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German Pages 202 [212] Year 2009
Thomas Adam Manuel Frey Rupert Graf Strachwitz (Hrsg.) Stiftungen seit 1800
Maecenata Schriften Bd. 3
Thomas Adam, Manuel Frey, Rupert Graf Strachwitz (Hrsg.)
Stiftungen seit 1800 Kontinuitäten und Diskontinuitäten
Lucius 8t Lucius • Stuttgart • 2009
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar
ISSN 1866-122X ISBN 978-3-8282-0432-4 ® Lucius Et Lucius Verlagsgesellschaft mbH Stuttgart 2009 Gerokstraße 51 • D-70184 Stuttgart www.luciusverlag.com Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.
Satz: Sibylle Egger, Stuttgart Umschlaggestaltung: I. Devaux, Stuttgart Druck und Bindung: Rosch-Buch, Scheßlitz
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Vorwort
Stiftungen sind traditionsreiche Institutionen der Zivilgesellschaft. Seit Jahrhunderten tragen sie zum Gemeinwohl bei. In den letzten Jahren hat die Zahl der Stiftungsgründungen einen beispiellosen Aufschwung genommen. Heute sind, Kirchenstiftungen nicht mitgerechnet, in Deutschland rund 20.000 Stiftungen aktiv - bei stark steigender Tendenz. Die meisten sind sozialen Zwecken gewidmet, gefolgt von Bildung, Kultur und Wissenschaft. In jüngster Zeit sind neue Stiftungszwecke, etwa der Umweltschutz, hinzugekommen. Doch wie lässt sich diese Zunahme erklären? Welche sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Bedingungen müssen gegeben sein, damit es zu einer Stiftungsgründung kommt? Auf der einen Seite sind Stiftungen für die Ewigkeit gemacht, auf der anderen Seite sind sie Produkte ihrer jeweiligen Epoche. Aus der Einsicht in diese Epochengebundenheit reichen die Desiderate von der historischen Bestandsaufnahme über die systematische, länderübergreifende und transdisziplinäre Gegenwartsanalyse des Stiftungswesens bis zur Kritik bestehender Forschungsansätze. Die wissenschaftliche Erforschung des Stiftungswesens hat in den letzten Jahren erhebliche Fortschritte gemacht. Michael Borgoltes noch vor wenigen Jahren berechtigte Klage, die Forschungslage lasse allenfalls die Beschreibung der Geschichte von Stiftungen, nicht aber die des Stiftungswesens zu, verliert allmählich ihre Gültigkeit. Der hier vorgelegte Sammelband geht auf die Tagung .Diskontinuitäten im deutschen Stiftungswesen: Praxis, Forschung, gesellschaftliche Relevanz' zurück, die am 26. und 27. Januar 2007 vom Maecenata Institut an der Humboldt Universität zu Berlin veranstaltet wurde. Ziel dieser von der Gerda Henkel Stiftung, dem Kölner Gymnasialund Stiftungsfonds, der Kulturstiftung des Freistaates Sachsen und der University of Texas at Arlington geförderten Tagung war es, Wissenschaftler aus unterschiedlichen Disziplinen zusammenzuführen, die sich aus historischer und sozialwissenschaftlicher Perspektive mit der Entwicklung und der Relevanz des Stiftungswesens vor allem im 19. und 20. Jahrhundert befassen. Die hier versammelten Beiträge repräsentieren eine Auswahl der auf dieser Tagung vorgestellten Forschungen auf den drei Feldern Wohltätigkeit und Ausbildungsförderung, Kulturforderung sowie Bildungsförderung. Dabei hat sich gezeigt, dass sich die Frage nach der sozialgeschichtlichen Relevanz des deutschen Stiftungswesens, aber auch die nach seiner Bedeutung für die heutige Debatte zur Zivilgesellschaft am ergiebigsten im Kontext historischer Brüche und allgemeiner sozialer und politischer Veränderungsprozesse erörtern lässt. Für das Gelingen dieser Tagung und der Arbeit an diesem Sammelband sind die Tagungsveranstalter und Herausgeber vielen an diesem Projekt beteiligten Personen zu Dank verpflichtet: Zuerst gilt unser Dank den Referenten und den Autoren der Beiträge und Einleitungen zu den drei Kapiteln, die die in der Diskussion aufgeworfenen Fragestellungen und die von den Herausgebern formulierten Überarbeitungs-
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Vorwort
Vorschläge aufgegriffen haben. Bei Susanne Rindt bedanken wir uns für die Organisation der Tagung, bei Thomas Ebermann für die Koordination der Drucklegung des Bandes und bei Andrea Sorgenfrei für das Korrekturlesen der einzelnen Beiträge. Besonders danken wir der Gerda Henkel Stiftung für die Gewährung des Druckkostenzuschusses, ohne den dieser Band nicht hätte erscheinen können. Arlington, Dresden, Berlin, im September 2008 Thomas Adam, Manuel Frey, Rupert Graf Strachwitz
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Inhaltsverzeichnis Stiftungen im gesellschaftlichen Diskurs von Rupert Graf Strachwitz
I.
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Stiften im Interesse der Wohltätigkeit und der Ausbildungsförderung
Soziale Stiftungen von Andreas Ludwig
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Ausbildungsstiftungen in Barmen und Elberfeld von Stephen Pielhoff
23
Traditionen im Umbruch von Angela Schwarz
45
Stiftungen und Mäzenatentum zwischen Weimarer Republik und Drittem Reich von Michael Werner
71
II. Stiftungen in der Kulturförderung
Einleitung von Manuel Frey
97
Kommunale Verwaltung und Stiftungen am Beispiel Frankfurts am Main im ausgehenden 19. und frühen 20. Jahrhundert von Gudrun-Christine Schimpf
103
Korporative Kulturförderung in der frühen Bundesrepublik von Christine Bach
117
Vffl
Inhaltsverzeichnis
III. Stiftungen und Bildungsförderung
139
Einleitung von Gabriele Lingelbach
141
Mäzenatentum und Stiftungswesen an Leipziger Gymnasien und den sächsischen Fürstenschulen im 19. Jahrhundert von Jonas Flöter
147
Jüdische Stiftungsaktivitäten und Universitätsgründungen von Ralf Roth
161
Die volkswirtschaftliche Bedeutung von Stiftungen und „totem Kapital" von Thomas Adam
179
Autorenvereeichnis
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Stiftungen im gesellschaftlichen Diskurs Zur Rezeption und Akzeptanz der Institution Stiftung im 19. und 20. Jahrhundert Von Rupert Graf Strachwitz
I.
Einführung
„Für einen nach Totalität strebenden Staat - mag es Byzanz sein oder ein deutscher Fürstenstaat des 17., 18. und beginnenden 19. Jahrhunderts oder auch ein modemer totalitärer Staat wie das Dritte Reich - ist das Stiftungswesen eine wunderbare Gelegenheit, seinen Machtanspruch auszudehnen. Im 19. Jahrhundert, ganz besonders aber um die Wende vom 19. zum 20., wurden zahlreiche neue Stiftungen gegründet. Es scheint, dass die Emanzipation des Bürgertums ebenso wie die der Juden den Gedanken des Stiftens förderte. Hinzu trat eine erstmals wissenschaftliche Beschäftigung mit dieser Thematik. 2 Und doch durchlief das Stiftungswesen zugleich mit dem Entstehen des modernen Verfassungsstaates einen sich über mehrere Generationen hinziehenden Diskurs, der sich insbesondere auf die Legitimität und gesellschaftliche Funktion solcher, durch „Eigensinn"3 entstandenen Gebilde erstreckte. In dem Maße, in dem sich der Staat als „Sozial- und Interventionsstaat" 4 verstand, schwand die Akzeptanz von relativ unabhängigen Gebilden. „Das Interesse des Staates an einem umfassenden Machtmonopol, die Abneigung der Aufklärung gegen kirchliche Stiftungen (und Stiftungen überhaupt!), die kürzeren Perioden staatlicher Willensbildung und Aktion, die dem langen Atem der Stiftungen
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Hans Liermann, Die Staatsaufsicht über Stiftungen - ihre Aufgaben und ihre Grenzen, in: Blätter der Wohlfahrtspflege, 99. Jg., Stuttgart 1952, S. 38 Vgl. hierzu: Manuel Frey, Die Moral des Schenkens, in: Thomas Gaehtgens u. Martin Schieder (Hrsg.), Mäzenatisches Handeln, Studien zur Kultur des Bürgersinns in der Gesellschaft, Berlin 1998, S. 14 f. S. auch: Evgueni Preine, Stiftungsliteratur 1870-1914, in: Maecenata Actuell Nr. 58, 2006, S. 25 ff. Hegel verwendet den Begriff des Eigensinns in seiner .Phänomenologie des Geistes' (1807) in einem Kapitel, das mit .Selbstbewußtsein' überschrieben ist, genauer, in einem Abschnitt über .Selbstständigkeit und Unselbstständigkeit [sie] des Selbstbewußtseins; Herrschaft und Knechtschaft'. Der Kontext verrät, dass es Hegel darum geht, ob dem .Knecht' eigenständiges Handeln erlaubt ist und wie sich dieses artikuliert. Wörtlich heißt es dort: „Der eigne Sinn ist Eigensinn, eine Freiheit, welche noch innerhalb der Knechtschaft stehen bleibt." (Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Phänomenologie des Geistes [1807] 1832/Stuttgart 1964 (Jubiläumsausgabe, 2. Band) S. 158). Ob Hegel hier diesen Eigensinn als legitime Ausdrucksform sehen oder ihn als Ausdruck von Knechtschaft herabwürdigen will, bleibt zunächst offen; aus späteren Schriften, etwa der Rechtsphilosophie ([1820] 1833/Stuttgart 1964 (Jubiläumsausgabe, 7. Band) S. 60), kann eher auf eine fundamentale Skepsis gegenüber solch eigensinnigem i. S. von eigenmächtigem Handeln des Einzelnen geschlossen werden. Andreas Wirsching, Zwischen Entstaatlichung und Überforderung. Historische Überlegungen zum Staatsverständnis in Deutschland am Beginn des 21. Jahrhunderts, in: Maecenata Actuell Nr. 58, 2006, S. 4.
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Rupert Graf Strachwitz
widerstreiten - das alles wurde Stiftern und Stiftungen in der Neuzeit zum Verhängnis. Seit dem 16. und vermehrt seit dem 18. Jahrhundert geraten die Stiftungen in Europa in die Defensive."5 Die Stiftungen in ihrer Gesamtheit waren an dieser Entwicklung keineswegs unschuldig. „Überall dort, wo dieselben Menschen, wie es vor allem in den Städten der Fall war, die Stiftungen verwalteten und sie zugleich als Ratsmitglieder beaufsichtigten, rissen regelmäßig schwere Mißbräuche ein. Bei den häufigen Sitzungen ... spielten die ... üppigen ,Zehrungen' eine bedeutsame Rolle.... Unter diesen Umständen war es kein Wunder, daß der Polizeistaat Zugriff."6 Zunehmend gerieten die Stiftungen unter die Kontrolle des Staates und verloren ihre Rolle als selbständige, alternative, oft sehr mächtige Akteure im öffentlichen Raum. Dies ist teilweise aus der allgemeinen gesellschaftlichen Entwicklung erklärbar. Im Zuge der Rezeption der französischen Gesellschafts- und Staatsrechtslehre des 17. und 18. Jahrhunderts wird auch deren stiftungsfeindliche Tendenz sichtbar. „II faut... les détruire!" (Man muß sie vernichten), formuliert schon 1755 der Physiokrat Anne Robert Jacques Turgot, später Finanzminister Ludwig XVI. in der Encyclopédie7 Das republikanische Staatsmodell Frankreichs von 1791 beseitigte das Rechtsinstitut der Stiftung ebenso vollständig wie das des Vereins - im ersten Fall bis 1983. Im Mittelpunkt stand dabei das Ziel der ausschließlichen und unmittelbaren Bindung des Bürgers an seinen Staat und damit letztlich auch der universelle Herrschaftsanspruch des Staates. Repräsentativ für Deutschland, das den französischen Weg in dieser Konsequenz nicht mitgeht, ist Kant, der in seiner Metaphysik der Sitten schreibt: „Stiftungen ... können nicht auf ewige Zeiten fundiert und der Boden damit belästigt werden; sodann der Staat muß die Freiheit haben, sie nach dem Bedürfnisse der Zeit einzurichten."8 Privates gemeinschaftliches und öffentliches Handeln für das Allgemeinwohl blieb demnach akzeptabel, ja sogar wünschenswert, so wie es der hugenottisch-deutsche Physiokrat Jakob Mauvillon in seinen 1780 veröffentlichten Physiokratischen Briefen gefordert hatte: „Ich bin fest überzeugt, daß wenn man das Erziehungsgeschäft der eigenen Industrie überließe, wenn man weder Professoren, noch Rektoren und Konrektoren, weder öffentliche Schulen noch Universitäten hätte, wenn der Staat das Geld, das er dafür ausgibt, in die Hände der Privatpersonen ließe, um die Lehrer
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Hans Maier, Notwendigkeit und Luxus. Das spannungsreiche Verhältnis zwischen Staat und Stifter, in: Stifterverband fur die deutsche Wissenschaft (Hrsg.), Stifter und Staat, Essen 2005, S. 83. Liermann (1952) loc. cit. Zur Tradition der Verbindung zwischen Polizei und Stiftungswesen s. auch: Frank Rexroth, Stiftungen und die Frühgeschichte v o n Policey in spätmittelalterlichen Städten, in: Michael Borgolte (Hrsg.), Stiftungen und Stiftungswirklichkeiten - v o m Mittelalter bis zur Gegenwart, Berlin 2000, S. 112 f. A n n e Robert Jacques Turgot (1727-1781), Physiokrat, franz. Staatsmann und Ökonom, 1 7 5 5 - 1 7 5 6 einer v o n 140 Bearbeitern der Encyclopédie (hrsg. v o n Denis Diderot und Jean Baptiste le Rond d'Alembert 1751-1772 (28 Bde.). S. hierzu: Hans Liermann, Handbuch des Stiftungsrechts, Bd. 1: Geschichte des Stiftungsrechts, Tübingen [1963] 2002, S. 173. Immanuel Kant, Metaphysik der Sitten 1798 (2). S. 178 ff.
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der Kinder nach Verdienst und nach der Konkurrenz zu belohnen, so würde dieses Geschäft einen ganz anderen und viel vortrefflicheren Schwung bekommen."9 Damit ist der Spannungsbogen eröffnet. Ist autonomes privates Handeln in der und für die Gesellschaft nun für diese grundsätzlich von Vorteil oder von Nachteil? Erscheint es aus dem Blickwinkel des Macht- und Gestaltungsmonopols eines erstarkenden Staates tolerierbar? Über diese Fragen wird das ganze 19. und 20. Jahrhundert hindurch mehr oder minder heftig diskutiert. Stifter und Stiftungen sind Teil dieses Diskurses. Dabei geht es im Wesentlichen um die Frage, was denn eine Stiftung am Ende sei, Herrschaft der Toten über die Lebenden10, Einzelner über die Allgemeinheit oder interessante Facette in einer pluralistischen Gesellschaft. Für die Thematik der Kontinuitäten und Diskontinuitäten im Stiftungswesen knüpft sich daran die interessante Frage, ob und inwieweit die Stiftungen dadurch einen Bedeutungswandel durchlaufen oder ob und wenn ja um welchen Preis sie ihrer Grundbedeutung als an ihren Anfang gebundene Organisationen treu bleiben.
II.
Stiftungen und staatliche Aufsicht
Das Allgemeine Landrecht für die Preußischen Staaten von 1794 stellt einerseits fest: „Stiftungen, welche auf die Beförderung solcher schädlichen Neigungen (gemeint ist der „Müßiggang, besonders unter den niederen Volksklassen") abzielen, ist der Staat aufzuheben ... berechtigt." (19. Titel § 8), erkennt aber andererseits durchaus an, dass Stifter auftreten und die „innere Einrichtung" ihrer Stiftungen „nach Gutfinden anordnen" können, mit dem Zusatz, „soweit der Stifter nichts verordnet hat, gebühren ... diese Befugnisse dem Staat." (§ 33-36). Der Gesetzgeber verzichtet hier aufjede Definition. Was eine Stiftung ist, wird gleichsam als bekannt vorausgesetzt. Diese Scheu vor einer Festlegung zieht sich, so will es scheinen, durch das gesamte 19. und 20. Jahrhundert. Daher bleiben alte Stiftungstraditionen, wie am Institut der nicht rechtsfähigen Stiftung zu sehen ist, ohne rechtliche oder wissenschaftliche Würdigung bis heute unverändert bestehen, während sich andererseits aus der alten Anstaltsstiftung allmählich die Stiftung bürgerlichen Rechts entwickelt.11 Der in der Literatur viel zitierte „Städelfall", d.h. die durch Testament entstandene weltliche Stiftung als Trägerin einer Kultureinrichtung, ist nicht mehr als ein kleiner Schritt auf diesem Weg, obwohl durch das die Einrich9 Jakob Mauvillon, Physiokratische Briefe an den Herrn Professor Dohm, 17. Brief (Braunschweig 1780), Königstein 1979. S. 265. 10 Elisabeth Kraus, Aus Tradition modern, Zur Geschichte von Stiftungswesen und Mäzenatentum in Deutschland im 19. und 20. Jahrhundert, in: Felten/Hockerts/Körner/Müller/Schindling/Smolinsky (Hrsg.), Historisches Jahrbuch, 121. Jg. 2001, S. 410. 11 Friedrich Carl v. Savigny, System des heutigen Römischen Rechts, Bd. 2, Berlin 1840. S. hierzu insb. Andreas Richter, Rechtsfähige Stiftung und Charitable Corporation. Überlegungen zur Reform des deutschen Stiftungsrechts auf der Grundlage einer historisch-rechtsvergleichenden Untersuchung der Entstehung des modernen deutschen und amerikanischen Stiftungsmodells, Berlin 2001.
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Rupert Graf Strachwitz
tung begleitende Gerichtsverfahren einige Klarstellungen erfolgen, insbesondere zur staatlichen Aufsicht. 12 Staatliche Aufsicht ist der zentrale Oberbegriff, unter dem seit dem frühen 19. Jahrhundert die Auseinandersetzung zwischen Staat und Gesellschaft mit dem kulturellen Phänomen der Stiftung stattfindet. Zunächst ist diese Aufsicht den Stiftungen keineswegs eigentümlich. Vielmehr unterliegen alle Körperschaften, Vereine ebenso wie wirtschaftliche Unternehmungen, einer bis ins Detail gehenden Beaufsichtigung durch den Inhaber der hoheitlichen Gewalt, der sich als oberste Definitions- und Gestaltungsmacht des öffentlichen Lebens profiliert. Der nach Hegel alles überwölbende Staat greift in das Leben der Gesellschaft ein; Stiftungen als tendenziell autonome Gebilde, die auf Grund ihres eigenen Vermögens besonders befähigt sind, selbständig zu agieren, genießen insofern die besondere Aufmerksamkeit der Staatsmacht. Der Ausdruck .Stiftungspolizey' ist zu dieser Zeit durchaus gebräuchlich. Es bürgert sich gewohnheitsrechtlich ein, dass Stiftungen bereits für ihre Entstehung einer landesherrlichen Genehmigung bedürfen. 1833 wird in Preußen durch Gesetz bestimmt, dass neue Stiftungen mit einem Vermögen von über 1000 Talern nur mit staatlicher Genehmigung entstehen dürfen. Während alle übrigen Korporationen diese Beaufsichtigung nach und nach abschütteln können - herausragend die Vereine nach ihrem gewonnenen Kampf um die Vereinigungsfreiheit -, bleibt diese den Stiftungen zu einem wesentlichen Teil bis heute, wenngleich inzwischen in normierter und weniger eingreifender Weise.13 Die rechtsfähigen Stiftungen bürgerlichen Rechts unterliegen nach wie vor der Rechtsaufsicht durch ihr Sitzland, und zwar mit der Begründung, ihre Eigentümer- und Mitgliederlosigkeit führe zu einer Sonderstellung, die eine solche Beaufsichtigung unumgänglich erscheinen lasse.14 Schließlich würden Vereine von ihren Mitgliedern, Kapitalgesellschaften von ihren Eigentümern und selbst nicht rechtsfähige, von Treuhändern verwaltete Stiftungen von ihren Treugebern beaufsichtigt. Ob dies als Begründung ausreicht, mag dahinstehen. Festzuhalten ist, dass diese Staatsaufsicht zumindest ein erstaunliches Zeichen von Kontinuität über zwei Jahrhunderte darstellt, die die Entwicklung des Verfassungsstaates, die Kodifizierung des bürgerlichen Rechts, die Entstehung der Republik, die nationalsozialistische Diktatur und die von den Siegermächten gestaltete Nachkriegsordnung Deutschlands über-
12 Vgl. Rupert Graf Strachwitz, Die Stiftung des Barons von Brukenthal, in: Archiv für Familiengeschichtsforschung, 9. Jg., Heft 1, 2005. 13 Die gegen Ende des 19. Jahrhunderts entwickelte staatliche Einwirkung auf die Vermögensanlagepolitik der Stiftungen, insbesondere die Verpflichtung zur Investition in sog. mündelsichere Anlagen, wird erst in den 1990er Jahren aus dem letzten Landesstiftungsgesetz (Bayern) gestrichen. S. hierzu den Beitrag von Thomas Adam in diesem Band. 14 Seit 2002 ist durch eine Reform des BGB die vormalige Genehmigung von Neugründungen einer .Anerkennung' gewichen, ohne dass sich der Charakter des für die Rechtsfähigkeit konstitutiven Verwaltungsaktes dadurch geändert hätte. Neu ist lediglich, dass diese Anerkennung nicht mehr grundsätzlich im Ermessen der Landesbehörde liegt, sondern dass die Stiftung bei Vorliegen der formalen Voraussetzungen einen Anspruch darauf hat.
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dauert hat. Mag sein, dass diese Formel der kontrollierten Autonomie zugleich selbst für Kontinuität gesorgt hat, da zumindest den kurzfristigeren Rechtsordnungen des 20. Jahrhunderts eine grundlegende Änderung der Rahmenbedingungen nicht vordringlich erschien. Ob und inwieweit die so beaufsichtigten Stiftungen ihre Diskursfahigkeit eingebüßt haben und zu Erfüllungsgehilfen des Staates geworden sind, ist eine Forschungsfrage, die weit über den Rahmen dieses Beitrages hinausreicht. 15
III.
Die Rezeption des Stiftungsbegriffs im 19. Jahrhundert
Schaut man genauer auf den Begriff, der sich für den an öffentlichen Angelegenheiten Interessierten mit dem Stichwort Stiftung verbindet, so lassen sich durchaus Unterschiede feststellen. Überwiegt, anderen vorhandenen Beispielen zum Trotz, zu Beginn des 19. Jahrhunderts noch die Vorstellung von einer eher der Kirche zugeordneten, eher dem Wohlfahrtswesen verhafteten Anstaltsträgerin, so entwickelt sich, wie mehrere Beiträge in diesem Band zeigen, vor allem im Verlauf dieses Jahrhunderts allmählich die Vorstellung von einem vielseitig nutzbaren Instrument zur Operationalisierung gemeinwohlorientierter Ziele vielfältiger Art. Dabei wird sehr wohl auf ältere Traditionen zurückgegriffen, doch werden diese abgewandelt und ergänzt. Was eine Stiftung eigentlich ist, wird in diesem Zusammenhang stets als bekannt vorausgesetzt, obwohl phänomenologisch ganz erhebliche Unterschiede festgestellt werden können. So musste auch Zeitgenossen bewusst sein, dass zwischen einer weltlich-kulturellen Städel-Stiftung, einer Kirchenstiftung, deren Funktion sich auf das Eigentum an einem Kirchengebäude beschränkt, und etwa einer kommunal verwalteten Hauptgeldstiftung nur bei eingehender Betrachtung Gemeinsamkeiten herausgearbeitet werden können. Dass diese sich insbesondere auf die Gründungsbindung beziehen, war, so ist zu vermuten, nicht jedem bewußt, der sich zum Stiftungswesen äußerte, in welcher Form auch immer. So hat Kant ganz offenkundig bei seiner Kritik vornehmlich die Anstaltsträgerstiftung im Blick, die einen spürbaren Beitrag zum öffentlichen Dienstleistungsangebot einer Gemeinde leistet.16 Insofern ist schwer zu ermitteln, über was genau diskutiert wurde, wenn das Schicksal der Stiftungen Thema öffentlicher Debatten war. Im Folgenden soll daher der Versuch unternommen werden, dies ausschnittsweise anhand einer Auswertung des Begriffs .Stiftung' zu untersuchen, wie er in Konversations-Lexika des 19. und 20. Jahrhunderts dargestellt wurde. 17 Hierzu wurden 15 Vgl. Frank Adloff, Philipp Schwertmann, Rainer Sprengel, Rupert Graf Strachwitz: Visions and Roles of Foundations in Europe - The German Report. Berlin 2004. S. auch: Helmut K. Anheier, Siobhan Daly (ed.): The Politics of Foundations - A Comparative Analysis. London/New York 2007. 16 Rupert Graf Strachwitz, Die Stiftung in Kants Metaphysik der Sitten, in: Zeitschrift für Stiftungswesen, 5. Jg., 3/2007, S. 99. 17 Ähnliches hat Manuel Frey gewinnbringend mit einer Untersuchung von Einträgen unter dem Stichwort Mäzen/Maecenas versucht: Die Moral des Schenkens, in: Gaehtgens/Schieder, loc. cit. S. 11-29.
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Rupert Graf Strachwitz
30 Lexikoneinträge auf der Basis der Stichworte .Stiftung' und .Milde Stiftung' untersucht, die zwischen 1820 und 1996 erschienen, darunter 13 aus dem 19. und 17 aus dem 20. Jahrhundert, dazu zum Vergleich je eine aus dem 18. und 21. Jahrhundert. Es kommt dabei auf die breitere Rezeption des Stiftungsbegriffs gerade auch dann an, wenn die Interpretation dem Stand der juristischen oder historischen Forschung nicht entspricht oder schlicht fehlerhaft ist, anders gesagt, es ist nicht von primärer Bedeutung, ob die Beschreibung zutreffend ist oder nicht, sondern sie dient als Beleg dafür, was dem bürgerlichen Diskurs als Material zur Verfügung stand. Es ist offenkundig, dass die Autoren der Beiträge durchgehend einen juristischen, allenfalls rechtshistorischen, gewiß aber keinen geistesgeschichtlichen oder sozialwissenschaftlichen Zugang zu der Thematik haben. Von den im Wesentlichen herangezogenen Herausgebern Brockhaus und Meyer behandelt der erstere das Thema durchweg etwas ausfuhrlicher und mit höherem Anspruch. Die Analyse muss jedoch früher ansetzen. Johann Heinrich Zedlers .Großes Vollständiges Universal-Lexikon' (1739) verwendet den Begriff Stiftung überhaupt nicht, sondern subsummiert unter dem Begriff „Milde Sachen, lat. piae causae...", „was auf Kirchen, Schulen, Hospitäler, Lazarette, Waisenhäuser, ingleichen auf Studierende, ... Ausbesserung der Wege und Brücken ... gewendet und durch Stiftung, Schenkung oder letzten Willen vermacht wird, und sind alle diese Dinge in denen Rechten ganz besonders privilegieret, sodass ordentlicher Weise weder die sonst so genannte Verjährung, noch auch eine andere Ausflucht darwider stattfindet." 18 Vergleicht man diesen Eintrag mit dem knapp 80 Jahre später erschienenen Allgemeinen Deutschen Realenzyklopädie oder Konversationslexikon (1820), wo es unter dem Begriff Stiftung lapidar heißt: „Stiftung oder milde Stiftung (pia causa), eine Anstalt..." 19 , so läßt sich hier eine begriffliche Verengung feststellen. Interessant, übrigens auch für die Beurteilung des Städelfalles, ist aber das Folgende: „Eine milde Stiftung ist nur dann eine moralische Person und hat nur dann die Rechte derselben, wenn sie vom Landesherm gestiftet oder bestätigt ist."20 Es folgen relativ präzise juristische Kautelen, die darauf hindeuten, dass man sich mit dem Instrument und seinen Besonderheiten auseinandergesetzt hat. Hier ist die Bezeichnung der Körperschaft selbst als Stiftung eindeutig. In der 10. Auflage (1853) wird dies noch deutlicher: „Milde Stiftungen nennt man die durch die Willenserklärung einer Person festgesetzten und von der zuständigen Behörde bestätigten Verwendungen eines bestimmten Kapitals ..."21 Die Stiftung von Gebäuden oder das Stiften durch eine Vielzahl von Personen, als Reaktion auf entsprechende Bitten nach dem Vorbild Hermann August Franckes von 1698, ist ausgeklammert. In den Vordergrund tritt
18 Johann Heinrich Zedier, Großes vollständiges Universal-Lexikon, (Leipzig 1739) 1995, Bd. 21. S. 182. 19 Allgemeine Deutsche Real-Encyclopädie für die gebildeten Stände, Conversationslexikon (5. Originalausgabe, 10 Bde.), Leipzig: Brockhaus 1820, Bd. 9. S. 534 f. 20 Ibid. 21 Allgemeine Deutsche Real-Encyclopädie für die gebildeten Stände; Conversationslexikon (10. verb. u. verm. Aufl. in 15 Bd.), Leipzig: Brockhaus 1853, Bd. 10. S. 476.
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statt der Begriffsbestimmung und der Eröffnung von Möglichkeiten das Verhältnis zur Behörde. Im Weiteren kommt die Hinwendung zum Säkularstaat dadurch zum Ausdruck, dass auf „frühere Zeiten" und die Bindung von Stiftungen an die Kirche verwiesen wird. Die Ambivalenz der Betrachtung wird im Folgenden deutlich: „Der Name .Fromme Stiftungen' (piae causae) ist denselben wenigstens im amtlichen Ausdrucke geblieben, desgleichen die privat- und staatsrechtliche Ausnahmestellung, welche man jenen eingeräumt, ... die Stellung derselben unter den besonderen Schutz des Staates, womit eine Beaufsichtigung ihrer Verwaltung seitens des letzteren, sowie die Bürgschaft verbunden wird, daß ihr Vermögen niemals zum Staatsvermögen eingezogen oder für andere als stiftungsmäßige Zwecke verwendet werden solle." So der Eintrag im 10. Band.22 Es ist nicht auszuschließen, dass der Hinweis auf den lateinischen, dem Codex Justinianus entlehnten Begriff der pia causa für diesen Teil der Stiftungen seit dem frühen 19. Jahrhundert nicht nur die Existenz anderer Stiftungen deutlich machen sollte, sondern in Verbindung mit dem Traditionshinweis den Begriff vielleicht etwas übertrieben als Überschrift für das Stiftungswesen des Alten Reiches gesetzt hat. Der oft mit dem Städelschen Kunstinstitut in Verbindung gebrachte Bruch zwischen diesem und dem modernen Stiftungswesen war, so ist zu vermuten, aus Sicht von Zeitgenossen viel weniger stark erkennbar. Aus nicht mehr in vollem Umfang nachvollziehbaren Gründen haben die Bearbeiter nicht nur zwischen .Milden Stiftungen' und .Stiftungen' unterschieden, sondern die jeweiligen Texte auch nicht aufeinander abgestimmt: In Band 14 der gleichen Ausgabe heißt es unter dem Stichwort Stiftung: „Stiftung nennt man eine jede Anstalt, welche zu einem gemeinnützigen, wohltätigen, frommen, wenigstens erlaubten Zweck von einem oder mehreren mit den nötigen Mitteln ausgestattet ist, wie z.B. Universitäten, Schulen, ... Bibliotheken, Stipendien, Armenhäuser, Verteilungen, ... Gedächtnisfeiern, ... ewige Lampen u.dgl." 23 Und dann: „Einer besonderen landesherrlichen Bestätigung bedürfen solche Stiftungen in der Regel nicht; ihre Existenz wird durch den Willen des Stifters selbst rechtlich begründet. Der Staat hat aber das unstreitige Recht, Stiftungen aufzuheben, welche er aus irgendeinem Grunde nachteilig findet."24 Offenbar wird es hier für notwendig erachtet, zu der ungeklärten Frage Stellung zu nehmen, ob denn nun eine Genehmigung notwendig ist oder nicht. Schließlich: „In Privatstiftungen und deren Verwaltung sollte die Regierung, solange der Zweck nicht ein unerlaubter ist oder wird, nicht eingreifen; sie unterdrückt dadurch die Neigung zu solchen Stiftungen." 25 Die Einträge offenbaren die Ambivalenz der Auffassungen. Zwar scheint sich die Ansicht durchzusetzen, dass Stiftungen grundsätzlich eine staatliche Regulierungsmaterie darstellen, wie diese 22 Ebd. S. 476. 23 Allgemeine Deutsche Real-Encyclopädie für die gebildeten Stände; Conversationslexikon (10. verb. u. verm. Aufl. in 15 Bd.), Leipzig: Brockhaus 1853, Bd. 14, S. 487. 24 Ibid. 25 Ibid.
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aber ausgestaltet werden soll, ist noch nicht entschieden. Dabei wird auf die Situation der Stiftungen Rücksicht genommen, deren Dienstleistungsangebote unverzichtbar erschienen, auch wenn diese überwiegend kirchlichen Charakter trugen. Meyers Konversationslexikon (1860) übernimmt fast wörtlich die letzteren Einträge, während es beim Eintrag .Milde Stiftungen' klarstellt: „Milde Stiftungen (pia corpora), Stiftungen oder Anstalten, welche vom Staat oder von Gemeinden oder von Privatleuten zu irgendeinem frommen oder mildtätigen Zweck errichtet worden sind..." 26 Vergleichsweise ausfuhrlich dagegen behandelt das 1865 in Berlin erschienene Staats- und Gesellschaftslexikon die Stiftungen, allerdings zusammengefasst im Abschnitt „Stift, Stiftungen, fromme und milde Stiftungen", der sich überwiegend mit unmittelbar kirchlichen Stiftungen und deren kirchenrechtlichen Fragestellungen auseinandersetzt. 27 Immerhin versucht sich der Beitrag nach der fast wörtlichen Übernahme des Textes von 1860 an einer allgemeinen Definition: „In diesem weitesten Sinne ist der Begriff Stift gleichbedeutend mit Stiftung, und das Wesentliche beider besteht in dem Charakter des Andauerenden, des Bleibenden, wie des Erlaubten und Gemeinnützigen..."28 Entscheidend für das Spannungsverhältnis zur Gesellschaft ist der wieder verwendete Begriff des Erlaubten. Die Autonomie des Stifters findet, so wird deutlich, ihre Grenze in der passiven Übernahme eines wie auch immer, aber jedenfalls von anderer Stelle als zulässig definierten Begriffs. Am Ende des Beitrags erfolgt hierzu eine Präzisierung: „Unter den zu gemeinnützigen Zwecken fundierten ... Stiftungen ... sind besonders diejenigen hervorzuheben, denen ein religiöser oder menschenfreundlicher Zweck ... zu Grunde liegt und die dieserhalb fromme und wohltätige oder milde Stiftungen (piae causae) genannt werden. Gewöhnlich braucht es zur Etablierung solcher Stiftungen keiner besonderen staatlichen Genehmigung wie zu deijenigen anderer Stiftungen; indessen hat man sich in neuester Zeit veranlaßt gesehen, auch religiöse Stiftungen von der Genehmigung des Staats abhängig zu machen, insofern ... die Anhäufungen zu vieler Güter in der ,toten Hand' im Interesse der Allgemeinheit zu verhindern in die Lage gesetzt werden muß." 29 Turgots Abneigung erscheint in modifizierter Form, während Kants Appell offenkundig auf fruchtbaren Boden gefallen ist. Ein Blick auf die heute geltenden rechtlichen Rahmenbedingungen zeigt eine frappierende Kontinuität. Das 1867 erschienene Brockhaus Konversationslexikon hält sich an das bereits Gesagte, mit einem Zusatz: Stiftungen können sowohl vom Staate oder von polit. und religiösen Körperschaften als von Privaten unter Bestätigung der zuständigen Behörde gegründet sein." 30 Offenkundig mußte hier die Realität rezipiert werden, die 26 Neues Conversations-Lexikon für alle Stände: In Verbindung mit Staatsmännern .../... hrsg. von H. J. Meyer, Bd. 14, Orig.-Ausg, Hidburghausen (u.a.): Bibliogr. Inst., 1860, Bd. 11. S. 391. 27 Staats- und Gesellschafts-Lexikon / in Verbindung mit dt. Gelehrten und Staatsmännern hrsg. von Herrmann Wagener, in 20 Bd., Berlin: Heinicke, 1865, Bd. 20. S. 4-8. 28 Ebd. S. 4. 29 Ebd. S. 8. 30 Allgemeine deutsche Real-Encyklopädie für die gebildeten Stände: Conversations-Lexikon; in fünfzehn Bänden, Bd. 10, 11., umgearb., verb. und verm. Aufl., Leipzig: Brockhaus, 1867. S. 209.
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tatsächlich eine Fülle von Stiftertypen kannte. Die Unterscheidung zwischen milden und sonstigen Stiftungen wird auch in weiteren Lexikon-Einträgen durchgehalten. Im Übrigen aber sind die terminologischen Unsicherheiten und Widersprüche in jedem Eintrag wiederzufinden. Versuche, Stiftungen grundlegend neu zu beschreiben, finden sich nicht. Die Mitwirkung des Staates an der Gründung wird allerdings zunehmend stark betont: „... Stiftungen haben meist die Rechte juristischer Personen, welche ihnen jedoch ausdrücklich vom Staat verliehen werden müssen."31 Brockhaus weist 1892 ausdrücklich daraufhin, dass der Begriff Stiftung sowohl ein Vermögen bezeichnen kann als auch den Rechtsakt, „durch welchen ein Vermögen zu solchem Zweck von dem Stifter hergegeben wird".32 Hier wird auch erstmalig auf eine wichtige Unterscheidung hingewiesen: „Diese Widmung kann so erfolgen, daß das Vermögen unmittelbar diesem Zwecke dient,... oder so, daß die Nutzungen zu dem Zwecke verwendet werden" 33 - auch hier eine erstaunliche Kontinuität, denn diese Unterscheidung würden Stiftungsjuristen auch heute so treffen. Den Gesetzgebern, die 2002 mit der großen Geste der grundlegenden Neuerung aus der staatlichen Genehmigung eine Anerkennung machten, war wohl kaum Meyers Konversationslexikon in der 5. Auflage von 1897 vertraut, wo es heißt: „... Stiftungen haben, sofern sie staatlich genehmigt oder anerkannt, bestätigt sind, die Rechte juristischer Personen."34
IV.
Stiftungen im kodifizierten bürgerlichen Recht
Am 1. Januar 1900 trat das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) in Kraft, das zumindest die Stiftungen kodifizierte, die juristische Personen darstellten. Zum erstenmal galt in ganz Deutschland ein einheitliches Zivilrecht, zudem erstmals eins, das aus dem Rechtsdenken des Verfassungsstaates heraus entwickelt und nicht diesem vorausgegangen war. Jahrelange Vorarbeiten hatten zudem eine Zusammenführung unterschiedlicher Rechtstraditionen bewirkt, wobei sich überwiegend preußische Auffassungen durchgesetzt hatten. Preußen war zwar im Vergleich zu ausgeprägten Bürgerstädten wie Hamburg, Frankfurt oder Leipzig kein Land mit besonderer Stiftungstradition, doch erlebte es auch hier eine Blütezeit.35 In Preußen, Sachsen und anderen Ländern ent-
31 Meyers Konversations-Lexikon: eine Encyklopädie des allgemeinen Wissens, Bd. 11, 4., gänzlich umgearb. Aufl., Leipzig (u.a.): Bibliogr. Inst., 1888. S. 613. 32 Brockhaus' Konversations-Lexikon: in sechzehn Bänden. 14., vollst, neubearb. Aufl., rev. JubiläumsAusg. Leipzig (u.a.): Brockhaus, 1892. S. 358. 33 Ebd. S. 358. 34 Meyers Konversations-Lexikon: Ein Nachschlagewerk d. allgemeinen Wissens; mit mehr als 10500 Abb. im Text u. auf 1095 Bildertaf., Karten u. Plänen, Bd. 12, 5., gänzlich neubearb. Aufl. 1897. S. 301. 35 Dieter Hein, Das Stiftungswesen als Instrument bürgerlichen Handelns, in: Bernhard Kirchgässner/ Hans-Peter Becht (Hrsg.), Stadt und Mäzenatentum (Stadt in der Geschichte Bd. 23), Sigmaringen 1997, S. 89.
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Rupert Graf Strachwitz
standen erste Stiftungsverzeichnisse.36 So ist es nicht verwunderlich, dass das Stiftungsrecht und insbesondere die Staatsaufsicht über die Stiftungen ausdrücklich bei den Ländern verblieben. Zugleich war, so scheint es, mit dieser Kodifizierung die öffentliche Diskussion zum gesellschaftlichen Stellenwert von Stiftungen zu einem vorläufigen Abschluss gekommen. „Das Erstaunliche ... ist ... nicht so sehr der Anspruch des Staates auf Mitsprache, Gestaltungsmacht und Aufsicht..., sondern der ihm entgegenkommende, ihm zuarbeitende Gehorsam und Einordnungswille der Stifter. ... Daß die öffentliche Hand in Fragen der Wohlfahrt und des gemeinen Nutzens die besten Lösungen habe, gilt als unstrittige, kaum bezweifelte Geschäftsgrundlage zwischen Staat und Stiftungen." 37 Für die 6. Auflage (1909) wurde der Eintrag in Meyers Konversationslexikon notwendigerweise gründlich überarbeitet. Der Eintrag nennt ausdrücklich die Voraussetzungen für die staatliche Genehmigung, die sich nunmehr umfassend durchgesetzt hat. Darüber hinaus grenzt der Eintrag die Stiftung terminologisch von den Vereinen ab, die ebenfalls im BGB behandelt werden: „Stiftung ist eine nicht in einem Personenverband bestehende, mit juristischer Persönlichkeit ausgestattete Organisation zur Verwirklichung bestimmter Zwecke. In den meisten Fällen ist ein bestimmtes Vermögen für diesen Zweck durch ein Stiftungsgeschäft bestimmt." 38 Der Text gleicht in der Ignorierung anderer, vordem durchaus benannter Stiftungstypen den Ausführungen des BGB, weist aber bezüglich des Vermögens gleichzeitig auf die Möglichkeit einer Abweichung von der Regel hin. Die von Turgot bekämpfte Autonomie auf der Basis des Vermögens, die noch 1860 besondere Bemerkungen wert war, hat ihre Bedeutung eingebüßt. Dagegen ist der Anspruch der prinzipiellen Staatsaufsicht in den Mittelpunkt gerückt. Der sich herausbildende Wohlfahrtsstaat einschließlich seines komplexen Verhältnisses zu nichtstaatlichen Wohlfahrtsanbietern schlägt sich hier nieder. Der Erste Weltkrieg und seine Folgen hatten nicht nur für die Stiftungen selbst, sondern insbesondere auch für deren Wahrnehmung in der Gesellschaft eine große Bedeutung. Es überforderte nichtstaatliche Träger ganz offenkundig, die weit verbreitete Not der letzten Kriegs- und ersten Friedensjahre zu bekämpfen. Der Wohlfahrtsstaat in seiner umfassenden Ausprägung des 20. Jahrhunderts war insofern nicht nur das Ergebnis einer veränderten Staatstheorie, sondern auch die Antwort auf eine konkrete Situation. Stiftungen wurden durch diese Entwicklung zur Marginalie, der man sich aus der Sicht eines allgemeinen Diskurses kaum noch widmen musste. Der Grundsatz des Mäzens James Simon, „Wir müssen einstehen, wo der Staat überfordert ist!" war obsolet geworden.
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S. z.B. Karl Friedrich Rauer (Hrsg.), Preußisches Landbuch; Handnotizen über die im Lande Preußen bestehenden Wohlthätigkeitsanstalten [sie], milden und gemeinnützigen Stiftungen, Institute, Gesellschaften, Vereine etc., Berlin 1866. Oskar Hoffmann, Das Stiftungsauskunftsbuch, Dresden 1910. Vgl. hierzu Preine, Stiftungsliteratur, loc. cit. 37 Hans Maier, loc. cit., S. 87. 38 Meyers Großes Konversations-Lexikon: ein Nachschlagewerk des allgemeinen Wissens, Bd. 19, 6., gänzl. Neubearb. u. verm. Aufl., Neuer Abdr. Leipzig (u.a.): Bibliograph. Inst., 1909. S. 33.
Stiftungen im gesellschaftlichen Diskurs
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1929 verzichtet die 7. Auflage von Meyers Lexikon auf Definitionen und beschränkt sich auf praktische Hinweise: „Stiftung, mit juristischer Persönlichkeit ausgestattete Organisation, bezweckt Verwendung eines Vermögens ... nach dem Willen des Stifters."39 Etwas hilflos folgt ein Hinweis: „Mit der Aufgabe, Nachrichten über die im Deutschen Reich vorhandenen Stiftungen zu sammeln und zu veröffentlichen, bestand 1914 in Leipzig das Archiv der deutschen Stiftungen." 40 Ob es noch bestand, war dem Verfasser offenkundig unbekannt. Auch meint man, aus dem dürren Text eine Unsicherheit über die Auswirkungen einer republikanischen Verfassungsordnung, insbesondere aber des erstarkenden Wohlfahrtsstaatsprinzips herauslesen zu können. Der Große Brockhaus (1934) weist immerhin auf die unselbständige /fiduziarische Stiftung als Alternative hin, ebenso auf eine Reihe stiftungsrechtlicher Einzelheiten.41 Erstmals finden sich hier auch Literaturhinweise, allerdings sehr allgemeiner Art. Von Interesse ist der eigenständige Eintrag „Stiftung fiir die Opfer der Arbeit"42, gegründet am 1. Mai 1933. Hier kündigt sich das nationalsozialistische Stiften an, ebenso im „großen Herder" von 1935, der eine „Stiftung für deutsche Volks- und Kulturbodenforschung" mit einem eigenen Eintrag würdigt. 43 Es fällt auf, dass auch der NS-Staat, dem die autonome Stiftung ideologisch fremd sein musste, in einer Ambivalenz gegenüber dem Stiftungswesen verharrte, ja sogar selbst stiftete und diese Institution rechtlich nicht beseitigte.44 Auch 1938 berichtet der ,neue Brockhaus' 45 korrekt von beiden Stiftungstypen, ebenso der Volksbrockhaus 194146 und der ,neue Brockhaus' 1942 47 Bei den Einträgen in Lexika nach 1945 fällt auf, dass diese sich terminologisch und inhaltlich von früheren nicht nennenswert unterscheiden. Die Weiterentwicklung einer Stiftungstheorie, wie sie den fortlaufenden Einträgen im 19. Jahrhundert zu entnehmen ist, fehlt vollständig. Auffällig ist dagegen, dass die Einträge kürzer werden. Eigene Einträge erhalten jetzt etwa die Stiftung Deutsche Sporthilfe, die Stiftung Volkswagenwerk, die Stiftung Warentest oder die Stiftung Mitbestimmung. Der rein
39 Meyers Lexikon: in vollständig neuer Bearbeitung; mit etwa 5000 Textabbildungen und über 1000 Tafeln, Karten und Textbeilagen, Bd. 10, 7. Aufl., Leipzig: Bibliogr. Inst., 1929. S. 921. 40 Ibid. 41 Der große Brockhaus: Handbuch des Wissens in zwanzig Bänden, Bd. 18., 15., völlig neubearb. Aufl., Leipzig: Brockhaus, 1934. S. 176. 42 Ebd. S. 176. 43 Der große Herder: Nachschlagewerk fiir Wissen und Leben, 4., völlig neu bearb. Aufl. von Herders Konversationslexikon., Freiburg im Breisgau: Herder, 1935. S. 574. 44 Auch das Haus, in dem am 20. Januar 1942 die „Besprechung über die Hndlösung der Judenfrage" stattfand, die sog. Wannsee-Konferenz, gehörte zu dieser Zeit der SS-Stiftung Nordhav. S. hierzu insb. Peter Rawert u. Andrea Ajzenstejn, Stiftungsrecht im Nationalsozialismus, in: Axel Frhr. v. Campenhausen/Herbert Kronke/ Olaf Werner (Hrsg.), Stiftungen in Deutschland und Europa, Düsseldorf 1998, S. 157-183. 45 Der Neue Brockhaus: Allbuch in vier Bänden und einem Atlas, Bd. 4, 2. verb. Aufl., Leipzig: Brockhaus, 1938. S. 329. 46 Der Volks-Brockhaus; Deutsches Sach- u. Sprachwörterbuch. (Hrsg.: F. A. Brockhaus), 9. verb. Aufl. Leipzig: Brockhaus, 1941. S. 670. 47 Der Neue Brockhaus: Allbuch in 4 Bänden und einem Atlas, Bd. 4, 2. verb. Aufl., Leipzig: Brockhaus, 1942. S. 328.
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rechtstechnische Stil der Einträge, der sich seit Beginn des 20. Jahrhunderts herausgebildet hat, bleibt erhalten. Die Einträge in fünf Lexika der 1970er und 1980er Jahre lassen sich ohne weiteres summarisch abhandeln, da diese sich fast wörtlich gleichen und allesamt das Thema nicht für sonderlich erwähnenswert halten. Auch die früheren rechtshistorischen Verweise und Anknüpfungen fehlen vollständig. Erstmals findet sich im Brockhaus von 1973 48 ein knapper Hinweis auf Stiftungen in der DDR, während Hinweise auf das österreichische und Schweizer Stiftungsrecht schon seit den 1930er Jahren auftauchen. Auch gelegentliche Literaturhinweise beinhalten lange Zeit ausschließlich stiftungsrechtliche Titel; 1993 49 wird erstmals auf das 1991 erschienene 1. Verzeichnis der deutschen Stiftungen hingewiesen.
V.
Stiftungen und Gesellschaft
.„Staatsaufsicht' ist ein häßliches Wort. Es erinnert an Polizeiaufsicht und hängt sogar bis zu einem gewissen Grad damit zusammen. Deshalb ist es verständlich, daß in einer Zeit, welche die Freiheit der Person betont und bewußt pflegt, auch die Frage nach der Freiheit der juristischen Person und insbesondere einer ihrer wichtigsten Unterarten, der Stiftung, erneut diskutiert werden muß", schrieb Hans Liermann schon 1952.50 Es verdient festgehalten zu werden, dass das ambivalente Verhältnis der Gesellschaft zu Stiftungen bis heute besteht. Als Ausweg erscheint in Deutschland die staatliche Aufsicht einschließlich der Definition „erlaubter", bzw. heute „zulässiger" Zwecke sowie der Zustimmung zur Stiftungsgründung. Dazu gehört übrigens auch, der alten Forderung Kants entsprechend, das Recht, Stiftungen aufzulösen. Dieser Eingriffsanspruch wird, wie aus den Einträgen ohne weiteres abzulesen ist, im Verlauf des 19. Jahrhunderts zunehmend durchgesetzt und im Folgenden verteidigt. Die Staatsgewalt weist in diesem Punkt eine bemerkenswerte Kontinuität auf. Unterschiede, etwa zwischen dem monarchischen Staat, der Republik, dem NS-Staat und der neuerlichen Republik, sind kaum auszumachen, sieht man von der (in den Einträgen mit keinem Wort erwähnten) Aufhebung der so genannten jüdischen Stiftungen nach 1933 ab. Diese allerdings erfolgt auf der Grundlage des allgemeinen Interventionsrechts, das hier zu Lasten eines zuvor insgesamt als gemeinwohlschädlich erklärten Bevölkerungsteils exekutiert wird. (Lediglich die DDR hat nach 1949 in ihrem Territorium Stiftungen als solche sukzessive im Wesentlichen beseitigt.)
48 Brockhaus-Enzyklopädie: in zwanzig Bänden, Bd. 18, 17., völlig neubearb. Aufl., Wiesbaden: Brockhaus, 1973. S. 132. 49 Brockhaus-Enzyklopädie in 24 Bänden, Bd. 21, 19., völlig neu bearb. Aufl., Leipzig (u.a.): Brockhaus, 1993. S. 221. 50 Liermann (1952), loc. cit.
Stiftungen im gesellschaftlichen Diskurs
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Der große Aufschwung des bürgerlichen Stiftungswesens in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts wird in den Einträgen ebensowenig reflektiert wie sein Absturz nach 1918 und sein allmählicher Neubeginn nach 1945. Ob es viele oder wenige, große oder kleine, mächtige oder weniger mächtige Stiftungen gibt, scheint die Autoren der Einträge in keiner Weise interessiert zu haben. Dies mag auch für die Gesellschaft insgesamt gelten, die andernfalls mehr Information verlangt und in den stets überarbeiteten Neuauflagen auch erhalten hätte. Nach 1945 erlahmt das Interesse vollständig und nachhaltig - zumindest bis zum Ende des Jahrhunderts. Ob sich der seit etwa 2001 tatsächlich zu beobachtende Boom von Neugründungen und die vermehrte wissenschaftliche Aufmerksamkeit in Einträgen neuer Ausgaben niederschlagen werden, kann noch nicht beurteilt werden.51 Das sicher besonders schwach ausgeprägte Kommunikationsbedürfnis der Stiftungen selbst mag für diesen Befund mit ausschlaggebend sein. Letztlich waren aber wohl Stiftungen aus der Sicht der Gesellschaft durchgängig und zunehmend eine Marginalie, um die im Verhältnis zu anderen gesellschaftlichen Prozessen und Entwicklungen nicht sonderlich viel Aufhebens gemacht wurde. Sie hatten sich den Entwicklungen weitgehend anzupassen, konnten sie jedenfalls nicht mitgestalten. Das Entstehen von Stiftungen bleibt gesellschaftlich erwünscht, aber die Definitionshoheit über die Zulässigkeit von Zielen solcher Stiftungen liegt bei der Staatsmacht - bis heute unverändert geltender Grundsatz des Verhältnisses zwischen Staat und Stiftungen. Dass sich seit etwa 1990 mit dem Aufkeimen der Idee einer unabhängigen Zivilgesellschaft das Gewicht und die Legitimation der Stiftungen erneut verändert 52 , muß erst noch öffentlich rezipiert werden.
51 Der Wikipedia-Eintrag ist diesbezüglich nicht repräsentativ, da er vom Autor dieses Beitrags erstellt wurde. 52 Vgl. Antje Vollmer, Stiftungen im Dritten Sektor, Eine vormoderne Institution in der Bürgergesellschaft der Moderne, in: Rupert Graf Strachwitz (Hrsg.), Dritter Sektor - Dritte Kraft, Versuch einer Standortbestimmung, Stuttgart 1998, S. 57 ff. Siehe auch: Rupert Graf Strachwitz, Stiftungen in einer modernen Gesellschaft, Versuch einer Theoriebildung, in: Kohl/Kübler/Ott/Schmidt (Hrsg.), Zwischen Markt und Staat, Köln 2008. S. 725 ff.
I.
Stiften im Interesse der Wohltätigkeit und der Ausbildungsförderung
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Soziale Stiftungen Von Andreas Ludwig
Einleitung Stiftungen für Wohltätigkeit und Ausbildungsförderung gehörten zu den Kernaktivitäten bürgerschaftlichen Handelns f ü r die Allgemeinheit - zumindest gilt diese Aussage für das stiftungsintensive 19. Jahrhundert, aber auch (wieder) f ü r die Gegenwart. 1 Dieser Befund spiegelt die anhaltende Bedeutung des Sozialen in der gesellschaftlichen Realität wider. 2 Erst nach Phasen einer kirchlichen u n d später staatlichen Prägung bildete sich ab Ende des 18. Jahrhunderts eine bürgerlich-kommunale Organisation zur Bekämpfung der Armut heraus, die zunehmend als „soziale Frage" betrachtet wurde. 3 Besonders seit der Einführung der obligatorischen Armenfürsorge in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, in Preußen beispielsweise im Jahr 1842, erhielten die sozialen Stiftungen ihren Charakter als freiwillige Leistungen, die staatliches (und kommunales) Handeln ergänzten und im besten Falle initiierten. Diese generelle Entwicklung muss jedoch in mehrfacher Hinsicht differenziert werden: Erstens sind Stiftungen zum überwiegenden Teil ein städtisches Phänomen. Stiftungen für das ländliche Armenwesen waren eher selten, ebenso wie soziale Stiftungen, die auf Provinz- oder Reichsebene arbeiteten. Letztere spielten eine prominente, zahlenmäßig aber doch untergeordnete Rolle. In den Städten wurden die Stiftungen meist als selbständige Institutionen bürgerlichen Rechts gegründet, aber auch als so genannte unselbständige Zweckvermögen an bestehende Korporationen gegeben, zunächst vor allem die Stadtgemeinden, an bestehende Stiftungen, später vielfach auch an soziale Vereine.
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Maximilian Meyer: Statistik der Stiftungen im In-und Auslande, in: Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik, III. Folge, Bd. 42 (1910), S.666-705, hier S. 667 f. In Preußen allein in den Jahren 1905 bis 1909 115 Mio. M für Wohlfahrtsstiftungen, für Ausbildungsförderung und Schulen in den Jahren 1900 bis 1909 3 Mio M. Im Jahr 2004 waren von etwa 10.000 Stiftungen ein Drittel soziale Stiftungen, für Bildung waren es 19°/o, vgl. Jürgen Kocka: Die Rolle der Stiftungen in der Bürgergesellschaft der Zukunft, in: Aus Politik und Zeitgeschichte B 14/2004, S. 7, S.5. Unter den Bürgerstiftungen betrafen 38% die Jugendförderung, 14% Soziales, 12% Bildung und Erziehung, vgl. Süddeutsche Zeitung v. 2.5.2007, Beilage Stiftungen, S. 37. Zur aktuellen Debatte vgl. aus ganz unterschiedlichen Perspektiven u.a. die Themenschwerpunkte in Geschichte und Gesellschaft Jg. 33 (2007) oder in der Wochenzeitung Das Parlament, 2004, Nr. 33-34. Zu diesen historischen Prozessen immer noch unverzichtbar sind die hervorragenden Übersichtsdarstellungen von Hans Liermann: Handbuch des Stiftungsrechts, 1. Bd.: Geschichte des Stiftungsrechts, Tübingen 1963; Theo Schiller: Stiftungen im gesellschaftlichen Prozeß. Ein politikwissenschaftlicher Beitrag zu Recht, Soziologie und Sozialgeschichte der Stiftungen in Deutschland, Baden-Baden 1969. Zur Armenfrage generell Christoph Sachße, Florian Tennstedt: Geschichte der Armenfürsorge in Deutschland, 3 Bde., Stuttgart 1980-1992, darin auch Hinweise auf die Stiftungsfrage.
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Andreas Ludwig
Zweitens unterlagen diese städtischen Stiftungen einem erheblichen Wandel, der unmittelbar mit den rechtlichen Rahmenbedingungen und der öffentlichen Wahrnehmung der „sozialen Frage" verknüpft war. In Preußen beispielsweise hatte das Allgemeine Landrecht von 1794 den Städten die Verantwortlichkeit für das Armenwesen übertragen, aber erst die Städteordnung von 1808 garantierte die kommunale Selbstverwaltung und damit die Herausbildung einer vollständig eigenverantwortlichen Bürgerschaft. Es dauerte teilweise Jahrzehnte, bis sich diese Verantwortlichkeit in einer gestaltenden und nicht bloß reagierenden, örtlichen Armenpolitik niederschlug, und die den gesetzlichen Standards entsprach. Mitunter musste in diesem mühsamen Prozess eine soziale Grundversorgung überhaupt erst aufgebaut werden, wie besonders an Städten ohne ältere historische Wurzeln deutlich wird. Während die bereits bestehende Armenfürsorge in Städten wie Straßburg oder Münster im Laufe des 19. Jahrhunderts modernisiert und zugleich kommunalisiert wurde, 4 mussten andere, insbesondere schnell wachsende Industriegemeinden oder neue Stadtgründungen wie etwa Charlottenburg, Strukturen sozialer Fürsorge überhaupt erst entwickeln.5 Die Rolle sozialer Stiftungen variierte demnach notwendigerweise stark hinsichtlich ihrer Intensität, ihrer Gründungszeit und der Stiftungsschwerpunkte, da diese in verschiedene historische Entwicklungspfade und städtetypologische Strukturbesonderheiten integriert waren. Unter dem preußischen Armenrecht und seiner kommunal-öffentlichen obligatorischen Armenfürsorge, vor allem aber unter dem ab den 1850er Jahren zunehmend verbreiteten „Elberfelder System", bedeuteten Stiftungen freiwillige soziale Leistungen, die sich bewusst an die Bürger richteten, die keine öffentliche Unterstützung erhielten (Würdigkeitsprinzip). Erst mit dem reichsweiten Aufkommen einer „sozialen Frage" entwickelte sich ein Stiftungs- und Vereinswesen, das einerseits gestaltend in die Versorgung der städtischen Bevölkerung eingriff, andererseits eng mit der Kommunalverwaltung kooperierte. Die sozialen Stiftungen standen daher, drittens, im Kontext anderer sozial handelnder Institutionen und Organisationen. Sowohl die Stadtverwaltungen und Stadtverordnetenversammlungen als auch die Vereine und die verschiedenen Religionsgemeinschaften engagierten sich in der Bekämpfung sozialer Missstände. Im besten Falle verfolgten sie gemeinsame Ziele, wie sich an Beispielen wie Charlottenburg oder Frankfurt am Main deutlich zeigen lässt. Allerdings waren Stiftungen insbesondere im späten Kaiserreich häufig Bestandteil einer integrierten städtischen Sozialpolitik und zugleich ein Instrument bürgerlich-kommunalen Gestaltungswillens. Dieser konnte sich vor allem in solchen Städten entwickeln, die sowohl über ein stiftungs4
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Straßburg vor allem durch eine Reform seiner öffentlichen Armenversorgung; zu Münster vgl. u.a. Thomas Küster: Alte Armut und neues Bürgertum. Öffentliche und private Fürsorge in Münster von der Ära Fürstenberg bis zum Ersten Weltkrieg (1756-1914, Münster 1995 (= Studien zur Geschichte der Armenfürsorge und der Sozialpolitik in Münster, Bd. 2). Hier waren Stiftungen um 1800 an der Herausbildung einer sozialen Grundversorgung beteiligt, eine strikte Trennung von kommunaler und privater Fürsorge wurde erst ab Mitte des 19. Jhds. vollzogen, vgl. Andreas Ludwig: Der Fall Charlottenburg. Soziale Stiftungen im städtischen Kontext (1800-1950), Köln u.a. 2005 (= Städteforschung, Reihe A, Bd. 66).
Soziale Stiftungen
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fähiges und stiftungswilliges Bürgertum als auch über ein ausreichendes Steueraufkommen verfügten. Anders sah es in jungen Industriegemeinden aus, die zum Teil nur mit Mühe den Anforderungen der gesetzlichen Armenfürsorge entsprechen konnten. Dies führt zu der Frage, inwieweit es gelang, Stifterinnen und Stifter auf neue sozialpolitische Grundsätze zu verpflichten. In den meisten Fällen dominierte wohl ein traditionelles Stiftungsverhalten, das die persönlichen Motive der Stiftenden und ihr Bedürfnis nach Anerkennung und Memoria in Einklang zu bringen suchte. Ein Beispiel dafür sind die zahlreichen kleineren sozialen Stiftungen, die mit einer Grabpflege verbunden waren. Viertens waren wahrscheinlich auch persönliche Motive ein wesentlicher Grund für den Stiftungsboom im Kaiserreich. Einerseits waren größere Vermögen für Stiftungszwecke verfügbar, zum anderen erfolgte eine öffentliche Anerkennung der Stiftungen, da sie als Ausdruck einer standes- (und einkommens-)gemäßen Verantwortlichkeit wahrgenommen wurden. Die öffentliche Approbation durch Auszeichnungen und Titel, insbesondere die Verleihung des Kommerzienratstitels, machte das Stiften zu einem akzeptierten und nachahmenswerten Verhaltensmuster bürgerlicher Eliten, von dem Stifter wie Begünstigte gleichermaßen profitierten, wie Stephen Pielhoff in seinem Beitrag zeigt. Zu den individuellen Motiven fiir eine Stiftungsgründung gehörten ausdrücklich auch religiöse Beweggründe. Es wurde nicht nur kontinuierlich auf hohem Niveau für die evangelischen bzw. katholischen Kirchengemeinden und ihre Sozial- und Jugendarbeit gestiftet, sondern auch Stiftungen in Verbindung mit Grabpflegelegaten getätigt. Diese Stiftungen knüpften an die traditionelle Verantwortlichkeit für die Ortsarmen an. Ebenso verdeutlichten sie die voranschreitende Verweltlichung sozialer Stiftungen, indem sie sich beispielsweise an die Kirchengemeinden wandten, die Ausfuhrung des Stifterwillens jedoch der politischen Gemeinde übertrugen. Die Trennung des obligatorischen öffentlichen Armenwesens von einer freiwilligen kirchlichen Fürsorge in der Mitte des 19. Jahrhunderts führte durch die Aktivitäten der Inneren Mission sowie durch eine spezifische Zweckbestimmung sozialer Stiftungen für „christliche Arme" - sogar zu einer zwischenzeitlichen Stärkung des konfessionellen Charakters. Hinsichtlich der jüdischen sozialen Stiftungen lag der Fall anders, wie Angela Schwarz in ihrem Beitrag herausarbeitet. Hier hatte die Religionsgemeinde schon aufgrund rechtlicher Diskriminierungen einen Versorgungsauftrag für ihre Gemeindeglieder. Hinzu kam ein anderes Verständnis religiöser Pflichten, die schon zu Lebzeiten eine größere Aktivität des Individuums für die Bedürftigen erforderten. Im Zuge der Emanzipationsbewegung veränderten sich die Ziele jüdischer sozialer Stiftungen deutlich: von der Gemeindefürsorge hin zu gesamtstädtischen Für- und Vorsorgeleistungen, für deren Gewährung die konfessionelle Zugehörigkeit der Begünstigten keine Rolle mehr spielen sollte. Diese Stiftungszwecke „ohne Unterschied des Bekenntnisses" entsprachen zunehmend einem modernen, laizistischen, auf die Bürgergemeinde ausgerichteten, sozialreformerischen Stiftungsansatz. Dies korres-
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pondierte im Übrigen auch mit den veränderten Trägerschichten sozialer Stiftungen: Diese rekrutierten sich aus dem wohlhabenden städtischen Bürgertum, das über Vereine, Selbstverwaltungskörperschaften und gemeinsame städtische Entwicklungsziele vermehrt jüdische Mitbürger integrierte. Hier zeigt sich aber auch deutlich die immer wieder kritisierte Selbstreferentialität sozialer Stiftungen, da die Begünstigten meist in der eigenen sozialen Gruppe, dem Bürgertum, gesucht und gefunden wurden. So bezogen sich viele Stiftungen auf spezifisch bürgerliche Probleme, etwa auf die zunehmende Wohnungsnot, die Versorgung von Witwen und älteren Frauen, die Ausbildungsförderung mit Blick auf Studium und berufsqualifizierende Bildungsgänge, schließlich auf die „Würdigkeit", die eine Einhaltung bürgerlicher Verhaltensnormen bedeutete, was unter anderem den Verzicht auf öffentliche Unterstützung einschloss. Diese exklusiven Tendenzen sollten jedoch nicht als rein individualistische kritisiert werden, wie dies im Umfeld des „Deutschen Vereins für Armenpflege und Wohlthätigkeit" geschah,6 oder als lediglich klassenbezogenes Sicherungsnetz beurteilt werden, sondern sie müssen im Kontext der staatlich garantierten Armenftirsorge und der Sozialversicherungsgesetzgebung ab den 1880er Jahren betrachtet werden. Stiftungen zeigten im Verlauf des 19. und frühen 20. Jahrhunderts sowohl konservative Tendenzen wie auch eine erneuernde Kraft, die sich im breiten Spektrum der Stiftungszwecke widerspiegelte. Denn neben aller auf Außenwirkung bedachten Symbolik wollten die Stifterinnen und Stifter immer einen nachdrücklichen Beitrag zur Bekämpfung sozialer Probleme leisten. Die Spanne sozialer Stiftungen reichte von Kleinstlegaten von Todeswegen „für die Armen" bis hin zu Stiftungen für besondere Zwecke der sozialen Für- und Vorsorge. Die meisten Stiftungen gingen an die Stadtgemeinden, aber auch an soziale Vereine. Einige „Stifterprofile" zeigten ein komplexes Stiftungsverhalten, das alle genannten Aspekte beinhaltete, andere eine Konzentration der Mittel auf einen einzigen, oftmals sehr präzise als Versorgungsdefizit erkannten Zweck. Abschließend soll die Ausgangsfrage nach den Kontinuitäten und Diskontinuitäten des Stiftungswesens noch einmal betrachtet werden. Die Beiträge von Pielhof und Schwarz machen vor allem die Zeitgebundenheit sozialer Stiftungen deutlich: Diese wurden vor allem im 19. Jahrhundert in die Entwicklungsphasen des Bürgertums und die Herausbildung bürgerlich geprägter Städte integriert und entwickelten in dieser Zeit ihre spezifischen Formen und sozialen Ziele. In der Tat bedeuteten der Erste Weltkrieg und die nachfolgende Geldentwertung einen ersten massiven Bruch des sozialen Stiftungswesens in Deutschland. Während der Weimarer Republik kam es zu einer Stärkung des Sozialstaats auf Kosten der Kommunen. Im Verlauf der zwanziger Jahre konnte zwar eine Konsolidierung des weitgehend bis 1914/18 ent6
Arved Hmminghaus, Karl Flcsch: Die Behandlung der Armenstiftungen, Leipzig 1886 (= Schriften des Deutschen Vereins für Armenpflege und Wohlthätigkeit, H. 1); Stenographischer Bericht über die Verhandlungen der siebten Jahresversammlung des Deutschen Vereins für Armenpflege und Wohlthätigkeit am 21. und 22. September 1886 in Stuttgart, betreffend ... die Behandlung der Stiftungen, Stuttgart 1886 (= Schriften des Deutschen Vereins für Armenpflege und Wohlthätigkeit, H. 2).
Soziale Stiftungen
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wickelten Stiftungswesens erreicht werden, doch blieben neue Stiftungen eher die Ausnahme. Nicht nur war die Trägerschicht sozialer Stiftungen erodiert, auch die Zielgruppe hatte sich stark verändert. Somit könnte eine zunehmende Dysfunktionalität sozialer Stiftungen eingetreten sein, verbunden mit der Suche nach ihrer gesellschaftlichen Funktion. Diesem Aspekt wäre im Einzelnen noch näher nachzugehen. Michael Werner erörtert in diesem Band den komplizierten Rekonstruktionsprozess des Stiftungswesens während der Weimarer Republik und kommt zu einem insgesamt positiven Ergebnis. Dennoch hatten sich die historischen Rahmenbedingungen grundlegend verändert. Im nationalsozialistischen Deutschland schließlich wurden die sozialen Stiftungen „gleichgeschaltet", indem sie zunächst unter den Einfluss der nationalsozialistischen Volkswohlfahrt gerieten und später die Stiftungszwecke durch Inkorporation in Sammelstiftungen auch formal verändert wurden. Die schrittweise Zerstörung des jüdischen Stiftungswesens und die Bildung von Sammelstiftungen bedeuteten eine radikale Abkehr vom Prinzip der bürgerschaftlichen Verantwortung für das Gemeinwesen. Nach 1945 blieben soziale Stiftungen lange bedeutungslos, nicht nur, weil in der DDR die meisten Stiftungen aufgelöst wurden, sondern auch, weil die Währungsreform von 1948 in der Bundesrepublik zu einer Reduzierung von Stiftungsvermögen führte. Es wäre deshalb zu diskutieren, ob der gegenwärtige Stiftungsboom weniger unter dem Gesichtspunkt der Kontinuität, sondern vielmehr als Neuaufbau des sozialen Stiftungswesens zu interpretieren ist.
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Ausbildungsstiftungen in Barmen und Elberfeld: Zur Stiftungskultur des Wirtschaftsbürgertums im deutschen Kaiserreich Von Stephen Pielhoff
I.
Einleitung: Probleme und Begriffe
Stiftungen konstruieren Kontinuität, ihre memoriale Funktion ist retrospektiv und prospektiv zugleich. Stiftungen institutionalisieren Gabentauschbeziehungen, sowohl symbolische zwischen Lebenden und Toten als auch reale zwischen Lebenden im Zeichen von „Memoria".1 Mit jeder Unterstützungsleistung aus den Zinsen eines Stiftungskapitals wird die Erinnerung an den oder die Stifter und an den Anlass der Stiftung reproduziert und mit der Erwartung verbunden, Zukunft traditionell codiert zu gestalten, also die eigene Gegenwart symbolisch in ein Kontinuitätsmuster einzureihen und damit zu begründen.2 Dieser Anspruch auf Dauer manifestiert sich nicht zuletzt in der rechtlichen Privilegierung des Stifterwillens über den Tod hinaus.3 Gleichwohl zeigt die Stiftungsgeschichte, dass viele Stiftungen von innen und außen verändert wurden - beispielsweise durch zugestiftete Legate, eine Fusion zu städtischen Stiftungsfonds oder eine Umstiftung für andere Zwecke. Solche Aktualisierungen des Stifterwillens dürften eine wichtige Voraussetzung für die Langlebigkeit von Stiftungen sein. Denn als Institutionen symbolisch vermittelter Interaktion in der Gesellschaft sind Stiftungen eben nicht nur von ausreichender Dotierung, sicherer Kapitalanlage und kontinuierlicher Stiftungsverwaltung abhängig, sondern in erster Linie von gesellschaftlicher Anerkennung.4 Angesichts des langfristigen Wandels gesellschaftlicher Erwartungen dürfte in der Stiftungsgeschichte Kontinuität ohne Anpassung mithin die Ausnahme sein. Berücksichtigt man zudem die These der amerikanischen Soziologin Lynne G. Zucker, dass soziale Systeme im Allgemeinen eben
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Vgl. Otto Gerhard Oexle, Memoria als Kultur, in: Ders. (Hg.), Memoria als Kultur, Göttingen 1995, S. 978, hier S. 50; Frank Hatje, Stiftung, Stadt und Bürgertum. „Konjunkturen" karitativer Stiftungen vom 16. bis 19. Jahrhundert, in: Die alte Stadt 33 (2006), S. 219-248, hier S. 225f. u. 230f. Vgl. dazu Bernhard Giesen, Kollektive Identität. Die Intellektuellen und die Nation, Frankfurt/M. 1999, S. 42-46. Vgl. Herfried Münkler, Anstifter, Unruhestifter. Wie Stiftungen Veränderungen bewegen, in: Merkur 61 (2007), S. 200-209, hier S. 200; Michael Borgolte, Der König als Stifter. Streiflichter auf die Geschichte des Willens, in: Ders. (Hg.), Stiftungen und Stiftungswirklichkeiten: Vom Mittelalter bis zur Gegenwart, Berlin 2000, S. 39-58, hier S. 40f. Zur Theorie der Anerkennung vgl. Axel Honneth, Kampf um Anerkennung. Zur moralischen Grammatik sozialer Konflikte, 2. Aufl., Frankfurt/M. 1998; Zur Engführung von Gaben- und Anerkennungstheorie vgl. Paul Ricceur, Wege der Anerkennung. Erkennen, Wiedererkennen, Anerkanntsein, Franfurt/M. 2006, S. 274-306; Stephen Pielhoff, Schwierige Geschenke. Anerkennungskonflikte zwischen Avantgardekünstlern, Vermittlern und Mäzenen im wilhelminischen Kaiserreich, in: Kulturpoetik. Zeitschrift für kulturgeschichtliche Literaturwissenschaft 7 (2007), S. 179-198, hier S. 182-185.
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Stephen Pielhoff
nicht - wie meistens behauptet - zur Stabilität, sondern zur Entropie tendieren, 5 dann erscheinen Diskontinuitäten im Stiftungswesen keineswegs als Sonderfälle der Stiftungsgeschichte. Im Zuge der Renaissance des Begriffs „Zivilgesellschaft" seit Anfang der 1990er Jahre nahm die soziale Anerkennung stifterischen Engagements zu. Vor allem im anti-etatistischen Diskurs liberaler und konservativer Autoren wurden Stiftungen als „Widerlager" gegen „Verstaatlichungsdruck" und angebliche „Verantwortungsmüdigkeit" gelobt und als Katalysatoren zivilgesellschaftlicher Entwicklungen apostrophiert, weil sie „aus eigener Kraft" und in relativer Autonomie handeln könnten. 6 Aber auch jenseits ideologisierender Vereinnahmung wuchs das Interesse an der Geschichte von Stiftungen, wobei der Schwerpunkt zunächst auf der Erforschung karitativer Stiftungen zur Armenfiirsorge in Städten des Mittelalters und der frühen Neuzeit lag. 7 Der Gründungsboom sozialer Stiftungen im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert geriet zudem in den Fokus der Stadt- und Urbanisierungsgeschichte, die die Genese der „Sozialstadt" im Kaiserreich untersuchte und in diesem Zusammenhang auch nach der Initiativ- und Innovationsfunktion stifterischen Handelns fragte.8 Darüber hinaus wurden Stiftungen von der Bürgertumsforschung entdeckt, als „gemeinbürgerliches Phänomen" 9 des 19. Jahrhunderts identifiziert und unter den weiten Oberbegriff bürgerlichen „Mäzenatentums" subsumiert, der sowohl so5
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Vgl. Lynne G. Zucker, Where do institutional patterns come from? Organizations as actors in social systems, in: Dies. (Hg.), Institutional Pattems and Organizations. Culture and Environment, Cambridge/MA 1988, S. 23-49; Raimund Hasse/Georg Krücken, Neo-lnstitutionalismus, 2.Aufl., Bielefeld 2005, S. 64-67. Gute Beispiele für die liberal-konservative Ideologisierung von Stiftungen sind: Joachim Fest, Einführung, in: Ders. (Hg.), Die großen Stifter, Berlin 1997, S. 7-24; Georg Picht, Stiftungen in Erziehung und Bildung, in: Merkur 53 (1999), S. 1084-1094; auch Ralf Dahrendorf, Das Zerbrechen der Ligaturen und die Utopie der Weltbürgergesellschaft, in: Ulrich Beck/Elisabeth Beck-Gemsheim (Hg.), Riskante Freiheiten. Individualisierung in modernen Gesellschaften, Frankfurt/M. 1994, S. 421-436. Zu nennen wären hier beispielsweise die Forschungen Michael Borgoltes, Franz-Josef Jacobis und Frank Hatjes. Vgl. Michael Borgolte (Hg.), Stiftungen und Stiftungswirklichkeiten. Vom Mittelalter bis zur Gegenwart, Berlin 2000; Ders. (Hg.), Stiftungen in Christentum, Judentum und Islam vor der Moderne. Auf der Suche nach ihren Gemeinsamkeiten und Unterschieden in religiösen Grundlagen, praktischen Zwecken und historischen Transformationen, Berlin 2005; Franz-Josef Jakobi u.a. (Hg.), Stiftungen und Armenfürsorge in Münster vor 1800, Münster 1996; Ders. u.a. (Hg.), Strukturwandel der Armenfürsorge und der Stiftungswirklichkeiten in Münster im Laufe der Jahrhunderte, Münster 2002; Frank Hatje, „Gott zu Ehren, der Armut zum Besten". Hospital zum Heiligen Geist und Marien-Magdalenen-Kloster in der Geschichte Hamburgs vom Mittelalter bis in die Gegenwart, Hamburg 2002.
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Vgl. beispielsweise Wolfgang Hofmann/Andreas Ludwig, Soziale Stiftungen und ihr Beitrag zur Gestaltung der städtischen sozialen Daseinsvorsorge im 19. und frühen 20. Jahrhundert (am Beispiel Charlottenburgs), in: Jürgen Reulecke (Hg.), Die Stadt als Dienstleistungszentrum. Beiträge zur Geschichte der „Sozialstadt" in Deutschland im 19. und frühen 20. Jahrhundert, St. Katharinen 1995, S. 281-324; Andreas Ludwig, Der Fall Charlottenburg. Soziale Stiftungen im städtischen Kontext (1800-1950), Köln u.a. 2005; Stephen Pielhoff, Patemalismus und Stadtarmut. Armutswahmehmung und Privatwohltätigkeit im Hamburger Bürgertum 1830-1914, Hamburg 1999, S. 324-336 u. 371-175 Ewald Frie u. Thomas Küster, Privatwohltätigkeit und Kommunalisierung. Die Modernisierung öffentlicher Armenfürsorge im 19. Jahrhundert am Beispiel der Stadt Münster, in: Westfälische Forschungen 40 (1990), S. 645-660. So Dieter Hein, Das Stiftungswesen als Instrument bürgerlichen Handelns, in: Hans Peter Becht/Bemhard Kirchgässner (Hg.), Stadt und Mäzenatentum, Sigmaringen 1997, S. 75-92, hier S. 76.
Ausbildungsstiftungen in Barmen und Elberfeld
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ziales als auch kulturelles Privatengagement umfassen sollte.10 Da die Suche nach der kulturellen Identität des Bürgertums - dieser im Grunde heterogenen und schwer auf einen gemeinsamen Nenner zu bringenden Sozialformation - im Vordergrund dieser bürgertumsgeschichtlichen Fragestellung stand, konzentrierte man sich vor allem auf das sozial oder kulturell engagierte Zusammenwirken von Wirtschafts- und Bildungsbürgern in Vereinen, ehrenamtlichen Institutionen, bei Sammlungen und in kollektiven Stiftungen. Mit anderen Worten: Das aus den Forschungen zur Bürgertumsgeschichte entwickelte Interesse an einer Geschichte der „Zivilgesellschaft" fragte in erster Linie nach den Organisationsformen und Institutionalisierungsprozessen privaten Engagements. Gemeinsinn an sich wurde folglich als die „politische Essenz" von „Bürgerlichkeit" verstanden.11 Die semantische Annäherung von per se diffusen Begriffen wie „Bürgersinn" und „Gemeinsinn" wurde dafür in Kauf genommen. Die Befürworter metatheoretischer Oberbegriffe, die die begriffliche Differenzierung zwischen sozialen und kulturellen Zwecken bürgerlichen Privatengagements erschweren (oder zweitrangig erscheinen lassen), können nicht zu Unrecht auf die Tatsache verweisen, dass es Spender und Stifter im Bürgertum gab, die beide Felder bedachten, also beispielsweise die Stadtmission oder die private Armenfürsorge ebenso unterstützen wie das städtische Kunstmuseum oder den Bau einer Konzerthalle. Umso beklagenswerter ist es, dass empirische Daten zur quantitativen Analyse individueller Spender- und Stifterprofile noch immer zu den Forschungsdesideraten gehören. Schon deshalb ist unser Wissen über die Relation der unterschiedlichen Zwecke privaten Engagements nicht detailliert genug. Allerdings sollte der Wunsch nach einer Differenzierung zwischen sozialen und kulturellen Zwecken der Unterstützung auch nicht übertrieben werden: Wer zum Beispiel einen armen Künstler durch Bilderkäufe, Stipendien oder Aufträge unterstützt und dessen Bilder später einem öffentlichen Kunstmuseum schenkt, verbindet soziales mit kulturellem Engagement. Heutzutage würden wir unsere Bewertung in der Regel von der Begabung des Künstlers abhängig machen. Je unbegabter er wäre, desto karitativer erschiene der Entschluss, ihn dennoch zu unterstützen. Je begabter er wäre, desto größer fiele das kulturelle Kapital seiner Gegengabe aus - und umso wertvoller und prestigeträchtiger erschiene die mäzenatische Schenkung als Beitrag zur Kulturförderung im
10 Vgl. Manuel Frey, Die Moral des Schenkens, in: Thomas W. Gaehtgens/Martin Schieder (Hg.), Mäzenatisches Handeln. Studien zur Kultur des Bürgersinns in der Gesellschaft, Berlin 1998, S. 11-29, hier S. 21; Jürgen Kocka/Manuel Frey, Einleitung und einige Ergebnisse, in: Dies. (Hg.), Bürgerkultur und Mäzenatentum im 19. Jahrhundert, Berlin 1998, S. 7-17, hier S. 7f. Zur Begriffskritik vgl. Thomas Adam, Stiften in deutschen Bürgerstädten vor dem Ersten Weltkrieg. Das Beispiel Leipzig, in: GG 22 (2007), S. 46-72, hier S. 46-48 u. 52; Hatje, Stiftung, S. 226 (Anm. 32); Stephen Pielhoff, Bürgerliches Mäzenatentum und kommunale Kulturpolitik in Dortmund und Münster 1871-1933, in: Mitteilungsblatt des ISB 28 (2003), S. 37-79, hier S. 40. 11 Vgl. Jürgen Kocka, Bürger als Mäzene. Ein historische Forschungsproblem, in: Gaehtgens/Schieder, Mäzenatisches Handeln, S. 30-38, hier S. 35-37; Manuel Frey, Vom Gemeinwohl zum Gemeinsinn. Das Beispiel der Stifter und Mäzene im 19. und 20. Jahrhundert, in: Herfried Münkler/Harald Bluhm (Hg.), Gemeinwohl und Gemeinsinn. Historische Semantiken politischer Leitbegriffe, Berlin 2001, S. 275301, hier S. 275.
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Stephen Pielhoff
Nachhinein. Auch in der gegenwärtigen Wissenschaftsforderung werden Stipendien in der Regel als Begabtenförderung verstanden und auch von den Geforderten selbst entsprechend öffentlich dokumentiert. Der Grundstein für dieses Selbstverständnis wurde Mitte der 1920er Jahre mit der Studienstiftung des deutschen Volkes gelegt. 12 Dagegen fielen noch im Kaiserreich die materielle „Bedürftigkeit", die moralische „Würdigkeit", die Ortsgebürtigkeit und die Klassenzugehörigkeit zu bürgerlichen oder kleinbürgerlichen Familien, die vom sozialen Abstieg bedroht waren, bei der Bewilligung von Ausbildungsstipendien in der Regel stärker ins Gewicht als hohe Begabung und Talent.13 Vor diesem Hintergrund untersucht der folgende Beitrag die Geschichte von Stiftungen zur Ausbildungsförderung in Barmen und Elberfeld während des Kaiserreiches,14 ein in zweifacher Hinsicht vernachlässigtes Thema. Denn von der historischen Schulund Bildungsforschung werden Ausbildungsstiftungen als Thema gerade erst entdeckt;15 und aus bürgertumsgeschichtlicher Perspektive fällt auf, dass Barmen und Elberfeld von den großen Forschungsprojekten der 1980er und 1990er Jahre weitgehend vernachlässigt wurden. 16 Was umso erstaunlicher ist, da Barmen als eine der ersten großen Industriestädte der Frühindustrialisierung und Elberfeld als bedeutende Handelsstadt seit Mitte der 1880er Jahre mit jeweils über 100.000 Einwohnern zu den Großstädten in Deutschland zählten. Tab. 1: Einwohnerzahlen in Elberfeld und Barmen (Kaiserreich) 17
1871
1885
1895
1905
1910
Elberfeld
71384
106499
139337
162853
170195
Barmen
74449
103068
126992
156080
169214
12 Vgl. dazu Rolf-Ulrich Kunze, Die Studienstiftung des deutschen Volkes seit 1925. Zur Geschichte der HochbegabtenfÖrderung in Deutschland, Berlin 2001. 13 Vgl. Stephen Pielhoff, Zwischen Bedürftigkeit und Begabung. Ausbildungsförderang als Aufgabe bürgerlicher Privatwohltätigkeit in Hamburg, Dortmund und Münster 1871-1925, in: Jonas Flöter/Christian Ritzi (Hg.), Bildungsmäzenatentum. Privates Handeln, Bürgersinn, kulturelle Kompetenz seit der Frühen Neuzeit, Köln u.a. 2007, S. 311-343. 14 In erster Linie wurde dafür der Bestand F VI des Stadtarchivs Wuppertal [StdAW] gesichtet, wobei ein Verzeichnis aller Stiftungen und Schenkungen für die Stadt Elberfeld besonders gute Dienste leistete. Vgl. StdAW, F VI 423 Bd. 1 u. 2. 15 Vgl. dazu Jonas Flöter, Einleitung, in: Flöter/Ritzi, Bildungsmäzenatentum, S. 11-23. 16 Für Barmen vgl. immer noch Wolfgang Köllmann, Sozialgeschichte der Stadt Barmen im ^ . J a h r h u n dert, Tübingen 1960; Jürgen Reulecke, Die wirtschaftliche Entwicklung der Stadt Barmen von 1910 bis 1925, Neustadt a.d. Aisch 1973. Für Elberfeld fehlt eine moderne Bürgertumsgeschichte des „langen" 19. Jahrhunderts. Vgl. aber Karl-Hermann Beeck (Hg.), Gründerzeit. Versuch einer Grenzbestimmung im Wuppertal, Köln 1984; Heinrich Born (Hg.), Die Stadt Elberfeld. Festschrift zur DreijahrhundertFeier 1910, Elberfeld 1910. 17 Zahlenangaben nach Wolfgang Köllmann, Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Stadt Wuppertal von den Anfängen bis zum Ersten Weltkrieg, in: Heimatchronik der Stadt Wuppertal, Köln 1959, S. 134227, hier S. 221; vgl. außerdem Hermann de Buhr, Sozialer Wandel und Moderne in Wuppertal, in: Beeck (Hg.), Gründerzeit, S. 42-63, hier S. 42-46; für Barmen außerdem Wolfgang Köllmann, Sozialgeschichte, S. 70-106.
