dieses Merkmals mit der ehrverletzenden Aussage abhängen. Das französische Recht umgeht diese Schwierigkeit durch eine eindeutige Bestimmung der beleidigungsfähigen Kollektive. Zwar stellen die Definitionen der injure und der diffamation in Art. 29 und 30 Pressefreiheitsgesetz auf eine Person oder einen corps ab und bleiben insofern weitgehend unbestimmt, sodass in Rechtsprechung und Literatur die Beleidigungsfähigkeit unter einer Kollektivbezeichnung umstritten ist. Für die injure und die diffamation religieuse hingegen ist die Personengruppe dann tauglicher Beleidigungsgegenstand, wenn sie auf Grund bestimmter Kriterien definiert ist, und zwar nach der Herkunft oder der Zugehörigkeit oder Nichtzugehörigkeit zu einer Ethnie, Nation, Rasse oder Religion. Diese gesetzliche Festlegung erleichtert die Anwendung der Normen und spiegelt insbesondere ihren minderheitsschützenden Charakter wider. Darüber hinaus steht sie aber auch in einem engen Zusammenhang zu einem der hier vorgeschlagenen Kriterien bei der Feststellung der persönlichen Betroffenheit bei Beleidigungen unter einer Kollektivbezeichnung: Die aufgezählten Merkmale zeichnen sich insbesondere dadurch aus, dass sie als besonders identitätsprägend empfunden werden. Deshalb erscheint eine darauf bezogene Beleidigung die Kollektivmitglieder eher zu treffen als andere Kategorisierungen, etwa die Größe, Haarfarbe oder ähnliches. Dass die injure oder diffamation gerade auf Grund der Zugehörigkeit oder Nichtzugehörigkeit erfolgen muss, weist darauf hin, dass ein gewisser Zusammenhang zwischen der ehrverletzenden Äußerung und der Zugehörigkeit zu dem betreffenden Kollektiv vorauszusetzen ist. Hier findet sich letztlich das oben herausgearbeitete Merkmal wieder, dass es für die Bejahung der Beleidigung eines Großkollektivs spricht, wenn eine Verknüpfung der ehrverletzenden Aussage mit dem die Kollektivzugehörigkeit prägenden Merkmal besteht. Die gewählten Kriterien des französischen Rechts zur Beleidigungsfähigkeit von Einzelpersonen unter Kollektivbezeichnungen erscheinen vor diesem Hintergrund durchaus vorteilhaft. Zum einen sind sie hinreichend bestimmt und ermöglichen eine einheitliche Betrachtung von Kollektivbeleidigungen. Andererseits sind sie so gewählt, dass sie eine individuelle Betroffenheit des Einzelnen auch bei Verwendung einer Sammelbezeichnung gewährleisten.
B. Unterschiede zwischen deutschem und französischem Recht
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c) Zwischenergebnis Festzuhalten bleibt, dass die zentralen Differenzen des französischen in Bezug zum deutschen Recht darin liegen, dass einerseits keine direkte Anknüpfung der Strafnorm an die Beschimpfung eines Bekenntnisses erfolgt. Andererseits greifen die Ehrverletzungsdelikte die besondere Eingriffsintensität einer religionsfeindlichen Äußerung dadurch auf, dass sie die injure oder diffamation als Qualifikation ausgestalten, wenn sie einer Person oder Personengruppe auf Grund ihrer Zugehörigkeit oder Nichtzugehörigkeit zu einer Religion gelten. Um diese Qualifikation wirksam werden zu lassen, ist erforderlich, dass – anders als nach der herrschenden Auffassung im deutschen Recht – Ehrverletzungen auch unter Kollektivbezeichnungen (zumindest unter den explizit vorgesehenen) möglich sein müssen. 2. Praktische Folgen aus der unterschiedlichen Schutzrichtung Die tatsächlichen Auswirkungen der unterschiedlichen Schutzwirkungen sind aber schon deshalb gering, weil weder § 166 StGB in Deutschland noch die religionsbezogenen Äußerungsdelikte in Frankreich eine regelmäßige Anwendung finden. So bleiben etwa die Verurteilungen in Deutschland in den letzten Jahren jährlich im einstelligen oder im niedrigen zweistelligen Bereich.52 Auch in Frankreich sind die Verurteilungen selten – dies ergibt sich schon aus der hier geleisteten Rechtsprechungsübersicht, in der die meisten veröffentlichten Fälle bearbeitet wurden.53 Auch inhaltlich ergeben sich zum Teil weniger verschiedene Ergebnisse als die unterschiedliche Ausrichtung vermuten ließe. In beiden Judikaturen lässt sich eine Tendenz dahingehend ausmachen, die Tatbestandsmerkmale restriktiv auszulegen. Nachdem in den 1980er und 1990er Jahren die französische Rechtsprechung zunächst bei religionskritischen Äußerungen, insbesondere auch bei Satiren und Karikaturen, eine eher meinungsfreiheitsbeschränkende Sichtweise eingenommen hat, zeigt sie sich inzwischen deutlich liberaler. Ebenso wie die deutschen Gerichte höhere Anforderungen an das Merkmal des Beschimpfens stellen, legt auch sie bei der Frage, ob eine Äußerung tatsächlich eine expression outrageante, termes de mépris ou invective enthält, strengere Maßstäbe an. Zudem fließen in beiden Staaten bei der Auslegung der tatbestandlichen Merkmale auch wertungsmäßige Gesichtspunkte in die Entscheidungen ein, insbesondere der Zweck der Äußerung. Steht hinter der Aussage eine sachliche Kritik zu einem Thema von öffentlichem Interesse, 52
s. zu den konkreten Zahlen und den Hinweisen auf die Veröffentlichungen des Statistischen Bundesamts, oben 3. Kapitel B. III. 3. 53 Zwar wird auch in Frankreich eine jährliche Statistik veröffentlicht, sie enthält jedoch keine hinreichende Differenzierung, um hier eindeutige Ergebnisse zu vermitteln. So ergingen in den Jahren 2006 – 2012 jeweils jährlich etwa 700 Verurteilungen wegen Diffamierung oder Diskriminierung, von denen religionsbezogene Diffamierungen jedoch wohl nur einen Bruchteil ausmachen, s. Annuaire statistique de la Justice, Édition 2011 – 2012, S. 173; abrufbar unter http://www.justice.gouv.fr/art_pix/stat_annuaire_2011-2012.pdf (zuletzt abgerufen am 29. 05. 2017).
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zeigen sowohl französische als auch deutsche Gerichte die Tendenz, eine Strafbarkeit zu verneinen. Trotzdem bleibt ein gewichtiger Unterschied in der Verurteilungspraxis der Gerichte bestehen, in dem sich gerade die jeweilige Zielrichtung der Normen widerspiegelt. So verlangen die französischen Gerichte, dass die Äußerung gerade gegen eine oder mehrere Personen gerichtet ist. Dies führt dazu, dass Aussagen, die sich mit religiösen Inhalten auseinandersetzen, straflos sind, während direkte Beleidigungen auch größerer Personengruppen das Risiko einer Sanktionierung eingehen. In Deutschland hingegen sind letztere auf Grund der einschränkenden Rechtsprechung zur Beleidigung unter einer Kollektivbezeichnung in der Regel straflos, solange sie nicht die Grenzen der Volksverhetzung überschreiten. Anderes gilt, wenn sich die Beschimpfung gegen die Religionsgemeinschaft selbst richtet, da dieses Verhalten von § 166 Abs. 2 StGB erfasst ist. Auf der anderen Seite werden nach § 166 Abs. 1 StGB Beschimpfungen sanktioniert, die keine direkte Beziehung zu den Religionsanhängern aufweisen, da schon die Beschimpfung eines Bekenntnisses ausreicht. Hierbei ist die restriktive Rechtsprechung zwar zu loben, sie kann aber letztlich auch nicht verbergen, dass mit dem Bekenntnis das falsche Bezugsobjekt gewählt wurde. 3. Mögliche Ursachen der unterschiedlichen Schutzrichtung Unter Berücksichtigung der historischen und verfassungsrechtlichen Grundlagen ist zu analysieren, wie die unterschiedlichen Schutzkonzepte begründet sind. a) Laizitätsprinzip als Ursache für den Verzicht auf Bekenntnisschutz Ein wesentlicher Begründungsansatz für die Grundentscheidung des französischen Rechts, Angriffe auf Bekenntnisse und Überzeugungen straflos zu lassen, liegt im Prinzip der laïcité, das den staatlichen Umgang mit Religion in Frankreich wesentlich prägt.54 So betont auch das Tribunal de Grande Instance de Paris in seiner Entscheidung zu den Mohammed-Karikaturen, dass in der laizistischen und pluralistischen Gesellschaft Frankreichs der Respekt der religiösen Überzeugungen mit der Freiheit einhergeht, die Religionen zu kritisieren und die Gegenstände religiöser Verehrung darzustellen.55 Ein entscheidender Grundsatz, der das Laizitätsprinzip charakterisiert, ist die strikte Trennung zwischen Staat und Kirche. Dies erfolgt zum einen in organisatorischer Hinsicht, dass es keine Staatsreligion geben darf und der Staat keine Religionsgemeinschaften rechtlich anerkennt, als auch finanziell in dem Sinne, dass jegliche staatliche Finanzierung der Religionsgemeinschaften unzulässig ist. Der 54 55
s. hierzu oben 2. Kapitel C. II. 2. TGI Paris, 22. 03. 2007, Légipresse n8 242 (2007), III, 123, 124.
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Staat hat sich – noch über ein bloßes Neutralitätsgebot hinaus – aus allen die Religion betreffenden Fragen herauszuhalten. Eine Vorschrift, die die Verletzung religiöser Überzeugungen mit dem Ziel unter Strafe stellt, eine durch eine oder mehrere Religionen geförderte und durch den Staat anerkannte Sozialmoral zu schützen, käme einer Aufhebung dieser strikten Trennung gleich.56 Vor diesem Hintergrund verbietet sich aus französischer Sicht jede direkte Anknüpfung an ein religiöses Bekenntnis, sei es auch unter dem Vorwand eines Friedensschutzes.57 Fast schon reflexartig wird das Laizitätsprinzip jenen entgegengehalten, die sich für einen umfassenderen Schutz der religiösen Gefühle und der religiösen Identität einsetzen.58 Zwar steht es in seiner zeitgenössischen Interpretation nicht mehr für die vollständige Verbannung der Religion aus dem öffentlichen Leben. Trotzdem dominiert die Vorstellung, dass die Religionsausübung eher in die Privatsphäre als in die Öffentlichkeit gehört. So betont auch der Conseil constitutionnel, niemand dürfe sich auf seine religiösen Überzeugungen berufen, um den allgemeinen Regeln staatlicher Einrichtungen zu entgehen.59 Ein strafrechtlicher Tatbestand, der die Beschimpfung dieser Überzeugungen unter Strafe stellt, scheint mit diesem Verständnis schwer zu vereinbaren. Das in Deutschland geltende Neutralitätsgebot hingegen steht einer Sanktion so lange nicht entgegen, wie die Norm das Bekenntnis sämtlicher Religionen und Weltanschauungen erfasst und nicht Religionsinhalte als solche schützen soll.60 Anders als in Frankreich besteht keine strikte Trennung zwischen Religion und Staat, sondern es herrscht ein Kooperationsmodell, das den Religionsgemeinschaften eine größere Rolle in der Öffentlichkeit zugesteht. b) Unzulässigkeit des délit d’opinion Neben dem Laizitätsgedanken spricht nach dem französischen Verständnis auch der historische Hintergrund des in Rede stehenden Pressefreiheitsgesetzes gegen eine Bestrafung der Bekenntnisbeschimpfung. Seiner Verabschiedung im Jahr 1881 lagen vor allem Bestrebungen zur Befreiung der Presse zugrunde, die sich insbesondere in der Abschaffung der damals geltenden Vielzahl an unterschiedlichen Äußerungsdelikten widerspiegelt.61 Ziel war insbesondere die Beseitigung sämtlicher délits d’opinion, also aller Delikte, die eine bestimmte Meinung abstrakt ihrem 56
Mbongo, in: Mélanges Lachaume, S. 691, 696; vgl. auch Leroy, RTDH 2007, 875, 882. Andererseits dürfte aus französischer Sicht der öffentliche Frieden als Schutzzweck eines Straftatbestands grundsätzlich in Betracht kommen. Wenn dies in der Literatur auch zum Teil in der Kritik steht, wird dort nämlich regelmäßig sogar der noch weiter gefasste ordre public als strafrechtliches Schutzgut angenommen, s. dazu oben 2. Kapitel C. II. 4. 58 So etwa Desmons, Blasphème, in: Outrages, insultes, blasphèmes et injures, S. 53, 59. 59 CC, 19. 11. 2004, n8 2004-505 – Traité établissant une Constitution pour l’Europe, Rn. 18. 60 Vgl. hierzu aber auch Eser, Schutz von Religionen, in: Hdb StaatskirchenR, S. 1019, 1026. 61 s. dazu oben 1. Kapitel B. II. 1. 57
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5. Kap.: Bewertung der deutschen und französischen Rechtslage
Inhalt nach und unabhängig von den durch die Äußerung konkret verletzten Interessen unter Strafe stellen. Zwar wird dem Gesetzgeber vorgeworfen, bereits durch die Inkriminierung der Leugnung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Art. 24bis des Pressefreiheitsgesetzes die generelle Straflosigkeit der délits d’opinion, de doctrine ou de tendance grundsätzlich in Frage gestellt zu haben.62 Trotzdem wurde gegen die Gesetzesinitiativen zur Einführung neuer, den Schutz religiöser Gefühle bewirkender Tatbestände63 erheblicher Widerstand aus der Literatur laut, die die „Widerauferstehung des délit d’opinion“ befürchteten.64 Selbst wenn eine Rechtfertigung über den Schutz des ordre public verfassungsrechtlich gelingen könnte, bestehen doch ersichtlich erhebliche Bedenken gegen die Einführung eines Tatbestands zur Bekenntnisbeschimpfung. Dies mag nicht zuletzt daran liegen, dass das letzte vergleichbare Verbot schon 1881 abgeschafft und diese Entwicklung als wesentliche Errungenschaft der Presse- und Meinungsfreiheit gefeiert wurde. Im Gegensatz dazu kannte das deutsche Recht durchgängig eine die Bekenntnisbeschimpfung unter Strafe stellende Norm. Zwar gleichen die Kriterien des délit d’opinion spiegelbildlich den Voraussetzungen, die das Bundesverfassungsgericht an die allgemeinen Gesetze des Art. 5 Abs. 2 GG stellt.65 Die herrschende Meinung umgeht diese Frage durch den Verweis auf den Schutz des öffentlichen Friedens. Diese Begründung wirkt jedoch eher so, als sollte einer „bewährten“ Strafnorm eine verfassungsgemäße Untermauerung geboten werden. Ob sie zur Einführung eines neuen Straftatbestandes taugt, ist zweifelhaft. Historische Voraussetzungen dürften also eine weitere Ursache für die unterschiedlichen strafrechtlichen Regelungen darstellen. Allerdings sollte auch in Deutschland nicht an einer Norm festgehalten werden, die religionsschützende Wurzeln hat und der als nachträgliche – und nach hier vertretener Auffassung nicht einmal verfassungsrechtlich zulässige – Legitimation der Friedensschutz untergeschoben wurde. Ein angemessener Ausgleich zwischen den betroffenen Interessen bei antireligiös motivierten Beschimpfungen könnte höchstens durch einen Individualschutz bewirkt werden. c) Recht auf Nichtdiskriminierung als Ursache der Qualifikationstatbestände Stellt man sich die Frage, wieso es in Frankreich zu einem besonderen Schutz der Religionsanhänger in ihrer religiösen Identität gekommen ist, stößt man zunächst auf den ursprünglichen Schutzzweck der loi Pleven. Schon aus deren offizieller Bezeichnung als loi relative à la lutte contre le racisme ergibt sich, dass die Strafnormen ursprünglich in erster Linie dem Kampf gegen Rassismus und dem Minderheitenschutz dienen sollten. In engem Zusammenhang hiermit zu sehen ist die Ratifizie62
de Bellescize, D. 2006, 1476, 1477. s. zu diesen Initiativen oben 4. Kapitel B. III. 64 de Bellescize, D. 2006, 1476; Francillon, RSC 2006, 625, 631. Vgl. jedoch auch Hochmann, Les Cahiers de Droit n8 53 (2012), 793, 809 ff., der ein verfassungsrechtliches Verbot des délit d’opinion in Frankreich verneint. 65 s. zu einem Vergleich auch Hochmann, Les Cahiers de Droit n8 53 (2012), 793, 806 ff. 63
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rung der Rassendiskriminierungskonvention der UN durch Frankreich im Jahr 1971, also nur ein Jahr vor der Verabschiedung der loi Pleven, die das Bedürfnis eines umfassenden Diskriminierungsschutzes für verschiedene Minderheiten weckte. Vor diesem Hintergrund erfüllte die Anknüpfung an die Zugehörigkeit oder Nichtzugehörigkeit zu einer Religion lediglich den Zweck, religiös definierte Minderheiten vor Diskriminierung und Diffamierung zu bewahren. Dies äußert sich auch darin, dass in den Gesetzesmaterialien zu den verschiedenen Vorentwürfen stets bei der Begründung allein auf die Rasse abgestellt wird, während die Vorschläge zur Ausgestaltung des Tatbestandes regelmäßig an die Rasse und die Religion anknüpfen, sodass die Religion zur Unterkategorie der Rasse wird.66 Diskriminierungsschutz spielt in Frankreich eine zentrale Rolle. Er stellt einen wesentlichen Aspekt des Gleichheitsrechts nach französischem Verständnis dar, das neben dem allgemeinen Gleichheitssatz ein „Recht auf Nichtdiskriminierung“ als eigenständiges Grundrecht anerkennt.67 Dieses spiegelt sich einfachgesetzlich in zahlreichen – auch strafrechtlichen – Diskriminierungsverboten wider. Das Recht auf Nichtdiskriminierung vermag dem Kampf gegen Rassismus eine grundrechtliche Basis zu verschaffen. Als subjektives Recht der Bürger eignet es sich sogar zur Legitimierung von Eingriffen in die Meinungsfreiheit und wird schließlich auch als weiterer Begründungsansatz zur Legitimation der injure und diffamation raciale hinzugezogen.68 Dass ursprünglich in erster Linie ein Minderheitenschutz bezweckt wurde, soll aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass eine mögliche Entwicklung in Richtung eines Religionsschutzes von vorneherein erkennbar war, da die Religionszugehörigkeit oder Nichtzugehörigkeit zwischen den übrigen Kriterien eine Sonderstellung einnimmt. Denn während Herkunft, Rasse, Ethnie und (in geringerem Maße) Nationalität für den Einzelnen unabänderliche Merkmale darstellen, ist die Zugehörigkeit zu einer Religion zumindest im Idealfall mit einer bewussten Entscheidung verbunden. Die Religion als „umfassendes metaphysisches oder auf die Welt als ganze bezogenes Gedankensystem“69 bietet durch ihren Wahrheitsanspruch und ihren Bezug auf die Grundlagen des Seins einen erheblich größeren Diskussionsbedarf und muss sich deshalb der öffentlichen Kritik stellen. In den Protokollen zum Gesetzgebungsverfahren finden sich Hinweise darauf, dass die Parlamentarier das Risiko gesehen haben, dass die Normen in dieser Form auch dem Schutz vor religiösem Fanatismus dienen können.70 Trotzdem wurde die Formulierung beibehalten. Als Motiv dahinter dürfte aber eher der Schutz von Einwanderern anderer Religionszugehörigkeit in Betracht kommen als der Schutz der mehrheitlichen religiösen 66
Delannoy, Les religions au parlement français, S. 92. s. hierzu oben 2. Kapitel C. II. 5. 68 So etwa Droin, Limitations à la liberté d’expression, Rn. 163. 69 Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck Art. 4 Rn. 10, weitere Nachweise oben 2. Kapitel Fn. 259. 70 Delannoy, Les religions au parlement français, S. 95 f. 67