Ausbildungsstiftungen in Barmen und Elberfeld
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Kurz vor dem Ersten Weltkrieg verfügten Elberfeld und Barmen über ein Stiftungsvermögen von 4,17 bzw. 2,23 Mio. Mark, 18 eine Summe, die die eng miteinander vernetzten Nachbarstädte zusammen genommen unter die ersten zehn deutschen Städte brachte. 1913 kamen in Elberfeld rund 15,3 Prozent (636.470 M) des Stiftungsvermögens Ausbildungszwecken zugute, während in Barmen knapp 12 Prozent (265.258 M) für die Ausbildungsförderung vorgesehen waren. 19 Seit Mitte der 1880er Jahre gab es in beiden Städten voll ausdifferenzierte Schulsysteme und ein breit gefächertes Angebot an technischen, gewerblichen und kaufmännischen Fach- und Fortbildungsschulen, an dem sich der Staat, die Kommunen und die Handelskammern finanziell beteiligten. 20 Fast jede dieser Schulen wurde zudem durch private Stiftungen und Schenkungen unterstützt. II.
Ausbildungsstiftungen in Barmen und die Stiftungen Ludwig Ringels ( 1 8 7 9 - 1 9 0 4 )
Während meist kleinere Legate zur finanziellen Unterstützung von Schulen, Lehrern und Lehrerwitwen auf der Ebene einiger Barmer Kirchengemeinden seit dem frühen 18. Jahrhundert namentlich dokumentiert sind, 21 finden sich größere Stiftungsgründungen zur Ausbildungsforderung in Barmen erst im Kaiserreich. Den Anfang machten die Banner Stadtverordneten, als sie im Mai 1879 anlässlich der bevorstehenden goldenen Hochzeit von Wilhelm I. und Kaiserin Augusta 6000 M als Startkapital einer städtischen Stiftung für Universitätsstipendien bewilligten.22 Das Stipendium wurde beschränkt auf zugleich „bedürftige" und - „durch Wandel, Fleiß und erworbene Kenntnisse" - als „würdig" qualifizierte Söhne Barmer Bürger, die an einer deutschen Universität oder an einer Technischen Hochschule studieren wollten. Während des Studiums sollten die Stipendiaten pro Semester mindestens 200 M und höchstens 400 M erhalten und
18 Zahlenangaben nach Hatje, Stiftung, S. 221. 19 Für Elberfeld 4170000=100; Für Bramen 2230000=100. Zur privaten Ausbildungsförderung vgl. die Tab. A u. C im Anhang. 20 Vgl. dazu Köllmann, Sozialgeschichte, S. 278f; Heinrich Boemer, Schulen und Bildungswesen, in: Born, Stadt Elberfeld, S. 335-384. Zur Institutionalisierung und Ausdifferenzierung des höheren Schulsystems im Kaiserreich vgl. die entsprechenden Artikel in: Handbuch der deutschen Bildungsgeschichte, Bd. IV, hg. v. Christa Berg, München 1991, S. 228-313; Zur Schulentwicklung in der Provinz Westfalen und der Rheinprovinz vgl. Ulrich G. Herrmann/Detlef K. Müller, Regionale Differenzierung und gesamtstaatliche Systembildung. Preußen und seine Provinzen - Deutsches Reich und seine Staaten, 1800-1945, Göttingen 2003, S. 119-127. Weniger gut erforscht ist das Fach- und Fortbildungsschulwesen zur Berufsausbildung. Eine kurze Einführung bieten die Artikel in Berg, Bildungsgeschichte IV, S. 380ff, 389ff u. 404ff; anregend zur Etablierung der Handelshochschulen ist aus bürgertumsgeschichtlicher Sicht: Heike Franz, Zwischen Markt und Profession. Betriebswirte in Deutschland im Spannungsfeld von Bildungs- und Wirtschaftsbürgertum (1900-1945), Göttingen 1998, S. 25-50; faktenreich ist: Christiane Schiersmann, Zur Sozialgeschichte der preußischen Provinzial-Gewerbeschulen im 19. Jahrhundert, Weinheim u.a. 1979. 21 Vgl. die Listen der lutherischen Gemeinden Wichlinghausen (1708-1877) und Wupperfeld (1764-1876) sowie der reformierten Gemeinde Gemarke (1713-1877) in: StdAW, F VI 27. 22 Vgl. die Beschlüsse der Barmer Stadtverordnetenversammlung vom 20.5. und 10.6.1879 in: StdAW, F VI 34.
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Stephen Pielhoff
maximal drei Jahre lang gefordert werden.23 Anlässlich des Ausscheidens des Barmer Oberbürgermeisters Wilhelm August Bredt wurde dieser städtische Stipendienfonds im selben Jahr durch eine Stiftung von 30000 M für Universitätsstipendien in städtischer Verwaltung aufgestockt. 24 Als Prüfungsgremium arbeitete für beide Stiftungen die städtische Finanzkommission für Unterstützungsgesuche, welche abschließend von der Stadtverordnetenversammlung bewilligt werden mussten.25 In den 1880er Jahren sowie Anfang des 20. Jahrhunderts folgten weitere private Stiftungen für Ausbildungsforderungen (vgl. Tab. A im Anhang), so dass seit 1904 durch die Stiftungen für das Schulwesen in städtischer Verwaltung ein Kapital von rund 265.000 M für diverse Zwecke der Ausbildungsförderung zu Verfügung stand. Rund 33 Prozent (90.000M) dieser Gesamtsumme galten der Förderung des Kleinkinderschulwesens und gingen allein auf zwei Stiftungen Ludwig Ringels zurück.26 Die Versorgung mit Universitätsstipendien für die Abiturienten des Gymnasiums und des Realgymnasiums in Barmen basierte dagegen auf sechs Stiftungen,27 die zusammen ein Kapital von 85.000 M (32 Prozent) repräsentierten. Der dritte Hauptzweck der Schulstiftungen galt der Förderung des Fachschulwesens in Barmen (20 Prozent bzw. 53.000 M), d.h. der Gewerbeschule (15.000 M),28 der Handwerker- und Kunstgewerbeschule (28.000 M)29 sowie der Höheren Fachschule für Textilindustrie (10.000 M).30 Stipendien für Schüler (einschließlich 23 Vgl. § 6 des Stiftungsstatuts vom 10.6.1879 u n d die Änderung des Statuts durch die Stadtverordnetenversammlung v o m 26.10.1880 in: StdAW, F VI 34. 24 Wilhelm August Bredt (1817 in Barmen, 1895 in Honnef! studierte Jura und machte eine Karriere als Verwaltungsbeamter. Seit 1854 kommissarischer Bürgermeister von Barmen, 1857-1879 Barmer Oberbürgermeister. Vgl. NDB 2, S. 569; Johann Victor Bredt, Geschichte der Familie Bredt, Münster 1934, S. 199-204. Das Statut der Bredt-Stiftung für mittellose Studierende findet sich im Nachlass Bredts, in: StdAW, Nachlass Bredt, NDS 4. 25 Vgl. das gedruckte „Verzeichnis der Stiftungen für das Schulwesen" (1900); 1 Ex. in: StdAW, F VI 17. 26 Zu den Stiftungen Ludwig Ringels für die „Vereins-Kleinkinderschulen" (50.000 M) und zum Neubau einer Kleinkinderschule in Unterbarmen (40.000 M) vgl. StdAW, F VI 41 und F VI 42. 27 Neben der bereits erwähnten Bredt-Stiftung v o n 1879 und der städtischen Stiftung desselben Jahres waren dies: Die Ludwig Ringel Stiftungen für das Gymnasium und das Realgymnasium von 1881 (vgl. StdAW, F VI 39 und F VI 40); außerdem die Eduard Greeff-Stiftung zum Besten des Fonds für Stipendien von 1883 sowie die Eduard Molineus Stiftung für Universitätsstipendien für evangelische Abiturienten des Gymnasiums von 1900 (vgl. StdAW, F VI 17). Eduard Molineus (1847-1903) gründete 1874 eine Textilfabrik, war Barmer Stadtverordneter und Repräsentant einer der führenden textilindustriellen Fabrikantenfamilien des Wuppertals. Vgl. NDB 17, S. 725f. Zu Eduard Greeff (1812-1883), Teilhaber einer Knopffabrik (Johann Peter Greeff, G. W. Sohn), vgl. Johann Victor Bredt, Geschichte der Familie Greeff aus der Huckenbach, Marburg 1941, S. 55f u. 99-104. 28 Die Ludwig Ringel Stiftung für die Gewerbeschule von 1881 gewährte Freistellen und Lehrmittelbeihilfen für „fleißige und zugleich befähigte Kinder bedürftiger Eltern". Vgl. StdAW, F VI 44. 29 Vgl. Tab. A im Anhang: Keuchen-Stiftung; städtische Stiftung für die Handwerker- und Kunstgewerbeschule. Elisabeth Keuchen (1831-1912) war u.a. Vorstandsmitglied im Vaterländischen Frauenverein, einem Wöchnerinnenheim und einem evangelischen Diakonissen- u. Mägdehaus. Vgl. Banner Zeitung Nr. 146 v. 24.6.1912. 30 Durch die Stiftung von Philipp Bartheis anlässlich des 75-jährigen Geschäftsjubiläums zur Unterstütz u n g „würdiger Schüler und Schülerinnen" der Höheren Fachschule für Textilindustrie von 1904. Vgl. StdAW, F VI 64. Philipp Bartels (1838-1906) war seit 1877 alleiniger Inhaber der Firma „BarthelsFeldhoff', einer Fabrik für Strick- und Nähgarne aus Baumwolle. Bartheis engagierte sich u. a. in der städtischen Armenpflege, war zwischen 1893 und 1906 Präsident der Barmer Handelskammer und Begründer des „Vereins zur Förderung der Textilindustrie". Vgl. Industrie- und Handelskammer Wuppertal 1831-1956. Festschrift zum 125-jährigen Jubiläum, hg. v. der IHK Wuppertal in Verbindung mit Wolfgang Köllmann, Wuppertal 1956, S. 228.
Ausbildungsstiftungen in Barmen und Elberfeld
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der Auszeichnung von Abiturienten) sowie die Beschaffung von Lehrmitteln für die höheren Schulen (6 Prozent bzw. 16.750 M)31 besaßen demgegenüber als Unterstützungszweck weniger Bedeutung. Schließlich wurde dieses Unterstützungsprofil der Barmer Schulstiftungen durch eine kollektive Stiftung der Barmer Freimaurerloge von 1901 ergänzt, die vor allem zur Unterstützung der Schulspeisung in den Barmer Volksschulen gestiftet worden war.32
• Soziale Stiftungen (städt. Verwaltung) • Kirchenbaustiftung • soziale Vereinswohltätigkeit, Missionsarbeit • Ausbildungsförderung • Stadtversehönerung • Kunstverein, Konzertgesellschaft • Pensions- und Witwenkassen Abb. 1: Stifterprofil Ludwig Ringel (1881)
Die finanziell mit Abstand bedeutendsten privaten Stiftungen in städtischer Verwaltung gingen auf das Testament Ludwig Ringels zurück. Ringel, 1808 in Lennep im Bergischen Land geboren, hatte sein Geld als Mitinhaber einer Barmer Seidenfabrik verdient, lebte seit 1856 als Rentier und engagierte sich als ehrenamtlicher Beigeordneter in Bannen, wo er am 15. November 1881 kinderlos und ohne direkte Erben starb. 33 Als Mitglied der evangelisch-reformierten Gemeinde in Unterbarmen war Ringel zutiefst calvinistisch geprägt. Diese strenge Religiosität war, zusammen mit Ringels Kinderlosigkeit und seinen Erfahrungen als ehrenamtlicher Honoratiorenpolitiker, ausschlaggebend für die starke Gemeinwohlorientierung seines Testaments - immerhin gingen ca. 55 Prozent (1.469000 M) seines Vermögens nicht an Privat31
Vgl. im A n h a n g (Tab. A) die drei Stiftungen v o n Eduard Greeff (1883), dotiert mit jeweils 1800 M, zur B e s c h a f f u n g v o n Büchern und anderen Lehrmitteln f ü r das Gymnasium, das Realgymnasium u n d die Realschule. Zudem die Carl Ludwig Wesenfeld-Stiftung mit einem Stiftungskapital von 2000 M zur P r ä m i e r u n g v o n Abiturienten der Realschule. Ferner die „Hörter-Stiftung", die 1902 aus einer S a m m l u n g ehemaliger Schüler des Realgymnasiums anlässlich eines Lehrer-Dienstjubiläums h e r v o r g i n g und Schüler des Realgymnasiums unterstützte. Zur Hörter-Stiftung vgl. StdAW, F VI 63. Zu Carl Ludwig Wesenfeld (1816-1883) vgl. Zeitschrift des Bergischen Geschichtsvereins 20 (1884), S. 223f. 32 Die Stiftung w u r d e zum A n d e n k e n an den Dichter Emil Rittershaus n a c h ihm b e n a n n t u n d h a t t e ein Kapital v o n gut 15.500 M. Vgl. StdAW, F VI 62. 33 Vgl. Gisela Schmoeckel, Ludwig Ringel. Biographische Skizze des Beigeordneten, Stifters u n d Wohltäters, in: Bergische Blätter 12, Heft 2 (1989), S. 6-8.
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personen - sowie die kirchliche, karitativ-missionarische Ausrichtung der meisten seiner Stiftungen. Betrachtet man Ringels Stifterprofil genauer (s.o. Abb. I),34 dann fallt zunächst ins Auge, dass die Stadt Barmen als Trägerin sozialer Fürsorgeeinrichtungen und als Verwalterin des städtischen Stiftungsfonds insgesamt mit rund 460.000 M am stärksten bedacht worden war, zumal ja auch die Stiftungen zur Ausbildungsforderung (in Höhe von insgesamt 150.000 M) in erster Linie städtischen Schulen zugute kamen. Die Kirche profitierte vor allem von einer Stiftung zum Bau einer neuen Hauptkirche in Ringels Gemeinde (400.000 M) sowie von zahlreichen kleineren Stiftungen für kirchlich-missionarische Vereine und Anstalten. 100.000 M galten dem Barmer Verschönerungsverein, den Ringel bereits zu Lebzeiten als Mitglied des Vorstandes und als Mäzen eines großen Grundstücks unterstützt hatte. Kunst- und Musikmäzenatentum spielte für Ringel dagegen nur eine untergeordnete Rolle. Obwohl die Ausbildungsförderung in diesem Stifterprofil nur 11 Prozent der Gesamtsumme ausmachte, brachten die Schulstiftungen Ringels der Stadt gleichwohl den Löwenanteil der Zinserträge zur Unterstützung durch Universitätsstipendien, Freistellen, Lehrmittelbeihilfen und Baumaßnahmen ein. Schätzt man die halbjährlichen Zinserträge aller Barmer Stiftungen in städtischer Verwaltung in den Jahren zwischen 1886 und 1889 auf durchschnittlich 13.500 M, warfen die Ringel-Stiftungen rund 93 Prozent dieser Summe ab, also gut 12500 M.35 Allein die Stiftungen Ringels für die Gewerbeschule, das Realgymnasium, das Gymnasium, die Taubstummenschule, die Ferienkolonien, die Vereins-Kleinkinderschulen und den Pensionsfonds der höheren Lehranstalten erbrachten Zinserträge von durchschnittlich 3325 M, also vorsichtig geschätzt drei Viertel der Zinsen aller Stiftungen zur Schul- und Ausbildungsbildungsförderung Mitte der 1880er Jahre. Im Zeitraum zwischen 1883 und 1902 unterstützten die Ringel-Stiftungen für das Gymnasium und das Realgymnasium zusammen 33 Stipendiaten mit insgesamt 25.400 M.36 Die Stipendien variierten mit wenigen Ausnahmen in einer Höhe von 175 bis 400 M und wurden in der Regel für zwei bis drei Jahre bewilligt. Die Kriterien zur Bewilligung einer Unterstützung waren absolut zeittypisch: Die Stipendiaten waren männlich, wurden als bedürftig und würdig eingeschätzt und genügten dem Lokalitätsprinzip, waren also Söhne Barmer Eltern.
34 Vgl. Tab. A im Anhang. 35 Diese vorsichtige Schätzung wie auch die folgenden Zahlen ergeben sich aus der Auswertung der Zusammenstellungen von Zinscoupons durch die Depositen-Commission der Stadtkasse (für das Jahr 1886) bzw. durch die Verwaltungskommission für die städtischen Stiftungen (für die Jahre 18871889), in: StdAW, F VI 33. 36 Vgl. die Listen der Stipendiaten in: StdAW, F VI 39 u. F VI 40. Das Statut der Ringel-Stiftung f. d. Gymnasium findet sich in: StdAW, Nachlass Ringel, NDS 18. Während die Stiftung für das Gymnasium in erster Linie Theologiestudenten unterstütze, waren die meisten Stipendiaten der Stiftung für das Realgymnasium in Philosophischen Fakultäten eingeschrieben.
Ausbildungsstiftungen in Barmen und Elberfeld
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III. Ausbildungsstiftungen in Elberfeld ( 1 8 7 6 - 1 9 1 8 ) Ähnlich wie in Barmen kam es auch in Elberfeld erst im Kaiserreich zu finanziell bedeutenderen Stiftungsgründungen zum Zweck der Ausbildungsforderung. 37 Von einigen Ausnahmen abgesehen, beschleunigte sich die Kapitalakkumulation durch neue Stiftungsgründungen und Schenkungen zur Ausbildungsforderung im Grunde erst nach der Wende zum 20. Jahrhundert (vgl. Tab. C im Anhang).
120000
»
60000 |
T i = f i 1891
1896
Abb. 2: Kapital neuer Stiftungen u. Schenkungen in Elberfeld 1876-1918
Während zwischen 1900 und 1913 34 neue Stiftungen und Schenkungen mit einem Gesamtvolumen von 450.564 M dokumentiert sind, finden sich für den längeren Zeitraum zwischen 1876 und 1899 nur neun Stiftungsgründungen, bei denen die Eduard Neviandt Stiftung von 1888 mit einem Stiftungskapital von 100.000 M deutlich aus dem Rahmen fiel.38 Vor allem das junge Fach- und Fortbildungsschulwesen vor Ort 37 Anfang der 1820er Jahre hatte die Elberfelder Freimaurerloge „Hermann zum Lande der Berge" ein Universitätsstipendium für Söhne unbemittelter Logenbrüder oder alternativ für Söhne armer Elberfelder Familien zum Studium an der Bonner Universität gestiftet. Zudem sind seit 1824 in den Elberfelder Kirchen Kollekten für „Freitische" an der Universität in Bonn dokumentiert. Erwähnt wird Bonn als traditioneller Studienort des Elberfelder Bürgertums zudem noch 1865 im Statut der eisten städtischen Stipendienstiftung, die anlässlich der 50-jährigen Zugehörigkeit des Bergischen Landes zu Preußen mit einem Kapital von 3000 Talern gegründet worden war. Vgl. dazu Uwe Eckardt, „Weil hierdurch die Theilnahme an dem Genüsse der akademischen Benefizien gesetzlich bedingt ist." Zur Studienförderung im Wuppertal zwischen 1820 und 1879, in: Kaleidoskop. Festschrift zum 30-jährigen Bestehen der Katholischen Hochschulgemeinde in Wuppertal, Wuppertal 1992, S. 162-171. 38 Eduard Neviandt (geb. 1819 in Mettmann, gest. 1888 in Elberfeld) war Stadtverordneter, Inhaber zahlreicher städtischer Ehrenämter, seit 1874 Kommerzienrat und seit 1882 Geheimer Kommerzienrat. Als Stifter profilierte er sich in erster Linie auf dem Feld der Armenfürsorge und Altenpflege. Die Neviandt-Stipendenstiftung sah Stipendien für Schüler und Universitätsstipendien für Absolventen der höheren Schulen Elberfelds vor. Die Universitätsstipendien sollten auf drei Jahre angelegt und mit 1000 M pro Jahr dotiert werden. Vgl. StdAW, FVI 162.
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(bestehend aus Handwerker- und Kunstgewerbeschule, kaufmännischer Fortbildungsschule, Handelsschule und Höherer Handelsschule) entwickelte sich seit der Jahrhundertwende zum „Liebling" der wirtschaftsbürgerlichen Stifter. 36 Prozent (bzw. 250.564 M) des im Untersuchungszeitraum gestifteten Kapitals von über 700.000 M flössen in diesen Ausbildungssektor. 39 Dabei fielen 50 Prozent (= 130.000 M) auf die Handelsschule bzw. die Höhere Handelsschule, 30 Prozent (= 78.414 M) waren für die kaufmännische Fortbildungsschule gedacht und die restlichen 20 Prozent (= 52.150 M) galten der Handwerker- und Kunstgewerbeschule.
• Allg. Schulen •
Fach- u. Fortbildungsschulen
•
Jubiläumsstiftung
•
Allg. S c h u l - u . Universitätsstipendien
•
Waisen
•
Reisestipendien D M M
•
Volksschullehrerausbildung
Abb. 3: Private Ausbildungsförderung In Elberfeld 1876-1918
Mit 18 Prozent gleichwertig folgten die Versorgung von Schülern und Studenten durch Stipendienstiftungen (125.000 M) sowie die zahlreichen Zustiftungen zur Jubiläumsstiftung der Stadt Elberfeld. Diese Stiftung war 1910 anlässlich der „Dreihundertjahrfeier" Elberfelds von der Stadtverordnetenversammlung mit einem Startkapital von 20.000 M ins Leben gerufen worden und rechnete von A n f a n g an mit zahlreichen privaten Zustiftungen der Elberfelder Bürger. Dass diese Erwartung durchaus realistisch war, zeigt ein Blick auf die Jahre 1910/11, für die acht Zustiftungen mit einem Gesamtvolumen von 91.000 M dokumentiert sind (vgl. Tab. C im Anhang). Als Stiftung zur Ausbildungsförderung war die städtische Jubiläumsstiftung moderner als die meisten anderen Stiftungen dieses Zwecks, weil hier „ohne Rücksicht auf Geschlecht, Alter, Glaubens- oder politisches Bekenntnis" unterstützt 39 In Bannen waren es dagegen nur 20%, was sich jedoch leicht mit der Dominanz der Stiftungen Ludwig Ringels für andere Schultypen (insbesondere die Kleinkinderschulen) erklären lässt. Während in der Industriestadt Barmen das technisch-industrielle Fachschulwesen ganz im Vordergrund stand, wurde in der Handelsstadt Elberfeld in erster Linie für das kaufmännisches Unterrichtswesen gestiftet. Zur Entwicklung des kaufmännischen Unterrichtswesens vgl. Franz, Betriebswirte, S. 25-67.
Ausbildungsstiftungen in Barmen und Elberfeld
33
werden sollte. 40 Tatsächlich fallt auf, dass die Bandbreite der unterstützten Berufsziele bei der Jubiläumsstiftung größer war als bei anderen Stiftungen und vom Handwerker bis zum Akademiker reichte (vgl. Tab. D im Anhang). Ein Blick auf die ersten 11 Stipendiaten zeigt jedoch auch, dass männliche Bewerber in der Praxis der Stiftungsverwaltung zwischen 1911 bis 1918 bevorzugt unterstützt wurden; nur zwei Frauen erhielten Stipendien, die zudem eine kürzere Laufzeit besaßen als die der meisten männlichen Stipendiaten.
•
Gymnasium
U
Realgymnasium
•
Volksschulen (Jungen)
•
Volksschulen (Mädchen)
Abb. 4: Private Förderung allgemeiner Schulen In Elberfeld 1876-1918
Auch bei den Stiftungen für die Volksschulen und das höhere Schulwesen Elberfelds - dieser Sektor repräsentierte mit 110.250 M 16 Prozent des im Kaiserreich gestifteten Kapitals zur Ausbildungsförderung - wurden Jungen bevorzugt, insofern die Mädchenvolksschulen mit 14 Prozent (bzw. 15.000 M aus einer Stiftung) 41 unterrepräsentiert waren, während das Gymnasium, das Realgymnasium und die Volksschulen für Jungen ähnlich stark unterstützt wurden. IV.
Elberfelder Stifterprofile: Die bürgerliche Wirtschaftselite zwischen lokaler Selbstverortung und überregionaler Vernetzung
Fragt man nach der quantitativen Bedeutung schulischer, universitärer und beruflicher Ausbildungsförderung als Stiftungszweck in Relation zu anderen Stiftungszwecken, bietet sich die Untersuchung individueller Stifterprofile als ein Weg an, der von der historischen Stiftungsforschung bisher kaum beschritten wurde.
40 Vgl. § 2 des Stiftungssatzung vom 18.2.1811 in: StdAW, F VI 142. 41 Stiftung von Rudolf und Olga Baum zu Gunsten der Mädchenvolksschulen von 1907. Vgl. StdAW, F VI 423. Zur Biografie und zum Stifterprofil Baums s. u. Anm. 46.
34
Stephen Pielhoff
Betrachtet man beispielsweise das Profil der Stiftungen und Schenkungen des Elberfelder Bankiers August von der Heydt (1851-1929),42 fällt sofort ins Auge, dass die kunsthistorische Fokussierung auf das überregionale Renommee von der Heydts als Kunstsammler und Museumsmäzen im Grunde zu eng ist.43 Vor allem die „Verschönerung" des Stadtraumes44 durch Grünanlagen, Kunst an öffentlichen Gebäuden und die Gestaltung öffentlicher Plätze durch Brunnen, Denkmäler u.a. lag dem Vorsitzenden des Elberfelder Verschönerungsvereins so sehr am Herzen, dass er für diesen Zweck zwischen 1886 und 1910 119.000 M -investierte, also ein Viertel mehr als für das Kunstmuseum im selben Zeitraum. Schenkungen zur öffentlichen Stadtverschönerung waren für das Familienoberhaupt der alteingesessenen, wirtschaftlich erfolgreichen und politisch einflussreichen Elberfelder Honoratiorenfamilie auch deshalb besonders attraktiv, weil sie den hohen familiären Status für jeden offensichtlich und augenfällig im Alltag präsentierten. Dieses ostentative Mäzenatentum stiftete Identität, indem es städtische und familiäre Erinnerungskultur symbolisch miteinander verband, beispielsweise durch die Schenkung eines monumentalen Flaggenmastes anlässlich des 150-jährigen Geschäftsjubiläums, aufgestellt auf dem Elberfelder Neumarkt vor dem neu gebauten
• Kunstmuseum (Bilder, Bronzen, Medaillen etc.) H Stipendien Handelsfachschule • Stadtverschönerung (Parkanlagen, städtische Gebäude u. öffentliche Räume) • Musik (Operndekoration) • Bild f.d. Gymnasium • Div. Abb. 5: Stifterprofil August v.d. Heydt (1886-1910)
42
43
44
Vgl. dazu Tab. E im A n h a n g . Dieses Stifterprofi] repräsentiert n u r die Stiftungen und Schenkungen v o n der Heydts an die Stadt Elberfeld. Mögliche Stiftungen u n d Schenkungen a n andere Empfänger (z. B. Kirche, andere Städte, Staat oder private Akteure) sind nicht dokumentiert. Obwohl aus kunsthistorischer Sicht natürlich legitim. Zu A u g u s t von der Heydt als Kunstsammler u n d Förderer des Elberfelder Kunstmuseums vgl. Andrea Meyer, Ein Sammler „französischer Expressionisten". A u g u s t v o n der Heydt, in: Andrea Pophanken/Felix Billeter (Hg.), Die Moderne u n d ihre Sammler. Französische Kunst im deutschen Privatbesitz v o m Kaiserreich zur Weimarer Republik, Berlin 2001, S. 235-250; A n t j e Birthälmer, August und Eduard v o n der Heydt - zwei Mäzene und ihr Lebenswerk, in: Henrike J u n g e (Hg.), Avantgarde u n d Publikum. Zur Rezeption avantgardistischer Kunst in Deutschland 1905-1933, Köln u.a. 1992, S. 157-163. Außerdem Sabine Fehlemann/Rainer S t a m m (Hg.), Die Von der Heydts. Bankiers, Christen und Mäzene, Wuppertal 2001. Vgl. dazu mit zahlreichen Abbildungen Ruth Meyer-Kahrweg, August und Selma v o n der Heydt - eine Spurensuche, in: F e h l e m a n n / S t a m m (Hg.), S. 34-45.
Ausbildungsstiftungen in Barmen und Elberfeld
35
Rathaus und gegenüber des Bankhauses, oder durch die Stiftung eines Brunnens anlässlich der bevorstehenden Dreihundertjahrfeier der Stadt.45 Auch die Stipendienstiftung für die Elberfelder Handelsschule durch das Bankhaus „Von der Heydt, Kersten Et Söhne" anlässlich seines 150-jährigen Bestehens unterstrich diese symbolische Assoziation von familiärer Unternehmensgeschichte und Stadthistorie. Stiften war für von der Heydt somit ein Ritual der Erinnerung, das die Kontinuität der bürgerlichen Familie mit der der Stadt in Beziehung setzte. In diesem Sinne lassen sich auch säkularisierte Formen der Memoria-Stiftung finden, beispielsweise im Falle Rudolf Baums, der 1897 gemeinsam mit seiner Frau 30.000 M für die Volksschulen stiftete, „zur Bereitung eines fröhlichen Tages" am Hochzeitstag des Ehepaares.46 Den Höhepunkt dieser traditionell codierten Stiftungskultur markierte das Elberfelder Stadtjubiläum im Jahre 1910 mit der städtischen Jubiläumsstiftung und ihren zahlreichen privaten Zustifitungen (s. o. Kap. III). Sie symbolisierten die Verbundenheit des Bürgertums mit seiner Stadt und verwiesen zugleich auf die Priorität der Berufsarbeit im bürgerlichen Wertekanon. Die Jubiläumsstiftung verband die retrospektiven und prospektiven Aspekte des Stiftens, indem sie die kollektive Erinnerung an die Stadtgründung mit der Zukunftsorientierung beruflicher Ausbildungsförderung verschränkte. Als städtische Stiftung war die Jubiläumsstiftung eine kollektive Stiftung, die mit der Option privater Zustiftungen dennoch die Möglichkeit bot, sich auch mit kleineren Beträgen als Stifter zu profilieren.47 Darüber hinaus bot das städtische Jubiläum natürlich auch Gelegenheiten, größere Stiftungen zu Gunsten der Stadt zu machen. Ein herausragendes Beispiel dafür ist die Friedrich Bayer Stiftung, die der Stadt u.a. 40.000 M für die Förderung begabter „Waisenhauszöglinge" zur Verfügung stellte.48 In der Folge dürfte diese Stiftung auch Bayers Antrag auf Verleihung des „Geheimen Kommeizienrates" unterstützt haben, jedenfalls wurde sein Engagement als Stifter vom
45 Vgl. dazu mit Abbildungen Ruth Meyer-Kahrweg, Denkmäler, Brunnen und Plastiken in Wuppertal, Wuppertal 1991, S. 152f. u. 159-161. 46 Peter Rudolf Baum (1851-1941) war Schüler der Elberfelder Realschule 1. Ordnung und seit 1868 Lehrling in der väterlichen Kattundruckerei „Schlieper Et Baum". 1877 heiratete er Olga Boeddingshaus, Tochter eines Düsseldorfer Bankiers aus einer angesehenen Elberfelder Familie. 1901 wurde ihm der Kommerzienrat und 1912 der Geheime Kommerzienrat verliehen. Ein Jahr später wurde Baum nobilitiert. Vgl. Gustav Grote, Peter Rudolf Baum (1851-1941), in: Wuppertaler Biographien 11, Wuppertal 1973, S. 7-13. 1901 stiftete das Ehepaar Baum 15.000 M für die Handwerker- und Kunstgewerbeschule und 1907 bedachte es die Mädchenvolksschulen mit ebenfalls 15.000 M. Ergänzt wurde dieses Stifterprofil durch Bildergeschenke an das Kunstmuseum (im Werte von 8430 M), ein Geschenk für das städtisches Waisenhaus (3000 M) sowie 5000 M zur Dekoration des Stadttheaters zur Feier des Stadtjubiläums 1910. Damit flössen ca. 83% in die Ausbildungsförderung im weiteren Sinne. Vgl. dazu StdAW, F VI 423. 47 Gleichwohl achteten die meisten Zustifter auf Parität und beschränkten sich in der Regel auf 5000 M. 48 Friedrich Bayer jun. (1851-1920) war seit 1877 Teilhaber der väterlichen Farbenfabrik „Friedrich Bayer Et Co.", die 1881 in eine Aktiengesellschaft umgewandelt wurde. 1902 wurde ihm der Kommerzienrat, 1912 der Geheime Kommerzienrat verliehen. Seine Stiftung unterstützte außerdem Unterbeamte und Angestellte der Stadt und der Polizei mit einem Kapital von insgesamt 40.000 M. Einen Überblick zum Profil Bayers als Mäzen bietet Uwe Eckardt, Friedrich Bayer jun. 1851-1920. „Treuer, in allen Lebenslagen bewährter Freund und Mäzen", in: Friedhelm J. Solbach (Hg.), Das Haus des Geheimen Kommerzienrates. So wohnte Friedrich Bayer jun. in Elberfeld um die Jahrhundertwende, Wuppertal 1999, S. 112-144, hier S. 127; Zur Friedrich Bayer Stiftung siehe außerdem StdAW, F VI 139.
36
Stephen Pielhoff
Elberfelder Oberbürgermeister Wilhelm Funck in seinem Kommentar ausdrücklich gelobt.49 Es war für die Stiftungskultur im Kaiserreich keineswegs ungewöhnlich, dass gesellschaftliche Auszeichnungen und stifterisches Engagement zusammenfielen.50 Denn eine Stiftung war eine Gegengabe für soziale Anerkennung und zugleich eine symbolische Geste sozialer Superiorität, die als solche erwartet und verstanden wurde. Als Teil gesellschaftlichen Aufwandes stellten Stiftungen eine Institution dar, die eine allgemeine Erwartungshaltung reflektierte und als Bestandteil innerhalb eines Systems intersubjektiver Zeichen und Gesten gesellschaftlichen Aufwandes fungierte.51 Die Mehrheit der bürgerlichen Stifter Elberfelds handelte lokal und engagierte sich in erster Linie in ihrer Stadt. Diese Lokalität erscheint als grundlegendes Charakteristikum traditionell codierter Stiftungskultur. 52 Gerade in den überregional vernetzten Wirtschaftseliten des wilhelminischen Kaiserreichs fanden sich jedoch auch Stifter, die nicht nur lokal verortet waren, sondern sich auch über die Region hinaus engagierten. Die Aktivitäten Heniy Theodor Böttingers und Carl Duisbergs als Stifter und als Vermittlerfiguren der Ausbildungs- und Wissenschaftsförderung stehen exemplarisch für diese stifterische Vielseitigkeit. Böttinger, 1848 in England geboren, studierte zunächst wie sein Vater Chemie in Freiburg und Würzburg, entschied sich später aber für eine kaufmännische Ausbildung und leitete zwischen 1874 und 1882 zunächst die väterliche Hofbrauerei in Würzburg. 53 1878 heiratete er Adele Bayer und trat schließlich 1883 in die „Farbenfabriken vorm. Friedrich Bayer ft Co. AG" in Elberfeld ein, wo er eng mit Friedrich Bayer jun. und Carl Dulsberg zusammenarbeitete. Dulsberg, 1861 in Barmen als Sohn eines Bandwebereifabrikanten geboren und seit 1884 bei Bayer angestellt, war promovierter Chemiker und durch seine Heirat mit Johanna Seebohm, einer Nichte Carl Rumpffs (des Schwiegersohnes des Firmengründers Friedrich Bayer sen.), seit 1888 auch verwandtschaftlich mit der Familie Bayer verbunden. 54 Abgesehen von den zahlreichen Stiftungen und Schenkungen, die Böttinger, Duisberg und Bayer als patriarchalische Instrumente im Rahmen der innerbetrieblichen Sozial- und Kulturpolitik zur Bindung und Befriedung der eigenen Arbeiterschaft in Leverkusen nutzen, 55 investierten Böttinger und Duisberg als 49
50
51 52 53 54
55
Bayer hatte erstmals im Juni 1906 beim Düsseldorfer Regierungspräsidenten angefragt, erhielt den „Charakter" des „Geheimen Kommerzienrates" allerdings erst am 13. Januar 1912 verliehen. Vgl. Hckardt, Bayer, S. 121. So erhielt z u m Beispiel Rudolf Baum den Kommerzienratscharakter im Jahr seiner Stiftung für die Handwerker- und Kunstgewerbeschule verliehen. Zu Baum s.o. Anm. 46. Vgl. allgemein außerdem Karin Kaudelka-Hanisch, Preußische Kommerzienräte in der Provinz Westfalen und im Regierungsbezirk Düsseldorf (1810-1918), Dortmund 1993, S. 150-155. Vgl. dazu die Ausführungen in Pielhoff, Zwischen Bedürftigkeit und Begabung, S. 324f. Zur traditionalen Codierung v o n Identität durch Kontinuitätskonstruktion und Lokalität vgl. Giesen, Kollektive Identität. S. 4 2 - 4 8 . Vgl. Gustav Grote, H e n i y Theodor v o n Böttinger, in: Wuppertaler Biographien 8, Wuppertal 1969, S. 7-21. Carl Duisberg (1861 geb. in Barmen, 1935 gest. in Leverkusen). Zu Duisberg vgl. Hans-Joachim Flechtner, Carl Duisberg. Vom Chemiker zum Wirtschaftsfiiihrer, Stuttgart u. a. 1960; Dieter Schütz, Bayer als Mäzen. Carl Duisberg als Förderer der Künste, Diss. Bonn 1994. Zur Interpretation innerbetrieblicher Sozialpolitik als sekundärer Patriarchalismus vgl. Gerhard A. Ritter/Klaus Tenfelde, Arbeiter im Deutschen Kaiserreich 1871 bis 1914, Bonn 1992, S.410-425. Zu
Ausbildungsstiftungen in Bannen und Elberfeld
•
37
Ausbildungsförderung (Stiftungen f. d. Handwerker- u. Kunstgewerbeschule; f. d. Gymnasium)
B
Kunstmuseum
•
Operndekoration
•
G r u n d s t ü c k s e r w e r b f.d. Stadt
Abb. 6: Stifterprofil Henry Theodor Böttinger (nur Elberfeld)
Wissenschaftsmäzene und -funktionäre vor allem in die Professionalisierung und die Popularisierung der angewandten Naturwissenschaften. Als Gründungsmitglieder zahlreicher Forschungsgesellschaften waren beide zudem als Vermittler und Multiplikatoren bestens vernetzt. So war Böttinger u.a. Mitbegründer, Vorsitzender und Mäzen der „Göttinger Vereinigung zur Förderung der angewandten Physik und Mathematik, Mitbegründer und Vorsitzender der „Bunsen-Gesellschaft für angewandte physikalische Chemie" und Stifter der „Goldenen Bunsen-Denkmünze", Vorsitzender des „Vereins zur Wahrung der Interessen der chemischen Industrie Deutschlands", Mitbegründer der „Wissenschaftlichen Gesellschaft für die Luftfahrt" und Senator der „Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften". In der Weimarer Zeit übernahm der jüngere Carl Duisberg diese zentrale Position als Wissenschaftsfunktionär - zumal Böttinger im Juni 1920 gestorben war - und wurde u.a. Vorsitzender der Gesellschaft von Freunden und Förderern der Universität Bonn (1917), Gründungsmitglied diverser Forschungsgesellschaften, Vorstandsmitglied der Wirtschaftshilfe der Deutschen Studentenschaft und später des Deutschen Studentenwerks, Förderer der Studienstiftung des Deutschen Volkes und einer der wichtigsten Förderer des Deutschen Museums in München, für das er ähnlich wie Oskar von Miller als „system builder" in einem Netz von Gabentauschbeziehungen agierte. 56 Bayer vgl. Eckardt, S. 123-125; zu Böttinger vgl. Grote, S. 13; zu Duisberg vgl. Flechtner, S. 233-241; vgl. außerdem Dieter Gutknecht, Die Musikpflege in den Farbenfabriken Bayer in Leverkusen, in: Monica Steegmann, Musik und Industrie. Beiträge zur Entwicklung der Werkschöre und Werksorchester, Regensburg 1978, S. 391-414. 56 Vgl. dazu Wilhelm Füßl, Gründung und Aufbau, in: Ders./Helmuth Trischler (Hg.), Geschichte des Deutschen Museums. Akteure. Artefakte, Ausstellungen, München u.a. 2003, S. 59-101, insbesondere S. 60; Wilhelm Füßl, Oskar von Miller 1855-1934. Eine Biographie, München 2005, S. 251-290 u. 317323. Zum bürgerlichen Mäzenatentum für das Deutsche Museum siehe außerdem: Gerhard Neumeier, Bürgerliches Mäzenatentum in München vor dem Ersten Weltkrieg - Das Beispiel des Deutschen Museums, in: Jürgen Kocka/Manuel Frey (Hg.), Bürgerkultur und Mäzenatentum im 19. Jahrhundert, Berlin 1998, S. 144-163; Zur Bedeutung von Vermittlerfiguren für das bürgerliche Mäzenatentum im Kaiserreich vgl. Stephen Pielhoff, Stifter und Anstifter. Vermittler zwischen „Zivilgesellschaft", Kommune und Staat im Kaiserreich, in: Geschichte und Gesellschaft 33 (2007), S. 10-45, hier S. 18.
38
Stephen Pielhoff
Angesichts der hier nur grob skizzierten Bedeutung Böttingers und Duisberg im nationalen System der privaten Ausbildungs- und Wissenschaftsförderung ist es nicht erstaunlich, dass sich beide auch in Elberfeld vor allem diesem Zweck verbunden fühlten. So stiftete Böttinger 10.000 M für das Gymnasium (1908) und 20.000 M für die Handwerker- und Kunstgewerbeschule (1903 u. 1918 je 10.000 M). Duisberg dagegen verband sein nationales Engagement für das Deutsche Museum in München mit seinem lokalen Interesse in Elberfeld und stiftete zwischen 1911 und 1914 gemeinsam mit Friedrich Bayer und Adolf Schlieper mehrere Reisestipendien für Elberfelder Schüler zum Besuch des Deutschen Museums 57 - ein weiteres Beispiel für die zunehmende Vernetzung lokaler, regionaler und nationaler Beziehungen und Identitäten der bürgerlichen Wirtschaftselite. 58 V.
Die dankbare Stadt. Stiftungen und städtische Erinnerungskultur
Gleichwohl wird man sagen können, dass kosmopolitische Stifterfiguren oder auch nationale Vermittler wie Böttinger oder Duisberg nur eine Minderheit unter den bürgerlichen Stiftern repräsentierten, wenn auch eine besonders einflussreiche. Die große Mehrheit der hier untersuchten Stifter war in Elberfeld, Barmen oder in der Region geboren und engagierte sich in erster Linie für ihre Stadt. Diese Lokalität war ein Charakteristikum einer traditionell codierten Stiftungskultur, die den geschäftlichen Erfolg des Wirtschaftsbürgertums symbolisch aufs engste mit der Geschichte der Stadt und ihrer zukünftigen Entwicklung verband. Wirtschaftlich erfolgreiche Stifter wie Rudolf Baum, Philipp Bartheis, Friedrich Bayer jun., Wilhelm August Bredt, Eduard Molineus, Eduard Neviandt, Ludwig Ringel und August von der Heydt waren weder „Grenzgänger" noch „Unruhestifter", 59 sondern städtische Honoratioren, für die das Stiften ein institutioneller Bestandteil eines umfassenderen Systems intersubjektiver Zeichen und Gesten gesellschaftlichen Aufwandes war. So war es typisch für die Stiftungskultur des Wirtschaftsbürgertums, familiäre und geschäftliche Jubiläen oder Auszeichnungen für wirtschaftlichen Erfolg - z.B. die Charakterisierung als
57 Adolf Schlieper (1825-1887 in Elberfeld) war wie Duisberg Chemiker und leitete seit 1851 eine vom Vater mitgegründete Kattundruckerei („Schlieper und Baum"). Vgl. ADB 31, S. 785f. 58 Darüber hinaus spricht sicher vieles für die Hypothese, dass im Zuge der Globalisierung multinationaler Wirtschaftsunternehmen vor 1914 auch zunehmend jenseits nationaler Grenzen gestiftet wurde. Zur Weltwirtschaft vor 1914 vgl. Geoffrey Jones, The End of Nationality? Global Firms and «Borderless Worlds», in: Zeitschrift für Unternehmensgeschichte 51 (2006), S. 149-165, hier S.152-157; Jürgen Osterhammel u. Niels P. Peterson, Geschichte der Globalisierung. Dimensionen, Prozesse, Epochen, München 2003, S. 60-70. Insbesondere „in der Ferne" reich oder zumindest wohlhabend gewordene Auswanderer bzw. Rückkehrer dokumentierten ihre Verbundenheit zur alten wie zur neuen „Heimat" nicht zuletzt durch soziales und kulturelles Engagement als Stifter. Leider ist diese transnationale Perspektive für die Stiftungsgeschichte des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts bisher nicht ausreichend erforscht worden, was angesichts der gegenwärtigen Diskussionen über die „global civil society" des 21. Jahrhunderts umso wünschenswerter wäre. 59 Vgl. Münkler, Anstifter, S. 208; Steffen Sigmund, Grenzgänge. Stiften zwischen zivilgesellschaftlichem Engagement und symbolischer Anerkennung, in: Berliner Journal für Soziologie (2000), S. 333348.
Ausbildungsstiftungen in Barmen und Elberfeld
39
Kommerzienrat - zum Anlass für Stiftungen und Schenkungen zu Gunsten der Stadt zu nehmen. 60 Ebenso selbstverständlich war es für die Elberfelder Stadtverordneten, das Jubiläum der Stadt zum Anlass einer Stiftung zu machen, die von vornherein mit privaten Zustiftungen durch Unternehmern rechnen konnte. Als Stiftung zur beruflichen Ausbildungsförderung verschränkte die „Jubiläumsstiftung" Erinnerungskultur und Zukunftsorientierung der Stadt. Diese Kontinuitätskonstruktion war Ausdruck einer kollektiven Identität, die die Existenz der Stadt mit dem Erfolg ihrer Unternehmen und der beruflichen Sicherheit ihrer Bevölkerung gleichsetzte.
Abb. 7: Denkmal fiir Ludwig Ringel (StdAW) 61
Ein weiterer Aspekt dieser städtischen Erinnerungskultur war die Bezeugung städtischer Dankbarkeit. Denn als Institution des Gabentauschs verpflichteten Stiftungen zur Gegengabe, zur öffentlichen Würdigung ihrer Stifter und zum Totengedenken, das den retrospektiven Aspekt der „Pietät" mit dem prospektiven der „Fama", der vorbildlichen Leistung, verband. 62 Das Denkmal der Stadt Barmen für den verstorbenen Ludwig Ringel (s.o. Abb. 7), das in seiner Monumentalität mit der Größe des Kapitals seiner Stiftungen zu korre60 Vgl. dazu Pielhoff, Zwischen Bedürftigkeit u n d Begabung, S. 323-325 u. 332. 61 Die Inschrift lautet: „Zur Erinnerung an Ludwig Ringel, geb. 10. Nov. 1808, gest. 15. Nov. 1881, Die dankbare Stadt Bannen 1885". 62 Vgl. Jan Assmann, Das kulturelle Gedächtnis. Schrift, Erinnerung und politische Identität in frühen Hochkulturen, 2. Aufl., München 1999, S. 61.
40
Stephen Pielhoff
spondieren - und zu konkurrieren? - scheint,63 ist ein gutes Beispiel für diese Allianz zwischen bürgerlicher Herrschaft und städtischer Erinnerungskultur im Kaiserreich. Mit anderen Worten: Die Stiftungskultur des Wirtschaftsbürgertums in Elberfeld und Barmen war eine Praxis selbstreferentieller und traditionell codierter Identitätsstiftung zwischen Wirtschaftselite und Stadt. VI.
Anhang
Tab. A : Ausbildungsstiftungen in Barmen, 1 8 7 9 - 1 9 0 4
Jahr
Name
Kapital 6000
Stiftungszweck
1879
Barmer Stipendienfonds
1879
Wilhelm August Bredt
30.000
städt. Universitätsstipendien Universitätsstipendien f. Abiturienten d. Gymnasiums
1881
Ludwig Ringel
15.000
Gewerbeschule
1881
Ludwig Ringel
20.000
Gymnasium (Universitätsstipendien)
1881
Ludwig Ringel
20.000
Realgymnasium (Universitäts- bzw. TH-Stipendien)
1881
Ludwig Ringel
50.000
Vereins- u. Kleinkinderschulen
1881
Ludwig Ringel
40.000
Bau einer Kleinkinderschule in Unterbarmen
1883
Eduard Greeff
1800
Gymnasium (für Bücher u. andere Lehrmittel)
1883
Eduard Greeff
1800
Realgymnasium (für Bücher u. andere Lehrmittel)
1883
Eduard Greeff
1800
Realschule (für Bücher u. andere Lehrmittel)
1883
Eduard Greeff
3000
Universitätsstipendien
1900
Eduard Molineus
6000
Universitätsstipendien f. Abiturienten d. Gymnasiums
1901
Emil Rittershaus-Stiftung
15.508
Stiftung d. Freimaurer f. Schulspeisungen u. -fürsorge
1902
Hörter-Stiftung
3350
1904
Philipp Bartheis
10.000
?
Carl Ludwig Wesenfeld
2000
Abiturientenprämien
?
Rauner-Stiftung
6000
Schülerstipendien a. d. Realschule
Sammlung f. d. Realgymnasium Stipendien a. d. Höheren Fachschule f. Textilindustrie
?
Keuchen-Stiftung
9000
für die Handwerker- u. Kunstgewerbeschule
?
Städtische Stiftung
19.000
für die Handwerker- u. Kunstgewerbeschule
?
Fonds d. Schulamts
5000
für die Ausbildung von Elementarschullehrern (PräparandenAnstalt)
Q.: StdAW, F VI 17, 32, 34, 41, 62, 63, 64
63 Die Kosten für das Ringel-Denkmal betrugen 53000 M. Vgl. dazu Meyer-Kahrweg, Denkmäler, S. 65f.
Ausbildungsstiftungen in Barmen und Elberfeld
41
Tab. B: Stiftungen Ludwig Ringels Soziale Stiftungen (Stadtverwaltung)
460.000
Kirchenbaustiftung
400.000
soziale Vereinswohltätigkeit, Missionsarbeit
151.000
Ausbildungsförderung
150.000
Stadtverschönerung
100.000 40.000
Kunstverein, Konzertgesellschaft
12.000
Pensions- und Witwenkassen
150.000
Schenkung an die Stadt Lennep
1.463.000
Stiftungen gesamt:
1.192000
zum Vergleich: Schenkungen an Privatpersonen
2.655.000
Gesamt Q.: StdAW, F VI 41
Tab. C: Private Ausbildungsförderung in Elberfeld 1876-1918 Jahr
Stifter
Zweck
1876
Julius Schmits
Realgymnasium
Betrag
1876
Albert Brunhöhler
Waisenausbildung
1880
Ehemalige
Realgymnasium
1888
Eduard Neviandt
Schul- u. Univ.-Stipendien
1891
Wilberg-Stiftung
Volksschullehrer-Ausbildung
1881
6. Ernst Peters
Volksschulen
1896
Peter von Carnap
Gymnasium
20.000
1897
Rudolf Baum u. Frau
Volksschulen
30.000
1899
Ehemalige
Realgymnasium
15.000
1900
Julius Schmits
Realgymnasium
1901
Rudolf Baum u. Frau
Handwerker- u. Kunstgewerbeschule
15.000
1902
Elberfelder Liedertafel
Handwerker- u. Kunstgewerbeschule
500
1903
Ehemaliger Börsenverein Elberfeld
Kaufm. Fortbildungsschule
3414
1903
Adolf Eisfeller
Kaufm. Fortbildungsschule
25.000
1903
Gustav Baum
Handelsschule
1903
Gustav Blank
Handelsschule
1903
Henry Theodor v. Boettinger
Handwerker- u. Kunstgewerbeschule
10.000
1903
Louis Simons
Handwerker- u. Kunstgewerbeschule
300 14.350
750 24.882 11.000 100.000 9124 2500
1500
5000 1000
1903 ff.
Elberfeld-Barmer Seiden-Trocknungs-AG
Handwerker- u. Kunstgewerbeschule
1904
August von der Heydt
Handelsschule
15.000
1905
Adolf Eisfeller
Kaufm. Fortbildungsschule
50.000
42
Stephen Pielhoff
1906
Erben Wilhelm Boeddinghaus
Höhere Handelsschule
25.000
1907
Rudolf Baum u. Frau
Mädchenvolksschulen
15.000
1908
Henry Theodor v. Boettinger
Gymnasium
10.000
1909
Emma Eisfeiler
Handelsschule
70.000 40.000
1910
Friedrich Bayer jun.
Waisenhaus
1910
Firma C. W. Piepenbrinck
Volksschulen
1910
Stadt (Jubiläumsstiftung)
Ausbildungsförderung
1910
Adolf Friederichs
Städt. Jubiläumsstiftung
5000
1910
August Frowein
Städt. Jubiläumsstiftung
5000
1910
C. A. Schmitz
Städt. Jubiläumsstiftung
5000
1910
Hermann Wolff
Städt. Jubiläumsstiftung
5000
1910
Gustav Baum
Städt. Jubiläumsstiftung
5000
1910
Karl F. Schmidt
Städt. Jubiläumsstiftung
1910
Emma Eisfeiler
Handelsschule
10.000
1911
Fritz Reimann
Städt. Jubiläumsstiftung
60.000
1911
Wilhelm Fluckt
Städt. Jubiläumsstiftung
1911-14
F. Bayer, C. Dulsberg, A. Schlieper
Reisestipendien DM München
1912
Emma Eisfeiler
Handelsschule
4000 5000
1000 20.000
1000
5000 13.000
1912
Freie Baugewerken-Innung
Städt. Jubiläumsstiftung
1913
GKrat von Petri
Realgymnasium
1500
1913
Karl Neuhaus
Gymnasium
2000
1913
Anna Buchholz
Handwerker- u. Kunstgewerbeschule
1917
G. Ernst Peters
Univ.-Stipendien
1918
Max Simon
Städt. Jubiläumsstiftung
1918
Henry Theodor v. Boettinger
Handwerker- u. Kunstgewerbeschule
2000 25.000 8000 10.000
Q.: StdAW, F V1130, 139, 142, 162, 432
Tab. D: Stipendiaten der Elberfelder Jubiläumsstiftung 1911-1918 Name
Ausbildungsziel
Ella Leisel
Oberlehrerin
Albert Hesselnberg
Organist
Erich Feldmann
Oberlehrer
Else Beil
Schriftstellerin
Beihilfe im Jahr: 1911
Fritz Kühn
Maler
Hans Eulgen*
Volksschullehrer
Eugen Kaltschmidt
Geiger
300
1912
1913
800
800
1914
600
600
300
1000
1000
1000
600
600
600
1200
1200
1200
250
250
1000
1000
1000
1915
1916
1917
1918
1000
1000
1000
1000
1000
1000
1000
1000
Ausbildungsstiftungen in Barmen und Elberfeld
43
Emil Steinbach
Fortbildungsschullehrer
Wilhelm Heck
Tuberkulose-Forscher
600 1000
500
Heinrich Speth
Dipl. Ingenieur
1000
1000
1000
1000
Willy Böhne
Chemiker
500
500
500
500
500
6600
4000
3500
3500
2500
300
Gesamt
5450
6050
* Die Zahlung der Beihilfe wurde wegen „tadelhafter Führung" zum 1.4.1914 eingestellt Q.: StdAW, F V I 142
Tab. E: Schenkungen August von der Heydts an die Stadt Elberfeld Jahr
Zweck
Betrag 10.000
Geschenk (Spezifizierung) Frhr. August v. d. Heydt-Stiftung
1886
Verschönerungsverein
1889
f. 3 arme Wöchnerinnen
1890
Anpflanzungen Friedenshain
1891
Bild
1891
Bronzebüste d. Kaisers
f. d. Genesungsheim
1892
Kupferstiche u. Volkschriften
f. d. Genesungsheim
1893
Porträts
f.d. Stadtverordnetensitzungssaal
1894
franz. Kanonenrohre
1896
Kopie f. d. Kunstmuseum
1896
Gemälde f. d. Kunstmuseum
5000
Selma Freifrau v. d. Heydt-Haarhaus-Stiftung
500 10.000
11.000
f. d. Gymnasium; „Die Ruinen d. röm. Stadt Antinni"
zur Aufstellung a. d. Königsplatz
250 1500
Ein Seemärchen (Hermann Hendrich)
1896
Gemälde f. d. Kunstmuseum
2000
Hunde am Waldesrand (Olivier de Penne)
1896
Waldanlage Friedenshain u. Obelisk
7400
öffentliche Waldanlage
1897
Gemälde f. d. Kunstmuseum
1200
Landschaft (Rüdisühli)
1898
Büste f. d. Kunstmuseum
1000
OB Jaeger
1899
Gemälde f. d. Kunstmuseum
1800
Genrebild (Lion Caille)
1899
gemaltes Rathausfenster
4000
1899
Verschönerungsverein
10.000
Wwe Freifr. August v.d. Heydt-Stiftung
1900
Porträt
300
Karl Stockmeyer (E. Scherenberg)
1900
Gemälde f. d. Kunstmuseum
300
Sommermittag (Maria v. Knapp)
1900
Gemälde f. d. Kunstmuseum
1000
Madonna mit Blumenkranz (Breughel u. van Baien)
1900
Gemälde f. d. Kunstmuseum
4000
Gralsburg (Fr. v. Schennis)
1901
Kupferstich f. d. Kunstmuseum
1901
2 Bücher f. d. Kunstmuseum
1901
Bronzefigur f. d. Kunstmuseum
1901
Gemälde f. d. Kunstmuseum
1902
Modell f. d. Kunstmuseum
1902
Gemälde f. d. Kunstmuseum
10 20 600 1200
Adolf II, Grafen v. Berg Landschaft (Jaques v. Artois)
600 1000
Holländischer Frühling (Arnold Marc Gerter)
44
1903
Stephen PielhofF
f. d. Stadtbücherei
400
Goethe, Werke
1903
3 Kupferstiche f. d. Kunstmuseum
500
1903
Aquarell f. d. Kunstmuseum
600
1903
Gipsabgüsse
1903
Bronzebüste d. Kaisers
1904
Medaille f. d. Kunstmuseum
1904
Bronzen
1000
„Kassandra" u. „Badendes Mädchen" (Max Klinger)
1904
Bronzestatuette
1200
M ä d c h e n mit Katze
1904
Statuen f. d. Kunstmuseum
11.450
1904
Monumentalflaggenmast
27.600
Aufstellung a. d. Neumarkt
1904
Stipendien f. d. Handelsschule
15.000
als „Bankhaus v. d. Heydt, Kersten u. Söhne"
L. van Soest
1050 10.000 20
100
f. d. gelben Saal d. Stadthalle Firmenjubiläum (v.d. Heydt, Kersten u. Söhne)
M a x Roose, Rubens: Leben u. Werk
1905
Buch f. d. Kunstmuseum
1905
Opernausstattung
5000
Don Juan
1905
Gemälde f. d. Kunstmuseum
7000
Marine (Andreas Dicks); 2 Gemälde v. Marees
1906
Büste f. d. Kunstmuseum
1906
Repro
1000
Niederländer d. 15. Jh. (Farbig)
190o
Bronzestatuette
1300
Ecce homo (Meunier)
1906
Stiftung
500
10.000 5000
Büste desselben (A.v.d.Heydt)
Errichtung einer Eduard Frhr. v. d. Heydt-Stiftung Bild d. Kaiserin f. d. Kaisersaal d. Rathauses
1906
Bild
1907
geschnitzte Holzfiguren f. d. Kunstmuseum
1907
Bronze-Abgüsse f. d. Kunstmuseum
1200
Sitzstatue „Merkur"
1907
Bronzefigur f. d. Stadthalle
4500
„Die M u s i k "
1908
Gemälde f. d. Kunstmuseum
1908
Porträt
1908
Gerechtigkeitsbrunnen
1909
Gemälde f. d. Kunstmuseum
500
1909
Gemälde f. d. Kunstmuseum
1000
1910
Gemälde f. d. Kunstmuseum
600
1910
Gemälde f. d. Kunstmuseum
2000
Vertreibung a. d. Paradiese (Rudolf Ritter)
1910
Porträt
2000
O B Funck (im Rathaus aufzuhängen)
1910
Gemälde f. d. Kunstmuseum
4000
Die Schönheit erscheint der Welt (AI. Frenz)
Q.: StdAW, F VI 4 2 3 Bd. 1 u. 2
150
400 2000
Ideal-Landschaft (Othan Friesz) Porträt desselben (A. v. d. Heydt)
27.000 Ernte (Lismann) Stilleben (Paula Modersohn) Frau am Fenster (Henri Mauguin)
45
Traditionen im Umbruch: Jüdische Stiftungen für Freiwohnungen in Hamburg Von Angela Schwarz
Im aktuell diskutierten Konzept einer Zivil- oder auch Bürgergesellschaft wird über alle unterschiedlichen Einschätzungen hinweg den Stiftungen die Rolle als zivilgesellschaftliche Kernakteure im Dritten Sektor zugedacht.1 Ausgehend von diesem Befund scheint die seit Jahrhunderten ungebrochene Tradition des Stiftens in Hamburg für ein tief verankertes zivilgesellschaftliches Engagement zu sprechen,2 das der Hansestadt bis auf den heutigen Tag den Spitzenplatz im Städte-Ranking sichert und damit ein Garant von Kontinuität zu sein scheint. Mittlerweile haben wissenschaftliche Monographien überzeugend Wissenslücken zum Hamburger Stiftungswesen geschlossen und laufende Projekte werden den Kenntnisstand deutlich voranbringen. Die Öffentlichkeit hat aufgrund verschiedener Initiativen bessere Kenntnisse über die Tätigkeit der Stiftungen. Hingegen stehen Forschungen zum jüdischen Stiftungswesen in Hamburg noch aus, die dessen realer Bedeutung Rechnung tragen: 3 Die relativ gesicherte Anzahl von 438 Stiftungen lässt diese Bedeutung jedoch unschwer erkennen.4 Dabei verspricht eine Untersuchung dieser Thematik auch weiterreichende Erkenntnisse zum Verbürgerlichungsprozess der Juden in Hamburg zu liefern, denn mit diesem sind Stiftungen als Instrument bürgerlichen Handelns untrennbar verbunden. Eine derartige Perspektive soll im Folgenden am Beispiel einer charakteristischen Gruppe hanseatischer Stiftungen untersucht werden, zu deren hoher Zahl jüdische Stifter maßgeblich beigetragen haben: den Stiftungen für Freiwohnungen.
1
2
3
4
Jürgen Kocka, Die Rolle der Stiftungen in der Bürgergesellschaft der Zukunft, in: Bundeszentrale für politische Bildung (Hg.), Bürgergesellschaft/Stiftungen. Bonn 2004; Rupert Graf Strachwitz, Die Kultur der Zivilgesellschaft stärken - ohne Kosten für den Staat. Gutachten für den Deutschen Kulturrat (= Maecenata Institut (Hg.), Opusculum Nr. 12). Berlin 2003; Maecenata Institut (Hg.), Maecenata Actuell, Ausgaben Nr. 28 (Juni 2001), Nr. 49 (Oktober 2004), Nr. 54 (Oktober 2005). Hans-Dieter Loose, vom „tröste der Seele" zum „gemeinen Besten". Zur Geschichte des Stiftungswesens in Hamburg; in: Initiativkreis Hamburger Stiftungen (Hg.), Bürger und Gesellschaft. Stiftungen in Hamburg. Hamburg 2002, S. 37-81. Vgl. Georg Heuberger, Jüdisches Mäzenatentum - von der religiösen Pflicht zum Faktor gesellschaftlicher Anerkennung, in: Bernhard Kirchgässner und Hans-Peter Becht (Hg.), Stadt u n d Mäzenatentum. Sigmaringen 1997, S. 65-74; Elisabeth Kraus, Jüdische Stiftungstätigkeit: Das Beispiel der Familie Mosse in Berlin, in: ZfG 45. Jg., 1997, H. 2, S. 101-121; dgl., Jüdisches Mäzenatentum im Kaiserreich: Befunde - Motive - Hypothesen, in: Jürgen Kocka und Manuel Frey (Hg.), Bürgerkultur und Mäzenatentum im 19. Jahrhundert. Zwickau 1998, S. 3 8 - 5 3 ; dgl., Die Familie Mosse. Deutsch-jüdisches Bürgertum im 19. und 20. Jahrhundert. München 1999; Simone Lässig, Juden und Mäzenatentum in Deutschland. Religiöses Ethos, kompensierendes Minderheitsverhalten oder genuine Bürgerlichkeit?, in: ZfG 46. Jg., 1998, H. 3, S. 211-236; Olaf Matthes, James Simon. Mäzen im wilhelminischen Zeitalter. Berlin 2000. Günter Hönicke, Jüdische Stiftungen und Legate in Hamburg bis 1943. Hamburg 2001.
46
Angela Schwarz
Mit dieser Stiftungsform wurde älteren, bedürftigen Menschen kostenloser Wohnraum zur Verfügung gestellt, manchmal gegen eine Einkaufssumme, teilweise gegen eine geringe Mietzahlung in eher symbolischer Höhe oder auch völlig kostenfrei; außerdem gab es hinsichtlich der Zahlungsmodalitäten gemischte Stiftungen. Demnach war der Begriff „Stiftung für Freiwohnungen" nicht zwangsläufig als völlig kostenlose Wohnungsvergabe zu verstehen. Die Bewerbung um diese Freiwohnungen stand je nach Stifterwillen und Satzung bestimmten Bevölkerungsgruppen der mittleren und oberen Schichten offen, die zwar über ein regelmäßiges Einkommen verfügten, jedoch durch unvorhergesehene Schicksalsschläge und explodierende Mieten vom sozialen Abstieg unter die Armutsgrenze und damit von Obdachlosigkeit bedroht waren. Der Bezug einer Freiwohnung bewahrte sie davor. Noch heute ist in bestimmten Stadtteilen das Erscheinungsbild ganzer Straßenzüge von Stiftsgebäuden geprägt, deren dezente Auffälligkeit pointiert mit den paradoxen Formeln „aristokratische Bescheidenheitsarchitektur" oder „asketische Verschwendung" 5 bezeichnet wurde. Die häufig repräsentativen, gar palastartigen Gebäude in weitläufigen Gartenanlagen legen die Vermutung nahe, dass der Stifter über ein hohes Vermögen und gesellschaftliches Renommee verfügte. Sie bieten sich dem Auge des Betrachters als architektonisch inszenierte und kapitalintensive Wohltätigkeit dar. Eine derartige Verallgemeinerung wird hingegen durch die zahlreichen eher zweckmäßig und solide errichteten Gebäude aufgeweicht, die ihren Gründungszweck zurückhaltender präsentieren. 6 Gänzlich aufgehoben wird ein an sich nahe liegender direkter Zusammenhang zwischen Stiften und Vermögen durch zahlreiche, heute als normale Wohnhäuser genutzte Gebäude, deren ursprüngliche Nutzung sich nicht aus ihrer Architektur ableiten lässt. Im Gesamtbild ihrer baulichen Erscheinung bestehen die Stifsbauten durch Diverität die aus dem jeweiligen Stifterwillen und dem vorhandenen Stiftungsvermögen resultiert und eine differenzierte Betrachtung unter Berücksichtigung ihrer jeweiligen Entstehung reizvoll machen. Während das 19. Jahrhundert insgesamt durch einen Stiftungsboom gekennzeichnet war, unterschied sich Hamburg von anderen deutschen Großstädten dadurch, dass sich hier dieser Stiftungsbooms auch im Bereich der Stiftungen für Freiwohnungen niederschlug. Zwischen 1825 und 1914 wurden rund hundert Gebäude mit Freiwohnungen sowohl von jahrhundertealten als auch neu errichteten Stiftungen gebaut.7 Zu diesen christlichen und paritätischen Häusern zählen auch die 21 Stiftsgebäude für jüdische Gemeindemitglieder. Der erste Weltkrieg unterbrach diese stetige Aufwärtsentwicklung zwar, doch bei der dramatischen Lage auf dem Wohnungsmarkt, resp. Kleinwohnungsmarkt führte die nach 1918 erneut einsetzende Stiftungsbereitschaft zu einem weiteren Anstieg von Freiwohnungen. 5 6
7
Hermann Hipp, Stifte in Hamburg, in: Initiativkreis, Stiftungen, S. 8 3 - 1 0 1 , hier: S. 91. Michael Eissenhauer, Die Hamburger Wohnstiftungen des 19. Jahrhunderts: „Ein Denkmal, welches theilnehmende Liebe gestiftet hat..." (= Arbeitshefte zur Denkmalpflege in Hamburg, Nr. 9). Hamburg 1987. Ebd., S. 7.
Traditionen im Umbruch: Jüdische Stiftungen für Freiwohnungen in Hamburg
47
Durch den Ausbau europäischer und überseeischer Handelsbeziehungen wuchs die Hamburger Wirtschaft enorm. Die anhängigen Sektoren wie Schiffsbau, Makler- und Bankwesen expandierten, steigerten die Attraktivität der Stadt als Arbeitsplatz und lösten eine Zuzugsbewegung aus, aufgrund derer die Einwohnerzahl von 130.000 zu Beginn des 19. Jahrhunderts bis zur Grenze von einer Million vor dem Ersten Weltkrieg anstieg. Die obligatorischen Kennzeichen des Verstädterungsprozesses wie Wohnungsverknappung und -Verteuerung traten auf dem begrenzten Staatsterritorium besonders deutlich zutage und verschärften die Wohnsituation zunehmend. Dadurch stellte sich die Wohnungsfrage immer klarer auch als eine soziale Frage dar, die über die unteren Einkommensschichten hinaus weitere Bevölkerungsgruppen einbezog. In der ersten Hälfte des Jahrhunderts konnte der aus dem Konjunkturaufschwung resultierende Bevölkerungsanstieg noch innerhalb der Stadtmauern durch immer dichter bebaute Grundstücke bewältigt werden, wenn auch hinsichtlich der Wohnqualität mit deutlichen Abstrichen. Erste städteplanerische Maßnahmen zur Ausdehnung der Bebauungsflächen waren bereits nach der Franzosenzeit mit den Entfestigungen ergriffen worden. Als der Große Brand von 1842 ca. ein Drittel des Stadtgebietes zerstörte, wurde dies zum Anlass einer technischen Modernisierung und Sanierung zumindest der innerstädtischen Gebiete genommen, wobei allerdings dem Wohnungsbau weniger Bedeutung beigemessen wurde. Eine deutlichere Entlastung erfolgte mit der Aufhebung der Torsperre, womit das Stadtgebiet 1860 um die ehemaligen Vorstädte St. Pauli und St. Georg erweitert wurde, die dann innerhalb kurzer Zeit eine enorme Bevölkerungs- und Bauzunahme verzeichneten. Diese Maßnahmen zur Stadterweiterung konnten jedoch aufgrund der starken Zuwanderung auf keine durchgreifende Entlastung des Wohnungsmarktes herbeiführen, der gemäß des Laisser-faire-Prinzips dem freien Markt und somit der Spekulation überlassen wurde. Die Interessen der privaten Bauherren waren auf Rendite ausgerichtet, die sie durch repräsentative Großwohnungen und größtmögliche Ausnutzung der Baugrundstücke mittels kleiner, qualitativ schlechter Häuser und Anbauten erzielten. Die staatlichen Initiativen zur Begrenzung der sichtbaren Missstände beschränkten sich in den 1860er und 1870er Jahren auf baupolizeiliche Gesetze. Mit der Entwicklung zur Metropole wurde die traditionelle Wohn- und Arbeitseinheit der Kaufmannshäuser in den innerstädtischen, dicht bevölkerten Bezirken aufgehoben. Die neuen, großen Geschäfts- und Bürohäuser prägten nun das Bild der City. Dieser Strukturwandel trieb die Grundstückspreise in die Höhe und reduzierte den Wohnungsbestand dort drastisch. Die Stadterweiterung blieb somit weitgehend privaten Initiativen überlassen. Auch der bedeutungsvolle Bebauungsplan von 1892, der den bisherigen städtebaulichen Wildwuchs per Gesetz in geordnete Bahnen lenkte, konnte die Bausünden der vorhergehenden Zeit nicht beseitigen. Die Wohnungsfrage stellte sich als permanentes städtebauliches und
48
Angela Schwarz
soziales Problem dar,8 das unter dem geläufigen Schlagwort der „Kleinwohnungsfrage" bis in das 20. Jahrhundert hinein das zentrale Thema in der Baubehörde blieb. Praktische Lösungen für die Arbeiterschaft boten seit den 1840er Jahren die Bauprojekte der Genossenschaften, hingegen wurde für andere Bevölkerungsschichten frühzeitig eine alte Tradition der bürgerlichen Gemeinnützigkeit wieder aktiviert: das Stiftungswesen für Freiwohnungen. Die Anzahl aller derartigen Stiftungen belief sich Ende der 1920er Jahre auf 77, mit einem Gesamtbestand von ca. 4800 Freiwohnungen. 9 Gemessen an der Wohnungsanzahl war der Beitrag jüdischer Stifter mit einem Fünftel zu beziffern, in Bezug auf die Institutionen sogar mit einem Drittel, in jedem Fall jedoch als überproportional zum Bevölkerungsanteil, der im 20. Jahrhundert auf knapp zwei Prozent zurückgehen sollte.10 Wenn Stiftungen als Instrument bürgerlichen Handelns par excellence verstanden werden, dann scheinen diese Zahlen für einen überaus erfolgreichen Verbürgerlichungsprozess der Hamburger Juden zu sprechen, der durch diese auf Dauerhaftigkeit angelegte Stiftungsform noch untermauert wird. Im Folgenden soll die auffallige Diskrepanz zwischen dem relativ geringen Bevölkerungsanteil der Juden und ihrem herausragenden Engagement in diesem Zweig der privaten Wohltätigkeit zum Anlass genommen werden, um zu klären, warum sie sich in diesem typischen Zweig des Hamburger Stiftungswesens derart stark engagierten. Richtungsweisend dafür ist der Emanzipationsprozess der Juden, der auch in Hamburg vor allem auf den Zugang zum Bürgertum abzielte, in seinem Verlauf jedoch spezifische Besonderheiten aufwies. Außerdem soll die Frage beantwortet werden, ob die jüdischen Stifter von Freiwohnungen diese hanseatische Tradition durch kontinuierliche Fortführung rein quantitativ bereicherten, oder ob sie diese aufgrund der jüdischen Tradition und ihrer dauerhaften Sonderrolle im Stadtstaat auch qualitativ veränderten, womit das Element der Diskontinuität Eingang in diese jahrhundertealte hanseatische Stiftungstradition finden würde. Damit wird die Frage nach den Unterschieden zwischen den von Christen und den von Juden errichteten Stiftungen für Freiwohnungen im Kontext ihrer Entstehungszusammenhänge aufgeworfen, für deren Beantwortung die architektonische Variationsbreite vom „Schloss" bis zum Mietshaus erkenntnisleitende Ansätze zu liefern verspricht. Rechtliche Unsicherheiten und sukzessive Konsolidierung Die Geschichte der Juden in der Hansestadt begann in den 1590er Jahren mit der Niederlassung der von der Iberischen Halbinsel vertriebenen Sepharden. Unter den jüdischen Flüchtlingen befanden sich vermögende Großkaufleute und angesehene 8 Dirk Schubert, Stadtemeuerung in London und Hamburg. Eine Stadtbaugeschichte zwischen Modernisierung und Disziplinierung. Braunschweig/Wiesbaden 1997. 9 A n g e l a Schwarz, Die Vaterstädtische Stiftung in Hamburg in den Jahren 1849 bis 1945. „...einen Akt der Gerechtigkeit durch einen Akt der Wohlthätigkeit z u verewigen..." Hamburg 2007, S. 152. 10 Ebd., S. 153.
Traditionen im Umbruch: Jüdische Stiftungen für Freiwohnungen in Hamburg
49
Wissenschaftler.11 Sie unterschieden sich in Ritus, Sprache und sozialem Stand deutlich von den seit ca. 1620 aus ost- und mitteleuropäischen Gebieten zugewanderten Aschkenasen, die nach kurzer Zeit die Mehrheit der Judenschaft bildeten und deren Geschichte einen völlig anderen Verlauf nahm. Ein gemeinsamer Nenner auf niedrigem Niveau war zu jener Zeit der unterprivilegierte rechtliche Status der Hamburger Juden, der aus den diskriminierenden obrigkeitlichen Sonderregeln resultierte. Ihre Rechtsunsicherheit schlug sich bei antijüdischen Stimmungsumschwüngen immer wieder in Austreibungen aus der Stadt nieder. Im Hamburger Rat hingegen war zumindest die Ansiedlung der sephardischen Überseekaufleute aus wirtschaftlichen Erwägungen heraus durchaus willkommen, denn diese verfügten über weitreichende Handelsbeziehungen. Nach einer kurzen Blütezeit dieser jüdischen Gemeinde konnten sich die gegnerischen Kräfte in der Bürgerschaft und in der einflussreichen Kirche durchsetzen. Aufgrund stetig anschwellender steuerlicher Erlasse verließ schließlich ein Großteil der sephardischen Juden die Stadt in Richtung Antwerpen und Amsterdam. Die aschkenasische jüdische Gemeinde Hamburgs lebte als unterprivilegierte Minderheit - viele ihrer Mitglieder arbeiteten zunächst als Diener der Sepharden - nach den traditionellen Vorschriften. Seit 1671 bildete sie im Zusammenschluss mit den unter jeweils anderen Herrschaftsverhältnissen lebenden Altonaer und Wandsbeker Juden den „Dreigemeindeverband" (AHW). Sie waren dem Altonaer Oberrabbinat als höchster inneijüdischer Instanz und religiöser Autorität unterstellt. Von erheblicher ritueller und damit gemeindestabilisierender Bedeutung war die Anlage eines Friedhofes in Altona im Jahre 166312 sowie die 1670 erfolgte Gründung der Beerdigungsbrüderschaft (Chewra Kadischa).13 Erst mit dem „Judenreglement" von 1710 beendete eine kaiserliche Kommission das langwierige Kräftemessen zwischen Rat, Bürgerschaft und Geistlichkeit bezüglich eines Niederlassungsrechts der Juden. Von nun an wurden Juden zumindest als Bewohner mit rudimentären Rechten versehen. Dabei herrschte ein Geflecht unterschiedlich motivierter Ablehnungshaltungen vor, in dem sich der Rat aus utilitaristischen Erwägungen heraus zwar aufgeschlossen zeigte, diese halbherzige Haltung jedoch nicht gegen die Ablehnungsfront aus Bürgerschaft und Kirche behaupten konnte. So erhoben die organisierten, jede Konkurrenz fürchtenden Krämer immer wieder Klage gegen jüdische Händler und das in den Zünften organisierte Handwerk pflegte eine konsequente Ablehnungsstrategie. Eine wirkungsmächtige Bedeutung
11 Michael Studemund-Halévy (Hg.), Die Sefarden in Hamburg. Zur Geschichte einer Minderheit. 2 Bde. Hamburg 1997 und 1998. 12 Jörg Berkemann und Ina Lorenz, Streitfall jüdischer Friedhof Ottensen 1663-1993. Wie lange dauert Ewigkeit. 2 Bde. (= Studien zur jüdischen Geschichte, Bd. 1). Hamburg 1995. 13 Gabriele Züm, Die Altonaer jüdische Gemeinde (1611-1873). Ritus und soziale Institutionen des Todes im Wandel. Hamburg 2001.
50
Angela Schwarz
kam der lutherischen Orthodoxie zu, die aus religiösen Motiven heraus gegen das Judentum predigte. 14 Eine restriktive Gesetzeslage gewährte der jüdischen Gemeinschaft seit 1710 zumindest eingeschränkte religiöse und wirtschaftliche Rechte, unterwarf sie aber auch hohen steuerlichen Pflichten; auf der wirtschaftlichen und politischen Entscheidungsebene waren sie von jeglicher Teilhabe ausgeschlossen. Trotz aller Auflagen und Beschränkungen war ihre Lage vergleichsweise besser als in anderen Staaten, da sie weder Schutzgelder und überzogene Vermögenssteuern zahlen noch in einem Ghetto leben mussten. Die Mehrheit der Hamburger Juden lebte vom Klein- und Hausierhandel, war im Geldgeschäft und im Maklerwesen tätig, überwiegend auf niedrigem, häufig dürftigem Niveau, mit nur wenigen besser gestellten Groß- und Fernhandelskaufleuten. Handwerker waren nur für inneijüdische Belange zugelassen. Ideengeschichtliche Veränderungen zeichneten sich seit den 1760er Jahren ab, als Hamburg und Altona zu norddeutschen Zentren der Aufklärung und der Haskala wurden. 15 Zum Mittelpunkt der neuen Geisteshaltung wurde die 1765 gegründete „Hamburgische Gesellschaft zur Förderung der Künste und nützlichen Gewerbe" (Patriotische Gesellschaft).16 Ihren Trägern ging es ebenso um die Verbreitung neuer Techniken wie um die Förderung des Gemeinwohls. Sie bereicherten und modernisierten mit zahlreichen Reforminitiativen das städtische Leben. Seit 1800 hatten zu dieser Gesellschaft auch Juden Zutritt, was in jener Zeit eher eine Ausnahme darstellte. So fanden diese nur vereinzelt Zugang zu Diskussionszirkeln, in denen auch Themen wie Toleranz und Gleichstellung besprochen wurden; Themen, die zuvor richtungweisend von Gotthold Ephraim Lessing und Moses Mendelssohn vorgegeben worden waren. Einen intensiven Niederschlag fanden diese Debatten in der allgemeinen und der jüdischen Literatur sowie in den Feuilletons. Sie bezogen auch Fragen der Akkulturation und der jüdischen Identität mit ein. Greifbare Ergebnisse blieben hingegen aus, die jüdische Gemeinschaft lebte auch weiterhin außerhalb der christlichen Gesellschaft. Jedoch wurde letztlich ein Veränderungsprozess in Gang gesetzt, als dessen Ziel sich für fortschrittliche Juden immer deutlicher der Zugang zur bürgerlichen Gesellschaft herauskristallisierte. Wie überall, so schienen Bildung und Besitz auch den Juden in Hamburg einen Zugang zum Bürgertum zu ermöglichen. Die bisherigen Bildungsmöglichkeiten des
14 Jutta Braden, Hamburger Judenpolitik im Zeitalter lutherischer Orthodoxie 1590-1710. (= Hamburger Beiträge zur Geschichte der deutschen Juden, Bd. XXIII). Hamburg 2001. 15 Franklin Kopitzsch, Grundzüge einer Sozialgeschichte der Aufklärung in Hamburg und Altona. Hamburg 1990; Chaim Shoham, Altona-Hamburg-Wandsbek als Orte der Haskala, in: Peter Freimark und Arno Herzig (Hg.), Die Hamburger Juden in der Emanzipationsphase (1780-1870), (= Hamburger Beiträge zur Geschichte der deutschen Juden, Bd. XV). Hamburg 1989, S. 22-40. Allgemein: Christoph Schulte, Die jüdische Aufklärung. Philosophie, Religion, Geschichte. München 2002; Karlfried Gründer und Nathan Rosenstreich (Hg.), Aufklärung und Haskala in jüdischer und nichtjüdischer Sicht (= Wolfenbütteler Studien zur Aufklärung, Bd. 14). Heidelberg 1990. 16 Sigrid Schambach, Aus der Gegenwart die Zukunft gewinnen. Die Geschichte der Patriotischen Gesellschaft von 1865. Hamburg 2004.
Traditionen im Umbruch: Jüdische Stiftungen für Freiwohnungen in Hamburg
51
traditionellen jüdischen Schulwesens wurden für jüdische Schüler durch die Zugangsberechtigung zu neuen, säkularen Schulen deutlich erweitert.17 Für höhere Schulabschlüsse stand ihnen seit 1802 die Gelehrtenschule des Johanneums offen. Aufgrund der jüdischen Berufsausrichtung sowie der allgemeinen Wirtschaftsstruktur der Hansestadt bot sich der Handel als nahe liegender Erwerbszweig an, um zu Besitz zu gelangen. So wurden von der tendenziell liberal eingestellten, gesellschaftlich und politisch führenden Kaufmannschaft die wirtschaftlichen Leistungen einzelner jüdischer Kaufleute anerkannt. Da sie geschäftlichen Umgang miteinander pflegten, festigten sich zudem die Kontakte zwischen beiden Gruppen. Diese liberalen, christlichen Kaufleute forderten auch für jüdische Kaufleute den Zugang zum Freihandel und die Beseitigung hemmender Auflagen. Die französische Revolution wurde in aufgeklärten Bürgerkreisen begeistert begrüßt, jedoch befürworteten nur wenige die völlige Gleichstellung der französischen Juden. Diese Errungenschaft stellte für die fortschrittlichen Hamburger Juden die größte dar, hingegen formierte sich in jüdischorthodoxen Kreisen eine religiös begründete Ablehnung der Aufklärung. So ergibt sich für die Zeit um 1800 ein ambivalentes Bild hinsichtlich der Stellung der Juden, das von einer partiellen Aufbruchstimmung im Hamburger Judentum und einer stark gebremsten Bereitschaft zur Akzeptanz durch die Gesellschaft geprägt war. Jeder aufglimmende Hoffnungsschimmer wurde jedoch von den unüberwindlichen Mauern des Judenreglements und den Konzessionen des Hamburger Bürgerrechts gestoppt, dessen Koppelung an die lutherische Konfession eine wirtschaftlich und politisch selbständige Existenz behinderte, wie sie von immer mehr Juden angestrebt wurde. Zu den Trägern eines umfassenden Emanzipationsprozesses wurden beruflich erfolgreiche Kaufleute und Akademiker, die einen Wandel der inneijüdischen Verhältnisse aus dem Geist der Aufklärung und der Haskala heraus initiierten und ihre Zielsetzungen nach außen auf den Zugang zum Hamburger Bürgerrecht fokussierten. Dabei entwickelten sich die jüdischen Verhältnisse in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in einer Art Zickzackkurs, bedingt durch hemmende wie fordernde Einwirkungen von innen und aussen. 18 Die völlige Gleichstellung unter französischer Besatzung zwischen 1811 bis 1814 sollte nur eine kurze Episode bleiben, denn umgehend nach der Vertreibung der Besatzer wurde das Judenreglement wieder in Kraft gesetzt. Von Dauer hingegen war nach der Auflösung der Dreigemeinde der Zusammenschluss der Hamburger Juden in der Deutsch-Israelitischen Gemeinde (DIG). In jener Zeit stellte die jüdische Gemeinschaft Hamburgs mit knapp 6500 Personen, darunter annähernd 150 Sepharden, die damals 17 Simone Lässig, Bildung als kulturelles Kapital? Jüdische Schulprojekte in der Frühphase der Emanzipation, in: Andreas Gotzmann, Rainer Liedtke, Till van Rahden (Hg.), Juden, Bürger, Deutsche. Zur Geschichte von Vielfalt und Differenz 1800-1933. Tübingen 2001, S. 263-298; dgl., Jüdische Wege ins Bürgertum. Kulturelles Kapital und sozialer Aufstieg im 19. Jahrhundert. Göttingen 2004. 18 Helga Krohn, Die Juden in Hamburg 1800-1850. Ihre soziale, kulturelle und politische Entwicklung während der Emanzipationszeit, (= Hamburger Studien zur neueren Geschichte, Bd. 9). Hamburg 1967; Peter Freimark, Arno Herzig (Hg.), Die Hamburger Juden in der Emanzipationsphase 1789-1870, (= Hamburger Beiträge zur Geschichte der deutschen Juden, Bd. XV). Hamburg 1989.