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Überzeugungen, die zu jenem Zeitpunkt nicht als gefährdet angesehen wurden.71 Zudem greifen die Tatbestände zumindest teilweise die Formulierungen der loi Marchandeau auf, die 1939 insbesondere den aus Deutschland herüberschwappenden Antisemitismus bekämpfen wollte.72 Hinzu kommt, dass in Frankreich – anders als in Deutschland – seit 1881 kein Straftatbestand der Bekenntnisbeschimpfung mehr existierte. Daher bedurfte es für den erneuten Erlass eines Verbots religionskritischer Äußerungen eines erhöhten Begründungsaufwands. Vor diesem Hintergrund scheint der Kampf gegen Rassismus wesentlich breitere Unterstützung73 zu finden als ein Bekenntnisschutz, der mitunter als Verstoß gegen das Laizitätsprinzip verstanden wird. Keine ersichtlichen Auswirkungen auf die strafrechtliche Sanktionierung hat jedoch die unterschiedliche Vorgehensweise beim Schutz von Grundrechten. Obwohl festgestellt wurde, dass an die Einschränkung verfassungsrechtlich garantierter Freiheiten durch Strafgesetze in Frankreich zum Teil weniger hohe Anforderungen gestellt werden als in Deutschland,74 manifestiert die streng individualbezogene Konzeption doch einen engeren Grundrechtsbezug als das friedensschützende Modell. 4. Übernahme des individuellen Schutzes ins deutsche Recht? Nachdem festgestellt werden konnte, dass ein auf dem Schutz des öffentlichen Friedens gründender Bekenntnisschutz, wie ihn § 166 StGB bietet, mit den grundgesetzlichen Vorgaben nicht vereinbar ist, stellt sich die Frage, ob ein individueller Schutz der Religionsanhänger, wie ihn das französische Recht vorsieht, ins deutsche Recht zu integrieren ist. a) Legitimation des Bekenntnisschutzes als Ehrdelikt Eine Ausgestaltung als qualifiziertes Ehrdelikt bietet den Vorteil, dass durch die Anknüpfung an die Ehre ein verfassungsmäßig zulässiges Schutzgut für die Grundrechtsbeschränkung gewählt wird.75 Dass strafrechtlicher Ehrschutz mit dem Grundrecht der Meinungsfreiheit vereinbar ist, ergibt sich schon aus Art. 5 71
Delannoy, Les religions au parlement français, S. 96 f. s. hierzu oben 1. Kapitel B. II. 2. 73 Dies zeigt sich auch darin, dass die loi Pleven als eins der wenigen Gesetze in der V. Republik einstimmig beschlossen wurde, s. Ader, Légipresse n8 297 (2012), II, 467. 74 s. oben 2. Kapitel C. 75 s. auch v. Ungern-Sternberg, Öffentliche Auseinandersetzung, in: Freiheit – Sicherheit – Öffentlichkeit, S. 61, 78: „Dieser Ansatz bietet den Vorteil größerer dogmatischer Klarheit, da die Ehre bzw. das Allgemeine Persönlichkeitsrecht als Individualrechtsgüter etabliert sind und Kriterien für akzeptable und inakzeptable Formen der privaten Auseinandersetzung bereithalten.“ 72
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Abs. 2 GG, der die Ehre als Schranke der Meinungsfreiheit bestimmt. Zwar ist in diesem Zusammenhang die Wechselwirkungslehre des Bundesverfassungsgerichts zu beachten, sodass bei der Auslegung und Anwendung der Tatbestände stets die Bedeutung der Meinungsfreiheit zu berücksichtigen ist. Diese erlaubt aber, die Behauptung sowohl nicht erweislich wahrer ehrenrühriger Tatsachen als auch nicht durch die Meinungsfreiheit gerechtfertigter herabwürdigender Werturteile unter Strafe zu stellen. b) Definition zulässiger Kollektivbezeichnungen Die Qualifizierung weitet die Strafbarkeit dahingehend aus, dass auch Personengruppen als Betroffene der Norm in Betracht kommen. Fraglich ist, ob eine solche Regelung in Deutschland zulässig wäre und ob sie darüber hinaus auch eine sinnvolle Ergänzung des deutschen Strafrechts darstellen würde. aa) Legitimation der Ausweitung des Beleidigungsrechts auf Großkollektive Die Beleidigung einer Personengruppe gleicht der im deutschen Recht umstrittenen Ehrverletzung unter einer Kollektivbezeichnung, die von der Rechtsprechung und der wohl auch im Schrifttum herrschenden Ansicht nur sehr eingeschränkt möglich ist. Unter diesen engen Voraussetzungen lässt sich eine Beleidigung sämtlicher Religionsangehöriger einer Religion unter der jeweiligen Kollektivbezeichnung („die Muslimen“, „die Katholiken“ etc.) kaum bejahen.76 Schon auf der Grundlage des geltenden Rechts wird allerdings hier die Auffassung vertreten, dass bei der Beleidigung unter einer Kollektivbezeichnung nicht auf die Größe oder die Abgrenzbarkeit des Kollektivs abgestellt werden darf, sondern das einzige zulässige Kriterium sein kann, ob die von der Sammelbezeichnung erfassten Individuen durch die betreffende Äußerung individuell in ihrer Ehre betroffen sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Kollektivbezeichnung sich auf ein besonders identitätsprägendes Merkmal bezieht und die kränkende Äußerung einen direkten Bezug zu diesem Merkmal aufweist. Indem der im französischen Recht geltende Qualifikationstatbestand Personengruppen dann als beleidigungsfähig anerkennt, wenn sie durch die Zugehörigkeit oder Nichtzugehörigkeit zu einer Religion oder ein anderes ebenso identitätsprägendes Merkmal wie die Rasse oder die Herkunft bestimmt sind, und darüber hinaus auch einen subjektiven Kausalzusammenhang zwischen der Ehrverletzung und der Zugehörigkeit zu der Personengruppe verlangt, stimmt er mit den hier herausgearbeiteten Kriterien überein. Er weist darüber hinaus den Vorteil auf, dass durch die Definition der eine Sammelbeleidigung zulassenden Kollektivbezeichnungen eine 76 Hier erweist sich die Rechtsprechung als widersprüchlich, indem sie „die heute noch in Deutschland lebenden Juden“ als beleidigungsfähiges Kollektiv behandelt, s. oben 3. Kapitel B. II. 2. b) bb) (2).
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5. Kap.: Bewertung der deutschen und französischen Rechtslage
größere Rechtssicherheit geschaffen wird, als es eine einzelfallbezogene Lösung ohne gesetzliche Grundlage herzustellen vermag. Die gesetzliche Regelung stellt also eine legitime Kodifizierung des Ehrschutzes mehrerer bei Verwendung von Kollektivbezeichnungen dar. bb) Zweckmäßigkeit der Kodifizierung beleidigungsfähiger Personenkollektive Die zurzeit geltende Rechtslage in Deutschland stellt sich insoweit als unbefriedigend dar. Bei Großkollektiven wird eine direkte Betroffenheit der einzelnen Individuen verneint, während Personengemeinschaften unabhängig von ihrer Größe und ihrer Mitgliederzahl immer schon dann als beleidigungsfähig eingestuft werden, wenn sie einen einheitlichem Willen bilden können und einem anerkannten Zweck dienen. Das führt im religionsfeindlichen Bereich dazu, dass zwar die katholische oder die evangelische Kirche als solche beleidigungsfähig sind, nicht aber die Gesamtheit aller Katholiken oder aller Protestanten. Religionen wie der Islam, die sich nicht gemeinschaftlich organisiert haben, sind insofern gar nicht beleidigungsfähig. Die Juden können schließlich nach der herrschenden Ansicht als Individuen unter dieser Kollektivbezeichnung in ihrer Ehre verletzt sein. Diese Ergebnisse erweisen sich als höchst inkonsequent. Zwar steht sämtlichen Religionsgemeinschaften grundsätzlich frei, sich gesellschaftlich derart zu organisieren, dass auch sie als beleidigungsfähig anerkannt würden, sodass insofern das Neutralitätsgebot noch nicht verletzt wird. Warum aber eine gesellschaftsrechtliche Organisation einen besonderen, durch ehrkränkende Äußerungen zu verletzenden Anerkennungsanspruch begründen soll, erschließt sich nicht. Schutzwürdiger als ein abstrakter Geltungswert von Personengemeinschaften erscheint doch die persönliche Ehre sämtlicher Mitglieder. Gerade dies kann aber nur durch die Möglichkeit einer Beleidigung unter einer Kollektivbezeichnung und nicht im Sinne einer Personengemeinschaft mit eigener „Kollektivehre“ erreicht werden. Vor diesem Hintergrund ist eine gesetzliche Festschreibung beleidigungsfähiger Personengruppen im Sinne der französischen Vorschriften auch für das StGB zu befürworten. Es erscheint nicht angemessen, eine Ehrverletzung des Einzelnen nur deswegen zu verneinen, weil die gewählte Sammelbezeichnung ein großes Kollektiv erfasst. Zwar wird den Befürwortern einer Strafbarkeit der Beleidigung unter einer Kollektivbezeichnung vorgeworfen, dass bei einer Betroffenheit einer großer Anzahl von Personen – wie es etwa bei einer Kränkung „der Christen“ oder „der Muslime“ der Fall wäre – der Angriff so verwässert sei, dass beim Einzelnen keine ausreichende Betroffenheit auszumachen wäre. Das mag bei willkürlich gewählten Bezeichnungen auch zutreffend sein. Stellt die Kollektivbezeichnung jedoch auf ein besonders identitätsprägendes Merkmal wie die Religionszugehörigkeit ab, kann von einer Verwässerung keine Rede mehr sein, weil der Einzelne auch durch die Sammelbezeichnung in seinem Persönlichkeitskern betroffen ist. Zwar ist den Kritikern darin zuzustimmen, dass bei sehr umfangreichen Kollektiven Aussagen zum Teil so verstanden werden müssen, dass sie zahlreiche
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Ausnahmen zulassen und daher der Geltungsanspruch der Einzelnen nicht mehr mit der gleichen Intensität verletzt wird wie bei Kränkungen von Einzelpersonen. Dass solche Fälle erfasst würden, verhindert aber der subjektive Kausalzusammenhang zwischen der Ehrverletzung und der Zugehörigkeit zu der betroffenen Personengruppe. Denn wenn erforderlich ist, dass der Täter die Betroffenen auf Grund ihrer Religion angreift, besteht für ihn notwendigerweise ein Zusammenhang zwischen der ehrenrührigen Behauptung und der Religionszugehörigkeit. Dann kann die Äußerung auch nicht so verstanden werden, dass sie Ausnahmen zulassen soll. Darauf, dass sie trotzdem „vernünftigerweise“ anders interpretiert werden sollte, kann nicht abgestellt werden, weil dem Äußernden keine Aussage untergeschoben werden darf, die die Äußerung subjektiv nicht haben sollte. c) Strafschärfung bei Nachweis eines Religionsbezugs Die französische Sonderregelung der injure und diffamation religieuse erschöpft sich nicht in der Ausweitung des Anwendungsbereichs auf Personengruppen, sondern sieht einen im Vergleich zum Grundtatbestand erhöhten Strafrahmen vor. Fraglich ist, ob dies mit den deutschen verfassungsrechtlichen Grundlagen vereinbar und zudem auch wünschenswert ist. aa) Legitimation der Strafschärfung Eine Strafschärfung für den Fall, dass der Betroffene auf Grund seiner Zugehörigkeit oder seiner Nichtzugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft in seiner Ehre verletzt wird, ist nur dann zulässig, wenn sich feststellen lässt, dass der Betroffene durch den Bezug auf seine Religion stärker beeinträchtigt ist als durch eine einfache Ehrverletzung. Hierfür spricht, dass die Religionszugehörigkeit oder -nichtzugehörigkeit einen Menschen in seiner Identität wesentlich tiefer prägt als andere Eigenschaften. Religiöse oder weltanschauliche Überzeugungen charakterisieren den Blick eines Menschen auf die Welt und bilden so die Grundlage seiner Handlungen und seines Wesens. Wird nun jemand auf Grund dieser Überzeugungen beleidigt, betrifft ihn dies häufig viel stärker in seiner Identität als andere Kränkungen; neben seiner Ehre ist er auch in seinem Persönlichkeitsrecht in der Ausprägung der religiösen Identität verletzt.77 Die besondere Schwere der Tat ergibt sich daraus, dass der Täter die Ehrverletzung mit der Beeinträchtigung der identitätsprägenden Überzeugung verknüpft, indem er die ehrverletzende Äußerung gerade auf Grund der Zugehörigkeit oder Nichtzugehörigkeit des Betroffenen zu einer Religion tätigt. Indem also ein sub77
s. zu dieser Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts oben 2. Kapitel B. III. 4. b). Für eine Zulässigkeit eines Straftatbestandes der „religiösen Diffamierung“ auch Grimm, in: Juristische Studiengesellschaft Karlsruhe, Jahresband 2007, S. 21, 34 f. Die Nähe des § 166 StGB zu den Beleidigungsdelikten thematisiert auch v. Ungern-Sternberg, Öffentliche Auseinandersetzung, in: Freiheit – Sicherheit – Öffentlichkeit, S. 61, 78.
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jektiver Kausalitätsbezug gefordert wird, kann sichergestellt werden, dass der Äußernde die Beeinträchtigung der religiösen Identität auch beabsichtigt. Ein persönlicher Angriff gegen einen oder mehrere Religionsanhänger, der diese nicht nur in ihrer Ehre, sondern absichtlich auch in ihrer religiösen Identität betrifft, weist einen im Verhältnis zu einer bloßen Beleidigung erhöhten Unrechtsgehalt auf und legitimiert deshalb auch eine Strafschärfung. bb) Zweckmäßigkeit der Strafschärfung Fraglich ist allerdings, ob ein erhöhter Strafrahmen für solche Konstellationen auch wünschenswert ist. Eine bloße Strafschärfung vermag den Bereich strafbarer Religionsbeschimpfung nicht zu modifizieren. Diejenigen, die eine Ausweitung des Schutzes vor religionsfeindlichen Äußerungen fordern,78 würden mit einer derartigen Änderung demnach nicht zufriedengestellt. Ob durch eine erhöhte Strafandrohung auch eine gesteigerte Abschreckungswirkung zu verzeichnen ist, ist zu bezweifeln. Zudem ist der Strafrahmen bei den Ehrverletzungsdelikten bereits jetzt relativ weit gesteckt, sodass dem erkennenden Gericht ein umfangreicher Ermessenspielraum zusteht, innerhalb dessen es auch die Verletzung der religiösen Identität berücksichtigen kann. Hinzu kommt, dass eine Qualifikation für den religionsbezogenen Bereich missverstanden werden könnte. So wurde etwa in Frankreich einer dem Minderheitenschutz dienenden Vorschrift in der Literatur eine gefühlsschützende Tendenz zugeschrieben. Diese Entwicklung äußerte sich – in Zusammenspiel mit den umfangreichen prozessualen Privilegierungen der Interessenverbände – aber darüber hinaus auch in einer steigenden Anzahl von Verfahren gegen religionskritische Äußerungen. Gerade die Bestrafung von religionskritischen Äußerungen, die sich allein mit dem Inhalt der Religion auseinandersetzen und keinen Bezug zu der Persönlichkeit des Religionsanhängers aufweisen, soll aber durch die Ersetzung des § 166 StGB durch eine individualschützende Norm verhindert werden. Eine besondere Strafschärfung scheint vor diesem Hintergrund nicht unbedingt notwendig. Der im Vergleich zur einfach Beleidigung erhöhte Unrechtsgehalt kann bei gegen einen Einzelnen gerichteten Äußerungen auch bei der Bestimmung des konkreten Strafmaßes berücksichtigt werden. Betrifft die Äußerung hingegen eine Personengruppe, ergibt sich eine Strafschärfung schon daraus, dass überhaupt eine Strafbarkeit angenommen wird. Denn nach der aktuellen Rechtsprechung wird bei der Beleidigung der Mitglieder von Großkollektiven eine Ehrverletzung des Einzelnen verneint. Eine darüber hinausgehende Strafschärfung erscheint insofern nicht mehr erforderlich.
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s. hierzu insbesondere die Gesetzesinitiativen oben 3. Kapitel B. III. 2. c).
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d) Anwendbarkeit der anerkannten Rechtfertigungsund Entschuldigungsgründe In der französischen Rechtsprechung kristallisierte sich heraus, dass auf die diffamation und die injure raciale et religieuse die typischen Rechtfertigungsgründe der Ehrverletzungsdelikte nicht anzuwenden seien.79 Fraglich ist, ob auch dieser Aspekt der religionsbezogenen Qualifikationen ins deutsche Recht zu übertragen wäre. Es wird vorgebracht, dass schon der Versuch eines Wahrheitsbeweises bei rassistischen Beleidigungen dem Zweck des Gesetzes zuwiderlaufe, da auf diese Weise ja gerade rassistische Vorurteile vertieft würden. Die Literatur hingegen weist darauf hin, dass der Beweis ehrenrühriger Tatsachen für eine durch die genannten Merkmale charakterisierte Personengruppe gar nicht möglich sei. Letzteres vermag im Hinblick auf die rassisch bestimmten Personengruppen zu überzeugen. Es erscheint schwer vorstellbar, sämtlichen Mitgliedern einer etwa durch ihre Herkunft definierten Personengruppe den gleichen Ehrmangel nachzuweisen. Unter dieser Prämisse läuft aber das Argument der Rechtsprechung leer: Gerade wenn sich der Beweis als unmöglich erweist, wird offensichtlich, dass rassistische Vorurteile jeder schlüssigen Grundlage entbehren. Ein Ausschluss des Rechtfertigungsgrunds dürfte deswegen nicht erforderlich sein. In Bezug auf religionskritische Äußerungen ist allerdings im Einzelfall der Nachweis der Tatsachenbehauptung vorstellbar. Das kann dann der Fall sein, wenn sämtlichen Anhängern einer Religion zum Vorwurf gemacht wird, auf Grund ihrer Überzeugung ein bestimmtes Verhalten an den Tag zu legen. Denn da die Zugehörigkeit oder Nichtzugehörigkeit zu einer Religion anders als die anderen Merkmale im Wesentlichen auf einer freien – expliziten oder konkludenten – Entscheidung beruht, kann aus dieser Entscheidung auch ein bestimmtes Verhalten resultieren. Ist ein Wahrheitsbeweis denkbar, spricht nichts dagegen, ihn auch im Verfahren zuzulassen: Scheitert er, werden Vorurteile nicht vertieft, sondern im Gegenteil widerlegt; gelingt er jedoch, ist es angemessen, dem Religionskritiker die Rechtfertigung zuzugestehen. Die einschränkende Haltung der Rechtsprechung sollte also in dieser Allgemeinheit nicht übernommen werden. Nach der herrschenden Auffassung in der französischen Literatur ist auch der Rechtfertigungsgrund der bonne foi bei der qualifizierten Diffamierung ausgeschlossen. Aber auch die hier vorgebrachte Argumentation, dass Äußerungen, die rassisch oder religiös definierten Personengruppen Ehrmängel vorwerfen, zwingend aus unzulässigen Motiven erfolgten, überzeugt höchstens für rassistische Äußerungen. Im Gegenteil scheint die Rechtfertigung wegen Gutgläubigkeit und mit ihr wegen der Wahrung berechtigter Interessen nach § 193 StGB auf religionskritische Äußerungen in einigen Fällen zu passen. Denn Religionskritik kann sehr wohl ein öffentlich relevantes Ziel verfolgen – etwa die Anerkennung von Verhütung und Abtreibung, die Gleichberechtigung von Frauen, Homosexuellen oder anderen 79
s. dazu oben im 4. Kapitel B. II. 2. c).
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Gruppen etc. Gerade die Diskussion über religiöse Inhalte und Überzeugungen ist von erheblicher gesellschaftlicher Relevanz und darf deshalb der öffentlichen Kommunikation nicht durch ein restriktives Verständnis der Rechtfertigungsgründe entzogen werden. Die oben herausgearbeiteten Grundsätze zur Rechtfertigung von Äußerungen nach § 193 StGB entfalten daher für religionsfeindliche Äußerungen besondere Bedeutung. Auch in diesem Rahmen ist hiernach regelmäßig zwischen der Ehre und dem Persönlichkeitsrecht auf der einen, und der Meinungs- und Kunstfreiheit auf der anderen Seite abzuwägen. Dabei finden sich die oben herausgearbeiteten Grenzen der Verletzung der Menschenwürde, der Schmähkritik und der Formalbeleidigung in entsprechender Anwendung wieder. Zu berücksichtigen ist insoweit insbesondere der Zweck der Äußerung, die Intensität des Angriffs, aber auch die unternommenen Maßnahmen zur Wahrheitsermittlung und der gute Glaube an die Richtigkeit von Tatsachenbehauptungen. Ein Ausschluss der Rechtfertigung bei einem gesellschaftlich so relevanten Thema beschränkt das Recht der freien Meinungsäußerung in unzulässiger Weise und ist daher auf keinen Fall zu befürworten. Anderes gilt hingegen für den Entschuldigungsgrund der provocation,80 die nur in Ausnahmefällen Anwendung finden sollte. Denn letztlich erscheint es schwerlich vorstellbar, dass eine gesamte Personengruppe einen Einzelnen provoziert, der dann durch gerechtfertigte Beleidigungen dieser Gruppe im Sinne eines Gegenschlags reagieren könnte. Eine Ehrverletzung auf Grund der Religionszugehörigkeit kann aber dann ausnahmsweise eine verhältnismäßige Reaktion auf einen Angriff darstellen, wenn auch dieser schon in einer religionsbezogenen Beleidigung bestand. Nur in diesen Fällen ist eine hinreichende Verhältnismäßigkeit der Reaktion im Einzelfall zu bejahen. Die restriktive Handhabung der Rechtfertigungsgründe durch die französische Rechtsprechung sollte demnach kritisch betrachtet werden. Zum einen darf aus der Tatsache, dass die Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrundes regelmäßig nicht erfüllt sein dürften, nicht geschlossen werden, dass dieser gar nicht erst anwendbar ist. Zudem weist die religionsbezogene Ehrverletzung im Vergleich zur rassenbezogenen Ehrverletzung insoweit besondere Charakterzüge auf, sodass hier eine Rechtfertigung wegen Gelingens des Wahrheitsbeweises oder wegen guten Glaubens auch möglich erscheint. Ein Ausschluss der Rechtsfertigungsgründe erscheint somit (weder auf der Grundlage der französischen noch der deutschen Regelungen) zu befürworten. e) Besondere Rolle antirassistischer Interessenverbände Darüber hinaus wird die französische Praxis in diesem Bereich maßgeblich durch eine prozessuale Eigenheit geprägt. Auch wenn die qualifizierten Ehrverletzungen anders als die Grundtatbestände keine Antragsdelikte darstellen, kommt privaten 80
s. hierzu oben 4. Kapitel B. II. 3. c) bb).
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Organisationen auf Grund des Art. 48-1 Pressefreiheitsgesetz eine besondere Rolle bei der Einleitung staatsanwaltlicher Ermittlungen und gerichtlicher Verfahren zu. So dürfen Interessenverbände, die sich den Kampf gegen Rassismus und Diskriminierung zum Ziel gesetzt haben, die Rechte der Verletzten wahrnehmen. Voraussetzung ist, dass der Verband seit fünf Jahren besteht und (für die religionsbezogenen Tatbestandsvarianten) sein Zweck darin besteht, Opfern von religiös motivierten Diskriminierungen beizustehen. Dieses Recht ist in Relation zu den französischen Verfahrensregeln zu sehen, die mit der citation directe ein Verfahren bereithalten, mit dem der Verletzte unter Umgehung der Staatsanwaltschaft den Strafprozess direkt einleiten kann. Durch Art. 48-1 Pressefreiheitsgesetz steht diese Möglichkeit nun auch den genannten Interessenverbänden zu. Betrachtet man die soeben81 untersuchten Verfahren über religionsfeindliche Äußerungen, wird schnell deutlich, dass derartige Interessenverbände einen auffällig großen Teil der Prozesse ins Rollen gebracht haben. Erst die Strafanträge der Interessenverbände und die zum Teil extensive Interpretation der Fachgerichte weiteten den tatsächlichen Anwendungsbereich der ursprünglich auf Minderheitenschutz ausgerichteten Normen auf religionsfeindliche Äußerungen aus.82 Zudem zeigt sich, dass – zum Teil auf Grund der restriktiven und gesetzesnahen Auslegung der Cour de cassation – nur wenige der angestrengten Verfahren tatsächlich mit einem Schuldspruch enden. Das gilt insbesondere für die von der umstrittenen83 AGRIF erstatteten Anzeigen gegen Plakate, Flugblätter oder Filme, die durch Karikatur und Satire die katholische Kirche oder christliche Glaubensinhalte ins Lächerliche ziehen.84 Die erhöhte Anzahl von Verfahren könnte zu einer Selbstzensur der Religionskritiker und Satiriker führen, die über die geltenden strafrechtlichen Beschränkungen hinausgeht, um die Gefahr eines – wenn auch möglicherweise zum Freispruch führenden, aber doch immer risikoreichen – Prozesses zu verhindern. Eine solche Entwicklung erscheint in Deutschland nicht wünschenswert, da sie die Anzahl der Verfahren erheblich erhöht, ohne dass ein weitergehender Schutz ermöglicht werden kann. Mag beim Minderheitenschutz das Antragsrecht von Interessenverbänden sinnvoll sein, da sonst eine Nichtanwendung der Antidiskriminie81
s. 4. Kapitel B. II. 4. Krit. deshalb de Bellescize, D. 2006, 1476: „Besteht also das Risiko, dass die lobenswerte Intention des Gesetzgebers, Minderheiten zu schützen, zu einer von zahlreichen Interessenverbänden mit vielfältigen ideologischen Zielen verursachte Vervielfachung der Strafverfahren und damit zu einer Instrumentalisierung des Strafrichters zu moralischen Zwecken führt?“; vgl. auch Bigot, Légipresse n8 209 (2004) I, 35 f. 83 s. hierzu oben 4. Kapitel C. I. 2. a). 84 Als Strafverfahren auf Initiative AGRIF, die mit Freispruch der Äußernden endeten, zu nennen sind etwa Cass. crim., 07. 12. 1993, n8 92-81.091 und n8 92-84.439, Bull. crim. n8 374; Cass. crim., 14. 02. 2006, n8 05-81932, Bull. crim. n8 42 – La nuit de la Sainte Capote; Cass. crim., 02. 05. 2007, n8 06-84.710, Bull. crim. n8 115 – Christ en gloire; Cass. crim., 15. 03. 2011, n8 10-82.809 – Chrétiens à bouffer aux lions!. 82
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5. Kap.: Bewertung der deutschen und französischen Rechtslage
rungsvorschriften zu befürchten ist, so kann andererseits im religiösen Bereich aus einem solchen Antragsrecht eine Drohkulisse für Religionskritiker und Satiriker resultieren, die die geltenden Meinungsfreiheitsbeschränkungen übersteigt. Hinzu kommt eine unberechtigte Belastung der Gerichte durch eine Vielzahl von privater Seite angestrengter, aber erfolgloser Strafverfahren. f) Exkurs: Einführung eines individualschützenden Verbots der Bekenntnisbeschimpfung Als Alternative zu einem qualifizierten Ehrdelikt käme ein Straftatbestand der Bekenntnisbeschimpfung in Betracht, der konsequent am Schutz der religiösen Identität ausgerichtet ist. Möglich erschiene insofern eine Regelung, die anders als die französischen Tatbestände keine Ehrverletzung und damit eine direkte Attacke gegen die Ehre einer Person voraussetzt, sondern die Beschimpfung eines Bekenntnisses selbst, allerdings mit dem Zusatz, dass damit die religiöse Identität der Gläubigen verletzt wird. Vor diesem Hintergrund wäre für eine Strafbarkeit erforderlich, dass die fremde Position in derart massiver Weise angegriffen wird, dass „der Eindruck einer verselbständigten, durch die Lust an der Provokation und am Skandal motivierten Beschimpfung unabweisbar wird.“85 In der Äußerung müsste also zumindest implizit die Aussage enthalten sein, dass diejenigen, die sich der beschimpften Glaubensgemeinschaft zugehörig fühlen, gerade auf Grund dieser Zugehörigkeit nicht als ebenso anerkennenswert wie andere Menschen gesehen werden. Auf diese Weise würde der – durchaus jetzt schon als gering empfundene – Anwendungsbereich des Verbots der Bekenntnisbeschimpfung noch weiter eingeschränkt. Zur Sicherung der Meinungsfreiheit wäre außerdem entweder eine analoge Anwendung des § 193 StGB oder die Einführung eines vergleichbaren Rechtfertigungsgrunds erforderlich.86 Auch wenn eine solche Regelung nach der hier vertretenen Auffassung verfassungsrechtlich zulässig wäre, bestehen an ihrer Einführung erhebliche Zweifel. Der verfassungsrechtliche Schutz der religiösen Identität als Teil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts mag eine Einschränkung zwar rechtfertigen – zwingend voraus setzt er sie hingegen nicht. Denn wie auch aus den anderen Bereichen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts resultiert aus der religiösen Identität keine umfassende Schutzpflicht des Staats. Den Pflichten, die sich aus dem Menschenrechtskern des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ergeben, wird der Gesetzgeber durch die Norm des § 130 StGB gerecht. Darüber hinaus ist er zum Erlass strafrechtlicher Vorschriften zum Schutz einzelner Elemente des Rechts auf Persönlichkeitsentfaltung nicht verpflichtet. 85
Pawlik, in: FS Küper, S. 411, 422; ders., Strafrechtlicher Schutz, in: Religionsbeschimpfung, S. 31, 51. 86 Pawlik, in: FS Küper, S. 411, 427; ders., Strafrechtlicher Schutz, in: Religionsbeschimpfung, S. 31, 59 f.
B. Unterschiede zwischen deutschem und französischem Recht
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Die Zweckmäßigkeit einer derartigen Norm darf bezweifelt werden. Zunächst ist zu beachten, dass die tatsächliche Anzahl nicht nur der Verurteilungen, sondern auch der Verfahren wegen § 166 StGB jetzt schon marginal ist.87 Eine individualschützende Lösung in dieser Form würde den Anwendungsbereich noch weiter einschränken. Vor dem Hintergrund der jetzt schon höchst zögerlichen Rechtsprechung ist deshalb davon ausgehen, dass die tatsächliche Wirkung eines solchen Schutzes nahezu ausgeschlossen wäre.88 Darüber hinaus ist die Existenz einer derartigen Norm rechtspolitisch durchaus bedenklich. Religiöse Toleranz kann durch Strafgesetze nicht erzwungen werden.89 Strafrechtliche Eingriffe des Staats in die religionstheoretische Debatte bergen das ernstzunehmende Risiko, dass diese zum Erliegen kommt, oder zumindest die Gefahr einer Selbstzensur der Beteiligten aus Furcht vor Bestrafung.90 Dieser „chilling effect“ jedoch bedroht die faktische Gewährleistung der Meinungsfreiheit. Religionstheoretische und weltanschauliche Fragstellungen müssen auch außerhalb der Wissenschaft frei und ohne Furcht vor der Verwirklichung strafrechtlicher Tatbestände diskutiert werden können. Denn sie spielen selbst im säkularen Staat eine herausragende Rolle für die Identität des Menschen, der nach ihnen seine Überzeugungen und seine Handlungen ausrichtet. Der öffentliche Raum darf seine besondere Bedeutung als Ort der geistigen Auseinandersetzung auch in diesen Fragen nicht verlieren.91
II. Weitere Besonderheiten des französischen Systems und ihre Bewertung aus deutscher Sicht Neben dem genannten Systemunterschied zwischen Friedens- bzw. Bekenntnisund Individualschutz weist das französische Recht einige weitere Besonderheiten im Vergleich zum deutschen Recht auf, die es bei der Frage nach der Übernahme der französischen Regelungen in das deutsche Recht zu beachten gälte.
87
s. oben 3. Kapitel B. III. 3. Pawlik, Strafrechtlicher Schutz, in: Religionsbeschimpfung, S. 31, 60 f. 89 Pawlik, Strafrechtlicher Schutz, in: Religionsbeschimpfung, S. 31, 61; vgl. auch Renzikowski, NJW 2014, 2539, 2540, der eine öffentliche Thematisierung für sinnvoller als Bestrafung hält. 90 So auch Rox, JZ 2013, 30, 34; ähnlich Montag, DRiZ 2007, 72; dagegen ohne tragfähige Begründung Bosbach, DRiZ 2007, 73: „Nicht dem Grundgesetz entsprechen würde es dagegen, aus einer radikal laizistischen Haltung oder aus bloßer Indifferenz die grundrechtlich geschützte Religiosität der Bürger bewusst schutzlos zu stellen.“ 91 Grimm, in: Juristische Studiengesellschaft Karlsruhe, Jahresband 2007, S. 21, 30; Heckel, ZevKR 55 (2010), 117, 150; Rox, JZ 2013, 30, 34; Voßkuhle, EuGRZ 2010, 537, 543; in diesem Sinne auch Möllers, VVDStRL 68 (2009), 47, 77. 88
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5. Kap.: Bewertung der deutschen und französischen Rechtslage
1. Unterschiede der allgemeinen Grundsätze bei Äußerungsdelikten Schon bei den allgemeinen Regelungen der Strafbarkeit von Äußerungen treten Differenzen zwischen dem deutschen und dem französischen Recht auf. a) Behandlung mehrdeutiger Aussagen Wie oben festgestellt,92 werden bei der Auslegung von Äußerungen von der deutschen und der französischen Rechtsprechung zunächst vergleichbare Grundsätze angewandt, auch wenn diese in den Entscheidungen französischer Gerichte nur selten ausdrücklich benannt werden. Jene stellen ihr Auslegungsergebnis meist kurz fest, ohne darauf einzugehen, dass manchen Äußerungen mehrere mögliche Aussagen entnommen werden können. Teilweise wird dies in der Literatur sogar so aufgefasst, dass Zweifel zulasten des Äußernden gehen: Das Gesetz verbiete dem Äußernden nicht nur eindeutig diffamierende Aussagen, sondern auch doppeldeutige, da diese für den Betroffenen schon ausreichend verletzend seien.93 Eine solche Vorgehensweise erscheint mit den Anforderungen, die das deutsche Bundesverfassungsgericht an die Auslegung von Äußerungen stellt, unvereinbar. Dieses verlangt in seiner unter dem Stichwort „Variantenregel“ bekannten Rechtsprechung, dass unter mehreren möglichen Deutungsvarianten nur dann diejenige zugrunde gelegt werden darf, die zur Strafbarkeit führt, wenn die anderen mit nachvollziehbaren und tragfähigen Gründen ausgeschlossen wurden.94 Im Hinblick auf die Bedeutung der Meinungsfreiheit überzeugt diese Rechtsprechung, sodass die deutsche Vorgehensweise insoweit der französischen vorzuziehen ist. Dies darf allerdings nicht so verstanden werden, dass auf völlig fernliegende Deutungsvarianten zurückgegriffen wird, nur weil diese keine Strafbarkeit nach sich ziehen. Die Variantenlehre darf nur dann zum Zuge kommen, wenn eine Äußerung auch unter Berücksichtigung aller Umstände objektiv mehrdeutig ist, da sonst eine Verfälschung der Äußerung zu Lasten des von ihr Betroffenen droht. Insbesondere die Frage der Mehrdeutigkeit, aber auch andere Schwierigkeiten, bei denen deutsche und französische Gerichte zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen, ergeben sich bei der Strafbarkeit von Satiren. b) Behandlung von Satire und Karikaturen Satire und Karikaturen blicken sowohl in Deutschland als auch in Frankreich auf eine lange Tradition zurück, besonders im Zusammenhang mit religionsfeindlichen Äußerungen. Da diese Ausdrucksformen schon nach ihrer literaturwissenschaftli92
s. oben in diesem Kapitel A. I. Ader, Légipresse n8 297 (2012), 467, 468. 94 BVerfGE 85, 1, 13 f. – Bayer-Aktionäre; 93, 266, 295 f. – Soldaten sind Mörder; 94, 1, 9 – DGHS; 114, 339, 349 – Stolpe; in diesem Sinne auch schon BVerfGE 82, 43, 52 – StraußTransparent; 82, 272, 280 f. – Zwangsdemokrat. 93
B. Unterschiede zwischen deutschem und französischem Recht
371
chen Gattung einen Angriff beinhalten und dieser darüber hinaus in der Regel durch Überspitzung, Übertreibung oder vergleichbare Verfremdungsmittel seine Wirkung entfaltet, ist leicht verständlich, dass sie immer wieder zum Gegenstand von Gerichtsverfahren wurden und sich deshalb in der deutschen und der französischen Judikatur für ihre Behandlung besondere Grundsätze herauskristallisiert haben. Dabei gehen beide Rechtsordnungen von den gleichen Ansätzen aus, weisen aber auch einige Unterschiede auf. Da Satire und Karikaturen sich schon wesenstypisch für die Übermittlung ihrer Aussage des Stilmittels der Verfremdung bedienen, erfordert die „Rückübersetzung“ noch mehr als bei anderen Äußerungen eine umfassende Interpretation. Sowohl deutsche als auch französische Gerichte erkennen, dass auf Grund dieser Merkmale Satiren nicht wörtlich genommen werden dürfen.95 In diesem Sinne stellte schon das Reichsgericht fest, dass eine Satire ihres Gewandes entkleidet werden müsse, bevor ihre Aussage unter die Strafnormen subsumiert werden könne.96 In Anlehnung daran verlangt auch das Bundesverfassungsgericht eine separate Betrachtung der satirischen Einkleidung und des herausgearbeiteten Aussagekerns.97 Demnach muss jedes der Elemente für sich im Hinblick auf eine mögliche Strafbarkeit untersucht werden. Diese Rechtsprechung ist in der juristischen Literatur zum Teil heftig kritisiert worden. Eine tiefergehende Auseinandersetzung zeigt jedoch, dass sie letztlich für einen angemessenen Ehrschutz unverzichtbar ist und gleichzeitig die Anforderungen des Grundrechts auf Meinungsfreiheit erfüllt.98 Zwar ist auch nach französischem Recht anerkannt, dass bei einer Untersuchung von Satiren ihr eigentlicher Aussagekern herauszuarbeiten und dabei das Wesen dieser Ausdrucksform zu berücksichtigen ist.99 Nicht erwähnt wird aber, dass sowohl die Aussage als auch die satirische Einkleidung einer gesonderten Prüfung zu unterziehen sind. Implizit ergibt sich hingegen aus einigen Entscheidungen, dass auch die besondere Grobheit der satirischen Einkleidung eine Strafbarkeit begründen kann, insbesondere bei sexuellen Anspielungen oder Bezügen zum Nationalsozialismus.100 Eine ausdrückliche Differenzierung wird aber weder bei den Gerichten noch in der Literatur vorgenommen. In beiden Rechtordnungen ist anerkannt, dass bei der Herausarbeitung des Aussagekerns die verfremdete Aussage entschlüsselt werden muss, indem den 95