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größte in den deutschen Staaten dar und war mit sechs Prozent die größte Minderheit in der Stadt. Die kurze Zeit der Gleichstellung mobilisierte hingegen jüdische Anstrengungen, nunmehr auf dem Rechtsweg eine Beibehaltung der französischen Gesetzgebung zu erlangen. Dabei zeigten sich einige Ratsherren durchaus gesprächsbereit und entgegenkommend, honorierten auch die Leiden und den patriotischen Einsatz der Juden gegen die Besatzungsmacht, doch aufgrund der differenzierten und verflochtenen Machtverhältnisse konnten sich letztlich die Ablehner der französischen Gesetzgebung behaupten, die sich vor allem im Gremium der Oberalten und in der Bürgerschaft sammelten. Da die rechtliche Besserstellung der Juden unabdingbar mit einer umfassenden Verschiebung der Machtverhältnisse auf Kosten der Kirche und anderer einflussreicher Kräfte verbunden war, blieb aus Gründen der Besitzstandwahrung letztlich alles beim Alten, obwohl sich die Erkenntnis, dass eine Umgestaltung des unbeweglichen Verfassungs- und Verwaltungssystems notwendig sei, immer mehr durchsetzte und sich in öffentlichen Aufrufen führender Bürger niederschlug. Im Bewusstsein, dass auf der rechtlichen Ebene unter den herrschenden Verhältnissen keine Änderungen zu erreichen waren, setzten sich liberale Juden neue Ziele. Sie wollten die überkommenen inneijüdischen Lebensverhältnisse aufgrund ihrer fortschrittlichen Geistehaltung modernisieren, was zudem auch als förderlich für eine bürgerliche Gleichstellung angesehen wurde. Derartige Überlegungen resultierten in einer pragmatisch organisierten und tatkräftigen Reformbewegung, die sich auf eine Umgestaltung des Schulwesens, des Kultus und der Berufstätigkeit konzentrierte. Die Vermittlung der deutschen Sprache und die säkularen Fächer fanden Eingang in den Unterrichtskanon, 19 mit der Gründung des Israelitischen Tempels schuf das liberale Judentum ein Zentrum religiöser Reforminitiativen 20 und mit verschiedenen Maßnahmen sollte die berufliche Stellung der Juden verändert und verbessert werden. Seit den 1820er Jahren wurden unter der Federführung des Vorkämpfers der Gleichberechtigung auch auf nationaler Ebene, dem Juristen und Politiker Dr. Gabriel Riesser (1806-1863), gezielte Eingaben an den Rat gerichtet, in denen er die Forderungen der Liberalen und der Emanzipationsanhänger unter dem Motto „Gleiche Rechte - gleiche Pflichten" miteinander verband und in diesem Sinne lebhaft diskutierte Denkschriften veröffentlichte. Seit dem Vormärz fanden die jüdischen Bestrebungen um Gleichberechtigung nachhaltige Unterstützung in liberalen Kreisen des Hamburger Bürgertums, das sich in politischen Vereinen für die Modernisierung der Verfassung und der Verwaltung des Hamburger Staates engagierte und von denen die Gleichstellung der Juden als längst überfallige Maßnahme unterstützt wurde. In vielen die-
19 Sybille Baumbach, Die Israelitische Freischule von 1815, in: Freimark/Herzig, Emanzipationsphase, S. 214-233; Ursula Randt, Carolinenstraße 35. Geschichte der Mädchenschule der Deutsch-Israelitischen Gemeinde in Hamburg 1884-1942. Hamburg 1996; dgl., Die Talmud Tora Schule in Hamburg 1805-1942. Hamburg 2005. 20 Andreas Brämer, Judentum und religiöse Reform. Der Hamburger Israelitische Tempel 1817-1938. Hamburg 2000.
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ser Vereinigungen arbeiteten Juden mit Christen zusammen. Trotz aller deutlichen Brüche in der Ablehnungsfront mussten die Bemühungen letztlich am Hamburger Bürgerrecht scheitern. Erst im Zuge der nicht mehr aufzuhaltenden Prozesse infolge der revolutionären Bewegung von 1848/49 konnte sich der Rat nicht mehr weigern und erließ am 23. Februar 1849 die Provisorische Verordnung durch Rat- und Bürgerschluss. Damit erlangte die bürgerliche Gleichstellung der Hamburger Juden Gesetzeskraft und konnte auch nicht wie in den anderen deutschen Staaten mit dem Wiedererstarken der Reaktion zurückgenommen werden: Der Emanzipationsprozess in seinen rechtlichen Dimensionen war damit weitgehend abgeschlossen. Das Bürgerrecht war nicht mehr an die Religionszugehörigkeit gebunden. Zahlreiche Juden nahmen dieses neue Recht umgehend in Anspruch, indem sie es käuflich erwarben. Gut situierte Juden kauften das Großbürgerrecht, das 750 Courantmark kostete, andere das günstigere, abgestufte Rechte beinhaltende Kleinbürgerrecht.21 Letzte marginale Einschränkungen fielen mit dem Erlass der Neuen Hamburger Verfassung von 1860, mit der die legislativen, exekutiven und judikativen Gewalten voneinander getrennt und die vollständige Glaubens- und Gewissensfreiheit eingeführt wurden. Mit den folgenden Ausführungen sollen die Veränderungen im jüdischen Armenund Wohltätigkeitswesen entsprechend ihrer Entwicklung in den Kontext der Emanzipation gestellt werden. Jüdisches Stiftungswesen in Hamburg Aufgrund ihrer Sonderrolle im Stadtstaat war die jüdische Gemeinschaft von Beginn an für die Versorgung der jüdischen Armen und Bedürftigen zuständig, die nach den traditionellen Vorgaben der Sozialethik gestaltet wurde. Das leitende Selbstverständnis interpretierte Armut als schlimmes Missgeschick und nicht als erstrebenswertes Ideal. Das Recht Not leidender Menschen auf Hilfe war bereits in der Tora mit konkreten Pflichten verbunden worden, die der Besitzende zu leisten hatte. Seit den biblischen Zeiten galt die Zedaka (Gerechtigkeit) als wichtigstes jüdisches Religionsgesetz, sie hatte verpflichtenden Charakter. Sie stellte den Kern der jüdischen Wohltätigkeit dar und war eine Handlungsanweisung, die sich nicht auf Sachleistungen und Almosen beschränkte, sondern auch im Sinne einer ausgleichenden sozialen Gerechtigkeit zu verstehen war, die dem elementaren Gemeinschaftssinn im Judentum entsprach. Dabei lag eine wohltätige Handlung nicht im persönlichen Ermessen des Gebenden, sondern musste unabhängig von der individuellen Einstellung geleistet werden.22
21 22
Cornelia Süß, Der Prozeß der bürgerlichen Gleichstellung der Hamburger Juden 1 8 1 5 - 1 8 6 0 , in: Freimark/Herzig, Emanzipationsphase, S. 2 7 9 - 2 9 8 , hier: 286. Jonathan Sacks, Wohlstand und Armut: Eine jüdische Analyse, in: Zedaka. Jüdische Sozialarbeit im Wandel der Zeit. 75 Jahre Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland 1 9 1 7 - 1 9 9 2 . Frankfurt/Main 1993, S. 1 4 - 2 9 ; Dr. Stein, Der soziale Geist und die sozialen Einrichtungen des Judentums nach Bibel und Talmud, in: Jahrbuch der Jüdischen - Literarischen Gesellschaft, XVI. Bd. Frankfurt/Main 1924, S. 8 7 - 2 1 .
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Im Mittelalter ergänzte der jüdische Gelehrte Maimonides dieses Gerechtigkeitsprinzip wesentlich durch die Gemilut Chassadim (Mildtätigkeit).23 Er schuf damit eine umfassende Wohltätigkeitslehre, die das weite Feld immaterieller Notlagen integrierte. Er formulierte ein achtgliedriges System, das sich von unfreundlichem Geben stufenweise bis zur anonymen Wohltätigkeit steigerte und seinen höchsten Ausdruck in einer Hilfe zur Selbsthilfe fand, die gegeben wurde, bevor jemand in Not gerät. Der diesem System innewohnende präventive Grundgedanke resultierte aus dem religiös begründeten Verständnis, dass soziale Missverhältnisse nicht zu akzeptieren, sondern vielmehr im Diesseits umgehend zu beseitigen seien. Von entscheidender Bedeutung für die jüdische Sozialethik war ein Eigentumsverständnis, nach dem aller Besitz Gott gehört. Der Mensch ist nur Nutznießer, der Besitz und Kapital nicht um ihrer selbst willen anhäufen, sondern für wohltätige Leistungen verwenden sollte. Von daher wurden Spenden nicht nach ihrer Großzügigkeit bemessen, sondern unter dem Aspekt der Gleichheit gesehen, womit die Höhe der Gabe relativiert wurde. Um zu verhindern, selbst von Hilfe abhängig zu werden, sollte jedoch eine bestimmte Grenze nicht überschritten werden. In das gesamte Wohltätigkeitskonzept wurden auch Fremde und Nichtjuden mit einbezogen, wodurch der spätere Paritätsgedanke antizipiert wurde. Die Armenpflege der Hamburger Juden war diesen traditionellen geistigen Grundlagen entsprechend umfassend organisiert. Eine Armenkasse sorgte mit regelmäßiger Unterstützung und je nach Bedarf mit Sachleistungen für die Versorgung der Armen. Bettelnde Arme wurden an den hohen jüdischen Feiertagen in den Häusern der wohlhabenden Juden versorgt, aber auch im Alltag konnten bettelnde Juden in den Straßen mit Almosen rechnen. Obligatorische soziale Einrichtungen wie das Armen- und Krankenhaus (Hekdesch) und die Armenschule wurden aus direkten Gemeindesteuern und regelmäßigen Sammlungen finanziert, wofür die Gemeinde Armenvorsteher bestimmte. Ein differenziertes Steuersystem veranschlagte arme wie reiche Mitglieder zu Leistungen, die auch für zahlreiche wohltätige Zwecke verwendet wurden. Als Pflicht wurde die Versorgung armer Verwandter begriffen, durchreisende Bedürftige wurden mit Essen und etwas Reisegeld versorgt. 24 Hingegen sollten die von auswärts zureisenden Armen von der Stadt femgehalten werden, wozu die Gemeinde zunächst die Befugnis des Rates, gegen straffällige Personen vorzugehen, instrumentalisierte. 25 Hingegen konnten weder die Mandate des Rates gegen Betteljuden noch die von der Gemeinde verhängten Bettelverbote einen durchgreifenden Erfolg erzielen, denn die
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Juda Bergmann, Mildtätigkeit, in: Verband der deutschen Juden, Soziale Ethik im Judentum. Frankfurt/Main 1913, S. 51-70. M. M. Haarbleicher, Zwei Epochen aus der Geschichte der Deutsch-Israelitischen Gemeinde in Hamburg. Hamburg 1867, S. 43ff. Peter Kromminga, Duldung und Ausgrenzung. Schutzjuden und Betteljuden in Hamburg im 17. und 18. Jahrhundert, in: Arno Herzig (Hg.), Die Juden in Hamburg 1 5 9 0 - 1 9 9 0 . Wissenschaftliche Beiträge der Universität Hamburg zur Ausstellung „Vierhundert Jahre Juden in Hamburg". Hamburg 1991, S. 1 8 7 - 1 9 3 .
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Zahl der ins wirtschaftlich attraktive Hamburg drängenden Bettler stieg im Verlaufe des 17. Jahrhunderts weiter an. Das der Gemeinde durch Artikel 23 des Judenreglements zugesprochene Recht der internen Steuertaxation zeigte in dieser Richtung gleichfalls wenig Erfolg. Die Gemeinde erhielt jedoch die Befugnis, über die Aufnahme zureisender Juden und damit über die Niederlassung in der Stadt zu bestimmen. Auch der Einsatz eines jüdischen Torwärters als Fremdenaufseher am einzigen für Juden offen stehenden Tor, dem Millemtor, konnte den Zustrom der Bettler lediglich begrenzen. Das Bettelwesen blieb für die jüdische Gemeinschaft ein dauerhaftes Problem, ebenso wie für die übrige Gesellschaft. Eine positive Wirkung erzielte das restriktive Judenreglement hingegen bei der Entstehung einer freiwilligen Wohltätigkeit, deren stufenweise Entfaltung im Zeitverlauf die jeweiligen Existenzbedingungen jüdischen Lebens widerspiegelte und die in ein breit gefächertes Stiftungswesen münden sollte. a. Möglichkeiten zur Traditionspflege von 1710 bis 1789
Nachdem mit dem Erlass des Judenreglements zumindest die rechtliche Unsicherheit bezüglich der Niederlassung beseitigt worden war, schlössen sich Bruderschaften und Vereine mit verschiedenen Aufgabenstellungen wie Beerdigung, Krankenpflege und Armenhilfe zu Gruppen zusammen, deren Zwecksetzungen durch die jüdische Soziallehre definiert wurden. Wesentlich für ihre spätere Ausgestaltung waren die seit 1716 errichteten Stiftungen und Legate, deren Gelder bei der Gemeinde hinterlegt waren. Die Zielsetzungen richteten sich an den Prinzipien der Zedaka aus, deren Häufigkeit in der Rangfolge die hohe Bedeutung von Heirat und Familie im Judentum unterstrich: für arme Verwandte, die Ausstattung armer Bräute, religiöse Studien, Jahrzeit- bzw. Sterbetag-Gottesdienste, Schul- und Erziehungszwecke, wohltätige Vereine, Witwen, Waisen, religiöse Zwecke, Kranke, auswärtige jüdische Arme und zur Verwaltung und Besorgung der Verlosungen. Soziale und rituelle Inhalte formten eine erste Traditionsperiode im jüdischen Stiftungswesens heraus, an deren Ende knapp 40 Legate und Stiftungen gezählt werden konnten, die zusammen mit der organisierten Gemeindearmenpflege das jüdische Sozialwesen bildeten und fundamentale Bedeutung für den Gemeindeerhalt hatten. b. Modernisierung durch Reform zwischen 1789 und 1849
Der Anstoß zur Weiterentwicklung dieser Linien erfolgte von außen durch die Gründung der Allgemeinen Armenanstalt, mit der das städtische Armenwesen grundlegend reformiert wurde. 26 Vor dem Hintergrund der zunehmenden Verelendung und des Bettelwesens hatten aufgeklärte Bürger aus den Kreisen der Patriotischen Ge-
26 Erich Braun, Franklin Kopitzsch (Hg.), Zwangsläufig oder abwendbar? 200 Jahre Hamburgische Allgemeine Armenanstalt. Hamburg 1990.
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sellschaft einem neuen Verständnis von Armut Geltung verschafft, wonach diese nicht aus der Verderbtheit des Einzelnen, sondern aus immer wiederkehrenden Wirtschaftseinbrüchen resultierte. In klarer Abkehr von der traditionellen kirchlichen Armenpflege und moralisch-sittlichen Aspekten wurde gemäß dem Motto „Arbeit statt Almosen" die Hilfe zur Selbsthilfe gefordert. Diese basierte auf einer differenzierten Unterscheidung zwischen Arbeitsfähigen und den tatsächlich Armen, denen eine notdürftige Unterstützung zustand. Wesentlich für die Umsetzung dieses Prinzips der aktivierenden Hilfe waren die Organisationsstrukturen der Anstalt, aufgrund derer die Stadt in Armenbezirke eingeteilt wurde, in denen ehrenamtlich tätige Bürger sich vor Ort um die einzelnen Schicksale kümmerten sowie geeignete Maßnahmen anordneten. An dieser Nahtstelle zwischen privater Wohltätigkeit und kommunaler Armenfursorge bewährte sich die personelle Vernetzung innerhalb der wirtschaftlich, politisch und gesellschaftlich führenden Elite.27 Dabei wurden die durchaus vorhandene Kontrolle, Disziplinierung und kostenlose Arbeitsleistungen der Armen ebenso wiederholt bemängelt wie die knapp bemessenen Zuwendungen. Dennoch trug sie in ihrer Blütezeit viel zur Armutsbekämpfung bei. Ihr Erfolg regte andere Städte an, das Konzept zu übernehmen. Mit der Allgemeinen Armenanstalt wurde ein wesentlicher Schritt von der geschlossenen zur offenen Armenfürsorge geleistet, die nach wenigen Jahrzehnten erfolgreicher Tätigkeit seit 1865 vollständig auf staatliche Finanzierung angewiesen war. Mit der Brandmarkung und Unterstrafestellung von Almosengabe und -empfang wurden wesentliche Grundzüge der jüdischen Sozialethik unterbunden und die Gemeinde zur Neuorganisation ihres Armenwesens mobilisiert. Dabei nahm man sich die Prinzipien der größeren Anstalt zum Vorbild, die Juden vom Leistungsbezug ebenso ausschloss wie von der ehrenamtlichen Mitarbeit, und teilte die jüdischen Wohnviertel in Armenbezirke auf, in denen sich Armenpfleger um die Bedürftigen kümmerten. Ein wesentlicher Unterschied bestand jedoch in den deutlich höheren Kompetenzen der Pfleger bezüglich der Mittelverteilung und Unterstützungen wurden eindeutig großzügiger gewährt. So wurden regelmäßige wie außerordentliche Unterstützungen geleistet, Nahrungsmitter verteilt, medizinische Versorgung finanziert und spezielle Fürsorge für Waisenkinder geleistet. Es fehlte jedoch ein Arbeitszwang. Außerdem erfolgte die Finanzierung im Gegensatz zur Allgemeinen Armenanstalt nicht nur aus Spenden, sondern auch aus den Gemeindesteuern.28 27
28
„Denn trotz aller bürokratisch-hierarchischen Normierungen und trotz einer für Hamburg großen Zahl besoldeter Offizianten hielt man grundsätzlich am Prinzip der Ehrenamtlichkeit und an der kollegialistischen Struktur der Behördenspitze fest, womit sich die allgemeine Armenanstalt in die Entwicklung bürokratischer Verwaltungsreformen des aufgeklärten Absolutismus einpaßte." Frank Hatje, Das Armenwesen in Hamburg und die Ausbreitung der Aufklärung in Bürgertum und Unterschichten zwischen Integration und Abgrenzung, in: Anne Conrad, Arno Herzig, Franklin Kopitzsch (Hg.), Das Volk im Visier der Aufklärung: Studien zur Popularisierung der Aufklärung im späten 18. Jahrhundert (= Veröffentlichungen des Hamburger Arbeitskreises für Regionalgeschichte, Bd. 1). Hamburg 1998, S. 1 6 3 - 1 9 7 , hier: S. 176. Sybille Baumbach, Die jüdische Gemeinde in Hamburg und ihr Armenwesen, in: Herzig, Juden in Hamburg, S. 2 0 9 - 2 1 9 .
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Bereits nach wenigen Jahren arbeitete die Jüdische Armenanstalt derart effektiv, dass die Notzeiten infolge der französischen Besatzung und der Hungerkrise von 1817 gemeistert werden konnten. 29 Die Tätigkeitsbereiche weiteten sich aus und später eigenständige Einrichtungen kümmerten sich um spezielle Bedürfnisse. Das 1815 von der Armenanstalt zur Bekämpfung der Armut gegründete und von den Bankiers Salomon Heine und Salomon Oppenheim mit Kapital ausgestattete „Israelitische VorschußInstitut" war seit 1823 als selbständige Einrichtung tätig. Dieses Institut verfolgte eine gezielte Berufspolitik, indem es zinslose Darlehen an Handwerker zum Aufbau einer selbständigen Existenz vergab. Die unverändert zufließenden Stiftungen zur Ausstattung von Bräuten wurden seit 1817 im Gemeindehaushalt erfasst, woraus sich die „Depositenkasse milder Stiftungen" als zentrale bankähnliche Institution mit eigener Rechtspersönlichkeit entwickelte. Die Bekämpfung der Straßenbettelei sowie die Versorgung von Schulkindern und Familien mit Nahrungsmitteln setzte sich seit 1817 der „Verein der jungen israelitischen Armenfreunde zur Vertheilung von Brot und Suppe" zum Ziel. Das jüdische Armenwesen hatte demnach durch die Adaption bürgerlicher Versorgungsprinzipien einen säkularen Zug bekommen, hielt aber weiterhin an den traditionellen Inhalten der jüdischen Armenpflege fest. In den Jahrzehnten, in denen die jüdische Armenanstalt ausgebaut wurde, verstärkte sich auch die Stiftungsbereitschaft der Hamburger Juden, sie entwickelte sich zu einem immer wichtigeren sozialen Faktor. Die Zahl der Stiftungen stieg an und ihr Spektrum erweiterte sich durch einen deutlichen Säkularisierungstrend. Ein Wegbereiter hierfür war der Bankier Salomon Heine (1767-1844), 30 der sich nicht nur für die jüdische Gemeinschaft, sondern auch für die gesamte Gesellschaft als großherziger Wohltäter erwies. So spendete er anlässlich seiner Silberhochzeit im Jahr 1817 35.000 Mark an jüdische und christliche Arme.31 Aber auch mit zahlreichen anderen Zuwendungen für soziale und kulturelle Zwecksetzungen stellte er einen nie versiegenden, tatkräftigen Wohltätigkeitssinn unter Beweis, der keine konfessionellen Schranken kannte und keinen Bettler an der Tür abwies. Vor allem mit zwei Stiftungen trat er als Modemisierer hervor: (1) mit der 1837 mit 100.000 Mark gegründeten „Hermann Heine'schen Stiftung", die großzügige Darlehen an Handwerker, Künstler und Fabrikanten vergab. Signifikant war die Klausel, dass nach der Gleichstellung der Hamburger Juden auch christliche Bewerber darlehensberechtigt sein sollten. Durch weitere familiäre Aufstockungen verfügte diese Einrichtung 1901 über ein Kapital von 1.570.000 Mark. (2) Auch für seine andere große Stiftung, das „Israelitische Krankenhaus" von 1841, hatte Heine die paritätische Option festgelegt. Weiter gefestigt wurde das Ansehen des „Hamburger Rothschilds" durch seinen bei-
29 Arno Herzig, Das jüdische Annenwesen in Hamburg in der Übergangsphase von der Dreigemeinde zur Deutsch-Israelitischen Gemeinde 1788-1818, in: Andreas Brämer, Stefanie Schüler-Springorum, Michael Studemund-Halévy, Aus den Quellen. Beiträge zur deutsch-jüdischen Geschichte. Festschrift für Ina Lorenz zum 65. Geburtstag. Hamburg 2005, S. 37-44, hier: S. 44. 30 Susanne Wiborg, Salomon Heine: Hamburgs Rothschild - Heinrichs Onkel. Hamburg 1994. 31 Sulamith, Jg. 5 (1817/1820), Nr. 2, S. 360.
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spiellosen finanziellen und persönlichen Einsatz zur Abwendung einer wirtschaftlichen Katastrophe nach dem verheerenden Großen Brand von 1842. Dafür wurde ihm zwar die Ehrenmitgliedschaft der Patriotischen Gesellschaft verliehen, jedoch blieb ihm die allseits erwartete Ehrenbürgerschaft der Stadt trotz vieler Befürworter letztlich aufgrund seiner Religion verwehrt. In der Zeitspanne von 1789 bis 1849 hatte sich das jüdische Stiftungswesen differenziert und weitgehend der bürgerlich-christlichen Gesellschaft angenähert. Traditionspflege sowie deutliche Modemisierungsaspekte prägten ihr Erscheinungsbild, womit es alle Facetten jüdischen Lebens und religiöser Bezüge abbildete. Mit den paritätischen Optionen in bestimmten Stiftungssatzungen wiesen bürgerliche jüdische Wohltäter in aller Deutlichkeit darauf hin, wie obsolet das Vorenthalten des Bürgerstatus in seiner rechtlichen Bedeutung war. Die Gesamtzahl aller jüdischen Stiftungen und Legate belief sich in der Jahrhundertmitte auf 111, was nicht zuletzt für eine Verwurzelung jüdischen Lebens in der Hansestadt sprach. c. Integration durch Vielfalt zwischen 1849 und 1933 Die dritte Phase der jüdischen Stiftungstätigkeit wurde nach der bürgerlichen Gleichstellung eingeleitet und war von Wachstum und fortschreitender Diversifizierung geprägt, mit einer klaren Öffnung für gesamtgesellschaftliche Zwecke, die ihren höchsten Ausdruck in den zahlreichen paritätisch konzipierten Stiftungen fand. Auch das jüdische Vereinswesen verzeichnete einen enormen Anstieg: Am Vorabend des Ersten Weltkriegs wurden 147 Vereine gezählt, 32 die sich unterschiedliche Ziele gesetzt hatten, darunter auch solche mit wohltätiger Tendenz, und die mit dazu beitrugen, ein jüdisches Selbstverständnis zu konsolidieren. 1860 entbrannte anlässlich des Erlasses der Neuen Verfassung eine gemeindeinteme Debatte, die auf die staatliche Ebene übergriff und sich im Kern um die Beibehaltung einer eigenständigen jüdischen Armenpflege drehte. 33 Obwohl die Hamburger Juden nunmehr auch auf die städtische Annenversorgung Anspruch hatten, konnte man sich dahingehend einigen, dass dieses deutlich effektiver arbeitende System zwar parallel erhalten blieb, jedoch ohne staatliche Subventionen auskommen musste. Wohltätige Zwecke standen bei den Stiftungen weiterhin an erster Stelle, jedoch öffnete sich mit dem sozialen und wirtschaftlichen Aufstieg der Juden und ihrer voranschreitenden Integration in die Gesellschaft das Spektrum der Zielsetzungen weiter, und zunehmend wurden auch kulturelle, wissenschaftliche und sonstige allgemeine Ziele gefördert. Bekannt ist mittlerweile die außerordentliche finanzielle Leistung j ü discher Förderer für die Hamburgische Wissenschaftliche Stiftung, einer Vorläuferin
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Erika Hirsch, Jüdisches Vercinsleben in Hamburg bis zum Ersten Weltkrieg. Jüdisches Selbstverständnis zwischen Antisemitismus und Assimilation. Frankfurt / Main 1996, S. 22. Rainer Liedtke, Jüdische Identität im bürgerlichen Raum: Die organisierte Wohlfahrt der Hamburger Juden im 19. Jahrhundert, in: Gotzmann, Juden, Bürger, Deutsche, S. 2 9 9 - 3 1 4 ; hier: S. 304f.
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der Universität Hamburg, für die der im Ausland lebende Diamantenmagnat Alfred Beit den Löwenanteil beisteuerte und für die auch andere Juden erhebliche Geldzuwendungen leisteten.34 Die von dem berühmten Kunsthistoriker Aby Warburg begründete und mittlerweile gut erforschte Kulturwissenschaftliche Bibliothek Warburg sei hier nur als ein weiteres, weit über Hamburg hinaus bekanntes Beispiel jüdischen Engagements für die Wissenschaft angeführt. 35 Jüdische Stiftungstätigkeit hatte sich über die Förderung inneijüdischer Belange hinaus weit für die Gesellschaft geöffnet. Im Jahre 1900 konnten 268 von Juden errichtete Stiftungen gezählt werden, was bei einer Gesamtzahl von 906 Stiftungen in jenem Stichjahr einem Anteil von 23 Prozent entsprach, wobei Juden nur knapp zwei Prozent der Bevölkerung ausmachten. Das Stiftungsengagement blieb überproportional ausgeprägt, denn bis 1933 kamen weitere 170 jüdische Stiftungen hinzu. Die differenzierte Gemeindearmenpflege war personell und institutionell mit diesen Stiftungen verbunden und stellt damit die gesamte jüdische Wohltätigkeit in Hamburg als ein effektives, dicht gewebtes Netz dar, dessen Bezüge zur Gesamtgesellschaft durch geschäftliche wie gesellschaftliche Kontakte gefestigt wurden, wenn auch bestimmte Grenzen stets bestehen blieben. Einen besonderen Stellenwert nahmen unter den Stiftungen diejenigen ein, die sich die Linderung sozialer Nöte infolge der Wohnungsverknappung zum Ziel gesetzt hatten, denn von insgesamt 30 Stiftungen zur Mietunterstützung wurden allein 14 von Juden errichtet. So stattete beispielsweise Friederike von Halle 1869 ihre bis heute bestehende Miete-Unterstützungs-Stiftung mit 550.000 Mark aus. Nach außen sichtbar wurde jüdisches Engagement gegen die Wohnungsnot durch die von Juden errichteten Stiftungen für Freiwohnungen, die als ein besonders gelungenes und aussagekräftiges Symbol für den bürgerlichen Gemeinsinn eines selbstbewussten, stadtrepublikanischen Bürgertums anzusehen sind, zu dem sich seit dem 19. Jahrhundert auch die Hamburger Juden zählten. Kontinuitäten des Stiftungswesens für Freiwohnungen Die Tradition des Stiftens lässt sich in Hamburg bis weit in das Mittelalter hinein zurückverfolgen, als der Kirche Testamente und milde Gaben zur Versorgung der Armen sowie für memoriale und religiöse Zwecksetzungen zuflössen. Dabei war die Reputation des Stifters nach seinem Tode ein durchaus entscheidender Antrieb, wie einer Stiftung überhaupt stets ein Zug der Selbstdarstellung anhaftet, der in der Formulierung von Stiftungszwecken, institutionellen Ausprägungen und Stiftungsmodalitäten
34 Renate Hauschild-Thiessen: Ferdinand Kugelmann (1840-1915), Mitbegründer der Hamburgischen Wissenschaftlichen Stiftung, und das Ende seiner Familie, in: HGB1., Bd. 14, Heft 10, Hamburg Oktober 2002, S. 222-241. 35 Eine Auswahl: Bernhard Buschendorf u.a. (Hg.): Porträt aus Büchern. Bibliothek Warburg und Warburg Institute. Hamburg - 1933 - London. (Kleine Schriften des Warburg-Archivs im Kunstgeschichtlichen Seminar der Universität Hamburg Heft 1), Hamburg 1993. Ernst H. Gombrich: Aby Warburg. Eine intellektuelle Biographie. (Europäische Bibliothek Bd. 12), Hamburg 1992.
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die Bandbreite von individuellen und kapitalbedingten Vorbedingungen widerspiegelt. Ein in der Hansestadt stets liberal gehandhabtes Stiftungsrecht gewährleistete ihre Entfaltung. Die Konjunkturen im Stiftungswesen spiegeln in ihren Motivationsveränderungen gesellschaftlichen Wandel und einen Säkularisationstrend wider, der sich von pia causa zur Erlangung des ewigen Seelenheils über eine Lockerung der kirchlichen Anbindung durch die lutherische Lehre bis hin zur Ausübung christlicher Nächstenliebe durch bürgerliche Selbstverwaltung veränderte. Eine republikanische Tradition stadtstaatlicher Selbstverwaltung hatte die Entstehung eines selbstbewussten Bürgertums gefordert, das nach dem Motto „res mea agitur" die Beseitigung von Missständen selbst in die Hand nahm, dem praktizierten Gemeinsinn zu seiner frühen Ausprägung verhalf und damit freiwilliges Bürgerengagement untrennbar mit einer bürgerlichen Existenz verband. Die Privatwohltätigkeit lag in der Trägerschaft einer kleinen Herrschaftselite aus Kaufmannschaft und Jurisprudenz und war durch verwandtschaftliche Beziehungen innerhalb dieser Gruppe häufig eng mit der Armenfürsorge verzahnt. Seit der Reformation verwaltete das Bürgertum zunehmend ehrenamtlich die Armenfiirsorge, was insgesamt ein funktionierendes System städtischer Daseinsfiirsorge gewährleistete. In diesem Traditionskomplex entfaltete sich auch das Stiftungswesen für Freiwohnungen, das sich zu einer eigenen signifikanten Gruppe ausgestaltete. Der Zweck der Wohnstifte war die kostenlose, gegen einen geringen Mietbetrag oder Einkauf verliehene Freiwohnung, wobei die Modalitäten der Aufnahme, der Verwaltung und alle weiteren konstitutiven Kriterien dem Stifter überlassen blieben. Aufgenommen wurden ältere Frauen, die besonders von der immer wieder ausufernden Wohnungsnot betroffen waren, und vor dem Absinken in die Armut bewahrt werden sollten. Die Wurzeln dieser milden Stiftungen liegen im 13. Jahrhundert, als die Kirche in ihrer Zuständigkeit für die stationäre Armenpflege Hospitäler zur Aufnahme auch von Armen errichten ließ.36 Jedoch ließ sich bereits bei diesen eine Einflussnahme des Rates und ein bürgerschaftliches Engagement bei der Ausübung administrativer Funktionen erkennen. Ausgeprägter war dieser Zug bei den von den Laienbruderschaften im 14. Jahrhundert eingerichteten Gottesbuden, die zwar korporativ der Kirche assoziiert waren, jedoch rein bürgerschaftlich verwaltet wurden. Deutlicher setzte sich eine bürgerlich-private Prägung nach den Reformationskriegen durch, als die Wohnungsnot und das Elend in der Stadt unübersehbar waren und zahlreiche Ratsherren und Bürgermeister Gotteswohnungen stifteten. Bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts wurden 15 derartige Stiftungen gegründet, womit die Stifter gemäß dem lutherischen Postulat christliche Nächstenliebe praktizierten. Sie befriedigten damit aber auch ein Verewigungsbedürfnis, das sie entsprechend der gesellschaftlichen Erwartung bürgerlich-republikanischen Gemeinsinns umsetzen konnten. Mit dem dann 36 Frank Hatje: „Gott zu Ehren, der Armut zum Besten". Hospital zum Heiligen Geist und Marien-Magdalenen-Kloster in der Geschichte Hamburgs vom Mittelalter bis in die Gegenwart, Hamburg 2002.
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auffällig zurückgehenden Stiftungsvolumen kamen die Neustiftungen von Freiwohnungen für lange Zeit völlig zum Erliegen. Jüdische Stifter zwischen Reform und Revolution „Bei jeder Handlung ernsthafter Art, die wir im Leben begehen, sei unser erster Gedanke zu Gott gerichtet, unser aller Wohltäter. Ihm sage ich meinen innigsten Dank für die zeitlichen Güter, womit er mich gesegnet, um diesen Bau unternehmen zu können. Nicht minder bin ich durchdrungen für die Liebe und den Sinn, den er mir gegeben, meinen Nebenmenschen Gutes zu erzeigen und wohltätig zu sein. Denn nur in der Mitteilung genießt man das wahre Glück des Besitzes."37 Mit diesen Worten richtete sich Hartwig Hesse (1778-1849) bei der Grundsteinlegung zu seiner Stiftung für Freiwohnungen an die versammelten Maurer und Zimmerleute. Dieser feierliche Akt im Mai 1825 sollte für das Hamburger Stiftungswesen für Freiwohnungen bedeutungsvoll werden, denn Hesse reanimierte es nach einer 150jährigen Ruhephase und wurde damit zum Pionier für die weitere Entwicklung in den folgenden Jahrzehnten. Aber auch die Stifterpersönlichkeit verdient besondere Beachtung, denn für Hesse wäre noch wenige Jahre zuvor diese Feierstunde aufgrund seines jüdischen Glaubens unmöglich gewesen, da ihm der erforderliche Grundstückserwerb verwehrt worden wäre. Hesse stammte aus einer wohlhabenden Kaufmanns- und Maklerfamilie und war selbst in diesen Erwerbszweigen äußerst erfolgreich tätig. Das harte Schicksal unversorgter Witwen hatte bereits seine Eltern bewogen, zwei von der jüdischen Gemeinde verwaltete Stiftungen zu deren finanzieller Entlastung einzurichten. Ihr Sohn hingegen wollte eine elementare Versorgung mit Wohnraum schaffen, worüber er vermutlich schon 1820 erste Überlegungen anstellte, als er während einer Bildungsreise durch Italien Ludolph, den späteren Baumeister der Stiftsgebäude, kennen lernte. Jedoch mussten alle Pläne für Freiwohnungen unter den herrschenden rechtlichen Auflagen für Juden scheitern. Nach einiger Zeit schien der Plan umsetzungsreif zu sein, denn wie der Chronist festhielt, leistete Hesse in enger zeitlicher Abfolge die nötigen Vorarbeiten. So konvertierte er im August 1823 zum lutherischen Glauben, erhielt auf Antrag im Januar 1824 das Hamburger Bürgerrecht, richtete im Oktober 1824 ein Gesuch um Grundstücksüberlassung für einen wohltätigen Zweck an den Rat und konnte bereits im Dezember 1824 den Vertrag über Erwerb eines Grundstückes in St. Georg unterschreiben.38 Aufgrund dieses konsequenten Ablaufs scheint die Stiftung zumindest ein entscheidender Antrieb für die Konversion gewesen zu sein, wenn nicht sogar der wesentliche. Diese Annahme wird durch seine Worte bei der
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Erich von Lehe, Die Geschichte der Hartwig-Hesse-Stiftung (Hartwig Hesses Witwen-Stift). Hamburg 1975, S. 1. Ebd., S. 6.
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Grundsteinlegung gefestigt, in denen er expressis verbis die Prinzipien der jüdischen Sozialethik und damit seine unverbrüchliche Verbundenheit zu diesen ausdrückte. Ein Jahr nach der Grundsteinlegung konnten zwölf Witwen mit 25 Kindern in die Freiwohnungen einziehen, die jeweils in kleinen, separaten Häusern angelegt und um einen Innenhof gruppiert waren, dessen Anlage durch ein größeres Gebäude mit zwei Mietwohnungen geschlossen wurde. Bereits im Mai 1834 wurde in der Nachbarschaft der Grundstein für einen Erweiterungsbau gelegt, womit die Stiftung bis 1837 um neun Freiwohnungen sowie zwei Häuser mit Wohnungen zu geringen Mieten erweitert wurde. Neben der ausdrücklichen Aufnahme von Kindern war die Vergabe ohne konfessionelle Beschränkungen ein weiteres Novum der Hesse-Stiftung, wodurch auch jüdische Maklerwitwen Aufnahme fanden. Wenn auch die oben geäußerte Vermutung einer auf die Stiftung zielgerichteten Konversion letztlich spekulativ bleiben muss, so wird sie mit dieser Parität weiter unterstützt, denn bei einer Konversion aus tiefer religiöser Überzeugung hätten christliche Witwen Aufnahme gefunden, was ihm zudem faktisch die Ableistung der Grundsteuer erspart hätte, wie bei allen Gotteswohnungen. Eine aus Stiftungsabsichten erfolgte Konversion muss ohne eindeutige Beweise hypothetisch bleiben, wird aber durch das Ausscheiden von ökonomischen Motiven weiter erhärtet. Hesse erfüllte die Ansprüche eines Bürgers in wirtschaftlicher wie bildungsbezogener Hinsicht, hingegen blieb ihm der hanseatische Aspekt des praktizierten Gemeinsinns verwehrt, was den Widersinn der geltenden, unterprivilegierenden Bestimmungen für Juden betonte. Er war Zeit seines Lebens ein großer Kunstfreund und bestimmte seine umfangreiche Gemäldesammlung testamentarisch für den Aufbau der Hamburger Kunsthalle. Einen anderen Weg zur Errichtung einer Stiftung für Freiwohnungen schlug der wohlhabende jüdische Kaufmann Lazarus Gumpel (1770-1843) ein, der 1837 offenbar einen Mittelsmann mit dem Kauf eines mit drei Häusern bebauten Grundstücks beauftragte, auf dem er beabsichtigte, einen Wohnstift für jüdische Familien zu etablieren. 39 Später kaufte Gumpel diesem das Eigentum ab. Zu diesem umständlichen Vorgang sah er sich aufgrund des weiterhin bestehenden Verbots des Grundstückserwerbs für Juden gezwungen, das zwar mittlerweile mit stillschweigender Duldung immer wieder auch umgangen wurde, doch dieser Kaufweg bot ein höheres Maß an Sicherheit, denn sein Vorhaben musste notwendigerweise öffentlich werden. Gumpel drückte seine Stiftungsabsichten wie folgt aus: „Schon seit längerer Zeit hegte ich den Wunsch eine wohlthätige Stiftung zu errichten, deren Tendenz hauptsächlich dahin gehen sollte, in den Grenzen des ihr angewiesenen Wirkungskreises der so oft eintretenden gänzlichen Verarmung ordentlicher und thätiger aber unbemittelter Leute vorzubeugen, und mußte dieser mein Wunsch durch die in neuerer Zeit auf die betrübendste Weise zunehmende Verarmung meiner Glaubensgenossen immer 39 Irmgard Stein, Lazarus Gumpel und seine Stiftung für Freiwohnungen in Hamburg. (Hamburger Beiträge zur Geschichte der deutschen Juden Bd. XVIII). Hamburg 1991, S. 42.
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lebhafter werden. Es ließ sich indessen die Schwierigkeit der Erfüllung des von mir beabsichtigten Zweckes nicht verkennen; ..."40 Mit diesem Halbsatz spielte er vermutlich auf die Schwierigkeiten des Grundstückserwerbs an. Nachdem der Rat die Statuten der Stiftung im Januar 1838 genehmigt hatte und notwendige Renovierungsarbeiten abgeschlossen worden waren, konnten 41 der Wohnungen kostenfrei von Familien bezogen sowie zehn Wohnungen vermietet werden, um damit die laufenden Unterhaltskosten zu decken. Gumpel bewies beim Kauf dieses Grundstücks unternehmerische Umsicht und verlieh mit dieser Stiftung gleichzeitig seinem durch geschäftlichen Erfolg sowie durch vielfältiges Engagement für die Gleichstellung gefestigten Selbstbewusstsein Ausdruck. So spiegeln die unterschiedlichen Gründungsbedingungen der Hesse- und der Gumpel-Stiftung aus der Perspektive des Emanzipationsprozesses die obsoleten Konsequenzen des Hamburger Bürgerrechts wider, das von jüdischen Bürgern mühselig umgangen werden musste, um den tradierten gemeinnützigen Erwartungen des Bürgerbegriffs Geltung zu verschaffen. Dabei gelang es beiden Stiftern, Elemente in das herkömmliche Wohnstiftswesen einzubringen, die aus der jüdischen Soziallehre stammten. Dazu zählte, dass es keine rentenaltersähnliche Aufnahmebeschränkung gab, sondern die Bewohner durch Witwen mit kleinen Kindern und Familien mit erwerbtätigem Oberhaupt im Durchschnitt wesentlich jünger waren, als in den christlichen Stiften. Nicht erst am Lebensabend, sondern schon deutlich früher sollte die Gefahr der Verarmung durch überteuerte Mieten gezielt verhindert werden. Mit der Bestimmung von Freiwohnungen für Familien wurde der präventive Grundgedanke der Wohnstifte - Schutz vor Verarmung durch mietfreie Wohnungen - erstmals mit dem vorbeugenden Charakter der jüdischen Sozialethik - dem Schutz der Familie - verknüpft. Zudem waren diese Stiftungskonzepte weitblickend, denn in ihren Gründungsjahren waren die sozialen Folgen der Wohnungsnot in ihren späteren Dimensionen noch keineswegs abzusehen. Von dem Fortschritt abgesehen, dass nun auch Juden zumindest auf bestimmten Wegen zu diesen urhanseatischen Stiftungen Zugang hatten, lassen sich bei beiden Stiftungen hinsichtlich der Finanzierung Merkmale feststellen, die auch für die meisten anderen Stiftungen wichtig wurden, die Juden in späterer Zeit errichteten. So wurden bei der einen Stiftung bereits bestehende Häuser zu Stiftungszwecken umgewidmet und bei beiden wurde eine bestimmte Anzahl von Wohnungen günstig vermietet, um mit den Einnahmen zum Unterhalt der Gebäude beizutragen. Somit scheint Anlass zu der lapidaren Feststellung gegeben, dass das jeweilige Vermögen offenbar nicht ausreichte, alle Wohnungen kostenlos zu vergeben. Dieser Ansatz bekommt unter Hinzuziehung der jüdischen Sozialethik einen weiteren Erklärungshorizont, denn Hilfeleistung stellte eine religiöse Pflicht dar, der jeder Jude unverzüglich nachkommen musste. Damit wurde in der jüdischen Wohltätigkeit die Bedeutung der Kapitalhöhe relativiert, denn jeder Jude war bei Erkennen einer Notlage umgehend zur Hilfe 40 Ebd., S. 40.
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verpflichtet. Deswegen stifteten Juden Freiwohnungen auffallend häufig zu Leb- und Erwerbszeiten, als ihre Vermögensverhältnisse noch keine völlig kostenfreie Wohnungsvergabe gestatteten. Kapital wog demnach in seiner sozialen Gewichtung mehr als in seiner ökonomischen. Das erklärt nicht nur die häufig anzutreffende Praxis, einige Wohnungen zu vermieten, wenn auch zu Preisen deutlich unter dem üblichen Mietniveau, sondern auch die oft schlichte Bauweise, aufgrund derer die Gebäude nicht als Stiftungen für Freiwohnungen zu erkennen waren. Die unmittelbare wohltätige Leistung hatte Vorrang vor einer testamentarischen Stiftung als krönender Abschluss eines wirtschaftlich erfolgreichen Erwerbslebens, was die Wahrscheinlichkeit der Bereitstellung von kostenfreien Wohnungen deutlich erhöht hätte. Eine Zäsur im Wohnstiftswesen erfolgte am Tag der Verkündung der bürgerlichen Gleichstellung - am 23. Februar 1849 - und damit acht Tage nach Hartwig Hesses Tod, für den die nun offen stehenden Möglichkeiten noch unerreichbar gewesen waren. Noch am Abend des gleichen Tages traf sich eine Gruppe von Juden und hob eine Idee aus der Taufe, die eine völlig neue Richtung im Stiftungswesen für Freiwohnungen einleiten sollte, denn sie fasste aus gegebenem Anlass einen besonderen Plan mit weit gesteckten Zielen: „Das erhebende Gefühl, in der Befreiung von allen bürgerlichen und politischen Hemmnissen das Ziel vieljähriger Hoffnungen, Bestrebungen und Kämpfe endlich erreicht zu haben, hat bei den hiesigen Israeliten den Wunsch erzeugt, dieses Ereigniß durch ein im Geiste dieser Zeit gedachtes und der Wichtigkeit desselben würdiges Denkmal zu verewigen. In diesem Sinne bot sich vor Allem die Errichtung einer großen, die Gesammtbevölkerung dieser Stadt umfassenden Stiftung für Freiwohnungen als ein angemessener und der allgemeinsten Anerkennung sicherer Gegenstand an."41 Diese Gruppe von 23 bürgerlichen Juden, überwiegend Kaufleute, Bankiers und Makler sowie ein Arzt und der Prediger des liberalen Israelitischen Tempelvereins, gründete den „Schillingsverein für Freiwohnungen". Sie wollte damit „einen Akt der Gerechtigkeit durch einen Akt der Wohlthätigkeit verewigen", um ihrer Dankbarkeit und Freude über die erlangte bürgerliche Gleichstellung Ausdruck zu verleihen. Alle Mitglieder dieser Gruppe waren in jüdischen und politischen Reformvereinen engagiert. Etliche von ihnen waren als Abgeordnete in die Konstituante, die verfassungsgebende Versammlung gewählt worden, in deren Sitzungen sie ihre liberalen und demokratischen Positionen vertraten. Der Weg bis zu seiner Etablierung gestaltete sich jedoch außerordentlich schwierig und zog sich über zwei Jahre hin. Erst 1851 konnte die „Stiftung zum Andenken an die bürgerliche Gleichstellung der Hamburger Israeliten", die Vorläuferin der 1876 in „Vaterstädtische Stiftung" umbenannten Einrichtung, das erste Stift zum Bezug durch jeweils sechs jüdische und christliche Familien freigeben. Es handelte sich um ein schlichtes, im klassizistischen Putzstil erbautes Wohnhaus. 42 41 Allgemeine Zeitung des Judenthums, H. 18, 30.4.1849, S. 236f. 42 Schwarz, Vaterstädtische Stiftung, S. 46-74.
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Mit ihrem Vorhaben, eine Stiftung für Freiwohnungen zu errichten, hätten sie eigentlich nicht auf Widerstände stoßen dürfen, nicht zuletzt, weil das ohnehin stets liberale Hamburger Stiftungsrecht in jener Zeit nahezu regellos war. Ausgelöst wurden die Verzögerungen durch die vom Rat abgelehnte und schließlich auch von der Allgemeinen Armenanstalt scharf kritisierte Satzung. Damit begann ein bürokratischer Hürdenlauf, in dessen Verlauf die jeweiligen Argumentationsführungen wie unter einem Brennglas die gespaltene politische Stimmungslage in der Bevölkerung und in den Instanzen der nachrevolutionären Zeit abbildeten. Tatsächlich hatten die Initiatoren ein innovatives Konzept entwickelt, das auf eine konsequente Umsetzung von religiöser Parität, Gleichberechtigung und Mitbestimmung ausgerichtet war und eine klare Abkehr vom patriarchalischen Charakter des Stiftungswesens für Freiwohnungen bedeutete. Vor dem Hintergrund der wieder erstarkenden Restauration in den Instanzen, stieß die offensichtlich demokratische Orientierung im Hamburger Rat auf Widerstand. Demokratische Mitspracherechte wurden nicht nur dem Vorstand sondern auch den beitragenden Mitgliedern und den Bewohnern zugesprochen; außerdem waren Jurys vorgesehen, die den Bewohnern Entscheidungen über Stiftungsinterna ermöglichen sollten. Diese nährten den Verdacht, dass es sich hierbei um einen getarnten politischen Verein handle, womit das Vorhaben unter Revolutionsverdacht gestellt wurde. Zudem erschien die Verlosung der Wohnungen suspekt, die der Vorstand aus Gründen der Gerechtigkeit vorsah, und die in die Nähe des verbotenen, gleichwohl verbreiteten Lotteriespiels gerückt wurden. Trotz vereinzelter Fürsprecher und der Anerkennung des „vortrefflichen und humanen Zweckes"43 überwog im Rat eine ablehnende Haltung, deren Gründe in einem internen Schriftstück deutlich wurden: „Wenn man dabei nun noch erwägt, daß hier Juden an der Spitze stehen, und jeder solcher, deren Richtung sich mehrfach als entschieden demokratisch kund gegeben hat - und auch Christen dieser Richtung sind dem Vorstande beigetreten -, so ist es schwer, den Gedanken zu unterdrücken, daß dieser anscheinend durchaus humanen und wohltätigen Unternehmung arrière-pensées zum Grunde liegen, die dem Ganzen einen bedenklichen Charakter verleihen."44 Einen besonders hartnäckigen Gegner fanden die Stifter in der Allgemeinen Armenanstalt, die aufgrund des möglicherweise notwendigen Weiterbezugs von Armengeld eingeschaltet worden war und die dieses Risiko als Hauptargument für eine strikte Ablehnung bis zuletzt beibehielt. Die weiteren Details weisen hingegen deutlich auf die Furcht vor Konkurrenz hin, die sich in der Wahrnehmung bis zum vermeintlichen Angriff auf die Institution steigerte. So wurden die Einwände des Rates nicht nur aufgriffen, sondern weiter verschärft und die gesamte Planung rundweg als „sanguinische Hoffnung", begründet auf „philanthropischen Phrasen", abgewiesen.45 So
43 44 45
StAH, Senat, Cl. VII Lit. Qd No. 22 Vol. 1, Fase. 1 Quadr. 2. Ebd., Quadr. 9. Ebd., Quadr. 4 Beilage C.
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sah sich die Gruppe aus jüdischen Bürgern, von denen 1849 alle umgehend das Bürgerrecht erworben hatten, und angesehenen christlichen Bürgern, die wie vorgesehen nach einer bestimmten Anlaufzeit dem Verein beigetreten waren, einer geschlossenen Abwehrfront gegenüber. Die Vorstandsmitglieder waren hingegen ebenso stark von der Realisierbarkeit ihres Vorhabens überzeugt, wie ihre Gegner es als utopisch abtaten. Die sachkundigen Juristen im Vorstand versuchten wiederholt auf schriftlichem Wege, die tatsächlichen Motive für die kritisierten Satzungsinhalte zu erläuterten, um die immer wieder erhobene Kritik als offenkundiges Missverständnis zurückzuweisen. Der Durchbruch erfolgte schließlich mittels eines Schachzuges, auf den ein wohlmeinendes Ratsmitglied inoffiziell hingewiesen hatte: Man nahm kritisierte Passagen wie die Verlosung der Freiwohnungen und die Einrichtung von Jurys in die Hausordnung auf, womit diese der öffentlichen Diskussion entzogen wurden. Außerdem wurden hier die gleichfalls kritisierten Sicherheitsvorkehrungen aufgenommen, wie die von den Bewohnern abzuschließende Feuerversicherung und die bei Neugeborenen vorzunehmende Impfung. Nachdem der Vereinsvorstand eine von allen strittigen Fragen bereinigte Satzung vorgelegt hatte, musste der Rat seine Genehmigung erteilen, auch wenn er dies nach wie vor mit einem Gefühl des „timeo Danaos et dona ferentes" 46 tat. Mit Bezug des ersten Stiftsgebäudes wurde der Verein wie geplant in eine Stiftung umgewandelt. Damit wurde ein „Residuum der Revolution"47 zu einem Zeitpunkt etabliert, als die Konstituante ihre Arbeit einstellen musste. Aufgrund der problematischen Finanzlage mussten zwei Wohnungen zunächst vermietet werden, denn während der gesamten zähen Verhandlung hatte der Vorstand zusätzlich mit erheblichen Finanzierungsproblemen zu kämpfen, um die erforderliche Summe durch Spendensammlungen zusammenzutragen. Im Gegensatz zu allen anderen Stiftungen für Freiwohnungen beruhte das Kapitalisierungskonzept nicht auf einem mehr oder weniger hohen Stiftungsvermögen, sondern sollte durch Spenden, durch einem Mitgliedsbeitrag von 100 Bankomark „für alle Zeiten" oder einen Schilling wöchentlich durch die Mieten von 10 Schillingen pro Woche finanziert werden, womit die unveränderte Nähe zum Verein unterstrichen wurde. Diesen geringen Betrag sollten die Bewohner der Freiwohnungen zahlen, um den Eindruck des Almosenempfangs zu unterbinden. Eine derartige Festlegung entsprach der in der Zedaka geforderten Rücksichtnahme auf die Gefühle des Empfängers und der Wahrung seiner Selbstachtung. Diese mehrgliedrige Kapitalisierung barg einen hohen Unsicherheitsfaktor, denn die Einnahmen aus Mieten und Beiträgen waren zwar sicher, bewegten sich jedoch stets auf einem niedrigen Niveau und es war nicht abzusehen, wie hoch die erhofften Spenden ausfallen würden. Deswegen traten nicht nur beim ersten Stift, sondern auch bei späteren Bauprojekten immer wieder Engpässe und Verzögerungen auf. Der
46 Ebd., Quadr. 16. 47 Jacob Toury, Soziale und politische Geschichte der Juden in Deutschland 1847-1871. Düsseldorf 1977, S. 127.
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Vorstand schaltete in den Tageszeitungen Spendenaufrufe, man warb in Geschäftsund Familienkreisen und auch die Mitglieder leisteten zusätzlich zu ihren alljährlichen Beiträgen unregelmäßige finanzielle Unterstützung. Bei diesen Unwägbarkeiten beeindruckt der Ausbau auf elf Stiftsgebäude mit insgesamt 470 Wohnungen, die der Stadtausdehnung folgend in verschiedenen Bezirken angesiedelt wurden. Die stets angestrebte Expansion wurde letztlich durch die immer wieder in größerer Zahl und mit höheren Beträgen aus dem jüdischen Bürgertum zufließenden Spenden und Zustiftungen ermöglicht, womit um das Jahr 1900 herum die Baukosten von deutlich über 200.000 Mark überhaupt erst bezahlt werden konnten. Selbst bei einem Spitzenwert von 1320 Mitgliedern im Jahr 1909,48 einer damaligen Beitragshöhe von einmalig 100 oder jährlich vier Mark und 323 Wohnungen, für die jeweils 30 bis 50 Pfennig pro Woche gezahlt werden mußten, wäre aus diesen Einnahmen kein Neubau zu finanzieren gewesen. Diese zumindest für die Hansestadt einzigartige Mischkalkulation hob sich bereits in der Gründungszeit vom obligatorischen Stiftungsvermögen der sonstigen Wohnstifte ab, als nahezu zeitgleich das von dem Kaufmann Johann Heinrich Schröder (1784-1883) errichtete christliche Schröder-Stift bezogen wurde, das der Stifter in einem palastartigen Stil in einer weitläufigen Gartenanlage bauen ließ und mit einem später noch erhöhten Grundkapital von über einer Million Mark ausstattete. Die bereits oben angesprochene, offenbar nur relative Bedeutung von Vermögen bei dieser an sich kapitalintensiven Stiftungsform wurde damit zu einer scheinbaren Paradoxie, deren schlüssige Ursachenerklärungen in der jüdischen Soziallehre zu finden sind.49 Die Initiatoren haben durch die noch heute größte und angesehene Stiftung für Freiwohnungen in Hamburg und mit einer gemeinnützigen Breitenwirkung eine institutionelle Bestätigung erfahren, die ihren Einsatz in der Gründungszeit rückblickend mehr als rechtfertigt. Auch wenn ihr Gesamtkonzept von keiner anderen Stiftung in toto übernommen wurde, so haben sich insgesamt 18 Mitglieder zu eigenen Stiftungen für Freiwohnungen inspirieren lassen.50 Bemerkenswert ist aus der Retrospektive die Weitsicht der Initiatoren, denn sie schufen bereits 1849 eine frühe Bürgerstiftung, die nahezu alle Merkmale dieser heute aktuellen Stiftungsform antizipierte, bis hin zum Fundraising. Zurückzuführen ist dieses Erfolgsrezept auf die Verbindung unterschiedlicher Erfahrungen ihrer Gründer in sozialen und politischen Vereinen, in der jüdischen Wohltätigkeit, der Gemeindearbeit sowie der Vorstandstätigkeit in Stiftungen aus einer von der allgemeinen und jüdischen Aufklärung geprägten Geisteshaltung. Die genannten drei Stiftungen waren vorwärtsweisende Schritte im Verbürgerlichungsprozess der Hamburger Juden, die den jeweiligen Stifter zum kreativen Um48 Schwarz, Vaterstädtische Stiftung, S. 125. 49 Dgl., Jüdische Wohnstifte in Hamburg: Ausdruck bürgerlichen Selbstverständnisses oder Inbegriff sozialer Ethik?, in: Ann LeBar und Frank Hatje (ed.), Paradoxes of Buerger Culture. Wealth Et Thrift in Hamburg 1650-1914. Erscheint 2008. 50 Schwarz, Vaterstädtische Stiftung, S. 156.
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gang mit den herrschenden rechtlichen, respektive die Verwirklichung seiner Pläne hemmenden Faktoren herausforderte. Die Lösungswege sprechen vom Willen der Hamburger Juden, ihre Bürgerfähigkeit nicht nur unter wirtschaftlichen und kulturellen Aspekten, sondern auch unter dem Gesichtspunkt der Gemeinnützigkeit unter Beweis zu stellen. Die oben geschilderten Prozesse im gesamten jüdischen Stiftungswesen Hamburgs lassen sich demnach auch in dem für Freiwohnungen nachweisen, reihen die gesamte Thematik als vierte Säule in den Komplex jüdischer Reformmaßnahmen ein und geben dem jüdischen Stiftungswesen Hamburgs einen eigenständigen Erklärungshorizont. Die Stichjahre 1826, 1838 und 1851 markieren somit Einschnitte im Verbürgerlichungsprozess der Hamburger Juden, aber gleichzeitig auch solche im Stiftungswesen. Vor allem verdient die hohe, durch die Prinzipien der Sozialethik geschulte Sensibilität für die ersten, noch eher schwachen Anzeichen der Wohnungsnot Würdigung, denn im gleichen Zeitraum wurde nur eine weitere derartige Stiftung gegründet, die christliche Amalie Sieveking-Stiftung. Die von weiteren sieben Einrichtungen errichteten Stiftsgebäude waren Neubauten bereits lange bestehender Institutionen. In der Gesamtperspektive des Wohnstiftswesens, dessen eigentliche Hochzeit sich nach der Jahrhundertmitte als Reaktion auf die deutlich negativen Auswirkungen des Urbanisierungsprozesses abzeichnete, hatten jüdische Stifter die Energie bewiesen, von den Traditionswegen aus neue Pfade einzuschlagen und die an einer zeithistorischen Schnittstelle entstandene Vaterstädtische Stiftung wagte einen dynamischen Schritt aus der Kontinuität heraus. Ausblick auf die Jahrzehnte einer modernen Traditionspflege „Über das Wappen, welches die Spitze des Gebäudes ziert, diene zur Erklärung, daß die drei Ringe der bekannten Parabel gemäß anzeigen, daß in diesen Hallen eine Bevorzugung der Bekenner irgend welcher Religion nicht stattfindet und daß auch diejenigen, welche gar keiner geoffenbarten Glaubensgesellschaft angehören, nicht ausgeschlossen sind; dafür bürgen hoffentlich für immer die Initialen meines Namens." 51 Mit diesen Worten begann 1890 die anlässlich der Einweihungsfeier der John R. Warburg-Stiftung verlesene Rede des Stifters. Der kurz zuvor tragisch verunglückte John R. Warburg (1897 - 1890) war ein jüdischer Bürger Hamburgs par excellence gewesen, ebenso durch seine Verwurzelung im Judentum wie von seiner Verbundenheit zur Heimatstadt geprägt. Es gelang ihm wie selbstverständlich, beides miteinander zu verbinden. Er hatte die väterliche Seidenfirma auch international erfolgreich ausgebaut und genoss hohes Ansehen in den führenden Wirtschaftskreisen. Er engagierte sich im liberalen Israelitischen Tempelverein und gehörte zum Gründerkreis der Vaterstädtischen Stiftung, zu deren Expansion er finanziell sowie in seiner
51
Ferdinand Warburg, Die Geschichte der Firma R. D. Warburg Et Co., ihre Teilhaber und deren Familien. Berlin 1914, S. 135.
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Funktion als Vorstandsvorsitzender über vier Jahrzehnte hinweg wesentlich beigetragen hatte. Die Einweihung der selbständigen John R. Warburg-Stiftung beendete und krönte dann ungewollt ein lebenslanges wohltätiges Engagement, dessen treibende Kraft aus den obigen Worten deutlich wurde und deren Grundidee von Toleranz er sich auch noch hundert Jahre nach der Veröffentlichung von Lessings „Nathan der Weise" verpflichtet fühlte. Dieser ideelle Hintergrund erschloss sich dem Betrachter des repräsentativen Stifts durch das über dem Eingang angebrachte Ringsymbol, das die mittlerweile selbstverständliche gesellschaftliche Integration ausdrückte, die Warburg selbst erfahren hatte. 52 Auch andere jüdische Stifter von paritätischen Wohnstiften fühlten sich einem praktizierten Gemeinsinn ohne konfessionelle Grenzen verpflichtet. Dazu zählte Therese von Halle (1808-1880), die Tochter Salomon Heines, die 1866 im ehemaligen elterlichen Wohnhaus das „Heine Asyl für allein stehende Frauen einrichtete" und den Bewohnerinnen zusätzliche Sachleistungen und finanzielle Unterstützung zukommen ließ. Das Ehepaar Martin und Clara Heimann finanzierte zwischen 1899 und 1910 auf einem gepachteten, weitläufigen Grundstück drei in unterschiedlichen Baustilen errichtete Stiftsgebäude für Ehepaare und allein stehende Frauen. Die gleichen Bewohnergruppen wurden in dem 1910 von der verwitweten Betty Rèe gestifteten großen Julius und Betty Rée-Stift aufgenommen. Bis auf das im Zweiten Weltkrieg weitgehend zerstörte und dann in städtischen Besitz übergegangene Warburg-Stift sind alle übrigen paritätischen Wohnstifte auch heute noch im ursprünglichen Gründungszweck tätig, im Gegensatz zu denjenigen, die für jüdische Gemeindemitglieder bestimmt waren. Diese ehemaligen Stifte lassen ihre eigentliche Bestimmung nicht ohne weiteres erkennen, denn sie reihen sich überwiegend als normale Wohnhäuser in die Straßenbebauung ein, so wie es vom jeweiligen Stifter beabsichtigt worden war. Neben dem Gumpel-Stifit wurden elf weitere, für jüdische Familien konzipierte Einrichtungen gestiftet, 53 die die oben genannten Unterscheidungskriterien zu christlichen Stiften bestätigten. So wurde die Hälfte von ihnen in bereits bestehenden Wohnhäusern eingerichtet, in sieben wurden Ladenräume und bis auf zwei Ausnahmen in allen auch Wohnungen vermietet. Da die Mehrheit von ihnen zudem zu Lebzeiten der Stifter gegründet worden war, bestätigte diese Vorgehensweise das Prinzip der Zedaka, bei Kenntnis von Notlagen umgehend Hilfe zu leisten. Vor allem wird mit diesen Konzepten noch einmal die nur relative Bedeutung von Vermögen bei einer an sich kapitalzehrenden Stiftungsform unterstrichen, die die jüdische Sozialethik auch unter dem Aspekt der Vermeidung einer möglichen Existenzgefährdung umsetzte. Diese Einrichtungen leisteten gemeinsam mit den christlichen und paritätischen Wohnstiften einen qualitativ hochwertigen und quantitativ beeindruckenden Beitrag zur Entspannung der sozialen Frage, die in Hamburg stets auch eine Wohnungs52 Schwarz, Vaterstädtische Stiftung, S. 107-112. 53 Angela Schwarz, Jüdische Wohnstifte in Hamburg, in: Herzig, Juden in Hamburg, S. 447-458.
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frage war. Damit war die Symbiose aus jüdischer Wohltätigkeit- und bürgerlicher Stiftungstradition eine äußerst fruchtbare. Diese auf Ewigkeit angelegten Gebäude drückten die Verbundenheit der Hamburger Juden mit ihrer Heimatstadt aus. Die Entwicklung der jüdischen Stiftungsgeschichte spiegelt dabei den Verbürgerlichungsprozess in seinen sozioökonomischen, rechtlichen und kulturellen Bezügen als Erfolg wider und muss als viertes Reformprojekt definiert werden, denn den jüdischen Sozialtraditionen fühlten sich auch assimilierte und konvertierte Juden verpflichtet. Diese Erfolgsgeschichte des jüdischen Engagements im Stiftungswesen für Freiwohnungen vollzog sich über Umwege und Umbrüche, wobei die Vaterstädtische Stiftung als Impulsgeber eine zentrale und exklusive Rolle einnahm. Insgesamt aber handelte es sich um die Fortführung einer Hamburger Tradition, in die jüdische Stifter moderne Elemente integrierten. Ein Ende dieses Aufwärtstrends zeichnete sich mit dem Aufkommen des Nationalsozialismus ab, was dem Begriff Diskontinuität eine stiftungsfremde Bedeutung mit grausamen Konsequenzen gab. Übertragen auf die paritätischen Stifte erhielt dieser Begriff die Bedeutung von Unterbrechung, denn diese wurden im Zuge der antisemitischen Gesetze „arisiert" und konnten erst nach 1945 an ihre unterbrochene Geschichte anknüpfen. Bezieht man diesen Terminus auf die jüdischen Stifte, resultierte er in einer Nichtfortsetzung bzw. einem unwiderruflichen Ende der Stiftungstradition, denn die gestifteten Wohnhäuser wurden im Vernichtungsfeldzug gegen die Juden als „Judenhäuser" instrumentalisiert, womit ihr eigentlicher Zweck pervertiert wurde. 54 Jüdisches Leben und jüdische Wohltätigkeit waren zerstört worden. Diskontinuität wurde damit in seiner extremsten Interpretationsmöglichkeit zur Realität. Die noch heute stehenden Gebäude erinnern als steinerne Denkmale an die vergangene Stiftungstradition, an das ehemalige bürgerliche Engagement Hamburger Juden für die Gesellschaft und an jüdisches Leben in der Hansestadt.
54 Angela Schwarz, Von den Wohnstiften zu den „Judenhäusem", in: Angelika Ebbinghaus, Karsten Linne (Hg.), Kein abgeschlossenes Kapitel: Hamburg im „Dritten Reich". Hamburg 1997, S. 232-247.
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Stiftungen und Mäzenatentum zwischen Weimarer Republik und Drittem Reich Von Michael Werner
Stiftungswesen und Mäzenatentum zählten im 19. Jahrhundert zum Kern bürgerlicher Kulturpraktiken. An ihnen lassen sich die Wertvorstellungen, Alltagsansichten und Ordnungskonzepte ablesen, welche die Lebenswelt des Bürgertums prägten. Selbsthilfe, kommunale Selbstorganisation und Bildungsdrang zählten ebenso dazu, wie die Absicherung der lokalen Honoratiorenherrschaft. Die sich in den Städten entwickelnde Stiftungspraxis war ein wichtiger Pfeiler der kommunalen Wohlfahrt und des städtischen Kulturlebens. Die rasante Vermehrung des bürgerlichen Reichtums nach der Reichsgründung begünstigte im Deutschen Kaiserreich die Entfaltung dieser bürgerlichen Stiftungskultur auf einem besonders hohem Niveau und das nicht nur in quantitativer Hinsicht, sondern auch in Bezug auf ihre Ziele und Wirkungsbereiche. Stifter und Mäzene reagierten auf die großen Herausforderungen in der Daseinsfürsorge ebenso, wie sie die neuen Entwicklungen in Bildung, Wissenschaft und Kunst entscheidend mittrugen.1 Die Begleitumstände und Folgen des Ersten Weltkriegs, der Hyperinflation und der ökonomischen Krisen der 1920er Jahre waren für die bürgerliche Stiftungskultur von zum Teil verheerender Konsequenz. Die Vernichtung von Stiftungskapitalien und materiellen Ressourcen innerhalb der bürgerlichen Trägerschicht waren dabei nur eine Seite der Medaille. Auf der anderen Seite stand der Verlust der politischen und gesellschaftlichen Vorherrschaft des Bürgertums in den Städten und die zuneh-
1
Der in diesem Aufsatz verwendete Begriff Stiftungskultur hebt zum einen auf ein Verhaltensmuster sozialer Gruppen ab, zum anderen markiert er ein Beziehungsgeflecht, das auf einem Zusammenspiel von Stiftern, Mäzenen und Fördern einerseits sowie Akteuren und Funktionsträgern aus Politik, Verwaltung, Fürsorge, Kultur, Wissenschaft und Kunst andererseits aufbaut. Zudem soll er als analytische Kategorie insbesondere die gebräuchlichen Begriffe Stiftungswesen und Mäzenatentum überwölben und so die Gründung und Tätigkeit einer Stiftung im Sinne eines gemeinnützigen oder mildtätigen Finanzfonds mit Akten des Spendens, Schenkens und Fördems vereinen. Zu den einzelnen Begriffen vgl. Thomas Adam, Stadtbürgerliche Stiftungskultur u n d die Ausformung sozialer Distinktionen in amerikanischen, deutschen und kanadischen Städten des 19. Jahrhunderts, in: Zwischen Markt und Staat: Stifter und Stiftungen im transatlantischen Vergleich, hrsg. von Thomas Adam und James Retallack (=Comparativ 11.2001, Heft 5/6), Leipzig 2001, S.53-80; Jürgen Kocka u. Manuel Frey (Hrsg.), Bürgerkultur u n d Mäzenatentum im 19. Jahrhundert, Berlin 1998; Lässig, Simone, Mäzenatisches Handeln und politische Bürgerlichkeit. Zur politischen und sozialen Dimension der kulturellen Praxis von Juden und anderen Bürgern in den Kommunen des Kaiserreichs, in: Jahrbuch zur Liberalismus-Forschung, 13.2001, Baden-Baden 2001, S.75-112, hier S. 82f; zum Themenkreis Bürgertum und Stiftungswesen vgl. als Überblick neben der eben genannten Literatur Manuel Frey, Macht und Moral des Schenkens. Staat und bürgerliche Mäzene vom späten 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart; Dieter Hein, Das Stiftungswesen als Instrument bürgerlichen Handelns im 19. Jahrhundert, in: Stadt und Mäzenatentum, hrsg. von Bernhard Kirchgässner und Hans-Peter Becht, Sigmaringen 1997, S.75-92; Andreas Ludwig. Der Fall Charlottenburg. Soziale Stiftungen im städtischen Kontext (1800-1950), Köln/Weimar/Wien 2005.
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mende Bedrohung seiner gewohnten Lebensformen. Mithin verloren auch Modelle bürgerlicher Selbstorganisation und überhaupt bürgerliche Ideen der Gestaltung von Staat und Gesellschaft an Wirkungsmacht. All das führte dazu, dass das Bürgertum zu großen Teilen sein Staatsvertrauen und seine optimistische Zukunftserwartung verlor. Dies alles hatte gravierende Auswirkungen auf das Stiftungsgeschehen und das Mäzenatentum in der Weimarer Republik. Noch dramatischer gestaltete sich die Situation freilich nach 1933. Der rassistisch untermauerte Totalitätsanspruch der Nationalsozialisten mit seiner antibürgerlichen und völkischen Ausrichtung grenzte schon per se den Handlungsrahmen für privates, bürgerliches Engagement ein. Konkret reichte die restriktive Stiftungspolitik der Nationalsozialisten von der Einengung der Wirkungsmöglichkeit bis zur Auslöschung ganzer Stiftungszweige. Gleichwohl blieb die Institution Stiftung und die Gestalt des Mäzens auch im Dritten Reich von Bedeutung, nicht zuletzt, weil hohe NS-Funktionäre das Stiften und Schenken adaptierten und in ihre Herrschaftsstrategien aufnahmen. In diesem Aufsatz werden die Entwicklungen nach den Epochenwenden von 1918/19 und 1933 bis zum Ausgang des Zweiten Weltkriegs nachvollzogen, ohne dass am Ende ein umfassendes Bild über die Veränderungen der deutschen Stiftungskultur in der Weimarer Republik und im Dritten Reich stehen wird. Unser Wissen darüber ist bislang noch zu rudimentär, vor allem über die Jahre der nationalsozialistischen Herrschaft. Nur wenige Studien zum Stiftungswesen und Mäzenatentum nehmen diese Epochen in den Blick. Sie konzentrieren sich dann zumeist auf einzelne Lebensläufe, spezielle Aspekte und Bereiche wie beispielsweise stiftungsrechtliche Fragen oder die Kulturförderung. 2 Der vorliegende Aufsatz, gestützt auf Erkenntnisse zur Geschichte des Stiftungswesens in Dresden und zur Stiftungskultur in Hamburg, soll das Miteinander und Gegenspiel von Stiftungen, Stiftern und Mäzenen sowie politischen und administrativen Funktionsträgern und Führungsgruppen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ins Blickfeld rücken und vor allem der Frage nach dem weiteren Bindungsverhältnis zwischen Bürgertum, bürgerlicher Lebenswelt und Stiftungskultur nachgehen. 3 2
Hierzu zählen vor allem die älteren Studien v o n Hans Liermann, Geschichte des Stiftungsrechts, 2. Aufl., Tübingen 2 0 0 2 ; Theo Schiller, Stiftungen im gesellschaftlichen Prozeß. Ein politikwissenschaftlicher Beitrag zu Recht, Soziologie und Sozialgeschichte der Stiftungen in Deutschland, Baden-Baden 1969 s o w i e die neue Untersuchungen von Manuel Frey, Macht und Moral; Kristina Kessemeier, „Lassen Sie die Künstler nicht allein!" Bildende Kunst und Mäzenatentum aus der Sicht des preußischen Kultusministeriums in der Zeit der Weimarer Republik, in: Thomas W. Gaethgens u. Martin Schieder (Hrsg.), Mäzenatisches Handeln. Studien zur Kultur des Bürgersinns in der Gesellschaft, Berlin 1998, S . 1 0 5 - 1 2 4 ; Ludwig, Der Fall Charlottenburg; Pater Rawert u. Andrea Ajzensztejn, Stiftungsrecht im Nationalsozialismus. Eine Untersuchung unter besonderer Berücksichtig u n g der jüdischen und paritätischen Stiftungen, in: Axel Frhr. v o n Campenhausen, Herbert Krone u. Olaf Werner (Hrsg.), Stiftungen in Deutschland und Europa, Düsseldorf 1998, 1 5 7 - 1 8 1 ; Angela Schwarz, Von den Wohnstiften zu den „Judenhäuser", in: Angelika Ebbinghaus u. Karsten Linne (Hrsg.), Kein abgeschlossenes Kapitel: Hamburg im „Dritten Reich", Hamburg 1997.
3
Der Verfasser hat im Jahr 2 0 0 0 an der Humboldt Universität zu Berlin eine Magisterarbeit mit dem Titel Stiftungen in Dresden z w i s c h e n Reichsgründung u n d Erstem Weltkrieg vorgelegt. Seit 2003 erarbeitete er eine Dissertation über die Stiftungskultur Hamburgs v o m Kaiserreich bis in den Nationalsozialismus, die er j ü n g s t abgeschlossen hat.
Stiftungen und Mäzenatentum zwischen Weimarer Republik und Drittem Reich
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Stiftungskultur im Prozess der forcierten Ausbildung des Sozialstaates
Die Weimarer Republik ist ein Beispiel dafür, in welchem Maße und vor allem wie kurzfristig sich die Ausgestaltung eines bürokratisierten Wohlfahrtstaates auf die Stiftungsbereitschaft auswirken kann. Gut sichtbar werden die dichotomen Entwicklungen von Sozialstaatsbildung und Privatwohltätigkeit nach 1918 im Zusammenhang mit dem Ausbau des gesetzlich geregelten und bürokratisch organisierten Fürsorgewesens für die „Kriegsbeschädigten" und Hinterbliebenen von Gefallenen des Ersten Weltkriegs. Für deren Betrachtung bedarf es jedoch auch einiger Blicke auf das Neben- und Miteinander von öffentlicher und privater Fürsorge im Krieg, waren diese Jahre doch nicht nur Ausgangspunkt, sondern auch Kontrastfolie für die folgenden Veränderungen im Weimarer Wohlfahrtsstaat. Obwohl schon im Krieg zur Reichsangelegenheit erklärt, verblieb die im unmittelbaren Zusammenhang mit den Kriegsgeschehnissen stehende soziale Fürsorge im Wesentlichen bei den Einzelstaaten und vor allem bei den Kommunen. 4 Mittels der Organisationsformen des Vereins und der Stiftung wurden seit 1914 auf regionaler und lokaler Ebene spezielle Fürsorgestrukturen geschaffen, die durch eine enge Verzahnung von öffentlichen und privatwohltätigen Institutionen und Aktivitäten gekennzeichnet waren. Ein Beispiel für diese Organisationen ist die Stiftung „Heimatdank" in Sachsen, die trotz ihres Namens eine vereinsartige Struktur aufwies, ebenso wie die „Kriegsfürsorge" in Frankfurt am Main oder die „Hamburgische Kriegshilfe".5 Neben den eigentlichen Wohlfahrtsleistungen bemühten sich diese Vereine vor allem um die Einwerbung von Spendenmitteln, was zumeist durch Sammelaktionen geschah. Die Hamburgische Kriegshilfe beispielsweise warb bis zum Mai 1915 fünf Millionen Mark an Spenden ein, womit sie nach eigenem Bekunden noch hinter den Bremern zurückblieb, die monatlich wohl an die 400.000 Mark spendeten. 6 Die Frankfurter „Kriegsfürsorge" brachte bis zum Kriegsende in die Stiftung „Zentralsammlung" 16 Millionen Mark ein. 7 Neben diesen Sammlungen errichteten vermögende Bürger wohl in allen größeren Städten reich ausgestattete Einzelstiftungen für die Kriegsbeschädigten und Hinterbliebenen. 8 4 5
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Vgl. Christoph Sachße u. Florian Tennstedt, Geschichte der Armenfürsorge in Deutschland, Bd.2: Fürsorge und Wohlfahrtspflege 1871-1929, Stuttgart, Berlin, Köln, Mainz 1988, 49-67. Vgl. Ewald Frie, Wohlfahrtsstaat und Provinz. Fürsorgepolitik des Provinzialverbandes Westfalen und des Landes Sachsen 1880-1930, Paderborn 1993, 137-139; Bruno Müller, Stiftungen in Frankfurt am Main, Frankfurt am Main 1958, 133; Hans Reye, Der Absturz aus dem Frieden. Hamburg 1914-1918, Hamburg 1984, 42f, 62f. Vgl. Reye, Absturz, 63. Vgl. Müller, Stiftungen, 133. Zum Beispiel die „von Treskow-Glier-Stiftung" der Dresdnerin Alwine von Treskow, geb. Glier, die in Anlehnung an den sächsischen Heimatdank mehr als 130.000 M für die ergänzende Fürsorge von Kriegsbeschädigten und -hinterbliebenen aufbrachte oder die Halbmillionenstiftung für den Bau eines Erholungsheimes für Angehörige der kaiserlichen Marine durch den damals reichsten Hamburger, den Unternehmer Henry Brarens Sloman; vgl. Verzeichnis der von der Stadt Dresden verwalteten Stiftungen und Zweckvermögen nach dem Stande vom 31. März 1938, 46; Hildegard v. Marchtaler, Die Slomans. Geschichte einer Hamburger Reeder- und Kaufmannsfamilie, 2. Aufl., Hamburg 1939, 234f.
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Derartige Stiftungen wurden vielfach auch noch nach Kriegsende errichtet, immerhin galt es reichsweit mehr als 1,5 Millionen Kriegsbeschädigte und 1,7 Millionen Kriegshinterbliebene zu betreuen und zu versorgen. 9 Auffallig ist aber, dass noch vor Beginn der Hyperinflation 1923 die Neuerrichtung von Stiftungen für Kriegsbeschädigte und Hinterbliebene weitgehend und ziemlich abrupt abbrach. Dies war in Hamburg ebenso zu beobachten wie in Charlottenburg oder Dresden. 10 Insgesamt scheint in den Jahren der Weimarer Republik die Neigung, sich von privater Seite für die Kriegsbeschädigtenfürsorge zu engagieren, nicht besonders ausgeprägt gewesen zu sein. Zweifelsfrei war dies auch eine Folge der inflationsbedingten Vernichtung privater Vermögen. Wie aber der zeitliche Beginn der nachlassenden Spenden- und Stiftungsaktivitäten zeigt, muss die Ursachenforschung dafür bereits vor der Geldentwertung ansetzen. Dabei wird offenbar, dass bereits zwischen 1919 und 1921 auf Reichs- und Länderebene ein umfassender rechtlicher Maßnahmenkatalog zur Versorgung der Kriegsopfer in Kraft getreten war und auf der Kommunalebene zügig mit dem Ausbau eines gesonderten, professionalisierten Fürsorgeapparates fortgefahren wurde. 11 Dies führte neben der gesetzlichen Verankerung von Versorgungsansprüchen unter anderem auch dazu, dass die vielen Wohltätigkeitsvereine und ehrenamtlichen Tätigkeiten innerhalb der Kommunen zurückgedrängt wurden. Schneller als in anderen Wohlfahrtsbereichen wurde so auf dem Gebiet der Fürsorge für die Kriegsbeschädigten und Hinterbliebenen ein komplexes sozialstaatliches System aus rechtlichen Regelungen, bürokratischen Strukturen und öffentlichen Institutionen geschaffen, dass sich weitgehend von den kommunalen Fürsorgemodellen des Kaiserreichs unterschied und für die städtische Entwicklung eine Entfernung von den bürgerlichen Werten und Normen der Selbsthilfe und Selbstverwaltung bedeutete. Obgleich die sozialen Probleme der Kriegsopfer in den 1920er Jahren durch dieses sozialstaatliche System nicht ausreichend gelöst werden konnten, 1 2 zog sich das Bürgertum als Stifter aus diesem Fürsorgefeld zurück. In dieser Entwicklung zeigt sich exemplarisch die Gegenläufigkeit einer expandierenden Sozialstaatspolitik und einer auf bürgerlichem Engagement aufbauenden Wohlfahrtsgesellschaft. Zugleich nahm diese Entwicklung prototypisch vorweg, was sich nach 1923 - als es zu einer grundlegenden sozialstaatlichen Organisation weiterer großer Fürsorgebereiche kam - auf allen Ebenen der sozialen Fürsorge zeigen sollte, auch wenn die private Stiftertätigkeit für mildtätige Zwecke nie ganz zum Erliegen kam. Es war nicht allein der Mangel an materiellen Ressourcen infolge des Krieges und der Inflation, sondern vor allem der Bruch mit dem bürgerlichen Konzept gesellschaftlicher
9 Vgl. Sachße/Tennstedt, Armenfiirsorge, 89. 10 Vgl. Ludwig, Der Fall Charlottenburg, 335; Stiftungsverzeichnis Dresden 1938. 11 Vgl. Sachße/Tennstedt, Armenfürsorge, 8 9 - 9 2 ; Rainer Hudemann, Kriegsopferpolitik n a c h den beiden Weltkriegen, in: Hans Pohl (Hg.), Staatliche, städtische, betriebliche und kirchliche Sozialpolitik v o m Mittelalter bis zur Gegenwart, Stuttgart 1991, 2 6 9 - 2 9 3 . 12 Vgl. Hudemann, Kriegsopferpolitik, 2 7 2 - 2 7 7 .
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Selbstorganisation, der im städtischen Raum zum Rückgang des privatwohltätigen Stifterengagements in der Weimarer Republik führte. Stifter, Mäzene und die bürgerliche Kommunalpolitik
Ein nicht zu unterschätzendes Korrelat zu dieser stiftungshemmenden Entwicklung in den 1920er Jahren ist im öffentlich bekundeten Interesse von Kommunalpolitikern und Kommunalbeamten an einer positiven Weiterentwicklung des Stiftungswesens zu sehen. Zwar sind beim jetzigen Forschungsstand dazu keine generalisierenden Aussagen möglich, einzelne Quellen vermitteln aber den Eindruck, dass insbesondere bürgerliche Stadtvertreter dem Stiftungswesen und Mäzenatentum weiterhin eine größere kommunalpolitische Bedeutung beimaßen. Auf diese Weise schlugen sie für Stifter und Mäzene Brücken von der bürgerlichen in die nachrevolutionäre Zeit. So formulierte 1926 Dresdens liberaldemokratischer Oberbürgermeister Bernhard Blüher zur Begrüßung der neugewählten Stadtverordneten und unter dem Beifall der bürgerlichen Abgeordneten: „Gleichzeitig darf ich auch über das Grab hinaus allen denjenigen Einwohnern herzlich danken, die in den abgelaufenen Jahren wiederum durch zahlreiche und hochherzige Spenden beträchtliche Mittel für ihre Mitbürger gespendet haben. Wir wollen hoffen, dass es gelingen wird, das einstige reiche Stiftungsvermögen der Stadt, das durch die Geldentwertung leider von 64 auf 14 Millionen Mark zusammengeschmolzen ist, allmählich wieder aufzufüllen." 13 Schon in den frühen, unsicheren Tagen der Weimarer Republik hatte Blüher sein positives Bekenntnis zur privaten Stiftertätigkeit, das mehrheitlich kennzeichnend für die bürgerlichen Stadtvertreter war, öffentlich demonstriert. Vehement verteidigte der Oberbürgermeister im Frühjahr 1919 einen von den sozialdemokratischen Abgeordneten kritisierten Beschluss des Dresdner Stadtrates aus den Jahren 1917/18, laut dessen die „Stifter von großen Schenkungen" durch die Aufstellung von repräsentativen Büsten im Festsaal des Neuen Rathauses geehrt werden sollten. Blüher unterstrich die Opferbereitschaft der Stifter für das Gemeinwesen, die ganz unabhängig von ihrem Reichtum und ihren gesellschaftlichen Ansichten gesehen werden müsse, und beharrte auf einer „Dankespflicht" der Stadt gegenüber den Stiftern auch in „sozialdemokratischen Zeiten", da man andernfalls „keine dem Ansehen der städtischen Körperschaften zuträgliche Maßregel gegenüber der Öffentlichkeit" bezeuge. 14 Sicher nicht zuletzt dank dieser stiftungsfreundlichen Haltung seines bürgerlichen Stadtoberhauptes blieb Dresden während seiner Amtszeit bis 1931 für bürgerliche Stifter attraktiv; allein in den Jahren nach der Inflation
13 Vgl. Sitzungsberichte der Stadtverordneten zu Dresden, 1. öffentliche Sitzung vom 13. Januar 1927, 9. 14 Vgl. Sitzungsberichte der Stadtverordneten zu Dresden, Geheime Sitzung vom 27. März 1919, 314f.
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übernahm die Stadt seit 1924 die Verwaltung für 11 Stiftungen mit einem Gesamtvolumen von fast einer Million RM.15 Personelle und strukturelle Kontinuitäten in der städtischen Politik und vor allem in der Kommunalverwaltung trugen mit dazu bei, dass im demokratischen Wohlfahrtsstaat der 1920er Jahre die bürgerliche Praxis des Stiftens nicht gänzlich abbrach. Gerade in den Jahren nach der Inflation bewiesen bürgerlich orientierte Stadtverwaltungen und Kommunalbeamte, dass sie die aus privaten Mitteln entstandenen Stiftungen als mehr oder weniger eigenständige Institution zu erhalten suchten und das Stiften als eine überkommene gesellschaftliche Handlungsform zu fördern gedachten. Dies zeigte sich beispielsweise seit Mitte der 1920er Jahre, als die Hamburger Wohlfahrtsbehörde danach strebte, städtische Verwaltung und private Stiftungen stärker miteinander zu verknüpfen. Im Nachgang der Inflation sahen sich die Hamburger Behörden zu strukturellen Eingriffen in das Stiftungswesen gezwungen. Gleichzeitig versuchte die Wohlfahrtsbehörde im Zuge dieser Maßnahmen, die große Zahl der milden Stiftungen Hamburgs in den Prozess der Modernisierung der sozialen Fürsorge einzubinden. Die Wohlfahrtsbehörde selbst war erst nach dem Weltkrieg geschaffen worden, ihre leitenden Beamte entstammten gleichwohl dem bürgerlichen Beamtenstand, ja zum Teil sogar dem bürgerlichen Establishment der Hafenstadt. 16 Hieraus ausklärt sich in erster Linie das kooperative, rücksichts- und pietätvolle Agieren, das die Behörde im Zuge dieser Eingriffe in das Stiftungswesen gegenüber den einstigen Stiftern und durchweg bürgerlichen Stiftungsverwaltern an den Tag legte. In Zusammenhang mit den notwendig erscheinenden Auflösungen und Zusammenlegungen gänzlich oder stark entwerteter Stiftungen war die Leitung der Hamburger Wohlfahrtsbehörde bemüht, möglichst alle Maßnahmen zu unterlassen, die den Eindruck staatlicher Willkür erwecken konnten. Ausdrücklich suchte man Befürchtungen hinsichtlich der Verstaatlichung von Stiftungen - im zeitgenössischen Sprachgebrauch „Sozialisation" genannt - zu entkräften. Demgemäss wehrte sich Oscar Martini, der Präsident der Wohlfahrtsbehörde, auch gegen die Auflösung des ihm unterstellten so genannten Spezialfonds. Dieser Fond war Anfang der 1870er Jahre von der Allgemeinen Armenanstalt begründet worden und hatte die Mittel übernommen, die der Anstalt aus sogenannter „warmer Hand" oder letztwillig zugeflossen waren. Gegen das Ansinnen der Hamburger Finanzverwaltung, die eine Auflösung dieses Fonds erreichen wollte, argumentierte Martini unter anderem: „Es würde nach diesseitiger Ansicht den Absichten der Stifter durchaus widersprechen, es würde geradezu ein Raub an ihren Stiftungen bedeuten, wenn man dies von ihnen gespendete Vermögen jetzt dem
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Vgl. Stiftungsverzeichnis Dresden 1938. Zur Hamburger Wohlfahrtsbehörde vgl. Evelyn Glensk u. Christiane Rothmaler (Hrsg.), Kehrseiten der Wohlfahrt. Die Hamburger Fürsorge auf ihrem Weg v o n der Weimarer Republik in den Nationalsozialismus, Hamburg 2000.