s. hierzu oben 3. Kapitel A. I. 2. und 4. Kapital A. II. 2. RGSt 62, 183 f. 97 BVerfGE 75, 369, 377 f. – Strauß/Hachfeld; 81, 278, 294 – Bundesflagge; 86, 1, 12 f. – geb. Mörder; BVerfG, NJW 2002, 3767 – Bonnbons. 98 s. hierzu oben im 3. Kapitel A. I. 2. 99 So betont etwa das TGI Paris, 22. 03. 2007, Légipresse n8 242 (2007), III, 123, 124: „il doit être tenu compte de l’exagération et de la subjectivité inhérentes à ce mode d’expression pour analyser le sens et la portée des dessins litigieux“ – Der Übertreibung und Subjektivität, die dieser Ausdrucksart (der Karikatur) innewohnen, muss bei der Analyse des Inhalts und der Bedeutung der streitgegenständlichen Zeichnungen Rechnung getragen werden. 100 TGI Paris, 17. 09. 1984, D. 1985, IR, 16; 14. 02. 2003, Légipresse n8 200 (2003), I, 45. 96
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5. Kap.: Bewertung der deutschen und französischen Rechtslage
Übertreibungen und Verzerrungen unter Berücksichtigung des politischen und gesellschaftlichen Kontextes ein inhaltlicher Kern entlockt werden muss. Der Aufwand, der bei dieser Herausarbeitung betrieben wird, ist unterschiedlich. In Deutschland ist insofern keine klare Linie zu beobachten: Während einige Gerichte sich ausführlich äußern, bleibt der Vorgang in anderen Entscheidungen oberflächlich. In Frankreich ist zu beobachten, dass die Richter letztlich schon eine Deutung vor Augen haben und diese ihrer Entscheidung zugrunde legen. Die Erwähnung der Auslegungsgrundsätze und Wesensmerkmalen der Satire hat demnach nur klarstellende Bedeutung. In Deutschland entfaltet die Variantenlehre des Bundesverfassungsgerichts bei der Analyse von Satiren und Karikaturen eine besondere Bedeutung, da sich diese in der Regel auf Grund der Verfremdung durch ihre vielfältigen Interpretationsmöglichkeiten auszeichnen. Die deutschen Gerichte sind also verpflichtet, die naheliegenden Deutungsalternativen herauszuarbeiten und daraufhin zu untersuchen, ob sie einen Straftatbestand erfüllen. Kommen sie dabei für unterschiedliche Interpretationsvarianten zu verschiedenen Ergebnissen, dürfen sie eine Strafbarkeit nur dann bejahen, wenn sie die straflosen Deutungsmöglichkeiten mit tragfähigen Gründen ausgeschlossen haben. Diese Vorgehensweise ist in Frankreich für Satiren ebenso unbekannt wie für sonstige Äußerungen. Auch hier legen die Richter, ohne sich mit möglichen Alternativen auseinanderzusetzen oder eine Begründung zu nennen, die von ihnen bevorzugte Auslegung zugrunde. Mag die Satire auf der Ebene der Auslegung in Frankreich auch keine besondere Rolle spielen, so entfaltet sie ihre Bedeutung bei der strafrechtlichen Prüfung unter dem Stichwort des droit à l’humour. Im Rahmen der diffamation und der injure genießt der Satiriker oder Komiker ein sogenanntes Recht auf Humor, durch das der straffreie Bereich für Kritik erweitert wird. Dieses manifestiert sich bei der Behauptung ehrenrühriger Tatsachen in einer großzügigeren Auslegung der Voraussetzungen des Rechtfertigungsgrunds der bonne foi.101 In diesem Sinne wird der Wille, andere zum Lachen zu bringen, als legitimer Zweck einer Äußerung angesehen und auch bei der Voraussetzung der prudence, die eine vorsichtige Formulierung garantieren soll, werden dem Humoristen Zugeständnisse gemacht, da von ihm eine Zurückhaltung in der Form nicht verlangt werden könne. Im Rahmen der injure, der bei Satire und Karikatur häufiger einschlägigen Variante, entfaltet das droit à l’humour seine Bedeutung schon auf Tatbestandsebene.102 So wird eine tatbestandliche Beleidigung bei humoristischen Angriffen regelmäßig abgelehnt, solange die von der Rechtsprechung gesetzten Grenzen des droit à l’humour nicht überschritten werden. Von einer strafbaren Beleidigung ist demnach erst bei einer Beeinträchtigung der Menschenwürde, bei Nachweis einer Schädigungsabsicht sowie bei persönlichen Angriffen auszugehen.103 101 102 103
s. hierzu oben im 4. Kapitel B. II. 2. c) aa). s. hierzu oben im 4. Kapitel B. II. 3. a) aa) (2). So ausdrücklich etwa das TGI Paris, 14. 02. 2003, Légipresse n8 200 (2003), I, 45.
B. Unterschiede zwischen deutschem und französischem Recht
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Ein solches Recht auf Humor kennt das deutsche Recht nicht. Ein Schutz von satirischen oder karikaturistischen Äußerungen gelingt aber insofern durch die verfassungsrechtlichen Vorgaben der Meinungsfreiheit.104 Denn nachdem diese schon bei der Auslegung der satirischen Äußerungen ihre Bedeutung entfalten konnten und die Risiken der Strafbarkeit insofern schon erheblich beschränkten, sind sie insoweit auch auf der Ebene der Rechtfertigung zu berücksichtigen. Darüber hinaus unterfallen Satiren – zumindest, wenn sie den Anforderungen des literaturwissenschaftlichen Satirebegriffs genügen – dem Schutzbereich der Kunstfreiheit. Vermag diese auch bei der Rechtfertigung von Äußerungen häufig die gleichen Grenzen zu entfalten wie das Recht auf freie Meinungsäußerung, kann sie doch durch ihre vorbehaltlose Gewährleistung im Einzelfall die Abwägung noch zugunsten des Äußernden beeinflussen. Der Weg über Meinungs- und Kunstfreiheit offenbart gegenüber dem droit à l’humour den erheblichen Vorteil der Klarheit des Schutzbereichs. Zum einen bedarf es keiner erneuten Eingrenzung mit neuen Definitionen. Zum anderen besteht nicht das Risiko einer zu restriktiven Schutzbereichsbegrenzung. Dieser Vorwurf ist hingegen der französischen Rechtsprechung zu machen. Diese verzichtet auf die klare Definition des Anwendungsbereichs des droit à l’humour und offenbart schließlich ein sehr restriktives Verständnis, indem sie ausschließlich Beiträge in Satiremagazinen und -sendungen bevorzugt.105 Einzelne satirische Beiträge in ansonsten informativen Zeitungen oder Fernsehsendungen hingegen können demnach nicht von den Vorteilen des droit à l’humour profitieren. Eine solche Differenzierung erscheint nicht gerechtfertigt. Gegen eine Einbeziehung von satirischen Beiträgen in ansonsten ernsthaften Medien könnte einzig sprechen, dass der Empfänger nicht im gleichen Maße auf die Verfremdung eingestellt ist und sie deswegen verkennen könnte. Diesem Risiko könnte allerdings angemessener begegnet werden, wenn lediglich verlangt wird, dass dem Durchschnittsempfänger der satirische Charakter erkennbar war. Bei der Bestimmung dieses Durchschnittsempfängers kann dann auch zwischen Satiremagazinen und Nachrichtensendungen differenziert werden. Ein unwiderleglicher Ausschluss satirischer Beiträge in anderen als den darauf spezialisierten Medien entbehrt hingegen jeder sinnvollen Begründung.
2. Relevante Unterschiede bei den Tatbeständen Obwohl sich die Ausgestaltung der Ehrverletzungsdelikte in Deutschland und Frankreich wie oben gesehen106 in ihren grundlegenden Strukturen (mit Ausnahme der religionsbezogenen Qualifikationstatbestände und der Beleidigungsfähigkeit von Personenmehrheiten) ähnelt, bestehen einzelne Unterschiede, auf die im Folgenden kurz eingegangen werden soll. 104 105 106
s. hierzu oben 3. Kapitel A. II. s. hierzu oben 4. Kapitel A. II. 2. s. oben in diesem Kapitel A. II. 3.
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5. Kap.: Bewertung der deutschen und französischen Rechtslage
a) Kein eigener Straftatbestand der Verleumdung Das deutsche Strafrecht trennt zwischen der bloßen Behauptung nicht erweislich wahrer Tatsachen und der wissentlichen Behauptung unwahrer Tatsachen und bestraft erstere als üble Nachrede im Sinne des § 186 StGB und letztere als Verleumdung nach § 187, 1. Alt. StGB. Eine solche Trennung kennt das französische Recht nicht. Teile der Literatur werfen der Rechtsprechung jedoch vor, ausschließlich die calomnie, die Verleumdung, unter Strafe zu stellen, während die médisance, die üble Nachrede, straflos bleibe.107 Diese Äußerung fiel häufig im Zusammenhang mit den Entscheidungen des Conseil constitutionnel, der die Einschränkungen des Wahrheitsbeweises für verfassungswidrig erklärte, sodass im Ergebnis der Wahrheitsbeweis der Äußerung in den meisten Fällen möglich ist.108 Dass trotzdem ein Wahrheitsbeweis unzulässig ist, wenn die Tatsachen das Privatleben des Opfers betreffen, und dass nicht jede Äußerung, deren Wahrheit nicht bewiesen werden kann, automatisch unwahr ist, wird dabei nicht thematisiert. Gleiches gilt für die Tatsache, dass sicheres Wissen bezüglich der Unwahrheit der Aussage kein Element des subjektiven Tatbestands der diffamation darstellt und anderseits sicheres Wissen der Wahrheit für die Bejahung des Rechtfertigungsgrunds der bonne foi nicht ausreicht. Trotz der Tendenzen in Richtung eines weiteren Anwendungsbereichs der exceptio veritatis und der bonne foi, kann also keine Rede davon sein, dass ausschließlich die wissentliche Behauptung unwahrer Tatsachen von der diffamation erfasst ist. Somit ist der Anwendungsbereich der diffamation mit dem der üblen Nachrede und der Verleumdung vergleichbar.109 Anders als in Deutschland wird also auf der Ebene der Tatbestandsmäßigkeit nicht danach unterschieden, ob die behauptete Tatsache erwiesen unwahr ist und ob die Tat wider besseres Wissen erfolgte. Diese Elemente erlangen erst auf Rechtfertigungsebene Bedeutung. b) Unterschiedliche Ausgestaltungen des Wahrheitsbeweises Zwar konnte herausgearbeitet werden, dass wahre Tatsachenbehauptungen prinzipiell weder nach deutschem noch nach französischem Recht bestraft werden sollen. Von der Möglichkeit eines Tatbestandsmerkmals, das die objektive Unwahrheit der Äußerung voraussetzt, haben jedoch beide Staaten keinen Gebrauch
107 Bouloc, D. 2009. 1373, 1374; Dreyer, in: JCl. Lois pénales spéciales, Presse et communication Fasc. 80, Rn. 62; Rassat, Droit pénal spécial, Rn. 543. In diesem Sinne auch Auvret, Légipresse n8 285 (2011), II, 407, 410, der darin eine Anpassung des französischen Rechts an die Rechtsprechung des EGMR sieht. Der Schutz vor Verleumdung trete an die Stelle des Schutzes des Ansehens und der Privatsphäre. 108 s. dazu oben 4. Kapitel B. II. 2. c) aa). 109 So wird ausdrücklich wird betont, die diffamation umfasse sowohl die médisance als auch die calomnie, s. de Lamy, Liberté d’opinion et droit pénal, Rn. 303; Mallet-Poujol, D. 1998, 432, 434.
B. Unterschiede zwischen deutschem und französischem Recht
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gemacht,110 da der Betroffene, der dann jede Äußerung hinnehmen müsste, deren Wahrheit nicht zweifellos erwiesen werden kann, erheblich benachteiligt wäre. Stattdessen manifestieren sich an dieser Stelle in beiden Rechtsordnungen besondere Konstruktionen, die die gegenläufigen Interessen bestmöglich austarieren sollen. Das deutsche Recht löst den Interessenkonflikt, indem es in § 186 StGB keine Unwahrheit der Tatsache verlangt, sondern erst auf der Ebene einer objektiven Bedingung der Strafbarkeit eine nicht erweislich wahre Tatsache voraussetzt.111 So ist kein Vorsatz des Äußernden bezüglich der Unwahrheit erforderlich, zudem liegt das Beweisrisiko diesbezüglich im Gegensatz zu dem sonst geltenden Grundsatz in dubio pro reo beim Beschuldigten. Die Beweisführungslast trägt allerdings auf Grund des allgemein geltenden Amtsermittlungsgrundsatzes das Gericht; es kann sich also nicht auf die Aussage beschränken, der Beschuldigte habe den Wahrheitsbeweis nicht erbracht. Dies unterscheidet sich grundlegend von der Rechtslage in Frankreich. Aus der Ausgestaltung der exceptio veritatis als fait justificatif folgt, dass der Beschuldigte den Beweis der Wahrheit eigenständig zu erbringen hat.112 Das Gericht ist zu eigenen Ermittlungen in diese Richtung nicht verpflichtet; dem Beschuldigten obliegt insofern nicht nur das Beweisrisiko, sondern die gesamte Beweisführungslast. Seine Beweissituation wird auch dadurch erschwert, dass ab der Zustellung der citation eine Frist von lediglich zehn Tagen läuft, in der der Beschuldigte exakt angeben muss, welche Behauptungen er widerlegen will und welche Beweisstücke und Zeugen er hierfür hinzuziehen will. Für eine weitgehende Recherche bleibt insofern keine Gelegenheit. Schon auf der prozessualen Ebene erweist sich damit das französische Recht als deutlich strenger. Inhaltlich verlangt § 186 StGB nicht, dass die behauptete Tatsache in allen Einzelheiten nachgewiesen wird; es genügt, wenn der zentrale Gehalt der Äußerung festgestellt ist.113 In Frankreich stellt hingegen die Rechtsprechung auch inhaltlich hohe Anforderungen an den Wahrheitsbeweis. So darf dieser nicht nur teilweise, sondern muss vollständig und absolut erfolgen.114 Zudem bestimmt Art. 35 al. 3 a) Pressefreiheitsgesetz, dass ein Wahrheitsbeweis unzulässig ist, wenn er das Privatleben des Opfers betrifft. In einer Gesamtbetrachtung scheinen die Voraussetzungen, die das französischen Recht – und zwar der Gesetzgeber sowie die Rechtsprechung – an den Wahrheitsbereich stellt, zu hoch. Sie schränken den Wahrheitsbeweis so weit ein, dass eine Rechtfertigung im Ergebnis nur in wenigen Einzelfällen bejaht wird.115 Durch eine solche Handhabung des Wahrheitsbeweises wäre in Deutschland nicht nur die Unschuldsvermutung verletzt, sondern sie wäre auch mit dem Grundrecht auf Mei110 111 112 113 114 115
In Deutschland gilt dies zumindest für die üble Nachrede nach § 186 StGB. s. oben 3. Kapitel B. II. 2. c) aa) (2) (a). s. oben 4. Kapitel B. II. 2. c) aa). BGHSt 18, 182; s. oben 3. Kapitel Fn. 459 m.w.N. Cass. crim., 16. 03. 1948, Bull. crim. n8 98; Cass. crim., 07. 12. 1950, Bull. crim. n8 280. Massis, D. 1994, somm., 194, 195.
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5. Kap.: Bewertung der deutschen und französischen Rechtslage
nungsfreiheit kaum zu vereinbaren. Denn dieses beinhaltet auch das Recht, wahre Tatsachen zu behaupten. Dieses kann auch nicht mit einem Hinweis auf die Ehre der betroffenen Person eingeschränkt werden, da die Ehre nur einen verdienten Achtungsanspruch umfasst. Wahre, aber unangenehme Äußerungen müssen demnach hingenommen werden. Dieser Grundsatz darf nicht durch hohe prozessuale oder inhaltliche Anforderungen an den Wahrheitsbeweis untergraben werden. Hierfür spricht, dass auch das französische Recht Tendenzen in Richtung eines umfassenderen Schutzes der Meinungsfreiheit bei wahren Tatsachenbehauptungen aufweist. Nachdem das Pressefreiheitsgesetz ursprünglich den Wahrheitsbeweis auf Beleidigungen gegen Amtsträger und öffentliche Einrichtungen begrenzt hatte, wurde er erst 1944 auf die Beleidigung von Privatpersonen ausgeweitet. Zudem erklärte der Conseil Constitutionnel zwei der drei Beschränkungen des Anwendungsbereichs des Rechtfertigungsgrunds als unverhältnismäßige Eingriffe in die Meinungsfreiheit. Schließlich entwickelte die Rechtsprechung auf Grund der als ungerechtfertigt empfundenen Beschränkungen der exceptio veritatis den darüber hinausgehenden Rechtfertigungsgrund der bonne foi. Es bleibt zu hoffen, dass sich diese Entwicklung fortführt, sodass die Behauptung wahrer Tatsachen auch im französischen Recht nicht mehr als diffamation unter Strafe gestellt wird. 3. Einbeziehung der Straftatbestände in das Presserecht Die hier behandelten strafrechtlichen Verbote des französischen Rechts sind – zumindest in ihren öffentlich begangenen Alternativen – sämtlich im Pressefreiheitsgesetz, also außerhalb des Kernstrafrechts geregelt. Ein Gesetzesentwurf, der diese Systematik zu ändern suchte, wurde nicht verabschiedet. Erklären ließe sich diese Eigenart wohl am besten damit, dass nach französischem Verständnis die Pressefreiheit als liberté publique nur durch ihre einfachgesetzliche Ausgestaltung, also auch durch ihre inhaltlichen Grenzen, hinreichend definiert ist, dass also die strafrechtlichen Verbote als Element der Pressefreiheit selbst verstanden werden. Aus dieser Einordnung in den Bereich des Presserechts folgen zahlreiche Besonderheiten, auf die im Folgenden einzugehen ist. a) Differenzierung von öffentlichen und nicht öffentlichen Äußerungen Um von den Straftatbeständen der loi sur la liberté de la presse erfasst zu werden, müssen die Äußerungen die Voraussetzungen der publicité des Art. 23 al. 1 Pressefreiheitsgesetz erfüllen. Wesentliches Kriterium, das die aufgezählten Handlungsvarianten verbindet, ist, dass die Äußerung einer größeren Anzahl von Personen zugeht, die keine communauté d’intérêt, Interessengemeinschaft, bilden.116 Das kann etwa durch eine Äußerung an öffentlichen Orten oder in öffentlichen Versammlungen sowie durch das Verbreiten von Schriften und anderen Darstellungen erfol116
s. dazu oben 4. Kapitel A. III.
B. Unterschiede zwischen deutschem und französischem Recht
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gen. Trotz der Bezeichnung sind die strafrechtlichen Normen des Pressefreiheitsgesetzes somit nicht ausschließlich auf Presseerzeugnisse, sondern auf sämtliche öffentliche Äußerungen anwendbar, insbesondere auch auf die direkte mündliche Kommunikation, solange sie an einem öffentlichen Ort vor einer Vielzahl von Menschen stattfindet, die keine Interessengemeinschaft bilden. Das deutsche Recht hingegen verlangt in seinen Ehrverletzungstatbeständen lediglich eine Kundgabe der Äußerung. Diese beinhaltet ebenfalls, dass die Aussage auf eine Kommunikation nach außen gerichtet sein soll, sodass etwa Tagebucheinträge und Selbstgespräche außer Betracht bleiben.117 Allerdings ist insoweit nicht erforderlich, dass die Äußerung einer größeren Anzahl von Adressaten zugeht; nur Äußerungen im engsten Familienkreis können – als Folge einer verfassungskonformen Auslegung des Tatbestands zur effektiven Gewährleistung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts – keine Strafbarkeit begründen. Die Ehrschutzdelikte des französischen Rechts sind insofern enger gefasst.118 Vergleichbar sind die Voraussetzungen des französischen Presserechts allerdings mit den Qualifikationstatbeständen der üblen Nachrede sowie der Verleumdung, wobei letztere (anders als das französische Recht) ausdrücklich auch die Äußerung in nicht öffentlichen Versammlungen erfasst. Denn auch wenn die Normen nicht alle Handlungsalternativen des Art. 23 al. 1 Pressefreiheitsgesetz aufzählen, so finden sie doch durch die Formulierung „öffentlich oder durch das Verbreiten von Schriften“ einen Überbegriff, der mit den genannten Handlungen übereinstimmt. Die Bekenntnisbeschimpfung des § 166 StGB setzt ebenfalls voraus, dass die Äußerung öffentlich oder durch die Verbreitung von Schriften erfolgt,119 und trifft damit ebenfalls eine dem französischen Presserecht vergleichbare Regelung. Gleiches gilt, wie sich schon aus der Bezeichnung ergibt, für die Verbreitung volksverhetzender Schriften nach § 130 Abs. 2 StGB. Die Volksverhetzungstatbestände des § 130 Abs. 1 StGB hingegen setzen auf den ersten Blick keine öffentliche Begehung voraus. Gewisse Anforderungen an die Öffentlichkeit der Äußerung ergeben sich jedoch aus der Voraussetzung der Eignung zur Störung des öffentlichen Friedens.120 Denn da eine zwischen Privaten getätigte Äußerung, die diesen Bereich nicht verlässt, zumeist nicht geeignet sein dürfte, den öffentlichen Frieden zu gefährden, ist in diesem Hinblick zumindest eine „Öffentlichkeitsfähigkeit“ der Äußerung in dem Sinne zu verlangen, dass nach den konkreten Umständen damit zu rechnen ist, dass sie einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich werden. Auch das deutsche Recht weist demnach der Öffentlichkeit einer Äußerung eine eigenständige – zum Teil strafbegründende, zum Teil strafschärfende – Wirkung zu. Nicht öffentliche Äußerungen können ausschließlich nach den Grundtatbeständen der §§ 185 – 187 StGB sanktioniert werden, dabei ist allerdings der Strafrahmen im 117 118 119 120
s. dazu oben 3. Kapitel B. II. 2. a). So auch Stegmann, Tatsachenbehauptung und Werturteil, S. 117 f. s. dazu oben 3. Kapitel B. III. 2. b) bb). s. dazu oben 3. Kapitel B. I. 2. b) cc).
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5. Kap.: Bewertung der deutschen und französischen Rechtslage
Vergleich zu den öffentlich begangenen Taten reduziert. Andererseits ist zu bedenken, dass auch das französische Strafrecht die Bestrafung nicht öffentlicher Aussagen kennt. Diese sind als contravention im Code pénal geregelt. Im Ergebnis bleibt also beiden Rechtsordnungen gemeinsam, dass sowohl öffentliche als auch nicht öffentliche Äußerungen sanktioniert werden können und dass letztere als weniger gefährlich und weniger beeinträchtigend eingeschätzt werden und somit eine geringere Strafandrohung aufweisen. b) Strafrechtliche Verantwortung im Presserecht Die Einordnung der Straftatbestände in die loi sur la liberté de la presse hat darüber hinaus zur Folge, dass die besonderen presserechtlichen Regelungen zur strafrechtlichen Verantwortung der einzelnen Beteiligten aus Art. 42 Pressefreiheitsgesetz Anwendung finden. Diese Bestimmungen schreiben eine kaskadenartige Verantwortlichkeit der Beteiligten an Äußerungen in den Medien vor, nach der der verantwortliche Redakteur bzw. der Verleger stets vorrangig und unabhängig von seiner Beteiligung an der konkreten Veröffentlichung als Haupttäter strafrechtlich zur Verantwortung zu ziehen ist. Ist dieser ausnahmsweise nicht auszumachen, ist der Autor der betreffenden Äußerung als Haupttäter zu Verantwortung zu ziehen; im Übrigen wird er nach Art. 43 Pressefreiheitsgesetz unter Verzicht auf die allgemeinen Teilnahmevoraussetzungen als gesetzlicher Teilnehmer bestraft. Ist auch dieser nicht zu identifizieren, kommt eine Haftung des Druckers, anschließend desjenigen, der das Presseerzeugnis verbreitet, in Betracht.121 Die deutschen Landespressegesetze hingegen sehen vor, dass die sich Verantwortung für Straftaten, die mittels eines Druckwerks begangen werden, nach den allgemeinen strafrechtlichen Regelungen richtet.122 Kann eine Verantwortung des verantwortlichen Redakteurs bzw. des Verlegers danach nicht festgestellt werden, kann die Verletzung seiner presserechtlichen Pflichten zum Gegenstand eines strafrechtlichen Vorwurfs gemacht werden.123 Diese Regelungsweise ist vorzugswürdig. Es erschließt sich nicht, warum bei der Begehung von Straftaten durch Presseerzeugnisse die allgemeinen strafrechtlichen Regelungen außer Kraft gesetzt werden sollten, denn sie versprechen eine gerechte Heranziehung aller Beteiligten. Es erscheint nicht sinnvoll, die Strafbarkeit eines Beteiligten davon abhängig zu machen, ob ein anderer Beteiligter identifiziert werden konnte. Dass diese Regelungsweise die Notwendigkeit einer gesetzlichen Teilnahme des eigentlichen Autors der Äußerung begründet, spricht ebenfalls nicht für sie, denn diese Aufteilung spiegelt die tatsächlichen Zusammenhänge nur unzureichend wider. Der Verantwortung des Redakteurs oder Verlegers, der dafür zuständig ist, durch Druck121
s. dazu oben 4. Kapitel B. I. 2. a) bb). So beispielsweise § 21 Abs. 1 LPresseG NRW, § 20 Abs. 1 LPresseG BW, Art. 11 Abs. 1 BayPrG, § 19 Abs. 1 BlnPrG. 123 § 21 Abs. 2 LPresseG NRW, § 20 Abs. 2 LPresseG BW, § 19 Abs. 2 BlnPrG. 122
B. Unterschiede zwischen deutschem und französischem Recht
379
erzeugnisse verübte Straftaten zu verhindern, kann durch die eigenständige Strafandrohung bei vorsätzlicher oder fahrlässiger Verletzung dieser Pflicht ausreichend Rechnung getragen werden. c) Prozessuale Garantien des Presserechts Die Einordnung der Straftatbestände in das Pressefreiheitsgesetz begründet darüber hinaus die Anwendung prozessualer Vorschriften, die die effektive Gewährleistung der Pressefreiheit sicherstellen sollen. Dazu gehören neben den eben schon erörterten Antragsrechten der Interessenverbände die strengen Verjährungsfristen in Verbindung mit den eingeschränkten Umqualifizierungsbefugnissen der Gerichte. aa) Keine Umdeutung zwischen injure und diffamation Das französische Presserecht zeichnet sich durch einen erheblichen Formalismus aus, der vor allem daraus resultiert, dass schon der das Verfahren einleitende Akt (citation directe oder réquisitoire introductif) nicht nur die in Rede stehende Äußerung detailgetreu wiedergeben, sondern darüber hinaus auch eine präzise rechtliche Qualifizierung der betreffenden Handlung enthalten muss.124 Letzteres erweist sich insbesondere bei der Abgrenzung zwischen injure und diffamation häufig als problematisch, da diese im Einzelfall durchaus nah beieinander liegen und erst die Interpretation der Äußerung durch die Gerichte eine klarere Differenzierung ermöglicht. Weil aber citation directe und réquisitoire introductif weder eine kumulative noch eine alternative rechtliche Deutung als injure und/oder diffamation beinhalten dürfen und mehrere verfahrenseinleitende Akte auf Grund der gleichen Äußerung ebenfalls nicht zulässig sind, hat die Staatsanwaltschaft bzw. die Zivilpartei bereits vor Beginn des eigentlichen Verfahrens eine folgenschwere Entscheidung zu treffen. Die elementare Bedeutung dieser rechtlichen Einordnung ergibt sich daraus, dass dem Gericht – und zwar weder den juges du fond noch der Cour de cassation – das Recht zusteht, diese rechtliche Qualifizierung zu modifizieren. Im Laufe eines Verfahrens wegen injure religieuse steht es dem Gericht, das die Äußerung als Tatsachenbehauptung versteht, somit nicht zu, den Äußernden wegen diffamation religieuse zu verurteilen. Stattdessen ist es in einem solchen Fall gezwungen, den Betroffenen freizusprechen. Zwar steht der Staatsanwaltschaft und der Zivilpartei grundsätzlich die Möglichkeit offen, ein neues Verfahren – diesmal wegen diffamation religieuse – einzuleiten, dem stehen jedoch regelmäßig die kurzen Verjährungsfristen entgegen, die insbesondere durch die ex tunc nichtigen Verfahrenshandlungen im injure-Verfahren auch nicht unterbrochen werden. In Deutschland hingegen gelten keine derartigen besonderen prozessualen Anforderungen. Zwar muss auch hier die Anklageschrift nach § 200 Abs. 1 StPO den 124
s. dazu oben 4. Kapitel C. I. 2. b).
380
5. Kap.: Bewertung der deutschen und französischen Rechtslage
Angeschuldigten, die Tat, die ihm zur Last gelegt wird, Zeit und Ort ihrer Begehung, die gesetzlichen Merkmale der Straftat und die anzuwendenden Strafvorschriften nennen. Das Gericht darf jedoch unter der Voraussetzung eines Hinweises gemäß § 265 Abs. 1 StPO von der rechtlichen Einordnung der in Rede stehenden Äußerung durch die Staatsanwaltschaft abweichen und ein anderes Strafgesetz anwenden. Dies gilt nicht nur für das erstinstanzliche Gericht, sondern auch im Rahmen von Berufung und Revision.125 Für das Bundesverfassungsgericht ist eine unrichtige Qualifizierung einer Aussage als Werturteil oder Tatsachenbehauptung sogar eine Verletzung des Grundrechts auf freie Meinungsäußerung, sodass sie selbst im Rahmen einer Verfassungsbeschwerde gerügt werden kann.126 Problematisch ist an der französischen Regelung, dass sie die Abgrenzung zwischen injure und diffamation in der Praxis verschwimmen lässt. So wird teilweise die in der Verfahrenseinleitung gewählte Einordnung ohne weitere Begründung beibehalten, um nicht die verjährungsbedingte Straflosigkeit einer nach Meinung des Gerichts strafwürdigen Äußerung zu riskieren.127 Es ist offensichtlich, dass die Klarheit der Abgrenzung unter dieser Vorgehensweise leidet. Andererseits erscheint es nachvollziehbar, eine im Grundsatz berechtigte Verurteilung nicht allein an einer falschen rechtlichen Differenzierung der eng nebeneinanderliegenden Tatbestände, möglicherweise gar durch die Zivilpartei, scheitern lassen zu wollen. Das sollte aber nicht auf Kosten der Rechtsklarheit geschehen. Auch wenn ein Freispruch grundsätzlich im Interesse der Meinungs- und Pressefreiheit liegt – und mit dieser werden die strengen formalen Vorschriften des Presserechts allgemein gerechtfertigt –, erscheint es nicht legitim, an sich strafbare Handlungen durch überhöhte prozessuale Anforderungen einer Sanktionierung zu entziehen. Denn auf diese Weise hängt die tatsächliche Strafbarkeit von beleidigenden Äußerungen vom Zufall ab, sodass anders als bei meinungsfreiheitsfreundlichen materiellen Gesetzen der chilling-effect nicht ausgeschlossen werden kann und trotzdem die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen nicht umfassend geschützt sind. Zu bevorzugen ist daher auch in diesem Bereich die deutsche Variante. Indem den Richtern eine Umdeutungsbefugnis eingeräumt wird, können sie ohne den Druck eines drohenden Freispruchs aus formalen Gründen die rechtliche Einordnung als Tatsachenbehauptung oder Werturteil überprüfen. Dies dient zum einen der Rechtssicherheit, da die Abgrenzung zwischen den beiden Merkmalen nicht durch kriminalpolitische Absichten verfälscht wird. Zum anderen ermöglicht es einen effektiven Schutz der Meinungsfreiheit, da durch eine falsche rechtliche Einordnung die Rechte des Betroffenen im Hinblick auf den Wahrheitsbeweis und die Recht125 Zu beachten ist aber das Verbot der reformatio in peius nach §§ 331 Abs. 1, 358 Abs. 2 S. 1 StPO bei durch den Angeklagten, zu seinen Gunsten von der Staatsanwaltschaft oder von seinem gesetzlichen Vertreter eingelegten Rechtsmitteln. Hiernach darf das Berufungs- oder Revisionsurteil in solchen Konstellationen in Art und Höhe der Rechtsfolgen nicht zum Nachteil des Angeklagten abweichen. 126 s. dazu oben 3. Kapitel A. II. 127 Dreyer, in: JCl. Lois pénales spéciales, Presse et communication Fasc. 80, Rn. 21.
B. Unterschiede zwischen deutschem und französischem Recht
381
fertigungsgründe beschnitten würden. Diese Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts lässt sich inhaltlich nicht nur auf das französische Recht übertragen, sondern erweist sich dort als noch bedeutender, da nach der Rechtsprechung der Cour de cassation der Wahrheitsgehalt einer Aussage sowie die bonne foi des Äußernden bei einer Einordnung als injure seine Bedeutung völlig verliert und andererseits bei einer Einordnung als diffamation die Abwägung zwischen den betroffenen Interessen auf Tatbestandsebene wegfällt. Im Ergebnis vermag also eine Umdeutungsbefugnis der Richter den Schutz der Meinungsfreiheit besser zu gewährleisten als übertriebener Formalismus, der willkürliche Ergebnissen hervorbringen kann. bb) Verkürzte Verjährungsfristen Als eine weitere Besonderheit des französischen Presserechts stellt sich die besonders kurze Verjährungsfrist dar.128 Zum Schutz der Pressefreiheit verjähren injure und diffamation nach drei Monaten, die provocation à la haine sowie die qualifizierten Ehrverletzungsdelikte nach einem Jahr. Diese Fristen gelten – wie die übrigen prozessualen Besonderheiten des Presserechts – nicht nur für Druckwerke oder andere mediale Veröffentlichungen, sondern für sämtliche Vorschriften des Pressefreiheitsgesetzes sowie für die nicht öffentlichen Begehungsalternativen des Code pénal. Hintergedanke ist die Gewährleistung der Pressefreiheit sowie die Schnelllebigkeit der Medien. In Deutschland enthalten die Landespressegesetze ebenfalls verkürzte Verjährungsfristen.129 Vergehen, um die es sich bei den hier einschlägigen Tatbeständen sämtlich handelt, verjähren demnach in der Regel nach Ablauf von sechs Monaten ab der ersten Veröffentlichung. Allerdings ist zu beachten, dass diese Regelung nur dann anwendbar ist, wenn die Straftat durch die Veröffentlichung oder Verbreitung von Druckwerken strafbaren Inhalts begangen wurde (sogenannte Presseinhaltsdelikte);130 also nicht, wie in Frankreich, auf sämtliche Äußerungen. Als Grund für die Verkürzung wird dann konsequenterweise auch die Offenkundigkeit von Druckwerken genannt,131 daneben wird sie auch in Deutschland als Ausprägung der Pressefreiheit verstanden.132 Wenn eine kurze Verjährungsfrist die Pressefreiheit gewährleisten soll, spricht viel dafür, die Verkürzung auch nur Pressedelikten zuzusprechen. Warum auch sonstige Äußerungsdelikte erfasst werden sollen, nur weil sie in ihren öffentlich 128
s. dazu oben 4. Kapitel C. II. So beispielsweise § 25 Abs. 1 S. 1 LPresseG NRW (beachte aber die Ausnahme für § 130 Abs. 2 StGB in § 25 Abs. 1 S. 2); § 24 Abs. 1 S. 1 LPresseG BW; Art. 14 Abs. 1 S. 1 BayPrG (Ausnahme für § 130 StGB in Art. 14 Abs. 1 S. 2 Nr. 1). 130 Teilweise wird eine entsprechende Anwendung auf den Rundfunk angeordnet, z. B. § 26 Abs. 1 LPresseG NRW; s. für eine analoge Anwendung auf elektronische Presse und ähnliche Online-Medien Mann/Smid, in: Spindler/Schuster 7. Teil Rn. 96 ff. 131 Stöckel, in: Erbs/Kohlhaas, P 190 – § 25 LPresseG NRW Rn. 3. 132 Mann/Smid, in: Spindler/Schuster 7. Teil Rn. 92. 129
382
5. Kap.: Bewertung der deutschen und französischen Rechtslage
begangenen Varianten im gleichen Gesetz geregelt sind, erschließt sich nicht. Im Übrigen ist eine verkürzte Verjährungsfrist für Pressedelikte grundsätzlich nicht zu beanstanden. Sofern sie aber, wie nach französischem Recht, durch die Kombination mit einer fehlenden Umdeutungsbefugnis der Gerichte in Grenzfällen zwischen injure und diffamation zu einer zum Teil zufälligen Beschränkung des Ehrschutzes führt, erscheint sie bedenklich. 4. Unterschiedliches Strafmaß Wesentliche Unterschiede zwischen dem deutschen und dem französischen Recht treten bei dem gesetzlich vorgesehenen Strafmaß für die verschiedenen Straftatbestände auf. Während die provocation à la haine nach Art. 24 al. 5 Pressefreiheitsgesetz nur mit einer Geldstrafe und/oder Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr bedroht ist, kommt bei einer Volksverhetzung nach § 130 Abs. 1 StGB ausschließlich eine Freiheitsstrafe und zwar von drei Monaten bis zu fünf Jahren in Betracht. Dieser eklatante Unterschied lässt sich nur ansatzweise mit dem insofern weiteren Begriff der discrimination und dem fehlenden Merkmal der Friedensstörungseignung erklären. Sogar § 130 Abs. 2 StGB, der eben keine Eignung zur Friedensstörung und darüber hinaus auch keine Identifikation des Verbreitenden mit den volksverhetzenden Inhalten voraussetzt, sieht mit Geldstrafe oder Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren einen im Vergleich zur französischen Regelung erhöhten Strafrahmen vor. Die einfachen – öffentlich begangenen – Ehrdelikte des französischen Presserechts sind ausschließlich mit Geldstrafe bedroht, wobei die Höchststrafe jeweils bei 12.000 Euro liegt. Da die Grenze zu den Übertretungen bei 3.000 Euro liegt, ist diese Strafandrohung schon im innerfranzösischen Vergleich als eher gering einzuordnen. Nicht öffentliche Ehrverletzungen stellen bloße contraventions der ersten Kategorie da, die sogar nur mit einer Geldstrafe von bis zu 38 Euro geahndet werden.133 In Deutschland hingegen kann auch bei den Ehrdelikten im äußersten Fall eine Freiheitsstrafe von bis zu einem (§§ 185, 186 StGB) oder zwei Jahren (§ 187 StGB). Zu Strafschärfungen auf bis zu zwei (§ 186 StGB) oder fünf Jahren (§ 187 StGB) kommt es, wenn die Tat öffentlich oder durch die Verbreitung von Schriften erfolgt. Auch hier liegt also das deutsche Strafmaß wesentlich höher als das französische. Stellt man zuletzt die diffamation bzw. injure religieuse und die Bekenntnisbeschimpfung gegenüber, ergibt sich ein ähnliches Bild. Für die öffentlich begangenen Alternativen des Presserechts sind bis zu sechs Monate Freiheitsstrafe und/oder bis zu 22.500 Euro Geldstrafe für die injure und bis zu einem Jahr Freiheitsstrafe und/ oder bis zu 45.000 Euro Geldstrafe für die diffamation religieuse vorgesehen. Die nicht öffentlichen qualifizierten Ehrverletzungen sind als bloße contraventions der vierten Kategorie mit höchstens 750 Euro Geldstrafe bedroht. Im deutschen Strafgesetzbuch ist für die – nur öffentlich oder durch die Verbreitung von Schriften 133 s. zu der Höhe der Geldstrafen bei den unterschiedlichen Kategorien der Übertretungen Art. L. 131-13 Code pénal.