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Staate zu irgend welchen Zwecken und zur Erleichterung der fiskalischen Lasten überweisen wollte." 17 Im gleichen Duktus schrieb Bruno Müller, seit 1933 Leiter der Frankfurter Stiftungsabteilung, rückblickend über die nachinflationären Vereinigungen selbständiger Stiftungen in der Mainmetropole, „die Stadt [habe] in ihr Vermögen keine Stiftungen eingegliedert, die früher selbständig waren, um jeden Anschein einer unrechtmäßigen Bereicherung zu vermeiden." 18 Vielmehr führte die Stadt Frankfurt 1926 den von ihr aus unselbständigen Stiftungen errichteten Gruppenstiftungen 400.000 RM zu, damit diese Sammelstiftungen wirksam werden konnten. Zum Gedenken an die Begründer der weggefallenen Stiftungen legte die Stadt ein Erinnerungsbuch an, mit dem sie ihre Wertschätzung gegenüber der bürgerlichen Philanthropie bekundete. 19 Nicht weniger Aufmerksamkeit ließ die traditionsreiche Bürgerstadt Frankfurt am Main in den 1920er Jahren noch lebenden Stiftern zukommen. Wohltäter und Mäzene wie das deutsch-jüdische Ehepaar Budge konnten hier nach wie vor mit großer öffentlicher Anerkennung für ihr soziales und kulturelles Engagement rechnen. Henry Budge, ein gebürtiger Frankfurter, hatte Ende des 19. Jahrhunderts in New York ein Millionenvermögen erworben. 1905 kehrte er mit seiner Frau Emma nach Deutschland zurück und ließ sich in deren Heimatstadt Hamburg nieder. 20 Waren die Budges schon in New York sozial sehr aktiv und freigiebig gewesen, 21 unterstützten sie auch nach ihrer Rückkehr weiterhin soziale und kulturelle Belange. So gehörte Henry Budge zu den großen Förderern der Frankfurter Universität.22 Aufbauend auf einem im In- und Ausland angelegten Vermögen, traten die Budges auch in den Weimarer Jahren in Frankfurt und Hamburg als großzügige Mäzene auf und stifteten in beiden Städten Millionenbeträge für wohltätige Zwecke. In Anerkennung dieser Leistung verlieh die Stadt Frankfurt Henry Budge 1924 eine Brückenmedaille und der Frankfurter Magistrat beschloss noch vor seinem Tod im Jahre 1928, die Straße vor dem von ihm gestifteten Altersheim in Heniy-BudgeStraße umzubenennen. 23 Emma Budge, die dieses Heim nach dem Tod ihres Mannes förderte, wurde auf Beschluss des Magistrats 1930 die Städtische Ehrenplakette verliehen. 24
17 Staatsarchiv Hamburg, Martini an Finanzdeputation, 17.1.1930, Sozialbehörde II 170.40-1, Spezialfonds, Bd.l. 18 Müller, Stiftungen, 137. 19 Vgl. ebd. 20 Vgl. Paul Arnsberg, Henry Budge. Der „geliebten Vaterstadt - Segen stiften", Frankfurt am Main 1972. 21 Dies kann verschiedenen Artikeln der New York Times entnommen werden. Vgl. ProQuest Historical Newspapers The New York Times (1851-2003). 22 Vgl. Institut für Stadtgeschichte Frankfurt am Main, Magistratsakten S1626, Universität: Henry und Emma Budge-Stifitung. 23 Vgl. Arnsberg, Henry Budge, S.42f. 24 Vgl. ebd., S.45.
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In der Weimarer Republik knüpften derartige Ehrungen großzügiger Stifter und Mäzene an kommunale Traditionen des Kaiserreichs an und ersetzten teilweise die abgeschafften monarchischen Orden und Titel. Insbesondere die Universitäten waren auf diesem Feld aktiv und führten in den 1920er Jahren neben der Ehrendoktorwürde neue Ehrentitel ein. Die Technische Hochschule Dresden verlieh seit 1923 an ihre wichtigsten Gönner den Titel eines Ehrensenators, nicht zuletzt als Kompensation für die ehemals vom sächsischen König vergebenen Auszeichnungen. 25 Freilich vermochten es Städte und Institutionen trotz alter und neu geschaffener Ehrentitel und Auszeichnungen nicht, das für die Stiftungskultur im Kaiserreich so charakteristische Wechselspiel von mäzenatischem Engagement und prestigeträchtigen Ehrungen im alten Umfang weiterzuführen. Dennoch wurde damit den Bürgern und somit Mäzenen des Kaiserreichs eine Brücke in die Weimarer Republik geschlagen und so trotz kultur- und sozialstaatlicher Verfassung ein stiftungsfreundliches Klima generiert. Manuel Frey hat in seiner Studie zum Mäzenatentum „die aufbrechende Distanz zwischen dem großbürgerlichen Lebensstil vieler Mäzene und dem häufig eher kleinbürgerlichen Habitus der Repräsentanten der Demokratie" als zunehmendes Hindernis für mäzenatisches Engagement erkannt. 26 Demgegenüber ist aber zu beachten, dass eben auch bei den Kommunalpolitikern und den Beamten in weiten Bereichen das im Kaiserreich sozialisierte Bürgertum dominierte. Viele Vertreter des schon im Kaiserreich etablierten bürgerlichen Establishments nahmen weiterhin wichtige Funktionen in den Kommunen ein. Der Distanz der wilhelminischen Bürger zum neuen demokratischen Staatswesen stand somit gerade auf lokaler Ebene eine nach wie vor beträchtliche soziale Nähe zu vielen kommunalen Entscheidungsträgern gegenüber, aus der wiederum neue philanthropische Aktivitäten entstehen konnten. In dieser Hinsicht sind die Stiftungsabsichten von Emma Budge bemerkenswert. Die Kunstsammlerin hatte bis zum Untergang des Kaiserreichs beabsichtigt, ihre Sammlung dem Hamburger Staat bzw. dem Museum für Kunst und Gewerbe zukommen zu lassen. Entstanden war ihre erstrangige Sammlung überwiegend kunsthandwerklicher Artefakte unter Beteiligung von Justus Brinckmann, dem Gründer und Direktor des Hamburger Museums für Kunst und Gewerbe, der das Museum bis zu seinem Tode im Jahre 1915 leitete. Nach dem Krieg rückte Emma Budge allerdings von diesem Vorhaben ab, da sie zu der Auffassung gelangt war, dass der neue Staat für ihren traditionellen Kunstbesitz wenig Verständnis aufbringen würde. Emma Budge konnte in der Folge aber zur Wiederaufnahme ihrer alten Stiftungspläne bewegt werden. Zu verdanken war dies den intensiven Bemühungen Max Sauerlandts, dem von Halle nach Hamburg gewechselten neuen Museumsdirektor, sowie von Staatsrat Leo Lippmann, der wie Emma Budge der
25 Vgl. Die Professoren der TU Dresden 1828-2003, bearb. v. Dorit Petschel, Köln 2003, 12ff; Rainer Pommerin, Geschichte der TU Dresden 1828-2003, 91. 26 Vgl. Frey, Macht und Moral, 132.
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jüdischen Gemeinde angehörte und zur bürgerlichen Verwaltungselite Hamburgs zählte. 27 Wie in diesem Fall deutlich wird, trugen gerade die innerbürgerlichen Vernetzungen der 1920er Jahre zu einer gewissen Verstetigung der überkommenen Stiftungstraditionen über die Epochengrenze von 1918/19 hinweg bei. Überhaupt blieb das Stiften, Schenken und Fördern nach den politischen und kulturellen Umbrüchen ein wichtiger Bereich, in dem sich Bürgerlichkeit als soziale Praxis und als Bindeglied zwischen einzelnen Bürgertumsfraktionen behaupten konnte. Stifterisches und mäzenatisches Engagement wuchs also nicht nur wie schon zuvor auf dem Boden der bürgerlichen Lebenswelt, sondern es trug selbst dazu bei, diese Lebenswelt - zumindest in Teilen - weiterhin aufrecht zu erhalten. Das Verhältnis von Stiftungskultur und Sozialdemokratie
Ganz im Gegensatz zu den bürgerlichen Repräsentanten der Weimarer Republik stand die Sozialdemokratie dem privaten Engagement zu Beginn der Weimarer Jahre eher ablehnend gegenüber. Bis zum Ersten Weltkrieg war die Privatwohltätigkeit von den Arbeitervertretern noch prinzipiell abgelehnt worden, da sie die Wohlfahrt als alleinige Aufgabe von Staat und Kommunen ansah. Daher kam es erst 1919 zur Gründung eines eigenen milieuspezifischen Fürsorgeverbandes, der Arbeiterwohlfahrt, der die Muster der bürgerlich-konfessionellen Wohlfahrtspflege adaptierte. 28 Die oben beschriebenen Pläne für ein ,Stiftungswalhalla' im Dresdner Rathaus mussten 1919 tatsächlich wegen des Einspruches der sozialdemokratischen Stadtvertreter fallen gelassen werden. Die Sozialdemokraten störten sich prinzipiell daran, dass damit nur Menschen geehrt würden, die ihrer Ansicht nach letztlich nur etwas von ihrem „übergroßen Vermögen" abgegeben hätten. 29 Einen besonders geeigneten Angriffspunkt bot ihnen die Stiftung des verstorbenen Kaufmanns Georg Edmund Vollsacks.30 Dieser hatte der Stadt Dresden 1912 eine wohltätige Stiftung von rund drei Millionen Mark vermacht, dabei aber die Angehörigen einer „Umsturzpartei" von der Nutzung der Stiftungsgelder explizit ausgeschlossen. 31 So wie sich aber bürgerliche und demokratische Kräfte in den 1920er Jahren zu einer oft ertragreichen Arbeit in den Kommunen zusammenfanden, so bröckelten auch die Ressentiments gegenüber dem einst verpönten bürgerlichen Stiftungswesen und Mäzenatentum. So suchten sozialdemokratische Politiker und Verwaltungsmänner nach Wegen, das private Engagement ihren gesellschaftlichen Leitbildern anzu27 Vgl. Günter Könke, Das Budge-Palais. Geschichte eines jüdischen Hauses. Eine Studie zur Entziehung und Rückerstattung jüdischer Vermögen, unveröffentl. Manuskript, Hamburg 1989; 47; auch David Klemm, Das Museum für Kunst und Gewerbe in Hamburg, Bd. l! Von den Anfängen bis 1945, Hamburg 2004, 276/290. 28 Vgl. Sachße/Tennstedt, Armenfürsorge, 161 f. 29 Vgl. Sitzungsberichte der Stadtverordneten zu Dresden, Geheime Sitzung vom 27. März 1919, 312f. 30 Vgl. ebenda. 31 Vgl. die unter der Verwaltung des Rates zu Dresden stehenden Stiftungen und Zweckvermögen. Nach dem Stande vom 31. Dezember 1912, 111.
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passen. Kristina Kessemeier hat gezeigt, dass der preußische Kultusminister, der SPD-Politiker Konrad Haenisch, bereits 1920 eine positive Einstellung gegenüber der privaten Kunst- und Wissenschaftsforderung vertrat, ,ja er postulierte sie sogar als grundlegend im Sinne der .Volksgemeinschaft'". 32 Und so sollte nicht übersehen werden, dass auch von Seiten der Sozialdemokratie in der Weimarer Republik positive Signale für das Fortbestehen und die Weiterentwicklung mäzenatischen Engagements ausgesandt wurden. Geradezu bürgerlich mutet der Ausschnitt einer Rede des sozialdemokratischen Frankfurter Kulturdezernenten Max Michel zur städtischen Kulturpolitik an. In dieser programmatischen Rede aus dem Jahre 1928 betont Michel neben der politischen die kulturelle Selbstverwaltung der Kommunen: „Sie (die kulturelle Selbstverwaltung, M.W.) hat die Initiative. Die Gemeinde hat den Rahmen, die Mittel zu geben, die Organisation zu schaffen. (...) Wir müssen uns klar sein, dass die Gemeinden bei ihrer Finanzlage nicht alles schaffen können. Wir brauchen ein Wiedererstarken des Mäzenatentums, ein Anknüpfen an die Tradition der Städel und Senckenberg, ein kollektives Verantwortungsgefühl der Begüterten für ein Unterbauen jeder Kulturpolitik." 33 Dabei war Michels weder ein politischer Renegat noch ein Opportunist. Laut Dieter Rebentisch ging es ihm darum, eine „Emanzipation der Arbeiterklasse" auch über den „Zugang zu den historisch bewährten Kulturformen zu schaffen", wofür er das Steueraufkommen der gesamten Erwerbsbevölkerung - „die Masse als Mäzen" - heranziehen wollte. Gleichwohl erkannte Michels offenbar an, dass das traditionelle bürgerliche Mäzenatentum dazu dienen könne, einen gesellschaftlichen Konsens zwischen Arbeiterklasse und Bürgertum zu schaffen. 3 4 Michels Haltung scheint für solche Sozialdemokraten typisch gewesen zu sein, die im Rahmen der Weimarer Koalition in den Einzelstaaten und Kommunen mitregierten und für eine pragmatische Politik in Sachfragen eintraten. Ob die sozialdemokratische Akzeptanz oder gar Protektion des (bislang) bürgerlich verankerten Mäzenatentums tatsächlich positive Auswirkungen auf die Weimarer Stiftungskultur hatte, muss allerdings dahin gestellt bleiben. Ganz entscheidend waren die politischen Verhältnisse vor Ort, das heißt der Kurs, den die mitregierenden Sozialdemokraten in den Städten vertraten. In Altona beispielsweise, wo Max Brauer von 1924 bis 1933 die Verwaltungsgeschäfte in einer Koalition aus SPD und DDP führte, entwickelt sich eine enge, für die Stadt fruchtbare Beziehung zwischen dem Stadtoberhaupt und den Brüdern Reemtsma, die zu dieser Zeit zu den wichtigsten Tabakproduzenten des Reiches aufstiegen und seit Ende der 1920er
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Kessemeier, Bildende Kunst und Mäzenatentum, 108. Zitiert nach Andreas Hansert, Bürgerkultur und Kulturpolitik in Frankfurt am Main. Eine historischs o z i o l o g i s c h e Rekonstruktion, Frankfurt am Main, 138f. Dieter Rebentisch, Frankfurt am Main in der Weimarer Republik und im Dritten Reich 1918-1945, in: Frankfurter Historische Kommission (Hg.), Frankfurt am Main. Die Geschichte der Stadt in neun Beiträgen, Sigmaringen 1991, 4 2 2 - 5 1 9 , hier 464f.
S t i f t u n g e n u n d M ä z e n a t e n t u m z w i s c h e n Weimarer Republik u n d Drittem Reich
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Jahre ihren Weg in die Reihen der großzügigsten Stifter und Mäzene des späteren „Groß-Hamburg" fanden. 35 Der fortbestehende Zusammenhang zwischen Stiftungskultur und Bürgertum Auffallend ist, dass sich die in der Weimarer Republik neu errichteten sozial-karitativen Stiftungen auf traditionelle Kerngebiete des bürgerlichen Stiftungswesens konzentrierten und die Unterstützung des eigenen sozialen Umfeldes sowie die betriebliche Sozialpolitik einen besonderen Stellenwert einnahm. In Hamburg wurden gerade in und nach der Inflation eine ganze Reihe von Familien- und Firmenstiftungen errichtet. Daneben blieben Stiftungen zur Unterstützung von Vereins- und Innungsmitgliedern in den 1920er Jahren weiterhin von Bedeutung. 36 Auch wenn diese Stiftungen dem städtischen Gemeinwohl nur mittelbar oder in längerer Perspektive zugute kamen, kann ihre Bedeutung für das Stiftungswesen nach 1918 nicht zuletzt darin gesehen werden, dass Stiftungen vom Bürgertum weiterhin als wirksame Instrumente der Selbstorganisation und Selbsthilfe anerkannt wurden, was ihren ungebrochen hohen Wert innerhalb der bürgerlichen Lebenswelt unterstreicht. Aus den Statuten der neu errichteten milden Stiftungen verschwanden allerdings vermehrt die im Kaiserreich typischen Charakterisierungen und Bezeichnungen für die bürgerlichen Destinatärkreise, wie die häufig verwendeten Klauseln der „gebildeten" oder „besseren" Stände. 37 Dafür setzte sich verstärkt der Begriff des „Mittelstandes" durch, womit aber keine Ausrichtung auf eine neue Stiftungsklientel verbunden war. Bürgerliche Sozialgruppen und mithin solche Gesellschaftsgruppen, denen die bürgerliche Philanthropie traditionell große Aufmerksamkeit geschenkt hatte, blieben auch in der Weimarer Republik die Kernbereiche des sozial-karitativ ausgerichteten Stiftungswesens. Insbesondere die Kinderfiirsorge, die Altersfürsorge und die Unterstützung von höheren Schülern und Studenten standen im Mittelpunkt dieses Stiftungsgeschehens. Im Gegensatz zur Demokratisierung der öffentlichen Fürsorge ist für das Stiftungswesen in der Weimarer Republik also keine soziale Öffnung auszumachen. Als Folge der durch Krieg und Inflation dem Bürgertum verloren gegangenen Vermögen und als Reaktion auf die Bedrohung der bürgerlichen Kulturhegemonie, konzentrierten sich die Stifter anscheinend noch stärker als im Kaiserreich auf die materielle Unterstützung der eigenen Sozialgruppe. Die Tradierung bürgerlicher Normen und Werte blieb somit ein zentrales Anliegen der Stifter, das aber an Prägekraft für die Gesamtgesellschaft einbüßte.
35 Vgl. Erik Lindner, Die Reemtsmas. Geschichte einer deutschen Unternehmerfamilie, Hamburg 2007, 29, 43f, 67, 388. 36 Vgl. Schiller, Stiftungen, 180. 37 Vgl. ebd.
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Mehr als deutlich wird die sozial-exklusive Orientierung des Stiftungswesens bzw. der privaten Wohltätigkeit am Beispiel der Studentenförderung. Besonders in der Inflationszeit zählten die Studenten zu der am stärksten unterstützten Gesellschaftsgruppe. Die Förderung erfolgte dabei über lokale und nationale Stiftungen, vordergründig aber durch kollektive Formen des Mäzenatentums und durch Spendenaktionen, da diese ein kurzfristigeres Agieren ermöglichten. Aus privaten Mitteln wurden Stipendien vergeben und Studentenwerke, Wohnheime sowie Mensen errichtet und unterstützt. Ausschlaggebend für diese Unterstützungsaktionen waren zweifellos die besonders widrigen Lebensumstände, mit denen die Mehrheit der Studenten zu kämpfen hatte. Aber auch die soziale Herkunft der Studenten in der Weimarer Republik darf nicht vernachlässigt werden. Trotz einer weitergehenden sozialen Öffnung der deutschen Hochschulen rekrutierte sich die Studentenschaft fast ausschließlich aus bürgerlichen Milieus. Der Anteil der Studierenden aus dem Bildungsbürgertum blieb hoch. Es gab zwar einen starken Zustrom aus dem alten und neuen Mittelstand, die Quote der Studenten aus den unteren Klassen stieg aber bis 1933 auf lediglich drei Prozent an. 38 Insofern war die Studentenförderung ein innerbürgerliches Handlungsfeld. Ein 1920 in München gegründeter Unterstützungsverein zum Bau eines Studentenheimes legte großen Wert darauf, sich von Wohltätigkeitsunternehmen abzugrenzen und nicht das „unwürdige Bettelstudententum" zu unterstützen. 39 Exemplarisch ist auch die Schlusspassage eines Entwurfs für den Geschäftsbericht der „Hamburger Studentenhilfe" im Jahre 1928. Darin wird festgestellt: „Zum zweiten stellt der gegenwärtig starke Andrang zum Hochschulstudium und die teilweise Überfüllung der akademischen Berufe die Studentenhilfe vor die ernste Frage, ob die studentischen Hilfseinrichtungen nicht den Zuzug Ungeeigneter begünstigen. Es ist zuzugeben, dass die Auslese der Tüchtigsten nicht unfehlbar sein kann. Doch bleibt dadurch der tiefste Sinn der Fürsorgearbeit unberührt, auch in Zukunft denjenigen Kreisen die akademische Bildung zu erschließen, die im weitesten Maße schon bisher Träger der akademischen Bildung waren." 40 Die Hamburger Studentenhilfe - ein aus Universitätsangehörigen und Privatleuten gebildeter Verein - sah ihr Ziel also unmissverständlich in der weitgehenden Förderung eines bürgerlich-elitären Akademikemachwuchses. Somit kann schließlich davon ausgegangen werden, dass die privat finanzierte Studentenförderung ebenso wie die private Wohltätigkeit in der Weimarer Republik ein sozial noch geschlosseneres System darstellte, als es dies ohnehin schon im Kaiserreich gewesen war. Damit ist zugleich festzuhalten, dass das sozial-karitative Stiftungswesen bzw. die private Wohltätigkeit in den 1920er
38 Vgl. Hans-Ulrich Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Bd.4, München 2003, 464. 39 Vgl. Wilfried Rudioff, Die Wohlfahrtsstadt. Kommunale Ernährungs-, Fürsorge- und Wohnungspolitik am Beispiel Münchens 1910-1933, Göttingen 1998, 492. 40 Zitiert nach Hermann Hipp, Das Haus der Studentenhilfe, Neue Rabenstraße 13 in Hamburg-Rotherbaum, in: Krause Eckhart, Ludwig Huber u. Holger Fischer (Hrsg.), Hochschulalltag im „Dritten Reich". Die Hamburger Universität 1933-1945,Teil 1, Berlin/Hamburg 1991, 307-326, hier 308f.
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Jahren nicht nur in der Kontinuität des Kaiserreichs stand, sondern eine spezifische Anpassung an die Krisenbedingungen der Weimarer Republik zeigte. Vergleichbares ist auch in der privaten Kulturförderung auszumachen. Zunächst ist festzustellen, dass die Zahl der neu errichteten Stiftungen zugunsten von Kunst, Wissenschaft und Bildung nach den politischen und wirtschaftlichen Krisen in weitaus geringerem Maße zurückging, als dies für die sozial-karitativen Stiftungen zu beobachten ist. Theo Schiller spricht allgemein sogar von einem kurzen Aufschwung solcher Stiftungen in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre. 4 1 Gleichwohl war die Summe der gestifteten Vermögenswerte insgesamt rückläufig, die Stiftung ganzer Wissenschaftsinstitute und Kunstsammlungen geschah nur noch in Ausnahmefallen. Größere Bedeutung als dem Einzelengagement kam in der Kunstund Wissenschaftsförderung der 1920er Jahre der Neubelebung kollektiver Formen des Mäzenatentums zu. Es kam zu einer Gründungswelle von Fördervereinen für Hochschulen, Museen und andere kulturelle Belange, die an die bürgerliche Vereinstradition des 19. Jahrhunderts anknüpften. 4 2 Das distinktive Erscheinungsbild vieler dieser Fördervereine ist unübersehbar. In guter Gesellschaft befand man sich sowohl im hoch exklusiven Berliner Verein der Freunde der Nationalgalerie als auch in der Justus-Brinckmann-Gesellschaft, dem auf 250 Mitglieder begrenzten Förderverein zugunsten des Hamburger Museums für Kunst und Gewerbe, sowie in der Gesellschaft von Förderern und Freunden der Technischen Hochschule Dresden, die von der sächsischen Wirtschaft beherrscht wurde und deren Vorstand und Verwaltungsrat neben Professoren ausschließlich mit Kommerzienräten und Hofräten sowie Generaldirektoren und Fabrikbesitzern besetzt war. 4 3 In diesen Vereinen formierten sich ältere und neue soziale Beziehungsgeflechte zwischen wirtschaftsund bildungsbürgerlichen Eliten. Nicht nur über Schenkungs- und Stiftungsakte, auch im Rahmen von Vortragsabenden und Festveranstaltungen versicherten sich hier Bildungs- und Wirtschaftsbürger gegenseitig ihres Gemeinschaftsgefühls und bekräftigen die gemeinsamen Werte. Während das kollektive Mäzenatentum in der Weimarer Republik so die Vergesellschaftung gehobener bürgerlicher Sozialgruppen weiter beförderte, bestärkte es zugleich die Abgrenzung der bürgerlichen Eliten von nicht- und unterbürgerlichen Schichten. Es forderte damit die gesellschaftlichen Spannungen, die kennzeichnend für die erste deutsche Republik waren.
41 Vgl. Schiller, Stiftungen, 183. 42 Vgl. Frey, Macht und Moral, 141-145. 43 Vgl. Andreas Meyer, In guter Gesellschaft. Der Verein Freunde der Nationalgalerie Berlin von 1929 bis heute, Berlin 1998; Klemm, Museum für Kunst und Gewerbe, 262-264; Matthias Lienert (Hg.), Förderer und Stifter. Zur Geschichte der Gesellschaft von Freunden und Förderer der Technischen Universität Dresden e.V., Dresden 1998, 25-30.
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Die Auslöschung der jüdischen Stiftungen nach 1933 Auch unter der NS-Herrschaft kam das Stiftungswesen nicht gänzlich zum Erliegen, verlor aber mehr denn je an gesamtgesellschaftlicher Bedeutung. Hatte die Weltwirtschaftskrise am Ende der Weimarer Republik erneut zum Verlust bürgerlicher Vermögenswerte geführt und damit potentielles Stiftungskapital vernichtet, stellte vor allem die Diskriminierung, Vertreibung und Vernichtung des deutschjüdischen Bürgertums nach 1933 einen weiteren, nicht zu beziffernden menschlichen, kulturellen und materiellen Aderlass für die deutsche Stiftungskultur dar. Da für eine umfassende Darstellung dieses Vorgangs der hier zur Verfügung stehende Platz nicht ausreicht, soll im Folgenden lediglich die schrittweise Arisierung der jüdischen Stiftungen dargestellt werden. Zwischen 1934 und 1936 verloren die jüdischen Stiftungen ihre steuerlichen Privilegien, die ihnen zuvor wie allen mildtätigen und gemeinnützigen Stiftungen zugestanden hatten. 4 4 Zugleich suchten die Verwaltungsbehörden von Kommunen und Ländern nach der Verkündung der Nürnberger Rassengesetze im Jahre 1935 nach genauen Kriterien, um zu bestimmen, was überhaupt unter jüdischen Stiftungen zu verstehen sei, da viele Stiftungen jüdischer Bürger nur dem Namen nach jüdisch bzw. häufig konfessionsübergreifend angelegt waren. Sie suchten nach Wegen, wie sie die als jüdisch anerkannten Stiftungen in ihrem Aktionskreis möglichst beschränken konnten. 4 5 Im Ergebnis stand ein Erlass des Reichsministers des Innern vom 8. Mai 1939, der Richtlinien für das amtliche Vorgehen gegen j ü dische und „paritätische" Stiftungen vorgab - Stiftungen, die laut den Rassegesetzen sowohl Juden als auch „Ariern" zugute kamen. Entsprechend den „Grundsätzen der nationalsozialistischen Staatsführung" entsprechend, durften Juden fortan keine Stiftungen mehr errichten, die in irgendeiner Form „deutsche Volksgenossen" unterstützen sollten. Dieser Erlass galt umgekehrt genauso, da dies „dem deutschen Volksempfinden" widersprochen hätte. Sofern nur Juden von der Stiftung unterstützt wurden, sollte eine Genehmigung nur dann erteilt werden, wenn die Stiftungen zur Förderung der jüdischen Auswanderung, zur Fürsorge für hilfsbedürftige Juden oder zur Unterhaltung jüdischer Wohlfahrts-, Krankenhaus- oder Schuleinrichtungen verwendet würden. Bereits existierende Stiftungen von Juden durften fortbestehen, wenn sie auf „fördernswerte sachliche Zwecke" ausgerichtet waren, zum Beispiel Stipendien für wissenschaftliche Forschungen vergaben. Freilich waren etwaige jüdische Stiftungsnamen zu entfernen und jüdische Stiftungsverwalter zu entlassen. Ebenfalls bestehen bleiben durften Stiftungen, die „ausschließlich für die jüdische Bevölkerung" bestimmt und „nach Maßgabe der bisherigen Zweckbestimmung mit den Grundsätzen der Judenpolitik vereinbar" waren. Hingegen waren Stiftungen, „deutscher Volksgenossen, die nur Juden zugute kom-
44 Vgl. Schiller, Stiftungen, 77-79; Schwarz, Von den Wohnstiften, 233-235. 45 Vgl. Rawert, Ajzensztejn, Stiftungsrecht, 169-173.
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men" aufzulösen. Stiftungen, die in irgendeiner Form paritätisch angelegt waren, egal ob dies durch die Mittelverteilung oder die Besetzung des Vorstandes geschah, verloren ihre Existenzberechtigung. Sie wurden zwar nicht aufgelöst, mussten ihre Satzung aber dahingehend ändern, dass sie nur noch deutschen Volksgenossen zugute kommen sollten. 46 Dieser strikten Eingrenzung, Separierung und teilweisen Arisierung folgte bis 1943 die vollständige Vernichtung des jüdischen Stiftungswesens bzw. der Stiftungen des deutsch-jüdischen Bürgertums. 47 Ein folgenreicher Schritt auf diesem Weg war der zwangsweise Zusammenschluss aller Juden in der Reichsvereinigung der Juden durch den Erlass der Zehnten Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 4. Juli 1939. Die Reichsvereinigung sollte satzungsgemäß die Auswanderung der Juden fördern. Sie übernahm zugleich die Verantwortung für das jüdische Schulwesen und die jüdische Wohlfahrtspflege. Diese Verordnung ermächtigte den Reichsinnenminister, jüdische Vereine, Organisationen und Stiftungen aufzulösen oder ihre Eingliederung in die Reichsvereinigung anzuordnen. Im September 1939 meldete die Reichsvereinigung der Juden dem Chef der Sicherheitspolizei alle jüdischen Vereine, Organisationen und Stiftungen mit entsprechenden Vorschlägen zur Auflösung oder Eingliederung. 48 Alle ausschließlich jüdischen Stiftungen wurden nun nach und nach in die Reichsvereinigung überführt. Hamburgs letzte selbständige jüdische Stiftungen wurden 1942 der Reichsvereinigung eingegliedert. 49 Damit waren nicht weniger als 70 selbständige Stiftungen mit einem Vermögen von etwa zwei Millionen RM sowie ein Kapitalvermögen von etwa einer halben Million RM aus 151 unselbständigen Stiftungen an die Reichsvereinigung übergegangen. 50 Doch blieben diese Stiftungsgelder nicht etwa in jüdischen Händen, denn ihr Vermögen wurde mit der Schließung der Zentrale der Reichsvereinigung im Juni 1943 der Verwaltung des Reichsfinanzministeriums übertragen, womit die umfassende Arisierung des jüdischen Stiftungswesens in Deutschland abgeschlossen war. 51
Die restriktive Stiftungspolitik im Dritten Reich Das NS-Regime zwang nicht nur die jüdischen Stiftungen zur Auflösung oder Satzungsumwandlung, sondern auch viele weitere, wenn deren Träger oder Zielsetzungen nicht mit den Zielen der Nationalsozialisten übereinstimmten. Aus diesem 46 Vgl. ebd., 175-178. 47 Offenbar blieben nur ganz wenige paritätische Stiftungen, deren Stifter oder Stiftungsverwalter eine ausländische Staatsangehörigkeit besaßen, im „Dritten Reich". Dies betraf beispielsweise die Hamburger Budge-Stiftungen, denn Henry und Emma Budge behielten bis an ihr Lebensende - Henry Budge verstarb 1928, Emma Budge erst 1937 - die US-amerikanische Staatsbürgerschaft. 48 Vgl. ebd., 178f. 49 Vgl. Leo Lippmann „... Das ich wie ein guter Deutscher empfinde und handele". Zur Geschichte der Deutsch-Israelitischen Gemeinde in Hamburg in der Zeit von Herbst 1935 bis zum Ende 1942 - Zwei Berichte - (hg. v. der Finanzbehörde Hamburg), Hamburg 1993, 113. 50 Vgl. ebd., 111/120-123. 51 Vgl. Rawert, Ajzensztejn, Stiftungsrecht, 179f.
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Grund verloren Stiftungen von Logen und konsumgenossenschaftlichen Einrichtungen ihre Daseinsberechtigung. Das Schicksal der Stiftungen von Konsumgenossenschaften war an die Auflösung und Gleichschaltung der mit den Gewerkschaften und Sozialdemokraten verbundenen Konsumgenossenschaften gebunden und Teil der nationalsozialistischen Integration der Arbeiterschaft in den NS-Staat. 52 Die in Hamburg ansässigen Stiftungen von Konsumgenossenschaften gingen in die vereinigte Stiftung „Erholungsheim des Gemeinschaftswerks der D.A.F." auf und wurden damit Teil des von Robert Ley geführten Imperiums der DAF, der Nachfolgeorganisation der aufgelösten Gewerkschaften und Genossenschaften.53 In der Satzung der neuen Stiftung wurde fast jeder Bezug auf die einstigen proletarischen Gründer und ihre Ziele beseitigt. Damit war die vergleichsweise junge Tradition .proletarischer' Stiftungen, deren Anfänge nur wenige Jahre zurücklagen, abgebrochen worden. 54 Weit ältere Traditionen besaßen die Logen-Stiftungen, die im Zuge der zwangsweisen Liquidation des Freimaurertums aufgelöst wurden. Die ideologische Basis für ihre Aufhebung bildete die Verfemung der Logen, die schon seit dem Ersten Weltkrieg in völkischen Kreisen mit den negativ besetzten Stereotypen „bürgerlich", „liberal" und „jüdisch" belegt worden waren und die im Nationalsozialismus schlichtweg als Staatsfeinde galten. 55 Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten waren die Tage des Freimaurertums daher gezählt: Mitte der 1930er Jahre endete vorerst die Geschichte des deutschen Logenwesens. Nachdem die Logen und die von ihnen verwalteten Stiftungen liquidiert worden waren, wurden nicht selten neue wohltätige Stiftungen gegründet, die das ehemalige freimaurerische Vermögen übernahmen. Beispielsweise errichtete der Deutsch-christliche Orden Sachsen, Ordensgruppe Goldener Apfel in Dresden im Jahre 1937 zwei Stiftungen, wobei die erste „für gemeinnützige Mildtätigkeit" bestimmt war und die zweite „für Jugenderziehung und Jugendausbildung". Beide Stiftungen erhielten keine eigenständige Verwaltung, sondern waren als Zweckvermögen der Dresdner Stadtverwaltung unterstellt und standen damit unter dem Einfluss der nationalsozialistischen
52 V g l . Klaus N o v y u. Michael Prinz, Illustrierte Geschichte der Gemeinwirtschaft. Wirtschaftliche Selbsthilfe in der Arbeiterbewegung v o n den A n f a n g e n bis 1945, Berlin, Bonn 1985, 213-216; Ulrich v o n Hehl, Nationalsozialistische Herrschaft, 2. Aufl., München 2001, 34-37; 53 V g l . Staatsarchiv Hamburg, Heinrich Lorenz-Stiftung; 1933-1941: Stiftung GEG Erholungsheim; 1941-1947: Erholungsheim des Gemeinschaftswerkes der DAF, Aufsicht über Stiftungen B 670; Heinrich Simon: Die Überführung der verbrauchergenossenschaftlichen Einrichtungen in das Gemeinschaftswerk der Deutschen Arbeitsfront GmbH. Abschlussbericht des Bevollmächtigten der DAF, Lobeda/Thür. 1944, 28f; zur DAF vgl. Hehl, Nationalsozialistische Herrschaft, 34-36, 104106. 54 Die erste Gründung dieser Art in Hamburg datiert auf 1917, als die Konsumgenossenschaften Produktion das „Kinderheim H a f f b u r g " an der Ostsee erworben hatten, um erholungsbedürftigen Kindern v o n Mitgliedern einen Landaufenthalt zu ermöglichen; v g l . Staatsarchiv Hamburg, Kindererholungsheim Produktion, Aufsicht über Stiftungen, B 830. 55 V g l . Stefan-Ludwig H o f f m a n n , Die Politik der Geselligkeit. Freimaurerlogen in der deutschen Bürgergesellschaft 1840-1918, Göttingen 2000, 22.
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Kommunalpolitik. 56 Die Hamburger Logen gründeten 1940 unter der Bezeichnung „Unterstützungs-Stiftung Hansa" eine selbständige Stiftung, die als Auffangbecken für die Restvermögen der 1935 liquidierten Hamburger Tochterlogen der Provinzialloge von Niedersachsen und der ihnen angehörenden Stiftungen und Kassen diente. Die Verhandlungen zwischen Logen und Behörden im Vorfeld der Gründung lassen deutlich das Bemühen der ehemaligen Logen erkennen, ihre Vermögenswerte wenigstens mittelbar den ehemaligen Logenangehörigen zu erhalten. Das gelang jedoch nur begrenzt, denn schon die Satzung schränkte dieses Ziel erzwungenermaßen ein. In der Stiftungssatzung durfte trotz aller Anstrengungen der Logen keine Bevorzugung ehemaliger Mitglieder festgeschrieben werden. Im Verwaltungsrat der Stiftung war zudem die Hamburger Sozialverwaltung vertreten und konnte auf die Ausrichtung der Stiftung Einfluss nehmen. Schließlich waren explizit zweimal jährlich feste Beträge an das Winterhilfswerk und die Nationalsozialistische Volkswohlfahrt festgeschrieben, die Verfügung über die Stiftungserträge war also von vornherein eingeschränkt. 57 Zeigte sich in der Auslöschung ganzer Stiftungszweige die extremste Seite der Stiftungspolitik im Dritten Reich, sahen sich alle Stiftungen einer restriktiven Politik ausgesetzt, welche die Handlungsautonomie der Stiftungen stark einschränkte. Lediglich Stiftungen der NSDAP und ihrer Gliederungen sowie Stiftungen nationalsozialistischer Funktionsträger genossen größere Freiheiten und materielle Privilegien. Sie konnten sich den Kontrollinstanzen weitgehend entziehen und profitierten von steuerlichen Befreiungen. Demgegenüber gerieten alle anderen Stiftungen unter die Kontrolle der verschiedenen öffentlichen und politischen Instanzen und Institutionen. 58 Das übergeordnete Ziel der nationalsozialistischen Stiftungspolitik war es, alle Stiftungsmittel nach politischen Kriterien zu kanalisieren - zum Beispiel in Richtung des NS-Winterhilfswerks und der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt - und die Stiftungen so zu herrschaftsstabilisierenden Institutionen umzuformen. Als umfassendstes Instrument zur Durchsetzung dieser Vereinnahmungspolitik erwies sich das Steuerrecht, das nach 1933 im Wesentlichen dazu angetan war, die Steuerfreiheit der Stiftungen möglichst einzuschränken bzw. die Tätigkeit der Stiftungen dem Gutdünken von Behörden und Parteistellen zu unterwerfen. 59 Daher kann von einer selbständigen Stiftungstätigkeit im Dritten Reich kaum gesprochen werden. Selbstständigkeit im Handeln und Gestalten ist aber insofern eines der zentralen Leitmotive der bürgerlichen Stiftungskultur, als Stifter und später Stiftungsverwalter in gesellschaftlichen Feldern wie der sozialen Fürsorge oder der Kunstpflege im Sinne von Selbsthilfe und Selbstorganisation tätig waren. Da sich diese Prinzipien im Nationalsozialismus nicht mehr oder allenfalls nur noch sehr
56 Vgl. Stiftungsverzeichnis Dresden 1938, 20, 26. 57 Vgl. Staatsarchiv Hamburg, Unterstützungs-Stiftung Hansa, Aufsicht über Stiftungen B 699. 58 Vgl. Hans Liermann, Geschichte des Stiftungsrechts, 2. Aufl., Tübingen 2002, 284-291; Müller, Stiftungen, 161-165. 59 Vgl. Schiller, Stiftungen, 74-82.
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bedingt aufrecht erhalten ließen, muss hier von einer gewissen „Entbürgerlichung" des Stiftungswesens gesprochen werden. Aspekte privater Stiftungspraxis im Dritten Reich Trotz allem war die Lenkung des Stiftungsgeschehens im Dritten Reich nicht nur auf seine Eingrenzung gerichtet. Im Bereich der betrieblichen Sozialpolitik begünstigte die nationalsozialistische Staatsdoktrin vielmehr das Stiftungsgeschehen, denn der Ausbau der betrieblichen Sozialpolitik sollte der ideologischen Gemeinschaftsbildung und somit der Systemstabilisierung Vorschub leisten. 60 Im Ergebnis kam es Ende der 1930er Jahre, bedingt durch steuerliche Anreize, zu einer Gründungswelle von Finnenstiftungen, die das Stiftungsgeschehen zwischen 1933 und 1945 dominierten. 61 Auch diese Gründungswelle drückte nicht weniger als die Abkehr von bürgerlichen Stiftungsideen aus, die langfristig wohl nicht nur auf die Firmenstiftungen beschränkt blieb. Ein Blick zurück soll dies näher verdeutlichen. Im Kaiserreich war die betriebliche Sozialpolitik ein Produkt des patriarchalischen bzw. paternalistischen Unternehmerstils gewesen. Dieser Unternehmensstil folgte zwar marktrationalen Erwägungen, war aber nicht auf diese allein beschränkt. Kennzeichnend war eine Orientierung an militärischen, gesellschaftlichen und bürokratischen Ordnungskonzepten und Wertmaßstäben. 62 Die Gründung von Firmenstiftungen war Teil dieses Herrschaftsstils, der nicht zuletzt auf eine Übertragung der sittlichen und religiösen und damit bürgerlichen Werte des Unternehmers auf seine Angestellten und Arbeiter abzielte. In solchen paternalistisch angelegten betrieblichen Sozialinstituten verbanden sich somit ökonomische, soziale und politische Ziele zu einer Einheit. Mitunter war die Gründung und Ausstattung derartiger betrieblicher Sozialfonds auch von bilanztechnischen Erwägungen motiviert, schmälerten solche Leistungen doch den auszuweisenden Unternehmensgewinn. 63 Derartige gewinnorientierte Motive wurden durch die Steuerpolitik der Weimarer Republik zusätzlich gefördert. Obwohl die Gründung von Firmenstiftungen auf älteren Unternehmensmodellen und -traditionen aufbaute, verlor die betriebliche Sozialpolitik seit den 1920er Jahren insgesamt ihren Charakter als mildtätige Leistung des Unternehmenseigners oder Unternehmensleiters und zeigte sich deutlicher als zuvor als „Teil der Personalpolitik und damit der Rationalisierung". 64 Im Drit-
60 Vgl. Michael Schneider, Unterm Hakenkreuz. Arbeiter und Arbeiterbewegung 1933 bis 1939, Bonn 1999, 496, 556-558. 61 Vgl. Schiller, Stiftungen, 136, 181f. 62 Vgl. Günther Schulz, Betriebliche Sozialpolitik in Deutschland seit 1850, in: Staatliche, städtische, betriebliche und kirchliche Sozialpolitik vom Mittelalter bis zur Gegenwart (=VSWG Beiheft 95), Stuttgart 1991, 137-176. 63 Vgl. Susanne Hilger, Sozialpolitik und Organisation. Formen betrieblicher Sozialpolitik in der rheinisch-westfälischen Eisen- und Stahlindustrie seit der Mitte des 19. Jahrhunderts bis 1933, Stuttgart 1996, 144f. 64 Vgl. Schneider, Unterm Hakenkreuz, S.557.
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ten Reich schob sich nun das Motiv der Steuerersparnis als Gründungsanlass für Firmenstiftungen in den Vordergrund. Die noch in der Weimarer Republik häufig anzutreffende Tradition, dass die Errichtung von Finnenstiftungen an Unternehmens- und Unternehmeljubiläen gebunden war, ging dabei fast vollständig verloren. Damit hatten sich gewinnorientierte, rein zweckrationale Motive für die Gründung von Finnenstiftungen durchgesetzt. Die Firmenstiftungen verloren mehr als je zuvor ihre Verankerung in den bürgerlichen Traditionen, eine Entwicklung, die langfristig nicht allein auf diesen Stiftungszweig beschränkt blieb. Prinzipiell gewannen nach 1933 einseitige Nützlichkeitserwägungen gegenüber bürgerlich verankerten Stiftungsmotiven an Bedeutung. Die Basis für diese Entwicklung war in der quasi systemimmanenten Korruption des NS-Regimes begründet, 65 da Stiftungen und Schenkungen eine wichtige Rolle beim Aufbau funktionierender Kontakte insbesondere zwischen der Wirtschaft und den politischen Entscheidungsträgern spielten. Geradezu exemplarisch dafür sind die in die Millionen gehenden Spenden und Stiftungen der Unternehmerbrüder Reemtsma, insbesondere von Philipp F. Reemtsma als eigentlichem Untemehmensführer, die häufig direkt nationalsozialistischen Parteifunktionären und Parteiorganisationen zugute kamen. 66 Dabei ist anzumerken, dass Philipp F. Reemtsma und sein Bruder Hermann F. im Dritten Reich mit ihren Stiftungen und Spenden nicht nur die persönlichen und politischen Bedürfnisse von Amtsträgern und Parteiorganisationen befriedigten. Sie unterstützen auch eine Vielzahl von wohltätigen Stiftungen und Vereinen, Museen, Theatern und wissenschaftlichen Gesellschaften außerhalb des unmittelbaren NS-Herrschaftsapparates. 67 Allein an Hermann Göring flössen mehr als 12 Millionen RM. Der Beginn dieser Zuwendungen lässt sich auf das Jahr 1933 datieren, als gegen die Firma Reemtsma ein Ermittlungsverfahren wegen Steuerhinterziehung eingeleitet wurde. Philipp Reemtsma erreichte eine Niederschlagung des Verfahrens durch ein Abkommen mit Göring, das ihn zu andauernden Spendenleistungen verpflichtete. 68 Diese in die Millionen gehenden Beträge wurden nach außen hin teilweise als Spenden für gemeinnützige Zwecke ausgegeben, so zum Beispiel als Mittel zur Ausstattung der Berliner Staatsoper. 69 Auf diese Weise flössen Millionenbeträge in den von Göring mit Hitlers Genehmigung geschaffenen Kunstfonds, aus dem Göring einen Teil der Kunstwerke finanzierte, mit denen er sich umgab und die er vorgeblich zu einem
65 Vgl. dazu ausführlich Frank Bajohr, Parvenüs und Profiteure. Korruption in der NS-Zeit, Frankfurt am Main 2004. 66 Vgl. Lindner, Die Reemtsmas, 100-103, 114-123, 145. 67 Vgl. Archiv Hamburger Institut für Sozialforschung, Verteidiger-Unterlagen Dr. Herbert Fischer in Strafsachen Reemtsma, PFR 220,08-1. 68 Vgl. Lindner, Die Reemtsmas, 114-123. 69 Vgl. Die Nazikorruption in Hamburg. Erster Bericht des von der Bürgerschaft am 8. März 1946 niedergesetzten Ausschusses zur Prüfung des Antrages der sozialdemokratischen Fraktion betreffend Untersuchung nationalsozialistischer Korruptionsfälle, Hamburg 1946, 12.
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späteren Zeitpunkt in eine Hermann-Göring-Stiftung einbringen wollte. 70 Zu diesen Zuwendungen kamen noch persönliche Geschenke an Göring hinzu, darunter wertvollste Gemälde, kunstgewerbliche Arbeiten und auch Zigaretten. 71 Beträchtliche Zuwendungen erhielt auch der Hamburger Gauleiter und Reichsstatthalter Karl Kaufmann bzw. die von ihm begründeten Stiftungen. Ohne diese .Spenden' wäre der großartige Ausbau des Reemtsma-Konzerns in Richtung des Reedereigeschäfts nicht möglich gewesen. 72 Eine Millionenzuwendung ging 1943 auch an die ErichKoch-Stiftung des ostpreußischen Gauleiters und Oberpräsidenten Erich Koch. Hintergrund hierfür war die Abwehr des Baus einer Zigarettenfabrik in Ostpreußen; sie war aber auch in anderer Hinsicht nützlich, denn Koch war zugleich Reichskommissar der Ukraine und gebot damit über die dortige Rohtabakproduktion. 73 All diese Zuwendungen dienten der Konsolidierung und dem weiteren Ausbau der geschäftlichen Aktivitäten der Reemtsmas, dabei waren sie weniger politisch oder ideologisch als vielmehr marktrational motiviert. Lag im rationalen Kalkül der Firmenleiter der Aufstieg des Reemtsma-Konzerns schon vor 1933 begründet, 7 4 erwiesen sich im Dritten Reich Spenden und Stiftungen als ein sehr probates Mittel zur Durchsetzung unternehmerischer Interessen. Indem die Reemtsmas dieses Mittel anwendeten, entwickelte sich vermeintlich philanthropisches Handeln zu einem integralen und notwendigen Bestandteil der Unternehmensexpansion, zum anderen verdrängten zweckrationale Motive bürgerliche Stiftungsideale. Die Stiftungspraxis von NS-Funktionären Die teilweise direkten Spenden Philipp F. Reemtsmas an Stiftungen von NS-Funktionären lenken den Blick auf eine wichtige Funktion der Institution Stiftung und des Stiftens im Dritten Reich. Die Führungsriege des NS-Staates, von Hitler bis zu den Gauleitern, entdeckte nämlich das öffentlichkeitswirksame Schenken und Stiften als ein willkommenes Mittel zur Legitimation und Festigung ihrer Herrschaft. Mit Geldern aus arisierten jüdischen Vermögen, aus Korruptionsbeziehungen und aus öffentlichen Kassen inszenierten sich die NS-Chargen als Mäzene und Wohltäter. Dazu schufen sich einige Gauleiter eigene Stiftungen, die vom staatlichen und Parteivermögen abgekoppelt waren und derer sie sich zur Umsetzung ihrer politischen Ziele und zur Befriedigung ihrer persönlichen Ansprüche bedienten. Auf diese Weise stärkten Reichs- und lokale NS-Fürsten zum einen ihre Positionen im Herrschaftssystem, zum anderen finanzierten sie damit ihren luxuriösen, oft prot-
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Vgl. Günther Haase, Die Kunstsammlung des Reichsmarschalls Hermann Göring. Eine Dokumentation, München 2000, 137f, 199. Vgl. Lindner, Die Reemtsmas, 153f; Nazikorruption, 12f; Haase, Kunstsammlung, 65f; Silke Reuther, Die Kunstsammlung Philipp F. Reemtsma. Herkunft und Geschichte, Berlin 2 0 0 6 , 4 4 - 4 8 . Vgl. Hartmut Rübner, Unternehmensinteressen und Vierjahresplan. Der R e e m t s m a - K o n z e m im „Dritten Reich", in: Sozial.Geschichte 22.2007, Heft 3, 13-42. Vgl. Lindner, Die Reemtsmas, 244f. Vgl. ebd., 98.
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zigen Lebensstil. So kam der Institution Stiftung - ob als schwarze Kasse oder als Trägerin von Firmen und Rüstungsbetrieben, wie den „Wilhelm Gustloff Werken", „Nationalsozialistische Industriestiftung" - eine nicht zu unterschätzende Bedeutung als Herrschaftsinstrument der NS-Elite zu. 75 Die vermutlich größte Stiftung dieser Art war die am 1. September 1939 in Danzig gegründete „Erich-Koch-Stiftung". In dieser Stiftung vereinigte der ostpreußische Gauleiter ein ganzes Konglomerat an Firmen und Landgütern, die er sich „durch politischen Druck und Missbrauch seiner Machtstellung" zusammengerafft hatte und die zum nicht geringen Teil aus dem enteigneten Besitz jüdischer und polnischen Unternehmer und Landbesitzer stammten. 1944 besaß die „Erich-KochStiftung" ein Gesamtvermögen von mehr als 300 Millionen RM. Die in der Stiftung vereinigten Betriebe erwirtschafteten einen Gewinn von 30 Millionen Mark, die auf ein persönliches Verfügungskonto Kochs flössen. Als alleiniger Stiftungsvorstand nutzte Koch die eingehenden Summen nach eigenem Gutdünken zum Ausbau seiner Günstlingswirtschaft und für den Unterhalt von drei persönlichen Residenzen, deren Wert auf nicht weniger als 25 Millionen RM geschätzt wurde, obgleich der satzungsmäßige Stiftungszweck mit der „Erziehung, Ausbildung und Förderung von Nationalsozialisten" angegeben war. 76 Sofern Koch die Stiftungsmittel .satzungsgemäß' verwendete, dienten sie ihm dazu, Klientelbindungen auszubauen und seine „Hausmacht" in Ostpreußen zu stärken, aber auch, um seine Stellung Gefüge des NS-Regimes zu untermauern. 77 Auch Hamburgs Führer Karl Kaufmann zog einen Teil seiner partikulären Gewalt aus der Verfügung über zwei von ihm gegründete Stiftungen. Er schuf sich die „Hamburger Stiftung von 1937" sowie 1938 die „Karl-Kaufmann-Stiftung". In ihnen bündelte er ein mehrfaches Millionenvermögen, mit dem er zwar nicht an Koch'sche Dimensionen heranreichte, das ihn aber - allein an den Ressourcen gemessen - zum wichtigsten „Stiftungsführer" Hamburgs machte. 78 Den Zweck der „Hamburger Stiftung von 1937" gab Kaufmann in der Stiftungsurkunde zum einen mit der Förderung „vaterländischer Einrichtungen (insbesondere Gliederungen der NSDAP)" an, zum anderen formulierte er als Stiftungsziel ganz allgemein die Behebung von Notständen. 79 Tatsächlich verteilte Kaufmann aus dem wachsenden Vermögen der Stiftung bis zum Krieg in erster Linie Zuwendungen an lokale NSOrganisationen bzw. deren Führer. An NSDAP-Kreis- und Gauamtsleiter wurden 75 Vgl. dazu ausführlich Bajohr, Parvenüs und Profiteure; zur „Wilhelm-Gustloff-Stiftung", so der ursprüngliche Name des aus einem arisierten jüdischen Unternehmen hervorgegangenen Rüstungsbetriebes, vgl. Fritz Sauckel (Hg.): Die Wilhelm-Gustloff-Stiftung. Ein Tatsachen- und Rechenschaftsbericht über Sozialismus der Gesinnung und der Tat in einem Nationalsozialistischen Musterbetrieb des Gaues Thüringen der NSDAP, Weimar 1938. 76 Vgl. Bajohr, Parvenüs und Profiteure, 40-42; Ralf Meindl, Ostpreußens Gauleiter. Erich Koch - eine politische Biographie, Göttingen 2007, 191-194. 77 Vgl. Meindl, Ostpreußens Gauleiter, 404f, 912. 78 Vgl. Staatsarchiv Hamburg, Hamburger Stiftung von 1937; Karl Kaufmann Stiftung, Sozialbehörde I EF 22.77. 79 Vgl. Staatsarchiv Hamburg, Satzung, 10.4.1937, Hamburger Stiftung von 1937, Nr.l.
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Darlehen vergeben, treue Parteimitglieder erhielten „Beihilfen". Nach Ausbruch des Krieges unterstützte Kaufmann über die Stiftung in stärkerem Maße die Wehrmacht und nach den Luftangriffen des Jahres 1943 erhielten Ausgebombte und Hinterbliebene Hilfeleistungen. Seit 1939 wurden aber auch universitäre bzw. studentische Organisationen gefördert und einzelne Schüler und Studenten erhielten Unterstützungen. 80 Das Stiftungsvermögen speiste sich laut Stiftungsurkunde aus „Zuwendungen Dritter". Tatsächlich flössen der Stiftung in den Folgejahren Summen in oft fünf- bis sechsstelliger Höhe zu, vornehmlich aus den städtischen Regiebetrieben Hamburgs wie den Gas-, Wasser- und Elektrizitätswerken sowie den Sparkassen, die durch institutionelle Strukturen und eine politische Personalauswahl eng in das korrupte, lokale Machtgeflecht Karl Kaufmanns eingebunden waren. Daneben spendeten private Unternehmen reichlich: Seit Kriegsbeginn erhielt die Stiftung beträchtliche Mittel von Truppenteilen der Wehrmacht. Die Stiftung profitierte nicht zuletzt von der Arisierung jüdischen Besitzes. Im Laufe nur weniger Jahre wuchs das Vermögen der Stiftung vor allem durch all diese Zuwendungen auf über acht Millionen RM an. 81 Die der „Hamburger Stiftung von 1937" in vielem ähnliche „Karl-Kaufmann-Stiftung" diente satzungsgemäß dazu, „deutsche Volksgenossen, die sich entweder im Rahmen ihres Berufes oder sonst wie um die Volksgemeinschaft verdient gemacht haben, auszuzeichnen." Das sollte mittels „Beihilfen zur Errichtung und Erhaltung von eigenen Wohnstätten" in Siedlungen geschehen. 82 Demgemäss vergab die Stiftung an eine Reihe von Parteigenossen Baudarlehen. Seit 1940 zahlte die Stiftung dann zumeist kleine Beihilfen in Höhe von 20 bis 100 RM, vielfach zu Ostern, Weihnachten und Geburtstagen an durch den Luftkrieg verwaiste Kinder. Das Vermögen der „Karl-Kaufmann-Stiftung" - 1944 ungefähr eine halbe Millionen RM - entsprang den gleichen Quellen wie denen der „Hamburger Stiftung von 1937".83 In der „Hamburger Stiftung von 1937" und der „Karl-Kaufmann-Stiftung" verdichteten sich zwei der zentralen Herrschaftsmittel des Hamburger Reichsstatthalters: Korruption und Sozialpopulismus. 84 So war die „Stabilisierung personaler Bindungen durch materielle Zuwendungen" der erste Zweck, an dem sich die Stiftungen auszurichten hatten. 85 In Folge der verheerenden Bombenangriffe auf Hamburg kamen dann die sozialpopulistischen Funktionen der Stiftungen vermehrt zum Vorschein. In einer Art autoritärer Landesvaterschaft ließ Kaufmann Hilfsgelder an Bombenopfer verteilen, die vor allem sein Image als fürsorglicher Reichsstatthalter
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Vgl. ebd., Nr. 11-22. Vgl. ebd., Nr.2, Nr.5, Nr.24; Bajohr, Parvenüs und Profiteure, S.43f. Vgl. Staatsarchiv Hamburg, Satzung, 20.4.1938, Karl Kaufmann Stiftung, Sozialbehörde I EF 22.77. Vgl. Staatsarchiv Hamburg, Prüfung des Jahresabschlusses, 1938-1944, Karl Kaufmann Stiftung, Sozialbehörde I EF 22.77; Hamburger Stiftung von 1937, Nr.10. 84 Vgl. Frank Bajohr, Hamburgs „Führer". Zur Person und Tätigkeit des Hamburger NSDAP-Gauleiters Karl Kaufmann (1900-1969), in: Landeszentrale für politische Bildung Hamburg (Hrsg.), Hamburg im Dritten Reich. Sieben Beiträge, Hamburg 1998, 119-147. 85 Vgl. Bajohr, Parvenüs und Profiteure, 45.
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propagandistisch aufwerten sollten und dies tatsächlich auch taten. War die lokale „Sozialpolitik" Kaufmanns stets an ihrer „propagandistischen Verwertbarkeit" ausgerichtet gewesen, verdichtete sich diese Konvergenz am Ende des Krieges, als die von ihm errichteten Stiftungen zu wichtigen „sozialpolitischen" Herrschaftsmitteln wurden. 86 Die Stiftungen der Gauleiter erreichten seit Anfang der 1940er Jahre solche Ausmaße, dass selbst in der Zentrale der NSDAP Kritik laut wurde. Die Parteispitze forderte, dass die Gauleiter „ihr Ansehen im Volk nicht durch finanzielle oder wirtschaftliche Bindung und Risiken der Gefahr von Missdeutungen aussetzen" sollten. Vor allem störte man sich aber daran, dass die Stiftungen den Gauleitern Machtbereiche eröffneten, in denen die Partei keinerlei Einfluss- oder Kontrollmöglichkeiten besaß.87 Daran anschließende parteiinterne Überlegungen zur allmählichen Überführung der Stiftungen der Gauleiter in die „Gauselbstverwaltung" blieben freilich ergebnislos, teilweise auch, weil das Ende des Tausendjährigen Reiches kurz bevor stand. 88 Zu fest gefügt war die „partikulare Souveränität" der Gauleiter, die sich eben auch auf die Verfügung über eigene finanzielle Ressourcen stützte, denn sie war ein wichtiges Herrschaftsinstrument Hitlers, mit der er die Gauleiter als „sekundäre Führer" an sich band. 89 Stiftungen können somit schließlich als typische und vor allem effektive Herrschaftsinstrumente von Parteifunktionären und lokalen „Hoheitsträgern" im Nationalsozialismus bezeichnet werden, die nicht weniger als eine Pervertierung des bürgerlichen Stiftungsgedankens darstellten. Schlussbemerkung Am Schluss wäre es verfehlt, eine umfassende .Entbürgerlichung' des Stiftungswesens und Mäzenatentums am Ende des Dritten Reiches zu konstatieren. Trotz aller Tendenzen, die in diese Richtung weisen, darf nicht vernachlässigt werden, dass bei den begrenzten Handlungsräumen, die der Nationalsozialismus den Stiftungen ließ, sicher nicht wenige Stiftungsverwalter versuchten, im Sinne bürgerlicher Wertvorstellungen und Gesellschaftsbilder zu agieren Zudem wurden nach wie vor vereinzelt Stiftungen gegründet, die noch bürgerlichen Leitmotiven folgten. Fakt bleibt dennoch, dass sich der enge Zusammenhang zwischen Stiftungskultur und Bürgertum, der sich unter den demokratischen Bedingungen des Sozial- und Kulturstaates der 1920er Jahre noch behauptet hatte, unter den Rahmenbedingungen des Dritten Reiches aufzulösen begann. Dafür war nicht nur die totalitäre und gewaltsame Umsetzung der antisemitischen und antibürgerlichen Staatsdoktrin des Nationalso-
86 Vgl. Bajohr, Hamburgs Führer, 136-138. 87 Vgl. Bundesarchiv Berlin, insb. Martin Bormann an Franz Xaver Schwarz, 23.6.1942, Stiftungen der Gauleiter, Reichsministerium des Innern R1501/127213. 88 Vgl. ebd., Vermerk vom 25. Mai 1944. 89 Zu den Gauleitern vgl. Peter Hüttenberger, Die Gauleiter. Studien zum Wandel des Machtgefüges in der NSDAP, Stuttgart 1969, hier insb. 195-212.
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Michael Werner
zialismus verantwortlich. Es darf auch nicht übersehen werden, dass sich schon seit dem Ersten Weltkrieg die Einheit von Bürgertum als einer sozialen Formation - die freilich in sich sehr heterogen war - und der bürgerlichen Lebenswelt als Ausdruck der sozialen und kulturellen Praxis des Bürgertums zunehmend aufzulösen begann. Die den Wilhelminern nachfolgenden Generationen der Kämpfer und Jugend im Ersten Weltkrieg, begann sich bereits unter dem Eindruck der Kriegsereignisse und der politischen und ökonomischen Krisen von den gesellschaftlichen Vorstellungen des 19. Jahrhunderts mehr oder weniger stark abzuwenden. 90 Gleichwohl ist in dem Maße, wie in der neueren Bürgertumsforschung das Dritte Reich nicht mehr als Endpunkt des Bürgertums angesehen wird und das Weiterbestehen, ja sogar eine Renaissance bürgerlicher Gesellschaftsbilder nach 1945 unterstrichen wird, 91 letztlich davon auszugehen, dass Stiften und Mäzenatentum in Deutschland über die 1930er und 1940er Jahre hinweg trotz aller Veränderungen im Kern als bürgerliche Verhaltenspraxis erhalten blieb.
90 Zur Generationsfolge vgl. Detlev J. Peukert, Die Weimarer Republik. Krisenjahre der Klassischen Moderne, Frankfurt am Main 1987, S.26-31. 91 Vgl. Hannes Siegrist, Ende der Bürgerlichkeit? Kategorien „Bürgertum" und „Bürgerlichkeit" in der westdeutschen Gesellschaft und Geschichtswissenschaft der Nachkriegsperiode, in: Geschichte und Gesellschaft, 20.1994, Heft 4, 549-583; Eckart Conze, Eine Bürgerliche Republik? Bürgertum und Bürgerlichkeit in der westdeutschen Nachkriegsgesellschaft, in: Geschichte und Gesellschaft, 30.2004, 527-542.
II.
Stiftungen in der Kulturförderung
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Einleitung Von Manuel Frey
Die Frage nach Kontinuität und Diskontinuität im Stiftungswesen stellt sich insbesondere auf dem Gebiet der kulturfordernden Stiftungen. Kultur ist immer schon mehr als Hochkultur gewesen und damit von besonderem öffentlichen Interesse. Die Inhalte des in seiner modernen Bedeutung in der deutschen Spätaufklärung entstandenen Begriffs werden in jeder Epoche und unter wechselnden politischen Vorzeichen neu verhandelt. Die aktuelle Renaissance von Kultur und Kulturförderung vollzieht sich im Namen eines „erweiterten Kulturbegriffs".1 Diese Erweiterung kann zumindest in Deutschland keinen Anspruch auf Neuheit erheben. Der Berliner Schriftsteller und Publizist Friedrich Dieckmann hat jüngst noch einmal auf das klassische Weimar hingewiesen sowie auf Johann Wolfgang von Goethe als „Verkörperung dessen, was erweiterter Kulturbegriff genannt zu werden verdiente", weil der Dichter „Kultur von jeher als etwas Universelles, Gesellschaftlich-Umfassendes begriffen und praktiziert hatte".2 Was bedeutet das für die Kontinuität in der Kulturförderung? Auch Kontinuität ist nach Johann Gustav Droysen das Ergebnis geschichtlicher Arbeit und damit eine Konstruktion. 3 Wir haben es also bei den beiden Begriffen „Kontinuität" und „Kultur" mit Konstrukten zu tun, mit epochengebundenen Sinnentwürfen vor dem Hintergrund einer letztlich unendlichen Zahl an Diskontinuitäten. Dabei zeigt sich, dass sich Stiftungen in der Auseinandersetzung mit tiefgreifenden sozialen und politischen Wandlungsprozessen und der dadurch erneuerten Herausforderung des Bruchs mit der Überlieferung in ihrem Handeln immer wieder bewusst von tradierten Maximen leiten lassen, private Ressourcen für öffentliche Zwecke mobilisieren und dadurch sowohl Kontinuität erzeugen als auch den sozialen und kulturellen Wandel mitgestalten. 4 Dieser doppelt codierte soziokulturelle „Mechanismus" lässt sich nur am Detail studieren. In den letzten Jahren sind einige Studien zum bürgerlichem Engagement für Kunst, Kultur und Soziales in ausgewählten Städten erschienen, die unseren Wissensstand über die konkreten Bedingungen, unter denen Stifter und Mäzene im 19. und
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Deutscher B u n d e s t a g (Hg.), Kultur in Deutschland. Schlussbericht der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestags, Regensburg 2008, S. 63. Friedrich Dieckmann, Geglückte Balance. A u f Goethe blickend, Frankfurt am Main 2008, S. 11. J o h a n n Georg Droysen, Historik. Vorlesungen über Enzyklopädie und Methodik der Geschichte, Darmstadt 1960, S. 12. Herfried Münkler, Anstifter, Unruhestifter. Wie Stiftungen Veränderungen bewegen, in: Merkur. Deutsche Zeitschrift für Europäisches Denken, Bd. 61, H 3, 2007, S. 200-210.
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Manuel Frey
20. Jahrhundert handelten, erheblich bereichert haben. 5 Auch in den beiden Beiträgen dieses Abschnitts wird anhand konkreter Beispiele aus besonders „stiftungsaktiven" Städten überzeugend dargestellt, dass sich die Frage nach dem Verhältnis von Kontinuität und Wandel immer dann stellt, wenn privates Vermögen dauerhaft bestimmten Zwecken gewidmet werden soll. Immanuel Kant erkannte in seiner „Metaphysik der Sitten" (1785) den Widerspruch zwischen der bestimmten Idee des Stifters und der unbestimmten Dauer der Stiftung als grundlegendes Problem, das nur durch staatliche Aufsicht und Kontrolle zu lösen sei: „So ist eine solche vermeintlich auf ewige Zeiten gemachte Stiftung keineswegs auf ewig begründet, sondern der Staat kann diese Last, die ihm (...) aufgelegt worden, abwerfen, wenn er will." 6 Diese Aufforderungen nahmen die Vertreter einer starken Staatssouveränität wie beispielsweise Graf Montgelas in Bayern wörtlich, der Anfang des 19. Jahrhunderts die Auffassung vertrat, dass das Stiftungsvermögen als „Spezialstaatsvermögen" der staatlichen Aufsicht bedürfe. 7 Die Verwaltung des Stiftungsvermögens durch eigene Stiftungsorgane lehnte er strikt ab. Im Laufe des 19. Jahrhunderts wurden zahlreiche Stiftungen (etwa in Baden) dem öffentlichen Gemeindeverwaltungsrecht untergeordnet und somit Bestandteil der kommunalen Selbstverwaltung. 8 Damit waren jedoch die Probleme keineswegs gelöst. Nicht umsonst beziehen sich die beiden folgenden Beiträge auf das Verhältnis von Stiftern und Stiftungen zu den kommunalen Kulturbehörden. Wenn die öffentliche Hand heute Stiftungen gründet oder bestehende Kulturbetriebe in Stiftungen umwandelt, dann geschieht dies meist mit dem Ziel einer besseren Wirkungsorientierung. Eine effiziente Förderpolitik, ein klares Profil und ein professionelles Fundraising sind für die öffentliche Hand heute die zentralen Motive, um Stiftungen in den Bereichen Kultur und Bildung zu gründen. 9 Damit unterscheidet sich staatliches Verwaltungshandeln jedoch nicht allzu sehr von den Motiven vieler Stifter, die sich als Angehörige einer sozialen Elite nicht nur von ihren legitimen Gruppeninteressen, sondern auch von den Grundsätzen unternehmerischen Handelns leiten lassen. Historische Stiftungsforschung ist daher immer auch Elitenforschung. 10 Die Motive der Stifter, die sich aus sozialer Verantwortung, Kontinuität der Vermögenskontrolle, Nutzung von Steuervergünstigungen und Verbundenheit mit lokalen Gemeinschaften bis hin zu der auch heute noch verbreiteten religiösen Wertbindung zusammensetzen, strebt bei aller Varianz der Motive in den
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Einen guten Überblick über die Forschungslage gibt Stefan Gorißen, Ehrenamt und Mäzenatentum Grundlagen der Zivilgesellschaft im historischen Wandel, in: Westfälische Forschungen 55/2007, S. 1-16. Immanuel Kant, Werke in sechs Bänden. Herausgegeben von Wilhelm Weischedel, Bd. VI, Wiesbaden 1956, S. 494. Hans üermann, Handbuch des Stiftungsrechts, Bd. 1, Geschichte des Stiftungsrechts, Tübingen 1963, S. 216f. Liermann, S. 268. Bundesverband Deutscher Stiftungen (Hg.), Stiftungsreport 2007, Berlin 2007, S.72-82. Zur Diskussion um Elitenbildung und kultureller Anerkennung vgl. Ludgera Vogt, Das Kapital der Bürger. Theorie und Praxis zivilgesellschaftlichen Engagements, Frankfurt am Main 2005.
Einleitung
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meisten Fällen ebenfalls nach professioneller, das heißt nach effektiver und rationaler Umsetzung des jeweiligen Stiftungszwecks. Um 1900 erreichte die bürgerliche Stiftungskultur im Deutschen Reich einen vorläufigen Höhepunkt. Die politische Partizipation der Bürger begann in der Stadt, in den Vereinen und patriotischen Gesellschaften. Die Städte waren damals wie heute lebendige Zentren des bürgerschaftlichen Engagements. Gerade die Epoche des Wilhelminischen Kaiserreichs bietet zahlreiche Beispiele für praktizierten Gemeinsinn von Stiftern aus dem Bürgertum. Um die Wende zum 20. Jahrhundert haben sich bedeutende Stifter, wie etwa die Berliner Großkaufleute Eduard Arnhold, Rudolf Mosse und James Simon oder Wilhelm Merton in Frankfurt am Main nicht mehr nur im Rahmen der Stadtgemeinde, sondern im vollen Bewusstsein ihrer Rolle als Grenzgänger in der kommunalen Kultur- und Sozialpolitik engagiert. Damit gerieten sie mit ihren persönlichen Interessen, aber auch als Anstifter und Vermittler mitunter in Konflikt mit den kommunalen Behörden, nicht zuletzt deshalb, weil sie ihr Engagement zwar als gemeinnützig, jedoch keineswegs als „selbstlos" verstanden. 11 Gudrun-Christine Schimpf zeigt am Beispiel ausgewählter Stiftungen in Frankfurt am Main im ausgehenden 19. und frühen 20. Jahrhundert, dass die Zusammenarbeit zwischen Stiftern und Kommune selbst in einer ausgesprochenen „Stifterstadt" durchaus konfliktreich verlief. Die Brüder Linel lieferten sich als bedeutende Stifter von Kunstwerken und Barvermögen eine mehljährige Auseinandersetzung mit der zunehmend selbstbewusster agierenden Kulturverwaltung und den fachlich geschulten Museumskuratoren, die museologische Grundsätze über die individuellen Wünsche der Stifter bezüglich einer öffentlichkeitswirksamen Präsentation des Sammlungsgutes stellten. Den Hintergrund bildete eine an wissenschaftlichen Grundsätzen ausgerichtete Sammlungspolitik, die mit den seit Jahrzehnten ohne systematische Anleitung zusammengetragenen Schätzen nicht ohne weiteres vereinbar war. Oft genug konnte eine selbstbewusste Allianz aus Museumskuratoren und Kulturverwaltung letztlich ihre Vorstellungen durchsetzen. Heute geht der Trend bekanntlich in die entgegengesetzte Richtung. Wohlhabende Sammler bauen mit öffentlichem Geld eigene Häuser oder nutzen vorhandene öffentliche Gebäude für die Präsentation ihrer Sammlungen. Damals wie heute führen Stiftungen im Museumsbereich jedenfalls zu einer Einschränkung des Gestaltungsspielraums öffentlicher Sammlungen. Auch das zweite Beispiel Schimpfs, die Auseinandersetzung um die RothschildBibliothek, stellt die Anfänge der Public Private Partnership in Deutschland um 1900 als konfliktreiches Verhältnis zwischen kommunaler Leistungsverwaltung und Stiftungsinteressen dar. Der „Wettbewerb zwischen Stiftern und Stadtverwaltung" (Schimpf) diente jedoch dem Wohl der Stadt. Beide Seiten durchliefen einen Lernprozess, der letztlich in eine professionell gemanagte Kulturförderung mündete. An beiden Beispielen zeigt sich deutlich, wie die Verwaltung zu Beginn des 20. Jahr11
Insbesondere zu diesem letzten Punkt vgl. die Studie v o n Viola Effmert, „Sal. Oppenheim jr. El Cie", Kulturforderung im 19. Jahrhundert, Köln 2006.
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Manuel Frey
hunderts kulturpolitisch aktiver wurde, die einzelnen Stifterinteressen bündelte und wirkungsorientiert zusammenführte. Diese selbstbewusste Kulturpolitik wurde auch nach 1918 unter veränderten Rahmenbedingungen fortgesetzt. Dies mag neben der Wirtschaftskrise auch ein Grund für die wachsende Zurückhaltung privater Stifter in der Weimarer Republik gewesen sein. Auch im Beitrag von Christiane Bach geht es um das spannungsreiche Verhältnis von privater Kulturforderung und öffentlicher Kulturverwaltung. Für die wohlhabende Stifterstadt Hamburg kann sie für die Zeit nach 1945 eine aktive Beteiligung von Stiftern und Mäzenen am Wiederaufbau bürgergesellschaftlicher Strukturen belegen. Dabei knüpfte man in Hamburg an exklusive Traditionen kollektiver Kunstförderung an, die sich bis ins 19. Jahrhundert zurückverfolgen lassen. Bach kann zeigen, dass zumindest bei der Hamburger „Stiftung zur Förderung der Hamburger Kunsthalle" Exklusivität und Finanzkraft eng miteinander verknüpft waren. Federführend bei der Gründung der Stiftung war Kultursenator Biermann-Ratjen, der ein exponiertes Mitglied der Stadtverwaltung mit exzellenten Kontakten zur Stadtelite war. Alfred Hentzen, seit 1955 Leiter der Hamburger Kunsthalle und einer der Mitinitiatoren der Stiftung, war Assistent Ludwig Justis an der Berliner Nationalgalerie gewesen. Justi hatte wiederum in seiner Zeit als Direktor am Frankfurter Städelmuseum große Erfolge in der Akquise privater Fördermittel erzielt, etwa beim Ankauf des RembrandtGemäldes „Simson und Delila".12 Innerhalb des Museumsmanagements wurde das Wissen um den Umgang mit Spendern somit über Generationen tradiert. Es gelang umso leichter, an überlieferte Formen der Public Private Partnership anzuknüpfen, als in den 1950er Jahren ein neuer gesellschafts- und kulturpolitischer Konsens zwischen Unternehmern und Staat zu beobachten war. Es wäre nun an weiteren Beispielen zu belegen, inwieweit sich auf dem Feld des Stiftungswesens nach 1945 die beiden zentralen Elemente der Entwicklung des Bürgertums in der Nachkriegszeit, die Exklusivität sowie die Ausbreitung in den gesellschaftlichen Raum hinein, nicht nur überlagerten, sondern miteinander verbanden. Die 68er-Bewegung wirkte dabei - von den Protagonisten keineswegs intendiert - als eine Art Teilchenbeschleuniger, der die Restbestände traditioneller Bürgertugenden auf ein neues Ziel, das bürgerschaftliche Engagement, hin ausrichtete („Kultur für alle" oder „Soziokultur") und damit einen erweiterten Kulturbegriff und die von ihm abgeleitete Wirkungsorientierung erst möglich machte. In den 1960er Jahren ließ sich in der Bundesrepublik Deutschland ein tiefgreifender Epochenwechsel beobachten, der im Zeichen einer neuen Kulturpolitik stand. Als Baustelle eines neuen Lebensstils zwischen Wiederaufbau und postindustrieller Moderne kommt dieser Epoche auch in der Geschichte des Stiftungswesens große Bedeutung zu. Die Rede ist von einer
12 Zur Rolle Ludwig Justis in Frankfurt siehe Manuel Frey, Überlegungen zu einer historischen Grundlegung des Fundraising in Deutschland, in: kritische berichte. Zeitschrift für Kunst- und Kulturwissenschaften, Heft 2, 2003, S. 57-70.
Einleitung
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Entwicklung, die der Kunsthistoriker Walter Grasskamp plakativ als die „Kernfusion von Gegenkultur und Kulturindustrie" bezeichnete. 13 So ging man etwa in Frankfurt am Main in den sechziger Jahren neue Wege, um eine lokale Integration zu erreichen. Die „Aktion Synagoge" genannte, erfolgreiche Spendensammlung zum Ankauf eines Kunstwerks von Max Beckmann war für die Kulturpolitik der Bundesrepublik in den 1970er Jahren von besonderer Bedeutung, da Hilmar Hoffmann hier bereits einige Grundprinzipien erprobte, die er Jahre später in seinem Plädoyer für eine demokratische Kulturpolitik („Kultur für alle") auch theoretisch begründete. 14 Die Einbeziehung tradierter Formen der privaten Kulturförderung war für Hoffmann keineswegs nur eine Randerscheinung. Es ging ihm darum, die Eliten zur „Akzeptanzproduktion" heranzuziehen, sie „in die Pflicht zu nehmen für die Absicherung ökonomisch-gesellschaftlicher Trends".15 Das bedeutete nichts anderes, als Druck von unten auszuüben. Im Fall der „Aktion Synagoge" ist ihm dies gelungen - wenn auch mit fatalen Folgen: Hoffmann ging damals davon aus, dass gesellschaftliche Ungleichheit und damit kulturelle Elitenbildung von sozioökonomischen Faktoren abhängig sei. Demgegenüber hat die neuere soziologische Forschung darauf hingewiesen, dass es vor allem kulturelle Faktoren sind, über die soziale Ungleichheit definiert wird. Hoffmann habe mit seiner zugleich theoretischen und praktischen Gleichsetzung von Kunst und (Populär-)Kultur den vorhandenen, bis dato elitären Kulturbegriff erweitert und dadurch einen für die Kulturpolitik fatalen Subventionierungsschub ausgelöst. Eine verstärkte Nachfrage, die geradewegs in die letztlich bis heute andauernde Krise der kommunalen Kulturpolitik mündete. 16 Übrigens zitiert Christine Bach in ihrem Beitrag indirekt den berühmten „Revolver"Aufsatz von Theodor W. Adorno, „Kultur und Verwaltung" (1960) im Rekurs auf die skeptische Äußerung Biermann-Ratjens', dass Kultur und Verwaltungshandeln, Phantasie und strenge Ordnung in einem unlösbaren Spannungsverhältnis zueinander stünden. Der Philosoph war da optimistischer als der Verwaltungsfachmann. Adorno hatte zunächst mit Max Weber daraufhingewiesen, dass in einer bürokratisierten Welt beide Sphären trotz aller Gegensätzlichkeiten aufeinander angewiesen seien. Letztlich ist aber nur durch den aufgeklärten, kritischen Einsatz von Verwaltungsmitteln, durch aufgeklärte Verwaltungspraxis also, eine Transzendenz der bloß verwalteten
13 Walter Grasskamp, Der lange Marsch durch die Illusionen. Über Kunst und Politik, München 1995, S. 17. 14 Zur „Aktion Synagoge" in Frankfurt am Main 1971 vgl. Manuel Frey, Sammler, Stifter und Mäzene in der Bürgergesellschaft, unveröff. Habilitationsschrift, Dresden 2008, S. 168-181. 15 Hilmar Hoffmann, Kultur für alle. Perspektiven und Modelle, Frankfurt am Main 1981,S. 16-18;Deis., „Kultur für alle" und die neuen Freunde der Kultur, in: Herfried Münkler und Richard Saage (Hg.), Kultur und Politik. Brechungen der Fortschrittsperspektive heute. Für Iring Fetcher, Opladen 1990, S. 138-141, S. 139. 16 Armin Klein, Kultur für alle - für wen und wozu? Neuere kultursoziologische Befunde, in: Thomas Heinze (Hg.), Kultur und Wirtschaft. Perspektiven gemeinsamer Innovation, Opladen 1995, S. 183200.
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Manuel Frey
Kultur zu erhoffen. 17 Wenn allerdings die Frage nach dem Ort gestellt wird, dann ist diese aufgeklärte Verwaltungspraxis möglicherweise eher bei der kulturfördemden Stiftung als in der kommunalen Kulturverwaltung zu finden. Der Grund liegt in der Wesensverwandtschaft von Stiftung und Kultur. Autonomie sowohl als Grundlage modernen Stiftungshandelns als auch des erweiterten Kulturbegriffs ist in Kants Metaphysik der Sitten keine Tugend, sondern ein Vernunftprinzip und bezieht sich auf den rechtlichen Zustand a priori, wie Freiheit und Gleichheit, ohne den keine Bürgergesellschaft vernünftig gedacht werden könne. 18 Wirkungsorientierte Kulturforderung in der Bürgergesellschaft ist aber ohne autonomes Handeln schwer denkbar. Die beiden folgenden Beiträge bieten zahlreiche Belege für die These, dass kulturfördernde Stiftungen sich vom späten 19. Jahrhundert bis gegen Ende des 20. Jahrhunderts in der Auseinandersetzung mit einer zunehmend selbstbewusster werdenden kommunalen Kulturpolitik bewähren mussten. Stiftungen schaffen gerade dadurch, dass sie gegenüber den Behörden auf Autonomie beharren, Freiräume für die Entfaltung von Kunst und Kultur. Dies gelingt heute, nach dem Ende der Utopie einer umfangreichen Kultursubventionierung unter dem Leitbegriff „Kultur für alle", umso besser, je mehr die Stiftungen ihre Arbeit professionalisieren und die Vorteile ihrer autonomen Rechtsstellung nutzen, um neue Kunst- und Kulturprojekte zu fördern. Die genaue Analyse von Fallbeispielen aus dem 19. und 20. Jahrhundert kann dabei heutigen Stiftern oder auch den Vertretern der öffentlichen Kulturverwaltung zur Anregung und kritischen Auseinandersetzung dienen.
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Theodor W. Adorno, Kultur und Verwaltung, in: Gesammelte Schriften 8. Soziologische Schriften 1, Frankfurt a m Main 1980, S. 124, S. 128. Immanuel Kant, Werke in sechs Bänden, herausgegeben v o n Wilhelm Weischedel, Band VI, Frankfurt am Main 1956, S. 145, 151.
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Kommunale Verwaltung und Stiftungen am Beispiel Frankfurts am Main im ausgehenden 19. und frühen 20. Jahrhundert: Aspekte der Zusammenarbeit am Beispiel der Linel-Stiftungen und der Rothschild-Bibliothek Von Gudrun-Christine Schimpf
Frankfurt am Main ist für sein ausgeprägtes Stiftungswesen gerade auch im kulturellen Bereich bekannt. Es ist daher verständlich, dass der Kommunalisierungsprozess im Kulturbereich vom Ende des 19. Jahrhunderts bis 1933 es nicht unberührt ließ. Insgesamt kann für Frankfurt in diesem Zeitraum von drei Phasen gesprochen werden: einer Startphase im ausgehenden 19. Jahrhundert, einer Phase zunehmender kommunaler Aktivität vor dem Ersten Weltkrieg und einer dritten Phase zwischen 1919 und 1933, in der der Anspruch, dass Pflege und Unterstützung des Kulturbereichs zum kommunalen Aufgabenkatalog gehören, mit der schwierigen städtischen Finanzlage in den 1920er Jahren kollidierte.1 Im Folgenden wird dazu unterschiedlichen Fragen nachgegangen. Zum einen soll anhand der beiden Linel-Stiftungen von 1892 und 1916 gezeigt werden, wie sich der Umgang der fachlichen, kommunalen und öffentlichen Institutionen mit Stiftern und Stifterinnen bzw. Stiftungen in dieser Zeit veränderte. Das Beispiel der RothschildBibliothek wird illustrieren, wie sich die Kooperation zwischen Selbstverwaltungsgremien und Stiftungseinrichtungen bis hin zur faktischen Kommunalisierung gestaltete. Darüber hinaus ist von Interesse, welche Veränderungen sich im Zusammenspiel von Kommune und potentiell Stiftenden ergaben.
I.
Die Linel-Stiftungen
Die beiden Linel-Stiftungen wurden von den kunstsammelnden Brüdern Michael und Albert Linel im Abstand von 24 Jahren der Stadt Frankfurt übergeben. Die Brüder stammten aus Blieskastel in der bayerischen Pfalz, wo sie als Söhne des jüdischen Kaufmanns Sinai (später: Simon) Levy geboren wurden. Sie zogen in den 1860er Jahren nach Frankfurt, ließen ihre Namen ändern, blieben aber dem jüdischen Glauben treu. 2 1
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Dieser Aufsatz beleuchtet einen Aspekt meiner 2004 beendeten Dissertation, die nun gedruckt vorliegt: Gudrun-Christine Schimpf: GELD MACHT KULTUR. Kulturpolitik in Frankfurt am Main zwischen Mäzenatentum und öffentlicher Finanzierung, 1866-1933, Frankfurt a.M. 2007. Vgl. Eva-Maria Hanebutt-Benz: Ornament und Entwurf. Ornamentstiche und Vorzeichnungen für das Kunsthandwerk vom 16. bis zum 19. Jahrhundert aus der Linel Sammlung für Buch- und Schriftkunst, Frankfurt a.M. 1983, 179; Paul Arnsberg/Hans-Otto Schembs: Die Geschichte der Frankfurter Juden seit der Französischen Revolution, Bd. 2, Darmstadt 1983, 70; Paul Amsberg/Hans-Otto Schembs: Die Geschichte der Frankfurter Juden seit der Französischen Revolution, Bd. 3, Darmstadt 1983, 273 f.