B. Unterschiede zwischen deutschem und französischem Recht
383
mögliche – Bekenntnisbeschimpfung eine Geldstrafe oder Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren vorgesehen. Hier stellen sich die Abweichungen zwar weniger gravierend dar, sind aber nichtsdestoweniger überraschend.
III. Fazit Nachdem zunächst festgestellt werden konnte, dass zwischen dem deutschen und dem französischen Recht insbesondere im Hinblick auf den Tatbestand der Volksverhetzung bzw. der provocation à la haine und auf die allgemeinen Regeln der Ehrverletzungsdelikte zahlreiche Übereinstimmungen bestehen, wurde im zweiten Teil deutlich, dass im Hinblick auf den Religionsbezug der Vorschriften grundsätzliche Differenzen bestehen. Während das deutsche Recht mit dem Straftatbestand der Bekenntnisbeschimpfung direkt an das religiöse Bekenntnis anknüpft, dabei aber eine friedensschützende Richtung vorschiebt, entschied sich der französische Gesetzgeber für eine individuelle, ehrbezogene Schutzrichtung. Zurückzuführen sind diese Unterschiede zum einen auf die historische Entwicklung. Denn in Deutschland haben Religionsdelikte eine konstante Tradition, wohingegen die Einführung religionsbezogener Tatbestände in Frankreich nach langer Phase der Straflosigkeit erst 1972 wieder eine solche Vorschrift eingefügt wurde. Diese bezieht sich daher auf ein „modernes“ Rechtsgut wie das Recht auf Nichtdiskriminierung. Darüber hinaus bewirkt auch das Laizitätsprinzip, dass Straftatbestände mit einem direkten Bekenntnisbezug in Frankreich besonders kritisch beäugt werden. Während die angeblich friedensschützende Konzeption des deutschen Strafrechts mit dem Grundgesetz kaum vereinbar erscheint, erweist sich der französische Ansatz auch im Hinblick auf die deutsche Verfassung als gangbarer Weg. Die Ausweitung der Ehrverletzungsdelikte auf Personengruppen erscheint legitim, sofern wie hier die Kollektivbezeichnungen einen engen Bezug zur Persönlichkeit der Betroffenen aufweisen und darüber hinaus ein subjektiver Kausalzusammenhang zwischen der Ehrverletzung und der Religionszugehörigkeit verlangt wird. Eine besondere Strafschärfung scheint angesichts der Verletzung des Rechts auf religiöse Identität zwar zulässig, unter Berücksichtigung der jetzt schon erheblichen Strafrahmen im Beleidigungsrecht aber nicht dringend erforderlich. Um zu verhindern, dass die extensive Behandlung der Tatbestände durch die französischen juges du fond ebenfalls übernommen wird, sollten aber die weiteren Elemente, die die Tatbestände charakterisieren, also vor allem die Nichtanwendbarkeit der Rechtfertigungsgründe und die erheblichen prozessualen Recht der Interessensverbände nicht übertragen werden. Auch bei der Behandlung mehrdeutiger und satirischer Äußerungen sowie bei der Bestimmung der Verantwortlichkeit der Beteiligten und den prozessualen Anforderungen erscheint das deutsche Recht angemessener als sein französisches Pendant.
6. Kapitel
Ausblick auf die europäische Ebene Um die Ergebnisse zum französischen und zum deutschen Recht besser in einen globaleren Kontext einordnen zu können, ist im Folgenden ein kurzer Überblick über die europäische Rechtslage zu vermitteln. Die Europäische Menschenrechtskonvention, die sowohl Deutschland als auch Frankreich unterzeichnet und ratifiziert haben,1 schützt in ihrem Art. 10 die Meinungsäußerungsfreiheit, während die Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit in Art. 9 § 1 und die Freiheit der Religionsausübung in Art. 9 § 2 verankert sind. Konkretisiert wird das Verhältnis der Meinungsäußerungsfreiheit zur Religion durch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, die im Folgenden zumindest überblicksartig in ihren wesentlichen Tendenzen und Entwicklungen dargestellt werden soll.
A. 1. Phase: Weiter Ermessensspielraum der Mitgliedsstaaten Mit der Bestrafung von Blasphemie und religiösen Beschimpfungen musste sich der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte erstmals in den 1990er Jahren befassen. Zunächst stellte er in der Sache „Choudhury ./. Vereinigtes Königreich“2 fest, dass sich aus Art. 9 § 1 EMRK kein Recht des Einzelnen auf das Bestehen eines strafrechtlichen Blasphemieverbots herleiten lasse. Dies gelte für den Angehörigen einer Minderheitsreligion selbst dann, wenn die Gesetze des betreffenden Staats die Beschimpfung der Glaubensinhalte der Mehrheitsreligion unter Strafe stellten. Dieses Verfahren ist bis heute das einzige geblieben, in dem sich ein Religionsanhänger mit dem Wunsch nach Unterbindung einer Religionsbeschimpfung an den EGMR gewandt hat und das demnach auf der Grundlage des Art. 9 EMRK entschieden wurde. Alle folgenden Entscheidungen ergingen auf Klage derjenigen, die sich durch staatliche Maßnahmen zum Religionsschutz in ihrem Recht auf freie 1 In Deutschland durch das Gesetz über die Konvention zum Schutze der Menschenrechte v. 07. 08. 1952, BGBl. II, S. 685; in Frankreich durch die loi n873-1227 du 31 décembre 1973 autorisant la ratification de la Convention européenne de sauvegarde des droits de l’homme et des libertés fondamentales signée à Rome le 04-11-1950, et de ses protocoles additionnels, JORF v. 03. 01. 1974, S. 67 und das décret n874-360 du 3 mai 1974 portant publication de la Convention européenne de sauvegarde des droits de l’homme et des libertés fondamentales signée à Rome le 04-11-1950, et de ses protocoles additionnels, JORF v. 04. 05. 1974, S. 4750. 2 EGMR, 05. 03. 1991, Nr. 17439/90.
A. 1. Phase: Weiter Ermessensspielraum der Mitgliedsstaaten
385
Meinungsäußerung beeinträchtigt fühlten, und befassen sich daher mit der möglichen Verletzung des Art. 10 EMRK. In der Sache „Otto-Preminger-Institut ./. Österreich“,3 in der sich ein Kulturinstitut gegen das Verbot der Ausstrahlung und die Beschlagnahme eines Films wendet, der Gott, Jesus Christus sowie die Jungfrau Maria bei sexuellen Handlungen darstellt, verneinte der Gerichtshof eine Verletzung der Meinungsäußerungsfreiheit. Eingriffe in letztere seien zulässig, wenn sie einem legitimen Zweck dienten und in einer demokratischen Gesellschaft unerlässlich seien. Als legitimen Zweck erkannte der Gerichtshof vorliegend das Recht der Bürger an, nicht durch Äußerungen anderer in ihren religiösen Gefühlen beleidigt zu werden, und stützt sich hierfür auf Art. 9 § 1 EMRK als Schranke im Sinne des Schutzes der Rechte anderer aus Art. 10 § 2 EMRK.4 Mit der Begründung, dass die Bedeutung der Religion für die Gesellschaft im Anwendungsgebiet der Konvention variiere, gesteht er den Vertragsstaaten in der Frage der Notwendigkeit einer Beschränkung einen weiten Einschätzungsspielraum zu.5 Die Betätigung dieses Ermessens unterliege dabei der Kontrolle durch den Gerichtshof, der sich hier wesentlich darauf stützt, die Bewohner der betroffenen Region seien überwiegend katholisch, sodass die Beschimpfung katholischer Glaubensinhalte den religiösen Frieden beeinträchtige.6 Zum gleichen Ergebnis kommt der Gerichtshof auch in der Sache „Wingrove ./. Vereinigtes Königreich“,7 die ebenfalls die Unterbindung der Ausstrahlung eines Films betrifft, der Figuren des christlichen Glaubens mit sexuellen Handlungen in Verbindung brachte. Zwar äußert der Gerichtshof grundsätzlichen Zweifel an Blasphemieverboten: Diese seien in der Regel diskriminierend und außerdem praktisch zur Herstellung religiöser Toleranz kaum geeignet.8 Trotzdem kommt er zum gleichen Ergebnis wie im vorhergehenden Verfahren: Auf Grund des weiten Ermessenspielraums, der den Mitgliedsstaaten im moralischen und insbesondere religiösen Bereich – anders als etwa im politischen – mangels einer einheitlichen Konzeption des Schutzes religiöser Überzeugungen zustehen müsse, sei ein Eingriff in die Meinungsfreiheit im konkreten Einzelfall zulässig.9 In diese Linie fügt sich schließlich auch das Urteil des Europäischen Gerichtshofs in der Sache „I.A. ./. Türkei“10 ein, die eine strafrechtliche Verurteilung eines Verlagsdirektors wegen islamkritischer Veröffentlichungen betraf. Zwar betont der 3
EGMR, 20. 09. 1994, Nr. 13470/87. EGMR, Otto-Preminger-Institut ./. Österreich, 20. 09. 1994, Nr. 13470/87 Rn. 47 f.; krit. dazu die abweichende Meinung der Richter Palmet/Pekkanen/Makarcyk, Rn. 5. 5 EGMR, Otto-Preminger-Institut ./. Österreich, 20. 09. 1994, Nr. 13470/87 Rn. 50; krit. dazu die abweichende Meinung der Richter Palmet/Pekkanen/Makarcyk, Rn. 3. 6 EGMR, Otto-Preminger-Institut ./. Österreich, 20. 09. 1994, Nr. 13470/87 Rn. 56. 7 EGMR, 25. 11. 1996, Nr. 17419/90. 8 EGMR, Wingrove ./. Vereintes Königreich, 25. 11. 1996, Nr. 17419/90 Rn. 57. 9 EGMR, Wingrove ./. Vereintes Königreich, 25. 11. 1996, Nr. 17419/90 Rn. 53 ff. 10 EGMR, 13. 09. 2005, Nr. 42571/98. 4
386
6. Kap.: Ausblick auf die europäische Ebene
Gerichtshof auch hier, dass die Anhänger einer Mehrheits- oder Minderheitsreligion nicht verlangen dürfen, von aller Kritik ferngehalten zu werden, und die Äußerung von Ablehnung oder feindlichen Ansichten akzeptieren müssen.11 Im Ergebnis scheint er aber sogar über seine bisherige Rechtsprechung hinauszugehen, indem er staatliche Beschränkungen der Meinungsfreiheit nicht ausschließlich zum Schutz religiöser Gefühle anerkennt, sondern abstrakt ein Verbot der Beleidigung religiöser Inhalte als zulässig erachtet.12 Andererseits betont der Gerichtshof im Rahmen der Verhältnismäßigkeit des Eingriffs, dass für den Betroffenen lediglich insignifikante Nachteile im Sinne einer geringen Geldbuße entstanden sind.13 Zusammenfassend lässt sich dem entnehmen, dass für den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte der Schutz religiöser Empfindungen als legitimer Zweck für die Einschränkung der Meinungsfreiheit in Betracht kommt.14 Dass eine solche Interpretation des Art. 9 EMRK (ebenso wie des Art. 4 GG) höchst kritisch zu bewerten ist, wurde bereits im Rahmen der möglichen strafrechtlichen Schutzgüter erörtert.15 Auch darüber hinaus sind die Entscheidungen den Mitgliedsstaaten wohlwollend gesinnt, indem sie in dieser ersten Phase bis ins Jahr 2005 wesentlich durch die „Margin-of-Appreciation-Doctrine“ geprägt sind. Auf Grund der zum Teil eklatant unterschiedlichen Überzeugungen, die in den Mitgliedsstaaten hinsichtlich der Moral und insbesondere der Religion bestünden, könne für das gesamte Konventionsgebiet kein einheitlicher Standard herausgearbeitet werden. Daher wird den Mitgliedsstaaten bei der Frage, ob die staatlichen Eingriffe im Hinblick auf den erzielten Zweck auch erforderlich sind – also einem „dringenden gesellschaftlichen Bedürfnis“ entsprechen –, ein weiter Beurteilungsspielraum zugestanden.16 Zwar betont der Gerichtshof regelmäßig im gleichen Atemzug, dass die Einhaltung der
11 EGMR, I.A. ./. Türkei, 13. 09. 2005, Nr. 42571/98, Rn. 28; so auch schon EGMR, OttoPreminger-Institut ./. Österreich, 20. 09. 1994, Nr. 13470/87 Rn. 47. 12 EGMR, I.A. ./. Türkei, 13. 09. 2005, Nr. 42571/98, Rn. 29: „mais également une attaque injurieuse contre la personne du prophète de l’islam.“ – sondern auch eine beleidigende Attacke gegen die Person des Propheten im Islam. Rn. 30: „fournir une protection contre des attaques offensantes concernant des questions jugées sacrées par les musulmans.“ – einen Schutz leisten gegen beschimpfende Attacken bezüglich der Themen, die von Muslimen als heilig eingeordnet werden. Krit. hierzu Keller/Cirigliano, ZaöRV 2010, 403, 429, die die Entscheidung als „drastische“ Schmälerung der Freiheit religionskritischer Äußerungen bezeichnen. 13 EGMR, I.A. ./. Türkei, 13. 09. 2005, Nr. 42571/98, Rn. 32. 14 EGMR, Otto-Preminger-Institut ./. Österreich, 20. 09. 1994, Nr. 13470/87 Rn. 47 f.; Wingrove ./. Vereintes Königreich, 25. 11. 1996, Nr. 17419/90 Rn. 47; I.A. ./. Türkei, 13. 09. 2005, Nr. 42571/98, Rn. 24, 30; krit. hierzu Larralde, RTDH 1997, 725, 726 f. 15 s. hierzu 2. Kapitel B. III. 3. c). 16 Otto-Preminger-Institut ./. Österreich, 20. 09. 1994, Nr. 13470/87 Rn. 50; Wingrove ./. Vereintes Königreich, 25. 11. 1996, Nr. 17419/90 Rn. 53; Murphy ./. Irland, 10. 07. 2003, Nr. 44179/98, Rn. 67; I.A. ./. Türkei, 13. 09. 2005, Nr. 42571/98, Rn. 25.
A. 1. Phase: Weiter Ermessensspielraum der Mitgliedsstaaten
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Grenzen dieses Ermessensspielraums seiner Kontrolle unterliege.17 Wirkliche Einschränkungen ergeben sich durch diese Kontrolle aber nicht;18 im Ergebnis wurde in keinem der streitgegenständlichen Sachverhalte eine Überschreitung des Beurteilungsspielraums festgestellt. Die Richter entziehen sich auf diese Weise einer klaren Stellungnahme19 und lassen letztlich die betreffenden Staaten gewähren. Kritisch zu beurteilen ist auch, dass im Rahmen der Prüfung der Notwendigkeit insbesondere auf die mehrheitlichen Vorstellungen in der Bevölkerung20 abgestellt wird. Denn anders als die Moral, für die dieses Kriterium in der Rechtsprechung des Gerichtshofs häufig angewandt wird und die tatsächlich entwicklungsoffen ist und sich den herrschenden Anschauungen anpasst, soll die Religionsfreiheit gerade auch Minderheiten schützen, die sich mit den herrschenden Überzeugungen nicht identifizieren.21 Schließlich beschäftigt sich der Gerichtshof mit der Frage, ob die Eingriffe zu den erzielten Zwecken in einem angemessenen Verhältnis stehen, ohne aber jemals eine Unverhältnismäßigkeit festzustellen. Durch das Zugeständnis eines umfangreichen Beurteilungsspielraums und die nur oberflächliche Kontrolle der Einhaltung seiner Grenzen überlässt der Europäische Gerichthof für Menschenrechte die Frage der Zulässigkeit religionsfeindlicher Äußerung also fast gänzlich den Mitgliedsstaaten. Zwar wird die Feststellung regelmäßig wiederholt, Religionsanhänger könnten trotz Art. 9 EMRK nicht erwarten, ihre Religion abgeschirmt von jeglicher Kritik auszuüben, und müssten Ablehnung und feindliche Lehren hinnehmen. Gleiches gilt für die Formel, die Meinungsfreiheit gelte nicht nur für Ideen und Informationen, die positiv aufgenommen, als unschädlich oder gleichgültig bewertet werden, sondern auch für die, die verletzen, schockieren oder beunruhigen. Jedoch lassen sich den Entscheidungen keine tatsächlichen Auswirkungen dieser Grundsätze entnehmen. Im Gegenteil erscheinen sie fast als rituelle Leerformeln,22 die in Verhältnis zum Schutz religiöser Überzeugungen ihre Wirkung einbüßen. So sind die Entscheidungen auch wesentlich von abweichenden Meinungen geprägt. Hierin findet sich etwa die Kritik, dass auf Grund der Bedeutung der Meinungsfreiheit für die Demokratie ihre Einschränkungsmöglichkeiten eng auszulegen sind und deswegen ein weiter Beurteilungsspielraum der Mitgliedsstaaten unzulässig sei.23 Zudem seien Maßnahmen, die eine Veröffentlichung im Sinne einer Vorzensur 17
Otto-Preminger-Institut ./. Österreich, 20. 09. 1994, Nr. 13470/87 Rn. 50; Wingrove ./. Vereintes Königreich, 25. 11. 1996, Nr. 17419/90 Rn. 53; Murphy ./. Irland, 10. 07. 2003, Nr. 44179/98, Rn. 67; I.A. ./. Türkei, 13. 09. 2005, Nr. 42571/98, Rn. 26. 18 s. dazu auch Larralde, RDTH 1997, 725, 731, der von einer „quasi symbolischen“ Verhältnismäßigkeitskontrolle spricht. 19 So auch Keller/Cirigliano, ZaöRV 2010, 403, 429. 20 So Otto-Preminger-Institut ./. Österreich, 20. 09. 1994, Nr. 13470/87 Rn. 52, 56. 21 Frenz/Casimir-van den Broek, ZUM 2007, 815, 817. 22 Vor einer solchen Entwicklung warnen auch die Richter Costa/Cabral Barreto/Jungwiert, abweichende Meinung zu EGMR, I.A. ./. Türkei, Rn. 1. 23 Palmet/Pekkanen/Makarcyk, Abweichende Meinung der Richter zu EGMR, Otto-Preminger-Institut ./. Österreich, Rn. 3. Krit. zu den unterschiedlichen Maßstäben hinsichtlich des
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6. Kap.: Ausblick auf die europäische Ebene
vollständig verbieten, nicht verhältnismäßig,24 da insoweit auch eine Beschränkung der Zugänglichkeit einen angemessenen Schutz begründen könnte. In der letzten zur Religionsfeindlichkeit ergangenen Entscheidung regten die abweichenden Meinungen sogar offen zu einer Änderung dieser Rechtsprechungspraxis an: Sie ließe den Konformismus sowie den Wunsch nach einheitlichen Überzeugungen zu viel Raum einnehmen und offenbare damit eine zögerliche und ängstliche Konzeption der Pressefreiheit.25 Der Gerichtshof scheint auf diese – durchaus begründete – Kritik aus den eigenen Reihen zu reagieren: Die folgenden Entscheidungen lassen eine, wenn auch bislang zögerliche, Tendenz zugunsten der Meinungsfreiheit erkennen.
B. 2. Phase: Wachsende Kontrolle durch den Europäischen Gerichtshof Ab dem Jahr 2006 treten in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte Tendenzen in Richtung einer Einschränkung des Beurteilungsspielraums zu Tage. Von Bedeutung ist diesbezüglich die Entscheidung in der Sache „Giniewski ./. Frankreich“,26 die zwar nicht als offensichtliche Rechtsprechungsänderung, wohl aber als Startpunkt zu einer strengeren Kontrolle durch den Europäischen Gerichtshof gewertet werden kann.27 Der – oben schon untersuchte28 – zugrunde liegende Sachverhalt betrifft einen wissenschaftlichen Zeitungsartikel über eine päpstliche Enzyklika, in dem der Autor der katholischen Kirche eine Mitschuld am Holocaust auferlegt. Zwar wiederholt der Gerichthof die bereits bekannten Formeln zum Beurteilungsspielraum der Mitgliedsstaaten im religiösen Bereich,29 ihre Anwendung erfolgt aber nun mit einigen Nuancierungen: Zum einen stützt der Gerichtshof die Möglichkeit strafrechtlicher Beschränkungen der Meinungsfreiheit nicht mehr auf den Schutz der religiösen Gefühle, sondern auf den Schutz vor Diffamierungen einer religiösen Gruppe, den er aber bedauernswerterweise trotzdem
Beurteilungsspielraums im Rahmen von Art. 10 § 2 EMRK die abweichende Meinung des Richters Lohmus, zu EGMR, Wingrove ./. Vereintes Königreich, Rn. 6. 24 Abweichende Meinung der Richter Palmet/Pekkanen/Makarcyk, zu EGMR, Otto-Preminger-Institut ./. Österreich, Rn. 8 ff.; sowie des Richters Meyer, zu EGMR, Wingrove ./. Vereintes Königreich, Rn. 3. 25 Costa/Cabral Barreto/Jungwiert, zu EGMR, I.A. ./. Türkei, Rn. 8. 26 EGMR, 31. 01. 2006, Nr. 64016/00. 27 Candela Soriano/Defossez, RTDH 2006, 817, 833 ff.; anders Docquir, RTDH 2006, 839, 847. 28 s. oben 4. Kapitel B. II. 4. b) cc). 29 EGMR, Giniewski ./. Frankreich, 31. 01. 2006, Nr. 64016/00, Rn. 44 mit Verweis auf EGMR, Otto-Preminger-Institut ./. Österreich, 20. 09. 1994, Nr. 13470/87 Rn. 50; Wingrove ./. Vereintes Königreich, 25. 11. 1996, Nr. 17419/90 Rn. 58; Murphy ./. Irland, 10. 07. 2003, Nr. 44179/98, Rn. 67.
B. 2. Phase: Wachsende Kontrolle durch den Europäischen Gerichtshof
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mit der Religionsfreiheit in Beziehung setzt.30 Zum anderen betont er, dass sich die Äußerung in eine bereits begonnene Debatte von unbestreitbar öffentlichem Interesse einfüge und es von höchster Bedeutung sei, dass sich diese frei entfalten könne.31 Eine Einschränkung der Meinungsfreiheit dürfe in dieser Konstellation nur dann erfolgen, wenn die Äußerungen „gratuitement offensants“, grundlos kränkend, oder „injurieux“, beleidigend seien,32 was vorliegend nicht erfüllt werde, sodass eine Verletzung des Art. 10 EMRK anzunehmen sei. In diese Richtung geht auch die kurz davor ergangene Entscheidung „AlbertEngelmann-GmbH ./. Österreich“,33 der die Verurteilung wegen der Veröffentlichung eines anonymen Leserbriefs zugrunde lag. Zwar werde ein religiöser Würdenträger in erheblichem Maße kritisiert und damit auch die religiösen Überzeugungen seiner Anhänger beeinträchtigt,34 allerdings sei bei der Beurteilung auch der Rahmen der intrakirchlichen Debatte im Sinne eines öffentlichen Interesses zu beachten.35 Da die Äußerungen zudem als Werturteile und nicht als unbewiesene Tatsachenbehauptungen einzuordnen seien,36 überschreite eine Verurteilung den Ermessenspielraum der Mitgliedsstaaten und verstoße daher gegen Art. 10 EMRK. In der Sache „Aydin Tatlav ./. Türkei“37 zeigte der Gerichtshof ebenfalls weniger Nachsicht bezüglich staatlicher Meinungsfreiheitsbeschränkungen und verurteilte die Türkei wegen Verletzung des Art. 10 EMRK für die strafrechtliche Verfolgung eines islamkritischen Autors. Auch hier bezieht er sich zwar auf die altbekannten Formeln zur Notwendigkeit der Abwägung zwischen Meinungs- und Religionsfreiheit38 und zum weiten Beurteilungsspielraum der Mitgliedsstaaten in religiösen Belangen.39 Er schöpft allerdings seine Kontrollmöglichkeiten voll aus, indem er eine strafrechtliche Verfolgung für Äußerungen, die er weder als persönlich direkt beleidigend noch als verunglimpfenden Angriff auf heilige Symbole einordnet,40 als 30 EGMR, Giniewski ./. Frankreich, 31. 01. 2006, Nr. 64016/00, Rn. 40. Vgl. zu den Argumenten, die gegen ein solches Verständnis der Religionsfreiheit sprechen, oben 2. Kapitel B. III. 3. c). 31 EGMR, Giniewski ./. Frankreich, 31. 01. 2006, Nr. 64016/00, Rn. 50 f. 32 EGMR, Giniewski ./. Frankreich, 31. 01. 2006, Nr. 64016/00, Rn. 52. 33 EGMR, 19. 01. 2006, Nr. 46389/99. 34 EGMR, Albert-Engelmann-GmbH ./. Österreich, 19. 01. 2006, Nr. 46389/99, Rn. 22. 35 EGMR, Albert-Engelmann-GmbH ./. Österreich, 19. 01. 2006, Nr. 46389/99, Rn. 30. 36 EGMR, Albert-Engelmann-GmbH ./. Österreich, 19. 01. 2006, Nr. 46389/99, Rn. 32. 37 EGMR, 02. 05. 2006, Nr. 50692/99. 38 EGMR, Aydin Tatlav ./. Türkei, 02. 05. 2006, Nr. 50692/99, Rn. 26, mit Verweis auf EGMR, Otto-Preminger-Institut ./. Österreich, 20. 09. 1994, Nr. 13470/87, Rn. 55. Im gleichen Sinn auch I.A. ./. Türkei, 13. 09. 2005, Nr. 42571/98, Rn. 27. 39 EGMR, Aydin Tatlav ./. Türkei, 02. 05. 2006, Nr. 50692/99, Rn. 24, mit Verweis auf EGMR, Otto-Preminger-Institut ./. Österreich, 20. 09. 1994, Nr. 13470/87, Rn. 50; Wingrove ./. Vereintes Königreich, 25. 11. 1996, Nr. 17419/90, Rn. 58; Murphy ./. Irland, 10. 07. 2003, Nr. 44179/98, Rn. 67. 40 EGMR, Aydin Tatlav ./. Türkei, 02. 05. 2006, Nr. 50692/99, Rn. 28.
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6. Kap.: Ausblick auf die europäische Ebene
unverhältnismäßig bewertet.41 Hierfür stützt er sich auch auf die Gefahr des sogenannten „chilling effects“ für die Meinungsfreiheit; dass nämlich durch strafrechtliche Sanktionen auch andere Grundrechtsträger von der Ausübung ihres Rechts auf freie Meinungsäußerung abgeschreckt werden.42 Auch in der Sache „Klein ./. Slowakei“43 stärkte der Gerichtshof die Meinungsfreiheit im religiösen Bereich. Streitgegenständlich war die strafrechtliche Verurteilung eines Journalisten auf Grund der von ihm geäußerten Kritik an einem Erzbischof, der seinerseits auf ein Verbot der Werbung für den religionsfeindlichen Film „The people vs. Larry Flynt“ hingewirkt hatte. Der Europäische Gerichtshof urteilte, eine persönliche Kritik an einem religiösen Amtsträger könne – selbst verbunden mit der Frage, warum aufgeklärte und vernünftige Religionsanhänger eine Glaubensgemeinschaft unter dessen Leitung nicht verließen – die Religionsfreiheit der Gläubigen nicht verletzen, sodass es an einem dringenden sozialen Bedürfnis für die Beschränkung der Meinungsfreiheit fehle.44 Anders als noch in der „Albert-Engelmann-GmbH“-Entscheidung verneint er also eine Betroffenheit der Gläubigen bei Angriffen gegen ihre Würdenträger. Eine Analyse der Entscheidungen des Gerichtshofs ab dem Jahr 2006 offenbart eine – wenn auch zögerliche – Tendenz der europäischen Richter zugunsten der Freiheit der Äußerung von Religionskritik.45 Zwar wird eine offensichtliche Rechtsprechungsänderung abgelehnt, indem die Entscheidungen weiterhin auf die schon in den 1990er-Jahren herausgearbeiteten Grundsätze gestützt werden. Allerdings lässt sich den neueren Entscheidungen eine implizite Entwicklung in die Richtung entnehmen, dass die zuvor schon proklamierte Kontrolle der Einhaltung des Beurteilungsspielraums im Einzelfall ernster genommen wird und nun tatsächlich auch zu Verurteilungen des betroffenen Mitgliedsstaates führt. Die Kritik, dass die Formeln zum weiten Umfang des Schutzbereichs der Meinungsfreiheit sowie zur nötigen Toleranz der Religionsanhänger gegenüber kritischen Auffassungen zu inhaltlich leeren Beschwörungsformeln degradiert zu werden drohen, scheint demnach Anklang gefunden zu haben. Hinzu kommt, dass in den späteren Entscheidungen ein Akzent darauf gesetzt wurde, dass die religionskritischen Äußerungen im Rahmen von öffentlichen Debatten zu gesellschaftlich relevanten Themen fielen.46 Dies eröffnet dem Gerichtshof die Möglichkeit einer strengeren 41
EGMR, Aydin Tatlav ./. Türkei, 02. 05. 2006, Nr. 50692/99, Rn. 31. Krit. hierzu Edelman, D. 2008, 1946, 1950, der die Entscheidung im Verhältnis zum Urteil „I.A./Türkei“ als „willkürlich“ bezeichnet. 42 EGMR, Aydin Tatlav ./. Türkei, 02. 05. 2006, Nr. 50692/99, Rn. 30; s. hierzu auch schon die abweichende Meinung der Richter Costa/Cabral Barreto/Jungwiert, zu EGMR, I.A. ./. Türkei, Rn. 6. 43 EGMR, 31. 10. 2006, Nr. 72208/01. 44 EGMR, Klein ./. Slowakei, 31. 10. 2006, Nr. 72208/01 Rn. 51 ff. 45 In diese Richtung auch schon Rolland, RFDA 2004, 1001, 1008. 46 EGMR, Albert-Engelmann-GmbH ./. Österreich, 19. 01. 2006, Nr. 46389/99, Rn. 30; Giniewski ./. Frankreich, 31. 01. 2006, Nr. 64016/00, Rn. 43. Dabei sollte diese Stärkung der
C. Fazit
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Kontrolle der Ausübung des Beurteilungsspielraums. Zudem erlaubt es die Berücksichtigung der schützenswerten Interessen der Religionskritiker, die (zumindest teilweise) den öffentlichen Dialog über die Auswirkungen religiöser Überzeugungen auf die Gesellschaft anregen wollen. In diesem Zusammenhang ist dann auch das Kriterium der „grundlosen Beleidigung“ positiv zu bewerten, das einen reduzierten Schutz der Meinungsfreiheit nur in den Fällen gestattet, in denen eben nicht dieser gesellschaftliche Diskurs bereichert werden soll, sondern einziges Ziel der Äußerung der Angriff gegen die Religionsanhänger ist. Schließlich ist zu begrüßen, dass die Richter eine stärkere Kontrolle dahingehend ausüben, ob eine religionsfeindliche Äußerung tatsächlich in die Rechte der Gläubigen eingreift oder ob sie religiöse Würdenträger oder abstrakte Glaubensinhalte betreffen. Allerdings bleibt eine Strafbarkeit der Beleidigung von Überzeugungen, sofern sie nicht im Rahmen einer öffentlichen Debatte und damit „gratuitement offensant“ erfolgt, auch nach der neueren Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zulässig.
C. Fazit Vor dem Hintergrund der herausgearbeiteten Entwicklungen in der nationalen Rechtsprechung in Deutschland und Frankreich ist die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zur Zulässigkeit strafrechtlicher Beschränkungen der Meinungsfreiheit zugunsten religiöser Empfindungen zu begrüßen. Beide nationalen Rechtsordnungen weisen die ähnliche Tendenz auf, religionsfeindliche Äußerungen seltener bzw. sogar nur in Ausnahmefällen unter Strafe zu stellen. Hiermit korrespondiert die Entwicklung der europäischen Rechtsprechung, die sich ebenfalls zunehmend gegen Regelungen richtet, die religionskritische Äußerungen zu streng unter Strafe stellen. Nicht sinnvoll erscheint hingegen die wohl immer noch vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte vertretene Ansicht, der Religionsfreiheit ein Element des Konfrontationsschutzes zu entnehmen.47 In die gleiche – erfreulich liberale und individualschützende – Richtung scheint auch der UN-Menschenrechtsrat zu tendieren, der seine Praxis (bzw. die der UNMenschenrechtskommission) der Verabschiedung von Resolutionen „Combating Defamation of Religions“48 aufgegeben hat und nun ebenfalls den Schutz der gläubigen Personen im Blick hat.49 Meinungsfreiheit nicht auf bereits laufende öffentliche Debatten beschränkt sein, s. Docquir, RTDH 2006, 839, 849. 47 s. dazu auch schon oben 2. Kapitel B III. 3. b). 48 Seit CommHR Res. 1999/82 v. 30. 4. 1999, UN Doc. E/CN.4/1999/167, S. 280 f.; krit. dazu Leo/Gaer/Cassidy, Harvard JLPP 34 (2011), 769 ff. 49 Resolution Nr. 16/18 „Combating intolerance, negative stereotyping and stigmatization of, and discrimination, incitement to violence and violence against, persons based on religion or belief“, HRC Res. 16/18 v. 24. 3. 2011, UN Doc. A/HRC/RES/16/18.