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Gudrun-Christine Schimpf
Von dem Angebot des Rentiers Michael Linel, einen Teil seiner Sammlung an Kunstwerken und Kunstgewerbegegenständen gegen Zahlung einer Leibrente der Stadt Frankfurt zu überlassen, berichtete der Magistrat der Stadtverordnetenversammlung erstmals am 1. März 1892 in nichtöffentlicher Sitzung. Der Schätzwert der Sammlung lag zwischen 167.000 und 200.000 Mark. Die Leibrente sollte hingegen jährlich 10.000 Mark betragen. Da Linel zu diesem Zeitpunkt 62 Jahre alt war, wurde bei einer noch zu erwartenden Lebensdauer von zehn Jahren mit einem finanziellen Aufwand von 100.000 Mark gerechnet.3 Da die Sammlung auch wertlose Gegenstände, Nachahmungen und Fälschungen enthielt, legte der Magistrat erfolgreich Wert darauf, dass die Bestimmung, die Sammlung müsse als Ganzes erhalten bleiben, nicht Gegenstand des Vertrags zwischen Linel und der Stadt Frankfurt wurde. Im Unterschied zu älteren Stiftungen räumte Michael Linel der Stiftungsempfängerin das Recht ein, unpassende Objekte aus der Sammlung auszuscheiden und durch andere zu ersetzen oder räumliche Trennungen vorzunehmen, solange die einzelnen Exponate als ,zur Linel Sammlung gehörig' gekennzeichnet wurden. Allerdings behielt er sich zu Lebzeiten ein Mitspracherecht vor, gestand aber zu, sich bei sammlungsbezogenen Entscheidungen dem Urteil anerkannter Fachleute zu unterwerfen. 4 Was für die Stadt zuerst als Rechnung mit einer Unbekannten, nämlich der Lebensdauer des Stifters aussah, wurde binnen weniger Wochen zu einer ausgesprochen günstigen Angelegenheit: Michael Linel verstarb nämlich bereits am 25. März 1892, nur zwei Wochen, nachdem die Stadt die Sammlung angenommen hatte. 5 Das warf nun freilich nicht nur die Frage auf, wie mit dem für die Leibrente bereits bewilligten Geld weiter zu verfahren sei, sondern auch sehr konkret die nach dem Ausstellungsort der Sammlung. Das im Jahre 1878 gegründete Historische Museum war bis in das späte 19. Jahrhundert das einzige kommunale Museum in der Stadt. Es war jedoch überfüllt und der Umbau eines ersten Erweiterungsbaus war gerade im Gange. Eine Aufstellung kam in diesen Räumlichkeiten vorläufig nicht in Frage. Daher sollte die Sammlung Linel in einem eigenen Raum des Kunstgewerbemuseums des Mitteldeutschen Kunstgewerbevereins aufgestellt werden. Sie blieb aber in städtischem Besitz.6
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Vgl. Stadtverordnetenprotokolle, 1892, § 164; Institut für Stadtgeschichte Frankfurt/Main: Magistratsakten, S 1512/1, Bl. 3, 15. Vgl. Institut für Stadtgeschichte Frankfurt/Main: Magistratsakten, S 1512/1, Bl. 6, 9, 11; Stadtverordnetenprotokolle, 1892, § 192; Eva-Maria Hanebutt-Benz: Ornament und Entwurf. Ornamentstiche und Vorzeichnungen für das Kunsthandwerk vom 16. bis zum 19. Jahrhundert aus der Linel Sammlung für Buch- und Schriftkunst, Frankfurt a.M. 1983, 181. Vgl. Institut für Stadtgeschichte Frankfurt/Main: Magistratsakten, S 1512/1, Bl. 44. Vgl. Institut für Stadtgeschichte Frankfurt/Main: Magistratsakten, S 1512/1, Bl. 24, 25, 27; Eva-Maria Hanebutt-Benz: Ornament und Entwurf. Omamentstiche und Vorzeichnungen für das Kunsthandwerk vom 16. bis zum 19. Jahrhundert aus der Linel Sammlung für Buch- und Schriftkunst, Frankfurt a.M. 1983, 182.
Kommunale Verwaltung und Stiftungen am Beispiel Frankfurts am Main
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Der Vorschlag der städtischen Kommission für Kunst- und Altertumsgegenstände, der auch Otto Cornill als Direktor des Historischen Museums angehörte, zumindest die nicht kunstgewerblichen Gegenstände im Historischen Museum auszustellen, scheiterte am Magistrat. Die Kommission hatte erfolglos argumentiert, dass die Überweisung dieser Exponate sowohl im Sinne des Stifters als auch im Sinne des Museums sei. Die noch ausstehende erste Rentenzahlung an Michael Linel wurde seinem Bruder Albert überwiesen, der sie nutzte, um damit weitere Stücke für die Linel-Sammlung zu erwerben.7 In der Folge entwickelte sich eine mehrere Jahre dauernde Auseinandersetzung zwischen dem Historischen Museum und dem Kunstgewerbemuseum um die Linel-Sammlung und insbesondere um die Abgrenzung der beiden Sammlungsgebiete.8 Albert Linel können die Auseinandersetzungen um die Schenkung seines Bruders nicht verborgen geblieben sein, da er zwischen 1892 und 1916 Mitglied der Kommission für Kunst- und Altertumsgegenstände war. Als der Jurist bei seinem Tod am 17. Februar 1916 sein Vermögen sowie das seiner bereits 1905 verstorbenen Frau Berta der Stadt Frankfurt hinterließ, versuchte er sicherzustellen, dass die Stadt sein Erbe von mehr als einer halben Million Mark, das sich aus Barvermögen, Wertpapieren, Grundbesitz sowie einer Sammlung von Stammbüchern, Handschriften, Gemälden und kunstgewerblichen Gegenständen zusammensetzte, so verwaltete, wie er sich das wünschte. So schrieb er fest, dass seine Sammlung als selbstständige Einheit und als „ungetrenntes Ganzes"9 mit der Sammlung seines Bruders vereinigt und öffentlich zugänglich gemacht werden solle. Als Aufstellungsort legte er das Historische Museum fest, obwohl sich die Sammlung seines Bruders nach wie vor im Kunstgewerbemuseum befand. Außerdem sollte eine eigene Verwaltungskommission sicherstellen, dass im Sinne des Stifters verfahren wurde. 10 Dieser Kommission gehörten drei von Linel eingesetzte Testamentsvollstrecker sowie der jeweilige Direktor des Historischen Museums und die Mitglieder der städtischen Kunstkommission an. Die Testamentsvollstrecker fungierten als Treuhänder, die mittels eines Vetorechts den Stifterwillen möglichst lange vor kommunalen und wissenschaftlichen Ein- und Übergriffen schützen sollten. Auch sollte es nach Ablauf von zehn Jahren lediglich der Stiftungskommission erlaubt sein, durch einstimmigen Beschluss die testamentarischen Bestimmungen über Aufstellung und Verwaltung der Linel-Sammlung den jeweiligen Verhältnissen anzupassen. Ausgenommen bleiben sollten jedoch
7 Vgl. Institut fur Stadtgeschichte Frankfurt/Main: Magistratsakten, S 1512/1, Bl. 54-56, 59f„ 63; EvaMaria Hanebutt-Benz: Ornament und Entwurf. Omamentstiche und Vorzeichnungen für das Kunsthandwerk vom 16. bis zum 19. Jahrhundert aus der Linel Sammlung für Buch- und Schriftkunst, Frankfurt a.M. 1983, 182. 8 Vgl. Institut für Stadtgeschichte Frankfurt/Main: Magistratsakten, S 1513; Stadtverordnetenprotokolle, 1896, § 297. 9 Institut für Stadtgeschichte Frankfurt/Main: Magistratsakten, S 1512/1, Bl. 156-158. 10 Vgl. Eva-Maria Hanebutt-Benz: Ornament und Entwurf. Ornamentstiche und Vorzeichnungen für das Kunsthandwerk vom 16. bis zum 19. Jahrhundert aus der Linel Sammlung für Buch- und Schriftkunst, Frankfurt a.M. 1983, 183f.; Institut für Stadtgeschichte Frankfurt/Main: Magistratsakten, S 1512/1, Bl. 135-155, 164-166; Paul Arnsberg/Hans-Otto Schembs: Die Geschichte der Frankfurter Juden seit der Französischen Revolution, Bd. 2, Darmstadt 1983, 70.
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Gudrun-Christine Schimpf
auch dann der Name, die Zweckbestimmung, die Öffentlichkeit der Sammlung, deren Selbstständigkeit und ihre Aufstellung als unveränderliche Einheit. Dadurch war von vornherein klar, dass Veränderungen nur sehr schwer und bestenfalls in marginalen Bereichen vorgenommen werden konnten. 11 Der Direktor des Historischen Museums Bernard Müller setzte sich kritisch mit den Stiftungsbedingungen auseinander, die Fragen inhaltlicher, räumlicher und administrativer Art aufwarfen, aber auch seinem wissenschaftlichen Verständnis als Museumsdirektor zuwiderliefen. So war es bereits seit 1907 nicht mehr Aufgabe des Historischen Museums, das Kunstgewerbe zu fördern, sondern es sollte sich auf die Kulturgeschichte Frankfurts und seiner Umgebung zu konzentrieren. Dies war die Quintessenz aus den schon erwähnten Abgrenzungsschwierigkeiten zwischen dem Historischen Museum und dem Kunstgewerbemuseum, mit dieser Entscheidung war seinerzeit die Aufstellung der Sammlung Michael Linels im Kunstgewerbemuseum legitimiert worden. Die Untrennbarkeit der Sammlung Linel widersprach zudem allen museologischen Grundsätzen. Schließlich stellte die stets virulente Raumfrage in den Augen des Direktors ein Hindernis dar, da die Museumsräume erneut nicht ausreichten. Die Sammlung konnte daher nur aufgestellt werden, wenn dafür weitere Bereiche der ständigen Ausstellung ins Magazin ausgelagert wurden. Letztlich hielt Müller auch die Verwaltung der Sammlung durch eine eigene Kommission für zu schwerfällig. Trotz dieser Bedenken nahm der Magistrat im April 1916 die Stiftung Albert Linels an. Zur Aufstellung kam die Sammlung im „Großen Engel", einem städtischen Gebäude am Römerberg. 12 Waren die Kriegsjahre in dieser Angelegenheit noch konsensfordernd gewesen, so drängten die Testamentsvollstrecker 1922 darauf, dass die Stadtverwaltung die an die Stiftung geknüpften Bedingungen endlich erfülle. Es hatte sich nämlich gezeigt, dass der „Große Engel" für museale Zwecke ungeeignet war. Die Sammlung war dennoch teils dort, teils an anderen Orten ausgestellt. Sitzungen der 1916 eingerichteten Linel Kommission fanden nicht statt, Rückfragen blieben unbeantwortet. Die Testamentsvollstrecker reagierten nicht nur irritiert auf die insgesamt schleppende Behandlung der Stiftungsangelegenheiten, sie wiesen auch explizit darauf hin, dass die Angelegenheit nicht geeignet sei, potentielle Stifter und Stifterinnen zu gewinnen. Außerdem drohten sie mit rechtlichen Maßnahmen. Für den Fall, dass die Stiftungsauflagen nicht erfüllt werden, sah das Testament Linels nämlich vor, dass das Erbe entzogen und an die jüdische Gemeinde zur Errichtung eines Altersheimes übertragen wird. 13
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Vgl. Institut für Stadtgeschichte Frankfurt/Main: Magistratsakten, S 1512/1, Bl. 156-158. Als Testamentsvollstrecker fungierten der Anwalt Dr. Jakob Flesch, der Justizrat Dr. Ludwig Bruck und ein Verwandter des Toten, Herr Josefsthal (Vgl. Eva-Maria Hanebutt-Benz: Ornament und Entwurf. Ornamentstiche und Vorzeichnungen für das Kunsthandwerk v o m 16. bis zum 19. Jahrhundert aus der Linel Sammlung für Buch- und Schriftkunst, Frankfurt a.M. 1983, 186). 12 Vgl. Institut für Stadtgeschichte Frankfurt/Main: Magistratsakten, S 1512/1, Bl. 156-158, 160, 183 f.; Stadtverordnetenprotokolle, 1916, § 175. 13 Vgl. Institut für Stadtgeschichte Frankfurt/Main: Magistratsakten, S 1512/1, Bl. 188, 2 0 0 - 2 0 6 . Zu den Sitzungen der Linel-Kommission vgl. die Protokolle v o n 1916-1921, in: Institut für Stadtgeschichte Frankfurt/Main: Magistratsakten, S 1512/11, darin auch Gutachten zu Rechtsfragen.
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Damit kam Bewegung in die Angelegenheit. Per Magistratsbeschluss wurde ein weiterer Raum im mittlerweile kommunalen Kunstgewerbemuseum als Ausstellungsraum hinzugewonnen. Hier wurde der wertvollste Teil der Sammlung provisorisch ausgestellt - ein Kompromiss, mit dem sich die Testamentsvollstrecker einverstanden erklärten. Die beiden Sammlungen der Brüder Linel bilden heute den Grundstock der Abteilung Buchkunst und Graphik des Museums für Angewandte Kunst Frankfurt, dem ehemaligen Kunstgewerbemuseum. 14 Zwischen 1892 und 1916 hatte sich folglich einiges im Museumsbereich und im Umgang mit Stiftungen verändert. Hatten in den 1890er Jahren die Verantwortlichen des Historischen Museums und der Kommission für Kunst- und Altertumsgegenstände noch um die Linel-Stiftung gekämpft, wurde bei der neuen Stiftung nun deutliche Zurückhaltung seitens der kommunalen Behörden deutlich. Dem universalen Sammlungskonzept des 19. Jahrhunderts war ein an wissenschaftlichen Kategorien orientiertes Konzept gefolgt. Die Festlegung auf eine untrennbare Stiftersammlung stand dem neuen musealen Ansatz entgegen, zwischen Schau- und Studiensammlung zu trennen und dem Publikum durch eine selektive Präsentation der Museumsschätze klare Linien zu bieten. Statt eines fach- und sachkundigen Bürgers wie Otto Cornill, der in den Frankfurter Traditionen und Netzwerken fest verwurzelt war, leitete mit Bernard Müller nun ein Wissenschaftler das Haus, für den fachwissenschaftliche Kriterien beim Sammlungsaufbau maßgebend waren. 15 Wo derartige Differenzen um Stiftungen publik wurden, erhöhten sie, wie der Frankfurter Oberbürgermeister Franz Adickes schon 1904 konstatierte, nicht die „Gebelust"16. Vielmehr war es wichtig, dass in der Öffentlichkeit nicht der Eindruck entstand, die Stadt als Stiftungsempfängerin setze sich über den Stifterwillen hinweg und verfahre mit den Stiftungskapitalien nach eigenem Gutdünken. De facto war diese Entwicklung aber nicht mehr aufzuhalten. Exemplarisch wird hier sowohl das sich verändernde Verhalten bürgerlicher Stifter als auch der Einstellungswandel der Museumsverantwortlichen und städtischen Repräsentanten gegenüber Stiftungen deutlich. Das Zusammenspiel beider Aspekte war ein Faktor, der dazu führte, dass sich weibliche und männliche Stifter im frühen 20. Jahrhundert in ihren Aktivitäten zunehmend zurückhielten.
14 Vgl. Institut für Stadtgeschichte Frankfurt/Main: Magistratsakten, S 1512/1, Bl. 203-206; Eva-Maria Hanebutt-Benz: Ornament und Entwurf. Omamentstiche und Vorzeichnungen für das Kunsthandwerk vom 16. bis zum 19. Jahrhundert aus der Linel Sammlung für Buch- und Schriftkunst, Frankfurt a.M. 1983, 8. 15 Vgl. Alexis Joachimides: Die Museumsreformbewegung in Deutschland und die Entstehung des modernen Museums 1880-1914, Dresden 2001, 105f., 252; Almut Junker: Universale Pläne und ihr Scheitern - das Historische Museum Frankfurt 1870-1920, in: Historisches Museum der Stadt Frankfurt am Main (Hg.): Die Zukunft beginnt in der Vergangenheit. Museumsgeschichte und Geschichtsmuseum, Gießen 1982, 236-259, hier: 240, 258; Wolfgang J. Mommsen: Die Stiftung bürgerlicher Identität. Kunst- und Museumsvereine in Deutschland 1820-1914, in: ders.: Bürgerliche Kultur und politische Ordnung. Künstler, Schriftsteller und Intellektuelle in der deutschen Geschichte 1830-1933, Frankfurt a.M. 2000, 46-58, hier: 54. 16 Stadtverordnetenprotokolle, 1904, § 615, 341 f.
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II.
Gudrun-Christine Schimpf
Die Rothschild-Bibliothek
Am Beispiel der Rothschild-Bibliothek soll gezeigt werden, wie sich die Kooperation zwischen Selbstverwaltungsgremien und Stiftungseinrichtungen gestaltete. Zum Andenken an Freiherr Mayer Carl von Rothschild und zur Weiterbildung aller Interessierten von seiner Tochter Hannah Louise von Rothschild 1888 ins Leben gerufen, schloss die Rothschild-Bibliothek, dem Vorbild der free public library folgend, im ausgehenden 19. Jahrhundert eine empfindliche Lücke in der kulturellen Ausstattung der Stadt Frankfurt. 17 Hannah Louise war die fünfte von insgesamt sieben Töchtern, die Mayer Carl mit seiner Frau Louise hatte. Ihre Erziehung war wie die ihrer Schwestern an der jüdischen Sozialethik ausgerichtet, wobei auch Bildung und Kultur eine wichtige Rolle spielten. Christian Wilhelm Berghoeffer, der dem Institut von seiner Gründung bis zur Kommunalisierung im Jahre 1927 fachlich vorstand, charakterisierte seine Chefin dahingehend, dass sie die Wohltätigkeit als ihren Beruf betrachtet und diesen mit Ernst betrieben habe. Im Gegensatz zu den meisten Stiftungen führte die Stifterin die Geschäfte der Bibliotheksverwaltung in den ersten Jahren daher auch selbst. Berghoeffer war verpflichtet, ihr mindestens einmal wöchentlich über die laufenden Geschäfte zu berichten, sowie ihre Entscheidungen und Aufträge entgegenzunehmen. In einem Brief vom 9. Juli 1890 schrieb sie an ihn: „Ich freue mich sehr, da Alles in guter Ordnung in der Bibliothek geht und bitte sie sehr dringend mich ganz genau immer Alles wissen zu lassen, was es auch ist, unangenehm oder angenehm. Ich will von Allem unterrichtet sein."18 Hannah Louise von Rothschild starb jedoch bereits am 23. März 1892 mit nur 41 Jahren. Da es nicht zur Abfassung eines Testamentes gekommen war, blieb die Zukunft der Bibliothek zunächst unsicher. Nach Berghoeffers Erinnerungen hatte der Frankfurter Rechtsanwalt und Notar Eduard de Bary, der die beiden Frankfurter Rothschild-Familien in vielen Angelegenheiten vertrat, juristische Gründe gegen ein solches Testa17 Vgl. Christian W. Berghoeffer: Freiherrlich Carl v o n Rothschild'sche öffentliche Bibliothek. Bericht für die Jahre 1 8 9 1 - 1 9 0 0 , Frankfurt a.M. 1901, 11; ders.: Die Einrichtung und Verwaltung der Freiherrlich Carl v o n Rothschild'schen öffentlichen Bibliothek während der Jahre 1887 bis 1890, Frankfurt a.M. 1891, 3 - 7 ; Jochen Stollberg: Von der Gründung der Bibliothek bis zur Auflösung der Stiftung ( 1 8 8 7 - 1 9 2 7 ) , in: ders. (Hg.): Die Rothschildsche Bibliothek in Frankfurt am Main, Frankfurt a.M. 1988, 2 7 - 6 7 , hier: 28. Zum Einfluss des angelsächsischen Bibliothekswesens auf die deutsche Bücherhallenb e w e g u n g vgl. Wolfgang Thauer/Peter Vodosek: Geschichte der öffentlichen Bücherei in Deutschland, Wiesbaden 1978, 43 f. 18 Quellenbestand des Jüdischen Museums Frankfurt am Main: Briefe der Familie Rothschild an Christian W. Berghoeffer. Vgl. Archivzentrum der Universitätsbibliothek Frankfurt: Nachlass Berghoeffer, handschriftl. Notizen; Jochen Stollberg: Von der Gründung der Bibliothek bis zur A u f l ö s u n g der Stiftung ( 1 8 8 7 - 1 9 2 7 ) , in: ders. (Hg.): Die Rothschildsche Bibliothek in Frankfurt am Main, Frankfurt a.M. 1988, 2 7 - 6 7 , hier: 47; Hans-Otto Schembs: Hannah-Louise v o n Rothschild, in: Jochen Stollberg (Hg.): Die Rothschildsche Bibliothek in Frankfurt am Main, Frankfurt a.M. 1988, 11-26, hier: 17f.; Klaus-Dieter Lehmann: Hundert Jahre Rothschild'sche Bibliothek. Eine europäische Bildungsbibliothek, in: Archiv für Frankfurts Geschichte und Kunst, 62, 1993, 251-263, hier: 253; Gudrun-Christine Schimpf: Jüdin und Bürgerin. Hannah Louise v o n Rothschild und ihre Bibliothek, in: Ariadne, 42 (November), 2002, 52-59, hier: 53 f.
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ment vorgebracht. Oberbürgermeister Adickes soll de Bary deshalb Vorwürfe gemacht haben, da damit der Stadt ein beachtliches Stiftungsvermögen - das Erbe wurde auf 36 Millionen Mark geschätzt - entging. 19 Nun wurde de Bary von der Mutter der Verstorbenen damit betraut, die juristischen Voraussetzungen für die Umwandlung der Bibliothek in eine Stiftung öffentlichen Rechts unter Aufsicht des Magistrats zu schaffen. Im Juni 1892 unterbreitete er diesem einen entsprechenden Vorschlag. Die städtische Verwaltung signalisierte bereits Anfang Juli Interesse, behielt sich aber vor, zwei der fünf Vorstandsmitglieder selbst zu berufen und deren Amtszeit auf sechs Jahre festzulegen. Erst rund drei Jahre später erkundigte sich der Magistrat erneut nach der Angelegenheit. Daraufhin erhielt er die Mitteilung, dass die preußische Regierung nur unter der Bedingung, dass Aufsicht und Verwaltung dem Regierungspräsidenten in Wiesbaden unterstünden, die Einrichtung einer öffentlich-rechtlichen Stiftung und die Genehmigung der Statuten habe erlauben wollen. Möglicherweise war die Familie Rothschild über den Wunsch nach kommunaler Einflussnahme derart verstimmt, dass sie stillschweigend den Verhandlungspartner gewechselt hatte. Jedenfalls oblag damit die Aufsicht über die Stiftung dem Wiesbadener Regierungspräsidenten und nicht dem Magistrat.20 Damit hatte dieser die Möglichkeit eines kommunalen Mitsprache- und Mitgestaltungsrechtes zunächst verpasst. Dieses Verhalten kann als Teil eines Lernprozesses verstanden werden, den Stadtverwaltungen Ende des 19. Jahrhunderts durchliefen, wenn sie versuchten, in erfolgreicher Zusammenarbeit mit Stiftern und Stifterinnen kommunale kulturpolitische Ziele zu erreichen. Die auch heute wieder aktuelle public private partnership wollte gelernt sein. Nach der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert wurden solche Projekte in Frankfurt am Main wesentlich professioneller verfolgt. Im Fall der Rothschild-Bibliothek erlangte die Frankfurter Stadtverwaltung erst 1902 über den Weg der Subvention eine Mitsprachemöglichkeit. Die Eröffnung der Frankfurter Akademie für Sozial- und Handelswissenschaften im Jahre 1901 erweiterte das Aufgabenfeld der Rothschild-Bibliothek, da sie der Akademie als Bibliothek für die neusprachlichen Fächer dienen sollte. Im Oktober 1902 kam es infolgedessen zum Abschluss eines Vertrags zwischen dem Stiftungsvorstand und der Stadtverwaltung, der u. a. eine jährliche Subvention von 4.000 Mark vorsah. 21 Da die Bibliothek im Laufe der Zeit sowohl an ihre finanziellen als auch an ihre räumlichen Grenzen stieß, stifteten die drei verbliebenen Rothschild-Schwestern in den folgenden Jahren Kapital, um damit das an das ehemalige Elternhaus angrenzende Grundstück samt Hintergebäude zu erwerben und umzubauen. In der Folge verbesserte sich ab 1907 die Einnahmesituation der Bibliothek dauerhaft, da ein Teil 19 Vgl. Archivzentrum der Universitätsbibliothek Frankfurt, Nachlass Berghoeffer, handschriftl. Notizen. 20 Vgl. Institut für Stadtgeschichte Frankfurt/Main: Magistratsakten, V 484, Bl. 2-12; Jochen Stollberg: Von der Gründung der Bibliothek bis zur Auflösung der Stiftung (1887-1927), in: ders. (Hg.): Die Rothschildsche Bibliothek in Frankfurt am Main, Frankfurt a.M. 1988, 27-67, hier: 48f. 21 Vgl. Stadtverordnetenprotokolle, 1902, § 1009, 510 f.; Christian W. Berghoeffer: Führer durch die Freiherrlich Carl von Rothschild'sche öffentliche Bibliothek, Frankfurt a.M. 1908, 6.
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des neuen Gebäudes vermietet wurde.22 Mit dieser Zustiftung erteilte die Familie Rothschild Überlegungen der Stadt, die Bibliothek näher an die geplante Universität heranzulegen, eine klare Absage. Voraussetzung für eine weitere Unterstützung der Stiftung war für sie, dass „die zum Andenken ihres seligen Vaters gegründete Anstalt dauernd ihren Sitz in dem Hause der Eltern habe." 23 Wenn die Stadtverwaltung die Bibliothek intensiver in ihre kommunale Kulturpolitik einbeziehen und dazu die Lokalität verlegen wollte, sollte sie auch allein für sämtliche Kosten aufkommen. 24 Mit dem Ausbau der Akademie zur 1914 eröffneten Stiftungsuniversität wuchs der Aufgabenkreis der Rothschild-Bibliothek erneut. Immer deutlicher trat zu Tage, dass trotz städtischer Zuschüsse der Ertrag des Stiftungskapitals die erweiterte Aufgabenstellung nur unzureichend zu decken vermochte. Im gleichen Jahr kam es durch den Beginn des Ersten Weltkrieges zur Unterbrechung der für die Bibliothek wichtigen Verbindungen zu den Rothschilds nach Frankreich und Großbritannien, so dass es bis Kriegsende keine Unterstützung von dieser Seite mehr gab. 25 In der Folge wuchs der Finanzbedarf, während gleichzeitig - zunächst noch schleichend - der Geldwert sank. Dadurch war die Bibliotheksverwaltung unter Berghoeffer wieder an einem Punkt angelangt, an dem die Ausgaben nur noch wenig hinter den Einnahmen zurückblieben. Die ablehnende Haltung der Familie Rothschild und des Stiftungsvorstandes der Bibliothek gegenüber weiter gehenden Ideen der Stadtverwaltung, die Rothschild-Bibliothek in das kommunale Kulturangebot einzubinden, änderte sich erst nach dem Krieg, als sich die finanzielle Situation der Anstalt rapide verschlechterte. Durch die Inflation geriet die Bibliothek in immer stärkere Bedrängnis, wodurch sowohl die Stifterfamilie als auch die Stadtverwaltung stärker als zuvor in die Pflicht genommen wurden. Nach dem Weltkrieg und mit der wachsenden Inflation konzentrierte sich die Bibliotheksleitung daher verstärkt darauf, die Stiftungsziele unter den erschwerten Bedingungen weiter zu erfüllen und den Kernbestand über die Inflationszeit zu retten. Dafür ging man zweigleisig vor. Zum einen galt es nach Kriegsende, das Interesse
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Vgl. Jochen Stollberg: Von der Gründung der Bibliothek, bis zur A u f l ö s u n g der Stiftung ( 1 8 8 7 - 1 9 2 7 ) , in: ders. (Hg.): Die Rothschildsche Bibliothek in Frankfurt am Main, Frankfürt a.M. 1988, 27-67, hier: 58. Archivzentrum der Universitätsbibliothek Frankfurt, Aktenbestand: Vierzehnter Jahresbericht des Vorstandes der Freiherrlich Carl v o n Rothschild'schen öffentl. Bibliothek zu Frankfurt a.M. Erstattet für die Mitglieder der Familie des Freiherrn Mayer Carl von Rothschild am 15. März 1907, 3. Mehrere Schreiben in diesem Zusammenhang im Briefwechsel der Familie Rothschild mit Berghoeffer, v. a. das Schreiben v o n Emile Picot an Berghoeffer v o m 20.12.1905 aus Paris: „Entweder wird sich die Anstalt selbständig, so wie sie ist, im Familienhause entwickeln, oder wird die Stadt für Alles sorgen müssen." (Quellenbestand des Jüdischen Museums Frankfurt). Vgl. Archivzentrum der Universitätsbibliothek Frankfurt, Aktenbestand: Zweiundzwanzigster Jahresbericht des Vorstandes der Freiherrlich Carl von Rothschild'schen öffentl. Bibliothek zu Frankfürt a. M. Erstattet für die Mitglieder der Familie des Freiherrn Mayer Carl v o n Rothschild am 15. März 1915, 3; Jochen Stollberg: Von der Gründung der Bibliothek bis zur A u f l ö s u n g der Stiftung ( 1 8 8 7 - 1 9 2 7 ) , in: ders. (Hg.): Die Rothschildsche Bibliothek in Frankfurt am Main, Frankfurt a.M. 1988, 2 7 - 6 7 , hier: 59 f.; Klaus-Dieter Lehmann: Hundert Jahre Rothschild'sche Bibliothek. Eine europäische Bildungsbibliothek, in: Archiv für Frankfurts Geschichte und Kunst, 62, 1993, 251-263, hier: 256.
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der Rothschilds in Paris und London wieder auf die Bibliothek und ihre Notlage zu lenken. Zum anderen trat man mit der Stadtverwaltung in Verhandlungen über die Einbeziehung der Bibliothek in das städtische Bibliothekssystem. Während das erste relativ schnell gelang und sich zum Teil, in erheblichen Zuwendungen der Rothschild-Schwestem niederschlug, gestaltete sich das zweite langwierig und schwierig, da die von Seiten der Bibliothek angestrebte Einigung weder zu einer Verletzung der Selbstständigkeit der Stiftung noch ihrer Stiftungszwecke führen sollte, die Stadt aber eine Aufhebung der Stiftung und eine Eingliederung der Stiftungsbibliothek in das kommunale Bibliothekswesen wünschte. An dieser Stelle soll nur auf den zweiten Aspekt eingegangen werden. 26 Seit 1918 verhandelte die Bibliothek mit der Stadt um eine Erhöhung des städtischen Zuschusses und eine weiter gehende Einbindung des Instituts in das Frankfurter Bibliothekswesen. Der Magistrat strebte neben der Erhaltung der Bibliothek die Zusammenführung und Neuorganisation des zersplitterten Frankfurter Bibliothekswesens an, um dadurch Kosten zu reduzieren und die Stadt neben München und Berlin zum dritten Bibliothekszentrum des Reiches zu machen. 27 Die Verhandlungen scheiterten jedoch zunächst an einem zentralen Punkt: der Forderung der Stadt nach Aufgabe der Selbstständigkeit der Stiftung und dem gleichzeitigen Vorbehalt der Rothschilds, sich nur dann an den weiteren Kosten des Bibliotheksbetriebs zu beteiligen, wenn die Bibliothek nicht städtisch würde. Die Stadtverwaltung forderte zudem die Abgabe von rund zwei Dritteln des gesamten Buchbestandes und die Verwaltung der Rothschild-Bibliothek befürchtete, den Kern ihrer Bestände einzubüßen. Sowohl die Abgabe von Büchern im geforderten Umfang als auch die Aufgabe der Selbstständigkeit waren durch das Verhältnis zur Stifterfamilie ausgeschlossen, hatte diese doch die letzten Zustiftungen ausdrücklich an die Selbstständigkeit der Bibliothek geknüpft. Andernfalls drohte eine Rückgabeforderung der neuen Stiftungskapitalien. Der Stiftungsvorstand und die Bibliotheksleitung waren zwar durchaus zu einem Entgegenkommen bereit, erwarteten aber das Gleiche von den städtischen Behörden.28 Ab 1924 schließlich gewährte der Magistrat wieder finanzielle Hilfen, aber nur noch unter der ausdrücklichen Bedingung, dass die Bibliothek entweder in städtisches Eigentum überginge oder die Stiftung die zur Verfügung gestellten Gelder mit Zinsen 26
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Vgl. Jochen Stollberg: Von der Gründung der Bibliothek bis zur A u f l ö s u n g der Stiftung (1887-1927), in: ders. (Hg.): Die Rothschildsche Bibliothek in Frankfurt am Main, Frankfurt a.M. 1988, 2 7 - 6 7 , hier: 61-64. Zum ersten Aspekt ausführlich Gudrun-Christine Schimpf: GELD MACHT KULTUR. Kulturpolitik in Frankfurt am Main zwischen Mäzenatentum und öffentlicher Finanzierung, 1866-1933, Frankfurt a.M. 2007, 2 4 2 - 2 4 6 . Vgl. Institut für Stadtgeschichte Frankfurt/Main: Magistratsakten, V 484, Bl. 70; Magistratsakten, V 482, Bl. U v ; Stadtverordnetenprotokolle, 1927, § 1213, 1019; Stadtverordnetenprotokolle, 1928, § 616, 735; Jochen Stollberg: Von der Gründung der Bibliothek bis zur Auflösung der Stiftung (1887-1927), in: ders. (Hg.): Die Rothschildsche Bibliothek in Frankfurt am Main, Frankfurt a.M. 1988, 2 7 - 6 7 , hier: 62. Vgl. Institut für Stadtgeschichte Frankfurt/Main: Magistratsakten, V 484, Bl. 8 6 sowie RothschildBibliothek, 13.
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zurückzahle. Unter dieser Auflage erhielt die Bibliotheksverwaltung außer der städtischen Subvention auch diverse Kredite von der städtischen Administration. Gleichzeitig arbeitete man einen Vertrag aus, der auf Leistung und Gegenleistung beruhte und der die Übertragung der Bibliothek an die Stadt zum Gegenstand hatte. 29 Die langwierigen Verhandlungen machten 1926 nicht nur die Frankfurter Stadtverordneten allmählich ungeduldig, auch die Rothschilds erhöhten den Druck. Am 1. Oktober 1925 stimmte die Familie der Verstadtlichung der Bibliothek zu und informierte Oberbürgermeister Ludwig Landmann und den Vorsitzenden des Stiftungsvorstandes entsprechend. Mehr als ein Jahr später erkundigte sich Emma Lady Rothschild nach dem Stand der Dinge und drängte resigniert auf einen Abschluss der Angelegenheit, hatte doch die Verstadtlichung „in kürzester Frist" erfolgen sollen. Zum Jahresende wollten die Rothschilds die Unterstützung der Bibliothek beenden. 30 Die Verzögerung war jedoch durch die verwickelten Rechtsverhältnisse verursacht. Damit der Vertrag zwischen Stadt und Bibliothek in Kraft treten konnte, musste zunächst der Stiftungsvorstand eine Änderung der Statuten vornehmen und diese vom Regierungspräsidenten genehmigen lassen, der dazu gegebenenfalls noch die Zustimmung des Staatsministeriums brauchte. Erst dann war es möglich, die Stiftung aufzulösen und die Kommunalisierung wirksam werden zu lassen. In seiner 100. Sitzung am 13. Mai 1927 beschloss der Vorstand der Freiherrlich Carl von Rothschild'schen öffentlichen Bibliothek schließlich seine Selbstauflösung und leitete damit den letzten Akt der Verstadtlichung ein. Diese vollzog sich dann am 15. November 1927 mit der Zustimmung der Stadtverordnetenversammlung zur Verpflichtungsurkunde, die die Bedingungen für den Übergang des Instituts in kommunale Hand enthielt: •
Die Büchersammlung sollte als eigene Abteilung unter ihrer alten Bezeichnung aufgestellt, mit ihren bisherigen Sammelschwerpunkten von der Stadt Frankfurt weiter gepflegt und ausgebaut und in ähnlicher Weise wie die Stadtbibliothek dem Publikum zur Verfügung gestellt werden.
•
Die Kommune übernahm die an der Rothschild-Bibliothek beschäftigten Privatbeamten und Angestellten nach den Besoldungsgrundsätzen des städtischen Dienstes.
•
Sie trat unter Verzicht auf die seit 1924 gewährten Darlehen in die Rechte und Verbindlichkeiten der Stiftung ein. An Werten fielen der Stadt die beiden Liegenschaften am Untermainkai samt Mobiliar, Büchersammlung und Katalogen zu,
29 Vgl. Institut für Stadtgeschichte Frankfurt/Main: Magistratsakten, V 482, Bl. 2 f., 1 lv sowie Magistratsakten, V 484, Bl. 95-97, 114, 116, 118f.; Jochen Stollberg: Von der Gründung der Bibliothek bis zur Auflösung der Stiftung (1887-1927), in: ders. (Hg.): Die Rothschildsche Bibliothek in Frankfürt am Main, Frankfurt a.M. 1988, 27-67, hier: 64; Stadtverordnetenprotokolle, 1926, § 773. 30 Vgl. Stadtverordnetenprotokolle, 1926, § 861, 778; Institut für Stadtgeschichte Frankfurt/Main: Magistratsakten, V 482, Bl. 4 f., 25 f.
Kommunale Verwaltung und Stiftungen am Beispiel Frankfurts am Main
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außerdem Wertpapiere und ausstehende Forderungen. Der Gesamtwert wurde auf rund 1,75 Mio. RM beziffert. 31 III.
Verschiebung der Gewichte zwischen Kommune und (potentiell) Stiftenden
Das ausgehende 19. Jahrhundert war in Frankfurt von starkem privatem Engagement im Kulturbereich geprägt. Allerdings verschoben sich allmählich die Gewichte insofern, als die kommunale Zurückhaltung nachließ und es zu einer Veränderung der Aufgabenverteilung kam. Nach 1871 und zumal in der Gründerzeit gab es in der Kulturpolitik erste Ansätze einer Zusammenarbeit zwischen der Kommunalverwaltung und der Bürgerschaft. War es ursprünglich das Kennzeichen stifterischer Aktivitäten, dass der oder die Einzelne die Initiative ergreifen und Notwendiges unterstützen und fördern konnte, geschah es im ausgehenden 19. Jahrhundert immer öfter, dass aus der Kommunalverwaltung heraus oder vom jeweiligen Oberbürgermeister potentielle Stifterinnen und Stifter gezielt angesprochen und für wünschenswerte Aktivitäten gewonnen wurden. So kam es auch im Rahmen des Munizipalsozialismus, der u. a. das Bildungswesen und den Kulturbereich betraf, zu einer einvernehmlichen Zusammenarbeit zwischen Kommunalverwaltung und Stiftern, entweder durch die direkte Mitwirkung städtischer Vertreter in der jeweiligen Stiftungsadministration oder in indirekter Form durch die Beratung bzw. Anregung potentieller Stifter. 32 Die Einrichtungen, die aus diesen Aktivitäten hervorgingen, wuchsen zu einem lebendigen Urbanen Organismus zusammen. Ihr Vorhandensein und ihr Erhalt wurden für die Kommune zu einer - wenn auch mitunter widerwillig akzeptierten Selbstverständlichkeit. Ein Verzicht auf diese Institutionen bzw. eine Verweigerung ihrer Unterstützung wäre als bürgerliche und kulturelle Bankrotterklärung verstan-
31 Vgl. Institut für Stadtgeschichte Frankfurt/Main: Stadtverordnetenakten, 1.498; Magistratsakten, V 482, Bl. 114; Stadtverordnetenprotokolle, 1927, § 1213, 1019; Stadtverordnetenprotokolle, 1927, § 1362, 1126; Franz Fischer; Die Freiherrlich Carl von Rothschildsche öffentliche Bibliothek (Bibliothek für neuere Sprachen und Musik) 1928-1945, in: Jochen Stollberg (Hg.); Die Rothschildsche Bibliothek in Frankfurt am Main, Frankfurt a.M. 1988, 68-100, hier: 69f.; Jochen Stollberg: Von der Gründung der Bibliothek bis zur Auflösung der Stiftung (1887-1927), in: ders. (Hg.): Die Rothschildsche Bibliothek in Frankfurt am Main, Frankfurt a.M. 1988, 27-67, hier: 64. 32 Vgl. Dieter Hein: Das Stiftungswesen als Instrument bürgerlichen Handelns im 19. Jahrhundert, in: Bernhard Kirchgässner/Hans-Peter Becht (Hg.): Stadt und Mäzenatentum, Sigmaringen 1997, 75-92, hier: 91 f.; Ralf Roth: „Der Toten Nachruhm". Aspekte des Mäzenatentums in Frankfurt am Main (1750-1914), in: Jürgen Kocka/Manuel Frey (Hg.): Bürgerkultur und Mäzenatentum im 19. Jahrhundert, Berlin 1998, 99-127, hier: 112-115; Thomas Adam: Die Kommunalisierung von Kunst und Kultur als Grundkonsens der deutschen Gesellschaft ab dem ausgehenden 19. Jahrhundert. Das Beispiel Leipzig, in: Die alte Stadt, (2), 1999, 79-99, hier: 98.
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den worden. Stattdessen wurden diese Einrichtungen in die kommunale Kulturpolitik mit einbezogen. 33 Dadurch entstand eine Art Wettbewerb zwischen den Stifterinnen und Stiftern und der Stadtverwaltung. Der Bericht des gemischten Ausschusses zur Reform des städtischen Steuer- und Gebührenwesens in Frankfurt aus dem Jahre 1903 schilderte die Situation folgendermaßen: „Ein Eintreten der Stadtverwaltung selbst für diese Interessen (d. i. Kunst, Wissenschaft und Bildungswesen - d. Verf.) ist aber um so dringender geboten, weil die schon in erheblichem Maße bewiesene Opferwilligkeit Privater für sich nicht ausreicht und deshalb beim Ausbleiben städtischer Hilfe erlahmen würde." 34 Die umfangreichen Zuwendungen von privater Seite genügten also einerseits dem wachsenden Bedarf und Anspruch nicht mehr. Andererseits diente die öffentliche Unterstützung des Kulturbereichs offensichtlich dazu, potentielle mäzenatische Interessen zu stimulieren. Wo die öffentliche Hand gab, so die Überlegung der Stadtverwaltung, würde die private Hand nicht zurückstehen wollen. Ein Teil der neuen Kommunalsteuern sollte daher für Volksbildungsmaßnahmen sowie für die Kunst- und Wissenschaftsförderung verwendet werden. Mit dem Wandel im bürgerlichen Mäzenatentum seit der Jahrhundertwende und auf dieses einwirkend veränderte sich also zeitgleich auch die Haltung der kommunalen Verwaltung gegenüber kulturellen Einrichtungen. Aus einer passiven Würdigung großzügiger Zuwendungen und Stiftungen wurde zu Beginn des 20. Jahrhunderts zunehmend aktives Planen, Initiieren und schließlich Durchführen. Die öffentliche Kulturverwaltung löste die private, bürgerlich-mäzenatische Kulturpflege des 19. Jahrhunderts ab. Nach 1918, unter veränderten Bedingungen, verstärkte sich dieser Prozess noch. Neue Mehrheitsverhältnisse in der Stadtverordnetenversammlung sowie die Verbreitung der Volksbildungsidee führten zu der Erkenntnis, dass die Stadt einen bedeutenden Anteil am kulturellen Sektor besaß, dass Kultur im demokratischen Sinne für alle da sein sollte. Diese Entwicklung wurde durch die finanziellen Folgen des Ersten Weltkrieges noch dramatisch beschleunigt. 35
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Vgl. Jochen Stollberg: Von der Gründung der Bibliothek bis zur A u f l ö s u n g der Stiftung ( 1 8 8 7 - 1 9 2 7 ) , in: ders. (Hg.): Die Rothschildsche Bibliothek in Frankfurt am Main, Frankfurt a.M. 1988, 2 7 - 6 7 , hier: 27. Stadtverordnetenprotokolle, 1903, § 1270,616. Vgl. Franz Fischer: Die Freiherrlich Carl v o n Rothschildsche öffentliche Bibliothek (Bibliothek für neuere Sprachen und Musik) 1 9 2 8 - 1 9 4 5 , in: Jochen Stollberg (Hg.): Die Rothschildsche Bibliothek in Frankfurt am Main, Frankfurt a.M. 1988, 68-100, hier: 68; Bettina Irina Reimers: Volksbildungs- und Volkshochschulbewegung, in: Diethart Kerbs/Jürgen Reulecke (Hg.): Handbuch der deutschen Reformb e w e g u n g e n 1 8 8 0 - 1 9 3 3 , Wuppertal 1998, 3 5 5 - 3 6 8 , hier: 357; Helmuth Croon: Aufgaben deutscher Städte im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts, in: Wilhelm Rausch (Hg.): Die Städte Mitteleuropas im 20. Jahrhundert, Linz 1984, 41-69, hier: 60f., Hans Heinrich Blotevogel: Einführung, in: ders. (Hg.): Kommunale Leistungsverwaltung und Stadtentwicklung v o m Vormärz bis zur Weimarer Republik, Köln/Wien 1990, XII1-XXIV, hier: XIX; Andreas Hansert: Bürgerkultur und Kulturpolitik in Frankfurt am Main. Eine historisch-soziologische Rekonstruktion, Frankfürt a.M. 1992, 286. Zu den Hintergründen dessen, w a s Kunst oder Kultur „für alle" bedeuten kann, vgl. ebd., 2 8 1 - 2 8 4 .
Kommunale Verwaltung und Stiftungen am Beispiel Frankfurts am Main
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Wie Oberbürgermeister Adickes zwischen 1891 und 1912, so verfolgte auch Oberbürgermeister Landmann von 1924 bis 1933 einen kulturpolitisch anspruchsvollen Kurs in der Kommunalpolitik Frankfurts, wenngleich unter veränderten, ungünstigeren Vorzeichen. Zum einen waren die finanziellen Möglichkeiten der Kommune durch die Auswirkungen der Erzberger'schen Finanzreform eingeengt. Zum anderen hatte die Inflation auf die zahlreichen Stiftungen im sozialen und kulturellen Bereich katastrophale Auswirkungen. Stiftungsvermögen wurden ebenso entwertet wie Vermögen, die für Stiftungen in Frage gekommen wären. Viele Stiftungen schmolzen derart zusammen, dass sie nicht mehr in der Lage waren, ihren Stiftungszweck zu erfüllen. Von insgesamt sieben Millionen Mark an Stiftungskapitalien blieben in Frankfurt 600.000 RM übrig. 36 Dennoch gelang es in der Mainmetropole, die Schließung wichtiger Kultureinrichtungen zu verhindern und sie stattdessen in kommunale Regie zu übernehmen. Der kulturelle Schaden für Stadt und Bevölkerung konnte dadurch begrenzt werden. Die Stadtverwaltung war jedoch stärker gefordert als im Kaiserreich, wo sie die Unterstützung zahlreicher Stiftungsverwaltungen sowie Stifter und Stifterinnen für ihre kulturpolitischen Bestrebungen hatte. Wollte die Stadtverwaltung aber trotz des Rückgangs stifterischer Aktivitäten bestimmte Kulturangebote aufrechterhalten oder gar ausbauen, war sie genötigt, sich selbst stärker administrativ und finanziell zu betätigen. 37 Dabei war die Kommunalisierung für die Institute nicht nur ein Segen. Die Abhängigkeit von privaten Geldgebern und -geberinnen wurde gegen politische Abhängigkeit eingetauscht. Hinzu kam, dass die finanzielle Situation potentielle Stifter und Stifterinnen verunsicherte und das Bürgertum auf Distanz zu den neu gewählten kommunalen Organen und ihren Repräsentantinnen und Repräsentanten hielt. Dies lag nicht nur an den politischen und sozialen Gegensätzen, sondern auch am unsensiblen Verhalten, das Vertreter der Stadtverwaltung bürgerlichen Sammlern und Sammlerinnen gegenüber an den Tag legten. Wurden solche Vorgänge beispielsweise durch Presseberichte öffentlich, boten sie sicherlich keinen Anreiz für andere Stifter. 38 Sie verstärkten jedoch den Trend hin zu wachsenden kommunalen Zuständigkeiten.
36 Vgl. Friedrich Bothe: Geschichte der Stadt Frankfurt am Main, Frankfurt a.M., 3.Aufl. 1929, 347; Dieter Rebentisch: Frankfurt am Main in der Weimarer Republik und im Dritten Reich 1918-1945, in: Frankfurter Historische Kommission (Hg.): Frankfurt am Main. Die Geschichte der Stadt in neun Beiträgen, Sigmaringen 1991, 423-519, hier: 441. 37 Vgl. Max Michel: Städtische Kulturpolitik in der Wirtschaftskrise, in: Der Städtetag. Mitteilungen des Deutschen Städtetages, 1931, 260-264, hier: 262. 38 Vgl. Otfried Büthe: „Beifall" und „Skandal" - Beispiele zum Sprechtheater der Frankfurter Städtischen Bühnen in den Zwanziger Jahren unter Richard Weichert und zu seiner Zusammenarbeit mit dem Bühnenbildner Ludwig Sievert, in: Archiv für Frankfurts Geschichte und Kunst, 51, 1968, 145-201, hier: 148. Vgl. die Beschreibung eines entsprechenden Falles bei Gerd Kuhn: Wohnkultur und kommunale Wohnungspolitik in Frankfurt am Main 1880 bis 1930. Auf dem Wege zu einer pluralen Gesellschaft der Individuen, Bonn 1998, 259-261 und die zugehörige Presseberichterstattung: Volksstimme v. 6.3.1923.
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Gudrun-Christine Schimpf
Was hatte sich nun zwischen dem späten 19. Jahrhundert und den 1920er Jahren verändert? Es war, wie am Beispiel der beiden Linel-Stiftungen gezeigt werden konnte, zum einen der Umgang mit Stiftenden sowohl von Seiten der Kommune als auch von Seiten der Fachverwaltung. Auf diesen Vorgang reagierten wiederum Stifter und Stifterinnen, indem sie wie Albert Linel entsprechende Bedingungen für ihre Stiftungen oder andere finanziellen Zuwendungen formulierten oder sich zunehmend zurückhielten. Zum anderen wurden private Institute wie die RothschildBibliothek nach 1900 zunehmend in die kommunale Kulturpolitik eingebunden und gegebenenfalls, v. a. in den 1920er Jahren, kommunalisiert, um den kulturellen Verlust für die städtische Bevölkerung möglichst gering zu halten. Dieser bereits laufende Kommunalisierungsprozess im Kulturbereich wurde schließlich durch den Weltkrieg und die Inflation noch dramatisch beschleunigt.
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Korporative Kulturförderung in der frühen Bundesrepublik: Ein Vergleich der Stiftung zur Förderung der Hamburgischen Kunstsammlungen mit der Deutschen Stiftung Musikleben Von Christine Bach
Eine der wichtigsten Kulturstiftungen, die in der Nachkriegszeit in Hamburg entstanden sind, ist die 1956 errichtete Stiftung zur Förderung der Hamburgischen Kunstsammlungen. Es waren für die Nachkriegszeit typische Umstände, die zu ihrer Gründung führten: Die Bestände der beiden großen Hamburger Kunstmuseen, der Kunsthalle und des Museums für Kunst und Gewerbe, waren im Zuge der nationalsozialistischen Aktion „Entartete Kunst" schwer geschädigt worden. Zum Ausgleich der Schäden, bzw. zum weiteren Ausbau der Sammlungen reichten die Mittel, die die Stadt den Museen zur Verfügung stellen konnte, nicht aus, zumal sich abzeichnete, dass die staatlichen Finanzierungsmöglichkeiten mit der Entwicklung der Preise auf dem internationalen Kunstmarkt nicht Schritt halten konnten. In dieser Situation schlössen sich der Hamburgische Staat und die städtischen Wirtschaftsunternehmen zu einer public-private-partnership zusammen: Beide Seiten vereinbarten, dass sie jährlich die gleiche Summe auf das Konto einer neu zu errichtenden Stiftung einzahlen würden. Mit den von der Stiftung zur Verfügung gestellten Mitteln gelang es in der Folge, den Museen den Erwerb von Kunstwerken zu ermöglichen, für die die im Rahmen des Staatshaushalts bereitgestellten Gelder nicht ausreichten. 1 Die Kooperation von Mäzenen und staatlichen Kulturträgern, die mit der Gründung der Stiftung zur Förderung der Hamburgischen Kunstsammlungen institutionell verstetigt wurde, ist kennzeichnend für die Strukturen der gemeinnützigen Kulturförderung in der Bundesrepublik, die sich in der frühen Nachkriegszeit herausbildeten. Staat und private Förderer standen von Anfang an nicht in einem Konkurrenzverhältnis zueinander, sondern es entstanden Verflechtungen, die bereits auf die heutige Situation des Dritten Sektors im Kulturbereich hindeuten, der durch zunehmend komplexere Beziehungen zwischen Staat, Markt und Gesellschaft gekennzeichnet ist.2 Anhand von zwei Fallbeispielen, dem der Hamburger Kunststiftung und dem einer bundesweit tätigen Initiative, der Deutschen Stiftung Musikleben, soll im Folgenden dargestellt werden, welche kulturpolitische Bedeutung privatem Engagement in der
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Vgl. Ulrich Luckhardt (Hrsg.), Kunst für Hamburg - von laut bis leise: 50 Jahre Stiftung für die Hamburger Kunstsammlungen. Hamburg 2006. Vgl. Eckart Pankoke/Karl Rohe, Der deutsche Kulturstaat, in: Thomas Ellwein/Everhard Holtmann (Hrsg.), 50 Jahre Bundesrepublik Deutschland. Rahmenbedingungen-Entwicklungen-Perspektiven. Opladen 1999, S. 168-180, hier S. 174.
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Christine Bach
Bundesrepublik trotz des Ausbaus staatlicher Kompetenzen nach wie vor zukam. 3 Beide Beispiele verdeutlichen die Relevanz bürgerlicher Traditionslinien für dies Neuetablierung von Stiftungsaktivitäten. 4 Der Vergleich beider Initiativen zeigt, dass privates Engagement in der Nachkriegszeit durch einen „kulturellen Nachholbedarf* begünstigt wurde: Obwohl die öffentliche Hand für die institutionelle Grundversorgung im Kulturbereich zuständig war, blieben Staat und Kulturschaffende deshalb auf die Unterstützung durch Mäzene angewiesen.
I.
Die Gründungsgeschichte der Stiftung zur Förderung der Hamburgischen Kunstsammlungen
Durch die Stärkung des Föderalismus und der kommunalen Selbstverwaltung sowie durch die Verankerung des Prinzips der „Freiheit von Kunst und Wissenschaft" im Bonner Grundgesetz grenzte sich die Bundesrepublik von der nationalsozialistischen Kulturpolitik ab. Hauptträger des kulturellen Wiederaufbaus waren die Städte und Gemeinden, die sich 1952 in den „Leitsätzen zur kommunalen Kulturarbeit" ausdrücklich zu ihrer kulturpolitischen Verantwortung bekannt hatten. 5 Als staatspolitischer Konsens galt, dass die Sicherung des allgemeinen Wohls, so die Begründung im für die deutsche Verwaltungspraxis einschlägigen Handbuch der kommunalen Wissenschaft und Praxis, den Gemeinden in der Bundesrepublik nicht nur die Berechtigung sondern eine Verpflichtung zur Pflege der Kultur auflege, denn: „Auch wenn im Auslande vielfach die Auffassung vertreten wird, es sei richtig, diese Aufgabe rein der privaten Sphäre, sei es der geschäftlichen Initiative, sei es der privaten Munifizenz wohlhabender und um das Gemeinwohl bemühter Persönlichkeiten und Gesellschaften zu überlassen, ja in manchen Ländern sogar die Gesetzgebung der Betätigung der Gemeinden auf kulturellem Gebiet entgegensteht, so erwächst nach deutscher Auffassung die kommunale Arbeit im kulturellen Sektor des Gemeinschaftslebens aus dem ganz anderen Gedanken sowohl kultureller als auch sozialer Verpflichtung gegenüber der Allgemeinheit.6 Das kulturelle Engagement der Gemeinden war zunächst bestimmt von den Erfordernissen des Wiederaufbaus. Unterstützung fanden die Kulturpolitiker vor Ort 3
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Für die Möglichkeit, Dokumente einzusehen, die sich im Besitz dieser Stiftungen befinden, bin ich Frau Irene Schulte-Hillen, der Präsidentin des Vorstands der Deutschen Stiftung Musikleben, Hamburg sowie Herrn Jürgen Blankenburg, dem Vorsitzenden des Kuratoriums der Stiftung zur Förderung der Hamburgischen Kunstsammlungen, Hamburg, zu Dank verpflichtet. Allgemein zur Bedeutung bürgerlicher Werte und Lebensformen im 20. Jahrhundert vgl. Andreas Schulz, Lebenswelt und Kultur des Bürgertums im 20. Jahrhundert. München 2005 und Manfred Hettling/Bemd Ulrich (Hrsg.), Bürgertum nach 1945. Hamburg 2005. Vgl. Jochen von Uslar (Hrsg.), Kulturpolitik des deutschen Städtetages. Empfehlungen u n d Stellungn a h m e n 1952-1978. Köln 1979, S. 62-69. Vgl. Karl Zuhom, Kulturpflege, in Hans Peters (Hrsg.), Handbuch der kommunalen Wissenschaft und Praxis. Band 2: Kommunale Verwaltung. Berlin 1957, S. 165-230, hier S. 168.
Korporative Kulturforderung in der frühen Bundesrepublik
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hierbei durch die Beteiligung der Bürger, die oftmals nicht nur erwünscht, sondern sogar unentbehrlich war, so z. B. beim Wiederaufbau der Opernhäuser in Hannover, München und Hamburg. Art und Ausprägung des bürgerschaftlichen Engagements variierte von Fall zu Fall: So wurde der Neubau der Hamburgischen Staatsoper in den 1950er Jahren durch eine eigens errichtete Stiftung ermöglicht, die durch die Einwerbung von Spenden und durch Veranstaltungserlöse insgesamt 3,84 Mio DM zu den Gesamtbaukosten, die sich auf rd. 5,7 Mio DM beliefen, beisteuerte.7 In Hannover konnte durch Lotterie- und Tombolaeinnahmen etwa ein Drittel der Baukosten von ca. 3 Mio DM gedeckt werden. 8 In München, wo die Kosten zur Wiedererrichtung des 1963 zerstörten Nationaltheaters mit 68 Mio DM ungleich höher ausfielen, kamen durch die Bemühungen eines Förderkreises, der Freunde des Nationaltheaters e.V., immerhin etwa 5 Mio DM zusammen. Über den finanziellen Beitrag hinaus trug das Engagement der „Freunde" aber auch entscheidend zum Entschluss staatlicher Entscheidungsträger zum Wiederaufbau bei.9 Auch wenn es aufgrund des Mangels an lokal- und regionalspezifischen Untersuchungen bislang schwierig ist, generalisierende Aussagen zur Bedeutung solcher Aktivitäten zu machen 10 , so dokumentieren diese Beispiele doch, dass die Bürger der jeweiligen Städte aktiv am Wiederaufbau partizipierten und die Gestaltung des Gemeinwesens nicht allein den zuständigen staatlichen Stellen überließen. Zu einem zentralen Betätigungsfeld für private Kunstforderung entwickelte sich in der Bundesrepublik die Unterstützung von Kunstmuseen durch Ankäufe und Spenden.11 Diese Entwicklung vollzog sich vor dem Hintergrund einer Rekonstruktion kulturbürgerlicher Wertvorstellungen, die das lebensweltliche Fundament für das Engagement von Mäzenen bildete.12 Staatlicherseits waren ökonomische Sachzwänge entscheidend: Die Explosion der Preise auf dem internationalen Kunstmarkt bedeutete eine wesentliche Einschränkung für die Ankaufspolitik öffentlicher Institutionen. 13 7 8 9 10 11 12
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Vgl. Schreiben der Hamburgischen Kulturbehörde an die Liegenschaftsverwaltung der Stadt vom 30. Oktober 1956, in: StaHH 363-6 II 127-54.49 Band 3. Vgl. Sabine Hammer, Oper in Hannover. 300 Jahre Wandel im Musiktheater einer Stadt. Hrsg. von der Niedersächsischen Sparkassenstiftung und gefördert durch die Stadtsparkasse Hannover. Hannover 1990, S. 99. Vgl. „Festliche Oper. Geschichte und Wiederaufbau des Nationaltheaters in München". Hrsg. Vom Freistaat Bayern unter Mitwirkung der Freunde des Nationaltheatere e.V. und der Landeshauptstadt München. München 1964, S. 169ff. Eine der wenigen lokalgeschichtlichen Fallstudien ist: Andreas Hansert, Bürgerkultur und Kulturpolitik in Frankfurt am Main. Eine historisch-soziologische Rekonstruktion. Frankfurt am Main 1992. Vgl. Walter Grasskamp, Die unästhetische Demokratie. Kunst in der Marktgesellschaft. München 1992, S. 68f. Zum Konzept der „Lebenswelt" vgl. Schulz, Kultur und Lebenswelt, S. 54. Zu den Wertvorstellungen von Mäzenen in der „Bonner Republik" vgl. den allgemeinen Überblick bei Manuel Frey, Macht und Moral des Schenkens. Staat und bürgerliche Mäzene vom späten 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart. Berlin 1999. Insofern spricht einiges für die aus systemtheoretischer Perspektive formulierte These, dass die „Entwicklung des Markts zum entscheidenden Orientierungsmaßstab der Kunstproduktion" Interaktionsformen im Bereich der privaten Kulturförderung bestimmt. Vgl. Thomas Hermsen, Kunstförderung zwischen Passion und Kommerz. Vom bürgerlichen Mäzen zum Sponsor der Moderne. Frankfurt am Main 1997, S. 56 und 83.
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Christine Bach
Beide Faktoren führten dazu, dass einzelnen Sammlern, wie dem Unternehmer Bernhard Sprengel in Hannover, dem Arzt Ottomar Domnick in Stuttgart oder dem Kölner Rechtsanwalt Josef Haubrich in der Nachkriegszeit in ihrer jeweiligen Heimatstadt eine zentrale Rolle beim Wieder- oder Neuaufbau der Kunstmuseen zuwuchs. 14 Auch in Hamburg entstand aus privater Initiative am Ende der 1950erJahre ein neues Kunstmuseum, nachdem der Unternehmer und Kunstsammler Hermannf. Reemtsma beschlossen hatte, seine während der NS-Zeit aufgebaute, umfangreiche Sammlung von Werken des Künstlers Ernst Barlach in eine öffentliche Stiftung einzubringen. Am Bau des Ernst-Barlach-Hauses-Stiftung Hermannf. Reemtsma beteiligte sich der Hamburgische Staat nur durch die Bereitstellung des Baugrundstückes. 15 Bedeutsamer noch für die kulturpolitische Entwicklung der Stadt war jedoch die Errichtung der Stiftung zur Förderung der Hamburgischen Kunstsammlungen, mit der man in der Hansestadt an eher exklusive Traditionen kollektiver Kunstforderung anknüpfte. Mit dem Erwerb von Kunstwerken zum Erhalt und Ausbau der Sammlungen der städtischen Kunstmuseen übernahm die Stiftung in der Folge eine Aufgabe, die in anderen Teilen der Bundesrepublik von einzelnen Sammlern ausgefüllt wurde. Initiiert wurde die Stiftung von dem Hamburgischen Kultursenator Hans Härder Biermann-Ratjen, der dem Senat der Hansestadt im November 1955 von seinem Plan zur Errichtung eines Förderkreises für die Kunstmuseen berichtete. Zu diesem Zeitpunkt war der Wiederaufbau der Museumsgebäude weitgehend abgeschlossen und Biermann-Ratjen gab als neues kulturpolitisches Ziel aus, es sei nun an der Zeit, „das Augenmerk auf den intensiven inneren Ausbau der Sammlungen zu richten".16 Damit schloss er sich der Argumentation der Direktoren der betroffenen Museen an, die im Sommer 1955 bei der Stadt die Forderung nach einer wesentlichen Erhöhung der vom Staat zur Verfügung gestellten Ankaufsmittel aufgestellt hatten. 1 7 Als strategisches Argument diente in diesem Zusammenhang der Hinweis auf die föderalistisch begründete Konkurrenzsituation innerhalb der Bundesrepublik, denn Hamburg befand sich nach der Darstellung der Museumsdirektoren in der Gefahr, im Bereich der bildenden Kunst gegenüber anderen deutschen Städten wie München, Köln oder Mannheim auf ein provinzielles Niveau herabzusinken. Der Leiter der Kunsthalle, Al-
14 Vgl. Frey, Macht und Moral, S. 193ff. sowie Tilmann von Stockhausen, Der gescheiterte Mäzen? Ottomar Domnick und die Stuttgarter Staatsgalerie, in: Thomas W. Gaethgens/Martin Schieder (Hrsg.), Mäzenatisches Handeln. Studien zur Kultur des Bürgersinns in der Gesellschaft. Berlin 1998, S. 179195. 15 Vgl. Eva Caspers, Eine „innere Verpflichtung". Herrmannf. Reemtsmas Engagement für Emst Barlach, in: Dies. (Hrsg.), „Kunstwerke die mich angehen". Der Sammler Hermannf. Reemtsma 1892-1961. Hamburg 1992, S. 19-41 sowie Erik Lindner, Die Reemtsmas, Geschichte einer deutschen U n t e m e h merfamilie. Hamburg 2007, S. 167 ff. und 489ff. 16 Vgl. Drucksache für die Senatssitzung Nr. 1204 v o m 11.11.1955, in: StaHH 3 6 3 - 6 II 1 2 7 - 5 4 . 2 4 / 2 / 1 , Band 1. 17 Vgl. dazu die schriftlichen Begründungen, die der Leiter der Kunsthalle, Alfred Hentzen, und der Leiter des Museums für Kunst und Gewerbe, Erich Meyer, im Juli 1955 bei der Kulturbehörde einreichten, in: StaHH 3 6 3 - 6 II 1 2 7 - 5 4 / 2 4 / 2 Band 1.
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fred Hentzen, beschwor darüber hinaus die Gefahr der zunehmenden Abwanderung europäischer Kunstwerke ins Ausland: „Wir wissen, dass und wo Bilder von van Gogh, Gauguin u.a., die uns fehlen, zu haben sind, aber sie werden uns gar nicht erst angeboten, weil der Kunsthandel die finanzielle Misere der deutschen Museen kennt und es deshalb vorzieht, in der Schweiz, in England und Amerika seine Angebote zu machen. Immer mehr der bedeutendsten Kunstschätze Europas wandern nach Amerika, wo Museen und Privatsammler die großen Summen aufzubringen in der Lage sind. Gegen diesen ständigen Kulturaderlaß ein Gegengewicht zu geben, das wirksamer ist als Ausfuhrverbote, ist gleichfalls eine wichtige Aufgabe weitschauender Kunstpflege."16 Als Hauptgrund für diese Entwicklung benannte Hentzen die Verringerung der Ankaufsmittel der deutschen Museen seit dem Ersten Weltkrieg. Speziell für die Hamburger Kunsthalle machte der Museumsdirektor geltend, dass diese in den 1950erJahren nur mehr über 3A der Mittel verfügen konnte, die seine Vorgänger für Erwerbungszwecke erhalten hatten. Im Vergleich dazu waren jedoch sowohl der städtische Etat als auch die Preise am Kunstmarkt erheblich gewachsen: „Lichtwark konnte Bilder von Caspar David Friedrich wie „ Waldweg im Winter" und „Sonnenaufgang bei Neubrandenburg" 1906 für M. 600,- bzw. M. 2.000,- kaufen. Wenn heute solche Bilder auf den Markt kämen, würden sie etwa DM 50.000,- bzw. DM 150.000,- kosten. Der 1924 viel umstrittene Preis, den Pauli für die „Nana" von Manet zahlte - M. 155.000,— erscheint heute unwahrscheinlich billig. Das Bild würde jetzt in Amerika 1 Vi Mill. erbringen."19 Hentzen erinnerte in diesem Zusammenhang an die Tatsache, dass den Hamburger Kunstmuseen bis zum Ersten Weltkrieg neben den staatlichen Zuschüssen auch erhebliche Mittel aus Stiftungskapitalien zur Verfügung gestanden hätten. Nachdem diese nun durch Inflation und Währungsumstellung weitgehend entwertet seien, wuchs dem Staat aufgrund der von ihm gesetzten Rahmenbedingungen in den Augen des Museumsleiters umso größere Verantwortung zu, denn: „Neue Stiftungen zu erhalten ist fast unmöglich, weil die hohen Steuern die Bildung freier Kapitalien hindern. Der Staat, der diese Steuern zu nehmen gezwungen ist, ist nun auch verpflichtet, die früher von privater Seite erfüllten Aufgaben zu übernehmen. "20 Empirisch belegen lässt sich dieser Verweis auf den Vermögensschwund privater Stiftungen, wenn man zum Vergleich die betreffenden Unterlagen der Kulturbehörde aus den 1950er Jahren heranzieht. Von den einstmals zahlreichen Hamburger Stiftungen, Testamenten und Vermächtnissen für Kunstzwecke überlebten den Zweiten Weltkrieg nur eine Reihe unselbstständiger Legate, die von der Kulturbehörde 1943
18 Vgl. ebd. 19 Ebd. 20 Ebd.
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Christine Bach
zu Sammelstiftungen vereinigt worden waren. Das Kapital dieser Vereinigten Stiftungen der Kulturbehörde betrug im Jahr 1956 gerade noch 30.000 DM.21 Von den selbstständigen Stiftungen bestand nach dem Krieg allein noch die 1909 errichtete Campe'sche historische Kunststiftung. Dass deren Vermögen bis 1956 wieder auf 1,6 Mio DM anwuchs, erklärte sich daraus, dass es während des Krieges vorwiegend in Grundstücken angelegt gewesen war. Mit den Erträgen ihres Kapitals unterstützte die Campe'sche Kunststiftung in der Nachkriegszeit einzelne Ankäufe der Hamburger Kunstmuseen. 22 Die in Hamburg ansässigen Museumsfordervereine, wie z.B. die 1923 von Gustav Pauli gegründeten Freunde der Kunsthalle waren dagegen, obwohl sie bis zum Beginn der 1960er Jahre ein Anwachsen ihrer Mitgliederzahlen verzeichnen konnten, in der Nachkriegszeit kaum in der Lage, die Sammlungstätigkeit der Kunstmuseen in größerem Umfang zu unterstützen. Dies lag vor allem an der sozialen Struktur ihrer Mitgliederschaft: Die meisten der ca. 2200 Mitglieder der „Freunde" übten Mitte der 1950er Jahre den Beruf des Arztes oder des Lehrers aus und verfügten kaum über nennenswertes Vermögen. 23 Es war insofern nur folgerichtig, dass Kultursenator Biermann-Ratjen, der selbst lange Zeit dem Vorstand der Freunde der Kunsthalle angehörte 24 , zur Verwirklichung seiner kulturpolitischen Ziele die Gründung einer finanzstärkeren, aber auch exklusiveren Vereinigung ins Auge fasste. 25 Für die Umsetzung seiner Pläne dürfte dabei entscheidend gewesen sein, dass der Kultursenator schon aufgrund seiner Sozialisation fest in den Strukturen bürgerlicher Kulturförderung verankert war. Bereits als Kind hatte Biermann-Ratjen im Hause seines Stiefvaters, des Bremer Mäzens und Sammlers Leopold Biermann, Gelegenheit gehabt, die Bekanntschaft von Künstlern und Kulturvermittlern, wie dem späteren Leiter der Hamburger Kunsthalle Gustav Pauli, zu machen. Nach seinem Amtsantritt als Notar in Hamburg war Biermann-Ratjen gegen Ende der 1920er Jahre dem Vorbild des Stiefvaters gefolgt, indem er sich in Gesellschaft großbürgerlich-arrivierter Kunstfreunde in verschiedenen kulturellen Vereinigungen der Stadt engagierte. Es war dieses auch die NS-Zeit überdauernde Engagement Biermann-Ratjens im Kulturleben der Stadt, das 1945 den Ausschlag für
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Vgl. Aktenvermerk v o m 23. Januar 1943 in: StaHH 131-1 II 2 0 9 5 und StaHH 3 6 3 - 6 II, 127-52.2., Antwortschreiben der Kulturbehörde auf einen Brief der Fondation Européenne de la Culture, Genf v o m 8. März 1956. Vgl. ebd. und Hamburger Kunsthalle/Museum für Kunst und Gewerbe (Hrsg.), Die Campe'sche Historische Kunststiftung. Erwerbungen seit 1945. Hamburg 1964. Vgl. Christian Otto Frenzel, „Freunde der Kunsthalle" nach 1945, in: Erich Lüth (Hrsg.), Neues Hamburg X. Hamburg 1955, S.68-73, sowie Johannes Gerhardt, Die Geschichte der Freunde der Kunsthalle. Hamburg 2007, S. 79. Vgl. ebd., S. 36. Zur Unterscheidung zwischen exklusiven und finanzstarken Fördervereinen und eher offenen Mitgliedervereinen vgl. Judith Metz und Claudia B. Reschke, Kollektives Mäzenatentum. Freundeskreise und Fördervereine an Kunstmuseen in Deutschland und ein Blick in die USA, in: Gaethgens/Schieder, Mäzenatisches Handeln, S. 196-215, hier S. 198f.
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seine Berufung zum Kultursenator gegeben hatte. 26 Seine Amtsauffassung beruhte dabei auf der Orientierung an einem bildungsbürgerlich-individualistischen Kulturverständnis, für das die Bildung und Vervollkommnung des Einzelnen verpflichtender Maßstab war. Darauf aufbauend bewahrte sich Biermann-Ratjen - das belegen seine überlieferten Reden und Schriften - während seiner gesamten Laufbahn als Leiter der Hamburgischen Kulturbehörde, eine skeptische Haltung gegenüber seinem Amt bzw. gegenüber den Möglichkeiten staatlicher Kulturforderung. Typisch für diese Haltung Biermann-Ratjens, von dem nicht überliefert ist, ob er mit den Schriften Theodor W. Adornos vertraut war, ist z.B. die Äußerung, dass „Kultur und Staat" doch eigentlich in einem „fragwürdigen und unklaren Verhältnis zueinander stünden, weil „in dem streng geordneten Ablauf des Verwaltungsgeschehens der Bergriff Kultur sich immer ein wenig seltsam und ungehörig ausnimmt". 27 Diese kritische Distanz markiert einen wesentlichen Unterschied zwischen dem Kultursenator der Nachkriegszeit und einer späteren Generation von Kulturpolitiken!, die am Ende der 1960er Jahre in der Bundesrepublik mit dem ausdrücklichen Ziel antreten sollte, Kulturpolitik als Gesellschaftspolitik zu betreiben. 28 Nicht zuletzt die Steigerung der öffentlichen Ausgaben für Kunst und Kultur, die als Folge des kulturpolitischen Paradigmenwechsels der 1970er Jahre eintrat, führten dann allerdings dazu, dass es schon in der Mitte der 1980er Jahre in der Bundesrepublik, wie es einer der Exponenten der „Neuen Kulturpolitik" formulierte, wieder „Mode wurde, nach privater Kulturförderung zu rufen".29 Es wäre gleichwohl falsch, die Bedeutung normativer Einstellungen gegenüber den Handlungszwängen, denen staatliche Kulturpolitik in der Nachkriegszeit ausgesetzt
26 Als solcher amtierte Biermann Ratjen zunächst nur für einige Monate nach der deutschen Kapitulation, bevor er auf Druck der britischen Besatzungsbehörden hin, die ihm vorwarfen, er sei zwar kein Nationalsozialist, aber eben auch kein „überzeugter Antinazi" gewesen, sein Amt wieder zur Verfügung stellen musste. 1953 wurde Biermann-Ratjen dann, nun als Mitglied der FDP, erneut in den Senat berufen. Von diesem Zeitpunkt an stand Biermann-Ratjen der Kulturbehörde bis 1966 vor. Insofern kann Biermann-Ratjen als der prägende Hamburger Kulturpolitiker der Nachkriegszeit gelten. Vgl. zur Biographie Biermann-Ratjens Helmut Stubbe-da Luz, Hans Härder Biermann-Ratjen 19011969, in: Rainer Postel/Helmut Stubbe-da Luz (Hrsg.), Die Notare Johann Heinrich Hübbe, Eduard Schramm, Gabriel Riesser, Hans Härder Biermann-Ratjen. Hamburg 2001, S. 135-207. 27 Vgl. Hans-Harder Biermann-Ratjen, Kultur als Staatsressort, in: Ders., Kultur und Staat. Reden und Schriften aus den Jahren 1945-1959. Hamburg 1961, S. 7-11, hier S.7. 28 Unter dem Leitbegriff der „Neuen Kulturpolitik" kam in der Bundesrepublik erst zu diesem Zeitpunkt ein „sozialpolitisches" Verständnis von Kulturpolitik zum Durchbruch. Kennzeichnend für das Konzept der „Neuen Kulturpolitik" war eine bewusste Abkehr von der Kulturpolitik der Nachkriegszeit, der man das Festhalten an einem affirmativen, an bildungsbürgerlicher Respräsentativkultur festhaltenden Kulturbegriff vorwarf. Mittlerweile gelten allerdings auch die Konzepte der „Neuen Kulturpolitik" bereits als überholt : Selbst ehemalige Protagonisten dieser Ära räumen selbstkritisch ein, dass ihr kulturpolitisches Konzept im Grunde auf einer auf wohlfahrtsstaatlichem Wachstum setzenden Entwurf beruhte, der dann spätestens in den 90er Jahren an seine Grenzen stieß. Vgl. Armin Klein, Kulturpolitik. Eine Einführung. Wiesbaden 2005, S. 208. 29 So die Klage des Frankfurter Kulturdezernenten Hilmar Hoffmann in seiner Eröffnungsansprache zu einem öffentlichen Symposium mit dem Thema „Mäzen und Muse. Wer hält wen aus?" Vgl. Institut für Stadtgeschichte Frankfürt am Main, SD3/296, Redemanuskripte der 12. Römerberggespräche von 31.5-1.6.1985 Frankfurt am Main. Zum Wachstum der kommunalen Kulturausgaben in der Bundesrepublik zwischen 1975 und 1995 vgl. Klein, Kulturpolitik, S. 155.
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war, überzubetonen. Bei näherem Hinsehen zeigt sich vielmehr, dass Biermann-Ratjen seine Kontakte zu den großbürgerlichen Kreisen in der Stadt offensiv und in strategischer Absicht nutzte. Deshalb gingen der Kultursenator und seine Mitstreiter, wie der Kunsthallenleiter Hentzen, nachdem die Stadt mit der Bewilligung von 500.000,- DM als „Anschubfinanzierung" für die geplante Stiftung in Vorlage getreten war 30 , dazu über, potentielle Stifter persönlich anzuwerben. Als Fundraisingstrategie diente dabei der Hinweis auf den exklusiven Charakter des zukünftigen Förderkreises. Exemplarisch sei in diesem Zusammenhang hier ein Schreiben des Kultursenators an den Direktor der Hamburger Phönixwerke, Otto A. Friedrich, zitiert: „Unsere geplante „Stiftung zur Förderung der Hamburgischen Kunstsammlungen" liegt mir besonders am Herzen,- nicht nur, weil ich es als Erster unternommen habe, diesem Mangel in unserer kulturellen Struktur durchgreifend abzuhelfen, sondern auch, weil ich darin, dem Beispiel des Kulturkreises der Deutschen Industrie folgend, ein besonders wirksames Mittel sehe, die einander so sehr entfremdeten Kreise der Wirtschaft und der Kultur wieder zusammenzuführen, wozu gerade der Boden unserer organisch gewachsenen und „schön überschaubaren" kleinen Stadtrepublik mir als besonders geeignet erscheint... Ich weiss, wie sehr Sie durch mannigfaltige Anforderungen überlastet sind, aber ich kann mir eine kulturelle Gründung von solcher Bedeutung einfach nicht vorstellen ohne Ihren Namen und die beispielgebende Beteiligung Ihrer Firma! Bei der Ausgestaltung dieser meiner jungen Gründung zu einem kulturell-wirtschaftlichen Mittelpunkt durch ausgesuchte gute Veranstaltungen, Ausstellungen, Vorträge, Empfänge, Konzerte, zu denen nur der Stifterkreis Zutritt haben sollte, gibt es, wie Sie selbst wissen, nur einige wenige Firmen und Persönlichkeiten von Rang, auf die ich mich stützen kann.31 Dem Kultursenator dürfte bekannt gewesen sein, dass Otto A. Friedrich zu dieser Zeit auch zu den aktiven Mitgliedern des bereits 1951 gegründeten Kulturkreises zählte. 32 In der Tat hatten sich die Initiatoren der Hamburger Kunststiftung, dass bezeugt ein Schreibens Alfred Hentzens an Biermann-Ratjen aus dem Sommer 1955, bei ihren Planungen auch vom Beispiel dieses Zusammenschlusses bundesdeutscher Unter-
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Vgl. Niederschrift über die Sitzung der Deputation der Kulturbehörde v o m 25.11.1955, in: StaHH 3 6 3 6 II 127-54.24/2/1 Band 1. Vgl. Korrespondenz des Kultursenators mit Otto A. Friedrich, Schreiben v o m 15.März 1956, in: StaHH 3 6 3 - 6 I A92. Vgl. hierzu die Rede „Vom Wesen der Freiheit in der modernen Wirtschaft und Kultur", die Friedrich anlässlich der Jahrestagung des Kulturkreises im Jahr 1955 hielt. Ein Abdruck dieses Selbstzeugnisses unternehmerischer Kulturförderung in der Bundesrepublik findet sich in: Otto A. Friedrich (Hrsg.), Gehen wir aufeinander zu? Freiheit und Selbstverantwortung in der Wirtschaft der Zukunft. München 1959, S. 2 1 9 - 2 4 2 . Zur Geschichte des 1951 gegründeten Kulturkreises vgl. Walter Grasskamp/Wolfg a n g Ullrich (Hrsg.), Mäzene, Stifter und Sponsoren. Ein Modell der Kulturförderung. Ostfildern-Ruit 2001 sowie Werner Bührer, Der Kulturkreis im Bundesverband der Deutschen Industrie und die „kulturelle Modernisierung" in der Bundesrepublik in den 50er Jahren, in: Axel Schildt/Arnold Sywottek (Hrsg.), Modernisierung im Wiederaufbau. Die westdeutsche Gesellschaft der 50er Jahre. Bonn 1998, S. 5 8 3 - 5 9 5 .
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nehmer inspirieren lassen.33 Vergleichbar mit dem Kulturkreis, dessen Mitglieder in den 50er Jahren, wie Wemer Bührer herausgestellt hat, Kunstforderung nicht zuletzt in „imagepflegerischer Absicht" betrieben 34 , setzten auch die Gründer der Stiftung zur Förderung der Hamburgischen Kunstsammlung auf die Bedeutung von Kunst als Standortfaktor. Hierzu mussten sie kein neues Modell entwickeln, sondern konnten sich auf Traditionen bürgerlichen Mäzenatentums stützen. Erleichtert wurde dies durch personelle wie institutionelle Kontinuitäten. Dies lässt sich nicht nur am Beispiel Biermann-Ratjens aufzeigen, sondern gilt auch mit Blick auf den Museumsleiter Alfred Hentzen: Hentzen, der die Hamburger Kunsthalle seit 1955 leitete, hatte bereits in den 1920er Jahren als Assistent Ludwig Justis an der Berliner Nationalgalerie Erfahrungen mit der Praxis großbürgerlicher Kunstförderung im Rahmen exklusiver Fördervereine sammeln können. 35 Darüber hinaus diente mit der 1921 in Hamburg gegründeten Justus-Brinckmann-Gesellschaft eine ehemals in Hamburg selbst ansässige Vereinigung als institutionelles Vorbild der neuen Kunststiftung. 36 Die Exklusivität beider Förderkreise wurde jeweils durch die Höhe der jährlich zu erbringenden Spenden gesichert: So belief sich der Mindestbetrag, den juristische Personen am Ende der 1950er Jahre jährlich aufbringen mussten, auf 1000,- DM, bzw. auf 500,- DM für Privatpersonen. 37 Nur ein kleiner Kreis von Förderern, zu dem neben einigen Großbanken der Zigarettenfabrikant Hermannf. Reemtsma und der Verleger Axel Springer gehörten, war zu dieser Zeit in der Lage, die Kunststiftung mit bis zu 20.000,- DM jährlich zu unterstützen. 38
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„In unserem Reisegespräch am 27. August", so der Wortlaut des an Biermann-Ratjen gerichteten Schreiben Hentzen vom 3. September 1955, „wurde der Plan besprochen, einen Kulturkreis der Hamburger Wirtschaft ins Leben zu rufen, der ähnlich wie der „Kulturkreis im Bundesverband der deutschen Industrie" seine Mittel zur Förderung verschiedener Kunstzweige, insbesondere aber der Kunstmuseen Hamburgs, einsetzten sollte. Es wurde daran gedacht, dass in einem Aufruf, den der regierende Bürgermeister, der Kultursenator, und der Präsident der Handelskammer gemeinsam unterschreiben würden, alle großen Firmen Hamburgs zum Beitritt aufgefordert werden sollten. In diesem Aufruf müsste ausgesprochen werden, dass der Staat allein die umfassenden kulturellen Aufgaben einer Weltstadt nicht erfüllen kann und dass, wie in früheren Zeiten, auch heute Aufgabe der Wirtschaft es sei, hier helfend einzugreifen."Vgl. StaHH 363-3 II 127-54.24/2. Vgl. Bührer, der Kulturkreis im Bundesverband der Deutschen Industrie, S. 585. Zur Biographie Hentzens vgl. Helmut R. Leppien, Alfred Hentzen, in: Franklin Kopitzsch/Dirk Brietzke (Hrsg.), Hamburgische Biographie. Band 2, Hamburg 2003, S. 188-189. Zur Rolle Justis und zur Bedeutung großbürgerlicher Stifter für die Berliner Museen in der Weimarer Zeit vgl. Frey, Macht und Moral, S. 139ff., sowie Andrea Meyer, In guter Gesellschaft. Der Verein der Freunde der Nationalgalerie Berlin von 1929 bis heute. Berlin 1998. Diese war 1921 von Max Sauerlandt, dem Direktor des Museums für Kunst und Gewerbe, ins Leben gerufen worden. Ursache für die Gründung war die desolate Finanzsituation des Museums nach dem 1. Weltkrieg. Die Mitglieder der „Justus-Brinckmann-Gesellschaft" rekrutierten sich aus Angehörigen des Hamburger Großbürgertums, wobei gerade jüdische Stifter, wie Emma und Henry Budge eine wichtige Rolle spielten. Gesichert wurde die Exklusivität der Vereinigung durch die Höhe der Mitgliederbeiträge. Als im Zuge der Weltwirtschaftskrise dann allerdings die wenigsten Stifter noch in der Lage waren, diese aufzubringen, kam die Tätigkeit der Gesellschaft allmählich zum Erliegen, 1938 wurde sie endgültig aufgelöst. Vgl. David Klemm, Das Museum für Kunst und Gewerbe. Band 1: Von den Anfängen bis 1945. Hamburg 2004, S. 262-264. Vgl. den Entwurf zur Errichtung eines Förderkreises für die Stiftung zur Förderung der Hamburgischen Kunstsammlungen. StaHH 363-6 II 127-54.24/2 Vgl. die Spendenliste aus dem Jahr 1957 in: StaHH 363-6 I A92.