Ergebnisse Die Frage der Strafbarkeit religionsfeindlicher Äußerungen wirft zahlreiche Schwierigkeiten an der Schnittstelle zwischen Strafrecht und öffentlichem Recht auf. So sind bei der Beantwortung der Frage vielfältige Gesichtspunkte zu berücksichtigen, die an dieser Stelle zusammenfassend dargestellt werden. 1. Religionsfeindliche Äußerungen fallen regelmäßig in den Schutzbereich der Meinungsfreiheit. Die einzige Ausnahme ist mit dem Bundesverfassungsgericht in der Behauptung bewusst oder evident unwahrer Tatsachen zu sehen, da diese die öffentliche Meinungsbildung nicht voranzubringen vermögen. Einige Äußerungen können sich zudem auf den Schutz der Kunstfreiheit berufen. Hierzu gehören nach dem formellen Kunstbegriff schon sämtliche Darstellungen, die die Form einer typischen Kunstgattung (wie etwa Zeichnungen, Gedichte, Romane, Filme und ähnliches) annehmen. Darüber hinaus sind satirische Äußerungen im literaturwissenschaftlichen Sinne, also solche, die sich durch einen verfremdeten Angriff mit dem Ziel der Enthüllung einer Normwidrigkeit auszeichnen, vom Schutzbereich der Kunstfreiheit erfasst. Auf Grund des offenen Kunstbegriffs ist der Schutzbereich schließlich auch für weitere schöpferische Darstellungen, die sich durch ihre besondere Interpretationsoffenheit hervorheben, eröffnet. Die schrankenlos gewährleistete Kunstfreiheit ist, sofern die künstlerische Gestaltung nicht nur „Beiwerk“ oder „Deckmantel“ einer Meinungsäußerung ist, als lex specialis zur Meinungsfreiheit zu bewerten. Andererseits sind die besonderen Gewährleistungen der Meinungsfreiheit, etwa die Anforderung der Allgemeinheit an einschränkende Gesetze sowie ihre Berücksichtigung bei der Auslegung von Äußerungen und von Straftatbeständen, auch bei einem Vorrang der Kunstfreiheit zu beachten. 2. Weil die Meinungsfreiheit nur durch allgemeine Gesetze im Sinne des Art. 5 Abs. 2 GG beschränkt werden darf und die Kunstfreiheit als formell schrankenlos gewährtes Grundrecht nur verfassungsimmanenten Beschränkungen unterliegt, sind an die Rechtfertigung von Eingriffen hohe Anforderungen zu stellen. Insbesondere bedarf es zur strafrechtlichen Einschränkung dieser Grundrechte eines schlechthin schützenswerten Rechtsguts und hochrangigen Gemeinschaftswerts, für die Kunstfreiheit sogar von Verfassungsrang. 3. Die Bestimmung eines solchen Schutzguts erweist sich als problematisch. Ein Schutz religiöser Inhalte oder auch der Religion als solcher erscheint vor dem Hintergrund des staatlichen Neutralitätsgebots – anders als noch vor der Aufklärung üblich – nicht haltbar. Auch ein strafrechtlicher Schutz religiöser Gefühle kommt heute auf Grund der notwendigen Subjektivität des Gefühlsschutzes nicht mehr in Betracht. Die grundrechtlich gewährleistete Religionsfreiheit der Religionsanhänger
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wiederum bildet zwar ein schützenswertes Gut von Verfassungsrang, ist aber durch religionsfeindliche Äußerungen in der Regel nicht betroffen, da sie keinen Konfrontationsschutz gewährt. Auch der allseits propagierte Schutz des öffentlichen Friedens führt nicht zu zufriedenstellenden Ergebnissen. Denn dieser stellt sich als zu unbestimmt und zirkelschlüssig dar. Außerdem fehlt es an einer Begründung, warum zum Schutz des öffentlichen Friedens gerade religions- und weltanschauungsfeindliche Äußerungen verboten werden, sodass das Schutzgut insoweit als eine Fassade erscheint, die Bedenken an der Einhaltung des Neutralitätsgebots ausschalten soll. 4. Als geeignete Schutzrichtung strafrechtlicher Verbote erweist sich die vorgelagerte Protektion der Individualrechtsgüter, die auf Grund der durch die Äußerungen hervorgerufenen Ausschreitungen und Gewalttätigkeiten in Gefahr geraten. Bei der Formulierung derartiger Tatbestände sind allerdings hohe Anforderungen an die Zurechenbarkeit der Gewalt zu stellen, sodass bloß diffamierende Äußerungen nicht genügen. Terroranschläge religiöser Fundamentalisten, die sich durch kritische oder selbst beleidigende Veröffentlichungen provoziert fühlen, können etwa den Äußernden nicht als erwartbare Folgen ihrer Aussage zugerechnet werden, sodass eine Bestrafung nicht ihrer Verhinderung dienen darf. 5. Weitere angemessene Schutzgüter sind schließlich auch die Menschenwürde, die Ehre der Religionsanhänger sowie ihr allgemeines Persönlichkeitsrecht in seiner Ausprägung als Identitätsschutz. Denn wer einem Bekenntnis, dessen umfassendes Weltbild für die Überzeugungen, Einstellungen und Handlungen und damit für die Identität eines anderen prägend ist, die Existenzberechtigung abspricht, greift damit im Einzelfall indirekt auch den Gläubigen selbst an und verweigert ihm die notwendige Achtung seiner Person. Dieses Ergebnis zwingt aber dazu, mögliche strafrechtliche Tatbestände streng an diesem individuellen Schutzgut auszurichten, da nicht jede Religionsbeschimpfung zugleich auch die Verwehrung der persönlichen Anerkennung beinhaltet. 6. Bei der Anwendung strafrechtlicher Verbote sind die herausgearbeiteten verfassungsrechtlichen Vorgaben zugrunde zu legen. Unter Berufung auf das Grundrecht der freien Meinungsäußerung hält das Bundesverfassungsgericht die Fachgerichte zu Recht zu einer sprecherfreundlichen Interpretation nicht nur der in Rede stehenden Äußerung selbst, sondern auch der betroffenen Straftatbestände an. Die Interpretation der in Rede stehenden Äußerung ist unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände des Einzelfalls zu unternehmen und darf dem Äußernden keine strafbare Aussage in den Mund legen, die dieser so nicht getätigt hat. Im Zweifel ist nach der sogenannten Variantenlehre auf eine straflose Deutungsmöglichkeit abzustellen. Darüber hinaus ist die Meinungsfreiheit nicht nur bei der Auslegung der Straftatbestände, sondern auch im Rahmen der Rechtfertigung zu beachten. 7. Im Namen der Kunstfreiheit, aber auch der Meinungsfreiheit ist ein besonderes Augenmerk auf Satiren und Karikaturen zu legen. Diese müssen – noch intensiver als sonstige Äußerungen – auf ihren wahren Aussagegehalt hin untersucht werden.
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Dabei sind sämtliche Umstände des Einzelfalls hinzuzuziehen. Mehrdeutigen Darstellungen darf nur dann eine strafbare Deutungsmöglichkeit unterstellt werden, wenn sämtliche Alternativen mit nachvollziehbaren Gründen ausgeschlossen werden konnten. Es ist insbesondere zu berücksichtigen, dass die bloße Profanierung heiliger Symbole und Kultgegenstände für sich genommen in der Regel noch keine Ehrverletzung oder Persönlichkeitsrechtsverletzung der Gläubigen beinhaltet. 8. Im Einzelnen hält das deutsche Strafrecht zur Ahndung von Religionsbeschimpfung zunächst den Tatbestand der Volksverhetzung bereit, der einem vorverlagerten Schutz von Individualrechtsgütern sowie der Menschenwürde dient. Die Voraussetzungen sind allerdings auf die Verhinderung von tatsächlichen Angriffen gegen die geschützten Personengruppen gerichtet, sodass Attacken gegen die Religion selbst nicht erfasst sind. Sofern jedoch im Namen der Religionszugehörigkeit tatsächlich zu Gewalttätigkeit aufgerufen wird, kann dies nach dieser Vorschrift sanktioniert werden. 9. Die ehrschützenden Beleidigungstatbestände des deutschen Strafrechts sind bei religionsfeindlichen Äußerungen in der Regel nicht einschlägig. Das ist zum einen darauf zurückzuführen, dass diesen häufig kein direkter Angriff auf die Ehre der Religionsanhänger zu entnehmen ist, wenn sie sich ausschließlich gegen die Religion und ihre Inhalte selbst richten. Vor allem scheitert eine strafrechtliche Ahndung aber an dem restriktiven Verständnis der Rechtsprechung bei Angriffen gegen mehrere Personen unter einer Kollektivbezeichnung. Anstatt jedoch letztlich auf die Gruppengröße abzustellen, sollte stets hinterfragt werden, ob eine Beleidigung größerer Personenmehrheiten tatsächlich jeden einzelnen Betroffenen in seiner Ehre schützt. Andererseits ist die gleichzeitig vorgenommene Einbeziehung von Personengemeinschaften in den Bereich des Ehrschutzes sowohl dogmatisch als auch rechtspolitisch höchst kritisch zu bewerten. Zu beachten ist im Rahmen der Ehrschutzdelikte darüber hinaus der Rechtfertigungsgrund der Wahrung berechtigter Interessen, dem als Einfallstor der Meinungs- und Kunstfreiheit eine erhebliche freiheitsfördernde Wirkung zukommt, sodass im Ergebnis regelmäßig nur Menschenwürdeverletzungen, Schmähkritik und Formalbeleidigung sanktioniert werden. 10. Der Straftatbestand der Bekenntnisbeschimpfung schließlich erweist sich in seiner Ausrichtung auf den Schutz des öffentlichen Friedens als verfassungsrechtlich nicht legitimiert. Weder vermag der öffentliche Friede überhaupt Eingriffe in die Meinungsfreiheit zu rechtfertigen noch im konkreten Fall des § 166 StGB die tatsächliche Ausgestaltung des Tatbestands und die Beschränkung auf religiöse und weltanschauliche Bekenntnisse zu erklären. Die verfassungsrechtliche Fragwürdigkeit des Tatbestands manifestiert sich im Unbehagen der Strafgerichte, die seine Voraussetzungen in der Praxis inzwischen derart restriktiv verstehen, dass nahezu von einer Entkriminalisierung auszugehen ist. Diese restriktive Entwicklung bei den Strafgerichten spiegelt auch die hohen Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts bei Äußerungsdelikten wider.
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11. Das französische Strafrecht enthält zahlreiche dem deutschen Recht vergleichbare Elemente. So gleichen die Voraussetzungen der provocation à la haine denen der Volksverhetzung im Wesentlichen, sodass auch diese Vorschrift die freie Meinungsäußerung bei religionsfeindlichen Äußerungen nur in Einzelfällen zu beschränken droht. Die Grundtatbestände der Ehrverletzungsdelikte, die injure und die diffamation, sind in ihren Grundzügen ebenfalls mit den deutschen Beleidigungstatbeständen vergleichbar. Wie diese unterscheiden sie zwischen Tatsachenbehauptungen und Werturteilen und erlauben nach der Rechtsprechung die Ehrverletzung einer juristischen Person, nicht aber vieler einzelner Personen unter einer Kollektivbezeichnung. 12. Andererseits bietet das französische Recht eine grundlegend unterschiedliche Konzeption zur Sanktionierung religionsfeindlicher Äußerungen. Während ein mit § 166 StGB vergleichbarer Tatbestand der Bekenntnisbeschimpfung nicht existiert, verfügt es über religionsbezogene Qualifikationen der Ehrverletzungsdelikte. Diese vermögen über das Merkmal der Personengruppe auch eine Ehrverletzung zahlreicher Personen unter einer Kollektivbeleidigung zu erfassen. Andererseits verbieten sie – nach der richtigen neueren Auffassung der Cour de cassation – religionsfeindliche Äußerungen nur dann, wenn diese direkt gegen die Religionsanhänger gerichtet sind, nicht aber Angriffe gegen die Religion selbst. 13. Konzeptionell erscheint die französische Rechtslage der deutschen überlegen, da diese nicht ein künstliches Allgemeingut wie den öffentlichen Frieden vorschiebt, sondern konsequent am Individualschutz ausgerichtet ist. Dies scheint auch vor dem Hintergrund des deutschen Grundgesetzes als ein gangbarer Ansatz, weil insofern einerseits die Individuen in ihrer Ehre und ihrer religiösen Identität als hinreichend geschützt erscheinen, während andererseits eine vollkommen freie Meinungsäußerung – auch in provokanter, aggressiver Form – über religiöse und weltanschauliche Überzeugungen, Ideologien oder Dogmen gewährleistet wird. Auch einem chillingeffect im Sinne von Selbstzensur aus Furcht vor möglicherweise drohenden Sanktionen kann auf diese Weise sinnvoll entgegengewirkt werden. 14. Eine Ausweitung des Ehrschutzes auf Personenmehrheiten unter einer Kollektivbezeichnung auf Grund ihrer Religionszugehörigkeit erscheint als angemessene Ergänzung für das deutsche Strafrecht. Denn ein Zugehörigkeitskriterium, das so eng mit der Persönlichkeit verbunden ist wie die Anhängerschaft zu einer bestimmten Religion, gewährleistet, dass auch bei Kollektivbeleidigungen die Ehre jedes Einzelnen betroffen ist. Weiter konkretisiert wird dies noch durch einen subjektiven Kausalzusammenhang zwischen der Ehrverletzung und der Religionszugehörigkeit („auf Grund der Zugehörigkeit“), der ebenfalls eine eigene Ehrverletzung jedes Gemeinten sicherstellt, indem eine Beziehung zwischen der Herabsetzung und dem Glauben hergestellt wird. 15. Bezüglich der Rechtfertigung einer solchen religiös motivierten Beleidigung von Personengruppen ist über eine Anwendung des § 193 StGB das Recht der persönlichen Ehre und das allgemeine Persönlichkeitsrecht im Einzelfall mit der
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Meinungs- und Kunstfreiheit abzuwägen. Dabei muss beachtet werden, dass eine Strafbarkeit dann in Betracht kommt, wenn im Sinne einer Schmähkritik bzw. einer offense gratuite die Diffamierung der Personen im Vordergrund steht und die Auseinandersetzung in der Sache dahinter zurücktritt. Da religiöse Inhalte und Überzeugungen nicht nur für die Persönlichkeitsentfaltung des Einzelnen, sondern auch für die öffentliche Meinungsbildung über gesellschaftlich relevante Themen von erheblicher Bedeutung sind, sollen die diesbezügliche Kommunikation und der Austausch der Ideen und Vorstellungen hingegen nicht durch strafrechtliche Vorschriften beschränkt werden. 16. Besondere Verfahrensrechte religiös motivierter Interessenverbände im Strafprozess, wie sie das französische Verfahrensrecht kennt, sind nicht zu befürworten. Durch eine Vielzahl von durch sie angeregten Verfahren kann eine nicht wünschenswerte Selbstzensur der Kritiker bewirkt werden, die der Meinungsfreiheit zuwiderläuft. Gleiches gilt für andere prozessuale Einschränkungen des französischen Strafrechts, insbesondere die eingeschränkte Flexibilität der Gerichte bei der Abgrenzung zwischen Werturteilen und Tatsachenbehauptungen. 17. Die – verfassungsmäßig auf Grund des allgemeinen Persönlichkeitsrechts zulässige – Einführung eines eigenen Straftatbestands zum Schutz der religiösen Identität ist nicht zu empfehlen. Zum einen birgt eine solche Vorschrift stets das Risiko einer extensiven Auslegung, die zu einem unangemessenen Gefühlsschutz führt und im Ergebnis einen chilling-effect nach sich zu ziehen droht. Angesichts des besonderen Werts der Meinungsfreiheit sollten nur die Beschimpfungen von Personen strafrechtlich sanktioniert werden, die absolut nicht mehr hinnehmbar sind, während nicht personenbezogene Themen wie religiöse Überzeugungen dem Markt der freien Meinungsbildung nicht entzogen werden dürfen. Zum anderen erscheint das gewünschte Ziel religiöser Toleranz auf einem strafrechtlichen Wege auch gar nicht erreichbar, da sich der Respekt vor den Überzeugungen anderer durch strafrechtliche Sanktionierung nicht erzwingen lässt. 18. Abschließend ist also die Abschaffung des § 166 StGB zu befürworten, während andererseits die Bestrafung einer Beleidigung Mehrerer unter einer Kollektivbezeichnung dann möglich sein soll, wenn sie sich auf eine durch ihre Religionszugehörigkeit bestimmte Gruppe bezieht und gerade auf Grund dieser Religionszugehörigkeit erfolgt.
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Sachwortregister Allgemeine Gesetze 62 Allgemeines Persönlichkeitsrecht 106 – Religiöse Identität 110 – Verhältnis zur Ehre 108 Alsace et Moselle 54 Antisemitismus 29 Aufreizung zum Hass 47 Auslegung von Äußerungen 134, 329, 370 – Französisches Recht 252 – Rechtsprechung des BVerfG 135 – Satire 138 Bekenntnisbeschimpfung 219 – Anwendung auf religionsfeindliche Äußerungen 240 – Rechtfertigungsgründe 238 – Reformtendenzen 245 – Schutzzweck 219 – Voraussetzungen 223 Beleidigung 201 – Französisches Recht siehe Injure – Unverdiente Missachtung siehe dort Blasphemie 29 Bonne foi 291, 300, 345 Classification tripartite
249
Délit d’opinion 357 Diffamation – Abgrenzung zur injure 277, 305 – Objektive Voraussetzungen 276 – Qualifikation durch Religionsbezug 288 – Rechtfertigungsgründe 289 – Subjektive Voraussetzungen 285 Droit à la non-discrimination 132, 358 Egalité 132 EGMR 384 Ehre – aus Art. 5 Abs. 2 GG 63 – Strafrechtliche Ehrbegriffe
168
– Verhältnis zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht 108 Ehrträger 173, 283, 298, 306, 342 – Kollektivbezeichnungen 179, 353 – Personengemeinschaften 173, 284 Ehrverletzungsdelikte 167 – Anwendung auf religionsfeindliche Äußerungen 214 – Französisches Recht 273 – Historische Entwicklung 44 – Historische Entwicklung in Frankreich 51 – Rechtfertigungsgründe 207, 345, 365 – Schutzzweck 167, 273, 337 Elément matériel 249 – Diffamation 276 – Injure 296 Elément moral 250 – Diffamation 285 – Injure 299 Exceptio veritatis 289, 344, 374 Filmfreiheit 76 Formalbeleidigung
64, 205
Glaubensinhalte 79 Gotteslästerung 29, 331 Grundrechtsschutz in Frankreich 115 – Freiheitsbeschränkungen 119 – Freiheitsrechte 116 Injure 296 – Abgrenzung zur diffamation 277, 305 – Objektive Voraussetzungen 296 – Qualifikation durch Religionsbezug 299 – Rechtfertigungsgründe 299 Interessenverbände 320, 366 Karikatur 36 – Auslegung 138, 254, 370 – Injure religieuse 314
440
Sachwortregister
– Schutzbereich der Meinungsfreiheit 60 Kollektivbezeichnungen 179, 361 Kunstfreiheit 67 – Französisches Recht 123 – Schranken 74 – Schutzbereich 67 – Satire 70 – Verhältnis zur Meinungsfreiheit 75 Laizität
126, 356
Meinungsfreiheit 57 – Beschränkungen 61 – Französisches Recht 121 – Gesetzesauslegung 144 – Rechtfertigung ehrverletzender Äußerungen 209 – Schutzbereich 57 Menschenwürde 91 – Französisches Recht 128 Mobile antireligieux 269, 288, 299, 352 Mohammed-Karikaturen 21, 243, 304 Nichtdiskriminierung siehe Droit à la nondiscrimination Nichterweislichkeit 196, 344, 374 Offense gratuite 312 Öffentlicher Frieden 81 – bei § 130 StGB 154, 335 – bei § 166 StGB 233, 350 – Psychisches Klima 86 – Rechtssicherheit 82 Ordre public 131 Pressedelikte des französischen Rechts 256, 376 Pressefreiheit 76 – Französisches Recht 124 Provocation à la haine religieuse 259 – Anwendung auf religionsfeindliche Äußerungen 271 – Rechtfertigungsgründe 270 – Schutzzweck 259, 332 – Voraussetzungen 259 Provocation als Entschuldigungsgrund 300, 347
Qualifikation durch Religionsbezug 299, 351, 363
288,
Recht zum Gegenschlag 347 Rechtfertigungsgründe – Bekenntnisbeschimpfung 238 – Diffamation 289 – Ehrverletzungsdelikte 207, 345, 365 – BVerfG 209 – Literatur 211 – Provocation à la haine religieuse 270 Reformtendenzen – Deutschland 245 – Frankreich 317 Religion als gesellschaftliches Gut 80 Religionsdelikte 38, 45 Religionsfreiheit 96 – Französisches Recht 125 – Schutz religiöser Gefühle 103 – Verfassungsrechtliche Grundlagen 97 – Verhältnis zur Religionsbeschimpfung 100 Religionskritik 28 Rundfunkfreiheit 76 Satire 30 – Auslegung 138, 254, 370 – Juristischer Satirebegriff 33 – Literaturwissenschaftlicher Satirebegriff 31 – Schutzbereich der Kunstfreiheit 70 Schmähkritik 64 Strafantrag 214, 319, 348 Strafmaß 382 Tatsachenbehauptungen 190, 340 – Ehrenrührigkeit 193 – Französisches Recht 277 – Nichterweislichkeit s. dort Üble Nachrede 189, 196 – Französisches Recht siehe Diffamation – Nichterweislichkeit siehe dort Unverdiente Missachtung 204, 344 Verjährungsfristen 324, 381 Verleumdung 189, 200, 374
Sachwortregister Volksverhetzung 146, 332 – Anwendung auf religionsfeindliche Äußerungen 164, 336 – Äußerungen nach § 130 Abs. 1 StGB 146 – Französisches Recht siehe Provocation à la haine – Schutzzweck 146, 159, 332 – Tathandlung des § 130 Abs. 1 StGB 148
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– Verbreitung von Schriften 158 – Voraussetzungen 332 Vorverlagerter Individualschutz 93 Wahrung berechtigter Interessen Wechselwirkungslehre 63 Werturteile 190, 340 Zensurverbot
67
207, 345