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Freilich lassen sich ungeachtet dieser Kontinuitätslinien am Beispiel der Hamburger Kunststiftung auch wesentliche Unterschiede gegenüber Formen kollektiven Mäzenatentums, wie sie im Kaiserreich und in der Weimarer Republik praktiziert wurden, aufzeigen. Dies gilt vor allem im Hinblick auf den wesentlich größeren Staatsanteil bei der Finanzierung. Die staatliche Dominanz war in der Bundesrepublik steuerrechtlich abgesichert: Voraussetzung für die steuerliche Absetzbarkeit von Spenden war, dass sie an eine Körperschaft des öffentlichen Rechts oder einer öffentlichen Dienststelle gerichtet waren. 39 Trotzdem änderte sich im Fall der Hamburger Kunststiftung das Verhältnis zwischen staatlichen Zuschüssen und dem Anteil der Wirtschaft bald zugunsten letzterer: Nachdem der staatliche Zuschuss im Gründungsjahr der Stiftung mit DM 500000,- die Summe der privaten Gelder in Höhe von DM 290000,- deutlich überstiegen hatte, lag der Anteil der seitens der Wirtschaft gespendeten Gelder in den 1960er Jahren regelmäßig um ca. ein Drittel über dem staatlichen Zuschuss. 40 Entscheidend ist darüber hinaus, dass die gesellschaftspolitische Situation in der Bundesrepublik sich fundamental von der während der 1920er Jahre unterschied: Gilt das „Auseinanderdriften von bürgerlichen Eliten und Staat" als Hauptursache für die Erneuerung kollektiver Formen bürgerlicher Kunstforderung in den 1920er Jahren 41 , so beruhte die Zusammenarbeit zwischen Unternehmern und Staat in der Frühzeit der Bundsrepublik auf einem weitgehenden gesellschafts- und kulturpolitischer Konsens. Das lässt sich auch am Beispiel Hamburg beobachten, wo bei der Gründung der Kunststiftung darauf Rücksicht genommen wurde, gegenüber der städtischen Öffentlichkeit die demokratische Rückbindung der Unternehmung zu demonstrieren. Zum Ausdruck kam dies durch die Beteiligung des Präsidenten der Hamburgischen Bürgerschaft, der neben dem Präses der Handelskammer und dem Kultursenator die Gründungsurkunde der Stiftung unterzeichnete. 42 Gleichzeitig beriefen sich die Initiatoren bewusst auf stadtbürgerliche Traditionen, wie folgender Auszug aus den Gründungsreden zeigt: „Die Kunsthalle und das Museum für Kunst und Gewerbe nahmen im vergangenen Jahrhundert aus Stiftungen von Hamburger Kunstsammlern ihren Anfang und je mehr sie seither unter der Leitung bedeutender Persönlichkeiten zu Instituten von internationalem Ansehen heranwuchsen, um so stärker gaben die Bürger durch aktive Anteilnahme ihrem Bewusstsein Ausdruck, dass die öffentlichen Kunstsammlungen ihre eigenste Angelegenheit sind. Die Stiftung ist ein neuer Beweis für die Fortdauer dieser Gesinnung. "41
39 Das bedeute im Fall der Kunststiftung, dass die Spenden auf ein zweckgebundenes Konto der Kulturbehörde überwiesen wurden. Vgl. StaHH 363-6 II 127-54.24/2, Aktennotiz der Kulturbehörde vom 12. Dezember 1955. 40 Vgl. StaHH 363-6 II, 127-54.24/2/1 Band 1. 41 Frey, Macht und Moral, S. 141. 42 Vgl. die Pressemitteilung zur Stiftungserrichtung vom 30.Mai 1956 in: StaHH 363-6 II 127-54.24/2 Band 1. 43 Vgl. die Selbstdarstellung der Stiftung vom März 1968. Stiftung zur Förderung der Hamburgischen Kunstsammlungen, Hamburg.
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Der Rekurs auf bürgerliche Werte und Kultur, das wird an diesem Zitat deutlich, hatte in der Nachkriegszeit eben auch eine vergangenheitspolitische Dimension. Hinter der Beschwörung stadtbürgerlicher Traditionen stand letztlich ein für die westdeutsche Gesellschaft dieser Zeit typisches Denkmuster, dessen Orientierung stiftende Funktion Axel Schildt folgendermaßen umschrieben hat: „Nicht Neuanfang sondern Wiederanknüpfen an eine Kontinuität, die durch den Nationalsozialismus nicht einmal unterbrochen, sondern nur an den Rand gedrängt werden konnte". 44 Ähnliches lässt sich auch im Fall der Deutschen Stiftung Musikleben, einer nationalen Stiftungsinitiative, beobachten. II.
Die Deutsche Stiftung Musikleben und die Förderung des musikalischen Nachwuchses
Karla Fohrbeck und Andreas Wiesand stellten in einer Studie über Formen privater Kunstforderung die besondere Bedeutung heraus, die private Sammelfonds und -Stiftungen in der Bundesrepublik vor allem im Bereich der Nachwuchsförderung von Interpreten „Ernster Musik" haben. 45 Folgt man der These, dass es „in Deutschland in langer Tradition zuerst eine Musikkultur, dann eine literarische Kultur und zuletzt die Kultur der bildenden Künste gibt", lässt sich diese Tendenz als Folge einer noch nach 1945 wirksamen, im Laufe des 19. Jahrhundert entwickelten Prägung bürgerlicher Sozialgruppen interpretieren. 46 Vor allem in der Musik „meinen die Deutschen sich selbst zu finden, mit ihr allein haben die Deutschen im Bereich der Künste internationale Geltung, ja bis zur Jahrhundertwende die Führung" 47 - Anklänge an diese idealistische Kunstauffassung sprechen noch aus den Gründungsdokumenten der 1962 errichteten Deutschen Stiftung Musikleben. Errichtet wurde die Stiftung in der Absicht, Eliteförderung auf dem Gebiet des musikalischen Nachwuchses zu betreiben.
44 Vgl. Axel Schildt, Ankunft im Westen Ein Essay zur Erfolgsgeschichte der Bundesrepublik. Frankfurt am Main 1999, S. 151. 45 Vgl. Karla Fohrbeck/Andreas Joh. Wiesand, Private Kulturforderung in der Bundesrepublik. Bonn 1989, S. 32. Vgl. auch dies., Musik. Statistik. Kulturpolitik. Daten und Argumente zum Musikleben in der Bundesrepublik. Köln 1982, S. 181. Demnach war der Anteil der Wirtschaft mit ca. 1/3 der Fördersumme der Gelder, die in der Bundesrepublik zwischen 1978 und 1982 für die individuelle Künstlerförderung im Musikbereich ausgegeben wurden, im Vergleich zu anderen Kunstsparten überdurchschnittlich hoch. Eine zu Beginn der 90erJahre vom Münchner ifo-lnstitut für Wirtschaftsforschung durchgeführte Studie untermauerte diesen Befund: So rangierte Musik mit 50,9 °/o nach Heimat- und Brauchtumspflege (57,1 °/o) noch vor der Förderung bildender Kunst (44,9 °/o) an zweiter Stelle in der Beliebtheitsskala der Kunstforderungszwecke der befragten deutschen Unternehmen. Vgl. Marlies Hummel, Neuere Entwicklungen bei der Finanzierung von Kunst- und Kultur durch Unternehmen, in: IFO-Schnelldienst 4-5/92, S. 8-24, zitiert nach: Werner Härtung, Stiftungen, Spenden, SponsoringPrivate Kulturfinanzierung zwischen Illusion und Innovation, in: Deutscher Kulturrat (Hrsg.), Zweiter Bericht zur Kulturpolitik 1993/94. Kulturfinanzierung in der Bundesrepublik Deutschland. Bonn 1994, S. 151-155, hierS. 151. 46 Vgl. Dieter Lattmann, Kulturpolitik, in: Wolfgang Benz (Hrsg.), Die Bundesrepublik Deutschland. Geschichte in drei Bänden. Band 3: Kultur. Frankfurt am Main 1983, S. 420-446, hier S. 434. 47 Vgl. Thomas Nipperdey, Deutsche Geschichte 1866-1918. 1. Band: Arbeitswelt und Bürgergeist. München 1990, S. 741.
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Vergleicht man die Motive, die zur Gründung der Hamburger Kunststiftung führten mit denen, die bei der Errichtung der ebenfalls in Hamburg ansässigen Stiftung Musikleben ausschlaggebend waren, so zeigen sich Parallelen: Während auf dem Gebiet der bildenden Kunst, wie oben beschrieben, der Konkurrenzdruck durch amerikanische Sammler und Museen das Engagement von Mäzenen in der Nachkriegszeit beforderte, war bei der Gründung der Musikstiftung die Sorge ausschlaggebend, dass dem Musikernachwuchs in der Bundesrepublik aufgrund des „künstlerischen Aderlasses als Folge nationalsozialistischer Kulturpolitik" und wegen struktureller Schwächen in der Ausbildung im internationalen Wettbewerb deutliche Nachteile erwüchsen. 48 Während jedoch bei der Kunststiftung die Initiative zur Zusammenarbeit mit den in Hamburg ansässigen Kaufleuten von Vertretern der staatlichen Kulturbürokratie ausging, beruhte die Errichtung der Stiftung Musikleben auf einer Kooperation zwischen Mäzenen und einer weiteren gemeinnützigen Vereinigung, dem Deutschen Musikrat. Dieser ist gleichfalls ein Produkt der Nachkriegszeit. Gegründet wurde der Deutsche Musikrat durch die Arbeitsgemeinschaft für Musikerziehung und Musikpflege und die Deutsche Unesco-Komission am 13. Juni 1953 im Rahmen einer Versammlung des bereits seit 1950 bestehenden Internationalen Musikrates. Ziel dieser Initiative war es, eine Dachorganisation des deutschen Musiklebens ins Leben zu rufen, die sowohl „zur Lösung innerdeutscher Probleme" als auch „zur Pflege internationaler Beziehungen" auf allen musikalischen Gebieten beitragen sollte. Als Interessenverband umfasst der Musikrat sowohl Verbände und Vereinigungen des Musiklebens, als auch einzelne Persönlichkeiten.49 Seit seiner Entstehung ist der Deutsche Musikrat als gemeinnütziger Verein anerkannt, gemessen an seiner Struktur und Arbeitsweise würde man ihn heute als typische Institution des Dritten Sektors beschreiben.50 Gleichzeitig dokumentiert die Gründungs- und Wirkungsgeschichte dieser intermediären Vereinigung einmal mehr den zentralen Stellenwert von korporativen Akteuren in der Gestaltung der bundesrepublikanischen Nachkriegs-Demokratie.51
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Vgl. Eduard Söring, Zur Künstlerforderung durch die Stiftungen, in: Deutscher Musikrat (Hrsg.), Referate, Informationen. Nr. 28, Dezember 1974, S. 4 6 - 4 8 , hier S. 46. Zur Gründungsgeschichte, Struktur und Tätigkeit des Musikrats vgl. Herbert Sass/Andreas Eckhardt (Hrsg.), 40 Jahre Deutscher Musikrat. Auftrag u n d Verwirklichung. Regensburg 1993. Vgl. Lester M. Salomon und Helmut K. Anheier, Dritter Sektor und Zivilgesellschaft. Globale Entwicklungen, in: Rupert Graf Strachwitz (Hrsg.), Dritter Sektor-Dritte Kraft. Versuch einer Standortbestimmung. Stuttgart 1998, S. 13-22, hier S. 14. Als besonderes Charakteristikum dieser Entwicklung gilt die Einbindung organisierter Interessen in die Politik. Entscheidend hierfür war ein Wandel des Staatsverständnisses: Von einer „Autorität oberhalb der gesellschaftlichen Interessen - hin zu einer Aushandelsagentur zwischen den gesellschaftlichen Interessen", bzw. zum „sozialinterventionistischen Wohlfahrtsstaat". Vgl. Andreas Rödder, Die Bundesrepublik Deutschland 1969-1990. München 2004, S. 157 sowie Annette Zimmer, Staatsfunktionen und öffentliche Aufgaben, in: Ellwein/Holtmann, 50 Jahre Bundesrepublik Deutschland, S. 211-228, hier S. 214f. Speziell zur Stellung v o n Stiftungen im bundesrepublikanischen Nachkriegs-Korporatismus vgl. Rupert Graf Strachwitz, Stiftungen nach der Stunde Null. Die Entwicklung des Stiftungswesens in Westdeutschland nach 1945, in: GG 33, 2007, S. 9 9 - 1 2 6 .
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„Der deutsche Musikrat hat insbesondere die Aufgabe [...] den Nachwuchs der Musikberufe gewinnen zu helfen und zu fördern. " 52 Wegen eines Mangels an nachwachsenden Orchestermusikern und aufgrund von Leistungsdefiziten im „solistischen und kammermusikalischen Bereich im Verhältnis zur ausländischen Konkurrenz" beschäftigte die Verwirklichung dieses satzungsgemäßen Zieles den Deutschen Musikrat in der Nachkriegszeit „in vordringlicher Weise".53 Die Schwierigkeit, qualifizierte Nachwuchsmusiker zu rekrutieren, war aufgrund der Dezimierung männlicher Jahrgänge - weibliche Orchestermusiker spielten noch kaum eine Rolle - eine direkte Folge des Zweiten Weltkriegs. Hinzu kam ein mangelndes Interesse der nachwachsenden Generation, die sich in der Ära des westdeutschen Wirtschaftswunders eher anderen, vornehmlich attraktiveren und zukunftsträchtigeren Berufen zuwandte. 54 Objektiv gestützt wurden diese für die Verbandspolitik des Musikrats grundlegenden Feststellungen durch eine Reihe von statistischen Untersuchungen, die dieser zu Beginn der 1960erJahre durchfuhren ließ. 55 Defizite im Bereich der musikalischen Nachwuchsförderung ergaben sich in der Nachkriegszeit des Weiteren als Folge der Schädigungen des öffentlichen Musikschulwesens durch den Krieg: Lediglich 13 Musikschulen hatten den Zweiten Weltkrieg überstanden und der Neuaufbau erfolgte zunächst nur zögerlich. Ein verstärkter und aus öffentlichen Mitteln gespeister Ausbau der außerschulischen Musikförderung sollte in der Bundesrepublik erst in den 1960er, vor allem aber in den 1970er Jahren im Kontext der allgemeinen Bildungsreformen einsetzen. 56 Die Errichtung der Deutschen Stiftung Musikleben erfolgte vor diesem Hintergrund und in der erklärten Absicht zur Lösung der Aufgaben beizutragen, die sich „aus der Lage der öffentlichen und privaten Musikpflege, der musikalischen Berufsausbildung, der Musikerziehung und musischen Bildung in und außerhalb der Schule ergeben". Stiftungszweck war darüber hinaus die Förderung des „nationalen und internationalen Erfahrungs- und Kulturaustausch für Musik, Musikerziehung und Musikforschung". 57 Entstanden ist die Stiftung auf dem Weg einer Änderung des Namens und der Satzung der bereits 1956 von dem Hamburger Finanzmakler Wolfgang Essen gegründeten Stiftung zur Förderung junger konzertierender Künstler. Hinter dieser Umwidmung stand die Absicht, deren bisheriges Aufgabengebiet, die Förderung 52 Vgl. Art. 2 der Satzung des Deutschen Musikrates, in: Sass/Eckhardt, 40 Jahre Deutscher Musikrat, S. 422. 53 Vgl. ebd., S. 200f. 54 Ebd., S. 162. 55 Vgl. Herbert Sass/Walter Wiora (Hrsg.), Musikberufe und ihr Nachwuchs. Statistische Erhebungen 1960/61 des Deutschen Musikrates. Mainz 1962 56 1960 bestanden etwa 70 Musikschulen in der Bundesrepublik, 1970 ca. 280 und 1980 bereits über 600; dabei wurden die Musikschulen erst 1977 durch die Aufnahme in den Ergänzungsplan zum Bildungsgesamtplan „Musisch-Kulturelle Bildung" der Bund-Länder-Komission für Bildungsplanung „fest im Bildungssystem der Bundesrepublik verankert". Vgl. Rudolf Tartter, Musikschulen, in: Günter Püttner (Hrsg.), Handbuch der kommunalen Wissenschaft und Praxis, Band 4. Berlin/Heidelberg 1983, S. 182-194, hierS. 186. 57 Vgl. „Plan für eine Stiftung Musikleben", Anhang zum Beschlussprotokoll des Vorstands der „Stiftung zur Förderung junger konzertierender Künstler" vom 4. Juli 1962, in: StAHH 363-6 II 127-54.24/4.
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musikalischer Talente durch die vermehrte Schaffung von Auftrittsmöglichkeiten, deutlich auszuweiten. Der Stiftungsvorstand ließ sich hierbei von dem Gedanken leiten, dass „die künftig vorgesehene Förderung jugendlicher Frühbegabungen durch Begabtenauslese schon während der Schulzeit" langfristig erst die Erfüllung des bisherigen Stiftungszweckes ermöglichen würde. 58 Ausschlaggebend für diese Überlegungen waren Gespräche zwischen der Stiftung und dem Deutschen Musikrat, in denen Möglichkeiten erörtert worden waren, „wie von der musikalischen Fachwelt anerkannte Krisenerscheinungen unseres Musiklebens und seiner musikpädagogischen Grundlagen durch neue Initiativen von privater Seite begegnet werden könnte." 59 Das gemeinsame Engagement der Hamburger Stiftung und des Musikrats zur Förderung junger Musiker bildete mithin die Grundlage für die neue Stiftungsinitiative. Im Sinne der offiziellen Verbandspolitik des Musikrats war diese Entwicklung nur konsequent, denn erklärtermaßen bemühte sich dieser seit seiner Gründung darum, zum Zwecke größerer kulturpolitischer Effizienz öffentliche oder private Aktivitäten und Initiativen im Musikbereich federführend aufeinander abzustimmen und zu koordinieren. 60 Ähnlich wie bei der Gründung des Kulturkreises im Bundesverband der Deutschen Industrie ging es bei der Errichtung der Deutschen Stiftung Musikleben darum, einen nationalen Zusammenschluss zur Kunstforderung, allerdings ausschließlich für den Bereich der Musik, zu etablieren.61 Welche persönlichen Motive, abgesehen von den oben geschilderten, hierbei für die beteiligten Akteure eine Rolle spielten, dazu enthalten die aus der Gründungszeit der Stiftung überlieferten Dokumente keine Angaben. Immerhin zeigt ein Blick auf die Berufsangaben jener Männer, die sich zu Beginn der 1960er Jahre ehrenamtlich in den Gremien der Stiftung zur Förderung junger konzertierender Künstler engagierten, dass es sich bei ihnen fast ausschließlich um Angehörige einer gehobenen Gruppe des Wirtschaftsbürgertums handelte. So finden sich unter den Mitgliedern des Stiftungsrats neben dem Stiftungsgründer Wolfgang Essen der dänische Industriemanager und vormalige Vorstandsvorsitzende der Ford-Werke Eberhard Vitger, der Reeder und Konsul Arthur Binder, die Bankiers Robert Kaminsky und Robert Gebhardt, sowie die Juristen Theodor Jaacks und Paul Sülwald.62 Hinzu kamen mit dem Vorsitzenden des deutschen Musikrats Hans Mersmann und dem Hamburger Musikverleger Hans Sikorski, die zu diesem Zeitpunkt ne-
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Vgl. ebd. Ebd. Zur seit 1957 bestehenden Zusammenarbeit zwischen der Hamburger Stiftung und dem Deutschen Musikrat vgl. außerdem Saß/Eckhardt, 4 0 Jahre Deutscher Musikrat, S. 110. Vgl. ebd., S. llOff. und S. 200. Zu den Gründungsmotiven des Kulturkreises vgl. Bührer, Der Kulturkreis im Bundesverband der deutschen Industrie, S. 584. Vgl. das Beschlussprotokoll des Stiftungsrats der Stiftung zur Förderung junger konzertierender Künstler zur U m w a n d l u n g der Stiftung in die „Deutsche Stiftung Musikleben" v o m 23. Juli 1962, in: StaHH 3 6 3 - 6 II 127-54.24/4.
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ben Essen und Jaacks den Stiftungsvorstand bildeten, zwei Personen, deren Interesse sich bereits aus ihrem jeweiligen beruflichen Aufgabengebiet ergeben musste.63 Im Hinblick auf den zukünftigen Erfolg der Initiative, d. h. um den anvisierten Spendenzufluss zu sichern, setzten die Beteiligten bei der Gründung der neuen Stiftung auf den Plan, im Rahmen der Gremienarbeit eine repräsentative Auswahl „führender Persönlichkeiten" aus „Behörden und politischem Leben", aus „Industrie und Wirtschaft, Banken und Versicherungswesen" und aus dem Bereich der Musikwirtschaft, an ihrer Tätigkeit zu beteiligen.64 Dies geschah durch die Installation eines mit 28 Personen recht zahlreich besetzten Kuratoriums, das sowohl natürliche Personen, als auch institutionelle Mitglieder, wie die Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten in der Bundesrepublik, umfasste. 65 Aus seiner Mitte wählte das Kuratorium ein Präsidium, das in der Gründungszeit der Stiftung Musikleben mit Bundesschatzminister Hans Lenz, dem Bankier Hermann Josef Abs66, dem Präsidenten des Bundesverbandes der Deutschen Industrie Fritz Berg sowie dem ursprünglichen Stifter Wolfgang Essen besonders exklusiv besetzt war. 67 Zu den Aufgaben des Kuratoriums gehörten die Kontrolle der Mittelvergabe und die Wahl des geschäftsfiihrenden Vorstands. Dieser bestand im Oktober 1962 aus acht Personen, die hauptsächlich aus dem Kreis der Musikwirtschaft rekrutiert wurden. An der Spitze des Vorstands stand der Generaldirektor des Schallplattenherstellers Teldec, Herbert Grenzebach. Weitere Vorstandsmitglieder waren Hans Mersmann vom Musikrat und Hans Sikorski, die ja bereits dem Vorstand der Stiftung zur Förderung junger konzertierender Künstler angehört hatten sowie der Generaldirektor der Gesellschaft für musikalische Aufführungs- und mechanische Vervielfältigungsrechte (GEMA) Erich Schulze, der Geschäftsführer der Gesellschaft zur Verwertung von Leistungsschutzrechten (GVL) Herrmann Voss, als zweiter Vertreter des Musikrats Herbert Sass und Gerd-Wolfgang Essen, der Sohn Wolfgang Essens. Als Verbindungsglied zum Kulturkreis im Bundesverband der Deutschen Industrie, der ebenfalls zum Kreis der Unterstützer des Musikrats gehörte, wurde der Hannoveraner Unternehmer und Mäzen Bernhard Sprengel in den Stiftungsvorstand berufen. 68 Ist bereits die personellen Zusammensetzung des Kuratoriums der Stiftung Musikleben ein Indikator für die Fortdauer, bzw. die Neuformierung von Formen exklusiver Bürgerlichkeit in der Nachkriegszeit, so gilt dies auch für den von Bundespräsident Heinrich Lübke unterzeichneten Gründungsaufruf zur Stiftung, in dem in einer Mix-
63 Vgl. Beschlussprotokoll des Vorstands der „Stiftung zur Förderung junger konzertierender Künstler" vom 4. Juli 1962, in: StAHH 363-6 II 127-54.24/4. 64 Vgl. ebd. 65 ebd., „Protokoll der Eröffnungssitzung der Deutschen Stiftung Musikleben vom 25. Oktober 1962". 66 Von diesem ist immerhin bekannt, dass die Förderung klassischer Musik in hohem Maße „seiner persönlichen Begabung und Neigung" als „Bürger und Mäzen" entsprach und im Zentrum seiner vielfaltigen Bemühungen im Bereich der Kulturförderung stand. Vgl. Lothar Gall, Der Bankier Hermann Josef Abs. Eine Biographie. München 2004, S. 419. 67 Vgl. „Protokoll der Eröffnungssitzung der Deutschen Stiftung Musikleben vom 25. Oktober 1962". 68 Vgl. ebd.
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tur aus bildungsbürgerlicher Emphase und Kulturpessimismus die Bedeutung der musischen Bildung für „die geistige Entwicklung" des Volkes hervorhoben wurde.69 Die gleiche Tendenz spiegelte sich in der Rede des Bundesschatzministers anlässlich der Stiftungsproklamation: „Deutschland gilt in der Welt nach wie vor als Land der Musik", hieß es da, „die Frage ist jedoch, wie lange noch? Wir zehren von der gültigen Aussagekraft der großen Komponisten unserer Vergangenheit, von der bei uns in den Ansätzen stecken gebliebenen Reform der Musikerziehung der zwanziger Jahre, [...] von früheren, Epoche machenden Leistungen der Musikwissenschaft und dem Ruhm einzelner großer Interpreten, Orchester und Opernhäuser, die Maßstäbe gesetzt haben. In einer Zeit, in der die Menschen immer näher zusammenrücken und immer mehr aufeinander angewiesen sind, sollten wir dafür sorgen, uns einer Sprache, die viele Brücken schlagen hilft, die Sprache der Musik, noch bedienen zu können, zumal Deutschland in diesem Bereich ohne Misstrauen und mit vielen Erwartungen betrachtet wird. "70 Damit artikulierte sich noch einmal ein ursprünglich in der bürgerlichen Kunstsemantik des 19. Jahrhunderts wurzelnder Anspruch auf eine einer vermeintlich höheren Sittlichkeit verpflichtete Nationalkultur. Deutlicher noch als im Fall der Hamburger Kunststiftung verweist das Zitat auf die soziale Funktion dieses Rekurses in der spezifischen Situation der Nachkriegszeit: Das gemeinsame Bekenntnis zu nationalen Traditionen, zu Bildung und klassischer Kultur diente der Selbstvergewisserung der Eliten aus Wirtschaft und Politik sowie der Demonstration gesellschaftlicher Verantwortung nach „innen" und in diesem Fall auch gegenüber dem Ausland.71 Bekanntlich stand jedoch die Vorstellung einer nationalkulturellen Sonderstellung bereits seit der Jahrhundertwende in zunehmendem Widerspruch zum sozialkulturellen Wandel, im Zeichen zunehmender kultureller Pluralisierung sollte sie im Laufe der Nachkriegszeit ihr allmähliches „unaufgeregtes Ende" finden.72 Als praktikable
69 Vgl.Aufruf des Bundespräsidenten Heinrich Lübke zur Gründung der Deutschen Stiftung Musikleben vom 24. Oktober 1962. StAHH 363-6 II 127-54.24/4 70 Vgl. „Protokoll der Eröffnungssitzung der Deutschen Stiftung Musikleben vom 25. Oktober 1962. 71 Vgl. hierzu auch Hannes Siegrist, Wie bürgerlich war die Bundesrepublik, wie entbürgerlicht die DDR. Verbürgerlichung und Antibürgerlichkeit in historischer Perspektive, in: Hans-Günther Hokkerts (Hrsg.), Koordinaten deutscher Geschichte in der Epoche des Ost-West-Konflikts. München 2004, S. 207-243, hier S. 219f. 72 Vgl. Georg Bollenbeck, Die fünfziger Jahre und die Künste: Kontinuität und Diskontinuität, in: Georg Bollenbeck/Gerhard Kaiser (Hrsg.), Die janusköpfigen 50erJahre. Kulturelle Moderne und bildungsbürgerliche Semantik III. Wiesbaden 2000, S. 190-213, hier S. 200. Auch am Beispiel des Kulturkreises im Bundesverband der Deutschen Industrie lässt sich der von Bollenbeck beschriebene Wandel nachvollziehen. Folgt man der Darstellung Walter Grasskamps, so wurde in den Reden der Vertreter des Kulturkreises spätestens in den siebziger Jahren die Tendenz zu eine „Deemphatisierung" des Kunstbegriffs offenbar, die sich deutlich vom idealistischen Sprachgebrauch der Adenauerzeit abhob. Vgl. Walter Grasskamp, Risikobewusstsein und Modernisierung. Die siebziger Jahre, in Grasskamp/Ullrich, Mäzene, Stifter u n d Sponsoren, S. 61-77, hier S. 68. Die „Erosion der bildungsbürgerlichen Wertekultur" und die Transformationen des Bürgerbegriffs in der Nachkriegszeit wurden jüngst von Habbo Knoch beschrieben. Vgl. ders., Mündige Bürger", oder : Der kurze Frühling einer partizipatorischen Vision, in ders. (Hrsg.) Bürgersinn mit Weltgefiihl. Politische Moral und solidarischer Protest in den sechziger u n d siebziger Jahren. Göttingen 2007, S. 9-53.
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Grundlage für die Stiftungstätigkeit reichte die Beschwörung kultureller Traditionen also bei weitem nicht aus: Dass es in der Folge nicht gelang, Mäzene in dem Maß zur Finanzierung der Stiftungstätigkeit heranzuziehen, wie ursprünglich gehofft, macht deutlich, dass die symbolische Integrationskraft bildungsbürgerlicher Wertvorstellungen in den 1960er Jahren schnell an ihre Grenzen stieß. III.
Förderpraxis und finanzielle Entwicklung der Deutschen Stiftung Musikleben
In den ersten zehn Jahren ihres Bestehens verausgabte die Stiftung Musikleben zugunsten der satzungsgemäßen Zwecke jährlich Mittel in Höhe von durchschnittlich ca. 135000 DM. 73 In enger Anlehnung an die Förderungsprogramme des Deutschen Musikrats beteiligte sie sich vor allem an Maßnahmen zur individuellen Künstlerförderung. 74 Schwerpunkte der Stiftungstätigkeit waren die Unterstützung der seit 1963 gemeinsam mit dem Musikrat durchgeführten Wettbewerbe „Jugend Musiziert" sowie der „Konzerte junger Künstler".75 Musikpädagogische Ziele stehen bei beiden Maßnahmen im Vordergrund: Insbesondere die auf Regional-, Landes- und Bundesebene durchgeführten Wettbewerbe „Jugend Musiziert" dienen zum einen der Anregung zum eigenen Musizieren, aber auch der Auslese musikalischer Frühbegabungen. Beide Maßnahmen zielen darüber hinaus ganz allgemein auf die Förderung des musikalischen Nachwuchses sowie der musikalischen Berufsausbildung. Einen weiteren Tätigkeitsschwerpunkt der Stiftung bildete bis zur Mitte der 1970erJahre die Förderung der musikalischen Früherziehung in Kindergärten und Volksschulen. Hierzu vergab die Stiftung Stipendien an Lehrkräfte, die am Salzburger Mozarteum in die Methode des vom Komponisten Carl Orff erstellten Schulwerks eingeführt wurden. Auf dieser Grundlage wurden in verschiedenen Städten der Bundesrepublik am Ende der 1960erJahre Modellklassen mit täglichem Musikunterricht eingerichtet. 76 Angestoßen wurde dieses Engagement durch Carl Orff selbst, der zwischen 1965 und 1970 als Vorstandsvorsitzender für die Stiftung tätig war. Zu Beginn der 1970er Jahre über-
73 Eigene Berechnung aufgrund der Leistungsabrechnung der Stiftung vom 19.1.1976. 74 An der Finanzierung dieser Maßnahmen sind darüber hinaus, neben der öffentlichen Hand noch eine Reihe weiterer Stiftungen, wie die ebf. in Hamburg ansässige, seit 1964 bestehende „Oscar und VeraRitter-Stiftung" oder die im Gedenken an den ermordeten Vorstandssprecher der Dresdner Bank 1977 gegründete Jürgen-Ponto-Stiftung beteiligt. Zu deren Gründungsgeschichte und Tätigkeit vgl. www. ritter-Stiftung.de, bzw. www.juergen-ponto-stiftung.de. Zur Kooperation zwischen dem Musikrat und Stiftungen und Sponsoren vgl. Sass/Eckhardt, 40 Jahre deutscher Musikrat, S. llOff. 75 Ein detaillierte Beschreibung dieser Maßnahmen kann an dieser Stelle nicht geleistet werden, vgl. hierzu Sass/Eckhardt, 40 Jahre Deutscher Musikrat, S. 205ff. und S. 242ff. 76 Vgl. den Tätigkeitsbericht der Stiftung Musikleben vom 4. Januar 1968, sowie die Leistungsabrechnung 1966-1975 vom 19.1.1976. Das Orffsche-Schulwerk beruhte auf dem Konzept einer elementaren Musik, einer „Synthese aus Musik, Sprache und Bewegung", deren Grundlagen der Komponist bereits in den 20er Jahren entwickelt hatte. Pädogisches Ziel dieses Konzepts ist die Förderung der Kreativität des Kindes durch Anverwandlung elementarer musikalischer Strukturen. Vgl. Thomas Rösch, Carl Orff, in: Ludwig Finscher (Hrsg.), Die Musik in Geschichte und Gegenwart: Allgemeine Enzyklopädie der Musik. Personenteil, Band 12. Stuttgart 2004, S. 1398-1409.
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nahm die Stiftung außerdem einen Teil der Grundfinanzierung des 1969 gegründeten und ebenfalls in der Trägerschaft des Musikrats stehenden Bundesjugendorchesters. Die Finanzierung diese Maßnahme erfolgte gemeinsam mit dem Bundesministerium für Familie und Jugend. 7 7 Hinzu kamen die Vergabe einzelner Stipendien und der Verleih von Musikinstrumenten. In den Annalen des Deutschen Musikrats wird die Beteiligung der Stiftung Musikleben an den zahlreichen Maßnahmen, die dieser zur Wieder- und Neubelebung der musikalischen Nachwuchsförderung in der Bundesrepublik in den 1960er und 1970erJahren in die Wege leitete, an zahlreichen Stellen hervorgehoben. 78 Der Anteil der Stiftung am Haushalt einzelner Förderinstrumente überstieg mit der Finanzierung eines Drittels oder Viertels der Gesamtkosten regelmäßig die Höhe eines bloßen Zuschusses und leistete damit einen zentralen Beitrag zur deren Grundfinanzierung. 79 Am Beispiel der Durchführung der Wettbewerbe „Jugend Musiziert" hat Eduard Söring, der langjährige Vorstandsvorsitzende der Stiftung Musikleben, beschrieben, wie sich dabei das Verhältnis zwischen den Zuschüssen der Stiftung und denen des Staates im Laufe der Zeit gestaltete. Demnach wurde der 1. Wettbewerb im Jahr 1964 paritätisch finanziert: Der von der Stiftung zur Verfügung gestellte Betrag betrug 25000 DM, und war damit genau so hoch wie der Anteil der öffentlichen Hand. 1988 lag der Anteil der Stiftung zwischen 175000 und 200000 DM, während der der öffentlichen Hand nur 100000 DM betrug. 80 Um ihre Tätigkeit zu sichern, war die Stiftung, die von Beginn an als Sammelstiftung angelegt war und nicht auf die Erträge aus einem großen Vermögen zurückgreifen konnte, zu diesem Zeitpunkt auf einen jährlichen Spendenzufluss von DM 400000 DM angewiesen. 81 Der gestiegene Finanzbedarf der Stiftung resultierte allerdings gerade aus dem Erfolg der vom Musikrat eingeleiteten Maßnahmen, denn allein die Teilnehmerzahlen von „Jugend Musiziert" haben sich zwischen 1964 und dem Ende der 1980er Jahre nahezu verfünffacht. 8 2 Im Grunde genommen trug das Engagement der Stiftung somit zu einer Verbreiterung kultureller Bildung bei. Trotz dieser scheinbaren Erfolgsgeschichte lässt sich allerdings nicht übersehen, dass einige der Erwartungen, die sich ursprünglich mit der Stiftungsgründung verbanden, fehlgeschlagen waren. Erkennbar wurde dies bereits, als die Vereinigungen und Verbände der Musikwirtschaft, wie die GEMA, mit deren Unterstützung die Initiatoren ja 77 Vgl. die Leistungsabrechnung der Stiftung vom 19.1.1976. Zum Bundesjugendorchester vgl. Sass/Eckhardt, 40 Jahre Deutscher Musikrat, S. 223ff. 78 Vgl. Sass/Eckhardt, 4 0 Jahre Deutscher Musikrat. 79 Vgl. Schreiben von Richard Jacoby/Deutscher Musikrat an Heinz Enke/Deutsche Stiftung Musikleben vom 7. Januar 1988. 80 Vgl. Eduard Söring, Die deutsche Stiftung Musikleben von 1962 bis 1987, in: Hermann Rauhe (Hrsg.), Treffpunkt Mensch-Musik. Dokumente zur Musica. Band 1: Musikmäzenatentum und Sponsoring, Musikpflege und Nachwuchsförderung. Regenburg 1988, S. 27-31, hier S.28. 81 Vgl. ebd., S. 29. 82 Im Jahr 1964 beteiligten sich an den Regionalwettbewerben 2500, 1988 9600 und 1992 bereits 12800 Personen. Aufgrund dieser Entwicklung musste auch die Anzahl der Preise regelmäßig erhöht werden. Vgl. Sass/Eckhardt, 40 Jahre Deutscher Musikrat, S. 213.
Korporative Kulturförderung in der frühen Bundesrepublik
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gerade gerechnet hatten, schon nach kurzer Zeit aus der Stiftung ausschieden. Damit war das ursprüngliche Konzept, das eine Zusammenführung aller „an der Förderung des Musiklebens interessierten maßgeblichen Kreise"83 unter dem Dach der Stiftung vorsah, im Grunde gescheitert. Dies war auch den Beteiligten bewusst: Noch 1988 hat Eduard Söring in einer Rückschau auf die Geschichte der Stiftung von der großen Enttäuschung gesprochen, die nach dem Ausscheiden der Musikindustrie unter den Verantwortlichen herrschte.84 Über die Gründe, die im Einzelnen zu dieser Entwicklung geführt hatten, geben die aus der Anfangszeit der Stiftung überlieferten Quellen nur wenig Aufschluss. Die spätere Aussage Sörings, die Musikvereinigungen hätten es vorgezogen, den Nachwuchs unter eigener Regie zu schulen und zu fördern, lässt zumindest auf Differenzen zwischen den Vorstellungen der Stiftung, bzw. denen des Musikrats und der Musikwirtschaft über die Wege der Nachwuchsförderang schließen. 85 Noch gravierender war, dass die Hoffnungen, die die Initiatoren zunächst in die Spendenfreudigkeit des so zahlreich besetzten Kuratoriums gesetzt hatte, sich bald als illusionär erwiesen. Auf 2 Mio DM bezifferte ein 1962 veröffentlichter Aufruf den Bedarf für den „Beginn einer wirksamen Förderung", diese Summe sollte vor allem mittels Spenden aufgebracht werden. 86 Der tatsächliche Spendeneingang lag dann aber in den 1960er und frühen 1970er Jahren durchschnittlich bei etwa einem Zehntel dieser Summe. Zugute kam der Stiftung dabei, dass nach dem Wegfall der Vereinigungen der Musikwirtschaft eine Zeit lang - zwischen 1967 und 1975 - die ARD-Sendeanstalten und das ZDF als institutionelle Hauptgeldgeber fungierten. 87 In struktureller Hinsicht spiegelte diese Entwicklung die starke Stellung, die die öffentlichen Medienanstalten im Musikleben der Bundesrepublik zu dieser Zeit innehatten. 88 Um die ursprünglichen Absichten der Stiftungsinitiatoren zu beurteilen, sei zum Vergleich an dieser Stelle erneut das Beispiel des Kulturkreises im Bundesverband der Deutschen Industrie herangezogen. Stellt man in Rechnung, dass dieses immerhin bereits seit Beginn der 1950er Jahre etablierte Gremium in den ersten 25 Jahren seines Bestehens rund 15 Mio DM für Förderungszwecke aufbrachte, also pro Jahr durchschnittlich nicht mehr als 600000 DM, wird deutlich, dass die bei der Gründung der Musikstiftung projektierte Summe wohl weniger auf realistischen Einschätzungen als vielmehr auf dem Enthusiasmus der Beteiligten beruhte. 89 „Die sachliche Resonanz war teilweise erstaunlich lebhaft, der finanzielle Ertrag bisher noch leider gering", 83 Vgl. Beschlussprotokoll des Vorstands der „Stiftung zur Förderung junger konzertierender Künstler" vom 4. Juli 1962. 84 Vgl. Söring, Die deutsche Stiftung Musikleben, S. 27. 85 Vgl. ebd. Interessant wäre in diesem Zusammenhang die Beantwortung der Frage, ob die Verbände der Musikwirtschaft, bzw. einzelne Unternehmen es vorzogen, den Nachwuchs in Rahmen marktwirtschaftlicher Arrangements zu fordern. 86 Vgl. den Spendenaufruf der Stiftung vom 4. Dezember 1962. 87 Vgl. die Leistungsabrechnungen der Stiftung zwischen vom 19.1.1976. 88 Vgl. Knut Hickethier, Medien, in: Christoph Führ/Carl-Ludwig Furck (Hrsg.), Handbuch der deutschen Bildungsgeschichte. Band VI: 1945 bis zur Gegenwart. München 1998, S. 585-630, hier S. 602. 89 Vgl. Grasskamp/Ullrich, Mäzene, Stifter und Sponsoren, S. 76.
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so lautete die Bilanz einer in Briefform durchgeführten Werbeaktion der Stiftung im Jahr 19 66. 90 Damit wurde deutlich, dass weder das Interesse der Musikwirtschaft, noch die „Restbestände habitueller Bürgerlichkeit" 91 hinreichend waren, um in der Bundesrepublik eine „mäzenatische Spendenfreudigkeit analog zu den großen amerikanischen Stiftungen" zu erzielen, wie es in einem Arbeitsbericht der Stiftung im Januar 1968 beklagt wurde. 92 Dass es nach einer Umbesetzung der Stiftungsgremien im Jahr 1967 dennoch gelang, die Stiftungstätigkeit, bzw. den Spendenzufluss auf einem, wenn auch im Vergleich zu den ursprünglichen Plänen sehr viel bescheideneren Umfang, zu konsolidieren, verdankte sich dann vor allem dem Engagement des Hamburger Kaufmanns Eduard Söring. Der ehemalige Generaldirektor der Hamburger BAT-Zigarettenfabriken war ein Angehöriger des Geburtsjahrgangs 1903 und damit ein Vertreter der gleichen Generation, der auch die maßgeblichen Mitglieder des Kulturkreises in der Nachkriegszeit angehörten. 93 Söring galt als „begeisterter Bratschist" und zählte auch zu den Gründungsmitgliedern einer Förderstiftung für die Hamburgische Staatsoper. 94 Unter Sörings Geschäftsführung hatte die British American Tobacco (Deutschland) GmbH 1964 in Hamburg eine gemeinnützige Stiftung errichtet, die den Bau und den Unterhalt eines Wohnheims für Studierende an der Hamburger Hochschule für Musik und der Universität betrieb. Bereits wenige Jahre später, im Jahr 1971, übereignete die BAT das Wohnheim allerdings dem Hamburger Studentenwerk, nachdem es infolge der Studentenbewegung zu „erheblichen Problemen" zwischen Wohnheimleitung und Insassen gekommen war. 95 Söring befand sich zu dieser Zeit bereits im Ruhestand und widmete sich vorrangig der musikalischen Nachwuchsforderung durch die Deutsche Stiftung Musikleben. Dem Vorstand der Stiftung gehörte der Kaufmann seit 1967 an, zwischen 1971 und 1984 hatte er das Amt des geschäftsführenden Vorsitzenden inne. Im Zentrum von Sörings Tätigkeit für die Stiftung stand die Mobilisierung finanzieller Ressourcen auf der Basis persönlicher Netzwerke. Das zeigt, dass sich zumindest in einem Punkt die Situation in der Bundesrepublik nicht grundlegend von der Boomphase bürgerlichen Mäzenatentums im Kaiserreich unterschied: Nach wie vor waren es einzelne Personen, die im Mittelpunkt philanthropischer Netzwerke standen. 9 6 Im
90 Vgl. den Tätigkeits- und Geschäftsbericht der Stiftung vom 1.1.1966 - 31.10.1966. 91 Vgl. Eckart Conze, Eine bürgerliche Republik? Bürgertum und Bürgerlichkeit in der westdeutschen Nachkriegsgesellschaft, in: GG 30 (2004), S. 527-542, hier S. 535. 92 Vgl. Tätigkeitsbericht der Stiftung vom 4. Januar 1968. 93 Zu den Lebensdaten der Mitglieder des Kulturkreises vgl. Bührer, Der Kulturkreis im Bundesverband der Deutschen Industrie, S. 586. 94 Vgl. „Trauer um einen großen Mäzen", Nachruf auf Eduard Söring in „Die Welt" vom 3.12.1987, abgedr. in: Rauhe, Treffpunkt Mensch-Musik, S. 119. Die Gründung der „Stiftung zur Förderung der Hamburgischen Staatsoper" im Dezember 1960 beruhte auf Plänen des Opernintendanten Rolf Liebermann, die schnell die Unterstützung des Zigarettenmaschinenfabrikanten und Stifters Kurt A. Körber fanden. Körber entwickelte sich bald zum maßgeblichen Finanzier der Stiftung, die Stiftungsurkunde war jedoch v o n Eduard Söring unterzeichnet worden. Vgl. StaHH 363-6 II 127-54.46.1. 95 Vgl. Vermerk des Staatsamt vom 18. März 1971, in: StaHH 131-1 II 5408. 96 Vgl. Frey, Macht und Moral, S. 83.
Korporative Kulturforderung in der frühen Bundesrepublik
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Zuge seiner jährlichen Bemühungen zur Spendeneinwerbung sah sich Söring längerfristig mit einer neuen Herausforderung konfrontiert, die auch dem Kulturkreis zunehmend zu schaffen machte: Der Konkurrenz, die den korporativen Förderkreisen seit den späten 1970er Jahren durch unternehmensbezogene Sponsoringaktivitäten erwuchs.97 Obwohl diese Entwicklung einerseits die gewachsene gesellschaftliche Bedeutung von Kunst und Kultur reflektierte,98 erhöhte sie auch die Schwierigkeiten, Geldgeber für „anonyme" Fördertätigkeiten zu gewinnen. Insofern habe der Trend zum Sponsoring den Nachteil, so der Erfahrungsbericht Sörings, dass „wenn man um Spenden betteln muss, man sehr häufig vor verschlossenen Türen steht, weil gesagt wird: „Wir tun ja alles mögliche für die Musik".99 Erst nach dem Tode Sörings und mit dem Amtsantritt einer neuen Generation von Verantwortlichen fand die Stiftung Musikleben seit 1992 in der Schärfung ihres Tätigkeitsprofils durch den zusätzlichen Aufbau eines vom Musikrat unabhängigen Förderprogramms und durch den Gebrauch offensiverer Formen der Öffentlichkeitsarbeit, wie z.B. der Benennung ihrer Hauptförderer im Rahmen des Internet-Auftritts, eine Antwort auf diese veränderten Rahmenbedingungen: Mittlerweile ist das Fördervolumen der Stiftung auf ca. 1 Mio Euro jährlich angewachsen.100 Profitiert hat die Stiftung dabei wohl nicht zuletzt vom allgemeinen Aufschwung des Dritten Sektors in den 1990erJahren und der größeren Wertschätzung, die private Förderer heute im Kontext des von breiten gesellschaftlichen Gruppierungen getragenen Bekenntnisses zur Bürgergesellschaft erfahren. IV.
Zusammenfassung
Staat, Kulturschaffende und Mäzene reagierten in der Frühzeit der Bundesrepublik mit einer Wiederbelebung bürgerlicher Traditionen auf neue kulturpolitische Herausforderungen. Diese waren ein Erbe der NS-Zeit: Sowohl im Bereich der bildenden Kunst und der Museumspolitik als auch im Bereich der musikalischen Nachwuchsförderung stand man vor der Aufgabe, wieder an internationale Entwicklungen anzuschließen. Aufgrund begrenzter finanzieller Spielräume vergewisserte sich im Fall der Hamburger Kunststiftung der Staat der Unterstützung durch diejenigen Kreise, die am ehesten in der Lage waren, private Mittel zur Unterstützung der Ankaufspolitik der städtischen Museen aufzubringen. Die Gründung der Stiftung zur Förderung der Hamburgischen Kunstsammlungen stellte in diesem Sinn den Versuch dar, zur För-
97 Vgl.Grasskamp ebd., S. 69. 98 „Kultur" avancierte in den 80er Jahren zu einem neuen gesellschaftlichen Leitbegriff, als Hauptursachen hierfür gelten zunehmende Individualisierung, pluralistische Tendenzen im Kulturbereich und der Trend zu einer kommerziellen Freizeitkultur. Vgl. Andreas Wirsching. Abschied vom Provisorium:1982-1990. (Geschichte der Bundesrepublik Deutschland; 6) München 2006, S. 421ff. 99 Vgl. Söring, Die deutsche Stiftung Musikleben, S. 29. 100 Vgl. www.deutsche-stiftung-musikleben.de/stiftung/zahlen.html.
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derung der städtischen Museumsentwicklung dauerhaft eine Kooperation zwischen Staat und Wirtschaft zu institutionalisieren. Das gemeinsame Interesse von privaten Geldgebern und den Vertretern der staatlichen Kulturbürokratie an der Förderung des Wirtschafts- und Kulturstandorts Hamburg bildete die Grundlage für den Erfolg dieser Initiative. Unter Bezugnahme auf stadtbürgerliche Traditionen bot die Stiftungsgründung dem Bündnis von Kaufleuten und Staatsvertretern darüber hinaus die Möglichkeit zur Demonstration gesellschaftspolitischer Verantwortung für das nun nach demokratischen Prinzipen gegliederte Gemeinwesen. Im Fall der Deutschen Stiftung Musikleben gelang es dagegen nicht, eine Art „Konzertierte Aktion" für die Förderung des Musikernachwuchses in der Bundesrepublik dauerhaft zu etablieren. Dies deutet darauf hin, dass die Schnittmenge gemeinsamer Interessen und Wertvorstellungen bei den anfangs beteiligten Vertretern des Musiklebens, aus Staat, Unternehmen und Musikwirtschaft letztlich nicht ausreichte, zumal hinter der Stiftung nicht wie etwa beim Kulturkreis ein Verband mit finanzkräftigen Mitgliedern stand. Dass die Stiftung dennoch in Zusammenarbeit mit ihrem strategischen Partner, dem Musikrat, einen erheblichen Beitrag zur Förderung begabter junger Musiker in der Bundesrepublik leistete, verdankte sich also nicht dem ursprünglichen Konzept, dass von einem Rückgriff auf einen im Grunde genommen bereits überholten, nationalen Kulturbegriff gekennzeichnet war. Es gelang der Stiftung in der Folge jedoch, ihre Aktivitäten an das Niveau der vorhandenen Möglichkeiten anzupassen. Profitieren konnte sie dabei zeitweise von der Unterstützung durch die - aus Gebühren finanzierten- öffentlichen Rundfunkanstalten. Hinzu kam das persönliche Engagement Eduard Sörings bei der Einwerbung von Spenden, wodurch er immer wieder die Unterstützung einzelner Unternehmen oder Privatpersonen für die Stiftung sichern konnte. Bei der Entscheidung für oder gegen einen Spende für die Stiftung oder dabei, ob man unter Umständen eher ein soziales Projekt unterstützte, dürften von Fall zu Fall jedoch weniger gruppenspezifische Interessen als vielmehr individuelle Präferenzen den Ausschlag gegeben haben. In der Gesellschaft der Bundesrepublik, die seit den 60er Jahren von zunehmender Pluralisierung und Individualisierung geprägt ist, trugen die hiermit verbundenen sozialen und kulturellen Veränderungen langfristig auch zu einer Neubewertung außerstaatlichen Engagements bei.
III.
Stiftungen und Bildungsförderung
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Einleitung Von Gabriele Lingelbach
Die geschichtswissenschaftliche Forschung zur Entwicklung des Stiftungswesens im 19. und 20. Jahrhundert erfährt zurzeit einen gewissen Aufschwung. 1 Insbesondere Stiftungen für soziale Zwecke werden als Ausdruck des zivilgesellschaftlichen Handelns des deutschen Bürgertums analysiert. Aber auch das Mäzenatentum zog die Aufmerksamkeit von Historikern auf sich: Stiftungen für Gemäldesammlungen werden ebenso untersucht wie solche für Konzertsäle oder etwa Opernhäuser. Zudem ist die private Förderung von Forschungseinrichtungen Gegenstand geschichtswissenschaftlicher Analysen geworden. Das stifterische Engagement für Bildungszwecke stand dagegen vergleichsweise selten im Fokus von Darstellungen. In diesem Abschnitt wird dem stifterischen Engagement für Bildung, aber auch solchem für wissenschaftliche Zwecke nun die gebührende Aufmerksamkeit geschenkt. Dabei sind allerdings die Übergänge zwischen dem Stiftungszweck .Bildung' und dem Stiftungszweck .soziale Wohltätigkeit' mitunter fließend: Wenn Jens Flöter in seinem Beitrag herausarbeitet, dass Stipendienstiftungen in Leipzig lange Zeit eher der Versorgung bedürftiger Schüler dienten, bevor sie im 19. Jahrhundert zunehmend mit dem Ziel der Begabtenförderung eingerichtet wurden, dann belegt dies die Problematik der in der Forschung gängigen Aufteilung der Stiftungszwecke entlang der Kategorien .Soziales', .Kunst', .Wissenschaft', .Bildung', .Religion'. Mit seiner Studie über die Stipendienstiftungen an Schulen beleuchtet Jonas Flöter nicht nur die Überlappung dieser Kategorien, sondern betritt darüber hinaus ein bislang kaum bearbeitetes Forschungsfeld: Die Tatsache, dass sich Stifter im 19. und 20. Jahrhundert häufig dazu entschlossen, Stipendien für Schüler und Studenten zu vergeben, ist noch bis vor kurzem kaum beachtet worden. 2 Während Jonas Flöter sich dem Thema anhand des Beispiels der sächsischen Schulstiftungen nähert, untersucht Thomas Adam in seinem Beitrag die Stipendienstiftungen an deutschen Universitäten. Flöter arbeitet die lange Tradition dieser Form von Förderung heraus, deren Wurzeln in Leipzig bereits im 16. Jahrhundert zu finden sind, und be1
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Um nur exemplarisch einige Titel zu nennen: Adam, Thomas/Retallack, James (Hg.): Zwischen Markt und Staat: Stifter und Stiftungen im internationalen Vergleich, Leipzig 2001; Hein, Dieter: Das Stiftungswesen als Instrument bürgerlichen Handelns im 19. Jahrhundert, in: Kirchgässner, Bernhard/ Becht, Hans-Peter (Hg.): Stadt und Mäzenatentum, Sigmaringen 1997, S. 75-92; Kocka, Jürgen/Frey, Manuel (Hg.): Bürgerkultur und Mäzenatentum im 19. Jahrhundert, Berlin 1998; Kraus, Elisabeth: Aus Tradition modern. Zur Geschichte von Stiftungswesen und Mäzenatentum in Deutschland im 19. und 20. Jahrhundert, in: Historisches Jahrbuch 121 (2001), S. 400-420; Strachwitz, Rupert Graf: Stiftungen nach der Stunde Null. Die Entwicklung des Stiftungswesens in Westdeutschland nach 1945, in: GG 33 (2007), 99-126. Siehe den einfuhrenden Sammelband von Flöter, Jonas/Ritzi, Christian (Hg.): Bildungsmäzenatentum. Privates Handeln, Bürgereinn und kulturelle Kompetenz seit der Frühen Neuzeit, Köln 2007.
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tont die Spezifik der Situation in Sachsen, die sich durch die Konkurrenz zwischen städtischen Gelehrtenschulen und einem höheren staatlichen Schulwesen in Form der Fürsten- und Landesschulen auszeichnete. Zukünftige Forschungen könnten der Frage nachgehen, inwiefern sich seine Schlussfolgerungen auf andere Bildungslandschaften in Deutschland übertragen lassen, wo ein solches Nebeneinander von Schulformen nicht existierte und Alumni daher nicht vor der Aufgabe standen, ihrer früheren Bildungsstätte in diesem Konkurrenzkampf gegebenenfalls finanziell unter die Arme greifen zu müssen. Die Frage, welche Motive Stifter dazu veranlassten, Geld für gemeinnützige Zwecke zur Verfügung zu stellen, beschäftigt viele Philanthropieforscher.3 Einige stellen die individuellen Beweggründe für das Stiften heraus, etwa wenn durch Memorialstiftungen das Andenken an den Stifter für die Nachwelt erhalten werden soll - ein Stiftungszweck, den Jonas Flöter in seinem Beitrag erwähnt. Ebenso stellt Flöter heraus, dass auch die Sorge um Familienangehörige und Nachfahren eine Rolle spielen konnte, schließlich gab es Stiftungen, die nur Familienangehörigen des Stifters zugute kamen. Hierbei ist allerdings zu fragen, ob die Versorgung von Familienmitgliedern tatsächlich noch unter den Begriff Philanthropie zu subsumieren ist oder diesen Terminus nicht überstrapaziert. 4 Flöter führt aber auch Beispiele für Stiftungen an, die aus der Annahme einer Reziprozitätsverpflichtung entstanden: 5 Einige Stifter engagierten sich, weil sie ,etwas zurückgeben' wollten, weil sie für etwas dankbar waren und sich nun verpflichtet fühlten, diese Dankbarkeit auch nach außen hin zu bezeugen, indem sie beispielsweise ihrer ehemaligen Schule eine Stipendienstiftung zukommen ließen - ein Beleg übrigens dafür, dass das Engagement von Alumni für ihre ehemalige Alma Mater auch in Deutschland bekannt war und kein spezifisch US-amerikanisches Phänomen ist. Andere Philanthropieforscher gehen stärker von einer sozialen Motivation stifterischen Engagements aus und betonen beispielsweise, dass Individuen Geld stifteten, um Aufnahme in die städtische Elite zu finden. Ebenso weisen einige Historiker der sozialen Funktion der Netzwerkbildung eine zentrale Rolle zu: Besonders bei Kollektivstiftungen konnten ebenso wie bei den Aktivitäten wohltätiger Vereine soziale Kontakte geknüpft werden. Zudem konnten philanthropische Aktivitäten den inneren Zusammenhalt der städtischen Eliten fördern, wie etwa Thomas Adam in seinem 3
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Cavallo, S a n d r a : The Motivation o f Benefactors. An Overview of Approaches to the Study of Charity, in: Barry, J o n a t h a n (Hg.): Medicine and Charity before the Weifare State, London: Routledge 1991, S. 4 6 - 6 2 . Zur Kritik an der weiten Definition von Philanthropie, wie sie etwa F. K. Prochaska vertritt, wenn er j e d e Form v o n .kindness' g e g e n ü b e r allen Personen, also auch Verwandten und Nachbarn, einschließt, siehe beispielsweise bei Morris, S u s a n n a h : Zwischen Staat und Markt. Freiwilliges Engagement und Soziale Wohnungsprojekte in London zwischen 1840 und 1914, in: Adam, Thomas/Retallack, J a m e s (Hg.): Zwischen Markt und S t a a t : Stifter und Stiftungen im internationalen Vergleich, Leipzig 2001, S. 139-159, besonders S. 141/142. Zur Frage der Reziprozitätsbeziehungen siehe den Sammelband, der sich mit Marcel M a u s s ' Theorie der Gabe auseinandersetzt: Adloff, Frank/Mau, Steffen (Hg.): Vom Geben und Nehmen. Zur Soziologie der Reziprozität, Frankfurt/New York 2005.
Einleitung
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Beitrag betont: Den deutschen Universitäten gingen Stipendienstiftungen zu, die vor allem (klein-)bürgerlichen Kreisen zugute kamen. So perpetuierten diese Stipendienstiftungen die soziale Exklusivität der Bildungseliten in Deutschland. Ralph Roth fügt in seinem Aufsatz diesen sozialen Funktionen stifterischen Engagements weitere Elemente hinzu: Anhand seines Untersuchungsgegenstands der Stiftungsuniversitäten in Frankfurt am Main und Hamburg geht er auf die sehr konkreten Interessen ein, die jüdische Frankfurter und Hamburger Bürger veranlassten, sich für die Gründung von Universitäten in ihren jeweiligen Heimatstädten in überdurchschnittlichem Maße finanziell zu engagieren. Die intensive Förderung der Naturwissenschaften in Frankfurt etwa erklärt sich vor dem Hintergrund, dass die dort stark vertretene Chemieindustrie von der universitären Forschung auf diesem Gebiet profitierte. Ralf Roth stellt somit heraus, dass es den Stiftern auch darum ging, das universitäre Angebot inhaltlich in ihrem Sinne mitzubestimmen, ebenso wie es das Anliegen einiger der von Jonas Flöter untersuchten Leipziger Stifter war, bestimmte Unterrichtsstoffe an der Thomasschule zu fördern - im späten 18. Jahrhundert etwa die Mathematik. Damit beanspruchte das Bürgertum in den untersuchten Städten bildungspolitische Deutungsmacht. In Frankfurt ging es insbesondere darum, den noch jungen Sozialwissenschaften eine akademische Basis zu verschaffen, da diese an den traditionellen staatlichen Universitäten noch kaum etabliert waren. Die jungen Disziplinen - so hofften die Bildungsmäzene Frankfurts - sollten angesichts der immer dringlicher werdenden .sozialen Frage' wiederum der Verbesserung der staatlichen und kommunalen Sozialpolitik dienen. Somit weisen die Untersuchungen von Ralf Roth auf die grundsätzliche Beobachtung hin, dass stifterisches Engagement eine strukturinnovative Tendenz besitzen konnte: Die staatlichen Universitäten in Deutschland zeigten Ende des 19. Jahrhunderts trotz der gesellschaftlichen Dynamik eine große Pfadabhängigkeit und Beharrungstendenz, sodass innovative Strukturgebungen im akademischen Bereich eher außerhalb der staatlich kontrollierten akademischen Institutionen stattfanden. Dies belegt allein die Tatsache, dass an der neuen Frankfurter Universität die Naturwissenschaften nicht mehr an der Philosophischen Fakultät angesiedelt werden sollten, was ansonsten üblich, jedoch nicht mehr unbedingt funktionell war. Doch einigen jüdischen Stiftern ging es nicht nur um das Aufbrechen starrer Strukturen, sondern auch um die Förderung ihrer Glaubensgenossen durch die Vergabe von Stipendien oder durch Stiftungen, an die sie die Hoffnung knüpften, dass mit deren Hilfe jüdische Wissenschaftler Professuren besetzen könnten, die ihnen ansonsten in Preußen verwehrt blieben. Stifterisches Engagement konnte somit auch dazu führen, dass diskriminierte soziale Gruppen Gegeninstitutionen ins Leben riefen, um ihrer strukturellen Benachteiligung etwas entgegenzusetzen. Insbesondere im Beitrag von Ralf Roth kommt zum Ausdruck, wie sehr sich stifterisches Engagement entfalten und intensivieren kann, wenn es im Rahmen einer bereits bestehenden Infrastruktur von Vereinen und Stiftungen stattfindet. Lange bevor die Idee aufkam, eine Universität ins Leben zu rufen, war Frankfurt bereits Hochburg
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eines vor allem im Handel und im Bankwesen engagierten Bürgertums, das sich durch ein intensives zivilgesellschaftliches Engagement auszeichnete. Solche lokalen Traditionen gemeinnützigen Engagements generierten weitere Stiftungsaktivitäten quasi aus sich selbst heraus. Das könnte die großen Unterschiede innerhalb Deutschlands bezüglich der Stiftungsdichte erklären, zumal Roth auch die Unterschiede zwischen den Hamburger und Frankfurter Initiativen hervorhebt und damit verdeutlicht, in welch starkem Maße die lokalen Gegebenheiten dazu führten, dass sich jeweils spezifische Formen und Zielsetzungen bürgerschaftlichen Engagements herausbildeten. Thomas Adam wiederum legt den Fokus seiner Abhandlung nicht auf die Motive stifterischen Handelns, sondern auf dessen Konsequenzen, genauer: auf dessen volkswirtschaftliche Folgen. Entgegen der zeitgenössischen Kritik, bei Stiftungen handele es sich um ,totes Kapital', das nicht zum ökonomischen Aufstieg beitrage, weist er für die den deutschen Universitäten anvertrauten Stiftungen nach, dass ein Großteil der Stiftungskapitalien in Wertpapiere und Hypotheken und dabei insbesondere in Staatsanleihen investiert wurde. Diese Kapitalien standen also für staatliche Aktivitäten durchaus zur Verfügung und wurden in den Wirtschaftskreislauf wieder eingespeist. Allerdings hatte das negative Konsequenzen, denn nach dem Ersten Weltkrieg stellte sich heraus, dass das in den Staat und die Währung gesetzte Vertrauen übertrieben gewesen war: Ein Großteil der von den Stiftungen in staatliche Schuldverschreibungen investierten Gelder wurde durch die Inflation drastisch entwertet. Die Tatsache, dass Stiftungsgelder in Deutschland zu einem beträchtlichen Teil in Staatsanleihen investiert wurden, ermöglicht eine grundsätzliche Kritik an der in der Forschung oft vertretenen Zuordnung wirtschaftlicher Phänomene zu dem öffentlichen Sektor einerseits, dem privaten Sektor andererseits und einem zwischen diesen beiden Bereichen liegenden sogenannten .Dritten Sektor' der gemeinnützigen Stiftungen, Vereine und Verbände, die im Unterschied zu privaten Unternehmen ohne Gewinnerwartung wirtschaftlich aktiv sind. 6 Die enge Verflechtung zwischen staatlichem und .Drittem' Sektor wird anhand der massiven Geldtransfers zwischen den Stiftungen und staatlichen Stellen deutlich. Nicht nur die Public Private Partnerships, die im Gemeinnützigkeitsbereich oft zu finden sind, sondern auch das Finanzgebaren der Stiftungen belegt, dass eine rigide Trennung zwischen staatlichem und .Drittem' Sektor nicht möglich ist. Der Staat griff zudem durch gesetzgeberische Maßnahmen stark in die Stiftungen ein, indem er etwa vorschrieb, dass Stiftungskapitalien mündelsicher anzulegen seien, sich jedoch zugleich vorbehielt zu definieren, was denn nun genau unter einer mündelsicheren Anlage zu verstehen sei (beispielsweise benachteiligten die Rechtsvorschriften Industrieobligationen zugunsten von Staatspapieren). Die Tatsache, dass die deutschen Universitäten während des Ersten Weltkrieges teilweise dazu gezwungen wurden, ihre Stiftungskapitalien in Kriegsanleihen
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Einführend in die Forschung zum .Dritten Sektor' in Deutschland: Anheier, Helmut K./Priller, Eckhard (Hg.): Der Dritte Sektor in Deutschland, Berlin 1997.
Einleitung
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zu investieren, belegt ebenfalls den intensiven Zugriff des Staates auf den .Dritten Sektor'. Thomas Adams Artikel gehört zu den wenigen Untersuchungen, die sich mit dem Zusammenhang zwischen Inflation und Stiftungskultur beschäftigen. In welchem Umfang die in der Forschung oft konstatierte Schwäche des Stiftungswesens im späten 20. Jahrhundert auf die in Deutschland besonders drastische Erfahrung der Inflation und die spezifischen Anlageentscheidungen der Stiftungsverwalter im 19. und frühen 20. Jahrhundert zurückzuführen ist, können nur vergleichende Untersuchungen beantworten. 7 Insbesondere in der Bildungsforderung durch Stiftungen liegt noch ein großes Erkenntnispotenzial, schließlich zeigen sich hier deutliche nationale Unterschiede. Wenn in der heutigen Zeit immer wieder auf die angeblich vorbildliche private Förderung für Bildung und Forschung im angloamerikanischen Raum hingewiesen wird, so wäre es sicherlich interessant, mehr über die Ursachen der unterschiedlichen Entwicklung etwa in Deutschland und den USA zu erfahren.
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Hier fehlt es besonders an internationalen Vergleichen, die die staatlichen Vorgaben hinsichtlich der Anlagepraxis dahingehend untersuchen, inwieweit diese für die nationalen Unterschiede in der Entwicklung des Stiftungswesens verantwortlich sind.
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Mäzenatentum und Stiftungswesen an Leipziger Gymnasien und den sächsischen Fürstenschulen im 19. Jahrhundert Von Jonas Flöter
Sachsen besaß im 19. Jahrhundert eine Bildungslandschaft, die weitgehend im Zeitalter von Reformation und Konfessionalisierung geprägt worden war. Bereits Mitte des 16. Jahrhunderts entstand ein besonders gegliedertes Schul- und Bildungswesen, das sich auch von anderen protestantischen deutschen Staaten unterschied. Mit den Fürstenschulen in Meißen, Schulpforte und Grimma entstand neben den über einhundert größeren und kleineren Lateinschulen in den Städten das sächsische Landesschulwesen. Bei der Einrichtung dieser staatlichen Schulen nahm das albertinische Sachsen eine Vorreiterrolle ein. Die sächsischen Fürsten- und Landesschulen wurden so zu einem Modell für ähnliche Schulen in anderen protestantischen deutschen Staaten. Damit etablierte sich in Sachsen neben den städtischen Gelehrtenschulen ein höheres staatliches Schulwesen. Beide Systeme erreichten ein beachtliches Niveau. Städtische Gymnasien wie die Thomasschule in Leipzig oder die Kreuzschule in Dresden besitzen noch heute einen ausgezeichneten Ruf. Die sächsischen Fürstenschulen sind zu einem Mythos geworden. Dieses Phänomen steht zweifellos in Zusammenhang mit dem weit überdurchschnittlichen Niveau ihrer Bildungsarbeit und der Exzellenz der Fürstenschulabsolventen.1 Stellvertretend seien hier der Theologe Paul Gerhardt (1608-1676), der Rechtshistoriker Samuel von Pufendorf (1632-1694), die Schriftsteller Christian Fürchtegott Geliert (1715-1769) und Gotthold Ephraim Lessing (1729-1781) sowie die Politiker Alfred von Kiderlen-Wächter (1852-1912), Friedrich Naumann (1860-1919) und Wilhelm Külz (1875-1948) genannt. Nicht zuletzt aus diesem Grunde standen beide Systeme bis Mitte des 20. Jahrhunderts in einem erbitterten Konkurrenzkampf, der in der Struktur der Fürstenschulen gründete. Während die höheren städtischen Schulen voll ausgebaute Gymnasien waren, bestanden die Fürstenschulen nur aus den sogenannten Oberklassen von Untertertia bis Oberprima. Durch Aufnahmeprüfungen und ein differenziertes Freistellensystem schöpften die Fürstenschulen die Leistungsträger der städtischen Gymnasien und Progymnasien ab. Hinzu kam die finanzielle Ausstattung. Die städtischen höheren Schulen waren zwangsläufig auf Schulgeldeinnahmen sowie die Förderung durch die jeweilige Kommune angewiesen. Dagegen waren den Fürsten- und Landesschulen in 1
Friedrich Paulsen: Geschichte des gelehrten Unterrichts auf den deutschen Schulen und Universitäten vom Ausgang des Mittelalters bis zur Gegenwart. Mit besonderer Berücksichtigung auf den klassischen Unterricht, Bd. 1, Berlin/Leipzig 1921, S. 299-325; Heinz-Werner Wollersheim: Die sächsischen Fürsten- und Landesschulen in der deutschen Bildungslandschaft, in: Jonas Flöter/ Günther Wartenberg (Hrsg.): Die sächsischen Fürsten- und Landesschulen. Interaktion von lutherisch-humanistischem Erziehungsideal und Eliten-Bildung, Leipzig 2004, S. 15-35.
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der Reformationszeit säkularisierte Klostergüter übertragen worden, aus deren Einkünften der Unterhalt der Schulen, die Freistellen und die Lehrergehälter finanziert wurden. Die unterschiedliche Trägerschaft und die damit verbundenen unterschiedlichen Finanzierungsgrundlagen dieser Schulen schlugen sich auch in der Entwicklung des Stiftungswesens nieder. Vor diesem Hintergrund wird im Folgenden auf das Stiftungswesen an den städtischen Gymnasien in Leipzig und anschließend an den Fürsten- und Landesschulen eingegangen.
I.
Stiftungen an städtischen Gymnasien in Leipzig
Die ersten Stiftungen für die älteste Leipziger Gelehrtenschule - die Thomasschule stammen aus der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Die Thomasschule selbst stand in Zusammenhang mit der Gründung des Augustiner-Chorherrenstifts zu St. Thomas im Jahre 1212 durch Markgraf Dietrich den Beständigen. Die Schule wurde vermutlich bereits unmittelbar nach der Gründung des Klosters eingerichtet, urkundliche Erwähnung fand sie allerdings erst 1254.2 In dieser Verbindung sind keine selbständigen Beneftzien für die Schule belegt. Allerdings bedachten einige Stiftungen bedürftige Schüler sowie Schüler, die die gestifteten Messen unterstützen. Die Leipziger Bürger Martin Leubel (1527) und Adam Müller (1554) bestimmten 50 bzw. 25 Gulden der jährlichen Zinsen zum Kauf von Tuch für arme Leute und Schüler. Darüber hinaus setzte der Kleriker Martin Schindel 1450 jährlich 20 Gulden Zinsen für die Chorschüler aus und Frau Appollonia von Wiedebach, Witwe des kurfürstlichen Rentmeisters und Amthauptmannes Georg von Wiedebach, 1525 jährlich zehn Gulden für sechs Schüler, die allabendlich in ihrer Kapelle zu singen hatten. 3 Schon vor der Säkularisierung des Klosters war die Thomasschule 1539 in die Verwaltung des Leipziger Stadtrates übernommen und 1553 ein neues Schulgebäude errichtet worden. Bereits zu dieser Zeit zeigte sich der mäzenatische Geist der Leipziger Bürgerschaft, die für das neue Schulgebäude die Hälfte der Baukosten von 2800 Gulden durch eine Sammlung aufbrachte. Die Stiftungstätigkeit für diese Schule entwickelte sich aus der Speisung, die Bürger der Stadt für die ursprünglich 22 Alumnen übernommen hatten. An Stelle dieser Versorgungsleistung, die anfänglich die Beköstigung der Schüler gesichert hatte, traten bald Stiftungen. Für die wöchentliche Speisung der Thomasschüler stellten 1605 Katharina Volckmar, Witwe des Ratsherren Georg Volckmar, und 1610 Bürgermeister Johann Peilicke jeweils die Erträge von
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Richard Sachse: Thomasschule zu Leipzig, in: Veröffentlichungen zur Geschichte des gelehrten Schulwesens im Albertinischen Sachsen, hrsg. im Auftrag des sächsischen Gymnasiallehrervereins, Teil 1: Obersicht über die geschichtliche Entwicklung der Gymnasien, Leipzig 1900, S. 128 f. Heinrich Geffcken/Haiin Tykorinski: Stiftungsbuch der Stadt Leipzig. Im Auftrag des Rates auf Grund der Urkunden und Akten des Ratsarchivs, Leipzig 1905, S. 5, 47, 51, 71.
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1.000 Gulden zur Verfügung, sowie 1614/15 der Handelsmann Wolfgang Berger die Erträge von 1.100 Gulden.4 Den Stiftungsbestimmungen zufolge hatten die Thomaner üppige Mahlzeiten zu erwarten. In den Speiselisten finden sich reichhaltige Portionen an Fleisch und Gemüse sowie Fisch, Kuchen, Bier und Wein. So bestimmte der Leipziger Kaufmann und Ratsherr Peter Heinze 1622/23 testamentarisch, dass aus den Einkünften aus seinem Haus in der Reichsstraße 10 (Amtmanns Hof) „wöchentlich einmal ein [...] Tisch Thomasschüler (12 Knaben) zu speisen [seien], und zwar mit einem Gericht Fleisch, Zugemüse, genugsam Kofent und Brot. In den Wochen aber, wo Weihnachten, Ostern und Pfingsten einfallt, soll Gebratenes und Bier an Stelle des Kochfleischs und Kofents treten."5 Darüber hinaus wurden Stiftungen zur Ausstattung der Alumnatsschüler, vor allem zur Anschaffung von Bettwäsche und Kleidung, sowie weiterhin zur Memoria des Stifters eingerichtet. Dazu wurden zumeist am Todestag des Stifters oder der Stifterin die Stiftungserträge unter den Thomasschülem verteilt, wofür diese spezielle Lieder zu singen hatten. 6 Den Ausführungen Haiin Tykorinskis zufolge, war das 17. Jahrhundert für die Thomasschule eine mäzenatische Glanzperiode.7 Dies hatte seine Ursache in den katastrophalen Lebensbedingungen nach Ende des Dreißigjährigen Krieges. Der Rat der Stadt Leipzig war nicht mehr in der Lage, die erforderlichen Mittel aufzubringen, um die Schule in ausreichendem Maße zu unterhalten und um Lehrer und Schüler zu versorgen. In den letzten Jahren des Dreißigjährigen Krieges verpflichteten sich daher viele Leipziger Bürger zu regelmäßigen Unterstützungsleistungen. Seit 1643 kam an vier Sonntagen im Jahr die Kollekte der Thomasgemeinde der Schule zugute. Allerdings konnte der Mangel dadurch nur gelindert werden.8 In diesem Zusammenhang entstanden zwischen 1643 und 1700 an der Thomasschule elf Stiftungen, die speziell auf die Versorgung der Schüler und Lehrer ausgerichtet waren. Dass „unter der Bürgerschaft geradezu ein Wetteifer [herrschte], die Schule recht reich auszustatten", hatte seinen Grund vor allem darin, dass die Alumnen beim Chor der Thomaskirche eingesetzt wurden. 9 Ihre Beliebtheit stieg noch durch die öffentlichen Singumgänge, die Kurrenden, die die Schüler dreimal wöchentlich veranstalteten, sowie durch die Gesänge zu Taufen, Hochzeiten und Begräbnissen. Das Kirchenlied, das im evangelischen Gottesdienst eine zentrale Stellung einnahm, wurde nun auch dazu genutzt, das Gedächtnis der Verstorbenen zu feiern. Insofern flössen den Thomanem auch weiterhin Memorialstiftungen zu. Diese sehr beliebten sogenannten „Liederstiftungen" traten an die Stelle der altkirchlichen Jahrgedächtnisse. So stiftete Anna Justine Meyer, geborene Schwendendörfer, Witwe des Pfarrers an St. Thomas Johann 4 5 6 7 8 9
Ebd., S. 103, 108. Ebd., S. 128 f. Kofent ist ein Dünnbier. Vgl. dazu Barbara Schwendendörfer (1643) oder Maria Dorothea Jünger (1650), in: ebd., S. 143, 147. Haiin Tykorinski: Die Fürsorge der Leipziger Bürgerschaft für die Thomasschule, in: Wissenschaftliche Beilage der Leipziger Zeitung 67 (1904), S. 265. Richard Sachse: Thomasschule zu Leipzig (wie Anm. 2), S. 135. Heinrich Geffcken/Haiin Tykorinski: Stiftungsbuch der Stadt Leipzig (wie Anm. 3), S. XVIII.
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Ulrich Meyer, 100 Gulden zu Ehren ihres ersten Ehemannes Hieronymus Kronmeyer. Die Zinsen sollten jährlich am 3. Juni zwischen dem Kantor und den Schülern der Thomasschule verteilt werden, wofür die Thomaner nach der Predigt zu Ehren Kronmeyers das Sterbelied „Herr Jesu Christ, ich schrei' zu dir" zu singen hatten. 10 Neben dem Kantor wurden auch die Lehrer der Thomasschule durch Stiftungen bedacht. Im Vordergrund stand dabei die Aufbesserung der geringen Lehrerbesoldung. Dieser Stiftungsgrund war seit 1820 durch die städtische Neuregelung und die beträchtliche Anhebung der Lehrergehälter nicht mehr attraktiv, da der Rat alle Legate in die Stadtkasse einfließen ließ.11 Einige Stiftungen griffen aber auch in die Lehrverfassung der Schule ein. Als Reaktion auf die wachsenden Schülerzahlen an der Thomasschule bestimmte der Ratsherr Ulrich Meyer testamentarisch die Zinsen von 200 Gulden Stiftungskapital „zur Besoldung eines weiteren Kollaboratoren auf der Thomasschule".12 Im Anschluss an die vom Rektor Johann August Ernesti 1772/73 vorangetriebenen Reform des höheren Schulwesens 13 stiftete der Bürgermeister und Vorsteher der Thomasschule, Heinrich Friedrich Innocentius Apel, 2.400 Taler „zur Besoldung des Lehrers der Mathematik."14 Er griff damit aktiv in die Debatte um die Rolle des mathematisch-naturwissenschaftlichen Unterrichts am neuhumanistischen Gymnasium ein. Während sich die vom 16. bis 18. Jahrhundert für die Thomasschule eingerichteten Stiftungen weitgehend auf die Einrichtung der Schule, die Versorgung bedürftiger Schüler, der Alumnen und der Lehrer sowie die Memoria der Stifter konzentrierten, kamen im Laufe des gesamten 19. Jahrhunderts mehrere Stiftungen hinzu, die vor allem auf die Begabtenförderung ausgerichtet waren. So richtete der Leipziger Kaufmann Justus Heinrich Hansen 1807 testamentarisch unter anderem eine Stiftung an der Thomasschule in Höhe von 300 Talern ein. Aus den Erträgen sollten „die beiden Schüler der 1. und 2. Klasse [...], die die vorzüglichsten Arbeiten in lateinischer oder griechischer Sprache über einen vom Rektor bestimmten theologischen oder moralischen Gegenstand liefern," ausgezeichnet werden. 15 Der Appellationsgerichts-Vizepräsident, Karl Heinrich Haase, begründete 1867/68 eine Stiftung mit einem Grundkapital von 600 Talern, dessen Zinsen zu Ostern je zwei Schüler der dritten, zweiten und ersten Klasse erhalten sollten, „die sich durch sittliches Betragen und Fleiß auszeichnen".16 1893 begründete die Pflegetochter des früheren Rektors 10 Ebd., S. 169 f. 11 Otto Kaemmel: Geschichte des Leipziger Schulwesens vom A n f a n g e des 13. bis gegen die Mitte des 19. Jahrhunderts (1214-1846), Leipzig/Berlin 1909, S. 552. 12 Heinrich Geffcken/Haiin Tykorinski: Stiftungsbuch der Stadt Leipzig (wie Anm. 3), S. 91. 13 Otto Kaemmel: Geschichte des Leipziger Schulwesens (wie Anm. 11), S. 422-430. Ernst Schwabe: Beiträge zur Geschichte des sächsischen Gelehrtenschulwesens von 1760-1820. Beigegeben: Die Pförtner Schulordnung von 1808 (Veröffentlichungen zur Geschichte des gelehrten Schulwesens im albertinischen Sachsen, Bd. 4), Leipzig 1909. 14 Heinrich Geffcken/Haiin Tykorinski: Stiftungsbuch der Stadt Leipzig (wie Anm. 3), S. 324 f. 15 Ebd., S. 330. 16 „2 Schüler der 3. Klasse j e 3 / 2 4 , 2 Schüler der 2. Klasse je 4 / 2 4 . 2 Schüler der 1. Klasse j e 5 / 2 4 ". ebd., S. 505.
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der Thomasschule Gottfried Stallbaum das „Stallbaumsche Stipendium" mit einem Grundkapital von 1.000 Mark, das „alljährlich zu Ostern einem würdigen Abiturienten der Thomasschule durch das Lehrerkollegium zu verleihen" war. 17 Bis zum Jahre 1902 waren zugunsten der Thomasschule insgesamt 285 Stiftungen, darunter 180 für Schüler und 38 für Lehrer mit einem Gesamtkapital von über 490.000 Mark eingerichtet worden. Dabei waren etwa 345.000 Mark für Schüler und Absolventen der Thomasschule, 52.000 Mark für Lehrer und circa 93.000 Mark für die Schule selbst bestimmt. Betrachtet man sowohl die Zahlen als auch die Grundkapitalien, dann vermittelt das Stiftungswesen an der Thomasschule ein untypisches Bild. So wurden in den letzten Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts elf Stiftungen mit einem Gesamtgrundkapital von rund 12.000 Mark, im 17. Jahrhundert 54 Stiftungen mit einem Gesamtgrundkapital von mehr als 183.000 Mark, im 18. Jahrhundert 21 Stiftungen mit einem Gesamtgrundkapital von über 155.000 Mark und im 19. Jahrhundert 31 Stiftungen mit einem Gesamtgrundkapital von circa 130.000 Mark errichtet.18 Für die Thomasschule erwies sich das 17. Jahrhundert und nicht das 19. Jahrhundert als das bedeutendste Stiftungssäkulum. Die Ursachen dafür sind einerseits im wirtschaftlichen Aufschwung Leipzigs nach dem Dreißigjährigen Krieg und andererseits in der Konkurrenz mit den anderen Institutionen des höheren Schulwesens um Stiftungen und Stifter zu suchen, die seit dem Ende des 18. Jahrhunderts in Leipzig errichtet wurden. So entstanden 1764 die Kunstakademie, 1824 die Teichmannsche Schule, 1831 die Handelsschule, 1834 das Realgymnasium, 1838 die Baugewerbeschule, 1843 das Konservatorium, 1871, 1877 und 1887 drei Realschulen, 1871 die Höhere Mädchenschule, 1875 die Höhere Fach- und Gewerbeschule für Mädchen, 1880 das Königliche Gymnasium (König Albert-Gymnasium) und 1899 das Lehrerseminar. An all diesen höheren Schulen richteten Leipziger Bürgerinnen und Bürger Stiftungen ein, aus deren Erträgen vor allem Freistellen und Prämien für „würdige und begabte" Schülerinnen und Schüler finanziert wurden. Insgesamt wurde bis 1902 an diesen Schulen ein Kapital von über 205.000 Mark gestiftet. Dabei entfielen allein auf die Kunstakademie 55.000 Mark und auf das Königliche Gymnasium 5.000 Mark.19 Die 1512 eröffnete Nikolaischule zu Leipzig verkörperte von Anfang an die höhere Schule des Leipziger Bürgertums. Nach langwierigen Verhandlungen mit dem Augustiner-Chorherrenstift zu St. Thomae erhielt der Leipziger Rat 1395 die päpstliche Erlaubnis, neben der bestehenden Thomasschule eine zweite Gelehrtenschule 17 Ebd., S. 652. 18 Haiin Tykorinski: Die Fürsorge der Leipziger Bürgerschaft für die Thomasschule (wie Anm. 7), S. 267. Die von Tykorinski im Stiftungsbuch der Stadt Leipzig genannten Zahlen weichen von diesen etwas ab. Heinrich Geffcken/Haiin Tykorinski: Stiftungsbuch der Stadt Leipzig (wie Anm. 3), S. XIX. 19 Ebd., S. XX; Richard Richter: Das Königliche Gymnasium zu Leipzig, in: Veröffentlichungen zur Geschichte des gelehrten Schulwesens im Albertinischen Sachsen, hrsg. im Auftrag des sächsischen Gymnasiallehrervereins, Teil 1: Übersicht über die geschichtliche Entwicklung der Gymnasien, Leipzig 1900, S. 182.
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einzurichten, die unter städtischem Patronat stehen sollte. Der Stadtrat machte von diesem Recht anfänglich aber keinen Gebrauch und nach der Eröffnung der Universität Leipzig im Jahre 1 4 0 9 w a r eine weitere Gelehrtenschule in Leipzig zunächst auch nicht notwendig. Erst 1 4 9 8 fasste der Stadtrat den Beschluss, eine Schule für „Bürgerkinder" bei St. Niclas zu bauen. 2 0 Im Gegensatz zur Thomasschule, an der zumeist arme Zöglinge lernten, orientierten sich die vermögenden Leipziger Familien in Richtung der Nikolaischule und ließen dort ihre Kinder ausbilden. Daher waren nur für wenige Schüler Unterstützungen notwendig, während die Bezahlung der Lehrer offenbar zu wünschen übrig ließ. Dementsprechend wandten sich die Leipziger Bildungsmäzene v o r allem diesem Stiftungszweck zu. Sieben der elf bis Ende des 18. Jahrhunderts zugunsten der Nikolaischule eingerichteten Stiftungen galten der Unterstützung von Praeceptoren und Kollaboratoren. Dagegen waren nur zwei Stiftungen den Nikolaischülem gewidmet. 1618 stellte Agathe Berger, Witwe des Kaufmanns Wolfgang Berger, unter anderem ein Stiftungskapital von 1.000 Gulden zur Zahlung des Schulgeldes für zwölf arme Thomas- oder Nikolaischüler bereit. Aus den Erträgen der 1627 gegründeten Stiftung des Juristen Samuel Klinge und seiner Frau Maria sollte einmal jährlich Tuch gekauft und unter armen Leipziger Bürgerkindern verteilt werden, „die entweder die Thomas- oder die Nikolaischule besuchen". 2 1 Diese geringe mäzenatische Bereitschaft der Leipziger Bürger versuchte der Stadtrat auszugleichen. Er richtete daher 1731 eine Stiftung mit einem Grundkapital von 4 . 0 0 0 Talern ein, aus dessen Erträgen „ 16 Schüler der Nikolaischule, 4 aus jeder der 4 obersten Klassen" Stipendien erhalten sollten. 2 2 Erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entstanden Stiftungen, die sich ausschließlich a u f die Nikolaischule bezogen. Zwölf der 15 in dieser Zeit eingerichteten Stiftungen galten dabei der Begabtenförderung. So übertrug der Rechtsanwalt Karl Wilhelm Riedel 1 8 5 8 der Nikolaischule ein Stiftungskapital v o n 5 0 0 Talern, dessen Zinsen .jährlich an vier gute und fleißige Schüler zu verteilen" waren. 2 3 Der ehemalige Schüler der Nikolaischule und Doktor der Theologie, Wilhelm Bruno Lindner, stiftete 1872 seiner Schule 100 Taler. Die Zinsen waren jährlich an einen „Nikolaischüler auszuzahlen, der in Fleiß und Sitten die erste Zensur hat. Von Prima anfangend sollten die Schüler der Prima, Sekunda und Tertia abwechselnd die Prämie genießen." 2 4 1 9 0 3 richtete der Referendar Leo Hartleben v o n Sarkhäza zum Andenken an seinen verstorbenen Vater eine Stiftung über 1.000 Mark ein. Die Zinsen waren „alljährlich zu Weihnachten einem von christlichen Eltern abstammenden Schüler
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Otto K a e m m e l : Nikolaischule zu Leipzig, in: Das Königliche G y m n a s i u m zu Leipzig, in: Veröffentlichungen zur Geschichte des gelehrten Schulwesens im Albertinischen Sachsen, hrsg. im A u f t r a g des sächsischen Gymnasiallehrervereins, Teil 1: Übersicht über die geschichtliche Entwicklung der Gymnasien, Leipzig 1 9 0 0 , S. 153. Heinrich Geffcken/Haiin Tykorinski: Stiftungsbuch der Stadt Leipzig (wie A n m . 3), S. 1 2 0 , 134. Ebd., S. 2 4 2 . Ebd., S. 4 6 6 . Ebd., S. 5 3 5 f.
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der drei Oberklassen der Nikolaischule für gute Leistungen in Mathematik als Prämie zu gewähren." 25 In den Jahren zwischen 1850 und 1905 wurden an der Nikolaischule annähernd so viele Stiftungen eingerichtet wie an der Thomasschule. Im Ganzen lag am Ende des 19. Jahrhunderts das Stiftungskapital für die Nikolaitaner mit reichlich 80.000 Mark aber weit hinter dem der Thomasschule. Davon kamen die Erträge von etwa 44.000 Mark den Schülern, 25.000 Mark den Lehrern und annähernd 11.000 Mark den Absolventen der Nikolaischule zugute. 26
II.
Die Stiftungen an den sächsischen Fürsten- und Landesschulen Grimma und Meißen
Mit der Einrichtung der sächsischen Fürsten- und Landesschulen 1543 im Augustiner-Chorherrenkloster St. Afra zu Meißen und im Zisterzienserkloster St. Marien zur Pforte sowie 1550 im Augustiner-Eremiten-Kloster St. Augustin zu Grimma war keine Fortführung klösterlicher Stiftungen und Altarlehen an den neuen Schulen verbunden. Im Gegensatz zur Thomasschule war an den Fürstenschulen die mäzenatische Tradition zur Zeit der Kloster abgebrochen. Die in der Reformationszeit säkularisierten Klostergüter und die vorwiegend adeligen Altarlehen kamen diesen Schulen nun in anderer Form zugute. So wurden die durch den Landesherm eingezogenen Klostergüter in Stiftungen überführt und in dieser Form den Fürstenschulen übertragen. Aus deren Erträgen konnte der Unterhalt der Schulen, der Lehrer und der Schüler bestritten werden. Adelige Familien, die an den ehemaligen Klöstern Altarlehen im Wert von über 30 Gulden unterhielten, erhielten diese in Form von Kollaturrechten für die Besetzung von Freistellen entschädigt. 27 Die sächsischen Fürsten- und Landesschulen waren daher von Anfang an Stiftungsschulen in der Trägerschaft des Landesherrn. Anders als an Leipziger Gymnasien wurden bis ins erste Drittel des 19. Jahrhunderts die Stiftungen an den Fürstenschulen vorwiegend durch den Landesherm selbst und durch adelige Familien - meist zugunsten ihrer eigenen Nachkommen - gegründet. Das über die Fürstenschulstiftungen hinausgehende bildungsmäzenatische Engagement des Landesfürsten bezog sich dabei vor allem auf die Unterstützung der Fürstenschulabsolventen. Die „Neue Landesordnung" von 1543 verfügte daher die Einrichtung sowohl der drei Fürstenschulen als auch von Stipendien an der Universität
25 Ebd., S. 697. 26 Ebd., S. XX. 27 Theodor Flathe: Sanct Afra. Geschichte der königlich sächsischen Fürstenschule zu Meißen seit ihrer Gründung im Jahre 1543 bis zu ihrem Neubau in den Jahren 1877-1879, Leipzig 1879, S. 89-91.
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Leipzig. 28 Daneben existierten aber noch Stiftungen bürgerlicher Mäzene. Von den 13 bis Ende des 18. Jahrhunderts an den Fürstenschulen gegründeten Stiftungen gingen sechs auf bürgerliche Stifter zurück. Die Stiftungsziele dieser frühen Stiftungen unterschieden sich kaum von den bürgerlichen Stiftungen des 19. Jahrhunderts. So errichtete der Rektor von St. Afra, Andreas Lindemuth, nach dem Tod seines Sohnes 1663 eine Stiftung. Das Stipendium in Höhe von 25 Gulden sollte jährlich ein Schüler erhalten, „der in der meißner Landesschule mit gottesfürchtigem, sittsamen, stillen Leben, unausgesetztem Fleiß in seinem Studieren, auch beharrlichem Gehorsam gegen seine Präseptores von andern vorgeleuchtet und mit einem seinen ingenio begabt" sei. 29 Seit dem zweiten Drittel des 19. Jahrhunderts dominierte dann das Bürgertum das Stiftungswesen auch an den sächsischen Fürsten- und Landesschulen. Damit spiegelte sich hier ein bereits aus der Entwicklung des künstlerisch/kulturellen Mäzenatentums bekanntes Phänomen wider. Entsprechend stellte Dieter Hein heraus: „Im langen 19. Jahrhundert wird der Mäzen immer bürgerlicher und am Ende des Jahrhunderts das Mäzenatentum vom Bürgertum beherrscht." 30 Gleichzeitig kam es seit Anfang des 19. Jahrhunderts an den Fürsten- und Landesschulen zu einem enormen Anstieg an Stiftungen. Mehr als 85 Prozent aller vor dem Ersten Weltkrieg an diesen Schulen existierenden Stiftungen waren nach 1800 begründet worden. Dafür war nicht nur der durch die rasante Industrialisierung und den Handel bedingte wachsende Wohlstand in der deutschen Gesellschaft verantwortlich, der ein breiteres mäzenatisches Handeln überhaupt erst ermöglichte. Für die Fürstenschulen ist die Ursache vor allem im breiten sozialen Aufstieg ihrer Absolventen zu finden. Die Stiftungsziele dieser bürgerlichen Mäzene blieben vor und nach 1800 weitgehend die gleichen. Dennoch kam es zu einer qualitativen Verschiebung. Während annähernd die Hälfte der bis 1870 gegründeten Stiftungen sozialen Zwecken diente und für die Versorgung von armen Schülern und Lehrerwitwen gegründet worden war, galten die bürgerlichen Stiftungen in der Zeit des Kaiserreichs vorwiegend der Begabtenförderung. Natürlich waren auch hier finanzielle Leistungskraft und Ertragsvolumina sehr unterschiedlich. Sie reichten von den 100 Talern der Neumannschen Stiftung bis zu den 15.000 Talern der Göschen-Stiftung. Georg Friedrich Neumann, ehemaliger Schüler der Grimmaer Fürstenschule und späterer Pfarrer in Grimma, stiftete 1857 das „Neumannsche Stipendium" mit einem Grundkapital von 100 Talem. Aus den Zinsen sollte zum Schulfest ein „besonders fleißiger und 28 Vgl. Kurfürstlich Moritzsche Stipendien, in: Jonas Flöter: Prestige und Kalkül. Das Stiftungswesen an den sächsischen Fürsten- und Landesschulen im 19. Jahrhundert, in: Jonas Flöter/Christian Ritzi: Bildungsmäzenatentum. Privates Handeln - Bürgersinn - kulturelle Kompetenz seit der Frühen Neuzeit (Beiträge zur Historischen Bildungsforschung, Bd. 33), Köln/Weimar/Wien 2007, S. 296. 29 Theodor Flathe: Sanct Afra (wie Anm. 27), S. 414 f.; Jonas Flöter: Prestige und Kalkül (wie Anm. 28), S. 278. 30 Dieter Hein: Das Stiftungswesen als Instrument bürgerlichen Handelns im 19. Jahrhundert, in: Bernhard Kirchgässer/Hans-Peter Becht (Hrsg.): Stadt und Mäzenatentum (Stadt in der Geschichte, Bd. 23), Sigmaringen 1997, S. 79 f.
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sittlich guter Alumnus" mit einer Buch- oder Geldprämie ausgezeichnet werden. 31 Der Oberhofprediger Dr. Franz Volkmar Reinhard, der als Mitglied des Oberkonsistoriums die Leitung des sächsischen Schulwesens innehatte, stiftete 1811 der Fürstenschule St. Afra 200 Taler. Die Zinserträge sollten jeweils nach dem halbjährlichen Examen „zur Belohnung fruchtbaren Fleißes im Selbststudium" verliehen werden. 32 Gezielt der Begabtenförderung galt die „Stiftung eines alten Grimmensers". Der Rittergutsbesitzer Theodor Baumann auf Commichau überreichte 1865 der Grimmaer Fürstenschule 200 Taler. Die Zinsen des Kapitals sollten vom Lehrerkollegium einem Alumnus der oberen Klassen zuerkannt werden, welcher sich „durch vorzügliche Leistungen und hervorragende Fortschritte in einem oder mehreren Hauptfächern vor seinen Mitschülern auszeichnet". Dabei musste der Empfänger in Fleiß und sittlichem Verhalten mindestens die Zensur „gut" erhalten haben. Die Vergabe sollte von den Vermögensverhältnissen der Eltern unabhängig sein. Zur entsprechenden Ehrung von Stifter und Stiftungsempfänger sollte die Prämie auf dem Schulfest öffentlich überreicht werden. 33 Die bedeutendste Auszeichnung an den Fürstenschulen Grimma und Meißen war das sogenannte „Göschen-Stipendium", das jährlich vergeben werden konnte. Das Stipendium hatte 1860 bzw. 1865 Wilhelm Heinrich Göschen, der Sohn des Grimmaer Verlagsbuchhändlers Georg Joachim Göschen, gestiftet. Das ursprüngliche Stiftungskapital ermöglichte es, jedes Jahr einem Abiturienten ein dreijähriges Universitätsstipendium in Höhe von jährlich 200 Mark zu gewähren. Durch die Kapitalisierung von Zinserträgen und der damit verbundenen Vermehrung des Stiftungskapitals war es seit 1907 dann möglich, ein zweites Stipendium für drei Jahre in Höhe von jährlich 100 Mark zu verleihen. Bewerben konnten sich nur jene Oberprimaner, die Aussicht darauf hatten, die Reifeprüfung mit der ersten Zensur 34 in den wissenschaftlichen Fächern und im sittlichen Verhalten abzuschließen. Die Kandidaten hatten darüber hinaus eine wissenschaftliche Preisarbeit zu schreiben, die ebenfalls mit der ersten Zensur bewertet werden musste. Die Arbeit war innerhalb von sechs Wochen zu einem vom Rektor gestellten Thema und parallel zu den Abiturprüfungsvorbereitungen anzufertigen. Zwischen mehreren Bewerbern, welche die Bedingungen erfüllten, entschied die qualitativ beste Bewerbungsarbeit. Die Vermögensverhältnisse der Kandidaten sollten dabei außer Acht gelassen werden. Erhielt kein Abiturient in der Reifeprüfung und für die Bewerbungsarbeit die erste Zensur, wurden die Stipendien nicht vergeben. Die Bewerbungsarbeiten wurden von mehreren Lehrern begutachtet und durch den Rektor zensiert. Das abschließende Bewilligungsrecht behielt sich aber das sächsische Kultusministerium vor. Das Göschen-Stipendium galt also nicht der Förderung der an den Fürstenschulen lernenden Schüler, sondern dem
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Karl Julius Rößler: Geschichte der Fürsten- und Landesschule Grimma. Mit zwei Grundplänen. Leipzig 1891, S. 314 f.; Jonas Flöter: Prestige und Kalkül (wie Anm. 28), S. 264. 32 Vgl. Theodor Flathe: Sanct Afra (wie Anm. 27), S. 416; Jonas Flöter: Prestige und Kalkül (wie Anm. 28), S. 279. 33 Karl Julius Rößler: Geschichte der Fürsten- und Landesschule Grimma (wie Anm. 31), S. 315 f.; Jonas Flöter: Prestige und Kalkül (wie Anm. 28), S. 266. 34 Unter der Bezeichnung „erste Zensur" wurden zusammenfassend die Noten I und Ib verstanden.
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Übergang der leistungsstärksten Fürstenschüler an die Universität. Gerade in diesem Bereich dominierten die Stiftungen an der Landesschule Pforta. 14 der 24 Stiftungen der Landesschule galten der Studienförderung Pfortenser Absolventen. 35 Auch die Motive der bürgerlichen Stifter unterschieden sich an den Leipziger Gymnasien und den Fürstenschulen kaum voneinander. In beiden Fällen war das mäzenatische Handeln von dem Gedanken geleitet, dass sich der Stifter der betreffenden Einrichtung gegenüber zur Unterstützung verpflichtet fühlte. Darüber hinaus versuchte er aber auch, Einfluss auf die Ausgestaltung des Lehrplanes zu nehmen. Der Stifter Wilhelm Heinrich Göschen war der Sohn des Grimmaer Verlagsbuchhändlers und Klassikerverlegers Georg Joachim Göschen. Wilhelm Heinrich Göschen ging 1814 nach London und gründete dort mit einem Bremer Freund das Bankhaus „Frühling and Goschen". Er selbst war kein Fürstenschülergewesen, ließ aber seine beiden Söhne, Charles und Heniy, in St. Afra ausbilden. In Anerkennung der seinen Söhnen zuteil gewordenen Ausbildung und aus Verbundenheit mit seiner Vaterstadt stiftete er sowohl für St. Afra als auch für die Stadt Grimma die enorme Summe von jeweils 1.500 Englischen Pfund. Göschen engagierte sich mäzenatisch aus dem unbestimmten Gefühl heraus, aufgrund seiner gesellschaftlichen Stellung und seines erworbenen Reichtums seiner Vaterstadt und der Ausbildungsstätte seiner Söhne etwas zurückgeben zu müssen.36 Natürlich wollte auch Göschen durch sein mäzenatisches Handeln Einfluss auf die Entwicklung und die Ausstrahlung der Fürstenschulen nehmen. Die Wirkung seiner Stiftung war aber eine doppeldeutige. Einerseits legte er fest, dass die Preisarbeiten in deutscher Sprache zu verfassen seien, damit „auf den Fürstenschulen die deutsche Sprache nicht so sehr hinter die lateinische und griechische Grammatik zurücktreten sollte".37 Andererseits unterstützten Göschen und alle anderen Stifter durch ihre Stiftungen die Fürstenschulen im Kampf zwischen humanistischer und realistischer Bildung, die seit dem zweiten Drittel des 19. Jahrhunderts immer größere Bedeutung gewann. 38 Weiterhin tritt als wesentliches mäzenatisches Motiv die enge Verbundenheit der Schulabsolventen und ihrer Eltern mit den Fürstenschulen und Leipziger Gymnasien hervor, sowie die Dankbarkeit, die sie diesen gegenüber empfanden. So stiftete Laura Schilde, Witwe des Pfarrers Karl August Ferdinand Schilde, der Nikolaischule 1.000 Taler, da ihr verstorbener Mann deren Zögling gewesen war und dort „mehrfache Wohltaten genossen hat." 39 Die Rudolf-Teubner-Stiftung liefert ein besonders erschütterndes Beispiel dieser Verbundenheit. Rudolf Teubner besuchte von 1907 35 Jonas Flöter: Prestige und Kalkül (wie Anm. 28), S. 296-308. 36 Vgl. dazu Jürgen Kocka/Manuel Frey: Einleitung und einige Ergebnisse, in: dies. (Hrsg.): Bürgerkultur und Mäzenatentum im 19. Jahrhundert (Bürgerlichkeit, Wertewandel, Mäzenatentum, Bd. 2), Berlin 1998, S. 12. 37 Göschenstiftung, in: Jonas Flöter: Prestige und Kalkül (wie Anm. 28), S. 265 f., 284. 38 Christian Achmed Scholtze: Humanismus und Realismus im höheren Schulwesen Sachsens während der Jahre 1831-1851, in: Programm der städtischen Realschule zu Plauen i.V., Plauen 1894, S. 138. 39 Heinrich Geffcken/Haiin Tykorinski: Stiftungsbuch der Stadt Leipzig (wie Anm. 3), S. 531.
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bis 1913 die Grimmaer Fürstenschule. 1914 meldete er sich als Kriegsfreiwilliger. In einem Brief vom Sommer 1915 schrieb er an seinen Vater: „Meiner lieben Schule in Grimma verdanke ich so viel an innerer Bildung, daß ich immer die Absicht gehabt habe, ihr später auch äußerlich diese Dankbarkeit zum Ausdruck zu bringen. Damit dieser Wunsch erfüllt werden kann, wenn ich jetzt falle, so bitte ich Dich, lieber Vater, im Fall meines Todes das von meiner seligen Mutter hinterlassene kleine Erbe der Schule zur Austeilung von Prämien zu stiften." Rudolf Teubner fiel am 12. November 1915 in Flandern. 40
III. Assoziative Stiftungen an Leipziger Gymnasien und Fürstenschulen Seit den zwanziger Jahren des 19. Jahrhunderts trat neben diesen Einzelstiftungen eine mäzenatische Sonderform auf: das assoziative oder kollektive Mäzenatentum. Auch diese Entwicklung fand an den Leipziger Gymnasien und den Fürstenschulen parallel statt und stand in Bezug zum künstlerisch/kulturellen Mäzenatentum. Assoziative Stiftungen wurden fast zur gleichen Zeit an der Meißener Fürstenschule und an der Thomasschule gegründet. Die Afranerstiftung und das Alte Thomanerstipendium gehörten zu den ersten assoziativen Stiftungen an höheren Schulen in Sachsen. Die Afranerstiftung war 1821 bei einem Treffen von 120 Altafranem in Dresden ins Leben gerufen worden und besaß ein Grundkapital von 400 Talern. Aus den jährlichen Zinserträgen konnten maximal drei würdige und ausgezeichnete Alumnen prämiert werden. Das Vorschlagsrecht war 14 Schülern der obersten Klasse übertragen worden. 41 Aus den überschüssigen Beitragsgeldern, die der „Verein ehemaliger Thomaner" in Vorbereitung auf die Sechshundertjahrfeier der Thomasschule 1822 gesammelt hatte, entstand das „Alte Thomanerstipendium". Die Zinsen des Stiftungskapitals in Höhe von 200 Talern sollten „an einen von der Thomasschule zur Universität abgehenden Alumnen oder Externen ausgezahlt werden, der der Unterstützung bedürftig ist und sich sowohl in wissenschaftlicher als auch in moralischer Hinsicht auszeichnet."42 Die Einweihung der neuen Schulgebäude war für die ehemaligen Schüler der Fürstensch'ile St Augnstin zu Grimma und für die ehemaligen Nikolaischüler jeweils Anlass zur Begründung assoziativer Stiftungen: 1829 das „Stipendium alumnorum quandam Grimensium" (250 Taler) und 1872 die Nikolaitanerstiftung (1.800 Taler).43 Die Initiative für assoziative Stiftungen ging ebenso wie an den Schulen vorwiegend von Vereinen aus. In diesem Sinne wurde vor allem der 1875 gegründete „Verein ehemaliger Fürstenschüler" aktiv. Bereits bei der Vereinsgründung war beschlossen 40 Rudolf-Teubner-Stiftung, in: Jonas Flöter: Prestige und Kalkül (wie Anm. 28), S. 274 f. 41 Theodor Flathe: Sanct Afra (wie Anm. 27), S. 358 f., 416 f.; Jonas Flöter: Prestige und Kalkül (wie Anm. 28), S. 279. 42 Heinrich Geffcken/Haiin Tykorinski: Stiftungsbuch der Stadt Leipzig (wie Anm. 3), S. 365. 43 Ebd., S. 533; Jonas Flöter: Prestige und Kalkül (wie Anm. 28), S. 263.
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Jonas Flöter
worden, eine Stiftung zu errichten, aus der ein an die Universität abgehender Fürstenschulabsolvent ein Stipendium erhalten sollte. Zweck des Stipendiums war es, „die Anhänglichkeit ehemaliger Fürstenschüler an die Fürstenschulen zu pflegen und zu bethätigen". Aufgrund enormer Zustiftungen durch ehemalige Fürstenschüler war es ab 1890 dann möglich, jährlich je einen Absolventen der drei Fürstenschulen zu fordern. 44 Obwohl die assoziativen Stiftungen im Laufe des 19. Jahrhunderts immer größere Bedeutung gewannen, blieben sowohl an den Leipziger Gymnasien als auch an den Fürstenschulen die Einzelstiftungen die dominierende Form mäzenatischen Handelns.
IV. Resümee Das Stiftungswesen an den Leipziger Gymnasien und den sächsischen Fürsten- und Landesschulen wurde sowohl von bildungspolitischen und pädagogischen als auch von gesellschaftlichen, die Entwicklung des Mäzenatentums allgemein beeinflussenden Faktoren geprägt. Dabei korrespondierte das Bildungsmäzenatentum für die Leipziger Gymnasien weitgehend mit der allgemeinen Entwicklung des bürgerlichen Mäzenatentums. Dieses war im Diskurs der Aufklärung um 1800 entstanden und erreichte seinen Höhepunkt im späten 19. Jahrhundert. Das bürgerliche Mäzenatentum des 19. Jahrhunderts basierte einerseits auf einer frühneuzeitlichen stadtbürgerlichen Tradition und war andererseits der emanzipatorische Ausdruck einer aktiven Teilnahme des einzelnen Bürgers am Gemeinwohl. Mit seinem bildungsmäzenatischen Handeln erhob das Bürgertum gleichzeitig Anspruch auf bildungspolitische Deutungsmacht. Das bürgerliche Bildungsmäzenatentum diente dabei sowohl der Festigung der eigenen sozialen Position als auch der sozialen Abgrenzung nach unten. Diese Tendenzen zeigten sich am Ende des 19. Jahrhunderts zwar auch an den sächsischen Fürsten- und Landesschulen. Allerdings überlagerten sich hier die Entwicklungsstränge, die aus dem Selbstverständnis als fürstliche Landesschulen einerseits und bürgerlichem Mäzenatentum andererseits erwuchsen. Entsprechend dominierten an den Fürstenschulen bis Ende des 18. Jahrhunderts die adeligen Stiftungen. Die bildungspolitische Entwicklung des 19. Jahrhunderts in Preußen und Sachsen zielte auf eine schrittweise Angleichung der Bildungsniveaus aller höheren Schulen ab. Obwohl die städtischen Gymnasien und die Fürstenschulen davon gleichermaßen betroffen waren, löste diese Entwicklung vor allem an den Fürstenschulen eine Identitätskrise aus. Bis Anfang des 19. Jahrhunderts ermöglichte der vorhandene Leistungsvorsprung der Fürstenschulen ihren Absolventen automatisch bessere Startbedingungen ins wissenschaftliche und berufliche Leben. Je mehr dieser Vorsprung durch die An44 Viatikum des Vereins ehemaliger Fürstenschüler in Dresden und Umgebung (Königsheim-Viatikum), in: Jonas Flöter: Prestige und Kalkül (wie Anm. 28), S. 269, 286 f., 304.
Mäzenatentum und Stiftungswesen an Leipziger Gymnasien
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gleichung des Leistungsniveaus an den städtischen Gymnasien schwand, desto notwendiger erschienen zusätzliche Förderungen für Fürstenschüler und Fürstenschulabsolventen. Die Entwicklung des bürgerlichen Stiftungswesens an den Fürstenschulen stand somit nicht nur im Kontext bürgerlichen mäzenatischen Handelns, sondern war auch eine Reaktion auf die sich verschärfende Krise dieser Schulen. Am Ende des 19. Jahrhunderts unterschieden sich Stiftungen an Leipziger Gymnasien und sächsischen Fürstenschulen qualitativ kaum voneinander, was sich insbesondere in den Stiftungsintentionen widerspiegelte. Die Gymnasien Leipzigs und die Fürstenschulen sollten gleichermaßen zeigen können, dass sie ihre leistungsstärksten Schüler über die Schulzeit hinaus auf den akademischen Bildungswegen sowie den wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Karrierewegen forderten. Den Fürstenschulen ging es darüber hinaus auch um die Vermittlung ihrer Absolventen in wissenschaftliche und gesellschaftliche Elitepositionen. Welche Bedeutung die Fürstenschulen Grimma und Meißen beispielsweise der Göschen-Stiftung und dem Göschen-Preis beimaßen, wird allein daran sichtbar, dass diese Schulen die prachtvoll gebundenen Preisarbeiten der Jahre 1901 bis 1909 zur Weltausstellung 1910 in Brüssel präsentierten. 45 Quantitativ war das Stiftungswesen an diesen Schulen nur bedingt miteinander vergleichbar. Dabei entsprach die Gesamtsumme der privaten - nicht vom Landesherrn - gestifteten Kapitalien an den einzelnen Fürstenschulen eher jenen städtischer Gymnasien, die auf eine ausreichende finanzielle Ausstattung zurückgreifen konnten. Dementsprechend erschienen bis Mitte des 19. Jahrhunderts an den Fürstenschulen und an der Nikolaischule Stiftungen zur Unterstützung von Schülern kaum notwenig zu sein. Während die bedürftigen Fürstenschulalumnen mit Freistellen ausgestattet waren, entstammten die meisten Nikolaischüler einem gut situierten Milieu. Die durchschnittliche Höhe der Grundkapitalien der im 19. Jahrhundert vor allem auf die Begabtenförderung gerichteten Stiftungen war bei allen annähernd gleich. Gerade darin wurde ein zielgerichtetes Bildungsmäzenatentum erkennbar, das in seiner Gesamtheit zumeist unterstützend auf die bildungspolitischen und pädagogischen Ziele der jeweiligen Schule einwirkte.
45 Abschiedsredc des Rektors der Fürsten- und Landesschulen St. Augustin zu Grimma, Walter Gilbert, 1917, Kreismuseum Grimma (Archiv), Landesschule, Nr. 108.
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Jüdische Stiftungsaktivitäten und Universitätsgründungen: Die Beispiele Frankfurt und Hamburg Von Ralf Roth
Einleitung Unabhängig von ihren Traditionen als Handelsstädte, in die der industrielle Fortschritt relativ spät Einzug hielt, gab es noch etwas, was die beiden wohlhabenden Kommunen Frankfurt und Hamburg miteinander verband. Beide Städte legten sich am Beginn des 20. Jahrhunderts eine Universität zu. Diese wegweisende Entscheidung wurde in beiden Städten vom städtischen Bürgertum initiiert und getragen. Sie lagen damit durchaus im Trend der Zeit oder genauer ausgedrückt, sie führten diesen Trend sogar an. Am Ende des 19. Jahrhunderts bzw. an der Wende zum 20. Jahrhundert entstanden zahlreiche Initiativen zur Gründung neuer Universitäten. Im Gegensatz zum Beginn des 19. Jahrhunderts wurde dabei in erster Linie nicht der Staat in die Pflicht genommen, sondern die Gründung und Unterhaltung der Universität wurde als eine Angelegenheit der Bürger, vor allem des städtischen Bürgertums, angesehen. Nicht zufällig gediehen diese Projekte in größeren Städten. Es waren dabei gerade die Handelsstädte, die über ausgeprägte Netzwerke aus Vereinen und komplexen Stiftungsstrukturen verfügten, in denen diese Visionen tatsächlich praktische Bedeutung erlangten. Ausgeprägte Vereins- und Stiftungsstrukturen, die unter anderem vielfältigen wissenschaftlichen Zwecken dienten, gab es in typischen Industriestädten wie etwa Dortmund oder Bochum nur selten, doch sie waren typisch für Städte, deren Bürgertum von wohlhabenden Kaufleuten und Bankiers bestimmt wurde. Nicht zufällig kamen deshalb als erstes in Städten wie Köln und Leipzig bzw. in Frankfurt am Main und Hamburg Pläne zur Gründung von neuen Universitäten oder Hochschulen auf. Gerade die beiden letztgenannten Städte bieten markante Beispiele für diesen Trend. Es ist zudem von besonderem Interesse, beide Fallbeispiele hinsichtlich der Rolle und des Beitrags jüdischer Stiftungen und jüdischen Stifter zu untersuchen. Jüdische Stiftungsaktivitäten traten in dieser Zeit deshalb hervor, weil das deutsch-jüdische Bürgertum am Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Früchte des Emanzipationsprozesses der Jahrzehnte zuvor erntete. In vielen Handelszentren hatte eine kleine, aber sehr erfolgreiche Gruppe jüdischer Kaufleute und Bankiers Eingang in die städtischen Eliten gefunden. Zumindest galt dies für die Städte, in denen eine größere jüdische Gemeinde die Unterdrückung und Minderprivilegierung der vorherigen Jahrhunderte überstanden hatte. Diese bemerkenswerten Aufsteiger investierten erhebliche Mittel in soziales und kulturelles Kapital und trugen in großem Maßstab
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Ralf Roth
zum Ausbau der Vereins- und Stiftungsnetzwerke bei. Sie engagierten sich auch in den Bereichen, die als Grundlage für die neuen Universitäten angesehen wurden. Das wirft einige Fragen auf: Welche Gründe hatte das außergewöhnliche Engagement von Juden in diesem Bereich? Bestanden konkrete Hoffnungen auf jüdische Professuren als Kompensation dafür, dass Juden, wie etwa in Preußen, von den staatlichen Hochschulen ausgeschlossen waren? Wie wirkte sich das Engagement der jüdischen Stiftungen auf den Charakter der neu gegründeten Universitäten aus? Mithilfe eines Vergleichs der Frankfurter Stiftungsuniversität und der Universitätsgründung in Hamburg wird dieser Beitrag hierzu einige Thesen präsentieren.
Frühe Universitätspläne und der Anteil jüdischer Bürger In beiden Städten kann das Projekt einer Universitätsgründung bis in das 18. Jahrhundert zurückverfolgt werden. Erste praktische Versuche wurden bereits kurz vor der Revolution von 1848 unternommen. In Frankfurt am Main waren die Pläne einer Universitätsgründung eng mit der Entstehung zahlreicher neuer Stiftungen verbunden, von denen viele einen Bildungsauftrag besaßen und in ihren programmatischen Erklärungen und Zwecksetzungen explizit auf wissenschaftliche Forschungen abzielten. Dadurch entstand eine solide Grundlage, die bestimmten Gruppen der Frankfurter Bürgergesellschaft geeignet schien, das staatliche Monopol in der Hochschulbildung infrage zu stellen. Es war ihr erklärtes Ziel, die unabhängigen kulturellen Institutionen der städtischen Gesellschaft mit einer Universität zu krönen. Die Idee einer Akademie oder Universität wurde erstmals in Zusammenhang mit der Gründung der Museumsgesellschaft im Jahre 1808 diskutiert. Sie tauchte dann wieder 1848 während der Revolution auf, als die Frankfurter Bürger eine so genannte Allgemeine Deutsche Freie Akademie forderten, die in den 1850er Jahren als Freies Deutsches Hochstift eine Renaissance erlebte. Das Freie Deutsche Hochstift konnte anlässlich der Hundertjahrfeier von Schillers Geburtstag im Jahre 1859 tatsächlich gegründet werden. 1 Doch die Pläne der Gründer reichten weiter. Eigentlich war an eine Freie Deutsche Hochschule für Höhere Gesamtbildung gedacht worden, die allen Schichten einen Zugang zu akademischem Wissen und nationaler Kultur ermöglichen sollte.2 In enger Verbindung mit diesem Vorhaben stand der Plan einer Volksakademie zur politischen Bildung. Bei diesem Projekt hätten die Bürger direkten Einfluss auf den Lehrplan und die Forschungsfelder nehmen können. Doch all diese Vorhaben und Pläne scheiterten. Sie scheiterten vor allem deshalb, weil weder größere Teile des Bürgertums noch die wohlhabenden Kaufleute und Bankiers von der Notwendigkeit
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Fritz Adler, Freies Deutsches Hochstift. Seine Geschichte erster Teil 1 8 5 9 - 1 8 8 5 . Frankfurt am Main 1959, 21. Vgl. Otto Volger, Gründungsschrift v o n 1859, in ebd. 34.
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einer derartigen Einrichtung überzeugt werden konnten. Da sich keine Geldgeber zur Übernahme der nicht unerheblichen Kosten fanden, verlief das Projekt im Sand. Auch in Hamburg wurden in den Jahren vor der 1848er Revolution ernsthafte Pläne für eine Universität in Erwägung gezogen. Das Senatsmitglied Karl Sieveking erörterte im Jahre 1828 mit den liberalen Historikern Friedrich Christoph Dahlmann und Barthold Georg Niebuhr die Erfolgsaussichten eines derartigen Unterfangens. Eine zweite Initiative unternahm Friedrich Wurm, damals Professor für Geschichte am städtischen Gymnasium. Schließlich schlössen sich Sieveking und Wurm zusammen, gründeten im Jahre 1845 ein so genanntes „Comité" und veröffentlichten einen Bericht über die „Vorberathung über eine in Hamburg zu gründende Universität".3 Der Vorstoß endete wie in Frankfurt am Main in einer leidigen Diskussion über die Finanzierung. Doch für das Scheitern gab es in Hamburg darüber hinaus noch andere Gründe: In Hamburg traten auch dezidierte Gegner des Projekts in Erscheinung, die kritisch nach einem überzeugenderen Konzept verlangten und offen zugaben, das unruhige Element der Universitätslehrer und Studenten zu fürchten. Ähnlich wie in Frankfurt erlebten diese Pläne rund zwanzig Jahre später noch einmal eine Renaissance, als sich der preußische Historiker Heinrich von Treitschke für eine Verlegung der Universität Kiel nach Hamburg aussprach.4 Sowohl in Frankfurt als auch in Hamburg beteiligten sich zahlreiche Juden an diesen ersten etwas ernsthafteren Vorstößen für eine Universitätsgründung. Insbesondere den Aufruf des Hamburger „Comités" unterzeichneten eine ganze Reihe wohlhabender Juden, so zum Beispiel Gabriel Riesser, Johann Gustav Wilhelm Moritz Heckscher, Friedrich Wilhelm Oppenheim und Moritz Samuel Heilbutt. Einige von ihnen sollten in der Folgezeit ganz erstaunliche berufliche und politische Karrieren machen. Riesser war der Sohn eines Sekretärs am Jüdischen Gericht in Altona, der Rechtswissenschaften studierte und anschließend ein Notariat in Hamburg übernahm. Während der Revolution von 1848 wurde er in die Deutsche Nationalversammlung gewählt. Er wurde schließlich Vizepräsident des ersten deutschen Parlaments.5 Heckscher, der Sohn eines jüdischen Kaufmanns, stieg sogar zum Justiz- und später zum Außenminister in Wien auf. 6 Beide Universitätsprojekte erfuhren Ende des 19. Jahrhunderts eine Wiederbelebung und konnten zu Beginn des 20. Jahrhunderts schließlich verwirklicht werden. Dies gelang nur, weil wohlhabende Kaufleute und Bankiers die Projekte diesmal unterstützten und beide Universitäten auf ein Netzwerk aus wissenschaftlichen Vereinigungen und zahlreichen Stiftungen zurückgreifen konnten. Den in dieser Hinsicht
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Bericht der provisorischen Comité zur Vorberathung über eine in Hamburg zu gründende Universität. Hamburg 1847. Vgl. auch Jürgen Bolland, Die Gründung der „Hamburgischen Universität, Universität Hamburg 1919-1969. Hamburg 1969, 23ff. Bolland, Gründung, 27f. Dörte Fouquet, Die Gründung der Hamburgischen Universität. Potsdam 1999, 47f. Vgl. Fouquet, Gründung, 36f., 43 f.
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weitreichendsten Versuch unternahm das wohlhabende Bürgertum in Frankfurt am Main.
Der Plan einer Universität in Frankfurt Im Jahre 1890 veröffentlichte der Demokrat Otto Kanngießer unter dem Titel „Frankfurts Gegenwart und nächste Zukunft" eine Denkschrift, in der er die Aufmerksamkeit unter anderem auf die zahlreichen lokalen Kultureinrichtungen, Vereine und Gesellschaften lenkte. Er schlug ihren Zusammenschluss vor, um damit die Grundlage für die Schaffung einer Universität zu legen. Er argumentierte, dass Kunst und Wissenschaft von größter Bedeutung f ü r die Entwicklung eines städtischen Gemeinwesens seien, u n d äußerte unmissverständlich: „Wir verstehen hierunter (...) den längst von patriotischen und einsichtigen Männern Frankfurts erörterten (...) Gedanken der Errichtung einer Universität in Frankfurt (...) genau angepaßt den Bedürfnissen des modernen Lebens." 7 Die Denkschrift verfehlte ihre Wirkung nicht. Innerhalb weniger Jahre wurde aus der Idee Wirklichkeit. Die städtische Elite griff Kanngießers Vorschlag auf, zahlreiche Stiftungen und Vereine schlössen sich dem Konzept an und der Magistrat sowie das Stadtparlament begannen sich für das Projekt zu erwärmen. Die allmählich konkreter werdenden Pläne veranlassten schließlich den Verleger Carl Christian Jügel, entscheidende Schritte zur Unterstützung des Projekts zu unternehmen. Im Jahre 1896 überzeugte er seine beiden Söhne davon, mit hohen Geldbeträgen die Errichtung einer Jügel-Stiftung zu ermöglichen, mit der die Gründung einer Akademie angestrebt wurde. Zur gleichen Zeit startete der Magistrat gemeinsam mit der Handelskammer und dem Verein für Volkswirtschaft eine Initiative zur Gründung einer Handelshochschule. In einem Brief an den jüdischen Kaufmann Wilhelm Merten formulierte der Frankfurter Oberbürgermeister Franz Adickes noch viel weit reichendere Pläne. „Unser Universitätswesen leidet mehr und mehr an Verstaatlichung; wenn aber Stiftungsgelder den Vermögensstock der neuen Universität bilden, wird es ganz anders möglich sein, auch anderen Elementen und Kreisen Einfluß auf die Gestaltung des Fakultätsunterrichts etc. zu verschaffen. Der große Reichtum, der hier ist, könnte in der Tat das Segenreichste schaffen, wenn er Frankfurt zu einem wissenschaftlichen Zentralpunkt des Südwestens machte." 8 Da es tatsächlich gelang, die Initiative des Magistrats und der Handelskammer mit den sozialen Aktivitäten Mertons zu verbinden, der einige Jahre zuvor das Institut für Gemeinwohl gegründet hatte, stand der Gründung der Aka-
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Otto Kanngießer, Frankfurts Gegenwart und nächste Zukunft. Eine Denkschrift. Frankfurt am Main 1892, 56ff. Vgl. auch Lothar Gall, Zur politischen u n d gesellschaftlichen Rolle der Wissenschaften in Deutschland um 1900, in: Wissenschaftsgeschichte seit 1900. 75 Jahre Universität Frankfurt. Frankfurt a m Main 1992, 17ff. Franz Adickes zit. n. Richard Wachsmuth, Die Gründung der Frankfurter Universität. Frankfurt am Main 1929, 21.
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demie für Sozial- und Handelswissenschaften im Jahre 1901 nichts mehr im Wege. Zumal die Jügel-Stiftung - eingerichtet für kulturelle und soziale Zwecke und von den Söhnen Carl Jügels mit zwei Millionen Mark ausgestattet - die rasche Umsetzung dieses Plans ermöglichte, indem sie die Kosten für den Bau des eindrucksvollen Vorlesungsgebäudes übernahm. Von großem Interesse war die Zielsetzung dieser Akademie, denn ihre zentrale Aufgabe wurde nicht nur in der Vermittlung von Kenntnissen in Staatskunde und Volkswirtschaftslehre gesehen, sondern es sollten explizit Fragen des „Grundeigentums und des Wohnungswesens in Städten und in städtischen Umgebungen, ferner das Verhältnis von Kapital und Arbeit und ihre Organisationen, endlich die Frage staatlicher und kommunaler Sozialpolitik" gelehrt und erforscht werden. 9 Unausgesprochen stand im Raum, diesen Ort zu einem Zentrum der jungen Sozialwissenschaften auszubauen. Neben verschiedenen Stiftungen nahm auch eine Reihe von Vereinen an der Universitätsgründung teil. Zunächst müssen hier der Physikalische Verein, die Polytechnische Gesellschaft und die Senckenbergische Naturforschende Gesellschaft genannt werden. Diese naturwissenschaftlichen und technischen Vereine hatten ihren Sitz im alten Senckenberg Museum, wo sie unter großer Raumnot litten. Im Jahre 1902 unterbreitete ihnen der Magistrat den Vorschlag, Gebäude für eine Bibliothek, den Physikalischen Verein und für ein neues Naturhistorisches Museum in direkter Nachbarschaft zur Akademie zu errichten. Tatsächlich begannen die Stadt und die Vereine bereits ein Jahr später mit den Bauarbeiten für diese Gebäude und vier Jahre später konnte der ganze Komplex seiner Bestimmung übergeben werden.10 Der Kern der Universität, der aus der Akademie für Sozial- und Handelswissenschaften hervorging, wurde somit Schritt für Schritt durch das Engagement der Vereine und zahlreicher weiterer, oft speziell für die Zwecke der Universität gegründeter Stiftungen erweitert. Stiftungen und Vereine schufen demnach die infrastrukturellen Voraussetzungen für die Universität. Im Jahre 1909 fühlten sich die Bürger Frankfurts in der Lage, den letzten Schritt zu wagen. In diesem Jahr verschickte der Magistrat eine Denkschrift zur Gründung der Universität an das Preußische Innenministerium. Diese Denkschrift enthielt den Plan für eine Universität mit fünf Fakultäten. Doch der Preußische Staat entdeckte eine Finanzierungslücke in Höhe von sechs Millionen Mark. Dies stellte jedoch für die bürgerliche Oberschicht der Stadt kein ernsthaftes Problem mehr dar. Die Eigendynamik, die aus dem Zusammenschluss der verschiedenen wissenschaftlichen Institutionen sowie der Errichtung neuer Stiftungen resultierte, hatte bereits eine Stärke erreicht, die die Universitätspläne nicht mehr an fehlenden Geldmitteln scheitern ließ - auch wenn es sich um einen beträchtlichen Betrag handeln mochte. Innerhalb weniger Wochen wurden neue Stiftungen gegründet und 73 wohlhabende Kaufleute, Fabrikanten und Bankiers der Stadt spendeten
9 Vgl. Wachsmuth, ebd. 12. 10 Vgl. Paul Kluke, Die Stiftungsuniversität Frankfurt am Main 1914-1932. Frankfurt am Main 1972, 46ff.
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für dieses Vorhaben nicht weniger als 20 Millionen Mark. Die Hürde war genommen, die Universität konnte kurz vor Beginn des Ersten Weltkrieges ins Leben gerufen werden. 11 Aus der Idee war Wirklichkeit geworden. Die Bürger der Stadt hatten dies aus eigener Kraft erreicht. Darüber hinaus kann die Gründung der Frankfurter Universität als eindrucksvolles Beispiel für die Effizienz eines Vereins- und Stiftungsnetzwerkes gelten. 1 2
Die Rolle der jüdischen Stiftungen Damit stellt sich die Frage nach der Rolle der jüdischen Stiftungen. Die Akademie, der Gründungskern der Universität, hätte nicht ohne Wilhelm Merton, den jüdischen Kaufmann u n d Besitzer der Metallgesellschaft AG, gegründet werden können. Sein Engagement resultierte wiederum aus einem Interesse an der damals breit diskutierten Arbeiterfrage und den sozialen Ursachen des Klassenkampfes. Er setzte sich selbst das ehrgeizige Ziel, für „die Herausbildung sozial und wirtschaftlich geschulter Männer, die in ihrem Berufe in erster Linie praktisch, dann aber durch Wort und Schrift daran arbeiten, daß unsere Gewerbetreibenden sozial, unsere Sozialpolitiker ökonomisch denken lernen" zu sorgen. 1 3 Zudem fällt der hohe Anteil an jüdischen Kaufleuten, Bankiers und Großindustriellen aber auch an wohlhabenden Wissenschaftlern und Mitgliedern des Stadtparlaments auf, die sich an den großen Universitätsschenkungen des Jahres 1912 beteiligten und maßgeblich dazu beitrugen, dass diese ihren Zweck erfüllen konnten, nämlich die von Preußen angemahnte Finanzierungslücke zu schließen. Rund ein Drittel dieser Schenkungen kam von Juden. 1 4 Am eindruckvollsten waren jedoch die zahlreichen jüdischen Stiftungen, die ein weites Netzwerk bildeten, das nahezu alles abdeckte, was damals für den Betrieb einer Universität notwendig war. Wohlhabende jüdische Kaufleute und Bankiers schenkten ganze Institute und Spezialbibliotheken. Auffällig ist beispielsweise eine ganze Reihe medizinischer Institute und Spezialkliniken, darunter die RothschildStiftung „Carolinum", eine Klinik für Zahnkunde. Otto Braunfels stiftete f ü r eine Kinderklinik, Salomon Herxheimer für eine Hautklinik, Charles Hallgarten für therapeutische Anlagen, Ludwig Edinger für ein Neurologisches Institut, Richard Passavant für die Erforschung der Tuberkulose und die Witwe des Bankiers Theodor Stern für medizinische Forschung insgesamt. 1 5 Hinzu kamen ein Institut für Wirtschaftswis-
11 Vgl. Bruno Müller, Stiftungen für Frankfurt am Main. Frankfurt am Main 1958, 129f. 12 Vgl. auch Ralf Roth, German Urban Elites in the Eighteenth and Nineteenth Centuries, in: Ralf Roth and Robert B e a c h y (Eds.), W h o Ran the Cities? City Elites and Urban Power Structures in Europe and North America, 1 7 5 0 - 1 9 4 0 . Aldershot 2007, 1 2 7 - 1 6 0 , hier 1 5 7 - 1 6 0 . 13 Philipp Stein, Über die Ziele des Instituts. Zit. n. Wachsmuth, Gründung, 8. Vgl. auch Kluke, Stiftungsuniversität, 38. 14 Vgl. Institut für Stadtgeschichte, Stiftungsabteilung 4 9 2 „Universitätsspenden ( 1 9 1 2 - 1 9 1 9 ) . 15 Vgl. Müller, Stiftungen, 8 8 u. 126, u. Wachsmuth, Gründung, 22f.
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senschaften, ein Forschungsinstitut für Chemotherapie sowie Bibliotheken für romanische Literatur.16 Eine große Zahl dieser jüdischen Stiftungen schenkte oder unterstützte einzelne Professuren. Hier spielten die Stiftungen von Georg Speyer und seiner Frau Franziska mit einem Gesamtvolumen von sechs Millionen Mark eine besondere Rolle. Der Bankier Georg Speyer war einer der größten Steuerzahler der Stadt Frankfurt. Zusammen mit seiner Frau stiftete er zwei Lehrstühle für Geographie, eine Studienstiftung, Lehrstellen und wissenschaftliche Arbeitsstätten in Chemie und Philosophie sowie neusprachlichen Unterricht und technologische Vorlesungen und ein chemotherapeutisches Forschungsinstitut.17 Hinzu kamen Professuren in Pädagogik, für semitische Philologie, für exakte Naturwissenschaften und für Geschichte. Alles in allem handelte es sich um ein halbes Dutzend Stiftungen. 18 Ein dritter Typus jüdischer Stiftungen wurde für Forschungszwecke errichtet und zwar sowohl für allgemeine als auch für besondere Forschungsfelder im medizinischen und wirtschaftsgeschichtlichen Bereich oder zur Erforschung Frankfurts, seiner jüdischen Bevölkerung, des Mittelalters und der Frühen Neuzeit oder auch der Naturwissenschaften. 19 Schließlich existierten noch zahlreiche Stiftungen, die Stipendien an Juden vergaben. Dazu gehörte zum Beispiel die Gabriel-Riesser-Stiftung von 1870, die Arthur und Emil Königswartersche Stiftung von 1873, die Benedict Hayum Goldschmidtsche Stiftung von 1880, die Babette und Rebecka Löwenthalsche Stiftung von 1884 sowie
16 Vgl. Institut für Stadtgeschichte, Stiftungsabteilung 46 Otto-und-Ida-Braunfels-Stiftung von 1910; Stiftungsabteilung 462 Stiftung Theodor Sternsches medizinisches Institut von 1901; Stiftungsabteilung 835 Freiherr Carl v o n Rothschild'sche wohltätige Stiftung „Carolinum" und Zahnärztliche Universitätsinstitut „Carolinum"; Stiftungsabteilung 534 Albert-und Paula-Wolff-Stiftung von 1918; Stiftungsabteilung 45 Dr.-Ludwig-Braunfels-Stiftung für romanische Philologie von 1902 u n d Stiftungsabteilung 491 Eduard-und-Alixe-Marx-Stiftung. 17 Vgl. Müller, Stiftungen, 88 und 126, u. Wachsmuth, Gründung, 22f. Vgl. auch Institut für Stadtgeschichte, Stiftungsabteilung 450 Georg Speyersche Forschungsstiftung von 1907/08; Stiftungsabteilung 453 Georg und Franziska Speyersche Studienstiftung von 1901; und Stiftungsabteilung 706 Geschichte der Georg Speyer Stiftungen und Georg Speyer Haus. 18 Vgl. Institut für Stadtgeschichte, Stiftungsabteilung 318 Adolf Merton-Stiftung; Stiftungsabteilung 433 Jakob-H.-Schiff-Stiftung von 1914; Stiftungsabteilung 352 Katharina und Moritz Oppenheimersche Universitätsstiftung von 1912; und Stiftungsabteilung 30 Lucie-Beit-von-Speyer-Stiftung (seit 1919 Lucie-von-Beit-Speyer-Gedächtnisstiftung). 19 Vgl. Institut für Stadtgeschichte, Stiftungsabteilung 261 Karl-Kohn-Stiftung von 1912; Stiftungsabteilung 520 Julius-Wertheimer-Stiftung von 1911; Stiftungsabteilung 419 Dr.-Karl-Sulzbach-Stiftung von 1912; Stiftungsabteilung 93 Heinrich-Emden-Stiftung; Institut für Stadtgeschichte, Stiftungsabteilung 54 Henry-und-Emma-Budge-Stiftung von 1912; Institut für Stadtgeschichte, Stiftungsabteilung 110 Robert Flersheim Schenkung bzw. Robert-Flcrsheim-Stiftung; Institut für Stadtgeschichte, Stiftungsabteilung 173 Zuwendung Georg Hauck; Stiftungsabteilung 460 Jakob-S.-H.-Stern-Stiftung von 1906; Stiftungsabteilung 22 Dr.-Hans-Hermann-Bärwald-Preistiftung-der-Johann-WolfgangGoethe-Universität von 1928; Stiftungs-abteilung 519 Arthur-von-Weinberg-Stiftung von 1909; Stiftungsabteilung 76 Emil-Constaedt-Stiftung von 1916; Stiftungsabteilung 281 Hans-und-Kurt-Ladenburg-Stiftung von 1918; Stiftungsabteilung 282 Wilhelm Ladenburg-Gedächtnisstiftung von 1920.
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die Rudolph-Sulzbach-Stiftung von 1904 und die Manfred Bernhard Schiffsche Stiftung von 1911.20 Wer waren diese Stifter? Das soziale Milieu der jüdischen Stifter war relativ homogen: wohlhabende Kaufleute, Bankiers, Großindustrielle. Auffällig war ihre globale Orientierung, sie waren ganz auf die transatlantische Welt ausgerichtet. Bei vielen handelte es sich um erfolgreiche Bankiers, die erheblich zur Finanzierung des Eisenbahnbaus in den USA beitrugen. Andere erzielten hohe Gewinne im weltweiten Handel mit Erzen oder Stoffen der Chemieindustrie, wobei sie sich auf die südamerikanischen Märkte konzentrierten. 21 Als Beispiele für den letzten Typus können der Eigentümer der Metallgesellschaft AG Wilhelm Merton und der Chemiefabrikant Arthur Weinberg, der den IG-Farben Konzern mitbegründet hatte, angesehen werden. 22 Nordamerika lockte jedoch noch mehr als Südafrika, vor allem die USA. Seit den sechziger Jahren hatte sich Frankfurt zum zweitwichtigsten europäischen Handelsplatz für US-amerikanische Staatsanleihen entwickelt. Das bot sich schon deshalb an, weil die Frankfurter Bankhäuser enge Verbindungen nach New York hatten und nach dem Amerikanischen Bürgerkrieg fast 40 Prozent der amerikanischen Staatsschulden verwalteten, die zwischen 1860 und 1865 von 90 Millionen Dollar auf 2,74 Milliarden angewachsen waren. 23 Schließlich wechselten die Frankfurter Investoren vom Geschäft mit amerikanischen Staatsanleihen zum lukrativen amerikanischen Eisenbahnbau. Gemeinsam mit vielen anderen europäischen Investoren beteiligten sie sich am Ausbau eines Schienennetzes von 300.000 Kilometern Länge. Insgesamt spielten die Frankfurter Bankhäuser und ihre amerikanischen Filialen, die von ausgewanderten Familienmitgliedern geführt wurden, in diesem Finanzgeschäftszweig eine bedeutende Rolle. Zu diesen Erfolgsgeschichten zählt auch der Lebensweg von Charles Hallgartens, der seine Karriere mit der Finanzierung von Eisenbahnen begann und dann als wohlhabender Bankier nach Frankfurt zurückkehrte, wo er in der Folgezeit zahlreiche Wohlfahrtsprojekte initiierte. So gründete er unter anderem die Aktiengesellschaft zum Bau kleiner Wohnungen und beteiligte sich in großem Stil an der Unterstützung der Frankfurter Universität. 24 Auch Wilhelm Bonn gehörte als Unterstützer der 20 Vgl. Institut für Stadtgeschichte, Stiftungsabteilung 386 Gabriel-Riesser-Stiftung von 1870/88; Stiftungsabteilung 260 Arthur und Emil Koenigswartersche Unterrichts- und Studienstiftung von 1873; Stiftungsabteilung 143 Benedict Hayum Goldschmidtsehe Stipendienstiftung 1880; Stiftungsabteilung 298 Babette und Rebecka Löwenthalsche Stipendienstiftung von 1884/97; Stiftungsabteilung 347/348 Dr. Leopold Odrellsche Stipendienstiftung von 1886; Stiftungsabteilung 420 Rudolph-Sulzbach-Stiftung von 1904; Stiftungsabteilung 434 Manfred Bernhard Schiffsche Stipendienstiftung von 1911 und Stiftungsabteilung 167 Lux-Hahn-Stipendienstiftung von 1922. 21 Vgl. demnächst Ralf Roth and Günter Dinhobl (eds.), Across the Borders - Financing the World's Railways in the Nineteenth and Twentieth Centuries. Aldershot 2008. 22 Arno Lustiger (Hrsg.), Jüdische Stiftungen in Frankfurt am Main. Sigmaringen 1988, 355 und 398. 23 Vgl. Ralf Roth, Frankfurt am Main Citizens in the United States, in: Thomas Adam (ed.), Germany and the Americas: Culture, Politics, and History. 3. vols. Santa Barbara/Ca, et al. 2005, vol. 1, 373378. 24 Vgl. Lustiger, ebd. 339. Vgl. auch Arno Lustiger, Charles Hallgarten. Leben und Wirken des Frankfurter Sozialreformers und Philanthropen. Frankfurt am Main 2003.
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Universität zu den Frankfurtern, die nach Amerika auswanderten und später in ihre Heimatstadt zurückgekehrten. Im Alter von 20 Jahren wurde er nach New York geschickt, um sich mit dem amerikanischen Finanzmarkt vertraut zu machen und amerikanische Kriegsanleihen auf dem deutschen Markt zu verkaufen. Rasch gelang ihm der Aufstieg zum Direktor des Bankhauses Speyer ft Co., einem Zweigunternehmen von Lazard Speyer-Ellissen. Später gründete er ein eigenes Unternehmen, Ruette Et Bonn, das sich erfolgreich an der Finanzierung der transkontinentalen Eisenbahnlinien beteiligte. Genauso wie Charles Hallgarten kehrte auch Bonn im Alter von 42 Jahren nach Frankfurt zurück. Er ließ sich in einer luxuriösen Villa im Frankfurter Westend nieder - in direkter Nachbarschaft zu Charles Hallgarten und in Nähe der späteren Universität.25 Der bedeutendste Frankfurter Bankier aus dieser Gruppe war aber Jakob Schiff. Schiff wurde 1847 in Frankfurt geboren. Er schloss eine Ausbildung zum Handelsmann ab und wanderte 1865 im Alter von 28 Jahren, so wie es auch Hallgarten getan hatte, nach New York aus, wo er eine Anstellung beim Bankunternehmen Frank & Gans fand. Zwei Jahre später gründete er zusammen mit Henry Budge - ein weiterer Frankfurter und später ebenfalls ein Hamburger Stifter - die Bank Budge, Schiff Et Co., die allerdings Anfang der 1870er Jahre wieder aufgelöst wurde. Sein Erfolg steigerte sich noch einmal, als er in das Bankhaus von Salomon Loeb einstieg. Er erkannte die außerordentliche Bedeutung des Verkehrs für die industrielle Entwicklung der USA und widmete sich intensiv der Eisenbahnfinanzierung. Sehr schnell engagierte er sich in einem halben Dutzend Eisenbahngesellschaften und stieg bis in die Führungsspitze des Bankhauses Kuhn Et Loeb auf. Unter seiner Führung entwickelte sich die Investmentbank schließlich zum zweitgrößten Bankhaus nach Morgan Trust. Schiff blieb sein Leben lang der jüdischen Religion verbunden und pflegte insbesondere die Traditionen seiner jüdischen Vergangenheit in Deutschland. Wie viele andere Auswanderer aus Frankfurt - die Speyers, die Budges sowie Bonn und Hallgarten - betrachtete er sich selbst als jüdischen Deutschen: Sie waren Yahudim, die ihre Kinder auf deutsche Universitäten schickten und deutsche Lehrer und Ärzte anstellten. Sie bestanden auf Ehen mit jüdischen Frauen aus Deutschland und reisten regelmäßig in die alte Heimat. Von seiner Mentalität her blieb Jacob H. Schiff dem Frankfurter bürgerlichen Milieu verbunden. Er stiftete deshalb nicht nur in seiner neuen Heimat: Dort gab Schiff nicht weniger als 100 Millionen Dollar für Wohltätigkeitszwecke und zur Unterstützung politischer Reformen aus. Er machte große Schenkungen an das Metropolitan Museum of Art, das American Museum of Natural History und den Zoo der Bronx. Er finanzierte Professuren an der Harvard, Cornell und Columbia University, ermöglichte der Public Library of New York die Einrichtung einer Judaica Sammlung und initiierte sowohl den Aufbau der Jüdischen Gesellschaft für Geschichte als auch die Jüdische Publikationsgesellschaft von 1892. Zusätzlich 25
Vgl. Hans-Dieter Kirchholtes, Jüdische Privatbanken in Frankfurt am Main. Frankfurt am Main 1969.
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gründete er das Hebrew Union College sowie Talmud-Thora-Schulen in der New Yorker Eastside und in Downtown New York. Darüber hinaus richtete er große Stiftungen fur die Frankfurter Universität ein. 26
Die Besonderheiten der Frankfurter Universität Ohne die zahlreichen Initiativen des wohlhabenden jüdischen Bürgertums und ihrer Stiftungen, so wird deutlich, hätte der Frankfurter Magistrat als Repräsentant der Bürgerschaft dem Preußischen Innenministerium keine Universität mit fünf Fakultäten vorschlagen können. Nur mit Hilfe der zusätzlichen Schenkungen konnte der Vertrag über die Gründung einer Universität im April 1912 Realität werden. Diesem Vertrag stimmte das Preußische Innenministerium kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs schließlich zu. 27 Damit konnte eine Universität ihren Betrieb aufnehmen, die bereits in ihrer Gründungsphase eine ganze Reihe von Besonderheiten aufwies. Denn die Aktivitäten des jüdischen Bürgertums in Frankfurt und das Netzwerk aus Vereinen und Stiftungen blieben nicht ohne Einfluss auf die Konzeption der Universität. 28 Nicht zufällig spielten die jungen Sozialwissenschaften an der neuen Universität eine Schlüsselrolle. Diese herausragende Stellung verdankten sie dem Engagement von Teilen des Frankfurter Bürgertums und insbesondere dem von Wilhelm Merton. Merton hatte bereits vor der Universitätsgründung im großen Umfang in Forschungen zur sozialen Frage investiert und zu diesem Zweck ein eigenes Institut ins Leben gerufen. Diese Richtung verfolgte er - als einer der großen Stifter - mit seiner Beteiligung an der Frankfurter Universität auch weiterhin. Eine weitere Innovation war die Trennung der Naturwissenschaften und der Philosophischen Fakultät. Physik und Chemie waren gerade für die moderne Industrie Frankfurts und seiner Umgebung von zentraler Bedeutung. Der Stifter Arthur Weinberg und andere jüdische Fabrikanten begrüßten diese Ausrichtung sehr und begründeten zu ihrer Unterstützung eine ganze Reihe jüdischer Stiftungen für wissenschaftliche Forschungen. Es gab noch weitere Gründe für das besondere Engagement zahlreicher Juden. Sie hofften aufbessere Voraussetzungen für jüdische Professuren, die in Preußen bis dahin unerreichbar gewesen waren. Die Bedingungen schienen keineswegs schlecht, um in dieser Angelegenheit in Frankfurt einen Durchbruch zu erzielen. Jüdische Stifter hatten einflussreiche Positionen im Selbstverwaltungssystem der Universität errungen. Von großer Bedeutung für die Transformation informeller und finanzieller Unterstützung in Macht und Einfluss war der Große Rat und die Verwaltungskommission. In diesen Gremien hielten der Magistrat, Mertons Institut für
26 Vgl. Paul 27 Vgl. 28 Vgl.
Institut für Stadtgeschichte, Stiftungsabteilung 433 Jakob-H.-Schiff-Stiftung von 1914, und Arnsberg, Jacob H. Schiff, Von der Judengasse zur Wallstreet. Frankfurt am Main 1969. Müller, Stiftungen, 129f., und Kluke, Stiftungsuniversität, 89ff. Kluke, ebd. 52.
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Gemeinwohl, die Polytechnische Gesellschaft sowie die wichtigsten Stiftungen und die größten Spender - und aus diesem Grund viele jüdische Bankiers und Kaufleute - eine festgesetzte Anzahl von Sitzen und Stimmrechten. 29 Interessant ist hier der Fall Henry Budge, der am 25. September 1912 zusammen mit seiner Frau die Henry und Emma Budge-Stiftung zur Förderung der Lehr- und Forschungstätigkeit an der Universität Frankfurt begründete und sie mit einem Stiftungskapital von 250.000 Mark ausstattete. 30 Dem Wunsch des Stifters, im Großen Rat der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main vertreten zu sein, wurde jedoch zunächst nicht entsprochen. Oberbürgermeister Adickes erklärte, dass nur bei Stiftungen von über 500.000 Mark eine solche Repräsentanz vorgesehen sei und regte an, die Zuwendung entsprechend zu erhöhen. 31 Am 20. September 1917 nahmen das Kuratorium und am 29. September 1923 der Große Rat der Universität Frankfurt Henry Budge in ihren Reihen auf, nachdem er - wie empfohlen - das Stiftungskapital auf eine halbe Million Mark aufgestockt hatte. 32 Das Gerüst dieser bereits errungenen Positionen brach nach dem Ersten Weltkrieg zunächst in den stürmischen Tagen der Novemberrevolution, dann in der Inflation und schließlich mit dem Durchbruch der nationalsozialistischen Bewegung im Jahre 1933 mehr und mehr zusammen. Viele Stiftungen verloren zunächst ihren Kapitalbesitz. Die Frankfurter Universität geriet in Zahlungsschwierigkeiten und musste sich unter die Oberaufsicht des Landes und der Stadt begeben. Nach 1933 begann schließlich der Umbau und die Auflösung der jüdischen Stiftungen. 33
Der Plan einer Universität in Hamburg Der Entstehungsprozess der Hamburger Universität unterschied sich nicht unerheblich von dem der Frankfurter, obwohl ganz ähnliche Voraussetzungen und vor allem vergleichbare bürgerliche Milieus aus Großkaufleuten und Bankiers bestanden. Auch unterschieden sich zu Beginn die strategischen Überlegungen zur Durchsetzung der Universitätspläne nicht sonderlich voneinander. Als Werner von Melle, der Syndicus des Hamburger Senats, das Projekt einer Universität in den 1890er Jahren wiederbelebte, setzte er sich, ganz ähnlich wie Otto Kanngießer in Frankfurt, für eine Ausweitung der bereits existierenden wissenschaftlichen Einrichtungen sowie die Unterstüt-
29 Vgl. Richard Wachsmuth, Gründung, 52. 30 Vgl. Institut für Stadtgeschichte, Stiftungsabteilung 54 Bl. 1-5. 31 Paul Arnsberg, Henry Budge. Der „geliebten Vaterstadt - Segen gestiftet". Frankfurt am Main 1972, S. 37. 32 Siegbert Wolf, Henry Budge (1840-1928), in: Jüdische Stiftungen in Frankfurt am Main. Hrsg. v. Arno Lustiger und bearb. v. Gerhard Schiebler. Frankfurt am Main 1988, S. 307-311, hier 310. 33 Vgl. demnächst Ralf Roth, Der Ausbau und die Zerstörung des Frankfurter Stiftungssystems im 19. und 20. Jahrhundert, in: Rainer Liedtke und Klaus Weber (Hrsg.), Religion, Wohlfahrt und Philanthropie in den europäischen Zivilgesellschaften (1800-2000). 2008.
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zung öffentlicher Vorlesungen ein. 34 Wenig später sah Friedrich Sieveking auch in Bibliotheken, Observatorien, dem Botanischen Garten, dem Chemischen Labor und den Museen ausgezeichnete Voraussetzungen für eine moderne und unabhängige Universität.35 Er lehnte nicht zufällig die modernen, vom Geiste Humboldts beseelten deutschen Universitäten ab und nahm sich stattdessen die amerikanischen Universitäten zum Vorbild. Aus diesem Grund bat er den in Harvard lehrenden Deutsch-Amerikaner Hugo Münsterberg um ein Gutachten zur Finanzierung einer derartigen Bildungseinrichtung. Münsterberg ließ sich nicht lange bitten und kalkulierte als Minimum für eine Universität nach amerikanischem Vorbild einen Betrag von 25 Millionen Mark. Diese Summe entsprach ungefähr den Aufwendungen für die Frankfurter Universität. Münsterberg berechnete nicht nur die Kosten, er gab den Hamburger Bürgern auch einen Rat mit auf den Weg: „Dieses Kapital kann nur aus der Mitte der hamburgischen und Hamburg befreundeten begüterten Kreise aufgebracht werden."36 Tatsächlich schien es, als könnten diese Pläne realisiert werden. Im Jahre 1899 setzte der Senat die Entscheidung für den Bau einer unabhängigen Vorlesungshalle durch und wenige Jahre später kämpfte von Melle erfolgreich für eine Professur in Nationalökonomie. Im selben Zeitraum wurde von prominenten Hamburger Bürgern die Hamburgische Wissenschaftliche Stiftung gegründet. Unter ihnen waren neben von Melle die jüdischen Bankiers und Kaufleute Max M. Warburg, Alfred Beit sowie ein Neffe Beits mit gleichem Namen. Vor allem Beit setzte sich sehr für die neue Stiftung ein und es war insbesondere ihm zu verdanken, dass die Stiftung beträchtliche Geldsummen von deutschen und ausländischen Stiftern erhielt. Bis 1907 konnte er nicht weniger als vier Millionen Mark einwerben. 37 Eine Schenkung des Kaufmanns Edmund Siemers ermöglichte schließlich im Jahr 1911 den Bau eines Vorlesungsgebäudes, das auch dazu dienen sollte, die wissenschaftlichen Unternehmungen in der Stadt an einem Ort zusammenzuführen. 38 Doch diese Initiativen, die denen in Frankfurt ähnelten, verloren rasch ihren anfanglichen Schwung. Der Hamburger Unterstützerkreis für den Aufbau einer Universität bekam dagegen unerwartet von ganz anderer Seite Unterstützung. Das staatliche Kolonialamt stiftete eine Professur und unterstützte die Gründungspläne für ein Kolonialinstitut, das tatsächlich bis 1908 eingerichtet werden konnte. Dieser Erfolg veranlasste einen Teil der Universitätsbefürworter, die bisher verfolgte Strategie aufzugeben und sich für neue Wege zur Durchsetzung ihrer Pläne einzusetzen. Es war insbesondere von Melle, der in einer Denkschrift von 1911 vorschlug, das von 34 Vgl Jürgen Bolland, Die Gründung der „Hamburgischen Universität", in: Universität Hamburg 1919-1969. Hamburg 1969, 17-102, hier 29. 35 F. Sieveking, Die Hamburger Universität. Ein Wort der Anregung. Hamburg 1905, 5-7. 36 Sieveking, Universität, 39. Vgl. auch Bolland, Gründung, 53. 37 Bolland, Gründung, 32. Vgl. auch Dörte Fouquet, Die Gründung der Hamburgischen Universität. Potsdam 1999, 55-84. 38 Max Förster, Das Vorlesungsgebäude in Hamburg gestiftet von Herrn Edmund J. A. Siemers dem hamburgischen Senat übergeben am 13. Mai 1911. Hamburg 1911, 21-27. Vgl. den Gründungsplan in ebd. 68f.
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staatlicher Seite verwaltete Kolonialinstitut zu einer Universität auszubauen. 39 Die ursprüngliche Distanz zum Staat, welche die meisten damaligen Universitätspläne auszeichnete, schmolz in Hamburg rasch dahin. Aber es gab noch einen weiteren zentralen Unterschied zum Frankfurter Projekt. Während in Frankfurt mehr oder weniger das gesamte Bürgertum der Stadt hinter dem Projekt stand und Ablehnung nur von den Sozialdemokraten kam, die anstelle einer Universität mehr Volksschulen forderten, war dies in Hamburg nicht der Fall. Dort war das Bürgertum in der Universitätsfrage zerstritten. Es gab nicht wenige, die eine „ungünstige Beeinflussung der Sitten des kaufmännischen Lebens" befürchteten. 40 Aber mehr als alles andere schreckten die finanziellen Lasten des Projekts die Hamburger Kauleute. Münsterberg hatte mit seinen Berechnungen und der Nennung eines Minimalbetrags in Höhe von 25 Millionen Mark Öl ins Feuer gegossen und die Befürchtungen der Hamburger sehr geschürt. Hamburg, so argumentierten die Kritiker, habe genug an seinen großen Infrastrukturprojekten zu tragen. Tatsächlich hatte Hamburg mit dem Bau eines neuen Hafens, der Elbekorrektur, dem neuen Eisenbahngebäude, der Renovierung von zwei Gerichtsgebäuden, einem neuen Gefängnis, der Irrenanstalt und dem Ausbau des Schulwesens einiges zu schultern. Die Mehrheit der Kaufleute und die Handelskammer teilten deshalb die vorgebrachte Kritik sowie die Zweifel, ob ein weiteres Großprojekt wie das einer Universität zu bewältigen sei.41 Obgleich man sich mit einer großen Werbekampagne für das Projekt einsetzte, die von so gegensätzlichen Charakteren wie Alfred Lichtwark und Max Warburg unterstützt wurde, setzte sich die Opposition daher durch und wehrte 1911 in einer Senatssitzung den Antrag zur Gründung einer Universität ab. Zu dieser Zeit hatten die Frankfurter schon lange ihren Antrag beim Preußischen Innenministerium eingereicht.42 Die Niederlage im Senat war zweifellos ein schwerer Rückschlag für das Projekt, aber es war noch nicht tot. In den folgenden Jahren riefen Befürworter immer wieder nach Initiativen für einen Neubeginn. 43 Sogar noch während des Ersten Weltkrieges wurde die Diskussion um das Für und Wider einer Universität fortgesetzt. Aber sie setzten dabei schon lange nicht mehr auf die „Mitte der hamburgischen und Hamburg befreundeten begüterten Kreise", wie Münsterberg gefordert hatte, sondern schlugen, wie etwa im Januar 1918, im Senat die Ausweitung des Kolonialinstituts zu einer Universität vor. 44 Diese Strategie erreichte schließlich in der Novemberrevolution von 1918 ihren Höhepunkt, als der Senat unter Aufsicht schwer bewaffneter revolutionärer Marinesoldaten tagte. Ausgerechnet in dieser Situation schöpfte von
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Bolland, Gründung, 34, 39 und 41. Ebd. 47. Ebd. 63. Ebd. 60. Zum gescheiterten Versuch der Gründung einer Universität in den Jahren 1911 und 1912 vgl. ebd. 84ff. und 96. Vgl. auch Fouquet, Gründung, 121-145. 43 Münsterberg trug zur Diskussion um eine Hamburger Universität bei. Vgl. Hugo Münsterberg, Die Hamburger Universität und Amerika. Hamburg 1913, 5. Vgl. zur weiteren Diskussion Eduard Spranger, Über den Beruf unserer Zeit zur Universitätsgründung, in: Die Geisteswissenschaften 1, 1913, 8-12. 44 Bolland, Gründung, 79.
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Melle neue Hoffnung für eine Wende in der Universitätsangelegenheit.45 Max Warburg hat diese skurrile Situation in seinen Erinnerungen überliefert. „Draußen ging ein furchtbarer Regen nieder. (...) Wir standen am Fenster und starrten in den Wolkenbruch hinaus, ich beschäftigte mich mit der Frage, ob und wie wir weiterleben würden. Da sagte der Senator zu mir: Ich glaube, für die Universität ist die neue Wendung gar nicht übel." 46 Tatsächlich, nur wenige Wochen später nutzten die Professoren des Kolonialinstituts, die sich darüber im Klaren waren, dass der verlorene Krieg ihr Institut überflüssig gemacht hatte, das Chaos der Revolution aus und landeten einen Coup mit weit reichenden Konsequenzen. Sie boten den heimkehrenden Soldaten Seminare an. Diese Seminare wurden zahlreich besucht und es waren dann genau diese Seminare, aus denen heraus der Ruf nach einer Universität schließlich Erfolg hatte. Im Februar 1919 verabschiedete der Senat ein provisorisches Gesetz über die Gründung einer Hamburger Universität.47 Diese ungewöhnliche Situation begünstigte eine Reihe von Legenden, die sich um die Gründung der Universität rankten. Die moderne Variante könnte man den „demokratischen Geist" nennen, der angeblich von Anfang an einer der Haupteigenschaften der neuen Universität war. So kann es beispielsweise in Beiträgen, die zum Jubiläumsjahr!994 publiziert wurden, nachgelesen werden. 48 Kurz nach dem Zweiten Weltkrieg, im Jahre 1949, begründete Heinrich Sieveking noch eine weitere Tradition, die man mit dem „wissenschaftlichen Geist" umschreiben könnte: Man habe den mannigfach vorhandenen, aber zersplitterten geistigen Bestrebungen der Stadt einen Mittelpunkt geben müssen. Als Beleg wird der unermüdliche Eifer von Melles angeführt, dem es gelungen sei, 1907 die Wissenschaftliche Stiftung ins Leben zu rufen, die sich wiederum „die Berufung von Gelehrten, Forschungsreisen und die Unterstützung von wissenschaftlichen Untersuchungen und Publikationen zur Aufgabe" gemacht habe. 49 Beide Interpretationen sind mit Vorsicht zu genießen. Die Reden, die anlässlich der Eröffnung der Universität im Jahre 1919 gehalten wurden, besaßen weder einen demokratischen noch einen wissenschaftlichen Geist, sondern brachten eine imperialistische Geisteshaltung zum Ausdruck. Der konservative Senator von Melle, einer der Hauptunterstützer des Universitätsprojekts, führte die neue Universität eindeutig
45 Ebd. 81. 46 Max M. Warburg, Aus meinen Aufzeichnungen. New York 1952, 68. 47 Holland, Gründung, 83. Von Melle argumentierte damals: „Die Universitäten wurden mitten im Semester überflutet von jungen Männern, die nach geistiger Nahrung hungerten. Wir hamburgischen Professoren standen vor der Frage, ob es nicht unsere Pflicht sei, auch ohne Universität zu tun, was wir könnten, um in dieser geistigen Not zu helfen." Werner von Melle und Karl Rathgen, Hamburgische Universität. Reden. Hamburg 1919, 14. Vgl. auch Die Universität Hamburg, in: Der Weltmarkt. Mitteilungen der Gesellschaft für Warenkunde e. V. 5, 1918, 663-666, und Akten Universitätsbestand I A 10.1 Überleitung des Kolonialinstituts in die Universität. 48 Vgl. Ute Pape, Die Hamburger Universität - eine demokratische Gründung, 75 Jahre Universität Hamburg 1919-1994. Themen, Termine, Veranstaltungen. Hamburg 1994, 5-7, und Jürgen Lüthje, 75 Jahre Universität Hamburg, ebd. 9-12. 49 Heinrich Sieveking, Die Universität Hamburg. Düsseldorf o. J. (1949), 38.
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auf die Gründung des Kolonialinstituts zurück und betrachtete es als wünschenswert, diese Traditionslinie nicht nur fortzusetzen, sondern sogar auszubauen: „Die Beachtung des Auslandes, und insbesondere der überseeischen Gebiete, und die Verfolgung der Länder und Völker verbindenden Gedanken, die in der Hamburger Wissenschaftspflege stets hervorgetreten sind und dann vor 10 Jahren durch die Errichtung unseres Kolonialinstituts besonders stark und eigenartig zur Geltung gelangten, sie sollen in der Hamburgischen Universität fortgesetzt und weiterentwickelt werden." 50 Auch sein Kollege Karl Rathgen betonte die Rolle des Kolonialinstituts als Kern der neuen Universität und forderte eine Fortsetzung seiner Zwecke und Bestimmungen. Das Hamburgische Kolonialinstitut sei begründet worden „zur kolonialen Schulung in erster Linie von Beamten für die deutschen Schutzgebiete, demnächst überhaupt für Personen, die in überseeische Gebiete gehen wollten, als Kaufleute, Landwirte, Missionare." 51 So ähnlich sah es auch von Melle, als er ausdrücklich betonte: „Wenn jetzt das Kolonialinstitut in der Universität aufgeht, so bleiben doch die Gedanken, die zu seiner Gründung führten, richtig und werden gepflegt werden wie nur je zuvor." 52 Diese Fortsetzung der imperialistischen Kolonialpolitik des Deutschen Kaiserreiches stieß auf breite Akzeptanz und Unterstützung. Einige Jahre später, zur Zeit des Nationalsozialismus, beklagte sich Adolf Rein über den Raub der deutschen Kolonien. Vom Hamburger Universitätsgelände aus - für Rein das Zentrum des Widerstandes gegen den Versailler Vertrag - forderte er, diesen Raub rückgängig zu machen. 53
Die Rolle der jüdischen Stifter bei der Gründung der Hamburger Universität Vergleicht man die Gründung der Hamburger Universität mit der in Frankfurt, fällt ein weiterer wesentlicher Unterschied ins Auge. Keine der Personen, die versucht haben, den Charakter der Hamburger Universität zu bestimmen, hat die Rolle der jüdischen Stifter erwähnt. Doch jüdische Stifter spielten durchaus eine Rolle, wenn auch eine andere als bei der Frankfurter Universitätsgründung. Zunächst engagierten sich jüdische Stifter für die Wissenschaftliche Gesellschaft. In diesem Zusammenhang sind vor allem die Bankiers, Kaufleute und Reeder Max M. Warburg, Alfred Beit und Albert Ballin zu nennen, die sich ganz ähnlich wie die Frankfurter Kaufleute, Fabrikanten und Bankiers Wilhelm Merton, Arthur Weinberg und Georg Speyer verhielten. Weiterhin führte die Gründungsliste der Stiftung zahlreiche Juden an, zu denen u. a.
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Werner von Melle und Karl Rathgen, Hamburgische Universität. Reden. Hamburg 1919, 6. Melle und Rathgen, Universität, 11. Melle und Rathgen, Universität, 27. Die Grundlage für die „breit ausgebaute Hochschule" war das „Kolonial-Institut". Sein Ziel war: „Erforschung der überseeischen Welt und Ausbildung oder Fortbildung deijenigen, welche sich für die Tätigkeit in Übersee, besonders aber in den deutschen Kolonien wissenschaftlich vorbereiten wollten." In 1919 the colonies had been stolen „entgegen den abgemachten Friedensbedingungen den Deutschen durch einen mit einer Lüge verbundenen Federstrich geraubt." Adolf Rein, Die Hansische Universität. Hamburg o. J. (1937), 3f.
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Max Cohen, August Heckscher, Ferdinand Kugelmann, A. Lewisohn, Louis Rosenfeld und die Familie Rosenstern gehörten. 54 Weiterhin trugen viele Juden zum Bau des Vorlesungsgebäudes im Jahre 1911 bei Entsprechend ihrer Hilfe für die Wissenschaftliche Gesellschaft. Die Gründungsliste verzeichnete viele jüdische Stifter, darunter wiederum Albert Ballin. 55 Außerdem unterstützten jüdische Stifter das Kolonialinstitut. Max M. Warburg beispielsweise war ein Mitglied des Beirats. 56 Während die Aktivitäten für die Wissenschaftliche Gesellschaft und für das Vorlesungsgebäude viele Ähnlichkeiten mit den Ereignissen in Frankfurt aufwiesen, will die Unterstützung des Kolonialinstituts nicht in dieses Bild passen. Die jüdischen Stifter in Frankfurt verfolgten im Bereich der Naturwissenschaften, zu der auch die medizinische Forschung gehörte, ziemlich klare Ziele zugunsten der mächtigen Chemieindustrie im Frankfurter Umland. Weiterhin forderten sie die Sozialwissenschaften als Grundlage einer modernen Sozialpolitik. Dagegen sahen die führenden jüdischen Stifter Hamburgs im Kolonialinstitut und seiner Ausweitung zu einer Universität ein Mittel zur Fortsetzung der kaiserlichen Kolonialbestrebungen. Diese Nähe zur imperialistischen Politik des Kaisers unterschied die Hamburger jüdischen Stifter deutlich von den Frankfurtern. Es ist bekannt, dass sich führende Juden wie Albert Ballin um eine enge Beziehung zum deutschen Kaiser bemühten. Max M. Warburg gehörte ebenfalls dieser Gruppe an, die Moshe Zimmermann als die „Kaiser-Juden" bezeichnete. Wichtiger aber ist, dass Warburg sehr klar definierte Ziele bezüglich der deutschen Kolonien verfolgte. Wie andere deutsche Bankiers unterstützte er den Plan eines geschlossenen deutschen Kolonialreichs in Zentralafrika. Er machte auch gar kein Geheimnis daraus, dass dieses Ziel für ihn große Bedeutung hatte. In seinen Erinnerungen hielt er fest: „Ich darf wohl sagen, daß kein Bankhaus in Deutschland sich so zielbewußt für die Betätigung Deutschlands in den Kolonien interessiert hat wie das unserige. Durch meine Mitarbeit in der Handelskammer habe ich auch indirekt, wo immer es möglich schien, die kolonialen Bestrebungen unterstützt." 57 Weiterhin war er der Meinung, dass keine andere Stadt in Deutschland „wie Hamburg geeignet (sei) diese Reichsaufgabe zu lösen". 58 Tatsächlich finanzierte das Bankhaus Warburg den Eisenbahnbau in den deutschen Kolonien Kiautschou und Kamerun. Auch versuchte Warburg das Engagement des Kaisers in Marokko für seine Firma zu nutzen und beteiligte sich am Versuch, die portugiesischen Kolonien in Zentralafrika zu übernehmen. Zu diesem 54 Vgl. Fouquet, Gründung, 58-61, und Renate Hauschild-Thiessen, Ferdinand Kulgelmann (18401915), Mitbegründer der Hamburgischen Wissenschaftlichen Stiftung, und das Ende seiner Familie, in Hamburgische Geschichts- und Heimatblätter, 10, 2002, 222-241. Ein Gemälde der Gründer findet sich in: Das Vorlesungsgebäude in Hamburg 1911-2004. Festschrift aus Anlass der Neugestaltung des Hauptgebäudes der Universität Hamburg. Hamburg 2004, 10. 55 Förster, Vorlesungsgebäude, 73fp 56 Fouquet, Gründung, 75. 57 Warburg, Aufzeichnungen, 24. Siehe auch Markus Meier, Der jüdische Bankier Max M. Warburg und seine Rolle in der deutschen Politik bis 1919. Ms. Hamburg 1989, 64ff. 58 Max Warburg in der Sitzung der Hamburger Bürgerschaft vom 29. Oktober 1913. Zitiert in: Meier, Warburg, 65.
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Zweck wurde 1914 das Überseestudiensyndikat gegründet. Zu den Mitgliedern dieses Syndikats gehörten das Bankhaus M. Warburg, Albert Ballins HAPAG, die HamburgWoermann Reederei, die Norddeutsche Bank und die Deutsche Bank. 5 9 Wie Warburg beteiligte sich auch Alfred Beit in großem Umfang an kolonialen Untern e h m u n g e n - wenn auch nicht auf deutscher Seite. Beit ähnelte in seinen imperialistischen Überzeugungen sowie seinen kolonialpolitischen Unternehmungen sehr Max Warburg - obwohl er Deutschland verlassen und englischer Staatsbürger geworden war und dementsprechend nicht das Deutsche Kaiserreich, sondern das Britische Empire unterstützte. Alfred Beit war der Sohn eines Hamburger Kaufmanns jüdischer Herkunft. Im Jahre 1874 wurde er nach Amsterdam geschickt, u m sich mit dem Diamantenhandel vertraut zu machen. Ein Jahr später zog er nach Südafrika und stieg in das Diamantengeschäft der Lipperts ein. Kurz d a r a u f l i e ß er sich 1878 in Kimberley mit einem eigenen Diamantengeschäft nieder. Außer auf Diamanten gründete Beits Vermögen, das auf vier Milliarden Goldmark geschätzt wurde, auf Goldminen in der Südafrikanischen Provinz Transvaal. Hier gelang es ihm bis Ende der 1880er Jahre, ein Imperium aus zahlreichen Goldminen aufzubauen. 6 0 Er stieg zu einem der führenden Investoren in Diamanten- und Goldbergwerke im Rand auf. Gemeinsam mit seinem Freund Cecil Rhodes engagierte er sich weiterhin f ü r die britischen Interessen und Kolonialaktivitäten. Seine Beziehung zu Rhodes hatte starken Einfluss auf sein weiteres Leben. Beide gehörten dem Vorstand der De Beers Diamond Company an und Beit teilte Rhodes Überzeugungen und Ideale bezüglich der Kolonialpolitik. Zudem ergänzten sich beide sehr gut in geschäftlicher Hinsicht. 61 Zusammen mit Rhodes und Dr. Jameson wurde Beit bald zu einem der wichtigsten u n d einflussreichsten Männer in Südafrika und Rhodesien. In diesem Zusammenhang investierte Beit in die geplante Eisenbahnstrecke vom Kap der Guten H o f f n u n g bis nach Kairo und wurde dabei in die kriegerischen Auseinandersetzungen um die Provinz Transvaal involviert. Nach seiner Rückkehr nach Europa ließ er sich im Jahre 1889 in London nieder. Er wurde einer der Direktoren der Chartered Company, auch British South Africa Company genannt, die die englischen Interessen im Gebiet des zukünftigen Rhodesiens vertrat. 6 2 1 896 mussten Beit und Rhodes ihre Direktorenposten in der Gesellschaft niederzulegen, da sie in die Turbulenzen des Jameson Raids v o n 1895 verwickelt waren. 6 3 Das hinderte Beit jedoch nicht daran, im Burenkrieg von 1899 bis 1902 die britische Seite mit erheblichen Geldbeträgen zu unterstützen, 59 60 61 62 63
Alfred Vagts, Bilanzen u n d Balancen. Aufsatze zur internationalen Finanz u n d internationalen Politik. Bodenheim 1987, 347f. Eric Zinnow, Die Beit Chronik. Die Geschichte einer Familie v o n ihren Ursprüngen bis in die Gegenwart. Würzburg 1995, 52. G. S e y m o u r Fort, Alfred Beit. A Study of the Man and his Work, London 1932, 92f., u n d Christian Justus, Das Leben und Wirken des Hamburger Kaufmannes Alfred Beit. Hamburg 1990, 2 1 - 2 3 . Hermann Kinder und Werner Hilgemann, Zeitalter des Imperialismus. 2 Bde. München 1976, Bd. 2, 102 f. Justus, Leben, 45.
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bis er schließlich 1902 einen Schlaganfall erlitt und wenige Jahre später starb. 64 Bei seinem Tod verfügte er zwei Millionen Pfund für Wohltätigkeitszwecke in England, Deutschland und Südafrika. 65 Dabei ist festzuhalten, dass Beits Lebensmittelpunkt nicht Hamburg, sondern London war. Auch wenn er große Geldsummen für die Hamburger Universität spendete, so waren diese jedoch bei Weitem nicht so hoch, wie die Ausgaben für Kunst und wohltätige Zwecke in London.
Schlussfolgerung Wie dargestellt wurde, waren die Unterschiede zwischen den Frankfurter und Hamburger Universitätsprojekten erheblich. In Frankfurt entstand die Universität aus einem Netzwerk aus wissenschaftlichen Vereinen und zahlreichen Stiftungen für wissenschaftliche Zwecke. Das wohlhabende Frankfurter Bürgertum und zuvorderst die jüdischen Kaufleute und Bankiers beteiligten sich bereitwillig an diesem Projekt und seiner Finanzierung. Sie schufen eine Universität nach ihrem Willen und in möglichst großer Distanz zum Staat. Gemäß ihren Interessen orientierten sie sich am wissenschaftlichen Fortschritt, und zwar sowohl in den Naturwissenschaften, insbesondere in Medizin, Chemie und Physik, als auch in den jungen Sozialwissenschaften. In Hamburg erreichte das Netzwerk aus Vereinen und Stiftungen nicht dieselbe Größe wie in Frankfurt. Der Kern der Hamburger Universität bestand nicht aus zivilgesellschaftlichen Vereinigungen, sondern aus dem Kolonialinstitut. Die Hamburger Bürger vertrauten nicht auf ihre wirtschaftliche Stärke, sondern schreckten vor den finanziellen Verpflichtungen zurück. Sie zögerten im Gegensatz zu Frankfurt nicht, die Hilfe des Staates in Anspruch zu nehmen und verknüpften die Universitätspläne sehr eng mit den Kolonialinteressen des Kaiserreichs. Es mag sein, dass diese enge Verbindung zur Kolonialpolitik mit ein Grund dafür war, dass das Universitätsprojekt im Jahre 1911 Schiffbruch erlitt. Nach allem, was aus den Quellen geschlossen werden kann, wäre die Universitätsgründung nicht zu Stande gekommen, wenn der Coup der Professoren des Kolonialinstituts, denen die Schließung ihrer Einrichtung drohend vor Augen stand, in dem Chaos nach der Revolution von 1918 nicht Erfolg gehabt hätte. So haben wir es mit dem interessanten Phänomen zu tun, dass zwei relativ homogene, vernetzte Gruppen wohlhabender jüdischer Stifter - trotz eines ähnlichen sozialen Milieus und einer ähnlichen Elitestruktur - im Falle zweier Großprojekte, nämlich der Universitätsgründungen in Frankfurt und Hamburg, völlig unterschiedlich agierten.
64 Beits Gesellschaft bezahlte die Pferde, die die Britischen Regimenter benötigten, für Krankenhäuser und Kriegsmaterial und ü b e r n a h m die Garantie über 30 Millionen Pfund für Reparationen. Justus, Leben und Wirken, 46-48. 65 Anette v a n Straelen, Alfred Beit. The Case of an International Collector and Patron. Ms. London 1998, 1 and Appendix I-IV. Siehe auch: Alfred Beit and John Gilbert Lockhart, The Will and the Way. Being an Account of Alfred Beit and the Trust which he founded. London 1957.
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Die volkswirtschaftliche Bedeutung von Stiftungen und „totem Kapital" Von Thomas Adam
Stiften vor dem Ersten Weltkrieg zeichnete sich, wie Hans Liermann so treffend formulierte, durch ein „doppeltes Vertrauen" „in die Währung und ... in den Staat" aus.1 Das Vertrauen in die Währung und - man sollte ergänzen - in staatlich garantierte Wertpapiere sowie Pfandbriefe führte dazu, dass die überwältigende Mehrzahl der Stiftungen im 19. Jahrhundert als Kapitalstiftungen entstand. Scheinbar hatten sich noch nicht einmal diejenigen Stifter Gedanken an eine mögliche Entwertung dieser Kapitalien gemacht, die noch während des Ersten Weltkrieges Stipendienstiftungen mit Bargeld oder Kriegsanleihen errichteten. „Sie hatten alle keine wirklich umwälzenden politischen Ereignisse erlebt. Es mangelten ihnen also die Erfahrungen, die wir heute in so reichem Maße gemacht haben. Insbesondere waren auch die Verfallserscheinungen von Währungen, wie sie die Zeit der Französischen Revolution und der Napoleonischen Kriege gebracht hatte, gänzlich aus dem Gedächtnis geschwunden."2 Dieses Vertrauen war an ein Vertrauen in den Staat und dessen Bestimmung der mündelsicheren Anlage von Stiftungskapitalien gekoppelt. Als Mündel galt eine Person oder Einrichtung, die keinen Status als Rechtsperson besaß und daher auch keine eigenen Entscheidungen über vorhandene Vermögenswerte (Mündelkapitalien) treffen konnte. Diese Person oder Einrichtung bedurfte des Schutzes durch einen Verwalter, dessen Handlungen zum Besten des Mündels erfolgen sollten und aus diesem Grund durch staatliche Bestimmungen geregelt werden mussten. Eine mündelsichere Anlage von Kapitalien diente daher dem Schutz und der Erhaltung der betreffenden Kapitalien. Stifter und Staat bestanden auf einer sicheren Anlage der gestifteten Kapitalien, die beiden Parteien nur in staatlich garantierten Wertpapieren gegeben schien. Wohl kaum jemand konnte ahnen, dass es gerade die Anlage der Stiftungskapitalien in staatlichen Schuldverschreibungen war, die das deutsche Stiftungswesen nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg in eine ernste Krise stürzen würde. Wie in diesem Aufsatz am Beispiel der von den Universitäten verwalteten Stipendienstiftungen gezeigt werden soll, führte die Inflation zwar zu einer drastischen Entwertung der vorhanden Stiftungskapitalien, aber noch nicht zum Untergang dieser Stiftungen. 3 Auch wenn die Stiftungskapitalien deutlich entwertet wurden, zeichnete
1 2 3
Hans Liermann, Handbuch des Stiftungsrechts I. Band: Geschichte des Stiftungsrechts, Tübingen 1963, S. 282. Ebenda, S. 282. Zur Geschichte der universitären Stipendienstiftungen siehe: Thomas Adam, Stipendienstiftungen und der Zugang zu Höherer Bildung in Deutschland von 1800 bis 1960, Stuttgart 2008.
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Thomas A d a m
sich in den 1920er und 1930er Jahren eine allmähliche Wiederherstellung der Stiftungen ab, die allerdings nicht mehr das Vorkriegsniveau erreichte. Darüber hinaus sollen in diesem Aufsatz auch die volkswirtschaftlichen Auswirkungen eines starken Stiftungssektors diskutiert werden, wie er im Deutschen Kaiserreich existierte. In der zeitgenössischen Diskussion wurden Stiftungen von konservativen und liberalen Kritikern oftmals wegen ihrer gesellschaftsgestaltenden und damit den Status quo gefährdenden Kraft sowie der Absorbierung gewaltiger Kapitalien in „totes" Stiftungskapital beargwöhnt. 4 Stiftungen entzögen der deutschen Volkswirtschaft umfassendes Kapital, so die Kritik von Heinrich Rittershausen, und wären daher ein Hindernis für die industrielle Expansion Deutschlands. Auch wenn wir keine vollständigen Statistiken über den Umfang des in Stiftungskapital angelegten „toten Vermögens" für die Zeit vor 1914 besitzen, wird aus den wenigen vorhandenen Statistiken deutlich, dass seit Mitte des 19. Jahrhunderts gewaltige Summen, die einen nicht unbeträchtlichen Teil der Volkswirtschaft einzelner Bundesstaaten ausmachten, in Stiftungen festgelegt waren. So betrug das Gesamtvermögen der badischen Stiftungen im Jahre 1868 ca. 82 Millionen Mark, während sich das Gesamtvermögen der knapp 18.000 Stiftungen im benachbarten Bayern zwanzig Jahre später (1888) auf mehr als 420 Millionen Mark belief. 5 Heinrich Rittershausen schätzte das Gesamtvermögen der deutschen Stiftungs- und Mündelgelder vor dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges auf etwa 50 Milliarden Mark. 6 Kann dieses Kapital wirklich als „totes Kapital" bezeichnet werden? Oder gelang es den bundesstaatlichen Regierungen, dieses Kapital für volkswirtschaftlich oder politisch zentrale Projekte zu mobilisieren? Es geht in diesem Beitrag also nicht um die Zinsen dieses Stiftungskapitals, dessen Verwendung für gemeinnützige Zwecke in Stiftungssatzungen und Statuten festgesetzt worden war. Es geht vielmehr um die Stiftungskapitalien, die nicht für die Stiftungszwecke verwendet werden durften und daher in verzinslichen, aber sicheren Wertpapieren und Hypotheken angelegt werden mussten. Im Laufe des 19. Jahrhunderts kam es dazu, dass diese Stiftungskapitalien rechtlich und finanztechnisch wie Mündelkapitalien behandelt wurden, die mündelsicher angelegt werden mussten. Zu diesem Zwecke entwickelten die Regierungen der einzelnen deutschen Staaten Rechtsvorschriften, die mündelsichere Anlagen definierten und damit dem Verlangen der Stifter nachkamen, die Sicherheit der Stiftungskapitalien zu garantieren. Am Beispiel der Stipendienstiftungen soll im Folgenden die Praxis der Kapitalanlage sowie die Instrumentalisierung der Stiftungskapitalien durch den Staat analysiert werden. Da es den jeweiligen bundesstaatlichen Regierungen offen stand zu bestim-
4
5 6
Liermann, Handbuch des Stiftungsrechts, S. 248; Lawrence M. Friedman, Tod, Eigentum und Familie. Die Vereinigten Staaten im 19. und 20. Jahrhundert, in: Hannes Siegrist und David Sugarman (Hg.), Eigentum i m internationalen Vergleich (18. - 20. Jahrhundert), Göttingen 1999, S. 4 5 - 6 2 . Felix Hecht, Die Mündel- und Stiftungsgelder in den Deutschen Staaten, Stuttgart 1875, S. 1; Zeitschrift des k. bayr. statistischen Bureau 1891 Heft 1, S. 41. Heinrich Rittershausen, Die Reform der Mündelsicherheitsbestimmungen und der industrielle A n l a g e kredit. Zugleich ein Beitrag zum Erwerbslosenproblem, Jena 1929, S. 8.
Die volkswirtschaftliche Bedeutung von Stiftungen und „totem Kapital"
181
men, welche Form der Kapitalanlage als mündelsicher galt und welche nicht, 7 hatten sie indirekt Zugriff auf die Anlage der Stiftungskapitalien. Mit der Bestimmung, dass Stiftungskapitalien in Staatspapieren angelegt werden dürften, war es den Regierungen in den einzelnen Bundesstaaten möglich, dieses „tote Kapital" im Interesse ihrer Politik einzusetzen. Im Falle der Stipendienstiftungen überschnitt sich das Prinzip der mündelsicheren Anlage mit der Rechtsform der unselbständigen Stiftung. Da diese Stiftungen von staatlichen Behörden (hier den Universitäten) verwaltet wurden und nicht unabhängig von Stiftungsvorständen, hatte der Staat direkten Zugriff auf die Stiftungskapitalien und konnte daher bestimmen, in welcher Form diese angelegt werden mussten. In Zeiten wirtschaftlicher Stabilität und friedlicher Koexistenz drohte diesen Stiftungen keine Gefahr. Da der deutsche Staat sich aber dazu entschloss, den im Jahre 1914 ausgebrochenen Krieg nicht durch Steuern, sondern unter anderem durch Kriegsanleihen zu finanzieren,8 rückten die Stiftungskapitalien der unselbständigen Stiftungen rasch in das Blickfeld der Regierung. Sehr schnell wurde klar, dass durch die Anlage dieser Stiftungskapitalien in Kriegsanleihen umfangreiche Finanzmittel mobilisiert werden konnten, ohne dass Individuen zuvor von der Nützlichkeit dieser Kriegsanleihen überzeugt werden mussten. Dieser Schritt an sich war zwar gefährlich, schadete den Stipendienstiftungen aber nicht unbedingt. Erst die deutsche Niederlage und die folgende Inflation, die Adolf Bauser mit den Worten „Inflationspolitik" bezeichnete, trafen die Stipendienstiftungen vernichtend. 9 Damit bestand die bittere Ironie des Prinzips der mündelsicheren Anlage von Stiftungskapitalien gerade im Widerspruch zwischen dem patriarchalischen Anspruch des deutschen Staates, die Stiftungsgelder einerseits vor spekulativer Anlage und drohender Entwertung schützen zu wollen, und andererseits seiner gezielten Einsetzung der Stiftungsgelder zur Kriegsfinanzierung, die letztlich zu einer nachhaltigen Entwertung eben dieser Stiftungskapitalien führte. Das Prinzip der Mündelsicherheit ist daher zweifellos eine der wesentlichen Ursachen für den Niedergang des deutschen Stiftungswesens nach 1914, insbesondere im Bereich der Kapitalstiftungen. 10
7 8
Für eine Übersicht dieser Regelungen siehe: Hecht, Die Mündel- und Stiftungsgelder, S. 11-144. Die Finanzen des Deutschen Reichs in den Rechnungsjahren 1914-1918, in: Finanzarchiv: Zeitschrift für das Gesamte Finanzwesen 36 (1919), S. 249. 9 Prof. A. Bauser, Die Tübinger Universitätsstipendien unter Inflation und Aufwertung, in: Schwäbischer Merkur vom 16. Juli 1927. Adolf Bauser vertritt in seinem Artikel die Ansicht, dass die Inflation Resultat politischer Entscheidungen und nicht das zwangsläufige Ergebnis ökonomischer Entwicklungen war. Eberhard Kolb, Die Weimarer Republik, München 1993, S. 43-44. Die neuere Forschung zur Inflation zusammenfassend: Theo Balderston, Economics and Politics in the Weimar Republic, Cambridge 2002, S. 34-60. 10 Siehe hierzu Th. Kipp, Mündelsicherheit, in: Beiträge zur Erläuterung des deutschen Rechts 1923, S. 497-98.
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Thomas Adam
Die Funktion von universitären Stipendienstiftungen Bei den universitären Stipendienstiftungen handelte es sich um unselbständige Stiftungen, die von Angehörigen des Bildungsbürgertums, des Wirtschaftbürgertums sowie des Adels und der Staatsbeamtenschaft mit dem Ziel der finanziellen Förderung von Studenten begründet und der Verwaltung der betreffenden Universität anvertraut wurden. 11 Sie entstanden als Ergebnis individueller Entscheidungen und waren oft mit der Intention verbunden, ein verstorbenes Familienmitglied (Ehemann, Vater, Sohn) zu ehren, oder sie entstanden aus Sammlungen unter Verehrern, Schülern und Kollegen eines Professors, dessen Jubiläum (Amtszeit oder Doktoijubiläum) durch diese Sammlung gefeiert werden sollte. Und obwohl mehr Männer als Frauen als Stifter auftraten, war die Errichtung von Stipendienstiftungen keineswegs nur Männern vorbehalten. Frauen traten entweder selbst als Stifterinnen in Erscheinung oder gründeten zusammen mit ihren Ehemännern oder Brüdern entsprechende Einrichtungen. 12 Infolge dieser philanthropischen Aktivitäten wurden die deutschen Universitäten mit 746 Stipendienstiftungen versorgt, die mit einem Gesamtvermögensbestand von knapp 15 Millionen Mark (Stand 1914) ausgestattet waren. 13 Aus zeitgenössischen amtlichen Statistiken geht hervor, dass mehr als 36°/o aller preußischen Studenten in den Jahren von 1886 bis 1888 Studien Förderungen in Form von Stipendien, Freitischen oder Stundung bzw. Erlass der Studiengebühren erhielten. Stipendien waren die wohl wichtigste Form der Studienförderung. So bezogen im Jahre 1888 immerhin 21% der an preußischen Universitäten eingeschriebenen Studenten ein Stipendium, das sich auf 150 bis 400 Mark jährlich belaufen konnte. 14 Auch wenn diese Stipendien keineswegs die gesamten Lebenshaltungs- und Studienkosten der betreffenden Studenten abdeckten, waren sie doch ein wesentlicher Zuschuss, der oftmals darüber entschied, ob ein Student das Studium beenden konnte, oder ob er es abbrechen musste. 15 An kleineren Universitäten wie zum Beispiel der Universität Greifswald hatten Studenten außergewöhnlich gute Aussichten auf die Bewilligung von Still
45°/o aller universitären Stipendienstiftungen wurden von Angehörigen des Bildungsbürgertums, 21 °/o von Angehörigen des Wirtschaftsbürgertums und 34°/o von Angehörigen des Adels und Staatsbeam-
ten begründet. 12 21 % aller universitären Stipendienstiftungen wurden von Frauen ins Leben gerufen, weitere 8,7 Prozent wurden von Ehepaaren oder Geschwistern gemeinsam errichtet. 13 Adam, Stipendienstiftungen, S. 28-58. 14 Preußische Statistik No. 102: Statistik der preußischen Landesuniversitäten mit Einschluß der theologisch-philosophischen Akademie zu Münster und des Lyceums Hosianum zu Braunsberg, für das Studienjahr Michaelis 1886/87, Berlin 1890, S. 73; Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, Hauptabteilung I, Rep. 76 Va Sekt. 1 Tit. XI, Abt. XI, Nr. 64, Bd. I, Bl. 15-20: „Denkschrift, betreffend die Herbeiführung einer Neuordnung des Stipendienwesens für die Preußischen Universitäten" (23.7.89). Siehe hierzu auch: Hartmut Titze, Das Hochschulstudium in Preußen und Deutschland 1820-1944 (Datenhandbuch zur deutschen Bildungsgeschichte Bd. I: Hochschulen Teil I), Göttingen 1987, S. 282; Fritz Ringer, Die Zulassung zur Universität, in: Walter Rüegg (Hg.), Geschichte der Universität in Europa Bd. III: Vom 19. Jahrhundert zum Zweiten Weltkrieg 1800-1945, München 2004, S. 212-13. 15 Zu den Lebenshaltungs- und Studienkosten siehe: Friedrich Paulsen, The German Universities. Their Character and Historical Development, New York/London, 1895, S. 186.
Die volkswirtschaftliche B e d e u t u n g v o n S t i f t u n g e n u n d „totem Kapital"
183
pendien. Auch wenn es an der Universität Greifswald beispielsweise im Vergleich zu Berlin weniger Stipendien gab, „die an sich nicht viel bedeuten", war deren Zahl im Verhältnis zur Zahl der eingeschriebenen Studenten doch so hoch, dass ein überdurchschnittlich hoher Teil der Studentenschaft Stipendien erhielt und „das Witzwort entstand, daß die Immatrikulation an die Annahme eines Stipendiums geknüpft sei." 16 Die hier behandelten Stipendienstiftungen waren allerdings nicht dazu bestimmt, Angehörigen der unteren Schichten (Arbeiter oder Bauern) ein Hochschulstudium und damit verbunden einen sozialen Aufstieg zu ermöglichen. Sie trugen nicht zu einer Demokratisierung der Hochschulbildung bei, sondern verfestigten die fast unüberwindbaren Schranken, die Angehörige der unteren Schichten von den Universitäten ausschlössen. 17 Stipendiaten kamen fast immer aus kleinbürgerlichen und bürgerlichen Kreisen und waren aufgrund des Todes ihres Vaters oder einer größeren Zahl von Geschwistern auf finanzielle Unterstützungen angewiesen, um ein bereits begonnenes Hochschulstudium beenden und damit die soziale Position ihrer Familie erhalten zu können. Stipendienstiftungen stabilisierten daher die bürgerliche Gesellschaft und verhinderten eine Pluralisierung der Bildungseliten. Dies ist umso erstaunlicher, als die meisten der nach 1800 errichteten Stipendienstiftungen keine Familienstiftungen waren, die nur Angehörigen der Stifter zugute kommen sollten. Nur 142 der 525 Stipendienstiftungen der zwischen 1800 und 1946 errichteten Stiftungen waren Familienstiftungen, die Stipendien ausschließlich (36) oder bevorzugt (106) an Nachkommen der Stifter verliehen. Dem standen 383 allgemeine Stipendienstiftungen gegenüber, die Stipendien an „bedürftige", also Studenten aus bürgerlichen Familien, die aufgrund des Todes ihres Vaters oder einer großen Zahl von „unversorgten" Geschwistern auf finanzielle Unterstützung angewiesen waren, und „würdige" Studenten vergaben, deren regionale Herkunft, Staatszugehörigkeit, Studienfachwahl, Religion etc. in den Stiftungsstatuten festgelegt waren.
Das Prinzip der Mündelsicherheit Schon bevor im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) eine national verbindliche Regelung über die Anlage von Stiftungskapitalien existierte, gab es in den einzelnen Bundesstaaten Regelungen darüber, wie das Kapital von Stiftungen angelegt werden durfte. Im Normalfall durften Mündel- und Stiftungskapitalien nur in (1) Grundstücke, (2) Hypotheken, (3) Staatsschuldscheine, (4) „und einige Papiere gleicher Qualität bei Sparkassen und einigen andern Kassen" 18 angelegt werden. In Sachsen zum Beispiel
16 Victor Schultze, Die geschichtliche Entwicklung der Greifswalder Universität, in: Taschenbuch der Universität Greifswald 1928, Greifswald 1928, S. 32. 17 Siehe hierzu: Konrad H. Jarausch, Deutsche Studenten 1800-1970, Frankfurt am Main 1984, S. 71-81. 18 Hecht, Die Mündel- und Stiftungsgelder, S. 154.
184
Thomas Adam
„mußte der Vormund inländische Staatspapiere oder diesen gleichgestellte Kreditpapiere kaufen oder das Geld gegen ausreichende Hypothek oder sonstige Sicherheit zinsbar ausleihen." 1 9 Im Preußischen Allgemeinen Landrecht galten allein die Anlage in Hypotheken sowie der Erwerb von Grundeigentum als sichere zinsbare Anlagen. Darüber hinaus wurde die Anlage in Staatspapieren zugelassen, jedoch erst an dritter Stelle nach Hypotheken und Grunderwerb. 2 0 „Die preußische Allgemeine Dispositalordnung vom 15. September 1783 und die zu ihr ergangenen zahlreichen Ausführungserlasse erweiterten diesen herkömmlichen Katalog sicherer Werte nur um die landschaftlichen Pfandbriefe, bei denen eine SpezialVerpfandung von Hypotheken vorlag, und in der Mitte des neuen Jahrhunderts um die mit Staatsgarantie ausgegebenen Eisenbahnobligationen deutscher Privatbahnen." 2 1 Während des gesamten 19. Jahrhunderts änderte sich an dieser Regelung kaum etwas. Als im Jahre 1875 eine neue Preußische Vormundschaftsverordnung erlassen wurde, führte dies zwar zu einer Neuorganisation der vorhandenen Regeln, jedoch nicht zu ihrer Veränderung. Entsprechend dieser Regelung mussten „Gelder, welche zu laufenden oder zu anderen durch die Vermögensverwaltung begründeten Ausgaben nicht erforderlich sind,... in Schuldverschreibungen, welche von dem Deutschen Reiche oder von einem Deutschen Bundesstaate mit gesetzlicher Ermächtigung ausgestellt sind, oder in Schuldverschreibungen, deren Verzinsung von dem Deutschen Reiche oder von einem Deutschen Bundestaate gesetzlich garantirt ist, oder in Rentenbriefen der zur Vermittelung der Ablösung von Renten in Preußen bestehenden Rentenbanken, oder in Schuldverschreibungen, welche von Deutschen kommunalen Korporationen (Provinzen, Kreisen, Gemeinden etc.), oder von deren Kreditanstalten ausgestellt und entweder Seitens der Inhaber kündbar sind, oder einer regelmäßigen Amortisation unterliegen, oder auf sichere Hypotheken oder Grundschulden, zinsbar" angelegt werden. 2 2 Wie willkürlich und politisch motiviert die Bestimmung der als mündelsicher definierten Kapitalanlagen sein konnte, zeigt das Beispiel der Lamont'schen Stipendienstiftung an der Universität München. Das Stiftungskapital dieser 1854 gegründeten Stipendienstiftung wuchs von 9000 Gulden (1854) außerordentlich rasch auf 194.200 Mark (1902) bzw. 206.176 Mark (1910) an. Dies war unter anderem der Tatsache geschuldet, dass in den ersten drei Jahrzehnten ein Großteil der Wertpapiere dieser Stiftung in hochverzinslichen österreichischen Wertpapieren angelegt worden war. Im Jahre 1882 bestimmte nun die deutsche Regierung, dass die österreichischen Wertpapiere nicht mehr als mündelsicher galten. Sie zwang die Universität dazu, diese Wertpapiere zu verkaufen und an ihrer Stelle deutsche Wertpapiere zu erwerben.
19 20 21 22
Kipp, Mündelsicherheit, S. 498. Rittershausen, Die Reform der Mündelsicherheitsbestimmungen, S. 27, 29. Ebenda, S. 30. Vormundschaftsverordnung vom 5. Juli 1875 (abgedruckt in: Gesetz-Sammlung für die Königlichen Preußischen Staaten 1875, S. 431-454), S. 439.
Die volkswirtschaftliche Bedeutung von Stiftungen und „totem Kapital"
185
Da die Wertpapiere unter Wert verkauft werden mussten, kam es zu einem erheblichen Verlust.23 Die Bestimmungen der Preußischen Vormundschaftsverordnung wurden im Wesentlichen unverändert in das BGB übernommen. Die einzige Veränderung bestand in der Zulassung der Sparkassen „für die dauernde Anlage von Mündelgeldern".24 Darüber hinaus erhielt der Bundesrat die Befugnis zu bestimmen, welche Aktien als mündelsicher galten und welche nicht. Nach § 1807 galten als mündelsicher: (1) Anlagen in Hypotheken, Grundschulden oder Rentenschulden an inländischen Grundstücken, (2) verbriefte Forderungen gegen das Reich oder einen Bundesstaat sowie Reichsschuldbuchforderungen oder Staatsschuldbuchforderungen eines Bundesstaates, (3) verbriefte Forderungen mit Zinsgarantie des Reiches oder eines Bundesstaates (gleichgültig wer der Schuldner war), (4) Wertpapiere (insbesondere Pfandbriefe) sowie verbriefte Forderungen jeder Art gegen inländische kommunale Körperschaften oder Kreditanstalten einer solchen, soweit sie vom Bundesrat als mündelsicher eingestuft worden waren und (5) Anlagen bei öffentlichen Sparkassen.25 Diese Bestimmungen weisen daraufhin, dass sich der Gesetzgeber an einer vorindustriellen Gesellschaft und der Tradition des römischen Rechtssystems orientierte. Im Gegensatz zu Frankreich etwa, wo „der Kreis der für Mündelgelder geeigneten Anlagen nicht festgestellt"26 war, entschieden sich mit Ausnahme des Fürstentums Waldecks alle anderen deutschen Staaten für eine präzise Bestimmung der Anlagewerte, die für Mündel- und Stiftungsgelder erworben werden durften. Dabei folgte eine Mehrzahl von ihnen der im römischen Recht festgesetzten Klassifizierung der Anlagewerte. Sie gaben Anlagen in Grundstücken und Hypotheken zunächst den Vorrang vor allen anderen Werten. Lediglich Württemberg gab bei der Anlage von Mündel- und Stiftungsgeldern Staatspapieren den Vorzug vor Hypotheken und Grundstückserwerb.27 Felix Hecht erklärt die Bevorzugung von Grundstückserwerb und Hypotheken aus der wirtschaftlichen und rechtlichen Stellung von Immobilienwerten in vormodemen Gesellschaften. So verweist er darauf, dass „man in der früheren Wirthschaftsordnung keine anderen dauernden Anlagen kannte," 28 und dass Hypotheken „nicht deshalb, weil diese Werthe gegenüber anderen als vorzugsweise sicher galten," sondern „weil sie die einzigen waren, in welche eine stabile Anlage geschehen konnte..." 29 zur Anlage von Stiftungs- und Mündelgeldern bestimmt wurden. Darüber hinaus „war der Besitz von Immobilarwerthen ... nicht nur von wirtschaftlicher, sondern auch von 23 Universitätsarchiv München, Bestand I (Stipendien), I-III-29 (v. Lamontsches Stipendium), Maschinenschriftliche Aktennotiz ad 1368/11 aus dem Jahre 1911 (angeheftet an den Brief des VerwaltungsAusschusses der Ludwig-Maximilians-Universität an den Akademischen Senat der K. Ludwig-Maximilians-Universität vom 15. April 1911). 24 Rittershausen, Die Reform der Mündelsicherheitsbestimmungen, S. 31. 25 Kipp, Mündelsicherheit, S. 499-500; Rittershausen, Die Reform der Mündelsicherheitsbestimmungen, S. 10. 26 Hecht, Die Mündel- und Stiftungsgelder, S. 153. 27 Ebenda, S. 10-144. 28 Ebenda, S. 155. 29 Ebenda.
186
Thomas Adam
rechtlicher Bedeutung, weil an den Immobilienbesitz in einzelnen Staaten besondere Rechte sich knüpften." 30 Hecht und andere Kritiker dieser Beschränkungen wie der Rechtswissenschaftler Theodor Kipp (1862-1931) und der Finanzexperte Heinrich Rittershausen (1898-1984) forderten eine Reform der staatlich sanktionierten Grundsätze für die Anlage von Stiftungskapitalien dahingehend, dass sie die ökonomische Struktur der jeweiligen Gesellschaft reflektieren sollten. In den 1870er Jahren verwies Hecht in einer Kritik der rechtlichen Bestimmungen zur mündelsicheren Anlage von Stiftungskapitalien darauf, dass die Präferenz für Grundstückserwerb und Hypotheken einer vormodernen Gesellschaft entspräche und daher eine Reform dieser Bestimmungen notwendig sei. Das Prinzip der mündelsicheren Anlage an sich zog er allerdings noch nicht in Zweifel. Kipp und Rittershausen, die sich mit der Forderung nach einer mündelsicheren Anlage von Stiftungskapitalien in den 1920er Jahren (vor dem Hintergrund der Inflationserfahrung) befassten, unterzogen es dagegen einer grundsätzlichen Kritik. So sah Kipp in der Beschränkung der Anlagemöglichkeiten auf staatlich garantierte, aber niedrig verzinste Wertpapiere die Gefahr einer allmählichen Entwertung der Stiftungskapitalien, da ihr Realwert infolge der generellen Inflation langfristig betrachtet sinken würde.31 Damit griff Kipp die Bedenken des Rechtsexperten Alois Zeiler (1868-?) auf, der sich für die rechtlichen und finanziellen Aspekte des Stiftungswesens interessierte und der bereits 1912 darauf hinwies, dass Stiftungen infolge des fortschreitenden Kapitalschwundes ihre Funktionsfähigkeit verlieren würden. 32 Die meisten Stipendienstiftungen waren so angelegt worden, dass ihr Stiftungskapital konstant blieb. Alle auflaufenden Zinsen sollten für Stipendien verwendet werden. Nur in einzelnen Fällen, wie zum Beispiel im Falle der Caroline Helmrich-Stiftung an der Universität Jena, 33 bestimmten die Stifter, dass innerhalb einer bestimmten Zeitspanne bzw. bis eine bestimmte Summe als Stiftungskapital angespart worden war, keine Stipendien vergeben, sondern alle anfallenden Zinsen zur Vermehrung des Stiftungskapitals verwendet werden sollten. Damit stellte sich aber, so zumindest Zeiler, infolge des sinkenden Geldwertes über die Jahrzehnte hinweg eine schleichende Entwertung der Stiftungen ein („Dahinsiechen der alten Stiftungen"), die seiner Ansicht nach nur durch eine Veränderung der Verwaltungspraxis im Stiftungswesen aufgehalten werden könne. Zeiler schlug deshalb vor, dass „nie der ganze Jahresertrag für den Stif-
30 31 32
33
Ebenda. Kipp, Mündelsicherheit, S. 4 9 7 - 4 9 8 . Alois Zeiler, Stiftungszweck und Zeitablauf. Ein Vorschlag zur Abhilfe (Sonderabdruck aus dem Zentralblatt für freiwillige Gerichtsbarkeit, Notariat und Zwangsversteigerung 12 Jg. Heft 1, S. 11-17), S. 4. Dieser Aufsatz wurde auch abgedruckt in: Jahrbuch für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft im Deutschen Reich 33 (1909), S. 1718-1726. Siehe die A n g a b e n zur Helmrich Stiftung in: Universitätsarchiv Jena, BA 1308 (Acta académica betreffend: Stipendien- und Freitisch-Angelegenheiten im Allgemeinen, 1871 bis), Bl. 39-41 (Verzeichnis der Stipendien-Stiftungen an der Universität Jena deren Kasseführung v o m Universitätsrentenamt besorgt wird (Stand: 18. Juli 1914)).
Die volkswirtschaftliche Bedeutung von Stiftungen und „totem Kapital"
187
tungszweck verwendet werden dürfe, sondern jeweils ein bestimmter Teil admassiert werden müsse. Dadurch würde der Grundstock nicht bloß ziffernmäßig erhalten, sondern stetig vermehrt werden, insoweit nämlich, als es nötig wäre, um eine gegenüber dem Sinken des Geldwerts stets wirtschaftlich gleichbleibende Rente zur Verfügung zu haben." 34 Kritikern seines Vorschlages hielt Zeiler entgegen, dass sein Konzept allein darauf abzielte zu verhindern, dass „die Bedeutung des Stiftungsvermögens für die Erreichung des Stiftungszweckes, nicht sinke und nach und nach verschwinde."35 Das Argument, dass eine solche Regelung zu einer volkswirtschaftlich schädlichen Ansammlung von „totem Kapital" führe, entgegnete Zeiler, dass „der Grundstock des Stiftungsvermögens nur soweit allmählich erhöht wird, daß er gegenüber dem sinkenden Geldwert in seinem wirtschaftlichen Werte sich gleich bleibt."36 Übersicht über die der Akademischen Stipendienverwaltung der Universität Freiburg unterstellten Stipendien-, Reise- und Preisstiftungen 3 7 Nummer
Stiftung (Gründungsdatum]
Stiftungskapital in Mark 1873
Veränderung in Mark
1909
Ausgaben für Stiftungszwecke in Mark für 1899-1909
1
Apponex (1591)
11.628,51
?
?
?
2
Baader-Weinberger (1773)
75.518,31
?
?
?
3
Babst (1564)
62.706,97
90.564,75
+ 27.857,78
17.450,22
4
Bartz (1670)
17.015,75
19.162,75
+ 2147
2580,16
5
Battmann (1533)
28.261,00
32.082,73
+ 3821,73
8601,64
6
Bollen (1552)
12.218,61
?
?
?
7
Braun (1564)
6877,30
8459,39
+ 1882,09
2054,60
11.736,26
13.519,24
+ 1782,98
3133,21
22.557, 70
29.792,14
+ 7234,44
5598,47
8
Brisgoicus (1539)
9
Christoph Cassian (1570)
10
Dischler(1866)
11
Ehner (1575)
12 13 14
34 35 36 37
4567,19
5346,30
+ 779,11
1404,08
11.978,20
15.188,25
+ 3210,05
3665,62
Ens (1862)
7892,83
12.187,76
+ 4294,93
2791,50
Faber (1537)
4430,97
?
?
?
Faller (1634)
37.025,88
42.230,14
+ 5204,26
10.723,88
Universitätsarchiv Tübingen, 128/Allg. 9: Alois Zeiler, Stiftungszweck und Zeitablauf, S. 4. Zeiler, Stiftungszweck und Zeitablauf, S. 5-6. Ebenda, S. 5. Die Angaben in dieser Tabelle stammen aus verschiedenen Unterlagen aus dem Universitätsarchiv Freiburg i. Br. A 105/14833 (Stiftungsverwaltung der Universität Freiburg. Darstellung des reinen Vermögens der Stiftungen am 1. Juni 1873 und 1. Juni 1879 und Berechnung der Zu- und Abnahmen); A 105/14388 (Übersicht der Stiftungen an der Universität Freiburg, undatiert); B 1/2233 (Fragebögen für die Erhebung über die in Baden bestehenden Stiftungen mit Rechtspersönlichkeit v o m 31. August 1909).
188
Thomas Adam
15
Fattlin (1548)
32.663,23
33.910,74
+ 1247,51
6240,30
16
Feucht (1672)
25.618,80
37.229,98
+ 11.611,18
5995,99
17
Freiburg (1857)
5683,59
?
?
7
18
Gallmüller (1537)
36.815,62
42.582,58
+ 5766,96
10.452,20 1277,78
19
Grau (1552)
4338,17
4655,56
+ 317,39
20
Grieshaber (1868)
60.665,14
?
?
?
21
Hänlin (1621)
70.919,15
79.417,52
+ 8498,37
21.489,80
22
Hagmann (1573)
3841,95
4778,69
+ 936,74
1371,21
23
Hausmann (1632)
27.393,80
32.474,94
+ 5081,14
596,73
24
Helbling (1719)
13.456,60
16.519,29
+ 3062,69
3030,47
25
Held (1570/73)
4384,73
5238,24
+ 853,51
1242,88
26
Henning (1636)
20.972,89
20.043,88
- 929,01
207,24
27
Hölzlin (1857)
15.438,28
18.338,09
+ 2899,81
4608,08
28
Hoffer (1634)
8289,60
9908,83
+ 1619,23
2523,50
29
Huber (1598)
13.729,19
15.569,40
+ 1840,21
2010,70
30
Hundt (1620)
10.137,23
14.728,83
+ 4591,60
2912,55
31
Khurtz (1578)
5520,26
7558,29
+ 2038,03
1742,69
32
Kirchen (1580)
8569,51
11.054,32
+ 2484,81
1189,41
5943,74
?
?
?
33
Küblin (1605)
34
Kürser (1579)
13.589,55
18.412,86
+ 4823,31
3882,30
35
Landeckh (1572)
99.895,14
110.893.39
+ 10.998,25
30.302,62
36
Löffler (1840)
19.229,85
24.236,76
+ 5006,91
6174,78
37
Lorich (1611)
49.5626
?
?
?
38
M a n t z (1575)
16.772,88
18.261,62
+ 1488,74
3520,56
39
Matthias Cassian (1603)
22.483,65
25.896,12
+ 3412,47
4363,70
40
Mechel (1567)
3687,57
5324,44
+ 1636,87
1234,06
41
Merian (1851)
11.647,11
15.956,30
+ 4309,19
3203,94
42
Metzler (1606)
12.044,88
15.229,29
+ 3184,41
3250,46
43
Mock (1616)
26.544,30
31.781,36
+ 5237,06
7427,31
44
Molitor (1595)
17.895,32
20.367,07
+ 2471,75
3054,78
45
M ü n c h (1857)
5996,46
8517,63
+ 2521,17
2171,97
46
Neuburger (1518)
6771,65
8394,54
+ 1622,89
2128,39
47
Perleb (1845)
4373,23
9669,51
+ 5296,28
2278,37
48
Rosmann (1837)
5347,68
8769,35
+ 3421,55
1515,00
49
Sapianz (1507)
138.538,46
171.327,61
+ 32.789,15
47.498,50
50
Schmauß (1651)
9428,86
12.329,25
+ 2900,39
2936,34
51
Schreckenfuchs (1611)
24.405,77
27.646,80
+ 3241,03
4626,36
52
Setrich (1595)
15.509,88
14.407,61
- 1102,27
1090,08
Die volkswirtschaftliche Bedeutung von Stiftungen und „totem Kapital"
189
53
Tegginger (1600)
49.889,20
55.459,13
+ 5569,93
12.703,62
54
Vogt (1859)
15.440,35
18.643,65
+ 3203,30
4322,99
55
Wallwitz (1615)
6834,68
6493,46
-341,22
365,19
56
Weydenkeller (1653)
23.701,90
27.934,36
+ 4232,46
3041,91
57
Zimmermann (1876)
-
7172,06
-
1901,55
58
Bertz (1884)
-
5701,83
-
1347,20
59
Weingärtner (1889)
-
4818,64
-
783,35
60
Beuthner (1903)
Gesamt 1
-
31.685,86
-
3410,23'
1.243.771,89
1.327.873,12
216.058,16
283.430,47
Für den Zeitraum von 1903 bis 1909.
Vergleicht man einmal die Gesamtsummen des von den Stipendienstiftungen an der Universität Freiburg verwalteten Stiftungskapitals für die Jahre 1873 und 1909, so scheint der Unterschied nicht so groß zu sein (eine Differenz von 84.101 Mark und 23 Pfennige). Das hängt jedoch damit zusammen, dass in vielen Fällen vergleichende Zahlenangaben fehlen. So liegen nur für 48 der 60 hier aufgeführten Stipendienstiftungen vollständige Angaben über die Entwicklung des Stiftungskapitals zwischen 1873 und 1909 vor. Betrachtet man einmal nur diejenigen Stiftungen, über die wir vollständige Informationen besitzen, dann ergibt sich doch ein etwas anderes Bild. In drei Fällen verringerte sich das Stiftungskapital der betreffenden Stipendienstiftung. Der Gesamtverlust dieser drei Stiftungen belief sich auf 2372 Mark und 50 Pfennige oder etwa 5,5 °/o der Stiftungskapitalien (Stand 1873). Für die verbleibenden 45 Stiftungen ergab sich ein Kapitalzuwachs von 218.430 Mark und 66 Pfennige oder 41 °/o der Stiftungskapitalien (Stand 1873). Im Falle der Universität zu Jena und München lässt sich für die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts sogar eine Verdoppelung der vorhandenen Stiftungsvermögen nachweisen. 38 Damit scheinen Zeilers Bedenken unbegründet gewesen zu sein. Rittershausen wiederholte in seinem 1929 veröffentlichten Buch „Die Reform der Mündelsicherheitsbestimmungen und der industrielle Anlagekredit" die schon von Hecht nahezu fünfzig Jahre zuvor geäußerte Kritik, nach der in einer industriellen Gesellschaft die Anlage von Stiftungs- und Mündelgeldern den Charakter der Wirtschaftsformation reflektieren sollte. Hecht hatte bereits 1875 gefordert: „Wie aber die Römer ihre Grundsätze für die Anlage von Mündelgeldern unter Berücksichtigung ihrer Wirthschaftsverhältnisse feststellten, so werden auch wir nach den Wirthschaftsverhältnissen unserer Zeit den für Mündel- und Stiftungsgeldern
38 Für Jena: Universitätsarchiv Jena, Bestand C, No. 1873 (Acten der Grossherzogl. und Herzogl. Sachs. Universitäts-Curatel zu Jena betreffend: Legate und Stiftungen im Allgemeinen, 1908-1923), Bl. 28-33 (Verzeichnis der Stipendien-Stiftungen deren Kassen-Führung dem Universitätsrentenamt obliegt. Für München: Universitätsarchiv München, Bestand I (Stiftungen), I-I-1/2, Uebersicht über die besonderen Mittel, welche der K. Universität München für Gewährung von Stipendien, Studienbeihilfen, Konviktsfreiplätze und sonstige Unterrichtszwecke zur Verfugung stehen. Nach dem Stande Ende 1902.
190
Thomas Adam
angemessenen Anlagekreis ziehen müssen." 3 9 Im Gegensatz zu Rittershausen, der darauf hinwies, dass von Anbeginn Industrie und Gewerbe von der „Benutzung der Mündelkapitalien" ausgeschlossen und damit diese für die Finanzierung der Industrialisierung Deutschlands verloren gegangen wären, sah Hecht die Notwendigkeit, die Anlage von Stiftungskapitalien in „industrielle Werthe" weitgehend auszuschließen. 4 0 Für Hecht ging es immerhin um einen „anderen Katalog der sicheren Anlagewerthe", der den Charakter der Volkswirtschaft widerspiegelte, aber weiterhin „eine sichere, gleichmässige Rente" gewährleistete. Daher sah Hecht in der Anlage von Stiftungskapitalien in staatlich garantierten Wertpapieren einen Vorteil gegenüber der Anlage in Hypotheken und Grundstücken. Er betrachtete aber auch die Anlage in „Prioritätsobligationen deutscher Eisenbahnen" als wünschenswert, und zwar selbst dann, „wenn die Zinsen nicht vom Staate garantirt sind". 41 Hecht plädierte auch dafür, dass Aktien, „die eine sichere und in einem Minimalsatz gleichmässige Rente mit grosser Wahrscheinlichkeit versprechen" in Ausnahmefällen als Anlageoption zugelassen werden sollten. 42 Im Wissen um die für die Stiftungen katastrophalen Folgen des Prinzips der Mündelsicherheit unterzog Rittershausen dieses Prinzip einer fundamentalen Kritik. Wie schon Hecht und Kipp betrachtete auch Rittershausen die Forderung, Stiftungskapitalien in Hypotheken anzulegen, als einen Anachronismus. Er warf den Schöpfern des BGB vor, sich der Tragweite der wirtschaftlichen Veränderungen nicht bewusst gewesen zu sein und deswegen auf vormoderne Muster der sicheren Kapitalanlage (Hypotheken) zurückgegriffen zu haben. Die Festschreibung mündelsicherer Anlagewerte im BGB, die eine bereits etablierte Rechtspraxis widerspiegelte, war für Rittershausen Beleg dafür, dass diese Rechtsvorschriften eine Finanzierung der Industrialisierung Deutschlands mittels des mündelsicher angelegten Kapitals verhinderten. Stattdessen wurde die Industrialisierung nach Ansicht Rittershausens finanziert „von dem vorbildlichen deutschen Banksystem..., das sich auf die bedeutenden mobilen Privatvermögen eines zahlreichen Mittelstandes stützen konnte." 4 3 Die volkswirtschaftliche Bedeutung der mündelsicheren Anlagewerte herausstreichend, verwies Rittershausen in seinem Buch auf die in diesem Bereich der Finanzwirtschaft geschaffenen Werte. Im Zeitraum von 1888 bis 1913 belief sich die Gesamtsumme der Neuemissionen an festverzinslichen Werten in Deutschland auf über 30 Milliarden Mark. Davon entfielen nur drei Milliarden Mark auf Industrieobligationen, aber 27 Milliarden Mark auf mündelsichere Papiere (Staats- und Kommunalanleihen sowie Bodenkreditpfandbriefe). Damit wurden etwa neunmal so viele mündelsichere Wertpapiere wie Industrieobligationen emittiert und ver39 40 41 42 43
Hecht, Die Mündel- und Stiftungsgelder, S. 153. Ebenda, S. 250. Ebenda, S. 283. Ebenda, S. 284. Rittershausen, Die Reform der Mündelsicherheitsbestimmungen, S. 37. Dieser Befund wird zumindest in Bezug auf die deutschen Banken durch die neuere Forschung bestätigt. Siehe zuletzt: Caroline Fohlin, Finance Capitalism and Germany's Rise to Industrial Power, Cambridge 2007.
Die volkswirtschaftliche Bedeutung von Stiftungen und „totem Kapital"
191
kauft. 44 Vergleicht man ferner den Gesamtbestand der mündelsicheren Papiere mit den Privatobligationen für 1912, so ergibt sich ein Bestand von über 46 Milliarden Mark an Mündelpapieren, verglichen mit knapp fünf Milliarden Mark an Privatobligationen. „Der Bestand an Mündelwerten war also lOmal so groß wie der Bestand an Industriewerten." 45 An diesem Verhältnis änderte sich selbst in den 1920er Jahren nur wenig. Zwischen 1924 und 1927 standen den knapp zehn Milliarden Mündelwerten lediglich 0,75 Milliarden Industrieanleihen gegenüber. 46 Ein Blick in die Anlagepraxis der Stiftungskapitalien der von den Universitäten verwalteten Stipendienstiftungen lässt deutlich werden, dass Stiftungskapitalien zunehmend in staatlichen Schuldverschreibungen angelegt wurden, obwohl Hypotheken als vom Gesetzgeber empfohlene, bevorzugte Anlageoption galten. In verschiedenen Fällen wurden Stipendienstiftungen auch mit staatlichen Wertpapieren begründet. Im Falle der Universität Heidelberg sollte laut Satzung der Vereinigten Studienstiftungsverwaltung das Stiftungskapital von über 500.000 Mark wie folgt angelegt werden: in (1) Hypotheken, (2) verbrieften Forderungen gegen den badischen Staat, (3) Forderungen an Gemeinden etc., (4) Sparkassen- und Gemeindebürgschaften und (5) Pfandbriefe und Kommunalobligationen der Rheinischen Hypothekenbank. Einer Anlage des Stiftungskapitals in Hypotheken wurde oberste Priorität eingeräumt und nur wenn dies nicht möglich war, sollten Teile des Stiftungskapitals in eine der anderen Optionen investiert werden. Entgegen dieser ursprünglichen Bestimmung wurden jedoch 71% des Gesamtstiftungskapitals in verschiedenen Wertpapieren angelegt (Stand 1906): 438.564 Mark in dreieinhalb- und vierprozentigen badischen Staatsanleihen (83,8%), 56.000 Mark in dreiprozentigen hessischen Staatsanleihen (10,7%), 23.200 Mark in vierprozentigen Rheinischen Pfandbriefen (4,4%), 3700 Mark in dreieinhalbprozentigen Schuldverschreibungen der Stadt Heidelberg (0,7 %) und 2000 Mark in dreiprozentigen Reichsschuldscheinen (0,4 %).47 Im Falle der Universität Greifswald waren über 90% des Stiftungskapitals der Stipendienstiftungen von knapp 320.000 Mark in Wertpapieren und davon über 60% in staatlichen Schuldverschreibungen angelegt (Stand 1910). Stipendienstiftungen stellten, wie aus dem Greifswalder Beispiel deutlich wird, hierin keine Ausnahme dar. Auch bei den anderen universitär verwalteten Stiftungen, wie der „Professoren Witwen und Waisen Versorgungsanstalt" und der UniversitätsKrankenkasse, wurde ein Großteil der Stiftungskapitalien in staatlichen Wertpapieren angelegt. Im Falle der „Professoren Witwen und Waisen Versorgungsanstalt"
44 45 46 47
Rittershausen, Die Reform der Mündelsicherheitsbestimmungen, S. 39. Ebenda, S. 40. Ebenda, S. 41. Universitätsarchiv Heidelberg, RA 5230, Vereinigte Studienstiftungsverwaltung der Universität Heidelberg, Nachweisung über die dem Ministerium der Justiz, der Kultur u. Unterrichts unterstehenden Stiftungen, deren Vermögensstand, ferner Angabe über die Rechner- und Stiftungsschreiber-Vergütungen, Beiträge zur Universitätskasse etc.; RA 5309 Großherzogliche Universitätskasse Heidelberg: Nachweisung über die der verein. Studienstiftung der Universität Heidelberg zu Eigentum zugehörigen Wertpapiere (Schuldverschr.) unter Angabe der Nenn- und Ankaufswerte.
192
Thomas Adam
wurden immerhin 62°/o des sich auf fast 500.000 Mark belaufenden Stiftungskapitals, und im Falle der Universitäts-Krankenkasse das Gesamtvermögen von fast 40.000 Mark in staatlichen Wertpapieren angelegt. 48 Lediglich mit Blick auf die Universität Freiburg lässt sich eine eindeutige Präferenz für die Anlage in Hypotheken nachweisen. Nahezu 99% des sich auf mehr als 1,3 Millionen Mark (1908) belaufenden Stiftungsvermögens der Freiburger Stipendienstiftungen waren in Hypotheken investiert worden, aber nur 0,3 °/o in staatlichen und kommunalen Wertpapieren. Damit war Freiburg eine Ausnahme unter den deutschen Universitäten und der von ihnen praktizierten Vermögensverwaltung. 49 Diese außergewöhnliche Kapitalanlage mag wohl auch die besondere Langlebigkeit der Stipendienstiftungen in Freiburg erklären. Während im Falle anderer Universitäten, wie z. B. in Heidelberg, Kriege und wirtschaftliche Krisen regelmäßig zur Zerstörung der Stipendienstiftungen geführt hatten, überlebte in Freiburg eine große Zahl der Stiftungen derartig einschneidende Ereignisse. Allein 40 der 60 erfassten Freiburger Stipendienstiftungen waren vor 1648 gegründet worden und hatten mehr oder weniger unbeschadet den Dreißigjährigen Krieg überlebt. Eine ähnlich hohe Zahl an Stiftungen aus der Zeit vor dem Dreißigjährigen Krieg, die bis nach 1900 überlebten - in einzelnen Fällen waren das Stiftungen, die vor 1500 gegründet und damit über vierhundert Jahre alt waren - , ließ sich nur noch für Leipzig, Königsberg und Tübingen nachweisen. Etwa drei Viertel aller universitären Stipendienstiftungen, die vor dem Ende des Dreißigjährigen Krieges begründet worden waren, wurden von diesen vier Universitäten verwaltet. 50 Mit Ausnahme von Freiburg und Münster war die Anlage von Stiftungskapitalien in staatlichen und kommunalen Schuldverschreibungen für Kuratoren und Stiftungsverwalter zur dominierenden Praxis geworden. Daher war es nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges für die Stiftungsverwalter kein großer Schritt von der Anlage der Stiftungsgelder in Staatsanleihen hin zum Ankauf von Kriegsanleihen. Zumal letztere auch noch mit einer höheren Verzinsung angeboten wurden. Anfänglich resultierte dies in einer Erhöhung der Zinseinkünfte, wie der Tübinger Universitätssekretär Albert Rienhardt noch im Jahre 1919 argumentierte, da fünfprozentige Reichsanleihen viereinviertel- und viereinhalbprozentige Hypothekenforderungen ablösten.51 Die Stiftungsverwalter vertrauten der bewährten Anlage in Staatspapieren und ermöglichten es so der deutschen Regierung, neue Quellen für die Kriegsfinanzierung zu 48
49
50 51
Universitätsarchiv Greifswald, Kurator K 1907 (Registratur des Universitäts-Kuratoriums Greifswald, Allgemeine Akten betreffend A n n a h m e und Verwaltung v o n Stipendien und Stiftungen), Übersicht über die der alleinigen Verfügung des Staates unterliegenden Stiftungen und Fonds etc. mit eigener Vermögensverwaltung im Bereiche der Universität Greifswald (21. Dezember 1910). Diese Angaben beruhen auf der Auswertung der Fragebögen für die Erhebung über die in Baden bestehenden Stiftungen mit Rechtspersönlichkeit v o m 31. August 1909. Universitätsarchiv Freiburg i.Br., B 1/2233. Siehe auch: Adam, Stipendienstiftungen, S. 184-185. Adolf Weisbrod, Die Freiburger Sapienz und ihr Stifter Johannes Kerer v o n Wertheim, Freiburg 1966, S- 184-185. Albert Rienhardt, Die Tübinger Studienstiftungen und ihre Verwaltungs- und Verleihungsvorschriften nebst Erläuterungen, Tübingen 1919, S. 2.
Die volkswirtschaftliche Bedeutung v o n Stiftungen und „totem Kapital"
193
erschließen, die ansonsten nicht zur Verfügung gestanden hätten. Im Falle der Stipendienstiftungen bestand der entscheidende Vorteil darin, dass die Regierung im Rahmen der rechtlichen Bestimmungen über Mündelsicherheit die Anlage dieser Gelder anordnen konnte, ohne das Einverständnis der Stifter oder Stiftungsverwalter einholen zu müssen. Da die Stipendienstiftungen in der Rechtsform der unselbständigen Stiftung errichtet worden waren, waren sie den staatlichen Anordnungen gegenüber völlig schütz- und widerstandslos.
Die Finanzierung des Ersten Weltkrieges Entscheidend für das Schicksal der Stipendienstiftungen während des Ersten Weltkrieges und der Inflation war die Anlageform der Stiftungskapitalien. Da Gesetzgeber und Stifter auf einer mündelsicheren Anlage des gestifteten Geldes ebenso bestanden wie auf einer beständigen Verzinsung, hatten die mit der Verwaltung dieser Stiftungsgelder beauftragten Kuratoren die meisten Stiftungskapitalien in staatlichen Schuldverschreiben und Hypotheken angelegt. So wurde es in den Universitätsverwaltungen Tradition, staatlichen Autoritäten bezüglich der Anlage der Stiftungskapitalien nahezu blind zu vertrauten. Bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges geschah dies zum beiderseitigen Vorteil: Es garantierte einen gleichmäßigen Zinsertrag bzw. eine stabile Zahl von Stipendien, deren Höhe nur geringfügig schwankte. Erst mit Ausbruch des Krieges, der Art und Weise der Kriegsfinanzierung sowie der Niederlage Deutschlands im Weltkrieg wurde dieses System der Kapitalanlage dem Stiftungswesen zum Verhängnis. Weniger aufgrund vorauseilenden Gehorsams, sondern vielmehr direkten Regierungsanweisungen folgend, sahen sich Kuratoren an allen deutschen Universitäten gezwungen, große Teile der Stiftungskapitalien in Kriegsanleihen anzulegen, was zu einem nicht geringen Teil zur Finanzierung des Ersten Weltkrieges beitrug. 52 Kriegsanleihen 53 Kriegsanleihe
Nennbetrag der Zeichnung
Zahl der Zeichner
1 (1914)
4,46 Mrd. Mark
1.177.235
II (1915)
9,06 Mrd. Mark
2.691.060
12,101 Mrd. Mark
3.966.418
III (1915)
52
53
Zur Finanzierung des Ersten Weltkrieges generell siehe: Gerald D. Feldman, The Great Disorder. Politics, Economics, and Society in the German Inflation, 1914-1924, New York/Oxford 1993, S. 25-51; Carl Ludwig Holtfrerich, Die deutsche Inflation 1914-1923. Ursachen und Folgen in internationaler Perspektive, Berlin/New York 1980, S. 97-115; Konrad Roesler, Die Finanzpolitik des Deutschen Reiches im Ersten Weltkrieg, Berlin 1967; Manfred Zeidler, Die deutsche Kriegsfinanzierung 1914 bis 1918 und ihre Folgen, in: Wolfgang Michalka (Hg.), Der Erste Weltkrieg. Wirkung, Wahrnehmung, Analyse, München/Zürich 1994, S. 415-433. Die Finanzen des Deutschen Reichs in den Rechnungsjahren 1914-1918, S. 247. Siehe auch: Karl Helfferich, Das Geld, Leipzig 1923, S. 212-214.
194
Thomas Adam
IV (1916)
10,712 Mrd. Mark
5.279.645
V (1916)
10,652 Mrd. Mark
3.809.976
VI (1917)
13,122 Mrd. Mark
7.063.347
VII (1917)
12,626 Mrd. Mark
5.530.285
Vili (1918)
15,001 Mrd. Mark
6.869.901
IX (1918)
10,443 Mrd. Mark
2.742.446
Gesamt
98,177 Mrd. Mark
Etwa zwei Drittel der gesamten auf etwa 146 Mrd. Mark geschätzten Kriegskosten wurden durch Kriegsanleihen aufgebracht. 54 Die Frage, wer sich hinter den Millionen Zeichnern verbarg, wurde bisher nur in Ansätzen von Konrad Roesler in seiner Darstellung „Die Finanzpolitik des Deutschen Reiches im Ersten Weltkrieg" diskutiert. Dort verwies Roesler auf die öffentlichen Verlautbarungen der deutschen Regierung während des Krieges, in denen die Kriegsanleihen immer als „Volksanleihen" dargestellt wurden, „um die Beteiligung aller Volksschichten hervorzuheben...".55 Mit Bezug auf die erste Kriegsanleihe arbeitete Roesler heraus, dass 19,8°/o des gesamten Zeichnungsbetrages durch Sparkassen und deren Kunden aufgebracht worden waren. 56 80°/o der Anleihe wurden aus „vorhandenen Sparguthaben der Privaten und im Verlauf der ersten Kriegsmonate aufgelaufene Geschäftsguthaben der Wirtschaft, die im wesentlichen durch Lagerabbau entstanden sein müssen," gespeist.57 Insgesamt kommt Roesler zu dem Schluss, dass die „zahlenmäßig stark wachsende Beteiligung der kleinen Zeichner... für das Ergebnis der Anleihen keine ausschlaggebende Bedeutung" besaß. 58 „In der ersten Kriegshälfte waren es vor allem die Zeichnungen zwischen 1000 Mark und 10 000 Mark, also wahrscheinlich der bürgerliche Mittelstand, welcher sich stark beteiligte und dadurch - verglichen mit den Großzeichnungen - beachtlich hohe Beträge aufbrachte. Aber schon bei der vierten Anleihe ging ihre Bedeutung gegenüber den Großzeichnem mit Beträgen über 10000 Mark zurück." 59 Die unfreiwilligen finanziellen Beiträge von Stiftungen spielten in diesem Erklärungsansatz auf Grund der fehlenden Forschungen zur Geschichte des Stiftungswesens keine Rolle. Eine Auswertung der in den Universitätsarchiven aufbewahrten Bilanzen der einzelnen Stipendienstiftungen bietet einen weiteren Ansatz, um die Finanzierung der Kriegsanleihen zu erklären. Im Falle der Universität Heidelberg lässt sich aufgrund der guten Quellenüberlieferung sehr gut nachvollziehen, welcher Teil der Stiftungsvermögen in Kriegsanleihen angelegt wurde. Im Februar 1915 erhielt die Universität vom badischen Ministerium des Kultus und Unterrichts die Auffor-
54 55 56 57 58 59
Die F i n a n z e n des D e u t s c h e n Reichs in den R e c h n u n g s j a h r e n 1914-1918, S. 249. Roesler, Die Finanzpolitik des D e u t s c h e n Reiches, S. 78. E b e n d a , S. 56. E b e n d a , S. 57. E b e n d a , S. 78. E b e n d a , S. 78, 207.
Die v o l k s w i r t s c h a f t l i c h e B e d e u t u n g v o n S t i f t u n g e n u n d „ t o t e m K a p i t a l "
195
derung, „die verfügbaren Mittel" der vereinigten Studienstiftungen in fünfprozentige Kriegsanleihen anzulegen (2. Kriegsanleihe). 60 Diesem ersten Brief folgten weitere, die an Schärfe zunahmen. Im März 1917 erhielt die Universität die folgende Aufforderung: „ordnen wir [badisches Ministerium des Kultus und Unterrichts - d. A.] unter Bezugnahme auf die anliegenden Merkblätter, die in geeigneter Weise zu verbreiten sind, an, dass sämtliche Grundstocksmittel (Kassenvorräte, Bankguthaben, Heimzahlungen einschliesslich deijenigen, bezüglich deren Wiederanlage wir uns Erschliessung vorbehalten haben), soweit sie nicht unbedingt anderweitig gebraucht werden, zur Zeichnung auf die 6. deutsche Kriegsanleihe (und zwar zu Schuldbucheinträgen) verwendet werden. Gegebenenfalls ist von der Möglichkeit der Ratenzahlung Gebrauch zu machen. Ueber die gezeichneten Beträge ist Anzeige zu erstatten." 61 Die Universität gab diesem Druck nach und kaufte für 213.800 Mark Kriegsanleihen aus dem von den Vereinigten Studienstiftungen verwalteten Gesamtstiftungskapital. In den Unterlagen sind die Ankäufe der zweiten, dritten, fünften, sechsten, siebten und achten Kriegsanleihe dokumentiert. Es ist nicht auszuschließen, dass die Universität darüber hinausgehend noch weitere Kriegsanleihen ankaufte. Die hier dokumentierte Summe entspricht jedoch bereits etwa 4 0 % des gesamten Stiftungskapitals. Übersicht über das in Kriegsanleihen angelegte Heidelberger Stiftungskapital 62 Kriegsanleihe
Betrag war vorher angelegt in
2.
3,5-prozentige badische Eisenbahnschuldscheine und Sparguthaben bei der Städtischen Sparkasse Heidelberg
15.000
3.
?
84.800
5.
Sparguthaben bei der Städtischen Sparkasse Heidelberg
26.000
6.
Sparguthaben bei der Städtischen Sparkasse Heidelberg
18.000
7.
7
40.000
8.
3,5-prozentige badische Eisenbahnanleihen
30.000
Gesamtsumme
Gezeichneter Betrag in M a r k
213.800
Die Universität zu Heidelberg war keineswegs ein Einzelfall. In Tübingen wurden sogar etwa 70°/o aller vorhandenen Stiftungskapitalien (also nicht nur die der Stipendienstiftungen), die sich nach Rienhardts Schätzungen auf etwa 4,4 Millionen
60 61 62
Universitätsarchiv Heidelberg, RA 5310 (Stiftungen, Normalia), Brief des badischen Ministeriums des Kultus und Unterrichts v o m 26. Februar 1915. Ebenda, Brief vom 13. März 1917 vom Ministerium des Kultus und Unterrichts betreffend Die 6. deutsche Kriegsanleihe an die Vereinigte Studienstiftung. Universitätsarchiv Heidelberg, RA 5310 (Stiftungen, Normalia).
196
Thomas Adam
Mark beliefen, „aus vaterländischen Gründen" in Kriegsanleihen angelegt. 63 Mit der deutschen Niederlage und der folgenden Inflation gingen diese 70% nahezu verloren. Die verbleibenden 30°/o waren zu gleichen Teilen in Hypotheken, Sparkasseneinlagen sowie in städtischen Schuldverschreibungen und Hypothekenpfandbriefen angelegt und konnten daher zumindest anteilsmäßig vor der Inflation gerettet werden. Im Jahre 1927, so die Schätzung Adolf Bausers, betrug das Tübinger Stiftungsvermögen noch etwa zehn Prozent des Vorkriegsniveaus. Die Zinseinkünfte waren nur noch „wenige tausend Mark" hoch, verglichen mit den jährlichen 185.000 Mark der Vorkriegszeit. 64 Doch nicht jede deutsche Universität scheint sich diesem staatlichen Druck gebeugt zu haben. Im Fall Münsters waren, wie die folgende Tabelle zeigt, lediglich etwa ein Drittel des Stiftungskapitals in Kriegsanleihen angelegt worden. Übersicht über die in Kriegsanleihen angelegten Stiftungskapitalien an der Universität zu Münster 6 5 Stiftung
Stiftungskapital (1914) in M a r k
Davon in Kriegsanleihen angelegt in M a r k
Stiftung der Stadt Münster
67.800
17.800
Stipendienfonds der Phil. Fak.
34.400
22.000
Hüffer-Stiftung Dieckhoff-Stiftung Berlage-Stiftung Gesamt
5613
1900
43.000
16.500
17.948
5000
168.761
63.200
Etwa 74°/o des Münsteraner Stiftungsvermögens waren in Hypotheken angelegt. Im Falle der Berlage-Stiftung (10.900 Mark) sowie der Dieckhoff-Stiftung (26.500 Mark) waren jeweils 60% des Stiftungsvermögens als Buchschulden im Preußischen bzw. Deutschen Reichsschuldbuch eingetragen. 66 Infolge der Inflation wurden diese Stiftungskapitalien größtenteils entwertet, obwohl der Universitätskurator diese konservativer angelegt hatte, als seine Kollegen in Heidelberg oder Tübingen. Mit den territorialen Veränderungen infolge des Versailler Vertrages kam zur Abwertung der Wertpapiere aber noch ein weiteres Problem hinzu. Klaus Schultz wies in seiner Studie über die Berliner Stipendienstiftungen bereits darauf hin, dass aus-
63 64 65
66
Bauser, Die Tübinger Universitätsstipendien unter Inflation u n d A u f w e r t u n g . Ebenda; Rienhardt, Die T ü b i n g e r Stipendienstiftungen, S. 2. Universitätsarchiv Münster, Bestand 9 (Kurator Sachakten), N u m m e r 1005 (die v o n der Stadt M ü n s t e r errichtete S t i f t u n g für die Universität Münster, 1 9 0 3 - 0 5 Band 1), N a c h w e i s u n g der zur Z e i c h n u n g v o n Kriegsanleihen v e r p f ä n d e t e n Stiftungskapitalien (1919). Universitätsarchiv Münster, Bestand 9 (Kurator Sachakten), N u m m e r 1020 (das Vermächtnis des Professors Dr. Berlage, 1 8 8 2 - 1 9 4 5 ) , Tätigkeitsbericht (Münster April 1927), A n l a g e z u m Antrage a u f Gew ä h r u n g einer kulturellen Wohlfahrtsrente; N u m m e r 1019 (die D i e c k h o f f - S t i f t u n g a n der K ö n i g l i c h e n A k a d e m i e z u Münster, 1 8 6 2 - 1 9 3 1 ) , Bericht über die Tätigkeit der S t i f t u n g (April 1927).
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ländische Wertpapiere, zum Beispiel österreichisch-ungarische oder russische, völlig wertlos wurden. Wertpapiere wie die Westpreußischen Pfandbriefe, die durch die Gebietsabtretungen an Polen zu ausländischen Pfandbriefen geworden waren, wurden ebenfalls stark entwertet. Erst mit dem Danziger Abkommen von 1937 wurde eine, wenn auch äußerst bescheidene, Aufwertung dieser Wertpapiere möglich. 67 Insgesamt legten vor dem Ersten Weltkrieg acht Berliner Stipendienstiftungen nachweislich 178.980 Mark in Westpreußischen (sieben) und Oberschlesischen (einen) Pfandbriefen an. Das betraf immerhin acht von 48 Stiftungen und fast sechs Prozent des gesamten Stiftungsvermögens der Berliner Stipendienstiftungen. 68
Die Suche nach einem Ausweg aus der finanziellen Krise Nach dem Ende der Inflation suchten die deutschen Universitäten nach Wegen, die Stiftungskapitalien wiederherzustellen und die Stipendienstiftungen so weit aufzubauen, dass sie wieder Stipendien vergeben konnten. Auf ein Rundschreiben des Rektors der Universität Halle-Wittenberg vom 13. Oktober 1927, in dem er Auskunft über mögliche Auswege aus der finanziellen Krise der Stipendienstiftungen suchte (Er fragte speziell danach, ob an anderen Universitäten eine Aufwertung der durch die Inflation verloren gegangen Stiftungskapitalien erfolgt wäre oder ob die Regierung das Stiftungskapital ersetzt hätte.), antwortete ihm der Rektor der Universität zu Rostock: „erlaube ich mir auf die Anfrage vom 13. ds. Mts. zu erwidern, dass das Stipendienkapital im wesentlichen der Inflation zum Opfer gefallen ist. Wegen eines grösseren Kapitals, das in 4°/oigen Schuldverschreibungen des MecklenburgSchwerinschen Finanzministeriums angelegt war und das entsprechend den gesetzlichen Bestimmungen nur mit 2 Vi °/o aufzuwerten ist, schweben noch Verhandlungen mit dem Ministerium wegen einer höheren Aufwertung bezw. wegen einer Auffüllung des Stipendienkapitals. Im übrigen hat das Ministerium bisher aus anderen Mitteln für jedes Semester einen bestimmten Betrag für die Stipendien zur Verfügung gestellt." 69 Ebenso wie andere Forderungen gegenüber dem Staat und den Ländern und Gemeinden unterlagen die in Staats- und Kriegsanleihen angelegten Stiftungskapitalien der 67 Klaus Schultz, Stiftungen zur Studien- und Forschungsforderung an der Berliner Universität. Ihr Schicksal in den Jahren der Weimarer Republik und im Dritten Reich, (Beiträge zur Geschichte der Humboldt-Universität zu Berlin Nr. 32), Berlin 1994, S. 16. 68 Universitätsarchiv der Humboldt Universität zu Berlin, Rector und Senat, Acta 301 (Bendemannsche Stiftung), Bl. 5; Acta 305 (Agathon-Benary-Stifüng), Bl. 31; Acta 318 (das Dr. Gotthold Eisenstein'sche Stipendium), Bl. 49; Acta 336 (Vermächtnis des geheimen Regierungs-Raths Prof. ord. Dr. Eduard Gerhard), Bl. 40; Acta 360 (Professor Köpke'sche Stipendium für Studierende der Geschichte), Bl. 2; Acta 361 (Banquier Kuczynski'sche Stipendien-Stiftung), Bl. 1; Acta 381 (Gustav Magnus-Stiftung), Bl. 103. 69 Universitätsarchiv Rostock, Rektorat 1900-1945, R 14 B1/1 (akademisches Stipendienwesen 1913-37), Schreiben des Rektors der Universität Halle-Wittenberg vom 13. Oktober 1927 und Antwortschreiben des Rektors der Universität Rostock vom 19. Oktober 1927.
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universitären Stipendienstiftungen den Regelungen des Anleiheablösungsgesetzes vom 16. Juli 1925. Entsprechend dieser Regelung wurden die Reichsanleihen auf 2,5°/o der Altschulden reduziert. Was für den Staatshaushalt zu einer Verringerung der inländischen Schulden von 70 Milliarden Mark auf 1,75 Milliarden Mark führte, war für die Stiftungen, deren Vermögen zur Finanzierung des Weltkrieges missbraucht worden waren, ein Fiasko. Die Anleiheablösungsschuldforderungen entwerteten nicht nur das Stiftungskapital, sondern sollten erst über einen Zeitraum von etwa 30 Jahren ausgezahlt werden und über diesen Zeitraum hinweg auch noch zinslos bleiben: Der Autor des Gutachtens für die Reorganisierung der Stipendienstiftungen an der Universität Greifswald von 1933 ging davon aus, dass diese Forderungen bis zum Jahre 1965 zurückgezahlt werden würden. 70 Diejenigen Personen und Institutionen, die vor dem 1. Juli 1920 Reichsanleihen erworben - das traf auf alle Stipendienstiftungen zu - und seitdem ohne Unterbrechung besessen hatten, „erhielten ein Auslosungsrecht, mit dem sie an der Tilgung teilnahmen. Jährlich wurden 3 1/3% des Gesamtbetrages der Auslosungsrechte durch Ziehung zugeteilt, so daß in 30 Jahren alle Altanleihebesitzer in den Genuß der Tilgung ihrer Ablösungsschuld kommen würden. Die Tilgungssumme belief sich jeweils auf das Fünffache des Betrages an Anleiheablösungsschuld des Begünstigten. Verfügte z.B. jemand über einen Altbesitz an Kriegsanleihe in Höhe von 1000 Mark, so betrug seine Forderung aus der Anleiheablösungsschuld nominell nur 25 RM. Bei der Tilgung im Wege der Verlosung erhielt er jedoch 125 RM, also 12,5°/o des ursprünglichen Anleihebetrages. Dazu kam ab 1. Januar 1926 einejährliche Verzinsung von 4,5% die jedoch erst zum jeweiligen Tilgungsdatum ausgezahlt wurde."71 Obwohl mit dieser gesetzlichen Regelung ein Großteil der Stiftungskapitalien in Abhängigkeit vom Datum der Auslosung für die nächsten zwei bis drei Jahrzehnte nicht „nutzbar gemacht werden" konnte, wandte sich der Universitätsrat und Landgerichtsdirektor Reinke in seinem Gutachten zur Restrukturierung der Greifswalder Stipendienstiftungen vehement gegen den Verkauf dieser Anleiheablösungsschuldforderungen, da ein sofortiger Verkauf zu einer starken Wertminderung dieser Forderungen führen und damit die Fortexistenz der Stipendienstiftungen weiter gefährden würde (Personen und Institutionen, die diese Forderungen nach dem 1. Juli 1920 erworben hatten, waren von der Verlosung ausgeschlossen und der Nominalwert ihrer Schuldforderungen wurde nur mit 2,5% aufgewertet.). Reinke folgerte: „Die gewonnenen Mittel, insbesondere der Zinsertrag werden so gering sein, daß diese Möglichkeit, schon jetzt Studierende unterstützen zu können, die Vernichtung eines erheblichen Teils des Kapitals nicht rechtfertigen kann. Es wäre falsch, hier eine auf kurze Sicht gestellte Maßnahme zu treffen und damit einen großen Teil der Stiftungen überhaupt verschwinden zu lassen. Es ist richtig, sich hier nicht durch die
70 Universitätsarchiv Greifswald, Rektorat, R 1203, Acta der Preußischen Universität zu Greifswald, betreffend Zusammenlegung der Stipendien u. Stiftungen Band I, Einteilung, Bl. 3. 71 Holtfrerich, Die deutsche Inflation, S. 325.
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augenblickliche Notzeit beeinflussen zu lassen, sondern auf weitere Sicht zu arbeiten und die teilweise schon über 100 Jahre bestehenden Stipendien auch weiter erhalten zu versuchen." 72 Bauser, der für staatliche Entschädigungszahlungen an durch die Inflation geschädigte Personen und Institutionen eintrat, wies in seinem Zeitungsartikel „Die Tübinger Universitätsstipendien unter Inflation und Aufwertung" auf die Möglichkeit hin, die Stipendienstiftungen durch die Gewährung von sozialen Wohlfahrtsrenten wieder funktionstüchtig zu machen. Er schlug deshalb vor, § 27 des Anleiheablösungsgesetzes in einem weiteren Sinne zu interpretieren und auf Stiftungsvermögen von Stipendienstiftungen anzuwenden. Dieser Paragraph bestimmte, dass „Anstalten und Einrichtungen der freien und kirchlichen Wohlfahrtspflege, die Aufgaben der öffentlichen Wohlfahrtspflege erfüllen, sowie Anstalten und Einrichtungen zur Förderung wissenschaftlicher Ausbildung und Forschung, sofern ihnen Auslosungsrechte zustehen, die sie als Anleihealtbesitzer erlangt haben, auf Antrag 15 Jahre hindurch eine Wohlfahrtsrente zu gewähren ist."73 Bereits einen Monat vor der Veröffentlichung dieses Artikels hatte sich die Universität Tübingen mit einem Antrag auf Gewährung einer sozialen Wohlfahrtsrente für eine der zahlreichen Tübinger Stipendienstiftungen (Neef-Möricke-Stiftung) an das Württembergische Kultusministerium gewandt - allerdings erfolglos. Dieser Antrag wurde mit der Begründung abgelehnt: „Nach §§ 25-28 der 3. Verordnung vom 4. Dezember 1926 zur Durchführung des Gesetzes über die Ablösung öffentlicher Anleihen (Reichsges. Bl. Teil I S. 494) sind wohlfahrtsrentenberechtigt die Träger inländischer Einrichtungen, deren wesentliche Zweckbestimmung die Förderung unmittelbarer wissenschaftlicher Ausbildungs- oder Forschungstätigkeit ist. Hieraus folgt, daß nur die Träger solcher Einrichtungen rentenberechtigt sind, die durch die eigene Tätigkeit der Einrichtung die wissenschaftliche oder Forschungstätigkeit als solche fordern. Damit werden von der kulturellen Wohlfahrtsrente die Stipendieneinrichtungen ausgeschlossen, die, wie die in Frage stehende Stiftung einzelnen Studierenden das Hochschulstudium wirtschaftlich ermöglichen oder erleichtern sollen. Diese Einrichtungen sind nicht unmittelbar der wissenschaftlichen Ausbildung gewidmet, sondern nur auf dem Umweg über die wirtschaftliche Unterstützung der Stipendiaten." 74 Scheinbar gab es in dieser Frage keine reichsweit einheitliche Regelung, da die Universität Münster erfolgreich beim Preußischen Kultusministerium um die Gewährung einer sozialen Wohlfahrtsrente für die Dieckhoff-Stiftung nachsuchte. Diese Stipendienstiftung war 1862 mit einem Stiftungskapital von 8100 Thalem gegründet worden und vergab Stipendien an bedürftige Studenten der katholischen Theologie. Bis zum
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Universitätsarchiv Greifswald, Rektorat, R 1203, Acta der Preußischen Universität zu Greifswald, betreffend Zusammenlegung der Stipendien u. Stiftungen Band I, Einteilung, Bl. 4. 73 Bauser, Die Tübinger Universitätsstipendien. 74 Universitätsarchiv Tübingen, 128/116 (Neef-Möricke-Stiftung), Schreiben des Württembergischen Kultusministeriums vom 4. Juni 1927 Bescheid Auf den Antrag des evang.-theologischen Seminars in Tübingen.
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Ausbruch des Ersten Weltkrieges war das Stiftungskapital auf 43.000 Mark angewachsen. Davon waren 26.500 Mark als Buchschulden im Preußischen Staatsschuldbuch eingetragen, für 16.500 Mark waren fünfprozentige Deutsche Reichsanleihen gezeichnet worden und 1633 Mark waren auf einem Sparkonto angelegt. 75 Da das Stiftungskapital durch die Kriegsniederlage und die Inflation weitgehend entwertet worden war, beantragte die Universität eine kulturelle Wohlfahrtsrente in Höhe von 1075 Mark, die im April 1927 auch genehmigt wurde. In der Bewilligungsbegründung hieß es: „Zweckbestimmung der Stiftung ist die Gewährung von Stipendien an Studierende der Theologie. Sie dient also der Förderung wissenschaftlicher Ausbildung. Die Voraussetzung des § 25 der dritten Verordnung zur Durchführung des Gesetzes über die Ablösung öffentlicher Anleihen vom 4. Dezember 1926 ist somit erfüllt." 76 Inwieweit diese Stiftung oder die Universität Münster eine Ausnahme bezüglich der Gewährung von sozialen Wohlfahrtsrenten darstellte, kann aufgrund fehlender archivalischer Quellen nicht mehr vollständig geklärt werden. Dennoch deuten Rechnungsbücher und Rechnungsabschlüsse der Universitäten Berlin, Jena, Münster und Rostock darauf hin, dass das System der Stipendienstiftungen die Inflation, wenn auch beschädigt und transformiert, überlebte und eine mehr oder weniger reguläre Stipendienvergabe ab etwa 1934 wieder aufgenommen werden konnte. Selbst in den Fällen, wo das Stiftungskapital in Staatspapieren angelegt worden war, kam es in der Mitte der 1920er Jahre zu einer Konsolidierung der Kapitalien. Die von Rudolf Mosse im Jahre 1918 an der Universität Heidelberg eingerichtete Theodor Mommsen Stiftung konnte bereits im Jahre 1926 wieder zwei Stipendien über je 1000 Mark vergeben. Da die von Mosse der Universität gestifteten 50.000 Mark vollständig in fünfprozentigen Reichsanleihen angelegt worden waren, war es im Zuge der Inflation zwar zu einer Entwertung dieses Stiftungskapitals gekommen, es betrug im April 1930 aber immer noch 12.450 Mark. Ab 1934 wurde dann nur noch ein Stipendium pro Jahr vergeben, da die Zinserträge auf 320 Mark gefallen waren. 7 7 Aus einem vertraulichem Schreiben des Rostocker Inspektors der Stipendien vom 18. April 1939 geht hervor, dass sich der Vermögensstand der Akademischen Stipendienkasse zu diesem Zeitpunkt auf 32.200 Mark (29.700 RM in Hypotheken, 500 RM auf einem Sparkonto, 2000 RM in Reichsanleiheablösungsschuld) belief. 78 Auch wenn diese Summe lediglich 17°/o des Stiftungskapitals des Jahres 1914 entsprach, gestattete sie es der Universitätsverwaltung dennoch, eine gewisse Zahl von Stipendien auszuzahlen. Im akademischen Jahr 1937/38 standen 1900 Mark Zinsen und
75 Universitätsarchiv Münster, Bestand 9 (Kurator Saehakten), Nummer 1019 (die Dieckhoff-Stiftung an der Königlichen Akademie zu Münster, 1862-1931), Bericht über die Tätigkeit der Stiftung (April 1927). 76 Ebenda, Antrag auf die Gewährung einer sozialen Wohlfahrtsrente (April 1927). 77 Universitätsarchiv Heidelberg, B-9556 (Generalia Stiftungen, Die Theodor Mommsen Stipendienstiftung 1917-1943). 78 Universitätsarchiv Rostock, Rektorat, R 14 B 12 Akademische Stipendienkasse 1861-1944 (Schreiben des Inspektors der Stipendien vom 18. April 1939 an Herrn Dr. Gißel, Chirurgische Universitätsklinik).
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im Jahr 1939 sogar 3600 Mark Zinsen zur Verfügung. Davon erhielten 27 Studenten Stipendien in Höhe von jeweils 100, 150 und 200 Mark.79 Dies war bei weitem keine Ausnahme. An den meisten deutschen Universitäten wurde die Vergabe von Stipendien nach 1933, nun allerdings beeinflusst durch die veränderten politischen Rahmenbedingungen (Ausschluss von jüdischen Studenten von der Vergabe und Enteignung der jüdischen Stiftungen)80, wieder aufgenommen und bis in das Jahr 1944 hinein fortgesetzt.
Zusammenfassung Selbst wenn außer Zweifel steht, dass die Inflation Stipendien- und Kapitalstiftungen nachhaltig beschädigt hat, war ihr Untergang mit dieser finanziellen Krise noch nicht endgültig besiegelt. Bis nach dem Ersten Weltkrieg spielte das Stiftungswesen eine entscheidende Rolle in der Finanzierung der Hochschulausbildung und stellte darüber hinaus eine volkswirtschaftliche Größe dar. Das in Stiftungen festgelegte Kapital, das oftmals als „totes Kapital" verkannt wurde, weil es vorgeblich dem aktiven Wirtschaftsleben und den privaten Finanzmärkten entzogen wäre, war keineswegs tot im Sinne von ungenutzt. Um einen gleichmäßigen, wenn auch niedrigen Zinssatz zu erwirtschaften, musste das Stiftungskapital in sicheren Anlagewerten wie Hypotheken und staatlich garantierten Wertpapieren investiert werden. Mit einer Anlage in staatlichen Schuldverschreibungen konnte das Stiftungskapital für den Staat und die Volkswirtschaft mobilisiert werden. In Ländern, in denen der Staat keine Vorschriften bezüglich der Anlagewerte erlassen hatte, konnte dieses Kapital zumindest theoretisch auch in industriellen Wertpapieren angelegt werden. In Deutschland bildete sich jedoch eine Praxis heraus, die später in landesrechtlichen und bundesrechtlichen Regelungen kodifiziert wurde. In diesen Regelungen galten Hypotheken und zunehmend auch staatliche und kommunale Schuldverschreibungen als Hauptanlageoption. Damit erhielt der Staat ein Reservekapital, auf das er jederzeit zurückgreifen konnte. Am Ende des 19. Jahrhunderts fand die deutsche Regierung eine ansehnliche Kapitalakkumulation in zwei volkswirtschaftlichen Bereichen vor. Zum einen kam es zu einer Anhäufung von „totem Kapital" im Stiftungssektor, das aufgrund der gesetzlichen Forderung nach einer mündelsicheren Anlage in Richtung Hypotheken und staatliche Schuldverschreibungen gesteuert wurde. Zum anderen entstand mit den Bismarckschen Sozialgesetzen eine weitere Quelle für die Ansammlung „toten Kapitals", da die Beiträge zu den Sozialversicherungen ebenfalls mündelsicher
79 Ebenda, Brief der Universitätskasse an das Kuratorium der Universität Rostock vom 30.9.1939. 80 Universitätsarchiv Greifswald, Kurator Nr. 1995, Bl. 128-129 (Schreiben des Reichsministers für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung vom 20. Mai 1939).
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anzulegen waren. 81 Ähnlich wie im Falle der Stiftungskapitalien sollte ein Viertel des von den Sozialversicherungen akkumulierten Kapitals in Hypotheken angelegt werden, um so eine zu große Nachfrage nach staatlichen Schuldverschreibungen zu verhindern. Im Unterschied zu den gesetzlichen Bestimmungen über die Anlage von Stiftungskapital in Hypotheken galt allerdings für das von den Sozialversicherungen akkumulierte Kapital darüber hinaus die Auflage, dieses zugunsten der Versicherten zu investieren. 82 Der Arbeiterwohnungsbau und dessen Hauptakteure - die Baugenossenschaften - wurden rasch zu den Hauptnutznießern dieser Entwicklung. So konstatierte Rudolf Albrecht, dass die Landesversicherungsanstalten von ihrem bis 1907 auf 1,4 Milliarden Mark angewachsenen Kapital etwa ein Siebtel - also fast 200 Millionen Mark - in den Arbeiterwohnungsbau investiert hatten. Davon waren allein 125 Millionen Mark an Baugenossenschaften geflossen. 83 Erst diese umfassende staatliche Förderung ermöglichte den enormen Aufschwung der deutschen Baugenossenschaftsbewegung seit den 1890er Jahren. Ohne die Bestimmung einer mündelsicheren Anlage der Sozialversicherungsrücklagen wäre es nicht zu einem derartig großen Aufschwung der Baugenossenschaften gekommen, die sich zu einem wesentlichen Faktor der Wohnungsproduktion in deutschen Großstädten entwickelten. Damit zeigt sich auch hier, wie „totes Kapital" zum Charakter einer Volkswirtschaft beitragen kann. In Deutschland war es die Bestimmung der mündelsicheren Anlage von Stiftungs- und Sozialversicherungskapital, die es auf der einen Seite ermöglichte, den Ersten Weltkrieg über Kriegsanleihen zu finanzieren und die andererseits der deutschen Wohnungswirtschaft ein stark genossenschaftliches Gepräge gab.
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Siehe hierzu: Thomas Adam, Housing Charities and the Provision of Social Housing in Germany and the United States of America, Great Britain, and Canada in the Nineteenth Century, in: Bernard Harris und Paul Bridgen (Hg.), Charity and Mutual Aid in Europe and North America Since 1800, New York/London 2007, S. 176-177. 82 A. Grävell, Die Baugenossenschafts-Frage. Hin bericht über die Ausbreitung der gemeinnützigen Bautätigkeit durch Baugenossenschaften, Aktienbaugesellschaften, Bauvereine etc. in Deutschland während der letzten 12 Jahre, Berlin 1901, S. 262-263. 83 Rudolf Albrecht, Die Aufgabe, Organisation und Tätigkeit der Beamten-Baugenossenschaften im Rahmen der deutschen Baugenossenschafts-Bewegung, Stuttgart 1911, S. 43-44.
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Autoren Prof. Dr. Thomas Adam, Associate Professor am Department of History der University of Texas at Arlington Christine Bach M. A., Doktorandin und wissenschaftliche Mitarbeiterin im Archiv der J.W. Goethe-Universität Frankfurt am Main. Bis Ende 2008 wissenschaftliche Mitarbeit im Forschungsprojekt zur Geschichte des Hamburgischen Stiftungswesens am Historischen Seminar der J.W. Goethe-Universität PD Dr. Jonas Flöter, Privatdozent und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Allgemeine Pädagogik der Erziehungswissenschaftlichen Fakultät an der Universität Leipzig PD Dr. Manuel Frey, Privatdozent an der Technischen Universität Dresden, Stellv. Stiftungsdirektor der Kulturstiftung des Freistaates Sachsen PD Dr. Gabriele Lingelbach, Lehrstuhlvertretung für die Geschichte des Romanischen Westeuropa, Universität Freiburg Dr. phil. Andreas Ludwig, Leiter des Dokumentationszentrums Alltagskultur der DDR in Eisenhüttenstadt Dr. Stephen Pielhoff, lebt und arbeitet als freier Historiker in Wuppertal PD Dr. Ralf Roth, Privatdozent für Neuere Geschichte am Historischen Seminar der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt am Main und Research Fellow am Royal Holloway College an der University of London Dr. Gudrun-Christine Schimpf, Historikerin und Ausstellungskuratorin, Mannheim Dr. Angela Schwarz, wissenschaftliche Mitarbeiterin im Ferdinand Beneke-Editionsprojekt der Hamburger Stiftung zur Förderung von Wissenschaft und Kultur (WIKU) Rupert Graf Strachwitz M. A., Direktor des Maecenata Instituts für Philanthropie und Zivilgesellschaft an der Humboldt-Universität zu Berlin Dr. des. Michael Werner, lebt und arbeitet als Historiker in Dresden